GORDON BLACK Band 6
Im Kabinett des Teufels von Norman Thackery
Für zwanzig Bauern und die Seele eines Ritters ließ e...
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GORDON BLACK Band 6
Im Kabinett des Teufels von Norman Thackery
Für zwanzig Bauern und die Seele eines Ritters ließ er seine höllische Heerschar antreten und baute ein Schloß in ganz kurzer Zeit. Doch als die Zeit gekommen war, da er seinen Pakt mit dem Ritter einlösen wollte, merkte er, daß er der Betrogene war. Über siebenhundert Jahre wartete er auf seine Stunde. Und dann schlug er zu. Wahllos, gnadenlos. Niemand sollte behaupten können, es sei ein Kinderspiel, den Teufel um seinen Lohn zu prellen…
Düster und drohend ragten die uralten Bäume an der Chaussee in den Nachthimmel. Zerrissenes Gewölk jagte vor dem Mond dahin und erdrückte das silbrige Licht, das sich für Augenblicke über das Land ergoß. »Jetzt!« wisperte Paddie Mulligan. »Er kommt! Hören Sie ihn?« Sein Kopf auf dem mageren faltigen Hals ruckte aus dem hochgestellten Mantelkragen, sein Gesicht wandte sich der Chaussee zu. »Hoffentlich«, sagte Gordon Black. »Ich hole mir nicht gern für nichts und wieder nichts noch mal einen kalten Hintern!« Paddie Mulligan schnaubte entsetzt und schockiert auf diese frivole Äußerung. »Man weiß nie genau, wann er kommt. Aber heute ist seine
Nacht. Da – der Wind dreht wieder – jetzt kann ich ihn ganz deutlich hören! Sie auch?« Das einzige Geräusch, das Gordon Black hörte, war ein eigentümliches Knattern. Als würde ein Kind an einem Zaun entlanglaufen und einen Stock über die Staketen rattern lassen. Bloß kam es nicht von der dunklen Chaussee drüben, sondern aus der unmittelbaren Nähe. Es rührte von Paddie Mulligans aufeinanderschlagenden Zähnen her! So viel Angst kann gar kein Mensch haben, wie er mit den Zähnen klappert! dachte Gordon Black belustigt. Der Spott verging ihm schnell. Denn nun hörte er ebenfalls dieses Hufgeklapper, wie es ihm Paddie Mulligan geschildert hatte und weswegen er sich die zweite kalte und sturmgepeitschte Nacht um die Ohren schlug. Daß der verschrumpelte Paddie getreulich mit von der Partie war, gereichte ihm nur zum schwachen Trost. Immerhin war die gestrige Nacht, die sie schon hier draußen an der Chaussee verbracht hatten, ereignislos verlaufen. Außer einer feuchten Nase und einem Schnupfen war nämlich nichts Handfestes dabei herausgekommen. Aber jetzt schien es soweit zu sein. Der Hufschlag näherte sich unglaublich schnell. Gordon Black spürte, wie sein Magen Knoten bekam. So flink konnte ein Pferd niemals die Beine werfen. Erst recht nicht in stockdunkler Nacht auf der alten miserablen Landstraße von Langloan nach Fenwick. Das war wirklich ungewöhnlich. In diesem Punkt hatte Paddie Mulligan unbedingt recht. Jetzt hörte der Geisterjäger auch das Rattern der eisenbeschlagenen Räder. Es unterschied sich doch erheblich von Mulligans Zähneklappern. Und dann tauchte er auf – der Geist, der seit Wochen die Gegend beunruhigte und weswegen Gordon Black die weite
Reise und eine Menge Unbequemlichkeiten auf sich genommen hatte. Ein Pferd schälte sich aus den schwarzen Umrissen der Chausseebäume. Rötlich glühten seine Augen, schnaubend ging sein Atem. Das Pferd riß eine Kutsche hinter sich her, deren Räder ein scharfes Klirren und Rattern aus dem Schotterbelag der Straße hämmerten, obgleich die Räder den Boden gar nicht zu berühren schienen. Auf dem Bock der Kutsche saß eine grausige Gestalt und schwang die Peitsche. Der Wagenlenker hatte nämlich keinen Kopf. Paddie Mulligan stieß einen seltsam kläglichen quiekenden Ton aus. Dann tauchte er einfach auf die feuchte Erde hinab, als könnte er den gespenstischen Anblick nicht länger ertragen. Gordon Black wurde es auch etwas mulmig unter dem Hemd. Denn das Pferd warf plötzlich scheuend den Kopf hoch, als hätte es die Menschenwitterung in die Nüstern bekommen. Es stieß ein trompetendes Wiehern aus, das schaurig durch die Nacht gellte. Der Sturm brauste augenblicklich heftiger, der Kutscher machte auf dem Bock eine Bewegung, als wollte er sich dem Geisterjäger zuwenden, der in der Dunkelheit stand und dem unheimlichen Schauspiel beiwohnte. Hinter dem Kutscher leuchtete eine Wolke silbrig im Mondlicht auf. Gordon Black beobachtete voller Konzentration. Er konnte ja nicht ausschließen, daß sich jemand einen faulen Trick ausgedacht hatte, hier einen Geisterspuk inszenierte und der Mann ohne Kopf bloß eine optische Gaukelei war. Aber der Unheimliche war tatsächlich ohne seinen Kopf auf die nächtliche Reise gegangen!
Die Proportionen des Oberkörpers stimmten, die Arme saßen dort, wo sie sitzen mußten. Und sie bewegten sich! Das war kein Trick! Das war grausige Wirklichkeit! Und obwohl ohne Kopf, schien der Kutscher genau zu wissen, wo der neugierige Mensch in der Dunkelheit stand. Er schwang die Peitsche, holte aus und ließ die Schnur in Gordon Blacks Richtung fliegen. Der Geisterjäger war bisher nicht mit sehr großem Ernst an den Fall des kopflosen Kutschers und seines gespenstischen Pferdes herangegangen. Deswegen war er aber noch lange nicht leichtsinnig. Ein silbernes Kruzifix hatte er dabei. Auch sein Athame, den Hexendolch an der roten Schnur. Bloß kam er an den Dolch in der Kürze nicht mehr heran. Deshalb riß er das Kruzifix heraus und hielt es mit beiden Händen schützend vor sich. Der Kutscher ohne Kopf schoß vom Bock hoch, das Geisterpferd wieherte entsetzt. Aber die Peitschenschnur pfiff durch die Luft, lauter als der brausende Sturm. Schnur und Kruzifix berührten sich. Ein blendend heller Blitz zuckte auf und machte die Nacht im Umkreis von hundert Schritten fast zum Tag. Eine unbekannte Kraft rüttelte am Kruzifix und drohte es dem Geisterjäger zu entwinden. Mit aller Macht hielt Gordon Black es fest. Mit zusammengebissenen Zähnen ertrug er die Schläge, die wie elektrische Entladungen in seine Hände und weiter in seinen Körper zuckten. Noch einmal schlug ein greller Blitz aus Peitschenschnur und Kruzifix. Angestrengt schaute der Geisterjäger an seiner bescheidenen Abwehrwaffe vorbei, um nicht geblendet zu werden. Mehr zufällig fiel sein Blick in die Kutsche. Um ein Haar ließ er das Kruzifix los, das im Moment sein
einziger Schutz war, so sehr erschrak er. Aus der geschwungenen Tür der Kutsche ragte ein Pferdefuß! Unten mit einem Huf und weiter hinauf dick mit zotteligem Haar behängt. Der Blitz erlosch, und Kutsche samt Pferdefuß sanken in die Schwärze der Nacht zurück. Der Kutscher schwang wieder den rechten Arm und riß die Peitsche zurück. Mit einem wilden Hieb trieb er das Geisterpferd an und stemmte sich gegen das Geländer des Kutschbocks. Gordon Black stand wie erstarrt und hielt noch immer das Kruzifix vor sich gereckt In seinem Kopf ging es wüst her. Die Kutsche hatte einen Passagier. Das hatte er selber gesehen. Überhaupt war es eine Kutsche, die es nicht mal mehr im Museum hinterm Buckingham-Palast gab. So alt schätzte er sie ein. Der komische schwarze Kasten sauste an ihm vorbei. Und plötzlich roch es brenzlig. Gordon Black erwachte aus seiner Erstarrung und schnupperte. Ganz deutlich hing in der kühlen feuchten Nachtluft der Gestank von Schwefel und Pech! Ein heulender Sturmstoß wirbelte den Gestank auseinander und riß ihn mit sich. Der Pferdefüßige war in der Kutsche! Lieber Himmel, dachte Gordon Black, laß es nicht wahr sein! *** Paddie Mulligan hatte garantiert nicht viel mitbekommen. Die beiden Lichtblitze, ja. Aber ansonsten hatte er das
Gesicht lieber in die Erde gedrückt. Dort lag er immer noch und wimmerte, als sei sein letztes Stündlein gekommen. Der alte, etwas gnomenhaft aussehende Knabe tat dem Geisterjäger fast leid. Mut war bestimmt nicht seine herausragende Eigenschaft. Aber dazu war Mulligan als Bürovorsteher, Sekretär und Faktotum der altehrwürdigen englischen Anwaltskanzlei Lovelock & Sillian in Langloan schließlich auch nicht verpflichtet. »Der Kerl ist fort, Sie können aufstehen!« sagte Gordon Black. Paddie Mulligan gab nur ein Wimmern von sich. Also bückte sich der Geisterjäger und rüttelte den verhutzelten Mann an der Schulter. Das hätte er besser nicht getan. Mulligan stieß einen kreischenden Schrei aus. Und dann stammelte er: »Bitte – nicht mitnehmen – ich will auch alles tun – nicht mitnehmen – bitte –« »Kommen Sie zu sich!« fuhr Gordon Black den Mann scharf an. »Es ist nichts passiert – wir leben noch! Wohin mitnehmen? Und was würden Sie tun?« Der Geisterjäger hatte plötzlich die Eingebung, daß Mulligan ein ganzes Ende mehr wußte, als er und der alte Lovelock bisher über die geisterhafte Erscheinung erzählt hatten. »Aber das helle Licht?« Mulligan hatte immer noch äußerste Bedenken. Dann dämmerte ihm, daß wohl wirklich nicht viel passiert sein konnte, wo doch der berühmte Geisterjäger, dessen Vorfahren in Schottland und England gelebt hatten, gesund und unbeschädigt neben ihm in der sturmgepeitschten Nacht stand. Er stand mühsam und ächzend auf und säuberte mehr symbolisch Knie und Ellbogen von der anhaftenden Erde. »Gar nichts würde ich tun!« stieß er plötzlich ziemlich giftig hervor. »Ich habe das nur so gesagt.« »Ich denke, Sie lügen!« erwiderte Gordon Black gelassen.
»Hat der Kerl ohne Kopf schon mal gedroht, jemanden mitzunehmen?« Seine Frage erschien ihm einigermaßen grotesk. Wie konnte jemand reden, der keinen Kopf hatte? Selbst bei einem Geist stieß ein solches Unterfangen auf unüberwindliche Hindernisse. »Gar nichts sage ich!« versetzte Paddie Mulligan trotzig. Die Gefahr war vorbei, er kehrte wieder den knorrigen und wenig umgänglichen Menschen heraus. Der brausende Sturm, der in den Chausseebäumen plünderte und Äste und Blätter herunterwarf, legte eine Atempause ein. Ganz schwach hörte Gordon Black aus der Nacht noch einmal das Rattern der Kutschenräder und den Hufschlag. Aber nicht aus Richtung der Chaussee, die dem fernen Fenwick zuführte, sondern aus den Hügeln im Osten. Der Kutscher ohne Kopf hatte die liederliche Landstraße verlassen und sauste mit seinem unheimlichen Fahrgast einem nicht erkennbaren Ziel zu. Ganz offensichtlich zweigte dort ein befestigter Feldweg von der Chaussee ab und führte durch die Äcker dahin. Paddie Mulligan hörte das ferne Geräusch auch und wurde rasch wieder ziemlich kleinlaut. »Was liegt dort in den Hügeln?« fragte Gordon Black. »Nichts«, sagte Mulligan so flink, als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet. »Und ich will es auch gar nicht wissen. Ich habe Ihnen die – die Sache gezeigt, und jetzt möchte ich nichts mehr damit zu tun haben.« Die Sache – das war der kopflose Geist, der es liebte, nächtliche Kutschenfahrten zu veranstalten. Dafür, daß in den Hügeln nichts sein sollte, war Paddie Mulligan für Gordon Blacks Geschmack etwas zu kurz angebunden. Sein Gefühl sagte ihm, daß er aus dem Mann nichts herausbrachte. Mulligan wollte sich nicht das Maul
verbrennen. Und er hatte Angst. Aber nicht vor ihm. Der Mond sandte mal wieder sein Licht durch ein Wolkenloch. Mulligan sah in den Händen des Geisterjägers einen matt schimmernden Gegenstand. Seine Neugierde überwog seine Furcht vor dem gespenstischen Spuk. »Haben Sie damit das helle Licht gemacht? Was ist es?« »Nur ein Kruzifix«, erklärte Gordon Black und steckte das silberne Kreuz ein. Mulligan bekam Oberwasser. »Geholfen hat es aber nicht«, stellte er fest, und es klang gerade so, als empfinde er Schadenfreude. »Oder ist er etwa umgekehrt?« »Zur Umkehr wollte ich ihn gar nicht zwingen, das lag nicht in meiner Absicht. Ich habe mich lediglich geschützt. Er hat mit der Peitsche nach mir geschlagen.« Paddie Mulligan wiegte den Kopf, als könnte er es nicht glauben. Dann fuhr er fort, an Gordon Black herumzukritisieren: »Sie hätten sich auch was Gescheiteres einfallen lassen können, meine ich! Irgendeinen wirkungsvollen Hokuspokus, damit wir den Kerl endlich vom Hals haben.« »Dazu hat mich Mister Lovelock nicht engagiert!« verwahrte sich Gordon Black und schneuzte umständlich ins Taschentuch. »In erster Linie soll ich das Schicksal der verschwundenen Personen aufklären.« »Weiß ich alles!« brabbelte Mulligan. »Es ist aber gar nicht sicher, ob das Verschwinden der Leute mit dem Auftauchen der Kutsche in einem Zusammenhang steht. Es wird bloß allgemein angenommen.« »Sie hängen auch diesem Glauben an – wenn ich Ihre Äußerung vorhin richtig deute«, versetzte Gordon Black. Mulligan brummte unfreundlich. Es mißfiel ihm, an dieses Eingeständnis von Schwäche erinnert zu werden. Krampfhaft
suchte er nach einer Möglichkeit, sich an dem Anwalt und Geisterjäger zu reiben. »Ihr Vater soll ja, was Geister und Gespenster betraf, allerhand auf dem Kasten gehabt haben. Sagt Mister Lovelock. Na, viel scheinen Sie nicht geerbt zu haben. Der Kutscher hat nicht mal angehalten. Einfach weitergefahren ist er. Das hätte ich Ihnen gleich sagen können. Es ist nicht damit getan, ihm ein Kruzifix unter die Nase zu halten. Kruzifix – ha!« Er brachte wahrhaftig ein galliges Lachen zustande. »Damit hat es auch der alte Pfarrer aus Fenwick versucht, und der war auf diesem Gebiet Experte.« Gordon Black wurde hellhörig. Jede noch so winzig erscheinende Information erschien ihm wichtig, um das Geheimnis der Geisterkutsche aufzuhellen. Mit Einzelheiten war Todd Lovelock, der greise Anwalt und Jugendfreund seines Vaters, recht zurückhaltend verfahren. Bisher jedenfalls. Und in den spärlichen Erklärungen war ein Pfarrer aus Fenwick nicht vorgekommen. Zudem wurde ihm mit bestürzender Deutlichkeit bewußt, daß Paddie Mulligan nur von dem Kutscher ohne Kopf sprach! Mit anderen Worten hatte er keine Ahnung, welcher gruselige Fahrgast in der Kutsche mitreiste. Der alte Lovelock schien nicht weniger unwissend zu sein. Und offensichtlich waren auch die Bewohner von Langloan und der weiteren Umgebung ahnungslos. Sie redeten nur über die Geisterkutsche und den schrecklichen Kutscher ohne Kopf, der seit Wochen sein Unwesen in der Gegend trieb. Seit dem Auftauchen der Kutsche waren elf Menschen auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Selbst die Polizei der Grafschaft Northumberland hatte keine Spur von ihnen entdecken können und führte sie in der Vermißtenliste. Wie Mulligan es kraß ausgesprochen hatte – es ließ sich kein Zusammenhang mit der Kutsche herstellen. Eine unwiderlegbare Tatsache war indes aber auch, daß die
Leute erst nach und nach verschwunden waren, und zwar, seit man die Geisterkutsche sichtete. Die Vorkommnisse umfaßten nunmehr einen Zeitraum von zehn Wochen. Als der Bittbrief mit den geschraubten Redewendungen von Todd Lovelock in New York angekommen war, hatte Gordon Black keine große Neigung verspürt, mit seiner Mitarbeiterin Hanako nach England zu reisen und den Fall zu übernehmen! Stutzig und neugierig hatte ihn erst die großzügige finanzielle Entschädigung gemacht, die Lovelock anbot. Gemeinhin hatte ein englischer Anwalt nicht Geld wie Heu, das er obendrein noch zum Fenster hinauswerfen konnte. Also hatte Gordon haarscharf geschlossen, daß an der Sache was dran sein mußte. In jedem Falle mehr, als Lovelock in seinen Zeilen verraten hatte. Es hätte gar nicht der Erwähnung der Freundschaft Lovelocks mit seinem Vater bedurft, um ihn zu der Reise nach England zu bewegen. Der Name Lovelock war ihm geläufig. Die beiden hatten die Jugend hoch oben in Schottland verlebt. Dann hatten sich ihre Wege getrennt. Der eine war mit seiner jungen Familie nach Amerika ausgewandert und hatte seinen guten schottischen Namen Blackinverness zu Black verkürzt, weil den die ungehobelten und maulfaulen Amerikaner leichter behalten und besser aussprechen konnten. Und Lovelock war schließlich in das Anwaltsbüro der Gebrüder Sillian in Langloan eingetreten, hatte die einzige Tochter des jüngeren Sillian zum Weib genommen und hatte die Genugtuung, daß »Lovelock and Sillian« bald einen achtbaren Ruf genoß. Von den Sillians war inzwischen niemand mehr am Leben. Todd Lovelock hatte sogar seine Frau überlebt. Aber noch immer hieß das Büro Lovelock und Sillian und befaßte sich überwiegend mit der Verwaltung und Treuhandschaft von großen und kleinen Vermögen.
Für gespenstische Erscheinungen allerdings war es nicht zuständig. Und genau das war der Widerspruch, über den Gordon Black gestolpert war. Erstens gab es in England selber ausgezeichnete Geisterjäger und Dämonenbanner. Und warum sollte zweitens Lovelock Geld ausgeben für eine gespenstische Erscheinung, die ihn nicht betraf? Er hatte keinen Angehörigen verloren. Für den ersten Punkt hatte Gordon zwei Erklärungen. Entweder war den englischen Geisterjägern das Unternehmen zu gefährlich, oder Lovelock hatte sich einfach der Fähigkeiten seines Vaters besonnen und angenommen, sie seien auf den Sohn übergegangen, was in gewissem Sinne auch zutraf. Bloß hatte Gordon sie nicht ererbt, sondern hart erarbeitet. Und beim zweiten Punkt war er sicher, daß der alte Lovelock im Auftrag eines Klienten handelte und dessen Geld als Belohnung und Prämie aussetzte. Dem unbekannten Geldgeber im Hintergrund schien es auf ein paar Scheine mehr oder weniger nicht anzukommen. Denn anstandslos waren auch die Kosten für Hanako übernommen worden. Todd Lovelock wäre das nicht im Traum eingefallen. Sein Geiz war in der ganzen Gegend sprichwörtlich. Gordon Black wurde in seinen Überlegungen unterbrochen, weil der verschrumpelte Mulligan vor ihn hintrat. »Wir können doch jetzt gehen, oder? Ich hoffe, Sie haben genug gesehen. Es ist eine verdammt feuchte Nacht für einen alten Mann.« Der Geisterjäger lauschte. Von der Kutsche war nichts mehr zu hören. Nur das Rauschen des auflebenden Windes kam aus den Bäumen, und vereinzelt fielen dürre Äste herab. Statt nach Langloan zurückzukehren, wäre Gordon viel lieber der Geisterkutsche gefolgt. Mit Mulligan als Begleiter war das allerdings ein Ding der Unmöglichkeit.
Er ärgerte sich, weil er sich von Lovelock und Mulligan hatte beschwatzen lassen, auf einen Mietwagen zu verzichten. Ein Auto wäre jetzt von größtem Vorteil gewesen. Allein schon wegen der Verfolgung der Kutsche. Aber Lovelock hatte ihn eindringlich darauf hingewiesen, daß die Geisterkutsche nicht in Erscheinung trat, sobald jemand mit einem Auto aufkreuzte. Diese Erfahrung hätte die Grafschaftspolizei, die natürlich auch von dem Spuk gehört hatte, bis zum letzten Tag ihrer Ermittlungen gemacht. »Sie haben ja recht, es ist wirklich eine verdammt feuchte Nacht«, stimmte Gordon Black zu. Er knipste das Feuerzeug an und las auf der Armbanduhr die Zeit ab. Es war erst wenige Minuten nach zehn Uhr. Die Geisterkutsche war zu einer höchst unüblichen Zeit erschienen. In einem Anflug von Sarkasmus überlegte er, daß Geisterkutschen und überhaupt Geister gefälligst zwischen Mitternacht und der ersten Stunde des neuen Tages zu erscheinen hatten. Zumindest ging der Volksmund davon aus. Die wenigsten Geister schienen das aber zu wissen. Sie hielten sich nicht daran. Sie zeigten sich, wann es ihnen paßte oder für ihre Absichten nützlich war. Paddie Mulligan hüstelte und marschierte mit einer Entschlossenheit los, die ausdrückte, daß es ihm herzlich gleichgültig war, ob der Geisterjäger aus New York mit ihm kam oder nicht. Die alte Chaussee zwischen Langloan und Fenwick war ihm unheimlich, er wollte fort. Gordon Black holte ihn mit wenigen Schritten ein. Der Geisterjäger machte Pläne für den kommenden Tag. Jetzt in der Dunkelheit kam er nicht weiter. Er mußte sich in der Gegend umsehen, wenn es hell war. Ganz besonders interessierte ihn, wohin der Feldweg führte.
Und warum Mulligan wie aus der Pistole geschossen eine Antwort parat gehabt hatte. Mit Hanako hätte er auf der Stelle einen Fußmarsch angetreten. Die war unerschrocken und zu einem solchen Unternehmen zu gebrauchen. Weil er jedoch durch persönlichen Augenschein erst mal hatte herausfinden wollen, ob es sich bei der Erscheinung tatsächlich um eine Geisterkutsche handelte, hatte er Hanako im »Wappen von Langloan« zurückgelassen. In diesem altehrwürdigen englischen Gasthof mit den schiefen Wänden und den dunklen Holzbalken unter jeder Decke hatten sie Quartier genommen. Der Gasthof war zugleich die einzige hotelähnliche Unterkunft im Umkreis von zwanzig Meilen. Schon die Polizeitruppe, die die Grafschaftsbehörden geschickt hatten, war hier Gast gewesen. Gordon war es gleichgültig, wo er sich zur Ruhe bettete, solange Todd Lovelock die Kosten übernahm. Der Gedanke an das »Wappen von Langloan« allein wärmte schon die eiskalten Füße des Geisterjägers und seine nicht minder in Mitleidenschaft gezogene Nase. Die Inhaberin, Mrs. Edna Scanlan, verstand nämlich einen Tee zu bereiten, wie ihn Gordon vortrefflicher noch nirgendwo bekommen hatte. Allein dieser Umstand söhnte ihn mit dem knurrigen Wesen der breithüftigen Frau aus. Auch damit, daß sie eine fast feindselige Haltung gegen Hanako einnahm. Gottlob war seine Mitarbeiterin über derartige Kleinlichkeiten erhaben. Jäh wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als Paddie Mulligan einen hellen Schreckensschrei ausstieß. Auf einem Hügel nahe bei der alten Landstraße stand eine Menschengestalt. Sie hob sich deutlich vom Nachthimmel mit den hellen Wolkenfetzen ab.
