Im Waffenzelt
von Ekkehart Reinke scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Ritter Botho erwachte. Ihn plagt...
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Im Waffenzelt
von Ekkehart Reinke scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Ritter Botho erwachte. Ihn plagte heftiger Durst. Das scharfgewürzte Schweinefleisch zum Abendessen hatte seine Zunge ausgetrocknet und seinen Gaumen gedörrt. Er richtete sich vom Lager auf, öffnete schwerfällig die Augen - und schloß sie gleich wieder. Es blieb sich gleich. Rings um ihn war es stockdunkel. In seiner eigenen Burg hätte Botho nur den Arm auszustrecken brauchen. Da standen neben der Lagerstatt immer Krüge voll Wasser, Milch und Bier bereit, um nächtlichen Durst jeglicher Art zu löschen. Aber er war ja Gast auf Burg Adlerhorst! Fluchend stand Botho auf und
tappte barfüßig mit ausgestreckten Armen durch die Dunkelheit, um irgendwo in den fremden Räumen etwas Trinkbares zu finden. Er war zuversichtlich, denn er hielt sich viel auf seine trefflichen Ahnungen zugute. Doch diesmal ließen sie ihn im Stich. Nicht die leiseste Ahnung warnte Botho, daß er bei seiner Suche dem Tod in die Arme laufen sollte.
Vom Durstgefühl getrieben, stolperte Botho blind durch nachtschwarze Flure, um gewundene Gänge und über schmale Steintreppen. Zuweilen ertasteten seine Finger eine Tür. Gern hätte er eine geöffnet, wäre eingetreten und hätte den Bewohner gefragt, ob er etwas zu trinken habe. Aber er scheute davor zurück. Wenn er nun zufällig in die Kemenate eines Burgfräuleins geriet! Bei diesem Gedanken begannen Bothos Knie zu zittern. Nichts fürchtete der Ritter mehr als den Klang von weiblichen Schreckensschreien und den Anblick von Frauentränen. Dabei wäre sein nächtlicher Besuch manchem der in der Burg ansässigen Frauenzimmer wahrscheinlich sogar angenehm gewesen. Botho erinnerte sich mehr als eines schmachtenden Blickes, der ihm beim Schmaus in der Halle von der Empore aus zugeworfen wurde. Doch hatte sich keine Möglichkeit ergeben, mit den Besitzerinnen feuriger Augenpaare auch nur ein Wörtlein zu wechseln. Burgherr Donald hatte ihn mit ausführlichen Schilderungen seiner Jagdabenteuer völlig mit Beschlag belegt. Leises Knurren drang an Bothos Ohr. Die Jagdhunde! Also näherte er sich der Halle, in der man vor Stunden getafelt hatte. Er riß die Augen auf und spähte in den schwarzen Schlund der Finsternis, die ihn umgab. In einiger Entfernung gewahrte er ein paar winzige Lichtpunkte. Da glosten wohl in eisernen Wandringen die letzten Fackelreste. Erleichtert schritt er schneller voran. Er hörte, wie einige Hunde sich erhoben, und beruhigte sie mit den vertrauten Lauten des Waldmanns. Nun war er in der Halle. Seine suchenden Hände stießen gegen hartes, gebeiztes Holz. Die Tafel! Er war jetzt so durstig, daß er den erstbesten Krug geleert hätte, der ihm in die Finger kam. Aber er fand nur leeres Geschirr. Ein Luftzug kräuselte Bothos blondes Haar. Kam jemand von draußen? Sein scharfes Ohr vernahm einen gedämpften, schleichenden Schritt. Doch das matte, fast ersterbende Fackellicht reichte nicht einmal aus, irgendeinen Umriß zu erkennen.
Plötzlich erstarrte Botho und stand stocksteif. Ihm fiel ein, daß er am nächsten Tag Ritter Roland begegnen sollte, um ihm wichtige Nachrichten zu überbringen. Er kannte Roland nicht von Ansehen, wußte nichts über seine Gewohnheiten, denn er war ihm noch nie begegnet. Nur daß er ein ungewöhnlicher Jüngling sei, war ihm vom Hörensagen bekannt. »Ist da wer?« fragte Botho halblaut, schwankend zwischen freudiger Erwartung und lauernder Vorsicht. Es hätte ihn nicht verwundert, wenn der andere, der die Halle betrat, Roland gewesen wäre. Zwei huschende Schritte in seinem Rücken! Und unterdrücktes Lachen. Es klang fast nach einer Frau. Unwillkürlich dachte er wieder an die flammenden Blicke auf der Empore. Und keine Vorahnung kam in ihm auf! Denn noch war Zeit zu fliehen. Aber er wußte es nicht. Vertrauensvoll wandte er sich um ... Kühl legte sich eine weiche und zarte Hand auf seine nackte Brust. Sie glitt zu seiner Schulter. Und dann spürte er den leichten Kitzel zwischen den Rippen. Mehr war zuerst nicht. Und wurde dann rasch ein heißer Schmerz. Wie nach einem tollen Lauf, wenn das Herz sticht und zu zerspringen droht. Da drang auch schon die lange, dünne Metallspitze tiefer in den Körper ein. Sie stach ihm mitten ins Herz, daß es für immer zersprang. * Staub umhüllte sie ganz und gar. Der Staub der zahlreichen endlosen Landstraßen, die sie zum Brunnen nach Gent geführt hatten. In den Gelenken der Rüstungen knirschten Sand und Kiesel. Angetrockneter Lehm überzog die Beine der Rösser bis zum Bauch. Kreidig leuchteten die verstaubten Gesichter.
Das eiskalte Wasser tat wohl. Ritter Roland fühlte sich nach wenigen Schlucken erholt. Doch sein Knappe Pierre war schlaff wie ein leerer Mehlsack. Er jammerte: »Hätte ich mich doch nie auf diesen Wahnsinnsritt eingelassen! Wie schön hatte ich es auf Schloß Camelot! Nie drückte ein harter Sattel mein armes Hinterteil wund und blutig. Immer saß ich auf schwellenden Kissen, die sich der Form des Hinterns angenehm anschmiegten und ein Blumenmuster trugen!« Roland achtete nicht der Klagen. Scharf spähte sein Auge über die Stadtleute von Gent, die in großer Anzahl den Platz um den Brunnen belebten. Hier waren sie mit Botho, dem Späher, verabredet. Dieser Ritter kannte sich gut im Küstenland aus, wo Sir Galahad eine geheime Feste hatte. Roland war Botho noch nie begegnet, aber man hatte ihm den Kundschafter genau beschrieben. Eine hochgewachsene, hagere, eckige Gestalt, dunkles, wuschliges Haar und eine eindrucksvolle Hakennase als auffallendstes Merkmal - der Mann war nicht zu verkennen. Plötzlich erhob sich Geschrei in ihrem Rücken. Pierre lag noch matt am Brunnenrand. Er hatte die Augen geschlossen und richtete sich nur langsam auf. Roland aber fuhr schnell herum und sah eine wilde Jagd die abfallende Hauptstraße heranstürmen. Vorneweg lief mit flatterndem schwarzem Haarschopf ein junges Weib. Es hatte die Röcke aufgeschürzt, und Roland gewahrte, daß es wohlgeformte, braungetönte Beine besaß, die es mit erstaunlicher Schnelligkeit vorwärts trugen. Nun erkannte er, daß es von einem Haufen Volks gehetzt wurde. Stadtsoldaten waren darunter, in grünem Wams mit langen, sperrigen Piken. Aber auch viele Bürger beteiligten sich an der Verfolgung. Unwillkürlich schlug Rolands Herz sofort für die Frau. Und er gedachte nicht, sie so gänzlich ohne männlichen Schutz ihrem Schicksal zu überlassen. Der Anblick tat ihm in der Seele weh. Was konnte ein armes, wehrloses Weib allein gegen einen Haufen Bewaffneter ausrichten?
Er sprang auf! Pierre ahnte seine Absicht und beschwor ihn, sich nicht einzumischen. »Was geht es Euch an, Roland? Wir sind Fremde hier und haben nichts mit den Händeln dieser Leute zu schaffen! Ich denke, wir haben auf den Landstraßen genug gelitten, als daß wir uns hier leichtfertig in Schwierigkeiten begeben.« Aber da lief Roland bereits mit gezogenem Schwert den vordersten Verfolgern in die Quere. Überrascht, bestürzt hielten sie inne und brachten sich vorsichtig aus dem Bereich der scharfen und mit Kraft geschwungenen Klinge. Der kurze Aufenthalt verschaffte der Flüchtenden einen Vorsprung. Ehe die Verfolger sich aufrafften, hatte Roland sie schon wieder verlassen, sprang auf seinen Araberrappen Rih und jagte hin ter dem Weibe her. Nur einige Galoppsprünge, und schon war Rih, der eben noch aus der Tränke gesoffen hatte, neben der Frau. Tief neigte sich Roland aus dem Sattel und packte mit geschicktem Griff die geschwinde Läuferin. Sie schrie vor Schreck und Bestürzung laut auf. Offenbar glaubte sie, nun endgültig in die Hände der Meute gefallen zu sein. Aber da hob sie Rolands starker Arm schon vom Boden und setzte sie vor sich auf den Rücken des Hengstes. Doch war die weitere Flucht versperrt. Von allen Seiten näherten sich nun die geschickt umgruppierten Soldaten mit ihren Piken. Dahinter drängte sich mit großem Geschrei, Knüppel und andere rasch zusammengeraffte Waffen schwingend, das Volk. Wohin sich wenden? Die schmalen Gassen waren nach vier Seiten von Soldaten besetzt. Es hatte keinen Zweck, das edle Roß gegen einen Wald von Pikenspitzen anrennen zu lassen. Mit einem Blick verschaffte Roland sich Übersicht. Eine einzige Zuflucht bot sich noch an. Es war ein festgebautes zweistöckiges Bürgerhaus. Die Eingangstür stand auf. Der Lärm der Jagd hatte die Bewohner herausgelockt. Ein Mann und eine Frau standen in der offenen Tür.
Roland überlegte nicht länger. Sofort nahm er Kurs auf dieses Haus. Er ritt so ungestüm heran, daß der Mann und die Frau erschrocken ins Innere zurückwichen. Roland ließ die Frau vom Pferd herabgleiten und drängte sie ebenfalls in die Tür. Dann sprang er selber leichtfüßig ab. Vergessen war die lange Qual der Landstraßen bei Hitze und Kälte, wenigem Essen, faulig riechendem Trank. Vergessen die Anstrengung stunden und tagelangen Reitens, immer niedriger gespannter Hoffnung. Einen Klaps gab er dem Rappen, dann drängte er sich durch die Tür. Keinen Augenblick zu früh. Die ersten der Verfolger hatten ihn erreicht. Drei kräftige Grünwämser waren allen voraus. Einer packte Roland mit mächtigem Griff von hinten am Kragen und hielt ihn fest. Die anderen stießen und pufften ihn seitlich und wollten sich an ihm vorbei ins Haus zwängen. »Nicht mit mir, ihr Lümmel!« rief Roland erbost. »So haben wir nicht gewettet!« Damit hatte er sich bereits losgerissen und hielt seinerseits den Vordersten an der Kehle und gab ihm dann mit der freien Hand einen so kräftigen Stoß vor die Brust, daß der Vorwitzige hilflos wie eine Kugel weit über die Straße dahinrollte. Im Hausflur erblickte Roland einen derben Knüttelstock, den der Hausherr oder seine Söhne wohl gern beim Wandern benutzten. Den ergriff der Ritter, wandte sich um und trieb mit einigen gutgezielten Streichen die vordersten Angreifer zurück. Dann warf er die Tür ins Schloß und schob einige stählerne Riegel vor. Als er sich jetzt ins Innere wandte, hatte er sofort den Eindruck, einen großen Fehler begangen zu haben. Er sah, wie der Hausherr ihn mit einem Gemisch aus Wut und Entsetzen anstarrte, und eine fürchterliche Ahnung beschlich sein Herz. Dann sagte der Mann, und in seiner Stimme schwang tiefste Abscheu: »Wie konntet Ihr es wagen, Herr Ritter? Ihr bringt großes Unglück über mich und meine Familie! Seid Ihr des Teufels?« Noch immer begriff Roland nicht. Sein Sinn empörte sich gegen die mit großem Ernst vorgebrachten Vorwürfe. »Aber ich habe doch
nur ein hilfloses Weib vor der Wut des Pöbels beschützt«, verteidigte er sich, und sein Blick fiel auf die vorläufig Gerettete, die ihn voll Dankbarkeit ansah. Ihr bräunliches Gesicht unter den wallenden schwarzen Haarlocken dünkte ihn weit einnehmender als jedes Frauenantlitz, das er auf dem wochenlangen Ritt nach Gent gesehen hatte. Und dennoch ... »Pöbel! Was für ein Wort! Was erdreistet Ihr Euch, Herr Ritter? Dann zählt Ihr also auch mich zum Pöbel?« »Wie? Auch Ihr wünscht dieser armen, wehrlosen Frau Böses?« »Arme, hilflose Frau!« Der Mann warf wie in Verzweiflung die Arme in die Höhe, während die Verfolgte in eine Ecke wich und die Hände vors Gesicht schlug. »Nun, ist sie das etwa nicht?« fragte Roland. »Seid Ihr so unwissend, Herr? Diese Frau ist Svea, die Hexe!« Abergläubische Scheu befiel Roland. Noch nie war er einer Hexe leibhaftig begegnet, aber viel hatte er daheim in seiner Kindheit von Hexen gehört. Seine Mutter, die Köhlersfrau, schwelgte in Erzählungen von Geistern, Gespenstern und Hexen. Doch bei ihr waren es immer ausnehmend häßliche, alte Weiber gewesen, die des Nachts auf dem Besen durch die Lüfte ritten. »Sie sieht mir nicht nach einer Hexe aus«, wandte Roland ein. »Das eben ist ihre teuflische Bosheit«, entgegnete der Mann. »Mit einer hübschen Larve versucht sie, den arglosen Bürger zu täuschen...« Hammerschläge erdröhnten von draußen gegen die feste Tür. Svea erbebte und brach in die Knie. Tränenströme rannen unter ihren Händen hervor. »Wir müssen ihnen öffnen!« rief der Mann. »Herr Ritter, leistet der Gerechtigkeit nicht länger Widerstand, ich bitte Euch!« »Aber wer ...«, stammelte Roland unschlüssig, »sagt denn, daß sie.... daß Svea eine Hexe sei?« »Bedeutende Männer sind sich darüber einig«, antwortete der Mann. »Und was soll mit ihr geschehen?«
»Ich hoffe, daß wir sie auf dem Scheiterhaufen brennen sehen, wie es ihr gebührt. Doch fürchtet nichts! Ihr wird volle Gerechtigkeit widerfahren. Übermorgen wird sie dem Hohen Gericht der Stadt Rede und Antwort stehen.« »Und sie wird Gelegenheit haben, sich zu verteidigen?« »Wie es der Brauch ist«, versetzte der Mann, aber seine Worte gingen fast in einem erneuten Gehämmer unter. Roland gab sich einen Ruck. Wenn sie wirklich eine Hexe war, wie hier alle zu glauben schienen ..., und wenn ihr volle Gerechtigkeit widerfahren sollte ..., so durfte er dem Vollzug der Obrigkeit nicht länger in den Arm fallen. Er schob die Riegel zurück, öffnete die Tür und trat den Grünwämsern stolz entgegen. »Ergreift die Frau!« sagte er laut und ein wenig hochfahrend, »aber krümmt ihr kein Haar! Setzt sie in Gewahrsam, und wartet den Spruch des Gerichtes ab!« »Hört euch den an«, rief ein Stadtsoldat. »Er kommandiert uns nach Gefallen, als wäre er unser Hauptmann!« »Auf ihn!« schrien andere hinter ihm. »Werft euch auf den Ritter!« Und schon drangen sie gegen ihn vor. Roland zog sein Schwert. Es sah bedrohlich aus. »Zurück, sage ich euch!« ertönte da eine befehlsgewohnte Stimme. Die grünen Wämser wichen zur Seite, und ein Kerl mit goldenen Orden trat gewichtig vor. »Geht, fremder Ritter! Für diesmal sollt Ihr ungeschoren davonkommen. Aber macht, daß Ihr Land gewinnt! Ein zweites Mal kann ich Euch für nichts garantieren ... und will es auch gar nicht.« Vor Roland öffnete sich eine schmale Gasse, und von zornigem Gemurmel begleitet schritt er zum Brunnen, wo er neben dem angstvoll wartenden Pierre einen Neuankömmling gewahrte. Rih war bereits von selber zum Brunnen zurückgetrabt und beendete eben seine Erquickung an der Tränke. Pierres Blick war vorwurfsvoll. Auch der rittermäßig gekleidete Fremde neben ihm schaute Roland nicht gerade freundlich entgegen. Plötzlich fiel es Roland wie Schuppen von den Augen. Der Herr
mußte sein Späher Botho sein. Im Näherkommen musterte er ihn aufmerksam. Nun, so hochgewachsen wie er selber war der Fremde bei weitem nicht. Auch nicht gar so hager und eckig, wie man ihn beschrieben hatte. Das Haar war dunkel und wuschelig, doch wiederum nicht so dunkel und wuschelig, wie Roland es sich vorgestellt hatte. Die Hakennase enttäuschte am meisten. Es war kein trotziger Haken, der die Nase kenntlich machte, sondern eher eine leichte Krümmung. Nun standen sie voreinander. Der Fremde streckte die Hand aus. »Ihr seid Roland - das ist unverkennbar. Kühn, unbedacht und gewinnend.« Roland ergriff des anderen Hand. »Wenn Ihr Botho seid«, sagte er zurückhaltend, »dann heiße ich Euch willkommen.« »Ich bin Botho«, entgegnete der andere und kniff auf merkwürdig beunruhigende Art ein Auge zu. »Ich bringe Euch Nachricht von meiner Kundschafterfahrt. Doch rate ich, daß wir später darüber sprechen und schleunigst aus der Stadt reiten.« »Den Rat hörte ich eben schon einmal«, bemerkte Roland bitter. »Dann säumt nicht länger, edler Ritter, denn nie ward Euch besserer Rat gegeben. Ich führe Euch zu meinem guten Freund, dem Ritter Aar, auf dessen Burg Adlerhorst wir ein ehrliches Nachtmahl und ein gutes Lager finden werden. Leicht könnte Aar auch ein wichtiger Helfer unserer gemeinsamen Sache werden.« Pierre saß schon abmarschbereit auf seinem Klepper und schaute seinen Ritter bittend an. Rolands Augen wanderten zu dem zweistöckigen Haus hinüber. Eben zerrten die Stadtsoldaten Svea heraus. Sie hatte jeden Widerstand als nutzlos aufgegeben. Stumm ließ sie sich fortschleppen, dem Gefängnis zu. Noch immer waren die Röcke hochgeschürzt wie bei ihrer schnellen Flucht. Und wieder fiel es Roland auf, wie schöngeformt die braungetönten Beine waren, die ihre Besitzerin vorhin so rasend schnell vorwärts getragen hatten. Eilig ritten sie von dannen. Als die Stadt hinter ihnen lag, fielen sie in Schritt. Roland mühte sich, Näheres über Sir Galahad zu erfahren.
Doch Botho schwieg. »Hört, warum ich diesen gewalttätigen Ritter aufspüren will«, erklärte Roland, »Er hat auf hinterlistige Weise meinen früheren Herrn, den edlen Sigurd, ermordet und später einen gefährlichen Aufstand auf Schloß Camelot entfesselt. Was mich betrifft, so will mich König Artus in seine berühmte Tafelrunde aufnehmen, sobald ich fünfzig tapfere Taten vollbracht habe. Ihr wißt, daß der König in seiner Tafelrunde die jeweils edelsten zwölf Ritter ihrer Zeit versammelt. Meine erste Tat aber sei nach Artus' Willen die Aufspürung und Bestrafung des Sir Galahad samt seiner verwünschten Helfershelfer.« »Dies alles ist mir wohlbekannt«, versetzte Botho. »Ihr werdet meinen ausführlichen Bericht auf Burg Adlerhorst vernehmen. Gerade jetzt aber bekümmert mich Euer unbedachtes Benehmen bei der Hexenjagd. Mich dünkt, Ihr seid noch zu unerfahren, um Sir Galahad zu besiegen und ein Ritter der Tafelrunde zu werden.« Roland wollte auffahren, bezwang sich aber. Er konnte sich wahrlich von Schuld nicht ganz freisprechen. Schließlich fragte er ziemlich kleinlaut: »Was wißt Ihr über Svea?« »Sie ist ohne Zweifel die gefährlichste Hexe der letzten 100 Jahre«, berichtete Botho voll Eifer. »Sie ist vom Teufel besessen, und die Liste ihrer Schandtaten ist so dick wie das Alte Testament. Sie verführt und erpreßt und mordet - alles mit geheimen Zauberkräften, die ihr vom Bösen verliehen wurden.« Und bei diesen Worten kniff er wieder ein Auge zusammen, als teilten er und Ritter Roland ein höchst unziemliches Geheimnis. Roland lief es kalt den Rücken hinunter. * Dunkelheit brach herein. Mit gesenktem Kopf ritt Roland dahin. Er fühlte sich mutloser und unlustiger als zu irgendeiner Zeit während der langen, harten Ritte nach Gent. Wäre doch Volker vom Hohentwiel bei ihnen - sein Freund, der
Minnesänger und fahrende Ritter! Doch dem war der Ritt vor zwei Tagen leid geworden. »Sei unbesorgt, Roland«, sagte er tröstend zum Abschied. »Wenn du mich brauchst, stehe ich an deiner Seite ...« Von Zeit zu Zeit vernahm Roland das Raunen von Bothos Stimme neben sich. Er sprach über Sveas verwerfliche Untaten. Wie sie das Vieh der Bauern verzaubert habe. Wie die Kühe giftige Milch gaben, die Kälber mißgestaltet zur Welt kamen und kräftigen Stieren plötzlich alle Stärke verging, daß sie sich auf fetter Weide hinwarfen und starben. Wie die Hexe einsame Wanderer vom Wege lockte, daß sie in Schluchten stürzten und sich das Genick brachen. Wie sie überall Streit und Unfrieden säte. Wie sie Krankheit unter die Kinder brachte. Und wie jedesmal, wenn sie wieder ihre unheimlichen Wege beschritt, laut und furchteinflößend vom Wald her der Kauz schrie. Und unheimlich wurde nun auch Roland zumute. Schauer rührten ihn an. Sein Blut floß träge und kraftlos. Es war eine Sache, mit Menschen zu kämpfen, mit Menschen aus Fleisch und Blut. Doch es war ein ander Ding, sich mit den unangreifbaren Mächten der Finsternis einzulassen! Botho schwieg. So verging einige Zeit. Da schrie ganz in der Nähe ein Kauz! Roland zuckte zusammen, und Bothos Pferd tat einen erschreckten Sprung vorwärts. Auch Rih schnaufte ängstlich und warf den Kopf unruhig von einer Seite zur anderen. Das Schreien aber hörte nicht auf. Doch dann erkannte Roland, daß es gar kein Vogelschrei war, sondern der Angstschrei eines Menschen. Und nun vernahm er auch einige Worte: »Helft mir! Zu Hilfe, ich bin überfallen worden! So helft mir doch!« Es war Pierre! Der Knappe war ein Stück zurückgeblieben, und Roland hatte ihn beinahe vergessen. Doch nun riß er den Rappen herum. Seine Bedrücktheit schwand. Zorn gewann die Oberhand. Rasch trug ihn Rih an den Ort des Überfalls. Roland sah nur
Schattengestalten, die umeinanderwogten. Am Schreien erkannte er Pierre, den fünf Männer umringten. Es mußten einige der Stadtsoldaten sein, denn sie schwangen ihre Piken. Roland zog sein Schwert und verdrosch dem Nächststehenden mit der stumpfen Seite gründlich den verlängerten Rücken. Nun lösten dessen Klagerufe das Geschrei Pierres ab. In wenigen Sekunden war der Überfall beendet. Die Soldaten, die sich hier in den Hinterhalt gelegt hatten, stürmten Hals über Kopf davon. »Lauft, was ihr könnt!« schrie der, den Roland verbleut hatte. »Ein Dutzend Reiter sind hinter uns her!« Auch Pierre hatte viele Hiebe einstecken müssen. Sein Gesicht war blutüberströmt. Er war verwundet. »Auf Schloß Camelot«, wimmerte er leise, »wäre mir das nie passiert!« Zu allem Überfluß brach ein Gewitter los. Der Regen kam so urplötzlich, daß sie in Sekundenschnelle bis auf die Haut durchnäßt waren. Sie hätten einander verloren, wenn nicht die wild zuckenden Blitze immer wieder für Sekunden die Gegend erhellt hätten. So fand sie Botho. »Hier ganz in der Nähe weiß ich ein einsames Gasthaus«, sagte er. »Laßt uns dorthin reiten! Wir finden Unterschlupf, ein wärmendes Getränk und Behandlung für unseren tapferen Verwundeten.« Das Wort »tapfer« gewann ihm auf der Stelle Pierres ganze Zuneigung. Nach kurzer Zeit erreichten sie unter Bothos Führung das niedrige Blockhaus, das sich mit der Rückseite an eine kleine, steile Anhöhe schmiegte. Der Regen ließ spürbar nach. Aber der Donner rollte unaufhörlich, und die Blitze schienen genau über ihnen von Wolke zu Wolke zu springen. Sie begaben sich zunächst in den Angebauten Stall. Einige knochige Mähren verrieten die Anwesenheit anderer Reisender. Von einer Strohschütte erhob sich ein Junge und näherte sich schüchtern. Ängstlich blickte er auf das blutige Gesicht Pierres. Roland sprach ihn mit beruhigenden Worten an. Er bot ihm einen Groschen wenn er sich unverzüglich daranmache, ihre Rösser
trockenzuwischen und gehörig zu füttern. Erfreut begann der Junge auf der Stelle die gewünschte Arbeit. Roland sah im Schein der Blitze, als sie zum Schankraum hinübergingen, Bothos leicht gekrümmte Nase. Und wiederum wunderte er sich, wie der unbedeutende Zinken in den Ruf einer auffälligen Hakennase gekommen war. Rund um die rohgezimmerten Holztische saßen in fast völligem Schweigen Gestalten des Waldes. Forstarbeiter, Holzfäller, Jäger, Viehheger, Köhler. Mit ruhigen, gemessenen Bewegungen füllten sie aus großen Krügen ihre Holzbecher, stützten schwer die Ellbogen auf die Tische, hielten die müden Häupter in der Schale ihrer gefalteten Hände und wechselten nur dann und wann ein Wort, wenn sie schlürfend den Becher bis auf den Grund leerten. Erschöpft von schwerer Tagesarbeit holten sie sich hier den angenehmen, leichten Rausch, der ihnen später erholsamen Schlaf spendete. Nur an einem Tisch ging es lebhafter zu. Dort tafelten die Reisenden: Kaufleute, Roßhändler, ein Gaukler, Boten. Hinter dem Schanktisch kein alter, vom Leben abgestoßener Wirt, sondern ein junger, beweglicher Kerl in abgewetztem Wildleder. Augen glühten wie feurige Kohlen im wilden, schwarzstruppigen Gesicht. Er wies Pierre den Weg in die Küche, wo sich eine Magd seiner annahm. Als sie das Blut abwusch, entdeckte man, daß er nur eine lange Platzwunde auf der Stirn davongetragen hatte. Die Knochen waren unbeschädigt. Die Ritter nahmen etwas abseits Platz. Botho bestellte heißen Met. Ihre nassen Kleider dampften. Die Blockhütte bebte, wenn der Donner grollte. Wenige neugierige Blicke wagten sich verdeckt zu ihnen hin. »Wie weit ist es noch bis zum Adlerhorst?« fragte Roland. Das heiße Getränk rötete seine bartstoppligen Wangen. »In einer Stunde reiten wir durch das Burgtor«, versprach Botho. Ein ungeschlachter Riese stand vor dem Schanktisch. Über der alten Hose trug er nur ein zerrissenes Hemd, das seine gewaltigen Oberarmmuskeln sehen ließ. Weit vorgebeugt starrte er den Wirt an
