KIEN NGHI HA
HYPE UM HVBRIDITÄT Kultureller Differenzkonsurn und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus
Kien Nghi Ha ist Politikwissenschaftler und hat zahlreiche Aufsätze publiziert. Er ist Autor des viel beachteten Buches »Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs«
(1999/2004); im Herbst 2005 erscheint
»Vietnam Revisited. Demokratisierung, nationale Identität und adoles zente Arbeitsrnigration«. Kontakt:
[email protected]
[tranSCriPt]
CU l T UR A L S T UD I E S
UNJVERSITÄT ZU
>3 +-
KÖLN
Institut tür Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften
�ronewaldstr. 2 50931 Köln
Inhalt VorwortlMaking of I 7 Einleitung I 11 Konjunkturen und Leerstellen: Kulturgeschichtliche Diskursrekonstruktionen über das Hybride I 1 7 Vermischung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise I Hybride Revolution: Das postmoderne Versprechen einer unentdeckten Terra Nova I
23
39
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodernen Spätkapitalismus I Popkulturelle Verwertungen und die Warenförmigkeit von Otherness I 7 1 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut" sehen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Kulturelle Hybridität in der deutschen Rezeption I
© 2005 transcript Verlag. Bielefeld
Literatur I 1 1 7
Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus. Bielefeld Projektmanagement: Andreas Hüllinghorst. Bielefeld Lektorat: Kai Reinhardt. Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH. Wetzlar ISBN 3"89942"3°9"7
Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bittefordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter:
[email protected]
Umkämpfte Hybridisierungen I 1 0 1
85
55
UNJVERSITÄT ZU
>3 +-
KÖLN
Institut tür Vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften
�ronewaldstr. 2 50931 Köln
Inhalt VorwortlMaking of I 7 Einleitung I 11 Konjunkturen und Leerstellen: Kulturgeschichtliche Diskursrekonstruktionen über das Hybride I 1 7 Vermischung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise I Hybride Revolution: Das postmoderne Versprechen einer unentdeckten Terra Nova I
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Hybridität als kulturelle Dominante im postmodernen Spätkapitalismus I Popkulturelle Verwertungen und die Warenförmigkeit von Otherness I 7 1 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut" sehen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Kulturelle Hybridität in der deutschen Rezeption I
© 2005 transcript Verlag. Bielefeld
Literatur I 1 1 7
Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus. Bielefeld Projektmanagement: Andreas Hüllinghorst. Bielefeld Lektorat: Kai Reinhardt. Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH. Wetzlar ISBN 3"89942"3°9"7
Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bittefordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter:
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Umkämpfte Hybridisierungen I 1 0 1
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Für meine Soulmates
Hito Steyerl Nicola Laure al-Samarai Mariam Popal noa k. heymann Makoto Takeda Markus Schmitz
Vorwort/Making of
Wenn ich mich recht erinnere - und ich neige dazu, selbst meine eigenen Erinnerungen und Wissenskonstruktionen zu hinterfragen-, lassen sich die Anfange meiner eigenen Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex »kulturelle Hybridität« auf das Jahr 1996 zurückver folgen. Nachdem ich mich durch Stuart Halls differenzierte Analyse in » Rassismus und kulturelle Identität« (1994) und durch Frantz Fanons antikoloniales Manifest »Die Verdammten dieser Erde« (1961) den politischen wie erkenntnistheoretischen Grundlagen postkolonialer Kritik bereits angenähert hatte, stieß ich im Rahmen der Recherche für meine politikwissenschaftliche Diplomarbeit unweigerlich auch auf »The Location of Culture« (1994) von Homi K. Bhabha. Diese anspruchsvolle Lektüre war für mich sprachlich herausfordernd wie faszinierend zugleich und zudem intellektuell überaus aufregend. Im Gegensatz zum hier konstatierten »Hype um Hybridität« resultierte mein erster Enthusiasmus nicht aus der Überzeugungskraft kulturel ler Vermischungen, sondern aus der Möglichkeit, Hybridität in ihrer uneindeutigen Ambivalenz als eine kulturelle Widerstandspraxis in post-Jkolonialen Diskursen zu begreifen. Während mein erstes Buch »Ethnizität und Migration« (1999) in einer impulsiven Reaktion noch eindeutig von der politischen Wirksamkeit kultureller Subversionen ausging, werden die gesellschaftlichen Potenziale von Hybridität und Mimikry bei der Überarbeitung »Ethnizität und Migration Reloaded« (2004) von mir inzwischen skeptischer und widersprüchlicher disku tiert. Während meine Vorarbeiten sich stark auf die kulturellen Artiku lations- und politischen Handlungsmöglichkeiten von marginalisier ten Subjekten konzentrierten, richtet sich mein Fokus in der nun vorliegenden Analyse auf postmoderne Verwertungsprozesse spätkapi talistischer Kulturindustrien, die in der wissenschaftlichen Aufarbei tung bisher weitgehend unterbelichtet gebliebenen sind. Das zuneh mende Verlangen nach Andersheit in der medialen Zirkulation und das Florieren von hybriden United Colors Ästhetiken kann als ein Aus druck eines umfassenderen Paradigmenwechsels kontextualisiert -
Für meine Soulmates
Hito Steyerl Nicola Laure al-Samarai Mariam Popal noa k. heymann Makoto Takeda Markus Schmitz
Vorwort/Making of
Wenn ich mich recht erinnere - und ich neige dazu, selbst meine eigenen Erinnerungen und Wissenskonstruktionen zu hinterfragen-, lassen sich die Anfange meiner eigenen Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex »kulturelle Hybridität« auf das Jahr 1996 zurückver folgen. Nachdem ich mich durch Stuart Halls differenzierte Analyse in » Rassismus und kulturelle Identität« (1994) und durch Frantz Fanons antikoloniales Manifest »Die Verdammten dieser Erde« (1961) den politischen wie erkenntnistheoretischen Grundlagen postkolonialer Kritik bereits angenähert hatte, stieß ich im Rahmen der Recherche für meine politikwissenschaftliche Diplomarbeit unweigerlich auch auf »The Location of Culture« (1994) von Homi K. Bhabha. Diese anspruchsvolle Lektüre war für mich sprachlich herausfordernd wie faszinierend zugleich und zudem intellektuell überaus aufregend. Im Gegensatz zum hier konstatierten »Hype um Hybridität« resultierte mein erster Enthusiasmus nicht aus der Überzeugungskraft kulturel ler Vermischungen, sondern aus der Möglichkeit, Hybridität in ihrer uneindeutigen Ambivalenz als eine kulturelle Widerstandspraxis in post-Jkolonialen Diskursen zu begreifen. Während mein erstes Buch »Ethnizität und Migration« (1999) in einer impulsiven Reaktion noch eindeutig von der politischen Wirksamkeit kultureller Subversionen ausging, werden die gesellschaftlichen Potenziale von Hybridität und Mimikry bei der Überarbeitung »Ethnizität und Migration Reloaded« (2004) von mir inzwischen skeptischer und widersprüchlicher disku tiert. Während meine Vorarbeiten sich stark auf die kulturellen Artiku lations- und politischen Handlungsmöglichkeiten von marginalisier ten Subjekten konzentrierten, richtet sich mein Fokus in der nun vorliegenden Analyse auf postmoderne Verwertungsprozesse spätkapi talistischer Kulturindustrien, die in der wissenschaftlichen Aufarbei tung bisher weitgehend unterbelichtet gebliebenen sind. Das zuneh mende Verlangen nach Andersheit in der medialen Zirkulation und das Florieren von hybriden United Colors Ästhetiken kann als ein Aus druck eines umfassenderen Paradigmenwechsels kontextualisiert -
8 I Hype
um
Hybridität
werden, in welcher der Niedergang von Homogenitäts- und Reinheits konzeptionen vielfältige Neuerungen und Modernisierungsprozesse ermöglicht, die von technologischen Revolutionsversprechungen bis zum Aufstieg interkultureller Nationen reichen. Welche kulturelle Verwertungsvorteile das Zauberwort »Hybridi tät« inzwischen ermöglicht, zeigt sich nicht zuletzt in der Aporie, diesen Diskurs kritisch aufzuarbeiten, ohne vom allgegenwärtigen Hype zu profitieren. Mein Unterfangen, dieses Thema zur Arbeits grundlage einer diskursanalytischen und kulturwissenschaftlichen Untersuchung zu machen, kann sich diesem Widerspruch weder ent ziehen geschweige denn ihn auflösen. Die hier formulierte Kritik kann daher nur versuchen, diesen inhärenten Widerspruch transparent zu gestalten und auf die eigenen Voraussetzungen und Involvierungen hinzuweisen, deren wiederkehrende Reflektion mir für einen kriti schen Zugang wichtig erscheint. Bücher sind als diskursive Erzählungen ein kulturelles Gebilde, das nicht ohne Referenzen und Vorgeschichte auskommt. Texte sind nie monadisch in sich abgeschlossen, und wie jede andere Narration haben sie ihre eigenen sozialen, kulturellen und zeitlichen Kontexte sowie spezifischen Produktionsbedingungen, die auf die Welt außer halb der textuellen Begrenzungen verweisen. Ohne es zu wissen, fing die Arbeit zu diesem Buch bereits Februar 2002 an, als ich einen Vortrag unter dem Titel »Postkoloniale Migration, Rassismus und die Frage der Hybridität« im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Postkolo niale Kritik« von inteiflugs ( Universität der Künste) in der »Neuen Ge sellschaft für Bildende Kunst« (Berlin) ausarbeitete. Die in diesem Vortrag entwickelten Gedanken mündeten schließlich in drei umfang reiche Aufsätze: »Hybride Bastarde - Identitätskonstruktionen in kolonial-rassistischen Wissenschaftskontexten« (2oo3a), »Die kolonia len Muster deutscher Arbeitsmigrationspolitik« (2oo3b), und »Die schöne neue Welt der Hybridität« (2004b). Dieses Buch profitiert auf unterschiedliche Weise von diesen und anderen Vorarbeiten, sodass ich an dieser Stelle die Chance nutzen möchte, Encarnaci6n Gutierrez Rodriguez, Hito Steyerl. Marion von Osten, Eva Kimminich, Cornelia Kogoj, Julia Reuter, Astrid Messerschmidt, Daniela Koweindl, Ula Schneider, Ljubomir Bratic, Hakan Gürses, Christian Kravagna, Karl Hörning und Gerhard Wagner für die fruchtbare Kooperation zu dan ken. Ohne das große inhaltliche Interesse sowie die außerordentliche Unterstützung durch den transcript Verlag wäre dieses Buch nicht in dieser Form realisiert worden. Der Verlag hat durch seine Ermutigun gen und das praktische Entgegenkommen den produktiven Abschluss dieses Buchprojektes erheblich erleichtert. Für dieses Verständnis bedanke ich mich sehr bei Karin Wemer. Obwohl ich meine Dead lines infolge meiner überraschenden Vaterschaft immer wieder ver schieben musste, hat sich Andreas Hüllinghorst als geduldiger und
Vorwort/Making 01 I 9 stets freundlicher Projektmanager nicht irritieren lassen, wodurch er mir sehr geholfen hat. Kai Reinhardt danke ich für sein gewissenhaf tes Korrektorat.
Meine Gedanken sind bei unserem Sohn Lou King. Berlin, den I9. Juni 2005
Kien Nghi Ha - Ha Kien Nghi -
1itJ � �
8 I Hype
um
Hybridität
werden, in welcher der Niedergang von Homogenitäts- und Reinheits konzeptionen vielfältige Neuerungen und Modernisierungsprozesse ermöglicht, die von technologischen Revolutionsversprechungen bis zum Aufstieg interkultureller Nationen reichen. Welche kulturelle Verwertungsvorteile das Zauberwort »Hybridi tät« inzwischen ermöglicht, zeigt sich nicht zuletzt in der Aporie, diesen Diskurs kritisch aufzuarbeiten, ohne vom allgegenwärtigen Hype zu profitieren. Mein Unterfangen, dieses Thema zur Arbeits grundlage einer diskursanalytischen und kulturwissenschaftlichen Untersuchung zu machen, kann sich diesem Widerspruch weder ent ziehen geschweige denn ihn auflösen. Die hier formulierte Kritik kann daher nur versuchen, diesen inhärenten Widerspruch transparent zu gestalten und auf die eigenen Voraussetzungen und Involvierungen hinzuweisen, deren wiederkehrende Reflektion mir für einen kriti schen Zugang wichtig erscheint. Bücher sind als diskursive Erzählungen ein kulturelles Gebilde, das nicht ohne Referenzen und Vorgeschichte auskommt. Texte sind nie monadisch in sich abgeschlossen, und wie jede andere Narration haben sie ihre eigenen sozialen, kulturellen und zeitlichen Kontexte sowie spezifischen Produktionsbedingungen, die auf die Welt außer halb der textuellen Begrenzungen verweisen. Ohne es zu wissen, fing die Arbeit zu diesem Buch bereits Februar 2002 an, als ich einen Vortrag unter dem Titel »Postkoloniale Migration, Rassismus und die Frage der Hybridität« im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Postkolo niale Kritik« von inteiflugs ( Universität der Künste) in der »Neuen Ge sellschaft für Bildende Kunst« (Berlin) ausarbeitete. Die in diesem Vortrag entwickelten Gedanken mündeten schließlich in drei umfang reiche Aufsätze: »Hybride Bastarde - Identitätskonstruktionen in kolonial-rassistischen Wissenschaftskontexten« (2oo3a), »Die kolonia len Muster deutscher Arbeitsmigrationspolitik« (2oo3b), und »Die schöne neue Welt der Hybridität« (2004b). Dieses Buch profitiert auf unterschiedliche Weise von diesen und anderen Vorarbeiten, sodass ich an dieser Stelle die Chance nutzen möchte, Encarnaci6n Gutierrez Rodriguez, Hito Steyerl. Marion von Osten, Eva Kimminich, Cornelia Kogoj, Julia Reuter, Astrid Messerschmidt, Daniela Koweindl, Ula Schneider, Ljubomir Bratic, Hakan Gürses, Christian Kravagna, Karl Hörning und Gerhard Wagner für die fruchtbare Kooperation zu dan ken. Ohne das große inhaltliche Interesse sowie die außerordentliche Unterstützung durch den transcript Verlag wäre dieses Buch nicht in dieser Form realisiert worden. Der Verlag hat durch seine Ermutigun gen und das praktische Entgegenkommen den produktiven Abschluss dieses Buchprojektes erheblich erleichtert. Für dieses Verständnis bedanke ich mich sehr bei Karin Wemer. Obwohl ich meine Dead lines infolge meiner überraschenden Vaterschaft immer wieder ver schieben musste, hat sich Andreas Hüllinghorst als geduldiger und
Vorwort/Making 01 I 9 stets freundlicher Projektmanager nicht irritieren lassen, wodurch er mir sehr geholfen hat. Kai Reinhardt danke ich für sein gewissenhaf tes Korrektorat.
Meine Gedanken sind bei unserem Sohn Lou King. Berlin, den I9. Juni 2005
Kien Nghi Ha - Ha Kien Nghi -
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Einleitung
»Von Soma betäubt. erschöpft von einer langen Raserei der Sinn lichkeit. lag der Wilde im Heidekraut und schlief. [ . . . ] Dann er innerte er sich plötzlich - an alles« (Aldous Huxley). Ein Mensch, der heute nach einem Jahrzehnt aus dem Komazustand erwacht und beginnt, die entgangenen Zeitungsartikel blitzlichtartig Revue passieren zu lassen, würde sich über die verlockenden Rufe nach einer schönen hybriden Welt wundern. Denn dieser Mensch hätte sehr bald den unwillkürlichen Eindruck. eine überaus bedeut same und wichtige Entwicklung in den letzten Jahren buchstäblich verschlafen zu haben. Sicherlich würde sie oder er zunächst vor allem mit Schlagzeilen konfrontiert. die auf weltpolitische Ereignisse und global ausstrahlende Tragödien hinweisen: Kriege. Flüchtlingsdra men, Terrorangriffe. wirtschaftliche Krisen sowie andere sozial-his torisch verankerte und unkalkulierbare Unwägbarkeiten. die auf menschliches Handeln und Naturkatastrophen zurückzuführen sind. Dem aufmerksamen Beobachter oder der interessierten Leserin würde es jedoch auch auffallen. wie der Begriff »hybrid*« in relativ kurzer Zeit mehr und mehr ins Rampenlicht des populären Sprachgebrauchs rückt und immer größere Kreise zieht. Er oder sie dürfte sich fragen, was es mit dem Begriff des Hybriden auf sich hat, das anscheinend schlagartig in den Bildungssprachschatz vieler meinungsbildender Öffentlichkeitsarbeiterj-innen eingeflossen ist und mittlerweile in vielen unterschiedlichen Kontexten im Zentrum öffentlicher Diskus sionen steht. Eine weltweite Internetrecherche für »hybrid*« via Google ergibt eine unüberschaubare Anzahl von 23.700.000 Treffern (8.5.2005). Zehn Wochen später ergibt die gleiche Recherche bereits 24.800.000 FundsteIlen - was auf einen sehr dynamischen Diskurs schließen lässt. Spätestens in diesem Jahr dürfte dieses vielseitig verwendbare Wort seinen allgemeinen Durchbruch feiern. da er über eine Reihe technischer Neuerungen auf den Massenmarkt - etwa im
12
I Hype
um
Einleitung I
Hybrid ität
13
Auto- und Computerbereich - auch im allgemeinen Sprachgebrauch
in Theorie und Technik zu berichten. Und Bice Curriger, die Kurato
durchschnittlich gebildeter Menschen einen festen Platz erhalten
rin der Ausstellung über die jüngste Schweizer Kunst im
wird.
Zürich,
Kunsthaus
gab schon vor fast zehn Jahren die neue Marschrichtung vor
Kaum ein Begriff hat in jüngster Zeit in der intellektuell-akade
als sie die Parole ausrief: »Hybrid sein heißt die Losung« (Kipphoff
mischen Öffentlichkeit wie in der Tagespresse für so viel Furore ge
1998: 41). Wie ein Echo auf diese Direktive wirkt die Überschrift eines
sorgt und dabei so viel Unklarheit hinterlassen. Besonders in Form
Online-Forums des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel«, der mit
des scheinbar universell >andockbaren< Adjektivs »hybrid« referiert er
seiner Leser/ -innen schaft kürzlich über das Zeitungssterben debattier
auf diversen Themenfelder auf sehr unterschiedliche Formen der
te und diese Allzweckempfehlung als Fazit für ein erfolgreiches Ge
Hybridisierung, Vermischung und (Re-)Kombinierung. In unserer
schäftsmodell zog: »Werden Sie hybrid!« (15.4.2°°5).2
Nachrichtenwelt, im Feuilleton, im Wissenschaftsdiskurs wie auch im
Bereits dieser schlaglichtartige Einblick in die aktuelle Diskussion
Alltag ist »hybrid« zu einem modischen Reiz- und Schlagwort der
verdeutlicht, dass Hybridität als Schlagwort eine rasante Performance
Innovation geworden: Zum Beispiel wird der Automarkt neuerdings
im gesellschaftlichen Diskurs erreicht hat. Ihre Laufbahn als aufge
von Fahrzeugen mit einem Hybridantrieb revolutioniert; Outdoor
hender Stern am kulturellen Firmament ähnelt dem eines kultur
Fans sind dagegen von der überlegenen Funktionalität von Hybridma
industriell protegierten Popstars. Die Frage ist nur, ob sie als Stern
terialien in ihren Textilien und Ausrüstungsgegenständen begeistert;
schnuppe verglühen wird oder tatsächlich im Begriff ist, ihr Innova
Einführung einer
tionsversprechen einzulösen und die jetzige Welt nachhaltig zu post
fortschrittlicheren Hybrid-Festplatten-Technologie im nächsten Jahr
modernisieren. Wie ich später detaillierter darstellen werde, sind die
angekündigt; in der Hoffnung, sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten
technischen und kulturellen Innovationspotentiale durch effiziente
Ende April 2005 haben
Microsoft
und
Samsung die
für das therapeutische Klonen zu finden, wird in den geheimen Bio
und attraktive Hybridisierungstechniken überaus beträchtlich. Selbst
technik-Labors unentwegt mit genetischen Hybridisierungen experi
wenn sich nicht alle Verheißungen erfüllen sollten, ist mit einem
mentiert, um die Erbanlagen von unterschiedlichen Lebewesen mit
fundamentalen Gesellschaftswandel zu rechnen. Auch wenn das
einander zu kombinieren - die Chimären lassen bisher eher zweifel
gesamte Ausmaß schwer abzuschätzen ist, scheint es doch möglich,
hafte bis obskure Ergebnisse befürchten; Soziologinnen wie Politik
dass die Veränderungen weitreichend und vielfältig ausfallen werden.
wissenschafter rätseln derweil über den »hybriden Konsumenten«
Damit stellt sich auch die Frage, ob wir uns nach der industriellen und
und »hybriden Wähler«, der inzwischen zwischen seinen politischen
mikroelektronischen nun am Anfang einer hybriden Revolution be
Entscheidungen und sonstigen Gewohnheiten so radikal > switcht< ,
finden. Kann diese Umwälzung als eine eigenständige Zeitepoche des
dass das wechselhafte bis scheinbar widersprüchliche Verhalten zur
postmodernen Spätkapitalismus analysiert werden, die auch mit der
einzigen von außen erkennbaren Regelhaftigkeit wird.
Ausbildung von entsprechend heterogenen, >unreinen< bzw. bunt
Natürlich sind diese Trends nicht spurlos an den Kulturwissen
gemischten Kulturformen einhergeht? Ermöglicht der postmoderne
schaften vorübergegangen, wo theoretische Ansätze über hybride
Hype um Hybridität auch eine fortschreitende Kommodifizierung
Kulturen - gemessen an anderen Wissenstransferprozessen - prak
kultureller Identitäten und Alteritäten, die als konsumierbarer Waren
tisch über Nacht zum neuen Paradigma avancierten. Im Jahre 2000
fetisch nicht nur unbekannte Arten der ästhetischen Differenzproduk
ist schließlich die internationale wissenschaftliche Zeitschrift »Hybri
tion generieren, sondern auch tradierte Machtverhältnisse und Ar
dity: Journal of Cultures, Texts and Identities« an der
National Univer
beitsverteilungssysteme in der Gesellschaft erneuern?
gegründet worden.' »Hybridität ist das Wort der
Neben »Hybridität« (Bhabha 2000) werden gegenwärtig auch
Stunde in der Kulturtheorie« (Misik 2005: 16), weiß dann auch »die
Alternativtermini wie »Kreolisierung« (Hannerz 1987), »Bastardisie
tageszeitung« in einer Kolumne über den aktuellen Stand der Dinge
rung« (Rushdie 1992), »Melange« (Nederveen Pieterse 1998, Neder
sity of Singapore
veen Pieterse 2004), »Transkulturation« (Pratt 1992), »Transdiffe I
I »Hybridity is a multidisciplinary and internationally-refereed jour nal housed in the Department of English Language and Literature of the N atio nal University of Singapore, and published by Oxford University Press Singa pore. Hybridity focuses on multi-disciplinary analyses of conditions and sites of cultural hybridity, split, tension, anxiety, and their negotiation in a variety of so dal discourses and signs« (http://courses.nus.edu.sgjcoursejellgohbhjhybridi ty.html, gesehen am 22.5.2°°5).
renz« (Lösch 2004) und »Interkultur« (Auernheimer 2003) theoreti siert, um die Arbeitsweise und Entstehung von Kulturpraktiken sowie mögliche Reibungsflächen und Überlappungen im Prozess ihrer eth-
2 I Das Forum »Unter Druck« kann unter diesem Link erreicht werden: http:j jwww.spiegel.dejnetzwelt/netzkulturjo,I518,351289,00.html (gesehen am 22.5.2°°5).
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I Hype
um
Einleitung I
Hybrid ität
13
Auto- und Computerbereich - auch im allgemeinen Sprachgebrauch
in Theorie und Technik zu berichten. Und Bice Curriger, die Kurato
durchschnittlich gebildeter Menschen einen festen Platz erhalten
rin der Ausstellung über die jüngste Schweizer Kunst im
wird.
Zürich,
Kunsthaus
gab schon vor fast zehn Jahren die neue Marschrichtung vor
Kaum ein Begriff hat in jüngster Zeit in der intellektuell-akade
als sie die Parole ausrief: »Hybrid sein heißt die Losung« (Kipphoff
mischen Öffentlichkeit wie in der Tagespresse für so viel Furore ge
1998: 41). Wie ein Echo auf diese Direktive wirkt die Überschrift eines
sorgt und dabei so viel Unklarheit hinterlassen. Besonders in Form
Online-Forums des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel«, der mit
des scheinbar universell >andockbaren< Adjektivs »hybrid« referiert er
seiner Leser/ -innen schaft kürzlich über das Zeitungssterben debattier
auf diversen Themenfelder auf sehr unterschiedliche Formen der
te und diese Allzweckempfehlung als Fazit für ein erfolgreiches Ge
Hybridisierung, Vermischung und (Re-)Kombinierung. In unserer
schäftsmodell zog: »Werden Sie hybrid!« (15.4.2°°5).2
Nachrichtenwelt, im Feuilleton, im Wissenschaftsdiskurs wie auch im
Bereits dieser schlaglichtartige Einblick in die aktuelle Diskussion
Alltag ist »hybrid« zu einem modischen Reiz- und Schlagwort der
verdeutlicht, dass Hybridität als Schlagwort eine rasante Performance
Innovation geworden: Zum Beispiel wird der Automarkt neuerdings
im gesellschaftlichen Diskurs erreicht hat. Ihre Laufbahn als aufge
von Fahrzeugen mit einem Hybridantrieb revolutioniert; Outdoor
hender Stern am kulturellen Firmament ähnelt dem eines kultur
Fans sind dagegen von der überlegenen Funktionalität von Hybridma
industriell protegierten Popstars. Die Frage ist nur, ob sie als Stern
terialien in ihren Textilien und Ausrüstungsgegenständen begeistert;
schnuppe verglühen wird oder tatsächlich im Begriff ist, ihr Innova
Einführung einer
tionsversprechen einzulösen und die jetzige Welt nachhaltig zu post
fortschrittlicheren Hybrid-Festplatten-Technologie im nächsten Jahr
modernisieren. Wie ich später detaillierter darstellen werde, sind die
angekündigt; in der Hoffnung, sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten
technischen und kulturellen Innovationspotentiale durch effiziente
Ende April 2005 haben
Microsoft
und
Samsung die
für das therapeutische Klonen zu finden, wird in den geheimen Bio
und attraktive Hybridisierungstechniken überaus beträchtlich. Selbst
technik-Labors unentwegt mit genetischen Hybridisierungen experi
wenn sich nicht alle Verheißungen erfüllen sollten, ist mit einem
mentiert, um die Erbanlagen von unterschiedlichen Lebewesen mit
fundamentalen Gesellschaftswandel zu rechnen. Auch wenn das
einander zu kombinieren - die Chimären lassen bisher eher zweifel
gesamte Ausmaß schwer abzuschätzen ist, scheint es doch möglich,
hafte bis obskure Ergebnisse befürchten; Soziologinnen wie Politik
dass die Veränderungen weitreichend und vielfältig ausfallen werden.
wissenschafter rätseln derweil über den »hybriden Konsumenten«
Damit stellt sich auch die Frage, ob wir uns nach der industriellen und
und »hybriden Wähler«, der inzwischen zwischen seinen politischen
mikroelektronischen nun am Anfang einer hybriden Revolution be
Entscheidungen und sonstigen Gewohnheiten so radikal > switcht< ,
finden. Kann diese Umwälzung als eine eigenständige Zeitepoche des
dass das wechselhafte bis scheinbar widersprüchliche Verhalten zur
postmodernen Spätkapitalismus analysiert werden, die auch mit der
einzigen von außen erkennbaren Regelhaftigkeit wird.
Ausbildung von entsprechend heterogenen, >unreinen< bzw. bunt
Natürlich sind diese Trends nicht spurlos an den Kulturwissen
gemischten Kulturformen einhergeht? Ermöglicht der postmoderne
schaften vorübergegangen, wo theoretische Ansätze über hybride
Hype um Hybridität auch eine fortschreitende Kommodifizierung
Kulturen - gemessen an anderen Wissenstransferprozessen - prak
kultureller Identitäten und Alteritäten, die als konsumierbarer Waren
tisch über Nacht zum neuen Paradigma avancierten. Im Jahre 2000
fetisch nicht nur unbekannte Arten der ästhetischen Differenzproduk
ist schließlich die internationale wissenschaftliche Zeitschrift »Hybri
tion generieren, sondern auch tradierte Machtverhältnisse und Ar
dity: Journal of Cultures, Texts and Identities« an der
National Univer
beitsverteilungssysteme in der Gesellschaft erneuern?
gegründet worden.' »Hybridität ist das Wort der
Neben »Hybridität« (Bhabha 2000) werden gegenwärtig auch
Stunde in der Kulturtheorie« (Misik 2005: 16), weiß dann auch »die
Alternativtermini wie »Kreolisierung« (Hannerz 1987), »Bastardisie
tageszeitung« in einer Kolumne über den aktuellen Stand der Dinge
rung« (Rushdie 1992), »Melange« (Nederveen Pieterse 1998, Neder
sity of Singapore
veen Pieterse 2004), »Transkulturation« (Pratt 1992), »Transdiffe I
I »Hybridity is a multidisciplinary and internationally-refereed jour nal housed in the Department of English Language and Literature of the N atio nal University of Singapore, and published by Oxford University Press Singa pore. Hybridity focuses on multi-disciplinary analyses of conditions and sites of cultural hybridity, split, tension, anxiety, and their negotiation in a variety of so dal discourses and signs« (http://courses.nus.edu.sgjcoursejellgohbhjhybridi ty.html, gesehen am 22.5.2°°5).
renz« (Lösch 2004) und »Interkultur« (Auernheimer 2003) theoreti siert, um die Arbeitsweise und Entstehung von Kulturpraktiken sowie mögliche Reibungsflächen und Überlappungen im Prozess ihrer eth-
2 I Das Forum »Unter Druck« kann unter diesem Link erreicht werden: http:j jwww.spiegel.dejnetzwelt/netzkulturjo,I518,351289,00.html (gesehen am 22.5.2°°5).
Einl eitung I 15
14 I Hype um Hybridität nisch-religiösen Differenzierung zu verstehen. Wenn der Eindruck
wiederentdeckt worden, nachdem er in der dazwischenliegenden Zeit
nicht täuscht, besteht auch ein großes Interesse, die endlosen Kombi
in der europäischen Geistesgeschichte - zumindest in der deutschen
nations- und Rekombinationsmöglichkeiten kultureller Elemente und
Schriftsprache - weitgehend abwesend war. Zwar spielte die Frage der
Praktiken positiv hervorzuheben. Kulturelle Vermischung wird häufig als uner
biologischen und sozio-kulturellen Vermischung im feudalen und kolonialen Kontext eine gewichtige Rolle. Jedoch griffen die Diskurse
forschter »dritter Raum« gedacht, in der hybride Existenzweisen
über die Aufrechterhaltung der »Blutreinheit« des Adels sowie der
in der bekannten Metapher von Bhabha als
»third space«,
fruchtbare Ressourcen, Kreativität und andere Formen der kulturellen
Homogenität der »weißen Rasse«3 zunächst in erster Linie auf das
Bereicherung hervorbringen. Manchmal entsteht der Verdacht, dass
Bild des »Bastards« zurück, um biologische Inkompatibilität und
19. Jahrhundert
die wissenschaftliche Aufgabe sich dann darin erschöpft, diese kultu
kulturelle Minderwertigkeit auszudrücken. Erst im
rellen Zwischenräume zu vermessen und zu erschließen. Angesichts
erlebte der Hybridbegriff - interessanterweise ausgerechnet mit der
dieser verlockenden Aussichten ist das Interesse an der Anziehungs
zunehmenden
kraft von hybriden Kulturen und Produktformen allzu verständlich,
Sozialen - seine diskursive )Wiedergeburt< in der aufkommenden
Rationalisierung
und
Verwissenschaftlichung
des
aber gerade deswegen auch zu hinterfragen, weil Hybridität zuneh
Evolutionsbiologie und kolonialrassistischen Anthropologie.
mend als wachstumsfordernder Konsumtiv- und Produktivfaktor
Diese Zeit zur Jahrhundertwende stellt eine wichtige ideenge
industriell und politisch verwertet wird. Hybridität ist daher nicht nur
schichtliche Schnittstelle dar, die durch die Person von Friedrich
als kulturelle Logik oder neue Technik zu verstehen, sondern auch als
Nietzsche symbolisiert wird. Einige seiner Schriften belegen, dass er
eine Warenform, deren Kommodifikation
einerseits als Zeitzeuge und Kommentator in den zeitgenössischen
voranschreitet.
Dieses
konventionelle Produktivitätsverständnis hat Zelebrierungen im Na
Debatten des kolonialen Rassismus involviert war. Andererseits gilt er
men der Vermischung hervorgebracht, die sich in einem spannungs
aufgrund seines fragmentarischen Denkens und seiner grundsätzli
geladenen Kontrast zur bisherigen Begriffs- und Ideengeschichte des
chen philosophischen Skepsis gegenüber den Werten der Moderne als
Hybriden befinden. Problematisch ist das Lob der kulturellen Melan
ein wichtiger Urvater des postmodernen Denkens. Gegenwärtig findet
ge, weil es nicht zuletzt in einem verdrängten und unaufgearbeiteten
in der Diskussion über die Chancen und Potentiale der globalen
Widerspruch zur europäischen Kulturgeschichte der kolonialen Hyb
Postmoderne eine epistemologische Umdeutung statt, in der Hybridi
ridität steht und dadurch ahistorisch und merkwürdig deplatziert
tät eine sehr positive Wertschätzung und Anerkennung erfahrt. Die
wirkt. Wer sich der Mühe unterzieht, ihre Begriffsgeschichte zurück
ser radikale Wertewandel macht eine Analyse unumgänglich, in der
zuverfolgen, wird »Hybridität als Signatur der Zeit« (Schneider 2000) bzw. genauer gesagt: als Signatur ihrer jeweiligen Zeit begreifen. Von dieser Gegenwartsdiagnose ausgehend werde ich daher im Folgenden versuchen, die sich wandelnden Vorstellungen über das Hybride in einem kulturhistorischen Prozess zu rekonstruieren. Die ser Sinngebungsprozess erstreckt sich dabei über einen Zeitrahmen, der von der europäischen Genese des Hybridverständnisses in der griechischen Antike bis zu den heutigen Diskursen über die produkti ve Potenz und Zukunftsfahigkeit von Hybridität erstreckt. In diesem historischen Längsschnitt werden nicht nur der dramatische Werte wandeL sondern auch die disparaten Bedeutungsaufladungen, Kon junkturen und Leerstellen in den unterschiedlichen Phasen des Den kens über Hybridisierung in der europäischen Kulturgeschichte sicht bar. Hybridität als Allegorie der sozialen Grenzüberschreitung und kulturellen - oftmals auch »rassischen« - Vermischung war immer mit obsessiven Phantasien besetzt. Der Umschlag von einem negati ven Sinnbild zu einem faszinierenden catch word mit einem produkti ven Image, der seine unheimliche Seite verdrängt, ist jedoch erst in jüngster Zeit zu beobachten. Nach seiner Entstehung in der Antike ist der Hybridbegriff erst wieder im Fin de Siede des
19. Jahrhunderts
3 I Obwohl es keine »Rassen« gibt und Wir·Gruppen immer Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse sind, ist es doch sinnvoll, von kollektiven Iden titätsprozessen auszugehen und diese als unterschiedlich zu markieren. Da durch kann eine Aussage über die fortwährende Präsenz jener historischen Machtverhältnisse getroffen werden, die über sozio-ökonomische Ausschlüsse und Praktiken kultureller Stereotypisierung rassifizierte Körper und Identitä ten wahr machte. »Schwarze« und » Weiße« bezeichnen entgegen dem landläu figen Verständnis keine natürlichen Unterschiede oder physiognomischen Ei genschaften, sondern moderne Machtkonfigurationen, die vor allem durch die Überschneidungen sozialer, ethnisierender, geschlechtsbildender und sexuel ler Kategorien bestimmt werden. Um diese Machteinschreibung sichtbar zu machen, werden sie wie die »Anderen« groß geschrieben. In diesem Sinne werden auch eindeutig kontextualisierte Begriffe wie »Mischling« hier verwen det, die erst durch dominante Diskurse und Wahrheitsregime realitätsmächtig geworden sind. Obwohl diese Begriffe als soziale Konstrukte zu hinterfragen sind, werden sie in ihrer substantivierten Form nicht in Anführungszeichen gesetzt, um den Lesefluss nicht übermäßig zu beeinträchtigen. Bei Termini wie »Bastard« und »Rasse« muss hingegen diese Einschränkung in Kauf ge· nommen werden.
Einl eitung I 15
14 I Hype um Hybridität nisch-religiösen Differenzierung zu verstehen. Wenn der Eindruck
wiederentdeckt worden, nachdem er in der dazwischenliegenden Zeit
nicht täuscht, besteht auch ein großes Interesse, die endlosen Kombi
in der europäischen Geistesgeschichte - zumindest in der deutschen
nations- und Rekombinationsmöglichkeiten kultureller Elemente und
Schriftsprache - weitgehend abwesend war. Zwar spielte die Frage der
Praktiken positiv hervorzuheben. Kulturelle Vermischung wird häufig als uner
biologischen und sozio-kulturellen Vermischung im feudalen und kolonialen Kontext eine gewichtige Rolle. Jedoch griffen die Diskurse
forschter »dritter Raum« gedacht, in der hybride Existenzweisen
über die Aufrechterhaltung der »Blutreinheit« des Adels sowie der
in der bekannten Metapher von Bhabha als
»third space«,
fruchtbare Ressourcen, Kreativität und andere Formen der kulturellen
Homogenität der »weißen Rasse«3 zunächst in erster Linie auf das
Bereicherung hervorbringen. Manchmal entsteht der Verdacht, dass
Bild des »Bastards« zurück, um biologische Inkompatibilität und
19. Jahrhundert
die wissenschaftliche Aufgabe sich dann darin erschöpft, diese kultu
kulturelle Minderwertigkeit auszudrücken. Erst im
rellen Zwischenräume zu vermessen und zu erschließen. Angesichts
erlebte der Hybridbegriff - interessanterweise ausgerechnet mit der
dieser verlockenden Aussichten ist das Interesse an der Anziehungs
zunehmenden
kraft von hybriden Kulturen und Produktformen allzu verständlich,
Sozialen - seine diskursive )Wiedergeburt< in der aufkommenden
Rationalisierung
und
Verwissenschaftlichung
des
aber gerade deswegen auch zu hinterfragen, weil Hybridität zuneh
Evolutionsbiologie und kolonialrassistischen Anthropologie.
mend als wachstumsfordernder Konsumtiv- und Produktivfaktor
Diese Zeit zur Jahrhundertwende stellt eine wichtige ideenge
industriell und politisch verwertet wird. Hybridität ist daher nicht nur
schichtliche Schnittstelle dar, die durch die Person von Friedrich
als kulturelle Logik oder neue Technik zu verstehen, sondern auch als
Nietzsche symbolisiert wird. Einige seiner Schriften belegen, dass er
eine Warenform, deren Kommodifikation
einerseits als Zeitzeuge und Kommentator in den zeitgenössischen
voranschreitet.
Dieses
konventionelle Produktivitätsverständnis hat Zelebrierungen im Na
Debatten des kolonialen Rassismus involviert war. Andererseits gilt er
men der Vermischung hervorgebracht, die sich in einem spannungs
aufgrund seines fragmentarischen Denkens und seiner grundsätzli
geladenen Kontrast zur bisherigen Begriffs- und Ideengeschichte des
chen philosophischen Skepsis gegenüber den Werten der Moderne als
Hybriden befinden. Problematisch ist das Lob der kulturellen Melan
ein wichtiger Urvater des postmodernen Denkens. Gegenwärtig findet
ge, weil es nicht zuletzt in einem verdrängten und unaufgearbeiteten
in der Diskussion über die Chancen und Potentiale der globalen
Widerspruch zur europäischen Kulturgeschichte der kolonialen Hyb
Postmoderne eine epistemologische Umdeutung statt, in der Hybridi
ridität steht und dadurch ahistorisch und merkwürdig deplatziert
tät eine sehr positive Wertschätzung und Anerkennung erfahrt. Die
wirkt. Wer sich der Mühe unterzieht, ihre Begriffsgeschichte zurück
ser radikale Wertewandel macht eine Analyse unumgänglich, in der
zuverfolgen, wird »Hybridität als Signatur der Zeit« (Schneider 2000) bzw. genauer gesagt: als Signatur ihrer jeweiligen Zeit begreifen. Von dieser Gegenwartsdiagnose ausgehend werde ich daher im Folgenden versuchen, die sich wandelnden Vorstellungen über das Hybride in einem kulturhistorischen Prozess zu rekonstruieren. Die ser Sinngebungsprozess erstreckt sich dabei über einen Zeitrahmen, der von der europäischen Genese des Hybridverständnisses in der griechischen Antike bis zu den heutigen Diskursen über die produkti ve Potenz und Zukunftsfahigkeit von Hybridität erstreckt. In diesem historischen Längsschnitt werden nicht nur der dramatische Werte wandeL sondern auch die disparaten Bedeutungsaufladungen, Kon junkturen und Leerstellen in den unterschiedlichen Phasen des Den kens über Hybridisierung in der europäischen Kulturgeschichte sicht bar. Hybridität als Allegorie der sozialen Grenzüberschreitung und kulturellen - oftmals auch »rassischen« - Vermischung war immer mit obsessiven Phantasien besetzt. Der Umschlag von einem negati ven Sinnbild zu einem faszinierenden catch word mit einem produkti ven Image, der seine unheimliche Seite verdrängt, ist jedoch erst in jüngster Zeit zu beobachten. Nach seiner Entstehung in der Antike ist der Hybridbegriff erst wieder im Fin de Siede des
19. Jahrhunderts
3 I Obwohl es keine »Rassen« gibt und Wir·Gruppen immer Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse sind, ist es doch sinnvoll, von kollektiven Iden titätsprozessen auszugehen und diese als unterschiedlich zu markieren. Da durch kann eine Aussage über die fortwährende Präsenz jener historischen Machtverhältnisse getroffen werden, die über sozio-ökonomische Ausschlüsse und Praktiken kultureller Stereotypisierung rassifizierte Körper und Identitä ten wahr machte. »Schwarze« und » Weiße« bezeichnen entgegen dem landläu figen Verständnis keine natürlichen Unterschiede oder physiognomischen Ei genschaften, sondern moderne Machtkonfigurationen, die vor allem durch die Überschneidungen sozialer, ethnisierender, geschlechtsbildender und sexuel ler Kategorien bestimmt werden. Um diese Machteinschreibung sichtbar zu machen, werden sie wie die »Anderen« groß geschrieben. In diesem Sinne werden auch eindeutig kontextualisierte Begriffe wie »Mischling« hier verwen det, die erst durch dominante Diskurse und Wahrheitsregime realitätsmächtig geworden sind. Obwohl diese Begriffe als soziale Konstrukte zu hinterfragen sind, werden sie in ihrer substantivierten Form nicht in Anführungszeichen gesetzt, um den Lesefluss nicht übermäßig zu beeinträchtigen. Bei Termini wie »Bastard« und »Rasse« muss hingegen diese Einschränkung in Kauf ge· nommen werden.
16 I Hype
um
Hybridität
Fragen nach kulturindustrielIen Verwertungsinteressen in der spätka pitalistischen Produktionsweise und ihr Bedürfnis nach permanenten Innovationen, konsumtiven Differenzen und uneingrenzbarer Vielfalt als Motor für technische Entwicklung und gesellschaftlichen Fort schritt in den Vordergrund gestellt werden. Daran anschließend diskutiere ich im nächsten Schritt am Bei spiel der deutschsprachigen Rezeption von Hybridität einige proble matische Aspekte. So zeigt sich, dass sich mit der Popularisierung und Integration dieses Begriffs im sozial- und kulturwissenschaftlichen Diskurs ein Verständnis eingebürgert hat, in der Hybridität aufgrund einer verkürzten und instrumentalisierenden Rezeptionsweise oftmals als postmoderne Theorie der Vermischung der Kulturen angesehen wird, die mit zweifelhaften Implikationen einhergeht. Beispielsweise ist die politische Interventionskraft des postkolonialen Diskurses durch wissenschaftliche Übersetzungs- und Aneignungsprozesse im deutschsprachigen Raum nicht unbedingt größer geworden - wie ich später noch ausführlicher darlegen werde. Die Hoffnung, durch nicht festlegbare in between-Kategorien hegemoniale Konzepte und gesell schaftliche Machtverhältnisse zu hinterfragen und zu destabilisieren, erweist sich in ihrer gesellschaftlichen Modernisierungswirkung als durchaus inkorporierbar. Nicht zuletzt können die transformativen Effekte der Hybridisierung affirmativ im Rahmen des Bestehenden verbleiben und müssen nicht notwendigerweise die Grenzen zwischen Dominanzen und Marginalitäten überschreiten. Diese These werde ich am Beispiel des Berliner »Karnevals der Kulturen der Welt« und der Repräsentation des Anderen im Rahmen der nationalen »Germa ny 12 Points!«-Vorausscheidung zum »Eurovision Song Contest 2004« ausführen. Obwohl kulturelle Hybridisierung warenförmig sein und politisch durch die Dominanzgesellschaft vereinnahmt werden kann, ist dieser uneindeutige Raum der kulturellen Ambivalenz auch prinzipiell uno abschließbar und umkämpft. Er bietet immer noch Platz für subversi ve Praktiken, die etwa mit den Strategien der Adbuster und Culture Jammer operieren. Als Kommunikationsguerilla zielen solche kultur politischen Taktiken auf ironische Verfremdungen und Umkehrun gen von dominanten Zeichen und Symbole im Diskurs marginalisier ter Akteure. Ihre Entstellungen kritisieren dominante Machtverhält nisse, indem sie eine unsichtbar gemachte Realität offen legen und sich Räume, Artikulationsmöglichkeiten und Identitäten aneignen, auf die marginalisierte Akteure ohne diese Brechungen ansonsten keinen Zugriff hätten. Daher nutzen sowohl globalisierungskritische Aktions formen als auch die migrantischen Taktiken der Selbst-Kanakisierung subversive Techniken der kulturellen Hybridisierung. Obwohl die fundamentalen Machtverhältnisse ungleich verteilt sind, bleibt das Rennen um eine alternative Zukunft wie bisher grundsätzlich offen.
Konjunkturen und leerstellen: Kulturgeschichtliche Diskursrekonstruktionen über das Hybride
Die derzeitige Popularität sowie die Auf- und Umwertung von Hybri dität ist ein Vorgang, der in einem eigentümlichen Gegensatz zu ihrer bisherigen Kulturgeschichte steht. Bevor der Begriff »hybrid« Mitte des 19. Jahrhunderts in die modeme Fachterminologie einer sich als aufgeklärt und naturwissenschaftlich definierenden Biologie aufge nommen wurde, war er bis auf seltene Reminiszenzen scheinbar aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden. Dabei ist das Wort »hyb rid« keine sprachliche Neuschöpfung der Modeme, sondern weist eine etymologische Verwandtschaft zur griechischen »hybris« auf. Die Hybris bezeichnet Frevel, Verblendung bzw. Schändung und bedeute te wörtlich »frevelhafte Vermessenheit gegenüber den Göttern« (Kluge 1989: 322f.). Im Gegensatz zu den äußeren Gefahren der Natur sym bolisiert sie als Sinnbild die selbstverschuldete Gefährdung des Men schen durch seine innere Natur, die sich selbst existentiell bedroht, indem sie metaphysische Ordnungen in Frage stellt. Als Ursünde, die »alle weiteren Sünden erzeugt und so ins unvermeidliche Verderben führt« (Walton 1956-1965: 498), war die Idee der Hybris ein zentrales Thema in der kulturellen Auseinandersetzung der griechischen Zivili sation mit ihrem eigenem Selbstbild und den Grenzen des Mensch seins. Diese ursprüngliche Bedeutung hat sich in der bildungsbürger lichen Sprache bis in die Gegenwart hinein erhalten, in der die Hybris gleichbedeutend mit »Hochmut« und »Vermessenheit« ist. Seit der Antike repräsentiert die Hybris die anmaßende Selbst überschätzung des Menschen, dessen Strafvergehen im »Überschrei ten der von den Göttern den Menschen gesetzten Grenzen« (Lexiko graphisches Institut München 1995: 4487) liegt. Wer sich gegen die göttliche Bestimmung oder gegen eine höhere Macht stellte, schwor das Desaster seines eigenen Untergangs herauf. Entsprechend dieser
16 I Hype
um
Hybridität
Fragen nach kulturindustrielIen Verwertungsinteressen in der spätka pitalistischen Produktionsweise und ihr Bedürfnis nach permanenten Innovationen, konsumtiven Differenzen und uneingrenzbarer Vielfalt als Motor für technische Entwicklung und gesellschaftlichen Fort schritt in den Vordergrund gestellt werden. Daran anschließend diskutiere ich im nächsten Schritt am Bei spiel der deutschsprachigen Rezeption von Hybridität einige proble matische Aspekte. So zeigt sich, dass sich mit der Popularisierung und Integration dieses Begriffs im sozial- und kulturwissenschaftlichen Diskurs ein Verständnis eingebürgert hat, in der Hybridität aufgrund einer verkürzten und instrumentalisierenden Rezeptionsweise oftmals als postmoderne Theorie der Vermischung der Kulturen angesehen wird, die mit zweifelhaften Implikationen einhergeht. Beispielsweise ist die politische Interventionskraft des postkolonialen Diskurses durch wissenschaftliche Übersetzungs- und Aneignungsprozesse im deutschsprachigen Raum nicht unbedingt größer geworden - wie ich später noch ausführlicher darlegen werde. Die Hoffnung, durch nicht festlegbare in between-Kategorien hegemoniale Konzepte und gesell schaftliche Machtverhältnisse zu hinterfragen und zu destabilisieren, erweist sich in ihrer gesellschaftlichen Modernisierungswirkung als durchaus inkorporierbar. Nicht zuletzt können die transformativen Effekte der Hybridisierung affirmativ im Rahmen des Bestehenden verbleiben und müssen nicht notwendigerweise die Grenzen zwischen Dominanzen und Marginalitäten überschreiten. Diese These werde ich am Beispiel des Berliner »Karnevals der Kulturen der Welt« und der Repräsentation des Anderen im Rahmen der nationalen »Germa ny 12 Points!«-Vorausscheidung zum »Eurovision Song Contest 2004« ausführen. Obwohl kulturelle Hybridisierung warenförmig sein und politisch durch die Dominanzgesellschaft vereinnahmt werden kann, ist dieser uneindeutige Raum der kulturellen Ambivalenz auch prinzipiell uno abschließbar und umkämpft. Er bietet immer noch Platz für subversi ve Praktiken, die etwa mit den Strategien der Adbuster und Culture Jammer operieren. Als Kommunikationsguerilla zielen solche kultur politischen Taktiken auf ironische Verfremdungen und Umkehrun gen von dominanten Zeichen und Symbole im Diskurs marginalisier ter Akteure. Ihre Entstellungen kritisieren dominante Machtverhält nisse, indem sie eine unsichtbar gemachte Realität offen legen und sich Räume, Artikulationsmöglichkeiten und Identitäten aneignen, auf die marginalisierte Akteure ohne diese Brechungen ansonsten keinen Zugriff hätten. Daher nutzen sowohl globalisierungskritische Aktions formen als auch die migrantischen Taktiken der Selbst-Kanakisierung subversive Techniken der kulturellen Hybridisierung. Obwohl die fundamentalen Machtverhältnisse ungleich verteilt sind, bleibt das Rennen um eine alternative Zukunft wie bisher grundsätzlich offen.
Konjunkturen und leerstellen: Kulturgeschichtliche Diskursrekonstruktionen über das Hybride
Die derzeitige Popularität sowie die Auf- und Umwertung von Hybri dität ist ein Vorgang, der in einem eigentümlichen Gegensatz zu ihrer bisherigen Kulturgeschichte steht. Bevor der Begriff »hybrid« Mitte des 19. Jahrhunderts in die modeme Fachterminologie einer sich als aufgeklärt und naturwissenschaftlich definierenden Biologie aufge nommen wurde, war er bis auf seltene Reminiszenzen scheinbar aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden. Dabei ist das Wort »hyb rid« keine sprachliche Neuschöpfung der Modeme, sondern weist eine etymologische Verwandtschaft zur griechischen »hybris« auf. Die Hybris bezeichnet Frevel, Verblendung bzw. Schändung und bedeute te wörtlich »frevelhafte Vermessenheit gegenüber den Göttern« (Kluge 1989: 322f.). Im Gegensatz zu den äußeren Gefahren der Natur sym bolisiert sie als Sinnbild die selbstverschuldete Gefährdung des Men schen durch seine innere Natur, die sich selbst existentiell bedroht, indem sie metaphysische Ordnungen in Frage stellt. Als Ursünde, die »alle weiteren Sünden erzeugt und so ins unvermeidliche Verderben führt« (Walton 1956-1965: 498), war die Idee der Hybris ein zentrales Thema in der kulturellen Auseinandersetzung der griechischen Zivili sation mit ihrem eigenem Selbstbild und den Grenzen des Mensch seins. Diese ursprüngliche Bedeutung hat sich in der bildungsbürger lichen Sprache bis in die Gegenwart hinein erhalten, in der die Hybris gleichbedeutend mit »Hochmut« und »Vermessenheit« ist. Seit der Antike repräsentiert die Hybris die anmaßende Selbst überschätzung des Menschen, dessen Strafvergehen im »Überschrei ten der von den Göttern den Menschen gesetzten Grenzen« (Lexiko graphisches Institut München 1995: 4487) liegt. Wer sich gegen die göttliche Bestimmung oder gegen eine höhere Macht stellte, schwor das Desaster seines eigenen Untergangs herauf. Entsprechend dieser
18
I Hype u m Hybridität
Konj u n kturen und leerstellen I
19
Überzeugung prägte Aristoteles die Hybris als Kennzeichen des über
auch im Textkanon der europäischen Philosophie bis Mitte des 19.
heblichen und tragischen Helden, dessen übersteigerter Stolz dem
Jahrhunderts weitgehend absent. Ebenso wenig sind diese Begriffe in
sprichwörtlichen Fall vorausgeht. Der schicksalhafte Sturz des Prinzen
den frühen deutschen Wörterbüchern als eigenständige Schlagwörter
Bellerophon von Korinth, der beflügelt von seinen Heldentaten auf
bekannt. I Lediglich an einigen verstreut liegenden FundsteIlen wie der Abhandlung »Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen
dem Rücken von Pegasus den göttlichen Olymp zu erstürmen ver sucht, ist nur eine besonders illustrative Warnung vor Grenzaufhe
Figuren« (1762) von Immanuel Kant wird der »vermengte Vernunft
bung und Selbstüberschätzung. Auf diesem Motiv basieren zahlreiche
schluß« als »ratiocinium hybridum« angegeben (Kant 1977a: 602-
klassische Tragödien der Antike wie »König Ödipus« von Sophokles,
605). In ähnlicher Weise stellt Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)
in der die Hybris mit Demütigung und Untergang des Helden einher
sein Latein als Zeichen seiner Gelehrsamkeit zur Schau, wenn er den
geht. In einer anderen Version dieses Sujets verwandte Aischylos die
»gemischten Schluß« als »hybrida conc1usio« bezeichnet (Leibniz
Hybris des Agamemnon als Zeichen der nahenden Katastrophe, die
1904: 46). Angesichts ihres Seltenheitswertes gelten diese Termini
sein blinder Stolz nicht zu erkennen vermag (vgl. The American Peo
nicht nur als bildungs-, sondern auch als »sondersprachlich« (Kluge
pIes Encyc10pedia 1968: 84; Irmscher 1990: 21; Becher 1990a: 257;
1989: 322).2 Im Unterschied zur Antike, in der die nachhaltige Aus
Becher 199ob: 552).
einandersetzung mit der Denkfigur der Hybris als Grundübel der
Da die Hybris eine Form der Regel- und Grenzüberschreitung
menschlichen Existenz kulturbildend war, ist ein weitgehender Bedeu
beschreibt, welche die bestehende Ordnung transzendiert, werden
tungsverlust dieses Wortstamms im weiteren Geschichtsverlauf zu
Halbgötter und Mischlingswesen als Hybride vorgestellt. Entspre
mindest in der schriftlich fIXierten Hochkultur Europas mehr als
chend leitet sich die lateinische Bezeichnung »hybrida« (Mischling,
wahrscheinlich - obgleich die mit ihr einhergehenden assoziativen
von zweierlei Herkunft) aus der griechischen »hybris« ab (vgl. Deut sches Universalwörterbuch 2001: 810[; Schaeder 2000: 282). Sowohl die Hybris, verstanden als religiöses Delikt (Beleidigung der Götter), . das durch die Nemesis (gerechter Unwille) bestraft wird (Walton 19561965: 498), als auch der Mischling, der oft in Form von Missgestalten (Sphinx, Chimären, Gorgonen) auftritt, sind in ihren Bedeutungen oft mit Angst und Bedrohung konnotiert. In der antiken griechischen Mythologie und Literatur wie der »Odyssee« von Homer treten Mischwesen oft als furchterregende Dämonen und menschenähnliche Kreaturen auf, die wie die wilden Zentauren mit menschlichem Ober körper und Pferderumpf Schrecken verbreiteten, als betörende Sire nen (Musen mit Fischschwänzen) ihre Opfer ins Verderben locken oder als hässliche Harpyien (Raubvögel mit Mädchengesichtern) gött liche Strafen überbringen (Vollmer 2000: 127, 229, 425). Waren Chi mären in der Antike noch diskursive Gestalten, werden heute mit zunehmenden Erfolg durch genetische Hybridisierungen immer mehr Mischwesen im Reagenzglas kreiert. Die kulturgeschichtliche Aufarbeitung offenbart in diesen Fällen Aktualitätsbezüge, die auf dem ersten Blick eher an Science-Fiction erinnert, aber nichtsdesto trotz auf reale Entwicklungen in der Gegenwartsgesellschaft hinweist. Obwohl der antike Hybrisdiskurs und seine Mischlingsmetapher für die diesbezüglichen Vorstellungen in der europäischen Neuzeit einen wichtigen Bedeutungs- und Referenzrahmen bilden, lässt sich zunächst feststellen, dass diese Begriffe selbst nur äußerst selten Eingang in die kanonische Schriftkultur und intellektuelle Textpro duktion fanden. Wie meine eigenen Recherchen ergeben, sind diese Begriffe sowohl in den klassischen Texten der deutschen Literatur als
I I Meine Recherche in den Volltextdatenbanken der »Digitalen Biblio thek« wie der umfangreichen »Studienbibliothek der deutschen Literatur von Lessing bis Kafka« (Bertram 2000), die ihrem Anspruch nach eine repräsenta tive Auswahl von 108 deutschsprachigen Autoren und Autorinnen auf ca. 17°.000 Seiten darstellt, ergibt lediglich vier FundsteIlen für »hybrid*« und sechs für »Hybris«. Außer Hugo von Hofmannsthai mit vier Treffern, der ein Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts war, ist nur noch in den »Apokryphen« (1869 [18n]) von Johann Gottfried Seume warnend von »Schurken und Hybristen« die Rede. Wie im Literaturdiskurs bestätigt auch das Suchergebnis für die Volltextsammlung » Philosophie von Platon bis Nietz sche« (Hansen 1998), die eine »digitale Sammlung philosophischer Schlüs selwerke aus 2.500 Jahren europäischer Geistesgeschichte« darstellt, mit sechs Fundstellen für » Hybris« seine geringe Verbreitung in der überlieferten Schriftkultur. Vier der sechs Fundstellen beziehen sich auf Friedrich Nietz· sches Werk »Zur Genealogie der Moral« (1887) und eins auf Paul Natorps »Platos Ideenlehre« (1903). Der Hybridbegriff ist mit 16 FundsteIlen stärker vertreten, wobei sich acht Treffer auf Charles Darwins »Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein« (1859) beziehen. Insgesamt sieben FundsteI len verweisen auf Kant und zwei auf Nietzsche. Als Stichwörter sind » Hybris« und »hybrid« weder im ersten bedeutenden Deutschwörterbuch (1793-1801) von Johann Christoph Adelung noch im 16-bändigen »Deutschen Wörterbuch« (1852ff.) der Gebrüder Grimm indexiert. 2 I Eine Negativprobe im »Wörterbuch der deutschen Umgangsspra che« (Küpper 1997) unterstützt dieses Ergebnis.
18
I Hype u m Hybridität
Konj u n kturen und leerstellen I
19
Überzeugung prägte Aristoteles die Hybris als Kennzeichen des über
auch im Textkanon der europäischen Philosophie bis Mitte des 19.
heblichen und tragischen Helden, dessen übersteigerter Stolz dem
Jahrhunderts weitgehend absent. Ebenso wenig sind diese Begriffe in
sprichwörtlichen Fall vorausgeht. Der schicksalhafte Sturz des Prinzen
den frühen deutschen Wörterbüchern als eigenständige Schlagwörter
Bellerophon von Korinth, der beflügelt von seinen Heldentaten auf
bekannt. I Lediglich an einigen verstreut liegenden FundsteIlen wie der Abhandlung »Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen
dem Rücken von Pegasus den göttlichen Olymp zu erstürmen ver sucht, ist nur eine besonders illustrative Warnung vor Grenzaufhe
Figuren« (1762) von Immanuel Kant wird der »vermengte Vernunft
bung und Selbstüberschätzung. Auf diesem Motiv basieren zahlreiche
schluß« als »ratiocinium hybridum« angegeben (Kant 1977a: 602-
klassische Tragödien der Antike wie »König Ödipus« von Sophokles,
605). In ähnlicher Weise stellt Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716)
in der die Hybris mit Demütigung und Untergang des Helden einher
sein Latein als Zeichen seiner Gelehrsamkeit zur Schau, wenn er den
geht. In einer anderen Version dieses Sujets verwandte Aischylos die
»gemischten Schluß« als »hybrida conc1usio« bezeichnet (Leibniz
Hybris des Agamemnon als Zeichen der nahenden Katastrophe, die
1904: 46). Angesichts ihres Seltenheitswertes gelten diese Termini
sein blinder Stolz nicht zu erkennen vermag (vgl. The American Peo
nicht nur als bildungs-, sondern auch als »sondersprachlich« (Kluge
pIes Encyc10pedia 1968: 84; Irmscher 1990: 21; Becher 1990a: 257;
1989: 322).2 Im Unterschied zur Antike, in der die nachhaltige Aus
Becher 199ob: 552).
einandersetzung mit der Denkfigur der Hybris als Grundübel der
Da die Hybris eine Form der Regel- und Grenzüberschreitung
menschlichen Existenz kulturbildend war, ist ein weitgehender Bedeu
beschreibt, welche die bestehende Ordnung transzendiert, werden
tungsverlust dieses Wortstamms im weiteren Geschichtsverlauf zu
Halbgötter und Mischlingswesen als Hybride vorgestellt. Entspre
mindest in der schriftlich fIXierten Hochkultur Europas mehr als
chend leitet sich die lateinische Bezeichnung »hybrida« (Mischling,
wahrscheinlich - obgleich die mit ihr einhergehenden assoziativen
von zweierlei Herkunft) aus der griechischen »hybris« ab (vgl. Deut sches Universalwörterbuch 2001: 810[; Schaeder 2000: 282). Sowohl die Hybris, verstanden als religiöses Delikt (Beleidigung der Götter), . das durch die Nemesis (gerechter Unwille) bestraft wird (Walton 19561965: 498), als auch der Mischling, der oft in Form von Missgestalten (Sphinx, Chimären, Gorgonen) auftritt, sind in ihren Bedeutungen oft mit Angst und Bedrohung konnotiert. In der antiken griechischen Mythologie und Literatur wie der »Odyssee« von Homer treten Mischwesen oft als furchterregende Dämonen und menschenähnliche Kreaturen auf, die wie die wilden Zentauren mit menschlichem Ober körper und Pferderumpf Schrecken verbreiteten, als betörende Sire nen (Musen mit Fischschwänzen) ihre Opfer ins Verderben locken oder als hässliche Harpyien (Raubvögel mit Mädchengesichtern) gött liche Strafen überbringen (Vollmer 2000: 127, 229, 425). Waren Chi mären in der Antike noch diskursive Gestalten, werden heute mit zunehmenden Erfolg durch genetische Hybridisierungen immer mehr Mischwesen im Reagenzglas kreiert. Die kulturgeschichtliche Aufarbeitung offenbart in diesen Fällen Aktualitätsbezüge, die auf dem ersten Blick eher an Science-Fiction erinnert, aber nichtsdesto trotz auf reale Entwicklungen in der Gegenwartsgesellschaft hinweist. Obwohl der antike Hybrisdiskurs und seine Mischlingsmetapher für die diesbezüglichen Vorstellungen in der europäischen Neuzeit einen wichtigen Bedeutungs- und Referenzrahmen bilden, lässt sich zunächst feststellen, dass diese Begriffe selbst nur äußerst selten Eingang in die kanonische Schriftkultur und intellektuelle Textpro duktion fanden. Wie meine eigenen Recherchen ergeben, sind diese Begriffe sowohl in den klassischen Texten der deutschen Literatur als
I I Meine Recherche in den Volltextdatenbanken der »Digitalen Biblio thek« wie der umfangreichen »Studienbibliothek der deutschen Literatur von Lessing bis Kafka« (Bertram 2000), die ihrem Anspruch nach eine repräsenta tive Auswahl von 108 deutschsprachigen Autoren und Autorinnen auf ca. 17°.000 Seiten darstellt, ergibt lediglich vier FundsteIlen für »hybrid*« und sechs für »Hybris«. Außer Hugo von Hofmannsthai mit vier Treffern, der ein Schriftsteller des beginnenden 20. Jahrhunderts war, ist nur noch in den »Apokryphen« (1869 [18n]) von Johann Gottfried Seume warnend von »Schurken und Hybristen« die Rede. Wie im Literaturdiskurs bestätigt auch das Suchergebnis für die Volltextsammlung » Philosophie von Platon bis Nietz sche« (Hansen 1998), die eine »digitale Sammlung philosophischer Schlüs selwerke aus 2.500 Jahren europäischer Geistesgeschichte« darstellt, mit sechs Fundstellen für » Hybris« seine geringe Verbreitung in der überlieferten Schriftkultur. Vier der sechs Fundstellen beziehen sich auf Friedrich Nietz· sches Werk »Zur Genealogie der Moral« (1887) und eins auf Paul Natorps »Platos Ideenlehre« (1903). Der Hybridbegriff ist mit 16 FundsteIlen stärker vertreten, wobei sich acht Treffer auf Charles Darwins »Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein« (1859) beziehen. Insgesamt sieben FundsteI len verweisen auf Kant und zwei auf Nietzsche. Als Stichwörter sind » Hybris« und »hybrid« weder im ersten bedeutenden Deutschwörterbuch (1793-1801) von Johann Christoph Adelung noch im 16-bändigen »Deutschen Wörterbuch« (1852ff.) der Gebrüder Grimm indexiert. 2 I Eine Negativprobe im »Wörterbuch der deutschen Umgangsspra che« (Küpper 1997) unterstützt dieses Ergebnis.
20 I Hype u m Hybrid ität
Konjunkturen und leerstellen I 21
Bedeutungen bis zur ihrer Wiederkehr im Fin de Siede weiter tradiert wurden.
der Ausgrenzung. Da seine außereheliche Zeugung auch gegen die christliche Sexualmoral verstieß, personifizierte der »Bastard« die
An die Stelle von »hybris« und »hybrida« trat im okzidentalen
Untugenden der Schande und Sünde. Die Ablehnung wuchs umso
Mittelalter zunächst der Begriff des »Bastards«, der soziale Grenz
stärker, je mehr die äußeren Begleitumstände seiner Zeugung in sein
überschreitungen als Folge zwischenmenschlicher Vermischungen
Inneres verlagert und zu persönlichen Merkmalen erklärt wurden.
benennt. Zu seiner Etymologie gibt es unterschiedliche Deutungen,
Auch die Aufklärung distanzierte sich nicht von diesem traditionellen
wobei die heutigen Wörterbücher übereinstimmend von einer franzö
Sittengemälde. Der Moralkodex des aufkommenden Bürgertums wie
sischen Herkunft ausgehen. Während das erste bedeutende Deutsch
der christlichen Kirche setzte die Ehebindung als sozialen Kern einer
die »erste
stabilen Gesellschaft voraus. Uneheliche Nachkommen wurden nicht
Hälfte dieses Wortes unstreitig [auf) das Französische bas«3 für nie
nur als moralische Verfehlung, sondern auch als gesellschaftlich dys
drig und untergeordnet zurückführt, bietet der Brockhaus als Wort
funktional und gefährlich angesehen. Mit der Bedeutungsausweitung,
stamm das altfranzösische »bast« für Packsattel an (Der Große Brock
die nun jede uneheliche Nachkommenschaft unabhängig von der
wörterbuch von Johann Christoph Adelung
(1793-1801)
der auf dem fremden oder unbekannten Er
sozialen Herkunft der Eltern zum »Bastard« erklärte, wurde die ge
zeuger deuten könnte. Im ersten deutschsprachigen Universallexikon
sellschaftliche und juristische Diskriminierung verallgemeinert. Die
haus
1929:
Bd.
2, 359),
wird hinge
»Bastardisierung« verfestigte sich zu einem Prinzip der sozialen Dif
für Packesel hingewiesen,
ferenzierung, die den »Bastard« in die Reihe der unerwünschten Ve
»also der auf dem Sattel, d. i. außer der gesetzmäßigen Ehe Erzeugte«
xierbilder an die Seite von »Hexen« und »Krüppeln« stellte. Der »Bas
der Sittengeschichte und Sexualwissenschaft gen auf das mittellateinische »bastum« (Bilder-Lexikon der Erotik
(1928-1932)
1999: Bd. I, 120). Wie die Kolonialgeschich
tard« ist bis heute ein pejoratives Sinnbild geblieben, das als Projek
te offenbart, sollten diese Bedeutungskontexte im Verlauf der europäi
tion des »minderwertigen« und »nichtswürdigen« (Wahrig
schen Expansions- und Eroberungsgeschichte eine wichtige Rolle
1., 526;
spielen.
ve Affekte wie Misstrauen und Abneigung auf sich zieht.
Großes Wörterbuch Fremdwörter
1981: Bd. 1991: 68). Menschen negati
In seiner frühesten Bedeutung bezog der »Bastard« sich ur
Im Repertoire der Literaturgeschichte und Alltagssprache findet
sprünglich auf den anerkannten, aus einer ehelichen Verbindung
sich eine lange Liste von Hasstiraden und Anfeindungen, die mit dem
stammenden Nachwuchs eines Adligen mit einer sozial niedriger
Topos der bösen Minderwertigkeit und Illegitimität operieren.4 Die-
stehenden Frau. Erst in der späteren Sprachentwicklung bezeichnete dieses Begriff unstandesgemäße Kinder, die aus einer unehelichen Verbindung kamen und deswegen abgewertet wurden (Adelung 2001: Bd.
I,
745f.).
Die Anerkennung war jedoch begrenzt und ging oft mit
Misstrauen und Herabsetzung einher. Durch die Institutionalisierung des sog. Bastardfadens, dessen diagonaler Verlauf wie eine Tren nungslinie durch das Wappenbild lief, wurde ein visuelles Zeichen etabliert, das die Differenz des adligen »Bastards« kennzeichnete. Seine Exklusion steigerte sich mit einer Wahrnehmung, in der er zu nehmend eine unzulässige soziale Grenzüberschreitung verkörperte, bis er als illegitimer »sohn, dem erbe und stand des vaters entzogen werden«, stigmatisiert wurde und »zur bezeichnung des schlechten, unechten diente« (Grimm/Grimm
1854: Bd.
I,
1151).
Indem die vermischte Herkunft sowohl den absolutistischen Glauben an die göttlich gegebene Überlegenheit der zum Herrschen Geborenen als unhinterfragbare Machtlegitimation diskreditierte, als auch die Ideologie der Blutreinheit des Adels kontaminierte (Guillau min
1992: 81f.),
wurde der »Bastard« zunehmend zum Gegenstand
4 I Berühmte Beispiele finden sich in der Hochkultur etwa in den Dramen »Maria Stuart« (1800) und »Die Jungfrau von Orleans« (1801) von Friedrich Schiller. Im Traktat »Laokoon« (1766) vergleicht Gotthold Ephraim Lessing das Vexierspiel der Bastardfiguren in »König Richard III« (1592) und »König Lear« (1604/5) von William Shakespeare, die - obwohl sie allesamt »häßliche Bösewichte« seien - sowohl in Gestalt des Teufels als auch als Engel auftreten könnten (Lessing 1970: 151f.). Symptomatisch für die Abwertung in der intellektuellen Produktion ist die Institutionalisierung des »Bastardtitels« als Synonym für den Begriff »Schmutztitel« (Deckblatt) beim Buchdruck. Selbst in der philosophischen Auseinandersetzung war die Bastardbeschimp fung als Mittel der emotionalen Ansprache wirksam. Eugen Dühring, der für seinen Antisemitismus berüchtigt war, setzte eine interessante Assoziations kette ein, um Karl Marx zu diffamieren: »UnfOrmlichkeit der Gedanken und des Stils, würdelose Allüren der Sprache [...], englisierte Eitelkeit [...], Düpie rung [... ], wüste Konzeptionen, die in der Tat nur Bastarde historischer und lo gischer Phantastik sind [...], trügerische Wendung [...], persönliche Eitelkeit [. . .], schnöde Manierchen [...], schnoddrig [...], schöngeistige Plätzchen und Mätz chen [. .], Chinesengelehrsamkeit [...], philosophische und wissenschaftliche Rückständigkeit« (Engels 1956: 30). Wie ungeheuerlich Dührings Bastard Vorwurf empfunden wurde, lässt sich nachverfolgen, da Friedrich Engels in .
3 I Adelung 2001: Bd. I, 745f. Der Hinweis auf den französischen Be griff »bas« fmdet sich auch bei Jacob und Wilhelm Grimm 1854: Bd. I, u50.
20 I Hype u m Hybrid ität
Konjunkturen und leerstellen I 21
Bedeutungen bis zur ihrer Wiederkehr im Fin de Siede weiter tradiert wurden.
der Ausgrenzung. Da seine außereheliche Zeugung auch gegen die christliche Sexualmoral verstieß, personifizierte der »Bastard« die
An die Stelle von »hybris« und »hybrida« trat im okzidentalen
Untugenden der Schande und Sünde. Die Ablehnung wuchs umso
Mittelalter zunächst der Begriff des »Bastards«, der soziale Grenz
stärker, je mehr die äußeren Begleitumstände seiner Zeugung in sein
überschreitungen als Folge zwischenmenschlicher Vermischungen
Inneres verlagert und zu persönlichen Merkmalen erklärt wurden.
benennt. Zu seiner Etymologie gibt es unterschiedliche Deutungen,
Auch die Aufklärung distanzierte sich nicht von diesem traditionellen
wobei die heutigen Wörterbücher übereinstimmend von einer franzö
Sittengemälde. Der Moralkodex des aufkommenden Bürgertums wie
sischen Herkunft ausgehen. Während das erste bedeutende Deutsch
der christlichen Kirche setzte die Ehebindung als sozialen Kern einer
die »erste
stabilen Gesellschaft voraus. Uneheliche Nachkommen wurden nicht
Hälfte dieses Wortes unstreitig [auf) das Französische bas«3 für nie
nur als moralische Verfehlung, sondern auch als gesellschaftlich dys
drig und untergeordnet zurückführt, bietet der Brockhaus als Wort
funktional und gefährlich angesehen. Mit der Bedeutungsausweitung,
stamm das altfranzösische »bast« für Packsattel an (Der Große Brock
die nun jede uneheliche Nachkommenschaft unabhängig von der
wörterbuch von Johann Christoph Adelung
(1793-1801)
der auf dem fremden oder unbekannten Er
sozialen Herkunft der Eltern zum »Bastard« erklärte, wurde die ge
zeuger deuten könnte. Im ersten deutschsprachigen Universallexikon
sellschaftliche und juristische Diskriminierung verallgemeinert. Die
haus
1929:
Bd.
2, 359),
wird hinge
»Bastardisierung« verfestigte sich zu einem Prinzip der sozialen Dif
für Packesel hingewiesen,
ferenzierung, die den »Bastard« in die Reihe der unerwünschten Ve
»also der auf dem Sattel, d. i. außer der gesetzmäßigen Ehe Erzeugte«
xierbilder an die Seite von »Hexen« und »Krüppeln« stellte. Der »Bas
der Sittengeschichte und Sexualwissenschaft gen auf das mittellateinische »bastum« (Bilder-Lexikon der Erotik
(1928-1932)
1999: Bd. I, 120). Wie die Kolonialgeschich
tard« ist bis heute ein pejoratives Sinnbild geblieben, das als Projek
te offenbart, sollten diese Bedeutungskontexte im Verlauf der europäi
tion des »minderwertigen« und »nichtswürdigen« (Wahrig
schen Expansions- und Eroberungsgeschichte eine wichtige Rolle
1., 526;
spielen.
ve Affekte wie Misstrauen und Abneigung auf sich zieht.
Großes Wörterbuch Fremdwörter
1981: Bd. 1991: 68). Menschen negati
In seiner frühesten Bedeutung bezog der »Bastard« sich ur
Im Repertoire der Literaturgeschichte und Alltagssprache findet
sprünglich auf den anerkannten, aus einer ehelichen Verbindung
sich eine lange Liste von Hasstiraden und Anfeindungen, die mit dem
stammenden Nachwuchs eines Adligen mit einer sozial niedriger
Topos der bösen Minderwertigkeit und Illegitimität operieren.4 Die-
stehenden Frau. Erst in der späteren Sprachentwicklung bezeichnete dieses Begriff unstandesgemäße Kinder, die aus einer unehelichen Verbindung kamen und deswegen abgewertet wurden (Adelung 2001: Bd.
I,
745f.).
Die Anerkennung war jedoch begrenzt und ging oft mit
Misstrauen und Herabsetzung einher. Durch die Institutionalisierung des sog. Bastardfadens, dessen diagonaler Verlauf wie eine Tren nungslinie durch das Wappenbild lief, wurde ein visuelles Zeichen etabliert, das die Differenz des adligen »Bastards« kennzeichnete. Seine Exklusion steigerte sich mit einer Wahrnehmung, in der er zu nehmend eine unzulässige soziale Grenzüberschreitung verkörperte, bis er als illegitimer »sohn, dem erbe und stand des vaters entzogen werden«, stigmatisiert wurde und »zur bezeichnung des schlechten, unechten diente« (Grimm/Grimm
1854: Bd.
I,
1151).
Indem die vermischte Herkunft sowohl den absolutistischen Glauben an die göttlich gegebene Überlegenheit der zum Herrschen Geborenen als unhinterfragbare Machtlegitimation diskreditierte, als auch die Ideologie der Blutreinheit des Adels kontaminierte (Guillau min
1992: 81f.),
wurde der »Bastard« zunehmend zum Gegenstand
4 I Berühmte Beispiele finden sich in der Hochkultur etwa in den Dramen »Maria Stuart« (1800) und »Die Jungfrau von Orleans« (1801) von Friedrich Schiller. Im Traktat »Laokoon« (1766) vergleicht Gotthold Ephraim Lessing das Vexierspiel der Bastardfiguren in »König Richard III« (1592) und »König Lear« (1604/5) von William Shakespeare, die - obwohl sie allesamt »häßliche Bösewichte« seien - sowohl in Gestalt des Teufels als auch als Engel auftreten könnten (Lessing 1970: 151f.). Symptomatisch für die Abwertung in der intellektuellen Produktion ist die Institutionalisierung des »Bastardtitels« als Synonym für den Begriff »Schmutztitel« (Deckblatt) beim Buchdruck. Selbst in der philosophischen Auseinandersetzung war die Bastardbeschimp fung als Mittel der emotionalen Ansprache wirksam. Eugen Dühring, der für seinen Antisemitismus berüchtigt war, setzte eine interessante Assoziations kette ein, um Karl Marx zu diffamieren: »UnfOrmlichkeit der Gedanken und des Stils, würdelose Allüren der Sprache [...], englisierte Eitelkeit [...], Düpie rung [... ], wüste Konzeptionen, die in der Tat nur Bastarde historischer und lo gischer Phantastik sind [...], trügerische Wendung [...], persönliche Eitelkeit [. . .], schnöde Manierchen [...], schnoddrig [...], schöngeistige Plätzchen und Mätz chen [. .], Chinesengelehrsamkeit [...], philosophische und wissenschaftliche Rückständigkeit« (Engels 1956: 30). Wie ungeheuerlich Dührings Bastard Vorwurf empfunden wurde, lässt sich nachverfolgen, da Friedrich Engels in .
3 I Adelung 2001: Bd. I, 745f. Der Hinweis auf den französischen Be griff »bas« fmdet sich auch bei Jacob und Wilhelm Grimm 1854: Bd. I, u50.
22 I
Hype u m Hybridität
ses Stereotyp schlug sich auch als begriffsbildendes Denkschema i n der Philosophie nieder. Kant erkannte etwa i m »Bastard« die figurati ve Repräsentation einer heimtückischen Gefahr, die sich aus dem Verwechslungsspiel von Sein und Schein ergeben würde:
»Wider diese Nachlässigkeit oder gar niedrige Denkungsart [ . . . ] kann man auch nicht zu viel und zu oft Warnungen ergehen lassen, indem die menschliche Vernunft in ihrer Er müdung gern auf diesem Polster ausruht, und in dem Träume süßer Vorspiegelungen [ . . . ] der Sittlichkeit einen aus Gliedern ganz verschiedener Abstammung zusammengeflickten Bastard unterschiebt, der allem ähnlich sieht, was man daran sehen will, nur der Tugend nicht, für den, der sie einmal in ihrer wahren Gestalt erblickt hat(( (Kant I 977b: 57 ).
