Marc-Andreas Edel Wolfgang Vollmoeller Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen
Marc-Andreas Ed...
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Marc-Andreas Edel Wolfgang Vollmoeller Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen
Marc-Andreas Edel Wolfgang Vollmoeller
Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen Mit 13 Abbildungen
1 23
Dr. med. Marc-Andreas Edel Priv.-Doz. Dr. med. Wolfgang Vollmoeller Westfälisches Zentrum Bochum Psychiatrie und Psychotherapie Klinik der Ruhr-Universität Bochum Alexandrinenstraße 1, 44866 Bochum ISBN-10 ISBN-13
3-540-25401-3 Springer Medizin Verlag Heidelberg 978-3-540-25401-3 Springer Medizin Verlag Heidelberg
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag. Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Renate Scheddin Projektmanagement: Renate Schulz Lektorat: Dr. Christiane Grosser, Viernheim Design: deblik Berlin Cover-Bild: Avelke Edel, Bochum SPIN 11408819 Satz: medionet AG, Berlin Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier 2126 – 5 4 3 2 1 0
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Vorwort Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) galt in Europa bis vor wenigen Jahren als klassische Domäne der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im Volksmund kannte man unter Bezug auf das Kinderbuch vom »Struwwelpeter« schon lange ein sog. »Zappelphilipp-Syndrom«. Allerdings wurde dem Phänomen des unruhigen Kindes hier seinerzeit noch keinerlei Krankheitswert zugebilligt. Der englische Pädiater G.F. Still (1868–1941) sah darin eher einen »moralischen Defekt«, während der Wiener Kinderarzt F. Hamburger (1874–1954) darin eine neurotische Unart zu entdecken glaubte. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging man beim hyperkinetischen Verhalten des Kindes dann schon von einem hirnorganischen Syndrom aus, wobei am ehesten eine frühkindliche Hirnschädigung vermutet wurde. Erst Anfang der 1980er Jahre wies vor allem Paul H. Wender in den USA darauf hin, dass diese Störung auch im Erwachsenenalter noch als Vollbild vorliegen und weiterhin Ursache gravierender psychosozialer Beeinträchtigungen sein kann. In Deutschland waren es Ende der 1990er Jahre insbesondere Johanna und Klaus-Henning Krause sowie Götz-Erik Trott, die der Fachwelt das Phänomen »ADHS bei Erwachsenen« als ernst zu nehmende, operationalisiert zu diagnostizierende und gut behandelbare Störung näher brachten. Die Skepsis, ob es sich bei der ADHS im Erwachsenenalter wirklich um eine eigenständige Erkrankung handle, wich allerdings nur zögerlich. Dies lag erstens daran, dass epidemiologische Studien zur Prävalenz der ADHS bei Erwachsenen in der Bevölkerung bislang rar waren. Zweitens zeigt sich das Syndrom insbesondere im Erwachsenenalter meist mit einer Fülle komorbider psychischer Störungen und psychosozialer Probleme derart verquickt, dass die Identifikation bzw. Abgrenzung seiner Kernsymptome schwierig erscheint. Drittens handelt es sich hier, mehr noch als bei vielen anderen psychischen Störungen, um eine dimensionale, d. h. erst ab einer bestimmten Ausprägung von Symptomen zu stellende Diagnose. Bei ihr ist insofern in der Bevölkerung ein Kontinuum zwischen impulsivem Temperament und zerstreuter Persönlichkeit einer-
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Vorwort
seits und manifester Störung andererseits anzunehmen. Viertens imponiert die motorische Hyperaktivität bei erwachsenen Patienten klinisch oft nicht so eindrucksvoll wie bei Kindern oder Jugendlichen. Sämtliche dieser Unsicherheiten lassen sich inzwischen jedoch, auch aufgrund der in den letzten Jahren erheblich verbesserten Datenlage, entkräften. Parallel zu einer vermehrten wissenschaftlichen und öffentlichen Beachtung der Thematik stieg die Nachfrage nach kompetenter Diagnostik und Therapie. Dies suggeriert eine Art Boom. In unserer stark wettbewerborientierten Gesellschaft ist es schließlich zu einer Mode geworden, die eigene geistige Leistungsfähigkeit und Attraktivität mit »Lifestyle«-Mitteln weiter zu erhöhen. Dabei wird auch das bei der ADHS bewährte Methylphenidat (Ritalin) als »cognitive Enhancer« immer wieder erwähnt. Bei der Behandlung der ADHS mit Stimulanzien und anderen Therapieelementen handelt es sich aber immer um das Bestreben, bereits bestehende gravierende kognitive und psychosoziale Probleme zu beseitigen oder wenigstens günstig zu beeinflussen. Unsere Bochumer Institutsambulanz bietet entsprechend seit 2001 eine Spezialsprechstunde für Erwachsene mit Verdacht auf ADHS an. Eine effektive, effiziente und – zeitliche Abläufe berücksichtigende – multimodale Therapie Erwachsener mit ADHS setzt allerdings immer vielseitige Kenntnisse hinsichtlich Diagnostik, Differenzialdiagnostik, Komorbidität sowie psychosozialer Risiken und Begleitprobleme voraus. Möge das Engagement der ausgewiesenen Expertinnen und Experten, die wir dankenswerterweise für dieses Buch gewinnen konnten, interessierte klinische wie niedergelassene Kolleginnen und Kollegen, aber auch Psychologen, Sozialtherapeuten, Pädagogen sowie sonstiges Fachpersonal diesem Ziel näher bringen. Kritik oder Rückmeldungen zum Buch bzw. einzelnen Beiträgen sind ausdrücklich erwünscht. Bochum, im August 2005 M.-A. Edel, W. Vollmoeller
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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Ätiologie der ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K.-H. Krause
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7
Annahmen zu Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . Genetik und ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anatomische und neurochemische Grundlagen . . . . Messung von Katecholaminen und ihren Metaboliten EEG und evozierte Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . Bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
Epidemiologie der ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M.-A. Edel
2.1 2.2 2.3
Häufigkeit im Kindesalter . . . . . Häufigkeit im Erwachsenenalter . Zusammenfassung . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter . . J. Krause
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.6.1 3.6.2 3.7
Historische Entwicklung und Prävalenz . . . . . Symptome und Diagnose . . . . . . . . . . . . . . Hyperaktivität und Impulsivität . . . . . . . . . . Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung Komorbidität und Differenzialdiagnose . . . . . Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medikamentöse Behandlung . . . . . . . . . . . Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V VII XI
1 . . . . . . . .
2 3 4 6 8 8 13 14
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22 24 27 27
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30 31 37 38 40 40 43 45 46 47
VIII
Inhaltverzeichnis
4
Effiziente Therapiestrategien bei ADHS . . . . . . . . . . . . . G.-E. Trott, J. Krause
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
ADHS – eine pervasive Störung Prävalenz . . . . . . . . . . . . . . Diagnose . . . . . . . . . . . . . . Therapieziele . . . . . . . . . . . . Bisherige Therapiestudien . . . Therapieempfehlungen . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . .
5
Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter B. Hesslinger, A. Philipsen, H. Richter, D. Ebert
5.1 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4
Gründe für eine psychotherapeutische ADHS-Behandlung Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medikamentöse Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung einer störungsspezifischen Psychotherapie für Erwachsene mit ADHS – Methoden und Ergebnisse . . . Konzepterstellung und Planungsphase . . . . . . . . . . . . . Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Therapieziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Module und Rahmenbedingungen der Behandlung . . . . . Erstmalige Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überprüfung der Effekte im klinischen Versuch . . . . . . . . Ergebnisdiskussion und Zusammenfassung . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.6 5.7 5.8
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50 51 52 53 54 56 60 60
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64 65 66 66 67
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68 69 69 70 70 75 75 78 79
6
ADHS und Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Vollmoeller, M.-A. Edel
81
6.1 6.2.
Komorbidität von ADHS und Persönlichkeitsstörungen . . Untersuchung zu Persönlichkeitsstörungen erwachsener ADHS-Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlichkeitseffekte im Verlauf der ADHS-Behandlung . Ergebnisdiskussion und Zusammenfassung . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
6.3 6.4
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87 91 99 101
Inhaltverzeichnis
IX
7
ADHS und Sucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M.-A. Edel, W. Vollmoeller
103
7.1 7.2 7.3 7.4
Sensation Seeking bzw. Novelty Seeking und Impulsivität Sucht und ADHS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komorbidität von ADHS und Sucht . . . . . . . . . . . . . . . ADHS als Risikofaktor für Suchtentwicklungen und erschwerte Remissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsame Kandidatengene bei ADHS und Sucht . . . . Das dopaminerge Fokussierungs-, Verstärkungs- und Motivationssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neurobiologische und psychologische Gemeinsamkeiten bei ADHS und Sucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Untersuchungen zur Relation von ADHS und Substanzkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diagnostische Aspekte bei ADHS-Sucht-Komorbidität . . Macht Methylphenidat abhängig? . . . . . . . . . . . . . . . Therapeutische Aspekte bei ADHS-Sucht-Komorbidität . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
104 104 106
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108 109
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110
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114
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117 119 120 121 124 124
7.5 7.6 7.7 7.8 7.9 7.10 7.11 7.12
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
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ADHS und Straffälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Retz, M. Rösler
Klinische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ätiopathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ADHS als Risikofaktor für die soziale Entwicklung . . . . . . . . Prävalenz in forensischen Populationen . . . . . . . . . . . . . . Komorbidität von ADHS und Störungen des Sozialverhaltens Schlussfolgerungen und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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133 . . . . . . . .
134 135 137 138 141 147 148 153
XI
Autorenverzeichnis Ebert, Dieter, Prof. Dr. med. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg, Hauptstraße 5, D-79104 Freiburg Edel, Marc-Andreas, Dr. med. Westfälisches Zentrum Bochum, Psychiatrie & Psychotherapie, Klinik der Ruhr-Universität Bochum, Alexandrinenstraße 1–3, D-44791 Bochum Hesslinger, Bernd, Dr. med. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg, Hauptstraße 5, D-79104 Freiburg Krause, Johanna, Dr. med. Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie, D-85521 Ottobrunn Krause, Klaus-Henning, Prof. Dr. med. Friedrich-Baur-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München, Ziemssenstr. 1a, D-80336 München Philipsen, Alexandra, Dr. med. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg, Hauptstraße 5, D-79104 Freiburg Retz, Wolfgang, Prof. Dr. med. Neurozentrum – IGPUP, Universität des Saarlandes, D-66421 Homburg/ Saar Richter, Harald, Dr. phil. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg, Hauptstraße 5, D-79104 Freiburg
XII
Autorenverzeichnis
Rösler, Michael, Prof. Dr. med. Neurozentrum – IGPUP, Universität des Saarlandes, D-66421 Homburg/ Saar Trott, Götz-Erik, Prof. Dr. med. Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie – Psychotherapie, Luitpoldstr. 2–4, D-63739 Aschaffenburg Vollmoeller, Wolfgang, Priv.-Doz. Dr. med. Dipl.-Psych. Westfälisches Zentrum Bochum, Psychiatrie & Psychotherapie, Klinik der Ruhr-Universität Bochum, Alexandrinenstraße 1–3, D-44791 Bochum
1 Ätiologie der ADHS K.-H. Krause
1.1
Annahmen zu Risikofaktoren – 2
1.2
Genetik und ADHS
1.3
Anatomische und neurochemische Grundlagen – 4
1.4
Messung von Katecholaminen und ihren Metaboliten – 6
1.5
EEG und evozierte Potenziale
1.6
Bildgebende Verfahren – 8
1.7
Zusammenfassung – 13 Literatur – 14
–3
–8
2
Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
1
1.1
Annahmen zu Risikofaktoren
2
Wie bei vielen psychiatrischen Erkrankungen kontrastiert auch bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) die potenziell sehr starke subjektive und objektive Beeinträchtigung mit dem Fehlen spezifischer biologischer Marker, mit denen die Diagnose abgesichert werden könnte. Eine organische Basis der Symptome wurde gleichwohl bereits von Still, der 1902 die Kombination von Überaktivität, Aufmerksamkeitsstörung und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern beschrieb, vermutet. Später wiesen Begriffe wie MCD (»minimal cerebral dysfunction«) oder das in der Schweiz noch gebräuchliche POS (»psychoorganisches Syndrom«) auf den vermuteten organischen Ursprung hin. Inwieweit Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen zur Entwicklung oder Ausprägung einer ADHS beitragen, ist unklar (Faraone u. Biederman 1998). In einer neueren Arbeit untersuchten Mick et al. (2002) den Einfluss eines niedrigen Geburtsgewichts auf das Auftreten einer ADHS. Sie fanden, dass Kinder mit ADHS 3-mal häufiger diesen Risikofaktor aufwiesen als Kontrollpersonen. Nun kann man natürlich argumentieren, dass Hyperaktivität der Mutter, Zigarettenrauchen, Alkohol, soziales Umfeld und komorbide Persönlichkeitsstörungen bei den Eltern zu dem niedrigen Geburtsgewicht geführt hätten – diese Faktoren wurden aber von den Autoren bereits berücksichtigt. Ein niedriges Geburtsgewicht wurde allerdings nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen als unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer ADHS angesehen. Die Frage ist, ob man hier trotzdem nicht Ursache und Wirkung verwechselt: Die vermehrte motorische Aktivität betroffener Kinder könnte durchaus eine vorzeitige Geburt mit niedrigerem Körpergewicht bedingen. Klinisch evident ist andererseits, dass Patienten mit einer Schädigung im Bereich des Frontalhirns häufig ähnliche Symptome wie die bei der ADHS beschriebenen aufweisen. Früher wurden häufig Umweltfaktoren als Ursache der ADHS angeschuldigt. So kann zwar ein ungünstiges soziales Milieu wie generell bei psychischen Erkrankungen bei entsprechender Disposition auch Ausprägung und Auswirkung der Symptome einer ADHS modifizieren, es ist aber
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1.2 · Genetik und ADHS
3
1
keinesfalls als entscheidende Ursache anzusehen (Faraone u. Biederman 1998). In der Vergangenheit favorisierte Konzepte einer Verursachung der ADHS durch Zucker, Milch, Eier, Phosphat oder Nahrungsmittelzusätze (Levin 1978) bestätigten sich in kontrollierten Studien nicht (Faraone u. Biederman 1998); im Einzelfall können aber Überempfindlichkeiten auf Nahrungsstoffe bei Kindern zu Symptomen wie Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung führen, die dann einer entsprechenden Diät bzw. Desensibilisierung zugänglich sind (Egger et al. 1985, 1992).
1.2
Genetik und ADHS
Zwillingsstudien (Todd et al. 2001), Familienuntersuchungen (Faraone et al. 2000) und Adoptionsstudien (Cadoret u. Stewart 1991) belegen eine erhebliche hereditäre Komponente der ADHS. Konkordanzraten von 66% für monozygote und 28% für heterozygote Zwillinge wurden beschrieben (Gjone et al. 1996, Levy et al. 1997). Die Heredität wird auf 50–98% geschätzt (Hawi et al. 2001), Swanson et al. (2000) geben einen Wert um 80% an. In einer großen Segregationsanalyse von 140 ADHD-Familien mit 454 Verwandten 1. Grades und 120 Normalpersonen mit 368 Verwandten 1. Grades kamen Faraone et al. (1992) zu dem Schluss, es müsse sich um ein einzelnes autosomal dominantes Gen handeln (wie auch beim Tourette-Syndrom ursprünglich vermutet). Aktuelle Untersuchungen (Comings 2001) kommen allerdings zu einer anderen Einschätzung. Nach neueren Befunden ist bei der ADHS ein Zusammenspiel multipler Gene anzunehmen (Krause u. Krause 2003). Zwei Kandidatengene, die mit dem Dopaminsystem zu tun haben, wurden vor allem untersucht: Das Dopamintransporter-(DAT1-)Gen auf Chromosom 5p15.3, sowie das Dopamin- D4-Rezeptor-(DRD4-)Gen auf Chromosom 11p15.5 (Kirley et al. 2002). Die Mehrzahl der Studien zum DAT1-Gen zeigten eine Assoziation des 10-R-Allels, die meisten der Studien zum DRD4-Gen eine Assoziation des 7-R-Allels mit der ADHS. Zu bedenken ist dabei, dass das 10-R-Allel beim DAT1-Gen auch in der Nor-
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
malbevölkerung weit verbreitet ist; das 7-R-Allel des DRD4-Gens liegt dagegen generell in allen Gruppen nur mit relativ niedrigen Werten vor. Die Beziehungen zwischen den Auffälligkeiten an den beiden untersuchten Allelen und der Manifestation einer ADHS sind nicht streng: So hatten etwa in der Studie von LaHoste et al. (1996) die Hälfte der diagnostizierten Patienten mit ADHS nicht das 7-R-Allel, und etwa ein Fünftel der Kontrollgruppe wies mindestens ein 7-R-Allel auf. Curran et al. (2001) fanden eine Assoziation zum DAT1-Gen bei einer Gruppe von britischen, nicht dagegen bei türkischen Kindern. Es ist nach Swanson et al. (2000) durchaus möglich, dass die beobachteten genetischen Auffälligkeiten bei der ADHS zu dem postulierten Dopamindefizit führen. So könnte das 7-R-Allel des DRD4-Gens einen »subsensitiven« Dopaminrezeptor produzieren, das 10-R-Allel des DAT1Gens einen abnorm effizienten Dopamintransporter. Auch eigene Untersuchungen zeigten, dass bei der ADHS mehr Personen homozygot für das DAT-10-R-Allel sind als bei Kontrollpersonen (Krause et al. 2004). Interessant erscheint für die Zukunft eine genaue Sequenzanalyse dieser Region zur Aufdeckung von Unterschieden zwischen ADHS-Betroffenen und Normalpersonen.
12 Anatomische und neurochemische Grundlagen
13
1.3
14
Wegen der erstmals 1937 von Bradley beschriebenen guten Wirksamkeit von Stimulanzien auf die Symptome der ADHS wurde schon früh vermutet, dass entsprechend dem Wirkmechanismus dieser Substanzen bei der ADHS eine Störung im Bereich der biogenen Amine Dopamin und Noradrenalin vorliegt (Faraone u. Biederman 1998). Produktionsorte von Noradrenalin sind Neurone im Locus coeruleus und im lateralen Tegmentum; der Neurotransmitter ist im Gehirn weit verbreitet, am dichtesten in den primären visuellen, auditiven, somatosensorischen und motorischen Regionen. Wichtige noradrenalinabhängige Wechselbeziehungen bestehen zwischen Locus coeruleus und präfrontalem Kortex (Arnsten et al. 1996). Die noradrenalinabhängigen
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1.3 · Anatomische und neurochemische Grundlagen
5
1
Neurone sind im normalen Wachzustand aktiv und zeigen verminderte Entladungen während des Schlafes und bei Zuständen mit beeinträchtigter Aufmerksamkeit. Dopamin ist im Gegensatz zu Noradrenalin in den primären sensomotorischen kortikalen Hirnregionen nur gering vertreten, dafür dicht im präfrontalen Kortex und im Striatum sowie in den Assoziationsbahnen zu den temporalen und parietalen Lappen. Produktionsorte von Dopamin sind Kerngebiete im Mittelhirn (ventrales Tegmentum und Pars compacta der Substantia nigra). Vom ventralen Tegmentum aus laufen Projektionsbahnen zum Nucleus accumbens, dem mit dem limbischen System eng verknüpften Anteil des Striatums (mesokortikolimbisches System), von der Substantia nigra aus zum Körper des Striatums (mesostriatales System) (Afifi 1994). Das mesostriatale System ist wichtig für stereotype Verhaltensweisen sowie Zuwendung und Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit, das mesokortikolimbische System für motorische Aktivität, Neugierverhalten und Entwicklung von Handlungsstrategien (Clark et al. 1987). Der Nucleus accumbens ist entscheidend für Motivation und Belohnung und weist enge Verbindungen zu anderen Strukturen des limbischen Systems auf. Beim Aufmerksamkeitssystem werden anatomisch ein vorderes und ein hinteres System unterschieden (Posner u. Dehaene 1994). Das vordere System – Cingulum und präfrontaler Kortex – ist für das Arbeitsgedächtnis, die nicht fokussierte Aufmerksamkeit, Reizhemmungsmechanismen und die sog. exekutiven Funktionen wie Organisation, Setzen von Prioritäten und Selbstkontrolle verantwortlich. Das hintere System – rechter Parietallappen, Colliculi superiores und Pulvinar (hinterer Thalamusanteil) – ist wichtig für die Erkennung von neuen Stimuli. Die Modulation und Steuerung all dieser Funktionen findet in subkortikalen Strukturen, vor allem im Striatum und Thalamus, statt. Eine Lateralisierung dieser Funktionen im Großhirn wurde beschrieben: Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit und der Zuwendung zu neuen Reizen sind danach hauptsächlich in der rechten, fokussierte selektive Aufmerksamkeitsleistungen mehr in der linken Hirnhälfte lokalisiert (Castellanos et al. 1994b).
6
1
Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
! Mit den üblichen Aufmerksamkeitstests sind Defizite bei ADHS in der Regel nicht erfassbar.
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Dieses Problem führte teilweise dazu, dass man die Entität der Störung in Frage stellte. Die hauptsächlichen Defizite bestehen bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen. Bei Tests zur Erfassung der kontinuierlichen Aufmerksamkeitsleistung (»Continuous Performance Tests«; CPT) haben ADHS-Betroffene längere Reaktionszeiten bei Entscheidungsprozessen sowie generell eine höhere Variabilität bei den Reaktionszeiten und zeigen mehr impulsiv bedingte Fehler (»commission«) als Auslassungsfehler (»omission«). Es handelt sich um Defizite der Intention, der Vorbereitungsphasen, der Perzeption, der Verschlüsselung eines Reizes und der Reaktion hierauf. Diese Störungen sind abhängig vom Arbeitsgedächtnis und von »exekutiven« Funktionen des präfrontalen Kortex (Denkla 1996). Andere Funktionen des Frontallappens wie bei »Go/No-go«-Aufgaben und die adäquate Aufrechterhaltung und Schaltung spezieller Strategien zur Aufgabenbewältigung sind gleichfalls bei ADHS gestört (Casey et al. 1997). Mehrere Untersucher haben Störungen der optischen räumlich-konstruktiven und perzeptiven Leistungen sowie der Orientierung auf bestimmte Reize im linken visuellen Feld bei ADHS beschrieben, die die rechte Hemisphäre und speziell die rechtsseitigen frontostriatalen Bahnen betreffen (Carter et al. 1995; Garcia-Sanchez et al. 1997). ! Neurobiologische Auffälligkeiten bei der ADHS sind in erster Linie im frontostriatalen System zu erwarten; hier wäre vor allem nach Störungen im Dopaminstoffwechsel zu fahnden.
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1.4
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Bei der ADHS wurden zwar viele Studien mit dem Ziel durchgeführt, neurochemische Auffälligkeiten in Blut, Urin oder Liquor nachzuweisen, es resultierten aber letztlich uneinheitliche Ergebnisse (Mercugliano 2000). Die Befunde sind limitiert durch die Unmöglichkeit, Prozesse in
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Messung von Katecholaminen und ihren Metaboliten
1.4 · Messung von Katecholaminen
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bestimmten Hirnanteilen zu identifizieren sowie das Vorhandensein der gleichen neurochemischen Marker aus peripheren Quellen. Bei Liquorstudien sind generell die niedrige Zahl und die fraglich validen Kontrollen zu bedenken, außerdem ist unklar, inwieweit Spiegel von Neurotransmittern und ihren Metaboliten überhaupt mit der neuronalen Aktivität korrelieren (Zametkin et al. 1993). Erste Ergebnisse mit Erniedrigung der Homovanillinsäure (HVA), einem wesentlichen zentralen Metaboliten des Dopamins, im Liquor wurden nicht bestätigt (Mercugliano 2000). Am konsistentesten erschien eine Erniedrigung von 3-Methoxy-4-hydroxyphenäthyl-eneglycol (MHPG), dem dominierenden zentralen Metaboliten von Noradrenalin im Urin (Oades 1987; Zametkin et al. 1993), aber auch dies wurde nicht von allen Autoren bestätigt (Castellanos et al. 1994). Möglicherweise ist der Anstieg der Katecholamine durch Stress bei Kindern mit ADHS nicht so ausgeprägt wie bei Normalpersonen (Pliszka et al. 1996). Eventuell spielt hierbei auch eine Störung im Adrenalinhaushalt eine Rolle (Girardi et al. 1995; Hanna et al. 1996). Bisher ging man davon aus, dass Fehlfunktionen von Serotonin keine wesentliche Rolle bei der ADHS spielen. Tierexperimentelle Untersuchungen könnten aber dafür sprechen, dass auch Störungen im Serotoninhaushalt bei der ADHS vorliegen (Gainetdinov et al. 1999). Beim Vergleich der Plasmaspiegel von Serotonin, Noradrenalin, Dopa und Lipiden zwischen Kindern mit schwer und leicht ausgeprägter ADHS wurde lediglich für Serotonin eine Tendenz zu niedrigeren Werten bei Kindern mit schwerer ausgeprägter ADHS gefunden, bei den übrigen keine Unterschiede (Spivak et al. 1999). In diesem Zusammenhang erscheint wesentlich, dass Serotonin eine wichtige Rolle bei häufig mit der ADHS gemeinsam auftretenden Störungen wie Depression, Angststörungen, Zwangserkrankungen und aggressivem Verhalten spielt. Studien zeigten, dass niedrige Werte des Serotoninmetaboliten 5-Hydroxyindolessigsäure im Liquor mit impulsiven und aggressiven Verhaltensstörungen korrelierten (Kruesi et al. 1992; Trott 1993).
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
1
1.5
EEG und evozierte Potenziale
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Bei quantitativen EEG-Analysen fanden sich Unterschiede zwischen Kontrollpersonen und Patienten mit ADHS, insbesondere eine Verlangsamung über den frontalen Hirnregionen (Chabot et al. 1996). In ihrer eingehenden Übersicht über bisher durchgeführte quantitative EEG-Untersuchungen resümiert Tannock (1998), dass mit den bisherigen Untersuchungstechniken das quantitative EEG als diagnostisches Verfahren noch nicht valide genug erscheint. In neueren Untersuchungen an einem großen ADHS-Patientenkollektiv (482 Patienten) im Alter zwischen 6 und 30 Jahren fanden sich erstaunlich hohe Werte für Sensitivität (86%) und Spezifität (98%) bei Voraussage der Diagnose aufgrund einer erhöhten ThetaBeta-Ratio (Monastra et al. 1999); insgesamt lag nur bei 1% der Probanden, die nach den angewandten EEG-Kriterien als ADHS-positiv eingestuft wurden, keine ADHS vor. Entsprechende Untersuchungen könnten also in Zukunft bei der Diagnostik der ADHS hilfreich sein. Mehrere Untersucher fanden niedrige Amplituden von ereigniskorrelierten Potenzialen (P 300) (Brandeis et al. 1998), was für Probleme bei der Signalerkennung und -verarbeitung spricht. Dabei war P 300 kleiner sowohl bei akustischen als auch bei visuellen Reizen. Interessant sind auch Befunde, die bei Bestimmung der frühen akustisch evozierten Hirnstammpotenziale Auffälligkeiten bei Patienten mit ADHS zeigten, was auf eine zusätzliche Störung bereits bei der frühen Wahrnehmung auditorischer Reize hinweist (Lahat et al. 1995).
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Bildgebende Verfahren
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1.6
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Bei computertomographischen Untersuchungen fanden sich inkonsistente Befunde, die überzeugende strukturelle Veränderungen nicht erkennen ließen (Sieg et al. 1995). Dagegen wurde im Kernspintomogramm eine Größenabnahme des Frontallappens, insbesondere der rechten Seite (Hynd et al. 1991), des Corpus callosum (Filipek et al. 1997) sowie der Basalganglien (Castellanos et al. 1996) nachgewiesen, allerdings mit teilwei-
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1.6 · Bildgebende Verfahren
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1
se widersprüchlichen Resultaten (Sieg et al. 1995). In einer umfangreichen kernspintomographischen Studie fand sich eine signifikante Größenabnahme von rechtem Frontalhirn, rechtem Nucleus caudatus, rechtem Globus pallidus und Kleinhirn (Castellanos 1997). Die Befunde bezüglich rechtem Frontalhirn und Nucleus caudatus wurden in einer weiteren Studie bestätigt (Casey et al. 1997), während in einer anderen eine Vergrößerung des Nucleus caudatus vor allem rechts gefunden wurde (Mataro et al. 1997). In einer neueren großen Studie beschrieben Castellanos et al. (2002) ein generell geringeres Hirnvolumen bei ADHS, am deutlichsten in der weißen Substanz von unbehandelten Kindern; die einzige Region, für die sich in der Adoleszenz eine Normalisierung zeigte, war der Nucleus caudatus. Sowell et al. (2003) fanden speziell im frontalen Rindenbereich ein vermindertes Volumen bei Kindern mit ADHS, weiterhin in der vorderen Temporalrinde; ein größeres Volumen der grauen Substanz konnte im Bereich des hinteren Temporal- und des unteren Parietallappens nachgewiesen werden. ! Insgesamt sind die Ergebnisse der kernspintomographischen Untersuchungen bislang nicht hinreichend spezifisch, um dieses Verfahren zu diagnostischen Zwecken einzusetzen.
Mittels funktioneller Kernspintomographie (fMRI) fand sich bei Testung der motorischen Reaktion bei Jugendlichen mit ADHS eine erniedrigte Aktivierung in rechtsseitigen präfrontalen Systemen sowie im linken Caudatum im Vergleich zu Normalpersonen (Rubia et al. 1999). Andere Autoren bestätigten eine Dysfunktion im vorderen Gyrus cinguli (Bush et al. 1999). Interessante Resultate wurden mit fMRI gewonnen bei 10 Jungen mit ADHS im Vergleich zu 6 nicht Betroffenen, die zwei Aufmerksamkeitstests (»Go/No-go«-Aufgaben) durchführten, jeweils vor und unter Einnahme von Methylphenidat. Die Kinder mit ADHS schnitten hierbei schlechter ab, vor Methylphenidateinnahme zeigten sie vermehrte frontale und verminderte striatale Aktivierung, Methylphenidat besserte bei einem Test die Leistung in beiden Gruppen, beim anderen nur bei den von ADHS Betroffenen. Dabei fand sich eine vermehrte frontale Aktivierung
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
durch Methylphenidat bei beiden Gruppen, im Gegensatz hierzu sank die striatale Aktivierung bei 5 von 6 der gesunden Kontrollpersonen, während sie bei 8 der 10 Kinder mit ADHS stieg (Vaidya et al. 1998). Dies legt den Verdacht nahe, dass Methylphenidat die striatalen Funktionen möglicherweise bei Gesunden anders beeinflusst als bei Patienten mit ADHS. Dass Unterschiede in der Wirkung von Methylphenidat aber auch zwischen Jungen mit verschiedenen Formen der ADHS bestehen, zeigten die fMRI-Untersuchungen von Teicher et al. (2000), die bei motorischer Hyperaktivität einen Anstieg der vor Medikation erniedrigten Durchblutung im Putamen und ein umgekehrtes Verhalten bei den mehr unaufmerksamen und motorisch weniger betroffenen Kindern fanden. In PET-Untersuchungen mit [F-18]Fluorodesoxyglucose (FDG) wurde ein um 8,1% verminderter Glukoseumsatz bei Erwachsenen mit ADHS während eines auditorischen CPT (»Continous Performance Test«) im Frontallappen links beschrieben (Zametkin et al. 1990). Keine signifikanten Störungen fanden sich mit der gleichen Untersuchungstechnik bei Jugendlichen mit ADHS (Ernst et al. 1997; Zametkin et al. 1987). Interessant sind Resultate von PET-Untersuchungen bezüglich des akuten Effektes von D-Amphetamin und Methylphenidat auf den Glukosemetabolismus im Gehirn: Unter D-Amphetamin war ein erhöhter Metabolismus im rechten Nucleus caudatus, ein erniedrigter in der rechten Rolandi-Region und rechts in anterioren inferioren frontalen Regionen nachzuweisen, während unter Methylphenidat der Metabolismus links frontal posterior sowie links parietal superior anstieg, links parietal und links parietookzipital sowie frontal anterior medial absank, was eine unterschiedliche Wirkungsweise der Stimulanzien nahelegt (Matochik et al. 1994). Dagegen beschrieben die gleichen Autoren bei Langzeitgabe von Stimulanzien bei Erwachsenen mit ADHS bei guter klinischer Besserung keine signifikante Änderung des Glukosemetabolismus im PET sowohl unter dAmphetamin als auch unter Methylphenidat (Matochik et al. 1993). Aus den Resultaten wurde geschlossen, dass PET-Untersuchungen mit FDG aufgrund der schlechten zeitlichen Auflösung nicht sensitiv genug sind, um Medikamenteneffekte zu erfassen. Es wurden daher andere Radiopharmaka wie [O-15]H2O und [F-18]DOPA eingesetzt. Studien mit [F-
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18]DOPA zeigten eine deutliche Abnahme der Dopa-Decarboxylase-Aktivität im präfrontalen Kortex bei ADHS im Vergleich zu Gesunden mit Betonung im Bereich der medialen und linksseitigen präfrontalen Regionen; diese verminderte Dopa-Decarboxylase-Aktivität frontal wurde als ein sekundärer Effekt eines primären subkortikalen dopaminergen Defizits interpretiert (Ernst et al. 1998). Andere Autoren zeigten in einer Studie mit [O-15]H2O, dass Kontrollpersonen eine signifikante Aktivierung des primären visuellen Kortex und des visuellen Assoziationskortex nach intellektueller Stimulation aufwiesen, wobei sich über die Zeit die Leistung verbesserte und eine Verminderung der Aktivierung im linken Temporallappen sowie im Cerebellum nachweisbar wurde; Patienten mit ADHS verbesserten Ihre Leistung nicht und wiesen eine zunehmende Aktivierung des oberen linken Temporallappens auf, ohne dass sich die Aktivierung in anderen Regionen verminderte (Schweitzer et al. 1995). ! Die Ergebnisse von PET Studien weisen auf eine Störung exekutiver Funktionen bei ADHS-Betroffenen hin.