und fragte: »Ein erfolgreicher Abend, he? Zauberst du uns mal wieder die Münze aus den Taschen? Mußt doch schon einen dicken Geldsack unterm Bett zu stehen haben!« Der Wirt senkte den Kopf und polierte einen gläsernen Humpen. »Sprichst nicht mit jedem, he?« stichelte der Riese. »Bin dir nicht vornehm genug. Mag wohl sein. Ich kann dir aber, wenn du es gern möchtest, die Faust in die Rippen schmettern, daß du für eine Weile keinen Donner mehr hörst und keine Goldstücke mehr siehst.« »Noch was zu trinken?« fragte ihn der Wirt und stellte den Humpen beiseite. »Den Humpen voll!« verlangte der Riese. »Vom besten! Vom Ritterwein!« »Gern, wenn du bezahlen kannst.« »Ich sagte, du füllst den Humpen! Bezahlt wird später. Vielleicht am Nimmerleinstag. Oder ...« Er streckte einen Arm aus und hielt dem Wirt die mächtige Faust unter die Nase. »Er ist unser Allerstärkster«, sagte stolz ein selbst ziemlich kräftig gebauter Holzfäller zu der Runde an seinem Tisch. »Er heißt Vidal und schwingt auch die schwerste und längste Axt mit einer Hand. Dennoch schlägt er zwei Bäume in der Zeit, die unsereins für einen einzigen braucht.« »Nun, wird's bald?« fragte der Riese Vidal drohend am Stammtisch. Der Wirt schenkte einen Bierkrug voll. »Zuerst bezahle mir die sechs Groschen, die du heute bereits vertrunken hast!« Die beiden Ritter ließen sich den heißen Met schmecken. Er rann wie Feuer durch die Glieder. »Offenbar wollten sich die Stadtsoldaten an mir rächen«, überlegte Roland. »Aber sie überfielen meinen Knappen! Das gefällt mir überhaupt nicht. Ich werde sie zur Rechenschaft ziehen.« »Ihr werdet derlei Dinge unterlassen«, fauchte der Mann, der sich Botho nannte, »oder ich müßte Euch jede Hilfe verweigern.« Der Riese Vidal stand breitbeinig vor dem Schanktisch und stemmte die Hände in die Hüften. »Den möchte ich sehen, der mir
sechs Groschen abnimmt!« sagte er mit einschüchternder Stimme. Der Wirt antwortete nicht. Er griff nach dem Krug und kam hinter dem Schanktisch hervor, um ihn zum Tisch der Reisenden zu bringen, die inzwischen aufmerksam geworden waren. »Er kann der beste Kamerad sein«, fuhr der Holzfäller am Tisch fort. »Aber Widerspruch verträgt unser Vidal nicht. Wer seine Meinung anzweifelt, fängt sich leicht ein paar fürchterliche Schellen ein und muß eine Woche das Bett hüten. Wir haben uns angewöhnt, ihm immer recht zu geben, und wenn er noch so ungereimtes Zeug von sich gibt. Dem Wirt scheint das nicht bewußt zu sein. Wenn er nicht einlenkt, wird er das Ende des heutigen Abends nicht mehr erleben. Nicht bewußt, meine ich.« Der Wirt war jetzt auf der Kundenseite des Schanktisches. Mit beiden Händen trug er den vollen tönernen Krug vor sich her. Roland blickte zufällig zu ihm hinüber, und irgend etwas an ihm kam ihm bekannt vor. Zu Botho sagte er: »Vielleicht habt Ihr recht. Jedenfalls unterwerfe ich mich Eurem Urteil. Da Pierres Wunde zudem unbedeutend ist, will ich es die Stadtsoldaten nicht entgelten lassen. Ich habe wichtigere Aufgaben.« Vidal lehnte mit dem Rücken gegen den Schanktisch und beobachtete jede Bewegung des schwarzbärtigen jungen Wirtes genau. Der Wirt vermied es, an dem riesigen Holzfäller vorbeizugehen. Lieber beschrieb er einen großen Halbkreis, um ihm nicht zu nahe zu kommen. Er näherte sich jetzt dem Tisch der Reisenden. Da streckte Vidal ruckartig eins seiner unendlich langen Beine aus, verhakte seine Stiefelspitze unvermutet im rechten Fuß des Wirtes und zog ihm roh den Fuß nach hinten weg. Der Wirt verlor das Gleichgewicht. Er stürzte vornüber zu Boden. Mit großem Lärm polterte der Krug auf die Diele und zersprang in viele Stücke. Das Bier floß in schäumendem Schwall über den lie genden Mann. Die Reisenden sprangen auf die Füße. Die Holzarbeiter stierten auf
den gestürzten Mann. Auch die Ritter wurden durch den Krach aufmerksam. Aber nur einer handelte. Mit einem Sprung war Vidal bei dem Gestürzten. Unter dem Vorwand, ihm in die Höhe helfen zu wollen, packte er ihn am schwarzen Haarschopf und wischte sein Gesicht mit schwerer Hand über die Bierlachen am Boden. Dabei setzte er ihm wie zufällig einen seiner Riesenfüße auf den Rücken. »Das kommt davon, wenn man so geldgierig ist«, erklärte er scheinheilig. »Ihr habt es alle gesehen: Der arme Kerl kann nicht mehr geradeaus laufen, weil ihn das Gewicht des Geldes in seinen Taschen unweigerlich nach unten zieht!« Noch einmal beugte er sich hinab und tunkte des Wirts Gesicht unsanft in das verschüttete Bier. Einige Männer, die regelmäßig ihren Lohn hier vertranken, lachten schadenfroh. Die Reisenden setzten sich und berieten laut. Roland schaute auf Botho. Der bedeutete ihm, ruhig sitzenzubleiben, und kniff wieder auf seine unangenehme Weise ein Auge zu. Vidal lehnte bereits am Schanktisch und fragte in die Runde: »Ob man in diesem Gasthaus noch mal etwas zu trinken bekommt? Freilich, wenn der Wirt das Bier lieber auf den Boden kippt, als es seinen Gästen zu servieren, ist wenig Hoffnung.« Dröhnendes Gelächter antwortete ihm von den Tischen seiner Freunde. Langsam richtete der Wirt sich auf. Sein Gesicht war eine schmutzverschmierte Maske. Feuchte Sägespäne klebten an seinen Wangen. Die nassen, bierverklebten Locken hingen wirr nach unten. Als bereite ihm jede Bewegung Schmerzen, stand er zögernd auf. Seine Augen gingen blicklos in die Ferne. Schwerfällig wandte er sich um und schlurfte auf den Schanktisch zu. Als der Wirt noch etwa zwei Schritte von Vidal entfernt war, streckte der Riese das andere Bein vor, um ihn erneut zu Fall zu bringen. Aber diesmal blieb ihm das Hohngelächter in der Kehle stecken. Der Wirt war mit elegantem Satz darüber gesprungen und stand nun unmittelbar vor Vidal. »Zum letzten Mal«, sagte der Wirt in äußerst ruhigem Ton, »die
sechs Groschen - oder du verläßt meine Wirtschaft ein für allemal und läßt dich nie mehr hier blicken!« »Widerspruch verträgt unser Vidal nicht«, hatte der HolzfällerKollege am Tisch berichtet. Nein, er vertrug ihn wirklich nicht. Rot vor Zorn feuerte der Riese einen Faustschlag auf den Wirt ab. Der Hieb hätte einem Ochsen das Weiterleben verleiden können. Doch der Wirt nahm nur den Kopf ein wenig beiseite, und der Schlag fuhr ins Leere. Vidal wurde mitgerissen und drohte nach vorn auf den Wirt zu fallen. Doch im nächsten Augenblick krümmte er sich und sank in die Knie. Keines Menschen Auge vermochte zu entscheiden, wo der Wirt ihn getroffen hatte. Seine Faust war schneller herausgezuckt, als irgend jemand es verfolgen konnte. Den nächsten Schlag sahen alle. Der Wirt zielte mit Bedacht. Er traf ihn am Kinn. Und dann prasselten noch ein Dutzend Hiebe gegen den Kopf des Riesen, der sich kaum noch wehrte. Der Wirt trat zurück. Vidal fiel der Länge nach zu Boden und blieb reglos liegen. Die meisten Gäste waren aufgesprungen. Auch Roland. Denn jetzt hatte er den Wirt wiedererkannt! Indessen begann der Wirt, die Scherben des Kruges aufzusammeln. Eine Handvoll nach der anderen klaubte er hoch und steckte sie dem Bewußtlosen vorn unter das alte, halbzerrissene Hemd. Er holte einen Lappen, wischte den Boden sauber, warf einen Blick auf seine Gäste, die das Geschehen immer noch nicht recht begriffen, und fragte höflich: »Wer wünscht noch etwas zu trinken?« »Wissen Sie, wer dieser erstaunliche Wirt ist?« wandte sich Roland eifrig an Botho. Der zuckte nur die Achseln. »Es ist Louis!« rief Roland. Louis - das war einmal der Hauptmann einer Räuberbande in den Wäldern um Xanten gewesen, die den Knappen Roland zweimal überwältigt hatte. Zweimal war Roland ihr wieder entkommen - und fast wider Willen hatte sich in ihm etwas wie Sympathie für den hochgemuten begabten Anführer entwickelt. Doch der Name Louis sagte dem Mann, der den Namen Botho
führte, gar nichts. Hochmütig kniff er ein Auge zu und hob wie abwehrend die auffallend kleinen weißen Hände! Im nächsten Augenblick stand Louis, der Wirt, an ihrem Tisch. »Ihr seid vorangekommen in der Welt seit unserer letzten Begegnung, Herr Ritter Roland! Ich bitte Euch, folgt mir ins Hinterzimmer - auf ein Wort!« * Zu Beginn ihrer geheimen Unterredung beglückwünschte Roland den ehemaligen Räuberhauptmann zu seinem unglaublichen Sieg über Vidal. »Noch nie sah ich eine ähnliche Gewandtheit im Faustkampf«, gestand er. »Du warst so schnell, daß man weder Abschuß noch Einschlag deiner Faust beobachten konnte.« »Es war Keine sonderliche Ruhmestat, den großen Kerl flachzulegen«, antwortete Louis mit ungewohnter Bescheidenheit. »Sicherlich ist er so stark wie ein junger Bär, aber dafür auch täppisch und von langsamem Denken. Schließlich behindert ihn seine Überheblichkeit. Gerade das Bewußtsein von seiner scheinbar unbezwingbaren Stärke macht ihn verletzlich. Im übrigen kam mir der kleine Zwischenfall zupaß. Es ereignet sich immer wieder, daß einige Gäste, sobald sie betrunken sind, zu randalieren anfangen. Das wird diese Gemüter für einige Zeit dämpfen, denke ich. Wenn Vidal wieder aufwacht, werden ihn Kopfschmerzen daran erinnern, daß man mir in meiner Gastwirtschaft nicht ungestraft ein Bein stellt.« »Deine Erklärung leuchtet mir ein, Louis. Dennoch frage ich mich, wo du diese Art des waffenlosen Kämpfens so hervorragend gelernt hast.« »Nun, das geht auf meine Räuberzeit zurück. Damals überfielen wir eines Tages eine Reisekutsche. Da die Insassen nur wenig Geld und gar keine Wertsachen mit sich führten, hielten wir sie in der Hoffnung auf Lösegeld ihrer Verwandten eine Zeitlang im Wald gefangen.. Es befand sich aber ein Fechtmeister und Boxlehrer unter ihnen. Ich nahm bei ihm Unterricht, und wir hatten beide unseren
Vorteil davon. Zum Dank ließen wir ihn nämlich als ersten frei, ohne daß Geld dafür hinterlegt werden mußte. Später besuchte ich ihn sogar noch einige Male heimlich in der Stadt, um mich unter seiner Aufsicht zu vervollkommnen. Ich durfte Vertrauen zu ihm haben. Er verriet mich mit keinem Wort.« Ein plötzlicher Einfall schoß Roland durch den Kopf. Doch bevor er ihn äußern konnte, nahm Louis wieder das Wort. Der Wirt hatte es eilig, zu seinem eigentlichen Anliegen zu kommen. »Ritter Roland«, begann er, »Ihr habt mir von allen Männern, die mir in meiner wilden Zeit im Wald begegneten, am meisten Respekt eingeflößt. Deshalb schenke ich Euch reinen Wein ein. Ich bin in einer furchtbaren Lage, und Ihr seid meine einzige Hoffnung!« Roland sah ihn gespannt an. Was würde er zu hören bekommen? »Es handelt sich um eine junge Frau«, fuhr Louis fort. Seine Stimme nahm mehr und mehr einen unüberhörbaren Ton der Verzweiflung an, der Roland ans Herz griff. »Wir lieben uns. Sie ist der eigentliche Grund, warum ich dem wilden Leben ade gesagt und eine neue ehrliche Existenz begonnen habe. Ihr macht Euch keinen Begriff davon, welch ein edelmütiger, gutherziger und zartfühlender Charakter sie ist.« Des Wirtes Augen nahmen einen Ausdruck an, der von unbeschreiblicher Qual sprach. »Alles schien zum besten zu stehen«, fuhr er mit einem tiefen Seufzer fort. »Im nächsten Monat sollte sich unser Glück erfüllen. Wir wollten heiraten. Doch heute ... Heute ging alles zu Ende. Unser Glück stürzte wie ein Kartenhaus zusammen. Denn man hat... Man hat sie als Hexe verhaftet...« Seine Stimme brach. »Du sprichst von Svea?« rief Roland überrascht. Louis nickte traurig. »Ihr kennt Svea?« In kurzen Sätzen schilderte ihm Roland seine Begegnung mit dem schwarzhaarigen jungen Weib. »Nun, da Ihr sie mit eigenen Augen gesehen habt, werdet Ihr meine Verzweiflung verstehen«, sagte Louis. »Sie ist alles, was ein Mann sich vom Schicksal erhoffen kann. Und nun schwebt sie
unschuldig in höchster Gefahr! Die Anklage - so widersinnig und lächerlich sie ist - kann sie das Leben kosten. Denn die Leute in dieser Gegend hängen dem schlimmsten Aberglauben an. Und sie fühlen sich befreit, wenn sie all ihr Ungemach - als da sind Krankheit, Not, Mißgeschick - auf einen anderen abwälzen können, den sie für schuldig halten.« »Wie?« fuhr Roland auf. »Du hältst es für möglich, daß man Svea trotz ihrer offenbaren Unschuld verurteilen wird?« »Möglich?« antwortete Louis mit dumpfer Stimme. »Ich rechne fest damit.« »Aber wie geriet sie überhaupt in diesen ungeheuerlichen Verdacht? Es scheint so ungerecht, so unangebracht. Ihr klares Gesicht, ihr ganzes Wesen wirkten einnehmend auf mich. Nichts an ihr kann im entferntesten an eine böse Hexe erinnern. Wie du sagst, ist Svea obendrein voll reinster Herzensgüte. Wer ist ihr Feind? Wer hat sie verleumdet?« »Ich kann es nur ahnen«, antwortete Louis. »Vor einigen Wochen erzählte sie mir von einem geheimnisvollen Besucher. Bei Dunkelheit verschaffte er sich unter einem Vorwand Eintritt in ihr Haus. Er war kostbar gekleidet wie ein Mann von adliger Herkunft.« »Kannte Svea den Mann?« »Nein. Er trug eine Halbmaske, die sein Gesicht verbarg, und nannte nie seinen Namen.« »Was verlangte er von ihr?« »Er behauptete, eine tiefe Neigung zu ihr gefaßt zu haben. Dann forderte er sie auf, seine Geliebte zu werden. Er bedrängte sie hart und wiederholte seinen Besuch mehrere Male. Eine Weigerung, so erklärte er schließlich, werde er unter keinen Umständen anerkennen. Immer leidenschaftlicher, immer ungestümer setzte er dem verwirrten Mädchen zu. Doch was immer er ihr versprach, standhaft lehnte sie sein Ansinnen Mal für Mal ab. Zuletzt verlor er die Geduld, tobte wie ein Rasender und verwünschte die Frau, die er doch angeblich von Herzen liebte und verehrte, mit den übelsten Worten. Er nannte sie eine Hexe und schwor, daß sie auf
schreckliche Weise für ihre Weigerung büßen werde.« »Du siehst mich betroffen, Louis. Und dennoch! Nehmen wir an, daß er bei der Verleumdung und der folgenden Verhaftung wirklich seine Hand im Spiel hatte. Doch versicherte man mir in der Stadt, daß sie jede Möglichkeit erhalten werde, sich reinzuwaschen. Ein faires Gerichtsverfahren erwartet sie.« »So fair wie Vidals hinterlistiger Angriff auf mich!« rief Louis in schmerzlicher Erregung. »So redlich wie der Betrug durch falsche Münze! So gerecht wie der Verrat des Judas! Wie soll sie sich gegen die Vorwürfe so vieler engstirniger, verhetzter Menschen wehren, die nur darauf aus sind, ein schwarzes Schaf für ihre eigenen Unzulänglichkeiten zu finden? Wie gegen einen geheim nisumwitterten, mächtigen Adligen, der sie mit unzähmbarem Haß verfolgt? Nein, Svea ist verurteilt, bevor sie die Schwelle des Gerichts überschreitet! Sie ist verloren.« Erschüttert schaute Roland den Sprecher an. Und während der Ritter noch nach Worten suchte, warf sich ganz unerwartet Louis vor ihm auf die Knie. »Ihr, Ritter mit dem Löwenherzen, seid der einzige, der Svea retten kann. Ihr seid kühn und gerecht. Aus tiefstem Herzensgrund flehe ich Euch an: Versucht es! Und wüchsen meine Knie durch den Boden ins Erdreich, so wollte ich mich doch nicht eher von diesem Fleck rühren, als bis Ihr mir Eure Hilfe versprochen habt!« Roland beugte sich hinab, faßte den Knienden brüderlich bei den Armen und zog ihn zu sich empor. »Bei meiner Ritterehre, die mir das Höchste ist«, sagte er leise, aber mit feierlichem Ernst, »du sollst nicht eine Sekunde länger flehen. Heute zieht mich ein dringendes Geschäft zur Burg Adlerhorst. Übermorgen jedoch, wenn das Gericht in der Stadt zusammentritt, werde ich zur Stelle sein und mit allen meinen Kräften jeglichem Unrecht wehren - des sei gewiß.« Während Roland seiner Rührung Herr zu werden trachtete, kam ihm nicht einen Augenblick lang der Gedanke, Louis könnte ihn auch nur mit einem einzigen Wort belogen haben.
*
Sobald Svea den Richter erblickte, wurde ihr leichter ums Herz, und sie schöpfte Hoffnung. Mit seinem gepflegten weißen Haar, den schmalen, pfiffigen Äuglein und den rosafarbenen Pausbäckchen sah er gütig aus und erweckte ihr Vertrauen. Aber die weißen Haare waren in Wirklichkeit eine Perücke, die er über einen Kopf von fast furchterregender Kahlheit gestülpt hatte. Die Äuglein waren nur deshalb so verschmitzt schmal, weil sie ihm vor Müdigkeit zuzufallen drohten. Und die freundlichen Pausbäckchen hatte er sich auf langen, nächtlichen Sitzungen erworben, bei denen er große Mengen von Braten, Soße und Kartoffeln zu vertilgen und mit fantastischen Bierstürzen nachzuspülen pflegte. Daher war Richter Lennart, ungeachtet seiner feierlich würdigen Erscheinung des Morgens, besonders bei Gerichtsterminen, stets übellaunig. Die Größe seines Alkoholkonsums ließ sich unschwer am Strafmaß ablesen, das er dem Angeklagten verpaßte. Sowie er jedoch einem armen Sünder seine zehn bis fünfzehn Jahre Kerker mit Zwangsarbeit zudiktierte, besserte sich seine Stimmung schlagartig, und man sah ihn, nun wieder in erschreckender Kahlköpfigkeit, einem reichlichen Mittagsmahl im Ratskeller zustreben. Svea kam während ihres Prozesses dank Lennarts Gepflogenheiten kaum zu Wort. Mit wachsendem Entsetzen lauschte sie den Aussagen der ihr meist unbekannten Zeugen. Da trat ein altes Mütterchen vor die Schranken und berichtete mit brüchiger Stimme: »Im Mondlicht sah ich die böse Hexe zum Schornstein meines Häuschens hereinfahren. Als sie nach einiger Zeit wieder hinausfuhr, zog sie einen Schweif aus Schwefel hinter sich her. Es krachte wie beim Feuerwerk und stank nach Teufelsdreck. Drei Tage später starb mein Sohn an Koliken, und alle meine Hühner gingen ein, und das war ihr Werk.« Unter atemloser Spannung fragte der Richter das gramgebeugte alte Mütterchen: »Erkennst du die Hexe von damals hier im
Gerichtssaal wieder?« »Ja«, rief die Greisin und richtete einen bebenden Zeigefinger auf die hübsche, junge Angeklagte, »da sitzt die Verworfene!« »Gelogen!« schrie Svea empört. Aber das Wort ging unter im allgemeinen Krach, den die Verwünschungen der Zuhörer, die Glocke des Richters und die Rufe der Büttel verursachten. Als die Ruhe wiederhergestellt war, verkündete Lennart: »Damit ist auch dieser Punkt der Anklage bewiesen worden.« Dann rief er den nächsten Zeugen auf. Getröstet schlurfte das alte Mütterchen davon. Mit der einen Hand stützte es sich schwer auf seinen Krückstock. Die andere spielte in der Tasche seines weiten Rockes mit den fünf Dukatenstücken, die ihm am Abend zuvor heimlich ein Beauftragter jenes Adligen über bracht hatte. Der Bote hatte die Greisin eine volle Stunde lang darin unterwiesen, was sie vor dem Hohen Gericht der guten Stadt Gent auszusagen habe, und sie hatte es alsdann geduldig eingeübt, bis sie es mühelos auswendig hersagen konnte. Übrigens konnte sich die Greisin nicht lange des Besitzes der fünf Dukaten erfreuen. Denn vor den Pforten des Gerichts erwartete sie ihr angeblich an Koliken verstorbener Sohn und nahm ihr sehr lebendig vier der Goldmünzen ab, von denen er eine neue stramme Milchkuh und einen kräftigen Esel zu kaufen gedachte. Nachdem zwölf Zeugen unter Anrufung Gottes falsches Zeugnis wider Svea abgelegt hatten, fragte Richter Lennart die Geschworenen in leierndem Tonfall: »Ist die Jury zu einem Urteilsspruch gelangt?« Der Obmann erhob sich und erwiderte nach einer demütigen Verbeugung: »Jawohl, Euer Gnaden.« »Und wie lautet der Spruch?« Der Obmann hielt es nicht einmal für nötig, sich auch nur durch einen einzigen Blick mit den übrigen Geschworenen zu verständigen. Denn auch in seiner Hosentasche ruhten einige Goldstücke, die er zuvor nicht besessen hatte. So antwortete er unverzüglich im Brustton freudig erfüllter Pflicht: »Schuldig, Euer Gnaden.« Dann setzte er sich wieder, und seine Kollegen nickten beifällig im
Bewußtsein, der guten Sache gedient und der Hölle und ihrem Fürsten einen derben Streich versetzt zu haben. So sehr hatte sie das geschenkte Gold verblendet. Richter Lennart setzte sein schmieriges Barett auf, heftete einen niederschmetternden Blick auf die verängstigte Svea und verkündete, indem er die schnapszerfressene Stimme ein wenig erhob: »So verurteile ich die Angeklagte wegen zahlreicher Untaten und Morde durch das verruchte Hexenwesen zum Tode durch das Feuer. Das Urteil wird am dritten Tage von heute um zehn Uhr vormittags im Angesicht des gerechten Volkes von Gent auf dem Marktplatz vollstreckt. Sie wird auf dem Scheiterhaufen sterben!« Svea stieß einen markerschütternden Schrei aus. Aber schon stürzten sich drei Büttel auf sie und zerrten sie aus dem Saal. Wenige Augenblicke später fand sie sich in dem Kerker wieder, in dem sie die Nacht verbracht hatte. Furchtbare Qualen zerrissen ihr das Herz. Ihre junge Seele bäumte sich gegen den Gedanken auf, so bald eines unverdienten, schrecklichen Todes sterben zu müssen. Sie warf sich mit nackten Knien auf den harten Steinboden, zerzauste sich das schöne schwarze Haar und rief mit klagender Stimme verzweifelt nach Louis und wußte doch zugleich, daß ihr Geliebter nichts zu ihrer Rettung unternehmen konnte, daß sie verloren war. Einmal erinnerte sie sich des fremden Ritters, der sie für kurze Zeit vor der Wut des Volkes geschützt hatte. Wohin mochte er inzwischen gezogen sein? Sicherlich hatte er sie längst vergessen! Was ging ihr Schicksal schließlich den stattlichen fremden Jüngling an? Doch menschliches Mitgefühl war nicht so fern, wie Svea meinte. Einer der drei Büttel, dessen Name Bob war, faßte eine spontane Zuneigung zu ihr. Als er ihr Jammern sah, begab er sich zur Küche der Stadtsoldaten und besorgte einen Krug mit heißer Hühnersuppe. Den brachte er Svea und zwang sie, davon zu trinken. Ihre Blicke trafen sich. Sveas schwarze Augen tauchten in das leuchtende Blau Bobs. Ob sie eine Hexe ist? dachte er. Und wenn - so hat es noch nie eine
schönere Hexe gegeben! Sie ist wunderbar. In der ganzen Stadt sah ich nie ein schöneres Mädchen. Kann soviel Schönheit wirklich so verrucht sein, wie der alte, häßliche Ritter Lennart verkündet hatte? Bob machte sich keine Illusionen über den hochgeachteten Vorsitzenden des Hohen und Peinlichen Halsgerichts der guten Stadt Gent. Er wäre längst davongejagt worden, wenn sein Vetter nicht Bürgermeister gewesen wäre. Erst vor einigen Nächten hatte Bob Lennart sturzbetrunken auf halbem Wege zwischen Ratskeller und seinem Haus aufgefunden. Bob hob den stöhnenden, seiner Sinne kaum mächtigen Mann auf und schleppte ihn eine halbe Meile weit. Er stützte ihn, als er pochend um Einlaß bat. Die garstige Frau des Richters öffnete schlaftrunken. Bob trug den Besoffenen über eine Stiege in sein Schlafgemach und legte ihn fürsorglich aufs Bett. Sein Lohn bestand in einem Fußtritt ins Hinterteil. Denn des Richters aufgebrachtes Weib hielt ihn für einen Zechkumpan ihres Mannes. »Gelt«, sagte der mitleidige Bob, »nun geht es dir besser, Schwesterlein? So ein kerniges Hühnersüppchen hält Leib und Seele beisammen!« Diese wenigen, gutgemeinten Worte richteten die Todgeweihte auf. Sie ergriff Bobs Hand und bedeckte sie mit Küssen. »Junger Mann, wer du auch bist«, schluchzte sie, »erbarme dich meiner! Willst du ruhigen Blutes mitansehen, wie ein junges Weib, das dein Weib sein könnte, grausam hingerichtet wird? In deine Hände ist mein Schicksal gelegt. Du brauchst mir nur die Tür zu öffnen und eine kurze Zeit beide Augen zu schließen...« »Ich habe großes Mitleid mit dir, Weib«, antwortete der Büttel schwankend, »aber das darf ich nicht tun. Man würde es mir nie verzeihen. Doch ich möchte dich gern trösten. Wein doch nicht! Du mußt ja heute noch nicht sterben. Und morgen auch nicht. Zwei schöne Tage liegen noch vor dir.« »Schöne Tage!« schluchzte Svea, »mit der Aussicht auf den Scheiterhaufen!« »Ja, eine schöne Aussicht ist das nicht«, murmelte der junge Büttel
erschrocken. »Aber wie konntest du auch so schreckliche Dinge tun? Schließlich hast du dich ja wirklich als Hexe umhergetrieben und über viele Familien Unheil gebracht!« »Kein Wort davon ist wahr! Die Zeugen logen!« Ungläubig blickte Bob sie an. »Alle logen? Und du meinst, du bist gar keine Hexe?« »Ich bin nie eine gewesen. Denn wenn ich eine wäre, so wär's mir doch ein leichtes, den Kerker zu verlassen und zum Schornstein hinaus durch die Lüfte hohnlachend davonzureiten!« »Das ist allerdings richtig. Ich hatte es noch gar nicht bedacht. Wenn du eine Hexe wärst, könnten keine Fesseln dich halten. Ich weiß nicht mehr, was ich davon halten soll. Das übersteigt mein Begriffsvermögen. Es ist zuviel für meinen Kopf. Ich werde mich mit meinen Kameraden beraten.« »Oh, hab Erbarmen!« flehte Svea herzzerreißend. Aber da riefen die beiden anderen auch schon nach Bob. Es gefiel ihnen nicht, daß er sich so lange mit der Gefangenen unterhielt. Sie hatten Verdacht geschöpft. »Läßt du dich etwa von ihr umgarnen?« fragte der eine vorwurfsvoll. »Keineswegs«, widersprach Bob. »Sie hat mich nur gebeten, sie entwischen zu lassen ...« »Da haben wir's! Mann, willst du uns alle drei in Teufels Küche bringen? Weißt du denn nicht, was geschieht, wenn sie uns wirklich entwischt? Dann landen wir an ihrer Statt auf dem Scheiterhaufen!« Bob bekam fast einen Herzanfall, als er das hörte! Worauf hatte er sich da eingelassen? Sie schien doch eine Hexe zu sein. Sie hatte ihn fast um den kleinen Finger gewickelt. Von diesem Augenblick an betrachtete auch Bob Svea mit kalten, mitleidlosen Blicken und hütete sich, ihr noch einmal nahezukommen. Das Weib, dachte er, ist ja gefährlicher als eine Horde verzweifelter Strauchdiebe! Gegenüber verließ zu dieser Zeit ein Bote den Ratskeller. Richter Lennart hatte ihn mit einem Auftrag zu einem Mann namens Ortwin geschickt.