Vermischung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise
Folglich wurde der »Bastard« immer stärker als personelle wie symbo lische Kulmination sozialer und kultureller Vermischungen verachtet. Während »Bastarde« als unsittliche Vermischungen abgelehnt wur den, symbolisierte Reinheit das Gute und Unschuldige, aber auch die
Das Misstrauen, welches Kant den Hybridformen entgegenbrachte,
Sehnsucht nach Schönheit und Erhabenheit. Im Zuge dieser Abwer
knüpfte an einer kulturellen Sitten- und Verfallsgeschichte des »Bas
tung und Dämonisierung erweiterte sich das Verständnis des lateini
tards« (griechisch:
schen »hybrida«, das nicht nur gleichbedeutend mit »Mischling«,
ke ausgeprägt war.' Als einer der philosophischen Gründungsväter,
nothos,
lateinisch:
nothi)
an, die bereits in der Anti
sondern auch mit »Bastard« wurde. Auf diese Sinn- und Wertungszu
die die europäische Neuzeit zu ihrem eigenen imaginären Ursprung
samrnenhänge verweisend, prägte Kant in einer späteren Abhandlung
auserkoren hat, gilt Platon (427-348/7 v.u.Z.). Bereits bei ihm mani
über die Sittlichkeit seine Formel für das Unwahre und (Be-)Trü
festierte sich eine Weltanschauung, in der der hybride »Bastard« als
gerische und nannte sie die »Bastarderklärung (definitio hybrida),
abgewerteter Mischling den Gegensatz zum Streben nach dem Schö
welche den Begriff im falschen Lichte darstellt« (Kant 1977C: 333). Die
nen, Guten und Wahren repräsentiert. In seinem ideengeschichtlich
Synonymik dieser Begriffstriade findet sich heute sowohl in den uno
überaus bedeutenden Hauptwerk »Der Staat« beklagte er in einem
terschiedlichen Dudenausgaben als auch in medizinischen Lexika wie
kulturpessimistisch angelegten Verfallsszenario die Degression der
dem »Pschyrembel« (1998) wieder.
reinen Wissenschaft durch soziale und kulturelle Entgrenzung, die sich gegen die natürliche Ordnung der hierarchisch gegliederten Ge sellschaftsstände richten würde. Diese unheilvolle Vermischung der Sphären trat für ihn am augenfälligsten im Eintritt von Angehörigen der unteren Gesellschaftsschichten in die Akademie zur Tage. In die sem Kontext setzte Platon wiederholt die rhetorische Figur des »Bas tards« als Signifikant der kulturellen und biologischen Minderwertig keit ein. Die hohe Kunst der Wissenschaft sei durch ungebildete All tagsberufler gefährdet, die von der Gier nach ehrenhaften Titeln und sozialem Ansehen angetrieben
nwie die Zuchthäusler in die heiligen Freistätten entlaufen [ . . . ] obgleich sie erstlich schon von Natur unvollkommene Anlagen haben und dann auch unter dem Drucke ihrer Berufe und Handwerke infolge der Stubenhockereien ebenso hinsichtlich ihrer Seelen zu-
seiner Verteidigungs schrift »Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissen· schaft« (1878) an nicht weniger als acht Stellen diese Polemik scharf kritisierte (ebd.: I87, I9I, I93, I94, I96, 2°4, 265).
I I Hier könnte man exemplarisch die athenische Narration des persi schen Großkönigs Dareios II im Peloponnesischen Krieg (43I-404 v.ehr.) an fuhren, den die unterlegenen Athener den Beinamen »Nothos« gaben. Vgl. Ha 2oo3a: I23f.
22 I
Hype u m Hybridität
ses Stereotyp schlug sich auch als begriffsbildendes Denkschema i n der Philosophie nieder. Kant erkannte etwa i m »Bastard« die figurati ve Repräsentation einer heimtückischen Gefahr, die sich aus dem Verwechslungsspiel von Sein und Schein ergeben würde:
»Wider diese Nachlässigkeit oder gar niedrige Denkungsart [ . . . ] kann man auch nicht zu viel und zu oft Warnungen ergehen lassen, indem die menschliche Vernunft in ihrer Er müdung gern auf diesem Polster ausruht, und in dem Träume süßer Vorspiegelungen [ . . . ] der Sittlichkeit einen aus Gliedern ganz verschiedener Abstammung zusammengeflickten Bastard unterschiebt, der allem ähnlich sieht, was man daran sehen will, nur der Tugend nicht, für den, der sie einmal in ihrer wahren Gestalt erblickt hat(( (Kant I 977b: 57 ).
Vermischung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise
Folglich wurde der »Bastard« immer stärker als personelle wie symbo lische Kulmination sozialer und kultureller Vermischungen verachtet. Während »Bastarde« als unsittliche Vermischungen abgelehnt wur den, symbolisierte Reinheit das Gute und Unschuldige, aber auch die
Das Misstrauen, welches Kant den Hybridformen entgegenbrachte,
Sehnsucht nach Schönheit und Erhabenheit. Im Zuge dieser Abwer
knüpfte an einer kulturellen Sitten- und Verfallsgeschichte des »Bas
tung und Dämonisierung erweiterte sich das Verständnis des lateini
tards« (griechisch:
schen »hybrida«, das nicht nur gleichbedeutend mit »Mischling«,
ke ausgeprägt war.' Als einer der philosophischen Gründungsväter,
nothos,
lateinisch:
nothi)
an, die bereits in der Anti
sondern auch mit »Bastard« wurde. Auf diese Sinn- und Wertungszu
die die europäische Neuzeit zu ihrem eigenen imaginären Ursprung
samrnenhänge verweisend, prägte Kant in einer späteren Abhandlung
auserkoren hat, gilt Platon (427-348/7 v.u.Z.). Bereits bei ihm mani
über die Sittlichkeit seine Formel für das Unwahre und (Be-)Trü
festierte sich eine Weltanschauung, in der der hybride »Bastard« als
gerische und nannte sie die »Bastarderklärung (definitio hybrida),
abgewerteter Mischling den Gegensatz zum Streben nach dem Schö
welche den Begriff im falschen Lichte darstellt« (Kant 1977C: 333). Die
nen, Guten und Wahren repräsentiert. In seinem ideengeschichtlich
Synonymik dieser Begriffstriade findet sich heute sowohl in den uno
überaus bedeutenden Hauptwerk »Der Staat« beklagte er in einem
terschiedlichen Dudenausgaben als auch in medizinischen Lexika wie
kulturpessimistisch angelegten Verfallsszenario die Degression der
dem »Pschyrembel« (1998) wieder.
reinen Wissenschaft durch soziale und kulturelle Entgrenzung, die sich gegen die natürliche Ordnung der hierarchisch gegliederten Ge sellschaftsstände richten würde. Diese unheilvolle Vermischung der Sphären trat für ihn am augenfälligsten im Eintritt von Angehörigen der unteren Gesellschaftsschichten in die Akademie zur Tage. In die sem Kontext setzte Platon wiederholt die rhetorische Figur des »Bas tards« als Signifikant der kulturellen und biologischen Minderwertig keit ein. Die hohe Kunst der Wissenschaft sei durch ungebildete All tagsberufler gefährdet, die von der Gier nach ehrenhaften Titeln und sozialem Ansehen angetrieben
nwie die Zuchthäusler in die heiligen Freistätten entlaufen [ . . . ] obgleich sie erstlich schon von Natur unvollkommene Anlagen haben und dann auch unter dem Drucke ihrer Berufe und Handwerke infolge der Stubenhockereien ebenso hinsichtlich ihrer Seelen zu-
seiner Verteidigungs schrift »Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissen· schaft« (1878) an nicht weniger als acht Stellen diese Polemik scharf kritisierte (ebd.: I87, I9I, I93, I94, I96, 2°4, 265).
I I Hier könnte man exemplarisch die athenische Narration des persi schen Großkönigs Dareios II im Peloponnesischen Krieg (43I-404 v.ehr.) an fuhren, den die unterlegenen Athener den Beinamen »Nothos« gaben. Vgl. Ha 2oo3a: I23f.
24 I
Vermisch ung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise
Hype u m Hybrid ität
sammengeschrumpft und ausgemergelt sind, wie sie auch schon am Körper die Zeichen der Verkrüppelung tragen(( (Platon 1 940: 223).2 Um den kulturellen Niedergang des Hochstehenden durch die Verei nigung mit dem Niedrigstehenden zu illustrieren, konstruierte Platon den Fall eines freigelassenen Sklaven, der als wohlhabender Mann die verarmte Tochter seines ehemaligen Herrn zur Frau nahm. Eine Konstellation, die auf der Umkehrung der bestehenden Gesellschafts verhältrzisse und der Verletzung der sozialen Normen beruhte, konnte
I 25
Denn »der jetzige Verfall, fuhr ich fort, und die jetzige Unehre, worin wahre Wissenschaft geraten ist, ja gewiß, sie rühren von keinen andern Ursachen als davon, weil sie [ . . . ] nicht mit den gehörigen Eigenschaften ausgerüstet sich mit ihr befassen: denn nicht Bas tardseelen dürfen sich mit ihr befassen, sondern nur echte, edelgeborene [ . . ] Auch in bezug auf besonnene Mäßigung der Begierden, fuhr ich fort, mannhafte Tapferkeit, Hoch herzigkeit und überhaupt in allen Teilen der Tugend ist vorzüglich darauf zu achten, was eine Bastardseele und was eine edelgeborene ist: Denn wenn einer, sei es ein einzelner Mann oder ein Staat, für solche E igenschaften keinen Blick hat, so hat er dann an ihnen Krüppel und Bastarde(( (ebd.: 2 8 1 ) . .
bei Platon nur als Zeichen einer tiefgreifenden Gesellschaftskrise interpretiert werden. Für Platon fand der konstatierte Kultur- und
Hatte Kant die gedankliche Verbindung zwischen dem hybriden
Werteverfall auch eine biologische Entsprechung, die er in der sexuel
Mischling und dem »Bastard« in eine begriffliche überführt, so sollte
len Vereinigung ungleich Geborener sah. Ihre Nachkommen würden
Platons Befürchtung gegen die Vermischung von sozial Ungleichen
als Mischlinge
an
Unterentwicklung und intellektueller Minderbega
bung leiden:
und kulturell » Ungleichwertigen« in der europäischen Neuzeit, die mit ihrer kolonialen Expansion in die »Neue Welt« eingeleitet wurde, eine moderne rassistische Dimension erhalten.
»Was für Geburten müssen nun solche leute hervorbringen? Nicht bastardartiges und schlechtes Zeug? Ganz notwendig. Nun hiervon die Anwendung: Wenn leute, die für eine höhere Bildung gar keine Fähigkeiten haben, ohne die gehörige Ebenbürtigkeit sich mit dieser verehelichen, - was für Hirngeburten und Ansichten müssen diese dann erzeugen? N icht wohl solche, die in Wahrheit den Namen Sophistereien verdienen, und was gar kei ne Spur eines edlen Ursprungs und auch nicht den Wert eines gründlichen Nachdenkens an sich trägt?(( (ebd.: 2 2 4f.) .
Während »hybris« und » hybrida« in der Antike noch Teil einer göttlichen Ordnung waren, wurde mit der zunehmenden Säkularisie rung, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Welt diese zu einer natürlichen bzw. biologischen Ordnung transformiert, deren festgefügten Asymmetrien und Ordnungskategorien nicht überbrückt werden sollten. Im Gegensatz zur Antike, wo noch das ungleiche Verhältrzis zwischen Menschen und Göttern den Ausgangspunkt bildete, stilisierte sich die europäische Elite nach 1492 in den Kolonial
Dazu würden sich moralisch-seelische und sexuell-körperliche Defor
reichen bis Mitte des 20. Jahrhunderts immer ungenierter als
mationen gesellen, die nicht nur über das private Schicksal des Ein
ne Götter in Weiß.3
zelnen entschieden, sondern aufgrund ihres großen Gefahrenpoten
Anderen spiegelbildlich zur Globalisierung Europas als Unterlegene
tials eine öffentliche Aufgabe staatlicher Politik seien.
moder
Währenddessen wurden die außereuropäischen
angesehen, die allenfalls als »gute Wilde« tragische Helden sein durf ten.
2 I Angesichts der nationalsozialistischen Herrschaft musste diese Ber liner Platon-Ausgabe von dem jüdischen Gelehrten Erich Loewenthal ("I" 1943 in Auschwitz) 1940 unter konspirativen Bedingungen anonym herausgegeben werden. Die darin enthaltene PoLiteia (Der Staat) folgt der klassischen Überset zung von Wilhelm Siegmund Teuffel (Buch I·V) und Wilhelm Wiegand (Buch VI-X) aus dem Jahre 1855/56 und wurde von Loewenthal behutsam moderni siert. Im Nachkriegsdeutschland wurde diese Arbeit von Heidelberg aus weiter verlegt und ist in wissenschaftlichen Bibliotheken weit verbreitet. Unter den insgesamt zehn deutschsprachigen Gesamtausgaben gilt die Berliner-Edition nach wie vor als »die vollständigste Platon-Ausgabe in deutscher Sprache« (Verlagswerbung) und wurde 1998 in der Digitalen Bibliothek Band 2 » Philo sophie von Platon bis Nietzsche«, ausgewählt und eingeleitet von Frank-Peter Hansen, neu herausgegeben. Keinesfalls ist sie mit der » Blut-und-Boden-Über· setzung« (1973) von August Horneffer aus den 1920er Jahren zu verwechseln. Vgl. auch http://www.information-philosophie.de/philosophie/platonlesen. html, gesehen am 27.7.2005.
Die in der Antike und im Mittelalter gepflegten Ängste vor Infe riorität und Dysfunktionalität, aber auch der vermutete Verlust von Authentizität und Wahrhaftigkeit, Anstand und Sitte erfuhren im Bild des rassifizierten »Bastards«, der durch die einsetzenden Kolonialras sendiskurse von europäischen Intellektuellen ab dem 16. Jahrhundert als narrative Figur kreiert wurde, eine epistemologische Aktualisie rung und Verschärfung (vgl. Young 1995; Stoler 1995). Nun tauchte
3 I Die Kolonialisierung weist deutliche Formen der Hybris auf. Durch die Überzeugung, dass der europäischen Zivilisationsform die globale Macht dominanz aufgrund ihrer beispiellosen Qualität legitimerweise zusteht und durch ihre göttliche Zivilisierungsmission der gesamten Menschheit dient, wurde der unübersehbare Kolonialterror zu einer pädagogischen Tugend um interpretiert. Erst die Erziehung zur Arbeit würde die außereuropäischen »Wilden« als gottesfürchtige Geschöpfe und damit überhaupt als Menschen erschaffen.
24 I
Vermisch ung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise
Hype u m Hybrid ität
sammengeschrumpft und ausgemergelt sind, wie sie auch schon am Körper die Zeichen der Verkrüppelung tragen(( (Platon 1 940: 223).2 Um den kulturellen Niedergang des Hochstehenden durch die Verei nigung mit dem Niedrigstehenden zu illustrieren, konstruierte Platon den Fall eines freigelassenen Sklaven, der als wohlhabender Mann die verarmte Tochter seines ehemaligen Herrn zur Frau nahm. Eine Konstellation, die auf der Umkehrung der bestehenden Gesellschafts verhältrzisse und der Verletzung der sozialen Normen beruhte, konnte
I 25
Denn »der jetzige Verfall, fuhr ich fort, und die jetzige Unehre, worin wahre Wissenschaft geraten ist, ja gewiß, sie rühren von keinen andern Ursachen als davon, weil sie [ . . . ] nicht mit den gehörigen Eigenschaften ausgerüstet sich mit ihr befassen: denn nicht Bas tardseelen dürfen sich mit ihr befassen, sondern nur echte, edelgeborene [ . . ] Auch in bezug auf besonnene Mäßigung der Begierden, fuhr ich fort, mannhafte Tapferkeit, Hoch herzigkeit und überhaupt in allen Teilen der Tugend ist vorzüglich darauf zu achten, was eine Bastardseele und was eine edelgeborene ist: Denn wenn einer, sei es ein einzelner Mann oder ein Staat, für solche E igenschaften keinen Blick hat, so hat er dann an ihnen Krüppel und Bastarde(( (ebd.: 2 8 1 ) . .
bei Platon nur als Zeichen einer tiefgreifenden Gesellschaftskrise interpretiert werden. Für Platon fand der konstatierte Kultur- und
Hatte Kant die gedankliche Verbindung zwischen dem hybriden
Werteverfall auch eine biologische Entsprechung, die er in der sexuel
Mischling und dem »Bastard« in eine begriffliche überführt, so sollte
len Vereinigung ungleich Geborener sah. Ihre Nachkommen würden
Platons Befürchtung gegen die Vermischung von sozial Ungleichen
als Mischlinge
an
Unterentwicklung und intellektueller Minderbega
bung leiden:
und kulturell » Ungleichwertigen« in der europäischen Neuzeit, die mit ihrer kolonialen Expansion in die »Neue Welt« eingeleitet wurde, eine moderne rassistische Dimension erhalten.
»Was für Geburten müssen nun solche leute hervorbringen? Nicht bastardartiges und schlechtes Zeug? Ganz notwendig. Nun hiervon die Anwendung: Wenn leute, die für eine höhere Bildung gar keine Fähigkeiten haben, ohne die gehörige Ebenbürtigkeit sich mit dieser verehelichen, - was für Hirngeburten und Ansichten müssen diese dann erzeugen? N icht wohl solche, die in Wahrheit den Namen Sophistereien verdienen, und was gar kei ne Spur eines edlen Ursprungs und auch nicht den Wert eines gründlichen Nachdenkens an sich trägt?(( (ebd.: 2 2 4f.) .
Während »hybris« und » hybrida« in der Antike noch Teil einer göttlichen Ordnung waren, wurde mit der zunehmenden Säkularisie rung, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Welt diese zu einer natürlichen bzw. biologischen Ordnung transformiert, deren festgefügten Asymmetrien und Ordnungskategorien nicht überbrückt werden sollten. Im Gegensatz zur Antike, wo noch das ungleiche Verhältrzis zwischen Menschen und Göttern den Ausgangspunkt bildete, stilisierte sich die europäische Elite nach 1492 in den Kolonial
Dazu würden sich moralisch-seelische und sexuell-körperliche Defor
reichen bis Mitte des 20. Jahrhunderts immer ungenierter als
mationen gesellen, die nicht nur über das private Schicksal des Ein
ne Götter in Weiß.3
zelnen entschieden, sondern aufgrund ihres großen Gefahrenpoten
Anderen spiegelbildlich zur Globalisierung Europas als Unterlegene
tials eine öffentliche Aufgabe staatlicher Politik seien.
moder
Währenddessen wurden die außereuropäischen
angesehen, die allenfalls als »gute Wilde« tragische Helden sein durf ten.
2 I Angesichts der nationalsozialistischen Herrschaft musste diese Ber liner Platon-Ausgabe von dem jüdischen Gelehrten Erich Loewenthal ("I" 1943 in Auschwitz) 1940 unter konspirativen Bedingungen anonym herausgegeben werden. Die darin enthaltene PoLiteia (Der Staat) folgt der klassischen Überset zung von Wilhelm Siegmund Teuffel (Buch I·V) und Wilhelm Wiegand (Buch VI-X) aus dem Jahre 1855/56 und wurde von Loewenthal behutsam moderni siert. Im Nachkriegsdeutschland wurde diese Arbeit von Heidelberg aus weiter verlegt und ist in wissenschaftlichen Bibliotheken weit verbreitet. Unter den insgesamt zehn deutschsprachigen Gesamtausgaben gilt die Berliner-Edition nach wie vor als »die vollständigste Platon-Ausgabe in deutscher Sprache« (Verlagswerbung) und wurde 1998 in der Digitalen Bibliothek Band 2 » Philo sophie von Platon bis Nietzsche«, ausgewählt und eingeleitet von Frank-Peter Hansen, neu herausgegeben. Keinesfalls ist sie mit der » Blut-und-Boden-Über· setzung« (1973) von August Horneffer aus den 1920er Jahren zu verwechseln. Vgl. auch http://www.information-philosophie.de/philosophie/platonlesen. html, gesehen am 27.7.2005.
Die in der Antike und im Mittelalter gepflegten Ängste vor Infe riorität und Dysfunktionalität, aber auch der vermutete Verlust von Authentizität und Wahrhaftigkeit, Anstand und Sitte erfuhren im Bild des rassifizierten »Bastards«, der durch die einsetzenden Kolonialras sendiskurse von europäischen Intellektuellen ab dem 16. Jahrhundert als narrative Figur kreiert wurde, eine epistemologische Aktualisie rung und Verschärfung (vgl. Young 1995; Stoler 1995). Nun tauchte
3 I Die Kolonialisierung weist deutliche Formen der Hybris auf. Durch die Überzeugung, dass der europäischen Zivilisationsform die globale Macht dominanz aufgrund ihrer beispiellosen Qualität legitimerweise zusteht und durch ihre göttliche Zivilisierungsmission der gesamten Menschheit dient, wurde der unübersehbare Kolonialterror zu einer pädagogischen Tugend um interpretiert. Erst die Erziehung zur Arbeit würde die außereuropäischen »Wilden« als gottesfürchtige Geschöpfe und damit überhaupt als Menschen erschaffen.
Vermischung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise I 27
26 I Hype um Hybridität die kulturell-religiös und sozial codierte »Bastardisierung« i n Form
Grenze zum göttlich oder natürlich >Erhabenen< überschreitet, war die
des abgewerteten und gleichzeitig so begehrenswerten »rassisch«
gewalttätige Lust an der sexuellen Verfügbarkeit von wornen
Anderen aus der Versenkung des kollektiven Kulturgedächtnis Euro
Kolonialkontext immer präsent. Diese Ökonomie des Begehrens
pas im Zuge seiner kolonialen Globalisierung wieder auf. Mit der
vereinigte sich mit der Angst, »weiße« Interessen zu unterminieren.
ofcolor im
Erfindung von Rassenkategorien für Menschen unterschiedlicher
Die Furcht vor einer Zersetzung christlicher Symbole, kolonialer
Hautschattierungen und geographischer wie kultureller Herkünfte
Kulturpraktiken und europäischer Machtinsignien mit lokalen indige
wurde die biologische »Rassenvermischung« als regressiver »Bastardi sierungsprozess« begriffen. Der Mischling, seine unreine Hybridität,
nen Elementen löste sozialpathologische Ängste vor Identitätsverlust und Phantasien über Verfälschung und Verschmutzung der europäi
die sich dem kategorischen Imperativ der »Rassengrenze« zu entzie
schen » Mutterkultur« aus, die in ihrer Überlegenheit als bedroht
hen droht, sie als strukturierendes Machtelement gleichzeitig unter
angesehen wurde (Bhabha
höhlt und überschreitet, wird daher zur Allegorie des Bösen.
ten auf dem Grundsatz, dass die Stärke und Güte der europäischen
2000: 125-136).
Die Befürchtungen beruh
Im Gegensatz zur Erscheinung des ungebändigten Antichristen,
Kultur und der » weißen Rasse« von ihrer Reinheit abhinge. Im Zuge
der im Kolonialdiskurs seine Auferstehung erlebt, um ihn durch
der historischen Entwicklung der kolonialen Modeme wurde diese
kirchliche Missionierung und notfalls gewaltsame Zivilisierung zu
essentialistische Annahme immer mehr zu einem unhintergehbaren
retten, war der hybride »Rassenmischling« ein innerer Intimfeind, der
Dogma, das sich spätestens im langen
nicht in äußerlicher Opposition zum Kolonialherrn und seiner Kultur
kommen nationalistischer Ideologien und einer rassistisch ausgerich
19. Jahrhundert durch das Auf
gedacht werden kann. Paradoxerweise ist es daher nicht - wie sonst
teten Anthropologie zu einem politischen und wissenschaftlichen
im Rassismus üblich - die Andersartigkeit, sondern die kulturelle und
Paradigma verfestigte. 5
physische Ähnlichkeit des Hybriden, die zu seiner Pathologisierung
Wie stark das modeme Verständnis von Hybridisierung als biolo
im Kolonialdiskurs führt. Genau diese Verwechselbarkeit des Koloni
gische Kreuzung von Anfang an von einer >widernatürlichen Degene
alisierten mit dem Kolonialisator, die in der afroamerikanischen Lite
rationserscheinung< ausging und ihre philosophisch-naturwissen
1999: 140-144), ist für
schaftlichen Diskurse durch die Verquickung von Biologismus, Dä
die abgründige Gefährlichkeit des Mischlings verantwortlich. Obwohl
monisierungsängste und antiken Mythologien geprägt wurde, lässt
raturtheorie als passing bezeichnet wird (vgl. Ha
die rassistische Doppelmoral die »Rassenvermischung« bis zur jüngs
sich etwa im ideengeschichtlich überaus einflussreichen Hauptwerk
ten Vergangenheit als eine >Schandtat< gegen die vermeintliche
von Johann Gottfried Herder
(1744-18°3) in Erfahrung bringen:
menschliche Natur betrachtet,4 in der das >Niederträchtige< die
4 I In einigen Südstaaten der USA sind die gesetzlichen Verbote von Mischehen erst im Jahre 2000 abgeschafft worden. Bei der Volksabstimmung in Alabama, die parallel zur US-Präsidentschaftswahl stattfand, stimmten im mer noch rund 40 Prozent, d.h. 544.000 vorwiegend »weiße« Wähler und Wählerinnen rur die Beibehaltung des Apartheid-Gesetzes aus dem Jahre 1901 (Hahn 2000). Auch in der BRD sind aufgeheizte Kontroversen um vermeintli che »Rassenvermischungen« im politischen Tagesgeschäft virulent. So warnte Edmund Stoiber 1988 - der damals bayerischer Innenminister war und später zum Ministerpräsidenten sowie Kanzlerkandidaten aufstieg - das deutsche Volk vor dieser kollektiven Bedrohung, denn Oskar Lafontaine wolle eine »multinationale Gesellschaft auf deutschem Boden, durchmischt und durch rasst« (Hillenbrand 1988: 4). Seitdem ist die »durchrasste Gesellschaft« zu einem geflügelten Wort geworden. Bei der Wahl der Gesellschaft ]Ur deutsche Sprache zum »Unwort des Jahres« 1991 wurde Stoiber explizit als geistiger Ur heber identifiziert. Seine Wortschöpfung landete hinter dem Begriff »auslän derfrei«, der während des rassistischen Pogroms in Hoyerswerda erfunden wurde, auf einem respektablen zweiten Platz (http://www.gfds.de/woerter2. html; http://www.unwortdesjahres.org/unwort_g.htrnl, gesehen am 27.7.
nlm wilden Zustande paaret sich kein Tier mit einer fremden Gattung, und wenn die zwingende Kunst der Menschen oder der üppige Müßiggang, an dem die gemästeten Tiere teilnehmen, auch ihren sonst sichern Trieb verwildern, so läßt doch in ihren unwandelba ren Gesetzen die Natur von der üppigen Kunst sich nicht überwinden. Entweder ist die Vermischung ohne Frucht, oder die erzwungene Bastardart pflanzt sich nur unter den nächsten Gattungen weiter. Ja bei diesen Bastardarten selbst sehen wir die Abweichung 2005). Nachdem die stoibersche Weitsicht unlängst von Norbert Geis, rechts politischer Sprecher der Unionsfralction im Bundestag, in der Fernsehsendung >>Vorsicht Friedmann« (6.2.2002) mit der Äußerung »Warum lasst ihr nicht Deutschland den Deutschen?« verteidigte (Feddersen 2002: 13; Arning 2002), bezweifelte ausgerechnet die Süddeutsche Zeitung in einer Glosse im Lokalteil die Herkunft dieses Zitats (Stiller 2002). Wie eine Gegendarstellung aufzeigt, erscheint diese vermeintliche Aufklärung jedoch nicht besonders glaubwürdig, da ein SZ-Redakteur als Augenzeuge 1988 über das berüchtigte Zitat aus erster Hand berichtet hat und die SZ in unzähligen Berichten und Kommentaren die Richtigkeit ihrer Darstellung bekräftigt hat - zuletzt anlässlich der Entgleisung von Geis (Gockel 2002). 5 I Ausruhrlich in Ha 2oo3a: 107-160.
Vermischung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise I 27
26 I Hype um Hybridität die kulturell-religiös und sozial codierte »Bastardisierung« i n Form
Grenze zum göttlich oder natürlich >Erhabenen< überschreitet, war die
des abgewerteten und gleichzeitig so begehrenswerten »rassisch«
gewalttätige Lust an der sexuellen Verfügbarkeit von wornen
Anderen aus der Versenkung des kollektiven Kulturgedächtnis Euro
Kolonialkontext immer präsent. Diese Ökonomie des Begehrens
pas im Zuge seiner kolonialen Globalisierung wieder auf. Mit der
vereinigte sich mit der Angst, »weiße« Interessen zu unterminieren.
ofcolor im
Erfindung von Rassenkategorien für Menschen unterschiedlicher
Die Furcht vor einer Zersetzung christlicher Symbole, kolonialer
Hautschattierungen und geographischer wie kultureller Herkünfte
Kulturpraktiken und europäischer Machtinsignien mit lokalen indige
wurde die biologische »Rassenvermischung« als regressiver »Bastardi sierungsprozess« begriffen. Der Mischling, seine unreine Hybridität,
nen Elementen löste sozialpathologische Ängste vor Identitätsverlust und Phantasien über Verfälschung und Verschmutzung der europäi
die sich dem kategorischen Imperativ der »Rassengrenze« zu entzie
schen » Mutterkultur« aus, die in ihrer Überlegenheit als bedroht
hen droht, sie als strukturierendes Machtelement gleichzeitig unter
angesehen wurde (Bhabha
höhlt und überschreitet, wird daher zur Allegorie des Bösen.
ten auf dem Grundsatz, dass die Stärke und Güte der europäischen
2000: 125-136).
Die Befürchtungen beruh
Im Gegensatz zur Erscheinung des ungebändigten Antichristen,
Kultur und der » weißen Rasse« von ihrer Reinheit abhinge. Im Zuge
der im Kolonialdiskurs seine Auferstehung erlebt, um ihn durch
der historischen Entwicklung der kolonialen Modeme wurde diese
kirchliche Missionierung und notfalls gewaltsame Zivilisierung zu
essentialistische Annahme immer mehr zu einem unhintergehbaren
retten, war der hybride »Rassenmischling« ein innerer Intimfeind, der
Dogma, das sich spätestens im langen
nicht in äußerlicher Opposition zum Kolonialherrn und seiner Kultur
kommen nationalistischer Ideologien und einer rassistisch ausgerich
19. Jahrhundert durch das Auf
gedacht werden kann. Paradoxerweise ist es daher nicht - wie sonst
teten Anthropologie zu einem politischen und wissenschaftlichen
im Rassismus üblich - die Andersartigkeit, sondern die kulturelle und
Paradigma verfestigte. 5
physische Ähnlichkeit des Hybriden, die zu seiner Pathologisierung
Wie stark das modeme Verständnis von Hybridisierung als biolo
im Kolonialdiskurs führt. Genau diese Verwechselbarkeit des Koloni
gische Kreuzung von Anfang an von einer >widernatürlichen Degene
alisierten mit dem Kolonialisator, die in der afroamerikanischen Lite
rationserscheinung< ausging und ihre philosophisch-naturwissen
1999: 140-144), ist für
schaftlichen Diskurse durch die Verquickung von Biologismus, Dä
die abgründige Gefährlichkeit des Mischlings verantwortlich. Obwohl
monisierungsängste und antiken Mythologien geprägt wurde, lässt
raturtheorie als passing bezeichnet wird (vgl. Ha
die rassistische Doppelmoral die »Rassenvermischung« bis zur jüngs
sich etwa im ideengeschichtlich überaus einflussreichen Hauptwerk
ten Vergangenheit als eine >Schandtat< gegen die vermeintliche
von Johann Gottfried Herder
(1744-18°3) in Erfahrung bringen:
menschliche Natur betrachtet,4 in der das >Niederträchtige< die
4 I In einigen Südstaaten der USA sind die gesetzlichen Verbote von Mischehen erst im Jahre 2000 abgeschafft worden. Bei der Volksabstimmung in Alabama, die parallel zur US-Präsidentschaftswahl stattfand, stimmten im mer noch rund 40 Prozent, d.h. 544.000 vorwiegend »weiße« Wähler und Wählerinnen rur die Beibehaltung des Apartheid-Gesetzes aus dem Jahre 1901 (Hahn 2000). Auch in der BRD sind aufgeheizte Kontroversen um vermeintli che »Rassenvermischungen« im politischen Tagesgeschäft virulent. So warnte Edmund Stoiber 1988 - der damals bayerischer Innenminister war und später zum Ministerpräsidenten sowie Kanzlerkandidaten aufstieg - das deutsche Volk vor dieser kollektiven Bedrohung, denn Oskar Lafontaine wolle eine »multinationale Gesellschaft auf deutschem Boden, durchmischt und durch rasst« (Hillenbrand 1988: 4). Seitdem ist die »durchrasste Gesellschaft« zu einem geflügelten Wort geworden. Bei der Wahl der Gesellschaft ]Ur deutsche Sprache zum »Unwort des Jahres« 1991 wurde Stoiber explizit als geistiger Ur heber identifiziert. Seine Wortschöpfung landete hinter dem Begriff »auslän derfrei«, der während des rassistischen Pogroms in Hoyerswerda erfunden wurde, auf einem respektablen zweiten Platz (http://www.gfds.de/woerter2. html; http://www.unwortdesjahres.org/unwort_g.htrnl, gesehen am 27.7.
nlm wilden Zustande paaret sich kein Tier mit einer fremden Gattung, und wenn die zwingende Kunst der Menschen oder der üppige Müßiggang, an dem die gemästeten Tiere teilnehmen, auch ihren sonst sichern Trieb verwildern, so läßt doch in ihren unwandelba ren Gesetzen die Natur von der üppigen Kunst sich nicht überwinden. Entweder ist die Vermischung ohne Frucht, oder die erzwungene Bastardart pflanzt sich nur unter den nächsten Gattungen weiter. Ja bei diesen Bastardarten selbst sehen wir die Abweichung 2005). Nachdem die stoibersche Weitsicht unlängst von Norbert Geis, rechts politischer Sprecher der Unionsfralction im Bundestag, in der Fernsehsendung >>Vorsicht Friedmann« (6.2.2002) mit der Äußerung »Warum lasst ihr nicht Deutschland den Deutschen?« verteidigte (Feddersen 2002: 13; Arning 2002), bezweifelte ausgerechnet die Süddeutsche Zeitung in einer Glosse im Lokalteil die Herkunft dieses Zitats (Stiller 2002). Wie eine Gegendarstellung aufzeigt, erscheint diese vermeintliche Aufklärung jedoch nicht besonders glaubwürdig, da ein SZ-Redakteur als Augenzeuge 1988 über das berüchtigte Zitat aus erster Hand berichtet hat und die SZ in unzähligen Berichten und Kommentaren die Richtigkeit ihrer Darstellung bekräftigt hat - zuletzt anlässlich der Entgleisung von Geis (Gockel 2002). 5 I Ausruhrlich in Ha 2oo3a: 107-160.
28
I Hype um Hybriditä t
nirgends als an den äußersten Enden des Reichs der Bildung, genau wie wir sie bei der Verartung des Menschengeschlechts beschrieben haben; hätte der innere, wesentliche Typus der Bildung Mißgestalt bekommen müssen, so wäre kein lebendiges Geschöpl subsistent worden. Weder ein Centaur also noch ein Satyr, weder die Scylla noch die Meduse kann nach den innern Gesetzen der schallenden Natur und des genetischen wesentlichen Typus jeder Gattung sich erzeugen« (Herder 1 965: 2741.).
Vermischung als Symptom von Kulturverfall u n d Gesellschaftskrise I
29
ligenz, krimineller Asozialität, psychischen Defekten und charakterli chen Schwächen. In diesen Diskursen wurde der » Rassenmischling« als Träger von Kulturverfall und Amoralität bezeichnet. Die Willkür lichkeit dieser Diagnosen offenbarte sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Rassenanthropologie, als sie die Effekte der Heterosis (»Bastardwüchsigkeit«) anerkannte. Obwohl die Heterosis produktive Potentiale verspricht und in der Agrarzüchtung positiv konnotiert ist
Herders Überzeugung entsprach einer zeitgenössischen Evidenz, die
(Grant 2000: 629f.), wurden diese Effekte gegen die Mischlinge ge
ihre Wissensproduktion und Autorität durch interessensgeleitete
wendet. Nun wurde ihnen nicht wie ehemals ein Mangel, sondern ein
Definitionsmacht im Zuge der Kolonialisierung erlangte. Nach der
Exzess in Form abnormalen Wachstums, körperlicher Disproportio
Zerstörung indigener Gesellschaften und der Eroberung außereuropä
nen und übersteigerter Sexualität vorgeworfen (Ha 2oo3a: 126-131).
ischer Kolonialreiche begann vor allem auf den amerikanischen Kon
Durch die spätestens mit Charles Darwin einsetzende naturwis
tinenten durch den transatlantischen Sklavereihandel ein millionenfa
senschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der biologischen
cher Bevölkerungstransfer. Dieser setzte ein anhaltend gewalttätiges
Vermischung erfuhr der Hybriddiskurs einen starken Popularisie
und traumatisches Dreiecksverhältnis zwischen Europa, Afrika und
rungsschub, der ihn über die Fachgrenze der Botanik und Zoologie
Amerika in Gang, in der nicht zuletzt durch sexuelle Gewalt und kolo
hinaus bekannt machte.7 Darwin fand dieses Thema so wichtig, dass
niale Herrschaft hybridisierte Bevölkerungsgruppen entstanden. Diese
er in seinem internationalen Bestseller » Über die Entstehung der
Ausgangskonstellation wurde später durch die Migration asiatischer
Arten« [18591 eigens ein Kapitel der »Bastardbildung« widmete und
Kontraktarbeiter und »Kulis« erweitert, die die hierarchisch stratifi
darin immer wieder das Thema der Unfruchtbarkeit aufgriff (Darwin 8 189 9: 3 1 9 -356).
zierte »Rassenpyramide« verlängerte und wie in Brasilien über 100 gemischte »Rassentypen« entstehen ließ.
Langfristig dürften j edoch die um 1900 von verschiedenen Ver
Zu den bekanntesten Kolonialbezeichnungen zählen »Mestizen«
erbungsforschern wiederentdeckte Arbeit »Versuche über Pflanzen
mit einer europäisch-indigenen Herkunft und »Mulatten« mit afrika
hybride« (18 6 6) von Gregor Mendel und die Techniken, die auf den
nisch-europäischen Elternteilen. Letzteres ist eine Übersetzung von
sog. Mendel'schen Gesetzen basieren, nicht nur für die Verbreitung
»mulato« aus dem Spanischen und Portugiesischen und leitet sich
und das Verständnis des Hybriden, sondern vor allem gesellschaftlich
von »mulo« (spanisch) ab. Wie das »mule« im Englischen steht »mu-
direktere Folgen haben. Durch diese Arbeiten geriert Hybridisierung
10« für die Doppelbedeutung von Maulesel und »Bastard« (Poliakov et
zum zentralen Begriff im biologischen Sprachgebrauch und wurde als
al. 1979: 65-90; Geiss 1988: 12H27). Diese abwertende Bedeutung spielt zum einem auf den Status des Maulesels als dummes, störri sches Arbeitstier an, das oft nur auf gewaltsame Befehle reagiert, zum anderen auf seine sprichwörtliche Fortpflanzungsunfähigkeit. Entge gen der wahrnehmbaren Erfahrung blieb der moderne Mythos des sterilen und pathologischen »Rassenbastards« bis weit ins 20. Jahr hundert hinein ein Thema wissenschaftlicher und gesellschaftlicher 6 Kontroversen. Zu den immer wieder angeführten Unterstellungen zählte neben der Sterilität, welche die unnatürliche Dysfunktionalität und Überlebensunfähigkeit des Mischlings suggerieren sollte, auch der angebliche Hang zur körperlicher Anfälligkeit, verminderter Intel6 I So wurde in den antifeministischen Diskursen, deren Stimmen nicht eindeutig entlang biologischer Geschlechtergrenzen bestimmt werden kann, das antifeministische Feindbild des Hermaphroditen durch die Übertra· gung kolonialrassistischer Stereotypen verstärkt: » Das beste Weibmaterial hat den unheimlichen Drang nach Halbmannhaftigkeit, einen Trieb zu hybrider Sterilität« (Laura Marholm zit. nach Dohm 1902: 93).
7 I Schon bevor die Biologie sich der »Bastardierung« annahm, bestand in der Praxis bereits diese Konvention: »Das Geringere, Schlechtere, Untaugli che in seiner Art, so nennen die Gärtner oft alle Auswüchse und untaugliche Sprößlinge, Bastarde« (Adelung 2001: Bd. 1, 746). Als wichtigster Vorläufer von Mendel und Darwin im Bereich der biologischen Hybridisierung gilt der Botaniker Joseph Gottlieb Koelreuter (1733-1806), der seit 1759 wiederholt Bas tardisierungsexperimente unternahm, um die Sexualität der Pflanzen nachzu weisen (Bäumer 1988: 424f.). In der Nachfolge von Darwin wurde auch in ein flussreichen Beiträgen zur deutschen Philosophie, etwa in Friedrich Albert Langes »Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Ge genwart« (1974 [1866]: Bd. 2, 686f.) und in Eduard von Hartmanns »Philoso phie des Unbewußten« (1869: 229-232), über die Bedeutung von »Bastarden« spekuliert. 8 I In geisteswissenschaftlichen Wörterbüchern gingen sowohl die phi losophischen Bedeutungskontexte bei Immanuel Kant als auch die biologi schen bei Charles Darwin ein: »Hybride Begriffe: leere, unfruchtbare Begriffe, Scheinbegriffe« (Eisler 1904: Bd. 1, 440).
28
I Hype um Hybriditä t
nirgends als an den äußersten Enden des Reichs der Bildung, genau wie wir sie bei der Verartung des Menschengeschlechts beschrieben haben; hätte der innere, wesentliche Typus der Bildung Mißgestalt bekommen müssen, so wäre kein lebendiges Geschöpl subsistent worden. Weder ein Centaur also noch ein Satyr, weder die Scylla noch die Meduse kann nach den innern Gesetzen der schallenden Natur und des genetischen wesentlichen Typus jeder Gattung sich erzeugen« (Herder 1 965: 2741.).
Vermischung als Symptom von Kulturverfall u n d Gesellschaftskrise I
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ligenz, krimineller Asozialität, psychischen Defekten und charakterli chen Schwächen. In diesen Diskursen wurde der » Rassenmischling« als Träger von Kulturverfall und Amoralität bezeichnet. Die Willkür lichkeit dieser Diagnosen offenbarte sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Rassenanthropologie, als sie die Effekte der Heterosis (»Bastardwüchsigkeit«) anerkannte. Obwohl die Heterosis produktive Potentiale verspricht und in der Agrarzüchtung positiv konnotiert ist
Herders Überzeugung entsprach einer zeitgenössischen Evidenz, die
(Grant 2000: 629f.), wurden diese Effekte gegen die Mischlinge ge
ihre Wissensproduktion und Autorität durch interessensgeleitete
wendet. Nun wurde ihnen nicht wie ehemals ein Mangel, sondern ein
Definitionsmacht im Zuge der Kolonialisierung erlangte. Nach der
Exzess in Form abnormalen Wachstums, körperlicher Disproportio
Zerstörung indigener Gesellschaften und der Eroberung außereuropä
nen und übersteigerter Sexualität vorgeworfen (Ha 2oo3a: 126-131).
ischer Kolonialreiche begann vor allem auf den amerikanischen Kon
Durch die spätestens mit Charles Darwin einsetzende naturwis
tinenten durch den transatlantischen Sklavereihandel ein millionenfa
senschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen der biologischen
cher Bevölkerungstransfer. Dieser setzte ein anhaltend gewalttätiges
Vermischung erfuhr der Hybriddiskurs einen starken Popularisie
und traumatisches Dreiecksverhältnis zwischen Europa, Afrika und
rungsschub, der ihn über die Fachgrenze der Botanik und Zoologie
Amerika in Gang, in der nicht zuletzt durch sexuelle Gewalt und kolo
hinaus bekannt machte.7 Darwin fand dieses Thema so wichtig, dass
niale Herrschaft hybridisierte Bevölkerungsgruppen entstanden. Diese
er in seinem internationalen Bestseller » Über die Entstehung der
Ausgangskonstellation wurde später durch die Migration asiatischer
Arten« [18591 eigens ein Kapitel der »Bastardbildung« widmete und
Kontraktarbeiter und »Kulis« erweitert, die die hierarchisch stratifi
darin immer wieder das Thema der Unfruchtbarkeit aufgriff (Darwin 8 189 9: 3 1 9 -356).
zierte »Rassenpyramide« verlängerte und wie in Brasilien über 100 gemischte »Rassentypen« entstehen ließ.
Langfristig dürften j edoch die um 1900 von verschiedenen Ver
Zu den bekanntesten Kolonialbezeichnungen zählen »Mestizen«
erbungsforschern wiederentdeckte Arbeit »Versuche über Pflanzen
mit einer europäisch-indigenen Herkunft und »Mulatten« mit afrika
hybride« (18 6 6) von Gregor Mendel und die Techniken, die auf den
nisch-europäischen Elternteilen. Letzteres ist eine Übersetzung von
sog. Mendel'schen Gesetzen basieren, nicht nur für die Verbreitung
»mulato« aus dem Spanischen und Portugiesischen und leitet sich
und das Verständnis des Hybriden, sondern vor allem gesellschaftlich
von »mulo« (spanisch) ab. Wie das »mule« im Englischen steht »mu-
direktere Folgen haben. Durch diese Arbeiten geriert Hybridisierung
10« für die Doppelbedeutung von Maulesel und »Bastard« (Poliakov et
zum zentralen Begriff im biologischen Sprachgebrauch und wurde als
al. 1979: 65-90; Geiss 1988: 12H27). Diese abwertende Bedeutung spielt zum einem auf den Status des Maulesels als dummes, störri sches Arbeitstier an, das oft nur auf gewaltsame Befehle reagiert, zum anderen auf seine sprichwörtliche Fortpflanzungsunfähigkeit. Entge gen der wahrnehmbaren Erfahrung blieb der moderne Mythos des sterilen und pathologischen »Rassenbastards« bis weit ins 20. Jahr hundert hinein ein Thema wissenschaftlicher und gesellschaftlicher 6 Kontroversen. Zu den immer wieder angeführten Unterstellungen zählte neben der Sterilität, welche die unnatürliche Dysfunktionalität und Überlebensunfähigkeit des Mischlings suggerieren sollte, auch der angebliche Hang zur körperlicher Anfälligkeit, verminderter Intel6 I So wurde in den antifeministischen Diskursen, deren Stimmen nicht eindeutig entlang biologischer Geschlechtergrenzen bestimmt werden kann, das antifeministische Feindbild des Hermaphroditen durch die Übertra· gung kolonialrassistischer Stereotypen verstärkt: » Das beste Weibmaterial hat den unheimlichen Drang nach Halbmannhaftigkeit, einen Trieb zu hybrider Sterilität« (Laura Marholm zit. nach Dohm 1902: 93).
7 I Schon bevor die Biologie sich der »Bastardierung« annahm, bestand in der Praxis bereits diese Konvention: »Das Geringere, Schlechtere, Untaugli che in seiner Art, so nennen die Gärtner oft alle Auswüchse und untaugliche Sprößlinge, Bastarde« (Adelung 2001: Bd. 1, 746). Als wichtigster Vorläufer von Mendel und Darwin im Bereich der biologischen Hybridisierung gilt der Botaniker Joseph Gottlieb Koelreuter (1733-1806), der seit 1759 wiederholt Bas tardisierungsexperimente unternahm, um die Sexualität der Pflanzen nachzu weisen (Bäumer 1988: 424f.). In der Nachfolge von Darwin wurde auch in ein flussreichen Beiträgen zur deutschen Philosophie, etwa in Friedrich Albert Langes »Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Ge genwart« (1974 [1866]: Bd. 2, 686f.) und in Eduard von Hartmanns »Philoso phie des Unbewußten« (1869: 229-232), über die Bedeutung von »Bastarden« spekuliert. 8 I In geisteswissenschaftlichen Wörterbüchern gingen sowohl die phi losophischen Bedeutungskontexte bei Immanuel Kant als auch die biologi schen bei Charles Darwin ein: »Hybride Begriffe: leere, unfruchtbare Begriffe, Scheinbegriffe« (Eisler 1904: Bd. 1, 440).
30 I Hype um Hybrid ität Kreuzung bzw. »Bastardierung« von Lebewesen mit unterschiedlichen Herkünften definiert (Grant 2000). Als Beleg für die Verwissenschaft lichung, weitgehende Verzahnung und Gleichsetzung der Begriffe »hybrid« und »Bastard« kann etwa auf die große Anzahl von Pflan zenarten hingewiesen werden, deren Variationen mit Namen wie »Bastardklee« (Trifolium hybridum) oder »Bastardmohn« (Papaver hybridum) bedacht wurden. Auch heute stehen die meisten lexikali schen Begriffe wie Hybridenfleisch, Hybridenwein, Hybridhuhn, Hybridmais, Hybridschwein, Hybridzüchtung etc. (Wahrig 1981: Bd. 3, 682f.) mit biologischen Themen in Verbindung: Aufgrund dieser disziplinären Verortung in der Wissenschaftsgeschichte kann es nicht überraschen, wenn heute in gentechnischen, biochemischen und bio logischen Diskursen der Begriff »hybrid« mit Abstand am häufigsten fällt. Anders als der Fortschrittsglauben es nahe legt, wurde mit der Verwissenschaftlichung die angstbesetzte Negativbedeutung des Hy briden in religiösen und »rassischen« Kontexten nicht korrigiert, sondern verstärkt auf wissenschaftliche und kulturelle Diskurse über tragen. Diese Abwertung wurde in dem Maße vertieft, wie die Vorstel lung einer negativen biologischen Hybridisierung von » Menschenras sen« und Kulturen gesellschaftlich dominant blieb. Gerade die melan cholische Untergangsstimmung des Fin de Siecle war empfänglich für Hybridisierungsszenarien, die an das antike Verständnis anknüpften und diese mit den Bastardisierungsdiskursen der modernen Biowis senschaften verbanden. Eine kulturpessimistische Strömung vertrat Hugo von Hofmanns thaI (1874-1929), der neben seiner schriftstellerischen Arbeit auch kulturpolitische Ämter in Österreich bekleidete. Als Intellektueller im zeitweiligen Dunstkreis der »konservativen Revolution« hielt er 1927 an der Universität München eine vielbeachtete Rede über »das Schrift tum als geistige[n) Raum der Nation« (Koch 1988: 427-431). Darin warnte er vor dem altbekannten Schreckbild der »gefährlichen hybri den Natur«, die aus der Ambivalenz der Vermischung hervorginge.9 Wie Leibniz und Kant zuvor, setzte auch er die »reine Leidenschaft des Verstehens« von den »zweideutigen Elementen eines geheimnisvollen hybriden Organs« (Hofmannsthai 1979a: 33) ab. Die Ablehnung des 9 I In dieser Rede beschrieb Hugo von HofmannsthaI den »Prophet als Dichter, vielleicht ist er ein erotischer Träumer - er ist eine gefährliche hybride Natur, Liebender und Hassender und Lehrer und Verführer zugleich« (Hof mannsthaI 1979C: 32). In scheinbarer Vorahnung der kommenden Jahre cha rakterisierte er diesen »mit dem Anspruch auf Lehrerschaft und Führerschaft« ausgestatteten Propheten »als einem wahren Deutschen«, »der nun für seinen Kriegszug Gefährten wirbt« und daher »mit dem Stigma des Usurpators« be legt sei (ebd.).
Vermischung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise I 31 Unreinen, des als minderwertig Gedachten, bezog sich offenbar auch auf Fragen der kulturellen und »rassischen« Vermischung, die als Zerfallserscheinung imaginiert wurde.
nSie haben das unverwesliche Wort Humanismus auf Ihrem Banner, während rings in Eu ropa und in jenem hybriden Neu-Europa jenseits des Ozeans der vollständigste, tiefstgrei fende Prozeß der Deshumanisation, der je geträumt werden konnte, im Gange ist« (Hof mannsthai 1 9 7 9 b: 14). Gegen die ungewissen Bedrohungen und Auflösungserscheinungen aus den amerikanischen Welten wurde als geistiges Bollwerk ein glori fiziertes Bild der Antike gesetzt, welche die Unverfälschtheit des euro päischen Kulturerbes begründen sollte. Wie Hofmannsthal, der viele große griechische Dramen adaptier te, besaß auch Friedrich Nietzsche (1844-19°0) als Dozent für klassi sche Philologie einschlägige Kenntnisse. In seinen Schriften ge braucht er den Begriff » hybrid« als wiederkehrende Metapher für dunkle und unheilvolle Vermischungsformen. Analog zu Hofmanns thal wird sie bei ihm als bedrohliche Verfallserscheinung begriffen, die dem aufklärerischen Idealbild des Verstandes entgegengesetzt wird - also jener vernunftsbegabten Lichtgestalt, die in der Konstruk tion der europäischen Geistesgeschichte die Zivilisationsgrenze zur Barbarei und Unterentwicklung bildet. In Nietzsches Sprache spiegel ten sich offensichtlich die mythischen Bilderwelten der Antike wieder. Entsprechend war das Hybride für ihn die Folge einer unsäglichen Tragödie, die im Katastrophalen enden würde und zum Untergang verurteilt sei. Voller Abscheu sprach Nietzsche vom »Hohn und Haß gegen so hybride Begriffs-Ungeheuer« (Nietzsche 1999a: 69) und den »widerlichsten Ausgeburten des antiken Hybridismus« (1954a: Aphor. 239, 640) . Ebenso lehnte er das »hybride Verfalls-Gebilde aus Null, Begriff und Widerspruch, in dem alle decadence-Instinkte, alle Feig heiten und Müdigkeiten der Seele ihre Sanktion haben« (1999d: Aphor. 19, 186), ab. Die rettende Vision sah Nietzsche im vollkommenen Übermen schen, der - vom lebensdurstigen »Willen zur Macht« getrieben - die gesetzten Grenzen durch eine höhere »Herrenmoral« überwinden würde. Im Sinne einer ungezügelten Entfaltung der Lebenskraft be grüßte Nietzsche die biologistische Herrschaft des Schönen und Vor nehmen über die Niedrigen und Degenerierten, die als Sklaven und Sklavinnen dienen sollten oder ausgelöscht gehörten.1O Seine Verach tung der Schwachen und Kranken korrelierte mit einer Bewunderung 1 0 I »Die Schwachen und Mißratenen sollen zugrunde gehn: erster Satz unsrer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen« (Nietzsche 1999d: Aphor. 2, 179).
30 I Hype um Hybrid ität Kreuzung bzw. »Bastardierung« von Lebewesen mit unterschiedlichen Herkünften definiert (Grant 2000). Als Beleg für die Verwissenschaft lichung, weitgehende Verzahnung und Gleichsetzung der Begriffe »hybrid« und »Bastard« kann etwa auf die große Anzahl von Pflan zenarten hingewiesen werden, deren Variationen mit Namen wie »Bastardklee« (Trifolium hybridum) oder »Bastardmohn« (Papaver hybridum) bedacht wurden. Auch heute stehen die meisten lexikali schen Begriffe wie Hybridenfleisch, Hybridenwein, Hybridhuhn, Hybridmais, Hybridschwein, Hybridzüchtung etc. (Wahrig 1981: Bd. 3, 682f.) mit biologischen Themen in Verbindung: Aufgrund dieser disziplinären Verortung in der Wissenschaftsgeschichte kann es nicht überraschen, wenn heute in gentechnischen, biochemischen und bio logischen Diskursen der Begriff »hybrid« mit Abstand am häufigsten fällt. Anders als der Fortschrittsglauben es nahe legt, wurde mit der Verwissenschaftlichung die angstbesetzte Negativbedeutung des Hy briden in religiösen und »rassischen« Kontexten nicht korrigiert, sondern verstärkt auf wissenschaftliche und kulturelle Diskurse über tragen. Diese Abwertung wurde in dem Maße vertieft, wie die Vorstel lung einer negativen biologischen Hybridisierung von » Menschenras sen« und Kulturen gesellschaftlich dominant blieb. Gerade die melan cholische Untergangsstimmung des Fin de Siecle war empfänglich für Hybridisierungsszenarien, die an das antike Verständnis anknüpften und diese mit den Bastardisierungsdiskursen der modernen Biowis senschaften verbanden. Eine kulturpessimistische Strömung vertrat Hugo von Hofmanns thaI (1874-1929), der neben seiner schriftstellerischen Arbeit auch kulturpolitische Ämter in Österreich bekleidete. Als Intellektueller im zeitweiligen Dunstkreis der »konservativen Revolution« hielt er 1927 an der Universität München eine vielbeachtete Rede über »das Schrift tum als geistige[n) Raum der Nation« (Koch 1988: 427-431). Darin warnte er vor dem altbekannten Schreckbild der »gefährlichen hybri den Natur«, die aus der Ambivalenz der Vermischung hervorginge.9 Wie Leibniz und Kant zuvor, setzte auch er die »reine Leidenschaft des Verstehens« von den »zweideutigen Elementen eines geheimnisvollen hybriden Organs« (Hofmannsthai 1979a: 33) ab. Die Ablehnung des 9 I In dieser Rede beschrieb Hugo von HofmannsthaI den »Prophet als Dichter, vielleicht ist er ein erotischer Träumer - er ist eine gefährliche hybride Natur, Liebender und Hassender und Lehrer und Verführer zugleich« (Hof mannsthaI 1979C: 32). In scheinbarer Vorahnung der kommenden Jahre cha rakterisierte er diesen »mit dem Anspruch auf Lehrerschaft und Führerschaft« ausgestatteten Propheten »als einem wahren Deutschen«, »der nun für seinen Kriegszug Gefährten wirbt« und daher »mit dem Stigma des Usurpators« be legt sei (ebd.).
Vermischung als Symptom von Kulturverfall und Gesellschaftskrise I 31 Unreinen, des als minderwertig Gedachten, bezog sich offenbar auch auf Fragen der kulturellen und »rassischen« Vermischung, die als Zerfallserscheinung imaginiert wurde.
nSie haben das unverwesliche Wort Humanismus auf Ihrem Banner, während rings in Eu ropa und in jenem hybriden Neu-Europa jenseits des Ozeans der vollständigste, tiefstgrei fende Prozeß der Deshumanisation, der je geträumt werden konnte, im Gange ist« (Hof mannsthai 1 9 7 9 b: 14). Gegen die ungewissen Bedrohungen und Auflösungserscheinungen aus den amerikanischen Welten wurde als geistiges Bollwerk ein glori fiziertes Bild der Antike gesetzt, welche die Unverfälschtheit des euro päischen Kulturerbes begründen sollte. Wie Hofmannsthal, der viele große griechische Dramen adaptier te, besaß auch Friedrich Nietzsche (1844-19°0) als Dozent für klassi sche Philologie einschlägige Kenntnisse. In seinen Schriften ge braucht er den Begriff » hybrid« als wiederkehrende Metapher für dunkle und unheilvolle Vermischungsformen. Analog zu Hofmanns thal wird sie bei ihm als bedrohliche Verfallserscheinung begriffen, die dem aufklärerischen Idealbild des Verstandes entgegengesetzt wird - also jener vernunftsbegabten Lichtgestalt, die in der Konstruk tion der europäischen Geistesgeschichte die Zivilisationsgrenze zur Barbarei und Unterentwicklung bildet. In Nietzsches Sprache spiegel ten sich offensichtlich die mythischen Bilderwelten der Antike wieder. Entsprechend war das Hybride für ihn die Folge einer unsäglichen Tragödie, die im Katastrophalen enden würde und zum Untergang verurteilt sei. Voller Abscheu sprach Nietzsche vom »Hohn und Haß gegen so hybride Begriffs-Ungeheuer« (Nietzsche 1999a: 69) und den »widerlichsten Ausgeburten des antiken Hybridismus« (1954a: Aphor. 239, 640) . Ebenso lehnte er das »hybride Verfalls-Gebilde aus Null, Begriff und Widerspruch, in dem alle decadence-Instinkte, alle Feig heiten und Müdigkeiten der Seele ihre Sanktion haben« (1999d: Aphor. 19, 186), ab. Die rettende Vision sah Nietzsche im vollkommenen Übermen schen, der - vom lebensdurstigen »Willen zur Macht« getrieben - die gesetzten Grenzen durch eine höhere »Herrenmoral« überwinden würde. Im Sinne einer ungezügelten Entfaltung der Lebenskraft be grüßte Nietzsche die biologistische Herrschaft des Schönen und Vor nehmen über die Niedrigen und Degenerierten, die als Sklaven und Sklavinnen dienen sollten oder ausgelöscht gehörten.1O Seine Verach tung der Schwachen und Kranken korrelierte mit einer Bewunderung 1 0 I »Die Schwachen und Mißratenen sollen zugrunde gehn: erster Satz unsrer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen« (Nietzsche 1999d: Aphor. 2, 179).
32 I Hype um Hybrid ität für geniale »Raubmenschen« wie Cesare Borgia und Napoleon, die er als »Synthesis von Unmensch und Übermensch« (1999C: Aphor. 16, II 5) glorifizierte. In solchen überragenden Individuen sah er die Kei me einer überlegenen »Rasse«. Beide Formen des Übermenschen scheinen sich für Nietzsche - der sich gänzlich als Europäer verstand - im Bild der »blonden Bestie« zu vereinen, die den wahren Daseins grund oder die gesunde menschliche Natur darstellt. In einer akzentu ierten Beschreibung des kollektiven Übermenschen verherrlichte Nietzsche ihn als »eine Rasse mit eigener Lebenssphäre, mit einem Überschuß von Kraft für Schönheit, Tapferkeit, Kultur, Manier bis ins Geistigste« (1954a: Aphor. 898, 522). So eindeutig diese rassenfIxierten Vorstellungen in die virulenten sozialdarwinistischen und eugenischen Diskurse seiner Zeit einge bunden waren," so unzweifelhaft ist es auch, dass Nietzsches vielfach gebrochenes Weltbild zerstreuter ist, als diese Auszüge es vermuten lassen. Da eine umfassende Werksexegese unseren Rahmen sprengen würde, möchte ich die nietzscheanische Zwiespältigkeit nur in Bezug auf Vermischungslogik und postmoderne Kultur aufzeigen. Für den hier diskutierten Kontext ist es bedeutsam, dass Nietzsche einerseits die Tradition der Dämonisierung des Hybriden fortsetzte und geläufI ge Binäroppositionen der europäischen Philosophie verfestigte, ande rerseits eben diese Zusammenhänge in anderen Momenten durch die antipodische » Umwertung aller Werte« zu untergraben gedachte. Indem die Metaphysik zum Ausgangspunkt ihrer eigenen »Verwin dung« (Heidegger) wurde, wurde eine multiple Denkweise ermög licht, die die ambivalenten Überschneidungen von Vielfalt zulässt. In Nietzsches Betrachtungen zur Kunst wurde bereits eine postmoderne Kondition antizipiert, wie sie sich gegenwärtig in der Entwicklung vom statischen Multikulturalismus zu einer hybriden Kulturdynamik 1 1 I Nietzsche hatte neben Platon und Charles Darwin u.a. auch Francis Galton, Arthur Gobineau, Ernst Häckel, Paul de Lagarde und Eugen Dühring gelesen, die ihm wichtige rassentheoretische Impulse lieferten. Vgl. Janz 1993= 404-441. Allerdings war Nietzsche in seiner facettenreichen Widersprüchlich keit nicht durchgängig der fanatische Präfaschist, zu dem er erst durch Werk manipulationen und nationalsozialistische Vereinnahmung posthum wurde. Das Eigentümliche an ihm war vielmehr sein wandlungsfahiger Binnenplura lismus, seine postmoderne Vielgestaltigkeit, die es ihm ermöglichte, ein Spek trum von konträren, aber miteinander verbundenen Positionen einzunehmen, die bis zur Vorstellung einer » arischen Eroberer- und Herren-Rasse« reichten (Nietzsche 1999C: Aphor. 5, 101). Allen Wandlungen und Diskontinuitäten zum Trotz scheint diese Ausformulierung eines essentialistischen Postmoder nismus bei Nietzsche als ideengeschichtlicher Zusammenhang auch in heuti gen Diskussionen über Hybridisierung und ethnisch-kulturellen Fetischismus eine Rolle zu spielen.
Vermischung als Symptom von Kulturverfal l u n d Gesellschafts krise I
33
abzeichnet. Unter dem programmatischen Titel »Die Revolution in der Poesie« beschrieb er zunächst eine nutzbringende Öffnung, die sich an der exotischen Authentizität kultureller Differenzen erfreut:
»Zwar genießen wir durch jene Entfesselung eine Zeitlang die Poesien aller Völker, alles an verborgenen Stellen Aufgewachsene. Urwüchsige, Wildblühende, Wunderlich-Schöne und Riesen haft-Unregelmäßige, vom Volksliede an bis zum >großen Barbaren< Shakespeare hi nauf; wir schmecken die Freuden der lokalfarbe und des Zeitkostüms, die allen künstleri schen Völkern bisher fremd waren; wir benutzen reichlich die >barbarischen Avantagen( unserer Zeit(( (Nietzsche 1 999b: Aphor. 2 2 1 , 74) . Diese Situation wird jedoch nur als ein vorübergehender Zustand angesehen, der durch eine Entwicklung aufgehoben wird, die wir heute als Globalisierung bezeichnen. Sie forciert eine Tendenz in der Moderne, die sich im dekonstruktiven Spiel mit historischen Dekora tionen und kulturellen Zitaten ausdrückt. Trotz der universalen Rhe torik hatte Nietzsche. wie die meisten der ihm nachfolgenden Theore tiker der Postmoderne, nur europäische Kulturen und Künstler im Blick:
»Die hereinbrechende Flut von Poesien aller Stile aller Völker muß ja allmählich das Erd reich hinwegschwemmen, auf dem ein stilles verborgenes Wachstum noch möglich gewesen wäre; alle Dichter müssen ja experimentierende Nachahmer. waghalsige Kopisten werden, mag ihre Kraft von Anbeginn noch so groß seim( (ebd.: Aphor. 12 / , 741.).12 Angefangen vom immer wieder vorgebrachten Nihilismus-Vorwurf, 1 2 I An anderen Stellen deutet Nietzsche an, dass man auch als ironi scher Kulturdekonstruktivist einer karnevalesken Hybridität (post-)modern, eklektisch, selbstverliebt und eurozentriert zugleich sein kann: »Der europäi sche Mischmensch [.. .] braucht schlechterdings ein Kostüm: er hat die Historie nötig als die Vorratskammer der Kostüme. Freilich bemerkt er dabei, daß ihm keines recht auf den Leib paßt - er wechselt und wechselt. Man sehe sich das neunzehnte Jahrhundert auf diese schnellen Vorlieben und Wechsel der Stil Maskeraden an; auch auf die Augenblicke der Verzweiflung darüber, daß uns >nichts steht< -. Unnütz, sich romantisch oder klassisch oder christlich oder flo rentinisch oder barokko oder >national< vorzuführen, in moribus et artibus: es >kleidet nichtKos tüme<, ich meine der Moralen, Glaubensartikel, Kunstgeschmäcker und Reli gionen, vorbereitet, wie noch keine Zeit es war, zum Karneval großen Stils, zum geistigsten Faschingsgelächter und Übermut, zur transzendentalen Höhe des höchsten Blödsinns und der aristophanischen Welt-Verspottung. Vielleicht, daß wir hier gerade das Reich unserer Erfindung noch entdecken, jenes Reich, wo auch wir noch original sein können, etwa als Parodisten der Weltgeschichte und Hanswürste Gottes« (Nietzsche 1954b: Aphor. 223, 686).
32 I Hype um Hybrid ität für geniale »Raubmenschen« wie Cesare Borgia und Napoleon, die er als »Synthesis von Unmensch und Übermensch« (1999C: Aphor. 16, II 5) glorifizierte. In solchen überragenden Individuen sah er die Kei me einer überlegenen »Rasse«. Beide Formen des Übermenschen scheinen sich für Nietzsche - der sich gänzlich als Europäer verstand - im Bild der »blonden Bestie« zu vereinen, die den wahren Daseins grund oder die gesunde menschliche Natur darstellt. In einer akzentu ierten Beschreibung des kollektiven Übermenschen verherrlichte Nietzsche ihn als »eine Rasse mit eigener Lebenssphäre, mit einem Überschuß von Kraft für Schönheit, Tapferkeit, Kultur, Manier bis ins Geistigste« (1954a: Aphor. 898, 522). So eindeutig diese rassenfIxierten Vorstellungen in die virulenten sozialdarwinistischen und eugenischen Diskurse seiner Zeit einge bunden waren," so unzweifelhaft ist es auch, dass Nietzsches vielfach gebrochenes Weltbild zerstreuter ist, als diese Auszüge es vermuten lassen. Da eine umfassende Werksexegese unseren Rahmen sprengen würde, möchte ich die nietzscheanische Zwiespältigkeit nur in Bezug auf Vermischungslogik und postmoderne Kultur aufzeigen. Für den hier diskutierten Kontext ist es bedeutsam, dass Nietzsche einerseits die Tradition der Dämonisierung des Hybriden fortsetzte und geläufI ge Binäroppositionen der europäischen Philosophie verfestigte, ande rerseits eben diese Zusammenhänge in anderen Momenten durch die antipodische » Umwertung aller Werte« zu untergraben gedachte. Indem die Metaphysik zum Ausgangspunkt ihrer eigenen »Verwin dung« (Heidegger) wurde, wurde eine multiple Denkweise ermög licht, die die ambivalenten Überschneidungen von Vielfalt zulässt. In Nietzsches Betrachtungen zur Kunst wurde bereits eine postmoderne Kondition antizipiert, wie sie sich gegenwärtig in der Entwicklung vom statischen Multikulturalismus zu einer hybriden Kulturdynamik 1 1 I Nietzsche hatte neben Platon und Charles Darwin u.a. auch Francis Galton, Arthur Gobineau, Ernst Häckel, Paul de Lagarde und Eugen Dühring gelesen, die ihm wichtige rassentheoretische Impulse lieferten. Vgl. Janz 1993= 404-441. Allerdings war Nietzsche in seiner facettenreichen Widersprüchlich keit nicht durchgängig der fanatische Präfaschist, zu dem er erst durch Werk manipulationen und nationalsozialistische Vereinnahmung posthum wurde. Das Eigentümliche an ihm war vielmehr sein wandlungsfahiger Binnenplura lismus, seine postmoderne Vielgestaltigkeit, die es ihm ermöglichte, ein Spek trum von konträren, aber miteinander verbundenen Positionen einzunehmen, die bis zur Vorstellung einer » arischen Eroberer- und Herren-Rasse« reichten (Nietzsche 1999C: Aphor. 5, 101). Allen Wandlungen und Diskontinuitäten zum Trotz scheint diese Ausformulierung eines essentialistischen Postmoder nismus bei Nietzsche als ideengeschichtlicher Zusammenhang auch in heuti gen Diskussionen über Hybridisierung und ethnisch-kulturellen Fetischismus eine Rolle zu spielen.
Vermischung als Symptom von Kulturverfal l u n d Gesellschafts krise I
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abzeichnet. Unter dem programmatischen Titel »Die Revolution in der Poesie« beschrieb er zunächst eine nutzbringende Öffnung, die sich an der exotischen Authentizität kultureller Differenzen erfreut:
»Zwar genießen wir durch jene Entfesselung eine Zeitlang die Poesien aller Völker, alles an verborgenen Stellen Aufgewachsene. Urwüchsige, Wildblühende, Wunderlich-Schöne und Riesen haft-Unregelmäßige, vom Volksliede an bis zum >großen Barbaren< Shakespeare hi nauf; wir schmecken die Freuden der lokalfarbe und des Zeitkostüms, die allen künstleri schen Völkern bisher fremd waren; wir benutzen reichlich die >barbarischen Avantagen( unserer Zeit(( (Nietzsche 1 999b: Aphor. 2 2 1 , 74) . Diese Situation wird jedoch nur als ein vorübergehender Zustand angesehen, der durch eine Entwicklung aufgehoben wird, die wir heute als Globalisierung bezeichnen. Sie forciert eine Tendenz in der Moderne, die sich im dekonstruktiven Spiel mit historischen Dekora tionen und kulturellen Zitaten ausdrückt. Trotz der universalen Rhe torik hatte Nietzsche. wie die meisten der ihm nachfolgenden Theore tiker der Postmoderne, nur europäische Kulturen und Künstler im Blick:
»Die hereinbrechende Flut von Poesien aller Stile aller Völker muß ja allmählich das Erd reich hinwegschwemmen, auf dem ein stilles verborgenes Wachstum noch möglich gewesen wäre; alle Dichter müssen ja experimentierende Nachahmer. waghalsige Kopisten werden, mag ihre Kraft von Anbeginn noch so groß seim( (ebd.: Aphor. 12 / , 741.).12 Angefangen vom immer wieder vorgebrachten Nihilismus-Vorwurf, 1 2 I An anderen Stellen deutet Nietzsche an, dass man auch als ironi scher Kulturdekonstruktivist einer karnevalesken Hybridität (post-)modern, eklektisch, selbstverliebt und eurozentriert zugleich sein kann: »Der europäi sche Mischmensch [.. .] braucht schlechterdings ein Kostüm: er hat die Historie nötig als die Vorratskammer der Kostüme. Freilich bemerkt er dabei, daß ihm keines recht auf den Leib paßt - er wechselt und wechselt. Man sehe sich das neunzehnte Jahrhundert auf diese schnellen Vorlieben und Wechsel der Stil Maskeraden an; auch auf die Augenblicke der Verzweiflung darüber, daß uns >nichts steht< -. Unnütz, sich romantisch oder klassisch oder christlich oder flo rentinisch oder barokko oder >national< vorzuführen, in moribus et artibus: es >kleidet nichtKos tüme<, ich meine der Moralen, Glaubensartikel, Kunstgeschmäcker und Reli gionen, vorbereitet, wie noch keine Zeit es war, zum Karneval großen Stils, zum geistigsten Faschingsgelächter und Übermut, zur transzendentalen Höhe des höchsten Blödsinns und der aristophanischen Welt-Verspottung. Vielleicht, daß wir hier gerade das Reich unserer Erfindung noch entdecken, jenes Reich, wo auch wir noch original sein können, etwa als Parodisten der Weltgeschichte und Hanswürste Gottes« (Nietzsche 1954b: Aphor. 223, 686).
34 I
Vermischung als Symptom von K u l tu rverfall und Gesel lschaftskrise I
Hype u m Hybridität
35
über die Auflösung von historischen Logiken wie Wahrheit, Subjekt
Übermenschen zu gelangen. '4 Diese Überzeugung folgt der kulturge
und Totalität, zur Unmöglichkeit gesellschaftlicher Teleologie und
schichtlichen Idee des Übermenschen, dessen Konzept offensichtlich
Homogenität bis hin zur Aufwertung von Differenz, Pluralität und
transgressiv angelegt ist. '5 Die Idee der Menschenzüchtung ist nicht
Unreinheit sind die genealogischen Verbindungen zwischen Nietz
so neu und radikal, wie man meinen könnte, sondern wurde - wenn
sche und postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theorien so
auch ohne den modemen rassistischen Überbau, allerdings bereits
innig, dass seine Nachfolger ihn als Gründungsgroßvater adoptiert
mit xenophobischen Anklängen - bereits von Platon in »Der Staat«
haben. Ein stattliche Reihe >postmoderner< Philosophen wie Deleuze,
(Fünftes Buch) durchdacht. Platons Schriften hatten weitreichenden
Derrida, Lyotard, Rorty und Vattimo gelten als »Nietzsches Erben«,
Einfluss auf die europäische Geistesgeschichte, weil sie anscheinend
und Foucault geht sogar als sein »Doppelgänger« durch (vgl. Zima
einige der für die europäische Entwicklung wesentlichen Wünsche
1997: 114-145).'3
und Ängste artikulierten. So fand seine berühmte Staatskonzeption
Wie ich zu zeigen versucht habe, ist bei Nietzsche, der als Grenz
U.a. auch bei frühen Sozialutopisten wie Thomas Morus (1478-1535)
gänger an der ambivalenten Schnittstelle zwischen europäischer Tra
und Tommaso Campanella (1568-1639) Eingang. Letzterer griff auch
dition und philosophischer Postmoderne pendelt, die Frage der Ver
Platons Vorschlag für eine gesetzliche Auswahl der menschlichen
mischung zweifach beantwortet worden: kultur-dekonstruktivistisch und biologistischjessentialistisch. Während sich dieser Konnex bei
Bio-Reproduktion auf, um die Bevölkerung durch zielgerichtete Züch tung zu optimieren.,6
Nietzsche noch offen abbildete, tritt er in der aktuellen Diskussion
Bei Platon wie bei Nietzsche ist das Wertvolle am Menschen
postmoderner Hybriditätskonzepte meist in Form verdeckter Blind
durch eine klassisch anmutende Ästhetisierung überlegener Männ
steIlen und verleugneter Präsenzen auf. Das Verschwiegene kehrt in
lichkeit und Weisheit gekennzeichnet, die kultisch überhöht wird. Wie
der heutigen Konstruktion kultureller Hybridisierungen als unausge
der nietzscheanische Übermensch baut Platons elitäre Konzeption auf
sprochene Essenz der Modeme wieder ins Spiel der Signifikanten zurück. Sie setzt sich fort und übersetzt sich dabei durch die Anru fung von Authentizität, Ethnisierung und Identität in eine profitable Ökonomie der Exotisierung, Verführung und Sinnlichkeit, die die populären Kulturcodes der spätkapitalistischen Postmoderne darstel len - wie ich im nächsten Kapitel ausführlicher problematisieren wer de. Nur wenn wir auch diese Grundlagen der Hybridität in den Blick nehmen, können wir Hinweise auf ihre strukturellen Defizite und ideologischen Querverbindungen erhalten. Spätestens vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund gewinnt die Auseinandersetzung mit Nietzsches langem Atem an Aktualität. Kongruent zur Rezeption Nietzsches, die im Gleichklang mit der Zeitgeschichte vom Faschismus zur Postmoderne schreitet, verlagert sich auch die Diskussion über Vermischungsfragen vom Biologismus zum Kulturkonstruktivismus. Parallel zur Nietzsches übermenschli cher Präsenz in der Gegenwartsphilosophie dehnt sich auch der lange Schatten des 19. Jahrhundert weit über seine zeitliche Begrenzung hinaus aus. Entsprechend wurden bis zu den kulturellen Anfangen der Postmoderne Mitte des
20. Jahrhunderts Hybridisierungsdiskurse
uneingeschränkt von soziobiologistischen Ideologemen beherrscht. Nietzsche selbst sah in den Ideen der Menschenzüchtung und »Ras senvermischung« einen gangbaren Weg, um zum Idealbild des
13
199°·
I Aus der umfangreichen Literatur siehe auch Gedö 1990 sowie Koelb
1 4 I In einer Vision, die sich zuweilen an gängigen Stereotypen orientier· te, glaubte Nietzsche eine »heitere Deutschtümelei« erschaffen zu können, wenn sich dem »adligen Offizier aus der Mark« mit seiner »erblichen Kunst des Befehlens und Gehorchens« noch das jüdische »Genie des Geldes und der Geduld (und vor allem etwas Geistigkeit) [...] hinzuzüchten ließe« (Nietzsche 1954b: Aphor. 251; 718). 1 5 I Vor Nietzsche fand sich die zutiefst menschliche Idee des gottglei chen Übermenschen bereits bei Herder und Goethe (»Prometheus«, »Faust«). Sie wurden durch Lessings Übertragung des Ausdrucks »more than human« ins Deutsche inspiriert, der in der englischen Literatursprache den dichteri schen Genius umschrieb (vgl. Eisler 1912: Bd. 2, 540; Mauthner 1923: 144f.). Grenzüberschreitung als schöpferisches Streben nach Einzigartigkeit und Pro duktivität spielt bis heute für die Faszination von Hybridität eine entscheiden de Rolle. 1 6 I Im Unterschied zu »Utopia« (1516) von Thomas Morus, der im Ka pitel >>Vom gegenseitigen Verkehre« die expansive Bevölkerungsdynamik durch Koloniebildung kanalisieren will, ordnet Tommaso Campanella die bio logische Reproduktion als selektiven Vorgang den Staatsdiensten unter. Durch ein »Gesetz der Zuchtauswahl« soll die menschliche Zeugung zur Wahrung des Imperativs der » Rassenverbesserung« öffentlicher Kontrolle unterliegen: » Große und schöne Frauen werden nur mit großen, wohlgebauten Männern gepaart; die beleibten Frauen mit mageren Männern; umgekehrt werden schlanke Frauen für starkleibige Männer aufbewahrt, damit aus der Mischung ihrer Temperamente eine vortrefflich geartete Rasse hervorgehe« (Campanella 1900: 25)·
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Vermischung als Symptom von K u l tu rverfall und Gesel lschaftskrise I
Hype u m Hybridität
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über die Auflösung von historischen Logiken wie Wahrheit, Subjekt
Übermenschen zu gelangen. '4 Diese Überzeugung folgt der kulturge
und Totalität, zur Unmöglichkeit gesellschaftlicher Teleologie und
schichtlichen Idee des Übermenschen, dessen Konzept offensichtlich
Homogenität bis hin zur Aufwertung von Differenz, Pluralität und
transgressiv angelegt ist. '5 Die Idee der Menschenzüchtung ist nicht
Unreinheit sind die genealogischen Verbindungen zwischen Nietz
so neu und radikal, wie man meinen könnte, sondern wurde - wenn
sche und postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theorien so
auch ohne den modemen rassistischen Überbau, allerdings bereits
innig, dass seine Nachfolger ihn als Gründungsgroßvater adoptiert
mit xenophobischen Anklängen - bereits von Platon in »Der Staat«
haben. Ein stattliche Reihe >postmoderner< Philosophen wie Deleuze,
(Fünftes Buch) durchdacht. Platons Schriften hatten weitreichenden
Derrida, Lyotard, Rorty und Vattimo gelten als »Nietzsches Erben«,
Einfluss auf die europäische Geistesgeschichte, weil sie anscheinend
und Foucault geht sogar als sein »Doppelgänger« durch (vgl. Zima
einige der für die europäische Entwicklung wesentlichen Wünsche
1997: 114-145).'3
und Ängste artikulierten. So fand seine berühmte Staatskonzeption
Wie ich zu zeigen versucht habe, ist bei Nietzsche, der als Grenz
U.a. auch bei frühen Sozialutopisten wie Thomas Morus (1478-1535)
gänger an der ambivalenten Schnittstelle zwischen europäischer Tra
und Tommaso Campanella (1568-1639) Eingang. Letzterer griff auch
dition und philosophischer Postmoderne pendelt, die Frage der Ver
Platons Vorschlag für eine gesetzliche Auswahl der menschlichen
mischung zweifach beantwortet worden: kultur-dekonstruktivistisch und biologistischjessentialistisch. Während sich dieser Konnex bei
Bio-Reproduktion auf, um die Bevölkerung durch zielgerichtete Züch tung zu optimieren.,6
Nietzsche noch offen abbildete, tritt er in der aktuellen Diskussion
Bei Platon wie bei Nietzsche ist das Wertvolle am Menschen
postmoderner Hybriditätskonzepte meist in Form verdeckter Blind
durch eine klassisch anmutende Ästhetisierung überlegener Männ
steIlen und verleugneter Präsenzen auf. Das Verschwiegene kehrt in
lichkeit und Weisheit gekennzeichnet, die kultisch überhöht wird. Wie
der heutigen Konstruktion kultureller Hybridisierungen als unausge
der nietzscheanische Übermensch baut Platons elitäre Konzeption auf
sprochene Essenz der Modeme wieder ins Spiel der Signifikanten zurück. Sie setzt sich fort und übersetzt sich dabei durch die Anru fung von Authentizität, Ethnisierung und Identität in eine profitable Ökonomie der Exotisierung, Verführung und Sinnlichkeit, die die populären Kulturcodes der spätkapitalistischen Postmoderne darstel len - wie ich im nächsten Kapitel ausführlicher problematisieren wer de. Nur wenn wir auch diese Grundlagen der Hybridität in den Blick nehmen, können wir Hinweise auf ihre strukturellen Defizite und ideologischen Querverbindungen erhalten. Spätestens vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund gewinnt die Auseinandersetzung mit Nietzsches langem Atem an Aktualität. Kongruent zur Rezeption Nietzsches, die im Gleichklang mit der Zeitgeschichte vom Faschismus zur Postmoderne schreitet, verlagert sich auch die Diskussion über Vermischungsfragen vom Biologismus zum Kulturkonstruktivismus. Parallel zur Nietzsches übermenschli cher Präsenz in der Gegenwartsphilosophie dehnt sich auch der lange Schatten des 19. Jahrhundert weit über seine zeitliche Begrenzung hinaus aus. Entsprechend wurden bis zu den kulturellen Anfangen der Postmoderne Mitte des
20. Jahrhunderts Hybridisierungsdiskurse
uneingeschränkt von soziobiologistischen Ideologemen beherrscht. Nietzsche selbst sah in den Ideen der Menschenzüchtung und »Ras senvermischung« einen gangbaren Weg, um zum Idealbild des
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199°·
I Aus der umfangreichen Literatur siehe auch Gedö 1990 sowie Koelb
1 4 I In einer Vision, die sich zuweilen an gängigen Stereotypen orientier· te, glaubte Nietzsche eine »heitere Deutschtümelei« erschaffen zu können, wenn sich dem »adligen Offizier aus der Mark« mit seiner »erblichen Kunst des Befehlens und Gehorchens« noch das jüdische »Genie des Geldes und der Geduld (und vor allem etwas Geistigkeit) [...] hinzuzüchten ließe« (Nietzsche 1954b: Aphor. 251; 718). 1 5 I Vor Nietzsche fand sich die zutiefst menschliche Idee des gottglei chen Übermenschen bereits bei Herder und Goethe (»Prometheus«, »Faust«). Sie wurden durch Lessings Übertragung des Ausdrucks »more than human« ins Deutsche inspiriert, der in der englischen Literatursprache den dichteri schen Genius umschrieb (vgl. Eisler 1912: Bd. 2, 540; Mauthner 1923: 144f.). Grenzüberschreitung als schöpferisches Streben nach Einzigartigkeit und Pro duktivität spielt bis heute für die Faszination von Hybridität eine entscheiden de Rolle. 1 6 I Im Unterschied zu »Utopia« (1516) von Thomas Morus, der im Ka pitel >>Vom gegenseitigen Verkehre« die expansive Bevölkerungsdynamik durch Koloniebildung kanalisieren will, ordnet Tommaso Campanella die bio logische Reproduktion als selektiven Vorgang den Staatsdiensten unter. Durch ein »Gesetz der Zuchtauswahl« soll die menschliche Zeugung zur Wahrung des Imperativs der » Rassenverbesserung« öffentlicher Kontrolle unterliegen: » Große und schöne Frauen werden nur mit großen, wohlgebauten Männern gepaart; die beleibten Frauen mit mageren Männern; umgekehrt werden schlanke Frauen für starkleibige Männer aufbewahrt, damit aus der Mischung ihrer Temperamente eine vortrefflich geartete Rasse hervorgehe« (Campanella 1900: 25)·
36 I Hype um Hybridi tät eine Herrschaft der Besten. Dem »Bastard« diametral entgegengesetzt steht im platonischen Denken das Idealbild der Philosophenkönige. Diese personifizieren eine organisch-intellektuelle Perfektion, die die Einheit von athletischem Körper und erhabenem Geist propagiert, welches aus der Symbiose des Kriegers mit dem Philosophen, des Naturwissenschaftlers mit dem Künstler geboren wird (Hirschberger 1980: Bd. I, 131-134). Daher forderte Platon eine Bevölkerungspolitik, die sich auf Elemente der >positiven< und negativen Eugenik stützt:
))Es müssen [ . . . ] die besten Männer den besten Weibern möglichst oft beiwohnen, und die schlechtesten Männer den schlechtesten Weibern möglichst selten, und die Kinder der einen muß man aufziehen, die der andern aber nicht, wenn die Herde möglichst vorzüg lich sein soll.« I) Was als gesellschaftlicher Wertediskurs und >ästhetische< Frage an fmg, fand schließlich als eugenische Selektionspolitik eine Konse quenz, die konkret auch die Vernichtung des »unwerten Lebens« mit einschloss: »Mißgestaltete Kinder sind auszusetzen. Der seelisch Un heilbare und von Natur aus Schlechte, das heißt sittlich total Verdor bene, ist zu töten« (Hirschberger 1980: Bd. I, 132). Platons Ansicht, dass Vermischung und Unreinheit zwangsläufig zur kultureller und biologischer Herabsetzung des Hochstehenden führt, und sein radika ler >Lösungsansatz< sollten in der Neuzeit durch das Zusammenwir ken vom modernen Rassismus und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert eine ungeheuere Reaktualisierung erfahren. Mit der Publizität, die die >Wiederentdeckung< des Hybriden als biologischen »Rassenbastard« erfuhr, wurde auch die Rassenanthro pologie und sozialdarwinistische Eugenik aufgewertet. Diese interna tional bis Mitte des 20. Jahrhunderts angesehenen Wissenschaftsbe wegungen sahen darin eine naturwissenschaftliche Fundierung ihrer rassistischen Positionen (Kühl 1997) . Im Zeitalter des Imperialismus konnten sich kolonialrassistische Denkmuster auf einen breiten ge sellschaftlichen Konsens berufen, der oftmals zur Grundlage staatli cher Praxis wurde. Überzeugungen, die wie selbstverständlich von der Überlegenheit der »weißen Rasse« ausgingen und vor den vielfaltigen Gefahren der »Rassenschande« warnten, galten zu dieser Zeit als gesichertes Wissen. In Deutschland fand die rassistische Eugenik um die Jahrhundertwende besonders viele Anhänger, die oft gesellschaft lichen Eliten angehörten. 1 7 I Platon I940: Bd. 2, I75. ZU Lebzeiten Platons wurde in seiner Athe ner Polis unter Perikles 457 v.ehr. ein sog. »Bastardgesetz« erlassen, das die Eheschließung zwischen athenischen Bürgern und fremden Frauen verbat und Kinder aus solchen Beziehungskonstellationen nicht anerkannte (Heuss 199I: 278).
