Klaus Dörre · Bernd Röttger Im Schatten der Globalisierung
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Klaus Dörre · Bernd Röttger Im Schatten der Globalisierung
Forschung Gesellschaft
Klaus Dörre · Bernd Röttger unter Mitarbeit von Birgit Beese
Im Schatten der Globalisierung Strukturpolitik, Netzwerke und Gewerkschaften in altindustriellen Regionen
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
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1. Auflage Dezember 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-14995-0
Inhalt
Stichwortverzeichnis.......................................................................................... 9 Vorwort............................................................................................................. 13 1.
2.
3.
Einleitung: Im Schatten der Globalisierung – Aufbruch in den Regionen? ................................................................................................. 1.1 Problemstellung, Hypothesen ............................................................ 1.2 Theoriebezüge und Begriffsbestimmungen ....................................... 1.3 Sample, Methoden, Aufbau der Studie .............................................. Altindustrielle Regionen im radikalen Strukturwandel ....................... 2.1 Megatrends und ihre Durchsetzung in altindustriellen Regionen – ein Analyseraster ............................................................ 2.2 Der regionale Strukturwandel im Vergleich ...................................... 2.2.1 Dortmund: der lange Abschied vom Dreiklang „Stahl-Kohle-Bier“ ................................................................. 2.2.2 Nürnberg: Krise der Elektroindustrie und konzernabhängige Reorganisation .......................................... 2.2.3 Chemnitz: von der Maschinenbau- zur „Automobilregion“? . 2.3 Triebkräfte eines radikalen Strukturwandels...................................... Netzwerkanalyse: Struktur, Organisationsform und Austauschbeziehungen regionaler Kooperationsverbünde .................. 3.1 Konzeptionelle Grundlagen: Netzwerkbegriff, Kriterien der Analyse ......................................................................... 3.2 Die Entstehung regionaler Kooperationsstrukturen: Prozesse, Akteure, Ziele..................................................................... 3.2.1 Dortmund: ein mikroregionaler Konsens................................ 3.2.2 Nürnberg: ein regionalpolitischer Kompromiss ohne inhaltlichen Konsens ...................................................... 3.2.3 Chemnitz: Netzwerkkonkurrenz statt Kompromiss und Konsens ...........................................................................
15 16 20 25 31 31 35 36 43 50 55 63 64 69 69 73 76
Inhalt
6
3.3 Struktur, Leistungen und Funktionen regionaler Netze im Vergleich ............................................................................ 3.3.1 Neue kollektive Akteure ......................................................... 3.3.2 Scharnierpersonen und Zugehörigkeiten ................................ 3.3.3 Strukturierung der Binnenbeziehungen .................................. 3.3.4 Verknüpfungstechnologie, Personen- und Systemvertrauen .. 3.3.5 Gestaltung der Außenbeziehungen, Regime der Akzeptabilitätsbedingungen.................................................... 3.4 Veränderungsdynamiken und Lernprozesse in regionalen Netzwerken ...................................................................... 3.4.1 Pfadspezifik und Phasen der Netzwerkevolution.................... 3.4.2 Schlussfolgerungen: auf dem Weg zur „Netzwerkgewerkschaft“? ...................................................... 3.4.3 Schlussfolgerungen für das „Netzwerkmanagement“............. 4.
5.
Politikfeldanalyse I: Wirtschaftsförderung, Clusterpolitik, regionale Governance ............................................................................ 4.1 Cluster, Clustermanagement und Clusterpolitik – eine Begriffsbestimmung ................................................................. 4.2 Regionale Wirtschaftsförderung: Clusterbildung, Kompetenzinitiativen, Fördertopfnetzwerke.................................... 4.2.1 Der Dortmunder Cluster-Ansatz ........................................... 4.2.2 Die Nürnberger Kompetenzinitiativen.................................. 4.2.3 Blockierte Clusterbildung in Chemnitz ................................ 4.3 Wirtschaftsförderung, Kompetenzfeld- und Clusterpolitik im Fallvergleich .................................................................................... 4.3.1 Verbindlichkeit von Leitbildern und beschäftigungspolitischen Zielen.......................................... 4.3.2 Politischer Kontext, Förderkulisse und regionale Wirtschaftsförderung ............................................................ 4.3.3 Wissenstransfer und Clusterentwicklung.............................. 4.3.4 Veränderungen im Regulationsdispositiv ............................. 4.4 Schlussfolgerungen .......................................................................... 4.4.1 Leistungen und Grenzen regionaler Clusterpolitik ............... 4.4.2 Von Partizipationsmöglichkeiten und Beteiligungsfallen.....
80 80 82 85 87 91 92 93 96 98
101 103 106 106 112 118 120 121 123 127 130 134 135 138
Exkurs: Globalisierungsprofile und die Bindekräfte der Regionen........................................................................................... 141 5.1 Globalisierung und Archipelökonomie ............................................ 141 5.2 Regionen in der Archipelökonomie – ein Vergleich........................ 144
Inhalt
7
5.2.1 Nürnberg: Konzernabhängigkeit und Grenzen der Regionalisierung ................................................................... 5.2.2 Dortmund: Globalisierung als Neupositionierung in der internationalen Arbeitsteilung............................................... 5.2.3 Chemnitz: Globalisierung als fragile Lokalisierung ............. 5.3 Regionale Bindungen von New-Economy-Netzwerken .................. 5.3.1 Neconet Nürnberg................................................................. 5.3.2 mybird Dortmund ................................................................. 5.3.3 KITD-Chemnitz.................................................................... 5.4 Schlussfolgerungen: das Globalisierungs-RegionalisierungsParadox ............................................................................................ 6.
7.
Politikfeldanalyse II: Regionale Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik............................................................................. 6.1 Arbeitsmarkt und Prekarisierung der Arbeitsgesellschaft................ 6.2 Zwischen Beschäftigungsfokus und Erwerbslosenarbeit: gewerkschaftliche Gestaltungsansätze in den Regionen .................. 6.2.1 Dortmund.............................................................................. 6.2.2 Nürnberg............................................................................... 6.2.3 Chemnitz............................................................................... 6.3 Probleme und Perspektiven regionaler Arbeitsmarktund Beschäftigungspolitik................................................................ 6.3.1 Problemdimensionen ............................................................ 6.3.2 Perspektiven.......................................................................... Politikfeldanalyse III: Betriebliche Modernisierung und Sanierung ........................................................................................ 7.1 Der veränderte Problemkontext gewerkschaftlicher Arbeitspolitik ................................................................................... 7.2 Betriebliche Modernisierung und Sanierung in der Praxis............... 7.2.1 Nürnberg: Partizipative Modernisierung und Beratung........ 7.2.2 Dortmund: Gewerkschaftliche Betriebspolitik und „gute Arbeit“.................................................................. 7.2.3 Chemnitz: Sanierung im Konsens......................................... 7.3 Modernisierung und Sanierung unter widrigen Bedingungen – fallübergreifende Schlussfolgerungen.............................................. 7.3.1 Fallübergreifende Befunde ................................................... 7.3.2 Schlussfolgerungen...............................................................
144 153 157 162 163 165 167 169 173 173 177 178 183 189 194 195 197 203 203 206 206 212 215 222 222 225
Inhalt
8
8.
9.
Radikaler Strukturwandel und die Krise der gewerkschaftlichen Repräsentation ....................................................................................... 8.1 Doppelcharakter von Gewerkschaften und Identitätsprobleme ....... 8.2 Elemente regionaler Gewerkschaftsidentitäten ................................ 8.3 Die Repräsentationskrise der Gewerkschaften................................. 8.3.1 Anhaltende Mitgliederverluste, ungenutzte Potentiale ......... 8.3.2 Ursachen der Repräsentationskrise ....................................... 8.3.3 Der Ohnmachtszirkel gewerkschaftlicher Desorganisation .. 8.4 Umrisse neuer Gewerkschaftsidentitäten, Solidaritäts- und Organisationsformen........................................................................ 8.4.1 Organizing in neuen Bereichen – Ansätze und Schwierigkeiten................................................ 8.4.2 Identitätskonflikte: Kompetitive versus Bewegungssolidarität? .......................................................... 8.5 Schlussfolgerungen .......................................................................... 8.6 Exkurs: Aktionsforschung und die Rolle der Wissenschaft ............. Der Blick vom Turm: Lässt sich radikaler Strukturwandel steuern? .................................... 9.1 Globalisierung und Regionalisierung: Was ist Steuerung, wie wird sie möglich? ...................................................................... 9.2 Die Rolle der Gewerkschaften ......................................................... 9.3 Globales und Lokales im Finanzmarkt-Kapitalismus ...................... 9.4 Perspektiven regionaler Strukturpolitik ...........................................
229 230 236 242 242 246 253 255 255 260 265 269 273 274 280 283 289
Literaturverzeichnis ...................................................................................... 293
Stichwortverzeichnis
Akkumulationsregime 20f. Altindustrie 20, 28, 35, 38, 42, 49, 55f., 58, 60f., 93, 153, 170, 173, 196 Angebotspolitik 22 Arbeit 15, 42f., 64, 66, 71, 74, 77ff., 91, 95, 97, 108, 110ff., 114, 116, 118, 120, 124, 128, 148, 152, 163, 177f., 180, 182, 187f., 190, 192, 198, 200, 203ff., 210ff., 217, 225ff., 237, 241, 249ff., 254, 257f., 260, 267, 278, 282, 289 gute 91, 207, 212, 215, 225ff., 258 Arbeitsbeziehungen 21, 24, 34, 73, 147, 151f., 211, 223, 225, 285, 288 Arbeitskampf, Arbeitskonflikt 50, 73, 179, 246, 286f. Arbeitsmarkt 84, 86, 97, 126, 173, 176f., 185, 194, 196, 251, 262 Arbeitsmarktpolitik 133, 173, 187f., 194, 200, 204, 270, 282f. Arbeitsorganisation 210, 213f., 216, Arbeitspolitik 203f., 212, 215, 226ff., Arena, 67, 77, 82, 83, 87, 99, 230, 278, 291 regionale 65, 67, 77, 99, politische 82, 291 Beschäftigung 32, 40, 52, 91, 101, 175, 177f., 183f., 188f., 191, 193, 220, 227, 232, 258, 266, 278 Beschäftigungsabbau 40, 42, 51ff., 55f., 73, 173, 212, 231 Beschäftigungsgesellschaft 23, 63, 71, 77f., 148, 173, 179ff., 184f., 187, 189ff., 195f., 198, Beschäftigungspolitik 22, 30, 75, 108, 121, 133, 173, 183, 186, 194f., 197, 199,
Beteiligung 17, 20, 28, 60, 65f., 71f., 77, 80, 93ff., 105, 125, 137f., 140, 152, 194, 208, 228f., 232f., 261, 263ff., 282, 290 Beteiligungsfalle 138 Betrieb 26, 28f., 37, 39, 42f., 45, 49ff., 68, 77, 84, 87, 90f., 99, 104, 115, 118, 122, 138, 148, 151f., 154f., 157, 161f., 165, 169f., 174, 177, 182, 184, 186, 192, 206, 209ff., 214f., 219ff., 239, 250, 252, 259 Betriebsrat 25ff., 52, 73, 78, 96, 99, 105, 124, 138, 139, 147ff., 162f., 166f., 180, 186ff., 1977, 208f., 211ff., 217, 220ff., 251f., 257, 259, 285 Branchen, 19, 28, 33, 34, 36, 38, 40f., 43, 45f., 48, 50f., 53f., 56, 58, 72, 76, 79, 82, 102, 104, 105, 107f., 117, 127f., 132, 136, 142, 153, 165, 181f., 212f., 241, 251, 255, 258f., 264, 266, 269, 277f., 281f. Elektrotechnik 49, 41ff., 48f., 54, 58, Stahl 37, 45, 58, 274 Maschinenbau 29, 41, 48, 50f., 53ff., 58, 77, 120, 125, 216, 221, 258 Automobil 29, 55, Branchenstruktur 70, 102ff., Bündnis für Arbeit 71, 95, 812 Cluster 95, 103f., 106, 108, 112, 116, 125, 130, 135, 139, 143, 154, 291 Clusteransatz 84, 103, 105f., 121, 135, 137, 141, Clustermanagement 103, 136, Clusterpolitik 17, 30, 101, 103, 106, 117, 120, 124, 127f., 131, 135, 137ff., 270, 289
10 Demokratisierung 228, 264, 279 Dezentralisierung 61, 98, 251, 286 DGB 13, 28, 69ff., 74, 82f., 85, 87, 98f., 107f., 123, 135, 139, 179f., 182, 189, 199, 234f., 240, 242ff., 249, 255f., 268, 270, 274, 281, 289f. Dienstleistungen 29, 31f., 34, 39f., 42f., 46ff., 49, 53ff., 60, 77, 108f., 119, 133, 147, 157, 163, 173, 181, 196, 279 Fertigung 49, 148f., 152, 155, 158f., 161, 211, 217, 279 Flexibilisierung 98, 222, 228, Fordismus 21, 226, Geschäftsführung 111, 113f., 125, 149f., 167, 185f., 200, 208, 218, 223, Gewerkschaft 21f., 24, 30, 34, 98f., 103, 105, 108, 110ff., 115ff., 120ff., 125, 134, 138ff., 147, 151, 54, 164, 167, 169ff., 173, 177ff., 181f., 186ff., 193, 195f., 202, 212, 221, 223f., 236f., 240, 244, 247f., 252, 256f., 265, 279, 282 Globalisierung 13, 15ff., 23f., 30f., 54, 64f., 102, 104, 141, 143ff., 153, 157, 162, 169, 174, 236, 238, 262f., 274f., 283f. Globalisierung und Regionalisierung 143f., 274 Hegemonie 88, Herrschaft 68, 83, 264 IG Metall 13, 28, 45, 71, 73ff., 82f., 85ff., 90, 92ff., 99, 107, 112, 114f., 117f., 120, 122f., 125f., 128, 138f., 147f., 151, 154, 179ff., 185ff., 208f., 211ff., 217ff., 228f., 234f., 238fff., 243ff., 251f., 256f., 259, 261, 263, 266f., 270, 289, 291 Industriepolitik 118, 125, 290 Informational Economy, 31, 33f., 36, 38, 42, 47ff., 55ff., 60, 64, 112, 143, 154, 155, Informationstechnologie 33, 60, 72, 109, Innovation 15, 64, 75, 77, 91, 102, 123, 127, 133, 137, 222,
Stichwortverzeichnis
Internationalisierung 20, 23f., 31, 37, 153, 156f., 266 Kompetenzinitiative 75, 84, 94, 106, 112ff., 122, 127, 131ff., 135ff., Kompromiss 24, 29, 68, 73, 76, 79, 89, 91f., 132 Konflikt 29, 67f., 79, 81f., 93, 167, 186f., 199, 232, 238, 240f., 248, 250 Konzern 37f., 45, 50, 52, 55, 71, 73, 98, 107, 117, 136f., 141, 144ff., 149, 151ff., 157ff., 162, 169, 176, 181, 209, 222, 285 Kooperation 13, 65ff., 69, 72, 77ff., 84f., 88, 90, 92, 105, 116, 124, 126, 131, 136, 150, 156, 164, 168f., 171, 188f., 191f., 195, 202, 209, 211, 216, 220, 224, 230, 232, 240f., 264, 277 Korporatismus 15, 109 Krise 19, 30ff., 37, 39, 43ff., 53, 57, 74, 91, 101, 108, 113, 115, 139, 145f., 152f., 163, 165f., 203, 210, 213, 217, 220f., 239, 229, 231, 245, 251, 253f., 266, 282 Leitbild 16, 33, 38f., 49, 60, 76, 79, 82, 119ff., 125, 127, 160, 203, 205, 207, 225f., 275 Lenkungsausschuss 211 Macht 68f., 170 Management 53, 63, 98, 114, 133, 136, 147ff., 151f., 167, 170, 186, 204, 211, 218, 226, 261, 288 Markt 52, 61, 64, 71, 82, 109, 127, 147f., 150, 155f., 164, 166, 168, 184, 187f., 191, 196, 207, 213, 226, 233, 240f., 260, 266, 287 Mitbestimmung 147, 171, 225, 230, 261 Modernisierung 30, 34, 58, 73, 77, 84, 87, 93, 102, 109, 119, 124, 126, 130, 132, 183, 203, 206, 210, 212ff., 216, 220, 222, 224ff., 276, 280 Netzwerk 23, 63ff., 72, 74, 78, 80, 82ff., 89ff., 105, 109ff., 113, 123ff., 136, 143, 152, 162ff., 166f., 171, 180, 193, 209, 212, 215, 267, 284, 288 Netzwerkgesellschaft 64
Stichwortverzeichnis
Netzwerkgewerkschaft 63, 96 New Economy 33, 42, 47, 49, 108, 112, 141, 156, 162f., 165ff., 171, 214, 245, 251 Niedriglohn 177 Organizing 224, 255, 267f. Partizipation 69, 126, 138, 156, 254, 280f. Prekarisierung 173, 195, 205, 266 Produktion 13, 16, 18, 23, 52, 75, 84, 102, 113, 145ff., 150, 153, 156, 158f., 161, 170, 204, 217, 228, 231, 253, 269, 274, 278, 285ff. Produktionsweise 37, 174, 197, 228, Produktivität 32 Profit 240 Public Private Partnership 110, 116, Qualifizierung 74, 76, 79, 108, 111, 152, 169, 207, 232, 258f., 276 Rationalisierung 58 Region 23, 25, 31ff., 36, 39, 42ff., 50, 53, 55ff., 59ff., 66, 68, 71f., 75., 78ff., 85, 87, 95ff., 99ff., 110ff., 116f., 119f., 124, 126ff., 131ff., 141ff., 151ff., 161ff., 177, 180, 189f., 207, 209, 216f., 217, 221, 239, 244, 247, 252, 259, 268ff., 274f., 277, 284, 290 regionale Strukturpolitik 27, 31, 55, 73, 79, 87, 98, 101, 105, 121f., 130, 133, 140, 156, 221f., 241, 249, 258, 266, 277, 289ff. regionale Wirtschaftsförderung 30, 101f., 105f., 118, 123, 126, 128, 130f., 133f., 141 Regionalpolitik 17, 44, 81ff., 91ff., 96, 104, 124, 139, 149, 240 Regulation 16, 18, 21f., 24, 26f., 43, 200, 281, 288 Regulationsdispositiv 22f., 130ff., 137 Reorganisation 34, 45f., 49, 52, 55, 58, 60, 74, 141, 148, 160f., 211f., 248, 251, 270 Repräsentation 19, 30, 229, 245, 253f., 266f.
11 Repräsentationskrise 229, 242, 245f., 265, 268 Shareholder-Value 151, 153, 170, 222, 241 Solidarität, 65, 95, 171, 232, 260f. kompetitive 232, 260 Standortpolitik 44, 118, Standortverlagerung 114, Steuerung 40, 59, 64f., 119, 122, 138, 151, 152, 222, 265, 274f., 278, 281 Streik 71, 212, 234 Strukturpolitik 18ff., 24, 27f., 32, 44, 55, 65, 69ff., 76f., 79ff., 87, 92ff., 98f., 101, 103, 105, 119ff., 130, 133, 138ff., 145, 152, 156, 170, 178, 190, 205f., 208f., 215, 221f., 229, 232, 234, 236ff., 249ff., 255, 258, 260f., 264ff., 277, 279ff., 289ff. Strukturwandel 13, 17ff., 24, 28, 30, 32f., 35, 38f., 42ff., 46, 49, 51, 53ff., 63, 67, 69, 73, 75f., 81f., 86, 103f., 106, 108, 153, 158, 174, 177f., 196f., 212, 229, 241, 246, 253, 265, 273ff., 280 radikaler 13, 20f., 63, 69, 196, 229, 265 Tarif 219 Taylorismus 205 Verbetrieblichung 223 Vertrag 161, 221 Vertrauen 88f., 166, 257 Wettbewerb 16, 21, 81, 110, 124f., 187, 247, 260, 274 Wettbewerbsregionalismus 19, 22, 24, 81, 94, 120, 261f., 291 Wissensarbeit 42, 45, 56
Vorwort
Seit geraumer Zeit entwickeln sich alte Industrieregionen und ihre Akteure im Schatten der Globalisierung. Das häufig zu vernehmende, gleichwohl monotone Lied von der vermeintlichen Inflexibilität des einst so gepriesenen „Modell Deutschland“ ignoriert die dramatischen Umbrüche, die sich seit Jahren in diesen Regionen vollziehen. Welche Chancen haben solche alten Industrieregionen, einen radikalen Strukturwandel zu bewältigen? Lässt sich dieser Wandel in irgendeiner Weise industriepolitisch beeinflussen? Wie können regionale Netze und die in ihnen aktiven Gewerkschaftsgliederungen erfolgreich intervenieren? Wir sind diesen Fragen im Rahmen einer seitens der Hans-Böckler-Stiftung und des Landes Nordrhein-Westfalen finanzierten Studie nachgegangen, die die altindustriellen Regionen Chemnitz, Dortmund und Nürnberg vergleichend untersucht. Die Idee zu dieser Studie entstand in gemeinsamen Diskussionen mit dem Nürnberger IG Metall-Bevollmächtigten Gerd Lobodda und anderen regionalen Praktikern. Am Zustandekommen der Untersuchung und auch an der öffentlichen Präsentation wichtiger Ergebnisse im Rahmen der Dortmunder Konferenz „Erneuerung von unten“ hatte Dr. Frank Gerlach (HBS) maßgeblichen Anteil. Ihm gilt unser besonderer Dank. Ohne die gute Kooperation mit zahlreichen regionalen Akteuren hätten wir die Untersuchung nicht durchführen können. Stellvertretend für viele seien neben den bereits Genannten Sieghard Bender (damals IG Metall Chemnitz) und Eberhard Weber (DGB Östliches Ruhrgebiet) erwähnt. Von der Zusammenarbeit mit diesen Scharnierpersönlichkeiten haben wir inhaltlich und organisatorisch profitieren können. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Projektbeirats, in welchem sich die Wissenschaftler Werner Fricke und Jürgen Hoffmann besonders engagiert haben. Seit der ersten Ergebnis-Präsentation im Sommer 2004 ist einige Zeit verstrichen. Für die Publikation des Endberichtes haben wir – soweit möglich – Zahlenmaterial aktualisiert und zusätzlich einige kleinere Erhebungen in den Untersuchungsregionen durchgeführt. An diesen Erhebungen wie auch an der Aktualisierung der Statistiken waren neben dem alten Projektteam Silke Röbenack (Uni Jena) sowie Thomas Engel (Uni Jena) beteiligt. Auch ihnen gilt unser Dank. Die Erstellung eines Teils der Protokolle, der Manuskripte und schließlich auch die technische Produktion der Buchfassung oblag den Mitgliedern der bewährten FIAB-Crew. Zu ihr gehören Helga Hower, Brigitte Hubel, Angelika
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Vorwort
Scheffler und vor allem Elke Waßner, die die Druckformat-Vorlage für das vorliegende Buch gewohnt präzise und verlässlich produziert hat. Am Lehrstuhl für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Uni Jena waren Janett Grosser, Franziska Wolf, Maike Schulz, Peter Demmler und Martin Langbein in die Buchproduktion involviert. Ihnen allen gilt unser Dank für geduldige Korrekturarbeiten, die nicht selten die Grenzen des Normalarbeitstages sprengten. Das vorliegende Buch präsentiert unsere wichtigsten Forschungsergebnisse. Anderes ist in zahlreiche Einzelveröffentlichungen eingeflossen. Die Kapitel des vorliegenden Buches sind so geschrieben, dass sie jeweils einzeln gelesen werden können. Das Schlusskapitel fasst den Gang der Argumentation noch einmal zusammen. Wer einen umfassenderen Einblick in die Dimensionen des regionalen Strukturwandels und die Aktivitäten der wichtigsten Akteure erhalten möchte, dem sei eine Lektüre in der Reihenfolge der Kapitel empfohlen.
Birgit Beese, Klaus Dörre, Bernd Röttger
Jena, April 2006
1. Einleitung: Im Schatten der Globalisierung – Aufbruch in den Regionen?
„Waiting for a wunder“, so titulierte die renommierte Zeitschrift „The Economist“ (2006: 3ff.) ihren Anfang 2006 erschienenen „Survey of Germany“. Angesichts niedriger Wachstumsraten, einem verkrusteten Bildungssystem, exorbitant hoher Arbeitslosigkeit und einem zur „Cliquenherrschaft“ mutierten Korporatismus stellt das Blatt dem einstigen Vorzeigemodell Deutschland schlechte Noten aus. Ein langsamer, qualvoller Niedergang scheint vorgezeichnet oder doch nur um den Preis radikaler marktorientierter Reformen abwendbar. Man könnte über solche Negativszenarien mit einem Achselzucken hinweggehen, gäben sie nicht eine Stimmung wieder, die zumindest unter den Angehörigen der deutschen Wirtschafts- und Politikeliten weit verbreitet ist. Nehmen wir als Beispiel die Auftaktveranstaltung zur „Innovationsoffensive“ eines westlichen Bundeslandes. Dort sprechen führende Manager unverblümt davon, dass allein in der deutschen Chemieindustrie während der nächsten Jahre die Hälfte aller Arbeitsplätze verloren zu gehen droht. Während ein Ministerpräsident die Bereitschaft seines Bundeslandes betont, mehr in Bildung und Forschung zu investieren, kontert besagter Manager mit der Drohkulisse von 1,3 Milliarden „hungriger Chinesen“, die sich allesamt als „Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft“ verstünden und nur darauf warteten, „unsere Arbeit zu machen“. Ein alteingesessenes Unternehmen aus der Zulieferbranche legt nach: Die Uhr zeige bereits fünf nach zwölf; Auto- und Zulieferindustrie befänden sich längst auf dem Marsch ins Ausland und es gebe nichts, was diesen Zug noch stoppen könne. Wenn etwas helfe, dann sei das eine konsequente Deregulierung, anders könne der Sozialstaat ohnehin nicht mehr bezahlt werden. Die versammelte wissenschaftliche Prominenz scheint ratlos; eher zaghaft wagen besonnene Stimmen daran zu erinnern, dass sich Innovationen nicht in technologischer Machbarkeit erschöpften, dass sie etwas mit Kultur, ja mit Kunst zu tun hätten. Dem gastgebenden Ministerpräsidenten schwant angesichts dieser Stimmungslage nichts Gutes. Sorgenvoll zitiert er Paul Kennedys „Aufstieg und Fall großer Mächte“ und zieht Parallelen zum Untergang des römischen Imperiums. Man könnte dieser Impression viele weitere hinzufügen. Sie alle würden belegen, dass Führungsgruppen und wichtige Multiplikatoren den einst so gepriesenen „rheinischen Kapitalismus“ auf einer schiefen Ebene wähnen, die Bewe-
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gung nur noch in eine Richtung zulässt – abwärts, immer weiter und immer rascher nach unten! Angesichts solcher Szenarien klingt es fast schon wie ein Hilfeschrei, wenn ein führender Wirtschaftsfunktionär heimische Unternehmer auffordert, die Chance der EU-Osterweiterung beim Schopfe zu packen und die Produktion in die Beitrittsstaaten zu verlagern (FR vom 23.03.04). Was läuft schief beim „Exportweltmeister Deutschland“? Wie kommt es zu diesem verheerenden Selbstbild? Und wo liegen die Ursachen der tiefen Depression? 1.1 Problemstellung,Hypothesen Immer wieder ist es ein Phänomen, ein Begriff, der als Universalbegründung für Heimsuchungen herhalten muss: die Globalisierung der Märkte und der ökonomischen Beziehungen. Obwohl zigtausendfach durchleuchtet, gewendet, präzisiert und zerlegt, steht das G-Wort in den gesellschaftlichen Debatten noch immer für das, was Sozialwissenschaftler einen „Masterframe“ nennen. Globalisierung bezeichnet, unabhängig vom realen Gehalt des Begriffs, einen diskursiven Rahmen, der den wichtigen politischen Entscheidungsprozessen eine Richtung gibt. Die Botschaft, die vermittelt werden soll, ist klar. In ihrer ungeschminkten Fassung lautet sie: Globalisierung bedeutet einen säkularen Bruch, der alle bisherigen Muster gesellschaftlicher Entwicklung in Frage stellt. Sie entwertet nationale und regionale Wirtschaftsräume samt der ihnen eigenen Regulationen. Globalisierung reüssiert mit quasi naturgesetzlicher Gewalt; sie nimmt die Gestalt eines Sachzwangs an, aus dem es kein Entrinnen gibt. Es handelt sich um eine vermeintlich alternativlose Entwicklung, die Veränderungsbedarf auf allen Ebenen gesellschaftlicher Regulation erzeugt. Wer sich, wie etwa die Gewerkschaften, auch nur zaghaft widersetzt, findet sich unversehens am öffentlichen Pranger wieder und muss sich vorhalten lassen, „unser Land zugrunde zu richten“ (Sinn 2005: 144). Aller Sachzwangszenarien zum Trotz scheint der Wille zur politischen Gestaltung ökonomischer Globalisierungsprozesse dennoch unausrottbar. Während führende Manager das Leitbild eines im Wortsinne transnationalen Unternehmens propagieren und sich deshalb den Vorwurf der „vaterlandslosen Gesellen“ einhandeln, verlagern sich Gestaltungshoffnungen in die Sphäre kleiner Sozialräume. Scheinbar paradox, hat die jüngste Periode „intensivierter Globalisierung“ zu einer Renaissance des Regionalen geführt. Diese Renaissance ist weder Hirngespinst weltferner Theoretiker noch Luftschloss unverbesserlicher Zukunftsoptimisten, sondern ein reales Phänomen mit höchst praktischen Konsequenzen. Im Schatten des globalen Wettbewerbs haben sich in vielen Wirtschaftsräumen Netzwerke herausgebildet, die danach streben, den ökonomischen
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Strukturwandel industriepolitisch abzufedern und in den Entwicklungspfaden einer „koordinierten Ökonomie“ zu belassen. In manchen altindustriellen Regionen besitzen solche Netze infolge des strukturellen Problemdrucks bereits eine längere Tradition. Und nicht selten sind es Gewerkschaften oder besser: einzelne Gewerkschafter, die zu den Initiatoren der industriepolitischen Aktivitäten zählen. Regionalisierung gilt diesen Akteuren als eine passende Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung. Viele gesellschaftliche Akteure, so scheint es, sind nicht bereit, sich dem „von oben“ inszenierten Veränderungsdruck einfach zu beugen. In kleineren ökonomischen und politischen Einheiten versuchen sie, ihre Ohnmacht abzuschütteln und neue Gestaltungsoptionen zu erschließen. Regionalisierung, eine Chance für die Kontinuität des „rheinischen Kapitalismus“? Manches deutet darauf hin (Hoffmann 2005: 70ff.). Sicher ist, dass auch die Sozialwissenschaften ihre Forschungsinteressen wieder auf die Entwicklung kleiner Sozialräume gerichtet haben. Seit der stilbildenden Untersuchung von Piore und Sabel (1985) sind zahlreiche Studien entstanden, die den regionalen Raum als soziale Analyseeinheit wieder entdeckt haben (Amin/Thrift 1994; Veltz 1996; Storper 1997; Hirst/Thompson 1996). Dieser „spatial turn“ der sozialwissenschaftlichen Forschung wurde auch zum Bezugspunkt für Debatten um eine gewerkschaftliche Beteiligung an Regionalisierungsprojekten (Iwer u. a. 2002; Kock 1997). In scharfem Kontrast zu Analysen, die die Lohnabhängigenorganisationen lediglich als „Kartelle“ begreifen, die den „Arbeitsmarkt im Würgegriff“ halten (Sinn 2005: 143ff.), haben Gewerkschaftsgliederungen die Region als einen Ort „intelligenter Regulierung“ (Kern 1994), „neuer industrieller Beziehungen“ (Regini 1995) und innovativer Clusterpolitik (Rehfeld 1999; Kremer u. a. 2000) entdeckt. Entsprechende Strukturen und Akteurskonstellationen sind inzwischen als „regionale Entwicklungskoalitionen“ und Träger einer partizipativen Regionalpolitik beschrieben worden (Ennals/Gustavsen 1999; Fricke/Totterdill 2004). In die anfängliche Euphorie haben sich aber längst auch skeptische Töne gemischt. Immer häufiger ist von blockierten Entwicklungsprozessen die Rede. Empirische Untersuchungen belegen, dass die regionalen Akteure daran ihren Anteil haben können. In manchen Regionen hätten sich allzu harmonische Konstellationen als innovationshemmend (Kreibich 1994, Kilper 1998) erwiesen, zumindest seien sie in ihren strukturpolitischen Effekten begrenzt geblieben (Rehfeld/Wompel 1997). Aktuelle Forschungen sprechen bereits von einem erneuten Paradigmenwechsel der Regionalisierung, weg von der bottom-upPhase der 1990er Jahre mit ihren ‚Regionalen Entwicklungskonzepten‘ und hin zu top-down-Ansätzen mit einer „starken Orientierung an globalen Wachstumsbranchen“, die „wenig Raum für sozialökologische und beteiligungsoffene Re-
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formprojekte“ lasse (Blöcker 2003: 31). Ist der „Sachzwang Globalisierung“ also dabei, die „Option Regionalisierung“ einzuholen? Haben wir es bereits mit einer spezifischen „spatial selectivity“ (MacLeod 2001; Röttger 2001) zu tun, die den Spielraum alternativer Politikentwürfe auch in kleinen Sozialräumen unwiderruflich beschneidet? An solchen Fragestellungen setzt die vorliegende Untersuchung an. Wir haben drei alte Industrieregionen ins Visier genommen, in denen Netzwerke eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des Strukturwandels spielen. Eine Besonderheit unseres Untersuchungsgegenstandes ergibt sich aus dem Faktum, dass in Chemnitz, Dortmund und Nürnberg Repräsentanten lokaler Gewerkschaften als „Scharnierpersönlichkeiten“ in den regionalen Kooperationsstrukturen agierten und teilweise noch agieren. Über die Leistungen dieser Netzwerke wird vor Ort kontrovers diskutiert, mitunter heftig gestritten. Ein Evaluationsbedürfnis der Beteiligten lieferte den ursprünglichen Impuls für unsere Studie. Besonders die gewerkschaftlichen Protagonisten der regionalen Strukturpolitik drängte es nach einer Zwischenbilanz ihrer Aktivitäten. Auch bei ihnen war die Anfangsbegeisterung einer „neuen Nüchternheit“ gewichen. Die Suche nach möglichen Ursachen öffnet sozialwissenschaftlicher Forschung ein weites Feld. Offenkundig haben wichtige Stränge der Regionalforschung die Autonomie kleiner Wirtschaftsräume überzeichnet. Dieses Manko wird z. B. seitens der kritischen Geographie (Herod 2001; Hudson 2001) moniert. Entsprechende Ansätze gehen davon aus, dass die Produktion des Ortes („production of place“), an dem regionale Netzwerke die Arbeits- und Lebenswelt der Bevölkerung gestalten können, zunehmend von der Frage nach der Produktion von Ebenen („production of scale“) politischer Regulation überlagert wird. Mit anderen Worten, die Hierarchie der Regulationsebenen ist unwiderruflich in Bewegung geraten und erst eine Analyse der Beziehungen zwischen den Ebenen des komplexen Regulationsgefüges einer sich internationalisierenden Ökonomie lässt uns verstehen, was in regionalen Beteiligungsprozessen wirklich passiert. Es liegt auf der Hand, dass eine empirische Studie in drei Regionen, die noch dazu eine Momentaufnahme darstellt, einen solch hohen Anspruch nur sehr begrenzt einzulösen vermag. Unser Hauptinteresse konzentrierte sich daher auf die Frage, ob und in welchem Maß Globalisierungsprozesse zum Katalysator eines radikalen Strukturwandels werden, der als Übergang zu einer Informationswirtschaft, einer „Informational Economy“ (Castells 1996; 2001) beschrieben worden ist. In diesem Zusammenhang wollten wir herausfinden, (a) inwieweit sich der Übergang zur Informationswirtschaft in unseren Untersuchungsregionen bereits vollzogen hat, (b) welche Leistungen strukturpolitische Netzwerke erbringen, die diesen Wandel begleiten. Wir wollten (c) die Rolle der Gewerkschaften in diesen Netzwerken klären und (d) den – zugegeben anspruchsvollen
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und riskanten – Versuch unternehmen, mit unseren empirischen Befunden bei den regionalen Akteuren Reflexionsprozesse auszulösen, die gegebenenfalls in einer Veränderung der politischen Praxis münden können. Wir interessierten uns nicht nur für die konkrete Gestalt und die Steuerungsleistungen regionaler Netzwerke, sondern, soweit unserem analytischen Fokus zugänglich, auch für Veränderungsdynamiken regionaler Akteurskonstellationen und deren Ursachen. Dabei orientierten wir uns an vier Leithypothesen. Hypothese eins: Als Antwort auf Globalisierung und radikalen Strukturwandel bilden sich in altindustriellen Regionen Formen eines Wettbewerbsregionalismus heraus, der die Region als Unternehmen und die regionalen Netzwerke als kollektive Unternehmer begreift. Hypothese zwei: Dieser Wettbewerbsregionalismus ist in Grenzen gestaltbar. Soweit er sich gegen Politiken wendet, die den Strukturwandel dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen wollen, bietet er auch an sozialer Kohäsion interessierten Akteuren wie den Gewerkschaften Ansatzpunkte für industrie- und regionalpolitische Interventionen. Solche Interventionen werden umso wichtiger, je stärker die einstmals fest gefügte Hierarchie der Regulationsebenen irreversibel in Bewegung gerät. Hypothese drei: Mit zunehmender Dynamik des Strukturwandels hat sich die Funktion der „Krisenfeuerwehr“ für regionale Akteure erschöpft. Gestaltungschancen lassen sich in dem Maße wahrnehmen, wie die regionalpolitischen Anstrengungen auf die Erschließung neuer Wachstums- und Beschäftigungsfelder ausgerichtet werden. Hypothese vier: Gewerkschaften, die sich aktiv in diesen Prozess einschalten, kann es gelingen, in neuen, wissensintensiven Branchen Stützpunkte zu schaffen und Verbündete zu gewinnen. Strukturpolitik kann so zu einem Hebel werden, der es den Lohnabhängigenorganisationen erlaubt, allmählich in „gewerkschaftsfreien Zonen“ Fuß zu fassen. Wir sind diesen Hypothesen in einem aufwändigen empirischen Forschungsprozess nachgegangen. Dabei haben sich unter dem Eindruck aktueller Entwicklungen auch die Fragestellungen und Erkenntnisinteressen verschoben. Dies vor allem, weil wir erkennen mussten, dass die strukturpolitischen Anstrengungen von einer tiefen Krise gewerkschaftlicher Repräsentation überlagert werden. Ohne einer detaillierten Präsentation unserer Forschungsergebnisse vorzugreifen, lässt sich ein zentraler Befund unserer Untersuchung wie folgt zusammenfassen:
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In der Auseinandersetzung mit ökonomischen Internationalisierungsprozessen erbringen regionale Netze wichtige Steuerungsleistungen, die dem Strukturwandel altindustrieller Regionen durchaus eine Richtung geben. Der Begriff der Informationswirtschaft bildet den Gehalt dieses Wandels allerdings höchst unvollständig ab. Die Gewerkschaften sind in allen Untersuchungsregionen aktiver Bestandteil von Innovations- und Modernisierungskoalitionen. Den Vorwurf, als Blockierer und notorische Reformverhinderer zu handeln, kann man ihnen zumindest auf diesem Feld wahrlich nicht machen. Die gewerkschaftliche Beteiligung an regionaler Strukturpolitik zeichnet sich jedoch durch widersprüchliche Effekte aus. Je erfolgreicher der Strukturwandel betrieben wird und je weiter die Transformation der fordistischen Altindustrien vorangeschritten ist, desto rascher schwindet die Grundlage klassischer Organisationsressourcen und Politikkonzepte der Gewerkschaften und umso stärker wird der Druck zur Selbstveränderung der Lohnabhängigenorganisationen. Der vorliegende Text präsentiert die empirischen Befunde, die uns zu dieser Sichtweise geführt haben. Bevor wir diese Erkenntnisse im Detail ausbreiten, seien zunächst einige Anmerkungen zum theoretischen und methodischen Background der Studie, zur empirischen Basis, zu den Methoden und zum Aufbau der Argumentation vorgestellt. 1.2 Theoriebezüge und Begriffsbestimmungen Wie lassen sich die Zusammenhänge zwischen Globalisierung, Strukturwandel und den Handlungsstrategien regionaler Akteure sinnvoll rekonstruieren? Unseres Wissens existiert keine Theorie, die für die immanenten Probleme einer solchen Analyseperspektive befriedigende Lösungen anbieten könnte. Insofern müssen wir uns damit zufrieden geben, Elemente einer Suchstrategie zu entwickeln. Im Rückgriff auf unterschiedliche Theoriestränge wollen wir einige zentrale Begriffe vorstellen, die für unsere Forschungsstrategie konstitutiv sind. Radikaler Strukturwandel: Mit diesem Begriff beschreiben wir einen Prozess, der im Zuge einer weitreichenden Umwälzung regionaler Produktionsstrukturen zugleich die korrespondierenden Regulationsformen erfasst. Wir versuchen, diesen Zusammenhang mit Hilfe regulationstheoretischer Kategorien zu analysieren. In der Sprache der Regulationstheorie bilden Akkumulationsregime und Regulationsweise integrale Bestandteile einer kapitalistischen Formation. Die Grundannahme der Regulationstheorie lautet, dass sich Kapitalkreisläufe nicht aus sich selbst heraus stabilisieren. Dazu bedarf es institutioneller Konstrukte, mit deren Hilfe es gelingen kann, die „Schranken des Kapitals“ über einen längeren Zeitraum zu überwinden und – wie Aglietta (2000: 27) es ein
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wenig emphatisch formuliert – gesellschaftliche Entwicklung auf sozialen Fortschritt zu programmieren.1 Mit dem Begriff des radikalen Strukturwandels bewegen wir uns zunächst auf einer Ebene, die in der Regulationstheorie als technisch-organisatorisches Paradigma oder als Produktionsmodell bezeichnet wird. Unter einem Produktionsmodell verstehen Boyer und Durand (1997: 3) ein Netzwerk sozialer Verhältnisse, in welchem spezifische Managementprinzipien mit der Regulation von Arbeitsbeziehungen kombiniert werden. Die Annahme lautet, dass ein Produktionsmodell halbwegs stabile Entsprechungen zwischen Firmenorganisation, Formen des Wettbewerbs, Arbeitsbeziehungen und Bildungssystem stiftet. Für die Ära des Fordismus hat die Regulationstheorie solche Entsprechungen aus der Perspektive eines retrospektiven Funktionalismus nachgewiesen. Sie liefert damit einen – sicher vereinfachten – Maßstab, den man anlegen kann, wenn es darum geht, eine neue Vergesellschaftungsform der Erwerbsarbeit zu identifizieren. Radikaler Strukturwandel in den von uns untersuchten altindustriellen Regionen bedeutet, dass die Basisprinzipien des fordistischen Produktionssystems, die diese Regionen lange Zeit prägten, unwiderruflich transformiert werden. Mit der Kategorie eines ‚radikalen Strukturwandels‘ lenken wir die Aufmerksamkeit auf den auch in der Regulationstheorie oft vernachlässigten Zusammenhang von sozialem Raum, Wirtschaftspolitik, Firmenorganisation und gesellschaftlichen Regulationsformen. Altindustrielle Regionen waren in der Vergangenheit Ballungen von Großbetrieben mit bürokratischen Strukturen und vergleichsweise starken Interessenvertretungen, in denen auch die Gewerkschaften ihre organisatorischen Hochburgen hatten. Der gesamte fordistische Regulationsmodus ist auf diesen Zusammenhang zugeschnitten. Das System aus Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen sowie dezentralen Formen der Ausbildung und Leistungssteuerung zielte auf größere Wirtschaftsorganisationen mit laufbahnartigen Karriereleitern und standardisierten Arbeitssystemen. Hier konnten die Gewerkschaften lange Zeit ihre größten Organisationserfolge erzielen. Auch mit Blick auf dieses Phänomen sprechen Sozialwissenschaftler wie Robert Castel (2005) daher von einer „organisierten Moderne“, die neben einer starken Verknüpfung von Lohnarbeit mit Sicherheit stiftenden Institutionen eben auch auf der kollektiven Organisierbarkeit von Interessen beruhte. Wenn diese Verknüpfungen erodieren oder gar zerbrechen, wird der Strukturwandel zu einem radikalen Phänomen. Die Kategorie des Produktionsmodells nutzen wir in diesem 1
„Der Kapitalismus, seinem innersten Wesen nach Schöpfer und Zerstörer, kann nur dann für die Gesellschaft Fortschritt nach sich ziehen, wenn zusammenwirkende Vermittlungen, die eine Regulationsweise bilden, einen Zusammenhalt zwischen den Gleichgewichtsstörungen errichten, die seiner Bewegung eigen sind. Die kumulative Wirkung dieses Zusammenhangs ist ein Akkumulationsregime“ (ebd.).
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Sinne. Sie dient uns als ein heuristisches Konzept, mit dessen Hilfe wir Veränderungen im Verhältnis von Wirtschaftspolitik, sektoralem Wandel, Firmenorganisation und gesellschaftlichen Regulationsformen in kleinen Sozialräumen thematisieren wollen. Regulationsdispositiv: Veränderungen der gesellschaftlichen Regulationsformen vollziehen sich – zumal in den von uns untersuchten kurzen Zeitspannen – nicht als vollständige Ablösung einer überlebten Regulationsweise und als deren Ersetzung durch ein neues Regulationsmodell. Eine solche Sichtweise wäre zu statisch. Um politischen Dynamiken im Regulationsgefüge besser Rechnung tragen zu können, verwenden wir im Unterschied zu orthodoxen regulationstheoretischen Vorstellungen (zur Kritik: Brand/Raza 2003) den Begriff des Regulationsdispositivs. Becker (2002: 165f.) beschreibt das „Regulationsdispositiv“ als ein „heterogenes Ensemble“, in dem „die Regulationsebenen nicht isoliert“ wirken, sondern einen strukturierten Zusammenhang bilden.2 Kleinräumliche Regulation konstituiert sich stets über Spannungsverhältnisse zwischen unterschiedlichen Regulationsmodi. Zum Beispiel folgt regionales Wirtschaften bis auf weiteres der Logik von Angebotspolitik und Standortwettbewerb; sie ist zugleich aber auch in andere Politiken und Politikfelder eingebunden, darunter in solche, die zur Sicherung der sozialen Kohäsion in Städten und Regionen beitragen sollen. Regionale Netze und Gewerkschaften können Spannungsverhältnisse nutzen, die zwischen konkurrierenden Handlungslogiken und Zielsetzungen existieren. Das soziale Feld des Wettbewerbsregionalismus erweitert sich in dem Maße, wie es mit aktiver Beschäftigungs-, Qualifizierungs- oder Sozialpolitik verknüpft wird. Als Regulationsdispositiv bezeichnen wir das Zusammenspiel unterschiedlicher Logiken regionaler Governance, der Logik einer Konkurrenz der Regionen und der Logik sozialer Kohäsion. Die Art und Weise, in der beide Logiken miteinander verknüpft werden, begründet die spezifische politische Konstitution regionaler Governance. Wir gehen davon aus, dass sich die Regulationsdispositive, die sich in den Regionen seit den 1990er Jahren herausgebildet haben, im Umbruch befinden. Um dem Rechnung zu tragen, bezeichnen wir mit mikrosozialer Regulation einen sozialen und politischen Prozess, der auf spezifische Praxisformen gründet. Wir knüpfen hier an Painter/Goodwin (1995: 340ff.) an, die in ihren Untersuchungen zur ‚local governance‘ herausgearbeitet haben, dass diese Ebene als ein „Prozess der Formierung“ begriffen werden muss. Der regionale Regulationsprozess (‚process of regulation‘) ist das Ergebnis materieller und diskursiver 2
„Ihr konkretes Wirken ist allein im Kontext der anderen Elemente zu verstehen. Die Stellung zueinander kann, wenn auch nicht völlig beliebig, verändert werden. So können bestimmte Ziele, je nach Kontext mal über das eine, mal über das andere Element der Regulation durchgesetzt werden“ (ebd.).
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Praktiken, durch die Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Akteuren einer Region und bestimmten Politikfeldern (‚issues‘) hergestellt werden. Historisch durchgesetzte Regulationskompromisse generieren dann eine Einheit von Handlung und Struktur, die „mit den Wänden eines Raums verglichen (werden kann), aus dem es für den einzelnen kein Entrinnen gibt, innerhalb dessen sich der Handelnde allerdings frei bewegen kann“ (Giddens 1995a: 227). Auf diese Weise bestimmt die konkrete Ausprägung eines Regulationsdispositivs den jeweiligen Pfad regionaler Entwicklung. Mikroregion: Mit dieser Kategorie beziehen wir uns nicht auf verwaltungsrechtliche und -technische Abgrenzungen von Regionen, sondern auf Aktivitäten maßgeblicher Akteure, die darauf zielen, in kleinen Räumen Regulationsprozesse zu generieren, um dem strukturellen Wandel so eine Richtung zu geben. Mikroregionen versuchen sich als schöpferische Unternehmer zu konstituieren und Steuerungsfunktionen wahrzunehmen, die einzelbetrieblich wie auch auf den übergeordneten Ebenen nicht oder nicht mehr erbracht werden. Der Reiz für gewerkschaftliche Gliederungen, sich an der Definition dieser kollektiven Unternehmerrolle zu beteiligen, liegt genau in dieser Funktion. Nicht der Staat im traditionellen Sinne, sondern das regionale industriepolitische Netzwerk soll zum „Gesamtkapitalisten“ werden, der Schwächen des privatwirtschaftlichen Unternehmertums ausgleicht. Ziel ist die Produktion kollektiver Güter durch regionale Ausbildungsverbünde, Beschäftigungsgesellschaften oder überbetriebliche Initiativen zur Generierung von Produktinnovationen. Im Idealfall wird die Unternehmerfunktion „sozialisiert“, also an gesellschaftliche Zielsetzungen rückgebunden. Das impliziert jedoch, dass die Mikroregion mehr ist als bloßes Terrain für eine „passive Internationalisierung“. Wollen sie sozialräumliche Hierarchien und Machtasymmetrien wenigstens graduell verändern, stehen Mikroregionen vor der Aufgabe, sich in aktive Globalisierungsakteure zu verwandeln. Aus der „Region an sich“ soll, so der Regulationstheoretiker Alain Lipietz (1998) in ironischer Anspielung auf eine Marx‘sche Formulierung zur Klassenbildung, eine „Region für sich“ werden. Mikroregionen müssen sich, allen widerstreitenden Interessen zum Trotz, als politische Subjekte konstituieren, um sich im Prozess „intensivierter Globalisierung“ als Wirtschaftsräume behaupten zu können. Insofern macht es Sinn, die Region zunächst als einen Ort sozialer Interdependenzen zu verstehen, die sich in Gestalt von Konventionen, informellen Regeln und Habitualisierungen bemerkbar machen. Und es leuchtet ein, diesen Interdependenzen – zumal bei wachsender Unsicherheit der Märkte – eine handlungskoordinierende und zielbildende Funktion für die regionalen Akteure zuzusprechen (Läpple 1999; Storper 1997: 5). Doch marktbegrenzende Traditionen und Konventionen währen nicht ewig. Wie sich etwa am Beispiel oberitalienischer Industriedistrikte gezeigt hat, verschleißt sich das vergemeinschaftende
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Potential von „community markets“ im Modernisierungsprozess. Damit ist es nicht unwiederbringlich verloren. Aber regionale Kooperationskulturen bedürfen der ständigen Erneuerung (Giddens 1996). Will eine Mikroregion tatsächlich als Kollektivunternehmer auftreten, sind soziale Kompromisse und Identitätsbildungen nötig, die Interessengegensätze zumindest abmildern. In vielerlei Hinsicht ist inhaltlicher Konsens, die Einigung unterschiedlicher lokaler Akteure auf eine gemeinsame Strategie, eine wesentliche Voraussetzung, um industrie- und regionalpolitisch handlungsfähig zu werden. Ein solcher Konsens lässt sich nicht erzwingen. Er erfordert Überzeugungsarbeit, inhaltliche Übereinstimmung, Einigung auf gemeinsame Schwerpunkte und regionale Projekte. Akteure wie die Gewerkschaften sehen sich darüber hinaus mit einem zusätzlichen Problem konfrontiert. Je intensiver sie sich in den offiziellen Wettbewerbsregionalismus einbinden lassen und je dynamischer der wirtschaftliche Strukturwandel verläuft, desto schwerer fällt es ihnen möglicherweise, eigene organisationspolitische Ziele zu realisieren. In den von uns untersuchten Mikroregionen sind sowohl die Bedingungen zur Konstitution eines regionalen Konsenses wie auch die Grundlagen für eine eigenständige Positionierung der Gewerkschaften unterschiedlich ausgeprägt. Mit mikrosozialer Regulation bezeichnen wir kein isoliertes Instrumentarium, sondern die komplexe Art und Weise, in der (a) Lohnverhältnisse und Arbeitsbeziehungen, (b) Kontrollformen in und zwischen den Unternehmen und (c) Formen der staatlichen Einflussnahme und des politischen Zusammenwirkens gesellschaftlicher Akteure organisiert sind (Krätke 1995: 89). An den Versuchen, solch anspruchsvolle Konzepte in den Regionen Chemnitz, Dortmund und Nürnberg praktisch werden zu lassen, setzt unsere Studie an. Die Untersuchung konzentriert sich auf drei zentrale Wirkungszusammenhänge. Erstens gehen wir davon aus, dass es keinen unmittelbaren kausalen Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Internationalisierungsprozessen und den Inhalten regionaler Strukturpolitik gibt. Die Internationalisierung von Unternehmen konstituiert Möglichkeitsräume und Handlungskorridore für regionale Akteure. Es hängt jedoch wesentlich von Deutungen, Definitionskämpfen und politischen Entscheidungen ab, auf welche Weise die verfügbaren Handlungsoptionen genutzt werden (Dörre u. a. 1997; Röttger 1997). Zweitens unterstellen wir, dass sich regionale Entwicklungsprozesse in marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gesellschaften nur sehr begrenzt steuern und planen lassen. Um überhaupt handlungsfähig zu werden, sind die regionalen Akteure – Unternehmen, Wirtschaftsverbände, lokale Politik und auch die Gewerkschaften – gezwungen, Leitbilder zu entwickeln, die Ist- und Sollzustände definieren. Wesentliche Funktion solcher Leitbilder ist es, die Komplexität von Anforderungen zu reduzieren, um ‚Globalisierung’ und ‚regionalen Strukturwandel’ auf bearbeitbare Themen herunterzubrechen. Insofern sind regionale
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Wirtschaftsräume keine zeitlosen Gebilde. Regionen werden, natürlich unter Berücksichtigung von geographischen Gegebenheiten, gewachsenen Wirtschaftsstrukturen, Traditionen und Mentalitäten, „gemacht“, politisch konstruiert (Dörre 1999a; Läpple 1999; Lipietz 1998; Veltz 1996). Dies impliziert drittens, dass regionalpolitische Strategien ein Ergebnis von Aushandlungen und Kompromissbildungen sind, die in der Regel ausschließen, dass sich einzelne Interessengruppen vollständig durchsetzen. Mikroregionen sind unvollständige Teilwirtschaften mit knappen Ressourcen und begrenzten Interventionsmöglichkeiten. Das schafft Einigungszwänge. Wollen sie überhaupt wirksam werden, müssen sich regionale Akteure mit divergierenden Interessen auf gemeinsame Projekte und Entwicklungsoptionen festlegen. Die Region kann so zu einer – teils institutionalisierten, teils informellen Politikarena werden, in der definitionsmächtige Gruppen und Organisationen über Exit- und VoiceOptionen Einfluss nehmen können. 1.3 Sample,Methoden,Aufbau der Studie Unser Vorhaben starteten wir zu einem Zeitpunkt, als sich regionale Akteure zu einer kritischen Reflexion ihrer eigenen Praxis veranlasst sahen. Wir haben uns bemüht, diesem Bedürfnis schon im laufenden Forschungsprozess Rechnung zu tragen. Dieser Anspruch hat unsere Forschungsstrategie beeinflusst. Methodisch arbeiteten wir in gewissem Sinne „zweigleisig“. Eine relativ konventionelle, empirisch ausgerichtete Grundlagenforschung verknüpften wir mit Elementen einer Aktionsforschung, die wissenschaftliche Unterstützungsleistung für regionale Praktiker bieten sollte. Anspruch dieser Forschung war es nicht, regionalund strukturpolitisch zu intervenieren. Vielmehr zielten wir darauf, den Akteuren, die vor Ort die Politik „machen“, auf der Grundlage einer empirischen Erforschung ihrer Praktiken Reflexionsmöglichkeiten zu bieten, um diese Akteure zur Einordnung, Selbstbewertung und gegebenenfalls auch zur Modifikation ihrer Aktivitäten zu veranlassen. Wir haben regionale Politikansätze in verschiedenen Feldern vergleichend untersucht. Unsere Studie basiert auf einem Methodenmix, der Expertengespräche, halbstrukturierte Interviews, Gruppenbefragungen und teilnehmende Beobachtungen umfasst. Materialbasis sind 163 themenzentrierte Interviews, die wir zumeist über Einzel-, teilweise aber auch über Gruppenbefragungen erfasst haben. Zum Sample gehören Netzwerkakteure, Manager, Lokal- und Landespolitiker, Betriebsräte und Gewerkschafter. Die Befragung haben wir durch zahlreiche teilnehmende Beobachtungen, feed-back-Diskussionen mit Netzwerkakteuren,
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Transfer-Workshops sowie umfangreiche sekundärstatistische Analysen zu Beschäftigungsentwicklung und regionalen Arbeitsmärkten ergänzt (vgl. Übersicht 1). Übersicht 1: das Sample Gewerkschafter (GW) davon: Scharnierpersonen Gewerkschaftssekretäre Netzwerkakteure (NWA) davon: Gewerkschaftliches Netz Offizielle Netzwerkstruktur Akteure der Politik (Pol) Betriebliche Akteure davon: Anzahl der Betriebe (B) Geschäftsführer (GF) Betriebsräte (BR) Beschäftigte (AN) Gesamtzahl der Interviews plus: Expertengespräche plus: teilnehmende Beobachtungen (TNB) plus: Transfer-Workshops plus: Feedback-Diskussionen (Anzahl) Teilnehmerzahl
Chemnitz (C) Dortmund Nürnberg (N) Gesamt (Do) 15 7 17 39 4 11 12
3 4 13
5 12 15
12 27 40
5 7
8 5
10 5
23 17
2 16
5 2
5 51
12 69
7 3 8 5
2 2
14 11 35 5
2
3
3
8
4
15
12
21
1
1
1
3
2 8
2 4
2 14
6 26
16 43 10 160
Chemnitz, Dortmund und Nürnberg haben wir als Untersuchungsregionen ausgewählt, weil sie durch altindustrielle Strukturen und Muster fordistischer Regulation (für Chemnitz gilt das mit Blick auf die DDR-Vergangenheit nur sehr eingeschränkt; vgl. Brinkmann 2003) geprägt sind. Gemeinsam ist den Regionen, dass sich in ihnen Netzwerkstrukturen gebildet haben, die beanspruchen, den strukturellen Wandel kooperativ zu bewältigen. Zudem stellen die drei Untersuchungsräume in gewisser Weise Kontrastfälle regionaler Innovationspolitik
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dar. Die Felder, auf denen die Akteure aktiv sind, ähneln einander; Praktiken und institutionelle Einbindungen unterscheiden sich jedoch erheblich. Das eröffnet die Möglichkeit zu reizvollen Vergleichen. In Expertengesprächen haben wir zunächst Informationen über jene Felder mikrosozialer Regulation gewonnen, in denen die lokalen Akteure agieren. Als Experten wählten wir Akteure aus, die selbst aktiv in die regionale Strukturpolitik involviert waren (und sind), die jedoch mit einer gewissen Souveränität auf ihr Handlungsfeld und das anderer Akteure schauten. Dabei handelte es sich um Kommunalpolitiker, Projektverantwortliche oder auch Repräsentanten von lokalen Bündnissen und Initiativen. Als Erhebungsinstrument nutzten wir Experteninterviews, die auf ein „Herantasten an bestimmte exklusive Wissensbestände der Befragten“ zielten. Die Experten standen dabei lediglich für bestimmte Strukturzusammenhänge; individuelle „Motiviertheiten und Begründungen“ in biographischen Entstehungszusammenhängen wurden bewusst vernachlässigt (Liebold/Trinczek 2002: 41). Den empirischen Hauptteil der Untersuchung machten themenzentrierte Interviews aus, die auf die Erfassung der Funktionsweisen, der Wirkungszusammenhänge und der Steuerungsleistungen der regionalen Netzwerke zielten. Hierzu zählen Interviews mit Gewerkschaftern, Netzwerkakteuren, Vertretern der regionalen Wirtschaftsförderung, aber auch von Unternehmern und Betriebsräten. Einen problemzentrierten Leitfaden nutzten wir als Gedächtnisstütze und Orientierungsrahmen, um so eine thematische Vergleichbarkeit der Fälle zu erleichtern. Unsere Kommunikationsstrategie umfasste erzählungs- und verständnisgenerierende Fragen, deren Beantwortung den Interviewpartnern spontanes Stegreiferzählen ermöglichen sollte. Wichtig war uns, den Interviewpartnern die Chance zu geben, sich als „Experten in eigener Sache“ zu präsentieren. Das von uns praktizierte diskursiv-dialogische Verfahren (Mey 1999) hat dazu beigetragen, Widersprüchlichkeiten, Ambivalenzen und Unentschiedenheiten in den Erzählungen zum Vorschein zu bringen, um so ein angemessenes Verständnis für die Orientierungsprobleme und Entscheidungsdilemmata der regionalen Akteure zu gewinnen (Heinze 1998; Witzel 2000). Wo es die Situation erforderte, haben wir anstelle der Einzelinterviews Gruppenbefragungen durchgeführt. Ergänzt wurden diese Interviews durch teilnehmende Beobachtungen, die aufgrund der lokalen Nähe unseres Instituts in Dortmund mit besonderer Intensität durchgeführt werden konnten. Bei Aufenthalten in den anderen Regionen ist dieses Instrumentarium ebenfalls zum Einsatz gekommen. Die teilnehmende Beobachtung gilt häufig als „Antimethode“. Ursprünglich als Ansatz zur Erforschung kultureller Differenzen konzipiert, wird sie oftmals ohne eine umfassendere methodische Reflexion eingesetzt. Für unser Vorhaben lässt sich der Stellenwert teilnehmender Beobachtungen wie folgt zusammenfassen: Der politische
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Prozess, auf dem die gewerkschaftliche Beteiligung an regionaler Strukturpolitik basiert, lässt sich mit punktuellen Erhebungen nicht angemessen erfassen. Er muss auch „aus der Nähe“ beobachtet werden. Hier sind wir zu Einsichten in spezifische Submilieus und regionale Konfliktformationen gelangt, die in Interviews so nicht abgefragt werden können. Die Ergebnisse solch teilnehmender Beobachtungen wurden in Kurzprotokollen festgehalten und in die Auswertung einbezogen. Teilnehmende Beobachtungen lassen sich auch als Instrument einer neuen Aktionsforschung nutzen. Der Begriff Aktionsforschung bezeichnet keine Methode, sondern einen Ansatz, der verschiedene Methoden so kombiniert, dass das wissenschaftliche Wissen für Praktiker nutzbar wird. In der neueren Methodendiskussion (van Beinum u. a. 1996; Fricke 1997; 2003: 151ff.; Ennals/Gustavsen 1999; Martens 1999; Franz u. a. 2003) wird hervorgehoben, dass Aktionsforschung einen wechselseitigen Wissenstransfer ermöglichen soll, der die starre Rollenteilung zwischen Forschern und Beforschten zumindest relativiert. Im Rahmen unseres Forschungsvorhabens haben wir Elemente der Aktionsforschung vor allem in feed-back-Diskussionen mit Gewerkschaftern und arbeitsorientierten Netzwerkakteuren sowie bei Transfer-Workshops eingesetzt, die dem Erfahrungsaustausch der regionalen Akteure dienten. Daneben gab es aber auch eine Reihe von informellen Gesprächen und Beratungsterminen, die eine besonders intensive Form des Austauschs zwischen Wissenschaftlern und Praktikern darstellten. Die empirische Erhebung haben wir durch umfassende sekundärstatistische Erhebungen ergänzt, die vor allem dazu dienten, den Strukturwandel und damit den ökonomischen Problemdruck in den Regionen, der zur Gründung der regionalen Netzwerke und ihrer spezifischen Zielstellungen geführt hat, angemessen zu erfassen. Im Sample drücken sich bereits unterschiedliche Ausprägungen der regionalen Netzwerkstrukturen aus. So zeigt die hohe Anzahl der Betriebsfälle in Nürnberg den ausgeprägten Bezug der strukturpolitischen Aktivitäten auf Betriebe der regionalen Ökonomie. In Dortmund hingegen agiert im Unterschied zu Chemnitz oder Nürnberg nicht die IG Metall, sondern der DGB als zentraler gewerkschaftlicher Akteur der regionalen Strukturpolitik. Die betriebliche Verankerung der regionalen Strukturpolitik ist schwächer ausgeprägt. Zudem hat der Strukturwandel in Dortmund bereits große Sektoren der „Altindustrien“ eliminiert, während diese Sektoren in Chemnitz und Nürnberg gerade im Zentrum der industriepolitischen Aktivitäten stehen. Das Betriebssample leitete sich aus der Hypothese eines radikalen Strukturwandels ab. Im Zentrum unseres Interesses standen Wirtschaftsbereiche, die den Gegenstand strukturpolitischer Interventionen bilden, aber auch Branchen der Informational Economy, in denen wir „Ausstrah-
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lungseffekte“ der industriepolitischen Netzwerke analysieren konnten (vgl. Übersicht 2). Einige dieser Betriebe haben wir während des Untersuchungszeitraums mehrfach aufgesucht. Übersicht 2: Betriebssample Betrieb AMTEC GmbH ( C) Siemens VDO (C) Siemens WKC (C) Palla Textil GmbH (C) UNION (C) HÖRMANN-RAWEMA (C)
Branche IT Elektroindustrie Elektroindustrie Maschinenbau Maschinenbau Unternehmensbezogene Dienstleistungen VW-Motorenwerk (C) Automobilindustrie ThyssenKrupp (Do) Stahlindustrie Honsel Guss GmbH (N) Automobilzulieferer ALSTOM Power Turbinen (N) Elektroindustrie Siemens NMA (N) Elektroindustrie AEG Hausgeräte (N) Elektroindustrie Immowelt AG (N) IT Quelle AG (N) Großhandel Lucent Technologies (N) Telekommunikation Sachs Bikes GmbH (N) Fahrzeugbau Gossen-Metrawatt GmbH Elektroindustrie Federal-Mogul Automobilzulieferer Eytzinger Handwerk Trix (N) Spielwarenindustrie DRAKA (N) Elektroindustrie AXINOM (N) IT Brockhaus AG (Do) IT
Interviewpartner GF BR BR BR GF, BR, AN GF, BR BR Vorstand BR GF, BR BR BR GF GF, BR BR, AN GF, BR GF, BR GF, BR GF BR, AN GF, BR GF GF
Die Ergebnisse der Expertenbefragung und der teilnehmenden Beobachtungen wurden von uns genutzt, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede regionaler Politikfelder in den Untersuchungsregionen möglichst genau zu rekonstruieren. Wir haben z. B. versucht, die Vergleichbarkeit der regionalen Netze entlang der Achse ‚Konflikt-Kompromiss-Konsens‘ herzustellen (vgl. Kapitel 3). So unterschiedlich die regionalen Strukturen und Akteure sein mögen; im Sinne funktionaler Äquivalenz (Regini 1997: 11ff.) sind spezifische Funktionen in allen unter-
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suchten Netzwerken präsent. Themen und Bearbeitungsformen variieren. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Strukturierungsmuster der Netzwerke kann es nicht darum gehen, jeweils „beste Praktiken“ zu identifizieren. Der Anspruch eines empirisch orientierten Forscherteams muss ungleich bescheidener sein. Faktisch sammelt es Wissensbestände von Experten, die in ihren jeweiligen Handlungsbereichen mitunter sehr viel genauere und fundiertere Kenntnisse besitzen als das Team. Hier hat die Bescheidenheit von Forschern einzusetzen, die anerkennen müssen, dass andere ihnen im untersuchten Feld praktisch überlegen sind. Die eigentliche Leistung der Forscher besteht darin, Diskussionen, Argumente und Erkenntnisse aufzugreifen, zu bündeln, zu bewerten, sie in einen theoretisch-analytischen Rahmen einzuordnen und die so gewonnenen Erkenntnisse in aufbereiteter Form für Praktiker zugänglich zu machen. Unsere Darstellung der Untersuchungsergebnisse beginnt mit einer Skizze des Strukturwandels in den Untersuchungsregionen. Dabei konzentrieren wir uns im Wesentlichen auf die Beschäftigungsentwicklung, während andere Kriterien, wie etwa der wirtschaftliche Output bewusst vernachlässigt werden (2.). Die Beschäftigungsentwicklung in den Regionen bildet den Problemhorizont für die Aktivitäten regionaler Netzwerke (3.). Wir unterscheiden hier zwischen einem engen Netz, in dem die Gewerkschaften neue, projektförmige Organisationsformen erproben, und einem offiziellen Netz, das durch die regionale Wirtschaftsförderung, aber auch durch Landespolitik und Förderkulissen strukturiert wird. Beide Netze sind nicht identisch; oft bestehen Reibungen, manchmal gibt es Überschneidungen, mitunter auch inhaltlichen Gleichklang. Die Praktiken der regionalen Akteure untersuchen wir im Rahmen einer Politikfeldanalyse. Wir konzentrieren uns dabei auf regionale Wirtschaftsförderung und Clusterpolitik (4.), die regionale Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik (6.) sowie auf betriebliche Arbeitspolitik und Modernisierung (7.). In einem gesonderten Exkurs gehen wir der Frage nach Handlungsspielräumen und -optionen regionaler Politikansätze unter den Bedingungen „intensivierter Globalisierung“ nach (5.). Ein eigenes Kapitel (8.) ist der Krise gewerkschaftlicher Repräsentation und dem Wandel gewerkschaftlicher Identitäten gewidmet. Abschließend (9.) werden einige arbeitspolitische und theoretische Schlussfolgerungen präsentiert.
2. Altindustrielle Regionen im radikalen Strukturwandel
Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich mit den Verlaufsformen des regionalen Strukturwandels. Es geht uns nicht um eine detaillierte Darstellung sektoraler Veränderungen, sondern um eine Identifikation spezifischer Problemkonstellationen, die von regionalen Netzen bearbeitet werden. Zunächst diskutieren wir die theoretischen Folien einiger Megatrends, die sich auch in unseren Untersuchungsregionen bemerkbar machen (2.1). Es folgt ein interregionaler Vergleich des Strukturwandels, der sich auf ein Zentralproblem regionaler Strukturpolitik, auf die Beschäftigungsentwicklung beschränkt (2.2). Daran schließen einige resümierende Überlegungen an (2.3). 2.1 Megatrends und ihre Durchsetzung in altindustriellen Regionen – ein Analyseraster In den Debatten der letzten Jahre finden sich immer wieder zwei zentrale Theoreme, mit deren Hilfe die Wissenschaft versucht, die Richtung des industriellen Strukturwandels genauer zu bestimmen. Dazu gehören zum einen Vorstellungen vom Übergang zu einer wissensgestützten Dienstleistungsökonomie und zum anderen die Transformation in eine „Informational Economy“ (Castells 1996), die stofflich auf der Produktion und der zunehmenden Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien basiert. Hinzu kommt sicherlich ein dritter Megatrend der industriellen Restrukturierung: die Globalisierung der wirtschaftlichen Austauschbeziehungen als einer treibenden Kraft sektoraler und regionaler Veränderung. Internationalisierungsprozesse werden wir jedoch in einem eigenen Kapitel analysieren (Kapitel 5). Sozialwissenschaftliche Prognosen über die sozialen Folgen der genannten Megatrends fallen alles andere als eindeutig aus. So ist beispielsweise der Übergang zur Dienstleistungsökonomie, den Fourastié aus einer vermeintlichen Rationalisierungsresistenz von Dienstleistungen ableitete, in dieser klassischen Theorie noch mit der Vision einer „tertiären Zivilisation“ verknüpft. Dem steht heute das Konzept einer „tertiären Krise“ (Zinn 1998) gegenüber. Fourastiés Begriff der „tertiären Zivilisation“ bezieht sich auf einen Gesellschaftstyp, in der Dienst-
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Kapitel 2
leistungskonsum auf hohem Niveau mit der Dominanz von Dienstleistungstätigkeiten bei Wertschöpfung und Beschäftigung einhergeht. Dieser Gesellschaftstyp entsteht der Theorie nach, weil die Produktivität des industriellen Sektors ein steigendes Pro-Kopf-Einkommen ermöglicht, während gleichzeitig eine relative Sättigung der Nachfrage nach billiger werdenden Industriegütern und eine wachsende Nachfrage nach „Tertiärem“ eintritt. Der Hunger nach Dienstleistungen bewirkt der Theorie nach, dass die sinkende industrielle Beschäftigung von der Dienstleistungsnachfrage kompensiert wird. Die Vision einer tertiären Zivilisation setzt so voraus, dass der Wechsel von Industrie- zu Dienstleistungstätigkeiten nicht mit Einkommenseinbußen verbunden ist, so dass die Masse der Dienstleistungsbeschäftigten auch die erzeugten Dienstleistungen kaufen kann (Zinn 1998). Hier setzt die Diagnose einer „tertiären Krise“ an. Sie bezieht sich auf die empirisch nachweisbare hohe Rationalisierungsdynamik der Dienstleistungsökonomie sowie auf das damit verbundene Faktum, dass der Übergang von industrieller zu Dienstleistungsbeschäftigung im Durchschnitt häufig zu Einkommenssenkungen geführt hat. Die „tertiäre Krise“ äußert sich in einer Abschwächung des gesamtwirtschaftlichen Produktivitätswachstums. Hohe Arbeitslosigkeit und die Zunahme so genannter „bad jobs“ sind die Folge. Um solchen Krisentendenzen entgegenzuwirken, sind gerade in altindustriellen Regionen, in denen der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsbeschäftigung nachhaltiger und schneller organisiert werden muss als in den schon immer durch hohe Dienstleistungsanteile gekennzeichneten Metropolen, erhebliche strukturpolitische Anstrengungen nötig. In der Vergangenheit haben sich politische Regulierungen als ein Motor für die Entwicklung von qualifizierten Dienstleistungen erwiesen (Gesundheitswesen, Bildung, Wissenschaft etc.). An diese Erfolgsgeschichte könnten altindustrielle Regionen anknüpfen. Martin Baethge (2000) hat in diesem Zusammenhang jedoch zu Recht auf den schwierigen „Abschied vom Industrialismus“ hingewiesen. Das nicht nur, weil der Industrialismus eine staatsinterventionistische Kultur getragen hat, deren Niedergang mit der Krise der fordistischen Formation unwiderruflich eingeleitet ist. Hinzu kommt, dass es bei dem Übergang zur Dienstleistungsökonomie „immer auch um die Gestaltung von Alltagskultur geht“. Gegenwärtig wird die Alltagskultur freilich höchst einseitig unter dem Gesichtspunkt von neuen Beschäftigungschancen und steigenden Erwerbsquoten betrachtet. Gerade in altindustriellen Regionen, in denen die hohe Arbeitslosigkeit auch zu sozialräumlichen Polarisierungen tendiert, könnte sich eine solche Sichtweise jedoch sehr schnell als eine verhängnisvolle Verkürzung der Problematik erweisen. Denn gerade in diesen Regionen existiert die Herausforderung, „nicht die ganze Alltagskultur der Erwerbsquote zu überantworten“, sondern sich Refugien zu bewahren, „die
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nicht in den Status von Lohnarbeit und Kommerz überführt werden“ (Baethge 2000: 101). Die Durchsetzung des ersten Megatrends des Strukturwandels vollzieht sich also keineswegs linear, sondern muss gerade in altindustriellen Regionen als politische Gestaltungsaufgabe verstanden werden. Ähnliches gilt für den zweiten Megatrend strukturellen Wandels. Unter dem schillernden Etikett der „New Economy“ vereinigten sich zu Anfang des Jahrzehnts auch in unseren Untersuchungsregionen zahlreiche industriepolitische Versuche, den sektoralen Wandel zu gestalten. Die Ausstrahlungskraft dieses Leitbildes gründete sich zunächst auf eine außergewöhnlich lange Boomphase der US-Ökonomie in den 1990er Jahren, die von einem explosionsartigen Wachstum der Internet-Nutzung und einer immensen Steigerung des Aktienwerts insbesondere junger Internet-Unternehmen getragen wurde. Infolge des spekulativ angeheizten Booms sank die Arbeitslosenquote in den USA unter fünf Prozent (Scherrer 2001). Das erklärt, weshalb der „kalifornische Kapitalismus“ auch im Wirtschaftsraum der EU zeitweilig zu einem fast schon konkurrenzlosen Leitbild ökonomischer Entwicklung wurde. Das Ende des spekulativen Booms und die darauf folgende Wirtschaftskrise (Brenner 2003) haben das Leitbild einer „New Economy“ inzwischen erschüttert. Euphorische Beschwörungen einer quasi krisenfreien „Wirtschaft neben der Wirtschaft“, die gleichsam „eigentumslos“ (Rifkin 2000; kritisch: Gorz 2000) die Schwerkraft ökonomischer „Gesetzmäßigkeiten“ überwindet, sind durch konjunkturellen Abschwung, Personalabbau und eine Welle von Insolvenzen brutal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Die Zerstörung von Mythen, die einen ehernen Zusammenhang zwischen informationstechnologischer Durchdringung der Wirtschaft, daraus resultierenden Produktivitätssteigerungen und einem dauerhaft hohen, inflationsneutralen Wirtschaftswachstum postulierten, darf jedoch nicht den Blick für das nach wie vor beträchtliche Wachstumspotential der – wie es analytisch präziser heißt – Informational Economy und ihrer InfoCom-Industrien (Sablowski 2003) verstellen. Unverändert bildet die Ansiedlung von Produzenten und Dienstleistern aus den InfoCom-Branchen in vielen Regionen einen Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung. Zudem erweisen sich die Informationstechnologien zu einer Triebkraft weiterreichender Veränderungen in der Arbeitsorganisation und den Unternehmensstrukturen und bilden – wie die Dampfmühle für den industriellen Kapitalismus (MEW 4: 130) – die technologische Grundlage eines in den sozialen und politischen Beziehungen umgewälzten „High-Tech-Kapitalismus“ (Castells 1996; Haug 2004). Fassen wir zusammen: Die Megatrends Dienstleistungsökonomie und Informational Economy erzeugen Anpassungsprobleme und Herausforderungen, denen sich altindustrielle Regionen trotz vergleichsweise schwacher Ressourcen-
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ausstattung stellen müssen. Mehr noch: Die Megatrends müssen spezifische Ausformungen erhalten. So kann die entstehende Dienstleistungsökonomie in den altindustriellen Regionen eine Modernisierung der verarbeitenden Industrie forcieren – ein Prozess, der sich dann u. a. in einer Expansion unternehmensbezogener Dienste niederschlägt. Über personenbezogene Dienstleistungen kann eine Dienstleistungsökonomie zudem soziale Funktionen wahrnehmen, die auch den aus dem industriellen Sektor „freigesetzten“ Arbeitskräften zugute kommt. Der Übergang zur „Informational Economy“ setzt indessen enorme Investitionen in eine „Infrastruktur des Wissens“ voraus – ein Unterfangen, das zwangsläufig strukturpolitische Mittel bindet, die dann nicht mehr für eine „Bestandspflege“ überkommener industrieller Strukturen zur Verfügung stehen. Dies sind nur zwei Beispiele für spezifische Wirkungen, die die genannten Megatrends in altindustriellen Regionen auslösen können. Wie schon angedeutet, verlaufen diese Trends nicht linear und konfliktfrei. Sie werden in den Regionen durch „institutionelle Filter“ gebrochen und sie erzeugen systematisch Gegentendenzen, die nach einer – wiederum modifizierenden – politischen Bearbeitung verlangen. Dass altindustrielle Regionen dem Problemdruck tatsächlich gewachsen sind, wird in der einschlägigen Literatur oft bezweifelt. Werfen wir deshalb einen Blick auf diese Debatte. Obwohl die in der Regionalforschung der 1980er und der beginnenden 1990er Jahre verbreitete dichotome Gegenüberstellung von niedergehenden und prosperierenden Regionen, von rust belts und sun belts, mittlerweile differenzierteren Betrachtungen gewichen ist, benennt der Begriff ‚altindustrielle Region‘ noch immer wichtige Charakteristika des sozialräumlichen Übergangs zu nachfordistischen Arbeits- und Wirtschaftsformen. Dies vor allem, weil sich die Kategorie auch auf jene kulturellen Milieus bezieht, die nicht weniger als die Branchen- oder Technologiestruktur für Erfolg und Misserfolg regionaler Entwicklungen verantwortlich zeichnen (Piore/Sabel 1985). In diesem Kontext wurden in den 1980er Jahren regional vernetzte klein- und mittelständische Unternehmen als dynamische Akteure prosperierender „industrial districts“ identifiziert, während die großbetrieblich-fordistische Prägung altindustrieller Regionen als Auslaufmodell betrachtet wurde. Die Hauptursache für Entwicklungsblockaden sah man in der Unfähigkeit regionaler Akteure, kreative Milieus zu bilden, um Abwärtsspiralen entgegenzuwirken. Faktisch erschöpften sich die Ansätze strukturpolitischer Neuausrichtung in altindustriellen Regionen lange Zeit in der Neuansiedlung von Tochterbetrieben fordistischer Großunternehmen (Jones/Trevor 1991: 20f.). Der Weg zu einer „lernenden Region“ mit Flexibilitäts- und Innovationskompetenz schien gerade durch das großbetriebliche Milieu und die mit ihm korrespondierenden Arbeitsbeziehungen blockiert. Tradierte Verflechtungen von Unternehmen, Politik und Gewerkschaften galten wissenschaftlichen Beobachtern daher als eine strukturelle „Schwäche starker Netze“
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(Grabher 1993), als Ausdruck einer „Kultur der Defensive“ (Cooke 1995), die durch lock-in-Effekte eine erfolgreiche Bewältigung des Strukturwandels verhinderte. Die kulturellen Besonderheiten altindustrieller Regionen werden so zu einem negativen „Filter“, der (makroökonomische) Entwicklungsimpulse in Lern- und Innovationsbarrieren verwandelt. Dass es solche lock-in-Effekte gab und gibt, wollen wir nicht bestreiten. Auch in den Untersuchungsregionen finden sich zahlreiche Beispiele. Unser Hauptaugenmerk gilt indessen innovativen Entwicklungsprozessen. Wir vermuten, dass die langen Erfahrungen bei der Herstellung von Kompromissgleichgewichten zwischen gegensätzlichen Interessen gerade altindustrielle Regionen dazu befähigen können, neue Wege der Krisenbewältigung und der politischen Bearbeitung des Strukturwandels zu erproben (Hudson 1994). Kritische Regionalforscher haben inzwischen zu Recht darauf hingewiesen, dass alte Industrien nicht zwangsläufig in allen Regionen zum Wegbereiter in eine ökonomische Abwärtsspirale werden müssen (Hudson 1998). Dass vermeintlich strukturkonservative Milieus und wirtschaftliche Innovationsschwäche einander wechselseitig verstärken, ist zudem oft behauptet, empirisch aber noch kaum belegt worden (Sadler 2000). Für uns bleibt der Begriff der „altindustriellen Regionen“ dennoch analytisch sinnvoll. Auf seiner Grundlage lassen sich Problemkonstellationen bestimmen, die unsere Untersuchungsregionen prägen. Wir bezeichnen Dortmund, Nürnberg und Chemnitz nachfolgend als altindustriell geprägte Regionen, wenngleich diese Bezeichnung den heutigen Strukturen dieser Sozialräume nicht mehr gerecht wird. Wir wählen diese Bezeichnung aber bewusst, um uns von einem Diskurs abzugrenzen, der unterstellt, altindustrielle Regionen seien innovationsresistent und in erster Linie durch politischen und gewerkschaftlichen Strukturkonservativismus geprägt. Was eine altindustrielle Region konkret ausmacht, ergibt sich aus der Empirie des Strukturwandels, mit der wir uns nun näher beschäftigen wollen. Als Analysefolie nutzen wir die eingangs skizzierten Megatrends, ohne diese nahtlos in eine quantitative Auswertung von regionalen Wirtschaftsstrukturen umsetzen zu können. Stattdessen analysieren wir die verschiedenen Grundmuster regionalen Wandels, um darüber auf spezifische regionale Ausformungen der Megatrends schließen zu können. 2.2 Der regionale Strukturwandel im Vergleich Die folgende Analyse versucht, den strukturellen Wandel in den Untersuchungsregionen anhand von drei zentralen Fragestellungen zu beschreiben: (a) Wie entwickeln sich die – lange Zeit strukturprägenden – Altindustrien? (b) Welche
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Richtung schlägt der sektorale Wandel ein? (c) In welchen Wirtschaftsbereichen lassen sich Beschäftigungszuwächse nachzeichnen? Übergreifend geht es um die Bedeutung von Dienstleistungsökonomie und Informational Economy für die jeweiligen Regionen. Ziel dieses Untersuchungsschrittes ist es nicht, eine umfassende Analyse des strukturellen Wandels in den Regionen, des Umbruchs in der Branchenhierarchie oder der Veränderung von Beschäftigtenanteilen in einem systematischen Vergleich vorzulegen. Ungleich bescheidener geht es uns darum, jenen Handlungsrahmen zu erfassen, aus dem heraus sich das Zusammenspiel von Problemdruck und regionalpolitischen Handlungsstrategien erklären lässt. 2.2.1 Dortmund: der lange Abschied vom Dreiklang „Stahl-Kohle-Bier“ Die Stadt Dortmund, mit über 590.000 Einwohnern heute sechstgrößte Stadt des Bundesgebietes, galt lange Zeit als eine typische Ruhrgebietsstadt. Im Südosten des einst größten industriellen Ballungsraums Europas gelegen, war die ehemalige Hansestadt im 19. Jahrhundert wie andere Städte der so genannten Hellwegzone mit Bergbau und Stahl expandiert und zur zweitgrößten Industriestadt des Reviers geworden. Zwar gab sich die Stadt Dortmund urbaner als die Mehrzahl der aus dem Boden gestampften Ruhrgebietsstädte, doch blieben auch hier viele Industrien und Dienstleistungsbranchen unterentwickelt. Die Zechen und Stahlhütten – für Nicht-Werksangehörige unzugängliche Areale in Größe von Stadtteilen – dominierten das Stadtbild und das soziale, kulturelle und politische Leben (Plumpe 1997). Mit der wachsenden Rohstoffnachfrage für die industrielle Massenproduktion, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, wurde die industrielle Monostruktur noch einmal gefestigt. Gerade im Ruhrgebiet hat sich das regionale Milieu „im Kontext vor-fordistischer Regulations- und Unternehmenskonzepte herausgebildet“ (Läpple 1994: 45ff.). Diese kulturelle Prägung wurde durch das fordistische Entwicklungsmodell der Nachkriegszeit zwar überformt, in seinen wesentlichen Charakteristika jedoch stabilisiert. Wie keine andere Industrieregion wird das Ruhrgebiet bis heute durch seine montanindustrielle Tradition geprägt. Als ruhrgebietstypisch gilt die enge Beziehung von Wirtschaft und Staat, die aus einer den Grundstoffindustrien zugeschriebenen nationalen Sonderrolle resultiert. Seit dem 19. Jahrhundert sind in der Ruhrwirtschaft marktwirtschaftliche Koordinationsformen weniger entwickelt als in anderen Regionen. Dominant war lange Zeit ein staatlich gefördertes verbundwirtschaftliches Produktionssystem (Petzina 1993). Die monoindustrielle Wirtschaftsstruktur bot zunächst „neueren“ Branchen, wie etwa der Metall- und Elektroindustrie, wenig Raum. Das regionale Milieu wurde von den Produktionsmodi der Bergbau- und Stahlkon-
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zerne bestimmt. In den Großbetrieben existierte eine hierarchische Kommandostruktur, mit der die Kontrolle über Beschäftigte ausgeübt wurde, die zu großen Teilen körperliche Schwerstarbeit verrichteten. Konstitutiv für diese Produktionsweise war zudem ein stark geschlechtssegregiertes Familienmodell, das die männerdominierte Industriearbeit ermöglichte. Die fordistische Prosperitätskonstellation in Dortmund basierte auf dieser Tradition und wurde wesentlich vom so genannten „Dortmunder Dreiklang“ getragen, der mit dem Leitsatz „mehr als 7 Millionen Hektoliter Bier sind zu brauen, um mehr als 7 Millionen Tonnen Steinkohle fördern und 7 Millionen Tonnen Stahl schmelzen zu können“ treffend umschrieben wurde. Bereits Ende der 1950er Jahre signalisierte die erste Bergbaukrise den Beginn eines zukünftigen Abwärtstrends. Der Bergbau bekam die Ölkonkurrenz zu spüren. Mit staatlicher Unterstützung fusionierten verschiedene Bergbauunternehmen zur Ruhrkohle AG, die Produktion wurde ins nördliche Ruhrgebiet verlagert. Bereits 1987 hatte man die letzte Zeche von einst 30 Kohlebergwerken in Dortmund geschlossen. Auf dem Gelände der Zeche Minister Stein findet man heute das Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund. Seit Mitte der 1970er Jahre sah sich die lokale Stahlindustrie mit neuen konkurrierenden Stahlproduzenten konfrontiert. Es folgten Wellen der Spezialisierung und Internationalisierung einheimischer Produktionsstätten. Auch die Stahlindustrie ist in Dortmund inzwischen Geschichte. Am 28. April 2001 wurde auf der Westfalenhütte zum letzten Mal Eisen geschmolzen und auf Phoenix Ost ein Stahlabstich vorgenommen. Die Hörder Fackel erlosch nach vielen Jahren der Flüssigstahlerzeugung in Dortmund und Hörde. In Dortmund ist die Krise der Stadt unauflöslich mit der Geschichte des über einen langen Zeitraum prägenden Konzerns verknüpft: Hoesch – ein Unternehmen, das seit 1871 in der Stadt produzierte und bis zu 40.000 Stahlarbeiter (1964) in der Stadt beschäftigte. Im Rahmen der Umstrukturierung des Konzerns verlor Dortmund sukzessive eine wichtige Funktion als Konzernstandort. Der Stahlproduzent Hoesch, der 1979 noch 24.000 Beschäftigte in der Stadt hatte, wurde 1993 von Krupp übernommen. Krupp selbst fusionierte 1997 mit Thyssen. Infolge von Reorganisations- und Konzentrationsprozessen in der Stahlindustrie wurde Dortmund einer externen Kontrolle überantwortet, die seither der „Schreibtisch des Ruhrgebiets“, Düsseldorf, ausübt. Gegenwärtig ist in Dortmund nur noch eine Kaltwalzanlage mit weniger als 1.500 Beschäftigten in Betrieb. Auf dem Gelände der Westfalenhütte im Norden der Stadt arbeiteten bis zu 1.000 Mitarbeiter des chinesischen Stahlunternehmens Shagang, um das komplette Stahlwerk inklusive Hochöfen, Walzwerk und Sinteranlage zu zerlegen und es im chinesischen Zhangjiagang wieder aufzubauen (DER SPIEGEL 15/2002).
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Kapitel 2
Auch die dritte Etüde des Dortmunder Dreiklangs, die Biertradition, neigt sich dem Ende zu. Dortmunder Union, Kronen- und Actien-Brauerei – eine Marke nach der anderen verlor Reputation und Unabhängigkeit. Inzwischen gehören sie alle zum Bielefelder Oetker-Konzern und siedeln im Billigsegment. Im Minutentakt hat im April 2004 eine Abrissbirne in die alten roten Backstein-Gemäuer der ehemaligen Dortmunder Union-Brauerei in der Nähe des Hauptbahnhofes eingeschlagen. Unter den gewaltigen Schutthaufen verschwanden in wenigen Stunden die Stätten ehemals tausender Arbeitsplätze. Zum Zeitpunkt unserer Untersuchung hat Dortmund bereits drei Jahrzehnte des ‚Kampfes mit dem Strukturwandel‘ (Goch 2002) hinter sich. „Wir haben hier ja einige Erfahrungen mit dem Strukturwandel“ (Do/Pol01), können Dortmunder Akteure zu Recht behaupten. Man kann zwei Phasen eines tiefen Strukturwandels unterscheiden. In einer ersten Phase konzentriert sich der Wandel auf wichtige Sektoren des Dienstleistungssektors (Versicherungen und Banken), in der zweiten Phase auf Branchen der Informational Economy. Die dynamische Entwicklung im Banken- und Versicherungswesen in der ersten Phase des Strukturwandels „hat die Beschäftigungskrise gemildert“. Inzwischen ist die Beschäftigungsentwicklung in diesen Branchen rückläufig: Als eine Grundstruktur hat ein langjähriger Beobachter des Dortmunder Strukturwandels formuliert: „(a) der Strukturwandel findet statt, (b) der hat auch durchaus seine starken Seiten, aber (c) er reicht absolut nicht aus, um die Beschäftigungsverluste auch nur annähernd auszugleichen“ (Do/GW04). Mit der gezielten Förderung neuer Technologien und Branchen im „dortmund-project“ ist im Jahr 2000 eine neue Phase der Politik des Strukturwandels eingeleitet worden: „Entwicklungsschwerpunkte gab es nicht. Es ist alles nach einem Gießkannenprinzip gefördert worden. Das ist heute nicht mehr so“ (Do/NWA03). Inzwischen ist das Ruhrgebiet längst keine homogene wirtschaftsstrukturelle Einheit mehr. Der Industrieanteil des Ruhrgebiets liegt mittlerweile unter dem Landesdurchschnitt. Die Industrien siedeln in den Peripherien des Bergischen und des Sauerlandes (Nordhause-Janz 2002). In Dortmund macht sich dieser Wandel besonders drastisch bemerkbar. Das alte Dortmund wird sukzessive vom Leitbild eines „neuen“ und „schnellen Dortmund“ verdrängt, welches auf Branchen einer Informational Economy aufbaut. Ambitionierte industriepolitische Projekte verstehen sich als Beitrag zur „Intensivierung“ des Strukturwandels. Mit der Förderung wissensintensiver Leitbranchen soll der Anschluss an die großen Megatrends wirtschaftlicher Entwicklung vollzogen werden. Diese Konstellation prägt die Beschäftigungsentwicklung. In der Dortmunder Altindustrie sind seit 1970 ca. 80.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Dem steht lediglich ein Aufbau von 20.000 neuen Beschäftigungsverhältnissen in den
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1990er Jahren gegenüber. Noch 1980 jedoch arbeiteten knapp 30 % der in Dortmund Beschäftigten in den Betrieben des „Dreiklangs“. Bis in die 1990er Jahre hinein ist Dortmund ein Wirtschaftsstandort geblieben, der als traditionell „überindustrialisiert“ betrachtet werden kann. Auch der Anteil produktionsbezogener und damit modernisierungsrelevanter Dienstleistungen entwickelte sich bis dahin unterdurchschnittlich. Als Folge der Krise des Dortmunder Dreiklangs verringert sich der Anteil der in der gewerblichen Wirtschaft tätigen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten während der 1990er Jahre jedoch stetig; der Anteil der in der städtischen Dienstleistungsökonomie Tätigen ist hingegen kontinuierlich gestiegen und unterscheidet sich heute mit über 65 % kaum noch von anderen bundesdeutschen Großstädten. Treibende Kraft dieser Dynamik war zunächst das Leitbild eines modernen Banken- und Versicherungsstandortes (Ruhr Memorandum 1998). Die faktische Entwicklung in diesen Bereichen blieb jedoch hinter den Erwartungen zurück. Der Anteil der Beschäftigten im Kredit- und Versicherungswesen stieg von 4 % im Jahre 1980 auf knapp über 5 % 1990 und erreichte 1996 den Höchststand von 6,7 %. Seither hat der Bereich seine Dynamik als treibende Kraft des Strukturwandels eingebüßt, obwohl er ein gewichtiger Faktor der städtischen Ökonomie geblieben ist. Die erste Welle des Strukturwandels in der Stadt ist seit Mitte der 1990er Jahre durch eine neue Welle abgelöst worden. Bereits für den Zeitraum bis 1996 identifizieren Rehfeld/Wompel (1998) in ihrer Analyse regionaler Innovationsschwerpunkte neue „Motoren des Wirtschaftsstandortes“ Dortmund, so u. a. die Software- und Kommunikationsdienste, die Logistik und Mikrotechnik. Die neue Welle eines – z. T. bewusst angestrebten – Strukturwandels zielt nicht einseitig auf den Übergang zu einer städtischen Dienstleistungsökonomie; vielmehr soll mittels strukturpolitischer Anstrengungen sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungssektor neuen Branchenkombinationen zum Durchbruch verholfen werden. Hinter dem strukturellen Wandel in Dortmund verbergen sich erhebliche Strukturverschiebungen innerhalb des industriellen Sektors. Als Gewinner des Strukturwandels präsentieren sich vor allem die Elektrotechnik und das Transportwesen – wesentliche Förderbereiche des „dortmund-projects“. Traditionell entwickelte sich die Elektrotechnik in der Region in enger Verzahnung mit der Energiewirtschaft. Seit den 1990er Jahren ist allerdings eine Entkopplung zu beobachten. Die Branche wächst eigenständig und emanzipiert sich von der Krise der Altindustrien. Während die Beschäftigungsverhältnisse im traditionellen Energiesektor massiv abgebaut wurden, expandierten vor allem im Kontext des Dortmunder Technologiezentrums Mikroelektronik und der Mikrostrukturtechnik (vgl. Kapitel 4). In den Jahren 1996 bis 2001 verdoppelten sich die Beschäftigtenzahlen im Bereich der Mikrosystemtechnik von 600 auf 1.200 (Jonas et al. 2002). Ende
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2003 wurden bereits über 1.600 Mitarbeiter in 24 Unternehmen gezählt (Dortmunder Branchenbericht 2004: 19). Hier handelt es sich überwiegend um kleinund mittelständische Unternehmen. Die meisten Betriebe haben weniger als 50 Beschäftigte. Eine ähnlich dynamische Entwicklung vollzieht sich im Bereich der Software- und Kommunikationsdienste. In der IT-Branche arbeiteten im Dezember 2003 rund 11.500 Erwerbstätige in 660 Unternehmen. Gegenüber dem Vorjahr entsprach das einem Beschäftigungsrückgang um 1,7 %; im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (- 3 %) fiel der Beschäftigungsabbau in der Branche gleichwohl moderat aus. Die Zahl der Branchen-Unternehmen nahm weiter zu (plus 1 % gegenüber 2002 bei hoher Dynamik von An- und Abmeldungen) und mehr als ein Drittel dieser Unternehmen plante in naher Zukunft einen Beschäftigungsaufbau (Dortmunder Branchenbericht 2004: 13ff.). Insgesamt sind die Entwicklungen in Dortmund bis 2004 günstiger als im bundesdeutschen Branchendurchschnitt verlaufen. Ein Grund hierfür ist, dass die angesiedelten Unternehmen oft als Anbieter unternehmensspezifischer Lösungen operieren. Sie sind also in eine Vielzahl von Wertschöpfungsketten integriert und hier zumeist in einzelnen Wertschöpfungsstufen tätig (Jonas et al. 2002). Dies dämpft die Wirkung von Branchenkrisen. An der Schnittstelle von „New“ und „Old Economy“ steht die Logistik, die neuartige Formen der Organisation und Steuerung zwischenbetrieblicher Material- und Informationsflüsse von der Beschaffung bis zu Verkauf und Entsorgung zur Verfügung stellt. Das dynamische Wachstum dieser Branche wird durch das Outsourcing solcher Funktionen seitens der Industrie vorangetrieben, weil die Dienstleistungen von Logistikern erhebliche Rationalisierungspotentiale für die unternehmerischen Transport-, Lagerhaltungs- und Umschlagsprozesse beinhalten (Plehwe u. a. 1998). Die Logistikunternehmen selbst greifen dabei auf spezialisierte Software-, Planungs- und Beratungsfirmen zurück. Die Beschäftigung in der Dortmunder Logistik entwickelte sich zunächst positiv, wobei sich die Beschäftigungsanteile von Post und Bahn verringerten und private Speditionen und andere Logistikdienstleister an Bedeutung gewannen. Insgesamt ist die Entwicklung der Branche im zurückliegenden Jahrfünft bundesweit wie auch in Dortmund jedoch weniger günstig verlaufen als prognostiziert. 2003 arbeiteten im Kernbereich der Logistik in Dortmund insgesamt ca. 13.000 Personen, das entsprach einem Rückgang der Beschäftigung gegenüber dem Vorjahr um 3 %. Dieser Rückgang war überdurchschnittlich; er erfolgte jedoch auf ein Jahrfünft überdurchschnittlichen Wachstums (plus 7 % in Dortmund, plus 4 % im Bundesmaßstab (Dortmunder Branchenbericht 2004: 26). Die nachfolgende Tabelle dokumentiert die Beschäftigungsentwicklung u.a. im traditionellen Kern wie auch in den neuen Führungsbranchen.
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Beschäftigtenzahlen zu verschiedenen Zeitpunkten (gerundet) Anfang Mitte 1990er 2000/01 2003/200 1990er Jahre 4 Jahre (1995/96) (1990/91) Traditionelle Kernbranchen Metall- und Elektrowirtschaft 21.000 17.000 einschließlich Handwerk
Davon Eisen- und Stahlerzeugung Elektrotechnik Maschinenbau Bauwirtschaft
10.000 7.200 8.600 14.200
6.800 7.400 6.000 12.500
Führungsbranchen - 9.250 (1999) 600 7.300 7.800 Sonstige Dienstleistungsbranchen Hotel- und Gaststättenge4.500 werbe Finanz- und Versiche11.500 11.800 rungswirtschaft Einzelhandel 21.900 18.700 Gesundheitswirtschaft IT-Branche Mikrosystemtechnik Logistik /Kernbereich
6.000 7.600 5.000 11.500 (1998)
1.700 6.800 5.150 11.500
12.200 1.200 13.000
11.500 1.680 12.700
5.000
5.000
-
12.700
16.000* 30.000
14.200 34.700
Tabelle 1: Beschäftigtenentwicklung in ausgewählten Branchen Dortmunds * geschätzt Über die tatsächliche Beschäftigungsdynamik (siehe Tabelle 1) in den neuen Führungsbranchen – mit dem dortmund-project sollten ursprünglich bis zum Jahr 2010 80.000 neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden, davon allein 70.000 in den neuen Führungsbranchen – wird im Zusammenhang mit einer Zwischenbilanzierung in der Stadt kontrovers diskutiert. Unabhängig von den strukturpolitischen Anstrengungen zeigen aber auch einige Dienstleistungssegmente in der städtischen Ökonomie eine überaus dynamische Entwicklung. Die Tabelle zeigt einen Beschäftigungsaufbau im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, vor allem aber in der Gesundheitswirtschaft. Allein in der Gesundheitswirtschaft arbeiteten 2003 über 30.000 Personen (Dortmunder Branchenbe-
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Kapitel 2
richt 2004: 42); die aktuelle beschäftigungspolitische Bedeutung des Sektors ist damit weitaus größer als die der neuen Führungsbranchen. Einen Beschäftigungsaufbau gab es auch in anderen Segmenten der Dienstleistungsökonomie: etwa bei kulturellen und sozialen Dienstleistungen (soziale Dienste einschließlich der Non-Profit-Organisationen des „dritten Sektors“ und der Bereich Wissenschaft, Kunst, Publikation). Insgesamt zeigt dies, dass der Übergang zur Dienstleistungsökonomie nicht nur von der Privatwirtschaft getragen wird; strukturbildend für die städtische Wirtschaft sind auch solche Organisationen, die nicht primär den Gesetzen von Lohnarbeit und Kommerz folgen. Gerade in Dortmund zeigt sich die beschäftigungspolitische Bedeutung jener „Agenturen des Strukturwandels“, die als Beschäftigungs- und Qualifizierungsinitiativen infolge des massiven Beschäftigungsabbaus in der Altindustrie entstanden sind (vgl. dazu Kapitel 6). Obwohl Dortmund mit anderen altindustriellen Regionen das Schicksal teilt, dass der Abbau von Beschäftigungsverhältnissen im verarbeitenden Gewerbe größer ist als im Bundesdurchschnitt, die Dynamik des Beschäftigungsaufbaus im tertiären Sektor dagegen unterdurchschnittlich verläuft, lassen sich für einzelne Wirtschaftsbranchen vergleichsweise positive Entwicklungen konstatieren. Sie dokumentieren sowohl einen Übergang zur Dienstleistungsökonomie als auch eine massive Strukturverschiebung innerhalb des industriellen Sektors. Resümieren wir die Durchsetzungsbedingungen der Megatrends des Strukturwandels vor dem Hintergrund der Beschäftigungsentwicklung der städtischen Ökonomie, lassen sich zwei Besonderheiten benennen. Erstens: Der Übergang zur Informational Economy setzt sich in Dortmund durchaus empirisch nachvollziehbar und in einer über dem Bundesdurchschnitt liegenden Dynamik durch. Die Dynamik basiert wesentlich auf zwei Pfeilern: dem TechnologieZentrum und einer breiten Forschungsinfrastruktur in diesem Bereich. Die New Economy entwickelt sich teilweise aber auch aus den altindustriellen Strukturen heraus (Elektrotechnik) oder sie sattelt auf dem regionalen Qualifikationsprofil der Arbeit auf (Logistik, Call-Center) und wird durch die altindustriellen Strukturen spezifisch geformt. Dabei zeigt gerade die Mikrosystemtechnik, dass viele Segmente der New Economy nicht allein auf Wissensarbeit basieren. Dort entstehen, wenngleich auf beschäftigungspolitisch noch niedrigem Niveau, auch neue „Blaumannarbeitsplätze“. Der von altindustriellen Strukturen mitgetragene Übergang zur Informational Economy vollzieht sich jedoch nicht strukturkonservativ oder linear. Das altindustrielle Regulationsmodell der Arbeit wird durch neue Unternehmensstrukturen unterminiert. Großbetriebliche Strukturen sucht man in der städtischen Ökonomie heute selbst in der Metall- und Elektroindustrie vergebens: „Im Verwaltungsstellenbereich betreuen wir 150 Betriebe, der kleinste Betrieb hat 7 Beschäftigte, der größte hat 2.000 Beschäftigte“ (Do/GW02),
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schildert ein Gewerkschafter die Entwicklung. Faktisch ist Dortmund inzwischen eine Stadt ohne wirkliche Großbetriebe. Dies bedeutet zweitens, dass sich der Übergang zu einer städtischen Dienstleistungsökonomie als ein Prozess vollzieht, der die bestehenden Regulationsverhältnisse von Erwerbsarbeit zur Disposition stellt. Das gilt nicht nur für Dienstleistungssegmente, in denen in Forschung und Beratung hochqualifizierte Tätigkeiten neu entstehen, sondern auch für Branchen, die auf die altindustriellen Strukturen aufsatteln, etwa die Logistik, in der aufgrund geringer Qualifikationsanforderungen, langer Arbeitszeiten, schlechter Arbeitsbedingungen und hoher Anteile prekärer Arbeitsverhältnisse zuvor unbekannte Formen der Regulation von Arbeit entstehen (Kock 2000). 2.2.2 Nürnberg: Krise der Elektroindustrie und konzernabhängige Reorganisation Mit rund 487.000 Einwohnern ist Nürnberg die zweitgrößte Stadt in Bayern. Nürnberg bildet das Zentrum der Industrieregion Mittelfranken, zu der auch die Städte Erlangen, Fürth, Ansbach und Schwabach sowie einige Landkreise zählen. Nürnberg kann auf eine lange industrielle Tradition zurückblicken. Bis heute wird der Raum von verarbeitender Industrie und industrienahen Dienstleistungen geprägt, deren Wurzeln weit zurückreichen. Bereits zu Zeiten Dürers wurde Nürnberg Handelszentrum und Metropole des Druckereigewerbes. Diese ins Mittelalter zurückreichende handwerklich-gewerbliche Tradition besitzt sowohl für das Selbstbild wie auch für die Außendarstellung der Stadt noch immer einen hohen Stellenwert. Industriehistorisch mündete diese Tradition in eine Wirtschaftsstruktur, die zunächst in hohem Maße durch klein- und mittelständische Betriebe der Metallverarbeitung, der Druckindustrie, der Elektrotechnik und Verbrauchsgüterindustrien gekennzeichnet war. Im Unterschied zu Dortmund bildete die Region Nürnberg von jeher einen Industrieraum, der durch einen diversifizierteren Industriebesatz und kleinere Betriebsgrößen gekennzeichnet war. In diesem Raum kam aber auch dem Handel und damit dem Dienstleistungsgewerbe schon infolge des größeren ländlichen Umfeldes historisch eine höhere Bedeutung zu. Zudem entfaltete sich wesentlich früher als in Dortmund oder dem gesamten Ruhrgebiet, wo der Ausbau von Forschung und Hochschulwesen erst mit dem Vollzug des Strukturwandels begann, eine Forschungslandschaft, die teilweise ebenfalls auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Die für die fordistische Expansion der Nachkriegszeit charakteristische Nachfrage nach dauerhaften Massenkonsumgütern wurden in Nürnberg zur Triebkraft einer Prosperitätskonstellation, in der vor allem die regionale Elektro-
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industrie durch die Umsetzung tayloristisch-fordistischer Produktionskonzepte einen dauerhaften Aufschwung erfuhr. In diesem Wachstumsmodell entstanden in der Region größere Betriebseinheiten wie der Hausgerätehersteller AEG oder die Unterhaltungselektronik bei Grundig. Diese Unternehmen wurden neben dem Industriegiganten Siemens zum Profilträger der Region. Kündigte sich der Strukturwandel in Dortmund seit den 1960er Jahren an, so wurde dieser Prozess in der Region Nürnberg erst später in Gang gesetzt und mündete in eine sehr spezifische Dynamik der Fremdbestimmung. Nürnberg ist, so ein befragter Regionalpolitiker, erst relativ spät politisch in den Strukturwandel eingetreten – und dies, „obwohl die spezifische Produktpalette andere Regionen bereits zu Gegenstrategien gezwungen“ habe (N/Pol05). Die Nürnberger Produktpalette basiert auf einem „hohen Anteil an Arbeitsplätzen mit einfacher Fertigungstätigkeit“, der großes „Rationalisierungs- und Verlagerungspotential beinhaltete“ (Wirtschaftsreferat N 1999: 9). Wirkungsmächtig wurden diese Potentiale jedoch erst in den 1990er Jahren; lange Zeit blieb die industrielle Welt in Nürnberg „noch in Ordnung“: „Das klassische Ruhrgebietsphänomen ereilte uns erst einige Jahre später. Und in diesem Zusammenhang war die städtische Strukturpolitik lange Zeit eine klassische Infrastrukturpolitik. Das hat genügt. Es hat auch niemand mehr verlangt. Und als die Krise dann kam, da traf sie uns erstens unvorbereitet. Und zweitens hatten wir damals schon das Phänomen, das wir in den letzten Jahren wieder in einer zweiten Stufe beobachten können, dass traditionsreiche Standortunternehmen mit Familienbesitz – da ist Grundig das Beispiel schlechthin – im internationalen Kontext aufgegangen sind. Wir haben eine Fremdbestimmungsquote – wenn ich die gewerbesteuerzahlenden Unternehmen nehme, da haben 70 % ihren Stammsitz außerhalb Nürnbergs. Das ist damals losgegangen und zwar anfallartig: da kam Phillips zu Grundig... In dieser Zeit hat zweierlei gefehlt: es hat an Instrumentarien gefehlt zur Krisenintervention und es hat die Konzeption gefehlt: Wo muss kommunale Wirtschaftspolitik mehr sein als nur Standortpolitik“ (N/Pol05)?