Dieser Ortwin war ein hochgewachsener, wohlgestalteter Mann mit einem feuerroten Haarschopf, der ein ziemlich einsames Leben führt0 . Die Nachbarn gingen ihm nach Möglichkeit aus dem Weg. Er stand sehr niedrig in der allgemeinen Achtung, obwohl er einen guten Verdienst in einem ziemlich krisensicheren Handwerk hatte. Ortwin war der Henker von Gent, und des Richters Auftrag an ihn lautete, den Scheiterhaufen für die Verbrennung der Hexe Svea vorzubereiten. * Bankett auf Burg Adlerhorst! Die große Halle wimmelte von Menschen und Hunden. Am Kopfende der langen, mit Schüsseln überladenen Tafel saß der Hausherr, Ritter Aar, ein Mann von düsterer Gesichtsfarbe und derber Figur. Er kannte nur ein Gesprächsthema - die Jagd. Während er Roland, seinem Ehrengast, stark gewürzte Leckerbissen vom Wildschwein vorlegte, schwelgte er in Jagderinnerungen. Es schien kein wildes Tier zu geben, das er nicht schon verfolgt, gejagt, gehetzt hatte, zu Fuß und zu Pferde, im Anschleichen und vom Ansitz, bei hellem Tage und tiefer Nacht, bei Regen, Schnee, Kälte und Hitze, mit Lanze, Schwert, Hirschfänger und Netz - ja, zuweilen gar mit bloßen Händen. Roland war bald gelangweilt. Als Sohn eines Köhlers hatte er von klein auf im Wald gelebt und wußte weit mehr über die wilden Tiere als der große Jäger Aar. So merkte er bald, daß der Burgherr gewaltig aufschnitt und prahlte. Immer wieder versuchte Roland, das Gespräch auf Sir Galahad zu lenken. Inzwischen hatte er erfahren, daß sein Todfeind sich in einer Feste auf einem Felsen der Meeresküste verbarg. Der Mann, der sich Botho nannte, hatte versprochen, ihn dorthin zu führen. Mit seinen schmalen weißen Händen malte er den Weg auf der Tafel nach und kniff verschwörerisch ein Auge zu. Würde Aar ihm Unterstützung zukommen lassen?
»Soviel Ihr wollt, Roland«, versprach Aar leichthin. »Ich gebe Euch eine ganze Schwadron mit, wenn's denn sein muß. Aber um auf diesen kapitalen Hirsch zurückzukommen, von dem ich Euch erzählt habe ... Es war ein Sechzehnender, und er hatte schon zwei Wildheger mit seinem gewaltig ausladenden Geweih erstochen. Eines Morgens ...« Mitleidlos dröhnte die eintönige Stimme des Burgherrn weiter, unentwegt. Roland gab sich nur noch oberflächlich den Anschein, als höre er ihm zu. Seine Blicke schweiften über den Damenflor auf der Empore und verfingen sich immer wieder in einem allerliebsten Paar blauer Samtaugen. Durch geschickte Fragen erfuhr er, daß die Samtäugige Fräulein Reinhild hieß und eine Verwandte von Aars Frau war. Aar selber würdigte sie keines Blickes. Von ihm erzählte man sich in der Burg, daß er zahlreiche Liebschaften mit den Mädchen des Gesindes, mit Bauerntöchtern und einfachen Bürgerinnen unterhielt. Endlich hob Aar die Tafel auf, und alle zogen sich müde auf ihre Zimmer zurück. Roland ließ Reinhild nicht mehr aus den Augen und merkte sich, hinter welcher Kemenatentür sie verschwand. Zuletzt schenkte sie ihm noch ein keckes Lächeln, das sein Blut in Wallung brachte. Schlaf fand Roland lange Zeit nicht. Wenn er die Augen schloß, erschien Reinhilds feines blondes Köpfchen vor seinem geistigen Auge. Bald kam etwas anderes hinzu. Heftiger Durst plagte ihn und wurde allmählich fast unerträglich. Das scharfgewürzte Fleisch an Ritter Aars Tafel! Roland fragte sich, ob es wohl allen jetzt so ging, die dort geschmaust hatten. Doch dann fiel ihm ein, daß er ja fast nur von Aar persönlich ausgewählte Stücke gekostet hatte. Hatte Aar ihn etwa absichtlich mit besonders scharfem Fleisch gefüttert? Steckte ein geheimer Sinn dahinter? Mißtrauen beschlich ihn. Doch der Durst war nicht mehr auszuhalten. Roland wußte, daß drunten in der Halle noch manche Kanne köstlichen Mets ungeleert geblieben war. Der Gedanke trieb ihn von der Lagerstätte, durch
nachtdunkle Flure, um gewundene Gänge und über schmale Steintreppen. Er seufzte voll Sehnsucht, als er an Reinhilds Tür vorbeikam. Da gewahrte er auch schon an der nächsten Biegung die winzigen Lichtpunkte glosender Fackelreste und hörte das leise Japsen der Jagdhunde. Doch das war nicht der einzige Laut! Gedämpfte, schleichende Schritte waren in seinem Rücken zu vernehmen. »Ist da wer?« fragte Roland halblaut. Er meinte, ein Leidensgenosse suche wie er nach einem kühlenden Trunk. Da huschte der andere näher. Eine weiche, kleine Hand legte sich auf seine Schulter. Zwischen den Rippen spürte er einen leichten Kitzel. Ein unterdrücktes Lachen im Dunkel... Und mit einer heftigen Anstrengung riß Roland sich los. Irgend etwas hatte ihn gewarnt. Das war keine freundliche Berührung! Das war eine stählerne Spitze - ein Stachel, gezielt auf sein Herz. Er wich zurück. Er spürte die Gegenwart des Mörders und hörte seinen enttäuschten, leisen Fluch. Die Hunde erhoben sich und schlichen zwischen den Beinen der Männer umher. Wo stand der Feind? Vergebens mühte sich Roland, die Finsternis der Halle mit den Augen zu durchdringen. Dann schlugen Türen im weiten Bau. Aus einem der oberen Stockwerke schallte Aars Stimme: »Hast du ihn erwischt?« Und die Antwort aus der Halle: »Er ist mir entkommen! Ich sehe ihn nicht!« Roland erkannte den Rufer. Es war der Mann, der sich Botho nannte, der sein Kundschafter gewesen sein wollte. Ein Verräter! Vielleicht ein Spitzel Sir Galahads, mindestens aber sein Parteigänger. Im Geist sah Roland wieder das falsch wirkende, unangenehm vertrauliche Zukneifen des einen Auges und die kleinen weißen Hände, die so geschickt das tückische Messer zu führen wußten. Und im gleichen Augenblick ahnte er, daß der wirkliche Botho, der
mit der echten Hakennase, wohl der Mörderklinge bereits zum Opfer gefallen war. »Heraus, ihr Männer!« rief Aar von oben. Nachdem der Anschlag des falschen Botho mißglückt war, hielt er es nicht mehr für nötig, seine bösen Absichten zu verschleiern. »Heraus, alle! Spürt ihn auf, den Lakaien des Königs! Ergreift Roland! Laßt ihn nicht entfliehen! fünfzig Dukaten dem, der ihn mir bringt, tot oder lebendig!« Roland sträubten sich in der düsteren Halle die Haare. Zum erstenmal im Leben hörte er, wie eine Prämie auf seinen Kopf ausgesetzt wurde. Es war ein bedrückendes, ein unheimliches Er lebnis. Und nun zögerte er nicht länger. Die Außentür war mit Sicherheit verschlossen. Er mußte ein Fenster finden und von dort den unsicheren Sprung in die Freiheit wagen. Nur rasch! Eile war geboten! Er lief ins Innere der Burg. Überall wurden Türen geöffnet. Männer kamen auf die Gänge. Manch einer trug eine brennende Kerze. Die zitternden Schatten huschten überlang an den Wänden hin und her. Roland mischte sich unter die Männer. Er tat, als sei er einer von ihnen. In dem Ungewissen Spiel der Schatten war es sehr schwer, jemanden zu erkennen. Auf federleichten Sohlen strebte er den Weg zurück, den er gekommen war. Doch sein Zimmer, in dem er sich verbarrikadieren wollte, erreichte er nicht mehr. Hinter einer Biegung öffnete sich eine wohlbekannte Tür einen Spaltbreit. Ein Frauenarm schob sich hindurch. Eine Hand winkte. Er schlüpfte hinein. »Reinhild«, flüsterte er hingerissen. »Ihr seid sehr kühn.« Er ahnte sie mehr, als daß er sie sah. Wie eine schmale Silhouette, wie eine liebliche Verheißung, stand sie vor dem grauen Umriß des Fensters. Die Berührung ihrer Hand fuhr ihm bis in die Zehenspitzen. »Was geht da draußen vor?« wollte sie wissen. »Die ganze Burg ist in Aufruhr«, antwortete er. »Sie suchen einen Mann.« »Sonderbar«, sagte sie.
Roland breitete die Arme aus, ergriff ihre Ellbogen und zog sie langsam zu sich heran. Ihre Nähe war zu verlockend. Doch sie entwand sich ihm und sagte tadelnd: »Herr Ritter!« »Verzeiht«, antwortete er, ließ aber ihre Hände nicht los. »Glaubt nicht, daß ich es an Respekt Euch gegenüber vermissen ließe. Aber die seltsamen Umstände unserer Begegnung ...« »Ich glaubte Euch in Gefahr«, erklärte sie einfach. »Ich wollte verhindern, daß ein Unbesonnener das heilige Gastrecht verletzen könnte - unter dem Dach meines Verwandten Aar!« »Es ist wahr«, gab er zu. »Jemand unternahm einen Mordanschlag auf mich, als mich quälender Durst auf der Suche nach Trinkbarem in die Halle trieb.« »Einen Mordanschlag! Täuscht Ihr Euch nicht?« »Ein Zweifel ist nicht möglich. Oh, Reinhild, habt Ihr einen Tropfen Wasser für einen Verdurstenden?« Es fanden sich Krug und Becher. Roland trank, ohne abzusetzen. Der Brand in der ausgetrockneten Kehle ließ nach. Sie blieb an seiner Seite. Er roch ihr feines, angenehm duftendes Parfüm. Wieder zog er sie an sich. Seine Hände strichen über ihre nackten Schultern. Er spürte ihr wohliges Erschauern. Sie drängte sich an ihn. Ihr hauchzartes Nachtgewand war wie eine zweite Haut. Ein leidenschaftlicher Rausch erfaßte den Ritter. Er vergaß alle Gefahr. Während er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte, streifte er ihr das Gewand vom Leib. Nicht nur ihre Augen, auch ihre Haut war wie Samt. Sekunden später lagen sie auf ihrem Bett. Sie ließ ihn nicht mehr von sich. Auch Roland war jetzt nackt. Mondlicht fiel ins Zimmer und verging. Seufzer und wonnevolles Stöhnen erfüllten den Raum. In der Stunde höchster Gefahr liebten sich Roland und Reinhild mit letzter Hingabe. Ihre Körper schienen untrennbar verschmolzen. Als sie den Höhepunkt nahen fühlte, stieß sie kleine Schreie aus. Das erregte Roland zu höchster Glut. In einem rasenden Stakkato rauschhafter Bewegungen gelangten sie gemeinsam zum Gipfel der Liebeswonne.
Mund an Mund blieben sie liegen, während der Sturm der Gefühle allmählich verebbte. Da hasteten Schritte schwer über den Gang vor der Tür. Rufe wurden laut. »Ich darf nicht mehr lange bei dir bleiben, Reinhild«, flüsterte Roland, während er sich erhob und in Windeseile seine Kleider anlegte. »Flucht ist das einzige, was mir bleibt. Sag, war unlängst ein Mann namens Botho hier zu Gast?« »Ja, vor wenigen Tagen. Es war ein großer, freundlicher Mann mit einer lustigen Hakennase. Er tafelte mit Aar und seinen Männern und verbrachte die Nacht in der Burg. Ich sah ihn nicht wieder. Es hieß, er sei dringender Geschäfte wegen in aller Herrgottsfrühe davongeritten.« »Ich vermute, daß er in aller Herrgottsfrühe in der Burg ermordet wurde.« »Roland!« »Ja, es scheint, daß er das gleiche Schicksal erlitt, was mir heute nacht zugedacht war.« »Aber warum, Roland, warum?« »Ich weiß es auch nicht. Ich durchschaue es nicht. Beim Bankett hat Aar mir noch jede Unterstützung gegen Sir Galahad zugesagt. Und jetzt will er mich töten lassen!« »Meinst du wirklich, daß Aar dahintersteckt?« »Ich hörte, wie er demjenigen fünfzig Dukaten versprach, der mich ihm tot oder lebendig bringt.« »Das ist unmöglich! Du mußt dich verhört haben, Roland. Nie würde Aar das Gastrecht verletzen. Er ist ein Langweiler und Prahlhans, aber das Gastrecht ist ihm so heilig wie ... wie seine Jagdhunde.« Da pochte es von draußen heftig gegen die Tür. Männerstimmen forderten Reinhild auf zu öffnen. Sie tat, als sei sie eben erst erwacht. Mit schlaftrunkener Stimme hielt sie die ungeduldigen Männer auf. Sie müsse erst aufstehen, sich etwas überwerfen, eine Kerze anzünden ...
»Es eilt, Reinhild!« tönte es ungeduldig. Indessen war Roland ans Fenster geeilt. Er öffnete es und schaute in die Tiefe. »Sobald du die Tür aufmachst«, sagte er, »springe ich hinunter - in die Freiheit.« »Um Gottes willen, tu das nicht! Es ist viel zu hoch. Es wäre dein sicherer Tod.« »Weit gewisser wäre mein Tod, wenn Aars Männer mich hier fänden. Kann man sich irgendwo verstecken?« »Unmöglich. Sie würden dich immer finden. Doch warte ... Mein Roland, mir fällt etwas ein. Vor einiger Zeit habe ich, ich weiß selbst nicht warum, aus geheimem Antrieb eine seidene Strickleiter genäht.« »Das ist die Rettung! Du bist wunderbar, Reinhild! Wo ist die Strickleiter?« Und wieder dröhnten Schläge gegen die Tür. Ernster jetzt, nachdrücklicher, von gebieterischer Forderung. Während das Fräulein die Strickleiter aus einem Wäschekorb fischte, rief es: »So geduldet Euch doch noch einen Augenblick, ihr Herren, ich fliege ja schon ...!« Hastig eilte sie zum Fenster, und gemeinsam verknüpften sie das obere Ende der Strickleiter am Rahmen. Roland zögerte keinen Herzschlag länger. Er schwang sich zum Fenster hinaus, schien einen Augenblick frei in der Luft zu schweben und trat dann mit sicherem Fuß in das feste, seidene Gespinst. Reinhild war zumute, als müßten ihr die Sinne vergehen. So schnell verschwand Roland also aus ihrem Leben! Sie griff nach ihm, drückte ihm einen Kuß auf die Stirn und flüsterte: »Mein Roland, werde ich dich je wiedersehen?« »Gewiß, Reinhild«, war seine Antwort. »Kein Mordstahl ist so scharf geschliffen, kein Gebirge so hoch getürmt, keine Schlucht so unergründlich tief, kein Schrecken so furchtbar, als daß ich nicht zu dir strebte mit all meiner Seele!« Schon kletterte er abwärts. Nur sein helles Haar leuchtete noch in der Nacht. »Roland«, rief sie ihm mit erstickter Stimme nach, »wie
lange werde ich auf dich warten müssen?« »Solange Regen rinnt«, sagte er inbrünstig, »und Wolken ziehen, solange der Vogel singt und die Sonne unsere Herzen und Körper wärmt, so lange darfst du hoffen, daß Roland auf dem Weg zu dir ist und keine Hindernisse kennt!« Es war das letzte, was sie von ihm hörte. Mit einem tiefen Seufzer schloß sie rasch das Fenster, entzündete eine Kerze, preßte den Morgenmantel enger um die schlanke Gestalt und schob den Türriegel zurück. Draußen standen im Ungewissen Fackellicht mehrere Bewaffnete. »Wen sucht Ihr, Herren?« fragte sie ungehalten. »Ihr seht mich allein! Wer gab Befehl, die Damen bei der Nachtruhe so roh zu stören?« »Es sind Feinde in der Burg«, erwiderte einer. »Sie bedrohen auch Euch, Fräulein. Gefährliche Männer, die sich im Schutz des Gastrechts eingeschlichen haben, um uns allen Böses zuzufügen. Wir fürchteten, daß einer, der Rädelsführer, sich zu Euch in die Kemenate geschlichen habe.« Reinhild stampfte mit dem Fuß auf und gab sich den Anschein großer Entrüstung. Die Männer stürmten an ihr vorbei und suchten in Schränken und hinter Truhen - ohne Erfolg. Indessen begab sich Reinhild kaltblütig ans Fenster, knüpfte schnell die Strickleiter los und warf sie nach unten. So konnte ihr niemand auf die Schliche kommen. Vorsichtig kroch Roland aus dem Burggraben, in den ihn die nächtliche Kletterpartie geführt hatte. Wie mochte es seinem Knappen Pierre ergangen sein? Ob er überhaupt noch am Leben war? Vom Ende des Grabens hörte er Geschrei und Waffengeklirr. Er rannte darauf zu. Gerade brach der Mond durch einen Wolkenturm und beleuchtete eine gespenstische Szene. Zwei Männer kämpften mit hochgeschwungenen Schwertern. Als Roland nahe heran war, erkannte er in ihnen Pierre und den falschen Botho. Der Knappe, im Waffenhandwerk ungeübt, befand sich in schwerer Bedrängnis. Nur mit Mühe erwehrte er sich der immer
gefährlicher werdenden Streiche des Gegners. Seine Kräfte schwanden. Kaum konnte er noch die Waffe heben. Die Arme versagten ihm beinahe den Dienst. Da sprang aus den schwarzen Schatten der Burgmauer Roland hervor. Pierre sank gerade in die Knie und stöhnte: »Heiliger Himmel, hilf!« Dann stürzte er aufs Gesicht, schloß die Augen und erwartete den Todesstoß. Doch statt dessen fühlte er, wie ihm sein Schwert entrissen wurde. Dann klang wieder Stahl auf Stahl hell durch die Nacht. Doch das war eine andere Musik als vorher! Ein schnellerer, härterer Takt. Zehn Herzschläge lang horchte er, ohne sich zu rühren. Dann setzte die stählerne Melodie aus, und wie das Ende der Welt drang der hohle Todesseufzer des Verräters Botho an sein banges Ohr. Vorsichtig hob er den Kopf. Eine hohe Gestalt erhob sich vor ihm und verdeckte den Mond. »Auf, Pierre«, rief Rolands wohlbekannte Stimme. »Wir reiten!« * Die Bürger der Stadt Gent versammelten sich in ihrem Sonntagsstaat auf dem Marktplatz. Es war keine Sensationslust, die sie dorthin lockte. Sie glaubten ehrlichen Herzens, ein gottgefälliges Werk zu tun, wenn sie der Verbrennung einer bösen, schädlichen Hexe zusahen. Was wußten sie von den Seelenqualen Sveas, die ja keine Hexe, sondern ein normales Menschenkind war? Von einem abgewiesenen Freier war sie verleumdet worden. Ein Freier, der mit seinem Geld die bestechlichen Gemüter für seine niederträchtigen Rachegelüste gewann. Die Nacht vor ihrem Tode hatte Svea in einem fürchterlichen Zustand verbracht. Abwechselnd fluchte und betete sie, zerraufte sich die Haare, wälzte sich auf der blanken Erde und weinte hemmungslos. Es war nicht allein der Gedanke an so frühen,
unwürdigen und unverdienten Tod. Es war auch die Furcht vor den unmenschlichen Schmerzen, die das Feuer ihr bereiten würde. Am Morgen kam noch einmal Bob, der Büttel zu ihr. »Svea, weine nicht mehr!« sagte er ruhig. »Du brauchst keine Angst vor dem Scheiterhaufen zu haben. Ich sprach mit dem Henker. Er ist eine gutmütige Seele und will dir nicht weh tun. Er versprach mir, das Feuer so zu schüren, daß du in Windeseile vom Qualm ohnmächtig wirst und danach nichts mehr spürst. Dein Tod wird so sanft sein wie das Einschlafen nach ermattendem Spiel.« Kein Wort davon war wahr. Und doch übten sie eine gewisse Wirkung aus, die beschwichtigenden Worte, die ihm sein gutes Herz eingegeben hatte. Als man Svea zum Scheiterhaufen führte, war alles Gefühl in ihr erloschen. Wie eine von schwerem Rausch Betäubte wankte sie dahin und nahm nichts mehr wahr. Das erste, was ihr wieder zu Bewußtsein kam, war die hohe, fast edle Gestalt des Henkers, mit dem doch kein Bürger menschlichen Kontakt pflegen wollte. Sein häßliches rotes Haar war wie sein Gesicht unter einer schwarzen Kapuze verborgen. Auch seine beiden Henkersknechte - ein dicker und ein stämmiger - hatten ihre Gesichter auf gleiche Weise verhüllt. So wollte es das Gesetz. In atemloser Spannung harrte das Publikum. Da ging ein Schrei der Erregung durch die Menge. Der Henker hatte den Holzstoß entzündet! Inmitten der aufzüngelnden Flamme hing Svea gefesselt an einem Pfahl! Rot züngelten die Flammen zum Saum ihres einfachen Gewandes. Qualm brodelte auf. Aber er nahm ihr nicht, wie Bob verheißen, das Bewußtsein. Plötzlich sah Svea alles in grauenhafter Schärfe. Obwohl sie nichts verbrochen hatte, mußte sie die schlimmsten, ehrlosesten und hoffnungslosesten Qualen erleiden. Da bäumte sich ihr letzter Lebenswille auf. Sie schrie. »Der Schrei der Hexe«, sagte ein Spießbürger und verspürte ein angenehmes Kribbeln.
Doch im gleichen Augenblick hörte Svea eine männliche Stimme raunen: »Fürchte nichts«, sagte die Stimme. »Ich rette dich - ich, dein Henker!« Rote, gelbe, violette, orangefarbene Flammen flackerten vor Sveas Augen. Hitze brandete gegen sie. Sie schloß die Augen. Ihr war, als stünde ihre ganze Haut in Flammen. Die Hitze war unerträglich. Sie rüttelte an ihren Fesseln. Doch die Stricke gaben nicht nach. In ihrer Not fiel ihr die fremde Stimme ein: »Fürchte nichts«, hatte sie geraunt. »Ich rette dich - ich, dein Henker!« Die beiden Henkersknechte - der dicke und der stämmige - liefen plötzlich mit brennenden Fackeln vom Hinrichtungsplatz weg. Der eine wandte sich nach links, der andere nach rechts. Sie schwenkten ihr Feuer und riefen: »Lauft davon, Leute, der Teufel ist hinter euch her!« Verwirrung fuhr unter die Bürger der Stadt Gent. Sie sahen, wie die Henkersknechte verrückt umeinanderrannten, hörten ihre angsterregenden Rufe und glaubten wirklich, der Teufel sei unter sie gefahren. Pierre und Louis - denn sie waren die Henkersknechte - erledigten ihre Aufgabe gut. In kurzer Zeit hatten sie so viel Furcht unters Volk gebracht, daß aus der festlichen Versammlung ein totales Chaos geworden war. Svea merkte, wie die Fesseln um ihre Handgelenke fielen. Sie war frei! Ein unbeschreibliches Gefühl! Doch wohin sollte sie fliehen? Ringsum wogten Feuer und Qualm. Jeder Fluchtweg schien ver sperrt. Die Hitze wurde mit jedem Atemzug bedrängender, war immer schwerer zu ertragen. Wie Dolche fuhren ihr die wabernden Luftströme in die Lunge. Svea wurde plötzlich von Panik übermannt. Sie öffnete den Mund. Ein neuer heißer Dolchstoß ... Sie begann zu schreien. Verzweiflung hielt sie umfangen. Dann sah sie, wie der Henker schnell auf sie zutrat. Glutschein zuckte über die schwarze Maske, die sein Gesicht verbarg. Sie streckte eine zitternde Hand nach ihm aus. War es Abwehr oder
Annäherung? Sie wußte es selber nicht. Gedanken wirbelten in ihr durcheinander. Ihre Hand traf auf Nässe, erfrischende, fast kühle Nässe. Das Kostüm des Henkers fühlte sich an wie in Wasser getaucht. Und da brachte er eine Wolldecke, die vorher unter seinen Utensilien gelegen hatte. Und diese Wolldecke triefte vor Nässe. Wassertropfen hingen an den Säumen. Wassertropfen quollen aus den Stoffasern und fielen herab. Herrliche, wohltuende Feuchtigkeit! Und der Henker warf ihr die nasse Decke über den Kopf, umhüllte ihre ganze Gestalt damit und schloß die bedrohlichen, quälenden Flammen aus. Sie fühlte sich hochgehoben. Ihre Füße schwebten über den Boden. Er trug sie fort. Mit einem Sprung durchquerte der Henker, Svea in den Armen, die lodernde Feuerwand. Dann ließ er, ohne den Griff um die junge Frau zu lockern, sich vom Podest herab. Und noch einmal die metallisch klingende Stimme an ihrem Ohr die Stimme, die sie von nun an nie im Leben mehr vergessen würde sie raunte: »Die Hinrichtung ist vorbei, meine Liebe! Die Flammen können uns nicht mehr erreichen. Jetzt wird wieder gelebt!« Täuschte sie sich, oder lachte der Mann, der wie ein Henker gekleidet war, wirklich? Ja, Roland lachte laut, befreit, ansteckend, mitreißend! Roland lachte im Kostüm des Henkers über die fassungslos hin und her stiebende Menschenmenge. Die guten Bürger der Stadt Gent waren von dem unerwarteten, blitzschnell sich abrollenden Befreiungsakt so überwältigt, daß sie keine Anstalten machten, sich den Flüchtigen in den Weg zu werfen und sie aufzuhalten. Noch begriff, noch ahnte keiner, was sich da vor ihren Augen abgespielt hatte. Die wild umherrasenden »Henkersknechte« mit ihren rasend geschwungenen Fackeln taten ein übriges, um sie völlig zu verwirren. Unangefochten erreichte Roland mit Svea in seinen Armen die verschwiegene Gasse, wo er Rih angeleint hatte. Drei Herzschläge später saß er im Sattel, hielt Svea vor sich, preßte sie mit der Linken an seine Brust, hatte den Zügel in der Rechten und trieb den Rappen
zum Galopp. Weiter hinten warfen sich auch Pierre und Louis auf ihre Pferde. Alle drei hatten ihre Kapuzen abgezogen, als sie jetzt durch die Straßen der Stadt sprengten, von niemandem aufgehalten, nur von einigen staunenden Blicken verfolgt. Nun erst erkannte Svea ihren Retter. Es war der fremde Ritter, der sie schon einmal vor dem tobenden Mob beschützt und an den sie sehnsüchtig im Gefängnis gedacht hatte! »Mein Name ist Roland«, sagte er, während sie sich den Grenzen der Stadt näherten. »Ich bin ein fahrender Ritter in Diensten des Königs Artus von Schloß Camelot.« Sie lehnte sich gegen seine Brust und überließ sich wohlig den tiefen Gefühlen der Dankbarkeit und Zuneigung, die ihr Herz durchzogen. Der ungewohnte Ritt ohne Sattel, nur gehalten vom starken Arm des jungen Ritters, bereitete ihr keinerlei Unannehmlichkeit. Sie hätte ewig so lehnen können, an den Mann geschmiegt, den sie mehr verehrte als alles andere auf der Welt. Und so in diesem zärtlichen Gefühl lauschte sie seiner wohlvertrauten Stimme, die immer wieder eine bestimmte Saite ihrer Seele zum Schwingen brachte. »Ich hatte ein kleines Abenteuer auf Burg Adlerhorst zu bestehen«, erzählte er so ruhig, als hätten sie nicht eben gemeinsam Minuten größter Pein und höchster Todesnot bestanden. »Ritter Aar wollte mir und meinem Knappen Pierre unter Bruch des heiligen Gastrechts den Garaus machen. Ich rettete mich über eine Strickleiter aus der Burg. Pierre war nicht so glücklich. Er mußte aus einem hohen Fenster springen. Er kann sein Schicksal noch preisen, daß er nicht auf harten Steinen, sondern auf dem weichen Misthaufen landete. So blieb er unverletzt, stinkt aber jetzt drei Meilen gegen den Wind. Du wirst es bald bemerken, Svea.« Und wieder lachte Roland das unbekümmerte Lachen tapferer, unerschrockener Jugend. »Auf dem Weg nach Gent trafen wir Louis. Durch ihn erfuhren wir von deiner schändlichen Verurteilung. Ich kam auf die Idee, den
Henker und seine beiden Gehilfen zu überfallen. Es klappte gut. Nur Pierres Gestank hätte sie im letzten Augenblick fast noch mißtrauisch gemacht. Jedenfalls wurden sie in des Henkers eigenem Haus, wo sie die letzten Vorbereitungen trafen, überfallen, ausgezogen und gefesselt, ehe einer auch nur Piep sagen konnte.« Die Stadt lag hinter ihnen. Vor ihnen dehnten sich Felder mit wogenden Ähren. Am Horizont schimmerte ein Waldstück. »Wir brauchten ihre Henkerskleidung. Es war das einzige, was mir einfiel. Sonst wären wir nie an dich herangekommen, Svea. Wir tauchten die Kleider in Wasser, bevor wir sie anzogen, stellten die Pferde versteckt in der Nähe unter und vergaßen auch eine nasse Wolldecke nicht. Ohne diese Vorsichtsmaßnahmen wären wir beide wohl nicht ohne ein paar schmerzhafte Brandstellen davongekommen, Svea.« Sie schauderte und drängte sich enger an den großen, unbekümmerten Ritter. »Wohin reiten wir?« fragte sie. »Nach Süden«, gab er zur Antwort. »Aber nur für kurze Zeit. Nur um die Verfolger - und verfolgen wird man uns bestimmt - auf eine falsche Spur zu locken. Dann geht es nach Norden, zur Meeresküste. Dort wartet das Abenteuer auf mich, die Aufgabe, um derentwillen ich überhaupt in diese Gegend kam. Aber natürlich kannst du dich jederzeit von uns trennen, Svea, wenn du glaubst, in Sicherheit zu sein.« »Ich gehe, wohin Ihr geht«, sagte sie träumerisch. »Und sei es bis ans Meer und darüber hinweg und bis an den Rand der Welt. Ihr habt mir das Leben wiedergeschenkt, und jetzt gehört mein Leben Euch.« »Oh«, erwiderte Roland leichthin. »Pierre und Louis haben mindestens soviel Anteil an deiner Befreiung wie ich.« Doch Svea schüttelte nur stumm den Kopf. Sie glaubte, es besser zu wissen. Roland, Pierre und Louis hatten für den Fall ihrer Trennung einen Treffpunkt außerhalb der Stadt vereinbart. Es war Louis' einsam gelegenes Gasthaus. Der Ritter hatte keine Mühe, es wiederzufinden. Von Kindheit an
mit dem Leben unter freiem Himmel wohlvertraut, war sein Sinn für Richtungen, Spuren und Verstecke aufs schärfste entwickelt. Doch ließ er den größten Teil des Weges Rih im Schritt gehen. Verfolger waren noch nicht zu erblicken, und das Tier trug ja doppelte Last. Endlich sah er in der Ferne die kleine, steile Anhöhe, an die das niedrige Blockhaus gebaut war. Doch als sie näher kamen, suchten sie vergeblich nach dem anspruchslosen Gebäude. Dann erblickten sie schwache Rauchfäden, Asche, halbverkohlte Balken und verbogene, rußgeschwärzte Metallstücke, die einmal zur Ausrüstung der Gaststätte gehört hatten. Pierre und Louis waren vor ihnen eingetroffen. Der Knappe stand gesenkten Hauptes abseits und reinigte mit Span und Messer seine Kleidung, mit der er auf den Misthaufen gefallen war. Louis jedoch gebärdete sich wie ein Wahnsinniger. Er stapfte mit grotesken Sprüngen in den Überresten seines Blockhauses umher. Er stieß Schmerzenslaute wie ein verwundetes Tier aus. Dann wieder warf er sich der Länge nach auf den Boden und hämmerte mit den Fäusten auf das Erdreich. Oder er sprang auf und reckte drohend die Arme gegen den grauen Himmel. Schließlich lehnte er sich gegen eine Buche, die unweit des niedergebrannten Hauses stand, und sprach mit einer Stimme, die den atemlosen Zuhörern das Blut in den Adern gefrieren ließ: »Wer dies getan, der sei verflucht für immer! Er soll keine Ruhe mehr haben, ob bei Tag oder Nacht. Keine Reue soll ihm helfen, kein Gebet ihn erlösen. Ich aber werde rächend seinen Spuren folgen, und er soll zittern vor mir. Und flüchtet er auf eine ferne Insel, an deren Gestaden die Wellen haushoch sich brechen und alle Schiffe zerschellen - oder stiege er auf den höchsten Berg des Landes, dessen Gipfel ewig in den Wolken thront und über dessen Hänge immer von neuem tosende Eislawinen zu Tal donnern - ich werde ihn doch erwischen! Mit dieser Hand werde ich ihn so lange bei der Kehle packen, bis jedes Leben aus ihm entwichen sein wird. Und es wird sein, als hätte er nie gelebt, als wäre er nie über die Erde gewandelt, und sein Name wird von Stund an vergessen sein und getilgt vom
Antlitz des Landes!« Roland ließ Svea fürsorglich vom Pferd herab und sprang dann selber aus dem Sattel. Er ging zu Louis, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte ruhig: »Soweit es in meiner Macht steht, werde ich dir dabei helfen.« »So sei es«, versprach Louis. »Deshalb werde ich mich Euch anschließen, Ritter Roland, wenn es Euch gefällt.« * Bei einem verschüchtert wirkenden Bauern der Gegend kaufte Roland für drei Dukaten ein struppiges, kleines Pferd, auf dem Svea fortan reiten sollte. Er ließ sich von dem Mann die Wege, die nach Süden führten, beschreiben. So bereitete er seinen Plan vor, die Verfolger zu täuschen, um unbehelligt Sir Galahads Feste zu erreichen. Falls der Bauer später von den Stadtsoldaten ausgefragt wurde, konnte er nur berichten, daß die Flüchtigen offenbar südlichere Gefilde aufsuchen wollten. Während dieses Gesprächs hing Svea mit glänzenden Augen an Rolands Lippen. Jedes Wort, das er sprach, schien sie für den Inbegriff der Weisheit zu halten. Es war leicht zu sehen, daß sie den Jüngling vergötterte. Er selber und Pierre nahmen davon keine Notiz. Aber Louis verfolgte die Entwicklung mit steigendem Unbehagen, das sich in den folgenden Tagen zu kaum verhaltenem Grimm steigerte. Nun war es für Ritter und ihr Gefolge, die sich auf abenteuerreicher Fahrt befanden, schon immer ein mißlich Ding, wenn sie dabei, aus welchem Grund auch immer, von einer Frau begleitet wurden. Die Frauen waren nicht dazu erzogen, lange Ritte oder Märsche mit behelfsmäßigen Nachtlagern ohne ein festes Dach über dem Kopf durchzuhalten. Gar bald litten sie unter den verschiedensten Beschwerden, und ihre Anwesenheit wuchs sich mehr und mehr zur Plage und Belastung aus.