In einer anderen Studie mit [O-15]H2O erhielten 8 gesunde Versuchspersonen d-Amphetamin und Placebo vor Durchführung einer mit präfrontaler und hippokampaler Aktivierung assoziierten Testaufgabe. D-Amphetamin erhöhte den Blutfluss zur entsprechenden Region bei gleichzeitiger Erniedrigung in den nicht betroffenen Regionen (Mattay et al. 1996). Mit Xenon-133-Inhalations-SPECT wurde bereits in den 80er Jahren eine verminderte Durchblutung im Frontallappenbereich und im Striatum, vor allem rechts, nachgewiesen mit Tendenz zur Normalisierung nach Gabe von Methylphenidat, weiterhin eine erhöhte Durchblutung im Okzipitallappen (Lou et al. 1984, 1989, 1990). Im [Tc-99m]HMPAO-SPECT wurde eine reduzierte präfrontale Aktivität während der Durchführung von Rechenaufgaben beschrieben (Amen et al. 1993). Im [I-123]IMPSPECT zeigte sich eine Abnahme der rechtsseitigen striatalen sowie der linksseitigen frontalen und parietalen Aktivität (Sieg et al. 2000).
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
! Möglicherweise wegweisend für die Diagnostik der ADHS könnten spezifische Darstellungen der Dopamintransporter (DAT) im Gehirn sein.
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Nachdem viele der oben erwähnten bildgebenden Untersuchungen Hinweise auf eine striatäre Störung bei der ADHS erbracht hatten und die Wirkung von Methylphenidat auf die vor allem in diesem Bereich des Gehirns lokalisierten DAT aus Tierversuchen bekannt ist, lag es nahe, die DAT bei Patienten mit ADHS zu untersuchen. Diese Möglichkeit eröffnete sich durch Benutzung von radioaktiv markierten Liganden, die speziell an das DAT-System binden. Eine Arbeitsgruppe in Boston verwendete hierbei mit Jod-123 markiertes Altropan (Dougherty et al. 1999), die Gruppe aus München und Philadelphia den mit Technetium-99m markierten Kokainabkömmling TRODAT-1 (Dresel et al. 1998, 2000; Krause et al. 2000). Beide Studien belegen eine deutlich höhere Konzentration der DAT im Striatum von erwachsenen Patienten mit ADHS im Vergleich zu normalen gleichaltrigen Kontrollpersonen. Während die DAT bei der Untersuchung mit TRODAT-1 gegenüber dem Kontrollkollektiv um 17% erhöht waren, fand sich mit Altropan eine Erhöhung um 70% bei allerdings nur 6 Patienten; dieser Prozentsatz reduzierte sich bei Fortführung der Altropan-Studie mit 19 Patienten auf etwa 30% (ADHD-Report 9, 2001, S. 10). Inzwischen bestätigten weitere Untersuchungen, die teilweise auch an Kindern durchgeführt wurden, die Erhöhung der DAT bei der ADHS (Übersicht in Krause et al. 2003). Lediglich in einer SPECT-Untersuchung mit β-CIT, das allerdings weniger spezifisch an die DAT koppelt, war die Erhöhung der DAT nicht nachzuweisen (van Dyck et al. 2002). Untersuchungen an größeren Kollektiven werden zeigen, ob die Spezifität der Methode bei Einsatz von Altropan, TRODAT-1 oder anderen hochspezifischen Tracern ausreichend hoch ist, um sie als diagnostisches Mittel einzusetzen, ob möglicherweise mit dieser Methodik zwischen den verschiedenen Typen der ADHS differenziert werden kann und ob die Dichte der DAT Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Medikation mit Stimulanzien erlaubt. Neurochemisch ist davon auszugehen, dass bei einer Erhöhung der DAT, die ja Dopamin am synaptischen Spalt zurücktransportieren,
1.7 · Zusammenfassung
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weniger Dopamin für die dopaminabhängigen Neurone zur Verfügung steht. Die Vermehrung der DAT könnte die von Ernst et al. (1998) beschriebene verminderte Dopa-Decarboxylase-Aktivität frontal erklären. Die Resultate der Münchener Gruppe zeigten aber nicht nur die Störung der DAT, sondern belegten erstmals in vivo und intraindividuell bei Patienten mit ADHS, dass der gestörte Stoffwechsel durch Methylphenidat korrigiert wird: Unter Gabe von 3-mal 5 mg täglich fand sich nach 4 Wochen bei allen Patienten eine deutliche Reduktion der DAT-Konzentrationen (Dresel et al. 2000; Krause et al. 2000), die bereits unter dieser geringen Dosis im Mittel sogar niedriger lagen als beim Kontrollkollektiv, wobei erhebliche interindividuelle Unterschiede bei der Reduzierung der DAT durch Methylphenidat auffielen (Krause 2003). Bei Normalpersonen konnten andere Autoren in einer PET-Untersuchung mit [C-11]Kokain gleichfalls eine Abnahme der DAT unter Methylphenidat nachweisen (Volkow et al. 1998). Insgesamt bestätigen die neuesten SPECT-Untersuchungen die Vermutung, dass bei der ADHS eine Störung des Dopaminsystems im Striatum vorliegt, die sich durch Einnahme von Stimulanzien korrigieren lässt. Interessant sind in diesem Zusammenhang Untersuchungsergebnisse bei Ratten, die nach Gabe von Methylphenidat vor der Pubertät sogar eine persistierende Erniedrigung der DAT aufwiesen, allerdings nicht mehr bei Gabe nach der Pubertät (Moll et al. 2001). Sollten diese Befunde auch beim Menschen zutreffen, könnte postuliert werden, dass eine frühzeitige Behandlung mit Stimulanzien die bei der ADHS vorhandene Störung im Bereich der DAT möglicherweise dauerhaft positiv beeinflusst.
1.7
Zusammenfassung
Biochemische, neurophysiologische, radiologische, nuklearmedizinische und molekulargenetische Untersuchungen lassen vermuten, dass auf genetischer Basis eine Dysfunktion von Neurotransmittern vorzugsweise im frontostriatalen System vorliegt. Die Störungen besonders im Katecholaminhaushalt – hier scheint vor allem Dopamin betroffen zu sein – führen
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
zu Beeinträchtigungen der motorischen Kontrolle, der Impulsivität sowie der Reizwahrnehmung und -verarbeitung.
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
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2 Epidemiologie der ADHS M.-A. Edel
2.1
Häufigkeit im Kindesalter
2.2
Häufigkeit im Erwachsenenalter
2.3
Zusammenfassung – 27 Literatur – 27
– 22 – 24
22
Kapitel 2 · Epidemiologie der ADHS
1
2.1
Häufigkeit im Kindesalter
2
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) galt seit Jahrzehnten als Domäne der Kinder- und Jugendpsychiatrie. In diesem Fachbereich ist sie nach wie vor die mit Abstand am häufigsten diagnostizierte und behandelte Erkrankung. Die gängige Verquickung mit sozialen Problemen hat im 7 Kapitel F9 (Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend) der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) zur Unterscheidung von »einfacher Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung« (F90.0) und »hyperkinetischer Störung des Sozialverhaltens« (F90.1) geführt (Dilling et al. 1994). Die einzelnen Störungskriterien (G1 bis G3) unter F90 der ICD-10 entsprechen zwar im Wesentlichen denen im »Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen« (DSM-IV) der American Psychiatric Association (Saß et al. 1996); es erfolgt aber eine – keine ADHS-Unterformen berücksichtigende – Festlegung insofern, als mindestens 6 von 9 Unaufmerksamkeitssymptomen und mindestens 3 von 5 Hyperaktivitätssymptomen und mindestens eines von 4 Impulsivitätssymptomen für die Diagnosestellung gegeben sein müssen. Im DSM-IV wird genauer differenziert, indem ein Mischtypus mit jeweils mindestens 6 Unaufmerksamkeits- und Hyperaktivitäts- bzw. Impulsivitätssymptomen von einem vorwiegend unaufmerksamen Typus mit mindestens 6 Unaufmerksamkeits-, aber weniger Hyperaktivitäts- bzw. Impulsivitätssymptomen und einem vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Typus mit mindestens 6 Hyperaktivitäts-/Impulsivitäts-, aber weniger Unaufmerksamkeitssymptomen unterschieden wird. Diese genauere Einteilung der ADHS ist deshalb klinisch und epidemiologisch sinnvoll, weil sie einer Unterdiagnostizierung der Störung entgegenwirkt: im Gegensatz zur ICD-10 können mittels DSM-IV ADHS-Patienten mit vorwiegend hyperaktiv-impulsivem Subtypus überhaupt erst und Patienten mit vorwiegend unaufmerksamem Subtypus, bei denen entweder nicht mindestens 3 Hyperaktivitätssymptome oder nicht mindestens ein Impulsivitätssymptom vorliegen, erfasst werden (im Vergleich zur ICD-10 verdoppelt sich bei Anwendung des DSM-IV die Anzahl Be-
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2.1 · Häufigkeit im Kindesalter
23
2
troffener; Tripp et al. 1999). Bei den Patienten mit vorwiegend unaufmerksamem Subtyp dürfte es sich überwiegend um Mädchen und Frauen handeln, bei denen bekanntlich hyperkinetisches und impulsives Verhalten – vermutlich sowohl aus evolutionär-neurobiologischen als auch Sozialisationsgründen – in viel geringerem Ausmaß zu beobachten ist als bei Jungen und Männern. Das Geschlechterverhältnis wird meist mit 3:1 bis 4:1 angegeben (Wender 1995). Die epidemiologischen Angaben zur Häufigkeit der ADHS, die sich auf andere bzw. frühere diagnostische Manuale als das DSM-IV stützen, beinhalten allerdings eine zusätzliche »Androtropie«, da zu wenige weibliche Patienten (mit Unaufmerksamkeitssymptomen) erfasst wurden (Wender et al. 2001). Epidemiologische Aussagen sollten auf der Grundlage aktueller klinischer Forschung und Übereinkünfte erfolgen. Obwohl die diagnostischen Kriterien des DSM-IV auf Daten von Kindern und Jugendlichen basieren (Applegate et al. 1995), existiert bis dato kein besseres Klassifikationssystem. ! Die ADHS sollte derzeit anhand des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie (DSM-IV) diagnostiziert werden.
Im DSM-V werden voraussichtlich genetisch-neurobiologische und dimensionale Gesichtspunkte bei ADHS stärker berücksichtigt: Mittels multiaxialer Klassifikation könnten bei einer Störung u. a. ein Genotyp, ein neurobiologischer Phänotyp und ein Verhaltensphänotyp voneinander abgegrenzt werden (Kupfer et al. 2002). Durch diese Entkopplung genetisch-neurobiologischer und verhaltensbezogener Aspekte dürften diejenigen ADHS-Patienten besser erfasst werden, bei denen nach den herkömmlichen (kategorialen) Kriterien keine Störung zu diagnostizieren ist, d. h., die zwar relativ wenig verhaltensauffällig, aber durch ihre neurobiologischen und neuropsychologischen Besonderheiten trotzdem wesentlich beeinträchtigt sind. Der im DSM-IV für eine ADHS im Schulalter – ohne Literaturangaben – getroffene Schätzbereich von 3–5% lässt sich schwer nachvollzie-
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Kapitel 2 · Epidemiologie der ADHS
hen (Rowland et al. 2002). Studien, die ausschließlich die DSM-IV-Kriterien für eine ADHS auf Schulkind-Populationen anwenden, kommen zu Schätzungen von 11–16% Betroffener (Cantwell 1996). Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die DSM-IV-Kriterien neben den eigentlichen Symptom-Items auch die Notwendigkeit des Vorliegens der Störung vor dem Alter von 7 Jahren, einer Beeinträchtigung in mehreren Lebensbereichen sowie eines gravierenden Ausmaßes der Störung beinhalten. Einer der Väter der ADHS-Forschung, Paul H. Wender, schätzt den Anteil betroffener Kinder aufgrund der Ergebnisse von 21 zwischen 1958 und 1992 publizierten epidemiologischen Studien auf 6–10% (in den USA) (Wender 1995). Hier ist allerdings wiederum die Heterogenität der Diagnosekriterien zu berücksichtigen. Stadtkinder scheinen häufiger betroffen zu sein als Kinder aus ländlichen Gebieten (Offord et al 1987), wobei nur spekuliert werden kann, wie dieser Unterschied zustande kommt. Etnische Differenzen hinsichtlich ADHS-Prävalenz sind bislang epidemiologisch nicht ausreichend untersucht (Rowland et al. 2002).
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2.2
Häufigkeit im Erwachsenenalter
! Bei bis zu 50% der kindlichen bzw. juvenilen ADHS-Patienten sind auch im Erwachsenenalter noch klinisch bedeutsame bzw. beeinträchtigende ADHS-Symptome zu finden (Weiss u. Hechtman 1993).
Die Studienlage zur ADHS-Prävalenz bei Erwachsenen ist aber dürftig. Im deutschen Sprachraum fehlen Untersuchungen repräsentativer Bevölkerungsstichproben völlig. Bislang sind nur 2 US-amerikanische Untersuchungen zu dem Thema bekannt: Murphy u. Barkley (1996) untersuchten 720 Personen im Alter von 17–84 Jahren im Bundesstaat Massachusetts, die sich erstmals um einen Führerschein oder die Erneuerung ihrer Fahrerlaubnis bewarben, mittels am DSM-IV orientierter Selbstbeurteilungsskalen bezüglich aktueller
2.2 · Häufigkeit im Erwachsenenalter
25
2
ADHS-Symptome und ADHS-Symptome in der Kindheit. Die Stichprobe wurde hinsichtlich soziodemographischer und ethnischer Kriterien als repräsentativ für die erwachsene Bevölkerung erachtet. Sie enthielt 60% Männer und 40% Frauen mit einem mittleren Alter von 35 Jahren (Standardabweichung von 13,2). Es zeigte sich, dass die ADHS-Häufigkeit erwartungsgemäß mit zunehmendem Lebensalter deutlich abnahm. Die Häufigkeit des unaufmerksamen Subtypus betrug 1,3%, des hyperaktivimpulsiven Subtypus 2,5% und des Mischtypus 0,9%. Dies entspricht einer Gesamtprävalenz von 4,7%. Hinsichtlich der Stärke aktuell festgestellter ADHS-Symptome bestanden keine Geschlechtsdifferenzen, wohl aber bezüglich der retrospektiven, auf die Kindheit bezogenen Symptomatik, die von den Männern als gravierender angegeben wurde. Sowohl die aktuellen Symptome (hinsichtlich Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität bzw. Impulsivität und Gesamt-Score) als auch die retrospektiv bejahten Items (wiederum hinsichtlich Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität bzw. Impulsivität und Gesamt-Score) korrelierten signifikant negativ mit dem Bildungs- und Beschäftigungsniveau der Untersuchten. Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Formulierungen der DSM-Items für die Situation bei Erwachsenen nicht ausreichend validiert sind, die wiederholte Verwendung des Begriffs »häufig« weder bei Kindern noch Erwachsenen gut abgesichert wurde und eine Übertragbarkeit von (bei Kindern) auf Fremdbeurteilungen basierenden Items auf die Situation mit überwiegender Selbstbeurteilung (bei Erwachsenen) fragwürdig erscheint. Murphy u. Barkley gehen davon aus, dass ADHS-Symptome in der Bevölkerung nach Art eines Kontinuums vorliegen. Die DSM-IV-Kriterien sind für Erwachsene vermutlich zu streng. ! In künftigen Klassifikationssystemen muss dem Lebensalter einer untersuchten Person unbedingt Rechnung getragen werden.
Auch Heiligenstein et al. (1998) kritisieren den kategorialen Ansatz des DSM-IV und weisen auf das Dilemma des Klinikers zwischen der Anwendung (potenziell zur Unterdiagnostizierung führender) strenger Kriterien einerseits und der Beachtung (potenziell zur Überdiagnostizierung
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Kapitel 2 · Epidemiologie der ADHS
führender) wesentlicher Beeinträchtigungen andererseits hin. Sie zitieren Schaffer (1994), der eine Anpassung der DSM-IV-Kriterien an die veränderte Situation bei Erwachsenen propagiert. Heiligenstein et al. führten eine Erhebung an der University of Wisconsin durch und untersuchten 448 College-Studenten im Alter von durchschnittlich 20 Jahren (Standardabweichung von 4) mit Hilfe einer DSM-IV-basierten ADHS-Checkliste. 56% der Probanden waren männlich, 44% weiblich. Auch in dieser Stichprobe fand sich eine signifikant geringere ADHS-Symptomatik bei Personen höheren Lebensalters, obwohl der Altersbereich hier viel schmaler war als in der Studie von Murphy u. Barkley [laut Hill u. Schoener (1996), die sich auf mehrere prospektive Studien beziehen, gehen ADHSSymptome mit zunehmendem Alter exponentiell zurück; etwa alle 5 Jahre um 50% ]. Bei Verwendung der »strengen« DSM-IV-Kriterien fanden Heiligenstein et al. einen ADHS-Anteil von 4% der Studenten, davon 56% mit unaufmerksamem Subtypus, 22% mit hyperaktiv-impulsivem Subtypus und 22% mit Mischtypus. Es bestanden keine Unterschiede in der Stärke der ADHS-Symptomatik hinsichtlich des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit und des Bildungsgrads. Cutoff-Werte von 4 (statt 6) Unaufmerksamkeits- bzw. Hyperaktivitäts- bzw. Impulsivitätssymptomen zeigten bereits eine signifikante Abweichung von der Norm an. Eine Simulation mit derartiger Verschiebung der Schwellenwerte führte zu einer ADHS-Quote von 11%. Kritisch reflektieren die Autoren allerdings – neben der Frage, inwieweit ihre Stichprobe tatsächlich repräsentativ für USamerikanische College-Studenten sei – die Einschränkungen, die mit der kategorialen Erfassung einer Störung durch Checklisten und klinischen Interviews verbunden sind: diese Instrumente werden üblicherweise im klinischen Kontext mit anderen Informationen zu einem Gesamtbild verknüpft und sind nicht für epidemiologische Untersuchungen geschaffen. Obwohl nicht klar ist, inwieweit die Erhebung per Checkliste tatsächlich zu einer Unterschätzung der ADHS-Prävalenz führte, halten Heiligenstein und Mitarbeiter die gemäß strenger DSM-IV-Richtlinien festgestellte ADHS-Quote von 4% bei College-Studenten für zu gering.
27
Literatur
2.3
2
Zusammenfassung
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Ergebnisse epidemiologischer ADHS-Erhebungen – je nach Erfassungsinstrument bzw. Klassifikationssystem – erheblich variieren. Bis zur Veröffentlichung des (voraussichtlich altersgerechteren und dimensionale Störungsaspekte besser erfassenden) DSM-V sollten epidemiologische Untersuchungen auf ADHS mittels DSM-IV-gestützter Instrumente erfolgen. Die alleinige Anwendung von Checklisten kann allenfalls als Screening dienen. Die ADHS-Lifetimeprävalenz bei Erwachsenen beträgt vermutlich ca. 4%. Die Punktprävalenz scheint mit zunehmendem Lebensalter deutlich zu sinken.
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Kapitel 2 · Epidemiologie der ADHS
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29
3.1 ·
3
Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter J. Krause
3.1
Historische Entwicklung und Prävalenz – 30
3.2
Symptome und Diagnose
3.3
Hyperaktivität und Impulsivität
3.4
Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung
3.5
Komorbidität und Differenzialdiagnose – 40
3.6
Therapie – 40
3.6.1
Medikamentöse Behandlung
3.6.2
Psychotherapie – 45
3.7
Zusammenfassung – 46 Literatur – 47
– 31
– 43
– 37 – 38
30
Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1
3.1
Historische Entwicklung und Prävalenz
2
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS, Synonym: hyperkinetisches Syndrom) galt lange Zeit in Deutschland als eine ausschließlich kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankung. Mit der Veröffentlichung von Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter im Oktober 2003 im »Nervenarzt« (Ebert et al. 2003) wird der inzwischen veränderten Situation Rechnung getragen. Mit einer in verschiedenen internationalen Studien gefundenen Prävalenz von 5–9% bei Zugrundelegung der Kriterien des diagnostischen und statistischen Manuals psychischer Störungen der American Psychiatric Association (1996) ist sie die häufigste kinderpsychiatrische Störung (Cantwell 1996; Goldman et al. 1998; Swanson et al. 1998). Seit mehreren Jahren beschäftigt man sich in den USA intensiv mit der Persistenz der Störung im Erwachsenenalter (Nadeau 1995; Wender 1995), wobei geschätzt wird, dass ein bis zwei Drittel der betroffenen Kinder auch als Erwachsene noch erhebliche beeinträchtigende Störungen aufweisen, die Prävalenz bei Erwachsenen wird dementsprechend mit 1–6% veranschlagt (Wender 1997). In den USA existiert mittlerweile eine Selbsthilfevereinigung mit nahezu 30.000 Mitgliedern; die Tatsache, dass die Wochenzeitschrift »Time« wiederholt über diese Störung berichtete, ihr 1994 eine Titelgeschichte widmete und als wahrscheinlich betroffenen Erwachsenen unter anderem Bill Clinton herausstellte, zeigt, wie populär dort das Thema ist. In Deutschland wurde die ADHS mit dem Erscheinen des amerikanischen Bestsellers »Driven to Distraction« (Hallowell u. Ratey 1998) in deutscher Übersetzung (»Zwanghaft zerstreut«) einem breiten Kreis von Laien bekannt, so dass Ärzte zunehmend häufig mit einer entsprechenden Selbstdiagnose konfrontiert werden. Im Rahmen der Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde 2003 uns 2004 in Berlin gab es zahlreiche Veranstaltungen und Workshops mit dem Ziel, das Wissen um diese Störung zu intensivieren und vor allem niedergelassenen Ärzten als ersten Ansprechpartnern Basiswissen um diese Problematik zu vermitteln, damit bei begründetem Verdacht eine kompetente Abklärung und Therapie durchgeführt werden kann.
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3.2 · Symptome und Diagnose
3.2
31
3
Symptome und Diagnose
Die diagnostischen Kriterien des DSM-IV (American Psychiatric Association 1996) finden sich in der folgenden Übersicht.
Diagnostische Kriterien der ADHS gemäß DSM-IV A. Entweder Punkt 1 oder Punkt 2 müssen zutreffen: 1. Sechs oder mehr der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit sind während der letzten 6 Monate beständig in einem nicht mit dem Entwicklungsstand zu vereinbarenden Ausmaß vorhanden gewesen: a) beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten, b) hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrechtzuerhalten, c) scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn/sie ansprechen, d) führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen, e) hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren, f ) vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengungen erfordern, g) verliert häufig Gegenstände, die er/sie für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt, h) lässt sich öfter durch äußere Reize leicht ablenken, i) ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich; 6
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Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
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2. Sechs oder mehr der folgenden Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität sind während der letzten 6 Monate beständig in einem nicht mit dem Entwicklungsstand zu vereinbarenden Ausmaß vorhanden gewesen: Hyperaktivität: a) zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum, b) steht in der Klasse oder in anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird, häufig auf, c) läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben), d) hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen, e) ist häufig »auf Achse« oder handelt oftmals, als wäre er/sie »getrieben«, f ) redet häufig übermäßig viel; Impulsivität: g) platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist, h) kann nur schwer warten, bis er an der Reihe ist, i) unterbricht und stört andere häufig (platzt z. B. in Gespräche oder in Spiele anderer hinein). B. Einige Symptome der Hyperaktivität bzw. Impulsivität oder Unaufmerksamkeit, die Beeinträchtigungen verursachen, treten bereits vor dem Alter von 7 Jahren auf. C. Beeinträchtigungen durch diese Symptome zeigen sich in zwei oder mehr Bereichen (z. B. in der Schule bzw. am Arbeitsplatz und zu Hause). 6
3.2 · Symptome und Diagnose
33
3
D. Es müssen deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit vorhanden sein. E. Die Symptome treten nicht ausschließlich im Verlauf einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung, Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Störung auf und können auch nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden.
Es werden 3 Untergruppen der ADHS differenziert: 5 Typ 1: Mischtypus, bei dem sowohl Symptome der Hyperaktivität/Impulsivität als auch der Aufmerksamkeitsstörung vorliegen, 5 Typ 2: Vorliegen der Kriterien eines Aufmerksamkeitsdefizits, weniger als 6 Symptome der Hyperaktivität/Impulsivität, 5 Typ 3: Vorliegen der Kriterien einer Hyperaktivitätsstörung mit Impulsivität, weniger als 6 Symptome eines Aufmerksamkeitsdefizits. ! Die Stellung der Erstdiagnose einer ADHS beim Erwachsenen wird dadurch kompliziert, dass zunächst retrospektiv das Vorliegen einer entsprechenden Störung im Kindesalter gesichert werden muss.
Hierzu wurden die Wender Utah Rating Scale (WURS; Ward et al. 1993) und WURS-k (Retz-Junginger et al. 2002) entwickelt. In der folgenden Übersicht sind die gemäß Wender Utah Rating Scale am häufigsten vorgefundenen Symptome zusammengestellt.
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Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
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Übersicht über die von Erwachsenen mit ADHS retrospektiv am häufigsten geklagten Symptome aus der Wender Utah Rating Scale (Ward et al. 1993) [Die Erwachsenen werden gebeten auf einer Skala von 1 bis 4 (nicht oder ganz gering = 0, gering = 1, mäßig = 2, deutlich = 3, stark ausgeprägt = 4; ADHS wahrscheinlich bei einem Gesamt-Score von über 36) anzugeben, wie stark die genannten Symptome im Alter zwischen 6 und 10 Jahren bei Ihnen auftraten.] 1. Konzentrationsprobleme, leicht ablenkbar 2. Ängstlich, besorgt 3. Nervös, zappelig 4. Unaufmerksam, verträumt 5. Rasch wütend, aufbrausend 6. Wutanfälle, Gefühlsausbrüche 7. Geringes Durchhaltevermögen (Abbrechen von Tätigkeiten vor deren Beendigung) 8. Hartnäckig, willensstark 9. Oft traurig, depressiv, unglücklich 10. Ungehorsam, rebellisch, aufsässig 11. Geringes Selbstwertgefühl, niedrige Selbsteinschätzung 12. Leicht zu irritieren 13. Starke Stimmungsschwankungen 14. Häufig ärgerlich 15. Impulsiv (Handeln ohne nachzudenken) 16. Tendenz zu Unreife 17. Häufige Schuld- und Reuegefühle 18. Verlust der Selbstkontrolle 19. Neigung zu unvernünftigen Handlungen 20. Probleme mit anderen Kindern (keine langen Freundschaften, schlechtes Auskommen mit anderen Kindern) 21. Unfähigkeit, Dinge vom Standpunkt des anderen aus zu betrachten 6
3.2 · Symptome und Diagnose
35
3
22. Probleme mit Autoritäten (Ärger in der Schule mit den Lehrern, Vorladungen beim Schuldirektor) 23. Insgesamt mäßiger Schüler mit langsamem Lerntempo 24. Probleme mit Zahlen und Rechnen 25. Möglichkeiten nicht ausgeschöpft
Weitere Hinweise kann ein Fragenkatalog geben, der der Mutter des Betroffenen vorgelegt wird oder, falls diese nicht zur Verfügung steht, dem Vater oder einem sonstigen älteren Verwandten, der die Entwicklung in der Kindheit zwischen dem 6. und 10. Lebensjahr beurteilen kann. In Anlehnung an die »Conners Abbreviated Rating Scale« verwendet Wender (1995) zu diesem Zweck die »Parents Rating Scale« (. Abb. 3.1). Falls keine Verwandten befragt werden können, ist man auf die Angaben des Patienten selbst bezüglich der Einschätzung im Kindesalter angewiesen. Gute Informationen über das Vorliegen einer ADHS im Kindesalter enthalten meistens auch die Schulzeugnisse aus dem Grundschulalter. Sind die Kriterien für das Vorliegen einer ADHS im Kindesalter retrospektiv erfüllt, ist die Frage zu klären, ob und in welchem Ausmaß Symptome beim Erwachsenen persistieren. Naturgemäß erfahren die Zeichen der ADHS des kindlichen »Zappelphilipps« Modifikationen, wenn sie im Erwachsenenalter fortbestehen. Generell sind aber die wesentlichen Symptome wie Aufmerksamkeitsstörungen, motorische Störungen, Impulsivität, Desorganisation, Probleme im sozialen Umfeld, Schwierigkeiten in persönlichen Beziehungen, emotionale Störungen und Stressintoleranz auch bei den betroffenen Erwachsenen in irgendeiner Form wiederzufinden. ! Es ist zu betonen, dass die Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter durch sorgfältige Exploration und Kenntnis der genauen Symptomatologie phänomenologisch gestellt wird (Goldman et al. 1998), es existieren bislang keine »harten« technischen oder laborchemischen diagnostischen Kriterien (Wender 1997).
36
Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1
Beurteilen Sie bitte, inwieweit Ihre Tochter/Ihr Sohn zwischen dem Alter von 6 und 10 Jahren folgende Verhaltensweisen aufwies
2
Gar nicht 1.
Unruhig – überaktiv
2.
Erregbar – impulsiv
3.
Störte andere Kinder
4.
Fing etwas an und führte es nicht zu Ende, kurze Aufmerksamkeitsspanne
5.
Zappelte dauernd
6.
Leicht abgelenkt
7.
Wünsche mussten sofort erfüllt werden, war leicht zu frustrieren
10
8.
Weinte häufig
11
9.
Stimmung wechselte rasch und extrem
12
10.
3 4 5 6 7 8 9
13 14 15 16 17 18 19 20
Etwas
Deutlich
Sehr viel
Neigte zu Wutausbrüchen und unvorhersagbarem Verhalten
. Abb. 3.1. Elternbeurteilungsbogen in Anlehnung an die Parents‘ Rating Scale (Wender 1995), auszufüllen von der Mutter des Patienten (falls diese nicht zur Verfügung steht, vom Vater); gar nicht = 0, etwas = 1, deutlich = 2, sehr viel = 3 (ADHS wahrscheinlich bei Gesamt-Score > 12)
Fragebogen wie die von Brown (1996) mit Schwerpunkt bei der Unaufmerksamkeit entwickelten »ADD-Scales« oder die von Connors et al. (1999) publizierten »Adult ADHD Rating Scales« sind hilfreich; sie sind eine zusätzliche Möglichkeit, die Symptomatik und deren Ausmaß zu erfragen, ersetzen jedoch nicht die psychiatrische Untersuchung und eine ausführliche biographische und Familienanamnese, die Basis der Diagnosestellung ist.