Im Unterschied zu Dortmund gab es in der Region Nürnberg bis in die 1980er Jahre hinein keine politische Tradition der Krisenbewältigung und des „Kampfes mit dem Strukturwandel“, obgleich sich dieser bereits schleichend vollzog. Auch der Wirtschaftsstandort Nürnberg blieb bis weit in die 1980er Jahre „überindustrialisiert“ (über 45 % der Gesamtbeschäftigten im verarbeitenden Gewerbe). Innerhalb des industriellen Sektors dominierte die Elektrotechnik (knapp 40 %). Die Entwicklung hin zu einer städtischen Dienstleistungsökonomie, die mit anderen bundesdeutschen Großstädten vergleichbar wäre, vollzieht sich erst seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre. Vor diesem Hintergrund kann von einem verzögerten und schleichenden Strukturwandel in Nürnberg gesprochen werden. Verzögert, weil die industrielle Struktur schon wesentlich früher Anpassungskrisen wahrscheinlich machten, die erst später manifest wurden; schleichend, weil sich hinter der scheinbaren Stabilität altindustrieller Strukturen eine grundlegen-
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de Veränderung im industriellen Produktionsmodell der regionalen Ökonomie abzeichnete. Erst in den 1990er Jahren ist von einer „Krisenregion Nürnberg“ – so die Definition der örtlichen IG Metall – die Rede, um so überhaupt strukturpolitische Maßnahmen zu legitimieren. Im verarbeitenden Gewerbe gingen in den 1990er Jahren gut ein Viertel der Arbeitsplätze verloren. Anders als in Dortmund, wo das Gewicht des einst dominierenden Dreiklangs „Stahl-Kohle-Bier“ auch innerhalb des industriellen Sektors im Zuge des strukturellen Wandels der regionalen Ökonomie abnimmt, behält die in der Industrieregion Nürnberg dominierende Elektrotechnik-Branche ihr relatives Gewicht innerhalb des industriellen Sektors. Lange Zeit die beschäftigungspolitisch wichtigste Branche, bildet die Elektrotechnik immer noch einen gewichtigen Faktor für die städtische Ökonomie. Mit einer gewissen Berechtigung kann man im verarbeitenden Sektor noch immer von einer industriellen Monokultur sprechen. Hinter der scheinbaren Stabilität, die die dominierende Industrie in der Wirtschaftsregion aufweist, verbirgt sich jedoch eine grundlegende Reorganisation (nicht nur) der industriellen Beschäftigungsverhältnisse; charakteristisch ist die Zunahme von immaterieller oder Wissensarbeit. Nach Angaben des städtischen Wirtschaftsreferats ist im Verlauf des strukturellen Wandels der 1990er Jahre die Anzahl der Beschäftigten mit Universitäts- bzw. Fachhochschulabschluss von 1989 bis 2000 von 16.482 auf 25.723 gestiegen. Die Anzahl der Beschäftigten ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist dagegen von 54.762 auf 41.364 gesunken (Wirtschaftsreferat Nürnberg 2002: 12). Nach Angaben des Bundesministeriums für Forschung und Technologie („Technologiebericht 2001“) liegt der Anteil der Industriebeschäftigten in wissensintensiven Zweigen bundesdurchschnittlich bei 12 %, in Nürnberg jedoch bei 16,8 %. Während die Gesamtzahl der Industriebeschäftigten zurückgeht, erhöht sich die Zahl der Arbeitsplätze in den wissensintensiven Branchen. Das städtische Wirtschaftsreferat spricht daher von einem „steigenden Qualitätsniveau der lokalen Industrie“ (Wirtschaftsreferat Nürnberg 2001). Vorausgegangen ist dem Wandel hin zu einem Wirtschaftsstandort für wissensintensive Produktion eine tiefe Krise der lange Zeit dominierenden Industrie. Die Krise wurde von den fokalen Unternehmen der Region in die gesamte industrielle Struktur hineingetragen. Forciert wurde die Entstehung der „Krisenregion Nürnberg“ durch die Tatsache, dass die regionalen Arbeitsplätze in hohem Maße von den Vorgaben international operierender Konzerne abhingen, deren Zentralen nicht mehr vor Ort ansässig waren. Mehr als 50 Prozent der Metallbetriebe waren bereits Mitte der 1990er Jahre konzernabhängige Tochter- oder Zweigbetriebe. Einer im Auftrag der IG Metall durchgeführten Studie zufolge, hielt 1996 jeder fünfte Interessenvertreter aus einem wirtschaftlich gesunden Betrieb seinen
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Standort wegen laufender Konzernrestrukturierungen für gefährdet (Drinkhut/Westheide 1996). Anders als in Dortmund, wo sich Gewinner des Strukturwandels infolge einer doppelten Dynamik innerhalb des Industriesektors und innerhalb der städtischen Dienstleistungsökonomie herauskristallisieren, konzentriert sich die Gewinnerseite in Nürnberg allein auf die regionale Dienstleistungsökonomie. Im industriellen Bereich lassen sich keine Branchen ausfindig machen, in denen ein wesentlicher Zuwachs an Beschäftigungsverhältnissen zu verzeichnen ist. Parallel zur Dortmunder Entwicklung stagnieren die Beschäftigungsverhältnisse im Kredit- und Versicherungsgewerbe. Gerade arbeitsintensive Bereiche der Dienstleistungsökonomie sind aufgrund von Konzentrationsprozessen und Datenautomatisierung unter Rationalisierungsdruck geraten. Auch der Handel zeigt keine positive Beschäftigungsbilanz, wenngleich die negativen Folgen des krisenbedingten Nachfrageausfalls für Nürnberg weniger ausgeprägt sind. Positive Entwicklungen zeigen jedoch die Bereiche der unternehmensbezogenen Dienstleistungen, der Gesundheitswirtschaft, der Organisationen ohne Erwerbscharakter und – weit weniger ausgeprägt als in Dortmund – der Bereich der Wissenschaft. Im Kern sind es zwei Dynamiken, die den Strukturwandel in der Wirtschaftsregion Nürnberg positiv beeinflussen. Zu nennen ist zunächst die überdurchschnittliche Steigerungsrate von Beschäftigungsverhältnissen in unternehmensbezogenen Dienstleistungen. Hintergrund dieser Entwicklung ist, wie in anderen industriell strukturierten Wirtschaftsräumen auch, eine für die nachfordistische Reorganisation charakteristische „Verschlankung“ der Produktion, d. h. das Outsourcing bestimmter Unternehmens- bzw. Produktionsfunktionen. Die Wachstumssektoren des Dienstleistungsbereiches stehen in einer engen gegenseitigen Beziehung zum Produktionssektor. Sie werden von ihm „gespeist“, „indem Planung, Beratung und Servicefunktionen von der unmittelbaren Produktion abgekoppelt und auf Dienstleistungsunternehmen übertragen werden“ (Wirtschaftsreferat Nürnberg 2002: 10). Vor allem die unternehmensnahen Dienstleistungen profitieren von der Nachfrage der Produzenten. Sie entwickeln neue Problemlösungen, die idealiter die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der produzierenden Unternehmen steigern sollen. Industriebetriebe vergeben in zunehmendem Maße bisher selbst erstellte Dienstleistungen (z.B. Planung, Marketing, Service etc.) an externe Dienstleister. Für die Region Nürnberg sind Wachstumssegmente insbesondere im Bereich Marktforschung anzutreffen. Hinzu kommt, dass sich hinter dem Sammelsurium der „sonstigen Dienstleistungen“ auch in Nürnberg eine wirtschaftliche Dynamik verbirgt, die mit der Produktion und Verallgemeinerung von Informations- und Kommunikationstechnologien verknüpft ist. Diese Dynamik bildet die zweite Triebkraft des strukturellen Wandels. Das städtische Wirtschaftsreferat zählt im „Kompetenzfeld
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Kommunikation und Multimedia“ für die Wirtschaftsregion insgesamt 90.000 Beschäftigte in ca. 8.000 Unternehmen (Wirtschaftsreferat Nürnberg 2001: 45). Auch hier weist die neue Wirtschaftsdynamik eine enge Verknüpfung mit den Strukturen des altindustriellen Nürnbergs auf. Mit rund 20.000 Beschäftigten bildet der Printsektor (Druckereien und Verlage) in der Region noch immer eine dominierende beschäftigungspolitische Größe innerhalb des Kompetenzfeldes; er ist zudem der umsatzstärkste Teil der regionalen Informational Economy. Neben dieser engen Verzahnung von „Old“ und „New Economy“ zielen die Nürnberger Initiativen vor allem auf die Organisation „durchgängiger Wertschöpfungsketten bei zukunftsweisenden Kommunikationstechnologien“ – etwa im Bereich optischer Kommunikationstechnologien, bei denen mit Lucent Technologies ein Weltkompetenzzentrum in diesem Bereich entstehen soll, das Synergien für regionale Endanwender wie Datev oder Quelle freisetzt, die diese Technologie zur Bewältigung großer Datenmengen benötigen. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Beschäftigungsentwicklung in den Industrie- und Dienstleistungsbranchen Nürnbergs, insbesondere die dynamische Entwicklung der unternehmensbezogenen Dienstleistungen:
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Beschäftigte zu verschiedenen Zeitpunkten gerundet Anfang Mitte 2000/01 2004 1990er Jahre 1990er (1991/92) Jahre (1995/96) Industrie Industriesektor gesamt 87.900 66.000 60.000 56.000 Elektrotechnik Metallverarbeitung 3.350 (2002) Druckindustrie 6.000 (2002) Maschinenbau 7.800 (2002) Herstellung von Geräten der Elektri10.900 zitätserzeugung, -verteilung u.ä. (2002) Rundfunk-, Fernsehund 5.600 Nachrichtentechnik (2002) Bauwirtschaft 16.000 11.200 11.500 8.400 (1997) Dienstleistungsbranchen Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) Handel 51.000 46.200 42.300 38.700 (1993) Unternehmensbezogene Dienstleis- 29.500 33.200 47.500 49.000 tungen (einschließlich Marktfor- (1993) schung) Finanz- und Versicherungswirtschaft 16.600 16.200 16.000 15.500 Dienstleistung gesamt 178.700 176.483 182.700 184.800 (1993)
Tabelle 2: Beschäftigtenentwicklung in ausgewählten Branchen Nürnberg Resümieren wir: Die Durchsetzung der Informational Economy stellt ohne Zweifel auch in der Wirtschaftsregion Nürnberg einen dynamischen Faktor im strukturellen Wandel dar. Die „neuen“ Bereiche weisen jedoch noch stärker als in Dortmund Bezüge zu den altindustriellen Strukturen auf. Das gilt vor allem für die regionale Druckindustrie. Ähnlich wie in Dortmund geht es aber auch in Nürnberg darum, neue Wertschöpfungsketten regional zu erschließen. Von einer völligen Eigenständigkeit der neuen Sektoren kann aber – trotz einer euphori-
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schen Rhetorik vor allem Ende der 1990er Jahre – im Grunde keine Rede mehr sein. Nach Ansicht eines von uns befragten Wirtschaftsförderers spielen die Unternehmen der „New Economy“ „von der Masse her, quantitativ, keine Rolle mehr. Wohl aber von der Qualität her“ (N/Pol04). Im Unterschied zu Dortmund, wo im Leitbild ein eher enger Begriff der IT-Wirtschaft prägend ist, wird der Begriff der IuK-Wirtschaft in Nürnberg weiter gefasst; teilweise wirkt er sogar diffus. „Wir haben keine klare Vorstellung davon, was New Economy hier ist..., weil wir keinen klaren Begriff davon haben... und wir haben auch keinen Überblick, wie viel wir davon haben....“ (N/NWA02). Infolge der eher heterogenen Struktur, die der Übergang zur Informational Economy in der Wirtschaftsregion Nürnberg annimmt, treten die Probleme gewerkschaftlicher Betriebspolitik, wie sie etwa in Dortmund mit der dramatischen Auflösung fordistischer Großbetriebe verbunden sind, nicht in dieser Form zutage. Die Betriebsgrößenstruktur der Nürnberger Wirtschaft bleibt nahezu gleichgewichtig verteilt. 34 % der abhängig Beschäftigten arbeiten in Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten, 35 % in Betrieben mit 50-499 Beschäftigten und 31 % in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten.1 Auch der Übergang zu einer regionalen Dienstleistungsökonomie vollzieht sich in Nürnberg nicht mit jener radikalen Dynamik, die er in Dortmund an den Tag legt. Er wird zudem stärker von den nach wie vor dominierenden industriellen Strukturen „gespeist“. Dies kann als Resultat des verzögerten und schleichenden Strukturwandels begriffen werden. Die Wachstumssegmente der unternehmensbezogenen Dienstleistungen in der Wirtschaftsregion Nürnberg beziehen ihre Dynamik unmittelbar aus der nachfordistisch-nachtayloristischen Reorganisation der regionalen Industrieunternehmen, während eine derartige „strukturelle Kopplung“ zwischen regionaler Dienstleistungs- und Industriestruktur in Dortmund so nicht mehr funktioniert. Der anhaltende Druck auf die Beschäftigten konnte jedoch trotz des immensen modernisierungspolitischen Potentials dieser Dienstleistungen nicht abgewendet werden und bleibt – nicht zuletzt aufgrund der anhaltend hohen beschäftigungspolitischen Bedeutung modernisierter Altindustrien (und hier insbesondere der Elektrotechnik) virulent. Diese Problemkonstellation liefert den „Rohstoff“, den die verschiedenen strukturpolitischen Ansätze in der Wirtschaftsregion bearbeiten müssen.
1
Die neuen technologischen Grundlagen der industriellen Fertigung stellen aber auch in Nürnberg ein Problem für die organisierte Interessenvertretung dar: „In die neuen Technologiefelder einzudringen, gelingt nur in Einzelfällen. Das, was an Möglichkeiten erreicht worden ist, sind Einzelbeispiele. Ich kann aber nicht sagen, dass ein Weg gefunden worden ist, um in die Bereiche wirklich einzudringen“ (N/GW04).
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2.2.3 Chemnitz: von der Maschinenbau- zur „Automobilregion“? Chemnitz bildet die „Wiege des deutschen Maschinenbaus“, die schon Goethe faszinierte: „Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam; aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen“ (Schaller 2001: 18). Goethe schrieb die zitierten Zeilen im Jahre 1810 nach seinem Aufenthalt in Chemnitz, wo ihn insbesondere die Maschinenspinnereien der Stadt interessierten. Diese bedeutende industrielle Tradition der Stadt setzte sich lange fort. Chemnitz stieg im 19. Jahrhundert zum „sächsischen Manchester“ auf. Zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Stadt eindeutig durch Branchen wie den Maschinen- und Fahrzeugbau sowie die Textilindustrie geprägt. In dieser Zeit entwickelte sich auch eine von der Arbeiterbewegung getragene Kultur sozialer Kämpfe. 1871 streikten 8.000 Maschinenbauer für den 10-Stunden-Tag; 1883 befanden sich tausend Arbeiterinnen und Arbeiter der Chemnitzer Aktienspinnerei im Arbeitskampf für die Verlängerung der Mittagspause. Im gleichen Jahr wurde erstmals eine Frau, Ernestine Minna Simon, als Streikführerin gewählt. Während der Weimarer Republik erlebte die Stadt ihre industrielle Blüte. Hatte Chemnitz 1871 ca. 60.000 Einwohner, expandierte die Zahl während der Weimarer Republik auf über 300.000. Zugleich verzeichnete die Stadt zu dieser Zeit die höchste ProKopf-Wertschöpfung und das höchste Pro-Kopf-Steueraufkommen aller größeren deutschen Städte. 1932 wurde durch Zusammenschluss traditionsreicher Fahrzeugbauer der Region (Horch und Audi aus Zwickau, Wanderer aus Chemnitz und DKW aus Zschopau) die Auto-Union AG mit Sitz in Chemnitz gegründet. 1953 taufte man Chemnitz in „Karl-Marx-Stadt“ um. Während der DDR-Zeit wurde im Bezirk Karl-Marx-Stadt knapp ein Fünftel des gesamten Bruttosozialproduktes der DDR erwirtschaftet. Sechs Kombinatsleitungen hatten ihren Sitz in der Stadt. 40 % der Beschäftigten im DDR-Werkzeugmaschinenbau arbeiteten im Bezirk Karl-MarxStadt. Nach 1989 setzte mit der im Zeitraffer verlaufenden Weltmarktanpassung der industrielle Niedergang der Stadt ein. Als Ergebnis der „Treuhandphase“ blieben nur Restbestände von den ursprünglichen Metallindustrie-Arbeitsplätzen in der Stadt übrig. Die Betriebe der so genannten „Spinnlinie“ sind trotz vehementer Proteste in den ersten Jahren nach der Vereinigung nahezu komplett verschwunden. Chemnitz fungiert mit ca. 200.000 Einwohnern (Tendenz sinkend) als „Knoten“ in der Wirtschaftsregion Chemnitz-Zwickau. Als größte industrielle Arbeitgeber der Region fungieren in der Gegenwart Betriebsstätten international agierender Konzerne: Siemens WKC, Siemens VDO und VW. Hinzu kommen regional ansässige Zulieferfirmen.
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Vor diesem Hintergrund stellt sich der Strukturwandel in Chemnitz natürlich anders dar als in unseren beiden anderen Untersuchungsregionen. Folgte die Industrieentwicklung in Nürnberg und Dortmund den Mustern fordistischer Industrialisierung in einer weltmarktgestützten Nachkriegsprosperität, verlief die Dynamik der altindustriellen Branchen in Chemnitz in Entwicklungsbahnen, die der vom Weltmarkt relativ abgekoppelte Comecon zuließ. Der mehr als verspätet einsetzende Strukturwandel in Chemnitz wurde zunächst von der Systemtransformation, der Privatisierung vormals verstaatlichter Industrien und der Weltmarktintegration der Wirtschaftsregion strukturiert. Die Systemtransformation nach 1989 leitete in ganz Ostdeutschland eine Phase des Niedergangs der industriellen Basis ein. Die Transformation erfolgte wesentlich als Anpassung an die Eigentumsverhältnisse und das Institutionensystem der alten Bundesrepublik. Diese Art des Anschlusses prägte auch die Privatisierungsstrategie. Verbunden mit der „Sturzgeburt der Währungsunion“ (Memorandums-Gruppe) mündete die Privatisierung zunächst in einen andauernden Prozess der „Deindustrialisierung“ Ostdeutschlands ein. In den neuen Bundesländern wurde in den ersten Jahren nach der Vereinigung das Bruttoinlandsprodukt halbiert, die Industrieproduktion ging auf ein Drittel zurück. Auf der anderen Seite ging die ökonomische Systemtransformation mit beträchtlichen Fortschritten beim technologischen Niveau und der Produktqualität vieler Produktionszweige einher. Zudem wurden die industriellen Strukturen Ostdeutschlands gründlich umgewälzt; heute existieren kaum noch industrielle Großbetriebe. In Chemnitz traf diese Dynamik den regional dominierenden Maschinenbau. Auf einem ungleich geringeren Beschäftigungsniveau hat sich die regionale Dominanz des Maschinen- und Fahrzeugbaus dennoch gehalten. Die Betriebsgrößen jedoch veränderten sich in der ersten Phase der Transformation erheblich. Herrschten vor 1989 Betriebe mit über 1.000 Beschäftigten vor, so hatten Mitte der 1990er Jahre 80 % der Betriebe in der Metall- und Elektroindustrie unter 100 Beschäftigte. Diese Veränderung der Betriebsgrößen ging mit einem massiven Beschäftigungsabbau einher. Von den ehemals 3.500 Beschäftigten des VEB Sachsenhydraulik blieben 1994 noch 270 übrig. Bei dem VEB Numerik mit ehemals 2.500 Beschäftigten ging die Zahl auf 900 zurück. Im Arbeitsamtsbezirk Chemnitz wurde die Anzahl der abhängig Beschäftigten zwischen 1990 und 1998 halbiert (von 233.205 auf 118.908). Die Beschäftigungsentwicklung im Maschinenbau verlief noch dramatischer. Die Beschäftigtenzahlen reduzierten sich bei den Finalproduzenten des Werkzeugmaschinenbaus von 10.700 (1990) auf 948 (1997) und im Textilmaschinenbau von 9.900 auf 889 im gleichen Zeitraum. Der Beschäftigungsabbau vollzog sich als Ausgliederung ehemals unter dem Dach der Kombinate und Großbetriebe konzentrierter Einheiten. Infolge
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dieses radikalen Wandels wurden tradierte Netzwerkbeziehungen aufgebrochen. Kontakte zur Universität etwa, die selbst einen radikalen Wandel durchlief, aber auch Wirtschaftskontakte in ehemalige Comecon-Staaten erodierten durch die Auflösung der organisatorischen Verklammerung der Kombinatsstrukturen (Bluhm 1995). Zudem konnte der Standortvorteil „Ostkontakte“ unter den Bedingungen einer stagnativen oder sogar rückläufigen Entwicklung der effektiven Nachfrage in den Wirtschaftsräumen Osteuropas bis Mitte der 1990er Jahre nicht ausgespielt werden. Strukturprägend für die Transformationskrise waren häufig fehlgeschlagene Privatisierungsversuche, die mit einem beständigen Beschäftigungsabbau verbunden waren. Erst weitreichende Reorganisationen in den Betrieben konnten die Abwärtsspirale stoppen und die Privatisierung vollenden. Wir sind in unseren Recherchen in verschiedenen Betrieben auf solche Prozesse gestoßen. In einem ehemals dem Hydraulikring-Kombinat zugehörigen und nun in Siemens VDO eingegliederten Betrieb arbeiteten zu DDR-Zeiten zwischen 1.000 und 1.100 Beschäftigte. Eine erste Privatisierungsphase begann 1994/95, als ein badenwürttembergisches Kleinunternehmen den Betrieb übernahm und in seine Produktions- und Vertriebsstrukturen zu integrieren versuchte. 1997 erfolgte der Einstieg der Siemens AG. Das Werk wurde ein 100%iges Tochterunternehmen von Siemens, erneut reorganisiert und 2001 in die Siemens-VDO integriert. Es fungiert heute als ein führendes Werk im Bereich modernster Dieseltechnologie. Sein Beschäftigungstief erreichte das Werk Mitte der 1990er Jahre mit 150 Erwerbstätigen. Heute arbeiten im Werk wieder ca. 850 Beschäftigte. Der ehemalige VEB Numerik wurde schneller privatisiert. Bereits 1991 startete das Werk als Siemens Automatisierungstechnik GmbH; 540 Beschäftigte nahmen die Produktion für den (nicht zahlungsfähigen) osteuropäischen Markt auf. Bis 1997 wurde die Beschäftigung auf 340 Mitarbeiter heruntergefahren. Es erfolgte eine gründliche Reorganisation und eine produkttechnische Ausrichtung auf das Ausrüstungsgeschäft, das bei Siemens vorab nur in kleinen Einheiten eine Rolle spielte. Das Werk hat heute wieder 580 Beschäftigte. Dennoch schätzt der Betriebsrat die Situation als prekär ein, auch weil die Fähigkeit zur produkttechnischen Diversifizierung der Produktion jenseits der Vorgaben des Konzerns begrenzt ist (C/B03/BR01). Aber es gibt nicht nur Entwicklungen, in denen das Beschäftigungsvolumen der Ursprungskonstellation auf neuem technologischen und organisatorischen Niveau annähernd wieder hergestellt werden konnte. Das zeigt das Beispiel des Werkzeugmaschinenherstellers UNION. UNION basierte zu DDR-Zeiten auf zwei Unternehmensstandorten: Gera (2.400 Beschäftigte) und Chemnitz (900 Beschäftigte). Mehrere Privatisierungsversuche („Metallgesellschaft“ oder „Bremer Vulkan“) scheiterten. 1996 folgte der Konkurs. Die drohende Schlie-
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ßung konnte nur im Rahmen einer immensen strukturpolitischen Anstrengung durch das sogenannte Chemnitzer Konsensmodell abgewendet werden. Seit 1996 fungiert UNION als ein neu gegründetes Unternehmen mit dem Status einer Mitarbeitergesellschaft. Zu diesem Zeitpunkt hatte UNION 13 Beschäftigte. Heute ist es ein Unternehmen mit 110 mitarbeitenden Gesellschaftern und 170 Beschäftigten. Das sind – trotz erfolgreicher Restrukturierung – weniger als 20 % der ursprünglichen Beschäftigtenzahl. Der Beschäftigungsabbau im industriellen Sektor ist bis heute keineswegs gestoppt. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gingen im regionalen Maschinenbau weitere 25 % des Beschäftigungsvolumens verloren. Erst ab dem Jahr 2000 trug die strukturpolitische Strategie des „Erhalts industrieller Kerne“ Früchte. Ein örtlicher Gewerkschafter hat den schmerzlichen Niedergang des Chemnitzer Maschinenbaus, der erst zehn Jahre nach der „Wende“ gestoppt werden konnte, mit folgenden Worten beschrieben: „Eigentlich waren unsere Vorstellungen schon, dass wir es schneller erreichen, die Karre zu stabilisieren. Und dass der Aufbau auch schneller wieder stattfindet... Schon 1992/93 wurde prophezeit, dass das Tal 1994 überwunden sei und im Jahr 2004 haben wir zumindest 40 % der Beschäftigten von dem, was wir 1990 hatten, wieder. Jetzt haben wir auf jeden Fall wesentlich geringere Zahlen, als wir das uns vorgestellt haben und es hat vor allem länger gedauert“ (C/GW03).
Der anhaltende Beschäftigungsabbau in der Region Chemnitz kann auch auf nach wie vor virulente Strukturprobleme zurückgeführt werden, die mit dem Modus der Privatisierung zusammenhängen. Im Falle von Management-BuyOuts konnte die Treuhandanstalt nur geringe Erlöse erzielen. Die neuen Eigentümer besaßen wenig Eigenkapital und damit geringe Ressourcen für Sanierungen und Investitionen. Die Eigenkapitalschwäche der Unternehmen erweist sich bis heute als ein „elementares Problem“ (C/NWA03) des Strukturwandels. Konjunkturelle Krisen führen so in der regionalen Ökonomie sehr schnell zu Liquiditätsproblemen, die oft Betriebsschließungen zur Folge haben. Angesichts der anhaltenden Beschäftigungskrise lassen sich in Chemnitz schwerlich dynamische Sektoren aufspüren, die als Gewinner des Strukturwandels bezeichnet werden können. Nur wenige Branchen konnten ihr Beschäftigungsvolumen ausbauen. Hierzu zählen insbesondere der Straßenfahrzeugbau sowie die IT-Wirtschaft. Insgesamt lassen sich zwei dominierende Trends bestimmen, die dem regionalen Strukturwandel eine Richtung geben. Das ist zum einen die Ansiedlung von VW und Siemens, die eine breit gefächerte Automobilzulieferstruktur in der Region entstehen ließ. Zum anderen handelt es sich um unternehmensbezogene, häufig wissensintensive Dienstleistungen, die der IT-Wirtschaft zugerechnet werden können. Treibende Kraft auf dem Weg zu
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einer wissensgestützten Produktions- und Dienstleistungsökonomie ist das Zusammenspiel beider Trends. Die Ansiedlung von VW fungierte als Hauptimpulsgeber für die Entwicklung der regionalen IT-Wirtschaft (vgl. dazu unsere Ausführungen zur Globalisierung in Kapitel 5). Die nachfolgende Tabelle dokumentiert den dramatischen Beschäftigungseinbruch bis Mitte der 1990er Jahre und zeigt, in welchen Bereichen eine Stabilisierung bzw. ein Aufbau des Beschäftigungsniveaus erreicht werden könnte: Beschäftigte zu verschiedenen Zeitpunkten Anfang Mitte 1990er Jahre 1990er (1991) Jahre (1995) Industrie Fahrzeugbau 6.221 1.232 Textil- und Bekleidungsindustrie 3.196 616 Büromaschinen, Elektrotechnik, 8.393 2.198 Feinmechanik, Optik Maschinenbau 17.713 7.741 Metallerzeugung und -bearbeitung 4.966 1.900 Bauwirtschaft 11.927 15.236 (1990) Verarb. Gewerbe gesamt 69.326 18.345 (1990) Industrie gesamt 81.253 38.208 (1990) Dienstleistungsbranchen Unternehmensbezogene Dienst15.125 leistungen Dienstleistung gesamt 83.106 90.183 (1990)
2000
2004
916 1.103 536 454 2.176 2033 5.270 4.723 2.879 2.947 11.423 6.781 15.806 15.16 4 30.427 24.29 1 17.151 17.80 8 86.755 79.56 1
Tabelle 3: Beschäftigungsentwicklung in ausgewählten Branchen Chemnitz Es vermag kaum zu überraschen, dass in Chemnitz Sonderbedingungen vorherrschen, die dem Strukturwandel eine spezifische Ausprägung geben. Überraschend ist eher, dass sich die dominierenden Entwicklungstendenzen trotz aller unbestreitbar vorhandenen Unterschiede doch bis zu einem gewissen Grad mit denen in Dortmund oder Nürnberg vergleichen lassen. Auch in Chemnitz erweist
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sich die altindustrielle Struktur als Basis einer expansiven Dynamik wissensgestützter Dienstleistungen. Wie in Dortmund und Nürnberg fungieren sogenannte Altindustrien als Märkte, an denen sich die regionale IT-Wirtschaft ausrichtet. Die kurze Zeitspanne, in der sich der „doppelte Strukturbruch“ in der Region vollzogen hat, nahm in gewisser Weise einen Prozess vorweg, der in Dortmund und Nürnberg infolge nachfordistischer Restrukturierungsprozesse erst während der zweiten Hälfte der 1990er Jahre akut wurde. Die mit dem Abschluss der Privatisierung einsetzende Neupositionierung der regionalen Industrie erfolgte in Chemnitz freilich bereits im Rahmen der globalen Reorganisation von Zulieferbeziehungen und Wertschöpfungsketten transnationaler Konzernen wie VW (vgl. Schmitz 1999) und Siemens, also in Abhängigkeit von Konzernzentralen mit Sitz in den alten Bundesländern. Trotz dieser Besonderheiten lassen sich auch für Chemnitz Spuren der Megatrends des Strukturwandels nachzeichnen. Die Durchsetzung der Informational Economy fungiert auch in der ostdeutschen Region als eine treibende Kraft des Wandels, wobei sie, ähnlich der Situation in Nürnberg, starke Bezüge zu den altindustriellen Strukturen (Maschinenbau) und zu den sich dynamisch entwickelnden Bereichen der Automobil- und Zulieferindustrie aufweist. Insgesamt verdankt sich der Übergang zu einer regionalen Dienstleistungsökonomie in Chemnitz dem Erhalt von Kernstrukturen des traditionellen Maschinenbaus, wenngleich die zerrüttete industrielle Basis eine Restriktion für die Entfaltung unternehmensbezogener Dienstleistungen darstellt. Dynamisch entfaltet sich dieser Sektor, sofern er auf die neue Positionierung als Automobil(zuliefer)region bezogen ist. Überlagert werden diese Wirkungsmechanismen des Strukturwandels jedoch von der Beschäftigungskrise der Region und den strukturellen Problemen der Bestandspflege klein- und mittelständischer Unternehmen. Diese Problemkonstellation ist es, auf die sich strukturpolitische Ansätze und regionale Akteure schwerpunktmäßig beziehen müssen, wenn sie zur Überwindung von Entwicklungsblockaden beitragen wollen. 2.3 Triebkräfte eines radikalen Strukturwandels Jenseits aller Unterschiede in den Profilen des Strukturwandels und den regionalen Ausprägungen der „Megatrends“ fallen bei drei Merkmalsbündelungen Gemeinsamkeiten auf, die in allen Untersuchungsregionen anzutreffen sind: Erstens wird der Strukturwandel in allen Regionen vom Beschäftigungsabbau in den altindustriellen Strukturen überformt. Dieser Beschäftigungsabbau wirkt sich entweder als anhaltende Bedrohung (Nürnberg, Chemnitz) und somit als zentraler Ansatzpunkt regionaler Strukturpolitik aus, oder er ist in der Altin-
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dustrie bereits so weit vollzogen (Dortmund), dass die Frage nach neuen Beschäftigungsfeldern in den Mittelpunkt strukturpolitischer Interessen tritt. Zweitens werden die regionalen Milieus und die in den Regionen tradierten Formen der Arbeitsregulation sowohl durch modernisierte Strukturen im industriellen Bereich als auch in der neu entstehenden Dienstleistungsökonomie zur Disposition gestellt. Die altindustriellen Milieus beeinflussen zwar die Bahnen, in denen sich der Wandel hin zur wissensgestützten Dienstleistungsökonomie bewegt; gleichzeitig bildet sich jedoch ein Terrain heraus, auf dem neue Formen der Arbeitspolitik und -regulation erprobt werden müssen, um u. a. „tertiäre“ Krisenprozesse und Verwerfungen abfedern zu können. Drittens zeigt sich, dass der Beschäftigungsabbau in den Altindustrien nicht durch den Aufbau neuer Beschäftigungsverhältnisse in den neuen Branchen aufgefangen werden kann. In besonders ausgeprägter Form findet sich das negative Beschäftigungssaldo in Chemnitz. Dort ist die Diskrepanz zwischen dem Abbau von Beschäftigungsverhältnissen im regional dominierenden Maschinenbau und dem Aufbau neuer Beschäftigungsverhältnisse in neuen Wachstumsbranchen am größten. Die Dynamik neuer Beschäftigungsverhältnisse in der wissensgestützten Dienstleistungsökonomie fällt gegenüber Dortmund und Nürnberg ab. Am günstigsten verläuft die Entwicklung in Nürnberg. Dort ist der Beschäftigungsabbau in den regionalen Altindustrien im Vergleich am geringsten; die Beschäftigungsdynamik in den „neuen Sektoren“ am stärksten ausgeprägt. Aber es gibt nicht nur Gemeinsamkeiten. Wie nicht anders zu erwarten, variieren die Ausprägungen der „Megatrends“ von Region zu Region. Vergleicht man die Verlaufsformen des Strukturwandels in Chemnitz, Dortmund und Nürnberg, lassen sich eine Reihe regionaler Spezifika benennen: In Dortmund hat das nahezu komplette Wegbrechen der alten industriellen Strukturen bewirkt, dass sich der Megatrend hin zu einer modernen Dienstleistungsökonomie besonders stark ausprägt. Ein industriepolitischer Ansatz, der die Förderung neuer Führungsbranchen mit Schwerpunkt in der Informational Economy als alternativlos darstellt, forciert diese Entwicklung zusätzlich. Dabei zeigt sich gerade in Dortmund, dass sich die wissensgestützte Dienstleistungsökonomie nicht als ein ökonomisches Segment verstehen lässt, das ausschließlich auf Wissensarbeit basiert. Zudem zeigt die Dienstleistungsrealität in Dortmund deutlich, dass der Aufbau einer städtischen Dienstleistungsökonomie in einer altindustriellen Region nicht als bloßer Prozess „kapitalistischer Landnahme“ interpretiert werden kann. Vielmehr wird diese Entwicklung vom Aufbau eines so genannten „Dritten Sektors“ begleitet, dessen Existenz an politische Grundentscheidungen gebunden ist. Im Nürnberger Strukturwandel speist sich der Entwicklungspfad hin zu einer wissensgestützten Dienstleistungsökonomie
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noch stärker als in Dortmund aus altindustriellen Strukturen, die sich infolge der Verflechtung mit den Sektoren der Informational Economy selbst dynamisch verändern. Die Industrie erweist sich als eine treibende Kraft, die sogar eine höhere Beschäftigungsdynamik in den neuen Sektoren erzeugt als dies in Dortmund der Fall ist. In Chemnitz schließlich bedrohen Arbeitslosigkeit und Abwanderung aus der Region die spärlich gesäten Keime einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung. Konjunkturelle Krisen schlagen noch härter durch als in den beiden Vergleichsregionen. Die nachfolgende Tabelle gibt nochmals eine Übersicht über den Charakter und die industriepolitischen Herausforderungen in den einzelnen Regionen.
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Dimensionen des Strukturwandels traditionelle Industriestruktur typische Betriebsgrößen traditionell vorherrschende Industriezweige krisenhafte Auswirkungen des sektoralen Strukturwandels auf traditionell dominierenden Altindustrien ‚überlebende Branchen’ des Strukturwandels
Dortmund
Nürnberg
Chemnitz
montandominiert
diversifiziert
Maschinenbaudominiert
großbetrieblich
klein- und mittelbetrieblich Elektrotechnik Kohle Metallverarbeitung Stahl Druckindustrie Bierbrauerei Verbrauchsgüterindustrie x Betriebsschließungen x Reorganisation/ externe Kontrolle x erhebliche Beschäftigungsverluste x Verlagerung x Rationalisierung x Beschäftigungsverluste
großbetrieblich
Elektrotechnik
Automobilzulieferindustrie teilw. Maschinenbau
IuK Marktforschung Energietechnik Verkehrstechnik Verkleinerung / kaum / mittel- und kleinklein- und mittelbetrieblich betrieblich x montanspezifische x strukturelle Kopplung Krisenabwicklung zwischen Industrieund Dienstleistungsx „Investitionslenstruktur kung“ im Bereich der Führungsbranchen x Wissenstransfer aus Wissenschaft in Führungsbranchen Typisierung des Strukturbruch ‚schleichender’ StrukStrukturwandels turwandel Zentrale indust- Aufbau und arbeitspoli- Krisenabfederung und neue Modernisierungstische Neuregulation rie- und strukstrategien in der Altinneuer „Führungsbranturpolitische dustrie Herausforderung chen“ neue Führungsbranchen des Strukturwandels Veränderung in den Betriebsgrößen typische wirtschaftspolitische Intervention
IT-Branche Mikrosystemtechnik Logistik
Druckindustrie teilw. Verbrauchsgüterindustrie
Maschinenbau Textilindustrie Automobilzulieferindustrie x Zergliederung/ Privatisierung/ Neuorganisation x Rationalisierung x massive Beschäftigungsverluste
keine eindeutigen Leit-branchen Verkleinerung / mittel- und kleinbetrieblich x ‚fremdbestimmte’ Deindustrialisierung x neue betriebliche Steuerungskonzepte / Beiratsmodell ‚doppelter’ Umbruch Erhalt und Modernisierung industriepolitischer Kerne
Abbildung 1: Charakter und Herausforderungen des Strukturwandels
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Was bedeuten die skizzierten Problemkonstellationen und Entwicklungsprozesse nun für Ansatzpunkte zur politischen Steuerung des Strukturwandels? Eine erste Teilantwort lässt sich im Anschluss an eine von Kujath (1998; 2000) begründete Regions-Typologie formulieren. Der Autor betont, dass die Steuerungspotentiale je nach Produktionsorganisation in den Regionen recht unterschiedlich ausfallen können. Er unterscheidet zwischen vier Regionaltypen, in denen die Fähigkeit zur Steuerung der regionalen Entwicklungspfade erheblich variiert. Die kartellierte Region erweist sich als Raum verkrusteter Wirtschaftscluster, ihre Akteure bilden einen „closed shop“, der Outsidern versperrt bleibt. Hierarchisch eingebundene Regionen mit ihren vertikal integrierten Produktionsverbünden erweisen sich häufig als wirtschaftlich dualisierte Räume. Die vernetzte Region ist der Raum leistungsfähiger, innovativer Produktionsnetze. Und der Raum aufgelöster Produktionshierarchien und Produktionsnetze kann als fragmentierte Region bezeichnet werden. Zwischen diesen vier Varianten der Regionsentwicklung gibt es in der Realität natürlich ein breites Spektrum an Überlagerungen. Unsere Untersuchungsregionen lassen sich jedenfalls nicht eindeutig einem Typus zuordnen. Aber es gibt doch eine gewisse Nähe zu je zwei Entwicklungspfaden, in denen sich voraussichtlich die zukünftigen Entwicklungen vollziehen werden. Dortmund tendiert zu einer fragmentierten Region, in der die Auflösung bestehender Milieus und Produktionszusammenhänge weit fortgeschritten ist. Zugleich machen sich aber auch Ansätze einer vernetzten Region bemerkbar. Diese entsteht vor allem in neuen Produktionszusammenhängen, die aber – wie noch zu zeigen sein wird – auf vorhandene Bindungen der Wirtschaftsakteure aufsatteln. Nürnberg erweist sich als hierarchisch eingebundene Region, in der fremdbestimmte Entscheidungen den Takt vorgeben, nach dem die lokalen Akteure zu tanzen haben. In manchen Bereichen droht regionalen Politikkonzepten gar die Bedeutungslosigkeit, denn die entscheidenden Machtpromotoren sind außerhalb der Region angesiedelt (vgl. Kapitel 5). Zugleich zeigen jüngere Entwicklungen in Industrie und Dienstleitungen, dass in der Stadt neue Wirtschaftsprofile geschaffen werden, die den Weg zu einer vernetzten Region ebnen könnten. Chemnitz ist aufgrund seiner Entwicklung hin zu einer Automobilregion, aber auch wegen der Entwicklung der regionalen, wissensgestützten Dienstleistungsökonomie sowohl in regionale Austauschbeziehungen als auch in international ausgerichtete hierarchische Produktionsstrukturen eingebunden. Die Folgen aufgelöster Produktionsnetze machen sich ebenfalls noch immer bemerkbar. Insgesamt verweisen die Verlaufsformen des strukturellen Wandels in den Regionen aber doch auf eine Gemeinsamkeit. In allen Regionen können „Brückenköpfe“ einer wissensbasierten Produktions- und Dienstleistungsökonomie zu Ansatzpunkten werden, von denen aus altindustrielle Strukturen modernisiert
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und regionale Handlungsfähigkeit rekonstruiert werden können. Die lokalen Akteure kommen nicht umhin, diese Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Wenn sie sich auf eine solche „Sicht der Dinge“ einlassen, bedeutet dies freilich die Entscheidung für einen riskanten Weg. Denn die Akteure in den altindustriellen Regionen wissen in der Regel um die Probleme der Altindustrien; die Richtung des wirtschaftlichen Wandels können sie aber weder umfassend antizipieren noch im Detail planen. Sie können allenfalls Leitbilder für eine regionale Kooperationskultur entwickeln, die geeignete Rahmenbedingungen für einen solchen Wandel schafft. Dabei orientieren sie sich in der Regel am Bestehenden, d. h. sie setzen in ihrem Wirtschaftsraum auf evolutionären Strukturwandel. Das gilt in besonderem Maße für die gewerkschaftlichen Akteure. Nahezu ausschließlich in der „alten Ökonomie“ präsent, erhoffen sich die Arbeitnehmerorganisationen von ihrer Beteiligung an regionalen Allianzen Problemlösungen für ihre vom Strukturwandel gebeutelten Mitglieder. Diese Hoffnung wird, wie die Daten zeigen, jedoch nur bedingt erfüllt. Dies vor allem, weil wir es nicht mit einem linearen Wandel hin zu einer wissensgestützten Informational Economy zu tun haben. Linearitätsannahmen müssen mindestens in zweierlei Hinsicht relativiert werden: Zunächst stellen Informationstechnologien eine neue Querschnittstechnologie dar, sie bilden keine abgeschlossene Branche. Im Gegenteil, bekannte und von der Wirtschaftsstatistik erfasste Wertschöpfungsketten zerbrechen, einzelne Glieder werden mit anderen über Zuliefer- und Abnehmerunternehmen hinweg neu verknüpft. Die so genannte IT-Branche ist ein Konglomerat aus Elektronik, Telekommunikation, Software und Dienstleistungen (mit der Tendenz zur Integration). Zur IT-Branche zählen die Elektroindustrie sowie produktionsorientierte und kundenbezogene Dienstleistungen. Zudem setzen sich IT-Arbeitsbereiche auch in Unternehmen durch, die gar nicht erst zur IT-Branche zu zählen sind. Der Übergang zur Informational Economy bezeichnet somit vor allem ein Muster der betrieblichen und Unternehmens-Reorganisation. Hinzu kommt, dass sich der Übergang zur Informational Economy nicht allein, nicht notwendig und auch nicht vorrangig als ein Umbruch in der regionalen Branchenhierarchie vollzieht. Er kann sich auch innerhalb tradierter Leitbranchen etwa infolge einer Restrukturierung von Unternehmen und Konzernbetrieben durchsetzen. Inkrementeller Wandel bedeutet, dass sich der Übergang zu einer wissensgestützten Ökonomie auch schrittweise in den Unternehmen der Altindustrien vollziehen kann. In der Hülle des Alten entfaltet sich qualitativ Neues. Angesichts relativer Marktsättigung müssen sich grenzüberschreitend agierende Unternehmen aus den fordistischen Altindustrien in vermachteten Märkten neu positionieren. Das geschieht, indem sie ihre eigene Struktur, ihre Steuerungsformen und ihre strategische Ausrichtung an die Unberechenbarkeit
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der Märkte anpassen. Schlüsselunternehmen beschränken sich sukzessive auf ihr Kerngeschäft. Über die „Internalisierung des Marktes“ (Moldaschl/Sauer 2000) suchen sie ihre externe wie auch die interne Flexibilität zu erhöhen. Teilweise mit wertbasierten Steuerungsformen kombiniert, setzt die marktgetriebene Dezentralisierung organisatorische Subeinheiten unter verstärkten Rationalisierungsdruck. In altindustriellen Regionen wie dem Wirtschaftsraum Nürnberg, die sich durch eine überdurchschnittliche Präsenz konzernabhängiger Produktionsbetriebe aus den Altindustrien auszeichnen, radikalisieren solche Reorganisationsprogramme den seit Jahren anhaltenden Strukturwandel. Denn immer wieder sind auch solche Werke von Schließung bedroht, die bis in die Gegenwart Gewinn bringend produziert haben. Um den Strukturwandel in altindustriellen Regionen auf den Begriff zu bringen, präferieren wir daher die Kategorie wissensgestützte Produktions- und Dienstleistungsökonomie. Mit diesem Begriff wollen wir die strukturellen Kopplungen einfangen, die bei den Veränderungen in Industrie und Dienstleistungsökonomie beobachtet werden können. Unser entscheidendes Argument ist jedoch, dass in den untersuchten Regionen trotz aller Kontinuitäten Sektoren und Beschäftigungsfelder an Bedeutung gewinnen, die den Regulationsformen der fordistischen Ära sukzessive ihre Basis entziehen. Nicht nur einzelne Instrumente, das gesamte Ensemble eingespielter Regulationsverhältnisse steht zur Disposition. Dies ist keine fatalistische Prognose, denn der Umbruch löst vielfältige Aktivitäten zur kreativen Bewältigung der strukturellen Verwerfungen aus. Wie die Organisationsformen aussehen, mit deren Hilfe die Auswirkungen des radikalen Strukturwandels angegangen werden, wollen wir im nächsten Kapitel darstellen.
3. Netzwerkanalyse: Struktur, Organisationsform und Austauschbeziehungen regionaler Kooperationsverbünde
Der radikale Strukturwandel erzeugt spezifische regionale Problemkonstellationen, die politisch bearbeitet werden müssen. Zu diesem Zweck haben sich industriepolitische Allianzen herausgebildet, die versuchen, regionale Entwicklungsprobleme kooperativ zu bewältigen. Eine Besonderheit unseres Untersuchungsgegenstandes ergibt sich aus dem Faktum, dass in Chemnitz, Dortmund und Nürnberg Repräsentanten lokaler Gewerkschaften als „Scharnierpersonen“ (zum Begriff: Pichierri 2002: 123) in Kooperationsstrukturen agieren, an denen regionale Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Kammern, Beschäftigungsgesellschaften, Arbeitsämter, Weiterbildungseinrichtungen, Hochschulen, Unternehmensberatungen und nicht zuletzt die lokale Politik beteiligt sind. In allen Fällen gingen von Gewerkschaftsrepräsentanten wichtige Impulse zur Gründung und Entwicklung dieser Netzwerke aus. Mehr noch, die gewerkschaftlichen Akteure bilden eigenständige Netze, die bis heute in mitunter spannungsreichen Austauschbeziehungen zu den offiziellen regionalwirtschaftlichen Organisationsformen stehen. Nachfolgend wollen wir die örtlichen Kooperationsstrukturen, ihre Ziele, Leistungen, Austauschbeziehungen und Entwicklungsprozesse in mehreren Teilschritten analysieren. Dabei setzen wir, ganz im Sinne unseres Untersuchungsansatzes, bei den gewerkschaftsnahen Akteuren an. Die übergreifenden staatlichen und privatwirtschaftlichen Kooperationsbeziehungen werden in diesem Kapitel nur insoweit berücksichtigt, als dies zum Verständnis der gewerkschaftsnahen Strukturen unabdingbar ist. Wir beginnen mit einigen konzeptionellen Überlegungen zum Netzwerkbegriff (3.1); anschließend werden die wichtigsten regionalen Akteure und ihr Umfeld vorgestellt (3.2). Auf einen Vergleich der Netzwerkstrukturen (3.3) folgen abschließend Überlegungen zur Organisationsform der „Netzwerkgewerkschaft“ sowie zum Management lokaler Netze (3.4).
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Kapitel 3
3.1 Konzeptionelle Grundlagen: Netzwerkbegriff, Kriterien der Analyse In der kaum noch überschaubaren sozialwissenschaftlichen Debatte um die ökonomisch-politische Steuerung moderner Gesellschaften dient der Netzwerkbegriff häufig als Metapher für eine Steuerungsform „jenseits von Markt und Staat“ (Mahnkopf 1994; Sydow/Windeler 2000; Windeler 2001). In dieser besonderen Eigenschaft wird der Netzwerkbegriff auch verwendet, um sowohl die internen sozialen Beziehungen zwischen den Akteuren eines Lokalsystems als auch die Beziehungen dieses Lokalsystems zu externen Kräften, Institutionen und Interaktionen zu beschreiben. Im Unterschied zu marktförmigen Tauschbeziehungen, die im Wesentlichen anonym ablaufen, spielen in Netzwerken gemeinsame Ziele, Werte und Erfahrungen sowie darauf beruhende Vertrauensbeziehungen eine entscheidende Rolle (Messner 1995: 211ff.).1 In diesem Sinne dient der Netzwerkbegriff heute als Sammelbezeichnung für verschiedene Varianten der institutionellen Einbettung – auch regionaler – Ökonomien. Netzwerke sollen den Markt als zentralen Koordinationsmechanismus kapitalistischer Gesellschaften zumindest ergänzen (Granovetter 1985). Häufig wird Netzwerken gar eine neue Qualität marktkorrigierender ökonomisch-sozialer Steuerungsleistungen attestiert (Marin/Mayntz 1991). In diesem Kontext gelten Netzwerke als die organisatorische Form, in der sich der Übergang politischer Regulierung vom staatszentrierten Government zur akteursbezogenen Governance vollzieht. Noch weiter gehen Autoren wie Manuel Castells, die sozialen Netzwerken eine gesellschaftsprägende Kraft zuschreiben. Netzwerke bilden demnach „die neue soziale Morphologie unserer Gesellschaft“ (Castells 2001: 527). Sie seien die regulative Entsprechung zu einer globalen Informational Economy, die keineswegs allein auf einer Globalisierung von Marktbeziehungen, sondern in ihren stofflichen Grundlagen auf der „informationstechnologischen Revolution“ und den durch sie ermöglichten Organisations- und Kommunikationsformen beruhe. In diesem Kontext könne man durchaus von einer „Netzwerkgesellschaft“ sprechen.2 Man mag solch weitreichenden Definitionsversuchen mit gebotener Skep1 2
„Die Handlungsfähigkeit von Netzwerken basiert auf ihrer institutionellen Konsolidierung sowie der Herausbildung gemeinsamer Sichtweisen, Orientierungen und Strategien der Netzwerkakteure“ (ebd.: 307). „Eine auf Netzwerken aufbauende Gesellschaftsstruktur ist ein hochgradig dynamisches, offenes System, das erneuert werden kann, ohne dass das Gleichgewicht in Gefahr geriete. Netzwerke sind angemessene Instrumente für eine kapitalistische Wirtschaft, die auf Innovation, Globalisierung und dezentralisierter Konzentration beruht; für Arbeit, Arbeitskräfte und Unternehmen, deren Grundlage Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind; für eine Kultur der endlosen Zerstörung und des nie endenden Neuaufbaus; für ein politisches System, das auf die augenblickliche Verarbeitung neuer Werte und öffentlicher Stimmungen eingestellt ist; und für eine gesellschaftliche Organisation, die auf die Veränderung des Raumes und der Vernichtung der Zeit aus ist (Castells 2001: 528).
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sis begegnen. Doch auch weniger ambitionierte Ansätze lassen keinen Zweifel daran, dass sich die Steuerungsleistungen dezentraler Netzwerke in der wissenschaftlichen Diskussion regionaler Entwicklungsprozesse steigender Aufmerksamkeit erfreuen. Denn, so das zentrale Argument zahlreicher Autoren (z. B.: Cox 1997; Storper 1997; Ohmae 1996), mit der „intensivierten Globalisierung“ (Giddens 1995b) verlagerten sich die Ebenen, auf denen die politische Steuerung von Ökonomie und Gesellschaft erfolge. Je schwächer die hierarchische Koordination von Politiken auf dem nationalstaatlichen Level werde, desto bedeutsamer würden die Steuerungsleistungen – häufig netzwerkförmiger – Organisationen auf subnationaler und mikroregionaler Ebene. In diesem Zusammenhang lässt sich kaum leugnen, dass die erstaunliche Karriere des Netzwerkbegriffs offenkundig mit seiner Diffusität zusammenhängt. In der Wirtschaft reicht die Bandbreite der Kooperationsformen, die mit der Netzwerkkategorie erfasst werden sollen, „von eher strategisch motivierten Varianten der Ressourcenbündelung bis hin zu kulturell beziehungsweise ‚gemeinschaftlich‘ eingebetteten Produktionszusammenhängen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen, deren Beziehungen eher durch historisch gewachsene Solidarität gekennzeichnet sind“ (Lütz 2003: 8). Während ökonomische Netzwerke Beziehungen zwischen Unternehmen beinhalten, deren lose Kooperationen sich durchaus im Einklang mit einer deregulierten Marktwirtschaft befinden können, bezeichnet „network governance“ (Jones u. a. 1997) hingegen eine breite Palette von Koordinierungsmustern, die von freiwilligen Kooperationen zivilgesellschaftlicher Organisationen (NGOs) bis hin zu korporatistischen Arrangements etablierter Akteure im „kooperativen Staat“ (Esser 1998) reichen. Auf eine einfache Formel gebracht sind Unternehmensnetzwerke auch eine Anpassung an eine durch strukturelle Unsicherheiten geprägte Marktökonomie. Politische Netzwerke zielen hingegen stärker auf eine bewusste Steuerung ökonomischer Entwicklungen. Realiter muss allerdings davon ausgegangen werden, dass beide Netzwerkformen einander ergänzen und überlagern. Gerade in ihren hybriden Formen, ihren Verknüpfungen und Überschneidungen tragen sie maßgeblich zur Strukturation der regionalen Entwicklungen in nachfordistischen Arbeitsgesellschaften bei. Wenn wir im Folgenden von Netzwerken sprechen, um die Kooperationen und Transaktionen zwischen Akteuren der regionalen Strukturpolitik zu qualifizieren, so ist dies zunächst einer Reminiszenz an die Praktiker geschuldet. Auch die definitionsmächtigen Persönlichkeiten der regionalen Arenen sprechen überwiegend von „Netzwerken der Kooperation“3 (Do/GW06), wenn sie die Bezie3
In anderen Forschungsansätzen sind solche, auch unter gewerkschaftlicher Beteiligung agierenden Netzwerke als „koevolutionäre Kooperationsverbünde“ (Howaldt u. a. 2001) beschrieben
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hungen zwischen den strukturpolitischen Akteuren beschreiben. Teilweise versehen sie den Begriff innerlich mit Anführungszeichen – gleichsam als Verbeugung vor einer vermeintlichen „Signatur der Epoche“. Gemeint sind dem Anspruch nach punktuelle, zielführende Kooperationen und Strukturen, nie aber jene Netzwerke „ohne Ende“, in denen die Akteure nach dem Motto „Wir sind alle überzeugte Netzwerktäter“ (Krücken/Meier 2003) handeln, indem sie ihre Aktivitäten nicht mehr politisch-zielorientiert, sondern allein an der Reproduktion der Netzwerkorganisation ausrichten. Die alltagstheoretische Nutzung ist für uns Anlass, nicht jedoch hinreichende Bedingung, um den Netzwerkbegriff in einem wissenschaftlich tragfähigen Sinne auf regionale Akteure und Strukturen anwenden zu können. Denn, wie schon angesprochen, ist ‚Netzwerk‘, gerade wenn es im Kontext altindustrieller Regionen verwendet wird, eine schillernde Kategorie, die auch für Innovationsblockaden und Strukturkonservatismus stehen kann. Häufig haftet Netzwerken der Beigeschmack von Seilschaften und ‚old-boys-networks‘ an. Auch die gewerkschaftliche Beteiligung an solchen Netzen wird kritisch beurteilt, sofern die Gewerkschaften primär als Repräsentanten strukturkonservativer Interessen betrachtet werden. Um Qualität und Leistungen der von uns untersuchten regionalen Kooperationen angemessen beurteilen zu können, benötigen wir daher eine sozialwissenschaftliche Minimaldefinition sozialer Netzwerke. In Anlehnung an eine bereits zitierte Arbeit Angelo Pichierris (2002) verstehen wir unter regionalen Netzwerken Organisationsformen zur Entfaltung zielgerichteter regionalwirtschaftlicher und regionalpolitischer Strategien. Diese Organisationsformen basieren auf gemeinsamen Interessen, Normen und Zielen. Bei der Verfolgung – auch gemeinsamer – Interessen in Austauschprozessen werden sie von der Erfahrung geleitet, dass die lokale oder regionale Kooperation das beste und geeignetste Muster des Verhaltens ist, um die eigenen Ziele zu erreichen. Der Vorteil einer solchen Netzwerkorganisation besteht darin, dass sie in der Lage ist, Ressourcen der Mitglieder „besser zu verwerten“, als isoliert handelnde Mitglieder dies könnten. Knappe Ressourcen sind das „grundlegende Motiv für die Bildung von Netzwerken“. Das ist auch der Grund, „weshalb sich die Eingliederung in ein Netzwerk oft als besonders nützlich für relativ schwache Akteure erweisen kann“ (Pichierri 2002: 116ff.). Wir verwenden diese Minimaldefinition, weil sie Bestimmungsfaktoren enthält, die in besonderer Weise auf die von uns untersuchten Kooperationsbeziehungen zutreffen. Das gilt sowohl für die „Ressourcen“- als auch für die „Schwache-Akteure“-Hypothese. Denn erstens fungiert die regionale Ebene als worden, weil sie abgestimmte, ‚koevolutionäre‘ Veränderungsprozesse aller beteiligten Akteure ermöglichen.
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politischer Handlungsraum, dessen Entscheidungskorridore gegenüber den Instrumenten der internationalisierten, nationalstaatlich regulierten Makroökonomie strukturell begrenzt bleiben. Mikroregionen können nur in dem Maße eine Aufwertung im „System der Mehrebenenregulation“ (Jachtenfuchs/Kohler-Koch 1996) erfahren, wie definitionsmächtige Akteure über einen politisch hergestellten Konsens regionale Bindungen von Unternehmen erzeugen und kollektive bargaining power entfalten können, um auf diese Weise den übergreifenden makroökonomischen Tendenzen einen eigenständigen Restrukturierungspfad abzuringen. Auf Konsens basierende Netzwerke können und müssen voiceOptionen zur Lösung von Konflikten leichter zugänglich machen (Mahnkopf 1994: 78). Dabei kann wechselseitige Verlässlichkeit und Verbindlichkeit vorhandene Interessengegensätze abschwächen. Die Netzwerkorganisation fungiert somit als Koordinationsmechanismus, der qua Definition Kooperationen zwischen Akteuren mit unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Interessen impliziert. Kooperations- und daraus hervorgehende Konsensfähigkeit erweisen sich als jene knappen Ressourcen, deren Nutzungsgrad über die Qualität regionalpolitischer Strategien entscheidet. Zweitens sind es – zumindest politisch-strategisch – vergleichsweise schwache Akteure, die ihre Aktivitäten zu koordinieren suchen. Ohne ein Minimum an regionalpolitischer Übereinstimmung – etwa bei der Definition industriepolitischer Projekte – haben diese Akteure kaum eine Chance, übergeordnete Entscheidungsebenen zu beeinflussen, um z. B. Finanzmittel für die regionale Entwicklung zu akquirieren. Der Befund, dass regionale Akteure aus einer Position relativer Schwäche handeln und über Netzwerkbeziehungen versuchen, diese Schwäche zumindest partiell zu korrigieren, trifft auch und gerade auf die beteiligten Gewerkschaften zu. Sie alle haben die Erfahrung machen müssen, dass die Ressource „Kampf und Konfliktfähigkeit durch Solidarisierung von Lohnabhängigen“ unter den Bedingungen eines beschleunigten Strukturwandels nur begrenzt nutzbar ist. In der Herausbildung einer „regionalen Arena des politischen Tauschs“ (Dörre 1999b) sehen sie eine Möglichkeit, sich in Entscheidungsprozessen, welche die regionale Entwicklung betreffen, überhaupt eine voice-Option zu verschaffen. Ein Netzwerk unterscheidet sich dadurch von gewöhnlichen Kooperationsstrukturen, dass es zumindest gelegentlich als eigenständig handelndes Subjekt auftritt. Um dies zu gewährleisten, ist die Fähigkeit der einzelnen Netzwerkakteure zu Integration durch Konsensbildung entscheidend. Konsensbildung meint hier vor allem eine gemeinsame Analyse der Implikationen des Wandels im Produktionssystem und eine verbindliche Bestimmung der Präferenzen zukünfti-
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ger Entwicklung.4 Die Herausbildung einer überindividuellen Sicht der Dinge erfolgt in aller Regel in einem langen, von Konflikten und Rückschlägen begleiteten Prozess. Und selbst wenn ein vorläufiger Konsens über Leitvorstellungen regionaler Entwicklung erreicht ist, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass ein entsprechendes Niveau inhaltlicher Übereinstimmung zwischen den Akteuren auf Dauer gestellt werden kann. In diesem Zusammenhang unterscheiden wir begrifflich zwischen interessenpolitischem Kompromiss und normativ gestütztem inhaltlichen Konsens. Interessenpolitische Kompromisse sind die Geschäftsgrundlage halbwegs stabiler Austauschbeziehungen. Kompromissgleichgewichte können auch existieren, wenn es nicht zu einem regionalpolitischen Konsens kommt. Sofern beide Ebenen existieren, bewegen sie sich in einem ständigen Spannungsverhältnis, das von einem Regime der „Akzeptabilitätsbedingungen“5 kontrolliert wird. Zustimmung und Einverständnis in der modernen Governementalität bedeuten jedoch nicht per se die Abwesenheit von Macht und Herrschaft (Lemke et al. 2000). Auf Dauer blamiert sich jeder inhaltliche Konsens, wenn die Austauschbeziehungen in korporativen Arrangements allzu asymmetrisch ausfallen. Normativ gefestigte Konsens-Arrangements lassen sich nur verstetigen, wenn ein einigermaßen stabiles interessenpolitisches Kompromissgleichgewicht gefunden, gegebenenfalls auch erkämpft wird. Umgekehrt bilden Kompromissstrukturen nur solange ein halbwegs stabiles Gleichgewicht, wie sie in konsensuale Arrangements unterschiedlichster Reichweite (andere „zivilgesellschaftliche“ Akteure vor Ort, Betriebe etc.) eingebettet werden. Lassen sich die in Netzwerken transportierten Ziele innerhalb einmal festgezurrter Kompromissgleichgewichte nicht erreichen, schwindet deren regionale Verallgemeinerbarkeit. Kompromisse werden aufgekündigt und damit wird auch ein normativ abgesicherter inhaltlicher Konsens unmöglich. Damit ist bereits angedeutet, dass eine Verstetigung von Netzwerkstrukturen evolutionäre Entwicklungen und selbst Brüche nicht ausschließt. Die Netzwerkevolution kann auf gemeinsamen Lernprozessen der beteiligten Akteure beruhen. Sie kann durch Ausschluss oder Einschluss von Akteuren bewirkt werden oder sie kann aufgrund von Selbstveränderung zustande kommen. Sie kann aber auch durch externe Effekte provoziert werden, die gelegentlich regressive Entwicklungen einleiten. Insofern ist Netzwerkbildung in den Regionen ein mehr oder minder dynamischer, nie völlig abgeschlossener Prozess, der die regionalen Akteure immer wieder zur Überprü-
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„One fundamental element which typifies the process of drawing up pacts... is the emergence of a consensual analysis among the parties of the implications of a changing system of production and the formation of joint preferences...“ (Pochet/Fayertag 2000: 18). van Dyk 2003; Boltanski und Chiapello (2003) sprechen von einer Cité, einem Rechtfertigungsregime.
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fung, Aktivierung und Erneuerung von Austauschbeziehungen und damit von Kompromiss- und Konsensbildungen zwingt. 3.2 Die Entstehung regionaler Kooperationsstrukturen: Prozesse, Akteure, Ziele Die skizzierten, noch sehr allgemeinen Kriterien werden nachfolgend auf besondere Netzwerkstrukturen bezogen. In Konfrontation mit den Auswirkungen eines radikalen Strukturwandels gelangt die gewerkschaftliche Routineorganisation in den Untersuchungsregionen an ihre Grenzen. Um die Problemfelder angemessen bearbeiten zu können, nehmen die involvierten Gewerkschaftsgliederungen nicht nur neue Funktionen wahr, sie lagern auch Funktionen aus und gründen selbst neue Akteure, zu denen sie im Laufe der Zeit kooperative Beziehungen aufbauen müssen. Die gewerkschaftsnahen Netze sind wiederum Voraussetzung dafür, dass die Gewerkschaften auf die Wirtschaftsförderung und die offizielle Regional- und Strukturpolitik einwirken können. Auf diese Weise entsteht eine Doppelstruktur von gewerkschaftsnahen Kooperationen auf der einen und übergreifenden regionalwirtschaftlichen und regionalpolitischen Netzen auf der anderen Seite, die in ihrem Zusammenwirken eine spezifische Form regionaler Governance bilden. In diesem Kontext wird networking zur Voraussetzung wie auch zur Restriktion gewerkschaftlichen Handelns. Networking bezeichnet jene Prozesse, in denen Partizipation und Emanzipation, Erfolg und Misserfolg, aber auch die Ausübung von Macht und die Unterwerfung unter Herrschaftsstrukturen wirksam werden können (Schubert 2003: 274). Wie sich zeigen wird, sind diese Prozesse für die Gewerkschaften selbst folgenreich. Neben die gewerkschaftliche Routine- tritt eine Projekt- und Unternehmensorganisation, die im Selbstverständnis ihrer gewerkschaftlichen Schöpfer zu einem neuen Kollektivakteur werden soll. Ob und inwieweit dies gelingt, ist Gegenstand der nachfolgenden Analyse. 3.2.1 Dortmund: ein mikroregionaler Konsens In Dortmund schaltete sich der DGB Mitte der 1990er Jahre mit einem neuen Ansatz in die vom Land Nordrhein-Westfalen angestoßenen Regionalisierung der Strukturpolitik ein und meldete einen „strukturpolitischen Gestaltungsanspruch an“ (D/Pol03). Angesichts des krisenhaften Niedergangs altindustrieller Strukturen im Montanbereich ging es den gewerkschaftlichen Akteuren zum einen um die strategische Orientierung regionaler Wirtschaftspolitik auf die
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gezielte Förderung vorhandener und neuer Branchenstrukturen, zum anderen um eine Bündelung wirtschaftlicher Aktivitäten im östlichen Ruhrgebiet. Den Branchenansatz betrachtete man explizit als einen alternativen Entwurf zu den Konzepten von Städten und Gemeinden, die immer noch stark auf Infrastrukturmaßnahmen klassischen Zuschnitts als Investitionsanreiz zielten. Die Profilierung einer eigenständigen gewerkschaftlichen Strukturpolitik sollte durch eine besondere regionalwirtschaftliche Ausrichtung erreicht werden, die sich von der traditionellen Großbetriebsfixierung löst. Im Zuge einer Konzeptentwicklungsphase entstanden erste Kooperationsstrukturen zwischen dem Dortmunder DGB-Vorsitzenden und einigen arbeitsorientierten Forschungs- bzw. Beratungseinrichtungen, die sich in der Folgezeit als stilbildend erwies. Die jeweils gemeinsam von DGB und arbeitsorientierten Wissenschaftlern verfassten Veröffentlichungen „Branchenreport Östliches Ruhrgebiet“ (1996) und „Ruhr-Memorandum“ (1997) wurden zu „Meilensteinen“ (Do/TNB02) der Konzeptentwicklung. Die darin enthaltenen Ideen fanden in den Regionalkonferenzen wie auch in dem übergreifenden landespolitischen Regionalisierungsprozess ihren Niederschlag. Die Konzept-Entwicklung erfolgte arbeitsteilig. Von ISA-Consult, einem gewerkschaftsnahen Beratungsunternehmen, wurden Analysen erstellt und industriepolitische Inhalte vorgegeben. Der DGB-Vorsitzende speiste die konzeptiven Ideen dann in die politischen Gremien ein. Mit den Ergebnissen der eigens erstellten Studien konnte der DGB recht früh qualifiziert in die kommunale Debatte um Innovationsschwerpunkte und Clusterbildungen eingreifen. Für die Umsetzung und regionale Verbreiterung dieser konzeptionellen Überlegungen erwies sich jedoch eine andere Struktur als entscheidend. Sie sollte das prozessierende Zusammenspiel der heterogenen Akteurskonstellation in Dortmund erst ermöglichen und gleichzeitig „Strukturpolitik als Mannschaftsspiel“ auf den Weg bringen. Der Arbeitskreis Strukturpolitik, der 1995 im Rahmen der Kooperationsstelle Wissenschaft-Arbeitswelt im Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund entstand, stellte ein Forum zur Verfügung, in welchem die Inhalte und Impulse gewerkschaftlicher Strukturpolitik mit Vertretern der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung, Wissenschaftlern, kommunalen Einrichtungen, Weiterbildungs- und Beratungsagenturen, Beschäftigungs- und Arbeitsloseninitiativen oder anderen arbeitsorientierten Akteuren diskutiert werden konnten: „Ohne ISA-Consult hätte es die inhaltliche Fokussierung so nicht gegeben, ohne den strukturpolitischen Arbeitskreis hätte ich das nicht so in die politische Debatte bringen können“, erläutert der DGB-Regionalvorsitzende rückblickend. Die Kooperationsstelle Wissenschaft-Arbeitswelt als Organisator des Arbeitskreises versteht sich als „Mittlerin“, die versucht, Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Akteuren herzustellen. Zugleich agiert sie mit dem
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Anspruch, gewerkschaftlichen Funktionsträgern die Möglichkeit zu geben, sich in Fragen regionaler Strukturpolitik zu qualifizieren. Im Diskurs mit Wissenschaftlern und Mitarbeitern der Wirtschaftsförderung sollen Gewerkschafter lernen, die Anforderungen besser abzuschätzen, die neue Formen regionaler Wirtschaftspolitik an ihre Organisation stellen. Inzwischen hat sich der Arbeitskreis zu einer festen Institution der regionalen Strukturpolitik in Dortmund und dem östlichen Ruhrgebiet entwickelt. Als definitionsmächtiger Akteur im regionalen Netz erweist sich der regionale DGB-Vorsitzende. Ihm sei es gelungen, den Ansatz einer clusterorientierten regionalen Strukturpolitik in einem politischen Diskussions- und Austauschprozess in der Region „souverän zu verallgemeinern“ (Do/Pol03), lautet das anerkennende Urteil vieler Netzwerkakteure. DGB-Region, Kooperationsstelle Wissenschaft-Arbeitswelt und Arbeitskreis Strukturpolitik bilden bis heute das Zentrum einer Kooperationskultur, die mittlerweile von zahlreichen weiteren Akteuren getragen wird. An dieser Stelle konzentrieren wir uns auf die kurze Darstellung der wichtigsten Einrichtungen und Organisationen. Um Krisenprozesse abfedern zu können, entstanden in Dortmund im Kontext der industriellen Strukturprobleme zunächst eine Reihe von betriebsnahen Beschäftigungs- und Auffanggesellschaften. Allerdings konnten sich nur einige dieser Transfergesellschaften „dauerhaft am Markt“ behaupten. Im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit NRW wurden die entscheidenden Beschäftigungsgesellschaften zu einem „Lokalen Kompetenznetzwerk Dortmund“ (LOKon) gebündelt. Die ursprünglich von den Gewerkschaften initiierten Gesellschaften gingen in offizielle Strukturen der regionalisierten Strukturpolitik über. Heute gilt die Landschaft der tätigen Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften in Dortmund als weitgehend professionalisiert; ihre Träger sind oft bundesweit tätig. Im Bereich der offiziellen städtischen Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung sind bis heute die Aktivitäten rund um den Niedergang der lokalen Stahlindustrie entscheidend. Während die Übernahme des Dortmunder Konzerns Hoesch durch Krupp regionalpolitisch noch unter Kontrolle gehalten werden konnte, machte der Beschluss zur Unternehmensfusion von Thyssen und Krupp 1997 die Standortgarantien des lokal ansässigen Hoesch-Konzerns zunichte. Der Beschluss zur Aufgabe des Stahlstandortes Dortmund wurde zum Auslöser einer Bewegung, mit deren Hilfe es der IG Metall in einem einwöchigen Streik gelang, dem strukturprägenden Konzern regionale Arbeitsplatzgarantien abzuringen. Der Konzern verpflichtete sich, bis 2001 zur Schaffung von 3.600 Ersatzarbeitsplätzen in der Stadt beizutragen. Entscheidend für die gewerkschaftliche Beteiligung an der offiziellen Wirtschaftsförderung wurde das öffentliche Controlling dieser Vereinbarung. Aus diesen Formen eines politischen Controllings des geplanten Beschäftigungsaufbaus entwickelte sich all-
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mählich ein lokales Bündnis, dessen gestalterische Ambitionen weit über die Konzernstrukturen hinauswiesen. In dieses Bündnis konnte der regionale DGB seine konzeptionellen Überlegungen zu einer arbeitsorientierten Strukturpolitik einbringen. Dieses lokale Bündnis, das wesentlich durch das erfolgreiche Bemühen des DGB entstand, eine Branchen- und Clusterorientierung in den politischen Gremien der Stadt und in nicht-institutionalisierten Formen der Kooperation zu verbreitern, kann seither als eigentliches Zentrum der regionalisierten Strukturpolitik in der Mikro-Region verstanden werden. Einmal erprobt, hat sich die beschäftigungspolitisch ausgerichtete Kooperationskultur bis in die Gegenwart gehalten. Die aktive Beteiligung der Gewerkschaften an offiziellen regionalwirtschaftlichen Aktivitäten der Stadt setzt sich mit der Initiierung und Durchführung des dortmund-project bis heute fort. Das dortmund-project zielt seiner Ursprungsidee nach auf die Schaffung von 70.000 neuen Arbeitsplätzen bis 2010, die vornehmlich in wissensintensiven Branchen (Informationstechnologie, Mikrosystem-Technologie, Biotechnologie) sowie in der Logistik entstehen sollen. Das Gesamt-Projekt wird durch einen Steuerkreis gelenkt, dem 21 Mitglieder angehören. Projektausschüsse für die Teilprojekte tagten in der Anfangszeit alle zwei Wochen, inzwischen einmal im Monat. Der DGB-Regionalvorsitzende ist in den wichtigsten Steuerkreisen präsent; diverse Arbeitsgruppen stehen den Gewerkschaften offen. Eine reale Mitwirkung ist wegen knapper personeller Ressourcen aber nur begrenzt möglich. Dem DGB-Vorsitzenden und seinen Mitarbeitern steht ein Apparat gegenüber, der sich aus ca. 70 Mitarbeitern der Wirtschaftsförderung und weiteren 20 Personen zusammensetzt, die unmittelbar für das dortmund-project arbeiten. Doch das ist nicht alles. Über die städtische Wirtschaftsförderung und das dortmund-project konstituiert sich ein regionalpolitisches Netzwerk, das IHK und Handwerkskammer, Universität und Fachhochschule, die im Stadtparlament vertretenen Parteien und das Landesinstitut Sozialforschungsstelle ebenso umfasst wie zahlreiche private oder halb öffentliche Initiativen und Gruppierungen. In diesem Zusammenhang sei hervorgehoben, dass sich das dortmund-project im Einklang mit der Landespolitik bewegt. Das Land hat zwölf Kompetenzfelder definiert, die zunächst im Ruhrgebiet, später aber im ganzen Land prioritär gefördert werden sollen. Mit IT, Logistik sowie Mikrosystemtechnik und Mikroelektronik stehen jene Bereiche an erster Stelle, auf die auch Dortmund seine Zukunft baut (Ziegler 2002: 17).
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3.2.2 Nürnberg: ein regionalpolitischer Kompromiss ohne inhaltlichen Konsens Auch in Nürnberg besitzen Ansätze einer gewerkschaftlichen Industrie- und Strukturpolitik eine vergleichsweise lange Tradition, die bis in die 1980er Jahre zurückreicht. Damals war die IG Metall bemüht, mit dem Instrument eines Beschäftigungsplans gestalterisch auf die Krisenprozesse in regional ansässigen Konzernen der Metall- und Elektroindustrie einzuwirken. Unter dem Druck anhaltender struktureller Krisenphänomene wurden diese Ansätze während der ersten Hälfte der 1990er Jahre zu einem umfassenderen regional- und strukturpolitischen Konzept erweitert. Der wesentlich von der IG Metall und gewerkschaftsnahen Beratern (IMU-Institut) entwickelte Ansatz stellte den Versuch dar, eine politische Antwort auf eine komplizierte Gemengelage zu finden, die aus dem Niedergang der regionalen Metall- und Elektroindustrie, dem Modernisierungsrückstand, der zunehmenden Konzernabhängigkeit vieler Traditionsbetriebe und dem damit verbundenen Beschäftigungsabbau entstanden war. Die Folgen des Strukturwandels bedeuteten für die lokale IG Metall eine doppelte Herausforderung. Zum einen musste die Gewerkschaft erkennen, dass die Ressourcen, den wirtschaftlichen Strukturwandel durch gewerkschaftliche Mobilisierungen zu beeinflussen, begrenzt waren. Zum anderen hatte sie sich mit einer Landespolitik auseinander zu setzen, die beträchtliche Mittel zur Förderung neuer wissensintensiver Leitbranchen bereitstellte, während der inkrementelle Wandel gewachsener Industriestrukturen eher defensiv angegangen wurde. Ein wichtiger Meilenstein für den Aufstieg der lokalen IG Metall zu einem regionalen Akteur war der Arbeitskonflikt in der bayerischen Metallindustrie im Februar 1995. Damals entstanden erste Ansätze kooperativer Arbeitsbeziehungen in Industriebetrieben (Dörre 1999a), die die Weichen für eine partizipative Modernisierung des Produktionsapparates zu stellen schienen. Einige Geschäftsleitungen von Streikbetrieben waren demonstrativ bemüht, kooperative Beziehungen mit Betriebsräten und Gewerkschaften auch während des Arbeitskampfs nicht zu beschädigen und setzten sich kritisch mit der Politik ihres Verbandes auseinander. Diese Erfahrungen vor Augen, erklärte der örtliche IG MetallBevollmächtigte, er habe es satt, ständig nur Sozialpläne zu verabschieden. Der nötige regionale Strukturwandel lasse sich am besten präventiv und kooperativ angehen. Deshalb müsse sich auch die Gewerkschaft „von alten Positionen lösen“. Seither hat sich im Nürnberger Raum eine Kooperationsstruktur mit einem gewerkschaftsnahen Netz als Substruktur konstituiert. Zu den wichtigen Akteuren gehört die Stabsstelle für regionale Strukturpolitik innerhalb der Verwaltungsstelle, die insofern eine Besonderheit darstellt, als sie der IG Metall, aber auch betrieblichen Akteuren faktisch alternatives Ingeni-
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eurwissen zur Verfügung stellt. Eine wesentliche Funktion dieser Regionalstelle ist, dass sie über die Mobilisierung von alternativem Fachwissen den vermeintlichen Sachzwangcharakter von Betriebsschließungen und Stellenabbau zu attackieren vermag. Ebenfalls zu den gewerkschaftsnahen Akteuren zählt das regionale Büro des IMU-Instituts, einer gewerkschaftsnahen Beratungseinrichtung, die sowohl operativ als auch konzeptionell tätig wird. Zu den eigens gegründeten externen Netzwerkakteuren gehört der Firmenverbund zur Förderung der beruflichen Weiterbildung (ffw). Ursprünglich als Regiestelle für überbetriebliche Ausbildungsverbünde und als Konzeptionalist für berufliche Weiterbildung geplant, befasst sich das Beratungsunternehmen nun schwerpunktmäßig mit Reorganisation und Qualitätsmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen. Der ffw agiert bewusst „zwischen präventiver unternehmerischer und gewerkschaftlicher Betriebspolitik“ (N/NWA1). Im Beirat des ffw sitzen u. a. die IG Metall und der lokale Unternehmerverband. Die ffw-Mitglieder sind dem Konsensprinzip verpflichtet; das Unternehmen wird nur tätig, wenn alle Betriebsparteien zustimmen. Die Berater arbeiten strikt beteiligungsorientiert. Die Funktion der Dortmunder Transfergesellschaften nimmt die Gesellschaft für Personalentwicklung und Qualifizierung (GPQ) wahr. Gegründet wurde die GPQ während der Grundig-Krise 1995. Seither hat sich die GPQ zu einem professionellen Unternehmen entwickelt, das Kunden in der gesamten Bundesrepublik betreut. Ein weiterer wichtiger Akteur war zumindest während des Untersuchungszeitraums das so genannte Brückenprojekt, das mit wechselnden Aufgaben im Netzwerk agiert. Hinzu kommen eine Vielzahl von Einrichtungen und Akteuren (WisoAkademie, Bildungskooperation), die gelegentlich in die Netzwerkaktivitäten einbezogen werden. Für eine Verbindung zwischen der gewerkschaftsnahen Struktur und der Nürnberger Wirtschaftsförderung hat über einen längeren Zeitraum das Netzwerk für Arbeit und Qualifizierung gesorgt. Wo sich im Kontext von Fusionen, Ausgründungen und Personalabbau Schwierigkeiten andeuteten, war das Netzwerk mit einer Art Task Force zur Stelle. Zu den Aufgaben der Organisation gehören zusätzlich die Koordination des Wirtschaftsforums, die Bündelung regionaler Innovationspotentiale sowie die Lobbyarbeit gegenüber den Entscheidungszentren und Finanziers auf Landesebene. So sind in Nürnberg auch Kooperationsstrukturen aus Verbänden, Gewerkschaften, Beratungsagenturen, Wissenschaftseinrichtungen und lokaler Politik entstanden, in der die lokale IG Metall und allen voran ihr Bevollmächtigter eine anerkannte Rolle spielen. Das offizielle Dach dieser Kooperationsstruktur ist das Wirtschaftsforum (Reif), dem die Repräsentanten und Wirtschaftsförderungen der mittelfränkischen Städte Nürnberg, Erlangen, Fürth und Schwabach, Manager regionaler Unternehmen, aber auch die IG Metall und der DGB angehören. Es handelt sich um ein infor-
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melles Bündnis, das in seiner Gründungsphase bewusst nicht nach Proporzgesichtspunkten zusammengesetzt wurde. Das Wirtschaftsforum agiert als interkommunales Bündnis, in welchem sich bis heute die divergierenden Interessen der Städte bemerkbar machen. Dennoch trat es bei der Definition regionaler Kompetenzfelder als kollektiver Akteur in Erscheinung. In einem „beispiellosen Kraftakt“ (Nürnberger Nachrichten vom 19.03.1996) hatten sich Kommunen, Kammern, Gewerkschaften und Arbeitsämter der Region zunächst auf vier Initiativen in den Bereichen Telekommunikation, Verkehr, Umwelt/Energie und Gesundheit/Medizintechnik geeinigt. Inzwischen ist die Initiative „neue Materialien“ hinzugekommen. Die Kompetenzinitiativen sind in Vereinsform organisiert. Zu den Mitgliedern gehören u. a. regionale Unternehmen, Hochschul- und Forschungseinrichtungen, Repräsentanten der lokalen Politik sowie nicht zuletzt die örtliche IG Metall. Letztere war mit ihren Akteuren maßgeblich an der Definition von Projekten und Kompetenzfeldern beteiligt. Dabei agierte sie Mitte der 1990er Jahre auf der Grundlage einer Konzeption, die ein systemisches Zusammenspiel von Regional- und Beschäftigungspolitik implizierte. In den Kompetenzfeldern der Region sollten jene Innovationen entstehen, von denen man erwartete, dass sie später die Produktionen in regionalen Unternehmen ankurbeln und neue Arbeitsplätze schaffen würden. Es ging um „eine Vernetzung, um zu einer Art Systemmodell in der Region zu kommen“ (N/GW1), das qualitatives Wachstum ermöglichen sollte. Beschäftigungspolitisch bestand die Erwartung, dass die öffentlich geförderte Innovationstätigkeit den Verlierern des Strukturwandels zugute kommen würde. Die IG Metall engagiert sich bis heute vor allem in den Feldern ‚Verkehr‘ und ‚Energie‘. Damit bewegt sie sich allerdings in einem gewissen Widerspruch zur Technologiepolitik der bayerischen Staatsregierung, die sich, ebenso wie die IHK6, gegenüber altindustriellen Strukturen eher „defensiv“ (N/Pol3) verhält. Infolge ihrer Schwerpunktsetzung agiert die IG Metall aber durchaus auch im Interesse jenes Teils der regionalen Wirtschaft, der sich von der bayerischen High-TechOffensive nicht oder nur unzureichend bedient sieht. Diese Interessenkonstellation markiert eine deutliche Differenz zum Dortmunder Fall. Sicher haben die zahlreichen Gespräche und Klärungen im Vorfeld der Gründung von Kompetenzinitiativen so etwas wie einen inhaltlichen Minimalkonsens über die Entwicklung der „Innovationsregion Nürnberg“ ermöglicht. Die Einigung über Kompetenzfelder und Leitprojekte unterstützte die Forderung 6
Von unseren Gesprächspartnern bei der IHK wird allerdings in Abrede gestellt, dass sie nicht am Erhalt industrieller Strukturen interessiert seien. Die Differenz zur Position der IG Metall sei darin zu sehen, dass dem Verbleib von Unternehmen und nicht so sehr von gewerblichen Produktionsstrukturen hohe Priorität eingeräumt werde.
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nach „sinnvoller“, weil auch endogene Potentiale berücksichtigender Wirtschaftsförderung durch die Landesregierung. Der regionalpolitische Kompromiss, den das Wirtschaftsforum definiert hat, wird aber durch mindestens drei Konfliktlinien beständig in Frage gestellt. Die erste ergibt sich aus der Konkurrenz zwischen den mittelfränkischen Städten. Nürnberg ist, gemessen an der Einwohnerzahl und dem wirtschaftlichen Potential (200.000 Erwerbstätige) das regionale Oberzentrum, zu dem sich Fürth und Erlangen aus unterschiedlichen Gründen immer wieder in Konkurrenz definieren. In Fürth fürchtet man Bevormundung; Erlangen ist hingegen aufgrund der strukturprägenden Universität und dem hier schwerpunktmäßig ansässigen Kompetenzfeld Medizintechnik im Strukturwandel einige Schritte voraus und sieht daher die Gefahr von „Bremseffekten“ des Oberzentrums. Interessendivergenzen existieren jedoch auch bei anderen regionalpolitisch aktiven Akteuren. Während die IHK mit ihrer Vision der „Innovationsregion Nürnberg“ in erster Linie auf Sprunginnovationen in neuen, wissensintensiven Branchen setzt, operieren die Gewerkschaften mit einer umgekehrten Prioritätensetzung. Der seitens der IG Metall geprägte Begriff „Krisenregion Nürnberg“ thematisiert die anhaltenden Strukturprobleme einer sich in manchen Bereichen durchaus dynamisch entwickelnden Region. Das offizielle regionalpolitische Leitbild entspringt faktisch einer Kompromissbildung zwischen unterschiedlichen Interessen, die letztlich jedoch nicht in einen tragfähigen regionalpolitischen Konsens einmünden. Die Akteure „benutzen die gleichen Begriffe, dahinter verbergen sich aber höchst unterschiedliche Vorstellungen“ (N/feed-back). Folgerichtig hat es über die beschäftigungspolitischen Ziele, die die IG Metall verfolgt, niemals eine wirkliche Einigung gegeben. Infolgedessen bleibt das „Regime der Akzeptabilitätsbedingungen“, das über die Verwandlung von Interessenkompromissen einen inhaltlichen Konsens entscheidet, jederzeit brüchig und labil. 3.2.3 Chemnitz: Netzwerkkonkurrenz statt Kompromiss und Konsens In Chemnitz konstituierte sich eine gewerkschaftsnahe Kooperationsstruktur im Zusammenspiel mit einer großen Protestmobilisierung gegen die vorherrschenden Privatisierungsstrategien der Treuhand-Gesellschaft. Als organisatorische Hauptkraft dieser Bewegung wurde die IG Metall in der Region zu einem wichtigen „Spieler“. Nach der Devise „Wir bauen unsere Zukunft selbst“ setzte die lokale Gewerkschaft auf ein „Vier-Säulen-vier-Felder-Modell“ zur Beeinflussung der offiziellen Strukturpolitik. Die Kooperationsstruktur umfasst bis heute die Aktionsfelder „Aktivierung und Ausbildung Jugendlicher“, „Sicherung und Sanierung wirtschaftlicher Kernbereiche“, „Aktivierung und Qualifizierung der
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Arbeitslosen“ sowie „Forschung und Innovation zur Verbesserung der Regionalstruktur“. Mit ihrem Ansatz zielte die IG Metall auf eine Etablierung arbeitsorientierter Kooperationsstrukturen in den jeweiligen Feldern. Neben den engen Beziehungen zu zwischenzeitlich zwölf Beschäftigungsgesellschaften und dem Arbeitslosenverein ‚Neue Arbeit’ markierte die von der IG Metall lancierte Gründung des Interessenverbandes Chemnitzer Maschinenbau (ICM) 1992 den wohl einmaligen regionalpolitischen Fall eines von Gewerkschaftsseite gegründeten Unternehmensnetzwerks. Die Schaffung dieser Struktur resultierte aus der Erkenntnis, dass die Unternehmen des regionalen Maschinenbaus zu Kooperationen verdammt sind, „sonst stirbt jeder für sich“ (C/GW03). Konstitutiv für die gewerkschaftsnahe Kooperationsstruktur war das Bestreben der IG Metall, den Privatisierungskonzepten der Treuhand etwas entgegenzusetzen. In den Auseinandersetzungen mit der Treuhand verschaffte sich die örtliche Gewerkschaft mit ihrer Forderung nach dem Erhalt industrieller Kerne eine Stimme in der regionalen Arena. Seit dem Abschluss der Privatisierungen ist die ursprüngliche Kooperation im Interessenverband Chemnitzer Maschinenbau jedoch zerfallen. Da der „gemeinsame Feind Treuhand“ (C/GW03) verschwunden ist, differenzierte sich die Interessenlage aus. Gewerkschaftliche Forderungen nach Tarifverträgen führten zur Aufkündigung der ursprünglichen Kooperationsstruktur. Der nachfolgende Vorstoß, einen Regionalbeirat Maschinenbau unter Beteiligung des Arbeitgeberverbandes und der Gewerkschaften zu gründen, scheiterte nach kurzer Zeit an der Förderpolitik des Landes. Versuche, in einem Netz unter Federführung der Sozialpartner Unternehmen, öffentliche Hand und Landesarbeitsamt zusammenzubringen, um industriepolitisch Krisenabfederung mit Modernisierung zu verknüpfen, kollidierten mit der offiziellen Strukturpolitik. In Abhängigkeit von Landes-, Bundes- und EU-Fördermittelrichtlinien entstand eine Vielzahl regionaler Unternehmensnetzwerke, die primär der Generierung von Produktinnovationen und gemeinsamen Marktauftritten dienen sollten. Neben dem Interessenverband Maschinenbau mit dem Kompetenzzentrum Maschinenbau bildete sich ein zweites Unternehmensnetz im Chemnitzer Kernsektor. Die IG Metall entschied sich gegen eine Beteiligung. Stattdessen forciert sie seit 1996 den Aufbau eines eigenen Netzes, das unter dem Namen Chemnitzer Konsensmodell bekannt geworden ist. Als Reaktion auf gescheiterte Privatisierungen und drohende Insolvenzen regionaler Unternehmen, die zu einem Dauerproblem wurden, gelang es, einen Zusammenschluss zwischen lokaler IG Metall, der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) und dem Arbeitsamt zu erreichen. Diese Akteure kooperieren bei der Sanierung angeschlagener Betriebe aus dem Bereich Produktion und produktionsnaher Dienstleistungen. Zentrale finanzielle Ressource war zunächst die „freie Reserve“ des Arbeitsamtes (§ 10 SGB III). Droht einem Be-
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trieb die Insolvenz, kann er mit einer Förderung rechnen, die aus der so genannten freien Spitze der Arbeitsamtsmittel bezahlt wird. Finanzmittel werden allerdings nur unter der Bedingung gewährt, dass ein Sanierungskonzept erarbeitet und von einem Ausschuss überwacht wird, dem neben der IG Metall u. a. die Gläubigerbanken und der Betriebsrat angehören. Außerdem müssen die Gläubigerbanken einen Betrag in gleicher Höhe zuschießen. Das Modell funktioniert zumindest dem Anspruch nach strikt beteiligungsorientiert. Wann immer möglich, soll das Erfahrungswissen der Beschäftigten für den Sanierungsprozess mobilisiert werden. Sanierungsfortschritte werden von den Beiräten überwacht. Politisch erhebt die IG Metall mit dieser Strategie den Anspruch, sich dem Trend zu einer Short-run-Ökonomie zu widersetzen. Gleichzeitig grenzt sich die Gewerkschaft damit explizit von einer Teilnahme an reinen „Fördertopfnetzwerken“ und „keksfressenden Beiratssitzungen“ (C/GW03) ab. In der Konsequenz haben sich in der Region ausgeprägte Parallelstrukturen entfaltet. Einer durch offizielle Fördermittel angetriebene punktuelle Unternehmenskooperation steht ein von den Fördertöpfen inzwischen weitgehend ausgeschlossener gewerkschaftsnaher Kooperationsverbund gegenüber: „Wir sind aus den ursprünglichen Beteiligungsangeboten mehr oder weniger raus“ (C/GW04), bringt ein Gewerkschafter die Entwicklung auf den Punkt. Aufgrund dieses Politikansatzes der IG Metall sind die arbeitspolitischen Felder, auf denen das gewerkschaftliche Netzwerk agiert, begrenzt geblieben. „Das Feld, auf dem ich tätig bin, ist Krisenmanagement“, erläutert der IG Metall-Bevollmächtigte. Mit dem Beiratsmodell stehen zwar durchaus Instrumente einer betrieblichen Modernisierungsstrategie zur Verfügung; das Konsensmodell kann jedoch erst greifen, wenn ein Unternehmen bereits Insolvenz angemeldet hat. Zwar bestehen in Chemnitz punktuell Kooperationen mit Wissenschaftlern, anders als in Dortmund oder Nürnberg konnte diese konzeptionelle Arbeit jedoch kaum in den offiziellen politischen Regionalisierungsprozess eingespeist werden. Eine wichtige Besonderheit des Chemnitzer Netzes stellt indessen die starke Akzentuierung von Qualifizierungs- und sozialer Kohäsionspolitik dar. Von den ursprünglich zwölf Beschäftigungsgesellschaften ist nur noch die ABS WeTexbau geblieben. Auf die selbstständige GmbH greift mittlerweile auch die Gewerkschaft ver.di zurück. Die Arbeit der Beschäftigungsgesellschaft hat Symbolcharakter für gewerkschaftliche Positionen. So arbeiteten die Beschäftigten Maschinen für den Versand in die Dritte Welt auf. Da die WeTexbau selbst keine Qualifizierungsprogramme anbietet, ist von der IG Metall die Fusion mit einem großen Bildungsträger geplant. Bei der Bildungswerkstatt Chemnitz (BWC) handelt es sich um den größten überbetrieblichen Anbieter von Erstausbildungen in Ostdeutschland. Kurz vor der Insolvenz wurde das Unternehmen durch einen Sanierungsplan im Rahmen des Chemnitzer Konsensmodells gerettet und in eine Mit-
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arbeitergesellschaft umgewandelt. Infolge der krisenhaften Transformation stand aber auch die Arbeit mit Arbeitslosen schon früh im Zentrum der gewerkschaftlichen Aktivitäten. Die Neue Arbeit Chemnitz fungiert heute als das einzige Arbeitslosenzentrum der Stadt; das Otto-Brenner Haus, welches auf Eigeninitiative renoviert wurde, entwickelte sich zum zentralen Ort der Selbsthilfegruppen in der Stadt. Ihrem Selbstverständnis nach begreift sich die Neue Arbeit als eine „kämpferische Lobby für die Arbeitslosen“ (C/NWA02). Einen neuen Schwerpunkt hat sich das Kompetenzzentrum regionale Strukturpolitik im Feld Jugend/Qualifizierung gesetzt. Dies aus mehreren Gründen. Die Jugendabwanderung zählt neben dem Fachkräftemangel zu den gravierenden Problemen der Region und trifft die Gewerkschaft mit ihrer alternden Mitgliederbasis selbst ins Mark. Zudem registriert die IG Metall deutlich, dass mit der Osterweiterung eine Zukunftsoption im Ausbau einer Bildungslandschaft besteht, die nach Tschechien ausstrahlt. In dem hart umkämpften Bildungsmarkt bemüht sich die IG Metall daher, gezielt die Position der gewerkschaftsnahen Kooperationspartner zu stärken. Im Unterschied zu den beiden Vergleichsregionen existieren zwischen den gewerkschaftsnahen Strukturen, der offiziellen Regional- und Strukturpolitik und den „Fördertopfnetzwerken“ von Unternehmen nur geringe Schnittmengen. Von einem integrativen, akteursübergreifenden regionalpolitischen Kompromiss oder gar von einem inhaltlichen Konsens kann keine Rede sein. Die Ursachen hierfür sind in einem Prozess zu verorten, der im Grunde mit dem Zerfall der ursprünglichen Konsensstrukturen einsetzte. Damals hatten diverse Akteure „an unterschiedlichsten Leitbildern“ einer regionalen Strukturpolitik gebastelt; einen breiten öffentlichen Diskussionsprozess über regionale Entwicklungsstrategien gab es jedoch nicht. Während die Chemnitzer Wirtschaftsförderung mit Flächensanierung und Infrastrukturausbau auf Neuansiedlungen setzte, die Kommunen der Region die Selbstvermarktung als Tourismusregion Erzgebirge planten und die IHK in Kooperation mit der Staatsregierung zur Vorreiterin neuer High-TechBranchen werden wollte, sah sich die IG Metall genötigt, auf eigene Konzepte zu setzen. Anders als in Dortmund und Nürnberg wurde die gewerkschaftliche Konzeptentwicklung weder wissenschaftlich begleitet noch mit der Wirtschaftsförderung abgestimmt. Die gewerkschaftlichen Akteure handelten „aus dem Bauch heraus“ (C/GW03) und setzten auf ‚learning-by-doing‘. Aufgrund der dabei gesammelten Erfahrungen betrachten sie sich selbst als kompetenteste „Regionalmanager“. Umgekehrt halten sich bei den Protagonisten paralleler Verbünde die Ressentiments. Folgerichtig ist das Feld regionalisierter Strukturpolitik ein Terrain für Konkurrenzen und Konflikte zwischen unterschiedlichen Kooperationsverbünden. Überschneidungen zwischen dem gewerkschaftsnahen Netz und offiziellen Strukturen existieren vor allem in Gestalt persönlicher Be-
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ziehungen des IG Metall-Bevollmächtigten zu anderen – meist aus Westdeutschland stammenden – Repräsentanten wichtiger Organisationen und Institutionen (Arbeitsamt, PricewaterhouseCoopers). Ein „Regime der Akzeptabilitätsbedingungen“, auf das sich alle Akteure beziehen können, existiert jedoch nicht. Versuche, dies zu ändern, werden durch die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Verbünden immer wieder unterminiert. 3.3 Struktur, Leistungen und Funktionen regionaler Netze im Vergleich Halten wir fest: In allen Untersuchungsregionen sind – unter Beteiligung lokaler Gewerkschaften – einigermaßen stabile Kooperationsverbünde entstanden. Allerdings lassen sich bei der Strukturierung der Binnenbeziehungen, beim Politikstil gewerkschaftlicher „Scharnierpersonen“, bei der „Verknüpfungstechnologie“, dem Regime der Akzeptabilitätsbedingungen wie auch bei der Netzwerkevolution erhebliche Unterschiede feststellen. Der nachfolgende Vergleich orientiert sich an Kriterien, die Pichierri (2005: 52ff.) nennt, um zu einer reicheren Definition regionaler Netzwerke zu gelangen. 3.3.1 Neue kollektive Akteure Allgemein handelt es sich bei einem Netzwerk um ein vergleichsweise „stabiles Modell von kooperativen Transaktionen zwischen individuellen oder kollektiven Akteuren, die zusammen einen neuen kollektiven Akteur“ (Pichierri 2002) bilden. Es geht also nicht um irgendeine Spielart kooperativer Beziehungen, sondern um eine Qualität regionaler Kooperation, die dazu führt, dass ein Netzwerk zumindest punktuell als kollektiver Akteur in Erscheinung tritt. Ein solches Kooperationsniveau setzt voraus, dass der Austausch von Ressourcen und Leistungen im Binnenverhältnis einigermaßen symmetrisch und stetig erfolgt. Die Teilnahme an der Netzwerkkooperation ist freiwillig. Die Austauschbeziehungen haben häufig einen informellen Charakter. Ihre Verstetigung erzeugt im optimalen Fall Gewohnheiten und Verlässlichkeiten, die den Tausch nachhaltiger regulieren als formalisierte Verträge dies könnten. Insofern gleichen die regionalen Netzwerke „Ehen ohne Ehevertrag“. Die Netzwerkakteure sind in ein Geflecht aus „Abhängigkeit, Reputation und Verpflichtung“ eingebettet; ihre Interaktionen gründen auf „dauerhaften Sozialbeziehungen“ (Kenis/Schneider 1996: 29). Mit ihren Aktivitäten zielen die regionalen Akteure darauf, die Position der durch sie repräsentierten Räume in der internationalen Arbeitsteilung zu verbessern. Die neu entstandenen Austauschbeziehungen in den Regionen sind Resultat
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einer Doppelbewegung. „Von oben“, also durch die staatlichen Instanzen auf EU-, nationaler und Landesebene wird ein „Wettbewerbsregionalismus“ gefördert, der die Region wie ein Unternehmen betrachtet, das es im internationalen Wettbewerb zu positionieren gilt. Die Gewerkschaften bzw. die gewerkschaftsnahen Spieler, die sich in der regionalisierten Strukturpolitik engagieren, setzen hingegen auf einen Regionalismus „von unten“, der die offizielle Regionalpolitik nutzen will, um den Strukturwandel nicht dem freien Spiel der Marktkräfte zu überlassen. In einer Situation, in der sie selbst durch Mitgliederverluste und die Auswirkungen des globalen „Marktregimes“ (Dörre/Röttger 2003) in ihrer Verhandlungsposition geschwächt sind, sehen die beteiligten Gewerkschaftsgliederungen in regionalpolitischen Ansätzen eine Alternative zur Willkür reiner Marktsteuerung. Ihre eigenen Konzeptionen entwickeln sie aber mitunter in deutlicher Distanz zu den Vorgaben staatlicher Politik. Insofern handelt es sich bei den regionalen Kooperationsverbünden keineswegs um „Mikrokorporatismen“, die auf regionaler Ebene lediglich nachvollziehen, was in nationalen Konsensrunden, Landesprogrammen oder vom „Sachzwang Weltmarkt“ festgelegt wird. Dem Selbstverständnis der handelnden Akteure nach basiert an Arbeitsinteressen orientierte Regional- und Strukturpolitik auch auf gewerkschaftlicher Konfliktfähigkeit. Für alle untersuchten Regionen gilt, dass die regional- und strukturpolitischen Ansätze ursprünglich aus harten Auseinandersetzungen entstanden sind, die in der Regel am Niedergang altindustrieller Strukturen und den damit verbundenen Arbeitsplatzverlusten aufgebrochen waren. Die Art und Weise, in der offene oder latente Konflikte zwischen „wettbewerbsregionalistischen“ und gewerkschaftsnahen Ansätzen ausgetragen werden, entscheidet über die soziale Kohärenz und die Handlungsfähigkeit neuer „Kollektivakteure“. In allen Regionen treten die gewerkschaftsnahen Subnetzwerke zumindest punktuell als eigenständige Akteure in Erscheinung. Das gilt für gemeinsame Projekte ebenso wie für gelegentliche Strategiedebatten. Für die übergreifende regionale Kooperationsstruktur muss diese Aussage indessen differenziert werden. Mit Blick auf Dortmund lässt sich sicherlich von einem um das dortmund-project herum gruppierten „Kollektivakteur“ sprechen, in den das gewerkschaftliche Subnetzwerk über einen längeren Zeitraum fast schon nahtlos integriert war. In Nürnberg sind die im Wirtschaftsforum vereinigten Akteure nur vergleichsweise selten kollektiv handlungsfähig. Die Einigung auf gemeinsame Regionalprojekte war einer Ausnahmesituation geschuldet. Eine ähnliche Kohärenz wurde seither nicht mehr erreicht. Der Platz des gewerkschaftsnahen Subnetzwerks in der übergreifenden Kooperationskultur ist nicht eindeutig fixiert. Perioden eher konfliktbelasteter Beziehungen wechseln sich mit Phasen größerer inhaltlicher Nähe ab. In Chemnitz stellt die gewerkschaftsnahe Kooperationsstruktur einen relativ kohärenten Kollektivakteur dar, der im optimalen
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Fall mit anderen Netzwerken interagiert und konkurriert. Eine spezifische Leistung der regionalen Netze besteht darin, dass sie Organisations- und Mitgliederinteressen mit Raumdefinitionen verknüpfen, um auf diese Weise der eigenen Interessenrepräsentation ein größeres Gewicht in der politischen Arena zu verleihen. Die Verknüpfung geschieht in Deutungskämpfen, in denen eine Grundproblematik und ein darauf basierendes Grundinteresse „der“ Region formuliert wird. Mit anderen Worten: Regionen werden von den Netzwerken „gemacht“, sie werden über definitionsmächtige Interessen konstruiert. Die bewusste, politisch aktive Region ist daher keineswegs mit den über administrative Grenzen, kulturelle Traditionen oder geographische Besonderheiten konstituierten Räumen identisch. Was die (Mikro-)Region ist und was aus ihr werden soll, ist niemals vollständig geklärt. So suchte die Nürnberger IG Metall mit ihrem Begriff der ‚Krisenregion’ die Aufmerksamkeit auf die mit dem Niedergang der regionalen Metall- und Elektroindustrie verbundenen Strukturprobleme zu lenken. Sie befand sich damit in inhaltlicher Nähe zur ursprünglichen KompetenzfeldKonzeption der Wirtschaftsförderung, deren impulsgebender Kopf, Dr. Küpper, versuchte, Elemente sozialdemokratischer Strukturpolitik nach Mittelfranken zu transferieren. Beide Ansätze befanden sich im – teils latenten, teils offen ausgetragenen – Konflikt mit Konzeptionen, die vor allem der Koordinationskraft des Marktes vertrauten und für eine Konzentration der Fördermittel auf neue, wissensintensive Branchen plädierten. Die reale Regionalpolitik ist ein Substrat, das aus der Konkurrenz dieser Konzeption hervorgegangen ist. Ähnliche Definitionskämpfe gibt es auch in Dortmund und Chemnitz. In der Ruhrmetropole favorisiert die politische Spitze der Stadt inzwischen das Leitbild vom „schnellen Dortmund“. Damit soll die Dynamik des Wandels hin zu einer Stadt der neuen Leitbranchen betont werden. Dagegen zielt der DGB mit seiner Konzeption des „sozialen Dortmund“ darauf, die Verlierer des Strukturwandels nicht aus dem Blick zu verlieren. In Chemnitz verhält es sich ähnlich, wenn die IG Metall mit ihrem Konzept zum Erhalt industrieller Kerne und zur Schließung regionaler Wertschöpfungsketten ein regionales Interesse definiert, das freilich eher ein Vakuum ausfüllt und nicht so sehr ernsthafte inhaltliche Konkurrenzen in der Region provoziert. 3.3.2 Scharnierpersonen und Zugehörigkeiten Netzwerke bestehen aus Akteuren, Organisationen und Personen, die unterschiedliche Funktionen wahrnehmen. Jeder regionale Akteur stellt einen Knoten
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in den vielfältigen Netzwerkbeziehungen her (Castells 2001: 528). Regionale Netzwerke sind in der Regel „heterarchisch“ (Sydow 2001); dennoch gibt es unterschiedlich dimensionierte Ressourcenverteilungen und damit Machtgefälle zwischen den Akteuren. Kurzum, auch in heterarchischen Netzwerken existieren Zentrum und Peripherie. Es gibt Akteure, die interne Beziehungen stärker definieren und strukturieren als andere; im Extremfall können sie auch über Mitgliedschaften entscheiden. Von einer „Scharnierfunktion“ lässt sich sinnvoller Weise sprechen, wenn es sich um definitionsmächtige Personen oder Organisationen handelt. In den gewerkschaftsnahen Subnetzwerken liegt die Definitionsmacht für Zugehörigkeiten und politische Ziele in hohem Maße bei einzelnen Personen sowie bei den Organisationen, die sie repräsentieren. Die IG MetallBevollmächtigten von Chemnitz und Nürnberg sind, ebenso wie der Dortmunder DGB-Regionalvorsitzende, solche Scharnierpersonen. Mit ihren besonderen Charakteren, Eigenarten, Vorlieben und persönlichen Auffassungen kreieren sie spezifische Politikstile. Sowohl gegenüber dem regionalpolitisch häufig abstinenten Gewerkschaftsumfeld als auch in der Arena des politischen Tauschs agieren sie gewissermaßen als Netzwerkbotschafter. Es handelt sich um charismatische, unverwechselbare Persönlichkeiten, die letztlich auch über den – nicht im Sinne einer formalen Mitgliedschaft zu verstehenden – Zugang zu den gewerkschaftsnahen Netzen entscheiden. Der Dortmunder Regionalvorsitzende gilt in seiner Stadt „als Institution“. Dem Nürnberger Bevollmächtigten eilt der Ruf eines „lokalen Fürsten“ voraus. Und auch im Chemnitzer Bevollmächtigten sieht das Umfeld eine „Persönlichkeit, die man beachten muss“. Dennoch können sie ihre Rolle nur spielen, weil sie ihre Organisation repräsentieren und über die Organisation auf professionelle Berater zurückgreifen können. Insofern handelt es sich bei den gewerkschaftsnahen Kooperationsstrukturen um Netze von Personen und Organisationen. Die Verknüpfungen basieren oft auf persönlichen Kontakten. Das Charisma (im Anschluss an Webers Typus charismatischer Herrschaft: Kraemer 2002: 173ff.) der Genannten strukturiert Interaktionen. Die Scharnierpersonen bestimmen in ihren Kooperationsstrukturen über Zentrum und Peripherie, und sie kontrollieren die Außenbeziehungen ihrer Netzwerke, die Schnittstellen zur Wirtschaftsförderung und zur offiziellen Regionalpolitik. Sie können dies jedoch nur, weil sie sich in organisationalen Kontexten bewegen, die ihnen die Legitimation für ihre politischen Aktivitäten bieten. Dabei gilt, dass die von ihnen repräsentierten Organisationen allenfalls formal, nie jedoch real in den Netzwerken präsent sind. In allen untersuchten Fällen handelt es sich um vergleichsweise kleine Gruppen von Interessierten und Spezialisten, die aktiv an der regionalisierten Strukturpolitik partizipieren.