Immer wieder ergaben sich Probleme. Die Männer mußten in jeder Hinsicht Rücksicht nehmen, oder die Frau hätte schon nach kurzer Zeit nicht mehr mithalten können. Mit Svea war es nicht viel anders. Zwar ertrug sie mehr Strapazen als ein zartes Ritterfräulein, das zeitlebens verwöhnt wurde. Außerdem half ihr die schwärmerische Liebe zum Ritter, alle Anstrengungen besser zu überwinden. Doch leider gab sie ihrer Liebe allzu deutlichen Ausdruck. Sie war so davon erfüllt, daß noch ihre kleinste Bewegung, ihre harmloseste Bemerkung ihre Gefühle verrieten. Ständig wollte sie auf dem stämmigen, kleinen Pferdchen an der Seite des Ritters reiten. Sie erbot sich, ihm sogar beim Anlegen der Rüstung behilflich zu sein. Sie teilte ihm jeden Gedanken, der ihr kam, mit zärtlichen Worten mit. Richteten Pierre oder Louis das Wort an sie oder Roland, wurde sie unwirsch und schien beleidigt. Roland merkte es selber zuletzt. Er behandelte die gutaussehende Bürgerin mit dem wallenden schwarzen Haarschopf und den schönen Waden zuvorkommend, ehrerbietig und stets höflich, wie er jedes weibliche Wesen zu behandeln pflegte. Vielleicht war er noch eine Spur freundlicher. Aber das geschah nicht aus besonderer Zuneigung, sondern aus dem Gefühl, daß sie seinem Schutz anvertraut war und sich ganz auf ihn verließ. Denn zärtliche Gedanken hegte er nur für Reinhild. Für die Blonde von Burg Adlerhorst, die gegen ihren Verwandten Aar und für ihn Partei ergriffen hatte. Immer wieder dachte er voll Rührung an den Augenblick, als sie zu seinem Entkommen gleichsam aus dem Nichts die rettende seidene Strickleiter hervorgezaubert hatte! In solchen Augenblicken zog ein Abglanz der Liebe über sein Gesicht. Svea aber, die ihn nie aus den Augen ließ, bezog solche Gefühlsäußerungen unweigerlich auf sich. Sie war von Tag zu Tag mehr davon überzeugt, daß Roland sie wiederliebte. Und das wiederum steigerte ihre eigenen Gefühle für ihn. Die Situation wurde nach wenigen Tagen völlig unerträglich für Louis. Und er beschloß, sie zu ändern.
*
An der Spitze eines starken Heerhaufens von Stadtsoldaten und eigenen Söldnern zog Aar durchs Land. Die nach Süden führende Spur der Flüchtlinge war nicht zu verfehlen. Sie befragten jeden Siedler und erhielten überall erschöpfende Auskunft. Die Leute dieser Gegend hüteten sich, irgendwie den Zorn des Aar zu erregen, der ebenso großzügig wie jähzornig war. »Die Gruppe, die Ihr schildert«, sagte unterwürfig ein Bauer, »ist bei mir durchgezogen. Drei junge Männer und eine schwarzhaarige Frau. Sie kauften mir ein Pferd ab, einen niedrigen Braunen.« Aar wurde puterrot vor Wut, holte mit der Rechten aus und versetzte dem unglücklichen Bauern eine mächtige Maulschelle. »Wie kannst du Schelm mit Verbrechern Geschäfte machen? Möchtest du, daß ich dich zur Strafe von Haus und Hof verjage?« Der Bauer hatte Tränen des Schmerzes in den Augen, als er sich kleinlaut rechtfertigte: »Schonet meiner, Herr Ritter! Ich lebe weitab vom Getriebe der Welt und konnte nicht ahnen, daß es sich um Verbrecher handelte. Sonst hätte ich ihnen nicht mal ein Stück verfaulten Käse verkauft, des könnt Ihr gewiß sein.« Sogar der grimmige Aar sah das ein. In milderem Ton fragte er: »Haben Sie irgend etwas darüber verlauten lassen, wohin sie reiten wollten?« »Ihr Anführer«, antwortete der Bauer eifrig, »hat mich des längeren und breiteren nach allen Straßen und Wegen ausgefragt, die in den Süden führen ...« »Das genügt!« unterbrach ihn Aar und klopfte dem Bauern leutselig auf die Schulter. »Auf in den Süden also!« Doch der Bauer hielt ihn zurück. Immer noch fürchtete er um seinen kleinen Hof und wollte deshalb keinen Fehler begehen, der Aar abermals erzürnen würde. »Was willst du noch?« fragte Aar. Er hatte es eilig. »Verzeiht, edler Herr, aber ich hatte den bestimmten Eindruck, die Fragen nach dem Süden des Landes waren eine Finte. Es war wie
beim Handel nach der Ernte, wo unsereins auch den Weizen über Gebühr lobt, um davon abzulenken, daß er in diesem Jahr nicht so gut ausgefallen ist wie sonst. Zudem bemerkte ich, wie sich die beiden anderen Herren - ich meine, die beiden anderen Verbrecher mehrmals verstohlen zulächelten.« »Gut aufgepaßt, Bäuerlein«, murmelte Aar. Er begriff auf der Stelle, daß Roland nur eine falsche Spur legen wollte. »Wenn sich deine Worte bewahrheiten, mache ich dir bei der Rückkehr ein Geschenk. Du sollst von mir noch einmal ebenso viele Dukaten bekommen, wie du von den Verbrechern bekommen hast.« »Also zehn - ich danke Euch, Herr!« rief der Bauer ohne Zögern. Ungeachtet seiner geringen Bildung und seines einsamen Wohnsitzes fernab von den Stätten der Menschen war er wirklich nicht auf den Kopf gefallen und verstand sich auf seinen Vorteil, wo immer er ihn sah. Aar aber zog mit seiner Hauptmacht nach Norden und schickte nur wenige Männer auf Streife in die anderen Richtungen. So kam es, daß er Roland weit näher auf den Fersen war, als der es sich träumen ließ. * Sie nächtigten auf einer Wiese. Sie waren erschöpft und ausgehungert. Svea war vom Pferd gesunken, hatte sich am Bachrand niedergelegt und war fast augenblicklich fest eingeschlafen. Seit zwei Tagen hatten sie keine Ortschaft mehr gesehen. Als Nahrung hatten sie ein armseliges Wildkaninchen gehabt, das Louis mit dem Pfeil erlegt hatte. Roland, der aus den kleinsten Spuren Schlüsse zu ziehen verstand, fürchtete, daß sie kreuz und quer, vielleicht sogar im Kreis geritten waren. Grauer Himmel und stundenlanger Regen erschwerten die Orientierung in dem flachen Land. Keine Sonne am Tage keine Sterne bei Nacht. Keine Kirchtürme, keine Häuser. Dann und wann eine einsame Weide an einem trübseligen Bach. Und vom Wind
zerzauste Sträucher. Pierre ließ trübselig den Kopf hängen. Er war sogar zu müde, um noch zu nörgeln. In Louis' Augen stand ein böser Glanz. Seit Tagen wartete er auf seine Gelegenheit. Langsam näherte er sich Roland, der darüber nachgrübelte, was zu tun sei, um aus ihrer mißlichen Lage herauszukommen. Roland schaute auf, als Louis vor ihm stand. »Habt Ihr es auch gesehen, Herr Ritter?« begann Louis. »Wovon sprichst du?« »Von dem Licht voraus. Mir scheint, einige Meilen am Bach entlang gibt es eine Siedlung.« Roland reckte sich und schaute lange Zeit in die angegebene Richtung. Er legte sogar die Hände um die Augen, um störende Einflüsse auszuschalten. Dann sagte er: »Tut mir leid, Louis, ich sehe nichts.« »Und doch erkenne ich immer noch ein ganz schwaches Leuchten. Ich irre mich bestimmt nicht, Ritter. Glaubt mir, ich habe schärfere Augen als ein Falke. Schon oft erkannte ich auf weite Entfernungen Dinge, die anderen Menschen verborgen blieben. Und immer erwies sich, wenn wir näher kamen, meine Wahrnehmung als richtig.« Roland schaute ihn prüfend an. Aber Louis hielt dem Blick ruhig stand. In seinem wechselvollen Leben, auf dem Schlängelpfad zwischen Gut und Böse, war es Louis immer leichtgefallen, jeden zu täuschen, wenn es ihm darauf ankam. Roland kam zu dem Schluß, daß Louis recht hatte. »Nun wohl, dann will ich dorthin reiten, wo du Behausungen vermutest. Proviant, Decken und ein Zelt könnten uns jetzt nur guttun. Vielleicht kann ich etwas davon auftreiben. Svea schläft bereits. Auch ihr beide seid, wie ich vermute, todmüde. Ich reite also allein. Ruht euch so lange aus! Nach meiner Rückkehr können wir hoffentlich essen. Danach teilen wir die Wachen ein.« Doch als Roland zu Rih hinüberging, schloß sich ihm zu seiner Überraschung der Knappe Pierre an. Die Aussicht, etwas Eßbares
aufzutreiben und es an Ort und Stelle zu verschlingen, überwog sogar seine Erschöpfung. Langsam setzten sich die Pferde in Bewegung, zu langsam für Rolands Ungeduld. Aber auch sie waren am Ende ihrer Kräfte. Und als der Ritter den Rappen durch Schenkeldruck zum Angaloppieren aufforderte, verweigerte Rih den Gehorsam. Roland resignierte, und so schlichen sie trübselig über die dunkle Wiese dahin. Sehnsüchtig murmelte Pierre: »Oh, gäbe es doch für uns mal wieder eine dicke Hirsesuppe, in der der Löffel steckenbleibt! Schön dampfen müßte sie, heiß auf der Zunge und heiß im Magen sein, mit kernigem Gemüse und dicken Fleischbrocken. Und danach mit vollem Bauch endlich mal wieder in ein richtiges Bett sinken, statt auf ein hartes Lager am Wegesrand - das wäre ein Fest! Wie sehne ich mich nach etwas Weicherem unterm Kopf als dem verfluchten Helm ...« Seine Stimme war immer leiser geworden und verstummte schließlich. Nur die Lippen bewegten sich noch im Takt seiner Fantasie. Im Schleichschritt gingen mühsam die Pferde. Ihr Atem dampfte. Von Zeit zu Zeit hob Roland sich in den Steigbügeln, um nach dem versprochenen Lichtschein auszuspähen. Aber die Ortschaft war wohl doch weiter entfernt, als sie gehofft hatten. * Louis wartete, bis die Hufschläge in der Dunkelheit verhallten. Dann hob er behutsam Svea vom Boden auf und trug sie zu ihrem Braunen. Unterwegs wachte sie auf. Schlaftrunken wie ein Kind fragte sie: »Seid Ihr's, Ritter?« Es gab Louis einen Stich ins Herz. Doch er ließ sich nichts anmerken, sondern erwiderte ruhig: »Ich bin's, Louis.« Sie bemühte sich, den Kopf zu heben. »Was ist geschehen? Warum läßt du mich nicht ruhen? Wohin trägst du mich?« Da setzte er sie schon auf das stämmige Pferdchen, dem die
Strapazen erstaunlich wenig ausgemacht hatten. »Der Ritter hat Nachricht gesandt, er habe ein gutes Nachtquartier für uns in einem reichen Dorf gefunden«, log Louis dem Mädchen vor. »Wir reiten gleich hin. Es ist nicht weit. Kannst du dich auf dem Gaul halten, wenn ich dicht bei dir bleibe, oder soll ich dich festbinden?« Für den Augenblick schien Svea hellwach. »Ist das wirklich wahr?« fragte sie mißtrauisch. »Ein gutes Nachtquartier? Ein reiches Dorf?« »Bei allem, was mir heilig ist«, schwor Louis - und dachte schmerzlich: Mir ist ja schon lange nichts mehr heilig ... So machte sich auch dieses Paar eng beieinander auf einen nächtlichen Weg, jedoch in ganz anderer Richtung. Louis hielt die Zügel beider Pferde, damit sie einander nicht verloren. Er hatte kein besonderes Ziel. Nur weg von Roland - dachte er mit brennender Seele -, sonst geht mir Svea verloren, und nie kann ich sie wiedergewinnen! Einigermaßen beruhigt schloß sie die müden Augen und überließ sich willenlos seiner Führung. Nicht im Traum wäre es ihr eingefallen, welchen Weg Louis eingeschlagen hatte - den Weg zurück! Als Louis dem Ritter gegenüber behauptete, er besäße die scharfen Augen eines Falken, hatte er nicht gelogen. Die besaß er wirklich, und er hatte schon manche Probe davon geliefert. Den fernen Lichtschimmer aber - den hatte er arglistig erfunden. Denn ihm war jedes Mittel recht, Svea an sich zu ketten. Vor rasender Eifersucht hielt er es nicht mehr aus. Er hätte selbst einen Lehenseid gebrochen - um ihretwillen. Und er glaubte sich im Recht. Waren sie nicht seit Monaten verlobt? Hatten sie nicht heiraten wollen? Wollte ihm nicht der Ritter die Frau seines Herzens entreißen? Doch in dieser Nacht nutzten Louis auch seine falkengleichen Augen nichts. Denn die Lider fielen ihm immer wieder zu. Nur drei Atemzüge lang, dann will ich sie wieder öffnen, gelobte er sich. Aber die Müdigkeit überwältigte ihn. Bald waren beide im Sattel
eingeschlummert. Sie wären nach kurzer Zeit heruntergefallen - aber da blieben die Pferde stehen. Sie fühlten, daß ihre Reiter sie nicht mehr vorwärts nötigten, und aus freien Stücken mochten sie kein Bein vor das andere setzen. Da knackte ein Zweig im niedrigen Buschwerk. Die Pferde stellten die Ohren auf. Eine Männerstimme rief: »Wer da?« Sie erhielt keine Antwort. Die Stimme wiederholte ihre Frage. Sie kam jetzt aus größerer Nähe. Der Sprecher hatte sich herangeschlichen. Diesmal erwachte Louis. Mit einem schreckhaften Ruck fuhr er auf. Noch traumbefangen äußerte er instinktiv die uralte Beteuerung: »Gut Freund!« Da fühlte er schon Hände an seinen Armen und Beinen zerren. An Gegenwehr war nicht zu denken. Wenig später führte ein Trupp von Stadtsoldaten Louis und Svea vor Ritter Aar, der eine Viertelstunde entfernt in einer halb verfallenen Bretterhütte saß und inmitten einiger Vertrauter von Burg Adlerhorst ein frischgebratenes Hühnchen verzehrte. Kienspäne beleuchteten die struppigen Gesichter der Männer. Unsanft stießen die Grünwämser Louis in den kleinen Raum. Aar blickte schmatzend auf. »Wen bringt ihr da? Wer ist dieser Strolch, der des Nachts herumschleicht?« Einer antwortete für alle: »Das ist der Schankwirt Louis, hoher Herr, dessen Gasthaus wir auf Euer Geheiß niedergebrannt haben! Das ist der eine der beiden falschen Henkersknechte, die an der Befreiung der Hexe Svea mitgewirkt haben!« Da fiel es Louis wie Schuppen von den Augen. Einen Moment meinte er, die grausige Erkenntnis würde ihn wie ein Schwertstreich zu Boden strecken. Doch dann richtete er sich stolz auf und warf Aar einen Blick unversöhnlichen Hasses entgegen. Dabei dachte er an den Racheschwur, den er in den brennenden Resten seiner Wirtschaft geleistet hatte. Aar hatte das Hühnerbein abgenagt und warf es Louis heftig ins
Gesicht »Du wagst es, mir stehend entgegenzutreten, elender Verbrecher? Warum liegst du nicht auf den Knien und winselst wie der Hund, der du bist, um Gnade?« Gleich darauf lag Louis wirklich vor ihm auf den Knien. Die Stadtsoldaten hatten den stolzen Rücken gekrümmt und ihn mit gemeinen Hebelgriffen niedergezwungen. Louis stöhnte. Aber trotz des Schmerzes empfand er keinerlei Mitleid mit sich. Nein, in diesem Augenblick haßte er sich fast ebenso wie den Zerstörer seines Hauses, den Ritter Aar. Ihm geschah es ja recht. Wie hatte er nur Roland, der ihm so großherzig vertraute, betrügen und belügen können? Da vernahm er einen Schrei hinter sich, der ihm wie ein Messer ins Innere fuhr. Mit brutaler Gewalt schleppten sie Svea herein und stießen sie neben ihm auf die Erde. Aar brach in höhnisches Gelächter aus. »Die Hexe ist wieder eingefangen!« triumphierte er. »Dieser Anblick tut mir wohl. Wie widerborstig, ungehorsam und hexenhaft hast du dich aufgeführt, Bürgerin, und wie sehr wird sich das rächen!« Da begriff Svea, wer Ritter Aar wirklich war. Schwindel erfaßte sie. Die Galle kam ihr hoch. Mit einer Halbmaske getarnt hatte er sie unziemlich bedrängt, seine Geliebte zu werden. Und als sie sich standhaft weigerte, hatte er sie bei allem Volk als Hexe verleumdet! »Nun, schöne Svea«, fuhr Aar mit grausamer Lust fort, »ein zweitesmal wirst du dem Scheiterhaufen schwerlich entgehen!« Voller Wut bäumte Louis sich auf. Doch nur einen Augenblick lang. Dann traf ihn ein Schlag auf den Hinterkopf und ließ ihn zusammensinken. Aars wildes Hohngelächter hörte er schon nicht mehr. Noch während man Svea Stricke um Arme und Beine wand, vergingen auch ihr die Sinne. Nach den ungewöhnlichen Entbehrungen und Anforderungen der letzten Tage forderte die Natur ihr Recht. Und die Natur war gnädig - sie schenkte ihr einen fast todesähnlichen Schlaf. Mit verächtlichem Grinsen übertrug Aar den Stadtsoldaten die
Bewachung der Gefangenen und begab sich zu dem Zelt, das seine Bediensteten ein paar Wegminuten entfernt unterhalb einer niedrigen Hügelkuppe errichtet hatten. Der Boden war mit abgewetzten fleckigen Teppichen ausgelegt. Fellüberzogene Hocker umgaben einen niedrigen Tisch, auf dem mehrere gebratene Hühner und zahlreiche Schläuche voll Met lagen. Aars Männer hatten vor zwei Tagen ein Bauerndorf gefunden und sich mit gezückten Waffen von den erschrockenen Einwohnern »Geschenke« übergeben lassen. In Hochstimmung setzte sich jetzt Aar mit seinen Vertrauten von Burg Adlerhorst zum Zechen nieder. »Freunde«, rief er, »morgen wird uns auch Ritter Roland in die Falle laufen!« Zustimmendes Grölen antwortete ihm. Ein rotgesichtiger Mann mit dicken Ohrläppchen schrie: »Wir werden ihn niederstechen wie einen wilden Wolf!« Auch er erntete lauten Beifall. Doch Aar hob abwehrend die Hand. »Das kann ich nicht zulassen. Ihr sollt ihn jagen und fangen, aber nicht abstechen. Ein solches Vorgehen würde gegen meine Ritterehre verstoßen. Niemand soll dem Aar vom Adlerhorst nachsagen, er habe einen seiner Feinde von seinen Vasallen abschlachten lassen. Nein, sobald wir ihn im Lager haben, fordere ich ihn zum ehrlichen Zweikampf auf. Allein will ich ihm auf freiem Feld gegenüberstehen, ihm die Kraft meines berühmten Armes und die tödliche Schärfe meiner unfehlbaren Lanze zeigen!« Ehrfurchtsvolle Stille trat ein. Mit leuchtenden Augen betrachteten die zechenden Burgleute ihren Ritter. Und sie sparten nicht mit anerkennenden Worten über seinen Mut, seine Stärke und seine Weisheit. Aar schwelgte in ihren Schmeicheleien. »Nach meinem Sieg über Roland«, fuhr der Ritter fort, »ziehen wir zur Feste des edlen Sir Galahad, dem ich melden werde, daß ich ihn von seinem Todfeind befreit habe. Dann wird er mich zum Landgraf machen. Und sobald ich Landgraf bin, schlage ich Euch alle zu Rittern!« Diesmal erhob sich ohrenbetäubender Jubel. Nach einer Weile
gebot Aar abermals mit gebieterischer Handbewegung Schweigen. »Natürlich gilt mein Versprechen auch für den Fall, daß es dem Ritter Roland nicht vergönnt sein sollte, im Zweikampf von meiner Hand zu sterben. Es könnte ja sein, daß schon vorher irgendeiner von euch Getreuen ihm im Handgemenge bei seiner Ergreifung natürlich unabsichtlich - eine tödliche Verletzung beibringt...« Und dabei kniff er, für alle deutlich zu sehen, ein Auge auf die nämliche Art zu, die der falsche Botho an sich gehabt hatte. »Ich hoffe allerdings«, schloß Aar scheinheilig, »daß es nicht zu einem solchen bedauerlichen Unfall kommen wird. Doch ihn auszuschließen und zu verhindern, steht leider nicht in unserer Macht. Es geschähe dann ja wohl aus Rolands eigener Schuld. Jedenfalls werde ich den Unglückseligen, der Roland den tödlichen Streich versetzt, nicht entgelten lassen, daß er mich um den ersehnten Zweikampf bringt. Vielmehr werde ich ihn für sein Mißgeschick angemessen zu trösten wissen!« Bei diesen Worten warf Aar mit bedeutungsvollem Grinsen ein paar Goldstücke in die Luft und fing sie spielerisch wieder auf. Unter dem lauten Beifall seiner Vertrauten, die den bösen Doppelsinn seiner Rede sehr wohl begriffen hatten, setzte er sich zufrieden und griff zum Metbecher. In diesem Augenblick brachten drei Männer Louis herein. Der Gefangene war eben erst aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht und wirkte noch halb betäubt. Man stieß ihn so heftig ins Zelt, daß er vornüber auf den Teppich stürzte. »Na, Louis«, sagte Aar in lauerndem, scheinbar leutseligem Ton, »du kommst doch sicherlich nur deshalb zu mir, um mir den Aufenthaltsort des Ritters Roland zu nennen?« Zur Antwort konnte Louis nur den Kopf ein wenig erheben, denn die Männer knieten ihm auf Schultern und Rücken. Knirschend stellte er die Gegenfrage: »Und wenn ich es nicht tue?« »Das wäre höchst unklug von dir. Denn wenn du nicht freiwillig mit deinem Wissen herausrückst, werde ich dich dazu zwingen.« »Darauf möchte ich es nicht ankommen lassen«, bekannte Louis.