3.3 · Hyperaktivität und Impulsivität
3.3
37
3
Hyperaktivität und Impulsivität
Beim Typ 1 und 3 der ADHS sind betroffene Erwachsene häufig an ihrer motorischen Unruhe in Form ständigen Trommelns mit den Fingern oder Wippens mit den Füßen zu erkennen. Betroffene gehen nicht langsam spazieren, sondern sind stets schnellen Schrittes unterwegs. Viele fühlen sich unwohl, wenn sie längere Zeit ruhig sitzenbleiben müssen, eine Qual kann durch Krankheit erzwungene Bettlägerigkeit darstellen. ! Von erwachsenen ADHS-Betroffenen wird oft über generelle Entspannungsprobleme geklagt, verbunden mit einem ständigen Gefühl innerer Unruhe.
Die bei einem großen Teil betroffener Kinder zu beobachtenden Probleme mit der Feinmotorik (Trott 1993) sind bei Erwachsenen meist nicht mehr offensichtlich, ein oftmals bleibendes Phänomen ist eine schwer lesbare, unter Zeitdruck zunehmend undeutlicher werdende Schrift und die Tendenz, bei schnellen Bewegungen häufiger »anzuecken«. Generell existieren Symptome der Hyperaktivität im Erwachsenenalter eher selten, bei Vorhandensein sind sie für die Betroffenen subjektiv aber sehr quälend. Die häufig persistierende vermehrte Impulsivität führt zu erheblichen Problemen im Berufsleben und sozialen Umfeld. Unüberlegte spontane Handlungen bei erheblicher Frustrationsintoleranz können ernsthafte Krisen im beruflichen und privaten Bereich bedingen, ebenso ungezügelte Wutausbrüche. Als sehr störend wird von der Umgebung oft die Neigung der Patienten mit ADHS empfunden, ständig in Gespräche hereinzuplatzen und »hyperfokussiert« über interessant erscheinende Details zu reden. Die ausgeprägte Ungeduld kann sich besonders im Straßenverkehr negativ bemerkbar machen. Für den erfahrenen Untersucher ist es evident, dass Betroffene durch ihre Impulsivität häufig Partnerschaftsprobleme haben, im Beruf scheitern beziehungsweise wiederholt die Stelle wechseln und bei ausgeprägter Impulsivität öfters mit dem Gesetz in Konflikt kommen können (Rösler 2001). Bei den straffällig gewordenen Patienten mit ADHS dürfte häufig eine zusätzliche dissoziale Persönlich-
38
1 2
Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
keitsstörung vorliegen; eine vermehrte Komorbidität beider Krankheitsbilder ist bekannt (Biederman et al. 1991; Krause et al. 1998; Tzelepis et al. 1995).
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3.4
Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung
! Typisch für Erwachsene mit ADHS sind leichte Ablenkbarkeit und der damit verbundene häufige Wechsel von Aktivitäten.
Intuitiv suchen sich viele Betroffene Berufe, die eine längere Aufmerksamkeitsspanne nicht zwingend verlangen. Erwachsene in der Ausbildung haben aber – wie die Kinder mit ADHS in der Schule – erhebliche Probleme. Studenten stehen nach kurzer Zeit intensiven Lernens auf, beim Anhören längerer Vorträge werden die nicht gleich am Anfang vermittelten Inhalte nur unvollständig erfasst. Lehrlinge erscheinen gegenüber Aufträgen des Lehrherrn uninteressiert, weil sie nur beim ersten Auftrag noch konzentriert sind, weitere Aufforderungen jedoch nicht mehr wahrnehmen. Studenten suchen in der Bibliothek wegen der vermehrten Ablenkbarkeit durch äußere Stimuli besonders ruhige, von optischen und akustischen Reizen abgeschirmte Ecken auf. Die Lesefaulheit Erwachsener mit überdurchschnittlicher Intelligenz und Bildung kann Ausdruck einer persistierenden Teilleistungsstörung in Form einer Legasthenie sein oder lässt auf so starke Konzentrationsstörungen und Ungeduld infolge einer ADHS schließen, dass selbst das Lesen der Tageszeitung nur als ein Überfliegen der Überschriften erfolgt. Häufig wird über Tagträume geklagt; dieses Abschweifen ist auch Ursache des Problems, dass gelesene Texte in ihrem Inhalt nicht aufgenommen werden. Personen, von denen gesagt wird, sie seien ständig mit ihren Gedanken woanders, erwecken somit den Verdacht auf das Vorliegen einer ADHS. Gestörte Aufmerksamkeit und leichte Ablenkbarkeit können Probleme im Sinne von Vergesslichkeit und Kurzzeitgedächtnisstörungen bedingen; komplexere Anweisungen müssen schriftlich fixiert werden. Typisch sind häufiges Liegen-
3.4 · Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung
39
3
lassen von Gegenständen und Vergessen der Ausführung von Aufträgen, weil der Fokus der Aufmerksamkeit auch durch unwichtige Reize sofort verändert wird. Ganz besondere Probleme verursacht die bei der ADHS ganz charakteristische Desorganisation mit ausgeprägter Unordnung und Chaos im beruflichen und privaten Bereich, äußerlich bereits erkennbar am unaufgeräumten Arbeitsplatz und Haushalt. Selbstwertprobleme werden so bei von der ADHS Betroffenen akzentuiert, Substanzmissbrauch ist bei dieser Patientengruppe deutlich verstärkt – dies ist sicher, wie der Nikotinmissbrauch, als eine Art Selbstmedikation zu verstehen (Krause et al. 1998). Emotional finden sich bei der ADHS häufig starke Stimmungsschwankungen, ausgeprägte depressive Entwicklungen sind besonders nach der Pubertät und ab der Mitte des 3. Lebensjahrzehnts zu beobachten. Wenn diese Menschen durch ihre vermehrte Reizoffenheit, Konzentrationsstörungen und Ablenkbarkeit in ihrem Wohlbefinden und ihrer Arbeitsfähigkeit nicht zu sehr eingeschränkt sind, stellen hohe Kreativität mit der Fähigkeit zu divergentem Denken außerhalb eingefahrener Gleise und Eloquenz durchaus Qualitäten dar, die sie in bestimmten Berufen wie Manager, Vertreter, Verkäufer, Politiker, Moderator, Entertainer, Künstler, Wissenschaftler und Erfinder zu großen Leistungen befähigen; als Beispiele werden von Hallowell u. Ratey (1998) Wolfgang Amadeus Mozart, Albert Einstein, Edgar Allan Poe, George Bernhard Shaw, Salvador Dali, Thomas Edison und Abraham Lincoln aufgeführt; dies erklärt sich aus einer bei Betroffenen häufig zu beobachtenden Fähigkeit, sich bei sie besonders interessierenden Problemstellungen »hyperfokussiert« nur diesem einen Thema äußerst intensiv, anhaltend und erfolgreich zu widmen (Hallowell u. Ratey 1998).
1
40
Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
3.5
Komorbidität und Differenzialdiagnose
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! Bei der ADHS im Erwachsenenalter ist eine gehäufte Komorbidität mit affektiven Störungen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen sowie Störungen des Sozialverhaltens anzutreffen.
Diese Komorbidität (Biederman et al. 1991; Tzelepis et al. 1995) kann erhebliche differenzialdiagnostische und therapeutische Probleme bedingen; auch deshalb ist eine sorgfältige psychiatrische Abklärung vor Einleitung einer Therapie so wichtig. Von den häufigen komorbiden Teilleistungsstörungen wie Lese- und Rechtschreibschwäche, Dysgraphie und Dyskalkulie können im Erwachsenenalter Reste persistieren, die beispielsweise Probleme im sprachlichen Bereich bedingen und so bei der Messung des Gesamt-IQ einen in Anbetracht der Fähigkeiten zu Abstraktion und analytischem Denken zu niedrigen Wert ergeben. Eine gehäufte Kombination mit Tics, insbesondere dem Tourette-Syndrom ist bekannt (Krause et al. 2002; Trott 1993; Zametkin u. Ernst 1999). Differenzialdiagnostisch sind bei der ADHS im Erwachsenenalter hyper- oder hypothyreote Stoffwechsellagen, Restless-legs-Syndrom, Vigilanzstörungen bei Beeinträchtigungen der Schlaf-Wach-Regulation, posttraumatische, postenzephalitische und raumfordernde zerebrale Störungen und das Vorliegen eines Anfallsleidens mit Absencen oder komplex-partiellen Anfällen zu bedenken (. Tabelle 3.1); auch nicht zu diagnostizieren ist eine ADHS, wenn die Störungen ausschließlich im Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten wie Bronchiospasmolytika, Isoniazid, Neuroleptika, Benzodiazepinen, Antiepileptika oder Antihistaminika auftreten (Krause et al. 1998).
17 18 19 20
3.6
Therapie
Im Erwachsenenalter steht nahezu immer eine gravierende Selbstwertproblematik im Vordergrund, weil die stark schwankende und ab dem 4. Le-
+
Hypothyreose
Störungen der Schlaf-Wach-Regulation
+
(+)
Hyperthyreose
Restless-Legs-Syndrom
+
+
+
+
+
Chorea
Posttraumatische, postenzephalitische und raumfordernde zerebrale Störungen
+
+
Epilepsie mit Absencen
(+)
+
Motorische Unruhe
Tic-Erkrankungen
+
Teilleistungsstörungen
Lebhaftes und impulsives Verhalten als Normvariante
Aufmerksamkeitsstörung
. Tabelle 3.1. Differenzialdiagnose der ADHS
(+)
+
(+)
+
Impulsivität
+
+
Logorrhoe
(+)
(+)
(+)
Gestörtes Sozialverhalten
3.6 · Therapie 41
3
17
18
19
20
14
15
16
+
+
+
(+)
Depression
Agitierte Depression, Manie
Borderline-Persönlichkeitsstörung
11
Medikamenten-Nebenwirkungen
+
+
+
8 +
+
(+)
+
(+)
+
(+)
+
Logorrhoe
5
+
7
Impulsivität
4
+
10
Motorische Unruhe
+
+
(+)
(+)
Gestörtes Sozialverhalten
3
Allergien, juckende Ekzeme
13
Aufmerksamkeitsstörung
2
Suchtmittelabusus
. Tabelle 3.1. (forts.)
42 Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1
6
9
12
3.6 · Therapie
43
3
bensjahrzehnt abnehmende Leistungsfähigkeit sowie die Stimmungslabilität zu einer tief greifenden Verunsicherung der Betroffenen führen können. Die Tatsache, dass die Symptome seit der Kindheit bestehen, führt bei vielen Patienten zu einem Arrangement mit ihren Beeinträchtigungen; sie können sich eine Verbesserung der Symptomatik und damit verbunden eine neue Perspektive ihres Lebensentwurfs kaum vorstellen. ! Gerade bei schwerer betroffenen Patienten bietet sich eine Kombinationsbehandlung aus Psycho- und Pharmakotherapie an.
3.6.1 Medikamentöse Behandlung
Wie bei Kindern und Jugendlichen ist auch im Erwachsenenalter die Behandlung mit Stimulanzien die Therapie der ersten Wahl. Seit 1976 wurden mehrere Doppelblindstudien bei Erwachsenen mit Stimulanzien (Methylphenidat und Pemolin) mit gutem Erfolg durchgeführt (Krause u. Krause 2003; Wilens et al. 1995). Im Gegensatz zur Medikation im Kindesalter ist hier jedoch die Wahl des geeigneten Mittels schwieriger und die Einstellung auf eine individuell erforderliche Dosis problematischer, weil die Verstoffwechselung größeren Einflüssen, z. B. durch Hormone, unterliegt. Außerdem ist das Ansprechen auf die Therapie häufig nicht so eindrucksvoll wie im Kindesalter, so dass in manchen Fällen der Erfolg der medikamentösen Therapie erst nach Monaten beurteilbar ist. Die auf das Körpergewicht bezogenen Dosierungsempfehlungen für eine Stimulanzienbehandlung im Kindesalter gelten absolut nicht für Erwachsene, bei denen es keine feste Relation zwischen Körpergewicht und Dosis gibt. Es ist deshalb wichtig, mit niedrigen Dosen, z. B. 5 mg Methylphenidat morgens über 3–4 Tage, zu beginnen, auch damit Nebenwirkungen in Form von gastrointestinalen Beschwerden oder Herzsensationen nicht zum Abbruch der Therapie führen. Im Erwachsenenalter kann eine Tagesdosis von 15 mg, aufgeteilt in 3 Gaben, häufig schon ausreichend sein. Langzeitstudien über die Gabe von Methylphenidat bei Erwachsenen existieren noch nicht. Bei Nichtansprechen auf Methylphenidat bei gesi-
44
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Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
cherter Diagnose, insbesondere bei Patienten mit ausgeprägten Antriebsstörungen und gesteigerter innerer Anspannung, kann auch die Gabe von D-L-Amphetaminen zu einer deutlichen Besserung der Symptome führen. Positive Resultate wurden auch bei Gabe des Noradrenalinwiederaufnahmehemmers Atomoxetin gesehen; hier liegen aber noch keine Langzeiterfahrungen vor. ! Wegen der bei vielen Betroffenen vorhandenen Depression oder den häufig anzutreffenden komorbiden Persönlichkeitsstörungen ist es meist empfehlenswert, neben der Gabe von Stimulanzien, die der Verbesserung von Aufmerksamkeit und Konzentration dient, zusätzlich zur Stabilisierung der Stimmung eine Therapie mit Antidepressiva einzuleiten.
Hier hat sich die Gabe von neueren Antidepressiva bewährt, entsprechende Hinweise enthält das Buch von Krause u. Krause (2003). Beispielsweise wird Venlafaxin in einer Dosierung von 18,75 bis 75 mg täglich gut vertragen; in der Literatur gibt es auch Fallberichte zur Monotherapie mit Venlafaxin, kontrollierte Studien zur Behandlung der ADHS mit dieser Substanz liegen jedoch bisher nicht vor. Außerdem wurde über positive Wirkungen von Desipramin, Nortriptylin, Imipramin, Fluoxetin, Clonidin, Propranolol und Nadolol berichtet (Krause u. Krause 2003; Wilens et al. 1995). Eine Übersicht über bei der ADHS mit Erfolg eingesetzte Substanzen gibt . Tabelle 3.2. Wegen der bei Erwachsenen meist vorhandenen komorbiden Störungen ist die Kenntnis der Wirkmechanismen neuerer Antidepressiva unbedingt notwendig, um neben der Gabe von Stimulanzien auch die komorbiden Symptome gezielt behandeln zu können. Dies bedeutet, dass Erwachsene mit Verdacht auf ADHS im Hinblick auf Diagnostik und Behandlung einem erfahrenen Spezialisten vorgestellt werden sollten.
45
3.6 · Therapie
3
. Tabelle 3.2. Übersicht über bei ADHS mit Erfolg eingesetzte Substanzen Substanzgruppe
Substanzen
Stimulanzien
Methylphenidat D-L-Amphetamin
Selektive Noradrenalinwiederaufnahmehemmer
Atomoxetin
Trizyklische Antidepressiva
Imipramin
Reboxetin
Nortriptylin Desipramin Reversible MAO-A-Hemmer
Moclobemid
Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer
Venlafaxin
Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer
Fluoxetin
Atypische Antipsychotika
Amisulpirid
Sertralin
Quetiapin
3.6.2 Psychotherapie
! Die Psychotherapie betroffener Erwachsener ist genauso wichtig wie die medikamentöse Behandlung.
Ein verhaltenstherapeutischer Ansatz kann helfen, Strukturen bei chaotischer Lebensweise zu entwickeln – die meisten Patienten haben im Lauf ihres Lebens ausgefeilte Vermeidungsstrategien erlernt und reagie-
46
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
ren nur noch auf massiven Druck hin. Inzwischen gibt es neuere Studien zur Gruppenbehandlung Erwachsener (Hesslinger et al. 2002) mit speziell modifizierter verhaltenstherapeutischer Psychotherapie, die auch den Aspekt mangelnder Veränderungsbereitschaft berücksichtigt und den Patienten dabei behilflich ist, durch geeignete Informationen zu einer neuen Sicht der Störung und somit zu Veränderungsperspektiven zu gelangen. Die nahezu immer vorhandene Selbstwertproblematik kann auch gut in einer tiefenpsychologisch fundierten Therapie aufgearbeitet werden. Bei ausgeprägter Störung der Ich-Funktionen ist ein therapeutisches Vorgehen in Form der psychoanalytisch-interaktionellen Therapie nach HeiglEvers u. Ott (1997) sinnvoll, um dem Patienten durch verständnisvolles Annehmen und aktive Rückmeldung eine tragfähige Beziehung zum Therapeuten zu ermöglichen. Viele dieser Menschen sind meist lebenslang mit ständigen Vorwürfen konfrontiert gewesen, die ihren mangelnden Antrieb als Ausdruck von Faulheit deuteten; auch konnte niemand nachvollziehen, dass sie häufig unfähig waren, eine Wahl zwischen gesellschaftlich normiertem Verhalten und beispielsweise massiven impulsiven Durchbrüchen zu treffen. Sie zweifeln deshalb am Sinn einer Therapie und haben oft große Schwierigkeiten, sich auf eine neue therapeutische Beziehung einzulassen, da sie fürchten, erneut missverstanden zu werden. Entsprechende Erfahrungen haben die meisten Betroffenen bereits in vorhergehenden Therapien gewonnen, viele erfolgreich behandelte Patienten betonen deshalb den Aspekt des Angenommenseins als wesentlichen Impuls, sich der Arbeit einer Veränderung ihres Verhaltens stellen zu können.
3.7
Zusammenfassung
17 18 19 20
Ein bis zwei Drittel der Kinder mit ADHS weisen auch als Erwachsene beeinträchtigende Symptome der Störung auf. Die Symptome des Kindesalters unterliegen beim Erwachsenen einem Wandel, was Probleme bei einer Erstdiagnose im Erwachsenenalter bedingen kann.
Literatur
47
3
Bei den meisten erwachsenen Patienten mit einer ausgeprägten ADHS ist eine kombinierte medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung erforderlich. Stimulanzien, für die mehrere placebokontrollierte Doppelblindstudien bei Erwachsenen vorliegen, sind wie im Kindesalter Mittel der ersten Wahl im Rahmen der Pharmakotherapie. Bei komorbiden psychiatrischen Störungen ist der Einsatz von modernen Antidepressiva sinnvoll. Bei der Psychotherapie stehen Förderung der Selbstkognition und Selbststrukturierung im Vordergrund einer verhaltenstherapeutischen Behandlung (»Coaching«). Tiefenpsychologische Ansätze, wie die psychoanalytisch-interaktionelle Methode, sind bei tiefgreifenden Selbstwertproblemen und strukturellen Ich-Störungen indiziert.
Literatur Biederman J, Newcorn J, Sprich S (1991): Comorbidity of attention deficit hyperactivity disorder with conduct, depressive, anxiety, and other disorders. Am J Psychiatry 148: 564–577 Brown TE (1996) Brown attention deficit disorder scales. The Psychological Corporation, San Antonio/TX Cantwell DP (1996) Attention deficit disorder: a review of the past 10 years. J Acad Child Adolesc Psychiatry 35: 978–987 Conners CK, Erhardt D, Sparrow E (1999) Conners‘ adult ADHD rating scales (CAARS). Multi-Health Systems, North Tonawanda/NY Toronto Ebert D, Krause J, Roth-Sackenheim C (2003) ADHS im Erwachsenenalter – Leitlinien auf der Basis eines Expertenkonsensus mit Unterstützung der DGPPN. Nervenarzt 74: 939–946 Goldman LS, Genel M, Bezman RJ, Slanetz PJ (1998) Diagnosis and treatment of attention-deficit/hyperactivity disorder in children and adolescents. JAMA 279: 1100– 1107. Hallowell EM, Ratey JJ (1998) Zwanghaft zerstreut. ADD – die Unfähigkeit, aufmerksam zu sein. Rowohlt, Reinbek Heigl-Evers A, Ott J (1997) Die psychoanalytisch-interaktionelle Methode: Theorie und Praxis. Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen Zürich Hesslinger B, van Elst LT, Nyberg E, Dykierek P, Richter H, Berner M, Ebert D (2002) Psychotherapy of attention deficit hyperactivity disorder in adults: A pilot study using a structured skills training program. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 252: 177–184 Krause J, Krause KH (2003) ADHS im Erwachsenenalter. Schattauer, Stuttgart New York
48
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Kapitel 3 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
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49
4.1 ·
Effiziente Therapiestrategien bei ADHS G.-E. Trott, J. Krause
4.1
ADHS – eine pervasive Störung
4.2
Prävalenz – 51
4.3
Diagnose – 52
4.4
Therapieziele – 53
4.5
Bisherige Therapiestudien – 54
4.6
Therapieempfehlungen – 56
4.7
Zusammenfassung – 60 Literatur – 60
– 50
4
50
Kapitel 4 · Effiziente Therapiestrategien bei ADHS
1
4.1
ADHS – eine pervasive Störung
2
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gehört zu den häufigsten kinder- und jugendpsychiatrischen Erkrankungen. In den letzten beiden Jahrzehnten haben viele Forschungsbemühungen zur Ätiologie und zum klinischen Verlauf unser Wissen zu diesem Krankheitsbild vermehrt. Zu den diagnostischen Kriterien gehört neben der Störung der Aufmerksamkeit, der Impulsivität und der motorischen Unruhe auch das Kriterium der situationsübergreifenden Beeinträchtigung sowie der Pervasivität. Dies impliziert natürlich auch die Frage, wie sich Betroffene nach dem Jugendalter entwickeln. Die Symptomatik im Schulalter ist gut bekannt und hat sich als valide erwiesen. Das klinische Bild sowohl im Säuglings- und Kleinkindalter als auch im Erwachsenenalter ist jedoch weit weniger gut erforscht. Aktuell läuft eine Studie an der kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik am National Institute of Mental Health in Bethesda, Maryland, die die frühen Symptome der Erkrankung prospektiv näher erforschen soll (Connor 2002). Im Jugendalter bilden sich bei vielen Betroffenen die Symptome der motorischen Unruhe zurück. Impulsivität und verminderte Aufmerksamkeit bleiben jedoch häufig erhalten. Die Angehörigen beklagen auch nach der Pubertät bei den Betroffenen emotionale Unreife, Schwierigkeiten in Prüfungssituationen und belastete Sozialbeziehungen (Krause et al. 1998). Die leichte Beeinflussbarkeit, die ausgeprägte Stimmungslabilität, das mangelnde Durchhaltevermögen und die Bereitschaft zu risikoreichem Verhalten erklären teilweise, warum die betroffenen Jugendlichen stark gefährdet sind, eine Substanzabhängigkeit zu entwickeln (Barkley et al. 2003; Huss u. Lehmkuhl 2002; Manuzza et al. 1998, Wilens et al. 2003). Eine amerikanische Arbeitsgruppe konnte in einer methodisch differenzierten Studie den unterschiedlichen Verlauf der Kernsymptomatik bis zum Erwachsenenalter zeigen. Die Hyperaktivität nimmt deutlich ab, auch die Impulsivität verbessert sich, während bei der Störung der Aufmerksamkeit kaum Veränderungen festzustellen sind (Biederman et al. 2000; . Abb. 4.1).
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
DSM-III-R ADHD
100 Prozent [%]
60
20
20
Prozent [%]
b
Hyperaktivität
100
c
60 40
6–8 9–11 12–14 15–17 18–20
0 <6 100
80
80
60
60
40
40
20
20
0 <6
6–8 9–11 12–14 15–17 18–20 Alter (Jahre)
Aufmerksamkeitsstörung
80
40
0 <6
a
100
syndromatische Remission symptomatische Remission funktionale Remission
80
4
51
4.2 · Prävalenz
d
0 <6
6–8 9–11 12–14 15–17 18–20 Impulsivität
6–8 9–11 12–14 15–17 18–20 Alter (Jahre)
. Abb. 4.1a–d. Alterstypischer Verlauf der Einzelsymptome der ADHS; a DSM-III-R ADHD, b Aufmerksamkeitstörung, c Hyperaktivität, d Impulsivität. (Aus Biederman et al. 2000)
4.2
Prävalenz
Bereits Mitte der 1980er Jahre stellten Paul Wender und Mitarbeiter fest, dass viele der von ihm behandelten Patienten auch nach dem Jugendalter weiter zu ihm in Behandlung kamen (Wender et al. 1985). Sie gingen davon aus, dass bei 30–80% der Betroffenen die Symptome auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben. Exakte epidemiologische Untersuchungen über die Prävalenz der ADHS im Erwachsenenalter an großen Stichproben finden sich in der Literatur noch nicht (Trott et al. 2000). Bemerkenswert ist, dass in neueren Studien mit besser definierten und rigoroseren Kriterien eine höhere Persistenz der Symptome im Erwachsenenalter gefunden wurde als in früheren Untersuchungen (Barkley 1998).
52
1 2 3 4 5 6 7
Kapitel 4 · Effiziente Therapiestrategien bei ADHS
Die bisherigen Studien zeigen recht unterschiedliche Prävalenzraten (Übersicht bei Krause u. Krause 2003). Insgesamt muss jedoch davon ausgegangen werden, dass es eine nicht seltene Störung ist, die zudem erhebliche Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung hat. Daneben sind auch die gesundheitsökonomischen Auswirkungen einer nicht diagnostizierten und nicht fachgerecht therapierten ADHS zu bedenken (Schlander 2004). Neben hohen Kosten im Erziehungs- und Bildungswesen fallen natürlich auch hohe Ausgaben im Gesundheitswesen an, aber auch im Bereich der sozialen Sicherungssysteme und wegen der hohen Überschneidung zur Störung des Sozialverhaltens im Bereich der Justiz (7 Kap. 8 in diesem Buch; Rösler 2001).
8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
4.3
Diagnose
Die Diagnose einer ADHS ist in jedem Lebensalter recht zeitaufwendig, da sie grundsätzlich dimensional, nicht kategorial erfolgt. Die Symptome sind stark situationsabhängig und sie sind bei der Erstbegegnung im Konsultationszimmer oft bei weitem nicht so augenscheinlich, wie man von der Anamnese her erwarten würde. Viele Symptome scheinen ihre Ursache in willentlich beeinflussbaren Faktoren aber auch in Persönlichkeitsakzenten zu haben, wenngleich sie objektiv gesehen auf einem Unvermögen beruhen. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass bei Patienten mit ADHS die Fähigkeiten, sich selbst zu aktivieren, Prioritäten zu setzen und planvoll bei der Bewältigung von Aufgaben vorzugehen, eingeschränkt sind. Die Betroffenen haben große Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit zu aktivieren und zu fokussieren, die Vigilanz aufrecht und die Arbeitsgeschwindigkeit konstant zu halten. Die Regulation und Hemmung von Handlungen ist erschwert, ebenso der Gebrauch und die Strukturierung des Arbeitsgedächtnisses. Vor allem aber ist die Bewältigung von Frustrationen erheblich eingeschränkt, und die Betroffenen haben Schwierigkeiten, ihren Affekt zu modulieren. Auch die hohe Komorbiditätsrate erschwert Diagnostik und Therapieplanung (. Abb. 4.2).
4
53
4.4 · Therapieziele
Sozialsationsstörung oppositionelles Verhalten
Tics Sprechstörungen
Substanzmissbrauch
Enuresis
Störung der sexuellen Entwicklung
Enkopresis
Asperger-Syndrom
ADHS
depressive Störungen
Schlafstörungen motorische Ungeschicklichkeit
Angststörungen
Epilepsien
Zwangstörungen Beziehungsstörungen
Teilleistungsstörungen
Lernstörungen . Abb. 4.2. Komorbidität bei ADHS
Die Aufdeckungsrate einer ADHS im Kindes- und Jugendalter ist inzwischen weitaus höher ist als noch vor wenigen Jahren. Es ist aber noch immer keine Seltenheit, dass Patienten erst im Erwachsenenalter zur Diagnostik und Einleitung einer Behandlung kommen. Hierbei muss bedacht werden, dass eine nicht diagnostizierte und nicht fachgerecht behandelte ADHS im Kindes- und Jugendalter ein hohes Risiko für die Entwicklung sekundärer psychischer Folgen mit sich bringt. Die Schwierigkeiten in der Beziehung zu den primären Bezugspersonen, die Probleme in der Peergroup, aber auch die Einschränkungen im Lern- und Leistungsbereich hinterlassen Folgen, die für die Persönlichkeitsentwicklung von großer Tragweite sind (Trott 2004).
4.4
Therapieziele
Die Behandlung einer ADHS im Erwachsenenalter sollte zum Ziel haben, die Krankheitssymptome zu reduzieren und damit die Lebensqualität zu verbessern. Einen breiten Raum nimmt der Abbau von Informationsde-
54
1 2 3 4 5
Kapitel 4 · Effiziente Therapiestrategien bei ADHS
fiziten ein, da nach wie vor eine Vielzahl von ungeprüften Hypothesen und Meinungen weit verbreitet ist. Nicht zuletzt im Hinblick auf eine gute Compliance muss diesem Punkt die entsprechende Beachtung geschenkt werden (Trott 2002). ! Gerade bei Betroffenen, bei denen die Diagnose im Erwachsenenalter erstmals gestellt wird, wird man in der psychotherapeutischen Begleitung darauf Wert legen müssen, das Krankheitsgeschehen besser zu verstehen und zu verarbeiten.
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Die Interpretation bisheriger biographischer Besonderheiten, der Lernund Leistungsgeschichte, vor allem aber der Beziehung zu den primären Bezugspersonen, muss bei den meisten Patienten revidiert werden. In der Behandlungspraxis ist es eine alltägliche Beobachtung, dass gerade die familiären Beziehungen von den Betroffenen in einem neuen Licht gesehen werden, und nicht wenige Patienten versöhnen sich während der Behandlung mit ihren Eltern (Minde et al. 2003). Außerdem ist Wert darauf zu legen, stigmatisierende, mystifizierende und falsche Krankheitsvorstellungen zu korrigieren bzw. zu relativieren. In der Regel führt dies zu einer subjektiv emotionalen Entlastung der Betroffenen. Die meisten Patienten können über eine lange Geschichte von Missverständnissen und Misserfolgen berichten, was in der Regel zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Selbstbewusstseins geführt hat. Hier sollten der Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes gefördert und die Patienten dazu ermutigt werden, ihre Krankheit aktiv zu bewältigen und Mitverantwortung für die Therapie zu übernehmen. Dabei sollte stets problembasierend und lösungsorientiert vorgegangen werden, und Hilfen zur Selbsthilfe sollten vermittelt werden.
17 18 19 20
4.5
Bisherige Therapiestudien
Für das Erwachsenenalter liegen noch nicht ausreichend viele und ausreichend umfangreiche Studien zur Therapie der ADHS vor, um von einem
4.5 · Bisherige Therapiestudien
55
4
hohen Grad der Evidenzbasierung ausgehen zu können. Die Lage sieht für das Kindes- und Jugendalter jedoch anders aus. In besonderer Weise ist die »Multimodal Treatment Study Group of Children with Attention Deficit Hyperactivity Disorder« (MTA 1999) zu erwähnen. In dieser außergewöhnlich aufwändigen, 14-monatigen Studie wurden vier verschiedene etablierte Therapiesettings miteinander verglichen. Ein Studienarm umfasste die medikamentöse Behandlung einschließlich fachärztlich kinder- und jugendpsychiatrischer Beratung, der zweite Arm eine intensive Verhaltenstherapie, die hochfrequent erfolgte und die zum Teil auch im häuslichen Rahmen stattfand und freizeitpädagogische Maßnahmen mit einschloss. Der dritte Arm kombinierte die beiden ersten Therapieformen, beim vierten Arm wurde die Diagnose gestellt und den Eltern mitgeteilt, dass eine behandlungsbedürftige Krankheit vorliege und dass sie sich an ihren Hausarzt wenden mögen. 579 Kinder im Alter von 7–9; 9 Jahren, die die diagnostischen Kriterien einer ADHS nach dem DSMIV erfüllten, wurden eingeschlossen. Die Ergebnisse der MTA-Studie ergaben, dass die Symptome der ADHS durch Medikamente stärker vermindert wurden als unter den anderen Therapieformen. Die Kombination der medikamentösen Therapie mit intensiver Verhaltenstherapie hat keine signifikant besseren Ergebnisse gezeigt. Die impulsiv-aggressive Symptomatik und die emotionalen Störungen wurden durch die medikamentöse und die Verhaltenstherapie gleich wirksam beeinflusst, und die medikamentöse Behandlung mit fachärztlicher Beratung war der Standardtherapie deutlich überlegen, obwohl auch bei der hausärztlichen Therapie 67% der Patienten Medikamente erhielten. Wenngleich jedes Lebensalter spezifische therapeutische Bedürfnisse hat, so ist es doch erlaubt, die wesentlichen Erkenntnisse dieser Studie auf das Erwachsenenalter zu übertragen.