Vermischung als Symptom von Kultu rverfall und Gesellschaftskrise I 37 Eine herausragende Figur im rassenbiologistischen Diskurs war Eugen Fischer, der die Ergebnisse seiner >wissenschaftlichen< Feldex pedition im kolonialen »Deutsch-Südwestafrika« unter dem Titel »Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Men schen« (1913) veröffentlichte. Unter den damaligen Bedingungen wurde dieses Buch rasch zu einem Standardwerk, und sein Autor stieg zu einem international geachteten Gelehrten auf. Fischers zeitgenös sischer Ruhm resultierte vor allem daraus, dass er die Ergebnisse der Mendel'schen Regeln, die bis dahin nur für Kreuzungen mit Pflanzen und Tierarten als bestätigt galten, auch auf die menschliche Spezies übertrug. Trotz konträrer Ergebnisse wollte Fischer die weitverbreite ten Behauptungen über die nachteiligen bis gefahrlichen Auswirkun gen der »rassischen« und kulturellen Vermischung beim Menschen bestätigen. Fischer ist nur ein Beispiel dafür wie biologistischer Rassismus in Deutschland verwissenschaftlicht wurde und aufgrund der gesell schaftlichen Nachfrage akademische Karrieren nicht nur während der NS-Zeit ermöglichte. In Deutschland formierte sich bereits in der Weimarer Republik eine aggressive »Rassenbiologie und -hygiene« als politische Wissenschaft. Ihre universitären Vertreter beteiligten sich später aktiv an der nationalsozialistischen Selektions-, Vertreibungs und Vernichtungspolitik und waren - wie Otto Reche - häufig beken nende Nationalsozialisten (Ha 2oo3a: 136-157). Erst die Nachbeben des Holocaust konnten diese etablierten rassistischen Diskurse für eine breitere Öffentlichkeit diskreditieren, wobei in einigen Fächern - wie etwa der Anthropologie und Ethnologie - erst Ende der 1960er Jahre ein nennenswerter Bruch mit biologistischen und kolonialen Wissen schaftstraditionen erfolgte (Lüddecke 2000). Im Nachkriegsdeutsch land wurden Berufserfahrungen als »Rassenhygieniker« nicht not wendigerweise als wissenschaftliche Disqualifizierung gewertet.
36 I Hype um Hybridi tät eine Herrschaft der Besten. Dem »Bastard« diametral entgegengesetzt steht im platonischen Denken das Idealbild der Philosophenkönige. Diese personifizieren eine organisch-intellektuelle Perfektion, die die Einheit von athletischem Körper und erhabenem Geist propagiert, welches aus der Symbiose des Kriegers mit dem Philosophen, des Naturwissenschaftlers mit dem Künstler geboren wird (Hirschberger 1980: Bd. I, 131-134). Daher forderte Platon eine Bevölkerungspolitik, die sich auf Elemente der >positiven< und negativen Eugenik stützt:
))Es müssen [ . . . ] die besten Männer den besten Weibern möglichst oft beiwohnen, und die schlechtesten Männer den schlechtesten Weibern möglichst selten, und die Kinder der einen muß man aufziehen, die der andern aber nicht, wenn die Herde möglichst vorzüg lich sein soll.« I) Was als gesellschaftlicher Wertediskurs und >ästhetische< Frage an fmg, fand schließlich als eugenische Selektionspolitik eine Konse quenz, die konkret auch die Vernichtung des »unwerten Lebens« mit einschloss: »Mißgestaltete Kinder sind auszusetzen. Der seelisch Un heilbare und von Natur aus Schlechte, das heißt sittlich total Verdor bene, ist zu töten« (Hirschberger 1980: Bd. I, 132). Platons Ansicht, dass Vermischung und Unreinheit zwangsläufig zur kultureller und biologischer Herabsetzung des Hochstehenden führt, und sein radika ler >Lösungsansatz< sollten in der Neuzeit durch das Zusammenwir ken vom modernen Rassismus und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert eine ungeheuere Reaktualisierung erfahren. Mit der Publizität, die die >Wiederentdeckung< des Hybriden als biologischen »Rassenbastard« erfuhr, wurde auch die Rassenanthro pologie und sozialdarwinistische Eugenik aufgewertet. Diese interna tional bis Mitte des 20. Jahrhunderts angesehenen Wissenschaftsbe wegungen sahen darin eine naturwissenschaftliche Fundierung ihrer rassistischen Positionen (Kühl 1997) . Im Zeitalter des Imperialismus konnten sich kolonialrassistische Denkmuster auf einen breiten ge sellschaftlichen Konsens berufen, der oftmals zur Grundlage staatli cher Praxis wurde. Überzeugungen, die wie selbstverständlich von der Überlegenheit der »weißen Rasse« ausgingen und vor den vielfaltigen Gefahren der »Rassenschande« warnten, galten zu dieser Zeit als gesichertes Wissen. In Deutschland fand die rassistische Eugenik um die Jahrhundertwende besonders viele Anhänger, die oft gesellschaft lichen Eliten angehörten. 1 7 I Platon I940: Bd. 2, I75. ZU Lebzeiten Platons wurde in seiner Athe ner Polis unter Perikles 457 v.ehr. ein sog. »Bastardgesetz« erlassen, das die Eheschließung zwischen athenischen Bürgern und fremden Frauen verbat und Kinder aus solchen Beziehungskonstellationen nicht anerkannte (Heuss 199I: 278).
Vermischung als Symptom von Kultu rverfall und Gesellschaftskrise I 37 Eine herausragende Figur im rassenbiologistischen Diskurs war Eugen Fischer, der die Ergebnisse seiner >wissenschaftlichen< Feldex pedition im kolonialen »Deutsch-Südwestafrika« unter dem Titel »Die Rehobother Bastards und das Bastardisierungsproblem beim Men schen« (1913) veröffentlichte. Unter den damaligen Bedingungen wurde dieses Buch rasch zu einem Standardwerk, und sein Autor stieg zu einem international geachteten Gelehrten auf. Fischers zeitgenös sischer Ruhm resultierte vor allem daraus, dass er die Ergebnisse der Mendel'schen Regeln, die bis dahin nur für Kreuzungen mit Pflanzen und Tierarten als bestätigt galten, auch auf die menschliche Spezies übertrug. Trotz konträrer Ergebnisse wollte Fischer die weitverbreite ten Behauptungen über die nachteiligen bis gefahrlichen Auswirkun gen der »rassischen« und kulturellen Vermischung beim Menschen bestätigen. Fischer ist nur ein Beispiel dafür wie biologistischer Rassismus in Deutschland verwissenschaftlicht wurde und aufgrund der gesell schaftlichen Nachfrage akademische Karrieren nicht nur während der NS-Zeit ermöglichte. In Deutschland formierte sich bereits in der Weimarer Republik eine aggressive »Rassenbiologie und -hygiene« als politische Wissenschaft. Ihre universitären Vertreter beteiligten sich später aktiv an der nationalsozialistischen Selektions-, Vertreibungs und Vernichtungspolitik und waren - wie Otto Reche - häufig beken nende Nationalsozialisten (Ha 2oo3a: 136-157). Erst die Nachbeben des Holocaust konnten diese etablierten rassistischen Diskurse für eine breitere Öffentlichkeit diskreditieren, wobei in einigen Fächern - wie etwa der Anthropologie und Ethnologie - erst Ende der 1960er Jahre ein nennenswerter Bruch mit biologistischen und kolonialen Wissen schaftstraditionen erfolgte (Lüddecke 2000). Im Nachkriegsdeutsch land wurden Berufserfahrungen als »Rassenhygieniker« nicht not wendigerweise als wissenschaftliche Disqualifizierung gewertet.
Hybride Revolution: Das postmoderne Versprechen ei ner unentdeckten Terra N ova
Betrachten wir heutige Hybriditätsdiskurse, dann lassen sich nicht nur im Journalismus, sondern auch im sozial- und kulturwissenschaftli chen Bereich Tendenzen beobachten, die zwischen Geschichtsverges senheit und Geschichtsrevisionismus changieren. Statt historischen Kontextualisierungen, Problematisierungen oder Fragen nach eman zipativen Gehalten herrscht häufig eine Orientierung vor, die sehr stark auf Zukunftspotentiale, Fortschritt und Produktivität ausgerich tet ist. Ikonographisch wird diese Entwicklung etwa auf dem Titelco ver der symbolträchtigen Millenniumsausgabe des Duden-Fremd wörterbuchs (2000) abgebildet. Von anderen Novitäten wie »Incen tive« und zirkulierenden Modewörtern wie »Migration« hebt sich der Begriff »hybrid« visuell durch eine überdimensionale Präsentation und eine bildbeherrschende Stellung in der Bildmitte ab, wodurch er zur Hauptattraktion stilisiert wird. Allen Anschein nach schlägt die in allen sprachlichen Zweifelsfällen maßgebliche Duden-Redaktion, die sich in den letzten Jahren besonders um aktuelle Trends bemüht, Hybridität als herausragenden Schlüsselterminus für das angehende Jahrtausend vor. Warum wird Hybridität als das Novum schlechthin verkauft, ob wohl sie ganz offensichtlich über eine lange, wenn auch verschüttete Kulturgeschichte verfügt? Und warum ist ausgerechnet dieser Begriff gegenwärtig so dominant und sexy, obwohl er bis vor wenigen Jahren nur ein angestaubter Fachterminus in der Biologie war? Während das Hybride in seiner Kulturgeschichte ausschließlich negativ assoziiert wurde, wird es in Gegenwartsdiskursen einhellig positiv wahrge nommen. Um diesen diametralen Wertewandel und epistemologi schen Bruch nachzuvollziehen, ist es unerlässlich, Hybridität auch als technischen Terminus zu untersuchen. Die generelle Bedingtheit von
Hybride Revolution: Das postmoderne Versprechen ei ner unentdeckten Terra N ova
Betrachten wir heutige Hybriditätsdiskurse, dann lassen sich nicht nur im Journalismus, sondern auch im sozial- und kulturwissenschaftli chen Bereich Tendenzen beobachten, die zwischen Geschichtsverges senheit und Geschichtsrevisionismus changieren. Statt historischen Kontextualisierungen, Problematisierungen oder Fragen nach eman zipativen Gehalten herrscht häufig eine Orientierung vor, die sehr stark auf Zukunftspotentiale, Fortschritt und Produktivität ausgerich tet ist. Ikonographisch wird diese Entwicklung etwa auf dem Titelco ver der symbolträchtigen Millenniumsausgabe des Duden-Fremd wörterbuchs (2000) abgebildet. Von anderen Novitäten wie »Incen tive« und zirkulierenden Modewörtern wie »Migration« hebt sich der Begriff »hybrid« visuell durch eine überdimensionale Präsentation und eine bildbeherrschende Stellung in der Bildmitte ab, wodurch er zur Hauptattraktion stilisiert wird. Allen Anschein nach schlägt die in allen sprachlichen Zweifelsfällen maßgebliche Duden-Redaktion, die sich in den letzten Jahren besonders um aktuelle Trends bemüht, Hybridität als herausragenden Schlüsselterminus für das angehende Jahrtausend vor. Warum wird Hybridität als das Novum schlechthin verkauft, ob wohl sie ganz offensichtlich über eine lange, wenn auch verschüttete Kulturgeschichte verfügt? Und warum ist ausgerechnet dieser Begriff gegenwärtig so dominant und sexy, obwohl er bis vor wenigen Jahren nur ein angestaubter Fachterminus in der Biologie war? Während das Hybride in seiner Kulturgeschichte ausschließlich negativ assoziiert wurde, wird es in Gegenwartsdiskursen einhellig positiv wahrge nommen. Um diesen diametralen Wertewandel und epistemologi schen Bruch nachzuvollziehen, ist es unerlässlich, Hybridität auch als technischen Terminus zu untersuchen. Die generelle Bedingtheit von
40 I Hype um Hybridität Kultur und Technik, deren Gebiete miteinander verwoben sind und sich gegenseitig konstituieren, zeigt sich hier explizit. Durch das Ein beziehen naturwissenschaftlicher Diskurse können interdiskursive Interferenzen und wechselseitige Verschränkungen zwischen Technik und Kultur sowie zwischen Weltanschauung und Gesellschaft verfolgt werden (für einen Überblick siehe Böhme et al. 2000: 1°4-202). Dabei geht es mir nicht darum, die Potentiale von Hybridtechnologien auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Im Zentrum der Aufmerk samkeit steht vielmehr die Frage, welche Art von Diskurs ein postmo dern aufgeladener Hybridbegriff entfaltet und fördert. Anschließend wird thematisiert, ob das dadurch produzierte Image von Hybridität als kulturalistisches Überbauphänomen bzw. als Idiom spätkapitalisti scher Produktions- und Verwertungszusammenhänge den Stellenwert einer postmodernen Metanarration einnimmt. Als technisch-naturwissenschaftlicher Terminus bezeichnet »hyb rid« meist Prinzipien oder Modelle, in denen mindestens zwei ver schiedene, vormals voneinander getrennte Systeme, Organismen, Bereiche oder Entitäten miteinander kombiniert oder gemischt wer den, die dann ein neues, in sich differenziertes Ganzes ergeben. Durch diese Vorgehensweise können dynamische Strukturen und nicht festgelegte Formen des Uneinheitlichen konstruiert werden, die sich aus unterschiedlichen Anteilen zusammensetzen und immer wieder neu rekonfiguriert werden können. Angesichts der immensen Nachfrage nach Hybridmodellen und -technologien, die auf einen expandierenden Metadiskurs deuten, kann angenommen werden, dass die gegenwärtigen Erscheinungen weniger die Amplitude als die Vorboten einer extensiven Hybridkultur darstellen. Es scheint, dass Hybridisierung zu einem allgemeinen Entwicklungstrend wird, der zunehmend weitere Bereiche erfasst und sich universalisiert. In die sen Kontexten wird Hybridisierung zum Code erfolgversprechender Modelle und Technologien stilisiert und als Hoffnungsträger des technisch-zivilisatorischen Fortschritts gehandelt. Solche Diskurse vermitteln den Eindruck, dass nicht nur Menschen und Kulturen, sondern vor allem auch Technologien - oder allgemeiner ausgedrückt: umfassende Bereiche der Welt und des gesellschaftlichen Lebens sich unaufhaltsam mit zunehmender Geschwindigkeit hybridisieren. Die Hybridisierung selbst wird zum Synonym für das Bahnbrechende und Revolutionäre. Auch wenn in den Geisteswissenschaften Hybridität seit kurzem als neues grenzenloses Kulturmodell einen ungebremsten Aufstieg feiert, ist ihr historischer Ausgangspunkt in der Moderne doch in den Naturwissenschaften und ihren Anwendungsgebieten zu verorten. Entsprechend dieser Begriffsgeschichte und den daraus erwachsenden Tradierungen haben Diskurse über Hybridbildungen und -formen in den unterschiedlichen naturwissenschaftlichen, vor allem biowissen-
Hybride Revolution I 41 schaftlichen Disziplinen bisher einen weitaus höheren Verbreitungs grad erreicht.I Ausgangspunkt war zunächst die klassische Biologie, es folgten Chemie und Biochemie, und mit entsprechendem techni schem Know-how setzte dann verstärkt die Hybridforschung in der Mikrobiologie sowie in der Molekular- und Gentechnologie ein. Ob wohl die interdiskursiven Bezüge in sozialwissenschaftlichen, me dienwissenschaftlichen und kulturtheoretischen Erörterungen meist ausgeklammert bleiben, spielen die naturwissenschaftlichen Wahr nehmungen subtil oder offenkundig eine bedeutungsbildende Rolle für den Gesamtdiskurs. Die Fundamente des geltenden Weltbildes werden in dem Maße durch naturwissenschaftliche Befunde geformt, wie es ihnen gelingt, gesellschaftlich anerkanntes Wissen zu konstitu ieren. Durch die naturwissenschaftliche Brille lernt die Gesellschaft den abstrakten Begriff »hybrid« als ahistorisches Gebilde mit techno logischen Sinnbezügen kennen. Mittels der vermittelten Inhalte und Bilder werden positive Assoziationsketten aufgebaut, die dem Hybrid begriff ein bestimmtes Bedeutungsprofil oder Image verleihen. Diese boomende Hybridwelt lädt zu einem skizzenhaften Streifzug ein, der schon aufgrund seines exkursiven Charakters nicht systematisch und vollständig sein kann, aber interdiskursive Zusammenhänge freilegen will, um Ausmaß und Spektrum des diskutierten Gegenstandes zu kennzeichnen. Einblicke in unterschiedliche Forschungssegmente der Bio-, Computer-, Energie- und Mobilitätstechnologien, die allesamt als gesellschaftliche Schlüsselindustrien mit hohem Zukunfts- und Transformationspotential gelten, verdeutlichen den Stellenwert von Hybridität als universell verwertbares Innovationskonzept in Gegen wartsdiskursen. Das älteste in der modernen Wissenschaft verwandte Konzept der Hybridisierung ist biologischer Natur. Spätestens mit der nachträgli chen Anerkennung der Mendel'schen »Versuche über PflanzenhybriI I Um einen quantitativen Eindruck von den Relationen zu vermitteln: Während die elektronische Datenbank »The Philosopher's Index« für den Zeit raum von 1940 bis Juni 2002 insgesamt 172 Einträge mit den Suchbegriff »hybrid« anzeigt, führt die gleiche Suche in den »Biological Abstracts« allein für das erste Halbjahr 2002 zu 5509 FundsteIlen. Betrachtet man außerdem die zeitliche Verteilung, so deutet alles - selbst wenn wir die erleichterte In formationserfassung durch elektronische Datenverarbeitungssysteme berück sichtigen - auf einen explosionsartigen Anstieg von Hybriddiskursen in der letzten Dekade hin. So wurden rund drei Viertel der erfassten philosophischen Arbeiten seit 1990 publiziert, obwohl diese Periode nur einen Bruchteil des Gesamtzeitraums umfasst. Trotz des hohen Ausgangsniveaus weist ein Ver gleich der » Biological Abstracts« mit ihrer CD-ROM·Ausgabe für das erste Halbjahr 1993 mit 4519 Treffern eine beträchtliche Zunahme von ca. 20 Pro zent auf.
40 I Hype um Hybridität Kultur und Technik, deren Gebiete miteinander verwoben sind und sich gegenseitig konstituieren, zeigt sich hier explizit. Durch das Ein beziehen naturwissenschaftlicher Diskurse können interdiskursive Interferenzen und wechselseitige Verschränkungen zwischen Technik und Kultur sowie zwischen Weltanschauung und Gesellschaft verfolgt werden (für einen Überblick siehe Böhme et al. 2000: 1°4-202). Dabei geht es mir nicht darum, die Potentiale von Hybridtechnologien auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Im Zentrum der Aufmerk samkeit steht vielmehr die Frage, welche Art von Diskurs ein postmo dern aufgeladener Hybridbegriff entfaltet und fördert. Anschließend wird thematisiert, ob das dadurch produzierte Image von Hybridität als kulturalistisches Überbauphänomen bzw. als Idiom spätkapitalisti scher Produktions- und Verwertungszusammenhänge den Stellenwert einer postmodernen Metanarration einnimmt. Als technisch-naturwissenschaftlicher Terminus bezeichnet »hyb rid« meist Prinzipien oder Modelle, in denen mindestens zwei ver schiedene, vormals voneinander getrennte Systeme, Organismen, Bereiche oder Entitäten miteinander kombiniert oder gemischt wer den, die dann ein neues, in sich differenziertes Ganzes ergeben. Durch diese Vorgehensweise können dynamische Strukturen und nicht festgelegte Formen des Uneinheitlichen konstruiert werden, die sich aus unterschiedlichen Anteilen zusammensetzen und immer wieder neu rekonfiguriert werden können. Angesichts der immensen Nachfrage nach Hybridmodellen und -technologien, die auf einen expandierenden Metadiskurs deuten, kann angenommen werden, dass die gegenwärtigen Erscheinungen weniger die Amplitude als die Vorboten einer extensiven Hybridkultur darstellen. Es scheint, dass Hybridisierung zu einem allgemeinen Entwicklungstrend wird, der zunehmend weitere Bereiche erfasst und sich universalisiert. In die sen Kontexten wird Hybridisierung zum Code erfolgversprechender Modelle und Technologien stilisiert und als Hoffnungsträger des technisch-zivilisatorischen Fortschritts gehandelt. Solche Diskurse vermitteln den Eindruck, dass nicht nur Menschen und Kulturen, sondern vor allem auch Technologien - oder allgemeiner ausgedrückt: umfassende Bereiche der Welt und des gesellschaftlichen Lebens sich unaufhaltsam mit zunehmender Geschwindigkeit hybridisieren. Die Hybridisierung selbst wird zum Synonym für das Bahnbrechende und Revolutionäre. Auch wenn in den Geisteswissenschaften Hybridität seit kurzem als neues grenzenloses Kulturmodell einen ungebremsten Aufstieg feiert, ist ihr historischer Ausgangspunkt in der Moderne doch in den Naturwissenschaften und ihren Anwendungsgebieten zu verorten. Entsprechend dieser Begriffsgeschichte und den daraus erwachsenden Tradierungen haben Diskurse über Hybridbildungen und -formen in den unterschiedlichen naturwissenschaftlichen, vor allem biowissen-
Hybride Revolution I 41 schaftlichen Disziplinen bisher einen weitaus höheren Verbreitungs grad erreicht.I Ausgangspunkt war zunächst die klassische Biologie, es folgten Chemie und Biochemie, und mit entsprechendem techni schem Know-how setzte dann verstärkt die Hybridforschung in der Mikrobiologie sowie in der Molekular- und Gentechnologie ein. Ob wohl die interdiskursiven Bezüge in sozialwissenschaftlichen, me dienwissenschaftlichen und kulturtheoretischen Erörterungen meist ausgeklammert bleiben, spielen die naturwissenschaftlichen Wahr nehmungen subtil oder offenkundig eine bedeutungsbildende Rolle für den Gesamtdiskurs. Die Fundamente des geltenden Weltbildes werden in dem Maße durch naturwissenschaftliche Befunde geformt, wie es ihnen gelingt, gesellschaftlich anerkanntes Wissen zu konstitu ieren. Durch die naturwissenschaftliche Brille lernt die Gesellschaft den abstrakten Begriff »hybrid« als ahistorisches Gebilde mit techno logischen Sinnbezügen kennen. Mittels der vermittelten Inhalte und Bilder werden positive Assoziationsketten aufgebaut, die dem Hybrid begriff ein bestimmtes Bedeutungsprofil oder Image verleihen. Diese boomende Hybridwelt lädt zu einem skizzenhaften Streifzug ein, der schon aufgrund seines exkursiven Charakters nicht systematisch und vollständig sein kann, aber interdiskursive Zusammenhänge freilegen will, um Ausmaß und Spektrum des diskutierten Gegenstandes zu kennzeichnen. Einblicke in unterschiedliche Forschungssegmente der Bio-, Computer-, Energie- und Mobilitätstechnologien, die allesamt als gesellschaftliche Schlüsselindustrien mit hohem Zukunfts- und Transformationspotential gelten, verdeutlichen den Stellenwert von Hybridität als universell verwertbares Innovationskonzept in Gegen wartsdiskursen. Das älteste in der modernen Wissenschaft verwandte Konzept der Hybridisierung ist biologischer Natur. Spätestens mit der nachträgli chen Anerkennung der Mendel'schen »Versuche über PflanzenhybriI I Um einen quantitativen Eindruck von den Relationen zu vermitteln: Während die elektronische Datenbank »The Philosopher's Index« für den Zeit raum von 1940 bis Juni 2002 insgesamt 172 Einträge mit den Suchbegriff »hybrid« anzeigt, führt die gleiche Suche in den »Biological Abstracts« allein für das erste Halbjahr 2002 zu 5509 FundsteIlen. Betrachtet man außerdem die zeitliche Verteilung, so deutet alles - selbst wenn wir die erleichterte In formationserfassung durch elektronische Datenverarbeitungssysteme berück sichtigen - auf einen explosionsartigen Anstieg von Hybriddiskursen in der letzten Dekade hin. So wurden rund drei Viertel der erfassten philosophischen Arbeiten seit 1990 publiziert, obwohl diese Periode nur einen Bruchteil des Gesamtzeitraums umfasst. Trotz des hohen Ausgangsniveaus weist ein Ver gleich der » Biological Abstracts« mit ihrer CD-ROM·Ausgabe für das erste Halbjahr 1993 mit 4519 Treffern eine beträchtliche Zunahme von ca. 20 Pro zent auf.
42 I Hype u m Hybridi tät de« (1866) wurde ein bis heute gültiges Wissenschaftsparadigma begründet," das als Gründungsurkunde der Genetik und Molekular biologie die Arbeitsgrundlage der Biotechnologien bildet. Die gesell schaftliche Bedeutung der Bio- und Lebenswissenschaften kann kaum überschätzt werden. Ihre Erfolgsgeschichte in der praktischen An wendung begann um 1920, als sich die Hybridzüchtung in der Bota nik und im Agrarbereich gegen die klassische Auslesezüchtung durchsetzte. Da »die Hybridisierung sich weltweit zum Paradigma der agrarwissenschaftlichen Forschung entwickelte« (Berlan/Lewontin 1998: I), sind die meisten heute kultivierten Nutzpflanzen und -tiere durch künstliche Kreuzung homozygoter (reinerbiger) Eltern entstan den.3 Die Vorteile des Heterosis-Effektes sollen den Hybriden ein ertragreicheres und widerstandsfähigeres, aber auch ein schnelleres Wachstum ermöglichen. Fortgeschrittene Produkte wie das Hochleis tungshybridsaatgut und ihre tierischen Pendants sollen die betriebs wirtschaftliche und nationalökonomische Rentabilität erheblich ver bessern. Obwohl die Segnungen der seit den 1960er Jahren prophezeiten »Grünen Revolution« weitgehend ausgeblieben sind, halten Saat gutindustrie, kooperierende Wissenschaftler/-innen und interessierte Regierungen nach wie vor die weitverbreitete Hoffnung aufrecht, Hunger und andere soziale Armutskrankheiten - auch ohne struktu relle Reformen der existierenden Weltwirtschaftsordnung und globale Umverteilung des Zugangs zu Ressourcen - einfach durch noch leis tungsHihigere Zuchtsorten in Verbindung mit anderen technischen Maßnahmen wirksam bekämpfen zu können. Obwohl diese Entwick lung oft wenig zur Lösung beiträgt, aber bestehende Konflikte intensi vieren und neue Probleme hervorbringen kann,4 hat der von den 2 I Mendels eigene Versuche, mit dieser Publikation wissenschaftliche Anerkennung zu erlangen, scheiterten jedoch. Von 30 wissenschaftlichen Gut achtern nahm nur Carl Wilhelm von Nägeli seine Arbeit ernst. Erst nach Men dels Ableben wurde um 1900 seine Schrift von den Vererbungsbiologen Willi am Bateson, Carl Correns. Hugo de Vries und Erich von Tschermak wieder entdeckt. die unabhängig voneinander die grundlegende Bedeutung der Men del'schen Regeln für die Genetik erkannten (Mocek 1999: 488f.). 3 I Weil das Hybride im industriellen Sinne seine funktionelle und äs thetische überlegenheit gegenüber den Ursprungsformen behauptet. hat diese Substitution den seltsamen Effekt, dass das Artifizielle von vielen als natürlich erlebt wird. Von diesem Paradox lebt etwa der Handel mit Orchideen, die fast ausschließlich in ihren Hybridformen auf den Markt kommen (http:// deo wikipedia.org/wiki/Orchidee. gesehen am 27.7.2°°5). 4 I Durch das sterile. patentrechtlich geschützte und nur von wenigen internationalen Konzernen kommerziell vertriebene Hybridsaatgut entstehen neue Abhängigkeiten und Zugangsbeschränkungen. Darauf beruhende Un-
Hybride Revolu tion I 43 »Helden der Wissenschaft« (Berlan/Lewontin 1998) geforderte Glau be, diese Geiseln der Menschheitsgeschichte mit einer technologi schen »Wunderwaffe« besiegen zu können,5 durch neuere Hybridi sationsmöglichkeiten des »bio-genetic engineering« an Zulauf ge wonnen. Im Gegensatz zur Hybridzüchtung ermöglichen unterschied liche Verfahren der Gentechnologie Hybridbildung auch über biologi sche Stammes-, Klassen- oder Ordnungsgrenzen hinweg, indem sie Manipulationen in der Keimbahn vornehmen und andere grenzenlose Vorteile versprechen. 6 Als Erfolgsbeispiel der Gentechnik wird oft die Produktion menschlichen Insulins durch manipulierte Mikro organismen angeführt. Andere Projekte wie die »Tomoffel«, die durch Genfusion von Tomaten und Kartoffeln kreiert wurde, sind dagegen noch nicht marktreif (Bick/Schug 1992: 36ff). Aufgrund ihrer unab sehbaren Auswirkungen auf das Ökosystem und den menschlichen Organismus ist insbesondere die unkontrollierte Genübertragung Gegenstand öffentlicher Sorgen. Ein bekanntes Beispiel für ein nicht beherrschbares Feldexperiment war die Freisetzung von 3°.000 gen technisch veränderten Petunien in Köln, die sich nicht wie vorherge sagt entwickelten (die tageszeitung vom 1}8.1990: 6). Neben der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie werden vor allem in der Medizin enorme Erwartungen in die genetische Hybridisation gesetzt, so z.B. in die Hybridomtechnik, die geeignet erscheint, leben de Hybridzellen (Hybridome) zu erzeugen. Den Molekular- und Gen biologen Georges Köhler, Niels Kaj Jerne und Cesar Milstein gelang es 1975 erstmals, monoklonale Antikörper herzustellen, die außerhalb des menschlichen Körpers überleben konnten. Indem sie Milz- und Krebszellen zu einer neuen organischen Einheit verschmolzen, die die unaufhörlichen Zellteilungs- und Wachstumseigenschaften der Tu morzellen (Myelom) mit der Fähigkeit der Milzzellen (Lymphozyten) zur Reaktion mit Antigenen verband, konnten sie aus den so gezeuggleichheiten und Machtverhältnisse im Nord-Süd-Gef
42 I Hype u m Hybridi tät de« (1866) wurde ein bis heute gültiges Wissenschaftsparadigma begründet," das als Gründungsurkunde der Genetik und Molekular biologie die Arbeitsgrundlage der Biotechnologien bildet. Die gesell schaftliche Bedeutung der Bio- und Lebenswissenschaften kann kaum überschätzt werden. Ihre Erfolgsgeschichte in der praktischen An wendung begann um 1920, als sich die Hybridzüchtung in der Bota nik und im Agrarbereich gegen die klassische Auslesezüchtung durchsetzte. Da »die Hybridisierung sich weltweit zum Paradigma der agrarwissenschaftlichen Forschung entwickelte« (Berlan/Lewontin 1998: I), sind die meisten heute kultivierten Nutzpflanzen und -tiere durch künstliche Kreuzung homozygoter (reinerbiger) Eltern entstan den.3 Die Vorteile des Heterosis-Effektes sollen den Hybriden ein ertragreicheres und widerstandsfähigeres, aber auch ein schnelleres Wachstum ermöglichen. Fortgeschrittene Produkte wie das Hochleis tungshybridsaatgut und ihre tierischen Pendants sollen die betriebs wirtschaftliche und nationalökonomische Rentabilität erheblich ver bessern. Obwohl die Segnungen der seit den 1960er Jahren prophezeiten »Grünen Revolution« weitgehend ausgeblieben sind, halten Saat gutindustrie, kooperierende Wissenschaftler/-innen und interessierte Regierungen nach wie vor die weitverbreitete Hoffnung aufrecht, Hunger und andere soziale Armutskrankheiten - auch ohne struktu relle Reformen der existierenden Weltwirtschaftsordnung und globale Umverteilung des Zugangs zu Ressourcen - einfach durch noch leis tungsHihigere Zuchtsorten in Verbindung mit anderen technischen Maßnahmen wirksam bekämpfen zu können. Obwohl diese Entwick lung oft wenig zur Lösung beiträgt, aber bestehende Konflikte intensi vieren und neue Probleme hervorbringen kann,4 hat der von den 2 I Mendels eigene Versuche, mit dieser Publikation wissenschaftliche Anerkennung zu erlangen, scheiterten jedoch. Von 30 wissenschaftlichen Gut achtern nahm nur Carl Wilhelm von Nägeli seine Arbeit ernst. Erst nach Men dels Ableben wurde um 1900 seine Schrift von den Vererbungsbiologen Willi am Bateson, Carl Correns. Hugo de Vries und Erich von Tschermak wieder entdeckt. die unabhängig voneinander die grundlegende Bedeutung der Men del'schen Regeln für die Genetik erkannten (Mocek 1999: 488f.). 3 I Weil das Hybride im industriellen Sinne seine funktionelle und äs thetische überlegenheit gegenüber den Ursprungsformen behauptet. hat diese Substitution den seltsamen Effekt, dass das Artifizielle von vielen als natürlich erlebt wird. Von diesem Paradox lebt etwa der Handel mit Orchideen, die fast ausschließlich in ihren Hybridformen auf den Markt kommen (http:// deo wikipedia.org/wiki/Orchidee. gesehen am 27.7.2°°5). 4 I Durch das sterile. patentrechtlich geschützte und nur von wenigen internationalen Konzernen kommerziell vertriebene Hybridsaatgut entstehen neue Abhängigkeiten und Zugangsbeschränkungen. Darauf beruhende Un-
Hybride Revolu tion I 43 »Helden der Wissenschaft« (Berlan/Lewontin 1998) geforderte Glau be, diese Geiseln der Menschheitsgeschichte mit einer technologi schen »Wunderwaffe« besiegen zu können,5 durch neuere Hybridi sationsmöglichkeiten des »bio-genetic engineering« an Zulauf ge wonnen. Im Gegensatz zur Hybridzüchtung ermöglichen unterschied liche Verfahren der Gentechnologie Hybridbildung auch über biologi sche Stammes-, Klassen- oder Ordnungsgrenzen hinweg, indem sie Manipulationen in der Keimbahn vornehmen und andere grenzenlose Vorteile versprechen. 6 Als Erfolgsbeispiel der Gentechnik wird oft die Produktion menschlichen Insulins durch manipulierte Mikro organismen angeführt. Andere Projekte wie die »Tomoffel«, die durch Genfusion von Tomaten und Kartoffeln kreiert wurde, sind dagegen noch nicht marktreif (Bick/Schug 1992: 36ff). Aufgrund ihrer unab sehbaren Auswirkungen auf das Ökosystem und den menschlichen Organismus ist insbesondere die unkontrollierte Genübertragung Gegenstand öffentlicher Sorgen. Ein bekanntes Beispiel für ein nicht beherrschbares Feldexperiment war die Freisetzung von 3°.000 gen technisch veränderten Petunien in Köln, die sich nicht wie vorherge sagt entwickelten (die tageszeitung vom 1}8.1990: 6). Neben der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie werden vor allem in der Medizin enorme Erwartungen in die genetische Hybridisation gesetzt, so z.B. in die Hybridomtechnik, die geeignet erscheint, leben de Hybridzellen (Hybridome) zu erzeugen. Den Molekular- und Gen biologen Georges Köhler, Niels Kaj Jerne und Cesar Milstein gelang es 1975 erstmals, monoklonale Antikörper herzustellen, die außerhalb des menschlichen Körpers überleben konnten. Indem sie Milz- und Krebszellen zu einer neuen organischen Einheit verschmolzen, die die unaufhörlichen Zellteilungs- und Wachstumseigenschaften der Tu morzellen (Myelom) mit der Fähigkeit der Milzzellen (Lymphozyten) zur Reaktion mit Antigenen verband, konnten sie aus den so gezeuggleichheiten und Machtverhältnisse im Nord-Süd-Gef
44 I Hype u m Hybrid ität ten Hybridzellen-Klonen im großen Maßstab lebensfahige Antikörper produzieren. Da die Bedeutung dieser Leistung für die Biologie mit der bahnbrechenden Entdeckung der Spaltbarkeit von Atomen in der Physik verglichen wird? erhielten die Forscher bereits 1984 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Die Hybridomtechnik spielt heute u.a. bei der Krebsdiagnose, in der Immunisierungsforschung, bei Organtransplantationen und als Medikamententräger mit zielge nauer Wirksamkeit eine wichtige Rolle. Es ist davon auszugehen, dass diese Anwendungsgebiete nur den Anfang einer Entwicklung markie ren, in der diese Biotechnik vermehrt Bedeutung erlangen wird. In der Molekulargenetik wird der dem Hybridom zugrunde lie gende Gentransfer als Hybridisierung bezeichnet, bei der fremde Gene in ein Chromosom übertragen werden, wodurch transgene Hyb ridzellen entstehen. Die Relevanz dieses Themas ist schon lange anerkannt und wurde 1980 durch einen Nobelpreis an den U S-ameri kanischen Molekularchemiker Paul Berg für grundlegende Forschun gen an der Hybrid-DNS bestärkt. Da der Diskurs über Möglichkeiten, Grenzen und Folgen gentechnologischer Anwendungen als Reproduk tionstechnologie, Diagnosemittel und therapeutisches Klonen aus ufernd ist, beschränke ich mich auf folgenden Hinweis: Hybridisie rung als ein Kernverfahren der Gentechnik hat zu sozialtechnischen Allmachtsphantasien angeregt. In ihren populistischen Formen wird der Gentechniker als Schöpfer von neuen Lebensformen in eine Posi tion versetzt, die bisher ausschließlich der Natur oder göttlichen We sen vorbehalten war (vgl. Rifkin 1986). Über die zukünftigen Chancen und Risiken von Hybridisierungsmethoden in den L!Je Sciences, die unter den Bezeichnungen »Gentherapien« und »genetische Eingriffe« geläufig sind, wird bekanntermaßen eine erbitterte Kontroverse ge führt.8 Nicht nur angesichts anhaltender Berichte, wonach Geninge nieure an einem Eintritt ins posthumane Zeitalter arbeiten,9 sind
7 I Art. »Köhler, Georges J.F.«, in: Das große Data Becker Lexikon 2001 (CD·ROM); Art. »Köhler, Georges«, Brockhaus multimedial 2000 (CD-ROM), Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, 1999. 8 I Im deutschen Kontext ist neben unzähligen Neuerscheinungen wie Lemke (2004) und die Auseinandersetzungen im Rahmen der hitzigen Sloter· dijk-Haberrnas-Kontroverse (1999) um den » Menschenpark« auch auf die Dis kussionen um das Embryonenschutzgesetz zu verweisen. Einen guten Über blick bietet: literaturkritik.de IO. Oktober 1999, Debatte: Sloterdijk, http:// www.literaturkritik.de/public/inhalt.php?ausgabe=19991o#toc..nr392. 9 I Inzwischen sind gentechnische Experimente an Menschen-Affen Chimären bekannt geworden. Unter der Schlagzeile » Forscher wollen Misch wesen aus Mensch und Tier züchten« (Berliner Morgenpost vom 1.5.2005: 1) wurde über Versuche am Max-Planck-InstitutJür biophysikalische Chemie berich tet, bei der - trotz scharfer Proteste des deutschen Ethikrates - menschliche
Hybride Revolution I 45 viele Menschen über die gewaltige gesellschaftliche Sprengkraft gene tischer Hybridisierungstechniken tief besorgt. Ob ihre Bedenken gegen die Macht des » genetisch-industriellen Komplexes« (Berlanf Lewontin 1998) ankommen, bleibt fraglich. Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass sich mit dem Fortschreiten der technischen Mög lichkeiten auch die Grenzen des gesellschaftlich Erlaubten und Er wünschten (HandeIns) verschieben. Was heute im Bereich der Gen technik bereits Realität geworden ist, war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Diese sozialtechnische Dynamik macht genetische Hybri disierung, in welcher Form auch immer, zu einem langfristigen Zu kunftstrend. So wie der genetische Code des Lebens als vermischbar angesehen wird, so entwickelte ein anderer Nobelpreisträger, nämlich Linus C. Pauling,IO einen chemischen Hybridisierungsansatz für die kleinsten Bestandteile der Materie, der einen quantenmechanischen Vorgang im Atomkern beschreibt. Dabei ergeben sich durch Umstellung der Elektronenlaufbahn Hybridorbitale, die eine günstigere räumliche
Embryonalzellen in das Gehirn von Affen gespritzt wurden. Begründet wurden diese Experimente mit dem Forschungsinteresse, Therapien gegen Alzheimer und die Parkinson'sche Krankheit zu entwickeln. Auch andere Forschungsin stitute haben bereits ihr Interesse an ähnlich gelagerten Experimente bekun det. Diese Praktiken setzen damit eine Forschungsreihe fort, die bereits über eine längere Geschichte verfügt. Schon vor Jahren wurde berichtet, dass For scher von Stena Cell Sciences im australischen Melbourne » Gene aus fötalen Menschenzellen in entkernte Zellen von Schweinen [injiziert haben]. Prompt wuchs, was scheinbar nicht zusammengehört, zusammen: zu Chimären-Em bryonen aus Schwein und Mensch« (Blech et al. 2001: 214). In die gleiche Richtung experimentierte zuvor Jose Gibelli von der US-amerikanischen Firma Advanced Cell Technology, der im Selbstversuch eine eigene Schleimhautzelle mit einer Kuh-Eizelle zum einem »Kuh-Mensch-Hybrid« (ebd., vgl. auch die Meldung in die tageszeitung vom 13-11.1998: 9) verschmolz, das sich daraufhin fünfmal teilte bevor es abstarb. Die Pionierarbeit leisteten laut einer dpa-Mel dung japanische Wissenschaftler, als es ihnen gelang komplette Chromosomen des Menschen in embryonale Mäusezellen zu übertragen, was »von US-Exper ten als Meilenstein der Genforschung beurteilt« wurde (die tageszeitung vom 2.6.1997: 13)· 1 0 I Pauling erhielt für Forschungen zur Molekülstruktur von Proteinen 1954 den Nobelpreis für Chemie. Durch den Friedensnobelpreis 1962 wurde sein Engagement für atomare Abrüstung rehabilitiert. Während der McCarthy Ära wurde er für diesen Einsatz in den USA noch wegen »kommunistischer Umtriebe« verfolgt. In den 1970er Jahren erregte er nochmals mit der noch heute umstrittenen These, Vitamin C wäre in der Krebstherapie wirksam, gro ßes Aufsehen. Vgl. http://www.chemie.fu-berlin.de/chemistry/people/pauling. htrnl (gesehen am 22.5.2005).
44 I Hype u m Hybrid ität ten Hybridzellen-Klonen im großen Maßstab lebensfahige Antikörper produzieren. Da die Bedeutung dieser Leistung für die Biologie mit der bahnbrechenden Entdeckung der Spaltbarkeit von Atomen in der Physik verglichen wird? erhielten die Forscher bereits 1984 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Die Hybridomtechnik spielt heute u.a. bei der Krebsdiagnose, in der Immunisierungsforschung, bei Organtransplantationen und als Medikamententräger mit zielge nauer Wirksamkeit eine wichtige Rolle. Es ist davon auszugehen, dass diese Anwendungsgebiete nur den Anfang einer Entwicklung markie ren, in der diese Biotechnik vermehrt Bedeutung erlangen wird. In der Molekulargenetik wird der dem Hybridom zugrunde lie gende Gentransfer als Hybridisierung bezeichnet, bei der fremde Gene in ein Chromosom übertragen werden, wodurch transgene Hyb ridzellen entstehen. Die Relevanz dieses Themas ist schon lange anerkannt und wurde 1980 durch einen Nobelpreis an den U S-ameri kanischen Molekularchemiker Paul Berg für grundlegende Forschun gen an der Hybrid-DNS bestärkt. Da der Diskurs über Möglichkeiten, Grenzen und Folgen gentechnologischer Anwendungen als Reproduk tionstechnologie, Diagnosemittel und therapeutisches Klonen aus ufernd ist, beschränke ich mich auf folgenden Hinweis: Hybridisie rung als ein Kernverfahren der Gentechnik hat zu sozialtechnischen Allmachtsphantasien angeregt. In ihren populistischen Formen wird der Gentechniker als Schöpfer von neuen Lebensformen in eine Posi tion versetzt, die bisher ausschließlich der Natur oder göttlichen We sen vorbehalten war (vgl. Rifkin 1986). Über die zukünftigen Chancen und Risiken von Hybridisierungsmethoden in den L!Je Sciences, die unter den Bezeichnungen »Gentherapien« und »genetische Eingriffe« geläufig sind, wird bekanntermaßen eine erbitterte Kontroverse ge führt.8 Nicht nur angesichts anhaltender Berichte, wonach Geninge nieure an einem Eintritt ins posthumane Zeitalter arbeiten,9 sind
7 I Art. »Köhler, Georges J.F.«, in: Das große Data Becker Lexikon 2001 (CD·ROM); Art. »Köhler, Georges«, Brockhaus multimedial 2000 (CD-ROM), Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, 1999. 8 I Im deutschen Kontext ist neben unzähligen Neuerscheinungen wie Lemke (2004) und die Auseinandersetzungen im Rahmen der hitzigen Sloter· dijk-Haberrnas-Kontroverse (1999) um den » Menschenpark« auch auf die Dis kussionen um das Embryonenschutzgesetz zu verweisen. Einen guten Über blick bietet: literaturkritik.de IO. Oktober 1999, Debatte: Sloterdijk, http:// www.literaturkritik.de/public/inhalt.php?ausgabe=19991o#toc..nr392. 9 I Inzwischen sind gentechnische Experimente an Menschen-Affen Chimären bekannt geworden. Unter der Schlagzeile » Forscher wollen Misch wesen aus Mensch und Tier züchten« (Berliner Morgenpost vom 1.5.2005: 1) wurde über Versuche am Max-Planck-InstitutJür biophysikalische Chemie berich tet, bei der - trotz scharfer Proteste des deutschen Ethikrates - menschliche
Hybride Revolution I 45 viele Menschen über die gewaltige gesellschaftliche Sprengkraft gene tischer Hybridisierungstechniken tief besorgt. Ob ihre Bedenken gegen die Macht des » genetisch-industriellen Komplexes« (Berlanf Lewontin 1998) ankommen, bleibt fraglich. Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass sich mit dem Fortschreiten der technischen Mög lichkeiten auch die Grenzen des gesellschaftlich Erlaubten und Er wünschten (HandeIns) verschieben. Was heute im Bereich der Gen technik bereits Realität geworden ist, war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Diese sozialtechnische Dynamik macht genetische Hybri disierung, in welcher Form auch immer, zu einem langfristigen Zu kunftstrend. So wie der genetische Code des Lebens als vermischbar angesehen wird, so entwickelte ein anderer Nobelpreisträger, nämlich Linus C. Pauling,IO einen chemischen Hybridisierungsansatz für die kleinsten Bestandteile der Materie, der einen quantenmechanischen Vorgang im Atomkern beschreibt. Dabei ergeben sich durch Umstellung der Elektronenlaufbahn Hybridorbitale, die eine günstigere räumliche
Embryonalzellen in das Gehirn von Affen gespritzt wurden. Begründet wurden diese Experimente mit dem Forschungsinteresse, Therapien gegen Alzheimer und die Parkinson'sche Krankheit zu entwickeln. Auch andere Forschungsin stitute haben bereits ihr Interesse an ähnlich gelagerten Experimente bekun det. Diese Praktiken setzen damit eine Forschungsreihe fort, die bereits über eine längere Geschichte verfügt. Schon vor Jahren wurde berichtet, dass For scher von Stena Cell Sciences im australischen Melbourne » Gene aus fötalen Menschenzellen in entkernte Zellen von Schweinen [injiziert haben]. Prompt wuchs, was scheinbar nicht zusammengehört, zusammen: zu Chimären-Em bryonen aus Schwein und Mensch« (Blech et al. 2001: 214). In die gleiche Richtung experimentierte zuvor Jose Gibelli von der US-amerikanischen Firma Advanced Cell Technology, der im Selbstversuch eine eigene Schleimhautzelle mit einer Kuh-Eizelle zum einem »Kuh-Mensch-Hybrid« (ebd., vgl. auch die Meldung in die tageszeitung vom 13-11.1998: 9) verschmolz, das sich daraufhin fünfmal teilte bevor es abstarb. Die Pionierarbeit leisteten laut einer dpa-Mel dung japanische Wissenschaftler, als es ihnen gelang komplette Chromosomen des Menschen in embryonale Mäusezellen zu übertragen, was »von US-Exper ten als Meilenstein der Genforschung beurteilt« wurde (die tageszeitung vom 2.6.1997: 13)· 1 0 I Pauling erhielt für Forschungen zur Molekülstruktur von Proteinen 1954 den Nobelpreis für Chemie. Durch den Friedensnobelpreis 1962 wurde sein Engagement für atomare Abrüstung rehabilitiert. Während der McCarthy Ära wurde er für diesen Einsatz in den USA noch wegen »kommunistischer Umtriebe« verfolgt. In den 1970er Jahren erregte er nochmals mit der noch heute umstrittenen These, Vitamin C wäre in der Krebstherapie wirksam, gro ßes Aufsehen. Vgl. http://www.chemie.fu-berlin.de/chemistry/people/pauling. htrnl (gesehen am 22.5.2005).
46 I Hype um Hybrid i tät Ausrichtung der Atombindungen ermöglichen. II Darüber hinaus kann die Chemie selbst als ein Forschungsgebiet ansehen werden, das die Hybridisierung von Molekülen erforscht. Moleküle haben je nach Umweltbedingungen durch Abspaltung, Auflösung und Neuverbin dung die Fähigkeit, ihre Struktur, ihre stoffliche Identität und ihre Eigenschaften vorübergehend oder dauerhaft zu verändern. Diese
Hybride Revolution I 47 spricht es eine Vielfalt von Anwendungsmöglichkeiten: als flexibles Trägermaterial ebenso wie als hocheffiziente Batterie-Elektrolyten, als Trennsystem für Proteine und andere Mak romoleküle, oder für die Mikroelektronik. >Das Material hat Eigenschaften, die nicht ein fach die Summe von Polymer plus Keramik sind, sondern vielleicht etwas sehr Neues<, so Ulrich Wiesner« (http://www.wissenschaft.de/sixcms/detail.phplid= 1 50 1 66, gesehen am 29.7.2005). 12
ModifIkationen sind dynamische, nie abgeschlossene Prozesse des Übergangs, in der durch Rekombinationen und Umstellungen von
D a das Hybridkonzept vom Prinzip her unbegrenzte Kombinationen
Atomkonstellationen neue Verbindungen und Entitäten entstehen. Es
und Mischungsverhältnisse zulässt, die unendlich variiert werden
ist nicht verwunderlich, dass sich an der Schnittstelle biologischer und
können, ist es ein offener Ansatz, der vermeintlich keinen Ausschluss,
chemischer Disziplinen aufstrebende Grenzgebiete herausgebildet
kein Außen, keine Grenzen kennt. Im Gegensatz zum Reinheitsgebot
haben. Neben der Gentechnik werden auch in der Mikrobiologie und
soll im Hybridkonzept die universelle Vermischung einen entschei
Biochemie durch vielfältige Forschungen an Hybridformen neues
denden Fortschritt ermöglichen, der gerade aus der Verbindung struk
Wissen und neue Technologien produziert.
tureller Unterschiede großen Nutzen ziehen will. Konträr zur vorherr
In anwendungsorientierten Forschungsbereichen werden neu
schenden Auffassung wird im Hybriddiskurs die Vereinigung von
entwickelte High Tech-Materialien oft mit dem Qualitätsmerkmal
Gegensätzen und Differenzen nicht negiert oder nur als theoretische
»hybrid« versehen. Als hybrid gelten diese Stoffe, weil sie sich aus
Option erachtet, sondern experimentell erprobt und normativ fundiert.
unterschiedlichen Materialverbindungen bzw. -schichten zusammen
Während das Ideal der harmonisierenden Fusion in politökonomi
setzen oder gegensätzliche bzw. nach den jeweils geltenden Bedin
schen und soziokulturellen Sphären bestenfalls utopisch wirkt, strah
gungen wechselnde Eigenschaften besitzen. Solchen Hybridmateriali
len technologische Hybridlösungen inzwischen Realitätsnähe aus.
en werden neben möglichen Kosten- und Produktionsvorteilen neu
Disparates kann etwa auf biochemischer Basis durch die Vereinigung
bzw. einzigartige sowie oft auch überlegene Eigenschaften zugespro
von organischen und anorganischen Materialien bereits zu einem
chen, die nicht nur in technischer Hinsicht revolutionär wirken. Sie
unbekannten Dritten, zu einer neuen Kategorie von Materialität gene
stehen daher im Ruf, das Nonplusultra wissenschaftlicher Leistungs
riert werden. Zweifellos hofft man, durch die phänomenalen Effekte
fähigkeit zu repräsentieren. Hybridmaterialien erscheinen nicht selten
von Hybridisierungsstrategien bahnbrechende Werkstoffe und hand
paradox, da sie bis dato unbekannte Merkmale haben oder mit Eigen
feste Vorteile zu erhalten: »Hybrid materials lie at the interface of the
schaften ausgestattet sind, die bislang als miteinander unvereinbar
organie and inorganic realms. These materials offer exceptional oppor
gelten. Schon deshalb strahlen Hybridtechnologien eine Faszination
tunities to not only combine the important properties from both
aus, die ohne viel Phantasie zu Spekulationen über ihre ungeahnten
worlds, but to create entirely new compositions with truly unique
Möglichkeiten einlädt. Ihre tatsächlichen gesellschaftlichen und kultu
properties.«'3
rellen Folgen sind aber zur Zeit in ihrer vollen Tragweite kaum abseh
Obwohl die Innovationsfähigkeit der Raum- und Luftfahrt von der
bar. Gerade weil das Feld offen und undefiniert erscheint, ist das Spiel
Entwicklung neuartiger Werksmaterialien abhängt, spielen zukunfts-
mit den phänomenalen Potentialen der Hybridität ein wiederkehren des Strukturelement dieses Diskurses. Exemplarisch kann eine Meldung der Forschungsgruppe um Ulrich Wiesner von der Cornell Universität herausgegriffen werden, der im März 2002 bekannt gab: �'�
))US-Forschern ist es mit Hilfe der Nanochemie gelungen, eine Keramik mit gummiähnli chen Eigenschaften zu entwickeln. Das neuartige Material ist transparent, flexibel und gleichzeitig sehr belastbar und nicht zerbrechlich. Seine Eigenschaften verdankt das neue Material einer Mischung aus Polymeren und keramischen Substanzen. [ . . . ] Dadurch ver1 1 I Zur Bedeutung von Paulings Hybridmodell siehe die Beiträge in Maksic 1988.
I 2 I Vgl. auch die Meldung »N ew Class Of Materials Developed: Flexible Ceramics« (http://unisci.com/stories/20021/032I026.htm, gesehen am 22.5. 2005). Entsprechend seines Innovationspotentials sind in den letzten Jahren auch in Deutschland aktuelle Forschungsarbeiten entstanden, die sich mit der Entwicklung und Anwendung neuer Hybridmaterialien beschäftigen (Fischer 20°4), 1 3 I http://www.chem.uci.edurkjshea/resJile/HybridI.html (gesehen am 22.5.2°°5). Mit »Ormocer« hat die Fraunhofor-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung (München) bereits ein organisch-anorganisches Pro dukt entwickelt, das markenrechtlich geschützt ist und über vielversprechen de Hybrideigenschaften verfügen soll. Vgl. http://www.isc.fhg.de/alteseiten/ ormocerejindelLoo.html (gesehen am 22.5.2°°5).
46 I Hype um Hybrid i tät Ausrichtung der Atombindungen ermöglichen. II Darüber hinaus kann die Chemie selbst als ein Forschungsgebiet ansehen werden, das die Hybridisierung von Molekülen erforscht. Moleküle haben je nach Umweltbedingungen durch Abspaltung, Auflösung und Neuverbin dung die Fähigkeit, ihre Struktur, ihre stoffliche Identität und ihre Eigenschaften vorübergehend oder dauerhaft zu verändern. Diese
Hybride Revolution I 47 spricht es eine Vielfalt von Anwendungsmöglichkeiten: als flexibles Trägermaterial ebenso wie als hocheffiziente Batterie-Elektrolyten, als Trennsystem für Proteine und andere Mak romoleküle, oder für die Mikroelektronik. >Das Material hat Eigenschaften, die nicht ein fach die Summe von Polymer plus Keramik sind, sondern vielleicht etwas sehr Neues<, so Ulrich Wiesner« (http://www.wissenschaft.de/sixcms/detail.phplid= 1 50 1 66, gesehen am 29.7.2005). 12
ModifIkationen sind dynamische, nie abgeschlossene Prozesse des Übergangs, in der durch Rekombinationen und Umstellungen von
D a das Hybridkonzept vom Prinzip her unbegrenzte Kombinationen
Atomkonstellationen neue Verbindungen und Entitäten entstehen. Es
und Mischungsverhältnisse zulässt, die unendlich variiert werden
ist nicht verwunderlich, dass sich an der Schnittstelle biologischer und
können, ist es ein offener Ansatz, der vermeintlich keinen Ausschluss,
chemischer Disziplinen aufstrebende Grenzgebiete herausgebildet
kein Außen, keine Grenzen kennt. Im Gegensatz zum Reinheitsgebot
haben. Neben der Gentechnik werden auch in der Mikrobiologie und
soll im Hybridkonzept die universelle Vermischung einen entschei
Biochemie durch vielfältige Forschungen an Hybridformen neues
denden Fortschritt ermöglichen, der gerade aus der Verbindung struk
Wissen und neue Technologien produziert.
tureller Unterschiede großen Nutzen ziehen will. Konträr zur vorherr
In anwendungsorientierten Forschungsbereichen werden neu
schenden Auffassung wird im Hybriddiskurs die Vereinigung von
entwickelte High Tech-Materialien oft mit dem Qualitätsmerkmal
Gegensätzen und Differenzen nicht negiert oder nur als theoretische
»hybrid« versehen. Als hybrid gelten diese Stoffe, weil sie sich aus
Option erachtet, sondern experimentell erprobt und normativ fundiert.
unterschiedlichen Materialverbindungen bzw. -schichten zusammen
Während das Ideal der harmonisierenden Fusion in politökonomi
setzen oder gegensätzliche bzw. nach den jeweils geltenden Bedin
schen und soziokulturellen Sphären bestenfalls utopisch wirkt, strah
gungen wechselnde Eigenschaften besitzen. Solchen Hybridmateriali
len technologische Hybridlösungen inzwischen Realitätsnähe aus.
en werden neben möglichen Kosten- und Produktionsvorteilen neu
Disparates kann etwa auf biochemischer Basis durch die Vereinigung
bzw. einzigartige sowie oft auch überlegene Eigenschaften zugespro
von organischen und anorganischen Materialien bereits zu einem
chen, die nicht nur in technischer Hinsicht revolutionär wirken. Sie
unbekannten Dritten, zu einer neuen Kategorie von Materialität gene
stehen daher im Ruf, das Nonplusultra wissenschaftlicher Leistungs
riert werden. Zweifellos hofft man, durch die phänomenalen Effekte
fähigkeit zu repräsentieren. Hybridmaterialien erscheinen nicht selten
von Hybridisierungsstrategien bahnbrechende Werkstoffe und hand
paradox, da sie bis dato unbekannte Merkmale haben oder mit Eigen
feste Vorteile zu erhalten: »Hybrid materials lie at the interface of the
schaften ausgestattet sind, die bislang als miteinander unvereinbar
organie and inorganic realms. These materials offer exceptional oppor
gelten. Schon deshalb strahlen Hybridtechnologien eine Faszination
tunities to not only combine the important properties from both
aus, die ohne viel Phantasie zu Spekulationen über ihre ungeahnten
worlds, but to create entirely new compositions with truly unique
Möglichkeiten einlädt. Ihre tatsächlichen gesellschaftlichen und kultu
properties.«'3
rellen Folgen sind aber zur Zeit in ihrer vollen Tragweite kaum abseh
Obwohl die Innovationsfähigkeit der Raum- und Luftfahrt von der
bar. Gerade weil das Feld offen und undefiniert erscheint, ist das Spiel
Entwicklung neuartiger Werksmaterialien abhängt, spielen zukunfts-
mit den phänomenalen Potentialen der Hybridität ein wiederkehren des Strukturelement dieses Diskurses. Exemplarisch kann eine Meldung der Forschungsgruppe um Ulrich Wiesner von der Cornell Universität herausgegriffen werden, der im März 2002 bekannt gab: �'�
))US-Forschern ist es mit Hilfe der Nanochemie gelungen, eine Keramik mit gummiähnli chen Eigenschaften zu entwickeln. Das neuartige Material ist transparent, flexibel und gleichzeitig sehr belastbar und nicht zerbrechlich. Seine Eigenschaften verdankt das neue Material einer Mischung aus Polymeren und keramischen Substanzen. [ . . . ] Dadurch ver1 1 I Zur Bedeutung von Paulings Hybridmodell siehe die Beiträge in Maksic 1988.
I 2 I Vgl. auch die Meldung »N ew Class Of Materials Developed: Flexible Ceramics« (http://unisci.com/stories/20021/032I026.htm, gesehen am 22.5. 2005). Entsprechend seines Innovationspotentials sind in den letzten Jahren auch in Deutschland aktuelle Forschungsarbeiten entstanden, die sich mit der Entwicklung und Anwendung neuer Hybridmaterialien beschäftigen (Fischer 20°4), 1 3 I http://www.chem.uci.edurkjshea/resJile/HybridI.html (gesehen am 22.5.2°°5). Mit »Ormocer« hat die Fraunhofor-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung (München) bereits ein organisch-anorganisches Pro dukt entwickelt, das markenrechtlich geschützt ist und über vielversprechen de Hybrideigenschaften verfügen soll. Vgl. http://www.isc.fhg.de/alteseiten/ ormocerejindelLoo.html (gesehen am 22.5.2°°5).
48 I Hype u m Hybridität orientierte Technikkonzepte eine ebenso wichtige Rolle. Einige Hyb ridtechnologien sind in diesem Bereich bereits etabliert: So verwen det der Hybridraketenantrieb einen Treibstoff aus flüssigen und festen Komponenten, während Hybridflügelkonstruktionen bei militärischen High End-Jets die Vorteile eines schwach gepfeilten Flügels im Unter schall- und die Vorzüge von Deltaflügeln im Überschallbereich nut zen. Noch im Forschungsstadium befinden sich dagegen Projekte zur Entwicklung von Hybridflugzeugen. Diese vereinen die Tragflächen technik konventioneller Flugzeuge mit Elementen des Luftschiffes, indem sie z.B. eine mit Helium gefüllte Innenraumkammer einset zen. Zu Start und Landung werden wie beim Helikopter Rotoren eingesetzt, die auf Flughöhe die Funktion von Propellern überneh men. Solche Flugzeuge sollen eine weit höhere Ladung als Hub schrauber transportieren können und eine erheblich günstigere Öko bilanz als heutige Düsenjets aufWeisen, da ihr Treibstoffverbrauch relativ gering ist und eine kostenintensive Infrastruktur mit raumgrei fenden Start- und Landebahnen entfallt.'4 Wie in der Luft- und Raumfahrt- wird auch in der Automobilin dustrie intensiv nach hybriden Material- und Konstruktionskonzepten geforscht. So fmanzieren Rover und British Steel das Projekt »Structu ral Analysis of Hybrid Material Concepts for Lightweight Vehicles« an der Universität Warwick. Das Ziel lautet: »The next generation ofvehic les will be radically different from their predecessors. Lighter, more energy-efficient, environmentally-friendly vehicles will use new con struction methods and material combinations.«'5 Eine Möglichkeit stellt die Kunststoff-Metall-Hybridtechnik dar, an der auch die Zuliefe rer von Ford arbeiten:
))Die Entwicklung tragender, multifunktionaler Kunststoff-Metall-Hybridstrukturen eröffnet dem Leichtbau neue konstruktive Gestaltungsmöglichkeiten [ . . . ]. Während sich Metalle und Kunststoffe in der traditionellen Konstruktionspraxis häufig in einer Wettbewerbssitua tion befinden, kombiniert die Hybridtechnik die Vorteile bei der Werkstoffe mit der zuge hörigen Ver- und Bearbeitungstechnik [ . . . ]. So ermöglichen Hybridstrukturen durch Syner-
1 4 I Neben dem beschriebenen Konstruktionsprinzip werden auch an dere Modelle mit anderen Eigenschaften als Hybridflugzeuge bezeichnet. Während die US-Luftwaffe an militärischen Versionen wie der »V-22 Osprey« forscht, glauben Firmen wie Advanced Hybrid Aircraft (http://www.ahausa.com. gesehen am 27.7.2°°5) und AeroVehicles (http://www.aerocat.us). mit dieser Technik den zivilen Lufttransport des 2r. Jahrhunderts nachhaltig bereichern zu können. So stelle das Hybridflugzeug Aerocat »the first major transportation revolution in more than 40 years« dar. 1 5 I http://www.foresightvehicle.org.uk/dispprojr.asp?wg_jd=I026. ge sehen am 29.7.2°°5.
Hybride Revolution I 49 gieeffekte ein besseres Leichtbaupotential als es jeder Werkstoff für sich alleine ermögli chen würde. Kunststoff-Metall-Hybridteile bieten gegenüber gleich starken, reinen Metali konstruktionen deutliche Kosten- und Gewichtsvorteile. Diese Vorteile fallen umso größer aus, je höher der Grad der Integration von zusätzlichen Funktionen in das Hybrid-Bauteil 16 ist.« Eine andere Möglichkeit ist Hybridgewebe, z.B. aus Aramid-Kohlen stoff-Fasern.'7 Solche Technologien werden zur Zeit nur bei extrem kostspieligen Automobilen wie dem I35.000 Euro teuerem »Corvette Callaway« eingesetzt, dessen Karosserie aus einem Kevlar-Hybrid besteht.,8 Im Motorbereich scheint dagegen der große Durchbruch von Hybridtechnologien auf dem Massenmarkt bereits eingetreten zu sein. Das Hybridauto verspricht, ökologische Belastungen zu reduzie ren und Ressourcen zu schonen, indem es sparsam verschiedene Energiequellen und -formen miteinander kombiniert und, an die je weilige Verkehrs situation angepasst, simultan oder einzeln verarbei tet. Die Integration einer Hybridmaschine in das Herz des >Lieblings kindes< der Industriegesellschaft kann auf eine breite Zielgruppe hof fen.'9 Schließlich symbolisiert ein zukunftsverträgliches Auto wie
1 6 I http://www.nmfgmbh.de/deutsch/projekte/kmh.htm (gesehen am 22.502°°5). 1 7 I »Je nach Verwendung ist die Zusammensetzung der beiden Faser anteile unterschiedlich. Kohlefaser ist superleicht, hochzugfest und besitzt eine hohe Steifigkeit, hat aber eine geringe Bruchdehnung und ist spröde. Dieses Manko fängt des Aramidgewebe auf, es ist schlagzäh und schleiffest. Bauteile aus Hybrid-Gewebe sind paßgenau und stabil. Durch die hochwertigen Eigen schaften des Materials sind weniger Lagen erforderlich« (http://www.classic motorrad.de/winnL2002/kunststoff/kunststoff.htm, gesehen am 22.5.2°°5). 1 8 I Die extremem Eigenschaften dieses Hybridgewebes werden bei Körperkarosserien dagegen bereits häufiger in Serie gefertigt. Auch in der nicht auf schusssichere Westen spezialisierten Textilindustrie setzt man auf die prinzipiellen Vorteile, die zusammengesetzte Hochleistungsgarne wie »Cool Max« oder »Gore-Tex« im stark wachsenden Outdoorbereich bieten. 1 9 I Laut einer Marketingstudie von J.D. Power and Associates (März 2002) für den US-Automarkt ist das Interesse von potentiellen Käufern hoch. In Erwartung eines rapide wachsenden Marktes wird bereits für 2005 ein jähr licher Absatz von mehr als einer halben Million Hybridautos prognostiziert (http://www.jdpa.com/studies_jdpower/pressrelease.asp?StudyID=6rr. gese hen am 22.5.2°°5). Aufgrund positiver Marktaussichten und verschärften Emissionsgesetzen - etwa in Kalifornien - haben inzwischen außer Honda und Toyota auch namhafte US-Hersteller wie Chrysler und Ford Automodelle mit Hybridantrieb entwickelt. Auch auf staatlicher Seite wird diese aufkom-
48 I Hype u m Hybridität orientierte Technikkonzepte eine ebenso wichtige Rolle. Einige Hyb ridtechnologien sind in diesem Bereich bereits etabliert: So verwen det der Hybridraketenantrieb einen Treibstoff aus flüssigen und festen Komponenten, während Hybridflügelkonstruktionen bei militärischen High End-Jets die Vorteile eines schwach gepfeilten Flügels im Unter schall- und die Vorzüge von Deltaflügeln im Überschallbereich nut zen. Noch im Forschungsstadium befinden sich dagegen Projekte zur Entwicklung von Hybridflugzeugen. Diese vereinen die Tragflächen technik konventioneller Flugzeuge mit Elementen des Luftschiffes, indem sie z.B. eine mit Helium gefüllte Innenraumkammer einset zen. Zu Start und Landung werden wie beim Helikopter Rotoren eingesetzt, die auf Flughöhe die Funktion von Propellern überneh men. Solche Flugzeuge sollen eine weit höhere Ladung als Hub schrauber transportieren können und eine erheblich günstigere Öko bilanz als heutige Düsenjets aufWeisen, da ihr Treibstoffverbrauch relativ gering ist und eine kostenintensive Infrastruktur mit raumgrei fenden Start- und Landebahnen entfallt.'4 Wie in der Luft- und Raumfahrt- wird auch in der Automobilin dustrie intensiv nach hybriden Material- und Konstruktionskonzepten geforscht. So fmanzieren Rover und British Steel das Projekt »Structu ral Analysis of Hybrid Material Concepts for Lightweight Vehicles« an der Universität Warwick. Das Ziel lautet: »The next generation ofvehic les will be radically different from their predecessors. Lighter, more energy-efficient, environmentally-friendly vehicles will use new con struction methods and material combinations.«'5 Eine Möglichkeit stellt die Kunststoff-Metall-Hybridtechnik dar, an der auch die Zuliefe rer von Ford arbeiten:
))Die Entwicklung tragender, multifunktionaler Kunststoff-Metall-Hybridstrukturen eröffnet dem Leichtbau neue konstruktive Gestaltungsmöglichkeiten [ . . . ]. Während sich Metalle und Kunststoffe in der traditionellen Konstruktionspraxis häufig in einer Wettbewerbssitua tion befinden, kombiniert die Hybridtechnik die Vorteile bei der Werkstoffe mit der zuge hörigen Ver- und Bearbeitungstechnik [ . . . ]. So ermöglichen Hybridstrukturen durch Syner-
1 4 I Neben dem beschriebenen Konstruktionsprinzip werden auch an dere Modelle mit anderen Eigenschaften als Hybridflugzeuge bezeichnet. Während die US-Luftwaffe an militärischen Versionen wie der »V-22 Osprey« forscht, glauben Firmen wie Advanced Hybrid Aircraft (http://www.ahausa.com. gesehen am 27.7.2°°5) und AeroVehicles (http://www.aerocat.us). mit dieser Technik den zivilen Lufttransport des 2r. Jahrhunderts nachhaltig bereichern zu können. So stelle das Hybridflugzeug Aerocat »the first major transportation revolution in more than 40 years« dar. 1 5 I http://www.foresightvehicle.org.uk/dispprojr.asp?wg_jd=I026. ge sehen am 29.7.2°°5.
Hybride Revolution I 49 gieeffekte ein besseres Leichtbaupotential als es jeder Werkstoff für sich alleine ermögli chen würde. Kunststoff-Metall-Hybridteile bieten gegenüber gleich starken, reinen Metali konstruktionen deutliche Kosten- und Gewichtsvorteile. Diese Vorteile fallen umso größer aus, je höher der Grad der Integration von zusätzlichen Funktionen in das Hybrid-Bauteil 16 ist.« Eine andere Möglichkeit ist Hybridgewebe, z.B. aus Aramid-Kohlen stoff-Fasern.'7 Solche Technologien werden zur Zeit nur bei extrem kostspieligen Automobilen wie dem I35.000 Euro teuerem »Corvette Callaway« eingesetzt, dessen Karosserie aus einem Kevlar-Hybrid besteht.,8 Im Motorbereich scheint dagegen der große Durchbruch von Hybridtechnologien auf dem Massenmarkt bereits eingetreten zu sein. Das Hybridauto verspricht, ökologische Belastungen zu reduzie ren und Ressourcen zu schonen, indem es sparsam verschiedene Energiequellen und -formen miteinander kombiniert und, an die je weilige Verkehrs situation angepasst, simultan oder einzeln verarbei tet. Die Integration einer Hybridmaschine in das Herz des >Lieblings kindes< der Industriegesellschaft kann auf eine breite Zielgruppe hof fen.'9 Schließlich symbolisiert ein zukunftsverträgliches Auto wie
1 6 I http://www.nmfgmbh.de/deutsch/projekte/kmh.htm (gesehen am 22.502°°5). 1 7 I »Je nach Verwendung ist die Zusammensetzung der beiden Faser anteile unterschiedlich. Kohlefaser ist superleicht, hochzugfest und besitzt eine hohe Steifigkeit, hat aber eine geringe Bruchdehnung und ist spröde. Dieses Manko fängt des Aramidgewebe auf, es ist schlagzäh und schleiffest. Bauteile aus Hybrid-Gewebe sind paßgenau und stabil. Durch die hochwertigen Eigen schaften des Materials sind weniger Lagen erforderlich« (http://www.classic motorrad.de/winnL2002/kunststoff/kunststoff.htm, gesehen am 22.5.2°°5). 1 8 I Die extremem Eigenschaften dieses Hybridgewebes werden bei Körperkarosserien dagegen bereits häufiger in Serie gefertigt. Auch in der nicht auf schusssichere Westen spezialisierten Textilindustrie setzt man auf die prinzipiellen Vorteile, die zusammengesetzte Hochleistungsgarne wie »Cool Max« oder »Gore-Tex« im stark wachsenden Outdoorbereich bieten. 1 9 I Laut einer Marketingstudie von J.D. Power and Associates (März 2002) für den US-Automarkt ist das Interesse von potentiellen Käufern hoch. In Erwartung eines rapide wachsenden Marktes wird bereits für 2005 ein jähr licher Absatz von mehr als einer halben Million Hybridautos prognostiziert (http://www.jdpa.com/studies_jdpower/pressrelease.asp?StudyID=6rr. gese hen am 22.5.2°°5). Aufgrund positiver Marktaussichten und verschärften Emissionsgesetzen - etwa in Kalifornien - haben inzwischen außer Honda und Toyota auch namhafte US-Hersteller wie Chrysler und Ford Automodelle mit Hybridantrieb entwickelt. Auch auf staatlicher Seite wird diese aufkom-
50 I Hype u m Hybridität kein anderes identitätsstiftendes Massenprodukt die Sicherung von Individualität und Mobilität für das 21. Jahrhundert. Zwar befindet sich die Alltagstauglichkeitsprüfung des Hybridantriebs20 im Privat automobil noch in der fortgeschrittenen Erprobungsphase; doch die Serienproduktion ist fiir die nächsten Jahre fest eingeplant bzw. bei einigen Herstellern bereits angelaufen. Trotz fehlender Langzeiterfah rung wird das Hybridauto unisono als » revolutionäre Kombination aus Verbrennungsmotor und Elektroantrieb« und >>neue Schlüssel technik« präsentiert (Wüst 2001: 210). Durch optimistische Leis tungsdaten erhalten euphorische Erwartungen weiteren Auftrieb.2I Es verwundert nicht, dass das Hybridkonzept auch in den Zu kunftsentwürfen für eine dezentrale Energieversorgung großen An klang fmdet. Wie in anderen Schlüsseltechnologien werden dabei unterschiedliche Methoden der Energieerzeugung zu einer aufeinan der abgestimmten Einheit integriert und an die lokalen Voraussetzun gen adaptiert. Auf der Insel Pellworm wurde Europas größte regenera tive Hybridanlage realisiert, die aus Windkraft und Sonnenlicht Strom gewinnt. Durch die sich ergänzenden Elemente können systemische Nachteile einer Energieerzeugungsart durch die Vorteile einer ande ren ersetzt werden. Neben der Diversifizierung der Energieproduktion mende Technik durch ein » Hybrid Electric Vehicle Program« des US-Ener gieministeriums gefordert (http:jjwww.nrel.govjvehiclesandfuelsjhev, gesehen am 22.5.2°°5). 20 I Toyota nennt sein Antriebssystem »Hybrid Synergy Drive« und wirbt seit 2004 dafür mit dem Spruch »The power to move forward«. Der Hyb ridantrieb ist vom Hybridmotor zu unterscheiden, der bislang einen Verbren nungsmotor bezeichnet, der sowohl über Merkmale des Otto- als auch des Die selmotors verfugt. Diese Technik konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Als Idee stellt der Hybridantrieb keine Innovation dar, sondern ist etwa im Loko motivbereich seit langem bekannt. Um z.B. Strecken ohne funktionierende Stromversorgung befahren zu können, sind Hybrid- bzw. Zweikraftlokomoti ven zusätzlich mit Akkumulatoren oder Dieselmotoren ausgestattet. 2 1 I Auf der Tokio Motor Show 2001 wurde der » Honda eivic Hybrid« mit einem Verbrauch von 3,4 Liter auf roo km als weltweit sparsamster Fünfsitzer vorgestellt. Mittlerweile wurde der auf Hybridtechnik basierende »Toyota Pri us« zum »Auto des Jahres 20°5« gewählt. Aufder Chicago Auto Show und dem Genfor Autosalon 2005 standen die Hybrid-Fahrzeuge so sehr im Rampenlicht fuhrender Autoproduzenten, dass der Chrysler-Präsident Dieter Zetsche von einer regelrechten »Hybrid-Hysterie« in der breiten Öffentlichkeit sprach. Nun wollen auch Nachzügler wie Volkswagen aufjeden Fall Hybridmodelle anbieten. In Deutschland schlägt sich diese Euphorie fur die neue Technik auch in aktu ellen Forschungsarbeiten nieder, wobei gerade junge Nachwuchswissenschaft ler hier gute Möglichkeiten sehen, sich mit innovationsfreudigen Untersu chungen zu profilieren (vgl. Kozlowski 2004; Winger 2004).
