Ren Dhark
Drakhon Band 20 Im Zentrum der
Macht
l. Kon Azir war entsetzt über das Vorhaben der DRAKHON-Entführer, di...
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Ren Dhark
Drakhon Band 20 Im Zentrum der
Macht
l. Kon Azir war entsetzt über das Vorhaben der DRAKHON-Entführer, die Erde mit einer neuentwickelten Hyperbombe in die Luft jagen zu wollen. Der Tel-Raumsoldat hatte das Monstrum von einer Bombe im Haupthangar des 800-Meter-Doppelkugelraumers mit eigenen Augen gesehen. Dort schwebte sie, umgeben von einem Fesselfeld, mitten in der Luft. Von der äußeren Form her ähnelte sie einer überdimensionalen, bauchigen terranischen Weinkaraffe, allerdings bestand ihre Ummantelung nicht aus Glas, sondern aus einer rotschimmemden, undurchsichtigen Metallegierung. Kon hatte keinen Zweifel daran, daß die gewaltige Bombe Terra vollständig in Stück reißen würde. Selbst wenn sich die Tel-Rebellen, die hinter dem geplanten Anschlag steckten, mit der Sprengkraft verschätzt hatten, würde die Explosion riesige, irreparable Schäden auf dem Planeten der Terraner anrichten und somit unweigerlich das Ende der Menschheit einläuten. Das mußte er verhindern! Das Volk der Tel, das vor zirka dreihundert Jahren damit begonnen hatte, das technische Erbe der Worgun für sich zu erschließen, verfügte über eine beachtliche Raumflotte. Das neueste Achthun dertmeterschiff war die DRAKHON. Erst vor kurzem hatte sie die Werft verlassen - und nun befand sie sich mitsamt der Mannschaft in der Hand von gewissenlosen Entführern. Auf Cromar, Hauptplanet des Telin-Imperiums und Regierungssitz, lebten 48 Milliarden Tel auf sieben Kontinenten. Kon Azir war überzeugt, daß jeder von ihnen besser für die Befreiung des gekaperten Kampfraumschiffs geeignet wäre als er. Doch ausgerechnet an ihm blieb es hängen. Weil er der einzige noch freie Soldat an Bord war. 9 Kon war kein Superheld. Im Gegenteil, für einen Tel war er verhältnismäßig klein und zudem ein wenig übergewichtig. Zwar hielt er sich in einem gewissen Rahmen körperlich fit - andernfalls hätte man ihn gar nicht erst in die Raumflotte aufgenommen - doch von einer Auszeichnung für besondere sportliche Leistungen war er weit entfernt, von sonstigen Auszeichnungen, Orden, Belobigungsschreiben und so weiter ganz zu schweigen. Einige seiner weitaus erfolgreicheren Kameraden hatten sich deshalb schon über ihn lustig gemacht. Auch sonst wurde Azir manchmal zur Zielscheibe des Spotts. Bei jeder Übung gab er sein Bestes. Er war ein As an der Waffensteuerung, das erkannten alle neidlos an. Aber außerhalb der »Kriegsspiele« ging er der ungeliebten, weil unsauberen Arbeit des Klimatechnikers nach. Dazu gehörten nicht nur niedere Arbeiten im Maschinenraum, er mußte auch durch Röhren robben und in Luftschächte hineinkriechen, wenn es erforderlich war; kein einfaches Unterfangen für einen Soldaten mit leichten Gewichtsproblemen. »Saubermann« nannten ihn manche Kameraden spöttisch. Zu seiner Arbeitsuniform waren Waffen nicht zwingend vorgeschrieben, Werkzeug sowie diverse Putzutensilien hingegen unabdingbar - nicht nur moderne Reinigungsgeräte, sondern auch die unverzichtbaren Putzlumpen. Eigentlich war Kon Azir, der von einem der knapp 13 250 Kolonialplaneten des Telin-Imperiums sTarnmte, nicht zur Rotte gegangen, um sie sauberzumachen. »Uneigentlich« sah er allerdings die Notwendigkeit seiner Arbeit ein. Auch das kleinste Rädchen im Militärgetriebe war wichtig. Verstopfte Schächte konnten selbst für ein mächtiges Kriegsschiff wie die DRAKHON zum Problem werden. Gegen Verdreckung half nicht einmal die brandneue hochmoderne Tarnvorrichtung, die sich an Bord befand. Schmutz verschwand nicht von allein, nur weil man ihn geschickt versteckte. Azir hatte den »Tarnhelm« noch nie zu Gesicht bekommen. Es war ihm als einfachem Soldaten verboten, bestimmte Sicherheitszonen des Schiffes zu betreten. Dazu gehörten unter anderem auch die Kommandozentrale und der riesige Haupthangar. 10 Während sich Kon im Inneren eines Luftfilterschachtes befunden hatte, war die DRAKHON mit einem äußerst wirksamen, aber nicht tödlichen Gas geflutet worden. Als er sich nach Verlassen des Schachtes seines Schutzanzugs entledigt hatte, hatte er sich plötzlich wie allein auf der Welt gefühlt. Fast alle Besatzungsmitglieder waren gefangengenommen worden - der Rest von ihnen wurde von Sensorien femgesteuert. Das Sensorium war ein brillenähnliches Gestell, das sowohl auf Cromar als auch auf Terra als »Segnung der Erlebnissimulationstechnologie« angepriesen und verbreitet worden war. Die terranischen Medien
hatten sogar damit begonnen, ihre »veraltete« Holo-technik auf Sensoriumstechnologie umzustellen... Aber dann hatten sich die Geräte als Gefahr für beide Völker entpuppt. In Verbindung mit bestimmten Chips führten sie zur Abhängigkeit. Süchtige ließen sich gezielt manipulieren — was insbesondere in Wirtschafts- und Regierungskreisen zu katastrophalen Fehlentscheidungen führen konnte. Deshalb war auf beiden Planeten ein totales Sensoriumsverbot erlassen worden. Die gesamte Technologie durfte nicht mehr angewendet werden. Kon Azir verfügte nur über wenige Informationen, er kannte nicht alle Zusammenhänge. Angeblich steckten Tel-Rebellen hinter der Erfindung des Sensoriums und der Produktion der Suchtchips, vermutlich die gleiche Gruppe, die jetzt die DRAKHON in ihren Besitz gebracht hatte. Benutzten sie dafür einen neuen Typus von Sensorium? Einen, der seinen Träger derart willenlos machte, daß man ihn fernsteuern konnte? Diese Schlußfolgerung kam nicht von ungefähr. Kon hatte heimlich beobachtet, wie sensorientragende Soldaten vom Gas betäubte Besatzungsmitglieder in einen ungenutzten Nebenhangar, Hangar zwei, gebracht hatten. Dabei waren sie von Tel-Robotem unterstützt worden. Offenbar nahmen die Roboter nur noch Anweisungen von den Sensorienträgem entgegen, während sie sich jedem anderen gegenüber verweigerten. Zwei hatten sogar versucht, Azir zu töten. Aber er hatte es ihnen gezeigt. Dank seiner erbeuteten Waffen — zwei Handstrahler und ein Strahlenkarabiner - war es ihm gelungen, bis in den Haupthangar vorzudringen, wo die Hyperbombe 11 untergebracht war. Anschließend hatte er sich in die Krankenstation geschlichen, um dort von einer Rechnernebenstelle aus den zentralen Bordrechner anzuzapfen. Dadurch wußte er nun, was die Rebellen planten. Offensichtlich wollten sie die Bombe über Terra abwerfen. Viele Fragen waren jedoch noch offen. Wie hatten es die Rebellen geschafft, mehreren arglosen Besat-zungsmitgliedem vor dem Gasangriff ein Femsteuersensorium aufzusetzen? Hatten ihnen die Roboter dabei geholfen? Auf welche Weise war es den Rebellen gelungen, die Roboter unter ihre Kontrolle zu bringen? Rein äußerlich sahen die Tel aus wie schwarzhäutige Nordeuropäer, ohne negroide Züge. Sie verfügten über zwei Herzen, zwei Kreisläufe und zwei Nervensysteme. Ihre Roboter hatten sie äußerlich nach ihrem Ebenbild geschaffen. Für einen Terraner war es daher nicht ganz einfach, Roboter und lebende Tel voneinander zu unterscheiden; für die Tel selbst stellte das kein Problem dar. Die an Bord der DRAKHON befindlichen Roboter trugen keine Femsteuersensorien. Wozu auch? Die unheilbringenden Geräte konnten ihnen nichts anhaben. Im Gegensatz zu Lebewesen ließen sich Maschinen nicht durch Simulationen manipulieren, ganz gleich, wie echt sie wirkten. Dennoch wurden die Roboter von den Rebellen kontrolliert. Womit? Wer hatte das Raumschiff mit Gas geflutet? Die Roboter? Die sensoriumgesteuerten Tel? Oder gar die Rebellen selbst? Falls letzteres zutraf, mußten sie sich mitsamt ihrer Femsteuerung irgendwo an Bord befinden. Hielten sie die Kommandozentrale besetzt, oder wurde die Brücke ausschließlich von Robotern und Sensorienträgem kontrolliert? Kon Azir war kein ranghoher Offizier. Entsprechend seinem niederen Dienstgrad verfügte er nur über ein eingeschränktes militärisches Wissen. Aber er war kein Dummkopf. Ihm war nur zu gut bewußt, welches Risiko die Rebellen mit dem Abwurf der Hyperbombe über Terra eingingen. Die DRAKHON würde es niemals rechtzeitig schaffen, ins Weltall zu entkommen - es sei denn, die Rebellen hatten einen besonders guten Fluchtplan. 12 Einen perfekten Plan benötigten sie bereits für den Anflug. Andernfalls würde es ihnen nie gelingen, den von den Nogk entWikkelten terranischen Schutzschirm zu überwinden. Die DRAKHON konnte zwar auf die andere Seite des globalen Schirms transitieren (Transitionen wurden von Schutzschirmen nicht aufgehalten, weil sie durch den Hyperraum erfolgten), aber käme das Schiff beim Austritt aus dem Hyperraum mitten in der Erde heraus, würde es unweigerlich zu einer Katastrophe größten Ausmaßes kommen. Selbst eine Rematerialisation in der Atmosphäre wäre unmöglich, weil dadurch auf dem Raumschiff ein unaufhaltsamer Zerstörungsprozeß in Gang gesetzt werden würde, den weder das Schiff noch seine Besatzung überstehen könnten. Offenbar hatten die Rebellen noch einen versteckten Trick auf Lager. Aber welchen? Kon Azir hätte gern mehr Zeit an der Rechnemebenstelle zur Verfügung gehabt, um all die Fragen zu klären, aber er mußte davon ausgehen, daß man seinen derzeitigen Aufenthaltsort inzwischen angepeilt hatte. Sein Übergriff auf den Hauptrechner war in der Zentrale mit Sicherheit registriert worden. Darum mußte er jetzt weg von hier, raus aus der Krankenstation. Zu spät. Der Hauptausgang wurde ihm von zwei Tel versperrt. Sie trugen Sensorien auf dem Kopf und hielten Strahlenpistolen in den Händen.
Kon kannte die beiden. Ihre Namen lauteten Van Firri und Fei Otock. Sie bewohnten die Mannschaftsunterkunft, die seinem Quartier gegenüberlag. Mit stummer Geste forderten sie ihn zum Mitkommen auf. Kon Azir wußte, was das für ihn bedeutete. Man würde ihn zu den anderen Gefangenen in den Nebenhangar sperren. Dort würde er dann hilflos zusehen müssen, wie Milliarden von Menschen re gelrecht hingerichtet wurden. Und danach erfolgte vermutlich die sofortige Hinrichtung von DRAKHON-Kommandant Gal Trenk und seiner Mannschaft. Dann kann ich genauso gut an Ort und Stelle den Heldentod sterben, sagte Kon in Gedanken zu sich selbst und machte sich bereit, zu den Handfeuerwaffen zu greifen, die im Gürtel seiner Ar13 beitsuniform steckten; der Karabiner lehnte direkt neben dem Ausgang unerreichbar an der Wand.
Der untersetzte Tel-Soldat zögerte, hatte Skrupel, auf Van und Fei zu schießen. Schließlich waren sie
seine Kameraden. Gute Kameraden.
Aber war er dem Imperium gegenüber nicht verpflichtet, jede noch so geringe Chance zu ergreifen, um
zunächst seine Haut und später das Schiff zu retten?
»Was soll's?« murmelte Kon und schaute in die ausdruckslosen, teilweise vom Sensorium verdeckten
Gesichter der beiden femgesteuerten Soldaten. »Wahrscheinlich seid ihr sowieso viel schneller als ich,
immerhin habt ihr eure Waffen schon in der Hand.«
Azir war fest entschlossen, sein Schicksal herauszufordern, selbst um den Preis seines Lebens, das als
Gefangener der Rebellen ohnehin nichts mehr wert war.
»Lassen wir es darauf ankommen«, waren seine letzten Worte...
»Lassen wir es darauf ankommen«, waren seine letzten Worte, bevor er sich unvermittelt nach hinten
fallen ließ.
Kon Azir war klein. Klein, aber gemein. Seine sportlichen Mängel glich er durch Ideenreichtum und
Hinterlist aus. Während er wie ein gefällter Baum rückwärts umkippte, zog er mit beiden Händen
gleichzeitig seine Waffen aus dem Gürtel.
Vier Schüsse wurden ausgelöst, vier Energiestrahlen bahnten sich ihren Weg.
Nur einer traf. Der todbringende Strahl brannte sich durchs Sensorium, bohrte sich durch das linke Auge
von Fei Otock und trat aus dem Hinterkopf wieder aus. Der Tel war auf der Stelle tot.
Otocks Schuß ging weit daneben. Auch Van Firrls Energiestrahl zerschnitt lediglich die
medikamentengeschwängerte Luft, genau wie der Strahl, der aus der Waffe kam, die Kon Azir in der
linken Hand hielt. Getroffen hatte Kon nur mit rechts, was mehr dem Zufall zu verdanken war als seinen
dürftigen Schießkünsten.
Azir konnte hervorragend mit der Waffensteuerung umgehen. Hatte er erst einmal ein Zielobjekt auf dem
Bildschirm ausge
14 macht, ließ er es nicht mehr entkommen, ganz gleich, wie weit entfernt es war und wie rasant es sich bewegte. Nahkämpfe Mann gegen Mann hingegen lagen ihm nicht so sehr - weshalb er niemals ein unnötiges Risiko einging. Kon ließ eine Waffe fallen, um rechts die Hand freizuhaben und seinen Sturz abzufangen. Mit links zielte er auf Van Firri, der fast zeitgleich erneut auf ihn anlegte. Van war schnell - aber Kon war einen Sekundenbruchteil schneller. Sein Energiestrahl zerfetzte eines von Firrls Herzen, obwohl der Schütze woandershin gezielt hatte. Azirs Versuch, den Sturz abzubremsen, scheiterte an seiner Unsportlichkeit. Er knickte um, verstauchte sich leicht das rechte Handgelenk und machte unsanft Bekanntschaft mit dem Boden. Selbst aus dieser ungünstigen Position heraus ließ er nicht von seinem Gegner ab. Kon Azir feuerte auf Van Firri, was das Zeug hielt - er wollte ihm keine Gelegenheit mehr zur Gegenwehr geben. So hatte er es am Haupthangar auch mit den beiden Robotern gemacht. Wenn sein Leben bedroht wurde, ging er lieber auf Nummer Sicher. In der Hektik verfehlten einige von Kons Strahlensalven ihr Ziel und zerstörten einen Teil der Stationseinrichtung, doch die meisten Schüsse trafen. Firri kam nicht mehr dazu, ein weiteres Mal auf ihn zu schießen. Erst als sein Gegenüber sich nicht mehr rührte und die Energie der Waffe zu versiegen begann, stellte Azir das Feuer ein. Der Klimatechniker hatte den Kampf zwei gegen einen gewonnen. Wie ein glorreicher Sieger fühlte er sich trotzdem nicht. Angesichts seiner beiden toten Kameraden kam kein Triumphgefühl auf - ihm war nur speiübel. Schritte näherten sich. Kon Azir verfügte über ein gutes Gehör. Ihm war sofort klar, daß es sich um
Roboterschritte handelte. Auf dem Gang befanden sich mindestens drei Maschinenwesen.
Hals über Kopf flüchtete der letzte noch freie Tel-Soldat durch einen Nebenausgang. Den
Strahlenkarabiner und die fallengelassene Handfeuerwaffe ließ er in seiner Panik zurück, so daß er nur
noch mit einem einzigen Handstrahler bewaffnet war, der dringend aufgeladen werden mußte.
15
Wer Gal Trenk, Kommandant der DRAKHON, haßte nichts so sehr wie hilfloses Nichtstun. Am liebsten
hätte er die Femgesteuerten und die Roboter mit bloßen Händen angegriffen, um sich und seine
Mannschaft zu befreien, aber man ließ ihm nicht die geringste Chance.
Man hatte ihn zu seinen Offizieren und Soldaten in den leeren Nebenhangar zwei gesperrt, wo sie von
Robotern und sensorien-tragenden Tel bewacht wurden. Trenks Versuch, den anderen Mut zuzusprechen,
war schon im Ansatz unterbunden worden. Außerdem hatte man ihn von seinem ersten Offizier Mun
Gowan getrennt, damit er sich nicht mit ihm absprechen konnte. Gowan saß nun auf der
gegenüberliegenden Seite des Hangars und durfte nicht mehr mit seinem Vorgesetzten reden.
Von den Gefangenen wußten bisher nur Gal Trenk und Mun Gowan über die unheilbringende Ladung im
Haupthangar Bescheid. Die Existenz der Hyperbombe war ein strenggehütetes militärisches Geheimnis.
Der Kommandant hatte den Auftrag, ihre Wirkung in einem entlegenen Winkel des Tel-Imperiums an
einem unbewohnten, toten Planeten zu testen.
Die Kidnapper der DRAKHON hatten es allem Anschein nach auf die Hyperbombe abgesehen - eine
andere Erklärung für die Entführung hatte Wer Gal Trenk zumindest nicht. Er vermutete, daß die Rebellen
hinter dem Gasanschlag steckten, wahrscheinlich jene Gruppe, die das Sensorium zu staatszerstörerischen
Zwecken auf den Markt gebracht hatte. Ihr Flugziel war nicht schwer zu erraten: die Erde. In den
verblendeten Augen der Tel-Rebellen war nur ein toter Terraner ein guter Terraner.
Zwei sensoriengesteuerte Mannschaftsangehörige, Maschinenarbeiter, betraten den Nebenhangar in
Begleitung eines Roboters, der einem weiblichen Tel nachempfunden war. Die Robotfrau hielt ein
Sensorium in der Hand.
Seit seinem Erwachen aus der Bewußtlosigkeit hatte Trenk nur vereinzelte Sensoriumsträger zu Gesicht
bekommen, immer dann, wenn weitere Gefangene hereingebracht wurden, doch er ahnte,
16 daß es auf dem Schiff noch sehr viel mehr Femgesteuerte gab. Der Roboter, der die beiden Arbeiter begleitete, war normalerweise in der Kommandozentrale tätig. Im Militärregister war er unter einem sechzehnstelligen Kode eingetragen. Auf der Brücke nannte man die Robotfrau deshalb kurz und knapp Sechzehn. Ganz offensichtlich stand auch sie, wie alle Roboter an Bord, unter dem Befehl der Rebellen. Die beeinflußten Maschinenarbeiter postierten sich links und rechts neben den sitzenden Ersten Offizier, ergriffen ihn an den Armen und rissen ihn brutal hoch. Sechzehn machte Anstalten, ihm das Sensorium aufzusetzen. Das wollte, konnte, durfte Gal Trenk auf gar keinen Fall zulassen! Mun Gowan war mehr als nur sein Stellvertreter, er war sein bester Freund. Mit einem wütenden Aufschrei sprang der Wer auf und lief quer durch den Hangar. »Laß die Finger von ihm. Sechzehn, verstanden?!« brüllte er den Roboter unbeherrscht an. »Das ist ein Befehl!« Mehrere Bewacher - Roboter und Tel - stellten sich ihm in den Weg und hielten ihn fest. Trenk hatte keine Chance gegen die Übermacht. In ohnmächtigem Zorn mußte er zusehen, wie Sechzehn dem sich heftig wehrenden Ersten das Sensorium überstülpte. Kaum hatte der Roboter das Gerät aktiviert, stellte Mun Gowan jedwede Gegenwehr ein. Von diesem Moment an war er nicht mehr er selbst. Jetzt stand auch er unter dem unheilvollen Bann der Rebellen. »Gehen wir«, sagte er tonlos zu Sechzehn und verließ den Hangar. Der Roboter folgte ihm. »Wenn Mun etwas zustößt. Sechzehn, reiße ich dir eigenhändig deinen Metallschädel von den Schultern!« schrie Gal Trenk ihnen hinterher. Er war ein kräftig gebautes Mannsbild und durchaus in der Lage, sich mit den Fäusten Respekt zu verschaffen. Doch Sechzehn behandelte ihn, als wäre er überhaupt nicht vorhanden. Der seelenlose Roboter schenkte ihm nicht mal einen sensorischen Seitenblick.
17 Kon Azir ließ die Waffe sinken. Zu seinen Füßen lag ein bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzener Arbeitsroboter, der in einem Verbindungstunnel ganz plötzlich vor ihm aufgetaucht war. Azir hatte dem unbewaffneten Roboter, der mit Sicherheit unter der Kontrolle der Rebellen gestanden hatte, keine Chance gelassen und sofort »voll draufgehalten«. Damit war die Energie seines Handstrahlers endgültig versiegt; er warf ihn achtlos weg.
Außer etwas Werkzeug hatte Kon nun nichts mehr bei sich, das als Waffe geeignet war. Azir fühlte sich müde, erschöpft, doch er wußte, daß er hier keine Sekunde länger bleiben durfte. Bestimmt war die Vernichtung des Roboters in der Zentrale registriert worden, und es war bereits Verstärkung unterwegs. Im Laufschritt setzte Kon seine Flucht fort. Obwohl er bisher keine Möglichkeit gefunden hatte, in die von Robotern und Sensorienträgem bewachte Kommandozentrale zu gelangen, war er fest überzeugt, daß sich die Rebellenbrut dort aufhielt. Wahrscheinlich verfolgten sie vom Schaltpult des Hauptrechners aus jeden seiner Schritte. Auf einem Raumschiff konnte kein Fremder unbemerkt herumschleichen. Allerdings war Kon kein Eindringling, sondern ein ganz normales Besatzungsmitglied. Auf den meisten Decks hatte er überall freien Zugang, mit Ausnahme der Sicherheitsbereiche. Dadurch war er als Einzelperson nicht so leicht auszumachen. Insbesondere wenn er sich in der Nähe von sensoriumgesteuerten Tel aufhielt (ohne daß diese ihn bemerkten), hatten es die Überwachungssensoren schwer, ihn aus der Masse herauszufiltem. Um seinen Verfolgern möglichst viele Schwierigkeiten zu bereiten, hielt er sich nie lange an einem Platz auf. Kon Azir war ständig in Bewegung. Fühlte er sich in die Enge getrieben, zog er sich in das verwinkelte System der Luftschächte zurück. Dort kannte er sich als.Klimatechniker bestens aus. Nur die größeren Schächte waren be
18 leuchtet, in den Nebenröhren mußte er sich mit seiner leuchtstarken Taschenlampe behelfen.
Ihm war bewußt, daß er sich nicht ewig würde verstecken können.
Immer mehr Tel schienen Jagd auf ihn zu machen, hatte er das Gefühl. Vermutlich »rekrutierten« die
Rebellen laufend neue Besatzungsmitglieder, indem sie sie gegen ihren Willen mit Femsteu-ersensorien
ausstatteten.
Lange würde Kon die Hatz nicht mehr durchhalten. Früher oder später brauchte er Ruhe - und Schlaf.
Fieberhaft überlegte er, ob es irgendwo auf dem Schiff einen Ort gab, an dem er sich ungestört eine
Zeitlang erholen konnte. Außerdem benötigte er dringend neue Waffen.
Hangar vier! Warum war er nicht gleich darauf gekommen? Auf der anderen Seite des Doppelkugelraumers, von Kons derzeitigem Standort aus gesehen, lag der Hangar mit den kugelförmigen, fünfundzwanzig Meter durchmessenden Beibooten. Jedes Boot war sozusagen eine kleine Welt für sich, ähnlich ausgestattet wie das Hauptschiff, allerdings in wesentlich bescheidenerem Rahmen. Die Beiboote von Achthundertmeterschiffen dienten überwiegend zum Absetzen von Rauminfanterie und waren entsprechend ausgerüstet, unter anderem mit leichten Geschützen. In den jeweiligen Borddepots lagerten zahlreiche Waffen für den Nahkampf sowie Schutzanzüge für den Einsatz in verstrahlten Gebieten. Sogar Tarnvorrichtungen gab es an Bord, die der neuesten Tarntechnologie der Tel zwar hinterherhinkten, aber zum Anschleichen an feindliche Schiffe oder Bodenstellungen völlig ausreichend waren. Viel wichtiger für Kon war allerdings, daß jedes Beiboot über eine Hyperfunkanlage verfügte. Vielleicht konnte er von dort aus einen Notruf absetzen. Umgehend machte er sich auf den Weg zum Bootshangar. Er kroch durch Röhren und Schächte, schlich durch Tunnel und Gänge, wobei er mehrfach seine Richtung änderte, um mögliche heimliche Beobachter zu verwirren. Bisher hatte er keinen Beweis dafür, daß jede seiner Bewegungen in der Kommandozentrale mit
19 verfolgt wurde, dennoch fühlte er sich, als würden ihn ständig unzählige Augenpaare anstarren. Als Kon in die Nähe der Krankenstation kam, spielte er mit dem Gedanken, sich von dort aus erneut in den Hauptrechner einzuklinken, um noch mehr über die Rebellenpläne in Erfahrung zu bringen. Sein Versuch scheiterte jedoch schon im Ansatz. Sämtliche Zugänge zur Station wurden von Robotern bewacht, um den einzigen noch freien Tel von der Rechnemebenstelle fernzuhalten. Offensichtlich hatte man ihn als emstzunehmende Gefahr eingestuft. Azir stieß innerlich einen unhörbaren Fluch aus. Eine andere Möglichkeit, dem Hauptcomputer aktuelle Informationen zu entlocken, gab es nicht, zumindest war ihm keine bekannt. Zwar waren die Beiboote ebenfalls mit hochwertigen Rechnern ausgestattet, doch die dienten in erster Linie zum Navigieren. Wenig später gelangte Kon Azir in den Maschinenraum. Sein Schutzanzug und die zurückgelassenen Arbeitsutensilien lagen noch an Ort und Stelle, unberührt, unbeachtet. Kon überlegte, ob er den Anzug überstreifen sollte, für den Fall, daß die Rebellen innerhalb der DRAKHON noch einmal Betäubungsgas einsetzen würden. Er tat seine Befürchtung als unrealistisch ab. Wegen einer einzigen flüchtigen Person so viel Aufwand?
Hinzu kam, daß ein solches Riesenschiff über ein Luftvolumen von ungeheuren Ausma* ßen verfügte.
Um es vollständig zu fluten, bis in den letzten Winkel, benötigte man einen enormen Gasvorrat. Sehr
wahrscheinlich hatten die Rebellen schon bei der ersten hinterhältigen Attacke ihre gesamten Reserven
aufgebraucht.
Azir verzichtete daher auf den unbequemen Anzug, der ihn in seiner Bewegungsfreiheit nur unnötig
eingeschränkt hätte, und beließ es bei seiner leichten Arbeitsuniform.
Auf der DRAKHON gab es mehrere Möglichkeiten, Beiboote unterzubringen. Normalerweise »warteten«
sie im größten Hangar, dem Haupthangar, auf ihren Einsatz. Vor dem Start war die Mannschaft jedoch
informiert worden, daß die Boote diesmal in Hangar vier, dem zweitgrößten Hangar, bereitstehen würden.
Außerdem hatte man der Besatzung streng verboten, den Haupthangar und
20 den ebenfalls als Sicherheitsbereich ausgewiesenen Hangar drei zu betreten.
Nähere Erklärungen zu den Anweisungen hatte es nicht gegeben. Tel-Soldaten waren es gewohnt zu
gehorchen, ohne neugierige Fragen zu stellen.
Inzwischen wußte Kon Azir, warum der größte Hangar gesperrt war. Die gewaltige Hyperbombe nahm
dort den gesamten Platz ein.
Das Geheimnis von Hangar drei, dem kleinsten, kannte Azir nicht. Noch nicht.
Bald darauf gelangte Hangar vier in Kons Sichtweite. Seltsamerweise waren weder der schlecht
beleuchtete Zugangstunnel noch das Eingangstor bewacht.
Azirs innere Alarmglocke schlug an.
Die Brücke, die Krankenstation und Hangar zwei, in welchem die Gefangenen ausharrten, waren
mittlerweile die reinsten Festungen. Ziemlich wahrscheinlich wurde auch der geheimnisvolle Hangar drei
von zahlreichen Wachtposten vor unbefugtem Eindringen geschützt. Und ausgerechnet hier hatte man
weder Roboter noch Sensorienträger postiert? Befürchteten die Rebellen denn nicht, daß er versuchen
könnte, ein Boot zu kapern, um damit ins All zu entkommen?
Darauf warten sie doch nur! schoß es ihm durch den Kopf. Sobald ich den Startvorgang einleite,
blockieren sie das Ausgangsschott und umstellen den Hangar,
Kon ging ein paar Schritte in den halbdunklen Zugangstunnel hinein. Bei der geringsten Gefahr würde er
sofort wieder umkehren.
Eine Falle, eine Falle, eine Falle...! wurde er fortwährend von seiner inneren Stimme gewarnt. Obwohl
sich seine Beine wie Gummi anfühlten, setzte er mutig einen Fuß vor den anderen.
Plötzlich vernahm er hinter sich ein leises Geräusch. Erschrokken wirbelte er herum.
Ihm gegenüber stand der erste Offizier Mun Gowan und richtete eine Handfeuerwaffe auf ihn.
Beide Männer hielten sich etwa in der Mitte des kahlen Tunnels auf, der nirgends Deckung bot. Hätte
Kon Azir versucht, in Rich
21 tung des Bootshangars zu flüchten, hätte der mit einem Sensorium ausgestattete Offizier freies Schußfeld auf ihn gehabt. Es gab kein Vor und kein Zurück mehr.
2. »... was ist, womit haben wir es hier zu tun?« forderte Danog ut Keltris Aufklärung von den mit ihm eingeschlossenen Gönn, während die MeTarnorphose der Sprossen zu einer ballonartigen Kar-nivore, einer fleischfressenden Pflanze, unaufhaltsam weiterging. Das monströse, schreckliche Gebilde verhielt sich wie ein lebendes, atmendes Wesen. Kapillaröffnungen sonderten eine Flüssigkeit ab, die einen widerlich stechenden Geruch verbreitete, zu Fäden auskondensierte und die Rankententakel untereinander verklebte, um die Flucht ihrer Beute zu vereiteln. Ein üblicher Vorgang bei allen Kamivorenarten, mehr oder weniger. Vielleicht ein Unterschied: die Art ihrer Beute. Hier handelte sich weder um Käfer noch um Fliegen, sondern um Personen, ausgewachsene terra-nische Männer und Frauen, um Gönn - und um den letzten Wal-fen im ganzen weiten Universum. »Wir haben es mit einer Orak-Pflanze zu tun«, beantwortete Jumir endlich Danogs Frage. »Eine fleischfressende Pflanze von unersättlicher Gier. Ein Ungeheuer, das von einem begnadeten Baumsprecher für den Kampf gezüchtet wurde. Eine schreckliche Waffe.« »Also hat auch dieses Paradies seine Schlange«, sagte Charlotte Pilon, die Exobiologin, mit fahler Miene und leicht hysterischer Stimme. Die kreatürliche Angst vor dem Unbekannten hatte sie ebenso erfaßt wie Yedidia Angus, die zweite Frau in Danogs Team. »Wie entkommen wir ihr?« fragte Danog ut Keltris in gewohntem Pragmatismus. Sie befanden sich noch immer im Amtssitz des zentralen Magistrates von Külä. Der gigantische Baum mit seinen beiden Nebenbäumen, höchstes Bauwerk von Tediruun, war sowohl die Resi
23 denz des Regenten Sidrox Grandel als auch Stadthalle, Sitz der Kongregationsbibliothek Küläs, der historischen Archive, Gästehaus der Regierung für die Gouverneure der einzelnen Provinzen und seit dem heutigen Tag auch Sitz der terranischen Depen-dance, mit ihm, Danog ut Keltris, als Botschafter. »Es gibt kein Entkommen«, gestand Jomir, der dritte Gorm-Astronaut, und bestätigte Danogs Befürchtung. »In Kürze werden wir von den Domen getötet werden und...« Er verstummte, dennoch war den Mitgefangenen klar, daß er >und von der Pflanze verdaut werden< hinzufügen wollte, es aber aus Rücksicht auf die weiblichen Terraner unterließ. Danog saß einfach nur da, erstaunt, mit weit geöffneten Nasenspalten, durch die er zischelnd Luft holte und auch wieder ausstieß. Ihm fehlten für winzige Zeiteinheiten die Worte. Vor wenigen Augenblicken noch hatten sie fröhlich zusammen getafelt, in Erwartung des Prätendenten von Külä, und jetzt mußten sie um ihr Leben bangen. So hatte er sich den Beginn seiner diplomatischen Mission nicht vorgestellt. Ganz gewiß nicht. Von draußen hörte man durch das domige Geflecht der ins riesenhafte mutierten Kamivore den Lärm der Festversammlung, die den Anschlag auf die Ehrengäste des gormschen Oberhauptes miterlebt hatte. Und noch immer hatten Danog und seine terranischen Begleiter den von heißer Wut erfüllten Klang der Stimme des gormschen Bediensteten im Ohr, der, als er die Schale mit den Sprossen brachte, mit einem »TOD ALLEN TEUFELN AUS DEM ALL UND IHREN VERBÜNDETEN!« den Deckel der Schale gehoben hatte. Unter dem plötzlichen Lichteinfall hatte sich die Mutation der Sprossen so unglaublich schnell vollzogen, daß Danog noch immer nicht ganz begriff, was sich um ihn herum abspielte. Nur daß es höchst gefährlich war, daran bestand kein Zweifel. »Haben wir denn überhaupt keine Chance?« vergewisserte er sich nach einigen quälenden Sekunden noch einmal. Sein Knochenkamm hatte einen aschgrauen Farbton angenommen, während 24 die beiden Frauen mit wachsbleichen Mienen zusammenrückten, als das Innere der Pflanze wie ein obszöner, bleicher Muskel kontrahierte und sich wieder ausdehnte, dabei Geräusche produzierend, die wie ein erwartungsvolles Rülpsen klangen. »Keine«, bestätigte Jamir, der dritte der Gorm-Astronauten. »Uns ist niemand bekannt, der je aus einer Orak-Pflanze entkam...« Er wollte noch etwas hinzufügen, verstummte aber mit einem Wehlaut, als eine der Ranken zu eigenständigem Leben erwachte und wie eine Peitsche nach ihm schlug; ein fingerlanger Dom mit vielen kleinen Widerhaken grub sich in seinen Arm. Jamir verzog schmerzhaft das Gesicht, in seinen Augen stand ein Ausdruck, der nur mit kreatürlicher Todesangst umschrieben werden konnte. Mit einem Fluch brachte Mac Fayden ein Allzweckwerkzeug aus einer Schenkeltasche zum Vorschein, ließ eine rasiermesserscharfe Klinge herausspringen und hieb mit einer wilden Bewegung die Ranke durch. Weißes Sekret spritzte umher, als sich der amputierte Pflanzententakel krümmte und wand wie ein gerissener Hydraulikschlauch. Das im Arm des Gönn steckende Reststück bewegte sich, als hätte es ein Eigenleben, und grub sich noch tiefer in das Fleisch. Jamir zerrte mit schmerz verzerrter Miene daran, bis sich endlich der Dom mit einem widerlichen Schmatzen löste und eine stark blutende Wunde hinterließ. Der Geruch des Körpersekrets schien die Kamivore noch mehr zu animieren. Kleinere Tentakel lösten sich aus dem Verbund und bewegten sich in Richtung der Frauen, die entsetzt aufschrien. Ein Geräusch, das Danog endlich aufrüttelte. Noch nie hatte der Walfe vor einer scheinbar schon ausweglosen Situation kapituliert. Er hatte nicht vor, jetzt und hier damit zu beginnen. Mit einem Grunzen der Entschlossenheit streckte er seine von harten Muskeln bedeckten Echsenhände mit den beiden starken Daumen und den hornigen Krallen aus, griff voll hinein in das widerliche Geflecht aus domigen Ranken und riß es mit einem Ruck auseinander. Ungeachtet der vielen Stacheln, die ihm die Schuppen von der widerstandsfähigen, ledernen Haut fetzten. Kein dramatischer Verlust, Walfenschuppen erneuerten sich laufend. 25 Danog weitete den Spalt noch mehr, trotz der immer stärker werdenden Orak-Pflanze, bis er groß genug war, um einen Weg nach draußen zu bieten. Zusätzlich stemmte er noch einen Fuß in die Öffnung. Während hier auf Külä eine Schwerkraft herrschte, die noch etwas geringer war als die irdische, sTarnmte Danog von einer Welt mit 1,5 Gravo. Selbst der stärkste Mann der Erde war ein Hänfling gegen ihn. Und die zierlichen Gönn konnten sich nicht einmal annähernd vorstellen, welche Kraft dem massigen Echsenkörper des neuen terranischen Botschafters innewohnte. »Los, verschwindet«, befahl er und hoffte, daß seine Kraft reichte, bis alle draußen sein würden. Der Verletzte war als erster im Freien, die beiden anderen folgten ihm nach. Dann kamen die Frauen. Schließlich die Männer, sie hatten die Ranken abgewehrt, soweit es ihnen möglich war und waren über
und über mit kleinen Wunden bedeckt. Die Kleider hingen ihnen in Fetzen von den Körpern, aber sie entkamen. Danog zwängte als letzter seinen gedrungenen Echsenkörper durch die Öffnung und rollte sich über den Boden davon. Als er auf die Beine kam und sich umdrehte, sah er, wie hinter ihm die Kamivore wie ein Ballon, dem die Luft explosionsartig entwich, in sich zusammenfiel. Dabei begann sie in rasender Schnelligkeit zu welken, um binnen Minuten zu einem Haufen übelriechender und sich teilweise auflösender Pflanzenreste zu werden. Bedienstete der Gönn eilten herbei und schafften die Überbleibsel zur Seite, während sich die gormschen Heiler mit ihren Helfern um ihren verletzten Raumfahrthelden und die relativ harmlosen Kratzwunden der terranischen Botschaftsangehörigen bemühten. Auch um Danog kümmerten sie sich. Der aber winkte ab. »Mir ist nichts geschehen«, gab er zu verstehen. »Die wenigen Blessuren heilen von selbst.« . , Gouverneur Kanoo rang die Hände und wirkte tief betroffen. Mit wortreichen Entschuldigungen sprach er dem Botschafter Terras sein Bedauern über das Vorgehen des jungen Gönn aus, den man selbstverständlich sogleich nach seiner schändlichen Tat gefaßt und festgehalten habe. Er würde nach entsprechenden Verhören seiner gerechten Strafe zugeführt. 26 Im Hintergrund teilten sich die langen, fahnenartigen Stoffbahnen. Zwei Gönn traten hindurch und blickten sich um. Anstelle der bunten Kleidung der an diesem Bankett teilnehmenden Gönn, das so abrupt eine fast tödliche Wendung genommen hätte, trugen sie uniform wirkende, dunkle Kombinationen mit einem silberfarbenen Symbol auf der Brust. Danog konnte Mimik und Gestik der beiden nicht klar deuten -aber er wettete einen Korb gerösteter Potabuschblätter gegen eine Handvoll Wokakäfer, daß es sich bei den beiden um Ordnungshüter handelte. Polizisten. Soldaten. Geheimdienstler. Sie strahlten eine unterschwellige Aura von Bedrohung aus. Ihr Auftreten erzeugte eine gewisse Spannung unter den jüngeren Gönn, die unmerklich zwar, aber für einen aufmerksamen Beobachter wie Danog klar erkennbar vermieden, zu engen Kontakt mit den dunklen Gestalten zu bekommen. Sie trugen seltsam aussehende Geräte in den Händen, anscheinend Waffen, obwohl sie nicht aus Metall gefertigt schienen und eher merkwürdig gewundenen Ästen glichen. Jedenfalls hatten die Dinger Läufe mit tütenförmigen Mündungen, in denen es grünlich waberte. »Gouverneur Kanoo«, sagte der eine - Danogs Translator übersetzte getreulich jedes Wort - »wir haben den unbotmäßigen Diener ins Netz gesteckt, wie Sie angeordnet haben. Wir bringen ihn jetzt zum Verhör in die Famakhzentrale. Wollen Sie noch einmal mit ihm sprechen?« Gouverneur Kanoo verneinte mit einer angewiderten Mimik. »Ich will diese Schande Gorms nicht mehr sehen. Überlassen wir ihn der Famakh. Bald, sehr bald werden wir dann die ganze Wahrheit wissen.« »Die Wahrheit ist eine gar scheue Geliebte«, deklamierte Danog ut Keltris und gedachte für den Moment eines Herzschlags seiner liebreizenden Dreang, die zusammen mit Walf untergegangen war. »Man besitzt sie niemals ganz.« Er schwieg einen Moment; die Nickhäute über den geschlitzten Pupillen schlössen sich, dann öffnete er sie wieder weit und blickte Kanoo an. »Besteht die Möglichkeit, daß ich mit dem jungen Heißsporn ein paar Worte wechseln kann, ehe Ihre Leute ihn wegbringen?« bat 27 er. »Allein!« Der Gouverneur zögerte einige Augenblicke, als habe ihn Da-nogs letzte Bitte in eine schwierige Lage versetzt, dann legte er höflich den Kopf schief und sagte: »Natürlich, Botschafter. Sie können es ganz unbesorgt tun, dieser Gumrukh von Diener kann Ihnen nichts tun... das Netz, Sie verstehen!« Danog verstand nicht. Aber das ließ er sich nicht anmerken. Gouverneur Kanoo gab den beiden Ordnungshütern einige rasche Anweisungen, die vom Translator unübersetzt blieben, und wandte sich dann wieder an den Walfen. »Folgen Sie den beiden, sie werden Sie zu dem Delinquenten bringen.« Danog setzte sich in Bewegung. Die beiden Bewaffneten gingen voraus. Sie traten hinter den sich sachte bewegenden Wandbehängen durch eine Blende, die wie ein überdimensioniertes Astloch wirkte, und befanden sich in einem schmalen, durch Leuchtschwämme erhellten Gang mit - natürlich - gemaserten Wänden. Der Gang war leicht nach innen gekrümmt. Der Geruch von Harzen war stark; offenbar bewegten sie sich dicht hinter der Rinde des gewaltigen Baumes hoch oben unter der Krone.