56
Kapitel 4 · Effiziente Therapiestrategien bei ADHS
1
4.6
Therapieempfehlungen
2
Während bei der Behandlung der ADHS im Kindesalter in erster Linie die Bezugspersonen eine Behandlung wünschen, geht der Anstoß zur Therapie im Erwachsenenalter von den Betroffenen aus.
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
! Viele Betroffene werden erst durch die Reaktionen der Umgebung auf das Ausmaß ihrer Störung aufmerksam und viele Schwierigkeiten, die am Arbeitsplatz oder in der unmittelbaren persönlichen Umgebung auftreten, werden meist anderen Ursachen zugeordnet.
Aus Sicht der Betroffenen ist ihr Fehlverhalten in der Regel eine Antwort auf widrige Umstände in der unmittelbaren Umgebung. Aus diesem Grunde sollte, wie bereits weiter oben ausgeführt, eine eingehende Aufklärung des Patienten über sein Krankheitsbild sowie über mögliche therapeutische Maßnahmen erfolgen. Sinnvollerweise klärt man den Patienten darüber auf, dass nicht alle Symptome gleichzeitig angegangen werden können, und dass manche behandlungsbedürftige Schwierigkeiten (z. B. Beziehung zu den Eltern bzw. Partnern) erst nach einer wirksamen Behandlung der Kernsymptomatik bearbeitet werden können. Kognitive verhaltenstherapeutische Therapieansätze sind gerade zu Beginn der Behandlung eine sinnvolle Ergänzung zur Medikation, da bei einer alle Lebensbereiche betreffenden Störung wie der ADHS die verbesserte Selbstorganisation ein wesentliches Therapieziel darstellt. Bei Erwachsenen mit ADHS ist wegen tiefgreifender Störungen des Selbstwertes und der Autonomieentwicklung (Triolo 1999) nicht selten auch eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als begleitende Maßnahme indiziert (Krause u. Ryffel-Rawak 2000).
17 18 19 20
! Die Kernsymptome der Erkrankung werden im Erwachsenenalter, ähnlich wie auch im Kindes- und Jugendalter, am wirksamsten durch Medikamente beeinflusst.
4.6 · Therapieempfehlungen
57
4
Wie im jungen Lebensalter, so ist auch im Erwachsenenalter die Behandlung mit Stimulanzien die Therapie der ersten Wahl (Krause et al. 1999, Wender 1998). Das weltweit am häufigsten eingesetzte Medikament zur Behandlung der ADHS ist (in jedem Lebensalter) Methylphenidat. Nach den bisher vorliegenden, im Wesentlichen tierexperimentiellen Befunden, greift Methylphenidat in das Dopaminsystem ein, indem es die Wiederaufnahme des Transmitters am synaptischen Spalt durch eine Blockade der Dopamintransporter verhindert und zusätzlich Dopamin aus Reserpin-sensitiven Granula freisetzt. Methylphenidat wirkt außerdem als indirekter Noradrenalinagonist. Man nimmt an, dass Pemolin einen ähnlichen Wirkmechanismus hat. Ähnlich wie Methylphenidat wirkt Amphetamin. Der Wirkmechanismus dieser Substanz erscheint komplexer als der des Methylphenidat zu sein. Amphetamine wirken nicht nur dopaminerg, sondern auch noradrenerg über eine erhöhte Katecholaminproduktion und -freisetzung im Zytosol der Nervenendigungen; auch serotonerge Mechanismen sind für die Amphetamine beschrieben. D-Amphetamin ist hinsichtlich der Wirkungen auf das zentrale Nervensystem 3- bis 4-mal potenter als reines Amphetamin und hat dabei eine geringere sympathikomimetische Wirkung in der Peripherie, so dass es als Mittel zur Behandlung der ADHS vorzugsweise eingesetzt wird und in allen Amphetaminpräparaten zumindest als Bestandteil vorhanden ist. Während in den USA ein razemisches Gemisch aus D- und L-Isomeren, gemischte Sulfate und Saccharinate von D-L-Isomeren, reines D-Amphetaminsulfat sowie ein razemisches Methamphetaminsulfat erhältlich ist, steht in Deutschland Amphetamin nur in Form eines razemischen Gemisches als Rohsubstanz zur Verfügung. Als Fertigpräparat ist es nicht im Handel und muss deshalb einzeln rezeptiert werden. Methylphenidat ist in Deutschland von verschiedenen Herstellern auf dem Markt (Equasym, Medikinet, Ritalin, Methylphenidat Hexal), neben den nicht retardierten Substanzen ist auch ein Methylphenidat mit verzögerter Freisetzung mittels OROS (»osmotic controlled release oral delivery system«) verfügbar (Concerta). In der Schweiz ist sowohl Methylphenidat mit verzögerter Wirkung (Ritalin-SR) als auch ein lang wirksames Methylphenidatpräparat (Ritalin-LA) zugelassen, das nach Deutschland
58
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Kapitel 4 · Effiziente Therapiestrategien bei ADHS
importiert werden kann. Medikinet retard wurde in Deutschland kürzlich auf dem Markt eingeführt. Verschiedene andere Substanzen wie MAO-Hemmer, selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer, Bupropion, Venlafaxin, Clonidin und trizyklische Antidepressiva wurden geprüft. Überzeugend sind jedoch nur die Ergebnisse des selektiven Noradrenalinwiederaufnahmehemmers Atomoxetin. Atomoxetin ist unter dem Handelsnamen Strattera in den USA mit der Indikation ADHS im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter zugelassen (Spencer et al. 1998), die Markteinführung für Kinder und Jugendliche erfolgte in Deutschland im März 2005. . Tabelle 4.1 zeigt eine Übersicht über placebokontrollierte Doppelblindstudien zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter. ! Auch im Erwachsenenalter stellt Methylphenidat die Standardtherapie der ADHS dar.
Pemolin stellt wegen seines komplexen hepatischen Metabolismus und der Gefahr irreversibler hepatotoxischer Nebenwirkungen ein Medikament der ferneren Wahl dar. Amphetamin muss in Deutschland individuell rezeptiert werden, als Fertigarznei ist es nicht verfügbar. Atomoxetin scheint eine hoffnungsvolle Substanz zu sein, die Erfahrungen im klinischen Alltag werden die Wertigkeit dieser Substanz im Behandlungskonzept zeigen. Während die meisten Medikamente in Deutschland für Erwachsene zugelassen sind und eine besondere Zulassung für das Kindes- und Jugendalter erst noch erwerben müssen, ist es im Fall von Methylphenidat genau umgekehrt. Formal gesehen ist die Anwendung von Methylphenidat im Erwachsenenalter ein »Off-Label-Use«. Dies hat in der Vergangenheit zu Diskussionen mit Kostenträgern bzgl. der Kostenerstattung geführt. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hat diesbezüglich klare Stellung bezogen; auch in den Leitlinien (Ebert et al. 2003) wird Methylphenidat als Mittel der ersten Wahl empfohlen. Auf diese Referenzen sollte man sich im Falle eines
148
20–140
Atomoxetin
Pemolin
α-Amphetamin
Crossover
Crossover
Parallel
Spencer et al. (1998)
Wilens et al. (1999)
Paterson et al. (1999)
76
147
Desipramin
Parallel
Wilens et al. (1996)
45
27
21
41
23
30–100
Methylphenidat
Crossover
Spencer et al. (1995)
n
Substanz
Design
Studie Mittlere Tagesdosis [mg]
36
40
34
37
40
Alter [Jahre]
52
50
3
10
58
68 6
6
78
Responder [%]
7
Dauer [Wochen]
. Tabelle 4.1. Placebokontrollierte Doppelblindstudien zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter. (Nach Krause u. Krause 2003)
4.6 · Therapieempfehlungen 59
4
60
1
Kapitel 4 · Effiziente Therapiestrategien bei ADHS
Streites um die Kostenerstattung unbedingt beziehen (Fritze u. Schmauß 2002).
2 3 4 5 6 7 8 9 10
4.7
Zusammenfassung
Die ADHS ist eine häufige psychiatrische Erkrankung. Zur soliden Diagnostik einschließlich einer soliden Differenzialdiagnose und dem Erkennen von Komorbiditäten sowie zur fachgerechten Therapie ist die gesamte Breite psychiatrischen Wissens erforderlich. Eine frühzeitige Diagnostik und Therapie ist anzustreben, um das Risiko sekundärer Fehlentwicklungen zu vermindern. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) sind evidenzbasiert, bewährt und praktikabel. Mittel der ersten Wahl bei der medikamentösen Behandlung stellt Methylphenidat dar, die psychotherapeutische Begleitung sollte sich an den individuellen Bedürfnissen des Patienten orientieren und problembasierend und lösungsorientiert sein.
11 12
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13
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Kapitel 4 · Effiziente Therapiestrategien bei ADHS
Wilens TE, Faraone SV, Biederman J, Gunawardene S (2003) Does stimulant therapy of attention deficit hyperactivity disorder beget later substance abuse? A meta-analytic review of the literature. Pediatrics 111: 179–185
5
63
5.1 ·
Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter B. Hesslinger, A. Philipsen, H. Richter, D. Ebert
5.1
Gründe für eine psychotherapeutische ADHS-Behandlung – 64
5.2
Symptomatik
5.3
Behandlung – 66
– 65
5.3.1
Medikamentöse Behandlung
5.3.2
Psychotherapie
– 66
5.4
Entwicklung einer störungsspezifischen Psychotherapie für Erwachsene mit ADHS – Methoden und Ergebnisse – 68
5.5
Konzepterstellung und Planungsphase
– 67
– 69
5.5.1
Vorüberlegungen – 69
5.5.2
Therapieziel
5.5.3
Module und Rahmenbedingungen der Behandlung
5.6
Erstmalige Anwendung – 75
5.7
Überprüfung der Effekte im klinischen Versuch
5.8
Ergebnisdiskussion und Zusammenfassung – 78
– 70
Literatur – 79
– 70
– 75
64
Kapitel 5 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1
5.1
Gründe für eine psychotherapeutische ADHS-Behandlung
2
Welche Gründe sprechen dafür, Erwachsenen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) auch eine psychotherapeutische Behandlung anzubieten? 1. Erwachsene mit ADHS haben meist jahrelange Anpassungsprozesse an die Basissymptome der ADHS hinter sich, bevor sie sich in psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung begeben. Die Behandlung wird daher oft nicht wegen der primären ADHS-Symptomatik, die auch einer spezifischen Pharmakotherapie zugänglich wäre, sondern wegen der komorbiden psychischen Störungen (wie z. B. depressiver Syndrome) und der psychosozialen Komplikationen der ADHS (wie z. B. Arbeitsplatzverlust oder Partnerschaftskonflikte) begonnen. 2. Manche Menschen mit ADHS wünschen keine medikamentöse Behandlung, die meisten aber, wenn sie mit einer medikamentösen Behandlung einverstanden sind, zusätzlich eine Psychotherapie. 3. Von vielen anderen schweren psychischen Erkrankungen ist bekannt, dass eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung die besten Effekte zeigt. 4. Die deutschsprachigen Leitlinien zur ADHS bei Erwachsenen empfehlen eine multimodale Therapie, bestehend aus Medikation und einer Psychotherapie, die störungsspezifische Elemente enthalten sollte.
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Im Folgenden soll eine spezifische Psychotherapie vorgestellt werden, die sich nicht an Therapieschulen, sondern an den Symptomen der ADHS bei Erwachsenen orientiert. Fiedler (2000) schlägt Basismodule einer solchen, integrativen Psychotherapie vor, die in der folgenden Übersicht modifiziert zusammengefasst werden.
5.2 · Symptomatik
65
5
Integrative Psychotherapie – Basismodule einer spezifischen Behandlung (mod. nach Fiedler 2000) 1. Patientenschulung Information plus Aufklärung über Störung, Ätiologie, Diagnostik, Behandlung 2. Problemaktualisierung: Klärung und Bewältigung Aktivierung und Bearbeitung, Unterweisung des Patienten 3. Aktivierung persönlicher Ressourcen Ressourcenorientierung, Selbstbeobachtung, Selbstmanagement Selbstevaluation Anleitung des Patienten, sein eigener Therapeut zu werden 4. Aktivierung sozialer Ressourcen Schulung und Unterweisung von Angehörigen, soziale Unterstützung Netzwerke, Selbsthilfegruppen 5. Transfersicherung und Rückfallvermeidung
5.2
Symptomatik
Die Leitsymptome der ADHS im Erwachsenenalter sind nach den Wender-Utah-Kriterien Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität inklusive chronischer innerer Unruhe, affektive Instabilität, Desorganisiertheit und Impulskontrollstörungen (Wender 2000). Menschen mit ADHS gelten als verträumt, ablenkbar, wenig ausdauernd, manchmal auch als »unzuverlässig« oder »selbstsüchtig«. Schlechte Leistungen in Schule, Ausbildung und Beruf können auch bei ausreichender Begabung zu Abbrüchen von Ausbildungen, zu häufigen Arbeitsplatzwechseln und Arbeitslosigkeit führen. Impulskontrollstörungen, emotionale Instabilität und mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber sozialen Signalen führen zu Konflikten in Beziehungen und Partnerschaften. Die Symptomatik kann also erhebliche psychosoziale Konse-
66
1 2 3 4 5 6 7 8
Kapitel 5 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
quenzen haben. Das Selbstwertgefühl von ADHS-Betroffenen ist oft deutlich verringert. Zusätzlich wird die Gesamtsituation Erwachsener mit ADHS durch eine hohe Komorbiditätsrate erschwert; insbesondere finden sich begleitende affektive Störungen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen (v. a. dissozial und emotional-instabil vom Borderline-Typ) und Suchterkrankungen (Biederman et al. 1991; Hallowell u. Ratey 1999; Faraone et al. 2000; Hesslinger et al. 2003). Aus der bisher geschilderten Situation ist nicht abzuleiten, dass Erwachsene mit ADHS ihre Psychotherapeuten vor einfache Aufgaben stellen. Auf der anderen Seite haben aber viele Menschen mit ADHS zahlreiche Ressourcen (Hartmann 1997), die in der Psychotherapie genutzt werden können (s. folgende Übersicht).
9 Häufige Merkmale erwachsener ADHS-Betroffener, die in der Psychotherapie genutzt werden können
10
5 5 5 5 5 5 5 5
11 12 13 14 15
Neugier Energie Phantasie Kreativität Risikobereitschaft Rasche Auffassungsgabe Flexibilität Fähigkeit, andere Menschen zu strukturieren
16 17
5.3
18
5.3.1 Medikamentöse Behandlung
19 20
Behandlung
Es wurden mehrere kontrollierte Studien zur medikamentösen Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter durchgeführt, und die Wirksamkeit
5.3 · Behandlung
67
5
von Stimulantien und noradrenerg wirksamen Antidepressiva gilt als belegt (Übersichten in Krause et al. 1998; Faraone et al. 2000; Krause u. Ryffel-Rawak 2000; Trott 2001; Wilens et al. 2002). Bisher ist aber in Deutschland noch kein Medikament zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter zugelassen (»Off-Label-Use«; Fritze u. Schmauß 2002), und es gibt noch zu wenige Vergleichsuntersuchungen zur Effektivität der verschiedenen Medikamente. Die Datenlage zur Langzeitbehandlung mit Medikamenten bei ADHS im Erwachsenenalter ist zudem unzureichend (Einnahmedauer? Was wird nach dem Absetzen der Medikation?).
5.3.2 Psychotherapie
Bei Kindern und Jugendlichen sind Behandlungen mit alleiniger Medikation im Vergleich zu verhaltenstherapeutischen Interventionen überlegen (MTA 1999), wenngleich sich Medikation und Verhaltensmodifikation hinsichtlich bestimmter Zielsymptome in der Effektivität unterscheiden (Kolko et al. 1999). ! Obwohl die Medikamente häufig die oben geschilderten Basissymptome entscheidend verbessern und somit einen Grundpfeiler der Therapie darstellen können, sind sich die meisten mit ADHS im Erwachsenenalter vertrauten Kliniker darin einig, dass eine alleinige medikamentöse Behandlung den Bedürfnissen der Betroffenen nicht entspricht.
Von den Patienten der Freiburger ADHS-Ambulanz hatten aber viele in der Vorgeschichte eine Psychotherapie begonnen und wieder abgebrochen, weil sie den Eindruck gehabt hatten, dass ihre spezifischen Bedürfnisse nicht berücksichtigt worden waren. Zur psychotherapeutischen Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter gab es bis vor kurzem keine Veröffentlichungen, mit Wirksamkeitsnachweis eines Verfahrens (Bemporad 2001). Allerdings wurden, ohne Belegung durch Daten, positive Effekte durch Gruppentherapie und Coa-
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Kapitel 5 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
ching bei ADHS berichtet (z. B. Hallowell u. Ratey 1999) und der Einsatz von strukturierender Verhaltenstherapie sowie die Anleitung zum Selbstmanagement empfohlen. Tiefenpsychologische Ansätze wurden zur Bearbeitung der Selbstwertproblematik favorisiert (Krause u. Ryffel-Rawak 2000). Krause u. Krause (2002) berichten, dass eine psychoanalytisch-interaktionelle Therapie – gegenüber der Psychoanalyse mit klassischem Setting – den Bedürfnissen der Menschen mit ADHS am ehesten entgegenkommt. Im Jahr 2002 wurden 2 Studien veröffentlicht (Hesslinger et al. 2002; Stevenson et al. 2002), die positive Effekte durch eine störungsspezifische Psychotherapie bei erwachsenen Menschen mit ADHS berichteten. Im Folgenden soll der Freiburger Ansatz näher vorgestellt werden. ! Der hier vorgestellte psychotherapeutische Ansatz wurde in Anlehnung an die Dialektisch Behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung an die spezifischen Bedürfnisse erwachsener ADHS-Betroffener angepasst.
11 12
5.4
Entwicklung einer störungsspezifischen Psychotherapie für Erwachsene mit ADHS – Methoden und Ergebnisse
13 14 15 16 17 18 19 20
Als Ziel wurde 1998 definiert, eine störungsspezifische Psychotherapie für Erwachsene mit ADHS zu entwickeln. Diese Behandlung sollte stufenweise hinsichtlich Wirksamkeit, Anwendbarkeit, Indikationsstellung und unerwünschten Nebenwirkungen überprüft werden. Langfristig sollten so die Kriterien einer »evidenzbasierten« Therapie (Berner et al. 2000) erfüllt werden. Dabei erschien bzw. erscheint ein Vorgehen in folgenden Phasen sinnvoll: 5 Phase I – Konzepterstellung und Planungsphase; 5 Phase II – erstmalige Anwendung; 5 Phase III – Überprüfung der Effekte im klinischen Versuch; 5 Phase IV – Anwendungsbeobachtung im Multicenterdesign;
5.5 · Konzepterstellung und Planungsphase
5.5
69
5
Konzepterstellung und Planungsphase
5.5.1 Vorüberlegungen
Nachdem die Autoren mehrere Patienten gesehen und behandelt hatten, die sowohl die Kriterien einer ADHS als auch die Kriterien einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (kurz: Borderline-Persönlichkeitsstörung; BPS) erfüllten und von einer Behandlung mit Dialektisch Behavioraler Therapie auch in Bezug auf ihre ADHS-Symptome profitierten, wurde dieser therapeutische Ansatz weiterverfolgt: Die Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT) wurde von M. Linehan als störungsspezifische Psychotherapie der BPS entwickelt (Bohus u. Berger 1996), Bausteine dieser Therapie wurden als Fertigkeitentraining in manualisierter Form vorgelegt (Linehan 1996). Als gemeinsame Symptome von ADHS und BPS können u. a. Störungen der Affektregulation, Impulskontrollstörungen, Beziehungsstörungen, süchtige Verhaltensweisen und mangelnde Selbstachtung genannt werden. Die Differentialdiagnose von ADHS und BPS bzw. die Diagnose der Komorbidität kann daher schwierig zu stellen sein, zumal die ADHS im Verlauf – mit frühem Beginn, überdauerndem Verhaltensmuster und eventuell Persistenz ins Erwachsenenalter – einer Persönlichkeitsstörung ähnelt (Winkler u. Rossi 2001; Hesslinger et al. 2002; Ebert et al. 2002). Auch Aufmerksamkeitsstörungen liegen sowohl bei ADHS als auch bei der BPS vor. Bei ADHS zeigen sich die Aufmerksamkeitsstörungen häufig bei fehlender Aktivierung und Stimulierung. Bei BPS hingegen treten häufiger bei Spannungsanstieg dissoziative Phänomene auf, die als eine besondere Form von Aufmerksamkeitsdefizit angesehen werden können (s. auch Ceumern-Lindenstjerna et al. 2002). Klinisch wurde die hohe Komorbidität von ADHS und BPS auch in kontrollierten Untersuchungen nachgewiesen (Fossati et al. 2002). Die Methoden der Spannungsregulierung unterscheiden sich – abgesehen von Substanzkonsum sowohl bei ADHS als auch bei BPS – hingegen deutlich. Menschen mit ADHS (in der Mehrzahl Männer) neigen zu motorisch-sportlicher oder sexueller Spannungsregulation. Menschen
70
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Kapitel 5 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
mit BPS (in der Mehrzahl Frauen) neigen bei hoher Anspannung oft zu Dissoziation bis hin zur motorischen Hypoaktivität im Sinne von »freezing« und häufig zu nachfolgender Spannungsabfuhr durch selbstverletzendes Verhalten (Hesslinger et al. 2002). Aufgrund dieser klinischen Erfahrungen und theoretischen Erwägungen wurde eine Modifikation der manualisierten Bausteine der DBT auch für Erwachsene mit ADHS angeboten, die nicht die Kriterien der BPS erfüllten, und die nicht chronische Suizidalität bzw. Selbstverletzungen als Focus der Verhaltenstherapie benötigten. Schon in der Planungsphase machte die große Zahl an Patienten der ADHS-Ambulanz, die Interesse an einer Psychotherapie bekundet hatten, ein Gruppendesign notwendig. Bei den Evaluationen wurde dann von den Teilnehmern auch »das Setting als Gruppe« als wirksamer Therapiefaktor angegeben (im Sinne von: »nur eine Person mit ADHS kann eine andere Person mit ADHS richtig verstehen«).
10 11 12
5.5.2 Therapieziel
Als wesentliches Ziel der Therapie wurde definiert, ADHS zu kontrollieren (nicht zu »heilen«) statt durch ADHS kontrolliert zu werden.
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5.5.3 Module und Rahmenbedingungen der Behandlung
Um einem »Verzetteln« in der Therapie vorzubeugen – Desorganisiertheit ist ein Leitsymptom von ADHS – wurde ein strukturiertes Vorgehen mit symptomorientierten Modulen geplant. Diese Module sollten die wesentlichen Symptome und die typischen Verhaltensweisen von Erwachsenen mit ADHS abdecken. Um im Verlauf flexibel auf die Bedürfnisse der Patienten reagieren zu können, sollten einzelne Module in der Reihenfolge auch variabel einsetzbar sein.
5.5 · Konzepterstellung und Planungsphase
71
5
Bereits die Kenntnis der Diagnose ADHS und die Attribuierung von Beschwerden und Defiziten, aber auch von Ressourcen, auf diese Diagnose kann zu subjektiver Stabilisierung beitragen und die Therapiemotivation erhöhen. Deshalb erfolgte zu Beginn der Behandlung eine umfassende Aufklärung und Information über ADHS. Bezüglich Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefiziten bietet die DBT (Linehan 1996) als Modul das vom Zen-Buddhismus abgeleitete »Achtsamkeitstraining«, bezüglich Impulsivität und affektiver Instabilität die Module »Stresstoleranz«, »Emotionsregulation« und »zwischenmenschliche Fertigkeiten« (Hauptproblem bzgl. Affektivität bei ADHS: Kontrolle von Wut und Ärger). Die Notwendigkeit der Balance zwischen validierender Akzeptanz der Symptomatik und andererseits der Vermittlung von Fertigkeiten für Verhaltensänderungen wird in der DBT besonders betont und zeigte sich auch in der Therapie der ADHS als hilfreich. Um therapeutische Misserfolge, Therapeutenfehler und vorzeitige Therapieabbrüche möglichst zu minimieren, wurde angestrebt, die von Fiedler (1996) zusammengefassten Empfehlungen zu berücksichtigen. So wurden z. B. schon vor Beginn der Therapie mit jedem Patienten die Ziele, Vorgehensweisen sowie Grenzen der Behandlung besprochen, während der gesamten Therapiedauer größtmögliche Transparenz beibehalten und das therapeutische Handeln fortlaufend theoretisch begründet (s. Fiedler 1996; 7 Abschn. 8.3). Da sich die Symptomatik einer ADHS auf die Qualität von Beziehungen in Partnerschaften und Familien auswirkt (Hallowell u. Ratey 1999), wurden auch die Angehörigen auf Wunsch schriftlich über Ziele und Inhalte der Therapie informiert und ebenfalls auf Wunsch zu Gesprächsterminen eingeladen. Um den Therapieablauf für die Patienten überschaubar zu halten und den Rahmen der üblichen Genehmigungsverfahren einzuhalten, wurde die Gruppentherapie auf insgesamt 13 wöchentlich stattfindende Sitzungen von je 2 Stunden Dauer begrenzt. Hausaufgaben sind wesentlicher Bestandteil der Psychotherapie (ausführliche Darstellung der Psychothe-
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1
Kapitel 5 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
rapie in Hesslinger et al. 2004). . Tabelle 5.1 fasst die Inhalte der Therapie zusammen.
2 3 4
. Tabelle 5.1. Inhalte einer strukturierten Psychotherapie bei Erwachsenen mit ADHS nach dem Freiburger Konzept Sitzungen
Inhalte
5
Generelles Vorgehen:
6
Ambulante Gruppe mit 7–9 Teilnehmern
Informationen werden auch schriftlich ausgehändigt
Dauer: jeweils 2 Stunden
Hausaufgaben sind wesentlicher Teil der Behandlungsvereinbarung
Abstand: wöchentlich
Angehörige (Familie oder Lebenspartner) werden einbezogen
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Zusätzliche Einzelkontakte sind nach Absprache möglich
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Ablauf der einzelnen Sitzungen: 1.
Klärung
Terminabsprachen, Schweigepflicht, Entschuldigung bei Fehltermin, Nüchternheit als Voraussetzung zur Teilnahme
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Symptomatik und Diagnostik bei ADHS
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Allgemeine Zieldefinition: ADHS zu kontrollieren – statt von ADHS kontrolliert zu werden 2.
Neurobiologie
Information über Neurobiologie bei ADHS und dynamische Prozesse im ZNS
Achtsamkeit I
Einführung: Zen-buddhistisches Achtsamkeitstraining nach M. Linehan: 3 »Was-Fertigkeiten«: Wahrnehmen, Beschreiben und Teilnehmen, 3 »Wie-Fertigkeiten«: nicht wertend, fokussiert und effektiv
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Vorstellung der Teilnehmer
5.5 · Konzepterstellung und Planungsphase
73
5
. Tabelle 5.1. (Forts.) Sitzungen
Inhalte
3.
Achtsamkeit II
Achtsamkeitsübungen trainieren und in den Alltag integrieren lernen
4.
Chaos und Kontrolle
Definition: »Chaos ist, wenn ADHS mich kontrolliert, Kontrolle ist, wenn ich ADHS kontrolliere.« Zeitplanung, Organisationsplanung, Merkhilfen, Hilfestellungen
5.
Verhaltensanalyse I
Konzept: »Problemverhalten ist Verhalten, das ich ändern will« Teilnehmer erlernen Verhaltensanalysen: Beschreibung des Problemverhaltens im Detail, typische Situationen, vorausgehende Bedingungen, kurz- und langfristige Konsequenzen, alternative Problemlösestrategien, vorbeugende Maßnahmen, Wiedergutmachung
6.
Verhaltensanalyse II
Ziel: Verhaltensanalysen in Eigenregie durchführen
7.
Gefühlsregulation
Einführung in Theorie der Gefühle: Primäremotionen, Signal- und Kommunikationscharakter von Emotionen, Beziehung von Emotionen zu Kognitionen, Körperwahrnehmungen und Verhalten Übungen zur Emotionswahrnehmung und Emotionsregulation, häufigstes Problem bei ADHS: Kontrolle von Wut und Ärger
8.
Depression
Depression als häufige Komorbidität bei ADHS, Information über Symptome und Behandlungsmöglichkeiten bei Depression
Medikamente bei ADHS
Information über medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten bei ADHS, Wirkungen und Nebenwirkungen, Erfahrungsaustausch
74
1 2
Kapitel 5 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
. Tabelle 5.1. (Forts.) Sitzungen
Inhalte
9.
Impulskontrolle
Verhaltensanalysen bezüglich Impulskontrollstörungen, kurz- und langfristige Konsequenzen von Impulsivität, typische Situationen, zielorientiertes Verhalten erlernen, »was macht die Zündschnur länger?«
10.
Stressmanagement
Zusammenhang von desorganisiertem Verhalten mit subjektivem Erleben von Stress, »Jonglieren mit zu vielen Bällen gleichzeitig«
3 4 5 6
Stress-Leistungs-Kurve, ressourcenorientiertes Stressmanagement, Sport
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11.
Sucht
9
»Wonach bin ich süchtig?« (Alkohol, Tabak, Koffein, andere Substanzen, Sex, Sport, Internet, Hochrisikoverhalten etc.), kurz-/langfristige Konsequenzen
10 11
Indikationen für Alternativverhalten bzw. »Entzug oder Entwöhnung«?
12 13
12.
Beziehungen
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Schriftliche Information der Angehörigen über ADHS und Therapie Individuelle Termine mit Angehörigen auf Wunsch
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Selbstachtung
16
Folgen von ADHS für Biographie, Beziehungen und das Selbstvertrauen Vorteile durch ADHS gegenüber Menschen ohne ADHS
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Süchtiges Verhalten als häufige Komorbidität bei ADHS bzw. Drogenpsychosen
13.
Rückblick und Ausblick
Erfahrungsaustausch, Rückmeldung und Verbesserungsvorschläge
19
Möglichst Überführung in Selbsthilfegruppe
20
Abschied
5.7 · Überprüfung der Effekte im klinischen Versuch
5.6
75
5
Erstmalige Anwendung
Um die Übertragbarkeit in den klinischen Alltag von Beginn an zu überprüfen, wurde die Therapie in einer Testphase zunächst Patienten mit der Einschlussdiagnose ADHS angeboten, ohne dass – wie in klinischen Studien üblich – Ausschlusskriterien berücksichtigt wurden. Dabei wurde ersichtlich, dass bei Patienten mit ADHS und Intelligenzminderung bzw. mit schweren komorbiden Teilleistungsstörungen Modifikationen notwendig sind, um Überforderungen insbesondere beim Erstellen von Verhaltensanalysen im Selbstmanagement zu vermeiden. Patienten mit komorbiden manischen oder schizophreniformen Syndromen konnten nach diesen Erfahrungen wenig vom Therapieangebot profitieren und machten zudem für die Therapeuten das Gestalten einer positiven störungsspezifischen Gruppenkohärenz schwierig. Die Kombination mit einer dosisstabilen Pharmakotherapie scheint keinen Einfluss auf die Psychotherapie zu haben, jedoch sollte aufgrund der zum Teil ausgeprägten – meist positiven – Effekte von Stimulanzien die Aufdosierungsphase möglichst vor Beginn der Psychotherapie abgeschlossen sein, um eine Konzentration der Patienten auf die Übungen und Hausaufgaben zu erleichtern. Akute Substanzabhängigkeit war bisher der beste Prädiktor für Therapieabbrüche. Nüchternheit sollte notwendige Voraussetzung für die Teilnahme sein, eine vorherige Entgiftung sollte zur Teilnahmebedingung bei Substanzabhängigkeit gemacht werden. Die Abbruchrate lag in dieser Phase II bei 10–15%, was angesichts der oben geschilderten Symptomatik gering erscheint.
