Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 570 Das Sternenuniversum
Im Reich der Dynurer von Horst Hoffmann Auf den Spuren des ...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 570 Das Sternenuniversum
Im Reich der Dynurer von Horst Hoffmann Auf den Spuren des Schalters Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra, auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Schiff kommt. Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den September des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL entscheidende Impulse zu positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inzwischen hat das Generationenschiff Tausende von Lichtjahren zurückgelegt, und unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, hat längst eine Normalisierung des Lebens an Bord stattgefunden. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe und Gefahren. So ist es auch im sogenannten »Sternenuniversum«, in das die SOL durch einen Hyperenergiestoß versetzt wurde. Während man auf der SOL zu spekulieren beginnt, ob mit der räumlichen auch eine zeitliche Versetzung einhergegangen sein könnte, blenden wir um zu Oggar, dem Träger des MultiBewußtseins, und Insider, dem Extra. Sie sind dem »Schalter« auf der Spur – und ihre Aktionen spielen sich ab IM REICH DER DYNURER …
Die Hauptpersonen des Romans: Oggar, Sternfeuer und Cpt'Carch - Drei Bewußtseine in einem Körper. Insider - Begleiter des Multibewußtseins. Hapeldan - Der Schalter auf der Flucht. Chale Bennjyk und Takkar Sours - Zwei dynurische Bergbauspezialisten. Gripec - Ein Ehrlichkeitsjäger.
1. »Wir haben ihn verloren«, sagte Oggar, »aber ich spüre ihn. Es ist eine äußerst vage Wahrnehmung, aber sie sollte uns zumindest die Richtung weisen, in der wir zu suchen haben.« Insider blickte ihn fragend an. Inzwischen hatte er gelernt, allein an der Wortwahl oder einer bestimmten Sprechgeschwindigkeit zu erkennen, wer von den drei im androiden Körper Waggaldans Hausenden gerade zu ihm sprach. Natürlich traf dieser bildliche Vergleich nicht zu. Die Bewußtseine von Oggar, Sternfeuer und Cpt'Carch befanden sich im Kopf des absolut menschenähnlichen Körpers und waren vollkommen materielos. Sie standen in geistigem Kontakt miteinander, es sei denn, eines von ihnen zog sich für eine gewisse Zeit zurück. Jedes von ihnen konnte die Kontrolle über den Kunstkörper übernehmen und mit dessen Stimme sprechen. »Seit wann kannst du das, Oggar?« fragte der grünhäutige, vierarmige und nur 1,66 Meter große Extra. »Hapeldan spüren, meine ich. Du warst eben noch tief bestürzt, als das Mnemodukt erklärte, die Spur sei endgültig verloren.« Mit einer Hand deutete er dabei auf die etwa acht Meter große Kugel, die sich nur in der Zentrale des HORTS bewegen konnte. »Vielleicht wäre es mir die ganze Zeit über schon möglich gewesen«, meinte Oggar. »Nur entdeckte ich diesen Spürsinn nicht, weil wir uns auf die Orter verließen.« »Ich möchte bemerken, daß ich es war, der unsere schlummernde
Fähigkeit entdeckte«, meldete sich Cpt'Carch zu Wort. »So«, seufzte Insider. »Und am Ende warst du es auch noch, der sie erst weckte. Carch, ich dachte, du seiest jetzt endlich geboren.« »Schon«, gab der Cpt'Cpt zögernd zu. »Aber ganz sicher weiß man das nie. Ehrlich gesagt, habe ich in letzter Zeit Zweifel daran. Vielleicht war es doch nur eine halbe Geburt und …« Die Kunststimme veränderte sich nur in ihrer Heftigkeit: »Wir können uns nicht mit seinen Problemen aufhalten. Mnemodukt, du richtest den Kurs des HORTS von nun an nach meinen Angaben aus.« Oggar gab erste Anweisungen. Insider setzte sich vor einen der großen Bildschirme und beobachtete, wie auf ihm der verwaschene Nebelfleck, als die die Galaxis Pers-Mohandot nur noch zu sehen war, scheinbar zur Seite wegrückte. Nach dem Verschwinden der Landschaft im Nichts hatte sich der HORT an ihrem Rand befunden. Hapeldans Kurs zeigte wider Erwarten von ihr weg in eine Zone hinein, in der weit und breit kein galaktisches System stand. Oggar hatte bereits zu hoffen begonnen, daß Hapeldan tatsächlich das geheimnisvolle Flekto-Yn anfliegen würde, den Sitz von HiddenX. Bestimmte Überlegungen hatten Anlaß zur Annahme gegeben, daß dieses im Leerraum läge. Nach den Beobachtungen Atlans und Sannys im Zentralkegel war dies sogar als wahrscheinlich erschienen. Der HORT hatte dem Zentralkegel durch direkte Ortung bis hierher folgen können, und nun betrug die Entfernung zu PersMohandot bereits etwa 28 Millionen Lichtjahre. Wir haben uns praktisch in einem fast rechten Winkel zu einer gedachten Linie zwischen Pers- und All-Mohandot von ihr fortbewegt, dachte Insider. »Wenn wir die jetzige Flugrichtung beibehalten«, sagte Oggar, »werden wir Hapeldan früher oder später wiederfinden. Sobald er seinen Kurs ändert, spüren wir es.«
»Weit und breit keine Galaxis vor uns«, murmelte Insider. »Die Entfernung zur nächstgelegenen dürfte über 30 Millionen Lichtjahre betragen. Es gibt nicht viele solcher Zonen absoluter Leere im Universum. Ich muß zugeben, daß Hidden-X sich kaum ein besseres Versteck hätte aussuchen können.« Oggar-Sternfeuer-Carch antwortete nicht darauf. Der androide Körper mit dem Sonnensymbol auf dem Brustteil der hellblauen Kunststoffkombination stand ungewöhnlich starr vor den Schirmen. Insider ahnte, was in dem Mischwesen jetzt vorging. Das Multibewußtsein war noch nicht vollständig in sich integriert. Oggar verspürte noch die Nachwehen von der Gefangenschaft auf der Landschaft im Nichts. Dominierend aber mußte der Haß auf die Macht sein, die sein Volk mit einem Schlag ausgelöscht hatte. Er, Wysterein, hatte die Katastrophe als einziger überlebt und war Oggar geworden. Sein Lehrmeister, der Erste Seher Fastrap, hatte die Weichen für seine Zukunft gestellt – und möglicherweise auch die für ein Wiederauferstehen des Volkes der Pers-Oggaren, indem er von Wysterein und dem Mädchen Auxonia Samen und Keime nahm. In Kältekammern liegend, sollten sie eines fernen Tages, nach dem Sieg über Hidden-X, eine neue Generation von Pers-Oggaren sprießen lassen. Vielleicht kehrten dann auch die Bewußtseine all jener zurück, die im letzten Moment vor dem Untergang ihrer Zivilisation durch den Einsatz des Dislozierungsprojektors gerettet werden konnten. Das stand für Oggar auf dem Spiel Er lebte und wirkte für mehr als die Rache. Von seinem Erfolg oder Mißerfolg hing eine neue Zukunft ab. Insider fühlte Mitleid mit ihm. Gleichzeitig wußte er, daß Oggar niemals ruhen würde. Sternfeuer und Cpt'Carch hatte er gebeten, bis zum Triumph oder der endgültigen Niederlage bei ihm zu bleiben – und ihnen versprochen, daß sie dann in ihre Körper würden zurückkehren können.
Sie hatten ihre Entscheidung für ihn getroffen, wenngleich sie dabei auch an Atlan und die SOL gedacht haben mochten. »Wo ist sie jetzt?« fragte Insider laut. »Die SOL konnte uns nicht folgen. Wo mag sie sich befinden?« Sternfeuer und Carch schienen Angst vor dieser Frage zu haben. Sie versuchten nicht, eine Antwort darauf zu geben. Statt dessen verkündete Oggar düster: »Es genügt mir nicht, nur zu wissen, wohin Hapeldan flieht, wenn sich dabei sein Vorsprung immer weiter vergrößert. Wir können ihm nur mit geringer Überlichtgeschwindigkeit folgen, wollen wir seine Spur nicht doch wieder verlieren. Deshalb haben wir uns zu einem Experiment entschlossen.« Insider horchte auf. »Und zu welchem?« fragte er vorsichtig. Oggar ließ sich in einen Sessel mit breiten Lehnen gleiten. »Wir werden versuchen, uns in einen Zustand der Meditation zu versenken, der es uns erlauben sollte, den Schalter zu finden.« »Aber du … ihr habt seine Spur doch.« »Nur die Richtung«, erwiderte das Mischwesen. »Um ihn baldmöglichst zu stellen, müssen wir mehr wissen. Ich will ihn sehen.« Plötzlich begriff der grünhäutige Extra, mit welchem Gedanken das Multibewußtsein spielte. Daß Oggar in der Mehrzahl sprach, bewies ihm, daß die beiden anderen ihre Zustimmung schon gegeben hatten. »Es ist gefährlich, oder?« stellte er fest. »Du hast diesen Versuch noch nie unternommen, nicht mit anderen Bewußtseinen zusammen. Du weißt nicht, welche Auswirkungen dieser geistige Kraftakt haben kann – vielleicht für uns alle.« Oggar sah ihn nicht an. Sein Blick war starr auf das einen Meter über dem Zentraleboden schwebende Mnemodukt gerichtet. »Der Kraftakt, wie du es nennst, kann kaum Auswirkungen auf den HORT und dich haben, Insider. Unsere psionischen Kräfte sind
auf Hapeldan gerichtet.« »Aber du bist nicht sicher!« Oggar beendete die Diskussion mit einer energischen Handbewegung. »Es muß sein, letztlich auch im Interesse der SOL. Ich weiß nicht, was mit uns geschehen wird, daher mußt du, zusammen mit dem Mnemodukt, auf den HORT achten. Du tust es ja nicht zum erstenmal.« Insider ahnte Unheil, wußte jedoch, daß er Oggar von seinem Vorhaben nicht würde abbringen können. Er hörte förmlich, wie es im Multibewußtsein wisperte: Seid ihr bereit? Insider hatte das schreckliche Gefühl, ganz allein zu sein, in der Nähe von Kräften, über die er nichts wußte.
* Die Welt um Oggar herum hörte auf zu existieren. Es gab nur noch ihn und die beiden Partner. Ihre Sinne vereinigten sich und tasteten vorsichtig hinaus in die Unendlichkeit. Der Versuch begann mit einem Fehlschlag. Gerade als Oggar schon glaubte, die psionische Spur klarer und stärker in sich zu spüren, erlosch diese mit einem Schlag. Panik griff nach dem Multibewußtsein. Carch und Sternfeuer drängten bereits darauf, den Versuch abzubrechen, doch Oggar lehnte strikt ab. Hapeldan existiert nach wie vor! beschwor er die Partner. Wir haben uns nicht behutsam genug an ihn herangetastet und sind über ihn weggeglitten. In noch tieferer innerer Versenkung werden wir ihn wiederfinden! Es gelang ihm, die Skepsis der Partner zu brechen. Abermals schickten sie ihre geistigen Fühler aus und durchforschten das All.
Noch tiefer versanken sie in sich selbst, noch enger wurde die Einheit. Die Zeit hatte aufgehört, für sie eine Rolle zu spielen, und so ahnten sie nicht, wie lange Insider bangend darauf wartete, daß wieder Bewegung in den Kunstkörper kam. Sie ertasteten die Gezeitenströme des Universums, ließen sich tragen von Energielinien, spürten das Leben in weit entfernten Sternsystemen. Mehr als einmal war das Multibewußtsein in Gefahr, den Verlockungen einer phantastischen Welt zu erliegen, die sich ihm auftat. Doch alle Wunder, die ihnen zuteil wurden, mußten ignoriert werden. Oggars Haß auf den Schalter und Hidden-X wies ihnen den Weg, bis endlich die Spur wiedergefunden war. Doch nun war Oggar es, der zweifelte. Er bewegt sich nicht mehr von uns fort! sendete er. Und das Empfinden wird nicht klarer, wie wir gehofft hatten. Wir können uns nicht noch weiter von der realen Welt entfernen, ohne uns im Nirgendwo zu verlieren, warnte Sternfeuer. Nein, gab Oggar zu. Das dürfen wir nicht. Aber ich kann etwas anderes tun. Sternfeuer und Carch erkannten gleichzeitig, was er vorhatte, und sie gestatteten es ihm nicht. Oggar zog jenen Teil seiner selbst, den er an die Partner abgegeben hatte, zurück und schickte sich an, allein das Multibewußtsein zu verlassen, um sich an jenen Ort zu begeben, an dem er Hapeldan ausgemacht zu haben glaubte. Er war schon einmal als bloßes Bewußtsein gereist, als er nach der mentalen Verstärkung suchte, die er dann auch in den beiden anderen fand, die sich nun mehr instinktiv als bewußt gegen seinen Versuch zur Wehr setzten. Oggar gelang es nicht, sich zu lösen. Ein lautloses, verzweifelt geführtes Ringen tobte im Multibewußtsein. Entsetzt registrierten Sternfeuer und Carch, daß es sie alle drei schwächte. Gib auf, Oggar! schrien sie. Es zerreißt uns! Wir werden nicht mehr in die Wirklichkeit zurücktauchen können, wenn …
Der Rest verhallte in Oggars psionischem Aufbäumen, in Ohnmacht und verzweifeltem Zorn. Ein Wirbel griff nach dem Verbund, riß ihn mit sich, erstickte jegliche Kommunikation und alles bewußte Erleben.
* »Kannst du denn gar nichts tun?« fragte Insider das Mnemodukt. »Du siehst doch, was mit ihm geschieht!« »Ich bin so machtlos wie du«, lautete die Antwort der seelenlosen Stimme. Insider lief in der Zentrale auf und ab. Immer wieder blieb er vor Oggars Körper stehen und rüttelte mit allen vier Händen an dessen Schultern, als könnte er ihn dadurch wieder lebendig machen. Dabei war er nicht wie tot, nicht starr wie immer dann, wenn das Multibewußtsein ihn verlassen hatte. Oggar, Carch und Sternfeuer waren noch in ihm, doch ihnen mußte Schreckliches zugestoßen sein. Der Körper wurde von Zuckungen durchlaufen, bäumte sich auf wie unter Stromstößen, um sogleich wieder schlaff zu werden. »Patsch-uuh!« rief Insider. »Ich wußte doch, daß das nicht gutgehen konnte!« Und noch etwas setzte ihm zu. Er redete sich ein, daß er sich täuschte. Doch immer wieder fiel sein Blick auf die diversen Zeitmesser in der Zentrale. Sie alle zeigten das gleiche an, und doch wurde das Gefühl in Insider immer stärker, daß etwas mit ihnen nicht stimmte. Oder etwas mit der Zeit an sich! Siebzehn Stunden waren nun vergangen, seitdem das Multibewußtsein sich in sich selbst versenkt hatte. Aber Insider kam es so vor, als wären es schon Tage, Wochen oder gar Monate. Der Extra war intelligent genug, um dieses Gefühl so zu deuten, daß er die Zeitdehnung nur als solche empfand, weil er verzweifelt
und sehnsüchtig auf Oggars Erwachen wartete. Die Erklärung mochte ihm einleuchtend erscheinen, nur sie befriedigte nicht. »Ich habe den Eindruck«, wandte er sich, einem plötzlichen Impuls folgend, erneut an das Mnemodukt, »daß hier an Bord alle Uhren falsch gehen.« »Worauf stützt sich dieser Eindruck?« wollte das Rechengehirn wissen. Insider zuckte unsicher die Schultern. »Es ist ein Gefühl. Ich kann dir keine Beweise liefern, sonst hätte ich ja Gewißheit.« »Du irrst dich, Insider. Während du sprachst, habe ich alle Einrichtungen zum Messen der Zeit im HORT überprüft. Es ist kein Defekt feststellbar.« »Im HORT …«, murmelte der Grüne. Wie so oft in den letzten Stunden, starrte er auf die Schirme. Es war auch viel eher so, daß es ihm vorkam, als hätte sich etwas Undefinierbares zwischen das Schiff und den umgebenden Weltraum geschoben. »Du hast wohl recht, Mnemodukt«, seufzte er. »Das Warten macht mich noch ganz krank.« Er aß und trank etwas, doch auch das konnte ihn nicht beruhigen. Er saß für eine Weile im Sessel neben Oggar, als der Körper erneut zu zittern begann. Wollten Oggar, Sternfeuer und Carch sich auf diese Weise bemerkbar machen? Wollten sie ihm etwas sagen und konnten es nicht mehr, weil sie die Kontrolle über die androide Hülle verloren hatten? Insider hielt es nicht mehr in der Zentrale. Er verließ sie und durchstreifte das Schiff. Erst nach vier Stunden kehrte er zurück. Das Mnemodukt schwebte an der gleichen Stelle, an der er es zuletzt gesehen hatte. Oggar hing schlaff im Sitz. »Ich habe etwas entdecken können«, empfing ihn das Mnemodukt.
»Von Hapeldan?« fragte Insider schnell. »Nein, dann hätte ich schon Alarm gegeben. Genau in unserer Flugrichtung befindet sich ein Kugelsternhaufen. Wenn wir diesen Kurs beibehalten, werden wir ihn in geringer Distanz passieren.« Insider stützte sich auf ein Pult. Mit wenig Interesse erkundigte er sich: »Entfernung jetzt?« »Achttausendsiebenhundertsechsundsechzig Lichtjahre von unserer Position in diesem Augenblick.« Ein kurzer Piepton verdeutlichte, welchen Augenblick die Positronik meinte. »Entfernung des Kugelsternhaufens von Pers-Mohandot 11,7 Millionen Lichtjahre.« Insider fuhr herum. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er die Kugel an. »Sag das noch einmal!« Das Mnemodukt wiederholte die Angabe. »Aber das ist doch ganz unmöglich!« rief Insider. »Wir hatten uns um 2,8 Millionen Lichtjahre von Pers-Mohandot entfernt, als Oggar mit diesem Wahnsinnsversuch begann. Der HORT fliegt nur mit geringem Überlichtfaktor!« »Du irrst dich. Das trifft für jetzt wieder zu, aber für die Dauer von sieben Stunden, siebzehn Minuten und elf Sekunden bewegte er sich mit Maximalgeschwindigkeit.« »Und das sagst du mir erst jetzt?« »Es bestand bisher kein Grund für eine diesbezügliche Erklärung«, versetzte das Mnemodukt. Insider verstand die Welt nicht mehr. »Dann sagst du mir jetzt gefälligst, was du noch alles registriert hast und für nicht erklärenswert …« Er sprach nicht zu Ende, denn in diesem Moment begann Oggar sich zu rühren.
* Insiders Erleichterung wich augenblicklich neuem Erschrecken, als Oggar sich ruckartig erhob und ihn dabei fast zur Seite stieß. Das Mischwesen sah um sich, als erblickte es seine Umgebung zum ersten Mal. Erst als es das Mnemodukt erkannte, sanken die Schultern etwas herab. »Was ist denn mit dir?« fragte Insider. »Bist du wieder in Ordnung?« »Ja«, antwortete Oggar nur. Als Insider noch darüber rätselte, wer aus ihm sprach, schaltete sich ein Bildschirm ein und zeigte den fernen Sternhaufen in größtmöglicher Auflösung. Der Anblick schien das Mischwesen sofort in seinen Bann zu schlagen. »Jetzt hört einmal her!« rief der Extra ungehalten aus. »Ich mache mir die größten Sorgen um euch, und ihr tut so, als gäbe es mich überhaupt nicht mehr. Oggar, Sternfeuer, Carch! Was wird hier eigentlich gespielt? Habt ihr etwas damit zu tun, daß der HORT vorübergehend mit Maximalgeschwindigkeit flog? Habt ihr das Fernflugmodul beeinflußt?« Sternfeuer sprach aus Oggar, ohne daß dieser den Blick von dem Bildschirm nahm. So knapp wie möglich berichtete sie über den im Grunde fehlgeschlagenen Versuch. »Dadurch, daß wir gegensätzliche Kräfte entwickelten«, schloß sie, »verloren wir die Kontrolle und gerieten in übergeordnete, unbekannte Gezeitenströmungen, Insider. Erst wieder vollkommen synchron handelnd und denkend, konnten wir ihnen entkommen. Doch Hapeldans Spur ist verloren.« »Ich bezweifle, daß wir ihn überhaupt wiedergefunden hatten«, fügte Oggar hinzu. »Es war der Wunsch, der uns dies wohl glauben ließ. Mnemodukt, von uns ging kein Einfluß auf das Fernflugmodul aus, jedenfalls kein bewußter. Wir sehen die eingeblendeten Entfernungsangaben. Was ist dir inzwischen noch über den Kugelsternhaufen bekannt?«
Er tat den Verlust der Spur mit einem kurzen Satz ab, doch die Sternenballung schien ihn ungemein zu faszinieren. Insider glaubte zu wissen, warum. »Der Sternhaufen existiert nur scheinbar ohne dazugehörige Galaxis«, erklärte das Mnemodukt. »Ich habe berechnet, daß er trotz der gewaltigen Entfernung Pers-Mohandot in einer sehr weit gezogenen Ellipse umkreist und dabei den ersten Umlauf seit der Geburt seiner 121 Sonnen noch nicht einmal vollendet hat.« Insider hatte einige Mühe, diese unvorstellbare Information zu verarbeiten. Er sagte nichts, sondern beobachtete Oggars Reaktion. Das Mischwesen schien die Auskunft weit weniger zu berühren als ihn. Ruhig, als hätte es nicht noch vor Minuten um seine Existenz kämpfen müssen, fragte es weiter: »Spektraltyp der Sterne?« »Vorwiegend G und K, gelbe und gelbrötliche Sonnen. Sie verteilen sich ziemlich gleichmäßig auf einen kugelförmigen Raum von 1,8 Lichtjahren Durchmesser.« Einige genauere astronomische Angaben folgten, die Insider nur am Rande wahrnahm. Oggar drehte sich zu ihm um. Ein schwaches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Dann kann es kein Zufall sein, daß unser Kurs genau auf den Sternhaufen zuführt, ebenso wie es einen Sinn haben muß, daß der HORT diesen Sprung machte und erst hier, in der Nähe der Ballung, wieder auf die alte Geschwindigkeit zurückfiel. Es mag sein, daß es durch unsere Meditation bewirkt wurde, doch auch das Eingreifen einer noch unbekannten Macht kann verantwortlich sein.« »Du meinst doch eine bekannte Macht nämlich Hidden-X« sagte Insider lauernd. »Du glaubst, daß Hapeldan sich in den Kugelsternhaufen geflüchtet hat.« »Sein Kurs führte hierher, solange wir seine Spur verfolgen konnten. Aber er kann ihn natürlich auch wieder geändert haben. Ich fand ihn oder etwas, das ich für ihn hielt, kurz wieder, aber
dabei erhielt ich keinen Hinweis auf diese Ballung. Insider, dies wäre der Ort, den sich Hidden-X als Versteck ausgewählt haben könnte, fern von allen Galaxien.« »Ich habe es geahnt«, seufzte der Extra. »Wir werden in den Sternhaufen einfliegen – und womöglich in eine Falle!« »Wir sind gewarnt, Insider. Wir werden vorsichtig sein, wenn wir uns Auxonia nähern.« »Auxonia?« Oggar nickte. »Ich habe den Sternhaufen nach ihr benannt. Und sollten wir hier auf den Gegner stoßen, so wird die Erinnerung an sie in mir sein und uns allen die Kraft zum Sieg geben.« Insider zog sich kopfschüttelnd zurück. Er verstand nicht, was in Oggar und seinen Bewußtseinspartnern vorging. Er wußte nur, daß er ein waches Auge auf ihn würde haben müssen. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Die Falle stand weit offen. Und was nützte es, daß man gewarnt war? Gewarnt waren auch die Solaner gewesen, bevor es sie ins Mikrouniversum mit der Landschaft im Nichts verschlug. Auf Oggars Befehl hin änderte das Mnemodukt geringfügig den Kurs des HORTS. Auf den Vorausschirmen war Auxonia zu sehen, dahinter nur die verwaschenen Nebelflecken unendlich weit entfernter Galaxien. Mit erhöhtem Überlichtfaktor raste der Doppeldiskus bis auf fünfzig Lichtjahre an den Kugelsternhaufen heran. Oggar befahl einen Orientierungsaustritt aus dem Hyperraum. Das Mnemodukt leitete die vielfältigen Meßergebnisse der Schiffssensoren in seine Logik- und Auswertungssektoren und erklärte nach nur sechzehn Sekunden: »Es gibt keinen Hinweis auf Raumschiffahrt in Auxonia, dafür aber ungeheuer starke energetische Aktivitäten zwischen und auf den noch nicht bestimmbaren Planeten der 121 Sonnen.« Oggar nickte zufrieden.