»Dort hinüber, Botschafter«, sagte der eine Wächter, als sie an eine Abzweigung kamen. Der Ton seiner Stimme wirkte entspannt; Danogs unmittelbare Einwirkung auf die Psyche der Gönn machte sich bereits bemerkbar. In kurzen Abständen waren in den Seitenwänden Nischen, die von extrem harten Holzplatten abgeschottet waren. So wie es aussieht, dachte der Walfe, werde ich in einen Arresttrakt geführt. »Halt, Botschafter. Bitte!« bat der andere Wächter. Sie hielten vor einem der Durchbrüche an. Der Ordnungshüter legte eine Hand in den Mittelpunkt der Tür, die sich daraufhin nach rechts in die Wand schob und den Blick in einen Raum freigab, dessen Einrichtung mit dem Begriff »nackt« nur sehr mangelhaft umschrieben werden konnte. Das Gelaß war vollkommen leer. In der Mitte hockte der Diener, der die Schale mit Karnivorensprossen auf Danogs Tafel gestellt hatte, zusammengekrümmt auf dem Bo den. Eingeschnürt von einem Netz zäher Fasern, das sich anscheinend bei jeder größeren Bewegung immer enger um ihn spannte. 28 Eine perfide Art der Fesselung.
Mehr eine Folter.
»Tsss... tsss«, zischelte Danog ungehalten.
Jetzt verstand er Gouverneur Kanoos Bemerkung.
In den dunklen Augen des Dieners, mit denen er die Eintretenden anstarrte, glomm Wut, aber auch eine
gewisse Furcht.
»Tod den...« begann er, aber eine Bewegung von Danogs Echsenhand brachte ihn zum Verstummen.
Die dunkelrote Haßwelle, die dem Walfen einige Herzschläge lang entgegenschlug, ebbte ab. Der junge
Diener wurde völlig ruhig.
Danog wandte sich an die beiden Wächter. »Bitte«, sagte er, »lösen Sie seine Fesseln.«
»O nein, verehrter Botschafter. Nichts liegt uns ferner...«
»Tsss!« »... aber warum eigentlich nicht.«
Danogs Parafeldeinfluß auf die Psyche anderer zeigte die erwartete Wirkung.
Der zweite Wächter löste das Netz; der Diener blieb sitzen, entspannt und völlig ruhig.
»Würden Sie draußen warten?« richtete Danog seine Bitte an die beiden Wächter.
Er wartete, bis sie allein waren, dann hockte er sich zu dem jungen Gorm, der ihn mit einer gewissen
Angst ansah, auf den Boden.
»Wie ist dein Name?« fragte der Walfe. »Ich bin Danog ut Kel-tris. Das bedeutet Danog von den Bergen,
aber du kannst mich ruhig mit Danog anreden. Ich bin ein Walfe.«
»Man nennt mich Xea«, sagte der Gorm, nicht ohne einen Anflug von Stolz. Er wich ein wenig zurück,
brachte eine gewisse Distanz zwischen sich und den Walfen, baute quasi eine unsichtbare, aber durchaus
fühlbare Abwehrmauer zwischen sich und seinem Gegenüber auf.
»Du mußt keine Furcht haben, Xea«, bedeutete ihm Danog. »Ich tue dir kein Leid an.«
»Im Gegensatz zu mir«, stieß der Gorm unsicher, aber auch trotzig hervor. »Sie hätten allen Grund, mich
zu töten, Botschafter. Warum tun Sie es nicht? Wir sind allein! Der Tod ist allemal bes
29 ser, als in den Käfigen der Famakh vor aller Augen zur Schau gestellt zu werden.«
»Tut man so etwas auf Külä?«
Der Gönn gab keine Antwort, aber sein Blick war beredt genug.
»Und wenn ich dir zusichere, daß dies nicht geschehen wird?«
»Wären Sie dazu in der Lage?«
»Ich denke schon, vorausgesetzt, du klärst mich darüber auf, weshalb du zu so drastischen Maßnahmen
gegriffen hast. Wer hat dich dazu angestiftet?«
Der junge Gönn ließ seinen Blick nach oben wandern, als halte er Zwiesprache mit jemanden, der sich
Danog nicht zeigte. Aber er konnte fühlen, was den Diener bewegte.
Xea fühlte sich schrecklich allein.
Danog beugte sich etwas vor, streckte seine Echsenhand aus und legte die Finger auf das Handgelenk des
Gönn, dessen Blick zu ihm zurückkehrte.
»Der Famakh, der Geheimdienst selbst«, murmelte der Diener, um gleich wieder zu verstummen.
Danog ließ ihm Zeit; er wußte, daß die innere Abwehr des Gönn sich in Bälde in Nichts auflösen würde.
Und schließlich begann Xea zu reden. Er berichtete mit schnellen, sich teilweise überschlagenden Worten
davon, daß der planetare Geheimdienst, der in der Hierarchie der Gönn nur eine geringe und kaum
wahrnehmbare Rolle spielte, den von der Regierung seit dem Zusammentreffen der drei Gorm-
Astronauten mit dem Tenaner Huxley forcierten Kontakt zu anderen Völkern im All für sehr gefährlich
hielt und mit allen Kräften zu unterbinden suchte.
»Was werden Sie nun mit diesem Wissen anfangen, Botschafter? Vor allem - was werden Sie mit mir
tun?«
Die kreatürliche Angst des jungen Gönn, er konnte nicht viel älter als 18 Sommer sein, berührte den Walfen. Er wackelte mit seinem Knochenkamm, und sein lippenloser Mund verzog sich in einer Weise, die andere Walfen als Lächeln gedeutet hätten - aber jeder nicht mit walfscher Mimik vertraute Fremde wäre vermutlich von der Grimasse erschrocken zurückgewichen. Weshalb Danog an sich hielt und die Regung sofort unterdrückte. 30 Er erhob sich geschmeidig, machte einen Schritt auf die Tür zu, und hörte den eher hilflosen als
ängstlichen Laut aus dem Mund des jungen Gönn.
Er drehte sich noch einmal um. »Keine Sorge - ich werde meinen Einfluß dahingehend geltend machen,
daß eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung gefunden wird.«
Gouverneur Kanoo und Danog gingen langsam eine breite, geschwungene Rampe hinauf. Hinter der
Wand aus frei hängenden Bahnen bunt bedruckter Stoffe hatte sich geräuschlos eine Tür zur Seite
geschoben. Sie blieben kurz am Eingang des kleinen, niedrigen Konferenzraumes stehen. Ein ovaler
Tisch, aus dem Boden gewachsen, und zwölf Stühle mit hohen Lehnen in Form von Blättern des
Riesenbaumes bildeten den Mittelpunkt; die zwölf Sitzgelegenheiten symbolisierten die zwölf
Hauptprovinzen von Külä. Der Gönn, der hinter dem Tisch stand und Danog entgegenblickte, war groß,
größer als der Durchschnitt - ob er deshalb das Amt des Regierungschefs der Gönn innehat? fragte sich
Danog von Keltris, schämte sich aber sofort für diesen Gedankengang.
Gönn waren eine entfernt humanoide Spezies, schlank, durchweg zarter gegliedert und weit weniger
muskulös als beispielsweise die Menschen. In den schmalen Gesichtern saßen große runde Augen. Mit
durchschnittlich 1,80 Meter waren die männlichen Vertreter nicht viel größer als die Terraner. Den
durchweg 15 Zentimeter kleineren Frauen der Gönn konnte nach menschlichen Vorstellungen eine
gewisse ätherische Schönheit nicht abgesprochen werden, wie Carl Tanner Danog versichert hatte, der
sich als Fachmann für derartige Urteile empfahl.
Die Gönn lebten auf der von ihnen »Külä« genannten achten Welt im Achtundzwanzigplanetensystem der
M-Sonne Kimik. Ihr augenblicklicher Entwicklungsstand entsprach in etwa dem Tenas um das Jahr 2040
— allerdings ging ihre Entwicklung in eine völlig andere Richtung: Gönn waren geniale Manipulatoren des Lebens und benutzten anstelle von Maschinen genetisch veränderte
31 Pflanzen und Tiere, obwohl sie konventionelle Technik nicht grundsätzlich ablehnten, wenn sie sie für
ihre Zwecke nutzen konnten. Daneben waren sie hervorragende Zellforscher, äußerst bewandert in
biologischen Mutationen, und lebten in enger Symbiose mit der Natur. So gab es unter ihnen seit alters
her sogenannte »Baumsprecher«, die in der Lage waren, das Wachstum und die Formen der Bäume auf
Külä dahingehend zu manipulieren, daß Häuser, Siedlungen und ganze Städte binnen kürzester Zeit aus
dem Boden wuchsen.
Die Vorstellung war kurz. Gouverneur Kanoo blieb vor dem Tisch stehen und sagte:
»Prätendent Sidrox Grandel - Danog ut Keltris, Botschafter der Erde.«
Der Walfe hob die rechte Hand bis in Brusthöhe und drehte die Innenfläche nach außen. Die walfsche
Mimik ermöglichte so etwas wie ein menschliches Lächeln nicht. Danog hatte sich einmal darin versucht,
und die Reaktion darauf hatte ihm ein für alle Mal gereicht. Dennoch hoffte er, daß seiner Stimme eine
gewisse Freundlichkeit nicht abgesprochen werden konnte, als er sagte:
»Seien Sie mir gegrüßt im Namen Terras und seines Commanders Ren Dhark.«
»Ich begrüßen Sie ebenfalls«, drangen die klaren, verständlichen Worte des hochgewachsenen Gönn an
die Ohren des Walfen, »und biete Ihnen im Namen des Volkes von Külä ein Willkommen an. Gleichzeitig
bedaure ich den unerfreulichen Vorfall von vorhin und versichere Ihnen, daß ich den Verantwortlichen
dieser schändlichen Tat mit aller Strenge bestrafen werde.«
»Tsss, tsss!« zischelte Danog und wackelte leicht mit seinem grünblau geschuppten Kopf.
Gouverneur Kanoo und Grandel blickten einander an.
»Ich... ich verstehe nicht«, sagte der Prätendent.
»Der Bedienstete hat nur einen Befehl befolgt«, gab der Walfe bedeutungsvoll zu verstehen. »Es handelt
sich bei ihm nur um einen Verführten. Andere ziehen im Hintergrund die Fäden.«
»Um wen handelt es sich?«
»Prätendent«, sagte Danog, »wieviel wissen Sie über Ihren eigenen Geheimdienst?«
32 Er bedachte das Gorm-Oberhaupt mit einem starren Blick aus den senkrecht geschlitzten Pupillen. Grandel lächelte und erwiderte: »Alles, was man wissen muß.«
»Das heißt, Sie wissen nichts«, stellte Danog fest, »wie unzählige andere Staatsoberhäupter in der Galaxis
auch.«
Grandeis Lächeln machte innerhalb einer Viertelsekunde einem Ausdruck Platz, als sei er in einen
vergifteten Dom mit Widerhaken getreten. »Sie meinen...?«
»Genau das meine ich.«
»Nein!« Grandel schnappte kurz nach Luft. »Xanax ist einer meiner loyalsten Männer. Er würde niemals
die Hand beißen, die ihm Samen streut. Sie müssen sich irren, Botschafter.«
Danog warf einen Blick auf Gouverneur Kanoo, um dessen Reaktion zu erfahren. Der Stellvertreter des
Regierungschefs schaute ihn eine kleine Zeiteinheit lang so an, als wollte er etwas Bedeutendes erwidern,
entschied sich aber im letzten Moment dafür, doch zu schweigen.
»Ich irre mich nicht«, erwiderte Danog schlicht. »Aber wir können ja die Probe aufs Exempel machen.
Rufen Sie Ihren Geheimdienstchef herbei, erwähnen Sie jedoch mit keiner Silbe, daß wir der Orak-
Pflanze entkommen sind.«
Grandel blinzelte über das Ansinnen des Botschafters, dachte über das Gesagte nach und meinte: »Finden
Sie, daß das eine praktikable Idee ist?«
Danog lächelte innerlich über die offenkundige Verwirrung des Regierungschefs der Gönn.
»Vertrauen Sie mir. Ich weiß, was ich tue.«
»In Ordnung. Aber Sie werden sehen, daß Sie mit Ihren Vermutungen falsch liegen.« Sidrox Grandel
klatschte in die Hände und erteilte den herbeieilenden Dienern Befehle.
Da auch die Famakh-Zentrale in der Residenz ihren Sitz hatte, dauerte es nur Minuten, bis Xanax9
Kommen von den Dienern des Regenten angekündigt wurde.
Danog hatte sich zwischen die Wandbehänge zurückgezogen und beobachtete aus diesem Versteck heraus
den Auftritt des Geheimdienstchefs.
Es war Teil seines Plans; Xanax sollte sich in Sicherheit wiegen.
33 Um so größer würde seine Überraschung werden.
Überraschungen aber verleiteten immer zu unüberlegten Handlungen.
Der Geheimdienstchef kam nicht allein. Eine Eskorte dunkel gekleideter Palastwachen begleitete ihn. Sie
nahmen links und rechts entlang der Wände Aufstellung.
Xanax, der als Gönn nicht übermäßig groß schien - vermutlich achtete Sidrox Grandel peinlich darauf,
daß ihn niemand innerhalb seines Stabes an körperlicher Größe überragte - war eine düstere Erscheinung.
Alles an ihm war schwarz, Haare, Augen, Brauen, die Kleidung. Selbst die Haut schien dunkler als üblich.
Merkwürdig, durchzuckte es den Walfen, me sich die Bilder gleichen. Männer, die mit Gewalt zu tun
hatten oder sie ausübten, wirkten zu allen Zeiten und an allen Orten finster.
»Was wollt Ihr, Xanax?« zeigte sich Grandel erstaunt, ganz so, wie ihm Danog geraten hatte.
Noch schöpfte Xanax keinen Verdacht.
»Ihr habt nach mir rufen lassen, Regent. Hier bin ich, folgte Eu-rem Ansinnen unverzüglich. Aber«, er
blickte forschend umher, »wo sind die feindlichen Kreaturen, deren Ableben ich untersuchen soll?
Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß eine Orak-Pflanze Verwertbares von ihnen hinterlassen haben
könnte.«
»Orak-Pflanze? Ich verstehe nicht...« Sidrox Grandel zeigte sich verwundert.
»Hören Sie auf, Regent«, sagte Xanax etwas nervös. »Sie wissen, wovon ich spreche.«
»Nein, das weiß ich nicht. Es wurde keine Orak-Pflanze erwähnt, als meine Diener Euch meinen Wunsch
überbrachten, hier zu erscheinen.«
»Nein?« Xanax9 Augenbrauen schoben sich zusammen. Zum ersten Mal huschte eine Spur von
Unsicherheit über das Gesicht des Gönn.
»Nein«, erklang eine Stimme, die einen etwas künstlichen Klang aufwies, weil sie einem Übersetzer
entsTarnmte.
Xanax drehte sich langsam um.
Die Wandbehänge gerieten in Bewegung. Eine kräftige Hand schlug sie knallend zurück, und Xanax sah
mit zusammengeknif
34 fenen Augen eine gedrungene Echsengestalt in einem grellbunten, weitfallenden Gewand auf sich
zukommen.
»Dir?!« zischte er, als er des terranischen Botschafters ansichtig wurde, und seine dunkle Haut bekam
einen Stich ins Fahle. »Da jimtujjigni gumrukhfun-duq!« stieß er hervor.
»Was bedeutet das?« fragte Danog Gouverneur Kanoo, als sein Übersetzer schwieg.
Kanoo zeigte sich verlegen. »Es - nun - hmm - die Quintessenz seiner Worte ist, daß man besser alles
selbst in die Hand nehmen sollte, anstatt sich auf Unfähige zu verlassen.«
Danog war sicher, daß da noch etwas anderes war, aber er verschob die Aufklärung auf einen späteren
Zeitpunkt.
»Dir habt Euch eben selbst um Kopf und Kragen gebracht, Xanax«, stellte Grandel nicht ohne
Zufriedenheit fest. »Euer Handlanger ist in Gewahrsam, die Terraner leben, ebenso die Astronauten und,
was mich mit besonderer Genugtuung erfüllt, nicht zuletzt der Botschafter...«
»Aber nicht mehr lange!« unterbrach Xanax seinen Regenten brüsk und richtete eine Waffe auf Danog ut
Keltris.
Sie sah in der Hand des Gönn ein wenig lächerlich aus, mehr wie ein Stück künstlerisch bearbeitetes
Wurzelholz, tauglich als Skulptur auf dem Arbeitstisch eines feinsinnigen Politikers.
Aber wie Danog im Nachhinein erfuhr, handelte es sich tatsächlich um eine äußerst perfide und höchst
effektive Waffe, die mittels Gasentladung eisenharte Samenkörner verschoß, welche absolut tödlich
waren.
»Kreatur«, grollte Xanax, »ich werde jetzt vollenden, was mein nichtsnutziger Gumrukh von Mitarbeiter
nicht geschafft hat.«
»Mäßigt Euch, Xanax!« erhob der Regent erbost seine Stimme. »Der Botschafter von den Sternen steht
unter meinem persönlichen Schutz. Ihn in meiner Gegenwart zu entleiben...« Hoppla, dachte Danog, »...
würde schwerwiegende Konsequenzen für Euch nach sich ziehen.«
Xanax zeigte sich jedoch wenig beeindruckt, machte zwei, drei Schritte auf Danog zu, der ihm unter
sträflicher Mißachtung der drohenden Gefahr ebenfalls entgegenkam.
Sidrox Grandel hielt die Luft an. Gouverneur Kanoo wirkte
35 bleich und verunsichert, rohe Gewalt schien ihm körperliche Pein zu bereiten. Danog machte einen weiteren Schritt, streckte eine Klaue aus. Xanax blies die Nasenflügel auf... und senkte die Hand mit der Waffe. Dann ließ er sie achtlos fallen, setzte sich schwer auf einen Stuhl und stützte den Kopf in die Hand. Seine Wangen zuckten. Zum ersten Mal huschte eine Spur von Verwunderung über seine Züge. »Was ist nur in mich gefahren?« murmelte er mit dumpfer Stimme. »Sie haben sich verleiten lassen«, stellte Danog ruhig fest, »von einer Angst, die mit einem Wechsel der Verhältnisse einhergeht und nur allzu natürlich ist. Alles Neue, Ungewohnte, Fremde ist zunächst einmal beängstigend. Die Erkenntnis, daß die Galaxis voll ist von Zivilisationen, die vielleicht nicht immer Gutes im Sinn haben, kann einem schon zusetzen. Dazu die Erfahrungen aus Ihrer Vergangenheit mit den blauen Teufeln. Glauben Sie mir, ich verstehe Sie. Doch seien Sie versichert, die Terraner, die als Bot schafter zu repräsentieren ich die Ehre habe, sind keine Feinde der Gönn. Unser Besuch dient dem ersten Kennenlernen. Daraus können Sie ersehen, daß die Gönn keiner wie auch immer gearteten Gefahr ausgesetzt sind. Auch keiner mittelbaren in näherer Zukunft.« »Und die Frage, ob wir damit einverstanden sind, erscheint Ihnen wohl überflüssig?« erkundigte sich Xanax. »Nein, aber die Befindlichkeiten einiger weniger sind nachran-gig, wenn die Mehrheit gegenteiliger Meinung ist. Das ist einer der Grundsätze aller Demokratie. Der Kontakt und die Zusammenarbeit zwischen den Menschen und Ihrem Volk kann und wird äußerst befruchtend sein, zum Wohl der Gönn und - natürlich - auch der Menschheit. Die weitere Zukunft ist keine Einbahnstraße, sondern wird geprägt sein von einem kontinuierlichen Geben und Empfangen.« »Jetzt, wo Sie es sagen, erscheint es mir plausibel«, ließ sich Xanax vernehmen. »Jetzt, wo es zu spät ist für mich.« Er erhob sich, stand hochaufgerichtet da, dunkel, düster, aber weit weniger drohend als zu Beginn seines Erscheinens. Er wandte sich Grandel 36 und den Wächtern von Recht und Gesetz zu. »Ich erwarte meine Strafe.« Die Ordnungshüter sahen unschlüssig von Sidrox Grandel zu Kanoo. Offenbar warteten sie darauf, daß einer der beiden die Initiative ergriff und ihnen sagte, was sie tun sollten. »Kerkert ihn ein!« befahl der Regent schließlich und deutete mit dem Kinn in Xanax9 Richtung, »er hat verdient, auf dem Hauptplatz unserer Stadt die Zeit bis zu seinem Ableben im Käfig zu verbringen. Als weithin sichtbares Zeichen seiner Verfehlungen -und als Mahnung für jeden Gorm, nicht in seine Fußstapfen zu treten.« Danog machte eine Handbewegung. »Das ist nicht Ihre wirkliche Meinung, Regent«, sagte er. »Sie werden nichts in dieser Richtung tun.« »Gewiß ist das...« setzte der Prätendent an, um dann mit gerunzelter Stirn statt dessen unerklärlicherweise zu vollenden, »nicht meine Meinung.« Er zog die Schultern nach vom, als Ausdruck seiner Verwunderung über das, was er gesagt hatte. Waren das tatsächlich seine Worte gewesen? Es mußte wohl so sein. Egal. Er wandte sich Danog zu. »Was schlagt Dir vor, Botschafter? Bestimmt selbst die Schwere der Bestrafung für die Verfehlungen meines Geheimdienstchefs und des Dieners, der Euch und den anderen nach dem Leben trachtete.« »Laßt sie gehen«, schlug Danog vor. »Beide haben ihre Fehler eingesehen und sind - das glaube ich mit Sicherheit behaupten zu können - bekehrt. Was ist schon groß passiert? Niemand kam ernsthaft zu
Schaden. Oder habt Dir Einwände?«
Sidrox Grandel runzelte die Stirn, suchte nach einer entsprechenden Entgegnung.
»Ich habe keine Einwände, Botschafter«, sagte er ein wenig widerstrebend.
Warum nur konnte er sich in Gegenwart des seltsamen Diplomaten eigentlich zu keiner wirklichen
Bestrafung der Delinquenten aufraffen?
»Eine weise Entscheidung«, ließ ihm Danog wissen. »Würdig
37 eines echten Herrschers. Und nun laßt Euren Entscheidungen Taten folgen.«
»Wie? Oh, natürlich. Kanoo, übernehmt das. Handelt in meinem Namen.«
Während Gouverneur Kanoo die ihm übertragene Macht in vollen Zügen zu gebrauchen gedachte und
schon mal die Wächter und Xanax aus dem Konferenzraum scheuchte, ehe er ihnen mit wehendem
Gewand hinterhereilte, wandte sich Sidrox Grandel an seinen fremdartigen Gast.
»Wißt Ihr, Botschafter«, bekannte er mit einem anerkennenden Ausdruck auf seinen Zügen, »daß ich Eure
diplomatischen Fähigkeiten auf das äußerste schätze? Ihr werdet es auf dem glatten und überaus
unsicheren Parkett der Diplomatie einmal sehr weit bringen. Denkt an meine Worte. Gäbe es auf jeder
Welt des Universums walfsche Diplomaten, Botschafter wie Sie einer sind, dann würden Kriege der
Vergangenheit angehören.«
Danog ut Keltris wechselte die Farbe. Sein normalerweise grünlich-blau schimmernder Knochenkamm
auf dem Schädel verfärbte sich ins Aschgraue.
»Das mag so sein«, bekannte er mit schleppender Stimme, »dennoch wird es nie geschehen.«
»Und weshalb nicht?« zeigte sich der Regierungschef von Külä erstaunt.
»Sie erlauben, daß ich mich zurückziehe, Prätendent«, bat Danog, ohne auf Grandeis Bemerkungen
einzugehen. »Ich fühle mich nun doch ein wenig erschöpft.«
»Aber gewiß doch, Botschafter. Verzeihen Sie mir meine Unbedachtheit - dennoch, was halten Sie von
meinem Vorschlag eines galaxisweiten Einsatzes walfscher Diplomaten?«
»Nichts«, sagte Danog und verabschiedete sich.
»Und weshalb nicht?« rief ihm Sidrox Grandel konsterniert hinterher.
»Weil«, Danog verhielt noch einmal seine Schritte und wandte sich halb über die Schulter zurück, »ich
der letzte aller Walfen bin. Mein Volk existiert nicht mehr...«
38 Danog saß mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt auf seiner Liege. Er hatte die Beine hochgezogen und umschlang mit seinen kräftigen Armen die noch kräftigeren Beine. Er trug lediglich einen sehr farbenfrohen, kurzen Umhang und ließ in Gedanken die Ereignisse des gestrigen Tages auf dem Empfang des gormschen Regierungspräsidenten Revue passieren. Er war zufrieden mit sich. Nicht ohne Stolz war er der Meinung, eine für alle Seiten akzeptable Lösung eines Problems gefunden zu haben, das sich bei Nichtbeachtung zu einer Krise in naher Zukunft hätte auswachsen können. Sein Blick wanderte zum Fenster. Draußen herrschte ein strahlender Morgen. Die melodischen Laute der gefiederten Baumbewohner erfüllten die reine Luft mit ihrem Gesang. Nach dem wenigen, was er bisher gesehen hatte, war Külä ein schöner Ort. Mit blauen Meeren, grünen Inseln, hohen Bergen. Natürlich war die Welt der Gönn nicht mit Walf zu vergleichen, aber, so gestand sich Danog seufzend ein, das war kein Ort in der ganzen Galaxis. Danog erlaubte sich seine tägliche Portion Weltschmerz, als ihn ein Summton aus seinen Gedanken riß. Er wandte den Blick. Eine gallertartige, an eine gerahmte Qualle erinnernde Anzeige neben der Tür machte deutlich, daß jemand die Räumlichkeiten des Botschafters zu betreten wünschte und zeigte auch gleich ein Bild des Besuchers. Ein Gönn, von dem Danog sicher war, daß er ihn noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Auch nicht auf dem gestrigen Empfang. Er warf sich einen langen Morgenmantel über, ging in den Wohnraum und gab eine Bestätigung ab, damit der Gast eintreten konnte. Die Außentür zur Galerie öffnete sich. Der Gönn trat ein. »Seid gegrüßt, Botschafter« signalisierte der Besucher. Danogs Translator sorgte dafür, daß die gormsche Sprache in für ihn verständliche Laute umgewandelt wurden. »Ich bin Germon, ein Wissenschaftler.« Er maß Danog mit schnellen Blicken, als nähme er 39 Maß für irgend etwas, an das der Walfe besser nicht dachte.
»Seien Sie mir gegrüßt, Wissenschaftler Germon«, erwiderte Danog und dachte bei sich, daß er in
allernächster Zukunft vorrangig die Sprache der Gönn lernen mußte, um diese doch etwas unpersönliche Distanz zu überwinden, die der Translator erzeugte. Er deutete auf eine der Sitzschalen. »Nehmt Platz. Was kann ich für Euch tun?« Germon setzte sich. Er schien in Eile, kam ohne Umschweife sofort zur Sache: »Es ist wohl eher so«, ließ er verlauten, nachdem auch Danog saß, »daß ich etwas für Euch tun kann - und das auch tun möchte, wenn Ihr Euch einverstanden erklärt.« Danog schnaubte etwas verdutzt. »Klärt mich auf, verehrter Besucher?« »Das will ich wohl tun«, begann Germon und eröffnete dem Botschafter in dürren Worten, daß ihn der Regierungschef gebeten habe, sich um die Beseitigung von Danog ut Keltris' größtem Problem zu kümmern. »Und das wäre welches?« zeigte sich Danog verwundert und gleichermaßen ein wenig beunruhigt von dem Elan des Wissenschaftlers. »Wie Euch bekannt ist, Botschafter, sind wir Gorm recht geschickt im Umgang mit Genmanipulationen. Unter unseren Spezialisten bin ich, das kann ich in aller Bescheidenheit sagen, der angesehenste. Ich habe mich mit meinen Kollegen ausgetauscht und ihnen das Problem geschildert. Und wir sind einhellig zu der Auffassung gelangt, daß es mit unserem Stand der Biotechnologie möglich wäre, das Volk der Walfen neu zu zu...« er räusperte sich, »neu entstehen zu lassen. Ehe Sie mir danken, muß ich Sie darauf hinweisen, daß es dazu langwieriger und ausgedehnter Untersuchungen bedarf, die wir Ihnen leider nicht ersparen können.« »Tss...tkk.« Von der Wortflut des Wissenschaftlers noch immer leicht überfahren, saß Danog nur da und versuchte, seine wirbelnden Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Seine Schuppen auf dem Knochenkamm zwischen den Nasenöffnungen sträubten sich. »Ich«, begann er und zuckte erschrocken zusammen, als der genialste Gen-Kreator der Gorm wie von einem 40 Wokakäfer in die Sitzfläche gebissen aufsprang, zur Tür eilte und mit einem »Gut, macht einen Termin mit meinem Labor aus - wir sehen uns dann!« so rasch verschwand, wie er aufgetaucht war. Er ließ einen sehr nachdenklichen Walfen zurück.
41
3. Mun Gowan war ein erfahrener, mit allen Wassern gewaschener Nahkämpfer. Wenn er jemanden mit einer Strahlenpistole bedrohte, behielt er normalerweise einen angemessenen Sicherheitsabstand bei, um eventuellen Gegenangriffen vorzubeugen. Normalerweise. Aber was war schon normal an einem Tel, der ein Femsteuer-sensorium trug? Der sein Umfeld gewissermaßen durch fremde Augen wahrnahm, statt durch seine eigenen... Bevor der Erste Offizier richtig begriff, was geschah, hatte ihn Kon Azir mit einem schnellen Tritt entwaffnet. Ohne Sensorium hätte Gowan den gestellten Flüchtling niemals so nahe an sich herankommen lassen. Doch das Ding auf dem Kopf schränkte sein Denkvermögen beträchtlich ein, was sich auch auf seine körperlichen Reaktionen auswirkte. Mit einem raschen Griff riß ihm Azir das Sensorium herunter. Der Soldat verstand allmählich, wie er es beim Schußwechsel in der Krankenstation überhaupt geschafft hatte, mit zwei Gegnern gleichzeitig fertigzuwerden. Seine beiden getöteten Kameraden waren nicht voll einsatzfähig gewesen. Die Femsteuerung hatte ihre kämpferischen Fähigkeiten erheblich behindert. Traf das auch auf die unter fremder Kontrolle stehenden Roboter zu? Zwar trugen sie kein Sensorium, aber sie wurden auf irgendeine Weise von den Rebellen beeinflußt. Wirkte sich das negativ auf ihre technischen Befähigungen aus? Bisher hatte Kon Azir nur eine minimale Chance gesehen, den Todesflug der DRAKHON ohne Hilfe von außen zu stoppen. Falls sich jedoch herausstellte, daß die femgesteuerten Tel und Roboter nicht voll einsatzfähig waren, schaffte er es vielleicht, die Gefangenen zu befreien und mit deren Unterstützung die Kommando 42 zentrale zurückzuerobern.
... mit deren Unterstützung, wiederholte er in Gedanken.
Für einen Augenblick war er sich wie der Kapitän des Schiffs vorgekommen. Aber waren erst einmal die
Gefangenen wieder frei, würde Gal Trenk oder irgendein hoher Offizier das Kommando übernehmen, und
Kon würde als kleiner Soldat zurückkehren ins Glied.
Mun Gowan lehnte m sich zusammengesunken an der Wand, mehr tot als lebendig. Seine Augen waren
geöffnet, doch sie schienen nichts zu sehen. Mit leerem Blick starrte der erste Offizier durch Kon Azir,
der nachdenklich das Sensorium in der Hand hielt, regelrecht hindurch.
Dem Soldaten war der lobotomisierte Mann unheimlich. Ihn plagte das Gewissen. Tel waren es nicht
gewohnt, derart respektlos mit ranghohen Vorgesetzten umzuspringen.
Was hatte er getan? Würde Gowan jemals wieder gesund werden?
Mit zitternden Händen setzte Kon Azir dem Brückenoffizier das Sensorium wieder auf. Die Waffe nahm
er vorsichtshalber an sich.
Mun Gowan richtete sich kerzengerade auf. Sein Kopf drehte sich in Azirs Richtung.
Ohne Vorwarnung griff der Offizier den Soldaten an, ungeachtet der Waffe in Kons Hand. Kon wagte es
nicht zu schießen. Er wollte sein Gewissen nicht noch mehr belasten; der Tod von Otock und Firri machte
ihm schon genug zu schaffen.
Gowans Hände legten sich um Azirs Hals. Azir holte aus und schlug hart zu. Sein Fausthieb riß dem
Stellvertreter des Kommandanten das Sensorium erneut vom Kopf. Es fiel zu Boden.
Augenblicklich ließ Gowan Kon Azir los und verfiel wieder in einen lethargischen Zustand.
Azir trat mehrfach mit dem Fuß auf das Sensorium. Erst als es in Einzelteilen vor ihm lag, ließ er davon
ab. Das Gerät konnte nun keinen Schaden mehr anrichten. Wäre es nach Kon gegangen, hätte man
sämtliche Sensorien auf der Welt längst zerschreddert...
»... und die Erfinder gleich mit dazu!« bemerkte er grimmig.
Mun Gowan tat ihm leid. Mit jeder Minute die verging, schien der Erste geistig immer mehr zu verfallen.
Aber Kon konnte nichts
43 für ihn tun, gar nichts. Ohne daß ihn jemand aufhielt, betrat er Hangar vier.
Bald darauf nahm Kon Azir in der Zentrale eines Fünfundzwanzigmeterbeibootes Platz. Von seiner Ausbildung her wußte er, wie die Kommandobrücke des Schiffes aufgebaut war. Hier drinnen sah es ähnlich aus, allerdings war alles wesentlich kleiner und konzentrierter. Aus Platzgründen waren einzelne Bereiche im Cockpit zusammengefaßt worden. Waffensteuerung, Funk, Navigation - alles befand sich in Griffnähe des Piloten, der sozusagen sein eigener Chef war. Der Pilot bestimmte die Flugrichtung, kommunizierte mit wem er wollte und setzte die leichten Geschütze ein, wann immer er es für richtig hielt. Auf dem Hauptschiff war das anders. Selbst während der Alarmübungen durfte Azir nur einen bestimmten Bereich der Waffensteuerung betreten, und bei der Bedienung der schweren Bordgeschütze stand er ständig unter der gestrengen Beobachtung seiner direkten Vorgesetzten. Kon war nur das ausführende Organ, die Befehle gaben andere. Und über allem stand der »große Bruder« auf der Kommandobrücke. Wenn von dort aus die komplette Waffensteuerung blockiert wurde, lief gar nichts mehr. Dann saßen die Soldaten tatenlos vor den ihnen zugewiesenen Schaltpulten und warteten auf weitere Anweisungen, wie es ihrem Dienstrang entsprach. Bisher war die DRAKHON noch in keine reale Raumschlacht verwickelt worden. Die Mannschaft war so neu wie das Schiff und mußte sich erst aufeinander einspielen. Das bedeutete jedoch nicht, daß die militärischen Übungen lax durchgeführt wurden. Alle an Bord wußten, daß der Ernstfall jederzeit eintreten konnte, und gaben daher immer ihr Bestes. Etwas anderes kam für einen Tel auch gar nicht in Frage. Kon Azir war an seinem angesTarnmten Platz in der Waffensteuerung gut aufgehoben, doch im Notfall konnte man ihn, wie jeden guten Soldaten, auch anderswo einsetzen. Zum Beispiel in 44 der Funkzentrale. Als Klimatechniker verfügte er zwar nicht über das Wissen eines ausgebildeten
Funkers, doch um den Hyperfunk zu bedienen, brauchte man keine spezifischen Kenntnisse.
Noch zögerte er, die Bootsfunkanlage einzuschalten. Kon befürchtete, die Rebellen durch den Notruf zu
früh auf sich aufmerksam zu machen. Falls sie seinen derzeitigen Standort noch nicht ausgemacht hatten,
konnte er sich hier ein wenig erholen und sein weiteres Vorgehen überdenken.