Der Wind blähte einen weiten Umhang und zerrte dann an ihm. *** Gordon Black hatte Mühe, Mulligan abzuwehren, der zähneklappernd Halt an ihm suchte und ihm mit erstaunlicher Kraft die mageren Finger in den rechten Oberarm bohrte. »Da – da ist ja – noch einer!« krächzte der alte Mann entsetzt. »Immerhin hat der seinen Kopf noch drauf«, meinte Gordon Black sachlich. Er versuchte, Einzelheiten auszumachen. Aber die Sichtverhältnisse waren so miserabel wie die Straße. Die Gestalt winkte. Es war eine auffordernde Geste. Und die galt ihnen. Sonst war ja niemand unterwegs. Eine reife Leistung, daß der Bursche unsere Schritte gegen den noch recht kräftigen Wind gehört hat, überlegte Gordon Black. Die winkende Gestalt machte eigentlich einen harmlosen Eindruck. So ganz traute Gordon Black dem Frieden allerdings nicht. Wenn es ein Bürger von Langloan war oder ein Bewohner von einem der Gehöfte in der Umgebung, warum stand der Mensch dann nicht auf der Landstraße, sondern hatte sich auf dem Hügel postiert? Hatte er etwa auch die Vorbeifahrt der Geisterkutsche mit dem Fahrer ohne Kopf beobachtet? »Reißen Sie mir nicht den Arm ab, ich brauche ihn noch!« fuhr Gordon den schreckhaften Mulligan an. »Der Mann will etwas von uns, er winkt.« Mulligan war vor Angst fast von Sinnen. Er verstand die Worte des Geisterjägers so, daß sie zu dem Kerl auf dem Hügel hinübergehen würden. In seiner namenlosen Furcht tat er einen bemerkenswert
logischen Ausspruch: »Der hat es zu uns herunter genauso weit wie wir zu ihm hinauf. Gehen Sie nicht, Mister Black! Das ist ein Gespenst!« Als hätte die Gestalt die Worte genau verstanden, hielt sie in der winkenden Geste inne. Der hocherhobene Arm erstarrte. Dann krümmte er sich. Gordon Black zog es die Haut zwischen den Schulterblättern zusammen, als er im durchbrechenden Mondlicht sah, daß der Arm in einer Krallenhand endete. Außerdem war er dick behaart. Es sah fast nach Fell aus. Dann glühten zwei Augen in rötlichem Feuer auf. Genau wie bei dem Pferd vor der Geisterkutsche. Für Paddie Mulligan war das zuviel. Er brachte sich hinter Gordon Black in Deckung. Und er bibberte ganz erbärmlich. Der Geisterjäger gestand sich ein, daß er der winkenden Gestalt fast auf den Leim gegangen wäre. Mit der lockenden Armbewegung war eine Absicht verbunden. Keine gute, wie er vermutete. Die roten Augen glommen dämonisch. Helles Licht entstand um die Gestalt auf dem Hügel herum. Der Umhang vollführte im Wind Bewegungen wie riesige Fledermausflügel. Ein dumpfes Rumoren ließ sich hören. Es schien direkt aus der Erde zu kommen. Gordon Black wußte Bescheid. Das war kein Mensch. Auf dem Hügel stand ein Diener und Bote Satans! Ein teuflisches Wesen, das im Gefolge des Fürsten der Hölle mitzog! Daß es seinen Platz auf dem Hügel hatte, ließ auf ein Wächteramt schließen. Gordon Black überlegte nicht lange. Paddie Mulligan war so mit seinem Entsetzen beschäftigt, daß er sich kaum an den genauen Wortlaut eines Bannspruches erinnern würde.
Also riskierte es der Geisterjäger, hob beide Arme gegen die Gestalt, die bereits von einer feurigen Aura umflossen war, und sagte mit fester Stimme gegen den heftigen Wind: »Es haben mich zwei böse Augen überschattet. So überschatten mich drei gute Augen. Das eine ist Sopher, das andere ist Sepher, das dritte ist Sipur. Die behüten mir mein Blut und Fleisch, mein Mark und Bein und alle Adern groß und klein.« Die teuflische Gestalt krümmte sich. Einen bangen Augenblick sah es aus, als wollte sie sich Gordon Black entgegenstürzen. Dann zuckten lange Flammen aus der Aura und schossen wie Blitze in die Nacht. Ein schreckliches Geheul erhob sich in den Lüften, dem ein Zischen, Brausen und Toben folgte. Ein mächtiger Donnerschlag schien die Erde zu spalten. Im nächsten Moment war die von Feuer und Licht umflossene Gestalt vom Hügel verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Nur ein gewaltiger Sturmstoß fuhr in die Bäume und ließ Stämme und Äste ächzen und stöhnen. Gordon Black schnappte nach Luft. Erleichtert, aber nicht zufrieden ließ er die Arme sinken. Der teuflische Wächter war vertrieben. Vorläufig jedenfalls. Der Bannspruch wirkte indes nur kurze Zeit. Vielleicht nicht einmal so lange, wie sie brauchten, um nach Langloan zu kommen. Und außerdem mußten sie durch den Wald, auf den die alte Landstraße stieß. Wenn sich der teuflische Wächter zu früh von dem Bann befreite, konnte er ihnen folgen, im Wald auflauern und einen satanischen Streich spielen. Sie mußten um ihr Leben laufen! So sah es aus. Ob es Paddie Mulligan gefiel oder nicht. Gordon Black packte den Mann, der sich hinter ihm verkrochen hatte, mit hartem Griff am Mantelkragen.
Mulligan verkannte die Lage. Er wehrte sich aus Leibeskräften. Bestimmt glaubte er, das Wesen vom Hügel hätte ihn bereits beim Wickel. Er trat dem Geisterjäger gegen den linken Knöchel und dann in die rechte Kniekehle. Im Handgemenge torkelten sie beinahe vom hohen Damm der Landstraße. Am Fuß der Böschung sah Gordon Black die grünschillernde Oberfläche eines Sumpfloches. Vor Verblüffung ließ er Mulligan los. Der sumpfige Tümpel leuchtete aus eigener Kraft! Kein Mondstrahl griff durch ein Wolkenloch. Es gab auch sonst keine natürliche Lichtquelle, die dieses Phänomen erklärte. Die Oberfläche waberte und brodelte, schuf groteske Bilder und ließ sie im nächsten Moment zerfließen und neu entstehen. Ein widerliches Schmatzen und Glucksen drang herauf. Jetzt erst begriff Gordon Black, was der satanische Wächter mit seinem betörenden Winken bezweckt hatte. Er hatte ihn und gewiß auch Mulligan zu sich locken wollen, und beide wären sie in dieses gräßliche Sumpfloch gestürzt. Das war eine bösartige Falle, ein Trick voller Gemeinheit und Hinterlist. Der Geisterjäger fragte sich, wie oft dieser Streich wohl schon Erfolg gehabt hatte. Immerhin wäre das eine Erklärung für das Verschwinden der elf Menschen gewesen. Jagende Schritte signalisierten ihm, daß Mulligan Fersengeld gab. »Warten Sie!« rief er ihm nach. »Wir dürfen uns gerade jetzt nicht trennen!« Aber Mulligan war nicht mehr aufzuhalten. Er lief wie eine frisch aufgezogene Taschenuhr. Humpelnd eilte ihm der Geisterjäger nach. Mulligan sah bloß vertrocknet und unscheinbar aus, er konnte jedoch
überraschend kräftig zutreten. Auch beim Laufen war er besser auf den Beinen als gedacht. Gordon Black hörte ihn zwischen abgerissenen Atemzügen keuchend rufen: »Nie mehr. Mein Lebtag nicht wieder!« Es bezog sich wohl darauf, daß er niemand mehr zur Nachtzeit hier heraus auf die Chaussee führen wollte. Endlich ging ihm die Puste aus. Japsend blieb er stehen. Gordon Black verschnaufte neben ihm. »Sehr dumm von Ihnen, Mulligan, einfach wegzulaufen! Bleiben Sie dicht neben mir, egal, was jetzt noch geschieht. Haben Sie das verstanden?« Mulligan wackelte mit dem Kopf. Die Bewegung konnte Zustimmung ausdrücken. Der Mann war mit den Nerven fertig. Ängstlich schaute er zurück, als fürchte er, die Gestalt könnte ihnen nachkommen. »Wir müssen weiter!« drängte der Geisterjäger. »Teilen Sie Ihre Kräfte besser ein und laufen Sie nicht gleich wieder los.« Sie waren noch keine fünf Minuten gegangen, als vor ihnen der Himmel über dem Wald von Langloan in schweflig-gelbem Licht aufflammte. Gerade, als hätte sich an einem schwülen Hochsommernachmittag ein Gewitter zusammengezogen. Nur mit dem Unterschied, daß keine Blitze niederfuhren. Und daß es jetzt weder Hochsommer noch am Nachmittag war. Das Licht über dem Wald veränderte sich, wurde intensiver und rötlich. Fast wie der Widerschein eines Brandes. Sollte in Langloan ein Feuer ausgebrochen sein? Die kleine Stadt lag hinter dem Wald. Aber viel weiter östlich. Der Feuerschein konnte demnach nicht von einem brennenden Haus des Ortes herrühren. »Gibt es im Wald irgendwelche Gebäude?« fragte Gordon Black und hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend. Paddie Mulligan betrachtete mit offenem Mund die Lichterscheinung. Endlich schüttelte er den Kopf. »Überhaupt nicht. Nur ‘n
alten Steinbruch. Der Wald brennt, da kommen wir nicht durch!« Seine Stimme verriet wieder Panik. »Der Wald brennt nicht!« beruhigte ihn der Geisterjäger. »Das Licht narrt uns.« Er faßte den alten Mann energisch am Oberarm und zog ihn mit sich auf das Ende der Chaussee und den Beginn des Waldes zu. Sie sollten aufgehalten, vielleicht sogar zurückgetrieben werden. Deshalb dieser Lichterspuk, der ein mächtiges Feuer vortäuschte. Eine halbe Meile weiter erreichten sie die Stelle, wo die Landstraße in den Wald stieß. Heulende Windstöße brausten ihnen entgegen und rissen ihnen den Atem von den Lippen. Gordon Black wußte, daß es ihnen galt. Der wütende Sturm pfiff nicht in der Höhe daher, denn die Baumwipfel bewegten sich nicht vor dem gespenstischen rötlichen Licht. Er brauste aus dem Unterholz. Das war ganz und gar unnatürlich. Fahle Flammen tanzten plötzlich über den Waldboden, zuckten um die borkigen Stämme und näherten sich der Landstraße. »Weiter, schnell!« brüllte der Geisterjäger gegen den Sturm an. Mulligan stieß krächzende Schreie aus. Hätte Gordon Black ihn nicht mit eiserner Gewalt festgehalten, wäre er wirklich umgekehrt und aus dem Wald hinausgelaufen. Und genau das war mit diesem Höllenzauber auch beabsichtigt. Ein mörderischer Sturmstoß riß die beiden Männer um ein Haar von den Füßen. Sie taumelten. Sofort rückten die tanzenden Flammen näher. Sie strahlten keine Hitze aus, sonst hätte der Wald wirklich schon in Flammen gestanden. Sie waren unirdisch. Aber
gefährlich. Gordon Black spürte, wie sich die Luft auflud. Er lief schneller und zerrte Mulligan neben sich her, der halb von Sinnen war vor lauter Furcht. Er brabbelte unverständliches Zeug. Die tanzenden kalten Flammen versuchten den Weg nach Langloan zu verlegen. Voraus sammelten sie sich, als hätte ihnen jemand den Befehl dazu gegeben. Es sah aus, als wollten sie eine flammende Palisadenwand bilden. Der Geisterjäger rannte keuchend und achtete darauf, daß er Mulligan nicht verlor. Dabei spähte er noch nach rechts und links und hoffte, einen Satanswächter zu erblicken, der für diesen Flammenzauber verantwortlich war und den er mit einem Bannspruch peinigen oder vorübergehend zur Untätigkeit zwingen konnte. Er war sicher, daß hier ein anderer Wächter am Werk war als draußen hinter dem Sumpfloch auf dem Hügel. In der Gegend mußten sich mehrere Wächter, Helfer und Diener Luzifers aufhalten. Und sie standen untereinander in Verbindung. Soweit er wußte, waren sie Spezialisten. Jeder auf seinem Gebiet. Sein Vater hatte ihm darin Unterweisung erteilt. Der eine konnte Sturm machen. Der andere Regen, Blitz und Donner. Einer Feuer, das tötet und nicht einmal ein Häufchen Asche hinterläßt. Wieder ein anderer kaltes Feuer, das bei den Menschen namenloses Entsetzen auslöst. Dann gab es einen, der sich in Tiergestalten verwandeln konnte. Und wieder einen anderen, der das Aussehen von toten Gegenständen anzunehmen vermochte. Wie Bäume oder Steine. Sie traten nur auf Geheiß Luzifers in Aktion. Oder wenn es
galt, den Monarchen der Hölle zu schützen. Sie nahmen ihr Wächteramt verteufelt ernst, in des Wortes schlimmster Bedeutung. Gordon Black gewann die dumpfe Gewißheit, daß der Wächter, der die Flammen befehligte, von dem Satanshelfer hinter dem Sumpfloch gewarnt worden war und sich deshalb unsichtbar hielt. Er wollte nicht ebenfalls durch einen Bannspruch festgesetzt werden. Einen Gegner, den Gordon Black nicht sah und von dem er nicht einmal den ungefähren Aufenthaltsort ahnte, konnte er nicht bannen. Hätte der Wächter in einem hohlen Baum gesteckt oder in einer Hütte, dann wäre ihm immer noch die Möglichkeit geblieben, einen magischen Kreis um den Ort zu ziehen. Aber wo sollte er hier den Satanswächter suchen? Der Wald bot tausend und mehr gute Versteckplätze. Die gespenstische Palisadenwand aus langen aufrechtstehenden Flammensäulen verdichtete sich mehr und mehr. Ein Blick über die Schulter genügte Gordon Black auch. Auch von hinten rückten Flammen heran. Das sah nach einem Einkreisungsmanöver aus. Wenn er’s recht bedachte, konnte es nur bedeuten, daß sie lebend gefangen werden sollten. Die verschwundenen Menschen aus dieser Gegend fielen ihm ein. Er zweifelte nicht mehr, daß sie Luzifer und seinen Wächtern zum Opfer gefallen waren. Und daß sie einen gräßlichen Tod erlitten hatten. Er erschauerte. Jeder Wächter war imstande, ihm und Mulligan ein Ende zu bereiten, das qualvoller und entsetzlicher war, als sie tausend Tode sterben zu lassen.
Und das war nur die körperliche Pein. Ihre Seele würden die Satanswächter quälen und drangsalieren bis zum Jüngsten Tag. Bis auf eine Lücke hatte sich die feurige Palisadenwand schon geschlossen. Paddie Mulligans Verstand registrierte, daß die Flammensäulen eine tödliche Bedrohung darstellten, und der Mensch Mulligan sträubte sich, ihnen noch näher zu kommen. Dem Geisterjäger blieb gar keine andere Wahl, als den alten Mann durch die Lücke zu schleudern, wollten sie beide noch der Umklammerung entkommen. Mulligan torkelte vom Schwung getragen hinaus und stürzte. Mit fliegenden Händen griff Gordon Black nach dem Kruzifix und hob es gegen die zusammendrängenden Flammensäulen. Die Macht des Kreuzes reichte nicht aus für die teuflischen Flammen. Sie wichen nicht zurück. Sie ließen sich nicht einmal aufhalten. Aus einer nicht bestimmbaren Richtung drang sogar ein dröhnendes Hohngelächter. Der Wächter amüsierte sich über Gordon Blacks kläglichen Versuch. Mit einem gewaltigen Satz entkam der Geisterjäger im letzten Augenblick der Umklammerung. Etwas berührte ihn noch an der rechten Seite. Es war nicht mehr als das Gefühl, ein Ast würde seine Kleidung streifen. Dann drang ein Ton an seine Ohren wie von einer einschnappenden metallenen Schiebetür. Gordon Black warf den Kopf herum. Die Lücke war verschwunden, der Flammenkreis hatte sich geschlossen. Bloß saß kein Opfer in der teuflischen Falle. Diesmal jedenfalls nicht. Eine wütende Sturmbö drohte ihn rücklings gegen die feurige Palisadenwand zu schleudern. Demnach war ein zweiter Teufelswächter zur Stelle. Einer,
der Sturm machte. Er hatte seine Kunst schon versucht, als er und Mulligan den Wald erreichten. Da hatte der Wächter sie auf die Chaussee zurücktreiben wollen. Gordon Black riß Mulligan von der Schotterstraße hoch. Der Mann machte sich schwer wie ein Sack Steine. Wieder brauste eine Sturmbö heran. Sie brachte giftige Dämpfe mit, die dem Geisterjäger augenblicklich die Sinne umnebelten. Mit einem letzten Rest von klarer Überlegung torkelte er mit Mulligan am Arm fort von dem grausigen Ort, bevor ihn die beiden Wächter doch noch übertölpelten. Instinktiv erfaßte er, daß der Wald von Langloan ein Geheimnis beherbergte. Eine andere Erklärung fand er nicht für das massierte Auftreten der Wächter. Sie hüteten ein Mysterium. Beißender Giftodem griff wieder nach Gordon Black und Mulligan. Der alte Mann begann zu röcheln, seine Schritte wurden ungenau. Er stolperte und riß den Geisterjäger fast mit zu Boden. Gordon zerrte ihn unsanft auf die Füße und lief mit ihm weiter. Die Flammensäulen hinter ihnen gaben genug Licht her. Gordon Black hielt den Atem an, bis in seinem Schädel nur noch ein wildes Rauschen war und er meinte, jetzt müßten ihm die Lungen zerplatzen. Irgendwann ging es nicht mehr. Er atmete japsend. Die Luft war rein. Das war der erste Lichtblick. Der Teufelswächter, der den Sturm machte, gab seine Bemühungen auf, die Fliehenden aufzuhalten. Schlagartig erlosch auch die blendende Helligkeit rückwärts auf der löchrigen Schotterstraße. Gordon Black rechnete damit, daß die tanzenden Flammen
voraus neu entstanden und ihnen endgültig den Weg nach Langloan abschnitten. Doch auch dieser Wächter, der die Flammen befehligte, schien genug zu haben. Sogar der glutrote Widerschein hoch über den Baumwipfeln erlosch jetzt. In stockdunkler Nacht hasteten der Geisterjäger und der völlig verstörte Paddie Mulligan weiter durch den Wald dem Ort zu. *** Ein brausender Sturmstoß rüttelte unvermittelt an Türen, Regenrinnen und bleiverglasten Fenstern von Chadwell Castle. Wegen der naßkalten Witterung hatte man Feuer in etlichen Kaminen entzündet. Der heftige Sturmstoß fuhr in die Kaminschächte hinab und trieb Flammenzungen und viel Rauch aus den Feuerungsstellen. Lady Sarah schaute indigniert. Ihr strafender Blick traf den alten Butler, dem im Holzrauch die Augen tränten. »Edgar, es zieht! Irgendwo steht eine Tür auf!« »Sehr wohl, Mylady, ich werde mich sofort darum kümmern!« versprach der Butler. Mit hölzernen Schritten und ungemein würdevoll entfernte er sich aus dem Raum. Draußen auf dem Flur war kein Rauch. Aber es zog auch hier. Das war wirklich seltsam! Er hatte doch eigenhändig alle Außentüren geschlossen. Hatte vielleicht jemand wieder die Tür am Flurende geöffnet, wo es auf den Altan und die Galerie über dem Schloßhof ging? Vor zehn Tagen hatte er festgestellt, daß jemand sie heimlich geöffnet hatte. Kaum eine halbe Stunde, nachdem sie von ihm geschlossen worden war. Und auch vor vier Tagen hatte er diese betrübliche
Feststellung treffen müssen. Er hatte Francis im Verdacht, den jungen Earl, den sechzehnten in der langen Reihe der Earls of Chadwell. Der junge Herr zeigte erschreckend wenig Verständnis für das Leben auf Chadwell Castle, das sich nach dem Wunsch seiner Mutter, Lady Sarah, in zeremoniellen Bahnen bewegte und wenig Raum für persönliche Entfaltung lassen sollte. Seine Lordschaft sabotierten mit diebischem Vergnügen die steifen Sitten. Was Lady Sarah jedesmal in Rage brachte und aufs Personal ein Donnerwetter niedergehen ließ. Mylady brauchte eben einen Blitzableiter. Edgar schritt den Flur entlang. Aus der Tiefe des Schlosses hörte er die Stimme von Mrs. Lanmarten, die die Küche verwaltete und Aufsicht über die Tisch- und Bettwäsche führte. Mrs. Lanmarten schimpfte ein Mädchen aus, das irgend etwas zerbrochen hatte. Mit dumpfem Knall flog eine Tür zu. Der Ton schwebte seltsam geisterhaft durchs Schloß. Der Butler blieb stehen. Jetzt war die Tür unten zu, vielleicht zog es nicht mehr. Er sah sich getäuscht. Nach wie vor strich Wind durch den Flur. Und kalt wurde es! Er fand es unerklärlich. Er konnte sich nicht entsinnen, um diese Jahreszeit eine solche Kälte erlebt zu haben. Seine Hand drückte den Lichtschalter der Flurbeleuchtung. Spärliche Helligkeit riß einige Statuen und Skulpturen aus ihrem Dämmerdasein. Selbst am hellen Tag war es hier oben düster. Edgar mochte die Statuen nicht. Aber wann ging es schon mal nach den Gefühlen eines Butlers? Er meinte immer, die unbelebten Kunstgegenstände, die die Chadwells aus allen Erdteilen zusammengetragen hatten, würden ihn mit feindseligen Blicken betrachten und verfolgen,
wenn er vorbeiging. Es waren Götterbilder aus Ägypten, aus Griechenland, selbst aus dem fernen Indien. Und sie schienen die Geheimnisse ihrer Heimatländer zu verkörpern. Fröstelnd schritt Edgar an der Sammlung der Götzenbilder vorbei. Hinter einer Tür erklang unbändiges Gelächter. Sir Francis war am Nachmittag aus London gekommen, wohin es ihn immer häufiger zog. Sehr zum Mißvergnügen seiner Mutter, die es lieber gesehen hätte, wenn er sich um die Geschäfte des Familien-Clans und die Verwaltung der Güter kümmern würde. Nach eigenem Bekunden fühlte sich Sir Francis aber noch nicht in dem Alter, um auf Chadwell Castle zu vertrocknen und zu versauern. Es kam seinen Neigungen sehr entgegen, daß er mit dem Titel eines Earl auch einen Sitz im Oberhaus geerbt hatte und schon aus diesem Grunde häufig in London zugegen sein mußte. Und wenn er aufs elterliche Schloß kam, versäumte er selten, Gäste mitzubringen. Meist waren auch zwei, drei attraktive junge Damen dabei. Geschmack konnte man Sir Francis nicht absprechen, alles, was recht war. So kam hin und wieder Leben in die kalten seelenlosen Hallen des Schlosses. Wieder lachte eine Frau. Dann stimmte auch Sir Francis in den Heiterkeitsausbruch ein. Er erzählt bestimmt wieder eine Schnurre aus dem ehrwürdigen Oberhaus, dachte Edgar. Er kann die alten Lords dort auf den Tod nicht ausstehen, und das größte Vergnügen empfindet er, wenn er einen der alten Herren dabei ertappt, daß er sanft eingenickt ist. Dann bittet er beim Speaker ums Wort und richtet eine Frage an den Schlummernden, den man eilig weckt und der natürlich nicht weiß, worum es geht! Edgar hielt dies noch für ein vergleichsweise harmloses Treiben. Lady Sarah war in diesem Punkt anderer Ansicht, und
aus irgendwelchen Quellen erfuhr sie regelmäßig, wann Sir Francis wieder die alten Herren geärgert hatte. Es muß mit den Telefonanrufen zusammenhängen, die sie nach den Sitzungen des Oberhauses empfängt, überlegte Edgar. Er hatte das Ende des Flures erreicht. Hier zog es besonders schlimm. Aber die Tür zum Altan hinaus und auf die Schloßhofgalerie war geschlossen. Gewissenhaft überprüfte er, ob der Sturm nicht ein Fenster zerbrochen hatte. Auch dies war nicht der Fall. Es blieb ihm rätselhaft, woher der starke Luftzug kam. Am Ende aus dem Ostflügel, zu dem ein schmaler Gang führte? Der Ostflügel wurde seit drei Generationen nicht mehr bewohnt. Das letzte Fest, das dort abgehalten wurde, hatte noch zu Lebzeiten der seligen Königin Viktoria stattgefunden. Edgar schaltete auch die Beleuchtung für den schmalen Gang zum Ostflügel ein. Hier waren mangels Raum keine Statuen aufgestellt worden. Dafür hing ein Teil der Ahnenbilder hoch an den Wänden. Edgar konnte auch den bleichen runden Gesichtern der Earls, Lords und Ladies of Chadwell keine übergroße Zuneigung entgegenbringen, die einst auf Chadwell Castle gelebt hatten. Bei sich nannte er die Bildersammlung die Gespenstergalerie, was zugegebenermaßen ziemlich respektlos war. Einige dieser Männer und Frauen sollten ihre Untertanen derart geschunden und gequält haben, daß die Landbevölkerung sie verflucht und ihren Seelen ruhelose Wanderung gewünscht hatte. Ein gewisser Godfroy, der es besonders arg getrieben und in Fenwick mehrere Häuser mit allen darin lebenden Menschen verbrannt hatte, sollte auch tatsächlich als Geist umgehen. Das
behauptete jedenfalls die Landbevölkerung. Edgar versah sein Amt als Butler nunmehr seit fünfundvierzig Jahren auf Chadwell Castle, aber ein Geist war ihm noch nie begegnet. Nicht einmal gehört hatte er einen. Über Geister wurde in der Familie der Chadwells auch nicht gesprochen. Ebenfalls nicht über die Vorfahren, die in den seltensten Fällen Tugendbolde gewesen waren. Nach der Legende sollte John von Chadwell der schlimmste Burgherr aller Zeiten gewesen sein. Gemessen an seinen Taten war jener Godfroy fast ein harmloser Waisenknabe. John of Chadwell hatte als Gefolgsmann von König Richard Löwenherz am dritten Kreuzzug teilgenommen. Die Informationen waren spärlich, aber einmal hatte Edgar ein Gespräch im Salon wider Willen gehört, und da war dieser John als Wüterich und Schandfleck des Clans bezeichnet worden, und Lady Sarah hatte nicht widersprochen. Bei der Erstürmung von Akkon im Heiligen Land mußte dieser John ein wahres Blutbad unter den Seldschuken angerichtet haben. Als sich die edlen Familien den Kreuzrittern aus dem Abendland ergaben, hatte John auf der gierigen Jagd nach Edelsteinen den wehrlosen Gefangenen den Bauch aufschlitzen lassen, weil er annahm, die Leute hätten ihre Edelsteine verschluckt, um sie vor den Händen der Feinde zu retten. Auch sollte er bei dem Verrat, der König Richard Löwenherz in jahrelange Gefangenschaft führte, seine Hände nicht gänzlich in Unschuld gewaschen haben. Und von dem Lösegeld, das die englischen Untertanen zum Loskaufen ihres Königs zusammenkratzten, war angeblich ein erkleckliches Sümmchen in Johns Taschen geflossen. Jedenfalls kam er erst zwei Jahre, nachdem der Kreuzzug beendet war, wieder auf seine Besitzung in England zurück. Allerdings reich mit Schätzen beladen und mit einem überaus seltsamen Gefolge versehen.