»Hapeldan, der Schalter, floh vor uns und der SOL, Insider«, sagte er. »Wir waren uns alle darüber einig, daß sein Ziel nur das FlektoYn sein konnte – und sein Meister Hidden-X. Ich halte es für ausgeschlossen, daß er wußte, daß wir ihm noch folgen konnten, nachdem er aus der direkten Ortung verschwunden war. Sonst hätte er anders reagiert und den Kurs geändert. Daß wir ihn dann doch wieder verloren, kann doch nur heißen, daß er sich bereits in der Nähe der bösen Allmacht wußte und einen Effekt erzeugte, der ihn scheinbar aus unserem Universum verschwinden ließ. Er tat dies aus noch größerer Vorsicht, um den Sitz von Hidden-X an niemanden zu verraten, wobei er nicht an uns dachte. Das Mnemodukt II bestätigt diese Überlegungen. Hapeldan muß für den Fall der Annäherung allgemeingültige Anweisungen haben. Keine Raumschiffe, auch das paßt in unser Bild. Hidden-X benötigt keine Raumschiffe, Insider. Wir haben das Ziel vor uns.« Oggar, stellte der Extra fest, erging sich in unnötigen Wiederholungen von bereits Bekanntem oder Vermutetem. Weshalb? Mußte er sich selbst etwas einreden? Belog er sich, nur weil eine Enttäuschung für ihn zu bitter sein müßte? »Wir gehen vorsichtig näher an Auxonia heran, Mnemodukt«, sagte Oggar.
2. Chale Bennjyk betrachtete die kleine Waffe mit offenkundigem Mißfallen. »Wenn ich daran denke, daß wir im Begriff sind, sie zu benutzen, Granit«, sagte sie mit ihrer hellen, zirpenden Stimme, »erschrecke ich vor mir selbst.« Ihr Partner heftete einige flache Geräte an die Magnetkontakte seiner silbrigblau schillernden Kombination.
»Hörst du mir überhaupt zu, Granit?« Takkar Sours, nicht nur wegen seiner Tätigkeit als Bergbauingenieur »Granit« genannt, trat zu ihr hin und legte ihr sanft eine Hand auf die zarte Schulter. »Nicht wir sind für die Zustände verantwortlich, die jetzt zwischen den Sternen herrschen, Chale«, versuchte er ihr die Bedenken zu nehmen, obgleich er sie teilte. »Was wir tun müssen, dient allein dem Zweck, unser aller Leben wieder erträglich zu machen. Außerdem teilen jene, die uns am anderen Ende des Raumschlauchs vielleicht erwarten, unsere Skrupel sicher nicht.« »Was ist nur aus den Dynurern geworden?« murmelte sie. »Je eher wir es hinter uns haben, desto besser. Ich will froh sein, wenn wir wieder zurück auf Huka-Tin sind.« »Ja.« Takkar drehte sie zu sich um und sprühte ihr aus einem schmalen Zylinder einen hauchdünnen Film über das schöne Gesicht mit den großen, tiefschwarzen Augen, der leicht gebogenen Nase und dem Bitterkeit ausdrückenden Mund, dann über das silberfarbene, bis auf die Schultern reichende Haar. Wie das Kupfer der Haut und die ebenfalls silbern schimmernden Brauen wurde es von einem schmutzigen Grau überzogen. Zusätzlich bewirkte die Chemikalie an bestimmten Stellen ein Zusammenziehen der Haut. »Fertig«, sagte Takkar, nachdem er die gleiche Prozedur an sich selbst vorgenommen hatte. »Entstellt und zum Davonlaufen. Selbst unsere Mütter würden uns nicht mehr erkennen.« »Irgendwann«, prophezeite Chale, »werden die Ehrlichkeitsjäger ein Mittel finden, um unsere Tarnung unwirksam zu machen.« »Irgendwann«, antwortete Takkar, »wird es keine Ehrlichkeitsjäger mehr geben und unser Volk wieder frei sein.« Er nahm den eigenen Entzugsschocker aus einer Falte der Kombination, nickte ihr noch einmal zu und betrat die große Kuppel des Weltennabels. Im Innern der Ankunfts- und Abgleitstation begegneten ihnen
keine Dynurer. Die Bergbauspezialisten wußten genau, wann Transporte Huka-Tin verließen oder Inspektoren ankamen. Sonst verirrte sich nur äußerst selten jemand hierher, denn die Kolonialwelt war kein Platz zum guten Leben. Wer sich zu einem begrenzten Aufenthalt als Bergarbeiter auf ihr entschloß, verzichtete auf fast alle Annehmlichkeiten und mußte den unbedingten Willen besitzen, seine Zeit durchzustehen. Erst nach Erfüllung des Vertrags konnte er dann damit rechnen, reich und gesellschaftlich akzeptiert nach Dynur oder einem anderen der bewohnten 27 Planeten innerhalb der Sterne zurückzukehren. Chale und Takkar vertrauten sich nicht zum erstenmal einem Raumschlauch an, und doch ergriff sie immer wieder eine Art Ehrfurcht vor dieser größten technischen Leistung, die ihr Volk in seiner langen Entwicklungsgeschichte jemals hervorgebracht hatte. Es gab längst schon keine Raumschiffe mehr, die die Sterne durcheilten. Das Geheimnis, wie die als absolut geltende Grenze der Lichtgeschwindigkeit überwunden werden konnte, war von dynurischen Wissenschaftlern niemals gelöst worden. Die ersten Pionierschiffe, die Dynur verließen, um nach bewohnbaren Welten zu suchen, hatten Jahrhunderte gebraucht, um ans Ziel zu gelangen. Die Tragödien, die sich zu dieser Zeit ereignet hatten, waren Takkar gut bekannt. Man hatte eine bessere Lösung gefunden. Robotsonden erforschten die Sterne und entdeckten die 27 zur Besiedlung geeigneten Welten. Jedes Kind kannte den Namen des größten Genies, das das dynurische Volk je hervorgebracht hatte: Auktan. Er war es gewesen, der die theoretischen Grundlagen für die Schaffung der Raumschläuche geliefert hatte, auf denen aufbauend spätere Generationen das beispiellose Projekt dann verwirklichen konnten. Nun war es eine Selbstverständlichkeit, sich durch die Raumschläuche von einem Planeten zum anderen befördern zu lassen. Sie standen nicht immer, sondern wurden bei Bedarf
geschaltet. Irgend jemand hatte für die Stationen, die durch sie verbunden wurden, den Namen »Weltennabel« geprägt. Von diesen gab es auf jeder Kolonialwelt einen, auf Dynur im Zentrum der Sterne sogar zwölf. Daran musste Takkar auch jetzt wieder denken, während er und die Gefährtin darauf warteten, daß der Energieschlauch sich für sie aufbaute. Dieses phantastische Beförderungssystem war von einem einigen Volk geschaffen worden, das keinen Zwist kannte. Doch wie sah die Zukunft aus! Takkar verdrängte die Gedanken daran und konzentrierte sich ganz auf das Zentrum der Inneren Kuppel. Die große, kreisrunde Platte leuchtete auf. Takkar nahm Chale bei der Hand und stellte sich mit ihr auf die Markierung. Die Robotstimme der vollautomatisierten Station gab das Signal. Takkar spürte Chales Sträuben, das kurze Aufbegehren, als sich die Kuppelwölbung über ihnen auflöste und blaues Leuchten sie umfing. Für Augenblicke standen die beiden schlanken, zartgliedrigen Gestalten, Chale 1,67 Meter groß, Takkar 1,81 Meter, im Zentrum der sich nun ungeheuer schnell aufbauenden Energien. Der Durchmesser des Schlauches betrug etwa zwanzig Meter. Die Wände verfestigten sich. Als Takkar den Kopf in den Nacken legte, sah er über sich in ein hellblaues Wabern, aus dem gleißende Spiralen sich zu ihm herabzuschrauben schienen. Die beiden Dynurer hielten den Atem an. Das zweite Signal der Abgleitautomatik hörten sie schon nicht mehr. Sie wurden schwerelos und glitten hinein in den Schlauch, vertrauten sich einem Medium an, das dynurische Sinne nicht zu erfassen vermochten. Den fast zeitlosen Transportvorgang erlebten sie als kurzes Emporgerissenwerden in eine Welt phantastischer Farben, als einen kurzen Moment scheinbarer Körperlosigkeit. Dann waren sie auch schon am Ziel. Der Raumschlauch erlosch. Sie befanden sich nicht mehr auf
Huka-Tin, sondern acht Lichtmonate entfernt auf dem Planeten Shatmar. Mit einem kurzen Ziehen im Nacken klangen die schwachen Nachwirkungen des Transports ab. Takkar zog die Gefährtin mit sich aus dem Kreis. Seine Finger umschlossen den Griff der kleinen Handwaffe. »Wenn sie uns hier erwarten«, sagte er düster, »dann draußen.«
* Wie Takkar erhofft hatte, war auch die Shatmar-Station verlassen. Die Geheimorganisation, der er und Chale angehörten, hatte auch hier ihre Mitglieder, die dafür gesorgt hatten, daß ihre Ankunft unbemerkt blieb – zumindest im Weltennabel selbst. Wie es draußen aussah, stand hingegen auf einem ganz anderen Blatt. Wenn die Geheimpolizei des Varsers inzwischen von einem Unterschlupf der Rebellen auf Shatmar wußte und die beiden Spezialisten erwartete, konnten die Helfer ihnen nicht weiter beistehen, ohne sich selbst und damit ihre Sache in Gefahr zu bringen. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, daß jedes Mitglied der Organisation im Fall einer Bedrohung auf eigene Faust handeln mußte. Chale und Takkar ließen sich von einem Laufband bis zur Peripherie der großen Kuppel tragen. Vor einem Schott machten sie halt. Die Stahltür führte auf eine der drei aus der Kuppel ragenden Plattformen hinaus, auf denen die Schweber geparkt waren, die jedem Ankömmling zur kostenlosen Verfügung standen. »Bleib zurück«, flüsterte Takkar der Partnerin zu. »Du kommst erst nach, wenn ich dich rufe.« Er unterband ihren Protest mit einer Handbewegung, preßte sich mit dem Rücken an den Rahmen und berührte die Kontaktfläche. Die Stahltür fuhr in die Wand. Takkar wartete, bis sich seine
Augen an die draußen herrschende Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann stieß er sich ab und rannte geduckt und mit entsicherter Waffe auf den nächstbesten Schweber zu. Er erreichte ihn unangefochten, ließ die transparente Haube über den Sitzen zur Seite klappen und stieg hinter die Kontrollen. Er sah sich um. Alles war ruhig. In der Ferne waren die Lichter der Stadt zu erkennen. Niemand schien sich um diese Zeit in der Nähe des Weltennabels aufzuhalten. Dennoch blieb Takkar vorsichtig. Erst nachdem er die gesamte Plattform mit den Scheinwerferkegeln des Fahrzeugs bestrichen und immer noch nichts Verdächtiges entdeckt hatte, rief er nach Chale. Im gleichen Moment erkannte er seinen Fehler. Chale hatte gerade den halben Weg zurückgelegt, als von unterhalb der Plattform drei Schatten heraufschwebten und landeten. Takkar schrie eine Warnung. Die drei Gestalten stürmten heran. An ihrer Absicht konnte kein Zweifel bestehen. Ein Schuß fauchte auf. Chale brach, schon kurz vor dem Schweber, kraftlos zusammen. Von ohnmächtigem Zorn gepackt, gab Takkar zwei schlecht gezielte Schüsse ab und sprang aus der Kanzel. Eine schwache Lichtbahn fuhr über ihn hinweg. Er ließ sich fallen und rollte sich hinter eine Kufe des Fahrzeugs. Ganz kurz nur sah er einen der Ehrlichkeitsjäger und schoß wieder, diesmal mit mehr Glück. Der Dynurer brach zusammen, als er von der anderen Seite her anschleichen wollte. Takkar konnte keinen Triumph empfinden. Er haßte sich dafür, auf die eigenen Brüder und Schwestern feuern zu müssen. Wo war der dritte? Vorsichtig richtete der Bergwerksspezialist sich auf. Kein Laut war zu hören außer dem klagenden Gesang einiger Sumpfschwalben. Im fahlen Licht der beiden Monde zeigte sich keine Bewegung. Dann aber hörte er die verzerrt klingende Stimme: »Komm heraus! Du hast keine Chance! In wenigen Minuten
werden unsere Schweber hier sein!« Natürlich! durchfuhr es Takkar. Die Häscher des Varsers sind längst über Funk benachrichtigt! Er durfte keine Zeit mehr verlieren, wenn er nicht mit Chale in den Wahrheitskammern landen wollte. Takkar versuchte herauszufinden, von wo die Stimme gekommen war. Der Gegner wußte nicht, wo er versteckt lag. Wer den anderen zuerst entdeckte … »Du lügst!« rief Takkar zurück, um Zeit zu gewinnen. »Das werden wir sehen!« Die kurze Antwort genügte dem Rebellen auch schon. Er setzte alles auf eine Karte, sprang auf und rannte in die Richtung, aus der die Stimme kam, warf sich wieder zu Boden, als er das Aufblitzen von Metall direkt neben dem Eingang zur Kuppel sah. Der schwache Lichtfinger zuckte über ihn hinweg. Takkar schoß, noch bevor der Geheimpolizist sich wieder in seine Deckung zurückziehen konnte. Sein Körper fiel schwer auf die Plattform. Takkar stand auf und atmete heftig. Noch waren die Lichter anfliegender Schweber nicht zu sehen. Er sprang über die beiden bewegungsunfähigen Ehrlichkeitsjäger zwischen ihm und Chale hinweg, hob die Gefährtin auf seine Arme und trug sie zum Fahrzeug. »Ruhig, Chale«, murmelte er, als er sie auf den Passagiersitz legte und selbst vor den Kontrollen Platz nahm. »Wir werden jetzt einige Umwege machen müssen, aber sie bekommen uns nicht.« Der Schweber hob ab. Takkar beschleunigte ihn mit Höchstwerten und jagte ihn hinaus in die Nacht. In weitem Abstand umflog er die Stadt, dann über eine ausgedehnte Moorlandschaft. In kleinen Seen spiegelte sich das Licht der Monde und der wenigen Sonnen der Sterne, die bei dieser Stellung des Planeten zu seinem Gestirn am Himmel zu sehen waren. Und dahinter … Das Nichts! sagten die Wissenschaftler, die gefangen waren in
jahrtausendealten Anschauungen. Takkar glaubte, es besser zu wissen. Das machte ihn zu einem Frevler. Es durfte nicht existieren, was nicht sein sollte. Vielleicht war dies der eigentliche Grund für die Tragödie, die sich abzuzeichnen begann. Der Irrglaube, es gäbe nur die Sterne und sonst nichts, kam Monzelback Hedhergin sehr gelegen. So fiel es ihm leicht, die Dynurer in Angst und Schrecken zu versetzen mit der Ankündigung, die Ankunft eines fremden Raumschiffs stünde bevor und sei gleichbedeutend mit dem Ende der dynurischen Zivilisation. So brachte er sie dazu, ihm als Varser immer weitere Machtbefugnisse zuzugestehen. Die angebliche große Gefahr, die von dem fremden Raumschiff ausgehen sollte, trieb die Dynurer, die nie in ihrem Dasein in kriegerische Handlungen verwickelt gewesen waren, zu einem wahnsinnigen Aufrüsten an. Dabei sprach jegliche Logik gegen das Erscheinen eines fremden Schiffes. Woher sollte es kommen, wenn, wie die Dynurer glauben sollten, nichts außer den Sternen existierte? Das eigentlich Beunruhigende aber war, daß nicht nur der Varser von dieser Bedrohung sprach. Auf fast allen Kolonialwelten tauchten diese Gerüchte auf, und es war inzwischen erwiesen, daß ein Großteil derjenigen, die von dem fremden Schiff wissen wollten, nicht von Hedhergin oder dessen Ehrlichkeitsjägern beeinflußt waren. Diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen, war eine der Aufgaben, die sich die Rebellenorganisation OK gestellt hatte. Dies war einer der Gründe, weshalb Takkar und Chale nun auf Shatmar waren. Takkar schlug eine neue Richtung ein, als er glaubte, jeden möglichen Verfolger abgeschüttelt zu haben. Nach einer weiteren Stunde landete er den Schweber in der Nähe eines Moores bei einer stillgelegten Robotfabrik, in der Torf verarbeitet worden war. Takkar schaltete die Scheinwerfer aus und drehte sich zu Chale um. Es war allerhöchste Zeit, sie zu beleben.
* Takkar hielt die Innenfläche seiner Hände solange gegen die von Chale gepreßt, bis er das leichte Zucken in ihren Fingern spürte. Es war nicht so, daß er ihr einfach einen Teil seiner Körperenergie abgegeben hätte. Im Gegenteil luden die beiden Dynurer sich gegenseitig mit physischer Energie auf, so wie es unter Angehörigen ihres Volkes nichts Ungewöhnliches war. Jeder Dynurer war darauf angewiesen, sich von Zeit zu Zeit einen Partner zur Stabilisierung zu suchen. Kein dynurisches Wesen konnte für längere Zeit völlig allein leben, es sei denn, es besaß einen tragbaren Speicher, in den die Vitalenergie mehrerer Männer und Frauen abgegeben worden war. Das war immer so gewesen und hing mit der Entwicklung der Rasse zusammen. Auf Dynur, wo ihre tierischen Vorfahren gelebt hatten, gab die Planetenoberfläche eine Strahlung ab, die die gesamte Evolution beeinflußt hatte. Früher hatte es des Körperkontaktes nicht bedurft. Doch im Lauf der Zeit waren die Erze, die die Strahlung produzierten, durch blinden Raubbau so stark dezimiert worden, daß sie allein nicht mehr ausreichten, um den Energiehaushalt in den Dynurerkörpern stabil zu halten. Das Prinzip der einzigen vom Volksforum zugelassenen – und bezeichnenderweise den Ehrlichkeitsjägern vorbehaltenen – Waffen bestand in nichts anderem als dem schockartigen Entzug dieser lebensnotwendigen Energien bis auf einen winzigen Rest. Sie lähmten also und töteten nur dann, wenn der Beschossene nicht rechtzeitig genug Körperkontakt mit einem anderen Dynurer bekam oder an einen Speicher angeschlossen würde. Takkar zog die Hände zurück und atmete auf, als Chale die Augen aufschlug. Ihre flache Brust hob und senkte sich unter heftigen, allmählich regelmäßiger werdenden Atemzügen.
Ihr Körper war gelähmt gewesen, nicht ihre Sinne. Takkar brauchte ihr also nur wenige Erklärungen abzugeben. Er deutete auf die Fabrik. »Wir sind da, Chale. Ich habe keinen Warnimpuls erhalten, also haben die Ehrlichkeitsjäger das Versteck noch nicht entdeckt.« »Dann laß uns gehen«, bat sie. »Ich hasse diese Gegend, und außerdem beginnt mein Gesicht zu schmerzen.« Ihm erging es nicht anders. Der Tarnfilm konnte nur für eine begrenzte Zeit getragen werden. Immerhin hatte er seine Schuldigkeit getan. Falls einer der drei Geheimpolizisten auf der Plattform eine Mikrokamera bei sich gehabt hatte, konnten die Ehrlichkeitsjäger kaum viel mit den Aufnahmen anfangen. Takkar half der Gefährtin aus dem Fahrzeug. Sie legten den Weg zur Fabrik zu Fuß zurück und schlüpften durch den gut getarnten Eingang. Sie waren nicht zum erstenmal hier und fanden auf Anhieb, wonach sie suchten. Takkar nahm die Folie erst aus der schwarzen Hülle, in die sie eingeschweißt war, als sie wieder im Freien waren und zwischen zirpenden Insekten, trompetenden Moorfröschen und jagenden Sumpfschwalben auf einem umgestürzten Baumstumpf saßen. Eine auf das Blatt geträufelte Flüssigkeit machte die unsichtbare Schrift lesbar und ließ die einzelnen Buchstaben grünlich aufleuchten. Chale legte den Kopf an Takkars Schulter, und gemeinsam lasen sie: »Es kann jetzt kein Zweifel mehr daran bestehen, daß sich Monzelback Hedhergin zu einem Alleinherrscher aufschwingen und das Volksforum als regierende Instanz über Dynur und die Kolonialwelten abschaffen will. Er verlangt täglich neue Vollmachten und setzt sie durch. Die verängstigte Bevölkerung ist bereit, ihm alle Macht in die Hände zu legen, wenn er ihr verspricht, das erwartete Raumschiff zurückzuschlagen. Natürlich gibt es dieses fremde Schiff nicht und wird nie zwischen den Sternen erscheinen. Deshalb ist es nun dringlicher als jemals zuvor, die Ursache der überall aufkommenden Gerüchte zu ergründen. Wenn Hedhergin als Lügner
entlarvt werden kann, ist er am Ende seiner Macht. Um der Freiheit unseres Volkes willen, findet heraus, woher die Gerüchte stammen!« Unter der letzten Textzeile befand sich ein Zeichen, der flammende Kranz einer Sonnenkorona. Es wies aus, wer diese Nachricht verfaßt hatte. Takkar zündete die Folie an einer Seite an und hielt sie in der Hand, bis die züngelnden Flämmchen fast seine Finger berührten. »Unsere gewählten Vertreter«, sagte Chale erschüttert. »Jene elf, denen alle Dynurer ihr Vertrauen aussprachen. Selbst Hedhergin wird nicht wagen, sie abzusetzen.« »Ich habe den Eindruck, er wagt noch viel mehr«, antwortete Takkar. »Genau wie Zytarr. Irgendwann werden die Ehrlichkeitsjäger herausfinden, wer der Kopf der OK ist.« OK bedeutete in der Alten Sprache der Dynurer soviel wie »Für die Wahrheit«. In der Auslegung dieses Begriffes unterschieden sich die Bewohner der Sterne kaum von jenen anderen, deren Existenz die herrschende Wissenschaft und die Medien, die Politiker wie die Erzieher energisch leugneten, von deren Dasein Chale und Takkar jedoch fast so überzeugt waren wie davon, daß es jenseits der Sterne weitere Sterne gab – kugelförmige Ballungen von Sonnen mit Planeten und Monden. Für die Herrschenden bestand die Wahrheit darin, daß es nichts gab außer den Sternen. Für sie war Wahrheit, daß das fremde Raumschiff eines nicht mehr fernen Tages auftauchen und die Planeten verwüsten würde, falls man ihm nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln begegnete. Für die Rebellen hieß Wahrheit, die Räume jenseits der Sterne zu erforschen und allen Dynurern die Augen über das schändliche Spiel ihres Varsers zu öffnen. »Zytarr vermutet noch mehr, als er schreibt«, sagte Takkar. »Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder tauchten die Gerüchte zur gleichen Zeit auf, zu der Hedhergin mit seinem Propagandafeldzug begann – oder schon vorher. Ist letzteres der Fall und können wir
dies beweisen, dürften wir einen großen Schritt weitergekommen sein, Chale. Dann nämlich steht fest, daß der Varser sich die schon um sich greifende Unruhe erst zunutze machte, um seine Macht auszudehnen. Die Dynurer würden ihm diese nie zubilligen, fühlten sie sich nicht von außen bedroht.« »Zytarr sollte unser Varser sein und wieder ein Repräsentant unseres Volkes ohne politische Gewalt, so wie es früher war. Was kann er aber als einer von elf Mitgliedern des Volksforums schon für die Wahrheit tun?« »Noch nichts.« Takkar erhob sich und streckte ihr eine Hand entgegen. »Sorgen wir dafür, daß sich das ändert.« Sie gingen zurück zum Schweber und lösten mit einer milden Chemikalie den Tarnfilm von ihren Gesichtern und aus den Haaren. Chale strich sich befreit über die nun wieder kupferfarben schimmernde Haut. »Wie neugeboren«, lächelte sie. »Und jetzt? In die Stadt?« »Nach Heyldran!« bestätigte Takkar. »Und vergiß nie, daß wir nicht auf Huka-Tin sind. Dort genießen wir eine gewisse Narrenfreiheit. Die Bergarbeiter kümmern sich nicht viel um Politik und belächeln unser Hobby nur, die fernen Nebel zu beobachten.« »Was hat das damit zu tun, daß wir als OK-Mitglieder hier sind, um über …?« »Heute sind wir schon soweit, daß jeder verdächtig ist, der abweichende Meinungen vertritt, auch wenn sie nicht das fremde Schiff betreffen. In Heyldran dürfe es von Spitzeln für die Ehrlichkeitsjäger nur so wimmeln.«
3. Heyldran war die einzige große Stadt auf Shatmar. Hier lebten an die zweihunderttausend Dynurer in komplexen Wohnanlagen, die optimal in das ökologische Gefüge der Sumpfwelt eingebettet
waren. Nur im Zentrum gab es eine Zone von etwa drei Kilometern Durchmesser, in der Beton alles Grün verdrängt hatte. Dort ballten sich Geschäftshäuser, Verwaltungsbauten und Wohnsilos auf engstem Raum zusammen. Dort hielten sich vorwiegend auch die Besucher auf, die aus anderen Gründen hier waren, als eine landschaftlich noch völlig intakte Welt zu bestaunen. Der Mann, der in einer der acht Musiknischen rund um die kreisförmige, sich langsam drehende Theke des Lustzentrums hockte und an einem schmalen Glas mit violett schimmernder Flüssigkeit nippte, war nur scheinbar in den Genuß der Klänge versunken, die aus den unzähligen Lautsprechern drangen. Er hatte die Tonstärke auf ein Minimum herabgeschaltet. Was ihn wirklich interessierte, waren die Gespräche, die an den Tischen hinter den Nischen geführt wurden. Sephir Gripec konnte sich, schon ohne es bewußt zu tun, jeder nur denkbaren Situation anpassen, sich in jeder Umgebung so verhalten, daß kein Dynurer auf die Idee kam, es mit mehr als einem unscheinbaren Gast zu tun zu haben. Doch die pechschwarzen Augen sahen alles, dem trainierten Gehör entging nichts. Sephir Gripec war nicht nur ein einfacher Ehrlichkeitsjäger. Er gehörte zu den wenigen Spezialisten, die dem Varser direkt unterstellt waren. Hatten die einfachen Mitglieder der Geheimpolizei dem Volksforum Rechenschaft abzulegen, so bildeten Gripec und die ihm Gleichgestellten Monzelback Hedhergins Elitetruppe. Sie konnten jeden Trupp Ehrlichkeitsjäger auf jeder der Kolonialwelten oder auf Dynur übernehmen, Befehle erteilen und Rechenschaft verlangen. So war es kein Wunder, daß Gripec über die Ankunft und Flucht zweier Rebellen unterrichtet war. Er wußte von einem noch unentdeckten Versteck irgendwo in den Mooren, wo Nachrichten der OK deponiert und entgegengenommen wurden. Und er war es auch gewesen, der die Verfolgung der Rebellen unterbunden hatte. Irgendwann würden sie in Heyldran auftauchen und sich verraten,
durch eine Geste, ein einziges unbedachtes Wort. Er brauchte nur zu warten. Dabei ging es ihm nur am Rande darum, ihnen die Lage ihres Versteckes zu entlocken. Sein wichtigster Auftrag bestand darin, herauszufinden, wer der Verräter in den Reihen der Volksvertreter war, von dessen Existenz der Varser überzeugt war. Er hatte nicht einmal die Absicht, die beiden festnehmen und in eine Wahrheitskammer schaffen zu lassen. Zu oft schon war es geschehen, daß Rebellen den Freitod vorzogen, bevor sie den Namen ihres Anführers auf Dynur verrieten. Es hatte nur Sinn, wenn sie ihm freiwillig alles sagten, was sie über die Organisation und ihren Kopf wußten. Und das würden sie tun. Das war für Gripec so sicher wie der bevorstehende Sieg des Varsers über die Narren, die da immer noch glaubten, nur ein vom Volk gewähltes Forum könnte die Dynurer einer neuen, glorreichen Zukunft entgegenführen. Er würde den beiden Rebellen den Weg zurück dorthin ebnen, von wo sie gekommen waren, und sie würden reden. Er drehte sich so, daß er den Eingang des Lustzentrums beobachten konnte. Er hatte Zeit. Der Weltennabel war abgeschirmt. Sie konnten ihm nicht entkommen.