Bisher wußte er nur wenig über die Rebellenpläne, außer daß die DRAKHON unterwegs nach Terra war,
um dort die Hyperbombe abzuwerfen. Weitere Einzelheiten kannte er nicht, er wußte nicht einmal, welche
Koordinaten das Schiff augenblicklich befuhr.
Azir fuhr den Navigationsrechner des Beibootes hoch. Es kostete ihn nur wenig Mühe, sich als stiller
Beobachter in die Schiffsnavigation einzuklinken. Beeinflussen oder stören konnte er den Flugverlauf von
hier aus nicht, doch zumindest hatte er Zugang zu allen erforderlichen Daten.
Die DRAKHON stand vor der letzten Transition ins Sonnensystem der Terraner. Danach sollte unter
Tarnschutz ein Präzisions-anflug an die Erde erfolgen, ganz dicht heran an den globalen Schutzschirm.
Abschließend war ein kurzer Sprung durch den Nogk-Schirm geplant.
Über die Flucht des Raumschiffs nach dem Bombenabwurf erfuhr Kon Azir nichts - so als ob eine
Rückkehr überhaupt nicht vorgesehen war.
... überhaupt nicht vorgesehen ...
Schlagartig wurde dem Tel-Soldaten klar, daß er soeben auf des Rätsels Lösung gestoßen war.
Die Rebellen hatten die Zerstörung des Doppelkugelraumers eiskalt mit eingeplant. Sie wollten die
DRAKHON opfern - und ihr eigenes Leben!
Ihr eigenes Leben? Hielten sie sich überhaupt auf der DRAKHON auf? Oder beobachteten sie das Inferno
aus der Feme, von einem sicheren »Logenplatz« aus?
Die geplante Zerstörung der DRAKHON sprach nicht zwangsläufig gegen die Anwesenheit von Rebellen
an Bord. In vielen Völkern der Milchstraße gab es selbsternannte Märtyrer, die zur
45 Durchsetzung ihrer politischen Ziele vor Selbstmordanschlägen nicht zurückschreckten, wobei es ihnen egal war, ob sie Soldaten oder Zivilisten töteten; selbst vor Frauen und unschuldigen Kindern machten sie nicht halt. In ihrem fanatischen Wahn waren sie sogar bereit, sich selber zu opfern - dann konnte man sie hinterher nicht mehr zur Rechenschaft ziehen. Was für ein Irrsinn! Azir erschauerte innerlich bei dem Gedanken, daß sich das Schiff vielleicht in der Gewalt verblendeter Selbstmordattentäter befand. Andererseits lag es ebensogut im Bereich des Möglichen, daß die Sensorienträger von einem anderen Schiff oder von einem Planeten oder Asteroiden aus gesteuert wurden. In diesem Fall befanden sich die Rebellen weit weg, wenn es im Sol-System krachte. Am Schicksal der DRAKHON-Besatzung änderte das nichts, sie war so oder so dem Tod geweiht. Und die Erde auch. Es hatte Zeiten gegeben, da hatten Terraner und Tel Raumschlachten gegeneinander geführt. Mittlerweile hatten beide Völker diplomatische Beziehungen zueinander aufgenommen. Es gab eine terranische Botschaft auf Cromar und eine telsche Botschaft auf Terra - was gewissen Rebellenführem, die ihre Macht und ihren Einfluß dahinschwinden sahen, ein Dom im Auge war. Fortwährend wiegelten sie ihre Gefolgsleute auf, erst gar keine Freundschaften zwischen Terranem und Tel aufkommen zu lassen. Aus dem Untergrund heraus führten sie Krieg gegen die Erde und gegen die eigene Regierung. Und jetzt hatten sie die DRAKHON in ihrer Hand! Mit einer übermächtigen Bombe an Bord. Und einer nahezu perfekten Tarn-vorrichtung. Die Regierung auf Cromar - acht Vankko, drei Vank und das allwissende Rechengehirn Kluis - war ständig bemüht, das Rebellenproblem zu bagatellisieren, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen. Nun bekam sie die Quittung für die Verharmlosung. Kon Azir machte sich keine großen Hoffnungen, Cromar jemals wiederzusehen. Verglichen mit dem Hauptplaneten des Telin-Imperiums war der Kolonialplanet, auf dem er aufgewachsen war, ein 46 Nichts. Aber hätte man ihn in diesem Moment gefragt, wo er jetzt lieber wäre, in seiner Geburtsheimat oder auf diesem Raumschiff, er hätte sich ohne lange nachzudenken gegen die DRAKHON entschieden. Besser ein lebendiger Niemand als ein toter Volksheld. Für einen Moment dachte er daran, sich zu ergeben... Als bewaffnete Roboter den Hangar betraten und mit ihren aktivierten Strahlengewehren auf das Boot zukamen, in dem er saß, dachte Kon keine Nanosekunde mehr an Aufgabe. Sein Überle benswille übernahm wieder die Führung.
Kon Azir war nicht sonderlich verwundert darüber, daß man ihn in Hangar vier aufgespürt hatte. Vermutlich hatte man ihn von der Kommandobrücke aus geortet. Oder er war von vornherein in eine Falle gelockt worden. Möglicherweise hatten ihm die Roboter nur deshalb freien Zugang zum Beiboothangar gewährt, weil er von hier nicht mehr wegkommen konnte. Kon fuhr die Waffensteuerung hoch. Kein halbwegs logisch denkender Soldat hätte aus einer solch ungünstigen Position heraus die Bordgeschütze eingesetzt. Die Beiboote im Hangar standen derart dicht beieinander, daß eine Gefährdung des Schützen nicht auszuschließen war. Doch Kons Denk- und Handlungsweise war nicht von Logik, sondern von Verzweiflung geprägt -- und ein verzweifelter Tel-Krieger war zu allem fähig! Gleich mit der ersten Strahlensalve fegte Azir drei Roboter von den Beinen. Der Rest der Angreifer verteilte sich rundum im Hangar und suchte Schutz hinter den anderen Booten. Scheinbar gingen die kühl kalkulierenden Robotrechnergehirne davon aus, daß der Raumsoldat es nicht wagen würde, mutwillig teures Militäreigentum zu beschädigen. Kon Azir waren die Materialschäden jedoch egal. Seine eigene Unversehrtheit war ihm wichtiger als die der Boote. Im übrigen waren auch die Roboter nichts weiter als lebloses Material, dessen Zerstörung einen erheblichen Kostenfaktor darstellte. Kein Grund für Kon, sich deshalb von ihnen umbringen zu lassen.
47 Nicht ein Roboter konnte sich vor ihm verstecken. Auf dem Bildschirm erschienen sie als leuchtende, bewegliche Punkte. Damit der Bootsrechner die Tel-Roboter als Feinde einstufte, hatte Azir bei der Eingabe einen militärischen Geheimcode verwendet, der nur im äußersten Notfall zur Anwendung kam - bei einem Roboteraufstand während eines Raumflugs. Bisher hatte man das für höchst unwahrscheinlich gehalten. Nun war der Ausnahmefall eingetreten. Hätte man Kon seinerzeit nicht der Schiffswaffensteuerung zugeteilt, wäre ihm der Code überhaupt nicht bekannt gewesen. In Zehntelsekundenschnelle gab der Rechner dem Schützen Empfehlungen zum effektivsten Einsatz der Bordgeschütze. Sogar eine Reihenfolge beim Anvisieren der Ziele wurde vorgeschlagen, die allerdings laufend wechselte, je nachdem, wo die Roboter gerade Stellung bezogen und wie nahe einige von ihnen ans Boot herankamen. Theoretisch hätte sich Azir bequem in seinem Sitz zurücklehnen und alles weitere der Waffenautomatik überlassen können. Aber der Bordrechner war so programmiert, daß er aus eigenem Antrieb nicht auf andere Tel-Beiboote feuerte. Kon blieb daher nichts arideres übrig, als die Geschütze manuell zu bedienen. Ohne Rücksicht auf Leib, Leben und Material Verlust ließ er es ordentlich krachen. Im Hangar brach die Hölle aus. Die Roboter brachten sich so gut es ging in Sicherheit. Die meisten kamen nicht weit. Zahlreiche Boote wurden von Fehlschüssen so schwer beschädigt, daß sie nur noch Schrottwert hatten. Azir kümmerte das nicht, er konzentrierte sich voll und ganz auf die Leuchtpunkte auf seinem Schirm, die er nach und nach zum Verlöschen brachte. Selbst als ein Beiboot in seiner unmittelbaren Nähe explodierte, hörte er nicht auf zu schießen. Solange die Außenhülle seines eigenen Kugelbootes standhielt, gab es für ihn keinen Grund, das Dauerfeuer einzustellen. Automatisch aufgeschaltete Dämmfelder und Löschanlagen verhinderten das Schlimmste. Rundum donnerte es aus allen Rohren. Azir, der sogar auf Flüchtende schoß, entging nichts. Dank des Bordbildschirms hatte er gewissermaßen auch hinten Augen. 48 Der Lärm, den das Geschützfeuer, die Einschläge und die Explosion verursachten, hätte Tote erwecken können. Im gesamten Raumschiff wurde man darauf aufmerksam, auch in Hangar zwei, wo die Gefangenen ausharrten. Dort hatte man sich fast schon aufgegeben, nun keimte neue Hoffnung auf. Die Wachen hatten Mühe, die aufgeregte Menge im Zaum zu halten. In Hangar vier brannte es an mehreren Stellen. Glücklicherweise bekam die automatische Löschvorrichtung die Flammen in den Griff, sonst wäre Kon Azir bei lebendigem Leib geröstet worden. Inzwischen hatte er die angreifenden Roboter auf zwei dezimiert, die sich als besonders wendig erwiesen. Sie schienen Zeit rausschinden zu wollen. Offenbar rechneten sie mit Verstärkung. Kon entschloß sich, auszusteigen und mit Gowans Strahlenpistole Jagd auf die beiden zu machen. Er hatte nichts zu verlieren und war zu allem entschlossen. Hektisch betätigte er den Öffnungsmechanismus für das Einstiegsschott... Ein fataler Fehler, wie ihm im selben Augenblick bewußt wurde. Draußen herrschte ein Strahleninfemo sondergleichen - und er trug keinen Schutzanzug. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung hatten die Techniker beim Bau der Boote an alles gedacht. Der Schottmechanismus wurde blockiert, und ein Warnsignal ertönte. Erst nach Eingabe eines mehrstelligen Codes, der auf dem Bildschirm erschien, würde die Freigabe erfolgen. Kon Azir verzichtete und begab sich nach hinten ins Borddepot. Um zu verhindern, daß die beiden Roboter sein schon leicht lädiertes Kugelboot während seiner Abwesenheit enterten, betätigte er zuvor die Waffenautomatik. Im Depot fand er, was er sich erhofft hatte: verschiedene Arten von Waffen sowie einen hochwertigen Kampf anzug, der mit einem Schutzschirm ausgestattet war. Das vergrößerte seine Chance, sich den Weg freizukämpfen. Während er in den Anzug stieg, schimpfte er sich selbst einen Dummkopf, weil er vorhin für einen Moment daran gedacht hatte, auszusteigen und mit nur einer einzigen Handfeuerwaffe den Kampf gegen zwei weitaus stärkere Gegner aufzunehmen. Selbst wenn der Hangar nicht verstrahlt wäre (was den Robotern nichts 49 ausmachte), hätte er die ungleiche Auseinandersetzung niemals gewinnen können.
Dank des Schutzanzugs und des Waffenarsenals waren seine Aussichten nun enorm gestiegen. Kon traute
sich zu, es mit einer ganzen Armee aufzunehmen.
In einem Metallschrank hingen mehrere Allzweckgürtel, die ihm überaus nützlich erschienen. Einen
davon nahm er heraus und band ihn sich um.
Als er wieder in die Zentrale zurückkam, leuchtete nur noch ein Punkt auf dem Bildschirm. Die
Geschützautomatik hatte sich des vorletzten Roboters entledigt. Verstärkung war noch keine eingetroffen,
was sich aber jeden Augenblick ändern konnte.
Azir öffnete das Schott und stieg aus.
Die Meßgeräte zeigten einen kontinuierlichen Abbau der Strahlenverseuchung an. Noch war es allerdings
zu heiß in der Halle, um dort ohne Schutzanzug herumzulaufen.
Am anderen Ende des Hangars lagerten mehrere Schwebeplatten. Mittels einer Fembedienung, die
griffbereit in der Bootszentrale lag, aktivierte Kon eine der Platten und holte sie heran.
Der letzte Roboter lauerte hinter einem zerstörten Kugelboot und registrierte das Geschehen. Sein
Strahlengewehr hatte er eingebüßt, doch zum Liquidieren von verletzbaren Lebewesen reichte die leichte
Waffe in seiner Hand völlig aus.
Kon lud sämtliche Waffen aus dem Depot auf die Schwebeplatte. Aus dem Augenwinkel heraus
beobachtete er jede Bewegung des Roboters, der auf eine günstige Gelegenheit zu warten schien.
Bevor er sein schützendes Boot endgültig verließ, wandte sich Kon noch einmal dem Schaltpult zu. Er
wirkte ein wenig zerstreut, als er leichtsinnigerweise die Außenbordwaffenautomatik deaktivierte.
Anschließend schaltete er die Funkanlage ein und sandte einen Notruf aus...
Wollte er jedenfalls, doch es funktionierte nicht. Der gesamte Hyperfunkbereich war blockiert.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen stellte Kon Azir fest, daß die DRAKHON offenbar ein
Dauersignal empfing, welches für die Funkblockade verantwortlich war. Von wo das Signal gesendet
50 wurde, konnte er nicht herausfinden. Sein Wissen über Hyperfünk-sender war nur mäßig, schließlich war er in erster Linie Klüna-techniker. Kon überlegte, ob die Roboter an Bord möglicherweise von dem gleichen Signal gesteuert wurden. Oder aber sie standen unter dem Einfluß eines anderen Signals, das einen wichtigen Teil ihrer Pro grammierungen überlagerte. Zumindest war das eine halbwegs logische Erklärung für ihre Meuterei. Der Soldat gab seine Bemühungen auf und wandte sich zum Ausstiegsschott um. Erschrocken zuckte er zusammen. Der übriggebliebene Roboter war im Begriff, ins Boot zu steigen. Mit dem gedankenlosen Ausschalten der Geschützautomatik hatte Kon ihm den Weg freigemacht. Im Allzweckgürtel steckte Gowans Strahlenpistole. Kon griff danach, viel zu langsam. Die leichte Verstauchung seiner rechten Hand machte ihm zu schaffen. Der Roboter war wesentlich schneller. Ein gleißender Energiestrahl aus seiner Handfeuerwaffe traf den Tel in Brusthöhe.
Der Strahl aus der Handfeuerwaffe des Roboters prallte an Kon Azirs Schutzschirm, der sich bei Gefahr selbsttätig aktivierte, wirkungslos ab. Wäre eine energiestärkere Waffe eingesetzt worden, hätte der Anzugträger den Angriff nicht überlebt, schon gar nicht auf diese Distanz. Auch ein punktgenauer, länger anhaltender Beschuß konnte den Schirm zum Absturz bringen. So viel Zeit ließ Kon dem Roboter allerdings nicht. Er streckte ihn mit einem Strahlenstakkato nieder. Klein, aber gemein - hinter Kons vermeintlichem Leichtsinn steckte Methode. Der einfallsreiche Raumsoldat hatte die Geschützautomatik nicht aus Gedankenlosigkeit abgestellt, sondern mit voller Absicht. Damit hatte er den Roboter zum Boot gelockt. Kon Azir hielt nicht viel davon, hinter etwas herzujagen, das genauso gut zu ihm kommen konnte. Innerhalb seines Allzweckgürtels befand sich ein Drahtseil, das er ein paar Meter ausrollte. Das Seilende befestigte er an der
51 schwerbeladenen Schwebeplatte. Dann stieg er aus dem Boot und zog die Platte am Seil hinter sich her. Um nicht dem Verstärkungstrupp in die Arme zu laufen, verließ er den Hangar durch ein Tor, das nach nebenan in den Rettungstunnel führte. Der Torrahmen hatte sich durch die Hitze etwas verzogen, trotzdem ließ es sich ohne Schwierigkeiten öffnen und wieder schließen. Im Tunnel, der von verschiedenen Zugängen aus erreichbar war, standen hintereinander mehrere röhrenförmige Rettungsboote auf einer speziellen Startrampe. In den Booten war Platz für die gesamte Besatzung der DRAKHON, wenn auch auf beengtem Raum. Im Fall einer Notevakuierung wußte jeder Soldat, jeder Offizier, wo sich sein Sitz befand - der Fall der Fälle war oft genug geübt worden. Bei Aktivierung des Startsignals wurden die Rettungsboote nacheinander mit hoher Geschwindigkeit aus dem Raumschiff geschossen. Eile war bei einer Evakuierung das höchste Gebot. Für einen Sicherheitscheck blieb keine Zeit mehr, und wer nicht pünktlich im Rettungstunnel eintraf, mußte damit rechnen, zurückgelassen zu werden. Einzelschicksale zählten nicht viel im perfekt durchorganisierten Volk der Tel. Azir beabsichtigte, die Gefangenen zu befreien und sich mit ihnen nach hierher durchzukämpfen. Mit der nötigen Entschlossenheit und ganz viel Glück würde es ihnen vielleicht gelingen, rechtzeitig vor der Transition durch den Schirm die DRAKHON zu verlassen.
Terra rettete das leider nicht. Die Erde war zum Untergang verdammt, mitsamt allen Bewohnern. Nur die Menschen auf den ter-ranischen Kolonialplaneten würden übrigbleiben. Viele von ihnen würden ihre Angehörigen verlieren... Wieder einmal mußte Kon Azir an seinen Heimatplaneten denken. Sein Zuhause war ihm zu eng vorgekommen, zu idyllisch, zu langweilig. Daß er nach Cromar gegangen war, hatte seine Familie und seine Freunde sehr gekränkt. Doch er hatte ihre »provinziellen Bedenken« nur milde belächelt. Inzwischen bereute er seine Überheblichkeit zutiefst. Nicht einmal Ika Rave, mit der er eine Lebenspartnerschaft hatte 52 eingehen wollen, hatte ihn zum Bleiben bewegen können. Die bezaubernde Ika... Kon hatte ihr versprochen, den Kontakt zu ihr aufrechtzuerhalten - aber er hatte sich nie mehr bei ihr gemeldet. Wenn ich dieses Abenteuer lebend überstehe, nahm er sich fest vor, trete ich aus dem Raumflottendienst aus und kehre heim. Ich heirate Ika und übernehme das Geschäft meines Vaters, "wie er es sich immer von seinem einzigen Sohn gewünscht hat. Kon Azir war fest entschlossen, zu überleben - Ika und seiner Familie zuliebe. In seinem Kopf reifte ein gewagter Plan für die Befreiungsaktion.
Kommandant Gal Trenk war ein guter Beobachter. Ihm fiel auf, daß seine Bewacher laufend wechselten und daß sich die sensori-umtragenden Tel nach und nach gänzlich aus Hangar zwei zurückzogen. Bald paßten nur noch Tel-Roboter auf die Gefangenen auf. »Scheinbar läuft nicht alles nach Plan«, raunte der Wer seinem Cheffunker zu, der in seiner Nähe Platz genommen hatte. »Irgend etwas oder irgend jemand sorgt auf dem Schiff für Unruhe.« Ata Xaja stimmte ihm zu. »Vielleicht wird die DRAKHON angegriffen, und die Rebellen benötigen die femgesteuerten Tel zur Verteidigung. Oder die Sensorienträger versammeln sich zu einer Besprechung.« »Zu einer Besprechung? Die Femgesteuerten sind doch überhaupt nicht in der Lage, sich zu besprechen.« »Ihre Gehirnfunktionen sind sicherlich noch intakt, immerhin erteilen sie den Robotern Befehle.« »Nicht sie, sondern die Rebellen, von denen sie gelenkt werden. Würden wir sämtliche Sensorien zerstören, bekämen wir auch die Befehlsgewalt über unsere Maschinengeschöpfe wieder zurück.« Xaja bezweifelte das. »Ich schätze, die Roboter werden gesondert gesteuert. Zwar nehmen sie Anweisungen von den sensorium-tragenden Tel, beziehungsweise den Rebellen entgegen, doch das bedeutet nicht zwangsläufig, daß sie nach der Eliminierung aller Sensorienträger sofort wieder auf unsere Seite wechseln.« »Von einer Eliminierung war nie die Rede«, erwiderte der 53 Kommandant verärgert. »Im äußersten Notfall wird uns vielleicht nichts anderes übrigbleiben«, antwortete sein Cheffunker kühl. »Wenn es keinen Ausweg mehr gibt, muß man sich der Realität beugen. Wir Tel waren noch nie ein Volk von Selbstbetrügem. Es paßt mehr zu den Menschen, sich in aussichtslosen Situationen falsche Hoffnungen zu machen.« »Manchmal schadet es nichts, sich hier und da ein bißchen was von anderen Völkern abzugucken«, meinte Trenk, »auch wenn sie schwächer und weniger intelligent sind als wir. Doch darüber sollten wir zu einem besseren Zeitpunkt diskutieren. Jetzt ist es wichtiger, zu handeln. Ich bin nämlich nicht gewillt, den Rebellen kampflos mein Schiff zu überlassen. Es muß uns gelingen, die DRAKHON wieder in die Hand zu bekommen! Wir müssen hier ausbrechen und die Zentrale stürmen. Bestimmt verschanzen sich die Rebellen dort.« »Eventuell steuern sie das gesamte Schiff von einem fernen Ort aus, mitsamt Robotern und Sensoriumsträgem.« »Um so besser, dann wäre die Zentrale leer. Wir kappen die Verbindung zum Rebellenstützpunkt und bringen das Raumschiff wieder in unsere Gewalt.« Ein Roboter wurde auf das Zwiegespräch zwischen Kapitän und Funker aufmerksam und trieb sie mit Waffengewalt auseinander. Gal Trenk überlegte kurz, ihn anzugreifen, doch ein zweiter Roboter hielt ihn mit dem Strahlengewehr in Schach. Kurz darauf begaben sich die im Hangar befindlichen Roboter nach draußen. Bis auf Sechzehn. Die Robotfrau blieb allein zurück und ließ die Gefangenen nicht aus den Sensoren. Das war auch notwendig, denn das Tor stand momentan weit offen. Die Wachroboter versammelten sich draußen vor dem Eingang zum Hangar, weil dort etwas Ungewöhnliches passierte. Eine Schwebeplatte näherte sich in gemächlichem Flug. Obendrauf türmten sich Massen von Waffen. Die Programmgehirne der Roboter hatten Schwierigkeiten, die merkwürdige Situation zu analysieren. Ihnen war nicht mitgeteilt worden, daß sie mit neuen Waffen ausgestattet werden sollten. Andererseits
gab es keinerlei Anzeichen einer Bedrohung. 54 Vergeblich versuchten die Roboter, den Waffenberg mit ihren Sensoren abzutasten. Ein fremdes, ziemlich
schwaches Störsignal, dessen Ursprung nicht auf Anhieb auszumachen war, hinderte sie daran. Sofort
begannen sie damit, das Signal zu entschlüsseln, um es außer Funktion zu setzen.
Die Platte blieb stehen, schwebte jetzt auf der Stelle.
Plötzlich neigte sie sich leicht zur Seite. Die aufgestapelten Waffen gerieten in Bewegung und rutschten
herunter. Tatenlos verfolgten die Roboter das seltsame Geschehen mit, wußten nicht, wie sie sich
verhalten sollten - bis sie mitten im Tohuwabohu die Umrisse einer Gestalt ausmachten, die sich vom
Schwung der herabfallenden Waffen mitreißen ließ und mit den Füßen voran auf dem Boden landete.
Zu spät registrierten die Roboterhime, daß sie angegriffen wurden - von demselben Feind, der ihnen seit
geraumer Zeit unablässig Probleme bereitete und Hangar vier zerlegt hatte.
Kon Azir hielt in jeder Hand einen Blaster und feuerte damit unablässig auf die zweibeinigen Maschinen,
die im Pulk zusammenstanden, viel zu dicht, um sich erfolgreich verteidigen zu können. Der untersetzte
Raumsoldat schaffte es nur unter größten Anstrengungen, die schweren Waffen zu heben. Dennoch hielt
er sich tapfer auf den Beinen.
Eigentlich hätte sein Körper von Blutergüssen übersät sein müssen, schließlich war das Innere eines
Waffenstapels kein weiches Ruhekissen, doch sein Schutzanzug hatte ihn vor schlimmen Verletzungen
bewahrt. Damit man ihn nicht vorzeitig entdeckte, hatte Kon einen Störsender an seinem Allzweckgürtel
betätigt. Der Mimsender hatte zwar nur eine begrenzte Reichweite und war nicht besonders leistungsstark,
aber für ein kurzes Ablenkungsmanöver war das Gerät völlig ausreichend.
Azir landete mehrere Volltreffer. Allmählich bekam er Routine im Komplettzerstören von Robotern.
Sobald eine der Maschinen versuchte, aus dem Pulk auszubrechen, um ein schlechteres Ziel abzugeben,
bewegte er beide Waffenläufe in die betreffende Richtung und streckte den Flüchtenden nieder.
Auch Kon mußte zahlreiche Treffer einstecken. Bisher hielt sein Schutzschirm stand-. Wie lange noch?
Früher oder später würde es
55 unweigerlich zu einer Überbelastung kommen.
Langsam, aber sicher erlahmten Azirs Kräfte. Aufgrund seiner leichten Verstauchung war er bald
gezwungen, einen der Blaster fallenzulassen. Den zweiten packte er mit beiden Händen und schoß weiter.
Schritt für Schritt bewegte er sich auf seine Gegner zu und trieb sie regelrecht vor sich her. Dabei
entfernte er sich immer weiter von den Depotwaffen, die teils am Boden, teils noch auf der
schrägliegenden Platte lagen.
Die allmählich kleiner werdende Schar der Wachroboter verstreute sich und suchte in den angrenzenden
Gängen Deckung. Dadurch verlor Kon den Überblick und somit die Oberhand. Würden weitere Roboter
hinzukommen, konnte er seinen Befreiungsversuch als gescheitert betrachten.
Geduckt lief er zurück zur Schwebeplatte, auf der sich ein paar Sprengsätze befanden. Die Roboter
wollten ihn von den Waffen fernhalten und nahmen ihn von mehreren Seiten unter Dauerfeuer.
Kon warf sich zu Boden. Aus einer Ärmeltasche am Anzug zog er die Fembedienung, mit welcher er die
Platte in Richtung des Hangars bewegt hatte - kein leichtes Unterfangen, wenn man unter einem Stapel
Waffen begraben war und nichts sehen konnte.
Er beförderte die Schwebeplatte wieder in die Waagerechte und holte sie näher zu sich heran.
In diesem Augenblick traf Verstärkung ein. Das hatte Kon Azir gerade noch gefehlt...
4. Geräuschlos öffnete sich die Hangarschleuse der CHARR. Ein kurzer Energieimpuls aus den Abstrahlgittem, und die Raumfähre glitt aus der Helligkeit des Inneren in die Dunkelheit des Weltraumes. Das System lag in den Außenbezirken der Galaxis in einem relativ Sternenarmen Seitenarm, fast schon an der Grenze zum Leerraum zwischen der Milchstraße und der nächsten Galaxis, Andro-meda. Ein auf einem Planeten stehender Beobachter hätte in der Nacht mit bloßen Augen anstelle der üblichen Sternenvielfalt, die er weiter im Inneren des Zentrums zu sehen gewohnt war, nur eine von wenigen Lichtpunkten durchbrochene Schwärze gesehen. Auf dem rückwärtigen Schirm wurde die 500 Meter lange CHARR sichtbar: Ein riesiger, eiförmiger Monolith mit abgeflachter Basis und stumpfer Spitze. Die Farbe der Hülle schimmerte fast durchweg in einem feinen, matten Goldton, abgesehen von den in dunklerem Gold farblich abgesetzten Details bestimmter Linien und Flächen, hinter denen sich die Hangars, Waffenstationen und Schleusen verbargen. Trotz ihrer elliptischen Form wirkte die CHARR kraftvoll und elegant; die nogkschen Konstrukteure hatten mit ihr wahrlich ein Meisterwerk geschaffen. Im Cockpit der Fähre nahm Jarod Curzon letzte Überprüfungen vor, und neben ihm im Kopilotensitz kontrollierte Pondo Red die Triebwerksfunktionen.
Sämtliche Parameter waren im grünen Bereich.
Pondo nickte seinem Partner zu.
»Wir können.«
Jarod betätigte den Senderschalter und aktivierte den Kommunikationsschirm auf der Pilotenkonsole.
»Hier Fähre CH 2. Erbitten Freigabe.«
57 »Freigabe genehmigt«, kam die Stimme des Dritten Offiziers Perry aus dem Leitstand der CHARR. »Bestätigt, Sir.« »Gut. Und Leutnant Curzon - haben Sie und Red ein Auge auf Ihre Passagiere, verstanden?« »Natürlich, Sir.« Der Dritte Offizier blendete sich aus. Selbstverständlich werden wir ein Auge auf unsere Passagiere haben, dachte Jarod, schon allein um unserer eigenen Sicherheit willen. Der Nachrichten- und Ortungstechniker aus Perry s Stab warf einen Blick ins Passagierabteil der Fähre, in dem sich Tantal zusammen mit neun Meegs aufhielt, deren Namen ihm und Pondo genannt worden waren, aber die er sich auf die Schnelle nicht hatte alle merken können. Ihm war nur die Bedeutung des Begriffes Meeg geläufig. Wörtlich übersetzt lautete sie Erhalter oder Be wahrer des Lebens und bezog sich hauptsächlich auf die Ärztekaste der Nogk, nach außen hin kenntlich durch die gelbe Uniformierung ihrer Mitglieder. Pikanterweise handelte es sich um weibliche Nogk, die sich nach ihrer Fortpflanzung und der Eiablage in ein zweites Puppenstadium zurückzogen. Erst nach ihrer zweiten Reifung und der Schlüpfung wurden sie den Meegs zugerechnet, galten dort als »Bewahrer des Lebens«. Tatsächlich aber verbarg sich hinter der Bezeichnung Meeg viel mehr; sie waren ebenso Wissenschaftler wie Historiker, Physiker, Baumeister und Künstler. Jarod hatte sogar davon gehört, daß sie in begrenztem Maße zur Übertragung ihrer Lebenskraft an Dritte befähigt sein sollten, was allerdings auf Kosten der eigenen Vitalenergie ging und eine Verkürzung ihrer Lebens spanne bedeutete, die ansonsten rund vierhundert Erdenjahre dauerte. »Alles klar dort hinten?« fragte er routinemäßig Die Bestätigung kam von Tantal, der die Exkursion auf die Planetenoberfläche anführte. Tantal war ein Nogk der neuen Art: Eine Mutation mit kobaltblauer Haut und einen halben Meter kleiner als ein gewöhnlicher Nogk. Trotzdem war er immer noch zwei Meter groß und wirkte deshalb auf einen Menschen recht beeindruckend in seiner Fremdartigkeit. Wie alle Nogk schien Tantal eine Mischung aus Insekt und Reptil zu sein mit einem mächtigen Schä
58 del, der an eine Libelle erinnerte. Während sich ein Team unter Lee Prewitts Leitung fast zeitgleich mit dem dritten Planeten dieses namenlosen Systems beschäftigte,* wollte Tantal sich mit seiner Gruppe nogkscher Wissenschaftler in den Ruinen der ehemaligen Nogk-Niederlassung umsehen, die man auf dem zweiten Planeten entdeckt hatte. Er hatte Colonel Frederic Huxley, der dem Ansinnen des kobaltblauen Nogk-Mutanten zunächst skeptisch gegenübergestanden hatte, erst umstimmen können, als er sich einverstanden erklärte, zwei Männer der terranischen Besatzung mit in die Gruppe zu nehmen: Jarod Curzon und Pondo Red. Huxley hatte die beiden mit gutem Grund für diese Mission ausgesucht. Curzon und sein Freund Red waren beide knapp über einen Meter neunzig groß und wirkten dadurch nicht ganz so verloren unter den durchweg 2,50 Meter großen Meegs. Beide trugen Bürstenhaarschnitt, beide waren schwarzhaarig, und beide sahen sich so verteufelt ähnlich, daß man sie an Bord der CHARR nur als »die Zwillinge« kannte, obwohl sie in keiner Weise miteinander verwandt waren. Nicht einmal ansatzweise. Darauf angesprochen, pflegte Jarod stets zu sagen: »Möglicherweise wären wir Zwillinge geworden, wenn es zum fraglichen Zeitpunkt nicht so fürchterlich geregnet hätte.« Wie Pondo Red hatte auch Curzon graue Augen und zeigte bei Gefahr das gleiche Lächeln, das zu neunzig Prozent so falsch war wie das eines Wolfes und so manchen seiner Gegner in die Irre führte. Das Äußere der beiden entsprach zwar dem, was weibliche Ter-raner als attraktiv bezeichneten, und hatte ihnen einen gewissen Ruf in den Kneipen rund um Cent Field eingebracht, doch diese Attribute hatten keine Rolle in Huxleys Überlegungen zu ihrer Auswahl gespielt. Die beiden Raumfahrer, Nachrichtentechniker im Rang von Leutnants, waren hervorragende Gleiterpiloten und bekannt für ihren furchtlosen Einsatz bei heiklen Missionen, was
Siehe 19. Band des Drakhon-Zyklus, »Heerzug der Heimatlosen«
59 sie oft genug in der Vergangenheit unter Beweis gestellt hatten. Ihre Ausbildung und ihr kühles Reagieren in gefährlichen Situationen waren der Hauptgrund, weshalb sie Huxley zu diesem Einsatz abkommandiert
hatte.
»Na, dann wollen wir uns auf den Weg machen«, sagte Curzon, verdrängte alle unwesentlichen
Gedanken und konzentrierte sich auf seine Aufgabe.
Die Fähre gewann rasch an Geschwindigkeit; die gewaltige Masse der CHARR fiel hinter ihr zurück.
Schnell wurde sie zu einem winzigen Punkt unter vielen, um sich nur wenig später der direkten
Betrachtung gänzlich zu entziehen; lediglich auf einem Nebenschirm der Konsole blieb sie unverändert
präsent.
Vom Raum aus bot sich der Planet auf dem sphärisch gewölbten Frontschirm als eine an den Polen
abgeplattete, leuchtende Kugel dar. Es handelte sich bei ihm um eine kleine heiße Trockenwelt, relativ
unwirtlich für menschliche Bedürfnisse, für die nogksche Lebensweise jedoch geradezu ideal.
Die Oberfläche näherte sich, und der vordringliche Farbeindruck war ein tiefes, fast bräunliches Gelb.
Fünfzigtausend Meter hoch war die Fähre jetzt nur noch.
Mehr und mehr Einzelheiten zeigten sich.
Der Planet war zu zwei Dritteln von Wüsten geprägt, die sich vorwiegend um den Äquator gruppierten;
Wasser schien es nur in den gebirgigen Regionen um die Polregionen zu geben. Die Welt war kleiner als
die Erde und ähnelte mehr dem Mars des irdischen Systems; falls sie jemals Meere besessen haben sollte,
waren diese längst verschwunden.
Über der nördlichen Hemisphäre erkannte man in sehr großer Höhe marginale Wolkenstrukturen, die das
Licht der A-Null-Sonne gelbweiß reflektierten.
Jarod ließ die Anzeigen seiner Konsole nicht aus den Augen, während er sich die Daten des Planeten ins
Gedächtnis rief.
Die Lufthülle war dünn, doch atembar, wenn man sich nicht zu sehr anstrengte. Sie entsprach, wie die
Atmosphärentaster der CHARR ermittelt hatten, der irdischen Luftqualität in zirka dreitausend Metern
Höhe. Die Rotation betrug nach den Berechnungen der Astroabteilung 20 Stunden und 32 Minuten. Am
Tag herrsch
60 ten Temperaturen von um die 40 Grad; während der Nacht sanken sie auf den Nullpunkt und darunter. Ein erstes fernes Heulen kam über die Außenmikrophone herein: die Reibung der Luftmoleküle an der Hülle der Fähre. Sie hatten die Atmosphäre erreicht. Die Abstiegsphase ging problemlos vonstatten, dennoch fühlte Jarod eine gewisse Spannung, die seine Nerven summen ließ wie eine Instrumentensaite, die von einem Spieler ständig am Schwingen gehalten wurde. Die Landschaft, die unter der Fähre dahinglitt, war leer. Jarod sah nicht einen Baum oder eine größere Ansammlung von Vegetation. Eine fast physisch greifbare Ausstrahlung der Einsamkeit ging von den Bildern aus. Am Horizont tauchte ein Bergrücken auf, schob sich schräg nach vom. Man erkannte die Einschnitte früherer Straßen, einige zusammengebrochene Viadukte, die sich über Schluchten und Canons gespannt hatten. Sie überflogen den Berg in sicherer Höhe. Wenige Minuten später erschien dahinter die Nogk-Ansiedlung auf einer Ebene, die sich bis zu den Ausläufern eines weiteren, flachen Bergkammes erstreckte. Selbst in den Ruinen konnte man noch Ausmaß und Größe der ehemaligen Nogckolonie erkennen, die auf dem weitläufigen Plateau der Verlassenheit und Erosion preisgegeben war. Im Gegensatz zu den jetzigen Pyramidenbauwerken auf Corr, die eine radikale Umkehr vom althergebrachten Baustil darstellten, erinnerten die frühen Ringbauwerke der Nogk an ins Megalithische vergrößerte Amphitheater, wie sie zu Zeiten Julius Cäsars und anderer römischer Herrscher im Miniaturfonnat auf der Erde errichtet worden waren. Die nogktypischen Ringstädte waren je nach Anforderungen und Umfang der Population von unterschiedlicher Größe in Durchmesser und Höhe, hatten aber eines gemeinsam: Die tiefste Ebene die Arena- bildete immer das von der Sonne durch intelligent nachgeführte Spiegelfelder zu jeder Tageszeit schattenlos beschienene Forum, auf dem die Nogk flaniert, diskutiert und sich dem
61 Nichtstun und der Entspannung hingegeben hatten.
Diese Kolonie war einmal umfangreich gewesen, das ließ sich selbst jetzt noch erkennen. Sie hatte sich in
ihrer Weitläufigkeit über ein Areal von mindestens zehn Quadratkilometern erstreckt.
Zehn Quadratkilometer einer heute totalen Zerstörung.
Die Perimeter der Außenbezirke waren übersät mit nicht zählbaren großen und kleinen Kratern,
verursacht durch die Einschläge von Bomben und Raketen - ein Bild wie das Gesicht des irdischen
Mondes.
In großer Höhe überflog die Fähre das ehemals besiedelte Gebiet.