Er hatte sich nämlich, der langen Abwesenheit von daheim überdrüssig, der Tochter eines Seldschukenfürsten anvermählt. Daß zu Hause ein treues Weib seiner harrte, störte ihn wenig. Obendrein brachte seine Seldschukenfrau noch reichlich Sklavinnen mit, die dem Herren ebenfalls zur Kurzweil dienten, wenn ihm danach war. Aber schon die Kombination zweier Ehefrauen unter einem Dach konnte nicht gutgehen. Lady Mary war mit der Nebenbuhlerin nicht einverstanden, und als echte Hochlandtochter verfügte sie über einen dicken Kopf und ein lockeres Mundwerk. Damit vergällte sie Sir John das Leben, das zu genießen er sich anschickte. Eines Tages war er das Nörgeln und Schimpfen leid. Er ließ Lady Mary lebendigen Leibes einmauern. Durch ein winziges Loch reichte man ihr Speise und Trank, und nur einmal im Jahr ließ John für einen Tag die Mauer niederreißen und seine Frau eine winzige Probe von der Freiheit kosten. Danach wurde sie wieder vermauert. Dem Erzbischof von Canterbury kam dieses schändliche Tun zu Ohren; er schickte Sir John eine eindringliche Ermahnung. Als freche Erwiderung sandte ihm John eine Sklavin seiner Seldschukenfrau nebst einem deftigen Schreiben, damit der Erzbischof auch wußte, wofür die bezaubernde Blume des Morgenlandes gedacht war. Nun war der Erzbischof wahrhaftig kein Mann von Traurigkeit, aber anders, als Sir John dachte. Er war ein vortrefflicher Gottesmann, aber noch besser verstand er sich auf das Kriegshandwerk. Eigens zu diesem Zwecke unterhielt er ein kleines Heer gepanzerter Reiter. Mit dieser Streitmacht rückte der Erzbischof an einem schönen Frühlingsmorgen in Northumberland an. Sir John kroch schnell zu Kreuze, ließ Lady Mary aus dem engen Gelaß befreien, gelobte Besserung und Buße und
verstieß seine Frau aus dem Morgenland. Deren Spur verlor sich auf geheimnisvolle Weise. Es wurde gemunkelt, der Erzbischof von Canterbury sei nicht ganz unschuldig daran. Jedenfalls gab es zwei Versionen. Die eine besagte, die orientalische Fürstentochter sei zu den Ihren heimgekehrt, die andere, die Sache sei auf die verläßliche und damals durchaus übliche Art geregelt worden. Nämlich mit einem scharf geschliffenen Stück Eisen und mit gedungenen Mördern. Sir John of Chadwell baute Chadwell Castle zu einer größeren Burg aus, wurde ein düsterer Tunichtgut und verstrickte sich in allerlei finstere Machenschaften. Er gab keinem Menschen mehr ein gutes Wort. Angeblich trauerte er seiner Blume aus dem Morgenland nach. Nach wenigen Jahren traf ihn der Schlag. Kein Mensch weinte ihm eine Träne nach. An diese Geschichte mußte Edgar denken, während er in den Ostflügel hinüberging. Sein Wissen stammte überwiegend aus dem erlauschten Gespräch im Salon. Doch auch das Personal und die bäuerliche Bevölkerung aus der Umgebung hatte einiges gerüchteweise beigesteuert. Den Leuten spukten noch immer die besonders grimmigen Herren von Chadwell Castle im Kopf herum, auch wenn darüber, wie im Falle von John of Chadwell, mehr als siebenhundertfünfzig Jahre vergangen waren. Fast jeder Schloßherr hatte auf Chadwell Castle Umbauten und Erweiterungen vornehmen lassen. Das Ergebnis waren verwinkelte Gänge, ausgedehnte unterirdische Anlagen, zu denen es keine genauen Pläne gab und die wohl auch nur einen Bruchteil der wirklich vorhandenen Gelasse und Gewölbe darstellten, und verschachtelte Flügel und Geschosse mit einer Vielzahl von Treppen. Um die letzte Jahrhundertwende hatte der amtierende Earl of Chadwell einen Großteil der nicht mehr benötigten Räume stillegen und verschiedene Zugänge wie auch Treppenhäuser
zumauern lassen. Und dabei war es geblieben. Die jetzigen Chadwells liebten es eine Nummer kleiner. Inzwischen hatte auch Lady Sarah begriffen, daß der Unterhalt eines riesigen Schlosses wie Chadwell Castle pro Jahr enorme Summen verschlang. Und eben diese Summen waren nicht mehr unbegrenzt verfügbar. Edgar seufzte. Die letzte Gehaltsaufbesserung hatte er vor zehn Jahren bekommen. Ein Jammer, daß die erforderlichen Sparmaßnahmen zuerst am Personal praktiziert wurden. Eiskalter Wind wehte ihm ins Gesicht. Er kniff die Augen enger und kontrollierte die Fenster. Sie waren fest geschlossen. Langsam zog es ihm die Haut zwischen den Schulterblättern zusammen, als er obendrein feststellte, daß die Verbindungstür in den Ostflügel verschlossen war und daß die Kälte nicht durch das Schlüsselloch und etliche Ritzen herüberdrang. Argwöhnisch musterte er die Decke. Es war undenkbar, er wußte es, denn dort oben hatte es nie eine Öffnung gegeben. Aber woher sonst kam der eiskalte Luftzug? Da oben war nichts. Plötzlich hörte er ein winziges Geräusch wie von einem fallenden Tropfen. Verdutzt blieb er stehen. Regnete es herein? Zum Teufel, gerade hatte er doch noch aus dem Fenster gesehen. Schön, es war Nacht, aber es regnete nicht. Den ganzen Tag hatte es nicht geregnet. Da – wieder fiel ein Tropfen. Er lauschte. Es kam aus der Richtung des bewohnten Flügels. An der Stelle war er vorhin vorbeigekommen. Da hatte er nichts gehört. Er machte drei Schritte, blieb stehen und sperrte die Ohren
auf. Es war ganz nah. Und dann sah er an der linken Seite des Gangbodens, handbreit von der Fußleiste entfernt, einen dunklen Fleck am Boden. Dort tropfte es hinein. Edgar spähte in die Höhe in der Hoffnung, den feuchten Fleck an der Decke auszumachen, wo es durchsickerte. Sorgenvoll dachte er bereits an einen Rohrbruch im darüberliegenden Stockwerk und woher er mitten in der Nacht Handwerker bekam, um den Schaden beheben zu lassen. Er sah keinen feuchten Fleck. Wieder fiel ein Tropfen. Er beugte die morschen Knie und tippte den Finger in die kleine Pfütze am Boden. Die Flüssigkeit war ekelhaft klebrig und warm und roch fast süßlich. Er verrieb die Probe zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete im Licht, was er da gefunden hatte. Erst dachte er noch an rote Farbe. Bis ihm mit entsetzlicher Gewißheit aufging, daß es Blut war. Warmes, klebriges Blut. Im ersten Schreck wollte er davonhasten, so schnell ihn seine Beine trugen. Die Vorstellung, wie unnachahmlich und fast beleidigend Lady Sarah die Brauen hochziehen und ihn fragen würde, ob er geistig nicht voll auf der Höhe sei, ließ ihn ausharren. Er säuberte die Finger hastig am Taschentuch und schaute forschend an der Wand hinauf. Auch hier hingen Gemälde. Seine Äugen weiteten sich. Sein Mund klaffte weit, ohne daß ein Ton herauskam. Wieso hing das Bild von eben jenem schrecklichen John of Chadwell jetzt hier? Sein Platz war doch immer im Arsenal, wo die Waffen und Rüstungen, die Fahnen und Erinnerungsstücke lange vergangener Zeiten aufbewahrt wurden!
Er hatte es nicht umgehängt. Er konnte sich auch nicht vorstellen, daß Lady Sarah dies veranlaßt hatte. Und Sir Francis kümmerte sich schon gar nicht um solche Dinge. Dem ersten Schreck folgte ein weit größerer. Das Gemälde, das ein englischer Maler um 1500 angefertigt hatte und das bestimmt nicht das wirkliche Aussehen Sir Johns wiedergab, war zu geheimnisvollem Leben erwacht. Böse und tückisch blickten die Augen auf den Butler herab. Sie bewegten sich. Der Hals blähte sich wie bei richtigen Atemzügen. Das geschlitzte kostbare Brustwams, nur auf Leinwand gemalt, dehnte sich, als sei es als echtes Kleidungsstück vorhanden. Edgar griff sich ans Herz. Verstört und entsetzt taumelte er gegen die andere Gangwand. Dieser schreckliche John sah plötzlich so lebendig aus, als käme er im nächsten Augenblick aus dem Bild herabgestiegen! Der Butler merkte, wie ihm die Knie nachgaben, als er die rechte Hand Sir Johns Greifbewegungen machen sah! Die Hand bewegte sich wahrhaftig! Es war nicht bloß Einbildung oder ein dummer Lichtreflex der spärlichen elektrischen Beleuchtung. Edgar quollen die Augen vor, als er von dieser Hand einen Blutstropfen fallen sah und in die kleine Pfütze am Boden platschen hörte. An der Innenseite des Handgelenks war eine Wunde wie von einem kleinen Schnitt zu sehen. Dort drückte das Blut heraus. Platsch! – Schon wieder fiel ein Tropfen. Die Augen in dem Gemälde bewegten sich und schauten den Butler gehässig an. Der Mund, von einem wüsten Bart eingerahmt, blieb jedoch geschlossen. Edgar kniff die Augen zu. Er hegte die irrsinnige Hoffnung, daß alles nur ein böser Traum war, was er sah, und daß das
entsetzliche Bild verschwunden war, wenn er die Augen wieder öffnete. Er tat es. Sir John of Chadwell starrte ihn noch mörderischer an, wenn das möglich war. Und immer noch tropfte Blut aus dem Bild auf den Boden. Jetzt hielt es den Butler nicht mehr. Er warf sich herum und lief davon wie noch nie in seinem langen Leben. Lady Sarah mußte er verständigen! Sie hatte zu entscheiden, was geschah. Ein kalter Luftzug streifte Edgars schweißnassen Nacken und ließ ihn noch schneller laufen. *** Hanako Kamara hatte sich in Langloan etwas umgetan, um den Leuten besser auf den Mund zu sehen. Zu einem solchen Vorhaben war gerade der Abend denkbar ungeeignet, denn es gab nur zwei Örtlichkeiten, wo sich die Bewohner des Ortes zu treffen pflegten. Das eine war eine Diskothek, die ein Witzbold auf den Namen »Fisherman’s Place« getauft hatte. Da gingen die Jungen hin. Langloan lag zwanzig Meilen vom Meer entfernt. Insofern war der Name blanker Hohn. In Langloan hatte es nie Fischer gegeben. Oder der Name war eben so zu verstehen, daß sich dort jeder ein Mädchen angeln konnte, dem danach gelüstete. Der andere Platz war der Gasthof »Wappen von Langloan«, wo Hanako mit Gordon Black Quartier genommen hatte. Sie hörte sich also erst mal unter dem jungen Volk um, was man so über den Kutscher ohne Kopf redete. Aber sobald sie genauere Fragen stellte, versiegten die
Reden wie ein trockengefallener Brunnen. Hanako heimste nur ein Grinsen ein und ein paar unseriöse, aber sehr deutliche Angebote. Sie war enttäuscht von dem mageren Resultat. Der entsetzliche Diskolärm tat ein übriges, um sie beizeiten den Ausgang suchen zu lassen. Zwei Ecken weiter blieb sie stehen, weil sie sich einbildete, jemand folge ihr. Tatsächlich tappten auch noch Schritte, bis der Verfolger merkte, daß sein Wild stehengeblieben war. Hanako war nicht bange. Sie verstand sich exzellent auf asiatischen Verteidigungssport, der ihr sozusagen in die Wiege mitgegeben worden war. In New York hatte sie einmal scharenweise Verehrer abgewimmelt, die auf handgreifliche Weise zudringlich zu werden begannen. Für die New Yorker Hitzköpfe war es eine schmerzhafte, letztendlich aber lehrreiche Veranstaltung gewesen. Wo sie schon jene turbulente New Yorker Nacht unbeschadet überstanden hatte, wurde sie wohl auch mit einem englischen Boy aus Langloan fertig. Sie setzte ihren Weg fort und lauschte hinter sich. Da! Die Schritte tackten wieder los. Aber diesmal war der Verfolger um Gleichklang bemüht. Er war vorsichtig geworden. Hanako machte noch einmal die Probe und hielt an. Der Verfolger tappte nur noch einmal aus dem Takt. Sie bog in die nächste Seitengasse ein und stellte sich in einen eingezogenen Hauseingang. Auf dem Kopfsteinpflaster tappten auf der Hauptstraße die Schritte näher. Immer lauter. Immer deutlicher. Sehr unregelmäßige Schritte, fand sie. Gerade, als würde der Verfolger hinken. Plötzlich verstummten seine Schritte. Er schien zu spüren,
daß sie irgendwo in der Nähe steckte und ihn auflaufen lassen wollte. Hanako wartete wohl fünf Minuten, daß er die Geduld verlor und entweder an der Gassenmündung vorbeikam oder umkehrte. Er tat ihr nicht den Gefallen. Vielleicht bildete sie sich auch bloß etwas ein, und der Mann war ein harmloser Mensch ohne Nebengedanken, wohnte auf der Hauptstraße und war längst in sein Haus getreten. Eine Tür hatte sie allerdings nicht gehen hören. Röhrendes Motorradgeräusch näherte sich vom anderen Ende des Ortes. Zwischen den Fachwerk- und Backsteinhäusern steigerte sich der Krach zum Inferno. Die Anwohner der Hauptstraße mußten solche Geräuschdarbietungen als besonders peinigend empfinden, denn in der Straßenschlucht hörte sich der Krach zum Gotterbarmen an. Zwei Motorräder schossen draußen vorbei. Hanako verließ den Hauseingang und setzte ihren Weg zum »Wappen von Langloan« fort. Dabei lauschte sie hinter sich. Der Motorradkrach war bei der Kirche verstummt. Das war die Gegend der Diskothek »Fisherman’s Place«. Verwehte Musikfetzen wehten aus der Ferne heran. Ihr war, als seien die Schritte schon wieder hinter ihr. Aber jetzt sehr viel weiter weg und auch längst nicht mehr so laut. Es waren jedoch immer noch diese hinkenden Schritte. Wahrscheinlich ein harmloser Bewohner, der spät heimging. An der Ecke beim Marktplatz schaute sie sich um. Ganz hinten, unter der vierten Straßenlaterne, sah sie eine dunkle Gestalt, die sich ganz eigenartig vorgebeugt hielt, als lauschte und schaute sie angestrengt. Dann war die Gestalt fort, als hätte sie nie dort gestanden. Hanako zwinkerte verblüfft. Das gab’s doch gar nicht!
Aber es blieb dabei, die Gestalt war verschwunden, und sie vernahm auch keine Schritte oder hörte eine Tür zuschlagen. In der Umgebung der Laterne waren nicht einmal Autos geparkt. Es wurde auch kein Motor gestartet. Sie fand das schon eigenartig. Ein Frösteln kam sie an. Es lag nicht nur am feuchten englischen Klima und an der kalten Nacht. In diesem Ort mit all seinen Gerüchten von einem kopflosen Kutscher und einer gespenstischen Kutsche wurde man bald selber zum Geisterseher! Gordon wird wieder nichts ausrichten, dachte sie. Lovelock und besonders dieser griesgrämige Mulligan spinnen vielleicht auch bloß! Er wird einen mörderischen Schnupfen mitbringen und sonst nichts! Heute morgen hat er schon so verdächtig herb niesen müssen! Die erleuchteten Fenster des »Wappen von Langloan« tauchten auf, als sie den Marktplatz überquert hatte. Das warme freundliche Licht heimelte sie an. Ein paar Autos standen am Bordstein, vier Motorräder und an der Hauswand ein paar Fahrräder. Das Gasthaus war abends immer gut besucht. Bevor sie eintrat, warf sie noch mal einen Blick zurück. Und da spürte sie es. Da draußen in der nächtlichen Stadt war etwas. Es war ihr feindlich gesonnen. Es war bösartig und gefährlich. Aber sie sah niemand. Wie von unsichtbarer Hand waren Straßen und Marktplatz von jeglichem menschlichen Wesen freigefegt. Sie fühlte sich sehr unbehaglich und wünschte, Gordon sei inzwischen mit Mulligan zurückgekehrt. Voller Hoffnung trat sie in das Gasthaus. Die breithüftige Wirtin Edna Scanlan richtete sich hinter der ehrwürdigen Mahagonitheke mit den Messingverzierungen halb auf und warf ihr einen seltsamen Blick zu. Lauernd und
abschätzend, wie ihr vorkam. Dann schaute die Wirtin an ihr vorbei zur Tür. Natürlich, sie erwartete, daß auch Gordon Black kam. Aber die Tür blieb zu. Niemand trat ein. Hanako meinte, ein höhnisches Lächeln um die Mundwinkel der Wirtin gleiten zu sehen. Ein Augenzwinkern später war das Gesicht wieder ausdruckslos, wenn die fast immer zur Schau getragene griesgrämige Miene überhaupt so zu bezeichnen war. Hanako maß dem kleinen Zwischenspiel keine Bedeutung bei. Edna Scanlan mochte sie nicht. Das hatte sie nicht gesagt, aber sie hatte es sie spüren lassen. Und von Mister Lovelock wußte sie, daß die Wirtin überhaupt keine andersfarbigen Menschen mochte. Sie ließ gerade ihre Gäste aus Langloan gelten. Die Köpfe hatten sich der Asiatin zugewandt. Da und dort blitzte es in den Augen der Männer verlangend auf. Hanako war schön wie die Sünde und sah vielversprechend aus. Da konnte ein Mann schon auf Gedanken kommen, über die man besser nicht redete. Hanako sah ganz hinten in der Ecke einen kleinen freien Tisch und nahm dort Platz. Die gesteppte Jacke legte sie auf einen Stuhl. Am Nebentisch saßen drei jüngere Männer, die sich sofort plusterten wie liebestolle Gockel. Hanako reagierte gar nicht. Sie sah auch nicht hin, um die Burschen nicht zu ermuntern. Hier war ein anderes Publikum beisammen als in der Diskothek. Die älteren Männer sahen nach Geschäftsleuten und Handwerkern aus, und von den jungen hatte sie den Eindruck, daß sie auch schon bald etwas zu sagen hatten. Sehr lässig kam Edna Scanlan an den Tisch. Ihre ganze Haltung drückte ihren Unwillen aus, eine Asiatin als Gast unter ihrem Dach zu haben und auch noch bedienen zu müssen. Hanako gelüstete es nach einem Sherry. Aber bevor sie den Mund aufmachen onnte, sagte Mrs. Scanlan: »Ist nicht
jedermanns Freude, unser englisches Wetter. Sie sehen aus, als könnten Sie einen ordentlichen Tee mit ‘nem Schuß Rum vertragen.« Damit wischte sie mehr symbolisch mit einem knochentrockenen Lappen über die Tischplatte und kehrte zur Theke zurück. Hanako seufzte verhalten. Es gab nur diesen Gasthof. Solange sie mit Gordon in Langloan weilte, war sie dieser ruppigen Person ausgeliefert. Ihr fiel plötzlich auf, daß Mrs. Scanlan einen etwas sonderlichen Gang hatte. Als würde sie hinken. Das ließ sie sofort an den mysteriösen Verfolger draußen denken. Sie verwarf diese Überlegung als Blödsinn. Mrs. Scanlan war doch die ganze Zeit in ihrem Gasthof gewesen, und so schnell hätte sie überhaupt nicht zur Stelle sein können. Es sei denn, sie wäre gelaufen wie ein Rennpferd. Aber so sah sie nun wahrhaftig nicht aus. Obendrein hätte ihr die Zunge aus dem Hals hängen müssen, was auch nicht der Fall war. Mrs. Scanlan braute hinter der Theke unterm Heißwasserautomaten einen Tee zurecht, bediente zwischendurch Gäste und kippte dann eine reichlich bemessene Portion Rum in den Teepott. Scharf beobachtete Hanako ihren Gang, als sie das dampfende Getränk brachte. Die Frau hinkte wahrhaftig! Verstohlen sah Hanako auf die Füße. Ihr war weder gestern noch heute aufgefallen, daß Mrs. Scanlan Gehbeschwerden hatte. Verdutzt registrierte sie, daß die Wirtin zwei verschiedene Schuhe anhatte. Einen braunen und einen schwarzen. Es konnte sich niemals um ein Versehen handeln. Die Frau mußte doch spüren, daß sie verschiedenartiges Schuhwerk trug.
Und den hinkenden Gang konnte sie doch nicht einfach aus der Wahrnehmung verdrängen. Hanako fand es schon recht eigenartig. Sie wollte Mrs. Scanlan auf das Versehen aufmerksam machen. Rechtzeitig fiel ihr ein, daß sie damit die Frau nicht für sich einnahm. Also schwieg sie. Wortlos stellte Mrs. Scanlan den Teepott mit dem Service auf den Tisch. Sie schoß einen eigentümlichen Blick unter den buschigen Brauen hervor, bevor sie hinter ihre Theke zurückkehrte. Hanako fixierte noch einmal die verschiedenen Schuhe, um ganz sicher zu sein, daß sie sich nicht verguckt hatte. War den anderen Gästen denn noch nichts aufgefallen? Oder buchten sie das einfach auf das Konto Schlampigkeit der Wirtin? Hanako ließ den Tee noch etwas nachziehen und fischte dann das silberne Tee-Ei an der Kette aus dem Pott. Der zugegossene Rum duftete betäubend. Sie goß sich eine Tasse ein und nippte. Das Gebräu war vorzüglich. Darauf verstand sich jedenfalls Mrs. Scanlan, was sonst auch immer mit ihr los sein mochte. Der Tee rann warm und angenehm hinab, und der Rum vertrieb die Gedanken an das miserable Wetter vor der Tür. Die Blicke der jungen Burschen am Nebentisch wurden kecker. Hanako verstand schon, daß sie sich etwas ausrechneten. Sie schienen nicht zu wissen, daß sie im Gasthof wohnte. Die Gespräche der Männer wurden wieder lauter, nachdem sich die Gäste mit der Tatsache abgefunden hatten, daß eine fremde Frau ohne Begleitung mitten unter ihnen weilte. Die Zeiger der Uhr hoch hinter der Theke rückten vor. Hanako spürte, daß der Rum seine Wirkung tat. Sie empfand wohltuende Müdigkeit. Ganz in ihrem Sinne war es nicht, denn sie wollte unbedingt
auf Gordon warten und ihm von dem Verfolger mit dem hinkenden Schritt erzählen. Und von dem, was sie gespürt hatte. Von der Gefahr. Vielleicht war es auch von Wichtigkeit, daß er erfuhr, wie Mrs. Scanlan ihre Schuhe anzuziehen pflegte. Sie hatte ihn mal über einen Brauch reden hören, zweierlei Schuhe anzuziehen. Er hatte es als höchst bedeutungsvoll bezeichnet, sich aber nicht weiter darüber ausgelassen, und sie hatte schlicht vergessen, was für eine Bewandtnis es damit hatte. In der Heimat ihrer Väter war dieser Brauch nicht bekannt. »Entschuldigen Sie – sind Sie ‘ne Chinesin?« Die Stimme gehörte einem rothaarigen Burschen am Nebentisch. Hanako schreckte aus den Gedanken auf. Um den jungen Mann auf Distanz zu halten, sagte sie nicht besonders zuvorkommend: »Amerikanerin.« Der junge Mann zeigte ein nicht besonders geistreiches Gesicht. Seine beiden Kumpane am Tisch feixten. »Und ich denke doch, Sie sind ‘ne Chinesin!« erwiderte er gereizt. Hanako spendierte ihm ein verzeihendes Lächeln. »Im Land mit der ältesten Demokratie Europas sollen die Leute ruhig glauben und denken dürfen, was sie wollen.« Sie nahm einen herzhaften Schluck von ihrem Tee. Das Gesicht des Rothaarigen geriet etwas aus den Fugen. Der Bursche hatte eine Ungezogenheit auf der Zunge, er besann sich aber und blieb still. Hanako meinte, es sei die Wut, die ihn sein Gesicht verziehen ließ. Aber plötzlich merkte sie, daß es offensichtlich der Rum war, der ihren Kopf umnebelt hatte. Denn auch die Theke verschwamm auf einmal und zog sich dann unglaublich in die Länge, um im nächsten Moment wieder auf die ursprüngliche
Abmessung zu schrumpfen. Sie muß mir mindestens eine halbe Flasche hineingeschüttet haben, ging es Hanako durch den Sinn. Sie ist böse auf mich, sie ist hinterlistig! Wie sie überhaupt hersieht! Mrs. Scanlans Gestalt verzerrte sich auch auf groteske Weise und nahm das Aussehen einer überdimensionalen Kröte an, die fett und breit hinter der Theke thronte. Mit den Gesichtern der Gäste gingen auch erstaunliche Veränderungen vor sich. Sie verformten sich zu lüsternen Fratzen oder gleichgültigen Masken und zeigten im nächsten Moment wieder ihr altes Aussehen. Hanako konnte kaum noch die Uhr erkennen. Ein Gefühl sagte ihr, daß sie aufstehen mußte. Daß sie oben auf ihrem Zimmer besser aufgehoben war als hier unten im Gastraum. Aber sie war zu träge, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie blieb auf ihrem Stuhl und merkte, wie Kraft und Willen sie verließen. Sie hatte öfter als einmal einen Schwips gehabt, an einen derartigen Zustand wie jetzt konnte sie sich jedoch beim besten Willen nicht entsinnen. Dieser englische Rum schien von einer besonderen Güte zu sein. Die Menschen und Gegenstände um sie herum nahmen fließende Formen an. Alles schien sich in einer Art Zeitlupenverfahren abzuspielen. Die Lichter streuten ihren Schein fadenförmig durch den Raum. Nach und nach leerte sich der Gastraum. Wenn sich die Männer verabschiedeten, hörten sich die Stimmen an, als kämen sie aus weiter Ferne. Irgendwie übers Meer. Und wenn die Gäste Münzen für ihre Zeche hinzählten oder Mrs. Scanlan Wechselgeld herausgab, klang es wie geisterhaftes Läuten.