* Takkar landete den Schweber auf einer Plattform am Rand des Stadtzentrums. Chales und sein Aussehen hatte sich wieder leicht verändert. Takkars kurzgeschnittenes Haar war unter einer elastischen, dünnen Haube verborgen, Chales silberfarbene Pracht war in Wellen gelegt und etwas zerzaust. Quer über die Oberteile ihrer Kombinationen waren rote und violette Bänder gespannt. Die Haut hatte durch eine Injektion ihren Schimmer verloren. Dies und noch einige andere Maßnahmen ließen die Bergbauspezialisten von
Huka-Tin wie Besucher von einer der anderen Welten erscheinen. Sie hatten sich keinen exakten Plan zurechtgelegt. Natürlich war ihnen klar, daß einige Zeit vergehen würde, bis sie jemanden fanden, der bereit war, einige Auskünfte zu geben – und dazu mußte er erst einmal etwas über die Gerüchte und ihre Entstehung wissen. Sie konnten nichts anderes tun, als ihr Glück dort zu versuchen, wo die Zunge locker war, in einem der vielen Gasthäuser, in einem Lustzentrum, in einem der öffentlichen Parks. Chales Hand fuhr unmerklich über die Kombinationsfalte, in der die Waffe verborgen war. »Es ist widersinnig, oder?« fragte sie. »Daß ausgerechnet jene zum Kampf gezwungen sind, die nichts mehr lieben als den Frieden.« »Noch hast du nicht schießen müssen.« »Nein. Weißt du, was, Granit? Mir fehlen jetzt schon die Sterne. Ich meine die anderen, die so weit von uns entfernt sind, daß ihr Licht über elf Millionen Jahre braucht, um zu uns zu gelangen.« Takkar nickte nur. Ihm ging es ähnlich. Auf Huka-Tin hatten sie zwei große Teleskope zusammengebaut. Das war angesichts des überall herrschenden Mißtrauens schwierig genug gewesen. Zwar konnten sie auf der Erzwelt ziemlich frei über ihr Hobby reden, aber selbst vor denen, die sie belächelten, hatten sie ihre kleine Beobachtungsstation noch geheimgehalten. Sie betrachteten es als einen ersten großen Erfolg, anhand verschiedener Analyse- und Meßverfahren die Entfernung eines der Nebelflecken zu den Sternen einigermaßen exakt bestimmt zu haben. Oft saßen sie stundenlang vor den Teleskopen und gaben sich ihren Träumen hin. Dann versuchten sie, sich die Geschöpfe vorzustellen, die in den anderen Sternhaufen leben mochten. Doch Huka-Tin war weit. Sie hatten jetzt Wichtigeres zu tun. Sie ließen den Schweber zurück und stiegen über eine geschwungene Treppe auf eine der ins Zentrum führenden Straßen hinab. Sich so unauffällig wie möglich gebend, schlenderten sie Arm
in Arm auf die ersten Geschäftshäuser zu und waren bald untergetaucht im regen Treiben des anbrechenden neuen Tages. Berauschte Männer und Frauen kamen aus den Lustzentren. Dynurer machten sich auf den Weg zur Arbeit. Auf einer großen Videotafel erschienen die neuesten Nachrichten von den Planeten der Sterne. Chale und Takkar wollten schon weitergehen, als das Gesicht des Varsers übergroß auf der Fläche auftauchte. »Dynurer!« hallte Monzelback Hedhergins zirpende Stimme weit in die Straßenschluchten hinein. »Es gibt neue Hinweise darauf, daß das Erscheinen des fremden Schiffes unmittelbar bevorsteht. Ich fordere euch alle zu erhöhter Wachsamkeit auf. In wenigen Stunden werdet ihr Verhaltensmaßregeln für den Ernstfall erhalten. Laßt eure Empfangsgeräte eingeschaltet!« Chale schüttelte sich. Sie gingen weiter. Erst nach einer Weile fragte die Rebellin: »Woher will er das wissen? Was macht ihn so sicher? Es wird kein Schiff auftauchen. Aber wenn er das weiß, weshalb geht er das Risiko ein, sich mit seinen lächerlichen Ankündigungen selbst unglaubwürdig zu machen?« »Zytarr meinte einmal, er könnte ganz einfach eines unserer alten Schiffe so verkleiden und mit Waffen versehen, daß jeder Dynurer es für ein Fremdschiff halten muß. Ein Raumboot würde zwischen den Sternen im Zeitalter der Raumschläuche ja schon für Aufsehen sorgen.« »Und wieso redet er immer nur von einem Schiff? Falls wirklich jemand käme, um unsere Welten zu erobern, müßte er das mit einer Flotte tun.« Takkar bedeutete ihr, zu schweigen, als sie in eine Gruppe von Schaulustigen gerieten, die vor einer Vitrine standen und die neuesten elektronischen Spielzeuge bewunderten. »Ich habe seit unserem Aufbruch nichts mehr gegessen«, meinte Takkar schließlich. »Gehen wir in …« »Was hast du?« erkundigte sich Chale alarmiert, als er abrupt
verstummte. Wortlos deutete er vorsichtig auf die kleine Gestalt, die vor einem von Unterkunftslosen umlagerten Lichtbrunnen hockte und stumm vor sich hinstierte. »Ein Shatmarer!« stieß Chale überrascht hervor. »Die Eingeborenen verirren sich nicht oft in die Stadt, oder? Sie meiden sie.« »Nicht alle. Einige von ihnen, die keinen Anschluß an ein Nest fanden oder von ihrer Sippe verstoßen wurden, versuchen ihr Glück hier. Sie betteln und verkaufen für eine Rauschwurzel alles, was sie am Tag vorher zusammengestohlen haben.« »Oder das, was sie wissen«, erriet Chale die Absicht des Partners. »Oder ihr Wissen«, nickte Takkar. »Und in der Regel wissen sie viel.« Sie legte ihm eine Hand auf den Arm, als er auf den Shatmarer zugehen wollte, der schon auf sie aufmerksam wurde. »Warte, Granit. Sie verkaufen sich. Das wissen auch die Ehrlichkeitsjäger.« »Ganz ohne Risiko erfahren wir hier nie etwas«, versuchte Takkar sie zu beruhigen. »Außerdem ist das alles eine Frage des Preises.«
* Für dynurische Begriffe sah ein Shatmarer so aus wie der andere. Sie waren kaum einen Meter groß und ebenso breit. Auf einem fast runden, dicht bepelzten Leib mit zwei kurzen Beinen und dafür um so längeren Armen mit flinken Fingern saß ein ebenfalls runder Kopf mit zwei übergroßen Augen, einer spitz vorstehenden Nase und einem winzigen Mund. Shatmarer besaßen nicht an beiden Seiten des Kopfes ovale Gehörmembranen wie die Dynurer, sondern tiefe Gehörgänge, die mit großen Hautlappen verschlossen werden konnten. Der Pelz war dunkelbraun, die freien Stellen des
Kopfes etwas heller. Wie andere Stadt-Shatmarer auch, hatte der Eingeborene, der sich nun langsam erhob und einen Ohrlappen aufrichtete, einige Stoffetzen um den Körper geschlungen und eine grell gemusterte Kappe mit breitem Schirm auf. Das sollte als Zeichen dafür gewertet werden, daß sie mit den Shatmarern in der Wildnis nichts mehr zu tun hatten. Überaus lernfähig, war es diesen ansonsten nur mäßig intelligenten Wesen sehr schnell gelungen, die Sprache der Dynurer zu verstehen und zu sprechen. Takkar und Chale blickten sich unauffällig nach einigen allzu Neugierigen um, bevor sie vor dem kleinen Kerl stehenblieben. »Ihr wollt etwas kaufen?« fragte der Shatmarer. »Ihr könnt bezahlen? Wusch hat alles, was ihr euch wünscht.« Chale mußte lächeln. Takkar hatte ebenfalls Mühe, sich ernst zu halten. »Wusch heißt du also. Gut, Wusch, hör zu. Wir hätten schon Interesse an einigen … Waren. Aber das Geschäft läßt sich nicht hier machen.« »Ich verstehe«, versicherte Wusch. »Und ich weiß auch schon einen besseren Platz. Folgt mir mit etwas Abstand.« Bevor die Dynurer einwilligen konnten, richtete sich Wusch vor ihnen zu seiner ganzen Größe auf, stemmte die Hände in sein Fell und schrie so laut, daß alle Umstehenden es hören mußten: »Was wollt ihr von mir, Rauschgras? Und ich soll euch die Bekanntschaft einiger zweifelhafter Liebesdiener vermitteln? Laßt mich nur damit in Ruhe! Ich bin ein ehrlicher Shatmarer! Verschwindet und belästigt mich nicht länger, oder soll ich die Ehrlichkeitsjäger holen?« »Aber …!« Fassungslos blickte Chale Wusch hinterher, wie er stolz davonwatschelte und in der Menge untertauchte. »Ich glaube«, sagte Takkar schmunzelnd, »wir haben den Richtigen gefunden. Wenn er so gerissen ist, wie er tut, wird er uns
einiges verraten können.« »Na, ich weiß nicht …« Sie folgten ihm. Wusch sorgte immer wieder dafür, daß sie ihn kurz sahen. So gelangten sie zurück in die Peripherie des Zentrums und schließlich in eine Tiefgarage, in der nur wenige Schweber geparkt waren. Wusch wartete in einer Toilette auf sie. Takkar zog die Tür hinter sich zu. »Also«, fragte der Eingeborene. »Womit kann ich euch dienen? Kostbare Stoffe, ein kleiner Ausflug in die purpurne Welt der siebten Seligkeit? Wertvolle Steine von …« »Informationen«, unterbrach Takkar ihn. »Hinweise.« Wusch nahm augenblicklich eine andere Haltung ein. Seine Riesenaugen musterten die Dynurer. »Ihr seid nicht zum Vergnügen hier, oder? Wusch weiß alles, aber für euch nur soviel, wie ihr bezahlen könnt.« Takkar griff in eines seiner Täschchen und zog einen funkelnden Stein heraus, ein kleines »Abfallprodukt« seiner Tätigkeiten auf Huka-Tin. Wuschs Augen wurden noch größer, doch nur für einen Moment. Sofort hatte er sich wieder unter Kontrolle und schien sich auszurechnen, was er gegen diesen Stein alles eintauschen konnte. Das Ergebnis schien ihn zufriedenzustellen. »Dafür weiß ich eine ganze Menge. Also fragt.« »Das fremde Raumschiff«, sagte Takkar direkt. Wusch machte einen Schritt zurück und streckte ihm abwehrend eine Handfläche entgegen. »Oh nein, Freunde, nicht das. Erstens weiß ich bestimmt nicht mehr darüber als ihr selbst, und zweitens habe ich keine Lust, mich mit den Ehrlichkeitsjägern anzulegen.« »Ich meine auch nicht das Schiff selbst, sondern die Gerüchte darüber. Du sagst mir, wann sie zum erstenmal auftauchten, und du bekommst zwei Steine.« Wusch legte einen Finger an den Mund.
»Zwei, sagst du?« »Zwei – und noch einen, wenn du uns sagen kannst, woher die Gerüchteerzähler von diesem Schiff wissen wollen.« Das überzeugte den Shatmarer. Er winkte Takkar und Chale ganz nahe zu sich heran und begann zu flüstern: »Seit drei Jahren wird davon geredet, vielleicht auch seit zehn. Wer den Traum hatte, spricht nur sehr vorsichtig darüber. Eigentlich weiß niemand etwas, aber alle wissen es doch.« Takkar und Chale sahen sich an, nicht recht glücklich über diese reichlich verworrene Auskunft. Einen Sinn aber ergab sie doch. Zytarr Wenk konnte mit seiner Vermutung also recht haben, und die Gerüchte waren aufgetaucht, bevor der Varser sie sich zunutze zu machen begann. »Von welchem Traum sprichst du?« wollte Chale wissen. »Oh, der Traum, den viele hatten. Es begann etwa zur gleichen Zeit auf fast allen Planeten. Manche sahen es auch in wachem Zustand, aber immer zeigte es ihnen das gleiche.« »Was?« r »Ein Raumschiff, das aus der Großen Leere hinter den Sternen kommen und die Planeten vernichten wird.« Takkars Gedanken überschlugen sich. Noch hatte er die vielleicht entscheidende Frage nicht gestellt, doch das Bild rundete sich ab. Wer diesen ominösen Traum hatte, der sprach nicht darüber – es sei denn zu einem Freund. Die Nachricht verbreitete sich im Untergrund. Jeder wußte von den Träumen, und das schon seit Jahren. Doch sie alle fürchteten sich vor der Strafe, die denen drohte, die offen davon sprachen, daß es doch etwas jenseits der Sterne gebe. Denn die Existenz eines Raumschiffs setze andere intelligente Wesen voraus in anderen Sternen. Abermals machte dies Takkar den Widersinn dieser ganzen Geschichte bewußt. Es bewies aber etwas noch Wichtigeres: Wenn Wusch schon die hinter vorgehaltener Hand geführten Gespräche gehört hatte, dann auch einer von Hedhergins Spitzeln. Der Varser hatte erkannt,
welche Gelegenheit sich ihm da plötzlich bot. Erst nachdem Hedhergin vor dem fremden Schiff gewarnt hatte, wagte man, offen darüber zu reden. So war der Eindruck entstanden, daß der Varser die angebliche Gefahr als erster erkannt habe und dann erst die Gerüchte auftauchten. »Ein schrecklicher Plan«, flüsterte Chale. »Hedhergin läßt unter diesem Vorwand furchtbare Waffen bauen. Sein Kriegspotential reicht jetzt schon aus, um einen ganzen Planeten zu vernichten. Aber er will sie nicht gegen etwas einsetzen, an das er selbst nicht glaubt, sondern gegen uns, Takkar! Gegen alle, die sich seiner Machtergreifung in den Weg stellen!« »Wusch«, sagte Takkar eindringlich. »Und wer ist ›es‹? Wer zeigte den Träumern das Schiff?« »Ein kleines Wesen mit einem glatten, grünen Fell«, antwortete der Shatmarer und streckte die Hand nach den Steinen aus. »Es soll fast so aussehen wie ein kleiner Dynurer, aber es ist keiner. Es hat einen runden Kopf ohne Haare und ist nur halb so groß wie ich. Dieses kleine Wesen erschien vielen Dynurern im Traum und sagte die Gefahr durch das fremde Raumschiff voraus.« Wusch nahm die Steine und öffnete die Tür. Als er schon ein Stück gegangen war und die beiden Rebellen sich noch bestürzt anblickten, blieb er noch einmal kurz stehen und drehte sich halb um: »Ach ja, und dieses kleine, grüne Wesen sagte auch noch, daß nur ein starker Varser die Dynurer vor dem Untergang retten kann!« Das war mehr als deutlich. Für Takkar Sours stand nun endgültig fest, daß Hedhergin hinter allem steckte, auch hinter den sogenannten Träumen. Er hatte seine angestrebte Machtergreifung seit Jahren schon vorbereitet. Um Dynurern solche Träume einzugeben, gab es recht einfache Mittel und Wege. Wer aber, fragte sich Takkar, ist dieser grüne Zwerg? Auch nur eine Erfindung vom Varser? Selbst Wusch hätte ihm dazu nicht mehr sagen können. Aber der
Shatmarer wußte, wem er jetzt eine ganze Menge zu erzählen hatte – und das gegen einen fürstlichen Lohn.