Von dem größten Gebäude im Zentrum, das einstmals bestimmt bis in eine Höhe von zweitausend Meter
gereicht hatte, war nichts mehr vorhanden. Nur Skelette von Trägerkonstruktionen aus Metall oder ähnlichen Materialien erhoben sich noch vereinzelt in den hellblauen Himmel. Sandfahnen tanzten über die Ruinen und Schutthügel. Als Jarod Curzon eine Reihe von Detailvergrößerungen auf einem Nebenschirm betrachtete, mußte er feststellen, daß es außer den deutlichen, scharfe Schatten werfenden großen Kratern auch kleine gab, bis hinunter zur Ausdehnung von wenigen Metern. Hier schien ein ununterbrochenes Bombardement von kleinsten bis hinauf zu den größten Raketen die Nogckolonie verwüstet zu haben. Hier hatte es einen Krieg gegeben. Einen Atomkrieg. Die von der Wissenschaftsstation durchgeführte Femanalyse der nuklearen Zerfallsrate hatte ergeben, daß vor zirka 800 Jahren ein schrecklicher, interplanetarischer Atomkrieg mit katastrophalem Ausgang stattgefunden haben mußte. Daran bestand jetzt kein Zweifel mehr; der Augenschein bewies es. Und dieser Krieg hatte aller Wahrscheinlichkeit nach durch den Einschlag einer H-Bombe sein Ende gefunden, gemessen an Umfang und Grad der sich strahlenförmig vom Stadtmittelpunkt ausbreitenden Zerstörungen, die eindeutiges Indiz dafür waren. »Junge, Junge«, entfuhr es Jarod Curzon, als er das ganze Aus 62 maß der Verwüstung erblickte; die trostlose und hoffnungslose Stimmung der vernichteten Stadtanlage
sprang ihn an wie ein Schreckensbild.
»Hiroschima mon amour«, murmelte Red düster, dessen ausgeprägte Kenntnisse über die terranische
Geschichte des 20. Jahrhunderts sprichwörtlich waren. »Wie sich die Bilder gleichen.«
»Oder Nagasaki - du sagst es, Freund Pondo.« Jarod nickte. »Aber«, er hob die Schultern, als fröre er,
»das ist erst der erste Eindruck. Ich fürchte, wir werden noch viel gräßlichere Beobachtungen machen.«
»Da ist etwas Ungeheuerliches passiert!« ließ sich Tantal vernehmen, der aus dem Passagierabteil nach
vom gekommen war und sich zwischen die beiden Piloten gestellt hatte. Natürlich sprach er nicht
wirklich, sondern die Worte kamen aus dem ei-großen Gedankentransformator vor seiner Brust. Nogk
besaßen zwar ein Organ zur Lautbildung, kommunizierten aber untereinander und mit anderen Spezies
fast ausschließlich über semitelepa-thische Bildimpulse. Da Terraner nicht dafür empfänglich waren -von
sehr, sehr wenigen Ausnahmen abgesehen - unterhielten sich Nogk mit den Menschen über die
Translatoren, die die Bildimpulse ins Angloter umwandelten - und umgekehrt.
»Das scheint ausgesprochen sicher zu sein!« erwiderte Pondo Red trocken.
Tantal betrachtete unverwandt die Bilder der Zerstörung; der Tod hatte diese Welt fest in seinem Griff.
»Ist die Verwendung von Energie feststellbar?« ließ sich der Kobaltblaue dann vernehmen.
»Negativ!« entgegnete Jarod Curzon an Reds Stelle. »Dort unten arbeitet keine Maschine, kein Aggregat,
kein Meiler mehr, zumindest nicht mit Energien, die wir mit unseren Instrumenten zu orten vermögen.«
»Also... alles tot!« stellte Tantal fest.
Jarod warf ihm einen schnellen Blick zu. Konnte es sein, daß der Kobaltblaue im Augenblick
ausgesprochen ratlos wirkte? Nein, er hatte sich getäuscht. Dem Nogk der neuen Generation war weder
Bedrückung noch Erregung anzumerken. Lediglich in seinen nachtschwarzen Facettenaugen schienen
kleine Lichter zu blitzen.
63 Aber das konnte auch der Widerschein der Instrumentenbeleuch-tung von der Steuerkonsole sein. Jarod
wollte sich da nicht so genau festlegen.
»Ja«, kamen Tantals erneute Bildimpulse als Lautäußerungen über seinen Gedankentransformator, »wir
werden hier kein Leben mehr entdecken. Schließlich sind seit der Zerstörung dieser Kolonie Jahrhunderte
vergangen.«
»Wo möchtet ihr mit euren Nachforschungen beginnen?« ließ sich Pondo Red vernehmen.
»Das heißt«, präzisierte Jarod, »wo sollen wir landen?« Erwartungsvoll sah er auf den Nogk.
Tantal schien die Frage nicht gehört zu haben, denn es kam keine Reaktion von ihm. Er hatte sich leicht
abgewandt und schien mit den Meegs im hinteren Teil der Fähre in Kontakt getreten zu sein, dem Spiel
seiner Fühlerpaare zufolge.
Jarod wollte seine Frage schon wiederholen, als der kobaltblaue Nogk-Mutant seine Aufmerksamkeit
erneut auf den Terraner richtete.
»Bringe uns zum Östlichen Rand der Wohnstätte«, sagte er. »Dort drüben.«
»Einverstanden!« sagte Jarod und bewegte die Kontrollen. »Eine Idee, was oder ob wir überhaupt etwas
dort finden?«
»Nein. Aber ein Ort ist so gut wie der andere.« Tantal knickte seine Fühler in eine Stellung, von der Jarod
annahm, sie bedeutete so etwas wie das terranische Äquivalent des Schulterzuckens.
»Wenn du es sagst, Tantal...«
Schnell kam die bezeichnete Stelle näher.
Die Fähre flog über ein Labyrinth ineinander verschachtelter Ruinen hinweg. Dann reduzierte sie ihre
Geschwindigkeit, ging tiefer und setzte sanft zwischen Trümmern auf.
»Wir sind da«, stellte Pondo Red lakonisch fest. »Alles aussteifen!«
Sie verließen die Fähre, betraten die schweigende Welt dieser Totenstadt, tauchten ein in eine Landschaft
voller ausgebrannter,
64 zerstörter Gebäude. Verbogene, umgeknickte und halbgeschmolzene Trägerelemente starrten aus weggesprengten Wänden und erinnerten an Insektenklauen, die am Himmel kratzen wollten. »Wohin?« erkundigte sich Jarod. »Geradeaus«, ließ sich Tantal vernehmen. »Kommt mir gelegen«, murmelte Jarod, und sein Partner meinte: »Der gerade Weg führt immer am schnellsten zum Ziel, egal, was uns am Ende erwartet.« Sie hatten die Sonne im Rücken und einen Planeten voller Ungewißheiten und möglicherweise tückischer Gefahren vor sich. Nogk und Terraner trugen leichte Strahlenschutzanzüge mit breiten Gürteln, die zahlreiche Instrumente enthielten, unter anderem die Geigerzähler, die sie über den Grad der noch vorhandenen Strahlenbelastung aufklärten und vor eventuell auftretenden Strahlungsnestern mit unverhältnismäßig hoher radioaktiver Belastung warnten. Obwohl der Nuklearexperte der CHARR, Professor Dylan Kendrick, die atomare Verseuchung nur noch als äußerst gering beziffert hatte, wollte man kein Risiko eingehen. Zudem trug jeder eine starke Lampe am Gürtel und eine Handfeuerwaffe, einen Strahler; niemand rechnete ernsthaft mit Gegnern. Noch lagen die semistabilen Helme in den Halskrausen. Noch atmeten sie die dünne Luft ohne Verdichtungsgeräte oder die Ersatzapparate, aber vermutlich würden sie später auf ihre Reserven zurückgreifen müssen. Die Atemluft war reichlich dünn und heiß und trug einen Geruch von äonenaltem Staub und Asche mit sich. Zum Schutz vor der grellen Sonne trugen die beiden Terraner dunkle Brillen; die starren Facettenaugen der Nogk bedurften einer derartigen Abschirmung offensichtlich nicht. Jarod grinste innerlich, die Vorstellung eines Nogk mit einer gewichtigen Sonnenbrille vor den Facettenaugen war irgendwie erheiternd. Nichts rührte sich. Es gab keinerlei Geräusche außer den Lauten ihrer Sprache. Und der leichte Wind schleppte diesen leisen Schall mit sich und verschluckte ihn. Hin und wieder fielen Trümmerbrocken aus noch stehenden Gebäuderesten, prallten mit dumpfem Schlag in den 65 Schutt oder den Sand der unerbittlich vordringenden Dünen. Manche Ruinen waren bereits zehn Meter hoch und noch mehr von dem heißen Sand verschluckt worden. Obwohl feststand, daß diese Welt keinerlei Leben mehr trug, bewegten sie sich mit einer gewissen Vorsicht. Immerhin war es unbekanntes Terrain, und schon manche Expedition auf fremden Planeten hatte mit einem Desaster geendet, weil man allzu sorglos vorgegangen war. Jeder Schritt durch das Chaos erhöhte die Anspannung Jarod Curzons, während sein Freund Pondo davon unberührt schien und die Nogk ebenfalls vergleichsweise gelassen wirkten. Aber vielleicht lag das auch nur daran, daß Jarod den insektoiden Physiognomien nicht die kleinste Regung entnehmen konnte. Auch Tantal, der zwischen den großen Meegs irgendwie deplaziert wirkte, bot in dieser Hinsicht keine Ansatzfläche. Diese Nogk, dachte Jarod vollkommen wertfrei, sind für mich ein Buch mit mehr als nur sieben Siegeln. Natürlich kannte er ihre Geschichte, wenn auch nur ansatzweise; sie tatsächlich zu begreifen und zu verstehen würde für einen Ter-raner vermutlich mehr als nur eine Lebensspanne dauern. Und unerwarteterweise kam ihm Tantals Geschichte in den Sinn, ohne daß er es eigentlich beabsichtigte...
Nogk waren eierlegende Hybridwesen aus Insekt und Reptil, etwa zweieinhalb Meter groß, mit langen Beinen und kräftigen Armen, an deren Enden sich vierfingrige Hände befanden. Jede ihrer Bewegungen kündigte von geschmeidiger Eleganz, von Kraft, von Schnelligkeit. Ihre lederartige, braune Haut, gelblich gepunktet, erinnerte in gewisser Weise an die von Eidechsen. Das absolut Fremdartige an ihnen war der mächtige libellenartige Kopf mit den gefährlich wirkenden Beißzangen, den riesigen, seitlich am Kopf hervorstehenden Facettenaugen und den zwei langen Fühlerpaaren auf der Stirn dazwischen. Das
semitelephatisch veranlagte Volk war strahlungsabhängig und deshalb auf einen bestimmten Typus von Sonne mit stabilem solarem Energiefeld an 66 gewiesen, das Dilemma ihrer Existenz, denn veränderte sich das Strahlungsniveau der jeweiligen Heimatsonne, ob auf natürliche Weise oder künstlich herbeigeführt, mußten sie auswandern, wollten sie als Volk nicht für immer von der galaktischen Bühne abtreten. So hatten sie verschiedene Male in ihrer langen Geschichte ihre Heimstätten verlassen und sich neue Welten suchen müssen, ständig von der Hoffnung getrieben, endlich eine Heimat auf Dauer zu finden. Als Terraner und Nogk zum ersten Mal im Jahr 2052 im Col-Sy stem aufeinandertrafen, lebten sie noch auf den Planeten der roten Riesensonne Charr und sahen auf eine rund zweitausend Jahre in die Vergangenheit reichende dokumentierte Geschichte zurück, die jeder Nogk im Laufe seines Lebens lernte und als sogenanntes Rassegedächtnis zur Verfügung hatte. Aber auch schon vor dieser Zeit waren die Nogk immer wieder aus ihren SonnensySternen vertrieben worden, wie Mythen und Legenden berichte ten, als unbekannte, gesichtslose Feinde ihre Sonnen zur Explosion brachten. Als sich die nächste Katastrophe abzeichnete, weil Charr zur Nova mutierte, konnten sie sich dem Untergang ihrer Spezies nur durch eine überstürzte Flucht entziehen. Chinok, ein für ihre Verhältnisse eigentlich lebensfeindlicher Planet, war für eine Weile Zwischenstation, bis ihre Forschungsschiffe unter dem Licht der blaugrünen Sonne Tantal auf dem zweiten Planeten, den sie kurzerhand Nogk II tauften, eine neue Heimstätte fanden. Allerdings war Tantal ein Stem, dessen Spektrum diametral zu dem ihrer vorigen Sonne stand und für eine radikale Veränderung innerhalb ihrer Spezies sorgen sollte. Die blaugrüne Sonne war ursächlich auch für die Namensgebung des Protagonisten einer neuen Art von Nogk verantwortlich. Nogk reiften im Ei heran, durchliefen dabei mehrere Stadien der MeTarnorphose und wurden nach dem Schlüpfen in die Obhut der Meegs gegeben, den Bewahrem des Lebens, die für die weitere Entwicklung sorgten. Als das System im Sommer 2057 von Grako-Kampfstationen angegriffen wurde und die Nogk überstürzt ihre Heimstatt Tantal U verlassen mußten, weil die Sonne durch 67 Einwirkungen des Feindes zu einer Nova zu werden drohte, war eine Puppe in den Wirren des Aufbruchs als einzige aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund vergessen worden. Jener Nogk, der länger als jede andere Larve in seinem Kokon verbracht hatte und unter den Strahlen der sich in ihrem Spektrum verändernden Sonne heranreifte, durchlief sämtliche Stadien, die ein »normaler« Artgenosse außerhalb im Bom der Meegs durchmachte, im Innern seiner Puppe und schlüpfte erst nach dem vollständigen Abzug seines Volkes. Er fand eine absolut leere Welt vor - und benannte sich spontan nach der Sonne seines Geburtsplaneten, dem Stern Tantal. Was sein Aussehen betraf, war Tantal erheblich aus der Art geschlagen. Seine Haut schimmerte metallisch kobaltblau, auch war er im Gegensatz zu den »alten« Nogk nur noch etwa zwei Meter groß. Später war er von zufällig zurückkehrenden Meegs entdeckt und nach Reet gebracht worden, wo mittlerweile zahlreiche weitere Junge seiner Art geschlüpft waren. Wie Tantal waren auch sie kleiner und zierlicher als normale Nogk - und kobaltblau. Und ebenso wie Tantal waren sie nicht mehr strahlungsabhängig wie die Generationen der Nogk vor ihnen. Allerdings mußte in Tantal während seiner »Reifezeit« eine Mutation stattgefunden haben: Der blauhäutige Nogk-Mutant verfügte schon unmittelbar nach seiner Geburt über das gesamte gesammelte Archivwissen, während normale Nogk sich dieses erst im Laufe ihres Lebens durch ständige Lernprozesse aneignen mußten. Ausgestattet mit diesem enormen Wissensvorsprung, wurde er zum primus interpares der neuen Unterart.
»... paß auf, wohin du deine Füße setzt!« erreichte ihn Pondos mahnende Stimme. Jarod fing sich gerade noch, ehe ihn der kleine Schuttbrocken gänzlich aus dem Gleichgewicht bringen konnte, über den er gestolpert war. Er ärgerte sich, daß seine Konzentration für einen 68 Moment nachgelassen hatte und verdrängte alle Gedanken an Tantal und die Geschichte der Nogk,
konzentrierte sich ausschließlich auf den Weg.
Noch immer herrschte dieses unwirkliche, niederdrückende Schweigen zwischen den Ruinen.
Nach wenigen Minuten kletterte Jarod Curzon auf den Kamm einer angewehten Düne, um sich einen
besseren Überblick zu verschaffen. Er schob die Sonnenbrille auf die Stirn, hob den Multi
fimktionsfeldstecher an die Augen und sondierte die weitere Umgebung.
Im Sichtfenster glitten Ruinen, zerschmolzene Wände und Fassaden vorbei.
Aus der Luft hatte alles mehr abstrakt ausgesehen, weniger eindringlich und größer dimensioniert. Hier
sah man die Schäden und Zerstörungen des atomaren Untergangs weitaus deutlicher. Es gab nichts, das
noch intakt schien. Wände und Mauern waren von dem höllischen Inferno der Atombombe, die im
zentralen Bereich der Nogckolonie detoniert sein mußte, verpulvert und verglast worden. Metallfetzen
hingen zwischen Trägem und geborstenen Platten.
»Mein Gott!« sagte er laut und betroffen, setzte das Glas ab und blickte hinunter zu Pondo, der am Fuß
der Düne stehengeblieben war, während die Nogk sich etwas verteilt hatten. »Was für eine Katastrophe.
Hier wurde ganze Arbeit geleistet.«
»Kriege«, sagte der Freund ohne Sarkasmus, »sind nichts als konzentrierter Unsinn. Sie enden immer in
Katastrophen.«
Jarod hob das Glas erneut für einen letzten Rundblick.
»Nur Zeitverschwendung«, sagte er mehr im Selbstgespräch. »Nichts zu sehen als Chaos.«
Er wollte das Femglas schon sinken lassen, riß es aber plötzlich wieder hoch und preßte überrascht die
Augen an das elektronische Okular.
Etwas hatte er im letzten Moment gesichtet.
Metallisch schimmernde Reflexe blinkten...
Er drückte den Kontakt für die Scharfeinstellung.
Die Fläche, die er im Auge hatte, schoß heran.
Zahlenkolonnen flimmerten über den kleinen Monitor.
69 Die Werte pendelten sich ein und versorgten den Leutnant mit genauen Entfemungsangaben.
Der holte scharf Luft.
»Ich glaube es nicht!« rief er halblaut. »Da ist etwas! Etwas, das auf dieser Welt der absoluten Zerstörung
noch intakt scheint!«
Die Nogk kamen zurück, sammelten sich am Fuß der Düne, und Tantal eilte mit erstaunlicher
Schnelligkeit und Geschmeidigkeit zu Jarod hoch.
»Was hast du entdeckt?« kam seine Frage aus dem Translator.
»Einen Eingang zu etwas, das offensichtlich unter der Planetenoberfläche liegt«, erklärte der Terraner,
noch immer überrascht von seiner Beobachtung.
»Du irrst dich nicht? Vielleicht nur eine Sonnenreflektion, die...«
»Sieh selbst«, schnitt ihm Jarod kurz angebunden das Wort ab und bot ihm demonstrativ das Femglas an.
Tantal machte eine abwehrende Handbewegung und sah ihn mit einem ganz und gar undeutbaren Blick
an. »Nicht nötig. Sag mir nur wo.«
»Dort...!« Jarod lokalisierte die Richtung.
Der Nogk richtete den Blick dorthin. Die Facettenaugen schienen die gesamte Umgebung der
Ruinenstätte zu erfassen, die Fühler zitterten unstet. Jarod versuchte vergebens, in Tantals insek-toiden
Zügen eine verständliche Regung zu erkennen.
Lange schwieg der Kobaltblaue. »Du hast recht, Leutnant«, erreichten schließlich die semitelepathischen
Bildimpulse des Nogk-Mutanten den Terraner. »Vermutlich der Eingang zu einer unter der Stadt
befindlichen Anlage. Wir sollten uns das näher ansehen.«
5. Gal Trenk, Ata Xaja und weitere Gefangene stürmten aus dem Hangar und kamen Kon Azir zu Hilfe.
Eine willkommene Verstärkung, die ihm gerade noch gefehlt hatte - im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Soldaten und Offiziere machten sich sofort über den Waffenberg her. Innerhalb kürzester Zeit war
jedes Besatzungsmitglied bis an die Zähne bewaffnet.
Die kampferprobten Tel verteilten sich und begannen, Jagd auf die Roboter zu machen. Da Kon auch
Handfunkgeräte aus dem Depot mitgebracht hatte, konnten sie sich untereinander verständigen.
Auch die Roboter erhielten nun Verstärkung. Es kam zu zahlreichen heftigen Feuergefechten rund um
Hangar zwei.
Azirs Kameraden waren gute Schützen. Gleich reihenweise wurden die Roboter außer Gefecht gesetzt.
Der Preis für die Freiheit war allerdings hoch - es gab Tote und Verletzte, denn außer Azir trug niemand
einen Schutzanzug.
Sensorienträger traten nur vereinzelt in Erscheinung. Statt sich ins Kampfgeschehen einzumischen,
ergriffen sie jedesmal sofort die Flucht. Ihren Kameraden war das nur recht - sie hätten nur ungern auf
ihre eigenen Leute geschossen.
Viel zu spät begriff Gal Trenk, wohin sich die femgesteuerten Tel zurückzogen.
»Sie flüchten in die Zentrale!« teilte er den anderen übers Funkgerät mit. »Wir müssen sofort stürmen,
bevor sie sich darin total verschanzen!«
Ein Trupp unter seiner Führung kämpfte sich zur Brücke durch. Weit kamen die Männer nicht, ein
Panzerschott versperrte ihnen den Zugang.
71 Daß der Kommandant den aktuellen Öffnungscode des Schotts kannte, half ihnen nicht weiter. Die Sensorienträger in der Zentrale hatten längst einen neuen eingegeben. Das Panzerschott blieb zu.
Lagebesprechung. Kommandant Trenk hatte die gesamte Besatzung in Hangar zwei zusammengerufen. Der Ort, der bis vor kurzem noch ihre Zelle gewesen war, diente ihnen jetzt als Konferenzraum. An den Ausgängen waren Wachen postiert worden, damit niemand die Tore schließen konnte. Sechzehn lehnte reglos an der Wand. Während Kon Azir außerhalb des Hangars mit den übrigen Wachrobotem gekämpft hatte, war es einigen mutigen Gefangenen gelungen, die Robotfrau zu überwältigen und zu deaktivierten. Jeder Rottenangehörige wußte, wie man die Funktionen eines Roboters außer Kraft setzte. Das war allerdings nicht ganz ungefährlich. Die größte Schwierigkeit bestand darin, nahe genug an die aufs Töten programmierte Kampfmaschine heranzukommen. Gal Trenk besprach sich zunächst mit Kon Azir, der ihm in knappen Worten berichtete, was er seit dem Gasangriff erlebt hatte. Gürtel und Anzug hatte er inzwischen abgelegt. Auf Befehl seines Vorgesetzten faßte sich Azir kurz und schilderte ihm nur die wichtigsten Ereignisse. Das Chaos, das er im Beiboothangar angerichtet hatte, verschwieg er dem Kommandanten vorerst. Im Anschluß an dieses Vieraugengespräch hielt Trenk eine Ansprache an seine Mannschaft und faßte die Fakten zusammen. Weil sich Schiff und Besatzung in einer Notsituation befanden, nahm er auf Geheimhaltungsvorschriften keine Rücksicht mehr. Jeder an Bord hatte jetzt ein Recht darauf, zu erfahren, warum die Rebellen die DRAKHON übernommen hatten und wie es um die Überlebenschancen stand. »Die Entführer kontrollieren alle Roboter, und viele unserer Kameraden werden durch Sensorien femgesteuert. Bisher gibt es keine Hinweise auf Rebellen an Bord. Wahrscheinlich befinden sich die feigen Drahtzieher der Terroraktion weit fort von hier, wo ihnen nichts zustoßen kann. Die Roboter stellen augenblicklich 72 kein großes Problem mehr dar, weil wir die meisten von ihnen zerstört oder abgeschaltet haben. Nur einzelne Roboter sind noch aktiv, doch solange sie sich nicht zu einem Angriff organisieren, können wir uns verhältnismäßig frei auf dem Schiff bewegen. Daß uns sensoriumtragende Kameraden angreifen, ist so gut wie ausgeschlossen. Auf einen geheimen Befehl hin haben sich sämtliche Sensorienträger in der Zentrale verschanzt. Von dort aus kontrollieren sie die meisten Bereiche des Schiffs. Sobald sich uns eine Gelegenheit bietet, werden wir die Zentrale zurückerobern. Der Öffnungscode wurde zwar von den Besetzem geändert, aber unsere Experten schaffen es bestimmt, ihn zu entschlüsseln. Wir werden vor dem Panzerschott einen schlagkräftigen Trupp postie ren, der blitzschnell in Aktion tritt, sobald das Schott offen ist. Wenn es sich vermeiden läßt, wird auf unsere femgesteuerten Kameraden nicht geschossen, schließlich können sie nichts dafür. Es dürfte genügen, ihnen die Sensorien herunterzureißen, um sie wieder zur Vernunft zu bringen. Befindet sich die Zentrale wieder in unserer Hand, ändern wir umgehend den Kurs. Augenblicklich steht die DRAKHON unmittelbar vor der Transition ins terranische Sonnensystem. Die Rebellen beabsichtigen, die Erde mit einer Hyperbombe hochzujagen. Die Opferung des Schiffs mitsamt allen Insassen wurde von Anfang an mit eingeplant.« Die brisante Nachricht sorgte im Hangar für Aufregung. Gal Trenk brachte seine Zuhörer mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen und fuhr schonungslos fort. »Ja, ihr habt richtig gehört! Im Haupthangar befindet sich eine mächtige Bombe. Nur ich und Mun Gowan, der sich vermutlich mit den anderen Ferngesteuerten in der Zentrale aufhält, wußten darüber Bescheid. Unser Geheimauftrag lautete, die Hyperbombe auf einem unbewohnten Planeten zu deponieren und aus sicherer Entfernung zu zünden. Die übrige Besatzung wäre erst kurz vor Beginn der Aktion informiert worden. Das Ganze war als Test gedacht, nicht als Angriff auf eine fremde Spezies. Aufgrund der Entführung erkläre ich den Auftrag hiermit als undurchführbar. Die Aktion wird abgebrochen und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Unser Bordteam für Bombenentschär 73 füng ist leider nicht komplett, einige Teammitglieder befinden sich in der Zentrale. Die noch verbliebenen Spezialisten müßten allerdings ausreichen, um die Hyperbombe stillzulegen. Nur Mut, Männer! Unsere Lage ist weniger aussichtslos, als es den Anschein hat. Disziplin und Zusammenhalt sind unsere größten Stärken. Wir werden alles daransetzen, das Schiff zurückzuerobern und Kurs auf die Heimat zu nehmen. - Noch Fragen?« »Haben wir Verbindung mit Cromar?« meldete sich ein junger Soldat zu Wort. »Oder sind wir auf uns
allein gestellt?«
»Kon Azir hat vergeblich versucht, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen und von einem Beiboot aus
einen Hyperfunk-Notruf abzusetzen«, antwortete ihm der Kommandant. »Daß er es nicht geschafft hat,
lag vermutlich an seiner Unerfahrenheit auf diesem Gebiet. Ich werde einen Funkexperten in den
Beiboothangar schicken.«
Cheffunker Ata Xaja wollte etwas einwerfen, aber Azir kam ihm zuvor.
»Mit den Beibooten ist das so eine Sache«, sagte er kleinlaut. »Ich bin mir nicht sicher, ob es in Hangar
vier überhaupt noch intakte Boote gibt. Während ich mich mit der Funkanlage beschäftigte, wurde ich
von Robotern angegriffen. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Geschütze einzusetzen. Im übrigen lag
es nicht allein an meiner Unerfahrenheit, daß es mit dem Notruf nicht geklappt hat. Die DRAKHON
empfängt von irgendwoher seltsame Funksignale, die den gesamten Hyperfunkbereich blockieren.«
Wieder wollte Ata Xaja etwas anmerken, doch diesmal war der Kommandant schneller.
»Sie haben die Bootsgeschütze innerhalb des Schiffs eingesetzt? Damit haben Sie uns alle in
Lebensgefahr gebracht, Soldat! Man wird Sie für die mutwillige Zerstörung von militärischem Eigentum
vors Kriegsgericht stellen! Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie teuer die Anschaffung eines Beibootes
ist? Von den hochwertigen Robotkampfmaschinen will ich gar nicht reden.«
»Tut mir leid, daß ich auf die Roboter geschossen habe, statt den Konflikt mit ihnen auszudiskutieren«,
erwiderte Kon trotzig. »Wenn Sie sich das nächste Mal ein Schiff vor der Nase wegklauen lassen. Wer,
werde ich Ihren Ratschlag gern beherzigen.«
74 Unter normalen Umständen hätte es ein einfacher Raumsoldat nie gewagt, so mit seinem höchsten Vorgesetzten an Bord zu reden. Aber nach allem, was Azir durchgemacht hatte, wollte er sich nicht vor versammelter Mannschaft wie ein kleiner Junge maßregeln lassen. Immerhin hatte er im Alleingang den Kampf gegen die Rebellen aufgenommen und die Gefangenen befreit - das sollte ihm erst mal einer nachmachen! Künftig würden es sich seine Kameraden dreimal überlegen, bevor sie ihn verspotteten. Gal Trenk war verblüfft. Ausgerechnet von Kon Azir hatte er einen derart respektlosen Ton nicht erwartet. Normalerweise hätte er ihn jetzt abführen und in die Arrestzelle bringen lassen - doch im Kampf gegen die Rebellen brauchte er jeden mutigen Mann, und Kon hatte seine Tapferkeit heute mehrfach unter Beweis gestellt. »Gibt es sonst noch was, das Sie mir verschwiegen haben, Soldat?« fragte er ihn scharf. Azir atmete tief durch und sagte dann: »Der erste Offizier Mun Gowan befindet sich nicht zusammen mit den anderen Sensorien-trägem in der Zentrale. Ich habe mit ihm gekämpft. Er ließ mir keine Wahl.« »Ist er... tot?« fragte Trenk entsetzt. »Schlimmer«, antwortete Kon Azir. »Als ich ihm das Sensorium herunterriß, verfiel er in einen Zustand schwerer geistiger Verwirrung. Mun Gowan war nicht mehr er selbst. Sein Verstand schien sich regelrecht aufzulösen. Ich befürchte, den anderen Sensorien-trägem wird es genauso ergehen, wenn wir sie gewaltsam von den Geräten trennen.« »Mun, mein armer Freund«, murmelte Gal Trenk betroffen. »Ich bin mir sicher, du wärst lieber tot.« Sein Blick fiel auf Sechzehn. Der ausgeschaltete Roboter lehnte weiterhin reglos an der Wand. In diesem Zustand war er nichts als lebloses Material. Trenk ging zu dem Maschinenwesen und griff mit beiden Händen fest zu. Wenig später hatte die Robotfrau keinen Kopf mehr. Kabel und Drähte, die leise knisternd ein paar Funken versprühten, ragten aus ihrem Hals. 75 »Soviel zum Thema >Militäreigentum<«, bemerkte Ata Xaja mißbilligend. »Sechzehn hat doch nur ihre
Befehle verfolgt, gemäß ihrer aktuellen Programmierung. Die Roboter stehen genauso unter dem Einfluß
der Rebellen wie die Sensorienträger. Sobald wir sie von dieser unheilvollen Einflußnahme befreit haben,
erkennen sie uns wieder als ihre Herren an.«
»Ich weiß, ich bin kein gutes Vorbild für meine Untergebenen«, räumte Gal Trenk freimütig ein. »Aber
das hat wirklich gutgetan! Was wollten Sie vorhin eigentlich sagen, Xaja?«
»Ich wollte Sie auf Hangar drei aufmerksam machen.«
Hangar drei! Die Besatzung hörte gespannt zu. Offenbar wurde gleich ein weiteres Geheimnis der
DRAKHON gelüftet.
»Hangar drei«, wiederholte der Wer nachdenklich. »Ja, das könnte unsere Rettung sein.«
»Offiziell erfolgte unser erster gemeinsamer Flug ins All zu Übungszwecken«, erklärte der Kommandant
der entführten DRAKHON seinen Untergebenen, die sich in Hangar zwei versammelt hatten. »Die
Hyperbombe wurde unter strengster Geheimhaltung an Bord gebracht. Niemand, so hatte es der Kluis be
rechnet, würde ausgerechnet auf einem Raumschiff, auf dem eine noch nicht aufeinander eingespielte
Mannschaft mitfliegt, eine derart gefährliche Waffe vermuten. Unter dem gleichen Aspekt wurden wir dazu ausgewählt, den >Tarnhelm< zu testen, die neueste Tarnvorrichtung unseres Volkes. Ein paar vage Informationen über den eingebauten Tarnschutz sickerten zwar durch, aber von der Existenz der Bombe wußte außer Mun Gowan und mir keiner. Glaubten wir jedenfalls. Offensichtlich waren uns die Rebellen stets einen Schritt voraus.« »Vielleicht gibt es ja einen oder mehrere Spione in höchsten Militärkreisen«, mutmaßte Ata Xaja. »Trotz schärfster Sicherheitsvorkehrungen kann man in keinen Tel hineinschauen. Über die Hyperbombe war selbst ich nicht unterrichtet worden. Von der Tarnvorrichtung wußte ich allerdings. Und natürlich auch von dem Spezialbeiboot in Hangar drei, das der Hauptgrund für meine An 76 wesenheit bei diesem Flug ist.« Die zuhörenden Tel-Soldaten spitzten die Ohren. Hangar drei. Spezialbeiboot. Endlich kamen die Offiziere zur Sache. »Das Boot soll für seine Eignung zur hyperelektronischen Kriegführung getestet werden«, setzte der Cheffunker seine Ausführungen fort. »Zur technischen Ausstattung darf ich noch keine detaillierten Auskünfte geben, nicht, bevor alle Versuche abgeschlossen sind. Ich bin überzeugt, daß wir von dem Spezialboot aus Funkkontakt mit anderen Schiffen aufnehmen können - trotz der merkwürdigen Hyperfunksignale, die unseren Freund Azir am Aussenden des Notrufs gehindert haben.« ...unseren Freund, wiederholte Azir die Worte in Gedanken, und seine beiden Herzen waren mit Stolz erfüllt. Offenbar begriffen die Schiffsobersten allmählich, was sie ihm zu verdanken hatten. Er hatte sie alle aus der Gefangenschaft befreit. Was war dagegen schon »ein bißchen« Materialschwund? »Das Spezialboot verfügt über einen leistungsstarken Störsender«, verriet Ata Xaja den interessierten Zuhörern. »Und wenn ich leistungsstark sage, dann meine ich auch leistungsstark. Die Rede ist nicht etwa von einem Kinderspielzeug, wie es in den Allzweckgürteln eingebaut ist, sondern von einem Apparat mit gewaltiger Ausstrahlungskraft. Damit werden wir die Hyperfunksignale der Rebellen problemlos überlagern und außer Kraft setzen, ganz egal, über welche Reichweite deren Sender verfügt. Übrigens halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß die Sensorienträger und die Roboter ebenfalls über die fremden Signale gesteuert werden. Falls meine Theorie zutrifft, werden unsere femgesteuerten Kameraden nach dem Zusammenbruch des Rebellensignals aus ihrem tranceartigen Zustand erwachen. Ich denke, wir müssen nicht befürchten, daß sie wie Mun Gowan geistige Schäden erleiden, schließlich werden ihnen die gefährlichen Geräte nicht abrupt vom Kopf gerissen - wir schalten sie sanft ab. Sollte ich mich irren und die Sensorien bleiben trotz massiver Störung des unbekannten Signals weiter in Betrieb, müssen wir dennoch nicht tatenlos zusehen, wie die DRAKHON und Terra vernichtet werden. Vom Spezialbeiboot aus kann ich den Code des Zentraleschotts knacken. Beim Sturm der Kommandobrücke wird 77 es zwar auf beiden Seiten zu Verlusten kommen, doch dafür retten wir die Erde und unser Schiff mit allen noch Überlebenden.« Gal Trenk übernahm wieder die Wortführung und teilte jedem Soldaten seinen Aufgabenbereich zu. Kon Azir wurde dem Sturmtrupp zugewiesen, der vor dem verschlossenen Brückenpanzerschott Aufstellung nahm. Bevor er dort seinen Platz einnahm, informierte er den Bordarzt, wo er Mun Gowan nach dem Zweikampf zurückgelassen hatte. Der Mediziner wollte prüfen, ob dem ersten Offizier noch zu helfen war. Der Schiffskommandant begleitete seinen Cheffunker zu Hangar drei. Beide nahmen mehrere Bewaffnete zu ihrem Schutz mit. Auf dem Weg dorthin kam es zu einem kurzen Zusammenstoß mit einem Roboter, der in einem Tunnel lauerte und sofort das Feuer auf die kleine Gruppe eröffnete. Ein Scharfschütze, dessen Namen der Kommandant nicht kannte, nahm den Angreifer kurz ins Visier und traf ihn an einer empfindlichen Schaltstelle. Lautlos fiel die Maschine um und rührte sich nicht mehr. Gal Trenk nickte dem Soldaten anerkennend zu. Beim Sichern des Hangars befand sich der Scharfschütze in vorderster Reihe. Nirgendwo war ein Roboter auszumachen. Niemand hinderte die Gruppe daran, das Boot zu betreten. Diesmal ging Trenk voran. Das kugelförmige Spezialbeiboot war in etwa doppelt so groß wie die normalen Beiboote. Es war mit Antennen förmlich gespickt. Das Kernstück bildete die Zentrale mit all ihren komplizierten Apparaturen. Die Soldaten staunten nicht schlecht, so etwas hatten sie noch nie zuvor gesehen. Selbst Gal Trenk kam sich inmitten der neuesten Hyperfunk-Hochleistungstechnik ein wenig verloren vor. Einzig und allein Ata Xaja zeigte keinerlei Aufregung, er fühlte sich hier wie zu Hause. Kurz nach dem Betreten der Zentrale spürte der Kommandant instinktiv, daß etwas nicht stimmte. Er
fühlte förmlich, wie sich der Lauf einer Strahlenwaffe auf ihn richtete - und warf sich reaktionsschnell zu Boden. Keinen Augenblick zu früh. Ein tödlicher Energiestrahl zischte über ihn hinweg. Direkt hinter ihm stand der Soldat, dessen Name ihm entfallen 78 war. Er hatte keine Möglichkeit, sich in Deckung zu begeben. Der Strahl riß ihn von den Beinen und aus
dem Leben. Sein Sturz erfolgte genauso lautlos wie kurz zuvor der Fall des Roboters im Tunnel.
Gal Trenk zog seine Waffe und schoß die Maschine nieder. Weitere Roboter rückten nach und nahmen
den Kampf gegen die Eindringenden auf, die sich heftig zur Wehr setzten.
Die Roboter kamen von allen Seiten. Das gesamte Boot schien voll von ihnen zu sein.
»Treibt sie aus der Zentrale!« befahl Trenk. »Die Funkanlagen dürfen nicht beschädigt werden!«
Per Handfunkgerät forderte Ata Xaja Verstärkung an. Dann stürzte er sich mit gezückten Waffen in die
Schlacht, die sich in die hinteren Gänge und Röhren verlagerte.
Der Kampf war hart. Hart, aber kurz. Innerhalb weniger Minuten hatten Gal Trenk und seine Männer das
überlebenswichtige Spezialboot gesäubert.
Als die Verstärkung wieder abzog, gab es keinen intakten Kampfroboter mehr an Bord. Die Soldaten
schleppten die zerstörten und abgeschalteten Maschinen-Tel nach draußen und legten sie im Hangar ab -
direkt neben drei Kameraden, die bei der Eroberung des Bootes ihr Leben hatten lassen müssen.
Währenddessen beschäftigte sich Ata Xaja mit den hochwertigen technischen Geräten, die
glücklicherweise nichts abbekommen hatten. An der Entwicklung der verbesserten Hyperfunkelektronik
war er maßgeblich beteiligt gewesen. Die abschließenden Praxistests standen zwar noch aus, doch er war
sicher, daß alles reibungslos funktionieren würde.
»Geht das nicht schneller?« trieb Gal Trenk ihn nervös zur Eile an. »Die Transition ins Sonnensystem der
Terraner kann jeden Moment erfolgen. Von da an sind es nur noch wenige Minuten bis zur endgültig
letzten Transition durch den globalen Schutzschirm.«
»Ich tu, was ich kann«, versicherte ihm der Cheffunker. »Bisher
79 wurde die neue Anlage nur im technischen Labor getestet, im Beisein eines erfahrenen Teams. Im All
herrschen halt andere Bedingungen. Etwas fachliche Hilfe könnte ich jetzt gut gebrauchen.«
»Befindet sich Ihr Technoteam denn nicht mit an Bord?«
»Doch - auf der Brücke der DRAKHON.«
Xaja konzentrierte sich jetzt voll und ganz auf seine Arbeit und beachtete seinen unruhigen Vorgesetzten
nicht weiter.