Eine Gestalt mit fließenden Umrissen stand plötzlich neben Hanakos Stuhl. Auf dem Rumpf saß der Kopf eines Scheusals, wie Hanako noch nie eines erblickt hatte. »Wird Zeit, daß ihr heimkommt!« sagte das Scheusal mit der Stimme von Mrs. Scanlan. »Das ist ‘n Gast von mir, da ist nichts für euch zu erben. Bezahlt gefälligst.« Die jungen Burschen am Nebentisch waren also noch da. Hanako machte eine Handbewegung, wollte die Burschen auf ihre hilflose Lage aufmerksam machen. Aber die merkten nichts. Vor der Wirtin hatten sie einen Mordsrespekt. Sie zahlten hastig und verließen den Gasthof. Mrs. Scanlan zog sich einen Stuhl heran. Ihr Gesicht verzog sich und nahm wieder Ähnlichkeit mit dem Monsterkopf an. Sie tätschelte Hanakos Arm und meinte nach einem gehässigen Auflachen: »War wohl ‘n bißchen zu stark für Sie, mein Kind? Was ich zubereite, wirft jeden um. Ich bringe Sie hinauf. Der Gastraum ist ja kein Schlafsaal.« Hanako wollte protestieren. Nicht einmal die Zunge gehorchte ihr. In dumpfer Verzweiflung begriff sie, daß Mrs. Scanlan etwas mit ihr vorhatte und daß ihr beklagenswerter Zustand unmöglich vom Rum allein herrührte. Die Frau hatte ihr ein Mittel in den Tee gerührt, das den eigenen Willen ausschaltete und dem Körper die Kraft raubte. Mrs. Scanlan stand auf und beugte sich über den Tisch. Ihr Gesicht kam Hanako ganz nah: Auf schreckliche Art verwandelte es sich jäh in eine teuflische Dämonenfratze, der die Bosheit und Tücke aus jeder Augenfalte schaute. O Gott, Gordon, warum suchst du draußen in der Nacht? dachte Hanako, und ihre Gedanken waren so träge und zäh wie Teig. Hier mußt du mit den Nachforschungen beginnen! Mit der Frau stimmt etwas nicht! Und jetzt wußte sie auch, daß die zweierlei Schuhe kein Zufall waren. Sie hatten eine schreckliche Bedeutung.
Mrs. Scanlan faßte Hanako und zog sie müheloser als ein bärenstarker Mann vom Stuhl hoch. Sie kicherte dabei zufrieden. Hanako wollte sich sträuben. Ihre Muskeln gehorchten ihr nicht. Sie war völlig der Wirtin vom »Wappen von Langloan« ausgeliefert. Mrs. Scanlan zog sie hinter dem Tisch hervor. Dabei bekam die Steppjacke einen Schubs und rutschte vom Stuhl in den dunkelsten Winkel. Die Wirtin bemerkte es nicht. Sie schleppte die Asiatin mehr, als daß diese zu gehen vermochte, durch die rückwärtige Tür, die zum Treppenhaus führte. Dort blieb Mrs. Scanlan lauschend stehen. Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck an, als halte sie stumme Zwiesprache mit einem unsichtbaren Partner. Dann nickte sie, als habe sie genau verstanden. Sie schaffte Hanako in den ersten Stock hinauf. Und dort entfaltete sie eine emsige Tätigkeit. Es gab eine Reihe von Vorbereitungen zu treffen. *** Lady Sarah verzog angewidert das Gesicht, als sei der Butler Edgar ein toter Vogel, den die Katze versehentlich hereingetragen hat. Dann dachte sie gründlich nach. Ihr Mund nahm einen verkniffenen Ausdruck an. Und endlich sagte sie strafend: »Edgar, Sie sind nicht bei Trost!« »Bitte, Mylady, wenn Sie sich selber überzeugen möchten!« entgegnete Edgar mit dem Mut der Verzweiflung. Er setzte sogar seine Anstellung als Butler aufs Spiel. »Ich habe mich noch nie geirrt.« Lady Sarah hatte den Sinn für Untertöne. »Dann bin wohl ich die Person, mit deren Kopf etwas nicht in Ordnung wäre«,
meinte sie nadelspitz. »Wie sehen Sie überhaupt aus?« »Ich bitte um Vergebung. Mylady, aber ich dachte, ich setze Sie sofort in Kenntnis, bevor sich vielleicht jemand zufällig in den Gang zum Ostflügel verirrt. Der junge Lord hat Gäste aus London mitgebracht.« »Ich weiß, und ich bin darüber verärgert. Sehr sogar. Also schön, Edgar, ich kümmere mich darum, daß niemand den Gang betritt. Und Sie richten Ihr Äußeres her.« Sie lenkte eine Spur zu plötzlich und zu freundlich ein. »Und Sie reden zu niemand ein Wort, ja?« Edgar nickte nur und zog sich zurück. Er war noch nicht ganz die Treppe zum Erdgeschoß hinab, als Lady Sarah mit finsterer Miene aus ihrem Raum kam und schnurstracks die Schritte in Richtung Ostflügel lenkte. An der Tür, hinter der ihr Sohn Francis mit seinen Gästen lachte und lärmte, zögerte sie. Dann schüttelte sie den Kopf und eilte weiter. Sie spürte den eiskalten Wind, von dem Edgar berichtet hatte, noch bevor sie die Abzweigung zum Ostflügel erreichte. Energisch raffte sie ihr Kleid, das fast über den Boden schleppte. Sie liebte es, sich viktorianisch zu kleiden. Im Scherz hatte ihr Sohn Francis einmal gesagt, sie sähe wie das familieneigene Schloßgespenst in ihrer großmütterlichen Garderobe aus. Sie war ihm dieser Ungezogenheit wegen heute noch gram. Überhaupt ließ es Francis an schuldigem Respekt mangeln. Den Sitz im Oberhaus hatte er, zugegeben. Und er machte seine Sache dort nicht schlecht, wie ihre Informanten zu berichten wußten. Sonst aber ließ er es im Leben angehen, wie es kam. Er war auch nicht gewillt, Verantwortung zu übernehmen. Zugegeben, sie hatte bisher die Geschicke der Familie gelenkt, und sie hatte nicht die Absicht, die Leitung so bald aus der Hand zu geben.
Sie entschuldigte es damit, daß Francis wenig Neigungen hatte erkennen lassen, die Last der Clan-Führung auf seine Schultern zu nehmen. Auch hielt sie ihn nicht für reif, in gewisse Dinge eingeweiht zu werden. Er besaß noch nicht das rechte Verständnis dafür. Lady Sarah kniff noch mehr die Lippen zusammen. Feste, Mädchen, einen schnellen Sportwagen, Pferderennen und anderer lockerer Zeitvertreib – das war es, was Francis ausfüllte. Er war völlig aus der Art geschlagen. Sein seliger Vater hatte in dem Alter schon eine Familie gegründet gehabt und war einer der wichtigsten Männer in Northumberland. Francis hingegen sah das Leben noch als einen einzigen großen Spaß an. Dabei hätte sie seine Unterstützung gerade jetzt sehr nötig gehabt. Vor Wochen hatte er sich gemeldet. Auf dem Fußboden ihres Ankleidezimmers hatte sie eines Morgens einen Fetzen alten Pergaments gefunden. Sie konnte sich nicht erklären, wie er ausgerechnet dort hingekommen war. Pergamentrollen wurden in der Bibliothek verwahrt. Einige, die Landschenkungen der englischen Könige an die Chadwells betrafen, und andere wichtige Dokumente waren im Stahlschrank eingeschlossen. Es waren auch Folianten da, deren Blätter aus Pergament waren. Etliche waren brüchig. Jahrelang hatte man sie zu trocken gelagert. Der Fetzen Pergament schien aus so einem Folianten herausgefallen zu sein. An jenem Morgen hatte sie den schlimmen Verdacht gehabt, jemand vom Personal oder gar Edgar sei eine unehrliche Haut, entwende heimlich kostbare Bücher aus der Bibliothek und
verkaufe sie nach London an interessierte Kreise. Allerdings hatte sie noch nicht bemerkt, daß überhaupt Bücher gefehlt hätten. Als sie dann den Fetzen Pergament aufhob, hatte er wie Feuer an den Fingern gebrannt. Er hatte auch auf geheimnisvolle Weise an der Haut gehaftet, und es hatte sie viel Mühe gekostet, ihn abzuschütteln. Auf der morschen Tierhaut hatte sie eine Art Siegel entdeckt mit einem satanischen Bildnis und einem krakeligen Strich, den sie mit viel Phantasie und nach einigem Überlegen als Unterschrift gedeutet hatte. Weil sie immer noch jemand vom Personal im Verdacht hatte, war sie auf den Gedanken verfallen, das Stück ins Geheimfach ihres Sekretärs einzuschließen und ein Auge auf das Ankleidezimmer zu haben. Wenn jemand das Pergament vermißte, würde er schon zu suchen beginnen. An allen Orten, an denen er sich aufgehalten hatte. Es kam niemand. Weder Edgar noch die Kammerzofe noch das Stubenmädchen. Und auch ihre Gesellschafterin ließ sich im Ankleidezimmer nicht blicken. Was ja auch einigermaßen logisch war. Außer der Kammerzofe hatte dort niemand etwas verloren. Sie vergaß den Vorfall schließlich. Bis sie eines Morgens wieder das Pergament auf dem Boden liegen sah. Ihr erster Gedanke war, jemand hätte es aus dem Geheimfach genommen. Das war eine ungeheuerliche Vorstellung, die sie mit einer handfesten Migräne bezahlte. Dann mußte sie einsehen, daß sie grundlos wieder das Personal verdächtigt hatte. Denn als sie das Stück Pergament mit dem Siegel in den Sekretär zurücklegen wollte, fand sie dort zu ihrer Bestürzung bereits ein Exemplar. Nach reiflicher Überlegung legte sie das zweite dazu, schloß
sich tagelang in der Bibliothek ein und führte auch Telefongespräche mit den ältesten Mitgliedern des Clans, die überwiegend im Hochland auf ihren Schlössern und Besitzungen lebten. Danach war sie sehr verschlossen. Auch launisch, leicht reizbar und erschrak bei jedem lauten Geräusch. Wenn alles stimmte, was ihr die Clan-Ältesten erzählt hatten, und wenn die Chronisten der Geschichte der Familie Chadwell nicht geflunkert hatten, dann hatte einer der Vorfahren einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und das Kunststück fertiggebracht, den Satan um den vereinbarten Lohn zu prellen. Und wenn alles nicht trog, dann waren die auf den Boden gelegten Pergamentstückchen Botschaften des Satans, mit denen er sich und seine Forderung in Erinnerung brachte. Ein Chadwell hatte einst den Teufel betrogen! Das schmeichelte ihr. Ein Chadwell sollte jetzt die alte Schuld einlösen! Das mißfiel ihr sehr, denn der einzige Chadwell von Wichtigkeit war Francis. Auch wenn sie seinen Lebensstil und seine Extravaganzen nicht schätzte, letztendlich war er doch ihr Sohn. Und Blut ist nun einmal bekanntlich dicker als Wasser. Oder als altes Pergament. Die düsteren Mahnungen mit dem Satanssiegel auf altem Pergament hatte sie mit entnervender Regelmäßigkeit gefunden und alle säuberlich aufbewahrt. Wie ein guter Buchhalter. Dabei hatte sie sich ständig die Frage gestellt, ob alles nicht nur ein übler Scherz des Personals war. Nach reiflicher Beobachtung war sie zu dem Resultat gekommen, daß wirklich der Teufel dahintersteckte. Sie hegte zwar Zweifel. Sie hielt sich für aufgeklärt, und wer glaubte heutzutage noch an den Satan? Die Botschaften und Mahnungen ließen sich indes nicht wegleugnen.
Die zweite große Frage war, warum sich Satan ausgerechnet jetzt mit einer unbeglichenen Forderung meldete. Darauf hatte sie keine Antwort gefunden, nicht einmal einen vagen Hinweis. In diese Zeit war die Nachricht gefallen, daß ein kopfloser Kutscher auf dem Bock einer Geisterkutsche sein Unwesen zwischen Langloan und Fenwick treibe und die braven Landleute zu Tode erschrecke. Sofort hatte sie eine Beziehung hergestellt. Als dann nacheinander Menschen auf Nimmerwiedersehen verschwanden, hatte sie sich in größter Verzweiflung befunden, weil sie fürchtete, dies sei nur der Auftakt zu einer noch schlimmeren Tat, die Francis zum Opfer hatte. Da war es ihr ganz lieb gewesen, daß er sich lieber in London mit Frauenzimmern die Nächte um die Ohren schlug. Er kam aber zwei- oder gar dreimal in der Woche heraufgefahren. Das richtete sich danach, wie das Oberhaus zusammentrat. In ihrer Not hatte sie sich dem alten Pfarrer von Fenwick anvertraut und ihn um Rat und Hilfe gebeten. Fenwick war weit genug weg. Eigentlich waren die Pfarrer von Langloan für das Seelenheil der Chadwells zuständig, seitdem sie sich keinen eigenen Kaplan mehr hielten. Aber sie fürchtete, daß es zu Gerüchten kam, wenn der Pfarrer von Langloan mit den erschreckenden Vorfällen befaßt wurde. Darum war ihre Wahl auf den alten Herrn aus Fenwick gefallen. Der hatte sie auch empfangen, ungeachtet der Tatsache, daß die Leute von Fenwick bis auf den heutigen Tag kein gutes Verhältnis zu den Chadwells hatten. Geduldig hatte er ihr zugehört und sich erboten, alles zu tun, was in seiner bescheidenen Macht lag, um Unheil von Sir Francis und vom Haus Chadwell abzuwenden. Schon in der darauffolgenden Nacht, so hatte er versprochen, werde er irgendwie Zwiesprache mit dem
gespenstischen Kutscher halten und ihn nach seinem Auftrag fragen. Seitdem war der alte Pfarrer ebenso verschwunden wie die armen Menschen, die man seitdem in der Gegend vermißte. Da hatte sie zum ersten Mal im Leben gespürt, was es heißt, Angst zu haben. Diskret hatte sie den steinalten Anwalt Lovelock aufs Schloß gebeten. Erstens oblag ihm die Verwaltung eines Teils des Chadwellschen Vermögens, und zweitens wurde gemunkelt, er verstünde etwas vom Geisterbannen. Dieses Gerücht erwies sich als barer Unsinn. Lovelock hatte aber zugesichert, einen geeigneten Mann aufzutreiben, dem er wohl zutraue, mit dem kopflosen Kutscher fertig zu werden. Voller Dankbarkeit hatte Lady Sarah eine respektable Belohnung ausgesetzt, wenn es gelang, Unheil und Schaden von Francis fernzuhalten. Als Lovelock einstreute, jener Mann, an den er denke, käme aus dem Ausland, hatte sie in einem Anflug von Verschwendungssucht sogar erklärt, sie käme für alle Spesen auf. Daß Lovelock alles gleich schriftlich aufgesetzt hatte, war ihr in die Nase gefahren. Noch indignierter war sie gewesen, als der Anwalt anderntags die Bereitstellung der ausgemachten Summe verlangte. Zögernd war sie seiner unverschämten Aufforderung nachgekommen. Seitdem hatte sie nichts mehr gehört. Weder von Lovelock, noch von diesem Mann, den er aus dem Ausland kommen lassen wollte. Dafür hatte sich die Liste der Vermißten verlängert. Ein junger Mann aus Shawness, der sich bei seinem Mädchen in Langloan verspätet hatte, war nie daheim angekommen. Die Grafschaftspolizei, die alle Fälle gewissenhaft und tagelang untersucht hatte, konnte nicht einmal das Auto des jungen Mannes auftreiben.
Elf Menschen waren innerhalb kurzer Zeit in der Umgebung von Langloan verschwunden, als hätte es sie nie gegeben! Es war unfaßbar. Lady Sarah war über diesen vielen Gedanken und Erinnerungen in Erregung geraten. Der unerklärliche kalte Wind im Schloß gab ihr zu verstehen, daß sie eine feuchte Stirn bekommen hatte. Sie tupfte den Schweiß ab und wandte sich nach rechts in den Ostflügel. Schon von weitem hörte sie das Tropfen. Edgar hatte die Beleuchtung brennen lassen. Nun wurde Lady Sarah doch ängstlich. Sie näherte sich dem beschriebenen Platz unter Überwindung eines großen Widerwillens, hielt sich vorsichtshalber aber an der gegenüberliegenden Wand. Tatsächlich hing das Gemälde von Sir John inmitten der Bilder späterer Generationen. Zeitmäßig schon paßte er gar nicht hinein. Obendrein war sein angestammter Platz im Arsenal. Bestimmt hatte der alte Wüterich ganz anders ausgesehen. Der Maler, der Jahrhunderte nach Sir Johns Tod das Bild angefertigt hatte, war ein Schmeichler gewesen. Dennoch war das Gemälde von Düsternis geprägt. Und die abgebildete Gestalt schien tatsächlich zu leben! Sie konnte sich bewegen. Die Augen funkelten zornig, die Hand machte fassende Bewegungen, alles war genau so, wie Edgar es in heller Aufregung vorgebracht hatte. Und aus dem Handgelenk pulste Blut und tropfte zu Boden. Es gab keine Zuschauer, Lady Sarah verzichtete auf die theatralische Darbietung eines Ohnmachtsanfalles. Entschlossen bückte sie sich und tauchte den Finger in den feuchten dunklen Fleck am Boden. Es war wahrhaftig warmes klebriges Blut!
Sie erhob sich und schüttelte die Faust gegen das Bild. »Du gehörst nicht hierher, John« murmelte sie. »Du scheinst der Vorfahr zu sein, der seine Schuld nicht beglichen hat. Du bringst nur Unglück über uns!« Als könnte das Abbild sie verstehen, zuckte der wallende Bart, und um die Augen schien sich ein boshaftes Lächeln einzunisten. Lady Sarah hatte während der langen Tage, die sie sich in der Bibliothek eingeschlossen hatte, allerlei Nützliches in den Rollen und alten Büchern gelesen. Auch Dinge, die nicht für jedermanns Augen bestimmt waren. Sie reckte sich, hängte entschlossen das Bild ab und stellte es auf den Kopf. Und zwar so, daß sie nur noch die Rückseite zu sehen brauchte. Das Tropfen hörte sofort auf. Nur der feuchte dunkle Fleck am Boden blieb. Lady Sarah lauschte. Von fern und undeutlich hörte sie eines der Frauenzimmer kreischen, die Francis mitgebracht hatte. Jetzt fand sie es gut, daß die jungen Leute ihre Beschäftigung hatten. Das ließ erwarten, daß niemand im unrechten Moment auf dem Flur erschien und das seltene Erlebnis hatte, die Schloßherrin als Möbelträgerin zu sehen. Sie schaffte Sir Johns Bild zurück ins Arsenal und hängte es an seinem angestammten Platz zwischen vergilbten Standarten, schartigen Säbeln und Radschloßpistolen auf. Dann beschaffte sie sich eine Zange. Sie wußte, wo der Diener seinen Werkzeugkasten untergestellt hatte, weil er es leid war, jedesmal hinab in den Keller oder in die Garage zu steigen, wenn etwas repariert werden mußte. Lady Sarah wickelte das Werkzeug in einen angefeuchteten Lappen. Sie nahm noch einen Wollschal aus ihren Beständen mit und entfernte im Gang zum Ostflügel den Blutfleck mit dem Lappen. Die verbleibende Feuchtigkeit rieb sie mit dem
Schal weg, und mit erstaunlichem Geschick zog sie einen Haken aus der Wand, an dem das Bild gehangen hatte. Sie war sich nicht absolut sicher, aber sie meinte, daß dort nie ein Haken ins Mauerwerk getrieben gewesen war. Ein paar Spuren hinterließ sie trotz aller Vorsicht. Einmal das Loch in der Wand und dann Putzbrocken auf dem Boden. Sie verteilte den Putz schön gleichmäßig, eilte in ihren Raum und warf Tuch, Schal und Haken ins Kaminfeuer. Die enorme Anspannung, die sie während der vergangenen zwanzig Minuten in ihrem Bann gehalten hatte, fiel von ihr ab. Ganz unladymäßig stemmte die Schloßherrin die Arme auf die Hüften und legte die heiße Stirn gegen eine kühle Marmorfigur neben dem Sekretär. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Da lag schon wieder eine Botschaft! Mitten auf dem Brief, den sie angefangen hatte. Es war wieder ein Stück Pergament mit dem Siegel Luzifers und seiner Unterschrift. Der alte Pfarrer aus Fenwick, dem sie ihre makabre Sammlung gezeigt hatte, war fürchterlich erschrocken gewesen und hatte ihr dann bestätigt, daß auf diese Art der Satan seine Verträge, die er mit Menschen abschloß, zu besiegeln und zu unterschreiben pflegte. Hastig riß sie das Geheimfach auf. Die anderen Pergamentstücke waren alle da. Jetzt war ein weiteres dazugekommen. Sie schleuderte es entsetzt in das Fach und ließ die Verriegelung zuschnappen. Inzwischen hatte sie Übung darin bekommen, die teuflische Mahnung von den Fingern zu entfernen. Ein dumpfes Wummern wie von verpuffendem Pulver ließ sie herumfahren. Das Kaminfeuer hatte Lappen und Schal erfaßt. Das Blut aus dem Bild Sir Johns puffte wie Pulver, als wollte er sich dagegen wehren, daß es von den Flammen verzehrt wurde.