»Ich lasse mich ungern zwingen.« »Sehr vernünftig«, lobte ihn Aar. »Dieser Entschluß rettet dir das Leben.« Und zu den drei Männern: »Laßt ihn aufstehen!« Die Männer erhoben sich. Louis sprang auf die Beine. Stumm stand er vor Aar. »Nun?« fragte der Ritter erwartungsvoll. Louis verzog den Mund zu einer Grimasse. »Mir sind die Lippen versiegelt solange sie nicht vom Met genetzt sind. Frei heraus: Ich sterbe vor Durst Seit vielen Stunden hatte ich nichts zu trinken.« »Du hast recht«, sagte Aar und drückte ihm einen vollen Becher in die Hand. »Ein guter Tropfen macht die Zunge geschmeidig. Trink!« Louis hob den Becher an den Mund und nahm einen langen, langen Zug. Als er ihn endlich absetzte, war der Becher leer. Doch er behielt, unbemerkt von den anderen, alles im Munde trat rasch zwei Schritte vor und spritzte Aar die volle Ladung ins Gesicht. Dann rief er mit wildem Frohlocken: »Zum Verräter an Roland, dem Ritter mit dem Löwenherzen, werde ich erst, wenn Tag und Nacht aufeinanderfallen und die Lanzen mit dem Schaft voraus zum Feinde fliegen! Niemals, hört Ihr, Aar, mache ich gemeinsame Sache mit Euch!« Der Ritter vom Adlerhorst brüllte auf wie ein Stier. Mit beiden Händen wischte er sich die Flüssigkeit erregt aus den Augen und schrie in höchster Wut: »Hinaus mit diesem Lumpen! Grabt ihn lebendig ein!« * Der Morgen dämmerte golden. Zum erstenmal seit Tagen erschien die Sonne über dem Horizont. Federweiße Wolken eilten von einem Himmelsrand zum anderen. Im Zelt lagen Aar und seine Mannen, so, wie der Met sie vor zwei, drei oder vier Stunden überwältigt hatte. Quer über dem Tisch, halb auf einem Hocker, lang hingestreckt auf den Teppichen. Es herrschte Stille bis auf gelegentliches mißtönendes Schnarchen oder einen
qualligen Rülpser. Mit betretenen Gesichtern versammelten sich die Stadtsoldaten etwas abseits um die zerfallene Bretterhütte. Der Pfahl, an den sie abends zuvor die »Hexe« Svea gebunden hatten, war verlassen. Die Stricke hingen schlaff herab. Abergläubische Furcht erfüllte die einfachen Gemüter. »Sie muß tatsächlich eine Hexe sein«, flüsterte einer. »Obwohl sie ständig von uns bewacht war, hat sie sich der Fesseln entledigt und ist entflohen.« Beifällig nickten die anderen. »Ich wette«, meinte ein zweiter, »sie ist durch die Luft davongeritten! Zum zweitenmal dem Scheiterhaufen entronnen! Das kann wahrlich nur mit dem Teufel zu gehen ...« »Und der Teufel wird sich an Aar rächen«, flüsterte erbleichend ein dritter, »und er wird auch die nicht verschonen, die in seinem Gefolge ziehen.« Angstvolles Gemurmel ging um. »Macht, was ihr wollt«, sagte entschlossen ihr Korporal, »ich bleibe keinen Augenblick länger. Dieser Platz ist verwünscht. Ich reite, so schnell mein Pferd mich trägt, zur Stadt zurück, bevor Ritter Aar erwacht. Er wird uns nicht glauben, daß die Hexe vom Teufel befreit wurde, und uns in seiner Wut von seinen Mannen niedermachen lassen.« »Ich komme mit!« riefen zwei unterdrückt, und dann einer, und dann wieder drei, und dann auch die letzten, die noch zögerten. In Windeseile stoben sie zu ihren Pferden. Niemand kümmerte sich um Louis, den sie gestern nacht auf Aars Befehl unweit des Zeltes bis zum Hals eingegraben hatten und der dort in stoischer Ruhe seinen Tod erwartete. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte er verständnislos, wie die Grünwämser davonstoben. Nur einer kannte das Geheimnis um Sveas Flucht. Und dieser eine schwieg. Es war Bob, der Büttel. Von Mitleid überwältigt hatte er Svea nachts heimlich die Fesseln gelöst, als der Wachtposten eingeschlafen war. Er hatte sie stumm zu ihrem Pferd geführt, ihr in
den Sattel geholfen und ihr zugeflüstert: »Reite aus diesem Land! Laß dich nie mehr in Gent blicken! Suche dir freundliche Leute, bei denen du wohnen kannst! Ich wünsche dir alles Gute, denn du hast unschuldig viel gelitten.« Wie in Trance ritt Svea davon. Mit leerem Ausdruck blickten die Augen in eine Ungewisse, bedrohliche Zukunft. Es war nicht mehr die scharfe, reißende Qual des Schmerzes, die sie fühlte. Nur eine dumpfe, ausweglos erscheinende Trauer hüllte sie ein. Was galt denn noch auf dieser Welt, wenn ein Herz so voll Liebe wie ihres keine Heimat fand? * Es ist Mitternacht, als Roland und sein Knappe von erfolglosem Erkundungsritt zurückkehren. Sie haben noch nicht mal eine verlassene Scheune gefunden, geschweige denn einen bewohnten Ort. Louis muß sich getäuscht haben, denkt Roland, als er mit bleischweren Gliedern aus dem Sattel steigt. Er sieht sich nach allen Seiten um. Von Svea und Louis keine Spur! Sind er und Pierre überhaupt wieder an der alten Lagerstätte? In der mond- und sternenlosen Nacht sind kaum irgendwelche Umrisse zu erkennen. Auch Falkenaugen können hier nichts ausrichten. Katzenaugen müßte man haben! Laut ruft er ihre Namen. Er lauscht angespannt. Keine Antwort. Und er sagt zu Pierre: »Ich fürchte, mein Lieber, wir haben uns verirrt. Nach den beiden zu suchen, ist jetzt aber zwecklos. Legen wir uns ins Gras und warten den Morgen ab! Dann finden wir sie bestimmt wieder.« Aber von Pierre kommt keine Silbe. Er schläft schon wie ein Murmeltier. Bei Tagesanbruch ist Roland wach. Er läßt Pierre weiterschlafen und marschiert zu Fuß los. Die Lanze nimmt er mit. In einiger
Entfernung grasen die beiden Pferde. Wo stecken nur Svea und Louis? Unruhe befällt den Ritter. Er fühlt sich für die beiden verantwortlich. Dann erstarrt Roland. Ein Rudel Rehe, verfolgt von einem Wolf, rast unweit von ihm über die offene Wiese. Im nächsten Augenblick wirft er die Lanze in das Rudel. Ein Bock bleibt getroffen liegen. Der Wolf stutzt und sichert. Mit langen Sprüngen hetzt Roland heran. Der Wolf nimmt Reißaus. Weit hinten entschwindet das Rehrudel. Dem Wolf ist die Jagd verdorben. Roland zieht das Hirschmesser und versetzt dem gefallenen Tier den Gnadenstoß. Endlich haben sie Fleisch! Gerade will er mit dem Ausweiden beginnen, da sieht er in der Ferne das Zelt. Schwarz hebt es sich gegen den lichten Morgenhimmel ab. Sonst hätte er es wohl gar nicht bemerkt. Und als er, die Hand über den Augen, hinüberspäht, erhebt sich nicht weit vom Zelt eine größer und größer werdende Staubwolke, als galoppiere dort ein ganzer Reitertrupp davon. Eine Ahnung beschleicht Roland. Und nun zögert er nicht länger, Pierre mit Nachdruck zu wecken. Mit kurzen Worten unterrichtet er ihn über die neue Lage. Und dann marschieren sie, die Pferde am Zügel, auf das Zelt los. Die Staubwolke ist in sich zusammengesunken. Was immer sie verursachte, ist fort. Die Sonne steht zwei Spannen über dem Horizont, als sie am Zelt sind. Roland reicht dem Knappen Rihs Zügel. »Ich gehe jetzt hinein«, flüstert er ihm zu. »Tut das nicht, ich flehe Euch an«, jammert Pierre. »Wie kann ein Ritter nur so unbesonnen sein! Ihr tretet mitten in die Höhle des Löwen. Sobald Ihr den ersten Schritt hinein tut, metzeln sie Euch nieder, und ich stehe allein auf der Welt! Viel klüger wäre es, wenn wir uns ein gutes, ein sicheres Versteck suchen und warten, bis sie herauskommen. Und wenn es mehr als zwei Männer sind, riete ich Euch weiterzufliehen.« »Wir sind lange genug geflohen. Es bringt nichts ein, dem Feind
ewig den Rücken zu zeigen. Bleib standhaft, wackerer Pierre! Dann verspreche ich dir, ehe die Sonne ihren höchsten Stand erreicht, eine saftige Rehkeule.« Pierre verdreht wollüstig die Augen, ergreift Rihs Zügel und erhebt keinen weiteren Widerspruch. Festen Schrittes betritt Roland das Zelt. Im Innern hat sich nicht das mindeste verändert. Fassungslos schaut der Ritter auf das Bild der im Schlaf wie erstarrten Zechkumpane. Und dann sieht er ihn, und sein Herz tut einen Sprung. Aar ist in seine Hand gegeben! Aar, der das heilige Gastrecht brach. Aar, der Botho ermordete. Aar, der ihn heimtückisch in den Tod befördern wollte. Da liegt er vor ihm mit dem Oberkörper über dem Tisch und schnarcht. Liegt da, hilflos, wehrlos. Und den Tod hat er tausendmal verdient. Roland braucht nur den Hirschfänger zu ziehen. Der gewaltige Mann, der gefürchtete Herr vom Adlerhorst, vor dem die Stadt Gent zittert, ist in seine Hand gegeben! Ein Gnadenstoß - und so viele würden es ihm danken. Auf der Stelle wendet sich Roland, öffnet den Eingang und winkt Pierre heran, wobei er einen Finger warnend an die Lippen legt. Als der Knappe bei ihm ist, flüstert er ihm ein paar Worte ins Ohr. Pierre erbleicht. Aber tapfer folgt er Rolands Befehl. Und so wandern sie beide fast lautlos von einem der Schläfer zum anderen, nehmen dem einen sacht eine Lanze aus der schlaffen Hand, ziehen diesem ein Kurzschwert aus der Scheide, befreien einen anderen von der Bürde seines Bogens und Köchers und stiebitzen jenem den Morgenstern unterm Leib weg. In einer schmalen Bodensenke unweit des Zeltes legen sie alle die Waffen ab. Auch Aars fahnengeschmückte Lanze, sein mit Edelsteinen am Griff geschmücktes Langschwert, seinen silbern eingelegten Hirschfänger. Pierre wirft einen Blick darauf und schüttelt voll Staunen den
Kopf. Soviel Stahl ward also geschmiedet, nur um seine junge Brust zu durchbohren! Und liegt nun reglos, ungefährlich zu seinen Füßen. Seine Brust wölbt sich nach vorn. »Seht Ihr, Ritter«, sagt Pierre ergriffen. »Das bestätigt, was ich Euch immer wieder sage. Sobald man die Höhle des Löwen erblickt, zage man nicht, sondern trete mutig hinein! So stark kann kein Löwe sein, daß er uns beiden widersteht!« Roland nickt ihm freundlich zu und bedeutet ihm, bei den Waffen zu bleiben. Dann begibt er sich zum drittenmal ins Zelt. Seine Stimme ist wie ein Gong, als er ruft: »Auf, Aar, jetzt erwachet! Ich bin es, Roland, der Ritter des Königs Artus von Camelot! Ich fordere Euch zum Zweikampf auf Tod und Leben, hier auf ebener Wiese, wie es die Regeln der Ritterschaft gebieten. - Noch einmal rufe ich Euch: Aar vom Adlerhorst! Tretet vors Zelt, wo Ihr zum letztenmal in Eurem verruchten Leben den Anblick der Sonne erleben werdet!« Sie fahren in die Höhe, Aar und seine neun Burgmänner. Sie glauben, ihren Augen nicht zu trauen, als sie Roland vor sich sehen. Die Hände greifen nach Lanze, Kurzschwert, Bogen, Köcher, Morgenstern und Langschwert, um den Verhaßten niederzumetzeln. Und alle Hände bleiben leer. Wie schnell die neun, vor Stunden noch so prahlerischen, so jubelnden Burgmänner mutlos werden! Wie sie die Blicke vor Roland senken! Wie sie die Rücken beugen und wie sich einer hinter dem anderen verkriechen möchte! Nur Aar nicht. Nein, nicht der Herr vom Adlerhorst! Er mag ein Ausbeuter, ein Lüstling, ein Treuebrüchiger, ein Verleumder und arglistiger Mörder sein - ein Feigling ist er jedenfalls nicht. Aar springt auf. Sein pechschwarzer Spitzbart sticht quer in die Luft: »Seid mir willkommen, Roland! Schon lange habe ich diesen Augenblick ersehnt! Man sagt, daß Ihr ein kühner Ritter seid! Ich frage: Welche Taten habt Ihr denn vollbracht, als Aar die Brabanter
vor sich hertrieb? Man sagt, daß Ihr ein Löwenherz besitzt. Wo habt Ihr es je bewiesen? Ich sage Euch, was Ihr wirklich seid: ein Milchbart, den es nach leichtem Ruhm gelüstet, mit dem Ihr vor Eurem Gönner Artus prahlen könnt. Gebt mir meine Waffen, die Ihr wie ein schleichender Wildkater gestohlen habt, und ich zeige Euch, Ritter mit dem Löwenherzen, wie es tut, mit dem Löwen selber anzubändeln!« Seine Männer horchen auf. Aar hat recht! Versprach er ihnen nicht vor wenigen Stunden, vor aller Augen Roland im ritterlichen Zweikampf in den Staub zu schicken? Einige haben nicht übel Lust, aufzuspringen und sich auf Roland zu stürzen. Doch dessen Stimme bannt sie noch einmal. »Ihr nehmt also meine Herausforderung an, Aar vom Adlerhorst. So hört denn meinen Beschluß: In einer Stunde erhaltet Ihr und Eure Männer die Waffen zurück. Bis dahin geduldet Euch in Eurem Zelt! Und wenn die Sonne am höchsten steht, soll der Zweikampf beginnen!« Ruhig wendet er sich und geht hinaus. Niemand wagt es, ihm zu folgen. Er kann sicher sein, daß sich Aars Männer in der nächsten Stunde nicht vom Fleck rühren werden. In dieser Stunde geschieht viel. Pierre entdeckt den bis zum Hals im Wiesenboden eingegrabenen Louis. Sie schaufeln ihn frei. Louis fällt ihnen lachend und weinend um den Hals. In fliegenden Sätzen berichtet er von seiner und Sveas Gefangennahme durch die Stadtsoldaten. Von Sveas rätselhafter nächtlicher Flucht. Und vom Abzug der Grünwämse. Nur einen Umstand verschweigt Louis wohlweislich. Daß er sich mit Svea von der Lagerstätte wegbegeben hat, um das Mädchen Rolands Einfluß zu entziehen. Er stellt es so dar, als hätten die Soldaten die beiden im Schlaf überrascht. Denn er schämt sich zu sehr seines Verrates an Ritter Roland. Und niemand hat Grund, seine Worte zu bezweifeln. *
Der Tag ist auf seinem Höhepunkt, als die beiden Ritter, gewappnet und gerüstet, auf ihren Pferden im gemessenen Schritt zu den Ausgangspunkten an beiden Enden der ebenen Wiese ziehen. Stumm, aber mit klopfendem Herzen, schauen ihnen die übrigen elf Männer nach: Aars Mannen und die beiden Getreuen Rolands. Kein glanzvoll besetztes Turnier mit buntgekleideten Herolden, feurigen Trompetern und Tausenden von Zuschauern kann feierlicher sein als dieser stille Auftakt. Roland ist angekommen, wendet den Rappen und verharrt reglos auf der Stelle. Mit ruhigem Blick überschaut er den weiten Platz. Er nimmt den Gegner wahr, eine winzige Figur, genießt die Sonne streichelnd auf der Haut und fühlt sich von einem pulsierenden Siegesahnen bis ins Innerste durchdrungen. Ihm ist, als sei er unverwundbar. Er spürt nicht den Hauch einer Gefahr. Sein Herz klopft so ruhig, als ginge es zum Ballspiel oder auf die Fuchsjagd. Er bietet auch ein eindrucksvolles Bild. Sein feuriger Araber hat sich völlig erholt und tänzelt bereits ungeduldig. Roland trägt Sigurds Lanze im Arm, die so viele Gegner in den Sand katapultiert hat. Um den Leib gegürtet ist ihm das neugeschmiedete herrliche Schwert, auch ein Erbstück Sigurds. Sein silberheller Schild funkelt in der Sonne mit der blanken Helmzier um die Wette. Noch ist der Schild leer. Kein Wappen schmückt die leere Fläche. Denn Roland ist erst seit so kurzer Zeit Ritter, so daß er auf seiner abenteuerlichen Fahrt nicht dazu kam, sich mit einem Wappenfachmann zu beraten. Ja, er bietet ein Bild der Jugend, des Stolzes, der Kraft! Aber warum beben seine Lippen? Warum zuckt sein helles Auge? Warum schwankt die Lanze in seiner Hand? Wie ein unverhoffter Blitz dringt plötzlich die Erkenntnis in ihn ein, daß dies sein erster ritterlicher Zweikampf sein wird. Wohl hat er vielen fremden Rittern beim Turnier von Xanten zugeschaut. Er kennt die Regeln, weiß um jede Technik, die dem Kämpfer Vorteile bringt, und erinnert sich an Fehler, die man vermeiden muß, um siegreich im Sattel zu bleiben.
Und das soll ausreichen? überlegt er. Denn er selber hat diese Kampfart noch nie erprobt! Wer bürgt ihm dafür, daß seine Lanze sicher ihr Ziel findet? Daß er im machtvollen Anprall der feindlichen Lanze so fest im Sattel sitzen bleibt, als wäre er angeschmiedet? Zudem wird kein Herold heute Einhalt gebieten, wenn einer vom Pferd stürzt, eine Verwundung davonträgt oder die Lanze zersplittert. Heute geht es bis zum bitteren Letzten. Auf Tod oder Leben! Nur einer von ihnen beiden wird dieses Feld lebend verlassen - vielleicht keiner... Ach, hätte er doch zuvor auf kleineren, unblutigen Turnieren seine Künste erprobt, seine Hand geübt, seine Technik verfeinert! In diesem Augenblick schmilzt Rolands Selbstbewußtsein schnell dahin. Der eben noch so kühne Blick zum Gegner wird trüb und schwankend. Denn dieser Gegner ist zwar ein eitler Prahler, aber kein hergelaufener Streitmacher oder Raufbold. Aar gilt als alter erprobter Turnierrecke. Wie verwachsen mit seinem Streitroß, unfehlbar im Stoß und gefürchtet im Schwerterkampf. Mehr als 100 Turnierkämpfe hat er hinter sich, und die weitaus meisten sahen ihn als gefeierten Sieger. Er kennt sich aus in den feinsten Schlichen und durchschaut die Entschlüsse des Gegners, fast ehe der sie selber gefaßt. Aar überstand Stürze, Wunden und Prellungen. Auf der Jagd und dem Turnierplatz blieb ihm nichts fremd, und nichts mehr kann ihn überraschen. Noch heute erzählt man sich von dem großen Endkampf des unvergeßlichen Turniers von Worms, wo er auf einen Ritter der Tafelrunde traf und nur knapp und ehrenvoll unterlag, nachdem er den anderen an den Rand der Niederlage gebracht hatte. Und gegen diesen Gegner will Roland, ein blutiger Anfänger, bestehen? Aar reitet einen hochbeinigen Fuchs, auch der aus arabischem Geblüt. An seiner wuchtigen Lanze flattert das Fähnlein mit seinen Hausfarben Schwarz und Gelb. Sie wiederholen sich auf dem Wappen des Schilds: Ein prächtiger schwarzer Adler breitet die
riesigen Schwingen und hebt drohend die gelben Krallen des rechten Fußes. Da fährt Roland zusammen. Eine machtvolle Stimme, eine Stimme wie aus dem Himmel über ihm, schlägt an sein Ohr. »Seid Ihr bereit?« fragt ihn Aar. »Seid Ihr bereit - zu sterben?« Roland rieselt es kalt den Rücken hinunter. Dieses arrogante Organ! Es strömt über von Selbstbewußtsein und Siegessicherheit. Auf welches aussichtslose Unternehmen hat er sich hier eingelassen! Er öffnet den Mund, um zu antworten, doch nur ein kläglicher, krächzender Ton kommt heraus. Das Blut schießt ihm jäh zu Kopf. Er errötet unter dem Helm. Verzweifelt ballt er die rechte Faust, als wolle er den Lanzenschaft zerdrücken. So gewinnt er seine Fassung wieder. Und nun klingt seine Antwort hell und markig über den weiten Platz: »Ja, ich bin bereit, Euch den Todesstreich zu versetzen!« Einen Wutschrei stößt der vom Adlerhorst aus. Das Wort traf ihn wie eine Beleidigung. Unbeherrscht treibt er seinem hochbeinigen Renner die Eisenferse in die Weichen, und das Tier springt erschrocken an. Dann streckt es sich zu den ersten Galoppsprüngen. Fast unwillkürlich setzt auch Roland seinen Rih in Bewegung. Er sieht mit Schrecken, wie der Fuchs und sein Reiter mit unfaßbarer Schnelligkeit auf ihn zugejagt kommen. Wie sie rasend zu furchterregenden Riesengestalten anwachsen. Einen Augenblick lang denkt er an Flucht. Aber auch die erscheint hoffnungslos. Zu unentrinnbar ist der Gegner. Nun nimmt er schon jede Einzelheit des Duellpartners wahr. Der reitet unbeirrbar auf ihn zu. Nichts und niemand kann ihn aufhalten. Er ist übermächtig, ist unbesiegbar! Die Rüstung Aars scheint im Sonnenlicht wie in gleißendes Feuer getaucht. Ganz nahe flattert schon, ein unheilverkündendes Omen, das schwarzgelbe Lanzenfähnlein ... Und da prallen die beiden aufeinander! Der Stoß, den Roland von Aars Lanze erhält, übersteigt alles an Wucht, was menschliche Vorstellung sich auszumalen vermag. Ihm
ist zumute, als zerbrächen ihm sämtliche Rippen, als zerrissen ihm die Eingeweide. Er ist wie gelähmt. Schwäche breitet sich in ihm aus. Er möchte die Augen schließen, seitwärts vom Pferd gleiten, das Gesicht in den Rasen betten und schlafen, schlafen, nie mehr kämpfen ... Auch Aar ist von Rolands Lanzenstoß durchgerüttelt worden. Die jugendliche Kraft des Ritters mit dem Löwenherzen hat den Mann vom Adlerhorst zur Vorsicht gemahnt. Seine Erfahrung rettet ihn. Er läßt durch eine geschickte Drehung im letzten Augenblick die Waffe an seiner Rüstung abgleiten. So übersteht er den ersten Zusammenstoß besser als der ungeübte Roland. Es ist eigentlich nur das Temperament Rihs, das Roland befähigt, ein zweites Mal gegen Aar anzureiten. Die heftigen Galoppsprünge des Arabers wecken ihn aus seiner gefährlichen Betäubung auf. Ehe er es sich versieht, trägt ihn das wunderbare Tier erneut dem Feind entgegen. Und wieder fängt Roland des Feindes Lanze mit voller Macht auf. Im Abdrehen hört er schmutziges Lachen. Aar triumphiert! Todesmatt bricht Roland zusammen. Des Ritters Kopf sinkt auf den Hals seines stolzen Pferdes. In Rihs schwarzer Mähne ruht Rolands Blondschädel, als der dritte Gang des Zweikampfes anhebt. Der Ausgang ist nicht mehr ungewiß. Aar hat seinen Gegner müde gemacht. Der dritte Gang des Zweikampfes scheint nicht mehr zweifelhaft. Aar wird Roland aus dem Sattel heben und mit dem Schwert um einen Kopf kürzer machen. Mit Rolands abgeschnittenem Kopf in der Hand wird er stolz vor Sir Galahad treten, um zum Landgraf erhoben zu werden. Rih nimmt einen waghalsig engen Bogen. Hoch rumpelt Roland im Sattel und reißt die Augen auf: Ein Weib, nackt unter leichtem Flor, verführerisch und unschuldig zugleich, tanzt plötzlich auf der Wiese. Es ist barfüßig, zierlich - ein zauberhaftes Wesen.
So tanzt es, hingegeben an schwereloses Gleiten, mit verlockenden Bewegungen - und doch unfaßbar, unirdisch ... Da weiß Roland: Es ist kein Menschenkind, es ist eine Elfe! Und die Elfe singt beschwörend, nur ihm vernehmbar: »Leicht ist's, die Waffen zu strecken. Schwerer des Kämpfers Los. Doch selbst im schrecklichsten Schrecken. Zeig du dich mannhaft und groß!« Wer Louis oder Pierre später fragt, wird erfahren, daß sie die Elfe nie gesehen haben. Nie gehört ihren betörenden, beschwörenden Gesang. Auch Aar sah und hörte sie nicht, die singende, tanzende Elfe. Nur Roland erschien ihre Zaubergestalt. »... zeig du dich mannhaft und groß!« Denn nur auserlesenen, begnadeten Menschen erschließt sich bisweilen die Zauberwelt der Elfen. Und nun schießt ihm machtvoll das Blut in die Glieder. Kräftig schließen sich seine Beine um den Leib des Pferdes. Wer die Elfe sah, ist unbesiegbar - sagt der Volksglauben. Und so reiten sie aufeinander los ... Ein Ruck ist durch Rolands Gestalt gegangen. Der Schwächeanfall ist überwunden - ja, schon fast vergessen. Alles Zagen fällt von ihm ab wie ein zerschnittener Mantel. Staunend bemerken Pierre und Louis, daß ihr Ritter im Sattel auf einmal zu wachsen scheint. Das ist ein ganz anderer Roland als der in den ersten Treffen! Mit ungeheurer Entschlossenheit steuert er den rassigen Rih vorwärts. Es gibt kein vorsichtiges Antraben mehr. Aus dem Stand zwingt er das hochgezüchtete Pferd in einen wahnsinnigen Galopp. Da sperren die Burgleute Aars Mund und Nase auf. Noch nie hat einer vor ihnen ein Pferd mit solcher Geschwindigkeit über die Erde galoppieren sehen. Die Hufe scheinen den Wiesenboden kaum noch zu berühren. Der Rappe streckt sich und fliegt dahin wie ein Pfeil. Und sein Reiter verschmilzt mit dem wunderbaren Tier zu einer untrennbaren Einheit. So donnert Roland auf Aar zu, dessen Pferd im Vergleich mit Rih
jetzt wie ein braver Ackergaul wirkt, obwohl es doch auch ein edler Araber ist. Roland hat die Lanze diesmal anders gefaßt, mehr am hinteren Ende des Schafts. Jetzt ragt die Spitze weit über den Kopf seines Pferdes nach vorn. Den wappenlosen Schild über den linken Oberarm gestreift, sitzt er nicht mehr frontal zum Gegner, sondern mit einer leichten seitlichen Verdrehung, so daß er ein schmaleres Ziel bietet. Doch all diese Veränderungen nimmt der siegessichere, von seiner Stärke restlos überzeugte Aar nicht wahr. Er reitet noch geruhsam dahin, als ihn der berserkerhafte Ansturm Rolands jäh aus seinen Siegesträumen reißt. Die Lanze des jungen Ritters trifft ihn mit höllischer Wucht an der Brust, dort, wo das Herz sitzt, lange ehe seine eigene Waffe eingesetzt werden kann. Wie unter einem unwiderstehlichen Zwang kippt Aar mit dem Oberkörper nach hinten. Einen Augenblick lang ragt seine Lanze steil gegen den Himmel, und nie mehr wird sie Roland treffen. Und wie ein Geisterreiter fliegt der junge Ritter an dem schwer getroffenen Gegner vorbei. Aar schwankt im Sattel, pendelt hilflos und gleitet über die Kruppe des Fuchses zu Boden. Pierre und Louis stoßen laute Jubelrufe aus. Die Burgleute aber verstummen wie gelähmt. Mit gewagtem Schwung reißt Roland den Rappen aus vollem Lauf auf der Hinterhand herum, läßt ihn noch ein paar Galoppsprünge tun und schnellt dann gelenkig zu Boden. Mit drei Schritten ist er bei dem reglosen Aar, und messerscharf erklingt seine junge Stimme: »Nun ergib dich, Ritter vom Adlerhorst! Auf die Knie - und schwöre dem König Artus, meinem Herrn, unverbrüchliche Vasallen treue! Verweigerst du den Eid, dann tust du auf dieser Stelle deinen letzten Atemzug!« Es ist die vorgeschriebene Formel bei ernsthaften Zweikämpfen fahrender Ritter. Doch da springt Louis auf und schreit: »Haltet ein, Ritter Roland!« Der blickt sich erstaunt um.