4. Als die Entfernung zu den äußersten Sonnen des Kugelsternhaufens nur noch etwa zehn Lichtjahre betrug, ließ Oggar den HORT vom Mnemodukt bis auf halbe Lichtgeschwindigkeit abbremsen und alle überflüssigen Systeme ausschalten, um die Gefahr einer vorzeitigen Ortung zu verringern. Inzwischen hatten die hochsensiblen Instrumente des Doppeldiskus erste Planeten ausmachen können. Der Abstand der Sterne zueinander betrug nur wenige Lichtmonate. Das waren an sich ideale Voraussetzungen für die Entwicklung des interstellaren Raumflugs. Doch was das Mnemodukt bereits angedeutet hatte, war bestätigt worden. Nichts wies auf Raumschiffsverkehr zwischen den Systemen Auxonias hin. Dafür begann die angemessene starke hyperenergetische Strahlung Oggar mehr und mehr zu faszinieren, die über den gesamten Kugelsternhaufen verteilt zu sein schien. »Sie steigt sprunghaft an und ebbt sofort wieder auf ein Minimum ab«, sagte das Mischwesen. »Mnemodukt, wir bleiben vorerst in dieser Entfernung. Hidden-X wird uns nicht mehr entkommen, ob wir nun einige Stunden früher oder später vor seinem Versteck auftauchen.« Die Positronik bestätigte und nahm dem HORT weitere Fahrt. Insider starrte Oggar nur an. Er hatte sich daran gewöhnt, kaum noch beachtet und schon gar nicht gefragt zu werden. Offenbar waren die drei Komponenten des Multibewußtseins so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie seine Anwesenheit kaum noch wahrnahmen. »Hört zu«, machte er einen weiteren Versuch, diesen Zustand zu
ändern. »Ich weiß, daß das Mnemodukt nichts von meinen Gefühlen hält. Es konnte mich sogar kurzzeitig davon überzeugen, daß ich mich irren mußte. Aber das Gefühl bleibt und wird immer stärker in mir. Etwas stimmt nicht mit der Zeit.« »Was?« fragte Oggar, über ein Kontrollpult gebeugt. »Was soll mit ihr nicht stimmen?« »Wenn ich das wüßte! Es ist einfach anders geworden. Und das spüre ich, seitdem ihr euren verrückten Meditationsversuch machtet.« Oggar drehte sich zu ihm um. Sternfeuer sprach aus ihm: »Wir verstehen, daß du dich vernachlässigst fühlen mußt, Insider. Aber meinst du nicht auch, daß dies etwas an dir selbst liegt? Du verschließt dich und hast nichts zu tun als alles, was wir sagen, zu kritisieren. Glaubst du, wir hätten keine Angst vor dem, was uns erwartet?« »Angst ist gar kein Ausdruck«, meldete sich Carch. »Aber was zu tun ist, muß getan werden«, sagte Oggar mit Nachdruck. »Für die Zukunft, für uns alle.« »Ihr redet immer das gleiche!« begehrte der Extra auf. »Ich verstehe euch wirklich nicht. Wie könnt ihr so sicher sein, das Flekto-Yn in diesem Kugelsternhaufen zu finden? Und was noch viel schlimmer ist, ihr tut so, als wartete Hidden-X in einem winzigen Raumschiff auf uns, und wir brauchten es nur mit den Waffen des HORTS zu vernichten. Oggar, du müßtest von uns allen am besten wissen, wie mächtig dieser Gegner ist! Ich bleibe dabei, die Uhren an Bord gehen falsch. Und ich sage euch, was ich noch denke: Hidden-X hat uns bereits eine Falle gestellt, eine Zeitfalle!« »Erwartest du im Ernst eine Antwort darauf?« fragte Oggar ungehalten. Insider winkte verärgert ab und setzte sich vor einen Bildschirm. Er hatte keine Lust, weiter nur gegen Mauern zu reden. »Hyperenergetische Strahlung wieder im Aufbau«, meldete das Mnemodukt. »Ortung und gleichzeitige fernoptische Erfassung! Ich
schalte auf den Schirm vor euch.« Oggar blickte erwartungsvoll auf die sich erhellende Fläche. Zunächst war nichts zu sehen als das mittlerweile vertraute Bild der 121 Sonnen. Dann erschien zwischen zweien von ihnen eine schwach leuchtende Linie. Sie erlosch, kaum daß Oggar den Blick darauf gerichtet hatte. »Aufzeichnung!« befahl er dem Mnemodukt. Das Bild wiederholte sich. Ohne besondere Aufforderung schaltete das Mnemodukt danach ein Rasterdiagramm auf den Schirm. Die Sonnen Auxonias erschienen als grüne Punkte, die erfaßten Planeten als rote. Die blaue Linie zog sich von einer dieser Welten zu einer anderen hin. »Der Tunnel entstand mit dem sprunghaften Ansteigen der angemessenen Hyperstrahlung und verschwand in dem Augenblick ihres Erlöschens«, verkündete die Kugel. »Tunnel?« fragte Oggar. »Die Auswertung läßt auf einen energetischen Schlauch zwischen den beiden Planeten schließen. Die Strahlung wächst wieder an.« Und abermals zeigten sich Linien, diesmal jedoch gleich drei, die eine Welt im Zentrum Auxonias gleichzeitig mit drei anderen verbanden. »Welchen Sinn soll das haben?« kam es von Carch. »Ich hätte eine Erklärung«, antwortete Sternfeuer. Insider dachte ein Dankeschön an ihre und Carchs Adresse. Die beiden jedenfalls schienen mit Absicht die akustische Kommunikationsform zu wählen, um ihn ihre Überlegungen mithören zu lassen. »Es gibt keine Raumfahrt, aber anscheinend doch Intelligenzen, die für die von uns beobachteten hyperenergetischen Phänomene verantwortlich sind. Ich könnte mir vorstellen, daß sie die Raumfahrt bereits hinter sich gelassen und eine viel effizientere Beförderungsmethode von einem ihrer Planeten zum anderen entwickelt haben – eben diese Tunnel.«
Und das bedeutet, dachte Insider grimmig, daß es in Auxonia ein sehr hochentwickeltes Hilfsvolk von Hidden-X gibt – falls ihr mit eurer Vermutung recht habt und sich das Flekto-Yn hier befindet. »Dieser Interpretation der energetischen Tunnel kann ein hoher Wahrscheinlichkeitswert beigemessen werden«, bestätigte das Mnemodukt. Insider platzte mit dem Aufschrei heraus: »So! Dann rechne mal den Wahrscheinlichkeitswert dafür aus, daß die Bewohner der Planeten auf einer technisch höheren Stufe als wir stehen und entsprechende Waffen besitzen, du hirnloses Ei! Rechne mir aus, wie unsere Chancen stehen, die Begegnung mit ihnen zu überstehen, von jemand anderem ganz zu schweigen!« »Du solltest deine Emotionen besser zu kontrollieren lernen«, riet das Mnemodukt. »Wenn du es wünschst, kann ich dir ein entsprechendes Trainingsprogramm entwickeln.« »Ach-uuh!« »Hast du noch einen Platz in deinem Bewußtsein für mich frei?« erkundigte Carch sich vorlaut. »Was soll das?« »Ich möchte zu dir herüberkommen, Insider. Ich werde hier laufend überstimmt.« Der Extra grinste schwach, ohne es Oggar sehen zu lassen. Daß wenigstens eine Komponente des Multibewußtseins offenbar noch bei klarem Verstand war, ließ wenigstens ein bißchen Hoffnung übrig. Vielleicht kam auch Sternfeuer noch zur Besinnung und verhinderte mit Carch zusammen Oggars selbstmörderisches Unterfangen. Die Kunststimme ernüchterte ihn schnell wieder. »Vielleicht können wir uns dieses Beförderungssystem zunutze machen, Mnemodukt«, sagte Oggar langsam. »Rechnest du noch mit weiteren Aufschlüssen?« »Nicht von dieser Position aus. Wir müssen näher heran.« »Das ist auch meine Ansicht. Wir landen auf einem Planeten einer
der äußeren Sonnen. Immerhin scheint das Zentrum der auxonianischen Zivilisation mit dem Planeten identisch zu sein, von dem aus gleich mehrere Transporte zu anderen Welten gingen. Wir werden bald wissen, mit wem wir es hier zu tun haben, nicht wahr, Insider?« Der Grünhäutige warf dem Androiden einen undefinierbaren Blick zu. »Ich weiß jetzt, mit wem ich es hier zu tun habe«, brummte er.
5. Chale sah Takkar dabei zu, wie er die Folie verschweißte und dort deponierte, wo ein Kurier Zytarr Wenks sie finden und mit nach Dynur nehmen würde – und das hoffentlich bald. Die Nachricht sollte Wenk in die Lage versetzen, den entscheidenden Schlag gegen Hedhergin vorzubereiten. Dazu bedurfte es noch einiger Anstrengungen. Zeugen mußten gefunden werden, Träumer, die dazu bereit waren, vor dem Volksforum auszusagen. Man brauchte genauere Aufschlüsse darüber, mit welchen Mitteln der Varser den Betroffenen die Träume eingegeben hatte. Ihm durfte keine Hintertür offenbleiben. Doch das war nicht mehr das Problem der Bergbauspezialisten von Huka-Tin. Takkar klopfte sich den Staub von den Händen. Er sprach kein einziges Wort, bis Chale und er die Fabrik verlassen hatten und wieder im Schweber saßen. »Du bist nicht zufrieden«, sagte Chale, »obwohl wir unseren Auftrag ausgeführt haben.« »Etwas stimmt nicht«, erwiderte er. »Etwas paßt nicht zusammen. Wusch erzählte, daß viele Dynurer auf verschiedenen Planeten diese Träume oder Visionen fast zur gleichen Zeit hatten. Wie, Chale? Und vor allem dieser grüne Zwerg! Es hätte genügt, die Träumer das Schiff sehen zu lassen. Wozu dieser Unsinn mit einem Nicht-
Dynurer?« »Beiwerk«, vermutete sie. »Hedhergin wollte ganz sicher sein, daß keiner plauderte, bevor er nicht selbst das Signal dazu gab.« »Es muß mehr sein als das.« Chale lehnte sich im Sitz zurück und schloß die Augen. Für eine Weile war das leise Summen des Antriebs das einzige Geräusch in der Kanzel. »Wir sollten uns lieber Gedanken darüber machen, wie wir ungeschoren nach Huka-Tin zurückkommen, Granit«, sagte sie dann. »Und wir müssen zurück, bevor irgend jemand aufgrund unserer langen Abwesenheit Verdacht schöpft. Diesmal wird der Weltennabel nicht so verlassen sein wie bei unserer Ankunft. Wir hatten keinen Kontakt zu den hiesigen Mitgliedern der OK und können nicht auf ihre Unterstützung hoffen. Jede Aktivität ihrerseits wäre in dieser Phase unvertretbar.« »Das weiß ich, aber wir finden schon einen Weg.« Etwas in seiner Stimme ließ sie erschaudern. Solange sie sich nun kannten, hatte sie ihn noch nie in einer solchen Stimmung erlebt. »Wir können nicht direkt nach Huka-Tin gleiten«, zirpte er. »Jeder Ehrlichkeitsjäger wüßte sofort, wohin der Raumschlauch geschaltet war. Wir machen einige Umwege über andere Planeten.« »Du weißt, daß die Ehrlichkeitsjäger in der Station auf uns warten, Granit. Du … willst mit Gewalt …?« »Ja!« Wütend brachte er die Triebwerke auf Maximalschub. Die im Licht der untergehenden Sonne blutrot wiederscheinenden Sümpfe wechselten sich unter dem Schweber immer schneller ab. Schon tauchten die Lichter der Stadt auf, nur wenige Minuten später die Kuppel. Takkar landete das Fahrzeug hart auf einer der drei Plattformen. Die Kanzelhaube klappte hoch. Takkar drehte sich zu Chale um und machte eine beschwörende Geste. »Es gibt keine andere Möglichkeit, hörst du? Auch du wirst von
der Waffe Gebrauch machen. Wir töten ja niemanden. Ich will jetzt wissen, ob auch auf Huka-Tin jemand diesen Traum hatte und den Grünen sah!« »Was versprichst du dir davon? Überlassen wir doch Zytarr, was …« »Ich verspreche mir davon, zu wissen, ob es einen Nicht-Dynurer mit grünem Fell gibt oder nicht!« Damit sprang er auf die Plattform. Schon jetzt ließ sich erkennen, daß im Weltennabel reger Betrieb herrschte. Chale folgte dem Gefährten nur zögernd. Sie trugen jetzt keine Verkleidung mehr. Dutzende von Dynurern von den verschiedensten Kolonialwelten warteten in der riesigen Vorhalle darauf, daß sie Shatmar verlassen konnten. Andere programmierten die Raumschläuche für ihren Transport vor. Das alles war kostenlos wie die meisten öffentlichen Leistungen im Bereich der Sterne. Takkar und Chale blieb nichts anderes übrig, als sich unter die Wartenden zu mischen. Granit programmierte einen Transport nach Tashal vor, einer der drei Industriewelten, und zog eine gestanzte Karte aus dem Ausgabeschlitz des Zentralcomputers. Die beiden Rebellen setzten sich, die Hände in den Falten der Kombination und um die Waffen geschlossen. Blickte da jemand neugierig herüber? Stieß jemand seinen Nachbarn mit dem Ellbogen an? Takkar spürte eine nie gekannte Unruhe. Die Ehrlichkeitsjäger waren hier, unter die Passagiere gemischt. Sie können keine Beschreibung von uns haben! Hatten sie bereits ihre irgendwo in den Korridoren versteckten Truppen über Funk informiert? Wann würden sie zuschlagen? In der Inneren Kuppel oder noch vor dem Energietor der Schleuse? Der Transport ist schneller als jeder Funkspruch! dachte Takkar. Ein Funkspruch wird Monate bis nach Tashal unterwegs sein! Einmal fort von hier, verlieren sie unsere Spur! Viel zu langsam leerte sich die Halle. Gruppen von bis zu zwölf Dynurern passierten die Energieschleuse
zur Inneren Kuppel und ließen ihre Karten abtasten. Takkar prägte sich jedes Gesicht ein und verglich es mit denen der neu Ankommenden. Dann endlich war die Reihe an ihm und Chale. So gelassen wie möglich gingen sie auf die Schleuse zu. Ihre Karten wurden abgelesen, im gleichen Moment wurde der Raumschlauch nach Tashal endgültig für sie programmiert. Alles ging viel zu glatt. Takkars Hand schloß sich noch fester um den Griff der Waffe. Sie warteten in der Inneren Kuppel! Chale drängte sich plötzlich an ihm vorbei und passierte die Schleuse als erste. Der Energievorhang erlosch und bildete sich hinter Takkar neu. Warum hatten sie nicht gewartet? Chale stand vor ihm, beide Hände in die Höhe gestreckt. Alle jene, die vor ihnen den Warteraum verlassen hatten, standen in einer dichten Traube am Rand der Kuppel zusammengedrängt. Ehrlichkeitsjäger in ihren roten Uniformen umringten sie mit vorgehaltenen Waffen. Derjenige, der Chale bedrohte, streckte verlangend die Hand aus. »Gib mir deine Waffe, Freund«, verlangte er barsch. »Deine Partnerin hat es schon getan.« Takkar stand wie erstarrt. In diesem Moment konnte er nicht mehr logisch denken. Alle Verbitterung und der so lange in ihm aufgestaute Zorn auf die skrupellosen Häscher des Varsers brachen in ihm durch. Einmal in der Hand der Ehrlichkeitsjäger, standen ihm und Chale die Wahrheitskammern und der Verlust der Persönlichkeit bevor, der Verrat ihrer Sache oder der Freitod. Takkar riß die Waffe aus der Kombination, stieß Chale zu Boden und schoß, bevor der Rotuniformierte begriff. Der Ehrlichkeitsjäger brach zusammen. Die etwa zehn anderen in der Kuppel zielten und jagten die schwachen Lichtbahnen ihrer Entzugsschocker auf den Mann von der OK zu. Takkar warf sich neben Chale hin, drehte sich im Sprung und feuerte dabei. Er traf harmlose Reisende, doch auch
das nahm er in Kauf. Zwei Ehrlichkeitsjäger knickten in den Knien ein. Takkar rollte sich herum, von Chale weg, schoß und sprang auf. Er wußte, daß er keine Chance besaß. Bis zu diesem Augenblick hatte er Glück gehabt, nichts weiter. Das Überraschungsmoment war vorbei. Die Geheimpolizisten verschanzten sich hinter Passagieren und nahmen sich nun mehr Zeit zum Zielen. »Entwaffnet sie doch!« schrie Takkar den entsetzt Dastehenden zu. Er konnte noch einen Treffer verbuchen, bevor er in einen Strahl lief und augenblicklich kein Gefühl mehr in seinem Körper hatte. Er verspürte nicht einmal Schmerz, als er hinschlug. Doch seine Augen waren weit geöffnet. Er konnte sehen und hören, was nun geschah. Chale war gelähmt wie er. Die Rotuniformierten kamen hinter den eingeschüchterten Wartenden hervor und näherten sich. Ihr bekommt uns nicht in die Wahrheitskammer! dachte er verbittert. Nicht lebend! Dabei wollte er leben. Er hatte seine Aufgabe für die OK erfüllt, doch es gab noch so vieles zu entdecken, so vieles zu tun … Die Verzweiflung ergriff von ihm Besitz. Kraft der Sterne! flehte er, als sich schon die Arme der Ehrlichkeitsjäger nach ihm ausstreckten, um ihn in die Höhe zu zerren. Kraft der Schöpfung, hilf uns doch! Und es war, als hätte das Schicksal ein Einsehen. Ein Mann aus der Traube der Passagiere trat vor und riß eine Waffe aus der gelbgrünen Kombination. Vier, fünfmal kurz hintereinander blitzte es in seiner Hand auf. Die getroffenen Ehrlichkeitsjäger sanken zu Boden. Die letzten beiden wirbelten herum, um für Sekundenbruchteile in das Licht zu sehen, das auch sie lähmte. Der Fremde winkte den Wartenden zu. »Steht nicht herum!« befahl er. »Nehmt sie und tragt sie auf die Markierung!« Noch völlig verängstigt gehorchten die Angesprochenen. Chale und Takkar wurden aufgehoben und in den Abgleitkreis getragen. Als sie auf der Markierung lagen, schickte ihr Helfer die Dynurer
zurück, stellte sich zwischen die beiden Gelähmten und zog ein kleines, rechteckiges Gerät aus einem an der Gürtelmagnethalterung befestigten Täschchen. Er sprach etwas hinein, zu leise, als daß Takkar es hätte verstehen können. Das Energietor der Schleuse fiel in sich zusammen. Ein Dutzend Ehrlichkeitsjäger erschienen und legten an. Sie kamen um eine Sekunde zu spät. Der Raumschlauch baute sich über der Abgleitplatte auf und riß die drei Bedrohten fort von Shatmar.
* Dynur im Zentrum der Sterne war der achte von insgesamt zwölf Planeten der gelben Sonne CAM, in der Sprache der Dynurer das Wort für »Unser Licht«. Hier liefen alle Fäden des kleinen dynurischen Sternenreiches zusammen. Zwölf Weltennabel konnten Transporte zur gleichen Sekunde zu zwölf Kolonien schicken oder von dort empfangen. Jede bewohnte Welt der Sterne war von hier aus fast ohne Zeitverlust zu erreichen. Von überall dort, wo Dynurer lebten, konnten Nachrichten durch Kuriere innerhalb von Minuten überbracht werden. Alle anderen Planeten des CAM-Systems waren lebensfeindliche Glut-, Öd- oder Giftgaswelten. Zwei von ihnen wurden als Industrieplaneten genutzt. Wie für die öffentliche Versorgung, wurden den Dynurern auch für die ungeheuer energieintensive Beförderung von fertigen Produkten zur Hauptwelt und den Abtransport von Abfällen aller Art hohe Abgaben auferlegt. Sie leisteten sie, ohne zu murren, denn sie waren der Preis für die Saubererhaltung ihrer Atemluft, das Leben in den Flüssen und Meeren und eine wiedererstarkte Natur. Es war nicht vergessen, daß Dynur vor nur wenigen Jahrhunderten noch an der Schwelle der Unbewohnbarkeit gestanden hatte, vergiftet und ausgeplündert
durch die Gedankenlosigkeit eines von blankem Wachstumswahn geprägten Volkes. Heute sahen die Dynurer ihre Ursprungswelt wieder mit Stolz und Freude. Riesige Metropolen lagen eingebettet in ausgedehnte Waldflächen und Naturparks. Man hatte unter großen Opfern die Fehler der Vorfahren wieder gutgemacht und auf den anderen Planeten erst gar nicht begangen. Die Bevölkerungszahlen wurden konstant gehalten. Es gab auch in dieser Hinsicht keinen Anreiz für eine weitere Expansion über die Sterne hinaus, und die wenigen Dynurer, die an andere, weit entfernte Sterne glaubten, wußten, daß dies der eigentliche Grund für die Bereitschaft der großen Mehrheit ihres Volkes war, an die sogenannte Wahrheit zu glauben. Es war ihrer Meinung nach auch der Grund dafür, daß niemals wirklich ernsthaft der Versuch unternommen worden war, die Grenze zu überlisten, die der Raumfahrt durch die Geschwindigkeit des Lichtes gesetzt war. Die neue, glorreiche Zukunft, die der Varser dem Volk versprach, bezog sich auf die Vervollkommnung der eigenen Rasse hier, zwischen den Sternen. Monzelback Hedhergin residierte in einem imposanten Palastgebäude im Zentrum der Hauptstadt Dynur-On. Nur etwa einen Kilometer entfernt lag die Halle des Volkes, wo die elf gewählten Volksvertreter tagten. Die zahlreichen Verschönerungen und Anbauten am Varser-Palast dokumentierten auf recht anschauliche Weise den innerhalb nur weniger Jahre erfolgten Machtzuwachs des Mannes, der, wie alle seine Vorgänger, ursprünglich nur repräsentative Aufgaben innegehabt hatte. Das hatte sich nun grundlegend geändert. Das Volksforum war nur noch Statisterie, eine Versammlung von elf Marionetten, die Hedhergins neu erlassene Gesetze abzusegnen und seine Rüstungspolitik gutzuheißen hatten. Tat jemand das nicht, so war seine politische Karriere innerhalb kürzester Zeit beendet, und in Hedhergins Umfeld gab es genügend Ambitionierte, die jederzeit
bereitstanden, die Lücke zu füllen. Und doch wußte der Varser, daß es einen Verräter im Volksforum gab – einen, der es mit ihm an Gerissenheit aufzunehmen verstand und im geheimen wirkte, während er sich nach außen hin loyal gab. Hedhergin mußte seinen Namen haben! Der Varser war für dynurische Begriffe mit 87 Jahren noch jung. Seine Haut hatte die Blässe der vornehmen Oberschicht auf Dynur. Seine Gestalt war weniger auffallend und imposant als die Gewänder, die er trug. Genau betrachtet, war Hedhergin schmächtig und dürr. Sein Hauptmerkmal aber waren die immer etwas stechenden Augen, in die ein gefährliches Leuchten geriet, wenn er vom Zorn gepackt wurde. Er saß vornübergebeugt in einem hohen, prunkvollen Sessel auf der Empore am hinteren Ende einer großen Halle, deren Wände mit kostbaren Stoffen überzogen und übersät waren mit Gemälden, die meist ihn in allen möglichen Posen zeigten. Vor ihm, auf einer breiten Stufe, stand ein Mann in der roten Kombination der Ehrlichkeitsjäger. Nur das Sternensymbol auf seiner linken Brust zeichnete ihn als einen der Hedhergin direkt unterstellten Spezialisten aus. »Ich muß wissen, wer der Verräter ist!« erregte sich der Varser immer wieder aufs neue. »Die Ankunft des fremden Schiffes steht unmittelbar bevor! Wir können es uns nicht leisten, daß im allerletzten Moment ein Aufrührer das Volk verblendet und seine Verteidigungsbereitschaft lähmt!« »Ich denke«, sagte der Spezialist kühl, »wir werden ihn noch heute entlarven können.« »So!« fuhr Hedhergin auf. »Das denkst du!« »Ich erhielt soeben eine Nachricht von Gripec, Varser. Es ist ihm gelungen, die beiden Rebellen festzustellen, die auf Shatmar erschienen. Er ermöglichte ihnen die Flucht. Sie werden ihn als einen der Ihren betrachten und ihm alles sagen, was wir wissen müssen. Ich erwarte Gripecs Nachricht in den nächsten Stunden.«
»Dann kann es schon zu spät sein«, erwiderte Hedhergin. »Aber immerhin etwas. Gripec ist ein guter Mann. Ich vertraue ihm, und er wird wissen, warum er die beiden nicht gleich in eine Wahrheitskammer schaffen ließ.« Hedhergin winkte ab und wechselte das Thema. »Sind die neuen Waffen einsatzbereit?« »Auf Dynur und den Planeten der Sterne, auf denen wir sie installieren konnten, ohne die Aufmerksamkeit der Bevölkerung zu erregen.« ' »Das ist gut«, lobte Hedhergin. »Niemand darf über ihre Existenz Bescheid wissen, bevor wir losschlagen. Daß ihr und die einfachen Ehrlichkeitsjäger jetzt über tödliche Waffen verfügt, wird noch hingenommen. Wird aber vorzeitig etwas über die Planetenforts bekannt …« Der Spezialist schauderte zusammen. Er selbst hatte die Installation der Planetenfestungen auf Mahad, Slogst und Boytar geleitet. Jene, die sie nach Hedhergins Plänen gebaut hatten, waren ihrer Erinnerung beraubt worden. Die Kanonen auf den Planeten wie auch in den in aller Heimlichkeit konstruierten und auf ihre Bahnen gebrachten Raumfestungen konnten nur vom Regierungspalast aus zentral gelenkt und bedient werden. Es bedurfte keines Personals dazu. Und dennoch gab es Anzeichen dafür, daß bereits Gerüchte über die Existenz neuer, schrecklicher Waffensysteme kursierten, vornehmlich unter den Rebellen von der OK. Der Spezialist hütete sich, diesen Punkt anzusprechen. »Geh jetzt!« befahl Hedhergin. »Und unterrichte mich sofort, wenn du etwas von Gripec hörst!« Der Dynurer verließ den Palast und begab sich in das getarnte Hauptquartier der Spezialgarde. Er war dem Varser treu ergeben, nicht zuletzt deshalb, weil er sich nach der endgültigen Machtergreifung selbst Einfluß und Macht an der Seite des Herrschers erhoffte. Er zweifelte auch nicht daran, daß das fremde Raumschiff kommen würde. Er sah keinen Widerspruch darin, daß die neuen Waffen auch für die Machtübernahme gebaut
worden waren. Hedhergin würde zuerst die eine Gefahr beseitigen und danach die Planeten von allen oppositionellen Elementen säubern. Manchmal jedoch hatte er Angst vor dem Varser. Dann fragte er sich, woher dieser Mann all das Wissen nahm, um technische Konstruktionen zu planen und zu realisieren, die so völlig anders waren als alles, was die dynurische Wissenschaft je hervorgebracht hatte. Er redete sich ein, daß der Varser eine Ausnahmeerscheinung war, ein Genie. Aber tief in ihm blieben die Zweifel. Manchmal fragte er sich, wer Monzelback Hedhergin wirklich war.