Lady Sarah ergriff das schwere Stochereisen und stieß die verräterischen Textilien mitten in die Flammen. Ein herausschießender Feuerstoß drohte ihr Kleid in Brand zu setzen. Mit einem geistesgegenwärtigen Sprung brachte sie sich rückwärts in Sicherheit. Allerdings ließ sie dabei das Eisen fallen, und es verursachte einen gehörigen Lärm. Wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen erschien auch prompt wenig später Butler Edgar. Seine Augen überprüften die Lage. »Mylady fühlen sich unwohl?« erkundigte er sich. So leidlich hatte er sein inneres Gleichgewicht wiedergefunden, und seine derangierte Kleidung war inzwischen auf vorschriftsmäßigen Sitz gebracht. Er gewahrte die hell lodernden Flammen im Kamin, die unvermittelt eine bläuliche Farbe annahmen. Ein abscheuliches Zischen ließ sich aus der Feuerstelle hören. Als sei nasses Holz zwischen die Kloben geraten. Nur viel elementarer. »Es geht schon wieder, Edgar. Sie können gehen.« Lady Sarah tastete sich zum nächsten Sessel. Edgar bückte sich nach dem schweren Eisen und stellte es in den Ständer neben dem Kamin. »Sehr wohl, Mylady.« Mit einer Verbeugung zog er sich zurück. In der offenen Tür hielt ihn Lady Sarahs Ruf auf. »Edgar, und zu keinem Menschen ein Wort! Ich habe Ihr Versprechen, nicht wahr?« »So ist es«, brachte Edgar heraus. »Ist er – das Bild – ich meine –« Die Schloßherrin von Chadwell Castle setzte die ganz strenge Miene auf. »Das Bild hing immer im Arsenal und nie woanders. Merken Sie sich das gut. Und es hat nie ein Phänomen wie das beobachtete gegeben. Wir sind uns einig, nicht wahr?«
Mit einem berstenden Knall zersprang ein Holzstück im Kamin. Lady Sarah und Edgar fuhren zusammen. Ihre Blicke gingen zum Kamin und wurden furchtsam. Jetzt loderten dort grüne Flammen. Wahr und wahrhaftig grüne Flammen! Als hätten unsichtbare Hände Kupferstaub ins Feuer gestreut. Der Butler würgte die Angst hinunter, die ihm wie ein Kloß im Hals saß. »Ich werde schweigen, Mylady. Sie können sich fest auf mich verlassen.« »Das weiß ich!« schmeichelte sie ihm, aber sie dachte etwas ganz anderes. Ob er nämlich nicht spornstreichs zu Francis lief und ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit alles beichtete. Schon immer hatte sie das Gefühl gehabt, daß Edgars ganze Aufrichtigkeit und Treue dem Sproß der Chadwells gehörte. Schon früher hatte Edgar Eseleien, die Francis anstellte, elegant aus der Welt geschafft. Zwischen den beiden herrschte einfach ein anderes Verhältnis als zwischen ihr und dem Butler. Sie gaben sich mitunter wie Verschwörer. Ihr gegenüber war Edgar stets nur der würdevolle Butler, der nur dann die Miene verzog, wenn es knüppeldick kam. Wie eben. Dezent schloß Edgar die Tür. Sein Schritt verklang draußen. Lady Sarah atmete auf. Er war zur Treppe ins Erdgeschoß gegangen, nicht nach links, wo Francis mit seinen dubiosen Freunden feierte. Das Feuer hatte inzwischen die Textilien verzehrt und den Haken aus der Wand ausgeglüht. Die Flammen hatten wieder ihr übliches Aussehen. Was Lady Sarah an diesem Abend erlebt hatte, war gespenstisch. Aber sie verfiel deswegen noch nicht in Panik. Als Mitglied eines der ältesten Adelsgeschlechter Englands mußte man die Größe aufbringen, mit guten und bösen
Geistern zu leben. Man mußte sich arrangieren. Adel verpflichtet schließlich! Was aber nicht hieß, daß man sich für alle Zeiten mit ihnen auf eine Stufe stellte. Anders lag der Fall, wenn es sich nicht um Geister handelte, sondern um den Teufel selber. Sie erschauerte. Ein Bote Satans mußte hier eingedrungen sein, während sie das Bild, aus dem Blut tropfte, von der Wand genommen und ins Arsenal gebracht hatte. Der teuflische Kurier hatte ihr die Mahnung hinterlassen. Und er war auf ebenso geheimnisvolle Weise verschwunden, wie er gekommen war. Argwöhnisch musterte sie den Kamin. Sie hatte gelernt, daß mit dem Wort Teufel der Begriff Hölle verbunden war und mit Hölle wiederum ein unterirdisches Reich, in dessen Höhlen und Sälen nie verlöschende Feuer brannten und wo die Seelen der Verdammten gemartert und geschunden wurden, ohne je auf Erlösung hoffen zu dürfen. Dieses Bild von der Hölle war mehr eine allegorische Vorstellung. Sie schätzte, daß es einem Boten doch ungemütlich warm geworden war, wenn er seinen Weg durch ihren Kamin genommen hatte. Andererseits waren die Fenster des Raumes fest verschlossen. Da blieb eigentlich nur noch die Tür. Der satanische Bote war jedoch bestimmt nicht durch die Halle unten gekommen. Da hätte ihn jemand vom Personal zu Gesicht bekommen und ein Gezeter erhoben. War er überhaupt sichtbar? Wie unter Zwang schaute sich Lady Sarah nach allen Seiten um. Besondere Aufmerksamkeit schenkte sie den Winkeln ihres Raumes, wo die Schatten ihrer Möbel ein gespenstisches Spiel aufführten. Es kam vom Licht der elektrischen Stehlampe
und von den tanzenden Flammen aus dem Kamin. Es war töricht von ihr, sie sah es ein. Wenn er unsichtbar war, sah sie ihn nicht, auch wenn er jetzt noch im Raum weilte. Ganz unten im Seitenfach des Sekretärs hatte sie noch eine Flasche mit Weihwasser, das ihr der alte Pfarrer von Fenwick aufgenötigt hatte. Für alle Fälle, wie er sich ausgedrückt hatte. Er hätte es besser für sich benützt, dachte Lady Sarah, räumte zwei angebrochene Flaschen Cognac vom feinsten französischen Gewächs beiseite und förderte die Weihwasserflasche ans Licht. Sie goß etwas in die hohle linke Hand und spritzte Tropen in jeden Winkel des Raumes. Nichts verriet, daß der Bote noch da war. Jedenfalls traf ihre Erwartung nicht ein, daß sich etwas oder jemand unter schrecklichem Fauchen, Brüllen oder Miauen aus dem Raum entfernte. Sie trug die Flasche ins nebenan gelegene Schlafgemach, um sie bei der Hand zu haben, wenn dies erforderlich wurde. Dann trug sie das Telefon zu ihrem Sekretär, lauschte, ob sich auf dem Flur Schritte näherten, und wählte hastig eine Nummer. Mit wachsender Ungeduld lauschte sie dem Rufzeichen. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis am anderen Ende abgehoben wurde. Eine zerknitterte Altmännerstimme meldete sich: »Lovelock! Zum Teufel, es ist fast Mitternacht. Wer spricht?« »Lady Sarah«, lautete die knappe und äußerst scharfe Auskunft. Dann dämpfte die Anruferin wieder die Stimme: »Lovelock, ich höre nichts von Ihnen. Ist das eine Art? Wo bleibt der Mann, den Sie kommen lassen wollten? Ich habe wieder eine Mahnung auf Pergament gefunden. Außerdem hat sich noch eine andere schreckliche Sache ereignet. Ich gewinne den Eindruck, die Ereignisse spitzen sich zu. Also?« »Der Mann ist seit zwei Tagen hier, Mylady«, sagte
Lovelock heiser und nur unwesentlich freundlicher. »Er ist mit meinem Faktotum unterwegs. Wegen der Kutsche und dem Kutscher, Sie wissen schon.« »Ist er zuverlässig und verschwiegen?« »Er ist Amerikaner, aber er ist noch im Hochland geboren. Seine Familie lebte dort Jahrhunderte. Ich denke doch, daß er den Mund hält.« »Lassen Sie sich sein Ehrenwort geben. Und er soll schnell machen. Seit heute abend habe ich Angst um Sir Francis.« »Gut, das werde ich ihm auch bestellen. Mylady, soll er Sie aufsuchen? Mit der gebotenen Diskretion natürlich.« »Zum jetzigen Zeitpunkt wünsche ich es nicht, Lovelock. Geben Sie ihm die Informationen, die er braucht.« Lovelock seufzte abgrundtief. »Er ist sehr wissensdurstig. Ich glaube, er hat mir ein paar Löcher in den Bauch gefragt.« »Über Schmerzensgeld haben wir uns nie unterhalten und tun es auch künftig nicht«, sagte Lady Sarah und bog allen sich daraus ergebenden Möglichkeiten die Spitze um. »Oder muß ich Sie für geldgierig halten?« Das war Lovelock, und er wußte es selber. Aber er hielt es im Gegensatz zu seiner Umwelt für die höchste Tugend. Lady Sarahs direkte Frage löste bei ihm einen Hustenanfall aus. Die Anruferin baute ihm eine goldene Brücke. »Die Angelegenheit muß forciert behandelt werden, Lovelock. Ich verlasse mich auf Sie. Sie sind mir für alles verantwortlich. Und was die Diskretion Ihres Amerikaners anbetrifft, ich habe noch keinen diskreten Amerikaner getroffen. Informieren Sie mich. Gute Nacht.« Sie legte auf und kniff die Lippen zusammen. Ein Amerikaner! Schön, einer, der hier im Hochland zur Welt gekommen war. Aber was machte das schon? Sie bereute, Lovelock in die Sache eingeweiht zu haben. Verärgert zog sie sich in ihr Schlafzimmer zurück. Es lag
nach Westen hinaus. Die Kammerzofe schien wieder vergessen zu haben, die Fensterflügel zu schließen. Der feuchte Wind bauschte die schweren Vorhänge. Natürlich waren die Fenster spaltweit offen. Lady Sarah bedachte, daß sie mit dem Weihwasser gut gewappnet war, bevor sie die Fenster schloß. Dabei war ihr, als hörte sie von fern Hufschlag und das Rattern einer Kutsche. Unsinn! dachte sie. Um diese Zeit reitet kein Mensch aus, und die letzte Kutsche fuhr hier gleich nach dem Krieg und dann nie mehr! Sie zog die Vorhänge zurecht und läutete nach der Kammerzofe, weil sie sich mit eigener Kraft nicht aus den Gewändern schälen konnte. *** Zwei Räume weiter löste sich das intime Fest auf, das Sir Francis aufgezogen hatte. Die Gäste hatten ihr Quantum. Es wurde Zeit, daß sie ihren Schwips zu Bett brachten. Sir Francis läutete nach Edgar. Der Butler erschien und verbarg sein mildes Erstaunen über den Zustand der Gäste hinter einer undurchdringlichen Miene, wie er glaubte. Aber Sir Francis kannte ihn besser. »Was ist mit Ihnen, Edgar? Sie machen ein Gesicht, als hätten Sie den Teufel gesehen.« Er fand seinen Spaß ungemein lustig und belachte ihn am lautesten. »Weisen Sie die Zimmer zu.« »Sehr wohl, Mylord!« sagte Edgar steif. Daß er die drei Männer auf die richtigen Zimmer brachte, dafür wollte er sich schon verbürgen. Anders sah es mit den jungen Frauen aus. Eine würde bei Sir Francis bleiben, darauf wollte er wetten. Es schien noch
nicht festzustehen, welche es war. Sollten sie sich einigen, bis er zurück war. Er führte die Männer hinaus. Immerhin wußten sie sich zu benehmen und lärmten mit Rücksicht auf die vorgerückte Stunde nicht auf dem Flur. Er war überzeugt, daß Lady Sarah diese zarte Rücksichtnahme zu schätzen wußte. Edgar atmete auf, als er sie abgeliefert hatte. Inzwischen war auch die andere Sache entschieden. Eine junge Dame namens Dawn Lester war ausersehen, dem Lord die Nacht zu vertreiben. Die andere hieß Tessa Keeler. Der Familienname erinnerte Edgar an eine hochpeinliche Affäre, die vor vielen Jahren sogar einem britischen Verteidigungsminister zum Verhängnis geworden war. Gehorsam führte der Butler Miß Keeler auf ihr Zimmer. Sie hatte den Raum bekommen, der allgemein als der blaue Salon bezeichnet wurde. Weil das Interieur in lichten Blautönen gehalten war. Einschließlich der Seidentapeten. Edgar gestattete sich einen Blick auf das freizügig gehaltene grüne Kleid von Miß Keeler, das mehr offenbarte, als es verdeckte. Die blonde Frau bemerkte sein Interesse und drehte sich kokett. Aber Edgar war in dem Alter, wo man keine Verwendung mehr für verführerische Anblicke hatte. »Man wünscht eine angenehme Nachtruhe!« sagte er gemessen. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, zog Tessa Keeler einen Flunsch. Und im nächsten Augenblick hob sie verwundert den Kopf. Knallte da nicht eine Peitsche? Sie lauschte. Tatsächlich, sie hatte sich nicht getäuscht. Das Geräusch kam nicht aus dem Schloß, sondern von draußen.
Sie trat zum Fenster, schob die schweren Gardinen beiseite und drückte sich die Nase am kühlen Glas platt. Draußen herrschte ein ungemütliches Wetter. Sie hörte es am Rauschen des Windes in den Parkbäumen von Chadwell Castle. Und jetzt knallte wieder die Peitsche. Unter den dunklen Bäumen bewegte sich etwas. Sie hatte einen sanften Schwips, und sie war so neugierig wie eine junge Elster. Eine Kutsche fuhr unter den Bäumen hervor. Ein Pferd war vorgespannt. Auf dem Bock saß eine Gestalt und handhabte die Leinen. Sie war auch sehr romantisch veranlagt und dachte, daß Francis es sich anders überlegt und Dawn versetzt hatte und vielleicht lieber mit ihr eine Ausfahrt machen wollte. Er winkte doch zu ihr herauf! Sie hob die Hand und winkte zaghaft zurück. Die Gestalt auf dem Bock winkte wieder. Das Pferd stand wie aus Erz gegossen. Ein Fetzen Mondlicht lag auf der Szene. Plötzlich kamen Tessa doch Bedenken. Warum hatte ihr Francis dann nicht eine Andeutung gemacht? Oder hatte er die Kutsche für Dawn anspannen lassen? Das mußte sie sehen. Tessa öffnete den hohen Fensterflügel und trat auf den Balkon mit der steinernen Brüstung hinaus. Der kalte Wind fuhr ihr scharf ins dünne Kleid und ließ sie frieren. Vor dem hellen Fenster mußte sie unten deutlich zu sehen sein. Sie winkte wieder. Aber diesmal reagierte die Gestalt nicht. Also gilt es nicht mir! dachte sie. Sie wandte den Kopf nach links. Sie konnte fast die ganze Westfront des Schlosses entlangsehen. Wo sie die Räume von Francis wußte, waren zwei Fenster schummerig erhellt. Er fährt mit Dawn aus. Das war ihr nun klar. Sie hob die Achseln und wollte ins Zimmer zurückkehren,
weil sie nun auch nicht versessen darauf war, die beiden aus dem Schloß kommen, zur Kutsche gehen und wegfahren zu sehen. Er hat sogar seinen Kutscher mitten in der Nacht aus dem Bett geholt, dachte sie. Darauf wird sich Dawn eine Menge einbilden, die dumme Gans! Ein Atemzug streifte plötzlich ihren Nacken. Sie erstarrte vor Entsetzen. Jemand war in ihr Zimmer gekommen und unbemerkt hinter ihr auf den Balkon getreten. Natürlich, sie hatte hinter dem steifbeinigen Butler nicht abgeschlossen. Oder hatte jemand auf dem Balkon gewartet? Jemand vom Personal, der durch die Fenster peilte und die Gäste von Sir Francis beobachtete? Oder war er gar selber gekommen? Vor Schreck wagte sie sich nicht zu rühren. Sie hörte den tiefen ruhigen Atem eines Menschen. Allerdings roch er sehr streng. Sie konnte nicht sagen, wonach. »Francis?« fragte sie mit kläglicher Stimme. Ein Grunzen wie von einem Tier war die Antwort. Mit einem gellenden Aufschrei fuhr Tessa Keeler herum. Es fiel genügend Licht aus ihrem Zimmer. Nicht Francis stand hinter ihr. Auch niemand vom Personal. Es war nicht einmal ein Mensch. Es sah aus wie ein großes Tier. Mit einem entsetzlichen Kopf, von dem die Haare wallten. Oben aus den Haaren stießen zwei Hörner. Eine Maske, dachte sie. Eine idiotische Maskerade! Francis hat sich ein Teufelskostüm übergestreift, er will mich erschrecken! Sie taumelte zurück und näherte sich bedrohlich der steinernen Brüstung. Mit zwei Schritten war die Schreckgestalt bei ihr. Eine Klauenhand schoß vor, umfaßte ihren Oberarm und riß sie zurück. Sie schrie wieder gellend auf.
Das war kein Spiel. Keine Maskerade. Die Klauenhand brannte wie Höllenfeuer auf ihrer nackten Haut und peinigte sie. Die entsetzliche Hitze wanderte in die Tiefe, lief den Arm abwärts und hinauf. Die zweite Hand schoß vor und preßte sich auf Tessas Mund, als sie wieder einen Schrei in höchster Not ausstoßen wollte. Der verzweifelte Ruf erstickte unter der Hand. Das Feuer wütete sofort im Gesicht der jungen Frau. Sie sah aus schreckgeweiteten Augen, daß die Klauenhand behaart war. Der ganze Kerl war behaart. Über und über. Wie ein Gorilla. Aber sie konnte sich nicht entsinnen, je von einem Gorilla mit Hörnern gehört zu haben. Sie versuchte sich zu befreien und war vor Schmerz und Furcht schon halb von Sinnen. Das Wesen, das sie gepackt hielt, gab ihr keine Chance. In dem behaarten Gesicht begannen zwei Augen rötlich zu glühen. Irgendwie nahmen sie einen zufriedenen Ausdruck an. Der Mund klaffte auf. Widerlicher stinkender Atem schlug Tessa ins Gesicht. Das Wesen lachte leise. Es drückte Freude aus. Und Haß. Grenzenlosen Haß. Sie spürte, daß er nicht ihr galt, aber daß sie damit zu tun hatte. Tessa strampelte und trat mit spitzen Schuhen nach der grausigen Gestalt. Ebenso hätte sie gegen die Brüstung treten können. Das Wesen reagierte nicht. Im nächsten Moment fühlte sich Tessa von den fürchterlichen haarigen Armen umschlungen, hoch in die Luft geschwungen und meinte, in die Tiefe stürzen zu müssen. Aber sie schlug nicht wie ein Stein in die Tiefe und zerschellte unten vor dem Schloß. Sie flog. Und das grausige Wesen flog hart neben ihr und hielt sie fest für alle Zeiten.
Was er einmal gepackt hatte, ließ er nicht mehr los. Und er war gekommen, um von den Chadwells die längst fällige Schuld einzutreiben. Sie bezahlten ihn, dafür wollte er sorgen. Sie würden alles so erfüllen, wie es im Vertrag geschrieben stand. Tessa Keeler merkte mit schwindenden Sinnen, daß das entsetzliche Wesen mit ihr geradewegs in die Kutsche hineinflog und daß sie in eine Ecke gepreßt wurde. Blitzschnell wurden ihr Ketten um Hand- und Fußgelenke geschlungen. Die Kutsche ruckte an. Eine Peitsche knallte. Räder drehten sich knirschend durch Kies. Draußen zogen dunkle Baumstämme vorbei. Immer schlimmer. Tessa Keeler machte ihre letzte Fahrt in diesem irdischen Leben. Ihr Begleiter, der kichernd und stinkend neben ihr hockte, war Satan selber. *** Die Schreie hatte man im Schloß gehört. Der Butler war als erster zur Stelle. Aber weil es gegen die Regeln des Anstandes verstieß, allein in die Räume einer jungen Dame vorzudringen, wartete er, bis Sir Francis auf dem Flur erschien und gerade den Gürtel eines Hausmantels schloß. »Jemand hat gellend geschrien«, bemerkte Sir Francis überflüssigerweise. »War es hier, Edgar?« »Die Stimme einer jungen Frau«, erläuterte Edgar. »Da bleibt nur eine Möglichkeit.« »Dann öffnen Sie schon!« drängte Sir Francis. »Worauf warten Sie denn noch?« »Ich sehe mich um!« sagte eine resolute Stimme. Lady Sarah erschien auf dem Flur, gerade soweit bekleidet, wie es der Anstand und ihre solide Auffassung von Schicklichkeit vorschrieben. »Ich habe es ebenfalls gehört.«
Edgar war froh, der Verantwortung enthoben zu sein. Bereitwillig machte er der Schloßherrin Platz. Lady Sarah fand die Tür unverschlossen, was ihrem Sohn einen beziehungsreichen Blick eintrug, als hätte er die Absicht gehabt, sich im Verlauf der Nacht auch noch hier umzutun. Die Lichter im Raum brannten. Kalte Luft wehte durchs Zimmer und bauschte die Vorhänge vor dem hohen Fenster. Lady Sarah hob schnuppernd die Nase und bekam schmale Augen, als sie mitten auf dem chinesischen Seidenteppich ein Stück Pergament entdeckte, wie sie es sattsam kannte. Sie hob es auf und versenkte es geschickt in der Tasche ihres Bettmantels. »Was ist das Mutter?« fragte Sir Francis. Lady Sarah überging seine Frage. In diesem Moment nämlich hörte sie Hufschlag. Eine Peitsche knallte, und eisenbereifte Räder mahlten entfernt durch Kies. Den gab es nur auf der Auffahrt vom Park herüber. Das Flügelfenster stand weit geöffnet. Sie trat auf den Balkon. Sir Francis folgte ihr. Und zwei Schritte zurück kam Edgar. Er hatte auch die Geräusche gehört. Noch immer lag Mondlicht auf dem Platz, auch wenn schon wieder düstere Wolkenfetzen heranjagten und die bleiche Scheibe am Himmel zu verhüllen drohten. Bei den alten Bäumen fuhr eine Kutsche los. Auf dem Bock saß der Mann ohne Kopf! Sein Gespannpferd sah herüber und wieherte grausig. Seine Augen leuchteten rötlich. Lady Sarah und Francis konnten für den Bruchteil einer Sekunde ins Innere der Kutsche sehen. Dort saß eine Frau mit einem dürftigen dunklen Kleid. Und neben ihr eine ungefüge Gestalt. Das Pferd riß die Kutsche davon. Ein geisterhaftes, satanisches Kichern wehte aus der Nacht
heran und ließ die drei fast erstarrten Menschen auf dem Balkon unsagbare Furcht empfinden. Edgar bekreuzigte sich, obschon er nicht dieser Konfession angehörte und er auch sonst nie ein frommer Mann war. Endlich fiel auch die Erstarrung von Sir Francis. »Das – das ist doch Tessa in der Kutsche!« rief er. »Was ist das für eine Kutsche überhaupt? Was geht hier vor, was soll das bedeuten?« Lady Sarah wandte sich langsam nach ihm um. »Ich fürchte, das ist die zwölfte vermißte Person, Francis«, sagte sie seltsam schwer. »Die Polizei wird wieder mit ihren Ermittlungen beginnen.« »Das will ich auch hoffen!« gab Sir Francis scharf zurück. »Die Polizei, richtig! Man muß sie sofort verständigen!« Lady Sarah ließ resignierend die Achseln hängen. »Es wird zwecklos sein. Man wird das Mädchen so wenig finden, wie man je etwas von den anderen Menschen gefunden hat. – Edgar, Sie können zur Ruhe gehen. Falls die Polizei in den nächsten Tagen erscheint, sagen Sie die Wahrheit.« »Sehr wohl, Mylady!« Mit klappernden Zähnen entfernte sich der Butler. Lady Sarah und Sir Francis blieben in der kalten Nachtluft auf dem Balkon stehen. »Darf ich dich um eine plausible Erklärung bitten, Mutter?« »Um eine Erklärung schon, Francis. Plausibel ist sie nicht. Der Teufel hat das Mädchen geholt!« Sie griff in die Tasche und brachte das Pergament mit Luzifers Siegel und Unterschrift zum Vorschein. Mit spitzen Fingern hielt sie es ins Licht. »Davon habe ich inzwischen eine ganze Sammlung. Komm mit, ich will dir alles erklären.« Sir Francis hatte die dumpfe Empfindung, daß er schreckliche Dinge zu hören bekam. »Da bin ich aber gespannt«, sagte er in einem Anflug von
Trotz und Aufbegehren. »Der Teufel holt niemand. In welcher Zeit leben wir denn?« Seine Mutter blieb ihm die Antwort schuldig. Sie ging voran in ihren Salon und holte die Botschaften aus dem Geheimfach. Die legte sie vor ihm aus. »Es vergeht keine Woche, in der ich nicht eine solche Mahnung bekommen habe. Sie lagen alle hier im Haus. Heute fand ich hier eine. Und jetzt noch diese im blauen Salon. – Setz dich!« Sie genehmigte sich ein Glas aus ihrem Vorrat an exzellentem Cognac und kauerte sich in einen Sessel vor dem Kamin, in dem das Feuer fast herabgebrannt war. »Einer deiner Vorfahren hat ein dubioses Geschäft mit dem Satan gemacht Es muß darüber ein Vertrag bestehen. Ich werde in der Frühe Lovelock herbitten und mit seiner Hilfe die alten Dokumente durchsehen.« »Ich möchte dabeisein«, knurrte Sir Francis. »Geschäfte mit dem Satan! Es klingt lachhaft, und das ist es auch. Tessa wurde von irgendwelchen gottverdammten Kidnappern entführt. Ihre Familie besitzt ein ansehnliches Vermögen, sogar für unsere Begriffe. Wir haben schon zu viel Zeit verloren. Ich werde die Polizei verständigen.« Er erwartete Widerspruch. Zu seinem Erstaunen hielt ihn seine Mutter nicht davon ab. Erst als er die müde Stimme einer Telefonistin aus dem Polizeihauptquartier in Newcastle upon Tyne vernahm, hob er den Kopf. Und da erwachte seine Mutter zu reger Tätigkeit. Sie drückte die Gabel nieder und sagte nur: »Wenn es schon die Polizei sein muß, dann verständige bitte Sir Archibald.« Der war ein Bekannter der Familie, hatte ein hohes Amt bei der Grafschaftspolizei innegehabt und befand sich mittlerweile im Ruhestand. Lady Sarah gab Francis sogar die Nummer. Es dauerte fast fünf Minuten, bis er den alten Herrn am
Apparat hatte. Mürrisch und eben wie jemand, den man aus dem tiefsten Schlaf gerissen hat. »Francis of Chadwell hier – entschuldigen Sie die Störung zur unpassenden Zeit, Sir Archibald. Auf Chadwell Castle hat sich eine schreckliche Geschichte zugetragen. Ich fürchte, es handelt sich um Kidnapping. Tessa Keeler, eine Bekannte aus London. Sie wurde vor ungefähr zehn Minuten hier aus dem Schloß entführt, wir konnten nichts dagegen unternehmen.« Ein Knurren kam vom anderen Ende. Dann: »Waren es mehrere Täter? Waren sie bewaffnet? Welches Fluchtfahrzeug wurde verwendet? – Hallo, Francis, sind Sie noch dran?« »Unbewaffnet, denke ich«, sagte Sir Francis und spürte ein Würgen in der Kehle. »Und zu zweit. Sir Archibald, das Mädchen wurde in einer uralten Kutsche weggebracht. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Ich meine die alte Landstraße. Entweder schafft man sie in Richtung Langloan oder in Richtung Fenwick.« Es folgte eine Pause. Dann meinte Sir Archibald: »Das ist schlecht. Langloan hat keine Polizei. Ich verständige Fenwick, die sollen die Sperrung der Straße veranlassen. Hm, was können Sie mir sonst noch an Hand geben?« Lady Sarah griff ein und nahm ihrem Sohn den Hörer ab. »Guten Morgen, Archibald«, sagte sie. »Es ist eine lange Geschichte. Besser, Sie kommen her, sobald es Ihnen möglich ist.« »Das klingt nicht gut, Lady Sarah«, befand der altgediente Kriminalist. »Ich fahre in der Frühe los.« »Wir erwarten Sie. Und haben Sie herzlichen Dank, Archibald.« Sie legte auf. Ihr Blick lag lange auf ihrem Sohn. »Ihm hättest du es sagen können. Er ist mit der Geschichte der Chadwells ziemlich gut vertraut.« Sir Francis sprang erbost auf. »Soll ich mich von ihm etwa fragen lassen, ob ich nicht bei Sinnen bin, wenn ich ihm mit
deiner Geschichte vom Teufel gekommen wäre?« »Deine Erregung ist völlig überflüssig«, dämpfte sie seinen Zorn. »Ich weiß nämlich, wovon ich rede. Im Gegensatz zu dir. Wie gesagt, einer deiner Vorfahren hatte einen Pakt mit dem Teufel und hielt ihn nicht ein. Er hat den Satan um den Lohn betrogen.« »Wer soll es gewesen sein?« »Ich weiß es nicht mit absoluter Sicherheit, aber ich denke, es war der wüste John. Der mit der morgenländischen Prinzessin…« »Ha, das ist vor über siebenhundert Jahren passiert, und ich glaube nicht, daß je ein Mensch einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat. Einfach aus dem Grund, weil es den Teufel nicht gibt. Eine Erfindung des Klerus, um das dumme Volk bei der Stange zu halten, wie es so schön heißt.« »Du hast zwar eine kostspielige Erziehung genossen, aber du bist nicht sehr klug dabei geworden, Francis«, sagte seine Mutter. »Warum finde ich in den letzten Wochen immer wieder diese Botschaften? Warum sind Menschen spurlos verschwunden? Warum fährt eine Gespensterkutsche mit einem kopflosen Lakaien auf dem Bock nächtens herum?« »Aberglaube, Geschwätz der Leute. Vor zwei Jahren waren es fliegende Untertassen und davor das Monster von Loch Ness… Was hast du? Ist dir nicht gut?« »Die Kutsche!« stieß Lady Sarah hervor. »Francis, mein Gott, es war die Geisterkutsche mit dem kopflosen Gespenst auf dem Bock!« Dem jungen Lord platzte endgültig der Kragen. »Ich lasse dir einen Beruhigungstee machen!« Sie schaute ihn strafend an. »Du verstehst mich nicht, weil du nicht willst. Francis, irgend etwas hat den Teufel aufgescheucht, er ist gekommen, um den Pakt einzufordern. Es war immer üblich, daß derjenige, der der Partner des Teufels wurde, nach Ablauf einer gewissen Zeit seine Seele hergeben
mußte. Dein Vorfahr hat den Teufel um diesen Lohn betrogen. Jetzt fordert Satan, was ihm zusteht. Bedenke doch alle diese grausigen Vorfälle. Verstehst du nicht – er will dich holen, er begehrt deine Seele.« Francis lachte schallend. Aber es hörte sich dennoch bitter an, weil er dabei an Tessa dachte. »Dir ist nicht zu helfen«, meinte seine Mutter. Und sie erzählte ihm, was mit dem Gemälde des wüsten John geschehen war. Sie hätte es besser nicht getan. Denn jetzt hatte Sir Francis einen Ausdruck in den Augen, der seine große Besorgnis über den Geisteszustand seiner Mutter bekundete. »Fühlst du dich schon länger unwohl?« fragte er ungalant. Sie machte eine matte Handbewegung. »Edgar hat das entsetzliche Phänomen zuerst entdeckt. Ich habe ihn zum Stillschweigen verpflichtet. Ich fand alles genauso vor, wie er es mir geschildert hat.« »Lachhaft. Bitte, ich will mein Entgegenkommen beweisen, ich will mir das Loch in der Wand ansehen, wo du angeblich den Haken entfernt hast Dort gibt es nämlich kein Loch in der Wand. Es sei denn, kürzlich hätte jemand eins hineingebohrt.« Es machte ihn aber doch stutzig, als seine Mutter sich bereitwillig erhob. Sir Francis, sechzehnter Earl of Chadwell, Mitglied des Oberhauses, erlitt einen nachhaltigen Schock, als er statt des Loches oder der erwarteten glatten Wand das Gemälde von Sir John an der nämlichen Stelle erblickte, von der es seine Mutter vor etwas weniger als zwei Stunden erst weggenommen und ins Arsenal zurückgebracht hatte. Aus dem Handgelenk pulste wieder Blut, und auf dem Boden des Ganges hatte sich eine dunkle Lache gebildet. Mit einem irren Ausdruck in den Augen rannte Sir Francis zum Arsenal. Vergeblich suchte er das Bild. Es hing nicht an seinem angestammten Platz.