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Dass es ein von den Scharnierpersönlichkeiten unabhängiges Strukturierungsprinzip der regionalen Netzwerkstrukturen gibt, zeigt sich an den Funktionen, die die einzelnen Netzwerkakteure wahrnehmen. Alle gewerkschaftsnahen Netze erfüllen mehr oder minder vier Funktionen: sie dienen der Krisenabfederung und Beschäftigungssicherung (Sanierung altindustrieller Betriebe; Auffanglösungen, Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt); sie nehmen eine Qualifizierungsfunktion (Abmilderung von Arbeitsmarktrisiken durch berufliche Aus- und Weiterbildung, Bewerbungstraining etc.) wahr; sie üben eine – meist an spezifische Vorstellungen von Arbeitnehmerpartizipation geknüpfte – Innovationsfunktion (Modernisierung von Arbeits- und Betriebsorganisation, beteiligungsorientiertes Veränderungsmanagement, Produktinnovationen) aus und sie erfüllen über die Kooperation mit professionellen Beratern und Forschungseinrichtungen Reflexions- und Konzeptualisierungsaufgaben. So unterschiedlich die regionalen Strukturen und Akteure sein mögen; im Sinne funktionaler Äquivalenz (Regini 1997: 11ff.) sind die vier Funktionen in allen untersuchten Netzwerken präsent. Themen und Bearbeitungsformen variieren. Mitunter gibt es, wenn es um die Besetzung neuer Themen geht, ausgeprägte Konkurrenzen zwischen Netzwerkakteuren. Die Grundfunktionen werden jedoch durchgehalten, sie differenzieren sich allerdings aus und auch die Aktivitätsschwerpunkte verlagern sich. Mit den umfassenderen Strukturen der offiziellen Wirtschaftsförderung teilen die gewerkschaftsnahen Netze wirtschaftspolitische Ziele. Letztlich geht es in den Netzen um die Produktion öffentlicher Güter (Voelzkow 1999). Genauer, Leistungen, deren Herstellung zuvor ausschließlich in der Verantwortung privater Unternehmen (Innovationsfunktion, Beschäftigungssicherheit) oder (halb)öffentlicher Institutionen (berufliche Aus- und Weiterbildung) auf anderen Regulierungsniveaus lag, sollen nun durch den Zusammenschluss „schwacher Akteure“ auf regionaler Ebene sowohl aus staatlichen als auch aus privatwirtschaftlichen Zusammenhängen herausgelöst und eher informell produziert werden. In dem Maße wie regionale Akteure diese Produktion professionell angehen, ändern sie jedoch häufig ihre räumlichen Bezüge. Sei es, wie z. T. in Dortmund, indem sie ihr Aktionsfeld auf die Kommune beschränken und den regionalen Raum tendenziell aus den Augen verlieren, oder, wie z. T. in Nürnberg, weil sie ihre Geschäftsfelder auf die nationale Ebene ausweiten. Fakt ist, dass die auf den regionalen Raum bezogenen Interessendimensionen, die in der Konstitutionsphase der Netzwerke von zentraler Bedeutung sind, für einen Teil der Akteure an Relevanz verlieren. Dies ist freilich kein spezifisches Problem der gewerkschaftsnahen Akteure. Kompetenzinitiativen oder Clusteransätze etwa in der IT-Industrie können gar nicht anders als sich „von vornherein international aufzustellen“ (D/GF1). Die Realaktivitäten von Netzwerkakteuren haben daher mit administrativ definierten Raumkonzeptionen häufig kaum noch etwas gemein.
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3.3.3 Strukturierung der Binnenbeziehungen Die Beziehungen zwischen Akteuren und Strukturen eines Netzes bezeichnet Pichierri als „Transaktionen“. Er knüpft damit bewusst an die Transaktionskostentheorie und deren Effizienzvorstellungen an (vgl. Williamson 1990). Wir wollen demgegenüber neutraler von Interaktionen oder Austauschbeziehungen sprechen. Den Begriff ‚Transaktionen’ verwenden wir synonym, also ohne die theoretische Aufladung, die er bei Pichierri erhält. Dies ist u. E. sinnvoll, weil sich die Austauschbeziehungen in politischen Netzwerken nicht ohne weiteres in ökonomische Effizienzvorstellungen zwängen lassen.7 Tatsächlich unterscheiden sich die gewerkschaftsnahen Netze in der Strukturierung ihrer Binnenbeziehungen. Ein erster Unterschied zwischen den gewerkschaftsnahen Netzen ergibt sich aus dem Verhältnis der zentralen Akteure zu arbeitsorientierter Wissenschaft. Die Besonderheit der Interaktionsqualität im gewerkschaftsnahen Dortmunder Netzwerk wurzelt in dem engen Kooperationsverhältnis von DGB und unterstützenden Wissenschaftlern. Allein das Dortmunder Netzwerk weist hier einen kontinuierlichen und fest in die Strukturen eingebundenen Arbeitszusammenhang auf, der auch durch den offenen Umgang des DGB-Regionalvorsitzenden mit (Sozial-)Wissenschaftlern ermöglicht wird. Im Unterschied zu den anderen Regionen handelt es sich nicht nur um punktuelle Kooperationen mit verschiedenen Forschungs- und Beratungseinrichtungen. Die Kooperationsstelle Wissenschaft-Arbeitswelt ist selbst ein zentraler Knoten im Netz, der es ermöglicht, die Kooperation mit dem DGB auf Dauer zu stellen. In Nürnberg steht der IG Metall mit dem IMU Nürnberg ein beständiger Kooperationspartner zur Verfügung, der Konzeptarbeit leistet; aber diese Kooperationsbeziehung ist weniger prägend als der Austausch von Wissenschaft und Gewerkschaften im Dortmunder Netz. Am schwächsten entfaltet ist die Kooperation Wissenschaft-Gewerkschaft im Chemnitzer Netzwerk. Zwar ist z. B. in der Universität durchaus ein Angebot an arbeitsorientierten Wissenschaftlern vorhanden und es gibt ein Promotionskolleg der Böckler-Stiftung, doch ein kontinuierlicher Austausch, der sich konzeptionell auswirkt, lässt sich nicht feststellen. Eine zweite Differenz resultiert aus dem differierenden Institutionalisierungsgrad der Netzwerke. Das Dortmunder Netz zeichnet einen vergleichsweise hohen Institutionalisierungsgrad aus. Es gibt zahlreiche formalisierte Aufgaben und feste Termine. Die Akteure lassen sich durch ein hohes professionelles Ni7
Beziehungsanalysen können sowohl quantitativ (Kontakthäufigkeit) als auch qualitativ (Art des Austauschs) angelegt sein (Pappi 1987). Für unseren Zweck beschränken wir uns auf eine qualitative Analyse einzelner Austauschbeziehungen. Es geht nicht darum, regionale Netzwerke und ihre Aktivitäten möglichst vollständig abzubilden. Vielmehr sollen wichtige Beziehungsmuster qualifiziert und verglichen werden.
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veau ihrer Aktivitäten charakterisieren. Symptomatisch für die Dortmunder Struktur ist, dass ein Teil des gewerkschaftlichen Netzwerkes in das übergreifende Netzwerk der Wirtschaftsförderung übernommen worden ist. LOKon ist institutionalisiert; aber die Institution besitzt nun kein originär gewerkschaftliches Profil. Wer sich ihrer Leistungen bedient, verbindet damit nicht unbedingt ein gewerkschaftliches Angebot. Die Chemnitzer Netzwerkorganisation verkörpert hingegen einen Ansatz mit geringem Institutionalisierungsgrad. Auch hier gibt es – etwa in Gestalt des Leiters der lokalen Niederlassung von PricewaterhouseCoopers oder der Spitze des Arbeitsamtes – hochgradig professionalisierte Akteure. Doch das Strukturierungsprinzip der Interaktionen ist informell, situativ ausgerichtet, thematisch flexibel, damit aber auch unstet und verletzlich. Das gewerkschaftliche Profil bleibt jederzeit sichtbar, aber das Zentrum des Netzes, der definitionsmächtige Knotenakteur, wird von seinen Interaktionspartnern häufig als „erdrückend“ wahrgenommen. Das Nürnberger Netzwerk lässt sich, an der Strukturierung seiner Binnenbeziehungen gemessen, zwischen Dortmund und Chemnitz einordnen. Auch hier gibt es hoch professionalisierte Akteure, deren Interaktionen jedoch eher informell geregelt werden. Wie in Chemnitz strukturiert eine Scharnierperson mit großer Kreativität und hoher situativer Intelligenz die Netzwerkaktivitäten. Und auch hier führt dieses informelle Steuerungsprinzip immer wieder zur Überforderung der Interaktionspartner. Allerdings sind die Nürnberger Netzwerkakteure offenbar so stabil und selbständig, dass sie derartige Reibungen meistern können. Die gewerkschaftliche Scharnierperson wird letztlich nur dann als „Spinne im Netz“ akzeptiert, wenn sie über die Öffnung von Geschäftsfeldern hinaus auch als strategischer Kopf und Ideengeber fungiert. Diese Art der Strukturierung von Interaktionen bewirkt, dass die Beziehungen der gewerkschaftsnahen Akteure beständig zwischen großer Nähe und wachsender Distanz changieren. Der Stellenwert sozialer Kohäsionspolitik macht einen weiteren Unterschied zwischen den gewerkschaftsnahen Netzen aus. Gemeinsam ist den regionalen Gewerkschaftsgliederungen, dass sie die soziale Dimension des Strukturwandels betonen und sich dafür einsetzen, dass die Interessen der „Modernisierungsverlierer“ nicht völlig aus den regionalpolitischen Aktivitäten ausgeklammert werden. Unterschiede lassen sich aber in der Konkretion dieses Anspruchs z. B. an der Integration „schwacher Interessen“ festmachen. So besitzt die Aktivierung von Arbeitslosen nur in Chemnitz einen hohen organisationspolitischen Stellenwert. Dort hat der Zusammenbruch des regionalen Arbeitsmarktes die IG Metall frühzeitig veranlasst, Arbeitslosen, die so gut wie keine Chance zur ReIntegration in den ersten Arbeitsmarkt besitzen, ein Angebot zu bürgerschaftlichgewerkschaftlichem Engagement zu unterbreiten. Dieser Politikansatz, der mit zahlreichen Aktivitäten und jährlichen Arbeitslosenkonferenzen verbunden ist,
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hat nicht zuletzt zu einer großen Bindekraft der Organisation im Erwerbslosenbereich beigetragen. In Nürnberg und Dortmund gibt es kein vergleichbares Niveau gewerkschaftlicher „Arbeitslosenarbeit“. In Nürnberg erklärt sich dies aus der primären Zielsetzung, Arbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. In Dortmund haben Kirchen, Sozialverbände und Stadtteilinitiativen das Terrain sozialer Ausgrenzung besetzt. Ein vierter Unterschied ergibt sich aus der Verankerung der Netzwerkstrukturen in regionalen Unternehmen sowie aus dem Stellenwert präventiver betrieblicher Modernisierung. In Chemnitz ist die betriebliche Verankerung über das Beiratsmodell vor allem in sanierten Betrieben gegeben. Im Nürnberger Fall sind die Betriebszugänge eine wichtige Ressource, die die IG Metall ihren Kooperationspartnern zur Verfügung stellt. Hinzu kommt, dass mit IMU, ffw und der Stabsstelle für regionale Strukturpolitik wichtige Akteure schwerpunktmäßig mit der Modernisierung betrieblicher Strukturen befasst sind. In Dortmund verfügt die koordinierende Gewerkschaftsgliederung (DGB) nicht über unmittelbare Betriebszugänge. Sie kann diese nur mittelbar, also über die Mitgliedsgewerkschaften herstellen. Der Dortmunder Regionalvorsitzende ist daher noch mehr als die Scharnierpersonen der anderen Regionen auf die Arena des politischen Tauschs angewiesen. Er verfügt weder über das Erfahrungswissen betrieblicher Entscheidungsträger noch über die Option der Mitgliedermobilisierung. Im direkten Vergleich zu Nürnberg und Chemnitz ist er daher besonders ressourcenschwach. Er sucht diese strukturelle Schwäche jedoch durch intelligente Gremienarbeit und kompetentes Auftreten in Steuerkreisen zu kompensieren. Als einziger der drei Scharnierpersonen hat er diese Art politischer Intervention in hohem Maß professionalisiert. Er ist Projektarbeit gewohnt, übernimmt z. T. selbst die Leitung von Arbeitsgruppen und Ausschüssen und erwirbt sich auf diese Weise Achtung auch bei den Repräsentanten konkurrierender Interessen. 3.3.4 Verknüpfungstechnologie, Personen- und Systemvertrauen Damit ist bereits gesagt, dass die „Verknüpfungstechnologie“, die Art und Weise, in der die Maschen im Netz „gesponnen“ werden, wesentliches über die Bindekraft der regionalen Kooperationsverbünde aussagt. Mit anderen Worten: Scharnierpersönlichkeiten nutzen eine bestimmte Verknüpfungstechnologie, um die Binnenkommunikation ihrer Netzwerkstrukturen sicherzustellen. Dabei handelt es sich freilich um eine „Technologie ohne Maschinen“, d. h. es geht um bestimmte Verfahren, Legitimations- und Überzeugungsstrategien, die angewandt werden, um den Zusammenhalt der Kooperationsverbünde über längere Zeiträume hinweg zu gewährleisten. In diesem Kontext interessiert weniger das
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rationalitätsstiftende Potential sprachlicher Kommunikation, das Habermas (1987, Bd. 1: 532) als in den sprachlichen Reproduktionsmodus der Gattung eingebaute „kommunikative Vernunft“ bezeichnet, wenngleich der „zwanglose Zwang“ des besseren Arguments auch in den regionalen Kooperationsstrukturen gelegentlich zum Tragen kommt. Vielmehr müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf Zusammenhänge richten, in denen sprachlich-symbolische Kommunikation als Medium nicht nur für interpersonale oder interorganisationale Lernprozesse, sondern auch als Katalysator zur Herstellung von Führungsfähigkeit und (lokaler) Hegemonie wirkt. In diesem Zusammenhang sind Vertrauensbeziehungen von besonderer Relevanz. Kooperation ist möglich, ohne dass Vertrauensbeziehungen vorhanden sind; Vertrauen kann jedoch schwerlich außerhalb von Kooperationsbeziehungen entstehen. Halbwegs stabile Kooperationen sind daher eine zentrale Voraussetzung für die Herausbildung von Vertrauensbeziehungen zwischen Scharnierpersonen. Diese Vertrauensbeziehungen sind wichtig, weil sich soziale Reziprozität außerhalb formalisierter Verträge anders kaum gewährleisten lässt. Geht eine Scharnierperson gegenüber einem Kooperationspartner in Vorleistung, muss sie darauf vertrauen können, dass sie zu einem nicht näher definierten Zeitpunkt eine Gegenleistung erwarten kann. Mit Blick auf die untersuchten regionalen Kooperationsstrukturen kann man mit Giddens (1997: 136) von „aktiven“ Vertrauensbeziehungen sprechen. Aktives Vertrauen zeichnet sich dadurch aus, dass es sich nicht mehr primär auf gewachsene Traditionen und Bindungen stützen kann und dass es auch „nicht mehr auf vorgegebenen Allianzen beruht“, sondern in „höherem Maße von den jeweiligen Gelegenheiten und Kontexten abhängig (ist) als die meisten früheren Formen von Vertrauensbeziehungen“. Da es sich bei den regionalen Strukturen sowohl um Kooperationen zwischen Organisationen als auch um Austauschbeziehungen zwischen Personen (Individuen) handeln kann, kommt der Transformation von personalem in Systemvertrauen eine besondere Bedeutung zu. Mit Blick auf die Untersuchungsregionen lässt sich zunächst feststellen, dass keines der regionalen Netze – weder die gewerkschaftsnahen, noch die offiziellen Strukturen – primär auf kulturellen Traditionen gründet. Sofern Traditionen reklamiert werden, geschieht dies punktuell und selektiv in bewussten Akten der Rekonstruktion. Allenfalls in Dortmund kann man von einem Regionalbewusstsein sprechen, das sich aus einer politisch-kulturellen Traditionslinie speist. Die Kultur der Montanmitbestimmung hat die politischen Parteien der Stadt geprägt. Noch in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gab es in allen Magistratsparteien Hoeschianer; das Bewusstsein eines Kollektivschicksals, das über seine Erzeugungsbedingungen hinaus weiter existiert (Hysteresis-Effekt), ist sicherlich eine wichtige Voraussetzung des viel gerühmten Dortmund-
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Konsens. Die Bindekraft dieses Konsenses reicht weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Bis in die Ministerien und selbst in die Landesregierung hinein gibt es Personen, die sich als „Dortmunder“ verstehen. In Nürnberg existiert eine solche Gemeinsamkeit nicht; verbunden fühlt man sich allenfalls in der Abgrenzung von der übermächtigen Metropole München. Und in Chemnitz gab es schon zu DDR-Zeiten kaum positive Identifikationspunkte. Karl-Marx-Stadt galt als „Proletenstadt“, in der es „nichts Schönes gab“ (C/feed-back-Diskussion). Lediglich Sport und Hochkultur boten sich als positive Identifikationsmöglichkeiten an. In der Gegenwart sind auch diese identitätsstiftenden Angebote kaum mehr vorhanden. Von einem intersubjektiv geteilten Regionalbewusstsein, das soziale Bindungen stiftet, kann daher keine Rede sein. Letztendlich gilt für alle untersuchten Netzwerke, dass Bindungen aktiv hergestellt werden müssen. Daran sind mehr oder minder alle Akteure beteiligt. Netzwerkbildung ist ein aktiver Prozess, an dem sich alle beteiligen müssen, die sich eine Zugehörigkeit erwerben wollen. In den Gewerkschaftsnetzen spielt dabei zweifellos die Verknüpfungstechnologie der Scharnierpersönlichkeiten eine wichtige Rolle. Dabei lassen sich zwei Grundmuster unterscheiden. Das Chemnitzer Netzwerk basiert in seinem organisatorischen Kern noch auf dem aus der Ära fordistischer Großorganisationen bekannten Prinzip von ‚Leadership und Loyalität‘; das Dortmunder Netzwerk gründet sich hingegen auf eine ‚ausgehandelte Arbeitsteilung‘. Die gewerkschaftsnahe Struktur in Nürnberg stellt eine Mischform von beidem dar. Das Grundmuster ‚Gefolgschaft und Loyalität‘ funktioniert, indem die gewerkschaftliche Scharnierperson an die Adresse der anderen Akteure gerichtete Erwartungen formuliert, die diese dann aus Gründen der Organisationsloyalität so gut wie möglich erfüllen. Dieses Prinzip kann freilich nur gegenüber solchen Akteuren angewendet werden, die in irgendeiner Form von der lokalen IG Metall abhängig sind. Je größer die interessenpolitische und organisatorische Eigenständigkeit ist, desto weniger wirkt dieses Strukturierungsprinzip. Die Beziehungen innerhalb des Chemnitzer Konsensmodells z. B. lassen sich schon nicht mehr nach dem Muster von ‚Leadership und Loyalität‘ strukturieren. Hier sind interessenpolitische Kompromisse, informelle Aushandlungen und eben auch Vertrauen in die Seriosität und den Kooperationswillen des jeweiligen Kooperationspartners von zentraler Bedeutung. Dort, wo das Prinzip ‚Leadership und Loyalität‘ wirkt, führt es häufig zu struktureller Überforderung der Kooperationspartner, weil dem Netzwerk ein internes Korrektiv fehlt, das gegensteuern könnte. In Dortmund liegt die Definitionsmacht über die Netzwerkaktivitäten zwar auch beim gewerkschaftlichen Protagonisten. Dieser weiß jedoch, dass er Wissenschaftler und Projekte in ihrer relativen Eigenständigkeit respektieren muss, weil sie ihm sonst keinen Nutzen bringen können. ‚Ausgehandelte Arbeitsteilung‘ bedeutet, dass die Projekte konzeptionell und z.
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T. auch operativ zuarbeiten. Sie tun dies mit den Wissenschaftlern zur Verfügung stehenden Mitteln und sie arbeiten dabei im eigenen beruflichen Interesse. Für die eigentliche Politik ist jedoch die gewerkschaftliche Dachorganisation zuständig. „Die Projekte arbeiten zu, die Politik mache ich“ erklärt der Regionalsekretär unumwunden. In Nürnberg ähnelt manches der Chemnitzer Situation; auch hier gibt es ausgeprägte Loyalitätserwartungen der gewerkschaftlichen Scharnierperson. Die internen Kooperationspartner sind jedoch stark genug, um sich solchen Erwartungen gelegentlich zu entziehen. Die Verknüpfungstechnologie der gewerkschaftlichen Scharnierpersonen ist ein, bei weitem aber nicht das einzige Medium, das die Austauschbeziehungen in den Netzwerken strukturiert. Zumindest in den gewerkschaftsnahen Substrukturen, in vielen Fällen aber auch darüber hinaus, lassen sich halbwegs stabile Kooperationsbeziehungen zwischen einzelnen Knoten in den Netzwerken identifizieren. Es gibt eine Reihe von Beispielen, die dafür sprechen, dass diese Kooperationen auf wechselseitigen Abhängigkeiten und Verpflichtungen, ja auf der Erfahrung von Verlässlichkeit der Interaktionspartner gegründet sind. Anders ließe sich nicht erklären, dass z. B. die lokalen Gliederungen von IG Metall und PricewaterhouseCoopers über längere Zeiträume miteinander kooperieren. Faktisch könnte PwC Sanierungen auch ohne die IG Metall betreiben; an vielen Orten handelt die Gesellschaft dementsprechend; mit der Gewerkschaft „im Boot“ lässt sich aber der „Betriebsfrieden leichter bewahren“. Umgekehrt könnte die IG Metall mit einem gewerkschaftsnahen Beratungsinstitut zusammenarbeiten. Um die Kreditwürdigkeit angeschlagener Betriebe bei den Banken sicherzustellen, ist eine Zusammenarbeit mit PwC aber von Vorteil. Beide Organisationen gehen also eigenen Interessen nach, die Kooperation erweist sich jedoch aus unterschiedlichen Gründen als effizient und dient dem beiderseitigen Vorteil. Bedeutsam ist, dass diese Kooperation in wichtigen Punkten nicht durch formalisierte Verträge geregelt wird. Die Akteure müssen wechselseitig darauf vertrauen, dass die anderen Partner sich auch an die ungeschriebenen Regeln der Kooperation halten. Ob Vertrauensbeziehungen existieren und Personen- in Systemvertrauen umgeschlagen ist, lässt sich auf der Basis unseres empirischen Materials für viele Beziehungsmuster nur schwer beantworten. Wir konzentrieren uns daher auf die Frage nach Systemvertrauen bei den kollektiven Akteuren. In allen Untersuchungsregionen existieren Vertrauensbeziehungen vor allem innerhalb der verschiedenen Subnetzwerke. Wie am Beispiel Chemnitz gezeigt, reicht das Strukturierungsprinzip ‚Leadership-Loyalität‘ selbst im gewerkschaftsnahen Netz nicht aus, um die notwendigen Steuerungsleistungen zu erbringen. In Chemnitz ist eine übergreifende Vertrauensorganisation nicht vorhanden, in Nürnberg existiert lediglich der Anspruch. Dort hat sich gezeigt, dass das Wirtschaftsforum
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allenfalls eine schwache Vertrauensorganisation darstellt. Der Versuch, eine Charta zu verabschieden, die den pfleglichen Umgang mit Humanressourcen garantiert, scheiterte schon beim ersten Praxistest. In einer zugespitzten Krisensituation (Krise von vier „Frankenstraßen-Betrieben“, die geschlossen werden sollten) „tauchte das Wirtschaftsforum ab“. Der Kollektivakteur war und ist nicht in der Lage, die Handlungen einzelner Mitglieder nachhaltig zu beeinflussen. Wenn überhaupt, so kann wiederum nur in Dortmund von Systemvertrauen im übergreifenden regionalen Netzwerk gesprochen werden. Doch auch hier gibt es – wie sich zeigen wird – ernsthafte Erosionserscheinungen. Aus all dem folgt, dass man den Vertrauensbegriff zumindest bei den von uns untersuchten Kooperationsverbünden nicht überstrapazieren sollte. Wenn wir dennoch von regionalen Netzwerken sprechen, dann sind nicht unbedingt Organisationsformen gemeint, die ausschließlich auf high-trust-relations gegründet sind. 3.3.5 Gestaltung der Außenbeziehungen, Regime der Akzeptabilitätsbedingungen Damit sind wir bereits bei einem weiteren Kriterium der Netzwerkanalyse, der Gestaltung der Außenbeziehungen gewerkschaftsnaher Kooperationsverbünde, angelangt. Die gewerkschaftsnahen Kooperationsstrukturen unterscheiden sich wesentlich durch die Qualität ihrer Beziehungen zur offiziellen Wirtschaftsförderung und der um sie gruppierten staatlichen Regionalpolitik. Wie schon gezeigt, existiert nur in Dortmund ein „Regime der Akzeptabilitätsbedingungen“, das ein halbwegs ausgewogenes Verhältnis von interessengeleiteten Kompromissen und einem normativ eingebetteten – regionalen Konsens gewährleistet. Zu diesem Regime der Akzeptabilitätsbedingungen gehören die Förderung von Innovationen und unternehmerischer Initiative ebenso wie das Ziel, Beschäftigungsmöglichkeiten in akzeptabler Qualität in einem „sozialen Dortmund zu schaffen“. Beschäftigungspolitische Ziele sind eine Art Regulativ, auf dass sich – noch – sämtliche relevanten Akteure beziehen: „Du kann hier nichts machen, wenn du nicht gleichzeitig sagst, wie viele Arbeitsplätze du schaffst. Egal welche. Und wenn du auf Qualität aus bist, dann ist das schon quer, dann ist das schon gar nicht mehr offizielle Politik. Du musst alles hier legitimieren mit der Quantität von Beschäftigung. Das ist ein großer öffentlicher Druck hier – auch über die Gewerkschaften hinaus“ (Do/NWA06). Dieser Fokus des „Akzeptabilitätsregimes“ hat auch seine Schattenseiten, wenn er sich z. B. gegen qualitative Maßstäbe für „gute Arbeit“ oder gegen neue Formen der Interessenvertretung richtet, die nicht unmittelbar der Arbeitsplatzbeschaffung dienen. Das Problem in den Vergleichsregionen ist jedoch, dass es
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ein allgemein geteiltes Legitimationsregime, das beschäftigungspolitische Ziele einschließt, gar nicht erst gibt. In Nürnberg fallen die von Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften gesetzten Ziele auseinander. Und in Chemnitz existiert zwar eine diffuse Übereinstimmung, dass neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden müssen; eine wirkliche Verständigung über gemeinsame regionalpolitische Ziele hat im Grunde aber gar nicht stattgefunden. In einer von Konkurrenzen und Misstrauen geprägten Kultur bleibt die staatliche Wirtschaftsförderung schwach; selbst die lokale IG Metall mit ihren begrenzten Ressourcen erscheint dem städtischen Wirtschaftsförderer als vergleichsweise „starke Kraft“. Misst man entlang der Achse ‚Autonomie und Integration‘, so ist das Dortmunder Subnetzwerk sicher am besten in die öffentlich-staatliche Regionalpolitik integriert, während das Chemnitzer Netzwerk den höchsten Autonomiegrad aufweist. Misst man entlang der Achse Kompromiss und Konsens, so ist der Einfluss gewerkschaftlicher Forderungen auf die offizielle Regionalpolitik in Dortmund am größten, in Chemnitz am geringsten. Das gewerkschaftsnahe Nürnberger Subnetzwerk bewegt sich in seiner Ausrichtung zwischen den beiden vergleichbaren Kollektivakteuren. In Dortmund kann man mit Blick auf das inhaltlich-normative Zentrum der regionalisierten Strukturpolitik zumindest bis in die jüngere Vergangenheit von einem „sozialdemokratischen Konsens“ mit sozial kohäsiven Zügen sprechen. In Nürnberg handelt es sich hingegen bestenfalls um eine selektive, umkämpfte, pluralistische Kooperation, die aus dem Versuch resultiert, Elemente sozialdemokratischer Strukturpolitik in einem politischen Umfeld zu implementieren, das den Modernisierungsverlierern bewusst wenig Aufmerksamkeit widmet. In Chemnitz sind korporatistische und konsensuale Steuerungsformen auf der regionalen Ebene allenfalls rudimentär vorhanden. Das gewerkschaftliche Netzwerk agiert relativ autonom. Das jedoch um den Preis von Verletzlichkeit, Krisenanfälligkeit und einer – sieht man von punktuellen, dann aber erfolgreichen Ausnahmen ab – vergleichsweise schwachen Stimme im „politischen Tausch“. 3.4 Veränderungsdynamiken und Lernprozesse in regionalen Netzwerken Bislang haben wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede der regionalen Netze relativ statisch beschrieben. In allen Untersuchungsregionen sind die Netzwerke jedoch in ständiger Bewegung.
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3.4.1 Pfadspezifik und Phasen der Netzwerkevolution Als Ergebnis des Netzwerk-Vergleichs lässt sich festhalten, dass die Entwicklung der regionalen Netzwerkorganisationen spezifischen Pfaden folgt. Diese Pfade sind das Resultat von besonderen Problemkonstellationen, die in einer Mischung aus Zufall und bewusster Intervention sowie in Abhängigkeit von erreichbaren Ressourcen durch Scharnierpersonen eingeleitet und dann mehr oder minder verstetigt werden. Die Pfadspezifik zeigt sich an den besonderen Ausprägungen der Knoten und Interaktionen in den regionalen Netzen. So lässt sich der hohe Stellenwert – auch präventiver – betrieblicher Modernisierung im Nürnberger Netz sowohl auf den Modernisierungsrückstand altindustrieller Strukturen als auch auf ein gewerkschaftliches Selbstverständnis zurückführen, das in einer arbeitsbezogenen Partizipationspolitik, in der Aufwertung der Arbeitenden und ihrer Beteiligung an betrieblichen Entscheidungsprozessen eine wesentliche Bedingung für die Emanzipation Lohnabhängiger sieht. In Chemnitz sind die Schwerpunkte ‚Sanierung‘ und ‚sozialer Zusammenhalt‘ nicht automatisch Folge des Transformationsregimes; sie lassen sich auch aus einem Politikansatz der IG Metall erklären, der bewusst von Konzepten wie dem der „flexiblen Spezialisierung“ (Piore/Sabel 1985) oder der „industriellen Distrikte“ (Marshall 1919; Kern/Sabel 1989) gelernt hat. Und in Dortmund kann man sich die enge Verzahnung von gewerkschaftlicher Interessenvertretung, anwendungsorientierter Wissenschaft und beschäftigungsorientierter Regionalpolitik nicht allein dadurch erklären, dass die überkommene „Kultur der Montanmitbestimmung“ ein solches Zusammenwirken fördert. Es bedarf auch der Akteure, die bewusst auf entsprechende Kooperationsbeziehungen zusteuern. Einmal konstituiert, definieren die Netzwerke Handlungs- und Entscheidungskorridore (Ortmann 1995), die bestimmte Handlungsstrategien nahe legen und andere eher unrealistisch erscheinen lassen. Über die Selektion von Handlungsalternativen kommt es zu einer Verstetigung der Netzwerkorganisationen – ein Faktum, das weitgehend spontane, wenig koordinierte Evolutionen keineswegs ausschließt. Unabhängig von ihren jeweiligen Besonderheiten durchlaufen die Netzwerke in allen Untersuchungsregionen zeitversetzt drei Phasen (Röttger u. a. 2003: 270ff.). In der Bewegungsphase bilden sich im Kontext von Konflikten, die mit dem Niedergang strukturprägender Altindustrien verbunden sind, Ansätze einer eigenständigen gewerkschaftlichen Strukturpolitik heraus. Zeitgleich entstehen gewerkschaftsnahe Akteure, die – außerhalb der gewerkschaftlichen Routineorganisation – wichtige regulative Funktionen erfüllen. Während der Professionalisierungsphase differenzieren sich diese Akteure aus. Parallel dazu entstehen Verbindungslinien zu den sich ebenfalls ausdifferenzierenden Knoten der staatlich-privatwirtschaftlichen Regionalpolitik. Im Übergang zu
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dieser Phase ist die Ausstrahlung gewerkschaftlicher Ansätze auf die offizielle Regionalpolitik in der Regel am größten, eine Erkenntnis, die freilich auf Chemnitz nicht zutrifft, weil diese Phase dort gar nicht erst vollendet worden ist. In Dortmund und Nürnberg sind die Gewerkschaften jedoch wesentlich an der Definition regionaler Schwerpunkte und Projekte beteiligt. In der dritten Absorptionsphase gehen Elemente des gewerkschaftlichen Politikansatzes in die offizielle Regionalpolitik ein; gewerkschaftsnahe Akteure handeln faktisch wie (gemeinnützige) Unternehmen mit eigenen Geschäftsfeldern. Und den Protagonisten der staatlich-privatwirtschaftlichen Regionalpolitik scheint der gewerkschaftliche Beitrag zunehmend verzichtbar. Gewerkschaften und gewerkschaftsnahe Akteure geraten vom Zentrum zunehmend an den Rand der öffentlichen Regionalpolitik. In Chemnitz ist dies freilich auch das Resultat eines selbst verantworteten Autonomiestrebens. Ein viertes Stadium hat in den Untersuchungsregionen erst begonnen. Es ist die Phase kritischer Selbstevaluierung und der Debatten über eine strategisch-politische Neuausrichtung – eine Diskussion, die sowohl die gewerkschaftlichen Netzwerke als auch die übergreifenden regionalen Organisationsformen erfasst. Sind diese Entwicklungsphasen, die sich trotz aller Besonderheiten in Dortmund, Nürnberg und mit Einschränkungen auch in Chemnitz beobachten lassen, nun Resultat einer immanenten Entwicklungslogik regionalisierter Strukturpolitik oder handelt es sich um historische Abfolgen, die sich außerhalb konkreter geschichtlicher Kontexte nicht wiederholen lassen? Unser empirisches Material legt eine differenzierte Antwort nahe. Offensichtlich gibt es tatsächlich in einmal implementierten Netzwerkorganisationen einen Trend zur Professionalisierung und Ausdifferenzierung. Unweigerlich bedeutet dies, dass Organisationsegoismen und Interessenbornierungen in den Netzwerken zunehmen. Zugleich konfligieren die Zielsetzungen des offiziellen „Wettbewerbsregionalismus“ auch praktisch mit den Anliegen gewerkschaftlicher oder gewerkschaftsnaher Akteure. Ein kommunaler Spitzenpolitiker spricht exemplarisch einen der Interessenkonflikte an, der mit einer Beteiligung der Gewerkschaften an regionaler Strukturpolitik verbunden ist: Kompetenzinitiativen – „das sind ja so angebotsorientierte Sachen – die haben ganz gut funktioniert. Das Problem mit der IG Metall in diesem Kontext war, dass die IG Metall auf der einen Seite diese Kompetenzinitiativen als strukturpolitischer Akteur begleiten wollte (und auch weiter begleiten will), andererseits aber immer wieder versucht hat, diese Kompetenzinitiativen zur Krisenintervention zu instrumentalisieren, was nicht geht: das können die nicht....“ . Beachten müsse man auch, dass sich die Position der CSU-Landesregierung je nach politischer Opportunität „geschmeidig ändern“ könne: „Es hängt immer davon ab, welche lokalen Akteure wir aktivieren können. Solange eine Kompetenziniti-
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ative überwiegend getragen wird von einem oder zwei IG Metall-Sekretären, wird sie den Widerstand in der Staatsregierung provozieren, weil das Weltbild dort einer gesunden Schubladenkonstruktion entspringt. Wenn aber Siemens oder die Semicron sagen: ‚Das ist für uns ein wichtiger Punkt!‘, dann ist das plötzlich high-tech, so schnell geht’s. Die Frage der Akzeptanz der Staatsregierung richtet sich oft sehr danach, wer es macht“ (N/Pol05). Die Zahl der Beispiele für derartige Interessenkonflikte ließe sich ohne Schwierigkeiten erweitern. So macht es zunächst aus Sicht vieler Akteure Sinn, Gewerkschaften an der Definition von Kompetenzfeldern oder Clustern zu beteiligen. Wenn es jedoch z. B. um die Neuansiedlung von Unternehmen geht, scheint eine gewerkschaftliche Beteiligung nicht mehr zielführend. Generell gilt, dass der gewerkschaftliche Einfluss in den regionalen Netzen in dem Maße als verzichtbar oder gar als störend betrachtet wird, wie sich die offiziellen Strukturen der Wirtschaftsförderung auf das Marketing der Region konzentrieren, während industrie- und beschäftigungspolitische Zielsetzungen in den Hintergrund treten. Das erklärt, weshalb einflussreiche Scharnierpersonen, die sich zuvor als enge Bündnispartner der Gewerkschaften definierten, inzwischen der Ansicht sind, dass die regionalisierte Strukturpolitik auch ohne gewerkschaftliche Beteiligung gut zu realisieren ist. Man kann diese Entwicklung bis zu einem gewissen Grad mit der erfolgreichen Inkorporation einiger gewerkschaftlicher Anliegen durch öffentlichstaatliche Politikansätze erklären. Zusätzlich macht sich inzwischen in allen Untersuchungsregionen jedoch schon seit einiger Zeit eine veränderte politische Großwetterlage bemerkbar. Als Reaktion auf die anhaltende ökonomische Stagnation ist die Kultur der Konsensgremien und „runden Tische“ (Steinmeier 2001; kritisch: v. Blumenthal 2003: 9ff.) inzwischen in Verruf geraten. Bis tief in die lokalen Gliederungen auch der sozialdemokratischen Partei gilt sie mittlerweile als Ausdruck von Sklerose und Innovationsfeindlichkeit (Heinze 2003). Mit dem Scheitern des nationalen ‚Bündnisses für Arbeit‘ haben die Gewerkschaften auf der nationalen Ebene ihre Rolle als nahezu ‚natürliche Verbündete‘ der regierenden Sozialdemokratie eingebüßt. Die Folgen lassen sich in unseren Untersuchungsregionen studieren. So betont z. B. ein führender Nürnberger Sozialdemokrat, dass „diese Urbindung zwischen Gewerkschaft und Sozialdemokratie“, wie sie in früheren Zeiten existiert habe, nicht wiederherstellbar sei. Stattdessen plädiert er für „kritische Solidarität“ mit einem geschwächten Partner: „Das Prinzip der kritischen Solidarität halte ich für richtig. Die Rolle der IG Metall in Nürnberg ist – auf einen Nenner gebracht – natürlich bescheiden. Nicht weil die IG Metall was falsch macht, sondern weil sie sich seit 15 Jahren im Rückbau befindet. Und das löst natürlich in der Organisation Depressionen aus. Es fehlt fast schon die Freude über gelungene Projekte, weil jeder Sekretär mindestens fünf Fälle hat, wo der Rückbau stattfindet“ (N/Pol05).
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Die Auswirkungen dieser hier noch milde umschriebenen strategischen Neuausrichtung der lokalen Sozialdemokratie lassen sich selbst in der Ruhrgebietsmetropole Dortmund nachzeichnen: „Da tut sich was – aber eher zum Negativen. Die vom dortmund-project sagen: wenn die Gewerkschaften nicht wollen, dann eben nicht. Sollen sie doch selber sehen, wie sie klar kommen. Die Kultur – glaube ich – ändert sich...“ (Do/NWA06), bringt ein Interviewpartner die politische Entwicklung auf den Punkt. Tatsächlich stehen die Gewerkschaften und die mit ihnen verbündeten Akteure neuerdings in allen Regionen vor dem Faktum, dass sie als Verhandlungspartner im „politischen Tausch“ seitens der offiziellen Politik weniger geschätzt werden. Auch diese Entwicklung signalisiert, dass regionale Netzwerkorganisationen eben nicht jenseits von Marktzwängen und staatlicher Politik agieren können. Sie sind in hohem Maße von der strukturierenden Kraft makroökonomisch und makropolitisch bestimmter Kräftekonstellationen abhängig. 3.4.2 Schlussfolgerungen: auf dem Weg zur „Netzwerkgewerkschaft“? Bleibt die Frage, welche Schlussfolgerungen sich aus dem interregionalen Vergleich für die Theorie und Praxis der Netzwerksteuerung ergeben. Wir wollen uns an dieser Stelle zunächst auf eine Teilantwort beschränken, die sich allein auf die gewerkschaftsnahen Substrukturen bezieht. Abstrahiert man von den jeweiligen Besonderheiten, so finden wir in allen Untersuchungsregionen eine identische Grundstruktur. Ein Problemdruck neuer Qualität motiviert lokale Gewerkschaftsgliederungen dazu, sich neben ihrer Routine- eine Projektorganisation zuzulegen. Erst diese Parallelstruktur erzeugt die Notwendigkeit des networking, das durch die Verzahnung mit der offiziellen Regionalpolitik eine zusätzliche Dynamik erfährt. Nach einer pessimistischen Interpretation kann man diesen Prozess als „marktförmige Enteignung gewerkschaftlicher Funktionen“ betrachten (Rossmann 2001: 394). Tatsächlich lässt sich in allen Regionen beobachten, dass gewerkschaftliche Funktionen externalisiert und Akteuren übertragen werden, die mit der Ausübung dieser Funktionen auch ein egoistisches Geschäftsinteresse verbinden. Nicht nur die Beratung regionaler Akteure, auch das Betriebsrats-Consulting oder die Bildungsarbeit sind zu expandierenden Märkten geworden, in denen sich neben den Gewerkschaften zahlreiche andere Anbieter tummeln. Die mit der Auslagerung von Funktionen verbundene Entfachlichung der Gewerkschaftsarbeit erzeugt zugleich neue Abhängigkeiten von externen Beratungsagenturen. Aus dieser Perspektive scheint es, als seien die gewerkschaftsnahen Netze eine bloße Entsprechung zu immer weiter voranschreitenden Deregulierungspolitiken.
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Aus einer kritisch-organisationstheoretischen Perspektive bietet sich allerdings auch eine andere Bewertung der geschilderten Phänomene an. So geht z. B. Charles Perrow davon aus, dass der fordistische Kapitalismus eine Einverleibung der Gesellschaft in bürokratische Großorganisationen geleistet habe. Infolge einer Verallgemeinerung von Lohnarbeit, der Externalisierung sozialer Kosten und einer fortschreitenden Subsumtion des sozialen Lebens unter bürokratische Kontrollmechanismen seien Großorganisationen zu einem „Gesellschaftsersatz“ geworden (Perrow 1996: 77). Eine Fabrikbürokratie, die „direkte Kontrolle durch permanente unpersönliche Regeln und Verfahren“ ersetzte, habe sich als ein Organisationsmodell in die Gesellschaft hinein verallgemeinert (ebd.: 98). Davon seien auch die Lohnabhängigen und ihre Gewerkschaften geprägt worden. Die Spitzen der Organisationen bedienten sich der Zentralisierung, Hierarchisierung und Standardisierung, um „soziale Bürger in Organisationsmitglieder zu verwandeln“; Arbeitnehmer würden „absorbiert“, Lohnabhängige zu „bewussten Komplizen“ von Organisationsinteressen gemacht (ebd.: 109 f.). Im Kontext dieses Theorieansatzes erscheint der Zerfall bürokratischer Großorganisationen auch als Emanzipationsprozess, der freilich nicht zwangsläufig das Ende von Gewerkschaften, sondern deren allmählichen Übergang zu einem neuen Organisationsmodell impliziert. Perrow spricht dies im Kontext von Kleinfirmennetzen an: „Die Elemente eines solchen Modells eines Kleinfirmennetzes sind: kleine Organisationen, die autonom sind, weil sie viele verschiedene Kunden und viele Zulieferer haben; ein starkes Regulationssystem auf lokaler und nationaler Ebene, das die Ausbeutung der Arbeitnehmer, Umweltverschmutzung und sonstige Externalitäten einschließlich solcher, die erst zukünftige Generationen betreffen werden, verhindert; und Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, die die Löhne und die Preise in der Industrie und in der Region kontrollieren...“ (ebd.: 114).
Ein Blick auf die von uns eingefangene Netzwerkrealität provoziert unweigerlich dazu, die Relevanz der marktkritischen Betrachtungsweise zu betonen. In ihrer gegenwärtigen Gestalt sind die regionalen Netze eher defensive Reaktionen auf marktgesteuerte Entwicklungen, die auf lokaler Ebene nur sehr begrenzt zu beeinflussen sind. Dennoch enthalten die Netze auch den Keim einer nachfordistischen Organisationsform, der erst durch eine organisationskritische Analyseperspektive ins Bewusstsein tritt. Ursprünglich eine verästelte Bewegung, die auch Genossenschaften und handwerklich geprägte Organisationsformen umfasste, setzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Inkorporation der Arbeiterbewegung in großbetriebliche und großbürokratische Strukturen ein. Dieser Prozess erfuhr im fordistischen Kapitalismus seinen vorläufigen Höhepunkt. Nun steht offenkundig auf einem anderen gesellschaftlichen Entwicklungsniveau eine gewisse Umkehrung dieser Entwicklung an. Denn unter den Bedingungen des „neuen Marktre-
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gimes“ (Dörre/Röttger 2003: 312ff.) kommt es zwar zu einer Machtkonzentration in den Entscheidungszentralen transnationaler Konzerne; organisatorisch ist dieser Prozess aber mit vertikaler Desintegration, mit Dezentralisierung mancher Entscheidungsprozesse und einer durchschnittlichen Verkleinerung operativer Organisationseinheiten verbunden. Eine wirkliche Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen muss daher keineswegs mit Deregulierung und marktzentrierter Flexibilisierung identisch sein. So gesehen stellen die regionalen Gewerkschaftsnetze vielleicht eine Übergangsform dar, in der sich zaghaft andeutet, was künftig aus der Perspektive abhängiger Arbeit organisationspolitisch nötig sein dürfte. 3.4.3 Schlussfolgerungen für das „Netzwerkmanagement“ Wir wollen diesen Gedanken an anderer Stelle (vgl. Kapitel 8) wieder aufnehmen und uns abschließend darauf beschränken, einige Überlegungen zum Management der gewerkschaftsnahen Netze anzustellen. Die erste Überlegung betrifft die unter Praktikern kontrovers diskutierte Frage, ob besser der DGB oder eine Industriegewerkschaft die Aktivitäten der regionalen Netze steuert. Unsere Analyse zeigt, dass die Führungsrolle einer bestimmten Gewerkschaftsgliederung je besonderen Kräfteverhältnissen und nicht zuletzt der Initiative einzelner Personen geschuldet ist. Rein logisch spricht vieles dafür, dass der regionale DGB eine Steuerungsfunktion in regionalen Netzen ausübt, weil er dem Selbstverständnis nach als politischer Arm der Mitgliedsgewerkschaften agieren und ihnen zu einer einheitlichen Stimme verhelfen könnte. Vielerorts dürften die regionalen Gliederungen des DGB aufgrund ihrer schwachen Ressourcen aber kaum in der Lage sein, eine solche Rolle auszuüben. Und selbst in Dortmund, wo diese Funktion dem DGB zugewachsen ist, müssen die Protagonisten feststellen, dass die von ihnen bereitgestellte Infrastruktur seitens der Mitgliedsgewerkschaften nur unzureichend genutzt wird: „Es erweist sich zunehmend als Mangel und als besondere Schwierigkeit, dass die Gewerkschaften – aus welchen Gründen auch immer – sich an dieser Diskussion (über regionale Strukturpolitik, d. A.) zunehmend nicht beteiligen. Man kann sogar sagen: Die, die sich bisher beteiligt haben, ziehen sich raus. Auf die Anfrage, warum, wird nicht das Argument verwandt, die Thematik des Strukturpolitischen Arbeitskreises ist für uns uninteressant, sondern es wird argumentiert, dass andere Aufgaben eine höhere Priorität hätten. Ob das immer tatsächlich so der Fall ist, wage ich persönlich zu bezweifeln und halte es für einen strukturellen Mangel der Gewerkschaften, der in ganz kurzer Zeit ganz bitter aufbrechen wird, dass diese Möglichkeit der Zusammenarbeit nicht genutzt wird. Im Übrigen: Gewerkschafter verlassen auch eine Veranstaltung zum betrieblichen Krisenmanagement mit dem Hinweis, sie müssen jetzt Krisenmanagement machen. Das macht die Widersprüchlichkeit aus. Also wir bieten einen Instrumentenkasten an, wir versuchen Transparenz herzustellen, aber die Inanspruchnahme von Betriebsrä-
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ten, von Gewerkschaften ist eher zurückhaltend. Wobei die eigentlichen Gründe noch differenzierter zu prüfen wären. Manche – nicht alle – sagen auch: das ist unser ureigenes Feld, und jetzt kommt der DGB und will mit unseren Interessenvertretern zusammen die Politik machen, für die wir eigentlich zuständig sind. Da kommen ganz offensichtlich auch einige Eifersüchteleien zum Tragen“ (Do/GW06).
Die IG-Metall-Gliederungen in Nürnberg und Chemnitz klagen freilich über ähnliche Phänomene. Daran wird deutlich, was eigentlich gelernt werden muss. Das „Mannschaftsspiel“ der Gewerkschaften ist nicht nur auf dem Feld der regionalisierten Strukturpolitik mehr als schlecht. Wenn angesichts zunehmend ungünstiger Kräfteverhältnisse in der Arena des politischen Tausches überhaupt etwas erreicht werden soll, ist eine Bündelung von Ressourcen und Kompetenzen unabdingbar. In den von uns untersuchten Regionen sind die maßgeblichen Akteure freilich noch weit davon entfernt, solche Einsichten zu praktizieren. Die zweite Überlegung betrifft die Verankerung regionaler Netze in den Betrieben. Der gewerkschaftsnahe Dortmunder Kooperationsverbund leidet auch daran, dass er nicht über direkte Betriebszugänge verfügt. Dagegen besitzen die von der IG Metall initiierten Ansätze mit dem Erfahrungswissen von Betriebsräten und betrieblichen Funktionsträgern eine potentielle Ressource, die sie gegenüber vielen anderen Akteuren in der regionalen Arena stark machen könnten. Real zeigt sich aber, dass die gewerkschaftlichen Akteure diese Ressource nur ungenügend nutzen können. Auf die Ursachen werden wir an anderer Stelle eingehen (vgl. Kapitel 7). Lernen lässt sich jedoch, dass wirkungsmächtige Regional- und Strukturpolitik ohne die strategiefähigen Unternehmen der Region und ihre Interessenvertretungen kaum zu machen ist. Für die Gewerkschaften heißt das organisationspolitisch, dass die Durchsetzungsfähigkeit ihrer Ansätze wesentlich von der inhaltlichen Verankerung regionaler Ziele bei Betriebsräten und betrieblichen Entscheidungsträgern abhängt. Die dritte Überlegung betrifft das Verhältnis von Institutionalisierung und Flexibilität durch Informalität. Unsere Analyse zeigt, dass beide Organisationsprinzipien Vor- und Nachteile besitzen. Ein hoher Institutionalisierungsgrad macht die Netze relativ sicher, es gibt routinehafte, arbeitssparende Abläufe. Das geht jedoch zu Lasten der Flexibilität und der gewerkschaftlichen Profilierung. Umgekehrt produziert eine hochgradig informelle Organisation permanent Reibungen und Redundanzen, die Ressourcen absorbieren. Allerdings ist flexibles Reagieren, rasches Aufgreifen neuer Ideen und auch die gewerkschaftliche Profilierung mit informell-autonomen Organisationsformen leichter möglich. Häufig können es sich die Akteure aber gar nicht aussuchen, wie sie die Binnen- und die Außenbeziehungen ihrer Netze strukturieren. Wichtiger ist etwas anderes. Alle Netze benötigen im Grunde eine Instanz, die zu systematischer Selbstreflexion bei Zielen, Aktivitäten und Ressourceneinsatz zwingt (Sydow 2001: 87). Eine
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solche Instanz muss gegenüber den gewerkschaftlichen „Scharnierpersonen“ ein eigenes Standing besitzen; d. h. sie muss organisatorisch unabhängig sein, aber Einfluss auf die internen politischen Debatten nehmen können. Und sie muss den Gedanken stärken, dass ‚Netzwerkmanagement‘ kein Prozess ist, den ein mächtiger Akteur allein beherrschen und kontrollieren kann, weshalb ein traditionellinterventionistisches durch ein eher diskursives, kommunikatives Steuerungsprinzip ersetzt werden muss. In Dortmund existiert mit der ‚Kooperationsstelle‘ der Ansatz einer solchen Reflexionsinstanz. In den anderen Regionen wäre Entsprechendes erst noch zu schaffen.
4. Politikfeldanalyse I: Wirtschaftsförderung, Clusterpolitik, regionale Governance
Was genau tragen die regionalen Netze zur ökonomisch-sozialen Entwicklung ihrer Regionen bei? Und welche Rolle spielen sie beim Versuch, regionale Ökonomien zu steuern? Wir sind diesen Fragen im Rahmen einer Analyse der wichtigsten Felder regionaler Strukturpolitik nachgegangen. Im Zentrum aller untersuchten Ansätze stehen Maßnahmen regionaler Wirtschaftsförderungen, die auf Kompetenzfeld- oder Clusterbildung zielen und somit eine Überwindung gravierender Strukturprobleme, eine schärfere regionale Profilierung und den Anschluss an globale Wirtschaftsdynamiken erreichen wollen. Der Aufstieg der Wirtschaftspolitik zu einem Politikfeld war in der alten Bundesrepublik keine Selbstverständlichkeit. Noch in den 1960er Jahren galt regionale Wirtschafts-, Industrie- oder Strukturpolitik manchem konservativen Politiker geradezu als Ausdruck von „Kulturbolschewismus“ (Ludwig Erhard). Die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Wachstums und wirtschaftsstruktureller Entwicklung sollten prärogativ durch den nationalen Staat vorgegeben werden. Eine erste breitere Diskussion über regionale Wirtschaftspolitik setzte ein, als mit der Rezession 1966/67 offensichtlich wurde, dass die grundgesetzlich verbriefte „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ (GG Art. 72) von regionalen Disparitäten bei Wachstum und Beschäftigung bedroht war. Mit dem Ende des „Wirtschaftswunders“ gelangte eine Entwicklung an ihr Ende, in der periphere Regionen von der allgemeinen, nationalen Wachstumsdynamik profitieren konnten. Infolge der veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wurden Ende der 1960er Jahre mit dem ins Grundgesetz eingefügten Art. 91a und der entsprechenden Konkretisierung im Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ neue Instrumente regionaler Wirtschaftsförderung geschaffen, die in der Bundesrepublik Deutschland erst die „Sisyphusarbeit“ (Graf Lambsdorff, zit. nach Becher/Rehfeld 1986: 252) einer regionalen Wirtschaftspolitik ermöglichen sollten. Seither haben sich Zielsetzungen und Instrumente regionaler Wirtschafts- und Strukturpolitik verändert. Zu Beginn der 1970er Jahre verstand sich die Wirtschaftsförderung in den Regionen noch primär als Industrieansiedlungs- und wirtschaftsnahe Infrastrukturpolitik. Erst die Krise des fordistischen Produktionsregimes, die öffentliche Thema-
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tisierung des Süd-Nord-Gefälles der westdeutschen Wirtschaft sowie schließlich die Prozesse „intensivierter Globalisierung“ bewirkten eine allmähliche Neuorientierung. Scheinbar paradox wurde die fortschreitende Globalisierung zur treibenden Kraft einer „Renaissance regionaler Ökonomien“ (Sabel 1987). Wirtschaftspolitische Erfolge einzelner Regionen (Drittes Italien, Silicon Valley, BadenWürttemberg) zogen die Aufmerksamkeit von Wissenschaft und Politik auf sich. Empirische Untersuchungen konnten zeigen, dass der Erfolg dieser Regionen weniger auf der in den jeweiligen Wirtschaftsräumen dominierenden Sektoroder Branchenstruktur, sondern auf spezifischen Kooperationsstrukturen beruhte. Für den wirtschaftspolitischen Erfolg waren intraregionale Verflechtungen ebenso von Bedeutung wie kulturelle Traditionen, Qualifikationsniveaus und die Art und Weise, in der endogene Potentiale genutzt wurden. Vor diesem Hintergrund vollzog sich seit dem Ende der 1970er Jahre eine Transformation der regionalen Wirtschaftsförderung in der Bundesrepublik hin zu Ansätzen, die verstärkt bei endogenen Potentialen ansetzten. Mittels der Schaffung neuer sozialer und politischer Partizipationsstrukturen in den Regionen sollten nicht nur territorial integrierte Produktionskomplexe stabilisiert, sondern durch Schaffung innovativer industrieller Organisationsbeziehungen und firmenübergreifender Interaktionen Innovationen angeregt und so einer Modernisierung der regionalen Wirtschaft der Weg geebnet werden (zusammenfassend: Krätke 1995). Die Geschäftsgrundlagen der regionalen Wirtschaftspolitik wurden verstärkt auf die Schaffung räumlicher Unternehmenscluster, industrieller Distrikte oder regionaler „Produktionswelten“ (Storper 1997) ausgerichtet, um auf diesem Wege die Wettbewerbsfähigkeit der Region positiv zu beeinflussen. Alles schien darauf hinzudeuten, dass regionale Wirtschaftsförderung über das Standardrepertoire der Industrieansiedlungs- und Infrastrukturpolitik hinausgehen musste. Weil das konventionelle Instrumentarium nicht länger Garant für wirtschaftspolitischen Erfolg war, sah sich die regionale Wirtschaftspolitik gefordert, den Gegenstand ihres Politikfeldes weiterzufassen. Während traditionelle „top-down“-Ansätze regionaler Wirtschaftspolitik ein gesamtwirtschaftlich konzipiertes Branchen- und Sektorkonzept oder „von oben“ definierte Zukunftsbranchen auf die regionale Entwicklung herunterbrachen, setzten die neuen Konzeptionen nunmehr auf die Entwicklung und Förderung der in den Regionen vorhandenen Potenziale. Konzentrierten sich konventionelle Branchenkonzepte mehr auf die Frage nach dem „Was“ der Produktion, so warf die Erweiterung des Problemhorizonts regionaler Wirtschaftsförderung um die institutionellen Formen des Wirtschaftshandelns stärker die Frage nach dem „Wie“ des Produktionsgeschehens auf. Das „Wirkungsgefüge nichtmarktmäßig vermittelter Interde-
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pendenzen von Ökonomie und Politik“ (Läpple 1999: 36) rückte in den Mittelpunkt regionaler Wirtschaftspolitik. Damit öffneten sich regionalpolitische Ansätze in den 1990er Jahren für die gesellschaftlichen Dimensionen des wirtschaftlichen Strukturwandels. Ökonomische Auf- bzw. Abstiege, Erfolg oder Misserfolg bei der Bewältigung des strukturellen Wandels wurden nun nicht mehr primär als Dynamik verstanden, die infolge vorherrschender Branchenstrukturen vorbestimmt war. Erfolg oder Misserfolg galten fortan mittels der im historischen-sozialen Entwicklungsprozess ausgebildeten „räumlichen Verhältnisse und Konfigurationen“ (Läpple 1991) als durch die Regionen selbst beeinflussbar. Diese Gestaltungshoffnung stand in der einen oder anderen Weise auch den strukturpolitischen Ansätzen Pate, die in diesem Kapitel analysiert werden sollen. Wir beginnen mit einigen Überlegungen zum Clusterbegriff (4.1). Anschließend stellen wir die unterschiedlichen Ansätze der Wirtschaftsförderung in unseren Untersuchungsregionen vor (4.2), vergleichen sie (4.3) und ziehen abschließend einige theoretische und praktische Schlussfolgerungen (4.4). 4.1 Cluster, Clustermanagement und Clusterpolitik – eine Begriffsbestimmung Seit den 1990er Jahren hat sich das Cluster-Konzept nicht nur zu einem bevorzugten Referenzrahmen regionaler Wirtschaftspolitik entwickelt; Cluster-Ansätze bestimmen auch das Feld, auf dem Gewerkschaften neue regionale Beteiligungsformen in der Industrie- und Strukturpolitik erproben. Das Clusterkonzept scheint daher besonders geeignet, sich den von uns untersuchten Ansätzen zu nähern. Theoretisch lassen sich Cluster-Konzepte auf das sogenannte „Standortparadox“ (Porter 1999: 52) zurückführen. Dieses Standortparadox besagt, dass die dauerhaften Wettbewerbsvorteile in einer globalen Wirtschaft häufig in den spezifischen institutionellen Formen der Regionen zu finden sind. „Sie beruhen auf Konzentration von hochspezialisierten Fertigkeiten und Kenntnissen, Institutionen, Konkurrenten sowie verwandten Unternehmen und anspruchsvollen Kunden. Geographische, kulturelle und institutionelle Nähe führt zu privilegiertem Zugang, engeren Beziehungen, kräftigen Anreizen und weiteren Produktivitäts- und Innovationsvorteilen, die sich schwerlich aus der Ferne nutzen lassen. Dies gilt umso mehr, je komplexer und dynamischer die Weltwirtschaft wird und je mehr sie auf Wissen beruht“ (ebd.: 63).
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Cluster beziehen sich zunächst auf klar definierte Produkte oder Produktgruppen („Wertschöpfungszusammenhänge“). In der Literatur werden sie zumeist als „räumliche Konzentration von Elementen einer Produktionskette“ (Rehfeld 1999: 43) definiert. Ein Cluster umschreibt alle Funktionen und Produktionsstufen, die für Entwicklung, Herstellung, Vermarktung und Vertrieb eines Produkts notwendig sind. Insofern schließt der Begriff Funktionen ein, die der Branche vor- oder nachgelagert sind (Roelandt/Hertog 1999). Zu einem weiteren Charakteristikum für Clusterkonzepte gehört, dass sie wettbewerbs- und steuerungstheoretische Grundannahmen vereinen. In regionalen Clustern verschränken sich „flexible production complexes“ mit „innovativen Milieus“ (Maillat 1991). Branche, Cluster und Milieu bilden somit komplementäre Analysekonzepte. Regionale Cluster fungieren „gewissermaßen als die gemeinsame Schnittmenge“, die sich zwischen regionalen Milieus und den global orientierten Branchen selbst bildet (Läpple 1999: 36). Unter Wettbewerbsgesichtspunkten bezeichnen Cluster „branchenübergreifende Wirtschaftskomplexe“, in denen führende Unternehmen, die über entscheidende Marktzugänge verfügen, mit unterstützenden und zuliefernden Betrieben, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, privaten, öffentlichen und halböffentlichen Dienstleistern sowie Qualifizierungseinrichtungen, intensiv verflochten sind (Bratl u. a. 1997: 17). Viele Autoren sehen gerade in der Fähigkeit zu „regionaler Innovationsund innovativer Regionalpolitik“ (Blöcker/Rehfeld 2001) den Schlüssel für den Erfolg von Regionen im Cluster-Wettbewerb. Denn unter den Bedingungen von beschleunigtem Strukturwandel und Globalisierung stehen die Regionen nicht nur vor der Aufgabe, „innerhalb eines Produktionsclusters innovativ zu sein, sondern es geht nun darum, in ein neues Produktionscluster hinein zu diversifizieren“ (Rehfeld 1999: 119). Erfolgreiche Regionen beschränken sich nicht darauf, ihre Wirtschaftsstruktur zu reproduzieren; vielmehr brechen sie bestehende Branchenstrukturen auf, um so neue Entwicklungspotentiale zu erschließen. Nach Kilper/Rehfeld (1992: 57) basieren alle erfolgreichen Cluster auf einer „Gleichzeitigkeit von Spezialisierung und funktionaler Differenzierung“. Um diese zu realisieren, haben inzwischen viele Regionen den Ausbau bzw. die Förderung regionaler Forschungseinrichtungen und die Organisation von Wissenstransfer zu ihrem Schwerpunkt erhoben. Die Schwierigkeit regionaler ClusterOrientierungen besteht zum einen darin, endogene regionale Branchenpotentiale zu erschließen, um sie mittels Ansiedlung von Zulieferern regional zu verflechten. Dabei geht es auch darum, Ansiedlungen nicht beliebig zu praktizieren, sondern sie als Versuch zu betreiben, wertschöpfungsintensive Segmente „entlang der Kette“ regional zu konzentrieren. Dem Transfer wissenschaftlichen Wissens fällt dabei eine herausragende Rolle zu. Moderne Cluster-Orientierung bedeutet demnach, bestehende regionale Kooperationsstrukturen im Rahmen der
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regionalen Wirtschaftsförderung weiterzuentwickeln, dynamisch zu verändern und in neue Wertschöpfungszusammenhänge zu transformieren. Die Fähigkeit, eine solche Dynamik zu stimulieren, ist allerdings in den Regionen sehr unterschiedlich entwickelt. Oft hängt sie von den Branchenpotentialen ab, die zur regionalen Clusterbildung genutzt werden können. So sind Verarbeitungscluster oft in vertikale Wertschöpfungsketten eingebunden, was regionale Steuerungspotentiale substantiell beschränkt. Ausrüstungscluster, die Maschinen für andere Branchen herstellen, besitzen hingegen ein weitaus höheres Steuerungspotential. Versorgungs- (aus dem Bereich der Grundstoffindustrie) oder Dienstleistungscluster stellen wiederum spezifische Anforderungen an politische Steuerungsinstanzen (Kremer u. a. 2000: 80). Daran wird deutlich, dass es sich bei Cluster-Ansätzen um äußerst voraussetzungsvolle Konzepte handelt. Das gilt umso mehr, als mit den Wertschöpfungsprozessen zugleich die soziale „Einbettung“ regionaler Ökonomien thematisiert wird. Die Herausbildung netzwerkförmiger Governance-Mechanismen wurde wesentlich durch den Wandel öffentlicher Förderkulissen beeinflusst. So forderte der 28. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 1999 bis 2002 dazu auf, durch „Eigenanstrengungen“ ein „integriertes regionales Entwicklungskonzept (vorzulegen), das auf einer breiten Zustimmung in der Region beruht“. In den europäischen Leitlinien wird mit Nachdruck die Förderung von Netzwerken mit Beteiligung der kleinen und mittleren Unternehmen (Technologienetzwerke an der Schnittstelle von Hochschul- und Industrieforschung) angemahnt. Zugleich heben die Richtlinien hervor, dass sich die Förderung vordringlich auf solche Kompetenzfelder konzentrieren soll, in denen die betreffenden Regionen über einen Spezialisierungsgrad und damit über gewisse komparative Vorteile verfügen. Dabei richtet sich das besondere Augenmerk der EU-Förderung auf die „Komplementarität und Partnerschaft“ der regionalen Strukturpolitik, auf die institutionellen Bedingungen regionalen Wirtschaftens sowie auf die Ausbildung von Sozialkapital in den Fördergebieten. Der Entwicklung hin zu einer regionalen Wirtschaftskultur, die Kooperationen ermöglicht, wird eine entscheidende Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit in der globalisierten Konkurrenz zugewiesen. Durch Evaluationen sollen politische Entscheidungsprozesse in den Regionen initiiert werden, die auf eine kontinuierliche Verbesserung des entwickelten Instrumentariums gerichtet sind. Die regionalen Akteure – Unternehmen, Betriebsräte, Gewerkschaften und Verbände – sind aufgefordert, Instrumente und Handlungsoptionen selbst zu identifizieren. Diese Zielbestimmung der europäischen Förderpolitik ist ohne Zweifel eine mächtige Triebkraft des regionalpolitischen Agenda-Setting. Sie hat ihre Spuren in Cluster-Ansätzen privater Consultants und Berater hinterlassen, die sich allein
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auf die Förderung der Interaktionsfähigkeit regionaler Akteure konzentrieren. Die Moderation von regionaler Clusterpolitik wird in diesen Konzepten zum entscheidenden Schlüssel, der über den Erfolg oder Misserfolg der Regionen bei der Bewältigung des Strukturwandels entscheidet. Eine andere Variante des Cluster-Managements konzentriert sich darauf, die Bedingungen für die Entfaltung regionaler Wertschöpfungsketten zu optimieren, indem betriebsübergreifende Funktionen im regionalwirtschaftlichen Zusammenhang durch unternehmerische Gemeinschaftsinitiativen befördert werden. Wir nutzen den Clusterbegriff nachfolgend als ein heuristisches Konzept, um unterschiedliche Versuche zur Stabilisierung wettbewerbsorientierter und zugleich kooperativer Beziehungen zwischen Wirtschaftsorganisationen in regionalen Räumen zu qualifizieren. Dabei sind wir uns bewusst, dass Theorie und Praxis, Anspruch und Wirklichkeit oftmals weit auseinander klaffen. Freilich wollen wir nicht die „schlechte Praxis“ an der „guten Theorie“ messen; uns geht es vielmehr darum, die untersuchten Ansätze in ihrer Besonderheit zu erfassen, um so vergleichende Aussagen über deren Leistungsfähigkeit treffen zu können. 4.2 Regionale Wirtschaftsförderung: Clusterbildung, Kompetenzinitiativen, Fördertopfnetzwerke Varianten des Clusterkonzepts finden wir in allen Untersuchungsregionen, dies freilich in höchst unterschiedlichen Ausformungen. Betrachten wir die regionalen Ansätze genauer. 4.2.1 Der Dortmunder Cluster-Ansatz Auch wenn der Begriff z. T. gemieden wird, weil er zu sehr an Planungsmechanismen der Montanindustrie erinnert, besitzt Clusterpolitik in der regionalen Wirtschaftsförderung Dortmunds einen prominenten Stellenwert. Zwar ist fraglich, ob man im Fall der vom dortmund-project angestoßenen „neuen Führungsbranchen“ schon von Clustern sprechen kann, doch der Paradigmenwechsel hin zur Clusterpolitik ist in der Wirtschaftsförderung der Stadt weitgehend vollzogen. Maßgeblich beeinflusst wurde die Definition einer Dortmunder Clusterpolitik von einem Netzwerkakteur, der heute in der Landespolitik tätig ist. Clusterstrategie in Dortmund meint einen Versuch der lokalen Politik, die Ökonomie zu steuern, indem wirtschaftliche Akteure Verantwortung bei der Erschließung neuer Beschäftigungsfelder in der Region übernehmen; Clusterpolitik gilt einigen ihrer Vordenker als „so etwas wie Investitionslenkung. Nur diese
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kommt nicht vom Staat, sondern wird im Rahmen der Cluster-Strukturen selbst erzeugt“ (Do/Pol03). Grundstrukturen des dortmund-project Seit dem Jahr 2000 wird clusterpolitisches Denken in der Stadtregion im dortmund-project gebündelt. Das ambitionierte Projekt soll die „Entwertung“ des Stahlstandortes Dortmund mit einer Verlagerung der wirtschaftlichen Schwerpunkte beantworten und die Ressourcen auf neue wissensintensive Führungsbranchen konzentrieren. Auf der Grundlage der bereits in Ansätzen entfalteten „Kultur der Branchenorientierung“ wurde mit dem Amtsantritt von Dr. Küpper als oberstem „Wirtschaftsförderer“ der Stadt Dortmund1 1997 beim Institut Arbeit und Technik (IAT) eine Studie in Auftrag gegeben, um mögliche „Innovationsschwerpunke“ der wirtschaftlichen Entwicklung auszuloten (Rehfeld/ Wompel 1998). Letztlich sollte die zwischen IG Metall und strukturprägendem Konzern getroffene Vereinbarung über die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen in der Region durch eine Vereinbarung zwischen Stadt und Konzern ergänzt werden. Aus Sicht des örtlichen DGB handelt es sich um eine „qualifizierte Fortführung“ des Mitte der 1990er Jahre entwickelten Clusterkonzeptes. Im Sommer 1999 bot ThyssenKrupp der Stadt an, gemeinsam mit der Unternehmensberatung McKinsey ein Projekt zur Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Dortmund ins Leben zu rufen. Im gleichen Jahr verlagerte ThyssenKrupp ein im Automobilzuliefererbereich tätiges Unternehmen aus der Region nach Wolfsburg. Im Herbst startete dann die Zusammenarbeit von McKinsey mit der Dortmunder Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung. Die Stadt Dortmund, die ThyssenKrupp AG und die Unternehmensberatung McKinsey & Company hoben – angeregt durch die „Wolfsburg AG“ – das dortmund-project aus der Taufe. Ziel ist es, Dortmund binnen zehn Jahren vom einstigen Zentrum der Montanindustrie zu einem der führenden Technologiestandorte in Europa auszubauen. Wichtige Voraussetzungen für das Wachstum und die Entwicklung der neuen High-Tech-Branchen sind dabei bereits in den 1990er Jahren geschaffen worden (vgl. dazu Kapitel 2). Im Dezember 1999 wurde die McKinsey-Studie „Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Dortmund durch den gezielten Aufbau von Wachstumsclustern“ vorgelegt. Der offizielle Startschuss des Projekts erfolgte am 20. Juni 2000 durch den Rat der Stadt. Mit dem Großprojekt sollte ein neuer „Dreiklang“ in der Stadt geschaffen werden: Software, Logistik und Mikrosystemtechnik. Mit Hilfe des dortmund-project wollte man ursprünglich bis 2010 1
Dr. Küpper ist seit 2005 aus dem Amt ausgeschieden.
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etwa 70.000 neue Arbeitsplätze schaffen, davon 10.000 in bestehenden Branchen und 60.000 in den „neuen Führungsbranchen“. Konkret: 43.000 Stellen im Bereich IT/E-Commerce, 9.000 in der Mikrosystemtechnik, 12.000 in Logistik, Versicherungen, Dienstleistungen, Biotechnologie und schließlich 6.000 Sekundär-Stellen wie Hausmeister, Handwerker etc. Die wirtschaftsfördernden Aktivitäten konzentrieren sich seither auf die Zukunftsbranchen. Durch sie sollen sich eigenständige Wachstumsstrukturen, sogenannte „clusters of industry“, herausbilden. Von ihnen werden innovations- und wettbewerbsstärkende Effekte für alle anderen Branchen in der städtischen Ökonomie erwartet. Bereits im Jahr 2005 sollte „das wirtschaftliche Umfeld und die Infrastruktur so ausgebaut sein, dass die neuen Wirtschaftszweige und Unternehmen sich weiter etablieren können“. Sie sollten eine Eigendynamik entfalten, die nicht mehr durch Förderstrukturen angetrieben wird. Schon bei der Definition zukunftsträchtiger Felder spielte der DGB gemeinsam mit der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung in Dortmund eine wichtige Rolle. Die kommerzielle Unternehmensberatung hatte sich in ihren Vorschlägen für die Zukunftsbranchen Dortmunds zwar am Wolfsburger Vorbild konzentriert, aber zu sehr vom Boom der „New Economy“ blenden lassen und Arbeitsfelder mittlerer und niedrigerer Qualifikationsstufen schlicht ausgeblendet. So war der Bereich Logistik in der ursprünglichen Konzeption McKinseys nicht vorgesehen, er musste von den regionalen Akteuren, der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung und dem DGB, nachträglich platziert werden: „Logistik, das war für uns der Ansatzpunkt, wo wir im unteren und mittleren Qualifikationsniveau neue Arbeitsplätze gesehen haben“ (Do/GW06). Die besondere politische Kultur der Stadt Dortmund ermöglicht, dass die Gewerkschaften an allen wichtigen Entscheidungsprozessen und an den Gremien der kommunalen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik beteiligt werden. In den wichtigsten Gremien des dortmund-project ist der DGB-Vorsitzende persönlich präsent (vgl. dazu Kapitel 3). Beim beschäftigungspolitischen Controlling werden auch Wissenschaftler hinzugezogen. Die Gesellschaft zur Förderung des Strukturwandels in der Arbeitsgesellschaft e.V. und das Landesinstitut Sozialforschungsstelle schufen bereits 1997 in Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund die Voraussetzungen für die Bildung eines arbeits- und sozialwissenschaftlichen Zentrums auf einem ehemaligen Zechengelände, das in den Folgejahren zum Zentrum Minister Stein für Wissenschaft, Beratung und Qualifizierung (ZMS) gewachsen ist. Zudem greift die Gesellschaft zu Förderung des Strukturwandels in der Arbeitswelt e.V. mit der Veranstaltungsreihe „Dortmunder Dialoge“ aktuelle und kontroverse Themen des gesellschaftlichen Wandels aus den Bereichen Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft auf und trägt zur Vernetzung der Akteure bei. Seit der Krise der New Economy, die die beschäftigungspolitischen Ziele
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des dortmund-project in Frage gestellt hat, geht das Controlling aber weit über die formalen Befugnisse eingesetzter Gremien hinaus und wird von den Netzwerken selbst aktiv vorangetrieben. Die ambitionierten industriepolitischen Ziele des dortmund-project sind inzwischen auf eine Vielzahl von Einzelprojekten heruntergebrochen. Möglich wurde dieser industriepolitische Ansatz vor dem Hintergrund einer Förderkulisse des Landes, die der Projektumsetzung einen Mittelzufluss von mehr als 50 Mio. Euro binnen zehn Jahren garantierte. Das Land hat zwölf Kompetenzfelder definiert, die zunächst im Ruhrgebiet, später aber im ganzen Land prioritär gefördert werden sollten. Mit IT, Logistik sowie Mikrosystemtechnik und Mikroelektronik standen jene Bereiche an erster Stelle, auf die Dortmund seine Zukunft baut (vgl. Ziegler 2002: 17). Organisatorisch konzentrieren sich die Aktivitäten auf Ausrüstung, Beratung und Unterstützung von Unternehmen in den Bereichen ecommerce/Informationstechnologie („e-factory“), Mikrosystemtechnik („MSTfactory“) und Logistik („e-port-dortmund“). Diese Projekte verstehen sich als „Inkubatoren“ einer dynamischen Entwicklung in neuen Leitsektoren. Sie arbeiten als private GmbHs. Zu ihren wesentlichen Instrumenten zählen Gründungswettbewerbe, in denen mittels intensiver Betreuung oft noch relativ vage Geschäftsideen in Unternehmensgründungen überführt werden sollen. Wir treffen hier auf eine Form staatlicher Förderpolitik, die den tradierten Korporatismus in gewisser Weise transformiert. Einerseits knüpft sie durchaus an die korporatistische Tradition an, wenn sie z. B. für junge Unternehmensgründer eine umfassende Unterstützung aufbaut, die z. T. bis in den privaten Bereich hineinreicht. Andererseits – und das ist das Neue – ist diese Unterstützung strikt darauf ausgerichtet, private unternehmerische Initiative zu fördern. Mit anderen Worten, die Gründer müssen sich mit ihren Unternehmen früher oder später aus eigener Kraft am Markt behaupten. Der lokale Staat gewährt lediglich Hilfe bei der Erschließung einer Marktchance. Zeigen die geförderten Initiativen nicht die gewünschten Effekte, wird ihnen die Unterstützung früher oder später entzogen. Der Startschuss des dortmund-project markierte für die Stadt Dortmund zugleich den Beginn einer Phase der umfassenden Modernisierung kommunaler Politik. Das dortmund-project und die in ihm anvisierte Förderung technologieund wissensgestützter Industrien und Dienstleistungen ist in ein ganzes Bündel von Zielen und Maßnahmen der Stadtpolitik integriert, das weit über klassische Wirtschaftsförderkonzepte hinausweist. Faktisch handelt es sich um ein strategisches Konzept zur Neuorientierung der gesamten Wirtschaftsförderung. Zentrales Mittel dieser Erneuerung ist die Schaffung von neuartigen politischen Organisationsformen, die das tradierte Organisationsmodell kommunaler Wirtschaftsförderung überschreiten. Das tradierte Modell wird von den Akteuren rückbli-
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ckend als bürokratisch kritisiert. Moderne Wirtschaftsförderung habe unter dem Motto „Investieren statt Subventionieren“ die schnelle Aufnahme des operativen Geschäfts zu ermöglichen, indem sie „ein dynamisches und weitverzweigtes Netzwerk von Geschäftspartnern, Dienstleistern und Wissenschaftlern“ schaffe und damit „eine Infrastruktur, die den hohen Anforderungen des modernen Wettbewerbs gerecht“ werde. Formal ist das dortmund-project als GmbH durch seine Ansiedlung bei der städtischen Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung in die politische Struktur der Stadt integriert. Es ist dem vom Rat der Stadt eingesetzten Ausschuss für Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung rechenschaftspflichtig. In jedem einzelnen Handlungsfeld existieren jedoch verschiedene Einzelprojekte. Zur Realisierung dieser Public-Private-Partnerships, in denen die Einzelprojekte organisiert sind, wurde im Juni 2000 eine Dortmund-Stiftung gegründet. Die rund 100 Stifter haben dazu beigetragen, dass die Stiftung über ein Stiftungskapital von über 1,5 Mio. Euro verfügt. Die Dortmund-Stiftung hält 100 % der Anteile an der im Juli 2000 gegründeten dopro Beteiligungs-GmbH. Diese wiederum ist zu 50 % an der MST-factory und dem e-port-dortmund beteiligt. Gewerkschaften sind hier nicht vertreten. Die Arbeitsweise der auf die neuen Leitbranchen bezogenen Einzelprojekte soll im Folgenden dargestellt werden. Wirtschaftsförderung im Bereich neuer Leitbranchen: e-port und MST-factory Mit der Gründung des Kompetenzzentrums für E-Logistik e-port-dortmund sollen Firmenansiedlungen von KMUs und Start-ups der Logistikbranche gefördert werden. Es wird der Anspruch verfolgt, Expertenwissen aus Forschung, Entwicklung und Praxis zu bündeln, bestehenden KMUs in der Ausgestaltung einer Online-Wertschöpfungskette zu helfen und Start-ups in ihren Gründungsphasen zu fördern. e-port-dortmund versteht sich als Initiator, Kooperator und Koordinator für die e-Logistik und hat daher mehr eine anstoßende und bündelnde Funktion als dass sie als durchführende Instanz fungiert. Die Initiative strebt die Marktführungskompetenz als e-logistisches Kompetenzzentrum an. e-port agiert vor dem Hintergrund einer dynamischen Entwicklung der Logistik im regionalen Wirtschaftsraum. Faktisch hat sich Dortmund neben Köln und Duisburg zum größten Logistikknotenpunkt Nordrhein-Westfalens entwickelt. In der Region bestehen mit dem Logistiklehrstuhl an der Universität und dem Fraunhofer Institut darüber hinaus starke Forschungs- und Entwicklungspotentiale. Die Ausrichtung der Arbeit von e-port orientiert sich an jüngeren Entwicklungen in dieser Branche, die zu neuen Qualifikations- und Verhaltensanforderungen führen: „Jeder LKW-Fahrer braucht heute neben dem Handy einen PC in der Führerkabine“ (Do/NWA11). Ziel von e-port-dortmund ist es, das Dortmunder Hafengelände zu einem „Fulfillment-Port“ auszubauen. D. h. die regionale
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Konzentration kleiner Unternehmen soll in der Wertschöpfungskette lokal mit Speditions-Großunternehmen verflochten werden. Es ist daher nicht überraschend, dass sich traditionell ansässige große Logistikunternehmen im e-portdortmund engagieren. So hat die Rhenus AG ihren Standort im Dortmunder Hafen geräumt, um auf eine größere Fläche am Dortmunder Flughafen zu ziehen; im ehemaligen Gebäude der Hauptverwaltung residiert nun e-port. Zudem stellt die Rhenus AG den stellvertretenden Geschäftsführer von e-port. Anteilseigner von e-port-dortmund sind die „dopro“, Rhenus AG & Co KG sowie die SVenture Capital Dortmund GmbH. Die Initiative untersteht zwar den Kontrollstrukturen des dortmund-project; die Gesellschafter aber bestimmen den Kurs. Durch die Integration in die übergeordneten Projektstrukturen wird das Ziel „Beschäftigungsförderung“ in die Initiative hineingetragen; ein unmittelbarer Kontakt zu den Gewerkschaften ist aber nicht vorhanden: „Das müssen Sie verstehen, dass wir bei dem, was wir tun, die Gewerkschaften nun wirklich nicht im Kopf haben. Hier geht es um die Unternehmen“ (Do/NWA11), so die Stimme der Geschäftsführung. Der Geschäftsführer von e-port versteht sich als „Netzwerk-Administrator“ und „Kommunikator“. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich Qualifizierung. Zusammen mit drei Beratungsagenturen entwickelt e-port eine Weiterbildungskonzeption für KMU der Logistikbranche. Es geht wesentlich darum, KMU „fit“ für die Integration in die elektronisch gesteuerten Wertschöpfungsketten zu machen – und das in Absprache mit den fokalen Unternehmen der Region. Das Projekt wird aus ESF-Mitteln gefördert. Die Fördermittelakquisition stellt für e-port kein Problem dar. Die Projektgenese erfolgt in Absprache mit der Wirtschaft. Es sind hier vor allem lokale Großunternehmen der Logistikbranche, die deutlich machen, welche Qualifizierungs-Anforderungen sie an KMU stellen, die in ihre Wertschöpfungsketten integriert werden sollen. Im Juli 2003 erfolgte der Baubeginn der MST-factory, mit der eine wirtschaftsnahe (technische) Infrastruktur für KMU und Gründer im Bereich der Mikrosystemtechnik aufgebaut werden soll („Business Support“). Die MSTfactory dortmund GmbH, der Betreiber der MST-factory, ist – ähnlich der Konstruktion von e-port – ein privatwirtschaftliches Gemeinschaftsunternehmen der dopro-Beteiligungs-GmbH und der Interessengemeinschaft zur Verbreitung von Anwendungen der Mikrostrukturtechniken NRW e.V. (IVAM NRW e.V.). Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf einer „bedarfsgerechten Ausrüstung für die MST“, auf der Bereitstellung eines modernen Maschinenparks, von Reinraumkapazitäten und Laboren. Zudem bildet auch hier die Qualifizierung einen wichtigen Schwerpunkt. Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen rund um die MST werden von der übergangsweise im TechnologieZentrumDortmund beheimateten MST-factory dortmund angeboten. Während unserer Untersuchung hatte die
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MST-factory ihre Arbeit noch nicht in vollem Umfang begonnen. Teile der MST-factory waren jedoch bereits an Firmen verkauft, obwohl das Gebäude noch gar nicht fertig gestellt war. Insgesamt handelt es sich beim dortmund-project um das ambitionierteste industriepolitische Vorhaben, das wir in unseren Untersuchungsregionen angetroffen haben. Zur Ironie der Geschichte dieses Projekts gehört, dass es auch auf Erfahrungen gründet, die der Wirtschaftsförderer Küpper aus seiner früheren Wirkungsstätte Nürnberg mitgebracht hat. 4.2.2 Die Nürnberger Kompetenzinitiativen In Nürnberg bevorzugen es die Akteure, statt von Clustern von Kompetenzfeldern und Kompetenzinitiativen zu sprechen. Gemeint sind aber auch hier Zusammenschlüsse von Unternehmen, Wissenschaftseinrichtungen, Gewerkschaften und lokaler Politik, die Schwerpunkte der regionalwirtschaftlichen Entwicklung definieren und in Projektform gießen sollen. Der hohe Anspruch einer faktischen Investitionslenkung wird nicht formuliert. Auf Seiten der IG Metall existiert aber durchaus die Vorstellung, den Kompetenzinitiativen über branchenübergreifende Zusammenschlüsse von Unternehmen eine Größe und damit auch ein Maß an Verhandlungsmacht zu verschaffen, wie es ansonsten nur Großkonzerne besitzen. Zu den grundlegenden Aufgaben der Kompetenzinitiativen zählt es, Stärken der Region zu erschließen und auf diesem Weg den mittelfränkischen Wirtschaftsraum im „globalen Standortwettbewerb“ zu platzieren. Die Region wird dabei de facto wie ein Unternehmen betrachtet. Und auch die Kompetenzinitiativen werden anhand unternehmerischer Kriterien (Umsatz, Profitabilität) geführt. Sie sollen Projektmittel akquirieren, Technologieförderung betreiben, regionale Kooperationsvorteile erschließen und das „Standortmarketing“ verbessern. Die Kompetenzfelder IuK-Technologie und Medizintechnik entsprechen einer Schwerpunktsetzung, wie sie in der High-Tech-Offensive des Landes Bayern vorgeschlagen wird. Die Kompetenzfelder Energie und Verkehr sind hingegen regionale Eigenschöpfungen, die auf einen inkrementellen Wandel gewachsener industrieller Strukturen zielen. Zudem existiert seit dem Boom der Informational Economy auch in Nürnberg mit Neconet ein informelles Netz, das zur Selbstorganisation der „New Economy“ beitragen soll.
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Kompetenzfeld Verkehr – die Initiative „Neuer Adler“ Das Kompetenzfeld Verkehr wird seit 1996 durch die Initiative „Neuer Adler“ bearbeitet. Die Initiative ist vereinsförmig organisiert. Dem Kompetenzfeld werden ca. 770 regionale Unternehmen mit ca. 75.000 Mitarbeitern und 8 Mrd. Euro Jahresumsatz zugerechnet. Im Vereinsvorstand des Netzwerkes sind u. a. Unternehmen wie die Siemens AG (Transportation Systems), die Pfleiderer GmbH und die VAG Nürnberg, Wissenschaftsvertreter (FH, Universität) sowie die Stadt Nürnberg vertreten. Der Vorstand bestellt die Geschäftsführung. In der Praxis wurden die drei bisherigen Geschäftsführer von Siemens für diese Tätigkeit freigestellt. Die Kooperationsstruktur im Vereinskontext ist „extrem hierarchisch“ (N/NWA04). Die vier Handlungsebenen der Kompetenzinitiative umfassen a) den Vorstand, b) die Sponsoren, einen erweiterten Kreis von ca. 70 Unternehmen, die intensiver beraten werden und in denen gelegentlich Betriebsbesuche stattfinden, c) 251 interessierte Firmen, die mit Anschrift und Profil in einer öffentlichen Internet-Datenbank präsentiert werden sowie d) hunderte weiterer Firmen, die in einer nicht-öffentlichen Datenbank erfasst sind und die gelegentlich angeschrieben werden. Die Aktivitäten der Initiative konzentrieren sich faktisch auf die erste und die zweite Handlungsebene. Inhaltliches Ziel der Kompetenzinitiative ist es, über eine Vernetzung der zahlreichen in der Verkehrstechnologie tätigen Unternehmen die Wettbewerbsund Arbeitsmarktposition der Region insgesamt zu verbessern. Bei der Realisierung dieses Ziels hat es gerade in jüngerer Zeit ernste Rückschläge gegeben. So hatte sich die Kompetenzinitiative stark auf die Schienentechnik ausgerichtet. Mit dem Aus für die AdTrans, einem mit der ICE-Produktion beauftragten „Frankenstraßenbetrieb“, und der Krise beim Ausbesserungswerk der DB stand diese Ausrichtung zur Disposition. Aufgrund einer Machbarkeitsstudie der Fraunhofer-Gesellschaft bemüht sich die Kompetenzinitiative seither um eine inhaltliche Neuausrichtung auf intelligente Technologiesysteme („Intelligenz für Verkehr und Logistik“) und Forschungsintensität. Hier machen sich jedoch „strukturelle Schwächen“ (N/NWA04) bemerkbar. Auffällig ist auch, dass die Geschäftsführung der Kompetenzinitiative nur wenige erfolgreich abgeschlossene Projekte nennen kann. Auf Nachfragen werden als Innovationsprojekte genannt: die Vermarktung des Transrapid, eine vollautomatische U-Bahn aus bemannten und unbemannten Wagen, ein getriebeloser Antrieb, der als Prototyp gebaut ist sowie ein elektronisches Überwachungssystem innerhalb und außerhalb von Zügen. Über die Beschäftigungseffekte der Clusteraktivitäten herrscht in der Kompetenzinitiative bislang völlige Unklarheit. „Das ist genau der Punkt, wo ich Ihnen noch keine Antwort geben kann… Und das ist ein Punkt, wo ich die Gewerkschaften gerne dabei hätte“ (N/NWA04).
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Aus der Perspektive der Neuen-Adler-Geschäftsführung verhält sich die im Vorstand vertretene IG Metall seit geraumer Zeit auffällig abstinent. Allerdings räumt der Geschäftsführer ein, dass im unternehmerisch geprägten Vorstand primär Umsatz, Gewinn und Transportleistungen berücksichtigt worden seien, während man „den Faktor Arbeit“ vernachlässigt habe. Kompetenzfeld Energie – die Initiative EnergieRegion Im Kompetenzfeld Energie arbeitet eine Initiative nach dem gleichen Prinzip wie der Neue Adler. Die EnergieRegion beansprucht, 500 Unternehmen mit 15 Mrd. Umsatz und ca. 50.000 Arbeitsplätzen zu repräsentieren. Im Vorstand sind neben der Stadt auch die IHK, die Universität, die FH sowie die IG Metall vertreten. Zu den Mitgliedern zählen Firmen wie SEMIKRON (Vorstand), Buderus Heiztechnik GmbH, E.ON Bayern AG, FrankenSolar GmbH, Hydrometer GmbH, ALSTOM Power (Vorstand) und die Siemens AG (Vorstand). Wegen der Deregulierung des Strommarktes, Unternehmenszusammenschlüssen und dadurch bedingten Standortverlagerungen war das Kompetenzfeld während der letzten Jahre von massivem Arbeitsplatzabbau betroffen. Dennoch empfiehlt eine Fraunhofer-Studie der Energiewirtschaft im Rahmen der High-Tech-Offensive den „gleichen Stellenwert“ beizumessen wie den „beiden Wachstumsbranchen Life Sciences und IuK“. Aufgrund des vorhandenen Potentials sei es sinnvoll, die Position der regionalen Energiewirtschaft als „europäisches Kompetenzzentrum“ auszubauen. Fraunhofer empfiehlt, auf den traditionellen Stärken in den Bereichen Energieerzeugung, -nutzung und -verteilung sowie Leistungselektronik und Automatisierung basierend, innovative Produkte für dezentrale Energieversorgung, rationellen Energieeinsatz und umweltschonende Mobilität zu entwickeln. Die verschiedenen Teilfunktionen für die Herstellung und Vermarktung neuer Energie- und Automatisierungssysteme seien „in einzigartiger Tiefe und Breite miteinander vernetzt“ und bildeten die „Basis für eine Energieregion von internationalem Rang“. Diese Einschätzung deckt sich jedoch nicht mit der industriepolitischen Schwerpunktsetzung des Landes. Real leidet die Kompetenzinitiative an einer Landespolitik, die sich gegenüber altindustriellen Strukturen „defensiv“ (N/Pol03) verhält. Offenkundig fällt es der EnergieRegion schwer, Projekte zu generieren. Positive Ausnahme ist das etz (Energie-Technologie-Zentrum). Hier arbeitet im Gebäude des ehemaligen Siemens-Zählerwerks eine Kooperationsstelle mit Firmen zusammen, die an der Wende von „alter“ zu „neuer“ Verkehrstechnik arbeiten. Beteiligt sind u. a. ALSTOM Power und Dehn & Söhne sowie das Deutsche Institut für Facility Management mit je eigenen Projekten. Das etz wird aus einem Fördertopf des bayerischen Wirtschaftsministeriums finanziert.
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Ziel ist es, in naher Zukunft bis zu 40 Firmen im Zentrum anzusiedeln. Ansonsten arbeitet die Kompetenzinitiative „eher langsam“ (N/NWA14). Anders als beim Neuen Adler ist die IG Metall aber im Vorstand beständig personell und mit neuen Ideen präsent. Nach Ansicht des Geschäftsführers der Kompetenzinitiative zieht „die Gewerkschaft voll mit. Wir müssen sie manchmal schon bremsen, weil immer neue Ideen kommen, von denen wir gar nicht wissen, wie wir sie verwirklichen sollen. Hier ziehen Gewerkschaften und Unternehmen aber an einem Strang“ (N/NWA10). Obwohl konzeptionell in der Offensive, gelingt es der IG Metall jedoch auch in diesem Kompetenzfeld kaum, ihre beschäftigungspolitischen Ziele für alle Beteiligten verbindlich zu machen. Dies ist in der Krise der sogenannten „Frankenstraßenbetriebe“, von denen zwei als Mitglieder in der Initiative präsent waren, offenkundig geworden. Die IG Metall versuchte, mit eigenen Vorschlägen Produktinnovationen zu stimulieren, die den im Zusammenhang mit einer Fusion geplanten Stellenabbau verhindern sollten. Dieses Unterfangen misslang. Zwar konnte einer der Betriebe mit kleinerer Mannschaft – vorerst – gerettet werden; Produktinnovationen waren jedoch von außen nicht durchzusetzen. Aus Sicht der „Macher“ der Kompetenzinitiative ist diese Zielsetzung freilich zu jeder Zeit unrealistisch gewesen: „Selbst wenn sie eine gute Produktidee haben und die im Unternehmen verankern können, dann benötigen Firmen wie Siemens immer noch bis zu acht Jahren, um so ein Produkt herzustellen und zu vermarkten. Einen Standort können sie auf diese Weise nicht retten. Wenn sie mit Produktinnovationen aktiv werden, sind die Standortentscheidungen andernorts längst gefallen“ (N/NWA10). Zudem werden dem Kompetenzfeldmanagement durch Defizite beim Technologietransfers Grenzen gesetzt. Kompetenzfeld IuK-Technologie – Nürnberger Initiative für die Kommunikationswirtschaft Die Nürnberger Initiative für die Kommunikationswirtschaft (NIK) wurde 1994 als eine der ersten Kompetenzinitiativen noch auf Initiative des damaligen Leiters der Wirtschaftsförderung als e.V. gegründet. Zu den insgesamt 85 Mitgliedern der Initiative gehören führende Unternehmen der regionalen IuK-Industrie (u. a. DATEV eG, Grundig AG, Hewlett-Packard GmbH, IBM Deutschland GmbH, Lucent Technologies Network Systems GmbH, Siemens AG, Zweigniederlassung Nürnberg), Forschungseinrichtungen (Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen, Universität, Fachhochschule), Vertreter der mittelfränkischen Kommunen (Ämter für Wirtschaft), der Bayerische Unternehmensverband Metall und Elektro e.V., die Industrie- und Handelskammer Nürnberg für Mittelfranken sowie die Gewerkschaft ver.di. Die Nürnberger Initiative für die Kom-
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munikationswirtschaft versteht sich selbst als „Branchenplattform für die Informations- und Kommunikationstechnik in der Region“. Sie agiert als „Sprachrohr, um die Region Nürnberg als Kompetenzzentrum für die Informations- und Kommunikationstechnikbranche zu profilieren“ (www.nik-nbg.de). Ein neuer Geschäftsführer ist seit 1999 im Amt. Er tritt selbstbewusst, offensiv und in deutlicher Abgrenzung zu den anderen Kompetenzinitiativen der Region auf. Den Begriff und die Erwartungshaltung an Kompetenzinitiativen hält er „für problematisch, weil man allen erklären muss, was eigentlich die Kompetenzen sind“ (N/NWA06). Stattdessen präferiert der Geschäftsführer den Begriff der „Technologieagentur Nürnberg“. Die NIK betrachtet er inzwischen als Public-Private-Partnership – eine „operativ-schlagkräftige Einheit“, die sich von ihrer Gründungsphilosophie emanzipiert hat: Die NIK sei als ein Instrument des Außenauftritts für einen technologischen Schlüsselbereich gegründet worden. Man wollte, dass durch die Organisation von Symposien der Blick von außen auf einen „führenden Standort der IuK-Industrie Deutschlands“ gerichtet werde. Das Selbstverständnis der Arbeit der NIK zeichne sich heute durch einen anderen Ansatz aus. Als wichtigste Aufgabe bezeichnet der Geschäftsführer, „in einem Hochlohnland Cluster zu bauen“. Die NIK bemühe sich verstärkt um Initiativen, „die Unternehmen in Richtung Projekt und Kooperation“ zu bringen. Im Rahmen der High-Tech-Initiative des Landes werden NIK-Projekte mit ca. 1,2 Mio. Euro gefördert. In einem Projekt geht es um passgenaue Ingenieursqualifikationen für die Region. Über eine Kooperation mit der Fachhochschule sollen „ganz schnell jene Ingenieure ausgebildet werden, die ich brauche, und wenn sie fertig sind, will ich, dass sie auch bei mir anfangen“ (N/NWA06). Trotz verbaler Abgrenzungen unterscheiden sich die Arbeitsschwerpunkte von NIK kaum von denen anderer Kompetenzinitiativen. Die Aufgaben erstrecken sich auf „Netzwerkfunktion“ und „Marketing“ (Pressekonferenzen, Großveranstaltungen). Unmittelbare Kriseninterventionen spielen hingegen keine Rolle. Im Fall Ericsson, einem Unternehmen, das den lokalen Standort mit hochqualifiziertem Personal schließt, erläutert der Geschäftsführer: „Da bin ich nur Zaungast. Ich hasse runde Tische, da wird nur viel geredet. Wir versuchen einige Leute rüberzuziehen, wenn sie eine passende Ausbildung machen.“ Nichtsdestotrotz habe gerade die Zukunftsorientierung auch eine krisenabfedernde Funktion. So sei der Fall Lucent zwar „ein relativ trauriges Kapital in Nürnberg. Wo ich aber behaupte, dass wir relativ gut abgeschnitten haben gegenüber anderen Lucent-Standorten“. Das hänge wesentlich mit der von NIK betriebenen „Standortpflege“ zusammen. Als beschäftigungspolitisches Controlling wird dies nicht begriffen: „Mein Controlling ist etwas, was sich entwickelt“. In diesem Zusammenhang wünscht sich auch der Geschäftsführer der NIK ein stärkeres Engagement der Gewerkschaften, das sich aber spezifisch auszurichten habe: „Ich wür-
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de mir mehr Inspiration wünschen. Bei Lucent etwa, Organisationsgrad von 7%. Ich brauche ein Zusammenspiel von Gewerkschaften und Unternehmen, die Standortpflege betreiben. Das Wirtschaftsforum ist es nicht mehr – zu wenig Unternehmen“ (N/NWA06). Sollten die Kompetenzinitiativen nach den Vorstellungen der IG Metall auch Instrumente zur Krisenintervention bereithalten, so ist die dominante Orientierung in der NIK eine andere. Krisenintervention tritt hinter eine auf die Zukunft gerichtete Modernisierungspolitik zurück, die ihren Verfechtern als bessere Krisenprävention gilt. Dass NIK eine solche Funktion bereits erfüllt, wird von kritischen Beobachtern indessen bezweifelt. Die NIK gilt als „fleißig“, aber ohne Orientierung. „Die wissen nicht genau, was sie wollen“, lautet ein Expertenurteil. Hintergrund dieser Einschätzung ist die Tatsache, dass die IuK-Technologie „nichts mehr bündelt“. Es handele sich um eine Querschnittstechnologie, die nicht mehr getrennt von anderen Branchen diskutiert werden könne (N/Pol01). Kompetenzfeld Medizintechnik – die Initiative Life Sciences Die vornehmlich auf Erlangen konzentrierte Kompetenzinitiative Life Sciences erscheint vordergründig als ein Erfolgsfall. Eine wichtige SiemensStandortentscheidung ist zugunsten der Region ausgefallen. Damit sind Ansatzpunkte für eine Clusterbildung gegeben, die in diesem Fall auch der Schwerpunktsetzung der High-Tech-Offensive des Landes entspricht. Zugpferd der Initiative ist der Erlanger Oberbürgermeister Dr. Balleis, der als ehemaliger Siemens-Manager über gute Kontakte zum strukturprägenden Konzern wie auch zur Landesregierung verfügt. Balleis ist es gelungen, die Kompetenzinitiative bundesweit zu vermarkten. Misst man die Aktivitäten an der hohen Messlatte intelligenter Clusterpolitik, so wirkt die Praxis der Kompetenzinitiative freilich ernüchternd. Bei besagter Siemens-Standortentscheidung war eine gehörige Portion Glück im Spiel. Die Stadt Erlangen verfügte über eine günstige Gewerbefläche, deren Veräußerung zuvor aufgrund des Drucks der Oppositionspartei verhindert werden konnte (N/GW03). Diese Gewerbefläche war dann später die Voraussetzung, um in der Konkurrenz mit einem englischen Standort bestehen zu können. Mit der Medizintechnik als Zentrum ist das Kompetenzfeld „überschaubar“: „So lange die Siemens-Leute nicht gehen, brennt denen nichts an“ (N/Pol01). Die gesamte Unternehmung ist jedoch stark von der Person des Erlanger Oberbürgermeisters abhängig. Industriepolitisch mache die Initiative „absolut nichts“. Sie arbeite nach der Devise „people meet people“. Die IG Metall sei zwar präsent. Wie immer bei guten Kommunikatoren „wisse sie jedoch nicht, wo sie eingreifen solle und ärgere sich“. Aus Gewerkschaftssicht wird diese
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eingreifen solle und ärgere sich“. Aus Gewerkschaftssicht wird diese Kommentierung indirekt bestätigt: „Balleis ist ein glänzender Kommunikator. Das macht er sich in der Kompetenzinitiative zunutze. Die Initiative arbeitet nach folgendem Prinzip. In mehr oder minder regelmäßigen Abständen laden Balleis und seine Mannen Projekte, Firmen etc. ein, die im weiteren Sinne etwas mit Life Sciences zu tun haben. Jedes Projekt, jede Initiative bekommt zehn Minuten Zeit, sich zu präsentieren. Anschließend findet eine Art Kontakthof statt, wo man miteinander ins Gespräch kommen kann. Aus 95 % der Projekte wird nichts, aber es bleibt eine Restgröße, die Substanz hat“ (N/GW03).