6. Takkar starrte den Fremden an, als dieser seine Hände nahm und gegen die eigenen Handflächen legte. Er spürte die belebenden Vitalenergien durch seinen Körper zurückströmen, aber er begriff nichts. Sie befanden sich in der Inneren Kuppel eines Weltennabels. Wo, auf welchem Planeten? Niemand war hier außer ihnen. Weshalb? Die einzige denkbare Möglichkeit war, daß der Fremde ebenfalls zur OK gehörte und auf Shatmar bereits auf ihn und Chale gewartet, ja sogar einen Raumschlauch vorprogrammiert und gewußt hatte, daß die Gegenstation verlassen sein würde. Irgend etwas warnte den Dynurer. Er wußte selbst nicht, was es war. Doch das ungute Gefühl blieb auch noch, als er auf seinen Beinen stand und Chale sich langsam erhob. Es war lächerlich, und doch empfand Takkar Eifersucht auf den
anderen, der sie berührt hatte. Der Körperkontakt war Partnern vorbehalten. »Wer bist du?« fragte er. »Ich heiße Tipod und stamme von Dynur«, erklärte der Mann schnell. Zumindest dies stimmte. Sein Haar wies den leicht rötlichsilbernen Schimmer der auf der Hauptwelt Geborenen auf, dessen besonderer Glanz bei bestimmtem Lichteinfall sich durch keine Manipulation nachahmen ließ. Er winkte mit der Waffe, die er immer noch in der Hand hielt. »Alles weitere hat Zeit bis später. Ich gehöre zur OK wie ihr. Unsere Freunde auf Ogan konnten den Weltennabel nur für kurze Zeit freihalten. Er wird bereits umgepolt, so daß uns die Ehrlichkeitsjäger von Shatmar nicht folgen können. Wohin müßt ihr? Beeilt euch. Sofort nach dem Abgleiten werden alle Daten gelöscht. Man wird unsere Spur hier verlieren.« »Huka-Tin!« rief Chale aus, noch sichtlich benommen. Takkar verwünschte ihre Voreiligkeit. Doch es war schon zu spät. Wieder sprach der Unbekannte etwas in sein Funkgerät, und schon nach wenigen Sekunden baute sich der Raumschlauch auf. Die hellblauen Energiewände schlossen sich um die drei Dynurer. Sie glitten hinein in den energetischen Tunnel, um fast gleichzeitig die vertraute Umgebung der Huka-Tin-Station zu sehen. Tipod – falls das sein richtiger Name war – steckte den Entzugsschocker in die Kombinationsfalte und verstaute auch das Funkgerät. »Ich war noch nie auf dieser Welt«, erklärte er. »Bringt uns in Sicherheit. Die Ehrlichkeitsjäger haben jetzt auch meine Beschreibung. Ich muß für eine Weile mit euch untertauchen.« Das klang alles ganz logisch. Falls Tipod zur OK gehörte, war es selbstverständlich, daß Takkar und Chale ihm halfen. »Kommt!« sagte Takkar. Ohne Zwischenfall erreichten sie die Parkplattform und nahmen sich einen Schweber. Takkar überlegte kurz, ob sie zur
Bergbausiedlung fliegen sollten oder zu einem ihrer vorsorglich angelegten Verstecke. Daß man ihn und Chale vermißte, spielte nun keine Rolle mehr. Vielleicht waren die Arbeiter schon unterrichtet. Man kannte nun ihre Identität. Die Ehrlichkeitsjäger brauchten gar keine Spur hierher. Takkar hatte gar keine Wahl. Von nun an waren sie Gejagte – auch hier. Gehetzte, bis Zytarr Wenk zum Schlag gegen Hedhergin ausholen und dessen Umtrieben ein Ende bereiten konnte. Auch Tipod gegenüber hatten sie nichts zu verlieren. Im Gegenteil, Takkar faßte den Entschluß, ihn zum kleinen Observatorium zu bringen und ihm die Teleskope zu zeigen. Seine Reaktion würde darüber Auskunft geben, wer er wirklich war. Es war Nacht, als sie die kleine Kuppel auf einem Hochplateau inmitten der steilen und unzugänglichen Jakk-Berge erreichten. Takkar landete das Fahrzeug und stieg als erster aus. Er schloß die ovale Tür auf und ließ Chale und den Mann von Dynur an sich vorbeieilen. Tipod stieß ein überraschtes Zirpen aus, als er die Teleskope und die an den Wänden hängenden Karten sah, die von Chale und Takkar nach ihren nächtelangen Himmelsbeobachtungen angefertigt worden waren. »Alle Achtung!« sagte er. »Ich wußte zwar, daß ihr zu uns gehört, aber nichts von eurem …« »Hobby«, erklärte Chale lächelnd. »Ja, wir glauben an die Existenz anderer Sterne und katalogisieren sie. Jeder der Nebelflecke am Firmament ist eine Sternenballung wie die unsere.« »Ja«, sagte Tipod langsam. »Das glaube ich auch, aber sagt das einmal laut.« »Wir haben uns noch gar nicht bedankt«, sagte Chale mit einem etwas ärgerlichen Blick auf Takkar, »eher ziemlich unhöflich benommen. Du wußtest also, daß wir …?« »Wir waren darüber informiert, daß ihr am Weltennabel auf Shatmar von den Ehrlichkeitsjägern erwartet wurdet«, unterbrach
Tipod sie. »Ich war gerade mit meiner Partnerin von Dynur gekommen, um eure Nachricht abzuholen und sie dem Chef zu bringen. Das tut sie nun. Ich blieb im Weltennabel und unter die Wartenden gemischt. Unsere Freunde, die im Hintergrund bleiben mußten, programmierten die Station um. Alles weitere ist euch bekannt. Wenn wir Glück haben, liegt das Ergebnis eurer Nachforschungen dem Chef jetzt schon vor.« »Ja«, sagte Takkar nur. Er fragte sich, weshalb Tipod nur vom »Chef« sprach und ihn nicht beim Namen nannte? Weil er diesen nicht kannte? Weil er hoffte, daß Chale oder er ihn für ihn aussprechen würde? Er mußte die Partnerin warnen. Offensichtlich vertraute sie Tipod vollkommen. Es mußte sich eine Gelegenheit finden, sie beiseite zu nehmen, bevor sie ungewollt etwas verriet. Tipod mußte abgelenkt werden. Takkar war bei der Gefährtin, als sie schon wieder den Mund zum Reden öffnete, und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Es sieht so aus, als könnten wir nichts tun, als zu warten. Das kann lange dauern. Zeigen wir unserem Freund doch die Sterne, die wir weit draußen im All entdecken konnten.« »Du hast recht!« rief sie aus. Takkar nickte erleichtert, als sie an eines der Teleskope ging und es justierte. Ein Spalt bildete sich in der Kuppelwandung. Zwei große Sonnen standen hell am Himmel, zwischen ihnen drei der fernen Nebel. Tipod blieb gar nichts anderes übrig, als das Angebot anzunehmen. Schon machte Takkar Chale ein Zeichen, unauffällig zu ihm herüber zu kommen, als ihre an Tipod gerichteten Worte alles verrieten. »Sieh sie dir nur gut an, Tipod«, sagte sie, von der Begeisterung hingerissen, die allein der vertraute Anblick in ihr auslöste. »Sieh dir die anderen Sterne an, und eines Tages, wenn Zytarr Wenk unser Varser sein wird, wird der alte Irrglaube endgültig vorbei sein, wir Dynurer seien allein im Weltall.«
Takkar erstarrte. Tipod drehte sich langsam zu ihm und Chale um. Die Waffe in seiner Hand war auf die OK-Rebellen gerichtet. Ein feines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Danke«, sagte er langsam. »Das war schon alles, was ich wissen wollte. Zytarr Wenk ist also der Verräter im Volksforum.« Er schoß. Chale und Takkar brachen zusammen. »Ihr seid Phantasten!« sagte Tipod zu den Gelähmten. Takkar lag auf der Seite und konnte ihn und die Teleskope sehen. »Es gibt nur die Sterne, und so wird es für immer bleiben. Hedhergin wird dafür sorgen, daß von euresgleichen keine Unruhe mehr unter die Dynurer getragen wird. Was ihr da durch eure Fernrohre zu sehen glaubt, ist nichts!« Er sprach nicht von ihnen, denn das war völlig überflüssig geworden. Niemand würde sie hier finden und mit neuer Vitalenergie versorgen, bevor sie erloschen. Tipod aber schien Zeit genug zu haben, um selbst einen Blick durch das justierte Teleskop zu werfen. Er brachte die Augen an die Linse … … und fuhr mit einem Aufschrei zurück! »Das Schiff!« zirpte er, vollkommen außer sich. »Das fremde Raumschiff!« Er rannte aus der Kuppel. Takkar hörte den Antrieb des Schwebers summen, dann nichts mehr. Takkars Gedanken überschlugen sich. War auch das noch Schauspielerei gewesen? Wollte Tipod ihm und Chale den Tod noch grausamer machen, indem er sie in Zweifel stürzte? Es konnte nicht sein! Es gab kein fremdes Raumschiff! Etwas sagte Takkar, daß es es doch gab, und daß es nun hier war.
*
Mit aller Vorsicht führte Oggar den HORT an eine der äußeren Sonnen des Kugelsternhaufens heran. Alle Ortungen wurden unmittelbar vom Mnemodukt ausgewertet. Es gab keinerlei Hinweis darauf, daß der HORT bis zu diesem Zeitpunkt entdeckt worden war, wollte man nicht das kurze Entstehen eines Weltraumtunnels zwischen dem zweiten Planeten der gelben Sonne und einer 0,8 Lichtjahre entfernten Welt als solchen werten. Doch das war nun schon eine Stunde her, und nichts tat sich. Keine über die bereits bekannten hinausgehenden Energieemissionen waren angemessen worden. Der Raum zwischen den 121 Sonnen schien absolut leer zu sein. Das hatte Insider zu der Frage bewogen, wo denn das Flekto-Yn nun zu finden sein sollte. Und tatsächlich schien Oggar sich seiner Sache nicht mehr ganz so sicher zu sein. Seine Absicht war es nach wie vor, in diesem äußeren System zu landen und einen oder mehrere Angehörige des Volkes aufzugreifen, das die Raumtunnel erbaut hatte. Er dachte dabei nicht an den Einsatz des Glaspanzer-Beiboots, der SCHNECKE. Falls es zur vorzeitigen Konfrontation mit den Beherrschern des Sternhaufens kam, wollte er die geballte Feuerkraft des HORTS hinter sich wissen. »Wie steht es mit dem zweiten Planeten, Mnemodukt?« fragte das Mischwesen. »Nur schwache Energieechos«, vermeldete die Positronik, nachdem sie die relevanten Daten über die kleine Sauerstoffwelt aufgezählt hatte. »Offenbar gibt es nur eine kleine Siedlung auf der augenblicklichen Nachtseite. Ich habe eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür errechnet, daß es sich bei der Welt um einen Erzabbauplaneten handelt. Die Umweltverhältnisse lassen keine dichte Besiedelung zu. Falls die Intelligenzen Auxonias die gleichen oder nur ähnlichen Wertvorstellungen und Verwendungsmöglichkeiten haben wie wir, befinden sich unter der Oberfläche ungeheure Schätze.«
Es folgte eine Aufzählung der wichtigsten festgestellten Mineralien. »Also ist der Planet für unsere Zwecke ideal«, sagte Oggar. »Mnemodukt, leite die Landung ein. Die Sonne steht zwischen Auxonia-1 und dem Zentrum des Kugelsternhaufens. Also riskieren wir kaum eine Ortung von dort.« Er benennt die Planeten in der Reihenfolge ihrer Entdeckung nach Auxonia! dachte Insider. Götter des Kosmos, er weiht sie ihr! Der HORT drang in das System ein und passierte die Bahnen der vier äußeren der insgesamt sieben Planeten, die Gasriesen mit wunderschönen Ringen waren. Der HORT verzögerte stärker, als die Bahn der Welt Nummer drei überquert war, einer trostlosen Felswüste. Das Mnemodukt verzichtete aus guten Gründen auf eine Kreisbahn um den zweiten Planeten und ließ den Doppeldiskus langsam der Oberfläche entgegensinken, dies in einem Winkel zur einzigen festgestellten Siedlung, daß jede Sichtung von dort aus ausgeschlossen werden konnte. Unter ihm erstreckte sich ein zerklüftetes Felsengebirge mit Erhebungen bis zu 4000 Metern Höhe. Die Infrarotoptiken entdeckten tiefe Schluchten und weite Hochplateaus, hier und da Spuren von Gesteinsabbau, doch keine weiteren Niederlassungen. »Ich fürchte«, sagte Insider, »daß wir am Einsatz der SCHNECKE doch nicht vorbeikommen, wenn wir uns einen der Auxonianer holen wollen.« »Ich glaube nicht, daß dies nötig sein wird, Insider«, kam es da vom Mnemodukt. Ein Bildschirm erhellte sich und zeigte einen schwachen Ortungsreflex. »Was ist das, Mnemodukt?« fragte Oggar. »Ein Personenfahrzeug, offenbar ein Gleiter. Aufgrund gewisser Flugunregelmäßigkeiten können wir ausschließen, daß es sich um ein robotgesteuertes Fahrzeug handelt.« »Ich kann mir denken, warum es so trudelt«, murmelte Insider.
»Der Pilot hat uns entdeckt und kann nun nicht schnell genug zur Siedlung kommen, falls er sie nicht schon längst angefunkt hat.« »Das werden wir feststellen«, antwortete das Mischwesen. Der Androidenkörper Waggaldans richtete sich auf. »Mnemodukt, wir holen uns diesen Gleiter in den HORT. Während du das tust, suche ich uns einen Landeplatz irgendwo in einem geschützten Tal.« Er hatte noch nicht ausgesprochen, als schon die Zugstrahlen nach dem Fremden griffen.
* Gripec hatte nur noch einen Gedanken: dem fremden Raumschiff entkommen und nacn Dynur gleiten! Monzelback Hedhergin mußte unbedingt von ihm erfahren, denn es schien die Absicht der Fremden zu sein, sich zunächst hier auf den äußeren Welten Informationen über die Dynurer zu beschaffen. Weshalb sonst kamen sie so zögernd und brachen nicht mit feuernden Geschützen in die Sterne ein? v Sie wollten nicht vorzeitig entdeckt werden, um dann umso furchtbarer zuzuschlagen. Das war Gripecs Überzeugung. Wahrscheinlich hatte man sie auf Dynur noch nicht entdeckt. Ganz sicher war es so, denn die Entfernung dazu war viel zu groß. Im Zeitalter der Raumfahrt war von der Entwicklung von überlichtschnellen Tast- und Erfassungssystemen die Rede gewesen. Der Gedanke war fallengelassen worden. Er, Gripec, wußte allein vom Auftauchen des Feindes! Von ihm hing nun alles ab. Er verwünschte sich nun dafür, allein mit den Rebellen nach Huka-Tin geglitten zu sein. Hätte er einen Partner am Weltennabel, so würde ein einziger Funkspruch genügen, und der andere konnte sich unverzüglich nach Dynur begeben. Auch der überlichtschnelle Funkverkehr war nie über die Theorie hinausgekommen. Gripec überlastete die Antriebe des Schwebers, doch der Abstand
zum Raumschiff schrumpfte immer mehr zusammen. Es senkte sich auf ihn herab und war nun als ein mächtiger Doppeldiskus zu erkennen, eingehüllt in strahlendes Licht. Sie wollten ihn! Eine nie gekannte Angst griff nach Gripecs Bewußtsein, Angst vor dem Unheimlichen, Unfaßbaren – von etwas, daß es doch gar nicht geben durfte. Als der Spezialist die Sinnlosigkeit seiner Flucht erkannte, als für ihn feststand, daß er den Weltennabel nicht mehr erreichen würde, war sein Entschluß gefaßt. Er würde Hedhergin nicht mehr warnen können, aber die Fremden sollten von ihm kein Wort erfahren. Sicher mußten auch sie ihre Vitalenergien in regelmäßigen Abständen auffrischen. Es nützte ihm also nichts, wenn er den Entzugsschocker gegen sich selbst auslöste. Sie würden ihn revitalisieren. In einer Kombinationsfalte steckte die andere, tödliche Waffe, eine von jenen, die nach den Plänen des Varsers erst vor Wochen konstruiert worden waren. Gripec hielt den Schweber notdürftig auf Kurs. Schon drohte ihn die Lichtaura des Raumschiffs einzuhüllen. Gripec setzte den Strahler an seine Stirn und zögerte. Er sah einen sichereren Weg, um seinem Leben ein Ende zu bereiten. Gripec änderte jäh den Kurs seines Fahrzeugs und steuerte es genau auf eine steil vor ihm aufragende Felswand zu, schloß die Augen und wartete auf den Tod. Doch das plötzliche Licht in seinem Bewußtsein war nicht das der Pforte in die Ewigen Träume. Er wartete vergeblich auf den Aufprall, und als er auch den Arm nicht mehr heben konnte, um sich den tödlichen Strahl in die Stirn zu jagen, wußte er, daß er verloren war.
7.
Nur die Systeme der passiven Ortung arbeiteten noch. Der HORT stand auf dem Grund einer Schlucht, deren Wände zu beiden Seiten fast senkrecht in die Höhe wuchsen. Ausgeschleuste Spionsonden schwebten über der Bergbausiedlung und der nicht weit von ihr stehenden Kuppel, die inzwischen als einer der Endpunkte der Weltraumtunnel identifiziert worden war. Sie übertrugen nichts Neues. Der Planet lag still. Die Landung des HORTS war unbeobachtet geblieben. Außer von dem zartgliedrigen, zerbrechlich wirkenden Geschöpf, das nun auf einer Antigravschiene in die Zentrale glitt. Es war bei Bewußtsein und gab zirpende Läute von sich. Energetische Fesselfelder hielten es in der Rückenlage, fest auf die Scheibe gepreßt. »Hominid«, stellte Oggar fest. »Und doch fremdartig«, sagte Insider. »Er ist kein Mensch.« »Menschen haben auch nie diesen Sternhaufen angeflogen«, vermutete Sternfeuer, obwohl sie sich dessen natürlich nicht vollkommen sicher sein konnte. Zwar hatte Atlan einiges über die Vorstöße der BASIS in unbekannte Regionen des Weltalls erzählt, aber immerhin war er zweihundert Jahre lang hinter den Materiequellen gewesen. Niemand wußte, welche Sektoren des Universums in dieser Zeit von Terranern erkundet worden waren. Das Mnemodukt schwebte über der Scheibe, die in der Mitte der Zentrale zum Stillstand kam. Der Fremde verstummte und starrte aus weit geöffneten Augen auf die Kugel. Allerdings hatten die vorher ausgestoßenen Laute bereits genügt, um die Positronik die Grundzüge der unbekannten Sprache ergründen zu lassen. »Er nennt sich einen Dynurer«, erklärte das Mnemodukt. »Offenbar hat sein Volk auf uns gewartet, denn seine ersten verständlichen Worte waren ein verzweifeltes Aufbegehren dagegen, daß wir Auxonia vernichten.« Insider schüttelte verständnislos den Kopf.