Hybride Revo lution I SI durch parallele Systeme erlaubt die Hybridisierung auch hochinteg rierte Anlagen, deren Komponenten aufeinander aufbauen. Im opti malen Fall wird ein ineinandergreifender Energiekreislauf mit mehre ren Verwertungszyklen ermöglicht, wodurch die Subsysteme gegen seitig voneinander profitieren. Solche hybriden Synergie-Effekte sollen die Störanfalligkeit und Abhängigkeit des Gesamtsystems reduzieren und seine Flexibilität und Funktionalität erhöhen, die zu einer wesent lich verbesserten Leistungsfahigkeit beitragen. So wie in der mensch lichen Geschichte der Einsatz von bestimmten Energieformen und die Neuentwicklung von Schlüsseltechniken Gesellschaftsformen prägten oder sogar zu einer neuen Entwicklungsstufe führten, so scheint auch das Hybridkonzept als allgemeines Sinnbild in der postmodernisier ten Moderne für das Herannahen einer neuen Epoche zu stehen. Ohne Zweifel sind Biotechnologie, Mobilität, Energie und Ökologie existentielle Politikfelder, die das Aussehen und die Struktur zukünf tiger Gesellschaftsformen in ihren globalen Dimensionen maßgeblich beeinflussen. Neben den genannten Schlüsselsektoren gilt auch die Mikroelek tronik als Zukunftstechnologie für Wirtschaft und Gesellschaft. Da rüber hinaus verfügt sie über erhebliche geopolitische und kulturelle Bedeutungen. Besonders in den Ingenieurwissenschaften, im Ma schinenbau, in der Kybernetik und Informatik, aber auch in der alltäg lichen Lebenswelt tritt der Hybriddiskurs immer häufiger als innovati ve Technologieform in Erscheinung. So sorgte die » fuzzy logic« be reits Anfang der I990er Jahre für Furore. Viele Konsumenten und Konsumentinnen kamen dadurch in ihrem Alltag - oft ohne es zu wissen - mit einer Technik in Berührung, die auf einer hybriden Ar beitsweise beruht. » Fuzzy logic« bleibt im Gegensatz zu herkömmli chen Methoden nicht mehr auf binäre Systeme mit der einzigen Un terscheidungsmöglichkeit zwischen »0« oder » I«, »wahr« oder »un wahr« bzw. »an« oder »aus« beschränkt. Vielmehr operiert sie inner halb nicht absolut gesetzter Zustände. So wie andere Ansätze, Fragen der Unbestimmtheit und Unabge schlossenheit als hermeneutische Ausgangspunkte nehmen, geht auch die » fuzzy logic« auf einen Intellektuellen zurück, der - selbst vom Rand kommend - eine »Theorie der unscharfen Mengen [ent warf], die Randexistenzen zulassen« (Lessmöllmann 2000: 36). In den I960er Jahren entwickelte der in Aserbaidschan geborene Lofti Zadeh an der Universität Berkeley eine Steuerungsmethode, die » fuzzy logic« genannt wurde, was im Englischen soviel wie »unscharf« oder »ver schwommen« bedeutet. Damit wird die Haupteigenschaft dieses Ver fahrens, mit Zwischenständen und nicht eindeutig definierten Werten zu operieren, beschrieben. Auch wenn es auf den ersten Blick paradox klingt, wurde diese ReguIierungstechnik auf dem Massenkonsum markt zuerst für die Autofokusfunktion bei Fotoapparaten und Video-
50 I Hype u m Hybridität kein anderes identitätsstiftendes Massenprodukt die Sicherung von Individualität und Mobilität für das 21. Jahrhundert. Zwar befindet sich die Alltagstauglichkeitsprüfung des Hybridantriebs20 im Privat automobil noch in der fortgeschrittenen Erprobungsphase; doch die Serienproduktion ist fiir die nächsten Jahre fest eingeplant bzw. bei einigen Herstellern bereits angelaufen. Trotz fehlender Langzeiterfah rung wird das Hybridauto unisono als » revolutionäre Kombination aus Verbrennungsmotor und Elektroantrieb« und >>neue Schlüssel technik« präsentiert (Wüst 2001: 210). Durch optimistische Leis tungsdaten erhalten euphorische Erwartungen weiteren Auftrieb.2I Es verwundert nicht, dass das Hybridkonzept auch in den Zu kunftsentwürfen für eine dezentrale Energieversorgung großen An klang fmdet. Wie in anderen Schlüsseltechnologien werden dabei unterschiedliche Methoden der Energieerzeugung zu einer aufeinan der abgestimmten Einheit integriert und an die lokalen Voraussetzun gen adaptiert. Auf der Insel Pellworm wurde Europas größte regenera tive Hybridanlage realisiert, die aus Windkraft und Sonnenlicht Strom gewinnt. Durch die sich ergänzenden Elemente können systemische Nachteile einer Energieerzeugungsart durch die Vorteile einer ande ren ersetzt werden. Neben der Diversifizierung der Energieproduktion mende Technik durch ein » Hybrid Electric Vehicle Program« des US-Ener gieministeriums gefordert (http:jjwww.nrel.govjvehiclesandfuelsjhev, gesehen am 22.5.2°°5). 20 I Toyota nennt sein Antriebssystem »Hybrid Synergy Drive« und wirbt seit 2004 dafür mit dem Spruch »The power to move forward«. Der Hyb ridantrieb ist vom Hybridmotor zu unterscheiden, der bislang einen Verbren nungsmotor bezeichnet, der sowohl über Merkmale des Otto- als auch des Die selmotors verfugt. Diese Technik konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Als Idee stellt der Hybridantrieb keine Innovation dar, sondern ist etwa im Loko motivbereich seit langem bekannt. Um z.B. Strecken ohne funktionierende Stromversorgung befahren zu können, sind Hybrid- bzw. Zweikraftlokomoti ven zusätzlich mit Akkumulatoren oder Dieselmotoren ausgestattet. 2 1 I Auf der Tokio Motor Show 2001 wurde der » Honda eivic Hybrid« mit einem Verbrauch von 3,4 Liter auf roo km als weltweit sparsamster Fünfsitzer vorgestellt. Mittlerweile wurde der auf Hybridtechnik basierende »Toyota Pri us« zum »Auto des Jahres 20°5« gewählt. Aufder Chicago Auto Show und dem Genfor Autosalon 2005 standen die Hybrid-Fahrzeuge so sehr im Rampenlicht fuhrender Autoproduzenten, dass der Chrysler-Präsident Dieter Zetsche von einer regelrechten »Hybrid-Hysterie« in der breiten Öffentlichkeit sprach. Nun wollen auch Nachzügler wie Volkswagen aufjeden Fall Hybridmodelle anbieten. In Deutschland schlägt sich diese Euphorie fur die neue Technik auch in aktu ellen Forschungsarbeiten nieder, wobei gerade junge Nachwuchswissenschaft ler hier gute Möglichkeiten sehen, sich mit innovationsfreudigen Untersu chungen zu profilieren (vgl. Kozlowski 2004; Winger 2004).
Hybride Revo lution I SI durch parallele Systeme erlaubt die Hybridisierung auch hochinteg rierte Anlagen, deren Komponenten aufeinander aufbauen. Im opti malen Fall wird ein ineinandergreifender Energiekreislauf mit mehre ren Verwertungszyklen ermöglicht, wodurch die Subsysteme gegen seitig voneinander profitieren. Solche hybriden Synergie-Effekte sollen die Störanfalligkeit und Abhängigkeit des Gesamtsystems reduzieren und seine Flexibilität und Funktionalität erhöhen, die zu einer wesent lich verbesserten Leistungsfahigkeit beitragen. So wie in der mensch lichen Geschichte der Einsatz von bestimmten Energieformen und die Neuentwicklung von Schlüsseltechniken Gesellschaftsformen prägten oder sogar zu einer neuen Entwicklungsstufe führten, so scheint auch das Hybridkonzept als allgemeines Sinnbild in der postmodernisier ten Moderne für das Herannahen einer neuen Epoche zu stehen. Ohne Zweifel sind Biotechnologie, Mobilität, Energie und Ökologie existentielle Politikfelder, die das Aussehen und die Struktur zukünf tiger Gesellschaftsformen in ihren globalen Dimensionen maßgeblich beeinflussen. Neben den genannten Schlüsselsektoren gilt auch die Mikroelek tronik als Zukunftstechnologie für Wirtschaft und Gesellschaft. Da rüber hinaus verfügt sie über erhebliche geopolitische und kulturelle Bedeutungen. Besonders in den Ingenieurwissenschaften, im Ma schinenbau, in der Kybernetik und Informatik, aber auch in der alltäg lichen Lebenswelt tritt der Hybriddiskurs immer häufiger als innovati ve Technologieform in Erscheinung. So sorgte die » fuzzy logic« be reits Anfang der I990er Jahre für Furore. Viele Konsumenten und Konsumentinnen kamen dadurch in ihrem Alltag - oft ohne es zu wissen - mit einer Technik in Berührung, die auf einer hybriden Ar beitsweise beruht. » Fuzzy logic« bleibt im Gegensatz zu herkömmli chen Methoden nicht mehr auf binäre Systeme mit der einzigen Un terscheidungsmöglichkeit zwischen »0« oder » I«, »wahr« oder »un wahr« bzw. »an« oder »aus« beschränkt. Vielmehr operiert sie inner halb nicht absolut gesetzter Zustände. So wie andere Ansätze, Fragen der Unbestimmtheit und Unabge schlossenheit als hermeneutische Ausgangspunkte nehmen, geht auch die » fuzzy logic« auf einen Intellektuellen zurück, der - selbst vom Rand kommend - eine »Theorie der unscharfen Mengen [ent warf], die Randexistenzen zulassen« (Lessmöllmann 2000: 36). In den I960er Jahren entwickelte der in Aserbaidschan geborene Lofti Zadeh an der Universität Berkeley eine Steuerungsmethode, die » fuzzy logic« genannt wurde, was im Englischen soviel wie »unscharf« oder »ver schwommen« bedeutet. Damit wird die Haupteigenschaft dieses Ver fahrens, mit Zwischenständen und nicht eindeutig definierten Werten zu operieren, beschrieben. Auch wenn es auf den ersten Blick paradox klingt, wurde diese ReguIierungstechnik auf dem Massenkonsum markt zuerst für die Autofokusfunktion bei Fotoapparaten und Video-
52 I Hype um Hybridität
Hybride Revolution I 53
Camcordern eingesetzt (Blum 1991: 19). Die Euphorie war s o groß,
(z.B. partielle Differenzialgleichungen) oder zur Simulation komplexer
dass »fuzzy« 1991 in Japan zum Wort des Jahres gekürt wurde und
dynamischer Systeme (z.B. Gas- und Stromnetze) verwendet. Doch
auch in der B RD ein breites Interesse einsetzte (vgl. Kosko 1993; Spies
das Prinzip, unterschiedliche Technologien und Logiken zusammen
1993). Überall dort, wo Technik mit unvorhersehbaren und dynami
zuführen, um Synergien auszunutzen, ist aktuell geblieben. In diesem
schen Situationen konfrontiert ist - so auch bei der Unwucht- und
Zusammenhang erhält auch die lexikalische Bedeutung des Begriffs
Schaumkontrolle in Waschmaschinen -, gilt »fuzzy logic« gegenüber
»Hybridrechner« eine Aktualisierung. Er bezeichnet zunehmend eine
konventionellen Kalkulationsmethoden, die mit endlichen Zahlen
noch zu realisierende Recheneinheit, die Digital- mit Quantentechnik
rechnen, als überlegen. Gerade weil diese mit eindeutigen Zuständen
kombiniert. Letzteres befindet sich jedoch noch in der Phase ihrer
operieren, können sie sich mit ihrer scheinbar objektiven Methode der
theoretischen Exploration. Die angestrebte Miniaturisierung und er
unbegrenzten Komplexität der Realität nur unzureichend annähern.
wartete Leistungssteigerung wird bereits als >dritte technische Revo
Dagegen funktioniert »fuzzy logic« stufenlos und verzichtet auf exakte
lution< vorgestellt, die die Computertechnik bis zur subatomaren Ebe
Regulierungsschritte, die auf vordefmierte Einstellungen rekurrieren.
ne vorantreiben soll (Löhr 1998: 8):2 Ein Ausdruck dieses technologi
Durch >softe< Algorithmen, die sich auf undefinierte Situationen
schen Aufschwungs findet sich in der seit 1998 jährlich an internatio
einstellen und dadurch selbständig weiterentwickeln können, wird
nalen Spitzenuniversitäten wie
» fuzzy logic« besonders in der Künstlichen Intelligenz und der Biome
2005
an der
ETH Zürich
Berkeley, Stanford und zuletzt im
März
durchgeführten Symposienreihe » Hybrid
trie (z.B. für Handschriften- und Gesichtserkennung) als zukunfts
Systems: Computation and Control«, die nicht zuletzt die Kooperation
trächtig erachtet (vgl. Scharl 1999, Neagu et al.
zwischen akademischer Forschung und industriellen Anwendungen
2005;
Melin/Castillo
intensivieren will (Morari/Thiele
2°°5)· In ähnlicher Weise profitiert auch die Hybrid-CD-ROM von ihren
2005).
Ähnliche Ziele verfolgt das Konzept hybrider Mikrosysteme, das
grenzüberschreitenden Eigenschaften, da sie als systemübergreifender
in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Diese
Standard im Bereich der digitalen Speichermedien zwischen konfli
hochintegrierte Technologie setzt sich aus mikroelektronischen, mik
gierenden Konfigurationen vermittelt. Als Intermedium stellt die Hyb
rooptischen, mikromechanischen oder mikrofluiden Einzelkompo
rid-CD zwischen den einander sich ausschließenden Betriebsystemen
nenten zusammen und soll multiple Funktionen übernehmen. Die
in dem sie einen Daten
Kostenvorteile der Miniaturisierung - besonders im Massenferti
austausch ermöglicht und als Wechselmedium die systemimmanen
gungsverfahren -, die sich u.a. aus Materialeinsparung, Volumen- und
von
Microsoft
und
Apple Kompatibilität her,
ten Grenzen überbrückt. Hybrid-CDs bilden ein Interface zwischen
Gewichtsreduktion, geringerer thermischer Trägheit und verbesserter
konkurrierenden Computerstandards, wodurch die kooperative Nut
Transportfähigkeit ergeben, sollen enorm sein. Sie können durch
zung von gemeinsamen Ressourcen ermöglicht wird.
funktionelle Hybridisierung sogar um eine erhöhte Einsatzflexibilität
Fragen der Interkonnektivität sind im Internet-Zeitalter unaus
ergänzt werden. Solche Fähigkeiten sind z.B. in der Sensor- und Mess
weichlich und spielen gerade bei der Architektur von computerbasier
technik zur Überwachung von Parametern wie Temperatur, Druck,
ten Netzwerken eine grundlegende Rolle für die globale Informations
Feuchtigkeit etc. vom großem Vorteil. Wegen ihren universellen Ein
und Kommunikationsinfrastruktur. Auch in diesem Rahmen sind
satzmöglichkeiten gelten hybride Mikrosystemtechniken als eine der
Hybridkonzepte präsent, indem sie je nach Anforderungsprofll und
zukunftsträchtigsten Basistechnologien (Klose 19 94; Savkin/Evans
Einsatzzweck Bus-, Stern- und Ringanlagen, die die Grundmuster
2002).
lokaler Netzwerktopologien bilden, miteinander kombinieren. Wie bei anderen Mischformen sollen durch variable Anordnung die Stärken spezialisierter Strukturen für die Erfordernisse der jeweiligen Teilbe reiche genutzt werden. Die Addition der Einzelteile verspricht für die Gesamtanlage ein an den gegebenen Bedingungen optimal angepass tes System mit größtmöglicher Performance und Zuverlässigkeit. Im Computerbereich galten früher Systeme als hybrid, die z.B. die Arbeitsweisen analoger Elektronenröhren- und digitaler Transistoren technik miteinander verbanden. Solche wissenschaftlichen Hybrid rechner sind inzwischen weitgehend verdrängt worden und werden nur noch zur Berechnung spezifischer mathematischer Aufgaben
22 I Wie hoch die Erwartungen an Hybridtechnologien sogar bei her kömmlichen Computerprozessoren sind, zeigt bspw. die NASA-Studie »Hybrid Technology Multi-Threaded Architecture«, die im Rahmen des " High Perfor mance Computing and Communications Program« entstanden ist: ,>The hyb rid technology approach exploits critical opportunities enabled by key emer ging devices. Specifically, computational performance can be dramatically im proved through recent advances in Superconducting Rapid Single Flux Quan tum logic which will make 100 GHz dock rates feasible in the next two years« (http://www.hq.nasa.gov/hpcc/petaflops/paws.96/htmt/htmt.html, gesehen am 22.5.2005).
52 I Hype um Hybridität
Hybride Revolution I 53
Camcordern eingesetzt (Blum 1991: 19). Die Euphorie war s o groß,
(z.B. partielle Differenzialgleichungen) oder zur Simulation komplexer
dass »fuzzy« 1991 in Japan zum Wort des Jahres gekürt wurde und
dynamischer Systeme (z.B. Gas- und Stromnetze) verwendet. Doch
auch in der B RD ein breites Interesse einsetzte (vgl. Kosko 1993; Spies
das Prinzip, unterschiedliche Technologien und Logiken zusammen
1993). Überall dort, wo Technik mit unvorhersehbaren und dynami
zuführen, um Synergien auszunutzen, ist aktuell geblieben. In diesem
schen Situationen konfrontiert ist - so auch bei der Unwucht- und
Zusammenhang erhält auch die lexikalische Bedeutung des Begriffs
Schaumkontrolle in Waschmaschinen -, gilt »fuzzy logic« gegenüber
»Hybridrechner« eine Aktualisierung. Er bezeichnet zunehmend eine
konventionellen Kalkulationsmethoden, die mit endlichen Zahlen
noch zu realisierende Recheneinheit, die Digital- mit Quantentechnik
rechnen, als überlegen. Gerade weil diese mit eindeutigen Zuständen
kombiniert. Letzteres befindet sich jedoch noch in der Phase ihrer
operieren, können sie sich mit ihrer scheinbar objektiven Methode der
theoretischen Exploration. Die angestrebte Miniaturisierung und er
unbegrenzten Komplexität der Realität nur unzureichend annähern.
wartete Leistungssteigerung wird bereits als >dritte technische Revo
Dagegen funktioniert »fuzzy logic« stufenlos und verzichtet auf exakte
lution< vorgestellt, die die Computertechnik bis zur subatomaren Ebe
Regulierungsschritte, die auf vordefmierte Einstellungen rekurrieren.
ne vorantreiben soll (Löhr 1998: 8):2 Ein Ausdruck dieses technologi
Durch >softe< Algorithmen, die sich auf undefinierte Situationen
schen Aufschwungs findet sich in der seit 1998 jährlich an internatio
einstellen und dadurch selbständig weiterentwickeln können, wird
nalen Spitzenuniversitäten wie
» fuzzy logic« besonders in der Künstlichen Intelligenz und der Biome
2005
an der
ETH Zürich
Berkeley, Stanford und zuletzt im
März
durchgeführten Symposienreihe » Hybrid
trie (z.B. für Handschriften- und Gesichtserkennung) als zukunfts
Systems: Computation and Control«, die nicht zuletzt die Kooperation
trächtig erachtet (vgl. Scharl 1999, Neagu et al.
zwischen akademischer Forschung und industriellen Anwendungen
2005;
Melin/Castillo
intensivieren will (Morari/Thiele
2°°5)· In ähnlicher Weise profitiert auch die Hybrid-CD-ROM von ihren
2005).
Ähnliche Ziele verfolgt das Konzept hybrider Mikrosysteme, das
grenzüberschreitenden Eigenschaften, da sie als systemübergreifender
in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Diese
Standard im Bereich der digitalen Speichermedien zwischen konfli
hochintegrierte Technologie setzt sich aus mikroelektronischen, mik
gierenden Konfigurationen vermittelt. Als Intermedium stellt die Hyb
rooptischen, mikromechanischen oder mikrofluiden Einzelkompo
rid-CD zwischen den einander sich ausschließenden Betriebsystemen
nenten zusammen und soll multiple Funktionen übernehmen. Die
in dem sie einen Daten
Kostenvorteile der Miniaturisierung - besonders im Massenferti
austausch ermöglicht und als Wechselmedium die systemimmanen
gungsverfahren -, die sich u.a. aus Materialeinsparung, Volumen- und
von
Microsoft
und
Apple Kompatibilität her,
ten Grenzen überbrückt. Hybrid-CDs bilden ein Interface zwischen
Gewichtsreduktion, geringerer thermischer Trägheit und verbesserter
konkurrierenden Computerstandards, wodurch die kooperative Nut
Transportfähigkeit ergeben, sollen enorm sein. Sie können durch
zung von gemeinsamen Ressourcen ermöglicht wird.
funktionelle Hybridisierung sogar um eine erhöhte Einsatzflexibilität
Fragen der Interkonnektivität sind im Internet-Zeitalter unaus
ergänzt werden. Solche Fähigkeiten sind z.B. in der Sensor- und Mess
weichlich und spielen gerade bei der Architektur von computerbasier
technik zur Überwachung von Parametern wie Temperatur, Druck,
ten Netzwerken eine grundlegende Rolle für die globale Informations
Feuchtigkeit etc. vom großem Vorteil. Wegen ihren universellen Ein
und Kommunikationsinfrastruktur. Auch in diesem Rahmen sind
satzmöglichkeiten gelten hybride Mikrosystemtechniken als eine der
Hybridkonzepte präsent, indem sie je nach Anforderungsprofll und
zukunftsträchtigsten Basistechnologien (Klose 19 94; Savkin/Evans
Einsatzzweck Bus-, Stern- und Ringanlagen, die die Grundmuster
2002).
lokaler Netzwerktopologien bilden, miteinander kombinieren. Wie bei anderen Mischformen sollen durch variable Anordnung die Stärken spezialisierter Strukturen für die Erfordernisse der jeweiligen Teilbe reiche genutzt werden. Die Addition der Einzelteile verspricht für die Gesamtanlage ein an den gegebenen Bedingungen optimal angepass tes System mit größtmöglicher Performance und Zuverlässigkeit. Im Computerbereich galten früher Systeme als hybrid, die z.B. die Arbeitsweisen analoger Elektronenröhren- und digitaler Transistoren technik miteinander verbanden. Solche wissenschaftlichen Hybrid rechner sind inzwischen weitgehend verdrängt worden und werden nur noch zur Berechnung spezifischer mathematischer Aufgaben
22 I Wie hoch die Erwartungen an Hybridtechnologien sogar bei her kömmlichen Computerprozessoren sind, zeigt bspw. die NASA-Studie »Hybrid Technology Multi-Threaded Architecture«, die im Rahmen des " High Perfor mance Computing and Communications Program« entstanden ist: ,>The hyb rid technology approach exploits critical opportunities enabled by key emer ging devices. Specifically, computational performance can be dramatically im proved through recent advances in Superconducting Rapid Single Flux Quan tum logic which will make 100 GHz dock rates feasible in the next two years« (http://www.hq.nasa.gov/hpcc/petaflops/paws.96/htmt/htmt.html, gesehen am 22.5.2005).
54 I Hype
um
Hybridität
Wie diese kurze Revue wichtiger Schlüsselindustrien zeigt, erlebt Hyb ridität als funktionales Kernprinzip in diversen B ereichen der Hoch technologie eine bemerkenswerte Konjunktur, da sie sich als äußerst vielseitiges Anwendungskonzept erweist. Dieser Effekt wird durch die definitorische Offenheit bzw. die unscharfen B edeutungen des Hyb ridbegriffs verstärkt, der so frei schwebend, multikontextual und un bestimmt wirkt, dass er im Zweifelsfall immer passt. Des Weiteren wird die universelle Verwendbarkeit dieses Begriffs durch seine cha rismatische Ausstrahlung potenziert, die ihm - einer Popkultur-Ikone gleich - schillernden Glanz und Anziehungskraft verleiht. Kurz ge sagt:
Hybridität ist gut verkäuflich, weil sexy und vice versa.
Der erstaunli
chen Breite und Dynamik von technologischen Hybriddiskursen nach
H ybridität als kulturelle Dominante I m postmodernen Spätkapitalismus
zu urteilen, deren Erweiterungsmöglichkeiten bisher unbegrenzt erscheinen, befinden wir uns am Anfang einer Ökonomie, die auf der Industrialisierung von Hybridmodellen basiert. Ihr angestrebtes revo lutionäres Potential beruht auf eine Arbeitsweise, die die Überwin
Wir leben in Gesellschaften, in der die kulturelle Sphäre eine beson
dung struktureller Grenzen und B arrieren für sich reklamiert, um
dere Bedeutung hat. Diese Entwicklung drückt sich nicht zuletzt im
durch Innovation und verbesserte Anpassung gesteigerte funktionale
»linguistic turn« der Geisteswissenschaften und im » cultural turn«
Effizienz und/oder ästhetische Gewinne zu erzielen. Als Methode
der Sozialwissenschaften aus. Beide wissenschaftliche Wendungen
erscheint diese kreative, auf Offenheit und Transgression ausgerichte
verbindet das Plädoyer für einen dynamischen, interaktiven, pluralen,
te Arbeitsweise für die Erfindung von Zukunftstechnologien und zur
stets wandelbaren Kulturbegriff. Zusammenfassend lässt sich dieser
Generierung von Neuem prädestiniert. Daraus wird ein faszinierendes
kulturwissenschaftliche Paradigmen- und Perspektivenwechsel auch
Image des Hybriden gewonnen, das immer mehr Bereiche der Gesell
als »postmodern turn« bezeichnen, der nicht zuletzt die Suche nach
schaft und Kultur in seinen Bann zieht und sich für die industrielle
hybriden Ausdrucksweisen der Intermedialität und Transkulturalität
und kommerzielle Verwertung als äußerst attraktiv darstellt. In extre
popularisiert hat (Best/ Kellner
mer Verkürzung kann gesagt werden, dass Hybridität dann besteht,
bietet sich diese Arbeitsdefinition von kultureller Hybridität in der
1991: 25-28). Als grobe Orientierung
wenn es nicht mit sich selbst identisch ist und sich immer neu erfin
Postmoderne an: »Hybridisierung soll Entwicklungen bezeichnen, in
det. Um es plastischer auszudrücken: Eben diese extreme Wandlungs
denen sich Formen kombinieren, die sich in unterschiedlichen Zeit
fähigkeit macht Madonna zu einem hybriden und dadurch auch in der
dimensionen entwickelt haben« (Schneider 1997:
Langzeitperspektive äußerst erfolgreichen Popstars. Sie ist so gesehen
Obwohl
Crossover, Patchwork und
14) .
organische Hybridisierung im
1979), ist
die popkulturelle Verkörperung eines hybriden Feminismus. Diese
manenter Bestandteil jeder Kulturentwicklung sind ( Bachtin
>definitive< Aufwertung von Differenz ist eine gute Grundlage, um
die normative Aufwertung, die die Hybridisierung gegenwärtig ge
nun das Verhältnis von subversiver Politik zu einem spielerischen wie
nießt, eine einzigartige Erfahrung in der europäischen Moderne. Hin
verwertungstechnisch höchst effizienten Umgang mit kulturellen
ter der Wertschätzung von Hybridkonzepten verbirgt sich eine weit
Produktionen zu diskutieren.
reichende, keine zwangsläufig nur instrumentelle Neuorientierung westlicher Kognitions- und Wahrnehmungs muster. Galt die binäre Logik des Entweder-oder in der Moderne unangefochten, entsteht mit dem hybriden Prinzip des Sowohl-als-auch eine nachmoderne WeIt sicht, die längerfristig andere Formen der (Wissens-) Produktion her vorbringen und somit auch neue Arten des Wissens freisetzen könnte. I
I I Infolge dieses Wertewandels besteht auch die Gefahr, dass Hybridi tät zur neuen Norm erstarrt, die aufgrund ihrer Festlegung selbst nicht weni ger autoritär und ausschließlich als frühere Modelle wirkt. Sollte diese parado-
54 I Hype
um
Hybridität
Wie diese kurze Revue wichtiger Schlüsselindustrien zeigt, erlebt Hyb ridität als funktionales Kernprinzip in diversen B ereichen der Hoch technologie eine bemerkenswerte Konjunktur, da sie sich als äußerst vielseitiges Anwendungskonzept erweist. Dieser Effekt wird durch die definitorische Offenheit bzw. die unscharfen B edeutungen des Hyb ridbegriffs verstärkt, der so frei schwebend, multikontextual und un bestimmt wirkt, dass er im Zweifelsfall immer passt. Des Weiteren wird die universelle Verwendbarkeit dieses Begriffs durch seine cha rismatische Ausstrahlung potenziert, die ihm - einer Popkultur-Ikone gleich - schillernden Glanz und Anziehungskraft verleiht. Kurz ge sagt:
Hybridität ist gut verkäuflich, weil sexy und vice versa.
Der erstaunli
chen Breite und Dynamik von technologischen Hybriddiskursen nach
H ybridität als kulturelle Dominante I m postmodernen Spätkapitalismus
zu urteilen, deren Erweiterungsmöglichkeiten bisher unbegrenzt erscheinen, befinden wir uns am Anfang einer Ökonomie, die auf der Industrialisierung von Hybridmodellen basiert. Ihr angestrebtes revo lutionäres Potential beruht auf eine Arbeitsweise, die die Überwin
Wir leben in Gesellschaften, in der die kulturelle Sphäre eine beson
dung struktureller Grenzen und B arrieren für sich reklamiert, um
dere Bedeutung hat. Diese Entwicklung drückt sich nicht zuletzt im
durch Innovation und verbesserte Anpassung gesteigerte funktionale
»linguistic turn« der Geisteswissenschaften und im » cultural turn«
Effizienz und/oder ästhetische Gewinne zu erzielen. Als Methode
der Sozialwissenschaften aus. Beide wissenschaftliche Wendungen
erscheint diese kreative, auf Offenheit und Transgression ausgerichte
verbindet das Plädoyer für einen dynamischen, interaktiven, pluralen,
te Arbeitsweise für die Erfindung von Zukunftstechnologien und zur
stets wandelbaren Kulturbegriff. Zusammenfassend lässt sich dieser
Generierung von Neuem prädestiniert. Daraus wird ein faszinierendes
kulturwissenschaftliche Paradigmen- und Perspektivenwechsel auch
Image des Hybriden gewonnen, das immer mehr Bereiche der Gesell
als »postmodern turn« bezeichnen, der nicht zuletzt die Suche nach
schaft und Kultur in seinen Bann zieht und sich für die industrielle
hybriden Ausdrucksweisen der Intermedialität und Transkulturalität
und kommerzielle Verwertung als äußerst attraktiv darstellt. In extre
popularisiert hat (Best/ Kellner
mer Verkürzung kann gesagt werden, dass Hybridität dann besteht,
bietet sich diese Arbeitsdefinition von kultureller Hybridität in der
1991: 25-28). Als grobe Orientierung
wenn es nicht mit sich selbst identisch ist und sich immer neu erfin
Postmoderne an: »Hybridisierung soll Entwicklungen bezeichnen, in
det. Um es plastischer auszudrücken: Eben diese extreme Wandlungs
denen sich Formen kombinieren, die sich in unterschiedlichen Zeit
fähigkeit macht Madonna zu einem hybriden und dadurch auch in der
dimensionen entwickelt haben« (Schneider 1997:
Langzeitperspektive äußerst erfolgreichen Popstars. Sie ist so gesehen
Obwohl
Crossover, Patchwork und
14) .
organische Hybridisierung im
1979), ist
die popkulturelle Verkörperung eines hybriden Feminismus. Diese
manenter Bestandteil jeder Kulturentwicklung sind ( Bachtin
>definitive< Aufwertung von Differenz ist eine gute Grundlage, um
die normative Aufwertung, die die Hybridisierung gegenwärtig ge
nun das Verhältnis von subversiver Politik zu einem spielerischen wie
nießt, eine einzigartige Erfahrung in der europäischen Moderne. Hin
verwertungstechnisch höchst effizienten Umgang mit kulturellen
ter der Wertschätzung von Hybridkonzepten verbirgt sich eine weit
Produktionen zu diskutieren.
reichende, keine zwangsläufig nur instrumentelle Neuorientierung westlicher Kognitions- und Wahrnehmungs muster. Galt die binäre Logik des Entweder-oder in der Moderne unangefochten, entsteht mit dem hybriden Prinzip des Sowohl-als-auch eine nachmoderne WeIt sicht, die längerfristig andere Formen der (Wissens-) Produktion her vorbringen und somit auch neue Arten des Wissens freisetzen könnte. I
I I Infolge dieses Wertewandels besteht auch die Gefahr, dass Hybridi tät zur neuen Norm erstarrt, die aufgrund ihrer Festlegung selbst nicht weni ger autoritär und ausschließlich als frühere Modelle wirkt. Sollte diese parado-
56 I Hype um Hybrid ität Ein solcher Ansatz, der das Homogenitätsstreben in der Modeme un terbricht, könnte ein anderes Verhältnis zur Differenz entwickeln. Hybridisierung verweist auf ein Weltbild, das auf »unreines Denken« und indefinitive Mischkategorien beruht. Dabei fungiert Hybridisie rung als vielschichtiges Denkgebäude für ein postmodernes Bedeu tungsensemble. Alternativ zu den tradierten Ideen der europäisch ge prägten Modeme baut Hybridisierung nicht auf ausschließliche Prin zipien wie Singularität und Totalität auf, sondern geht von einer irre duziblen Differenz und Uneinheitlichkeit aus. Statt mit ausschließen den Gegensatzpaaren und binären Mustern zu operieren, werden liminale Konzepte der Grenzauflösung und third spaces favorisiert. Mit dem Wandel der Wahrnehmungsweise ist eine Neuorientierung ver bunden, die statt von der fiktiven Bewahrung imaginärer Einheit und Authentizität nun von der Dynamik der Vermischung ausgeht. Dieses veränderte Verhältnis zur Differenz, das den Anderen nicht mehr per se außerhalb des Selbst verortet und ausgrenzt, könnte weitreichende und widersprüchliche Folgewirkungen auslösen. Es ist eine entscheidende Frage, inwieweit diese kulturphilosophi sche Neuorientierung die epistemologischen Grundlagen der westli chen Modeme tangiert, ob sie als Bruch oder als (Post-)Modernisie rung zu analysieren ist. Anzeichen, die auf komplexe Verschiebungen in den vielschichtigen Verflechtungen bestehender Machtverhältnisse, aber weniger auf ihre Aufhebung hindeuten, sprechen für die Moder nisierungsthese. Bisher ist die Geschichte der Wissensproduktion auch immer eine Geschichte von Machtbeziehungen und ihren sich verändernden Kräfteverhältnissen. Zwar ist es richtig anzunehmen, dass ein epistemologischer Wandel in der Konstruktion des Anderen nicht ohne Auswirkungen auf die bisher dominante Art zu denken und die Welt aufzuteilen bleibt. Aber eine realistische Betrachtungs weise muss ebenso davon ausgehen, dass Hybridität in ihren kultur industriellen Versionen - ohne einschneidende Interventionen und Umcodierungen - modeme Machtformen lediglich neu konfiguriert, aber wenig dazu beiträgt, sie zu schwächen. Vergessen wir nicht, »das Hybride bildet nicht den Gegenbegriffzum Hierarchischen und Hege monialen, sondern zum Binären und Dichotomischen« (Schneider 1997: 43) · Grundsätzlich kann Hybridisierung durch seine vielgestaltigen Optionen sowohl die Basis für den kulturell-technologischen Umbau spätkapitalistischer Erlebnisgesellschaften stellen als auch die kultur politische Repräsentation des Nicht-Repräsentierten ermöglichen.2 xe Entwicklung eintreten. könnten wir den Hybriddiskurs als eine Selbstparo die betrachten. die sich letzten Endes selbst ad absurdum führt. 2 I Zur ausführlichen Diskussion subversiver Potentiale von Hybridi sierung vgl. Ha 1999: n8-168.
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodern en Spätkapitali smus I 57 nThe lorms 01 hybrid culture and identities described by postmodern eultural studies eor res pond to a globalized eapitalism with an intense flow 01 produets, eulture, people and identities with new eonligurations 01 the global and the loeal and new lorms 01 struggle and resistanee« (Kellner 1 997: 23). Angesichts der geläufigen Lobpreisungen der Segnungen der Hybridi tät (kritisch: Steyerl 2005) werden in der folgenden Analyse zunächst nicht ihre befreienden oder widerständigen Potentiale herausgestellt. Der strategische Fokus konzentriert sich stattdessen auf die häufig übergangenen Probleme kultureller Vermischungskonzeptionen im Spätkapitalismus. Die instrumentellen Funktionalisierungen von Hybridität sind dabei keinesfalls nur technischer Natur. Vielmehr zeigen sie einen ernst zu nehmenden Wertewandel der Kultur in der westlichen Modeme an. Anstatt diesen Wandel lediglich als überfalli gen Bruch mit der europäischen Metaphysik der Modeme zu begrü ßen, kann auch die Frage aufgeworfen werden, inwieweit Hybridität als Zeichen einer postmodernen Ästhetik und Konzeption von Kultur und Gesellschaft mit einer spätkapitalistischen Verwertungslogik verbunden ist, die neben EffIzienz, Faszination, Innovation und An eignung auch neue Formen von Geschmackshierarchien und Aus grenzungen produziert. Es stellen sich also viele offene Fragen: Greift Hybridität innerhalb des umkämpften historischen Prozesses jene Machtkategorien an, welche die Welt als einheitlich und unveränder lich zugleich konstruieren, oder ist sie eher als eine Bewegung anzu sehen, die eine Erneuerung des Bestehenden ermöglicht? Statt der Bewahrung von Kontinuität und Reinheit ist vielfach die positive Anerkennung von Differenz und Vermischung zur Leitmaxi me des Zeitgeistes aufgestiegen. Aber weist diese Entwicklung auf transgressiv-emanzipatorische Momente hin, die an die Stelle aus grenzender Ideologien treten? Oder sind sie nicht auch Modernisie rungseffekte eines sich neu konfigurierenden Machtdiskurses, der inzwischen gelernt hat, sich in bestimmten Kontexten die Vorteile von Diversität und porösen Grenzen zu sichern? Trägt Hybridisierung nicht zu einer weiteren Privilegierung >softer< Fragen über Formen und Oberflächen bei, während >harte< Interessenskonflikte, die sich mit Zugangsfragen, Entscheidungsmacht und Inhalten auseinander setzen, nicht zur Sprache kommen? Kann der Trend zur interkulturel len Event- und Erlebniskultur als eine ästhetische Übersteigerung struktureller Ressourcenentzüge und normalisierter Gewalt in den globalen wie lokalen Zusammenhängen verstanden werden, die einen idyllisch-harmonischen Anstrich erhalten? Ist die Entdeckung des Hybriden nur ein kurzlebiger Hype, wie einige Kritiker/-innen vermu ten, oder verbirgt sich dahinter eine kulturelle Wende, die Teil eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses ist? Inwieweit ist diese Transformation wiederum als Teil eines umfassenderen Projektes des
56 I Hype um Hybrid ität Ein solcher Ansatz, der das Homogenitätsstreben in der Modeme un terbricht, könnte ein anderes Verhältnis zur Differenz entwickeln. Hybridisierung verweist auf ein Weltbild, das auf »unreines Denken« und indefinitive Mischkategorien beruht. Dabei fungiert Hybridisie rung als vielschichtiges Denkgebäude für ein postmodernes Bedeu tungsensemble. Alternativ zu den tradierten Ideen der europäisch ge prägten Modeme baut Hybridisierung nicht auf ausschließliche Prin zipien wie Singularität und Totalität auf, sondern geht von einer irre duziblen Differenz und Uneinheitlichkeit aus. Statt mit ausschließen den Gegensatzpaaren und binären Mustern zu operieren, werden liminale Konzepte der Grenzauflösung und third spaces favorisiert. Mit dem Wandel der Wahrnehmungsweise ist eine Neuorientierung ver bunden, die statt von der fiktiven Bewahrung imaginärer Einheit und Authentizität nun von der Dynamik der Vermischung ausgeht. Dieses veränderte Verhältnis zur Differenz, das den Anderen nicht mehr per se außerhalb des Selbst verortet und ausgrenzt, könnte weitreichende und widersprüchliche Folgewirkungen auslösen. Es ist eine entscheidende Frage, inwieweit diese kulturphilosophi sche Neuorientierung die epistemologischen Grundlagen der westli chen Modeme tangiert, ob sie als Bruch oder als (Post-)Modernisie rung zu analysieren ist. Anzeichen, die auf komplexe Verschiebungen in den vielschichtigen Verflechtungen bestehender Machtverhältnisse, aber weniger auf ihre Aufhebung hindeuten, sprechen für die Moder nisierungsthese. Bisher ist die Geschichte der Wissensproduktion auch immer eine Geschichte von Machtbeziehungen und ihren sich verändernden Kräfteverhältnissen. Zwar ist es richtig anzunehmen, dass ein epistemologischer Wandel in der Konstruktion des Anderen nicht ohne Auswirkungen auf die bisher dominante Art zu denken und die Welt aufzuteilen bleibt. Aber eine realistische Betrachtungs weise muss ebenso davon ausgehen, dass Hybridität in ihren kultur industriellen Versionen - ohne einschneidende Interventionen und Umcodierungen - modeme Machtformen lediglich neu konfiguriert, aber wenig dazu beiträgt, sie zu schwächen. Vergessen wir nicht, »das Hybride bildet nicht den Gegenbegriffzum Hierarchischen und Hege monialen, sondern zum Binären und Dichotomischen« (Schneider 1997: 43) · Grundsätzlich kann Hybridisierung durch seine vielgestaltigen Optionen sowohl die Basis für den kulturell-technologischen Umbau spätkapitalistischer Erlebnisgesellschaften stellen als auch die kultur politische Repräsentation des Nicht-Repräsentierten ermöglichen.2 xe Entwicklung eintreten. könnten wir den Hybriddiskurs als eine Selbstparo die betrachten. die sich letzten Endes selbst ad absurdum führt. 2 I Zur ausführlichen Diskussion subversiver Potentiale von Hybridi sierung vgl. Ha 1999: n8-168.
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodern en Spätkapitali smus I 57 nThe lorms 01 hybrid culture and identities described by postmodern eultural studies eor res pond to a globalized eapitalism with an intense flow 01 produets, eulture, people and identities with new eonligurations 01 the global and the loeal and new lorms 01 struggle and resistanee« (Kellner 1 997: 23). Angesichts der geläufigen Lobpreisungen der Segnungen der Hybridi tät (kritisch: Steyerl 2005) werden in der folgenden Analyse zunächst nicht ihre befreienden oder widerständigen Potentiale herausgestellt. Der strategische Fokus konzentriert sich stattdessen auf die häufig übergangenen Probleme kultureller Vermischungskonzeptionen im Spätkapitalismus. Die instrumentellen Funktionalisierungen von Hybridität sind dabei keinesfalls nur technischer Natur. Vielmehr zeigen sie einen ernst zu nehmenden Wertewandel der Kultur in der westlichen Modeme an. Anstatt diesen Wandel lediglich als überfalli gen Bruch mit der europäischen Metaphysik der Modeme zu begrü ßen, kann auch die Frage aufgeworfen werden, inwieweit Hybridität als Zeichen einer postmodernen Ästhetik und Konzeption von Kultur und Gesellschaft mit einer spätkapitalistischen Verwertungslogik verbunden ist, die neben EffIzienz, Faszination, Innovation und An eignung auch neue Formen von Geschmackshierarchien und Aus grenzungen produziert. Es stellen sich also viele offene Fragen: Greift Hybridität innerhalb des umkämpften historischen Prozesses jene Machtkategorien an, welche die Welt als einheitlich und unveränder lich zugleich konstruieren, oder ist sie eher als eine Bewegung anzu sehen, die eine Erneuerung des Bestehenden ermöglicht? Statt der Bewahrung von Kontinuität und Reinheit ist vielfach die positive Anerkennung von Differenz und Vermischung zur Leitmaxi me des Zeitgeistes aufgestiegen. Aber weist diese Entwicklung auf transgressiv-emanzipatorische Momente hin, die an die Stelle aus grenzender Ideologien treten? Oder sind sie nicht auch Modernisie rungseffekte eines sich neu konfigurierenden Machtdiskurses, der inzwischen gelernt hat, sich in bestimmten Kontexten die Vorteile von Diversität und porösen Grenzen zu sichern? Trägt Hybridisierung nicht zu einer weiteren Privilegierung >softer< Fragen über Formen und Oberflächen bei, während >harte< Interessenskonflikte, die sich mit Zugangsfragen, Entscheidungsmacht und Inhalten auseinander setzen, nicht zur Sprache kommen? Kann der Trend zur interkulturel len Event- und Erlebniskultur als eine ästhetische Übersteigerung struktureller Ressourcenentzüge und normalisierter Gewalt in den globalen wie lokalen Zusammenhängen verstanden werden, die einen idyllisch-harmonischen Anstrich erhalten? Ist die Entdeckung des Hybriden nur ein kurzlebiger Hype, wie einige Kritiker/-innen vermu ten, oder verbirgt sich dahinter eine kulturelle Wende, die Teil eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses ist? Inwieweit ist diese Transformation wiederum als Teil eines umfassenderen Projektes des
58 I Hype um Hybridi tät global vernetzten postmodernen Kapitalismus zu verstehen? Ange sichts dieser offenen Fragen besteht Anlass, die um sich greifende Euphorie um Hybridität zu hinterfragen und Ansatzpunkte für eine kritische Wahrnehmung zu entwickeln} Hybridität verleiht den spezifischen Konditionen der kulturindus triellen Produktionsweise des postmodernen Globalismus einen Na men. Im Unterschied zur Globalisierung, welche die Welt durch transnationale und suprastaatliche Prozesse miteinander verbindet, und Globalität, welche die soziale Entität der Weltgesellschaft be zeichnet, ist der Globalismus nach dem Soziologen Ulrich Beck durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
nMit Globalismus bezeichne ich die Auffassung, dass der Weltmarkt politisches Handeln verdrängt oder ersetzt, das heißt die Ideologie der Weltmarktherrschaft, die Ideologie des Neoliberalismus. Sie verfährt monokausal, ökonomistisch, verkürzt die Vieldimensionalität der Globalisierung auf eine, die wirtschaftliche Dimension, die auch noch linear gedacht wird, und bringt alle anderen Dimensionen - ökologische, kulturelle, politische, zivilge sellschaftiiche Globalisierung - wenn überhaupt, nur in der Dominanz des Weltmarktsys tems zur Sprache« (Beck 1 997: 26). Auch wenn der ökonomistisch geprägte Globalismus nicht eindimen sional gedacht werden kann und seine Dominanz nicht uneinge schränkt ist, zeigt diese analytische Perspektive doch bedeutsame Entwicklungstendenzen auf. die es zu berücksichtigen gilt. In einer globalen Ökonomie, in der auf innovatives Design spezialisierte Global Player wie Apple (»think different«, 1997) und Braun (»Designed to make a difference«, 2003) mit >difference sells-slogans<4 die jung3 I Um es vorwegzunehmen: Ich werde die aufgeworfenen Fragen nicht endgültig beantworten können, sondern versuchen, mögliche Analysewege auszuloten. Viel wäre bereits gewonnen, wenn wir in der Lage wären, wichtige Fragen zu stellen, die die Gesellschaft bewegt. 4 I Die Liste der kostspieligen Imagekampagnen, die auf die Überzeu gungs- und Verführungskraft von Unterschieden setzen, gibt einen Vorge schmack auf eine Ökonomie des Begehrens, die auf der Aneignung von Diffe renz beruht: Mobil 1 (Energie): »Feel the difference«, 1998; CAB (Getränke): »Refreshing different«, 2002; DuPont Lycra (Textilien): » Enjoy the difference«, 2002; Olympus (Photo): »The visible difference«, 1999 und Rado (Schmuck): » A different wor!d«, 1995. Wie die neusten Werbekampagnen zeigen, ist die Vermarktung von Differenz wichtiger denn je - oder um es mit dem Slogan der Marketingagentur Dorland zu sagen: »Selling the difference«, 2004. Wei tere Beispiele sind Loewe (Elektronik): » Be different«, 200); Oregon (Touristik): » Things look different here«, 2003; Alfex (Schmuck) »Dare to be different«, 2004; Arai (Verkehrsmittel): »There is a difference«, 2004; Betty Barclay Wo man (Kosmetik): »The beauty of difference«, 2004; Kinoton (Medien): » See the
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodernen S pätkapitalismus I 59 dynamischen, höher gebildeten und besser verdienenden >Leistungs träger< der Gesellschaft mobilisieren, wird Differenz nun nicht mehr wie seine Geschichte es nahe legt - als Hort von Marginalität und Ausschließung betrachtet. Stattdessen wird Differenz als Produktivi tätsressource und durchdesigntes Lifestyle- und Konsummodell auf dem Markt der (Un-)Möglichkeiten hergestellt und angeboten (Fea therstone 1991; Jain 2004). Die gleichermaßen einfache wie überzeu gende Botschaft lautet: Anders-Sein lohnt sich, weil es erstens die heutige Signatur für Kreativität darstellt und zweitens das Potential zur sozialen (vertikalen) und kulturellen (horizontalen) Mobilität hat. Funktionierende Werbebotschaften beeinflussen als kommerzielle Propaganda zur Konsumentenerziehung einerseits den gegenwärtigen Zeitgeist im Mainstream. In ihrer Funktion als Trendsetter müssen sie andererseits auch ein feines Gespür für jene zukünftigen Entwick lungen haben, die bereits heute in Minderheitenkulturen ihren Aus gang nehmen (Holert/Terkessidis 1996). Um heute am Puls der Zeit zu sein, müsste der programmatische Slogan >just be hybrid< lauten, um die Zukunftserwartung radikal auf ihr Kernversprechen zu reduzieren. Zu diesem Schluss müssen zu mindest die Leser/-innen des Buches von Pascal Zachary kommen, der als Redakteur des >,Wall Street Journal« die wirtschaftlichen Nutz effekte von » rassischer Bastardisierung« und kultureller Vermischung propagiert. Silicon Valley und die offene Unternehmenskultur im »multiethnischen« Kalifornien würden zeigen, dass Migration und Hybridisierung »natürlicherweise« zu kultureller Überlegenheit und ökonomischen Konkurrenzvorteilen führen würden. In seiner Rassen vermischungstheorie geht Zachary davon aus, dass sich gesellschaftli che Kreativität und Innovation durch ethnische und kulturelle Vermi schung steigern ließen (Zachary 2000). So wird die gestrige Forde rung nach der Bewahrung von (absoluten) Differenzen im Multikul turalismus durch ein re-integrierendes Gesellschaftsmodell abgelöst, das die Vorstellung von Hybridität als Politik der Entdifferenzierung und Transkulturalität in den Mittelpunkt stellt. Anstatt das differente Andere wie früher als abzulehnende Konkurrenz oder fremdartige Bedrohung anzusehen, ermöglicht Differenz nun das neue Ideal der endlosen Pluralisierung und Grenzüberschreitung kultureller Sphä_
difference«, 2004; Kuoni (Touristik): ,>A world of difference«, 2004; Oehlbach (Elektronik): »The pure difference«, 2004; Pulsar (Schmuck): »The difference is in the detail«, 2004; ViewSonic (Computer): See the difference, 2004; Cassio peia (Computer): »Empowering people to make the difference«, 2004; Gelder mann (Getränke): Vive la diffrence, 2004; Australia (Touristik): »A different light«, 2004; DGB-Jugend (Politik): »Think different«, 2004; Think! (Beklei dung): »Walk different!«, 2004; Viatel (Kommunikation): »Simply different«, 2005; Fanta (Getränke): »Drink different«, 2005.
58 I Hype um Hybridi tät global vernetzten postmodernen Kapitalismus zu verstehen? Ange sichts dieser offenen Fragen besteht Anlass, die um sich greifende Euphorie um Hybridität zu hinterfragen und Ansatzpunkte für eine kritische Wahrnehmung zu entwickeln} Hybridität verleiht den spezifischen Konditionen der kulturindus triellen Produktionsweise des postmodernen Globalismus einen Na men. Im Unterschied zur Globalisierung, welche die Welt durch transnationale und suprastaatliche Prozesse miteinander verbindet, und Globalität, welche die soziale Entität der Weltgesellschaft be zeichnet, ist der Globalismus nach dem Soziologen Ulrich Beck durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
nMit Globalismus bezeichne ich die Auffassung, dass der Weltmarkt politisches Handeln verdrängt oder ersetzt, das heißt die Ideologie der Weltmarktherrschaft, die Ideologie des Neoliberalismus. Sie verfährt monokausal, ökonomistisch, verkürzt die Vieldimensionalität der Globalisierung auf eine, die wirtschaftliche Dimension, die auch noch linear gedacht wird, und bringt alle anderen Dimensionen - ökologische, kulturelle, politische, zivilge sellschaftiiche Globalisierung - wenn überhaupt, nur in der Dominanz des Weltmarktsys tems zur Sprache« (Beck 1 997: 26). Auch wenn der ökonomistisch geprägte Globalismus nicht eindimen sional gedacht werden kann und seine Dominanz nicht uneinge schränkt ist, zeigt diese analytische Perspektive doch bedeutsame Entwicklungstendenzen auf. die es zu berücksichtigen gilt. In einer globalen Ökonomie, in der auf innovatives Design spezialisierte Global Player wie Apple (»think different«, 1997) und Braun (»Designed to make a difference«, 2003) mit >difference sells-slogans<4 die jung3 I Um es vorwegzunehmen: Ich werde die aufgeworfenen Fragen nicht endgültig beantworten können, sondern versuchen, mögliche Analysewege auszuloten. Viel wäre bereits gewonnen, wenn wir in der Lage wären, wichtige Fragen zu stellen, die die Gesellschaft bewegt. 4 I Die Liste der kostspieligen Imagekampagnen, die auf die Überzeu gungs- und Verführungskraft von Unterschieden setzen, gibt einen Vorge schmack auf eine Ökonomie des Begehrens, die auf der Aneignung von Diffe renz beruht: Mobil 1 (Energie): »Feel the difference«, 1998; CAB (Getränke): »Refreshing different«, 2002; DuPont Lycra (Textilien): » Enjoy the difference«, 2002; Olympus (Photo): »The visible difference«, 1999 und Rado (Schmuck): » A different wor!d«, 1995. Wie die neusten Werbekampagnen zeigen, ist die Vermarktung von Differenz wichtiger denn je - oder um es mit dem Slogan der Marketingagentur Dorland zu sagen: »Selling the difference«, 2004. Wei tere Beispiele sind Loewe (Elektronik): » Be different«, 200); Oregon (Touristik): » Things look different here«, 2003; Alfex (Schmuck) »Dare to be different«, 2004; Arai (Verkehrsmittel): »There is a difference«, 2004; Betty Barclay Wo man (Kosmetik): »The beauty of difference«, 2004; Kinoton (Medien): » See the
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodernen S pätkapitalismus I 59 dynamischen, höher gebildeten und besser verdienenden >Leistungs träger< der Gesellschaft mobilisieren, wird Differenz nun nicht mehr wie seine Geschichte es nahe legt - als Hort von Marginalität und Ausschließung betrachtet. Stattdessen wird Differenz als Produktivi tätsressource und durchdesigntes Lifestyle- und Konsummodell auf dem Markt der (Un-)Möglichkeiten hergestellt und angeboten (Fea therstone 1991; Jain 2004). Die gleichermaßen einfache wie überzeu gende Botschaft lautet: Anders-Sein lohnt sich, weil es erstens die heutige Signatur für Kreativität darstellt und zweitens das Potential zur sozialen (vertikalen) und kulturellen (horizontalen) Mobilität hat. Funktionierende Werbebotschaften beeinflussen als kommerzielle Propaganda zur Konsumentenerziehung einerseits den gegenwärtigen Zeitgeist im Mainstream. In ihrer Funktion als Trendsetter müssen sie andererseits auch ein feines Gespür für jene zukünftigen Entwick lungen haben, die bereits heute in Minderheitenkulturen ihren Aus gang nehmen (Holert/Terkessidis 1996). Um heute am Puls der Zeit zu sein, müsste der programmatische Slogan >just be hybrid< lauten, um die Zukunftserwartung radikal auf ihr Kernversprechen zu reduzieren. Zu diesem Schluss müssen zu mindest die Leser/-innen des Buches von Pascal Zachary kommen, der als Redakteur des >,Wall Street Journal« die wirtschaftlichen Nutz effekte von » rassischer Bastardisierung« und kultureller Vermischung propagiert. Silicon Valley und die offene Unternehmenskultur im »multiethnischen« Kalifornien würden zeigen, dass Migration und Hybridisierung »natürlicherweise« zu kultureller Überlegenheit und ökonomischen Konkurrenzvorteilen führen würden. In seiner Rassen vermischungstheorie geht Zachary davon aus, dass sich gesellschaftli che Kreativität und Innovation durch ethnische und kulturelle Vermi schung steigern ließen (Zachary 2000). So wird die gestrige Forde rung nach der Bewahrung von (absoluten) Differenzen im Multikul turalismus durch ein re-integrierendes Gesellschaftsmodell abgelöst, das die Vorstellung von Hybridität als Politik der Entdifferenzierung und Transkulturalität in den Mittelpunkt stellt. Anstatt das differente Andere wie früher als abzulehnende Konkurrenz oder fremdartige Bedrohung anzusehen, ermöglicht Differenz nun das neue Ideal der endlosen Pluralisierung und Grenzüberschreitung kultureller Sphä_
difference«, 2004; Kuoni (Touristik): ,>A world of difference«, 2004; Oehlbach (Elektronik): »The pure difference«, 2004; Pulsar (Schmuck): »The difference is in the detail«, 2004; ViewSonic (Computer): See the difference, 2004; Cassio peia (Computer): »Empowering people to make the difference«, 2004; Gelder mann (Getränke): Vive la diffrence, 2004; Australia (Touristik): »A different light«, 2004; DGB-Jugend (Politik): »Think different«, 2004; Think! (Beklei dung): »Walk different!«, 2004; Viatel (Kommunikation): »Simply different«, 2005; Fanta (Getränke): »Drink different«, 2005.
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodernen S pätkapitalismus I 61
60 I Hype u m Hybridität
und begehrenswerte Resultate produzieren und Möglichkeiten zur
Flexibilität, Innovations- und Wandlungsfahigkeit stilisiert wird. In der postmoderne wird Hybridität so zum Leit- und Strukturprinzip urba
Erweiterung des dominanten Selbst durch die Aneignung des margi
ner Industriegesellschaften in der Ära der Globalisierung erhoben, in
ren. Ethnische und kulturelle Durchmischungen sollen unerwartete
nalisierten Anderen schaffen. Entsprechend wird die >Entdeckung<
der sich die etablierten Grenzziehungen als porös oder unhaltbar
von produktiven Differenzen in der gegenwärtigen Aufbruchsstim
erweisen. » Global culture is often seen as postmodern: fastchanging,
mung als Eintrittsportal zu einer aufregenden Welt der Hybridität
fragmented, pluralist, hybrid and syncretic« (Nash
betrachtet, die es zu kultivieren und nutzbar zu machen gilt.
die Hybridität wesentliche Modernisierungsfunktionen für die Gesell
2000: 71).
Je mehr
In einer Zeit, in der Multifunktionsgeräte (bspw. Drucker-Fax
schaft übernimmt, desto stärker wird die Hybrideigenschaft zum po
Modem-Scanner-Kombis) im Alltag neue Begehrlichkeiten erzeugen
pulären Synonym für eine universelle Lösungsformel. Ihr Image,
und multiple Identitätsmodelle und kulturelle Kreolisierung im Kul
disparate Probleme und Dysfunktionalitäten der Gegenwart auflösen
turbetrieb5 immer häufiger präsentiert werden, scheint Hybridisie
zu können, gleicht einem postmodernen Gegenmythos, der selbst in
rung der Trend zu sein, der den Zusammenhang zwischen solch
seiner normativen Umkehrung des kolonialen Klischees vom >patho
scheinbar fern liegenden Phänomenen benennt. Sowohl die Massen
logischem Rassenhybrid< ideologisch fixiert bleibt.
konsum- als auch die gehobenen Kulturmärkte teilen die Faszination
Gerade indem ihre historischen Konnotationen getilgt, ihre Nega
für eine gebrochene Gleichzeitigkeit, die aus der Auflösung und Ver
tivität klinisch gesäubert und sie als harmlos-spielerische Kondition
einigung von Differenzen entlang brüchiger Genregrenzen entstehen.
der Postmoderne eine positive Umdeutung erfahrt, wird sie als kultu
Ihre liminale Durchlässigkeit führt oft zur einer Synthese oder Rekon
relle Konfiguration für unterhaltsame Identifikationen und konsumti
figuration ambivalenter Differenzen, die durch Integration oder
ve Erheiterungen interessant. In der kulturindustriellen Domestizie
Amalgamierung überbrückt werden und dadurch veränderte Formen
rung und Konservierung von Hybridität vollzieht sich ein entschei
und Bedeutungen annehmen. Während gegen-autoritäre Bedeutungs
dender Umschlag: Das ehemals ungesicherte Diskursumfeld, das
verschiebungen in Formen der Parodie, Mimikry und Karnevalisie
2000: 97-207) ,
noch Spontanes, Unpassendes, Unkontrollierbares, Störendes und
führt
auch Monströses bereithielt, wird nach seiner Desinfektion weitge
catch-all-word, als eine Spielform des anything goes zu gebrauchen, dazu, dass sie als eine technologische >all in one-solution<6 zum Inbegriff unbegrenzter
hend in eine affirmative Akzeleration des Bestehenden transformiert.
rung destabilisierend wirken können (Bhabha die Tendenz, Hybridität als postmodernen
Diese Domestizierung raubt der hybriden Transgressivität ihre unbe rechenbaren, d.h. lebendigen und gefahrlichen Momente, die erst einen - oftmals nur temporären - Ausbruch aus den bestehenden
5 I Ein- und Überblicke zum künstlerischen Zugang mit Themenfelder Migration und Hybridkultur geben Weibel (1997) und SchneiderJThomsen (1997)· 6 I Das Paradebeispiel für eine universelle Hybridmaschine ist das » Personal Handy«, das zukünftig nicht nur als mobile Kommunikations- und Entertainmentzentrale dient (Drösser 1999: 39; Mattern 2002). Ob das Handy zugleich als unveräußerliches Identitätszertifikat und als Transmitter frei flot tierender Zahlungsmittel funktionieren wird, ist weniger eine Frage der tech nischen Machbarkeit als eine der politischen Durchsetzbarkeit. Wenn das » Personal Handy« die Identität und gesellschaftliche Existenz des Menschen repräsentiert und seinen Körper biotechnisch und sozial erweitert, dann findet durch die Umstellung von einem analogen zu einem digitalen Identitätsmedi um auch eine weitere Verdichtung von Mensch und Technik statt. Bilder von biotechnischen Cyborgs mögen sich in naher Zukunft nicht erfüllen, aber das Handy als Vorläufermedium digitaler Identitätszertifikate, die zentraler Kon trolle ausgesetzt sind, lässt die Pflicht zur Implementierung eines Handy Chips ebenso wenig undenkbar erscheinen wie ein bereits eingeführter Impf zwang, der dem Individuum zugunsten vermeintlich vorrangiger Interessen der Gemeinschaft (z.B. kollektive Gefahrenabwehr) keine Wahlfreiheit lässt.
Ordnungsvorstellungen ermöglicht. Wie beim Begriff der Postmoder ne wurde die normative Umpolung des Hybriden durch seine Enthis torisierung und gleichzeitige Universalisierung ermöglicht. 7 So wird das Hybride nach seiner Umwertung zu einer Chiffre, die
Angesichts des forcierten Abbaus individueller Grund- und Freiheitsrechte im Rahmen der sog. Terrorbekämpfung, die nach der Maxime >mehr Kontrolle gleich mehr Sicherheit< verfahrt, hat der Auf- und Ausbau biometrischer und elektronischer Überwachungsmöglichkeiten Priorität. Auf diesem Wege könn te die Mensch-Maschinen-Verkoppelung vorangetrieben werden, wodurch die öffentliche Existenz des Individuums durch seine digitale Repräsentation auto risiert wird. 7 I Vgl. zur Genese und Deutungsverlauf des Postmoderne-Begriffs Zima (199T 1-18) und Welsch (1991: 9-85). So wie die Anfange der Postmo derne nach Lyotard bis zu Aristoteles zurückreichen sollen (ebd.: 10), so ist es inzwischen üblich, unter Verweis auf Bachtins Begriff der »organischen Hyb ridisierung« zu betonen, dass Kulturen nie rein und ursprünglich sein konn ten, weil ihre Arbeitsweise nicht ohne Internalisierung und Adaption externer Einflüsse auskommt.
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodernen S pätkapitalismus I 61
60 I Hype u m Hybridität
und begehrenswerte Resultate produzieren und Möglichkeiten zur
Flexibilität, Innovations- und Wandlungsfahigkeit stilisiert wird. In der postmoderne wird Hybridität so zum Leit- und Strukturprinzip urba
Erweiterung des dominanten Selbst durch die Aneignung des margi
ner Industriegesellschaften in der Ära der Globalisierung erhoben, in
ren. Ethnische und kulturelle Durchmischungen sollen unerwartete
nalisierten Anderen schaffen. Entsprechend wird die >Entdeckung<
der sich die etablierten Grenzziehungen als porös oder unhaltbar
von produktiven Differenzen in der gegenwärtigen Aufbruchsstim
erweisen. » Global culture is often seen as postmodern: fastchanging,
mung als Eintrittsportal zu einer aufregenden Welt der Hybridität
fragmented, pluralist, hybrid and syncretic« (Nash
betrachtet, die es zu kultivieren und nutzbar zu machen gilt.
die Hybridität wesentliche Modernisierungsfunktionen für die Gesell
2000: 71).
Je mehr
In einer Zeit, in der Multifunktionsgeräte (bspw. Drucker-Fax
schaft übernimmt, desto stärker wird die Hybrideigenschaft zum po
Modem-Scanner-Kombis) im Alltag neue Begehrlichkeiten erzeugen
pulären Synonym für eine universelle Lösungsformel. Ihr Image,
und multiple Identitätsmodelle und kulturelle Kreolisierung im Kul
disparate Probleme und Dysfunktionalitäten der Gegenwart auflösen
turbetrieb5 immer häufiger präsentiert werden, scheint Hybridisie
zu können, gleicht einem postmodernen Gegenmythos, der selbst in
rung der Trend zu sein, der den Zusammenhang zwischen solch
seiner normativen Umkehrung des kolonialen Klischees vom >patho
scheinbar fern liegenden Phänomenen benennt. Sowohl die Massen
logischem Rassenhybrid< ideologisch fixiert bleibt.
konsum- als auch die gehobenen Kulturmärkte teilen die Faszination
Gerade indem ihre historischen Konnotationen getilgt, ihre Nega
für eine gebrochene Gleichzeitigkeit, die aus der Auflösung und Ver
tivität klinisch gesäubert und sie als harmlos-spielerische Kondition
einigung von Differenzen entlang brüchiger Genregrenzen entstehen.
der Postmoderne eine positive Umdeutung erfahrt, wird sie als kultu
Ihre liminale Durchlässigkeit führt oft zur einer Synthese oder Rekon
relle Konfiguration für unterhaltsame Identifikationen und konsumti
figuration ambivalenter Differenzen, die durch Integration oder
ve Erheiterungen interessant. In der kulturindustriellen Domestizie
Amalgamierung überbrückt werden und dadurch veränderte Formen
rung und Konservierung von Hybridität vollzieht sich ein entschei
und Bedeutungen annehmen. Während gegen-autoritäre Bedeutungs
dender Umschlag: Das ehemals ungesicherte Diskursumfeld, das
verschiebungen in Formen der Parodie, Mimikry und Karnevalisie
2000: 97-207) ,
noch Spontanes, Unpassendes, Unkontrollierbares, Störendes und
führt
auch Monströses bereithielt, wird nach seiner Desinfektion weitge
catch-all-word, als eine Spielform des anything goes zu gebrauchen, dazu, dass sie als eine technologische >all in one-solution<6 zum Inbegriff unbegrenzter
hend in eine affirmative Akzeleration des Bestehenden transformiert.
rung destabilisierend wirken können (Bhabha die Tendenz, Hybridität als postmodernen
Diese Domestizierung raubt der hybriden Transgressivität ihre unbe rechenbaren, d.h. lebendigen und gefahrlichen Momente, die erst einen - oftmals nur temporären - Ausbruch aus den bestehenden
5 I Ein- und Überblicke zum künstlerischen Zugang mit Themenfelder Migration und Hybridkultur geben Weibel (1997) und SchneiderJThomsen (1997)· 6 I Das Paradebeispiel für eine universelle Hybridmaschine ist das » Personal Handy«, das zukünftig nicht nur als mobile Kommunikations- und Entertainmentzentrale dient (Drösser 1999: 39; Mattern 2002). Ob das Handy zugleich als unveräußerliches Identitätszertifikat und als Transmitter frei flot tierender Zahlungsmittel funktionieren wird, ist weniger eine Frage der tech nischen Machbarkeit als eine der politischen Durchsetzbarkeit. Wenn das » Personal Handy« die Identität und gesellschaftliche Existenz des Menschen repräsentiert und seinen Körper biotechnisch und sozial erweitert, dann findet durch die Umstellung von einem analogen zu einem digitalen Identitätsmedi um auch eine weitere Verdichtung von Mensch und Technik statt. Bilder von biotechnischen Cyborgs mögen sich in naher Zukunft nicht erfüllen, aber das Handy als Vorläufermedium digitaler Identitätszertifikate, die zentraler Kon trolle ausgesetzt sind, lässt die Pflicht zur Implementierung eines Handy Chips ebenso wenig undenkbar erscheinen wie ein bereits eingeführter Impf zwang, der dem Individuum zugunsten vermeintlich vorrangiger Interessen der Gemeinschaft (z.B. kollektive Gefahrenabwehr) keine Wahlfreiheit lässt.
Ordnungsvorstellungen ermöglicht. Wie beim Begriff der Postmoder ne wurde die normative Umpolung des Hybriden durch seine Enthis torisierung und gleichzeitige Universalisierung ermöglicht. 7 So wird das Hybride nach seiner Umwertung zu einer Chiffre, die
Angesichts des forcierten Abbaus individueller Grund- und Freiheitsrechte im Rahmen der sog. Terrorbekämpfung, die nach der Maxime >mehr Kontrolle gleich mehr Sicherheit< verfahrt, hat der Auf- und Ausbau biometrischer und elektronischer Überwachungsmöglichkeiten Priorität. Auf diesem Wege könn te die Mensch-Maschinen-Verkoppelung vorangetrieben werden, wodurch die öffentliche Existenz des Individuums durch seine digitale Repräsentation auto risiert wird. 7 I Vgl. zur Genese und Deutungsverlauf des Postmoderne-Begriffs Zima (199T 1-18) und Welsch (1991: 9-85). So wie die Anfange der Postmo derne nach Lyotard bis zu Aristoteles zurückreichen sollen (ebd.: 10), so ist es inzwischen üblich, unter Verweis auf Bachtins Begriff der »organischen Hyb ridisierung« zu betonen, dass Kulturen nie rein und ursprünglich sein konn ten, weil ihre Arbeitsweise nicht ohne Internalisierung und Adaption externer Einflüsse auskommt.
62 I Hype u m Hybridität ihrem state of the art-Image nach den bestimmenden Zukunftstrend symbolisiert. Als formelhafter Topos der Grenzüberschreitung ver spricht Hybridisierung vorherige Beschränkungen durch die Eröff nung ungeahnter Horizonte zu überwinden. Durch ihre immanente Expansions- und Bereicherungslogik reproduziert sie eine Perspektive, die ein wesentlicher Antriebsmotor für die europäische Kolonialisie rung der Welt war. Es verwundert daher nicht, wenn die Orientierung auf Hybrides mit einer Erwartung einhergeht, in der die gelungene Vermischung von Differenzen Räume entstehen lässt und Optionen zugänglich macht, die erhebliche ökonomische, kulturelle und ästheti sche Anreize darstellen. Nicht zuletzt können auf diese Weise neue Anwendungs- und Wachstumsmöglichkeiten erschlossen werden. Die gegenwärtige Euphorie um Hybridität ist also keine ausschließliche Folge wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts oder eines kritisch grenzüberschreitenden Bewusstseins, sondern wird zunehmend von handfesten Vorteilsannahmen und Verwertungsinteressen geleitet. Inzwischen werden neben elektronischen Systemen und kulturellen Waren auch bestimmte Management- und Wirtschaftsmodelle als hybrid bezeichnet, da sie einen »Dritten Weg« jenseits rein kapitalisti scher und sozialistischer Doktrinen, d.h. eine Mischökonomie mit wirtschaftsliberalen und wohlfahrtsstaatlichen Elementen vorschla gen. 8 Das am Institut für Wirtschaftsinformatik der Westfälischen Wil helms- Universität Münster angegliederte und erst im Jahre 2004 ge gründete Kompetenzzentrum Intemetäkonomie und Hybridität Münster erklärt seine Aufgabe wie folgt:
llHybridität thematisiert Probleme und Chancen des Neben- und Miteinanders dialektischer Systeme, wie z.B. Old versus New Economy oder private Selbstregulierung versus staatliche Regulierung. Hybride Systeme zeichnen sich durch Flexibilität bei gleichzeitiger Stabilität aus. Angesichts rascher Entwicklungen in der Internetökonomie kommt ihnen eine wach sende Bedeutung zu. Zielsetzung des Kompetenzzentrums ist es daher, vertiefte Erkenntnis se über die Nutzung und Gestaltung hybrider Strukturen zu gewinnen und diese Entschei dungsträgern in der Wirtschaft und in der Politik zur Verfügung zu stellen.«9 8 I Ein einflussreicher Vertreter ist Anthony Giddens, der in Büchern wie »Jenseits von Links und Rechts« (1997) einen » Dritten Weg« (1999) zur hybriden »New Economy« (EIsner 2003) vorschlägt. 9 I http://hybride-systeme.uni-muenster.de (gesehen am 22. 5.2°°5). Dieses Forschungsprojekt versteht sich als »hybride Wissensplattform«, die zwischen »technisch-organisatorischen Hybridformen«, »privaten Hybridfor men« und »öffentlich-privaten Hybridformen« vermittelt und produktive Er gebnisse in den Teilbereichen »Modellierung hybrider Informationssysteme«, »Web-Evaluation« und »Netzwerke«, » Marken und Markenrecht«, »hybride Bankleistungen«, »Wettbewerbsrecht und -politik« sowie » Konvergenz der Medien« anbieten möchte.
Hybridität als kulturelle D o m inante im postmodernen S pätkapitalismus I 63 Statt eines einheitlichen Lenkungs- und Verteilungsprinzips setzen hybride Modelle in den verschiedenen ökonomischen Sphären auf unterschiedliche Steuerungsmechanismen, die je nach Erfordernis parallel zueinander arbeiten oder als Anreiz- und Ausgleichsfaktoren auch miteinander kombiniert werden können. Gegensätzliche, früher als unvereinbar gedachte Prinzipien sollen einander ergänzen und ihre jeweiligen Defizite kompensieren, um mehr Effektivität zu errei chen. Kurz gefasst lautet die strukturelle Frage daher: » Is capitalism hybrid now?« (Hutnyk 1997: 128). In »Empire« wird diese Frage ein deutig beantwortet: »Hybridisierung wird zum zentralen Merkmal und zur Bedingung für den Kreislauf von Produktion und Zirkula tion« (HardtfNegri 2002: 328), wobei die ökonomische Hybridisie rung nur Bestandteil eines umfassenderen gesellschaftlichen Prozes ses ist. Wenn Hybridisierung vielfältige gesellschaftliche Umwälzungen auslöst, dann kann sie als eine technisch-kulturelle Revolution theore tisiert werden. Hybridität kann über ihre diskursive Funktion als mo disches Schlagwort hinaus als verallgemeinerbares Konstruktions- und Verwertungskonzept im Spätkapitalismus analysiert werden. Als Ef fekt dominanter Bewegungskräfte »ist Technologie nicht prima causa, sondern selbst Resultat von Kapitalentwicklung« (Jameson 1986: 78) .10 In der Fortführung neo-marxistischer Ansätze hat Frederic Jameson ein Periodisierungsmodell zur Analyse kapitalistischer Kulturdynami ken vorgeschlagen, in der das kulturelle Feld nicht statisch oder holis tisch begriffen wird.11 Entscheidend an einem solchen Analysemodell ist die Frage nach der Einbettung von technischen und kulturellen Phänomenen in globalgesellschaftliche Gesamtzusammenhänge. Die ser Ansatz hinterfragt gängige Annahmen und Prognosen zur Globa lisierung:
llAs it is understood in the sociological literature on global culture, which is itself part of the >postmodern turnc, the problematization of liberal humanism, the flourishing of diaspora and hybrid identities, and the >glocalizationc of consumer culture all signal the postmodern >end of meta-narratives((c (Nash 2000: 48).
1 0 I Ausführlicher hat Jameson diese Analyse in » Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism« (1991) ausgeführt. I I I Jamesons neo-marxistische Perspektive wurde maßgeblich durch Ernest Mandels Buch » Spätkapitalismus« (1972) beeinflusst. Während Mandel den unterschiedlichen kapitalistischen Entwicklungsstadien prägende techni sche Erfindungen zuordnet, erweitert Jameson diesen Ansatz um die kulturelle Dimension. Danach stellen Realismus, Modeme und die gegenwärtige Post moderne die kulturelle Entsprechung zu den jeweiligen kapitalistischen Sta dien dar (Jameson 1986: 78f.).
62 I Hype u m Hybridität ihrem state of the art-Image nach den bestimmenden Zukunftstrend symbolisiert. Als formelhafter Topos der Grenzüberschreitung ver spricht Hybridisierung vorherige Beschränkungen durch die Eröff nung ungeahnter Horizonte zu überwinden. Durch ihre immanente Expansions- und Bereicherungslogik reproduziert sie eine Perspektive, die ein wesentlicher Antriebsmotor für die europäische Kolonialisie rung der Welt war. Es verwundert daher nicht, wenn die Orientierung auf Hybrides mit einer Erwartung einhergeht, in der die gelungene Vermischung von Differenzen Räume entstehen lässt und Optionen zugänglich macht, die erhebliche ökonomische, kulturelle und ästheti sche Anreize darstellen. Nicht zuletzt können auf diese Weise neue Anwendungs- und Wachstumsmöglichkeiten erschlossen werden. Die gegenwärtige Euphorie um Hybridität ist also keine ausschließliche Folge wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts oder eines kritisch grenzüberschreitenden Bewusstseins, sondern wird zunehmend von handfesten Vorteilsannahmen und Verwertungsinteressen geleitet. Inzwischen werden neben elektronischen Systemen und kulturellen Waren auch bestimmte Management- und Wirtschaftsmodelle als hybrid bezeichnet, da sie einen »Dritten Weg« jenseits rein kapitalisti scher und sozialistischer Doktrinen, d.h. eine Mischökonomie mit wirtschaftsliberalen und wohlfahrtsstaatlichen Elementen vorschla gen. 8 Das am Institut für Wirtschaftsinformatik der Westfälischen Wil helms- Universität Münster angegliederte und erst im Jahre 2004 ge gründete Kompetenzzentrum Intemetäkonomie und Hybridität Münster erklärt seine Aufgabe wie folgt:
llHybridität thematisiert Probleme und Chancen des Neben- und Miteinanders dialektischer Systeme, wie z.B. Old versus New Economy oder private Selbstregulierung versus staatliche Regulierung. Hybride Systeme zeichnen sich durch Flexibilität bei gleichzeitiger Stabilität aus. Angesichts rascher Entwicklungen in der Internetökonomie kommt ihnen eine wach sende Bedeutung zu. Zielsetzung des Kompetenzzentrums ist es daher, vertiefte Erkenntnis se über die Nutzung und Gestaltung hybrider Strukturen zu gewinnen und diese Entschei dungsträgern in der Wirtschaft und in der Politik zur Verfügung zu stellen.«9 8 I Ein einflussreicher Vertreter ist Anthony Giddens, der in Büchern wie »Jenseits von Links und Rechts« (1997) einen » Dritten Weg« (1999) zur hybriden »New Economy« (EIsner 2003) vorschlägt. 9 I http://hybride-systeme.uni-muenster.de (gesehen am 22. 5.2°°5). Dieses Forschungsprojekt versteht sich als »hybride Wissensplattform«, die zwischen »technisch-organisatorischen Hybridformen«, »privaten Hybridfor men« und »öffentlich-privaten Hybridformen« vermittelt und produktive Er gebnisse in den Teilbereichen »Modellierung hybrider Informationssysteme«, »Web-Evaluation« und »Netzwerke«, » Marken und Markenrecht«, »hybride Bankleistungen«, »Wettbewerbsrecht und -politik« sowie » Konvergenz der Medien« anbieten möchte.