»Aar gehört mir«, schreit Louis blaß vor Zorn. »Er hat mein Haus zerstört und meine Braut ins Unglück gestürzt. Ich habe es geschworen: Der Unselige stirbt von meiner Hand.« Langsam wendet sich Roland vollends zu ihm um. Hell blitzen seine Augen, als er erwidert: »Du kommst zu spät, Louis. Dein Todfeind hat seiner Verbrechen Strafe bereits im vollen Umfang erhalten. Aar atmet nicht mehr. Er ist tot.« Ja, die Lanzenspitze hat Aars Rüstung gespalten und ist mitten durch sein Herz gefahren. Der nimmermüde Jäger und Turnierer, der reiche und habgierige Burgherr, der listenreiche und skrupellose Tyrann der kleinen Leute, lebt nicht mehr. Auch die Burgleute haben es jetzt begriffen. Was werden sie tun? Noch zögern sie. Und gar manchen fröstelt es in der warmen Mittagssonne. Gar zu unheimlich erscheint ihnen das unerwartete Ende. Dann ermannt sich der älteste Gefolgsmann. »Ergreift Roland und seine beiden Männer! Rächt den schmählichen Tod unseres Herrn!« Doch seine Stimme klingt unsicher und findet kein Echo bei den übrigen. Die Männer senken betreten die Blicke zu Boden und rühren sich nicht vom Platz. »Feiglinge!« ruft der Älteste, aber alle sehen, daß auch seine Hände beben. Doch wenn er auch zittert, zieht er trotzdem sein Kurzschwert und rückt langsam gegen Roland vor, bei dem jetzt bereits seine Kameraden sind. Die übrigen Burgleute folgen unsicheren Schritts ihrem Vormann. Nach einiger Zeit aber bleiben alle neun in achtungsvoller Entfernung stehen. Zu einem Angriff scheint es nicht mehr zu kommen. Dazu fehlt ihnen jetzt der Mut. Der Älteste räuspert sich. Dann verlangt er: »Gebt uns den Ritter Aar heraus!« »Gemach«, gebietet ihm Roland und hebt abwehrend den Arm. »Ihr alle kennt das Gesetz. Danach gehören dem Sieger Waffen, Pferd und Gold des Besiegten. Doch ich verzichte freiwillig auf seine
Lanze und seine Rüstung. Wer möchte eine Lanze besitzen, die ihr Ziel nicht findet, oder einen Panzer, der seinen Träger nicht schützt?« Mit rascher Bewegung ergreift Roland das Schwert des Toten, reicht es Louis und sagt feierlich: »Es sei dein!« Indessen nimmt Pierre den schweißnassen scheuen Fuchs am Zügel und führt ihn fort. Doch als Roland die Satteltaschen öffnet, um Aars Reisekasse zu übernehmen, wie es der Brauch in dieser Zeit ist, überwindet die Gier nach Gold bei den Burgmännern ihr ängstliches Zögern. Sie greifen an! »Das Gold gehört uns!« ruft der Älteste mit Nachdruck. Und sie schwingen die kurzen Schwerter. Roland wendet sich um. Mit dem gepanzerten Fuß stößt er nach dem Waffenarm des Vordersten, und schreiend läßt der das Schwert fallen. Schon schwingt Roland den Speer in einem Tod verheißenden Halbkreis. Niemand wagt sich näher heran. Im Gegenteil, vier der Burgleute lösen sich vorsichtig aus dem Haufen, gehen rückwärts, erst langsam, dann drehen sie sich und rennen nun ohne Scham zu ihren Pferden. Sie haben genug, sie wollen weg. Zu gefahrvoll erscheint ihnen weiteres Standhalten. »Her mit dem Gold!« ruft noch einmal der Vormann. »Die Dukaten sind uns von Aar versprochen.« Aber überzeugend wirkt sein Ton auf niemanden mehr. Und wieder verlassen ihn zwei der Männer. Als gar Louis an Rolands Seite tritt und grimmig Aars Schwert, das nun ihm gehört, gegen sie zückt, wird der Rückzug der Burgmänner zur Flucht. Der Älteste läuft am schnellsten, wirft sich aufs nächststehende Pferd und ist bald ihren Blicken entschwunden. Roland und Louis setzen den anderen nach. Drei Männer können sie einfangen. Ohne Gegenwehr lassen sich die drei entwaffnen. Mit finsteren Mienen verfolgen sie, wie ihre Kameraden auf den Pferden entkommen. Louis schickt den Fliehenden noch ein paar Pfeile nach, und das beschleunigt ihre Flucht. In der Reisekasse Aars findet Roland mehr als fünfzig
Golddukaten. Fast ehrfürchtig betrachtet und zählt er sie. So reich war er noch nie! Ja, einen solchen Reichtum je zu erringen, hätte er bis heute nicht für möglich gehalten. Den drei Gefangenen obliegt es, ihren toten Herrn zu bestatten. »Wenn sie fertig sind«, verheißt Roland seinen beiden Getreuen, »werden sie uns zu Sir Galahads Feste führen!« Auch im glänzenden Triumph hat er nie das eigentliche Ziel aus dem Auge gelassen! * Schon fünf Tage später erreichten die flüchtigen Männer Aars abgehetzt und mit angstgesträubten Haaren die Feste Sir Galahads im Norden. Sie machten den Eindruck, als sei der Teufel hinter ihnen her. Dabei war es ihnen unterwegs nicht schlecht ergangen. In den Dörfern entlang der Route hatten sie sich nach der Art ihres toten Meisters von den Bauern reichlich verpflegen lassen und, sooft es ging, die Pferde gewechselt. Nun erstatteten sie Sir Galahad Bericht. Der Überbringer böser Kunde ist niemals gern gesehen. Aber Galahads Unmut überstieg das gewöhnliche Maß. Er beschimpfte die verängstigten Männer als feiges, räudiges Pack, gab ihnen die ganze Schuld an Aars Niederlage, ließ sie von seinem Büttel auspeitschen und steckte sie unter sein niedrigstes Gesinde. Statt mit ihren Kurzschwertern dukatenbelohnt in der Stadt Gent und Umgebung den großen Herrn zu spielen, wie sie es gewöhnt waren, mußten sie jetzt von früh bis spät, in Lumpen gekleidet, die unbeliebtesten, stinkendsten und anstrengendsten Arbeiten ausführen und durften von jedermann nach Herzenslust angetrieben, verhöhnt und in den Hintern getreten werden. Übrigens hätten sie sich gar nicht so zu beeilen brauchen, um ins Elend zu kommen. Denn Roland saß ihnen keineswegs dicht auf den Fersen, wie sie es sich in ihrer panischen Fluchtangst ausgemalt
hatten. Rolands Trupp kam nur langsam voran. Das lag an den drei Gefangenen. Sobald sie nämlich merkten, daß es ihnen nicht mehr an Leib und Leben ging, wurden sie aufsässig. Sie fanden immer neue Möglichkeiten, die Fahrt zu verlangsamen. Mal behaupteten sie, den richtigen Weg verloren zu haben. Dann wies jeder der drei - doch das war unter ihnen wohl verabredet - eine andere Richtung. Dann wieder klagten sie über Erschöpfung. Und mehr als einmal versuchten sie, sich des Nachts davonzustehlen. Rolands Gesellen mußten höllisch auf sie aufpassen. Endlich aber nahm Pierre den Ritter beiseite. »Ich glaube jetzt zu wissen, was diesen Kerlen fehlt«, meinte er. »Lange genug belauschte ich ihre Gespräche. Wenn sie unter sich sind, klagen sie am meisten, daß es bei Euch nicht wie früher Branntwein zu trinken gäbe. Für Branntwein, nehme ich an, verkaufen sie ihre Seele - und noch viel Wertvolleres.« Roland nickte. Das leuchtete ihm ein. Und so kaufte er im nächsten Ort, wo es eine Brennerei gab, für einen halben Dukaten ein Fäßchen Branntwein. Mit leuchtenden Augen beobachteten die drei Gefangenen diesen Vorgang. Das Fäßchen hing tagsüber auf dem Rücken des Tragtiers, Pierres altem Gaul. Der Knappe ritt jetzt stolz Aars Araberfuchs. Abends schenkte Louis, der sich als ehemaliger Wirt darauf verstand, jedem der drei Gefangenen ein Maß aus, das ihn zufriedenstellte, also daß er am nächsten Tage in der Hoffnung auf erneute abendliche Labung willig seinen Pflichten nachkam. Sehr schlau war die Ration Branntwein bemessen. Sie schenkte den Trinkern einen gesegneten Schlaf, so daß sie nie mehr fähig waren, nachts einen Fluchtversuch zu unternehmen. Andererseits war sie nicht so groß, daß sie am nächsten Tag unter einem Brummschädel zu leiden hatten. Sich selber gönnte Louis, an das teuflische scharfe Getränk gewöhnt, etwa die doppelte Ration. Roland und Pierre tranken nicht. So näherten sie sich unaufhaltsam der Feste.
*
»Die Bären rumoren wieder«, bemerkte der feine Herr mit dem feisten Leib und den rosigen Wangen. »Wie sollten sie auch nicht?« antwortete Sir Galahad lachend. »Sind sie doch seit einer Woche auf halbe Kost gesetzt und haben seit vorgestern überhaupt nichts mehr zu fressen bekommen! Ich möchte wissen, wie du randalieren würdest, wenn dir Ähnliches geschähe, mein Henry!« Der dicke Ritter hob abwehrend die Arme. »Beruft es nicht, Sir Galahad! Ohne meine fünf reichlichen Mahlzeiten am Tag wäre ich ein toter Mann.« Ein Mann mit langer Nase mischte sich ein. Sein Name war Iwein. Zusammen mit Sir Galahad und Lester hatte er vor nicht langer Zeit auf nächtlicher Heide den legendären Ritter Sigurd ermordet, dem Roland damals als Knappe diente. Lester hatte inzwischen sein Schicksal ereilt. Beim Aufstand gegen König Artus hatte ihn Roland mit der Hellebarde getötet. Für seinen großen Einsatz um das Wohl des Königs war Roland zum Ritter geschlagen worden. »Auch ich wüßte gern, warum Ihr Eure Bären hungern laßt, Galahad, die Ihr doch sonst zu verhätscheln pflegtet. Oder ist es ein Geheimnis, das Ihr für Euch bewahren wollt?« Ein vierter, jüngerer Ritter namens Waldemar nickte zustimmend. Selbst durch die geschlossenen Fenster des hohen Turmgemachs, das ringsum mit orientalischen Teppichen feinster Webart ausgelegt und behängt war, hörten sie deutlich die wütenden Laute der beiden Bären. Es waren starke schwarze Gesellen. Seit Monaten hielt Galahad sie in einem großen Käfig im Burghof, und allgemein galten sie als seine Lieblinge. Sie waren ihm teurer als seine engsten Freunde Iwein, Waldemar und Henry. Es hieß, Galahad habe sie mit eigener Hand im Ardennerwald gefangen. Aber Genaues wußte man nicht. Niemand konnte sich für ihre Herkunft verbürgen. Nur daß sie wilde und ungewöhnlich große Exemplare waren, davon konnte sich jeder täglich im Hof
überzeugen. Galahad schlug ein Gelächter an. Der lange Ritter, dem viel Land und zahlreiche Ortschaften entlang der Küste gehörten, lag nach dem Bad, das er eben genommen hatte, gesalbt und entspannt auf einem Ruhelager. Von Zeit zu Zeit griff er nach einer Schale voll erlesener Weintrauben und bediente sich daraus. »Ich will eure Neugier nicht mehr allzu lange auf die Folter spannen«, sagte er, immer noch lachend. »Vielleicht wird einer von euch den Sinn meines Vorgehens sogar erraten. Doch zuvor etwas anderes«, fuhr er, ernst werdend, fort. »Ihr kennt das schmale Tal Broncevalle, das sich zwischen zwei bewaldeten Höhenzügen nicht weit von hier im Süden erstreckt?« Alle nickten eifrig. Keiner, der dort nicht schon gejagt oder ein Liebesabenteuer erlebt hatte! Es war ein schöner Platz mit raunenden Bächlein, anmutigen Birken und zwitschernden Vögeln, wo es sich zur Sommerszeit besonders wohl sein ließ. Der Weg zu Galahads Feste führte durch Broncevalle. Und doch war das Tal oft einsam und menschenleer, denn außer seinen Rittern hatte der Lehensherr allen streng verboten, es zu betreten. »Meine Späher meldeten mir, daß Roland näher rückt. Er hat fünf Männer bei sich und reitet stracks auf die hohe Feste Meerburg zu. Morgen wird er Broncevalle erreichen. Ich will, daß ihr drei ihn dort erwartet.« »Um ihm das Ehrengeleit zur Meerburg zu geben?« fragte Henry. »Ihr plant sicherlich, ein Turnier zu veranstalten, bei dem Ihr ihn in den Staub werfen und so den Tod Eurer Freunde Lester und Aar rächen werdet - wenn ich es richtig sehe.« »Du bist ein Esel, Henry«, entgegnete Galahad verächtlich, und der Dicke wurde puterrot vor Beschämung. »Ich soll mich mit einem hergelaufenen Köhlerssohn messen? Nächstens schlage ich mich dann mit einem Bauernknecht um seine Dirne! Du hast eine merkwürdige Vorstellung von Ritterwürde!« »Ich dachte ja nur«, verteidigte sich Henry lahm, »weil Roland nun zum Ritter geschlagen ist und, wie wir erfuhren, Aar im Zweikampf
besiegt hat...« »Schweig, du fetter Schwätzer!« Mit eiskalter Stimme fiel ihm Galahad ins Wort. »Der Ritterschlag war die unbedachte Handlung eines senilen Königs, dem noch die Hände vor Angst zitterten, weil man ihn beinahe seines Throns beraubt hätte. Und was besagt es, daß Aar gegen Roland unterlag?« »Ganz recht«, unterstützte ihn Iwein. »Vielerlei Zufälligkeit entscheidet oft ein Duell. Ein strauchelndes oder scheuendes Pferd. Ein Sonnenstrahl, der dich zur Unzeit blendet. Die Pfuscherei eines Waffenschmiedes. Und solcher Möglichkeiten sollte Sir Galahad sich ohne Not aussetzen?« Waldemar fügte hinzu: »Nach allem, was wir von den erbärmlichen Flüchtlingen erfuhren, verlor Aar sein Leben durch seinen blöden Leichtsinn. Er ging in einer papierdünnen Rüstung zum Kampf. Er starb also nicht durch ritterliche Tugenden Rolands!« »Wahr und klug sprecht ihr, meine Freunde«, lobte Galahad die beiden letzten Redner. »Ihr werdet also, als Kaufleute verkleidet, Roland in Broncevalle erwarten. So verlockendes Waffenspielzeug werdet ihr ihm vorlegen und mit billigen Preisen locken, daß weder Roland noch seine Männer die Blicke von dem Glitzerkram wenden können. Niemand wird auf euch, meine Freunde, niemand auf die Umgebung achten.« »Aber wenn Roland mich wiedererkennt?« gab Henry zu bedenken. »Mich oder Iwein? Er hat uns in Xanten gesehen.« »Haben wir nicht von unseren Festen Kostüme und Masken, Gesichtssalben, falsche Bärte und falsche Nasen in der Kammer?« rief Galahad. Und dann entwickelte er den hingerissen lauschenden Rittern seinen teuflischen Plan. * Nach manchem Tagesritt über eintönige Ebenen unter grauem Herbsthimmel bei pfeifendem Wind brach die Sonne durchs Gewölk. Hügelketten erhoben beiderseits des Weges ihre grünwaldigen
Häupter. Saftige Wiesen und schnelle Wasserläufe wechselten mit schattigen Hainen, verlockenden Hohlwegen und stillversonnenen Teichen ab. Rolands Gemüt war voller Heiterkeit. Seine fünf Männer waren ein Herz und eine Seele. Viel hätte nicht gefehlt, und der kleine Reitertrupp hätte ein fröhliches Lied angestimmt. Manches zu dieser Harmonie trug das Branntweinfäßlein auf dem Tragtier bei. Zuerst freundeten sich die drei Gefangenen mit ihrem Schankwirt Louis an. Dann entdeckten sie ihr Herz für den friedlichen Pierre. Und schließlich anerkannten sie Roland als ihren Führer. Imponiert hatte er ihnen schon vorher, als er den großen Aar überwand. Also vertraute Roland ihnen bald so weit, daß er ihnen ihre Kurzschwerter wieder aushändigte. Sie versprachen, ihm treu zu folgen, seinen Befehlen zu gehorchen und ihr Leben, wenn es not tat, für ihn in die Schanze zu schlagen. Sie ahnten nicht, wie bald es dazu kommen sollte. Sie waren mitten im Tal, lauschten verzückt dem Gesang der Vögel, atmeten die balsamische Luft und weideten ihre Augen auf den lieblichen Bildern ringsum, als sich vor ihnen ein seltsames Schauspiel auftat. Unter einer mächtigen Platane lagerten drei fremd aussehende Gestalten in weiten weißen Burnussen. Drei prächtige weiße Zelter weideten friedlich in der Nähe. Ein rosafarbenes Zelt war aufge schlagen, und durch den weit offenen Eingang erspähte das Auge ein großes Warenlager. Beim Anblick der kriegerischen Reiter um Roland erhoben sich die Männer in den wallenden Gewändern, legten eine Hand aufs Herz und die andere flach auf die Stirn und sagten mehrmals ehrerbietig: »Salaam!« »Es sind orientalische Händler«, flüsterte Louis, der von allen am meisten in der Welt herumgekommen war. »Ich hörte seit Jahren, daß sie neuerdings bis in den Norden reisen, um ihre Waren anzubieten. In meiner Räuberzeit sah ich einmal einen aus der Ferne, wagte aber nicht, ihn zu überfallen. Sie sollen unter dem Schutz aller
Fürsten stehen.« Indessen hatte Roland den Gruß der Händler erwidert, war abgestiegen und folgte den einladenden Gesten. Aus der Nähe sah man, daß es sich bei den Morgenländern um Greise handelte. Ihre Gesichter waren tiefbraun - wie angemalt, dachte Roland, der noch nie einem Orientalen begegnet war. Wie Gräben zogen sich noch dunklere Linien faltenreich über die offenbar steinalten Gesichter. Die Augen hielten sie meist demütig zu Boden gerichtet. »Tretet ein, edler Ritter«, sagte der eine, und sein Akzent klang fremd, so, als verstellte man zum Scherz seine Stimme. »Wir sind Kaufleute und gern bereit, Euch etwas von unseren Schätzen gegen geringes Gold zu verkaufen.« »Ihr kommt von weit her«, stellte Roland staunend fest. »Wir segelten drei Monate, ehe wir hier an der Küste das Land betraten. Unser zwanzig ziehen durch die Gegend, und wir treffen uns nach einem Mond wieder, um in die Heimat zurückzusegeln. Bis dahin hoffen wir, unsere Waren abzusetzen. Sie sind von bester Qualität, wie Ihr Euch sofort überzeugen werdet.« Roland winkte seinen Männern, ihm ins Zelt zu folgen. Mit Ausrufen des Entzückens und der Bewunderung betrachteten sie die ausgestellte Warenpracht. Da hingen glitzernde Krummdolche, breite Kurzschwerter wie aus purem Silber, kurze, stämmige Lanzen mit nadelscharfer Spitze. Es gab funkelnde Helme, feingearbeitete Brustpanzer und kreisrunde, wuchtige Schilde. Immer begehrlicher wurden die Blicke von Rolands Männern. Sie machten einander auf die schönsten Stücke aufmerksam. Am liebsten hätten sie ihre alten Waffen weggeworfen und sich mit den neuen geschmückt. Und dann prasselte ein Hagel von Fragen auf die Kaufleute nieder. Jeder wollte als erster wissen, was dieses oder jenes Stück koste. Kaum konnten die Männer aus dem Morgenland so schnell antworten. Doch immer wieder erstaunlich war, wie niedrig ihre Preise sich anhörten! Ein bittender Blick Pierres streifte Roland. Der fing ihn auf
und wunderte sich ein wenig: Sogar der bequeme Pierre war plötzlich von diesem Waffenrausch erfaßt! Roland faßte einen schnellen Entschluß. Er gab jedem seiner Männer fünf Dukaten. Sie jubelten ob seiner Großzügigkeit. Bei den niedrigen Preisen konnte sich so jeder sein Lieblingsstück erstehen. Sie drängelten sich um den glitzernden Stahl, und zwischen zwei ehemaligen Aarmännern entwickelte sich sogar ein Streit. »Der Dolch gehört mir!« »Nein, mir. Ich habe ihn zuerst erblickt!« »Aber ich habe ihn zuerst angefaßt!« »Das gilt nicht. Ich zog ihn als erster aus der Scheide!« »Dann würfeln wir darum!« »Meinetwegen ... Obwohl es unrecht ist. Denn ich habe ihn als erster erblickt!« »Fang nicht schon wieder an! Hier sind die Würfel. Ich beginne!« »Warum du? Ich beginne ...« Die Männer waren außer Rand und Band. Im allgemeinen Lärm übersah Roland, daß ihm einer der Kaufleute geheime Zeichen machte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sein Blick war auf ein Seidenkissen mit Schals, Broschen, Ketten, Armbändern und Ringen gefallen, und diesen Geschenken für Damen wandte er sich nun zu. Für die Waffen hatte Roland keinen Blick übrig. Sosehr sie auch funkelten, glaubte er doch nicht, daß sie einen Vergleich mit den seinen aushielten. Schon gar nicht mit dem Schwert, das ein berühmter Schmied für Sigurd geschaffen und das der sterbende Held ihm, Roland, übergeben hatte. Aber seltsam war es schon, daß der Ritter sich so ganz von dem Schmuck der Damen angezogen fühlte. Und doch wiederum gar nicht seltsam. Denn er hatte in den letzten Tagen nach dem Tode Aars oft und oft an die schöne blonde Reinhild denken müssen, die ihm auf Burg Adlerhorst die rettende Strickleiter in die Hände gespielt hatte. Und jedesmal tat sein Herz einen freudigen und zugleich wehmütigen Sprung. Würde er sie noch einmal wiedersehen? Und wann? Und wo?
Bange Fragen wechselten mit frohen Vorahnungen. Darum also schaute er prüfend über das Seidenkissen mit seinen Schätzen an gehämmertem Gold und geschliffenem Edelstein. Was paßte am besten zu ihrem zarten Hals? »Der Ritter sucht einen Schmuck für die Dame seines Herzens?« klang eine Stimme an sein Ohr. Unwillig wandte er den Kopf. Ein Orientale hatte sich händereibend an ihn herangemacht. Mehr denn je erschien Roland die dunkle Gesichtsfarbe des Mannes künstlich, und die tiefen Falten wirkten wie aufgemalt. Doch im Ungewissen Licht des Zeltinneren war das nicht zu entscheiden. Dennoch empfand Roland plötzlich eine Abscheu vor dem Ausländer, eine Art Besorgnis. Und näher drängte sich der an ihn heran, berührte ihn zu seinem Ärger fast. Unter auffälligen Handbewegungen näherte der Mann sein Gesicht Rolands Ohr und flüsterte plötzlich und jetzt ohne den auffälligen fremdländischen Akzent: »Seht Euch vor, Roland! Höchste Gefahr!« Roland fuhr zurück, starrte den anderen ärgerlich an und fragte unwillig: »Was wollt Ihr von mir, Fremder?« Der legte nach einem hastigen Blick auf die beiden anderen Händler beschwörend den Zeigefinger auf die Lippen und raunte: »Vorsicht, Roland, dieses Waffenzelt ist eine Falle!« Rolands Augen wurden zu Blitzen. Doch noch hielt er an sich und fragte leise zurück, so daß außer dem anderen niemand ihn hören konnte: »Wer bist du, Schurke? Sprich!« »Ich bin nicht der, der ich scheine ... Und auch die beiden anderen Händler...« »... sind keine Händler aus dem Morgenland«, zischte Roland ungeduldig. »Soviel habe ich schon begriffen. Heraus mit der Sprache! Seid ihr Späher Sir Galahads?« »Ihr habt es erraten«, stammelte der Braunbemalte im weißen Burnus. »Ich bin Henry, ihr kennt mich. In Galahads Auftrag bot ich Sigurd Geld, damit er sich im Turnierkampf von Xanten freiwillig besiegen lasse. Er lehnte ab. Wie schämte ich mich da! Aber ich
blieb bei Galahad und nahm auch diesen Auftrag an ... Doch gestern beleidigte er mich. Er nannte mich einen Esel und einen fetten Schwätzer ... Ungeheuerlich! Darum meine Warnung an Euch, Roland ...« »Sprichst du jetzt auch wahr, verfluchter Lakai eines Schurken?« »Ja, ja, ja! Und hätte ich mein Leben lang gelogen - dies ist von Grund auf wahr. Hört, Roland: Diese herrlichen Waffen - nehmt sie nicht! Sie sind hohl, die Klingen stumpf, die Griffe nur schwach aneinandergefügt. Die Lanzenspitzen brechen ab, wenn man zu stößt... Und auf den Höhen ringsum warten Galahads Krieger ...!« Roland hatte genug gehört. Er packte Henry und riß ihm den weißen Burnus vom Körper. Darunter kam ein ritterliches Kettenhemd zum Vorschein. Ein Blick durchs ganze Zelt ließ Roland erkennen, daß die beiden anderen falschen Morgenländer sich aus dem Staub gemacht hatten. Seine eigenen Männer stritten sich noch mit kindlicher Freude um die trügerischen Waffen. Keine Sekunde war mehr zu verlieren. Da, die Zeltstange wankte! Die Wände bogen sich nach innen. »Raus aus dem Zelt, Männer!« brüllte Roland mit tönender Stimme. »Raus aus dem Zelt! Verrat, Verrat! Und laßt die Hände von den fremden Waffen! Sie sind eitel Trug! Verlaßt euch nur auf eure eigenen Schwerter! Raus, raus!« Und allen voran stürmte er durch den Eingang ins Freie. Ihm nach drängten die anderen, mitten darunter Henry. Hinter ihm stürzte das Zelt in sich zusammen. Iwein und Waldemar - denn das waren die beiden anderen »Morgenländer« - hatten es von außen durch das Kappen der Haltestricke in sich zusammenfallen lassen. Nur wenige Augenblicke später, und Roland wäre mit seinen Männern darunter begraben gewesen. Sie hätten sich bei ihren Befreiungsversuchen wie zappelnde Fische in Leinwand und Schnüren verhaspelt - und wären eine leichte Beute des Feindes geworden. Denn da brachen schon von den Höhen ringsum Galahads Krieger herab. Schwergewichtige Küstenmänner mit Morgensternen, Sensen
und vereinzelten Krummsäbeln. Im Tal entstanden die ersten Einzelgefechte mit den Burnusträgern. Als erster fiel der wackere Henry, der seine Verfehlungen hatte wiedergutmachen wollen. Ihm stieß Iwein den Dolch von hinten ins Herz. »Stirb, Verräter!« rief er zornentbrannt. Dann wandte er sich gegen Louis. Im gleichen Augenblick brandete eine zweite Welle von Angreifern die Hügel herab. Es waren Galahads Burgscharen - hier und da ein Ritter, in der Mehrzahl leichtgerüstete Knappen. Louis hätte sie gern mit einem Pfeilhagel empfangen. Doch er mußte sich gegen den zornigen Iwein wehren. Iwein war sofort dank seines viel längeren Schwertes und seiner reichen Erfahrung im Vorteil. Doch führte er seine kraftvollen Hiebe so langsam, daß der flinke Louis sich durch behende Sprünge immer rechtzeitig außer Reichweite der niedersausenden Klinge brachte. Iwein kochte vor Zorn. Alles war dazu angetan, sein Blut zum Sieden zu bringen. Eigentlich hatte ihm nämlich Sir Galahads Auftrag ebensowenig gepaßt wie Henry. Die listige Fallenstellerei widerstrebte seinem geradlinigen Wesen. Er war von Natur aus ein Draufgänger und kein Ränkeschmied. Aber er stimmte trotzdem zu - aus Verehrung für Galahad und weil er als sein Lehensmann von ihm abhängig war. Um so mehr ärgerte ihn das Mißlingen des teuflischen Planes. Galahad würde möglicherweise ihm die Schuld geben - ausgerechnet ihm! In seiner grenzenlosen Wut schlug er immer aufgeregter nach dem tanzenden Louis und traf nun erst recht nicht. Plötzlich fuhr sein Schwert in den Stamm der großen Platane. So tief bohrte sich die Klinge in das feuchte Holz, daß er sich vergeblich mühte, sie wieder herauszuziehen. Während er noch mit aller Kraft zerrte, stolperte er über einen losen Zipfel seines Burnus. Er fiel genau in das von Louis zur Abwehr erhobene Kurzschwert. Pierre, den es wenig nach Schwertstreichen gelüstete, nach fremden noch weniger als nach eigenen, hatte inzwischen umsichtigerweise die Pferde herangeholt. Denn auf die Dauer
konnten sie sich im Tal natürlich nicht halten. Immer näher kamen die Horden der Ritter, Knappen und Knechte, die Galahad ausgesandt hatte. Auf einen Wink Rolands saßen die Überfallenen auf und galoppierten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Nur an dieser Seite war der Ring der Angreifer noch nicht geschlossen. Roland wollte ihnen folgen, sah sich aber unversehens in ein Handgemenge mit vier Gegnern verwickelt. Der Vorderste schwang einen Morgenstern. Mit einem einzigen Schlag zertrennte Roland die mit Stahlnägeln gespickte Holzkeule in zwei Teile. Verblüfft schaute der Mann auf das kurze Griffstück, das ihm noch in der Hand verblieben war. Dann wurde er blaß und rannte davon, so schnell ihn seine Füße trugen. Da sauste auch schon eine scharf geschliffene Sense rauschend durch die Luft. Im letzten Augenblick sah Roland den blitzenden Stahl. Gedankenschnell duckte er sich - sonst hätte sie ihn regelrecht geköpft. Der Fehlschlag brachte den Sensenschwinger aus dem Gleichgewicht. Roland entriß ihm das gefährliche Gerät und warf es weit fort. Mit leeren Händen stand der Angreifer wie angewurzelt da. Doch Waldemar, der junge Ritter Galahads, schob ihn einfach beiseite. Jetzt griff er an, und nun erging es Roland schlecht. Denn der Gefolgsmann von der Meerburg war bei guten Lehrern in die Schule gegangen, während Roland in dieser Kampfart völlig ungeübt war. Wie sirrende Strahlen zuckte die Klinge in Waldemars geschickter Hand. Nur Rolands rasche Reaktionen bewahrten ihm zunächst die heile Haut unter dem leichten Kettenpanzer. Im Rhythmus der Hiebe sprang Roland wie ein Besessener vor und zurück. Eine Sekunde der Unaufmerksamkeit, und das Eisen hätte ihn erwischt. Er selber kam kaum zum Schlag. So verlief das Gefecht, bis Roland allmählich langsamer wurde. Immer knapper vermied er den heißen Stahl. Waldemar sah das wohl. Und er gedachte, ein Ende zu machen. Denn auch ihm wurde
das Atmen schwer und die Luft knapp. Sein nächster Stoß war auf Rolands Hüfte gezielt. Doch das war nur eine schlaue Finte. Danach wollte er blitzschnell den Degen hochreißen und den tödlichen Schlag führen. Nur sein Blick verriet die Absicht. Roland war sofort im Bilde. Deshalb reagierte er gar nicht erst auf die Finte. Statt dessen führte er von oben her einen Stoß auf den in diesem Augenblick ungedeckten Ritter. Mit einem Schmerzenslaut brach Waldemar zusammen. Blut färbte seine Schulter. Roland wollte sich zu dem Verwundeten niederbeugen. Aber da verriet ihm ein Blick, daß er schleunigst den Rückzug antreten mußte. Galahads Krieger in einer Stärke von etwa fünfzig Männern waren bereits in bedrohlicher Nähe. Ein lauter Schnalzer rief den klugen Rih herbei. Roland sprang in den Sattel und ritt seinen Männern nach. Hinter ihm gellte das Wutgeheul der enttäuschten Krieger. Rih galoppierte an, leichtfüßig und elegant wie immer. Ein paar Pfeile flogen ihnen nach, verfehlten sie aber. Bald waren sie außer jeder Gefahr. Da wurde Roland jäh nach vorn gerissen! Mit dem Kopf schlug er hart auf die Mähne des Rappen. Erst jetzt sah er zu seinem Schrecken, daß das Tier mit einem Vorderfuß in ein Fuchsloch geraten war. Ohne Zögern glitt Roland aus dem Sattel. Rih schwankte. Der herrliche Pferdekörper spannte voll Verzweiflung alle Muskeln, um sich aus der Falle zu befreien. Dann lief ein krampfhaftes Zucken durch den schlanken Rumpf. Mit einem Wiehern, das wie der Wehschrei eines Menschen klang, fiel Rih zur Seite. Nie mehr würde das schöne Tier mit unerhörter Schnelligkeit über die Erde dahinfliegen. Roland ließ sich neben ihm auf ein Knie nieder. Nun sah er, was geschehen war. Rih hatte sich den eingeklemmten Vorderfuß gebrochen. Mit einem Blick unsäglicher Trauer schaute das von Schmerzen
gepeinigte Tier Roland an. Der Ritter klopfte ihm zärtlich den Hals. »Du sollst nicht leiden, mein Treuer«, sagte er mit erstickter Stimme. »Leb wohl, lieber Freund.« Er zog den Hirschfänger. Dann erlöste er Rih mit dem Gnadenstoß von seinen Qualen. Roland erhob sich. Und wurde im nächsten Augenblick wieder zu Boden gerissen. Zehn schwerbewaffnete Männer hatten sich gleichzeitig über ihn geworfen ... * In einer Sänftenkutsche näherten sich auf der Küstenstraße zwei junge Damen Sir Galahads Meerburg, die stolz auf den Klippen thronte. Die eine war blond, zierlich und von großer Schönheit, die andere ihr vollkommener Gegensatz: schwarzlockig, von derberer Gestalt, aber fast ebenso anziehend. Zusammen bildeten die Damen einen Anblick, der jedes Männerauge entzücken mußte. Während die Blonde höchst vergnügt plauderte, wirkte die Dunkle verschlossen. Sie gab nur einsilbige Antworten, was ihr die Gefährtin jedoch nicht übelnahm. Dem Fahrzeug folgten vier bewaffnete Knechte zu Pferde als Bedeckung. Von dem Staub, den die Kutschenräder aufwirbelten, waren ihre Gesichter wie mit weißem Puder überzogen. Und fast ebenso staubbedeckt war die braune Kutte des Mönches, den das Gefährt etwa fünf Meilen vor der Meerburg einholte. Mühselig schleppte er sich und sein Bündel die Straße entlang. »Aus dem Weg, heiliger Bettler!« rief der Kutscher übermütig, obwohl der Mönch bereits bis an den Straßenrand zurückgewichen war. Doch die schöne Blonde bedeutete ihm anzuhalten. Sie winkte den Mönch ans Kutschenfenster heran. »Wohin des Wegs, frommer Mann?« fragte sie liebenswürdig. »Zur Meerburg, wo ich hoffe, ein Stück Brot als Zehrung, einen Schluck Wasser als Labe und eine Schütte Stroh als Nachtlager zu erhalten«, antwortete der bärtige Mönch mit überraschend
wohlklingender und jugendlicher Stimme. »Ihr seht erschöpft aus«, sagte die Blonde mitleidig. »Da wir denselben Weg haben, mögt Ihr ebensogut mit uns fahren. Steigt ein! Im Notfall mag uns Eure Kutte mehr Schutz gewähren als die Waffen unserer Begleiter.« Der Mönch dankte mit artiger Höflichkeit und erfuhr auf der Weiterfahrt, daß die Schöne ein Burgfräulein namens Reinhild war und einer Einladung ihres weitläufigen Verwandten Galahad folgte. Die Schwarzhaarige war ihre Dienerin Svea. »Wundert Euch nicht, wenn sie kein Wort zu unserer Unterhaltung beiträgt.« »Hat sie ein Schweigegelübde abgelegt?« fragte der Mönch. »Das nicht, aber sie hängt meist trübseligen Gedanken nach. Sie hat ein schweres Schicksal hinter sich und verlor ihren Liebsten. Wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen.« »Oh, das ist hart. Ich werde für sie beten. Und Ihr, Fräulein«, fragte der Mönch kecker, als es seinem Stande geziemte, »wie steht es mit Eurem Liebsten?« Sie lachte hell auf. »Das hat noch gute Weile. Ich bin keine zwanzig Jahre alt. Übrigens habe ich die Vermutung, daß Galahad mich nur eingeladen hat, um mir den Hof zu machen. Vielleicht lasse ich mir's gefallen, vielleicht nicht. Um mein Herz zu gewinnen, müßte er schon einen prächtigen fahrenden Ritter ausstechen, den ich vor einigen Wochen kennengelernt habe. Leider hatte er große Eile und empfahl sich, ehe unsere Bekanntschaft zehn Minuten gewährt hatte.« »Ein sonderbarer Gesell«, verwunderte sich der Kuttenträger. »Man sollte meinen, er hätte sich gar nicht mehr losreißen können von Euch.« »Nun, er hatte guten Grund zur Eile«, versetzte Reinhild ernst. »Vielleicht kennt Ihr ihn gar, da Ihr ja viel auf den Straßen des Landes herumkommt. Sein Name ist...« Und nach einem verstohlenen Blick auf Svea, die geistesabwesend aus dem Fenster blickte, flüsterte sie dem Mönch ins Ohr: »Roland!« Dann sah sie ihn erwartungsvoll an.