5.7
Überprüfung der Effekte im klinischen Versuch
Nach den Erfahrungen der Phase II wurden dann der in . Tabelle 5.1 vorgestellte Ablauf in einer Pilotstudie getestet (Hesslinger et al. 2002). In dieser Untersuchung verbesserten sich die Patienten in ihrer Selbsteinschätzung in allen eingesetzten psychometrischen Skalen bezüglich der ADHS-
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Kapitel 5 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
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BDI
ADHS-CL
SCL-16
VAS
. Abb. 5.1. Veränderungen im Selbstrating der Teilnehmer in den psychometrischen Skalen einer Behandlungsgruppe (n = 8) vor (grau) und nach (schraffiert) Psychotherapie. Zahlen über den Balken = Mittelwerte; BDI Beck Depressions Inventar (p = 0,05; Effektstärke ES = 0,99), ADHS-CL ADHS-Checkliste nach DSM-IV (p = 0,01; ES = 2,22), SCL-16 16 Items der SCL-90-R (p = 0,02; ES = 1,35), VAS Visuelle Analog Skala (0 = sehr schlecht, 10 = sehr gut) (p = 0,01; ES = 2,09); Signifikanz: nicht parametrischer WilcoxonTest. (Mod. nach Hesslinger et al. 2002)
15 16 17 18 19 20
Symptomatik (ADHS-Checkliste nach DSM-IV; SCL-16 = 16 Items der SCL-90-R, die häufig von Menschen mit ADHS angegeben werden), bezüglich Depressivität (Beck Depressions Inventar) und bezüglich Gesamtbefinden (gemessen mit einer visuellen Analogskla) signifikant, ohne dass eine signifikante Änderung der Medikation durchgeführt wurde. Auch in der neuropsychologischen Testung waren teilweise signifikante Verbesserungen nachzuweisen.
5
77
5.7 · Überprüfung der Effekte im klinischen Versuch
Therapiezufriedenheit der Teilnehmer
4
3,89
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4,00 3
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2,89
2 1 0
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0= stimmt nicht, 1= stimmt eher nicht, 2= weiß nicht, 3= stimmt eher, 4= stimmt genau . Abb. 5.2. Therapiezufriedenheit der Teilnehmer einer Behandlungsgruppe (n = 8) im Selbstrating. Thema »Die Psychotherapie hat sich gezielt mit ADHS beschäftigt«, Information »Ich bin jetzt besser über ADHS informiert«, bessere Kontrolle »Ich kann ADHS jetzt besser kontrollieren«, Wünsche »Ich konnte eigene Wünsche in die Therapie einbringen«, erneute Teilnahme »Ich würde an dieser Psychotherapie erneut teilnehmen«
! Von den Teilnehmern wurde die Therapie als störungsspezifisch und wirksam eingeschätzt. Am häufigsten nannten die Teilnehmer als wirksame Faktoren die Gruppensituation, die Informationsvermittlung und das Einüben von störungsrelevanten Fertigkeiten. . Abbildung 5.1 fasst die Ergebnisse der psychometrischen Skalen im präpost-Vergleich zusammen. . Abbildung 5.2 dokumentiert die Angaben der Teilnehmer zur Therapiezufriedenheit.
78
Kapitel 5 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1
5.8
Ergebnisdiskussion und Zusammenfassung
2
Es wurde eine strukturierte Psychotherapie – in Anlehnung an die Dialektisch Behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung nach M. Linehan – vorgestellt, die für die spezifischen Bedürfnisse von Erwachsenen mit ADHS modifiziert wurde. In diesem Konzept werden die Leitsymptome, die wesentlichen psychosozialen Folgen sowie die Komorbidität bei ADHS thematisiert. Vorgestellt wurde ein Gruppendesign, zusätzliche Einzelkontakte sind möglich, Angehörige können miteinbezogen werden. Die Punkte 1 bis 4 der Basismodule einer spezifischen Psychotherapie nach Fiedler (2000), siehe . Abb. 5.1, bilden sich im Ablauf der Therapie ab. Zum 5. Punkt Rückfallvermeidung und Transfersicherung liegen noch keine Daten vor. Nach der bisherigen Evaluation wird eine so strukturierte Behandlung von den Teilnehmern als wirksam eingeschätzt. Die Anwendung wurde auch außerhalb einer kontrollierten klinischen Studie erprobt.
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! Die Übertragung des Verfahrens in den psychotherapeutischen Alltag erscheint nach den bisherigen Erfahrungen möglich.
Stevenson et al. (2002) haben ein inhaltlich ähnliches, weil gleichfalls sehr symptomorientiertes Behandlungskonzept für erwachsene Patienten mit ADHS evaluiert und vorgestellt. Strukturell wird in diesem Programm («cognitive remediation programme») in 8 zweistündigen, wöchentlichen Sitzungen mit dem Prinzip des Coaching, einem Arbeitsbuch und intensiven Übungen gearbeitet. Die in den beiden Publikationen bezüglich der ADHS-Symptomatik beschriebenen Effektstärken (Hesslinger et al. 2002; Stevenson et al. 2002) sind vergleichbar und legen eine gute Wirksamkeit nahe, sie sollten aber aufgrund der in Pilotuntersuchungen üblichen kleinen Fallzahlen mit Zurückhaltung betrachtet werden (insgesamt nur n = 30). In pharmakologischen Studien hingegen wurden schon mehrere hundert Erwachsene mit ADHS untersucht (Wilens et al. 2002). Angaben zu Inhalt und Dau-
Literatur
79
5
er nicht medikamentöser Maßnahmen fehlen in den pharmakologischen Untersuchungen jedoch meist. Daher ist mangels entsprechender Untersuchungen im Erwachsenenalter noch viel zu wenig über die Differenzialindikation und die jeweilige Wirksamkeit von psychotherapeutischen und medikamentösen Therapien im Vergleich und in Kombination bekannt. Die bisherigen Ergebnisse legen aber, auch bei erwachsenen Patienten mit ADHS, eine weitere Überprüfung und Optimierung der psychotherapeutischen Verfahren nahe.
Literatur Bemporad JR (2001) Aspects of Psychotherapy with Adults with Attention Deficit Disorder. In: Wasserstein J, Wolf LE, LeFever FF(ed) Adult attention deficit disorder – brain mechanisms and life outcomes. The New York Academy of Sciences, New York, pp 302–309 Berner MM, Rüther A, Stieglitz RD, Berger M (2000) Das Konzept der »Evidence-based Medicine« in der Psychiatrie – ein Weg zu einer rationaleren Psychiatrie? Nervenarzt 71: 173–180 Biederman J, Newcorn J, Sprich S (1991) Comorbidity of attention deficit hyperactivity disorder with conduct, depressive, anxiety, and other disorders. Am J Psychiatry 148: 564–577 Bohus M, Berger M (1996) Die Dialektisch Behaviorale Psychotherapie nach M.Linehan – Ein neues Konzept in der Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Nervenarzt 67: 911–923 Ceumern-Lindenstjerna IA von, Brunner R, Parzer P, Fiedler P, Resch F (2002) BorderlineStörung und Verzerrungen der Aufmerksamkeit – Theoretische Modelle und empirische Befunde. Fortschr Neurol Psychiatr 70: 321–330 Ebert D, Berger M, Hesslinger B (2002) ADHS als Risikofaktor für Dissozialität und Persönlichkeitsstörungen. MMW Fortschr Med 47: 1005–1007 Faraone SV, Biederman J, Spencer T, Wilens T, Seidman LJ, Mick E, Doyle AE (2000) Attention-deficit/hyperactivity disorder in adults: an overview. Biol Psychiatry 48: 9–20 Fiedler P (1996) Verhaltenstherapie in und mit Gruppen. Psychologie Verlags Union, Weinheim Fiedler P (2000) Integrative Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen. Hogrefe, Göttingen
80
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Kapitel 5 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
Fossati A, Novella L, Donati D, Donini M, Maffei C (2002) History of childhood attention deficit/hyperactivity disorder symptoms and borderline personality disorder: a controlled study. Comprehensive Psychiatry 43: 369–377 Fritze J, Schmauß M (2002) Off-Label-Use: Der Fall Methylphenidat (Ritalin). Nervenarzt 73: 1210–1212 Hallowell EW, Ratey J (1999) Zwanghaft zerstreut – oder die Unfähigkeit aufmerksam zu sein. Rowohlt, Reinbek Hartmann T (1997) Eine andere Art die Welt zu sehen – Das Aufmerksamkeits-DefizitSyndrom. Schmidt-Römhild, Lübeck Hesslinger B, Tebartz van Elst L, Nyberg E, Dykierek P, Richter H, Berner M, Ebert D (2002) Psychotherapy of attention deficit hyperactivity disorder in adults – A pilot study using a structured skills training program. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 252: 177–184 Hesslinger B, Tebartz van Elst L, Mochan F, Ebert D (2003) A psychopathological study into the relationship between ADHD in adult patients and recurrent brief depression. Acta Psychiatr Scand, 107 :385–389 Hesslinger B, Philipsen A, Richter H, Ebert D (2004) Psychotherapie der ADHS im Erwachsenenalter – Ein Arbeitsbuch. Hogrefe, Göttingen Kolko DJ, Bukstein OG, Barron J (1999) Methylphenidate and behavior modification in children with ADHD and comorbid ODD or CD: main and incremental effects across settings. J Am Acad Adolesc Psychiatry 38: 578–586 Krause J, Krause KH, Trott GE (1998) Das hyperkinetische Syndrom (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätstörung) des Erwachsenenalters. Nervenarzt 69: 543–556 Krause J, Ryffel-Rawak D (2000) Therapie der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung im Erwachsenenalter. Psycho 26: 209–223 Krause J und Krause KH (2002) ADHS im Erwachsenenalter. Schattauer, Stuttgart Linehan MM (1996) Trainingsmanual zur Dialektisch Behavioralen Therapie der Borderline- Persönlichkeitsstörung. CIP-Medien, München MTA Cooperative Group (1999) A 14-month randomized clinical trial of treatment strategies for attention-deficit/hyperactivity disorder. Arch Gen Psychiatry 56: 1073–1086 Stevenson CS, Whitmont S, Bornholt L, Livesy D, Stevenson RJ (2002) A cognitive remediation programme for adults with attention deficit hyperactivity disorder. Aust N Z J Psychiatry 36: 610–616 Trott G-E (2001) Missbrauch von Methylphenidat? Psycho 27: 596–597 Wender PH (2000) Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Aktivitätsstörung im Erwachsenenalter. Psycho 26: 190–198 Wilens TE, Spencer TJ, Biederman J (2002) A review of the pharmacotherapy of adults with attenton-deficit/hyperactivity disorder. J Atten Disord 5: 189–202 Winkler M, Rossi P (2001) Borderline-Persönlichkeitsstörung und Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen. Persönlichkeitsstörungen 5: 39– 48
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6.1 ·
6
ADHS und Persönlichkeit W. Vollmoeller, M.-A. Edel
6.1
Komorbidität von ADHS und Persönlichkeitsstörungen – 82
6.2.
Untersuchung zu Persönlichkeitsstörungen erwachsener ADHS-Patienten – 87
6.3
Persönlichkeitseffekte im Verlauf der ADHS-Behandlung – 91
6.4
Ergebnisdiskussion und Zusammenfassung – 99 Literatur – 101
82
Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1
6.1
Komorbidität von ADHS und Persönlichkeitsstörungen
2
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Erwachsener tritt im Gegensatz zur Störung bei Kindern und Jugendlichen nicht nur relativ untypisch und deshalb oft schwerer erkennbar auf, sondern insbesondere auch selten völlig isoliert, d. h. nicht als einzige aktuell diagnostizierbare psychische Störung. Das Phänomen der Vielseitigkeit und des Symptomwandels im Erwachsenenalter gegenüber der Kindheit oder Jugendzeit führte nicht zuletzt dazu, dass in das Wender-Reimherr-Interview zur operationalisierten Bestimmung einer adulten ADHS zu den drei klassischen Symptomdomainen Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität auch noch Kriterien aus den Bereichen Temperament, emotionale Überreagibilität, Affektlabilität und Desorganisation aufgenommen wurden (Rösler et al., in Vorbereitung; Wender 1995). Die Besonderheit des komplexeren Krankseins Erwachsener zeigt sich nicht zuletzt im hohen Anteil komorbider Störungsformen, d. h. in Mehrfachdiagnosen, wobei die Persönlichkeitsstörungen neben dem chronischen Substanzmissbrauch mit bis zu 50% offensichtlich einen besonders hohen Anteil ausmachen (Adam et al. 1999; Krause u. Krause 2003; Groß et al. 1999; Krause et al. 2002). Während sich der gleichzeitige Missbrauch psychotroper Substanzen aber ggf. noch als Selbstmedikationsversuch der Betroffenen erklären ließe, gibt es bezüglich der Vulnerabilitätsund Komorbiditätsbeziehungen zu den Persönlichkeitsstörungen bisher keine überzeugenden Erklärungsmuster. Dies liegt vielleicht daran, dass die ADHS den Persönlichkeitsstörungen per se verwandt erscheint: Beide sind altersmäßig früh beginnend, zeitlich relativ überdauernd bis persistierend, vielseitig auftretend und situationsübergreifend, sie zeigen Auffälligkeiten in mehreren psychischen Bereichen und schränken die soziale und berufliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen oft erheblich ein. Nicht zuletzt wird heute davon ausgegangen, dass sowohl bei der Entstehung der ADHS als auch von Persönlichkeitsstörungen im Sinne einer multifaktoriellen Vererbung jeweils mehrere Gene und Umweltfaktoren zusammenwirken.
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6.1 · Komorbidität von ADHS
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6
Von normalen Persönlichkeitzügen als überdauernde Merkmale des gesunden Erlebens und Verhaltens eines Menschen, der eigentlichen »Persönlichkeit«, unterscheidet sich das medizinische Konstrukt der »Persönlichkeitsstörung« wiederum dadurch, dass es definitionsgemäß gerade für sehr unflexible und weitgehend unangepasste Erlebens- und Verhaltensmuster steht, die jeweils zu bedeutsamen, d. h. meist behandlungsbedürftigen Funktionsbeeinträchtigungen bei den Betroffenen und/oder zu subjektiven Leidenszuständen führen. Prinzipielle Aspekte der heute in vielen wissenschaftlichen Kontexten gebräuchlichen Begriffe »Persönlichkeit« und »Persönlichkeitsstörungen« finden sich in den folgenden Übersichten.
Wichtige Aspekte des Persönlichkeitsstörungsbegriffs Der Begriff »Persönlichkeitsstörung« 5 ist ein medizinisch-psychiatrisches Konstrukt zum Verständnis bestimmter Krankheiten/Störungen (mit Funktionsbeeinträchtigungen und/oder Leidenszuständen) 5 beinhaltet eine kategoriale Sicht der psychischen Phänomene mit angenommenen Grenzen zwischen Normalität und Pathologie (abgeschwächter Nosologieanspruch) 5 nimmt inhaltlich Bezug auf bestimmte Einzelmerkmale (»Symptome«) durch deren klinische Beschreibung sowie deren klaren Ein- oder Ausschluss hinsichtlich definierter Merkmalskataloge oder Diagnosemanuale 5 ist im ICD-10 und DSM-IV aufgrund von Expertenkonsens (WHObzw. APA-Gremien) in Form sog. Algorithmen operationalisiert 5 ist nur für klinische Populationen sinnvoll anwendbar 5 erlaubt in der klinischen Praxis eine Differenzialdiagnostik (distinkter »Prototypen«) sowie ggf. diverse Komorbiditätsfeststellungen 5 lässt zu, dass bei einer Person mehr als eine »Persönlichkeitsstörung« diagnostiziert werden kann
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Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1 Wichtige Aspekte des Persönlichkeitsbegriffs
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Der Begriff »Persönlichkeit« 5 ist ein psychologisches Konstrukt zum Verständnis individueller Eigenschaften im Sinne des einzigartigen Verhaltenskorrelats einer Person 5 beinhaltet eine dimensionale Sicht der psychischen Phänomene mit jeweils verschiedenen Ausprägungsmöglichkeiten (Kontinuitätsanspruch) 5 nimmt inhaltlich Bezug auf bestimmte Einzelmerkmale des Erlebens und Verhaltens (»Züge«), die sich im Weiteren ggf. auf wenige charakteristische (wesentliche) Grundzüge (»Faktoren«) reduzieren lassen 5 ist in der Theorie zu zahlreichen Persönlichkeitstests konzeptualisiert und in entsprechenden Skalen aufgrund multivariater Statistik ganz oder teilweise operationalisiert 5 ist für klinische und normale Populationen sinnvoll anwendbar (Universalitätsanspruch) 5 erlaubt in der psychologischen Praxis eine Differenzialtypologie (überlappender »Prototypen«) und ggf. mehrdimensionale (mehrfaktorielle) Persönlichkeitsprofile 5 lässt im Prinzip bei einer Person auch nur eine »Persönlichkeit« zu (ggf. im Sinne unterschiedlicher Profile in verschiedenen Persönlichkeitstests)
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! Eine spezielle Verbindung besteht offensichtlich zwischen der adulten ADHS und der emotional-launischen Gruppe der Persönlichkeitsstörungen (Persönlichkeitsstörungs-Cluster B im DSM-IV), speziell der emotional instabilen bzw. Borderline-Persönlichkeitsstörung und der dissozialen bzw. antisozialen Form.
Jedenfalls werden hier die höchsten Komorbilitätsraten im Persönlichkeitsbereich berichtet (Rösler 2001). Diesen psychiatrischen Konzep-
6.1 · Komorbidität von ADHS
85
6
ten dysfunktionaler Persönlichkeitsformen liegt allerdings ein kategoriales Störungsmodell zugrunde. Es geht von klassifikatorischen Grenzen zum Gesunden und eindeutigen Merkmalskonstellationen für jede einzelne Störungsform (»prototypischen Merkmalen«) aus, obwohl sich die psychischen Phänomene in der klinischen Praxis graduell darstellen und die operationalisierte Diagnostik nicht wirklich trennscharf ist (Herpertz u. Saß 2003). Insofern bietet sich auch bei ADHS-Patienten an, deren psychische Verfassung unter der Annahme eines Kontinuums zwischen Normalität und Störung, d. h. jeweils unterschiedlich gewichteter psychischer Phänomene zu betrachten. Dies entspricht dann einem differenzialtypologischen Ansatz mit der Berücksichtigung dimensionaler Übergänge, wie er insbesondere in der testpsychologischen Persönlichkeitsdiagnostik vertreten wird. Hier wird weniger durch strenge Kriterienfestlegung und kategoriale Klassifikation, wie bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO 1993) oder der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA 1994), als durch differenzielle Eigenschaftsanalysen und multivariate Statistik, insbesondere Faktorenanalysen, nach zentralen Persönlichkeitsdimensionen gesucht. Sie sind dann nachgewiesenermaßen grundlegend für die Psyche normaler wie erkrankter Personen. Diesen Anspruch erheben zumindest die Autoren vieler heute gebräuchlicher Persönlichkeitstests, mittels derer sich auf der Basis spezieller Personendaten (über eine vorgegebene Auswahl persönlichkeitsbezogener Items) wesentliche Persönlichkeitseigenschaften (Persönlichkeitsfaktoren) ermitteln und ggf. zu typischen Persönlichkeitsprofilen der jeweils untersuchten Personen zusammenfügen lassen. Normierungen aufgrund demographischer Variablen, insbesondere von Alter und Geschlecht, können zusätzlich hilfreich sein. Je nach angenommener Ursache für Entstehung und Erhalt solcher Grundgrößen werden sie dann noch in sog. Temperamentsfaktoren, die eher biologisch (genetisch und konstitutionell) begründet erscheinen und sog. Charakterfaktoren, die vorrangig auf psychosozialen (entwicklungspsychologischen) Einflüssen beruhen, differenziert (Amelang u. Bartussek 2001; Cloninger et al. 1999).
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Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
Wenn wir insofern mit Herrmann (1991) unter »Persönlichkeit« ein bei jedem Menschen einzigartiges, relativ überdauerndes und stabiles Verhaltenskorrelat verstehen, das den Hintergrund seines konkreten Erlebens und Verhaltens bildet, können wir dieses theoretische Konstrukt auch bei erwachsenen ADHS-Patienten erwarten. Entsprechende Untersuchungen mit dem dreidimensionalen Persönlichkeitsfragebogen (TPQ) von Cloninger et al. (1991) und dem NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) nach McCrae u. Costa (1999), die als sog. »Breitbandverfahren« eine zwar gröbere, aber dafür relativ umfassende und stabile Persönlichkeitsdiagnostik anstreben, zeigten jedenfalls schon Auffälligkeiten in einzelnen Persönlichkeitsbereichen (Downey et al. 1997; Nigg et al. 2002). Danach wären adulte ADHS-Patienten z. B. weniger sozial verträglich und weniger gewissenhaft, dafür aber neugieriger als die Normalbevölkerung, wobei speziell diese Eigenschaften primär temperamentsabhängig gesehen werden, also eher biologisch fundiert erscheinen. Befunde dieser Art stellten sich bisher aber nicht nur uneinheitlich dar, sondern sie sind nicht zuletzt auch von den jeweils angewandten Persönlichkeitstests sowie den ihnen zugrunde liegenden theoretischen Konzepten abhängig. Persönlichkeitsforscher streben allerdings in der Regel nach einem allgemeinen diagnostischen Konzept, in dem normale wie deviante Menschen mittels bestimmter Persönlichkeitsfaktoren bzw. -dimensionen konsistent und valide beschrieben werden können. Die erwarteten psychologischen Grundgrößen (Grundeigenschaften) sollten möglichst homogen und unabhängig voneinander sein, aber auch relativ überdauernd und teststabil (reproduzierbar), um dem Anspruch eines ubiquitären Persönlichkeitsmodells zu genügen. ! Bei eigenen psychodiagnostischen Untersuchungen fiel auf, dass sich die bei ADHS-Patienten entsprechend ermittelten Persönlichkeitsprofile unter einer regelhaften, über einen längeren Zeitraum andauernden Pharmakotherapie veränderten.
Hierauf soll im Folgenden genauer eingegangen werden. Dabei stellte sich insbesondere die Frage, inwieweit eine erfolgreiche Standardbehandlung
6.2 · Untersuchung zu Persönlichkeitsstörungen
87
6
dieser Patienten zusätzlich »persönlichkeitsverändernden« Effekt haben kann.
6.2.
Untersuchung zu Persönlichkeitsstörungen erwachsener ADHS-Patienten
Untersucht wurden die Behandlungsverläufe von 22 konsekutiv eingeschlossenen ambulanten Patienten mit einer ADHS vom sog. DSM-IVMischtyp, d. h. mit initial 6 oder mehr Symptomen von Unaufmerksamkeit und 6 oder mehr Symptomen von Hyperaktivität oder Impulsivität in den letzten 6 Monaten, wobei keine aktuellen Komorbiditäten mit manifesten Suchterkrankungen, Psychosen, affektiven Störungen oder demenziellen Entwicklungen vorkommen durften. Nach einer ausführlichen klinischen und testpsychologischen Diagnostik wurden die Patienten dann ausschließlich mit Methylphenidat in einer mittleren Tagesdosis von 23,2 mg (Extremdosen 10–46 mg/Tag.) behandelt und nach 4–6 Monaten, im statistischen Mittel nach 5,4 Monaten, entsprechend nachuntersucht. Über diesen Zeitraum sollte sich nicht nur ein möglichst dauerhafter Therapieerfolg eingestellt haben, sondern auch testpsychologische Wiederholungen sollten sich problemlos durchführen lassen. 18 Patienten (81,8%) hatten auch relativ schnell und durchweg positiv auf diese Behandlung angesprochen hatten, während sie bei 4 Patienten (18,2%), die ebenso nachuntersucht wurden, nicht ausreichend geholfen hatte. Bei diesen offensichtlich Methylphenidat-resistenten Patienten wurden im Weiteren andere Therapieformen versucht, aber nicht entsprechend ausgewertet. Im einzelnen lässt sich die hier untersuchte Klientel wie folgt beschreiben: Es handelte sich um 13 Frauen (59,1%) und 9 Männer (40,9%), deren Lebensalter zwischen 20 und 51 Jahren lag (im Mittel bei 35 Jahren). Der Bildungsgrad lag insgesamt zwischen mindestens Hauptschulabschluss (2 Personen) und Hochschulabschluss (5 Personen). Alle Patienten waren bisher bezüglich der ADHS medikamentös unbehandelt gewesen, 8 Patienten hatten aber schon Kontakte zu ADHS-Selbsthilfegruppen gehabt.
88
1 2 3 4
Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
Zwei Personen waren früher schon einmal mittelschwer straffällig gewesen, was aktuell aber keine Rolle spielte. Bei allen Patienten ließ sich mit der Wender-Utah-Rating-Skala (WURS) durch Selbstbeurteilung rückblickend eine ADHS im Kindesalter diagnostizieren (Ward et al. 1993). Weitere retrospektiv (anamnestisch) ermittelte bzw. aktuell diagnostizierte Komorbiditäten sind in
5 6
. Tabelle 6.1. ADHS-Komorbidität (Mehrfachnennung) bei 22 Erwachsenen
7
Psychische Störungen
Patienten absolut
8
relativ
anamnestisch:
9
Nikotinabhängigkeit
1
4,5
10
Alkoholmissbrauch
2
9,0
Alkoholabhängigkeit
1
4,5
11
Drogenabhängigkeit (Cannabis)
1
4,5
12
Major Depression
3
13,6
13
Bipolare Störung
6
27,3
14
Panikstörung (mit und ohne Agoraphobie)
4
18,2
15
Generalisierte Angststörung
1
4,5
16
Zwangsstörung
1
4,5
Nikotinabhängigkeit
11
50,0
18
Alkoholmissbrauch
4
18,2
19
Soziale Phobie
11
50,0
Persönlichkeitsstörungen
19
86,3
aktuell:
17
20
6.2 · Untersuchung zu Persönlichkeitsstörungen
89
6
. Tabelle 6.2. Häufigkeiten von DSM-IV- Persönlichkeitsstörungen bei 22 erwachsenen ADHS-Patienten (Durchschnitt: 2,5) Anzahl der Persönlichkeitsstörungen
Patienten absolut
relativ
0
3
13,6
1
9
40,9
2
5
22,7
3
2
9,1
4
3
13,6
. Tabelle 6.3. Persönlichkeitsstörungen (n = 37) geordnet nach Ausprägungsformen (DSM-IV-Cluster A, B und C) Art der Persönlichkeitsstörung
Häufigkeiten absolut
relativ
A-Cluster: exzentrisch-sonderbare Persönlichkeitsstörungen paranoid-misstrauische
4
18,2
distanziert-schizoide
0
0
eigentümlich-schizotypische
0
0
B-Cluster: emotional-launische Persönlichkeitsstörungen antisozial-verletzende
2
9,1
emotional instabile
2
9,1
aufmerksamkeitsheischende
1
4,5
narzisstisch-selbstherrliche
1
4,5
90
1 2 3 4
Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
. Tabelle 6.3. (Forts.) Art der Persönlichkeitsstörung
Häufigkeiten absolut
relativ
C-Cluster: ängstlich-furchtsame Persönlichkeitsstörungen vermeidend-selbstunsichere
9
40,9
5 6
unterwürfig-dependente
4
18,2
7
zwanghaft-perfektionistische
14
63,6
8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
. Tabelle 6.1 dargestellt. Von besonderem Interesse war der Anteil aktueller DSM-IV-Persönlichkeitsstörungen, die mittels SKID-II-Fragebogen und -Interview (Wittchen et al. 1997) ermittelt wurden und in . Tabelle 6.2 nach Häufigkeit und . Tabelle 6.3 nach hauptsächlicher klinischer Ausprägung dargestellt sind. Wie sich zeigte, hatten die meisten unserer erwachsenen ADHS-Patienten mehr als eine komorbide Persönlichkeitsstörung (im Durchschnitt 2,5), wobei der symptomatische Schwerpunkt im DSM-IV-Cluster C lag, d. h. bei psychischen Dysfunktionen aufgrund von ängstlich-furchtsamen oder zwanghaft-perfektionistischen Erlebens- und Verhaltensweisen. Die eigentlichen Therapieeffekte verdeutlicht schließlich . Tabelle 6.4, und zwar hinsichtlich der klassischen ADHSSymptomdomänen Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität bzw. Impulsivität, als auch bezüglich einer zusätzlichen Einschätzung der subjektiven Belastung durch die einzelnen Kriterien mittels einer Skala mit Werten von 0 bis 10.