Hybridität als kulturelle D o m inante im postmodernen S pätkapitalismus I 63 Statt eines einheitlichen Lenkungs- und Verteilungsprinzips setzen hybride Modelle in den verschiedenen ökonomischen Sphären auf unterschiedliche Steuerungsmechanismen, die je nach Erfordernis parallel zueinander arbeiten oder als Anreiz- und Ausgleichsfaktoren auch miteinander kombiniert werden können. Gegensätzliche, früher als unvereinbar gedachte Prinzipien sollen einander ergänzen und ihre jeweiligen Defizite kompensieren, um mehr Effektivität zu errei chen. Kurz gefasst lautet die strukturelle Frage daher: » Is capitalism hybrid now?« (Hutnyk 1997: 128). In »Empire« wird diese Frage ein deutig beantwortet: »Hybridisierung wird zum zentralen Merkmal und zur Bedingung für den Kreislauf von Produktion und Zirkula tion« (HardtfNegri 2002: 328), wobei die ökonomische Hybridisie rung nur Bestandteil eines umfassenderen gesellschaftlichen Prozes ses ist. Wenn Hybridisierung vielfältige gesellschaftliche Umwälzungen auslöst, dann kann sie als eine technisch-kulturelle Revolution theore tisiert werden. Hybridität kann über ihre diskursive Funktion als mo disches Schlagwort hinaus als verallgemeinerbares Konstruktions- und Verwertungskonzept im Spätkapitalismus analysiert werden. Als Ef fekt dominanter Bewegungskräfte »ist Technologie nicht prima causa, sondern selbst Resultat von Kapitalentwicklung« (Jameson 1986: 78) .10 In der Fortführung neo-marxistischer Ansätze hat Frederic Jameson ein Periodisierungsmodell zur Analyse kapitalistischer Kulturdynami ken vorgeschlagen, in der das kulturelle Feld nicht statisch oder holis tisch begriffen wird.11 Entscheidend an einem solchen Analysemodell ist die Frage nach der Einbettung von technischen und kulturellen Phänomenen in globalgesellschaftliche Gesamtzusammenhänge. Die ser Ansatz hinterfragt gängige Annahmen und Prognosen zur Globa lisierung:
llAs it is understood in the sociological literature on global culture, which is itself part of the >postmodern turnc, the problematization of liberal humanism, the flourishing of diaspora and hybrid identities, and the >glocalizationc of consumer culture all signal the postmodern >end of meta-narratives((c (Nash 2000: 48).
1 0 I Ausführlicher hat Jameson diese Analyse in » Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism« (1991) ausgeführt. I I I Jamesons neo-marxistische Perspektive wurde maßgeblich durch Ernest Mandels Buch » Spätkapitalismus« (1972) beeinflusst. Während Mandel den unterschiedlichen kapitalistischen Entwicklungsstadien prägende techni sche Erfindungen zuordnet, erweitert Jameson diesen Ansatz um die kulturelle Dimension. Danach stellen Realismus, Modeme und die gegenwärtige Post moderne die kulturelle Entsprechung zu den jeweiligen kapitalistischen Sta dien dar (Jameson 1986: 78f.).
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodernen S pätkapitalismus I 65
64 I Hype um Hybridität Abgesehen von der Tatsache, dass die großen imperialen Meta-Erzäh lungen wie die Pax Americana, der Eurozentrismus oder auch der militante Glauben an die Segnungen des Kapitalismus eine dramati sche Vitalisierung erfahren haben und z.T. durch strukturelle Macht verhältnisse in globalen Institutionen (GATS, IWF, MAI, WTO, UN etc.) zementiert werden, sind auch Ideologien wie Nationalismus, Rassismus und die Ethnisierung des Sozialen nach wie vor als gesell schaftliche Praktiken weltweit wirksam. Selbst wenn diese Machtver hältnisse durch Migration und transnationale Bewegungen fragmen tiert werden könnten, bleibt doch eine Aporie der Postmoderne beste hen: Der Tod alter Paradigmen hat die Geburt einer neuen Meta-Nar ration im Namen der Unreinheit und Vermischung zur Folge. Als Gegenentwurf zu den Hegemonien in der realen Welt ist die Postmoderne ihrem Selbstbild nach hybrid strukturiert: »Wenn es um Analysen der postmodernen Gesellschaft geht, dann gehört das Hy bride zu den charakterisierenden Merkmalen« (Schneider I997: I3)· Falls, wie Jameson behauptet, auch eine genealogische Beziehung zwischen Spätkapitalismus und Postmoderne besteht, dann kann Hybridität als die bisher fortgeschrittenste Ausformulierung der postmodernen Kondition unter den Bedingungen der Globalisierung analysiert werden. Nicht zuHillig fallt Hybridisierung als universelle Kulturerscheinung mit einer global agierenden Verwertungslogik zusammen, die Jameson als » multinationaler oder Konsumkapitalis mus« bezeichnet. Zusammengefasst ist zu fragen, wie kulturalistische Hybriditätsdiskurse eine kulturelle Dominante erzeugen, welche die
))konstitutiven Merkmale der Postmoderne aufgreifen: eine neue Oberflächlichkeit (nach dem Verlust der )Tiefendimension<), die sich sowohl auf die zeitgenössische Theorie als auch auf die gesamte neue Kultur des Bildes oder des Simulakrums erstreckt; der daraus resultierende Verlust von Historizität [ . . . ] (seine )schizophrene< Struktur gibt [ . . . ] neue Muster syntaktischer und syntagmatischer Beziehungen in den vornehmlich temporal ope rierende Künsten vor); weiterhin: eine völlig neue, emotionale Grundstimmung [ . ]; eine fundamentale Abhängigkeit der genannten Phänomene von einer völlig neuen Technologie, die ihrerseits für ein neues Weltwirtschaftssystem steht« Oameson 1 986: 50). .
.
Angesichts der verrugbaren Literatur erscheint es in diesem Zusam menhang überflüssig, die deskriptiven Kennzeichen von Postmoderne und Globalisierung zu rekapitulieren. Hingegen ist es sinnvoll, Spät kapitalismus als eine profitabhängige Produktions- und Distribu tionsweise zu charakterisieren, die unter den transnationalen Markt und Machtbedingungen grenzüberschreitender Technologien und Bewegungen operiert. War die Kolonisierung der Lebenswelt durch die Ausbeutung der Natur und die Eroberung geographischer Räume rur das Wachstum früherer Formen des Kapitalismus entscheidend, wird nun die Warenwerdung kultureller Expressionen immer wichti-
ger. In der symbolischen Ökonomie virtueller Zeichen und Ressour cen hat sich der Warencharakter selbst verändert. Die Ware ist nicht mehr nur über ihre ehemalige Primärfunktion als materieller Ge brauchsgegenstand zugänglich, sondern wird immer stärker als Trä ger von Bedeutungen gebraucht und benutzt. Zumindest in diesem Punkt stimmen Kritische Theorie, neo-marxistische Ansätze a la Jameson, aber auch postmodernistische Ansätze von Baudrillard bis Lyotard bei unterschiedlichen Akzentsetzungen und Bewertungen in ihren Diagnosen überein (Hoppmann 2000: 20-23). Pointierter aus gedrückt: Spätkapitalistische Massenkultur geht in ihrer konsumtiven Verobjektivierung auf. Sie wird zur totalen Ware: » Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils sind nicht länger auch Waren, sondern sind es durch und durch. Diese quantitative Verschiebung ist so groß, daß sie ganz neue Phänomene zeitigt« (Adorno 2003= 338f.). Dabei ist die »Transformation des >Realen< in eine Vielzahl von Pseudoereignis sen« (Jameson I986: 93) - wie die Medialisierung und Digitalisierung zeigen - als Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses zu be greifen, in der alles zur >Kultur< geworden ist. Genauer gesagt: Jedes soziale Verhältnis lässt sich in einen kulturellen Ausdruck übersetzen. Angesichts der Entgrenzung des Kulturellen muss die modeme Überzeugung von der relativen Autonomie der Kultur überdacht wer den. Globalisierte Kulturprozesse sind nicht im klassisch marxisti schen Sinne eingleisig als reine Überbauphänomene der ökonomi schen Basis zu fassen. Der radikale Funktionswandel von Globalkultur im Spätkapitalismus übersteigt in seiner Komplexität und Ambiguität jede dualistische Analyse, da die reziproken Abhängigkeiten und Kräf teverhältnisse zwischen den überlappenden ökonomischen, technolo gischen, ethnisierten, ideologischen und medialen Netzwerkland schaften (scapes) sich ständig verschieben (Appadurai I990: 295-310) . Tatsächlich ist der globalisierte cultural jlow trotz kulturimperialisti scher Einflüsse auch wesentlich ambivalenter, d.h. unberechenbarer und situativer zu denken, als die Kulturindustrie es planen kann und Adorno dachte. Die Ambivalenz und Vieldeutigkeit kultureller Prakti ken ist dabei ein wichtiges Moment, weil sie immer Ausdruck von dissidenten und hegemonialen Artikulationen zugleich sein können. Ebenso wie unterschiedliche Lesarten entfalten auch interne Ver schiebungen innerhalb kultureller Zeichensysteme durchaus unerwar tete Wirkungen. In solchen Situationen haben wir es mit umkämpften Hybridisierungen zu tun. Wer die subversiven Potentiale kultureller Praktiken betont, geht implizit davon aus, dass Entwicklungen wie der Bedeutungszuwachs weltweiter Kommunikations- und Mediennetz werke, die Ausweitung kulturalistischer Werbe- und Bewusstseinsin dustrien oder die Beschleunigung zirkulierender Kapital- und Waren ströme prägende Merkmale des Spätkapitalismus geworden sind. » Late capitalism extends commodification dynamics to virtually all
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodernen S pätkapitalismus I 65
64 I Hype um Hybridität Abgesehen von der Tatsache, dass die großen imperialen Meta-Erzäh lungen wie die Pax Americana, der Eurozentrismus oder auch der militante Glauben an die Segnungen des Kapitalismus eine dramati sche Vitalisierung erfahren haben und z.T. durch strukturelle Macht verhältnisse in globalen Institutionen (GATS, IWF, MAI, WTO, UN etc.) zementiert werden, sind auch Ideologien wie Nationalismus, Rassismus und die Ethnisierung des Sozialen nach wie vor als gesell schaftliche Praktiken weltweit wirksam. Selbst wenn diese Machtver hältnisse durch Migration und transnationale Bewegungen fragmen tiert werden könnten, bleibt doch eine Aporie der Postmoderne beste hen: Der Tod alter Paradigmen hat die Geburt einer neuen Meta-Nar ration im Namen der Unreinheit und Vermischung zur Folge. Als Gegenentwurf zu den Hegemonien in der realen Welt ist die Postmoderne ihrem Selbstbild nach hybrid strukturiert: »Wenn es um Analysen der postmodernen Gesellschaft geht, dann gehört das Hy bride zu den charakterisierenden Merkmalen« (Schneider I997: I3)· Falls, wie Jameson behauptet, auch eine genealogische Beziehung zwischen Spätkapitalismus und Postmoderne besteht, dann kann Hybridität als die bisher fortgeschrittenste Ausformulierung der postmodernen Kondition unter den Bedingungen der Globalisierung analysiert werden. Nicht zuHillig fallt Hybridisierung als universelle Kulturerscheinung mit einer global agierenden Verwertungslogik zusammen, die Jameson als » multinationaler oder Konsumkapitalis mus« bezeichnet. Zusammengefasst ist zu fragen, wie kulturalistische Hybriditätsdiskurse eine kulturelle Dominante erzeugen, welche die
))konstitutiven Merkmale der Postmoderne aufgreifen: eine neue Oberflächlichkeit (nach dem Verlust der )Tiefendimension<), die sich sowohl auf die zeitgenössische Theorie als auch auf die gesamte neue Kultur des Bildes oder des Simulakrums erstreckt; der daraus resultierende Verlust von Historizität [ . . . ] (seine )schizophrene< Struktur gibt [ . . . ] neue Muster syntaktischer und syntagmatischer Beziehungen in den vornehmlich temporal ope rierende Künsten vor); weiterhin: eine völlig neue, emotionale Grundstimmung [ . ]; eine fundamentale Abhängigkeit der genannten Phänomene von einer völlig neuen Technologie, die ihrerseits für ein neues Weltwirtschaftssystem steht« Oameson 1 986: 50). .
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Angesichts der verrugbaren Literatur erscheint es in diesem Zusam menhang überflüssig, die deskriptiven Kennzeichen von Postmoderne und Globalisierung zu rekapitulieren. Hingegen ist es sinnvoll, Spät kapitalismus als eine profitabhängige Produktions- und Distribu tionsweise zu charakterisieren, die unter den transnationalen Markt und Machtbedingungen grenzüberschreitender Technologien und Bewegungen operiert. War die Kolonisierung der Lebenswelt durch die Ausbeutung der Natur und die Eroberung geographischer Räume rur das Wachstum früherer Formen des Kapitalismus entscheidend, wird nun die Warenwerdung kultureller Expressionen immer wichti-
ger. In der symbolischen Ökonomie virtueller Zeichen und Ressour cen hat sich der Warencharakter selbst verändert. Die Ware ist nicht mehr nur über ihre ehemalige Primärfunktion als materieller Ge brauchsgegenstand zugänglich, sondern wird immer stärker als Trä ger von Bedeutungen gebraucht und benutzt. Zumindest in diesem Punkt stimmen Kritische Theorie, neo-marxistische Ansätze a la Jameson, aber auch postmodernistische Ansätze von Baudrillard bis Lyotard bei unterschiedlichen Akzentsetzungen und Bewertungen in ihren Diagnosen überein (Hoppmann 2000: 20-23). Pointierter aus gedrückt: Spätkapitalistische Massenkultur geht in ihrer konsumtiven Verobjektivierung auf. Sie wird zur totalen Ware: » Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils sind nicht länger auch Waren, sondern sind es durch und durch. Diese quantitative Verschiebung ist so groß, daß sie ganz neue Phänomene zeitigt« (Adorno 2003= 338f.). Dabei ist die »Transformation des >Realen< in eine Vielzahl von Pseudoereignis sen« (Jameson I986: 93) - wie die Medialisierung und Digitalisierung zeigen - als Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses zu be greifen, in der alles zur >Kultur< geworden ist. Genauer gesagt: Jedes soziale Verhältnis lässt sich in einen kulturellen Ausdruck übersetzen. Angesichts der Entgrenzung des Kulturellen muss die modeme Überzeugung von der relativen Autonomie der Kultur überdacht wer den. Globalisierte Kulturprozesse sind nicht im klassisch marxisti schen Sinne eingleisig als reine Überbauphänomene der ökonomi schen Basis zu fassen. Der radikale Funktionswandel von Globalkultur im Spätkapitalismus übersteigt in seiner Komplexität und Ambiguität jede dualistische Analyse, da die reziproken Abhängigkeiten und Kräf teverhältnisse zwischen den überlappenden ökonomischen, technolo gischen, ethnisierten, ideologischen und medialen Netzwerkland schaften (scapes) sich ständig verschieben (Appadurai I990: 295-310) . Tatsächlich ist der globalisierte cultural jlow trotz kulturimperialisti scher Einflüsse auch wesentlich ambivalenter, d.h. unberechenbarer und situativer zu denken, als die Kulturindustrie es planen kann und Adorno dachte. Die Ambivalenz und Vieldeutigkeit kultureller Prakti ken ist dabei ein wichtiges Moment, weil sie immer Ausdruck von dissidenten und hegemonialen Artikulationen zugleich sein können. Ebenso wie unterschiedliche Lesarten entfalten auch interne Ver schiebungen innerhalb kultureller Zeichensysteme durchaus unerwar tete Wirkungen. In solchen Situationen haben wir es mit umkämpften Hybridisierungen zu tun. Wer die subversiven Potentiale kultureller Praktiken betont, geht implizit davon aus, dass Entwicklungen wie der Bedeutungszuwachs weltweiter Kommunikations- und Mediennetz werke, die Ausweitung kulturalistischer Werbe- und Bewusstseinsin dustrien oder die Beschleunigung zirkulierender Kapital- und Waren ströme prägende Merkmale des Spätkapitalismus geworden sind. » Late capitalism extends commodification dynamics to virtually all
66 I Hype um Hybridität realms of sodal and personal life, penetrating all spheres of knowl edge, information, and the unconsdous itself« (Best/Kellner 1991: 185). Hybridität als spätmodernes Update des Postmodernismus, der das unvollendete Projekt der Moderne entgegen seiner (uneinheitli chen) theoretischen Prämissen in vielen Bereichen nicht frei-, sondern ambitionierter fortsetzt (Welsch 1988: 1-43; 1991), re-aktualisiert die Haupteigenschaften der Postmoderne in Zeiten der kulturellen Globa lisierung. Statt als Wiederkehr des Alten im frischem Gewand ist die ser Prozess der kulturellen Erneuerung adäquater in seiner Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität zu verstehen. Das heißt, je weni ger die Postmoderne einen Bruch der Moderne darstellt, desto mehr kann Hybridität als spätmoderne Logik angesehen werden, die die flexible Postmodernisierung des Kapitalismus durch Raum-Zeit Verdichtungen antreibt (Harvey 1989: 39-349). Die enge figurative Verzahnung von Hybridität und Postmoderne spiegelt sich nicht zuletzt in einer ähnlichen Diskursstruktur und -historie wider. Trotz einer Ausgangskonstellation, in der der Begriff »postmodern« - wie der heutige Schlüsselterminus »hybrid« - zu nächst negativ besetzt war, konnte er in den USA in den turbulenten 1960er Jahren (Huyssen 1986a: 13-22) erst nach einer normativen Wende als »potentially avantgardist cultural configuration« (Smart 1993: 19) zum weltweiten Siegeszug durch das Kulturleben starten. Obwohl die Postmoderne eine Fragmentierung von meta-narrativen Kulturemblemen anstrebt, stimmen die meisten Analysen hinsichtlich ihrer Kernmerkmale mit Charakterisierungen wie dieser überein:
»(i) future oriented, innovative temporal imagination; (ii) iconoclastic attack on the institution, organisation and ideology of art; (iii) technological optimism, bordering at times on euphoria; and (iv) promotion of lpopular culture( as a challenge to lhigh art«( (ebd.; vgl. auch Huyssen 1 986a: 1 8-22). Postmoderne und Hybridität propagieren Fortschrittsoptimismus, Technikbegeisterung, Wertewandel und eine grenzenlose Populärkul tur (vgl. auch Schneider 1997: 18f., 42-47, 56-58) , die sich mit einer Attitüde gegen das Etablierte und Statische verbindet. In der bekann ten Metapher »after the great divide« (Huyssen 1986b: VIII) kumuliert diese Positionierung zu einer revolutionären Geste der Überwindung, deren epochaler Anspruch sich durchaus auch in der Namensgebung ablesen lässt.12 1 2 I Entgegen anders lautender Einschätzungen wie etwa bei Wolfgang Welsch, der sich allerdings auf einen »präzisen Postmodernismus« (Welsch 1991: 2) bezieht und sich strikt von der »feuilletonistischen Postmoderne«
Hybridität als kulturelle D o m i n ante i m postmodernen S pätkapitalismus I 67 Während die Moderne in ihrem obsessiven Streben nach totaler Homogenität und Ganzheit durch eine »anxiety of contamination« (ebd.: IX) geprägt ist, versucht die Postmodernität der » Sehnsucht nach dem Unmöglichen, [...] [der] Suche nach neuen Darstellungen« (Lyotard 1988: 202) Geltung zu verschaffen, die in einem Verlangen nach der unaufhörlichen »Erzeugung von Vielheit« (Rademacher 1997: 143) einmündet. In kritischen Versionen wird der utopisch emanzipatorische Gehalt dieser Forderung in seiner Funktion als mahnende Erinnerung an die Präsenz des Abwesenden oder Ausge schlossenen artikuliert. Statt tagespolitischer Instrumentalisierung oder kultureller Funktionalisierung versucht Lyotard im Rückgriff auf die avantgardistische Moderne » das Gefühl dafür zu schärfen, daß es ein Undarstellbares gibt« (Lyotard 1988: 202). Die Notwendigkeit zur Klarstellung von >Missverständnissen< und Okkupationen bezeugt auf der anderen Seite den Hang postmoderner Diskurse zum unkriti schem Mischmasch (Welsch 1988: 30-32). Besonders Lyotard interve nierte gegen einen » zynischen Eklektizismus« der Kulturindustrie, in der Kultur sich der Logik des Kapitals sowohl freiwillig unterwirft als auch unfreiwillig unterworfen wird. Nach der Niederlage aufkläreri schen Denkens ist »das Neue als Verkleidung des Immergleichen« (Adorno 1967: 62, zit. nach Rademacher 1997: 144) nur noch instru mentelles Stil- und Produktionsmittel, um die Eintönigkeit industriali sierter Kultur zumindest an ihren Fassaden durch kaleidoskopische Vielfalt aufzuheitern. Im postmodernen Diskurs sind kritische Stimmen gegen solche kolonialisierenden Formen der instrumentellen Vernunft eher in der Minderheit. Zu den wenigen zählt Lyotard, der den neuen Mischun gen misstraut, weil sie im marktschreierischen Gewand der Innova tion auftreten. Seiner Ansicht nach »fügt sich [das Innovative] nahtlos in die kapitalistische Reproduktionsordnung ein, bedient die Sucht des Marktes nach immer Neuem, kurzlebig Konsumierbaren. Die Innovation ist das Profitvehikel der kapitalistischen Marktreproduk tion« (Lyotard 1987= 267, zit. nach Rademacher 1997: 145). Konditio nierte Kulturbetriebe und kalkulierte Inszenierungen können kaum als Spielräume angesehen werden, die Widerstreit, Inkommensurabi lität oder andere ästhetische Befreiungsverheißungen der Postmoder ne zulassen. Seit ihren Anfängen ist die Postmoderne von der hybriden Idee der sozialen Grenzüberschreitungen und kulturellen Genrevermi(ebd.: 3) abgrenzt, ist der diffuse Diskurs um Postmoderne von Anfang an eng mit Diagnosen, Prognosen und Hoffnungen auf das Anbrechen einer »neuen Zeit« verzahnt. Bereits Lyotard eröffnete die Diskussion in »Das postmoderne Wissen« (1979) mit einer Perspektive, die im kulturellen Bereich von einem postmodernen Zeitalter ausging (Smart 1993: 32f.).
66 I Hype um Hybridität realms of sodal and personal life, penetrating all spheres of knowl edge, information, and the unconsdous itself« (Best/Kellner 1991: 185). Hybridität als spätmodernes Update des Postmodernismus, der das unvollendete Projekt der Moderne entgegen seiner (uneinheitli chen) theoretischen Prämissen in vielen Bereichen nicht frei-, sondern ambitionierter fortsetzt (Welsch 1988: 1-43; 1991), re-aktualisiert die Haupteigenschaften der Postmoderne in Zeiten der kulturellen Globa lisierung. Statt als Wiederkehr des Alten im frischem Gewand ist die ser Prozess der kulturellen Erneuerung adäquater in seiner Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität zu verstehen. Das heißt, je weni ger die Postmoderne einen Bruch der Moderne darstellt, desto mehr kann Hybridität als spätmoderne Logik angesehen werden, die die flexible Postmodernisierung des Kapitalismus durch Raum-Zeit Verdichtungen antreibt (Harvey 1989: 39-349). Die enge figurative Verzahnung von Hybridität und Postmoderne spiegelt sich nicht zuletzt in einer ähnlichen Diskursstruktur und -historie wider. Trotz einer Ausgangskonstellation, in der der Begriff »postmodern« - wie der heutige Schlüsselterminus »hybrid« - zu nächst negativ besetzt war, konnte er in den USA in den turbulenten 1960er Jahren (Huyssen 1986a: 13-22) erst nach einer normativen Wende als »potentially avantgardist cultural configuration« (Smart 1993: 19) zum weltweiten Siegeszug durch das Kulturleben starten. Obwohl die Postmoderne eine Fragmentierung von meta-narrativen Kulturemblemen anstrebt, stimmen die meisten Analysen hinsichtlich ihrer Kernmerkmale mit Charakterisierungen wie dieser überein:
»(i) future oriented, innovative temporal imagination; (ii) iconoclastic attack on the institution, organisation and ideology of art; (iii) technological optimism, bordering at times on euphoria; and (iv) promotion of lpopular culture( as a challenge to lhigh art«( (ebd.; vgl. auch Huyssen 1 986a: 1 8-22). Postmoderne und Hybridität propagieren Fortschrittsoptimismus, Technikbegeisterung, Wertewandel und eine grenzenlose Populärkul tur (vgl. auch Schneider 1997: 18f., 42-47, 56-58) , die sich mit einer Attitüde gegen das Etablierte und Statische verbindet. In der bekann ten Metapher »after the great divide« (Huyssen 1986b: VIII) kumuliert diese Positionierung zu einer revolutionären Geste der Überwindung, deren epochaler Anspruch sich durchaus auch in der Namensgebung ablesen lässt.12 1 2 I Entgegen anders lautender Einschätzungen wie etwa bei Wolfgang Welsch, der sich allerdings auf einen »präzisen Postmodernismus« (Welsch 1991: 2) bezieht und sich strikt von der »feuilletonistischen Postmoderne«
Hybridität als kulturelle D o m i n ante i m postmodernen S pätkapitalismus I 67 Während die Moderne in ihrem obsessiven Streben nach totaler Homogenität und Ganzheit durch eine »anxiety of contamination« (ebd.: IX) geprägt ist, versucht die Postmodernität der » Sehnsucht nach dem Unmöglichen, [...] [der] Suche nach neuen Darstellungen« (Lyotard 1988: 202) Geltung zu verschaffen, die in einem Verlangen nach der unaufhörlichen »Erzeugung von Vielheit« (Rademacher 1997: 143) einmündet. In kritischen Versionen wird der utopisch emanzipatorische Gehalt dieser Forderung in seiner Funktion als mahnende Erinnerung an die Präsenz des Abwesenden oder Ausge schlossenen artikuliert. Statt tagespolitischer Instrumentalisierung oder kultureller Funktionalisierung versucht Lyotard im Rückgriff auf die avantgardistische Moderne » das Gefühl dafür zu schärfen, daß es ein Undarstellbares gibt« (Lyotard 1988: 202). Die Notwendigkeit zur Klarstellung von >Missverständnissen< und Okkupationen bezeugt auf der anderen Seite den Hang postmoderner Diskurse zum unkriti schem Mischmasch (Welsch 1988: 30-32). Besonders Lyotard interve nierte gegen einen » zynischen Eklektizismus« der Kulturindustrie, in der Kultur sich der Logik des Kapitals sowohl freiwillig unterwirft als auch unfreiwillig unterworfen wird. Nach der Niederlage aufkläreri schen Denkens ist »das Neue als Verkleidung des Immergleichen« (Adorno 1967: 62, zit. nach Rademacher 1997: 144) nur noch instru mentelles Stil- und Produktionsmittel, um die Eintönigkeit industriali sierter Kultur zumindest an ihren Fassaden durch kaleidoskopische Vielfalt aufzuheitern. Im postmodernen Diskurs sind kritische Stimmen gegen solche kolonialisierenden Formen der instrumentellen Vernunft eher in der Minderheit. Zu den wenigen zählt Lyotard, der den neuen Mischun gen misstraut, weil sie im marktschreierischen Gewand der Innova tion auftreten. Seiner Ansicht nach »fügt sich [das Innovative] nahtlos in die kapitalistische Reproduktionsordnung ein, bedient die Sucht des Marktes nach immer Neuem, kurzlebig Konsumierbaren. Die Innovation ist das Profitvehikel der kapitalistischen Marktreproduk tion« (Lyotard 1987= 267, zit. nach Rademacher 1997: 145). Konditio nierte Kulturbetriebe und kalkulierte Inszenierungen können kaum als Spielräume angesehen werden, die Widerstreit, Inkommensurabi lität oder andere ästhetische Befreiungsverheißungen der Postmoder ne zulassen. Seit ihren Anfängen ist die Postmoderne von der hybriden Idee der sozialen Grenzüberschreitungen und kulturellen Genrevermi(ebd.: 3) abgrenzt, ist der diffuse Diskurs um Postmoderne von Anfang an eng mit Diagnosen, Prognosen und Hoffnungen auf das Anbrechen einer »neuen Zeit« verzahnt. Bereits Lyotard eröffnete die Diskussion in »Das postmoderne Wissen« (1979) mit einer Perspektive, die im kulturellen Bereich von einem postmodernen Zeitalter ausging (Smart 1993: 32f.).
Hybrid ität als kulturelle Domi nante im postmodernen Spätkapitalismus I 69
68 I Hype u m Hybrid ität schungen fasziniert (Docker 1994:
82-165). Ein aufdringliches Beispiel
unberührt lässt. spiegelt sich nicht zuletzt im » (selbst)gefälligen Eklek
fur die Suche nach neuen Spielmöglichkeiten und popkultuIellen
tizismus der postmodernen Architektur. die willkürlich und prinzipi
Kombinationen ist Leslie Fiedlers Aufsatz »Cross the Border - Close
enlos, aber mit Gusto die architektonischen Stilrichtungen der Ver
the Gap« ( Fiedler
1988),
der als theoretischer Gründungstext der lite
rarischen Postmoderne erstmals
1969
im » Playboy« erschien. Ausge
hend von solchen Kontexten wurde nicht zuletzt der Boden für heuti
gangenheit ausschlachtet und sie zu überstimulierten Formkomposi tionen zusammenfügt« (Jameson
1986: 64).
Selbst bekennende Sym
pathisanten der Postmoderne sehen in solchen Konstellationen eine »omnipräsente Gefahr [ ... ] [des] oberflächliche[n] Eklektizismus. Pot
ge Diskurse über Kulturmischungen mental vorbereitet. In keiner anderen Disziplin ist die Postmoderne so unübersehbar wie in der Architektur, die ich aufgrund ihrer herausragenden gesell schaftlichen Relevanz herausgreife. Als eine visuelle Machtsprache
pourri und Disneyland sind die naheliegenden Verfehlungen der angestrebten Vielfältigkeit« (Welsch
1991: 23).
Es ist symptomatisch, dass in sozial befriedeten Freizeitparks wie
und angewandte Massenkunst, die sowohl ganze Stadtquartiere ein
dem postmodernen Casino-Eldorado Las VegasI5 durch hybride Re
ebnen als auch urbane Landschaften generieren kann, nimmt sie
präsentationen an der architektonischen Fassade ein Denkmal des
schon allein aufgrund ihrer omnipräsenten Wirkungen eine Sonder
Glamour-Kapitalismus erschaffen wurde, der die Illusionen des ame
stellung ein. Der Architektur als Kunst der Raumgestaltung und -kon
rikanischen Traums gerade in den Augen der Ausgeschlossenen glori
trolle kann sich keine menschliche Existenzweise in einer zivilisierten
fiziert und überhöht. Zu diesem Kollektivtraum(a). der keine gesell
Welt entziehen. Sie strukturiert die soziokulturellen Räume unserer
schaftliche Entsprechung findet, gehört die trügerische Vorstellung
Alltagserfahrungen, und wie keine andere Kunstform wird ihre Reali
von Offenheit, Unbegrenztheit und Leistungsfähigkeit. Es bleibt zu
sierung durch Funktionalität und Kapitalabhängigkeit definiert (Jame
fragen, inwieweit die Privilegierung von Oberflächen und Ornamen
son
ten gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse stabilisiert. indem sie
1986: 49; Welsch 1988: 22). Trotz dieses Zugriffs definiert sich die Architektur auf der ande
zur Verdrängung von Strukturfragen nach Zugängen, Bewegungsfrei
ren Seite als eine hybride Kunst-Wissenschaft. Sie verfügt über eine
heit und Kontrolle beitragen. Postmoderne Gebäudeensembles. die
unverzichtbare transdisziplinäre Ausrichtung, die einerseits offen für
überdimensionierte Ausdrücke populärer Vorstellungen von Hybrid
vielfaltige Einflüsse aus allen Kunst- und Wissenschaftsbereichen ist
kulturen als beliebigen Kulturenmix und Pa stiche darstellen, dürften
und andererseits als Brückenkopf zwischen KultuI-, Human- und
einen nicht zu unterschätzenden Langzeiteinfluss auf unsere Wahr
Naturwissenschaften fungiert. Diese Bedingungen waren wichtige
nehmungsweise der sozialen Welt haben. Schließlich gehört die Ar
Ausgangspunkte für die Etablierung » historizistischer« Pastichetech
chitektur wie das Kino zu jenem Bereich der Bildproduktion, deren
niken in der postmodernen Architektur.'3 Infolge dieser Überlage
Images in der globalisierten Medienwelt nicht nur zur sekundären
rungen tritt die Semantik postmoderner Konstruktionen oft als spek
Realität geworden sind. sondern als Simulakrum die gelebte Welt
takuläres Simulakrum auf, das eine » Kopie von etwas [darstellt], des
immer mehr zu überblenden droht.
sen Original nie existiert hat« (Jameson
1986: 63). Durch den
Einsatz
von beliebigen Oberflächenmixturen werden Vervielfältigungseffekte erzielt, die mit symbolischen Zitatelementen, Nachbildungen und Dekorationen aus unterschiedlichen Zeitepochen, Kultursprachen und Stilen angereichert werden (Welsch
1991: 14-25).'4
Die kompositori
schen Verdichtungen solch zusammengewürfelter Querverbindungen kreieren artifizielle Kulturzeichen und -räume, deren Codes und Tex turen sich zu Landschaften postmoderner Urbanität materialisieren. Der Hang zur Beliebigkeit und Oberflächlichkeit, der Strukturfragen 1 3 I »Mit dem Begriff >Pastiche< wird in der Postmoderne die Weiter entwicklung von Differenzierung und Entdifferenzierung in Formen von Hyb ridkreuzungen. Reintegrationen und Rekombinationen bezeichnet« (Hopp mann 2000: 29). 1 4 I Vgl. auch die Beiträge von Robert Venturi. Charles Jencks. Heinrich Klotz und Jürgen Habermas in Welsch 1988: 79-120.
1 5 I So wenig es ein Zufall ist. dass die sozio-ökonomische Funktion sich in der postmodernen Architektur von Las Vegas widerspiegelt. so wenig kommt es von ungefähr. dass die Ära des urbanen Postmodernismus mit dem Manifest » Learning from Las Vegas« (1972) von Robert Venturi. Denise Scott Brown und Steven Izenour eingeleitet wurde (Docker 1994: 82-89).
Hybrid ität als kulturelle Domi nante im postmodernen Spätkapitalismus I 69
68 I Hype u m Hybrid ität schungen fasziniert (Docker 1994:
82-165). Ein aufdringliches Beispiel
unberührt lässt. spiegelt sich nicht zuletzt im » (selbst)gefälligen Eklek
fur die Suche nach neuen Spielmöglichkeiten und popkultuIellen
tizismus der postmodernen Architektur. die willkürlich und prinzipi
Kombinationen ist Leslie Fiedlers Aufsatz »Cross the Border - Close
enlos, aber mit Gusto die architektonischen Stilrichtungen der Ver
the Gap« ( Fiedler
1988),
der als theoretischer Gründungstext der lite
rarischen Postmoderne erstmals
1969
im » Playboy« erschien. Ausge
hend von solchen Kontexten wurde nicht zuletzt der Boden für heuti
gangenheit ausschlachtet und sie zu überstimulierten Formkomposi tionen zusammenfügt« (Jameson
1986: 64).
Selbst bekennende Sym
pathisanten der Postmoderne sehen in solchen Konstellationen eine »omnipräsente Gefahr [ ... ] [des] oberflächliche[n] Eklektizismus. Pot
ge Diskurse über Kulturmischungen mental vorbereitet. In keiner anderen Disziplin ist die Postmoderne so unübersehbar wie in der Architektur, die ich aufgrund ihrer herausragenden gesell schaftlichen Relevanz herausgreife. Als eine visuelle Machtsprache
pourri und Disneyland sind die naheliegenden Verfehlungen der angestrebten Vielfältigkeit« (Welsch
1991: 23).
Es ist symptomatisch, dass in sozial befriedeten Freizeitparks wie
und angewandte Massenkunst, die sowohl ganze Stadtquartiere ein
dem postmodernen Casino-Eldorado Las VegasI5 durch hybride Re
ebnen als auch urbane Landschaften generieren kann, nimmt sie
präsentationen an der architektonischen Fassade ein Denkmal des
schon allein aufgrund ihrer omnipräsenten Wirkungen eine Sonder
Glamour-Kapitalismus erschaffen wurde, der die Illusionen des ame
stellung ein. Der Architektur als Kunst der Raumgestaltung und -kon
rikanischen Traums gerade in den Augen der Ausgeschlossenen glori
trolle kann sich keine menschliche Existenzweise in einer zivilisierten
fiziert und überhöht. Zu diesem Kollektivtraum(a). der keine gesell
Welt entziehen. Sie strukturiert die soziokulturellen Räume unserer
schaftliche Entsprechung findet, gehört die trügerische Vorstellung
Alltagserfahrungen, und wie keine andere Kunstform wird ihre Reali
von Offenheit, Unbegrenztheit und Leistungsfähigkeit. Es bleibt zu
sierung durch Funktionalität und Kapitalabhängigkeit definiert (Jame
fragen, inwieweit die Privilegierung von Oberflächen und Ornamen
son
ten gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse stabilisiert. indem sie
1986: 49; Welsch 1988: 22). Trotz dieses Zugriffs definiert sich die Architektur auf der ande
zur Verdrängung von Strukturfragen nach Zugängen, Bewegungsfrei
ren Seite als eine hybride Kunst-Wissenschaft. Sie verfügt über eine
heit und Kontrolle beitragen. Postmoderne Gebäudeensembles. die
unverzichtbare transdisziplinäre Ausrichtung, die einerseits offen für
überdimensionierte Ausdrücke populärer Vorstellungen von Hybrid
vielfaltige Einflüsse aus allen Kunst- und Wissenschaftsbereichen ist
kulturen als beliebigen Kulturenmix und Pa stiche darstellen, dürften
und andererseits als Brückenkopf zwischen KultuI-, Human- und
einen nicht zu unterschätzenden Langzeiteinfluss auf unsere Wahr
Naturwissenschaften fungiert. Diese Bedingungen waren wichtige
nehmungsweise der sozialen Welt haben. Schließlich gehört die Ar
Ausgangspunkte für die Etablierung » historizistischer« Pastichetech
chitektur wie das Kino zu jenem Bereich der Bildproduktion, deren
niken in der postmodernen Architektur.'3 Infolge dieser Überlage
Images in der globalisierten Medienwelt nicht nur zur sekundären
rungen tritt die Semantik postmoderner Konstruktionen oft als spek
Realität geworden sind. sondern als Simulakrum die gelebte Welt
takuläres Simulakrum auf, das eine » Kopie von etwas [darstellt], des
immer mehr zu überblenden droht.
sen Original nie existiert hat« (Jameson
1986: 63). Durch den
Einsatz
von beliebigen Oberflächenmixturen werden Vervielfältigungseffekte erzielt, die mit symbolischen Zitatelementen, Nachbildungen und Dekorationen aus unterschiedlichen Zeitepochen, Kultursprachen und Stilen angereichert werden (Welsch
1991: 14-25).'4
Die kompositori
schen Verdichtungen solch zusammengewürfelter Querverbindungen kreieren artifizielle Kulturzeichen und -räume, deren Codes und Tex turen sich zu Landschaften postmoderner Urbanität materialisieren. Der Hang zur Beliebigkeit und Oberflächlichkeit, der Strukturfragen 1 3 I »Mit dem Begriff >Pastiche< wird in der Postmoderne die Weiter entwicklung von Differenzierung und Entdifferenzierung in Formen von Hyb ridkreuzungen. Reintegrationen und Rekombinationen bezeichnet« (Hopp mann 2000: 29). 1 4 I Vgl. auch die Beiträge von Robert Venturi. Charles Jencks. Heinrich Klotz und Jürgen Habermas in Welsch 1988: 79-120.
1 5 I So wenig es ein Zufall ist. dass die sozio-ökonomische Funktion sich in der postmodernen Architektur von Las Vegas widerspiegelt. so wenig kommt es von ungefähr. dass die Ära des urbanen Postmodernismus mit dem Manifest » Learning from Las Vegas« (1972) von Robert Venturi. Denise Scott Brown und Steven Izenour eingeleitet wurde (Docker 1994: 82-89).
Popkulturelle Verwertungen und die Warenförmigkeit von Otherness
Viele gegenwärtig kursierenden Kulturvermischungsmodelle, die unter den unterschiedlichsten Labels um Marktanteile konkurrieren, greifen hybride Tendenzen der Postmoderne auf und erweitern ihr buntes Angebotsrepertoire durch die Einbindung migrantischer und außereuropäischer Kulturen. Während sich die erschöpfte Postmo derne auf die Synthese soziokultureller Klassengrenzen innerhalb »weißer« Gesellschaften beschränkte und letztlich eurozentriert blieb (Docker 1994: Kap. 2; Huyssen 1986a), ist die spätkapitalistische Kulturindustrie heute zur verschärften Integration von Blackness und anderen konstruierten Formen ethnisierter Andersheit (Othering) in die transnationale Ökonomie übergegangen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Bedeutung von Kultur zu einer manipulativen »bricolage of artificially designed capitalist consumer objects - a feature of late capitalism« (Werbner 1997: 4) - reduziert wird. Solche Tendenzen haben sich durch die Globalisierungsschübe in den letzten Jahrzehn ten sichtbar verstärkt (Nederveen Pieterse 1998). Exemplarisch können diese Verschiebungen auf der Ebene der fIlmischen Science-Fiction-Epen visualisiert werden, die in der kom merziellen Populärkultur den Status von Meta-Narrationen haben. Als phantastisches Genre bringen ihre Szenarien Ängste und Sehnsüchte der westlichen Gegenwartskultur als Zukunftsprojektionen zum Aus druck. Einer der prägendsten Kinomythen wurde durch George Lucas' religiös ausgeschmückte » Star Wars«-Trilogie (1977) geschaffen, deren Skript Ende der 1960er Jahre in den Anfangen der literarischen Postmoderne entstand. Nicht nur vom Format und Design her reprä sentiert diese Filmserie ein postmodernes Weltraum-Rittermärchen »mit Stilelementen des Western, des Abenteuerfilms und der Komö die [...] [, das] populäre Erzählmuster der Trivialkultur und des Comic
Popkulturelle Verwertungen und die Warenförmigkeit von Otherness
Viele gegenwärtig kursierenden Kulturvermischungsmodelle, die unter den unterschiedlichsten Labels um Marktanteile konkurrieren, greifen hybride Tendenzen der Postmoderne auf und erweitern ihr buntes Angebotsrepertoire durch die Einbindung migrantischer und außereuropäischer Kulturen. Während sich die erschöpfte Postmo derne auf die Synthese soziokultureller Klassengrenzen innerhalb »weißer« Gesellschaften beschränkte und letztlich eurozentriert blieb (Docker 1994: Kap. 2; Huyssen 1986a), ist die spätkapitalistische Kulturindustrie heute zur verschärften Integration von Blackness und anderen konstruierten Formen ethnisierter Andersheit (Othering) in die transnationale Ökonomie übergegangen. Dabei besteht die Gefahr, dass die Bedeutung von Kultur zu einer manipulativen »bricolage of artificially designed capitalist consumer objects - a feature of late capitalism« (Werbner 1997: 4) - reduziert wird. Solche Tendenzen haben sich durch die Globalisierungsschübe in den letzten Jahrzehn ten sichtbar verstärkt (Nederveen Pieterse 1998). Exemplarisch können diese Verschiebungen auf der Ebene der fIlmischen Science-Fiction-Epen visualisiert werden, die in der kom merziellen Populärkultur den Status von Meta-Narrationen haben. Als phantastisches Genre bringen ihre Szenarien Ängste und Sehnsüchte der westlichen Gegenwartskultur als Zukunftsprojektionen zum Aus druck. Einer der prägendsten Kinomythen wurde durch George Lucas' religiös ausgeschmückte » Star Wars«-Trilogie (1977) geschaffen, deren Skript Ende der 1960er Jahre in den Anfangen der literarischen Postmoderne entstand. Nicht nur vom Format und Design her reprä sentiert diese Filmserie ein postmodernes Weltraum-Rittermärchen »mit Stilelementen des Western, des Abenteuerfilms und der Komö die [...] [, das] populäre Erzählmuster der Trivialkultur und des Comic
72
Popkulturelle Verwertungen u n d d i e Warenförmigkeit von Othern ess I
I Hype um Hybridität
Strips mit revolutionärer Trickfilmtechnik [verbindet]«.' Ebenso ty pisch für den Mainstream in der postmodernen Kultur ist auch die
73
Kulturschatz der Weltgeschichte gleichkommt. Solche Konglomerate hab en museale Vorläufer, die meist in kolonialen Raubzügen erbeutet
Thematisierung von mannigfachen Grenzüberschreitungen bei B ei
oder durch Kapitaltransfer in berauschenden Einkaufsorgien akkumu
behaltung einer eurozentrierten Perspektive. Wie so oft erscheinen
liert wurden. Das transkulturelle Portfolio von » Matrix Reloaded«
nur Weiße als Subjekte, während Nicht-Weiße in der Zukunft ent
(2003) soll über 400 Verweise enthalten. In dieser Zitatenkaskade
behrlich zu sein scheinen, da ihre gesellschaftlichen Funktionen und
zählen neben britischen, US-amerikanischen, postmodernen, popkul
ihre kulturelle Stereotypisierung auf Roboter und Außerirdische über
turellen und futuristischen vor allem alt-orientalische, alt-ägyptische,
tragen werden.2
antike, christliche, jüdische, buddhistische und afro-amerikanische
Im Vergleich dazu sind die heutigen Erfolgskonzepte mit ihrem
Figurationen zu den auffalligsten Anspielungen. Durch die Akquisi
kalkulierten Mix aus mythischen, multireligiösen und transkulturellen
tion fernöstlicher Kampfchoreographien und die bildästhetische In
B ezügen so weit optimiert, um als
global seiler ein heterogenes
Publi
tegration j apanischer Anime-Elemente konnten die technischen Film
kum anzusprechen. Der »Postmoderne-Fetisch der achtziger Jahre«
innovationen des Digitalkinos noch effektvoller umgesetzt werden.3
(Huyssen 1986a: 13) ist anscheinend durch eine »current fascination
Als ansprechendes High-Tech-Hochglanzprodukt kann es unerreichte
I) abgelöst worden. Das weit
technische Maßstäbe mit ästhetischen Akzenten kombinieren, die
gehend digital generierte »Matrix«-Universum ist ein Beispiel dafür.
spektakuläre Bilder in Szene setzen. Zugleich wird eine gesellschafts
with cultural hybridity« (Werbner 1997:
ein verwobenes Macht- und Versorgungsnetz. Wie ihr
kritische Attitüde mit einem komplexen Science-Fiction-Design ver
Name besagt, ist sie einerseits ein errechnetes Ordnungsmodell, ande
woben, dessen Schnittmenge einen Mehrwert ergibt, der weltweit
Die
Matrix ist
rerseits definiert sie sich aber auch als ein Hybridmodell, das eine
sowohl intellektuell Interessierte als auch das Actionpublikum unter
»Grund substanz [darstellt], in die ein anderer Stoff eingebettet ist«
den Zahlungskräftigen anspricht. Diese unterschiedlichen Mischun
( Bertelsmann 1996: 636f.). Sie scheint in mehrfacher Hinsicht eine
gen haben » Matrix« zu einem der kommerziell erfolgreichsten Unter
Metapher für eine spätkapitalistische Hybridität zu sein. Die » Matrix«
haltungsshows in der Geschichte Hollywoods gemacht. Aufgrund des
(1999) wurde von ihren Schöpfern Andy und Larry Wachowski so
intermedialen und transkulturellen Produktdesigns wurden sowohl
überreichlich mit multikulturellen Staffagen und Randfiguren ausge
die bisherigen Dimensionen in der internationalen Zusammenarbeit
stattet, dass dieses Film-Setting einer Zitatensammlung aus dem
erweitert, als auch unerprobte Wege beim parallelen und
I I Lexikon des internationalen Films 2000/2001 (CD-ROM), Art. »Krieg der Sterne«. 2 I Mit Ausnahme des »schwarzen« Darth Vader (Dark Invader), der das absolute Böse personifiziert, werden in » Star Wars« Nicht-Weiße nur indirekt über stereotypische Rollen repräsentiert. So stehen außerirdische Charakteren wie der Orang-Utan-ähnliche Chewbacca für den primitiv-aggressiven Schwar zen, der unfahig ist, sich zu verständigen. Der Zwerg Yoda verkörpert dagegen den todkranken Tao-Meister, dessen Stärke und Macht der Vergangenheit an gehören und dessen Schicksal sich erfüllt, sobald er sein Wissen an den »wei ßen« Nachfolger übergeben hat. Die Roboter übernehmen indessen die typi schen Rollen von komischen oder untergebenen Schwarzen in Hollywood-Fil men. Während C-3PO im Stil von Eddie Murphy oder Chris Tucker den geris senen, linkischen, zuweilen auch feigen Dauerredner mimt, tritt R2D2 als loya ler und aufopferungsvoller Sklave ohne Ich-Bewusstsein auf, dessen Lebensziel sich darin erschöpft, Master Luke zu dienen. Respektable Figuren wie Obi-Wan Kenobi oder Qui-Gon Jinn sind zwar japanisch bzw. chinesisch assoziiert, wer den aber mit »weißen« Schauspielern besetzt. Der fernöstliche Flair verleiht der dem Yin-Yang-Prinzip entlehnten Machtphilosophie der Jedi-Ritter Mystik und Authentizität und erinnert daran, dass »Star Wars« nur ein Remake von Akira Kurosawas Klassiker » Die verborgene Festung« (1958) ist.
Produkt-Placement
Cross-Marketing
beschritten. Auch wenn der abschließende
dritte Teil »Matrix Revolution« nicht wie ursprünglich geplant bereits nach vier Wochen, sondern >erst< sechs Monate nach dem Start des zweiten Teils anlief, ist diese serielle Verdichtung der Produktionszyk len in der kommerziellen Kinogeschichte bisher beispiellos. Trotz des Anscheins kultureller Dezentrierungen und der gleich berechtigten Einbeziehung des Anderen - symbolisiert durch ein » rassisch« uneinheitliches Führungsduo (Laurence Fishburne als » schwarzer«
Morpheus
und Keanu Reeves als Erlöser
Neo)
- findet
tatsächlich eine zweifache Selbstaufwertung des gesellschaftlich Do minanten statt. Zum einen wertet die Integration von multikulturellen Attributen und Hintergründen das damit beworbene Produkt als tolerant, progressiv und kulturell diversifiziert auf. Zum anderen privi legiert » Matrix« in einer Kontinuität zu Serien wie » Stars Wars«, »Star Trek«, » Perry Rhodan« und » Kampfstern Galactica« letztlich die Iden tität »weißer« Männer.4 Sie werden einmal mehr als sympathische
3 I Ein anderes >Filmgenie< des postmodernen Kinos ist Quentin Ta rantino, dessen Obsessionen für Gangstermme aus Hong Kong und das Sa murai-Genre sich übersehbar in » Pulp Fiction« und »Kill Bill« wiederfinden. 4 I Wie in » Star Trek« wird auch in »Matrix« die männliche Dominanz
72
Popkulturelle Verwertungen u n d d i e Warenförmigkeit von Othern ess I
I Hype um Hybridität
Strips mit revolutionärer Trickfilmtechnik [verbindet]«.' Ebenso ty pisch für den Mainstream in der postmodernen Kultur ist auch die
73
Kulturschatz der Weltgeschichte gleichkommt. Solche Konglomerate hab en museale Vorläufer, die meist in kolonialen Raubzügen erbeutet
Thematisierung von mannigfachen Grenzüberschreitungen bei B ei
oder durch Kapitaltransfer in berauschenden Einkaufsorgien akkumu
behaltung einer eurozentrierten Perspektive. Wie so oft erscheinen
liert wurden. Das transkulturelle Portfolio von » Matrix Reloaded«
nur Weiße als Subjekte, während Nicht-Weiße in der Zukunft ent
(2003) soll über 400 Verweise enthalten. In dieser Zitatenkaskade
behrlich zu sein scheinen, da ihre gesellschaftlichen Funktionen und
zählen neben britischen, US-amerikanischen, postmodernen, popkul
ihre kulturelle Stereotypisierung auf Roboter und Außerirdische über
turellen und futuristischen vor allem alt-orientalische, alt-ägyptische,
tragen werden.2
antike, christliche, jüdische, buddhistische und afro-amerikanische
Im Vergleich dazu sind die heutigen Erfolgskonzepte mit ihrem
Figurationen zu den auffalligsten Anspielungen. Durch die Akquisi
kalkulierten Mix aus mythischen, multireligiösen und transkulturellen
tion fernöstlicher Kampfchoreographien und die bildästhetische In
B ezügen so weit optimiert, um als
global seiler ein heterogenes
Publi
tegration j apanischer Anime-Elemente konnten die technischen Film
kum anzusprechen. Der »Postmoderne-Fetisch der achtziger Jahre«
innovationen des Digitalkinos noch effektvoller umgesetzt werden.3
(Huyssen 1986a: 13) ist anscheinend durch eine »current fascination
Als ansprechendes High-Tech-Hochglanzprodukt kann es unerreichte
I) abgelöst worden. Das weit
technische Maßstäbe mit ästhetischen Akzenten kombinieren, die
gehend digital generierte »Matrix«-Universum ist ein Beispiel dafür.
spektakuläre Bilder in Szene setzen. Zugleich wird eine gesellschafts
with cultural hybridity« (Werbner 1997:
ein verwobenes Macht- und Versorgungsnetz. Wie ihr
kritische Attitüde mit einem komplexen Science-Fiction-Design ver
Name besagt, ist sie einerseits ein errechnetes Ordnungsmodell, ande
woben, dessen Schnittmenge einen Mehrwert ergibt, der weltweit
Die
Matrix ist
rerseits definiert sie sich aber auch als ein Hybridmodell, das eine
sowohl intellektuell Interessierte als auch das Actionpublikum unter
»Grund substanz [darstellt], in die ein anderer Stoff eingebettet ist«
den Zahlungskräftigen anspricht. Diese unterschiedlichen Mischun
( Bertelsmann 1996: 636f.). Sie scheint in mehrfacher Hinsicht eine
gen haben » Matrix« zu einem der kommerziell erfolgreichsten Unter
Metapher für eine spätkapitalistische Hybridität zu sein. Die » Matrix«
haltungsshows in der Geschichte Hollywoods gemacht. Aufgrund des
(1999) wurde von ihren Schöpfern Andy und Larry Wachowski so
intermedialen und transkulturellen Produktdesigns wurden sowohl
überreichlich mit multikulturellen Staffagen und Randfiguren ausge
die bisherigen Dimensionen in der internationalen Zusammenarbeit
stattet, dass dieses Film-Setting einer Zitatensammlung aus dem
erweitert, als auch unerprobte Wege beim parallelen und
I I Lexikon des internationalen Films 2000/2001 (CD-ROM), Art. »Krieg der Sterne«. 2 I Mit Ausnahme des »schwarzen« Darth Vader (Dark Invader), der das absolute Böse personifiziert, werden in » Star Wars« Nicht-Weiße nur indirekt über stereotypische Rollen repräsentiert. So stehen außerirdische Charakteren wie der Orang-Utan-ähnliche Chewbacca für den primitiv-aggressiven Schwar zen, der unfahig ist, sich zu verständigen. Der Zwerg Yoda verkörpert dagegen den todkranken Tao-Meister, dessen Stärke und Macht der Vergangenheit an gehören und dessen Schicksal sich erfüllt, sobald er sein Wissen an den »wei ßen« Nachfolger übergeben hat. Die Roboter übernehmen indessen die typi schen Rollen von komischen oder untergebenen Schwarzen in Hollywood-Fil men. Während C-3PO im Stil von Eddie Murphy oder Chris Tucker den geris senen, linkischen, zuweilen auch feigen Dauerredner mimt, tritt R2D2 als loya ler und aufopferungsvoller Sklave ohne Ich-Bewusstsein auf, dessen Lebensziel sich darin erschöpft, Master Luke zu dienen. Respektable Figuren wie Obi-Wan Kenobi oder Qui-Gon Jinn sind zwar japanisch bzw. chinesisch assoziiert, wer den aber mit »weißen« Schauspielern besetzt. Der fernöstliche Flair verleiht der dem Yin-Yang-Prinzip entlehnten Machtphilosophie der Jedi-Ritter Mystik und Authentizität und erinnert daran, dass »Star Wars« nur ein Remake von Akira Kurosawas Klassiker » Die verborgene Festung« (1958) ist.
Produkt-Placement
Cross-Marketing
beschritten. Auch wenn der abschließende
dritte Teil »Matrix Revolution« nicht wie ursprünglich geplant bereits nach vier Wochen, sondern >erst< sechs Monate nach dem Start des zweiten Teils anlief, ist diese serielle Verdichtung der Produktionszyk len in der kommerziellen Kinogeschichte bisher beispiellos. Trotz des Anscheins kultureller Dezentrierungen und der gleich berechtigten Einbeziehung des Anderen - symbolisiert durch ein » rassisch« uneinheitliches Führungsduo (Laurence Fishburne als » schwarzer«
Morpheus
und Keanu Reeves als Erlöser
Neo)
- findet
tatsächlich eine zweifache Selbstaufwertung des gesellschaftlich Do minanten statt. Zum einen wertet die Integration von multikulturellen Attributen und Hintergründen das damit beworbene Produkt als tolerant, progressiv und kulturell diversifiziert auf. Zum anderen privi legiert » Matrix« in einer Kontinuität zu Serien wie » Stars Wars«, »Star Trek«, » Perry Rhodan« und » Kampfstern Galactica« letztlich die Iden tität »weißer« Männer.4 Sie werden einmal mehr als sympathische
3 I Ein anderes >Filmgenie< des postmodernen Kinos ist Quentin Ta rantino, dessen Obsessionen für Gangstermme aus Hong Kong und das Sa murai-Genre sich übersehbar in » Pulp Fiction« und »Kill Bill« wiederfinden. 4 I Wie in » Star Trek« wird auch in »Matrix« die männliche Dominanz
74 I Hype u m Hybridität und selbstlose Helden mit überlegenen Fähigkeiten präsentiert, die die Welt befreien oder retten. In einer geschichtsklitternden Perspek tive wird suggeriert, dass »weiße« Männer als »Auserwählte« das his torische und moralische Recht haben, sich die Geheimnisse außer europäischer Kulturen anzueignen, da ihr Vorteil der Vorteil aller Menschen sei. Verglichen mit dieser ausgeklügelten Filmphilosophie wirken Konzepte, die wie »Men in Black« (Will SmithjTommy Lee Jones) oder »Rush Hour« (Jackie ChanjChris Tucker) lediglich » rassisch« gemischte H eldenduos präsentieren, altbacken und unterkomplex. Nichtsdestotrotz sind auch diese Modifikationen erfolgreich, um durch diversifizierte Identifikationsmöglichkeiten unterschiedliche Publikumspräferenzen in gespaltenen Märkten besser auszuschöpfen. Oft wird diese Multiethnizität gerade durch ethnische Stereotypisie rungen und geschlechtsspezifische Rollenklischees erreicht, da von dieser tradiertem Basis aus »Witze« und Wiedererkennungseffekte als orientierende Parameter der Unterhaltung leichter hervorgerufen werden können (Raeithel 1996). Künstlerisch interessanter sind die Experimente der Hollywood-Industrie etwa mit Ang Lee, der sich am Anfang seiner Karriere durch Spartenfilme über chinesisch-amerika nische Migranten und Migrantinnen wie » Pushing Hands« (1991) oder » Das Hochzeitsbankett« (1992) einen ausgezeichneten Ruf er warb. Neben seinen künstlerischen Fähigkeiten und handwerklichen Kompetenzen ist es auch der unübliche, befremdende wie spannende Blick des Migranten, der zu den Erfolgen seiner Hollywood-Produk tionen beiträgt, die bis dato als heilige Domäne »weißer« Filmemacher galten. So gelungen Filme wie » Der Eissturrn« (19 97) über die Krise der westlichen Mittelstandsfamilie oder die Verfilmung des viktoriani schen Jane Austen-Romans » Sinn und Sinnlichkeit« (1995) auch sind, über Auftragsvergabe und Erfolg entscheiden letztlich immer noch Produktionsfirmen, Verleiher und Kritiker, in der vorwiegend ein flussreiche » weiße« Männer eine dominierende Stellung einnehmen. Die Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche im Spätkapitalismus generieren durch Ungleichheiten und Ausschlüsse privilegierte Räu me, in denen produktive Zugänge zur postmodernen Konsurnkultur eröffnet werden. Dabei ist es »wichtig, >Postmoderne< nicht als Stilin der »weißen Präsenz« durch multikulturelle Beigaben angereichert. Interes sant ist jedoch, dass Thomas AndersonjNeo vom Publikum meist als »weiß« identifiziert wird, obwohl Darsteller Keanu Reeves über einen gemischten Background verfügt. Seine Otherness geht anscheinend als Whiteness mit einer anregenden, d.h. tolerablen Nuance von Otherness durch, so dass seine kulturel· le Diversität letztlich dazu dient, die »weiße« Repräsentation der Zentralfigur aufzuwerten. Daher können weder Laurence Fishburne (zu schwarz) noch An thony Wong (zu asiatisch) Neo (>Der Neue<) repräsentieren.
Popkulturelle Verwertungen u n d d i e Warenförmigkeit von Otherness I 75 richtung, sondern als kulturelle Dominante zu begreifen: eine Kon zeption, die es ermöglicht, die Präsenz und Koexistenz eines Spek trums ganz verschiedener, jedoch einer bestimmten Dominanz unter geordneter Elemente zu erfassen« (Jameson 1986: 48) . Während Dominanz in der Modeme von allem in Form repressi ver Machtartikulationen erfahrbar war, betonen Machtverhältnisse in der Postmoderne - besonders wenn sie künstlerisch oder kulturell argumentieren - die kreativen Aspekte der Produktivität und Unab schließbarkeit (Foucault 1997), die durch die Anerkennung des Ande ren und polysynthetische Melange ermöglicht werden. Eben diese postmoderne Form der Dominanz charakterisiert das kontemporäre Hybrid-Mainstreaming, in der Kreolisierung vermischt mit Exotisie rung längst als Formensprache der Pop- und Konsumkultur in den Zentren angekommen ist (vgl. die Beiträge in MayerjTerkessidis 1998). Der Übergang dieser Entwicklung zu einer Rekolonialisierung der gesellschaftlichen Ränder ist als Gefahr evident, da die ethnisierte Marginalität auch nach ihrer ästhetischen Aufwertung oftmals nur als migrantische Ressource, als Rohstofflager und Impulsgeber dient. Das imposante Absorptionspotential der transglobalen Kulturöko nomie zur Flexibilisierung tradierter Dominanzverhältnisse zeigt sich besonders eindringlich im Musikgeschäft. Seit Jahrzehnten ist ein anhaltender, in den letzen Jahren kaum überschaubarer Trend zur Hybridisierung von Musikerzeugnissen in allen Sparten der populä ren als auch der >ernsthaften< Unterhaltung zu verzeichnen. Durch Mixing, Remix, Sampling, Blending, Scratching sowie vielen anderen Verfremdungs- und Überlagerungstechniken werden heute die ver schiedensten auditiven Stilmischungen aus den unterschiedlichsten kulturellen Räumen zusammengeführt. Nicht nur subkulturelle Strömungen und Club-Szenen, auch die Trends der Mainstream- und Popkultur werden heute wesentlich durch HipHop, Black Music, Reggae, Weltmusik, Ethnopop, Crossover und vielen sich saisonal abwechselnden Modeerscheinungen wie Bhangra-Sounds, Son, Calyp so oder Oriental-House beeinflusst, die sich allesamt aus unterschied lichen musikalischen Stilrichtungen zusammensetzen. Wenn es ein postmodernes anything goes gibt, dann trifft es am ehesten auf die Grenzenlosigkeit musikalischer Elaborate zu. In keiner anderen In dustrie ist die Hybridisierung von Sounds und Rhythmen so sehr zur kulturellen Dominante mutiert, so dass sie als Standardverfahren pa radoxerweise zu einer normierten Diversifizierung zu werden droht (Hutnyk 2000). Die moderne Reinheit des Erhabenen, das früher als authentischer Ausdruck des einsamen Genies galt, könnte dann vom Zwang zur interkulturellen Mischung abgelöst werden. Diese indus trialisierte Pluralität ist gezwungenermaßen begrenzt, da sie andere Formen außerhalb des dann zulässigen Spektrums ausgrenzt. Auf der Suche nach neuen Perspektiven und Innovationen im
74 I Hype u m Hybridität und selbstlose Helden mit überlegenen Fähigkeiten präsentiert, die die Welt befreien oder retten. In einer geschichtsklitternden Perspek tive wird suggeriert, dass »weiße« Männer als »Auserwählte« das his torische und moralische Recht haben, sich die Geheimnisse außer europäischer Kulturen anzueignen, da ihr Vorteil der Vorteil aller Menschen sei. Verglichen mit dieser ausgeklügelten Filmphilosophie wirken Konzepte, die wie »Men in Black« (Will SmithjTommy Lee Jones) oder »Rush Hour« (Jackie ChanjChris Tucker) lediglich » rassisch« gemischte H eldenduos präsentieren, altbacken und unterkomplex. Nichtsdestotrotz sind auch diese Modifikationen erfolgreich, um durch diversifizierte Identifikationsmöglichkeiten unterschiedliche Publikumspräferenzen in gespaltenen Märkten besser auszuschöpfen. Oft wird diese Multiethnizität gerade durch ethnische Stereotypisie rungen und geschlechtsspezifische Rollenklischees erreicht, da von dieser tradiertem Basis aus »Witze« und Wiedererkennungseffekte als orientierende Parameter der Unterhaltung leichter hervorgerufen werden können (Raeithel 1996). Künstlerisch interessanter sind die Experimente der Hollywood-Industrie etwa mit Ang Lee, der sich am Anfang seiner Karriere durch Spartenfilme über chinesisch-amerika nische Migranten und Migrantinnen wie » Pushing Hands« (1991) oder » Das Hochzeitsbankett« (1992) einen ausgezeichneten Ruf er warb. Neben seinen künstlerischen Fähigkeiten und handwerklichen Kompetenzen ist es auch der unübliche, befremdende wie spannende Blick des Migranten, der zu den Erfolgen seiner Hollywood-Produk tionen beiträgt, die bis dato als heilige Domäne »weißer« Filmemacher galten. So gelungen Filme wie » Der Eissturrn« (19 97) über die Krise der westlichen Mittelstandsfamilie oder die Verfilmung des viktoriani schen Jane Austen-Romans » Sinn und Sinnlichkeit« (1995) auch sind, über Auftragsvergabe und Erfolg entscheiden letztlich immer noch Produktionsfirmen, Verleiher und Kritiker, in der vorwiegend ein flussreiche » weiße« Männer eine dominierende Stellung einnehmen. Die Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche im Spätkapitalismus generieren durch Ungleichheiten und Ausschlüsse privilegierte Räu me, in denen produktive Zugänge zur postmodernen Konsurnkultur eröffnet werden. Dabei ist es »wichtig, >Postmoderne< nicht als Stilin der »weißen Präsenz« durch multikulturelle Beigaben angereichert. Interes sant ist jedoch, dass Thomas AndersonjNeo vom Publikum meist als »weiß« identifiziert wird, obwohl Darsteller Keanu Reeves über einen gemischten Background verfügt. Seine Otherness geht anscheinend als Whiteness mit einer anregenden, d.h. tolerablen Nuance von Otherness durch, so dass seine kulturel· le Diversität letztlich dazu dient, die »weiße« Repräsentation der Zentralfigur aufzuwerten. Daher können weder Laurence Fishburne (zu schwarz) noch An thony Wong (zu asiatisch) Neo (>Der Neue<) repräsentieren.
Popkulturelle Verwertungen u n d d i e Warenförmigkeit von Otherness I 75 richtung, sondern als kulturelle Dominante zu begreifen: eine Kon zeption, die es ermöglicht, die Präsenz und Koexistenz eines Spek trums ganz verschiedener, jedoch einer bestimmten Dominanz unter geordneter Elemente zu erfassen« (Jameson 1986: 48) . Während Dominanz in der Modeme von allem in Form repressi ver Machtartikulationen erfahrbar war, betonen Machtverhältnisse in der Postmoderne - besonders wenn sie künstlerisch oder kulturell argumentieren - die kreativen Aspekte der Produktivität und Unab schließbarkeit (Foucault 1997), die durch die Anerkennung des Ande ren und polysynthetische Melange ermöglicht werden. Eben diese postmoderne Form der Dominanz charakterisiert das kontemporäre Hybrid-Mainstreaming, in der Kreolisierung vermischt mit Exotisie rung längst als Formensprache der Pop- und Konsumkultur in den Zentren angekommen ist (vgl. die Beiträge in MayerjTerkessidis 1998). Der Übergang dieser Entwicklung zu einer Rekolonialisierung der gesellschaftlichen Ränder ist als Gefahr evident, da die ethnisierte Marginalität auch nach ihrer ästhetischen Aufwertung oftmals nur als migrantische Ressource, als Rohstofflager und Impulsgeber dient. Das imposante Absorptionspotential der transglobalen Kulturöko nomie zur Flexibilisierung tradierter Dominanzverhältnisse zeigt sich besonders eindringlich im Musikgeschäft. Seit Jahrzehnten ist ein anhaltender, in den letzen Jahren kaum überschaubarer Trend zur Hybridisierung von Musikerzeugnissen in allen Sparten der populä ren als auch der >ernsthaften< Unterhaltung zu verzeichnen. Durch Mixing, Remix, Sampling, Blending, Scratching sowie vielen anderen Verfremdungs- und Überlagerungstechniken werden heute die ver schiedensten auditiven Stilmischungen aus den unterschiedlichsten kulturellen Räumen zusammengeführt. Nicht nur subkulturelle Strömungen und Club-Szenen, auch die Trends der Mainstream- und Popkultur werden heute wesentlich durch HipHop, Black Music, Reggae, Weltmusik, Ethnopop, Crossover und vielen sich saisonal abwechselnden Modeerscheinungen wie Bhangra-Sounds, Son, Calyp so oder Oriental-House beeinflusst, die sich allesamt aus unterschied lichen musikalischen Stilrichtungen zusammensetzen. Wenn es ein postmodernes anything goes gibt, dann trifft es am ehesten auf die Grenzenlosigkeit musikalischer Elaborate zu. In keiner anderen In dustrie ist die Hybridisierung von Sounds und Rhythmen so sehr zur kulturellen Dominante mutiert, so dass sie als Standardverfahren pa radoxerweise zu einer normierten Diversifizierung zu werden droht (Hutnyk 2000). Die moderne Reinheit des Erhabenen, das früher als authentischer Ausdruck des einsamen Genies galt, könnte dann vom Zwang zur interkulturellen Mischung abgelöst werden. Diese indus trialisierte Pluralität ist gezwungenermaßen begrenzt, da sie andere Formen außerhalb des dann zulässigen Spektrums ausgrenzt. Auf der Suche nach neuen Perspektiven und Innovationen im
Popkulturelle Verwertungen und die Warenlörmigkeit von Otherness I 77
76 I Hype um Hybridität globalisierten Kapitalismus wird der Hybridfaktor zunehmend als viel versprechendes Schlüsselelement zur Herstellung und Veredelung von kulturellen Konsumprodukten entdeckt. Geschmacksverfeinerun gen, Abwandlungen und Variationen sind wirksame Möglichkeiten, bestehende Märkte auszuweiten und neue zu generieren (Crook et al. I992: 52-55). Durch Hybridisierung kann die Sättigungsgrenze von Märkten immer von neuem durchbrochen werden. Der fein dosierte Einsatz flexibler Mischungsverhältnisse kreiert neue Warenarten und Medien, deren Produktattraktionen und Marktnischen neue Produk tions- und Konsumtionszyklen in immer schnellerer Abfolge stimulie ren (Nash 2000: 60; Harvey I989: Kap. 3.). Für die Kulturindustrie könnte Hybridität durchaus ein geeignetes Mittel sein, um sich dem ultimativen Ziel einer endlos profitablen Verwertungsmaschine anzu nähern. Im Kontext einer Postmoderne, in der die kulturelle Produk tion virtueller Güter im Verhältnis zur Herstellung materieller Waren erheblich an B edeutung gewinnt, stellt Hybridisierung ein wichtiges Mittel der Produktdiversifizierung und Marktausweitung dar. Gerade die >rebellische< Popkultur ist ein Paradebeispiel für einen spätkapitalistischen Marktzyklus und eine Produktionsweise, deren sich beständig verkürzende Produktions- und Konsumtionsschleifen zu einer beschleunigten Akkumulation von Verwertungsprozessen führen. Die popkulturelle Ökonomie gleicht dabei einem sich fortlau fend neu erschaffenden und sich dabei permanent reproduzierenden Perpetuum mobile, das in seinem Geschwindigkeitsrausch heiß gelau fen ist und mit wachsender Rotation steigende Verkaufsrekorde er zielt. Auch wenn kulturelle Hybridisierung als Verwertungstechnik an der Hoffuung auf einen nimmermüden Goldesei scheitern sollte, ist seine Innovationskraft für die kulturindustrielle Warenwerdung nicht zu unterschätzen. In der Musikproduktion nutzen Techniken des Sampling, Cut'n'Mix und des Remix altes Archivmaterial als Grundla ge für Abwandlung und Vermischung.5 Solche Produktionsverfahren
und Mehrfachverwertungen senken die Produktionskosten und erhö hen die Gewinnpotentiale erheblich. Indem neue Techniken neue ästhetische Vorstellungen und Stile hervorbringen, werden gleichzei tig neue Begehrlichkeiten und Konsummöglichkeiten produziert. Wie Scott Lash und rohn Urry in »Economies of Signs und Spa ce« (I994) betonen, hat der postmoderne Kapitalismus die Ökonomie kulturalisiert. Ihr Fokus
»Ieads them to place culture and symbolic value at the center 0 1 their analysis. In their view, economy is now based primarily on the circulation 0 1 signs: the cognitive signs that are inlormational goods and the aetheticized signs 01 what they call postmodern goods such as media producers, leisure services, and designer products{( (Nash 2000: 62). Aus dieser Perspektive kann Hybridisierung nicht nur als postmoder nes Sinnbild der >gelungenen< Integration von Differenz, sondern auch als fortgeschrittenes Instrument der Warenwerdung kultureller Differenzen begriffen werden. Der symbolische Wert von Hybridität bemisst sich an seiner Fähigkeit, Vermischungs effekte positiv aufzu laden und als wirksame Werbebotschaft einzusetzen, so dass sein Image von einer Aura des Phantastischen umhüllt wird. Für die kommerzielle Vermarktung ist ein innovatives Image äußerst wertvoll, so das dieses positive Label bei der Markteinführung von kapitalinten siven Produkten nochmals gesteigert wird. In der um AufmerksamEine andere Vorstellung musikalischer Hybridisierung verwirklichte Manu Chao, der als Sänger der Formation »Mano Negra« bekannt wurde, auf dem Album » Clandestino« (1998). Im CD-Booklet wird sein Musikstil beschrieben als »a hybrid mixture of the Spanish, English and French languages that con tains refreshing and infectious rhythms«. Zum Konzept des Hybridpop heißt es dort weiter: » !t is a record in transit and also much more. Clandestino's pop sensibilities combined with a distinct political flavor create a sharp, subversive musical landscape that will leave the listener discovering more with each play.«
5
I Hybridmusik kann im Pop sehr viele unterschiedliche Zutaten, Aus
In dieser Vorstellung ist nicht nur die Verschiebung und Neuzusammenset
richtungen und Arbeitstechniken beinhalten - wie diese exemplarische Zu
zung linguistischer und musikalischer Kompositionen jenseits abgeschlosse
gänge verdeutlichen. Zu den Trendsettern im Pop-Diskurs zählten in den letz
ner Sprach- und Kulturräume hybrid, sondern auch das Aufbrechen der ge
ten Jahren Künstler/-innen wie die kalifornische Crossover-Band »Linkin
wohnten Trennung zwischen Konsum und Politik.
Park«, die bei ihrer Gründung noch »Hybrid Theory« hieß. Um Rechtsstreitig
Daneben hat sich im Bereich der elektronischen Musik mit » Hybrid« ein
keiten und Verwechslungen mit einer gleichnamigen Band zu vermeiden, be
Netzwerk von Remixern und DJs etabliert. Ihr Kult-Status ermöglicht es ihnen,
nannten sie sich um und tauften stattdessen ihr 14-millionenfach verkauftes
mit so bekannten Musikern und Musikerinnen wie Moby und Alanis Moris
Debütalbum programmatisch auf den Namen der abgelegten Gruppenidenti
sette zusammenzuarbeiten, um durch Recycling neue Klangcollagen zu erzeu
tät. Nach »Hybrid Theory« (2000) folgte »Meteora« (2003), dass den »Grenz
gen. Ein weiterer Trend bei der Hybridisierung der Popmusik ist der sog. Bas
gang zwischen Metal, HipHop und Elektronika eine Spur weiter [führt] - mit
tard-Pop, bei dem Fragmente aus unterschiedlichen Liedern, die oft vollkom
wuchtigen
Stakkato-Gitarren,
hypnotischen
Beats
und stimmungsvoller
Schwarzmalerei. Ein Bastard aus Härte und Melodie, zügelloser Power und atmosphärischer Pop Noir« (World of Music Journal 4/2003:
17).
men verschiedenen Musikrichtungen angehören, durch Techniken der Über lagerung, des werden.
Loopings und des Cut'n'Mix zu einem neuen Stück arrangiert
Popkulturelle Verwertungen und die Warenlörmigkeit von Otherness I 77
76 I Hype um Hybridität globalisierten Kapitalismus wird der Hybridfaktor zunehmend als viel versprechendes Schlüsselelement zur Herstellung und Veredelung von kulturellen Konsumprodukten entdeckt. Geschmacksverfeinerun gen, Abwandlungen und Variationen sind wirksame Möglichkeiten, bestehende Märkte auszuweiten und neue zu generieren (Crook et al. I992: 52-55). Durch Hybridisierung kann die Sättigungsgrenze von Märkten immer von neuem durchbrochen werden. Der fein dosierte Einsatz flexibler Mischungsverhältnisse kreiert neue Warenarten und Medien, deren Produktattraktionen und Marktnischen neue Produk tions- und Konsumtionszyklen in immer schnellerer Abfolge stimulie ren (Nash 2000: 60; Harvey I989: Kap. 3.). Für die Kulturindustrie könnte Hybridität durchaus ein geeignetes Mittel sein, um sich dem ultimativen Ziel einer endlos profitablen Verwertungsmaschine anzu nähern. Im Kontext einer Postmoderne, in der die kulturelle Produk tion virtueller Güter im Verhältnis zur Herstellung materieller Waren erheblich an B edeutung gewinnt, stellt Hybridisierung ein wichtiges Mittel der Produktdiversifizierung und Marktausweitung dar. Gerade die >rebellische< Popkultur ist ein Paradebeispiel für einen spätkapitalistischen Marktzyklus und eine Produktionsweise, deren sich beständig verkürzende Produktions- und Konsumtionsschleifen zu einer beschleunigten Akkumulation von Verwertungsprozessen führen. Die popkulturelle Ökonomie gleicht dabei einem sich fortlau fend neu erschaffenden und sich dabei permanent reproduzierenden Perpetuum mobile, das in seinem Geschwindigkeitsrausch heiß gelau fen ist und mit wachsender Rotation steigende Verkaufsrekorde er zielt. Auch wenn kulturelle Hybridisierung als Verwertungstechnik an der Hoffuung auf einen nimmermüden Goldesei scheitern sollte, ist seine Innovationskraft für die kulturindustrielle Warenwerdung nicht zu unterschätzen. In der Musikproduktion nutzen Techniken des Sampling, Cut'n'Mix und des Remix altes Archivmaterial als Grundla ge für Abwandlung und Vermischung.5 Solche Produktionsverfahren
und Mehrfachverwertungen senken die Produktionskosten und erhö hen die Gewinnpotentiale erheblich. Indem neue Techniken neue ästhetische Vorstellungen und Stile hervorbringen, werden gleichzei tig neue Begehrlichkeiten und Konsummöglichkeiten produziert. Wie Scott Lash und rohn Urry in »Economies of Signs und Spa ce« (I994) betonen, hat der postmoderne Kapitalismus die Ökonomie kulturalisiert. Ihr Fokus
»Ieads them to place culture and symbolic value at the center 0 1 their analysis. In their view, economy is now based primarily on the circulation 0 1 signs: the cognitive signs that are inlormational goods and the aetheticized signs 01 what they call postmodern goods such as media producers, leisure services, and designer products{( (Nash 2000: 62). Aus dieser Perspektive kann Hybridisierung nicht nur als postmoder nes Sinnbild der >gelungenen< Integration von Differenz, sondern auch als fortgeschrittenes Instrument der Warenwerdung kultureller Differenzen begriffen werden. Der symbolische Wert von Hybridität bemisst sich an seiner Fähigkeit, Vermischungs effekte positiv aufzu laden und als wirksame Werbebotschaft einzusetzen, so dass sein Image von einer Aura des Phantastischen umhüllt wird. Für die kommerzielle Vermarktung ist ein innovatives Image äußerst wertvoll, so das dieses positive Label bei der Markteinführung von kapitalinten siven Produkten nochmals gesteigert wird. In der um AufmerksamEine andere Vorstellung musikalischer Hybridisierung verwirklichte Manu Chao, der als Sänger der Formation »Mano Negra« bekannt wurde, auf dem Album » Clandestino« (1998). Im CD-Booklet wird sein Musikstil beschrieben als »a hybrid mixture of the Spanish, English and French languages that con tains refreshing and infectious rhythms«. Zum Konzept des Hybridpop heißt es dort weiter: » !t is a record in transit and also much more. Clandestino's pop sensibilities combined with a distinct political flavor create a sharp, subversive musical landscape that will leave the listener discovering more with each play.«
5
I Hybridmusik kann im Pop sehr viele unterschiedliche Zutaten, Aus
In dieser Vorstellung ist nicht nur die Verschiebung und Neuzusammenset
richtungen und Arbeitstechniken beinhalten - wie diese exemplarische Zu
zung linguistischer und musikalischer Kompositionen jenseits abgeschlosse
gänge verdeutlichen. Zu den Trendsettern im Pop-Diskurs zählten in den letz
ner Sprach- und Kulturräume hybrid, sondern auch das Aufbrechen der ge
ten Jahren Künstler/-innen wie die kalifornische Crossover-Band »Linkin
wohnten Trennung zwischen Konsum und Politik.