Die Kompetenzinitiative gilt inzwischen bundesweit als Erfolgsfall. Tatsächlich sind einige Ansiedlungen und Neugründungen gelungen. Bei den Neugründungen erweist sich die Nähe zur Universität als Vorteil. Das Wegbrechen von Betrieben und Beschäftigungsverhältnissen hat aber auch diese Initiative nicht gänzlich verhindern können. Der Einfluss der IG Metall ist begrenzt geblieben. Allenfalls gelingt es ihr punktuell, „den Bürgermeister zu ärgern“. Über ein Konzept zu systematischer industriepolitischer Einflussnahme verfügt sie aber offenkundig nicht. Der Versuch, durch die Gründung eines Instituts mit Schwerpunkt Arbeit und Gesundheit einen konzeptionellen Unterbau für die Arbeit der Verwaltungsstelle zu schaffen, ist vorerst gescheitert. In dem eher informellen Zusammenhang der Kompetenzinitiative, in welchem Kommunikation zur „Produktivkraft“ geworden ist, tun sich die Gewerkschafter offensichtlich schwer, Einfluss zu gewinnen. Denn dies würde tragfähige, kommunizierbare Ideen und Alternativen voraussetzen, die so nicht vorhanden sind. 4.2.3 Blockierte Clusterbildung in Chemnitz In Chemnitz spielen Clusterkonzepte sowohl innerhalb der städtischen Wirtschaftsförderung als auch im gewerkschaftsnahen Netz keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle. Zwar herrscht in der Forschung zu den neuen Bundesländern weitgehend Einigkeit, dass es nach einer ersten Phase der Ansiedlungs- und Standortpolitik, die vorrangig „auf externer Kapitalzufuhr aufbaute“, in der regionalen Industriepolitik nun darum gehen müsse, „die geschaffenen industriellen Kerne als Katalysatoren für die örtliche Wirtschaft zu sichern und zu einer regional verankerten wirtschaftlichen Basis mit regionalen Wertschöpfungsketten und Innovationsnetzen weiterzuentwickeln“ (Kujath 1999: 15f.). Gerade die Chemnitzer Wirtschaftskonstellation bleibt auch nach der ersten Phase der Ansiedlungs- und Standortpolitik durch „zerrissene Netze“ (Albach 1993) charakterisiert, die den Erhalt industrieller Kerne nach wie vor zu einer vordringlichen Aufgabe regionaler Wirtschaftsförderung machen. Zudem fehlen fokale Unter-
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nehmen mit regionaler Bindung, die als Zentrum clusterorientierter Bemühungen fungieren könnten. Bei den größeren Konzernbetrieben (VW, Siemens-VDO, IBM) handelte es sich zunächst um verlängerte Werkbänke, bestenfalls um Drehscheiben für das Ost-Geschäft. Nachhaltige Impulse für die regionale Entwicklung sind von diesen Unternehmen bis in die jüngere Vergangenheit kaum ausgegangen. Der Clusterbegriff reüssiert in Chemnitz allenfalls als utopischer Entwurf einer möglichen Zukunft für den Wirtschaftsraum Chemnitz, nicht aber als offizielles und stringent verfolgtes Konzept der städtischen Wirtschaftsförderung. Immerhin gab und gibt es z. B. mit dem Projekt „InnoSachs“ Ansätze, die zumindest ihrer Zielsetzung nach eine Stärkung der Kooperationskultur regionaler Unternehmen anstreben. Das Projekt verfolgt allgemein die Leitidee einer Modernisierung des regionalen Maschinen- und Gerätebaus im Bereich der Hochtechnologien. Eine Absicht ist, neue Produkt- und Zulieferungsfelder zu erschließen. Das Vorhaben zielt auf die Entwicklung von Produkt- und Verfahrensinnovationen und den Aufbau neuer Wertschöpfungsketten, der durch Förderung von komplementären unternehmensnahen Dienstleistungen, FuEKapazitäten und Weiterbildungsangeboten erreicht werden soll. Der Startschuss für das erste Projekt fiel am 01. April 2001. Dreißig kleine und mittlere Unternehmen, acht Forschungseinrichtungen und drei Vereine der Region Mittelsachsen arbeiten inzwischen direkt in den Vorhaben zur Umsetzung des InnoSachsKonzepts. Zur Steuerung des Gesamtprojektes wurde im November 2000 die Geschäftsstelle InnoSachs gegründet. Sie ist als Profitcenter des „Anwendungszentrums für Mikrotechnologien Chemnitz GmbH“ (AMTEC) organisiert. Die AMTEC GmbH fungiert als Unternehmen eines Verbundes technologieorientierter Firmen. Der Gesamtzuschnitt des Projekts ist technikfixiert und unternehmensorientiert. Nach letzten Auskünften der Wirtschaftsförderung steht der „Club AMTEC“ (C/Pol02) jedoch vor der Auflösung; in der Stadt werden nun statt dessen wieder „institutionelle Lösungen“ in Formen eines Technologieparks diskutiert. Dass ambitionierte industriepolitische Projekte in der Region Chemnitz scheitern oder erst gar nicht aus der Taufe gehoben werden, hängt sicher mit den schwierigen Rahmenbedingungen im Osten zusammen. Doch das erklärt nicht alles. Wie schon im Rahmen der Netzwerkanalyse (Kapitel 3) angesprochen, mangelt es offenbar auch an einer Kooperationskultur, die es den wichtigsten Akteuren ermöglichen könnte, sich zumindest auf Grundlinien einer regionalen Strukturpolitik zu einigen. Bezeichnend ist, dass schon die Frage nach einem Leitbild für die Entwicklung der Region von den maßgeblichen Akteuren kontrovers beantwortet wird. Zwar gibt es solche Leitbilder, diese scheinen jedoch austauschbar und mitunter geradezu beliebig: „Zuerst hatte die Stadt die Vorstel-
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lung ‚Wir sind die Sportstadt‘, dann war die Diskussion ‚Wir sind die Stadt des Maschinenbaus‘, jetzt aktuell heißt es ‚Wir sind die Automobilregion‘“ (C/GW08). Hinter dieser Beliebigkeit stehen jedoch unterschiedliche Positionen und Interessen. Die offizielle Landespolitik, vertreten etwa durch den BBJ Chemnitz, der seit 1992 vorrangig im Auftrag des Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit Projektberatung im Rahmen der ESF-Fördermittelvergabe betreibt, proklamiert das Leitbild einer „Automobilzuliefer-Region“ (C/NWA01). Diese Einschätzung wird jedoch nicht einmal von der örtlichen Industrie- und Handelskammer geteilt. Von deren Repräsentanten wird die Frage nach der Existenz eines regionalen Leitbildes schlicht verneint. Die Vertreter der lokalen IG Metall präsentieren wiederum eine andere Sichtweise. Sowohl seitens der IHK als auch von der Wirtschaftsförderung seien lange Zeit entweder die IT-Branche einseitig präferiert oder Konstruktionen wie Sonderwirtschaftszone und Niedriglohnstandort vorgeschlagen worden. Zudem hätten einige Kommunen die Leitbilddebatte zur Eigenprofilierung genutzt und so den Regionalgedanken diskreditiert. Die örtliche IG Metall dagegen habe immer auf das Leitbild einer Industrieregion gesetzt. Einen wesentlichen Grund für die verhinderte Leitbildgenese im Sinne einer gemeinsamen Anstrengung aller gesellschaftlichen Kräfte der Region Chemnitz sehen die Gewerkschafter in der zunehmenden Orientierung einzelner Akteure auf die sächsischen Zentren Leipzig und Dresden: „Man hat immer verloren, wenn man in Chemnitz geglaubt hat, man müsste sich nach Leipzig/Dresden orientieren“ (C/GW08). Das Bewusstsein, sich auf die „eigenen Kräfte“ besinnen zu müssen, ist jedoch wenig entwickelt: „Die Leute haben den Kopf nicht mehr oben“ (C/GW10). Ambitionierte industriepolitische Projekte lassen sich in einem solchen Klima schwerlich auf den Weg bringen. 4.3 Wirtschaftsförderung, Kompetenzfeld- und Clusterpolitik im Fallvergleich Insgesamt können wir feststellen, dass sich Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik in allen Untersuchungsregionen in eine ähnliche Richtung bewegen. Immer geht es darum, einem „Wettbewerbsregionalismus“ zum Durchbruch zu verhelfen, der die Position des jeweiligen Wirtschaftsraums in der internationalen Ökonomie verbessern soll. Die konkreten Ausprägungen, Erfolgschancen und auch die Möglichkeiten der Gewerkschaften, arbeitsorientierte Ziele zu implementieren, unterscheiden sich jedoch von Fall zu Fall erheblich. Im nachfolgenden Vergleich wollen wir uns auf drei Aspekte konzentrieren: auf die Leit-
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bildgenese und die Kohärenz der regionalwirtschaftlichen Ansätze, auf den Förderkontext sowie auf den Transfer wissenschaftlichen Wissens. 4.3.1 Verbindlichkeit von Leitbildern und beschäftigungspolitischen Zielen Wie am Fall Chemnitz in negativer Weise hervortritt, ist die Fähigkeit der maßgeblichen Akteure, sich auf Grundlinien und Leitbilder regionaler Strukturpolitik zu einigen, eine elementare Voraussetzung für ambitionierte Projekte. Mit einem Leitbildkonsens ist der regionalwirtschaftliche Erfolg keineswegs sichergestellt. Doch ohne einen solchen Konsens ist jeder Versuch, Ressourcen für regionale Entwicklungsprozesse zu bündeln, von vornherein ein aussichtsloses Unterfangen. Die unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeiten der regionalen Akteure, einen solchen Konsens herzustellen, haben wir bereits im Netzwerkteil analysiert. Wir können uns deshalb an dieser Stelle auf einige zusätzliche Gesichtspunkte konzentrieren. Nimmt man Chemnitz als Folie, so ist Dortmund ein ausgesprochener Kontrastfall. Hier korrespondiert der Clusteransatz mit einem regionalen Entwicklungsleitbild, das von einer ausgeprägten Konsenskultur getragen wird. Dieser „Dortmunder Konsens“ schließt die Krisenabfederungs- und Beschäftigungspolitik als integralen Bestandteil ein. Die Tatsache, dass das Ende der Stahlproduktion in Dortmund „ohne große soziale Spannungen“ (D/Pol01) erfolgte, verdankt sich auch der Verankerung des neuen Entwicklungsleitbildes der Stadt bei wichtigen Multiplikatoren und Meinungsführern. Wenn man so will, beinhaltet das neue Leitbild einen „Veränderungskonsens“. Er hat auch einen Methodenwechsel der regionalen Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung bewirkt. In einem schmerzhaften Prozess mussten die Akteure einschließlich der Gewerkschaften lernen, dass die im Stahlbereich im Zuge der Fusion von Thyssen und Krupp zugesagten „Ersatzarbeitsplätze“ keine dynamischen Beschäftigungsfelder bezeichneten. Die in der Stadt angesiedelte Oberflächentechnik etwa generiert nur marginale Beschäftigungseffekte. Diese Erfahrung war für die Kreation des neuen Leitbilds ausschlaggebend. Bei den strategiefähigen Akteuren wuchs die Einsicht, dass es sinnvoll ist, „auch mal einen Schnitt zu machen!“; man könne nicht „nach der alten Gießkannenmethode alles noch weiter fördern, was einmal in Dortmund war“ (Do/Pol01). Wichtig für die Konsensfähigkeit ist indessen, dass das neue Leitbild ein beschäftigungspolitisches Controlling als integralen Bestandteil einschließt: Es geht nicht darum, „Unternehmen zufrieden zu stellen. Der Fokus ist, Arbeitsplätze zu schaffen“ (ebd.). Diese beschäftigungspolitische Zielsetzung bietet den beteiligten Gewerkschaften Ansatzpunkte, um das von Bürgermeister und Stadtregierung proklamierte „schnelle Dortmund“ immer
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wieder mit der eigenen Vision eines „sozialen Dortmunds“ zu konfrontieren. Die Begriffe markieren unterschiedliche Akzentuierungen; die im Leitbild definierten Grundlinien regionaler Strukturpolitik werden jedoch von allen beteiligten Akteuren geteilt. Hier existiert ein wichtiger Unterschied zum Nürnberger Fall. Auch der Nürnberger Kompetenzfeldansatz resultiert aus einer Konzertierung der gesellschaftlichen Kräfte. Das offizielle regionalpolitische Leitbild ist faktisch Resultat einer Kompromissbildung zwischen unterschiedlichen, teilweise auch gegensätzlichen Interessen. So unterschieden befragte Gewerkschafter zwischen einem „Milieuansatz“, dem IHK, Siemens und Staatsregierung folgen („Milieus schaffen, Ansiedlungsvoraussetzungen attraktiver gestalten und das, was vorhanden ist, in einen Austausch bringen“) und dem eigenen „industriepolitischen Ansatz“, der stärker auf einen inkrementellen Wandel vorhandener Industriepotentiale zielt (N/Feedback). Der Nürnberger Leitbildprozess wurde zunächst stark vom industriepolitischen Ansatz der IG Metall geprägt. Bei der Definition der Kompetenzfelder, die im Konsens erfolgte, war es die IG Metall, die die Felder Energie- und Verkehrswirtschaft mit durchsetzte. Die im Ansatz der IG Metall mitschwingende Vorstellung einer Krisenregion, die das gewerkschaftliche Leitbild bestimmte, wurde jedoch von der regionalen IHK nie geteilt (N/W01). Und obwohl die lokale Politik das „industrielle Herz“ der Stadt wieder entdeckt hat und das produzierende Gewerbe „nicht nur als Gegenstand der Krisenintervention, sondern als Feld in die Zukunft gerichteter Standortstärken“ (N/Pol06) betrachtet, erscheint die IG Metall aus dieser Perspektive letztlich als Sachwalterin auch strukturkonservativer Interessen, weil sie immer wieder versuche, „Kompetenzinitiativen zur Krisenintervention zu instrumentalisieren, was nicht geht: das können die nicht“ (ebd.). Anders als in Dortmund werden die Steuerungsleistungen regionaler Strukturpolitik auch von den lokalen Politikeliten als eher gering veranschlagt: „Steuerung ist ein zu hoher Anspruch. Die Erwartungen sind diametral zu unseren Möglichkeiten der Strukturpolitik… Es gibt diesen regionalen strukturpolitischen Gestaltungsanspruch schon, nur kann er nie die Makroökonomie ersetzen. Wir stehen in der Wirtschaftspolitik ja immer in der Situation, dass, wenn wir viel tun, also Staub aufwirbeln, wir wieder Hoffnungen wecken, von denen wir aber, schon bevor wir den Staub aufwirbeln, wissen, dass wir sie nicht befriedigt kriegen“ (ebd.).
Detaillierte konzeptionelle Alternativen mit passgenauen Lösungen für einzelne Betriebe oder gar ein verbindliches beschäftigungspolitisches Controlling sind in dieser Vorstellung nicht vorgesehen. Dass sie bei der Entstehung der Kompetenzinitiativen und der Mittelvergabe nicht auf verbindliche beschäftigungspoli-
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tische Zielsetzungen gedrängt hat, wird seitens der lokalen IG Metall inzwischen als Fehler bezeichnet. Insgesamt stoßen wir hier auf einen paradox anmutenden Zusammenhang: Die Zustimmung zu einem regionalwirtschaftlichen Kurs, der dramatische Veränderungen impliziert, wächst zumindest auf Seiten der Arbeitnehmerorganisationen in dem Maße, wie beschäftigungspolitische Zielsetzungen explizit in die definierten Projekte einfließen. Zwar kann kein regionales Netzwerk Beschäftigungseffekte garantieren. Doch die Kohärenz eines Ansatzes nimmt zu, wenn beschäftigungspolitische Zielsetzungen verbindlich kontrolliert werden. In diesem Punkt handeln die Dortmunder Akteure geradezu vorbildhaft. Sie gehen damit zugleich ein hohes politisches Risiko ein, weil sie für das Nichterreichen verbindlicher Ziele verantwortlich gemacht werden können. Das „Sozialkapital“ , das die Akteure in der lange Zeit von Montanmitbestimmung und sozialdemokratischem Konsens geprägten Stadt angesammelt haben, ist jedoch offenbar noch immer so groß, dass die Akteure bereit sind, ein derartiges Risiko einzugehen. In Chemnitz ist das „Sozialkapital“ einer ausgeprägten Kooperationskultur allenfalls rudimentär oder gar nicht vorhanden. Und auch in Nürnberg ist sein Volumen beschränkt; es genügt nicht einmal mehr, um eine strategische Partnerschaft der regierenden sozialdemokratischen Partei mit der IG Metall zu begründen. 4.3.2 Politischer Kontext, Förderkulisse und regionale Wirtschaftsförderung Die unterschiedlich ausgeprägte Kohärenz der regionalwirtschaftlichen Ansätze lässt sich aber nicht allein aus endogenen Faktoren erklären. Sie muss auch im Kontext der Förderkulisse gesehen werden, die spezifische Ausrichtungen fördert. Beginnen wir mit dem Chemnitzer Fall. Hier ist aufgrund der defizitären Konzertierung der regionalen Akteure die Strukturierungskraft externer Finanzmittel für die Ausrichtung der regionalen Wirtschaftsförderung besonders groß. Wenig überraschend gingen von der Landespolitik strukturbildende Impulse aus. Ein entscheidender Vorstoß zur Regionalisierung der Strukturpolitik erfolgte in Sachsen 1997 durch das neu gegründete Regionalforum Chemnitz-Erzgebirge. Mit der Gründung der Stiftung Innovation und Arbeit (IAS) institutionalisierte der Freistaat neben dem bislang maßgeblichen Wirtschaftsministerium eine weitere Schaltstelle strukturpolitischer Entscheidungen. Die Stiftung wird vom Wirtschaftsministerium, dem Sozialministerium, der Vereinigung Sächsischer Wirtschaft e.V., dem DGB Landesbezirk und dem zuständigen IG Metall-Bezirk getragen. Ihr sind fünf Regionalforen als „Basisinstrumente zur Durchsetzung der Ziele der IAS“ angegliedert. Deren Zusammensetzung spiegelt die Träger-
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struktur der IAS wider. Nach wie vor verbleibt die Entscheidungsbefugnis über die Vergabe von Fördermitteln aber bei den Regierungspräsidien und dem Wirtschaftsministerium. Die Funktion der Regionalforen liegt in der Konzeptentwicklung, der strategischen Bündelung der Akteure und der Auswahl von strukturpolitischen Projekten. Lokale Gewerkschafter begegnen dieser Organisationsform inzwischen mit eindeutiger Kritik: die Regionalforen seien zu „Quatschbuden verkommen, weil man sich nie einigen konnte“. Zudem habe sich die Forderung, in geförderten Unternehmen Betriebsräte zu akzeptieren, nicht durchsetzen können (C/GW04). Neben der Förderkulisse des Landes spielt in der Region auch der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiierte InnoRegioWettbewerb zur Clusterförderung in Ostdeutschland eine Rolle. Die Umsetzung des Programms erfolgte in drei Schritten: der Mobilisierung von Innovationsinitiativen, der Erarbeitung regionaler Innovationskonzepte in ausgewählten Regionen und der Umsetzung der Konzepte seit Oktober 2000. Das Programm zielte zunächst auf die Mobilisierung endogener Potentiale der Regionen. Sowohl die seit Ende der 1990er Jahre praktizierte freistaatliche Regionalpolitik als auch die seit einigen Jahren aktive InnoRegio-Initiative präferieren eine bestimmte Form der Clusterbildung „von unten“, die durchaus dem konzeptiven Anspruch von Clusterpolitik (ökonomische Kooperation und soziale Einbettung) Rechnung trägt. Faktisch werden aufgrund blockierter Konsensbildungsprozesse aber vor allem Unternehmenskooperationen gefördert, bei denen der Gedanke einer adäquaten „sozialen Einbettung“ wirtschaftlicher Aktivitäten kaum eine Rolle spielt. Wenn in Chemnitz heute Projektnetze von Unternehmen, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen als „innovative Wachstumskerne“ operieren, so sind sie großräumig orientiert und von der Definitions- und Entscheidungsmacht lokaler Politik weitgehend abgekoppelt. Bei den geförderten Projekten handelt es sich um branchenbezogene Unternehmensnetze, die vorrangig auf eine technologische Modernisierung oder einen gemeinsamen Marktauftritt zielen. Beteiligt an diesen Netzwerken sind zumeist Firmenvertreter, die Universität und Leiter der Industrieverbände – Akteure, die inzwischen – für Ostdeutschland mehr als ungewöhnlich – eine regelrechte „Kooperationsmentalität“ und sogar einen gewissen „Sportsgeist“ bei der Zusammenarbeit zeigten. Motiviert durch die Förderkulisse habe sich in den 1990er Jahren „ein Geist der Zusammenarbeit“ entfaltet, der das Zusammengehen in Netzwerken zu einer Selbstverständlichkeit habe werden lassen (C/NWA01). Aus Sicht der städtischen Wirtschaftsförderung führt diese „Kooperationsmentalität“ aber zu einer mehr oder weniger beliebigen Zusammensetzung von Unternehmensnetzen, denen eine regionalökonomische Fokussierung fehlt:
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„Das ist ja so: Du kannst das ja auch nicht richtig steuern. Hier bilden sich diese Kooperationsverbünde, ausgehend von Chemnitz, Maschinenbau oder Automobilzuliefererinitiative, dann wird eine Geschäftsführung oder ein Vereinsvorstand eingesetzt und dann melden sich die Vergessenen, dass sie auch mitmachen wollen. Wie willst du das steuern? Man ist froh, dass jeder, der da halbwegs reinpasst, dazukommt. Das hat dann aber keinen regionalökonomischen Bezug“ (C/Pol02).
Schärfer fällt die Kritik der örtlichen IG Metall aus. Nicht nur die Zusammensetzung und der Finanzierungsmodus der Regionalforen seien unzulänglich. Die Netzwerke zielten in erster Linie darauf, Fördergelder abzugreifen; industriepolitisch erwiesen sie sich als unproduktiv. Die Gewerkschaftskritik richtet sich auf den Gesamtzuschnitt der regionalisierten Strukturförderung in Sachsen. Versuche der IG Metall, auf der Ebene des Regionalforums einen Beirat mit paritätischer Besetzung (Arbeitgeberverband/IG Metall) zur Förderung des Maschinenbausektors zu etablieren, scheiterten an den Strukturvorgaben der Regionalforen. Insofern erzeugt die Förderkulisse einen selektiven Effekt. Sie fördert Netzwerkstrukturen, die „im Trend“ sind, die sich primär für Mittelakquisition interessieren, die aber auch aufgrund ihrer Zufälligkeit ohne nennenswerte regionalpolitische Wirkung bleiben. Die Nicht-Beteiligung der Gewerkschaften trägt dazu bei, ihre Wirkung zusätzlich zu limitieren. Anders in Nürnberg. Dort ist die Förderung an die definierten Kompetenzfelder gebunden. Mittel aus der EU-Ziel-2-Förderung kommen in der Nürnberger Südstadt und hier vor allem im Kompetenzfeld Energie zum Einsatz. Insgesamt spielt diese Förderkulisse aber eine geringere Rolle als in der sächsischen Vergleichsregion. Für die Akquisition von Fördermitteln waren während der 1990er Jahre die Programme der Staatsregierung bedeutsamer. Mit ihren strukturpolitischen Programmen hat die bayerische Landesregierung finanzielle Anreize für eine Formierung kleinräumlicher Interessen geschaffen. Bayern betrachtet sich als Wirtschaftsraum, der auf vier Kompetenzfeldern (Telekommunikation, Umwelttechnik, neue Werkstoffe, Gentechnik) im internationalen Wettbewerb antritt. Durch diese „Brillengläser schaut man aus München auf das Land und sucht aus, was sich entsprechend eingefärbt hat“ (N/Pol01). Referenzregion für das industriepolitische Leitbild des Landes ist Kalifornien. Unterhalb der „Champions League“ weltmarktorientierter Cluster gibt es ein Programm für Regionalentwicklung, das auf die Nutzung endogener Potentiale zielt. Auch auf dieser Ebene werden inzwischen Technologieleitbilder verlangt. Anders als die traditionelle Wirtschaftsförderung zielt der Ansatz auf einen Mix aus nachfragender Industriepolitik und Angeboten der (Mikro-)Regionen. Finanziert werden die Programme vor allem aus den Privatisierungserlösen des Landes. Doch auch im Nürnberger Fall macht sich ein selektiver Effekt der Förderkulisse bemerkbar. Finanziert wird primär, was zur weltmarktorientierten Schwerpunktsetzung des
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Landes passt. Jene Kompetenzfelder, an denen sich die lokale IG Metall orientiert, können allenfalls auf Ressourcen aus den „Regionalliga-Töpfen“ rechnen. Die Verlierer der Modernisierung geraten in dieser Förderkulisse – darin ähnelt der bayerische dem sächsischen Ansatz – weitestgehend aus dem Blick. In Dortmund machen sich ebenfalls die Wirkungen einer spezifischen Förderkulisse bemerkbar. Anders als in Chemnitz und Nürnberg gelingt hier jedoch ein nahezu optimales Zusammenspiel von ESF-Konsensrunden und industriepolitischen Schwerpunktsetzungen. Die Regionalsekretariate sind in die lokalen Wirtschafts- und Beschäftigungsförderungen der Städte integriert. In Dortmund ist damit eine unmittelbare Schnittstelle zum dortmund-project hergestellt. Auch von Gewerkschaftsseite wird die Vergabe der Fördermittel durch die Konsensrunden und die Arbeitsteilung zwischen den regionalen Akteuren gelobt: „Die ESF-Konsensrunde – das läuft in Dortmund deutlich besser also woanders. Es gibt hier in der ESF-Konsensrunde eingespielte Positionen, da weiß jeder von jedem, welche Position der hat“ (Do/GW06). Die Dortmunder „ESF-Konsensrunde“ arbeitet schon seit 1990 als lokale Arbeitsmarktkonferenz, die von der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund geschäftsführend betreut wird. Mit dem „Kommunalen Arbeitsmarktfonds“ wurde darüber hinaus ein Instrument geschaffen, das zur finanziellen Absicherung des „Dortmund Konsenses“ eingesetzt werden kann. Der „Kommunale Arbeitsmarktfonds“ ist ein aus städtischen Mitteln gespeistes Förderprogramm, das Projekte zur Integration von arbeitslosen Menschen in den Arbeitsmarkt mit jährlich ca. 1,3 Mio. Euro unterstützt. In Kooperation mit den Dortmunder Arbeitsmarktakteuren und in Kombination mit Fördermitteln der EU, des Bundes, des Landes sowie des Arbeitsamtes Dortmund förderte das Programm beispielsweise im Jahr 2002 mehr als 720 Arbeits- und Qualifizierungsplätze. Mit den kommunalen Mitteln wurden so mehr als 6,5 Mio. Euro Dritter zusätzlich für Arbeitsmarktprojekte gewonnen. Dieser Ansatz, der auf soziale Kohäsionspolitik in der Stadt zielt, macht eine Besonderheit des „Dortmunder Weges“ aus. Insgesamt können wir feststellen, dass die Förderkulissen und -programme der Bundesländer erheblichen Einfluss auf die Schwerpunktsetzungen der regionalen Wirtschaftsförderungen haben. Dabei gilt grundsätzlich: Je besser das Zusammenspiel der regionalen Akteure funktioniert, desto eher gelingt es, die von übergeordneten Politikebenen definierten Förderschwerpunkte zur Finanzierung regionaler Entwicklungsprojekte zu nutzen bzw. zu kanalisieren, bei denen die regionalen Akteure selbst den Pfad der Entwicklung bestimmen. Mit der Partizipation an weltmarktorientierten Förderkulissen sind allerdings Vorentscheidungen verbunden, die weitreichende Folgen haben können. Die ITInitiative gehörte zumindest während der 1990er Jahren in allen Regionen zu den förderungswürdigen Projekten; für die Sanierung und Modernisierung altindus-
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trieller Strukturen trifft das nicht oder zumindest nicht in gleichem Maße zu. Aus den Förderlogiken resultiert offenbar ein konzeptionell vereinheitlichender Effekt, der sich in den Wirtschaftsförderprogrammen aller Untersuchungsregionen bemerkbar macht. 4.3.3 Wissenstransfer und Clusterentwicklung Erfolge regionaler Clusterorientierungen hängen wesentlich von der Fähigkeit zur Schaffung „innovativer Milieus“ ab; der Transfer wissenschaftlichen Wissens spielt dabei eine herausgehobene Rolle. Auch hier gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Regionen. Nimmt man für Chemnitz das – wie gezeigt keineswegs für alle Akteure verbindliche – Leitbild einer modernen Automobilzuliefererregion als Folie, fällt sofort ein struktureller Mangel auf. Lehrstühle in diesem Bereich existieren nicht in Chemnitz, sondern nur in Leipzig und Dresden. Die Entfaltung einer mit eigener Forschungs- und Entwicklungskapazität ausgestatteten Systemzulieferindustrie ist – trotz einiger Ansiedlungserfolge – so nur schwer möglich. Nach Ansicht des Wirtschaftsförderers gelingt allenfalls „eine Optimierung im Fertigungsprozess“, bei dem auf lokale Intelligenz zurückgegriffen werden kann (C/Pol02). Da es jedoch insgesamt an einer klaren regionalwirtschaftlichen Orientierung fehlt, bleibt unklar, wie, wohin und mit welchem Ziel ein Transfer wissenschaftlichen Wissens überhaupt erfolgen soll. Anders ist das in Nürnberg und Dortmund, wo klare regionalpolitische Schwerpunktsetzungen existieren. Im Zusammenspiel von Wissenschaftseinrichtungen, Wirtschaftsförderung und regionaler Clusterpolitik stellen die beiden Regionen jedoch Kontrastfälle dar. In Nürnberg stoßen die Kompetenzinitiativen mit ihren Aktivitäten gerade beim Wissenstransfer an Schranken. In den meisten Kompetenzfeldern ist es bislang nicht gelungen, die zentralen Branchen mit Hilfe des vor Ort erzeugten wissenschaftlichen Wissens in moderne Leitsektoren zu verwandeln, die als Träger einer neuen Wirtschaftsdynamik fungieren könnten: Es krankte (mit Ausnahmen der Medizintechnik in Erlangen) an „parallelen F&E-Aktivitäten zu den Kompetenzinitiativen“ (N/Pol05). Zugleich konstatieren die Akteure den zunehmenden Verlust von „Alleinstellungsmerkmalen“ der Region. Denn solche Alleinstellungsmerkmale setzen genau das voraus, was der Region fehlt – innovative Formen des Technologietransfers und Synergien zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Diese Schwäche betrifft z. B. das Kompetenzfeld Energiewirtschaft. Um sich auf dem „interessanten Markt“ für Umwelttechnik behaupten zu können, sind technische Innovationen gefordert, für die es jedoch in der Region an der nötigen wissenschaftlichen Infrastruktur mangelt:
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„Da hat die Region alle Kompetenzen. Das ist europaweit, wenn nicht weltweit, hier Zentrum für Energietechnik. Und dann kommen die Defizite. Wir haben keine wissenschaftlichen Ressourcen in diesem Bereich. Wir haben in den Industriebereichen, die wir hier haben, gar keine Lehrstühle. Also mit Abstand die größte Anzahl an Industriebeschäftigten, aber die dürftigste Ausstattung an wissenschaftlicher Infrastruktur. Das ist so eines der Versäumnisse, wo halt nichts da ist. Dagegen haben wir zwölf Lehrstühle im Bereich Festkörperphysik und Halbleitertechnik. Das ist interessant, da haben wir aber keine Fabriken“ (N/GW03).
Eines der größten Versäumnisse der regionalen Wirtschaftsförderung besteht darin, keine integrierte Struktur- und Technologiepolitik auf den Weg gebracht zu haben. Eine Abstimmung von Hochschulausbau, Technologietransfer und Kompetenzprojekten hat offenbar nicht stattgefunden. Die IG Metall ist mit einem Forderungskatalog zur Energieregion an die Öffentlichkeit getreten, mit dem vor allem ein Forschungs- und Erprobungszentrum für neue Energien gefördert werden sollte. Der Antrag auf Fördermittelbewilligung ist jedoch an der bayerischen Staatsregierung gescheitert. Grundlegend anders stellen sich die Bedingungen innovativer Clusterpolitik in Dortmund dar. In Dortmund existiert zwischen den im dortmund-project definierten neuen Leitbranchen und der Forschungslandschaft eine Kompatibilität – und das nicht nur im Bereich „Logistik“, wo bereits 1981 das Fraunhofer-Institut für Transporttechnik und Warendistribution in Dortmund seine Arbeit aufnahm. Diese Kompatibilität der Forschung resultiert aus der Universitätsgründung, die im Unterschied zu Erlangen-Nürnberg erst Ende der 1960er Jahre erfolgte, und aus der Gründung des Technologieparks Mitte der 1980er Jahre. Beide Gründungen waren von dem Bemühen getragen, „dass die Kompetenzen, die an der Universität vorhanden sind, verlängert werden in Unternehmensgründungen“ (Do/Pol01). Diese Tradition soll im dortmund-project fortgeführt werden: „Wir haben mit dem dortmund-project diese alten Erfahrungen auf eine neue Qualitätsstufe gehoben. Damals, also beim TechnologieZentrum, war die Grundidee noch, es reicht aus, Fläche zur Verfügung zu stellen und Hilfestellungen zu geben. Tür zu Tür Kontakte. Heute wissen wir, dass das nicht ausreicht. Wir haben zwar im TechnologieZentrum, im Unterschied zu anderen Technologiezentren, hohe Ansprüche an die Branchen, die dort zugelassen wurden, um Synergieeffekte zu erzeugen. Wir haben also nicht jeden da zugelassen, sondern haben versucht, das zu strukturieren und haben auch ganz rigoros die Aufenthaltsdauer im TechnologieZentrum zu begrenzen versucht, so dass auch immer neuer Nachschub sichergestellt werden kann. Was wir im dortmund-project jetzt zusätzlich machen, ist eine Qualifizierungspolitik; wir wollen nicht nur die Kompetenzen aus der Universität nutzen, sondern auch die Mitarbeiter haben, die sich passgenau in diesen Branchen einpassen“ (ebd.).
Das TechnologieZentrumDortmund begann 1983 seine Arbeit. Im Technologiepark sind derzeit 180 bis 190 Unternehmen tätig, die alle durch das TechnologieZentrum gelaufen sind; insgesamt arbeiteten auf dem Gelände 2004 ca. 8.500
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Beschäftigte. Die Steigerungsrate der Beschäftigtenzahlen lag zunächst zwischen 1.000 und 1.200 Arbeitsplätzen jährlich. Im Jahre 2001 kamen vier von insgesamt zwölf Neugründungen aus der Universität Dortmund, der Rest aus der Industrie. Mehr als 40 % der Firmen kommen nicht aus Dortmund, sondern aus dem gesamten Bundesgebiet. Es handelt sich ausschließlich um forschungsnahe Unternehmen, die das TechnologieZentrum für Forschung und Entwicklung wählen und die auch nach der Übersiedlung in den Technologiepark forschungsund entwicklungsintensiv bleiben. Als das TechnologieZentrum 1983 entstand, war die Abhängigkeit der städtischen Ökonomie vom Montanbereich noch stark ausgeprägt. Die Dortmunder Universität, bis auf die Fächer Betriebswirtschaft und Pädagogik eine rein technische Hochschule, war weitgehend unbekannt und konnte kein eigenständiges Profil aufweisen. Zudem drang zunehmend die Notwendigkeit ins öffentliche Bewusstsein, dass den Studierenden Arbeitsplätze außerhalb der Montanindustrie zur Verfügung gestellt werden mussten. Neben der Stadt und der IHK, der Universität und dem Fraunhofer-Institut, der Fachhochschule und der Handwerkskammer war auch der DGB an den vorbereitenden Gesprächen zur Gründung des TechnologieZentrums beteiligt. Von Beginn an war das TechnologieZentrum auf bestimmte Technologieinhalte ausgerichtet. Als eigenständiges Unternehmen übernimmt es die Geschäftsstelle, Trends zu verfolgen und neue Schwerpunkte zu setzen. Von externen Instituten werden nach Bedarf bundesweite Machbarkeitsstudien erstellt, um die Alleinstellungsmerkmale zu ermitteln und den Infrastrukturaufbau entsprechend anzupassen (Labors, Prüfstellen, etc.). Die im Vergleich zu anderen Technologiezentren teuren Mieten sind Folge der hohen Investitionsaufkommen für die Infrastruktur. Die Dienstleistungsintensität des TechnologieZentrums prägt aus dessen Selbstverständnis: „Wir sind Herbergsväter, nur dass wir abends nicht mit der Klampfe aufspielen, ansonsten brauchen die eine Rundumbetreuung“ (Do/Pol07). Von ihrem ursprünglichen Fokus in den 1980er Jahren auf maschinenbaunahe Bereiche – Folge der starken Maschinenbaufakultät – verlagerte sich der Schwerpunkt in den 1990er Jahren zunehmend auf die Bereiche Software/Neue Medien, Mikrosystemtechnik und seit 1998 auf Biomedizin. Parallel wurde an der Universität Dortmund systematisch der Studiengang Informatik ausgebaut. Der Fachbereich Informatik ist von den insgesamt 16 Fachbereichen der Universität Dortmund mit ca. 22 Professoren und über 100 Mitarbeiter einer der größten, nicht nur der Dortmunder Universität. Zurzeit gibt es etwa 3.500 Studierende der Kern- und Angewandten Informatik. Pro Jahr beginnen etwa 600 Studierende. Diese Profilierung der Universität bestimmte auch den sich verändernden Fokus des TechnologieZentrums.
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Im Bereich Mikrosystemtechnologie fungiert das TechnologieZentrumDortmund heute als der größte Standort europaweit. Bei Elektronik kommt ein Unternehmen, das bundesweit einen Standort suche, heute nicht mehr umhin, wegen der Ausstattung Dortmund in Erwägung zu ziehen. Im Bereich Biomedizin (derzeit 4 Unternehmen) entwickelt sich der Keim eines Wachstumsfeldes. Die Innovationskonstellation in Dortmund ist durch den systematischen Bezug von städtischer Ökonomie und regionaler Forschungslandschaft charakterisiert. Wissenschafts-, Hochschul- und Strukturpolitik bilden integrale Bestandteile einer Strategie, die auf die Modernisierung des Wirtschaftsstandortes zielt. Während die Inkompatibilität von Industrie und Forschungslandschaft einem wissensgestützten Umbau der städtischen Ökonomie in Nürnberg in den definierten Kompetenzfeldern und -initiativen Grenzen setzt, hat die systematische Verschränkung von Wirtschaftsförderung und Wissenschaftspolitik in Dortmund günstigere Bedingungen für die Entfaltung regionaler Cluster entfalten können. In Chemnitz lässt sich die Innovationskonstellation schwer beurteilen. Zwar gibt es eine interessante wissenschaftliche Infrastruktur; ihr Zusammenspiel mit der regionalen Strukturpolitik folgt jedoch zumindest nach unserem Kenntnisstand keinem systematischen Konzept. 4.3.4 Veränderungen im Regulationsdispositiv Betrachten wir abschließend die institutionellen Strukturen und die inhaltliche Ausrichtung der regionalen Wirtschaftsförderung. In Chemnitz fallen deren Aktivitäten deutlich hinter das in Nürnberg und Dortmund erreichte Niveau zurück. Als wesentliche Ursache hierfür können wir auf den blockierten Leitbildprozess verweisen. Die unternehmerischen Netzwerkbildungen sind primär außeninduziert, d. h. sie entstehen als Ergebnis von in Aussicht gestellten bzw. bewilligten Fördergeldern. Auf diesem Hintergrund versteht sich die Wirtschaftsförderung CWE als „innovativer Dienstleister in Sachen Wirtschaft“. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich auf die Felder Unternehmensberatung und Finanzierung (Unternehmenskonzepte, Fördermittelberatung, Existenzgründungen), Gewerbeflächenmanagement sowie Unternehmenskooperation/Infrastrukturprojekte (Vermittlung und Durchführung von Unternehmertreffen). Der – inzwischen abgelöste – Wirtschaftsförderer bezeichnet diese Aufgabenfelder als „Standardprodukte, die jede Wirtschaftsförderung drauf hat“ (C/Pol02). Die eigentlich zentrale Aufgabe bestehe aber darin, die Unternehmen „an die Fördertöpfe heranzuführen“, d. h. die regionale Wirtschaftsförderung entfaltet ihre Instrumente in starker Abhängigkeit von der Förderkulisse.
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Eine nachhaltige Clusterpolitik konnte sich im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung nicht durchsetzen. Dies wohl auch deshalb, weil die im Kontext der außeninduzierten Vernetzung von Unternehmen entstandenen Kooperationen einseitig auf Optimierung des Marktauftritts bzw. Verbesserung der technologischen Konkurrenzfähigkeit zielten. Als ein politisches Konzept, mit dem die regionale Beschäftigungskrise zu überwinden sei, haben sich diese Verflechtungszusammenhänge nie verstanden. Nach einhelliger Ansicht verläuft die Gründung solcher Kooperationen zu beliebig, als dass nachhaltige Impulse von ihnen ausgehen könnten. Die Kritik an den „Fördertopfnetzen“ wird auch von der Wirtschaftsförderung geteilt: „Hier hängt alles am Fördermitteltopf“. Es gebe bei angestoßenen Projekten „keinen push“ (C/Pol02). In der Konsequenz blieben Wachstumsimpulse aus. Der beschäftigungspolitische Erfolg, den die Strategie des Erhalts industrieller Kerne um die Jahreswende 2000/2001 zeitigen konnte, droht im konjunkturellen Abschwung wieder verloren zu gehen: „Gut die Hälfte des Beschäftigungsaufbaus ist wieder flöten gegangen“ (C/Pol02). Die städtische Wirtschaftsförderung agiert zwischen der Landes- und Bundesförderung auf der einen und heterogenen, nicht konsens- oder kompromissgestützten regionalen Akteurskonstellation auf der anderen Seite. Zwischen den Optionen „Stabilisierung und Erhalt industrieller Kerne“ und „Technologieförderung für Unternehmen“ kann sie, trotz punktueller Kooperationen mit dem gewerkschaftsnahen Netz, kaum Bindung erzeugen. Das regionale Regulationsdispositiv bleibt einseitig: Wettbewerbs- und Technologieförderung dominiert den Handlungsraum, während die Politik der sozialen Kohäsion eher in das gewerkschaftsnahe Netz „ausgelagert“ ist. Diese offensichtlichen Schwächen haben allerdings dazu geführt, dass die regionalen Akteure über Veränderungen nachdenken. Diskutiert wird die Gründung einer gemeinsamen Wirtschaftsfördergesellschaft Chemnitz-Zwickau. Die Aufgabendefinition der Neugründung entspricht dem bekannten Arsenal der Wirtschaftsförderung: Regionalmarketing, Unternehmensakquisition und Gründungswettbewerbe. Zusätzliche Mittel werden nicht fließen, die lokalen Mittel sollen in die neue Dachgesellschaft eingespeist werden. Eine engere Verzahnung von Wirtschafts- und Technologieförderung, zielgerichtet auf die Positionierung der Region als Automobilzulieferregion, wird angestrebt. Zu diesem Zweck sollen auch externe Beratungsfirmen eingebunden werden. Ob dies die nötigen Push-Effekte bringt, bleibt abzuwarten. In Nürnberg konnten im Unterschied zu Chemnitz mit den regionalen Kompetenzinitiativen Ansätze einer Clusterpolitik institutionalisiert werden. Doch die seit Mitte der 1990er Jahre entstandene Struktur lässt sich auch nach Einschätzung lokaler Experten nicht unverändert fortführen. Über die Ausrichtung der Kompetenzinitiativen wird kontrovers diskutiert und das Wirtschaftsforum hat
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an politischer Bedeutung verloren. Als Resultat langwieriger Kompromissbildungen entstanden, hat es – anders als in Dortmund – keinen verbindlichen regionalpolitischen Konsens zu stabilisieren vermocht. Hinter den Institutionen und Begriffen, die den regionalen Konsens ausdrücken sollen, verbergen sich Zielsetzungen und Strategien, die nicht immer miteinander in Einklang zu bringen sind. Dementsprechend zwiespältig fällt die entwicklungspolitische Bilanz der Region aus. Aus Sicht der städtischen Wirtschaftsförderung ist das Kompetenzfeldmanagement ein großer Erfolg. Der Kompetenzfeldansatz gilt in erster Linie als Marketingstrategie. Konkrete industriepolitische Projekte sind demgegenüber zweitrangig und Beschäftigungseffekte werden nicht gemessen. So kann die Wirtschaftsförderung selbstbewusst darauf verweisen, dass Mittelfranken – nimmt man das Kriterium ‚Innovationspotential und seine Nutzung’ – als dynamische Wachstums- und Aufsteigerregion gilt. Kritiker der Marketingstrategie verweisen indessen auf die anhaltenden Strukturprobleme der Region. Der Niedergang der Metall- und Elektroindustrie hält unvermindert an; angesichts einer vergleichsweise hohen Industriedichte ist die Talsohle des Arbeitsplatzabbaus nicht in Sicht. Der heterogene Dienstleistungssektor entwickelt sich teilweise dynamisch, doch auch hier gibt es Strukturprobleme. In den Banken führt eine massive Rationalisierungswelle zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten. Und selbst in den wissensintensiven Branchen gibt es gerade bei den „Hoffnungsträgern“ aus den InfoCom-Industrien (Lucent, Ericsson) massive Einbrüche, die mit Entlassungen und Betriebsschließungen verbunden sind. Von dieser Entwicklung ist auch der regional- und industriepolitische Ansatz in der Region betroffen. Denn die Bemühungen um einen inkrementellen Wandel, der auf eine Sicherung und Modernisierung gewachsener industrieller Strukturen zielt, stoßen immer häufiger an Grenzen. Dies nicht zuletzt, weil in der Region keine integrierte Struktur- und Technologiepolitik auf den Weg gebracht wurde. Vieles, was trotz aller Schwierigkeiten regionalpolitisch erreicht worden ist, wirkt eher zufällig. So hat der Kompetenzfeldansatz der Region Fördermittel in Höhe von weit mehr als 25 Mio. Euro gesichert; über die Effekte des Mitteleinsatzes herrscht jedoch bei maßgeblichen Akteuren Unklarheit. Das regionale Regulationsdispositiv befindet sich im Umbruch. Zwar gelingt es den regionalpolitischen Akteuren immer noch, die Fördermittelkulisse, EU-Ziel-2-Gebiete in Nürnbergs Südstadt und in Fürth, im Sinne eines inkrementellen Wandels der Region einzusetzen. Doch die Tatsache, dass Beschäftigungssicherung und -förderung in den Kompetenzinitiativen allenfalls als abgeleitetes Ziel gilt, markiert eine Bruchstelle im regionalpolitischen Kompromiss. Auch in Nürnberg steht das Regulationsdispositiv somit zur Diskussion. Die Umorientierung der Wirtschaftsförderung wird systematisch vorbereitet. Eine neue Leitlinie der kommunalen Wirtschaftspolitik („Vier i“) will die Kompetenz-
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initiativen „weiterentwickeln“. Das Konzept zielt darauf, Image zu profilieren, Infrastruktur auszubauen, Investitionen und Innovationen anzuregen. Der Schwerpunkt liegt auf der Förderung und dem „konsequenten Ausbau der investiven Grundlagen und Rahmenbedingungen am Standort“. Unter dem Motto „Von der Bestandspflege zum ‚Relationship-Management‘“ beansprucht die Wirtschaftsförderung, „sich vom Reagieren auf Standortprobleme hin zu einem modernen Dienstleister zu wandeln“, der kundenorientiert agiert und aktive Beziehungspflege mit ansässigen und ansiedlungswilligen Unternehmen in den Mittelpunkt des Handelns stellt. Von einem beschäftigungspolitischen Controlling ist allerdings nicht die Rede; stattdessen liegt der Fokus bei einer Professionalisierung der „Vernetzungstechnik“ und beim Neuzuschnitt der Kompetenzinitiativen. Anders als in Nürnberg, wo branchenbezogene Ansätze in- und unterhalb der Kompetenzfelder nur schwach entwickelt sind, ist eine branchenorientierte Clusterstrategie in Dortmund seit längerem Grundlage einer arbeitsorientierten Strukturpolitik. In den intensiven Diskussionen, die in der Konstitutionsphase regionaler Strukturpolitik geführt wurden, entwickelten sich konsensuale Strukturen, die der Ausrichtung der regionalen Wirtschaftsförderung ihren Stempel aufdrückten. Im Unterschied zum Nürnberger Kompetenzfeld-Ansatz operiert die Wirtschaftsförderung Dortmund mit einer explizit ausformulierten beschäftigungspolitischen Zielstellung, die auf eine Vielzahl von Teilprojekten heruntergebrochen worden ist. Die Umsetzung dieser Teilziele wird periodisch kontrolliert. Dieser Typus des industriepolitischen Engagements besitzt in der Region eine längere Vorgeschichte. Er ist bei der Überwachung von Konzernverpflichtungen zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen wie auch bei der Gründung des TechnologieZentrums und des Technologieparks bereits erfolgreich praktiziert worden. Gestützt wird dieser integrative Politikansatz durch eine enge Verzahnung von Cluster- und Hochschulpolitik. Das regionale Regulationsdispositiv in Dortmund kann als Ausdruck eines in der Region hergestellten Konsenses begriffen werden, der eine gleichgewichtige Struktur von Wirtschaftsförderung und Beschäftigungspolitik ermöglichte. Doch auch in Dortmund steht dieses Dispositiv zur Debatte. Denn mit der Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik „nach Hartz“ gehen die Förderbedingungen für die Entfaltung des lokalen „Dritten Sektors“, der lange Zeit ein integraler Bestandteil des Dortmunder Konsenses war, sukzessive verloren. Hinzu kommt, dass die dynamische Entwicklung in den neuen Leitsektoren nach Ansicht der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung die Entwicklung neuartiger Angebotsstrukturen erfordert. Um die Verflechtung der Branchenschwerpunkte IT, Logistik und Mikrosystemtechnik mit der Dortmunder Wirtschaft zu intensivieren, bietet die WBF-DO zunehmend unternehmensbezogene Dienstleistungen
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wie z. B. die Veranstaltungsreihe „Unternehmerfrühstück“ für den Dortmunder Mittelstand oder den regionalen IT-Verband „mybird“ an. Auf dieser Projektebene entwickeln sich Initiativen zunehmend an den Gewerkschaften vorbei. Noch ist der „Dortmund-Konsens“ einigermaßen stabil. Aber es zeichnen sich erste kleine Risse im „Sozialkitt“ ab, deren Konsequenzen für den „Dortmunder Weg“ noch nicht absehbar sind. Gemeinsam ist den Untersuchungsregionen, dass alle Regulationsdispositive in gewisser Weise zur Disposition gestellt werden. Die Weichenstellungen weisen in allen Regionen in eine ähnliche Richtung. Der Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly hat diese Richtung wie folgt umrissen: „Eine Clusterbildung setzt zunächst voraus, dass genügend Firmen in einem Segment vorhanden sind – eine zunächst banale Erkenntnis. Aber davon hängt es ab, welche Botschaft ich später in der Lage bin, in alle Welt zu senden. Um zu zeigen, wie toll ich bin, brauche ich einen bestimmten Firmenbesatz, und natürlich müssen diese Firmen auch noch einigermaßen funktionsfähig sein, um damit das Signal einer ‚Kernkompetenz‘ verknüpfen zu können. Ich habe einmal bei einem Vortrag die Behauptung aufgestellt, dass möglicherweise in einer Opernpause mit dem Proseccoglas mehr Technologietransfer stattfindet als in irgendeiner Technologietransferagentur. Das war natürlich bildlich gemeint. Aber es muss uns – egal wie – gelingen, die Akteure in diesen Kompetenzclustern zusammenzubringen. Als Akteure in der Kommunalpolitik gefragt sind heute sehr viel mehr Gebietsmanager, Moderatoren oder ‚Veränderungsprozess‘-Manager und sehr viel weniger die klassischen Rechtsrahmensetzer, die wir früher waren. Es wird in Zukunft sehr viel mehr lokale oder regionale ‚Governments‘ geben als den Versuch, gemeinschaftlich Regionen weiterzuentwickeln. ‚Governments‘ meint dabei nicht nur das Regieren im juristischen Sinn, sondern es meint das gemeinsame Entwickeln der Zukunft mit den Akteuren, welche gesellschaftliche Veränderungsprozesse anstoßen. Ich denke, dass darin die Zukunft kommunaler Politik insgesamt liegt. Es wird dabei auch notwendig sein, die Rolle des Parlamentarismus zu überdenken. Wenn sich ‚Local Government‘ so entwickelt, dass man sehr viel mehr draußen regiert und gestaltet als im Rathaus, dann hat dies letztlich auch Folgen für die Stadträte. Es wird mit Sicherheit zu einer gewissen Machtverschiebung führen, über die man auch demokratie-theoretisch zu gegebener Zeit diskutieren kann. Den Oberbürgermeister stört das natürlich nicht, weil der hat in diesem Prozess eine sehr starke Stellung“ (Maly 2003).
Ein Veränderungsmanagement, das mit Hilfe von Private Public Partnerships (PPP) betrieben wird und das eine intensivere Konkurrenz zwischen kleinräumlichen Strukturen bewusst in Kauf nimmt, ist auf eine starke Exekutive angewiesen. Runde Tische oder gar strategische Bündnisse mit den Gewerkschaften gehören nicht unbedingt zu seinem Repertoire. 4.4 Schlussfolgerungen Unsere Fallstudien belegen, dass regionale Wirtschaftsförderung durchaus in der Lage ist, der ökonomischen Entwicklung in kleinen Wirtschaftsräumen wichtige
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Impulse zu verleihen. Das sowohl unter Innovations- als auch unter Beschäftigungsgesichtspunkten markanteste Beispiel ist sicherlich der Dortmunder Technologiepark. Bezeichnend ist, dass diese erfolgreiche Idee zunächst sowohl gegen den erklärten Willen der lokalen „Stahlbarone“ als auch gegen den DGB durchgesetzt werden musste. Beide Akteursgruppen zweifelten aus unterschiedlichen Gründen an der Machbarkeit eines solchen Konzepts in einer Montanregion. Daran zeigt sich, dass ein Zuviel an sozialer Kohäsion durchaus innovationsbremsend wirken kann. Ob der „Veränderungskonsens“, von dem das dortmundproject getragen wird, ähnliche Erfolge zeitigen kann wie die Aktivitäten rund um das TechnologieZentrum, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenso wenig ermessen wie die künftigen Leistungen der Nürnberger Kompetenzinitiativen. Dennoch handelt es sich sowohl beim „Dortmunder Weg“ als auch bei den Nürnberger Ansätzen um vergleichsweise weit gediehene Versuche, regionale Entwicklung durch Bündelung von Ressourcen und zielgerichteten Aktivitäten nachhaltig zu beeinflussen. 4.4.1 Leistungen und Grenzen regionaler Clusterpolitik Dass die Leistungsbilanz der untersuchten Ansätze dennoch durchwachsen ausfällt, muss nicht überraschen. Denn nach anfänglicher Euphorie macht sich in der sozialwissenschaftlichen Clusterdebatte schon seit längerem ein skeptischer Grundton bemerkbar. Für die Begrenztheit von Cluster-Ansätzen werden in der einschlägigen Literatur vor allem vier Ursachen verantwortlich gemacht. Erstens erzeuge die Hinwendung zu den „endogenen Potentialen“ systematisch Steuerungsdefizite, weil die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge regionaler Entwicklung unterbelichtet blieben. Die „Beziehungen zwischen inner- und überregionalen Verflechtungen von Produktionsclustern“ würden häufig vernachlässigt. Künftig müssten Cluster stärker „als Schnittstelle zwischen internen und externen Verflechtungen einer Region verstanden werden“ (Rehfeld 1999: 43). Zweitens wachsen in der wissenschaftlichen Literatur Zweifel an der Effizienz staatlicher Fördermaßnahmen. Einschlägige Untersuchungen gelangen zu dem Ergebnis, dass staatliche Förderpolitik (mit Ausnahme von Aus- und Fortbildungsaktivitäten) für die Performance von Clustern weitgehend irrelevant geblieben sei (zit. n. Meyer-Stamer 2003: 2f.; Enright 2000). Ein drittes Argument moniert die allzu einseitige Ausrichtung regionaler Förderpolitiken an fokalen Unternehmen und die damit verbundene potentielle Fehlallokation von Ressourcen. Auch die gezielte Ansiedlung von Zulieferern entfalte nicht unbedingt dynamische Effekte, sondern verstärke unter Umständen regionale Asymmetrien und Entwicklungsblockaden. Schließlich wird viertens darauf verwiesen,
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dass die Interdependenzen zwischen ökonomischer und gesellschaftlicher Regionalentwicklung in den praktischen Ansätzen des Clustermanagements zunehmend in den Hintergrund gedrängt würden (vgl. dazu die frühe Kritik von Läpple 1991: 195). Konfrontieren wir diese kritischen Befunde mit unseren eigenen Forschungsergebnissen, so ergeben sich allerdings einige andere Akzentsetzungen. Festhalten lässt sich zunächst, dass Versuche, die Entwicklung kleiner Wirtschaftsräume mittels wettbewerbsregionalistischer Konzeptionen zu beeinflussen, inzwischen zum Standardrepertoire einer zeitgemäßen Wirtschaftsförderung gehören. Sie sind so etwas wie eine Minimalvoraussetzung, um in der Konkurrenz um Fördermittel und aussichtsreiche industriepolitische Projekte überhaupt bestehen zu können. Dabei ist die Konzentration auf die endogenen Potentiale zumindest bei den von uns untersuchten Ansätzen nicht mehr das Zentralproblem. Eher lässt sich ein umgekehrter Effekt beobachten. Unter dem Einfluss von Förderprogrammen, die immer schon eine Weltmarktorientierung beinhalteten, verzeichnen wir – unterstützt durch die standardisierten Konzepte privater Consultants – einen uniformierenden Effekt regionalpolitischer Anstrengungen. Das Instrumentarium der Wirtschaftsförderung ist in allen Regionen ähnlich, Unterschiede gibt es bei der Anwendung. Überall arbeitet die Förderung nach dem gleichen Prinzip: Vermarktung von Gewerbeflächen, Förderung von wissensintensiven Branchen, Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, Unternehmensansiedlungen und Schaffung regionaler Infrastruktur. Die einst stilbildenden Nürnberger Anstrengungen (z. B. Flughafen, Bahnhof, Standortmarketing) seien in der Gegenwart „absolut nichts Besonderes“: „Wir sind mit dem Ansatz heute nicht mehr top. Das war damals neu, Netzwerk, Kompetenz, das ist heute kalter Kaffee“ (N/Pol01). Diese uniformierende Tendenz hat dazu geführt, dass die Besonderheiten einer Region und damit ihre endogenen Potentiale eher verschwinden. In dem Maße, wie sich entsprechende Ansätze verallgemeinern, taucht jedoch die Frage nach „Alleinstellungsmerkmalen“ und endogenen Entwicklungschancen wieder auf. In anderer Hinsicht trifft das Argument vernachlässigter weltwirtschaftlicher Zusammenhänge indessen auch für die von uns untersuchten Ansätze zu. Das betrifft die zwiespältige Rolle fokaler Unternehmen in regionalpolitischen Zusammenhängen. Einerseits ist deren Mitwirkung nötig und erwünscht. Ohne diese Unternehmen wären Clusteransätze kaum denkbar. Die Nürnberger Kompetenzinitiativen z. B. sind auf die aktive Mitwirkung des Siemens-Managements angewiesen. Denn dieser regional noch immer strukturprägende Konzern verfügt über Kompetenzen und Ressourcen, ohne die – etwa auf den Feldern von Energiewirtschaft oder Verkehr – regionale Entwicklungspolitik nicht zu machen ist. In dem Maße, wie sich die regionalen Ansätze in eine Abhängigkeit von fokalen
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Unternehmen begeben, drohen jedoch zugleich die bekannten lock-in Effekte. Siemens-Manager können ihre Präsenz in Kompetenzinitiativen eben auch zu Kontrollzwecken und zum Unterbinden unliebsamer Aktivitäten nutzen. In diesem Zusammenhang fällt ins Gewicht, dass es den regionalen Aktivitäten in keinem Fall gelingt, Standortentscheidungen transnationaler Konzerne aus eigener Kraft zu beeinflussen. Selbst Konzerne wie Lucent Technologies, deren Ansiedlung in Nürnberg mit dreistelligen Millionenbeträgen gefördert wurde, treffen ihre oftmals mit Personalabbau verbundenen Entscheidungen im Regelfall unter Ausblendung regionaler Interessen (vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 5). Dementsprechend bleiben Clusterpolitiken von Entscheidungen abhängig, die außerhalb der Region gefällt werden. Diese Entscheidungen machen sich innerhalb der Regionen – sei es positiv, wie im Falle des Erlanger Kompetenzfeldes Medizintechnik, sei es negativ, wie im Falle der Nürnberger Verkehrsinitiative – als Zufälligkeiten bemerkbar. Zum Faktum, dass es sich bei regionalen prinzipiell um „unvollständige“ Ökonomien handelt, tritt das Problem der Konzernabhängigkeit hinzu. Besonders im Nürnberger Fall erweist sich diese Abhängigkeit von Konzernen, die ihren Stammsitz nicht in der Region haben, als regional- und strukturpolitischer Ballast. Diese mit den Unternehmensstrategien internationaler „Champions“ verbundenen Unwägbarkeiten sind ein Grund dafür, dass in den Regionen eine Diskussion über die strategische Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung eingesetzt hat. Ob und in welchem Maße staatliche Förderpolitiken zu wirksamen Impulsen führen, lässt sich in unseren Untersuchungsregionen nur schwer messen. Vergegenwärtigt man sich, dass erfolgreiche Clusterbildungen mitunter Jahrzehnte benötigen (Porter 1993), so ist das nicht weiter verwunderlich. Allerdings gibt es auch hausgemachte Probleme. Weder in Nürnberg noch in Chemnitz sind verbindliche Kriterien für eine erfolgreiche Wirtschaftsförderung definiert worden. Hinzu kommt, dass wir in allen Regionen eine Tendenz zu technokratischen Lösungen feststellen können. Hinter der Thematisierung von wettbewerbsstrategischen Funktionen bleibt die gesellschaftliche Dimension wirksamer Clusterpolitiken häufig auf der Strecke. Dies ist, was wir als Verschiebungen im regionalen Regulationsdispositiv bezeichnen. Sowohl in den wirtschaftlichen und politischen Praktiken als auch in deren diskursiven Legitimationen und Begründungen geht die sozialintegrative Dimension anspruchsvoller Cluster-Ansätze tatsächlich immer mehr verloren. Innovationen werden von einem Teil der Akteure im Grunde als rein technologisches Geschehen definiert. Die soziale Dimension des Innovationsgeschehens wird konzeptiv nicht mehr ins öffentliche Bewusstsein gehoben. Das wirkt sich auch auf die gewerkschaftliche Beteiligung an solchen Ansätzen aus. Wichtigen Akteuren, die einst eine strategische Zusammenarbeit
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mit den Gewerkschaften suchten, scheint der gewerkschaftliche Beitrag inzwischen verzichtbar: „Die IG Metall hat den ganzen Prozess ja von Anfang an begleitet. Sie hatte die politische Steuerung und sie hatte die operative Hilfestellung... Wenn wir früher sagen konnten, wir vernetzen uns beispielsweise mit der IG Metall und haben über die IG Metall Zutritt zu bestimmten Akteuren in den Betrieben, läuft das so jetzt nicht mehr. Das ist zerbrochen. Der Einfluss der IG Metall hat abgenommen und die Betriebsräte wissen ziemlich präzise, was sie wollen, um ihr Überleben in diesen Strukturen zu sichern. Das ist eine neue Qualität“ (N/Pol02).
4.4.2 Von Partizipationsmöglichkeiten und Beteiligungsfallen Damit sind wir beim Problem der gewerkschaftlichen Beteiligung. In der Literatur wird gewerkschaftlicher Beteiligung an Industrie- und Clusterpolitik z. T. bereits eine prominente Rolle zugesprochen. Unsere Fallstudien zeigen, dass wir es in diesem Kontext mit einer Reihe unterschiedlicher strategischer Optionen zu tun haben. Diese reichen von der Nichtbeteiligung an der offiziellen Strukturpolitik (Chemnitz) über eine selektive Partizipation an Kompetenzinitiativen (Nürnberg) bis hin zum Versuch einer systematischen gewerkschaftlichen Politikentwicklung (Dortmund). Die Fälle sind in ihren Ausgangs- und Rahmenbedingungen zu unterschiedlich, als dass sich eine Bewertung „bester Praktiken“ gewerkschaftlicher Beteiligung vornehmen ließe. Dennoch können wir einige verallgemeinernde Aussagen hinsichtlich der Chancen und Probleme gewerkschaftlicher Partizipation formulieren. Die Option „Nicht-Beteiligung“ ist eine Konsequenz, welche die Chemnitzer IG Metall aufgrund der realen oder vermeintlichen Ineffizienz von „Fördertopfnetzwerken“ wählt. Die Kräfte werden auf eigenständige Aktivitäten konzentriert. Daran zeigt sich zunächst, dass Nichtbeteiligung auch für Gewerkschaften durchaus eine sinnvolle strategische Wahl sein kann. Diese Wahl bedingt freilich auch, dass die lokale IG Metall selbst große Schwierigkeiten hat, Fördermittel für ihre eigenen Aktivitäten zu akquirieren. Zudem macht sich hinter der Nichtbeteiligung auch eine konzeptionelle Schwäche bemerkbar. Offenkundig ist auch die lokale Gewerkschaft nicht in der Lage, ausstrahlungsfähige Alternativen zum kritisierten Kurs der Wirtschaftsförderung anzubieten. Der Ansatz, der auf den Erhalt industrieller Kerne zielt, ist notwendig begrenzt. Ein Konzept, das darüber hinausweist, ist in Chemnitz auch auf der Gewerkschaftsseite nicht erkennbar. Doch auch dort, wo sich lokale Gewerkschaften in Aktivitäten der offiziellen Wirtschaftsförderung einklinken, bleibt ihr Einfluss begrenzt. Das gilt selbst für den Dortmunder und den Nürnberger Fall, wo der gewerkschaftliche Einfluss
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in der Projektierungsphase der lokalen Kompetenzfeld- bzw. Clusterpolitik groß war. Eine Ursache für rückläufigen Einfluss ist sicherlich die Begrenztheit gewerkschaftlicher Ressourcen. Regionalpolitik ist in der Regel die Sache weniger Experten und Scharnierpersonen, deren limitierte Kräfte es nicht zulassen, kontinuierlich und zielgenau zu intervenieren. Dieses Problem ließe sich verringern, wenn es zu einem besseren „Mannschaftsspiel“ von DGB und Mitgliedsgewerkschaften käme. Konkurrenzen zwischen Einzelgewerkschaften und organisatorische Bornierungen sind jedoch nicht das einzige Problem. Hinzu kommt, dass eine Verzahnung von betrieblichen und regionalen Aktivitäten kaum gelingt. In Dortmund ist dies ein strukturelles Problem, weil die Initiative beim DGB liegt, der nicht über eigene Betriebszugänge verfügt. Doch auch dort, wo die lokale IG Metall die Federführung hat, bleibt eine solche Verzahnung aus. Gerade dort, wo die Gewerkschaft ihre eigentliche Stärke entfalten könnte – bei der Informationsbeschaffung über ihr Betriebsrätenetz – greift der Ansatz aufgrund der Abstinenz vieler betrieblicher Funktionsträger bislang kaum. „Für uns selbst nicht so relevant“, war ein Standardsatz, auf den wir bei zahlreichen von uns befragten Betriebsräten stießen. Auch die Hoffnung, durch regionale Konsensstrukturen die gewerkschaftliche Verhandlungsposition im regionalen „politischen Tausch“ zu verbessern, hat sich in den Regionen nicht oder nur teilweise erfüllt. Das gilt vor allem für den Nürnberger Fall. So wurde z. B. vor der Frankenstraßen-Auseinandersetzung im Wirtschaftsforum über eine Verhaltenscharta diskutiert, die regionale Verhaltenscodices für Krisensituationen festlegen sollten. Als es dann zur Krise in der Frankenstraße kam, war das Wirtschaftsforum „abgetaucht“. Inzwischen wachsen bei den Gewerkschaften Zweifel, ob das Forum noch eine geeignete Struktur für den „politischen Tausch“ in der Region darstellt. Man schaut z. B. nach Stuttgart und fragt sich, ob ein Regionalparlament ein geeigneteres Forum bieten könnte. Jenseits der konkreten Ausprägung von Beteiligungsstrukturen ergibt sich aber ein anderes Problem. Um in den Kompetenzfeldern oder Clustern überhaupt Einfluss gewinnen zu können, ist ein anderer Politikstil nötig als er in den Gewerkschaften normalerweise üblich ist. Einfluss kann in diesen Arbeitszusammenhängen nur über gute Ideen oder über die Definition und Durchführung von Gestaltungsprojekten genommen werden. Davon, einer solchen Projektarbeit Kontinuität zu verleihen, sind die lokalen Gewerkschaften in allen Untersuchungsregionen weit entfernt. Selbst im Dortmunder Kontext wachsen Zweifel, ob derartiges im Mittelpunkt des Gewerkschaftshandelns stehen kann, weil gewerkschaftliche Stärke „doch in erster Linie klassisch, von der betrieblichen Ebene her kommt. Die Erfolge, die hier erzielt werden, sind dann die Grundlage für ein weiteres Werden in der Strukturpolitik“ (Do/Pol05). Wenn „die gewerk-
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schaftlichen Bestrebungen darauf hinauslaufen, dass die auch in diese Steuerkreise rein wollen..., dann ist das natürlich zu wenig“ (Do/GW04). Tatsächlich absorbieren die Beteiligungsstrukturen der regionalen Strukturpolitik gerade im Dortmunder Fall enorme Energien der wenigen Beteiligten. Daraus erwächst die Gefahr, dass Beteiligung um ihrer selbst Willen betrieben wird. In einem solchen Fall können aus Beteiligungsmöglichkeiten leicht Partizipationsfallen werden. Die lokalen Gewerkschaften legitimieren durch bloße Anwesenheit Entwicklungen, die sie selbst gar nicht zu beeinflussen vermögen. Dieses Problem stellt sich in allen Regionen. Trotz solcher Einwände bleibt ein gewichtiges Argument, das für eine qualifizierte gewerkschaftliche Beteiligung spricht. In der öffentlichen Debatte sehen sich die Gewerkschaften als notorische Blockierer und Reformverhinderer verunglimpft. Kaum ein Funktionär, der bei einem Statement nicht direkt nach dem gewerkschaftlichen Beitrag zur Wertschöpfung gefragt wird. Hier liefert die gewerkschaftliche Beteiligung an regionaler Clusterpolitik praktische Gegenargumente. Den Vorwurf, dass es sich bei den gewerkschaftlichen Scharnierpersonen in der regionalen Strukturpolitik um Modernisierungsverhinderer handelt, dürfte in den von uns untersuchten Regionen niemand erheben. Die Frage nach einem eigenständigen, ausstrahlungsfähigen gewerkschaftlichen Profil in der Strukturpolitik ist damit freilich noch nicht beantwortet.
5. Exkurs: Globalisierungsprofile und die Bindekräfte der Regionen
Regionale Wirtschaftsförderung ist in hohem Maße von strategischen Entscheidungen international operierender Konzerne abhängig. Clusteransätze operieren allerdings mit dem Versprechen, das Investitionsverhalten internationaler „Unternehmenschampions“ durch mikroregionale Aktivitäten beeinflussen zu können. Wie im vorausgegangenen Kapitel bereits angedeutet, erweist sich die bewusste Herstellung regionaler Bindekräfte jedoch als – vorsichtig gesprochen – ungemein schwierig. Mitunter gleichen entsprechende Versuche tatsächlich einer Sisyphusarbeit. Nachfolgend wollen wir dieser Problematik anhand von Globalisierungsprofilen unserer Untersuchungsregionen nachgehen. Im ersten Schritt (5.1) arbeiten wir den Begriff der Archipelökonomie als analytischen Bezugspunkt heraus, es folgen eine Darstellung regionaler Globalisierungsproblematiken (5.2), ein Vergleich lokaler New-Economy-Verbünde (5.3) sowie (5.4) einige resümierende Überlegungen zum „Politikfeld“ Globalisierung. 5.1 Globalisierung und Archipelökonomie In der neueren Diskussion ist unstrittig, dass der anhaltende Globalisierungsprozess nicht nur als treibende Kraft einer weitreichenden Reorganisation lokaler Produktionsstrukturen fungiert, sondern auch gravierende Veränderung der internationalen Arbeitsteilung bewirkt. Einer zunehmenden Polarisierung zwischen den Gewinnern der Globalisierung in den „Global Cities“ mit ihren räumlichen Ballungen von Finanzdienstleistungen, Forschungseinrichtungen und Konzernzentralen stehen zunehmend Bevölkerungsteile gegenüber, die von sozialer und ökonomischer Ausgrenzung betroffen sind (Kronauer 2002). Zu Recht sprechen einige Autoren bereits von der Entstehung einer „Peripherie in den Metropolen“ (Wissen 2000). Der französische Ökonom Pierre Veltz (1996; 2000) hat mit dem Begriff der „Ökonomie des Archipels“ solche Polarisierungstendenzen in den Blick genommen. Mit dem Bild einer Inselgruppe, bestehend aus konkurrenzfähigen Standorten, zwischen denen andere Regionen in den Wogen des Weltmarktes versinken, versucht Veltz die Wechselwirkungen zwischen der grenzüberschrei-
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tenden Integration von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen auf der einen und der Exklusion großer Räume auf der anderen Seite zu beschreiben. Laut Veltz werden in diesem Prozess tradierte Zentrum-Peripherie-Beziehungen durch weltumspannende Netze ersetzt, deren Knotenpunkte stärker untereinander als mit ihrer unmittelbaren Umgebung verknüpft sind. Am Beispiel von drei Branchen (Agroindustrie, pharmazeutische Industrie, Automobilindustrie) konnte Veltz zeigen, dass sich zunehmend branchenspezifische Kriterien sozialräumlicher Polarisierung durchsetzen, welche die überkommene Strukturierung des Raumgefüges relativieren. Im Zuge dieser Entwicklung kommt es zu einer erheblichen Verstärkung sogenannter Mikro-Ungleichheiten. Innerhalb der nationalstaatlich verfassten Gesellschaften haben bereits seit den 1980er Jahren regionale Einkommensunterschiede deutlich zugenommen. Veltz schließt daraus (1996: 55ff.), dass in zunehmendem Maße „fraktale Strukturen“ der Ökonomie entstehen, über die sich vergleichbare Ungleichheiten auf allen Ebenen des Raumgefüges reproduzieren. Auf der einen Seite werden Räume zwischen den „Inseln des Archipels“ zunehmend abgekoppelt und hören auf, Peripherien im Sinne traditioneller Beziehung zwischen komplementären Räumen internationaler Arbeitsteilung zu sein. Auf der anderen Seite gelingt es innerhalb des nationalen Rahmens, Wachstumsdynamiken zwischen den Gliedern einer Kette horizontal zu übertragen, dies mit dem Ergebnis, dass sich solche Dynamiken immer weniger „vertikal“, d. h. von einem Entwicklungspol in das jeweilige Hinterland, vermitteln. Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses an dieser Archipelökonomie standen bislang vor allem die „Global Cities“. Mit dem Konzept der „Global Cities“ hat Saskia Sassen (1996) darauf aufmerksam gemacht, dass Zentralität weiterhin eine Schlüsselkategorie des ökonomischen Systems bleibt. Der Prozess anhaltender Zentralisierung ökonomischer Entscheidungsmacht vor allem im und durch den Finanzsektor findet nun jedoch in veränderten räumlichen Korrelationen statt. Nicht mehr alle Weltregionen werden den neuen „Kommandohöhen“ der Weltökonomie unterworfen. Einige bleiben von der Weltökonomie strukturell abgekoppelt. Einen anderen Schwerpunkt der Forschung bilden wenige räumliche Agglomerationen von Unternehmen der gleichen oder eng verwandter Branchen, denen es im Zuge des Globalisierungsprozesses gelungen ist, sich in neuen Industriebranchen erfolgreich zu positionieren. Prominentestes Beispiel hierfür ist das „Detroit des Informationskapitalismus“, das Silicon Valley (Lüthje 2002), dessen IT-Industrie zum Ausgangspunkt für eine neuartige Architektur internationaler Austauschbeziehungen innerhalb eines Produktionskomplexes wurde. Was aber ist mit den Regionen, die ehemals Zentren der fordistischen Prosperitätskonstellation waren? Wirken hier nur Kräfte einer „passiven Globalisie-
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rung“ (Lane 1998), die für gestalterische Ansätze kaum mehr Handlungsspielräume lassen? Oder gibt es Alternativen zu fortschreitender Marginalisierung? Die von Veltz herausgearbeitete Branchenspezifik bei der Herausbildung einer Archipelökonomie verbietet vorschnelle Schlüsse. Die nachfordistische Ökonomie besteht wohl nicht aus einem weltumspannenden Netzwerk, sondern aus einer Vielzahl einander überlagernder räumlich-sozialer Strukturen. In dieser heterogenen Raumstruktur eröffnen sich auch in altindustriellen Regionen Möglichkeiten zu einer erfolgreichen Integration in die internationale Arbeitsteilung. Denn beobachtbare regionale Entwicklungsdisparitäten lassen sich „nicht allein mit dem Verweis auf die jeweiligen ökonomischen Ausgangslagen erklären“ (Voelzkow 1996). Wesentlich ist, so jedenfalls die einschlägige Regionalforschung, ob und inwieweit es gelingt, den regionalen Branchenbesatz in eine regionale Entwicklungskoalition einzubinden. Nicht nur den Unternehmen, auch den regionalen Akteuren stehen prinzipiell alternative Optionen offen. Die Handlungschancen sind jedoch aufgrund des Modus der Weltmarktintegration recht unterschiedlich verteilt. Differenzen bestehen nicht nur zwischen den „Global Cities“, den industrial districts und autonomen Clustern, die sich auf höchstem technologischen Niveau reproduzieren und den „satellite clusters“, die als Standorte von Lohnveredlungsindustrien entstehen. Auch zwischen Raumstrukturen, die in einer „Liga“ spielen, existieren bezüglich der Globalisierungsherausforderungen, des Integrationsmodus in die Weltwirtschaft und der Fähigkeit der Akteure, regionale Bindungen zu erzeugen, erhebliche Unterschiede. Das zeigt sich auch in unseren Untersuchungsregionen. In Chemnitz lassen sich Strukturprobleme primär auf den Transformationsprozess und die Privatisierungspolitik, weniger auf einen in der Region greifenden Globalisierungsschub zurückführen. Aufgrund der anstehenden EUOsterweiterung ist allerdings eine spezifische Internationalisierungsproblematik durchaus präsent. In Dortmund spielt die Globalisierung in der strukturpolitischen Debatte vor Ort eher eine untergeordnete Rolle, obwohl es hier um die Neupositionierung der städtischen Ökonomie in dem „genuin transnationalen Produktionsmodell“ (Lüthje/Schumm/Sproll 2002: 283) der Informational Economy geht. Ganz anders dagegen in Nürnberg. Dort sieht sich jeder strukturpolitische Akteur unmittelbar mit den Folgen von Konzernentscheidungen internationaler Unternehmen konfrontiert, deren Hauptsitz nicht mehr die Region ist. Das Spannungsverhältnis von Globalisierung und Regionalisierung wird hier besonders eindringlich sichtbar. Eingliederung in die Archipelökonomie bedeutet bildlich gesprochen, dass unsere Untersuchungsregionen bemüht sind, inmitten der tosenden See den Kopf über Wasser zu halten. Den Sprung auf die Gipfel des Archipels werden sie nicht schaffen. Doch zwischen den Spitzen des Eilands und dem Meeresspiegel gibt es erhebliche Höhenunterschiede, Niveaus, auf denen
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ein mehr oder minder gutes Überleben möglich ist. Das Versinken im Meer ist jedenfalls nicht unausweichlich vorprogrammiert. Doch sowohl die Schwimmfähigkeit als auch die bergsteigerischen Qualitäten unterscheiden sich von Region zu Region. Bei der Analyse der Internationalisierungsstrategien von Unternehmen konzentrieren wir uns wesentlich auf den Nürnberger Fall, weil hier das Spannungsverhältnis von globaler Ausrichtung und regionalen Aktivitäten besonders markant hervortritt. 5.2 Regionen in der Archipelökonomie – ein Vergleich Das Verhältnis von Globalisierung und Regionalisierung soll anhand von drei Kriterien betrachtet werden. Wir versuchen, (a) eine regionale Internationalisierungsproblematik zu identifizieren, (b) die regionalen Triebkräfte der Weltmarktintegration genauer zu bestimmen und (c) jene Kräfte genauer zu skizzieren, die räumliche Bindekraft entfalten sollen. Dabei ist klar, dass wir auf der Grundlage unseres begrenzten empirischen Materials nur Anhaltspunkte liefern können; eine detaillierte Analyse regional differierender Internationalisierungsprozesse würde eine eigene Untersuchung erfordern. 5.2.1 Nürnberg: Konzernabhängigkeit und Grenzen der Regionalisierung Zur Identifikation der für Nürnberg charakteristischen Globalisierungsherausforderung genügt ein Blick in den neuesten Wirtschaftsbericht der Stadt. Für 2003 werden hier gleich drei Fälle präsentiert, in denen sich die Abhängigkeit lokaler Großbetriebe von Konzernentscheidungen bemerkbar macht, die weit von der Region entfernt getroffen werden (Wirtschaftsreferat Nürnberg 2003). Der ALSTOM-Konzern verkaufte sein Turbinengeschäft mit ca. 550 Arbeitsplätzen am Standort Nürnberg an die Siemens AG. Im Zuge dieser Übernahme ging der größte Teil der ALSTOM Power Turbinen GmbH in das neu gegründete Siemens-Unternehmen Demag Delaval Industrial Turbomachinery GmbH ein. Die frühere ALSTOM Power Turbinen GmbH gehört zu den führenden Herstellern und Serviceanbietern für Industriedampfturbinen und Kraftwerksanlagen bis 100 MW elektrischer Leistung. Da der neue Eigentümer Siemens über verschiedene weitere Produktionsstandorte mit einer ähnlichen Produktpalette verfügt, gilt der Erhalt des Produktionsstandortes Nürnberg, der in den Bereichen Technologie und Marktakzeptanz über erhebliche Vorteile verfügt und ein gutes Geschäftsergebnis vorweist, als gefährdet.
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Der Bombardier-Konzern kündigte die endgültige Schließung des Schienenfahrzeugbaus in Nürnberg an. Damit wird der ehemalige ADtranz-Standort Nürnberg, der Mitte des Jahres 2000 noch ca. 700 Mitarbeiter beschäftigte, eliminiert. Dem Standort wurden durch die Konzernleitung sukzessive alle Produktions- und Engineering-Kompetenzen entzogen. Erst stellte man die Drehgestellfertigung ein, um die Wagenkastenfertigung erhalten zu können. Dann wurde die Wagenkastenfertigung in Nürnberg beendet, um damit wenigstens die Endmontage zu erhalten. Schließlich hieß es, dass man die Endmontage aufgeben müsse, damit man das Engineering erhalten könne. Nun sind auch diese EngineeringAktivitäten für Straßenbahnen mit aktuell 147 Mitarbeitern ausgelaufen, der Standort ist geschlossen. Auch der schwedische Mobilfunkausrüster Ericsson verkündete seinen Rückzug aus Nürnberg. Die Stockholmer Konzernzentrale beabsichtigte, bis Ende 2003 die einst 110.000 Mitarbeiter weltweit auf 60.000 und die 80 Standorte auf 20 zu reduzieren. Als Folge wurde das Ericsson Eurolab Nürnberg (350 Mitarbeiter) geschlossen. Nimmt man hinzu, dass nun auch der einstmals strukturprägende Grundig-Konzern nach einer Vielzahl von Krisen und Umstrukturierungen seine Aktivitäten in der Region Nürnberg eingestellt hat und – als jüngstes Beispiel – AEG Hausgeräte mit über 1.600 Beschäftigten am Ort Ende 2007 die Produktion einstellt, wird die zentrale Internationalisierungsproblematik der Region sichtbar. In der Metall-, Elektro- und Elektronikindustrie der Region wirkt die jüngste Etappe internationaler Restrukturierung noch immer in hohem Maße als destruierende Kraft. Das ist zum einen in der taylorisierten Produktionsarbeit in der Verbrauchsgüter- und Elektroindustrie Nürnbergs begründet. Dieses Arbeitsund Produktionsprofil ermöglichte, dass die Branche infolge der organisatorischen Möglichkeiten zur Zergliederung des Produktionsprozesses in autonome Teilfertigungen schon während der 1970er Jahre zu einem der aktiven Vorreiter der „neuen internationalen Arbeitsteilung“ (Fröbel u. a. 1977) wurde. Gleichzeitig gingen die einheimischen Standorte aufgrund von Konzentrationsbewegungen weitgehend in internationalen Kontexten auf. Dies wiederum bewirkte, dass der Wirtschaftsstandort Nürnberg heute durch ein hohes Maß an externer Kontrolle charakterisiert ist, die sich beschäftigungs- und strukturpolitisch zunehmend negativ auf die Region auswirkt. Ein örtlicher Wirtschaftsförderer (N/TNB02) spricht von „Schneeverwehungen“, die durch die Globalisierung der Wirtschaft verstärkt in die Region hineingetragen werden und die mit dem Instrumentarium der regionalen Industrie- und Strukturpolitik nicht mehr geräumt werden können. Standortentscheidungen der Konzerne entziehen sich zunehmend dem regionalen Einfluss. Damit entsteht, so unser Gesprächspartner, „eine verkürze Verfallzeit gemachter und dann gebrochener Versprechen“
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(N/NWA02). Die Herausbildung einer „Krisenregion Nürnberg“ ist in erheblichem Maße „konzerninduziert“ (N/Pol03). Der Integrationsmodus in die internationalisierte Ökonomie wird von Konzernen dominiert, die längst auch über das Schicksal zahlreicher Traditionsbetriebe der Region bestimmen. Was das für regional- und industriepolitische Anstrengungen bedeutet, lässt sich anhand von zwei markanten Beispielen illustrieren. Der Fall Lucent Technologies Lucent ist ein im Kommunikationstechnologie-Sektor engagierter weltweiter Konzern, der in seinen Glanzzeiten etwa 100.000 Mitarbeiter beschäftigte. In Deutschland lag die Zahl der Mitarbeiter zu Spitzenzeiten (2000/2001) bei knapp unter 3.000 Beschäftigten. Standorte sind vor allem Bonn (Vertrieb), Augsburg (Glasfaser) und Nürnberg als größter Entwicklungsstandort außerhalb der USA mit zu Spitzenzeiten knapp 2.500 Beschäftigten. In Nürnberg werden Funktechnik für Handys sowie kabelgebundene Übertragungssysteme entwickelt und hergestellt. In der Fabrik arbeiteten bis zu 800 Personen. Davon 400 in der Produktion, unter ihnen sowohl An- und Ungelernte als auch Facharbeiter. Beim Großteil der Beschäftigten handelt es sich um qualifizierte Angestellte, häufig mit akademischer Ausbildung und einem deutlichen Übergewicht von Ingenieuren. In der Zeit ab 1996 hatte der Konzern mehrere Unternehmen gekauft, um sich in Deutschland ein Standbein zu verschaffen. In diesem Zusammenhang wurde, mit massiver Unterstützung durch das Land Bayern, auch der Nürnberger Standort gegründet. Lucent übernahm mit der ehemaligen PKI (PhillipsKommunikationsindustrie) einen Nürnberger Traditionsbetrieb. Diese Übernahme ließ sich der Freistaat Bayern etwas kosten. Selbst die Flughafenerweiterung wurde u. a. mit Blick auf die Lucent-Ansiedlung betrieben. Insgesamt investierte das Land eine dreistellige Millionensumme in die Ansiedlung. Die Hoffnung, auf diese Weise ein stabiles Wachstumsfeld in der Kommunikationsindustrie zu schaffen, hat sich indessen nicht erfüllt. Die Unternehmensstrategie sah eine rasche Ausdehnung der Märkte vor, mit der Krise der Branche geriet auch Lucent in die „Kostenklemme“: „Jeder Dollar, der ausgegeben wird, kostet etwa 1,35 Dollar. Das Unternehmen war für 40 Mrd. Dollar Umsatz ausgelegt, macht gegenwärtig aber nur etwa 25 Mrd. Dollar Umsatz“ (N/BR12). Konzernweite Strategie ist es seit 2001, Kosten durch Personaleinsparungen zu senken: „Sie haben den Fokus darauf gelegt, Fabriken abzustoßen. Dabei ist ihnen egal, ob durch Verkauf oder Schließung. Es geht nur darum, dass bei Lucent kein Mensch mehr produziert. Man kann sagen, alle, Alcatel, Ericsson, haben die gleiche Stra-
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tegie gefahren wie Lucent, aber immer ein halbes Jahr voraus. Wir sind immer hinterhergehinkt“ (N/B07/BR01). Binnen zweier Jahre ist die Beschäftigtenzahl von Lucent weltweit auf 35.000 gesunken. Am Nürnberger Standort ist die Produktion geschlossen worden, auch in den Ingenieursbereichen hat man reduziert. 2003 arbeiteten noch ca. 1.500 Beschäftigte am Standort. Der Betriebsrat bezweifelt, dass die Strategie des Rückzugs aus der Produktion erfolgreich sein kann, weil die Produktion mit Subkontraktoren sich schwierig gestalten dürfte. Die Arbeitsbeziehungen bei Lucent sind davon geprägt, dass das nordamerikanische „Management sich wundert, weshalb es in Deutschland und Europa eine Mitbestimmung gibt“ (N/B07/BR8). In Nürnberg kommt als lokales Problem hinzu, „dass die Gewerkschaften nicht gerne gesehen sind“. Das Management ist bemüht, die Vorgaben aus der Zentrale überzuerfüllen, das schränkt die lokalen Handlungsspielräume zusätzlich ein. Während es in anderen europäischen Ländern üblich ist, dass das Management Kollektivverträge mit den zuständigen Gewerkschaften aushandelt, gilt das für Deutschland nicht: „Das ist eine persönliche Geschichte, das hat nichts mit Konzernstrategie zu tun.“ Bezeichnend ist allerdings, dass die Fabrik potentiellen Käufern als „gewerkschaftsfreie Zone“ angepriesen wurde. Die betrieblichen Akteure hoffen darauf, dass der Markt für telekommunikative Dienstleistungen in Zukunft wieder „explosionsartig anziehen“ wird. Ein Grundproblem der Branche sieht zumindest der Betriebsrat in der strategischen Uniformität der Unternehmen: „Alle wichtigen Anbieter machen das Gleiche, einer guckt vom anderen ab, statt selbst zu überlegen. Alle treffen immer die gleichen Entscheidungen. Einer schließt seine Fabriken, alle schließen ihre Fabriken. Dann werden sie alle keine Fabriken mehr haben, bis einer merkt: Oh, Fehler, rückkaufen. Dann wird das einen Haufen Geld kosten, aber alle werden es machen. Das ist eben dadurch bedingt, dass wir alle an der Börse in New York notiert sind, und die Analysten mit irgendwelchen Tipps unsere CEOs dazu bringen, irgendwelche Aktionen zu starten“ (N/B07/BR1).
Der „Sieben-Punkte-Plan“ zur Restrukturierung des Unternehmens findet sich nahezu identisch auch bei den Konkurrenten: „Wir haben ja eine Arbeitsgruppe der IG Metall, in der Betriebsräte aller wichtigen Unternehmen vertreten sind. Da werden am Anfang immer Statusberichte abgegeben. Es würde reichen, wenn einer einen Bericht macht, weil alle anderen sagen: Bei uns ist es genauso! Sogar die Betriebsvereinbarungen, die wir abschließen zum Thema Vertrauensarbeitszeit, das ist immer alles gleich, das unterscheidet sich nur in kleinen Prozentsätzen“ (N/B07/BR12). Zumindest aus der Sicht der Interessenvertretungen gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Börsenkurse, den Empfehlungen von Rating-Agenturen und der Strategie des Top-Managements: „Ich kann es nicht beweisen. Aber die Wahrscheinlichkeit meiner Vermutung liegt bei 90 Prozent. Wenn alle CEOs immer dasselbe machen, weltweit, bei diesen Firmen, dann lässt sich das nur damit begründen, dass sie von ihren Analysten gesteuert werden.
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Kapitel 5 Weil die wiederum diejenigen sind, die die Aktienkurse beeinflussen. Es ist nicht die realwirtschaftliche Lage, sondern die Interpretation der Analysten, die den Ausschlag gibt. Wenn man dann noch bedenkt, dass die CEOs großteils mit Aktien bezahlt werden, dann erklärt sich, dass die im Wesentlichen darauf aus sind, dass der Aktienkurs steigt.“ Die „Gleichschalterei“ der Konzernstrategien verschärft die Konkurrenz zwischen den Anbietern, weil es im Markt nur darum gehen kann, die Mitwettbewerber zu überholen: „Nur der Schnellste überlebt, wer als erstes die Talsohle durchschritten hat, der hat wieder Chancen. Aber zu den Schnellsten gehören wir nicht“ (N/B07/BR2).
Der Standort Nürnberg mit seinen Geschäftsbereichen wird zentral aus den USA gesteuert; die einzelnen Geschäftsbereiche haben wenig miteinander zu tun, weil sie unmittelbar einem US-Manager unterstehen. Der Abbau in der Fertigung wurde von der Zentrale angeordnet; inzwischen ist die Produktion an USsubcontractors vergeben. Im Zuge des Aushandlungsprozesses legten die Beschäftigten dreimal die Arbeit nieder. Der Geschäftsführer, auch im Vorstand der NIK Nürnberg vertreten, versprach den Verkauf der Fertigung. Das Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt auf die Fertigstellung von Prototypen angewiesen, von denen auch die Entwicklungsabteilungen abhingen. Hiervon profitierten die Sozialplanverhandlungen, die aus Betriebsratssicht vergleichsweise günstig verliefen. Ob sich die Geschäftsleitung tatsächlich um einen Verkauf bemühte, ist unklar. Zwei Tage nach der Endproduktion der Prototypen gab der LucentGeschäftsführer die Schließung bekannt. Die Sozialplanverhandlungsergebnisse gelten auch für die Beschäftigten der Entwicklungsabteilungen. Der Betriebsrat beklagt, dass diese den Kampf der Produktionsabteilung um den Sozialplan nicht zu schätzen wissen. Während die Interessenvertretung beabsichtigte, die GPQ einzuschalten, kontaktierte das Unternehmen eine eigene Beschäftigungsgesellschaft und versprach die Umsetzung in outgesourcte Unternehmensteile. Von den rund 600 Betroffenen wurde nur ein geringer Teil innerhalb des Unternehmens umgesetzt, die anderen landeten mit dem Versprechen, sie in Unternehmen der Region unterzubringen, in der Beschäftigungsgesellschaft. Die Zahl der anschließenden Übernahmen ist unklar. Im Betriebsrat herrscht Skepsis, ob das Unternehmen die nächsten Jahre überstehen wird. Es gibt keine längerfristige Arbeitsplanung mehr. Unter den Beschäftigten herrscht ein „Angstsystem“ (N/B07/BR01), das mit Arbeitsverdichtung und Flexibilisierungsmaßnahmen einhergeht. Die „Reorganisation ist permanent“. Für besonderen Unmut in der Belegschaft sorgte die Tatsache, dass sich das Management die Bezüge 2002 um 33 % erhöhte, während die Gehälter der Belegschaft eingefroren wurden. Aus Sicht der Geschäftsleitung verkörpern die IG Metall-Betriebsräte eine „Achse des Bösen“. Sie bringen „Unruhe in den Betrieb“ und „verseuchen das Klima“. Das Aus für die Fertigung hat die Basis der gewerkschaftlichen Betriebsräte, die nur eine knappe Mehrheit im Betriebsratsgremium haben, zusätzlich geschwächt. Der Organisationsgrad im Unter-
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nehmen liegt nur noch bei ca. 7 %; auch die Entlassungswelle bei qualifizierten Angestellten vermochte daran nichts zu ändern. Das „Kopfzahlendenken“ der US-Zentrale (Vorgaben für Personalabbau) hat die Möglichkeiten des Betriebsrates, Personalreduktionen mit Sabbaticals oder Teilzeit abzufedern, weiter eingeschränkt. Ein besonderes Interesse des Unternehmens an der Region lässt sich nicht feststellen. Das Hauptinteresse, das zur Ansiedlung führte, bezog sich ursprünglich auf das große Angebot an qualifizierten Arbeitskräften. Das Unternehmen engagierte sich in der Ausbildung und beteiligte sich an der Einführung eines Stiftungsstudiengangs ‚Bachelor of Science’. Absolventen wurden zunächst für drei Jahre übernommen; dies gilt seit der Unternehmenskrise allerdings nicht mehr. Inzwischen bestimmt der Personalabbau die Unternehmenspolitik, daher ist auch das Interesse am Arbeitskräftepotential der Region rückläufig. Die Kunden befinden sich außerhalb der Region (Telekom, Arcor). Regionale Zulieferketten spielen seit dem Abbau der Fertigung keine Rolle mehr. Für die gewerkschaftliche Regionalpolitik bieten sich kaum Ansatzpunkte. Der Fall Federal-Mogul Federal-Mogul ist ein globaler Konzern mit Werken in Nordamerika (110), Südamerika (10), Europa (70), Südafrika (15) und Asien (20). Das Nürnberger Werk gehört zur Kolben-Gruppe. Ende 2001 wurde in Nürnberg ein Neubau errichtet, in dem das weltweite Management für Organisation, Vertrieb, Entwicklung, QM und Controlling der Gruppe angesiedelt ist. Innerhalb der europäischen Gruppe gibt es zwei Werke in Großbritannien, ein Werk in Frankreich, ein Werk in Südafrika, das zum europäischen Verbund zählt, eines in Polen, das seit zehn Jahren mit den Nürnbergern zusammenarbeitet, zwei Werke in Oberitalien sowie ein joint venture in der Türkei. Der Jahresumsatz der Gruppe liegt bei 11 Milliarden Dollar; weltweit werden 55.000 Mitarbeiter beschäftigt. In Nürnberg hat Federal-Mogul einen 1924 gegründeten Traditionsbetrieb übernommen. Das Werk gehörte bis 1999 zu Alcan. Ursprünglich bestand es aus dem Kolbenbereich und dem Aluminiumguss (Fertigung auch für Kfz-Industrie, Zylinderköpfe, Gelenkgehäuse). Versuche, im Gusssektor zu expandieren (Anmietung von zusätzlichen Werken, technologische Investitionen, Personalexpansion), führten zu Finanzschwierigkeiten (36 Mio. Euro Verlust in einem Jahr). 1993 geriet das Werk in eine kritische Situation. Es drohte die Schließung. Der Personalbestand sank von 1.700 auf unter 1.000 Beschäftigte. Mittels Konzentration auf das Kolbengeschäft gelang es, das Werk zu sanieren. Ein wesentlicher Faktor war aus Sicht der Geschäftsführung das innovative Klima, das im Werk herrschte:
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„Einfach weil das Zusammenspiel des relativ Kleinen immer ganz gut funktioniert hat; die Leute waren im Prinzip, ob das Entwicklung, ob das Vertrieb war, Tür an Tür und wenn es irgendwelche Probleme gab, ist man halt beim Kollegen reingegangen und hat sich über die Problematik unterhalten. Hat auch dazu beigetragen, dass wir uns über die Jahre einen Namen gemacht haben“ (N/B11/GF01).
In den Jahren nach 1993 expandierte das Werk. Allein in Nürnberg ist der Output von 3 Mio. bis 3,5 Mio. Kolben auf ca. 7,5 Mio. im Jahre 2001 angestiegen. Das Werk liefert in Deutschland heute ca. 50 % des Gesamtbedarfs. Zu den Kunden gehören Daimler-Chrysler (über 50 %), VW, BMW, aber auch Renault und GM. Im Nürnberger Werk beschäftigt Federal-Mogul inzwischen 1.100 Mitarbeiter: „Wir waren im Bereich Nürnberg sicher die, die in den letzten Jahren die meisten Mitarbeiter eingestellt haben. Relativ beständig jetzt über die letzten vier Jahre“ (N/B11/GF02). Die Expansion hatte noch unter Alcan begonnen. Als Investitionen notwendig wurden, startete die Suche nach einem neuen Partner, um zusätzliches Volumen produzieren zu können, „ohne groß investieren zu müssen“. Zunächst setzte die Kooperation mit einem polnischen Werk ein, bis auch dessen Kapazitäten ausgelastet waren. Hoher Investitionsbedarf machte dann aus Eigentümersicht einen Verkauf sinnvoll. Federal-Mogul suchte sich mit dem Kauf ein Standbein im deutschen Markt zu sichern. Auch das polnische Werk wurde übernommen. Inzwischen setzen allerdings die konzerninternen Standortkonkurrenzen ein: „Mittlerweile ist es natürlich so, dass man hier gucken muss, wie man das finanziell abwickeln kann. Das Werk in Polen ist übernommen worden. Wir haben auch das Werk in Izmet. Da wird man überlegen, welche Produkte man sinnvoller Weise in diesen Ländern hat, wo die Lohnkosten einfach einen Bruchteil der deutschen Kosten betragen“ (N/B11/GF01).
Die Geschäftsführung des Nürnberger Werks verkörpert – hier ist ein wichtiger Unterschied zu anderen Konzernbetrieben – Kontinuität. Bei betrieblichen Reorganisationsmaßnahmen arbeitet man mit dem ffw zusammen, dies auch mit dem Ziel, „den Betriebsrat ins Boot zu holen“. Gegenüber der nordamerikanischen Konzernleitung zeigt man sich durchaus kritisch. Man überlegt genau, wie man Konzernprogramme umsetzt: „Wir sind nicht der Meinung, dass alles, was die Amis gesagt haben, richtig ist, und vor allem die Darstellung war heute so und morgen so. Aber wir haben Dinge dann doch übernommen und sie dann umgesetzt. Vorher brauchte es eine Woche, bis ein Kolben von der Produktion an den Versand ging, jetzt zwei Stunden. Entsprechend hat sich der Materialdurchlauf dramatisch beschleunigt. 1999 waren es im Schnitt 23 Arbeitstage; heute sind es noch 10 bis 11 Tage; d. h. früher dauerte es 23 Tage bis der Kunde beliefert wurde, heute 10 bis 11 Tage“ (N/B11/GF01).