Mit unendlichem Entsetzen begriff er, daß seine Mutter in allem die Wahrheit gesagt hatte. Den Teufel gab es also doch. Und er war gekommen, um die Seele eines Chadwell einzufordern. Seine Seele! *** Es war nach Mitternacht, als Gordon Black mit dem mehr toten als lebenden Paddie Mulligan die Stadt erreichte. Im dürftigen Licht einer einsamen Straßenlaterne brachte Gordon seinen Begleiter und sich halbwegs in Form. Für den Fall, daß ihnen verspätete Einheimische über den Weg liefen und anfingen, dumme Fragen zu stellen. Gordon saß der Schreck noch tief im Gemüt und in den Knochen. Die teuflische Falle mit den tanzenden Flammensäulen hätte ihm um ein Haar den Garaus gemacht. Als er an sich herumputzte, merkte er, daß der Teil seines Jacketts über der rechten Hüfte nicht mehr vorhanden war. Er war weg. Wie mit einem Rasiermesser abgetrennt. Er entsann sich, daß er auf der rechten Hüfte eine Bewegung gespürt hatte, als ihm der rettende Sprung durch die Lücke in der flammenden Palisadenwand gerade noch geglückt war. Im nachhinein richtete es ihm noch alle Nackenhaare auf. In der Außentasche, die mit verschwunden war, hatte er Belanglosigkeiten stecken gehabt. Ein Feuerzeug, Zigaretten, Kleingeld. Diese geringen Güter ließen sich verschmerzen. Paddie Mulligan guckte wie ein kurzsichtiger Maulwurf. Dann setzte bei ihm der Verstand wieder ein. »Mit Ihnen haben wir uns was Schönes eingebrockt!« murrte er. »Was war das für Feuer? Warum mußten wir die ganze Zeit so laufen? Ich glaube, Sie haben mir den Arm ausgekugelt.« »Sie sind in einem Stück, es ist nichts passiert«, dämpfte
Gordon Black den Unmut des alten Mannes. »Ich werde Ihnen das alles erklären. Aber zuvor muß ich mit Mister Lovelock sprechen.« »Der wird eine Freude haben!« orakelte Mulligan. Dann erschrak er. »Jetzt mitten in der Nacht?« »Ich werde bis zum Morgen warten«, versprach der Geisterjäger. »Ich bringe Sie nach Hause.« Mulligan erhob keine Einwände. Er wohnte am westlichen Rand von Langloan in einem bescheidenen und etwas schmalbrüstig in der Dunkelheit dastehenden Häuschen. Gordon wartete, bis er hinter sich abgeschlossen hatte. Für Augenblicke hörte er noch die harten Schritte des Mannes auf einer Holztreppe. Dann erlosch die Beleuchtung im Treppenhaus, eine Tür fiel zu. Gordon kehrte um und strebte dem »Wappen von Langloan« zu. Der Ort schlief, Hanako mit Sicherheit ebenfalls. Aber er war entschlossen, sie zu wecken. Außergewöhnliche Vorkommnisse erforderten schließlich Opfer. Sie würde es ihm verzeihen. Als er über den Marktplatz ging, spürte er eine feindselige Ausstrahlung, die immer stärker wurde, je näher er dem Gasthof kam. Etwas versuchte ihn aufzuhalten. Seine Bewegungen wurden von geheimnisvollen Kräften gebremst. So ähnlich hatte er sich immer ein unsichtbares Kraftfeld in seiner Wirkung vorgestellt. Er versuchte, mit seinem Kruzifix die fremde Kraft zu brechen. Wie schon draußen auf der Landstraße im Wald machte er die bittere Erfahrung, daß die Macht des Kreuzes nicht ausreichte. Er kämpfte sich mit zusammengebissenen Zähnen voran. Schritt für Schritt. Es war ihm, als müßte er durch tiefen Schnee stapfen. Oder durch eine zähe Masse, die es darauf abgesehen hatte, ihn auf der Stelle festzuhalten. Anders konnte
er das Gefühl nicht definieren. Endlich erreichte er den jenseitigen Rand des Marktplatzes. Irgendwo wurde ein Motor angelassen, ein Fahrzeug kurvte durch die Stadt und verschwand, ohne daß es über den Marktplatz gekommen war. Wütend arbeitete sich der Geisterjäger in die Gasse hinein, in der das Gasthaus lag. Er hatte plötzlich Angst um Hanako. Es hatte doch etwas zu bedeuten, daß er mit allen Ränken und Tricks der finsteren Mächte vom Gasthof ferngehalten werden sollte. In seiner Not betete er die erste Anrufung Adonays, des Meisters der Magier der weißen Kunst. Er merkte augenblicklich, wie sich die fremden Mächte etwas zurückzogen. Aber sie kamen sofort wieder. Und er bekam Schläge von unsichtbaren Fäusten, daß er in seinem Kopf ein ganzes Posaunenorchester blasen hörte. Er schützte sich notdürftig mit dem Kruzifix. Die unsichtbaren Fäuste scheuten davor zurück, das Kreuz zu berühren. Gordon begann, die zweite Anrufung zu murmeln. Das war zuviel für seine Gegner, die er nicht sah und nicht hörte, dafür um so drastischer spürte. Sie ließen von ihm ab. Stinkende Luft wehte ihm noch ins Gesicht, daß er entsetzt den Kopf abwandte. Höllengestank, das war es! Die Wächter Satans waren also auch in Langloan! Wenigstens einer war zur Stelle. Er begann zu hasten. Jetzt hielt ihn nichts mehr auf. Vor dem Gasthof standen zwei Autos. Fast vor der Tür lag ein umgefallenes Fahrrad. Oben in Hanakos Zimmer war nämlich Licht. Ein seltsames, diffuses und unruhiges Licht. Und das Fenster stand sperrangelweit auf. Hanako und er hatten die schönsten Zimmer bekommen. Sie gingen auf die Straße, und wenn man sich weit hinauslehnte,
konnte man sogar einen Teil vom Marktplatz einsehen. Unter dem Fenster lag Gepäck auf dem Bürgersteig, das er im Schein der matten Straßenlaterne an der Ecke unschwer als Hanakos Eigentum identifizierte. Jemand hatte ihre Reisetasche und den Flugkoffer herabgeworfen. Mit einem Satz war Gordon an der Hauswand und öffnete den Koffer. Ein wahres Glück, daß Hanako ihn nicht verschlossen hatte und den Schlüssel bei sich trug. Soweit Gordon sah, war alles vollzählig vorhanden. Er nahm das Dogu heraus, das wie das Abbild eines winzigen Gnoms in einer japanischen Samurairüstung aussah. Er wollte es nicht in der Nähe haben. Es belästigte ihn. Oder es behinderte ihn sogar. Gordon klappte den Koffer zu, angelte nach dem Griff der Reisetasche und nach dem Koffergriff, wuchtete das Gepäck mit der linken Hand an und hielt in der rechten das Dogu vor sich. Er hoffte, daß der magische Gegenstand auch in seiner Hand seine Kräfte entfaltete. Er hatte Hanako einmal mit dem Dogu arbeiten sehen. Soweit er sich erinnerte, hatte sie dabei nichts gesprochen. Immerhin war es ja möglich, daß eine Beschwörungsformel auf japanisch aufgesagt werden mußte. Den Haustürschlüssel hatte er in der Hosentasche stecken. Gerade war er im Begriff, das Gepäck abzusetzen, um an den Schlüssel zu kommen, da spürte er, daß ein Zittern und Pulsieren von dem Dogu ausging. Er verspürte in der Hand ein angenehmes Prickeln. Im nächsten Augenblick sprang die verschlossene Haustür auf. Er nahm sich nicht die Zeit, sich über diesen Effekt zu wundern. Das hatte er sich überhaupt abgewöhnt, seit er sich der Geisterjagd verschrieben hatte – neben seinem Beruf als
Rechtsanwalt. Mit dem Gepäck in der einen und dem Dogu in der anderen Hand rumpelte er in die Gaststube. Es roch nach kaltem Rauch, schalem Ale und Porter, nach Tee und Schweiß. Er drückte mit dem Ellbogen den Lichtschalter. Die Helligkeit schmerzte für Augenblicke. Dann hatte er die Orientierung und hastete zur rückwärtigen Tür, die ins Treppenhaus und nach oben führte. Die Tür sprang vor ihm auf. Er jagte wie von allen Dämonen der Hölle gejagt die Treppe hinauf, prallte in der Dunkelheit gegen die Wand und sah feurige Kringel vor den Augen herumtanzen. Dann gewahrte er den schmalen Lichtstreifen, der unter Hanakos Zimmertür her über den Flurboden fiel. Er ließ die Tür aufspringen und prallte vor der Eiseskälte zurück, die trotz des offenen Fensters zur Straße im Zimmer herrschte. Hanako lag auf dem Bett und hatte keinen Fetzen Stoff am Leib. Sie war betäubt oder schien tief zu schlafen, Rechts und links waren mit schwarzem Tuch verhangene Konsolen oder Blumenständer beigerückt. Auf jeder brannte eine schwarze Kerze. Die spendeten den diffusen unruhigen Lichtschein, den er drunten beim Näherkommen wahrgenommen hatte. Er begriff sofort, was diese Anordnung zu bedeuten hatte. Es war eine Teufelsanrufung, und Hanako war als Opfer zurechtgemacht und sollte dem Fürsten der Hölle zum Vergnügen dienen. In einer Ecke kauerte eine Gestalt. Sie betete auf den Knien vor einer dicken schwarzen Kerze. Hinter der Kerze war ein schwarzes Kreuz verkehrt herum aufgestellt. Das beseitigte seine letzten Zweifel. Hier ging eine Teufelsmesse über die Bühne. Er war buchstäblich im richtigen Moment gekommen, um das Schlimmste zu verhüten. Mit dem Dogu in der ausgestreckten Hand näherte er sich
Hanako und blies die zwei Kerzen aus. Dann drückte er mit dem Ellbogen den Lichtschalter und ließ das Gepäck mit Getöse auf den Boden fallen. Die Gestalt bewegte sich in der Ecke. Die entsetzliche Kälte ging einwandfrei von ihr aus. Nach allen gültigen physikalischen Gesetzen hätte sie bereits erfroren sein müssen. Was auch für Hanako galt. Aber die Asisatin atmete, wenn auch flach und sehr verlangsamt. Und die Gestalt rutschte auf Knien aus ihrer Ecke heraus. Es war Mrs. Scanlan, die Wirtin vom Gasthof! Der Schock traf Gordon Black wie ein Huftritt in den Magen. Die Frau war eine Teufelsanbeterin! Die letzten Zweifel wurden ihm genommen, als er der Frau auswich und sah, daß sie zweierlei Schuhe trug. Das war eine streng zu befolgende Schutzmaßnahme. Denn hatte man zweierlei Schuhe an, konnte einem der Teufel selber nichts anhaben. Aber man konnte ihn dahin locken, wo man ihn haben wollte. Und man konnte ihn mit einem Opfer geneigt machen und gnädig stimmen und sich von ihm eine Gunst erbitten. Das Opfer war Hanako. Bloß hatte der Teufel es noch nicht bekommen. Er hatte sich verspätet. Oder die Zeremonie war noch nicht weit genug fortgeschritten gewesen. Mit einem Satz war Gordon Black in der Ecke und stieß mit einem Fußtritt die dicke schwarze Kerze und das mißbrauchte Kreuz um. Mrs. Scanlan löste sich aus der Erstarrung. Wie eine Furie ging sie auf den Geisterjäger los, immer noch auf Knien, und versuchte ihn in die Hüfte zu beißen und an der Kleidung zu packen. Sie wollte ihn zu Boden reißen und festhalten, bis ihr
jemand zu Hilfe kam. Er konnte sich schon denken, wen sie im Auge hatte. Er schleuderte die Frau von sich, warf sich auf sie und riß ihr die Schuhe von den Füßen. Edna Scanlan stieß klägliche Schreie aus. Sie verstand, daß sie hilflos gemacht wurde. Wenn in diesem Zustand der Meister der Hölle erschien, hielt er sich an sie. Denn sie hatte ihn ja gerufen und hatte ihm ein Opfer angekündigt. Im Zimmer stellten sich wieder erträgliche Temperaturen ein. Die Wirtin wimmerte und wand sich am Boden. »Das war ein übler Streich, werte Dame!« sagte Gordon Black und schloß das Fenster. Das fehlte noch, daß die Nachbarschaft hellhörig wurde und sich aus den Fenstern hängte und haarklein mitbekam, was sich im »Wappen von Langloan« tat! Es war so bereits schlimm genug. Da mühte er sich mit Mulligan zwei Nächte lang ab, stand sich die kalten Beine in den Leib und besorgte sich den Schnupfen, nur um herauszufinden, daß draußen auf der Chaussee wahrhaftig eine Kutsche mit einem kopflosen Kutscher verkehrte und den Satan selber als Passagier beförderte, und derweil hatte der Fürst der Hölle hier in Langloan eine willige und sehr fähige Helferin. »Ich muß es tun!« wimmerte Edna Scanlan. »Mein Name steht im Buch.« Das Buch – das war so eine Sache. Angeblich hatte der Teufel die Namen aller Leute in einem Buch notiert, die sich je mit ihm auf ein Geschäft eingelassen hatten. Aus diesem Buch kam niemand mehr heraus. Denn damit war seine Seele dem Satan verpfändet. Es konnte sich allerdings auch um eine schamlose Erpressung handeln. »Wie wollen Sie ins Buch gekommen sein?« fragte Gordon
Black, und mit Absicht ließ er seine Stimme unfreundlich klingen. Diese Frau hatte Milde und Nachsicht nicht verdient. »Er – er hat gesagt, ich stehe drin«, heulte die Frau auf. »Haben Sie Geld genommen? Ein Geschenk? Eine kostbare Blume?« »Nichts, überhaupt nichts. Er hat gesagt, er hat mich, und ich muß ihm gehorchen.« Dicke Tränen rannen ihr über das Gesicht. Er zweifelte nicht, daß sie echt waren und daß die Wirtin wirklich Todesängste ausstand. »Wann hat er das gesagt? Der Zeitpunkt interessiert mich.« »Es ist kaum ein Vierteljahr her. Er hat viele Namen aus der Gegend im Buch stehen, hat er gesagt. Er holt sie alle. Mich auch.« Sie wurde wieder von der Furcht überwältigt und greinte drauflos. »Na ja, ein paar arme Teufel hat er sich ja geholt! Hören Sie auf und ziehen Sie die Schuhe wieder an.« Er zögerte. Sein Mitleid hatte sie eigentlich nicht verdient. »Ziehen Sie zwei verschiedene Socken dazu an, und schreiben Sie auf ein schneeweißes Blatt Papier ohne Falten und eingekniffene Ecken, daß Sie geloben, in der Frühe zwei Kerzen in der Kirche aufzustellen. Dieses Blatt verbrennen Sie, und die Asche schütten Sie in ein Leinensäckchen und tragen es sieben Tage lang um den Hals. Er wird Ihnen nichts anhaben können.« Ihr tränennasses Gesicht hob sich zu ihm. »Ist das wirklich wahr?« »Ich bin kein Spaßmacher. Los, beeilen Sie sich, schreiben Sie auf das Papier! Er kann jeden Moment erscheinen.« Dieser dezenten Drohung hätte es kaum bedurft. Mrs. Scanlan erhob sich, als sei sie um Jahre jünger geworden, sauste aus dem Zimmer und jagte die Treppe zum nächsten Stockwerk hinauf, wo sie ihre privaten Räume hatte. Der Geisterjäger hoffte, daß sie alles richtig behalten hatte und jetzt nicht noch einen Fehler machte. Gerade als er sich Hanako zuwenden wollte, vernahm er ein
schreckliches Rumoren und Fauchen genau vor dem Fenster. Er verharrte mitten in der Bewegung. Gottlob hatte er noch das Dogu in der Hand. Er legte den Kopf schief wie ein lauschender Schäferhund, und dann wirbelte er herum, jagte mit drei Sprüngen zum Fenster und reckte das Dogu gegen das Glas. Draußen sah er eine wüste Dämonenfratze mit einem schreckhaft weit aufgerissenen Maul und drum herum wirre Haare. Die Hörner sagten ihm, wer der unerwünschte Besucher war, der keinen Einlaß fand. »Verflucht seist du, Satan, gefallener Engel!« sprach Gordon Black hastig. »Dreimal verflucht und verdammt bis in alle Ewigkeit!« Ein gereiztes wildes Fauchen war die Antwort. Eine Klauenhand tauchte auf und machte eine Bewegung, als wollte sie ins Fenster schlagen, das Glas zerbrechen und das Dogu beiseite fegen. Aber die Kraft des kleinen Gegenstandes war anders, war fremd. Satan kannte sie nicht, und das machte ihn vorsichtig. Neugierig war er jedoch. Er schwebte einige Schritte zurück und glotzte aus seinen rötlich glimmenden Augen herein. Er hatte Hanako gesehen, dämmerte es Gordon. Das hält ihn fest, er rechnet sich immer noch eine Chance aus, sie und ihre Seele zu bekommen! Ich muß ihn beschäftigen, damit Mrs. Scanlan ihre Arbeit vollenden kann! Mit dem Dogu hinderte er den Satan daran, das Fenster zu zerbrechen. Der Fürst der Hölle versuchte, die fremde Kraft zu ergründen und ihr etwas nach seinem Gutdünken entgegenzusetzen. Gordon Black hatte Bewegungsfreiheit. Nicht viel, aber für seine Zwecke reichte sie aus.
Er öffnete mit der linken Hand den Koffer und breitete Hanakos Schätze auf dem Boden aus, dabei die ganze Zeit das Dogu gegen das Fenster gereckt. Mit den getrockneten Pflanzen, Holzringen und asiatischen Symbolfiguren konnte auch der Geisterjäger nichts anfangen, aber er gab sich den Anschein, als sei er dazu jederzeit imstande. Er ordnete die ineinander verschlungenen Holzringe zu idiotischen Figuren, die nichts hergaben. Satan glotzte zum Fenster herein. Seine Hörner stießen gegen das Glas und ließen es klirren. Gordon schleuderte ihm eine getrocknete Pflanze entgegen. Mißtrauisch zuckte er zurück. Der Geisterjäger wagte es, sich bis zur Tür zurückzuziehen. Er klinkte sie auf und brüllte ins Haus: »Mistreß Scanlan, beeilen Sie sich! Wie weit sind Sie?« Oben wurde eine Tür aufgerissen. »Sind Sie das, Mister Black? Ich trage die Asche schon um den Hals, wie Sie gesagt haben.« Gordon meinte, man müßte in der ganzen Stadt den Plumps hören, mit dem ihm ein tonnenschwerer Stein von der Seele fiel. »Dann ist es gut«, rief er zurück. »Bleiben Sie, wo Sie sind! Er ist seit ein paar Minuten da.« »O Gott!« kreischte Mrs. Scanlan los. »Er kann nichts machen«, rief der Geisterjäger zurück. »Er gewinnt keine Macht über uns.« Er zog die Tür zu und holte das schwarze Kreuz, das die Wirtin für ihre Teufelsanbetung mißbraucht hatte. Gordon stieß es in richtiger Haltung in eine der schwarzen Kerzen hinein, die noch weich genug waren, um den Fuß aufzunehmen. Dann griff er sein silbernes Kruzifix heraus und legte es auf Hanakos Leib. Der Teufel konnte vorerst keine Macht über sie gewinnen.
Erst mußte er das Kruzifix entfernen, und das brauchte seine Zeit. Er konnte es nicht berühren. Und einen Stock oder eine Stange sah Gordon nicht im Zimmer. Die Vorhänge verliefen in Schienen. Er riskierte es, Hanako mit der entsetzlichen Bedrohung vor dem Fenster allein zu lassen. Aber er war noch nicht auf dem Flur, als er schon das Fenster splittern hörte. So ging es nicht. Er konnte die Dämonenpeitsche nicht aus seinem Zimmer holen. Das Athame! Sein Hexenmesser! Er trug es an der roten Schnur bei sich. Um den Leib geknotet. Daß er daran nicht gedacht hatte! Aber wann denn auch? Alles war ja viel zu schnell gegangen. Das Athame war sehr wirkungsvoll gegen Hexen, Zauberer und ihre Macht. Daß es auch gegen Satan wirkte, glaubte Gordon Black nicht. Aber er konnte damit etwas anderes anstellen. Und immerhin war die Sache einen Versuch wert. Er zog den Hexendolch aus der Kleidung, löste mühsam den Knoten und nahm eine der schwarzen Kerzen aufs Korn. Der Teufel hatte seinen widerwärtigen Hörnerschädel bereits durchs zerbrochene Fenster gesteckt. Er lachte hämisch, als wisse er schon, daß der Versuch des Mannes scheitern würde. Der Geisterjäger war aber nicht auf den Kopf gefallen. Er wehrte mit dem Dogu den Gehörnten weiter ab und sprach zu der schwarzen Kerze: »Du bist wie Satan, du bist Satan!« Das sagte er dreimal. Und dann stieß er das Athame mitten in die Kerze hinein. Der Zauber wirkte. Schlimmer, als Satan im letzten Augenblick erahnt hatte. Besser, als Gordon gehofft hatte. Der Fürst der Hölle krümmte sich mit einem entsetzlichen
Aufschrei, der das Haus erzittern ließ. Gerade, als hätte er den Hexendolch mitten in den Leib bekommen. Dann stieß er sich mit den Klauenhänden vom Fenstersims draußen ab und entfloh mit einem lauten Wehklagen. Er flog wahrhaftig. Nicht sehr elegant, aber er konnte es. Gordon wünschte ihm, daß er sich vertat und gegen eine Mauer sauste. Aber dieser fromme Wunsch ging ihm nicht in Erfüllung. Den infernalischen Schrei und das Jammern hatten Nachbarn aus dem Schlaf gerissen. Da und dort ging Licht hinter Fenstern an. Gordon knipste geistesgegenwärtig das Licht aus, zog die Vorhänge zu und wartete eine angemessene Zeit. Dann drückte er den Schalter wieder und sah sich nach Hanakos Kleidung um. Er fand sie unordentlich zusammengeknüllt am Fußende unter der Zudecke herauslugen. Es kostete ihn einige Mühe, seine Mitarbeiterin halbwegs zu bekleiden. Er gestand sich ein, daß die Arbeit in umgekehrter Reihenfolge entschieden reizvoller war. Hanako mußte eine gehörige Prise eines Betäubungsmittels erwischt haben. Es gelang ihm nicht, sie richtig munter zu machen. Sie schaute ihn nur verständnislos an und lallte Worte, die er nicht begriff. Er räumte erst einmal die Utensilien weg, die Mrs. Scanlan zusammengetragen hatte. Dann fegte er mit dem Schuh die Glasscherben unter dem Fenster dicht an die Wand, damit Hanako nicht in Splitter trat, falls sie doch auf die Füße kam. Mit Ausdauer flößte er ihr eiskaltes Wasser aus der Leitung ein. Hin und wieder klatschte er ihr auch eine Handvoll ins Gesicht. Die derbe Kur tat nach zwei Stunden ihre Wirkung. Hanakos Blick wurde klarer, sie konnte sprechen, aber es bereitete ihr unendliche Mühe.