Park«, die bei ihrer Gründung noch »Hybrid Theory« hieß. Um Rechtsstreitig
Daneben hat sich im Bereich der elektronischen Musik mit » Hybrid« ein
keiten und Verwechslungen mit einer gleichnamigen Band zu vermeiden, be
Netzwerk von Remixern und DJs etabliert. Ihr Kult-Status ermöglicht es ihnen,
nannten sie sich um und tauften stattdessen ihr 14-millionenfach verkauftes
mit so bekannten Musikern und Musikerinnen wie Moby und Alanis Moris
Debütalbum programmatisch auf den Namen der abgelegten Gruppenidenti
sette zusammenzuarbeiten, um durch Recycling neue Klangcollagen zu erzeu
tät. Nach »Hybrid Theory« (2000) folgte »Meteora« (2003), dass den »Grenz
gen. Ein weiterer Trend bei der Hybridisierung der Popmusik ist der sog. Bas
gang zwischen Metal, HipHop und Elektronika eine Spur weiter [führt] - mit
tard-Pop, bei dem Fragmente aus unterschiedlichen Liedern, die oft vollkom
wuchtigen
Stakkato-Gitarren,
hypnotischen
Beats
und stimmungsvoller
Schwarzmalerei. Ein Bastard aus Härte und Melodie, zügelloser Power und atmosphärischer Pop Noir« (World of Music Journal 4/2003:
17).
men verschiedenen Musikrichtungen angehören, durch Techniken der Über lagerung, des werden.
Loopings und des Cut'n'Mix zu einem neuen Stück arrangiert
78 I Hype um Hybridi tät
Popkulturelle Verwertungen und d i e Warenlörmigkeit von Otherness I 79
keit ringenden Sprache der Marketing- und Werbe strategen wird dazu
schrittsoptimismus und grenzenlose Aneignung kultureller Differen
auf einen Pool von Superlativen rekurriert, um Hybridmerkmale zur
zen zu kompensieren.
Geltung zu bringen. Die Beschwörung der visionären Innovationskraft des Hybriden, das noch nie Dagewesenes repräsentiert, trägt durchaus die quasi-religiösen Züge des naturwissenschaftlichen Fortschritts glaubens und der Heiligenverehrung in sich. Diese kulturellen Aufla dun gen maximieren sowohl den Tauschwert als auch den Fetischcha
))Ästhetische Produktion ist integraler Bestandteil der allgemeinen Waren produktion ge worden. Der ungeheure ökonomische Druck, immer neue Schübe neuer Waren [ . . . ] mit steigenden Absatzraten zu produzieren, weist den ästhetischen Innovationen eine immer wichtiger werdende Istrukturelle( Aulgabe und Funktion ZU« (Jameson 1 986: 481.).
rakter der Ware. In diesem Zusammenhang können hybride Kulturprodukte als öko
)) The metaphysical signilicance 01 the commodity lies in the lact that it externalizes the products 01 human labour Irom the labourer [ . . . ] As [the commodities] become objects external so the seil, commodities receive a signilicance previously given only to religious objects [ ]. Modern culture is [ . . ] afflicted by commodity letishism« (Crook et al. 1 992: 8). . . •
.
nomischer Reflex auf die fortschreitende Transnationalisierung und Flexibilisierung eines glokalisierten Kapitalismus gesehen werden, der aus dem Zusammentreffen von lokalen und globalen Kontexten Neu es generiert. Neben den bedeutenden Vermarktungsvorteilen und Innovationspotentialen kann die Entdeckung und Aneignung des hybriden Anderen auch als Marktrealction auf einen populistischen
Der Fetischcharakter intensiviert sich im transnationalen Kapitalis
Multikulturalismus gewertet werden, der eine exotisierende Konsum
mus, da Hybridkulturwaren nicht nur Produkte der materiellen, son
kultur propagiert.
dern auch der kulturellen Fremdaneignung symbolisieren. In dem Maße, in dem Hybridität die Aneignungsmöglichkeiten
Im Gegensatz zu den Jahrzehnten, in denen die kulturellen Ein flüsse von
I968 noch nachwirkten, laden die Anreize kultureller Hyb
des Kapitals und des dominanten Mainstreams vom materiellem Feld
ridwelten heute zum erstrebenswerten Konsum ein. Konsum wird
des Gebrauchswerts auf das imaginative Feld des Tauschwerts über
mittlerweile durchgängig mit Genuss und Inklusion gleichgesetzt und
trägt und die Möglichkeiten des symbolischen Konsums ausweitet,
ist nicht mehr mit dem Makel der bornierten Abstumpfung und Spie
wird sie zu einem magischen Codewort stilisiert. Sie wird zur Meta
ßigkeit behaftet. Durch Konsumtion zeigen Individuen an, dass sie
pher des Allmachbaren, zur halluzinatorischen Soma der Postmoder
dazugehören und auch zeitgemäß, jung, aktiv und kosmopolitisch
ne erhoben, in der die bisherigen Beschränkungen durch einen Vor
leben. Hybridkonzepte werden zunehmend als integraler Bestandteil
stoß in neue unentdeckte Dimensionen aufgebrochen werden. Hybri
postmoderner Lebensräume entworfen, in der die moderne Wertig
dität stellt ein postmodernes Versprechen dar, das den imperialen
keit, die in der klassischen Trennung zwischen seriöser Hoch- und
Glauben an eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten auf eine para
unterhaltsamer Massenkultur lag, aufgehoben ist (Featherstone
doxe Art reanimiert. Ein Blick auf die eurozentrierte Geschichte der
84-94).
I99I:
Ob in Form aufregender Mixkulturen und lustgewinnender
USA zeigt, dass ihr Aufstieg von einer englischen Kolonialprovinz
Lebensstile oder schicker Produkte - zur Hybridität verschmolzene
zum vermeintlichen Weltzentrum menschlichen Fortschritts schwer
Differenz tritt heutzutage als verkäufliches Kulturprodukt und anei
lich ohne die Ideologie des amerikanischen Traums als kapitalisti
genbare Lifestyletechnik in einer transkulturellen Konsumwelt auf, in
schen Urmythos und multikulturellen Transmissionsriemens zur
der sie als ebenso fortschrittlich wie als exotisch bereichernd empfun
I996).
ungehemmten Entfaltung aller Produktivkräfte möglich gewesen wäre
den wird (vgl. die Beiträge in Howes
(Leggewie
Expansives Wachstum gilt nach wie vor als
kulturelle Repräsentationen, sondern auf alle Produkte zu, die Imagi
beste Krisenvorsorge fUr die kapitalistische Weltwirtschaft unter west
nationen verkaufen. Das Repertoire kann von Fernreisen, gastronomi
licher Führung. In diesem Rahmen kann Hybridisierung durchaus
schen Erlebnissen, sexuellen Dienstleistungen, ParfUm, Kleidung,
2000: 886). 6
Dies trifft nicht nur auf
einen bedeutsamen Beitrag leisten, um die Grenzen des Wachstums
Genussmitteln bis zu so banalen Dingen wie Schokoriegeln reichen.
weltanschaulich und produktionstechnisch durch ungebremsten Fort-
Dadurch wird exotisierte Hybridität im Alltag in erste Linie als ästheti
6 I Diesen Sachverhalt schien die kürzlich verstorbene Susan Sontag bei
seine dominante Position durch eine selektive und kontrollierte An
sierende Kulturtechnik zur Erweiterung jenes Selbst eingesetzt, das ihrer Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels anzuspre
eignung des Anderen aufwerten kann.
chen: » Es gehört zum Genius der Vereinigten Staaten, [...] dass sie eine Form
Durch ökonomische Integration und kulturellen Anschluss mig
von konservativem Denken entwickelt haben, die das Neue und nicht etwa das
rantischer Ressourcen erhalten dominante Identitätsformen mehr
Alte feiert« (zit. nach Jähner 2003:
n).
Verfligungsoptionen und Spielräume, wodurch sie sich - kollektiv wie
78 I Hype um Hybridi tät
Popkulturelle Verwertungen und d i e Warenlörmigkeit von Otherness I 79
keit ringenden Sprache der Marketing- und Werbe strategen wird dazu
schrittsoptimismus und grenzenlose Aneignung kultureller Differen
auf einen Pool von Superlativen rekurriert, um Hybridmerkmale zur
zen zu kompensieren.
Geltung zu bringen. Die Beschwörung der visionären Innovationskraft des Hybriden, das noch nie Dagewesenes repräsentiert, trägt durchaus die quasi-religiösen Züge des naturwissenschaftlichen Fortschritts glaubens und der Heiligenverehrung in sich. Diese kulturellen Aufla dun gen maximieren sowohl den Tauschwert als auch den Fetischcha
))Ästhetische Produktion ist integraler Bestandteil der allgemeinen Waren produktion ge worden. Der ungeheure ökonomische Druck, immer neue Schübe neuer Waren [ . . . ] mit steigenden Absatzraten zu produzieren, weist den ästhetischen Innovationen eine immer wichtiger werdende Istrukturelle( Aulgabe und Funktion ZU« (Jameson 1 986: 481.).
rakter der Ware. In diesem Zusammenhang können hybride Kulturprodukte als öko
)) The metaphysical signilicance 01 the commodity lies in the lact that it externalizes the products 01 human labour Irom the labourer [ . . . ] As [the commodities] become objects external so the seil, commodities receive a signilicance previously given only to religious objects [ ]. Modern culture is [ . . ] afflicted by commodity letishism« (Crook et al. 1 992: 8). . . •
.
nomischer Reflex auf die fortschreitende Transnationalisierung und Flexibilisierung eines glokalisierten Kapitalismus gesehen werden, der aus dem Zusammentreffen von lokalen und globalen Kontexten Neu es generiert. Neben den bedeutenden Vermarktungsvorteilen und Innovationspotentialen kann die Entdeckung und Aneignung des hybriden Anderen auch als Marktrealction auf einen populistischen
Der Fetischcharakter intensiviert sich im transnationalen Kapitalis
Multikulturalismus gewertet werden, der eine exotisierende Konsum
mus, da Hybridkulturwaren nicht nur Produkte der materiellen, son
kultur propagiert.
dern auch der kulturellen Fremdaneignung symbolisieren. In dem Maße, in dem Hybridität die Aneignungsmöglichkeiten
Im Gegensatz zu den Jahrzehnten, in denen die kulturellen Ein flüsse von
I968 noch nachwirkten, laden die Anreize kultureller Hyb
des Kapitals und des dominanten Mainstreams vom materiellem Feld
ridwelten heute zum erstrebenswerten Konsum ein. Konsum wird
des Gebrauchswerts auf das imaginative Feld des Tauschwerts über
mittlerweile durchgängig mit Genuss und Inklusion gleichgesetzt und
trägt und die Möglichkeiten des symbolischen Konsums ausweitet,
ist nicht mehr mit dem Makel der bornierten Abstumpfung und Spie
wird sie zu einem magischen Codewort stilisiert. Sie wird zur Meta
ßigkeit behaftet. Durch Konsumtion zeigen Individuen an, dass sie
pher des Allmachbaren, zur halluzinatorischen Soma der Postmoder
dazugehören und auch zeitgemäß, jung, aktiv und kosmopolitisch
ne erhoben, in der die bisherigen Beschränkungen durch einen Vor
leben. Hybridkonzepte werden zunehmend als integraler Bestandteil
stoß in neue unentdeckte Dimensionen aufgebrochen werden. Hybri
postmoderner Lebensräume entworfen, in der die moderne Wertig
dität stellt ein postmodernes Versprechen dar, das den imperialen
keit, die in der klassischen Trennung zwischen seriöser Hoch- und
Glauben an eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten auf eine para
unterhaltsamer Massenkultur lag, aufgehoben ist (Featherstone
doxe Art reanimiert. Ein Blick auf die eurozentrierte Geschichte der
84-94).
I99I:
Ob in Form aufregender Mixkulturen und lustgewinnender
USA zeigt, dass ihr Aufstieg von einer englischen Kolonialprovinz
Lebensstile oder schicker Produkte - zur Hybridität verschmolzene
zum vermeintlichen Weltzentrum menschlichen Fortschritts schwer
Differenz tritt heutzutage als verkäufliches Kulturprodukt und anei
lich ohne die Ideologie des amerikanischen Traums als kapitalisti
genbare Lifestyletechnik in einer transkulturellen Konsumwelt auf, in
schen Urmythos und multikulturellen Transmissionsriemens zur
der sie als ebenso fortschrittlich wie als exotisch bereichernd empfun
I996).
ungehemmten Entfaltung aller Produktivkräfte möglich gewesen wäre
den wird (vgl. die Beiträge in Howes
(Leggewie
Expansives Wachstum gilt nach wie vor als
kulturelle Repräsentationen, sondern auf alle Produkte zu, die Imagi
beste Krisenvorsorge fUr die kapitalistische Weltwirtschaft unter west
nationen verkaufen. Das Repertoire kann von Fernreisen, gastronomi
licher Führung. In diesem Rahmen kann Hybridisierung durchaus
schen Erlebnissen, sexuellen Dienstleistungen, ParfUm, Kleidung,
2000: 886). 6
Dies trifft nicht nur auf
einen bedeutsamen Beitrag leisten, um die Grenzen des Wachstums
Genussmitteln bis zu so banalen Dingen wie Schokoriegeln reichen.
weltanschaulich und produktionstechnisch durch ungebremsten Fort-
Dadurch wird exotisierte Hybridität im Alltag in erste Linie als ästheti
6 I Diesen Sachverhalt schien die kürzlich verstorbene Susan Sontag bei
seine dominante Position durch eine selektive und kontrollierte An
sierende Kulturtechnik zur Erweiterung jenes Selbst eingesetzt, das ihrer Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels anzuspre
eignung des Anderen aufwerten kann.
chen: » Es gehört zum Genius der Vereinigten Staaten, [...] dass sie eine Form
Durch ökonomische Integration und kulturellen Anschluss mig
von konservativem Denken entwickelt haben, die das Neue und nicht etwa das
rantischer Ressourcen erhalten dominante Identitätsformen mehr
Alte feiert« (zit. nach Jähner 2003:
n).
Verfligungsoptionen und Spielräume, wodurch sie sich - kollektiv wie
Popkulturelle Verwertungen und die Warenförm igke it von Otherness I 81
80 I Hype um Hybridität individuell - umso leichter als offenes Gesamtkunstwerk imaginieren können? In einem Mix aus fröhlichem Hedonismus und ästheti scher Produktivität rufen hybride Kulturformen in seltener Einmütig keit sowohl bei gesellschaftlichen Eliten als auch beim Massenpubli kum meist wohlwollendes Interesse bis begeisterte Reaktionen hervor. Für den »hybriden Konsumenten«, der sich über ein größeres Ange bot freut, wie für die daran beteiligten Industrien bedeuten diese Novi täten kulturelle Bereicherung und Steigerung des eigenen Hipnessfak tors gepaart mit ökonomischer und symbolischer Profitabilität. Florierende Schlagwörter wie »Ethno-Look«, »ethnisches Marke ting« oder »interkulturelles Management« zeigen in den letzten J ah ren eine wachsende Ökonomie der Ethnisierung an. Das Interesse am ethnisch Anderen hat ausgehend von alternativen Minderheiten längst den gesellschaftlichen Mainstream erreicht. Kulturell-religiöse Zei chen und ethnisch-nationale Symbole werden immer stärker als be deutungsvolle Kategorien erachtet, die über wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Lange wurden Migranten und Migran tinnen - entsprechend ihrer sozialen Stellung - nicht beachtet. Inzwi schen wird ihr Wirtschaftspotential anerkannt, und einige Telekom munikations- sowie Pharmaunternehmen versuchen, sie als Zielgrup pen in spezialisierten Märkten anzusprechen. Noch wichtiger ist es aber, Produkte für den »weißen« Mainstream mit einem kulturellen Mehrwert auszustatten. Die dadurch ermöglichte Konsumbefriedi gung geht über funktionale Aspekte hinaus und umfasst auch die imaginativen und emotionalen Bedeutungsaufladungen des ge wünschten Produkts, das die Verfügbarkeit von Vergnügen und die Erfahrbarkeit von Verlangen verspricht (Featherstone 1991: 13-16). Transglobale Hybridkulturen, die urbane Multikulti-Mischungen im zugänglichen Lokalkolorit servieren, werden dann als chic und erregend erlebt, wenn sie erheiternde »multirassische« Ethno-Komö dien a la » Erkan & Stefan« oder bunte Partyshows mit Musik- und Tanzeinlagen - etwa im stil der diversen Popstars-Castingserien darbieten. Diese Instrumentalisierung des Anderen reduziert ihn zu einem Bedeutungsträger, der die Geschmacksnoten >funky-fresh< oder >exotisch-erotisch< bedienen muss, um im Geschäft zu bleiben. Der Vermischungsdiskurs kann ethnische Stereotypen verstärken, die an der kulturellen Konsumtion der zugeschriebenen Authentizität des 7 I Diese Ungleichzeitigkeit zwischen Inklusion und Exklusion besteht auch in der Public Relations-Kampagne » Marke Deutschland«, die vom
Institut mit einigen Werbeagenturen initiiert wurde,
um
Goethe
ein modernes, offe
Anderen gebunden sind. Skeptische Positionen verweisen darauf, dass ethnisch-kulturelle Festschreibungen und Fetischisierungen durch den Hybriditätsdiskurs nicht unterlaufen oder abgeschwächt werden (Friedman 199T 78f). Im Zentrum der Popkultur steht ein Begehren nach »Fun«, »wilde[r] Kreativität«, »radical chic«, »geheimnisvolle[r] Exotik« (Hutnyk 1997: II7-120) und das ambivalente Ideal der »ge mischt rassischen Schönheit« (Holert 1998). Solche Imagewerte und Wünsche sind nicht überraschend. Schließlich bildet die Konstruktion von nationalen Kulturen und Ethnien die Voraussetzung für einen Diskurs der grenzauflösenden Fusionen. Während Negativbilder der diskursiven Abgrenzung dienen, werden positive Kulturbezüge als Quelle für die bereichernde Harmonierung kultureller Differenzen benötigt. Mit der Ethnisierung und Exotisierung steigt das Bedürfnis nach authentischen Repräsentanten der Hybridisierung. Dieser Effekt hat zur neuen Sichtbarkeit von Migrantinnen beigetragen, da dadurch gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt wurden. Migrantische Akteure und Akteurinnen können zwar ihre Ideen, Perspektiven und Erfahrungen limitiert in den hochselektiven Dis kurs- und Produktionsprozess einbringen. Aber sie sind nicht diejeni gen, die die Entscheidungsmacht über Zugang, Auswahl oder die Definition von Qualitätskriterien haben. Ihre bereichernde Präsenz auf der massenmedialen Repräsentationsebene beschränkt sich vor nehmlich auf die Darstellung von Formenvielfalt, trifft aber nur in begrenztem Maße auf die Festlegung und Vermittlung von Inhalten und Perspektiven zu. Noch seltener führt die Repräsentation des An deren in solchen Kontexten zur Sichtbarmachung von Macht- und Verteilungsfragen. Erschwert wird dieses Problem dadurch, dass Ein fallsreichtum und Kreativität im massenmedialen Kulturbetrieb nicht selten als instrumentelle Freiheit zur Erzeugung von ästhetischen Genüssen verstanden wird. Ein solches künstlerisches Selbstverständ nis bedient die Interessen der Kulturindustrie nach Erzeugung von Gefälligem. Kritische Perspektiven können in einem System, das von verwertbarer Unterhaltung abhängt, oft nur als Alibi-Nischenprodukte überleben - oder sie werden durch marktförmige Anpassung und Vermarktung von revolutionären Gesten pazifiziert.8 Dieses struktu relle Problem findet sich in unterschiedlichen Ausformungen in allen Bereichen der Kulturindustrie wieder. Marginalisierte Kulturarbeiter/ -innen sind unter den ungleichen Verhandlungsbedingungen oft dazu gezwungen ihre Begabungen und ihr intellektuelles Kapital billig zu verkaufen, haben aber - von irregulären Ausnahmefallen abgesehen keine institutionalisierte Entscheidungsmacht, um selbst über Zugän-
nes, vor allem global konkurrenzfähiges Deutschland zu präsentieren. Noch deutlicher tritt die Missrepräsentation des Anderen beim Berliner » Karneval
8
I Siehe etwa die sinnentleerte Ikonisierung von Malcolm
X und ehe Nike oder
der Kulturen der Welt« auf. Ausführlicher im Kapitel » Umkämpfte Hybridisie-
Guevara als Popstars, den umsatzsteigernden Revolutionspathos bei
rungen« .
die Kollektion » Ulrike Meinhof« beim Modehaus
Prada als Marketing-Event.
Popkulturelle Verwertungen und die Warenförm igke it von Otherness I 81
80 I Hype um Hybridität individuell - umso leichter als offenes Gesamtkunstwerk imaginieren können? In einem Mix aus fröhlichem Hedonismus und ästheti scher Produktivität rufen hybride Kulturformen in seltener Einmütig keit sowohl bei gesellschaftlichen Eliten als auch beim Massenpubli kum meist wohlwollendes Interesse bis begeisterte Reaktionen hervor. Für den »hybriden Konsumenten«, der sich über ein größeres Ange bot freut, wie für die daran beteiligten Industrien bedeuten diese Novi täten kulturelle Bereicherung und Steigerung des eigenen Hipnessfak tors gepaart mit ökonomischer und symbolischer Profitabilität. Florierende Schlagwörter wie »Ethno-Look«, »ethnisches Marke ting« oder »interkulturelles Management« zeigen in den letzten J ah ren eine wachsende Ökonomie der Ethnisierung an. Das Interesse am ethnisch Anderen hat ausgehend von alternativen Minderheiten längst den gesellschaftlichen Mainstream erreicht. Kulturell-religiöse Zei chen und ethnisch-nationale Symbole werden immer stärker als be deutungsvolle Kategorien erachtet, die über wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Lange wurden Migranten und Migran tinnen - entsprechend ihrer sozialen Stellung - nicht beachtet. Inzwi schen wird ihr Wirtschaftspotential anerkannt, und einige Telekom munikations- sowie Pharmaunternehmen versuchen, sie als Zielgrup pen in spezialisierten Märkten anzusprechen. Noch wichtiger ist es aber, Produkte für den »weißen« Mainstream mit einem kulturellen Mehrwert auszustatten. Die dadurch ermöglichte Konsumbefriedi gung geht über funktionale Aspekte hinaus und umfasst auch die imaginativen und emotionalen Bedeutungsaufladungen des ge wünschten Produkts, das die Verfügbarkeit von Vergnügen und die Erfahrbarkeit von Verlangen verspricht (Featherstone 1991: 13-16). Transglobale Hybridkulturen, die urbane Multikulti-Mischungen im zugänglichen Lokalkolorit servieren, werden dann als chic und erregend erlebt, wenn sie erheiternde »multirassische« Ethno-Komö dien a la » Erkan & Stefan« oder bunte Partyshows mit Musik- und Tanzeinlagen - etwa im stil der diversen Popstars-Castingserien darbieten. Diese Instrumentalisierung des Anderen reduziert ihn zu einem Bedeutungsträger, der die Geschmacksnoten >funky-fresh< oder >exotisch-erotisch< bedienen muss, um im Geschäft zu bleiben. Der Vermischungsdiskurs kann ethnische Stereotypen verstärken, die an der kulturellen Konsumtion der zugeschriebenen Authentizität des 7 I Diese Ungleichzeitigkeit zwischen Inklusion und Exklusion besteht auch in der Public Relations-Kampagne » Marke Deutschland«, die vom
Institut mit einigen Werbeagenturen initiiert wurde,
um
Goethe
ein modernes, offe
Anderen gebunden sind. Skeptische Positionen verweisen darauf, dass ethnisch-kulturelle Festschreibungen und Fetischisierungen durch den Hybriditätsdiskurs nicht unterlaufen oder abgeschwächt werden (Friedman 199T 78f). Im Zentrum der Popkultur steht ein Begehren nach »Fun«, »wilde[r] Kreativität«, »radical chic«, »geheimnisvolle[r] Exotik« (Hutnyk 1997: II7-120) und das ambivalente Ideal der »ge mischt rassischen Schönheit« (Holert 1998). Solche Imagewerte und Wünsche sind nicht überraschend. Schließlich bildet die Konstruktion von nationalen Kulturen und Ethnien die Voraussetzung für einen Diskurs der grenzauflösenden Fusionen. Während Negativbilder der diskursiven Abgrenzung dienen, werden positive Kulturbezüge als Quelle für die bereichernde Harmonierung kultureller Differenzen benötigt. Mit der Ethnisierung und Exotisierung steigt das Bedürfnis nach authentischen Repräsentanten der Hybridisierung. Dieser Effekt hat zur neuen Sichtbarkeit von Migrantinnen beigetragen, da dadurch gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt wurden. Migrantische Akteure und Akteurinnen können zwar ihre Ideen, Perspektiven und Erfahrungen limitiert in den hochselektiven Dis kurs- und Produktionsprozess einbringen. Aber sie sind nicht diejeni gen, die die Entscheidungsmacht über Zugang, Auswahl oder die Definition von Qualitätskriterien haben. Ihre bereichernde Präsenz auf der massenmedialen Repräsentationsebene beschränkt sich vor nehmlich auf die Darstellung von Formenvielfalt, trifft aber nur in begrenztem Maße auf die Festlegung und Vermittlung von Inhalten und Perspektiven zu. Noch seltener führt die Repräsentation des An deren in solchen Kontexten zur Sichtbarmachung von Macht- und Verteilungsfragen. Erschwert wird dieses Problem dadurch, dass Ein fallsreichtum und Kreativität im massenmedialen Kulturbetrieb nicht selten als instrumentelle Freiheit zur Erzeugung von ästhetischen Genüssen verstanden wird. Ein solches künstlerisches Selbstverständ nis bedient die Interessen der Kulturindustrie nach Erzeugung von Gefälligem. Kritische Perspektiven können in einem System, das von verwertbarer Unterhaltung abhängt, oft nur als Alibi-Nischenprodukte überleben - oder sie werden durch marktförmige Anpassung und Vermarktung von revolutionären Gesten pazifiziert.8 Dieses struktu relle Problem findet sich in unterschiedlichen Ausformungen in allen Bereichen der Kulturindustrie wieder. Marginalisierte Kulturarbeiter/ -innen sind unter den ungleichen Verhandlungsbedingungen oft dazu gezwungen ihre Begabungen und ihr intellektuelles Kapital billig zu verkaufen, haben aber - von irregulären Ausnahmefallen abgesehen keine institutionalisierte Entscheidungsmacht, um selbst über Zugän-
nes, vor allem global konkurrenzfähiges Deutschland zu präsentieren. Noch deutlicher tritt die Missrepräsentation des Anderen beim Berliner » Karneval
8
I Siehe etwa die sinnentleerte Ikonisierung von Malcolm
X und ehe Nike oder
der Kulturen der Welt« auf. Ausführlicher im Kapitel » Umkämpfte Hybridisie-
Guevara als Popstars, den umsatzsteigernden Revolutionspathos bei
rungen« .
die Kollektion » Ulrike Meinhof« beim Modehaus
Prada als Marketing-Event.
Popkul turelle Verwe rtungen und die Warenförm igkeit von Othern ess I 83
82 I Hype um Hybrid ität ge zu relevanten Produktionsmitteln, Marketingstrukturen und Me
lingual gourmet tasters who travel among global cultures, savouring
dien zu bestimmen. In diesen Sphären verfügen sie nicht einmal über
cultural differences as they flit with consummate ease between social
eine Kontrolle über jene medialen Images, die sie selbst produziert
worlds« (Werbner
haben. Solange die Produktionsbedingungen strukturell unverändert
wert, als sie auf eine bedeutungsvolle Differenz zwischen transnatio
1997: nf).
Diese Polemik ist insoweit überlegens
bleiben, können selbst Verschiebungen auf der Ebene der kulturellen
nalen Eliten und unterprivilegierten Migranten sowie Migrantinnen
Repräsentationen nicht zu Übersetzungsprozessen beitragen, die poli
aufmerksam macht, die es
tische und ökonomische Strukturen tangieren.
Sichtbarkeit des etablierten Anderen ist mit einer Unsichtbarmachung
In den öffentlichen Programmen staatlicher Institutionen und
marginalisierter
zu
berücksichtigen gilt. Denn die neue
Otherness verknüpft,
die nicht in das Image der schö
multinationaler Konzerne werden vermehrt die interkulturellen Seg
nen Welt der hippen Vermischungen hineinpassen und weiterhin
nungen der »global villages« gepriesen. Diese Einbindung entwickelt
unrepräsentierbar bleiben.
eine Eigendynamik zur legitimatorischen SelbstaufWertung. Sie führt
Gayatri Spivak hat darauf hingewiesen, dass die Zelebrierung von
dazu, dass migrantische wie nicht-migrantische Kulturarbeiter/-innen
Hybridität zu einem Verschweigen von rassistischer Gewalt und Aus Eine weitergehende
und Intellektuelle in der Reproduktion hegemonialer Integrationsdis
grenzung führen kann (Hutnyk
kurse ein Ticket zur sozialen und kulturellen AufWärtsmobilität sehen.
Kritik sieht im kulturalistischen Faible für Hybridität und im Vorzug
Während erstere unter Umständen die Fremderwartungen der Dorni
textueller Dekonstruktion einen Rückzug der inzwischen gesättigten
nanzgesellschaft erfüllen, indem sie ihre eigene authentische Hybridi
und etablierten Stimmen aus den Niederungen anti-rassistischer und
1997: 121f).
tät konstruieren und promoten,9 versuchen Mehrheitsangehörige,
anti-kolonialer Kämpfe und wirft ihnen politische Ignoranz vor:
ihre Partizipation zu sichern, indem sie Hybridität als universelle
»Theorising hybridity becomes, in some case, an excuse for ignoring
Eigenschaft definieren und sich als Fürsprecher einer hoffnungsvollen
sharp organisational questions, enabling a passive and comfortable - if
Vision kultureller Vergesellschaftung ins Spiel bringen. Durch die
linguistically sophisticated - intellectual quietism« (ebd.:
Ästhetisierung von Marginalität und
Diskriminierung wird
ein
122)."
Auch
Diskurse wie die postkoloniale Kritik, die die Dekonstruktion kolonia
Kunst-Raum eröffnet, den transnationale Kosmopoliten und Advoka
ler Hegemonie und die Aufdeckung von eurozentrierten Blindstellen
ten des interkulturellen Dialogs nutzen können, um öffentliche Förde
zu ihren Ausgangspunkten bestimmt hat, können kapitalistischer
rung und Anerkennung zu erhalten.IO »Cosmopolitans
[ . .) are multi.
Funktionalisierung und entfremdender Missrepräsentationen an heimfallen (vgl. Castro Varela/Dhawan
9 I Beispielsweise wird vielen postkolonialen Autoren und Autorinnen
2005).
Die Folgen wären Kul
turpraxen, deren Ausstellung die verobjektivierte und fremdbestimmte
- darunter so prominente Stimmen wie Salman Rushdie, V.S. Naipaul oder
Präsenz des Anderen forciert. Wie die Geschichte des einstmals als
Hanif Kureishi - ethnographischer Exotismus vorgeworfen, da ihre literari
unkonsurnierbar geltenden Punks lehrt, ist es vielleicht unmöglich,
schen Inszenierungen die Bedürfnisse und Wünsche »weißer« Leser/-innen
eine kulturelle Ausdrucksform zu finden, die der kulturindustriellen
bedienen würden (Huggan 2001: 83:-104).
Vereinnahmung und Ausbeutung dauerhaft widersteht. Vor diesem
10
I Vgl. auch Jonathan Friedmans (1997) Kritik an führenden postko
Hintergrund besteht für marginalisierte Kulturproduzentinnen und
lonialen Intellektuellen wie Gloria Anzaldua, Homi Bhabha, Paul Gilroy und
-produzenten die Notwendigkeit, ein politisches Bewusstsein zur
Stuart Hall. Er unterstellt, dass postkoloniale Intellektuelle ihre theoretischen
Sicherstellung einer fortwährenden Kritikfahigkeit ihrer Artikulatio
Positionierungen lediglich als eine selbstermächtigende (sprich: sich selbst pri
nen zu entwickeln. Kulturvermischung wie die statische Anerkennung
vilegierende) Politik benutzen, in der sich vor allem die eigene metropolitane
von Differenz bieten als politische Konzepte keine ausreichende Ge-
Subjektivität abbilden würde. Die Reduktion auf persönliche Interessen läuft Gefahr, durch Personalisierung theoretische Ansätze zu diskreditieren, anstatt
tischer Stimmen mit Unbehagen und Sorge vor eigenem Einflussverlust ver
die inhaltliche Auseinandersetzung zu suchen, und geht zudem implizit davon
folgt.
aus, dass tradierte (sprich: »weiße«) Wissenschaftsformen interessensfrei wä
1 1 I »Bhabha celebrates a hybridity that seems to miss all essential poli
ren. Auch ist es nicht unproblematisch aus der Position eines »weißen« Euro
tical points« (Friedman 1997: 79)' Obwohl Bhabhas Hybriditätsansatz zweifel
päers heraus, sich zum mitfühlenden Fürsprecher der realen Alltagsprobleme
los kritisch beleuchtet werden kann, gewinnt er seinen Hybriditätsbegriff aus
rassistisch Unterdrückter zu stilisieren. So berechtigt die Problematisierung
der Analyse kolonialer Diskurse und verknüpft ihn mit politischen Strategien
metropolitaner Subjektivität bei migrantischen Repräsentanten und Repräsen
der kulturellen Subversion. Wie mir scheint, ist die an Bhabha gerichtete Kritik
tantinnen ist, so schwierig ist die Trennung dieser Kritik von einem Abwehrre
verfehlt, weil sie viel stärker den Rezeptionsprozess betrifft wie ich im nächsten
flex, der die Dezentrierung »weißer« Dominanz durch die Aufwertung migran-
Kapitel am deutschen Beispiel aufzeigen werde.
Popkul turelle Verwe rtungen und die Warenförm igkeit von Othern ess I 83
82 I Hype um Hybrid ität ge zu relevanten Produktionsmitteln, Marketingstrukturen und Me
lingual gourmet tasters who travel among global cultures, savouring
dien zu bestimmen. In diesen Sphären verfügen sie nicht einmal über
cultural differences as they flit with consummate ease between social
eine Kontrolle über jene medialen Images, die sie selbst produziert
worlds« (Werbner
haben. Solange die Produktionsbedingungen strukturell unverändert
wert, als sie auf eine bedeutungsvolle Differenz zwischen transnatio
1997: nf).
Diese Polemik ist insoweit überlegens
bleiben, können selbst Verschiebungen auf der Ebene der kulturellen
nalen Eliten und unterprivilegierten Migranten sowie Migrantinnen
Repräsentationen nicht zu Übersetzungsprozessen beitragen, die poli
aufmerksam macht, die es
tische und ökonomische Strukturen tangieren.
Sichtbarkeit des etablierten Anderen ist mit einer Unsichtbarmachung
In den öffentlichen Programmen staatlicher Institutionen und
marginalisierter
zu
berücksichtigen gilt. Denn die neue
Otherness verknüpft,
die nicht in das Image der schö
multinationaler Konzerne werden vermehrt die interkulturellen Seg
nen Welt der hippen Vermischungen hineinpassen und weiterhin
nungen der »global villages« gepriesen. Diese Einbindung entwickelt
unrepräsentierbar bleiben.
eine Eigendynamik zur legitimatorischen SelbstaufWertung. Sie führt
Gayatri Spivak hat darauf hingewiesen, dass die Zelebrierung von
dazu, dass migrantische wie nicht-migrantische Kulturarbeiter/-innen
Hybridität zu einem Verschweigen von rassistischer Gewalt und Aus Eine weitergehende
und Intellektuelle in der Reproduktion hegemonialer Integrationsdis
grenzung führen kann (Hutnyk
kurse ein Ticket zur sozialen und kulturellen AufWärtsmobilität sehen.
Kritik sieht im kulturalistischen Faible für Hybridität und im Vorzug
Während erstere unter Umständen die Fremderwartungen der Dorni
textueller Dekonstruktion einen Rückzug der inzwischen gesättigten
nanzgesellschaft erfüllen, indem sie ihre eigene authentische Hybridi
und etablierten Stimmen aus den Niederungen anti-rassistischer und
1997: 121f).
tät konstruieren und promoten,9 versuchen Mehrheitsangehörige,
anti-kolonialer Kämpfe und wirft ihnen politische Ignoranz vor:
ihre Partizipation zu sichern, indem sie Hybridität als universelle
»Theorising hybridity becomes, in some case, an excuse for ignoring
Eigenschaft definieren und sich als Fürsprecher einer hoffnungsvollen
sharp organisational questions, enabling a passive and comfortable - if
Vision kultureller Vergesellschaftung ins Spiel bringen. Durch die
linguistically sophisticated - intellectual quietism« (ebd.:
Ästhetisierung von Marginalität und
Diskriminierung wird
ein
122)."
Auch
Diskurse wie die postkoloniale Kritik, die die Dekonstruktion kolonia
Kunst-Raum eröffnet, den transnationale Kosmopoliten und Advoka
ler Hegemonie und die Aufdeckung von eurozentrierten Blindstellen
ten des interkulturellen Dialogs nutzen können, um öffentliche Förde
zu ihren Ausgangspunkten bestimmt hat, können kapitalistischer
rung und Anerkennung zu erhalten.IO »Cosmopolitans
[ . .) are multi.
Funktionalisierung und entfremdender Missrepräsentationen an heimfallen (vgl. Castro Varela/Dhawan
9 I Beispielsweise wird vielen postkolonialen Autoren und Autorinnen
2005).
Die Folgen wären Kul
turpraxen, deren Ausstellung die verobjektivierte und fremdbestimmte
- darunter so prominente Stimmen wie Salman Rushdie, V.S. Naipaul oder
Präsenz des Anderen forciert. Wie die Geschichte des einstmals als
Hanif Kureishi - ethnographischer Exotismus vorgeworfen, da ihre literari
unkonsurnierbar geltenden Punks lehrt, ist es vielleicht unmöglich,
schen Inszenierungen die Bedürfnisse und Wünsche »weißer« Leser/-innen
eine kulturelle Ausdrucksform zu finden, die der kulturindustriellen
bedienen würden (Huggan 2001: 83:-104).
Vereinnahmung und Ausbeutung dauerhaft widersteht. Vor diesem
10
I Vgl. auch Jonathan Friedmans (1997) Kritik an führenden postko
Hintergrund besteht für marginalisierte Kulturproduzentinnen und
lonialen Intellektuellen wie Gloria Anzaldua, Homi Bhabha, Paul Gilroy und
-produzenten die Notwendigkeit, ein politisches Bewusstsein zur
Stuart Hall. Er unterstellt, dass postkoloniale Intellektuelle ihre theoretischen
Sicherstellung einer fortwährenden Kritikfahigkeit ihrer Artikulatio
Positionierungen lediglich als eine selbstermächtigende (sprich: sich selbst pri
nen zu entwickeln. Kulturvermischung wie die statische Anerkennung
vilegierende) Politik benutzen, in der sich vor allem die eigene metropolitane
von Differenz bieten als politische Konzepte keine ausreichende Ge-
Subjektivität abbilden würde. Die Reduktion auf persönliche Interessen läuft Gefahr, durch Personalisierung theoretische Ansätze zu diskreditieren, anstatt
tischer Stimmen mit Unbehagen und Sorge vor eigenem Einflussverlust ver
die inhaltliche Auseinandersetzung zu suchen, und geht zudem implizit davon
folgt.
aus, dass tradierte (sprich: »weiße«) Wissenschaftsformen interessensfrei wä
1 1 I »Bhabha celebrates a hybridity that seems to miss all essential poli
ren. Auch ist es nicht unproblematisch aus der Position eines »weißen« Euro
tical points« (Friedman 1997: 79)' Obwohl Bhabhas Hybriditätsansatz zweifel
päers heraus, sich zum mitfühlenden Fürsprecher der realen Alltagsprobleme
los kritisch beleuchtet werden kann, gewinnt er seinen Hybriditätsbegriff aus
rassistisch Unterdrückter zu stilisieren. So berechtigt die Problematisierung
der Analyse kolonialer Diskurse und verknüpft ihn mit politischen Strategien
metropolitaner Subjektivität bei migrantischen Repräsentanten und Repräsen
der kulturellen Subversion. Wie mir scheint, ist die an Bhabha gerichtete Kritik
tantinnen ist, so schwierig ist die Trennung dieser Kritik von einem Abwehrre
verfehlt, weil sie viel stärker den Rezeptionsprozess betrifft wie ich im nächsten
flex, der die Dezentrierung »weißer« Dominanz durch die Aufwertung migran-
Kapitel am deutschen Beispiel aufzeigen werde.
84 I Hype u m Hybridität währ, um diesen situativen Überschuss, der sich in einer permanen ten Brechung seiner gesellschaftlichen Angepasstheit und Befried(ig) ung zeigt, einzufordern. Wie kritische Stimmen in postkolonialen Diskursen einfordern, können die Grundlagen von Kritikfahigkeit erneuert werden, wenn sozio-ökonomische Fragen, soziale Klassenkategorien und die Ausein andersetzung mit kultureller Verwertung einen höheren Stellenwert erhalten (Ahmad 1994; Dirlik 1997). Im Hinblick auf die Theoretisie rung und Einordnung von Hybridität wäre es wichtig, dabei innerhalb einer Dialektik der Ambivalenz zu denken.
nln einer der bekanntesten Passagen spricht Marx von der Notwendigkeit, das Unmögliche zu tun, nämlich diese Entwicklung positiv und negativ zu denken, zu einem Denken zu gelangen, das gleichzeitig die nachweisbar unheilvollen Elemente des Kapitalismus und seine außerordentliche und befreiende Dynamik erfaßt« (Jameson 1 986: 92). In diesem Sinne versteht sich meine Analyse als ein Beitrag, der den modischen Hybriditätskult um eine - gerade im lokalen Kontext häufig verleugnete Perspektive erweitern will. Der erste Schritt zur Rückgewinnung von Kritikfahigkeit und Differenzierung besteht da rin, die harmonisierenden und integrativen Aspekte einer ästhetischen Hybridisierung zu hinterfragen und ihre hegemonialen Beziehungen zur kulturindustriellen Logik der Fetischisierung und Authentifizie rung als neue Formen der Aneignung und Autorisierung des Anderen offen zu legen. Darüber hinaus kann Hybridität auch eine repressive Identitätspolitik der Selbstethnisierung sein.I2 Diese Widersprüche legen es nahe, die selbstverständlich angenommene Verbindung zwi schen Hybridität und kultureller Öffnung kritischer zu bewerten und die unterstellten Potentiale für kulturelle Subversion und politische Emanzipation zu überprüfen.
1 2 I In lateinamerikanischen Gesellschaften werten kreolische Mittel standsschichten und Mestizen ihren >unreinen< Ursprung auf, um diese Res source als Fortschrittsideologie und als Machtmittel gegen marginalisierte In
Kulturelle Hybridität In der deutschen Rezeption
Wie rasant der Aufstieg des Hybridbegriffs verlaufen ist, lässt sich gut an der Entwicklung seiner wissenschaftlichen Begriffskarriere verge genwärtigen. Seit Ende der 1990er Jahre sind Cultural und Postcolonial Studies vornehmlich in ihrer anglo-amerikanischen Ausformung im deutschsprachigen Raum auch über die »angestammten« Fachgren zen hinaus bekannt und im Zuge dessen verstärkt aufgegriffen wor den. Dieser Aufschwung ist umso eindruckvoller, wenn wir uns vor Augen halten, dass Hybridität noch am Anfang derselben Dekade als Fachterminus in den Sozial- und Geisteswissenschaften nicht nur absolut ungebräuchlich, sondern auch nahezu unbekannt war. Heute ist dagegen die Vorstellung, dass wir in einer hybriden Kulturland schaft der Überlappungen und Vermischungen leben, deren instabi len Grenzziehungen kreuz und quer zu geschlechtlich, national, eth nisch, religiös oder sozial konstruierten Differenzierungen verlaufen, ein Ansatz, der infolge wachsender Zustimmung und inflationärer Wiederholungen fast schon ein akademischer Gemeinplatz ist. Nach einer rasanten Popularisierungsphase sind zentrale Termini aus den Cultural und Postcolonial Studies im heutigen akademischen Diskurs feld über Migration, Globalisierung, interkulturelle Kommunikation, Ethnizität und kulturelle Identität kaum mehr wegzudenken. Vor allem die Idee der Hybridität ist im Rahmen des Trends zur Neuaus richtung der Geistes- und Sozialwissenschaften, dem »cultural turn«, auch im deutschsprachigen Raum zum neuen Schlüssel- und Mode begriff avanciert.
digene zu instrumentalisieren. Indigene Positionen werden dadurch delegiti miert und entwertet, weil sie >nur< das Rückständige und Reine repräsentieren würden (Friedman
1997: 81f.). Ähnliche Konflikte prägen seit der Repatriie
rung freigelassener Sklaven und Sklavinnen aus den USA auch Liberia und Sierra Leone. Dabei artikuliert sich koloniale Hybridisierung als eine internali sierte Machtsprache des Rassismus, in der Schwarze die koloniale Identität ihrer ehemaligen Herrschaften annehmen und gegen andere Schwarze an wenden (Ha 2oo3a: 132f.).
nlnnerhalb philosophischer, soziologischer, medien- und auch kunstwissenschaftlicher Dis kurse wird zunehmend von Prozessen der Hybridisierung gesprochen. Hybridisierung kann sich dabei auf Materialien und Medien, Symbolsysteme und Codes, lebensstile und Wert systeme beziehen. Auffallend ist: N icht trennscharfe Distinktionen und Definitionen sind derzeit entscheidend, sondern Vermischungen[, die die] Hybridisierung als Signatur der Zeit [erscheinen lassen]!! (Schneider 2000: 1 75).
84 I Hype u m Hybridität währ, um diesen situativen Überschuss, der sich in einer permanen ten Brechung seiner gesellschaftlichen Angepasstheit und Befried(ig) ung zeigt, einzufordern. Wie kritische Stimmen in postkolonialen Diskursen einfordern, können die Grundlagen von Kritikfahigkeit erneuert werden, wenn sozio-ökonomische Fragen, soziale Klassenkategorien und die Ausein andersetzung mit kultureller Verwertung einen höheren Stellenwert erhalten (Ahmad 1994; Dirlik 1997). Im Hinblick auf die Theoretisie rung und Einordnung von Hybridität wäre es wichtig, dabei innerhalb einer Dialektik der Ambivalenz zu denken.
nln einer der bekanntesten Passagen spricht Marx von der Notwendigkeit, das Unmögliche zu tun, nämlich diese Entwicklung positiv und negativ zu denken, zu einem Denken zu gelangen, das gleichzeitig die nachweisbar unheilvollen Elemente des Kapitalismus und seine außerordentliche und befreiende Dynamik erfaßt« (Jameson 1 986: 92). In diesem Sinne versteht sich meine Analyse als ein Beitrag, der den modischen Hybriditätskult um eine - gerade im lokalen Kontext häufig verleugnete Perspektive erweitern will. Der erste Schritt zur Rückgewinnung von Kritikfahigkeit und Differenzierung besteht da rin, die harmonisierenden und integrativen Aspekte einer ästhetischen Hybridisierung zu hinterfragen und ihre hegemonialen Beziehungen zur kulturindustriellen Logik der Fetischisierung und Authentifizie rung als neue Formen der Aneignung und Autorisierung des Anderen offen zu legen. Darüber hinaus kann Hybridität auch eine repressive Identitätspolitik der Selbstethnisierung sein.I2 Diese Widersprüche legen es nahe, die selbstverständlich angenommene Verbindung zwi schen Hybridität und kultureller Öffnung kritischer zu bewerten und die unterstellten Potentiale für kulturelle Subversion und politische Emanzipation zu überprüfen.
1 2 I In lateinamerikanischen Gesellschaften werten kreolische Mittel standsschichten und Mestizen ihren >unreinen< Ursprung auf, um diese Res source als Fortschrittsideologie und als Machtmittel gegen marginalisierte In
Kulturelle Hybridität In der deutschen Rezeption
Wie rasant der Aufstieg des Hybridbegriffs verlaufen ist, lässt sich gut an der Entwicklung seiner wissenschaftlichen Begriffskarriere verge genwärtigen. Seit Ende der 1990er Jahre sind Cultural und Postcolonial Studies vornehmlich in ihrer anglo-amerikanischen Ausformung im deutschsprachigen Raum auch über die »angestammten« Fachgren zen hinaus bekannt und im Zuge dessen verstärkt aufgegriffen wor den. Dieser Aufschwung ist umso eindruckvoller, wenn wir uns vor Augen halten, dass Hybridität noch am Anfang derselben Dekade als Fachterminus in den Sozial- und Geisteswissenschaften nicht nur absolut ungebräuchlich, sondern auch nahezu unbekannt war. Heute ist dagegen die Vorstellung, dass wir in einer hybriden Kulturland schaft der Überlappungen und Vermischungen leben, deren instabi len Grenzziehungen kreuz und quer zu geschlechtlich, national, eth nisch, religiös oder sozial konstruierten Differenzierungen verlaufen, ein Ansatz, der infolge wachsender Zustimmung und inflationärer Wiederholungen fast schon ein akademischer Gemeinplatz ist. Nach einer rasanten Popularisierungsphase sind zentrale Termini aus den Cultural und Postcolonial Studies im heutigen akademischen Diskurs feld über Migration, Globalisierung, interkulturelle Kommunikation, Ethnizität und kulturelle Identität kaum mehr wegzudenken. Vor allem die Idee der Hybridität ist im Rahmen des Trends zur Neuaus richtung der Geistes- und Sozialwissenschaften, dem »cultural turn«, auch im deutschsprachigen Raum zum neuen Schlüssel- und Mode begriff avanciert.
digene zu instrumentalisieren. Indigene Positionen werden dadurch delegiti miert und entwertet, weil sie >nur< das Rückständige und Reine repräsentieren würden (Friedman
1997: 81f.). Ähnliche Konflikte prägen seit der Repatriie
rung freigelassener Sklaven und Sklavinnen aus den USA auch Liberia und Sierra Leone. Dabei artikuliert sich koloniale Hybridisierung als eine internali sierte Machtsprache des Rassismus, in der Schwarze die koloniale Identität ihrer ehemaligen Herrschaften annehmen und gegen andere Schwarze an wenden (Ha 2oo3a: 132f.).
nlnnerhalb philosophischer, soziologischer, medien- und auch kunstwissenschaftlicher Dis kurse wird zunehmend von Prozessen der Hybridisierung gesprochen. Hybridisierung kann sich dabei auf Materialien und Medien, Symbolsysteme und Codes, lebensstile und Wert systeme beziehen. Auffallend ist: N icht trennscharfe Distinktionen und Definitionen sind derzeit entscheidend, sondern Vermischungen[, die die] Hybridisierung als Signatur der Zeit [erscheinen lassen]!! (Schneider 2000: 1 75).
86 I Hype um Hybridität
Kulturelle Hybridität in der deutschen Rezeption I 87
Auch auf der alltagsweltlichen Ebene hat ein universalisiertes Ver ständnis von Hybridität eine bemerkenswerte Begriffskarriere ermög licht: Während der Begriff »hybrid« - der außerhalb der Biologie bis dato extrem ungebräuchlich war - heute als Schlagwort im Feuilleton fungiert, bedient sich die Marketingsprache seiner, um Produkte wie das zukunftsfähige Hybridauto, grenzenlose Cross-over-Musik, gene tische Hybridisierung etc. mit einem kulturellen Mehrwert und inno vativen Image aufzuladen: »Hybrid meint: ein Produkt ist effizienter, schneller und multifunktionaler verwendbar. Hybrid referiert auf ökonomische S achverhalte, codiert Marktchancen« (ebd.). Analoge Tendenzen sind auch in der sozialwissenschaftlichen Rezeption von Hybridität im deutschsprachigen Raum feststellbar. Ausgehend von der Beobachtung, dass Hybridität nicht selten ohne ihre grundlegenden historischen und politischen Kontexte als Modell »kultureller Vermischung« vorgestellt und euphorisch als neuartiger Vergesellschaftungsmodus zelebriert wird, wird hier die These vertre ten, dass diese Konzeption von Hybridität den zugrunde liegenden Problemstellungen und Intentionen des postkolonialen Diskurses zuwiderläuft. Bei dieser Bedeutungsverschiebung postkolonialer Ter minologien handelt es sich weniger um ein Phänomen des »lost in translation«, das immer dann auftreten kann, wenn ein Diskurs in einen anderen übersetzt wird. Vielmehr ist von einer Missrepräsenta tion bei dieser Form der Aneignung postkolonialer Kritik auszugehen. Durch die diskursive Einverleibung des »Anderen« drohen historische Kontexte und politische Positionierungen verloren zu gehen, die für das kritische Potential des postkolonialen Diskurses wesentlich sind. Nicht zuletzt verweist die einseitige Rezeptionsweise auch auf beste hende MachtverhäItnisse und Zugangsbeschränkungen für Marginali sierte, deren Perspektiven in den dominanten Diskursen wie in der Gesellschaft wenig Geltung besitzen. Angesichts dieser konstatierten Situation erscheint es sinnvoll, den Hybriditätsbegriff kritisch zu durchleuchten und lokale Übertragungen im Hinblick auf problemati sche Verkürzungen, Auslassungen und Funktionalisierungen zu diskutieren. Im internationalen wie im deutschen Kontext ist der Begriff der Hybridität vor allem durch die Arbeiten von Homi Bhabha (2000 [I994]) in die Sozial- und Kulturwissenschaften eingeführt worden. Bei Bhabha finden sich zwei Bedeutungsebenen dieses Begriffes wieder: I. Hybridität als eine Praxis der kulturellen Subversion im kolonialen Diskurs; 2. Hybridität als Bestandteil einer postkolonialen Kulturtheorie.' Bei der Analyse kolonialer Diskurse sind zwei An-
nahmen für Bhabha entscheidend: Erstens geht er von einer grund sätzlichen Ambivalenz kolonialer Diskurse aus; zweitens behauptet Bhabha, dass der Kolonialismus keine totale Machtasymmetrie durch setzen konnte (vgl. Ha 2oo4a: 139-152). Die Ambivalenz kolonialer Autorität produziert vielmehr eine kulturelle Hybridität, in der das Doppel aus Abspaltung und Identifikation aufbeiden Seiten der unde finierbaren und instabilen Grenzlinie eingeschrieben ist. Das parado xe Ergebnis ist, dass der koloniale Diskurs sich selbst in Frage stellt, indem er >unreine Vermischungen< erschafft, die zwar nicht mit der Kolonialmacht identisch, aber ihr zum Verwechseln ähnlich sind (vgl. Bhabha 2000: 159-171).
IlWenn wir ein derartiges >Ü berschreiten< aufzeigen, so geschieht dies nicht nur, um die fröhliche Macht des Signifikanten zu feiern. Hybridität ist das Zeichen der Produktivität der kolonialen Macht, ihrer flottierenden Kräfte und Fixpunkte [ . . . ]. Hybridität ist die Umwertung des Ausgangspunktes kolonialer Identitätsstiftung durch Wiederholung der dis kriminatorischen Identitätseffekte [ . . . ]. Sie entthront die mimetischen oder narzißtischen Forderungen der kolonialen Macht, führt ihre Identifikationen aber in Strategien der Sub version wieder ein, die den Blick des Diskriminierten zurück auf das Auge der Macht rich ten« (ebd.: 1 65). Diskursive Ähnlichkeit entsteht durch Verschiebung, Dezentrierung, Umkehrung oder auch nur unpassenden Gebrauch dominanter Sym bole und Repräsentationen im Diskurs der Marginalisierten. In dieser Wiederholung und gleichzeitigen Entstellung dominanter Diskurse entsteht eine subversive Differenz, in der hegemoniale Zeichen und Bedeutungen umgedeutet, verunreinigt, hybridisiert werden. Bhabhas historische Beispiele für widerspenstige Vereinnahmun gen und Missbrauch dominanter Diskurse durch kolonialisierte Ak teure beziehen sich etwa auf christliche Missionierungspraktiken in Indien, die lokal durchaus unerwünschte und unvorhersehbare Folgen für die koloniale Autorität hatten. Ein Problem war, dass die lokale Bevölkerung koloniale Zeichen indigenisierte und der europäischen Kultur entwendete. Strategien der Entstellung dominanter Symbole und Bilder erhalten ihre subversive Kraft, indem sie koloniale Diskur se in marginalisierte Kontexte übersetzen und dabei verfremden. Hyb ridisierung wird bei Bhabha nicht als harmonische und ästhetische Form »kultureller Vermischung« gedacht, sondern bezeichnet eine Möglichkeit, das kulturelle Feld gegen hegemoniale Kräfte für Margi nalisierte zu instrumentalisieren, wodurch der koloniale Rahmen kry und Menschen: Die Ambivalenz des kolonialen Diskurses« erörtert, wäh
I I In »Die Verortung der Kultur« (Bhabha
2000) wird der historisch
rend Arbeiten wie »Wie das Neue in die Welt kommt: Postmoderner Raum,
politische Bedeutungskontext in Aufsätzen wie »Die Frage des Anderen: Ste
postkoloniale Zeiten und die Prozesse kultureller Übersetzung« stärker kultur
reotyp, Diskriminierung und der Diskurs des Kolonialismus« und >>Von Mimi-
theoretisch orientiert sind.
86 I Hype um Hybridität
Kulturelle Hybridität in der deutschen Rezeption I 87
Auch auf der alltagsweltlichen Ebene hat ein universalisiertes Ver ständnis von Hybridität eine bemerkenswerte Begriffskarriere ermög licht: Während der Begriff »hybrid« - der außerhalb der Biologie bis dato extrem ungebräuchlich war - heute als Schlagwort im Feuilleton fungiert, bedient sich die Marketingsprache seiner, um Produkte wie das zukunftsfähige Hybridauto, grenzenlose Cross-over-Musik, gene tische Hybridisierung etc. mit einem kulturellen Mehrwert und inno vativen Image aufzuladen: »Hybrid meint: ein Produkt ist effizienter, schneller und multifunktionaler verwendbar. Hybrid referiert auf ökonomische S achverhalte, codiert Marktchancen« (ebd.). Analoge Tendenzen sind auch in der sozialwissenschaftlichen Rezeption von Hybridität im deutschsprachigen Raum feststellbar. Ausgehend von der Beobachtung, dass Hybridität nicht selten ohne ihre grundlegenden historischen und politischen Kontexte als Modell »kultureller Vermischung« vorgestellt und euphorisch als neuartiger Vergesellschaftungsmodus zelebriert wird, wird hier die These vertre ten, dass diese Konzeption von Hybridität den zugrunde liegenden Problemstellungen und Intentionen des postkolonialen Diskurses zuwiderläuft. Bei dieser Bedeutungsverschiebung postkolonialer Ter minologien handelt es sich weniger um ein Phänomen des »lost in translation«, das immer dann auftreten kann, wenn ein Diskurs in einen anderen übersetzt wird. Vielmehr ist von einer Missrepräsenta tion bei dieser Form der Aneignung postkolonialer Kritik auszugehen. Durch die diskursive Einverleibung des »Anderen« drohen historische Kontexte und politische Positionierungen verloren zu gehen, die für das kritische Potential des postkolonialen Diskurses wesentlich sind. Nicht zuletzt verweist die einseitige Rezeptionsweise auch auf beste hende MachtverhäItnisse und Zugangsbeschränkungen für Marginali sierte, deren Perspektiven in den dominanten Diskursen wie in der Gesellschaft wenig Geltung besitzen. Angesichts dieser konstatierten Situation erscheint es sinnvoll, den Hybriditätsbegriff kritisch zu durchleuchten und lokale Übertragungen im Hinblick auf problemati sche Verkürzungen, Auslassungen und Funktionalisierungen zu diskutieren. Im internationalen wie im deutschen Kontext ist der Begriff der Hybridität vor allem durch die Arbeiten von Homi Bhabha (2000 [I994]) in die Sozial- und Kulturwissenschaften eingeführt worden. Bei Bhabha finden sich zwei Bedeutungsebenen dieses Begriffes wieder: I. Hybridität als eine Praxis der kulturellen Subversion im kolonialen Diskurs; 2. Hybridität als Bestandteil einer postkolonialen Kulturtheorie.' Bei der Analyse kolonialer Diskurse sind zwei An-
nahmen für Bhabha entscheidend: Erstens geht er von einer grund sätzlichen Ambivalenz kolonialer Diskurse aus; zweitens behauptet Bhabha, dass der Kolonialismus keine totale Machtasymmetrie durch setzen konnte (vgl. Ha 2oo4a: 139-152). Die Ambivalenz kolonialer Autorität produziert vielmehr eine kulturelle Hybridität, in der das Doppel aus Abspaltung und Identifikation aufbeiden Seiten der unde finierbaren und instabilen Grenzlinie eingeschrieben ist. Das parado xe Ergebnis ist, dass der koloniale Diskurs sich selbst in Frage stellt, indem er >unreine Vermischungen< erschafft, die zwar nicht mit der Kolonialmacht identisch, aber ihr zum Verwechseln ähnlich sind (vgl. Bhabha 2000: 159-171).
IlWenn wir ein derartiges >Ü berschreiten< aufzeigen, so geschieht dies nicht nur, um die fröhliche Macht des Signifikanten zu feiern. Hybridität ist das Zeichen der Produktivität der kolonialen Macht, ihrer flottierenden Kräfte und Fixpunkte [ . . . ]. Hybridität ist die Umwertung des Ausgangspunktes kolonialer Identitätsstiftung durch Wiederholung der dis kriminatorischen Identitätseffekte [ . . . ]. Sie entthront die mimetischen oder narzißtischen Forderungen der kolonialen Macht, führt ihre Identifikationen aber in Strategien der Sub version wieder ein, die den Blick des Diskriminierten zurück auf das Auge der Macht rich ten« (ebd.: 1 65). Diskursive Ähnlichkeit entsteht durch Verschiebung, Dezentrierung, Umkehrung oder auch nur unpassenden Gebrauch dominanter Sym bole und Repräsentationen im Diskurs der Marginalisierten. In dieser Wiederholung und gleichzeitigen Entstellung dominanter Diskurse entsteht eine subversive Differenz, in der hegemoniale Zeichen und Bedeutungen umgedeutet, verunreinigt, hybridisiert werden. Bhabhas historische Beispiele für widerspenstige Vereinnahmun gen und Missbrauch dominanter Diskurse durch kolonialisierte Ak teure beziehen sich etwa auf christliche Missionierungspraktiken in Indien, die lokal durchaus unerwünschte und unvorhersehbare Folgen für die koloniale Autorität hatten. Ein Problem war, dass die lokale Bevölkerung koloniale Zeichen indigenisierte und der europäischen Kultur entwendete. Strategien der Entstellung dominanter Symbole und Bilder erhalten ihre subversive Kraft, indem sie koloniale Diskur se in marginalisierte Kontexte übersetzen und dabei verfremden. Hyb ridisierung wird bei Bhabha nicht als harmonische und ästhetische Form »kultureller Vermischung« gedacht, sondern bezeichnet eine Möglichkeit, das kulturelle Feld gegen hegemoniale Kräfte für Margi nalisierte zu instrumentalisieren, wodurch der koloniale Rahmen kry und Menschen: Die Ambivalenz des kolonialen Diskurses« erörtert, wäh
I I In »Die Verortung der Kultur« (Bhabha
2000) wird der historisch
rend Arbeiten wie »Wie das Neue in die Welt kommt: Postmoderner Raum,
politische Bedeutungskontext in Aufsätzen wie »Die Frage des Anderen: Ste
postkoloniale Zeiten und die Prozesse kultureller Übersetzung« stärker kultur
reotyp, Diskriminierung und der Diskurs des Kolonialismus« und >>Von Mimi-
theoretisch orientiert sind.
88 I Hype um Hybridität überschritten und neue Assoziationen und Bedeutungen geschaffen werden, die Eindeutigkeit in Zwiespalt verwandelt. Ein klassisches Beispiel ist Shakespeares »Der Sturm« (1611). Prospero als Kolonial herr und Caliban als kolonialisierter Knecht tragen hier stellvertretend den kolonialen Diskurs aus. Caliban sagt (genauer: Shakespeare als personifizierte Kolonialkultur lässt den Kolonialisierten sagen): »Ihr lehrtet Sprache mir, und mein Gewinn ist, daß ich weiß zu fluchen. Hol' die Pest Euch fürs Lehren Eurer Sprache« (Shakespeare 1975: 6n). Diese Beschreibung der kolonialen Situation hat wie keine ande re Meistererzählung zu unzähligen Adaptionen und postkolonialen Gegen-Narrationen inspiriert. Hybridität ist nach Bhabha ein Prozess, der dualistische wie statische Unterscheidungen wie das Eigene/das Andere, innen/außen, hoch/niedrig etc. unterläuft und ihre Konstrukt haftigkeit bloßlegt.
»Meine Auffassung, wie ich sie in meinen Schriften zum postkolonialen Diskurs an Begrif fen wie Nachahmung, Hybridität und falsche Höflichkeit dargelegt habe, ist, daß dieser Schwellen-Moment der Identifikation eine subversive Strategie subalternen Handlungsspiel raums hervorbringt, der seine Autorität schafft, durch wiederholtes >Auftrennen( und auf rührerisches Neuverknüpfen(( (Bhabha 1 996a: 353). Die Existenz eines subalternen Handlungsraums, der nicht als au thentisch begriffen wird, setzt bei Bhabha die Unmöglichkeit totaler Herrschaft voraus. Selbst im Kolonialismus mit seiner offenen und brutalen Unterdrückung konnte der Kolonisierende den Kolonisierten nie gänzlich besitzen, beherrschen oder zum Schweigen bringen. Es gab immer Momente von Eigensinn und Widerstand kolonisierter Subjekte, die sich artikulierten und nicht durch die dominante Macht gebrochen werden konnten. Folgt man dem Ansatz einer kulturellen Selbstermächtigungspraxis, ergibt sich eine zusätzliche Lesart für Frantz Fanons berühmte Allegorie »schwarze Haut, weiße Masken« (Fanon 1980). Dieses koloniale Phänomen ist ein hybrides Zeichen, das nicht mehr zwangsläufig als internalisierter Rassismus interpre tiert werden muss. Hybride »Kultur als Überlebensstrategie« (Bhabha 1996a: 346) öffnet neue Räume und Möglichkeiten der Aneignung, in denen Camouflage und Mimikry als kultureller Widerstand für Unter legene verfügbar sind.
»Wenn wir die Wirkung der kolonialer Macht in der P ro d u k t i o n von Hybridisierung se hen statt in der lautstarken Ausübung der kolonialistischen Autorität oder der stillschwei genden Unterdrückung einheimischer Traditionen, so hat das eine wichtige Veränderung der Perspektive zur Folge. Die Ambivalenz am Ursprung der traditionellen Diskurse über Autorität ermöglicht eine Form der Subversion, die auf der Unentscheidbarkeit beruht, die die diskursiven Bedingungen der Beherrschung in die Ausgangsbasis der Intervention ver wandelt(( (Bhabha 2000: 1 66; Hervorhebung i.O.).
Kulturelle Hybridität in der deutschen Rezeption I 89 Für Bhabha ist Widerstand nicht notwendigerweise ein Akt, der sich außerhalb kolonialer Diskurse abspielt. Widerstand kann auch daraus entstehen, dass die koloniale Autorität durch ihren Überschuss, der in eine unheimliche Ähnlichkeit des Kolonisierten mit dem Kolonisier enden einmündet, erschüttert wird. In diesem Sinne ist kulturelle Hybridität bei Bhabha ein diskursiver Machteffekt, bei dem das Mino ritäre erst durch die Anwesenheit des Dominanten erzeugt wird. Bhabha konzipiert kulturelle Hybridität als Modus politischer Artiku lation, deren verstörende Effekte durch koloniale Ambivalenz hervor gebracht werden.
»In my own work I have developed the concept of hybridity to describe the construction of cultural authority within conditions of political antagonism or inequity. Strategies of hybridization reveal an estranging movement in the >authoritative(, even authoritarian in scriptions of the cultural sign. At the point at which the precept attempts to objectify itself as a generalized knowledge or a normalizing, hegemonic practice, the hybrid strate gy or discourse opens up a space of negotiation where power is unequal but its articula tion may be equivocal(( (Bhabha 1 996b: 58). Hybridität als jene unheimliche Ähnlichkeit, die im kolonialen Dis kurs als Überlagerungsphänomen kultureller Differenzen entsteht, konfrontiert den dominanten Diskurs mit seiner Gegenstimme, die nicht mit eindeutiger Sicherheit als die authentische Stimme des fremden, unterlegenen Anderen identifiziert werden kann. Diese Un eindeutigkeit verweist auf die grundlegende Arbeitsweise von Kultur, die jede Vorstellung von Homogenität, Authentizität und Essentialis mus als unmöglich zurückweist. Der Nimbus kultureller Abgeschlos senheit und Überlegenheit hat daher außer der ideologischen keine weiteren Grundlagen. Obwohl Bhabha in seinem einflussreichen Buch »The Location of Culture« (1994) seine Theorie der Hybridität im Rahmen (post-)kolo nialer Diskurse und Praktiken situiert, wird dieser vielschichtig ange legte Hybriditätsbegriff in einem beachtenswerten Teil der deutsch sprachigen Rezeption mit Vorliebe zu einem postmodernen third spa ce-Ansatz verkürzt. Bereits zum Auftakt wurde diese Richtung in der Einleitung des weitverbreiteten Sammelbandes »Hybride Kulturen« eingeschlagen, der laut Rückcover »erstmals Texte der maßgeblichen anglo-amerikanischen Theoretiker in deutscher Sprache« vorlegte und daher einen besonderen Status genießt. Anstatt postkoloniale Kritik als Anstoß für die Revision kolonialer Geschichtsbilder zunehmen, die sich nicht zuletzt der Mittel der Verharmlosung und Relativierung bedienen,' bestätigen die Herausgeber dominante Geschichtsrituale
2 I Vgl. exemplarisch für eine eurozentristische und bagatellisierende
88 I Hype um Hybridität überschritten und neue Assoziationen und Bedeutungen geschaffen werden, die Eindeutigkeit in Zwiespalt verwandelt. Ein klassisches Beispiel ist Shakespeares »Der Sturm« (1611). Prospero als Kolonial herr und Caliban als kolonialisierter Knecht tragen hier stellvertretend den kolonialen Diskurs aus. Caliban sagt (genauer: Shakespeare als personifizierte Kolonialkultur lässt den Kolonialisierten sagen): »Ihr lehrtet Sprache mir, und mein Gewinn ist, daß ich weiß zu fluchen. Hol' die Pest Euch fürs Lehren Eurer Sprache« (Shakespeare 1975: 6n). Diese Beschreibung der kolonialen Situation hat wie keine ande re Meistererzählung zu unzähligen Adaptionen und postkolonialen Gegen-Narrationen inspiriert. Hybridität ist nach Bhabha ein Prozess, der dualistische wie statische Unterscheidungen wie das Eigene/das Andere, innen/außen, hoch/niedrig etc. unterläuft und ihre Konstrukt haftigkeit bloßlegt.
»Meine Auffassung, wie ich sie in meinen Schriften zum postkolonialen Diskurs an Begrif fen wie Nachahmung, Hybridität und falsche Höflichkeit dargelegt habe, ist, daß dieser Schwellen-Moment der Identifikation eine subversive Strategie subalternen Handlungsspiel raums hervorbringt, der seine Autorität schafft, durch wiederholtes >Auftrennen( und auf rührerisches Neuverknüpfen(( (Bhabha 1 996a: 353). Die Existenz eines subalternen Handlungsraums, der nicht als au thentisch begriffen wird, setzt bei Bhabha die Unmöglichkeit totaler Herrschaft voraus. Selbst im Kolonialismus mit seiner offenen und brutalen Unterdrückung konnte der Kolonisierende den Kolonisierten nie gänzlich besitzen, beherrschen oder zum Schweigen bringen. Es gab immer Momente von Eigensinn und Widerstand kolonisierter Subjekte, die sich artikulierten und nicht durch die dominante Macht gebrochen werden konnten. Folgt man dem Ansatz einer kulturellen Selbstermächtigungspraxis, ergibt sich eine zusätzliche Lesart für Frantz Fanons berühmte Allegorie »schwarze Haut, weiße Masken« (Fanon 1980). Dieses koloniale Phänomen ist ein hybrides Zeichen, das nicht mehr zwangsläufig als internalisierter Rassismus interpre tiert werden muss. Hybride »Kultur als Überlebensstrategie« (Bhabha 1996a: 346) öffnet neue Räume und Möglichkeiten der Aneignung, in denen Camouflage und Mimikry als kultureller Widerstand für Unter legene verfügbar sind.
»Wenn wir die Wirkung der kolonialer Macht in der P ro d u k t i o n von Hybridisierung se hen statt in der lautstarken Ausübung der kolonialistischen Autorität oder der stillschwei genden Unterdrückung einheimischer Traditionen, so hat das eine wichtige Veränderung der Perspektive zur Folge. Die Ambivalenz am Ursprung der traditionellen Diskurse über Autorität ermöglicht eine Form der Subversion, die auf der Unentscheidbarkeit beruht, die die diskursiven Bedingungen der Beherrschung in die Ausgangsbasis der Intervention ver wandelt(( (Bhabha 2000: 1 66; Hervorhebung i.O.).
Kulturelle Hybridität in der deutschen Rezeption I 89 Für Bhabha ist Widerstand nicht notwendigerweise ein Akt, der sich außerhalb kolonialer Diskurse abspielt. Widerstand kann auch daraus entstehen, dass die koloniale Autorität durch ihren Überschuss, der in eine unheimliche Ähnlichkeit des Kolonisierten mit dem Kolonisier enden einmündet, erschüttert wird. In diesem Sinne ist kulturelle Hybridität bei Bhabha ein diskursiver Machteffekt, bei dem das Mino ritäre erst durch die Anwesenheit des Dominanten erzeugt wird. Bhabha konzipiert kulturelle Hybridität als Modus politischer Artiku lation, deren verstörende Effekte durch koloniale Ambivalenz hervor gebracht werden.
»In my own work I have developed the concept of hybridity to describe the construction of cultural authority within conditions of political antagonism or inequity. Strategies of hybridization reveal an estranging movement in the >authoritative(, even authoritarian in scriptions of the cultural sign. At the point at which the precept attempts to objectify itself as a generalized knowledge or a normalizing, hegemonic practice, the hybrid strate gy or discourse opens up a space of negotiation where power is unequal but its articula tion may be equivocal(( (Bhabha 1 996b: 58). Hybridität als jene unheimliche Ähnlichkeit, die im kolonialen Dis kurs als Überlagerungsphänomen kultureller Differenzen entsteht, konfrontiert den dominanten Diskurs mit seiner Gegenstimme, die nicht mit eindeutiger Sicherheit als die authentische Stimme des fremden, unterlegenen Anderen identifiziert werden kann. Diese Un eindeutigkeit verweist auf die grundlegende Arbeitsweise von Kultur, die jede Vorstellung von Homogenität, Authentizität und Essentialis mus als unmöglich zurückweist. Der Nimbus kultureller Abgeschlos senheit und Überlegenheit hat daher außer der ideologischen keine weiteren Grundlagen. Obwohl Bhabha in seinem einflussreichen Buch »The Location of Culture« (1994) seine Theorie der Hybridität im Rahmen (post-)kolo nialer Diskurse und Praktiken situiert, wird dieser vielschichtig ange legte Hybriditätsbegriff in einem beachtenswerten Teil der deutsch sprachigen Rezeption mit Vorliebe zu einem postmodernen third spa ce-Ansatz verkürzt. Bereits zum Auftakt wurde diese Richtung in der Einleitung des weitverbreiteten Sammelbandes »Hybride Kulturen« eingeschlagen, der laut Rückcover »erstmals Texte der maßgeblichen anglo-amerikanischen Theoretiker in deutscher Sprache« vorlegte und daher einen besonderen Status genießt. Anstatt postkoloniale Kritik als Anstoß für die Revision kolonialer Geschichtsbilder zunehmen, die sich nicht zuletzt der Mittel der Verharmlosung und Relativierung bedienen,' bestätigen die Herausgeber dominante Geschichtsrituale
2 I Vgl. exemplarisch für eine eurozentristische und bagatellisierende
90 I Hype u m Hybridität durch die Behauptung: »Eine koloniale Vergangenheit im großen Stil hatte Deutschland nicht gehabt« (Bronfen/Marius 1997: 8). Obwohl diese enthistorisierende Perspektive die Irrelevanz kolonialer Verhält nisse in Form einer Tatsachenbeschreibung attestiert, ist sie doch strategisch motiviert, um den postkolonialen Blick auf die hierzulande wirklich interessierenden Themenfelder umzulenken:
))Erst in dieser Rekonliguration wird die Debatte für den deutschen Sprachraum wirklich interessant, weil sie nun die genannten realgeschichtlichen Phänomene der postmodernen Welt - Massenmigration, globale Zirkulation von Waren, Dienstleistungen, Zeichen und Inlormationen - soziologisch und kulturtheoretisch untersuchw (ebd.: 9). Die damit verbundene Privilegierung der postmodernen Kondition und die Entthematisierung kolonialer Beziehungen entspricht dabei durchaus den gesellschaftlich dominanten Koordinaten - obwohl die koloniale Präsenz etwa in der deutschen Arbeitsmigrationspolitik gesellschaftliche Praxis geblieben ist (vgl. Ha zo03b). Durch diese entproblematisierende Geschichtsnarration wird »die eigene koloniale Geschichte mit einem Satz fortgewischt« (Terkessidis 1997: 55)· Diese Adaption muss umso mehr überraschen, als darin eine Negation zum Ausdruck kommt, die die Beweggründe des post kolonialen Projektes in einem entscheidenden Punkt umkehren. Denn der Begriff
)))Post
Kulturelle Hybridität in d e r deutschen Rezeption I 91 ven aus der Wissensproduktion hinausläuft. Dass der deutsche Kolo nialismus in der B RD als unbedeutende Randfrage behandelt wird, während er etwa für die Herero eine axiomatische Erfahrung war, liegt nicht in der Ereignisgeschichte begründet. Vielmehr spiegeln Diskurs formationen die Durchsetzungsmöglichkeiten unterschiedlicher Be troffenheiten und Interessen und das heißt auch immer Machtfragen wieder, die nicht über den Dingen stehen, sondern im sozialen und historischen Prozess verortet sind. Wie stark kulturelle Positionierun gen in der lokalen Kontextualisierung postkolonialer Kritik einge schrieben sind, lässt sich exemplarisch im Werbetext auf dem Buch rücken von »Hybride Kulturen« ablesen: » Deutschland hatte kaum Kolonien, die heute das öffentliche Klima mitbeeinflussen und bele ben könnten.« In dieser Formulierung klingt zum einem so etwas wie ein Bedauern an, dass koloniale Ressourcen nicht zur gesellschaftli chen Belebung zur Verfügung stehen; zum anderen wird im Werbe text auch der Wunsch artikuliert, Kolonien als Quelle von Produktivi tät und »die Fremden« als »Chance« nutzen zu wollen. Auch als kul turelles >Missverständnis< sind solche Formulierungen signifIkant und keineswegs beliebig. Ob »die Fremden« sich als Fremde begrei fen und als Chance für die deutsche Gesellschaft instrumentalisiert werden wollen, bleibt zudem dahingestellt. Eine andere eurozentrierte Perspektive findet sich bei Claus Leg gewie, der den »Grund für die Überzeugungskraft des amerikani schen Traums [... ] [in seiner] hybride[n] Mischung aus allen möglichen Kulturen der Welt« sieht:
))Faktisch zeichnete eher Kreolisierung, verstanden als kulturelle Ü berlappung und Vermi schung, die Amerikanisierung aus, und eben diese spezilische Genese der )ersten neuen Nation< (Seymour M. lipset) erklärt die stupende weltweite Anschlußlähigkeit [ . . . ] in anderen Gesellschalten, die historisch gesehen allesamt Herkunltsnationen der Vereinigten Staaten von Amerika sind« (leggewie 2000: 886). Dieses Bild funktioniert allerdings nur, wenn man das prä-europä ische Amerika als >menschenleeres Land< konstruiert sowie die Ge nozide, die Zwangsmigrationen und die rassistische Ausschließung asiatischer Einwander/-innen als nicht wesentlich einschätzt. Die von Bronfen und Marius gewählte Rezeptionsstrategie der Rekonfiguration ist kein Einzelfall. Obwohl der postkoloniale Diskurs sich grundlegend auf koloniale Verhältnisse bezieht und koloniale Präsenzen in der Gegenwart untersucht, wird diese Fragestellung zum Teil vollständig ausgeblendet. Dieses zentrale Machtaxiom der Mo derne ist beispielsweise auch beim Leiter des Instituts for Kulturpolitik der » Kulturpolitischen Gesellschaft« kein Thema. Zwar interessiert sich Bernd Wagner (ZOOI) in seinem Text über Globalisierung und Hybridisierung für Kreolisierungsprozesse in der Karibik, verliert aber
90 I Hype u m Hybridität durch die Behauptung: »Eine koloniale Vergangenheit im großen Stil hatte Deutschland nicht gehabt« (Bronfen/Marius 1997: 8). Obwohl diese enthistorisierende Perspektive die Irrelevanz kolonialer Verhält nisse in Form einer Tatsachenbeschreibung attestiert, ist sie doch strategisch motiviert, um den postkolonialen Blick auf die hierzulande wirklich interessierenden Themenfelder umzulenken:
))Erst in dieser Rekonliguration wird die Debatte für den deutschen Sprachraum wirklich interessant, weil sie nun die genannten realgeschichtlichen Phänomene der postmodernen Welt - Massenmigration, globale Zirkulation von Waren, Dienstleistungen, Zeichen und Inlormationen - soziologisch und kulturtheoretisch untersuchw (ebd.: 9). Die damit verbundene Privilegierung der postmodernen Kondition und die Entthematisierung kolonialer Beziehungen entspricht dabei durchaus den gesellschaftlich dominanten Koordinaten - obwohl die koloniale Präsenz etwa in der deutschen Arbeitsmigrationspolitik gesellschaftliche Praxis geblieben ist (vgl. Ha zo03b). Durch diese entproblematisierende Geschichtsnarration wird »die eigene koloniale Geschichte mit einem Satz fortgewischt« (Terkessidis 1997: 55)· Diese Adaption muss umso mehr überraschen, als darin eine Negation zum Ausdruck kommt, die die Beweggründe des post kolonialen Projektes in einem entscheidenden Punkt umkehren. Denn der Begriff
)))Post
Kulturelle Hybridität in d e r deutschen Rezeption I 91 ven aus der Wissensproduktion hinausläuft. Dass der deutsche Kolo nialismus in der B RD als unbedeutende Randfrage behandelt wird, während er etwa für die Herero eine axiomatische Erfahrung war, liegt nicht in der Ereignisgeschichte begründet. Vielmehr spiegeln Diskurs formationen die Durchsetzungsmöglichkeiten unterschiedlicher Be troffenheiten und Interessen und das heißt auch immer Machtfragen wieder, die nicht über den Dingen stehen, sondern im sozialen und historischen Prozess verortet sind. Wie stark kulturelle Positionierun gen in der lokalen Kontextualisierung postkolonialer Kritik einge schrieben sind, lässt sich exemplarisch im Werbetext auf dem Buch rücken von »Hybride Kulturen« ablesen: » Deutschland hatte kaum Kolonien, die heute das öffentliche Klima mitbeeinflussen und bele ben könnten.« In dieser Formulierung klingt zum einem so etwas wie ein Bedauern an, dass koloniale Ressourcen nicht zur gesellschaftli chen Belebung zur Verfügung stehen; zum anderen wird im Werbe text auch der Wunsch artikuliert, Kolonien als Quelle von Produktivi tät und »die Fremden« als »Chance« nutzen zu wollen. Auch als kul turelles >Missverständnis< sind solche Formulierungen signifIkant und keineswegs beliebig. Ob »die Fremden« sich als Fremde begrei fen und als Chance für die deutsche Gesellschaft instrumentalisiert werden wollen, bleibt zudem dahingestellt. Eine andere eurozentrierte Perspektive findet sich bei Claus Leg gewie, der den »Grund für die Überzeugungskraft des amerikani schen Traums [... ] [in seiner] hybride[n] Mischung aus allen möglichen Kulturen der Welt« sieht:
))Faktisch zeichnete eher Kreolisierung, verstanden als kulturelle Ü berlappung und Vermi schung, die Amerikanisierung aus, und eben diese spezilische Genese der )ersten neuen Nation< (Seymour M. lipset) erklärt die stupende weltweite Anschlußlähigkeit [ . . . ] in anderen Gesellschalten, die historisch gesehen allesamt Herkunltsnationen der Vereinigten Staaten von Amerika sind« (leggewie 2000: 886). Dieses Bild funktioniert allerdings nur, wenn man das prä-europä ische Amerika als >menschenleeres Land< konstruiert sowie die Ge nozide, die Zwangsmigrationen und die rassistische Ausschließung asiatischer Einwander/-innen als nicht wesentlich einschätzt. Die von Bronfen und Marius gewählte Rezeptionsstrategie der Rekonfiguration ist kein Einzelfall. Obwohl der postkoloniale Diskurs sich grundlegend auf koloniale Verhältnisse bezieht und koloniale Präsenzen in der Gegenwart untersucht, wird diese Fragestellung zum Teil vollständig ausgeblendet. Dieses zentrale Machtaxiom der Mo derne ist beispielsweise auch beim Leiter des Instituts for Kulturpolitik der » Kulturpolitischen Gesellschaft« kein Thema. Zwar interessiert sich Bernd Wagner (ZOOI) in seinem Text über Globalisierung und Hybridisierung für Kreolisierungsprozesse in der Karibik, verliert aber
Kulturelle Hybridität in der deutschen Rezeption I 93
92 I Hype u m Hybridität i n seiner betont kulturalistischen und ästhetisierenden Deutung, die politische und ökonomische Machtverhältnisse weitgehend ausblen det, kein Wort über ihre Kolonialgeschichte. Der immanente Kontext von Deportation, Ausbeutung und Gewalt gegen »schwarze« und indigene Menschen, die der Kreolisierung vorausgingen und sie präg
Kontrast zur fortgeschrittenen Terminologie wirken konkrete Be schreibungen von Hybridkulturen zuweilen recht banal. Zu den übli chen Verdächtigen gehört Salman Rushdie, der für viele den »hybri den, postkolonialen Künstler zwischen verschiedenen Kulturen« (ebd.: verkörpert und dessen Romane oft als grenzüberschreitende Vi
21)
ten, bleibt verborgen. Infolge der Enthistorisierung und Postmoderni
sionen gelesen werden (Wicker
2000: 206f., 213) .
sierung des Hybriditätskonzeptes werden zentrale Begrifflichkeiten
Bastarde« (Rushdie
gehört zu den am häufigsten zitierten
wie » Kreolisierung« oder »Bastardisierung« viel zu selten im Rahmen
Beschreibungen kultureller Hybridität. Es ist signifikant, dass Wagner
1992: 459)
Sein »Liebeslieb für
kolonialer Prozesse und rassentheoretischer Diskurse aufgearbeitet.
ausgerechnet jene Passagen aus Rushdies Roman » Der Boden unter
Dieses Defizit wiegt umso schwerer, als die Hybridisierung ihrem
den Füßen«
historischen Ausgangspunkt nach zunächst als »rassische Bastardisie
eine Aneinanderreihung multikultureller Stereotypen erinnern. Hyb
rung« in Erscheinung trat. Gerade in Deutschland konnten die sozial
ridisierung entsteht anscheinend, wenn >ethnisch-nationale Eigen
(1999)
als kulturelle Hybridisierung vorstellt, die eher
an
darwinistischen Rassenhygieniker mit ihren Pathologisierungsdiskur
schaften< sich eklektisch verbinden, wenn in Rushdies Worten »die
sen gegen »Rassenmischlinge und -bastarde« insbesondere während
Trommeln Afrikas[,] [ . . . ] [d]ie polnischen Tänze, die italienischen
des Nationalsozialismus eine bisher unerreichte Gestaltungsmacht
Hochzeiten,
erlangen.4 Da diese Kontexte wenig interessieren, wird Kreolisierung
Rhythmen der Salsa-Heiligen[,]
die
Sorbas-zithernden
Griechen[,]
[d]ie
trunkenen
[...] die Sexyneß der kubanischen
oft als harmonische kulturelle Begegnung konstruiert, die als »Meta
Blechbläser, die faszinierenden Rhythmen der brasilianischen Trom
pher für Mischung afrikanischer und europäischer Sprache, Abstam
meln« (zit. nach Wagner
mung und kulturellen Gebräuchen« (Wagner
2001: 18)
steht. Entspre
2001: 21)
miteinander verschmelzen.