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Die Arbeitsbeziehungen im Werk gestalten sich nicht konfliktfrei; der Betriebsrat nutzt seine Handlungsspielräume, aber es gibt doch – etwa bei der Entlohnung und auch bei Reorganisationsprojekten – entwickelte Kooperationsbeziehungen zur Geschäftsleitung. Eine Verbundenheit der Konzernführung mit der Region gibt es nicht. Nürnberg wurde ursprünglich als lead plant des Konzerns ausgewählt. Ansonsten handelt es sich bei Federal-Mogul um einen „zusammengekauften Laden“, mit „unterschiedlichen Schichten, unterschiedlichster Denke in den Regionen“. Die organisatorischen Einheiten werden nach Gewinnvorgaben geführt (Shareholder-Value-Steuerung). Dementsprechend ist die unternehmerische Freiheit begrenzt. Über kleinere Beträge kann jeder Geschäftsführer verfügen, größere Investitionen werden vorgegeben. Je höher der Betrag und je aufwendiger die Szenarien, desto größer ist die Einflussnahme der Zentrale. Dem Nürnberger Werk kommt zugute, dass es z. B. bei Gießzellen eine marktführende Position besitzt. Heute werden alle Gießzellen, die europaweit geordert werden, über Nürnberg beschafft, aufgestellt und in Betrieb genommen. Nürnberg setzt hier Standards. In den anderen europäischen Werken ist z. T. über Jahre nichts investiert worden. Aus dem Ingenieursbereich Nürnberg sind Mitarbeiter in anderen Werken eingesetzt, um bewährte Praktiken zu übertragen und den Wissenstransfer zu organisieren. Umgekehrt kommen auch ausländische Fachkräfte nach Nürnberg, um im Werk zu lernen. Durch die europäische Integration kommt es im Führungskräftebereich zu beträchtlichen Veränderungen. Manager, die in leitender Funktion waren, gingen in die Europaorganisation über. Die Mehrzahl des Führungspersonals ist maximal seit fünf Jahren in der Firma tätig. Mit Blick auf die Internationalisierungsstrategie des Unternehmens ist entscheidend, dass sich das Nürnberger Werk im europäischen Kooperationsverbund seine eigene Konkurrenz aufbaut: „Polen ist jetzt das Non-Plus-Ultra“. Dieses Problem kam während der Expansionsphase noch nicht sonderlich zum Tragen. In Krisensituationen schlägt es jedoch umso heftiger durch. Auch das Nürnberger Werk wird an einer Gewinnmarge von ca. 12 – 15 % (return to investment) gemessen. Wird diese Marge über einen längeren Zeitraum unterboten, sind „Gegenmaßnahmen selbst dann unausweichlich, wenn der Betrieb Gewinn macht“ (N/B11/BR01). Auch bei Federal-Mogul machen sich Arbeitsintensivierung und Leistungsverdichtung bemerkbar. In einem neuen Schichtsystem wird 7 Tage in 21 Schichten gearbeitet. Gleichzeitig gibt es Druck in Richtung einer Reduzierung der Belegschaft. In der Konzernleitung „schaut man nur noch auf Köpfe, es geht nur noch um Umsatz pro Kopf“ (N/B11/BR01). Auf Vorgaben aus der Zentrale haben Betriebsrat und lokales Management kaum Einfluss. Der Konzernbetriebsrat ist schwach, die Gewerkschaft steht außen vor: „Die IG Metall kann nur daneben stehen und zuschauen; die Entscheidungen fallen in den
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USA, vielleicht in Europa, und auf dieser Ebene gibt es keine starken Vertretungen“ (N/TB/06). Dennoch macht sich ein wichtiger Unterschied zum Fall Lucent bemerkbar. Die „Werksleitung verhandelt“, sie identifiziert sich mit dem Betrieb. Dies ist ein wichtiger Grund für den vorsichtigen Optimismus des Betriebsrats: „Außer Polen und der Türkei sind wir die einzigen, die eine Chance haben.“ Beide Fälle veranschaulichen eine Grundproblematik der Region. Die Weltmarktintegration der Nürnberger Stadtregion vollzieht sich nicht nur in der metallverarbeitenden Industrie, sondern auch im Hochtechnologiebereich wesentlich über die Konzernbindungen der Betriebe. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Modernisierungsrückstände werden Traditionsbetriebe zu Filialen transnationaler Konzerne. Dieser Prozess ist sicher keine Einbahnstraße. Wer – wie die lokale Federal-Mogul-Niederlassung – Kompetenzen für sein Geschäftsfeld „vor Ort“ bündelt, hat ein besseres Standing im Konzern. Das zeigt sich auch anhand von Betrieben wie Siemens-NMA (B03), wo der Werksleiter die weltweite Betreuung des Geschäftsfeldes übernommen hat, oder bei Draka Multimedia Networks (B13), wo der Geschäftsführer für die „Region Deutschland“ zuständig ist. Auch die Orientierung des Managements und die Qualität der innerbetrieblichen Arbeitsbeziehungen spielen sicher eine Rolle. Es macht einen Unterschied, ob, wie im Fall Lucent, eine karriereorientierte Managementspitze Vorgaben der Konzernspitze übererfüllt, oder ob – wie im Fall Federal-Mogul – eine Werksleitung ihre Spielräume nutzt und sich für den Standort engagiert. Fakt ist jedoch, dass über die Art und Weise der Integration in die internationale Arbeitsteilung nicht mehr in der Region entschieden wird. Standortentscheidungen, die in den Konzernzentralen gefällt werden, lassen sich in der Region nicht grundlegend verändern. Die Verhandlungsmacht der regionalen Akteure reicht nicht aus, um hier entscheidend Einfluss nehmen zu können. Mehr noch, Shareholder-Value-Steuerung, Kurzfristdenken des Managements und die „nivellierende“ Wirkung konzernweiter Kostensenkungsprogramme sorgen dafür, dass den Unternehmen die Sensorik für regionale Wettbewerbsvorteile verloren geht. Die Akteure der regionalen Strukturpolitik – ffw, GPQ, Netzwerk Arbeit und Qualifizierung, IMU etc. – kommen ins Spiel, wenn Modernisierungsmaßnahmen anstehen oder Krisen zu bewältigen sind; ansonsten spielen sie für die Konzerne keine Rolle. Die Beteiligung der Lucent-Spitze am NIK-Vorstand und selbst die großzügigen Investitionen der öffentlichen Hand sind kaum in der Lage, regionale Bindekraft zu erzeugen. Wenn die Konzernleitung beschließt, die Fertigung einzustellen, dann wird ein solcher Beschluss ohne Rücksicht auf die investierenden Regionen exekutiert. In dieser Hinsicht ist Lucent sicherlich ein Extremfall, vom Grundsatz her verläuft die Entwicklung in anderen Konzernen jedoch ähnlich. Die von Electrolux betriebene Schließung des ehemaligen
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Stammwerks der AEG Hausgeräte bedeutet nur die Zuspitzung einer seit Jahren anhaltenden Entwicklung. 5.2.2 Dortmund: Globalisierung als Neupositionierung in der internationalen Arbeitsteilung Dortmund liefert in gewisser Weise einen Kontrastfall zur Nürnberger Stadtregion. Einerseits ist die Krise strukturprägender Altindustrien weiter vorangeschritten und hat in der einstigen Schlüsselbranche einen gewissen Endpunkt erreicht. Andererseits schafft der dramatische Niedergang des „Dortmunder Dreiklangs“ Voraussetzungen für eine Neupositionierung der Stadtregion in der internationalen Arbeitsteilung. Im gesamten Ruhrgebiet wurden bereits in den 1970er Jahren industrielle Anpassungsprozesse provoziert, die aus einer besonderen Internationalisierungsproblematik resultierten. Die Restrukturierung der Stahlindustrie ist durch einen frühen Prozess der Diversifizierung und Internationalisierung der Produktion gekennzeichnet. Erzielte der Hoesch-Konzern 1970/71 noch 63,2 % seines Gesamtumsatzes im Bereich der Eisen- und Stahlerzeugung, waren es 1987 nur noch 36,4 %. Parallel dazu wurde die Internationalisierung der Produktion vorangetrieben. Im Jahr 2001 erzielte der Thyssen-Krupp-Konzern nur noch 36 % des Konzernumsatzes im Inland. Da die neuen, durch Aufkauf erworbenen Unternehmensbereiche größtenteils im Ausland lagen, erfolgte die lang anhaltende Krisenbewältigung auf Kosten der Region. Der Stahlstandort Dortmund ist im Zuge der Diversifizierung, Internationalisierung und Konzentration der Branche von der Landkarte verschwunden. Die ursprüngliche regionale Bindung des Konzerns sorgte jedoch dafür, dass „katastrophische Einbrüche wie etwa in Wallonien oder Lothringen oder in Teilen Englands verhindert werden konnten“ (Do/Pol05). Diese Aussage gilt, obwohl die „alten Konzerne weder als Finanzier noch als Abnehmer oder als Mentor (für die neuen Branchen, d. A.) eine Rolle spielen“ (Do/NWA10). Allmählich nachlassende regionale Bindungen der einstigen Ruhr-Konzerne und die Tatsache, dass Dortmund inzwischen eine Stadt ohne Großbetriebe ist, eröffnen den regionalen Akteuren aber auch neue Handlungsspielräume: „Auf die Vergangenheit bezogen kann man nicht sagen, dass die Konzerne an der Ruhr eine aktive Rolle im Strukturwandel gespielt haben. In den 1980er Jahren herrschte auch in den Konzernen ein Konservatismus vor. Das machte sich in einer sehr konservativen Haltung deutlich, zum Beispiel in der Flächenfrage. Man saß mit seinem Hintern auf diesen Flächen und wenn es darum ging, etwas anderes daraus zu machen, da war die Bereitschaft, das in einen aktiven Strukturwandel einzuspeisen, nicht besonders groß. Ich denke, dass sich das in den 1990er Jahren, vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, ein Stück weit verändert hat. Vielleicht auch wegen eines Umstrukturierungsprozesses innerhalb der Konzerne. Man kann
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Kapitel 5 sagen, dass die nachlassende regionale Anbindung der Konzerne hier zu einer größeren Flexibilität beigetragen hat. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Auf der einen Seite bedeutet das, dass ein Maß an Sicherheit verloren ging. Das hat die Gewerkschaft oder die IG Metall zu spüren bekommen. Auf der anderen Seite, das muss man auch sehen, hat es Spielräume geschaffen für den Blick nach vorne“ (Do/Pol05).
Spielräume ergeben sich aus der Möglichkeit, neue Leitbranchen frühzeitig so zu entwickeln, dass sie sich in der internationalen Arbeitsteilung günstig zu platzieren vermögen. Daraus resultiert ein bestimmter Modus der Weltmarktintegration. Lokal müssen die Voraussetzungen für die Entwicklung von Industrien geschaffen werden, die sich – wie vor allem die IT-Branche – von Beginn an in einem globalen Kontext entfalten. Folgt man einschlägigen Untersuchungen zur Weltmarktstruktur der IT-Branche, so sind die in diesem Bereich ausgebildeten genuin global-lokalen Industriestrukturen sowohl durch Integration in regionale Agglomerationen als auch durch neue Internationalisierungstendenzen gekennzeichnet. Für das Silicon Valley hat Boy Lüthje (2001: 286) zeigen können, dass sich dort drei Segmente der IT-Branche regional konzentrieren: erstens ein aus den Entwicklungszentren vor allem der großen Chip-Hersteller und zuarbeitendem Geräte- und Anlagebau bestehender halbleitertechnischer Produktionskomplex; zweitens ein in weltweite Fertigungsverbünde eingebetteter Sektor der großbetrieblichen Systemmontage und Komponentenfertigung, der vor allem in den Betrieben des contract manufacturing und der Festplattenindustrie gebildet wird; drittens ein überwiegend lokal ausgerichteter Sektor der kleinbetrieblichen System- und Komponentenfertigung, zu dem insbesondere die Herstellung von Rohleiterplatten und die traditionellen kleineren Betriebe der Leiterplattenmontage gehören. In der Region finden sich also höchst unterschiedliche Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen, die sich entlang der verschiedenen Komplexe oder innerhalb der verschiedenen Produktionsketten entwickeln. Für sich genommen besagt die Tatsache, dass sich in einem regionalen Raum Ansätze eines IT-Clusters herausbilden, also noch wenig über dessen Platzierung in der internationalen Ökonomie. Die Ausrichtung der Dortmunder Wirtschaftsförderung auf die neuen Leitbranchen des dortmund-project bedeutet, dass sich die städtische Ökonomie in Zukunft „von vornherein international aufstellen muss“ (Do/B02/GF02). Diese Prämisse gehört zum unausgesprochenen Grundkonsens in der städtischen Wirtschaftsförderung. Über den endgültigen Status der Dortmunder Informational Economy in der Weltmarkthierarchie – soweit ein solcher im permanenten Fluss eines genuin transnationalen Produktionsmodells überhaupt zu bestimmen ist – können wir noch keine eindeutigen Aussagen treffen. Einige Auffälligkeiten lassen sich aber doch benennen. Die Palette der in der städtischen Ökonomie tätigen Wirtschaftsorganisationen reicht von selbständigen, diversifizierten und
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ausgegründeten Unternehmen, „die es schon seit Jahrzehnten gibt und die angefangen haben für den Bergbau Gasmessgeräte zu bauen“ (Do/NWA03), über Betriebe, an denen internationale Konzerne beteiligt sind, bis hin zur freilich geringen Zahl reiner Tochterunternehmen US-amerikanischer Konzerne. Im Zentrum der Dortmunder Informational Economy stehen Neugründungen aus dem Technologiezentrum. Dabei handelt es sich in der Regel um Kleinunternehmen mit einer Beschäftigtenzahl von 10 bis 60 Mitarbeitern. Einige Unternehmen, die zur Serienfertigung übergegangen sind oder Chipkarten entwickeln, haben das Technologiezentrum verlassen und sind in Gewerbegebiete der Stadt oder des Umlands gezogen. Die Unternehmen, die trotz hoher Mieten (vgl. die Ausführungen in Kapitel 4) im Technologiepark bleiben, benötigen auch weiterhin den Zugang zur Wissenschaft, zur Hochschulinfrastruktur und insbesondere zu deren Absolventen. Es gibt kein Unternehmen, das nicht aus den Absolventen auch Arbeitskräfte gewonnen hat (Do/NWA10). Bei knapp 60 % der Firmen des Technologiezentrums handelt es sich um Neugründungen, 20 % fungieren als Niederlassungen oder Betriebsverlagerungen. 70 % der Betriebe haben ihren Hauptsitz in Dortmund, 7 % im Ausland. Wichtigste Gründe für die Ansiedlung bleiben die Nähe zur Universität, die technologische Infrastruktur und das daraus resultierende Innovationspotential. Diese Konstellation kann sich mittelfristig strukturbildend auf den Modus der Weltmarktintegration auswirken. Die technologisch bedingte Verkürzung der Produktzyklen bedeutet nämlich auch, dass eine einmal erlangte Position in der Hierarchie der Produktionskomplexe und ketten nicht mehr von Dauer ist, sondern beständig von der eigenen Modernisierungsfähigkeit nationaler bzw. regionaler Ökonomien „auf höchstem Niveau“ abhängt (Deubner u. a. 1979). Internationale Wettbewerbsfähigkeit muss über Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen immer wieder neu hergestellt werden. Untersuchungen im Bereich der Mikrosystemtechnik (Jonas et al. 2002) zeigen, dass die Dortmunder Betriebe an spezifischen Punkten einer Wertschöpfungskette operieren, ohne dass sich ein Produktionskomplex oder eine Wertschöpfungskette regional konzentriert. Ein Teil der Unternehmen bietet Komponentensysteme oder Einzelkomponenten am Markt an. Im Fall großer Stückzahlen müssen diese erst noch von anderen Unternehmen auf anschließenden Wertschöpfungsstufen in Endprodukte eingebaut werden. Im Fall kleiner Stückzahlen werden sie von den Dortmunder Unternehmen direkt in Systeme integriert. Hier überwiegt ein Engagement am Anfang von Wertschöpfungsketten. Tendenziell jedoch werden mehrere Stufen der Komponentenentwicklung und -fertigung abgedeckt, zum Teil aber auch Komplettlösungen angeboten. Andere Unternehmen agieren inzwischen als Systemhersteller, die vom Entwurf bis zur Fertigung
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alles anbieten. Aber auch hier siedeln die Endabnehmer nicht in der Region, sondern sie agieren auf dem überregionalen, europäischen oder globalen Markt. Regionale Bindungen von Unternehmen lassen sich in den neuen Leitbranchen vor allem über die Bereitstellung einer günstigen Infrastruktur erzeugen. Das lässt sich am Beispiel eines Dortmunder Halbleiterherstellers zeigen. Die ELMOS Semiconductor AG ist das größte Unternehmen der Dortmunder Mikrosystemtechnik. ELMOS wurde 1984 im Technologiepark in der Rechtsform einer GmbH gegründet. Aufgrund seiner Partizipation am Boom der „New Economy“ gilt ELMOS als eines der erfolgreichsten Unternehmen in der Region. ELMOS beschäftigte im Jahr 2002 am Standort Dortmund ca. 500 überwiegend hochqualifizierte Arbeitskräfte. Das Unternehmen unterhält an weiteren Standorten in Deutschland (Unterschleißheim, Frankfurt/Oder), in Frankreich, England und den USA Entwicklungs- und Vertriebsbüros für optimalen Kundensupport. Die Beschäftigtenzahl weltweit liegt bei 830 Mitarbeitern. In Dortmund wurde nicht nur die Forschungs- und Entwicklungsabteilung, sondern auch eine große Produktionsstätte systematisch aufgebaut. Mit dem Anspruch, „system development partnership with customers in the automotive industry for short ‚Time-tomarket‘ ASICsolutions“ (www.elmos.de) zu betreiben, versteht sich das Unternehmen als Spezialist für die Entwicklung, das Design und die Herstellung von ASICs insbesondere für die Automobilindustrie. ELMOS kooperiert sowohl in der Entwicklung als auch in der Produktion mit diversen akademischen Einrichtungen, aber auch mit Großkonzernen wie IBM. Die Kunden des Unternehmens stammen vorwiegend aus dem Bereich führender Automobilzulieferer, die elektronische Systeme für das Motormanagement sowie für Sicherheits- und Komfortausstattungen produzieren. Der Fall ELMOS belegt, dass das Bemühen um Positionierung der städtischen Ökonomie und ihrer neuen Leitbranchen in der internationalen Arbeitsteilung in hohem Maße von der Verflechtung ansässiger Unternehmen mit den Forschungs- und Hochschuleinrichtungen der Stadt abhängt. Aufgrund der systemischen Integration von Forschungs- und Wissenschaftspolitik in die regionale Strukturpolitik (vgl. dazu Kapitel 4) können die Bedingungen für eine nicht marginalisierte Einbindung der neuen Sektoren in den Weltmarkt als günstig bezeichnet werden. Diese wissensgestützte Internationalisierung der neuen Strukturen und Führungsbranchen befindet sich noch in einem frühen Stadium. Sie wird von der lokalen Politik aktiv gefördert. Das zeigt auch das spezifische Profil, mit dem die städtische Wirtschaftspolitik transnationale Zusammenarbeit – etwa in Gestalt von „PiDo 2010“ (Kooperation zwischen Pittsburgh und Dortmund) – fördert. Mit der langfristig konzipierten Partnerschaft beabsichtigt man, in den Regionen Pittsburgh und Dortmund Kooperationen in Hochschulbereichen zu fördern, die für die Forschung und Entwicklung zukunftsweisend sein können.
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Auf diese Weise sollen die internationale Ausrichtung der Wirtschaftsaktivitäten, die gegenseitige Ansiedlung von Unternehmen sowie Exportaktivitäten unterstützt werden. 5.2.3 Chemnitz: Globalisierung als fragile Lokalisierung Von einer solch positiven Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und regionaler Wirtschaft ist Chemnitz weit entfernt. Auch die Internationalisierungsproblematik der Region muss vor dem Hintergrund der Systemtransformation gesehen werden. In dem kurzen Zeitraum zwischen 1989 und 1991 war Ostdeutschland auf die wirtschaftlichen Standards einer EG-Randregion abgesunken. Dennoch entwickelten sich im Prozess der De-Industrialisierung auch Gewinner der Einigung. Entwicklungsgefälle ostdeutscher Regionen bestehen nicht nur gegenüber Westdeutschland, sie setzen sich auch innerhalb der neuen Länder kaskadenförmig fort. Vor allem von der Ansiedlung transnational operierender Konzerne – in der Region Chemnitz allen voran VW und Siemens – gingen strukturbildende Effekte aus. Investitionen in Ostdeutschland erfolgten nach 1989 in der Mehrzahl durch westdeutsche und ausländische Unternehmen. Die Treuhand hat rund 85 % des von ihr verwalteten produktiven, ehemals volkseigenen Vermögens der DDR in den Besitz westdeutscher Unternehmen überführt. Inzwischen verfügen westdeutsche und ausländische Eigentümer im verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands über 13 % der Betriebe, 37 % der Beschäftigten und 52 % des Geschäftsvolumens. Insbesondere durch die Investitionen von Volkswagen in Sachsen ist eine breit gefächerte Zulieferstruktur in der Region entstanden, die auch unternehmensbezogene und wissensintensive Dienstleistungen mit einschließt. Faktisch fungierte die Ansiedlung von VW als Hauptimpulsgeber für die Entwicklung der regionalen IT-Wirtschaft. Die Internationalisierung der ökonomischen Beziehungen muss in Chemnitz insofern als ein dominierendes Strukturierungsmuster des Wandels betrachtet werden, als sie nicht nur den aktuellen Umbruch der Wirtschaftsregion von einer Maschinenbauregion hin zu einer Automobil(zuliefer)region maßgeblich bestimmt, sondern auch die Basis bildet, auf der sich die Region infolge der internationalen Restrukturierung der Automobilindustrie in der internationalen Arbeitsteilung neu zu positionieren sucht. Die Auflösung des Automobilkombinats nach der Wende bedeutet De-Industrialisierung; sie eröffnete der Region auch neue Entwicklungspotentiale. Die regionale Internationalisierungsproblematik der kommenden Jahre ergibt sich aus der EU-Osterweiterung. Den Unternehmen der Automobil- und Zulieferindustrie entstehen dadurch neue Spielräume für Internationalisierungs-
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optionen. Standortvorteile Ostdeutschlands, die bislang die Ansiedlung begründeten, laufen Gefahr, verloren zu gehen. Zukünftig besteht jedoch auch die Chance, in den Grenzregionen ein endogenes Entwicklungspotential neu zu erschließen. Denn einerseits wachsen den Grenzregionen Knoten- und Vermittlungsfunktionen zu. Andererseits könnte eine gemeinsame Regionalplanung kleiner Wirtschaftsräume konzipiert werden, durch die arbeitsteilig operierende Unternehmen mit optimalen Betriebsstättengrößen auf beiden Seiten der Grenzen entstehen könnten („Twin-Unternehmen“). Unter den aktuell gegebenen Umständen könnte die EU-Osterweiterung allerdings auch Züge einer „improvisierten Vereinigung“ (Lehmbruch 1990) annehmen, wie sie sich schon nach 1989 als industriepolitisch desaströs erwiesen hatte. Die Bewältigung dieser Internationalisierungsherausforderung wird in hohem Maße davon abhängen, wie sich die Konzerne in der Region positionieren. Der Modus der regionalen Weltmarktintegration wird davon bestimmt, dass die Wirtschaft Ostdeutschlands nach 1990 den Charakter einer Filialökonomie angenommen hat. Die Mehrzahl der Industriefirmen dient als verlängerte Werkbank mit relativ geringer Wertschöpfung. Die Produktion ist größtenteils wenig forschungsintensiv und in nur wenigen Fällen Grundlage für die Herausbildung vernetzter regionaler Strukturen. Über die Entwicklung der ostdeutschen Dependenzunternehmen wird in den westdeutschen Unternehmenszentralen entschieden. Zu den Charakteristika einer Filialökonomie zählt darüber hinaus, dass sie als „Manövriermasse“ im Konjunkturzyklus behandelt werden kann, weshalb Branchenkrisen sich regional besonders heftig bemerkbar machen. Eine gewisse Ausnahme bildet die Automobil(zuliefer)industrie in der Region Chemnitz, genauer: in Chemnitz-Zwickau. Die Fahrzeug- und Zulieferindustrie wurde hier zur Triebkraft eines Strukturwandels, in welchem sich auch der einheimische Mittelstand entwickeln konnte. Zudem siedelten sich zahlreiche weltweit tätige Unternehmen der Automobilzulieferindustrie an (z. B. Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG in Meerane und der US-amerikanische Zulieferer Johnson Controls Objekt Zwickau GmbH & Co. KG). Im Bereich des Fahrzeugbaus arbeiten in Sachsen inzwischen rund 60.000 Menschen in etwa 450 Unternehmen. Mit einem Umsatzanteil von mehr als 20 % und einer Exportquote von rund 40 % ist dieser Wirtschaftszweig der Motor des verarbeitenden Gewerbes in Sachsen. Standorte sind Chemnitz-Zwickau-Erzgebirge (u. a. Fahrzeugmontage, Motor/Antrieb) sowie die Regionen Dresden (u. a. Kfz-Elektrik/Elektronik, Interieur), Leipzig (vor allem Fahrzeugmontage), Zittau (u. a. Maschinen- und Anlagenbau, Automobilelektronik) und Plauen (Motor/Antrieb, Karosserie). Vor allem der Volkswagen-Konzern hat mit der Gründung der Volkswagen Sachsen GmbH 1990 sein Engagement in der Region verstärkt. Heute ist die
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Volkswagen Sachsen GmbH mit etwa 7.100 Mitarbeitern in den Werken Mosel (Zwickau) und Chemnitz das umsatzstärkste Unternehmen Sachsens. Seit Beginn des Engagements von VW liefen über 2 Mio. Fahrzeuge der Typen Polo, Golf und Passat am Standort Zwickau-Mosel vom Band. Die im Chemnitzer Werk produzierten Motoren werden an den unterschiedlichsten Standorten von Volkswagen, Audi, Seat oder Skoda weltweit eingesetzt. Etwa 500.000 Aggregate werden jährlich hergestellt. Im April 2003 konnte das Werk in Chemnitz die Fertigung des sechsmillionsten in Sachsen hergestellten VW-Motors verkünden. Das jüngste Kind des Volkswagenkonzerns in Sachsen ist die Volkswagen Mechatronic GmbH & Co. Das neu gegründete Gemeinschaftsunternehmen von VW und Siemens VDO im Landkreis Stollberg. Für die Profilierung des Automobilstandortes Sachsen erwies sich die Globalisierungs- und Restrukturierungsstrategie des Konzerns (Eckardt et al. 1999; Röttger 2000) als stilbildend. Die Konzernstrategie, die Teilevielfalt zu verringern („Plattform“), die globale Integration des Konzern voranzutreiben („Verbundfertigung“) und die Fertigungstiefe zu reduzieren, („Outsourcing“) begünstigte die Entstehung ausgeprägter Zulieferstrukturen in der Wirtschaftsregion. Durch Verlagerung der Fertigung hin zu Lieferanten ging die Fertigungstiefe im Werk Zwickau von 46 % im Jahre 1992 auf unter 20 % im Jahr 1999 zurück. Die Errichtung von Transplants in Osteuropa (Dörr/Kessel 1996; dies. 1999) erfolgte nicht vorrangig, um lohnintensive Fertigungsstufen zu errichten. Die Werke agieren vielmehr als integrale Bestandteile einer globalen Gesamtstrategie. Mit der Integration der osteuropäischen Produktionsstandorte in die Strategie des global atmenden Unternehmensnetzes entstehen aber gleichzeitig neue Problemlagen, die sich – unter den Bedingungen gesättigter Märkte und weltweiter Überkapazitäten – vorrangig als Standortprobleme vormals zentraler Werke bemerkbar machen. Parallel zur Strategie der produktionstechnischen Angleichung der weltweiten Produktion des Konzerns werden Elemente einer „modularen Produktion“ erprobt. Damit ist gemeint, dass einzelne Module von Beschäftigten der Zulieferindustrie gefertigt werden sollen. Nur der letzte Akt, die Montage der Module zu einem fertigen Auto, wird von den Beschäftigten der Automobilhersteller ausgeführt. Die Fabrikgebäude der Modularherstellung sind so gebaut, dass die Zulieferfirmen direkt darum herum gruppiert sind; im Extremfall operieren gar – angrenzend an das Fließband der Endmontage – im Herstellergebäude selbst Abteilungen mit Beschäftigten von Zulieferfirmen. Der Verband der Automobilindustrie spricht im Zusammenhang mit dieser Neuorganisation der HerstellerZuliefer-Beziehungen von einer sich ausbildenden neuen „Wertschöpfungsarchitektur“ (VDA 1999). Die Region Zwickau hat hier Modellcharakter erlangt. Das Konzept „Produktion in Partnerschaft“ gilt als Vorbild für eine neue Arbeitstei-
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lung zwischen Herstellern, Lieferanten und Dienstleistern. Ziel dieses Konzeptes ist, dass 13 Modulpartner und ein Logistikdienstleister insgesamt 32 Module für die Modelle „Golf“ und „Passat“ sequenzgerecht an das Montageband liefern. Die Lieferanten tragen dabei eigene Prozessverantwortung. Insgesamt läuft das Leitbild des globalen Unternehmensnetzwerkes als angestrebter Form der Reorganisation des vertikal integrierten Großunternehmens auf die Etablierung einer Zulieferpyramide hinaus. Da die Fähigkeiten der Zulieferer, auf die gestiegenen Anforderungen der Hersteller zu reagieren und ihnen zu genügen, unter den Zulieferern höchst unterschiedlich verteilt sind, kommt es zu einer Segmentierung und Pyramidisierung der Zulieferkette, an deren Spitze die „fokalen Unternehmen“ als Endhersteller stehen. Der Endproduktehersteller beschränkt seinen Koordinationsaufwand auf einen kleinen Kreis von privilegierten Systemzulieferern, die selbst komplexe Aggregate oder Module anbieten und über eigene Entwicklungskompetenzen verfügen. Alle anderen Zulieferer werden auf nach-gelagerte Stufen verwiesen, die ihrerseits mit den Systemlieferanten zusammenarbeiten. Auf diese Weise entsteht aus einem vormals unüberschaubaren Konglomerat von Zulieferbetrieben eine stark hierarchisierte Zulieferpyramide. Sie reicht von größeren international agierenden Lieferanten kompletter Aggregate, die sich zunehmend selbst, dem Endhersteller folgend, globalisieren („Kielwasserglobalisierung“), und die wiederum jeweils eigene Zulieferbeziehungen zu Teile- und Komponentenfertigern bis hin zu den jederzeit austauschbaren Produzenten von einfachen Massenteilen pflegen. Die Modularfertigung befördert die Entstehung regionalisierter, d. h. in unmittelbarer Nähe zum Endhersteller produzierender Zulieferstrukturen. Sie bilden eine Systemanforderung, weil die Prozessintegration die Lokalisierung von Liaisonfunktionen und die Stationierung von resident engineers an Entwicklungsstandorten erzwingt. Diese räumlichen Bindungen sind jedoch, weil sie vorrangig immer nur für eine Modellreihe geschlossen werden und sich beständig mit anderen regionalen Komplexen der Konzernarchitektur messen müssen, „kontingenter geworden“, d. h. sie sind lockerer verwurzelt als tradierte Endhersteller-Zulieferer-Beziehungen (Jürgens 1999: 187). Deutlich werden diese aus den Strukturen der Automobilindustrie resultierenden Regionalisierungsprozesse am Beispiel von zwei Unternehmen, in denen wir Betriebsrecherchen durchführen konnten. Die international agierende HÖRMANN-RAWEMA GmbH in Chemnitz beschäftigt rund 250 Mitarbeiter mit Ingenieursdienstleistungen. Dazu gehören die Fahrzeugentwicklung, die Fertigungsplanung, der Anlagenbau, die Schulung und die Komponentenherstellung. Die Beschäftigungsentwicklung im Unternehmen ist in den letzten Jahren weitgehend stabil geblieben. Schwankungen entstehen, wenn Auftragsübernahmen „relativ kurzfristig reinschneien“ (C/B06/BR02). Insgesamt stellt der Versuch
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des Unternehmens, sich als Zulieferer für die Automobilindustrie zu positionieren, ein „schwieriges“ und „langfristiges Unterfangen“ dar (C/B06/GF01). Die Serienproduktion eines Aluminium-Gepäcksystems für BMW-Motorräder ist zur Zeit das einzige Beispiel für eine Zusammenführung von Entwicklung und Fertigung. Im Falle des „dynamischen Faktors Volkswagen“ ist das in der Region „noch nicht gelungen“. Anders im Fall Siemens VDO, einer der bedeutendsten Firmen der regionalen Zulieferindustrie. Siemens VDO hat gemeinsam mit der Volkswagen AG auf Grundlage des Vertrags vom 20. März 2003 die Volkswagen Mechatronic GmbH & Co. KG in Stollberg gegründet. Die Siemens VDO Automotive AG in Limbach-Oberfrohna stellt moderne Dieseleinspritztechnik („Pumpe-Düse“) her. Diese Fertigung soll durch gemeinsame Entwicklung und Fertigung weiter modernisiert werden. Der Freistaat Sachsen hat zugesagt, das Investitionsvolumen mit dem entsprechend möglichen Förderhöchstsatz von 35 Prozent zu unterstützen. Siemens VDO bekräftigt somit vor Ort seine Strategie, das Produktportfolio auf Automobilelektronik und -mechatronik zu fokussieren. Ausrichtung und Spezialisierung als Zulieferbetrieb mit regionalen Strukturen haben sich erst im Zuge eines steinigen Restrukturierungsprozesses durchgesetzt. Traditionell lag der Schwerpunkt der Fertigung des zum ehemaligen Hydraulikring-Kombinats gehörigen Betriebs im Bereich der Bremshydraulik. Nach der Wende wurde zunächst vor allem mittels Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) und Auffanggesellschaften versucht, den drohenden Niedergang des Werkes zu verhindern. Die Privatisierung des Werkes erfolgte 1994/95. Das Werk wurde in die Strukturen und Abnehmerbeziehungen der Firma „Hydraulikring Nördlingen“ eingegliedert. In dieser Zeit erfolgten erste Schritte zur Reorganisation der Produktion (Umsetzung der Serienfertigung) und zur produkttechnischen Neupositionierung des Betriebes (Spezialisierung als Zulieferer für die Mercedes A-Klasse). Erst mit dem Einstieg der Siemens AG 1997 konnte eine Neupositionierung des Betriebes in Richtung regionaler Zuliefer- und diversifizierter Abnehmerstrukturen in Gang gesetzt werden. Die „Säule“ Dieselfertigung wurde systematisch ausgebaut, der traditionelle Bereich Hydraulikfertigung primär auf die Audi AG ausgerichtet. Zudem konnte man neue Kunden (Peugeot) gewinnen. Im Herbst 2001 erfolgte die Integration des Betriebes in die Siemens VDO. Im Jahre 2001 arbeiteten im Werk ca. 850 Beschäftigte. Die Stammbelegschaft wird je nach Auftragslage um 100 bis 250 Leiharbeiter ergänzt. Durch den Ausbau der „Dieselaktivitäten“ mit der Gründung der Volkswagen Mechatronic GmbH sollen zusätzliche 200 Arbeitsplätze vor allem für qualifizierte Facharbeiter entstehen. Die Integration in transnationale Produktionsnetze hat ohne Zweifel dazu beigetragen, dass von Kernen der alten Kombinatsstrukturen neue Entwicklungsimpulse ausgehen. Diese Art der Integration bedeutet jedoch zugleich, dass
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diese Kerne unweigerlich dem rauen Wind der Weltmarktkonkurrenz ausgesetzt werden. Daher erweist sich die Integration des Altwerks in die Strukturen von Siemens VDO nach Einschätzung des Betriebsrates als ein zweischneidiges Schwert. Es sei gelungen, technologische Führerschaft im Bereich der Dieseltechnologie zu erlangen und somit den Standort langfristig zu erhalten (Aufträge lagen zum Zeitpunkt unserer Erhebung bis zum Jahr 2006/2007 vor). Diese Profilierung habe jedoch ihren Preis. Erstens werde auch das Werk Limbach einem beständigen Benchmarking ausgesetzt. Vor allem die „Aufteilung im Rahmen der VDO“ sei ein „Schritt in diese Richtung“. Die Entwicklung „geht nicht an uns vorbei“. Das Benchmarking richte sich vor allem auf die Gewinnmargen der Betriebsstätte. „Die Margen müssen stimmen.“ Zweitens habe die Profilierung des Standortes eine Leistungsverdichtung zur Folge gehabt, die inzwischen im Werk spürbar sei – gerade im Bereich der Dieseltechnologie. Hier wurde ein neues Schichtsystem einschließlich Samstags- bzw. Sonntagsarbeit eingeführt, um den Anforderungen als Systemlieferant gerecht zu werden. Regionale Verflechtungen und Weltmarktintegration entstehen in Chemnitz weniger aufgrund der industrie- und strukturpolitischen Aktivitäten der Region, als durch „Standorteffekte“, die von der strategischen Neuausrichtung des „fokalen Unternehmens“ ausgehen. Im Rahmen der Konzern-Restrukturierung konnte sich die Region tatsächlich zu einer Automobilzulieferregion entwickeln – allerdings mit den der konzerndominierten internationalen Aufgabenstruktur und Arbeitsteilung immanenten Risikopotenzialen. Die regionalen Beziehungen zwischen fokalem Unternehmen und Zulieferern bleiben fragil. Zum Teil hat – auch schon als Vorwegnahme der EU-Osterweiterung – der Zug gen Osten längst eingesetzt. Nur in Ausnahmefällen wie dem skizzierten Fall von Siemens VDO gelangen die Beziehungen über den Status reiner Liaisonfunktionen hinaus. Doch selbst dieser Betrieb ist nicht völlig auf der sicheren Seite, weil mit der Osterweiterung und dem absehbaren Fördergefälle immer auch die regionalen Verflechtungsstrukturen zur Disposition gestellt werden können. 5.3 Regionale Bindungen von New-Economy-Netzwerken Die bisher angestellten Überlegungen haben sich primär auf strukturprägende Konzerne in den Untersuchungsregionen bezogen. Doch wie verhält es sich mit kleineren und mittleren Betrieben, denen die „Option Globalisierung“ (Dörre u. a. 1997) nicht in gleicher Weise offen steht wie den Großunternehmen? Wir sind dieser Frage am Beispiel von regionalen Netzwerken nachgegangen, die junge New-Economy-Unternehmen organisieren.
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5.3.1 Neconet Nürnberg Das Nürnberger „New Economy“-Netzwerk Neconet ist auf Initiative der städtischen Wirtschaftsförderung entstanden. Wie andere Regionen erlebte auch der Großraum Nürnberg einen kurzzeitigen Boom der „New Economy“, hier verstanden als Aufstieg junger Unternehmen mit Dienstleistungen „rund ums Internet“. Die regionale „New Economy“ begann als Spill Over aus den Hochschulen. Studenten, die sich 1996/97 mit Internet und Business-to-Business-Beziehungen (B2B) selbständig machten, kamen zumeist von der Universität Erlangen und zogen dann nach Nürnberg. Die regionale „New Economy“ war (und ist z. T. noch immer) in erheblichem Maße ein kulturelles Phänomen, mit eigenen Cafes, Bars, Kontaktpunkten, kurzum: mit einem Selbstverständnis, das bei vielen Unternehmensgründern noch aus der Studentenzeit herrührt. Mit diesem Selbstverständnis ist häufig eine bestimmte Arbeitsweise verbunden. Das jedenfalls versichern die Geschäftsführer der beiden von uns untersuchten Unternehmen (Immowelt AG, Axinom). Typisch ist die Schilderung des Gründers eines Unternehmens, der sich als „zwischen Old und New Economy stehend“ bezeichnet: „Wir sind eine gewachsene kleine Firma. Wir haben ein freies Klima. Gleitzeit, Arbeitsbeginn 7.30-9.00 Uhr; in der Entwicklung geht man ab 18.00 Uhr. Aber die bleiben dann ja teilweise und arbeiten länger. Das ist alles auf freiwilliger Basis. Es gibt keine Überstunden, die aufgeschrieben werden. Wenn ich zum Arzt muss, wenn ich zum Friseur muss, dann ist es auch tagsüber möglich. Genauso bleiben die manchmal zwei, drei Stunden länger. Es ist ein Geben und ein Nehmen“ (N/B05/GF01). Das alles funktioniert ohne Betriebsrat und gewerkschaftliche Repräsentanz. Einiges spricht dafür, dass diese besondere Arbeitskultur auch die Krise der New Economy überdauern wird: „Wir haben ja auch Beispiele gehabt in Nürnberg, dass es keine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit mehr gab, der Lebensstil von der Arbeit aufgesaugt wurde. Ist sicher etwas ganz anderes als das klassische Arbeitnehmerverhältnis im Industriebetrieb. Die Frage ist, ob diese Kultur jetzt ein bisschen erhalten bleibt. Ich meine, in den Personen schon, die solche Unternehmen gegründet haben. Die behaupten das zumindest immer. Die sagen jetzt: Ja, mag sein, die New Economy ist tot. Es lebe die New Economy! Abgrenzungen von der Old Economy spielen da eine Rolle“ (N/Pol04).
Die unter Moderation der Stadt vollzogene Entwicklung läuft allerdings darauf hinaus, dass sich die Grenzziehungen zwischen „Old“- und „New Economy“ allmählich verwischen. Aus einem „Come-together-Event von Old- und New Economisten“ ist inzwischen ein Netzwerk von jungen Firmen, ehemaligen und potentiellen Unternehmensgründern (zumeist Männer um die 30 Jahre) geworden, das von zwei etablierten Unternehmen (Datev, Noris-Bank) begleitet und gemanagt wird. Obwohl die „New Economy“ quantitativ kein umsatz- und beschäftigungspolitischer Faktor (mehr) ist, gibt es bei den Etablierten ein hohes Interesse an den Ideen, den Arbeitsvorstellungen und der Kultur der „New Economisten“. Neconet arbeitet mit dem Selbstverständnis: „Wir sind die New Eco-
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nomisten von Nürnberg, wir können uns gegenseitig helfen, durch Kooperation Synergieeffekte schaffen und nach Problemlösungen suchen“ (N/Pol03). Konstitutiv für das Netzwerk ist die Abgrenzung von Strukturen der etablierten IuKUnternehmen: „Wir dürfen nicht so werden wie die NIK, ein Verband, wo alle zahlen, einer lenkt und den Mitgliedern ist es eigentlich wurscht. Sondern es muss aus sich heraus Sinn geben“ (N/B05/GF01). Dieser Einschätzung wird seitens des NIK-Geschäftsführers allerdings heftig widersprochen. Nach dessen Auffassung handelt es sich bei den NeconetUnternehmen um „Trittbrettfahrer“. Die Unternehmensgründer hätten z. T. vehement versucht, bei der NIK Mitglied zu werden. Doch das sei am Mitgliedsbeitrag gescheitert: „Und wenn ich nicht mal Beiträge zahlen kann, dann kann das ja wohl auch keine große Substanz haben.“ Die Neconet-Gründer sehen das anders. Sei verweisen auf ihre transparenten, flexiblen Strukturen: Es gibt keine Mitgliedsbeiträge, die Treffen sind offen, doch es wird an das Engagement der Teilnehmer appelliert. An den Treffen beteiligen sich bis zu 30 Unternehmen. Hauptmotiv ist die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen. Zur Vision der aktiven Betreiber gehört, dass künftig Konzeptaustausch, Übernahme von Mitarbeitern in Krisenfällen sowie gemeinsame Ausbildung und Praktika möglich werden sollen. Beschäftigungspolitische Zielsetzungen spielen in dem Netzwerk keine Rolle. Aber der Regionalgedanke ist präsent: „Ich glaube aber an Netzwerke, total. Ich glaube an starke Regionen. Wenn eine Region es schafft, sich gut zu positionieren, sich untereinander kennt, kann man sich auch gegenseitig weiterreichen und empfehlen. Wenn man sich persönlich kennt, hat man ein anderes Gefühl. Man muss nicht von jeder Empfehlung partizipieren. Das muss aus den Köpfen raus. Wenn eine Region zufrieden ist und der Region geht es gut, ist das was langfristiges, sind die Mitarbeiter zufrieden, es gibt mehr Mitarbeiter, die her kommen, es wird mehr investiert, man hat mehr Möglichkeiten. Es ist ein Prozess, der allgemein was Positives bewirkt. Und man muss sich am Markt orientieren... Und so bekomme ich einen Überblick, was hier in der Region produziert wird. Es gibt bestimmt Firmen, die auch wirtschaftlich davon partizipieren. Macht ja auch Sinn. Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten. Dass die Mitarbeiter sich austauschen, Konzept- und Technologieaustausch z. B.“ (N/B05/GF01). Gewerkschaften gelten im besten Falle als uninteressant, Betriebsratsgründungen als verzichtbar. Im Grunde stehen Formen kollektiver Interessenvertretung für die Welt großer Unternehmen: „Gewerkschaften sind vom Althergebrachten bestimmt wichtig, aber das kann ja nur noch der Erhalt der großen Arbeitsplätze sein. ADtranz ist schon so ein Thema, da nimmt man sie schon wahr, wenn sie mit den Leuten auf die Straße gehen. Da muss ich natürlich für mich sagen, dass ich dazu eine gespaltene Meinung habe. Ich finde, wenn sich eine Firma nicht halten kann, dann kann sie sich auch mit Fördermitteln nicht halten. Und wenn die Arbeitsplätze kaputtgehen, ist das sicherlich schade und ein Grundproblem, was man lösen muss, aber man kann es nicht durch Subvention einer Firma. Dann muss man gucken, ob man nicht infrastrukturell die Leute anders unterbringt, und ob da nicht irgendwelche Maßnahmen ergriffen werden. Und die wirken ja nicht innerhalb von zwei Jahren. Die wirken ja über zig Jahre. Und wenn die Stadt das vor 15 Jahren verschlafen hat und die startet das jetzt erst voll, dann sind die Arbeitsplätze erst in zehn Jahren da. Ich würde mal so sagen, ich glaube nicht, dass wir unbedingt eine Gewerkschaft brauchen. Ich kann mir schon vorstellen, dass Gewerkschaften bei so großen Firmen immer noch sinnvoll sind. Vielleicht
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müssten sie auch einen Umdenkprozess beginnen. Denn Gewerkschaften behindern ja auch oftmals. Man hat das ja von Kollegen gehört, das ist hinderlich. Also nicht alle Unternehmer sind böse Buben, die Arbeitnehmern was Böses wollen. Also dieser Urgedanke. Da ändert sich die Zeit auch. Also die Rechtsprechung mittlerweile ist eher sehr unternehmerfeindlich. Ein Unternehmen kann nicht mal schnell 100 Leute aufbauen oder schnell 100 Leute abbauen, da gehen Unternehmen dran zu Grunde. Nach meiner Meinung sehe ich Gewerkschaften in größeren Unternehmen vielleicht noch für sinnvoll, in kleineren glaube ich nicht. Ich glaube aber auch nicht, dass es noch böse Unternehmer gibt. Da glaube ich an das Gute im Menschen. So motiviert man keine Mitarbeiter. Also das gibt es nicht mehr“ (N/B05/GF01).
Einige Wortführer von Neconet drücken dies noch drastischer aus. Sie definieren sich explizit als Verfechter einer „modernen Arbeitswelt“, in der Kollektivverhandlungen und kollektive Interessenvertretung überflüssig werden. 5.3.2 mybird Dortmund In diesem Punkt stellt mybird Dortmund in gewisser Weise einen Kontrastfall dar. Mybird ist ein Verein, der mit Unterstützung von Wirtschaftsförderung und IHK gegründet wurde, um Dortmund als IT-Standort bekannt zu machen. In der Region siedeln ca. 1.200 Betriebe, die sich im weitesten Sinne der IT-Branche zurechnen lassen. 80 von ihnen sind Mitglied bei mybird, darunter alles, „was in der Branche Rang und Namen hat“ (Do/B02/GF01). Wichtigstes Ziel des Vereins ist es – darin Neconet vergleichbar – junge Technologieunternehmen miteinander in Kontakt zu bringen, unternehmensübergreifende Kommunikation zu initiieren, Brückenschläge zu etablierten Unternehmen und Branchen zu initiieren und das Standortmarketing zu verbessern. Der Verein existiert erst seit etwas mehr als fünf Jahren, sein Name ist in der lokalen Wirtschaft jedoch bereits bekannt. Zu den Vereinsaktivitäten gehört die Unterstützung des dortmund-project. Die beschäftigungspolitischen Ziele des Projekts werden auch von dem mybird-Sprecher und gleichzeitigem Sprecher der Brockhaus AG voll geteilt: „Ohne Beschäftigungsziele geht hier gar nichts.“ Der Verein engagiert sich bei der Aus- und Weiterbildung von IT-Fachkräften. Auch die Akquisition von Fördermitteln gehört zum Geschäft. Die Organisierung von Face-to-Face-Kontakten spielt dabei eine wichtige Rolle. Dem Verein stehen drei Vorstandsmitglieder vor. Zu den Ruhrnetzwerkern, einer anderen Organisation junger IT-Unternehmen, die sich eher nach Essen orientieren, bestehen inzwischen „gute Kontakte“. Zum Teil gelingt es den Vereinen, Animositäten zwischen regionalen Akteuren (z. B. IHKn) zu überwinden. Die Vereinsführung, allesamt Unternehmer, wendet sich explizit gegen „Kirchturmdenken“ in der Region. Viele Mitgliedsunternehmen sind von der Krise der „New Economy“ stark gebeutelt worden. Dennoch sind die Einbrüche in der
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Dortmunder Region noch vergleichsweise glimpflich ausgefallen. Dafür gibt es aus der Sicht des mybird-Sprechers mehrere Gründe: Erstens bestehe die lokale IT-Industrie aus Mittelständlern, die schnell und flexibel reagieren könnten; Reaktionen auf die Krise würden rasch umgesetzt. Zweitens sorge das dortmundproject für eine gute Performance und schaffe Sicherheit; es gebe auch weiter Neugründungen. Drittens würden Neuorientierungen, etwa die Suche nach neuen Vertriebswegen, in der Region „gut abgestützt“. Dazu habe auch das Netzwerk seinen Teil beigetragen: „Es gibt hier eine Kooperationskultur. Der eine wächst, der andere wächst. Muss ein Unternehmen ausziehen, weil es zu groß geworden ist, dann findet es rasch einen Nachfolger, der die Räume bezieht. Wir haben das selbst so praktiziert. Das wird über das Netzwerk organisiert. Man kennt sich...“ (Do/02/GF01). Dadurch unterscheide man sich von Regionen, „wo der eine dem anderen nicht traut“. Diese Kooperationskultur ist nach Auffassung des mybird-Sprechers eine „Frage der Mentalität“; es „hängt an einzelnen Personen, die sich engagieren“. In diesem Zusammenhang gäbe es Lernprozesse. Zunächst hätten viele sich nicht mit dem Projekt identifiziert. Die Zahl derer, die regionale Kooperationen gut fänden, wachse aber rasch. Man lege Ängste ab, das Vertrauen wachse. Diese Kooperationskultur hält sich trotz oder gar wegen massiver Kriseneinbrüche in einigen Unternehmen. Das gilt auch für die Firma Brockhaus. Das Unternehmen ist seit mehr als 15 Jahren am Markt. Mit dem New-Economy-Boom wuchs es rasch und hatte in Spitzenzeiten bis zu 100 Mitarbeiter. Die Firma bietet ITDienstleistungen für Kunden der „Old Economy“, etwa für den Stahlgroßhandel an. Wie die Mehrzahl der kleinen Anbieter ist es auf Nischenprodukte spezialisiert, aber dennoch wesentlich von der Nachfrage großer Unternehmen abhängig. Sparprogramme der Abnehmer und Offshoring (Verlagerung von ITDienstleistungen ins Ausland) haben zu massiven Geschäftseinbrüchen geführt. Das Unternehmen musste 2003 die Hälfte seiner Beschäftigten entlassen. Bezeichnend ist, dass der IT-Dienstleister ausschließlich Festangestellte beschäftigt. Dies vor allem, um die Fluktuation in der Belegschaft zu minimieren. Drei viertel der Beschäftigten sind Akademiker, „alle qualifizierte Ingenieure“. Der Personalabbau erfolgte gemeinsam mit dem Betriebsrat. Bezeichnend ist, dass der Geschäftsführer des Unternehmens die Interessenvertretung für einen positiven Faktor hält: „Da muss man sehr vorsichtig sein, mit der Pauschalkritik an Betriebsräten. Je größer man wird, desto wichtiger ist ein Betriebsrat. Die Leute sind dann solidarischer, und das ist gut fürs Geschäft. Ich denke mal, früher oder später wird sich das durchsetzen in der Branche. Wenn man das auf Dortmund bezieht, da haben alle Größeren in der Branche inzwischen einen Betriebsrat.“
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Die Verhandlungsstrategie der Interessenvertretung hat „das Unternehmen viel Geld gekostet“. Doch die Geschäftsführung ist sich sicher, dass der Konflikt um den Personalabbau so insgesamt rationaler gestaltet werden konnte: „Es sind nur noch zwei, die miteinander verhandeln; ein Betriebsrat kann viele Dinge, die ein Geschäftsführer nicht kann.“ Die Gewerkschaften sind nach Ansicht des Brockhaus-Geschäftsleiters, wenn „der Privatmann urteilt“, keineswegs am Ende. Auch für sie gäbe es Ansatzpunkte, wenn sie sich auf die neue Arbeitswelt einstellten und sich nicht stur an Besitzstände klammerten. Vergleicht man diese Orientierung mit dem Nürnberger Netzwerk, so sind die Funktionen ähnlich. In Dortmund gründet die Kooperationskultur jedoch auf eine Mitbestimmungstradition, die sich selbst bei jungen Unternehmensgründern in der New Economy fortsetzt. Man ist mit Leib und Seele Unternehmer, geißelt Strukturkonservatismus und Besitzstandsdenken. Doch beschäftigungspolitische Ziele des dortmund-project sind ebenso akzeptiert wie die Notwendigkeit von Betriebsräten und Gewerkschaften. Diese Aussage mag bei weitem nicht für alle Dortmunder New-Economy-Unternehmer zutreffen, doch die kulturellpolitischen Unterschiede an der Spitze der Netze sind markant: „Das ist eben diese sozialdemokratische Musterstadt, da wirkt die politische Kultur auch noch bei den jungen Unternehmern, die selbst aus sozialdemokratischen Elternhäusern stammen“ (Do/TNB17). 5.3.3 KITD-Chemnitz Auch in Chemnitz existieren Ansätze eines regionalen „New Economy“Netzwerks. Wie in Dortmund handelt es sich dabei eher um eine regionale Organisation kleinerer IT-Unternehmen als um eine separate Gründung von InternetDienstleistern. Im Vergleich zum Nürnberger und auch zum Dortmunder Netz fällt ein deutlicher Unterschied beim Alter und der beruflichen Herkunft der Protagonisten auf. Eine von studentischer Herkunft geprägte New-EconomyKultur ist nicht vorhanden; ebenso wenig gibt es einen überschwänglichen Bezug auf Unternehmensgründungen und start ups. Dafür sind Wissenschaftler unmittelbar in den Vorstand der Initiative integriert. Es gibt Bemühungen um enge Beziehungen zur Politik und eine explizite regionale Orientierung. Die IT-Unternehmen der Region entwickelten sich in drei Phasen. Anfang der 1990er Jahre wechselten Mitarbeiter von Robotron zu IBM Chemnitz oder gründeten Management-Buy-Outs. Von der Sächsischen Landesregierung wurde die IT-Entwicklung finanziell gefördert. Mitte der 1990er Jahre kam es zu einer größeren Zahl von Existenzgründungen aus Uni und FH. Wegen der geringen Kapitalzufuhr von außen begannen die IT-Unternehmen frühzeitig, sich auf den
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regionalen Markt auszurichten; regionale Industrieunternehmen fragten ITDienstleistungen nach und wendeten sich an regionale Anbieter. Von über 3.000 Firmen, die sich im IT-Umfeld bewegten, waren 300 wirkliche IT-Firmen. Mit dem Ende des Booms setzte eine Marktbereinigung ein, ca. 10 % der Firmen sind innerhalb von zwei Jahren vom Markt verschwunden. Die Produktpalette der regionalen Unternehmen reicht von der CADEntwicklung über Homepagegestaltung bis hin zur betrieblich nutzbaren Lernsoftware. Einen Schwerpunkt stellen – wie in Dortmund – Speziallösungen für regionale Industrieunternehmen dar. Zu den Hauptimpulsgebern in Sachsen zählen VW Zwickau, die Elektroindustrie in Leipzig und die Automobilindustrie in Dresden. Auch regionale Zulieferstrukturen bieten Entwicklungsmöglichkeiten für die IT-Unternehmen; in Chemnitz spielt VW dabei eine größere Rolle als Siemens. Insgesamt arbeiten in ca. 240 IT-Unternehmen etwa 1.500 Beschäftigte. Hinzu kommen ca. 500 Beschäftigte bei IT-Solutions sowie 1.000 bis 1.500 Beschäftigte in Unternehmen, die IT-Dienstleistungen mit anbieten (Werbefirmen, Druckereien). 80 % der IT-Unternehmen haben weniger als 50 Mitarbeiter. Anders als in Nürnberg und Dortmund gibt es in der Branche eine Altersstruktur, die dem Querschnitt der Erwerbspersonen entspricht. Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten sind Männer. KITD entstand im Anschluss an einen Besuch sächsischer IT-Unternehmer in der kalifornischen Bay Area. Der Verein gründete sich 1994; zeitgleich entstanden weitere IT-Netze in Dresden und Leipzig. Wie in Dortmund und Nürnberg arbeitet der Vorstand ehrenamtlich. Dem Gremium gehören Geschäftsführer von IT-Unternehmen sowie ein Informatik-Professor der Uni Chemnitz und der FH Mitweida an. Ursprüngliche Ziele waren die Verbesserung regionaler Kooperationen, Aufbau einer politischen (Lobby-)Plattform, Initiierung gemeinsamer Projekte der IT-Unternehmen sowie die Verbesserung der Auftragsakquisition. Von den Mitgliedern bietet ein Drittel Kooperationsleistungen an, ein weiteres Drittel ist zumindest kooperationsinteressiert. KITD ist fast ausschließlich bei neuen Unternehmen präsent. So etwa bei ‚neuen‘ Maschinenbauunternehmen, die einen Bedarf an kleinteiligen IT-Lösungen haben (HÖRMANN-RAVEMA, Hörmann Industrietechnik, SITEC GmbH, GEMAG AG, Flenderguss, Tiserra). Die geringe Halbwertzeit von hochtechnologischem und medialem Wissen macht die Gründung eigener IT-Bereiche für diese Industrieunternehmen zu aufwendig, schafft aber Bedarf an IT-Spezialisten vor Ort. Nach Ansicht der KITD-Spitze haben etwa 60 % der Mitgliedsunternehmen gute Zukunftsaussichten, das setzt aber ein verbessertes Marketing und größere Kooperationsfähigkeit im kleinteiligen Bereich voraus. In diesem Kontext fördert KITD die Ausbildung und den Einsatz von IT-Fachkräften in Ost-KMU. Die duale Berufsausbildung hält die Initiative für kontraproduktiv; angestrebt wird
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stattdessen eine Ausbildungskooperation zwischen IT-Unternehmen und Bildungsträgern, in deren Rahmen Lehrlinge in Berufsfachschulen ausgebildet werden, um anschließend zwei Jahre im Unternehmen zu arbeiten. KITDUnternehmen übernehmen auch das Profiling von Arbeitslosen; anschließend werden maßgeschneiderte Qualifizierungen durchgeführt und mit Betriebspraktika ergänzt (16 Arbeitslose, 70 % Vermittlungsquote). Ferner hat sich KITD „zum Berater für Kommunalpolitik entwickelt“ (C/NWA07). Zwei bis drei mal im Jahr trifft man sich mit dem OB, RP und dem CWE; einmal jährlich mit der IHK; die Verbindungen zur IHK „sind relativ gut“. Das sächsische Wirtschaftsministerium hat KITD zur Beratung bei neuen Ausschreibungen herangezogen; diese Aufgabe geht nun aber an SAX-IT über. Dabei handelt es sich um einen Kooperationsverband der drei in Sachsen existierenden IT-Verbünde in Chemnitz, Dresden und Leipzig: „Es gelang in relativ kurzer Zeit, eine sachsenweite Vertretung der IT-Unternehmen aufzubauen.“ SAX-IT fungiert nun als gemeinsame Lobbyorganisation; die Initiative ist Mitglied im Sächsischen Arbeitgeberverband und bei BITKOM. KITD empfiehlt seinen Mitgliedern, bei SAX-IT Mitglied zu werden. Zu den Gewerkschaften bestehen keine Berührungspunkte. Betriebsräte sind in den wichtigen KITD-Unternehmen nicht vorhanden, nur in der Delta-Gruppe (über 100 Beschäftigte) ist eine Interessenvertretung gewählt. Eine enge Kooperation gibt es mit dem Innoregio-Projekt, das IT als Brücke zwischen High-Tech und weichen Faktoren (Wissensbasis) begreift. Das Projekt zielt auf die Schaffung von 300 bis 400 neuen Arbeitsplätzen; davon 260 bis 360 in den Bereichen Lasertechnik, Hochleistungsmaschinenbau und Mikrosystemtechnik; 40 Arbeitsplätze sollen in den IT-Unternehmen entstehen. Alles in allem macht KITD den Eindruck einer arbeitsfähigen Initiative; es handelt sich offenbar nicht um ein reines „Fördertopfnetzwerk“. Bezeichnend ist allerdings, dass die Kooperationskultur, anders als in Dortmund, keine positiven Anknüpfungspunkte für kollektive Interessenvertretung bietet. 5.4 Schlussfolgerungen: das Globalisierungs-Regionalisierungs-Paradox Was bedeutet all dies für unsere Ausgangsfrage nach den Bindekräften der Regionen im Prozess „intensivierter Globalisierung“? Vier Schlussfolgerungen lassen sich festhalten. Erstens ist Globalisierung im Grunde eine Chiffre für höchst unterschiedliche Internationalisierungsproblematiken, die sich zudem phasenverschoben bemerkbar machen. In Nürnberg handelt es sich um die wachsende Abhängigkeit regionaler Betriebe von transnational agierenden Konzernen. Darin eingelagert
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gibt es allerdings eine höchst lokale Problematik – den offenkundigen Modernisierungsrückstand der Nürnberger Metall- und Elektroindustrie. Dieser Rückstand hat den Niedergang und die wachsende Außenbestimmung überhaupt erst verursacht. In Dortmund, wo der Niedergang der fordistischen Altindustrien in einigen Bereichen einen gewissen Endpunkt erreicht hat, besteht die eigentliche Internationalisierungsproblematik in der regionalen Produktion von günstigen Wettbewerbsbedingungen für die immer schon transnational ausgerichteten neuen Leitbranchen. In Chemnitz stellen die Nähe zu den Beitrittsstaaten und die EU-Osterweiterung das zentrale Internationalisierungsproblem dar. Das regionale Orchester wird von einem strukturprägenden Konzern (und seinen auch in der Region geschlossenen strategischen Allianzen) dirigiert; Ausstrahlungseffekte auf das „regionale Hinterland“ sind vorhanden, sie bleiben aber fragil. Die regionalen Internationalisierungsproblematiken kommen allerdings in unterschiedlichen wirtschaftlichen Dynamiken zum Tragen. In Nürnberg wird die Konzernabhängigkeit durch einigermaßen dynamisches Wachstum relativiert; in Dortmund sind die neuen Leitbranchen zarte Pflänzchen in einem wirtschaftlichen Umfeld, das in der nationalen und internationalen Konkurrenz weiter zurückfällt. Und in Chemnitz handelt es sich um Ansätze, von denen mehr als unklar ist, ob sie stark genug sind, das Schicksal eines Mezzogiorno vom ostdeutschen Umland abzuwenden. Vor allem am Nürnberger Beispiel zeigt sich zweitens, dass es den regionalen Akteuren so gut wie nicht gelingt, Einfluss auf die Unternehmens- und Standortentscheidungen großer internationaler „Spieler“ zu nehmen. Selbst große Investitionen vermögen allenfalls flüchtige Bindungen zu erzeugen. Hinzu kommt, dass alle Faktoren, die Bindung erzeugen könnten – ein mit Betrieb und Standort verwachsenes Management, regionale Zulieferverbünde, institutioneller „Reichtum“ und klar strukturierte Aushandlungsbeziehungen – im Prozess industrieller Restrukturierung geschwächt werden. Shareholder-Value-Orientierung, interne Finanzialisierung, Diskontinuität im Management, Entwertung betrieblicher Aushandlungsprozesse durch unternehmensinterne Zentralisierung von Macht, Kurzfristdenken und in die Defensive gedrängte Gewerkschaften schwächen die Bindekräfte der Region insgesamt (Windolf 2005; Dörre/Brinkmann 2005). In diesem Zusammenhang können wir geradezu von einem Globalisierungs-Regionalisierungsparadoxon sprechen. Während die transnationalen Unternehmen ihre Raumeinheiten vergrößern – für Draka z. B. ist ‚Deutschland’ die Region, für Lucent oder Federal-Mogul ist es gar der europäische Raum – stoßen wir in der regionalen Strukturpolitik faktisch auf eine Verkleinerung von Raumstrukturen: „Im Zuge mit der wirtschaftlichen Entwicklung, wo die Disparitäten räumlicher und ökonomischer Natur anwachsen, ist die (Stadt, d. A.) einfach nicht mehr als einheitliches Gebilde zu
Exkurs: Globalisierungsprofile und die Bindekräfte regionaler Regionen
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behandeln. Es gibt keinen Sinn mehr. Die Clusterbildungen, wenn man so will, von verschiedenen ökonomischen Einheiten, werden ja immer mikroskopischer. Sie haben ja immer kleinere Beziehungsgeflechte und Teilbereiche“ (Do/NWA12).
Diese spiegelverkehrte Entwicklung bedingt, dass die Chancen selbst großer Stadtregionen, auf die Standortentscheidungen großer Unternehmen Einfluss zu nehmen, sinken. Es mag weiter richtig sein, dass es sich beim heimat- und bindungslosen Unternehmen um einen Mythos, eine Fiktion handelt (Ruigrok/van Tulder 1995; Dörre u. a. 1997). Mit Blick auf unsere Untersuchungsregionen gilt jedoch etwas anderes. Als räumlich-geographische Strukturen spielen sie im Kalkül internationaler Champions faktisch keine Rolle. Die Bindekräfte der Regionen gehen hier tatsächlich gegen Null. Dennoch, so lässt sich drittens festhalten, sind die Regionen nicht ohne Einfluss. Sie können, wie die „New-Economy“- und IT-Netzwerke zeigen, durchaus zur Bindung vor allem kleinerer und mittlerer Unternehmen beitragen. In den wissensintensiven Bereichen sind wissenschaftliche Infrastruktur und regionale Kooperationskultur die entscheidenden Einflussgrößen. Die untersuchten Netze verkörpern durchaus Ansätze erfolgreicher Kooperation. Der von uns erwartete Kooperationsbedarf kleiner IT- und Internet-Firmen (Dörre/Röttger 2001; Beese/Dörre/Röttger 2002) macht sich praktisch bemerkbar; die Kooperation findet jedoch weitgehend ohne die Gewerkschaften statt. Das muss allerdings nicht zwangsläufig so sein. In ihrer impliziten politisch-ideologischen Ausrichtung unterscheiden sich die Netze erheblich. In Nürnberg und Chemnitz stoßen wir auf eine – auch ideologisch begründete – Antihaltung gegenüber Gewerkschaften und betrieblicher Mitbestimmung. In Dortmund ist das zumindest an der Spitze des Netzes anders. Innovative Milieus und Bindekräfte der Region, die auf einer solidarischen Basistradition aufsitzen, können einander offenbar wechselseitig befruchten. Dass Innovativität und Solidarität einander ausschließen, ist eine Mär, die ein Teil der Dortmunder IT-Unternehmer höchst praktisch widerlegt. Trotz der Wucht, mit der Internationalisierungsprozesse in die Regionen „hineinregieren“, ergeben sich viertens Zweifel an Strategien, die sich ausschließlich auf eine Ausrichtung an der Weltmarktkonkurrenz orientieren. Für die „Ökonomie des Archipels“ mit ihren sozialräumlichen Polarisierungstendenzen gilt: Je erfolgreicher die Weltmarktintegration der Regionen in den Modus der Archipelökonomie gelingt, desto ausgeprägter sind fraktale Strukturen. In Dortmund z. B. entwickelt sich eine duale Struktur; auf der einen Seite die neuen, weltmarktintegrierten Leitbranchen, auf der anderen Seite ein dritter Sektor (vgl. dazu Kapitel 2), der mit den „modernen Weltmarktsektoren“ kaum Berührungspunkte aufweist. Die wirtschaftliche Dynamik vollzieht sich weder regionsnoch stadtweit, sondern hinterlässt selbst auf engstem Raum einen „Flickenteppich“ oder – um es mit Alain Lipietz zu sagen – ein „Leopardenfell“, das es den
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regionalen Akteuren schwer macht, Entwicklungsprozesse erfolgreich zu steuern.
6. Politikfeldanalyse II: Regionale Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik
Mit den Gesetzen für „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ („HartzGesetze“) und dem Übergang von einer aktiven zu einer „aktivierenden Arbeitsmarktpolitik“ (Knuth 2005) hat ein Paradigmenwechsel bei der Gestaltung regionaler Arbeitsmärkte stattgefunden, dessen soziale Folgen bis heute noch nicht abzusehen sind. Fast schon vergessen ist, dass bereits während der 1990er Jahre neue Formen der regionalen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik erprobt wurden, ein Experiment, bei dem altindustrielle Regionen eine Vorreiterrolle einnahmen. In unseren Untersuchungsregionen gingen wesentliche arbeitsmarktpolitische Impulse von den Gewerkschaften aus. Hauptakteure waren lange Zeit Beschäftigungs-, Qualifizierungs- oder Transfergesellschaften, die den Beschäftigungsabbau in den Altindustrien sozial abfedern sollten. Heute werden diese Einrichtungen häufig als Organisationsformen einer „Arbeitslosigkeitsindustrie“ attackiert, die aufbewahren statt vermitteln, um mit dieser „Leistung“ Geld zu verdienen. Wie sich zeigen wird, handelt es sich bei solchen Einschätzungen mitunter um interessengeleitete (Fehl-)urteile, die systematisch an den eigentlichen Leistungen, aber auch an den durchaus vorhandenen Problemen der Transfer- und Beschäftigungsgesellschaften vorbei argumentieren. Nachfolgend stellen wir zunächst die grundlegende Strukturierung der regionalen Arbeitsmärkte in Chemnitz, Dortmund und Nürnberg dar (6.1), um dann die regionalen Initiativen zu skizzieren, in denen die arbeitsmarktpolitischen Akteure versuchen, die Strukturprobleme zu bearbeiten (6.2). Abschließend werden Leistungen und Defizite, aber auch Perspektiven dieser Ansätze unter den Bedingungen des Paradigmenwechsels in der Arbeitsmarktpolitik diskutiert (6.3). 6.1 Arbeitsmarkt und Prekarisierung der Arbeitsgesellschaft Wie unter einem Brennglas wird in unseren Untersuchungsregionen sichtbar, dass sich die Arbeitsgesellschaften und damit auch die Arbeitsmärkte Kontinentaleuropas in einem tiefgreifenden Umbruch befinden. Robert Castel (2000) spricht in diesem Zusammenhang von einer Metamorphose der sozialen Frage.
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Als Folge von Globalisierung, technisch-organisatorischem Wandel in den Unternehmen und der Erosion kollektiver Regulierungen findet in den nationalen Arbeitsgesellschaften eine dreifache Spaltung statt. In der – nach Castel schrumpfenden – „Zone der Integration“ dominieren noch immer relativ geschützte Normarbeitsverhältnisse. Parallel entsteht jedoch eine „Zone der Entkoppelung“ bzw. eine „Zone sozialer Ausgrenzung“, in der sich der Ausschluss von Erwerbstätigkeit verfestigt (Kronauer 2000). In dieser Zone befinden sich die „Entbehrlichen der Arbeitsgesellschaft“, die „Überflüssigen“ und „Ausgestoßenen“ (Waquant 1997). Zwischen beiden Polen öffnet sich eine „Zwischenzone der Prekarität“, in der die „Verwundbarkeit“ der Arbeitenden jederzeit gegeben ist (Castel 2000: 415). Als Folge dieser Grundtendenz sind neue Spaltungslinien in der Erwerbsarbeit entstanden. Die Scheidelinie läuft nicht nur zwischen fest Angestellten und prekär Beschäftigten. Sie existiert auch zwischen modernen Wissensarbeitern, hochqualifizierten Spezialisten, Facharbeitern und Fachangestellten auf der einen sowie den noch immer großen Gruppen der An- und Ungelernten auf der anderen Seite. Eine Kluft findet sich zwischen älteren und jüngeren Arbeitskräften, zwischen denen mit und denen ohne selbst gewählte familiale Bindungen, zwischen kommunikationsfähigen Arbeitern und denen mit Sprachschwierigkeiten, vor allem aber zwischen jenen Individualisten, die den flexiblen Kapitalismus als Glücksversprechen, als persönliche Utopie erleben, und den großen Gruppen, die noch immer (oder wieder) existenziell auf gesellschaftliche Schutzmechanismen zur Abfederung von Marktrisiken angewiesen sind. In letzter Konsequenz fördert die Produktionsweise des „neuen Marktregimes“ eine Polarisierung der Arbeitsbedingungen und eine Fragmentierung der Arbeitenden. Sie begünstigt einen Typus meist überdurchschnittlich junger, hoch qualifizierter und wiederum männlicher Arbeitskräfte, der die Zonen kontrollierter Autonomie im Betrieb selbstbewusst in seinem Sinne zu nutzen versteht. Diese Entwicklung findet sich in den Untersuchungsregionen in unterschiedlichen Ausprägungen. In Dortmund konnte man sich trotz der intensiven Bemühungen um Strukturwandel nicht von der Negativentwicklung der Arbeitsmärkte in den übrigen Ruhrgebietsstädten abkoppeln und bleibt hinter der Wirtschaftsentwicklung von Land und Bund zurück. Mehr noch, auch in der Produktivitätsentwicklung rangiert die Stadt im Großstadtvergleich auf einem der letzten Plätze (Wirtschaftsund Beschäftigungsförderung Dortmund 2003). Das Durchschnittseinkommen liegt 10 % unter dem Landes- und 5 % unter dem Bundesdurchschnitt (dies. 2002: 21). Hintergrund dieser Entwicklung ist ein typisches Ruhrgebietsphänomen. Der massive Abbau des weitgehend geschlossenen männlichen Industriesektors geht mit einer Tertiarisierung und Feminisierung der Beschäftigungszahlen einher; das weibliche Lohn- und Gehaltsniveau (1.062 Euro netto gegenüber
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1.800 Euro männlichem Verdienst) liegt aber deutlich unter dem männlichen (Beese 2003; Strohmeier 2003). Im Zuge der Konjunkturbelebung in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre sank zwar die Arbeitslosenquote von ca. 16 % (1997/98) bis auf 13 % 2001, doch schnellte sie seitdem im Arbeitsamtsbezirk selbst im Ruhrgebietsvergleich mit einem überproportionalen Anstieg wieder hoch. Sie erreicht im Verlauf des Jahres wieder die 15 %-Marke und steigt infolge der Hartz IV-Gesetze im November 2005 auf 17,6 % an. In Nordrhein-Westfalen schneidet allein Gelsenkirchen schlechter ab. Die Struktur der Erwerbslosen spiegelt die ökonomische Umbruchsituation wider, lässt aber auch erkennen, dass über die massive arbeitsmarktpolitische Intervention „noch Schlimmeres verhindert wurde“. Der Anteil der Arbeiter unter den Erwerbslosen liegt mit 64,2 % etwas höher als der Bundesdurchschnitt (63,5 %). Der Anteil der Erwerbslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung ist mit 48 % hoch, jedoch nicht höher als im NRW-Vergleich. Allerdings verweist die im Bundesvergleich überproportional hohe männliche Erwerbslosenquote von 19,8 % im November 2005 (Frauen 18,4 %; November 2004 13,6 %1) (Bund im Vergleich: Männer 12,3 %; Frauen: 13,6 %) auf das Problem vor allem männlicher Erwerbsloser, im tertiarisierten Dortmund Beschäftigung zu finden. Rund 24 % der Erwerbslosen sind nicht-deutscher Herkunft. Doch ehemalige Industriebeschäftigte sind – bedingt durch massive arbeitsmarktpolitische Interventionen – unter den Erwerbslosen mittlerweile in der Minderheit. Insbesondere ein arbeitsmarktpolitisches Instrument machte sich bemerkbar: der Einsatz der Vorruhestandsregelung. Mit einem Anteil von 26,3 % liegt der Anteil der Erwerbslosen über 50 Jahren knapp über dem Bundesdurchschnitt (25,6 %). Darüber hinaus prägen Entlassungen bei den einstigen Zugpferden der Dortmunder Dienstleistungsökonomie (Handel, Banken und Versicherungen, öffentlicher Dienst) die Strukturierung der Arbeitslosigkeit: rund 58 % der Erwerbslosen kommen inzwischen aus dem Dienstleistungssektor. Seit Jahren liegt der Anteil der Langzeitarbeitslosen mit leichten Schwankungen über 40 %; im November 2005 lag er gar bei 48,1 %. Bei den arbeitsmarktpolitischen Akteuren der Stadt macht sich Resignation breit; auch bei einer verbesserten gesamtwirtschaftlichen Konjunkturlage wird künftig mit einer hohen Sockelarbeitslosigkeit gerechnet (Do/NWA05). Zudem geht die neue Strukturierung mit einer dramatischen sozialräumlichen Polarisierung einher: der Dortmunder Norden gilt als ein von der neuen Arbeitsmarktentwicklung abgekoppelter Raum. Im Vergleich zu Dortmund wirkt die Beschäftigungssituation im Raum Nürnberg geradezu entspannt. Im bundesweiten Vergleich verzeichnete der Arbeitsamtsbezirk, zu dem neben den Städten Nürnberg, Fürth, Erlangen und 1
Hier macht sich der sogenannte „Hartz-IV-Effekt“ bemerkbar.
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Schwabach die umliegenden Landkreise zählen, Ende der 1990er Jahre einen weit überdurchschnittlichen Rückgang der Erwerbslosenzahlen. Auch nach dem Konjunktureinbruch lag die Arbeitslosenquote mit 9 % (Mai 2004) unter dem Bundesdurchschnitt; im November 2005 entspricht sie mit 10,9 % dem Schnitt. Im intraregionalen Vergleich weist das Oberzentrum Nürnberg schlechtere Werte als beispielsweise der Medizintechnik-Standort Erlangen (6,2 %, November 2005 ) auf. Unter den Erwerbslosen beträgt die Quote der Langzeitarbeitslosen 37,7 %. Und dies trotz widriger Umstände. Vom Arbeitsplatzabbau war ganz überwiegend die standardisierte Massenfertigung betroffen; in den verbliebenen Industrieunternehmen erhöhte sich der Beschäftigtenanteil in den High-TechBereichen. An den Montagebändern der Haushaltsgeräte-, Unterhaltungselektronik- und Verbrauchsgüterindustrie mit ihren im Vergleich zur Stahlbranche niedrigeren Löhnen arbeiteten überwiegend un- und angelernte Frauen und Migranten/-innen. Ähnlich wie in Dortmund kommen mittlerweile 57 % der Erwerbslosen aus Dienstleistungsberufen (Wirtschaftsreferat Nürnberg 2003: 29). Unter den Erwerbslosen stellen – auch durch arbeitsmarktpolitische Intervention – mit 34 % ehemals in Fertigungsberufen Beschäftigte nun die Minderheit. Der Anteil erwerbsloser Arbeiter/-innen liegt mit 60 % unter dem Bundesdurchschnitt. Dennoch spiegelt die Arbeitsmarktstruktur die Spezifik der traditionellen mittelfränkischen Industriestruktur wider: der Anteil von Erwerbslosen über 50 Jahre ist mit 27,2 % (November 2005) beträchtlich höher als in Dortmund, wo Vorruhestandsregelungen in den Konzernen zur gängigen Praxis zählten. Weit überdurchschnittlich ist mit 32,9 % auch der Anteil ausländischer Erwerbsloser. Rund 50 % aller erwerbslos Gemeldeten verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Vermittlungsmöglichkeiten in große Firmen sieht das lokale Arbeitsamt nicht mehr: „Die bauen tendenziell ab“ (N/NWA05). Vermittlung in Kleinbetriebe und Zulieferer „gelang nicht in größeren Zahlen, nur in Teilbereichen“. Zudem erweise es sich „als unheimlich schwierig, die Leute zu bewegen, zu einem Mittelständler zu gehen“. Auch in Nürnberg geht die neue Strukturierung des Arbeitsmarktes mit Tendenzen zu sozialräumlicher Polarisierung einher. So sind Arbeitslosenquoten über 20 % in einzelnen Stadtteilen zu registrieren. In Chemnitz wirken wiederum anderen Mechanismen. Im ostdeutschen Regionenvergleich steht die Chemnitzer Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung relativ gut da. In den Jahren 1995 bis 2000 verzeichnete der Arbeitsamtsbezirk Chemnitz einen Arbeitsplatzzuwachs von 7.775 Stellen. Mit einer Arbeitslosenquote von 16-18 % (16,4 % November 2005) liegen die Werte bis heute unter dem Landesdurchschnitt. Insbesondere seit dem Jahr 2000 muss allerdings ein Anstieg geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse konstatiert werden. In dem in Westdeutschland traditionell weiblichen Niedrigstlohnbereich sind in Chemnitz
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zu 43 % Männer beschäftigt. Nach Entlassungen im öffentlichen Dienst und bei den Chemnitzer Verkehrsbetrieben stellt ver.di nun die zunehmende Beschäftigung tschechischer Arbeitskräfte im Pflegedienst und ein subcontracting an tschechische Verkehrsunternehmen durch regionale Verkehrsgesellschaften fest (C/GW09). Vor allem höher Qualifizierte verlassen die Region. In mehrfacher Hinsicht stellt die Chemnitzer Arbeitsmarktproblematik das Gegenstück zu der Dortmund dar. In Chemnitz liegt der Arbeiteranteil unter den Arbeitssuchenden aufgrund arbeitsmarktpolitischer Intervention mit 55,6 % nicht höher als im Bundesdurchschnitt. Das im Vergleich formal weitaus höhere Qualifikationsniveau in Ostdeutschland hatte für die Beschäftigungsaussichten aber keine positiven Folgen. Während im Ruhrgebiet die Vorruhestandsregelung deutliche Arbeitsmarkteffekte zeigte, sind in Chemnitz 32,1 % der Erwerblosen über 50 Jahre alt. In Dortmund sind primär Männer vom Strukturwandel betroffen (eine Einschätzung, die nach dem „Hartz-Effekt“ allerdings relativiert werden muss), in Chemnitz wirkt sich die Beschäftigungsentwicklung vor allem für Frauen negativ aus. Parallel zum fortschreitenden Niedergang der Textilindustrie schließt sich die verbliebene Industrie als weitgehend männliche Beschäftigungsdomäne ab. Der Anteil erwerbssuchender Frauen liegt mit 51,2 % über dem Bundesdurchschnitt (47,9 %). Das Arbeitsamt Chemnitz selbst organisierte bereits für Frauen Saisonarbeit im Bayrischen Hotel- und Gaststättengewerbe (C/NWA06). Nur aufgrund des massiven Einsatzes von ABM und mehrjährigen Qualifizierungsmaßnahmen übersteigt die Langzeitarbeitslosenquote nicht 42, 2 %. Der Chemnitzer Arbeitsmarkt weist eine ausgeprägt duale Struktur auf: „Es gibt keinen besseren Beweis als unsere Region, dass man mit Niedriglohn keine Arbeitsplätze schafft. Die, die wirklich gut verdienen, das ist ein ganz kleiner Kreis. Wer bei VW arbeitet, das ist ja wie eine Insel. Auch Siemens zahlt noch Tariflohn. Aber wie viel sind das denn in Chemnitz? In den anderen tarifgebundenen Betrieben läuft die Leiharbeit, laufen die Kämpfe, dass die angestellt werden. Leiharbeit spielt eine große Rolle, wenn sie Arbeit kriegen, ist es oft Leiharbeit, und dann sind es oft Hundelöhne“ (C/NWA02).
6.2 Zwischen Beschäftigungsfokus und Erwerbslosenarbeit: gewerkschaftliche Gestaltungsansätze in den Regionen Wie reagieren die arbeitsmarktpolitischen Akteure und insbesondere die Gewerkschaften auf die anhaltenden Strukturprobleme?
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6.2.1 Dortmund Die für Westdeutschland extreme Arbeitsmarktproblematik hat in Dortmund bereits seit den 1980er Jahren eine für soziale und beschäftigungspolitische Fragen hoch sensible Szene unterschiedlichster gesellschaftlicher Akteure entstehen lassen, die für die Aufrechterhaltung der beschäftigungspolitischen Zielsetzungen der Strukturpolitik von maßgeblicher Bedeutung ist. Seit das Drohgespenst des regionalen Absturzes vor annähernd 20 Jahren arbeitsmarkt- und sozialpolitische Akteure mobilisierte, werden in Dortmund Langzeitarbeitslosigkeit, die Gefahr einer zunehmenden sozialen Polarisierung, Armutsentwicklung und Marginalisierung einzelner Stadtteile weit stärker als in anderen Ruhrgebietsstädten thematisiert und bearbeitet. Der Strukturwandel provozierte bereits in den 1980er Jahren arbeitsmarktpolitische Aktivitäten. In der zur Universitätsstadt mutierten Stahlmetropole traten neben den Parteien neue Akteure in Erscheinung: Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Kirchen. Hinzu kamen Initiativen aus den sozialen Bewegungen sowie aus dem universitären Umfeld. Zur Dortmunder Spezifik gehört, dass die Träger von Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zumeist in den 1980er Jahren aus den Neuen Sozialen Bewegungen hervorgegangen sind. Es handelt sich häufig um Beschäftigungsinitiativen, in denen zielgruppenorientierte Arbeit mit Mitteln des Arbeitsamtes und der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung geleistet wurde. Diese Initiativen agieren heute als Teile der professionalisierten Träger, die auf die Durchführung arbeitsmarktpolitisch geförderter Beschäftigungsmaßnahmen spezialisiert sind oder die die geförderte Beschäftigung als eigenständiges Geschäftsfeld betrachten. 1998 wurden in Dortmund von mehr als 40 Trägern 55 Maßnahmen für 1.157 Teilnehmer/-innen durchgeführt. Die Stadt Dortmund richtete einen „Kommunalen Arbeitsmarktfonds“ ein, um einen eigenen Beitrag zur Vorbereitung und Durchführung von Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie zur Professionalisierung und Stabilisierung der Dortmunder Trägerlandschaft zu leisten (Bosch u. a. 1999). Zusammengenommen nahmen im Jahr 1998 etwa 4.000 Personen an Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen unterschiedlicher Träger teil (vgl. Kock 2000). Abbau von Industrieruinen, Renaturierung, der Aufbau ökologischer und sozialer Stadtteilprojekte wurden durch diese Initiativen möglich. Unzureichende Fördermittel für Personal- und Sachkosten stellten für die Träger jedoch ein kontinuierliches Problem dar, das erst durch eine selektive Bezuschussung aus öffentlichen Mitteln gemindert wurde.
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Armutskonferenzen Der DGB selbst setzte Armutsentwicklung und soziale Stadtentwicklung als gewerkschaftliches Thema auf die Tagesordnung. Die 1995 von der Sozialforschungsstelle vorgelegte Studie zur Armutsentwicklung in Dortmund (Vollmer u. a. 1995) gab den Anstoß zur Durchführung von mittlerweile drei vom DGB und den Wohlfahrtsverbänden organisierten Dortmunder Armutskonferenzen. 1996 fand in Zusammenarbeit mit der Kooperationsstelle WissenschaftArbeitswelt eine Tagung zu gewerkschaftlichen Perspektiven für eine soziale Stadtentwicklung statt. Zunächst eher ein im kommunalpolitischen Diskurs randständiges Thema, ist soziale Stadtteil- und Stadtentwicklung mittlerweile als Anspruch der Stadt etabliert. Das Thema wird in Konferenzen, Publikationen sowie über Projekte bearbeitet, die aus europäischen Mitteln der Stadtteilförderung finanziert werden. Der Schwerpunkt der Einzelgewerkschaften liegt auf einem anderen Feld. Nicht Erwerbslosigkeit, sondern die Vermeidung von Arbeitsplatzabbau und Arbeitslosigkeit ist ihr Thema. Seit der Schließung der Westfalenhütte 1996 – und damit im Vergleich zu anderen Regionen vergleichsweise spät – sehen sich die Dortmunder Gewerkschaften genötigt, auf das Instrument der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zurückzugreifen. Die PEAG und andere Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften Seinen Ursprung haben betriebsnahe Beschäftigungsgesellschaften in der Stahlkrise der 1980er Jahre. Die IG Metall entwickelte als Alternative zum Sozialplanmodell das Konzept befristeter, durch den Arbeitgeber zu finanzierender Auffanglösungen – seinerzeit noch mit der Erwartung einer nach Restrukturierungsprozessen und Qualifizierung der Beschäftigten möglichen Rücknahme in den Konzernarbeitsmarkt (Knuth 1996). Rein rechtlich handelt es sich bei Beschäftigungsgesellschaften, die über Sozialplanmittel finanziert werden, um Sozialbetriebe des Unternehmens, die allerdings eine eigenständige Gesellschaftsform annehmen. Dies macht die Brisanz ihrer Durchsetzungsoption deutlich. Betriebsnahe Beschäftigungsgesellschaften sind von politischen Kräfteverhältnissen abhängig. Die Arbeitskämpfe in der Stahlindustrie gingen der Etablierung dieser Gesellschaften voraus. Beschäftigungsgesellschaften waren bereits in Duisburg-Rheinhausen und Hattingen etabliert, als sich dieses Instrument auch in Dortmund 1996 als Notlösung anbot. Während der Gesamtbetriebsrat zunächst noch auf eine Fortsetzung des Arbeitskampfs um die Westfalenhütte setzte, legte die Lagebeurteilung der IG Metall auf regionaler und Bezirksebene die Auffanglösung nahe. Auf Landesebene verhandelten ThyssenKrupp, IG Metall,
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DGB und Landesregierung die Modalitäten der Gründung einer Beschäftigungsgesellschaft aus, die die immense Aufgabe der Vermittlung von 6.200 Beschäftigten in neue Beschäftigungsverhältnisse zu schultern hatte. Der politische Gründungskontext bedingte eine in ihrer Verfasstheit außergewöhnliche Lösung. Getragen wird die seit 2000 Personalentwicklungs- und Arbeitsmarktagentur GmbH (PEAG) genannte Gesellschaft von ThyssenKrupp sowie den ISPAT Stahlwerken GmbH, der Stadt Dortmund, der IHK Dortmund, der IHK Essen sowie der IHK Niederrhein. Nach den ersten Erfolgen schlossen sich auch Mannesmann, Karstadt Warenhaus sowie die RWE dem Trägerkreis an. Das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, der IG Metall Bezirk, die Arbeitsdirektoren der Gesellschafter und die Betriebsräte sind im Beirat vertreten. „Die sagen alle, wir gehören nicht zum Kerngeschäft und müssen deshalb keine Gewinne machen. Das ist sehr angenehm. Unternehmensziel ist also nicht Gewinne zu machen, sondern Mitarbeiter unterzubringen“ (Do/NWA07).
Die PEAG ist auf berufliche Orientierung und Vermittlungstätigkeit fokussiert, Qualifizierung ist outgesourct. Ihr gelangen zuvor kaum erwartete Vermittlungserfolge: „Von den 6000 haben wir jetzt noch 200. Die sind nicht die Leichtesten. Da hat der BR immer seine Hand drüber gehalten. Aber wir sind noch ganz optimistisch. Es ist niemand betriebsbedingt gekündigt worden. Allerdings haben wir auch Wege genommen, die wir jetzt nicht mehr gehen sollen (gemeint ist die Vorruhestandsregelung, d. A.). Es sind ganz gezielt ältere Mitarbeiter in Duisburg angesprochen worden, einen Platz für einen Dortmunder Jungen freizumachen“ (Do/NWA07).
Zwei weitere strategische Vorteile kamen hinzu: der Zugang zum Konzernarbeitsmarkt von ThyssenKrupp, wie nachfolgend auch zu dem der neuen Mitgesellschafter: „Da wird immer mal eine Stelle frei.“ Hinzu kommen außergewöhnlich gute Kontakte in die Region hinein. „Wir haben festgestellt, dass mehr als 50 Prozent der Arbeitsplätze nicht veröffentlicht werden. Wie kommt man an solche Arbeitsplätze? Natürlich muss man Netzwerke aufbauen. Die IG Metall ist ein Supernetzwerk. Wir hatten so einen Fall, da hat die örtliche IG Metall alle Betriebsräte dazu verdonnert, uns alle offenen Stellen, die intern nicht besetzt werden können, zu nennen. Da hatten wir bei einem ganz schwierigen Unternehmen eine Vermittlungsrate von 81 %. Viele KMU scheuen sich davor; sie müssen erst mal definieren, was sie wollen, dann müssen sie zur Zeitung gehen, dann müssen sie Leute einladen. Wir können denen sagen: wir können Ihnen den so schnitzen, wie Sie ihn brauchen; wir können ihn so qualifizieren, wie Sie ihn brauchen“ (Do/NWA07).
Gegenüber den Anfangsjahren, in denen die gewerblich Beschäftigten der ThyssenKrupp Stahlwerke die Mehrheit der zu vermittelnden Mitarbeiter bildeten,
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liegt heute der Anteil der Angestellten bei 50 %, hierunter 4 % außertarifliche Angestellte. Ausländische Beschäftigte aus Industrie und Bauwirtschaft bilden rund 15 % der Klientel. Zwischenzeitlich hat sich die PEAG durch die bundesweite Auftragsübernahme für Konzerne wie mittlerweile auch für KMU zu der größten Beschäftigungsgesellschaft in Nordrhein-Westfalen und mit 17 bundesweiten Standorten zu einem der großen Player auf dem Transfermarkt entwickelt. 2003 beschäftigte sie 7.000 Arbeitnehmer. Die Non-Profit-Orientierung erweist sich als Wettbewerbsvorteil: „Preislich sind wir meist attraktiver als andere, die hinter dem Geld her sind und teilweise unverschämte Preise fordern.“ Die PEAG ist in ihrer Struktur eine politische Ausnahmeerscheinung, die nahezu idealtypisch die Durchsetzungsmöglichkeiten dieses Modells reflektiert. Doch dieser Erfolg war und ist kontextabhängig. Er ist nur als Folge der Aufmerksamkeit, die die Arbeitskämpfe dem Personalabbau in der Stahlindustrie und ihren regionalen Auswirkungen verschafft hatten, erklärbar. Aber auch die Montanmitbestimmung, die soziale Verantwortung, die die beteiligten Konzerne zu übernehmen bereit waren und die landespolitische Unterstützung zählen zu diesem Kontext. In anderen Wirtschaftssektoren wie auch in anderen Regionen war Vergleichbares nicht durchzusetzen. Damit sind wir bei Grenzen, die dieses Modell selbst in Dortmund aufweist: „Also es gibt in der Stahlindustrie eine eigene Beschäftigungsgesellschaft – aber da habe ich gar nicht die Kenntnisse und komme da auch nicht rein. Das ist so eine Art geschlossene Gesellschaft, der Montanbereich“ (Do/GW05), erklärt ein Gewerkschafter aus einem anderen Wirtschaftszweig.
Angesichts des fortgesetzten Arbeitsplatzabbaus und des Beispiels aus der Stahlindustrie, begannen sich auch andere Gewerkschaften für das Instrument der Beschäftigungsgesellschaft zu interessieren. Hier insbesondere die vom Personalabbau des Brauereigewerbes betroffene NGG sowie die HBV, die mit Entlassungen im Einzelhandel und Bankenwesen konfrontiert war. Die PEAG-Lösung kam für diese Akteure nicht in Betracht. In diesen Branchen bleiben die auszuhandelnden Sozialplanmittel hinter dem Stahlsektor zurück. Die Löhne sind erheblich niedriger und die Beschäftigungsaussichten gerade im Lebensmittelund Gaststättengewerbe durch Niedriglohnbeschäftigung gekennzeichnet. Auch die Preisvorstellungen der PEAG erscheinen dann als zu hoch. „Für mich war wichtig, dass ich den Sozialplan in vollem Umfang an die Beschäftigten gekriegt habe. Wenn ich in solchen Bereichen arbeitslos werde, also in Dienstleistungen oder im Lebensmittel-Handwerk, dann ist das nicht gewährleistet, dass ich übermorgen eine Stelle kriege – obwohl: Fachkräfte-Mangel im Gaststätten-Gewerbe – ich kriege trotzdem keine adäquate Stelle. Ob ich in der Großküche oder à la carte koche, ist eben ein himmelweiter Unterschied.... Und da war so der Punkt, wo ich gesagt habe: ich verhandle keinen Sozialplan zugunsten der PEAG, sondern zugunsten meiner Mitglieder“ (Do/GW05).
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Durchsetzung und Gründung einer betriebsnahen Beschäftigungsgesellschaft bedürfen des Know-hows; Berater sind jedoch nicht umsonst zu haben. Die Gewerkschaft NGG griff auf einen Rechtsanwalt und einen Unternehmensberater zurück, deren Finanzierung durch das Arbeitsamt und die Wirtschaftsförderung bezuschusst wurde. Die 1997 gegründete Beschäftigungsgesellschaft (BAQ – Beschäftigungs-, Auffang- und Qualifizierungsgesellschaft mbH) vereinigte unter ihrem Dach schließlich mehrere Töchter: einzelbetriebliche Auffanglösungen für Arbeitnehmer der Kronen-Brauerei, der Co-op GmbH und des Getränkeherstellers Kettner GmbH. Auf der einen Seite entstehen in Dortmund Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften in betriebsnahen Lösungen; auf der anderen Seite ist die Vielzahl der auf diese Weise gegründeten Gesellschaften inzwischen gebündelt worden. Um die Kooperation der verschiedenen gewerkschaftsnahen Beschäftigungsgesellschaften zu organisieren, bedurfte es der Anregung von außen. Seit das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit NRW dazu aufrief, in den Regionen regionale Kompetenznetzwerke zu Transfergesellschaften und zur Beschäftigungssicherung ins Leben zu rufen, sind PEAG, pendo und BAQ zu einem ‚Lokalen Kompetenznetzwerk Dortmund’ (LOKon) gebündelt, zu dem sich auch DGB, IG Metall, die Gewerkschaften NGG und HBV zählen. Für die Landespolitik galt der Erfolg der PEAG lange Zeit als Maßstab zur Beurteilung der Erfolgsaussichten professionellen Beschäftigungstransfers: „Wenn ich dem Glauben schenke, was uns die PEAG in Dortmund erzählt, funktioniert das in weiten Teilen recht erfolgreich... . Natürlich, Leute mit einer ganz guten Facharbeiterausbildung mittleren Alters, die kriegt man relativ schnell in neue Branchen, nicht immer nur unbedingt im näheren Umfeld von Dortmund. ... Etwas schwieriger wird es schon, wenn sie etwa vom produzierenden Gewerbe in den Dienstleistungssektor überwechseln wollen, wenngleich ich sagen muss, auch da haben wir in NRW und mit der PEAG verblüffende Ergebnisse erzielt. Ich nenne das Beispiel immer, weil es so exotisch wirkt, Bergleute zu Altenpflegern zu machen, solche Möglichkeiten gibt es. Verdichtete Probleme entstehen überall da, wo wir es mit Beschäftigten zu tun haben, die eine geringe formale Qualifikation haben, keine zertifizierten Abschlüsse, erst recht dann, wenn sie noch ein bisschen lebensälter sind und wenn sie aus einem anderen sprachlich-kulturellen Hintergrund kommen. Das ist ein riesiges Problem, wenngleich ich beobachte und von der PEAG in Dortmund höre, dass mit dem entsprechenden, dann auch individuell auszurichtenden Betreuungsaufwand auch da Unterstützung und Hilfe angeboten werden kann“ (Do/Pol04).
Für die Dortmunder Gewerkschaften indes sind die Erfolgsaussichten des Beschäftigtentransfers keineswegs selbstverständlich. Die BAQ der NGG hat 2001 Insolvenz anmelden müssen. Selbst die PEAG konstatiert angesichts der Konjunkturlage wachsende Schwierigkeiten: „Betriebe rationalisieren und rationalisieren, in Zukunft sind es nicht mehr nur die Älteren, sondern auch die Jüngeren. Die Unternehmen stehen nicht mehr vor der Wahl, das Unterneh-
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men leistungsfähiger zu kriegen und die Mitarbeiter leistungsfähiger zu bekommen, sondern direkt zu verlagern. Wir sehen das jetzt schon, das für uns die Vermittlung immer schwieriger wird. Die Vermittlungsquote lag 2000/2001 bei 70 bis 80 %. Da haben wir das noch überhaupt nicht gemerkt. Aber in diesem Jahr. In den letzten zwölf Monaten ist die Vermittlungsquote schon um 10 % gesunken. ... Da hilft alles schöne Akquirieren nach neuen Stellen wenig“ (Do/NWA07).
6.2.2 Nürnberg Den Raum Nürnberg als Krisenregion zu problematisieren, ist bis heute eine Gewerkschaftsangelegenheit geblieben (vgl. Kapitel 3). Eine plurale Projektkultur wie in Dortmund ist in Nürnberg nicht entwickelt. Hier wirkt sich aus, dass sich der industrielle Niedergang über etliche Betriebsschließungen und anhaltenden Arbeitsplatzabbau eher prozessierend, denn als abrupter Bruch gestaltete. Neben betrieblichen Modernisierungen (vgl. Kapitel 7) wurde seit Mitte der 1990er Jahre das Bemühen, Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie an der Erwerbslosigkeit vorbei über Qualifizierung in neue tarifgebundene Beschäftigung zu bringen, zum zentralen arbeitsmarktpolitischen Ansatzpunkt des gewerkschaftsnahen Netzes. Die GPQ Die anstehende Entlassung von 500 Beschäftigten eines Grundig-Werks wurde 1995 zum Auslöser für die Gründung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Schon zuvor hatte die IG Metall die Notwendigkeit diskutiert, das Instrument des Sozialplans um „eine andere Beschäftigungspolitik“ zu ergänzen. Da man über keine eigenen Erfahrungen verfügte, ging die IG Metall auf die Mypegasus Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft zu, die ein Jahr zuvor als eigenständige Gesellschaft in Rastatt gegründet worden war. Unter ihrem Dach wurde die GPQ (Gesellschaft für Personalentwicklung und Qualifizierung) zunächst mit dem Ziel einer einzelbetrieblichen Auffanglösung gegründet. Die Durchsetzung des Modells in weiteren Krisenbetrieben, darunter Lucent, AEG und SEL, bedingten eine Verstetigung des arbeitsmarktpolitischen Akteurs. Inzwischen ist aus der ehemaligen Auffanggesellschaft ein Personaldienstleister mit 26 Mitarbeiter/-innen und Zweigstellen in Göttingen und Dessau sowie einem ausgegründeten Weiterbildungsunternehmen geworden. Die outgesourcte Gesellschaft für Arbeitsmarktintegration und Qualifizierung (AQUA) ist auf ältere Arbeitnehmer, Un- und Angelernte sowie nicht-deutsche Arbeitnehmer/innen spezialisiert. Die GPQ ihrerseits ist Tochter der Mypegasus geblieben – einer Gesellschaft, die sich zu einem der größten Personaldienstleister im Bun-
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desgebiet entwickelt hat. Als am Markt operierendes Unternehmen unterscheiden sich Mypegasus/GPQ maßgeblich von den Dortmunder und – wie noch zu zeigen sein wird – Chemnitzer Lösungen. Ähnlich wie auch in anderen Beschäftigungsgesellschaften beruht das Konzept der GPQ auf zwei Stützpfeilern. Der eine ist die Strukturkurzarbeit und die Gewährung von Strukturkurzarbeitergeld nach §175 SGB. Hierbei handelt es sich um ein Instrument, das eingesetzt werden kann, wenn Strukturveränderungen eines Unternehmens Personalabbau in bestimmten Größenordnungen zur Folge haben. Das Verfahren setzt die Ausschöpfung aller innerbetrieblichen Instrumente und die Zustimmung der Betriebsparteien voraus. Im Unterschied zu den konjunkturellen Formen der Kurzarbeit ist Strukturkurzarbeit – max. 24 Monate – auf Qualifizierung und gegebenenfalls Vermittlung in neue Beschäftigung ausgerichtet. Die Arbeitnehmer schließen einen befristeten, tarifgebundenen Arbeitsvertrag mit der Beschäftigungsgesellschaft, das Arbeitsamt zahlt Kurzarbeitergeld in Höhe von 60/67 %, während das Unternehmen über die Sozialversicherungsbeiträge, Urlaubsgeld etc. auf rund 80 % des bisherigen Nettoeinkommens aufstockt. Die im Anschluss stattfindenden Qualifizierungsmaßnahmen werden über die Akquisition Europäischer Sozialfondsmittel kofinanziert. Die zweite Säule stellen Sozialplanmaßnahmen nach § 254, SGB III dar. Hierbei handelt es sich um Qualifizierungsmaßnahmen, die nach der ausgesprochenen Kündigung bis zum Ende der Kündigungsfrist im Betrieb durchgeführt werden. Die Höchstdauer liegt in der Praxis bei drei Monaten. Eine der Besonderheiten des GPQ- bzw. Mypegasus-Konzepts stellt die breite Angebotspalette dar. Zum Bereich Qualifizierungen zählen Profiling, Bewerbungstrainings, Kurz- und Anpassungsqualifizierungen, Umschulungen sowie die Vermittlung von Praktikaplätzen. Darüber hinaus finden Beratungen und Schulungen für Existenzgründer statt. Aus der ursprünglichen Konzeption, von einem Unternehmen übernommene Beschäftigte bei erneuter Arbeitskräftenachfrage wieder per Arbeitnehmerüberlassung zurück zu vermitteln, ist zwischenzeitlich der zusätzliche Schwerpunkt einer professionellen Arbeitnehmerüberlassung geworden. Gegenüber der Konkurrenz von Zeitarbeitsfirmen profiliert sich die GPQ dabei als ein für Betriebe geringfügig billigerer Anbieter: die tarifgebundenen Grundlöhne der GPQ-Beschäftigten liegen zwar über denen der Zeitarbeiter anderer Firmen, doch kalkuliert die GPQ mit geringeren Betriebskosten und Risikozuschlägen. Mit einer kommerziellen Leiharbeitsfirma will die GPQ jedoch nicht verglichen werden. Die GPQ-Beschäftigten können selber entscheiden, ob sie einen solchen Einsatz annehmen. Den dritten Schwerpunkt bildet die Vermittlungstätigkeit. Über job-hunting werden neue, wenn möglich tarifgebundene Beschäftigungsverhältnisse gesucht. Verglichen mit anderen Beschäfti-
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gungsgesellschaften operiert die GPQ also nicht nur multifunktional, sondern stark nachfragebezogen. Ihre Kunden findet die GPQ überwiegend über die IG Metall. Sie vermittelt in die regionale Metall- und Elektroindustrie: „Um ein schönes Beispiel zu nennen: die Firma M. – eine größere Stanzerei, 70 Mitarbeiter, eine Geschäftsführung: von nichts eine Ahnung, und die haben es fertig gebracht, den Laden fast kaputt zu kriegen. Und dann ist die Geschäftsführung quasi durch Intervention der IG Metall gestürzt worden. Dann ist ein neuer Unternehmer gefunden worden..., der hat sich das angeguckt, und mit dem Instinkt des guten Unternehmers hat er gesehen, dass in dem Laden Substanz ist. Und dann haben wir mit dem Folgendes vereinbart: 50 Leute von den 70 übernehmen wir, über die Arbeitnehmerüberlassung kriegst du 25 zurück, um das Risiko für dich zu minimieren, und dann schauen wir mal, wie sich das entwickelt. Inzwischen haben die wieder 60 Beschäftigte, auch einen großen Teil von denen, die wir übernommen haben. Der ruft uns ständig an: er braucht Leute, der Laden floriert...“ (N/NWA03).
Derartige Fälle einer Rückübernahme sind jedoch selten. Den Schwerpunkt bildet die Qualifizierung und Vermittlung in neue Beschäftigungsverhältnisse des ersten Arbeitsmarktes. Die Vermittlungsquoten liegen im Durchschnitt bei 60 bis 65 %, bei Facharbeitern deutlich darüber (90 %), bei An- und Ungelernten pendeln sie um 50 %. Als größter struktureller Diskriminierungsfaktor gilt den GPQ-Mitarbeitern jedoch nicht das Qualifikationsniveau, sondern mittlerweile das Alter. Ein 21jähriger Lagerarbeiter ist leichter zu vermitteln als ein 50jähriger Elektroingenieur – eine gänzlich andere Erfahrung als die der PEAG in Dortmund, die über ihren Unternehmenszugang für qualifizierte Ältere wenig Probleme sieht. Größtes Vermittlungsproblem sind nicht die sogenannten Drückeberger, die nach Schätzungen von GPQ-Mitarbeitern allenfalls 10 % der Betreuten ausmachen, sondern die materiellen Einbußen, die viele Vermittelte hinnehmen müssen: „90 % haben eine realistische Einschätzung ihrer Situation... Wenn es tatsächlich zu Blockaden bei der Vermittlung kommt, dann hängt es nicht damit zusammen, dass die Leute nicht arbeiten wollen, sondern dass sie immense Probleme haben, den materiellen Niedergang, den sie in Kauf nehmen müssen, auch mental zu bearbeiten“ (NWA/N1).
Tatsächlich führt der Durchlauf durch die GPQ – wie auch in anderen Beschäftigungsgesellschaften – zu einer „regulierten Lohndrift“ nach unten. Die Tarifbindung der GPQ gilt für die Zeit der Strukturkurzarbeit, eine Vermittlungsgarantie in tarifgebundene Beschäftigungsverhältnisse gibt es jedoch nicht. Die Mehrzahl der GPQ-Partner sind Großbetriebe mit vergleichsweise hohen Löhnen und Sozialleistungen. Wenn Beschäftigte per Arbeitnehmerüberlassung rückvermittelt werden, geschieht dies auf der Basis eines 20 % niedrigeren Lohnniveaus. Weit darunter liegen diese im Fall der befristeten Arbeitnehmerüberlassung in fremde
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Betriebe. Bei Neuvermittlung in den KMU-Sektor müssen die Arbeitnehmer – je nach Qualifikation – Lohneinbußen um 15 bis 20 % bei Facharbeitern oder gar um 30 bis 35 % bei Un- und Angelernten hinnehmen. Damit sind wir schon bei den Problemen des GPQ-Modells. Obwohl sie inzwischen zu den angesehenen Anbietern „im oberen Marktsegment“ gehört, ist ihre Rolle innergewerkschaftlich wie auch bei den Betriebsräten umstritten. Die Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen. Die GPQ sei schlicht zu teuer und beanspruche einen zu großen Teil der Sozialpläne für sich selbst. Als professioneller Akteur entwickle sie eine Eigendynamik. Sie strebe nach „Geschäften“. Zudem käme es manchen Betriebsräten entgegen, wenn sie Entlassungen ohne Konflikt über die GPQ „sozialverträglich“ abfedern könnten. Regelungen, die nach einem Konflikt entstünden, seien aber häufig besser. Insofern laufe die Beschäftigungspolitik à la GPQ „bestenfalls auf ein Nullsummenspiel“ hinaus, mitunter sei sie „sogar schädlich“ (N/GW05, N/GW06). Die Fälle Trix und AEG Unsere Recherchen legen eine differenziertere Bewertung nahe. Tatsächlich sind wir auf Beispiele für eine aus Gewerkschaftssicht äußerst problematische Wirkung von GPQ-Lösungen gestoßen. Ein ausgesprochener Negativfall ist der Ablauf bei AEG Hausgeräte, einem inzwischen vor der Schließung stehenden Betrieb mit einem hohen Anteil weiblicher, nicht-deutscher Beschäftigter. Unter dem Druck der Konzernmutter Elektrolux betrieb man eine Politik, die mit Ausgründungen, Auslagerungen und massivem Personalabbau agierte. Nach Ansicht der Betriebsräte gab es schon vor dem Großkonflikt um die Schließung zum Personalabbau keine Alternative, sie plädierten für einen Sozialplan. Ungeachtet dessen engagierte sich die IG Metall stark für eine GPQ-Lösung. Den Betroffenen konnte dies jedoch selbst nach der Übernahme in die GPQ nur schwer vermittelt werden. Die übernommenen Arbeitnehmer/-innen reagierten mit hohen Krankenständen und zahlreichen Austritten aus der IG Metall (N/B04/BR01, N/B04/BR03, N/GW05). Allerdings gibt es auch positive Gegenbeispiele. Im Fall des Modelleisenbahn-Produzenten Trix hatte das externe Management bereits das Aus für den Standort beschlossen, als eine aktivierende Politik der IG Metall eine betriebspolitische Wende einleitete (N/GW07). Das Für und Wider einer Auffanglösung wurde mit den Betroffenen ausführlich diskutiert. Dies mit durchschlagendem Erfolg für die Gewerkschaft: „Noch während der GPQ-Phase sind Betroffene in die IG Metall eingetreten“ (N/B13/BR01). Im Fall eines Erlanger Industrieunternehmens, dessen Geschäftsführung die Finanzierung der Auffanglösung kategorisch ablehnte, setzte eine kampfstarke Belegschaft die GPQ-Lösung durch.