Der Mönch war unmerklich zusammengezuckt. In seinen braunen Augen glomm ein Funke auf. Doch dann senkte er die Lider, schüttelte den Kopf und murmelte: »Nein, den kenne ich nicht.« * Reinhild war noch keine drei Stunden auf der Meerburg, als sie Roland im Triumphzug anbrachten. Aber sie erfuhr es nicht mehr. Denn zu dieser Zeit schlief sie schon tief und fest in einer Kemenate. Nach den Reiseanstrengungen würde sie wohl bis zum nächsten Mittag durchschlafen. Gleich nach ihrer Ankunft hatte Galahad ihr einen Besuch abgestattet. Der große Mann bewies geschliffene Höflichkeit, gepaart mit überschäumender Anteilnahme. Da er zudem ein Bild von einem Mann war, empfing Reinhild einen höchst angenehmen Eindruck von ihm. Dennoch schien sie Rolands Nähe im Unterbewußtsein zu spüren. Denn wieder und wieder träumte sie von ihm ... Sie träumte, Roland klettere an einer seidenen Strickleiter zum Fenster herein, beuge sich über sie und bedecke ihren Körper mit feurigen Küssen. Sie träumte, er nähme sie bei der Hand und ritte mit ihr weit fort auf ein fernes Schloß. Sie träumte manchen Traum. Aber immer war Roland der Held darin, und immer schwelgten sie beide in dem Glück beieinanderzusein. Doch nicht einmal träumte sie, daß Roland gefangen war und, ehe die Sonne zum drittenmal gesunken war, sterben sollte! * Auf Fürsprache Reinhilds war der Mönch in Gnade vom Burgherrn aufgenommen worden. Widerwillig nur ließ man ihm zukommen, worum er bat: Wasser, Brot und Stroh. Strenger Befehl ward
gegeben, daß niemand ihm mehr reichen dürfe. So hoffte man, den frommen Bruder, der als Schmarotzer angesehen wurde, am schnellsten loszuwerden. In der Gesindestube wählte der Mönch demütig den niedrigsten Hocker, setzte sich drauf und begann bedächtig mit niedergeschlagenen Augen seine Mahlzeit. Die wenigen, die von ihm Notiz nahmen, versuchten, ihn zu hänseln, wobei sie ihren ganzen Witz entfalteten. »Ist es wahr«, fragte einer, »daß dich sofort der Teufel holt, wenn du eine Frau berührst?« »Selbstverständlich«, antworte er in größter Ruhe. »Aber so manchem Ehemann, den ich kannte, geht es weit schlechter, weil er glauben muß, mit des Teufels Großmutter vermählt zu sein, so garstig ist sein Weib!« Die Leute lachten. Sie begannen, an dem spaßhaften Mönch Gefallen zu finden. Eine Magd fragte ihn, wobei sie vor unterdrückter Lachlust prustete: »Hast du etwa ein Gelübde getan, dich nur von Wasser und Brot zu ernähren?« »Du hast mich durchschaut, wertes Fräulein«, versetzte der Mönch in bescheidenem Ton. »Ich habe in der Tat ein heiliges Gelübde darauf abgelegt, und ich gelobe es täglich von neuem, mich ausschließlich von Wasser und Brot zu ernähren...« Er machte eine kleine Kunstpause, um dann mit Nachdruck fortzufahren: »...Solange ich nichts Besseres zu beißen und zu saufen habe!« Diesmal war das Gelächter allgemein. Einige Knechte schlugen dem Mönch auf die Schulter und versicherten ihm, daß er ein prima Kerl sei, nicht so ein Hosenscheißer wie die anderen Mönche, die hier genächtigt hatten. Die Mägde beeilten sich inzwischen, ihm Buchweizengrütze, Schweineschmalz und leichtes Bier zu bringen. Der Mönch speiste und trank mit sichtlichem Vergnügen. Auch an Schmatzen, Rülpsen und Ärgerem ließ er es nicht fehlen. So konnte jeder deutlich hören, wie gut es ihm schmeckte. Alsdann entnahm er zum Erstaunen aller seinem Bündel eine
Fiedel und spielte darauf zum Tanz, besser, als ein echter Musiker es fertiggebracht hätte. Sie tanzten und schmausten bis kurz vor Mitternacht. Wieder und wieder versicherten die Paare dem Mönch ihre Dankbarkeit. Mancher drückte die Hoffnung aus, er werde noch eine lange Zeit in der Burg Sir Galahads verweilen. Vor dem Schlafengehen räumte man eilfertig die Strohschütte weg und bereitete ihm ein richtiges Lager aus Decken und Bettuch. Eine dralle Magd wollte sich gar zu ihm legen. Da aber verlor der Mönch die Geduld und wies sie mit barschen Worten davon. »Willst du, daß uns beide der Teufel holt?« Die Magd wurde schreckensbleich und zog sich eilends zurück. * Als sie Roland vor Sir Galahad stießen, war er mehr tot als lebendig, so viele Stöße und Schläge hatte er unterwegs erdulden müssen! Zudem hatten sie ihn in eiserne Ketten gelegt, deren Gewicht nur mit äußerster Mühe zu tragen war. Dennoch trat er in aufrechter Haltung vor den Mörder Sigurds. »Willkommen auf Burg Meerburg!« begrüßte ihn Sir Galahad mit beißendem Spott. »Ich wußte, daß du früher oder später mein Gast sein würdest, Roland. Vielleicht hast du dir deinen Einzug etwas anders vorgestellt...« »Euer Spott ist läppisch, Galahad«, unterbrach ihn Roland in aufwallendem Ärger. Seine Ketten klirrten bei jeder Bewegung. »Gebt sofort Befehl, daß man mir die Ketten abnehme! Dann wappnet Euch! Denn im Namen des Königs Artus fordere ich Euch zum Zweikampf. Ihr werdet den Tod des edlen Sigurd sühnen.« »Hat dir die Todesangst den Sinn verwirrt?« höhnte Galahad. »Was habe ich mit Sigurd zu schaffen? Ich weiß nicht einmal etwas davon, daß er tot sein soll. Wenn ich mich nicht irre, sah ich ihn zuletzt noch bei bester Gesundheit. Allerdings kannte ich ihn nur flüchtig. Nannte man ihn nicht verächtlich den >armen Ritter«
»Arm an Geld war er wohl, dafür reich an Ehre!« »Was verstehst du Tölpel von Ehre? Roland, der Köhlerssohn! Weißt du, wie wir dich hier nennen? >Den falschen Ritter
geschah.« Und abermals wiederholten die beiden anderen murmelnd diesen Satz. »Dann schildere deine Wahrnehmungen, Alter! Aber ich warne dich: Bleib bei der Wahrheit! Sonst ergeht es dir übel.« Der Grauhaarige holte tief Atem und begann mit brüchiger Stimme: »Der falsche Ritter forderte Aar zum Zweikampf heraus. Großmütig gewährte ihm der vom Adlerhorst die Bitte, weil er fälschlich vermeinte, Roland sei wirklich ein Ritter. Wie es Aars fromme Art war, betete er, bevor er die Rüstung anlegte, daß der Herr dem besseren Kämpfer den Sieg schenken möge. Diesen Augenblick benutzte der falsche Ritter, um sich mit seinen Spießgesellen, einem üblen Verbrecherpack, heimtückisch an Aar heranzuschleichen. Und dann ...« Ihm versagte die Stimme. Von draußen klangen rätselhafte, wilde Laute in die hohe Halle. Es war jetzt der vierte Tag, an dem die Bären keine Nahrung mehr erhalten hatten. »Sprich weiter!« forderte Galahad den Grauhaarigen auf. »Wie leibhaftige Teufel schlugen und stachen sie auf den Wehrlosen ein, bis er entseelt zu Boden sank - mitten im Gebet!« keuchte der Alte, wobei die Worte einander in viel schnellerem Rhythmus folgten, als es seiner üblichen Sprechweise entsprach. Roland verstand, warum er das tat. Er wollte die ungeheuerliche Lüge herauswürgen, ehe er an ihr erstickte. Und doch, dachte Roland, wie konnte jemand, der Zeuge des wirklichen Vorgangs gewesen war, sich zu solcher Lüge erniedrigen? Ein Blick auf die Lumpen des Mannes erklärte vieles. Galahad ließ also Aars ehemalige Männer, die sich zu ihm geflüchtet hatten, Sklavendienste verrichten. Wahrscheinlich behandelte er sie absichtlich schlecht. Durch ihre erbärmlichen falschen Zeugenaussagen hofften sie, wenigstens einen matten Abglanz seiner Gnadensonne zu erringen. Sie sprachen aus, was er gern hören wollte. Sie redeten ihm strikt nach dem Mund. Murmelnd bestätigten die beiden anderen wie vorher die Aussage
des Alten. Roland wurde es beinahe übel vor Ekel. Was waren das für Menschen! Sein Widerstandswille schmolz unter dem Andrang von soviel Niedrigkeit dahin. Und wieder rumorten draußen die Bären. Es hörte sich wie ein heraufziehendes Gewitter an. Auf einen Wink Galahads zogen sich die drei stinkenden Lügner zurück. »Damit bist du entlarvt, du grundfalscher Ritter«, sagte der Burgherr mit hohntriefender Stimme. »Ich schäme mich, daß es in unserem Land Kreaturen wie dich gibt. Diese drei ehrenwerten Männer, die weder Lug noch Trug kennen, haben dir die Maske endgültig und völlig von der Fratze gerissen. Du bist nicht nur ein schändlicher Betrüger, sondern auch ein feiger Meuchelmörder!« Roland hörte ihm kaum noch zu. Die schmutzige Posse war ihm so widerwärtig, daß er sogar auf einen Einspruch verzichtete. Aber Galahad war nun in seinem Fahrwasser. Er begeisterte sich an der eigenen erheuchelten Rechtschaffenheit. »Eigentlich sollte ich dich aufs Rad flechten«, sagte er in schulmeisterlichem Ton. »So jedenfalls würden andere Herren mit Verbrechern wie dir verfahren. Weh mir, daß ich ein so weiches Herz habe! Selbst solchem Abschaum der Menschheit kann ich kein unbarmherziger Richter sein!« Er sprang auf und lief in großem Bogen um den wie versteinert dastehenden Roland herum. »Andererseits kann ich es nun nicht mehr wagen, dich zu deinen Eltern heimzuschicken. Wer weiß denn, ob deine Blutgier vor ihnen haltmacht? Vor dir scheint ja kein Mensch mehr sicher zu sein.« Er hielt inne und lauschte aufmerksam dem tiefen, durchdringenden Brummen der vor Hunger fast tollwütigen Bären. Dann stellte er sich genau vor Roland auf und sagte: »Sei es drum! Auch wenn du ein Teufel in Menschengestalt bist, sei dir gnädig dein Wunsch erfüllt. Du sollst um dein Leben kämpfen dürfen! Und zwar mit deinesgleichen! Siegst du, so bist du auf der Stelle frei!«
Roland horchte auf. Das war ein neuer Ton. Ein ganz leiser Hoffnungsfunken regte sich in seiner Brust. »Weil du aber eine Bestie bist«, fuhr Galahad in erhöhtem Ton fort, »weil du wie ein wildes Tier durch unser Land gezogen bist, so sollst du deine Kräfte auch mit Bestien und wilden Tieren messen!« Schaurig klangen die Hungerschreie der beiden Bären - und Roland begriff endlich, welche Gegner Galahad ihm zugedacht hatte... * Am Morgen ihres fünften Hungertages tobten die beiden Bären, als wollten sie die eisernen Käfigstangen niederreißen. Die fremdartigen, erschreckenden Geräusche rissen bald auch Reinhild aus dem Schlaf. Kurze Zeit später holte sie Sir Galahad zu einem Rundgang durch die Burg ab. Die Bären hatten sich inzwischen beruhigt. Dies war ein anderer, reicherer Bau als der alte, leicht verwahrloste Adlerhorst! In jedem Raum spürte man den Reichtum, die Weitläufigkeit und den guten Geschmack des Burgherrn. Auch heute behandelte er Reinhild mit erlesener Höflichkeit und unverkennbarer Sympathie. Seine bewundernden Blicke entgingen ihr nicht und schmeichelten ihrer weiblichen Eitelkeit. Wenn er beim Ersteigen einer Treppe oder beim Eintritt in einen Raum ihren Ellbogen oder Oberarm leicht berührte, durchrieselte sie ein wohliger Schauer. Im Gespräch ließ er durchblicken, daß er nach langen Jahren voller Abenteuer des Junggesellenlebens herzlich müde sei. »Sicherlich wäre ich schon vermählt, hätte eins unserer Burgfräulein mir wirkliche Liebe eingeflößt«, gestand er mit einem schiefen Lächeln, das ihm sonderbar gut stand. »Doch das mag sich rasch ändern. Ich verhehle Euch nicht, daß eine gewisse junge Dame seit einiger Zeit unaufhörlich durch meine Gedanken spukt.« »Und wie heißt das glückliche Mädchen?« fragte sie lächelnd. Er sah ihr vielsagend tief in die Augen. »Solltet Ihr das wirklich
nicht erraten, Reinhild?« fragte er langsam. Verwirrt schwieg sie. »Wie dem auch sei«, fuhr er nach einer Pause fort, »ich bin in der Lage, Euch morgen ein Schauspiel zu bieten, desgleichen Ihr bestimmt noch nie gesehen habt. Ich lasse einen Mann gegen zwei ausgehungerte wilde Bären kämpfen, und wir alle können behaglich dabei zusehen, Met schlürfen und Süßigkeiten knabbern. Ihr werdet den besten Platz vor dem Zwinger erhalten - an meiner Seite. Wenn der Mann nicht zu schnell unterliegt, verspreche ich uns ein äußerst unterhaltsames Erlebnis. Und danach ...« Es war Reinhild, als wehe sie plötzlich ein eiskalter Hauch an. Hatte sie richtig gehört? War dieser lächelnde, immer galante Kavalier in Wirklichkeit ein unberechenbarer Barbar? Sie wollte Fragen stellen, aber die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Ihm fiel ihr Stimmungsumschwung nicht auf. »Nicht wahr, da freut Ihr Euch auch? Schwerlich kann irgendein anderer Burgherr Euch derlei Genüsse bieten. Es handelt sich übrigens um einen Mann, der unbedingt den Tod verdient. Ein Raubritter, der sengend, mordend und plündernd durch die Lande zieht. Überall hinterläßt er Witwen und bittere Tränen. Eine Handvoll meiner tapferen Krieger haben ihn gestern gefangen.« Es fröstelte Reinhild immer mehr. »Wie schrecklich«, seufzte sie leise. »Aber müßt Ihr ihn wilden Tieren ausliefern? Ist das nicht... barbarisch?« »Ach was«, lachte er unbekümmert. »Ein köstlicher Spaß wird das! Es sei denn, Ihr seid eine jener verzärtelten Tränensusen, die ohnmächtig werden, wenn sie nur Blut sehen. Aber danach seht Ihr mir nicht aus!« Ärgerlich stampfte Reinhild mit dem Fuß auf. Ihr Gesicht flammte. »Ihr werdet mich auch in gefährlichen Lagen nicht ohnmächtig werden sehen, Sir Galahad! Dennoch hasse ich den Gedanken, daß Ihr einen Menschen, was immer er auch verbrochen haben mag, Bestien zum Fräße vorwerft!« »Hahaha, Jungfer Reinhild, so gefallt Ihr mir! Ihr seht bezaubernd
aus, wenn Erregung Eure Wangen rötet und Ihr das Blondhaar trotzig in den Nacken werft. Genießt das Schauspiel oder nicht, mir gilt es gleich. Doch rate ich Euch, beleidigt mich nicht! Es ist mein Gefangener, und es sind meine Bären - und folglich ist es meine Sache zu entscheiden, was ich mit meinem Eigentum tue ...« Sie wandte ihm stumm den Rücken. Er hielt inne und überlegte, ob er zu heftig gewesen sei. Ach was, er kannte diese Dämchen! Immer zieren sie sich, ob es zur Liebe geht oder zu einem derben Schauspiel - und später können sie nicht genug davon bekommen! Er überlegte, ob er sie rasch in die Arme nehmen und unwiderstehlich küssen solle. Der Gedanke, in ihrem üppigen Haar zu spielen, gab den Ausschlag. Er trat auf sie zu. Doch im gleichen Augenblick huschte sie aus der Tür und ließ ihn allein. * Sich mit Svea zu beraten, kam Reinhild nicht in den Sinn. Das Gemüt der Schwarzhaarigen, die sie unterwegs in bitterer Not bei der Rast in einem Ort kennengelernt und aus Mitleid als Zofe mitgenommen hatte, war verdüstert und durfte nicht mit neuerlichen Scheußlichkeiten belastet werden. Aber an wen sollte sie sich wenden? Wen ins Vertrauen ziehen? Bis auf Galahad waren ihr alle fremd. Da fiel ihr der Mönch in der staubbedeckten Kutte ein. Sie zog Erkundigungen über ihn ein und erfuhr, daß er noch auf der Burg weilte. Einen Diener, der ihr am wenigsten geschwätzig erschien, schickte sie los, ihn zu holen. Wenig später pochte es verstohlen an der Tür ihrer Kemenate, und der Mönch schlüpfte herein. Sein Gesicht war sauber und die Kutte gereinigt. Sie erzählte ihm, was sie bedrückte. »Auch ich hörte davon«, sagte der Mönch ernst. »Ich stellte einige Nachforschungen an. Dabei fand ich heraus, daß Sir Galahad, mit Verlaub zu sagen, der Wahrheit einen eigenartigen Dreh verleiht,
wenn er behauptet, sein Gefangener sei ein Raubritter und Meuchelmörder. Vielmehr handelt es sich bei dem Unglücklichen um einen Mann, dessen Ehrenschild so rein ist wie frischgefallener Schnee am Wintermorgen. Es ist...« Er stockte. »Nun?« forschte Reinhild. Der Mönch suchte nach Worten. »Ihr spracht mir gestern von einem Ritter, der trotz kurzer Bekanntschaft freundschaftliche Gefühle in Euch erweckt habe...« Ihre Augen leuchteten. Sie gedachte der Träume der Nacht. »Roland ...«, flüsterte sie. »Ach, wäre er hier! Er wüßte Rat! Er würde helfen.« »Er ist hier«, sagte der Mönch. Sie wollte aufjubeln, da fiel ihr des Mönches düsterer Ton auf. »Roland ... Was ist mit ihm?« Der Mönch hob die sanften braunen Augen zu ihr auf. »Roland«, flüsterte er, »ist der Gefangene, von dem Galahad sprach.« Ihr war, als spalte ein Messer ihr Herz. Für Augenblicke verschlug es ihr den Atem. Panik überschwemmte sie. Doch das verging schnell. Ihr wurde eiskalt zumute, und die große Erregung schwand. Wunderbare Klarheit breitete sich in ihrem Kopf aus. Der Schleier, der sich vor ihre Augen gelegt hatte, wich. Mit einer stolzen Bewegung straffte sie den Nacken, und ihr Haar schien in goldenen Wellen über die Schulter herabzurieseln. Mit fester Stimme fragte sie: »Was rätst du, Mönch?« Er hatte die Verwandlung, die mit ihr vorgegangen war, wohl bemerkt und fühlte aufrichtige Bewunderung. »Einer der Knechte«, berichtete er knapp, »ist mir treu ergeben. Er heißt Bill, und er versorgt die Bären. Ein glücklicher Zufall vielleicht. Nur Wasser darf er ihnen zur Zeit bringen, doch - bei Strafe des Todes - keine Nahrung. Denkt nach, Fräulein! Wie könnten wir die Bekanntschaft für uns nutzen? Was könnte Bill für uns tun?« Der Mönch übertrieb nicht. Sein abendliches Gefiedel hatte eine
vollbusige Magd dazu verführt, vom Tanz erregt Bills Lager zu teilen - ein Ansinnen, das sie bis dahin stets spröde von sich gewiesen. Seitdem brannte Bill darauf, dem Mönch das unverhofft empfangene Glück durch eine Wohltat zu vergelten. Indessen kam Reinhild zu einem Entschluß. Sie öffnete ihre Truhe und entnahm ihr einen Beutel mit einem hellen Pulver. Auf einen Wink von ihr verließ der Mönch das Gemach und kehrte binnen kurzem mit dem Bärenpfleger Bill zurück, der in Gestalt und Bewegung selber einem tapsigen, grollenden Bären glich. Doch dieser Klotz von Mann war auch so schüchtern, daß der Mönch ihn mit rauher Gewalt in die Kemenate stoßen mußte. Sonst hätte er sich nicht hineingetraut. Dann schloß der Kuttenträger die Tür. »Ich möchte, daß du mir eine kleine Freundlichkeit erweist, Bill«, begann Reinhild in einem Ton, als handle es sich um eine Belanglosigkeit. »Wenn du das nächstemal die Bären tränkst... Wie heißen sie übrigens?« Die freundliche Frage riß den Knecht, der seine beiden Bären weidlich haßte, aus aller Befangenheit. Eifrig erklärte er: »Der Schwarze - es ist ein wahrer Teufel - heißt Würger. Und der Dunkelbraune, den Gott verderben möge, heißt Monster!« Würger ... Monster ... Wieder bohrte ein Dolch in Reinhilds Herzen. Wieder wogte ein Schleier vor ihren Augen. Doch diesmal gewann sie ihre Fassung noch schneller zurück. »Komm her, Bill«, sagte sie. »Nimm das!« Und sie warf ihm einen Dukaten zu, den er leuchtenden Auges mit geschickter Hand fing. Es war der erste eigene Dukaten seines Lebens. Als sie ihm das Pulver aushändigte, war ihre Stimme hart geworden. »Dies ist für Würger und Monster bestimmt. Mische es morgen früh in ihr Trinkwasser, Bill! Niemand wird es bemerken, sei ohne Furcht! Denn es riecht nicht, es schmeckt nach nichts, und es färbt nicht. Aber es wird Würgers und Monsters Krallen schärfen und ihre Kräfte vervielfachen, damit sie diesen schändlichen Verbrecher, den Sir Galahad gefangen hat, auch wirklich töten!«
Den biederen Bärenwärter schauderte es. Aber er wollte dem Mönch ja einen Gefallen tun! Und den Dukaten mochte er auch allzugern behalten. So überwand Gier alle seine Bedenken. »Ich werde tun, was Ihr verlangt«, versprach er demütig und entfernte sich. »Was für ein Pulver habt Ihr ihm gegeben?« fragte der Mönch, als er mit Reinhild allein war. »Ein starkes Schlafmittel. Mit diesem Trank im Leibe werden die Bären nicht eine Tatze gegen meinen Roland erheben können.« Der Mönch stieß einen tiefen Seufzer aus. »Gebe Gott, daß Euer Plan gelingt.« Beschwingt trabte indessen Bill den Gesinderäumen zu. Der goldene Dukaten in seiner Tasche vermittelte ihm das Gefühl, ein reicher Mann zu sein. Doch während er so dahinschritt, wurde ihm bange vor der Grausamkeit dieser schönen goldblonden Frau. Was für ein kaltes Herz sie haben mußte! Was für ein niederträchtiger Gedanke, die Tatzen von Würger und Monster durch ein Zauberpulver noch zu schärfen! Wie konnte eine Frau, eine so hinreißend schöne Frau, so gemein sein ...? Wie Bill Würger und Monster kannte, würden sie auch ohne schärfendes Pulver mit dem »schändlichen Verbrecher« fertig werden. Bill hatte den Dreckskerl einmal zu Gesicht bekommen. Er sah wie ein Milchbart aus edlem Geschlecht aus. Bill konnte nicht glauben, daß er all die Verbrechen wirklich begangen, die man ihm nachsagte. Er wirkte wie ein aufrechter Ritter. Und deshalb beschloß Bill im geheimen, das scharfe Pulver am nächsten Morgen nicht den Bären, die er von Herzen verabscheute, sondern dem armen Dreckskerl in eisernen Ketten einzuflößen. Vielleicht stärkte es seine Kräfte derart, daß er wider alle Vernunft Würger und Monster besiegte ... *
Louis fluchte. Keiner hatte einen solchen Vorrat an Flüchen wie er. Sein Gedächtnis hatte alle Flüche treulich bewahrt, die er von widerlichen Räubern und deren armen Opfern sowie später von erbosten, halb oder ganz besoffenen Gästen vernommen hatte. Aus diesem unerschöpflichen Vorrat bediente er sich jetzt. Denn Louis war der Verzweiflung nahe. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, Roland zu befreien. Das war er ihm schuldig. Nie konnte er vergessen, wie Roland ihn todesmutig aus Aars Banden erlöst hatte. Bis zum Hals in der Erde eingegraben, hatte er bereits mit dem Leben abgeschlossen gehabt. Wie ein Engel war ihm Roland damals erschienen. Und das sollte unvergolten bleiben? Auf Schleichwegen hatte Louis seinen kleinen Trupp, das Tal Broncevalle umgehend, in die Nähe der auf steiler Felsklippe hoch über dem Meer thronenden Burg geführt. Doch hier mußte er nach genauer Erkundung einsehen, was vor ihm so mancher Feind des jeweiligen Burgherrn eingesehen hatte. Meerburg war uneinnehmbar. Louis, Pierre und ihre drei neugewonnenen Kameraden nahmen fünf Meilen von Meerburg entfernt im Dorf Malo Quartier. Die Fischer waren nicht gut auf Sir Galahad zu sprechen. Oftmals hatte seine harte Hand empfindlich auf ihnen geruht. Als ihnen Louis seinen Plan offenbarte, versprachen sie ihm jede Unterstützung, Zunächst verwandelte sich Louis aus einem Ritterknappen in einen waghalsigen jungen Fischer. Und nie hat jemand an dieser Küste waghalsiger und fischermäßiger ausgesehen als Louis. Mit einem Korb voll frischer Makrelen machte er sich zu Fuß auf zur Meerburg. Doch er kam nicht weit. Nach zwei Meilen wurde er, wie die Fischer ihm vorausgesagt hatten, angehalten. Ein großer Anger bildete hier die Begegnungsstätte zwischen Burgleuten und Dorfmenschen. Hier wickelten sie ihre Geschäfte ab. Hier hielten die gelegentlichen Kutschen. Hier zeigten die reisenden Händler ihre Waren. Wachen, die tags und nachts um die Burg
streiften, verhinderten jedes weitere Vordringen. Louis führte einige abtastende Gespräche. Ohne Ergebnis. Dann verkaufte er, um keinen Verdacht auf sich zu lenken, seine Makrelen. Zähneknirschend wollte er sich auf den Rückweg machen, als er plötzlich, wie vom Blitz getroffen, innehielt. Am Rande des Angers ging langsamen Schrittes die Frau, die er mehr als alles auf der Welt liebte. Die Frau, für die er alles vollbracht hätte, sei es Heldentat oder Untat. Ihr reiches schwarzes Haar war ungebärdig wie eh und je. Sie trug neue Kleider von höfischem Schnitt. Sie ging zögernd, doch unbeirrbar. Ihr Haupt war geneigt, und sie schien sich um niemanden zu kümmern. Klopfenden Herzens folgte er ihr. Die unerwartete Begegnung löschte jeden anderen Vorsatz in ihm aus. Svea! Welch ein Name! Lautlos formten ihn seine Lippen. Wohnte sie auf der Burg? Viele Gäste von Meerburg gingen an schönen Tagen gern auf dem Anger spazieren, wo es immer etwas Neues zu sehen und zu hören gab. Louis hielt es nicht länger aus. Rasch überholte er Svea, drehte sich um und blieb vor ihr stehen. Auch sie hielt an, hob aber kaum den Kopf. »Svea!« sagte er, und seine ganze Seele lag in dem einen herrlichen Wort. Sie machte eine fahrige Bewegung mit der Hand, als scheuche sie ein Insekt fort, und begann zu zittern. »Was wollt Ihr?« fragte sie mit einer Stimme, die seltsam leer klang. »Gebt bitte den Weg frei! Ich habe Euch nichts getan. Und ich habe nichts mit Euch zu schaffen.« »Svea, erkennst du mich nicht? Ich bin Louis!« Sie zitterte stärker. »Ich kenne keinen, der Louis heißt.« Ihre Stimme war wie erloschen. »Rührt mich bitte nicht an, und laßt mich meines Weges gehen! Reinhild, meine Herrin, erwartet mich.« Er trat nah an sie heran. Sein Herz krampfte sich zusammen. Er berührte ihr Kinn und hob ihr Gesicht an, so daß sie ihn ansehen
mußte. Sveas Augen! Wie oft war er von ihrem leidenschaftlichen Feuer bezaubert worden! Auf hundert Schritte hatte er sonst ihren Blick gespürt. Doch jetzt schaute er in zwei kalte, dunkle Steine. Weinerlich sagte sie: »Wenn der Herr nun weggehen würde ...« Seine Arme sanken herab. Die Sonne schien sich zu verfinstern. Svea ... Was hat man aus dir gemacht...? Hastig wandte sie sich ab und ging auf die Wachen zu, die sie nach kurzer Befragung passieren ließen. Lange Zeit stand Louis wie betäubt auf dem gleichen Fleck. Er begriff, daß Svea ihm für immer verloren war. Nicht, weil ein anderer ihr Herz erobert hätte. Die furchtbaren Schicksalsschläge hatten ihren Geist verwirrt und umnachtet. Maßlose Verzweiflung packte Louis. Er merkte kaum, daß ihm Tränen über die Wangen liefen. Wie im Traum ging er zurück ins Fischerdorf. Langsam, unsicher schritt Svea der Meerburg zu. Sie hatte die Begegnung schon wieder vergessen. Nur ein Name klang in ihr nach: Louis. Doch er weckte keine Erinnerung. Er war ihr fremd und unheimlich. Während sie zögernd Schritt vor Schritt setzte, stimmte sie ein trauriges Lied an. Svea sang: »Wüst ist die Welt, das Dasein Wahn. Abschüssig ist des Menschen Bahn. Sie pflückten eine Rose in der Früh. Den Abend sah die Rose nie. Wüst ist die Welt, das Dasein Wahn - Was hab' ich armes Weib getan!« Mit einem Schluchzen, über dessen Grund sie sich keine Rechenschaft gab, brach sie ab. * Der nächste Tag.