Nicht nur Gal Trenk lauerte voller Ungeduld auf ein Ergebnis. Auch vor dem Panzerschott zur Zentrale
zerrte das Warten an den Nerven des dort postierten Sturmtrupps.
Endlich kam Bewegung in die Sache.
Truppleiter Net Juno hatte erwartet, daß das Schott vom Spezialboot aus geöffnet werden würde, per
Funkfernsteuerung. Statt dessen teilte man ihm den Code übers Handfunkgerät mit.
»Offenbar kommt Xaja mit der neuen Technik nicht so gut zurecht, wie er es sich erhofft hatte«, bemerkte
der Offizier, nachdem er den Handfunk abgeschaltet hatte. »Wir müssen das Schott manuell öffnen.«
»Hoffentlich ist es ihm wenigstens gelungen, das fremde Signal zu deaktivieren«, entgegnete Kon Azir.
»Davon gehe ich aus«, erwiderte der Truppleiter. »Andernfalls hätte er es wohl kaum geschafft, den
Öffnungscode zu ermitteln.«
»Dann kommt es ja vielleicht zu einer friedlichen Übergabe«, hoffte einer der Soldaten.
»Freuen Sie sich nicht zu früh«, antwortete Net Juno, während er den Code in ein vom Netz unabhängiges
Schaltsystem am Schott eingab. »Daß mit dem Verlöschen des Rebellen-Hyper-funksignals auch die
Sensorien ihre Funktion einstellen, ist bisher nur eine unbewiesene Theorie.«
Das Schott öffnete sich.
In geordneter Reihenfolge, wie sie es viele Male geprobt hatten, stürmten die Raumsoldaten nach drinnen,
wobei sie sich gegenseitig sicherten. Der Offizier lief voran.
Nur ein einziger Roboter hielt sich auf der Brücke auf. Er versperrte den Eindringlingen den Weg und
verlangte von ihnen, sich zu legitimieren.
Juno reichte ihm seine elektronische Kennkarte. Nach kurzer
80
Überprüfung derselben stellte sich der Roboter unter seinen Befehl. Kon atmete erleichtert auf.
»Scheint alles wieder wie früher zu
sein.«
Die Sensorienträger standen oder saßen wie festgewachsen an verschiedenen Plätzen innerhalb der DRAKHON-Zentrale und bewegten sich nicht. Ihre Kameraden kümmerten sich um sie und zogen ihnen vorsichtig die Geräte von den Köpfen. Währenddessen setzte sich der Truppleiter über die Bordfunkanlage mit dem Kommandanten in Verbindung und meldete ihm, daß sich die Brücke nicht mehr in Rebellenhand befand. »Bin schon unterwegs«, sagte Gal Trenk. »Nehmen Sie umgehend eine Kursänderung vor. Um alles weitere kümmere ich mich selbst.« Er wollte sein Handfunkgerät gerade wegstecken, da meldete sich der Bordarzt. Der Mediziner hatte inzwischen Mun Gowan näher untersucht und war zu dem niederschmetternden Ergebnis gelangt, daß das Gehirn des ersten Offiziers nur noch eine tote Masse war. Die Untersuchungsgeräte hatten keinerlei Gehirnfünktion mehr angezeigt, obwohl der Patient offensichtlich noch lebte. Trenk war tief erschüttert. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt. Sein bester Freund war zu einem lebenden Toten geworden. Etwas Grausameres konnte einem denkenden und fühlenden Wesen nicht zustoßen. Als Gal Trenk niedergeschlagen in der Zentrale eintraf, war Net Juno noch immer mit der Schiffssteuerung beschäftigt. »Sieht nicht gut aus«, teilte er dem Kommandanten mit. »Die Steuerung wurde programmiert. Der Kurs der DRAKHON ist festgelegt. Das Schiff läßt sich nicht stoppen, es geht gleich in die Transition.« »Ändern Sie die Programmierung!« befahl Trenk. »Habe ich schon versucht. Die Programmierung wird durch einen höchst komplizierten Code geschützt.« »Damit wird Ata Xaja schon fertig«, meinte Gal Trenk und be
81 gab sich zur Funkanlage. »Wir beordern sein Technoteam nach Hangar drei. Er braucht jetzt soviel Unterstützung wie nur möglich.« »Daraus wird leider nichts«, bedauerte Juno. »Xaja muß den Steuerungscode ohne Hilfe entschlüsseln. Sein Team wird ihm niemals mehr zur Seite stehen.« Trenk richtete seinen Blick auf die Zentralebesetzer, von denen keiner mehr ein Sensorium trug - und er verstand. Der plötzliche Wegfall des fremdartigen Hyperfunksignals hatte bei den Sensori-enträgem die gleiche Reaktion hervorgerufen wie bei Mun Gowan, dem das Gerät brutal weggerissen worden war. Sie rührten sich nicht vom Fleck und starrten mit leerem Blick Löcher in die Luft. Wo auch immer ihr Geist sich in diesem Moment befand, er würde nie mehr von dort zurückkehren. Wortlos wendete sich der Kommandant von ihnen ab. Er hatte schon auf vielen Schiffen gedient und wußte, daß es hart war, wenn Besatzungsmitglieder im Kampf den Tod fanden. Aber in der Zentrale der DRAKHON hatte nie ein Kampf stattgefunden, und es war hier auch niemand gestorben. Vielmehr befanden sich die ehemals femgesteuerten Tel in einem Zustand ewiger Verdammnis. Gal Trenk hätte am liebsten den Befehl gegeben, die armen Teufel zu liquidieren. Über den Bordfunk erteilte er Ata Xaja die Anweisung, mittels der neuartigen Geräte im Spezialbeiboot schnellstens herauszufinden, welcher Code für die Übernahme der Schiffssteuerung benötigt wurde. Anschließend versuchte er, mit Cromar Kontakt aufzunehmen. Das klappte noch immer nicht. Auch die Erde blieb für Trenk unerreichbar. Offenbar war die Funkanlage defekt, oder die unfreiwilligen Helfershelfer der Rebellen hatten sie manipuliert. Man konnte zwar Nachrichten von außerhalb des Schiffes empfangen, aber keine aussenden. Für die Suche nach der genauen Fehlerursache war nicht mehr genügend Zeit, und der Cheffunker war momentan mit Wichtigerem beschäftigt. Wahrscheinlich wäre sowieso jede Hilfe von außen zu spät gekommen. 82 Aus dem Haupthangar meldete sich das Bombenentschärfungsteam. Gal Trenk hoffte, wenigstens von
dort eine gute Nachricht zu erhalten. Er wurde jedoch enttäuscht.
»Die Rebellen, beziehungsweise die von ihnen gesteuerten Roboter und Tel haben ganze Arbeit
geleistet«, lautete die nächste Hiobsbotschaft. »Direkt nach der Transition durch den Schirm wird das
Fesselfeld deaktiviert und die Hyperbombe gezündet, unmittelbar im Augenblick des Wiedereintritts.
Jeder Versuch, sie vorher zu entschärfen, führt zur vorzeitigen Zündung. Außerdem verfügt die Bombe
über eine eigene Kursüberwachung und wird unweigerlich explodieren, sollte die DRAKHON vom
vorprogrammierten Kurs abweichen.«
Nie zuvor in seinem Leben hatte sich Trenk derart hilflos gefühlt. Vermutlich war es der Wille der Götter,
die Erde zu vernichten und gleichzeitig die Besatzung der DRAKHON auszulöschen.
Gal Trenk war bereit, sich in sein Schicksal zu fügen. Er hatte getan, was in seiner Macht stand, aber er
konnte die Katastrophe nicht verhindern. Die Götter waren stärker als er.
6.
Jarod, Pondo, Tantal und die Meegs standen vor dem metallenen Bauwerk, das kaum vier Meter aus dem Schutt ragte, aber tief in den Untergrund zu reichen schien. Es war der einzige Gebäudebestandteil weit und breit, der einen intakten Eindruck machte und die atomare Katastrophe unbeschadet überstanden zu haben schien. Die Fläche schimmerte stumpf im Sonnenlicht, stumpf wie massiver Stahl oder ähnliches Material. Jarod Curzon trat näher an die metallene Konstruktion heran. Sie besaß schwere Zuhaltungen und massive Angeln. Was sie bedeutete, war klar ersichtlich. Er streckte die Hand aus - und zog sie rasch zurück, als er das Kribt>eln spürte, das seine Fingerspitzen durchfuhr. Konnte das sein? Er versuchte es erneut, legte die flache Hand auf das unsichtbare Hindernis und drückte dagegen, gegen das Kribbeln und gegen den Widerstand. Etwa vier Zentimeter vor der Fläche war Schluß, er kam nicht näher heran. »Ich werde verrückt!« murmelte er. »Ich traue meinem Verstand nicht. Eine Panzerpforte mit einem intakten Prallfeld!« Er wandte sich an einen der Meegs. »Warum war das Prallfeld nicht durch unsere Sensoren anmeßbar, Vromag?« erkundigte er sich bei dem Wissenschaftler, der seinem Verständnis nach so etwas wie ein Hyperfeldphysiker war. »Ich habe jedenfalls nichts dergleichen mit unseren Instrumenten in der Fähre registrieren können!« »Unsere Sensoren reagierten ebenfalls nicht«, antwortete ein anderer Meeg, Tiivos, anstelle Vromags und sah auf das Meßgerät in seiner Reptilienhand. »So gesehen war dieses Prallfeld ein energetisches Neutrum.« »War?« dehnte Pondo Red. »Jetzt nicht mehr?« 84 »Aus dieser germgen Entfernung ist es klar anzumessen«, bestätigte Tiivos.
»Ist das möglich«, wandte sich Jarod an die Nogk, sah aber explizit Tantal an, »daß ein Kraftfeld von den
hypersensiblen Instrumenten der CHARR nicht registriert werden kann?«
»Eigentlich nicht«, kamen die bildhaften Impulse des Kobaltblauen, durch seinen Translator in Worte
verwandelt.
»Aber... ?« dehnte Pondo Red.
»Vermutlich existiert zu viel harte Strahlung in diesem Areal, in der es einfach unterging. Oder es hat sich
erst bei unserer Annäherung aktiviert.«
Auch eine Erklärung, dachte Jarod, wenn auch keine überzeugende.
Der insektoiden Physiognomie des Nogk-Mutanten war nicht zu entnehmen, ob Tantal die Wahrheit
sprach. Doch Jarod Curzon glaubte dennoch ein Zögern gemerkt zu haben. Was soll's, dachte er mit einem
innerlichen Schulterzucken.
Er musterte intensiv die Pforte.
»Sie sieht unbeschadet aus, offenbar wurde sie aus einem Material gefertigt, das dem Bombardement und
den atomaren Feuerorkanen standzuhalten vermochte.«
»Gebaut für die Ewigkeit, wie lange das auch immer in deren Verständnis sein mag. Wobei wir noch
immer keine Ahnung haben, wer >die< eigentlich sind.« Pondo Red war ein paar Schritte zur Seite
gegangen.
»He, kommt mal her!« machte er plötzlich die anderen auf etwas aufmerksam, das er entdeckt hatte.
»Was ist?«
Die Nogk und Jarod folgten Pondos Winken.
Auf der rechten Seite der Panzerpforte waren schwach Zeichen im Material zu sehen; Symbole, die nur
unter einem bestimmten Blickwinkel zu erkennen waren und die sich veränderten, je nachdem welche
Stellung der Betrachter einnahm.
Tantal studierte lange die Symbole.
»Erkennst du etwas?« fragte der Terraner drängend. »Kommen sie dir bekannt vor?«
Nach einem für Jarods Begriffe zu langen Schweigen erwiderte
85 der Kobaltblaue einsilbig: »Nein.« Er verstummte, besann sich anders und setzte hinzu: »Zumindest bin
ich mir nicht sicher.«
Pondo grunzte unzufrieden: »Hm. Keine Anhaltspunkte? Nichts?«
»Es könnte sein, daß wir es hier mit einer Art Nogk-Technologie zu tun haben«, meldete sich Meenor zu
Wort, »von der hin und wieder in alten Berichten die Rede ist.« Der Nogk-Historiker und
Sprachwissenschaftler war bereits auf dem siebten Planeten des Systems der Sonne Kimik maßgeblich an
der Erkundung des dort entdeckten eiförmigen Uralt-Wracks beteiligt gewesen.*
»Nichts als Hypothesen!« schränkte Tantal ein.
Die zögerliche Skepsis des Kobaltblauen verursachte Verwunderung bei Jarod und Pondo.
»Ist das auch deine Meinung, Meenor?« wandte sich Curzon an denMeeg. .
»Ich weiß nicht...« Der Nogk-Wissenschaftler pendelte mit den Fühlern; offenbar tauschte er mit den
anderen Meegs mentale Bildimpulse aus, die den beiden Freunden verborgen blieben, verborgen bleiben
mußten, weil die Gedankentransformer der Nogk sie nicht übersetzten. »Das heißt...« Wieder zögerte er,
bewegte ruckartig den insektoiden Kopf mit den karbonschwarzen Facettenaugen und den libellenartigen
Fühlerpaaren in einer Geste der Unbestimmtheit.
»Ja?« fragte Jarod Curzon scharf, schärfer als beabsichtigt, aber so langsam ging ihm der zähe Fortgang
dieser Diskussion in Bezug auf diese Anlage gegen den Strich.
»Kannst du etwas mit ihnen anfangen?« hieb Pondo Red in die gleiche Kerbe. »Ja oder nein!«
»Haben wir nicht ähnliche Symbole in dem auf Kimik Sieben entdeckten Wrack gesehen, Tantal?«
»In gewisser Weise ist das zutreffend«, bestätigte der Kobaltblaue. »Diese Symbole scheinen mit vielen
aus dem Wrack übereinzustimmen.«
»Ausgezeichnet«, freute sich Pondo Red. »Das ist doch schon
;
Siehe Drakhon-Zyklus Band 18: »Verlorenes Volk«
86 ein Fortschritt.« Er schwieg einen Moment. »Und sicher weißt du auch, wie wir die Panzerpforte überwinden können?« »Möglich.« Tantal richtete seine Fühlerpaare auf den Leutnant. »Die Anlage sieht zwar nicht unbedingt nogk-typisch aus, nach unserem heutigen Kenntnisstand. Aber sollte es sich um ein solches Bauwerk handeln, gibt es die eine oder andere Möglichkeit, das Tor zu öffnen.« »Vorausgesetzt, wir können das Prallfeld deaktivieren«, gab Jarod Curzon zu bedenken. Der Nogk-Mutant vollführte mit seinem ausgestreckten Arm eine undeutbare Geste. »Das dürfte keine Schwierigkeit bereiten«, erwiderte er zur Überraschung der beiden Männer. »Ach nein...! Und wie willst du das anstellen?« Jarod Curzons verwunderter Blick wanderte zu Pondo Red, der ebenso erstaunt zurückblinzelte. Tantal legte den Insektenkopf schief und überließ es den Terra-nem, diese Geste zu deuten. »Damit«, erwiderte er einsilbig und zog ein Gerät von der Größe einer menschlichen Hand aus einer der unergründlichen Taschen seines Schutzanzuges, ehe er fortführ: »Schwache Prallfelder sind im Grunde in ihren energetischen Gittermustem stets ziemlich gleich aufgebaut. Mit diesem Modul kann man ihre Energiestruktur aufbrechen - falls es sich bei dieser Sperre tatsächlich um eine Art Nogk-Technologie handelt.« »Du scheinst davon überzeugt zu sein«, konnte sich Jarod nicht verkneifen zu bemerken. »Ist es dein Kollektivgedächtnis, das dich zu dieser Erkenntnis bringt?« Es war schwer, wenn nicht gar unmöglich, irgendwelche Gemütsreaktionen aus dem Gesicht eines Nogk ablesen zu wollen. Die großen Facettenaugen blickten auf eine Weise, die einem Menschen nur als kalt und indifferent erscheinen konnte. Eine Pause folgte, ohne daß Tantals Transformer irgendwelche semite lepathischen Bildimpulse übermittelte. Was geht in ihm vor? fragte sich Jarod. Er kannte den Nogk und seine Verhaltensweisen viel zu wenig, um sich in sein Inneres einfühlen zu können. Dann ließen ihm die Ereignisse keine Zeit mehr, sich mit der seelischen Befindlichkeit des blauhäutigen Nogk zu 87 beschäftigen.
Tantal hielt das Modul in Richtung der Pforte, und seine Reptilienfinger glitten über die für Nogk-
Verhältnisse ergonomisch geformte Tastatur.
Ein Summen, gerade so an der Schwelle zum Hörbaren, kam von irgendwoher, ein leichtes Flirren
huschte über die metallene Fläche der Panzerpforte, vergleichbar schwachen, elektrischen Entladungen -
und das Prallfeld war verschwunden!
Aber das war nicht alles!
Tief im Untergrund ertönte erneut das Summen. Wurde vernehmlicher, lauter, gewann an Intensität. Dann
erzitterte das schwere Tor der Pforte und begann ganz langsam nach oben wegzuklappen. Die Bewegung
der Pforte hörte auf, als sie nach einigen Minuten waagerecht in verborgenen Halterungen hing und das
Summen übergangslos endete.
»Gratuliere!« sagte Jarod nicht ohne Überraschung. »Du hast es geschafft!«
»Es war ein Zufall«, bekannte Tantal in ungewohnter Bescheidenheit. »Ich war mir nicht sicher... mein
Wissen über diese uralte Technik ist vergleichsweise gering. Aber wir haben in jedem Fall die Pforte
geöffnet. Sehen wir, was uns erwartet.«
Dunkelheit herrschte hinter der Schwelle.
Der Nogk griff nach einem Handscheinwerfer und näherte sich dem vier Meter breiten und etwa drei
Meter hohen Durchgang.
»Halt!« warnte Jarod. »Vielleicht sind Schutzmechanismen eingebaut, die ein unbefugtes Eindringen
verhindern sollen. Auf die Abwehr von versteckten Fallen, womöglich von Energiesperren, sind wir nicht
vorbereitet, und auch nicht dafür ausgerüstet.«
»Haben unsere terranischen Freunde Angst?«
Pondo Red öffnete den Mund zu einer gehamischten Erwiderung, aber eine Handbewegung seines
Freundes stoppte ihn.
»Wir haben keine Angst«, versicherte Jarod. »Und das weißt du, Tantal. Wir sind nur vorsichtig. Deshalb
sind wir ja noch immer am Leben.
88 Außerdem sollten wir einen Funkspruch an die CHARR absetzen und Colonel Huxley von unserer
Entdeckung berichten. Findest du nicht auch?«
»Weshalb?« sperrte sich der Kobaltblaue überraschenderweise. »Es gibt keinen Anlaß, den
Kommandanten zu informieren. Wir sollten davon absehen, uns bei jeder unwichtigen Gelegenheit rückzu
versichern. Was kann schon passieren? Diese Welt ist leer, seit mehr als acht Jahrhunderten eurer
Zeitrechnung.«
»Bedenke«, warnte Jarod noch einmal, »daß sich die ehemaligen Bewohner gegen unbefugtes Eindringen
abgesichert haben könnten.«
»Fallen und Sperren, ich weiß.«
»Kann nicht ausgeschlossen werden. In der Anlage ist Energie vorhanden, wie wir gesehen haben, sonst
wäre das Tor nicht aufgegangen...«
Tantal wedelte mit den Fühlern - ein Achselzucken oder vielleicht mehr ein »Na und?« - und betrat das
dunkle Innere. Die Meegs folgten ihm, und nach einem winzigen Zögern auch die Männer.
Sofort flammten Lichter auf, als sie über die Schwelle traten. Irgendwelche Sensoren schienen ihre
Anwesenheit registriert - und gebilligt zu haben.
Pondo hatte in der gleichen Sekunde den Blaster in der Hand.
Aber kein Strahlengewitter aus automatisch gesteuerten Hochenergiewaffen empfing sie.
Keine Roboter stürzten aus den Wänden, um sie unter Feuer zu nehmen.
»Stop!« bremste ihn Curzon. »Ein automatischer Vorgang. Keine Gefahr!«
»Wenn du es sagst...« Zögernd senkte Pondo die Waffe, ein vorsichtiges Grinsen umspielte seinen Mund.
»Na ja, zumindest müssen wir nicht ganz im Dunkeln tappen«, meinte er doppeldeutig.
Hinter ihnen schloß sich summend das schwere Tor.
Daß sich gleichzeitig mit diesem Vorgang das Prallfeld aktivierte und jeglichen Kontakt zur CHARR
unterbrach, sollte die Gruppe um Tantal erst später erfahren.
89 Im Augenblick erregte es niemandes Aufmerksamkeit, daß die Pforte sie von der Außenwelt abschottete.
Tantal übernahm die Führung.
Jarod sah sich noch einmal über die Schulter zum wieder versperrten Ausgang um, bevor er den ersten
Schritt ins Unbekannte tat und dem Kobaltblauen folgte. Pondo folgte ihm dichtauf.
Die Meegs bildeten den Abschluß.
Pondo hob die Nase und schnüffelte ein paarmal unüberhörbar. »Merkwürdig«, sagte er, »die Luft ist
weder abgestanden, noch riecht sie alt!«
»Sollte sie das?«
»Du kannst vielleicht Fragen stellen«, hielt Pondo seinem Freund und Partner vor. »Mann, dieser
Komplex ist weit mehr als 800 Jahre alt! Hier müßte es riechen wie in einer, einer...«
»Gruft?« half ihm Jarod, und ein Grinsen spielte um seinen Mund.
»So drastisch wollte ich es nicht ausdrücken, aber ich habe diese Sauberkeit und Frische nicht erwartet.«
»Was willst du, spricht doch nur für die Effizienz der Umweltsysteme!«
»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte Pheerkor, der neben sie getreten war und auf sie herabsah; seine
Fühler drehten sich unablässig wie eine biologische Radaranlage.
»Doch, doch. Alles bestens«, versicherte Jarod Curzon. »Mein Partner wunderte sich nur ein bißchen über
die Qualität der Atmosphäre hier drin.«
Der Meeg hob sein Meßgerät. Nachdem er die Daten auf der Anzeige überprüft hatte, erklärte er: »Der
Sauerstoffanteil ist normal, Mikroben oder andere Luftverunreinigungen sind nicht feststellbar. Die Luft
ist sauber.«
Das ist es ja, was meinen Partner stört, war Jarod versucht zu sagen, ließ es aber, da er bezweifelte, ob
der Meeg es verstehen würde. Und so sagte er nur: »Danke.«
Ein breiter Gang lag vor ihnen, leicht schräg nach unten führend. Auf die beiden Freunde wirkte er wie
die Zufahrt zu einer Tiefgarage. Die glatten, kalten Wände wurden durch nichts unterbrochen. Keine
Einschnitte, Öffnungen, Symbole.
90 »Es ist nur der Zugang«, erwiderte Tantal, als Jarod eine Bemerkung zu der Nacktheit des Korridors
machte, »zum eigentlichen Komplex, der liegt tiefer und weiter im Inneren.« Zielstrebig ging er weiter.
Fast zu zielstrebig für den Geschmack der beiden Männer.
Warum habe ich nur den Eindruck, daß er w wissen scheint, wo er hin will? fuhr es Jarod durch den Kopf.
Nach einer Weile fragte er: »Du weißt, worin wir uns hier befinden?«
»Ich glaube, einen ähnlichen Komplex schon einmal gesehen zu haben.«
»Was stellt er dar... eines der legendären Archive?«
»Nein. Kein Kraat-kal-meeg.«
»Hm... bedeutet Kraat-kal-meeg nicht >Herberge des Wissens«
»Das tut es«, erwiderte Tantal und seine Fühler vibrierten leicht.
»Nun, dann handelt es sich vielleicht um einen >Bom der Meegs«
Jarod Curzon war sich bewußt, daß er hier ein heikles Thema anschnitt, ein Mysterium von Tod und
Leben, das sich nur ganz wenigen Gruppen von Eingeweihten innerhalb der Nogk-Hierarchie zur Gänze
erschloß.
Angehörige anderer Spezies, wie beispielsweise die Menschen, konnten sich allenfalls bemühen, es zu
verstehen, mehr nicht. Das Wenige, das er darüber wußte, beschränkte sich auf die dürre Information, daß
der Born der Meegs Totenhalle und Geburtsstation in einem war.
»Nein, auch das nicht«, versetzte Tantal. »Wie ich sehe, hast du dich mit der Geschichte unseres Volkes
auseinandergesetzt.«
»Nur sehr unvollkommen«, wiegelte Jarod ab. »Colonel Huxley legt Wert darauf, daß wir im
Sonnenhangar der CHARR regelmäßig unser Wissen auffrischen, aber das bleibt naturgemäß an der
Oberfläche.«
»Dennoch ein lobenswertes Bestreben, das du und die deinen unbedingt beibehalten sollten, Leutnant.«
Inzwischen waren sie tiefer in die Anlage eingedrungen, waren Rampen hinuntergegangen, hatten Räume
durchschritten, deren
91 Zweck nicht ersichtlich war, einfach, weil sie vollkommen leer waren, hatten Quergänge passiert. Aus diesem Labyrinth zum Ausgang zurückzufinden, war nur mit einem ausgeprägten Orientierungssinn möglich. Wie ihm einmal ein Meeg an Bord der CHARR versichert hatte, besaßen Nogk so etwas; eine bestimmte Region ihres Gehirns war nur dafür vorgesehen, einen einmal gegangenen Weg blind wieder zurückverfolgen zu können. Vergleichbar mit dem biologischen Kompaß von Insekten und Vögeln. »Hierher haben sich jedenfalls keine Kolonisten zurückgezogen, um der Vernichtung zu entgehen«, stellte Jarod fest. »Es fehlt einfach alles, was die Bewohner zum Leben und Arbeiten gebraucht hätten. Oder bist du anderer Meinung, Tantal?« »Durchaus möglich, daß es sich um ein vorwiegend automatisiertes Abwehrfort handelt, das die Kolonisten...« es fiel Jarod auf, daß Tantal es tunlichst vermied, die »blauen Teufel« als Nogk zu bezeichnen »... errichteten, um sich gegen den >alten Feind< zu verteidigen. Wahrscheinlicher aber ist, daß wir eine geheime Forschungsstation vor uns haben. Doch darüber habe ich keine Erkenntnisse, die über vage Vermutungen hinausgehen.« Jarod hielt den Erklärungsversuch des blauhäutigen Nogk-Mu-tanten für eine Ausrede, aber auch er hatte keine andere Lösung parat. Etwas, was sein latent vorhandenes Unbehagen nur noch vertiefte. Außerdem gestand er sich ein, daß er unbestimmte Furcht zu spüren begann. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß sie sich hier schutzlos einer unbekannten Technik aussetzten. Was ihm vor allem auffiel, war, daß die Anlage - zumindest der Teil, durch den sie bislang gekommen waren keinerlei Verfalls- oder Alterserscheinungen zeigte und hochmodem wirkte. So, als würde sie fortwährend gewartet und auf den neusten Stand gebracht. Schweigend marschierten sie weiter. Die Türen öffneten sich wie von selbst, wenn sie sich ihnen näherten. 92 »Bewegungsmelder«, sagte Red und deutete auf die Sensorpunkte neben den Trennschotts.
Alle Gänge und Räume wurden hell, sobald sie eintraten.
Erneut versperrte ein Schott den Weg.
Wieder öffnete es sich automatisch.
Und wie inzwischen gewohnt, wurde es hell, als sie den neuen Abschnitt betraten.
Im weichen Licht vor ihnen lag ein weitläufiger Raum. Er war etwa vier Meter hoch, doppelt so breit und
zwanzig Meter lang. Die Seiten waren in Nischen unterteilt, in denen sich etwas befand, was auf den
ersten Blick nicht genau zu erkennen war.
Erst als sie ganz drin waren, offenbarte sich ihnen der Zweck des Raumes.
Es war ein Magazin.
Eindeutig.
Ein Lagerraum. Für Roboter!
An Schienen und Halterungen, die wie große Bügel aussahen, hingen in den Nischen Roboter eng gepackt
schräg übereinander bis unter die Decke.
Pondo Red spitzte überrascht die Lippen. Gegen die ungeschlacht wirkenden Versionen der
augenblicklichen Robotergeneration auf der Erde waren diese hier ultramodeme Hightechversio-nen.
Glatt, stromlinienförmig. Vielseitige, komplex gebaute Allzweckmaschinen... nein, verbesserte er sich,
vielseitig vielleicht, aber keine Allzweckmaschinen. Diese hier dienten nur einem einzigen Zweck...
»Bei meiner Seel'!« sagte Jarod, der im selben Moment zu einer identischen Erkenntnis gelangte. »Das ist
ja eine Waffenkammer. Es sind Kampfroboter!«
»Platzsparend eingelagerte Kampfmaschinen, richtig«, bestätigte der blauhäutige Nogk. »In den
Magazinen unserer Kampf schiffe wenden wir die gleiche Beförderungsweise an.«
Meenor und die anderen Meegs betrachteten aufmerksam die deaktivierten Roboter.
Pondo Red ging den Mittelgang hinunter, blieb vor der nächsten Nische stehen und betrachtete die
Roboter.
Die kobaltblau schimmernden Oberflächen schienen von etwas
93 bedeckt zu sein.
Vermutlich waren sie eingeölt. Konserviert.
»Höchst interessantes Material«, sagte Pondo, beugte sich vor und streckte eine Hand aus, um die
Oberflächenbeschaffenheit der Roboter zu begutachten.
»Niiicht!« drang Vromags Schrei aus dem Translator.
Aus der Mundöffnung zwischen den Mandibeln schrillten Laute, die so grauenhaft kreischend klangen,
daß Jarod von einem Schauder überlaufen wurde und er in einer Reflexbewegung die Hände über die
Ohren legte; er hatte noch nie die originäre Stimme eines Nogk gehört.
Aber es war bereits zu spät.
Pondos Hand hatte ein Kontaktfeld berührt, dadurch einen Impuls ausgelöst und eine automatisch
ablaufende Reaktion in Gang gesetzt.
Nahezu lautlos geriet die ganze Nische in Bewegung, als die Roboter wie bei einem Paternoster nach
unten gefahren wurden. Der erste erreichte den Boden - und sprang aus seiner Halterung. Die anderen
folgten.
Binnen Sekunden sahen sich Tantal und die Gruppe zehn der Kampfmaschinen gegenüber. In den anderen
Nischen blieb es ruhig.
»Kannst du nicht einmal die Finger von etwas lassen?«, stöhnte Jarod Curzon, an seinen Partner gewandt.
»Neugierde ist wie das Salz in der Suppe«, bekannte der Freund.
»Dann löffle sie aber auch aus«, fauchte Jarod und wich vor dem ersten Roboter zurück, der mit
fließenden und keineswegs ungelenken Bewegungen auf ihn zukam und die Waffenarme hob.
Für die Dauer eines Herzschlages war Jarod ebenso gelähmt wie die Meegs. Er blinzelte das Brennen in
seinen Augen weg, sah die dunklen Mündungen einer merkwürdigen Waffe, die der Roboter an Stelle
einer Hand trug, und stieß endlich den Wamschrei aus, denn er schon längst auf den Lippen hatte.
»Zurück! Versucht Deckung zu finden!«
»Wo denn?« knurrte Pondo und hob im gleichen Atemzug seinen Blaster. »Bleib mir bloß vom Leib,
Blechmaim«, grollte er und schoß in der selben Sekunde.
94 Glutheiß entlud sich der Energiestrahl.
Der Feuerstoß war nur kurz, aber gut gezielt.
Der Roboter wurde etwa in Höhe der Stelle getroffen, wo beim Menschen der Hals saß. Der Kopf klappte
erst nach hinten, dann wurde er von den Schultern gerissen. Die zerfaserten, zerrissenen Kabelstränge
wurden von kleinen Elmsfeuerchen umzüngelt, die qualmend wieder erloschen.
»Wer sagt's denn!« rief Pondo triumphierend. Und drehte sich dem zweiten Roboter zu, der sich zu seiner
ganzen Größe aufrichtete und mit weit geöffneten Klauen auf ihn eindrang. »Das lassen wir mal schön
bleiben«, knurrte Red und betätigte erneut den Abzug. Der Feuerstrahl riß den Roboter von den Beinen.
Er überschlug sich und rollte rückwärts den anderen entgegen, die hüpfend und springend ihrem
metallenen Kollegen auszuweichen suchten.
Dann ging alles rasend schnell über die Bühne.
Fast gleichzeitig entluden sich die Waffen der Nogk-Wissen-schaftler, trieben die acht Roboter
auseinander.
»Vorsicht!« gellte Pondo plötzlich. »Kopf runter, Jarod!«
Curzon fuhr herum, sah die Augen seines Freundes auf sich gerichtet - und die dunkle Mündung der
Strahlwaffe.
Red zielte direkt auf ihn!
Mit einem stoßartigen Ausatmen ließ er sich fallen, als sein Partner abdrückte. Die Feuerzunge aus dem Blaster trieb den hinter ihm aufgetauchten Roboter zurück bis zum Trennschott. Dann schwenkte Pondo die Mündung etwas - und traf den Bewegungsmelder direkt neben dem offenen Trennschott. Das schwere Teil fuhr mit der Schnelligkeit einer Guillotine zu und klemmte den Roboter ein. Metall beulte sich, riß auf, während das Schott sich wieder öffnete, nur um mit noch größerer Wucht erneut zuzufahren. Diesmal trenne es die Beine des Unglücklichen ab. Ein Feuerstoß aus Pondos Strahler trieb den Torso nach draußen in den Gang, wo er mit zappelnden Waffenarmen herumeierte, ehe er qualmend und elektrische Entladungen ausstoßend seinen Geist aufgab. Jarod erhob sich auf die Knie und wandte sich wieder dem Hauptgeschehen zu, nur um zu erkennen, daß inzwischen Tantal 95 und die anderen Nogk den Rest der Roboter mit gezieltem Feuer in eine Ecke des Magazins gedrängt
hatten und sie auszuschalten begannen.
So plötzlich wie er begonnen hatte, so schnell war der Kampf auch schon wieder vorbei.
Die Waffen schwiegen.
»Wurde jemand verletzt?« erkundigte sich Tantal.
»Nein, nur mein Stolz«, versicherte Pondo und trat mit dem Fuß die Reste eines Roboters beiseite.
»Gehen wir weiter«, sagte der Nogk-Mutant als wäre nichts geschehen. Curzon ging ans Ende des
Lagerraumes voraus zum nächsten Trennschott.
Die Tür öffnete sich, als sich die Gruppe näherte.
Curzon schob erst die Mündung seines Blasters durch die Öffnung, dann streckte er den Kopf hindurch
und sah sich um.
»Alles klar«, rief er über die Schulter, bevor er hindurchging. »Keine Roboter weit und breit!«
Die Nogk und Red schlössen zu ihm auf und starrten genau wie er die Anlage an, die sich ihren Blicken
bot.
Der Raum mache den Eindruck eines Kontrollzentrums, wie Tii-vos über seinen Translator artikulierte.
»Vermutlich ein automatisierter Maschinenraum für die Umweltkontrolle des Komplexes. Von hier aus
werden bestimmte Systeme femgesteuert, die zu hochsensiblen Bereichen gehören, in denen sich besser
niemand aufhält.«
»Wegen der Strahlenbelastung durch Meiler und Konverter?«
»Zum Beispiel«, beantwortete Tantal Curzons Frage. »Ich nehme an, in einem Komplex dieser Größe
wird es mehrere davon geben.«
Sie durchquerten den Raum, rührten aber weder die Konsolen noch die Instrumententafeln oder
Steuerelemente mit den unverständlichen Bezeichnungen an.
»Ich gäbe was darum, wenn ich wüßte, wie das alles hier funk
96 tioniert«, murmelte Red.
»Nicht nur du«, versicherte Curzon. »Übrigens, was ich dich schon die ganze Zeit fragen wollte...« Er
verstummte, biß sich auf die Lippen.
»Ja?«
Zögernd und mit gesenkter Stimme sagte Jarod: »Hast du nicht auch das Gefühl, daß wir beobachtet
werden?«
»Von den Nogk? Von Tantal?«
»Ach was!« Jarod lächelte dünn und ohne Humor.
»Sag schon, was bringt dich zu dieser Auffassung?«
»Ich kann es nicht präzisieren. Es ist einfach ein Gefühl, daß außer uns noch jemand hier ist. Jemand, der
jeden unserer Schritte verfolgt.«
»Und wer soll das sein?«
Jarod wurde ärgerlich. »Woher soll ich das wissen? Es ist eben nur so ein Gefühl, Mann.«
»Das ist für meinen Geschmack entschieden zuviel Gefühl. Ich halte mich lieber an Fakten. Aber wenn es
dir hilft - ab jetzt werde ich besonders aufmerksam sein.« Er nickte, als fände er plötzlich Gefallen an
Jarods Vermutung. »Und wenn du ihn zuerst zu Gesicht bekommst, sag mir Bescheid, ich werde mich
dann darum kümmern.« Er klopfte grinsend auf den schweren Blaster an seiner Hüfte.
Jarod warf ihm einen mörderischen Blick zu.
»Einen Rat, mein Lieber. Bleib besser zwei Schritte hinter mir.«
Sie fanden noch mehrere dieser Kontroll- und Kommandoräume, deren Sinn ihnen verborgen blieb.
»Das wird mir jetzt langsam zu dumm«, gestand schließlich Pondo Red, als sie wieder in einem dieser
Räume standen, deren Einrichtungen ihnen nichts als Rätsel aufgaben. »Ich komme mir vor wie ein
Blinder, der in stockdunkler Nacht eine Nadel im Heuhaufen finden will. Wir haben absolut keine
Ahnung, wo wir uns hier befinden und was die technische Einrichtung dieser Anlage für einen Sinn hat.
Wißt ihr was? Ohne technische Unterstützung kommen wir nicht weiter. Ich fordere Hilfe an. Hat jemand
Einwände?«
Als keine gegenteilige Antwort kam, aktivierte er sein Funkgerät
97 und begann die CHARR zu rufen.
Es vergingen vier lange Minuten, ehe er merkte, was ihnen widerfahren war...