6.3 · Persönlichkeitseffekte bei der ADHS-Behandlung
6
91
. Tabelle 6.4. Veränderungen bzgl. Anzahl und subjektivem Schweregrad (0–10) bei DSM-IV-Kriterien (Mittelwertsvergleiche, ** p<0,01) Kriteriumsbereiche Unaufmerksamkeit
Voruntersuchung
Nachuntersuchung
7,8
5,5**
7,0
5,0**
55,1
30,1**
48,5
25,1**
(6–9 Items) Hyperaktivität bzw. Impulsivität (6–9 Items) Beeinträchtigung durch Unaufmerksamkeit (max. 90 Punkte) Beeinträchtigung durch Hyperaktivität bzw. Impulsivität (max. 90 Punkte)
6.3
Persönlichkeitseffekte im Verlauf der ADHS-Behandlung
Zur Überprüfung unserer Vermutung persönlichkeitbezogener Effekte im Verlauf einer erfolgreichen ADHS-Behandlung mit Methylphenidat führten wir einen Prä-Post-Vergleich mittels 4 gut standardisierter und weitgehend etablierter psychologischer Selbstbeurteilungsverfahren durch, und zwar mit der SCL-90-R, dem MMPI-2, dem FPI-R und dem PSSI. SCL-90-R Die Symptom-Checkliste SCL-90-R (mit 90 Items, R für »revised«) von Derogatis (1977) füllt auch in ihrer deutschen Version (Franke 1995) eine testdiagnostische Lücke zwischen der Messung zeitlich extrem vari-
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Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
abler Befindlichkeit und zeitlich überdauernder Persönlichkeitsstruktur. Sie stellt per Selbsteinschätzung jeweils bezogen auf die vergangenen 7 Tage körperliche und psychische Beeinträchtigungen fest und bietet zugleich eine valide, mehrdimensionale Auswertungsstruktur bezüglich der 9 Symptombereiche Somatisierung, Zwanghaftigkeit, Unsicherheit im Sozialkontakt, Depressivität, Ängstlichkeit, Aggressivität, phobische Angst, paranoides Denken und Psychotizismus. Die Spannbreite der Skalen und die Konzeption des Verfahrens lassen zu, dass sich hier auch »normal gesunde« Personen wiederfinden können, d. h. dass Testausfüller, die sich überhaupt nicht krank fühlen, zumindest eine geringe symptomatische Belastung zeigen. Drei globale Kennwerte geben zudem übersichtsartig Auskunft über das Antwortverhalten, von denen der GSI-Wert (»Global Severity Index«) am wichtigsten ist, da er die grundsätzliche (zusammengefasste) psychische Belastung ausdrückt. Wie . Abb. 6.1 verdeutlicht, war unsere ADHS-Patientengruppe unbehandelt in fast allen Bereichen deutlich beeinträchtigt (durchgezogene Linie) und unter der Methylphenidattherapie wieder weitgehend in den Normbereichen der Skalen (gestrichelte Linie) wiederzufinden. Nur der zunächst höchste Skalenwert für Zwanghaftigkeit lag nach sehr signifikanter Verbesserung schließlich immer noch im Sektor einer deutlichen Belastung (T-Wert über 60). Ähnlich starke Verbesserungen gab es auch für die Symptombereiche Unsicherheit, Depressivität, Ängstlichkeit, Aggressivität und Psychotizismus (hier definiert durch Isolationsgefühle, verzerrtes Erleben etc.). MMPI-2 Das Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI) entstand ursprünglich an der Universität von Minnesota und liegt inzwischen auch in aktualisierter Version 2 in deutscher Sprache vor (Engel 2000). Es dient konzeptionell insbesondere der allgemeinen Erfassung psychischer Auffälligkeiten durch Selbstbeurteilung und stellt hier einen klinischen »Breitbandtest« mit den folgenden 10 Standardskalen dar: Hypochondrie, Depression, Hysterie (Konversionsstörung), Psychopathie (Soziopathie, antisoziale Persönlichkeitsstörung), Probleme mit der Geschlechtsorien-
6.3 · Persönlichkeitseffekte bei der ADHS-Behandlung
93
6
. Abb. 6.1. SCL-90-R-Skalenwerte vor (durchgezogene Linie) und unter (gestrichelte Linie) Methylphenidattherapie. * p<0,05; ** p<0,01; Soma. Somatisierung, Zwang. Zwanghaftigkeit, Unsich. Unsicherheit, Depr. Depressivität, Angst. Ängstlichkeit, Aggr. Aggressivität, Phob. Phobie, Paran. Paranoia, Psychot. Psychotizismus, GSI Global Severity Index
94
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
tierung (männliche/weibliche Interessen), Paranoia, Psychasthenie, Schizophrenie, Hypomanie und soziale Introversion. Hinzu kommen noch 4 von uns zwar berücksichtigte Zusatzskalen, auf die hier aber nicht eingegangen werden kann. Mit seiner Vielzahl von Testskalen und entsprechend zahlreichen Interkorrelationsmustern ohne letztlich eindeutige Faktorenstruktur dient das MMPI-2 insgesamt eher der Gewinnung diagnostischer Hypothesen als einer grundlegenden oder abschließenden Persönlichkeitsinterpretation. Unsere ADHS-Patienten zeigten unter Methylphenidattherapie im Trend allerdings auch hier vielseitige klinische Verbesserungen, wobei die Ausgangswerte nicht übermäßig hoch waren. Dies zeigt sich hier besonders gut am eigenständig auszuwertenden Testprofil für Frauen, die den größten Anteil unserer Patienten darstellten (. Abb. 6.2). Am stärksten (p<0,01) verbesserte sich der Skalenwert hier für schizophrene Phänomene (repräsentiert durch merkwürdige Ideen, außergewöhnliche Gefühle etc.), deutlich (p<0,05) zudem noch für soziale Introversion (angegebene Schüchternheit, Eigenbrötelei etc.). FPI-R Das Freiburger Persönlichkeitsinventar FPI, das im Jahre 1984 grundlegend revidiert wurde, erfasst mehrdimensional relativ überdauernde Persönlichkeitsmerkmale, indem psychologisch ähnliche Items der Selbstschilderung zu einem relativ invarianten, konsistenten und zeitlich stabilen Muster gruppiert werden, so dass Personen interindividuell gut verglichen werden können (Fahrenberg et al. 2001). Es liefert abgeleitet von entsprechenden Einzelkonstrukten psychischer Bereiche 10 Standardskalen und 2 übergeordnete (zusammenfassende) Zusatzskalen mit folgender Kennzeichnung: Lebenszufriedenheit, soziale Orientierung, Leistungsorientierung, Gehemmtheit, Erregbarkeit, Aggressivität, Beanspruchung, körperliche Beschwerden, Gesundheitssorgen und Offenheit sowie zusätzlich herausgestellt Extraversion und Emotionalität. Wie . Abb. 6.3 zeigt, verbesserten sich unsere ADHS-Patienten hier unter Methylphenidattherapie signifikant in der sozialen Gehemmtheit, der Erregbarkeit, dem Beanspruchungsgefühl sowie in dem übergeord-
6.3 · Persönlichkeitseffekte bei der ADHS-Behandlung
95
6
. Abb. 6.2. MMPI-2-Skalenwerte für Frauen vor (durchgezogene Linie) und unter (gestichelte Linie) Methylphenidattherapie. Hd Hypochondrie; D Depression; Hy Hysterie, Konversionsstörung; Pp Psychopathie, Soziopathie, antisoziale Persönlichkeitsstörung; Mf männliche/weibliche Interessen; Pa Paranoia; Pt Psychasthenie; Sc Schizophrenie; Ma Hypomanie; Si soziale Introversion
neten Faktor Emotionalität. Sie alle lagen anfangs deutlich außerhalb des Normbereichs. Signifikant stieg zudem die allgemeine Lebenszufriedenheit (charakterisiert durch positive Grundstimmung, Zuversichtlichkeit etc.).
96
Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
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. Abb. 6.3. FPI-R-Skalenwerte vor (durchgezogene Linie) und unter (gestrichelte Linie) Methylphenidattherapie. * p<0,01; ** p<0,01
17 18 19 20
PSSI Das Persönlichkeits-Stil- und Störungsinventar (PSSI) ist ein fragebogenartiges Selbstbeurteilungsverfahren, das die relative Ausprägung von Persönlichkeitsstilen quantifiziert, die als nicht pathologische (quasi noch
6.3 · Persönlichkeitseffekte bei der ADHS-Behandlung
97
6
normale) Entsprechungen etablierter psychiatrischer Störungskategorien, d. h. der heute im DSM-IV oder in der ICD-10 klassifizierbaren Persönlichkeitsstörungen, zu verstehen sind. Testtheoretischer Hintergrund ist eine spezielle systemanalytische Persönlichkeitstheorie (PSI-Theorie), die davon ausgeht, dass es zu jeder klinischen Diagnosekategorie, die als »kategoriale typologische Abgrenzung« (im Sinne einer Extremausprägung) verstanden wird, einen analogen unpathologischen, aber dennoch typischen (das Individuum charakterisierenden) Persönlichkeitsstil gibt (Kuhl u. Kazén 1997). Mehrere dieser Stile ergeben dann ein spezielles Stilprofil als Prägung der individuellen Persönlichkeit. Sollten ggf. weitere, z. B. später anamnestisch ermittelte Kriterien hinzukommen, darf auch die passende psychiatrische Diagnose gestellt werden, nicht aber allein aufgrund des Testergebnisses im PSSI. Die inhaltliche Bandbreite der 14 Stilvarianten dieses Verfahrens lässt sich wie folgt beschreiben: 1. selbstbestimmt – rücksichtslos – antisozial; 2. eigenwillig – misstrauisch – paranoid; 3. zurückhaltend – kühl – schizoid; 4. selbstkritisch – selbstzweifelnd – selbstunsicher; 5. sorgfältig – genau/perfektionistisch – zwanghaft; 6. ahnungsvoll – mystisch – schizotypisch; 7. optimistisch – beschönigend – rhapsodisch; 8. ehrgeizig – egozentrisch – narzisstisch; 9. kritisch – trotzig/bitter – negativistisch; 10. loyal – ängstlich – abhängig; 11. spontan – wechselhaft – borderlinemäßig; 12. liebenswürdig – selbstdarstellerisch – histrionisch; 13. still – gehemmt – depressiv; 14. hilfsbereit – aufopfernd – selbstlos. Unsere ADHS-Patienten entwickelten sich stil- bzw. störungsmäßig, wie in . Abb. 6.4 leicht erkennbar ist, unter der Methylphenidattherapie in allen 14 Persönlichkeitsbereichen weg vom Pol möglicher Persönlichkeitsstörungen (durchgezogene Linie) hin zum Pol entsprechender Persön-
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Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1 2
*
3 4
*
5 6 7
* *
8 9 10 11 12 13
* *
*
. Abb. 6.4. PSSI-Skalenwerte vor (durchgezogene Linie) und unter (gestrichelte Linie) Methylphenidattherapie. * p<0,05; ** p<0,01
14 15 16 17 18 19 20
lichkeitszüge (gestrichelte Linie), wobei anfangs in keinem Bereich extrem hohe Werte (T-Werte >70) vorlagen. Signifikante Veränderungen (p<0,1) ergaben sich hier in Form des erlebten Rückgang eigenen misstrauischen, egozentrischen, trotzigen und gehemmten Verhaltens (Skalen 2, 8, 9 und 13).
6.4 · Ergebnisdiskussion und Zusammenfassung
6.4
99
6
Ergebnisdiskussion und Zusammenfassung
Erwachsene mit ADHS haben offensichtlich in hohem Maße psychiatrische Zweiterkrankungen, besonders häufig eine oder mehrere komorbide Persönlichkeitsstörungen. Diese inzwischen vielfach bestätigte Tatsache fand sich auch in unserer Untersuchung ambulanter Patienten vom ADHS-Mischtyp wieder. Allerdings lag bei uns der Schwerpunkt der Persönlichkeitsstörungen im ängstlich-furchtsamen Bereich mit einem hohen Anteil an vermeidend-selbstunsicheren (ca. 40%) und zwanghaftperfektionistischen (ca. 63%) Ausprägungsformen, nicht dagegen bei emotional-launischen Krankheitsbildern mit z. B. antisozial verletzendem oder emotional instabilem Verhalten. Diese Formen bildeten allerdings die zweithäufigste Gruppe vor den exzentrisch-sonderbaren Persönlichkeitsstörungen. Die starke psychische Beeinträchtigung unserer Patienten zeigte sich auch in den Ergebnissen der psychologischen Testdiagnostik, wobei hier vor einer spezifischen pharmakologischen Behandlung der ADHS im Kontext primärer Symptombelastung und großer Lebensunzufriedenheit speziell Zwanghaftigkeit, Unsicherheit und Ängste dominierten. In den speziellen, testtheoretisch – wie dargestellt – sehr unterschiedlich konzipierten Selbstbeurteilungsverfahren zeigten sich unsere Patienten anfangs zwar auch vielseitig psychisch auffällig, allerdings ohne dass sich dabei ein klares und vielleicht sogar als »typisch« zu bezeichnendes Persönlichkeitsprofil erwachsener ADHS-Patienten herausgeschält hätte. Im MMPI-2 waren im Prinzip alle klinischen Skalen erhöht. Im FPI-R stellten sich die Patienten insbesondere leicht erregbar, empfindlich und unbeherrscht sowie des weiteren angespannt, überfordert und gestresst dar. Im PSSI imponierten sie dagegen mit einem eher egozentrischen, trotzigen und gehemmten Persönlichkeitsstil. Unter der anschließenden Behandlung mit Methylphenidat besserte sich dann nicht nur das hyperkinetische Grundleiden sehr deutlich, indem bei 18 Patienten (31,8%) gemäß DSM-IV-Kriterien die ADHS-Diagnose aktuell nicht mehr gestellt werden konnte, sondern es verschoben sich im Mittel über den Untersuchungszeitraum von 4–6 Monaten
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Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
auch die in den Persönlichkeitstests gemessenen Persönlichkeitsprofile, und zwar jeweils im positiven Sinne, d. h. hin zu einer psychisch stabileren Persönlichkeit. Während die speziellen Befindlichkeitsverbesserungen im SCL-90-R als zeitlich variable Phänomene noch relativ gut nachzuvollziehen sind, stellen die sonstigen Veränderungen im Sinne einer überdauernden Persönlichkeitsveränderung ein überraschendes Phänomen dar. Offensichtlich haben wir es hier mit einer über die eigentliche Zielsymptomatik des ADHS-Komplexes hinausgehenden »therapeutischen« Wirkung zu tun, die aber auch pharmakogen vermittelt sein könnte, d. h. das Methylphenidat hätte als Stimulanz bei bestimmungsgemäßer Anwendung ein breiteres neurochemisches Wirkungsspektrum. Obwohl klar ist, dass diese Substanz in verschiedenen Hirnarealen die Wirkung körpereigener Neurotransmitter verstärkt, u. a. die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin in das präsynaptische Neuron hemmt, sind die genauen Wirkmechanismen bei ADHS noch nicht völlig bekannt. Insofern darf hier auch bezüglich anderer klinischer oder persönlichkeitsstruktureller Zielsymptome nur spekuliert werden. Es wäre zwar denkbar, dass der medikamentöse Eingriff ins dopaminerge Aufmerksamkeits- und Verstärkungssystem zu fundamentalen kognitiven Funktionsänderungen führt, wodurch auch die neurobiologischen Grundlagen von Persönlichkeitsmerkmalen tangiert sein könnten. Naheliegender ist vielleicht, dass unsere sonstigen »klinischen« Verbesserungen eher sekundär, d. h. psychoreaktiv, vermittelt waren: Es sollte nämlich in Betracht gezogen werden, dass hilfesuchende Erwachsene mit ADHS vor einer Therapie zur Übertreibung ihrer Beeinträchtigungen (mit Niederschlag auch in Persönlichkeitsinventaren) neigen könnten. Andererseits könnten sich positive Reaktionen auf eine Reduktion der ADHS-Symptome ebenfalls auf die Testergebnisse auswirken. Somit muss hier teilweise mit Pseudo-Therapieeffekten gerechnet werden, die sich mittels placebokontrollierter Untersuchungen vermeiden ließen. Zur Hypothese psychoreaktiver Implikationen würde auch passen, dass die von uns verwendeten Persönlichkeitstests eben nicht automatische emotionale Reaktionen bzw. sehr substratnahe biologische Phäno-
Literatur
101
6
mene abbilden, sondern gemäß ihrer Konzeption eben »nur« erlebte eigene psychische Verfassung bzw. zum Teil personenbezogene soziokulturelle Einschätzungen. Diese sind hier zwar empirisch, nämlich statistisch-faktorenanalytisch auf bestimmte Grunddimensionen der Persönlichkeit hin reduziert bzw. standardisiert, nicht aber, wie die ADHS selbst, sicher konstitutionell oder genetisch verankert. Vielleicht sollte man insofern zwischen einer einerseits abbildbaren Test-Persönlichkeit und andererseits stärker biologisch verankerten Persönlichkeitsmerkmalen unterscheiden. Ob man diese dann »Temperamentseigenschaften« nennen sollte, sei dahingestellt. Mit den Persönlichkeitsstörungen, die als psychiatrische Diagnosen ganz anders definiert und insofern mit den persönlichkeitspsychologischen Grunddimensionen nicht direkt vergleichbar sind, gibt es aber offensichtlich eine »komorbide« klinische Schnittmenge. Entsprechende Überschneidungen im Störungsbild dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch für die Kategorien der ICD-10- und DSM-IV-Persönlichkeitsstörungen keine wirkliche theoretische oder empirische Begründung gibt.
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102
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Kapitel 6 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
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103
7.1 ·
7
ADHS und Sucht M.-A. Edel, W. Vollmoeller
7.1
Sensation Seeking bzw. Novelty Seeking und Impulsivität – 104
7.2
Sucht und ADHS – 104
7.3
Komorbidität von ADHS und Sucht
7.4
ADHS als Risikofaktor für Suchtentwicklungen und erschwerte Remissionen – 108
7.5
Gemeinsame Kandidatengene bei ADHS und Sucht – 109
7.6
Das dopaminerge Fokussierungs-, Verstärkungsund Motivationssystem – 110
7.7
Neurobiologische und psychologische Gemeinsamkeiten bei ADHS und Sucht – 114
7.8
Eigene Untersuchungen zur Relation von ADHS und Substanzkonsum – 117
7.9
Diagnostische Aspekte bei ADHS-SuchtKomorbidität – 119
7.10
Macht Methylphenidat abhängig?
7.11
Therapeutische Aspekte bei ADHS-SuchtKomorbidität – 121
7.12
Zusammenfassung – 124 Literatur – 124
– 106
– 120
104
Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1
7.1
Sensation Seeking bzw. Novelty Seeking und Impulsivität
2
Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wies Zuckerman darauf hin, dass jedes Individuum nach einem ihm gemäßen Grad von Arousal und Stimulation strebt (Zuckerman 1974). Manche Personen fallen jedoch durch ein sehr starkes Bedürfnis nach besonderen Anregungen auf und sind bereit, dafür ungewöhnlich hohe körperliche, psychosoziale, rechtliche und finanzielle Risiken einzugehen (Zuckerman 1979). Zuckermans »Sensation Seeking Scale« (SSS) von 1979 enthält die 4 Unterskalen: 1. »Thrill and Adventure Seeking« (Erlebnis- und Abenteuer-Suche), 2. »Experience Seeking« (Suche nach – vor allem mentalen – Erfahrungen), 3. »Disinhibition« (Enthemmung) und 4. »Boredom Susceptibility« (Empfindlichkeit gegenüber Langeweile).
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Auf der Grundlage der Untersuchungen von Eysenck u. Eysenck (1977) zur Impulsivität konnte in den 80er und 90er Jahren in einer Reihe von Studien ein enger, auch genetischer Zusammenhang zwischen »Sensation Seeking« und verschiedenen Definitionen von »Impulsivität« nachgewiesen werden (Schalling et al. 1983; Hur u. Bouchard 1997). Cloninger stellte in den 80er Jahren dem Begriff des »Sensation Seeking« (Sensationssuche) den neutraleren des »Novelty Seeking« (Neugierverhalten) gegenüber und zeigte, dass Individuen mit starkem Neugierverhalten fast immer Probleme mit ihrer Impulsivität haben (Cloninger et al. 1986, 1987b; . Abb. 7.1).
7.2
Sucht und ADHS
17 18 19 20
In seiner Typologie bei Alkoholabhängigkeit unterscheidet Cloninger (1978, 1987a) einen unauffälligeren Typ 1 von einem impulsiveren Typ 2. Letzterer weckt (in Bezug auf Erblichkeit, Dominanz des männlichen Geschlechts, frühen Beginn, Impulsivität, Neugierverhalten, eher niedrige Schadensvermeidung und geringe Abhängigkeit von Bestätigung bzw. Be-
7
105
7.2 · Sucht und ADHS
»Sensation Seeking«
»Impulsivität«
»Novelty Seeking«
. Abb. 7.1. Zusammenhang von »Sensation/Novelty Seeking« und »Impulsivität«
. Tabelle 7.1. Typologie bei Alkoholabhängigkeit nach Cloninger und ADHS Typ I
Eher umweltbedingt
Typ II (ADHS?)
+
Eher genetisch (z. B. Vater Alkoholkrank)
+
Männer
+
Frauen
+
Früher Beginn (vor dem 25. Lebensjahr)
+
+
Neigung zu impulsiver Aggressivität unter Alkoholeinfluss
gering
stark
Novelty Seeking (Neugierverhalten)
gering
stark
Harm Avoidance (Schadensvermeidung)
stark
gering
Reward Dependence (Abhängigkeit von der Zuwendung anderer)
stark
gering
lohnung durch andere) Assoziationen zum Mischtyp bzw. hyperaktiv-impulsiven Subtyp (nach DSM-IV) der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS; Wills et al. 1994; Ebert et al. 2002) (. Tabelle 7.1).
106
1 2 3 4 5
Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
Gibt es also Zusammenhänge zwischen ADHS und Sucht – und wenn ja, worin liegen diese? Um dieser Fragestellung auf den Grund zu gehen, werden nachfolgend epidemiologische, genetische, neurobiologische und psychiatrisch-psychologische Gesichtspunkte beider Störungsbilder zusammengeführt und durch eigene Forschungsergebnisse ergänzt. Obwohl viele der erwähnten Abhängigkeitsprinzipien auch für »nicht-stoffgebundene Süchte« gelten, sind nachfolgend ausschließlich Substanzabhängigkeiten gemeint.
6 7 8 9
7.3
Komorbidität von ADHS und Sucht
! Bis zu etwa 50% der Erwachsenen mit ADHS-Symptomen oder dem Vollbild der Störung sind substanzabhängig (Biederman et al. 1993, 1995).
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Eine Tabakabhängigkeit kommt bei Erwachsenen mit ADHS etwa doppelt so häufig vor wie bei Menschen ohne hyperkinetische Störung (Lambert u. Hartsough 1998). Die Zahlen für Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit bei ADHS im Erwachsenenalter liegen zwischen 33,3% (bei n = 78; Downey et al. 1997) bzw. 35% (bei n = 56; Shekim et al. 1990) und 44% (bei n = 239; Biederman et al. 1998). In letztgenannter Publikation wiesen dagegen nur 24% der 268 Kontrollpersonen (ohne ADHS) eine Alkoholproblematik auf. Biederman et al. verglichen in einer 1995 veröffentlichten Studie 44 Erwachsene mit ADHS mit 29 erwachsenen Verwandten von ADHSPatienten ohne hyperkinetisches Syndrom und bemerkten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Konsumhäufigkeit einzelner Substanzen und somit des Konsummusters (Cannabis: 67 vs. 72%, Kokain: 23 vs. 21%, Stimulanzien: 18 vs. 10%, Halluzinogene: 18 vs. 7%, Opioide: 16 vs. 3% und Sedativa: 14 vs. 10%). Tendenziell konsumierten ADHS-Betroffene mehr Halluzinogene und Opioide. Insgesamt ergeben sich aus der Untersuchung von Biederman et al. (1995) aber deutliche Hinweise auf
7.3 · Komorbidität von ADHS und Sucht
107
7
ein erheblich erhöhtes Risiko, bei ADHS einen Substanzmissbrauch bzw. eine Substanzabhängigkeit zu entwickeln (ca. 15 vs. 5%). Untersuchungen von Stichproben mit Substanzmissbrauch und -abhängigkeit zeigen ADHS-Quoten, die weit über dem für die Normalbevölkerung geschätzten Wert von wenigen Prozent liegen. In einer Gruppe von 201 Patienten mit Substanzmissbrauch und -abhängigkeit konnten 48 (24%) mit ADHS identifiziert werden (Schubiner et al. 2000). Bei 153 erwachsenen Alkoholikern fanden Krause et al. (2002a) bei 42,5% mittels Ratingskalen Hinweise auf eine ADHS in der Kindheit. Knapp die Hälfte dieser Patienten hatte gegenwärtig ADHS-Symptome. Carroll u. Rounsaville stellten in einer Publikation aus dem Jahr 1993 bei 298 behandlungswilligen Kokainkonsumenten einen Anteil von 35% mit ADHS fest. Diese Patienten waren jünger als die übrigen, hatten einen früheren Beginn der Drogenproblematik und wiesen einen häufigeren und intensiveren Abusus auf. Außerdem waren häufiger eine Alkoholabhängigkeit und mehr Vorbehandlungen festzustellen. In einer anderen Patientengruppe mit Kokainmissbrauch fand sich dagegen ein Anteil von nur 10–15% mit einer ADHS (Levin et al. 1998). In Stichproben Opiatabhängiger wurden Quoten von ADHS (bezogen auf die Kindheit bzw. aktuell) zwischen 11 und 22% gefunden (Modestin et al. 2001; King et al. 1999; Eyre et al. 1982). In unserer Bochumer ADHS-Untersuchungsgruppe mit damals 69 ambulanten Patienten hatten 4,3% eine momentane und 5,8% eine frühere Substanzabhängigkeit. 5,8% gaben einen aktuellen Missbrauch von Substanzen, 23,7% einen früheren Substanzabusus an. Insgesamt lag somit die (anamnestische und aktuelle) Prävalenz für Drogenprobleme in unserer Klientel bei 38,1%. 46,4% unserer ADHS-Patienten waren abhängige Raucher, 4,3% ehemalige Tabakabhängige. Daraus ergibt sich eine Gesamtprävalenz für abhängiges Rauchen von über 50%. 4,3% unserer erwachsenen ADHS-Patienten hatten eine Alkoholabhängigkeit, 18,8% betrieben aktuell Alkoholmissbrauch und 20,3% berichteten über einen früheren Abusus. Somit hatten 23,1% aktuell eine Alkoholproblematik, und die Lebenszeitprävalenz für Störungen durch Alkohol belief sich auf 43,4%. Analog zu anderen Untersuchungen (Barkley et al. 2003), war auch bei unseren Patienten der anamnestische und aktuelle Abusus von Cannabis
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Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
(mit 8,8%) am höchsten, mit großem Abstand gefolgt von Amphetamin-, Kokain- und Ecstasy-Konsum. Halluzinogene, Opiate und Benzodiazepine spielten hinsichtlich eines aktuellen Konsums keine Rolle.
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7.4
ADHS als Risikofaktor für Suchtentwicklungen und erschwerte Remissionen
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! Eine ADHS gilt als Risikofaktor für späteren Drogenkonsum bzw. eine Suchtentwicklung (Tarter 1988; Fergusson et al. 1993).
Das Risiko einer Tabak-, Alkohol- oder anderer Substanzabhängigkeit ist für unbehandelte ADHS-Patienten doppelt so hoch wie für therapierte Individuen (Biederman et al. 1995). Bei psychiatrischer Komorbidität ist das Risiko noch höher (Biederman et al. 1995; Rasmussen u. Gillberg 2000). Insbesondere eine Störung des Sozialverhaltens bzw. eine antisoziale Persönlichkeitsentwicklung scheinen eine Substanzabhängigkeit zu bahnen (Schubiner et al. 2000). Suchtkarrieren beginnen bei Menschen mit ADHS etwa 3 Jahre früher als bei Personen ohne ADHS (Wilens et al. 1997). Auch der Konsum von Tabak und der Beginn einer Tabakabhängigkeit passieren bei Jugendlichen mit ADHS deutlich früher (Downey et al. 1996; Milberger et al. 1997). Personen mit ADHS haben ein signifikant größeres Risiko, von einem Alkoholmissbrauch zu Drogenmissbrauch und von Drogenmissbrauch zu Drogenabhängigkeit überzugehen (Biederman et al. 1998); sie weisen bei bestehender Abhängigkeitsproblematik eine erheblich verzögerte bzw. erschwerte Remission hinsichtlich ihres Suchtverhaltens auf (Wilens et al. 1998).
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7.5 · Gemeinsame Kandidatengene
7.5
7
Gemeinsame Kandidatengene bei ADHS und Sucht
Angesichts der hohen Komorbidität von ADHS und Suchterkrankungen sind gemeinsame Kandidatengene zu erwarten. Tatsächlich werden einige – das Dopaminsystem betreffende – Genpolymorphismen sowohl im Zusammenhang mit Alkoholabhängigkeit bzw. Substanzmissbrauch als auch mit ADHS diskutiert (. Tabelle 7.2).
. Tabelle 7.2. Gemeinsame Kandidatengene bei ADHS und Sucht Genprodukte
Assoziation
Dopaminrezeptoren (DRD2a,b und DRD4b,c)
Alkoholismus Substanzmissbrauch ADHS Novelty Seeking
Dopamintransporter (DATd)
Alkoholismus ADHS Novelty Seeking
Dopaminabbauendes Enzym (COMTe)
Substanzmissbrauch ADHS Novelty Seeking
a
Noble (1998) Noble et al. (1998) c Ronai et al. (2001) d Vandenberg et al. (2000) e Vandenberg et al. (1997), Eisenberg et al. (1999), Comings et al. (2000) b
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Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
7.6
Das dopaminerge Fokussierungs-, Verstärkungs- und Motivationssystem
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Bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde beschrieben, dass mesolimbische und mesokortikale dopaminerge Bahnen (und die Verbindungen Letzterer im basalen Vorderhirn) eine wichtige Rolle hinsichtlich Reizselektion, Motivation, positiver Verstärkung (Havemann u. Kuschinsky 1982) und Suchtverhalten (Koob u. Bloom 1988) spielen. Die mesolimbischen Bahnen ziehen von der Area 10 im ventralen Tegmentum zum Nucleus accumbens, einer limbischen Region im ventralen Striatum (Putamen), die die Ausschüttung körpereigener Opioide im Frontalhirn und subkortikal steuert (Spitzer 2002a). Bei Läsionen des Nucleus accumbens kommt es zu »impulsive choice«, der Tendenz zu sofortiger, geringer Belohnung auf Kosten eines Bedürfnisaufschubs mit größerer Belohnung (Cardinal et al. 2001). Die Fasern des mesokortikalen Systems stammen ebenfalls aus der Area 10, ziehen jedoch direkt zum präfrontalen und orbitofrontalen Kortex sowie zum ventralen Gyrus cinguli, wo Dopamin freigesetzt wird (Le Moal u. Simon 1991). Mesokortikales und mesolimbisches System lassen sich zum dopaminergen Fokussierungs-, Verstärkungs- und Motivationssystem zusammenfassen.
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Dopaminerges Fokussierungs-, Verstärkungs- und Motivationssystem) 1. Mesolimbisches System: Aktivierung dopaminerger Neurone der Area A 10 im ventralen Tegmentum → Dopaminfreisetzung im Nucleus accumbens → Endorphinfreisetzung (v. a.) im frontalen Kortex 2. Mesokortikales System: Dopaminerge Neurone der Area A 10 → frontaler Kortex → Dopaminfreisetzung
7.6 · Dopaminerges Verstärkungssystem
111
7
Sowohl zentrale Stimulanzien (wie Nikotin, Apomorphin, Amphetamine und Kokain) als auch gemischt inhibierend-stimulierende bzw. euphorisierende Substanzen (wie Alkohol, Cannabis und Opioide) können das dopaminerge Verstärkungssystem aktivieren (Havemann-Reinecke u. Kuschinsky 1992; Pistis et al. 2002; Lingford-Hughes u. Nutt 2003). Im Jahr 1993 wiesen Robinson u. Berridge darauf hin, dass nicht primär die mit einer Drogeneinnahme verbundene Euphorie (»liking«), sondern die zunehmende Fokussierung (»incentive sensitization«) auf den Konsum einer Droge, d. h. eher das »craving« oder »wanting« für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Substanzabhängigkeit maßgeblich ist. Schultz et al. konnten, ebenfalls 1993, in einem Tierversuch eindrucksvoll zwischen »wanting« und »liking« differenzieren: Bei einem auf einen Hinweisreiz konditionierten Affen zeigt sich eine Erhöhung der dopaminergen Neurotransmission im Nucleus accumbens nach Eintreffen dieses Reizes, d. h. im Zusammenhang mit der Erwartung einer Belohnung, nicht aber beim Eintreffen bzw. beim Verzehr der Belohnung selbst. In neurobiologischer Hinsicht scheint dem Prinzip der positiven Verstärkung, jedenfalls hinsichtlich der Entwicklung einer Substanzabhängigkeit, somit nicht in erster Linie eine starke Opioid- (Enkephalin-) und/oder Serotoninfreisetzung durch Steigerung der dopaminergen Neurotransmission zugrunde zu liegen, sondern vor allem phasische bzw. impulshafte Erhöhungen der dopaminergen Neurotransmission im Nucleus accumbens selbst – mittels verschiedener direkter und indirekter Dopamin-Effektoren (Marinelli u. White 2000). Anders könnte man sich beispielsweise nicht erklären, warum der wiederholte Konsum kaum »belohnender« bzw. euphorisierender Substanzen (wie Nikotin) zu einem schweren Abhängigkeitssyndrom führen kann. Konsequenterweise sollte daher nicht von einem dopaminergen »Belohnungssystem«, sondern von »Verstärkungssystem« (Heinz 1999; Sagvolden et al., im Druck) oder, noch besser, »Fokussierungs- und Verstärkungssystem« gesprochen werden. Möglicherweise hängen die Geschwindigkeit und Dynamik einer Abhängigkeitsentwicklung eher mit »belohnenden« bzw. euphorisierenden und Toleranz erzeugenden, d. h. vor allem opioidergen (und serotonergen) Wirkungen, zusammen, die Intensität und Beständigkeit der Sucht
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Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
dagegen eher mit sensitivierenden, d. h. dopaminergen (und glutamatergen) Effekten (Heinz u. Mann 2001; Hermann u. Heinz 2002). Stimulierende Substanzen (wie Nikotin, Methylphenidat, Amphetamine, Entactogene und Kokain) wirken als direkte Verstärker der striatären dopaminergen Neurotransmission, indem sie die Dopaminfreisetzung erhöhen und/oder die präsynaptische Dopaminwiederaufnahme hemmen. Opioiderge Substanzen (wie Alkohol, Cannabis und Opioide) wirken über einen gemeinsamen μ-Opiatrezeptor-Mechanismus indirekt dopaminerg, indem sie dopaminhaltige Neurone des ventralen Tegmentums (Area 10) aktivieren (Tanda et al. 1997; McBride et al. 1999). Bei Zufuhr von Opioiden bzw. Opiaten ist eine Kombination indirekt dopaminerger und direkt opioiderger Effekte anzunehmen (Xi u. Stein 2002; . Abb. 7.2). Ratten sind hinsichtlich ihrer Stimulierbarkeit durch Verstärker der dopaminergen Neurotransmission unterschiedlich stark anregbar: Tiere mit einer hohen motorischen Aktivität (Hyperaktivität) in einer für sie unbekannten Umgebung und starker Reagibilität auf Neuigkeiten (Novelty Seeking) zeigen hohe basale Entladungsraten dopaminerger Neurone im ventralen Tegmentum und haben eine starke Neigung zu intravenöser Selbstzufuhr von Amphetaminen und Kokain, d. h. sie haben eine erhöhte »Suchtneigung« (Havemann et al. 1986; Schenk et al. 1987; HavemannReinecke u. Kuschinsky 1992; Piazza et al. 1989). Andererseits führt eine
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Stimulierende Substanzen
16 Dopaminfreisetzung
17
Endorphinfreisetzung
Opiatrezeptoren
Opioide
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. Abb. 7.2. Stimulation dopaminerger Neurone durch Stimulanzien und Opioide sowie direkte Stimulation von Opiatrezeptoren durch Opioide
7.6 · Dopaminerges Verstärkungssystem
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7
stress- oder kokaininduzierte Aktivitätssteigerung des Dopaminsystems zu verstärkter Neugier und Bewegungsunruhe (Spitzer 2002b). Individuen mit geringer Dopaminrezeptordichte im Striatum, d. h. mit erniedrigter Bindungskapazität, zeigen eine erhöhte Ansprechbarkeit auf verschiedene »belohnende« bzw. verstärkende Substanzen (Volkow et al. 1996, 1999a,b; Wang et al. 1997). Bei chronischer Zufuhr von Suchtstoffen kann es zu einer (weiteren) Funktionsverschlechterung postsynaptischer Dopaminrezeptoren und – insbesondere im Zusammenhang mit Entzugsund Cravingsituationen – zu einer Erhöhung der präsynaptischen Dopaminproduktion bzw. -freisetzung kommen (Volkow et al. 1990; George et al. 1992, 1999; Robinson u. Berridge 1993; Wang et al. 1997; Tiihonen et al. 1998). Das Ausmaß akuter Dopaminaktivierungen und eine verzögerte Normalisierung der dopaminergen Neurotransmission korrelieren mit dem Rückfallrisiko (Heinz et al. 1996, Braus et al. 2001). ! Bei Substanzabhängigkeit sind Novelty Seeking, Craving, Rückfallrisiko, Drogenaufnahme und motorische Hyperaktivität mit einer verminderten Dichte bzw. Ansprechbarkeit postsynaptischer striatärer Dopaminrezeptoren und/oder einer erhöhten Stimulierbarkeit der präsynaptischen Dopaminfreisetzung assoziiert.