Gordon schonte sie und berichtete, was er mit Mulligan durchgemacht hatte. Er widmete der Erklärung, wer als Fahrgast in der Kutsche durchs nächtliche Land geschaukelt war, besonderen Raum. Und nach dieser Vorbereitung kam er auf die Vorgänge hier im Gasthof zu sprechen. Mit seiner Hilfe setzte sich Hanako auf. Sie sah das zerbrochene Fenster, den Inhalt ihres Koffers auf dem Boden, sein ruiniertes Jackett, und allmählich bekam sie die Dinge zusammen. »Ich sah, daß die Frau verschiedene Schuhe trug«, sagte sie mit schwerer Zunge. »Irgendwie hatte es auch etwas zu bedeuten, du hast einmal davon kurz gesprochen, aber ich habe keine böse Absicht gegen mich dahinter vermutet.« Sie versuchte, sich an weitere Dinge zu erinnern. »Sie hat mir was in den Tee gerührt, ich war ganz benommen. Alle Gegenstände begannen zu zerfließen. Oh, mein Kopf!« »Das Zeug, das dich betäubt hat, und der Rum, das hat eine feine Mischung ergeben, davon hast du noch einige Zeit etwas«, sagte er mit Sachverstand. »Leg dich hin und versuche zu schlafen, du mußt zu Kräften kommen.« Sie kuschelte sich ins weiche Bett. Dann schaute sie zu ihm hoch, und das nackte Entsetzen war in ihren Augen zu lesen. »Und wenn du nicht rechtzeitig gekommen wärst?« »Ich möchte lieber nicht an diese Möglichkeit denken.« Er rückte sich den einzigen Stuhl herbei und hielt neben dem Bett Wache. Sein Besuch am frühen Morgen bei Lovelock würde eine stürmische Angelegenheit werden, dafür wollte er schon sorgen. Bei aller Freundschaft zu seinem verstorbenen Vater, aber der Mann hatte ihn und Hanako in eine böse Sache
hineingezogen. Und er hatte vor allem nicht mit offenen Karten gespielt. Gordon Black hatte eine kräftezehrende Nacht hinter sich. Obschon er nicht wollte, nickte er ein. Er schreckte einmal hoch, weil das Geräusch eines fahrenden Autos überlaut zum zerbrochenen Fenster hereindrang. Er schreckte hoch und sah noch den Widerschein von Blaulicht durch das Zimmer und über die Wände zucken. Er war mit einem Sprung beim Fenster. Eine dieser entsetzlich altertümlichen englischen Polizeilimousinen schnurrte mit rotierendem Blaulicht über den Marktplatz und geriet außer Sicht. Langloan hatte keine eigene Polizeistation. Der Wagen mußte aus Fenwick gekommen sein. Vielleicht hatte es irgendwo in der Gegend einen Unfall gegeben. Gordon Black tastete sich zum Stuhl zurück und döste weiter. *** Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die Polizei durch Langloan fuhr und Ausschau nach Verdächtigen hielt, die sich als Kidnapper einer jungen Dame betätigt hatten, wurde Paddie Mulligan durch seltsames Rumoren in seinem Haus wach. Er war hundemüde und fühlte sich, als seien hundert Pferde auf ihm und besonders auf seinem Arm herumgetrampelt. Natürlich wieder die gottverdammten Ratten, dachte er, stieg ächzend aus dem Bett und hämmerte mit dem Stuhl auf die Dielen. Das Rumoren verstärkte sich. Sein Grimm wuchs. Ratten, die auch noch frech wurden, mochte er ganz besonders. Er hatte den Schreck über die Erlebnisse halbwegs weggesteckt, und weil er für gewöhnlich mit sehr wenig Schlaf auskam, war er auch sofort putzmunter.
Er knipste das Licht an: Und vor Schreck blieb ihm fast das Herz stehen. Er war nicht allein im Zimmer. Er sah schemenhafte Gestalten. Ihre Konturen waren nicht fest, sie zerflossen fortwährend. Alles war in Bewegung. Plötzlich dämmerte ihm, was es war. Oder wer. Er war zwar furchtsam, aber nicht auf den Kopf gefallen. Er hatte in der Nacht eine Menge mitbekommen. Sogar, was dieser Amerikaner der Gestalt auf dem Hügel entgegengebrüllt hatte. Jedenfalls einen Teil davon. Er wollte die Worte wiederholen. Aber die Todesangst schnürte ihm die Kehle zu, als die Gestalten besser erkennbar wurden. Es waren teuflische Wesen, gräßliche Dämonen mit Pferdefüßen und Hörnern. Paddie Mulligan stieß einen gellenden Schrei aus. Er schwang auch den Stuhl hoch und wehrte die Dämonen ab, die auf ihn eindrangen. Er lieferte ihnen einen harten Kampf. Aber er mußte unterliegen. »Teufel, verfluchte, verschwindet!« brüllte er, daß es in der halben Straße zu hören war. »Weg mit euch! – Hilfe, habt doch Erbarmen mit mir! Zu Hilfe!« Er wußte, was die Dämonen wollten, die Boten der Hölle. Sie waren gekommen, um ihn abzuholen. Er schmetterte den Stuhl in eine teuflische Fratze hinein – und mitten durch sie hindurch. Der Stuhl entglitt seiner schweißnassen Hand und krachte in das Fenster. Ein Splitterregen prasselte draußen nieder. Paddie Mulligans verzweifelte Hilferufe wurden immer leiser. Schließlich verstummten sie. Und seine verstörten Nachbarn meinten, eine dunkle Wolke sekundenlang um das Haus schweben zu sehen. Einsam brannte dort oben das Licht in Paddies
Schlafzimmer. Aber niemand getraute sich hinauf. Eine Frau warf sich endlich einen fadenscheinig gewordenen Mantel über und machte sich auf, um den Pfarrer zu holen. Als der kam, war von Paddie Mulligan im ganzen Haus nichts zu sehen und zu hören. Der Pfarrer ließ sich erzählen, was die Leute gegen Morgen gehört hatten. Er erschrak sehr und schwieg, als er sich auf den Heimweg machte. Für die Nachbarn aber war es eine erklärte Sache, daß der Teufel Paddie Mulligan geholt hatte. Er hatte doch etwas vom Teufel geschrien, als sein letztes Stündlein gekommen war. Sie ahnten gar nicht, wie entsetzlich nah sie der Wahrheit waren. *** Hanako und Mrs. Scanlan maßen sich, als es Zeit für das Frühstück war, und ihre Blicke sagten deutlich, was sie voneinander hielten. Mrs. Scanlan gab klein bei und entschuldigte sich. Sie habe unter Zwang gehandelt, sie hänge am Leben. Hanako äußerte sich nicht dazu. Gordon hatte ihr eine längere Erklärung gegeben, bevor sie heruntergekommen waren. Es war ein Zufall, daß es gerade Hanako getroffen hatte. Wäre ein anderer weiblicher Gast im Haus gewesen, wäre dieser das Opfer von Mrs. Scanlan und Satan geworden. Aber auch das tröstete Hanako nur ungenügend. Gordon Black hielt sich weitgehend heraus. Beim Streit zwischen Frauen mischte sich ein kluger Mann niemals ein. Zu leicht verbündeten sich die Kontrahentinnen und gingen gegen ihn los. Er ließ sich von Mrs. Scanlan das Leinenbeutelchen
vorweisen, das sie um den Hals trug. Gehorsam hatte sie auch eine rote und eine blaue Socke übergestreift, wobei die Farben unmaßgeblich waren. Nur verschieden mußten sie sein. Und sie trug wieder die zweierlei Schuhe. Jemand kam mit aufgeregtem Gehabe herein, tuschelte mit der Wirtin, warf seltsame Blicke auf das frühstückende Paar und eilte wieder fort. Mrs. Scanlan kam sehr bestürzt an den Tisch. »Waren Sie nicht in der Nacht mit Paddie zusammen? Paddie Mulligan?« »Yeah, war ich, Warum, was ist mit ihm?« Mrs. Scanlan wand sich wie ein Würmchen am Haken. »Es ist schon eine furchtbare Sache, Mister Black. Die Leute haben gehört, wie ihn heute morgen der Teufel geholt hat.« »Der…?« Der Bissen blieb Gordon im Hals stecken. Er hustete anhaltend. Das Frühstück schmeckte ihm nicht mehr. »Das wäre wohl eine Sache für die Polizei. Vorläufig jedenfalls«, sagte er rauh, weil er genau wußte, daß die Bemühungen der Polizisten genauso im Sand verlaufen würden wie in den Fällen der verschwundenen Personen zuvor. Mrs. Scanlan sagte tuschelnd, als fürchte sie heimliche Lauscher: »Die Polizei ist ja auch schon da, aber sie findet nichts.« »Schon da?« Das verstand Gordon nicht. Er hatte in der Nacht zwar ein Polizeifahrzeug mit Blaulicht über den Marktplatz fahren sehen, brachte es jedoch nicht mit Paddie Mulligans Verschwinden in Zusammenhang. »Auf dem Schloß ist auch jemand verschwunden«, raunte Mrs. Scanlan. »Eine Freundin vom jungen Lord. Offiziell heißt es, Kidnapper seien am Werk gewesen. Aber die Polizei hat die einzige Straße gesperrt, und da ist niemand durchgekommen.« Der Geisterjäger sperrte die Ohren auf. Von welchem Schloß war nun wieder die Rede? Er wollte keine weiteren Fragen an die Wirtin richten, um
nicht den Eindruck zu erwecken, er sei wirklich der ungebildete, unwissende und ungehobelte Amerikaner. Er kannte jemand, der ihm auf viele Fragen im engen Kreis eine Menge Antworten geben würde. Jetzt! Auf der Stelle! Wenn nicht, lernte Lovelock einen Sproß des Blackinverness-Clans kennen, und zwar von der unangenehmsten Seite. »Mach Schluß, wir müssen eine dringende Verabredung einhalten!« sagte Gordon frostig und schob seinen Frühstücksteller mit dem Knusperspeck und dem zusammengerührten Ei zurück. Wenn er in dem Ton sprach, wußte Hanako genau, wie die Sturmstärke war. Sie beendete ihr Frühstück. Gordon streckte plötzlich die Hand aus. »Das Mittel, Mistreß Scanlan, ich hätte es fast vergessen.« Die Wirtin wußte sofort, was er wollte. Sie zuckte zusammen und bekam einen roten Kopf. Sie holte ein unbeschriftetes Fläschchen hinter der Theke hervor und händigte es dem Gast aus. Gordon roch daran. Es roch nach Krötenöl und anderen scheußlichen Dingen. »Selber gemacht?« fragte er. Mrs. Scanlan nickte. »Manchmal bitten mich Frauen darum, ihren Männern was davon ins letzte Bier zu tun. Damit sie zu Hause gleich einschlafen und nicht die ganze Familie verprügeln und den Haushalt in Trümmer schlagen.« »Damit hören Sie auf!« sagte er und steckte das Fläschchen ein. »Sie haben vergangene Nacht genug Unheil angerichtet, und es ist nicht Ihr Verdienst, daß Miß Hanako jetzt hier an Ihrem Tisch sitzt.« Er verließ mit seiner Mitarbeiterin eilig das »Wappen von Langloan«. ***
Todd Lovelock sah aus wie eine kurzsichtige Ziege. Er machte auch einen ratlosen Eindruck. »Von einem englischen Gentleman und vor allem von einem Kollegen hatte ich andere Vorstellungen«, sagte Gordon Black nicht ohne Schärfe. »Sie haben mir wichtige Informationen verschwiegen. Paddie Mulligan geht auf Ihr Konto. Sehen Sie zu, wie Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren können. Hätte ich auch nur den Schimmer einer Ahnung gehabt, was draußen auf uns wartet, wäre ich besser gerüstet ausgezogen. Und ich hätte Mulligan schützen können.« »Martern Sie mich bitte nicht auch noch mit Vorwürfen, Gordon«, lamentierte Lovelock. »Die mache ich mir schon reichlich, seit ich weiß, was passiert ist. – Verstehen Sie mich doch bitte auch! Ich war zur Treuepflicht gegen einen Klienten verpflichtet.« Auf dem Ohr hörte der Geisterjäger. »Waren? Heißt das, Sie sind es nicht mehr?« »Ich bin entbunden. Es liegt in meinem Ermessen, Sie in die Dinge einzuweihen, Gordon.« Lovelock schoß einen ungehaltenen Blick auf Hanako ab. Er sprach es nicht aus, aber er hätte es liebend gern gesehen, wenn sie sich ins Vorzimmer verzogen hätte. »Sie bleibt, und Sie packen besser aus, Lovelock. Sonst reisen wir mit dem Mittagsbus ab.« »Sie sind noch starrköpfiger als Ihr Vater«, jammerte Todd Lovelock und nahm umständlich hinter seinem Schreibtisch Platz. »Ich muß um Ihr absolutes Stillschweigen bitten.« »Es sind genug Menschen in dieser Gegend verschwunden, und ich denke, wir wissen beide Bescheid. Ich hätte nicht den Mut, angesichts dieser Lage noch um Stillschweigen zu bitten.« »Sie verstehen meine Situation nicht«, ächzte Lovelock. »Ich habe meine Anweisungen von Chadwell Castle
bekommen…« »Richtig, von einem Schloß war vorhin auch die Rede«, unterbrach Gordon Black den Mann. »Ich höre, Sie können fortfahren.« »Lady Sarah of Chadwell befürchtet, daß dieses ganze ominöse Treiben Ihrem einzigen Sohn gilt, Lord Francis of Chadwell, sechzehnter Earl des Stammes.« »Inwiefern?« »Das hoffe ich in einer Stunde zu erfahren, Gordon. Ich wurde aufs Schloß gebeten. Leider kann ich Sie nicht mitnehmen. Man hat mich gebeten, in diesem Sinne auf Sie einzuwirken und um Ihr Verständnis zu werben.« »Bin ich der versnobten Familie nicht fein genug?« »Es sind andere Gründe. Bitte, gedulden Sie sich. Man hat mich diese Nacht vom Schloß angerufen, und vorhin hörte ich, daß die Polizei einen ominösen Fall bearbeitet. Eine junge Dame ist vom Schloß verschwunden. Angeblich entführt worden. Vergangene Nacht.« »Um Vermißte aufzuspüren, ist Ihre Polizei besser gerüstet als ich. Ich sehe keinen Sinn darin, länger in Langloan zu bleiben.« Gordon war ordentlich wütend, und er machte kein Hehl daraus. »Soweit ich die Sache überblicke, sind übersinnliche oder mindestens unirdische Dinge im Spiel. Miß Kamara wäre um ein Haar Opfer dieses Treibens geworden. Ich sehe mich gezwungen, Ihnen beziehungsweise Ihrem Klienten ein Ultimatum zu stellen. Entweder ich bekomme rückhaltlos alle Informationen, oder ich reise ab. Das ist mein letztes Wort. – Ihr Klient sitzt auf dem Schloß, oder?« »Lady Sarah«, gestand Todd Lovelock in dumpfer Zerknirschung über diesen Verrat. Er kramte Unterlagen zusammen, die er herausgelegt hatte. »Handeln Sie nicht voreilig, Gordon. Ich hoffe, bis Mittag zurück zu sein. Sir Archibald wird sich ebenfalls auf dem Schloß einfinden.« »Muß man den Mann kennen? Mir sagt der Name nichts.«
»Bis vor ein paar Jahren war er der mächtigste Polizeichef in der Grafschaft. Jetzt ist er im Ruhestand, aber den Chadwells weiterhin freundschaftlich verbunden. – Überstürzen Sie nichts. Gordon. Bitte!« Todd Lovelock rang die mageren Hände. Es sah unwürdig aus. Gordon schwieg und schaute nur zu, wie der alte Anwalt die Unterlagen in eine abgeschabte Ledertasche zwängte und damit entschwand. Er verstand nicht, daß Tradition mit Schäbigkeit verwechselt wurde. Zumindest, was die Aktentasche betraf. Lovelock hätte sich was Besseres leisten können. »Jetzt sitzen wir da mit unserem kurzen Hemd«, knurrte Gordon. Er erspähte eine Karte an der Wand und machte sich darüber her. Glücklicherweise war es eine Karte von Langloan und Umgebung. Gordon winkte Hanako neben sich und fuhr mit dem Finger die Orte der vergangenen Nacht ab, die er nach einigem Suchen fand. Da war die Chaussee nach Fenwick, davor mehr auf Langloan zu der Wald, wo ihn fast die Flammen erwischt hatten. Weit mehr interessierte ihn, wohin der Feldweg führte, den die Geisterkutsche genommen hatte. Dieser Weg war nicht eingezeichnet. Aber Gordon sah auch so, in welche Richtung er führte. Dort in den Hügeln im Osten lag Chadwell Castle. Er verstand nicht, warum Mulligan ihn belogen hatte. Oder hatte der alte arme Mann den Auftraggeber schützen wollen? Von Langloan aus gab es eine ausgebaute Straße zum Schloß. Sie nahm aber eine ganz andere Führung. Sie berührte nicht einmal den Wald. »Verstehst du das, Mädchen?« brummte er und schnippte
mit dem Finger gegen die Karte. »Warum fährt die Kutsche immer diese Landstraße? Mulligan sagte, daß man sie nur dort beobachten kann. Nirgendwo sonst.« »Vielleicht bringt Mister Lovelock die Antwort mit.« »Vielleicht auch nicht.« Gordon zündete sich eine Zigarette an und paffte den Rauch gegen die Zimmerdecke. »Ich habe ein Gefühl, und das sagt mir, daß hier der Hund begraben liegt.« Sein Finger schnippte noch einmal gegen die Stelle, wo die Chaussee aus dem Wald führte. *** Der Bus fuhr um zwölf Uhr. Todd Lovelock trudelte eine halbe Stunde davor mit seinem asthmatisch schnaufenden Wägelchen ein. Seine Miene war düster und seine Aktentasche leer. Er nahm umständlich Platz. »Gordon, ich möchte Sie um Ernsthaftigkeit bitten«, hob er an. »Was ich Ihnen zu sagen habe, hört sich nur auf den ersten Moment unglaubwürdig und spaßig an. – Es – es ist der Teufel, der hier sein Unwesen treibt.« »Ich weiß«, sagte Gordon gelassen. »Ich sah ihn in der Nacht in der Kutsche und ich hatte das zweifelhafte Vergnügen am Gasthausfenster, als er sich Miß Kamara holen wollte.« Lovelock blieb der Mund offenstehen. Endlich würgte er hervor: »Sie wußten es, und das sagen Sie so ganz ruhig?« »Wäre es Ihnen lieber, ich würde Purzelbäume schlagen? Für mich war es auch eine ziemliche Überraschung. Sie wußten es schon eher, Sie haben es nicht erst jetzt auf dem Schloß erfahren.« Todd Lovelock hob abwehrend die Hände. »Bitte keine Haarspalterei, Gordon. – Es waren eine Menge Dokumente zu sichten, Sir Archibald war eine wertvolle Hilfe. Er hat sich
schon immer mit der Geschichte unserer ganz alten Familien beschäftigt. Der Sachverhalt stellt sich folgendermaßen dar – es gab da in grauer Zeit einen Chadwell, John mit Namen, ein Wüstling und Raufbold. Er war mit König Richard auf dem dritten Kreuzzug und brachte sich eine fremdländische Frau mit, obschon er hier eine hatte. Die Verwicklungen, die sich daraus ergaben, spielen keine Rolle. Jedenfalls hat dieser John einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.« Lovelock machte eine Pause, die er besonders wirkungsvoll gestaltete. Aber Gordon behielt die Ruhe. Er hatte die besseren Nerven. »Ja, soweit der Wortlaut dieses Paktes bekannt ist, war John mit dem Teufel übereingekommen, daß der ihm mit seiner höllischen Heerschar das Schloß Chadwell baut beziehungsweise erweitert. Bis dahin soll es sich um eine unbedeutende und nicht befestigte Anlage gehandelt haben. Erwiesen ist, daß Chadwell Castle in bemerkenswert kurzer Zeit errichtet wurde. In der Urkunde ist von einem halben Jahr die Rede, andere Quellen sprechen von einem Jahr. Und im Gegensatz zu sonstigen Umbauten, deren Kosten genau belegt sind, fehlen diese Angaben unter der Herrschaft von John völlig. Ein weiteres Indiz dafür, daß der Teufel den Bau nicht gegen klingende Münze ausgeführt hat. Und jetzt kommt es, Gordon. In diesem Pakt steht, daß John of Chadwell für die erwiesene Hilfe seine Seele dem Teufel verpfändet nebst zwanzig Bauern aus seiner Herrschaft und fünfzig makellosen Ochsen. Mit einem Trick hat er dem Teufel diesen Pakt, auf einem Pergament mit seinem Blut geschrieben, abgeluchst und auf seine Art in Verwahrung genommen. Der Teufel hätte nämlich, um den vereinbarten Lohn zu kassieren, dieses Pergament vorweisen müssen. Nun befand es sich in den Händen von John of Chadwell, und der war noch gerissener als der Teufel. Er ließ den Pakt in den Altar der Schloßkapelle
einmauern.« Das erklärte manches. Aber nicht alles. Gordon faßte seine Zweifel in Worte. »Schön, ich weiß, daß in England viele Dinge möglich waren und heute noch sind. Aber warum hat sich der Teufel nicht in den vergangenen Jahrhunderten des Betruges entsonnen und hat da schon sein Unwesen getrieben?« »Sie haben einen scharfen Verstand, Gordon«, lobte der alte Lovelock. Er lächelte weise. »Er konnte nicht. Sein Pakt lag doch eingemauert im Altar, also an einem geweihten Ort. Dort konnte er den Pakt nicht herausholen, im Gegenteil, er mußte sich auch noch friedlich und zahm verhalten.« Gordon Black verstand. »Also bedeutet seine plötzliche Aktivität, die schon über zehn Wochen währt, daß mit dem Pakt oder der Urkunde oder wie man die Sache auch nennen will etwas geschehen ist.« »So ist es. Sir Archibald ist darauf gestoßen. Vor ziemlich genau zehn Wochen wurde die Schloßkapelle renoviert und der alte Altar abgetragen. Die Arbeiter fanden eine Schatulle aus edlen Hölzern und übergaben sie der Familie.« Der Altar abgetragen – das hieß, der Bann, der jahrhundertelang den Pakt vor dem Zugriff des Satans geschützt hatte, war gebrochen. Satan konnte endlich darangehen, seinen Lohn einzufordern. »Und wer besitzt die Urkunde jetzt?« fragte Gordon. Lovelock hob unbehaglich die Achseln. »Lady Sarah of Chadwell hatte sie mit anderen Dokumenten eingeschlossen. Von dort ist sie auf rätselhafte Weise verschwunden. Wenigstens gibt es eine Abschrift. Sir Francis hat sie gleich nach dem Auffinden des seltsamen Paktes anfertigen lassen. Nur deshalb sind die genauen Kenntnisse des seltsamen Handels zu erklären. Sir Archibald war ein wertvoller Übersetzer. Aber das Original ist verschwunden.« Gordon zuckte zusammen. »Dreimal dürfen Sie jetzt raten,
wer es hat. Der Teufel handelt im Sinne des seinerzeit geschlossenen Paktes legal. Er hat eine Forderung, und er treibt sie ein. Nicht legal ist, daß der Gegenstand seiner Forderungen Menschen sind. Zwanzig Bauern, hm. Das würde immerhin erklären, weshalb inzwischen zwölf Menschen verschwunden sind. Und ziemlich identisch mit dem Abtragen des Altars in der Kapelle. Es paßt alles genau zusammen. Die Zeit, der Ablauf…« »Dreizehn, Gordon, dreizehn, Mulligan mitgezählt. Die junge Dame wurde ebenfalls vom Teufel geholt. Ich habe drei Augenzeugen gehört, die über jeden Zweifel erhaben sind.« »Fehlen noch sieben«, rechnete Gordon vor. Lovelock hüpfte fast aus seinem Sessel. »Und Sir Francis.« »Wieso der?« »Na, überlegen Sie doch, Gordon! Die Seele des John of Chadwell konnte der Teufel nicht bekommen, weil der ihm den Pakt abgeschwatzt hatte. Jetzt hat er den Pakt, also wird er sich unverzüglich einen Chadwell holen. Es gibt nur einen, und der heißt Sir Francis. Er wird so wenig zögern wie bei den armen Menschen, die er als Ersatz für die versprochenen Bauern geholt hat.« »Das leuchtet mir ein«, stimmte Gordon Black zu. »Mit anderen Worten müssen wir das verhindern, andernfalls Sie einen Klienten verlieren. Vermutlich den, der Ihnen den Auftrag gegeben hat, mich zu holen.« »Einen Geisterbanner, nicht speziell Sie«, versetzte Lovelock mit einem schadenfrohen Unterton. »Meine Wahl fiel auf Sie, weil ich jahrelang mit Ihrem Vater…« »Die Geschichte kenne ich«, wehrte Gordon Black ab. »Also, wo beginnen wir? Ich kann nicht auf Verdacht losziehen und einem Pakt nachjagen, der sich an ein paar Millionen Verstecken befinden kann. Und das nur in der Umgebung von Langloan.« Lovelock schaute ratlos und fast verzweifelt. »Ja, woher soll
ich wissen, wo Sie beginnen sollen, Gordon? Bin ich ein Geisterjäger oder sind Sie einer?« Gordon hatte eine spitze Erwiderung auf der Zunge. Er ließ sie indes ungesagt, weil der alte Lovelock ja im Recht war. Er grübelte. Bisher klang die Geschichte durchaus logisch. Jetzt kam der Kniff. Und hinter den mußte er erst kommen. Hanako dachte auch fleißig mit. Sie hob plötzlich den Kopf und blickte auf die Karte, auf der ihr Gordon die Stationen der Nacht gezeigt hatte. »Vorhin hast du gesagt, bei der Chaussee oder beim Wald sei der Hund begraben, Gordon. Warum?« »Na, diese Massierung der Satanswächter! Erst der Kerl auf dem Hügel, der mich in ein stinkendes Sumpfloch winken will, dann der erbärmliche Sturm, der Mulligan und mich fast wieder aus dem Wald herausgeweht hätte. Und dann der böse Flammenzauber. Dahinter steckt System.« »Also ist dort etwas«, meinte Hanako kühl. »Mister Lovelock, werfen Sie bitte einen Blick auf diese Karte. Befindet sich hier in diesem Gebiet etwas, das vielleicht Bezug zu Chadwell Castle hat? Oder hatte?« Sie bedachte ihn mit einem schmelzenden Blick. Lovelock konnte sich nicht entsinnen, in den letzten dreißig Jahren annähernd so freundlich angelächelt worden zu sein. Er schraubte sich herum und blickte sinnierend auf die Karte. »Eigentlich fällt mir nichts ein«, verkündete er nach reiflichem Überlegen. »Da gibt’s auch nichts. Nur viele Sumpflöcher und im Wald den alten Steinbruch.« Steinbruch? Das hatte Gordon doch schon einmal gehört! Mulligan hatte es ihm gesagt, als er den Verdacht geäußert hatte, der rote Widerschein über dem Wald könnte von einem brennenden Gebäude im Wald herrühren. Hanako stieß den angehaltenen Atem aus. Es klang fast wie das Fauchen einer Tigerin.