Sie führen Roland ins Freie. Milde Herbstsonne wärmt ihm das bleiche Gesicht. Die Ketten zerren an seinen Armen. Im Hof sind rund um den vergitterten Bärenzwinger Sessel aufgestellt. Im Halbkreis haben Sir Galahad, seine Ritterfreunde, seine Knappen und eingeladene Besucher Platz genommen. Etwas abseits, von niemandem bemerkt, hockt in brauner Kutte ein Mönch. Er hat ein Bündel zu seinen Füßen. Verachtungsvoll blickt Roland auf die Menschen, die sich versammelt haben, um seinen Todeskampf mitzuerleben. Denn natürlich kann er unbewaffnet kaum etwas gegen zwei riesige Bären ausrichten, die der Hunger zu reißenden Bestien gemacht hat. Ein goldblonder Haarschopf fällt ihm ins Auge, und plötzlich denkt er an Reinhild. Wo mag sie jetzt sein? Wie gut, daß ihr sein schmähliches Ende verborgen bleiben wird! Sie stoßen ihn in ein Laufgitter, aus dem er nicht mehr entfliehen kann. Von außen lösen sie die Schlösser. Die Ketten fallen. Roland reckt die Arme, dehnt die Brust, neigt den Körper nach rechts und nach links, beugt die Knie - und fühlt sich großartig! Von der Last der Ketten befreit, ist ihm, als könne er Bäume ausreißen. Die Bären gebärden sich wie rasend. Brüllend werfen sie sich mit den Tatzen gegen die dünne Trennwand zum Laufgitter. Mit einer Eisenstange, die er von außen in den Zwinger schiebt, treibt Bill die Tiere zurück. Roland sieht, daß der Mönch sich näher herangeschlichen hat. Er schaut genauer hin und bemerkt, daß der Braune ihm verstohlen zuwinkt. Aus dem jetzt geöffneten Beutel ragt der Griff einer Fiedel. Tief atmet Roland ein. Er wischt sich die Augen. Nein, er hat sich nicht getäuscht. Der Mönch ist - sein Freund! Der Minnesänger und fahrende Ritter Volker von Hohentwiel. Die Worte fallen ihm ein, mit denen Volker Abschied von ihm nahm. »Sei unbesorgt, Roland! Wenn du mich brauchst, stehe ich an
deiner Seite.« Zum Zeichen des Erkennens spreizt Roland den Daumen der rechten Hand in die Höhe. Dann tritt er mit entschlossenem Schritt in den Zwinger. Ein plötzlicher Krampf zwingt ihn, den Mund aufzureißen. Unter den Zuschauern entsteht Bewegung. Sie machen sich gegenseitig auf den unglaublichen Vorgang aufmerksam. Da steht Roland vor zwei mordgierigen Bestien ... und gähnt! Gähnt, als könne er niemals mehr aufhören zu gähnen. Gähnt so herzhaft, so unbekümmert, so zwanglos, als langweile er sich über alle Maßen. Verblüffung überall! Galahad wird unruhig. Er hat ein angstschlotterndes Opfer erwartet und keinen selbstsicheren, gelangweilten Mann, der Herr der Lage zu sein scheint. Nur Reinhild beschleicht ein schrecklicher Verdacht. Wenn dieser Bärenpfleger das Schlafpulver vertauschte - oder mit Bedacht in Rolands Trinkwasser vermischt hat - statt in das der Bären ...! Sie sucht den ungeschlachten Bill mit den Augen. Aber dessen Blick fängt sie nicht. Er ist unverwandt auf seine ungeliebten Tiere gerichtet. Nichts an ihm verrät ein schlechtes Gewissen. Da greift Würger an! Der schwarze Bär erhebt sich, reckt sich auf die Hinterbeine und setzt sich in Bewegung. Die Vorderbeine hält er weit ausgebreitet. Nach Bärenart will er Roland in die tödliche Umarmung spannen. Etwas verspätet folgt ihm Monster. Mit den Vordertatzen führt der Dunkelbraune gewaltige Schläge in der Luft aus. Und wiederum gähnt Roland ausgiebig. Aufs äußerste gelangweilt sieht er den Bestien entgegen. Der Mönch legt die Fiedel unters Kinn und setzt den Bogen an. Würger kommt näher und näher. Reinhild ruft: »Wach auf, Roland, die Bären!« Unwillig schaut Galahad sie an. Monster taucht neben Würger auf.
Noch fünf Schritte ... Der Mönch führt den ersten Bogenstrich. »Roland, wehr dich!« ruft Reinhild verzweifelt. »Halte aus!« Die ersten Takte einer Tanzmelodie klingen durch den Burghof. Monster und Würger, die beiden wilden Bären, recken die Schädel und stellen die kurzen Ohren auf. Der Mönch fiedelt wie besessen eine Melodie, die in die Beine fährt, nach der abends Knechte und Mägde tanzten, bis ihnen der Atem wegblieb. Und dann geschieht das Unerwartete. Die beiden Bären drehen sich im Takt des Liedes. Aufrecht stampfen sie um die eigene Achse, wiegen sich nach rechts und nach links und bewegen ausdrucksvoll die Vorderbeine hoch in der Luft. Dabei nähern sie sich einander immer mehr. Nun fassen sie sich wie ein menschliches Paar an den Vorderbeinen und drehen sich gemeinsam. So enthüllt der kühne Mönch das Geheimnis ihrer Herkunft: Es sind Tanzbären! Wirklich hat Galahad sie nicht im Ardennerwald in gefahrvoller Hatz mit eigenen Händen gefangen, sondern sie vor einigen Monden einem fahrenden Schausteller abgekauft, dem seine Tanzkünstler mit der Zeit zu groß und gefährlich wurden. Das Bild der sich im Takt herumschwingenden Kolosse wirkt unwiderstehlich auf die im Halbkreis versammelten Zuschauer. Zuerst kichert einer, bricht aber, wie erschreckt, wieder ab. Dann kichern sie, mehr oder weniger verstohlen, überall. Wie ein ansteckendes Fieber läuft das Lachen durch die Reihen. Ritter werden davon ebenso erfaßt wie die Knappen und die Damen. Immer lauter wird es, immer ungehemmter. Sie meckern mit hochgeworfenem Kopf, sie prusten, daß die Backen sich aufblasen, sie lachen aus dem Zwerchfell, sie kichern hoch und spitz, sie brüllen mit Urgewalt. Das Gelächter ergreift alle, fährt über sie 'dahin wie ein Sturm, läßt keinen ungeschoren, macht sie halb besinngungslos und läßt nicht von ihnen ab - stoßweise klickert das Hahaha, das Hähähä, das Hihihi aus den weit offenen Mündern und will nicht wieder aufhören.
Nur zwei Menschen werden nicht davon erfaßt. Sie werden so wenig davon berührt, als gehörten sie zu einer anderen Welt. Der eine ist Roland. An die Gitterstäbe gelehnt, kämpft er mühselig darum, die Augen aufzuhalten. Doch es gelingt ihm nicht. Der Kopf fällt ihm auf die Brust, und die Lider senken sich unwiderstehlich über die Augen. Der andere ist Sir Galahad. Von kalter Wut entbrannt, verläßt er seinen Sitz ohne ein Wort und stapft sprachlos vor Erbitterung in die Burg. In der Halle ergreift er das größte Methorn, setzt es an den Mund und trinkt, trinkt, trinkt ohne Absetzen in einem Schluck. * Louis gibt nicht auf! »Und wenn sie ihn ans Erz des Felsens geschmiedet haben, ich hole Roland doch heraus!« knirscht er zwischen den Zähnen hervor. Immer wieder überdenkt er die Lage. Wachen, Wälle und Gräben beschützen die Burg auf drei Seiten. Hier gibt es kein Durchschlüpfen. Nur die vierte Seite ist frei. Die Seite zum Meer hin. Hier darf Galahad sich sicher fühlen. Wohl achtzig Klafter tief fällt die Felswand steil von der Meerburg zum fißschmalen Strand herab, der bei Flut tief unter dem Was serspiegel verschwindet. Einen ganzen Tag verbringt Louis in einem kleinen Boot auf dem Wasser und beobachtet unablässig diese steile Wand, mustert Klafter um Klafter und prägt sich den Verlauf der Rinnen und Absätze genau ein. Denn sie ist ja nicht völlig glatt, diese Wand. Da klaffen Spalten, da ziehen sich Risse schräg nach oben, da gibt es schmale Kamine und zahlreiche vorstehende Griffe für Fuß oder Hand. Aus schmalen Augen schätzt Louis die Möglichkeiten ab. Und er sucht sich einen Weg. Aber immer wieder schwindelt ihn auch ob der Tollkühnheit seines geplanten Unternehmens. Selbst wenn er sich genau an den Weg hält, den er für den einzig möglichen hält, wird jeder kleinste Fehler,
jedes Abrutschen, jedes Muskelversagen ihn unweigerlich das Leben kosten. Da trifft es sich gut, daß er nach der Rückkehr einem Mann im Dorf Malo begegnet, der ihm anvertraut, er habe das angestrebte Wagstück im vergangenen Jahr bereits einmal unternommen. Er heißt Jan, trägt eine schmale, krause rote Bartfräse um Kinn und Wangen, ist gelenkig wie eine Gemse und hat Hände, die Steine zerdrücken können. Ihn trieb damals die Liebe zu einem gewissen Burgfräulein in mondheller Nacht die Wand hinauf. Und als er von diesem Abenteuer erzählt, erkennt Louis zu seiner Freude, daß Jan damals fast den gleichen Aufstiegsweg benutzte, den er sich vom Boot aus eben ausgekundschaftet hat. »Die letzten fünf Klafter allerdings hätte ich aus eigener Kraft nie bewältigt«, gesteht Jan mit breitem Lächeln. »Da traf ich auf überhängendes Gestein. Doch hatte ich mich mit dem Fräulein durch geheime Botschaft vorher ins Benehmen gesetzt. Sie erwartete mich also um Mitternacht am oberen Rand. Ich höre ihr silberhelles Stimmchen angstvoll fragen: >Bist du da, Jan?< - >Ja<, gebe ich leise zur Antwort, daß meine Stimme gerade noch ihr Ohr erreicht, aber nicht das einer Wache. >Doch ich komme nicht weiter, Liebes.< Da wirft sie mir ein Seilende herab, das sie oben am Fels fest verknüpft. Ich erhasche es im Flug, stemme die Füße gegen den Fels, lehne mich gegen das Seil und klettere Hand über Hand flugs zu ihr hinauf. O Kamerad, was für eine Liebesnacht wurde das!« »Und würdest du es noch einmal wagen - mit mir zusammen hinaufzusteigen?« fragt Louis. »Höchst ungern. Mir graut noch jetzt, wenn ich mein Abenteuer nachträglich bedenke. Einmal bin ich mit heilen Knochen davongekommen. Wäre es nicht Frevel, das Glück ein zweitesmal zu versuchen? Auch wüßte ich nicht, warum. Mein Burgfräulein ist längst standesgemäß vermählt und würde mit keinem Wimpernzucken verraten, daß sie mich je gekannt hat... Oh, so gut gekannt hat!«
»Würden fünf Dukaten dich umstimmen?« fragt Louis. »Fünf Dukaten? Ist das dein Ernst? Gibt es auf der ganzen Welt soviel Gold?« »In meiner Tasche hab' ich den Schatz.« »Hier meine Hand - ich bin dabei.« »Gut. Einen Dukaten bekommst du jetzt. Den Rest, wenn wir den Aufstieg vollbracht haben.« »Gib mir lieber gleich alle fünf! Wenn du abstürzt, bin ich um den Rest betrogen.« »Darum sorge dich nicht! Wenn einer von uns abstürzt, bin ich es sicher nicht.« Schon in dieser Nacht, zur Zeit der Ebbe, schleichen sie, mit einem Seil, einigen Dörrpflaumen als Nahrung, mit scharfen Fischermessern und anschmiegsamen Fellschuhen ausgerüstet, am fußschmalen Strand entlang zu der Wand, auf der, im Sternenlicht knapp erkennbar, hoch oben die Burg thront. Dann steigen sie in die Wand ein. Jan geht vornweg. Er kennt ja den Weg am besten. Louis folgt dichtauf. Es geht besser, als er gedacht hat. Der Fels ist kühl und wie ein verläßlicher Freund. Die Griffe sind fest. Keine Sorge, sie brechen nicht ab. Die ersten zwanzig Klafter sind schnell bezwungen. Louis atmet auf und wirft einen Blick hinunter. Wie tief die Wasseroberfläche schon liegt! Er sieht das Weiß der Brandung. Plötzlich wird ihm so merkwürdig. Vor seinen Augen dreht sich alles. Ihm ist, als müsse er abstürzen ... Kopfüber. Mit aller Kraft hängt er sich an den Fels. Und er ruft kläglich: »Jan ...« »Was ist, mein Freund?« »Mir schwindelt!« »Du darfst nicht in die Tiefe schauen - nur nach oben, mein Freund!« *
Dem großen Gelächter ist bedrückende Stille gefolgt. Auf der Meerburg geht einer dem anderen aus dem Weg. Niemand wagt sich in die Halle, wo Sir Galahad einsam brütet. Gelegentlich nimmt er einen Schluck Met. Aber auch der macht ihm heute keine Freude. Für Reinhild hat Galahad nur noch mißtrauische Blicke. Zu deutlich hat sie sich gegen ihn gestellt, als sie dem schläfrigen Roland aufmunternde Worte zurief. Ritter, Knappen und Gäste begeben sich früh zur Ruhe. Gedämpfte Stimmung auch beim Gesinde. Ihr Freund, der Mönch, ist mit Roland ins Verlies geworfen worden. Nie wird ihm Galahad vergeben, daß er Würger und Monster nach seiner Fiedel tanzen ließ. Die Bären schlafen auch. Bill hat sie endlich füttern dürfen. Nun sind sie satt und zufrieden. Tief unten im Burgverlies denkt Volker vom Hohentwiel nach. Als er die Nachricht von Rolands Gefangennahme bekam, wußte er sofort, daß er in seiner wahren Gestalt nie Zutritt zur Meerburg erhalten würde. Darum verkleidete er sich als Mönch. Nun hat seine Fiedel Roland vor einem schrecklichen Tod bewahrt. Aber gefangen sind sie jetzt beide. Draußen wird die Wache abgelöst. Die neuen Posten ziehen auf. Der Wachhabende öffnet die Tür, flankiert von zwei Hellebardenträgern. Er will nach dem Rechten sehen. In einer Ecke liegt Roland und schläft wie ein Toter. An der Wand gegenüber greift der Mönch in die Saiten seiner Fiedel und singt mit ergreifendem Ausdruck und einer Stimme, die auch die Bewaffneten bezaubert: »Gefangen schmachtet der Ritter. Dahin schwindet all sein Mut. Gefangenschaft schmeckt ja so bitter. Wem ist seine Liebste jetzt gut?« Mitleidige Blicke treffen Volker. »Armer Teufel«, spricht ihn der Wachhabende an. »Da hast du dir aber eine scharfe Pfeffersuppe eingebrockt! Man wird dich sehr vermissen, wenn's wieder zum Tanz geht, Mönchlein. Wie ich hörte, hat kein fahrender Musikant je so gut aufgespielt wie du. Was mußtest du den Burgherrn aber auch so
erzürnen? Was ging dich denn der da an?« Und er zeigt auf Roland, der unbeweglich auf dem nackten Boden liegt. Einer der Posten beugt sich über den Reglosen. »Er schläft wie ein Toter«, meldet er. »Mir scheint, er ist tot«, sagt Volker. »Schaut lieber genau nach!« Die beiden Posten treten dicht an den Liegenden heran und neigen sich über ihn. Da schießt der vermeintliche Schläfer wie ein gezündeter Funken in die Höhe, packt die beiden Hellebarden und reißt sie an sich. Die Posten sind überrascht; lassen aber nicht los. So fallen sie nach vorn aufs Gesicht. Da ist auch Volker wie eine Katze auf den Beinen, hebt seine Fiedel in die Höhe und läßt sie schwungvoll auf den Schädel des Wachhabenden krachen. Laut zersplittert das Holz - ihre letzte Melodie! Wie ein steifer Kragen hängt dem Mann die zertrümmerte Fiedel um den Hals. Er stolpert rückwärts gegen die Wand. Indessen hat Roland den Posten die Hellebarden entwunden. Eine reicht er dem Freund. Ehe noch der Wachhabende sein Kurzschwert zücken kann, stürmen sie aus dem Verlies und verriegeln es sorgfältig von außen. Nur einen triumphierenden Blick wechseln die Ritter - dann eilen sie weiter. Über Treppen, durch Gänge, an verschlossenen Türen vorbei... So gelangen sie in die hell erleuchtete Halle, wo einsam an langer Tafel Sir Galahad sitzt. Nachdenklich, wütend. Der Burgherr springt auf, als die Freunde hereinstürmen. Narrt ihn ein Spuk? Er weicht fassungslos zurück. »Deine Stunde ist gekommen«, spricht Volker, und seine Stimme ist wie eine federnde Klinge. »Die Stunde der Abrechnung ist da. Abermals fordert dich Roland zum Zweikampf, und diesmal wirst du dich nicht feige entziehen.« Roland nimmt zwei Schwerter von den waffenbehängten Wänden und wirft eins dem überrumpelten Burgherrn zu. »Wohlan denn, laßt uns die Schwerter kreuzen!« Er hat nicht ausgewählt, sondern genommen, was sich seinen
Händen bot. Dabei hat er besonders große und schwere Waffen erwischt, die man nur mit beiden Händen schwingen kan. So hat Galahad keinen Vorteil, denn mit erlernter Fechtkunst ist hier nichts auszurichten. Nun entscheidet die Kraft. Aber wenn es um Kraft geht, steht Roland hinter keinem zurück. Seine unverbrauchte Jugend setzt sich nach wenigen Streichen durch. Sein sechster Schlag ist unwiderstehlich. Unter der Wucht löst sich Sir Galahads verkrampfter Griff, und polternd fällt sein Schwert auf den Boden. Waffenlos steht er Roland gegenüber. Entsetzen flackert über sein Gesicht. Aber Roland hält mitten im nächsten Schlag inne. »So soll der Zweikampf nicht enden!« ruft er und bückt sich bebend nach Galahads Schwert, um es ihm nochmals zu reichen. Doch der Burgherr wartet nicht ab. In diesem Duell sieht er keine Hoffnung mehr für sich. Bevor Roland sich aufrichtet, flieht er zur Halle hinaus in die Nacht. Verblüfft starren Roland und Volker ihm nach. * Jan packt Louis bei der Hand und zieht ihn kraftvoll auf ein breites Felsband hinauf. Nun sind sie vorerst in Sicherheit. Es ist der erste nahezu bequeme Platz auf ihrer tollkühnen Klettertour. Schweratmend lehnen sie sich mit dem Rücken gegen das Gestein. Louis vermeidet ängstlich jeden Blick in die Tiefe. Starr schaut er geradeaus auf einen hellen Stern über dem Horizont. »Hör zu, Kamerad«, sagt Jan leise. »Laß uns eine Weile ausruhen! Hier können wir uns sogar setzen.« Sie tun es. Dann bindet er sich und Louis vorsichtshalber mit Stricken an zwei Felsnadeln fest. Louis atmet auf. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals. Er spürt die Anstrengung schmerzhaft in allen Gliedern. Wieviel leichter fällt da tagelanges Reiten! Er braucht die Pause notwendig. »Von hier aus bis zum oberen Rand ist es nicht mehr weit«, sagt
Jan nach einer Weile. »Noch fünf Klafter - mehr nicht. Aber jetzt kommt die gefährlichste Stelle, von der ich dir sprach. Wenn es nicht um die vier Dukaten ginge - weißt du, Kamerad, ich würde jetzt noch umkehren . ..« * Im Burghof holt Roland den fliehenden Galahad ein. Er packt ihn am Kragen und dreht ihn um. »Wohin des Weges, Galahad? Eurem Schicksal entgeht Ihr nimmermehr. Auch wenn Ihr alle Eure Mannen zu Hilfe riefet, ich bezweifle, ob sie Eurem Befehl noch gehorchten, Elender!« Da zieht Galahad unvermutet einen Hirschfänger aus verborgener Brusttasche. Die scharfe Klinge blitzt im Sternenlicht. Von unten herauf schnellt sie in Galahads Hand. Roland biegt sich zur Seite, und um Haaresbreite zischt die nadelscharfe Spitze an seinem Leib vorbei. Dann wirft sich Roland todesverachtend auf den Gegner. Gemeinsam fallen sie auf das Hofpflaster. Am Boden ringen sie mit aller Macht. Dabei geraten sie gefährlich nahe an den Felsabsturz... Galahad rangelt seine Rechte frei, hebt den Hirschfänger und stößt zu. Keine Daumenbreite vor seiner Kehle fängt Roland den tödlichen Stich ab. Während Roland ihm die Waffe entreißt, gelingt es Galahad, den Knienden umzustoßen. Engumschlungen rollen die beiden Ritter über die Felswand! Entsetzt sieht Volker die dunklen Schatten verschwinden. Noch im Fall befreit sich Roland von dem Gegner und versucht, sich an der Wand festzuhalten. Seine Finger krallen sich in eine Rille. Doch er kann den Griff nicht halten. Unaufhaltsam gleitet er, langsam erst, dann schneller abwärts. Dort ragt ein toter Ast aus dem Gestein! Roland packt zu! Wird der Ast halten? Jeden Augenblick erwartet er ein Knacken ...
Da packen ihn vier Hände von unten und heben ihn auf das breite Felsband herab. Er erkennt Louis und einen Fremden - Jan. Tief unter ihnen hallt der Entsetzensschrei Galahads ... Ihm folgt langes Schweigen. Dann tönt ein silberhelles Stimmchen von oben: »Bist du da, Roland?« Jan faßt sich entgeistert an den Kopf. Träumt er? Es ist wie damals, als ein Burgfräulein ihn erwartete ... Roland gibt Antwort, und zum zweitenmal läßt Reinhild die rettende seidene Strickleiter herab. * Zwei Stunden später. Eine Kemenatentür öffnet sich. Eine Hand winkt. Roland schlüpft hinein. »Reinhild«, flüstert er hingerissen, »du bist sehr schön!« Er breitet die Arme aus und zieht sie langsam zu sich heran. Ihre Nähe ist zu verlockend. Und diesmal entwindet sie sich ihm nicht, sondern schmiegt sich so eng an ihn, wie es nur geht. »Weißt du, was ich beschlossen habe, Reinhild?« flüstert der Ritter mit dem Löwenherzen dicht an ihrem Mund. »In dieser Kemenate werde ich drei Tage bleiben!« »Ich würde dich«, flüstert Reinhild, »auch nicht eher hinauslassen!«
ENDE
Volker vom Hohentwiel war der berühmteste Minnesänger! Sang er in weichen, herzbewegenden Tönen von Liebe und heißem Verlangen, dann wogten die Busen der Schönen, und den Rittern schwoll der Kamm. Kündete er mit metallischer Stimme von Schwerterkampf, Heldentat und tapferem Tod, so stockte den Damen der Atem, und in die Augen der Ritter trat kühner Funkelglanz. Doch hier auf Schloß Camelot, am Hofe des Königs Artus, sang Volker ein anderes Lied, das allen kalte Schauer über den Rücken sandte. Vom gräßlichen Ungeheuer in den Tiefen des Odenwalds sang er, das feuerspeiend Menschen verschlang und selber unbesiegbar, sogar unverwundbar war. Volker sang die Ballade von Fasolt, dem Drachen. Liebe Leser, in 14 Tagen lesen Sie im Band 3 unserer neuen Ritter-Serie, wie das feierspeiende Ungeheuer die Menschen in Angst und Schrecken versetzt, wie es schreckliches Unheil anrichtet und tötend durch die Wälder zieht.
Der Kampf mit dem
Drachen
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