»Was soll denn der Unsinn? Niemand will hier etwas vernichten, außer natürlich …« Hidden-X, dachte er, als er Oggar beobachtete. Vielleicht war es wieder nur so ein Gefühl, aber er konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß ein Geschöpf wie dieser Fremde für eine Macht wie Hidden-X arbeitete. Im Gegenteil, er schien nur Angst zu haben, nackte Angst. Und wieder begann er zu zirpen. Als Oggar erstmals in sein Gesichtsfeld trat, schien er zu Tode zu erschrecken. Er redete weiter, immer aufgeregter, bis der Glanz in seinen tiefschwarzen Augen schließlich erstarb und der Kopf zur Seite schlug. »Was hat er gesagt, Mnemodukt?« fragte Oggar ungeduldig. »Ist er bewußtlos? Wann kann ich mit ihm reden?« »Vorerst nicht«, erklärte das Mnemodukt. »Wir haben es mit einer äußerst ungewöhnlichen Lebensform zu tun. Er ist auf die Berührung von seinesgleichen angewiesen, soviel konnte ich aus seinen letzten Worten heraushören, denn er triumphierte.« »Was tat er?« fragte Insider fassungslos. »Er triumphierte, weil er sich in seiner ursprünglichen Ansicht widerlegt sah, wir könnten seinen Tod aufhalten. Er will sterben, um uns nicht das zu verraten, was er in seiner Angst längst ausgeplaudert hat. Er und sein Volk nennen sich Dynurer. Sie sind die einzige raumüberwindende Zivilisation Auxonias. Den Kugelsternhaufen nennen sie die Sterne, und ihre Führer leugnen die Existenz anderer Sterne. Sie wissen nicht, was eine Galaxis ist. Für sie gibt es nur …« »Nur Auxonia«, sagte Oggar schroff. »Mnemodukt, wieso haben sie auf uns gewartet? Das kann doch nur auf Hidden-Xzurückzuführen sein, das ihnen …« »Ich fürchte, dich enttäuschen zu müssen«, war es nun an der Positronik, ihn zu unterbrechen. »Er sagte kein Wort von Hidden-X, nichts von einer Macht, die sein Volk lenkt. Er fühlt sich allein dem Varser verantwortlich, ihrem Herrscher. Dieser Varser warnte vor
dem Auftauchen eines fremden Schiffes, das die Welten Auxonias erbarmungslos verwüsten würde. Er sah es angeblich voraus. Unser Dynurer gehört zu einer Art Geheimtruppe des Varsers und hatte den Auftrag, eine andere Gruppe zu bekämpfen, die nicht an die Gerüchte vom erscheinenden Raumschiff glaubt. Ich möchte bemerken, daß uns hier ein Widersinn in höchster Potenz begegnet.« »Behalte deine Potenz für dich«, winkte Oggar verärgert ab. Er hatte sich so sehr darauf versteift, hier in Auxonia das Flekto-Yn zu finden, und schon die ersten, wenn auch unfreiwilligen Auskünfte des Gefangenen machten diese ganze Hoffnung mit einem Schlag zunichte. »Meine Sensoren erfassen ein rapides Absinken seiner körperlichen Vitalkräfte«, teilte das Mnemodukt mit. »Der Schock über die für ihn so fremde Umgebung muß einen natürlich ablaufenden Prozeß beschleunigen. Er wird sterben, und wir können nichts tun, um seinen Tod zu verhindern.« »Es sei denn«, bemerkte Insider, »wir bringen ihn mit einem anderen Dynurer zusammen.« »Das müßte dann sehr schnell geschehen.« Oggar warf dem Mnemodukt, dann Insider einen undeutbaren Blick zu. »Wir dürfen ihn nicht sterben lassen!« beharrte der Extra. Im Multibewußtsein schien ein lautloses Ringen stattzufinden. Insider kannte Oggar gut genug, um zu wissen, daß auch er bei aller Besessenheit einen zu großen Respekt vor dem Leben hatte, um hier tatenlos zuzusehen. Er erriet, was in ihm, in Sternfeuer und Carch vorging. Der ungeheuerliche Verdacht drängte sich zu zwingend auf – und seine Konsequenzen waren erschütternd. »Wir dürfen die Siedlung nicht anfliegen«, sagte Oggar endlich. »Wir müssen im verborgenen bleiben, bis wir mehr über seine Pläne wissen.« »Seine Pläne?« fragte Insider. Es war überflüssig, aber er wollte
von Oggar hören, was er selbst kaum zu denken wagte. Der letzte der Pers-Oggaren nickte schwer. »Man erwartete uns. Man erwartete ein Schiff, und das, obwohl für die Dynurer nur dieser Sternhaufen existiert. Der Varser sagte die Ankunft der Fremden voraus, die für ihn keine Fremden sind.« Er machte eine Pause, legte die Hände auf den Rand der AntigravScheibe und blickte den Dynurer an. »Du sprachst davon, daß etwas mit der Zeit nicht stimmen könnte, Insider. Jetzt glaube ich, daß du damit recht hattest. Wir müssen mit dem HORT einer Zeitverschiebung unterlegen sein, denn wenn dieser Varser Zeit genug hatte, eine Geheimtruppe aufzustellen, wenn diese Gerüchte um das Erscheinen des fremden Raumschiffs offenbar schon seit längerer Zeit kursieren, muß er lange vor uns hier eingetroffen sein. Hapeldan hat bereits bewiesen, daß er ein Meister im Verkleiden ist. Mnemodukt, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür, daß Hapeldan der Varser der Dynurer ist?«
* Takkars Hand befand sich nur wenige Zentimeter von der der Gefährtin entfernt – Zentimeter, die über Leben oder Tod entschieden. Die durch den Entzug der Vitalenergie bewirkte Lähmung war nicht vollkommen im Sinn einer Starre. Es fehlte die Kraft, sich zu bewegen. Das Nervensystem war nur insoweit betroffen, daß er kein Gefühl mehr für seinen Körper hatte. Takkars Gedanken kreisten nur noch darum, wie es ihm gelingen konnte, Chales Hand zu erreichen. Diese neue, verzweifelte Hoffnung war in ihm, nachdem er von der Seitenlage auf den Rücken gekippt war. Ein Aufbäumen gegen das unvermeidlich erscheinende Ende hatte ihm die Energie gegeben, wenigstens dies zu bewirken. Er hatte Chale sehen wollen
– und eine neue Chance bekommen. Er mußte noch einmal die Kraft finden, noch einmal den letzten verbliebenen Rest seiner Vitalenergie bündeln für diese einzige, alles entscheidende Bewegung. Er wußte aber auch, daß es sein Tod sein konnte, doch dieser wäre nur vorgezogen. Schon griff das Dunkel nach seinem Bewußtsein. Takkar versenkte sich in sich selbst, konzentrierte sich auf einen imaginären Punkt im Zentrum seines Geistes und auf die Hand, die er nicht spürte. Er gab sich auf. Alles, was noch in Leben in ihm war, floß in diesen gedachten Punkt, ballte sich und wurde schlagartig frei. Die Hand zuckte vor. Er konnte es hinter den Schleiern sehen, die seinen Blick trübten, nicht fühlen. Sie berührte Chale, und das war für eine ungewisse Zeit Takkars letzte bewußte Wahrnehmung. Irgendwann kehrte das Leben in ihn zurück. Er spürte das Prickeln in seinen Gliedern, doch begriff noch nicht, was mit ihm geschah. Erst als er es fertigbrachte, den Kopf zu drehen, wußte er wieder, was geschehen war. Die Vitalenergie baute sich quälend langsam auf. Dies war nicht zu vergleichen mit dem Kontakt mit einem Dynurer im Vollbesitz seiner Kräfte. Aus dem in ihm und Chale befindlichen Restpotential erwuchs nur zaghaft das Neue. Aber wir schaffen es! triumphierte es in Takkar. Und schon war er mit seinen Gedanken wieder bei Tipod. Konnten sie ihn denn noch aufhalten? Und seine Worte von dem Raumschiff! Wenn es es gab, wo war es dann nun? Auf Huka-Tin gelandet? Waren die Fremden schon auf dem Weg hierher? Takkar sah, wie Chale sich aufzurichten versuchte. Er hielt ihre Hand fest und fühlte deren Wärme. Er zog vorsichtig die Beine an, und dann endlich standen sie engumschlungen beisammen und stützten sich noch gegenseitig, bis auch dies nicht mehr notwendig war. »Ich liebe dich«, waren die ersten Worte, die er für die Gefährtin
fand. »Und es muß einen Sinn haben, daß wir noch nicht die Ewigen Träume schauen durften, Chale. Wir haben noch eine Aufgabe zu erfüllen und dürfen keine Zeit verlieren.« »Tipods Vorsprung ist zu groß«, flüsterte sie. »Wir können ihn nicht mehr einholen. Außerdem haben wir gar keinen Schweber mehr.« Um ihre Augen bildeten sich feine, kupfern glitzernde Tröpfchen eines Drüsensekrets – ein Zeichen für ihre Erregung und Verzweiflung. Takkar aber richtete den Blick auf das große Funkgerät, das auf einem Tisch vor der den Teleskopen gegenüberliegenden Wand stand. »Wir brauchen kein Fahrzeug, um Tipod doch noch am Betreten des Weltennabels zu hindern«, überlegte er laut. »Wir funken eine Warnung an die Siedlung. Mittlerweile werden die Ehrlichkeitsjäger auf Huka-Tin sein und den Weltennabel bewachen. Sie werden den Spruch auffangen, Chale. Wir warnen unsere Arbeiter vor einem Wahnsinnigen, der uns hier überfiel und unterwegs ist, um ein Attentat auf die Station zu verüben. Nein, warte, wir machen es anders.« »Du bist darauf aus, daß die Ehrlichkeitsjäger im Weltennabel denken, sie hätten den Spruch wirklich nur zufällig aufgefangen«, erriet Chale. »Du willst dich mit deinem Namen melden und gibst an, daß ein verzweifeltes Mitglied der OK diesen Anschlag ausführen wird, um Hedhergins Häscher von Huka-Tin fernzuhalten – ungeachtet derer, die schon hier sind.« »Es ist das einzige, das wir noch tun können«, erklärte er hastig. »Das Motiv muß den Gegnern einleuchten, und sie dürfen Tipod – oder wie er richtig heißt – gar nicht erst die Gelegenheit geben, sich auszuweisen. Wir fordern alle Dynurer auf, den Weltennabel zu verlassen oder den Wahnsinnigen aufzuhalten. Die Ehrlichkeitsjäger werden letzteres tun, wenn wir hinzufügen, daß er bewaffnet und ohne Skurpel ist.«
»Ein gewagtes Spiel«, flüsterte Chale. »Du weißt, daß sie dann in kurzer Zeit hier sein werden?« »Das werden sie, aber dann sind wir nicht mehr hier. Vielleicht schaffen wir es nicht, uns ohne Fahrzeug bis zur Siedlung durchzuschlagen, obwohl wir Vorräte haben. Tipod aber wird vorerst nicht verraten können, daß Zytarr unser Anführer ist. Bevor er wieder bei Kräften ist, muß Zytarr unsere Nachricht von einem unserer Kuriere erhalten haben und Hedhergin in aller Öffentlichkeit bloßstellen.« Takkar ging zum Funkgerät, aktivierte es und sprach kurz darauf mit einer Frau aus der Siedlung, die ihn sofort erkannte. Er faßte sich kurz und sprach ganz offen im Namen der OK, die nicht wollte, daß bei dem bevorstehenden Anschlag Dynurer gefährdet wurden. Bevor die Frau daraufhin Fragen stellen konnte, schaltete er aus. Er konnte nicht ahnen, daß Tipod nur wegen seiner Angst vor dem fremden Raumschiff nicht auf einen ähnlichen Gedanken gekommen war und die Ehrlichkeitsjäger direkt angefunkt hatte. Diese Zweifel blieben ihm und Chale, als sie die Vorbereitungen für ihre Flucht trafen. Das fremde Schiff fiel ihm wieder ein, nachdem das Vordringliche erledigt war. Takkar eilte zum Teleskop und blickte hindurch. Er suchte den Nachthimmel ab, doch da war nichts außer den beiden Sonnen und den weit dahinterliegenden fernen Sternen. »Du wirst es nicht finden, weil es nicht existiert!« rief Chale ihm drängend zu. »Komm und hilf mir lieber. Tipod wollte uns quälen.« »Ich wünschte, ich könnte so sicher wie du sein«, murmelte er. Ein einziger Blick ihrer Augen bewies ihm, daß sie das absolut nicht war. Und er verstand auch, warum nicht. Die Existenz des Schiffes würde bedeuten, daß die Gerüchte doch wahr waren, daß Hedhergin recht hatte mit seiner Voraussage. Und wenn es das Schiff also gab – mußte das gleiche dann nicht auch für das grüne Männchen zutreffen?
Takkar wußte nicht mehr, was er denken sollte. Chale reichte ihm einen der Leinensäcke, in die sie das gepackt hatte, was sie zum Überleben in den Bergen brauchen würden. Sie gingen zum Ausgang, blieben noch einmal kurz stehen, nahmen sich bei den Händen und sahen sich an. In diesem Moment wünschte sich Takkar nichts sehnlicher als ein Kind aus ihrem Leib. Für diesen wertvollen Augenblick konnte er fast alles vergessen, was ihn quälte. Vielleicht, dachte er, wird mir erst jetzt bewußt, was wirkliche Partnerschaft ist. »Komm!« flüsterte sie. Takkar öffnete die ovale Tür in der Kuppelwandung – und erstarrte. »Was ist?« fragte Chale alarmiert. Sie stand noch hinter ihm. »Die Ehrlichkeitsjäger können doch noch nicht …« »Nicht die Ehrlichkeitsjäger«, brachte er trocken hervor. »Auch keine Dynurer, Chale.« Er sah, wie der wuchtig gebaute Fremde stehenblieb und einen Arm hob. Am Rand des Plateaus stand ein gigantisches, leuchtendes Gebilde, das so gar keine Ähnlichkeit mit den Raumschiffen der dynurischen Pioniere besaß. Aber über seine Natur konnte kein Zweifel bestehen. Takkar stieß Chale zurück und schloß die Tür, ließ den Sack fallen und riß die Waffe aus der Kombination. Eine Welt brach zusammen. Die Fremden waren gekommen, um die Sterne zu erobern. Wie oft hatten Chale und Takkar sich während der Himmelsbeobachtungen darüber unterhalten, wie es wohl sein mochte, wenn eines fernen Tages ein Schiff aus den Tiefen des Alls erscheinen würde, wie der erste Kontakt zwischen Dynurern und anderen sich vollziehen würde. Immer waren sie zu dem Schluß gelangt, daß eine Zivilisation, die Raum und Zeit überwunden hatte, nicht kriegerisch sein konnte, sondern weit fortgeschritten und ethisch unvorstellbar hochstehend. Sie hatten davon geträumt, einmal einem Dynurer von anderen
Sternen die Hand entgegenstrecken zu dürfen, fremde Kraft in sich zu spüren. Alles das war nun in Takkars auswegloser Verwirrung vergessen. Er hörte die Parolen des Varsers. Ein Schiff oder viele konnten irgendwann einmal kommen, wenn es Leben jenseits der Sterne gab – doch nicht ausgerechnet jetzt. Dies war das eine. Jene, die es in die Sterne gelenkt hatten, wollten den Untergang des dynurischen Volkes. »Aber sie werden uns nicht bekommen, Chale«, stieß er hervor. »Ich schwöre es dir!« Oggar hatte den HORT allein verlassen, nachdem der Doppeldiskus fast lautlos auf dem Plateau gelandet war. Über Funk hielt er Verbindung zu Insider und wußte so, daß der Dynurer an Bord noch lebte. Jene, deren Funkspruch aufgefangen worden war, konnten seine Rettung sein. Doch auch für sich erhoffte das Mischwesen einiges von ihnen. Allem Anschein nach verbargen sich in der Kuppel nur ein, zwei oder drei Dynurer, und sie gehörten einer Gruppe an, die gegen den Varser kämpfte – einer der Organisationen, auf die der Sterbende Jagd machte. Sie mußten ihm seine Zweifel nehmen. Sie mußten ihm sagen, ob es nicht vielleicht doch einen Mythos gab, der sich um das Erscheinen eines fremden Schiffes in Auxonia irgendwann rankte. Sternfeuer warnte vor allzu übereilten Schlüssen, und Oggar gestand sich ein, daß er vielleicht nur wahrhaben wollte, daß Hapeldan unerkannt dieses Intelligenzvolk regierte und gegen ihn, den er erwartete, aufhetzte. Der aufgefangene Funkspruch hatte ihm, als er noch unentschlossen über sein weiteres Vorgehen war, eine ungeahnte Chance eröffnet. Doch das setzte voraus, daß eine Verständigung nicht daran scheiterte, daß die Rebellen angesichts der Landung des HORTS in Panik gerieten. Oggar war bis auf wenige Dutzend Meter an die Kuppel heran, als
sich dort eine ovale Öffnung bildete und ein Dynurer darin erschien. Oggar winkte ihm zu, in der Hoffnung, daß diese Geste verstanden würde. Der Dynurer stand für Sekunden wie erstarrt, lief zurück in die Kuppel und schloß die Öffnung. Er hat Angst! signalisierte Sternfeuer. Ich kann ihn nicht espern! Dies schien für alle Dynurer zu gelten, denn auch Sternfeuers Versuche, aus dem Bewußtsein des an Bord Geholten die so sehnlich erwarteten Informationen herauszulesen, waren gescheitert. Wir müssen einen Weg finden! gab Oggar entschlossen zurück. Er griff in eine Tasche seiner Kombination und holte den auf Paralysieren geschalteten Kombistrahler hervor. Inzwischen stand er in einer Entfernung von nur noch drei Metern vor der Kuppel und überlegte schon, ob er nicht das Mnemodukt I anweisen sollte, über die Außenlautsprecher des HORTS die Dynurer in ihrer Sprache anzureden. Er kam nicht dazu, den entsprechenden Befehl über Funk zu geben. Das Oval in der Kuppelwandung öffnete sich abermals. Der Dynurer war nur als Schemen vor dem hinter ihm leuchtenden Licht zu erkennen. Er schrie mit seiner zirpenden Stimme etwas, das Oggar nur am Tonfall als das erkannte, was es war. Er warf sich zur Seite, als der schwache Lichtstrahl aus der Waffe des Dynurers zuckte. Der Schuß verfehlte das Mischwesen noch, der zweite traf. Der Treffer blieb wirkungslos. Er geht davon aus, meldete sich Carch, daß wir wie er sind. Die Waffe wirkt nur auf seinesgleichen. Und wir sollten ihm keine Zeit lassen, fügte Sternfeuer hinzu, seinen Irrtum zu erkennen und vielleicht eine andere Waffe gegen uns einzusetzen. Denkt an den tödlichen Strahler unseres ersten Dynurers! Oggar antwortete nicht, er handelte. Er schnellte sich auf den Dynurer zu und umschlang ihn. Aus der
Kuppel kam ein Schrei. Oggar steckte mit der freien Hand den Strahler zurück, klemmte sich den strampelnden Dynurer unter den linken Arm und war mit einem Satz in der Kuppel. Er sah die zitternde Gestalt, die vor ihm zurückwich und sich gegen eine Wand drückte. Er hatte Mitleid mit ihr, doch jedes gesprochene Wort konnte sie nur noch mehr in Panik versetzen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich auch sie zu packen. Sie wehrte sich nicht und schien sich mit einem grausamen Schicksal abgefunden zu haben. Oggar nahm sie unter den anderen Arm und beeilte sich, mit den beiden zartgliedrigen Wesen zum HORT zurückzukommen. Insider erwartete ihn ungeduldig und sparte nicht mit Vorhaltungen. Oggar setzte die beiden Dynurer in der Zentrale ab und ließ alle Ausgänge vom Mnemodukt verriegeln, keine Sekunde zu früh. Die Dynurer rannten davon, stürzten sich gegen die Schotte und versuchten alles, um ihrer vermeintlichen Gefangenschaft zu entkommen. Oggar hatte es erwartet. Was ihn dann maßlos überraschte, war ihre Reaktion, als sie den Bewußtlosen auf der Antigravscheibe entdeckten. Sicher, nach allem, was man sich bisher zusammenreimen konnte, war er ihr politischer, vielleicht auch sogar persönlicher Gegner. Das rechtfertigte das Entsetzen, das sich selbst von den Mienen der Fremden klar ablesen ließ. Dann aber schienen sie erleichtert zu sein. Sie flüsterten sich etwas zu – nicht leise genug für das Mnemodukt, das sogleich übersetzte: »Der maskuline Dynurer sagt, daß unser Freund sein Ziel nun doch nicht erreicht habe und noch nichts verraten konnte. Seine Partnerin, er nennt sie Chale, antwortete daraufhin, daß er aber uns gesagt haben könnte, wer ihr Anführer ist.« Die Dynurer zuckten zusammen, als sie die Stimme aus der Kugel vernahmen.
»Hast du vergessen, weshalb wir sie holten?« drängte Insider. »Du mußt sie dazu bringen, dem Sterbenden zu helfen, Oggar! Stelle deine Neugier noch etwas zurück.« »So oder so müssen wir ihr Vertrauen gewinnen«, antwortete das Mischwesen zögernd. »Wenn sie bis jetzt nicht an die Gerüchte geglaubt haben, tun sie es jetzt. Sie sehen in uns gnadenlose Aggressoren.« »Dann beweise ihnen, daß wir es nicht sind!« Das war leichter gesagt als getan, und Insider wußte das gut genug. Oggar sah nur einen Weg. Er trat langsam wieder auf die Dynurer zu und streckte beide Hände von sich zum Zeichen, daß er unbewaffnet und ohne böse Absicht war. Sie wichen zurück. »Mnemodukt, du übersetzt jetzt für sie. Sage ihnen, daß wir nicht als ihre Feinde kommen. Erkläre ihnen, daß sie nichts zu befürchten haben und daß der Bewußtlose unser Gefangener ist. Wir unterstützen die Ziele ihrer Organisation, aber vor weiteren Erklärungen müssen sie ihren Artgenossen retten.« »Unter Menschen nennt man dies einen Schuß ins Blaue«, kommentierte Insider. Oggar winkte ab. Das Mnemodukt gab seine Worte in der Sprache der Dynurer wieder, deren Verblüffung maßlos war. Sie sahen sich an, dann wieder die riesige Kugel, schließlich Oggar und Insider, der mit seinen vier Armen für sie ein Monstrum sein mußte. Sie rührten sich nicht von der Stelle. »Du mußt selbst zu ihnen sprechen«, sagte Insider. »Sie fürchten sich vor dem Mnemodukt. Das Mnemodukt II in deiner Bauchhöhle versetzt dich doch in die Lage dazu. Rede sie an, Oggar.« Auch das würde nicht genügen, um den Bann zu brechen. Oggar hatte einen besseren Einfall. Takkar konnte nicht mehr klar denken. Was ihm in dieser Minute einleuchtend erschien, wurde durch das Verhalten der Fremden
schon in der nächsten wieder widerlegt. Sie wollten, daß er Tipod rettete. Wie paßte dies zu den Aggressoren, die vom Varser angekündigt worden und vielen Dynurern im Traum erschienen waren? Tipod hatte Wenk noch nicht verraten können. Aber welche Rolle spielte das jetzt noch, wenn die Fremden die Sterne vernichteten? Chale drückte sich fest an ihn. Er spürte ihre Furcht. Er hatte das Gefühl, von der sprechenden Kugel angestarrt zu werden. Das war schrecklicher als der Anblick des Vierarmigen. Und nun trat jener, der zur Kuppel gekommen war, an eine große, rechteckige Fläche und redete auch in ihrer Sprache! »Ich will euch Bilder von anderen Welten zeigen«, verkündete er klar und deutlich. »Von Welten in anderen Sternen, die wir Galaxien nennen. Seht euch die Wesen an, die dort leben, und bildet euch dann euer Urteil über uns. Doch tut es rasch, wenn dieser da leben soll.« Dabei deutete er wieder auf Tipod. Die Bildfläche erhellte sich. Mißtrauisch und ängstlich noch, dann gebannt, starrten die Dynurer auf das, was sie zu sehen bekamen. Planeten tauchten auf, dann Kontinente, schließlich Steppen oder Siedlungen. Fremdartige Wesen lebten in ihnen. Andere landeten und begrüßten sie. Es gab keine Feindschaft, nur Freude und Feste. Der breite Fremde vor dem Bildschirm kommentierte die Szenen und zeigte Takkar und Chale ein Kaleidoskop von Harmonie und Frieden. Die Dynurer konnten nicht ahnen, daß es sich um vom Mnemodukt raffiniert zusammengeschnittene Teile von Aufzeichnungen handelte, die fast alle auf der Landschaft im Nichts gemacht worden und von der SOL in die Speicher des Mnemodukts überspielt worden waren. Nichts verriet, daß ihnen nur Bilder von den ersten, friedlichen Kontakten mit den Bewohnern der Landschaft im Nichts gezeigt wurden – und nicht das, was dort hinterher geschehen war.