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„Hier ist es – wenn man so will – zu informellen Streiks gekommen. Die haben das Betriebstor zugeschweißt und die Buchstaben GPQ drangemacht. Es war ein harter, langer Konflikt, aber mehr war nicht drin“ (N/NWA03).
Auch bei Grundig wurde 2003 angesichts der anstehenden Entlassungen die GPQ-Lösung zum „identifizierenden Kampfziel“ (N/NWA03). Ermöglicht wurde sie nur durch eine aktivierende Gewerkschaftspolitik. Eine Schlussfolgerung kann nur lauten: Auffanglösungen sind erklärungs- und über ihre quantitativen wie qualitativen Vermittlungsresultate legitimationsbedürftig. Eine niedriger entlohnte Arbeit zu finden, ist in Nürnberg auch ohne eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft möglich. Der Nutzen von Qualifizierung und Vermittlungstätigkeit muss erkennbar sein und sich gegenüber den Sozialplangeldern auf dem privaten Bankkonto rechnen. Auch wenn Beschäftigungsgesellschaften von einem gewerkschaftsnahen Akteur betrieben werden, wirken sie sich für die Gewerkschaften nur positiv aus, wenn die zuständigen Sekretäre gemeinsam mit den Betriebsräten und Vertrauensleuten eine aktivierende Mitgliederpolitik betreiben. Eine Prämisse dieser Politik ist, dass das Für und Wider einer Auffanglösung jederzeit transparent gemacht werden muss. Die Langzeitperspektive der Kooperationsbeziehungen zwischen IG Metall und GPQ ist unklar. Der GPQ „bereitet als gewerkschaftsnaher Einrichtung der gnadenlose Wind“ zunehmender Konkurrenz Probleme. Zwar ist der Markt Beschäftigungs- und Transfergesellschaften stark expandiert, doch die GPQ steht immer häufiger mit arbeitgebernahen Beschäftigungsgesellschaften im Wettbewerb. Dabei kann das Ziel Tarifbindung zum Nachteil werden. Die gravierenden Veränderungen durch die neue Arbeitsmarktpolitik werden diese Situation noch verschärfen (vgl. 6.3.2). Die GPQ erwartet „ein Hauen und Stechen auf dem Weiterbildungsmarkt“, dem vor allem die kleinen Anbieter zum Opfer fallen dürften. In diesem Kontext wird es immer schwerer, GPQ-Lösungen überhaupt noch durchzusetzen. „Unsere Kernphilosophie ist: ein klares Bekenntnis zu dem gewerkschaftlichen Hintergrund, den wir haben, aber dieses bei vielen Unternehmensleitungen mögliche Negativimage muss durch eine überragende professionelle Arbeit sozusagen ergänzt werden“ (N/NWA03).
Als erste Beschäftigungsgesellschaft hat sich die GPQ nach ISO 9001/2000 zertifizieren lassen. Lebte die Beschäftigungsgesellschaft bis zum Ende der 1990er Jahre davon, dass die Aufträge durch die Gewerkschaftsbevollmächtigten an sie herangetragen wurden, so ist heute der Akquisebereich zu einer hochaktiven Abteilung gestaltet. Zu einem der wichtigsten Kooperationspartner zählt mittlerweile ein Insolvenzverwalter. Um sich auf ihre Kernkompetenz zu konzentrieren,
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hat sie die Qualifizierung schwer vermittelbarer Beschäftigter ausgegründet. Aus Gewerkschaftsperspektive allerdings wird die Kooperation mit dem am Markt operierenden Anbieter nicht einfacher. Die Bindungen werden lockerer. Ansätze eines Gegenentwurfs zur dominanten Arbeitsmarktpolitik enthalten die GPQPlanung aus naheliegenden Gründen nicht, eher äußert sich in den Planungen konzeptionelle Schwäche auch der Gewerkschaften. Brückenprojekt, Metallpool, Callcircle Kommen wir zu einigen jüngeren Handlungsansätzen der IG Metall, die im Vergleich zu dem Modell ‚Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft‘ für die Suche nach neuen Wegen ebenso kennzeichnend ist wie für deren strukturelle Fragilität. Kooperationspartner ist in diesen Fällen das Wirtschaftsreferat der Stadt. Der Arbeitsplatzabbau bei ALSTOM Energie, Adtranz, ABB und Cebal im Jahr 2000 hatte zur Folge, dass sich IG Metall und Wirtschaftsreferat zur Gründung eines gemeinsam getragenen Projektes zusammenfanden, das arbeitnehmerorientiert Einzelfallberatung anbieten sollte. Ziele des „Brücken in neue Beschäftigung“ genannten Projekts waren Unterstützungsleistungen bei der Suche nach neuen Beschäftigungsfeldern, Überbrückungslösungen sowie die Unterstützung von Betriebsräten in betrieblichen Reorganisationsprozessen. Anders als bei der GPQ war hier nicht die Qualifizierung und Vermittlung beabsichtigt, sondern die individuelle Weiterbildungs- und Berufswegberatung. Förderung der individuellen Gestaltungs- und Handlungskompetenz galt neben der begleitenden Suche nach neuer Beschäftigung als leitende Maxime der Arbeit. In mehreren Unternehmen war das ‚Brückenprojekt‘ zudem bei der Einrichtung eines von Betriebsräten getragenen Frühwarnsystems beteiligt. Im Nürnberger MAN-Werk richtete es in Kooperation mit Betriebsrat und Beschäftigten Projektgruppen zur betrieblichen Situationsanalyse ein (Wirtschaftsbericht 2003: 114). Allerdings ermöglichte die Finanzierungsgrundlage durch den Arbeitsmarkt- und Sozialfonds des Freistaates nur die Beschäftigung von zwei Mitarbeitern. Nach Ablauf des Förderzeitraums musste das Projekt im Herbst 2003 eingestellt werden. Im Jahr 2001 wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zur Grundlage für ein weiteres Projekt, das ursprünglich vom Wirtschaftsreferat, der IG Metall sowie der Bayrischen Metall- und Elektroindustrie entwickelt wurde: die Gründung des Metallpools. Ziel ist es hier, Unternehmen mit Personalüberkapazitäten und Personalbedarf zusammenzubringen und eine Arbeitnehmerüberlassung zwischen diesen zu institutionalisieren. Mittlerweile sind über zwanzig Unternehmen beteiligt, im Überlassungspool sind rund 150 Arbeitnehmer beschäftigt. Träger des Projekts ist das Berufliche Fortbildungszentrum der Bayrischen Wirtschaft. Dies unterscheidet den Ansatz von einem Projekt, das zwischenzeitlich
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durch den DGB Nürnberg in Kooperation mit dem Wirtschaftsreferat initiiert wurde. Für den Call-Center-Bereich hat der ‚Callcircle‘ ebenfalls die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Unternehmen zum Ziel. Träger ist jedoch in dieser ‚gewerkschaftsfreien Zone‘ TIBAY, die Technologie- und InnovationsberatungsAgentur des DGB und des Landes. Die Überlassung geschieht hier auf freiwilliger Basis der Mitarbeiter; der Träger übernimmt die Qualifizierung. Folgt man den arbeitsmarktpolitischen Schritten der IG Metall von der Gründung der GPQ über das befristete Projekt ‚Brücken für Beschäftigung‘ hin zum ‚Metallpool‘, wird die Einschätzung eines Gesprächspartners, arbeitsmarktpolitisch spiele die IG Metall nicht mehr die Rolle, „die sie hätte spielen können“, nachvollziehbar. Die IG Metall habe sich „rausdrücken lassen“ (N/NWA011), heißt es. Diese Schwäche könnte sich im Zuge der Umsetzung des Hartz-Konzepts in einer weiteren Minderung gewerkschaftlicher Einflussmöglichkeiten niederschlagen. 6.2.3 Chemnitz Wenig überraschend bildet die regionale Arbeitsmarktsituation einen Schwerpunkt des gewerkschaftsnahen Netzes. Nicht nur, dass Erwerbslose eine beträchtliche Zahl der Gewerkschaftsmitglieder stellen und die Organisation auf deren Mobilisierungsbereitschaft zählen muss; Arbeitslosigkeit und Abwanderung machen die Auseinandersetzung mit der regionalen Arbeitsmarktlage zu einer Frage des politischen Einflusses und Substanzerhalts. Das Ausmaß, in dem junge Frauen und Männer die Region verlassen, ist nicht nur ein Problem des Fachkräftemangels für die regionalen Unternehmen. Es entzieht auch den Gewerkschaften die Möglichkeit, neue Mitglieder zu gewinnen. „Viele von den Fitten gehen.“ Anders als im Westen stellt neben gewerkschaftsnahen Beschäftigungsgesellschaften die aktive politische Erwerbslosenarbeit das zweite Standbein des Chemnitzer Ansatzes dar. Die ABS-Gesellschaften: WeTexbau Der Einsatz von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) erfolgte nicht allein unter den Vorzeichen verbesserter Vermittlungsfähigkeit, sondern ebenso unter der Maßgabe der Qualifizierung und der Schaffung von zeitlich befristeter Beschäftigung für lokale Restrukturierungsvorhaben. Diese doppelte Zielsetzung gilt auch für die ostdeutsche Variante der Beschäftigungsgesellschaften. Anders als in dem westdeutschen Modell der betriebsnahen Auffanglösung stellt die Beschäftigung von Erwerbslosen einen konstitutiven Bestandteil der ostdeut-
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schen Arbeitsförderungs-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften (ABS-Gesellschaften) dar. Zur Weichenstellerin wurde 1991 die Treuhand Gesellschaft, die als Regisseurin des Personalabbaus der Etablierung von ABSGesellschaften nur unter der Maßgabe des Einsatzes von Arbeitsamtsmitteln zustimmte (Knuth 1996: 72). Die IG Metall Chemnitz rief im Verlauf der 1990er Jahre insgesamt zwölf ABS-Gesellschaften ins Leben. Im Zusammenspiel mit einer regen Erwerbslosenarbeit wurde das gewerkschaftsnahe Netz zu einer maßgeblichen arbeitsmarktpolitischen Instanz mit Ausstrahlung weit über Chemnitz hinaus. Mehrheitlich stellten die ABS-Gesellschaften bis zur Mitte der 1990er Jahre ihre Arbeit wieder ein; einige dieser Gesellschaften haben sich zwischenzeitlich von der IG Metall entfernt. Wichtiger Kooperationspartner ist die ABS WeTexbau geblieben. Diese repräsentiert das ursprünglich mit den ABS-Gesellschaften verbundene Konzept in typischer Weise, sie setzt aber inhaltliche Akzente, die ihr einen Symbolwert für die inhaltliche Ausrichtung der gewerkschaftlichen Strukturpolitik in Chemnitz geben. Wie die Mehrzahl der ABS-Gesellschaften wurde auch die WeTexbau im Jahr 1991 als eigenständige GmbH gegründet. In den beiden Geschäftsstellen Chemnitz und Flöha waren zunächst acht hauptamtliche Mitarbeiter tätig (seit 2004 sechs). Ende 2003 waren rund 60 Personen über ABM beschäftigt, rund 200 Personen über Strukturkurzarbeit. Der als Hilfe zur Selbsthilfe betitelte ABM-Bereich stellt im Vergleich zu den westdeutschen Beispielen eine Spezifik, für die WeTexbau selbst aber das identitätsstiftende Kernstück dar. Das Konzept symbolisiert die gewerkschaftlichen Ansprüche an regionale Wirtschaftskreisläufe, Wertschätzung der in der Region produzierten Produkte und die Förderung international solidarischen Handelns. Realisiert wird es vielfach mit Erwerbslosen, die aufgrund ihres Alters ohne Beschäftigungsperspektive sind. Von dem für gewerblich Tätige vielfach üblichen ABM im Bereich Flächensanierung und Landschaftsbau unterscheidet sich der Ansatz durch seinen sozialbetrieblichen Bezug. Der ABM-Bereich operiert als „kleine Fabrik“ des Metall- und Elektrosektors – allerdings ohne Marktund Gewinnorientierung. Basis ist die Wiederaufbereitung von Maschinen und technischem Gerät verschiedenster Art, Arbeiten, die über ein bloßes Recycling hinausgehen. Die fachspezifischen Qualifikationen vieler Erwerbsloser, u. a. auch älterer Ingenieure, ermöglichen gegebenenfalls die Weiterverarbeitung. Innovationsfördernde Impulse versprach sich die WeTexbau durch den Aufkauf ausgelaufener Patentrechte aus DDR-Unternehmen; zur Auswertung dieser Rechte fehlte allerdings bislang die Zeit. Neben der Arbeitsförderung und Qualifizierung ‚on the job‘ ist der Bezug zum Chemnitzer Qualifikations- und Kompetenzprofil im Werkzeug- und Maschinenbaubereich ein bewusst eingesetztes Instrument zur Förderung des regionalen Selbstbewusstseins. Man unterstützt u.
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a. auch die Ausstattung des Industrie- und Stadtmuseums. Die WeTexbau gliedert sich in mehrere Schwerpunktbereiche. Ziel der Abteilung Maschinen, Geräte, Ausrüstungen ist es, komplette technische Ausstattungen für Ausbildungsund Selbsthilfewerkstätten bereitzustellen. Die Organisation und Logistik von Vertrieb und Versand kommen als Aufgabenstellung hinzu. Die WeTexbau arbeitet mit Organisationen zusammen, die sich in Dritte-Welt-Ländern engagieren und sie stellte u. a. die gesamte technische Ausstattung für zwei Berufsschulen in Brasilien und Mosambik kostenlos zur Verfügung. Die zweite Abteilung Medizin- und Rehatechnik ist auf das Recycling medizinischen Geräts spezialisiert und kooperiert mit Gesundheitszentren. Der dritte Bereich befasst sich mit der Haushalts- und Gerätetechnik. Einen weiteren Kernbereich der WeTexbau bildet ihre Funktion als Auffang- und Beschäftigungsgesellschaft, die sie in enger Kooperation mit der IG Metall wahrnimmt. Als neue Entwicklung hat nun auch ver.di angesichts von Entlassungen in Chemnitzer Verkehrsbetrieben auf die Gesellschaft zurückgegriffen. Diese gemeinsame Nutzung stellt nicht nur gewerkschaftspolitisch ein Novum dar, es verbessert auch die Position der WeTexbau auf dem Chemnitzer Markt für Beschäftigungs- und Transfergesellschaften. Aufgaben der Gesellschaft sind zudem Profiling, Beratung und Vermittlung. Qualifizierung erfolgt in Kooperation mit lokalen Bildungsträgern und nach Rücksprache mit dem Arbeitsamt. In der Vergangenheit erwiesen sich – auch nach Einschätzung des Arbeitsamtes – die berufsfachlichen Schwerpunktsetzungen von Qualifizierungsmaßnahmen als zu geschlechtsstereotyp und als zu kurzfristig angelegt. Die breite Qualifizierung von Männern für die Bauwirtschaft in den 1990er Jahren zeitigte angesichts der Massenentlassungen in der Bauwirtschaft nachhaltige Negativfolgen. Die Qualifizierung von Frauen für den Einzelhandel wurde durch den Abbau von Fachverkäuferinnen und deren Substituierung durch geringfügig Beschäftigte unterminiert (C/NWA07). Auch aus diesem Grund sucht die WeTexbau nach neuen Wegen. So durchlaufen 30 entlassene Arbeiterinnen aus dem Textilbereich einen ‚maßgeschneiderten’ Kurs mit Praktika für eine zukünftige Tätigkeit in beteiligten Automobilzulieferunternehmen. Es handelt sich um ein in dieser Form im Osten neues Kooperationsmodell. Die Vermittlung in neue Beschäftigungsverhältnisse stellt auch für die WeTexbau einen Schwerpunkt dar, doch stößt die Gesellschaft im Vergleich zu PEAG und GPQ arbeitsmarktbedingt auf Schwierigkeiten anderer Qualität. Die Vermittlungsquote liegt bei 30 bis 40 %, eine Quote, die immer noch als „ganz beachtlich“ gilt (C/GW14). Vermittlung – wie die GPQ mit Blick auf eine Bewerbung zur PSA – zur „Kernkompetenz“ auszubauen, halten die Chemnitzer Akteure für wenig sinnvoll. Die Aussichten für ältere Mitarbeiter/-innen, noch einmal eine neue reguläre Beschäftigung zu finden, sind gering. Daher halten es
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die Verantwortlichen für wichtiger, die Erwerbslosen nicht „zu parken“, sondern „über gesellschaftlich sinnvolle Arbeit“ und Weiterbildung deren Selbstbewusstsein zu stärken (C/B02/GF02). „Wir brauchen ein Instrument wie die WeTexbau. Ganz unbedingt. Insbesondere auch für die Älteren“ (C/GW14), urteilt ein Gewerkschaftssekretär. Allerdings ist die WeTexbau „ein Zuschussgeschäft“ und damit wären wir auch bereits bei ihrem größten Problem. Die auszuhandelnden Sozialplansummen liegen unter den im Westen durchsetzbaren Beträgen, die ABMMittel gehen nicht mit Zuschüssen für Infrastrukturmaßnahmen einher. Der Werkstattbereich und Qualifizierungsmaßnahmen sind jedoch teuer. Dass die ABS-Gesellschaft ihrerseits keine Weiterbildung anbietet, sondern auf andere Träger zurückgreifen muss, verschärft das Problem. Dies provoziert eine makabre Situation. Maßnahmen für kleine Gruppen sind schwierig zu finanzieren. Der Personalabbau in den KMU des Textil-, Möbel- und Maschinenbaubereichs bewegt sich aber häufig in einer einzelbetrieblichen Größenordnung von mehreren Dutzend Beschäftigten. So zeigt die neue Kooperation mit ver.di auch ihre finanziell positiven Seiten: der öffentliche Dienst und der Einzelhandel sandten in jüngster Zeit größere Gruppen von Beschäftigten. Angedachte Lösungsstrategien wie die Fusion mit einem Bildungsträger und die Gründung einer regionalen Stiftung als Trägerstruktur haben sich bis dato noch nicht realisieren lassen. Auch die geplante Einrichtung einer Weiterbildungsberatungsstelle stößt auf Schwierigkeiten – das Arbeitsamt befürchtet Konkurrenz.
Neue Arbeit Chemnitz Die zweite Säule des arbeitsmarktpolitischen Netzes ist der Verein Neue Arbeit, der wiederholt für ABS-Gesellschaften auf die Straße gegangen ist. Er entstand 1991 aus Beratungsstellen für von Entlassung betroffene Arbeitnehmer, die die IG Metall mittels ABM-Stellen eines eigens gegründeten Kulturvereins in Betrieben etabliert hatte. Unter Leitung eines (arbeitslosen) Stadtrats hat er sich zu einer Organisation mit gewerkschaftsnahem, gleichwohl eigenständigem Profil und verzweigten Netzwerkbeziehungen entwickelt: „Wie sind eine kämpferische Lobby für Arbeitslose und da muss man auch schon mal laut sein. Wir sind kein Reservat für Arbeitslose, sondern wollen, dass Arbeitslose in allen Bereichen integriert sind“ (C/NWA02). Die Etablierung der Neuen Arbeit beruht paradoxerweise auch auf der Anwendung von Instrumenten der Arbeitsförderung. Nach Auslaufen von ABMStellen, die die Arbeitnehmerberatung in den Betrieben ermöglicht hatten, wurde der Ansatz als Erwerbslosenberatung wiederum über ABM fortgesetzt. Die Leiterin der Neuen Arbeit durchlief selbst eine zweijährige berufliche Qualifizierungsberatung zur Sozialberaterin, bevor sie wieder in die Arbeitslosigkeit entlassen wurde. Angesiedelt ist der Verein in einem Gewerkschaftsgebäude, das von den ABM-Kräften der Beschäftigungsgesellschaften renoviert wurde. Neben diesem zentralen Standort unterhält der Verein mittlerweile fünf weitere Beratungsbüros in Stadtteilläden, die er sich u. a. mit Sozialberatungsstellen der Kommune teilt. Neben der Akquisition von Arbeitsamtsmitteln führt man nun
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auch „verzweifelte Kämpfe um EU-Fördermittel“, die Qualifizierungsprojekte ermöglichen sollen. Eine Bezuschussung kommt von der IG Metall. Dass der Verein seit geraumer Zeit Schwierigkeiten hat, Landesmittel zu akquirieren, führt die Leiterin auf die Teilnahme an Protestaktionen zugunsten von ABSGesellschaften in Dresden zurück. „Die sollen gesagt haben: Wir finanzieren uns doch keine Gegenwehr“ (C/NWAO2). Hilfe zur Selbsthilfe ist auch eines der Leitmotive der Erwerbslosenorganisation, die unter diesem Motto die Zusammenarbeit einzelner Interessensgruppen anregt. Einen außergewöhnlichen Verlauf nahmen regelmäßige Treffen arbeitsloser Ingenieure, die sich über diesen Weg zur Gründung einer Genossenschaft zusammenfanden. Aus der Frauengruppe gingen Impulse zur Gründung von Selbsthilfeinitiativen allein erziehender Mütter und sozial benachteiligter Familien hervor. Der traditionelle Schwerpunkt der Erwerbslosenberatung wurde in den Stadtteilbüros mittlerweile um Sozialhilfe-, Schuldner- und Mietrechtsberatungen erweitert. Darüber hinaus hat man sich nun dem Aufbau eines kleinen Weiterbildungsbereichs zugewandt, der politische Bildung und berufliche Qualifizierung fördern soll. Beschäftigung von ABM-Kräften und ESF-Mittel ermöglichen die Durchführung u. a. von Englisch- und PC-Kurse in einer eigens eingerichteten Computer-Lernwerkstatt. Die Chemnitzer Erwerbslosenorganisation ist bundesweit mit Arbeitslosengruppen vernetzt und hat mehrfach regionale Arbeitslosenkonferenzen organisiert. Politische Veranstaltungen und die Herausgabe der Zeitschrift ‚Die Zeitbombe’ zählen zum Programm. Mit seinen zahlreichen Beziehungen zu lokalen Vereinen, Fraueneinrichtungen, Stadtteilgruppen, SPD-Ortsverein, dem LokaleAgenda-21-Netzwerk und dem Sozialamt deckt das verästelte Kooperationsnetz der Organisation auch politische und soziale Kontakte ab, über die die lokale IG Metall nicht verfügt. Gewerkschaftliche Jugendarbeit Jugenderwerbslosigkeit und Abwanderung sind ein weiterer Ansatzpunkt für Aktivitäten. Über erste unsystematische Versuchsschritte ist man dabei nicht hinausgekommen. Um der Abwanderung Jugendlicher entgegenzuwirken, bedarf es, so die Einschätzung, vor allem eines höheren Lohnniveaus und verbesserter Beschäftigungschancen, doch auch sozio-kultureller Initiativen, um die Bindekraft von Chemnitz zu erhöhen (C/GW01, C/GW02). Alle Gewerkschaften kooperieren im Unterhalt eines Jugend-Internetcafes, das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gewerkschaftshaus einen Anlaufpunkt bieten soll. Über die gemeinschaftliche Organisierung einer jährlichen Future Parade hat die IG Metall darüber hinaus Kontakte zu einem Techno-Club geknüpft, von dem sie sich Zugang
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zu eher gewerkschaftsfernen Kreisen verspricht. Perspektivisch hofft sie, Jugendlichen ein neues Domizil bieten zu können. Der Kontakt zur Chemnitzer Bildungswerkstatt, einer Mitarbeitergesellschaft, eröffnete die Möglichkeit, mit Auszubildenden und gewerkschaftsnahen Künstlern ein Kunstprojekt durchzuführen. Zur Beteiligung und Mobilisierung von Jugendlichen ist ein offensiver Einsatz von ABM bislang unterblieben, ein solches Vorgehen würde sich angesichts veränderter ABM-Richtlinien für jugendliche Erwerbslose vermutlich auch als wenig attraktiv erweisen. 6.3 Probleme und Perspektiven regionaler Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik Im Vergleich zeigt sich, dass der Arbeitsmarkt in den ehemals altindustriellen Regionen durch Problemkonstellationen geprägt wird, die einander ähneln, sich aber doch in höchst unterschiedlichen Profilen ausprägen. Die regionalen Entwicklungsstrategien verändern die regionale Arbeitsmarktsituation graduell, grundlegende Veränderungen können sie nicht initiieren. Legt man ausschließlich die Arbeitslosenquote zugrunde, so haben sich positive Entwicklungen seit Ende der 1990er Jahre erschöpft. Nur durch den Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente konnten die Arbeitslosenquoten in etwa auf dem Niveau des Bundesdurchschnitts gehalten werden. Die Begrenzung der Arbeitslosigkeit gehört zu den bleibenden Verdiensten der skizzierten arbeitsmarktpolitischen Gestaltungsansätze. Bei einer anhaltend hohen Sockelarbeitslosigkeit verschieben sich inzwischen jedoch die Problemkonstellationen. Die Mehrzahl der Erwerbslosen stammt nun aus Dienstleistungsberufen. Zur höchsten beruflichen Risikogruppe zählen inzwischen kaufmännische Berufe und einfache Dienstleistungstätigkeiten. In den Regionen mit einst starken männlich geprägten Arbeiterkulturen finden heute Frauen eher einen Arbeitsplatz, sie verlieren diesen aber auch rasch wieder. Der Dienstleistungssektor zeigt im Vergleich zur etablierten Industriestruktur eine höhere Instabilität der Unternehmen wie auch eine hohe „Umschlagsrate“ der Beschäftigten. Zudem werden mit dem Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik auf Bundesebene auch neue Bedingungen für eine regionale Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik geschaffen.
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6.3.1 Problemdimensionen Aus den grundlegenden Entwicklungstendenzen zur Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse (Brinkmann u. a. 2006; Dörre 2005a) ergeben sich für die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik neue Probleme. Auf der Grundlage unserer Erhebungen lassen sich drei Problemdimensionen benennen: (1) Grenzen des inkrementellen Wandels: Gewerkschaftsnahe arbeitsmarktpolitische Ansätze operierten mit dem impliziten Versprechen, Übergänge vom Arbeitsplatzverlust hin zu neuen Beschäftigungsverhältnissen zu organisieren. Dieses Versprechen kann aber unter den Bedingungen eines radikalen Strukturwandels in den Regionen immer weniger eingelöst werden: „Die Jungs aus der Stahlindustrie lassen sich nicht in die IT-Industrie packen“ (Do/GW02) – so eine verbreitete Ansicht in Dortmund. Auch in Nürnberg dominiert die Einschätzung: „Ich kann ehemalige Fließbandarbeiter nicht von heute auf morgen im Dienstleistungsbereich einsetzen“ (N/NWA05). Unter den Bedingungen eines dynamischen Arbeitsmarktgeschehens sind die Vermittlungsquoten der Beschäftigungsund Qualifizierungsgesellschaften noch relativ hoch. Damit ist allerdings auch eine der Ambivalenzen des gewerkschaftlichen Engagements benannt. Aus dem industriepolitischen Kontext entwickelt, bleiben die Beschäftigungsgesellschaften stark industrie- und branchenorientiert, erreichen Dienstleistungsbeschäftigte, insbesondere Frauen, in weit seltenerem Maße und reflektieren damit nicht nur das unzureichende arbeitsmarktpolitische Engagement der Dienstleistungsgewerkschaften, sondern auch die zögerlichen Gewerkschaftskooperationen. Dortmund stellt in dieser Hinsicht mit der Übernahme des Instruments durch die HBV und später ver.di sowie die kommunalpolitische Bereitstellung von Fördermitteln zum Einsatz in KMU des Dienstleistungssektors eine positive Ausnahme dar. In Chemnitz ist die Kooperation zwischen IG Metall und ver.di ein zartes Pflänzchen. In Nürnberg dominiert hingegen weiter eine relativ einseitige Ausrichtung auf den Metall- und Elektrosektor. Unter den Bedingungen krisenhafter regionaler Teilarbeitsmärkte sinken nicht nur die Vermittlungsquoten, es wird auch deutlich, dass die regionalen Übergänge in eine Dienstleistungsökonomie nicht nur mit struktureller Arbeitslosigkeit, sondern auch mit Veränderungen der Beschäftigungsstruktur einhergehen, die zur Expansion von Bereichen führen, in denen dem Industrieniveau vergleichbare Arbeitsbedingungen und Entlohnungsstrukturen unbekannt sind. Arbeiter und einfache Angestellte, mithin die klassische Basis der Gewerkschaften in den ehemaligen Industrieregionen, finden Beschäftigung – wenn sie sie finden – überwiegend in jenen niedrig entlohnten Bereichen, deren Beschäftigungszahlen mit der Tertiarisierung steigen. Wie das Beispiel Chemnitz zeigt, ist das Ziel einer Integration in den ersten Ar-
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beitsmarkt auch nicht mehr für alle Gruppen sinnvoll zu formulieren. Wo eine Integration in reguläre Vollzeitarbeit nicht mehr zu leisten ist, sollten die Gewerkschaften den Mut haben, das öffentlich einzugestehen. Wichtig ist, dass die Gewerkschaften Verbindungen in die „Zone der Prekarität“ und die „Zone der Entkoppelung“ (Castel 2000) schaffen und auch die Arbeitslosen gezielt in die Interessenvertretung einbinden.2 (2) Erosion integrativer arbeitsmarktpolitischer Kompromissbildungen: Das Instrument der Beschäftigungsgesellschaft, auf das die Gewerkschaften als Reaktion auf den radikalen Strukturwandel zurückgriffen haben, ist voraussetzungsvoll. Es impliziert die Fähigkeit zu seiner betriebspolitischen Durchsetzung – die Bereitschaft der Unternehmen, die Finanzierung zu übernehmen, die Chance der Gewerkschaften, auf die Gesellschaft Einfluss zu nehmen und die Möglichkeit der Arbeitsmarktakteure, Vermittlungserfolge zu erzielen, die gegebenenfalls zur Zufriedenheit der Betroffenen ausfallen. Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften sind Akteure einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, deren Geschäftsgrundlage mit den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zunehmend erodiert. Der Fall Nürnberg zeigt, dass die Durchsetzung von Auffanglösungen durchaus nicht selbstverständlich ist. Zur – an gewerkschaftlichen Zielen gemessen – erfolgreichen Anwendung kommt sie nur, wo Belegschaften bereit sind, für solche Lösungen einzutreten. Nur unter diesen Voraussetzungen können sie – wie im Fall Trix – zum identitätsstiftenden Kampfziel werden. (3) Institutionalisierungsgrad und Lohndrift: Die in den Regionen gebildeten Auffanglösungen, Qualifizierungen und Vermittlungen unterscheiden sich neben den Instrumenten und Ansätzen vor allem durch ihren Institutionalisierungsgrad. Am weitesten fortgeschritten ist die Institutionalisierung in Dortmund, am geringsten ausgeprägt ist sie in Chemnitz. Dabei gilt: Je fortgeschrittener die Institutionalisierung, desto stärker die Professionalisierung der Akteure und desto wahrscheinlicher, dass die Gewerkschaft für die Betroffenen als wahrnehmbarer Akteur „verschwindet“. Inzwischen ist ein Markt für Beschäftigungsgesellschaften entstanden, der als „Arbeitslosenindustrie“ immer stärker in die Kritik geraten ist. Diese Kritik übersieht freilich ein Faktum, das auch für die Gewerkschaften schmerzlich ist. Denn letztlich fördern die Beschäftigungs- und Transfergesellschaften eine Lohndrift „nach unten“. Sie erhöhen die arbeitsmarktpolitische Flexibilität, weil sie Arbeitslose aus den großbetrieblichen Strukturen der fordistischen Altindustrien in die ungleich schlechter bezahlten mittel- und kleinbetrieblich strukturierten Beschäftigungsverhältnisse hinein vermitteln. Diese Ver2
Überlegungen zu einer gewerkschaftlichen Politik der Entprekarisierung finden sich in Dörre 2005a sowie Brinkmann u. a. 2006: 85 ff.
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mittlungsleistung geschieht jedoch auf dem sanften Weg; ob strenge Zumutbarkeitsregeln, wie sie die „Hartz-Gesetzgebung“ vorsieht, ähnlich wirken, kann bezweifelt werden (Baumeister u. a. 2005; Dörre 2005b). Die Wahrscheinlichkeit, dass Betroffene erfolgreich Unterlaufstrategien entwickeln, ist jedenfalls groß. Tatsache bleibt ferner, dass die Beschäftigungs- und Transfergesellschaften einen entscheidenden Beitrag geleistet haben, um die Arbeitslosigkeit in den Regionen zu begrenzen. Nur so konnte erreicht werden, dass das Beschäftigungsproblem sich lange Zeit nicht zu einem explosiven sozialen Sprengsatz ausgeweitet hat. Die Gewerkschaften selbst profitieren von Auffanglösungen nur dann, wenn sie deren Durchsetzung mit einer aktivierenden Mitgliederpolitik verbinden. Vor- und Nachteile solcher Lösungen müssen für die Betroffenen absolut transparent sein. Ansonsten kann der Schuss leicht nach hinten losgehen. Gewerkschaften und Betriebsräte werden dann für Arbeitsplatzabbau und Lohndrift „nach unten“ mit verantwortlich gemacht. 6.3.2 Perspektiven Das gewerkschaftliche Konzept der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zählt im Rückblick zu den einflussreichsten Ansätzen einer regionalen Arbeitsmarktpolitik ‚von unten’. Ob dieser Impuls in der Zukunft noch trägt, ist nicht zuletzt angesichts der Arbeitsmarktreformen zweifelhaft. „Der Strukturwandel ist gut bearbeitet worden; es ist viel gemacht worden, von allen Beteiligten, viele Anstrengungen, aber er hat nicht immer auf die Menschen gepasst, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, was zugegebenermaßen auch schwierig ist. Also: eine gespaltene Geschichte“ (Do/GW02).
Gespaltene Geschichte oder gespaltene Regionen? Wie wir zeigen konnten, liegt das Verdienst der von den Gewerkschaften initiierten Auffanglösungen vor allem darin, eine „größere Katastrophe“ verhindert zu haben. Das heißt, es ist mit diesen Ansätzen gelungen, die der Produktionsweise des neuen Marktregimes (Dörre/Röttger) immanenten Tendenzen zur Polarisierung der Arbeitsbedingungen und zur Fragmentierung der Beschäftigten so zu verarbeiten, dass sie nicht in völlige Handlungsunfähigkeit der maßgeblichen Akteure mündeten. Genau dieses Verdienst wird mit dem Paradigmenwechsel der Arbeitsmarktpolitik zur Disposition gestellt. In Chemnitz drohen die arbeitsmarktpolitischen Neuregelungen den Sinngehalt des Kernbereichs gewerkschaftlicher Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik zu unterhöhlen. Die Kürzung der ABM-Zeiten von zwei Jahren auf sechs Monate macht nach Einschätzung der Träger eine sinnvolle Durchführung un-
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möglich. Angesichts einer sechswöchigen Einarbeitungszeit und eines absehbaren Produktivitätsrückgangs am Ende der ABM-Zeit sei eine effektive Arbeit kaum mehr zu gewährleisten (N/GW14). In Regionen, in denen öffentlich geförderte Bildungs- und Beschäftigungsträger wichtige Arbeitgeber darstellen, ist das eine geradezu desaströse Feststellung (Schuldt/Wagner 2003). Instrumente, die vornehmlich in den Auffanglösungen zum Tragen kamen, können nicht oder nur noch schwer eingesetzt werden: „Die Zeitdauer für Strukturkurzarbeitergeld wird von 24 auf 12 Monate reduziert. Das trifft ungefähr 20 % der Mitarbeiter, die länger brauchen, weil sie in langfristige Qualifizierungsmaßnahmen gegangen sind. Dann trifft uns, dass die Gelder für Qualifizierungsmaßnahmen gekürzt worden sind. Das ist so was von idiotisch. Weil gerade die, die keinen Beruf gelernt haben, müssen qualifiziert werden, damit sie überhaupt einen Arbeitsplatz finden. Das ist dramatisch. Was uns trifft, sind alle Maßnahmen, die auf die älteren Mitarbeiter zielen – so die Anhebung des Rentenalters. Die Unternehmen werden sich daraus winden, indem sie einvernehmlich betriebsbedingt kündigen. Wenn eine vorzeitige Pensionierung bis 63 Jahre finanziert werden muss, werden sie das nicht machen. ... In Hartz III ist formuliert, dass die Transfergesellschaften und Strukturkurzarbeit gestärkt werden sollen. Im Moment kann ich nur erkennen, dass sie behindert werden“ (Do/NWA07).
Wertmaßstäbe, die den Beschäftigungsgesellschaften zu Grunde liegen – etwa möglichst tarifgebundene Arbeit und individuelle Lösungen gerade auch für schwierig zu vermittelnde Beschäftigte – scheinen zur Disposition zu stehen. Geradezu abstrus erscheint, dass die guten Vermittlungsleistungen der PEAG handlungsleitend für Richtlinien geworden sind, die die Qualifizierungs- und damit die Beschäftigungsmöglichkeiten von Erwerbslosen zu unterminieren drohen. Die seitens der Bundesagentur für Arbeit geforderte Vermittlungsquote von 70 %, welche Bedingung für die Bewilligung von Qualifizierungsmaßnahmen ist, kann von lokalen Beschäftigungsgesellschaften und Weiterbildungsträgern, die auf Arbeitsamtsmittel angewiesen sind, kaum erfüllt werden. Innerhalb eines Jahres sind in Dortmund jene Instrumente, die in den 1990er Jahren maßgeblichen Anteil an der Weiterbildungs- und Beschäftigungsförderung hatten und durch den kommunalpolitischen Arbeitsmarktfonds kofinanziert wurden, weitgehend weggebrochen. Allein zwischen Dezember 2002 und Dezember 2003 fielen ca. 300 ABM-Stellen und 1.100 Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen weg. „Es gibt eine Anweisung der Bundesanstalt für Arbeit seit dem Februar dieses Jahres an die 33 Arbeitsamtsbezirke im Land NRW, ihre arbeitsmarktpolitischen Instrumente insbesondere auf die Arbeitslosengeld-Empfänger zu konzentrieren. Dies wird gemacht mit dem Ziel, den Haushalt zu entlasten. Aber es hat die Wirkung, dass die Arbeitslosenhilfe-Empfänger zunehmend an den Rand des arbeitsmarktpolitischen Geschehens gedrückt werden. Und wenn man weiß, dass wir in Dortmund ein Drittel Arbeitslosengeldempfänger und zwei Drittel Arbeitslosenhilfeempfänger haben, kann ich mir ja schnell ausrechnen, was das bedeutet“ (Do/GW06). Der
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Regionalvorsitzende des DGB führt in diesem Kontext aus: „Wir müssen ja heute davon ausgehen, dass das, was wir vor zwei, drei Jahren initiiert haben, heute in einem völlig neuen, radikal veränderten politischen Kontext stattfindet. Und wir müssen uns natürlich auch fragen, ob das alles überhaupt noch so machbar ist“ (Do/GW07).
Diese Einschätzung zielt explizit auf die infolge der „Hartz-Gesetze“ entstandenen Restriktionen für die regionale Arbeitsmark- und Beschäftigungspolitik. In der Stadt Dortmund erreichte die Zahl der Arbeitslosen bereits 2004 eine Höhe, wie sie seit Beginn der Arbeitsamtsstatistik nie erreicht wurde. Die Gründe liegen auf der Hand. Die mit der Umsetzung der Arbeitsmarktreformen eingeleitete Austrocknung der „Arbeitslosenindustrie“ lässt die Arbeitsmarktprobleme wachsen. Nun droht ein Konflikt von bislang unbekannter Schärfe: „Die aktuelle Situation ist schlecht, neben der Krise in der Neuen Ökonomie. Die allgemeine Krise gepaart mit der neuen Armut der Kommunen beispielsweise – insofern verdichten sich die Problemlagen in allen Ballungskernbereichen. Das brennt jetzt langsam“ (Do/GW06). Diese Einschätzung wird durch die Arbeitslosenstatistik erhärtet. Ende 2005 weist die Statistik für Dortmund eine Rekordarbeitslosigkeit aus. Bezeichnend ist, dass die Ruhrmetropole höhere Zahlen ausweist als das ostdeutsche Chemnitz. In Nürnberg bewegen sich die Arbeitslosenzahlen zwar im Bundestrend, für bayrische Verhältnisse sind sie aber auch in der Frankenmetropole außergewöhnlich hoch.
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Tabelle: Vergleich der Arbeitsmarktdaten in den Untersuchungsregionen (11/2005) Bundesrepublik gesamt %
Hauptagentur Dortmund % 17,6 19,2 18,4
Arbeitslosenquote1 10,9 Arbeitslosenquote2 12,2 12,2 Arbeitslosenquote Frauen2 Arbeitslosenquote 12,1 19,8 Männer2 Anteil Frauen an Ar47,9 44,2 beitslosen Anteil Arbeitslose mit 25,6 26,3 50 Jahren und älter an Arbeitslosen Anteil Arbeiter an 64,2 Arbeitslosen Anteil Langzeitarbeits- 40,2 48,1 lose an Arbeitslosen Anteil Ausländer an 14,4 23,8 Arbeitslosen 1 Bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen 2 Bezogen auf abhängige zivile Erwerbspersonen
Hauptagentur Nürnberg % 10,9 12,3 12,2
Hauptagentur Chemnitz % 16,4 18,1 18,6
12,5
17,6
48,4
51,2
27,2
32,1
60,2
55,6
37,7
42,2
32,9
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Quelle: Agentur für Arbeit Dortmund 2005: Arbeitsmarktreport November 2005; Agentur für Arbeit Nürnberg 2005: Arbeitsmarktreport November 2005; Agentur für Arbeit Chemnitz 2005: Arbeitsmarktreport.
Zugleich, das hat eine Nacherhebung 2005 erbracht, verändert sich gerade in der Arbeitsmarktpolitik das Dispositiv regionaler Regulation. Im Zuge der Umsetzung von Hartz III sind z. B. der Verwaltungsrat der Arbeitsagentur Nürnberg sowie die Verwaltungsausschüsse auf der lokalen Agenturebene verändert worden. Hatten diese Gremien bis dahin ein Entscheidungsrecht bei arbeitsmarktpolitischen Kernleistungen wie der Mittelvergabe und ein „starkes“ Anhörungsrecht bei der Bestellung der Geschäftsführung der Arbeitsagentur, sind beide Rechte inzwischen stark beschnitten worden. Bei der Mittelvergabe besteht praktisch kein „Einfluss mehr für die Selbstverwaltungsgremien, weil das eine ganz
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andere Steuerungslogik ist“ (N/AA02, Do/AA04). Ein befragter Dortmunder Gewerkschafter bestätigt: „Wir haben auch noch zu Zeiten des Arbeitsförderungsgesetzes, wo ja nun auch von der Zielsetzung,... die Einflussmöglichkeiten der Selbstverwaltung deutlich größer war als das heute der Fall ist, wir haben uns da hingesetzt, wir haben nie ins AFG geguckt, welche rechtlichen Möglichkeiten wir hatten, sondern wir haben dem Arbeitsamtsdirektor gesagt, was wir wünschen und es gab auch damals schon engagierte Diskussionen, aber der damalige Arbeitsdirektor ist unseren Wünschen doch sehr entgegengekommen, weil, wenn er das nicht gemacht hätte, hätte er ein Problem gehabt. Nur die gesellschaftlichen Konstellationen sind heute anders. Also wir müssen aufpassen, ich sag das ganz deutlich, dass wir mit unseren Qualitätsansprüchen in Anführungsstrichen ..., dass wir auch wie in einer Stadt wie Dortmund nicht an den Rand gedrückt werden....“
Die Stabilisierung von gewerkschaftlichem Einfluss ist stark abhängig von gewachsenen korporatistischen Beziehungsmustern. In Dortmund mit seinen gewachsenen kooperativen Strukturen sind Einflussnahmen vorerst zumindest noch informell möglich, in Chemnitz wie im größten Teil Ostdeutschlands dürfte dies kaum der Fall sein. Und auch der Nürnberger Bevollmächtigte beklagt einen Zerfall kooperativer Strukturen. „Die Arbeitnehmer spielen keine Rolle mehr und ihre Organisationen auch nicht“, stimmt ein örtlicher Arbeitsmarktakteur zu. In allen Regionen wird ein schwindender Gewerkschaftseinfluss konstatiert, doch das ist nicht das einzige Problem. Offenbar haben sämtliche regionalen Arbeitsmarktakteure Probleme, bei übergeordneten politischen Entscheidungsinstanzen überhaupt noch Gehör zu finden: „Auf der Dortmunder Ebene oder der lokalen, regionalen Ebene, ob nun einer rot eingefärbt ist, ob einer grün eingefärbt ist, ob einer schwarz eingefärbt ist oder ob er nix ist, die, die in diesem Arbeitsfeld arbeiten, unter fachlichen Gesichtspunkten kommen im Prinzip alle zu den gleichen Einschätzungen ... Wir sind allerdings nicht in der Lage, sozusagen als örtlicher, regionaler Akteur, in unserem jeweiligen politischen System, ob nun grün oder rot oder schwarz, ich sag ausdrücklich auch schwarz, uns sozusagen in Richtung Düsseldorf oder Berlin auch nur angemessen, ja angemessen verständlich zu machen“ (Do/GW28).
Die Auswirkungen der Arbeitsmarktreformen werden überwiegend negativ bewertet. Dies nicht nur mit Blick auf die Arbeitslosigkeit. Unisono stellen die befragten Gewerkschafter eine starke Verunsicherung von Stammbelegschaften fest, die in „Erpressbarkeit und Verzichtsbereitschaft“ einmünde. Die Chancen für einen organisierten Protest oder gar Widerstand aus den „entkoppelten“ und prekarisierten Sektoren schätzen die Gewerkschafter als gering ein. Eher befürchten sie, dass Proteststimmungen „nach rechts“ kippen könnten „... das ist das alte Problem – Arbeitslosigkeit macht arm, krank, matt und müde. Wir wissen das alles. Das ist der eine Punkt, ich glaube nicht, dass dieser Personenkreis in einem größeren Umfange auf einer längeren Zeitstrecke politisch mobilisierbar ist bzw. zu einer politischen
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Kapitel 6 Kraft heranwachsen kann. Das kann ich mir derzeit nicht vorstellen. Also die Montagsdemonstranten zum Beispiel in Dortmund, das ist jetzt ein Grüppchen von 20, 25 Personen, die politisch ziemlich klar strukturiert und gegliedert sind, als politische Kraft würde ich die nicht bezeichnen. Das mag jetzt aus meiner Sicht ein bisschen komisch klingen, wer auch meine politische Vergangenheit ein bisschen näher kennt. Inzwischen glaube ich, kriegen wir das nur geregelt, wenn es zu einem Bündnis von, ich sag jetzt mal in Anführungsstrichen, oder zu einer Kooperation von aufgeklärten Bürgern machen. Und zwar auch von denen, die zu den Verlierern gehören, klar, aber auch dass Konstellationen hergestellt werden mit aufgeklärten Bürgern, die sagen, also ein weiteres Auseinanderfallen dieser Gesellschaft ist aus vielerlei Gründen, aus politischen, aus ethischen, aus moralischen, aus religiösen, aus welchen Gründen auch immer nicht vertretbar. Und von daher wirklich aufgeklärte Personen aus dem Bereich der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände, der Gewerkschaften, insofern, ich sag jetzt mal in Anführungsstrichen ‚aus der Mitte der Gesellschaft‘, was immer das heißen mag, sich engagieren. Ich glaube nicht, dass aus den randständigen Bereichen von Langzeitarbeitslosen eine politische Kraft erwachsen kann, dauerhaft, nachhaltig.“
7. Politikfeldanalyse III: Betriebliche Modernisierung und Sanierung
Die Arbeit der regionalpolitischen Netze kann sich nicht allein auf neue Leitbranchen und Beschäftigungsfelder konzentrieren. Zumindest dem Anspruch nach gehört die präventive Modernisierung betrieblicher Strukturen zum Arsenal jeder regionalwirtschaftlichen Strategie. Denn, so jedenfalls die Problemsicht der regionalen Akteure, ohne eine solche Politik lässt sich Arbeitslosigkeit kaum vermeiden. Im Unterschied zur Arbeitsmarktpolitik, wo die Akteure ähnliche Instrumente einsetzen, hat sich die betriebliche Arbeitspolitik in den Untersuchungsregionen sehr unterschiedlich entwickelt. Arbeitspolitik ist vor allem eine Angelegenheit von Gewerkschaften, Betriebsräten und gewerkschaftsnahen Akteuren. Gemeinsam ist den untersuchten Ansätzen allenfalls, dass sie die Beteiligungsorientierung als Markenzeichen im Schilde führen. Beratungsleistungen und betriebliche Praktiken unterscheiden sich indessen erheblich. Nachfolgend skizzieren wir den konzeptionellen Hintergrund betrieblicher Arbeitspolitik (7.1). Anschließend stellen wir die Ansätze in den Regionen dar und liefern betriebliche Fallbeispiele (7.2). Es folgen fallübergreifende Merkmale und arbeitspolitische Schlussfolgerungen (7.3). 7.1 Der veränderte Problemkontext gewerkschaftlicher Arbeitspolitik Die Politik betrieblicher Modernisierung bezieht seit jeher wichtige Impulse aus der industrie- und arbeitssoziologischen Forschung. Als Mitte der 1980er Jahre die Botschaft von „neuen Produktionskonzepten“ die Runde macht, schien ein arbeitspolitischer Ansatzpunkt gefunden, der die Requalifizierung von Industriearbeit zur Voraussetzung für eine Überwindung der Krise tayloristischfordistischer Arbeitsteilung machte. Diese Botschaft, in der Horst Kern und Michael Schumann (1984: 327) das Ergebnis ihrer breit rezipierten Studie „Das Ende der Arbeitsteilung?“ zusammenfassten, reüssierte für eine gewisse Zeitspanne tatsächlich zu einem lagerübegreifend wirksamen arbeitspolitischen Leitbild. Trotz des kontroversen Echos, das sie auslösten, lagen die Autoren damals im Trend eines Deutungszyklus. In Absetzung von der Kapitalismuskritik der
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Kapitel 7
1970er Jahre betonten Kern und Schumann die Gestaltbarkeit industrieller Restrukturierung. Nicht eine organisierte Gegenmacht, sondern das aufgeklärte Management selbst schien zum Protagonisten einer Reprofessionalisierung von Industriearbeit zu werden. Entsprechende Prognosen haben auch die gewerkschaftliche Arbeitspolitik tief geprägt. Die Expansion professioneller Berater verzeichnet hier einen ihrer Ursprünge. Blickt man knapp zwanzig Jahre später auf solche Prognosen zurück, sieht man sich mit einem irritierenden Befund konfrontiert. In Kernbereichen industrieller Produktion zeichnet sich nicht nur eine erstaunliche Beharrungskraft rigider Arbeitsteilung ab (Kurz 1999); tayloristische Prinzipien werden geradezu revitalisiert (Springer 1999). Eine Entwicklung, die, am Anspruch von „neuen Produktionskonzepten“ und „innovativer Arbeitspolitik“ gemessen (Kern/Schumann 1998), als arbeitspolitischer Rückschritt bezeichnet werden muss (Dörre 2002a). Zeitgleich macht sich jedoch eine scheinbar gegenläufige Entwicklung bemerkbar. Was in der Debatte um die „neuen Produktionskonzepte“ noch als vage Möglichkeit aufschien, hat sich zumindest in den Managementdiskursen um die entstehende Informations- und Wissensgesellschaft auf breiter Front durchgesetzt. Nicht mehr nur die Produktionsintelligenz, die Subjektivität der Beschäftigten wird inzwischen zur Produktivitätsressource des Managements erklärt. Formeln wie die einer „Subjektivierung“ (Moldaschl/Voß 2002) oder „Intellektualisierung von Arbeit“ (Boyer/Durand 1997; Dörre 2002a) bringen diese Entwicklung auf den Punkt. Was nach einem Triumph industriesoziologischer Taylorismuskritik klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen allerdings als janusköpfig. Die permanenten Appelle an die Subjektivität der Arbeitenden, die inflationären Versprechen auf Autonomiegewinn, Selbstorganisation und Selbstverantwortung im Arbeitsprozess können die Schattenseiten flexibler Arbeit nicht verdecken. Unter Wissenschaftlern und Praktikern wird deshalb kontrovers diskutiert, wie die widersprüchlichen Entwicklungstrends zu interpretieren sind. Sicher wäre es zu einfach, eine Spaltung der Arbeits- und Industriesoziologen in „Traditionalisten“ und „Modernisierer“ zu behaupten (Sauer 2003: 10). Gravierende Unterschiede in Deutungen und Interpretationen lassen sich jedoch nicht übersehen. Während die einen von Stagnation, Rekonventionalisierung oder zumindest von einer „neuen Unübersichtlichkeit“ der Arbeitslandschaft sprechen (Schumann 2000), sehen andere einen radikalen Umbruch, der dazu zwingt, nicht nur die theoretischen Grundlagen der Industriesoziologie, sondern auch das Koordinatensystem arbeitspolitischer Interventionen gründlich zu überprüfen (Deutschmann 2001: 58ff.; Detje u. a. 2005). Die Kontroversen um die Einschätzung des anhaltenden Umbruchs der Arbeitsgesellschaft zeigen vor allem eines: Jener Deutungszyklus, der mit der Debatte um die neuen Produktionskonzepte
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einsetzte, ist vorerst beendet. Gegenwärtig wird um die Deutung einer veränderten sozialen Realität gerungen und diese Deutungskämpfe sind auch arbeitspolitisch relevant. Denn selbst dort, wo sich arbeitspolitischer Rückschritt zweifelsfrei feststellen lässt, gibt es keine lineare Rückkehr zu alten Verhältnissen. Die vermeintliche Wiederkehr des Taylorismus vollzieht sich in Firmenorganisationen, die sich beträchtlich vom fordistischen Leitbild unterscheiden. Einfache Rekonventionalisierungs-Szenarien übersehen, dass die industrielle Restrukturierung während der 1990er Jahre einen Aggregatzustand erreicht hat, der die Konturen eines neuen Produktionsmodells sichtbar werden lässt (Dörre/Röttger 2003; Windolf 2005). Prägend für die Restrukturierung ist, dass sie mit einer langen Periode der Marktöffnung zusammenfällt. Zeitgleich mit der Stärkung marktförmiger Steuerungsmechanismen in der Gesellschaft hat sich in Unternehmen und Betrieben ein marktzentrierter Kontrollmodus herausgebildet, der die Anwendung nachfordistischer Managementtechniken und Arbeitsformen nachhaltig prägt. Diese Gleichzeitigkeit von „neuer Unmittelbarkeit des Marktes“ (Bechtle/Sauer 2002) und technisch-organisatorischer Restrukturierung äußert sich in einer eigentümlichen Dialektik von Freisetzung aus herrschaftlichen Zwängen, Prekarisierung von Erwerbsarbeit (Dörre 2005a) und sozialem Ausschluss (Kronauer 2002). Je nachdem, welche dieser Tendenzen man betont, können neue Arbeitsformen mal als Medium der Befreiung (Trentin 1999; Schumann 2003), mal als Ursache einer nahezu vollständigen Unterwerfung unter die Imperative der Kapitalverwertung (Gorz 2000; Revelli 1999) erscheinen. Diese – in der Literatur vielfach beschriebene – Verschiebung des arbeitspolitischen Problemhorizonts macht sich in den arbeitspolitischen Schwerpunktsetzungen der gewerkschaftsnahen Netze und der darin eingebundenen Beratungseinrichtungen bemerkbar. Wir müssen uns bei der nachfolgenden Analyse freilich auf eine Facette beschränken. Die betrieblichen Realitäten konnten wir nur über Expertengespräche mit Managern, Betriebsräten, Gewerkschaftern und Beratern einfangen. Unser thematischer Fokus ist der Zusammenhang von regionaler Strukturpolitik und betrieblicher Beratung. Wie sich zeigen wird, gibt es für die ausdifferenzierten arbeitspolitischen Problemlagen in den Regionen vorerst keine kohärente Strategie; vielfach ist es sogar schwer geworden, die Qualität der Arbeit in den Betrieben überhaupt noch zu thematisieren.
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7.2 Betriebliche Modernisierung und Sanierung in der Praxis Wenn überhaupt, so repräsentiert allein der Nürnberger Fall Ansätze einer erfolgreichen, partizipativen Arbeits- und Modernisierungspolitik. Unser Hauptaugenmerk gilt daher diesem Fall. 7.2.1 Nürnberg: Partizipative Modernisierung und Beratung Die arbeitsorientierte Modernisierung betrieblicher Strukturen ist in Nürnberg seit den 1990er Jahren ein wichtiges Thema der gewerkschaftlichen Regionalund Strukturpolitik (Dörre 1999a; 1999b). Akteure sind – neben Betriebsräten und Gewerkschaftssekretären – die Berater um das IMU und den ffw (vgl. dazu Kapitel 3). Mitte der 1990er Jahre agierten diese Berater noch mit dem Rückenwind einer Gruppenarbeitsdiskussion, die einen Übergang von tayloristischen zu Tätigkeitsformen mit großen Autonomie- und Partizipationsspielräumen für die Beschäftigten versprach. Zwar befanden sich damals nicht einmal 2.000 Beschäftigte der Nürnberger Metall- und Elektroindustrie in Gruppenarbeit, doch schien hier ein Ansatzpunkt gefunden, um aufgrund des impliziten Kompromisscharakters partizipativer Arbeitsformen zu „neuen industriellen Beziehungen im Betrieb“ (N/GW02) zu gelangen. Zu den sogenannten Projektbetrieben gehörten damals u. a. Nokia (zum Zeitpunkt der Erhebung Draka), die Faun AG, Siemens Trafo-UNION und ABB Turbine (zum Zeitpunkt der Erhebung ALSTOM Power). Ende der 1990er Jahre war dieser „hohe Weg“ industrieller Restrukturierung faktisch nur noch für wenige Unternehmen eine reale Option. Gruppenarbeitsexperimente scheiterten oder sie stagnierten. Dort, wo sie weitergeführt wurden, besaßen sie nicht mehr die arbeitspolitische Bedeutung, die ihnen ursprünglich beigemessen wurde. Anstelle von Partizipationsformen, die zumindest ein annäherndes Gleichgewicht von Wirtschaftlichkeit und Humanisierung der Arbeit beinhalten, hatten sich in den Projektbetrieben managementkonforme Beteiligungsvarianten (Baglioni 1999) durchgesetzt, die einseitig am Ziel betrieblicher Effizienzsteigerungen orientiert waren. Diese Schließung betriebspolitischer Entscheidungskorridore (dazu ausführlich: Dörre 2002a: 345ff.) ist von den Gewerkschaften, den Betriebsräten und der arbeitsorientierten Beraterszene eher implizit als strategisch-bewusst verarbeitet worden. Hierfür gibt es vor allem zwei Gründe: Erstens zeigt der Blick auf die Gesamtheit der Industrie- und Dienstleistungsbetriebe, dass selbst in vergleichbaren Segmenten noch immer eine bunte Mischung an Arbeits- und Organisationsformen nebeneinander existiert. Im
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großen und heterogenen KMU-Sektor gehen die Uhren ohnehin anders als in Konzernbetrieben. Aber auch in den Konzernbetrieben existieren nach wie vor große Ungleichzeitigkeiten. Es gibt noch immer Inseln, in denen – etwa bei Draka – vergleichsweise ambitionierte Gruppenarbeitskonzepte überleben. Dies vor Augen, macht die These von der Schließung des arbeitspolitischen Entscheidungskorridors aus der Beraterperspektive wenig Sinn: „Das ist die Schwarz-Weiß-Sicht der Industriesoziologen. Da gibt es immer nur ‚Ende der’ und ‚Beginn von’. So hat die Realität nie ausgesehen. Das war immer eine Dualität. Es gab immer Unternehmen, die im arbeitsorganisatorischen Bereich nach vorne gegangen sind, und es gab immer Unternehmen, die stehen geblieben sind. Das habe ich nie so verstanden. Warum wir in KMUs vertreten sind, das ist teilweise ein nachholender Prozess, teilweise aber auch eine Notwendigkeit aufgrund bestimmter Innovationsstrategien der Unternehmen, Unternehmen etwa, die jetzt zu Systemanbietern werden müssen und von daher ihren ganzen Bereich komplett umstellen müssen. Genauso gut hast du aber im KMU-Bereich auch Unternehmen, die gar nichts machen. Das ist keine Welle, der sich jeder anpasst...“ (N/NWA03).
Insofern verbieten sich deterministische Deutungen. Was in der dokumentierten Sichtweise eines Beraters jedoch tendenziell verloren geht, ist die arbeitspolitische Richtung, die sich trotz der relativen Vielfalt betrieblicher Arbeits- und Organisationsformen feststellen lässt. Partizipative Arbeitsformen, gleich welcher Ausprägung, haben in keinem der von uns untersuchten Betriebe noch irgend etwas mit der Humanisierungsdiskussion der 1970er und 1980er Jahre gemein. Sie werden in betriebspolitischen Kontexten realisiert, die durch einen Übergang zu marktzentrierten Kontrollstrategien und einem am Regime der kurzfristigen Zeit orientierten Managementstil geprägt werden. Für einen auf Einzelfälle spezialisierten Berater ist das Bild eines sich verengenden Entscheidungskorridors dennoch dysfunktional, weil es ihm Gestaltungsoptionen zu nehmen scheint, die „im Markt“ fallweise doch noch zu realisieren sind. Zweitens – und das ist wohl der wichtigere Grund – bewirkt das „neue Marktregime“ (Dörre/Röttger 2003) keineswegs, dass sich die Nachfrage nach arbeitsorientierten Beratungsleistungen in den Betrieben verringert. In gewisser Weise ist das Gegenteil der Fall. Die Beratungsstrukturen expandieren, IMU und ffw sind längst zu Playern geworden, die über die Region Nürnberg hinaus agieren. Sie folgen dabei jedoch keinem ausgefeilten Leitbild „guter Arbeit“, zumal ein solch verbindliches Leitbild im gewerkschaftlichen Umfeld zwar diskutiert wird (Urban/Pickshaus 2002; Detje u. a. 2005), aber allenfalls in vagen Umrissen erkennbar ist. Die Berater orientieren sich eher an Projekt- und Förderkonjunkturen oder sie reagieren auf Anforderungen, die aus den Betrieben unmittelbar an sie herangetragen werden. Dabei besteht große thematische Vielfalt, die vom Qualitätsmanagement über Qualifizierung und Weiterbildung bis hin zur Stär-
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kung „innovationsförderlicher Unternehmenskulturen“ reicht. Gruppenarbeit ist allenfalls ein Thema unter zahlreichen anderen. Im Zentrum des arbeitsorientierten Selbstverständnisses steht nicht eine bestimmte Arbeitsform, sondern ein auf die betriebliche Interessenvertretung bezogenes Partizipationskonzept. So geht es dem ffw vor allem um eine adäquate Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretungen und darüber hinaus auch der Beschäftigten an Entscheidungen über betriebliche Veränderungsprozesse. Beabsichtigt ist die Stärkung kooperativer Austauschbeziehungen zwischen Geschäftsleitungen und Betriebsräten. Dieser Ansatz ist unter bestimmten Bedingungen durchaus mit der fortschreitenden Marktsteuerung von Arbeit vereinbar. Manche Geschäftsführungen sind daran interessiert, die Chancen betrieblicher Reorganisationsprozesse dadurch zu verbessern, dass die Interessenvertretungen frühzeitig „ins Boot geholt werden“. Ein Mitglied der Geschäftsführung eines großen Nürnberger Zulieferbetriebes formuliert das wie folgt: „Natürlich wissen wir, dass es beim ffw einen gewerkschaftlichen Einfluss gibt. Das ist aber nicht schädlich. Wir haben ja auch hier einen Betriebsrat mit Gewerkschaftern. Die brauchen wir, wenn wir etwas verändern wollen. Mit Beratern, die von den Betriebsräten akzeptiert werden, geht manches leichter. Wenn die in der Sache kompetent sind, können solche Berater durchaus nützlich sein“ (N/B14/GF01).
Diese Aussage ist für unsere Betriebsauswahl repräsentativ. Dort, wo die arbeitsorientierten Berater Zugang zu den Betrieben erhalten, geschieht dies immer unter dem Gesichtspunkt, die Interessenvertretungen einzubinden und für betriebliche Veränderungsprozesse zu gewinnen, die auch mit Härten für die Belegschaften verbunden sein können. Wo die Geschäftsleitungen keinen Grund für zusätzliche Integrationsanstrengungen sehen, haben die arbeitsorientierten Berater selbst dann keine Chance, wenn sie – etwa über Verbundprojekte wie im Fall AEG Hausgeräte – „selbst Geld mitbringen“ (N/B04/BR02). Als Nachfrager von Beratungsleistungen wollen auch die Betriebsräte Experten in ihre Firmen holen, von denen sie erwarten können, dass sie mit ihrem Fachwissen zumindest nicht gegen die Interessenvertretungen arbeiten. Das Verhalten der Betriebsräte belegt zugleich ein spezifisches Interesse an gewerkschaftlicher Regional- und Strukturpolitik. Dem Gesamtkonzept der IG Metall begegnet die Mehrzahl der befragten Interessenvertreter mit passiver Zustimmung oder skeptischer Distanz. Mit Blick auf die betriebsnahen Beratungsleistungen zeichnet sich hingegen eine differenzierte Nachfrage ab. Anders gesagt, die Betriebsräte suchen sich aus dem Angebot das heraus, was ihnen brauchbar erscheint (N/Pol01, N/NWA03). So war im Fall AEG Hausgeräte im Zusammenhang mit anstehenden Produktionsverlagerungen vor allem betriebswirtschaftlicher Sachverstand gefragt,
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der im lokalen Netzwerk nicht vorhanden ist und deshalb „von außen“ eingekauft werden muss. Der Betriebsrat der Honsel Guss GmbH hält die Netzwerkstrukturen insgesamt „für nicht sehr effizient“; er betont jedoch die gute Kooperation mit der regional- und strukturpolitischen Stabsstelle der IG Metall (inzwischen gibt es auch ein Kooperationsprojekt mit dem ffw). Der Betriebsrat von Alstom Power hat im Zuge der Standortsicherung immer wieder auf das Expertenwissen einzelner Netzwerkakteure zurückgegriffen. Insgesamt sehen die Betriebsräte jedoch nur eine geringe Wirkung des Netzwerkes auf den Standorterhalt: „Eine Stärkung des Standortes kann letztlich nur über den Konzern erfolgen, indem man Marktzuteilungen ändert und ... Administration aufbaut“ (N/N02/BR02, N/B03/BR03). Die landespolitische Ebene ist in den Augen einiger Betriebsräte relevanter als die regionale. In anderen Unternehmen wie bei Draka und Federal Mogul und selbst in Handwerksbetrieben wie beim Goldschlägerei-Betrieb Eytzinger haben Betriebsräte und Manager positive Erfahrungen mit arbeitsorientierten Beratern sammeln können, ohne dass dies bedeuten müsste, dass auch die Folgeaufträge an solche Berater gehen. Alles in allem zeichnet sich somit in den von uns untersuchten Betrieben eine – durchaus differenzierte – Nachfrage nach arbeitsorientierten Beratungsleistungen ab. Ein Nachteil aus Sicht der Nachfrager ist hingegen, dass die Angebotspalette häufig intransparent ist und die notwendigen Beratungsleistungen teilweise nicht rasch genug zur Verfügung gestellt werden können. Dieses Problem wird auch von potentiellen Anbietern gesehen: „Vielleicht haben die Betriebsräte ja das Problem, dass sie nicht genau wissen, welche Fragen sie stellen müssen. Kann sein, dass man da noch ein bisschen helfen muss. Aber die Beratungskompetenz, die da gefordert ist, ist fachbezogen und von ganz unterschiedlicher Intensität, mit ganz unterschiedlichen Personenketten verknüpft, und da ist es völlig richtig, wenn wir sagen: wir brauchen einen Netzwerker, der den Brandstopp-Charakter hat durch eine Telefonnummer, aber der muss eigentlich auf ein Sachverständigen-Netzwerk zugreifen, innerhalb oder außerhalb der Region, das auf jeden Fall rasch liefern kann. So. Und das kann die IG Metall nicht und das können die Betriebsräte natürlich auch nicht. Die IG Metall kann das nicht mehr zur Verfügung stellen, weil sie die Ressourcen nicht mehr hat und es auch hirnrissig ist, das auf Dauer vorzuhalten im Sinne eines Abrufsystems, sondern das kann nur ein Netzwerk, in dem die Auslastung durch unperiodisches Arbeiten gewährleistet ist. Das ist genau das, was wir zur Zeit überlegen: Wenn ich zum Beispiel das Brückenprojekt verlängern will, müssen wir uns genau überlegen, welche Rolle hat der ffw, die GPQ, welche Rolle hat das IMU hier in der Region, wie können wir die Problemfälle präzise beschreiben und wie können wir dafür sorgen, dass zwischen IG Metall und den Betriebsräten dann sehr schnell problembezogene Abhilfe geschaffen wird. Das ist Technik dann. Technik, die Probleme erkennt und sofort die Feuerwehr rausholt“ (N/NWA01).
Insgesamt ergibt sich somit ein differenziertes Bild der Wirkung arbeitsorientierter Gestaltungsansätze. Der Nürnberger Fall belegt, dass ein betriebliches Standbein für eine arbeitsorientierte Regional- und Strukturpolitik unverzichtbar ge-
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worden ist. Für ein solches Standbein gibt es eine zunehmend spezialisierte und ausdifferenzierte Nachfrage aus den Betrieben, die nach passgenauen, fachlich hoch kompetenten Lösungen verlangt. Die Nachfrage kann zumindest fallweise und punktuell befriedigt werden. Dennoch wäre es überzogen, dies bereits als eine präventive Modernisierungspolitik bezeichnen zu wollen. Die IMU- und ffw-Betriebe repräsentieren eine Positivauswahl, weil in ihnen vergleichsweise intakte Vertretungsstrukturen existieren. Wo das nicht der Fall ist, haben arbeitsorientierte Berater keine Chance. Doch auch dort, wo diese Berater wirken, stellt sich die Frage, ob ihre Arbeit neben den Betrieben auch den Gewerkschaften nützt. Von internen Kritikern der regionalen Konsenspolitik wird genau das bezweifelt. Die Kritiker verweisen darauf, dass es sich bei Akteuren wie dem ffw um Organisationen handelt, die qua Selbstverständnis dem – partizipativ organisierten – Interessenausgleich im Unternehmen verpflichtet sind. Dieses Selbstverständnis kann sich, so kritische Stimmen, im Konfliktfall durchaus gegen die Gewerkschaften wenden, weil es sich an einer harmonistischen Kooperationsvorstellung orientiert, die der betrieblichen Realität in der Regel nicht oder nicht mehr entspricht. Sind solche Vorwürfe berechtigt oder lässt sich feststellen, dass die Tätigkeit arbeitsorientierter Berater letztlich auch der gewerkschaftlichen Interessenvertretung zugute kommt? Wie schon in anderen Politikfeldern können wir eine differenzierte Antwort formulieren. Selbst eine erfolgreiche Modernisierung betrieblicher Strukturen, die mit Unterstützung arbeitsorientierter Berater erfolgt, bietet keine Gewähr dafür, dass die Gewerkschaften daraus unmittelbaren organisationspolitischen Nutzen ziehen können. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ob sie von ihr profitieren können, hängt von der Art und Weise ab, in der die Gewerkschaften die Beratertätigkeit in ihre Arbeit einbauen. Dabei müssen sie beachten, dass durch die Berater in den Betrieben eine neue Rollenverteilung zwischen den maßgeblichen Akteuren entsteht. Wir wollen diese Interpretation nachfolgend erläutern. Beginnen wir mit den ambivalenten Folgen betrieblicher Modernisierung. Der Fall Draka Multimedia Cable Ein in vielerlei Hinsicht lehrreiches Beispiel ist der Fall Draka, ein Kabelhersteller mit inzwischen wieder mehr als 200 Beschäftigten, dessen Entwicklung wir – unter jeweils anderen Namen – seit 1995 in mehreren Untersuchungen verfolgen konnten. Der Fall ist inzwischen auch in der Schriftenreihe des ffw dokumentiert. Der Betrieb war 1995 aufgrund der rückläufigen Sonderkonjunktur im Bereich Telekommunikationskabel in die Krise geraten. Trotz mehrfacher Eigentümerwechsel gelang es in einem aufwendigen Reorganisationsprozess, eine hoch flexible Betriebs- und Arbeitsorganisation zu schaffen, mit deren Hilfe die
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Anforderungen in sich rasch verändernden Teilmärkten besser bewältigt werden können. Der Betrieb produziert auftragsorientiert. Es existiert ein KanbanSystem. In der Fertigung ist Gruppenarbeit mit gewählten Sprechern flächendeckend eingeführt. Es gibt wöchentliche Gruppen- und vierzehntägige Projektteam-Besprechungen. Die Hierarchie ist auf ein Minimum reduziert. Verbliebene Führungskräfte verstehen sich als Unterstützer der Gruppen. Arbeitszeit- und Lohnsystem sind flexibilisiert. Der Betrieb selbst ist in eine Konzernstruktur eingebunden, die mit einer personell extrem ausgedünnten Zentrale operiert und den Produktionsstrukturen große operative Freiheiten bei der Bedienung nationaler Märkte lässt. Für unsere Fragestellung ist entscheidend, dass der Reorganisationsprozess von Anfang an maßgeblich von arbeitsorientierten Beratern mitgestaltet wurde. Das Gruppenarbeitskonzept wurde vom IMU entwickelt. Den Reorganisationsprozess leitete ein Lenkungsausschuss, dem neben Vorstand und lokalen Führungskräften auch Betriebsrat, IG Metall und ein externer Berater angehörten. Dieser Lenkungsausschuss sorgte dafür, dass Entlassungen und GPQ-Lösung innerbetrieblich zunächst nicht zu einem Ansehensverlust der Gewerkschaften führten. Inzwischen hat sich eine innerbetriebliche Mitbestimmungsstruktur herausgebildet, die im Kern auf einer engen Kooperation zwischen Geschäftsführer und Betriebsratsvorsitzendem basiert. Der BRV ist auch qua beruflicher Funktion „ins Management integriert“ (N/B13/BR01). Er wird frühzeitig in alle wichtigen Entscheidungsprozesse eingebunden. Der derzeitige Geschäftsführer genießt in der Belegschaft großes Ansehen, er gilt als Retter des Betriebes. Sein Betriebsratsvorsitzender versteht sich als aktiver Co-Manager. In dieser Kooperationsstruktur gibt es durchaus Interessenkonflikte; die Grenzen der arbeitspolitischen „Lager“ sind aber nicht mehr starr. Bis tief in die Belegschaft hinein ist das Bewusstsein prägend, dass man den Betrieb gemeinsam aus einer Existenzkrise geführt und die Arbeitsplätze gerettet hat. Und so ist es keineswegs aus der Luft gegriffen, wenn Betriebsrat und Geschäftsführer als Wunschziel für die Zukunft formulieren, „dass alle wie ein Mann dastehen, und alle am gleichen Strang ziehen“. Die innerbetrieblichen Arbeitsbeziehungen gleichen damit Betrieben, die – wie z. B. der Wägetechnik-Hersteller Mettler-Toledo – Anfang der 1990er Jahre als Modell für intelligente Reorganisation galten. Und auch die Probleme für die Gewerkschaften sind ähnlich (Dörre 2002a: 216ff.). Zwar ist ein Großteil der gewerblichen Mitarbeiter gewerkschaftlich organisiert, aber die Kluft zwischen gewerkschaftlicher und betrieblicher Interessenvertretung ist eher größer geworden. Das mag z. T. damit zusammenhängen, dass der zuständige Gewerkschaftssekretär, der den betrieblichen Reorganisationsprozess maßgeblich beeinflusste, die Verwaltungsstelle inzwischen verlassen hat. Es gibt jedoch auch systemische Ursachen. Das fragile, absatzorientierte Produktionssystem kann Störungen, wie
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z. B. einen längeren Streik, nur schwerlich verkraften. Die Betriebsparteien sind daher bestrebt, potentielle Konflikte frühzeitig und kooperativ zu bearbeiten. Tarifauseinandersetzungen erscheinen aus dieser Perspektive eher wie ein „Unglücksfall“, den man gemeinsam schon irgendwie überstehen wird. Ein Ergebnis dieser – mit großen Beteiligungsmöglichkeiten für den Betriebsrat verknüpften – Wettbewerbspartnerschaft ist, dass neu eingestellte Arbeitskräfte nicht mehr ohne weiteres in die IG Metall eintreten. Eine betriebliche Vertrauensleutearbeit findet kaum noch statt. Mit anderen Worten, die Gewerkschaft, die maßgeblich an der intelligenten Reorganisation des Kabelherstellers beteiligt war, hat aus ihrer innovativen arbeitspolitischen Rolle „keinen organisatorischen Nutzen ziehen können“ (N/GW05). Dieser Befund ist nun wiederum kein automatisches Resultat gewerkschaftlicher Arbeitspolitik, sondern Ausdruck des Faktums, dass es die zuständige Gewerkschaft versäumt hat, ihre Erfolge organisationspolitisch zu begleiten: „Das wäre doch ohne Probleme möglich, dass der Gewerkschaftssekretär hergeht, mit dem Geschäftsführer redet, und ihm sagt: Hör zu, wir haben viel für Dich und Deinen Betrieb getan. Jetzt musst Du auch etwas für uns tun. Wir brauchen Mitglieder, und wir möchten, dass die, die von unserer Politik profitieren, auch Mitglied bei uns werden. Ich glaube, da hätte der O. letztlich nichts dagegen. Gewinnen muss man die Leute aber schon selber...“ (N/NWA04).
Ein solch aktives ‚organizing’ findet offenkundig aber nicht statt. In Gegenteil, der Fall Draka ist in der Verwaltungsstelle offenkundig niemals systematisch ausgewertet worden. Die gewerkschaftliche Betriebspolitik besitzt etwas zufälliges und hängt wesentlich vom Engagement des jeweils zuständigen Gewerkschaftssekretärs ab.1 7.2.2 Dortmund: Gewerkschaftliche Betriebspolitik und „gute Arbeit“ Dem Nürnberger Fall ähnlich, existiert in der Stadt ein ausdifferenziertes Netzwerk, das den wirtschaftlichen Strukturwandel durch gezielte Interventionen zu beeinflussen sucht. Betriebliche Modernisierung bedeutet in Dortmund aber doch etwas anderes als in Nürnberg, denn der Abbau altindustrieller Branchen ist in der Ruhrgebietsmetropole weiter fortgeschritten als im fränkischen Oberzentrum. Gewerkschaftliche Interessenpolitik zielte lange Zeit vor allem auf ‚sozialverträglichen Beschäftigungsabbau‘. Die Modernisierung betrieblicher Strukturen wurde demgegenüber eher vernachlässigt. Die lange Zeit des strukturellen Wandels in der Stadt, in der die Gewerkschaften „Vergangenheitsbewältigung“ prak1
Daran dürfte sich, trotz personeller Veränderungen im Betriebsrat, kurzfristig kaum etwas ändern.
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tizieren mussten, bedeutet nun, dass sie sich in neuen Politikfeldern überhaupt erst positionieren müssen. Die Notwendigkeit einer arbeitspolitischen Neuausrichtung wird von einigen Gewerkschaftssekretären deutlich gesehen. Parallel zum Nürnberger Fall stehen in Dortmund einer großen Anzahl von Betriebsschließungen auch Prozesse gegenüber, in denen u. a. durch Outsourcing ein dynamisches Segment der städtischen Ökonomie aus den alten Branchen entstanden ist. Dort gehe es um die Frage: „Was können wir in den Unternehmen verändern, damit sie wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen?“ Das gelte umso mehr, als solche Bereiche Gefahr liefen, aus den strukturpolitischen Förderaktivitäten der städtischen Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung herauszufallen: „Wir (als IG Metall, d. A.) haben den Verantwortlichen ins Stammbuch geschrieben: Wir werden sehr wohl beobachten, inwieweit ihr als Wirtschaftsförderung, als Stadt, als Politik euch um die vorhandenen Branchen überhaupt noch kümmert, denn das sind Branchen, die nach wie vor absolut topp am Markt stehen, um die es sich auch lohnt, zu kämpfen. Die kann man nicht einfach aufgeben. Wir haben in vielen, vielen kleinen Bereichen Firmen, die spannende Produkte herstellen, die teilweise Produkte herstellen, die am Weltmarkt vertrieben werden. Das sind Positionen, da muss man am Ball bleiben, die müssen gepflegt werden“ (Do/GW02).
Wie in Nürnberg, gibt es eine Anzahl von Consultants, die sich auf dem Feld betrieblicher Modernisierung betätigen. „Da gibt es eine Menge Ansprechpartner, die sich auf so etwas spezialisiert haben... Da geht es in diese Bereiche rein: Arbeitsorganisation, Arbeitsabläufe, Qualitätsmanagement, Bereiche, wo ich sage: wenn da große Lücken sind, kostet das einem Unternehmen richtig Geld, da kann man gezielt ansetzen. Es gibt aber auch die eine oder andere Beratungseinrichtung, die sich nicht in unserem Sinne engagiert: wenn es einem Unternehmen schlecht geht, soll der Betriebsrat dann auf Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld verzichten, ich sag mal: also Modelle fahren, die bei Unternehmen noch nie großen Erfolg hatten. Also: unser Ansatzpunkt ganz eindeutig: von Arbeit in Arbeit, d. h. die Arbeitnehmer, die bedroht sind von irgendeiner Krise auf betrieblicher Ebene, Modelle zu entwickeln und in den Unternehmen anzuwenden mit dem Ziel, dass Arbeitslosigkeit gar nicht erst entsteht. Und dadurch im Umkehrschluss natürlich, das Unternehmen am Markt ganz einfach besser zu positionieren. Konkret: also so von der Seite der Unternehmensberatung da reinzugehen“ (Do/GW02).
Damit wären wir auch schon bei der Grundstruktur, die das Politikfeld ‚betriebliche Modernisierung und Sanierung‘ in Dortmund prägt. Auch hier stoßen wir auf eine zunehmende Professionalisierung der Berater, die von den Dortmunder Gewerkschaftern kritisch beäugt und nach ihren Interessen genutzt wird: „es muss halt irgendwo passen“: „Wir haben ja Interessen zu vertreten. Aber die vielfältigen Interessen, die es gibt, können wir nur bündeln, wenn wir auf die wissenschaftlichen Einrichtungen, die wir haben, stärker zugehen und das Netz
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stärker nutzen“ (Do/GW03). Zugleich müsse der Zugriff notwendig selektiv sein: „Überwiegend ist das so, dass die Berater, die wir einsetzen können oder die wir hier in Dortmund haben, alle Unternehmer sind, die damit auch ein Stück weit Geld verdienen. Aber: wir schauen sehr genau nach, was für ein Problem habe ich in einem Unternehmen und wer könnte dann der Passende sein. Wir haben in NRW eine ganze Menge von uns sehr nahe stehenden Einrichtungen, die man für bestimmte Problemstellungen und Themen nehmen kann. Wenn es darum geht, zu prüfen, ob eine Belegschaft ein Unternehmen übernehmen kann, in Eigenregie weiterführen kann, dann nehme ich sicher einen anderen Berater, als wenn ich jemanden brauche, der einen Betrieb nach einer altherkömmlichen Methode zu überprüfen hat: wie sind die Arbeitsabläufe, wie ist die Arbeitsorganisation und so und wo muss ich da ansetzen, um bestimmte Probleme zu lösen“ (Do/GW02).
Dennoch entstehen infolge des Strukturwandels neue Problemlagen, für die auch die der Stadt ausgebildeten Beratungsagenturen nicht (mehr) passgenau sind. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist der Boom der städtischen Informationswirtschaft, der ein rasches Wachstum betrieblicher Strukturen zur Folge hatte, durch den die Dortmunder Gewerkschaften punktuell zu Ansprechpartnern von Beschäftigteninitiativen werden konnten. Im Organisationsbereich von ver.di kann diese Nachfrage nach Beratungsleistungen häufig gar nicht mehr befriedigt werden. Ein – intern nicht umstrittener – Schwerpunkt gewerkschaftlicher Arbeit besteht darin, ein Beratungsnetz aufzubauen, das bei Beratungsbedarf als kompetenter Ansprechpartner fungieren soll. Daneben zeigt sich in Dortmund, dass die Betreuung durch Gewerkschaftssekretäre noch immer ein wichtiger Ansatzpunkt für eine gewerkschaftliche Betriebspolitik ist, die auch darauf zielt, Modernisierungsprozesse anzuregen. Wie im Nürnberger Fall ist betriebliche Modernisierung somit das Terrain der Mitgliedsgewerkschaften. Probleme ergeben sich auch hier aus dem Fehlen eines Frühwarnsystems, d. h. die Gewerkschaften erfahren von der Notwendigkeit der Intervention meist erst dann, wenn es zu spät ist, wenn „der Arbeitgeber sagt, dass man Leute rausschmeißen will“ (Do/GW02). Um dieses Problem angehen zu können, verfolgen auch die Einzelgewerkschaften strukturpolitische Ziele: „Wir sagen: die Firmen, die im Rahmen dieses dortmund-project tätig sind, die werden darauf angewiesen sein, dass noch eine andere Wirtschaftsstruktur vorhanden ist, die man nicht IT oder der Microsystemtechnik zuordnen kann... Wir machen ein Projekt, das über die Wirtschaftsförderung bzw. die Konsensrunde, ESF, mit finanziert wird. Da geht es um ‚arbeitsorientierte Modernisierung als Integrationsstrategie zur Unterstützung der Entwicklungsprozesse in der Old und New Economy’. Vereinfacht gesagt: Wir haben Betriebe, die kommen aus der sogenannten New Economy, und wir haben Betriebe, die kommen aus der sogenannten Old Economy. Diese Betriebe bringen wir zusammen und überlegen gemeinsam. Ein Beispiel. Es gibt eine Firma, die sagt: verstärkt kaufen wir unsere Materialien, die wir brauchen, auf Internet-Auktionen. Auf der anderen Seite wäre es für uns auch spannend, das Produkt, das wir her-
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stellen, ebenfalls auktionsmäßig im Netz platzieren zu können. Und da setzen wir an, mit Qualifizierungsprozessen und dergleichen“ (Do/GW02).
Wie in Nürnberg treffen wir auch in Dortmund auf eine Doppelstruktur aus klassischer gewerkschaftlicher Betriebsbetreuung und professionellem Beraterwesen. Einiges spricht jedoch dafür, dass die professionalisierte Beratung sich in Dortmund noch weiter vom ursprünglichen Fokus gewerkschaftlicher Interessenpolitik entfernt hat als das in Nürnberg der Fall ist. Stärker noch als in Nürnberg wird am Dortmunder Fall deutlich, dass es kein integrierendes strategisches Konzept gibt, das für die arbeitsorientierten Berater eine verbindliche Orientierung liefern könnte. Zwar gilt auch für die Dortmunder Beraternetzwerke, dass sie einen partizipativen Anspruch verkörpern. Wie dieser im Betrieb einzulösen ist, bleibt jedoch häufig unklar. Darin offenbart sich eine wichtige Schwachstelle der gewerkschaftlichen Arbeitspolitik in Dortmund. Beschäftigungspolitisches Controlling ist das eine, über die Qualität der Arbeit ist damit aber noch nichts gesagt. Angesichts des Problemdrucks dominiert sowohl in der allgemeinen Praxis regionaler Strukturpolitik als auch in den Gewerkschaften die Devise „Hauptsache Arbeit“; Qualitätsmaßstäbe scheinen demgegenüber vernachlässigenswert: „Du kannst hier nichts machen, wenn Du nicht gleichzeitig sagst, wie viel Arbeitsplätze Du schaffst. Egal welche. Und wenn Du auf Qualität aus bist, dann ist das schon quer, dann ist das schon gar nicht mehr offizielle Politik... Nur die Zahl der Arbeitsplätze zu kontrollieren, wäre mir zu wenig... Beispielsweise in der Logistik: die von der damaligen ÖTV haben mir gesagt als ich denen das Thema nahe bringen wollte: Wieso? Was sollen wir denn da noch tun? Da entstehen doch endlich mal Arbeitsplätze, ist doch super! Und da habe ich immer argumentiert, dass man auch auf die Qualität der Arbeitsplätze achten muss, dass es eine nachhaltige Entwicklung ist, dass die nicht heute hier entstehen und morgen in Duisburg sind oder sonst wo. Also die qualitativen Aspekte sind mir wichtig: vom Tarifvertrag bis zum Einhalt der gesetzlichen Vorschriften“ (Do/NWA06).
Wie eine Strategie aussehen könnte, die nicht nur Arbeitsplätze, sondern Maßstäbe für „gute Arbeit“ wieder zum Thema macht, ist innerhalb der Dortmunder Gewerkschaften unklar. Wie in Nürnberg fehlt es an einer Konzeption, die bis hin zu den professionellen Beratern ausstrahlen könnte. 7.2.3 Chemnitz: Sanierung im Konsens In Chemnitz stoßen wir auf eine andere Problematik. Dort finden betriebliche Modernisierungsprozesse statt, in denen das gewerkschaftliche Netzwerk allerdings keine Rolle spielt. Diese Modernisierungsprozesse lassen sich sowohl in der Industriestruktur wie in innerbetrieblichen Abläufen nachzeichnen. Betriebli-
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che Modernisierung vollzieht sich vor allem als Produktinnovation in den Betrieben der ansässigen transnationalen Konzerne, die Arbeitsorganisation wird eher vernachlässigt. Partizipative Managementkonzepte spielen quantitativ kaum eine Rolle. Diese Entwicklungstendenzen werden aus Gewerkschaftssicht als Ergebnisse einer anhaltenden Kultur der „DDR-Ingenieur-Ökonomie“ begriffen: „Das prägt heute noch das Denken, dieses: ‚Maschinenbau, Technik, Ingenieur, spießig’“ (C/GW01). Vor dem Hintergrund des rasanten Beschäftigungsabbaus konzentrierte sich auch die gewerkschaftliche Betriebspolitik auf den Erhalt von Arbeitsplätzen. Dem Anspruch nach umfasst das sogenannte Chemnitzer Konsensmodell allerdings auch ein Instrumentarium zur partizipativen Modernisierung wirtschaftlich gesunder Betriebe. Trotz der Beschränkungen auf Sanierungsfälle stellen die gewerkschaftlichen Akteure die Modernisierungsleistungen und arbeitspolitischen Perspektiven dieses Modells heraus. Der Fall UNION Das gilt vor allem für den Paradefall betrieblicher Sanierung, den Werkzeugmaschinenbauer UNION, der nach vielen Krisen in Form einer Mitarbeitergesellschaft gerettet werden konnte: „Bei UNION ist dies eindeutig... Von der ideologischen Seite komme ich ja eher aus dem anderen Lager. Gleichwohl ist in den Unternehmen durch die Mitarbeiterbeteiligung eine andere Kultur entstanden und auch durch den Beirat entwickelt sich eine andere Form der Unternehmenskultur. Zum einen beteiligen sich die Mitarbeiter stärker an der Entwicklung ihres Unternehmens, verstehen viel mehr und nehmen Einfluss. Und mit dem Beirat besteht oftmals der Vorteil, dass z. B. eine Strategiediskussion angestoßen wird. Das wäre mein Ziel. Dass man mal überlegt, was sind denn die strategischen Visionen eines solchen Unternehmens. Und Sie werden wenige Unternehmen finden, die eine solche Diskussion überhaupt führen. Und wenn es davon mehrere Unternehmen, zwei, drei, vier, in der Region gibt, und wenn dann noch vier oder fünf dazukommen – das ist schon eine Vision, wenn Sie dann mehrere haben, die sich dann untereinander finden... Ich halte das auch mit der Mitarbeiterbeteiligung für ein interessantes soziales Experiment... Wenn ich mich an Äußerungen unseres Wirtschaftsministers erinnere, ist es durchaus auf Linie des Freistaats, Mitarbeiter zu beteiligen. Ob das so weit geht, wie wir das hier machen... Das ist ja deutlich mehr, was wir hier machen, als die Bildung von Produktivvermögen in Arbeitnehmerhand, wir gehen in die Entscheidungsprozesse mit rein“ (NWA/Ch3).
Betrachten wir den Fall UNION genauer. Faktisch ging der Gründung des Chemnitzer Konsensmodells der „Fall UNION“ voraus. Im Fall des ältesten deutschen Werkzeugmaschinenbauers bemühten sich die zentralen Akteure des Chemnitzer Netzwerkes um eine Lösung, die in eine Mitarbeiterbeteiligung einmündete. Diese Kooperation wiederum resultiert aus den anfänglichen Misserfolgen von Privatisierung und Einbindung in globale Unternehmensstrukturen
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(vgl. dazu Kapitel 5). Das Prinzip Mitarbeitergesellschaft, das 1996 bei UNION durchgesetzt wurde, kann als Modell einer partizipativen Sanierungspolitik betrachtet werden. Der Abschluss der Privatisierungen mündete in Chemnitz 1996 in einer tiefen Krise des regionalen Maschinenbaus. Den Gesamtvollstreckungsanträgen der Firmen UNION und Germania Anfang 1996 folgten im Laufe des Jahres weitere Unternehmen der Region ins Insolvenzverfahren. Gegen Ende 1996 waren etwa 2.500 Arbeitsplätze aus dem ehemaligen Fritz Heckert Komplex von Gesamtvollstreckung bedroht. Vorausgegangen war der Konkurs der Muttergesellschaft der UNION, der Dörries-Scharmann AG, Mönchengladbach. Ziel der Sanierungsinitiative war es, das Unternehmen mit einer Tradition von 145 Jahren fortzuführen. Die Grundidee zu einer Mitarbeitergesellschaft ist nicht aus dem Unternehmen gekommen, sie wurde von der IG Metall entwickelt. „Das Modell wurde uns über die IG Metall schmackhaft gemacht. Von alleine kommt man da nicht drauf“, so eine Mitarbeiterin von UNION. Die Fakten sind rasch erzählt. Mit dem Antrag auf Gesamtvollstreckung durch die Geschäftsleitung der „alten“ UNION im Frühjahr 1996 bildete sich im März 1996 unter Führung der IG Metall eine Konzeptgruppe, bestehend aus leitenden Mitarbeitern der verschiedenen Unternehmensbereiche sowie dem Betriebsrat. Am 23. September 1996 wurde die Mitarbeitergesellschaft UNION Werkzeugmaschinen GmbH Chemnitz gegründet. Für die Gründung hat jeder Gesellschafter 10.000 DM Startkapital notariell gezeichnet. Mit diesem Stammkapital von einer Million DM begannen im Oktober 1996 13 Mitarbeiter mit der Arbeit in der „neuen“ UNION, im November des gleichen Jahres kamen neun und im Dezember nochmals sieben Mitarbeiter hinzu. Ende 1996 waren 29 der 100 Gesellschafter beschäftigt. Zum Zeitpunkt der Erhebung war die UNION mit 175 Mitarbeitern und 110 Gesellschaftern die größte Mitarbeitergesellschaft der Branche. Schon früh (im Juni 1997) wurden erste Auszubildende eingestellt, um aus eigenen Kräften Beschäftigtennachwuchs zu fördern. Am 1. Dezember 1996 erwarb das Unternehmen aus der Konkursmasse der „alten“ UNION den Rohbau im Gewerbegebiet „Nord-Ost-Quadrant“ am Rande der Stadt. Dieser Rohbau wurde nach neuen Zielstellungen ausgebaut. Der Schwerpunkt der Produktion liegt nun bei der Erzeugnisentwicklung, der Fertigung und Lieferung hoch produktiver Waagrecht-Bohr- und Fräsmaschinen sowie den Zentren für die Bearbeitung großvolumiger Werkstücke der metallverarbeitenden Industrie. Außerdem werden Service- und Retrofittings-/Modernisierungsarbeiten für ausgelieferte und ältere Maschinen geleistet. Die angelagerte Entwicklungsabteilung des Betriebes sorgt dafür, dass die Produktion auf technologisch höchstem Niveau bleibt. Zu den Kunden von UNION zählen Siemens, VW, Krupp und Mannesmann. Der Umsatz konnte kontinuierlich gestei-
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gert werden. Auch die Gewinnsituation gestaltet sich inzwischen zufriedenstellend. Seit 1998 gibt es ein ausgeglichenes Ergebnis; seit 1999 wird Gewinn erzielt. Im Treppenhaus, in den Fluren und Büros, selbst in der Werkhalle zieren farbenfrohe Bilder die Wände. „Wir haben eine Partnerschaft mit der künstlerischen Arbeitsgruppe des Leibniz-Gymnasiums“ (C/B05/GF01), erläutert der inzwischen in den Ruhestand gegangene geschäftsführende Gesellschafter. Highlight der „Kunst im Werk“ ist ein Wandbild zur „Geschichte der Menschheit“ an der Stirnseite der Fertigungshalle. Es ist das Produkt einer Jahresarbeit der Klassenstufe 10 der örtlichen Schule. Im künstlerischen Produktionsprozess selbst waren die Arbeiter eingebunden; die dargestellte Zukunft sei – so der geschäftsführende Gesellschafter – auf Wunsch der Arbeiter als unbekleidete Frau dargestellt. Die selbst gestaltete Umgebung prägt das Arbeitsklima, das jedoch an einem anderen Ideal gemessen wird als in privatkapitalistischen Unternehmen: „Das Arbeitsklima ist gut. Wobei ich davon Abstriche machen würde... weil es eine Mitarbeiterfirma ist. Die Leute kennen sich einfach seit vielen Jahren. Es ist einfach gut. Ich habe es ja im Westen erlebt, da ist das Arbeitsklima schon ein bisschen anders. Da arbeitet man nicht so Hand in Hand. Jeder ist da mehr auf sein eigenes Wohl bedacht. Was so hier nicht der Fall ist“ (C/B05/AN01).
Auch von Seiten der Geschäftsführung wird das kooperative Klima als entscheidende Produktivkraft des Unternehmens betrachtet: „Erfolg hat viele Ursachen, aber er beginnt meines Erachtens bei den Mitarbeitern, die sich einbringen müssen. Das setzt sich fort bei dem Management“ (C/B05/GF01). Aus diesem Grund sind die Hierarchien im neuen Werk flach. Vieles wird im Rahmen von Arbeitsgruppen eigenständig organisiert. Um eine enge Zusammenarbeit der einzelnen Bereiche und Arbeitsgruppen zu erzielen, gibt es zahlreiche Rapportbesprechungen, die wöchentlich stattfinden. Gegenstand dieser Besprechungen sind auch Investitionen oder Modernisierungsmaßnahmen. Die zentrale Schwierigkeit bei der Neugründung von UNION bildete die Durchsetzung des Mitarbeitermodells. Zwar zeigten sich alle Beteiligten, vom Konkursverwalter und der damals noch beteiligten Privatisierungsbehörde BvS bis hin zur sächsischen Landesregierung, dem Gedanken gegenüber aufgeschlossen. Doch „jeder nickte, aber mitmachen wollte jeder nur, wenn auch die anderen zusagten“ (C/B05/GF01). Das Verdienst der örtlichen IG Metall besteht darin, dass sie solche Kooperationen überhaupt ermöglicht hat. Deshalb fungiert der (damalige) IG Metall-Bevollmächtigte2 auch als geistiger Vater des Projekts. Gelingen konnte es freilich nur, weil neben den – oft kreditfinanzierten – Gesell2
Nach Beendigung des Projekts hat es einen Wechsel an der Spitze der örtlichen IG Metall gegeben.
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schafterbeiträgen in der Commerzbank auch ein Kreditgeber für die Unternehmung gefunden werden konnte. Bei der UNION werden im Rahmen eines Haustarifvertrages neue Formen der Tarifpolitik erprobt. Schon früh setzten sich neue Formen der Leistungspolitik durch. Es gibt z. B. keine Lohn- und Gehaltsgruppen mehr, sondern Entgeltgruppen, die sich strikt nach Aufgaben und Funktionen der Beschäftigten im Betrieb richten. Urlaubs- und Weihnachtsgeld wird allen in gleicher Höhe gezahlt. Begonnen wurde allerdings mit tariflichen Vereinbarungen, die 10 bis 12 % unter dem Flächentarifvertrag lagen: „Es gab auch einige, die damit nicht einverstanden waren, dass wir einen betriebseigenen Tarif mit der IG Metall ausgehandelt haben und nicht mehr nach dem Flächentarifvertrag gehen und deshalb ausgetreten sind. Das gab es auch“ (C/B05/BR01). Heute liegen die tariflichen Leistungen – zumindest im Arbeiterbereich – bei der UNION über dem Flächentarif: „Ich müsste bei Siemens oder VW arbeiten, um noch mehr zu verdienen“ (C/B05/AN02). Prägend für die UNION ist die Implementierung des Beiratsmodells. Der Beirat setzt sich aus drei gewählten Gesellschaftern, einem Vertreter der IG Metall, dem Beiratsvorsitzenden (Geschäftsführer), dem Oberbürgermeister und einem Direktor der Hausbank (Commerzbank) zusammen. Das formal höchste Gremium ist jedoch die Gesellschafterversammlung: „Da hat man Verantwortung, aber auf der anderen Seite auch das Gefühl, seinen Beitrag leisten zu können. Man hat ja schon die Möglichkeiten, ein Beiratsmitglied abzuwählen. Es besteht die Gefahr, dass der ein Eigenleben beginnt, aber der Gesellschafterversammlung bleibt ja das letzte Wort“ (C/B05/AN3). Die Grundphilosophie eines demokratisch kontrollierten Unternehmens wird hoch gehalten. Klar ist jedoch auch, dass der Betrieb wirtschaftlich arbeiten muss: „Das Modell läuft ja eigentlich gegen schlanke, ich sag mal kapitalistische Strukturen, wo weniger Mitsprache da ist, aber auf Effizienz gezielt wird. Von daher glaube ich nicht, dass die UNION als Modell eine weite Ausstrahlung haben kann. Im Moment halte ich unser Modell nicht für ineffektiv. Wenn es uns nicht gelingen würde, die Widersprüche zwischen Gesellschafter- und Angestelltenstatus rechtzeitig zu erkennen und wenn die wirtschaftliche Situation schlechter würde, müsste man sich bestimmte Dinge noch mal angucken müssen, was sich nicht lohnt... Aber: Ich sag mal die Personalpolitik beispielsweise, dass man die etwas liberaler, etwas sozialer handhabt – dass es beispielsweise nicht gleich um Entlassungen geht wie in anderen Firmen, einfach weil rein rechtlich so ein Schutzschirm über dieser Gesellschaft haftet, du kannst einfach nicht so auf die Menschen losgehen und die Leute entlassen, sondern musst vielleicht erst die anderen Wege ausreizen, um die Gesellschaft erst mal zu schützen und durch Zeiten zu steuern, die etwas härter sind. Das ist positiv zu sehen. Als Negatives ist man vielleicht ein bisschen unflexibel“ (C/B05/AN3).
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220 Probleme des Konsensmodells
Nicht überall läuft die Kooperation von mitarbeitenden Gesellschaftern, Betriebsrat und Beirat so reibungslos wie bei der wirtschaftlich erstarkten UNION. Im Fall von Palla Textilmaschinenbau ist die Praxis durch Krisenbewältigung strukturiert. Der Produktionsbetrieb in St. Egidien galt aufgrund von Liquiditätsmängel als in seiner Existenz gefährdet. Auch in diesem Betrieb wurde das Konsensmodell implementiert. Zunächst beteiligte sich die betriebliche Interessenvertretung noch an Beiratssitzungen. Heute sind es „nur die Banken, die Gesellschafter“, der Betriebsrat wird durch die IG Metall informiert. Gruppenarbeit gibt es nicht; trotz der anhaltenden Krise existiert jedoch ein Anerkennungstarifvertrag, der sich an der Fläche orientiert. Über das Konsensmodell wurden seit April 2001 Arbeitszeitkonten eingeführt, um Überstunden abzubauen und Beschäftigung zu erhalten. Ebenfalls im Textilmaschinenbau mussten die Träger des Sanierungsansatzes gar eine herbe Niederlage einstecken. Im Juni 1997 wurde die neue CSM Sächsische Spinnereimaschinen GmbH als Mitarbeitergesellschaft von 372 Spinnereimaschinenbauern aus Chemnitz und aus Leisnig gegründet. Sehr schnell kam es im Beirat zu Konflikten: „Die Auseinandersetzung eskalierte, als Beiratsmitglieder beim Volkswagen-Sanierer Jose Ignacio Lopez anfragten. Der wollte kommen – verlangte aber im Falle des Erfolgs 51 Prozent des Unternehmens. Die Mitarbeiter als neue Eigner waren dagegen. Das Lopez-Angebot wurde abgelehnt, die Gesellschafterversammlung wählte den Beirat ab – die Eskalation reichte bis zum Hausverbot“ (Pfüller 2003: 29).
Die Konkursmasse von CSM reicht heute nicht aus, um einen Sozialplan zu finanzieren. Trotz solcher Rückschläge besteht in der örtlichen IG Metall ein Konsens darüber, dass das Beiratsmodell ein wichtiges arbeitspolitisches Instrument ist. Unmittelbares Ziel des Chemnitzer Konsensmodells ist die Stabilisierung und Modernisierung von insolvenzbedrohten mittelständischen Firmen im Industriesektor. Auf Gewerkschaftsseite verbindet sich darüber hinaus mit diesem Ansatz die Erwartung, über das Konsensmodell auch Zugang zu Betrieben ohne betriebliche Interessenvertretung zu finden. Ein Betriebsrat und ein mindestens 50 %iger Organisationsgrad sind Voraussetzungen für eine Förderungsfähigkeit. Auf diese Weise soll allmählich ein regionales Netz von nach dem Konsens-Modell reorganisierten Betrieben entstehen. Doch das ist zum Zeitpunkt unserer Erhebung allenfalls Zukunftsmusik. Ob sich eine größere Ausweitung des Beiratsmodells tatsächlich realisieren ließe, ist schon wegen der begrenzten Organisationsressourcen der lokalen IG Metall mehr als fraglich. Künftig wird es in Chemnitz – wie in Nürnberg und Dortmund – stärker darum gehen, ein „Frühwarnsystem“ in den Betrieben zu errichten, das wirksam wird, bevor Be-
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triebe zu Sanierungsfällen werden. Als Sanierungsbeitrag hat das Konsensmodell seine Wirksamkeit unter Beweis stellen und Arbeitsplätze in einer Größenordnung von ca. 2.000 sichern können. Ob es auch für eine präventive Modernisierungspolitik genutzt werden kann, ist jedoch unklar. Zur präventiven Krisenpolitik hat die örtliche IG Metall gemeinsam mit sechs Mittelständlern der Region eine Vereinbarung getroffen, die Entlassungen bei einem Unternehmen verhindern soll, wenn ein anderes Unternehmen Überstunden benötigt. Ein „Tarifvertrag Personaltransfer“ von KMU im Maschinenbau ermöglicht, dass Beschäftigte von einem Betrieb an einen anderen ausgeliehen werden können. Pate dieser Vereinbarung stand ein Vertrag, den die IG Metall Braunschweig für den krisengeschüttelten regionalen Landwirtschaftsmaschinenbau geschlossen hat. Die Motive für diesen Vertrag erläutert ein Gewerkschaftssekretär: „Unser Anspruch ist immer, wir müssen konkret was anbieten, was die Betriebsräte auch nutzen können, keine Kaffeekranzrunden, wo jeder sagt, wieder so ein Gewerkschaftstermin. Musst du hingehen, bringt aber eigentlich nicht viel“ (C/GW06). Die ökonomischen Grundlagen dieser Vereinbarung wurden durch die Strategie des Erhalts industrieller Kerne geschaffen, mit der es gelungen ist, das breite Spektrum des Maschinenbaus in der regionalen Wirtschaftsstruktur zu erhalten (vgl. Kapitel 2): „Arbeitnehmerverleih innerhalb von Maschinenbetrieben, initiiert durch die Gewerkschaft und Betriebsräte. Das ist ja total ungewöhnlich, was wir unseren Leuten zumuten, einen Vertrag mit zwei Unternehmen zu haben. Das wurde diskutiert, das kam eigentlich dann von den Betriebsräten selber, das ist eine Sache, die uns was bringen könnte. Vorausgesetzt, du hast dafür unterschiedliche Bedarfe. Aber das ist das Gute, dass wir in der Region das ganze Spektrum des Maschinenbaus haben, wo die Konjunkturzyklen u. U. nicht parallel laufen. Das ist die erste Voraussetzung. Zweitens, dass du keine Produktkonkurrenz hast und drittens: alle müssen irgendwie tarifgebunden sein. Damit fielen für uns einige raus, aber die anderen hatten einen Haus-, Anerkennungs- oder Flächentarifvertrag, ganz normal über Verbandsmitgliedschaft, so dass vergleichbare Entlohnungsbedingungen sind, sonst würde die Abwerbung eine Rolle spielen. Dann haben wir gesagt, wir machen den Vorstoß bei den Geschäftsführern. Da sind dann die Betriebsräte mit dem Entwurf dieses Tarifvertrags auf ihre Geschäftsführer zugegangen und haben gesagt: Wir wollen so was machen, wie steht ihr dazu. Nun kann ja ein Geschäftsführer schlecht ablehnen, wenn der Betriebsrat kommt und sagt: passt mal auf hier, ihr wollt doch immer flexibel und sonst was sein. Da kann er schlecht ablehnen. Von daher gesehen wurde es relativ einfach. Es bedurfte weniger Einzelgespräche mit den Geschäftsführern. Wir hatten ruck zuck sechs Firmen beieinander. Nun ist der Tarifvertrag zustande gekommen, 10 Fälle gibt’s, allerdings im Moment nur zwischen zwei Betrieben“ (ebd.).