7. »Alle Mannschaftsangehörigen nehmen auf der Stelle ihre Plätze in den Rettungsbooten ein! Roboter, die noch intakt sind, begeben sich ebenfalls zum Rettungstunnel! Die Offiziere erwarte ich in der Zentrale mit Ausnahme von Ata Xaja, der weiß, was er zu tun hat!« Gal Trenks kräftige Stimme schallte über die Bordlautsprecher durchs ganze Raumschiff. Nur für einen schwachen Moment hatte er sich seiner Mutlosigkeit hingegeben - nun war er wieder der alte. Frühzeitig aufzugeben kam für ihn nicht in Frage, er würde kämpfen bis zum letzten Atemzug. Hätten die Götter gewollt, daß er sein Schicksal klaglos hinnähme, hätten sie den Rebellen die DRAKHON überlassen. Statt dessen hatten sie Kon Azir vor den Entführern verborgen und ihm die heilige Aufgabe übertragen, das Schiff zu befreien. Azir hatte seinen Part mit Bravour erledigt. Und nun wollte ausgerechnet er, Gal Trenk, Kommandant des modernsten Großkampfschiffes der Tel-Flotte, kneifen? Niemals! Trenk konzentrierte sich vorrangig auf die Rettung der Lebenden. Die lobotomisierten Tel zählte er nicht mehr mit dazu. Nur wenn noch genügend Zeit verblieb, würde er sie in den Booten mitnehmen. Ansonsten wollte er sie auf dem Schiff zurücklassen -was er persönlich für die beste Lösung hielt. Die Heilungschancen für ein total zerstörtes Gehirn waren gleich Null. Ein ehrenvoller Tod im All war mit Sicherheit humaner als ein endloses Dahinvegetieren in einer Klinik. Aus allen Richtungen strömte die Mannschaft in die Rettungsboote. Das war einer der wenigen Momente, in denen die einfachen Raumsoldaten froh waren, nur einfache Raumsoldaten zu sein. Während sich ihre Vorgesetzten bis zum letzten Augenblick 99 der drohenden Gefahr aussetzten, räumte man ihnen jetzt schon die Möglichkeit ein, die nackte Haut zu retten. Auch Kon Azir sollte die Brücke verlassen. Er bat jedoch darum, bleiben zu dürfen. »Ich habe heute mehrfach mein Leben riskiert. Jetzt will ich auch das bittere Ende miterleben, bis zum Untergang.« »Den werden wir in der Tat nicht mehr verhindern können«, machte Gal Trenk ihm deutlich. »Allerdings steht nirgendwo geschrieben, daß ein Kapitän mit seinem Schiff untergehen muß. Sobald wir einen Weg gefunden haben, die DRAKHON von der Erde fernzuhalten, setzen wir uns mit dem Rest der Besatzung in den Rettungsbooten ab.« »Wir sollten die Tarnvorrichtung lahmlegen,« schlug Azir vor, während sich nach und nach die übriggebliebenen Offiziere auf der Brücke einfanden. »Und was bringt uns das?« erkundigte sich der Kommandant. »Laut Plan der Rebellen aktiviert sich sofort nach der Transition ins Sol-System ein starker Ortungsschutz«, antwortete ihm der Raumsoldat. »Die Terranische Rotte wird den Transitionsschock anmessen, mehr aber auch nicht. Die DRAKHON bleibt für ihre Geräte unsichtbar und fliegt ungehindert immer näher an den globalen Schirm heran. Mal angenommen, der Ortungsschutz wäre abgeschaltet. Dann könnte man auf Terra unser Schiff problemlos ausmachen und unter Beschuß nehmen. Die Hyperbombe würde wirkungslos im Weltall explodieren. Schlimmstenfalls reißt sie ein paar Schiffe der TF mit ins Verderben, falls die ihr zu nahe kommen. Doch die Erde wäre gerettet - und wir ebenfalls, da wir die DRAKHON längst mit den Rettungsbooten verlassen haben.« Einige Offiziere stimmten seinem Vorschlag spontan zu. Etwas zu rasch für Trenks Geschmack. Ganz offensichtlich hatten sie nur ihre Flucht von der DRAKHON vor Augen, je eher desto besser. »Soldat, Sie werden es mal weit bringen, weil Sie mitdenken«, sagte der Wer zu Azir. »Leider ist Ihr Vorschlag unbrauchbar. Glauben Sie wirklich, die TF wird das Schiff ohne jede Vorwarnung sofort zerstören? Die Terraner werden zunächst versuchen, Funkkontakt mit der Besatzung aufzunehmen, schließlich sind wir
100 ihre Verbündeten. Bis sie begriffen haben, in welcher Gefahr sie schweben, erfolgt bereits die nächste Transition hinter den Schirm - und Augenblicke später die gewaltigste Detonation, die es je in der Milchstraße gegeben hat.« »Entschuldigen Sie bitte. Wer, daß ich mir angemaßt...« »Nicht doch, machen Sie sich nicht kleiner als
Sie sind, Soldat. Eigentlich müßte ich mich bei Ihnen entschuldigen, weil ich Sie vorhin wegen des Schadens in Hangar vier zusammengestaucht habe. Die Umstände haben Sie dazu gezwungen - so wie sie mich dazu zwingen, das komplette Schiff aufzugeben. Gäbe es eine Möglichkeit, die DRAKHON zu retten, ich würde mein Leben dafür opfern. Leider habe ich keine Wahl. Die DRAKHON wird un weigerlich von der Bombe vernichtet, mitsamt der neuen Tarnvorrichtung und dem Spezialboot für Hyperfunkelektronik - beides Prototypen, wie die Hyperbombe selbst. Die zerstörten Beiboote und Roboter fallen dabei kaum noch ins Gewicht.« »Ich werde also nicht vor Gericht gestellt?« fragte Kon erfreut. »Selbstverständlich nicht«, antwortete Net Juno an Trenks Stelle. »Man wird Sie nach unserer Rückkehr als Held feiern.« »Falls wir zurückkehren«, warf einer der Offiziere mutlos ein. »Das hängt ganz von Xaja ab«, erwiderte der Kommandant. »Wenn es ihm rechtzeitig gelingt, den Steuerungscode zu ermitteln, haben wir eine reelle Chance.« Offenbar hatte er eine Idee, redete aber nicht darüber, um keine falschen Hoffnungen zu erwecken. »Sollte er es nicht schaffen, brauchen wir einen Alternativplan«, machte Gal Trenk seinen Offizieren klar. »Deshalb habe ich Sie zu mir in die Zentrale beordert, anstatt Sie in den Rettungstunnel zu schicken. Denken Sie nach! Zeigen Sie mir, daß Ihre intensive militärische Ausbildung nicht umsonst war.« In diesem Augenblick ging das Schiff in Transition... Kurz darauf befand es sich mitten im Sol-System. Der »Tarnhelm« versagte nicht. Innerhalb von Sekundenbruchteilen wurde ein nahezu perfekter Ortungsschutz aufgebaut. Auf der Erde sorgte der angemessene Transitionsschock für helle Aufregung. Alarmstart! Eine Einheit von sechs Ringraumern brach umgehend ins All auf. 101 Derweil raste die DRAKHON auf Terra zu. In fünf Minuten würde das getarnte Schiff zur endgültig
letzten Transition ansetzen - zum Sprung durch den Nogk-Schirm.
Die Offiziere in der Zentrale der DRAKHON wurden immer nervöser. Warum sah der Kommandant nicht
endlich ein, daß die Erde nicht mehr zu retten war? Daß es höchste Zeit war, zu fliehen?
Mit ernster Miene starrte Gal Trenk auf die Anzeigen am Kontrollpult. Die letzte Transition würde gleich
erfolgen - und Ata Xaja hatte sich noch nicht gemeldet.
»Geht!« forderte er Net Juno, Kon Azir und die übrigen Anwesenden auf. »Ich verlasse die Brücke als
letzter.«
Azir steckte sich links und rechts je ein Femsteuersensorium in die Uniformtasche - für die
Wissenschaftler auf Cromar - und strebte dann dem geöffneten Panzerschott zu. Ein großer, muskulöser
Brückenoffizier packte ihn hinten am Uniformkragen.
»Loslassen!« verlangte der erschrockene Raumsoldat. »Sonst erreichen wir den Rettungstunnel nicht
mehr rechtzeitig!«
»Deshalb nehmen wir ja den kürzesten Weg«, erwiderte der Große, umschlang ihn mit den Armen und
trug ihn zu einer runden Öffnung im Boden, die sich soeben aufgetan hatte. Gleich daneben befanden sich
noch zwei weitere Öffnungen.
Ohne viel Federlesens warf der Offizier den Soldaten in das Loch und sprang hinterher.
In rasanter Geschwindigkeit rutschte Kon durch eine glatte Röhre. Ihm ging ein Licht auf.
Notausstiegsröhren fürs Brückenpersonal! Beim Bau der DRAKHON wurde wirklich an alles gedacht! Im Rettungstunnel endete die schwungvolle Rutschpartie. Kon landete mit den Füßen voran auf einer Hydraulikmatte und sprang geschickt zur Seite weg. Keine Sekunde zu früh, denn der Große war dicht hinter ihm. Die röhrenförmigen Rettungsboote befanden sich noch samt und sonders im Tunnel. Bis auf das letzte Boot in der Reihe waren alle
102 besetzt - nicht vollständig, viele Plätze blieben leer. Auf einigen wenigen Sitzen hockten Roboter. Niemand saß in ihrer unmittelbaren Nähe. Die Soldaten hielten sicheren Abstand zu ihnen und musterten sie mißtrauisch. Waren die Maschinen wirklich wieder in Ordnung? Oder würden sie noch in letzter Sekunde versuchen, die Notrettungsaktion zu verhindern? Die Ankunft der Offiziere wurde von der Mannschaft mit Erleichterung aufgenommen. Viel hätte nicht gefehlt, und man wäre ohne sie ins All geflüchtet. Jetzt stand dem Schnellstart der Boote nichts mehr im Wege. Kon rannte mit den Ankommenden auf das hintere Rettungsboot zu. Sein Platz befand sich eigentlich in einem der vorderen Boote, doch das spielte jetzt keine Rolle. Auch im Offiziersboot gab es zahlreiche freibleibende Sitze, und auf einem davon schnallte er sich fest. Gal Trenk blieb allein auf der Kommandobrücke zurück - abgesehen von den lobotomisierten Tel, die er nicht mehr hätte retten können, selbst wenn er es gewollt hätte. Die Zeit lief ihm davon. Allmählich mußte er sich eingestehen, daß er verloren hatte, trotz aller Mühen.
Er stellte den Funkkontakt zum Spezialbeiboot für hyperelektronische Kriegführung her.
»Schluß jetzt, Xaja! Raus aus Ihrem Wunderboot, und ab in den Rettungstunnel! Das ist ein Befehl!«
Wer Trenk bekam keine Antwort. Sein Bildschirm blieb leer. Cheffunker Ata Xaja befand sich bereits auf
dem Weg zu den Rettungsbooten...
Gal Trenk war der letzte, der an der Startrampe eintraf. Xaja, der sich an einen der vorderen Sitze
geschnallt hatte, öffnete ihm per Sensorschalter den Einstieg und verschloß ihn gleich wieder.
Fast in derselben Sekunde wurde das erste Röhrenboot hinaus ins All geschossen.
Nun ging es Schlag auf Schlag. Hintereinander jagten die Boote nach draußen. Das Offiziersboot entkam
dem Fiasko nur knapp. Kaum hatte es die DRAKHON verlassen, fand die letzte Transition statt. Der
Doppelkugelraumer verschwand in den Hyperraum...
Die monströse Explosion erfolgte fast zeitgleich mit dem Wie
103 dereintritt. Nichts und niemand hätte das verhindern können, dafür hatten die Rebellen gesorgt.
Und weil ein Unglück bekanntlich selten allein kam, wurden die Tel-Rettungsboote, die nun nicht mehr
unter dem Tarnschutz des Hauptschiffs standen, plötzlich von waffenstarrenden TF-Schiffen umringt.
Unter den Bootsinsassen kam Unruhe auf.
»Die werden uns doch nicht unter Beschuß nehmen, oder?« bemerkte ein Soldat mit bebender Stimme.
»Was denkst du denn?« entgegnete sein Sitznachbar. »Immerhin haben wir gerade ihren Heimatplaneten
vernichtet. Wenn es uns nicht gelingt, ihnen klarzumachen, daß uns keine Schuld trifft...«
Gal Trenk blieb allein auf der Kommandobrücke zurück. Die Zeit lief ihm davon. Er stellte den
Funkkontakt zum Spezialbeiboot her.
»Schluß jetzt, Xaja! Raus aus Ihrem Wunderboot, und ab in den Rettungstunnel! Das ist ein Befehl!«
Ata Xaja war ohnehin gerade im Begriff, die Bootszentrale zu verlassen, als er die Stimme seines
Kommandanten aus dem Funklautsprecher vernahm. Er kehrte nicht um, für Höflichkeit war jetzt keine
Zeit mehr. Wenn er rechtzeitig bei den Rettungsbooten sein wollte, mußte er sich beeilen. Der Cheffunker
war ein mutiger Mann, aber kein Dummkopf - und nur Dummköpfe wußten nie, wann sie zu gehen
hatten.
Wer Trenks Bildschirm blieb leer. Dafür blinkte es auf seinem Kontrollpult wie wild. Xaja hatte ihm ein
»kleines Geschenk« hinterlassen: Die Steuerung war nicht länger blockiert. Der Cheffunker hatte den
Code noch im allerletzten Augenblick geknackt.
Gal Trenk wußte, was passieren würde, falls er den Kurs änderte. Deshalb korrigierte er lediglich die
aktuellen Sprungdaten -eine Angelegenheit von wenigen Sekunden. Statt durch den Nogk-Schirm würde
die DRAKHON nun hoch über die Ebene der Ekliptik transitieren. Die Änderung des vorprogrammierten
Kurses konnte von der Überwachungseinheit der Bombe erst dann erkannt
104
werden, wenn das Schiff am »falschen« Ort aus dem Hyperraum austrat. Und in diesem Augenblick
sollte die Bombe sowieso zünden, Kursabweichung hin oder her.
Der Kommandant zögerte nicht mehr länger und sprang in den Notausstiegskanal.
Als er im hinteren Rettungsboot eintraf, saß Xaja bereits drin.
Die Boote schössen hinaus ins Weltall, und die DRAKHON vollzog ihren endgültig letzten
Transitionssprung.
Weit oben im leeren Raum oberhalb der Umlaufbahnen der Planeten, wo sie keinen Schaden anrichten
konnte, verwandelte sich die Hyperbombe der Tel in einen gewaltigen Feuerball. Ein Poet hätte die
kraftvolle, wenn auch lautlose Explosion im All sicherlich in den schillerndsten Farben beschrieben,
voller Inbrunst und Dramatik - aber da sich in diesem Teil des Weltalls gerade niemand aufhielt, fand das
tosende Inferno ohne Zuschauer statt, sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Allerdings wurde es
auf zahlreichen Planeten der Milchstraße von Meßgeräten registriert.
Plötzlich sahen sich die Tel-Rettungsboote von waffenstarrenden TF-Schiffen umringt. Unter den
Bootsinsassen kam Unruhe auf. Der Wer betätigte das interne Bordfunknetz, um seine Mannschaft zu
beruhigen.
»Die werden uns doch nicht unter Beschuß nehmen, oder?« hörte man daraufhin auf allen Booten die
Stimme eines verängstigten Soldaten.
»Was denkst du denn?« entgegnete ein anderer. »Immerhin haben wir gerade ihren Heimatplaneten
vernichtet. Wenn es uns nicht gelingt, ihnen klarzumachen, daß uns keine Schuld trifft...«
»Dem Hauptplaneten der Terraner ist nichts zugestoßen«, fuhr Gal Trenk dazwischen. »Die Katastrophe
konnte noch einmal abgewendet werden. Damit es nicht aus einem Mißverständnis heraus zu einer
Auseinandersetzung zwischen uns und der Terrani-schen Flotte kommt, werde ich umgehend
Verhandlungen...«
Sein letzter Satz ging im Jubel der Soldaten unter. Der Soldaten? Auch auf dem Offiziersboot ließen die
sonst so steifen Tel ihren Gefühlen freien Lauf. 105 Es kam zu keiner kriegerischen Auseinandersetzung. Wer zur Terranischen Flotte gehörte, war so gut ausgebildet, daß er den Unterschied zwischen feindlichen Kampfraumern und Rettungsbooten einer befreundeten Macht kannte. Dennoch ließen die Terraner Vorsicht walten. Die Boote durften in die Schiffe einfliegen, doch die Insassen mußten bis zur Landung auf ihren Plätzen verharren. Auf Cent Field, dem Raumflughafen von Alamo Gordo, nahm man dann die Besatzung unter größten Sicherheitsvorkehrungen in Empfang. Gal Trenk und einige seiner Brückenoffiziere wurden einem Verhör unterzogen, darunter auch der Cheffunker der DRAKHON, Ata Xaja. Außerdem wurde Kon Azir vernommen, der die Angaben seiner Vorgesetzten in allen Punkten bestätigte. Zu guter Letzt befragte man noch eine kleine Auswahl Raumsoldaten nach den Vorkommnissen. Theodore Bulton, Marschall der terranischen Raumstreitkräfte, und Bernd Eylers, der Leiter der Galaktischen Sicherheitsorganisation, waren bei den Gesprächen persönlich anwesend. Sie hatten keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen - schließlich hatte man Terra schon im Vorfeld über das spurlose Verschwinden der DRAKHON unterrichtet und um Hilfe bei der Suche gebeten. Bulton und Eylers setzten sich mit Henner Trawisheim in Verbindung. Dharks Stellvertreter kontaktierte umgehend den telschen Botschafter. Die Absicht der Rebellen war, Zwietracht zwischen Terranem und Tel zu säen. Sie hatten das Gegenteil erreicht. Der vereitelte Anschlag festigte die Beziehung zwischen beiden Völkern ein wenig mehr. Zwar waren die Bewohner der Erde und die von Cromar noch weit davon entfernt, »dicke Freunde« zu werden, aber sie befanden sich bereits auf dem richtigen Weg. Die DRAKHON-Entführer hatten noch ein weiteres Eigentor geschossen: In letzter Zeit war das Rebellenproblem bei den Tel von offizieller Seite ziemlich verharmlost worden. Man hatte sogar von einer Zerschlagung der Organisation gesprochen. Brutale Attentate waren als »Einzelaktionen ein paar weniger Fehlgeleiteter« abge
106
tan worden. Dadurch hatten sich die Verschwörer in Sicherheit wiegen können. Damit war es nun
vorbei.
Die terranischen Medien überschlugen sich mit reißerischen Berichten über die Heldentat der
gestrandeten Tel. Insbesondere Gal Trenk wurde für seine stählernen Nerven in den Himmel gelobt.
Auch der Cheffunker bekam seinen Teil vom Lob ab. Das meiste erntete jedoch Kon Azir, dessen
Einmanneinsatz mit jeder Darstellung in den Medien aufregender wurde.
Die Besatzung der DRAKHON wurde von zwei Schiffen der Tel abgeholt. Vor dem Abflug erschien
eine Delegation terranischer Politiker auf dem Flughafen (mit massenhaft Journalisten im Schlepptau),
um sich noch einmal bei allen Beteiligten zu bedanken. Stellvertretend für die gesamte Besatzung wurde
Kon Azir der höchste terranische Tapferkeitsorden verliehen, das Kämpferkreuz mit Blastem am Bande.
Auf ganz Terra wurde gefeiert. Die Erde war vor der Totalver-nichtung bewahrt worden. Viele
empfanden das als eine Art Wiedergeburt.
Leider gab es auch Extremisten, die sich über die Rettung ihres eigenen Heimatplaneten erzürnten. In
ihrer Verblendung bezeichneten sie die schiffbrüchigen Tel als Verbrecher, weil sie...
»... sich angemaßt haben, ein Gottesurteil zu verhindern!« (Zitat aus einem mit Drohungen übersäten
Pamphlet, das den Behörden und der Presse zuging).
Überschattet wurden die Feiern zudem vom Tod der lobotomi-sierten Tel. Die DRAKHON und das
Weltall waren für sie zum Grab geworden. In zahlreichen Orten hielt man Gedenkminuten für sie ab.
Auch Kon Azir trauerte um seine Kameraden. Auf dem Rückflug mußte er oft an sie denken.
Als Cromar auf dem Bildschirm in Sicht kam - Azir durfte auf der Kommandobrücke mitfliegen -
verscheuchte er die düsteren Gedanken und freute sich auf das, was ihn auf dem Hauptplaneten des
Telin-Imperiums erwartete. Hier würde man ihn genauso als Helden feiern wie auf der Erde. Seine
Beförderung war bereits beschlossene Sache, die Versetzung auf ein neues Großkampfschiff ebenfalls.
Ihm stand eine steile Karriere bevor.
107
Nur kurz dachte er an seinen Vorsatz, die militärische Laufbahn an den Nagel zu hängen und auf seinen
heimatlichen Kolonialplaneten zurückzukehren. Wieder in der Provinz leben? Niemals! Seine Familie
würde auch weiterhin auf ihn verzichten müssen. Sollte sich sein Vater doch einen anderen Nachfolger
fürs Geschäft suchen. Kon wollte bei der Raumflotte bleiben, denn da gehörte er hin.
Ihm kam die bezaubernde Ika Rave in den Sinn, mit der er auf ewig hatte zusammenleben wollen. Seit
seinem Fortgang hatte er nichts mehr von sich hören lassen. Sollte er sich nicht wenigstens einmal bei
ihr melden?
Ach, vergiß es, Kon! Ika? Wer ist Ika? 108
8. »Die CHARR reagiert nicht auf meine Funksprüche«, sagte Red mit leichter Beunruhigung, obwohl er
versuchte, diese nicht durchklingen zu lassen.
»Hast du die Spannung überprüft?«
»Ha, ha«, machte Pondo und schüttelte den Kopf über eine derartige Unterstellung.
»Etwas schirmt die Funksignale ab«, bestätigte Tiivos; er hatte ebenfalls den Versuch unternommen, die
CHARR zu rufen. »Auch ich bekomme keinen Kontakt zu unseren Kollegen an Bord des Schiffes.«
Plötzlich begann, zumindest für Jarod Curzon, der un-terplanetarische Komplex eine noch unbestimmte,
aber starke Gefahr auszustrahlen. Laut und mit Nachdruck sagte er: »Wir sollten uns sputen und diesen
Komplex verlassen! Ich hasse es, von allem abgeschnitten zu sein. Wir könnten nicht einmal um Hilfe
funken, sollte etwas Unvorhergesehenes geschehen.«
»Kein Grund zur Beunruhigung, Mensch Jarod«, sperrte sich Tantal. »Es ist nur das Prallfeld, das sich
vermutlich wieder aktiviert hat, als wir die Schwelle zu diesem Komplex überschritten haben.
Prallfelder sind in der Lage, Funkwellen einzudämmen.«
»Wir machen uns auf den Rückweg, Nogk Tantal«, bestimmte Jarod. Was du kannst, kann ich schon
lange, dachte er und war sich im gleichen Atemzug bewußt, daß er sich kindisch verhielt. Es brachte
nichts, wenn man eine Unhöflichkeit mit einer anderen beantwortete.
»Ich wollte eigentlich unsere Suche noch eine Weile fortsetzen«, ließ Tantal verlauten.
»Keine Chance«, bekräftigte der Leutnant scharf, »wir machen kehrt.«
Tantal schien wenig begeistert. Unschlüssig lief er vor den
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fremdartigen Konsolen und Anzeigen der unbekannten Technik hin und her, und seine Fühler vibrierten.
»Irgendwann werden wir bestimmte Vorgänge hier auslösen«, fuhr Jarod mit scharfer Stimme fort, »die
wir nicht kontrollieren können, und die darüber hinaus eine Gefahr für Leib und Leben darstellen
können. Für unser Leben, für das eure. Deswegen sollten wir so schnell wie möglich aus der Anlage
verschwinden. Es ist nur zu eurem Besten.«
»Woher willst du wissen, was für uns das Beste ist?« Die in Laute verwandelten Impulse des Meegs
trugen eindeutig ärgerlichen Charakter.
Jarod runzelte leicht die Stirn.
Tantal zeigte sich widerspenstig.
Wollte er seine außergewöhnliche Stellung unter den Nogk hervorkehren?
Hatte er das Gefühl, von dem Terraner gegängelt zu werden?
Ach was, entschied Jarod Curzon, Red und ich sind ausdrücklich vom Kommandanten dazu bestimmt,
ein Auge auf die Kerle zu haben und vor allem den Kobaltblauen vor unüberlegten Handlungen
abzuhalten. Und, verdammt noch mal, dieses Beharren auf eine Fortführung der Suche in diesem
unbekannten Terrain war keine rational zu begründende Handlung. Er sah hinüber zu Meenor, sah, wie
die Fühler des Senior-Meeg, der in seiner gesellschaftlichen Stellung über Tantal stand, aber nie
Aufhebens davon machte, auf den Nogk-Mutanten gerichtet in ungewohnter Heftigkeit vibrierten. Die
beiden kommunizierten auf der Ebene ihrer semitelepathischen Bildimpulse.
Worüber konnte sich Jarod denken.
Und er hoffte, Meenor würde sich durchsetzen.
Er tat es, konnte Jarod zufrieden feststellen, als sich Tantal an ihn wandte und sein Einverständnis für
den Rückzug äußerte.
»Wir können ja jederzeit zurückkommen, mit mehr Leuten und einer umfangreichen Ausrüstung«,
meinte Jarod versöhnlich und um die Spannung abzubauen, die er spürte wie ein elektrisches Feld.
»Machen wir uns auf den Rückweg«, ließen sich Tantals Bildimpulse aus dem Translator hören.
110 Er verließ mit schnellen, raubtierhaften Schritten den Raum. Jarod und Pondo Red folgten ihm,
schließlich die Meegs.
Anfangs kamen sie gut voran. Doch dann sahen sie sich am Weitergehen gehindert. Ein Trennschott, wo
vorher keines war, versperrte ihnen den Weg. Es machte keine Anstalten, sich zu öffnen, als sie sich ihm
näherten.
»Toll«, sagte Jarod Curzon.
»Der Bewegungsmelder funktioniert nicht«, sagte Red überflüssigerweise.
»He, toll«, bekannte Jarod Curzon. »Darauf wäre ich nie gekommen.«
Pondo zuckte die Schultern, sein Grinsen wirkte ein wenig angespannt. »Aber vielleicht könnte Tantal
den Öffnungsmechanismus überlisten.«
»Ich kann es versuchen.«
Tantals Reptilienfinger tasteten über die Sensorplatte mit den fremden Symbolen.
Das Ergebnis war gleich Null.
»Nichts zu machen«, verkündete er schließlich.
»Unser Sesam-öffne-dich-Charme scheint auch nicht mehr zu wirken«, meinte Pondo Red. »Wir haben
offensichtlich unseren Bonus verspielt.«
Niemand reagierte auf die Bemerkungen des Terraners, der damit nur seine aufkeimende Unsicherheit
kaschierte.
»Und jetzt?« Curzon sah Tantal an.
»Dort hinunter«, erwiderte der Nogk-Mutant und deutete auf den quer abgehenden Gang.
»Bist du sicher? Ich war der Meinung, wir wären durch dieses Schott gekommen.«
Tantal ignorierte Jarods Einwand und ging abrupt weiter.
Jarod fluchte, aber er konnte nichts ändern. Wohl oder übel folgte er dem Nogk-Mutanten.
Er bekam noch viele Gelegenheiten zum Fluchen.
Sie fanden den Rückweg nicht mehr; mit einem Schlag hatte sich der Komplex in etwas verändert, das
nicht mit Worten zu beschreiben war.
Nichts war mehr so wie vorher.
111 Unheimliche, rätselhafte und erschreckende Dinge geschahen. Anfangs glaubten sie noch an Halluzinationen, zweifelten an ihrem Verstand. Doch dann bekamen sie mit, daß sich Gangmündungen vor ihren Augen verschoben, daß ihnen plötzlich massive Wände den Weg verstellten, wo vorher noch Durchgänge gewesen waren. Panzerschotts versperrten ihnen den Weg, die weder zu manipulieren waren noch mit ihren vergleichsweise schwachen Handfeuerwaffen beschädigt werden konnten. Die ganze Anlage änderte nach Belieben ihre innere Struktur. Der Vorgang war auch nicht mit Tantals Wissen und den Möglichkeiten seines Kollektivgedächtnisses zu beeinflussen. »Ratten«, sagte Pondo Red plötzlich, als sei ihm eine Erleuchtung gekommen.
»Pondo?«
»Ratten«, wiederholte der Leutnant. »Wir sind Laborratten«, er betonte jeden einzelnen Buchstaben des
letzten Wortes.
»Ist was mit dir?« Jarod sah ihn forschend an.
»Quatsch, mit mir ist nichts«, versicherte der Terraner. »Ich hatte nur schon die ganze Zeit den
Verdacht...« /
»Welchen Verdacht?«
»Daß wir manipuliert werden. Habt ihr das nicht auch gemerkt?«
Die Nogk schwiegen.
Curzon deutete es als höfliche Skepsis.
»Und das ist keine Reaktion auf die anhaltende Streßsituation«, fuhr Pondo Red fort, »falls du mir jetzt
damit kommen willst, Jarod.«
»Will ich doch gar nicht.«
»Dann ist es ja gut. Aber was sagst du zu meiner Vermutung?«
»Ich weiß nicht recht...«
»Aber ich.« Pondo wandte sich jetzt auch an die Meeg. »Habt ihr nicht bemerkt, daß wir uns immer nur
in eine Richtung weiterbewegen können? Immer wenn wir uns davon entfemen wollen, versperrt uns
eine Wand den Weg, oder ein Schott geht nicht auf. Dann öffnete sich ein Tor und zeigt uns so, in
welche Richtung wir zu gehen haben. Findet ihr das nicht merkwürdig?«
»Du meinst...?«
»Jemand benutzt uns.«
112
»Wozu?«
Pondo Red hob die Schultern.
»Wenn ich das wüßte«, bekannte er. »Aber ich habe einen schlimmen Verdacht... wozu verwendet man
Laborratten?«
Das Schweigen dauerte.
Schließlich sagte Jarod Curzon, und eine tiefe Falte bildete sich auf seiner Stirn: »Finden wir es einfach
heraus!«
Sie fanden es heraus.
Spätestens zu dem Zeitpunkt, als sich am Ende eines Korridors wieder einmal ein Tor öffnete, das
vorher nicht zu sehen gewesen war.
Vor ihren staunenden Augen weitete sich ein großer, hellerleuchteter Saal. Ein Raum, zwei Stockwerke
hoch und geschätzte tausend Quadratmeter groß, der wie die monströs vergrößerte Ausgabe einer
militärischen Kampfstation oder das Forschungslabor eines Riesenkonzems aussah. Es war schwer, sich
festzulegen. Zumal nichts in diesem Raum auf irgendeine Weise vertraut wirkte. Er war mit
merkwürdigen Apparaturen ausgestattet, mit Reihen halbrunder, abgeschrägter Konsolen und
unzähligen kleinen und großen spiegeiförmigen Schirmen. Überall flimmerte und blinkte es. An
Halteschienen entlang der Decke bewegten sich roboterhafte Wesen oder Maschinen, die hin und wieder
ihre metallenen Skelette entfalteten und wie monströse Spinnen oder Gottesanbeterinnen über dem
Ganzen hingen, bevor sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand verfielen.
Dominiert wurde der Saal jedoch von einer etwas erhöht angebrachten, kreisförmigen Plattform in der
Mitte. Auf ihr eine Phalanx von Liegen - Jarod zählte exakt 36 - ebenfalls kreisförmig zueinander
angeordnet, über deren Kopfenden merkwürdige, glockenähnliche Apparaturen hingen.
Ohne sein Zutun überlief Jarod ein deutlicher Schauder.
In der kühlen Luft lag eine Atmosphäre der Erregung, der Angst, der Erwartung überraschender,
schrecklicher Geschehnisse.
Die wuchtigen Blöcke entlang der Wände sagten den Terranem
113
überhaupt nichts. Möglicherweise den Nogk, obwohl Jarod Curzon das bezweifelte. An Geräuschen
vernahm man nur ein unterschwelliges Summen, welches verriet, daß hier immense Mengen an Energie
aufgewandt wurden. Doch wozu? Über den Boden schlängelte sich ein wirres Durcheinander von
Energiezuleitungen.
Nachdem Tantal lange prüfend den Saal sondiert hatte, wagte er es, ihn zu betreten. Die anderen folgten.
Sie bewegten sich so vorsichtig, als liefen sie auf dünnem Eis, das jede Sekunde unter ihren Schritten zu
brechen drohte.
»Das gefällt mir nicht!« Pondos Stimme klang aggressiv, angriffslustig. »Gefällt mir überhaupt nicht.
Oder was sagst du?«
»Zumindest ist es kein Labyrinth für Laborratten«, versuchte Jarod seine unterschwellig vorhandene
Beklemmung abzuschütteln.
»Bist du da sicher?« widersprach Pondo.
»Natürlich bin ich sicher«, erwiderte Jarod trocken. Er wollte noch etwas hinzufügen, kam aber nicht
mehr dazu. Von einer Sekunde zur anderen hatte er das Gefühl, in einen Tank mit flüssigem Stickstoff
zu gleiten. Sein ganzer Körper krümmte sich in einem entsetzlichen Kälteschock zusammen.
Laborratten! dachte er noch. Labooorra...
Dann fror auch sein Denken ein.
»Kommandant!«
Du bist tot, mein Junge, sagte eine Stimme in ihm, es kann gar nicht anders sein. Ja, du bist tot.
Manche werden froh darüber sein, andere werden bemängeln, daß du viel w wenig gelitten hast, und sie
haben recht. Denk doch nur mal daran, wem du alles schon Verdruß bereitet hast...
»KOMMANDANT!«
Die Stimme, quäkend, ein wenig krächzend, quälte sich durch Jarod Curzons Hirnwindungen und regte
die Reorganisation eines ausgedehnten Systems von einigen Milliarden Neuronen an.
Er hob die Augenlider, kniff sie jedoch gleich wieder zusammen vor der Fülle der Eindrücke.
Ein Schatten beugte sich über ihn.
114
»Kommandant!«
Eine Stimme, die er kennen sollte.
Doch wem gehörte sie?
»Admiral Curzon!«
Admiral? Wieder beugte sich der Schatten über Jarod. Er blinzelte. Jetzt konnte er das Gesicht erkennen. Über den
Beißwerkzeugen der Mundpartie lagen halbkugelförmige Facettenaugen. Die zwei Fühlerpaare auf dem
Stimansatz des langgezogenen Libellenschädels spielten besorgt.
»Was ist los mit dir, Admiral?«
Kräftige Finger packten ihn an den Oberarmen, schüttelten ihn leicht. »Ich bin es, Naaz, dein
persönlicher Adjutant und Erster Offizier.«
»Und ich bin dein Admiral, schon vergessen?« fauchte Jarod und befreite sich aus Naaz' Griff. »Laß
das, Nichtsnutz von einem Brückenoffizier! Behandle mich nicht wie deinesgleichen!«
Der Nogk war nicht im mindesten beleidigt. »Aber du hast nicht reagiert. Ich dachte schon...«
»Du sollst nicht denken, du sollst gehorchen. Ich habe eben nur über unseren nächsten Schachzug
nachgedacht.«
»Verzeiht, Kommandant. Ich konnte das nicht registrieren.«
Admiral Curzon erkannte erleichtert, daß niemand seinen kurzzeitigen Aussetzer bemerkt hatte. Er
durfte sich vor seiner Mannschaft keine Blöße geben. Oberste Maxime.
»Schon gut«, zeigte er jetzt Gnade und richtete sich kerzengerade auf. Niemand sollte ihm nachsagen,
daß er seine Pflichten als Kommandant einer Armada von 2000 elliptischen Nogckampfraumschiffen
der Gigant-Klasse in einer... ja! in einer Schlacht vernachlässigte.
Die Schlacht.
Nein, es war viel, viel mehr.
Es war die Schlacht aller Schlachten.
»Liegen schon Ergebnisse vor?« erkundigte er sich barsch.
»Sieg auf der ganzen Linie, Admiral! Unsere Verbände haben den größten Teil der Gegner in diesem
Raumgradienten bereits ausgeschaltet. Wir haben es nur noch mit elf konkurrierenden
115
Völkern zu tun.«
Elf?
Warum gerade elf?
Die Zahl schien eine Bedeutung zu haben.
Doch welche?
Nach elf kam zwölf. Ob dies des Rätsels Lösung war?
Mit der seinen insgesamt zwölf Armadas, hochgerüstet und zu allem entschlossen...
Jarod schloß für einen Moment die Augen, die vor Anspannung und Konzentration brannten, und
massierte sie mit Daumen und Zeigefinger.
Dann verdrängte er alle unwichtigen Gedanken und konzentrierte sich wieder auf die Allsichtsphäre und
die Flut der darauf projizierten Daten, während er fragte:
»Eigene Verluste?«
»Keine, Admiral.«
»Hervorragend.« Jarod Curzons Stimme vibrierte vor Zufriedenheit. Hochaufgerichtet und unnahbar saß
er etwas erhöht im hinteren Drittel der Zentrale vor dem glühenden Koordinatennetz der Allsichtsphäre seines Flaggschiffes, der HITAURA II. Zu seiner Rechten und zu seiner Linken saßen seine blauhäutigen Nogk-Of-fiziere und überwachten die Aktivitäten der Kampfbrücke. »Status der Flotte?« begehrte Jarod zu wissen. , Der dafür verantwortliche Nogk-Offizier konsultierte seinen Schirm, und seine gelenkigen Finger flogen über die Bedienfelder der Konsole. »Volle Einsatzbereitschaft«, ließ er verlauten. »Ausgezeichnet«, sagte der Flottenadmiral und versuchte, einen Moment zu entspannen. Daß er mit seinem Verband unbeschadet bis Damok vorstoßen könnte, ohne in weitere Kampfhandlungen verwickelt zu werden, daran wagte er nicht zu denken. Der nächste Feindkontakt konnte ganz anders ausgehen. Dennoch versprach er sich einen Vorteil davon, daß er sich eine neue Taktik ausgedacht hatte, mit der niemand rechnen würde. Das würde den Kampf ebenso vorzeitig beenden, wie die anderen bisher. Mit einem Minimum an Ausfällen. Wobei sich der Flottenadmiral klar darüber war, daß der Terminus >Minimum< 116 dennoch den Tod vieler seiner Nogckrieger bedeuten konnte.
Wieso nur, dachte er plötzlich, werden wir zu diesem Krieg gezwungen?
Er konnte sich nicht erinnern, so sehr er sich auch anstrengte. Ein Teil von ihm sagte, daß es nicht
wichtig war. Ein anderer Teil wiederum wußte, daß es von eminenter Bedeutung wäre, sich zu erinnern.
Kurz spürte er den Anflug von Panik; ein Mann ohne Erinnerungen war tot...
Wo hatte er das mal gelesen?
Oder hatte es jemand zu ihm gesagt?
Jarod schüttelte verwirrt den Kopf... dann stieß irgend etwas in ihm all diese Gedanken tief in sein
Unterbewußtsein zurück und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart. Die Aufgabe als Admiral
dieser Flotte erforderte seine ganze Konzentration. Sein Verband mußte den Planeten für die Nogk
erobern, ungeachtet jeglicher Verluste, die dabei entstanden.
Auf Damok gab es ein Archiv von ungeheurem Wert, das den Feinden der Nogk unter gar keinen
Umständen in die Hände fallen durfte.
»Karoon«, richtete er das Wort an seinen Taktischen Offizier. »Was machen unsere Kontrahenten?«
»Sie versuchen, sich gegenseitig zu überlisten. Jeder möchte der erste auf dem Planeten sein.«
»Verständlich«, nickte der Admiral. »Alle wollen die Herrschaft über den Planeten erringen. Nur
werden wir das am Ende sein. Wir einzig und allein.«
»So wird es geschehen, Admiral«, sagte Karoon, und seine Fühler schwangen vor Begeisterung.
Admiral Curzon schenkte seine Aufmerksamkeit wieder dem Hauptschirm.
Die Allsichtsphäre übermittelte eine vom Bordrechner des Flaggschiffes erstellte virtuelle Darstellung
des Planetensystems mit den Positionen aller elf feindlichen Flottenverbände. Die hin-einprojizierten
Flugbahnen zeigten durchweg einen Vektor in Richtung auf den Archivplaneten.
Die Jagd auf die Beute dauerte unvermindert an.