»Ihr seht«, endete Oggar schließlich, »auch jenseits eurer Sterne leben die Völker in Frieden miteinander. Nun nennt mir einen Grund, weshalb wir eure Planeten verwüsten sollten. Könnt ihr es nicht, so rettet euren Artgenossen jetzt. Und dann sagt mir, wer euer Varser ist und wie lange er euch schon aufhetzt.« Hedhergin, Wenk, die Ehrlichkeitsjäger – das alles war für Takkar fast vergessen gewesen. Etwas in ihm wollte jauchzen. Die anderen Sterne, es gab sie, und sie besaßen Planeten, auf denen sich eine unvorstellbare Vielfalt des Lebens entwickelt hatte! Er wollte alles darüber wissen. Doch noch zögerte er, und dann war es Chale, die sich von ihm löste und auf die schwebende Scheibe mit Tipod darauf zutrat. Sie hob seine Hand an und preßte die ihre dagegen. »Er ist unser Feind«, sagte sie zu dem breiten Fremden. »Er hat versucht, uns zu töten.« »Seid unbesorgt«, antwortete der Fremde. »Er wird keine Gelegenheit dazu bekommen.« Takkar glaubte es ihm. Er schüttelte seine Zweifel von sich, trat auf den Raumfahrer zu und streckte ihm so die Hand hin, wie er es auf dem Bildschirm bei anderen Wesen gesehen hatte. Der Fremde ergriff sie. Für Takkar war dies der Beginn einer neuen Zeit. Vor Rührung fast wie in einem Rausch, vergaß er jedoch nicht, daß die Sterne einem Pulverfaß glichen. »Und nun«, bat Oggar, »erzähle mir alles über euch.«
* Oggar schwieg lange. Takkar stand vor ihm und versuchte anscheinend, in seinem Gesicht zu lesen, während Chale den inzwischen wiedererstarkten Tipod mit dessen eigener Waffe in Schach hielt. Takkar hatte nichts ausgelassen. So wußten Oggar und Insider
nun von der Entwicklung der Dynurer und den politischen Verhältnissen in Auxonia. Er wußte um die Gerüchte, die Träume der Dynurer und die Rolle des Varsers. Er kannte die Rolle der OK und der Ehrlichkeitsjäger. Und Takkar hatte eine fast perfekte Beschreibung von Hapeldan gegeben. »Fast zehn Jahre«, stellte das Mischwesen schließlich erschüttert fest. Die Zeitrechnung der Dynurer, das hatte das Mnemodukt inzwischen ermittelt, entsprach fast genau seiner eigenen. »Fast zehn Jahre sind wir durch meinen Meditationsversuch in die Zukunft versetzt worden. So lange hatte Hapeldan also Zeit, hier auf uns zu warten und seine teuflische Falle aufzubauen.« Und nur er befand sich in Auxonia. Die Dynurer wußten nichts von Hidden-X. Das Flekto-Yn befand sich nicht hier. Oggar hatte Hapeldans Spur zwar wiedergefunden, aber sein Ziel nicht erreicht. »Wer ist Hapeldan?« fragte Takkar. Oggar gab dem Mnemodukt einen Befehl. Auf einem Bildschirm erschien der Molaate, der Atlan und die Solaner auf der Landschaft im Nichts so lange in der Gestalt Tdibmufs' an der Nase herumgeführt hatte. Takkar wich zurück und schrie auf. »Das grüne Wesen! Das ist der grüne Zwerg, der in den Träumen …« »Das«, unterbrach ihn Oggar, »ist euer Varser.«
8. Für Oggar stellte sich die Situation nun folgendermaßen da: Er hatte Hapeldan wiedergefunden, der ganz offensichtlich noch nicht wußte, daß er den Kugelsternhaufen erreicht hatte. Hapeldan wartete und hatte, was die Dynurer nur andeuten konnten, die Planeten aufrüsten lassen, um die SOL oder den HORT würdig zu empfangen. Es war nicht ausgeschlossen, daß die Waffensysteme
den HORT in echte Bedrängnis bringen, wenn nicht gar vernichten konnten. Damit lag Oggars erstes Ziel fest: Er mußte so schnell wie möglich Kontakt zu Zytarr Wenk aufnehmen, denn nur dieser und seine engsten Vertrauten auf Dynur konnten ihm erstens weitere Informationen verschaffen und zweitens die Demaskierung und den Sturz des Varsers durchführen. Dazu mußten sie wissen, was mit dem echten Hedhergin geschehen war. Die Dynurer würden die Geschichte vom Molaaten, der in die Rolle des Varsers geschlüpft war, nicht ohne schlagkräftigen Beweis glauben, und es gab nur einen einzigen: den echten Hedhergin. Hapeldan mußte ihn zur Seite geschafft haben. Ihn zu finden – beziehungsweise seinen Leichnam – war das zweite Ziel. Das dritte schließlich bestand darin, Hapeldan aus Auxonia zu vertreiben, ihn abermals in die Flucht zu schlagen, auf daß er sich nun endgültig zum Flekto-Yn begab. Wo hatte er sein Schiff versteckt, den Zentralkegel? Takkar und Chale konnten die Frage nicht beantworten. Doch nun war es ausgerechnet Tipod, der einen Lichtschimmer in die verfahrene Situation brachte. Gripec, wie er sich nun nannte, hatte schneller als erwartet begriffen, wem er gedient hatte. »Ich habe einen furchtbaren Fehler gemacht«, sagte er. »Wir alle haben Schuld auf uns geladen. Es ist noch nicht zu spät, und ich versichere euch, daß der falsche Varser von seiner eigenen Truppe gejagt werden wird, wenn sein Betrug herauskommt. Ich werde euch helfen, nach Dynur zu gelangen und Kontakt mit Wenk aufzunehmen. Natürlich können nur Takkar und Chale hinübergleiten. Ihr beide, Oggar und Insider, dürft nicht gesehen werden. Das gleiche gilt für euer Raumschiff. Das gilt allerdings nicht für einen Ort.« »Welchen?« wollte Oggar wissen. »Ihr sucht das Schiff, mit dem der falsche Varser zu uns kam. Er
muß es auf einem Planeten verborgen haben, der für uns Dynurer tabu ist. Es gibt innerhalb der Sterne nur einen einzigen: Auktan. Er ist nach dem großen Pionier unseres Volkes benannt.« »Weshalb tabu?« fragte Insider. Chale antwortete für Gripec: »Auktan war eine bedeutende Industriewelt, bevor die Katastrophe sich ereignete. Damals explodierten gleich drei Atomkraftwerke fast gleichzeitig. Fast alle dort arbeitenden Dynurer starben oder wurden strahlenverseucht. Die Überlebenden zeugten mißgebildete Kinder. Niemand denkt gern an Auktan. Seit dem furchtbaren Unglück darf kein Dynurer Auktan mehr betreten. Das ist auch nicht möglich, weil der Raumschlauch dorthin niemals mehr aufgebaut werden kann. Der Weltennabel wurde zerstört.« Insider stieß laut die Luft aus. »Und wann geschah das? Wann explodierten die Kraftwerke?« »Vor zehn Jahren, kurz bevor die ersten Träume über das fremde Raumschiff den Dynurern kamen. Und noch etwas ist für euch interessant. Auktan liegt, ähnlich wie Huka-Tin, am Rand der Sterne.« »Und ein Raumschiff könnte dort landen, ohne daß es von euch bemerkt würde«, nahm Oggar den Faden auf. »Hapeldan hat an alles gedacht. Sein Zentralkegel muß auf Auktan stehen. Chale und Takkar, seid ihr bereit, euch Gripec anzuvertrauen?« Die Dynurer drehten sich zu Gripec um. Als sie ihre Hände gegen die seinen preßten, war dies weit mehr als nur eine Geste. »Wir werden mit ihm nach Dynur gleiten«, sagte Takkar. »Er wird weiterhin Hedhergins überzeugten Anhänger spielen und uns an den Ehrlichkeitsjägern im Weltennabel vorbeischleusen. Wir unterrichten Wenk und schlagen mit ihm los, sobald ihr uns den benötigten Beweis geliefert habt. Es gibt übrigens für dich doch eine Möglichkeit, nach Dynur zu kommen, Oggar. Auf Pötsal leben Dynurer, die sich der hohen Schwerkraft des Planeten im Lauf von Generationen körperlich anpassen mußten. Sie sind so groß und
breit wie du. Wenn du deine Hautfarbe verändern kannst und dich auch sonst etwas tarnst, wird man dich auf Dynur für einen Pötsaler halten.« Oggar verstand. Er mußte den Beweis nach Dynur bringen, den er auf Auktan zu finden hoffte. »Ich danke dir, Takkar. Euer Schweber ist unbeschädigt und wird euch zum Weltennabel bringen. Inzwischen fliegen wir nach Auktan. Ich brauche nur noch die Position dieser Welt. Wir geben euch ein Gerät mit, mit dem wir in Funkverbindung bleiben können. Die Verständigung erfolgt ohne Zeitverlust.« Das kleine, tragbare Hyperfunkgerät war für die drei Dynurer ein ebensolches Wunder wie der HORT, wie alles, was sie hier gesehen und gehört hatten. Nur das konkrete Ziel vor Augen mochte verhindern, daß sie unter der Last des Neuen zusammenbrachen. Als der Schweber aus dem Hangar glitt, hatte Oggar alle Informationen, die er über Auktan benötigte. Er sprach kein Wort, als er den HORT vom Plateau abheben ließ. Insider hatte Mitleid mit ihm. Andererseits aber war er froh darüber, daß Oggar nun endlich von seinem Wahn kuriert war, das Flekto-Yn und Hidden-X hier in Auxonia finden und bekämpfen zu müssen. Die Besessenheit fiel von ihm ab. Der Weg zum Flekto-Yn war noch weit. Aber sie hatten Hapeldan, den Schalter, wiedergefunden. Und der hockte irgendwo hinter den Schaltknöpfen eines gigantischen Waffenarsenals. Eine Unvorsichtigkeit genügte, und nicht der Zentralkegel würde erbarmungslos gejagt, sondern der HORT.
* Auktan war der äußerste von insgesamt zwölf Planeten einer gelben Sonne, diese ihrerseits die am weitesten draußen stehende des Kugelsternhaufens. Aus Gripecs und Chales Worten war nicht
hervorgegangen, ob dort niemand mehr lebte. Oggar dachte dabei nicht an Dynurer, die noch in der Lage waren, einen Funkspruch nach Dynur abzusetzen, der ohnehin fast ein Jahr hätte unterwegs sein müssen. »Du denkst an Mutierte«, erriet Insider. »Bedauernswerte Geschöpfe, die unter dem Einfluß der Strahlung zu Monstren wurden.« »Wir müssen auf jeden Fall vorsichtig sein.« Oggar konnte es sich leisten, den HORT in einen Orbit um Auktan zu bringen, denn nach Chales Versicherung war keiner der anderen Planeten des Systems jemals besiedelt worden. Der Doppeldiskus sank tiefer, und bald waren die Kuppeln abgeschalteter Kraftwerke und die Ruinen der explodierten Reaktoren und der ehemaligen, um sie gelegenen Siedlungen zu erkennen. Die Orter des HORTS sprachen nicht an. Oggar hatte auch nicht damit gerechnet, daß Hapeldan so unvorsichtig gewesen wäre und Systeme des Zentralkegels aktiviert gelassen hätte. Der Ortungsreflex war nur kurz zu sehen, und das auch nur, weil gleichzeitig eine Warnung des Mnemodukts erfolgte. Das war nach der elften Umkreisung Auktans. Die Auswertung erfolgte in Sekundenbruchteilen. Oggar brachte den HORT noch tiefer hinunter und steuerte ihn in nur noch etwa eintausend Meter Höhe auf die Quelle des schwachen Impulses zu. Er brauchte nicht lange auf dessen Wiederholung zu warten. Drei-, viermal kurz hintereinander wurde dort voraus, am Rand eines von tiefen Schluchten zerfurchten Felsengebirges, Energie frei. Beim letztenmal war ein schwaches Leuchten zu sehen. Oggar drosselte die Fahrt weiter. »Wir suchen uns einen Landeplatz«, verkündete er. »Mnemodukt?« »Die Impulse sind identisch mit jenen, die wir bereits von den Abwehrsystemen des Zentralkegels her kennen. Ein Defensivschirm baut sich auf, und das immer nur für Nanosekunden, was darauf
schließen läßt, daß der Zentralkegel dort vor uns in einem Talkessel steht.« Eine entsprechende Leuchtmarkierung auf dem Bildschirm kennzeichnete den ermittelten Standort. »Wir können weiterhin davon ausgehen, daß er angegriffen wird und mit einer kurzen Selbstaktivierung der Schutzschirme reagiert.« Die Infrarotoptiken zeigten noch nichts außer der in ewiger Nacht liegenden Öde Auktans. Oggar bedauerte die Dynurer, die hier hatten leben müssen. Die gelbe Sonne war nur als winzige Scheibe über dem Horizont zu sehen – viel zu weit entfernt und zu schwach, um hier jemals Leben entstehen zu lassen. Auktan hatte nie eine Atmosphäre besessen. Sonst wäre die Welt eine Eiswüste gewesen. Oggar landete den HORT am Rand einer Schlucht, wobei er sich fragte, ob eine Hyperfunkverbindung zwischen dem Zentralkegel und Hapeldan möglich war. Auch dieses Risiko mußte er eingehen. »Ich steige aus«, erklärte er Insider. »Wir bleiben in Verbindung. Ich müßte den Zentralkegel in etwa einer Stunde erreichen. Du unternimmst nichts, ganz gleich, was ich dort vorfinde.« Insiders Proteste gingen unter in der Aufzählung von Daten über die Außentemperatur, Schwerkraft und Eigenrotation von Auktan – alles Informationen, die längst schon auf den Schirmen erschienen waren. Insider murmelte wieder etwas von einer Verschwörung gegen ihn. »Das ist der Dank dafür, daß ich freiwillig bei dir blieb!« schimpfte er. »Ich passe schon auf uns auf«, versicherte Carch. »Einer der großen Philosophen meines Volkes sagte einmal: In der Stunde der Gefahr wird der Starke geboren!« »Deines … deines Volkes?« stammelte der Extra. »Soso. Und ich hoffte, du wärest einzig. Die Götter des Kosmos mögen verhindern, daß wir jemals auf Cpt landen.« »Cpt?« »Du bezeichnest dich doch als einen Cpt'Cpt. Also wird deine Ursprungswelt Cpt heißen und …« »Falsch!«
»Wieso falsch?« »Das weiß ich noch nicht, aber es wird mir einfallen.« Insider schlug sich mit einer Hand gegen die Stirn und brüllte: »Jetzt aber raus! Ihr könnt einen alten Zwz doch nicht für dumm verkaufen! Macht, daß ihr verschwindet!« »Du bist also ein Zwz?« »Weiß ich noch nicht, aber irgendwann fällt's mir ein!« Oggar machte dem Spiel ein Ende. Er verließ die Zentrale, und als Insider ihn nach acht Minuten auf einem der Schirme sah, ließ er sich vom Gravo-Aggregat seiner Schutzmontur über einen Grat tragen. Dann verschwand er endgültig und war nur noch schwach zu orten. Insider setzte sich hin und beschimpfte mangels anderer Ansprechpartner das Mnemodukt. Er wartete darauf, daß Oggar sich über Funk meldete. Doch dann, nach fast einer halben Stunde, sprach der HyperfunkEmpfänger an.
* Oggar setzte auf einer aus der fast senkrechten Wand hervorragenden Felsleiste auf. Er hatte bewußt darauf verzichtet, sich eine Vorstellung von dem zu machen, was er beim Zentralkegel vorfinden würde. Nun erhielt er die Bestätigung dafür, daß jede noch so kühne Spekulation weit hinter der Wirklichkeit hätte zurückbleiben müssen. Der Zentralkegel stand in der Mitte des etwa sechshundert Meter durchmessenden Kessels, dessen Wände das Schiff noch um gut zweihundert Meter überragten. Er war nur zum Teil natürlichen Ursprungs. Hier hatten atomare Gewalten einen Krater von mehr als einem Kilometer Tiefe in das Gestein gebrannt. Der Zentralkegel selbst besaß eine Höhe von 920 und einen größten Durchmesser von
350 Metern. Still und erhaben ragte er empor, wie in einem Abschußschacht und inmitten der angreifenden Horden. Der Talkessel war von unzähligen Lichtern erleuchtet, und was sie ihm zeigten, ließ Oggar erschaudern. Mißgestaltete Kreaturen rannten gegen Hapeldans Schiff an. Es waren schreckliche Mutationen, und Oggar glaubte ihre Verzweiflung bis zu sich hinauf zu spüren. Sternfeuer erfaßte diesmal Bruchstücke von Gedanken, die allein auf ein Ziel gerichtet waren: dieses stählerne Monstrum zerstören! Rache an jenem, der das Verhängnis gebracht hatte! Oggar wußte nur zu gut, daß dieser Haß sich auch gegen ihn richten würde, sobald er zu den Unglücklichen hinabstieg. Sie wußten, wem sie ihr grausames Schicksal zu verdanken hatten. Sie waren hier auf Auktan abgeschnitten. Vielleicht verdankten sie ihr Überleben nur ihrer Besessenheit, ihrer Rache. Sie wirkten grotesk in Schutzanzügen, in die ihre Körper nicht mehr paßten. Sie griffen mit Steinen und selbstgefertigten, primitiven Katapulten an. Hier und da blitzte es auf, doch die Waffen der Dynurer vermochten dem Schiff nichts anzuhaben. Die Defensivschirme bauten sich nur für Augenblicke auf, wenn ein von den Katapulten abgefeuerter großer Felsbrocken empfindliche Teile der Hülle zu treffen drohte. Der Zentralkegel war nie in Gefahr. Oggar sah dem verzweifelten Anrennen eine Weile lang zu und dachte daran, daß sich die Kinder der Mutierten – falls sie überhaupt noch Kinder zu zeugen vermochten – vielleicht irgendwo in den Höhlen versteckten. Und wie sollten sie leben können ohne Schutzanzug? Weshalb lebten diese Geschöpfe dort unten noch, wo ihr Sauerstoffvorrat doch längst erschöpft sein mußte! Oggar konnte ihnen nicht helfen, und seine ganze Konzentration mußte dem Zentralkegel gelten und einem Weg, in ihn hineinzugelangen. Ohne das Mnemodukt II hätte er nicht den Hauch einer Chance
besessen. Nur mit seiner Hilfe konnte er hoffen, die Defensivsysteme zu überlisten und eines der vielen Luks zu öffnen. Oggar aktivierte die Gravo-Aggregate und ließ sich fast tausend Meter über den Mutierten zum »Hut« des Raumschiffs tragen. Die Magnetplättchen seiner Montur hefteten sich an die Hülle. Durch leichte Schübe der Aggregate rutschte Oggar zum nächstbesten Luk. Oggars Hoffnung bestätigte sich, daß der Hauptcomputer des Zentralkegels ihn – noch – nicht als Bedrohung einstufte. Er legte ein winziges Sensorplätchen an die Hülle und wartete darauf, daß sein Mnemodukt II die von ihm durchleuchteten Schaltkreise des Verschlusses auswertete. Vom Grund des Kessels drangen die Schreie der Mutierten zu ihm herauf, die ihn nun entdeckt hatten. Ihre Katapulte reichten nicht bis in seine Höhe herauf. Dennoch war er erleichtert, als sich das Luk für ihn öffnete. Ohne zu zögern, schwang er sich in die kleine Schleusenkammer. Noch einmal mußte er befürchten, von unbekannten Abwehrsystemen erfaßt und vernichtet zu werden. Als dann das Innenschott zur Seite fuhr, wußte er, daß er seinen ersten Sieg errungen hatte. Er war im Zentralkegel. Wußte Hapeldan in diesem Augenblick davon?
* Auch nach den Erlebnissen auf der Landschaft im Nichts war der riesige Zentralkegel für Oggar in der Hauptsache noch eine unbekannte Größe. Er bewegte sich vorsichtig durch Korridore, die sich erleuchteten, sobald er sie betrat. Sensorische Systeme erfaßten seine Anwesenheit und schalteten Gleitbänder ein oder aktivierten in den betretenen Sektoren die Umwälzanlagen für Atemluft. Der Zentralkegel reagierte auf das Mischwesen, als hätte Hapeldan
selbst ihn betreten. Oggar nahm es als gegeben hin. Es war sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen, die nur eine Konsequenz haben konnten: den sofortigen Rückzug. Irgend etwas hatte ihn akzeptiert und würde dies solange tun, wie er keinen gravierenden Fehler beging. Er erreichte einen Kontrollraum, den sein Mnemodukt als Nebenzentrale für die Schalterfunktionen identifizierte. Oggar blieb stehen und ließ seinen Blick über die Pulte und Arbeitsplatten schweifen. Das Mnemodukt wertete die optischen Informationen aus und führte die Hand des Androidenkörpers zu einer schwach leuchtenden Taste. Ein Bildschirm erhellte sich und zeigte den Zentralkegel in seinem Grundriß. Das Bild wechselte. Sämtliche Decks erschienen in schematischer Darstellung, bis Oggar zu wissen glaubte, wohin er sich nun zu wenden hatte. Die Zentrale und der Hauptcomputer befanden sich im zylindrischen Fuß des Schiffes, die erste Grabkammer mit den Särgen etwa in seiner Mitte. Was bot sich besser an, um einen Leichnam zu verbergen? Er erreichte sie ohne Zwischenfall. Die Spuren früherer Kämpfe waren beseitigt, alle Särge leer oder überhaupt verschwunden. Es gibt fünf weitere Grabkammern! teilte Sternfeuer mit. Wir konnten nicht erwarten, auf Anhieb Erfolg zu haben! Oggar nickte, als hätte nicht etwas aus ihm selbst heraus gesprochen. Gerade wollte er die Kammer verlassen, als sein Blick auf etwas fiel, das seine Aufmerksamkeit erregte. Es lag hinter den Särgen auf einer aus der Wand geklappten Platte, vor der ein einfacher Schemel stand. Zuerst glaubte Oggar an einen flachen Stapel beschrifteter Folien. Dann sah er, daß auch einfache Papierblätter dabei waren. Jemand hatte sie sogar lose gebunden. Oggar streckte die Hand danach aus und begann zu blättern. Seine Verwunderung wuchs noch, als er die handschriftlichen Notizen bemerkte.
Es war die Komponente Sternfeuer, deren plötzliche Erregung sich augenblicklich auf Oggar und Carch übertrug. Schnell zog Oggar die Hand zurück, als hätte er etwas angefaßt, an dem er sich jeden Moment die Finger verbrennen mußte. Was hast du? fragte Carch, als die Telepathin für Sekunden ihre Gedanken abkapselte. Was sind das für Blätter? Wartet! Sternfeuer übernahm die Kontrolle über den Androidenkörper. Oggar ließ sich zurückdrängen, denn er spürte, daß sie hier auf ein Geheimnis gestoßen waren. Carch bohrte weiter, doch noch schien Sternfeuer nicht zu einer Auskunft bereit. Sie suchte nach etwas und fand es schließlich in einer Wandnische, deren Verkleidung auf die Berührung einer rechteckigen Taste hin absprang. In der Vertiefung lagen zwei Dinge: eine Schatulle aus wertvollem Elfenbein und mit silbernen Beschlägen versehen – und ein glockenförmiges Gebilde, das die Solanerin von Atlans Berichten her kannte. Bevor Oggar es verhindern konnte, gab Sternfeuer dem Mnemodukt II einen Befehl, den dieses sofort in eine Körperbewegung umsetzte. Oggars rechte Hand nahm die Kombiwaffe vom Gürtel, schaltete sie um und jagte einen gleißend hellen Energiestrahl auf die Glocke zu. Oggar drängte die Bewußtseinspartnerin jäh zurück. Für Augenblicke wartete er darauf, daß nun etwas geschehen würde, daß die Abwehrsysteme des Zentralkegels eingriffen. Ohne sich dessen bewußt zu sein, veränderte er die Struktur seiner Haut, die nun fahlrosa und hellgrün schimmerte und praktisch unangreifbar war. Nichts rührte sich. Alles blieb so still wie bisher. Nur empfand das Mischwesen diese Ruhe nun als noch unheimlicher. Du mußt den Verstand verloren haben! schalt Oggar die Solanerin. Es war nötig, antwortete sie. Der Materietaucher wird nicht mehr
erscheinen, um uns das Buch zu stehlen. Das glockenförmige Gebilde hatte sich vor ihren Augen aufgelöst. Es kann nur eine Erklärung dafür geben, daß kein Abwehrsystem eingriff, dachte Sternfeuer. Der Materietaucher gehorcht nicht Hapeldan, sondern Hidden-X selbst. Hidden-X stellte ihn ihm nur zur Verfügung, damit er alle diese Szenen und Menschentypen in die Landschaft im Nichts setzen konnte. Wir fragten uns, woher er die Informationen nahm, die er dazu benötigte – genaue Vorstellungen von Aussehen und Leben, von Sprache und Verhaltensweisen selbst unserer Vorfahren. Dies ist die Antwort, Oggar. Sie nahm die Blätter und fand auch diesmal, wonach sie suchte. Hier, diese neu dazugehefteten Blätter sind Aufzeichnungen über geschichtliche Epochen der Menschheit und der Solaner. Hapeldan besaß das Buch, das kurz nach Deccons Tod aus dessen Klause geraubt wurde und spurlos verschwunden blieb, dazu alle diese Daten. Welches Buch? fragte Oggar ungehalten. Es muß ja sehr wertvoll sein, wenn du ein dermaßen hohes Risiko dafür eingingst. Das ist es, Oggar. Diese lose zusammengebundenen Blätter wurden von vielen Kommandanten und High Sideryts beschriftet. Dies ist das verschollene Logbuch der SOL.
9. Oggar legte das Buch in die Schatulle, schloß sie und verstaute sie in einer der Gürteltaschen. Was Sternfeuer an Schlüssen gezogen hatte, erschien ihm nun einleuchtend und mochte auch die aus der Sicht der Solaner widersinnig erscheinenden Wechselbäder von freundlichem Empfang auf der Landschaft im Nichts und den sich daran anschließenden Angriffen erklären. Schon jetzt nahm er sich vor, später im Logbuch der SOL zu lesen und mehr über die Vergangenheit dieses Schiffes und seiner Bewohner zu erfahren. Vorerst gab es Wichtigeres zu tun.
Auch in die zweite Grabkammer gelangte Oggar ungehindert. Hier erlebte er ebenfalls eine Enttäuschung. Er stieg noch tiefer in den Zentralkegel herab, fand wieder Särge, und abermals waren sie leer. Als nur noch eine Kammer blieb, waren seine Hoffnungen, den echten Varser zu finden, auf ein Minimum gesunken. Dann jedoch blickte er durch den transparenten Deckel eines der Schreine auf den konservierten Leichnam eines Dynurers. Tipod hatte ihm vor dem Verlassen des HORTS ein Bild von Monzelback Hedhergin gezeigt. Der Tote im Sarg wirkte wie schlafend. Nur seine Haut war von einem hauchdünnen, gelblich schimmernden Film überzogen. Es konnte keinen Zweifel an seiner Identität geben. Wir haben ihn gefunden! triumphierte Oggar. Das Problem ist nur, dämpfte Sternfeuer seinen Überschwang, wie wir ihn aus dem Sarg holen und in den HORT bringen. Ihre Befürchtungen erwiesen sich als nur zu begründet, als Oggars Hand nach dem Öffnungsmechanismus griff. Um das Mischwesen herum bauten sich strahlende Energiegitter auf. Ein Heulen durchbrach die Stille. Rote Spiralen schossen aus den Gittern auf Oggar zu und blieben wirkungslos an der umstrukturierten Hülle, bis sie wieder erloschen. Er hatte nun nichts mehr zu verlieren. Daß Hapeldan offenbar nur besondere Schutzmaßnahmen für den Sarg mit dem toten Varser darin getroffen hatte, war verwunderlich genug, bewies aber zugleich, wie sehr er Hedhergins Entdeckung fürchtete. Oggar richtete seine Waffe auf den Sarg und zerstrahlte den Öffnungsmechanismus. Der Deckel sprang auf. Oggar bückte sich blitzschnell und legte sich den Leichnam, der merkwürdigerweise nicht starr war, über eine Schulter. Er feuerte in die Energiegitter hinein, ohne die gewünschte Wirkung zu erzielen. Der ganze Erfolg bestand darin, daß sie näherrückten. Der Boden! meldete sich Carch aufgeregt. Uns bleibt nur der Weg
durch den Boden! Ein blaßgrüner Desintegratorstrahl löste den Belag auf, dann das darunterliegende Metall. Es ging zu langsam. Die strahlenden Gitter hatten den Androidenkörper fast schon erreicht, und Oggar vertraute nicht darauf, daß ihn nichts gefährden konnte, zumal Hedhergin den tödlichen Energien schutzlos ausgeliefert war. Im letzten Moment war der gefächerte Strahl durch die einen halben Meter dicke Platte hindurch. Das Loch war groß genug, um Oggar hineingleiten zu lassen. Er drückte den Leichnam fest an sich und ließ sich nach unten fallen. Während über seinem Kopf die Energiegitter zusammenschlugen, rief er sich in Erinnerung, daß sich unter der letzten Grabkammer kein Deck mehr befand, sondern der riesige Raum mit dem Ego-Transmitter des Zentralkegels. Eine Sekunde lang befand er sich im freien Fall. Dann fing das GravoAggregat den Sturz auf. Oggar schwebte über den Kugel- und Ringkonstruktionen der Transmitteranlage und suchte verzweifelt nach einem Weg hier heraus. Er mußte ihn sich weiter freischießen. Aber wie reagierte das Schiff darauf? Wir haben gar keine andere Wahl! drängte Sternfeuer, und in ihren Impulsen schwang Panik mit. Oggar feuerte auf eine beliebige Stelle der Wand.