Das dopaminerge Fokussierungs- und Verstärkungssystem wird nicht nur durch akuten oder chronischen Substanzkonsum, sondern auch durch die Wahrnehmung angenehmer Aspekte (Kampe et al. 2001), die Beschaffenheit der räumlichen Umgebung eines Induviduums (Schenk et al. 1987, Hall et al. 1998, LeSage et al. 1999), und seinen sozialen Rang beeinflusst (Morgan 2002); Bei zunächst einzeln gehaltenen Makaken (Macaca fascicularis) ohne primär signifikante Unterschiede hinsichtlich ihres Dopaminsystems bildete sich unter Gruppenbedingungen eine Rangfolge mit höherer Verfügbarkeit postsynaptischer Dopamin-D2-Rezeptoren und höherem sozialen Nutzen (beispielsweise in Form von Gelaustwerden, Social Grooming) bei den dominanten, und verstärkter Neigung zur intravenösen Selbstzufuhr von Kokain der untergeordneten Tiere heraus. Dies bedeutet, dass die Individuen, die sich aufgrund ihrer sozialen Dominanz (immaterielle) Vor-
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Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
teile bzw. Belohnungen verschaffen können, d. h., sich sozial kompetent verhalten, eine geringere Neigung zum Konsum von Substanzen mit Abhängigkeitspotenzial und somit vermutlich ein geringeres Suchtrisiko haben (Spitzer 2002b). Je dysfunktionaler andererseits das dopaminerge Fokussierungssystem arbeitet, d. h. je geringer die »Gating-Fähigkeit« hinsichtlich für das Individuum zuträglicher Stimuli ist, umso größer scheint die Tendenz zu sein, diese Dysfunktion durch den Konsum bestimmter Substanzen ausgleichen zu wollen (Koob u. Le Moal 1997, 2001; Blum et al. 2000; Miller u. Cohen 2001, Goldstein u. Volkow 2002).
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7.7
Neurobiologische und psychologische Gemeinsamkeiten bei ADHS und Sucht
Die wichtigsten neurobiologischen und psychologischen Zusammenhänge bei ADHS lassen sich größtenteils mit den oben beschriebenen suchtspezifischen Dysfunktionen des dopaminergen Verstärkungs- und Fokussierungssystems in Beziehung setzen (Hunt 1997; Sullivan u. Rudnik-Levin 2001; Sagvolden et al., im Druck). Hunt (1997) teilt die neurobiologischen bzw. neuropsychologischen Besonderheiten bei ADHS in 4 Hauptkategorien ein: 1. Störung der selektiven Aufmerksamkeit (mit dopaminerger Dysfunktion im Nucleus accumbens und kortikalen Integrationsregionen), 2. exzessives Arousal mit Aggressivität, Impulsivität und Aufmerksamkeitsstörungen (noradrenerge Hyperaktivität im Locus coeruleus und im retikulären Aktivierungssystem), 3. behaviorale Disinhibition bzw. Impulsivität/Hyperaktivität (mit kombinierter serotonerg-dopaminerger Dysfunktion im präfrontalen Kortex und subkortikalen Regionen), 4. defizientes Belohnungssystem mit gestörter Affektregulation und Anhedonie. Abweichend davon sehen Sagvolden et al. (im Druck) in ihrer »Entwicklungsdynamischen Theorie« die Ursache für die 3 Hauptsymptome bei
7.7 · ADHS und Sucht
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7
ADHS in Dysfunktionen von 3 dopaminergen Subsystemen. Dieses Modell lässt sich noch besser auf die Situation bei Substanzkonsum und -abhängigkeit übertragen: 1. Ein dysfunktionales mesolimbisches Subsystem führe zu veränderten Verstärkungsmechanismen mit »Verzögerungsaversion« (Ungeduld), Hyperaktivität in neuen Situationen, Impulsivität, gestörter Daueraufmerksamkeit, gesteigerter Wechselhaftigkeit des Verhaltens und Verhaltensdisinhibition. 2. Ein dysfunktionales mesokortikales Subsystem sei mit gestörten Orientierungsreaktionen und Blickfolgebewegungen, verminderter selektiver Aufmerksamkeit sowie Einschränkungen der Exekutivfunktionen verbunden. 3. Ein dysfunktionales nigrostriatales Subsystem verursache Störungen der Bewegungsmodulation bzw. Feinmotorik, des nondeklarativen (impliziten) Lernens und Gedächtnisses sowie der Verhaltensinhibition. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Subsysteme 1 und 2 als dopaminerges Fokussierungs- und Verstärkungssystem zusammengefasst werden können, zumal sie durch verschiedene Stimuli, die dopaminerge Neurone des ventralen Tegmentum anregen, koaktiviert werden: Selektive Aufmerksamkeit richtet sich immer auf die Stimuli, die am wichtigsten für ein Individuum sind, weil sie am meisten »belohnen« bzw. sich am meisten lohnen. Negative Affektzustände (wie Dysphorie, Ängstlichkeit und Anhedonie) gelten als Marker für den Beginn einer Abhängigkeit und als Hinweis auf erhöhte (impulsive) Rückfallvulnerabilität (Lingford-Hughes u. Nutt 2003). Je stärker die Anhedonie, umso intensiver das (hyperaktive) Drogensucheverhalten bzw. der Suchtdruck. Gemäß »Selbstmedikations/Selbstregulations-Modell« (Khantzian 1985, 1990; Carroll et al. 1994) versuchen Individuen mit dysfunktionaler Belohnungs- und Affektregulation, diese Problematik durch Drogenkonsum auszugleichen. Koob u. Le Moal (1997) sprechen von »hedonisch-homöostatische Dysregulation« und »Belohnungsdysregulation« (Koob u. Le Moal 2001), Blum et al. (2000) von »Belohnungsdefizienz-Syndrom«.
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1
Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
! Die Komorbidität von ADHS und Sucht kann sich als Circulus vitiosus erweisen.
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Die (primäre) ADHS-Symptomatik (mit Impulsivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen) geht mit gestörten Verstärkungsmechanismen einher (Sagvolden et al. 1998; Carlson u. Tamm 2000), die zur Suchtentwicklung prädisponieren. Im Rahmen eines Abhängigkeitsprozesses kommt es dann zu einer (weiteren) frontostriatären Dysfunktion (Jentsch u. Taylor 1999) im Sinne eines zunehmenden Verlustes frontaler Kontrolle, Toleranzentwicklung und immer stärkerer Fokussierung oder Einengung auf die Droge (»incentive sensitization«) (Robinson u. Berridge 1993). Daraus resultieren langfristig eine Verstärkung der Anhedonie und intermittierend »impulsiv-hyperaktives« Drogensucheverhalten. Goldstein u. Volkow (2002) sprechen in diesem Zusammenhang von »I-RISA« (»impaired response inhibition and salience attribution«). Diese Situation bedeutet wiederum eine Verschärfung der primären ADHSProblematik (. Abb. 7.3).
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ADHSSymptomatik
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Anhedonie, Impulsives Drogensucheverhalten
Gestörte Verstärkungsmechanismen
Suchtentwicklung mit Kontrollverlust, Toleranzentwicklung und »Incentive Sensitization«
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. Abb. 7.3. Circulus vitiosus: ADHS als »Schrittmacher« einer Suchtentwicklung
7.8 · Eigene Untersuchungen
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7
Bei ADHS-Sucht-Komorbidität werden, abgesehen von Nikotinkonsum, der eine Blockade bzw. Verringerung der Dopamintransporter und somit Verbesserung der dopaminergen Neurotransmission im Striatum bewirkt (Krause et al. 2002b), nicht in erster Linie stimulierende, sondern vor allem sedierende bzw. euphorisierende Substanzen konsumiert. Cannabis und Alkohol liegen hierbei, vermutlich auch wegen der leichten Beschaffbarkeit, an der Spitze. Die Attraktivität dieser leicht opioidergen Substanzen für »reizoffene« Drogenkonsumenten dürfte neben den sedierenden (kontra Hyperaktivität) und euphorisierenden (kontra Anhedonie) Wirkungen auch in der subjektiven Verbesserung der selektiven Aufmerksamkeit liegen (Krause u. Krause 2003). Unter 100 Opiatabhängigen in einer Schweizer Untersuchung fand sich der vergleichsweise geringe Anteil von 11 Patienten mit Hinweisen auf eine ADHS in der Kindheit (Modestin et al. 2001). Dies passt zu der Hypothese, dass reine Opiate nicht zu den bevorzugten Drogen von ADHS-Patienten zählen; möglicherweise wegen der zu starken Drosselung der dopaminergen Neurotransmission im Nucleus accumbens durch die Stimulation opioiderger κ-Rezeptoren (Lingford-Hughes u. Nutt 2003).
7.8
Eigene Untersuchungen zur Relation von ADHS und Substanzkonsum
Bei den ADHS-Patienten unserer Poliklinik fand sich eine statistische Kopplung von Tabak-, Alkohol- und Drogenproblemen1. Diejenigen ADHS-Patienten mit Drogenproblemen in der Anamnese, von denen manche nur früher einen Cannabisabusus betrieben hatten, schnitten in einem Mehrfachreiz-Mehrfachreaktions-Test (DT-S4 des Wiener Testsystems) signifikant besser – hinsichtlich der Reaktionszeit2, der
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Chi-Quadrat; n = 68; Tabak × Alkohol: p < 0,05; Tabak × Drogen: p < 0,01; Alkohol × Drogen: p < 0,05. T-Test für unabhängige Stichproben; n = 20/47; p < 0,01.
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Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
zeitgerecht gedrückten Tasten3 und der nicht beantworteten Reize4 – ab als die Personen ohne Drogenanamnese. Dies könnte mit einer höheren Impulsivität bzw. höherem Novelty Seeking (mit konsekutiv schnellerer und sichererer Informationsverarbeitung) in der Gruppe mit Drogenanamnese zusammenhängen. In unserer Stichprobe fand sich eine signifikante Korrelation zwischen der Anzahl der DSM-IV-Hyperaktivitäts- und -Impulsivitätsitems (max. 6 bzw. 3) und der Schwere5 des Konsums stimulierender Substanzen (einschließlich Tabak)6. Die Korrelationen von »Novelty Seeking« und »Impulsivität« des Temperament- und Charakter-Inventars (TCI) von Cloninger et al. (1999) mit der Anzahl der DSM-IV-Impulsivitätsitems waren deutlich, aber vermutlich wegen der geringen Fallzahl (hinsichtlich vorhandener TCI-Daten) nicht signifikant. Der Konsum stimulierender Substanzen ging mit einer signifikant niedrigeren »Abhängigkeit von Personen« im TCI einher7. Die Schwere und Menge des Konsums stimulierender Substanzen korrelierte signifikant mit der Schwere und Menge des Konsums opioiderger Substanzen8 und der Anzahl von Persönlichkeitsstörungen9, speziell (»impulsiven«) Cluster-B-Störungen10.
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3 4 5
T-Test für unabhängige Stichproben; n = 11/25; p < 0,05. T-Test für unabhängige Stichproben; n = 11/25; p < 0,01. Skalierung der Schwere des Konsums stimulierender Substanzen: frühere Tabakabhängigkeit = 1, aktuelle Tabakabhängigkeit = 2, früherer Ecstasy- oder Amphetaminmissbrauch = 3, frühere Ecstasy- oder Amphetaminabhängigkeit = 4, aktueller Ecstasy- oder Amphetaminmissbrauch = 5, aktuelle Ecstasy- oder Amphetaminabhängigkeit = 6, früherer Kokainmissbrauch = 5 etc. 6 Spearman‘s Rho; n = 64; r = 0,31; p < 0,05. 7 T-Test für unabhängige Stichproben; n = 4/21; p < 0,05. 8 Spearman‘s Rho; n = 69; r = 0,55; p < 0,01. Skalierung des Konsums opioiderger Substanzen: früherer Alkoholmissbrauch = 1 etc., früherer Cannabismissbrauch = 1 etc., früherer Opiatmissbrauch = 2 etc. (analog »Punkt 5.«) 9 Spearman‘s Rho; n = 68; r = 0,24; p < 0,05. 10 Spearman‘s Rho; n = 68; r = 0,37; p < 0,01.
7.9 · Diagnostische Aspekte
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7
Die Schwere und Menge des Konsums opioiderger Substanzen korrelierte signifikant mit der Anzahl Persönlichkeitsstörungen pro Patient11 und der Schwere der Alkoholprobleme12. Die Bochumer ADHS-Patienten mit Cluster-B-Störungen hatten (verglichen mit solchen ohne diese Persönlichkeitsstörungen) signifikant stärkere generelle Drogenprobleme13, signifikant größere Probleme mit stimulierenden Substanzen14, signifikant größere Probleme mit opioidergen Substanzen15, jedoch nur tendenziell größere Probleme mit Alkohol. Sie bejahten tendenziell mehr DSM-IV-Impulsivitäts-Items und gaben tendenziell mehr subjektive Probleme mit ihrer Impulsivität (TCI) an. ADHS-Patienten mit ausschließlich Cluster-C-Störungen hatten signifikant geringere Probleme mit stimulierenden (einschließlich Nikotin)16 und opioidergen Substanzen17, möglicherweise auch wegen höherer »Reward Dependence« (Abhängigkeit von der Zuwendung anderer)18.
7.9
Diagnostische Aspekte bei ADHS-Sucht-Komorbidität
! Aus der hohen Koinzidenz von ADHS und Sucht ergibt sich die Dringlichkeit eines Screenings sämtlicher Suchtpatienten auf eine ADHS und umgekehrt (Boerner et al. 2001).
Insbesondere Drogenscreenings sind bei sämtlichen ADHS-Patienten mit Hinweisen auf Substanzkonsum angezeigt (McCann et al. 2000; Ebert et 11 Spearman’s Rho; n = 56; r = 0,27 ; p < 0,05. 12 Spearman‘s Rho; n = 57; r = 0,84; p < 0,01 (Skalierung des Konsums opioiderger Substanzen: s. oben). 13 T-Test für unabhängige Stichproben; n = 27/41; p < 0,05. (Skalierung des Konsums opioiderger und stimulierender Substanzen: s. oben). 14 T-Test für unabhängige Stichproben; n = 27/41; p < 0,05 (Skalierung: s. oben). 15 T-Test für unabhängige Stichproben; n = 27/41; p < 0,05 (Skalierung: s. oben). 16 T-Test für unabhängige Stichproben; n = 35/33; p < 0,05 (Skalierung: s. oben). 17 T-Test für unabhängige Stichproben; n = 35/33; p < 0,05 (Skalierung: s. oben). 18 Spearman’s Rho; n = 24; r = 0,45; p < 0,05.
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1 2 3 4 5
Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
al. 2002). Bei klinischen Hinweisen auf eine Alkoholproblematik sollten wenigstens eine gründliche körperlich-neurologische Untersuchung sowie die Bestimmung der Gamma-GT und des MCV (mittleres Erythrozytenvolumen) erfolgen. Eine ADHS-Diagnostik ist bei Suchtpatienten erst nach der Entgiftung bzw. nach dem Entzug verlässlich; sie bedarf einer gründlichen Verhaltensbeobachtung und wiederholter Exploration. Fremdanamnestische Angaben, insbesondere durch die Mutter des Patienten, und Grundschulzeugnisse können weiterhelfen, wenn Zweifel am Vorliegen einer ADHS im Kindesalter bestehen.
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7.10
Macht Methylphenidat abhängig?
Trotz widersprüchlicher Ergebnisse in Tierversuchen (Brandon et al. 2001; Andersen et al. 2002) ist nach der aktuellen Studienlage nicht von einer Bahnung einer Substanzabhängigkeit durch die Behandlung mit Methylphenidat im Kindes- und Jugendalter auszugehen (Huss u. Lehmkuhl 2002; Barkley et al. 2003; Wilens 2003). Einige Untersuchungen belegen sogar ein verringertes Suchtrisiko (Biederman et al. 1999; Andersen et al. 2002; Huss u. Lehmkuhl 2002): ! Durch eine frühzeitige Methylphenidatmedikation scheint sich die Gefahr einer Suchtentwicklung zu verringern.
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Eine Metaanalyse von Wilens et al. (2003), die 6 prospektive Studien – mit 674 mit Methylphenidat behandelten und 360 unbehandelten ADHS-Patienten – einschloss, erbrachte ein durch Stimulanzienbehandlung stark vermindertes Risiko späterer Störungen durch Substanzen bei Kindern und Jugendlichen nach mindestens 4 Jahren sowie einen weniger ausgeprägten Effekt bei Individuen, bei denen die Nachuntersuchungen erst im Erwachsenenalter durchgeführt wurden. Insgesamt ist das Risiko einer späteren Störung sowohl durch Alkohol als auch durch andere Substanzen für Jugendliche mit ADHS unter adäquater Pharmakotherapie um das 1,9fache geringer.
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! Da Methylphenidat ähnlich auf das dopaminerge Verstärkungssystem von Tieren und Menschen wirkt wie Kokain und Amphetamine, hat die Substanz prinzipiell allerdings ein Suchtpotenzial (Kollins et al. 2001).
Insbesondere hohe, unretardierte, intravenöse, diskontinuierliche und – unter Erwartung eines euphorisierenden Effekts – selbst verabreichte Methylphenidatdosen können durch rasche Steigerung der dopaminergen Neurotransmission mit konsekutiver Freisetzung endogener Opioide zu einem »Kick«, d. h. längerfristig auch zur Abhängigkeit führen (Hatsukami u. Fischmann 1996; Volkow u. Swanson 2003; Volkow 2004). Kritisch sind nach eigenen therapeutischen Erfahrungen auch spezifische, an die Methylphendidat-Einnahme geknüpfte Wirkungserwartungen, wie eine gezielte oder übermäßige Leistungssteigerung, z. B. bei narzisstischer Problematik, und eine Gewichtsabnahme, z. B. im Rahmen einer Ess- bzw. Körperschemastörung.
7.11
Therapeutische Aspekte bei ADHS-Sucht-Komorbidität
Zur Frage, ob und inwieweit bei ADHS-Sucht-Komorbidität eine Stimulanzienbehandlung durchgeführt werden sollte, ist Folgendes zu sagen: Methylphendidat bewirkt eine Hemmung striatärer Dopamintransporter (Krause et al. 2000) mit konsekutiver postsynaptischer Rezeptorstimulation. Durch negative präsynaptische Rückkoppelung kommt es unter kontinuierlicher Einnahme zu einer verringerten Dopaminfreisetzung (Robbins 2002; Gerlach 2002), die zu einer verbesserten postsynaptischen Ansprechbarkeit bzw. Up-Regulation der postsynaptischen Dopaminrezeptoren führen könnte. Die daraus resultierende Stabilisierung des dopaminergen Fokussierungs-, Verstärkungs- und Motivationssystems könnte auch Anticraving-Effekte mit sich bringen (Volkow et al. 1995). 1998 wurde eine Pilotstudie zur kombinierten Methylphenidat- und Rückfallpräventionstherapie mit 12 Kokainabhängigen durchgeführt, die einen gewissen Anticraving-Effekt und eine Reduktion des Kokainkonsums ergab (Levin et al. 1998b). In einer ersten doppelblinden, placebokontrollierten
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Studie aus dem Jahr 2002 zur konsum- und suchtdruckverringernden Wirkung von Methylphenidat bei kokainabhängigen ADHS-Patienten konnten diese Wirkungen allerdings nicht nachgewiesen werden (Schubiner et al. 2002). Methylphenidat darf bei Suchtpatienten grundsätzlich nur unter stationären Bedingungen (Krause u. Krause 2003), z. B. im Rahmen einer Entwöhnungstherapie, oder nach mindestens mehrmonatiger Abstinenz und dann unter engmaschigen ambulanten Kontrolluntersuchungen (Craving-Anamnese, körperliche Inspektion und Laborkontrollen bzw. Drogenscreenings) sowie flankierender Anbindung an eine Suchtberatungsstelle und/oder Selbsthilfegruppe verordnet werden. ! Eine missbräuchliche Kombination von Methylphenidat mit anderen stimulierenden Substanzen bringt nicht nur eine Potenzierung von Suchtmechanismen, sondern auch erhebliche kardiovaskuläre Risiken mit sich (Sullivan u. Rudnik-Levin 2001).
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Levin et al. (1999) empfehlen, ADHS-Patienten mit Drogenproblemen mindestens wöchentlich ambulant zu sehen und ihnen entsprechend nur für eine Woche reichende Methylphenidatmengen zur Verfügung zu stellen. Diese Patienten sollten mittels Drogenscreenings und inspektorisch nicht nur sorgfältig auf Hinweise für einen erneuten Substanzmissbrauch, sondern auch per Checklisten hinsichtlich ihrer ADHS-Symptomatik untersucht werden; zusätzlich muss beachtet werden, dass auch Personen aus dem sozialen Umfeld des Patienten, speziell wenn sie ebenfalls von ADHS und/oder Sucht betroffen sind, Methylphenidat missbrauchen könnten (Levin et al. 1999). Grundsätzlich ist Retardpräparaten (Concerta, Medikinet retard) gegenüber unretardiertem Methylphenidat (Ritalin, Equasym und Medikinet) der Vorzug zu geben, da eine verzögerte Freisetzung des Wirkstoffs mit geringerem Euphorierisiko (und somit niedrigerem Missbrauchspotenzial) behaftet ist (Volkow et al. 1999d; Volkow u. Swanson 2003). Bei Suchtpatienten mit ADHS sollte zunächst eine Behandlung mit aufmerksamkeitsverbessernden Antidepressiva wie Desipramin, Bupropion (Levin et al. 1999) oder Moclobemid (Vaiva et al. 2002) er-
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folgen, ehe eine Stimulanzientherapie erwogen wird. Eigene klinische Erfahrungen sprechen auch für Therapieversuche mit Reboxetin, Venlafaxin und neuerdings Duloxetin und Atomoxetin oder, falls eine Sedierung erwünscht ist, auch Mirtazapin in Einzeldosen von 7,5–15 mg. Acetylcholinagonisten (Nikotinpflaster, Cholinesterasehemmstoffe etc.) könnten aufgrund ihrer aufmerksamkeitsverbessernden Effekte, Aripiprazol aufgrund seiner regulierenden Auswirkungen auf das Dopaminsystem ebenfalls in manchen Fällen Behandlungsoptionen darstellen. Wegen des reziproken Verhältnisses von Selbstwirksamkeitserwartung und Substanzwirkungserwartung (u. a. Morgan et al. 2002) ist die Beachtung psychosozialer Faktoren, die das dopaminerge Fokussierungsund Verstärkungssystem beeinflussen, ausgesprochen wichtig. Obwohl bei Substanzabhängigkeit eine Psychotherapie i.e.S. aus Gründen der Stabilität eines Behandlungsbündnisses erst nach mehrmonatiger Abstinenz in Frage kommt, sollten – speziell bei Komorbidität mit einer ADHS – von der Entzugsbehandlung an psychoedukative, verhaltenstherapeutische, systemische und medikamentöse Elemente im Sinne eines multimodalen Behandlungskonzepts integriert werden (Aviram et al. 2001). Eine nachhaltige Veränderung der ADHS-assoziierten Störungen kann allerdings erst nach Beseitigung der akuten Drogenprobleme erfolgen (Spitz 1999). Sullivan u. Rudnik-Levin (2001) raten zur besonderen Berücksichtigung aggressiver Impulse, geringer sozialer Fertigkeiten und niedrigem Selbstwertgefühl bei Patienten mit ADHS-Sucht-Komorbidität. Aviram et al. (2001) betonen emotionale und motivationale Aspekte sowie die Sensibilisierung für automatisierte Kognitionen. Mit ihrem (12–16 Sitzungen umfassenden kognitiv-verhaltenstherapeutischen) Konzept zur simultanen Behandlung beider Krankheitsbilder vermitteln sie Fertigkeiten zur Verbesserung der Selbstwirksamkeitserwartung, der Antizipation von Risikosituationen, der Impulskontrolle und der Affekttoleranz (vor allem hinsichtlich Craving-Situationen).
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Zusammenfassung
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ADHS ist als Risikofaktor für eine Suchtentwicklung anzusehen. Die Impulsivität bei ADHS, die Störungen im psychosozialen und Persönlichkeitsbereich sowie die Tendenz stimulierende Substanzen zu konsumieren bzw. der Grad einer komorbiden Substanzabhängigkeit korrelieren miteinander. ADHS- und Suchtsymptomatik können sich gegenseitig (im Sinne eines Circulus vitiosus) verstärken. Die psychologischen Parallelen bei Störungen durch Substanzen und ADHS (Impulsivität, Anhedonie usw.) sind bemerkenswert und weisen auf gemeinsame genetische und neurobiologische Grundlagen im Sinne eines dysfunktionalen dopaminergen Aufmerksamkeits-, Fokussierungs-, Verstärkungs- und Motivationssystems hin. Dies lässt sich durch theoretische Überlegungen untermauern und durch klinische Befunde belegen. Sämtliche Patienten mit ADHS sollten auch auf eine Suchterkrankung (und umgekehrt) untersucht werden. Bei Komorbidität ist eine multimodale Behandlung unter Einbeziehung komplementärer Suchteinrichtungen (Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen) erforderlich. Wenn keine spezifischen psychotherapeutischen Interventionsmöglichkeiten für Patienten mit ADHS-Sucht-Komorbidität verfügbar sind, sollte eine ambulante Psychotherapie erst nach mehrmonatiger Abstinenz erwogen werden. Obwohl Methylphenidat in therapeutischen Dosen, insbesondere bei kontinuierlicher, niedriger und retardierter oraler Gabe kein oder kaum Suchtpotenzial hat, darf es bei ADHS-Sucht-Komorbidität nur unter strengen Kautelen eingesetzt werden; hier sollten zunächst Behandlungsversuche mit Antidepressiva unternommen werden.
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Kapitel 7 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
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8
133
8.1 ·
ADHS und Straffälligkeit W. Retz, M. Rösler
8.1
Klinische Aspekte – 134
8.2
Ätiopathogenese – 135
8.3
ADHS als Risikofaktor für die soziale Entwicklung – 137
8.4
Prävalenz in forensischen Populationen
8.5
Komorbidität von ADHS und Störungen des Sozialverhaltens – 141
8.6
Schlussfolgerungen und Zusammenfassung Literatur – 148
– 138
– 147
134
Kapitel 8 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
1
8.1
Klinische Aspekte
2
Bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS; F90 der ICD-10) handelt es sich um ein Leiden, das sich im Kindesalter manifestiert. Die Prävalenz in diesem Lebensabschnitt wird mit 3–7% angegeben. Die ADHS ist damit eine der häufigsten Störungen des Kindes- und Jugendalters (Trott 1993; Wender 1995; Barkley u. Murphy 1998). Entgegen früheren Erwartungen bildet sich das Störungsmuster bei einem beachtlichen Teil der Betroffenen nicht zurück, sondern persistiert im Erwachsenenalter. Die Prävalenz im Erwachsenenalter wird auf 2–4% geschätzt. Das männliche Geschlecht überwiegt im Verhältnis zum weiblichen um das 2- bis 4fache. Die ADHS wird in allen sozialen Schichten und auf allen Begabungsniveaus gefunden (Barkley u. Murphy 1998). Leider sind zwischen den beiden wichtigsten Klassifikationsinstrumenten, ICD-10 und DSM-IV, erhebliche Unterschiede in der Einordnung der ADHS erkennbar, die sich auch praktisch, z. B. bei der Einschätzung von epidemiologischen Prävalenzdaten, auswirken können. Die ICD-10 unterscheidet zwei Formen: 5 F90.0 – einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung: 5 F90.1 – hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Bei der hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens liegt eine Kombination der Merkmale einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung mit den Symptomen einer Störung des Sozialverhaltens (F91) vor. Die Diagnostik nach DSM-IV kennt folgende Störungsformen: 5 314.01 – ADHS, kombinierter Typ; 5 314.00 – ADHS-Typus mit vorwiegender Unaufmerksamkeit; 5 314.01 – ADHS-Typus mit vorwiegender Hyperaktivität und Impulsivität.
18 19 20
Der kombinierte ADHS-Typ nach DSM-IV ist nahezu identisch mit der einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung nach ICD-10. Unterschiedlich ist die Differenzierung in Subtypen mit Unaufmerksamkeit
8.2 · Ätiopathogenese
135
8
bzw. mit Hyperaktivität/Impulsivität nach DSM-IV, die es in der ICD-10 nicht gibt, und die Kombination der ADHS mit den Störungen des Sozialverhaltens (F91) in der Diagnose F90.1 nach ICD-10. Die klinischen Hauptsymptome sind in allen Lebensaltern Störungen der Aufmerksamkeit, motorische Überaktivität und Impulsivität. Die Symptomatik hat indessen in verschiedenen Lebensaltern unterschiedliche Gestalt. Abgesehen von den 3 zentralen Phänomenen Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität kommen bei Erwachsenen mit ADHS noch Desorganisation, Störungen der Affektkontrolle, emotionale Hyperreagibilität und spezielle Temperamentseigenschaften als typische Psychopathologie hinzu (Wender 1995). Darüber hinaus wird das klinische Erscheinungsbild im Erwachsenenalter häufig von Komorbiditäten geprägt, die unter Umständen so weit in den Vordergrund treten, dass der Blick auf die ADHS-Symptomatik verdeckt wird. Bei Erwachsenen ist zudem zu bedenken, dass in der Regel Situationen gemieden werden, in denen es zur Symptomprovokation kommen kann. Vermieden werden beispielsweise Beschäftigungen, die ein besonderes Durchhaltevermögen erfordern, keine Abwechslung bieten bzw. keine speziellen Interessen ansprechen, wie lange Theaterbesuche, Lesen oder in einer Schlange anstehen.