Admiral Curzon stieß ein Knurren aus. Er würde ihnen die
117 Suppe ordentlich versalzen. Seiner eigenen Flotte hatte er aus weiser Voraussicht eine etwas erhöhte
Position zur System-Ekliptik zugewiesen, so hatte er seine Gegner besser im Blick. Die einzelnen
Flotten waren Tausende von Kilometern voneinander entfernt und mit bloßen Augen nicht
auszumachen. Kurz überlegte der Admiral, ob er nicht mit einem gewagten Manöver die Entfernung
verkürzen und gleich in die Nähe des Archivplaneten springen sollte, das Überraschungsmoment für
sich verbuchend.
Aber ein Hyperraumsprung innerhalb eines Sonnensystems und noch dazu in die unmittelbare Nähe
eines Schwerkraftzentrums, wie es ein Planet darstellte, war ein nahezu unkalkulierbares Risiko. Es gab
nur wenige Kommandanten, die dieses Wagnis für Schiff und Besatzung eingingen. Er, Jarod Curzon,
war einer dieser wenigen, weshalb er sich noch immer mit dem Gedanken trug, es doch zu tun.
Aber während er das Für und Wider abwog, wurde ihm die Entscheidung abgenommen, noch ehe er mit
seinen Überlegungen zu Ende war.
»Die nächste Flotte ist fast auf Schußweite heran«, meldete der taktische Offizier.
Jarod nickte. Nun denn...
»Abdrehen, Naaz!«
»Kommandant?« Der Erste Offizier glaubte, sich verhört zu haben.
»Ich befahl abdrehen!«
Die schneidende Stimme des Admirals warnte jeden, sich noch einmal zu vergewissem, ob er richtig
gehört habe.
»Zu Befehl, Kommandant. Koordinaten?«
Jarod Curzon nannte sie.
»Aber das...« »... bringt uns genau in den Rücken unseres Gegners und verschafft uns den Vorteil, den
wir benötigen, ihn mit Stumpf und Stiel aus dem All zu fegen.«
Ein Signal an der Funkkonsole lärmte los; der zuständige Nogk-Techniker wandte sich an den Admiral.
»Eine Meldung von der NOOLIS, Kommandant.«
Jarod Curzon überlegte kurz; die NOOLIS hatte eine Position
118
inne, die weit außerhalb des Verbandes lag. Sie diente quasi als Horch- und Vorposten - und
Anlaufstelle für die Unmengen von Spionsonden, die Curzons Verband im System ausgesetzt hatte. Er
wandte sich dem Nebenschirm zu, auf dem ihm der Kapitän der NOOLIS entgegensah.
»Was gibt es?«
»Eine der elf Flotten hat ein fast identisches Manöver vollführt und greift die nächstgelegene ebenfalls
von hinten an, Admiral.«
»Standort?«
»Jenseits des Planeten, auf der gegenüberliegenden Seite.«
»Vorerst keine Bedrohung für uns«, winkte Curzon ab. »Im Gegenteil, es kann uns nur zum Vorteil
gereichen, wenn sie sich gegenseitig dezimieren.«
»Verstanden. Ich melde mich wieder, sobald die Lage bereinigt ist - oder sich ändert.«
»Noch eine Minute bis zum Feindkontakt«, meldete der taktische Offizier.
Jarod hob die Hand und gab ein Zeichen.
Die Orterstation stellte die Verbindung zu den Gruppenkommandeuren seiner Rotte her. Der Admiral
beugte sich zur offenen Phase.
»Nexusaufbau!« kam seine Stimme über die Lautsprecher eines jeden seiner Schiffe. »Angriffssequenz.
Bestätigen!«
»Sind bereit, Admiral...«
Die Bestätigungen der einzelnen Geschwaderkommandeure kamen in gewohnt rascher Folge.
»Schußweite in fünf Sekunden«, meldete der taktische Offizier und seine Fühler richteten sich vor
Anspannung steil auf. »Vier... drei... »
»Alle verfügbare Energie in die Schutzschirme!« befahl Kanoo.
»...zwei... eine...«
Und der Admiral ergänzte lautstark: »Angriff!«
Es gelang der Armada Admiral Curzons, die anvisierte Feindflotte nahezu vollständig aufzureiben, bei
nur minimalen eigenen
119 Verlusten. Allerdings schaffte es das gegnerische Flaggschiff, dem Angriff zu entkommen und Damok zu erreichen. Beim nächsten Gegner die gleiche Vorgehensweise anzuwenden, erwies sich als weniger erfolgreich. Der Gegner durchschaute die Taktik frühzeitig und warf alle verfügbaren Kräfte in die Nachhut. Curzon brachte es dennoch fertig, mit halsbrecherischen Manövern seine in Geschwader zu je zwanzig Schiffen uniformierte Flotte mitten unter den überraschten Gegner zu werfen und ihn von innen heraus auszuschalten. Auch hier gelang dem Flaggschiff des Feindes die Flucht auf die Oberfläche des Archivplaneten. Die anderen drei Flotten in Admiral Curzons Nähe behielten stur ihren Kurs bei, was sie folgerichtig ins Verderben führte. Der Verband des Admirals brachte es fertig, mit Höchstfahrt die Flugbahn der drei gegnerischen Flotten zu kreuzen. Die Raumschlacht war eigentlich nur das Ablenkungsmanöver für das Ausbringen von Unmengen hochbrisanter Raumminen und Schwerkraftfallen. Als die Aktion beendet war, hatte Jarod Curzon 50 Prozent seiner Schiffe verloren, ein, wenn man so wollte, akzeptabler Verlust angesichts der Tatsache, daß die drei gegnerischen Armaden in dem gigantischen Minenfeld restlos aufgerieben worden waren. Bis auf die drei Flaggschiffe. Ihnen gelang es merkwürdigerweise, ebenfalls zum Planeten Damok durchzubrechen. Ein unerklärlicher Umstand, der vor allem Curzons persönlichem Adjutanten und Erstem Offizier zu schaffen zu machen schien. Der Nogk-Offizier stand stocksteif vor dem Admiral; in seiner martialischen Kampfrüstung sah er aus wie einer der legendären Leibwächter des weisen Kaisers Hitaura. In jeder einzelnen Fassette seiner Augen spiegelte sich Jarod Curzons Gesicht, als er ihn scharf anblickte. »Würdest du das noch einmal wiederholen, Naaz?« forderte er ihn auf. Eine tiefe Falte der Überraschung und Verwunderung furchte seine Stirn. Und zum ersten Mal sah er, wie alt sein Lehr meister und persönlicher Ratgeber tatsächlich war. Nicht mehr lange, und seine Lebensuhr war
abgelaufen.
120 Der blauhäutige Nogk zögerte noch einmal kurz. Schließlich gab er sich einen Ruck und antwortete:
»Du hast offensichtlich ein Pendant...«
»Hab ich mich doch nicht verhört. Was bringt dich zu dieser Auffassung?«
»Jenes Spiegelbild deiner selbst wendet eine fast identische Strategie an, hat die gleichen Ideen,
vollbringt ebenfalls schier Unmögliches, so wie du, Kommandant. Und wie dir gelang es auch ihm, fünf
gegnerische Verbände auszuschalten, bei einem Verlust von 1100 eigenen Schiffe.«
»Zufällige Duplizität der Ereignisse, nichts weiter«, gab Curzon mit einem Achselzucken zu verstehen.
»Möglich, sogar wahrscheinlich. Dennoch, auf diese Weise befinden sich bereits zehn - merke auf! -
unserer Gegner auf dem Planeten Damok. Sie haben sicher schon längst das Archiv erreicht und
eingenommen.«
»Das glaube ich weniger.« Admiral Curzon blieb gelassen. »Aber um deine Befürchtungen zu
entkräften, veranlasse, daß sich 100 unserer Schiffe zur Oberfläche des Planeten begeben, um die zehn
Flaggschiffe unserer Feinde auszuschalten.«
»O welch weiser Entschluß, Admiral«, zeigte sich der alte Haudegen erfreut. »Ich werde die Mission
sofort in die Wege leiten.«
Fast unmittelbar nach Curzons Entscheidung verließen 100 El-lipsoide die Phalanx der Flotte und
begaben sich auf ihre gefährliche Expedition.
Curzon sah sie in der Allsichtsphäre auftauchen, sah, wie sie mit flammenden Abstrahlgittem senkrecht
zur Hauptachse der Armada in Richtung Damok vorstießen.
»Viel Glück«, sagte er leise. Dann wurde er von seinen eigenen Problemen wieder eingeholt.
Die Orterwamung produzierte eine Folge von schnarrenden Warntönen.
»Admiral, wir messen Strukturerschütterungen an.«
»Was...!« Jarod richtete sich auf. Seine Blicke flogen über die geschäftig laufenden Anzeigen seiner
Konsole, während Naaz seinen Platz neben ihm einnahm.
Und schon wieder lärmte eine Warnung durch den Leitstand des
121 Nogk-Flaggschiffes. »Achtung! Objekte materialisieren aus dem Hyperraum, Sektor Blau Zwölf!« rief der taktische Offizier mit gesträubten Fühlern. »Entfernung?« »Dreißigtausend Kilometer!« »Visuelle Darstellung«, befahl Jarod in das Verebben der Warnsignale. »Maximale Vergrößerung!« Auf der gewölbten Allsichtsphäre zeichneten sich vor dem Hintergrund des Alls die ellipsoiden Kampf schiffe des Gegners ab, der als einziger übrig geblieben war. Die Datensequenzen, die der Bordrechner der HITAURA n in die Allsichtsphäre projizierte, gaben ihnen eine Größe, die identisch war mit Admiral Curzons eigenen Schiffen. Jarod hatte keine Zeit, groß Gedanken darüber zu verlieren, weshalb das so war, wie es überhaupt zu verstehen war, daß sämtliche gegnerischen Flottenverbände über identische Raumschiffe verfügten. Im Augenblick wurde ihm von einem Gegner, der ihm, ob er wollte oder nicht, ein gerütteltes Maß an Respekt abverlangte ob seiner strategisch klugen Vorgehensweise, das Gesetz des Handels aufgezwungen. Allerdings warf der Gegner nur 500 seiner Schiffe ins Gefecht, die Hälfte seiner verfügbaren Streitmacht! Als ihm die Bedeutung dieser geringen Zahl klar wurde, stieß Admiral Jarod Curzon ein ärgerliches Schnauben aus. Es zeigte ihm, daß der Gegner seine Armada nicht als besonders großes Bedrohungspotential ansah. Der Zorn, den Jarod für die Arroganz des Feindes hegte, erhöhte sich noch. Gleichzeitig spürte er so etwas wie Nervosität. Man mußte schon sehr von seinen Fähigkeiten überzeugt sein, wenn man derart in der Unterzahl einen Kampf riskierte. Aber das gewagte Manöver des Hyperraum-Sprunges in unmittelbarer Nähe eines anderen Flottenverbandes ließ darauf schließen, daß sich der Feind durchaus für derart über legen hielt. »Was machen wir, Kommandant?« ließ sich der taktische Offizier vernehmen. »Den Fehdehandschuh aufnehmen, Karoon, oder sollen wir etwa kampflos das Feld räumen?«
122 »Natürlich nicht, Admiral!« Karoons Fühler pendelten in einer Weise, die seine ganze Entrüstung
ausdrückte.
»Neue Strukturerschütterungen«, meldete die Taktik.
»Der Feind zieht sich wieder zurück. Vermutlich hat er eingesehen, daß er gegen unsere Übermacht
keinen Bestand hat!«
»Nein, Admiral, 500 weitere Schiffe kommen aus dem Hyperraum. Entfernung nur zehntausend
Kilometer.«
»Was... noch näher?«
»Das ist ihre Taktik!« schrillte Jarods l. Offizier. »Während wir uns noch auf den ersten Verband
konzentrieren, schicken sie den zweiten direkt vor unsere Nase...«
»Das zwingt uns, unserer Geschütze neu zu justieren«, bestätigte der taktische Nogk-Offizier.
Admiral Curzon starrte auf den Schirm und sah die Rematerialisation der restlichen Flotte des
unheimlichen Gegners, die zur Unterstützung angetreten war.
»Bei den schwarzen Wassern von Choo! Das ist...«
»Die erste Gruppe von 500 Schiffen springt jetzt ebenfalls wieder«, übertönte Karoon den Admiral.
»Sie wollen uns einkreisen!« donnerte der altgediente Naaz.
»Da sind sie wieder!« schrie ein Nogk-Techniker von der Funkzentrale auf der rechten Seite der
Leitzentrale. »Seht nur, da kommen sie aus dem Hyperraum. Diese Teufel!«
»Alle verfügbare Energie in die Schutzschirme«, befahl Naaz, der Situationen wie diese schon öfter
unter seinem Flottenadmiral mitgemacht zu haben schien und nicht erst nachfragen mußte, was zu tun
sei. »Greifen wir an, Admiral?«
»Angriff einleiten«, erhob Jarod Curzon seine Stimme und starrte mit brennenden Augen auf die
Allsichtsphäre, während sein Befehl jedes einzelne Schiff seiner dezimierten Armada im gleichen
Augenblick erreichte, in dem er ihn ausgesprochen hatte. In allen Kampfeinheiten schnarrten die
Alarmhömer; der nervende Geräuschorkan lärmte durch sämtliche Decks.
Die Allsichtsphäre zeigte das Geschehen draußen im Raum um den Planten Damok.
Die zweigeteilte gegnerische Rotte bewegte sich jetzt auf einem Zangenkurs auf die Flanken der tief
hintereinander gestaffelten
123 Kampfraumer des Admirals zu, die um sein Flaggschiff, die HITAURA II, ein undurchdringliches Abwehrbollwerk errichtet hatten. Pausenlos feuernd näherten sie sich bis auf eine unglaublich geringe Distanz und wollten schon den äußeren Abwehrring in einem gewagten Manöver durchbrechen, als sie im letzten Augenblick vom Strahlengewitter aus den Strahlgeschützen der sich enger formierenden Schiffe des Admirals erfaßt wurden. Dann schien urplötzlich die vorher einstudierte Schlachtordnung aufzubrechen. In selbstmörderischen Manövern begann ein Kampf Schiff gegen Schiff. In der Schwärze des Weltraums leuchteten Explosionswolken wie giftige Blüten, wenn die Maschinensektionen der Einheiten in Kettenreaktionen regelrecht zerplatzten. Hin und her wogte das Kriegsglück. Mal hatte der Gegner Vorteile errungen, mal büßte er sie wieder ein, weil Admiral Curzons Geschwader im beispiellosen Einsatz verlorenes Terrain wieder wettmachte. Dennoch gelangte Jarod Curzon erstaunt und in gewisser Weise beunruhigt zu der Erkenntnis, daß sein unbekannter Gegner bei bestimmten Manövern eine Spur geschickter operierte, seine Schiffe optimaler einsetzte. Erst als die erlösende Meldung eintraf, daß das Entsendungsgeschwader seinen Auftrag erfüllt hatte und in den Verband zurückkehrte, wendete sich das Blatt. Mit Hilfe der 100 Schiffe konnte die taktische Überlegenheit des Feindes ausgeglichen werden. Die Situation war einem Patt sehr nahe. Mit unverminderter Härte und Verbissenheit nahm der Kampf seinen Fortgang. Die Angriffs- und Abwehrtaktiken waren Ergebnis der Prozesse der Gefechtsrechner, die ein Ausweichmanöver nach dem anderen in Gedankenschnelle errechneten, während sie gleichzeitig selbst Treffer erzielten. Jarod Curzon betrachtete eine Reihe Nebenschirme auf der Hauptkonsole; alle Schiffe seines Verbandes waren in die gleichen Kämpfe und Manöver verwickelt, hatten dieselben Schwierigkeiten, das gleiche Kriegsglück oder -pech. Er klinkte sich in den Nexus der Flottenphase ein und lauschte für kurze Zeit den Anordnungen und Befehlen seiner Geschwaderkommandeure, die wie 124 fernes Geflüster über die abgeschirmte Frequenz an sein Ohr drangen. Dann konzentrierte er sich wieder auf das Geschehen draußen im Raum. Am Schlachtgetümmel änderte sich nichts, außer daß sie beide mehr und mehr Schiffe verloren. Gerade zog ein Pulk Angreifer diagonal über den sichtbaren Ausschnitt der Allsichtsphäre, dem sich eine Formation seiner eigenen Armada mit grell feuernden Energiekanonen in den Weg stellte und dabei eine Reihe Schiffe des gegnerischen Verbandes in lodernden Staub verwandelte. Als sich die glühenden Wolken verzogen hatten und die Sterne des Alls wieder durchschienen, waren die gegnerische Kampf schiffe verschwunden, als hätten sie nie existiert. Von den ehemals riesigen Armadas waren nur noch wenige Verbände übrig, und selbst die wurden mehr und mehr dezimiert. Sie schmolzen dahin wie Schneekristalle im Licht einer Sonne. Es war ein
mörderischer Kampf, mit mörderischem Endergebnis - der kompletten Auslöschung der Kontrahenten.
»Admiral! Die Geschwaderkommandeure verlangen den Einsatz der Netzwerfer. Wir sollten ihrem
Verlangen entsprechen.«
Curzons Kopf ruckte hoch. Er fixierte seinen Ersten Offizier mit gerunzelten Brauen.
»Ist es so schlimm?«
Der alte, zemarbte Nogckrieger signalisierte Bejahung.
Ein kalter Hauch streifte den Admiral.
Netzwerfer!
Die ultimative Waffe im Nogk-Universum. Sie sandte einen Strahl aus, der sich zu einem golden
leuchtenden Energienetz entfaltete, in das der Gegner hineinflog, wobei seine Materie am Auftreffpunkt
völlig zersetzt wurde.
»Admiral!« drängte Naaz fordernd.
Curzons Gedanken schienen den gleichen Auflösungsprozeß zu durchlaufen, wie die kläglichen Reste
seiner einstmals so stolzen Armada.
»Warum zögerst du?«
Wie erwachend hob Curzon den Kopf. Er nickte. »Kamoo, Netzwerfereinsatz!«
125
Die letzten verbliebenen Schiffe, zweiundzwanzig hochgerüstete, mit den neuesten Errungenschaften
nogkscher Waffentechnik ausgestattete Raumer, schickten sich an, gegen einen Gegner vorzugehen, der
ebenfalls über nicht mehr als 22 Schiffe verfügte.
Golden flirrende Energiefelder, entfernt netzförmig, zuckten durch den Raum. Wo sie trafen, entstand
ein Katarakt an lautlos aufblühenden Farbklecksen, deren Intensität sekundenlang das Licht der Sterne
verblassen ließen. Die Kettenreaktion der Zerstörung zerstrahlte dort, wo sie auftraf, alles in
elementarste Teilchen.
Als die Lichtwolken schließlich zerstoben und sich auch noch die letzten Glutspuren verflüchtigt hatten,
war der Angreiferpulk spurlos von den Ortungsschirmen verschwunden - und auch von Curzons
Armada war kein einziges Schiff mehr vorhanden.
Der Gegner hatte mit der gleichen Waffe zurückgeschlagen!
In der Zentrale der HITAURA II herrschte sekundenlang eine Stille, die der des Todes glich.
Erst langsam realisierte Jarod Curzon, daß sein Schiff als einziges das Desaster überstanden hatte.
Hatte es das? Irgend etwas sagte ihm, daß es...
Sein Blick streifte die Allsichtsphäre.
Mit einem wilden Knurren zog er die Lippen hoch.
Das golden schimmernde gegnerische Flaggschiff war unverändert zu sehen.
Und im gleichen Augenblick setzte wieder der Höllenlärm ein, der auf einem Schiff vorherrschte, das
sich in vollem Kampfeinsatz befand.
»...wir werden angegriffen, Admiral«, rief ein Nogk-Techniker an der Orterkonsole.
Jarod Curzon richtete den Blick auf seinen Taktischen Offizier.
»Kamoo?«
»Alle Werfer feuerbereit, Kommandant.«
»Feuer frei!« befahl Curzon mit eisenharter Stimme, als im gleichen Sekundenbruchteil ein gewaltiger
Schlag die HITAURA II traf und den golden schimmernden Druckkörper zum Dröhnen und Schwingen
brachte, während gleichzeitig ihre eigenen Geschütztürme zurückfeuerten. Turmdicke Energiebahnen
zuckten durch den Raum, trafen ihre Ziel und zerstörten ein Drittel des gegneri
126 schen Schiffs.
Auch die HITAURA 11 wurde schwer gezeichnet.
Die Sensoren registrierten eine volle Breitseite, die ihre Steuerbordflanke über sechzehn Decks hinweg
aufriß und alles, was sich in ihnen befunden hatte, in den Raum hinauskatapultierte.
Noch ehe sich der Admiral um einen Schadensbericht bemühen konnte, wurde das Flaggschiff erneut
getroffen. Es bäumte sich unter den neuerlichen Treffern auf.
Jarod Curzon klammerte sich an die Lehnen seines Sitzes, während um ihn ein Chaos aus Lärm
ausbrach. Mannschaftsmitglieder, die von umherfliegenden Teilen getroffen wurden, schrillten lauthals
ihren Schmerz hinaus. Das Kreischen überbeanspruchten Metalls erfüllte die Luft.
Plötzlich war die Zentrale voller Rauch und Feuer. Grellblaue Lichtfluten sprangen aus den Konsolen
und zerstörten sie in einem Aufflammen.
Die HITAURA II begann unkontrolliert zu schlingern und zu rollen. Alles, was nicht niet- und nagelfest
war, bewegte sich selbständig durch den Schiffstorso.
Erneut erbebte sie unter starken Strahltreffem. Der Gestank von schmorendem Kunststoff und
schmelzenden Leitungen reizte die Lungen; ätzender Rauch wälzte sich durch die Kommandozentrale,
durch angrenzende Decks.
Trotzdem ließ die Besatzung nichts unversucht, die Kontrolle über das Flaggschiff zurückzugewinnen. Vergebens. Das Schiff trudelte zerschlagen, mit zu 70 Prozent aufgerissener Hülle durch das All, einen Rattenschweif an Trümmern nach sich ziehend. Sobald es in den Einflußbereich des Schwerefeldes von Damok geriet, würde es völlig auseinanderbrechen, in einer Wolke aus großen und kleinen Teilen auf den Planeten hinunterregnen und zum überwiegenden Teil in der Atmosphäre verglühen. Wieder kam ein Treffer durch. Jarod Curzon, Admiral einer einstmals stolzen Armada von 2000 Schiffseinheiten und Kommandant der HITAURA II, benannt nach dem Kaiser der vorletzten Dynastie, wankte in seinem Kontursitz, schaffte es aber, seinen Platz zu behalten. Ein kleiner Bildschirm 127 seiner Konsole zeigte ihm, daß seine Geschütze und Werferbatterien noch immer Energie besaßen - sie erwiderten das sporadische Feuer des Gegners. Plötzlich schob sich eine Gestalt aus dem Rauch und dem Qualm. Naaz tauchte vor ihm auf; seine Kampfrüstung sah nicht mehr so tadellos aus wie ursprünglich. Ein Fühler war abgeknickt und hing ihm verdreht über dem linken Auge. Eine lange Schramme spaltete die rechte Gesichtshälfte. »Die Zeit ist gekommen, Admiral«, sagte er. »Du muß dich retten.« Sein Schädel bewegte sich ruckartig. »Bist du irre? Ich werde mein Schiff nicht verlassen!« sperrte sich Curzon. »Dummheit!« erwiderte der alte Nogk. »Hast du vergessen, daß deine Mission eine andere ist, als in diesem sterbenden Haufen aus Metall dein Leben zu beenden? Du mußt unter allen Umständen als erster dieses Archiv auf Damok betreten. Es ist wichtig, wichtiger als du glaubst. Nur so kannst du unser Volk retten. Flieh, ehe es zu spät dafür ist. Nimm eine Rettungskapsel. Sie wird dich sicher auf die Oberfläche bringen.« Gedrängt von den Worten seines Adjutanten und Lehrmeisters -und auch durch die überraschend kräftige Nachhilfe seiner Arme -ließ sich Curzon zum Rettungssystem geleiten. Durch Korridore erfüllt mit Rauch und Lärm erreichten sie endlich die Ausschleusungsstation für die Überlebensmodule. Naaz schlug auf die Kontaktplatte, die die Bootsluke öffnete. Eine rote Lampe begann zu pulsieren, ein Warnsignal tönte durch den Vorraum. Admiral Curzon stieg in die kleine Rettungskapsel, die gerade groß genug war für fünf Nogk. Er zwängte sich hinter die Steuerkonsole und kippte eine Reihe von Schaltern in einer bestimmten Folge. Der Sicherheitskäfig schloß sich um seinen Körper, die Luke schlug zu und verriegelte sich automatisch, und der Andruck, mit dem die Kapsel aus dem demolierten Raumschiff herausgeschleudert wurde, preßte ihn gegen die Rückenlehne. Der Torso der HITAURA II war für Sekunden in dem winzigen Cockpitfenster zu sehen, dann war die Rettungskapsel frei und fiel auf den Planeten zu. Und noch im Abschwung konnte Jarod Curzon sehen, wie sich aus dem Wrack seines hartnäckigen Gegners ein Punkt löste und ebenfalls auf Damok hinabstürzte.
9, Ich bin ich. Drei Worte, die leicht dahingesagt sind, -wenn man weiß, wer man ist. Maschine oder Lebewesen. Ich bin beides. Eine lebendige Maschine, beziehungsweise ein Lebewesen, das sein Dasein der Technik verdankt. Der Technik -und der Wissenschaft. Im Verlauf eines wichtigen Experiments im Brana-Tal wurde meine Suprasensorik mit vierundzwanüg Cyborg-Programmge-Urnen verneW. Das Experiment scheiterte - meine Bewußtwer-dung war überhaupt nicht eingeplant gewesen. Ich habe meine Existenz, also einem Fehler w verdanken. Ein Fehler, der nie richtig geklärt wurde, Menschen machen viele Fehler. Maschinen so gut wie nie. Ich bin nahezu perfekt. Selbst früher, als ich noch ein ganz gewöhnlicher Billigroboter aus der Großserienfertigung der Wallis-Werke war, ein seelenloser Apparat ohne jedes Bewußtsein, machte ich nur selten etwas verkehrt - wie mein damaliger Besitzer Echri Ez-bal mir bestätigt hat - und wenn doch, dann hatte man mich entweder versehentlich falsch programmiert oder mir unklare Befehle erteilt. Menschliches Versagen, nicht meines. Mittlerweile programmiere ich mich selbst, somit kann nichts mehr schiefgehen. Wird einer tumben Maschine, wie ich einst eine war, plötzlich Leben eingehaucht, bezeichnet man dies als Turing-Sprung, benannt nach dem 1954 verstorbenen britischen Mathematiker Alan M. Turing, der seinerzeit die Grundlagen für die Computerwissenschaft lieferte. Gemeint ist allerdings kein Sprung ins richtige Leben, in eine von Verstand geprägte Existenz, sondern die Entstehung von Künstlicher Intelligenz Kl ist wie ich in der Lage, ohne
130 fremde Hilfe Programmierungen vorzunehmen, sich stetig weiter-^entwickeln und eigene
Schlußfolgerungen w ziehen - aber sie verfügt über kein echtes Bewußtsein.
Im Gegensatz zu mir. Ich lebe! Ich bin ich, dessen bin ich mir jederzeit bewußt - seit jener
schicksalhaften Nacht vom 18. auf den 19. September 2058, der Nacht meiner Erweckung.
»Ich habe jetzt Zeit für dich, Artus, und erwarte dich in meiner Unterkunft.« Der Viphoanruf des Commanders riß mich aus meinen Gedanken. »Bin gleich da, Dhark«, antwortete ich, während ich mich langsam aus meiner Liegeposition aufrichtete und Sitzstellung ein-nahm. Ich hatte es mir angewöhnt, meine Gesprächspartner durchweg zu duzen und beim Nachnamen anzureden. Das vereinfachte mir den Umgang mit ihnen, weil niemand bevorzugt behandelt wurde, gleich welche gesellschaftliche Stellung er einnahm oder welchen Rang er bekleidete. Im übrigen war mir noch nie so ganz klar geworden, wozu jeder Terraner mindestens zwei Namen brauchte. Mir genügte einer: Artus. Um mich äußerlich von gewöhnlichen Robotern meiner Bauweise zu unterscheiden, trug ich ein schwarzes Stirnband mit dem eingestickten goldenen Buchstaben A. Ich hatte Ren Dhark um ein Zweiaugen-/Zweisensorengespräch gebeten. Um mir die Zeit bis dahin zu verkürzen, hatte ich mich in meiner Kabine einer ausgiebigen Selbstwartung unterzogen. Mit dem Ergebnis konnte ich vollauf zufrieden sein. Meine Mechanik funktionierte fehlerfrei. Auch sonst war technisch alles in Ordnung mit mir, wie ich es erwartet hatte. Zum Abschluß meiner Eigenüberprüfung hatte ich meine gesamten Speicher einem SechzehnsekundenSchnellscan unterzogen, um eventuell versteckte Fehlerquellen aufzuspüren und nötigenfalls zu beseitigen. Gefunden hatte ich nichts, allerdings war ich zwei Sekunden vor Schluß von Dharks Anruf unterbrochen worden. Nicht weiter schlimm, ich würde den kurzen Check bei Gelegenheit wiederholen. Auf dem Weg zu Dharks Kabine dachte ich zurück an den Tag,
131 als mir der Commander der Planeten die terranischen Bürgerrechte verliehen hatte - im Februar 2059. Seither war ich offiziell ein Terraner, mit sämtlichen Rechten und Pflichten. Das mit den Rechten fand ich ganz in Ordnung. Nur die Pflichten machten mir hin und wieder zu schaffen. Insbesondere hier, auf der POINT OF, dem Flaggschiff der TF, verlangte man mir in dieser Hinsicht mehr ab, als ich zu geben bereit war. Teamarbeit lag mir irgendwie nicht, sie war immer mit einem gewissen Maß an Unterordnung verbunden. Andererseits: Würde jeder an Bord machen, was er wollte, würde auf dem Schiff wohl das Chaos ausbrechen. Deshalb zeigte ich mich meistens kompromißbereit. Was blieb mir auch anderes übrig? Obwohl ich meinen Dienst auf der Kommandobrücke versah, verfügte ich über keine Befehlsgewalt. Deshalb glaubte jeder Offizier, mich nach Herzenslust herumkommandieren zu dürfen. Vor allem Dharks bester Freund Riker ließ mich des öfteren spüren, daß er mich für eine Fehlbesetzung hielt. In seinen Augen war ich nur eine eitle, vorlaute Maschine, die besser qualifizierten Be satzungsmitgliedem, welche schon länger auf der Warteliste standen, die Chance verbaut hatte, einen der wenigen freiwerdenden Posten in der Zentrale zu ergattern. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deswegen nicht. Das Leistungsprinzip, das sowohl in der freien Wirtschaft als auch beim Militär angewendet wurde, war schließlich nicht von mir, sondern von den Menschen selbst erfunden worden. So gesehen gab es keinen an Bord, der für einen Posten auf der Brücke qualifizierter war als ich. Gegen meine metallkörperlichen Vorzüge kam die größte Sportskanone nicht an. Zudem hatte ich mir in den vergangenen acht Monaten ungeheuer viel Wissen angeeignet, und ich lernte fortwährend dazu, das ging bei mir ruckzuck. Verglichen damit erfolgte die Weiterentwicklung eines Menschen quasi im Schnarchtempo. Wäre ich kein acht Monate alter Roboter, sondern ein acht Monate alter Mensch, hätte mich Dhark nie auf sein Schiff geholt. Statt meine vielfältigen Fähigkeiten zum Wohle der Allgemeinheit einzusetzen, würde ich unverständliches Zeug brabbeln und beim Laufen dauernd hinfallen.
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Neulich sagte mir ein Brückenoffizier auf den Kopf zu, daß ich nichts weiter als eine denkende
Maschine sei und kein vollwertiges Lebewesen, weil...
».. .weil dir zwei wichtige Erfahrungen fehlen: Kindheit und Alter. Du warst nie ein Kind, Artus, und
wirst nie altem - also lebst du nicht wirklich.«
Damit brachte er mich tatsächlich zum Nachdenken. Letztlich kam ich jedoch zu dem Schluß, daß er sich schwer im Irrtum befand, zumindest was meine fehlende Kindheit anbelangte. Zum Zeitpunkt meiner Erweckung war ich unwissend wie ein Kind. Mein Verstand wuchs heran, indem ich äußere Eindrücke zu logischen Schlußfolgerungen verarbeitete. Das vollzog sich in rasanter Geschwindigkeit, schneller als bei den Menschen. Meine Kindheit war demnach ziemlich kurz dennoch hatte ich eine. Auf die zweifelhafte Erfahrung des Altems hingegen konnte ich getrost verzichten. Was, bitteschön, war denn an diesem dahin-schleichenden Verwelkungsprozeß so erstrebenswert? Dank der modernen Medizin waren die nach und nach einsetzenden körperlichen Gebrechen für die meisten Menschen sicherlich einigermaßen erträglich. Aber daß sie in hohem Alter von ihren Mitmenschen wieder wie Kleinkinder behandelt wurden, nur weil ihre Gehirnzentrale etwas langsamer arbeitete, empfanden viele von ihnen bestimmt als demütigend. Fazit: Die bedeutsamste Lebenszeit eines jeden Menschen lag zwischen seinem Dasein als Kind und seinem Dasein als Greis. Meine superkurze Kindheit hatte ich hinter mir, ein Greis würde ich nie werden - also befand ich mich dauerhaft in den besten Jahren. Ich traf bei der Unterkunft des Commanders ein, und er ließ mich herein. Kaum hatte ich Platz genommen, fiel ich gleich mit der Tür ins Haus, wie die Menschen es auszudrücken pflegten. »Was hältst du davon, Dhark, wenn ich die Rotte der vertriebenen Völker, den Heerzug der Heimatlosen, auf eigene Faust auskundschafte? Allein.« Im Gegensatz zu gewöhnlichen Robotern, die sich immer anhörten, als würden sie in einen Nachttopf sprechen, verfügte ich über eine angenehme Stimme, die ich selbst entwickelt und program
133 miert hatte. Sie hob und senkte sich je nach meiner Gemütslage. Sogar richtig schimpfen konnte ich,
wenn mir danach war.
Dafür gab es während meiner kleinen Unterredung mit dem Commander glücklicherweise keinen
Anlaß. Zwar zeigte er sich anfangs skeptisch, doch als ich ihm von meiner neuesten Erfindung
berichtete, gab er schließlich seine Zustimmung.
»Es schadet sicherlich nichts, zusätzliche Informationen über unsere Gastgeber zu sammeln, Artus.
Speichere sämtliche Eindrücke ab, und lege mir einen ausführlichen schriftlichen Bericht vor. Und paß
auf dich auf! Deine kleine >Lebensversicherung< könnte ganz nützlich sein, aber sie bietet dir keinen
hundertprozentigen Schutz.«
»Ich komme schon klar«, beruhigte ich ihn. »Schließlich bin ich nicht irgendwer.«
»Wo du es gerade erwähnst«, entgegnete Dhark. »Ein kleiner Ratschlag unter Freunden: Bitte vermeide
es nach Möglichkeit, jemanden vor den Kopf zu stoßen. Fremde Völker leben nach fremden Sitten, das
solltest du unbedingt respektieren. Einige Spezies verstehen deinen... sagen wir mal seltsamen Humor
vielleicht nicht.«
»Ja, natürlich, danke für den Rat«, antwortete ich ein wenig verwirrt.
Seltsamer Humor? Was meinte er damit?
»Ich weiß mich zu benehmen und werde Terra nicht blamieren«, versicherte ich dem Commander.
»Wann immer ich auf fremde Lebewesen treffe, werde ich meinen ganzen Robotercharme ausspielen.
Um es mit dem 46 vor Christi verstorbenen Gaius Julius Caesar zu sagen: Ich kam, sah und siegte.«
»Starb Caesar nicht 44 vor Christi?« warf Dhark ein. »Egal, ich wünsche dir jedenfalls viel Spaß bei
deiner kleinen Exkursion, Artus. Bestimmt wirst du eine Menge lernen. Richte dein Sensorenmerk vor
allem auf die Artenvielfalt.«
Auf dem Rückweg zu meiner Kabine überprüfte ich Dharks Todesdatumsangabe. Sein Gedächtnis hatte
ihn nicht getäuscht. Laut meinem Geschichtsspeicher war Feldherr Caesar tatsächlich anno 44 vor
Christi gestorben, exakt am 15. März. Ich hatte eine falsche Jahreszahl genannt.
134 Eine falsche Zahl? Aber das war unmöglich! Ich machte keine Fehler!
Menschen mußten bei Daten, Zahlen, Redewendungen und so weiter ihre Erinnerung bemühen. Ich
hingegen brauchte nur meine Speichereintragungen abzulesen, was üblicherweise innerhalb von
Hundertstelsekundenbruchteilen vonstatten ging. Fast zeitgleich setzte mein unfehlbares Sprachsystem
die abgelesenen Informationen in Worte um, so daß Versprecher nahezu ausgeschlossen waren.
Hoffentlich passiert mir so etwas nicht noch einmal, dachte ich besorgt.
»Nimm die Finger von mir, Obe-ebo! Sonst breche ich sie dir! Alle zehn - und danach kommt die
andere Hand an die Reihe.«
Mit ihren chamäleonartigen Augen musterte die Vierzentnerfrau den schmächtigen Kerl, der neben ihr
an dem klobigen Metalltresen Platz genommen hatte, von oben bis unten. Ihr halsloser Kopf bewegte
sich dabei keinen Millimeter.
Der Angesprochene grinste längs - sein Mund stand senkrecht in seinem Gesicht. Genau wie seine
Augenhöhlen. Die Lider öffneten sich zur Seite weg nach außen hin. Von hinten hätte man ihn für einen
schlaksigen Terraner halten können.
Die Dicke hatte nur bedingt menschliche Maße. Ihre muskulösen Arme reichten ihr bis zu den Füßen.
Obwohl ihre beiden Beine die Ausmaße von ElefantensTarnpf em hatten, hatte sie beim Gehen oftmals
Mühe, ihre Körpermasse im Gleichgewicht zu halten. Zum Ausgleich stützte sie sich meist mit einer
Hand am Boden ab.
Augenblicklich war das nicht nötig, weil sie saß. Ihr Sitz war eine besonders stabile Spezialanfertigung.
Cim-mic, der Wirt, hatte ihn extra für sie an der Theke aufgestellt. Niemand anderer dufte dort sitzen,
sonst gab es Ärger mit ihr. Und wenn eine Muuu so richtig zornig wurde...