Aber Todd Lovelock kam ihr zuvor. Oder ihrer Vermutung. Jetzt zündete es bei ihm. »Der Steinbruch?« »Ja, was ist mit ihm?« fragte Gordon drängend. »Dort sind immer die Steine für das Schloß gebrochen worden. In all den Jahrhunderten. Der Wald gehört zum Schloß!« sagte Lovelock keuchend. »Jetzt sehe ich endlich klar«, meinte der Geisterjäger. »Darum also fährt die Geisterkutsche immer denselben Weg. Immer vom Wald beginnend die Chaussee hinauf bis zum Feldweg und dann hinüber zum Schloß.« Er fuhr die Strecke auf der Karte mit dem Finger nach. »War das früher der Weg, den die Steinfuhrwerke genommen haben?« Lovelock hob die Achseln. »Ich könnte es mir vorstellen, es gibt nämlich kaum Steigungen auf der Strecke, wie Sie sie gezeigt haben. Selbst in die Hügel führt tief ein Tal hinein. Die Steine konnten ganz nah an die Baustelle gebracht werden.« »Aha, dann hat der Teufel damals auch den einfachsten Weg genommen, als er für diesen listigen John die Burg umbauen und erweitern durfte. Er reist nächtens immer auf der alten Strecke, um an den Betrug zu erinnern. – Lovelock, wir fahren nicht mit dem Bus, sondern mit Ihrem vortrefflichen Auto.« »Bitte?« Übertrieben legte der alte Anwalt eine Hand hinter das Ohr. »Ich weiß jetzt, wo wir mit der Suche beginnen müssen. Und Sie fahren uns hin, es ist nämlich keine Zeit zu verlieren, sonst bleibt Ihnen Sir Francis als Klient womöglich nicht erhalten.« »Ich?« machte Lovelock. »Da raus? Gordon, das kann nicht Ihr Ernst sein! Ich bin Anwalt, wofür halten Sie mich denn?« »Glauben Sie, ich wäre Elefantendompteur?« schimpfte der Geisterjäger. »Sie fahren uns, basta. Wir holen ein paar Utensilien.« Und herzlos fügte er hinzu: »Sie sollten inzwischen Ihr Testament abfassen. Ich will nichts beschreien,
aber es beruhigt doch ungemein, wenn man weiß, das man sein Haus bestellt hat.« Hanako konnte gerade noch an sich halten, bis sie draußen waren. Da lachte sie hell auf. Gordon stimmte in ihr Lachen ein. Todd Lovelock hörte es und dachte verbittert, daß Amerika wirklich ein Land mit schlechten Manieren war. Es verdarb sogar einen waschechten Hochländer wie diesen Gordon Black. *** Sie paßten gerade in Lovelocks putziges Wägelchen. »Wenn’s zusammenbricht, tragen wir’s den Rest der Strecke«, versprach Gordon Black. Lovelock spürte die Spitze. »Ihre protzigen Straßenkreuzer sind auch nicht der Höhepunkt der Schöpfung.« »Darin pflichte ich Ihnen bei«, sagte der Geisterjäger einlenkend. »Halten Sie bitte an der Kirche an.« Gordon beschaffte sich eine Flasche geweihtes Wasser. Nach fünf Minuten ging die Fahrt weiter. Sie endete erst im Wald, ungefähr an der Stelle, wo in der Nacht die Flammensäulen gelodert hatten. »Wenden!« befahl Gordon. »Sie fahren unverzüglich zurück, Lovelock! Lassen Sie sich durch nichts aufhalten.« »Und Sie?« »Wir sorgen für uns selber, das sind wir gewöhnt. Wo befindet sich der Steinbruch?« »Links. Vielleicht tausend Schritte entfernt. Sie werden enttäuscht sein, das Loch ist fast verschwunden. Es hat den Leuten als Müllgrube gedient, und es sind auch Bäume hineingestürzt.« »Wir werden sehen«, meinte der Geisterjäger. Lovelock fuhrwerkte mit seinem Wägelchen auf der Landstraße hin und her, bis er es in Richtung Langloan stehen
hatte. Er hob winkend die Hand, rückte sich die Autofahrerbrille zurecht und knatterte davon. »Er sitzt auf einem Vermögen und fährt damit spazieren«, meinte Gordon Black und behielt die Qualmwolke der Auspuffgase im Auge, bis er sie nicht mehr sehen konnte. »Er macht kein Aufhebens damit«, wandte Hanako ein. »Das ist seine Auffassung von Tradition.« »Dann laß uns dieser Gegend wenigstens die teuflische Tradition nehmen.« Der Geisterjäger schlug sich seitwärts in den Wald. Hanako war sofort bei ihm. Sie hatten sich gerüstet, jeder auf seine Weise. Gordon war sicher, daß man ihr Kommen längst bemerkt hatte, aber erst einmal abwartend blieb, um herauszufinden, was sie im Sinne hatten. Er spürte nach ungefähr hundert Schritten, wie sich die Luft mit Spannung auflud. Hanako blieb sofort stehen. Gordon nickte, er hatte damit gerechnet. Die Satanswächter waren auf dem Posten, aber noch unentschlossen. Das änderte sich unheimlich schnell. Hanako wurde plötzlich aus dem Unsichtbaren heraus angegriffen und zu Boden geschleudert. Sie wehrte den Angriff zwar mit ihrem Dogu ab, aber sie lag noch am Boden. Gordon Black hörte ein infernalisches Pfeifen und Rauschen aus der Höhe. Er schaute gar nicht erst hinauf. Er stürzte auf Hanako zu, riß sie vom Boden hoch und schleppte sie hinter einen dicken Baum, der ihm stabil genug erschien. Von dem Baum, unter dem eben die Asiatin angegriffen worden war, hatte eine hinterlistige Hand die mächtige Krone gebrochen und in die Tiefe sausen lassen. Die Wucht hätte ausgereicht, um Hanako zu zermalmen.
»Jetzt bist du gewarnt, Mädchen«, sagte der Geisterjäger keuchend. »Sie tändeln nicht, sie schlagen gnadenlos zu. Wir brauchen uns auch keine Zurückhaltung aufzuerlegen.« Ab diesem Zwischenfall blieben sie dicht beisammen, um einander beistehen zu können. Aus einem verwilderten Gehölz zuckten unvermittelt Flammenzungen. Gordon verspottete den Feuerwächter und spritzte ein paar Tropfen geweihtes Wasser in die Büsche. Mit einem schrillen Fauchen fuhr etwas davon. Sie konnten es nur hören, nicht sehen. Gordon klopfte erleichtert gegen die Flasche. »Es ist was dran an dem Sprichwort, daß der Teufel nichts mehr fürchtet als das Weihwasser.« Gordons jäher Angriff machte die Wächter wohl besonnener. Sie hielten sich jetzt zurück. Mit Sicherheit knobelten sie an einer anderen Strategie. Oder sie hatten höchsten Befehl bekommen, sich still zu verhalten und die beiden Menschen dann zu packen, wenn die am wenigsten mit einem Zugriff rechneten. Für Gordons Geschmack blieben die Satanswächter zu friedlich. Sein Mißtrauen nahm zu, als sich der Wald lichtete und eine wahrhaftige Müllgrube vor ihnen auftauchte. Lovelock hatte den Zustand des alten Steinbruches treffend beschrieben. Vermodernde Bäume lagen kreuzweise über den Bergen von Unrat, Plastik und rostendem Blech. Es schien indes niemand mehr seinen Müll hier abzuladen. Die Wege waren überwuchert, die Müllhalden stanken auch nicht mehr. Gordon Black schaute in die Runde. Hier beim Müll war bestimmt nicht das zu finden, was er zu finden hoffte. Den Ort nämlich, wo Satan sein vorläufiges Quartier genommen hatte. Drüben vielleicht, wo noch nackte Felswände aufragten und kein Müll gelagert war?
Er ging mit Hanako langsam und wachsam am Rand des Bruches entlang, von wo die Steine für Chadwell Castle gekommen waren. Das Gelände stieg an, sie hatten einen besseren Ausblick und sahen, daß die Müllgrube nur einen Teil des alten Steinbruches bedeckte. Vom Rand ging es an der tiefsten Stelle bestimmt fünfzig Fuß hinab. Ein Sturz aus dieser Höhe war tödlich. Gordon hatte es noch nicht richtig gedacht, als er die wütende Sturmböe spürte, die ihn und Hanako packte und in den Abgrund schleudern wollte. Hanako war in einer glücklicheren Lage als er. Sie konnte sich an einem schenkelstarken Buchenstämmchen festhalten. Er stieß haltsuchend die Arme in die Luft. Aber die hat bekanntlich auch keine Balken. Als er sich schon über die Kante in die Tiefe kippen sah, endete die Sturmböe wie abgeschnitten. Gordon verstand aber erst, als er Hanako mit über den Kopf gerecktem Dogu am Fuß des Stämmchens knien sah. Mit ihrem Hilfsmittel aus der Heimat hatte sie den Satanswächter, der den Sturm machte, gebannt. »Wie lange hält es vor?« rief Gordon. »Ich weiß es nicht, ich habe keine Erfahrung«, wisperte Hanako. Sie eilten am Rand der Steinwand weiter. Hanako streckte die rechte Hand aus und deutete in die Tiefe. Sie hatte entdeckt, wonach der Geisterjäger suchte. Es war wie ein Riß in der Felswand, verbreiterte sich aber nach unten hin sehr stark und war durch Felsblöcke, die aus der Höhe hinabgestürzt waren, gegen Blicke von der Müllhalde drüben recht gut geschützt. An dieser Stelle gab es keine Möglichkeit zum Absteigen. Erst zweihundert Schritt weiter fand Gordon ein Felsband, das
mit etwas Mut und Überwindung als Fußweg zu benützen war. Es war eine kritische Situation. Auf der Felsleiste waren sie ziemlich ungeschützt. Aber es ging gut, sie kamen ungeschoren hinab und machten sich sofort daran, den Einriß im Fels zu erkunden. Als Gordon die schlechte Luft in die Nase bekam, die aus der Höhle dahinter strömte, wußte er, daß er am Ziel war. »Sein Quartier«, meinte er knapp. »Jetzt merkt er, daß es ernst wird.« Über ihnen brach ein Fels los. Mit einem blitzschnellen Sprung in den Höhlenbereich brachten sie sich in vermeintliche Sicherheit. Zu spät erkannte Gordon Black, daß er wie ein Tölpel in die einfachste Falle gestolpert war. Unter ihm kippte der Boden weg. Eine simple Falltür entfaltete ihr Wirkungsprinzip. Er wollte sich von Hanako helfen lassen, die auf sicherem Grund stand. Er berechnete seinen Schwung falsch und riß seine Helferin mit in die Tiefe. Nach einer sausenden Rutschfahrt auf einer Schräge landeten sie hart in einem fast unwirklich anmutenden Raum. Er war vom Licht und Farbenspiel tanzender Flammen ausgeleuchet, ohne daß irgendwo auch nur das kleinste Feuer brannte. Der Raum war unendlich groß, sein Hintergrund ließ sich nicht einmal erahnen. Dort wurde es dunkel und düster, und schwefliger Gestank trieb aus dieser Richtung heran. Hanako und Gordon Black schauten nur. Bis ein winziges Geräusch sie herumfahren ließ. Ein dezentes Klirren von Eisen auf Stein. Hanako stieß einen unmenschlichen Schrei aus, als sie das gräßliche Bild endlich begriff. Selbst dem Geisterjäger drehte sich der Magen fast um. Zwischen Eisenketten an Armen und Füßen aufgehängt schwang der leblose Körper einer blondhaarigen jungen Frau.
Die Reste eines grünen Kleides bedeckten die fürchterlich zugerichtete Gestalt. Kein Zweifel, die Frau hatte Höllenqualen erlitten, bevor sie gestorben war. Man hatte sie mit glühenden Eisen gebrannt und gemartert, sie trug an vielen anderen Stellen Bißspuren von einem Wesen, das sich der Geisterjäger gar nicht vorstellen konnte. Weiter drüben hing Paddie Mulligan zwischen Eisenketten. Oder das, was von Paddie Mulligan noch übrig war. Der Anblick war nicht auszuhalten. »O Gott, wo sind wir nur gelandet?« hauchte Hanako furchtsam. Gordon Black machte eine langsame ausholende Bewegung. »Im Kabinett des Teufels. Schau dich um. Ich kann mir sonst keinen Ort vorstellen, wo es so viele Scheußlichkeiten auf engstem Raum zu sehen gibt.« Er übertrieb nicht. Die Augen hatten sich an das Licht gewöhnt, sie sahen jetzt, daß im Hintergrund ein Gitter quer an einer Felswand verlief. Bei näherem Hinsehen entdeckte der Geisterjäger, daß es kein Gitter war. Dort hingen die Knochen von elf unglücklichen Menschen in den seltsamsten Verrenkungen und Verdrehungen an der Wand und noch angekettet. Der Zustand der Skelette ließ einige Rückschlüsse auf die Art zu, wie diese Menschen zu Tode gekommen waren. Sie mußten schauderhafte Qualen erlitten haben. Der Geisterjäger war überzeugt, daß er die Reste der Vermißten gefunden hatte. Unerbittlich hatte der Teufel sie geholt und ihre Körper auf grausamste Weise zerstört, um ihre Seelen rauben zu können. Hanako hatte noch nie ein so entsetzliches Bild vor Augen gehabt. Die Knie wurden ihr weich, sie setzte sich einfach auf den Boden. Gordon Black tastete nach der Dämonenpeitsche unter der
Jacke. Sie war an ihrem Platz. Mit der anderen Hand hielt er die Flasche mit dem geweihten Wasser halb verborgen hinter den Körper. »Satanas, anathema sit!« brüllte er mit aller Macht und fast berstend vor Zorn über die geschauten Entsetzlichkeiten. »Satan, sei verflucht! – Kehre zurück in dein Reich, oder zeige dich, wenn du den Mut hast!« Es war eine vermessene Forderung. Hier unten war der Teufel jedem menschlichen Wesen überlegen. Hier war seine Umgebung, hier galt nur sein Befehl. Den Bannspruch gegen ihn loszulassen grenzte schon an vorsätzlichen Selbstmord. Ein Grollen und Rumoren ließ die Erde erzittern. Schwefliger Gestank fuhr durch das satanische Kabinett des Todes. Ein wildes Gelächter rüttelte an den Felsen, Eisenketten und Resten der Opfer gleichermaßen und peinigte das Gehör von Gordon Black und Hanako. »Ein Wurm wagt es, schändliche Worte in meinem Reich auszusprechen?« sagte eine etwas hölzerne Stimme von der Seite. Der Geisterjäger fuhr herum und achtete darauf, daß das Weihwasser in der Flasche in Deckung blieb. Das war seine einzige Hoffnung, von hier je wieder fortzukommen. Sie kannten sich – Satan und er. In der vergangenen Nacht hatten sie sich lange genug durch das Fenster vom Gasthof betrachtet. »Ist es Mut oder Frechheit, das dich auszeichnet?« fragte der Fürst der Hölle. Er war in normaler Gestalt erschienen, etwa menschengroß, behaart wie ein Affe im Winter und mit einem Pferdefuß und einer kralligen Klaue ausgestattet. Gordon Black nahm alle Schnoddrigkeit zusammen, die ihm noch verblieben war. Daß Satan ohne Wächter und ohne Schutz gekommen war, unterstrich nur seine Gefährlichkeit. Der Geisterjäger jedenfalls zeigte auf die Hörner auf dem
Kopf seines Gegenübers und grinste, obwohl ihm nach allem anderen eher zumute war. »Es wäre wirklich ein Jammer, wenn sie dir am Fenster abgebrochen wären.« Er sprach da etwas an, das Satan nicht behagte. Der Fürst der Hölle blickte nachdenklich auf Hanako, die ihn vom Boden aus betrachtete und kaum Anzeichen von übermäßiger Furcht erkennen ließ. Er machte eine knappe Handbewegung. Aus dem Hintergrund der Höhle löste sich eine Gestalt, halb Zwerg, halb Dämon. Jedenfalls war der Kerl fett und schön scheußlich anzusehen mit seinem Glatzkopf. Er entrollte eine Peitsche. Unmerklich spannte der Geisterjäger alle Muskeln. Die Sache nahm verdammt schnell eine bedrohliche Wende. Er hatte gehofft, mit Satan eine Unterhaltung führen zu können. Aber der vertändelte keine Zeit, der ging sofort zur Sache. Der fette Dämonenzwerg sollte Hanako wegschaffen. Er schwang die Peitsche. In die Schnur waren Kugeln mit Stacheln geflochten. Der Geisterjäger benötigte keine Phantasie, um sich vorzustellen, welche Wunden schon ein Schlag mit der Peitsche riß. Die tote blonde Frau und Paddie Mulligan waren entsetzliche Beispiele. Wie Gordon Black so das schiefe Maul des Gnoms betrachtete und die dolchartigen Zähne, da ging ihm auf, woher die Bißwunden am Körper der Frau stammten. Satans Henker war zugleich auch ein Sadist. Gordon Black hob langsam die rechte Hand. Mit einer Geste wies er den fettigen Höllendiener zurück. »Er soll sie nicht anrühren!« sagte er scharf. Der Satan lachte. Das Spiel schien seinen Gefallen zu finden. »Wurm, du wagst es, meinem gehorsamen Diener Befehle zu geben? Sie gehört mir, sie ist mir versprochen.« Er stampfte mit dem Pferdefuß auf. Ein Rumoren wie von einem
Erdbeben erschütterte die Höhle. »Das ist es, worüber ich mit dir reden will, Satan, gefallener Engel Gottes!« Weiter kam der Geisterjäger nicht. Der Teufel hielt sich die Ohren zu und brüllte: »Nenne diesen Namen nicht, nenne ihn nicht, oder ich zertrete dich auf der Stelle!« Immerhin, der Satan zeigte Nerven. Gordon Black nützte die Gunst des Augenblicks. Er wies in die Runde auf die Schreckensbilder. »Du bist ein Betrüger, du hast keinen Anspruch auf diese Menschen und ihre Seelen gehabt.« »Doch.« »Dann beweise es! Stehen die Namen im Buch, hast du einen Pakt mit ihnen gehabt? Nein, du hast sie um ihr Leben betrogen.« Soweit Gordon Black wußte, reagierte Satan recht empfindlich, wenn es um Betrug ging. Bloß ob es auch stimmte, das hatte ihm niemand garantieren können. Der Teufel regte sich mächtig auf. »Eine schändliche Lüge! Von einem Menschenwurm erfunden. Ich kann beweisen, daß mir diese Seelen gehören.« »Ich bin neugierig.« »Deine Seele gehört mir, wenn ich es beweise. Ich liebe ein kleines Spiel.« »Wer spielen will, will auch betrügen«, sagte der Geisterjäger unerschüttert. Satan brüllte einen Befehl. Ein unglaublich dürres Geschöpf brachte eine Pergamentrolle. Satan zog sie langsam und sichtlich genußvoll auf. Der Geisterjäger sah bestätigt, daß Satan den Pakt mit dem wüsten John of Chadwell an sich gebracht hatte. Dennoch schüttelte er den Kopf. Er beugte sich vor, als sei es mit seinen Augen schlecht bestellt. »Da steht – zwanzig Bauern. Sind diese Menschen hier
Bauern gewesen? Siehst du, du kannst dein Spiel schon nicht mehr gewinnen! Und wie steht es mit John of Chadwell? Der ist längst tot, seine Seele in sicherem Gewahrsam. Du nimmst, was dir nicht gehört. Du betrügst also.« Satan rüttelte mit dem Pakt, einem wunderschön geschriebenen Dokument. »Ist das etwa Dreck?« brüllte er den Geisterjäger an, daß es in den Felsen verdächtig knackte. Blitzschnell schleuderte Gordon Black die Hand mit der Flasche nach vorn und übergoß den Pakt mit dem Weihwasser. Ein heller Blitz sprühte auf. Satan brüllte und starrte verstört auf einen letzten Fetzen Pergament, der ihm von seinem Pakt geblieben war. Er war noch etwas durcheinander über diese menschliche List. Der fette Dämonengnom hatte die kürzere Leitung. Er war mit unglaublich großen Sprüngen da und griff den Geisterjäger an. Vielseitig war der Bursche auch noch. Er schwang die Peitsche gegen Hanako, weil ihm dämmerte, sie könnte Fersengeld geben. Der Geisterjäger kippte ihm einen tüchtigen Schuß geweihtes Wasser auf die Glatze. Die Haut, oder was es war, wurde blasig. Der Gnom wand sich in Krämpfen am Boden. Satan streckte die Hand in die Luft und hielt im nächsten Augenblick einen flammenden Dreizack zwischen den Fingern, den ihm einer seiner unsichtbaren Wächter hineingelegt hatte. Gordon Black übergoß den Teufel mit Weihwasser. Mit wüstem Geheul entfloh Satan und spuckte, als hätte er tausend giftige Kröten auf einmal verschluckt. Das dürre Wesen mußte schließlich herhalten. Gordon hielt ihm die Flasche über den Kopf. »Führe uns aus diesem Reich, und ich verschone dich. Wenn nicht…« Da blieben nicht viele Möglichkeiten. Das Wesen verstand. Es führte Hanako und den Geisterjäger durch einen
zerklüfteten Gang hinauf an die Oberfläche, wo die Sonne sich mühsam Bahn durch die englischen Regenwetterwolken schuf. Hanako fiel Gordon Black etwas seltsam um den Hals, bis er begriff, daß es die Nervenreaktion war. Sie kam erst jetzt. Im Steinbruch von Langloan. Ein wildes Grollen und Rumoren drang aus der Erde herauf. Steine lösten sich aus der Wand. Gordon trat schnell zurück und zog Hanako mit sich. Dem Reich Satans waren sie schließlich nicht entkommen, um sich hier noch von einem Stein erschlagen zu lassen. Gordon Black atmete langsam aus. Der Pakt war vernichtet, Satan hatte nichts mehr in der Hand, worauf er seinen Anspruch auf weitere Menschenleben und Seelen begründen konnte. So gesehen war er wieder der Betrogene. Aber der Geisterjäger war hundertprozentig davon überzeugt, daß Sir Francis, sechzehnter Earl of Chadwell, und ein halbes Dutzend Menschen, die nun nicht zur Hölle zu fahren brauchten, ganz anders darüber dachten. Er faßte Hanako unter. »Komm, der Ort gefällt mir nicht. Ich möchte was Erfreuliches anschauen. Dich zum Beispiel.« Er fand einen bequemeren Weg aus dem Steinbruch heraus. Aber bis nach Langloan hinein ließ er den Griff der Dämonenpeitsche nicht los. Das war seine Waffe der letzten Rettung. Er war erleichtert, daß er sie nicht einzusetzen brauchte. Der Spuk hatte ein Ende. Aber unschuldige Menschen hatten für einen uralten und nie vergessenen Betrug bezahlen müssen. ENDE
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