Im Selbstverständnis der IG Metall ist auch dies „ein Stück regionale Strukturpolitik, ohne eine direkte Krise zu haben“.
Kapitel 7
222 7.3 Modernisierung und Sanierung unter widrigen Bedingungen – fallübergreifende Schlussfolgerungen
Die Leistungsfähigkeit betrieblicher Gestaltungsansätze für die regionale Strukturpolitik lässt sich am besten anhand des Nürnberger Falls diskutieren. 7.3.1 Fallübergreifende Befunde Wettbewerbspartnerschaften und marktzentrierter Kontrollmodus: Offenkundig ist, dass sich in mehr oder minder allen von uns untersuchten Konzernbetrieben ein marktzentrierter Kontrollmodus – Shareholder-Value-Steuerung, permanentes benchmarking, Internalisierung des Marktes, Center-Bildung, Zielvereinbarungen, Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen, Arbeitszeiten und Entgeltsystemen, managementkonforme Beteiligung – durchgesetzt hat, dessen Wirkung wir an anderer Stelle ausführlich analysiert haben (Dörre 2002a: 371ff.; Dörre/Röttger 2003; Dörre/Brinkmann 2005: 85f.). Die betriebspolitische Wirkung dieses Kontrollmodus besteht in der Integration von Interessenvertretungen in Wettbewerbskoalitionen, deren innere Kohäsion mitunter zu Lasten der gewerkschaftlichen Bindung von Betriebsräten gehen kann. Diese Problematik wird von den arbeitsorientierten Beratern z. T. klar gesehen: „Gewerkschaftspolitisch wird die ganze Geschichte... fatal. Ich mach das mal an einem Beispiel: Automobilzulieferer, steht ziemlich gut da, war auch vorher schon Konzernbetrieb, aber Exot. Die haben was gebaut, was die sonst nicht hatten. Und jetzt sind die in einen Konzern integriert worden, der baut vergleichbare Produkte an mehreren Standorten. Jetzt geht das benchmarking los. Sie stehen gegenwärtig nicht so besonders da, aber es gibt innerhalb des Konzerns kein Unternehmen, das die vom Konzern gesetzten Margen realisiert, d. h.: die anderen stehen noch schlechter. Was bedeutet das für das Tun und Handeln eines Betriebsrates: Erstens: auf europäischer Ebene gibt es gar nichts. Die waren froh, dass sie im letzten Jahr ein einziges Mal überhaupt ein Treffen der verschiedenen Betriebsräte hingekriegt haben. Das ist der erste Punkt: es gibt da weder eine Struktur noch gibt es eine entsprechende Sprachqualifikation noch gibt es eine IG Metall, die das ganz bewusst fördern würde. Internationale Geschichte also Null. Zweiter Punkt: Die kriegen jetzt vorgesetzt, so und so viel Prozent Umsatzrendite – im Rahmen des konzernweiten benchmarkings. Sie müssen diese Zahlen erstmal glauben, weil sie null Einfluss darauf haben, diese Zahlen überhaupt zu überprüfen. Der Betriebsleiter geht jetzt her und sagt: so und so stehen wir, zur Zeit haben wir noch kein Problem, aber wir müssen uns anstrengen, damit wir da bleiben. Denn wenn wir da nicht bleiben, dann... Da weiß jeder, wie das Szenario dann abläuft. Und jetzt wird die Belegschaft mobilisiert unter der Frage, wie sichern wir den Standort und verbessern ihn. Und je nach dem sind diese Maßnahmen eben weniger im Interesse der Arbeitnehmer oder mehr im Sinne von Wettbewerbsfähigkeit und Innovation. Welche Denkstrukturen entwickelt jetzt ein Betriebsrat, der unter diesen Rahmenbedingungen arbeiten muss? Der hat sicherlich auf der einen Seite noch sein klassenkämpferisches IG Metall-Bewusstsein, stellt aber immer wieder fest, dass ihm das für die betriebliche Praxis relativ wenig nützt, weil er überhaupt keine Möglichkeit hat, über Gegen-
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macht auf die eigentlichen Entscheidungsebenen einzuwirken. Dann kommt der Punkt: Der Bevollmächtigte beschreibt eine zunehmende Verbetrieblichung der Gewerkschaftspolitik. Die hat aber nichts damit zu tun, dass die Leute alle satt, gefräßig, dumm und blöde wären, sondern die hat was mit der objektiven Situation zu tun, mit den Zwängen, in denen sich diese Menschen befinden. Und das ist ein Eiertanz, der dann da abläuft“ (N/NWA04).
Die betrieblichen Wettbewerbspartnerschaften der Gegenwart haben mit der alten betrieblichen Sozialpartnerschaft nur noch die formale Hülle des Kooperationsverhältnisses gemein. Inhaltlich drücken sie jedoch einen tiefgreifenden Funktionswandel der Interessenvertretungen und vor allem eine Defensivposition der Gewerkschaften in den Betrieben aus. Diese Problematik wird in den Regionen noch kaum strategisch bearbeitet. Was aus der Sicht aktiver Metaller als bloße Anpassung der Betriebsräte erscheint, ist in den Augen der betrieblichen Interessenvertreter häufig unumgänglich, um unter den Bedingungen gravierend veränderter Kräfteverhältnisse überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Neue Arbeitsteilung und gewerkschaftlicher Kontrollverlust: Die strukturelle Veränderung betrieblicher Arbeitsbeziehungen fällt mit einer neuen betrieblichen Rollenverteilung zusammen. Dort, wo sie existieren, wertet das „neue Marktregime“ die Interessenvertretungen als regulative Kraft auf. Nicht selten werden Betriebsräte in einem Maß in betriebliche Entscheidungsprozesse einbezogen, das deutlich über das vom Betriebsverfassungsgesetz Gebotene hinausgeht. Zugleich weiten sich die Arbeits- und Aufgabenfelder der Betriebsräte aus. Ihre Aufgaben – etwa in betrieblichen Reorganisationsprozessen – können sie häufig nicht mehr allein aus eigener Kraft bewältigen. Da auch die Gewerkschaft nicht die nötige Unterstützung bieten kann, sind externe Berater gefragt. Diese Berater müssen sich, um handeln zu können, mit allen Betriebsparteien arrangieren. Auf diese Weise entsteht eine komplexe Struktur, in der die Rolle der Gewerkschaft durchaus unklar ist. Mehr noch, für einen Berater, der mit einem Betriebsrat kooperiert, ist keineswegs gesichert, dass er sich damit automatisch auf der Seite der Gewerkschaft befindet. Im Grunde wird das Verhältnis Geschäftsführung – Betriebsrat – Gewerkschaft um einen vierten Akteur erweitert. Dieser Akteur nimmt Einfluss. Die Betriebsräte „sind da relativ leidenschaftslos. Die sagen: das kann ich verwerten oder nicht verwerten, aber die Gewerkschaften erleiden möglicherweise einen Kontrollverlust“. Die Erfahrung des Kontrollverlustes macht es für die arbeitsorientierten Berater, die ihre Geschäftspartner professionell bedienen müssen, schwer, ihr gewerkschaftliches Selbstverständnis durchzuhalten: „Wenn wir früher sagen konnten, wir vernetzen uns beispielsweise mit der IG Metall und haben über die IG Metall Zutritt zu bestimmten Akteuren in den Betrieben, läuft das so jetzt nicht mehr. Das ist zerbrochen. Der Einfluss der IG Metall hat abgenommen und die Betriebsräte wissen ziemlich präzise, was sie wollen, um ihr Überleben in diesen Strukturen zu sichern. Das
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Kapitel 7 ist eine neue Qualität. Wir müssen also selbst etwas finden, intermediär zwischen IG Metall und Betriebsräten, um beiden Seiten den Nutzen von Netzwerken klarzumachen. Es ist nicht so, dass die IG Metall nur mal rübergehen muss und sagen kann, Netzwerke sind nützlich und die Betriebsräte sagen: Mensch vielen Dank, dass wir zu dieser Erkenntnis gekommen sind, sondern wir werden darüber nachdenken müssen, wie wir einen Nutzen definieren, den wir den Gewerkschaften verkaufen und den Betriebsräten verkaufen, weil ihre Interessen nicht mehr identisch sind. Wir stehen jetzt dazwischen. Als ich hierhin gekommen bin, da stand ich noch an der Seite der IG Metall. Das hat sich verändert. Das kann ich vielleicht noch sympathisch finden, aber auf der Aktionsebene ist da nichts mehr. Und die Betriebsräte suchen sich das sehr genau aus, was sie davon gebrauchen können und nicht etwa das, was die IG Metall gesagt hat“ (N/POL/01).
Organizing: Die Gewerkschaften wären schlecht beraten, wenn sie diesen Funktions- und Rollenwandel in den Betrieben zum Anlass nähmen, um sich aus dem Feld arbeitsorientierter Modernisierung zu verabschieden. Denn ein Rückzug hieße zwangsläufig, dass das Feld noch stärker von anderen, kommerziell ausgerichteten Beratungsagenturen besetzt würde. Anstatt defensiv zu reagieren, hätte eine zukunftsorientierte Gewerkschaftspolitik zu lernen, systematisch mit externen Bündnispartnern umzugehen, deren Interessen sich mit denen der Gewerkschaft überschneiden können, aber nicht überschneiden müssen. Real tun sich die gewerkschaftlichen Gliederungen mit ihrem hauptamtlichen Apparat sehr schwer, wenn es um Kooperation mit externen, professionellen Partnern geht. Das liegt auch daran, dass Gewerkschaftssekretäre fürchten, ihre Partner könnten Kompetenzfelder besetzen, die ursprünglich im hauptamtlichen Apparat angesiedelt waren. Derartige Befürchtungen sind keineswegs unbegründet. Aus Sicht der Berater ist der hauptamtliche Funktionärskörper vor Ort aber kaum noch in der Lage, die vielfältigen arbeitspolitischen Anforderungen zu bewältigen. Häufig wird nicht einmal mehr koordiniert. Dies führt dazu, dass Reibungen zwischen den Externen und dem hauptamtlichen Apparat zunehmen. Hinzu kommt, dass sich auch in den Gewerkschaften die Optionen „Anpassung an betriebliche Gegebenheiten“ und „gesellschaftspolitische Gestaltung“ gegeneinander zu verselbständigen scheinen: „Ich habe den Eindruck, dass das allgemeine politische, arbeitsmarktliche Umfeld inzwischen auch an der Substanz unserer betrieblichen Funktionäre genagt hat. Ich will das nicht nur an Leuten festmachen. Da haben inzwischen Aushöhlungsprozesse stattgefunden. Du merkst, dass da was erodiert ist an politischer Substanz, und das nehmen einige überhaupt nicht wahr. Die einen rufen alle vier Wochen zur Revolution auf, und die anderen haben ein Gespür dafür und passen sich an, statt dass man gemeinsam versucht, bestimmte politische Optionen für Nürnberg offen zu halten – auch für die betrieblichen Interessenvertretungen“ (N/NWA01).
Solch interne Kooperationsstörungen zu beseitigen, wäre ein erster Schritt, um aus den Berateraktivitäten auch gewerkschaftspolitisch Nutzen ziehen zu können. Die Gewerkschaften hätten sich auf zwei Kernaufgaben zu konzentrieren:
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Erstens müssten sie ihre politische Steuerungsfunktion zurückgewinnen. Diese Steuerungsfunktion könnte im Feld „arbeitsorientierte Modernisierung“ darin liegen, gemeinsam mit Betriebsräten und Beratern ein neues Leitbild „guter Arbeit“ sowie Schritte zu dessen Umsetzung zu diskutieren. Ansätze dazu sind in den Regionen durchaus vorhanden (etwa das Projekt „Arbeit ohne Ende“ in den Angestelltenbereichen von Siemens/Erlangen), aber sie sind nicht systematisch ausgewertet worden und nur unzureichend operationalisiert. Zweitens wäre zu fragen, wie sich die Begleitung betrieblicher Reorganisationsprozesse mit aktivem gewerkschaftlichem organizing verbinden ließe. Dies würde zugleich einen anderen Typus von Gewerkschaftsarbeit, ein offeneres, aktivierendes Verhältnis zu den Mitgliedern und einen stärker beteiligungsorientierten Politikstil voraussetzen, der auch Nicht-Funktionsträgern die Möglichkeit zum Engagement bieten würde. Der Fall Trix (Vgl. Kapital 6) könnte hier in vielerlei Hinsicht lehrreich sein. 7.3.2 Schlussfolgerungen Alles in allem zeigt sich, dass die Praktiken in den Untersuchungsregionen zu unterschiedlich sind, als dass wir sie unmittelbar miteinander vergleichen könnten. Dennoch ergeben sich fallübergreifend einige wichtige Erkenntnisse. Arbeitsorientierte Berater haben eine Chance, wenn in Betrieben Integrationsbedarf entsteht. Sie können dann einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung betrieblicher Strukturen leisten, weil ihnen die Vermittlung zwischen den betriebspolitischen Lagern häufig besser gelingt als konventionellen Beraterfirmen. Wo Berater ins Spiel kommen entstehen Arbeitsbeziehungen, in denen der Austausch zwischen Firmenleitungen, Betriebsräten und gegebenenfalls Gewerkschaften „reflexiv“ (Beck 1986) gebrochen wird. Die arbeitsorientierten Berater sind qua Funktion an der Herausbildung kooperativer Strukturen interessiert. Sie können mit ihren Aktivitäten zur Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung beitragen. Gewerkschaftsmitglieder werben können und wollen sie nicht. Von den Aktivitäten der Berater können Gewerkschaften nur profitieren, wenn sie die „reflexive Brechung“ der Arbeitsbeziehungen selbst verarbeiten. Sie sollten akzeptieren, dass Funktionen, die früher (im besten Fall) von Gewerkschaftssekretären wahrgenommen wurden, heute von professionellen Beratern ausgefüllt werden. Ihre Kernaufgaben müssen die Gewerkschaften aber auch in diesem Feld selbst wahrnehmen. Das erfordert, selbst Initiative zu ergreifen, um die Ernte des arbeitspolitischen Engagements einzufahren und Mitglieder zu gewinnen. Diese Arbeit lässt sich nicht an Berater delegieren. Aktives organizing bedarf eigenständiger politischer Formen, die auch dann sinnvoll sind, wenn sie
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nicht unmittelbar in Organisationserfolge einmünden. Wichtig ist jedoch auch in diesem Feld, dass die Gewerkschaften wieder ein Leitbild für „gute Arbeit“ entwickeln, welches ihnen ermöglicht, im Feld betrieblicher Modernisierung überhaupt wieder als relevanter Akteur wahrgenommen zu werden. Nur so können sie auch gegenüber den Beratern wieder eine politische Steuerungsfunktion ausüben. Das große Interesse für Themen wie „Arbeit ohne Ende“, „prekäre Arbeit“, „Gesundheitsprävention“ oder „alternsgerechte Arbeit“ signalisiert einen Vertretungsbedarf, dem Gewerkschaften und Betriebsräte gegenwärtig nicht oder nur unzureichend gerecht werden. Hier liegt das eigentliche Schlüsselproblem einer gewerkschaftlichen Arbeitspolitik. Ein integrierter Ansatz, der einer fragmentierten nachfordistischen Arbeitswelt gerecht wird, ist bislang nicht entwickelt. Unsere Fallstudien belegen, dass sich soziale Verwerfungen und Belastungen, die der marktzentrierte Kontrollmodus zweifelsohne verursacht, mit Regulationsformen aus der Ära des expandierenden Fordismus nicht zureichend bearbeiten lassen. Diese Feststellung ist arbeitspolitisch brisant. Denn Gewerkschaften und Berater, die ihre Politik an einen Krisendiskurs koppeln, um sich sodann die bloße Bewahrung kollektiver Regelungen und Sicherungssysteme auf die Fahnen zu schreiben, laufen Gefahr, von der Dynamik des flexiblen Kapitalismus überrollt zu werden. Faktisch haben die deutschen Gewerkschaften den Umbruch der Arbeitsgesellschaft bislang eher erlitten als aktiv gestaltet. Arbeitspolitisch orientierten sie sich ab Mitte der 1980er Jahre zumindest implizit an der Möglichkeit eines neuen Rationalisierungspakts, der den Unternehmen im Tausch für die Produktionsintelligenz von Beschäftigten, für Flexibilitätsvorteile und größere Effizienz humanere Arbeitsbedingungen und demokratische Beschäftigtenpartizipation abverlangen sollte (Dörre u. a.1993). Diese programmatische Orientierung lässt sich so nicht mehr aufrechterhalten. Wie das Schicksal der „neuen Produktionskonzepte“ offenbart, wäre eine zeitgemäße Arbeitspolitik schlecht beraten, wollte sie sich allein auf das vernünftige Potential der „Produktivkraft Management“ (MüllerJentsch 1994) verlassen. Sie muss zunächst autonom begründet werden und aus der Perspektive einer „politischen Ökonomie der Arbeit“ Handlungschancen eröffnen, ansonsten wird sie wirkungslos bleiben. Eine solche Arbeitspolitik lässt sich nicht mehr auf die klassische Taylorismuskritik gründen, wenngleich monotone, sich ständig wiederholende Teilarbeiten noch lange nicht verschwunden sind. Arbeitsorientierte Wissenschaftler und Gewerkschaften sehen sich damit konfrontiert, dass die Managementseite einen Gutteil der antitayloristischen, „künstlerischen“ Kritik am Kapitalismus erfolgreich adaptiert hat (Boltanski/Chiapello 2003; Dörre 2005b). Nicht mehr so sehr die Zwänge zerlegter, monotoner Teilarbeiten, sondern das „Verbiegen“ durch den Markt, die Zerstörung von Routinen und die Belastungen einer Reorganisa-
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tion in Permanenz müssen zum Ausgangspunkt einer neuartigen Kritik flexibler Arbeit werden. In diesem Kontext lassen sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zwei Minimalanforderungen an eine zeitgemäße Arbeitspolitik formulieren. Erstens geht es um eine inklusive Politik, die sich nicht auf die „Zone der Integration“ beschränkt, sondern die die wachsende Zahl der Ausgegrenzten und prekär Beschäftigten organisch in ihre Konzeptionen einbezieht. Progressive Arbeitspolitik muss bei den Schwächsten beginnen; das ist nur möglich, wenn prekäre Beschäftigungsverhältnisse als Faktum akzeptiert und spezifische Regularien für diese Arbeitsverhältnisse entwickelt werden. Die Debatte um einen gesetzlichen Mindestlohn weist hier in die richtige Richtung (Schulten 2005). Ein Mindestlohn wäre freilich zunächst nicht mehr als eine Norm, die in sozialen Konflikten durchgesetzt werden müsste. Dazu kann die Selbstorganisation der vermeintlich Unorganisierbaren beitragen. In diesem Punkt sind die Diagnosen der befragten Gewerkschafter vielleicht zu konventionell und zu pessimistisch. Trotz der bekannten Schwierigkeiten, die unstete Beschäftigung für die Definition und Durchsetzung von Kollektivinteressen mit sich bringt, existiert auch in der „Zone der Prekarität“ ein erhebliches Aktivitätspotential (Brinkmann u. a. 2006). Lokale Gewerkschaftsgliederungen, die dies als Ansatzpunkt für aktives organizing nutzen wollen, können z. B. von einigen US-amerikanischen Gewerkschaften lernen. Mit dem Rücken zur Wand haben diese Gewerkschaften Organisationserfolge bei Migranten und prekär Beschäftigten erzielt. Voraussetzungen waren lokale Bündnisse mit sozialen Bewegungen, Kirchen und Selbsthilfeorganisationen, die erheblich zur Revitalisierung gewerkschaftlicher Strukturen beigetragen haben (Voss/Shermann 2000: 303ff.). Zweitens – und das ist entscheidend – muss es vor allem darum gehen, das verbreitete Ohnmachtsempfinden in den Betrieben zu durchbrechen. Wichtig ist hier, dass die Gewerkschaften zu einer aktivierenden Mitgliederpolitik zurückfinden. Häufig aus der Not geboren, haben sich – etwa im Fall Trix – solche Ansätze herausgebildet. Solche Beispiele belegen exemplarisch, dass es sinnvoll ist, „betriebliche Bündnisse“ nur bei aktiver Einbeziehung gewerkschaftlich organisierter Belegschaftsmitglieder zu schließen. Bindet man z. B. Standortentscheidungen oder betriebliche Vereinbarungen, die den Belegschaften Zugeständnisse abverlangen, an Mitgliedervoten oder an einen bestimmten gewerkschaftlichen Organisationsgrad, kann sich selbst ein „geordneter Rückzug“ betriebs- und organisationspolitisch positiv auswirken. Ein Effekt kann sein, dass Managementpolitiken, die Unsicherheit gezielt als Machtsressource nutzen, nicht mehr passiv hingenommen werden. Ansätze wie das Projekt „Gute Arbeit“ der IG Metall-Zentrale können flankierend dafür sorgen, dass qualitative Arbeitsansprüche nicht vollends unter die Räder geraten (Pickshaus 2005: 137ff.; Urban
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2005: 187ff.). In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass sich gewerkschaftliche Arbeitspolitik nicht auf einzelne Arbeitsformen beschränkt. Teilautonome Gruppenarbeit mag für manche Segmente industrieller Produktion noch immer ein anstrebenswertes arbeitspolitisches Ideal sein. Inzwischen wissen wir aber, dass auch solche Arbeitsformen unter den Bedingungen marktzentrierter Kontrolle mit Arbeitsintensivierung und Überausbeutung einhergehen können. Benötigt werden daher ganzheitliche Arrangements von Arbeitsformen und regulierenden Institutionen, die eine nachhaltige Nutzung des individuellen Arbeitsvermögens auch in solchen Bereichen erlauben, in denen tayloristische Managementprinzipien keine Gültigkeit besitzen. Regelsetzungen, die primär über äußere Sanktionsmechanismen wirken, verfehlen die Spezifik postfordistischer Subjektivitäten. Die flexible Produktionsweise verlangt demgegenüber nach Teilhabechancen, die den Arbeitssubjekten die Chance zu Selbsttätigkeit und Selbstorganisation eröffnen. Nicht die bloße Abwehr von Marktflexibilität, sondern positive Flexibilisierung muss das Programm einer zeitgemäßen arbeitspolitischen Strategie sein. Insofern verlangen die aktuellen Arbeitskonflikte mehr als die bloße Neuauflage eines Programms zur Humanisierung der Arbeit. Faktisch geht es um das Projekt einer neuen Arbeitsverfassung. Einer Arbeitsverfassung, die großen Bevölkerungsgruppen die Chance bieten würde, Perioden der Erwerbstätigkeit mit Lern-, Qualifizierungs- und Familienphasen zu verknüpfen. Es geht um soziale Sicherungssysteme, die „Bastel-Biographien“ einen stabilen Rahmen bieten; um eine Demokratisierung der Geschlechterhierarchien, die Nachfrage nach hochwertigen Dienstleistungen und damit auch Arbeitsplätze schafft; um eine zeitgenössische Definition „guter Arbeit“ und um eine neue Generation industrieller Rechte, die individuelle Vertragssicherheit stiftet und die so die Partizipationschancen abhängig Arbeitender erhöht (Dörre 2002a: 406ff.). Aktuell tendiert die flexibel-marktgetriebene Produktionsweise zu selektiver, kurzfristiger Vernutzung menschlichen Arbeitsvermögens. Was die einen als Zeitnot und Hyperstress erleben, macht sich bei den anderen als soziale Unsicherheit oder gar als Brachlegung der individuellen Arbeitskraft bemerkbar. Schon jetzt fragen sich in den Betrieben und Verwaltungen viele, wie lange sie Hektik und Leistungsdruck durchhalten können. In einer alternden Gesellschaft wirkt permanenter Leistungsdruck mit Zeitverzögerung, dann aber umso heftiger. Daher dürfte der anhaltende „Jugendwahn“ in den Betrieben schon bald eine Gegenbewegung auslösen. Progressive Arbeitspolitik sollte darauf vorbereitet sein. Will sie interventionsfähig sein, wird sie praktikable, aber auch mobilisierungsfähige Konzepte liefern müssen.
8. Radikaler Strukturwandel und die Krise der gewerkschaftlichen Repräsentation
Unsere Analysen der Politikfelder haben gezeigt, dass aktive gewerkschaftliche Beteiligung an regionalisierter Strukturpolitik offenbar der wirtschaftlichen Entwicklung kleiner Wirtschaftsräume nutzt. Aber bringt sie den beteiligten Gewerkschaften selbst organisationspolitische Vorteile? Diese Frage brannte den gewerkschaftlichen Praktikern bereits auf den Nägeln als wir mit unseren Forschungen begannen und sie ist weiter akut. Das aus einem doppelten Grund. Erstens binden regionalpolitische Aktivitäten personelle und finanzielle Ressourcen; in diesem Zusammenhang stellt sich Gewerkschaftern schlicht die Frage, ob der regionalpolitische Aufwand den organisationspolitischen Ertrag lohnt. Zweitens wird – angesichts einer Entwicklung, in der Teile der ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Eliten die ordnungspolitische Funktion von Gewerkschaften offen zur Disposition stellen (Sinn 2004) – kontrovers diskutiert, ob sich die kooperative Orientierung gewerkschaftlicher Politik in den Regionen überhaupt noch sinnvoll durchhalten lässt. In diesem Kapitel wollen wir versuchen, das Problem des organisationspolitischen Nutzens regionaler Strukturpolitik in seiner Vielschichtigkeit zu beleuchten. Als wir mit unseren Forschungen begannen, wähnten sich die gewerkschaftlichen Protagonisten der Erfolgskriterien ihres regionalpolitischen Engagements sicher. Neben Imagegewinnen für ihre Organisation versprachen sie sich vor allem Rekrutierungserfolge. So beantwortete der Nürnberger IG Metall-Bevollmächtigte die Frage nach geeigneten Kriterien mit einem Wort: „Mitglieder!“. Im Verlauf unserer Forschungen sind die Erfolgsmaßstäbe von den gewerkschaftlichen Praktikern selbst hinterfragt und teilweise neu formuliert worden. Allen Beteiligten wurde deutlich, dass die Wirkungen der regionalen Aktivitäten anhand des Kriteriums ‚Mitgliedergewinnung‘ allein nicht sinnvoll gemessen werden können. Offenkundig muss die Beteiligung an regionaler Strukturpolitik im Kontext einer umfassenden Repräsentations- und Identitätskrise der Gewerkschaften gesehen werden, die in altindustriellen Regionen z. T. dramatische Formen angenommen hat. Erst ein angemessenes Verständnis dieser Repräsentationskrise erlaubt es, ein adäquates Verständnis für den gewerkschaftspolitischen Nutzen regionaler Strukturpolitik zu entwickeln.
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Nachfolgend wollen wir zeigen, dass in den städtischen Regionen tatsächlich Ansätze einer dezentralen Arena des politischen Tauschs und damit neue Partizipationschancen für Gewerkschaften entstanden sind. Um sich in dieser Arena längerfristig auch organisationspolitisch erfolgreich betätigen zu können, müssen die Gewerkschaften jedoch wieder soziale und politische Bindekraft entfalten. Sie benötigen eine zeitgemäße Identität (Hyman 1996), die in einer differenzierten, gespaltenen Arbeitsgesellschaft positiv ausstrahlt. Wie unsere Untersuchung belegt, sind in den Regionen erste Keime neuer Kollektividentitäten entstanden. Bislang vollzieht sich der Funktions- und Identitätswandel regionaler Gewerkschaftsorganisationen jedoch eher defensiv. Er erfolgt unter Druck, bleibt fragmentarisch, im Larvenstadium. Teilweise erfasst er ausschließlich Spitzenkräfte und aktive Funktionäre einer Organisation, in der insgesamt die beharrenden Kräfte dominieren. In anderen Bereichen sind es eher Basisinitiativen und bewegungsorientierte Minderheiten, die den Wandel repräsentieren. Insgesamt gilt: Die Gewerkschaften können den potentiellen organisationspolitischen Ertrag ihrer regionalpolitischen Aktivitäten auch deshalb nicht oder nur unzureichend ernten, weil sie ihren eigenen, durch gesellschaftliche Veränderungen provozierten Identitäts- und Funktionswandel noch immer eher erleiden als offensiv vorantreiben. 8.1 Doppelcharakter von Gewerkschaften und Identitätsprobleme Um diese Sichtweise begründen zu können, benötigen wir zunächst einen angemessenen Begriff gewerkschaftlicher „Kollektividentität“. Zeitgenössische Gewerkschaftstheorien schenken dem Problem einer integrativen Gewerkschaftsidentität in der Regel wenig Beachtung. Gewerkschaften gelten als „korporative Verbände“ (Lütz 2003) oder „intermediäre Organisationen“ (Müller-Jentsch 1982), denen wichtige Funktionen bei der Sozial- wie auch bei der Systemintegration zufallen. Folgt man dem Konzept intermediärer Organisationen, so sind die Gewerkschaften mit der Institutionalisierung des Klassenkonflikts in sozioökonomische Funktionen hineingewachsen, „die sie zu einer Politik und Praxis der Mediatisierung von Mitgliederinteressen und zur Kooperation mit Staat und Kapital konditionierten“ (Müller-Jentsch 1999: 9). Institutionen wie sektorale Tarifverträge und – auf der betrieblichen und Unternehmensebene – die Mitbestimmung haben zumindest im deutschen Fall entscheidend dazu beigetragen, dass die Gewerkschaften nicht nur Schutz- und Verteilungsfunktionen für ihre Mitglieder, sondern auch Ordnungs- und Befriedungsfunktionen für Unternehmen und Wirtschaft ausüben können. Sicher stehen die verschiedenen Funktionen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Interessenkonflikte zwischen
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Beschäftigern und Beschäftigten bleiben virulent. Doch diese Interessenkonflikte lassen sich dem Konzept der intermediären Organisationen zufolge zureichend weder als Klassenkampf begreifen noch als Sozialpartnerschaft bagatellisieren. Vielmehr handelt es sich um „entdramatisierte“ Auseinandersetzungen, die letztlich nur auf dem Weg von Verhandlungen und Kooperationen effizient gelöst werden können. In der Möglichkeit zu Positivsummenspielen scheint denn auch ein intermediäres Lernprogramm angelegt, das selbst Zeiten des Umbruchs und der Krise überdauern kann. Innovativ sind intermediäre Organisationen, weil sie „die Interessen- und Handlungslogik nicht nur eines der beteiligten Akteure, sondern auch die des Gegenspielers zumindest zeitweise inkorporieren“ (ebd.). Die Annäherung der Kontrahenten, wie sie aufscheint, wenn Manager als Mediatoren von Beschäftigteninteressen auftreten und Betriebsräte sich als CoManager betätigen, gilt folgerichtig als Resultat eines Lernprozesses, in dessen Verlauf sich die intermediäre Logik von Institutionen und Interessenorganisationen immer weiter ausprägt. So weit die Theorie der „Konfliktpartnerschaft“.1 Doch lässt sich die Entwicklung der lokalen Gewerkschaften mit Begriffen wie Intermediarität noch angemessen erfassen? Auf den ersten Blick scheint ein klares ‚Ja’ angebracht. Regional- und strukturpolitische Aktivitäten der Gewerkschaften beginnen in der Regel mit Großkonflikten, die am Niedergang der zuvor strukturprägenden Altindustrien und dem damit verbundenen Beschäftigungsabbau aufbrechen. Im Laufe der Zeit bilden sich jedoch Akteursbeziehungen und Quasi-Institutionen heraus, die – etwa bei der Definition regionaler Projekte und der Verteilung von Fördermitteln – konsensual, d. h. im Sinne inhaltlicher Übereinstimmung funktionieren müssen, um überhaupt wirkungsmächtig zu werden. Man könnte dies als Ausweitung einer intermediären Handlungslogik auf ein aus Gewerkschaftssicht relativ neues Politikfeld begreifen. Parallel zur Herausbildung unternehmerischer Wettbewerbspartnerschaften agieren die Gewerkschaften nun im Bündnis mit Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Kammern und lokalem Staat als Anwälte regionaler Wirtschaftsinteressen. Regini (1995; 2003) hat in diesem Zusammenhang frühzeitig von der Herausbildung neuer, wettbewerbsorientierter industrieller Beziehungen auf betrieblicher und regionaler Ebene gesprochen. Andere Autoren sehen in regionalen Bündnissen Ansätze eines Mikro- oder Mesokorporatismus (Voelzkow 1998). Folgt man solchen Interpretationen, so sind die Gewerkschaften weiter an der Produktion kollektiver Güter (Aus- und Weiterbildung, Beschäftigungssicherheit, sozialer Friede, Förderung der wirtschaftlichen Leistungskraft) beteiligt. 1
Wir haben das Konzept der „Konfliktpartnerschaft“ (Müller-Jentsch 1999) exemplarisch ausgewählt, weil es sich gut als Kontrastfolie eignet, mit deren Hilfe sich die Besonderheiten regionaler Gewerkschaftsaktivitäten aufspüren lassen.
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Lediglich die Ebenen der Kollektivgutproduktion haben sich verschoben. Unter dem Druck wirtschaftlicher Internationalisierungsprozesse schwinden die Möglichkeiten, entsprechende Güter in nationalen oder sektoralen Arrangements zu produzieren. Stattdessen gewinnen dezentrale Orte – Betriebe, Unternehmen und eben auch Mikroregionen – eine wachsende Bedeutung bei der institutionellen Regulierung kapitalistischer Marktwirtschaften. In Anlehnung an Streeck (2000) könnte man den sozialen Kitt, der regionale Netzwerke und Kooperationsverbünde zusammenhält, als „kompetitive Solidarität“ bezeichnen. Damit ist eine Solidaritätsform gemeint, die sich über partikulare Arbeits-, nicht jedoch über Klasseninteressen abhängig Beschäftigter konstituiert. Es handelt sich um Solidaritäten einzelner Gruppen und Fraktionen von Lohnabhängigen, die auf der Anerkennung des Primats wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit gegründet ist. Arbeitsinteressen werden hier als integraler Bestandteil von Wettbewerbsbündnissen definiert, die ausschließlich über eine Stärkung der wirtschaftlichen Leistungskraft wahrgenommen werden können. Dementsprechend gelten solidarische Beziehungen nur noch in dem Maße als legitim und praktikabel, wie sie die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben, Unternehmen und von – nach der gleichen Logik konstruierten – Regionen stärken. Betrachtet man das Selbstverständnis der gewerkschaftlichen Scharnierpersonen und die Legitimationsstrategien für eine gewerkschaftliche Beteiligung an regionaler Strukturpolitik genauer, so wird jedoch deutlich, dass sich die von uns empirisch erfassten Ansätze nicht ohne weiteres in das Raster einer „kompetitiven Solidarität“ fügen. Keiner der gewerkschaftlichen Protagonisten versteht sich als bloßer Standort- und Wettbewerbspolitiker. Sie wollen sich dem Anliegen, die wirtschaftliche Leistungskraft von Betrieben und Unternehmen zu stärken, nicht verschließen. Alles, was auf sinnvolle Weise Beschäftigung schaffen könnte, wird von ihnen unterstützt, teilweise vehement eingeklagt und aktiv gefördert. Dabei zielen die Gewerkschafter in der Regel auf jene high-road industrieller Restrukturierung, die anstelle einer Abwärtskorrektur von Lohn- und Sozialleistungen primär auf die Förderung von Qualifizierung, Prozess- und Produktinnovationen zielt. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite besagt, dass es auch auf dem Feld der regionalen Strukturpolitik ein Wechselspiel von Kooperation und Konflikt gibt. Beteiligung an regionaler Strukturpolitik kann offenkundig den viel beschworenen Doppelcharakter der Gewerkschaften nicht außer Kraft setzen.2 Gewerkschaften sind, auch im Selbst-
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Die Kategorie „Konfliktpartnerschaft“, die sich bewusst von harmonistischen Sozialpartnerschaftsideologien abhebt, zielt im Grunde darauf, den in der Wortverbindung (Konflikt und Partnerschaft) anklingenden Doppelcharakter gewerkschaftlicher Aktivitäten und Selbstdefinitionen zu thematisieren. Die Kategorie ist aber noch zu allgemein und zu unscharf, um mit ihr das
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verständnis der von uns befragten Scharnierpersonen, immer beides: Ordnungsfaktor und Gegenmacht, bürokratische Organisation und soziale Bewegung, zuständig für System- und Sozialintegration. Dieser Doppelcharakter der Gewerkschaften muss in seinen identitätsstiftenden Bestandteilen jedoch immer wieder neu definiert und inhaltlich gefüllt werden (Müller-Jentsch 2003). Eine theoretische Annäherung an diese Problematik verspricht das Konzept der Kollektividentität, der organisationsinternen Ideologie von Gewerkschaften, wie es Hyman (1996; 2001), aber auch andere Autoren vor allem aus dem angelsächsischen Sprachraum3 entwickelt haben. Hyman lehnt sich an theoretische Konstrukte an, die Ideologien nicht a priori als falsches Bewusstsein, sondern als konkurrierende Orientierungen begreifen, über die soziale Gruppen ein bestimmtes Verhältnis zur gesellschaftlichen Realität konstituieren. In diesem Sinne sind auch Gewerkschaften kollektive Akteure, die spezifische Integrationsideologien produzieren. Solche Integrationsideologien entstehen nicht als passiver Reflex auf äußere Anforderungen; vielmehr sind sie Ausdruck der Tatsache, dass Gewerkschaften in organisierter Form auf gesellschaftliche Verhältnisse einwirken. Insofern lassen sich gewerkschaftliche Kollektividentitäten als kontingenter Ausdruck der Reaktion auf und der aktiven Bearbeitung von spezifischen nationalen Handlungsbedingungen begreifen (Crouch 1993; Dufour 1998). Gewerkschaften können in nationalen Gesellschaften oder auch in einzelnen industriellen Sektoren eine Kultur des Gegensatzes erzeugen; es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein. Für alle Varianten gewerkschaftlicher Kollektividentitäten gilt indessen, dass sie sich im „ewigen Dreieck“ von Markt, Klasse und Gesellschaft bewegen. Jedem Eckpunkt des Dreiecks lässt sich ein bestimmter Idealtyp von Gewerkschaften zuordnen: „Wirtschaftsfreundliche Gewerkschaften betonen den Markt, integrative Gewerkschaften die Gesellschaft, konfliktorisch-oppositionelle Gewerkschaften die Klasse. Eine Organisation, die auf einen Extrempunkt zu beharren versucht, kann jedoch keinen Erfolg haben“ (Hyman 1996: 14). Folgt man Hymans Klassifikation, so betonen die deutschen Gewerkschaften jene Achse, die Gesellschaft und Markt verbindet. Im Kern handelt es sich also um den Typus sozialintegrativer Gewerkschaften, dessen Stärke lange Zeit darin bestand, über Kollektivverhandlungen in Tarifbezirken und nachgeordnet in Unternehmen und Regionen für die Beteiligung eines Großteils der Beschäftigten am – grundsätzlich akzeptierten – technisch-organisatorischen Produktivkraftfortschritt zu sorgen (Hyman 2001: 115ff.; Lipietz 1993). Hymans Ansatz bezieht sich freilich auf nationale Industriemodelle und Gewerkschaftsidentitäten. Für eine Binnen-
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Selbstverständnis regionaler Gewerkschaftsgliederungen oder gar einzelner Gewerkschaftsfunktionäre angemessen erfassen zu können. Frege/Kelly 2003; Heery 2003; Kelly 1996; Moody 1997; Waterman 2001.
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analyse, die regionale Differenzierungen und deren Ausprägungen in internen Strömungen der nationalen Gewerkschaften zu erfassen versucht, ist sie zu grobschlächtig. Wir benutzen Hymans idealtypische Konstruktion daher als heuristisches Modell, das wir mit Blick auf unsere regionalen Gewerkschaftsakteure in drei Punkten zu präzisieren versuchen. Ideologieträger: Die Bindekraft gewerkschaftlicher Integrationsideologien erfasst nicht gleichmäßig alle Gewerkschaftsmitglieder. Ideologieträger und bildner sind, zumindest in den deutschen Gewerkschaften, vor allem haupt- und ehrenamtliche Funktionäre. In der breiten Masse der passiven oder punktuell aktiven Mitglieder finden sich seit langem allenfalls Fragmente einer gewerkschaftlichen Kollektividentität. Der starken Betonung aktiver Funktionäre entspricht ein Vertretungsmodus, den Dore (1996: 154ff.) als Modell der „Klassenpräsentation“ bezeichnet hat. Danach haben die deutschen Gewerkschaften zwar in der Breite der Mitgliedschaft ihren Bewegungscharakter eingebüßt; sie agierten jedoch bis in die Gegenwart mit einer relativ breiten Schicht aktiver Funktionäre, die sich zumindest dem Selbstverständnis nach vorrangig an Klasseninteressen der Arbeitnehmer und nicht an den Partikularinteressen von Betriebsoder Unternehmensgemeinschaften orientieren. Noch in den 1980er und frühen 1990er Jahren machte dieser Modus der Klassenrepräsentation im Organisationsbereich der IG Metall eine große Stärke der deutschen Gewerkschaften aus. Die erfolgreiche Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche war – im Selbstverständnis vieler Funktionäre, aber auch aus der Sicht wissenschaftlicher Beobachter – Ausdruck eines „innovativen strategischen Radikalismus“ (Hyman 1996: 30), der aus der Gruppe der aktiven Funktionäre heraus in die Mitgliedschaft hineingetragen wurde. Bis in die jüngere Vergangenheit hat diese Erfahrung, die im „kollektiven Gedächtnis“ vieler IG Metall-Funktionäre konserviert wurde, das Selbstverständnis aktiver gewerkschaftlicher „Ideologieträger“ geprägt.4 An bestimmten Orten wie Betrieben, Unternehmen oder Regionen gibt es jeweils Persönlichkeiten, die das gewerkschaftliche Selbstverständnis bestimmen. Ein langjähriger IG Metall-Bevollmächtigter oder auch ein Regionalsekretär des DGB kann, je nach Arrangement vor Ort, zur personellen Verkörperung eines besonderen gewerkschaftlichen Politikstils, einer spezifischen Ausprägung gewerkschaftlicher Identität werden. Die IG Metall-Bevollmächtigten von Nürnberg und Chemnitz sind, ebenso wie der Dortmunder DGB-Regionalvorsitzende, solche Repräsentanten eines öffentlich wahrnehmbaren gewerkschaftlichen Selbstverständnisses. Anders als auf dem Terrain regionaler Strukturpolitik, wo sie in ihren Netzwerkstrukturen eine singuläre Rolle spielen, sind unsere Schar4
Der gescheiterte Streik zur Einführung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland ist auch Ausdruck der Tatsache, dass sich diese Bewusstseinsform über ihre Erzeugungsbedingungen hinaus erhalten hat.
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nierpersonen auf dem Feld gewerkschaftlicher Identitätsbildung jedoch nicht allein. Innerhalb bestimmter Loyalitäts- und Abhängigkeitsbeziehungen teilen sie die Funktion der Identitätsbildung mit anderen lokalen Gewerkschaftern. Strömungen und regionale Traditionen: Damit ist bereits gesagt, dass eine durch einzelne Persönlichkeiten verkörperte Gewerkschaftsidentität auch in kleinen Sozialräumen nie die einzig mögliche Ausprägung einer Gewerkschaftsideologie darstellt. In allen Regionen, aber auch in den Betrieben und Unternehmen, konkurrieren in der Regel unterschiedliche Konzeptionen gewerkschaftlicher Politik und Strategie, die jeweils einen personellen Ausdruck finden. Unterschiede gibt es nicht nur zwischen den Mitgliedsgewerkschaften, etwa zwischen IG BCE und IG Metall, sondern auch innerhalb der jeweiligen Gewerkschaftsorganisationen sowie zwischen den Mitgliedsgewerkschaften und dem DGB. Jedes gewerkschaftliche Selbstverständnis findet seine internen Kritiker. Und häufig ist es gerade diese Kritik, die ein dominantes Selbstverständnis in seinen Konturen erkennbar macht. Innergewerkschaftliche Strömungen dürfen allerdings nicht mit eindeutig identifizierbaren weltanschaulich-politischen Richtungen verwechselt werden. Der Typus der Einheitsgewerkschaft schließt derartige Fraktionierungen weitgehend aus. Dennoch gibt es eine Reihe z. T. informeller Netzwerke und Foren, die, etwa in der öffentlichkeitswirksamen Unterscheidung von „Reformern“ und „Traditionalisten“, einen – allerdings verzerrten – Ausdruck finden. Es sind jedoch nicht ausschließlich Organisationsgrenzen und interne Strömungen, die identitätsstiftend wirken. Auch regionale Traditionen und Besonderheiten machen sich bemerkbar. Über ein Geflecht aus fraglos geteilten Werten, Normen, Hintergrundüberzeugungen und Habitualisierungen gehen regionale Besonderheiten in gewerkschaftliche Identitätsbildungen ein. So sind die Folgen des verloren gegangenen ersten Bayernstreiks in manchen Betrieben noch in den 1990er Jahren zu spüren gewesen (Dörre 1999a), obwohl die Mehrzahl der unmittelbar Beteiligten längst aus dem aktiven Erwerbsleben ausgeschieden war. Über die Personenauswahl und intergenerative „soziale Vererbung“ gelingt es jedoch, Erfahrungen zu konservieren und sie im kollektiven Gedächtnis von Belegschaften und Gewerkschaftsmitgliedern abzulagern. Insofern handelt es sich bei gewerkschaftlichen Kollektividentitäten um äußerst komplexe Gebilde, die ihre Vitalität auch und gerade aus besonderen Erfahrungen der aktiven Mitgliedschaft beziehen. Prozessierende Identitäten: Gewerkschaftsidentitäten zeichnen sich durch ihre relative Stabilität im sozialen Prozess aus. Eine Identitätsform kann nicht ohne weiteres durch eine andere ersetzt werden. Dennoch handelt es sich nicht um statische Gebilde, sondern um äußerst flexible, anpassungsfähige, erfahrungsgesättigte und daher beständig in Umwandlung begriffene Bewusstseinsund Habitusstrukturen. Gegenwärtig spricht allerdings vieles dafür, dass sich
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sämtliche Spielarten überkommener Gewerkschaftsideologien in einer Erosionskrise befinden. Hyman macht dafür vor allem die Wirkung wirtschaftlichpolitischer Internationalisierungsprozesse verantwortlich. Gleich ob business union, sozialintegrative oder klassenorientierte Gewerkschaft – alle typischen Formen von Integrationsideologien agierten über viele Jahrzehnte in einem politischen Feld, dessen Grenzen durch den Nationalstaat und seine politischen Akteure bezeichnet wurden. Globalisierung und Europäisierung haben die vormals enge Verklammerung von Nationalstaat, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, sozialer Wohlfahrt und gewerkschaftlicher Interessenvertretung unwiderruflich aufgebrochen. Dieses Faktum löst innerhalb der nationalen Industriemodelle unterschiedliche Suchbewegungen aus. In Deutschland hat es den Anschein, als ob die Suchenden alle Eckpunkte des „ewigen Dreiecks“ zugleich anvisieren: Die ehemals stabilen Achsen tradierter Gewerkschaftsidentitäten drohen sich, wie Hyman (2001: 140) mit feinsinniger Ironie konstatiert, in ein BermudaDreieck zu verwandeln. Die regionale Perspektive macht freilich sichtbar, dass die gewerkschaftlichen Akteure gegenläufige Tendenzen repräsentieren. Der Zerfall tradierter Gewerkschaftsideologien vollzieht sich nicht linear; vor Ort gibt es erhebliche Beharrungstendenzen. Zugleich lassen sich die Regionen jedoch als Laboratorien identifizieren, in denen Keimformen neuer Kollektividentitäten entstehen. Diese Ungleichzeitigkeiten bewirken teils zufällige, teils bewusst anvisierte Synthesen von tradierten und neuen Ideologiefragmenten. Hybride Ideologeme mit geringer Bindekraft zeugen vom ungeklärten Identitätsproblem der Lohnabhängigenorganisationen. Die Frage „Wozu Gewerkschaften?“ muss nicht nur auf dem Feld regionaler Strukturpolitik neu beantwortet werden. 8.2 Elemente regionaler Gewerkschaftsidentitäten Um dies zu verdeutlichen, sollen zunächst Umrisse regionaler Gewerkschaftsidentitäten skizziert werden. Diesem Unterfangen muss allerdings eine einschränkende Bemerkung vorangestellt werden. Ursprünglich zielte unsere Untersuchung nicht auf eine Identifizierung integrativer Gewerkschaftsideologien; dementsprechend hatten wir unsere Erhebungsinstrumente nicht systematisch auf die Identitätsproblematik ausgerichtet. In den Interviews, die wir mit Gewerkschaftern und gewerkschaftlich organisierten Betriebsräten führten, finden sich jedoch z. T. lange Passagen, die über das gewerkschaftliche Selbstverständnis der Befragten informieren. Auf dem Weg des Quervergleichs lassen sich daher in den Interviewprotokollen aktiver Gewerkschafter und Betriebsräte Umrisse – regional eingefärbter – Gewerkschaftsidentitäten entdecken. Nachfolgend machen wir diese Identitäten zunächst am Selbstverständnis der von uns befragten
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gewerkschaftlichen Scharnierpersonen und ihres Umfeldes fest. Über die Verbreitung und Verankerung regionaler Gewerkschaftsidentitäten bei einfachen Mitgliedern und Sympathisanten können wir keine Aussagen treffen. Wie schon gesagt, lassen sich die gewerkschaftlichen Protagonisten regionaler Strukturpolitik kaum als bloße Personifikationen des Typus der „sozialintegrativen Gewerkschaft“ begreifen. Ihrem Lebensalter und ihrer Sozialisation nach gehören die drei Protagonisten zur politischen Generation der (Nach-) Achtundsechziger. Sie kommen aus der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, haben deren Repolitisierung miterlebt oder gar aktiv vorangetrieben. Dementsprechend standen und stehen sie noch für ein subjektives Relevanzsystem, das im identitätsstiftenden Dreieck die Klasse stärker betonte als es die idealtypische Konstruktion der sozialintegrativen Gewerkschaft nahe legt. Im Grunde sind die drei Scharnierpersonen in unterschiedlichen Varianten Anhänger einer weiten Konzeption gewerkschaftlicher Interessenvertretung. D. h. sie setzen auf einen Vertretungstypus, der über den Einsatz für die unmittelbaren ökonomischen Interessen abhängig Beschäftigter hinaus auf die aktive Ausübung eines politischen Mandats der Gewerkschaften zielt. Wenn man so will, handelt es sich um eine Identitätsform, die schon während ihrer Entstehung den Doppelcharakter der Gewerkschaften5 neu zu definieren suchte. Der über eine längere Phase tradierte intersubjektive Kern dieser Identitätsform lässt sich in fünf Merkmalsbündeln zusammenfassen, die freilich auf je individuelle Weise ausgeprägt und kombiniert werden. 1.
2.
5
Subjektive Antriebskraft für das eigene Handeln war lange Zeit ein durch Bildungsarbeit gestütztes Verständnis von Gewerkschaften, dessen Angelpunkt in Konstruktionen des Interessengegensatzes von Kapital und Arbeit wurzelte. Gewerkschaftliche Stärke erwuchs demnach in erster Linie aus der Konfliktfähigkeit gegenüber dem Kapital. Konfliktfähigkeit musste im alltäglichen Interessenhandeln in einer realistischen Tagespolitik der Gewerkschaften für die Masse der Mitglieder sichtbar und erfahrbar werden, ansonsten würde sie wirkungslos bleiben. Der Klassenideologie fiel im tagespolitischen Kontext die Funktion zu, einerseits die Systemgrenzen gewerkschaftlicher Interessenvertretung deutlich zu Die Formel vom „Doppelcharakter“ meint allgemein, dass die Gewerkschaften, indem sie unmittelbare ökonomische (Klassen-)Interessen der Lohnabhängigen vertreten, zugleich zu Katalysatoren eines „überschießenden Bewusstseins“ werden können, das über die bestehenden Verhältnisse hinausweist. Die befragten gewerkschaftlichen Protagonisten haben wohl bis heute keine Schwierigkeiten damit, dieses Überschussbewusstsein als „sozialistisch“ zu bezeichnen. Zur Diskussion um die bereits in der Marx’schen Gewerkschaftskonzeption angelegte These vom Doppelcharakter der Gewerkschaften vgl. z. B.: Gorz 1970; Müller-Jentsch 1975; Zoll 1976; Deppe 1978; Trentin 1982.
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3.
4.
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machen und andererseits das Bewusstsein einer Transformation dieser Grenzen wach zu halten. In bewusster Abgrenzung zu einer fundamentalistischen Kapitalismuskritik gingen die Protagonisten dieser Strömung allerdings von der Gestaltbarkeit der Verhältnisse im Kapitalismus aus. Gegenmacht und Gestaltungsfähigkeit sind – auch im Selbstverständnis der heutigen „Scharnierpersönlichkeiten“ niemals Gegensätze, sondern zwei Seiten ein und derselben Medaille. Gewerkschaftliche Konflikt- und Mobilisierungsfähigkeit sollte über positive Gestaltungsvorschläge praktisch werden. Die Betonung der Gegenmachtfähigkeit setzte zumindest implizit die Notwendigkeit einer effizienten Wirtschaft und die Anerkennung der damit verwobenen Interessen voraus. Aller internen Konflikte zum Trotz bildete der heimliche Produktivismus einen kleinsten gemeinsamen Nenner mit konkurrierenden Gewerkschaftsideologien und -strömungen. Dies schließt eine implizite Orientierung auf den „produktiven Kern“ der Klasse und damit korrespondierend eine Vernachlässigung von sogenannten Outsidergruppen ein. Klassenrepräsentation und Produktivismus korrespondierten mit einer starken Akzentuierung der bewusstseinsbildenden Rolle hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionäre, das freilich nicht im Sinne eines stromlinienförmigen Apparatverhaltens. Bis in die Gegenwart mischt sich bei den gewerkschaftlichen Protagonisten regionaler Strukturpolitik Querdenkertum oder auch Kritik und Oppositionsgeist gegenüber den eigenen Zentralen mit der Beanspruchung einer uneingeschränkten Führungsrolle im eigenen Zuständigkeitsbereich.
Selbstredend steht das skizzierte subjektive Relevanzsystem auch in seinen individuellen Ausprägungen spätestens seit Mitte der 1980er Jahre unter massivem Veränderungsdruck. Globalisierung, Umbrüche in der Arbeitswelt und die mit der Implosion staatssozialistischer Systeme verbundene Diskreditierung aller sozialistischen Ideen haben auch bei unseren Scharnierpersonen ihre Spuren hinterlassen und zu – persönlich oft als schmerzhaft empfundenen – Identitätsbrüchen geführt. In einem bestimmten Sinne halten die gewerkschaftlichen Protagonisten jedoch an ihrem alten Selbstverständnis fest.6 Eine Gewerkschafts6
Bezeichnend ist, dass das Woher und das Wohin der politischen Biographie in den innergewerkschaftlichen „Identitätskonflikten“ nach wie vor eine orientierende Funktion besitzen. Das wird deutlich, wenn ein befragter Gewerkschafter die Strömungen in der IG Metall beschreibt: „Mit dem Fall der Mauer hat sich ja auch in vielen Köpfen was geändert. Wenn ich so meine Altlinken in der IG-Metall nehme, die alten KPD-ler usw., die haben immer ihren ML-Lehrgang gemacht und das haben wir auch gemacht im Jugendzentrum. Da sind viele ganz extrem geschwenkt. Also für die gibt es nichts anderes mehr wie, sagen wir mal übertrieben, die Gerhard-
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konzeption, die den Rückzug auf das tarif- und betriebspolitische Kerngeschäft anvisiert und das „politische Mandat“ preisgibt, wird von den regionalen Spitzengewerkschaftern gleichermaßen abgelehnt. Stattdessen sehen sie in der regionalen Strukturpolitik ein geeignetes Feld, um Gewerkschaften auch in schwierigen Zeiten als gesellschaftliche Reformkraft profilieren zu können. Gewerkschaftliches Handeln verstehen sie nach wie vor als Engagement für eine gerechtere Gesellschaft. In dieser alltagsweltlichen Bestimmung ist der Doppelcharakter von Gewerkschaften – Repräsentanz von „vested interests“ einerseits, „sword of justice“ andererseits – noch immer angelegt. Diese Kontinuitätslinie besitzt eine lebensgeschichtliche Dimension: Den gewerkschaftlichen Protagonisten geht es im Grunde darum, ein bestimmtes Selbstverständnis, eine zentrale Motivation für ihr eigenes Engagement biographisch durchzuhalten. Dieses Bemühen, das sich nicht zuletzt auf praktische Erfahrung gründet, äußert sich in den Regionen auf je besondere Weise. In Nürnberg ist der regionalpolitische Ansatz der IG Metall nicht zufällig in eine Rhetorik eingebettet, die Assoziationen zu wirtschaftsdemokratischen Traditionen weckt. Den dramatischen Niedergang der regionalen Metall- und Elektroindustrie führen die gewerkschaftlichen Akteure hauptsächlich darauf zurück, dass das private Kapital seine unternehmerische Verantwortung nur noch unzureichend wahrnimmt. Eine wesentliche Ursache der Strukturkrise sehen sie in gravierenden Modernisierungsrückständen vieler lokaler Unternehmen und somit im Managementversagen. Der regionalpolitische Ansatz zielt im Selbstverständnis des IG Metall-Bevollmächtigten auf eine informelle, implizite „Sozialisierung“ der Unternehmerfunktion. Was auf einzelbetrieblicher Ebene nicht mehr geleistet werden kann, soll nun durch ein regionales Netzwerk unter Federführung der IG Metall ermöglicht werden – eine innovative Arbeits- und Unternehmenspolitik, die die Region auf einen aussichtsreichen Pfad industrieller Restrukturierung führt. Dabei präsentiert sich der IG Metall-Bevollmächtigte gern als Regionalpolitiker mit einem „Knüppel“: „Betriebe, die nicht investieren, die nicht innovativ sind, werden von uns öffentlich angeprangert und bloßgestellt.“ In Chemnitz finden wir auf den ersten Blick eine ähnliche Konstellation. Auch hier agiert der IG Metall-Bevollmächtigte mit einem Selbstverständnis, das Schröder-Linie. Berthold Huber ist so einer... Und dann gibt’s die anderen, die noch das Fähnle aufrechterhalten, aber zu denen gehöre ich eigentlich auch nicht, die also sagen, der Kapitalismus ist ein Übel und die Auswirkungen sind schlecht, und wenn ein Betrieb geschlossen wird oder so, nehmen wir den Kampf auf, organisieren den Widerstand, ziehen die Fahne hoch und kämpfen und gehen aufrecht ins Grab. Das ist das andere Extrem für mich. Denn wenn ich sage, das ist richtig, Fähnle aufziehen, Kampf organisieren, Widerstand entwickeln, aber auch ein Konzept. Eine Alternative ist immer im Rahmen des bestehenden Systems, das kann ich nicht ändern, also muss ich mich auch mit denen dann, um einem Konzept zum Durchbruch zu verhelfen, auch arrangieren, und das ist mein Weg so ein bisschen.“
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Kapitel 8
Konflikt- und Gestaltungsfähigkeit in der regionalen Strukturpolitik zu verbinden sucht. Anders als in Nürnberg speist sich das subjektive Relevanzsystem des dortigen IG Metall-Bevollmächtigten jedoch aus Erfahrungen, die er im traditionell kampfstarken IG Metall-Bezirk Stuttgart sammeln konnte. Als „Wessi“ versucht er nun, diese Erfahrungen auf ein Umfeld zu übertragen, in welchem Partnerschaft und Kooperation das konfliktorische Moment hochgradig dominieren, wenn nicht gar verdrängen (Brinkmann 2002: 128, 198; Kädtler u. a. 1997). Das Übertragungsproblem besitzt auch eine konzeptionelle Dimension. Selbst an der Literatur über Kooperationsbeziehungen in norditalienischen Industriedistrikten geschult und aus dem Organisationsbereich seiner alten WestVerwaltungsstelle auch mit der Praxis kooperativer Unternehmensverbünde vertraut, stößt der Chemnitzer Bevollmächtigte im Osten auf eine Industrielandschaft, in der Klein- und Kleinstbetriebe dominieren, ohne dass Ansätze zu zwischenbetrieblicher Kooperation sonderlich verbreitet wären. Das ist in Dortmund anders. Hier entwickeln sich gewerkschaftliche Identitäten im Kontext des Dortmund-Konsenses, der seinerseits in der Tradition der Montanmitbestimmung wurzelt. Blickt man nur auf die Person des RegionalVorsitzenden, so ist der Identitätswandel in der Ruhr-Metropole besonders weit vorangeschritten. Gewerkschaften als „Pfadfinder“ für neue Beschäftigungsfelder – das scheint auf den ersten Blick kaum noch etwas mit alten Gewerkschaftsideologien gemein zu haben. Und doch finden sich auch hier Elemente des alten Identitätskerns. Wie seine Kollegen hält der Dortmunder DGB-Regionalvorsitzende an der Idee einer Steuerbarkeit des regionalen Strukturwandels fest. An die Stelle einer Gewerkschaft als Repräsentantin eindeutig identifizierbarer Klasseninteressen tritt das implizite Konzept einer Arbeitnehmerorganisation als marktbegrenzende und marktkorrigierende soziale Kraft. Dieser Anspruch wird auch gegenüber der lokal dominanten politischen Partei geltend gemacht. Der Regionalvorsitzende beharrt auch gegenüber der in der Stadt dominierenden Partei auf gewerkschaftlicher Autonomie und lehnt daher – für das Ruhrgebiet durchaus ungewöhnlich – z. B. die Übernahme eines Stadtratsmandates ab. Damit ist zugleich ein überindividuelles Moment in den subjektiven Relevanzsystemen der drei Protagonisten gewerkschaftlicher Regionalpolitik benannt. Der alte Identitätskern wird bewahrt, indem vor allem beim Gegnerbezug Verschiebungen stattfinden. An die Stelle der, auch persönlich und vor Ort identifizierbaren, Klasse der Arbeitgeber tritt sukzessive ein anonymer Markt. Kontrahenten „mit Gesicht“ sind allenfalls modernisierungsunwillige Manager, am kurzfristigen Profit orientierte Unternehmensleitungen und marktradikale Politiker, deren Handlungsweisen krisenverschärfend wirken. Als potentielle Bündnispartner gelten demgegenüber betriebliche Praktiker, Führungskräfte, Gliederungen regionaler Wirtschaftsverbände und Politiker unterschiedlicher parteipoli-
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tischer Couleur, die den regionalen Strukturwandel nicht allein dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen wollen. Damit verschiebt sich der Gegensatz von Kapital und Arbeit auch ideologisch mehr und mehr auf das Terrain des politischen Tauschs. Gekämpft wird auf unübersichtlichem Gelände mit rasch wechselnden Frontverläufen und oftmals fragilen Allianzen und Zweckbündnissen. Diese Transformation der Gewerkschaftsidentität lässt sich in einem Schaubild verdeutlichen. Schaubild 1: Transformation gewerkschaftlicher Identität Merkmal alt Gewerkschaftskonzeption Klassengewerkschaft mit sozialintegrativen Funktionen Gegnerbezug Eindeutig: das Kapital, die Arbeitgeber Interaktionsbeziehungen Organisationskonzept Regulationsebenen
neu marktkorrigierende Kraft auf der Basis regionaler Wettbewerbsfähigkeit diffus bzw. abstrakt: der entfesselte Markt, Neoliberalismus, Shareholder-ValueOrientierung Antagonistische politisch definierbares, Kooperation labiles Verhältnis von Konflikt und Konsens Fachkompetente, lose Doppelstruktur klassenbewusste Funkti- von Routine- und onäre als Zentrum Projektorganisation klar definierte HierarPrioritäten informell im chie: Fluss: die Mikroregion tarifliche vor als betriebliche Normen neue Regulationsebene
Mit Blick auf intersubjektiv wirksame Gewerkschaftsidentitäten erweist sich die regionale Strukturpolitik tatsächlich als ein Experimentierfeld, auf dem Keime neuer Gewerkschaftsidentitäten entstehen können. Aber ist es denkbar, dass komplexe Identitätsformen, wie sie sich hier andeuten, im Verhältnis von regionaler Gewerkschaftsspitze, betrieblichen Funktionären und einfachen Mitgliedern überhaupt Bindekraft entfalten? Können sie gar auf neue Branchen und potentielle Mitglieder ausstrahlen?
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8.3 Die Repräsentationskrise der Gewerkschaften Ein Blick auf die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften in den untersuchten Regionen muss desillusionierend wirken. Die Repräsentationskrise der Gewerkschaften, die sich seit Jahren abzeichnet, hält unvermindert an. Das zeigt sich nicht nur an Mitgliederverlusten, sondern auch an einer wachsenden Kluft zwischen Betriebsräten und gewerkschaftlichen Politikprinzipien sowie an daraus resultierenden Identitätskonflikten. 8.3.1 Anhaltende Mitgliederverluste, ungenutzte Potentiale Dass die Gewerkschaften Mitglieder verlieren, ist eine internationale Erscheinung, von der die meisten Gewerkschaftsverbände betroffen sind. In Deutschland ist die Zahl der in den Mitgliedsgewerkschaften des DGB Organisierten allein zwischen 1991 und 1999 um gut drei Millionen gesunken. Der Mitgliederbestand ging von 11,8 auf 8,037 Mio. Mitglieder zurück. Zeitgleich sank der Organisationsgrad von 33 % auf 22,6 % (Müller-Jentsch/Ittermann 2000: 85). An diesem Trend hat sich seither wenig geändert. Nach ersten Schätzungen aus dem Jahr 2004 haben die im DGB organisierten Gewerkschaften während der zurückliegenden Dekade ca. ein Viertel ihrer Mitglieder eingebüßt. Erst seit 2005 zeichnet sich bei einigen Mitgliedsgewerkschaften eine allmähliche Stabilisierung der Mitgliederentwicklung ab.
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Tabelle 1: Jahr (Jahresen de)
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DGB, IG Metall und ver.di – Entwicklung des Mitgliederstandes und des Organisationsgrades Mitglieder DGB 1.000
Index %
Früheres Bundesgebiet 1970 6.713 1980 7.883 1990 7.938 1991 7.643 2001 6.310 Ostdeutschland 1991 4.158 2001 1.589 Deutschland gesamt 1991 11.800² 100,0 2000 7.773 65,9 2001 2004 2005
7.899³ 7.013 6.779
66,9 59,4 57,4
Organisationsgrad1 %
Mitglieder IGM 1.000
Index %
30,9 33,4 30,3 28,9 23,5
2.223 2.622 2.727 2.634 *
56,1 26,9
991 *
34,8 23,8
3.624² 2.763
100,0 76,2
24,1 22,3 **
2.710 2.425 2.376
74,8 66,9 65,6
Mitglieder ver.di 1.000
ca. 3.000³ 2.806 2.465 2.359
Index %
100, 04 93,5 82,2 78,6
Anteil der Mitglieder an den abhängig Beschäftigten (Erwerbstätigkeit nach Stellung im Beruf); ² einschließlich ostdeutsche Mitglieder; ³ Mitglieder der Einzelgewerkschaften DAG, DPG, HBV, IG Medien und ÖTV vor der Fusion zu ver.di; 4die Mitgliederzahl zum Zeitpunkt der Gründung von ver.di im März 2001 wird mit rund 3 Mio. angegeben und rechtfertigt daher den Ausgangspunkt der Indexmessung; * wird nicht mehr getrennt ausgewiesen; ** Beschäftigtendaten von 2005 lagen zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Manuskripts noch nicht vor Quellen: DGB-Mitgliederstatistiken; Müller-Jentsch/Ittermann 2000; BMAS, St.Tb 1998, 1999, 2000, 2001, 2002; Statistisches Jahrbuch 2005; www.destatis.de/basis/d/erwerb/erwerbtabl.php; www.dgb.de/dgb/mitgliederzahlen/mitglieder.htm; eigene Berechnungen
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Kapitel 8
Dieser allgemeine Trend nimmt in den von uns untersuchten Regionen eine besondere Ausprägung an, weil er mit einem dramatischen Mitgliederrückgang bei der lokal lange Zeit dominanten Mitgliedsgewerkschaft, der IG Metall, einhergeht. In Nürnberg hatte die IG Metall 1980 in ihrer Verwaltungsstelle gut 60.000 Mitglieder. 2001 entsprach das der Mitgliederzahl in der gesamten Industrieregion Mittelfranken. Allein die Verwaltungsstelle Nürnberg büßte zwischen 1980 und 2000 weit über 20.000 Mitglieder ein. Inzwischen ist die Mitgliederzahl auf 33.705 (Juli 2003) gesunken. Von diesen Mitgliedern sind wiederum nur noch gut 17.000 Vollzeitbeschäftigte. Die Zahl der Rentner beträgt ca. 8.400, die der Arbeitslosen 4.646. Vollzeitbeschäftigte stellen somit nur noch gut die Hälfte der IG Metall-Mitglieder (Mitgliederstatistik der Verwaltungsstelle Nürnberg). Einziges positives Zeichen ist, dass sich im Verlauf des Jahres 2003 zum ersten Mal wieder eine gewisse Trendumkehr abgezeichnet hat. Anders als in der Gesamtorganisation übersteigt die Zahl der Neuaufnahmen wieder die der Abgänge. Insgesamt hat sich die Organisation innerhalb von 23 Jahren jedoch nahezu halbiert. Betrachtet man die DGB-Region, so wird deutlich, dass der Negativtrend auch für die anderen Mitgliedsgewerkschaften gilt. Mit Ausnahme der Gewerkschaft der Polizei weisen sie alle eine negative Mitgliederbilanz auf. Die Zahl der Organisierten sank in der Region allein zwischen 1997 und 2000 von absolut 142.134 auf 127.734. Das entspricht einem Mitgliederrückgang von mehr als 10 %. In Dortmund verläuft die Entwicklung ähnlich. Die Zahl der IG MetallMitglieder ist zwischen 1988 und 2001 von knapp 48.000 auf knapp 35.000 zurückgegangen. Zeitgleich sank allerdings auch die Zahl der im verarbeitenden Gewerbe Beschäftigten von mehr als 53.000 auf deutlich unter 33.000. Das Verhältnis von Vollzeitbeschäftigten zu Rentnern, Arbeitslosen und prekär Beschäftigten ist in Dormund noch ungünstiger als in Nürnberg. Was sich für die lokale IG Metall abzeichnet, gilt in ähnlicher Weise für den DGB. Der Regionalverband hat zwischen 1991 und 2001 ca. ein Drittel seiner Mitglieder verloren. Ein weiteres Drittel besteht aus Pensionären, Arbeitslosen und atypisch Beschäftigten. Durch den Transformationsprozess bedingt ist die Mitgliederentwicklung in Chemnitz noch dramatischer verlaufen. Der Mitgliederbestand der lokalen IG Metall sank zwischen 1991 und 2001 von ca. 64.000 auf ca. 33.000. Von diesen Mitgliedern sind ca. 13.000 arbeitslos. Die hohe Bindekraft bei den Erwerbslosen zeichnet die Verwaltungsstelle aus: „Also Arbeitslose haben wir die meisten im Bundesgebiet, ich sage immer, größter regionaler Arbeitslosenverband Europas.“ (C/GW03). Die DGB-Zahlen weichen auch in der Region Chemnitz nicht grundlegend vom Trend der zuvor größten lokalen Mitgliedsgewerkschaft ab.
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Insgesamt bietet sich somit in allen Untersuchungsregionen ein ähnliches Bild. Die IG Metall und mit ihr die anderen Gewerkschaften des verarbeitenden Gewerbes verlieren z. T. überdurchschnittlich stark Mitglieder. Das wahre Ausmaß der gewerkschaftlichen Repräsentationskrise wird jedoch erst deutlich, wenn man die Alters- und Beschäftigtenstruktur der Gewerkschaftsmitglieder mit berücksichtigt. Der hohe Anteil von Pensionären in Dortmund und Nürnberg illustriert, dass künftig hohe Mitgliederzuwächse nötig wären, um Abgänge zu kompensieren. Hohe Anteile an arbeitslosen und prekär beschäftigten Mitgliedern zeugen von gewerkschaftlicher Bindekraft, indirekt belegen sie jedoch auch eine sinkende Mobilisierungs- und Konfliktfähigkeit der Gewerkschaften in den Betrieben. Dieser Befund wiegt umso schwerer, als in allen Regionen ungenutzte Mitgliederpotentiale vorhanden sind. Faktisch sind die Gewerkschaften in den Wachstumsbranchen ihrer Regionen kaum oder zumindest unterdurchschnittlich repräsentiert. Die Organisationsschwäche macht sich sowohl bei qualifizierten Angestellten und Wissensarbeitern als auch beim wachsenden Heer der prekär Beschäftigten bemerkbar. Selbst dort, wo noch – wie im Falle der SiemensNiederlassungen im Großraum Nürnberg-Erlangen-Fürth – großbetriebliche Strukturen vorhanden sind, gelingt es den Gewerkschaften kaum, Organisationserfolge in den großen Angestelltenbereichen zu erzielen. Noch größer sind die Schwierigkeiten, in dem expandierenden und zugleich äußerst heterogenen Sektor kleinerer Betriebe und Unternehmen Fuß zu fassen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Dortmunder Technologiepark mit seinen ca. 8.500 Beschäftigten liegt bei ca. 2 %. Zwar hat es im Zusammenhang mit der Krise der „New Economy“ eine Bewegung zur Gründung von Betriebsräten gegeben. Dennoch dürfte die Mehrzahl der Klein- und Kleinstbetriebe nicht über eine gewählte Interessenvertretung verfügen. Und selbst dort, wo Betriebsräte gewählt werden, bedeutet das in der Regel noch nicht, dass der Weg zu einer gewerkschaftlichen Organisierung der Belegschaften beschritten wird (Boes/Trinks 2006: 278ff.). Dieser Befund lässt sich ohne weiteres auf die beiden Vergleichsregionen übertragen. Auch in Nürnberg existieren große Industrie- und Technologieparks mit einer hohen sozialräumlichen Konzentration von Beschäftigten und Betrieben, aber ohne nennenswerte gewerkschaftliche Repräsentation. In Chemnitz ist der Bereich der Klein- und Kleinstbetriebe weitgehend gewerkschafts- und mitbestimmungsfrei. Es gibt aber im IT- und Telekommunikationsbereich auch größere Betriebe ohne gewerkschaftliche Repräsentation. Selbst in Betrieben wie dem Werkzeugmaschinenbauer UNION, an dessen Erhalt die IG Metall federführend beteiligt war, ist es schwierig, neu eingestellte Beschäftigte von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft zu überzeugen (vgl. Kapitel 7). Bei den zurücklie-
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genden Betriebsratswahlen wurden zwei nicht-organisierte Beschäftigte in das Gremium gewählt – um „den Einfluss der IG Metall zu begrenzen“, wie man uns hinter vorgehaltener Hand mitteilte. 8.3.2 Ursachen der Repräsentationskrise Wie lässt sich diese akute Organisationsschwäche der Gewerkschaften erklären? In den Begründungen der befragten Gewerkschafter sind vier Argumentationsstränge zentral. (1) Strukturwandel und Organisationskrise: Die erste Erklärung verweist auf den engen Zusammenhang von ökonomischem Strukturwandel und Organisationsschwäche. „Wir verlieren jährlich mehr Mitglieder durch Tod als wir durch Neuaufnahmen dazugewinnen können“ (Do/GW02). Hier zeigt sich die Abhängigkeit der gewerkschaftlichen Organisationspolitik von der Ausbildung in größeren Betrieben. Aufnahmen werden mit Unterstützung von Betriebsräten und Jugendvertretern vor allem im Auszubildendenbereich gemacht. Mit der Schrumpfung der Auszubildendenzahlen in den großen Betrieben der metallverarbeitenden Industrie sinken offenkundig auch die Chancen, neue Mitglieder zu gewinnen. Im Grunde verweist diese Erklärung jedoch auf eine organisationspolitische Schwäche. Im Erwachsenenbereich sind Neuaufnahmen offenbar selten. Wenn überhaupt, dann gelingen sie in Ausnahmesituationen, wie z. B. im bayrischen Arbeitskampf 1995 oder im Rahmen von betrieblichen Konflikten. Eine offensive und erfolgreiche Mitgliederwerbung außerhalb der Lehrwerkstätten findet jedoch zumindest im Bereich der lokalen IG Metall-Gliederungen kaum statt. Hinter diesem Faktum verbirgt sich ein weiteres Problem. In Nürnberg wird thematisiert, dass sich der Kreis aktiver Gewerkschafter, die eigenständig und motiviert Mitglieder werben, seit Jahren verkleinert. Seit einiger Zeit versucht man, mit gezielter Bildungsarbeit gegenzusteuern – mit ersten kleinen Erfolgen, wie die jüngste Mitgliederentwicklung belegt. So offenkundig der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Strukturwandel und Schwierigkeiten bei der Mitgliedergewinnung ist, so deutlich wird auch, dass dies nicht das einzige Problem der regionalen Gewerkschaften ist. In allen Regionen hat die IG Metall Schwierigkeiten, ihre Mitglieder zu halten. Besonders krass stellt sich dieses Problem in der untersuchten Ost-Region, in der offen eine Limitierung des Mitgliedbeitrages diskutiert wird. (2) Verselbständigung des betrieblichen Standbeins: Gewerkschaften werden in der Regel für Mitglieder und Nichtmitglieder über aktive Betriebsräte sichtbar.
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Auch organisationspolitisch sind die Gewerkschaften auf die betrieblichen Interessenvertreter angewiesen. Betriebsräte sind es, die im Zweifelsfall neue Mitglieder werben. Insofern wiegt schwer, wenn sich die gewerkschaftliche Bindung der betrieblichen Interessenvertreter lockert. Diese Tendenz ist in Chemnitz besonders ausgeprägt. Zwar werden laut einer Umfrage der Verwaltungsstelle aus dem Jahr 2001 immerhin noch 60 % der Beschäftigten im Organisationsbereich tariflich entlohnt (IG Metall Chemnitz 2001: 18) – eine Zahl, die auf den ersten Blick für eine relativ große Loyalität der betrieblichen Interessenvertretungen gegenüber gewerkschaftlicher Tarifpolitik spricht. Doch die Tarifbindung erfasst im Wesentlichen Betriebe über 100 Beschäftigte, unterhalb dieser Größenordnung spielt sie keine Rolle. Die Lohnspreizung ist entsprechend hoch, sie reicht von Einkommen in Konzernbetrieben, die sich dem Westniveau annähern, bis hin zu Löhnen in der regionalen Textilindustrie, die „fast auf dem Sozialhilfeniveau“ angekommen sind. Es kommt jedoch noch etwas anderes hinzu. Selbst dort, wo Betriebsräte existieren und eine Tarifbindung besteht, ist die Bindung der betrieblichen Interessenvertreter an die Gewerkschaft nur schwach entwickelt. Und auch die Aktivitäten vieler Betriebsräte sind vergleichsweise gering: „Die Mehrzahl der Betriebsräte betrachtet die Gewerkschaft als notwendiges Übel. Wir brauchen sie, aber – bitte sehr – nicht allzu sehr“ (C/GW02). Das Verhältnis von Betriebsräten zu ihrer Gewerkschaft ist häufig „von Desinteresse geprägt“. Mit den Tarifverträgen existieren zwar Normen, an denen man sich bei betrieblichen Aushandlungen orientieren kann. In der Praxis weichen die Betriebsräte jedoch häufig von diesen Normen ab: „Die sagen, wir brauchen zwar einen Tarifvertrag, aber wir machen eh viele Dinge, die damit nicht konform gehen, also ist das auch nicht so wichtig. Hauptsache es gibt einen, damit wir nicht ganz ohne dastehen. Aber ansonsten lasst uns das mal selbst machen. Guckt nicht ganz so tief bei uns hinein. Wenn die für uns (die IG Metall, d. A.) mal auf die Straße gehen sollen: Achselzucken. So glänzend ist das Verhältnis also nicht. Erst wenn’s richtig brennt, heißt es dann: Gewerkschaft hilf!“
Auch wenn diese Tendenz in den neuen Bundesländern besonders ausgeprägt sein mag, finden sich in der Vergleichsregion Nürnberg durchaus ähnliche Tendenzen. Der Nürnberger IG Metall-Bevollmächtigte spricht dieses Problem offen an. In früheren Zeiten habe es einen regelrechten Wettbewerb von Betriebsräten um die „beste Betriebsvereinbarung“ gegeben. Heute müsse ein Gewerkschaftssekretär froh sein, wenn er eine Vereinbarung überhaupt zu Gesicht bekomme. Angesichts einer wachsenden Kluft zwischen betrieblicher und gewerkschaftlicher Interessenvertretung ist die Nürnberger IG Metall in einigen Betrieben dazu übergegangen, Versammlungen von Gewerkschaftsmitgliedern durchzuführen,
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um gegebenenfalls auch Betriebsratsentscheidungen „von unten“ korrigieren zu können. In der Organisation ist dieser Kurs freilich umstritten. Auch gewerkschaftsnahe Betriebsräte kritisieren diesen Politikansatz. In diesem Konflikt deuten sich zwei einander verstärkende Tendenzen an. Auf der einen Seite stehen die Interessenvertreter gerade in den gewerkschaftlich organisierten Konzernbetrieben unter permanentem Handlungsdruck. Im Kostenwettbewerb gibt es für sie faktisch keine Atempause. Standortkonkurrenzen, Umstrukturierungen, Outsourcing, Insourcing und Personalabbau sind zu permanenten Herausforderungen geworden. Die Betriebsräte entwickeln unterschiedliche Strategien, um sich mit der „Reorganisation in Permanenz“ auseinander zu setzen. Gleich ob sie sich als Co-Manager (Draka), als „informelle Geschäftsleitung“ (Honsel) oder schlicht als „authentische Interessenvertreter“ (Siemens NMA) verstehen, sie sehen sich dazu gezwungen, eine passgenaue Politik für ihre Betriebe zu entwickeln, bei deren Erarbeitung sie die Gewerkschaftssekretäre allenfalls begrenzt unterstützen können. Ausfluss dieser Politik sind häufig pragmatische Arrangements mit den Geschäftsleitungen, die in einem Spannungsverhältnis zu tariflichen Normen stehen. Dieses Spannungsverhältnis wird von manchen betrieblichen Interessenvertretern mit einer Art „double talk“ bearbeitet. In betrieblichen Aushandlungen verhalten sie sich „wettbewerbskonform“, auf Gewerkschaftsveranstaltungen verlangen sie dagegen umso heftiger nach einem konfliktorischen, nicht-angepassten Kurs der IG Metall. Die Folge ist häufig ein Schwarze-Peter-Spiel, bei dem alle Beteiligten bemüht sind, sich selbst von unangenehmen Einsichten zu entlasten. Die darin angelegte Tendenz zur Verselbständigung der Betriebsräte wird im Nürnberger Fall durch die faktische Erschöpfung eines großen Teils der Aktiven noch verstärkt. Jahrelang in immer neue Abwehrkämpfe in der niedergehenden Metall- und Elektroindustrie verstrickt, stellen sich auch die gewerkschaftlich aktiven Interessenvertreter immer häufiger die Frage, ob sich der „Kampf um jeden Arbeitsplatz“ noch lohnt. Ein Teil der Betriebsräte und auch der lokalen IG Metall beantwortet diese Frage seit einiger Zeit mit einem klaren ‚Nein’. Anders als im Chemnitzer Fall ist die Gewerkschaft diesen Betriebsräten keineswegs gleichgültig; sie sehen sich jedoch nicht mehr in der Lage, die zahlreichen gewerkschaftlichen Politikanforderungen betrieblich umzusetzen. Was für den engeren Kern der gewerkschaftlich aktiven Betriebsräte gilt, trifft umso mehr auf eine neue Generation meist jüngerer Betriebsräte zu, die sich primär als betriebliche Interessenvertreter und – wenn überhaupt – erst in zweiter Linie als Gewerkschafter definieren. Unter dem Strich bedeutet dies allerdings, dass selbst in einer Verwaltungsstelle, die sich über viele Jahre hinweg durch eine überdurchschnittliche starke Bindung vieler Betriebsräte an die IG Metall auszeich-
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nete, die Zahl und das Aktivitätsbudget derjenigen tendenziell abnimmt, die in den Betrieben neue Mitglieder werben könnten. (3) Ressourcenmangel und Finanzkrise: Die Mitgliederverluste der Gewerkschaften haben weitreichende Folgewirkungen, die sich negativ auf die Handlungsfähigkeit der lokalen Gliederungen auswirken. In vielen Interviews klingt an, dass knappe finanzielle Ressourcen zu einem erheblichen Hindernis in der gewerkschaftlichen Arbeit werden. Ein erster Effekt ist, dass die lokalen Gewerkschaftsgliederungen selbst Personal einsparen müssen. Während die Anforderungen etwa in der Betriebsbetreuung, aber auch in der Einzelfallberatung tendenziell wachsen, nehmen die personellen Ressourcen vor Ort tendenziell ab. Zum Teil kann das durch eine Projektorganisation mit befristet Beschäftigten kompensiert werden. Auf diese Weise entsteht jedoch eine latente Konkurrenzsituation zwischen politischen Sekretären und Projektmitarbeitern. Die Projekte übernehmen – etwa in der Begleitung betrieblicher Sanierungs- und Modernisierungsprozesse – Aufgaben, die zuvor vom hauptamtlichen Apparat erledigt wurden. Die Projekte können dies in der Regel aber nur auf Zeit und sie betreiben ihr Geschäft auf andere Weise als politische Sekretäre. Sie sind an der Sache interessiert, besitzen teilweise akademische Qualifikationen und sind den politischen Sekretären in mancherlei Hinsicht überlegen. Aber Mitgliederwerbung oder die Begründung und Verbreitung gewerkschaftlicher Positionen betrachten sie nicht unbedingt als ihre Sache. Auf diese Weise sind latente Spannungen im Apparat vorprogrammiert. Solche Spannungen existieren aber nicht nur innerhalb der lokalen Gliederungen. Sie machen sich auch zwischen den Ebenen bemerkbar. Misstrauisch beobachten Führungspersonen auf der lokalen Ebene (in der IG Metall auf der Verwaltungsstellenebene) die Personalentwicklung auf übergeordneten Leitungsebenen (im Fall der IG Metall auf der Bezirksebene). Lokale Gliederungen, die in den organisationsinternen „Konkurs“ gehen, verlieren damit teilweise auch ihre finanzielle Autonomie. Ausgaben werden budgetiert und finanzielle Ressourcen damit zu einem innerorganisatorischen Konfliktfeld nicht nur innerhalb lokaler Gliederungen, sondern auch zwischen den Ebenen. Diese Grundproblematik ist in allen untersuchten Regionen präsent. Lokal nimmt sie jedoch höchst unterschiedliche Ausformungen an. Der Dortmunder DGB ist, gerade mit Blick auf seine regionalpolitische Funktion, personell unterbesetzt. Der chronische Ressourcenmangel erzwingt eine stärkere Projektorganisation und fördert die Tendenz, dass regionale Strukturpolitik der Gewerkschaften tendenziell zu einer ‚One-Man-Show‘ wird. Dass sich der DGB im Rahmen der regionalen Strukturpolitik faktisch auch um Mitgliederwerbung kümmert, ist in den Mitgliedsgewerkschaften durchaus nicht unumstritten. In Chemnitz hat die lokale IG Metall
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ressourcenschonend gearbeitet und kann deshalb antizyklische Personalpolitik machen, was auch der regionalen Strukturpolitik zugute kommt: „Inzwischen sind ja alle sächsischen Verwaltungsstellen einmal durch den Konkurs, also Kostgänger des Vorstands. Da machst du nichts mehr, wenn du jeden Rotz genehmigen lassen musst“ (C/GW03). In Nürnberg ist dieser Fall offenbar eingetreten. Auch in den umliegenden Verwaltungsstellenbereichen denkt man über Fusionen nach. Für unseren Kontext sind die Details des Finanzmanagements der lokalen Gewerkschaften nicht weiter von Bedeutung. Entscheidend ist jedoch, dass die wachsende Diskrepanz zwischen äußeren Anforderungen und limitierten personellen und finanziellen Ressourcen in der Tendenz dazu führt, dass sich das Zentrum der Gewerkschaftsaktivitäten immer weiter von den einfachen Mitgliedern entfernt. Interne Konflikte, die zu Auseinandersetzungen „um alles oder nichts“ aufgebauscht werden, tragen ihrerseits dazu bei, diese Entwicklung noch zu verstärken. Ein erheblicher Teil der Energie des hauptamtlichen Personals wird durch solche Konflikte absorbiert; Aktivitäten sind in hohem Maße nach innen gerichtet, während es zugleich an einer adäquaten Bearbeitung der zahlreichen „äußeren“ Anforderungen mangelt. Die vor Ort vielfach zu beobachtende politische Erschöpfung des Gewerkschaftspersonals tut ein Übriges, um die Kluft zwischen Apparat und Mitgliederbasis zu vertiefen: „Wir haben einfach nicht mehr diese Sekretäre, die innerlich brennen. Bei jedem Konflikt im Betrieb überlegen die sich, ob sie sich die Arbeit machen wollen, um das durchzustehen. Die machen lieber ihre Routinearbeit und haben dann auch pünktlich Feierabend. Da brennt nichts mehr.“
Diese Sicht eines Nürnberger Gewerkschaftssekretärs mag von persönlicher Enttäuschung geprägt sein. Doch sie benennt ein reales Problem. Politische Sekretäre können offenkundig nicht kontinuierlich und unbegrenzt unter „Bewegungsbedingungen“ arbeiten. In Situationen, in denen die politische Motivation des eigenen Handelns nachlässt, stellt sich ein individueller Drang zu Normalität und Routine ein. Eine Organisation, die solchen Bedürfnissen keinen Platz einräumt und die nicht systematisch an der Motivation ihres Personals arbeitet, produziert mit hoher Wahrscheinlichkeit Leerlauf, „innere Kündigungen“ und Burn-out-Syndrome. All dies lässt sich in den Untersuchungsregionen in verschiedenen Facetten und unterschiedlichen gewerkschaftlichen Zusammenhängen beobachten. (4) Unternehmensreorganisation und „kulturelle Scheidelinie“: Geringere Finanz-, Zeit- und Personalressourcen erschweren die Umorientierung der Organisation auf expandierende Bereiche, in denen es ungenutzte Mitgliederpotentiale
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gibt. Dass solche Potentiale auch in den neuen, wissensintensiven Branchen vorhanden sind, ist in den lokalen Gewerkschaftsgliederungen eine bekannte Tatsache. Mit der Krise der „New Economy“ sind die Nachfragen nach Betriebsratsgründungen gestiegen und auch die Gewerkschaften sehen sich im Aufwind. Ein wesentlicher Grund für das dennoch anhaltende Missverhältnis ist, dass sich der überkommene gewerkschaftliche Politikstil in den Regionen an der differenzierten Arbeitsrealität der neuen Bereiche bricht. Wie groß die Kluft zwischen alter Organisations- und neuer Arbeitswelt ist, wird im Organisationsbereich der Dortmunder IG Metall deutlich. Dort zeigt sich in den neuen Leitbranchen, dass die lokalen Gewerkschaften in Betrieben, die ursprünglich eine Konzernanbindung hatten, nach wie vor organisationsfähig sind. Für die Masse der ausgegründeten oder neu entstandenen kleineren Unternehmen gilt dies indessen nicht: „Wir haben immer dann Probleme, wenn in den outgesourcten Unternehmen überhaupt keine Struktur existiert, oder sich überhaupt nichts von den Strukturen wieder findet, die wir im alten Unternehmen hatten. Will sagen: wenn wir einen Betriebsrat gehabt haben, wenn wir eine Vertrauensleute-Struktur gehabt haben. Und wo dann kein Kollege mit outgesourct wird, ist es unheimlich schwierig, in diesen Bereich wieder neu einzusteigen, es sei denn, dieses Unternehmen ist vom Organisationsgrad her gewerkschaftlich orientiert...“ (D-GW-02).
Bedeutsam sind neben Branchengrenzen vor allem die Betriebsgrößen. Das lokale System der Betriebsbetreuungen konzentriert sich naturgemäß auf die Mitgliederhochburgen, d. h. auf größere Betriebe und deren Strukturen. Reorganisation der Unternehmen, Dezentralisierung und vor allem Outsourcing schwächen auch in diesen Kernsektoren die gewerkschaftliche Organisationsfähigkeit. Aber das ist nicht das einzige Problem. Im Falle von Neuansiedlungen gestaltet sich die Kontaktaufnahme zu den Beschäftigten ebenfalls noch ungemein schwer. Vor dem Hintergrund verbreiteter Vertrauensarbeitszeit-Modelle und projektförmiger Organisation der Arbeit mit Projekt-Laufzeiten von mitunter nur sechs Monaten, in denen relativ selbstbestimmtes Arbeiten möglich ist („Hauptsache das Projekt wird fertig“), finden traditionelle Themen gewerkschaftlicher Betriebspolitik kaum noch Gehör. Inzwischen setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch: „Wir müssen themenorientiert arbeiten und auch den Mut haben... zu sagen, wir lassen ab von knallharten, in Anführungsstrichen ‚dogmatischen‘ gewerkschaftlichen Positionen. Wir bieten uns an, als ein Akteur am Arbeitsmarkt oder als ein Akteur, der Strukturpolitik mit begleiten will, nämlich zum Vorteil der Beschäftigten und schauen mal, ob wir nicht auch mit Dingen, die wir beherrschen, die wir können, Hilfestellungen anbieten können“ (Do/GW02).
Das Problem ist jedoch: „Die Gewerkschaften haben eigentlich diese Arbeitskultur nicht drauf“, so ein anderer Interviewpartner. Es existiere ein regelrechter „Clash“ zwischen Gewerkschaftstraditionen auf der einen und KMU-Kultur auf der anderen Seite. Wolle man in den KMU-Bereich eindringen, setze das einen
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völlig anderen Arbeitsstil voraus. Er bedeutet ständige Betriebsbesuche und das Erfassen von Problemfällen, z. B. durch Gespräche mit Beschäftigten am Feierabend und in der Kneipe. Der neue Arbeitsstil sei nicht nur mit hoher Beratungsund Betreuungsintensität verbunden, sondern auch mit Einzelfallbearbeitung und Büroarbeit abends und am Wochenende. Diese Art von Arbeit „ist in der Organisation nicht weit verbreitet und das ist ein Grund dafür, warum man in den neuen Technologiefeldern nicht richtig in die Gänge kommt“ (N/GW04). Diese Schwierigkeiten setzten sich in den Ingenieurs- und Angestelltenbereichen größerer Betriebe fort. Die politischen Sekretäre verkörpern in Sprache, Diskussionsstil, Art des Auftretens und auch in ihrem Politikverständnis oftmals einen Habitus, der sich an den kulturellen Submilieus der high potentials und qualifizierten Angestellten bricht: „Das ist doch offensichtlich. Zum Beispiel Lucent: Schickst du den X auf eine Betriebsversammlung, dann braucht der gar nicht den Mund aufzumachen, es reicht, wie der auftritt. Geht der Y hin und sagt das Gleiche, nur mit anderen Worten, dann kann der da was reißen. Wir haben aber zu wenige, die dieses Milieu wirklich darstellen.“
Eine „kulturelle Scheidelinie“ existiert jedoch nicht allein zwischen Gewerkschaftsfunktionären mit traditionellem „Stallgeruch“ und qualifizierten Angestellten. Sie macht sich auch gegenüber der wachsenden Zahl der Mini- und Midi-Jobber, der Zeit- und Leiharbeiter, der befristet und Teilzeitbeschäftigten bemerkbar. Zumindest im Organisationsbereich der IG Metall sind diese Gruppen lange Zeit nicht im Visier der Interessenvertretung gewesen. Manchen politischen Sekretären gelten sie nach wie vor als zu vernachlässigende Gruppen. „Viel Betreuungsaufwand, wenig Beitrag“, lautet die Begründung. Wie fatal eine solche Sichtweise ist, macht ein Siemens-Betriebsrat aus der Region Chemnitz indirekt deutlich. Im Betrieb ist die Gewerkschaft mit einem Organisationsgrad von etwa 45 % auch gegenüber Westbetrieben vergleichsweise gut präsent. Der Organisationsgrad erklärt sich z. T. daraus, dass viele Beschäftigte, die schon zu DDR-Zeiten in der Gewerkschaft waren, „nach der Wende einfach drin geblieben sind“. Inzwischen gibt es jedoch Schwierigkeiten, den Organisationsgrad zu halten, und dies nicht nur bei Entwicklungsingenieuren, sondern auch bei gewerblichen Arbeitnehmern, denen als Leiharbeitern oder befristet Beschäftigten der Sprung in die Stammbelegschaft gelingt. „Die Schwierigkeit ist wirklich, dass viele dazu gekommen sind, die vorher in einem Leiharbeitnehmerverhältnis waren, bei uns nicht grade in die höchsten Lohngruppen reingerutscht sind und trotzdem eben schwer dazu zu bewegen sind, in die Gewerkschaft einzutreten. Wo einfach das Verständnis für diese Dinge nicht da war, die kommen aus den unterschiedlichsten Betrieben, vielleicht aus der Arbeitslosigkeit, vielleicht aus einem Leiharbeitnehmerbetrieb. Die haben nie einen Betriebsrat gekannt, wissen gar nicht, was Gewerkschaft ist. Aber gut, wir sind auf dem Weg der Besserung“ (C/BO-BR03).
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Exemplarisch zeigt sich hier, dass die expandierende „Zone der Prekarität“ (Castel 2000; Brinkmann u. a. 2006) auf die vergleichsweise geschützten Stammbelegschaften zurückwirkt. Wenn die Gewerkschaften atypisch oder prekär Beschäftigte sich selbst überlassen, wird das unweigerlich auch in den Stammbelegschaften zu einer Produktion „gefügiger Arbeitskräfte“ (Boltanski/Chiapello 2003, Dörre 2006) beitragen. Es lässt sich leicht ausrechnen, dass solche Disziplinierungseffekte die gewerkschaftliche Organisations- und Mobilisierungsfähigkeit selbst in den verbliebenen Hochburgen negativ beeinflussen dürften. 8.3.3 Der Ohnmachtszirkel gewerkschaftlicher Desorganisation Strukturwandel und personelle Ausdünnung der einstigen Gewerkschaftshochburgen, Schwächung des betrieblichen Standbeins, Ressourcenverknappung sowie eine habituell und auch durch das Festhalten an Politikstilen aus der fordistischen Ära bedingte Distanz zu qualifizierten Berufsgruppen, aber auch zu prekär Beschäftigten sind wesentliche Ursachen für die akute Krise gewerkschaftlicher Repräsentation. Interessant ist, dass sich diese von den Gewerkschaftern selbst vorgetragenen Gründe auch mit wissenschaftlichen Analysen der gewerkschaftlichen Organisationskrise decken, wie sie z. B. von Boltanski und Chiapello (2003) vorgelegt worden sind. Nach Auffassung dieser Autoren sind die Gewerkschaften, teilweise durchaus selbstverschuldet, Opfer eines neokapitalistischen Projekts, das die „Abwehrkräfte der Arbeitswelt“ auf vielfältige Weise schwächt. Boltanski und Chiapello zeigen, dass, zusätzlich zu den bereits genannten Gründen, eine Mischung aus ideologischer Offensive des Managements, Repression und realer Unternehmensreorganisation die Gewerkschaftskrise verursacht. Diese Krise könne nicht „unabhängig von den veränderten Verfahren der Profitmaximierung betrachtet werden“. Das neokapitalistische Projekt habe „die deutliche Schwächung der Gewerkschaften zum Teil bewusst und mit Bedacht bewirkt“. Teilweise sei diese Schwächung allerdings auch eine Folge „unintendierter Effekte“7 und nicht zuletzt „gewerkschaftlichen Missmanagements“. Die wachsenden Schwierigkeiten bei der Bildung einer Opposition gegen die soziale Ausgrenzung des nachfordistischen und globalisierten Kapitalismus seien nicht mit dem Hinweis auf „angeblich wachsenden Individualismus und das Ich-Denken, die Vertrauenskrise gegenüber politischem Handeln oder die Angst vor der Arbeitslosigkeit“ hinreichend zu begründen. Die Schwierigkeiten wurzelten vielmehr in der „Dynamik des Kapitalismus und seiner Kritiker“ 7
Boltanski/Chiapello zielen mit dieser Argumentation auf neue Partizipationschancen für französische Arbeitnehmer, die, wie die Aroux-Gesetze, zunächst von der Kapitalseite bekämpft, dann aber organisch in unternehmerische Flexibilisierungsstrategien eingepasst wurden.
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(Boltanski/Chiapello 2003: 311ff.). Denn der „kumulative Effekt“ dieser verschiedenen Phänomene liege „auf der Hand“: „Gewerkschaften mit niedrigem Organisationsgrad spielen eine geringere Rolle, ihre Fähigkeit zum Widerstand ist stark begrenzt und ihre Glaubwürdigkeit bei den Arbeitnehmern geht aus eben diesen Gründen zurück. Deshalb sind die Gewerkschaften bei Wahlen immer weniger repräsentativ für die Angestellten und geraten auf diese Weise immer stärker in Misskredit. Man unterstellt ihnen, eine neue Kaste zu bilden, die ihre Pfründe aus den Kassen der Sozialversicherungen beziehe und von unrechtmäßigen Delegationsfreistellungen profitiere. Die Gewerkschaften wüssten nichts mehr von der Last der Arbeit, weil sie vor Ort nicht präsent genug seien. Da es den Betriebsvertretungen an Nachwuchs fehlt, besteht außerdem ein Trend, von den wenigen Mitgliedern ein stärkeres Engagement zu verlangen, was die Grenzen zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nicht-Mitgliedern zusätzlich verschärft... Die Gewerkschaftsvertreter... haben immer weniger Kontakt zu den Beschäftigten, haben keine Zeit mehr, um neue Mitglieder zu werben oder sich auch nur um ihre bestehenden Mitglieder zu kümmern, wodurch sich immer mehr Arbeitnehmer von den Gewerkschaften abwenden“ (Boltanski/Chiapello 2003: 315).