In anderen Diskursen wurden Rushdie und weitere postkoloniale
chend fallt Wagners Definition aus: » Hybridisierung meint die Vermi
Metropolen-Intellektuelle mit dem Vorwurf konfrontiert, die Bedürf
schung verschiedener kultureller Stile, Formen und Traditionen, aus
nisse eines ethnographischen Tourismus zu bedienen (Schmidt
der etwas Neues entsteht, eine >globale Melange«< (ebd.:
17).
Ange
sichts der historischen Kontexte wäre es aber sinnvoller, Hybridität
Haberkamp
2000: 301-3II).
Wenn solche Klischees als Grundlage für
die neuen hybriden Vermischungen genommen werden, dann wirken
nicht als normativen, sondern als kritisch-analytischen Begriff zu
sie nicht hybrid, sondern allenfalls ethnisierend und exotisierend.
verwenden.
Offensichtlich greifen solche Wahrnehmungen, der modernisierten spa
Terminologie zum Trotz, immer noch auf ein Denken zurück, in der
ce-Metapher primär als Raum zwischen den Kulturen rezipiert wird,
multikulturelle Pluralität als ethnisch-kulturelles Abgrenzungsmodell
wird der offene und dialogische Kulturaustausch sowie seine Dynamik
funktioniert. Denn die Vermischung setzt - wie nicht nur Wagner
Kulturentwicklung
meint5 - die » Betonung des Eigenen und Originären« (Wagner
Da Hybridität im Anschluss an Bhabhas einflussreiche
in
der
globalisierten
Weltgesellschaft betont.
third
voraus. Eine solche Wahrnehmungsweise kann binäre Kul
scheint in eine postmoderne Konstellation eingetreten zu sein, in der
2001: 23)
das herrschaftslose Cross-over zum Strukturprinzip gehört. Begriffe
tur- und Identitätsschemata verfestigen, da die Kategorien des » Eige
wie transnationale Grenzüberschreitung, kulturelle Grenz- und Zwi
nen« und des » Anderen« nicht hinterfragt werden. In einem solchen
schenräume, Deterritorialisierung, Synkretismus, multiple Identitä
Modell wird kulturelle Differenz nicht im S elbst lokalisiert, sondern
ten, Inter- und Transkulturalität bilden in diesem Kontext nur die
als äußerliche Differenz angesehen, die sich an ethnischen, nationalen
geläufigsten Stichwörter bzw. Denkmodelle, die mittlerweile auch im
und religiösen Grenzziehungen orientiert. Die Betonung von Authen
deutschsprachigen Wissenschaftsdiskurs Einzug gehalten haben. Im
tizität und ethnisch-national aufgeladenen
Kultureigenheiten als
Voraussetzung für Hybridisierung führt zu einem modernisierten Multikulturalismus. Der Fokus ist dann nicht mehr auf das Nebenein
4 I Ausführlich Ha 2oo3a. Da das Hybride in kolonialen Diskursen als » Rassenvermischung« vorgestellt wurde, ist es fragwürdig ausgerechnet das Kriterium der »>Mischehen< jeder Art ... [zur] Gretchenfrage des Multikultura lismus« (Leggewie 2000: 888) zu erheben - zumal diese Thematik auch mit Problemen globaler Ungleichheiten, mit Verfügungsmöglichkeiten über weib liche Sexualität aus Trikontgesellschaften und exotisierenden Differenzkonsum verbunden ist.
ander, sondern auf die gegenseitige Befruchtung homogener Kultur einheiten gerichtet. Diese Sichtweise setzt allerdings statische und
5 I Vgl. zur Konzeption von Hybridität als Bikulturalität etwa Robertson 2000: 37of. Tradierte Kulturmodelle sind auch im Diskurs über Interkulturali tät häufig präsent: etwa Schoen 1999.
Kulturelle Hybridität in der deutschen Rezeption I 93
92 I Hype u m Hybridität i n seiner betont kulturalistischen und ästhetisierenden Deutung, die politische und ökonomische Machtverhältnisse weitgehend ausblen det, kein Wort über ihre Kolonialgeschichte. Der immanente Kontext von Deportation, Ausbeutung und Gewalt gegen »schwarze« und indigene Menschen, die der Kreolisierung vorausgingen und sie präg
Kontrast zur fortgeschrittenen Terminologie wirken konkrete Be schreibungen von Hybridkulturen zuweilen recht banal. Zu den übli chen Verdächtigen gehört Salman Rushdie, der für viele den »hybri den, postkolonialen Künstler zwischen verschiedenen Kulturen« (ebd.: verkörpert und dessen Romane oft als grenzüberschreitende Vi
21)
ten, bleibt verborgen. Infolge der Enthistorisierung und Postmoderni
sionen gelesen werden (Wicker
2000: 206f., 213) .
sierung des Hybriditätskonzeptes werden zentrale Begrifflichkeiten
Bastarde« (Rushdie
gehört zu den am häufigsten zitierten
wie » Kreolisierung« oder »Bastardisierung« viel zu selten im Rahmen
Beschreibungen kultureller Hybridität. Es ist signifikant, dass Wagner
1992: 459)
Sein »Liebeslieb für
kolonialer Prozesse und rassentheoretischer Diskurse aufgearbeitet.
ausgerechnet jene Passagen aus Rushdies Roman » Der Boden unter
Dieses Defizit wiegt umso schwerer, als die Hybridisierung ihrem
den Füßen«
historischen Ausgangspunkt nach zunächst als »rassische Bastardisie
eine Aneinanderreihung multikultureller Stereotypen erinnern. Hyb
rung« in Erscheinung trat. Gerade in Deutschland konnten die sozial
ridisierung entsteht anscheinend, wenn >ethnisch-nationale Eigen
(1999)
als kulturelle Hybridisierung vorstellt, die eher
an
darwinistischen Rassenhygieniker mit ihren Pathologisierungsdiskur
schaften< sich eklektisch verbinden, wenn in Rushdies Worten »die
sen gegen »Rassenmischlinge und -bastarde« insbesondere während
Trommeln Afrikas[,] [ . . . ] [d]ie polnischen Tänze, die italienischen
des Nationalsozialismus eine bisher unerreichte Gestaltungsmacht
Hochzeiten,
erlangen.4 Da diese Kontexte wenig interessieren, wird Kreolisierung
Rhythmen der Salsa-Heiligen[,]
die
Sorbas-zithernden
Griechen[,]
[d]ie
trunkenen
[...] die Sexyneß der kubanischen
oft als harmonische kulturelle Begegnung konstruiert, die als »Meta
Blechbläser, die faszinierenden Rhythmen der brasilianischen Trom
pher für Mischung afrikanischer und europäischer Sprache, Abstam
meln« (zit. nach Wagner
mung und kulturellen Gebräuchen« (Wagner
2001: 18)
steht. Entspre
2001: 21)
miteinander verschmelzen.
In anderen Diskursen wurden Rushdie und weitere postkoloniale
chend fallt Wagners Definition aus: » Hybridisierung meint die Vermi
Metropolen-Intellektuelle mit dem Vorwurf konfrontiert, die Bedürf
schung verschiedener kultureller Stile, Formen und Traditionen, aus
nisse eines ethnographischen Tourismus zu bedienen (Schmidt
der etwas Neues entsteht, eine >globale Melange«< (ebd.:
17).
Ange
sichts der historischen Kontexte wäre es aber sinnvoller, Hybridität
Haberkamp
2000: 301-3II).
Wenn solche Klischees als Grundlage für
die neuen hybriden Vermischungen genommen werden, dann wirken
nicht als normativen, sondern als kritisch-analytischen Begriff zu
sie nicht hybrid, sondern allenfalls ethnisierend und exotisierend.
verwenden.
Offensichtlich greifen solche Wahrnehmungen, der modernisierten spa
Terminologie zum Trotz, immer noch auf ein Denken zurück, in der
ce-Metapher primär als Raum zwischen den Kulturen rezipiert wird,
multikulturelle Pluralität als ethnisch-kulturelles Abgrenzungsmodell
wird der offene und dialogische Kulturaustausch sowie seine Dynamik
funktioniert. Denn die Vermischung setzt - wie nicht nur Wagner
Kulturentwicklung
meint5 - die » Betonung des Eigenen und Originären« (Wagner
Da Hybridität im Anschluss an Bhabhas einflussreiche
in
der
globalisierten
Weltgesellschaft betont.
third
voraus. Eine solche Wahrnehmungsweise kann binäre Kul
scheint in eine postmoderne Konstellation eingetreten zu sein, in der
2001: 23)
das herrschaftslose Cross-over zum Strukturprinzip gehört. Begriffe
tur- und Identitätsschemata verfestigen, da die Kategorien des » Eige
wie transnationale Grenzüberschreitung, kulturelle Grenz- und Zwi
nen« und des » Anderen« nicht hinterfragt werden. In einem solchen
schenräume, Deterritorialisierung, Synkretismus, multiple Identitä
Modell wird kulturelle Differenz nicht im S elbst lokalisiert, sondern
ten, Inter- und Transkulturalität bilden in diesem Kontext nur die
als äußerliche Differenz angesehen, die sich an ethnischen, nationalen
geläufigsten Stichwörter bzw. Denkmodelle, die mittlerweile auch im
und religiösen Grenzziehungen orientiert. Die Betonung von Authen
deutschsprachigen Wissenschaftsdiskurs Einzug gehalten haben. Im
tizität und ethnisch-national aufgeladenen
Kultureigenheiten als
Voraussetzung für Hybridisierung führt zu einem modernisierten Multikulturalismus. Der Fokus ist dann nicht mehr auf das Nebenein
4 I Ausführlich Ha 2oo3a. Da das Hybride in kolonialen Diskursen als » Rassenvermischung« vorgestellt wurde, ist es fragwürdig ausgerechnet das Kriterium der »>Mischehen< jeder Art ... [zur] Gretchenfrage des Multikultura lismus« (Leggewie 2000: 888) zu erheben - zumal diese Thematik auch mit Problemen globaler Ungleichheiten, mit Verfügungsmöglichkeiten über weib liche Sexualität aus Trikontgesellschaften und exotisierenden Differenzkonsum verbunden ist.
ander, sondern auf die gegenseitige Befruchtung homogener Kultur einheiten gerichtet. Diese Sichtweise setzt allerdings statische und
5 I Vgl. zur Konzeption von Hybridität als Bikulturalität etwa Robertson 2000: 37of. Tradierte Kulturmodelle sind auch im Diskurs über Interkulturali tät häufig präsent: etwa Schoen 1999.
94 I Hype u m Hybridität abgrenzbare Kulturen voraus. So glaubt Peter Stachel von der Österrei chischen Akademie der Wissenschaften Hybridität folgendermaßen cha rakterisieren zu können:
IlPositiv besetzt sei in Zusammenhang mit der postkolonialen Theorie hingegen der Schlüs selbegriff der Hybridität. Nicht Abgrenzung, nicht Assimilation, sondern eine wechselseitige Durchdringung unterschiedlicher Kulturen sei damit angesprochen, vorausgesetzt sei aller dings die Existenz mehr oder weniger stabiler Kulturen« (zit. nach Ernst 200 1 : 2). Wenn Hybridität als reine Vermischung ganzer Kulturen gedacht wird, dann missdeutet man Bhabha gründlich, der sich oft vehement gegen essentialistische Modelle kultureller Diversität und multikultu rellen Exotismus ausgesprochen hat. Sein third space thematisiert eine Perspektive, die
Ilden Weg zur Konzeptualisierung einer inte rnationalen Kultur weisen könnte, die nicht auf die Exotik des Multikulturalismus oder der D ivers i tät der Kulturen, sondern auf der Einschreibung und Artikulation der H y b r i d i tät von Kultur beruht. Dabei sollten wir im mer daran denken, daß es das >inter< - das Entscheidende am Ü bersetzen und Verhan deln, am Raum d a-zwischen - ist, das den Hauptteil kultureller Bedeutung in sich trägt. Dadurch wird es uns möglich, Schritt für Schritt nationale, anti-nationale Geschichten des >Volkes< ins Auge zu fassen. Und indem wir diesen Dritten Raum erkunden, können wir der Politik der Polarität entkommen und zu den anderen unserer selbst werden« (Bhabha 2000: 58; Hervorhebung i.O.). Nichtsdestotrotz ist im deutschen Kontext ein Hybriditätsverständnis populär, welches das Lob der kulturellen Vermischung in den Mittel punkt stellt. Dabei kommt es zu einer Entthematisierung gesellschaft licher Machtverhältnisse, die durch die Betonung der ästhetischen und konsumtiven Aspekte kultureller Hybridisierung ersetzt werden (vgl. Terkessidis 1999; Steyerl 2000). So wird im gesamten Text von Wag ner nur einmal im Nebensatz die Ausgrenzung und Diskriminierung von Migranten und Migrantinnen angedeutet, obwohl diese Erfahrun gen für die Betroffenen elementar sind. Stattdessen konzentriert sich sein Interesse auf den Spaßfaktor migrantischer HipHop-Subkultu ren, die als die »heutigen Zentren der Hybridisierung« (Wagner 2001: 19) angesehen werden. »Die Volkskultur der Vorstädte holt sich aus der Massenkultur, was ihr gefällt, setzt diese Elemente anders zu sammen und gibt sie in Gestalt von trickreichen Kombinationen und witzigen Einfällen an die riesige Maschine unserer gemeinsamen populären Kultur zurück« (Heinz Bude zit. nach Wagner 2001: 19). Die Inszenierung von Hybridität im Bild eines bunten Völkerfestes und lustigen Kulturkonsumbetriebs, in dem sich jeder frei und kreativ im Rahmen seiner ethnisch-kulturellen Ressourcen, Grenzen und Kompetenzen einbringt, erinnert an jene grenzenlose Party, die eine
Kulturel le Hybridit ät i n d e r deutsch en Rezeptio n I 95 IlUtopie in Metaphern des Feierns Ausdruck verleihen [soll]. [ . . . ] [I]ch würde hier nicht so sehr an das Modell >Multikulti-Gartenfest< denken, auf dem Folklore dargeboten wird und in der das politische Subjekt durch den Anderen seine Korrektheit genießen kann, sondern eher an eine Club-Nacht, in der nationale und (sub-)kulturelle Differenzen [ . . . ] produktiv eingesetzt werden« (BronfenlMarius 1 997: 1 2). Wir lernen, dass Hybridität uns zwar bereichert und anregt, aber uns nicht in unserer Substanz bedroht. Das Interesse an den neuen Migra tionskulturen beruht auf einem klassischen Missverständnis, denn es unterstellt, dass die junge Migranten und Migrantinnen sowie »an dere« Deutsche »Rückhalt in einer Herkunft und Spaß am Konsum« (Heinz Bude zit. nach Wagner 2001: 19) suchen, obwohl gerade mi grantische Kulturschaffende der zweiten und dritten Generation sich explizit gegen ethnisierende Zuschreibungen wehren und durchaus politische Ansprüche erheben (vgl. etwa Ayata 1999; Güngör/Loh 2002). Es stellt sich daher die grundsätzliche Frage, warum die Per spektiven der Betroffenen ignoriert und sie zu unterhaltsamen Exoten reduziert werden. Offensichtlich wird Hybridität zunehmend als eine begehrenswer te Ressource konstruiert, die nicht den Marginalisierten alleine über lassen werden kann. Rekurrierend auf Rushdies »Mischmasch, ein bißehen von diesem und ein bißehen von jenem« (Rushdie 1992: 458) wird Hybridität gern als »Auflösung und Zerstörung von Tradition beschrieben, die permanente Mischung und Verbindung, die kreative Praxis von Fusion und Collage, und in Operationen wie diesen über trägt sich die einst ganz marginale Erfahrung von Migranten in eine universale Standarderfahrung« (Leggewie 2000: 885). Diese Universa lisierung hat Helga Bilden, die sich selbst als feministische Sozialwis senschaftlerin versteht, folgendermaßen am eigenen Beispiel lokali siert:
IlVielleicht gefällt mir das Konzept der Hybridität so gut, weil es meine eigene bürger lich-kleinbäuerlich gemischte Herkunft und meine gemischte Geschlechtsidentität positiv aufnimmt? Heute [ . . ] fühle ich mich nicht >identitätsgestört<, sondern >richtig<, in meiner NichtÜbereinstimmung bekräftigt, theoretisch legitimiert - und schadenfreudig. Es geht mir wie Stuart Hall, dem schwarzen britischen Soziologen karibischer Herkunft« (Bilden 1 999: 9). .
Hybridität scheint somit für Weiße auch ein Mittel zu sein, die eige nen Herkünfte aufzuwerten und sich selbst in »schwarzen« Positio nen zu verorten, um durch aneigenbare Differenzen die Möglichkei ten und Grenzen der Selbstdefinition zu erweitern. Der Wunsch, sich selbst als hybrid zu entdecken und in hybriden Kulturen zu leben, geht mit einem Verständnis beliebiger Differenzen und positiven Selbstinszenierungen einher, denen die Gefahren der Überidentifika-
94 I Hype u m Hybridität abgrenzbare Kulturen voraus. So glaubt Peter Stachel von der Österrei chischen Akademie der Wissenschaften Hybridität folgendermaßen cha rakterisieren zu können:
IlPositiv besetzt sei in Zusammenhang mit der postkolonialen Theorie hingegen der Schlüs selbegriff der Hybridität. Nicht Abgrenzung, nicht Assimilation, sondern eine wechselseitige Durchdringung unterschiedlicher Kulturen sei damit angesprochen, vorausgesetzt sei aller dings die Existenz mehr oder weniger stabiler Kulturen« (zit. nach Ernst 200 1 : 2). Wenn Hybridität als reine Vermischung ganzer Kulturen gedacht wird, dann missdeutet man Bhabha gründlich, der sich oft vehement gegen essentialistische Modelle kultureller Diversität und multikultu rellen Exotismus ausgesprochen hat. Sein third space thematisiert eine Perspektive, die
Ilden Weg zur Konzeptualisierung einer inte rnationalen Kultur weisen könnte, die nicht auf die Exotik des Multikulturalismus oder der D ivers i tät der Kulturen, sondern auf der Einschreibung und Artikulation der H y b r i d i tät von Kultur beruht. Dabei sollten wir im mer daran denken, daß es das >inter< - das Entscheidende am Ü bersetzen und Verhan deln, am Raum d a-zwischen - ist, das den Hauptteil kultureller Bedeutung in sich trägt. Dadurch wird es uns möglich, Schritt für Schritt nationale, anti-nationale Geschichten des >Volkes< ins Auge zu fassen. Und indem wir diesen Dritten Raum erkunden, können wir der Politik der Polarität entkommen und zu den anderen unserer selbst werden« (Bhabha 2000: 58; Hervorhebung i.O.). Nichtsdestotrotz ist im deutschen Kontext ein Hybriditätsverständnis populär, welches das Lob der kulturellen Vermischung in den Mittel punkt stellt. Dabei kommt es zu einer Entthematisierung gesellschaft licher Machtverhältnisse, die durch die Betonung der ästhetischen und konsumtiven Aspekte kultureller Hybridisierung ersetzt werden (vgl. Terkessidis 1999; Steyerl 2000). So wird im gesamten Text von Wag ner nur einmal im Nebensatz die Ausgrenzung und Diskriminierung von Migranten und Migrantinnen angedeutet, obwohl diese Erfahrun gen für die Betroffenen elementar sind. Stattdessen konzentriert sich sein Interesse auf den Spaßfaktor migrantischer HipHop-Subkultu ren, die als die »heutigen Zentren der Hybridisierung« (Wagner 2001: 19) angesehen werden. »Die Volkskultur der Vorstädte holt sich aus der Massenkultur, was ihr gefällt, setzt diese Elemente anders zu sammen und gibt sie in Gestalt von trickreichen Kombinationen und witzigen Einfällen an die riesige Maschine unserer gemeinsamen populären Kultur zurück« (Heinz Bude zit. nach Wagner 2001: 19). Die Inszenierung von Hybridität im Bild eines bunten Völkerfestes und lustigen Kulturkonsumbetriebs, in dem sich jeder frei und kreativ im Rahmen seiner ethnisch-kulturellen Ressourcen, Grenzen und Kompetenzen einbringt, erinnert an jene grenzenlose Party, die eine
Kulturel le Hybridit ät i n d e r deutsch en Rezeptio n I 95 IlUtopie in Metaphern des Feierns Ausdruck verleihen [soll]. [ . . . ] [I]ch würde hier nicht so sehr an das Modell >Multikulti-Gartenfest< denken, auf dem Folklore dargeboten wird und in der das politische Subjekt durch den Anderen seine Korrektheit genießen kann, sondern eher an eine Club-Nacht, in der nationale und (sub-)kulturelle Differenzen [ . . . ] produktiv eingesetzt werden« (BronfenlMarius 1 997: 1 2). Wir lernen, dass Hybridität uns zwar bereichert und anregt, aber uns nicht in unserer Substanz bedroht. Das Interesse an den neuen Migra tionskulturen beruht auf einem klassischen Missverständnis, denn es unterstellt, dass die junge Migranten und Migrantinnen sowie »an dere« Deutsche »Rückhalt in einer Herkunft und Spaß am Konsum« (Heinz Bude zit. nach Wagner 2001: 19) suchen, obwohl gerade mi grantische Kulturschaffende der zweiten und dritten Generation sich explizit gegen ethnisierende Zuschreibungen wehren und durchaus politische Ansprüche erheben (vgl. etwa Ayata 1999; Güngör/Loh 2002). Es stellt sich daher die grundsätzliche Frage, warum die Per spektiven der Betroffenen ignoriert und sie zu unterhaltsamen Exoten reduziert werden. Offensichtlich wird Hybridität zunehmend als eine begehrenswer te Ressource konstruiert, die nicht den Marginalisierten alleine über lassen werden kann. Rekurrierend auf Rushdies »Mischmasch, ein bißehen von diesem und ein bißehen von jenem« (Rushdie 1992: 458) wird Hybridität gern als »Auflösung und Zerstörung von Tradition beschrieben, die permanente Mischung und Verbindung, die kreative Praxis von Fusion und Collage, und in Operationen wie diesen über trägt sich die einst ganz marginale Erfahrung von Migranten in eine universale Standarderfahrung« (Leggewie 2000: 885). Diese Universa lisierung hat Helga Bilden, die sich selbst als feministische Sozialwis senschaftlerin versteht, folgendermaßen am eigenen Beispiel lokali siert:
IlVielleicht gefällt mir das Konzept der Hybridität so gut, weil es meine eigene bürger lich-kleinbäuerlich gemischte Herkunft und meine gemischte Geschlechtsidentität positiv aufnimmt? Heute [ . . ] fühle ich mich nicht >identitätsgestört<, sondern >richtig<, in meiner NichtÜbereinstimmung bekräftigt, theoretisch legitimiert - und schadenfreudig. Es geht mir wie Stuart Hall, dem schwarzen britischen Soziologen karibischer Herkunft« (Bilden 1 999: 9). .
Hybridität scheint somit für Weiße auch ein Mittel zu sein, die eige nen Herkünfte aufzuwerten und sich selbst in »schwarzen« Positio nen zu verorten, um durch aneigenbare Differenzen die Möglichkei ten und Grenzen der Selbstdefinition zu erweitern. Der Wunsch, sich selbst als hybrid zu entdecken und in hybriden Kulturen zu leben, geht mit einem Verständnis beliebiger Differenzen und positiven Selbstinszenierungen einher, denen die Gefahren der Überidentifika-
96 I
Kulturelle Hybridität i n d e r deutschen Rezeption
Hype u m Hybrid ität
I 97
tion und Vereinnahmung des Anderen immanent sind. Im Gegensatz
ten erheblich ambivalenter und riskanter erlebt. Hybridisierung kann
zur Position von rassistisch Marginalisierten stellen universale Hybri
wie jede kulturelle Identitätsentwicklung auch eine schmerzliche
ditätsformen einen wähl- wie abwählbaren Lebensstil dar, der auf der
Erfahrung sein, die aus der Notwendigkeit entstanden ist, in deklas
Entscheidungsfreiheit basiert, die Differenz oder die Identität zur
sierten Gesellschaftspositionen zu überleben und Strategien im Um
Dominanzkultur (Rommelspacher 1995) zu betonen. Karnevaleske Identitätsspiele beruhen auf einer Rhetorik maskenhafter
Blackness,
gang mit Ausgrenzungen zu entwickeln. Ob hybride Identitäten eher in ihren
zwanghaften und/oder befreienden Momenten erlebt werden,
die nicht die realen Folgen »schwarzer« Gesellschaftspositionen zu
hängt wesentlich von der Subjektposition in den Gesellschaftsstruktu
ertragen braucht. Für Mitglieder der Dominanzgesellschaft hat die
ren ab, deren Zugänge und Ausschließungen durch die Überschnei
Entdeckung der eigenen Hybridität neben spielerischen auch entlas
dungen von Gender, Ethnizität und Klasse permanent neu konstituiert
tende Funktionen. Der Verweis auf die eigene Hybridität hat den
werden (Bromley 2000: 194-197).
angenehmen Effekt, sich als authentisches Subjekt des Zeitgeists zu
Whiteness
Sicherlich hängen die Rezeptionsprobleme in Deutschland nicht
(Franken
nur mit lokalen Bedingungen zusammen. Zwar ist es kein Zufall, dass
berg 1 9 93) zu verleugnen, die auch ungewollt Privilegien ermöglicht.
im hiesigen Kontext ein Trend existiert, der bevorzugt jene Aspekte
Wenn wir heute alle so hybrid sind, wer ist dann noch »weiß«, wer »schwarz«, wer rassistisch unterdrückt und wer nicht? Daher kommt
der Hybridität betont, die innerhalb des postkolonialen Diskurses 6 Gegenstand der Kritik sind. Aber auch im postkolonialen Diskurs
es darauf an, den Blick auf jene Subjekte zu richten,
wird der Hybriditätsbegriff teilweise in einer »afftrmativen und unkri
))die als lMischlinge( stigmatisiert und zu den Clubnächten und Hybriditätsfeiern gar nicht erst eingeladen werden, weil ihre Erzählungen den unbekümmert metaphorisierenden Ge brauch des Begriffs lMischling( unterbrechen, indem sie auf seine Gewalttätigkeit und die Gewaltstrukturen hinweisen, innerhalb derer er erschaffen wurde« (Wollrad 2002: 22).
schen marginalisierten Subjekten und postkolonialen Metropolen-In
erfahren und die gesellschaftlich zugeschriebene
tischen Weise verwendet« (ebd.: 194), in der sich die Differenz zwi
Eine Umgangsweise, die eher den gesellschaftlichen Prioritäten ge recht wird, hat Wolfgang Riedel vorgeschlagen: Statt Hybriditätsdis kurse zu entwerfen, sollten Mitglieder der Dominanzgesellschaft sich vorrangig mit institutionalisierten Diskriminierungen auseinander setzen (RiedeI 2002: 249)' I n der kulturalistischen Perspektive werden individualistische
tellektuellen reproduziert. So fühlen sich viele nicht repräsentiert, als sich der leider verstorbene Edward Said von seiner Position aus für einen fröhlichen Identitätswechsel aussprach:
))Die Funktion von Menschen wie mir, die tatsächlich vielen Kulturen angehören, muß sein, immer wieder zu betonen, daß es keine Notwendigkeit gibt, sich für die eine oder andere Kultur zu entscheiden. Ich bezeichne mich weder als Araber oder Orientalen, noch als Westler oder Amerikaner. Anstelle des loden setze ich das lund( [ . . . ]. [W]ir müssen eine neue Art Begeisterung erzeugen, die einen Identitätswechsel zur Sehnsucht und nicht zu einer dramatischen Erfahrung macht« (Said 1 999: 40L).
Handlungsräume stark betont und positiv konnotiert. Anscheinend lösen Hybriditätskonzepte, die mit grenzenlosen Identitätsspielräu
Postkoloniale Kritiker/-innen des postkolonialen Diskurses problema
men für das Individuum und offener Kulturentwicklung für die Ge
tisieren solche Positionen als elitären Kosmopolitismus, der aus einer
sellschaft assoziiert werden, eine große Faszination aus. S elbst eine
privilegierten Position heraus die Notwendigkeit von
ansonsten kritische Sozialwissenschaftlerin wie Helga Bilden greift
durch Identitätspolitik negiert. Sie weisen darauf hin, dass bestimmte
Empowerment
die Idee der Identitätsdiffusion nahezu obsessiv auf In einem einzi
soziale und kulturelle Voraussetzungen vorliegen müssen, um Identi
gen Absatz betont sie die Vision, statische Identitäten aufzulösen,
tät nicht als letztes Mittel zur Verteidigung der persönlichen Integrität
insgesamt 19-mal mit den Adjektiven »lustvoll«, »spielerisch« und »kreativ« (Bilden 1999: 6E). Identitätsprozesse
per se
zu einem post
nutzen zu müssen. Obwohl Said Bindestrich-Identitäten befürwortet, was eine harmonisierende und essentialistische Position sein kann,
modernen Gesamtkunstwerk zu erklären, macht misstrauisch, wenn
haben Migrierte - je stärker sie rassistisch marginalisiert werden
Macht, Marginalisierung und Dominanz nicht länger als präsent oder
nicht die Möglichkeit, sich mit Dominanzkulturen zu identifizieren.
_
beschränkend erachtet werden. Merkwürdig ausgeblendet bleibt bei
Statt Fragen der kulturellen Zugehörigkeit fordern marxistische Kriti
dieser Euphorie die Frage, wer überhaupt die Möglichkeit für aner
ker wie Aijaz Ahmad (1994) und Arif Dirlik (1997), die drängenden
kannte Identitätsinszenierungen hat und welche Bedeutungen und
materiellen Probleme generell stärker zu berücksichtigen.
Kontexte sie für die jeweiligen Akteure haben. Während Identitätsspie le
Im Unterschied zu B eobachtern, die den mangelhaften »gesell-
für Mitglieder der Dominanzgesellschaft eher den Charakter lust
gewinnender Experimente annehmen, werden sie von Marginalisier-
6
I Vgl. etwa die kritischen Beiträge in Werbner/Modood 1997.
96 I
Kulturelle Hybridität i n d e r deutschen Rezeption
Hype u m Hybrid ität
I 97
tion und Vereinnahmung des Anderen immanent sind. Im Gegensatz
ten erheblich ambivalenter und riskanter erlebt. Hybridisierung kann
zur Position von rassistisch Marginalisierten stellen universale Hybri
wie jede kulturelle Identitätsentwicklung auch eine schmerzliche
ditätsformen einen wähl- wie abwählbaren Lebensstil dar, der auf der
Erfahrung sein, die aus der Notwendigkeit entstanden ist, in deklas
Entscheidungsfreiheit basiert, die Differenz oder die Identität zur
sierten Gesellschaftspositionen zu überleben und Strategien im Um
Dominanzkultur (Rommelspacher 1995) zu betonen. Karnevaleske Identitätsspiele beruhen auf einer Rhetorik maskenhafter
Blackness,
gang mit Ausgrenzungen zu entwickeln. Ob hybride Identitäten eher in ihren
zwanghaften und/oder befreienden Momenten erlebt werden,
die nicht die realen Folgen »schwarzer« Gesellschaftspositionen zu
hängt wesentlich von der Subjektposition in den Gesellschaftsstruktu
ertragen braucht. Für Mitglieder der Dominanzgesellschaft hat die
ren ab, deren Zugänge und Ausschließungen durch die Überschnei
Entdeckung der eigenen Hybridität neben spielerischen auch entlas
dungen von Gender, Ethnizität und Klasse permanent neu konstituiert
tende Funktionen. Der Verweis auf die eigene Hybridität hat den
werden (Bromley 2000: 194-197).
angenehmen Effekt, sich als authentisches Subjekt des Zeitgeists zu
Whiteness
Sicherlich hängen die Rezeptionsprobleme in Deutschland nicht
(Franken
nur mit lokalen Bedingungen zusammen. Zwar ist es kein Zufall, dass
berg 1 9 93) zu verleugnen, die auch ungewollt Privilegien ermöglicht.
im hiesigen Kontext ein Trend existiert, der bevorzugt jene Aspekte
Wenn wir heute alle so hybrid sind, wer ist dann noch »weiß«, wer »schwarz«, wer rassistisch unterdrückt und wer nicht? Daher kommt
der Hybridität betont, die innerhalb des postkolonialen Diskurses 6 Gegenstand der Kritik sind. Aber auch im postkolonialen Diskurs
es darauf an, den Blick auf jene Subjekte zu richten,
wird der Hybriditätsbegriff teilweise in einer »afftrmativen und unkri
))die als lMischlinge( stigmatisiert und zu den Clubnächten und Hybriditätsfeiern gar nicht erst eingeladen werden, weil ihre Erzählungen den unbekümmert metaphorisierenden Ge brauch des Begriffs lMischling( unterbrechen, indem sie auf seine Gewalttätigkeit und die Gewaltstrukturen hinweisen, innerhalb derer er erschaffen wurde« (Wollrad 2002: 22).
schen marginalisierten Subjekten und postkolonialen Metropolen-In
erfahren und die gesellschaftlich zugeschriebene
tischen Weise verwendet« (ebd.: 194), in der sich die Differenz zwi
Eine Umgangsweise, die eher den gesellschaftlichen Prioritäten ge recht wird, hat Wolfgang Riedel vorgeschlagen: Statt Hybriditätsdis kurse zu entwerfen, sollten Mitglieder der Dominanzgesellschaft sich vorrangig mit institutionalisierten Diskriminierungen auseinander setzen (RiedeI 2002: 249)' I n der kulturalistischen Perspektive werden individualistische
tellektuellen reproduziert. So fühlen sich viele nicht repräsentiert, als sich der leider verstorbene Edward Said von seiner Position aus für einen fröhlichen Identitätswechsel aussprach:
))Die Funktion von Menschen wie mir, die tatsächlich vielen Kulturen angehören, muß sein, immer wieder zu betonen, daß es keine Notwendigkeit gibt, sich für die eine oder andere Kultur zu entscheiden. Ich bezeichne mich weder als Araber oder Orientalen, noch als Westler oder Amerikaner. Anstelle des loden setze ich das lund( [ . . . ]. [W]ir müssen eine neue Art Begeisterung erzeugen, die einen Identitätswechsel zur Sehnsucht und nicht zu einer dramatischen Erfahrung macht« (Said 1 999: 40L).
Handlungsräume stark betont und positiv konnotiert. Anscheinend lösen Hybriditätskonzepte, die mit grenzenlosen Identitätsspielräu
Postkoloniale Kritiker/-innen des postkolonialen Diskurses problema
men für das Individuum und offener Kulturentwicklung für die Ge
tisieren solche Positionen als elitären Kosmopolitismus, der aus einer
sellschaft assoziiert werden, eine große Faszination aus. S elbst eine
privilegierten Position heraus die Notwendigkeit von
ansonsten kritische Sozialwissenschaftlerin wie Helga Bilden greift
durch Identitätspolitik negiert. Sie weisen darauf hin, dass bestimmte
Empowerment
die Idee der Identitätsdiffusion nahezu obsessiv auf In einem einzi
soziale und kulturelle Voraussetzungen vorliegen müssen, um Identi
gen Absatz betont sie die Vision, statische Identitäten aufzulösen,
tät nicht als letztes Mittel zur Verteidigung der persönlichen Integrität
insgesamt 19-mal mit den Adjektiven »lustvoll«, »spielerisch« und »kreativ« (Bilden 1999: 6E). Identitätsprozesse
per se
zu einem post
nutzen zu müssen. Obwohl Said Bindestrich-Identitäten befürwortet, was eine harmonisierende und essentialistische Position sein kann,
modernen Gesamtkunstwerk zu erklären, macht misstrauisch, wenn
haben Migrierte - je stärker sie rassistisch marginalisiert werden
Macht, Marginalisierung und Dominanz nicht länger als präsent oder
nicht die Möglichkeit, sich mit Dominanzkulturen zu identifizieren.
_
beschränkend erachtet werden. Merkwürdig ausgeblendet bleibt bei
Statt Fragen der kulturellen Zugehörigkeit fordern marxistische Kriti
dieser Euphorie die Frage, wer überhaupt die Möglichkeit für aner
ker wie Aijaz Ahmad (1994) und Arif Dirlik (1997), die drängenden
kannte Identitätsinszenierungen hat und welche Bedeutungen und
materiellen Probleme generell stärker zu berücksichtigen.
Kontexte sie für die jeweiligen Akteure haben. Während Identitätsspie le
Im Unterschied zu B eobachtern, die den mangelhaften »gesell-
für Mitglieder der Dominanzgesellschaft eher den Charakter lust
gewinnender Experimente annehmen, werden sie von Marginalisier-
6
I Vgl. etwa die kritischen Beiträge in Werbner/Modood 1997.
98 I
Kulturelle Hybrid ität i n der deutschen Rezeption
Hype u m Hyb ridität
schaftskritischen Impetus« und die »difference sells«-Haltung beim Theorieimport der
Cultural Studies
monieren (Löchel I999), wäre es
sicherlich irrefuhrend, die hier diskutierte Rezeptionstendenz von Hybridität als entpolitisierend zu bezeichnen. Zum einen ist auch die vermeintliche >Entpolitisierung< höchst politisch, zum anderen enthal ten die vorgestellten Rezeptionsansätze explizit oder implizit politische Zielvorstellungen. Nur unterscheiden sich diese von den zentralen Forderungen postkolonialer Kritik. Vielleicht erinnerte Robert Young gerade deshalb auf dem deutschen Anglistentag eindringlich an die politischen Verpflichtungen postkolonialer Diskurse. Young, der als Referenzautor und als Herausgeber des »Oxford Literary Review« und der »Interventions« nicht ohne weiteres ignoriert werden kann, sprach in einer für den deutschen Wissenschaftsdiskurs ungewohnten Deut lichkeit:
uPostcolonial critique is thmlore a lorm 01 activist writing that looks back to the politi ' cal commitment 01 the anti-colonial liberation movements and draws its inspiration Irom them whilst recognizing that they olten operated under conditions very dillerent Irom those that exist in the present. Its orientation will change according to the political prio rities 01 the moment, but its source in the revolutionary activism 01 the past gives it a constant basis and inspiration: it too is dedicated to changing those who were lormerly the object 01 history into history's new subjects. Postcolonial critique locuses on lorm 01 oppression and coercive domination that operate in the contemporary world: the politics of anti-colonialism and neo-colonialism, race, gender, nationalisms, dass and ethnicities deline its terrainu (Young 2000: 24 1 ). Auch wenn anti-koloniale Bewegungen und gegen-hegemoniale Akti vitäten hinsichtlich ihrer Fehler und repressiven Auswirkungen selbstkritisch zu hinterfragen sind, bleibt festzuhalten, dass der post koloniale Diskurs ein politisches Projekt ist, der nicht ohne die selbst reflexive Auseinandersetzung mit den multiplen Facetten gegenwärti ger Machtdimensionen gedacht werden kann. Auch können kulturelle Hybridisierungen je nach gesellschaftlichen Kontext sehr unterschied liche Ausdrucksformen und repräsentative Funktionen annehmen. Die weitverbreitete Sichtweise, dass Hybridität als selbstreflexive Kul turform die Entgrenzungen des alltäglichen (Er-) Lebens in glokali sierten Einwanderungsgesellschaften von >unten< artikuliert und sie dadurch
per se
progressiv und >authentisch< ist, hält einer genaueren
Betrachtung nicht unbedingt stand. Vielmehr ist ein Trend erkennbar, in der Hybridität als Technik zur Inszenierung kultureller Vielfalt in unterschiedlichen diskursiven Kontexten und gegenläufigen politi schen Projekten in Szene gesetzt wird. Da sie als kulturelle Form von unterschiedlichen Akteuren bemächtigt wird,
kann sie gegensätzliche
Botschaften und Inhalte transportieren. Als uneindeutiges, umstritte nes Terrain der Bedeutungskonstitution steht sie sowohl der Deu-
I 99
tungsmacht dominanter Diskurse als auch subversiven Praktiken offen. Im letzten Kapitel diskutiere ich daher die Frage der politischen Verortung von umkämpften Hybridisierungen.
98 I
Kulturelle Hybrid ität i n der deutschen Rezeption
Hype u m Hyb ridität
schaftskritischen Impetus« und die »difference sells«-Haltung beim Theorieimport der
Cultural Studies
monieren (Löchel I999), wäre es
sicherlich irrefuhrend, die hier diskutierte Rezeptionstendenz von Hybridität als entpolitisierend zu bezeichnen. Zum einen ist auch die vermeintliche >Entpolitisierung< höchst politisch, zum anderen enthal ten die vorgestellten Rezeptionsansätze explizit oder implizit politische Zielvorstellungen. Nur unterscheiden sich diese von den zentralen Forderungen postkolonialer Kritik. Vielleicht erinnerte Robert Young gerade deshalb auf dem deutschen Anglistentag eindringlich an die politischen Verpflichtungen postkolonialer Diskurse. Young, der als Referenzautor und als Herausgeber des »Oxford Literary Review« und der »Interventions« nicht ohne weiteres ignoriert werden kann, sprach in einer für den deutschen Wissenschaftsdiskurs ungewohnten Deut lichkeit:
uPostcolonial critique is thmlore a lorm 01 activist writing that looks back to the politi ' cal commitment 01 the anti-colonial liberation movements and draws its inspiration Irom them whilst recognizing that they olten operated under conditions very dillerent Irom those that exist in the present. Its orientation will change according to the political prio rities 01 the moment, but its source in the revolutionary activism 01 the past gives it a constant basis and inspiration: it too is dedicated to changing those who were lormerly the object 01 history into history's new subjects. Postcolonial critique locuses on lorm 01 oppression and coercive domination that operate in the contemporary world: the politics of anti-colonialism and neo-colonialism, race, gender, nationalisms, dass and ethnicities deline its terrainu (Young 2000: 24 1 ). Auch wenn anti-koloniale Bewegungen und gegen-hegemoniale Akti vitäten hinsichtlich ihrer Fehler und repressiven Auswirkungen selbstkritisch zu hinterfragen sind, bleibt festzuhalten, dass der post koloniale Diskurs ein politisches Projekt ist, der nicht ohne die selbst reflexive Auseinandersetzung mit den multiplen Facetten gegenwärti ger Machtdimensionen gedacht werden kann. Auch können kulturelle Hybridisierungen je nach gesellschaftlichen Kontext sehr unterschied liche Ausdrucksformen und repräsentative Funktionen annehmen. Die weitverbreitete Sichtweise, dass Hybridität als selbstreflexive Kul turform die Entgrenzungen des alltäglichen (Er-) Lebens in glokali sierten Einwanderungsgesellschaften von >unten< artikuliert und sie dadurch
per se
progressiv und >authentisch< ist, hält einer genaueren
Betrachtung nicht unbedingt stand. Vielmehr ist ein Trend erkennbar, in der Hybridität als Technik zur Inszenierung kultureller Vielfalt in unterschiedlichen diskursiven Kontexten und gegenläufigen politi schen Projekten in Szene gesetzt wird. Da sie als kulturelle Form von unterschiedlichen Akteuren bemächtigt wird,
kann sie gegensätzliche
Botschaften und Inhalte transportieren. Als uneindeutiges, umstritte nes Terrain der Bedeutungskonstitution steht sie sowohl der Deu-
I 99
tungsmacht dominanter Diskurse als auch subversiven Praktiken offen. Im letzten Kapitel diskutiere ich daher die Frage der politischen Verortung von umkämpften Hybridisierungen.
U mkämpfte Hybridisierungen
Seit dem Machtwechsel 1998 ist die rot-grüne Regierungsführung mit wechselndem Erfolg bemüht, die Potentiale einer wünschenswerten Zuwanderung auf die politische Agenda zu setzen. Dieses migrations politische
Agenda-Setting hat
seitdem eine Reihe von gesellschaftlich
bedeutsamen Kontroversen etwa um die doppelte Staatsbürgerschaft, um die
Green
Card-Regelung für die Informationstechnik oder auch
Unabhängigen Kommission »Zuwanderung« (2000) unter dem Vorsitz von Rita Süssmuth ausgelöst. Letzter mani
um das
Konzept der
fester Ausdruck im parlamentarischen Prozess der politischen Wil lensbildung ist das seit Januar
2005
in Kraft getretene »Gesetz zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern« (Zuwanderungsgesetz). Die Offenheit und Durchlässigkeit der hierzu lande zur Diskussion stehenden Migrationspolitik ist sowohl durch die sicherheitspolitischen Prioritäten bei der Überwachung der EU Außengrenzen gegen unerwünschte Migrations- und Flüchtlingsbe wegungen als auch durch den sozioökonomischen Verwertungsdruck auf Einwanderungswillige eng begrenzt. Um die erwarteten Migra tionsbewegungen effektiv kontrollieren und selektiv auswerten zu können, wird das bestehende Grenzregime technisch wie institutionell weiter ausgebaut. Im Zentrum der Zuwanderungssteuerung stehen die wohlverstandenen deutschen Eigeninteressen. Sie strukturieren eine restriktive Politik, die auf eine flexible und zielgruppenorientierte Politik der Abweisung und Zulassung basiert. Allen Anschein nach stellt die Gleichzeitigkeit des Ein- und Ausschlusses die entscheidende Weichenstellung im nationalstaatlich, aber zunehmend auch EU-weit regulierten Zuwanderungskonzept dar. Im Verlauf der Debatten über die Notwendigkeit oder Vermeid barkeit von Einwanderung sind in den vergangenen Jahren vielfach ideologisch motivierte Abwehrbewegungen mit völkisch-rassistischen Verkrustungen zu Tage getreten. So verdeutlicht die Forderung nach einer »deutschen Leitkultur«, dass Deutschland eine in Einwande-
U mkämpfte Hybridisierungen
Seit dem Machtwechsel 1998 ist die rot-grüne Regierungsführung mit wechselndem Erfolg bemüht, die Potentiale einer wünschenswerten Zuwanderung auf die politische Agenda zu setzen. Dieses migrations politische
Agenda-Setting hat
seitdem eine Reihe von gesellschaftlich
bedeutsamen Kontroversen etwa um die doppelte Staatsbürgerschaft, um die
Green
Card-Regelung für die Informationstechnik oder auch
Unabhängigen Kommission »Zuwanderung« (2000) unter dem Vorsitz von Rita Süssmuth ausgelöst. Letzter mani
um das
Konzept der
fester Ausdruck im parlamentarischen Prozess der politischen Wil lensbildung ist das seit Januar
2005
in Kraft getretene »Gesetz zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern« (Zuwanderungsgesetz). Die Offenheit und Durchlässigkeit der hierzu lande zur Diskussion stehenden Migrationspolitik ist sowohl durch die sicherheitspolitischen Prioritäten bei der Überwachung der EU Außengrenzen gegen unerwünschte Migrations- und Flüchtlingsbe wegungen als auch durch den sozioökonomischen Verwertungsdruck auf Einwanderungswillige eng begrenzt. Um die erwarteten Migra tionsbewegungen effektiv kontrollieren und selektiv auswerten zu können, wird das bestehende Grenzregime technisch wie institutionell weiter ausgebaut. Im Zentrum der Zuwanderungssteuerung stehen die wohlverstandenen deutschen Eigeninteressen. Sie strukturieren eine restriktive Politik, die auf eine flexible und zielgruppenorientierte Politik der Abweisung und Zulassung basiert. Allen Anschein nach stellt die Gleichzeitigkeit des Ein- und Ausschlusses die entscheidende Weichenstellung im nationalstaatlich, aber zunehmend auch EU-weit regulierten Zuwanderungskonzept dar. Im Verlauf der Debatten über die Notwendigkeit oder Vermeid barkeit von Einwanderung sind in den vergangenen Jahren vielfach ideologisch motivierte Abwehrbewegungen mit völkisch-rassistischen Verkrustungen zu Tage getreten. So verdeutlicht die Forderung nach einer »deutschen Leitkultur«, dass Deutschland eine in Einwande-
U mkämpfte Hybridisierun gen I I03
102 I Hype u m Hybridität rungsfragen bislang stark strukturkonservative Gesellschaft ist. Seit
häufig formuliert worden. So sind die ethnischen Infrastrukturen der
ist das prekäre Thema »Ar
migrantischen Communities immer dann willkommen, wenn sie mit
beitsmigration« in der deutschen Mehrheitsgesellschaft von einer
ihren kulinarischen und kulturellen Angeboten als bunte Farbtupfer
dem Zuwanderungsstopp im Jahre
1973
einseitigen Problemwahrnehmung geprägt und wird oft als gesell
die Tristesse deutscher Innenstädte beleben. Die Zuweisung solcher
schaftliche Belastung abgelehnt. Auf diese weitverbreiteten >Ängste<
Dienstleistungen läuft Gefahr, dass diese Funktionalisierung exoti
wird im Rahmen des neuen Zuwanderungsdiskurses mit einer Per
sierende Fremdzuschreibungen bestärkt. Das offensichtlichste Bei
spektive geantwortet, in der die Chancen und Risiken von Einwande
spiel für eine exotistische Arbeitsteilung innerhalb eines Kulturraums,
rung fUr die » Deutschland AG« modernisierungsbewusst sondiert
in dem sowohl Vorstellungen von Kulturdiffusion (» Schmelztiegel der
und als bereicherndes Instrument zur langfristigen Erhaltung der
Kulturen«) als auch ethnisierende Stereotype (» Samba-Tänzer, Voo
eigenen nationalen Zukunftsfähigkeit schmackhaft gemacht werden.
doo-Priester und Feuerdrachen«, Berliner Morgenpost vom
Neben dem Interesse nach nationalökonomischer Verwertung wird in
13)
den deutschen Migrationsdebatten auch die Verjüngung der gesell
ren der Welt« gesehen werden (Frei
schaftlichen Alterspyramide durch die bedarfsabhängige Zuflihrung
Massenspektakel ist mit einer urbanen Eventökonomie und medialen
13.5.2°°5:
gefeiert werden, kann sicherlich im Berliner » Karneval der Kultu
2003).
Dieses multikulturelle
>hochwertiger Humanressourcen< aus der Peripherie als wiederkeh
Repräsentation verwoben, in der die Anderen verobjektiviert und mit
rendes Motiv kommuniziert. Durch Vergesellschaftlichung junger
Vorliebe auf eine Aneinanderreihung ethnisch-nationaler Stereotypen
und möglichst hochqualifizierter Produktivkräfte aus Osteuropa und
reduziert werden. >>Vorgeführt wird ein Maximum an Buntheit und
dem südlichen Trikont soll die intergenerative Sozialsicherung in
Exotik« (Knecht
einer von Überalterung und ökonomischen Niedergang bedrohten
Folklore und Volkstrachten vor allem leichtbekleidete brasilianische
2005: 23).
Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass neben
Nation in den nächsten Jahrzehnten aufrechterhalten werden. Ange
Sambatänzerinnen in etlichen Massenmedien das beliebteste Motiv
sichts ihrer negativen Bevölkerungsentwicklung sehen sich viele west
des journalistischen Voyeurismus darstellen.! Im Fokus der Begehr
liche Metropolengesellschaften langfristig gezwungen, ihre demogra
lichkeiten stehen Spaß- und Partyeffekte für die deutsche Bevölkerung
phische Produktionsbasis durch ein auch biopolitisch motiviertes
sowie der touristische Imagegewinn
Zulassungsverfahren im Einwanderungsrecht so weit zu modernisie
19).
für Berlin (Knechtf Soysal 2005:
Im Gegensatz zu den Verpflichtungen eines anti-rassistischen
ren, dass die daraus resultierenden Standortvorteile genügen, um
Engagements ist der Karneval in erster Linie eine einträgliche Werbe
in den globalen Konkurrenzkämpfen der Zukunft zu bestehen (Ha
und lustige Konsumplattform, da er als fröhlicher Markt der Möglich
2oo3b: 91-95).
keiten gerade für das deutsche Publikum voraussetzungslos erscheint
Neben der sozio-ökonomischen Funktionalität hochqualifizierter
und das offizielle Selbstbild des toleranten und kosmopolitischen
Einwanderer und Einwanderinnen spielt in der gegenwärtigen Dis
Berlins bedient. Außer sozio-ökonomischen Nutzeffekten wird durch
kussion der Aspekt der kulturellen Bereicherung eine nicht zu unter
die Einbindung von Migranten und Migrantinnen sowie
schätzende Rolle. Obwohl die staatliche Migrationspolitik durch die
Color
People of
auch eine kulturelle Repräsentation ermöglicht, die den Stadt
Imperative der flexiblen Begrenzung und Abschottung bestimmt ist,
raum theatralisiert und zu einer unwirklichen Welt des interkulturel
geht sie paradoxerweise auch mit einem lustvollen Verlangen einher,
len Happenings umwandelt. Seinen Reiz bezieht der Karneval durch
(post-)koloniale VIP-Migranten und -Migrantinnen sowie ihre hybri
die Exotisierung und Festivalisierung, die die deutsche Hauptstadt als
den Diasporakulturen zu akkumulieren. Innerhalb einer globalisierten
Weltbühne bejubelt und durch die Inszenierung migrantischer Viel
Ökonomie, in der die kulturelle Produktion deutlich an wirtschaftli
falt als eine temporäre Zone der Kulturvermischung aufWertet.
cher und symbolpolitischer Relevanz gewonnen hat und der national
Neben der theatralischen Performierung hybrider Stadträume
ökonomische Standortwettbewerb mit zunehmender Schärfe auch zu
profitieren auch populäre Formen der nationalen Repräsentation von
einem Wettkampf zwischen den urbanen Metropolen fUhrt, repräsen
der Integration migrantischer Präsenzen. Angespornt durch die kultu
tieren begehrenswerte migrantische Ressourcen nicht nur ein ökono
relle Produktivität und den weltweiten Erfolg bekennender Einwande
misches, sondern auch ein kulturelles » Humankapital«. Migrationspo
rungsgesellschaften scheint auch Deutschland seine nationale Moder
litik fungiert in diesem Kontext als nationalstaatliches Instrument zur
nisierung und Erneuerung in der Sichtbarmachung kultureller Plura
Akquirierung von ökonomisch und kulturell attraktiven Quellen, die
lität zu suchen. Als im Kampf der Fußball-Großmächte und National-
der gesellschaftlichen SelbstaufWertung dienen. Als Bereicherungsaspekt ist die Frage der kulturellen Diversität in den deutschen Vorstellungen zur multikulturellen Gesellschaft bereits
I I Vgl. bspw. die Reihe von Vorankündigungen und Berichte der Ber liner Morgenpost vom II. bis 17. Mai 2005.
U mkämpfte Hybridisierun gen I I03
102 I Hype u m Hybridität rungsfragen bislang stark strukturkonservative Gesellschaft ist. Seit
häufig formuliert worden. So sind die ethnischen Infrastrukturen der
ist das prekäre Thema »Ar
migrantischen Communities immer dann willkommen, wenn sie mit
beitsmigration« in der deutschen Mehrheitsgesellschaft von einer
ihren kulinarischen und kulturellen Angeboten als bunte Farbtupfer
dem Zuwanderungsstopp im Jahre
1973
einseitigen Problemwahrnehmung geprägt und wird oft als gesell
die Tristesse deutscher Innenstädte beleben. Die Zuweisung solcher
schaftliche Belastung abgelehnt. Auf diese weitverbreiteten >Ängste<
Dienstleistungen läuft Gefahr, dass diese Funktionalisierung exoti
wird im Rahmen des neuen Zuwanderungsdiskurses mit einer Per
sierende Fremdzuschreibungen bestärkt. Das offensichtlichste Bei
spektive geantwortet, in der die Chancen und Risiken von Einwande
spiel für eine exotistische Arbeitsteilung innerhalb eines Kulturraums,
rung fUr die » Deutschland AG« modernisierungsbewusst sondiert
in dem sowohl Vorstellungen von Kulturdiffusion (» Schmelztiegel der
und als bereicherndes Instrument zur langfristigen Erhaltung der
Kulturen«) als auch ethnisierende Stereotype (» Samba-Tänzer, Voo
eigenen nationalen Zukunftsfähigkeit schmackhaft gemacht werden.
doo-Priester und Feuerdrachen«, Berliner Morgenpost vom
Neben dem Interesse nach nationalökonomischer Verwertung wird in
13)
den deutschen Migrationsdebatten auch die Verjüngung der gesell
ren der Welt« gesehen werden (Frei
schaftlichen Alterspyramide durch die bedarfsabhängige Zuflihrung
Massenspektakel ist mit einer urbanen Eventökonomie und medialen
13.5.2°°5:
gefeiert werden, kann sicherlich im Berliner » Karneval der Kultu
2003).
Dieses multikulturelle
>hochwertiger Humanressourcen< aus der Peripherie als wiederkeh
Repräsentation verwoben, in der die Anderen verobjektiviert und mit
rendes Motiv kommuniziert. Durch Vergesellschaftlichung junger
Vorliebe auf eine Aneinanderreihung ethnisch-nationaler Stereotypen
und möglichst hochqualifizierter Produktivkräfte aus Osteuropa und
reduziert werden. >>Vorgeführt wird ein Maximum an Buntheit und
dem südlichen Trikont soll die intergenerative Sozialsicherung in
Exotik« (Knecht
einer von Überalterung und ökonomischen Niedergang bedrohten
Folklore und Volkstrachten vor allem leichtbekleidete brasilianische
2005: 23).
Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass neben
Nation in den nächsten Jahrzehnten aufrechterhalten werden. Ange
Sambatänzerinnen in etlichen Massenmedien das beliebteste Motiv
sichts ihrer negativen Bevölkerungsentwicklung sehen sich viele west
des journalistischen Voyeurismus darstellen.! Im Fokus der Begehr
liche Metropolengesellschaften langfristig gezwungen, ihre demogra
lichkeiten stehen Spaß- und Partyeffekte für die deutsche Bevölkerung
phische Produktionsbasis durch ein auch biopolitisch motiviertes
sowie der touristische Imagegewinn
Zulassungsverfahren im Einwanderungsrecht so weit zu modernisie
19).
für Berlin (Knechtf Soysal 2005:
Im Gegensatz zu den Verpflichtungen eines anti-rassistischen
ren, dass die daraus resultierenden Standortvorteile genügen, um
Engagements ist der Karneval in erster Linie eine einträgliche Werbe
in den globalen Konkurrenzkämpfen der Zukunft zu bestehen (Ha
und lustige Konsumplattform, da er als fröhlicher Markt der Möglich
2oo3b: 91-95).
keiten gerade für das deutsche Publikum voraussetzungslos erscheint
Neben der sozio-ökonomischen Funktionalität hochqualifizierter
und das offizielle Selbstbild des toleranten und kosmopolitischen
Einwanderer und Einwanderinnen spielt in der gegenwärtigen Dis
Berlins bedient. Außer sozio-ökonomischen Nutzeffekten wird durch
kussion der Aspekt der kulturellen Bereicherung eine nicht zu unter
die Einbindung von Migranten und Migrantinnen sowie
schätzende Rolle. Obwohl die staatliche Migrationspolitik durch die
Color
People of
auch eine kulturelle Repräsentation ermöglicht, die den Stadt
Imperative der flexiblen Begrenzung und Abschottung bestimmt ist,
raum theatralisiert und zu einer unwirklichen Welt des interkulturel
geht sie paradoxerweise auch mit einem lustvollen Verlangen einher,
len Happenings umwandelt. Seinen Reiz bezieht der Karneval durch
(post-)koloniale VIP-Migranten und -Migrantinnen sowie ihre hybri
die Exotisierung und Festivalisierung, die die deutsche Hauptstadt als
den Diasporakulturen zu akkumulieren. Innerhalb einer globalisierten
Weltbühne bejubelt und durch die Inszenierung migrantischer Viel
Ökonomie, in der die kulturelle Produktion deutlich an wirtschaftli
falt als eine temporäre Zone der Kulturvermischung aufWertet.
cher und symbolpolitischer Relevanz gewonnen hat und der national
Neben der theatralischen Performierung hybrider Stadträume
ökonomische Standortwettbewerb mit zunehmender Schärfe auch zu
profitieren auch populäre Formen der nationalen Repräsentation von
einem Wettkampf zwischen den urbanen Metropolen fUhrt, repräsen
der Integration migrantischer Präsenzen. Angespornt durch die kultu
tieren begehrenswerte migrantische Ressourcen nicht nur ein ökono
relle Produktivität und den weltweiten Erfolg bekennender Einwande
misches, sondern auch ein kulturelles » Humankapital«. Migrationspo
rungsgesellschaften scheint auch Deutschland seine nationale Moder
litik fungiert in diesem Kontext als nationalstaatliches Instrument zur
nisierung und Erneuerung in der Sichtbarmachung kultureller Plura
Akquirierung von ökonomisch und kulturell attraktiven Quellen, die
lität zu suchen. Als im Kampf der Fußball-Großmächte und National-
der gesellschaftlichen SelbstaufWertung dienen. Als Bereicherungsaspekt ist die Frage der kulturellen Diversität in den deutschen Vorstellungen zur multikulturellen Gesellschaft bereits
I I Vgl. bspw. die Reihe von Vorankündigungen und Berichte der Ber liner Morgenpost vom II. bis 17. Mai 2005.
104 I Hype u m Hyb ridität
Umkämpfte Hybridisierungen I l0S
konzepte die kulturell gemischte und republikanisch orgamslerte
Inszenierung junger, moderner und erfolgreicher Migranten und
»Multi-Kulti-Truppe« Frankreichs
bei der Weltmeisterschaft
Migrantinnen gehört der individuelle Aufstieg, der manchmal auch als
siegte und das völkische Reinheitsgebot der DFB-Auswahl eine bla
Teil der nationalen Erfolgsgeschichte Deutschlands erzählt wird. Un
mable Niederlage erlitt, entdeckten deutsche Massenmedien in der
ter diesen Umständen schlägt die frühere Abwertung in eine selektive
1998
Stunde des patriotischen Notstands die »Integration des Anderen« als
Integration in die Nation um, die sich die hybriden Potentiale des
Potenzmittel für die >schwächelnde< Nation. Ähnliche Reaktionen
Anderen einverleibt.
riefen die Erfolge der in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen
Alamanci
in der türkischen Nationalmannschaft bei der Fußball
Weltmeisterschaft
2002 in Japan und Südkorea hervor.
Erst nachdem
Dieser Trend ist auch bei der nationalen Vorauswahl für den deut schen Beitrag im europäischen Schlagerwettbewerb »Eurovision Song Contest
2004«
deutlich geworden. Die massenmedial mit großer
die Kosten dysfunktionaler Ausschlüsse einen nicht mehr verdrängba
Spannung erwartete Sendung wurde am
ren Problemdruck erzeugte, werden »andere« Deutsche zögerlich
verständlichen Motto »Germany
12
19.
März unter dem unmiss
Points!« bundesweit ausgestrahlt.
zugelassen. Bisher werden nur wenige Spieler wie Gerald Asamoah
Sie ist ein augenfälliges Fallbeispiel dafür, wie die populärkulturellen
oder Kevin Kuranyi mit einem nicht mehrheitsdeutschen Hintergrund
Ressourcen der Andersheit für nationale Zwecke nutzbar gemacht
mehr oder weniger sporadisch einbezogen. Etwas besser ergeht es
werden. Offensichtlich ist die Beteiligung von Migrierten und »ande
Steffi Jones, die sich im Frauenbereich einen Stammplatz erkämpfen
ren« Deutschen immer dann willkommen, wenn sie dazu beitragen,
konnte. Die Definition der Nationalelf spielt sich auf einen sensiblen
den Spitzenplatz für Deutschland zu sichern. Nach einer selektiven
People of Color,
Feld der kollektiven Identifikationssymbole ab und ist mit rassisti
Prozedur werden bestimmte
schen Dynamiken verknüpft, die zwischen irrationaler Ablehnung
nen Definitionen von Schönheit und Attraktivität passen, als repräsen
die in die vorgeschriebe
und instrumenteller Funktionalisierung changiert.
tativ, begehrenswert und unterhaltsam zugelassen. Noch stärker als in
Obwohl Deutschland bisher vor allem durch seine chronische
den letzten Jahren wurden bei dieser nationalen Voraus scheidung
Unfähigkeit aufgefallen ist, die seit Jahrzehnten bestehende gesell
überdurchschnittlich viele Sänger/-innen mit Migrationshintergrund
schaftliche Transformation zu einer modernen Einwanderungsgesell
präsentiert. Betrachten wir die offizielle NDR-Website zur ARD-Sen
schaft ideologisch zu verarbeiten, sind einige Bereiche bereits von
dung,2 dann fällt zunächst das numerische Verhältnis auf. Unter den
einer Obsession zur transkulturellen Öffnung ergriffen. So wie diversi ty management in wachstumsorientierten Wirtschaftsunternehmen zu
acht Acts befinden sich nicht weniger als vier, die ausschließlich oder wenigstens zur Hälfte migrantisch bzw. »schwarz« besetzt sind. Bis
einem Leitmotiv für Innovation und Zukunftsfähigkeit geworden ist,
auf das deutsch-afroamerikanische Techno-Duo Westbam/Afrika Is
so fungiert zugeschriebene Fremdheit und Authentizität im kulturel
lam, die lire Performance mit einem Hauch von Underground ver
len Feld als exotisierende »Differenzkonsummaschine« (Terkessidis
sehen und darin das Verhältnis von Subkultur und Polizeigewalt an
Um unverbrauchte Vitalitätsreserven und neues Kreativpoten
sprechen, beschränkt sich die Präsenz des Anderen darauf, emotio
tial unter dem Vorzeichen nationaler Zielsetzungen zu erschließen,
nale Leerstellen und nationale S ehnsüchte des deutschen Publikums
2002) .
immigrant mainstreaming oder diversity management
werden migrantische Newcomer/-innen inzwischen vermehrt in ganz
auszufüllen. Wie
spezifischen Kontexten zugelassen. In diesen Kontexten kann Integra
im Popdiskurs aussehen kann und mit welchen Funktionalisierungen
tion als Missrepräsentation und diskursive Einverleibung von
Color
People of
und Eingewanderten in nationalen Medieninszenierungen
es verbunden ist, zeigt die Vorstellung der drei Top-Acts mit >farbigen< Stimmen auf der NDR-Website:
enden. Verglichen mit politischen und ökonomischen Bereichen sind
Fangen wir mit Laith Al-Deen an. Er wird einerseits als Überbrin
die Vereinnahmungsbemühungen im deutschen Kulturbetrieb relativ
ger »melancholischer Songs über Sehnsucht, Liebe und Begierde«
fortgeschritten (Steyerl
2005).
Im deutschen Feuilleton ist der Tri
umph des Filmemachers Fatli Akin bei der »Berlinale
2004«
nicht
selten deutsch eingerahmt und in den Dienst der Nationalkultur ge
orientalisiert und andererseits als »Samt- Stimme aus Mannheim« mit vertrauenserweckenden
Lokalkolorit versehen.
Seine Version der
gelungenen Integrationsgeschichte lautet: »Ich singe deutsch, ich
stellt worden. Statt wie bei anderen Preisträgern die individuellen
schreibe deutsch, ich empfinde deutsch. Eigentlich bin ich Volksmu
Leistungen zu betonen, entwickelt sich ein merkwürdiger Diskurs, der
siker im Bereich Pop, aber diese Kategorie ist in Deutschland ja schon
die kulturelle Zwischenstellung der Filme von Fatih Akin nicht zuletzt
besetzt.« Obwohl Laith AI-Deen durch und durch assimiliert ist, wird
als Nachweis für die Leistungsfähigkeit und internationale Konkur renzfähigkeit des »deutschen Kinos« und der deutschen Förderungs politik anführt. Zu den wiederkehrenden Bildern in der medialen
2 I Alle Zitate sind der offiziellen Website zur Sendung entnommen: http://www.ndrtv.de/grandprix/teilnehmer/national (gesehen am 22.5.2°°5).
104 I Hype u m Hyb ridität
Umkämpfte Hybridisierungen I l0S
konzepte die kulturell gemischte und republikanisch orgamslerte
Inszenierung junger, moderner und erfolgreicher Migranten und
»Multi-Kulti-Truppe« Frankreichs
bei der Weltmeisterschaft
Migrantinnen gehört der individuelle Aufstieg, der manchmal auch als
siegte und das völkische Reinheitsgebot der DFB-Auswahl eine bla
Teil der nationalen Erfolgsgeschichte Deutschlands erzählt wird. Un
mable Niederlage erlitt, entdeckten deutsche Massenmedien in der
ter diesen Umständen schlägt die frühere Abwertung in eine selektive
1998
Stunde des patriotischen Notstands die »Integration des Anderen« als
Integration in die Nation um, die sich die hybriden Potentiale des
Potenzmittel für die >schwächelnde< Nation. Ähnliche Reaktionen
Anderen einverleibt.
riefen die Erfolge der in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen
Alamanci
in der türkischen Nationalmannschaft bei der Fußball
Weltmeisterschaft
2002 in Japan und Südkorea hervor.
Erst nachdem
Dieser Trend ist auch bei der nationalen Vorauswahl für den deut schen Beitrag im europäischen Schlagerwettbewerb »Eurovision Song Contest
2004«
deutlich geworden. Die massenmedial mit großer
die Kosten dysfunktionaler Ausschlüsse einen nicht mehr verdrängba
Spannung erwartete Sendung wurde am
ren Problemdruck erzeugte, werden »andere« Deutsche zögerlich
verständlichen Motto »Germany
12
19.
März unter dem unmiss
Points!« bundesweit ausgestrahlt.
zugelassen. Bisher werden nur wenige Spieler wie Gerald Asamoah
Sie ist ein augenfälliges Fallbeispiel dafür, wie die populärkulturellen
oder Kevin Kuranyi mit einem nicht mehrheitsdeutschen Hintergrund
Ressourcen der Andersheit für nationale Zwecke nutzbar gemacht
mehr oder weniger sporadisch einbezogen. Etwas besser ergeht es
werden. Offensichtlich ist die Beteiligung von Migrierten und »ande
Steffi Jones, die sich im Frauenbereich einen Stammplatz erkämpfen
ren« Deutschen immer dann willkommen, wenn sie dazu beitragen,
konnte. Die Definition der Nationalelf spielt sich auf einen sensiblen
den Spitzenplatz für Deutschland zu sichern. Nach einer selektiven
People of Color,
Feld der kollektiven Identifikationssymbole ab und ist mit rassisti
Prozedur werden bestimmte
schen Dynamiken verknüpft, die zwischen irrationaler Ablehnung
nen Definitionen von Schönheit und Attraktivität passen, als repräsen
die in die vorgeschriebe
und instrumenteller Funktionalisierung changiert.
tativ, begehrenswert und unterhaltsam zugelassen. Noch stärker als in
Obwohl Deutschland bisher vor allem durch seine chronische
den letzten Jahren wurden bei dieser nationalen Voraus scheidung
Unfähigkeit aufgefallen ist, die seit Jahrzehnten bestehende gesell
überdurchschnittlich viele Sänger/-innen mit Migrationshintergrund
schaftliche Transformation zu einer modernen Einwanderungsgesell
präsentiert. Betrachten wir die offizielle NDR-Website zur ARD-Sen
schaft ideologisch zu verarbeiten, sind einige Bereiche bereits von
dung,2 dann fällt zunächst das numerische Verhältnis auf. Unter den
einer Obsession zur transkulturellen Öffnung ergriffen. So wie diversi ty management in wachstumsorientierten Wirtschaftsunternehmen zu
acht Acts befinden sich nicht weniger als vier, die ausschließlich oder wenigstens zur Hälfte migrantisch bzw. »schwarz« besetzt sind. Bis
einem Leitmotiv für Innovation und Zukunftsfähigkeit geworden ist,
auf das deutsch-afroamerikanische Techno-Duo Westbam/Afrika Is
so fungiert zugeschriebene Fremdheit und Authentizität im kulturel
lam, die lire Performance mit einem Hauch von Underground ver
len Feld als exotisierende »Differenzkonsummaschine« (Terkessidis
sehen und darin das Verhältnis von Subkultur und Polizeigewalt an
Um unverbrauchte Vitalitätsreserven und neues Kreativpoten
sprechen, beschränkt sich die Präsenz des Anderen darauf, emotio
tial unter dem Vorzeichen nationaler Zielsetzungen zu erschließen,
nale Leerstellen und nationale S ehnsüchte des deutschen Publikums
2002) .
immigrant mainstreaming oder diversity management
werden migrantische Newcomer/-innen inzwischen vermehrt in ganz
auszufüllen. Wie
spezifischen Kontexten zugelassen. In diesen Kontexten kann Integra
im Popdiskurs aussehen kann und mit welchen Funktionalisierungen
tion als Missrepräsentation und diskursive Einverleibung von
Color
People of
und Eingewanderten in nationalen Medieninszenierungen
es verbunden ist, zeigt die Vorstellung der drei Top-Acts mit >farbigen< Stimmen auf der NDR-Website:
enden. Verglichen mit politischen und ökonomischen Bereichen sind
Fangen wir mit Laith Al-Deen an. Er wird einerseits als Überbrin
die Vereinnahmungsbemühungen im deutschen Kulturbetrieb relativ
ger »melancholischer Songs über Sehnsucht, Liebe und Begierde«
fortgeschritten (Steyerl
2005).
Im deutschen Feuilleton ist der Tri
umph des Filmemachers Fatli Akin bei der »Berlinale
2004«
nicht
selten deutsch eingerahmt und in den Dienst der Nationalkultur ge
orientalisiert und andererseits als »Samt- Stimme aus Mannheim« mit vertrauenserweckenden
Lokalkolorit versehen.
Seine Version der
gelungenen Integrationsgeschichte lautet: »Ich singe deutsch, ich
stellt worden. Statt wie bei anderen Preisträgern die individuellen
schreibe deutsch, ich empfinde deutsch. Eigentlich bin ich Volksmu
Leistungen zu betonen, entwickelt sich ein merkwürdiger Diskurs, der
siker im Bereich Pop, aber diese Kategorie ist in Deutschland ja schon
die kulturelle Zwischenstellung der Filme von Fatih Akin nicht zuletzt
besetzt.« Obwohl Laith AI-Deen durch und durch assimiliert ist, wird
als Nachweis für die Leistungsfähigkeit und internationale Konkur renzfähigkeit des »deutschen Kinos« und der deutschen Förderungs politik anführt. Zu den wiederkehrenden Bildern in der medialen
2 I Alle Zitate sind der offiziellen Website zur Sendung entnommen: http://www.ndrtv.de/grandprix/teilnehmer/national (gesehen am 22.5.2°°5).
Umkämpft e Hybridisie rungen I 107
106 I Hype u m Hybrid ität auch er durch eine grundsätzliche. letztlich biologistisch bzw. ethnisch
mische Tanzeinlagen und mehrstimmiger Gesang« für ihren Erfolg
determinierte Nicht-Zugehörigkeit als »Halb-Iraker« markiert. Neben
entscheidend. Welche Marktdimensionen und Konsumbedürfnisse
der Konstruktion ethnischer Differenzen und der damit einhergehen
dieses Gruppenimage zu befriedigen vermag. zeigt ihre Single »I
den emotionalen Mobilmachung dient das Othenng in diesem Fall
Wanna Sex You Up«. die sich in kurzer Zeit über eine Million Mal
auch dazu. um mit der Stimme des Anderen die deutsch-konservative
verkaufte. »Overground« wurde aus
»Abneigung gegen amerikanische Musikkategorien« in Stellung zu
TV-Castingshow fabriziert. die von einem der großen Unterhaltungs
bringen. Indem man sich seiner unverdächtigen Zwischenposition
konzerne gesponsert wurde. Gemeinsam mit anderen Retortenbands
10.861
Mitbewerbern in einer
bedient. kann umso unverblümter nationalistisch interveniert werden.
wie »Become One« oder der Girl-Group »Preluders« wurden sie No
Wenn sogar ein »Halb-Iraker« die Diskriminierung deutscher Grup
vember
pen in den Medien beklagt und sich als leidenschaftlicher Liebhaber
trielle Weiterentwicklungen einer extrem erfolgreichen Produktlinie
zo03
ins Leben gerufen. Diese Gruppen stellen musikindus
der kulturbildenden deutschen »Muttersprache« für die Kategorie der
dar. die mit den »No Angels« (zooo) und »Bro'Sis«
»National Acts« im Musikbusiness einsetzt. ist es dann nicht voll
Alle diese industriell komponierten Bands teilen in unterschiedlichen
kommen legitim. »Kämpfer für die deutsche Popmusik« zu sein?
(ZOOI) begann.
Farbschattierungen ein Bestreben. multiethnisch und sexy auszuse
Bei Sabrina Setlur werden dagegen vor allem die Vorzüge ihres
hen. Die »Preluders«. deren Name offensichtlich von den Assoziatio
femininen und verletzlich wirkenden Körpers betont. Als Blickfang
nen mit sexueller Verfügbarkeit und Stimulation handelt. setzen diese
präsentiert die NDR-Online-Redaktion eine erotisierende Nahauf
Strategie besonders konsequent um: Sie repräsentieren eine weibliche
nahme. in der alle abgebildeten Körperpartien unverhüllt sind. Mit
Mixtur mit albanisch -deutsch-italienisch-südafrikanisch-vietnamesi
dieser Darstellungsweise wird der Betrachter. der von oben auf sie
schen >Ausstattungsmerkmalen<. Diese Form der Zurschaustellung
hinabschaut. angeregt. das unvollständig erscheinende Bild imaginär
hybrider Andersheit in kulturindustriell definierten Modellrollen ist
weiterzudenken. Durch diesen wohl kalkulierten Bildausschnitt wer
reduktiv und verstärkt sexistische wie rassistische Stereotypen.
den Voyeurismus und Verfügungsphantasien beflügelt. Die Bemäch
Obwohl meine Darstellung nur exemplarisch sein kann. verweist
tigung ihrer Persönlichkeit und Intimität wird durch den redaktionel
sie auf einen gesellschaftlichen Trend. in der die inszenierte Einbezie
len Begleittext noch weiter verstärkt. Vor dem Hintergrund ihres auf
hung kultureller Diversität problematische Effekte aufwirft. Die Forde
sehenerregenden Privatlebens. das aus der »kurzen Beziehung mit
rung »Germany IZ Points!« kann als eine Allegorie gelesen werden. In
Boris B ecker. der Wahl zur erotischsten Frau Deutschlands. dem Füh
diesen Kontext dient die Repräsentation von Künstlern und Künstle
rerscheinentzug wegen Trunkenheit am Steuer und einem Rechts
rinnen mit Migrationshintergrund vornehmlich dem Zweck. die deut
streit um eine in der Zeitschrift >Max< abgedruckten Fotostrecke« zu
sche Nation inmitten einer bunten Andersheit zu platzieren. um das
bestehen scheint. werden »schonungslose Worte einer schönen Sän
dominante Selbst innerhalb der globalen Ökonomie und einer durch
gerin« angekündigt. Wie der Erklärungszwang der Eingewanderten im
metropolitane Konkurrenz dominierten Medienkulturlandschaft auf
Integrationsdiskurs3 werden auch ihre Texte als persönliche Offenle
zuwerten. Während sich die »weiße« Mehrheitsgesellschaft die Ande
gung interpretiert. die als Chance zur Heilung der pathologisierten
ren als Objekte des eigenen Begehrens aneignet. werden sie gleichzei
Existenz verstanden werden. »Das Schreiben ist mein Ventil. mich zu
tig auf einen Fetisch reduziert. Damit vollzieht sich ein wichtiger kul
therapieren. Andere Menschen töpfern. ich schreibe. Und je ehrlicher
tureller Wandel in Zeiten der Globalisierung: Wurden die kulturellen
ich bin. desto besser und freier fühle ich mich anschließend auch«.