8.2
Ätiopathogenese
Es handelt sich um eine Erkrankung mit starker genetischer Verankerung. Die Konkordanzraten in formalgenetischen Untersuchungen mit eineiigen Zwillingen liegen zwischen 0,7 und 0,9 (Smidt et al. 2003). In Familien mit Betroffenen findet man in der Regel überzufällig häufig weitere Symptomträger, wobei die verschiedenen Subtypen nach DSM-IV in betroffenen Familien nebeneinander auftreten können (Smalley et al. 2001). Auch andere psychiatrische Erkrankungen werden in diesen Familien häufig registriert (Schachar u. Wachsmuth 1990). In molekulargenetischen Koppelungsuntersuchungen konnten inzwischen einige Genregionen identifiziert werden, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit Suszeptibilitätsgene
136
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Kapitel 8 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
liegen dürften (Smalley et al. 2002; Bakker et al. 2003; Ogdie et al. 2003). Bemerkenswert ist dabei, dass die beschriebenen Regionen 16p13, 17p11, 5p13 und 15q auch im Zusammenhang mit Autismus diskutiert werden. Ein weiterer erwähnenswerter Gesichtspunkt dieser Untersuchungen ist die Tatsache, dass in Assoziationsstudien ausgiebig untersuchte Kandidatengene keine signifikanten Koppelungen zeigten. Assoziationsstudien wurden vor allem mit solchen Kandidatengenen durchgeführt, die an der Regulation monoaminerger Neurotransmission beteiligt sind. Assoziationen genetischer Varianten des Dopamin-D4-Rezeptorgens und des Dopamin-D1-Transportergens können als gesichert gelten (Faraone et al. 2001; Gill et al. 1997). Auch eine Assoziation der ADHS mit genetischen Varianten des Serotonintransporters wurde wiederholt beschrieben (Seeger et al. 2001; Manor et al. 2001; Retz et al. 2002). Hinsichtlich möglicher pathogenetischer Mechanismen werden Funktionsabweichungen in verschiedenen zentralen Transmittersystemen diskutiert, wobei man sich an der Beobachtung orientiert, dass Substanzen, die den Dopamintransporter bzw. den Noradrenalintransporter inhibieren, therapeutische Wirkung besitzen (Faraone u. Biederman 1998; Biederman u. Spencer 1999). Mit bildgebenden und elektrophysiologischen Verfahren, wie PET, CCT, MRI, fMRI und EEG sind sowohl strukturelle als auch funktionelle Auffälligkeiten bei Kindern Jugendlichen und Erwachsenen im Bereich der Basalganglien und des Frontalhirnes mit rechtsseitigem Schwerpunkt beschrieben worden (Rubia et al. 1999). Dies hat zur Formulierung der Hypothese einer präfrontalen Dysfunktion bei ADHS Anlass gegeben, die in kausale Verbindung mit einer Störung der exekutiven Funktionen gebracht wird, die ihrerseits eine Reihe der klinischen Symptome im Rahmen der ADHS funktionell erklärbar macht (Barkley 1997; Barkley u. Murphy 1998). Diese Modellvorstellungen werden durch neuropsychologische Untersuchungen ergänzt, die bei Erwachsenen mit ADHS Störungen des Arbeitsgedächtnisses ergeben haben (Gallagher u. Blader 2001). Bei den Störungen der exekutiven Funktionen handelt es sich um Störungen der Organisation und Aktivierung von hierarchisierendem Verhalten, um Einschränkungen der Fokussierung und Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit, um Störungen
8.3 · ADHS als Risikofaktor für die soziale Entwicklung
137
8
der Regulation der Wachheit, Dauerbelastbarkeit und des Durchhaltevermögens sowie um die Modulation affektiver Systeme. Schwierigkeiten bei der Nutzung des Arbeitsgedächtnisses kommen hinzu, ebenso Probleme beim Monitoring und der Selbstkontrolle von Verhalten.
8.3
ADHS als Risikofaktor für die soziale Entwicklung
Verlaufsuntersuchungen von Kindern mit ADHS ins Jugendlichen- und Erwachsenenalter sowie verschiedene epidemiologische Projekte haben gezeigt, dass mit der ADHS eine Reihe von Einschränkungen einhergehen können, die für den Prozess der sozialen Adaptation von erheblicher Bedeutung sein können. Die Milwaukee Young Adult Outcome Study hat gezeigt, dass Personen mit ADHS im Vergleich mit Kontrollpersonen gemessen am Begabungsniveau weniger qualitativ hochwertige Schul- und Berufsabschlüsse erreichen. Sie werden häufiger vom Unterricht suspendiert oder vom Schulbesuch ausgeschlossen. Ihnen wird der Arbeitsplatz häufiger gekündigt und sie haben bezogen auf ein definiertes Zeitintervall deutlich mehr Beschäftigungsverhältnisse (Barkley u. Murphy 1998). Außerdem konnte gezeigt werden, dass bei Personen mit ADHS ein höheres Risiko für alle Arten von Unfällen in Schule, Beruf, Freizeit und Straßenverkehr besteht, vor allem für solche, bei denen erhebliche Verletzungen entstehen (Grützmacher 2001). Besonders eklatant ist die erhöhte Gefährdung für Verkehrsunfälle mit ernsten Verletzungsfolgen und die generelle Neigung, gegen Regeln im Straßenverkehr zu verstoßen (Woodward et al. 1999). ! Verschiedene katamnestische Untersuchungen ergaben ein erhöhtes Risiko für psychosoziale Fehlentwicklungen mit delinquentem Verhalten bei Probanden mit ADHS.
In diesen Verlaufsstudien (Mannuzza et al. 1998; Satterfield u. Schell 1997; Weiss et al. 1995) konnten im Vergleich zu Kontrollgruppen erhöhte Raten an Störungen des Sozialverhaltens, antisozialer Persönlichkeitsstö-
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Kapitel 8 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
rungen und Straffälligkeit gezeigt werden. In anderen Untersuchungen erwies sich die Störung insofern als kriminovalent, als im Vergleich zu Personen ohne ADHS mit einem früheren Auftreten von Störungen des Sozialverhaltens und Delinquenz sowie einem höheren Risiko für deren Persistenz im Erwachsenenalter zu rechnen ist, wenn zusätzlich ADHSSymptome vorhanden sind (Moffitt 1990; Loeber et al. 1995; Satterfield u. Schell 1997). In Übereinstimmung mit retrospektiven Kohortenuntersuchungen bei erwachsenen Straftätern (Blocher et al. 2001; Ziegler et al. 2003) konnte bei einer Querschnittsuntersuchung in einer Jugendstrafanstalt gefunden werden, dass mehr als die Hälfte der inhaftierten Jugendlichen und Heranwachsenden mit ADHS bereits vor Eintritt der Strafmündigkeit durch Delinquenz auf sich aufmerksam gemacht hatten und ein genereller Trend zu häufigeren Verurteilungen gegenüber Inhaftierten zu erkennen war, die keine hyperkinetische Störung des Sozialverhalten boten (Retz et al. 2004b; Rösler et al. 2004b). Diese Ergebnisse passen auch gut zu den Resultaten der Mannheimer Längsschnittstudie (Lay et al. 2001). In dieser prospektiven Kohortenuntersuchung hatte sich herausgestellt, dass eine ADHS in der Kindheit ein signifikanter Prädiktor für spätere Rezidivdelinquenz ist.
13 8.4
Prävalenz in forensischen Populationen
14 15 16 17 18 19 20
In verschiedenen Gefängnispopulationen sind hohe Prävalenzen für ADHS festgestellt worden. Die Prävalenzraten schwanken zwischen 14 und 72%, was im Wesentlichen auf unterschiedliche Untersuchungspopulationen und diagnostische Kriterien zurückgeführt werden kann (Vermeiren 2003; . Tabelle 8.1). In einer bayerischen Justizvollzugsanstalt mit Gefangenen, die kurze bis mittlere Haftstrafen zu verbüßen hatten, wurde eine Prävalenz von ca. 42,7% für kindliche Symptome aus dem Spektrum der ADHS festgestellt (Ziegler et al. 2003). Für diese Personen bestand eine deutlich hö-
8
139
8.4 · Prävalenz in forensischen Populationen
. Tabelle 8.1. Prävalenz von ADHS in forensischen Populationen; B Belgien, CAN Kanada, D Deutschland, NL Niederlande, SF Finnland, USA Vereinigte Staaten von Amerika Autor
N
Population Land
Prävalenz ADHS [%]
Hollander u. Turner (1985)
185
Inhaftierte
19
Milin et al. (1991)
111
USA Inhaftierte
19
CAN Haapasalo u. Hamalainen (1996)
89
Timmons-Mitchell et al. (1997)
50
Ulzen und Hamilton (1998)
49
Doreleijers et al. (2000)
Inhaftierte
50
SF Inhaftierte
72
USA Inhaftierte
27
CAN 108
Begutachtungsfälle
14
NL Pliszka et al. (2000)
50
Inhaftierte
18
USA Vermeiren et al. (2000)
72
Begutachtungsfälle
19
B Rösler et al.(2004b)
129
Inhaftiert D
22
140
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Kapitel 8 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
here Vorstrafenbelastung [Odds Ratio 3;79; 95% Konfidenzintervall (KI): 2,0–7,1]. Ein ähnlicher Zusammenhang wurde in einer Population mit Sexualstraftätern gefunden. Die Prävalenzraten für kindliche Symptome aus dem ADHS-Spektrum betrugen in Abhängigkeit vom verwendeten Kriterium 15,7 bzw. 27,6% (Blocher et. al. 2001). Bei den mit ADHS belasteten Sexualstraftätern war eine signifikant erhöhte Vorstrafenbelastung für allgemeine und Sexualkriminalität (Odds Ratio 1,3–7,5 bzw. 1,5–7,6) feststellbar. In einer forensischen Begutachtungspopulation (n=677) ergaben sich ebenfalls deutlich erhöhte Prävalenzraten für kindliche Symptome aus dem ADHS-Spektrum im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen (Rösler 2001). Das Delinquenzrisiko wurde durch die ADHS-Spektrum-Symptomatik deutlich angehoben (Odds Ratio 5,98; 95% KI: 2,97–12,02). Bei verschiedenen Deliktformen bestanden unterschiedliche ADHS-Spektrum-Prävalenzen, die bei Verkehrsdelinquenten relativ niedrig waren (13%) und Straftätern mit Sexual- und Raubdelikten deutlich höher ausfielen (31% bzw. 35%). Die bislang erste systematische, in Deutschland durchgeführte Untersuchung zur Prävalenz von ADHS und komorbiden Störungen unter Verwendung operationalisierter Diagnosekriterien und standardisierter psychometrischer Instrumente (Rösler et al. 2004a; Retz-Junginger et al. 2002, 2003) ergab, dass 28 von 129 jugendlichen und heranwachsenden Inhaftierten einer Jugendstrafanstalt an einer ADHS im Sinne der WHOKlassifikation (F90) litten (Rösler et al. 2004b, Retz et al. 2004b). Lediglich 37 Probanden (29%) blieben ohne Hinweise auf eine aktuelle ADHS oder ADHS in der Kindheit. Dies bedeutet, dass bei 71% der untersuchten Personen in der Kindheit Aufmerksamkeitsmängel sowie Symptome der Impulsivität und Hyperaktivität zu registrieren waren. An komorbiden Leiden fanden sich in 60,5% der Fälle Externalisierungsstörungen im Sinne von Störungen des Sozialverhaltens. Zusätzlich wurden bei 20,2% der Fälle Internalisierungsstörungen im Sinne affektiver und dysfunktionaler Störungen gefunden. Bemerkenswert hoch war die Prävalenz drogenassoziierter Erkrankungen mit 55,8%. Persönlichkeitsstörungen wurden bei
8.5 · Komorbidität von ADHS
141
8
20,9% der Probanden gefunden, wobei dissoziale und impulsive Persönlichkeitsstörungen überwogen. Erwähnenswert ist auch, dass in 64,3% der Fälle Mehrfachdiagnosen vorlagen und insbesondere bei Probanden mit ADHS fast immer zusätzliche Diagnosen gestellt wurden.
8.5
Komorbidität von ADHS und Störungen des Sozialverhaltens
Bei der Klärung der Frage, wie die Bedeutung der ADHS in Bezug auf Delinquenzentwicklungen einzuschätzen ist, ist zu bedenken, dass gerade in forensischen Populationen die Erkrankung nur in Ausnahmen isoliert auftritt (Pliszka 1998). Charakteristisch ist das Auftreten von einem oder mehreren komorbiden Leiden (Mannuzza et al. 1993; Milberger et al. 1995; Shekim et al. 1990). Diese sind in . Tabelle 8.2 aufgelistet. In forensischen Populationen ist in den weitaus meisten Fällen eine ADHS in Kombination mit Störungen des Sozialverhaltens bzw. ClusterB-Persönlichkeitsstörungen (v. a. dissoziale und emotional instabile Persönlichkeitsstörung, impulsiver Subtyp) anzutreffen. Daneben sind besonders häufig Abhängigkeitserkrankungen zu registrieren. Orientiert man sich an den diagnostischen Kriterien der ICD-10, wird man in der Regel nicht die Diagnose einer einfachen ADHS (F90.0), sondern die einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens (F90.1) zu stellen haben, bei der sowohl die Kriterien für die ADHS, als auch für Störungen des Sozialverhaltens erfüllt sind. In verschiedenen epidemiologischen Studien konnte generell eine große Überlappung dieser beiden Störungsmuster gezeigt werden (Faraone et al.1991; Szatmari et al. 1989). Die Diskussion darüber, welchen spezifischen Beitrag die ADHS-Symptomatik zur Entwicklung delinquenten Verhaltens leistet oder ob komorbide Störungen des Sozialverhaltens bzw. Persönlichkeitsstörungen hierfür entscheidend sind, ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Loeber et al. (1995) beispielsweise konnten keinen eigenständigen Effekt der ADHS auf spätere Delinquenz finden und auch Untersuchungen von Fergusson et al. (1993) legen nahe, dass für die Entwicklung delinquenten Verhaltens
142
1 2 3 4 5
Kapitel 8 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
. Tabelle 8.2. Die häufigsten komorbiden Leiden bei Personen mit ADHS in verschiedenen Lebensaltern Kindesalter
Prävalenz [%]
Erwachsenenalter
Prävalenz [%]
Störungen des Sozialverhaltens
50
Antisoziale Persönlichkeitsstörungen
25
Lernstörungen
50
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung
20
Angststörungen
25
Drogenmissbrauch, Alkoholismus
60
Affektive Störungen
35
Affektive Störungen
35
Angststörungen
25
6 7 8 9 10 11
Tic, Tourette Syndrom
5
Neurologische Entwicklungsstörungen
20
12 13 14 15 16 17 18 19 20
nicht ADHS, sondern begleitende Störungen des Sozialverhaltens verantwortlich sind. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass alle Untersuchungen, in denen sich Störungen des Sozialverhaltens als Prädiktor späterer Delinquenz nachweisen ließen, darunter leiden, dass delinquentes Verhalten mit einem medizinisch definierten Verhaltensmuster vorhergesagt wurde, das inhaltlich jedoch kaum Unterschiede zu dem Konstrukt Delinquenz aufweist. Man muss also von einer beträchtlichen Konfundierung der Inhalte ausgehen. Darüber hinaus ist es auch nicht plausibel, dass eine Entwicklung problematischer Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensweisen sich völlig unabhängig von einem bereits im Vorfeld bestehenden, pervasiven Krankheitsbild vollziehen soll, für das neben Aufmerksamkeitsdefiziten auch Hyperaktivität und Impulsivität die charakteristischen Symptome sind.
8.5 · Komorbidität von ADHS
143
8
! Es spricht einiges dafür, dass gerade die hyperaktiv-impulsive Symptomatik bei ADHS das Risiko für Sozialisationsstörungen im Kindesalter erhöht und dadurch auch delinquenten Entwicklungen Vorschub leistet.
In der Cambridge-Studie zur Delinquenzentwicklung hat sich herausgestellt, dass das Syndrom Impulsivität – Hyperaktivität – Konzentrationsstörungen im Kindesalter ein valider Prädiktor für spätere Aggressivität und Gewalttätigkeit ist (Farrington u. West 1990). Babinski et al. (1999) konnten in einer katamnestischen Untersuchung ebenfalls zeigen, dass die hyperaktiv-impulsive Symptomatik der ADHS einen eigenen Beitrag an später auftretender Straffälligkeit leistet. Hierzu passen auch die Ergebnisse der New Yorker Verlaufsuntersuchung von Mannuzza et al. (1998). In dieser Studie wurden nur solche Kinder mit ADHS für Nachuntersuchungen berücksichtigt, die zum Zeitpunkt des Studieneinschlusses keine Störungen des Sozialverhaltens aufwiesen. Dennoch wurden bei einer Follow-up-Untersuchung im Erwachsenenalter bei 12% der Probanden eine antisoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, dagegen nur bei 3% der Kontrollgruppe. Vor diesem Hintergrund lässt sich ADHS am besten als ein Störungsmuster begreifen, das sich in der frühen Kindheit manifestiert und den Ausgangspunkt für eine Reihe weiterer Störungen bildet, die im biographischen Verlauf als Komorbidität in Erscheinung treten und das psychopathologische Bild der ADHS im Erwachsenenalter entscheidend prägen. Ausgehend von der hyperaktiv-impulsiven ADHS-Symptomatik können dabei über die Sozialisationsstörungen auch delinquente Verhaltensmuster entstehen. Legt man diese Überlegungen zugrunde, stellt sich weniger die Frage, ob ADHS oder sog. Störungen des Sozialverhaltens die Grundlage delinquenten Verhaltens bilden, sondern wie ADHS und Sozialisationsstörungen zusammenhängen. Diese Frage ist am besten mit Zwillingsstudien zu beantworten, in denen gemeinsame genetische sowie gemeinsam und getrennt erlebte Umwelteinflüsse auf Phänotypausprägungen untersucht werden können. In einer umfassend angelegten formalgenetischen Unter-
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Kapitel 8 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
suchung konnten Thapar et al. (2001) zeigen, dass Störungen des Sozialverhaltens und ADHS eine gemeinsame genetische Basis besitzen und dass das kombinierte Syndrom offensichtlich einer ADHS-Variante mit besonders ausgeprägter Symptomatik entspricht, zu deren Entwicklung Umweltbedingungen einen wichtigen Beitrag leisten. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen gelangte eine Zwillingsuntersuchung, bei der auf das australische Zwillingsregister zurückgegriffen wurde (Waldmann et al. 2001). Auch in dieser Studie konnte eine breite, ADHS und Störungen des Sozialverhaltens gemeinsame genetische Basis und die Bedeutung von Umwelteinflüssen für die Entwicklung von Störungen des Sozialverhaltens gezeigt werden. Neben diesen formalgenetischen haben auch molekulargenetische Untersuchungen dazu beigetragen, Zusammenhänge zwischen ADHS und Störungen des Sozialverhaltens besser zu verstehen. Nach den Ergebnissen von Assoziationsstudien dürfte eine Vielzahl von Genen, die beispielsweise an der Regulation monoaminerger Neurotransmission beteiligt sind, den ADHS-Phänotyp beeinflussen. Demnach ist aber auch davon auszugehen, dass die beschriebenen Effekte dieser Gene auf den Phänotyp-ADHS jeweils gering ausfallen. Auch multivariate Analysen unter Berücksichtigung von 42 Kandidatengenen erbrachten keine entscheidend bessere Varianzaufklärung des ADHS-Phänotyps (Comings et al. 2000). Von Bedeutung ist auch die Tatsache, dass die untersuchten Suszeptibilitätsgene jeweils auch an der Ausprägung anderer psychopathologischer Merkmale bzw. Krankheiten beteiligt sein können (genetische Pleiotropie). Beispielsweise wird das Serotonintransporter-Promotorgen nicht nur mit ADHS, sondern auch im Zusammenhang mit Persönlichkeitseigenschaften wie Neurotizismus, depressiven Störungen, Suizidalität und anderen psychiatrischen Phänotypen diskutiert. Die Definition und Erfassung des untersuchten Phänotyps hat daher wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse von Assoziationsstudien. Bei forensischen Probanden wurde beispielsweise eine Assoziation des SerotonintransporterPromotorgen-Polymorphismus mit ADHS nur bei solchen Probanden gefunden, die nicht durch gewalttätiges Verhalten aufgefallen waren (Retz et al. 2004a). Analog hierzu fanden Seeger et al. (2002), dass eine Assoziati-
8.5 · Komorbidität von ADHS
145
8
on dieses Polymorphismus weniger deutlich bei Probanden mit einem hyperkinetischen Syndrom des Sozialverhaltens (F90.1) ausfiel, im Vergleich zu Probanden mit einer einfachen ADHS (F90.0). Ein weiteres Beispiel sind Untersuchungen zur Assoziation des Dopamin-D3-Rezeptor-Polymorphismus, bei denen sich zunächst weder in forensischen noch in Allgemeinpopulationen Zusammenhänge mit dem ADHS-Phänotyp finden ließen (Barr et al. 2000; Muglia et al. 2002, Retz et al. 2003). Allerdings ergab sich ein signifikanter Zusammenhang, wenn man in der forensischen Stichprobe zusätzlich aggressives Verhalten berücksichtigte (Retz et al. 2003). Für die forensische Psychiatrie sind diese molekulargenetischen Befunde deshalb von Bedeutung, weil sie zum einen den Einfluss genetischer Faktoren für die Entstehung sozial unangepasster, impulsiver und aggressiver Verhaltensmuster erhellen und zum anderen dazu beitragen, die hohe Komorbidität von ADHS mit Störungen des Sozialverhaltens und anderen psychiatrischen Störungen besser zu verstehen. ! Man muss davon ausgehen, dass die ADHS eine genetisch heterogene Erkrankung ist und es eine Reihe genetischer Subtypen gibt, von denen die hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens unter forensischen Gesichtspunkten von speziellem Interesse ist.
Nach den Vorstellungen von Comings (2001) lassen sich Komorbidität und Existenz von ADHS-Subtypen am einfachsten mit einem polygenetischen Krankheitsmodell erklären. Demnach tragen störungsspezifische, vor allem aber zahlreiche auch an anderen Phänotypen beteiligte Gene, die jeweils für sich genommen nur einen kleinen Anteil der Symptomvarianz aufklären, zum Phänotyp bei, wie dies in . Abb. 8.1 am Beispiel von ADHS und Störungen des Sozialverhaltens verdeutlicht wird. Dieses Modell wird durch unterschiedliche sozialpsychologische und sozialpsychiatrische Faktoren ergänzt, die über die Ausprägung unterschiedlicher klinischer Erscheinungsformen mit entscheiden.
146
1
Kapitel 8 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
Spezifische Umweltfaktoren
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Unspezifische Umweltfaktoren Gene für ADHS Gene für ADHS und Störungen des Sozialverhaltens
13
Gene für Störungen des Sozialverhaltens
14
Gene für ADHS und Störungen des Sozialverhaltens Gene für ADHS und andere genetisch determinierte Störungen
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. Abb. 8.1. Polygenetisches Modell der ADHS und komorbider Störungen; dargestellt sind genetische und Umweltfaktoren, die auf die Ausprägung von ADHS und komorbide Störungen (z. B. Störungen des Sozialverhaltens) gemeinsam oder getrennt Einfluss nehmen
8.6 · Schlussfolgerungen und Zusammenfassung
8.6
147
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Schlussfolgerungen und Zusammenfassung
ADHS ist eine Erkrankung, die sich im Kindesalter manifestiert und die in ihrem Verlauf außerordentlich häufig von sozialen Anpassungsstörungen begleitet wird. Diese führen häufig dazu, dass bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen auch eine Störung des Sozialverhaltens zu diagnostizieren ist, wobei sich die diagnostischen Kriterien sehr stark an beobachtbaren delinquenten, prädelinquenten und aggressiv-destruktiven Verhaltensmustern orientieren. Diese sind auch für die im Erwachsenenalter zu stellende Diagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung ausschlaggebend und können mit Eintritt in die Strafmündigkeit mit Vollendung des 14. Lebensjahres auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Insofern handelt es sich bei den Störungen des Sozialverhaltens, den dissozialen Persönlichkeitsstörungen und dem Konstrukt Delinquenz um keine voneinander unabhängigen Konzepte. Auch unter biologischen Gesichtspunkten, die sich vor allem auf die in den letzten Jahren gewonnenen formal- und molekulargenetische Befunde stützen, ist anzunehmen, dass es sich bei ADHS und komorbiden Störungen des Sozialverhaltens möglicherweise nicht um zwei grundsätzlich unabhängige Erkrankungen handelt, sondern um unterschiedliche Ausprägungsvarianten der gleichen Grundstörung, über die neben der genetischen Ausstattung auch sozialpsychologische und sozialpsychiatrische Faktoren in den Familien und Peergroups der Betroffenen entscheiden. ! Bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS scheint es sich um eine spezielle Risikopopulation zu handeln, der nicht nur unter allgemeinen psychiatrischen, sondern auch unter kriminalpräventiven Gesichtspunkten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.
Dies trifft insbesondere auch für junge Straftäter zu, die besonders häufig mit ADHS und komorbiden Störungen belastet sind. Diese Überlegungen sind deshalb von Bedeutung, da für die Behandlung von ADHS und komorbider Störungen effektive psychotherapeutische und psychopharmakologische Therapieoptionen zur Verfügung stehen.
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Kapitel 8 · Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter
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Sachverzeichnis
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Sachverzeichnis
A abhängig 106 Achtsamkeitstraining 71 A-Cluster 89 ADD-Scales 36 ADHS-Prävalenz 26 Adoptionsstudien 3 Adult ADHD Rating Scales 36 Algorithmen 83 Alkohol 2, 106, 117 Alkoholabhängigkeit 104 Amine, biogene 4 Amphetamine 44, 45, 57, 111, 121 Antidepressiva 44, 45, 58, 123 Antipsychotika 45 Arbeitsgedächtnis 5, 6 Aripiprazol 123 Asperger-Syndrom 53 Assoziationsstudien 136, 144 Ätiopathogenese 135 Atomoxetin 58, 59, 123 Aufmerksamkeitstests 6 Ausbildung 38, 68 Auslassungsfehler 6
B Basismodule 64 Basissymptome 64 B-Cluster 89 Belohnungssystem 111 Beruf 37, 65, 137
C Cannabis 106, 107, 111, 112, 117 C-Cluster 90 CCT 136 Charakterfaktoren 85 Checklisten 27 Cluster B 119
Cluster C 119 Compliance 54 Craving 111, 113, 122, 123
D Desensibilisierung 3 Defekt, moralischer V Diagnostische Kriterien 31 Dialektisch Behaviorale Therapie 68, 69 Diät 3 Differenzialdiagnose 40, 41 Dopamin 4, 7, 57, 100, 110, 113 Dopaminrezeptor 4, 109 Dopaminsystem 3, 110 Dopamintransporter 12, 109 Drogenabhängigkeit 108 Drogenprobleme 107 DSM-IV 22 Duloxetin 123
E Ecstasy 108 EEG 8, 136 Elternbeurteilungsbogen 36 Enkopresis 53 Enuresis 53 Epilepsien 53 Erwachsenenalter 30 Euphorierisiko 122 Evozierte Potenziale 8
F Familienuntersuchungen 3 Feinmotorik 37 fMRI 136 FPI-R 94 Freezing 70 Freizeit 137
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Sachverzeichnis
Frontalhirn 2 Funktionen, exekutive
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G Geburtsgewicht 2 Genetik 3, 144 Genotyp 23 Genpolymorphismen 109 Geschlechterverhältnis 23 Geschlechtsdifferenzen 25 Gruppenbehandlung 46 Gruppentherapie 67, 71
H Halluzinogene 106, 108 Hirnschädigung, frühkindliche V Hirnvolumen 9 Hyperaktivität 32 Hyperaktivitätssymptome 22
I ICD-10 22 Impulsivität 32 Impulsivitätssymptome 22
K Kandidatengene 3, 109, 144 Kernspintomographie 9 Klassifikation, multiaxiale 23 Kokain 106, 108, 111, 112, 121 Komorbidität 40, 53, 82, 106, 119, 123, 141, 145 Konkordanzraten 3 Koppelungsuntersuchung 135 Kortex – präfrontaler 4, 6 – frontaler 190
A–O
L Lebensalter 25 Lernstörungen 53 Lifestyle VI Liquorstudien 7
M Marker, biologischer 2 MCD 2 Medikamente 55, 73 Methylphenidat VI, 43, 45, 57, 58, 59, 60, 87, 99, 112, 120, 124 Mirtazapin 123 Mischtyp 87, 99, 105 Mischtypus 22, 26, 33 MMPI-2 92 Moclobemid 123 Module 70 MRI 136
N Nahrungsmittelzusätze 3 Nikotinmissbrauch 39 Nikotinpflaster 123 Noradrenalin 4, 7, 57, 100 Novelty Seeking 104, 105, 109, 112, 113, 118
O Off-Label-Use 58, 67 Opiate 108, 117 Opioide 106, 111, 112
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P P 300 8 Parents Rating Scale 35 Partnerschaft 37 Pemolin 58 Persönlichkeit 83, 84, 86 Persönlichkeitsfaktoren 85 Persönlichkeitsfragebogen 86 Persönlichkeitsprofile 85 Persönlichkeitsstörungen 2, 83, 88, 89, 99, 142 Pervasivität 50 PET 136 PET-Untersuchungen 10 Phänotyp 23 Pharmakotherapie 42 Polygenetisches Modell 146 POS 2 Prävalenz V, 24, 27, 30, 51, 134, 138, 139 Pemolin 59 Prototypen 83, 84 PSSI 96 Psychotherapie 45, 67, 123 – integrative 65
R Reboxetin 123 Ressourcen 66 Retardpräparate 122 Risikofaktoren 2 Risikopopulation 147
S Schule 38, 65, 137 Schwellenwerte 26 SCL-90-R 91 Segregationsanalyse 3 Selbsthilfegruppe 74, 87
Selbstmedikation 115 Selbstmedikationsversuch 82 Selbstverletzungen 70 Sensation Seeking 104, 105 Sequenzanalyse 4 Serotonin 7, 111 Sedativa 106 Sexualstraftäter 140 Spannungsregulierung 69 SPECT 11, 13 Stimulanzien 44, 45, 57, 106 Straßenverkehr 137 Substanzmissbrauch 53 Sucht 74, 104, 106 Suchtentwicklung 116 Suizidalität 70 System, limbisches 5
T Tabakabhängigkeit 106, 108 TCI 118 Teilleistungsstörungen 53 Temperament V Temperamentsfaktoren 85 Therapieempfehlungen 56 Therapiestudien 54 Therapiezufriedenheit 77 Tics 53 Tourette-Syndrom 3 Typologie bei Alkoholabhängigkeit 104, 105 Typus – hyperaktiv-impulsiver 22 – unaufmerksamer 22
U Umweltfaktoren 146 Unart, neurotische V Unaufmerksamkeit 31 Unaufmerksamkeitssymptome 22 Utah Rating Scale 34
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Sachverzeichnis
V Venlafaxin 44, 123 Verfahren, bildgebende 8 Verhaltenstherapie 68 Verkehrsunfälle 137 Verstärkungssystem, dopaminerges 111, 115
W Wender Utah Rating Scale WURS-k 33
33
Z Zappelphilipp-Syndrom V Zigarettenrauchen 2 Zwangstörungen 53 Zwillinge – heterozygote 3 – monozygote 3 Zwillingsstudien 3 Zwillingsuntersuchung 144
P–Z