* Die Dinge hatten sich anders entwickelt, als Chale und Takkar es sich erhofft hatten. Sofort nach der Ankunft auf Dynur hatten sie mit Zytarr Wenk Kontakt aufgenommen und ihn bei einer raschen Zusammenkunft über ihre Erlebnisse an Bord des fremden Raumschiffs unterrichtet. Es war ihm schwergefallen, an ihre Aussagen zu glauben, doch nachdem er alle Zusammenhänge erfahren hatte, mußte er es.
Die Mitglieder der OK auf Dynur waren besser auf den entscheidenden Schlag gegen den Varser vorbereitet, als Takkar geahnt hatte. Wenk bereitete in aller Eile eine Ansprache über alle Medien vor. Er begab sich in die Halle des Volkes, um dort vor dem versammelten Forum zu reden. Überall warteten seine Anhänger auf das Zeichen. Gripec versuchte unterdessen, durch gezielte Verunsicherung der EhrlichkeitsJäger deren Schlagkraft beim erwarteten Aufeinanderprall zu vermindern. Sie alle erwarteten die ersehnte Nachricht von Auktan, daß Oggar den Leichnam des echten Hedhergin gefunden und geborgen hätte. Statt dessen aber mußten sie von dem Vierarmigen nun hören, daß er keinen Kontakt mit seinem Freund mehr hatte und nicht mehr an dessen Rückkehr glaubte. »Ich fürchte«, sagte Insider aus dem Empfangsteil des kleinen überlichtschnellen Funkgeräts, »daß er im Zentralkegel umgekommen ist, denn er hat bis zu diesem Augenblick auf keinen meiner Anrufe reagiert. Nehmt eure Sache nun selbst in die Hand. Informiert die Bevölkerung. Ich versuche inzwischen, selbst in Hapeldans Schiff einzudringen.« Takkar und Chale waren schockiert. Ohne den echten Varser hatten sie keine Chance. Um so überraschter waren sie dann, als Wenk dennoch seine Rede halten wollte. Und er tat es. Die beiden Dynurer saßen mit anderen OK-Mitgliedern vor dem Videoschirm in einer Wohnung am Rand des Stadtzentrums, die der Organisation lange als Versteck gedient hatte. Zytarr Wenk stieg auf das Podium der Halle des Volkes und hielt eine flammende Rede gegen Monzelback Hedhergin. Stürme der Entrüstung brandeten auf, als er den Varser ultimativ aufforderte, sich den Dynurern zu stellen. Noch sagte er nichts von einem Fremden, der sich hinter dem Herrscher verbarg, doch er bekannte sich offen zur OK und deren Zielen, und als er Hedhergin nochmals aufforderte, im Volksforum zu erscheinen und Rede und Antwort zu stehen,
begann Takkar zu ahnen, was er vorhatte. Wenk verstand es, seine Worte so zu wählen, daß Hedhergin gar nichts anderes übrigblieb, als der Aufforderung Folge zu leisten, wollte er nicht seine Glaubwürdigkeit verlieren. Takkar drückte die Gefährtin an sich und hielt den Atem an, als die Übertragung aus dem Volksforum unterbrochen wurde und Hedhergins Gesicht übergroß auf der Bildfläche erschien. »Dynurer!« rief er pathetisch aus. »Ihr alle habt die lächerlichen Anschuldigungen eines geistig Verwirrten gegen mich gehört – und damit gegen unser Volk! Es wäre mir nun ein leichtes, Zytarr Wenk durch die Ehrlichkeitsjäger festnehmen zu lassen. Ich tue es nicht, weil ihr sehen sollt, daß sich die Wahrheit nicht vor den Lügen der Verräter zu verbergen braucht. Ich werde allen, die Zweifel an meiner Politik haben, im Volksforum Rede und Antwort stehen. Die Wahrheit wird siegen, und unser Volk wird wieder geeint und frei sein von den Elementen, die den Untergang vorbereiten! Diese Einigkeit ist nötiger als je zuvor, denn das fremde Raumschiff ist gekommen!« Takkar schrie auf. Hinter ihm sprangen Rebellen von ihren Sitzen und sprachen aufgeregt durcheinander. »Seid still!« rief Chale. »Ruhe, er spricht noch!« Weiß er es wirklich? dachte Takkar entsetzt. Weiß er von der Ankunft des Schiffes oder will er das Volk nur täuschen, es einschüchtern, um Zytarr schon jetzt kaltzustellen? »Das Raumschiff ist auf einem der äußeren Planeten gelandet, um unsere Zivilisation zu beobachten und dann anzugreifen, Dynurer!« rief Hedhergin. »Ich weiß, daß es noch Zeit braucht, und diese Zeit werden wir alle gemeinsam nutzen, um die Verräter unter uns zu eliminieren!« »Das ist ein Aufruf zum Bürgerkrieg!« entfuhr es Chale. »Ja«, sagte Takkar finster. »Und wenn es Zytarr nicht gelingt, ihn noch rechtzeitig bloßzustellen, wird er alle die Waffen gegen uns einsetzen, die er unter Vorwänden bauen ließ. Sie sind jetzt nicht auf
das Raumschiff gerichtet, sondern auf uns.« Wieder zeigte die Bildfläche das Volksforum, in dem es zu tumultartigen Szenen kam. Ehrlichkeitsjäger und Rebellen waren eingedrungen und lieferten sich erbitterte Kämpfe. Viele Dynurer lagen reglos am Boden. Die elf Mitglieder des Forums hatten sich in einen Nebenraum zurückgezogen, dessen Türen berannt wurden. Das änderte sich erst wieder, als Rotuniformierte die Halle stürmten und besetzten. Monzelback Hedhergin erschien und betrat mit würdevollen Schritten das Podium. Er drehte sich triumphierend um. »Dies ist die Saat des Verrats, Dynurer!« war seine Stimme aus allen Lautsprechern zu hören. »Wo ist nun Zytarr Wenk, der glaubte, mich herausfordern zu können?« Eine Tür öffnete sich. Wenk kam an der Spitze der Volksvertreter aufs Podium zurück. Die Mienen der anderen zehn Forumsmitglieder drückten nur allzu deutlich aus, was sie von seinem Vorstoß und Bekenntnis zur OK hielten. Hedhergin hatte sie in der Hand. Jedem von ihnen war die Machteinschränkung mit großzügigen Geschenken und Versprechungen versüßt worden. Wenk blieb drei Meter vor dem Herrscher stehen. Er hob den linken Arm und deutete anklagend auf sein Gegenüber. Das Gemurmel in der Halle erstarb. Unheilvolle Stille trat ein. Hedhergin lächelte seinen Kontrahenten überlegen an. »Seht alle her!« rief dieser. »Der Mann, den ihr alle für euren Varser haltet, ist nicht Monzelback Hedhergin!« Neue Empörung brandete auf. Ehrlichkeitsjäger drängten ihre entrüsteten Gesinnungsgenossen zurück, ohne verhindern zu können, daß einige auf das Podium sprangen und sich auf Wenk stürzten. Dann sahen Milliarden Dynurer, wie Zytarr Wenk die Angreifer abwehrte, blitzschnell einen Entzugsschocker aus einer Tasche zog und auf den Varser richtete. Takkar sprang auf. Er hatte es gewußt, und gleich würde niemand
mehr die Wahrheit leugnen können. Takkar wartete auf den Schuß und Hedhergins Reaktion. Die Bildfläche verdunkelte sich von einem Augenblick auf den anderen. »Sie haben abgeschaltet!« schrie jemand wütend. Takkar hörte es kaum, denn in diesem Moment flog die Tür auf, und bewaffnete Ehrlichkeitsjäger stürmten in die Wohnung. Sie ließen den völlig überraschten Rebellen keine Chance. Der Fremde in Hedhergin hatte sich niemals Wenks Beschuldigungen stellen wollen! dachte Takkar verzweifelt, als er kraftlos am Boden lag. Es war nur ein Vorwand! Nun hat er die Macht! Durch ein offenes Fenster drang der Kampfeslärm von den Straßen herein. Zum erstenmal in ihrer Geschichte bekriegten sich Dynurer untereinander. Takkar hatte keine Hoffnung mehr. Alles war verloren – und die Fremden konnten nicht helfen.
* In der Halle des Volkes ahnte Zytarr Wenk nichts davon, daß die Übertragung unterbrochen worden war. Er war sich eines millionenfachen Publikums gewiß, als er die Waffe auslöste. Die Tobenden erstarrten. Ungläubige Blicke verrieten höchstes Entsetzen – doch nicht allein über die von einem Mitglied des Forums begangene Ungeheuerlichkeit. Sie erwarteten, den Varser fallen zu sehen. Geheimpolizisten wie Rebellen, Anhänger oder nichtorganisierte Gegner der Machtpolitik – sie alle hatten gesehen, wie Monzelback Hedhergin vom Strahl des Schockers voll getroffen worden war. Er stand vor Wenk und starrte den Gegner nur an. Wenk gab einen weiteren Schuß ab. Niemand wollte ihn mehr daran hindern.
»Seht genau hin!« rief er in die Menge. »Dieser Mann ist nicht unser Varser! Er ist nicht einmal ein Dynurer – oder hat jemals ein Dynurer den Schockentzug seiner Vitalenergien so wohlbehalten überstanden? Hinter dieser Fassade verbirgt sich ein Wesen, das viele von euch bereits kennen, der grüne Zwerg aus euren Träumen! Ich sage euch auch noch seinen Namen: Dieser Fremde in der Gestalt unseres Varsers heißt Hapeldan!« »Nein!« schrie der Beschuldigte auf. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er sich auf Wenk stürzen. »Nein! Hört nicht auf ihn! Er kann nicht wissen, wie ich …« Er verstummte, begriff seinen Fehler. Hapeldan blickte in die Waffenmündungen seiner eigenen Geheimpolizei. Die Forumsmitglieder wichen vor ihm zurück und scharten sich um Wenk. Ehrlichkeitsjäger und OK-Rebellen bewegten sich wie eine Mauer aus Hunderten von Leibern auf den Entlarvten zu. Hapeldan riß einen Strahler unter dem Umhang hervor und zog mit der gleißenden Energiebahn eine Linie quer über den Boden vor sich. »Wer mir näherkommt, stirbt!« schrie er. »Du hättest meinen Namen nicht nennen sollen, Zytarr Wenk! Nur von ihnen konntest du ihn erfahren, und ich weiß jetzt, daß sie hier sind! Du hast mir einen großen Gefallen getan, Wenk!« »Ergreift ihn!« rief jemand aus der Menge. »Er hat uns jahrelang betrogen und war bereit, die Sterne zu einem Schlachtfeld zu machen!« Einige Mutige stürmten vor. Hapeldan erschoß sie ohne weitere Warnung. Die Dynurer wichen entsetzt zurück. Hapeldan feuerte weiter, tötete jeden, der ihm nicht schnell genug aus dem Weg kam. Als die ersten Mitglieder seiner Spezialgarde die eigenen Energiewaffen auf ihn abfeuerten, war er bereits bei einem der Ausgänge. Die Schüsse schlugen neben ihm in die Wände, in der Erregung viel zu schlecht gezielt. Der falsche Varser verschwand. Hinter ihm glitt eine Tür zu.
»Zurück!« rief Wenk die Aufgebrachten zur Besinnung. »Bringt nicht auch eure Leben noch in Gefahr! Der Fremde kann nirgendwohin mehr fliehen! Niemand wird ihm mehr helfen! Jeder Dynurer weiß nun, wer …« Er wurde unterbrochen, als eine Frau an seine Seite kam und ihm etwas zuflüsterte. Wenk ballte die Fäuste. »Wie ich soeben erfahre, wurde die Übertragung unterbrochen, bevor ich den falschen Varser überführen konnte! Meine Leute sind dabei, die von Ehrlichkeitsjägern zertrümmerten Sendeanlagen wieder zu reparieren. Es kann noch Stunden dauern. Bis dahin werden wir uns in der Halle des Volkes zu verschanzen und gegen die Rasenden zu verteidigen haben, die in den Straßen kämpfen! Wer von euch ein Funkgerät bei sich trägt, soll so vielen Stationen wie möglich berichten, was hier geschah. Ich werde jetzt die Anweisung geben, den Regierungspalast abzuriegeln, denn nur dieser kann noch Hapeldans Ziel sein! Nur von dort aus kann er die Forts auf den Planeten aktivieren!« »Du sollst unser neuer Varser sein!« rief jemand, und fast alle anderen fielen in den Ruf ein. »Führe uns zum Palast! Wir wollen uns hier nicht verstecken, wenn unsere Brüder und Schwestern draußen kämpfen!«
* Hapeldan verließ die Halle des Volkes nicht als Monzelback Hedhergin. Er wußte, daß er nun selbst von seiner Garde keine Hilfe mehr zu erwarten hatte. Als er auf die von Kämpfenden überfüllten Straßen hinaustrat, trug er keinen Umhang mehr und hatte sich eine der beiden Perücken vom Kopf gerissen. Sein Haar war nun kürzer und schimmerte in einer anderen Farbe. Die ebenfalls schnell veränderte Hauttönung wies ihn als einen Kolonisten von Zhetet aus.
Hapeldan kannte nur ein Ziel. Oggar war gewarnt wie er. Vielleicht hatte er sogar schon den Zentralkegel entdeckt. Er würde nicht tiefer in den Kugelsternhaufen einfliegen, wenn er von den Forts auf den Planeten wußte. Doch er würde ihn so oder so finden, wenn es ihm nicht schnell genug gelang, sich in den Zentralkegel abstrahlen zu lassen. Und sollte der verhaßte Gegner dort wider Erwarten eingedrungen sein, war dies sein sicheres Ende. Auch er konnte den Gewalten nicht widerstehen, die Hapeldan in seinem Schiff zu entfesseln vermochte. Er erreichte den Regierungspalast gerade noch rechtzeitig. Wenks Rebellen rückten an, zwischen ihnen Geheimpolizisten und selbst Gardemitglieder. Hapeldan schlüpfte unerkannt durch eine Geheimtür. Die Waffenschaltzentrale interessierte ihn nicht mehr. Er fand rasch, wonach er suchte, und aktivierte den Ego-Transmitter. Im nächsten Moment fand er sich im Zentralkegel wieder, riß sich die lästige Verkleidung vom Leib und eilte zum nächsten Computeranschluß. Der Molaate stieß einen Wutschrei aus, als er erfuhr, daß Oggar in seinem Schiff gewesen war und den Sarg geöffnet hatte, in dem der echte Hedhergin gelegen hatte. Doch auch das konnte ihm nun egal sein. Oggar war es gelungen, aus dem Zentralkegel zu entkommen. Der Raub Hedhergins ließ darauf schließen, daß er mit diesem nach Dynur wollte, um seinen, Hapeldans Sturz einzuleiten. Wenk hatte dann auf ihn gewartet und die Nerven verloren, als er nicht rechtzeitig erschien. Oggar durfte es nicht wagen, mit seinem HORT nach Dynur zu fliegen. Hapeldan rechnete sich eine Chance aus, den verlassenen HORT vor Oggars Rückkehr zu finden und zu vernichten. Diese Hoffnung mußte er fallenlassen, kaum daß er seine Zentrale erreicht und sich einen Überblick über die Zerstörungen im Zentralkegel verschafft hatte. Kein wichtiger Bereich war in Mitleidenschaft gezogen worden. Oggar hatte lediglich einige
Wände durchschossen und dann durch eine Schleuse entkommen können. Hapeldan ließ den Zentralkegel steigen, und als er über die Wände des Kessels und die dahinterliegenden Felskämme blicken konnte, sah er den HORT wenige hundert Meter über der Oberfläche schweben und in seine Schutzschirme gehüllt. »Du hast also auf mich gewartet!« schrie er. »Aber du hast noch nicht gesiegt!«
* An Bord des HORTS herrschte gespanntes Warten. Oggar hatte alle Defensivsysteme aktiviert, nachdem von Insider ein nur kurzer Hyperfunkspruch von Dynur aufgefangen worden war. Takkar, von einem Trupp OK-Mitglieder gefunden und wiederbelebt, konnte davon berichten, daß zwar Hapeldan entlarvt worden sei, auf Dynur aber ein Bürgerkrieg tobte, denn die große Mehrheit der Bevölkerung wußte noch nichts von den Ereignissen im Forum. »Er wird sich hierher flüchten«, sagte Oggar immer wieder, und ebenso oft wurde ihm von Insider vorgehalten, daß er sich aus dem Zentralkegel nicht über Funk gemeldet hatte. »Du weißt, woran es lag«, antwortete er zum letztenmal darauf. »Etwas verhinderte, daß ich deine Anrufe empfing. Und ich habe einfach vergessen, mich zu melden. Ich gebe es zu, und jetzt laß mich damit in Ruhe.« »In Ruhe lassen! Du machst es dir einfach. Ist dir schon einmal eingefallen, daß ich mir Sorgen machen könnte? Fast wäre ich mit dem HORT zum Zentralkegel …« Er verstummte, als Oggar die Hand hob. Insider blickte von Hedhergins Leichnam auf und sah das Leuchten über dem Talkessel. Langsam stieg der Zentralkegel in die Höhe.
»Er ist da«, sagte Oggar, nun völlig ruhig. »Mnemodukt, du weißt, worauf es nun ankommt. Wir greifen an, aber sein Schiff darf nicht entscheidend getroffen werden. Ich habe an Bord einen Kontakter versteckt. Dieses kleine Gerät wird einen nur von mir wahrnehmbaren Impuls aussenden, sobald Hapeldan in die Nähe der Aura von Hidden-X gelangt.« »Und was ist, wenn er uns entscheidend trifft, wie du das nennst?« kam es von Insider. »Das Mnemodukt wird es zu verhindern wissen.« Und es tat es. Kaum war der Zentralkegel ganz aus der Schlucht heraus, eröffnete der HORT das Feuer. Hapeldan bekam gar keine Gelegenheit, einen Angriff vorzutragen. Die ersten Strahlbahnen schlugen in seine Schutzschirme ein. Der HORT trieb den Zentralkegel regelrecht vor sich her. Der ungleiche Kampf verlagerte sich in den Weltraum. Die wenigen Gegenschläge wurden von den Abwehrsystemen des Doppeldiskus mühelos aufgefangen. Hapeldan ergriff die Flucht. Oggar jagte ihn, bis er seine Spur aus der Ortung verlor, schon Lichtjahre vom Rand Auxonias entfernt. Erst dann befahl er dem Mnemodukt die Umkehr. »Du läßt ihn ziehen?« fragte Insider ungläubig. »Der Kontakter ist entfernungsunabhängig«, erklärte das Mischwesen. »In dem Augenblick, in dem sich der Zentralkegel dem Flekto-Yn nähert, werde ich es wissen – und auch seine Position kennen. Jetzt gibt es hier noch etwas für uns zu tun.« Nur eine knappe Stunde später landete der HORT auf Dynur. Zytarr Wenk hatte über das inzwischen wiederhergestellte Videonetz abermals zur Bevölkerung gesprochen. Die Kämpfe waren abgeflaut und legten sich endgültig, als Oggar den Leichnam des echten Varsers vor den Kameras präsentierte. Nach einigen von Wenk, Takkar und Chale abgegebenen zusätzlichen Erklärungen legte sich auch die Panik über das Erscheinen des fremden
Raumschiffs. Die Befreiung von Hapeldan wurde nicht gefeiert. Zu sehr schämten sich die Dynurer ihrer selbst. Und auch Wenk war nicht in überschwenglicher Laune, als er Oggar vor der Stadt verabschiedete. »Ich bin zum neuen Varser ernannt worden«, sagte er gedehnt. Jede seiner Bewegungen ließ die Last der Verantwortung spüren, die ihm mit diesem Amt auferlegt war. »In Zukunft wird wieder das Volk über sich selbst bestimmen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, nicht allein im Universum zu sein, und daß es nicht nur unsere Sterne gibt. Vielleicht finden wir eines fernen Tages einen Weg, die Große Leere zu überwinden, Oggar. Ganz gleich aber, was uns die Zukunft bringt, wir alle sind dir und deinem Freund zu großem Dank verpflichtet.« Oggar reichte ihm wortlos die Hand. Dann nahm er Abschied von Chale, Takkar und Gripec. Nun sage ihnen doch noch etwas Nettes! meldete sich Carch. »Ich wünsche euch all das Glück, das ihr gebrauchen könnt«, kam das Mischwesen der völlig unnötigen Aufforderung nach. »Ich wäre gern noch etwas länger bei euch geblieben, aber die Umstände erlauben es nicht. Ihr habt euren Frieden gefunden, ich hingegen noch nicht.« »Auch dir Glück«, wünschte Chale. Oggar winkte ihnen ein letztes Mal zu. Wieder an Bord des HORTS, als schon Auxonia nur noch ein Nebelfleck auf den Schirmen war, meckerte Insider. »Du hättest ihnen wenigstens ein Geschenk zurücklassen sollen.« Oggar lächelte. »Habe ich das nicht? Sie haben das tragbare Hyperfunkgerät und werden es studieren. Ich bin sicher, daß es ihnen dabei helfen wird, den Schritt zur überlichtschnellen Raumfahrt zu tun. Außerdem gab ich Chale und Takkar ein Abspielgerät mit so vielen Spulen, daß sie Tage damit zu tun haben werden, sich an den Bildern von anderen
Welten zu erfreuen.« »Die eigentlich nur eine sind, nämlich die Landschaft im Nichts.« »Welchen Unterschied macht das für sie?« Damit wandte Oggar sich ab und holte die Schatulle aus der auf einem Pult abgelegten Gürteltasche. »Was ist das schon wieder?« fragte Insider. »Das Logbuch der SOL. Nimm es vorläufig an dich, und wenn du wieder nicht weißt, was du tun sollst, dann lies darin. Vielleicht ist es für lange Zeit das einzige, das uns mit Atlan und der SOL verbindet.« Vielleicht auch für immer, dachte er. Etwa zehn Jahre! Genauer konnte die Zeitverschiebung nicht definiert werden. Auch dies war etwas, was der Klärung bedurfte. Oggar setzte sich. Der HORT jagte mit hoher Überlichtgeschwindigkeit in jene Richtung, in die Hapeldan geflohen war. Wieder ließen sich in dem betreffenden Leerraumsektor keine Besonderheiten entdecken. Oggar war ruhiger als vor dem Erreichen Auxonias. Was dort geschehen war, hatte gezeigt, daß er vor allem Geduld brauchte. Doch irgendwann, das wußte er mit absoluter Sicherheit, würde er den Impuls des Kontakters wahrnehmen. Dann schlug seine Stunde.
ENDE
Schauplatz des nächsten Atlan-Bandes ist wieder das Sternenuniversum. Nach der Schlacht um Aqua folgt die SOL den Ortungsimpulsen des übriggebliebenen Schiffes der EINZIGEN. Solcherart erreicht man das GersSystem – und greift entscheidend in das dortige Geschehen ein. Mehr zu diesem Thema erzählt Hans Kneifel im Atlan-Band 571. Der Roman erscheint unter dem Titel:
RETTER DER UNGEBORENEN