Boltanski/Chiapello skizzieren diesen Ohnmachtszirkel vor dem Hintergrund der französischen Erfahrungen. Dort äußert sich die Krise gewerkschaftlicher Repräsentation noch weitaus radikaler als in Deutschland. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad liegt in Frankreich inzwischen unter zehn Prozent. Dennoch sind Parallelen unverkennbar. Manuel Castells hat darauf hingewiesen, dass sich die ökonomisch-industrielle Restrukturierung der 1990er Jahre auf der Grundlage einer „politischen Niederlage der organisierten Arbeiterbewegung in den wichtigsten kapitalistischen Ländern und der Hinnahme einer gemeinsamen wirtschaftlichen Disziplin durch die Länder des OECD-Raumes“ (Castells 2001: 20) vollzogen hat. Anders als in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts handelt es sich aber nicht um eine Zerschlagung von Arbeiterbewegung und Gewerkschaften. Es ist der beschleunigte Wandel sozioökonomischer Strukturen, der – wie in unseren Untersuchungsregionen – tradierte Grundlagen gewerkschaftlicher Organisationsfähigkeit beseitigt. Die auf vielfältige Weise initiierte Disziplin des Marktes kann nur wirksam werden, weil der „neue Geist des Kapitalismus“ erfolgreich jene „künstlerische Kritik“ adaptiert hat, die im Namen von Entbürokratisierung, Selbstentfaltung, Selbstorganisation, direkter Partizipation und nicht zuletzt auch nachhaltiger regionaler Entwicklung Strukturen der tayloristisch-fordistischen Arbeitswelt und ihrer Unternehmen attackiert hat. Auffällig ist, dass eine solch synthetisierende Betrachtungsweise der Gewerkschaftskrise hierzulande sowohl in der Wissenschaft als auch bei den befragten Praktikern bislang kaum Beachtung findet. Die Vernachlässigung eines „gesamtgesellschaftlichen Bedingungsgefüges“ der akuten Krise gewerkschaftlicher Repräsentation führt oft dazu, dass die Organisationsprobleme der Gewerkschaften letztlich technokratisch diskutiert werden. Es ist aber nicht damit getan,
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dass sich die Gewerkschaften „neuen Gruppen öffnen“, dass sie die „Vielfalt“ der Interessenlagen in der nachfordistischen Arbeitswelt anerkennen. Sie müssen auch lernen, die veränderten Verhältnisse an ihren „Legitimationsregimes“ zu messen; sie müssen die Versprechen des „Finanzmarkt-Kapitalismus“ (Windolf 2005; Deutschmann 2005) praktischen Bewährungsproben unterziehen und so darum kämpfen, dass sie ihre Deutungshoheit allmählich zurückgewinnen. Ohne die Revitalisierung einer in den Ansichten, Werten und Interessen der Lohnabhängigen selbst angelegten Kritik an den neuen sozialen Verhältnissen wird es eine „Neugeburt“ der Gewerkschaften wohl nicht geben. 8.4 Umrisse neuer Gewerkschaftsidentitäten, Solidaritäts- und Organisationsformen Vor diesem Hintergrund muss die Frage nach Ansätzen zur Überwindung der gewerkschaftlichen Organisationskrise gestellt werden. Sie ist eine Frage nicht nur nach aktivem ‚Organizing‘, sondern auch nach neuen Solidaritätsformen und Identitätsfragmenten, die geeignet sein können, die gewerkschaftliche Bindekraft wieder zu erhöhen. 8.4.1 Organizing in neuen Bereichen – Ansätze und Schwierigkeiten In allen Untersuchungsregionen sind wir auf gewerkschaftliche Versuche gestoßen, in neuen Branchen und Unternehmen organisatorisch Fuß zu fassen. An dieser Stelle konzentrieren wir uns auf Bemühungen, die in einem gewissen Zusammenhang mit der Strukturpolitik in den Regionen stehen und die neue Wege der Mitgliedergewinnung andeuten. (1) Organizing als Wiederentdeckung des sozialen Raums: In Nürnberg ist ein solcher Versuch vom DGB ausgegangen. Grundgedanke war die Überlegung, die sozialräumliche Bündelung kleinerer Betriebe aus expandierenden Branchen in Industrie- und Technologieparks für die Mitgliederwerbung zu nutzen, indem die Gewerkschaften auf dem Gelände des Technologieparks ein Büro errichten. Insgesamt aber ist das Projekt „nicht mit einem besonders guten Ergebnis“ (N/GW04) verlaufen. Tatsächlich scheiterte der Versuch nicht nur an der schwachen Position des DGB. Schwerer wog die Tatsache, dass aus den Einzelgewerkschaften faktisch keine Unterstützung kam. Der Versuch, diese zu mobilisieren, versandete kläglich. Mit den Einzelgewerkschaften habe es schon im Vorfeld „große Abstimmungsprobleme“ gegeben. Vor allem die Verantwortlichen hätten
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immer wieder die Zuständigkeitsfrage aufgeworfen. Zusätzlich sei das Problem aufgetaucht, dass bei der „Mitgliedergewinnung die Einzelgewerkschaften gegeneinander rücksichtslos werden“ (ebd.). Unterschwellig sei so von Seiten der Mitgliedsgewerkschaften die Frage auf die Tagesordnung gerückt worden, ob der DGB das Projekt „für uns“ oder „für sich“ mache. Von einer systematischen Erschließung neuer Politikfelder sind die Mitgliedsgewerkschaften mit ihrer traditionellen Großbetriebsorientierung offenbar weit entfernt. Selbst für den DGB-Regionalsekretär ist „manchmal undurchschaubar, welche Gewerkschaft im IuK-Sektor für welchen Bereich zuständig ist“. Viel Zeit und Energie gehe mit Versuchen der Einzelgewerkschaften verloren, „sich gegenseitig Mitglieder abzuwerben“: „Es ist einfacher, gegenseitig in beackerten Feldern zu konkurrieren als neue zu erschließen.“ Die Mitgliederorganisierung sowie die Unterstützung der Interessenvertretung in kleineren Betrieben bedürften anderer Organisations- und neuer Ansprechformen sowie einer hohen Betreuungsintensität der Betriebsräte. Dies sei den Gewerkschaftssekretären nicht nur fremd, sie scheuten auch die damit verbundenen Veränderungen und die zusätzliche Arbeitsbelastung. Trotz dieser Negativerfahrungen besitzt der Gedanke, die sozialräumliche Konzentration kleinerer Betriebe aus wissensintensiven Branchen für eine gezielte Ansprache neuer Beschäftigtengruppen zu nutzen, Charme. In allen Untersuchungsregionen sind solche Bündelungen vorhanden und überall ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad gering. Eine wichtige Voraussetzung erfolgreicher Projekte wäre allerdings, dass die lokalen Gewerkschaftsgliederungen aus Fehlschlägen lernen. Das schlechte „Mannschaftsspiel“ von Mitgliedsgewerkschaften und DGB müsste ebenso überwunden werden wie ein technokratisches Projektdenken, das auf kurzfristige Projekte setzt, die, wenn sie keine raschen Organisationserfolge bringen, sang- und klanglos eingestellt werden. (2) Call-Center-Talk und IT-Treff: In Dortmund ist die Initiative zur Organisierung neuer Bereiche mit Unterstützung des DGBs von der Kooperationsstelle ausgegangen. Gemeinsam mit den zuständigen Einzelgewerkschaften organisiert die Koordinationsstelle Wissenschaft-Arbeitswelt regelmäßige Gesprächsrunden, die zunächst einmal dazu dienen sollen, geeignete Themen zu finden und einen Kreis von Personen zu stabilisieren, die in der Lage sind, in gewerkschaftsfreie Zonen einzudringen. Als Pilot-Bereiche sind Call-Center und IT-Branche ausgewählt worden. Ähnlich wie im Nürnberger Fall traten in Dortmund zunächst Fragen der Zuständigkeit auf, die mit Fingerspitzengefühl angegangen werden mussten. In Dortmund hat sich – im Unterschied zu anderen Regionen, wo CallCenter z. T. im Zuständigkeitsbereich der IG Metall liegen – zunächst die (ehe-
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malige) IG Medien für zuständig erklärt – gegen ein organisationspolitisches Interesse, das dem Call-Center-Bereich keine Bedeutung zumisst. „Das ist wie bei den Putzfrauen, das ist halt nicht so wichtig“ (Do/NWA01). Zu den Besonderheiten in Dortmund zählt, dass die Organisationsversuche in den neuen Bereichen durch ein Netzwerk von arbeitsorientierten Wissenschaftlern unterstützt wird, welches die bisherigen Organisationsformen gewerkschaftlicher Politik transzendiert. Es handelt sich beim Call-Center-Talk eher um ein „lockeres Treffen. Da kommen halt die Leute hin, die das interessiert“. Der Call-Center-Talk arbeitet themenorientiert und versucht, betriebliche Probleme betriebsübergreifend und unter Einbindung von externem Sachverstand zu lösen. Gleichzeitig zeigt sich, dass solche Aktivitäten kurzfristig nicht zur Lösung des Mitgliederproblems der Gewerkschaften beitragen können: „Wir müssen da erst einmal eine ordentliche Arbeit abliefern, Vertrauen erarbeiten, um dann überhaupt mal über Mitgliederzahlen zu reden, d. h. wir müssen als Gewerkschaften auch noch eine Menge lernen“ (ebd.). Aus Sicht der beteiligten Gewerkschafter lief der Call-Center-Talk zunächst erfolgreich an. Der zuständige ver.di-Gewerkschafter wurde zunehmend von Beschäftigten aus dem Bereich angesprochen. In zwei Unternehmen konnte ein Betriebsrat gegründet werden; die Arbeit erhielt eine gewisse Kontinuität. Doch auch hier machten sich knappe Ressourcen und die organisationsinterne Erwartung, rasche Organisationserfolge zu erzielen, negativ bemerkbar: Der für diesen Bereich zuständige ver.di-Gewerkschafter ist inzwischen mit anderen Aufgaben betraut; die Arbeit des Call-Center-Talks ist auf Eis gelegt. Der IT-Arbeitskreis funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip der Arbeitsteilung zwischen gewerkschaftsnahen Netzwerk, Einzelgewerkschaft und arbeitsorientierter Wissenschaft. Hier ist die IG Metall zuständig; die organisatorische Klammer bildet wiederum die Kooperationsstelle Wissenschaft-Arbeitswelt. Die lokale IG Metall betrachtet den noch nicht lange existenten Arbeitskreis inzwischen als wichtigen Arbeitszusammenhang, um einen Brückenschlag in die im dortmund-project fokussierten Bereiche zu schaffen. Auch hier gibt es erste Kontakte im Zusammenhang mit Betriebsratsgründungen. Zudem werden Themen generiert, mit denen die IG Metall im IT-Sektor Präsenz zeigen kann. Der zuständige Gewerkschaftssekretär benennt vor allem fünf thematische Bereiche: Mitarbeiterbeteiligung, Arbeitsbelastung (Burn-out-Syndrom), Entgelte, Qualifikation und allgemeine Fragen der Interessenvertretung (Do/GW02). In der Themenpräsentation klingen bereits eine Reihe von Funktionen an, die eine Gewerkschaft in den neuen Leitbranchen auszufüllen hätte. Die Gewerkschaft fördert Hilfe zur Selbsthilfe (Betriebsratsgründungen); sie nimmt elementare Schutzfunktionen wahr (Beratung bei Kündigungsdrohungen, Sozialplan); sie leistet individuelle Vertragsberatung („stock options“); sie stellt überbetrieblich
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Transparenz bei Leistungsbedingungen und Gehältern her (Gehaltsspiegel); sie fördert Qualifizierung und Weiterbildung (Berufsbilder, Weiterbildungsmodell) und sie formuliert Kriterien für „Gute Arbeit“ und humane Leistungsbedingungen in der Branche (Burn-out-Syndrom). Auffällig ist, dass sich diese Themen und Funktionen in vielem mit der Arbeit von beim Call-Center-Talk engagierten ver.di-Gewerkschaftern ähneln. Auch hier geht es zunächst einmal darum, „Lohn- und Gehaltsstrukturen transparent zu machen“. Das Qualifizierungsproblem ist ebenfalls vorhanden. Gute Mitarbeiter gelangen in den Call-Centern häufig rasch in mittlere Führungspositionen „ohne irgendwelche Qualifikationen mit zu bekommen“, an diesem Problem „können die Gewerkschaften ansetzen“ (Do/GW03). Themen und Ansatzpunkte, die es den Gewerkschaften ermöglichen könnten, in neuen Bereichen organisatorisch Fuß zu fassen, gibt es offenbar zur Genüge. Zudem zeigt sich, dass sich regionale Strukturpolitik und der Versuch, „Brückenköpfe“ in den gewerkschaftsfreien Zonen zu schaffen, durchaus sinnvoll miteinander vereinbaren lassen. Denn konzeptionell zielt der Dortmunder Versuch darauf, systematisch jene Branchen und Bereiche zu bearbeiten, in denen laut Zielstellung des dortmund-project die Beschäftigung wachsen soll. Doch auch in Dortmund kann man nicht davon sprechen, dass dieser Ansatz in den Mitgliedsgewerkschaften wirklich verankert ist. Trotz aller positiven Erfahrungen werden die Arbeitskreise, wenn überhaupt, so von einer kleinen Zahl aktiver Gewerkschafter und Netzwerksakteure getragen. Es handelt sich um fragile Arbeitszusammenhänge, bei denen noch offen ist, ob sie sich als operativ tätige Strukturen zu stabilisieren vermögen. In anderen Bereichen, in der Logistik und den Mikrosystemtechnik-Unternehmen, haben sich entsprechende Strukturen nicht einmal gebildet. Projekte, die einen längeren Zeithorizont im Visier haben, die mit offenen Strukturen und ungewissen Erfolgsaussichten arbeiten, widersprechen auch in Dortmund einem noch immer dominanten Verständnis von Gewerkschaftspolitik, das auf unmittelbare organisationspolitische Erfolge ausgerichtet ist. (3) Betriebsrätenetzwerke: Ein drittes Beispiel, das kein unmittelbares gewerkschaftliches Organisationsinteresse verfolgt, sondern eher darauf zielt, überhaupt Strukturen zu schaffen, die auf längere Sicht auch organisationspolitischen Nutzen bringen könnten, sind regionale Betriebsrätenetzwerke. Entsprechende Ansätze gibt es in allen Untersuchungsregionen. Zunächst geht es darum, innerhalb einer Branche Themen zu finden, die zu überbetrieblichem Austausch motivieren und die von Betriebsräten gemeinsam bearbeitet werden können. In Chemnitz entsteht ein solches Netzwerk im Maschinenbau, doch auch in anderen Bereichen wären sie notwendig:
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„Wir haben Betriebe – Hörmann-Rawema, Siemens, Krupp in Hohenstein mit 200 Beschäftigten, Lurgi, wo wir nur Mitglieder haben und jetzt erst wieder den Kontakt zum Betriebsrat aufnehmen, 300 Leute, fast nur Ingenieure – da hätten wir schon mal vier Betriebe, damit könnten wir schon mal anfangen, ein Netzwerk zu bilden... In allen Buden des Ingenieurbereichs stagnieren die Mitgliederzahlen absolut, entweder Nullwachstum oder rückläufig. Die Älteren gehen raus, die Jüngeren treten nicht ein. Unsere Basis wird immer dünner. ThyssenKrupp, die haben jetzt 450 Beschäftigte, da haben wir vielleicht noch 40 IG Metaller und der Betrieb ist noch im Arbeitgeberverband und im Flächentarif. Wie will ich denn da noch irgendwas durchsetzen. Bei Hörmann-Rawema ist das im Prinzip ähnlich. Und bei Lurgi sind wir ganz draußen, die haben keinen Tarifvertrag, nichts. Zahlen vielleicht 30 % von dem, was in den Altbundesländern gezahlt wird“ (C/GW-06).
Die Grundidee zur Vernetzung von Betriebsräten basiert auf Erfahrungen, die der Chemnitzer Bevollmächtigte noch in Westdeutschland sammeln konnte. In seiner früheren Verwaltungsstelle hatte sich ein Netzwerk von Betriebsräten gebildet, um Negativkonkurrenzen ausschalten zu können. Von diesen Erfahrungen zehrt die IG Metall auch in der Region Chemnitz. Offenbar ist es in Ostdeutschland aber noch erheblich schwerer, einzelbetriebliche Konkurrenzen zu überwinden. Die Sinnhaftigkeit des Unterfangens wird im Kreis der gewerkschaftlich Aktiven nicht bestritten; die praktische Realisierung gestaltet sich indessen ungemein schwierig. Zum einen, weil anders als in Dortmund auch das Thema Qualifizierung nicht auf ungeteiltes Interesse stieß. Zum anderen zeigt sich immer wieder, dass ein wichtiges Hindernis für betriebsübergreifende Kooperationen in der Konzernbindung der Betriebe liegt, die auch bei den Interessenvertretern Vernetzungsaktivitäten blockieren. Dieses Problem könne jedoch, so die übereinstimmende Meinung befragter Praktiker, überwunden werden, wenn man genügend personelle und zeitliche Ressourcen mobilisiere. Womit wir wieder beim bekannten „Ohnmachtszirkel“ angelangt wären. Insgesamt lässt sich in allen Untersuchungsregionen eine ähnliche Tendenz feststellen. Zwar ist die organisationspolitische Notwendigkeit, in „gewerkschaftsfreie Zonen“ vorzudringen, zumindest den lokalen Gewerkschaftsspitzen bewusst. Es gibt auch Themen und Ansätze, an die sich anknüpfen ließe. Doch es fällt den lokalen Gewerkschaftsgliederungen offenkundig schwer, solche Ansätze auf Dauer zu stellen. In der Alltagsarbeit ist die Bedeutung der neuen Branchen und gewerkschaftsfreien Zonen eher gering. Dafür gibt es einen nahe liegenden Grund. Selbst in Dortmund befinden sich noch immer 80 % der Beschäftigten und damit auch die Masse der Gewerkschaftsmitglieder in den sogenannten Altindustrien. Hier werden die lokalen Gewerkschafter täglich mit immer neuen Anforderungen konfrontiert. Unter dem Druck kurzfristiger Anforderungen konzentrieren sie ihre Kräfte auf die Betreuung vorhandener Mitglieder. Projekte, die längerfristig angelegt sind, hohen Betreuungsaufwand erfordern, zunächst bestenfalls in Betriebsratsgründungen münden und nicht unmittelbar
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neue Mitglieder bringen, erscheinen aus dieser Perspektive nachrangig. Und selbst bei Gewerkschaftsfunktionären, die mit bester Absicht in neuen Projektzusammenhängen mitarbeiten, stellt sich unter dem Druck der Verhältnisse häufig wieder die alte Schwerpunktsetzung ein. Die Gegenwart besiegt die Zukunft – ein aus bürokratischen Großorganisationen bekanntes Dilemma, ist offenkundig auch den Gewerkschaften nicht fremd. 8.4.2 Identitätskonflikte: Kompetitive versus Bewegungssolidarität? Es wäre aber grundfalsch, die geschilderten Schwierigkeiten allein als ein bloßes Ressourcenproblem zu behandeln. Um die Gewerkschaftsarbeit aufrechtzuerhalten und neue Bereiche zu erschließen, sind, darauf weisen auch Boltanski und Chiapello (2003: 335) hin, in der Regel motivierte Personen mit hoher Frustrationstoleranz nötig. Oftmals handelt es sich um Aktivisten mit einem besonderen „Glauben“, mit christlichen oder sozialistischen Überzeugungen, die zu überdurchschnittlichem Engagement motivieren und die Mühen der Ebene erträglich machen. Doch wie lassen sich kohärente, teilweise auch widerständige Motivationen gewerkschaftlichen Engagements fördern? Und ist überhaupt denkbar, dass derartige Motivationen im Kontext regionaler Strukturpolitik entstehen? Die Beantwortung dieser Fragen führt zurück zur Problematik der Gewerkschaftsidentitäten. Hier eröffnet sich gerade auf dem Feld der regionalen Strukturpolitik ein neues Spannungsfeld zwischen den Polen Markt und Klasse. In einem gewissen Sinne repräsentieren die regionalen Netzwerke den Typus einer „kompetitiven Solidarität“. Im Unterschied zur klassischen Sozialpartnerschaft der fordistischen Ära gilt hier sozialer Ausgleich nicht als Voraussetzung einer produktiven Wirtschaft; vielmehr werden die Prioritäten umgekehrt. Nur noch das Maß an Sozialverträglichkeit soll möglich und realisierbar sein, welches sich ein wirtschaftlicher Funktionsraum im Rahmen grenzüberschreitender Standortkonkurrenzen leisten kann. Betrieblichen „Bündnissen für Arbeit“ vergleichbar, zielt „kompetitive Solidarität“ in Regionen auf einen neuen Wertschöpfungspakt, der jedoch ausschließlich Interessen eines ökonomischen Teilraums repräsentiert. Grundlage dieses Pakts ist die Anerkennung einer Konkurrenzsituation gegenüber anderen Regionen. Sofern die Beziehungen innerhalb dieses Wettbewerbspaktes auf Solidarität, also auf wechselseitiger Anerkennung, Wertschätzung und Unterstützung beruhen, handelt es sich um eine klassen- und statusgruppenübergreifende, zugleich jedoch um eine notwendig partikularistische Solidarität. Der Manager des dortmund-project macht dies unmissverständlich deutlich. Auf die Frage, wie sich das dortmund-project zu den umliegenden Teilregionen verhält, antwortet er knapp: „Der Wettbewerb ist eröffnet“ (Do/TNB15)!
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Lokale Gewerkschaftsgliederungen, die sich an solchen Projekten beteiligen, übernehmen damit, darin betrieblichen Interessenvertretungen mit CoManagement-Funktion vergleichbar, eine quasi-unternehmerische Funktion. Selbst der Chemnitzer IG Metall-Bevollmächtigte, der auf autonome Handlungsfähigkeit pocht und sie in seinem strukturpolitischen Netzwerk praktiziert, sieht sich mit solchen Rollenzuschreibungen konfrontiert: „Inzwischen ist es schon so, dass die sagen: der Bevollmächtigte, der ist ja der Unternehmer, der ideelle Gesamtkapitalist. Ich denke gar nicht so, aber die andere Seite nimmt es so wahr: ‚Der denkt ja unternehmerisch!‘ Und dann jetzt die Mitbestimmung zu verlangen, bedarf natürlich auch einer Qualifikation von den eigenen Leuten, und da ist ein Schwachpunkt, da ist der absolute Schwachpunkt. Aber ich hoffe, dass sich das entwickelt“ (C/GW04).
Allerdings versuchen die gewerkschaftlichen Protagonisten der regionalen Strukturpolitik, die Unternehmerrolle aus einer gewerkschaftlichen Perspektive neu zu definieren. Sie setzen gewissermaßen auf die Trennung von Unternehmer und Kapitalist (Schumpeter 1934/1997: 99ff.). Weil die privaten Kapitale ihre unternehmerische Funktion nicht mehr zureichend wahrnehmen, muss diese Funktion gesellschaftlich ausgeübt werden. Die Gewerkschaften sollen dabei eine eigenständige Rolle spielen. In den Augen der gewerkschaftlichen Scharnierpersonen geht es um Teilhabe, um qualifizierte Mitwirkung ohne formalisierte Mitbestimmungsrechte. Doch auch mit diesem Selbstverständnis begeben sich lokale Gewerkschaftsgliederungen, die sich auf den Wettbewerbsregionalismus einlassen, unweigerlich in ein Dilemma. Denn je erfolgreicher die regionale Solidarität funktioniert, desto schärfer kann die Konkurrenz gegenüber anderen Wirtschaftsräumen und den in ihnen agierenden lokalen Gewerkschaftsgliederungen geführt werden. Nun sind Konkurrenzsituationen zwischen Lohnabhängigen, Betrieben und Unternehmen sowie deren Überwindung eine Konstitutionsbedingung von Gewerkschaften; fraglich ist aber, ob eine allzu nahtlose Einpassung der Gewerkschaften in regionale Wettbewerbskoalitionen überhaupt noch universalistischsolidarische Orientierungen zulässt. Dieses Problem wird innerhalb der lokalen Gewerkschaftsgliederungen diskutiert. Es ist ein integraler Teil alltäglicher gewerkschaftlicher Identitätskonflikte geworden. Das zeigt sich auch in unseren Untersuchungsregionen. Zwar wird die gewerkschaftliche Beteiligung an regionaler Strukturpolitik von keinem der von uns befragten Gewerkschafter vollständig abgelehnt. Es gibt aber doch Minderheiten, die aus ihrer kritischen Haltung zu diesem Politikansatz keinen Hehl machen. Die schärfste Kritik üben Befragte, die Gewerkschaften primär als soziale Bewegung verstehen wollen, die also für einen zeitgenössischen ‚Social Movement Unionism‘ plädieren.
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Social Movement Unionism ist zunächst eine diffuse Chiffre, die in der Diskussion über und um gewerkschaftliche Politik höchst unterschiedlich gefüllt wird. Wie im Definitionsversuch von Waterman (2002) wird der Ansatz zumeist in Abgrenzung zu der als defensiv erachteten Strategie der „sozialen Pakte“ formuliert (Hyman 2001; Fichter/Greer 2003; Greer 2006). Laut Waterman (2002) stellt der Globalisierungsdruck die etablierten Gewerkschaftsapparate und deren Politikstrategien in Frage. Parallel dazu eröffne die Restrukturierung der globalen Ökonomie jedoch „auch Chancen und Räume, kollektive Gewerkschaftsidentität um die benachteiligten Betroffenen der Globalisierung herum zu mobilisieren und entsprechende Strategien zu entwickeln“. Von dieser Prämisse ausgehend, bemüht sich der zeitgenössische Social Movement Unionism sowohl um eine Neubestimmung gewerkschaftlicher Rekrutierungspolitik als auch um eine Erweiterung des Feldes industrieller Beziehungen. Konstitutiv ist die Vorstellung eines „neuen Internationalismus“, der den Bruch mit traditionellen Vorstellungen von Arbeiterklasse, Gewerkschaften und sozialistischer Ideologie ebenso einschließt, wie die Zusammenarbeit mit den neuen globalisierungskritischen Gerechtigkeitsbewegungen. Der neue Internationalismus soll auf „fundamentaler Kapitalismuskritik“, auf einem Solidaritätsverständnis mit dialogischen Beziehungen, auf vielfältigen Räumlichkeitsstrukturen und vor allem auf einem Werteuniversalismus (universalistische, nicht universale Werte), einem inkludierenden moralischen Wertehorizont aufbauen. Durch die Kritik binärer Logiken sucht er Antworten auf das Komplexitätsproblem moderner Kapitalismen zu geben. Als Träger eines solchen Ansatzes sehen seine Verfechter nicht so sehr die korporatistisch organisierten Teile der Arbeiterschaft, sondern bevorzugt jene Gruppen, die in selektiven korporatistischen Arrangements auf der Strecke zu bleiben drohen. Auch für andere Autoren bedeutet die Rekonstruktion von Gewerkschaften als soziale Bewegung Opposition und Gegenöffentlichkeit zur dominanten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik: Sie setzt auf neue Formen der Mobilisierung von Mitgliedern, auf die Rückgewinnung einer intellektuellen Think-Tank-Funktion zwecks Erarbeitung von Alternativen jenseits des angebotspolitischen Mainstreams sowie auf eine systematische Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und globalisierungskritischer Bewegung (Mahnkopf 2003: 308ff.; Deppe 2003: 38). Aus solchen Bestimmungen ergibt sich, zumindest vordergründig, eine kritische Distanz zu Ansätzen, die – wie der zeitgenössische Wettbewerbsregionalismus – einer angebotsorientierten Logik folgen. Eine solche Kritik finden wir auch bei einer gewerkschaftlichen Minderheit in unseren Untersuchungsregionen. An dieser Stelle kann es nicht darum gehen, die Kritikpunkte im Einzelnen zu kommentieren und zu gewichten. Nach den Ergebnissen unserer Studie unterschätzt eine solche Kritik den Kompromisscha-
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rakter regionalpolitischer Ansätze und die Möglichkeiten, ein „Akzeptabilitätsregime“ zu errichten, das es erlaubt, beschäftigungspolitische Zielsetzungen einzuklagen. Dennoch trifft die Kritik einen wichtigen Punkt. Dort, wo sich Gewerkschaften ohne eigene konzeptionelle Vorstellungen an regionalen Wertschöpfungspakten beteiligen, können sich neue Beteiligungsformen rasch in Partizipationsfallen verwandeln. In solchen Fällen droht gewerkschaftliche Beteiligung zum Selbstzweck zu werden. Exakt das ist der Kern einer gewerkschaftsinternen Kritik, wie sie von Dortmunder Gewerkschaftslinken geäußert wird. Keiner der Befragten lehnt eine Beteiligung am dortmund-project prinzipiell ab. Die bewegungsorientierten Kritiker beharren aber auf einer eigenständigen inhaltlichen Positionsbestimmung der Gewerkschaften: „Die Leute, mit denen ich zusammen arbeite, sind der Meinung: a) dass die Gewerkschaften durchaus da mitmachen können, das ist klar, b) müssten sie aber die ersten sein, die die kritische Debatte – kritisch nicht im Sinne von ablehnend, sondern aber im Sinne von kritischerörternd – zu organisieren haben, weil: wenn das Projekt einigermaßen hinhaut, wirkt es sich natürlich zuerst in der Arbeitswelt aus und dann wären natürlich die Gewerkschaften die erste Adresse, die dafür zu sorgen hätten, dass das – ja ich sage mal kurz – vernünftig läuft“ (Do/GW03).
So gesehen bezeichnen die Beteiligung an regionalen „Wertschöpfungspakten“ einerseits und die bewegungsorientierten Ansätze andererseits keine absoluten Gegensätze. Vielmehr gibt es, etwa in Nürnberg, eine Reihe von Beispielen, die belegen, dass sinnvolle Synthesen möglich sind. Die Nürnberger Attac-Gruppe z. B. ist von einem Gewerkschaftssekretär der IG Metall mit gegründet worden. Organisations- und Aktionsformen der Gruppe unterscheiden sich deutlich vom gewerkschaftlichen Routinebetrieb und entfalten genau dadurch ihre Attraktivität: „Wir haben die Attac-Gruppe vor eineinhalb Jahren gegründet. Und das Ding läuft super. Wir haben 80 Leute, vom Hochschulprofessor bis runter zum Arbeitslosen, vom Schüler bis zum Rentner, vom Arzt bis zum Angestellten, also quer durch alle Schichten. Und das seit geraumer Zeit. Wir haben gute Presse und gute Aktionen durchgeführt. Anfangs wurden wir belächelt. Und jetzt merken plötzlich auch die in den Gewerkschaften: ‘Das ist die Form, um an die Leute ranzukommen!’ In unserer Gruppe brauchen wir uns nicht lange darauf zu verständigen, was Attac will. Es ist klar, dass wir gegen die neoliberale Globalisierung sind. Die Ziele sind auch klar. Wir müssen uns nur überlegen, wie wir sie den Menschen vermitteln, durch öffentliche Veranstaltungen und Aktionen. Und das wird von den Leuten super angenommen. Die sagen, hey, ich habe keine Lust mehr, in einer Partei mitzuarbeiten, das ist mit zu schwerfällig, zu kompliziert, etwas durchzusetzen. Und bei Attac geht es eben über den kurzen Weg“ (N/GW08).
Von der Diskussion direkt zur Aktion – dieses Prinzip ist offenbar für viele attraktiv, die sich im Politikgeschehen ansonsten nicht wiederfinden. Das Nürnber-
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ger Beispiel illustriert jedoch auch, dass die Kooperation von Gewerkschaften und Globalisierungskritikern keineswegs störungsfrei verläuft. Der initiierende Gewerkschaftssekretär verkörpert den Typus eines Gewerkschafters, der in der eigenen Organisation umstritten ist. Es sind häufig Querdenker und Außenseiter mit hohem Konfliktpotential, die sich ein Wirkungsfeld neben den Gewerkschaften suchen. Das Beispiel verdeutlicht aber auch, dass die „Bewegungsarbeit“ sich in einer Belebung gewerkschaftlicher und betrieblicher Interessenvertretung niederschlagen kann. Nicht zufällig haben sich bei den Betriebsratswahlen in Nürnberger Unternehmen einige junge Kandidaten aus dem Attac-Umfeld gegen etablierte Interessenvertreter durchsetzen können.8 In unserem Kontext ist jedoch etwas anderes wichtiger. Der gleiche Sekretär, der für die Attac-Gruppe verantwortlich zeichnet, ist ein entschiedener Befürworter des gewerkschaftlichen Engagements in der regionalen Strukturpolitik. Nicht das Ob, sondern das Wie dieses Engagements ist für ihn von Bedeutung. Seine Kritik gilt nicht der gewerkschaftlichen Beteiligung, sondern der Passivität der Routineorganisation, ihrer mangelnden Konfliktbereitschaft und dem Zurückscheuen vor anspruchsvollen Aufgaben. In der ideologischen Debatte mögen sich Wertschöpfungs- und Bewegungspolitik zumindest in ihren dogmatischen Begründungsvarianten wechselseitig ausschließen; auf der praktischen Ebene, bei kollektiven Akteuren und konkreten Personen gehen sie vielfältige, durchaus spannungsreiche Synthesen ein. Faktisch belegen die genannten Beispiele, dass der Doppelcharakter der Gewerkschaften neu bestimmt werden muss. Social Movement Unionism ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedlichste Versuche, die Gewerkschaften als „sword of justice“ neu zu definieren; dabei wird die Komplexität verschiedener Gerechtigkeitsproblematiken zu einer gewerkschaftlichen Herausforderung. Klassenspezifische Verteilungskonflikte, die wieder an Brisanz gewinnen, müssen nicht nur im Kontext einer globalisierten Ökonomie verortet werden; sie gehen mit einer Vielzahl von „Anerkennungskämpfen“ einher, die an InsiderOutsider-Problematiken, ethnischen oder geschlechtsspezifischen Konfliktlinien aufbrechen und die im Unterschied zu den Verteilungskonflikten einer „Logik der Differenz“ folgen (zur Debatte: Fraser/Honneth 2003). Demgegenüber stellt die gewerkschaftliche Beteiligung an regionaler Strukturpolitik den Versuch dar, die wirtschaftsfördernde und gesellschaftsstabilisie8
Damit bestätigt das Beispiel eine alte Erkenntnis der Betriebsräteforschung. Es sind in der Regel gesellschaftliche Bewegungen, die jenen partizipatorischen Überschuss erzeugen, der dann zu Betriebratsgründungen und zur Demokratisierung betrieblicher Herrschaft führt (Kotthoff 1994). Selbst in jungen, weitgehend gewerkschaftsfreien Branchen wie der IT-Industrie sind es zumeist politisierte Kerne mit Bewegungserfahrung, die in ihren Betrieben kollektive Interessenvertretungen gründen und die Initiative für eine gewerkschaftliche Organisierung ergreifen (Dörre 2002a).
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rende Funktion von Gewerkschaften auf eine neue Grundlage zu stellen. Dies geschieht aber nicht mehr aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive, sondern mit Blick auf eine begrenzte sozialräumliche Konstellation, eine in vielerlei Hinsicht „unvollständige“ Ökonomie, deren Steuerung an angebotspolitischen Prämissen orientiert ist (vgl. Kapitel 4). Es wäre daher blauäugig, der gewerkschaftlichen Beteiligung an dieser Form regionaler Governance eine vollständige Kompatibilität mit Ansätzen einer bewegungsorientierten Gewerkschaft zu unterstellen. Die strategischen Implikationen, die sich um die jeweiligen Identitätspole gruppieren, können unterschiedlich, ja gegensätzlich ausfallen. Und dennoch sind Wertschöpfungspolitik und Bewegungsansatz elementare Bausteine einer ausstrahlungsfähigen gewerkschaftlichen Identität. Dieser Zusammenhang ist auch für die gewerkschaftliche Beteiligung an regionaler Strukturpolitik virulent. Eine Beteiligung, die dem Realitätsprinzip folgt, wird letztlich wirkungslos bleiben, wenn sie nicht über einen kritischen Stachel verfügt, den bewegungsorientierte Ansätze liefern können. Umgekehrt werden die Auswirkungen von Sozialbewegungen verpuffen, sofern sie keinen politischen Ausdruck finden und die Gestalt praktizierbarer Maßnahmen und Lösungsvorschläge annehmen. Entscheidend für die Handlungsfähigkeit regionaler Gewerkschaftsgliederungen ist, dass sie über ein Zentrum verfügen, das die Spannungen zwischen Wertschöpfungs- und Gerechtigkeitsansatz glaubwürdig ausbalanciert. Hier ist gegenwärtig das Zentrum gewerkschaftlicher Identitätsprobleme angesiedelt. Der tradierte Kern des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses wird sowohl von Wertschöpfungs- als auch von Bewegungsansätzen aus kritisiert und unter Veränderungsdruck gesetzt. Neue Identitäten bleiben bislang bruchstückhaft und es existiert (nicht nur) in den lokalen Gewerkschaftsgliederungen gegenwärtig kein Zentrum, das diese Fragmente zu einem mehr oder minder kohärenten Ganzen bündeln könnte. Immerhin zeigt sich, dass es auf der lokalen Ebene doch gewerkschaftliche Aktivisten gibt, die sich um ein Selbstverständnis bemühen, das der Vielfalt und mitunter auch der Gegensätzlichkeit der Anforderungen gerecht wird. 8.5 Schlussfolgerungen In der Gesamtschau der gewerkschaftlichen Repräsentationskrise wird deutlich, was radikaler Strukturwandel bedeutet. In den Regionen gehen mit dem sektoralen Wandel auch die Organisationsgrundlagen der fordistischen Gewerkschaften sukzessive verloren. In „einer Art Isomorphismus“ haben sich die Gewerkschaftsapparate in enger Anlehnung an die ideologisch von den durchorganisierten Großunternehmen dominierte Industriewelt gebildet (Boltanski/Chiapello:
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336f.). Diese Welt ist so nicht mehr existent. Internationalisierung, Aufspaltung von Unternehmen, Wachstum der Angestelltenbereiche, fluide, flexible Arbeitsform sowie der Bedeutungszuwachs anspruchsvoller Wissens- und Informationsarbeit bei gleichzeitiger Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen haben die Organisationsgrundlagen der fordistischen Gewerkschaften aufgezehrt (Castel 2003; Dörre 2003; Röttger 2003). Paradoxerweise beschleunigt erfolgreiche Strukturpolitik diesen Prozess. Denn im gleichen Maße, wie die Beschäftigung in „alten“ Industriezweigen zurückgeht und in „neuen“ Bereichen expandiert, vergrößern sich die gewerkschafts- und häufig auch noch mitbestimmungsfreien Zonen. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite wird sichtbar, dass im Zuge des Strukturwandels in ausgegründeten Einheiten, in kleineren Betrieben, in Technologieparks, alten und neuen Branchen sowohl bei qualifizierten Angestellten als auch im wachsenden Bereich prekärer Beschäftigung bislang noch kaum genutzte Organisationspotentiale entstehen. In diesem Zusammenhang lassen sich mit Blick auf die untersuchten regionalpolitischen Ansätze vier Schlussfolgerungen formulieren: Erstens wird die gewerkschaftliche Beteiligung an regionalisierter Strukturpolitik in allen Regionen auch als eine Antwort auf die Krise gewerkschaftlicher Repräsentation begriffen. Die Erwartung, auf diese Weise kurzfristig neue Mitglieder zu gewinnen, erfüllt sich jedoch nicht. Dennoch werden die strukturpolitischen Ansätze in den beteiligten lokalen Gewerkschaftsgliederungen mehrheitlich nicht in Frage gestellt. Bei aller Kritik im Detail wird in Dortmund und Chemnitz, mit größeren Abstrichen auch in Nürnberg, eine positive Gesamtbilanz formuliert. Stellvertretend sei das Urteil eines Chemnitzer Gewerkschafters zitiert: „Okay, die regionale Strukturpolitik hat keine neuen Mitglieder gebracht. Ich sage aber trotzdem: es wäre Sünde hoch drei gewesen, die Strukturpolitik, so wie wir sie gemacht haben, nicht zu machen. Ohne uns überzubewerten. Aber ohne unsere Aktivitäten wäre viel, viel mehr noch den Bach ´runtergegangen. Von daher gesehen: Jeder Arbeitsplatz, der dort gerettet wurde, ist doch schon etwas wert. Auch wenn’s kein IG Metall-Mitglied ist. Ich denke, bei den noch anstehenden Strukturveränderungen wird den Gewerkschaften nichts anderes übrig bleiben, als dort mitzumischen, weil es gar nicht anders geht: Diese Aufgabe nimmt sonst niemand an; da fühlt sich niemand dafür verantwortlich und zunehmend weniger die Politik, weil immer mehr von diesem neoliberalen Gedankengut, das jeder sich aus diesen Steuerungen und Regulierungen, also das dies eh des Teufels ist, damit mache ich keine Strukturpolitik mehr. Das ist ganz klar. Ich ziehe mich vornehm zurück und sage, lass es den Markt richten. Nur: wer soll denn dann noch Probleme aufgreifen? Wir, die andere Vorstellungen haben, was ein Staat zu leisten hat, was Kammern zu leisten haben. Dann müssen wir es wenigstens selbst machen und können nicht sagen: geht uns nichts mehr an“ (C/GW04).
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Organisationssoziologisch geschulte Interpreten könnten einwenden, entsprechende Einschätzungen korrigierten die Erfolgskriterien so weit nach unten, dass in jedem Fall eine Legitimation für die geleistete Arbeit entstehe. In den feedback-Diskussionen, die wir in den Regionen durchgeführt haben, ist jedoch deutlich geworden, dass es den Akteuren durchaus gelingt, differenzierte und auch substanzielle Erfolgskriterien für die regionalisierte Strukturpolitik zu benennen. Solche Erfolgskriterien sind neben der Sanierung und Modernisierung von Betrieben und der damit verbundenen Rettung von Arbeitsplätzen vor allem die Repräsentation von Arbeitsinteressen in politischen Entscheidungsprozessen („voice option“), aber auch die vergleichsweise hohe Bindekraft, die die IG Metall in Chemnitz und Nürnberg für Arbeitslose besitzen. Hinzu kommen Imagegewinne in der politischen Öffentlichkeit. Dass sie ewige Neinsager und Reformverhinderer seien, wird man den gewerkschaftlichen Protagonisten strukturpolitischer Ansätze zumindest in ihren Heimatregionen kaum vorwerfen können. Zweitens zeigt nicht nur das Dortmunder Beispiel, dass sich regionalisierte Strukturpolitik durchaus mit einem systematisch betriebenen Organizing in gewerkschaftsfreien Zonen verbinden lässt. In allen Untersuchungsregionen sind Überlegungen angestellt worden, wie gewerkschaftliche „Brückenköpfe“ in diesen Zonen gebildet werden können. Mit Arbeitskreisen und Betriebsrätenetzwerken sind auch erste zarte Keime neuer Organisationsformen entstanden. Als Grundproblem bleibt jedoch, dass diese Projekte nicht nachhaltig betrieben werden. Diese Schwierigkeit ist hausgemacht. In den Gewerkschaftsapparaten dominiert noch immer ein kurzfristiges Erfolgsdenken, das auf rasche Organisationserfolge zielt. Stellen sich diese nicht ein, gelten Investitionen rasch als „Verschwendung“. Demgegenüber besagen alle Erfahrungen, dass es in gewerkschaftsfernen Bereichen zunächst darum gehen muss, Vertrauensbeziehungen zu Beschäftigten aufzubauen und Vertretungsstrukturen zu entwickeln. Solche Projekte benötigen Zeit und Ressourcen, dann werden sie sich auf Dauer auch organisationspolitisch auswirken. Drittens setzt die Revitalisierung von Gewerkschaften einen Politikstil voraus, der auf qualifizierter, kompetenter Interessenvertretung basiert. Gewerkschaften werden gerade bei qualifizierten Beschäftigten nicht mehr als „Lohnmaschine“ benötigt. Verlangt wird Sach- und Fachkompetenz in einer ausdifferenzierten, fluiden Arbeitswelt. Arbeitsplatzbezogenes Gestaltungswissen wird ebenso benötigt wie individuelle Vertragsberatung oder die Unterstützung von Bildungswünschen. Die Beraternetze für eine solche Politik sind in den Regionen mehr oder minder entwickelt, doch den potentiellen Nutzern, Betriebsräten, Vertrauensleuten und auch gewerkschaftlichen Aktivisten fehlt es häufig an den notwendigen Voraussetzungen, um sich der vorhandenen Sachkompetenz souve-
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rän zu bedienen. Hier liegt offenkundig eine unbewältigte Aufgabe gewerkschaftlicher Bildungs- und Qualifizierungspolitik in den Regionen. Sie wird umso schwerer, als sich hinter den Problemen, ein erfolgreiches Organizing zu praktizieren, eine komplexe Gemengelage gesellschaftlicher Strukturveränderungen verbirgt, die den beschriebenen Ohnmachtszirkel gewerkschaftlicher Desorganisation in Gang hält. In allen von uns untersuchten Regionen finden sich Versuche, die Repräsentationskrise zu überwinden. Neue Identitätsfragmente, die den Doppelcharakter von Gewerkschaften ausmachen könnten, drohen sich in den ideologischen Auffassungen jedoch gegeneinander zu verselbständigen. Eine praktikable Synthese von Wertschöpfungs- und Bewegungsansatz ist in den Regionen noch nicht gefunden. Zwar bemühen sich die gewerkschaftlichen Scharnierpersonen um eine sinnvolle Balance; doch diese Bemühungen wirken oft wie eine Schaukelpolitik, der die innere Kohärenz fehlt. Vor Ort sind die Bemühungen um „Bündnisse neuer Qualität“ mit der globalisierungskritischen Bewegung zwar vorhanden, in ihrer praktischen gewerkschaftspolitischen Bedeutung aber eher randständig. Dabei gäbe es viele inhaltliche Berührungspunkte zu einer regionalen Strukturpolitik, die sich um sinnvolle Alternativen zur bloßen Standortkonkurrenz bemüht. Lokale Bündnisse, die den Niedergang öffentlicher Investitionen, die Zerrüttung der kommunalen Infrastruktur oder die Bildungsmisere thematisch bearbeiten, sind Beispiele für solche Schnittmengen. Für die von uns untersuchten Ansätze gilt indessen, dass diese Art von Bewegungspolitik in den strukturpolitischen Netzwerken kaum eine Rolle spielt. Dieses Defizit verweist viertens auf das schlechte „Mannschaftsspiel“ der Gewerkschaften in den Regionen. Als potentieller Anwalt vieler neuer Themen ist ver.di in den regionalen Netzen kaum präsent. Insgesamt wird das Verhältnis zwischen Mitgliedsgewerkschaften und DGB noch immer durch Interessenbornierungen und Organisationskonkurrenzen bestimmt. Das absorbiert Kraft und richtet die Aktivitäten nach innen. Ohne eine pragmatische Bündelung personeller und zeitlicher Ressourcen sind Organisationserfolge in neuen Bereichen aber nicht zu realisieren. Wenn solche Erfolge aber weiter ausbleiben sollten, so ist das auch ein hausgemachtes Problem. Es gibt kein „natürliches Absterben“ der Gewerkschaften in den Regionen. Missmanagement und Strukturkonservatismus in der Organisation könnten aber sehr wohl dazu führen, dass die lokalen Gewerkschaften schon in relativ kurzer Zeit einen erheblichen Teil ihres noch verbliebenen politischen Einflusses verlieren werden. Der Dortmunder DGBVorsitzende formuliert es drastisch: „Wir haben nur noch ein schmales Zeitfenster, um den Sprung in die neue Arbeitswelt zu schaffen; gelingt das nicht, sind wir in dieser Region sehr bald kein politischer Faktor mehr“ (Do/TNB15).
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8.6 Exkurs: Aktionsforschung und die Rolle der Wissenschaft Wollen die Gewerkschaften Partizipationschancen in der Region offensiv nutzen, sind sie – wie andere Akteure auch – in hohem Maße auf die Verwertung wissenschaftlichen Wissens angewiesen. Die Produktion solcher Wissensbestände setzt umgekehrt einen Forschungsprozess voraus, der nah an den Aktivitäten und Bedürfnissen der regionalen Netze agiert (Franz u. a. 2003; Martens 1999). Wir haben versucht, diesen Bedürfnissen mit einem Ansatz Rechnung zu tragen, der Grundlagenforschung mit Elementen einer anwendungsorientierten Aktionsforschung zu kombinieren sucht. Im Rückblick lässt sich feststellen, dass, obwohl wir dem Anspruch nur bedingt gerecht werden konnten, ein solcher Ansatz durchaus fruchtbar zu handhaben ist. Auf der Positivseite kann verbucht werden, dass unser Projekt in den Regionen Lern- und Verständigungsprozesse anregen konnte. Davon hat auch der Forschungsprozess profitiert, weil Ergebnisse seitens der Praktiker rasch und kritisch kommentiert wurden. Im Einzelnen lassen sich vier Dimensionen von Lernprozessen benennen. Selbstvergewisserung durch Diskussion von Forschungsergebnissen: Zwischenergebnisse unserer Forschungen sind in den Regionen zum Gegenstand kritischer Debatten geworden. Dabei lässt sich beobachten, dass die regionalen Akteure angehalten sind, die Erfolgskriterien für ihre regional- und strukturpolitischen Anstrengungen präziser zu formulieren. Ausgehend von der ursprünglich ermittelten Erwartungshaltung hatten wir Mitgliedergewinnung als hartes Erfolgskriterium regionalpolitischer Aktivitäten der Gewerkschaften benannt. In feed-back-Diskussionen wurde deutlich, dass dieses Kriterium im Grunde unsinnig ist. Stattdessen wurden andere Kriterien formuliert: Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen, Sympathiegewinne, Bindung von Mitgliedern. Die Diskussion förderte z. B. das Faktum zutage, dass die Nürnberger IGM-Verwaltungsstelle einen der höchsten Anteile arbeitsloser Mitglieder in der alten Bundesrepublik vorzuweisen hat. Dies zeugt von einer hohen Loyalität zur Organisation, die sich auch mit struktur- und regionalpolitischen Aktivitäten begründen lässt. Die Kompetenzen der IG Metall bei der Abfederung von Krisenprozessen kommen ihr in der aktuellen Situation auch in den wissensintensiven Branchen zugute, wo Unternehmen qualifizierte Angestellte entlassen. Differenzierte Erfolgskriterien haben einen unmittelbar praktischen Effekt. Die Akteure wissen präziser, aus welchen Gründen und mit welchen Effekten sie strukturpolitisch aktiv werden. Das erleichtert es ihnen, ihre Aktivitäten nach innen wie nach außen besser und z. T. auch realitätsnäher zu begründen. Auslöser für strategische Neuorientierungen: Die öffentliche Rezeption unserer Forschungsergebnisse hat in den Regionen eine Diskussion über eine strategische Neuausrichtung der gewerkschaftlichen Strukturpolitik ausgelöst. So hat
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man z. B. in Nürnberg darüber nachgedacht, wie das Ziel Beschäftigungsförderung sinnvoll angegangen und kontrolliert werden kann. Eine strategische Neuorientierung der Clusterpolitik ist schon deshalb nötig, weil man auch in der städtischen Wirtschaftsförderung über eine Reorganisation der Kompetenzinitiativen nachdenkt. Praktische Schritte sind bereits eingeleitet. Das gilt z. B. für die Arbeitsmarktpolitik, wo die regionalen Akteure in allen Untersuchungsregionen nicht zuletzt der Umsetzung der „Hartz-Reformen“ vor neuen Herausforderungen stehen. Sicher wären die fälligen Strategiediskussionen auch ohne unser Projekt vom Zaun gebrochen worden. Den ein oder anderen Anstoß hat die Präsentation unserer Zwischenergebnisse aber wohl doch geliefert. Verbesserung der innergewerkschaftlichen Kommunikation und des informellen Organisationslernens: Bei der Verbesserung der innergewerkschaftlichen Kommunikation sind unsere Ergebnisse ebenfalls unmittelbar praxisrelevant geworden. So haben unsere Aussagen über das „schlechte Mannschaftsspiel“ zwischen DGB und Mitgliedsgewerkschaften in Chemnitz dazu geführt, dass die IG Metall offensiv an die regionale ver.di-Organisation herangetreten ist, um Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Erste Kooperationsveranstaltungen der beiden Gewerkschaften, in deren Rahmen auch Projektergebnisse präsentiert wurden, haben stattgefunden. Es gibt lockere Absprachen über gemeinsame Aktivitäten. Zum Teil entwickeln sich Lernprozesse auch ohne unmittelbares Zutun der Forscher. So erschien das Chemnitzer Konsensmodell Gewerkschaftern aus anderen Regionen zunächst als eine Idee ohne praktische Relevanz. Inzwischen wird jedoch, angestoßen durch informellen Erfahrungsaustausch, auch außerhalb von Chemnitz darüber nachgedacht, diesen Ansatz bei kleineren und mittleren Unternehmen exemplarisch zu erproben. Interregionaler Austausch und praktische Vernetzung: Nicht minder wichtig ist, dass die Forschungsergebnisse über den Kreis der unmittelbar involvierten Akteure hinaus wahrgenommen werden. So hat sich inzwischen eine Delegation von Gewerkschaftern, Betriebsräten, Wirtschaftsförderern und Managern aus einer nicht am Projekt beteiligten Region über die Entwicklung des dortmund-project informiert. Hintergrund sind ähnlich ambitionierte Vorhaben in anderen Bundesländern und Teilregionen. Unser Forschungsprojekt hat in diesem Fall eine Plattform für wechselseitigen Erfahrungsaustausch geboten und so zur Vernetzung der regionalen Aktivitäten beitragen können. Ein praktisches Resultat dieses Erfahrungsaustauschs ist, dass die Teilnehmer in ihren Regionen großen Wert auf ein beschäftigungspolitisches Controlling der industriepolitischen Projekte legen wollen. All dies sind sicher nur kleine Schritte, und wir wollen nicht verschweigen, dass uns auch die Grenzen einer ambitionierten Aktionsforschung deutlich geworden sind. Lernen kann man aber auch aus Negativerfahrungen. In diesem
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Zusammenhang wollen wir aus der Forscherperspektive drei wichtige Erkenntnisse festhalten. Erstens ist es sinnvoll, schon während der Startphase des Projekts die Rollen von Wissenschaftlern und Praktikern möglichst genau zu klären. Geschieht dies nicht, ist wechselseitige Überforderung wahrscheinlich. Wissenschaftler haben andere Fragen als die Praktiker; über die praktische Verwendung ihres Wissens können sie nur Mutmaßungen anstellen. Sie können Reflexionsräume bieten; die eigentlich praxisrelevanten Schlussfolgerungen müssen jedoch den regionalen Akteuren vorbehalten bleiben. Dies ist zweitens wichtig, weil die Praktiker mit Recht darauf verweisen, dass die Wissenschaftler Wissen zur Verfügung stellen, während die regionalen Akteure „die Politik machen“. Die Grenzziehung zwischen Beratung und politischer Praxis muss unbedingt eingehalten werden. Wissenschaftler dürfen auf keinen Fall zur „Partei“ in innerorganisatorischen Scharmützeln und Grabenkämpfen werden. Die Erzeugung von unmittelbar strategierelevantem Wissen ist ihnen schon deshalb nicht möglich, weil am Gemeinnutzen orientierte Finanziers derartiges nicht dulden können. Hier liegt eine wichtige Grenze für jede Art von Aktionsforschung. Deren Nichtbeachtung hat in einem Fall (Chemnitz) zum Abbruch der Kooperationsbeziehungen geführt. Hinzu kommt drittens, dass Forscherteams, die sich jeweils nur kurzzeitig in den Regionen aufhalten, immer wieder hinter den Ereignissen zurückbleiben. In der praktischen Beratung sind sie den lokalen Netzwerkakteuren unterlegen. Zudem erzeugt jeder Beratungsbedarf zusätzliche Anforderungen etwa an die Binnenkommunikation (Projektinfos), die die Forscher zusätzlich belasten und die Einhaltung des vereinbarten Leistungspensums erschweren. Es gehört zu den Tücken gerade auch der Aktionsforschung, dass sie tendenziell „unendlich“ ist. Diese Problematik ließe sich jedoch angehen, wenn Projekte mit einer Doppelstruktur agieren könnten. Für die Erforschung und Evaluierung regionaler Aktivitäten ist ein wissenschaftlicher Zusammenhang außerhalb der Regionen sinnvoll; optimal könnten Teams jedoch arbeiten, wenn es gleichzeitig kooperierende Wissenschaftler in den Regionen gäbe. Eine entsprechende Projektsausstattung vorausgesetzt, würde so tatsächlich Grundlagenforschung mit einem Anwendungsbezug in neuer Qualität möglich.
9. Der Blick vom Turm: Lässt sich radikaler Strukturwandel steuern?
Steigt man auf den Dortmunder Fernsehturm und lässt den Blick über die unmittelbare Umgebung des Westfalenparks hinausschweifen, bietet sich ein eindrucksvolles Bild. Unweigerlich fällt der Blick auf riesige Brachflächen. Jede von ihnen ist um ein mehrfaches größer als die gesamte Dortmunder Innenstadt. Denkmälern gleich, erheben sich auf manchen Brachen noch die gigantischen Überreste der einstigen Dortmunder Stahlindustrie. Doch das eindrucksvolle Bild wandelt sich täglich. Auf einem Gelände demontieren chinesische Arbeiter die einstmals modernste Kokerei Europas, um die Einzelteile in der asiatischen Heimat wieder zusammenzusetzen. Auf anderen Brachen entsorgen spezialisierte Unternehmen Altlasten. Eine der Flächen ist bereits kahl. Bald wird das Wasser eines Sees das einstige Stahlgelände überfluten. Die Geschichte der Stahlproduktion ist hier zu Ende. Um wenigstens die Erinnerung wach zu halten, engagierten sich Bürger für den Erhalt ihres Wahrzeichens, für die „Hörder Fackel“. An anderer Stelle sind die Spuren der industriellen Vergangenheit bereits getilgt. Fährt man mit dem Bus von besagter Brache Richtung Innenstadt, gelangt man, am Universitätsgelände vorbei, zum neuen Technologiepark. Hier weht bereits der Geist einer neuen Zeit. Nicht Schlote und Hochöfen, sondern Glas und Steine der Funktionsgebäude ansässiger IT- und Mikrosystemtechnik-Firmen prägen das Bild. Binnen weniger Jahre wurde dieses Zentrum des „neuen Dortmunds“ aus dem Erdboden gestampft. Längst haben die ersten Firmen den Technologiepark verlassen. Und die Entwicklung geht weiter. Noch ist das Gebäude der künftigen MST-Factory nur ein Rohbau inmitten eines Brachgeländes. Gleichwohl sind die ersten Stockwerke bereits vermietet; der Keim eines neuen Entwicklungszentrums ist geschaffen. Wer diese Eindrücke in den wenigen Stunden einer Führung sammelt, erlebt Industriegeschichte im Zeitraffer. Denen, die die Entwicklung selbst mitgemacht haben, setzt der Strukturwandel ein Zeitmaß, das sie kaum zu bewältigen vermögen. Wer das Alltagsgespräch sucht, bekommt einen Eindruck. Nehmen wir als Beispiel einen Ordner im Stadion der Dortmunder Borussia: Wie sein Vater und der Vater seines Vaters ist Erich Becker gelernter Bergmann. Die Ausbildung hatte er absolviert, als das Ende des Bergbaus in Dortmund schon absehbar war. Nach der Ausbildung kamen Arbeitslosigkeit und Umschulung. Erich Becker
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lernte und arbeitete in der Stahlindustrie. Auf das Ende der Stahlproduktion folgte wieder die Arbeitslosigkeit. Und nun? Tätigkeit in einer der neuen Leitbranchen, Logistik, Stapelfahrer. Und wieder die Sorge, dass der Arbeitsplatz nicht sicher ist. Erich Becker gibt den Ordner bei der Borussia, weil er so den Eintritt für die Bundesligaspiele spart. Und den Fußball braucht er. Wie sonst sollte er verkraften, dass er in seinem langen Berufsleben im Grunde wieder dort steht, wo er einst begonnen hat? „Real sind wir schon in einer neuen Zeit, mental hängen wir noch an Kohle und Stahl. Um das alles zu verarbeiten, brauchen wir mindestens eine Generation“, sagt der Dortmunder DGB-Vorsitzende. Ökonomische und soziale Zeit fallen in der Ruhrmetropole auseinander. Doch die Botschaft aus Wirtschaft und Politik lautet unisono: Noch mehr Veränderung – rascher, radikaler, umfassender! Wer das Tempo verlangsamt, fällt zurück, der hat im Wettbewerb der Regionen keine Chance! Soziales Dortmund? Schnelles Dortmund! Geradezu symbolisch steht der Fall Dortmund für die Verklammerung von ökonomischer Entwicklung und Raum. Kapitalismus, das ist immer auch eine Abfolge von Produktion, Zerstörung und erneuter Produktion sozialräumlicher Strukturen.1 Was dieser Satz bedeutet, wird für den Beobachter auf dem Dortmunder Fernsehturm sinnlich erfahrbar. Fast schon körperlich fühlt der Betrachter die gewaltigen Kräfte, die sich einer Region, ihrer Geographie wie ihrer Bevölkerung bemächtigen. Unsichtbare Mächte lassen Regionen erblühen und sterben. Jede Prosperität einer wirtschaftlichen Struktur trägt den Keim ihres Niedergangs bereits in sich. Auf- und Abstiege scheinen vorprogrammiert. Kann man, darf man überhaupt darauf hoffen, solche Kräfte zu bändigen? Oder, um es mit einem Schlüsselbegriff unserer Untersuchung zu formulieren, ist radikaler Strukturwandel steuerbar? 9.1 Globalisierung und Regionalisierung: Was ist Steuerung, wie wird sie möglich? Diese Frage führt uns zum Zentrum eines gesellschaftlichen Entwicklungsproblems. In altindustriellen Regionen wird offensichtlich, dass sich ökonomischsozialer Wandel als in vielen Einzelschritten sorgfältig geplanter, insgesamt aber chaotischer Prozess vollzieht. Je weiter der ökonomische Strukturwandel vorangetrieben wird, desto wahrscheinlicher ist, dass er auch die regulierenden Institutionen erfasst. Gesellschaftliche Institutionen und Organisationen führen in der Regel ein zähes Eigenleben; sie ändern sich nur allmählich und schwerfällig 1
Dazu klassisch: Luxemburg (1913/1975: 428ff.); Vgl. auch: Lefebvre 1976, Harvey 2001, 2003: 181ff.
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(Armingeon 1994; Müller-Jentsch 1995). In dem Maße, wie sie hinter den sozioökonomischen Veränderungen zurückbleiben, büßen sie ihre Steuerungsfähigkeit ein. Steuerung meint in diesem Zusammenhang koordiniertes Handeln regionaler Akteure, das mit dem Ziel erfolgt, über Ressourcenbündelungen, Leitbild- und Interessendefinitionen mehr oder minder bewusst auf einen spontanen, unkoordinierten sozioökonomischen Entwicklungsprozess einzuwirken. So verstanden, ist der Verlust von Steuerungsfähigkeit kein automatischer, unumkehrbarer Prozess. Doch was meint Steuerungsfähigkeit regionaler Akteure in den Zeiten von intensivierter Globalisierung und beschleunigtem Strukturwandel genau? Auf den ersten Blick scheinen sich jene Deutungen zu bestätigen, die Globalisierung als Enträumlichung, als Entwertung regionaler Governance und damit als irreversiblen Verlust politischer Steuerungsfähigkeit definieren (z. B. Thurow 1996; Ohmae 1994). Betrachtet man die Internationalisierungsstrategien großer Unternehmen, so fällt das Ergebnis unserer Untersuchung tatsächlich beunruhigend aus. Gleich wie intensiv Wirtschaftsförderung und regionale Clusterpolitiken betrieben werden, das Investitionsverhalten transnationaler Konzerne vermögen solche Politikansätze nicht oder allenfalls graduell zu beeinflussen. Standortentscheidungen fallen relativ unabhängig von regionalpolitischen Aktivitäten. Die Internationalisierungsstrategien der Unternehmen variieren, doch in keinem Fall reicht die Verhandlungsmacht regionaler Netzwerke aus, um die Investitionstätigkeit der Konzerne grundlegend zu beeinflussen. Derartiges gelingt allenfalls mit Unterstützung der Landespolitik. Selbst dort, wo strategiefähige Unternehmen Teil der Netzwerkstrukturen sind, bedeutet das keineswegs, dass die regionale Bodenhaftung des Managements wächst. Für den Umkehrschluss, der die Herausbildung von bindungslosen Global Players behauptet, fehlen allerdings ebenfalls die Anhaltspunkte. Auch das internationalste Unternehmen wählt Standorte, beschäftigt Menschen und geht damit Bindungen ein, die durch spezifische Institutionen überwacht und geregelt werden (Pries 2002; Dörre u. a. 1997; Mair 1997). Doch damit ist nicht gesagt, dass diese Bindungen in einer bestimmten Region, in einem bestimmten Sozialraum entstehen. Die Konkurrenz der Regionen um die Gunst international operierender Unternehmen hat sich, zumal unter den Bedingungen langsamen Wachstums und hoher Arbeitslosigkeit, erheblich verschärft (Rammonet 2003). Insofern gehen Globalisierung und Regionalisierung keine harmonische Synthese ein. Das auch, weil die Raumdefinitionen von Unternehmen und regionalen Netzwerken erheblich differieren. International tätige Unternehmen operieren mit Raumkonzepten, die Deutschland oder die Europäische Union als eine Region betrachten. Faktisch werden so Makroregionen zur Bezugsgröße strategischer Unternehmensplanung. Die industriepolitischen Netze operieren hingegen mit Raumdefinitionen, in deren Konsequenz sich selbst die Mikrokosmen der
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Städte immer stärker ausdifferenzieren. Faktisch entwickeln sich die Raumvorstellungen von multinationalen Unternehmen und regionalen Netzen auseinander. Standort- und Investitionsentscheidungen international operierender Konzerne folgen räumlichen Kalkülen, in denen Mikroregionen nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil selbst Konkurrenzvorteile wie z. B. große Potentiale an qualifizierten Arbeitskräften keine dauerhaften Bindungen erzeugen. Dies zu konstatieren bedeutet aber nicht, dass wir von einem generellen Steuerungsverlust regionaler Akteure ausgehen müssen. Regionen sind Mikrogesellschaften, keine Unternehmen. Ihre Bewohner, ihre geographischen, sozialen und kulturellen Besonderheiten lassen sich nicht beliebig transformieren. Große Konzerne kommen und gehen, die Regionen und ihre Einwohner bleiben. An diesem Mobilitätsdifferential zwischen Kapitalströmen und internationalen Unternehmen auf der einen, den Regionen mit ihren Bevölkerungen und der großen Zahl lokaler Betriebe auf der anderen Seite, setzen die regionalen Netze an. Ihre Steuerungsleistungen sind erheblich. Sie akquirieren und bündeln Fördermittel, sie initiieren unternehmensübergreifende Kooperationen und Innovationsprojekte, sie federn Arbeitsmarktrisiken ab, sie fördern Qualifizierung und Weiterbildung und sie leisten Erstaunliches bei der Sanierung und Modernisierung ansässiger Betriebe. Summiert man diese Leistungen, so kann man tatsächlich von der Herausbildung einer dezentral-mikroregionalen Steuerungsebene sprechen, einer Steuerungsebene, die allerdings nicht mit den Grenzen staatlich-administrativer Einheiten zusammenfällt. Steuerungssubjekte sind Netzwerke, die von Akteuren aus unterschiedlichen Feldern der Gesellschaft gebildet werden. Die Steuerungsleistungen regionaler Netzwerke dürfen freilich nicht alternativ zur Koordination durch Märkte und staatliche Institutionen gedacht werden. Vielmehr bewegen sich die Netzwerke in den Lücken, die entstehen, weil überkommene Regulationen nicht mehr greifen und ehemals stabile Hierarchien von Steuerungsebenen in Bewegung geraten sind. In ihren – teils offiziellen, teils informellen – Funktionen organisieren sie den Austausch zwischen gesellschaftlichen Feldern und Teilsystemen. Mit anderen Worten, die Netzwerke leisten im wahrsten Sinne des Wortes Verknüpfungsarbeit; sie sind im Vokabular der Systemtheorie „Entdifferenzierer“, die unterschiedliche Handlungslogiken kombinieren. Über diese Art der Intervention gelingt es den regionalen Netzwerken tatsächlich, Wirtschaftsaktivitäten zu beeinflussen und regionale Bindekraft zu entfalten. Von nachhaltig wirkenden Steuerungsleistungen kann man sprechen, wenn es zu einem optimalen Zusammenspiel zwischen Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Maßnahmen zur Förderung von Unternehmensneugründungen, Technologie-, Ansiedlungs- und Qualifizierungspolitik kommt. In dieser Hinsicht liefert Dortmund ein Musterbeispiel, das sich – zumindest bis in die
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jüngste Vergangenheit – sowohl durch eine klare Bündelung der Kräfte im dortmund-project als auch durch eine gute Abstimmung der unterschiedlichen Teilpolitiken auszeichnete. Eine konkurrenzfähige wissenschaftliche Infrastruktur, die auch eine regionale Ausrichtung besitzt, ist – in Verbindung mit gezielten Fördermaßnahmen, Gründerwettbewerben und der Heranbildung eines adäquaten Pools an qualifizierten Arbeitskräften – eine Grundvoraussetzung für regionales Wachstum in wissensintensiven Branchen. Nicht in der Zielsetzung, wohl aber in der Ausführung und im Zusammenspiel der lokalen Akteure unterscheiden sich die Untersuchungsregionen. Wo, wie in Nürnberg, wissenschaftliche Infrastruktur und regionalwirtschaftliche Schwerpunktsetzungen teilweise inkongruent sind oder wo es, wie in Chemnitz, ein Zusammenspiel nicht gibt, weil die Ausrichtung der regionalen Wirtschaftspolitik unklar ist, drohen die Steuerungseffekte regionaler Netzwerke zu verpuffen. Doch selbst wenn, wie in Dortmund, die Kooperation der Akteure nahezu optimal ist, gilt, dass die regionalen Netze immer nur Teilproblematiken bearbeiten können. Das Wechselspiel von wissenschaftlicher Wissensproduktion, Förderpolitik, Unternehmensgründungen und Beschäftigungsentwicklung funktioniert in den neuen Leitbranchen. Eine Ausstrahlung auf die altindustriellen Bereiche, die auch in Dortmund noch immer ca. 80 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse umfassen, lässt sich jedoch kaum feststellen. Die neuen Leitbranchen entwickeln sich innerhalb transnationaler Wettbewerbsverhältnisse; sie agieren mit lokalen Unterstützungsleistungen. Regional-ausgleichende Wirkungen sind jedoch nicht festzustellen. Im Gegenteil, auch intraregionale Disparitäten wachsen. Was für Dortmund gilt, trifft auch auf Nürnberg und Chemnitz zu. Dass die Dynamik der neuen Bereiche nicht oder kaum auf die ihrerseits im Umbruch befindlichen Strukturen durchschlägt, lässt sich in allen Regionen feststellen. Trotz des ambitionierten dortmund-project verzeichnet die Ruhrmetropole wegen der krisenhaften Einbrüche, die auch die wissensintensiven Leitbranchen erfasst haben, wieder Spitzenwerte bei der Arbeitslosigkeit. In der mittelfränkischen Region ändert ein dynamisches wirtschaftliches Umfeld nichts an der anhaltenden Strukturkrise der lokalen Metall- und Elektroindustrie und der überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit in Nürnberg-Stadt. Und in Chemnitz sind selbst jene industriellen Kerne wieder gefährdet, die noch zu Beginn des Jahrzehnts erste Beschäftigungseffekte generierten. In allen Regionen bleiben ökonomische Entwicklungsmuster insofern „altindustriell“, als konjunkturelle Krisen besonders heftig ausfallen, während Belebungsphasen kaum für Aufholprozesse genutzt werden können (Bömer 2003: 289ff.). Ist regionale Strukturpolitik also doch Sisyphusarbeit? Fast könnte es so scheinen. Die regionalen Akteure werden – wohl zu Recht – einwenden, dass ohne ihre Aktivitäten alles noch schlimmer wäre. Doch eine solche Einschätzung illustriert nur, dass Mikroregio-
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nen nicht ausgleichen können, was makroökonomisch versäumt wird. Mikrosoziale Steuerung lebt von genauen Kenntnissen der regionalen Gegebenheiten. In den kleinräumlichen Strukturen, die ihr Wirkungsfeld sind, bleibt das Steuerungsinstrumentarium notwendig unvollständig und seine Reichweite begrenzt. Dass den Regionen durch die dominante Wirtschaftspolitik de facto Steuerungsfunktionen zugewiesen werden, die sie nur unvollständig zu erfüllen vermögen, grenzt an systematische Überforderung. Jenseits dieses strukturellen Mangels kommt eine andere Beobachtung zum Tragen. Regionale Übergänge in eine wissensgestützte Dienstleistungsökonomie setzen eine Produktion öffentlicher Güter – wissenschaftliche und logistische Infrastruktur, berufliche Aus- und Weiterbildung, längerfristig orientierte Innovationspolitiken und einigermaßen stabile Austauschbeziehungen zwischen den industriellen Akteuren – voraus. In diesem Punkt deutet sich in den regionalen Arenen tatsächlich eine problematische Entwicklung an. Ansätze, die sich auf reine Marketingstrategien zurückziehen, die es versäumen, abrechenbare industriepolitische Projekte zu definieren und die ohne beschäftigungspolitische Zielsetzungen operieren, werden keine nachhaltigen Effekte auslösen können. Vor allem „High-road-Strategien“, also regionale Politiken, die Wachstumseffekte in wissensintensiven Branchen mit anspruchsvollen Produkten und qualifizierter Beschäftigung erzielen wollen, benötigen öffentliche Güter in noch weitaus stärkerem Maße als regionale Netze diese aus eigener Kraft bereitzustellen in der Lage sind. Hinzu kommt etwas anderes. Faktisch haben die Consultants und Wirtschaftsförderer in allen untersuchten Regionen den Traum des „kalifornischen Kapitalismus“ geträumt. Charakteristisch sind Weltmarkt- und Hochtechnologieorientierung, die in den Regionen mit unterschiedlichem Erfolg praktiziert werden. Doch unabhängig von der konkreten Ausprägung dieser Ansätze stellt sich die Frage, ob auf diesen Feldern überhaupt Beschäftigungswachstum in einem Ausmaß möglich ist, das eine Abkehr vom bekannten Dilemma altindustrieller Regionen bedeuten würde. Vergegenwärtigt man sich, dass selbst in großen High-Tech-Metropolen nur eine verhältnismäßig begrenzte Zahl von Beschäftigten unmittelbar im IT-Sektor arbeitet2, so wird rasch klar, dass die High2
In San Francisco waren es 2002 etwa 1,25 Mio. Beschäftigte, in Peking 400.000 und in München unter 200.000. Die Beschäftigungswirkung von Informations- und Kommunikationstechnologie ist in der Literatur umstritten. Castells (2001) zeigt, dass es wesentlich von der gesellschaftlichen Einbettung der Technologieproduktion abhängt, wie sie sich auf die Beschäftigung auswirkt. Populäre Thesen vom Verschwinden der Arbeit hält er schlicht für irreführend: „Die neue Informationstechnologie definiert also Arbeitsprozesse, Arbeitskräfte und daher auch Beschäftigungsund Berufsstruktur neu. Während eine beträchtliche Zahl von Arbeitsplätzen in ihren Qualifikationsanforderungen aufgewertet und in den dynamischen Sektoren manchmal auch Gehälter und Arbeitsbedingungen verbessert werden, geht durch die Automatisierung eine große Anzahl von
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Tech-Branchen allein nicht das nötige Beschäftigungswachstum erzielen können. Das größte regionale Beschäftigungswachstum verzeichnen mit personenbezogenen und sozialen Dienstleistungen, wie der Gesundheitswirtschaft Bereiche, die in den regionalwirtschaftlichen Schwerpunktsetzungen lange Zeit überhaupt nicht vorgekommen sind. Auch die regionalen Netze sind in diesen Sektoren bislang allenfalls schwach repräsentiert. Wenn überhaupt, so lässt sich hier ein strukturkonservatives Moment der Netzwerkstrukturen ausmachen. Dienstleistungsorganisationen wie die Gewerkschaft ver.di spielen in den regionalen Kooperationsverbünden keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle. Hier kommt in der Tat eine Schwachstelle regionalwirtschaftlicher Ansätze zum Vorschein, die zum Gegenstand einer strategischen Debatte werden sollte. Weltmarktorientierung allein bringt möglicherweise die Spezifik und die endogenen Potentiale regionaler Räume zum Verschwinden. Sie läuft auf eine einseitige Förderung von High-Tech-Sektoren hinaus, die ihrerseits rationalisierende Effekte produzieren können. Beschäftigungswachstum entsteht jedoch in Bereichen, die spezialisierte, lokale Dienstleitungen erbringen. Hier ließe sich anknüpfen. Seriöse Empfehlungen zum Ausbau sozialer Dienstleitungen kollidieren freilich in vielerlei Hinsicht mit den derzeit dominanten politischen Weichenstellungen. Eine dienstleistungsfreundliche Politik würde hierzulande u. a. eine höhere Frauenerwerbstätigkeit, Einkommenserhöhungen, den Übergang zur Qualitätsproduktion nicht nur im sekundären Sektor, sondern auch in den Dienstleistungsbranchen sowie nicht zuletzt den Ausbau von Finanzierungsmechanismen zur Überwindung „der Kostenkrankheit bei wichtigen Diensten“ voraussetzen (Bosch/Wagner 2002: 507). Einen solchen Weg können die Regionen nicht aus eigener Kraft gehen; die Tatsache, dass die Dienstleitungsbereiche in den regionalen Netzen bislang von untergeordneter Bedeutung sind, sollte jedoch zu denken geben. Damit sind wir bei einem weiteren zentralen Punkt. Das vornehmlich technisch-marktorientierte Innovationsverständnis, das sich bei zentralen Akteuren der regionalen Strukturpolitik wieder durchzusetzen beginnt, ignoriert die gesellschaftliche Komplexität von Innovationsprozessen. Innovative Dienstleitungspolitik z. B. hängt eng mit kulturellem Wandel zusammen, denn ohne eine Demokratisierung von Geschlechterbeziehungen lässt sich eine signifikante Erhöhung Arbeitsplätzen in Fertigung und Dienstleistungen verloren. Das sind im Allgemeinen solche, die nicht qualifiziert genug sind, um der Automatisierung zu entgehen, aber kostspielig genug, damit sich die Investition in die Technologie lohnt, die sie ersetzt... Die entstehende Bifurkation der Arbeitsmuster und die Polarisierung der Arbeitskraft sind nicht das notwendige Resultat des technologischen Fortschritts oder unausweichliche Tendenz wie etwa die Entstehung der postindustriellen Gesellschaft oder der ‘Dienstleistungsökonomie’. Diese Prozesse sind gesellschaftlich determiniert und auf Managementebene geplant im Prozess der kapitalistischen Neustrukturierung...“ (ebd.: 282) Diese Ansicht entspricht unseren Forschungsergebnissen.
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der Frauenerwerbsquote nicht erreichen. Ohne höhere Frauenerwerbsbeteiligung gibt es jedoch weniger Druck zur Ausweitung sozialer Dienste und somit allenfalls begrenzte Beschäftigungseffekte (Baethge 1999). Ein Innovationsverständnis, das solche gesellschaftlichen Zusammenhänge außer Acht lässt, das Elitenförderung mit wachsendem Druck auf die Schwächsten der Gesellschaft kombiniert, wird eher neue Entwicklungsbarrieren erzeugen als vorhandene abbauen. ‚Schnelles Dortmund‘, ‚soziales Dortmund‘ – das ist eine begriffliche Differenz, in der sich auch unterschiedliche Auffassungen von gesellschaftlichen Innovationsprozessen artikulieren. 9.2 Die Rolle der Gewerkschaften Womit wir beim gewerkschaftlichen Beitrag zur regionalen Strukturpolitik wären. In allen von uns untersuchten Regionen partizipieren die Gewerkschaften, besser: einzelne GewerkschafterInnen und die von ihnen repräsentierten lokalen Gliederungen aktiv an der Strukturpolitik. Mehr noch, in allen Fällen gingen wichtige strukturpolitische Impulse von den Gewerkschaften aus. Sie waren es, die regionale Entwicklung nicht dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen wollten. Dass Veränderungsprozesse durch klebrige Seilschaften, Lock-inEffekte und Strukturkonservatismus blockiert werden können, ist auch in unseren Untersuchungsregionen eine bekannte Erscheinung. Und es lässt sich nicht leugnen, dass sich auch Gewerkschaftsgliederungen gelegentlich als Anwälte strukturkonservativer Interessen betätigt haben. Die Ergebnisse unserer Untersuchung weisen jedoch in eine andere Richtung. Faktisch agieren die regionalen Netze mit der klaren Zielstellung, den ökonomischen Strukturwandel zu forcieren. An dieser Ausrichtung haben die beteiligten Gewerkschaften einen wesentlichen Anteil. Wo die Konzepte von Wirtschaftsförderung und privaten Consultants allzu luftig sind, wirkt die gewerkschaftliche Partizipation an der regionalen Strukturpolitik häufig als Korrektiv und sorgt für eine größere Bodenhaftung ambitionierter Pläne. Dass die gewerkschaftlichen Akteure beschäftigungspolitische Ziele priorisieren, dass sie auf Bildungs- und Arbeitsplatzangebote für Niedrigqualifizierte drängen und daher inkrementellen Wandel betonen, lässt sich, zumal in Gesellschaften mit „koordinierten Märkten“ (Hall/Soskice 2001), nicht als Ausdruck von Strukturkonservatismus deuten. Im Gegenteil, häufig sind es die gewerkschaftlichen Aktivitäten bei der Abfederung von Entlassungen, bei beruflicher Weiterbildung und betrieblicher Modernisierung, die maßgeblich zum Gelingen von Steuerungseffekten der regionalen Netze beitragen. Denn von der Entstehung her handelte es sich bei den regionalen Kooperationsverbünden zunächst
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um bloße Notgemeinschaften. Mühsam versuchen sie bis heute, die Steuerungsdefizite übergeordneter Ebenen zu kompensieren. Dabei fällt auf, dass ihre politische Wirkung dort am größten ist, wo es regionalen Akteuren gelingt, zu wichtigen Themen mit einer Stimme zu sprechen. Dieser Befund relativiert die inzwischen geradezu modische Kritik an der Politik der „Konsensrunden“ und der „runden Tische“ (Heinze 2003). Tatsächlich können Runden, die Partizipation um der Partizipation willen betreiben, zu „Intervention durch NichtEntscheidung“ beitragen. Wo sie jedoch einen Veränderungskonsens der regionalen Akteure herbeiführen, wirken sie durchaus erfolgreich. Exakt hier ist der gewerkschaftliche Beitrag zu regionaler Strukturpolitik überaus bedeutsam. Im besten Fall hilft er, das „Dispositiv regionaler Regulation“ so weit zu öffnen, dass nicht nur die Interessen verschiedener Beschäftigtengruppen, sondern auch die potentiellen und realen Verlierer des radikalen Strukturwandels weiter im Blick bleiben.3 Dies ist, wenn man so will, der entscheidende gewerkschaftliche Beitrag zur Beeinflussung des regionalen „Regulationsdispositivs“. Gegen technokratische Verkürzungen von Wirtschafts- und Innovationsförderung bringen die Gewerkschaftsgliederungen die gesellschaftlichen Folgen des Strukturwandels ins Spiel. Und das nicht nur im Sinne eines Sozialanwalts, sondern durchaus mit einem Innovationsverständnis, das der Komplexität von Innovationsprozessen Rechnung trägt. Der gewerkschaftliche Einfluss bemisst sich vor allem an dem Stellenwert, den beschäftigungspolitische Zielsetzungen auch in der offiziellen Regional- und Strukturpolitik besitzen. Hier ist Dortmund offenbar ein besonderer Fall. Als einige Akteure vor dem Hintergrund der akuten Stahlkrise die Vision eines hochmodernen Technologieparks mit neuen, wissensintensiven Leitbranchen formulierten, wurde dieser Plan von Stahlbaronen wie DGB gleichermaßen attackiert. Man hielt diese Zielsetzung in einer alten Industrieregion schlicht für nicht machbar. Die Erfahrung, dass man heute durch einen der größten Technologieparks Europas mit ca. 8.500 Beschäftigten in neuen Branchen fahren kann, hat das Bewusstsein der regionalen Akteure geprägt. Ohne diese Positiverfahrung wäre das dortmund-project kaum möglich gewesen. Aus dieser Erfahrung haben auch die lokalen Gewerkschaften gelernt. Gewerkschaftsgliederungen, die sich in Nürnberg und Chemnitz an regionaler Strukturpolitik beteiligen, haben ähnliche Lernprozesse durchlebt und durchlitten. Sei es in der Suche nach Alternativen zur defensiven Sozialplanpoli-
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Regulation geht über politische Steuerung, hier verstanden als Durchsetzung bestimmter Politikkonzeptionen in einem strukturierten Umfeld, hinaus. Mikrosoziale Regulation meint, dass ökonomische und soziale „Logiken“ regionaler Entwicklungsprozesse in ein Entsprechungsverhältnis gebracht werden, das unter voraussetzungsvollen Bedingungen die Legitimation dieser Prozesse durch „sozialen Fortschritt“ ermöglichen kann.
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tik, wie in Nürnberg, sei es in der Erprobung von Konzepten einer „intelligenten Sanierung“ wie in Chemnitz. Für alle beteiligten Akteure gilt indessen, dass sie sich auf einen Kurs begeben, bei dem unklar ist, ob das Schiff sein Ziel jemals erreichen wird. Auch das beste beschäftigungspolitische Controlling vermag im Zweifelsfalle keine Arbeitsplätze zu schaffen. Deutlich sichtbar ist, dass die Kompetenzfeld- und Clusteransätze der „ersten Generation“ sich inzwischen verbraucht haben. Unter dem Eindruck der Krise des „kalifornischen Kapitalismus“ (Brenner 2003) wird in allen Regionen über eine Neuausrichtung dieser Ansätze nachgedacht. Für die gewerkschaftliche Beteiligung ist hier ein Punkt zentral. Die Zustimmung zu einem wirtschaftlichen Modernisierungskurs ist für die Arbeitnehmerorganisationen daran gebunden, dass es glaubwürdige Angebote an vermeintliche und reale „Modernisierungsgruppen“ gibt. Eine Arbeitsmarktpolitik, die solche Angebote beschneidet, kann, das jedenfalls ist die Sorge der gewerkschaftlichen Scharnierpersonen, leicht zur Modernisierungsbremse werden, weil „Sicherheit im Wandel“ für relevante Bevölkerungsgruppen nicht mehr gegeben ist. Damit sind wir bei einem weiteren Punkt. Gewerkschaftliche Beteiligung an moderner regionaler Governance muss offenkundig mit einer Selbstveränderung der Arbeitnehmerorganisation einhergehen. Dieser Prozess ist in allen Untersuchungsregionen in vollem Gange. Dabei zeichnet sich etwas ab, was wir als gewerkschaftliches Beteiligungsparadoxon bezeichnen können. Je intensiver die Gewerkschaften an einem regionalen Veränderungskonsens arbeiten und je erfolgreicher diese Politik ist, desto nachhaltiger destruieren die Arbeitnehmerorganisationen ihre klassische Organisations- und Mitgliederbasis. Das Hauptproblem der Gewerkschaften in den altindustriellen Regionen besteht keineswegs darin, dass ihnen, wie der sensationsheischende Mediendiskurs glauben zu machen sucht, scharenweise die Mitglieder davonlaufen. Sicher gibt es Austritte in erheblichem Maß, doch das eigentliche Problem ist ein anderes. Jene Branchen und Unternehmensformen, in denen die Gewerkschaften lange Zeit ihre neuen Mitglieder rekrutierten, schrumpfen. Große Unternehmen und Betriebe ziehen inzwischen einen Kometenschweif an Ausgründungen hinter sich her, in denen es teilweise nicht gelungen ist, die Kontinuität von Interessenvertretung und Tarifbindung zu sichern. Zugleich wächst die Bedeutung von Betriebsformen, Branchen und Arbeitsverhältnissen, in denen die „fordistischen“ Gewerkschaften traditionell unterrepräsentiert sind. Ein zentrales Problem der regionalen Gewerkschaftsgliederungen ist, dass sie den Sprung in die neue Arbeitswelt nicht geschafft haben. Sowohl in der Zone prekärer Arbeit als auch bei den „high potentials“ und qualifizierten Angestellten sind sie kaum präsent. Diese Schwäche ist zu einem erheblichen Teil selbst verschuldet. Die Isomorphie von Großbetrieb und Gewerkschaft ist nicht
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gebrochen. An vielen Stellen machen sich Organisationsbornierungen, Konkurrenzen zwischen einzelnen Gewerkschaftsgliederungen oder schlicht Missmanagement und interne Fehden als blockierende Einflüsse bemerkbar. Doch es gibt auch Gegentendenzen. Pilotprojekte, wie der Call-Center-Talk oder der ITArbeitskreis in Dortmund oder Betriebsrätenetzwerke, wie in Chemnitz arbeiten daran, erste gewerkschaftliche „Brückenköpfe“ in gewerkschaftsfreien Zonen zu errichten. Dabei zeigt sich, dass in vielen Bereichen ein fundamentaler Wandel der Funktionen und des Politikstils von Gewerkschaften ansteht. Gerade in den neuen Bereichen können Gewerkschaften nicht mehr als bloße „Lohnmaschinen“ funktionieren. Doch die Gewerkschaften sind es, die ein überbetriebliches Informationssystem repräsentieren, die sich auf den Feldern Bildung und Weiterbildung engagieren und die Hilfe zur Selbsthilfe, zu selbsttätiger Interessenvertretung anbieten müssen. Kurzfristige Organisationserfolge sind so nicht zu erreichen; doch es wäre töricht, wenn daraus – was allerdings derzeit vielfach geschieht – die Schlussfolgerung gezogen würde, dass der Schuster bei seinem alten Leisten zu bleiben hat. Bei aller nötigen Kritik an den Gewerkschaften lässt sich eines indessen nicht übersehen. Reformverhinderer und Blockierer sind die von uns untersuchten Gewerkschaftsgliederungen nicht. Im Gegenteil, wo Innovatives geschieht, sind die gewerkschaftsnahen Netze zumeist beteiligt. Doch sehen sich die lokalen Gewerkschaften inzwischen mit einer anderen Entwicklung konfrontiert. Zunächst als Geburtshelfer einer regionalen Strukturpolitik gefragt, scheint ihr Beitrag wichtigen Akteuren inzwischen als verzichtbar. Gleich, ob bei der Ansiedlung von Unternehmen oder bei der Arbeitsmarktpolitik – plötzlich erscheinen die Gewerkschaften als Störenfriede, auf deren Präsenz man verzichten kann. Hier deutet sich eine Schließung regionaler „Regulationsdispositive“ an, die sich nicht nur für die Gewerkschaften, sondern für die Strukturpolitik insgesamt als problematisch erweisen dürfte. Denn sollte es dazu kommen, dass die regionalpolitischen Ansätze die Verlierer des Strukturwandels tatsächlich preisgeben, könnte es um eine nachhaltige Innovationspolitik schlecht bestellt sein. Dass sich „innovative Milieus“ von den Elendszonen der Ballungszentren gänzlich abkoppeln lassen, ist zumindest in Kontinentaleuropa eine wenig wahrscheinliche Option. 9.3 Globales und Lokales im Finanzmarkt-Kapitalismus Unsere Befunde zu den Steuerungsleistungen regionaler Netze sind auch für die sozialwissenschaftliche Theoriebildung relevant. Bemerkenswert ist, dass die Auseinandersetzung mit den Folgen der „intensivierten Globalisierung“ zu einer
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Wiederbelebung kapitalismustheoretischer Debatten geführt hat. In diesen Debatten geht es vor allem um die Zukunft der sozialstaatlich regulierten, „institutionellen“ (Crouch/Streeck 1997) oder „kooperativen“ (Windolf/Bayer 1995) Kapitalismen. In einer globalisierten Welt, so pessimistische Prognosen (Albert 1992; Streeck 1997), werde es schwer, die soziale Überlegenheit des „rheinischen Kapitalismus“ zu bewahren, weil sich das konkurrierende angelsächsische Modell nicht nur in der ökonomischen Konkurrenz, sondern auch machtpolitisch als dominant erweise. Entsprechende Prognosen sind inzwischen zum Gegenstand zahlreicher Studien geworden, die sich in der einen oder anderen Weise mit Konvergenz und Divergenz nationaler Kapitalismen beschäftigen (exemplarisch: Campbell 2004; Campbell/Pedersen 2001; Hall/Soskice 2001; Crouch/Streeck 1997). Dies geschieht in der Regel, indem die regulierenden Institutionensysteme nationaler Kapitalismen verglichen werden. Unser Forschungsansatz bewegt sich innerhalb des nationalen Rahmens, genauer, wir untersuchen eine existierende Steuerungsebene des „deutschen Modells“. Dabei sind wir allerdings auf eine eigentümliche Verschränkung gestoßen, die auch für die aktuelle Debatte um die „Varieties of Capitalism“ interessant sein dürfte. Das, was sich auf mikroregionaler Ebene als Netzwerk konstituiert, wirkt auf den ersten Blick wie ein prozessierendes Regulationssystem, das den „kooperativen“ Kapitalismus in neuer Gestalt fortzuführen sucht (Hoffmann 2005: 70ff.). Manche Wissenschaftler aus dem angelsächsischen Sprachraum sehen gar die Geburt einer „local labour force“ (Greer 2006), deren bloße Existenz einen gravierenden Systemunterschied zum angelsächsischen Kapitalismusmodell ausmacht. Tatsächlich ist die Herausbildung ähnlicher Netzwerke in Großbritannien oder den USA nur schwer vorstellbar, ein derart prägender Beitrag der Gewerkschaften innerhalb dieser Netze wohl gar unmöglich. Doch auch wenn man diese Differenz in Rechnung stellt, können wir nicht übersehen, dass diese mehr oder minder kooperativen Netzwerkbeziehungen in der Region mit der globalen Archipelökonomie (Veltz 1996) korrespondieren. Anders gesagt, die lokalen Akteure und ihre Aktivitäten sind in Beziehungsnetzwerke eingebunden, deren Entscheidungszentren außerhalb der Mikroregionen liegen. Die Region und ihre Netze machen sicher einen Unterschied bei der Bewältigung wirtschaftlicher Entwicklungsprobleme; die Kooperationsverbünde bewegen sich jedoch in einem Umfeld, das strategische Entscheidungsbefugnisse außerhalb dieser Sozialräume zentralisiert. Insofern sind Globalisierung und Regionalisierung durchaus miteinander verwoben. Es entstehen tatsächlich soziale Beziehungsnetze und Austauschformen, die global und zugleich regional oder lokal ausgeprägt sind. Doch diese Beziehungen sind immer auch Ausdruck einer veränderten Hierarchie von Regulationsebenen.
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Unter dem Druck wirtschaftlicher Internationalisierungsprozesse vollzieht sich noch innerhalb der Basisinstitutionen des „german capitalism“ (Streeck 1997) ein tiefgreifender Wandel. Der Steuerungsverlust auf der nationalen Ebene bewirkt offenbar, dass die für den rheinischen Kapitalismus so typische Produktion „kollektiver Güter“ (Voelzkow 1999) nun auf untergeordneten Ebenen praktiziert werden muss. Dass dies immer nur annäherungsweise, improvisiert und informell geschehen kann, liegt auf der Hand. Dennoch formieren sich in den Mikroregionen ohne Zweifel „Kollektivsubjekte“, die systemische Mechanismen des „Rheinmodells“ an veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen anzupassen suchen. Zugleich sind diese regionalen Netze und Akteurskonstellationen jedoch in Austauschbeziehungen, Verhandlungskonstellationen und Entscheidungsprozesse integriert, die eben nicht mehr der ‚industrial order‘ (Lane 1998; 2000), dem Basiskonsens eines kooperativen Kapitalismusmodells entsprechen. Faktisch entstehen hybride Strukturen und Regulationsformen (Pieterse 1998), bei denen schon mittelfristig unklar ist, in welche Richtung sie sich entwickeln. Was das für die Unternehmensebene heißt, hat die Entwicklung im Nürnberger Stammwerk der AEG Hausgeräte eindringlich gezeigt. Als wir Mitte der 1990er Jahre zum ersten Mal in dem Unternehmen forschten, galt das Werk noch als „Perle von Nürnberg“. Bereits damals standen die Hersteller „weißer Ware“ aufgrund von Konzentrationsprozessen im Handel und wegen der Turbulenzen im internationalen Feld unter hartem Wettbewerbsdruck. Dennoch hatte das Unternehmen nach der Übernahme durch den Electrolux-Konzern in größerem Umfang Neueinstellungen getätigt. Der besondere Charakter des Werks blieb zunächst auch in der neuen Konzernstruktur erhalten. Augenfällig war die Spezifik der betrieblichen Arbeitsbeziehungen. Das nicht nur, weil zwischen Vorstand und Betriebsrat Handschlagvereinbarungen die Normalität waren. Der damalige Vorstandsvorsitzende Damm, ein engagiertes Greenpeace-Mitglied, setzte auf Hausgeräte mit ökologischem Profil. Er verteidigte diese Strategie, obwohl sich die vergleichsweise hohen Preise für die Geräte damals außerhalb des deutschen Marktes noch nicht realisieren ließen. Doch dieser Weg wurde nicht lange beschritten. Zunächst musste der alte, kooperativ orientierte Vorstandsvorsitzende das Unternehmen verlassen, weil seine Strategie in den Augen der Konzernleitung unzureichende Gewinnsteigerungen vorsah. In der Folge war es mit der Ökologisierung der Produktpalette und der Orientierung auf höherpreisige Nischen vorbei. Die Konzernleitung setzte stattdessen darauf, die Führerschaft im internationalen Kostenwettbewerb zu übernehmen. Man forcierte billige Massenproduktion. Als die ursprünglich anvisierte Expansionsstrategie mit neuen Produktionsstätten u. a. in Polen scheiterte, gerieten die deutschen AEG Hausgeräte-Standorte unter Druck. Gut 10 Jahre nach unserem ersten Forschungsauf-
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enthalt steht nun fest, dass die Produktion im Nürnberger Stammwerk mit seinen 1.750 industriellen Arbeitsplätzen auslaufen wird. Ein mehrwöchiger harter Arbeitskampf konnte den Beschluss zu einer vollständigen Produktionsverlagerung nach Italien und Polen nicht mehr korrigieren. Und dies, obwohl „die Nürnberger Produktion insgesamt... nie defizitär (war), auch wenn sie den Renditeerwartungen des Konzerns nicht entsprochen haben mag“ (Bierbaum 2006: 44). Als Beispiel für die Schließung von wirtschaftlich an sich rentablen Standorten ist AEG Hausgeräte längst kein Einzelfall mehr. Faktisch hat in unseren Untersuchungsregionen, aber auch darüber hinaus ein schleichender Deindustrialisierungsprozess eingesetzt, der von regionalen Akteuren kaum zu beeinflussen ist. Diese Feststellung konfligiert mit harten Divergenz-Thesen. Folgt man z. B. dem elaborierten Industrielle-Komplexe-Ansatz von Ruigrok/van Tulder (1995; kritisch: Dörre u. a. 1997), so konstituieren Aushandlungsbeziehungen und Kontrollerfordernisse an der heimischen Operationsbasis noch immer spezifische Internationalisierungspfade von Unternehmen. Während der 1990er Jahre beinhaltete nur einer dieser Pfade, die Globalisation, eine im geographischen Sinne weltweite Intra-Unternehmensarbeitsteilung mit auf zahlreiche Länder und Standorte verteilten Aktivitäten. Erfolgreicher als der Globalisationspfad waren zumindest während dieser Dekade Glokalisationsstrategien, wie sie ursprünglich von japanischen Unternehmen kreiert worden sind. Während restriktiver Druck auf heimische Politikarenen, Löhne, Arbeitsbedingungen und Sozialstandards vor allem ein Merkmal der Globalisationsvariante war, zielte die rivalisierende Trajektorie darauf, die kulturelle, soziale und politische Kohäsion an der Heimatbasis so lange wie möglich zu bewahren. Über einen längeren Zeitraum hatte sich laut Ruigrok/van Tulder ausgerechnet jener Internationalisierungspfad als überlegen erwiesen, der nicht nur die Abwärtsspirale permanenter Standort- und Unterbietungskonkurrenzen mied, sondern auch die Ausweitung grenzüberschreitender Aktivitäten mit einer konsequenten Dezentralisierung der Unternehmensorganisation, sowie hoher Anpassungsfähigkeit an lokale Sonderbedingungen verband. Für beide Trajektorien gilt nach Auffassung der Autoren bis in die Gegenwart, dass sie in hohem Maße mit einem spezifischen sozialen und institutionellen Umfeld korrespondieren, so dass Sprünge oder radikale Pfadwechsel, eher unwahrscheinlich sind. Nach unserer Auffassung (Dörre 1997) ließ sich während der 1990er Jahre für die Mehrzahl der in Kontinentaleuropa beheimateten multinationalen Unternehmen Ähnliches feststellen. Die Majorität dieser Unternehmen konnte während dieser Phase weder auf dem Globalisations- noch auf dem Glokalisationspfad verortet werden. In Aushandlungen mit vergleichsweise starken Partnern (makrofordistisches Kontrollkonzept) eingebunden, verfolgten die meisten der in Deutschland ansässigen multinationalen Unternehmen nach wie
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vor eine auf den Wirtschaftsraum der EU ausgerichtete „Strategie der Risikoreduzierung und des Unternehmenswachstums durch Stärkung nationaler Marktpositionen“ (Härtel u. a. 1996: 152ff.). Angesichts der anhaltenden Fusions- und Übernahmewelle lässt sich die Pfadabhängigkeitsthese aber nicht mehr ohne weiteres fortschreiben. Zwar wäre es falsch, ihr angesichts der jüngsten Entwicklungen jegliche Plausibilität abzusprechen. In entscheidenden Punkten muss sie jedoch präzisiert und gegebenenfalls auch korrigiert werden. So ist es durchaus möglich, ja wahrscheinlich, dass die Konzernleitung von Electrolux einem spezifischen Internationalisierungspfad folgt, der die Interessen an der „national home base“ zu wahren sucht. Doch diese Strategievariante impliziert für andere nationale Standorte und Unternehmensteile die radikalste Form eines Pfadwechsels, die Einstellung der Produktion. Weder ein Arbeitskampf noch die angesehene Marke konnten das Nürnberger Stammwerk der AEG vor einem Ausscheiden aus dem Markt bewahren. Es war nicht zuletzt die nationale Bornierung schwedischer Gewerkschafter, an der eine stärkere internationale Mobilisierung zugunsten alternativer Lösungen scheiterte. Wie dieser Fall exemplarisch zeigt, kann gerade die Sicherung privilegierter Beziehungen zur „national home base“ und des damit korrespondierenden Internationalisierungspfades mit Strategievarianten kombiniert werden, die für andere Unternehmensteile und Wirtschaftsräume das krasse Gegenteil bedeuten. Pfadkonformität und Pfadwechsel gehen in den Strategien grenzüberschreitend operierender Unternehmen spannungsreiche Synthesen und Wahlverwandtschaften ein. Die Logik, die solche Konkurrenzmechanismen in vermachteten Märkten hervorbringt, ist inzwischen unter der Bezeichnung Finanzmarkt-Kapitalismus (vgl. Windolf 2005; Deutschmann 2005; Dörre/Brinkmann 2005; Aglietta/Rebérioux 2004) facettenreich analysiert und kritisiert worden. Das Zentrum dieses Finanzmarkt-Kapitalismus ist ein marktzentriertes Steuerungs- und Kontrollsystem, in dessen Konsequenz eine „Kultur der Maximaprofite“ etabliert wird, die den ausgehandelten Unternehmen der „kooperativen Kapitalismen“ lange Zeit geradezu wesensfremd war. Offenbar geht von dieser „Kultur des Maximalprofits“ ein konvergierender Druck zur Korrektur eingespielter Kompromissgleichgewichte aus, der durch nationale wie regionale Institutionensysteme gefiltert, aber eben nicht völlig außer Kraft gesetzt werden kann. Manuel Castells (2001: 532) spricht von einem „gesichtslosen kollektiven Kapitalisten, der aus Finanzströmen entsteht, die durch elektronische Netzwerke in Gang gehalten werden“. Zu Recht weist Castells allerdings darauf hin, dass dieser kollektive Kapitalist nicht einfach ein Ausdruck der abstrakten Logik des Mark-
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tes ist, weil er „nicht wirklich dem Gesetz von Angebot und Nachfrage folgt“.4 Wie der Fall AEG Hausgeräte illustriert, sind es nicht Märkte, sondern Entscheidungsinstanzen in hierarchische Großorganisationen, die strategische Weichenstellungen vornehmen. Diese Instanzen sind es, die einmal getroffene Standortentscheidungen auch dann exekutieren, wenn die Märkte andere organisatorische Lösungen zulassen würden. Und es ist das Top-Management international agierender Unternehmen, das dafür sorgt, dass sich, wie im Fall der untersuchten Elektronikunternehmen, Restrukturierungsprogramme selbst dann geradezu sklavisch an den Konzepten der Marktführer orientieren, wenn die Umsetzung in den Regionen zu Lasten der wirtschaftlichen Effizienz geht. Wenn man in diesem Zusammenhang von „Glocalization“, von globaler Lokalisierung (Swyngedouw 1997: 137ff.) spricht, so ist damit etwas völlig anderes gemeint als eine Geschäftsstrategie, die regionale Besonderheiten als Ressource zu nutzen sucht. „Glocalization“ meint eher eine vermachtete Wechselbeziehung, bei der die Spezifika von Mikroregionen sukzessive aus dem Planungshorizont international operierender Unternehmen zu verschwinden drohen. Innerhalb der industriellen Komplexe, auf dem Terrain organisierter Arbeitsbeziehungen wie auch im Bereich flankierender Politiken bildet sich noch innerhalb der alten institutionellen Hülle eine neue Hierarchie von Regulationsformen heraus. Wir haben diese Veränderung als Verschiebungen innerhalb des „Dispositivs regionaler Regulation“ analysiert. Anders als die Kategorie der Regulationsweise in der orthodoxen Regulationstheorie5 (Aglietta 2000; kritisch: Brand/Raza 2003) trägt der Begriff des „Regulationsdispositivs“ dem Prozesscharakter von Regulation besser Rechnung. Er unterstellt, dass sich der Wandel von Regulation nicht als Ersetzung einer Regulationsweise durch eine andere vollzieht. Vielmehr impliziert er einen Prozess, der durch immer neue Öffnungen und Schließungen des Dispositivs gekennzeichnet ist.
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Das finanzkapitalistische Netzwerk „reagiert auf Turbulenzen und unvorhersagbare Bewegungen nicht-kalkulierbarer Antizipationen, die durch Psychologie und Gesellschaft ebenso hervorgerufen werden wie durch ökonomische Prozesse. Dieses Netzwerk von Netzwerken des Kapitals vereinigt und kommandiert zugleich spezifische Zentren kapitalistischer Akkumulation und strukturiert dabei das Verhalten, in dessen Mittelpunkt die Unterwerfung der Kapitalisten unter das globale Netzwerk steht“ (ebd.). „Eine Regulationsweise ist eine Gesamtheit von Vermittlungen, die die von der Kapitalakkumulation hervorgerufenen Verwerfungen so eingrenzen, dass sie mit dem sozialen Zusammenhalt innerhalb der Nationen vereinbar sind“ (Aglietta 2000: 11).
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9.4 Perspektiven regionaler Strukturpolitik Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass eine effizienzorientierte Steuerungslogik regionaler Strukturpolitik die Logik sozialer Kohäsion immer stärker dominiert. In allen Regionen vollzieht sich ein Umbau regionaler Wirtschaftsförderung, der auch die Spielräume gewerkschaftlicher Interessenpolitik verengt. Was bedeutet das für die Zukunft regionaler Strukturpolitik im Allgemeinen und die Funktionsfähigkeit der gewerkschaftsnahen Netze im Besonderen? Dazu seien abschließend vier Überlegungen vorgestellt. Erstens zeigt sich, dass regionale Strukturpolitik hochgradig von politischen Konjunkturen und den dadurch beeinflussten Förderkulissen abhängig ist. Auf dieser Ebene haben sich seit dem Abschluss unserer Untersuchung große Veränderungen vollzogen, deren regionalpolitische Auswirkungen allerdings nicht eindeutig sind. In Nordrhein-Westfalen ist die lange Ära sozialdemokratisch geführter Regierungen vorerst beendet. Die neue Koalition verfolgt offenbar einen anderen Kurs. Ab 2007 soll es nur noch eine Förderregion (EmscherLippe) geben, das Ruhrgebiet muss mit allen anderen Regionen um Fördermittel konkurrieren. Nicht minder gravierend ist, dass die Konsensstrukturen, die den Gewerkschaften ein Mitspracherecht auf Landes- und Regionenebene einräumten, de facto aufgekündigt sind. Was diese landespolitische Weichenstellung für ambitionierte Ansätze wie das dortmund-project bedeutet, ist bislang nicht absehbar. Es mag übertrieben sein, von einer „großen Pott-Verschwörung“ (taz, 18.01.06) zu sprechen; mit Sicherheit wird es für die regionalen Akteure aber nicht einfacher, ihre Pläne umzusetzen. Deutet sich in NRW eine weitgehende Abkehr von den etablierten Strukturen an, findet in Bayern offenbar eine anders akzentuierte Entwicklung statt. Die Landesregierung forciert nicht nur das Thema Clusterpolitik (SZ, 02.02.06), es gibt auch Signale, die eine größere Offenheit für die industriepolitischen Überlegungen der IG Metall andeuten (IGM Nürnberg, 24.01.06). In Sachsen betreibt die dortige große Koalition die Wiederbelebung der „Stiftung Arbeit“ und bemüht sich aktiv um eine Beteiligung der Gewerkschaften. Insofern kann von einer durchgängigen Verschlechterung der politischen Rahmenbedingungen für regionale Strukturpolitik und gewerkschaftliche Beteiligung keine Rede sein. Selbst in NRW geht man in Gewerkschaftskreisen davon aus, dass aufgrund der neuen landespolitischen Situation regionale Bündnispartner für den DGB noch wichtiger werden. Unabhängig von politischen Konjunkturen lässt sich zweitens jedoch nicht übersehen, dass markante sozioökonomische Entwicklungen den Handlungskorridor für regionale Akteure weiter einengen. Die Funktionsmechanismen des Finanzmarkt-Kapitalismus sorgen dafür, dass die Möglichkeiten einer interventi-
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onistischen Industriepolitik schwinden. Der Fall eines zentralen Akteurs, der Deutschen Bank (Beyer 2003: 7ff.), illustriert trefflich, dass die Schwerpunktverlagerung hin zum Investmentbanking das Interesse von Kreditinstituten schmälert, mitunternehmerisch tätig zu werden. Folgerichtig werden Unternehmensbeteiligungen abgestoßen und personelle Verflechtungen mit anderen Unternehmen reduziert. Der Rückzug zentraler Finanzakteure, für die die Deutsche Bank eine stilbildende Funktion erfüllt, hat gesamtwirtschaftliche Folgen. Die Bereitschaft zur Rettung von Unternehmen sinkt und das Kreditgeschäft wird rigider denn je gehandhabt, was vor allem kleine und mittlere Unternehmen zu spüren bekommen. All das kann nicht ohne Auswirkungen auf strukturpolitische Ansätze bleiben. Sicher gibt es in den Regionen eine Vielzahl gegenläufiger Entwicklungen, doch dort, wo alte industriepolitische Interessenlagen wegbrechen, schwinden unweigerlich Handlungsoptionen der regionalen Netze. Hinzu kommen drittens personelle Diskontinuitäten. Das gilt für alle Netzwerkstrukturen. Konzeptionelle Köpfe wie der Architekt des dortmund-project, Dr. Küpper, oder der „Macher“ der Nürnberger Kooperationsstrukturen, Neumann, sind inzwischen aus ihren Positionen ausgeschieden. Auch bei den gewerkschaftlichen Scharnierpersonen gibt es solche Diskontinuitäten. Der Chemnitzer IGM-Bevollmächtigte ist in den Westen zurückgekehrt, sein Nachfolger steht nach Ansicht externer Experten vor „verschlossenen Türen“. In Nürnberg hingegen zeichnet sich eine andere Arbeitsteilung ab. Dort hat sich der neu gewählte DGB-Vorsitzende in enger Abstimmung mit dem IGM-Bevollmächtigten des Themas regionale Strukturpolitik angenommen. Dieses zeigt: nicht immer ist personelle Diskontinuität gleichbedeutend mit einem Wegbrechen regionalpolitischer Ansätze. Da diese Ansätze jedoch mit Sicherheit eine Angelegenheit von Experten bleiben werden, gibt es freilich auch keine Gewähr für politische Kontinuität. Viertens gilt dies umso mehr, als die Gewerkschaften auch in ihrem betriebs- und tarifpolitischen Kerngeschäft noch stärker in die Defensive geraten sind (Huber u. a. 2006). Angesichts schwindender Ressourcen erscheint regional- und strukturpolitisches Engagement manchen Gewerkschaftern inzwischen als geradezu luxuriöse Angelegenheit. In der Tat, das konnten wir in einem Nachfolgeprojekt feststellen (Candeias/Röttger 2005, 2006), wird Strukturpolitik auf einem den präsentierten Beispielen vergleichbarem Niveau nur in wenigen Regionen (z. B. Braunschweig) betrieben. In anderen Räumen ist sie allenfalls eine Facette einer thematisch erheblich weiter gefassten Politik in der Region. Die Zukunft der gewerkschaftlichen Ansätze wird erheblich davon abhängen, ob es gelingt, Betriebs-, Tarif- und regionale Strukturpolitik besser zu verzahnen. Immerhin lassen sich hier einige interessante Entwicklungen beobachten. Die „Besser-statt-billiger“-Kampagnen einiger IGM-Bezirke greifen im Grunde den
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Gedanken einer impliziten „Sozialisierung“ der Unternehmerrolle auf, wie er auch in den regionalpolitischen Ansätzen zum Tragen gekommen ist. Kaum minder bedeutsam ist, dass der Übergang zu einer aktivierenden Mitgliederpolitik, wie wir sie exemplarisch an einigen Nürnberger Betriebsfällen nachzeichnen konnten, inzwischen bundesweit Nachahmung findet (Huber u. a. 2006). Ob man deshalb bereits von einer „Wiedergeburt der IG Metall“ („Die Zeit“) sprechen kann, sei dahingestellt. Fakt ist jedoch, dass die negative Mitgliederentwicklung in großen IG Metall-Bezirken mit Hilfe beteiligungsorientierter Ansätze gestoppt und teilweise sogar umgekehrt werden konnte. Insofern ist das letzte Wort in Sachen regionale Strukturpolitik noch nicht gesprochen. Vieles deutet darauf hin, dass ein halbwegs intelligent gemachter „Wettbewerbsregionalismus“ künftig eine Art Minimalvoraussetzung sein wird, um in der Konkurrenz regionaler Wirtschaftsräume überhaupt noch mithalten zu können. Regionen, die noch immer damit beschäftigt sind, sich Voice-Optionen in der politischen Arena zu verschaffen, die von der Konkurrenz zwischen maßgeblichen regionalen „Spielern“ geprägt werden; die es versäumen, Cluster und Kompetenzfelder zu definieren und unter veränderten Bedingungen zu reorganisieren; die sich in Rechtfertigungsschleifen für konzeptionellen Stillstand ergehen und Schwarze-Peter-Spiele mit übergeordneten Politikinstanzen organisieren, um die eigene Konzeptionslosigkeit zu kaschieren, werden – zumal vor dem Hintergrund veränderter Förderkulissen – weiter zurückfallen. Für diese Regionen gilt der berühmte Satz, der zum Synonym einer ganzen Epoche geworden ist: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!
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