Ressourcen insbesondere von nicht-europäischen Gemeinschaften
erzählt sie. Da die Wut des »Riot Girl der deutschen Musikszene« vor
früher regelmäßig abgewertet und abgelehnt. werden heute ausge
allem zur emotionalen Teilhabe einlädt. wird die unverfälschte Ge
wählte Elemente migrantischer Diasporakulturen in offIziellen Reprä
fühlsechtheit ihrer Songtexte betont� denn »es gab so viele Gefühle in
sentationen als produktive Zutaten und exotische Ornamente begehrt.
mir. die raus mussten«. Entsprechend heißt ihr harmoniebedürftiges
Diese instrumentelle Integration von Andersheit wird gerade bei mas
Lied » Liebe«.
senwirksamen Events zunehmend zur Zelebrierung der kosmopoliti
Mit »Overground - Herzensbrecher vor dem Herrn« trat auch
schen und leistungsfähigen Nationalkultur eingesetzt. Indem diese
an. die für Teenies kreiert wurde.
Aneignungspolitik nur bestimmte Versionen der Andersheit wert
Neben der richtigen Mischung sei vor allem »gutes Aussehen. rhyth-
schätzt. kreiert sie neue Formen der kulturellen Unsichtbarkeit und
eine »multirassische«
Boy-Group
Hierarchie. Insbesondere schließt sie diejenigen aus. die nicht als hip 3
I Neben der Herkunftsfrage »Woher kommst du?« wird vor allem der Einreisegrund mit der Frage »Warum bist du hier?« überprüft.
und dynamisch gelten. sondern als >traditionell< orientiert gebrand markt werden.
Umkämpft e Hybridisie rungen I 107
106 I Hype u m Hybrid ität auch er durch eine grundsätzliche. letztlich biologistisch bzw. ethnisch
mische Tanzeinlagen und mehrstimmiger Gesang« für ihren Erfolg
determinierte Nicht-Zugehörigkeit als »Halb-Iraker« markiert. Neben
entscheidend. Welche Marktdimensionen und Konsumbedürfnisse
der Konstruktion ethnischer Differenzen und der damit einhergehen
dieses Gruppenimage zu befriedigen vermag. zeigt ihre Single »I
den emotionalen Mobilmachung dient das Othenng in diesem Fall
Wanna Sex You Up«. die sich in kurzer Zeit über eine Million Mal
auch dazu. um mit der Stimme des Anderen die deutsch-konservative
verkaufte. »Overground« wurde aus
»Abneigung gegen amerikanische Musikkategorien« in Stellung zu
TV-Castingshow fabriziert. die von einem der großen Unterhaltungs
bringen. Indem man sich seiner unverdächtigen Zwischenposition
konzerne gesponsert wurde. Gemeinsam mit anderen Retortenbands
10.861
Mitbewerbern in einer
bedient. kann umso unverblümter nationalistisch interveniert werden.
wie »Become One« oder der Girl-Group »Preluders« wurden sie No
Wenn sogar ein »Halb-Iraker« die Diskriminierung deutscher Grup
vember
pen in den Medien beklagt und sich als leidenschaftlicher Liebhaber
trielle Weiterentwicklungen einer extrem erfolgreichen Produktlinie
zo03
ins Leben gerufen. Diese Gruppen stellen musikindus
der kulturbildenden deutschen »Muttersprache« für die Kategorie der
dar. die mit den »No Angels« (zooo) und »Bro'Sis«
»National Acts« im Musikbusiness einsetzt. ist es dann nicht voll
Alle diese industriell komponierten Bands teilen in unterschiedlichen
kommen legitim. »Kämpfer für die deutsche Popmusik« zu sein?
(ZOOI) begann.
Farbschattierungen ein Bestreben. multiethnisch und sexy auszuse
Bei Sabrina Setlur werden dagegen vor allem die Vorzüge ihres
hen. Die »Preluders«. deren Name offensichtlich von den Assoziatio
femininen und verletzlich wirkenden Körpers betont. Als Blickfang
nen mit sexueller Verfügbarkeit und Stimulation handelt. setzen diese
präsentiert die NDR-Online-Redaktion eine erotisierende Nahauf
Strategie besonders konsequent um: Sie repräsentieren eine weibliche
nahme. in der alle abgebildeten Körperpartien unverhüllt sind. Mit
Mixtur mit albanisch -deutsch-italienisch-südafrikanisch-vietnamesi
dieser Darstellungsweise wird der Betrachter. der von oben auf sie
schen >Ausstattungsmerkmalen<. Diese Form der Zurschaustellung
hinabschaut. angeregt. das unvollständig erscheinende Bild imaginär
hybrider Andersheit in kulturindustriell definierten Modellrollen ist
weiterzudenken. Durch diesen wohl kalkulierten Bildausschnitt wer
reduktiv und verstärkt sexistische wie rassistische Stereotypen.
den Voyeurismus und Verfügungsphantasien beflügelt. Die Bemäch
Obwohl meine Darstellung nur exemplarisch sein kann. verweist
tigung ihrer Persönlichkeit und Intimität wird durch den redaktionel
sie auf einen gesellschaftlichen Trend. in der die inszenierte Einbezie
len Begleittext noch weiter verstärkt. Vor dem Hintergrund ihres auf
hung kultureller Diversität problematische Effekte aufwirft. Die Forde
sehenerregenden Privatlebens. das aus der »kurzen Beziehung mit
rung »Germany IZ Points!« kann als eine Allegorie gelesen werden. In
Boris B ecker. der Wahl zur erotischsten Frau Deutschlands. dem Füh
diesen Kontext dient die Repräsentation von Künstlern und Künstle
rerscheinentzug wegen Trunkenheit am Steuer und einem Rechts
rinnen mit Migrationshintergrund vornehmlich dem Zweck. die deut
streit um eine in der Zeitschrift >Max< abgedruckten Fotostrecke« zu
sche Nation inmitten einer bunten Andersheit zu platzieren. um das
bestehen scheint. werden »schonungslose Worte einer schönen Sän
dominante Selbst innerhalb der globalen Ökonomie und einer durch
gerin« angekündigt. Wie der Erklärungszwang der Eingewanderten im
metropolitane Konkurrenz dominierten Medienkulturlandschaft auf
Integrationsdiskurs3 werden auch ihre Texte als persönliche Offenle
zuwerten. Während sich die »weiße« Mehrheitsgesellschaft die Ande
gung interpretiert. die als Chance zur Heilung der pathologisierten
ren als Objekte des eigenen Begehrens aneignet. werden sie gleichzei
Existenz verstanden werden. »Das Schreiben ist mein Ventil. mich zu
tig auf einen Fetisch reduziert. Damit vollzieht sich ein wichtiger kul
therapieren. Andere Menschen töpfern. ich schreibe. Und je ehrlicher
tureller Wandel in Zeiten der Globalisierung: Wurden die kulturellen
ich bin. desto besser und freier fühle ich mich anschließend auch«.
Ressourcen insbesondere von nicht-europäischen Gemeinschaften
erzählt sie. Da die Wut des »Riot Girl der deutschen Musikszene« vor
früher regelmäßig abgewertet und abgelehnt. werden heute ausge
allem zur emotionalen Teilhabe einlädt. wird die unverfälschte Ge
wählte Elemente migrantischer Diasporakulturen in offIziellen Reprä
fühlsechtheit ihrer Songtexte betont� denn »es gab so viele Gefühle in
sentationen als produktive Zutaten und exotische Ornamente begehrt.
mir. die raus mussten«. Entsprechend heißt ihr harmoniebedürftiges
Diese instrumentelle Integration von Andersheit wird gerade bei mas
Lied » Liebe«.
senwirksamen Events zunehmend zur Zelebrierung der kosmopoliti
Mit »Overground - Herzensbrecher vor dem Herrn« trat auch
schen und leistungsfähigen Nationalkultur eingesetzt. Indem diese
an. die für Teenies kreiert wurde.
Aneignungspolitik nur bestimmte Versionen der Andersheit wert
Neben der richtigen Mischung sei vor allem »gutes Aussehen. rhyth-
schätzt. kreiert sie neue Formen der kulturellen Unsichtbarkeit und
eine »multirassische«
Boy-Group
Hierarchie. Insbesondere schließt sie diejenigen aus. die nicht als hip 3
I Neben der Herkunftsfrage »Woher kommst du?« wird vor allem der Einreisegrund mit der Frage »Warum bist du hier?« überprüft.
und dynamisch gelten. sondern als >traditionell< orientiert gebrand markt werden.
108 I Hype um Hybridität
U mkämpfte Hybridisierungen I I09
Allerdings ist die Bemächtigung kultureller Hybridität i m Namen
hört zu den Vorreitern, die durch Outsourcing versuchen, sich ihrer
einer nationalen Agenda im politischen Raum nicht unumstritten und versiv einzusetzen, möchte ich zunächst anhand eines Beispiels aus
sozialen Verantwortung für die Produktionsbedingungen in den Sweat shops zu entledigen. Um dieses Problem zu thematisieren, konfron tieren Culture Jammer das in langjährigen und kostenintensiven Pub
dem globalisierungskritischen Kontext entwickeln, um anschließend
lic-Relations-Kampagnen mühsam aufgebaute Firmenimage mit den
alternativlos. Die Versuche, Hybridisierungsstrategien politisch sub
tatsächlichen Auswirkungen der eigenen Unternehmenspolitik. Statt
zur deutschen Migrationssituation zurückzukommen. Vor dem Hintergrund einer spätkapitalistischen Aufwertung und
wie in der »Just do it« -Werbung das Versprechen nach Freiheit und
Vereinnahmung des Kulturellen gewinnen kulturpolitische Bewegun
Selbstverwirklichung umzusetzen? enthüllt eine kritische Bestands
gen, Online-Aktivismus und entstellende Ironisierungen durch se
aufnahme der profitablen Outsourcing-Politik von
mantische wie semiotische De- und Rekodierungen von Adbusters und
Konzern wie andere
Culture Jammers
Global Player
Nike,
dass dieser
seine Produkte vielfach mit Hilfe
auf der Sprach- und Bildebene verstärkt an Bedeu
von Subunternehmen in Länder der Dritten Welt unter sozialen und
(Canon),5
ökologischen Arbeitsbedingungen herstellen lässt, die auf die Einhal 8 tung internationaler Mindeststandards wenig Rücksicht nehmen.
tung.4 In einer Ökonomie, in der >das Image alles ist<
sind Namensrechte, Copyright und Firmenimage als kulturelles Kapi tal besonders für weltweit agierende Unternehmen substanziell. Die
Konzerne, die wie
Nike letztlich Lifestyle verkaufen, sind jedoch in
grundlegende AufWertung immaterieller Besitztümer im Spätkapita
besonderer Weise auf ein positives, lebensbejahendes Image angewie
lismus schränkt nicht nur die Bedeutung materiell gebundener Be
sen. Sie reagieren empfindlich, wenn die eigenen Konsumprodukte
sitzrechte an traditionellen Produktionsmitteln wie Fabriken und Bo
nicht mit Erfolg oder cooler Hipness, sondern nachhaltig mit Kinder
den ein. Sie ermöglichen auch neue Felder der politischen Auseinan
arbeit und frühkapitalistischen Ausbeutungsbedingungen assoziiert
dersetzung. So setzen nicht zuletzt die offensiven Kampagnen sozial
werden. Solche Arbeitsformen werden nicht nur in linksliberalen
kritischer Bewegungen gegen die neoliberale Wendung der Globalisie rung den milliardenschweren Globetrotter
Nike
unter Druck, indem 6 sie auf der strategisch-symbolischen Ebene intervenieren. Nike ge-
Kreisen, sondern auch in der breiten Bevölkerung als menschenun würdig empfunden, so dass ihre Thematisierung von den betreffen den Unternehmen als geschäftsschädigend angesehen wird. Vor die sem Hintergrund bietet es sich für
4 I Siehe auch Klein 2002: 289-3I9 und Lasn 2005. Gegenwärtig wer den unter http://www.adbusters.org politische Strategien zum massenhaften Konsumboykott diskutiert und Erfahrungen mit flächendeckenden Techniken zum Ausschalten der allgegenwärtigen Fernsehwelten ausgetauscht. 5 I Unter dem vieldeutigen Motto »Image is everything« startete der japanische Produzent für Fotooptik I992 mit dem schillernden Tennisprofi Andre Agassi eine interessante Werbekampagne. Während in den 1970er Jah ren Punkästhetik noch als anti-bürgerlich und unkonsumierbar galt, werden keine 20 Jahre später gerade die vermeintlich rebellischen Ausläufer der Ju gend- und Popkultur auf der telegenen Repräsentationsebene für ein breites Publikum kultiviert. Nicht trotz, sondern aufgrund seines Rufes als >Tennis punk des weißen Sports< erscheint Agassi nun attraktiv, um als familien· freundlicher Sympathieträger zu fungieren. Die innovative Vereinnahmung und Verwertung von kulturellen Widersprüchen ist längst zu einem Motor der Werbeindustrie geworden. 6 I Allerdings sind globale Player wie Nike solchen Unterwanderungs versuchen keinesfalls hilflos ausgeliefert. Als kreative think tank-Fabriken, kul turelle Produzenten und politisch handelnde Akteure mit millionenschwerem Werbeetat sind sie in der Lage sich die zeichen- und raumpolitischen Subver sionstaktiken ihrer Gegner zu bemächtigen, um sie wiederum etwa als selbst ironisierende Marketing- und Camouflagestrategien in ihrem Sinne einzuset zen. Wie dieser » Corporate Situationism« funktioniert, lässt sich anschaulich
Adbusters
und Aktivisten der
am Fallbeispiel » Niketown Berlin« aufzeigen, wo Nike seit Mitte der 1990er Jahre >coole< Szeneclubs, Kunsthappenings, Sportevents, Brachflächen, Kon sumtempeln etc. bespielt und durch solche z.T. nur temporäre Inszenierungen den urbanen Raum sein Markenzeichen aufstempelt. Mittels Branding schreibt Nike sich in die Stadt ein und eignet sie sich an. Die Stadt als konzern eigener Showroom wird so zur Beute (Borries 2005). 7 I Die »Just do it«-Devise birgt aus der Perspektive von entrechteten Arbeitern und Arbeiterinnen, die im Just-in-Time-Modus für einen Hunger lohn Nike-Produkte herstellen, eine weit bedrohlichere Bedeutung als Arbeits befehl. Da die offiziellen Lesarten nicht notwendigerweise wahr sind, besteht die kritische Aufgabe darin ihre Dominanz durch alternative Erzählungen bzw. marginalisierte Realitäten zu hinterfragen und zu destabilisieren. »Just« be deutet schließlich auch gerecht. S I In »No Logo!« (2002) legt Naomi Klein nicht nur die soziale Folgen der Unternehmenspolitik von Nike dar (ebd.: 2°5-208, 239-241, 49°-494). Sie sieht Nike vor allem als einen Trendsetter an, der sich mit seiner hochprofitab len new economy darauf konzentriert, mittels finanz- und medienintensiver Marketing- und Brandingtechniken einen kulturellen Mehrwert im Bewusst sein der Käuferj-innen zu erzeugen. Kaufentscheidend ist dann weniger die Funktionalität oder der Gebrauchswert eines Produkts, sondern sein Image wert.
108 I Hype um Hybridität
U mkämpfte Hybridisierungen I I09
Allerdings ist die Bemächtigung kultureller Hybridität i m Namen
hört zu den Vorreitern, die durch Outsourcing versuchen, sich ihrer
einer nationalen Agenda im politischen Raum nicht unumstritten und versiv einzusetzen, möchte ich zunächst anhand eines Beispiels aus
sozialen Verantwortung für die Produktionsbedingungen in den Sweat shops zu entledigen. Um dieses Problem zu thematisieren, konfron tieren Culture Jammer das in langjährigen und kostenintensiven Pub
dem globalisierungskritischen Kontext entwickeln, um anschließend
lic-Relations-Kampagnen mühsam aufgebaute Firmenimage mit den
alternativlos. Die Versuche, Hybridisierungsstrategien politisch sub
tatsächlichen Auswirkungen der eigenen Unternehmenspolitik. Statt
zur deutschen Migrationssituation zurückzukommen. Vor dem Hintergrund einer spätkapitalistischen Aufwertung und
wie in der »Just do it« -Werbung das Versprechen nach Freiheit und
Vereinnahmung des Kulturellen gewinnen kulturpolitische Bewegun
Selbstverwirklichung umzusetzen? enthüllt eine kritische Bestands
gen, Online-Aktivismus und entstellende Ironisierungen durch se
aufnahme der profitablen Outsourcing-Politik von
mantische wie semiotische De- und Rekodierungen von Adbusters und
Konzern wie andere
Culture Jammers
Global Player
Nike,
dass dieser
seine Produkte vielfach mit Hilfe
auf der Sprach- und Bildebene verstärkt an Bedeu
von Subunternehmen in Länder der Dritten Welt unter sozialen und
(Canon),5
ökologischen Arbeitsbedingungen herstellen lässt, die auf die Einhal 8 tung internationaler Mindeststandards wenig Rücksicht nehmen.
tung.4 In einer Ökonomie, in der >das Image alles ist<
sind Namensrechte, Copyright und Firmenimage als kulturelles Kapi tal besonders für weltweit agierende Unternehmen substanziell. Die
Konzerne, die wie
Nike letztlich Lifestyle verkaufen, sind jedoch in
grundlegende AufWertung immaterieller Besitztümer im Spätkapita
besonderer Weise auf ein positives, lebensbejahendes Image angewie
lismus schränkt nicht nur die Bedeutung materiell gebundener Be
sen. Sie reagieren empfindlich, wenn die eigenen Konsumprodukte
sitzrechte an traditionellen Produktionsmitteln wie Fabriken und Bo
nicht mit Erfolg oder cooler Hipness, sondern nachhaltig mit Kinder
den ein. Sie ermöglichen auch neue Felder der politischen Auseinan
arbeit und frühkapitalistischen Ausbeutungsbedingungen assoziiert
dersetzung. So setzen nicht zuletzt die offensiven Kampagnen sozial
werden. Solche Arbeitsformen werden nicht nur in linksliberalen
kritischer Bewegungen gegen die neoliberale Wendung der Globalisie rung den milliardenschweren Globetrotter
Nike
unter Druck, indem 6 sie auf der strategisch-symbolischen Ebene intervenieren. Nike ge-
Kreisen, sondern auch in der breiten Bevölkerung als menschenun würdig empfunden, so dass ihre Thematisierung von den betreffen den Unternehmen als geschäftsschädigend angesehen wird. Vor die sem Hintergrund bietet es sich für
4 I Siehe auch Klein 2002: 289-3I9 und Lasn 2005. Gegenwärtig wer den unter http://www.adbusters.org politische Strategien zum massenhaften Konsumboykott diskutiert und Erfahrungen mit flächendeckenden Techniken zum Ausschalten der allgegenwärtigen Fernsehwelten ausgetauscht. 5 I Unter dem vieldeutigen Motto »Image is everything« startete der japanische Produzent für Fotooptik I992 mit dem schillernden Tennisprofi Andre Agassi eine interessante Werbekampagne. Während in den 1970er Jah ren Punkästhetik noch als anti-bürgerlich und unkonsumierbar galt, werden keine 20 Jahre später gerade die vermeintlich rebellischen Ausläufer der Ju gend- und Popkultur auf der telegenen Repräsentationsebene für ein breites Publikum kultiviert. Nicht trotz, sondern aufgrund seines Rufes als >Tennis punk des weißen Sports< erscheint Agassi nun attraktiv, um als familien· freundlicher Sympathieträger zu fungieren. Die innovative Vereinnahmung und Verwertung von kulturellen Widersprüchen ist längst zu einem Motor der Werbeindustrie geworden. 6 I Allerdings sind globale Player wie Nike solchen Unterwanderungs versuchen keinesfalls hilflos ausgeliefert. Als kreative think tank-Fabriken, kul turelle Produzenten und politisch handelnde Akteure mit millionenschwerem Werbeetat sind sie in der Lage sich die zeichen- und raumpolitischen Subver sionstaktiken ihrer Gegner zu bemächtigen, um sie wiederum etwa als selbst ironisierende Marketing- und Camouflagestrategien in ihrem Sinne einzuset zen. Wie dieser » Corporate Situationism« funktioniert, lässt sich anschaulich
Adbusters
und Aktivisten der
am Fallbeispiel » Niketown Berlin« aufzeigen, wo Nike seit Mitte der 1990er Jahre >coole< Szeneclubs, Kunsthappenings, Sportevents, Brachflächen, Kon sumtempeln etc. bespielt und durch solche z.T. nur temporäre Inszenierungen den urbanen Raum sein Markenzeichen aufstempelt. Mittels Branding schreibt Nike sich in die Stadt ein und eignet sie sich an. Die Stadt als konzern eigener Showroom wird so zur Beute (Borries 2005). 7 I Die »Just do it«-Devise birgt aus der Perspektive von entrechteten Arbeitern und Arbeiterinnen, die im Just-in-Time-Modus für einen Hunger lohn Nike-Produkte herstellen, eine weit bedrohlichere Bedeutung als Arbeits befehl. Da die offiziellen Lesarten nicht notwendigerweise wahr sind, besteht die kritische Aufgabe darin ihre Dominanz durch alternative Erzählungen bzw. marginalisierte Realitäten zu hinterfragen und zu destabilisieren. »Just« be deutet schließlich auch gerecht. S I In »No Logo!« (2002) legt Naomi Klein nicht nur die soziale Folgen der Unternehmenspolitik von Nike dar (ebd.: 2°5-208, 239-241, 49°-494). Sie sieht Nike vor allem als einen Trendsetter an, der sich mit seiner hochprofitab len new economy darauf konzentriert, mittels finanz- und medienintensiver Marketing- und Brandingtechniken einen kulturellen Mehrwert im Bewusst sein der Käuferj-innen zu erzeugen. Kaufentscheidend ist dann weniger die Funktionalität oder der Gebrauchswert eines Produkts, sondern sein Image wert.
IlO
Umkäm pfte Hybridisierungen I
I Hype um Hybrid ität
III
Kommunikationsguerilla an, diesen Widerspruch zwischen Schein
alforum und seine
und Sein etwa durch visuelle Eingriffe auf der Symbolebene zu bear
haben seit Ende der I990er Jahre zur Entwicklung von neuen kreati
Regionaltreffen als gemeinsame Plattform nutzen,
beiten. Durch solche Störungen versuchen sie einerseits, das Verbor
ven Aktionsformen beigetragen. Von den USA und England ausge
gene in den dominanten Zeichen und Botschaften sichtbar zu ma
hend sind karnevaleske Umzüge, » Reclaim The Streets«-Partys, Lach
chen. Andererseits greifen solche subversiven Kommunikationsfor
paraden, » Street Art«-Aktionen mit Straßentheater, Graffiti, Groß
men auf jene kommerziellen Ressourcen zurück, die das dominante
puppen, » Radical Cheerleading«, Samba-Gruppen, Demo-Marsch
Zeichen überhaupt erst als Emblem mit weltweiter Bedeutung konsti
kapellen, » Critical Mass«-Fahrradtouren etc. inzwischen auch in
tuiert haben, um sie gegen die ursprünglichen Intentionen des Urhe
Deutschland als politische Artikulationsformen nicht mehr unbekannt
»Swoosh«-Firmenlogo von
Nike in
Adbusters das
weltberühmte
(Amann 2005). Solche Ansätze bezeichnen Hardt und Negri (2002)
Form einer geschwungenen Sichel
als »Autonomie der Multitude«, in der sich die lebendige und schöpfe
bers oder Investors einzusetzen. Indem
aus seinem bisherigen Bedeutungszusammenhang entführen und
rische Vielheit der Massen ausdrückt.
unter dem verstörenden Slogan »SlaVery« neu kontextualisieren, tra
Kulturelle Zeichen und Symbole sind Träger von Bedeutungszu
gen solche Ironisierungen dezidierte politische Botschaften. Die
weisungen, deren Inhalte im Kampf um kulturelle Hegemonie und
Technik, bedeutungsmächtige Zeichen zu verfremden, läuft auf eine
Deutungsmacht umstritten sind. Um Situationen herzustellen, in
Form der kulturellen Hybridisierung hinaus, bei der die dominanten
denen der gewohnte Deutungsrahmen überschritten wird, machen
Symbole durch ihre verdrehte Wiederholung im minoritären Diskurs
politisch Aktive sich die irritierenden Effekte der subversiven Ver
nur fast mit sich identisch sein können. Die »SlaVery«-Kritik greift
fremdung kultureller Icons, kapitalistischer Geschäftsmodelle und
nicht nur den Sportgiganten
Nike,
der nach der antiken griechischen
politischer Regime zunutze. Der Entstehungskontext und das Arbeits
Göttin des Sieges benannt ist,9 frontal an. Sie erinnert mit dieser
konzept der Kampagne » Kein Mensch ist illegal - Netzwerk gegen
Anspielung auch an die andere Seite der eurozentrierten Entwicklung,
Abschiebung und Ausgrenzung« (KMII) kann als exemplarisch für
deren Geschichte in den letzten 500 Jahren nicht ohne koloniale Aus·
einen solchen kulturalistischen Politikansatz gelten. Am Anfang ihrer
beutung und rassistische Unterdrückung gedacht werden kann.
politischen Arbeit stand die künstlerische und alltagspraktische Aus
Neben der Bildung sozialer Bewegungen im virtuellen Raum hat
einandersetzung mit dem Themenkomplex » cross the border«. Ent
auch die Aneignung und politische Rekonfiguration öffentlicher Orte
standen ist diese Kampagne im Sommer 1 9 97 aus einem zunächst
an Bedeutung gewonnen. In Anlehnung an die Ideen der
schen Internationale
Situationisti
und Guy Debords (1978) theoretischem Ansatz,
internet-basierten » Hybrid WorkSpace« der
Documenta X,
in der ein
lose und dezentral organisiertes Netzwerk von politisch und künstle
der in den 19 60er Jahren entwickelt wurde, finden verstärkt Versuche
risch Aktiven mit Hilfe audio-visueller Medien und Online-Kommu
statt, Gegenöffentlichkeiten im urbanen Raum als globales Ereignis zu
nikationsmitteln das namens gebende Manifest erarbeitete.lI
inszenieren (BaumeisterfNegator 2005). Die Effekte einer massenme dial vernetzten Kultur werden zur Artikulation politischer Alternativ botschaften genutzt.IO In den letzten Jahren fanden rund um den Globus spektakulär aufgemachte Aktionen statt, deren kulturelle At traktivität auch politisch massenwirksam geworden ist. Der » People's Global Action Day« am 1. Mai und in einem noch größeren Maße der weltweite Aktionstag am 15. Februar 2003 gegen den jüngsten Irak krieg veranschaulichen in diesem Zusammenhang die politischen Potentiale einer weltweiten Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure. Vor allem globalisierungskritische Zusammenhänge, die das
Weltsozi·
9 I Nikes » Swoosh« ähnelt einem »V« und kann daher auch als Akro· nym für >>Victory« gelesen werden. I 0 I Es ist sicherlich kein Zufall, dass attac als einer der medial erfolg· reichsten Massenorganisationen im globalisierungskritischen Kontext nicht nur in Deutschland, sondern weltweit mit der permanenten Wiederholung die ser fundamentalen Werbebotschaft arbeitet: »Eine andere Welt ist möglich.«
ndie telefone sind mobil, die computer tragbar und die datenströme schnell und unsicht bar. doch je müheloser die geld- und warenströme die nationalstaatlichen territorien durchqueren, desto mehr schotten sich die reichen metropolen gegen die weltweiten mi grationsbewegungen ab. )wir nehmen euch alles, aber euch nehmen wir nicht< - so muss das postkoloniale ausbeutungsverhältnis umschrieben werden. menschen, die versuchen, sich in sicherheit zu bringen - sei es auf der nucht vor verfolgung oder einfach auf der suche nach glück - haben heute kaum eine möglichkeit mehr, legal in ein land westeu ropas oder nordamerikas einzureisen. eine der zentralen politischen herausforderungen der nächsten zeit ist es, das herrschende grenz- und migrationsregime praktisch und politisch anzugreifen und flüchtlinge mit und ohne papiere zu unterstützen im kampf um das recht I I I Das hybride Arbeitsräume gerade für alternative Medienprojekte und Organisationen attraktiv ist, zeigt sich auch an diesem Beispiel: »hybrid video tracks ist ein Zusammenschluss Berliner MedienaktivistInnen und ·künstlerlnnen. hybrid video tracks produziert Ausstellungen, Videos, Texte, Installationen« (http://www.hybridvideotracks.org, gesehen am 22.5.2°°5).
IlO
Umkäm pfte Hybridisierungen I
I Hype um Hybrid ität
III
Kommunikationsguerilla an, diesen Widerspruch zwischen Schein
alforum und seine
und Sein etwa durch visuelle Eingriffe auf der Symbolebene zu bear
haben seit Ende der I990er Jahre zur Entwicklung von neuen kreati
Regionaltreffen als gemeinsame Plattform nutzen,
beiten. Durch solche Störungen versuchen sie einerseits, das Verbor
ven Aktionsformen beigetragen. Von den USA und England ausge
gene in den dominanten Zeichen und Botschaften sichtbar zu ma
hend sind karnevaleske Umzüge, » Reclaim The Streets«-Partys, Lach
chen. Andererseits greifen solche subversiven Kommunikationsfor
paraden, » Street Art«-Aktionen mit Straßentheater, Graffiti, Groß
men auf jene kommerziellen Ressourcen zurück, die das dominante
puppen, » Radical Cheerleading«, Samba-Gruppen, Demo-Marsch
Zeichen überhaupt erst als Emblem mit weltweiter Bedeutung konsti
kapellen, » Critical Mass«-Fahrradtouren etc. inzwischen auch in
tuiert haben, um sie gegen die ursprünglichen Intentionen des Urhe
Deutschland als politische Artikulationsformen nicht mehr unbekannt
»Swoosh«-Firmenlogo von
Nike in
Adbusters das
weltberühmte
(Amann 2005). Solche Ansätze bezeichnen Hardt und Negri (2002)
Form einer geschwungenen Sichel
als »Autonomie der Multitude«, in der sich die lebendige und schöpfe
bers oder Investors einzusetzen. Indem
aus seinem bisherigen Bedeutungszusammenhang entführen und
rische Vielheit der Massen ausdrückt.
unter dem verstörenden Slogan »SlaVery« neu kontextualisieren, tra
Kulturelle Zeichen und Symbole sind Träger von Bedeutungszu
gen solche Ironisierungen dezidierte politische Botschaften. Die
weisungen, deren Inhalte im Kampf um kulturelle Hegemonie und
Technik, bedeutungsmächtige Zeichen zu verfremden, läuft auf eine
Deutungsmacht umstritten sind. Um Situationen herzustellen, in
Form der kulturellen Hybridisierung hinaus, bei der die dominanten
denen der gewohnte Deutungsrahmen überschritten wird, machen
Symbole durch ihre verdrehte Wiederholung im minoritären Diskurs
politisch Aktive sich die irritierenden Effekte der subversiven Ver
nur fast mit sich identisch sein können. Die »SlaVery«-Kritik greift
fremdung kultureller Icons, kapitalistischer Geschäftsmodelle und
nicht nur den Sportgiganten
Nike,
der nach der antiken griechischen
politischer Regime zunutze. Der Entstehungskontext und das Arbeits
Göttin des Sieges benannt ist,9 frontal an. Sie erinnert mit dieser
konzept der Kampagne » Kein Mensch ist illegal - Netzwerk gegen
Anspielung auch an die andere Seite der eurozentrierten Entwicklung,
Abschiebung und Ausgrenzung« (KMII) kann als exemplarisch für
deren Geschichte in den letzten 500 Jahren nicht ohne koloniale Aus·
einen solchen kulturalistischen Politikansatz gelten. Am Anfang ihrer
beutung und rassistische Unterdrückung gedacht werden kann.
politischen Arbeit stand die künstlerische und alltagspraktische Aus
Neben der Bildung sozialer Bewegungen im virtuellen Raum hat
einandersetzung mit dem Themenkomplex » cross the border«. Ent
auch die Aneignung und politische Rekonfiguration öffentlicher Orte
standen ist diese Kampagne im Sommer 1 9 97 aus einem zunächst
an Bedeutung gewonnen. In Anlehnung an die Ideen der
schen Internationale
Situationisti
und Guy Debords (1978) theoretischem Ansatz,
internet-basierten » Hybrid WorkSpace« der
Documenta X,
in der ein
lose und dezentral organisiertes Netzwerk von politisch und künstle
der in den 19 60er Jahren entwickelt wurde, finden verstärkt Versuche
risch Aktiven mit Hilfe audio-visueller Medien und Online-Kommu
statt, Gegenöffentlichkeiten im urbanen Raum als globales Ereignis zu
nikationsmitteln das namens gebende Manifest erarbeitete.lI
inszenieren (BaumeisterfNegator 2005). Die Effekte einer massenme dial vernetzten Kultur werden zur Artikulation politischer Alternativ botschaften genutzt.IO In den letzten Jahren fanden rund um den Globus spektakulär aufgemachte Aktionen statt, deren kulturelle At traktivität auch politisch massenwirksam geworden ist. Der » People's Global Action Day« am 1. Mai und in einem noch größeren Maße der weltweite Aktionstag am 15. Februar 2003 gegen den jüngsten Irak krieg veranschaulichen in diesem Zusammenhang die politischen Potentiale einer weltweiten Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure. Vor allem globalisierungskritische Zusammenhänge, die das
Weltsozi·
9 I Nikes » Swoosh« ähnelt einem »V« und kann daher auch als Akro· nym für >>Victory« gelesen werden. I 0 I Es ist sicherlich kein Zufall, dass attac als einer der medial erfolg· reichsten Massenorganisationen im globalisierungskritischen Kontext nicht nur in Deutschland, sondern weltweit mit der permanenten Wiederholung die ser fundamentalen Werbebotschaft arbeitet: »Eine andere Welt ist möglich.«
ndie telefone sind mobil, die computer tragbar und die datenströme schnell und unsicht bar. doch je müheloser die geld- und warenströme die nationalstaatlichen territorien durchqueren, desto mehr schotten sich die reichen metropolen gegen die weltweiten mi grationsbewegungen ab. )wir nehmen euch alles, aber euch nehmen wir nicht< - so muss das postkoloniale ausbeutungsverhältnis umschrieben werden. menschen, die versuchen, sich in sicherheit zu bringen - sei es auf der nucht vor verfolgung oder einfach auf der suche nach glück - haben heute kaum eine möglichkeit mehr, legal in ein land westeu ropas oder nordamerikas einzureisen. eine der zentralen politischen herausforderungen der nächsten zeit ist es, das herrschende grenz- und migrationsregime praktisch und politisch anzugreifen und flüchtlinge mit und ohne papiere zu unterstützen im kampf um das recht I I I Das hybride Arbeitsräume gerade für alternative Medienprojekte und Organisationen attraktiv ist, zeigt sich auch an diesem Beispiel: »hybrid video tracks ist ein Zusammenschluss Berliner MedienaktivistInnen und ·künstlerlnnen. hybrid video tracks produziert Ausstellungen, Videos, Texte, Installationen« (http://www.hybridvideotracks.org, gesehen am 22.5.2°°5).
II2 I Hype u m Hybrid ität
zu leben, wo sie wollen und wie sie wollen. denn: kein mensch ist illegal« (http://www. contrast.org/borders/abstract.html, gesehen am 22.5.2005; Ü bersetzung: http://www.jung demokraten.de/aktuell/aktion/kmii05.htm, gesehen am 22.5.2005). Während der »Documenta X« wurde das virtuelle Forum dann als reales Kunstprojekt in eine gesellschaftliche Laborsituation überführt und durch ein umfangreiches »100 Tage - 100 Gäste«-Begleit programm ergänzt. Danach verselbständigte sich diese Aktionsplatt form aufgrund der großen Unterstützung zu einem bundesweiten Netzwerk mit Arbeitsgruppen in mehr als 40 Städten. Es ist weltweit mit anderen Organisationen vernetzt. Neben vielen anderen Projekten unterstützt KMII auch die Selbsthilfeorganisation Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen. In diesem Fall fand die kulturelle Hybridisierung eine Entsprechung in der Hybridisierung der Multitude, die sich auch in den praktischen Kämpfen um die Frei heit der Migration auswirkt. Um gegen die Errichtung von Grenzre gime zu protestieren, wurde der Passagierstatus »deportation dass« im deutschen Fluggeschäft eingeführt, um erzwungene Formen der Ausreise zu benennen. Mit ihren oftmals im Grenzbereich zwischen künstlerischen und politischen Praxen situierten Operationen ver sucht KMII, den Zusammenhang zwischen staatlicher Abschiebepoli tik und der Durchführung durch Airlines wie die LuJthansa zu kritisie ren. Mittels vielfältiger, oftmals auch kreativer Aktionsformen, die von Online-Demonstrationen über öffentlichkeitswirksame Cultun Jarn rning-Plakatwettbewerbe mit abgewandelten LuJthansa-Hybridsymbo len bis zur praktischen Aufklärungs- und Unterstützungsarbeit im Flughafenterminal reichen,I2 konnte der Rückzug von LuJthansa aus dem Abschiebungsgeschäft durchgesetzt werden. Ausschlaggebend war letztlich der hohe Imageschaden, dem kein adäquater wirtschaftli cher Gewinn entgegenstand. Die Folge ist allerdings, dass die Ab schiebungspolitik nun vorwiegend von ausländischen und weniger renommierten Airlines abgewickelt wird. Neben der Problemver schiebung hat hier auch ein dynamischer Lernprozess stattgefunden, in der die kritisierten Praktiken zunehmend von Unternehmen ausge führt werden, die kaum noch durch negative Imagepolitik angegriffen werden können, so dass auf der Seite der Aktivisten und Aktivistinnen neue politische Konzepte notwendig werden, um diese institutionelle Resistenzbildungen herauszufordern. Andere anti-rassistischen Ansätze operieren mit einer hybridisier1 2 I Hintergrundinformationen und Anschauungsmaterial zu der poli tischen Arbeit von » Kein Mensch ist illegal« sind dezentral unter http:// www. contrast.org/borders; http://www.kmii-koeln.de/pre2005/frame/dc.htm; http: / /www.deportation-class.com und http://www.aktivgegenabschiebung.de ab rufbar (gesehen am 22.5.2005).
U mkämpfte Hybridisi erungen I II3 ten Identitätspolitik der Selbst-Kanakisierung, die über historische Vorläufer verfügt. In der Geschichte kanakischer Identitätskonstruk tionen vermischt sich die Globalisierungsgeschichte der Kolonialisie rung mit den Geschichten widerständiger Selbstinszenierungen. Es ist diese uneindeutige Doppelbewegung in der historischen Dynamik identitärer Fremd- und Selbstzuschreibungen, durch die Benennun gen sowohl als Praktiken der kolonialrassistischen Herrschaft als auch der Selbst-Ermächtigung fungieren können. Eine Reihe historischer Entwicklungen weisen darauf hin, dass das umkämpfte Terrain der Identität nicht nur das Ziel, sondern auch die gemeinsame Ausgangs basis für politischen Aktivismus von People of Color darstellt. Durch anti-rassistische Bewegungen wie das Black Power Move rnent in den USA der 1960er Jahre konnte erstmals massenhaft ein positiver Bezug zur »schwarzen« Identität gebildet werden (Demny 2004). » Schwarz« dient durch diese Brechung nicht mehr länger wie im Rassismus als negatives Symbol. Dieser politischer Bewusstwer dungsprozess wurde durch ein populärkulturelles Umfeld verstärkt, das sich am deutlichsten in Slogans wie » Black is beautiful« und » I'm black and I'm proud« abbildet. Aus dieser Um- und Aufwertung von Blackness ging eine radikale Positionierung hervor, deren identitätspo litische Selbstaneignung als gesellschaftlich transformierende Kraft sowohl für die »schwarze« Diaspora in Europa als auch für andere ehemals kolonialisierte Communities bedeutsam ist. Es ist daher kein historischer Zufall, dass die indigenen Bewoh ner/-innen der französischen Überseekolonie Neukaledonien in den rebellischen 1970er Jahren begannen, sich die abwertende Kolonialbe zeichnung » Kanak« anzueignen. Stand diese Identitätsposition bis zu diesem Zeitpunkt für ein durch » Blackbirders« (europäische Men schenjäger) und die Kolonialadministration auferzwungenes Trauma der Deportation und Zwangsarbeit, so verkehrte sich mit der aktivisti schen Übernahme und Neusetzung dieser historisch aufoktroyierten Identitätszuschreibung auch ihre politische und gesellschaftliche Funktion. Aus kolonialen Objekten wurden durch Prozesse der Selbstaneignung postkoloniale Subjekte, die selbstbewusst für die unabhängige Entwicklung ihrer Gesellschaft kämpfen und auf diese Weise versuchten, ihre Geschichte neu zu schreiben (Valjavec 1995: 38, 62). Kanakische Identitätspolitik als Widerstandsperspektive versucht, sich der Macht der Kolonialsprache zu entziehen, indem sich die Kolonialisierten in Sprechakten selbst definieren und damit diskursiv aus ihrem Objektstatus heraustreten. Widerstand wird nicht erst dann praktiziert, wenn explizit Gegenmodelle vertreten werden. Je nach dem, wie die gesellschaftlichen Kräftekonstellationen aussehen, wel che strategische Optionen wirkungsvoll erscheinen und welche kultu rellen Praktiken zur Verfügung stehen, können die Kolonialisierten
II2 I Hype u m Hybrid ität
zu leben, wo sie wollen und wie sie wollen. denn: kein mensch ist illegal« (http://www. contrast.org/borders/abstract.html, gesehen am 22.5.2005; Ü bersetzung: http://www.jung demokraten.de/aktuell/aktion/kmii05.htm, gesehen am 22.5.2005). Während der »Documenta X« wurde das virtuelle Forum dann als reales Kunstprojekt in eine gesellschaftliche Laborsituation überführt und durch ein umfangreiches »100 Tage - 100 Gäste«-Begleit programm ergänzt. Danach verselbständigte sich diese Aktionsplatt form aufgrund der großen Unterstützung zu einem bundesweiten Netzwerk mit Arbeitsgruppen in mehr als 40 Städten. Es ist weltweit mit anderen Organisationen vernetzt. Neben vielen anderen Projekten unterstützt KMII auch die Selbsthilfeorganisation Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen. In diesem Fall fand die kulturelle Hybridisierung eine Entsprechung in der Hybridisierung der Multitude, die sich auch in den praktischen Kämpfen um die Frei heit der Migration auswirkt. Um gegen die Errichtung von Grenzre gime zu protestieren, wurde der Passagierstatus »deportation dass« im deutschen Fluggeschäft eingeführt, um erzwungene Formen der Ausreise zu benennen. Mit ihren oftmals im Grenzbereich zwischen künstlerischen und politischen Praxen situierten Operationen ver sucht KMII, den Zusammenhang zwischen staatlicher Abschiebepoli tik und der Durchführung durch Airlines wie die LuJthansa zu kritisie ren. Mittels vielfältiger, oftmals auch kreativer Aktionsformen, die von Online-Demonstrationen über öffentlichkeitswirksame Cultun Jarn rning-Plakatwettbewerbe mit abgewandelten LuJthansa-Hybridsymbo len bis zur praktischen Aufklärungs- und Unterstützungsarbeit im Flughafenterminal reichen,I2 konnte der Rückzug von LuJthansa aus dem Abschiebungsgeschäft durchgesetzt werden. Ausschlaggebend war letztlich der hohe Imageschaden, dem kein adäquater wirtschaftli cher Gewinn entgegenstand. Die Folge ist allerdings, dass die Ab schiebungspolitik nun vorwiegend von ausländischen und weniger renommierten Airlines abgewickelt wird. Neben der Problemver schiebung hat hier auch ein dynamischer Lernprozess stattgefunden, in der die kritisierten Praktiken zunehmend von Unternehmen ausge führt werden, die kaum noch durch negative Imagepolitik angegriffen werden können, so dass auf der Seite der Aktivisten und Aktivistinnen neue politische Konzepte notwendig werden, um diese institutionelle Resistenzbildungen herauszufordern. Andere anti-rassistischen Ansätze operieren mit einer hybridisier1 2 I Hintergrundinformationen und Anschauungsmaterial zu der poli tischen Arbeit von » Kein Mensch ist illegal« sind dezentral unter http:// www. contrast.org/borders; http://www.kmii-koeln.de/pre2005/frame/dc.htm; http: / /www.deportation-class.com und http://www.aktivgegenabschiebung.de ab rufbar (gesehen am 22.5.2005).
U mkämpfte Hybridisi erungen I II3 ten Identitätspolitik der Selbst-Kanakisierung, die über historische Vorläufer verfügt. In der Geschichte kanakischer Identitätskonstruk tionen vermischt sich die Globalisierungsgeschichte der Kolonialisie rung mit den Geschichten widerständiger Selbstinszenierungen. Es ist diese uneindeutige Doppelbewegung in der historischen Dynamik identitärer Fremd- und Selbstzuschreibungen, durch die Benennun gen sowohl als Praktiken der kolonialrassistischen Herrschaft als auch der Selbst-Ermächtigung fungieren können. Eine Reihe historischer Entwicklungen weisen darauf hin, dass das umkämpfte Terrain der Identität nicht nur das Ziel, sondern auch die gemeinsame Ausgangs basis für politischen Aktivismus von People of Color darstellt. Durch anti-rassistische Bewegungen wie das Black Power Move rnent in den USA der 1960er Jahre konnte erstmals massenhaft ein positiver Bezug zur »schwarzen« Identität gebildet werden (Demny 2004). » Schwarz« dient durch diese Brechung nicht mehr länger wie im Rassismus als negatives Symbol. Dieser politischer Bewusstwer dungsprozess wurde durch ein populärkulturelles Umfeld verstärkt, das sich am deutlichsten in Slogans wie » Black is beautiful« und » I'm black and I'm proud« abbildet. Aus dieser Um- und Aufwertung von Blackness ging eine radikale Positionierung hervor, deren identitätspo litische Selbstaneignung als gesellschaftlich transformierende Kraft sowohl für die »schwarze« Diaspora in Europa als auch für andere ehemals kolonialisierte Communities bedeutsam ist. Es ist daher kein historischer Zufall, dass die indigenen Bewoh ner/-innen der französischen Überseekolonie Neukaledonien in den rebellischen 1970er Jahren begannen, sich die abwertende Kolonialbe zeichnung » Kanak« anzueignen. Stand diese Identitätsposition bis zu diesem Zeitpunkt für ein durch » Blackbirders« (europäische Men schenjäger) und die Kolonialadministration auferzwungenes Trauma der Deportation und Zwangsarbeit, so verkehrte sich mit der aktivisti schen Übernahme und Neusetzung dieser historisch aufoktroyierten Identitätszuschreibung auch ihre politische und gesellschaftliche Funktion. Aus kolonialen Objekten wurden durch Prozesse der Selbstaneignung postkoloniale Subjekte, die selbstbewusst für die unabhängige Entwicklung ihrer Gesellschaft kämpfen und auf diese Weise versuchten, ihre Geschichte neu zu schreiben (Valjavec 1995: 38, 62). Kanakische Identitätspolitik als Widerstandsperspektive versucht, sich der Macht der Kolonialsprache zu entziehen, indem sich die Kolonialisierten in Sprechakten selbst definieren und damit diskursiv aus ihrem Objektstatus heraustreten. Widerstand wird nicht erst dann praktiziert, wenn explizit Gegenmodelle vertreten werden. Je nach dem, wie die gesellschaftlichen Kräftekonstellationen aussehen, wel che strategische Optionen wirkungsvoll erscheinen und welche kultu rellen Praktiken zur Verfügung stehen, können die Kolonialisierten
II4
U m kämpft e Hybridi sierung en I
I Hype um Hybridi tät
II5
sich auch tarnen und die koloniale Anrufung durch Praktiken der
ehen. Dadurch ist in der gewaltvollen Dynamik der kolonialen Moder
Selbstbenennung umkehren. Solche identitätspolitischen Interventio·
ne ein Prozess in Gang gekommen, der als hybride Praxis der Grenz
nen reflektieren und überschreiten zugleich die geschichtlich aufer
überschreitung in Erscheinung tritt. Diese vieldeutige Praxis ist mit
zwungenen kolonialen Einschreibungen. Auf Eindeutigkeit basieren
einer Verdoppelung und Fragmentierung von Identitäten verbunden,
de, rassistische Identitätsmodelle können durch verwirrende Störun
in der die koloniale Autorität mit ihrem unterdrückten Doppelgänger
gen, B edeutungsverschiebungen und Überschreibungen in Zweifel
auf der anderen Seite der Geschichte konfrontiert wird. Diese um
gezogen und dekolonialisiert werden. Indem diese subalternen Sub
kämpfte und niemals eindeutige Identität können wir mit dem afro
jekte die Mittel ihrer Unterdrückung und Abwertung der kolonialen
amerikanischen Soziologen W.E.B. DuBois (2003) als eine Form der
Autorität entwenden, verwandeln sich diese hochherrschaftlichen
» double consciousness« bezeichnen. Kanakische Identität speist sich
Zeichen europäischer Definitionsmacht in identitätspolitische In
aus diesem grenzwertigen Bewusstsein, weil es einerseits um die
strumente des S elbst-Empowerments. Aus dienenden werden revoltie·
kolonialisierende Wirkung seiner Benennungen weiß und anderer seits gerade aus dieser intimen Einsicht heraus die Notwendigkeit
rende Subjekte. Wie Homi Bhabha (2000) in seiner Analyse des Kolonialdiskurses hingewiesen hat, machen sich Mimikry und Hybridisierung als Wi
erkennt, kolonialrassistische Modelle durch Mimikry und Hybridisie rung zu verunreinigen und zu verunsichern (Ha 2oo4a: 128-152).
derstandsstrategien die Ambivalenz kolonialer Diskurse zunutze.
Alle diese Kontexte sind im neorassistischen Alltagsdeutsch in
Obwohl koloniale Regime durch territoriale Aufteilungen, gesellschaft
Begriffen wie » Bimbo«, » Fidschi« und » Kanake« präsent. Diese Syn
liche Herrschaftsanordnungen und Rassenerfindungen faktisch neue
onyme figurieren als volkstümliche Chiffre für den biologisch und
soziale, kulturelle und biopolitische Grenzen etablierten, wirkten sich
zivilisatorisch minderwertigen Anderen. Der Begriff » Kanake« ent
vieler dieser Praktiken auf der anderen Seite als Entgrenzung von
stand etwa, als sich der in Deutschland tiefv�rwurzelte Anti-Slawismus
Räumen und I dentitäten auch zwiespältig aus. So entstand mit der
gegenüber » Kosaken« und » Polacken« mit dem seit der deutschen
Durchsetzung kolonialer Beziehungen ein voneinander abhängiges
Kolonialexpansion in den pazifischen Raum gepflegten Mythos des
Referenzsystem von Bedeutungszuweisungen und gesellschaftlichen
monströsen » Kannibalen« zu einem neuen rassistischen Feindbild
Hierarchien, in dem die aufeinander verweisenden Fremd- und
verband (GerhardJLink 1991: 147).
Selbstbildern eine ungleiche Beziehung eingingen: Europa und »sei
Selbst-Kanakisierung als strategische Diskurspolitik geht von der
Zentrum und Peripherie, na
zentralen Einsicht aus, dass rassistisch Marginalisierte von der Domi
tionale Dominanzkultur und »Minderheiten«. In diesen Identitätsbil
nanzkultur als » Kanaken« mit all seinen negativen Abwertungen
dern und Privilegienverteilungen kommt eine gesellschaftliche Konfi·
konstruiert werden. Das heißt, ob sie sich selbst als » Kanaken« be
ne« Anderen,
Whiteness
und
Blackness,
guration zum Ausdruck, die sich einerseits durch Machtartikulation
zeichnen oder nicht, ist letztlich unerheblich - für die deutsche Mehr
und polare Setzung formiert; andererseits auch von einer unvermeid
heitsgesellschaft bleiben sie immer » Kanaken«. Bei der Aneignung
lichen Einbeziehung des Anderen abhängt. Erst durch die Konstruk
und Umkehrung des Kanakendiskurses geht es daher gerade nicht um
tion des unterlegenen Anderen war es überhaupt möglich, dominante
eine freie Identitätswahl, sondern darum, ein aufgezwungenes Selbst
und marginale Positionen gesellschaftlich zu produzieren. In der ras·
bild zu unterlaufen.'3 Da Marginalisierte nicht über die Macht verfü
sistischen Identitätspolitik kommt daher die europäische Definitions
gen, den fremdbestimmten » Kanaken«-Diskurs zu beenden, versu
macht zur Sprache, die durch »weiße« Phantasmagorien und Bedürf
chen sie, innerhalb der rassistischen Diskurse zu intervenieren. Gera
nisse ins Leben gerufen wurde. Für den Rassismus ist es konstitutiv,
de in seinen Anfängen konnte die offensive Übernahme der Selbstde
dass er in einem gegensätzlichen Verhältnis von Abspaltung und
finitionsmacht für Überraschungseffekte sorgen und zur diskursiven
Identifikation zum Anderen steht. Daher gehen gewalttätige Diskurse
Entschleierung beitragen. In diesen Situationen werden die Machtan
der Vernichtung und Eindämmung immer mit Vereinigungswün
sprüche des liberalen Diskurses und die etablierten rassistischen Kon
schen und Projektionen Hand in Hand - etwa über den » guten Wil
ventionen mit einer Präsenz konfrontiert, die sich weigert, den ihr
den« oder der » armen Migrantin«, die man retten muss. Aus dieser widersprüchlichen Funktionsweise des Rassismus ergibt sich, dass die kolonialrassistische Ausgrenzung wie die damit einhergehende Kontrollrnacht niemals total sein können. Das bedeutet auch, dass marginalisierte Subjekte handlungsmächtig sind und die Möglichkeit haben, dominante Narrationen diskursiv zu unterbre-
zugewiesenen Platz einzunehmen. Indem das kanakische Sprechen über ethnisch-nationale Begrenzungen hinweggeht und identitätspo-
1 3 I Vgl. für eine ausführlichere Diskussion über die politische und dis kursive Verwendung des Begriffs » Kanake« und seiner Derivate im migranti. sehen HipHop und beim Netzwerk » Kanak Attak« GüngörJLoh 2002: 19-40.
II4
U m kämpft e Hybridi sierung en I
I Hype um Hybridi tät
II5
sich auch tarnen und die koloniale Anrufung durch Praktiken der
ehen. Dadurch ist in der gewaltvollen Dynamik der kolonialen Moder
Selbstbenennung umkehren. Solche identitätspolitischen Interventio·
ne ein Prozess in Gang gekommen, der als hybride Praxis der Grenz
nen reflektieren und überschreiten zugleich die geschichtlich aufer
überschreitung in Erscheinung tritt. Diese vieldeutige Praxis ist mit
zwungenen kolonialen Einschreibungen. Auf Eindeutigkeit basieren
einer Verdoppelung und Fragmentierung von Identitäten verbunden,
de, rassistische Identitätsmodelle können durch verwirrende Störun
in der die koloniale Autorität mit ihrem unterdrückten Doppelgänger
gen, B edeutungsverschiebungen und Überschreibungen in Zweifel
auf der anderen Seite der Geschichte konfrontiert wird. Diese um
gezogen und dekolonialisiert werden. Indem diese subalternen Sub
kämpfte und niemals eindeutige Identität können wir mit dem afro
jekte die Mittel ihrer Unterdrückung und Abwertung der kolonialen
amerikanischen Soziologen W.E.B. DuBois (2003) als eine Form der
Autorität entwenden, verwandeln sich diese hochherrschaftlichen
» double consciousness« bezeichnen. Kanakische Identität speist sich
Zeichen europäischer Definitionsmacht in identitätspolitische In
aus diesem grenzwertigen Bewusstsein, weil es einerseits um die
strumente des S elbst-Empowerments. Aus dienenden werden revoltie·
kolonialisierende Wirkung seiner Benennungen weiß und anderer seits gerade aus dieser intimen Einsicht heraus die Notwendigkeit
rende Subjekte. Wie Homi Bhabha (2000) in seiner Analyse des Kolonialdiskurses hingewiesen hat, machen sich Mimikry und Hybridisierung als Wi
erkennt, kolonialrassistische Modelle durch Mimikry und Hybridisie rung zu verunreinigen und zu verunsichern (Ha 2oo4a: 128-152).
derstandsstrategien die Ambivalenz kolonialer Diskurse zunutze.
Alle diese Kontexte sind im neorassistischen Alltagsdeutsch in
Obwohl koloniale Regime durch territoriale Aufteilungen, gesellschaft
Begriffen wie » Bimbo«, » Fidschi« und » Kanake« präsent. Diese Syn
liche Herrschaftsanordnungen und Rassenerfindungen faktisch neue
onyme figurieren als volkstümliche Chiffre für den biologisch und
soziale, kulturelle und biopolitische Grenzen etablierten, wirkten sich
zivilisatorisch minderwertigen Anderen. Der Begriff » Kanake« ent
vieler dieser Praktiken auf der anderen Seite als Entgrenzung von
stand etwa, als sich der in Deutschland tiefv�rwurzelte Anti-Slawismus
Räumen und I dentitäten auch zwiespältig aus. So entstand mit der
gegenüber » Kosaken« und » Polacken« mit dem seit der deutschen
Durchsetzung kolonialer Beziehungen ein voneinander abhängiges
Kolonialexpansion in den pazifischen Raum gepflegten Mythos des
Referenzsystem von Bedeutungszuweisungen und gesellschaftlichen
monströsen » Kannibalen« zu einem neuen rassistischen Feindbild
Hierarchien, in dem die aufeinander verweisenden Fremd- und
verband (GerhardJLink 1991: 147).
Selbstbildern eine ungleiche Beziehung eingingen: Europa und »sei
Selbst-Kanakisierung als strategische Diskurspolitik geht von der
Zentrum und Peripherie, na
zentralen Einsicht aus, dass rassistisch Marginalisierte von der Domi
tionale Dominanzkultur und »Minderheiten«. In diesen Identitätsbil
nanzkultur als » Kanaken« mit all seinen negativen Abwertungen
dern und Privilegienverteilungen kommt eine gesellschaftliche Konfi·
konstruiert werden. Das heißt, ob sie sich selbst als » Kanaken« be
ne« Anderen,
Whiteness
und
Blackness,
guration zum Ausdruck, die sich einerseits durch Machtartikulation
zeichnen oder nicht, ist letztlich unerheblich - für die deutsche Mehr
und polare Setzung formiert; andererseits auch von einer unvermeid
heitsgesellschaft bleiben sie immer » Kanaken«. Bei der Aneignung
lichen Einbeziehung des Anderen abhängt. Erst durch die Konstruk
und Umkehrung des Kanakendiskurses geht es daher gerade nicht um
tion des unterlegenen Anderen war es überhaupt möglich, dominante
eine freie Identitätswahl, sondern darum, ein aufgezwungenes Selbst
und marginale Positionen gesellschaftlich zu produzieren. In der ras·
bild zu unterlaufen.'3 Da Marginalisierte nicht über die Macht verfü
sistischen Identitätspolitik kommt daher die europäische Definitions
gen, den fremdbestimmten » Kanaken«-Diskurs zu beenden, versu
macht zur Sprache, die durch »weiße« Phantasmagorien und Bedürf
chen sie, innerhalb der rassistischen Diskurse zu intervenieren. Gera
nisse ins Leben gerufen wurde. Für den Rassismus ist es konstitutiv,
de in seinen Anfängen konnte die offensive Übernahme der Selbstde
dass er in einem gegensätzlichen Verhältnis von Abspaltung und
finitionsmacht für Überraschungseffekte sorgen und zur diskursiven
Identifikation zum Anderen steht. Daher gehen gewalttätige Diskurse
Entschleierung beitragen. In diesen Situationen werden die Machtan
der Vernichtung und Eindämmung immer mit Vereinigungswün
sprüche des liberalen Diskurses und die etablierten rassistischen Kon
schen und Projektionen Hand in Hand - etwa über den » guten Wil
ventionen mit einer Präsenz konfrontiert, die sich weigert, den ihr
den« oder der » armen Migrantin«, die man retten muss. Aus dieser widersprüchlichen Funktionsweise des Rassismus ergibt sich, dass die kolonialrassistische Ausgrenzung wie die damit einhergehende Kontrollrnacht niemals total sein können. Das bedeutet auch, dass marginalisierte Subjekte handlungsmächtig sind und die Möglichkeit haben, dominante Narrationen diskursiv zu unterbre-
zugewiesenen Platz einzunehmen. Indem das kanakische Sprechen über ethnisch-nationale Begrenzungen hinweggeht und identitätspo-
1 3 I Vgl. für eine ausführlichere Diskussion über die politische und dis kursive Verwendung des Begriffs » Kanake« und seiner Derivate im migranti. sehen HipHop und beim Netzwerk » Kanak Attak« GüngörJLoh 2002: 19-40.
H6 I Hype um Hybridität litische Verbote ignoriert, wird es für die bestehenden Ordnungsmus ter der deutschen Gesellschaft gefährlich fremd.'4 Entgegen dem kos mopolitischen Selbstbild achten die weisungsberechtigten Instanzen und deutschen Alltagsregulationen sehr sorgfaltig auf die Zuschrei bung und Bewahrung ethnisierender Differenzierungen. Schließlich bildet die Wiedererkennbarkeit nationalstaatlich produzierter Identi tätspositionen die politische Geschäftsgrundlage der westlichen Mo deme. Vor dem Hintergrund dieses Ordnungsgefüges lösten die ka nakischen Grenzverletzungen des deutschen >Reinheitsgebots< zuwei len auch aggressive Reaktionen auf deutscher Seite aus, die um Fas sung und Kontrolle ringen. Diese unangepassten Identitätsverschie bungen versuchen, mit ihrer Uneindeutigkeit eine neue Unübersicht lichkeit in der Kartographie identitärer Geopolitik ins Leben zu rufen und die durchorganisierte Verwaltung nationaler Zugehörigkeiten zu verunsichern. Dadurch konnten sie für kurze Augenblicke den allge genwärtigen, sich liberal und staatstragend gebenden Rassismus zum Vorschein bringen. Wie provokant kanakische Selbstinszenierungen in ihren besten Momenten sein können, lässt sich erahnen, wenn wir den Schlagabtausch zwischen Feridun Zaimoglu und Heide Simonis, Norbert Blüm sowie Wolf Biermann in einer Fernsehtalkshow von Radio Bremen am 8.5.1998 verfolgen. Als Selbst-Repräsentationspoli tik wirkt(e) sie verstörend, weil die kanakische Selbstbenennungspra xis die Grenzen zwischen dem Eigenen und Fremden hinterfragt und die eingefleischten Muster der Subordination konterkariert. In diesen seltenen Momenten der geglückten Subversion werden aus Sprechak ten tatsächlich gesellschaftlich relevante »SpracMttakken«.'5
))An diesem imperialen Nicht-Ort, im hybriden Raum, den der Kon stitutionsprozess geschaffen hat, sind die Bewegungen der Subjekte immer schon präsent, kontinuierlich und ununterdrückbar« (Micha el Hardt/Toni Negri).
1 4 I Unter dieser Schlagzeile zeigte der Aufmacher auf dem Cover des Spiegels vom 14.4.1997 eine wütende junge Frau mit türkischer Flagge, um das »Scheitern der multikulturellen Gesellschaft« zu illustrieren. Im Heft folgte ein kollektiver Beitrag der Spiegel-Redaktion unter dem Titel »Zeitbomben in den Vorstädten«. 15 I Diese Fernseh-Talkshow ist in Ha (zoo3c) dokumentiert und ana lysiert worden.
L iteratur
Adelung, Johann Christoph (ZOO1 [1793-1801]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Digitale Bibliothek, Bd. 40, Berlin: Direetmedia. Adorno, Theodor W. (1967): Ohne Leitbild, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Adorno, Theodor W. (zo03 [1963]): » Resume über Kulturindustrie«, in: Ders., Kulturkritik und Gesellschaft IIII. Gesammelte Schriften, Bd. 10.1 und 10.2, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M.: Suhr kamp, S . 337-345. Ahmad, Aijaz (1994): In Theory. Classes, Nations, Literatures, London; New York: Verso. Amann, Mare (Hg.) (2005): go.stop.act! Die Kunst des kreativen Straßen protests, Frankfurt a.M.: Trotzdem Verlag. Appadurai, Arjun (1990): » Disjuneture and Difference in the Global Cultural Eeonomy«, in: Mike Featherstone (Hg.), Global Culture. Nationalism, Globalization and Modernity, London: Sage, S. 295-310. Arning, Matthias (2002) : » >Vorsicht! Friedman<. Selbstbewusstsein und das Nationale<<<, Frankfurter Rundschau, Online-Dossier: http: / /www. fr-aktuell.de/uebersicht/alle_dossiers/politik..inland/waL tuILgegeILrechts/?cnt=23372&, gesehen am 27.7.2°°5. Auernheirner, Georg (2003): Einftihrung in die interkulturelle Pädagogik, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Ayata, Imran (1999): »Kanak-Rap in Almanya - Über die schweren Folgen Deutschlands«, in: Katja Dominik et al. (Hg.), Angeworben eingewandert - abgeschoben. Ein anderer Blick aufdie Einwanderungs gesellschaft Bundesrepublik Deutschland, Münster: Westfalisehes Dampfboot, S. 273.287. Bachtin, Miehail M. (1979): Die Asthetik des Wortes, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Baumeister, Biene/Negator, Zwi (2005): Situationistische Revolutions theorie: eine Aneignung, Stuttgart: Schmetterling.
H6 I Hype um Hybridität litische Verbote ignoriert, wird es für die bestehenden Ordnungsmus ter der deutschen Gesellschaft gefährlich fremd.'4 Entgegen dem kos mopolitischen Selbstbild achten die weisungsberechtigten Instanzen und deutschen Alltagsregulationen sehr sorgfaltig auf die Zuschrei bung und Bewahrung ethnisierender Differenzierungen. Schließlich bildet die Wiedererkennbarkeit nationalstaatlich produzierter Identi tätspositionen die politische Geschäftsgrundlage der westlichen Mo deme. Vor dem Hintergrund dieses Ordnungsgefüges lösten die ka nakischen Grenzverletzungen des deutschen >Reinheitsgebots< zuwei len auch aggressive Reaktionen auf deutscher Seite aus, die um Fas sung und Kontrolle ringen. Diese unangepassten Identitätsverschie bungen versuchen, mit ihrer Uneindeutigkeit eine neue Unübersicht lichkeit in der Kartographie identitärer Geopolitik ins Leben zu rufen und die durchorganisierte Verwaltung nationaler Zugehörigkeiten zu verunsichern. Dadurch konnten sie für kurze Augenblicke den allge genwärtigen, sich liberal und staatstragend gebenden Rassismus zum Vorschein bringen. Wie provokant kanakische Selbstinszenierungen in ihren besten Momenten sein können, lässt sich erahnen, wenn wir den Schlagabtausch zwischen Feridun Zaimoglu und Heide Simonis, Norbert Blüm sowie Wolf Biermann in einer Fernsehtalkshow von Radio Bremen am 8.5.1998 verfolgen. Als Selbst-Repräsentationspoli tik wirkt(e) sie verstörend, weil die kanakische Selbstbenennungspra xis die Grenzen zwischen dem Eigenen und Fremden hinterfragt und die eingefleischten Muster der Subordination konterkariert. In diesen seltenen Momenten der geglückten Subversion werden aus Sprechak ten tatsächlich gesellschaftlich relevante »SpracMttakken«.'5
))An diesem imperialen Nicht-Ort, im hybriden Raum, den der Kon stitutionsprozess geschaffen hat, sind die Bewegungen der Subjekte immer schon präsent, kontinuierlich und ununterdrückbar« (Micha el Hardt/Toni Negri).
1 4 I Unter dieser Schlagzeile zeigte der Aufmacher auf dem Cover des Spiegels vom 14.4.1997 eine wütende junge Frau mit türkischer Flagge, um das »Scheitern der multikulturellen Gesellschaft« zu illustrieren. Im Heft folgte ein kollektiver Beitrag der Spiegel-Redaktion unter dem Titel »Zeitbomben in den Vorstädten«. 15 I Diese Fernseh-Talkshow ist in Ha (zoo3c) dokumentiert und ana lysiert worden.
L iteratur
Adelung, Johann Christoph (ZOO1 [1793-1801]): Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Digitale Bibliothek, Bd. 40, Berlin: Direetmedia. Adorno, Theodor W. (1967): Ohne Leitbild, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Adorno, Theodor W. (zo03 [1963]): » Resume über Kulturindustrie«, in: Ders., Kulturkritik und Gesellschaft IIII. Gesammelte Schriften, Bd. 10.1 und 10.2, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M.: Suhr kamp, S . 337-345. Ahmad, Aijaz (1994): In Theory. Classes, Nations, Literatures, London; New York: Verso. Amann, Mare (Hg.) (2005): go.stop.act! Die Kunst des kreativen Straßen protests, Frankfurt a.M.: Trotzdem Verlag. Appadurai, Arjun (1990): » Disjuneture and Difference in the Global Cultural Eeonomy«, in: Mike Featherstone (Hg.), Global Culture. Nationalism, Globalization and Modernity, London: Sage, S. 295-310. Arning, Matthias (2002) : » >Vorsicht! Friedman<. Selbstbewusstsein und das Nationale<<<, Frankfurter Rundschau, Online-Dossier: http: / /www. fr-aktuell.de/uebersicht/alle_dossiers/politik..inland/waL tuILgegeILrechts/?cnt=23372&, gesehen am 27.7.2°°5. Auernheirner, Georg (2003): Einftihrung in die interkulturelle Pädagogik, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Ayata, Imran (1999): »Kanak-Rap in Almanya - Über die schweren Folgen Deutschlands«, in: Katja Dominik et al. (Hg.), Angeworben eingewandert - abgeschoben. Ein anderer Blick aufdie Einwanderungs gesellschaft Bundesrepublik Deutschland, Münster: Westfalisehes Dampfboot, S. 273.287. Bachtin, Miehail M. (1979): Die Asthetik des Wortes, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Baumeister, Biene/Negator, Zwi (2005): Situationistische Revolutions theorie: eine Aneignung, Stuttgart: Schmetterling.
n8 I Hype um Hybrid ität
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(1988): »Koelreuter, Joseph Gottlieb«, in: Walther Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Gü tersloh; München: Bertelsmann, S. 424-425. Becher, Ilse (1990a): Art. »Hybris«, in: Johannes Irmscher in Zu sammenarbeit mit Renate Johne (Hg.), Lexikon der Antike, IO. Bäumer, Änne (Hg.),
durchgesehene u. erw. Aufl., Leipzig: Bibliographisches Institut, S .
257·
(1991): »Fuzzy Logic: zeitung vom 13.12.1991, S. 19.
Blum, Wolfgang
Pi mal Daumen«, in:
die tages
Orientierung Kulturwissenschaft, Reinbek: Rowohlt. Borries, Friedrich von (2005): Wer hat Angst vor Niketown? Nike- Urba nismus, Branding und die Markenstadt von Morgen, Rotterdam: Epi Böhme, Hartmut/Matussek, Peter/Müller, Lothar (2000):
sode Publishers.
Becher, Ilse (199ob): Art. » Sophokles«, in: Johannes Irmscher in Zu
Bromley, Roger
(2000):
»Multiglobalismen - Synkretismus und Viel
Lexikon der Antike, IO.
falt in der Populärkultur«, in: Caroline Y. Robertson/Carsten Win
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Kulturwandel und Globalisierung, Baden-Baden: Nomos, S. 189-205· Bronfen, Elisabeth/Marius, Benjamin (1997): »Hybride Kulturen.
sammenarbeit mit Renate Johne (Hg.),
55I-552. Beck, Ulrich
(1997):
Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalis
mus - Antworten auf Globalisierung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Berlan,
(1998): »Genetikindustrie. Le Monde diplomatique vom ILI2.1998,
Jean-Pierre/Lewontin, Richard
Angriff auf das Leben«, in:
S . 1 und S . 16. Bertelsmann. Die neue deutsche Rechtschreibung (1996),
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(2000): Studienbibliothek der deutschen Literatur von Lessing bis KaJka, Digitale Bibliothek, Bd. I, Berlin: Directrne
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Houndmills; London: MacMillian Education.
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sches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen (Hg.),
Funkkolleg Humanökologie. Weltbevölkerung - Ernährung - Umwelt, Studienbrief rr, Weinheim; Basel: Beltz, S. rr-48. Bilden, Helga (1999): Geschlechtsidentitäten. Angstvolles oder lustvolles Ende der Eindeutigkeit?, Vortrag am 4.5.1999, Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung (FU Ber lin) , in: URL: http://www.lrz-muenchen.derReflexive_Sozialpsy chologie/Bilden/geschlechtsidentitaeten.pdf (gesehen
2°°5) · Bilder-Lexikon der Erotik (1999 [1928-32]), hg.
Hybride Kulturen. Beiträge zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte, Tübingen: Stauffenburg, S. 1-29. Campanella, Tommaso (1900 [1602]): Der Sonnenstaat, München: M. Ernst.
(2005) : Postkoloniale Theorie. Eine kritische Eiriführung, Bielefeld: transcript. Catenhusen, Wolf-Michael/Neumeister, Hanna (1990): Chancen und Risiken der Gentechnologie. Dokumentation des Berichts der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages, Frankfurt a.M.: Campus. Crook, Stephen/Pakulski, Jan/Waters, Malcolm (1992): Postmoderniza tion. Change in Advanced Society, London: Sage. Darwin, Charles (1899 [1859]) : Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein, nach der letzten englischen Ausgabe wieder holt durchgesehen von J. Victor Carus, 9. Aufl., Stuttgart: Schweit
am
22.5.
zerbart' sche Verlagsbuchhandlung.
Das große Data Becker Lexikon 2001, CD-ROM, München: Data Becker. Das große Fremdwörterbuch (2000), hg. von der Dudenredaktion, Mannheim: Bibliographisches Institut und FA Brockhaus. Debord, Guy
(1978 [1967]): Die Gesellschaft des Spektakels,
Hamburg:
Nautilus.
(2004): Die Wut des Panthers. Die Geschichte der Black Panther Party, 3. ergänzte Aufl., Münster: Unrast. Der Große Brockhaus. Handbuch des Wissens in 20 Bänden (1929), Leip Demny, Oliver
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forschung in Wien, Digitale Bibliothek, Bd.
19,
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bearb. und erw. Aufl., Mannheim: Bibliographisches Institut und
dia.
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Blech, Jörg/Lakkota, Beate/Traufetter, Gerald verbote«, in:
Einleitung zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte«, in: Dies. (Hg),
Castro Varela, Maria do Mar/Dhawan, Nikita
kographisches Institut/Bertelsmann.
Best, S teven/Kellner, Douglas
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übersetzt und mit sachlichen
Anmerkungen versehen von Ignaz Emanuel Wessely, München:
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2. durchgesehene und mit einem metakritischen An
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(I975): Sämtliche Werke in vier Bänden,
Berlin:
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»Hybris«, in: Kurt Galling in Gemeinschaft
mit Hans Frhr. v. Camphausen, Erich Dinkler, Gerhard Gloege und Knud L0gstrup (Hg.),
Aufbau. Smart, Barry
(I993): Postmodernity. Key Ideas,
London; New York:
Routledge. Spies, Marcus
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Heidelberg: Spektrum
Aka
demischer Verlag. Steyerl, Hito
Stoler, Ann Laura
Venturi, Robert et al.
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Schneider, Irmela
Süddeutsche Zeitung vom
08.02.2002.
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(I997) : Inklusion/Exklusion. Kunst im Zeitalter von Postkolonialismus und globaler Migration, Köln: DuMont.
130 I
Hype
um
Hybridität
Wege aus der Postmoderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim:
Welsch, Wolfgang (1988 ) : »Einleitung«, in: Ders. (Hg.),
Die Titel dieser Reihe:
Acta humaniora, S. 1-43. Welsch, Wolfgang (1991):
Unsere postmoderne Moderne,
3 . durchges.
Aufl., Weinheim: Acta humaniora.
Johanna Mutzl
Ruth Mayer
Werbner, Pnina (1997): »Introduction. The Dialectics of Cultural Hyb
Diaspora
»Die Macht von dreien ... «
Eine kritische
Medienhexen und moderne
London: Zed Books, S . 1-26.
Begriffsbestimmung
Fangemeinschaften.
Debating Cultural Hyb ridity. Multi-Cultural Identities and the Politics of Anti-Racism, Lon
Dezember 20°5, ca. 200 Seiten,
Bedeutungskonstruktionen im
ridity«, in: Dies. /Tariq Modood (Hg.),
Debating Cultural Hybridity,
Werbner, Pnina/Modood, Tariq (Hg.) (1997): don: Zed Books.
Wicker, Hans-Rudolf (2000) : »Globalisierung, Hybridisierung und die
Die Bedeutung des Ethnischen im Zeitalter der Globalisierung. Einbindung - Ausgrenzun gen - Säuberungen, Bern: Paul Haupt, S . 201-217. Winger, A. (2004): Möglichkeiten und Grenzen der Senkung des Ener gieaujWands beim Betrieb von PKW mit Hybridantrieb, Dresden: Diss. neue Authentizität«, in: Rupert Moser (Hg.),
Wollrad, Eske (2002) : » Deutschland den Deutschen, Indien den In dianern! Zum Verhältnis von Kultur, Hybriditätsdiskursen und
kart., ca. 19,80
€,
Internet
ISBN: 3 -89942-311-9
August 20°5, 194 Seiten, kart., 25,80
Tanj a Thomas, Fabian Virchow (Hg.)
Gerhard Schweppenhäuser
Banal Militarism Zur Veralltäglichung des
»Naddel« gegen ihre
Militärischen im Zivilen
Liebhaber verteidigt
Oktober 20°5, ca. 330 Seiten, kart., ca. 27,80
€,
Der Sprung in der Schüssel, Herbolzheim:
Centaurus, S. 7-25.
Wüst, Christian (2001) : » Milder Motor aus Fernost«, in:
Der Spiegel
44/2001, S. 2 10. Young, Robert C. (1995):
and Race,
Colonial Desire. Hybridity in Theory, Culture
London; New York: Routledge.
Young, Robert C. (2000) : »The Politics of Postcolonial Critique«, in:
Anglistentag 1999 Mainz. Proceedings of the Conftrence of the German Association of University Teachers of English, Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, S. 231Bernhard Reitz/Sigrid Rieuwerts (Hg.),
243·
Die neuen Weltbürger. Wettbewerbsvorteile kos mopolitischer Gesellschaften, München: Econ. Zima, Peter (1997) : Moderne/Postmoderne, Tübingen: A. Francke. Zachary, Pascal (2000) :
Zurek, Ernst (1992): »Technischer Fortschritt und soziale Risiken: Die Grüne Revolution«, in: Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen (Hg.), Funkkolleg Humanökologie. Weltbevöl kerung - Ernährung - Umwelt, Studienbrief 6, Weinheim; Basel: Beltz, S. 44-81.
Ästhetik und Kommunikation in der Massenkultur
ISBN: 3-89942-356-9
20°4, 192 Seiten,
Rassismus«, in: Kirsten Beuth/Benita Joswig/Gisela Matthiae (Hg.) :
€,
ISBN: 3-89942-374-7
kart., 23,80
Maria do Mar Castro Varela,
€,
ISBN: 3-89942-250-3
Nikita Dhawan Postkoloniale Theorie
Christoph Jacke
Eine kritische Einführung
Medien (sub) kultur
September 2005, ca. 150 Seiten,
Geschichten - Diskurse -
kart., ca. 15,80
€,
Entwürfe
ISBN: 3-89942-337-2
20°4, 354 Seiten, kart., 26,80
Kien Nghi Ha
€,
ISBN: 3-89942-275-9
Hype um Hybridität Kultureller Differenzkonsum
Brigitte Hipfl,
und postmoderne
Elisabeth Klaus,
Verwertungstechniken im
Uta Scheer (Hg.)
Spätkapitalismus
Identitätsräume
August 2005, 132 Seiten, kart., 15,80
€,
ISBN: 3-89942-309-7
Nation, Körper und Geschlecht in den Medien. Eine Topografie 20°4, 372 Seiten, kart., 26,80
€,
ISBN: 3 - 89942-194-9
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
130 I
Hype
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Wege aus der Postmoderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim:
Welsch, Wolfgang (1988 ) : »Einleitung«, in: Ders. (Hg.),
Die Titel dieser Reihe:
Acta humaniora, S. 1-43. Welsch, Wolfgang (1991):
Unsere postmoderne Moderne,
3 . durchges.
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Johanna Mutzl
Ruth Mayer
Werbner, Pnina (1997): »Introduction. The Dialectics of Cultural Hyb
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»Die Macht von dreien ... «
Eine kritische
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Fangemeinschaften.
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Dezember 20°5, ca. 200 Seiten,
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ISBN: 3 -89942-311-9
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44/2001, S. 2 10. Young, Robert C. (1995):
and Race,
Colonial Desire. Hybridity in Theory, Culture
London; New York: Routledge.
Young, Robert C. (2000) : »The Politics of Postcolonial Critique«, in:
Anglistentag 1999 Mainz. Proceedings of the Conftrence of the German Association of University Teachers of English, Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, S. 231Bernhard Reitz/Sigrid Rieuwerts (Hg.),
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Ästhetik und Kommunikation in der Massenkultur
ISBN: 3-89942-356-9
20°4, 192 Seiten,
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ISBN: 3-89942-374-7
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ISBN: 3-89942-337-2
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ISBN: 3-89942-309-7
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Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de