»Was hast du nur gegen mich, Lakkkap?« versuchte Obe-ebo erneut bei ihr zu landen, wobei er zärtlich
ihre mächtigen Schultern streichelte. »Wenn du mich erst näher kennenlernst, wirst du
135 feststellen, daß ich gar nicht so übel bin.« »Wir beide gehören nicht zur gleichen Art«, machte die Muuu ihm klar. »Du bist ein Namm!« »Na und? Nichts in diesem Universum ist vollkommen. Ein Namm und eine Muuu könnten durchaus miteinander harmonieren, wenn sie offen sind für gewagte Experimente. Ich stehe auf starke Frauen. Beim Anblick deiner wohlgeformten Rundungen kann ich kaum noch an mich halten. Du bist ein Rasseweib, Lakckap, daran ändert auch der häßliche Lumpen nichts, den du trägst. Zugegeben, du bist nicht mehr die Jüngste, gemessen an der durchschnittlichen Lebenserwartung deines Volkes...« Das hätte er besser nicht gesagt. Lakkkap rammte ihm ihre beiden rechten Ellbogen mit einer derartigen Wucht gegen die hohe haarlose Stirn, daß er reglos von seinem Sitz kippte. Cim-mic war ebenfalls ein Namm, und auch er stand auf korpulente Weiblichkeit. Dennoch hatte er bisher darauf verzichtet, Lakkkap Avancen zu machen. Eine kluge Entscheidung, wie sich jetzt herausstellte. Obe-ebo war tot, seine senkrechten Augenschlitze hatten sich für immer geschlossen. Der Wirt kam hinter der Theke hervor und ergriff seinen leblosen Artgenossen unter den Armen. »Faß mal einer mit an!« rief er den Leuten am Tresen zu. Die anderen Gäste, die verschiedenen Völkern angehörten, kümmerten sich nicht um den Vorfall und blieben dickfellig sitzen oder stehen. Ein Toter mehr oder weniger, daraufkam es hier nicht an. Im übrigen gab es genügend Namms unter den Büßem. Lakkkaps Tod hätte möglicherweise für ein klein bißchen mehr Aufregung gesorgt, zumindest hätte man ihr einen mitleidigen Blick spendiert, denn sie war die letzte ihres Volkes - die einzige Muuu, die es in der Heimatlosen-Flotte noch gab. Ein schrecklicher Virus hatte vor langer Zeit alle ihre Angehörigen dahingerafft. Aufgrund einer Laune der Natur hatte sie als einzige Immune überlebt. Allein auf dem großen Schiff hatte sie damals nicht bleiben wollen, daher war sie zu den Büßem gestoßen. »Nun packt schon mit zu!« verlangte Cim-mic erneut von seinen Gästen! »Wir müssen ihn in den Knochenschredder werfen. Oder sollen ihn die Denunzianten bei mir finden? Die machen mir den
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Laden sofort dicht, dann könnt ihr künftig zusehen, wo ihr euren Fusel herkriegt!« Bei Cim-mic konnte man diverse Sorten von Rauschmitteln bestellen, in flüssiger Form, als Pille oder Pflanze, zum Trinken, Einnehmen, Inhalieren... Was er nicht hatte, besorgte er, so lange man ihn gut dafür bezahlte - in der einzigen Währung, die von den Büßem akzeptiert wurde: Doke. Den Doke gab es nur als Schein, nicht als Münze. Weil seine zumeist ärmlich gekleideten Gäste nur selten gut bei Kasse waren, akzeptierte der Wirt notfalls auch andere Tauschmittel, beispielsweise Naturalien oder bestimmte Dienstleistungen. Geld war ihm jedoch am liebsten. Auf welche Weise es beschafft wurde, war Cim-mic egal, Hauptsache, es landete letztendlich bei ihm. Unangenehme Fragen stellte er nie. Umgekehrt verlor er nie ein Wort darüber, woher er seine Waren bezog; er hatte seine Quellen. Das Deck, auf dem Cim-mic seine Drogenbar eingerichtet hatte, war einstmals eine Raumschiffszentrale gewesen. Die Besatzung hatte das marode Schiff vor etwa zweihundertfünfzig (terrani-schen) Jahren aufgegeben, um auf ein anderes überzuwechseln. Die meiste Technik hatte man beim Umzug ausgeschlachtet oder unbrauchbar gemacht. Der größte Teil der Einrichtung hatte aus Platzgründen zurückbleiben müssen. Jetzt dienten die Blenden der ehemaligen Schaltpulte als Theke, und die Sitze der Offiziere an den Kontrollanzeigen als
Barhocker. Aus Schrotteilen hergestellte Stehtische verteilten sich über den ganzen Raum. In der einstigen Waffenkammer hatte der Wirt sein Warenlager eingerichtet. Einen Namen hatte er seiner Bar nie gegeben, weil sie offiziell gar nicht existierte. Anfangs war das Geschäft nur mäßig angelaufen. Die meisten Büßer waren Einzelgänger, die sich ungern einem Gruppenzwang unterordneten. Mittlerweile hatte sich das »Namenlos« jedoch zu einem begehrten Treffpunkt entwickelt. Man konnte sich auf der ehemaligen Kommandobrücke entweder in Gesellschaft den Verstand zudröhnen oder sich dafür in einen der Nebenräume zurückziehen. 137 »Cim-mic hat recht!« ergriff jetzt ein Gast das Wort und stellte sein Glas, in dem ein übelriechendes Gebräu brodelte, auf einem der Stehtische ab. »Die Leiche muß schleunigst verschwinden, bevor die Denunzianten auf ihrem Kontrollgang...« »Kontrollgang?« unterbrach ihn ein anderer Gast, der sich am selben Tisch aufhielt. »Als sie beim letzten Mal im Elysium herumschnüffelten, erlitt einer von ihnen einen bedauerlichen Unfall. Seither halten sie sich von uns fern.« Beide gehörten derselben Spezies an - dem Volk der Ivel. Sie waren humanoid und in etwa so groß wie ein erwachsener Mensch oder Tel. Ihre ebenmäßigen Körper waren von einer rotschim-memden, leicht öligen Haut überzogen. Kleidung war bei ihnen nicht üblich, sie waren völlig nackt. Spezifische Geschlechtsmerkmale waren mit bloßem Auge nicht erkennbar, zumindest nicht für Angehörige fremder Völker. Die Ivel untereinander wußten natürlich immer, ob sie eine Frau oder einen Mann vor sich hatten. Einer der beiden Ivel blieb, wo er war, der andere half dem Wirt, den Toten hochzuheben. In diesem Moment waren im Zugangstunnel Schritte und Stimmen zu hören. Geistesgegenwärtig warfen Cim-mic und sein öliger Helfer den Leichnam auf den metallenen Bartresen und schoben ihn über den hinteren Rand. Kein leichtes Unterfangen, denn der Knochenbau der hageren Namm war außergewöhnlich schwer. Schwer, aber sehr zerbrechlich. Hart schlug der Körper des Toten hinter der Theke auf. Irgend etwas zerbrach mit lautem, häßlichen Knacken. Da der Fußboden nicht aus Holz bestand, handelte es sich wohl um Obe-ebos Rippen. Kurz darauf betrat ein Trupp Uniformierter das Deck. Die multikulturelle Polizeigruppe bestand aus Angehörigen verschiedener Völker. Ihre Uniformen waren einheitlich beige. Aufgrund der unterschiedlichen Körperformen handelte es sich jeweils um Maßanfertigungen. Auf jedes Kleidungsstück war ein Emblem in Form eines aufrechtstehenden Halbkreises genäht worden - ähnlich dem terrani-schen Großbuchstaben D. Jene Abzeichen befanden sich nicht bei allen Gruppenmitgliedem an der gleichen Stelle, was mit ihrem
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verschiedenartigen Erscheinungsbild zusammenhing. Man hatte den Halbkreis jeweils dort befestigt, wo
er einigermaßen gut zu
B sehen war.
Dem Truppleiter, der dem Volk der Chilp angehörte, war nicht ganz wohl unter seinen Hautschuppen,
als er auf Cim-mic zuging. Sein drittes Auge zuckte unruhig.
Seine bewaffneten Begleiter waren nicht minder nervös. Sie hielten sich im Hintergrund, jederzeit bereit
einzugreifen, wenn es zu einer Auseinandersetzung mit den Büßem kam. Oder zu fliehen, falls die
Situation es erforderte. Manchmal war halt ein takti-,„_ scher Rückzug die beste Verteidigung.
»Bitte zeigen Sie mir Ihre Hyperfunkgeräte«, forderte der Chilp den Wirt auf. »Ich bin verpflichtet...«
Cim-mic ließ ihn nicht ausreden. »Funkgeräte? Hier bei uns im Elysium? Hyperfunk ist in diesem Teil
der Heimatlosen-Flotte ebenso verboten wie der Besitz von Waffen, das wissen Sie doch. Der Saviper
Ona Then Grom setzte das Verbot seinerzeit bei einer Ratsversammlung durch - und selbstverständlich
haben wir uns gefügt.«
Seine Gäste schienen die Polizisten gar nicht zu bemerken. Scheinbar desinteressiert widmeten sie sich
ihren Drogen und Gesprächen. In Wahrheit hörten sie der kleinen Unterredung gespannt zu.
»Na, dann ist ja alles in Ordnung«, erwiderte der Truppleiter und gab den anderen ein Zeichen.
Daraufhin setzte sich die uniformierte Gruppe wieder in Marsch und verließ die provisorische Gaststube
auf demselben Weg, auf dem sie gekommen war.
»Wieso wollten die Denunzianten unsere Funkgeräte sehen?« fragte irgendein Gast verwundert in die
Runde.
»Um sie zu konfiszieren, nehme ich an«, vermutete die Muuu. »Hängt wahrscheinlich mit dem kürzlich
erfolgten Schwerkraftausfall und den anderen unerklärlichen Ereignissen zusammen. Man erzählt sich,
irgendwer habe versucht, die Zyzzkt auf unsere Flotte aufmerksam zu machen.«
»Verstehe«, entgegnete der Wirt. »Wann immer innerhalb des Heerzugs ein Verbrechen geschieht, sucht
man zuerst bei uns nach . den Schuldigen.«
139 »Logisch«, meinte der Ivel. »Meistens waren wir's doch auch.«
Er lachte, als hätte er einen guten Witz gemacht, und die übrigen Anwesenden stimmten grölend,
glucksend oder fiepend in das Gelächter ein.
»Hört ihr das?« sagte im Tunnel einer der Polizisten zu seinen Kameraden und blieb stehen. »Sie lachen
uns aus. Erst ignorieren sie uns, als wären wir gar nicht vorhanden, und nun verspotten sie uns. Wir
sollten zurückgehen und uns Respekt verschaffen, indem wir den gesamten Bereich gründlich
durchsuchen und jeden festnehmen, der uns verdächtig erscheint.«
Er war ein Luware und neu in der bunt zusammengewürfelten Polizeigruppe.
»Wenn wir das tun, bricht innerhalb unserer Flotte der erste Bürgerkrieg aus«, prophezeite ihm der
Truppleiter.
»Ach was, ihr habt doch nur Angst vor denen!« knurrte der Luware. »Dabei sind wir ihnen überlegen,
schließlich haben wir Waffen und sie nicht.«
»Glaubst du das wirklich?« merkte ein seltsam verformtes Truppmitglied vom Volk der Penst an.
»Hätten wir da drinnen zu unseren Strahlenpistolen gegriffen, wären wir nicht mehr lebend aus diesem
verfallenen Schiff herausgekommen. Jeder einzelne von ihnen hatte mit Sicherheit eine verborgene
Waffe bei sich. Die Büßer sind wahre Meister im Organisieren und Verstecken.«
»Ein Grund mehr, die ganze Bande festzunehmen«, meinte der Luware. »Außerdem können wir ihnen
garantiert noch einen Mord anhängen. Wenn wir uns beeilen, ertappen wir sie auf frischer Tat bei der
Beseitigung des Opfers. Ihr wißt, wovon ich rede, nicht wahr? Ganz sicher bin ich nicht der einzige, der
das Paar Namm-Füße gesehen hat, das hinter dem Tresen hervorlugte.«
»Ist auch mir nicht entgangen«, räumte der Chilp ein. »Offensichtlich schläft dort ein trunkener Gast
seinen Drogenrausch aus. Geht uns nichts an.«
10. »Himmel, was für eine gottverlassene Gegend!« murmelte der Admiral und betrachtete die karge, vegetationslose Landschaft. Nicht einen Baum, nicht einen Strauch oder wenigstens eine Grasinsel konnte er sehen. Die felsige Ebene zu seiner Rechten wurde am Horizont von einem hohen Bergrücken begrenzt, zu seiner Linken erstreckte sich ein Sandmeer; endlose Reihen von Dünenkämmen erstreckten sich bis zu jenem Punkt, wo man nicht mehr unterscheiden konnte, wo die Wüste aufhörte und der dun stige Himmel begann. Und in dieser Einöde sollte die Entscheidung über das Wohl und Wehe der Nogk fallen. Er konnte es fast nicht glauben. Dennoch war es so, und er war der Schlüssel dazu. Allein dieses Wissen schmeichelte seinem Ego ungemein. Er drehte sich um und blickte auf die Rettungskapsel, die, halb in die Düne eingegraben, welche ihre Landung etwas abrupt beendet hatte, einen relativ intakten Eindruck machte. Bis auf ein paar Schrammen und Beulen vielleicht. Seine Knochen spürten die Nachwirkungen der rauhen, holprigen Landung immer noch. Aber was beschwerte er sich! Er sollte dem Schicksal dankbar sein, daß er unbeschadet heruntergekommen war. Mit einem Achselzucken beugte er sich durch die offenstehende Luke ins Innere der Rettungskapsel und überflog mit suchendem Blick, was alles an Brauchbarem darin untergebracht war. Seine Stirn runzelte sich irritiert, als er die Menge an Waffen sah. Sollte er etwa einen Privatkrieg gegen eine Armee von Gegnern ausfechten? Er wühlte in der Ausrüstung, bis er fand, wonach er suchte. Er nahm das tragbare Bildsuchgerät in die Hand und machte 141 zwei, drei Schritte weg von der Kapsel, dabei durch den Sucher blickend. Die infolge der Hitze wabernde Luft machte es schwer, ein exaktes Bild von der Umgebung zu bekommen. Dennoch war die massive Panzerfestung, die auf halben Weg zwischen seinem Standpunkt und der Bergkette düster aufragte, nicht zu übersehen. Vor allem nicht zu verfehlen. Gigantische Pyramidentürme ragten in den ockergelben Himmel. Das Archiv selbst wirkte wie ein
Gebirge aus Metall, mächtigen Quadern und geballtem Wissen.
Jarod Curzon setzte den Sucher ab und befestigte ihn am Gürtel.
Die Landung war doch in einiger Entfernung vom Archivkomplex erfolgt, stellt er jetzt mit
Ernüchterung fest. Er warf einen Blick nach oben. Dem Stand der grellgelben Sonne nach war es
entweder Vor- oder Nachmittag.
Damit konnte er sich nicht zufriedengeben.
Er überlegte, in welchem Winkel sich die HITAURA ü dem Planeten genähert hatte, vergegenwärtigte
sich die Lage der Pole und den Winkel der planetaren Achse in Relation zur Systemsonne.
Natürlich... die Sonne stand im Vormittag.
Genügend Zeit, das Archiv zu erreichen, ehe ihn die hereinbrechende Nacht zum Verweilen in dieser
Ödnis zwang.
Zur Kapsel zurückkehrend, prüfte er sein Waffenarsenal.
Er glaubte nicht, daß er einfach so das Archiv erreichen und betreten konnte. Er hatte nicht vergessen,
daß sein Gegner sich ebenfalls aus seinem sich auflösenden Flaggschiff gerettet hatte und sicher unweit
von ihm auf dieser Welt notgelandet war.
Wobei »unweit« durchaus der Entfernung eines halben Tagesmarsches entsprechen konnte. Das konnte
ihm eventuell zum Vorteil gereichen, wenn er sich sputete. Die Aussicht auf einen eventuellen
Vorsprung ließ ihn schnell handeln.
Von den zur Auswahl stehenden Waffen ließ er das meiste unbeachtet und begnügte sich mit einem
weitreichenden Strahler sowie einem Handblaster. Jedes Gramm zuviel an Gewicht würde ihn in dieser
Hitze und unter den Verhältnissen der unwirtlichen Landschaft nur behindern.
Er war bereits einige Schritte gelaufen, als er noch einmal um
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kehrte, die Luke der Rettungskapsel schloß und elektronisch verriegelte.
Dann machte er sich endgültig auf seinen gefahrvollen Weg in Richtung Archiv.
Unter seinen ausgreifenden Schritten wirbelte der Staub empor.
Er erinnerte sich seiner Ausbildung...
Wieso auf einmal? ... und der Vorschriften für lange Märsche unter erschwerten Bedingungen.
Zuerst eine bestimmte Zeitspanne traben...
... die gleiche Zeit normal gehen und dann...
... wieder traben.
Er setzte sein Wissen in die Tat um.
Lief zehn Minuten schnell, abgelöst von zehn Minuten normalen Gehens.
Wolfstrab, nannten das die amerikanischen Ureinwohner, die Indianer...
Wolfstrab? Indianer? Indianer, so hatte ihn Pondo immer genannt, wenn sie im Trainingszentrum lange Strecken mit vollem
Gepäck zurücklegen mußten...
Er runzelte angestrengt die Stirn, während er mit zusammengekniffenen Augen weiterlief.
Was brachte ihn zu dieser merkwürdigen Assoziationskette? Welche Erinnerungen waren das, die sich
da in seinem Verstand ausbreiteten?
Die seinen konnten es nicht sein.
Und noch während er ihnen nachzuspüren suchte, verschwanden sie auch schon wieder, als hätte sie
jemand mit rascher Hand von der Tafel gewischt.
Er lief weiter. Einmal schnell, dann wieder langsamer. Gegen das Pochen seines Pulses und das
Keuchen seiner Lungen.
So vergingen zwei Stunden.
Die dritte.
Er mühte sich eine Steigung hinauf, von der er hoffte, sie würde ^ an ihrem Ende auf direkten Weg zum
Archiv führen. Aber sie
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öffnete sich nur zu einem ausgetrockneten Flußlauf, einer Rinne im Boden, die mit Sicherheit sein Fortkommen verlangsamen würde. Links und rechts stiegen die Wände hoch und ließen keine Möglichkeit zum Ausweichen oder Umgehen. Ein Stein löste sich aus der Felskante. Die Gestalt, die ihn aus Versehen losgetreten hatte, wich blitzschnell wieder in den Schatten eines Felsens zurück. Dennoch warf etwas Metallenes einen Reflex... und nur der unglaublichen Reaktion des Admirals war es zu verdanken, daß ihn der Strahl verfehlte und knapp neben ihm in den Boden fuhr. Steine barsten. Es regnete Splitter. Curzon warf sich zur Seite, rollte auf den Rücken, den Zwei-handblaster in den Händen, und suchte die
Felskante dort ab, von wo sich der Schuß gelöst hatte. Etwas blinkte. Gedankenschnell rollte Curzon sich in die andere Richtung. Erneut fuhr der Strahl aus der Waffe seines unsichtbaren Feindes in den Boden. Inzwischen hatte sich Curzon auf den Knien aufgerichtet. Die Waffe in seinen Händen schickte eine Serie von langen Feuerstrahlen nach oben, die unterhalb der Abbruchkante in den Fels fuhren, eine exakte Reihe von Löchern stanzten und den ganzen Überhang zum Einsturz brachte. Ein ärgerlicher Schrei war zu vernehmen, Wut und Überraschung gleichermaßen ausdrückend, dann rutschte eine wild um sich schlagende Gestalt inmitten einer kleinen Steinlawine den Hang herunter und rollte Curzon fast bis vor die Füße. Kaum waren die Steine zur Ruhe gekommen, als sich der Fremde herumdrehte und seine Waffe auszurichten versuchte. Aber Curzon stand schon über ihm und hielt ihn mit dem Lauf seines schweren Strahlers nieder. »Endstation, mein Bester«, sagte er, trat mit dem Fuß auf die Waffe seines Gegners und erwartete, wenn überhaupt, eine Antwort in einer unverständlichen Sprache. Statt dessen: »Jarod! Jarod, alter Indianer - du bist es, du bist es tatsächlich! Hätte ich mir ja gleich denken können, so wie du gekämpft hast. Viele deiner Manöver draußen im All kamen mir 144
gleich so bekannt vor. Mann, bin ich froh, dich zu sehen und nicht ein vielbeiniges Monster.«
Träume ich? fragte sich Jarod Curzon verblüfft und sagte laut:
»Pondo,du?«
Irgend etwas lief hier ganz gewaltig schief.
Wieso entpuppte sich sein hartnäckigster Gegner als sein Freund? Er fühlte sich wie in einer falschen
Realität gefangen. Sah sich plötzlich neben sich stehen und seine Handlungen beobachten, als wäre er
ein Fremder.
»Aber ja doch, alter Kumpel. Hast du jemand anderen erwartet? Und nimm endlich diese alberne Waffe
von meiner Brust. Oder willst du mich wirklich erschießen?«
Erschießen? Ja, das war es, er mußte ihn erschießen, um zu verhindern, daß...
Sein Finger lag am Auslösekontakt der Waffe, er mußte nur abdrücken...
Abdrücken! »Nein«, sagte er laut und nachdrücklich und schüttelte vehement den Kopf. »Ich will dich nicht töten.
Auch wenn das offensichtlich jemand so haben möchte.«
Er legte die Waffe zur Seite und hockte sich vor Pondo hin, der sich ebenfalls in die Hocke erhob.
»Ich habe das gleiche Gefühl, aber du kennst ja mein etwas einfacher gestricktes Innenleben. Mich kann
man nicht so leicht beeinflussen.«
Jarod beugte sich vor, sah eindringlich auf seinen Freund.
»Weißt du, was hier vorgeht? Wo befinden wir uns? Das ist doch nicht die Wirklichkeit, wie wir sie
kennen, oder?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Pondo Red zögernd, »ich war jedenfalls nie und nimmer Admiral. Auch
wenn ich mir das in meinen heimlichen Träumen vielleicht mal vorgestellt habe.«
»Ich ebensowenig«, nickte Jarod.
In diesem Augenblick geschah etwas, das mit einem Schlag alles veränderte. Vor, hinter und neben
ihnen verblaßte die Ansicht des Planeten Damok. Berge, Dünen, Felsen, alles wurde durchsichtig.
Steme schimmerten auf, kurz nur, machten einer zunehmenden Schwärze Platz.
145 Ein entsetzliches Gefühl ergriff die beiden Freunde. Sie hatten den Eindruck, als würde sich die Zeit erst
dehnen und dann wieder zusammenfalten auf die geringstmögliche Größe einer runden, flachen
Scheibe, in deren Mitte sie sich befanden, angestrahlt von einem grellen Licht, das weder Anfang noch
Ende hatte.
Jarod keuchte erstickt, als sich eine fremde Stimme in seinen Geist drängte...
WARUM KÄMPFT IHR NICHT WEITER? dröhnte es in seinen Schläfen.
»Kämpfen? Warum sollen wir kämpfen?« fragte er laut.
ICH MUSS WISSEN, WER DER BESSERE KÄMPFER VON EUCH BEIDEN IST.
»Wer muß das wissen?«
Ihr unsichtbarer Gesprächspartner ließ diese Frage unbeantwortet. Statt dessen sagte er:
ES KANN NUR EINER ZUTRITT ZUM ARCHIV ERHALTEN. ENTSCHEIDET EUCH, WER VON
EUCH BEIDEN DAS SEIN WIRD.
»Was geschieht mit dem anderen?«
IHR MÜSST DARUM KÄMPFEN. NUR DEM SIEGER GEWÄHRE ICH ZUTRITT, DER ANDERE
MUSS STERBEN.
»Die Frage, ob wir damit einverstanden sind, scheint gar nicht relevant zu sein, oder?«
NEIN! WARUM AUCH.
»Terraner lassen sich nicht gerne als Studien- oder als Versuchsobjekte mißbrauchen. Ist das Antwort
genug?« Pondos Stimme klang kühl, zumindest empfand sie Jarod so, und er fühlte sekundenlang
Bewunderung für die kalte Ruhe des Freundes in sich aufsteigen.
WARUM WEIGERT IHR EUCH?
»Terraner«, sagte Jarod Curzon, »sehen keinen Sinn darin, sich gegenseitig umzubringen, nur um des
Vorteils eines Unbekannten wegen.«
TERRANER? MERKWÜRDIGE INDIVIDUEN.
»Aber als Team unschlagbar. Im Großen wie auch im Kleinen. Wie du an uns feststellen kannst. Ich
werde dir...«
Er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu Ende zu bringen.
146 Ein eisiger Schock fror alle seine Empfindungen ein und warf ihn in eine unergründliche Tiefe.
2ine Hand rüttelte an seiner Schulter. ^» Jarod! Wach auf! Ich bin es!« sagte eine halblaute Stimme
eindringlich.
Jarod hob langsam die Augenlider und starrte in ein bekanntes Gesicht mit braungebrannter Haut und
grauen Augen. Schwarzes Haar umrahmte den markanten Schädel.
»Hallo, Pondo«, murmelte er. »Leben wir noch?«
Pondo Red stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
»Und ob, mein Freund. Komm, hoch mit dir, hab dich nicht so.«
Jarod versuchte es, und es ging besser als erwartet. Er wehrte Pondos Hand ab, der ihm hochhelfen
wollte, und schwang die Beine von der Liege. Er sah auf das herunter, worauf er gelegen hatte, blickte
dann hinüber zu den anderen Liegen, auf denen die Meegs und Tantal noch regungslos verharrten.
»Was sind das für... Dinger7« fragte er leise und scharf und deutete mit dem Kinn auf die
haubenförmigen Apparaturen, die an den Kopfenden der Liegen an ihren Auslegern hingen.
»Hm... ich glaube, es sind Traummaschinen«, erwiderte Pondo Red. »Sie haben uns das erleben lassen,
was wir erlebt haben; als Konimandanten von Flottenverbänden; die Schlacht um Damok, unser beider
Duell auf der Planetenoberfläche.«
»Haben wir gesiegt?«
Pondo grinste plötzlich.
»Auf der ganzen Linie, schätze ich mal. Die Tatsache, daß wir beide als letzte uns noch die Köpfe
blutig geschlagen haben, um am Ende zu merken, daß man uns nur manipuliert hat, ist ein eindeutiges
Indiz.«
»Wir haben also auch unseren Lieblings-Nogk in die Pfanne gehauen?«
»Tantal? Ja, das haben wir. Mit Pauken und Trompeten ist seine gesamte Flotte untergegangen, und
seinem Flaggschiff hast du auf der Planetenoberfläche den Rest gegeben. Es wird ihn fuchsen,
147
wie ich ihn einschätze, aber er muß seine Niederlage im Virtuver-sum wohl akzeptieren.«
»Virtuversum?«
»Mann, virtuelles Universum. Denk doch mal ein bißchen mit. Irgendwann mußt du erwachsen werden,
ich kann nicht immer für dich da sein.«
»Natürlich nicht, Freund Bazooka.«
»Bazooka?«
»Der Treffliche«, erwiderte Jarod grinsend.
Pondo schnaubte und knurrte in falscher Aufgebrachtheit. »Du und deine Sprüche, wo hast du die nur
immer her?«
»Vom Lesen. Du weißt doch, Lesen bildet...«
»Jetzt ist's aber gut«, drohte Pondo. »Ich...« Er verstummte, als sich zwei Liegen weiter ein Meeg regte,
sich aufsetzte und umsah.
Meenor, der Senior der Gruppe. Seine Fühler zuckten.
Jetzt wurde er der beiden Terraner ansichtig, die bereits vor ihm erwacht waren. Er setzte die Füße auf
den Boden und erhob sich zur vollen Größe.
»Habt ihr das gleiche erlebt wie ich?« kamen seine fragenden Impulse über den Translator.
»Raumschlachten? Kämpfe? Tod und Verderben?« Es war Pondo, der es aussprach.
Der Meeg bejahte.
»Wir hatten das Vergnügen. Ich glaube, wir waren sogar Flottenkommandanten ...«
»Wir alle waren Kommandanten einer Flotte, hatten alle identische Träume! Träume von ruhmreichen
Schlachten«, meldete sich Tantal, der behende von seiner Liege sprang und sich zu ihnen gesellte. Nach
und nach begannen sich auch die restlichen Nogk zu regen.
»Nun, ganz so ruhmreich war es für euch ja wohl nicht«, konnte sich Pondo die Bemerkung nicht
verkneifen. »Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, seid ihr alle«, er machte eine umfassende
Handbewegung, »bei den Kämpfen ums Leben gekommen, waren Jarod und ich die beiden einzigen, die
am Ende übrigblieben. Oder sehe ich das falsch?«
Obwohl er mit dem Gedanken spielte, ihn auf die Erfahrungen
148
des Sterbens in der virtuellen Realität anzusprechen, hielt er sich doch zurück. Nogk hatten zum Tod
und zum Sterben ein gänzlich anderes Verhältnis als die Menschen.
»»Ihr habt Glück gehabt, Terraner!« teilte sich der Kobaltblaue mit. »Vermutlich, weil ihr keine Nogk
seid und das Programm deshalb die falschen Schlüsse zog.«
Die fadenscheinigste Erklärung, die ich je gehört habe, dachte Jarod mit einem innerlichen Grinsen,
aber vielleicht kann er nur so sein Gesicht "wahren, von uns beiden im Kampf besiegt "worden zu sein,
selbst wenn es nur in einer virtuellen Welt war.
»Natürlich«, sagte Pondo Red eine Spur gönnerhaft, »so wird es gewesen sein. Im wirklichen Leben
würden wir das ja nie schaffen.«
»Was ist das hier?« lenkte Jarod das Gespräch in eine andere Richtung.
»Wir besitzen ähnliche Zentren«, ließ sich der Meeg Aardan vernehmen, »obwohl ich selbst noch keines
von innen gesehen habe. Diese Anlage hier dient dazu, hervorragende Krieger und Strategen über eine
Simulation zu ermitteln.«
»Eine virtuelle Arena also... Wer überlebt, bekommt des Königs Töchterlein als Belohnung«, Pondo
grinste, als er das Unverständnis der Nogk registrierte, die mit den Märchen und Mythen der ter
ranischen Frühzeit wenig vertraut waren.
Ein leises Summen schwang durch die Luft. Jarod blickte nach rechts. In der Längswand des großen
Saals bildete sich langsam und blendenartig eine Öffnung.
Und dann erschien eine gebeugte, dürre Gestalt, bis auf eine Art kurze Tunika fast nackt, mit
stumpfblauer, lederartiger Haut und einem insektoiden Schädel mit zwei seitlich angesetzten Facetten
augen.
Ein uralter Nogk!
Ein uralter blauer Nogk!
Er kam rasch näher, obwohl er den Eindruck machte, jeden Augenblick das Zeitliche zu segnen. Die
Fühlerpaare waren lang und rollten sich ständig ein.
Das leise Summen erklang wieder. Hinter dem Rücken des alten Extraterrestriers schob sich die
Eingangsblende erneut zusammen
149 und bildete einen Teil der fügenlosen Wand.
Während die Nogk und Tantal vergleichsweise ruhig blieben (zumindest ließen sie sich ihre
Überraschung nicht anmerken), griffen Jarod und Pondo verstohlen nach ihren Blastem, als der Alte die
Gruppe erreichte und seine Schritte verhielt.
»Wriszt gompkglam zkkraat hhmmßhh diiermondur...« drang es plötzlich aus den Translatoren der
beiden.
»Äh, ja... Moment bitte«, sagte Jarod verblüfft. r^_
»Hör zu, Freund!« redete ihn Pondo Red an. »Wir verstehen |f' dich nicht.« Er warf einen Blick auf
Meenor. Der Historiker hielt den Libellenschädel geneigt und suchte einen Sinn hinter den Worten des
Alten. Der hatte sein Interesse jetzt mehr auf Tantal konzentriert, den er offensichtlich aufgrund seiner
blauen Hautfarbe als den adäquateren Gesprächspartner betrachtete. Die anderen Nogk schienen nicht
zu interessieren.
»Was ist, kannst du mit der Sprache etwas anfangen, Tantal?«
Der Kobaltblaue konnte es. Er verfügte über das gesamte Rassegedächtnis der Nogk, war bereits damit
geboren worden und war solchermaßen eines der wichtigsten Geschichtsarchive der Nogk. Er war in der
Lage, weiter als jeder Historiker in die Vergangenheit der hybriden Spezies zu blicken.
»Es ist eine sehr altertümliche Sprachform unseres Volkes. Eine, die schon seit mehr als 2000 Jahren
nicht mehr in dieser Galaxis gesprochen wird...«
»Die du aber verstehst?«
Tantal bejahte nach kurzem Zögern.
»Kannst du seine Impulse in die uns verständliche Sprache transformieren?«
»Ich denke, das geht.«
Über sein Armbandgerät programmierte der blaue Nogk der neuen Generation seinen Translator.
Und dann...
»... für lange Zeit war dieser Ort eine sichere Zuflucht für mich in einem Meer der Ignoranz, der
Unwissenheit. Eine Heimstatt. Ein (unverständlich) in der Brandung von Dummheit und Wahnsinn.
Aber jetzt hat mich die Vergangenheit eingeholt...«
»Er ist offenbar geistig verwirrt«, ließ sich Meenor vernehmen.
150 »Wir sollten uns vor seinen Reaktionen in acht nehmen.« »... ein fremdes Volk hat sich in der Galaxis ausgebreitet, wie von den Sehern des alten Imperiums vorhergesagt. Ein Volk schrecklicher Eroberer. Ein ungestümes, gefährliches Volk, was sich auch daran ermessen läßt, daß es die weitaus besseren Strategen besitzt als das meine. Die Simulation hat es zutage gefördert...« »Der Alte meint uns«, raunte Pondo in Jarods Richtung. »...o wir Unglücklichen«, wandte sich der gebrechliche Alte an Tantal. »Unser Volk ist für immer verloren, die alten Reiche existieren nicht mehr, das einst siegreiche Imperium wird ebenfalls untergehen. Diese Zuflucht des alten Volkes hier war lange Zeit Heimstatt für viele von uns. Nun wird auch sie bald Geschichte sein, doch niemand wird das in ihr gesammelte Wissen je besitzen. Ich habe längst die Selbstzerstörung aktiviert, wie geplant, sollte sich diese Situation je ergeben...« »Verdammt, was ist in den Kerl gefahren?!« »Er sieht uns als Feinde der Nogk an«, bemerkte Jarod auf Pon-dos Ausruf. »Ist das zu fassen?!« Tantal schien zu dem gleichen Ergebnis gekommen zu sein. »Beim Urei aller Nogk«, brach es aus ihm heraus, während sich seine Fühler steil aufstellten. »Was hast du getan, alter Mann! Ter-raner sind unsere Freunde und Verbündete, und das seit einiger Zeit. Wir haben einen der ihren sogar in unseren Rat der 500 aufgenommen...« Der Alte zuckte zusammen. »Also ist es wahr...?« In seinen trüben Facettenaugen, die bereits einige blinde Stellen aufwiesen, flackerten winzige Lichter. »Eine der Prophezeiungen hat davon gesprochen, daß einst ein Volk auferstehen würde, das nach allen anderen noch immer die Galaxis beherrschen wird. Sollte es zutreffen, daß sie es...? 0 ich Unglückseliger. Was habe ich getan?« Er verstummte. Seine Fühler knickten ein; er schien müde, unendlich müde geworden zu sein. Irgendwie bekam die Szene etwas Irreales, fand Jarod Curzon. Das durch den Transformer emotionslos wirkende Lamento des Alten hatte zwar etwas von einem Schmierentheater, war aber fiirchterlicher Ernst. Er zweifelte keine Sekunde, daß der Alte die
151 Wahrheit sprach, mochte er dem Tode noch so nahe sein.
»Mach deinen Fehler ungeschehen!« forderte Tantal mit allem Nachdruck, zu dem er fähig war. »Halte
den Zeittakt der Selbstzerstörung an. Jetzt! Sofort!«
»Unmöglich. Einmal aktiviert, läuft das Programm unbeeinfluß-bar bis zum Ende.«
Tantal ächtete sich zu seiner ganzen Größe auf. »Wärst du nicht schon bereits tot«, verkündete er laut,
»würde ich es selbst besorgen, du...« An dieser Stelle versagte der Transformer seinen Dienst, weil er
keine diesbezügliche Entsprechung im Terrani-schen fand.
»Wir sollten verschwinden«, forderte Jarod, um dessen Mund sich ein harter Zug gebildet hatte.
»Vielleicht gelingt es uns, diesen Komplex noch rechtzeitig vor dem großen Knall zu verlassen.« Er
wandte sich an den Alten. »Wieviel Zeit bleibt uns?«
Der Alte nannte die Spanne.
Umgerechnet handelte es sich um knappe 20 Minuten.
»Das schaffen wir nie und nimmer!« stöhnte Pondo auf. »Nicht aus diesem Irrgarten, zu dem der
Komplex geworden ist, nicht zuletzt wegen dir!« Er starrte mit einem wilden Gesichtsausdruck auf den
Verursacher des ganzen Dilemmas.
»Ich kann die Zerstörung nicht mehr rückgängig machen«, kamen die Impulse des Alten als Laute aus
Tantals Transformer, »aber euch doch den Weg ins Freie ebnen.«
»Dann tue es«, forderte Jarod Curzon kategorisch. »Laßt uns keine Zeit verlieren.«
Der alte Nogk gab einen Code in sein Armbandgerät ein.
Das Tor öffnete sich, durch das sie in diesen Saal gekommen waren.
»Es klappt«, sagte Pondo. »Los, verschwinden wir! Ich...« Er verstummte, als ein harter, metallischer
Klang die Luft im Saal zum Vibrieren brachte.
»Was zum Henker ist das nun schon wieder?« Pondo blickte wild um sich.
Das hallende Hämmern hörte nicht auf, es wurde nur leiser, so als würde es sich entfemen.
»Die Panzerschotts! Sie öffnen sich. Eines nach dem anderen!«
152
rief Jarod und konnte eine gewisse Begeisterung nicht UnterdrÜkken. »Jetzt aber los...!«
Dennoch gab es eine Verzögerung.
»Du kommst nicht mit uns?« erkundigte sich Tantal bei dem uralten Blauen, als dieser keine Anstalten
machte, sich der Gruppe anzuschließen.
»Nein«, erklärte der Alte. »Ich habe mein Leben hier verbracht, hier will ich es auch beenden. Meine
Zeit ist abgelaufen, ich werde sterben. Ich fühle, daß mir nur noch sehr, sehr wenig Zeit bleibt. Dich
aber bitte ich um etwas, bevor du gehst.«
Tantal wartete mit ungewohnter Geduld, bis der Alte fortfuhr:
»Bringe die Terraner zu meinem Volk, damit sie ihm helfen.«
»Das eine kann ich versprechen«, sagte Tantal, »das andere muß ich unseren Freunden überlassen. Aber
wo lebt dein Volk?«
»Nokil«, sagte der Alte. »Vergiß es nie. Nokil!«
Der Alte blieb zurück, als die Gruppe der Nogk und Terraner das Simulationszentrum verließ.
Schon auf der Schwelle, drehte sich Jarod Curzon noch einmal um, warf einen letzten Blick zurück -
und registrierte lediglich das Kleidungsstück, das der alte Nogk getragen hatte. Es lag achtlos auf dem
Boden an der Stelle, an der er ihren überstürzten Aufbruch verfolgt hatte. Daneben eine kleine,
kegelförmige Anhäufung von bräunlichem Staub.
Das ist es, was von uns allen übrig bleibt, durchfuhr es Jarod. Wie vergänglich das Leben doch ist...
Der einsame Wächter dieses Simulationskomplexes hatte noch ein übriges getan. Er hatte ihren
Fluchtweg markiert. Während sie in höchster Eile flohen, lief vor ihnen ständig eine leuchtende
Markierung her, der sie nur folgen mußten.
Sie waren noch keine fünf Minuten unterwegs, als plärrende Laute erklangen.
Sie waren eindeutig mechanischen Ursprungs. Und die gleichförmige Wiederholung eines offensichtlich
immer gleichen Inhalts dachte klar, was sie bedeuteten.
153
Ein Countdown war angelaufen.
Was sie zu noch schnellerem Lauf animierte.
Keuchend, mit hämmerndem Puls, liefen Curzon und Red am Ende der leichtfüßig vornweg rennenden
Nogk.
In dieser Hinsicht waren ihnen die geschmeidigen, langbeinigen Reptilienabkömmlinge überlegen, wie
sich die beiden Männer neidvoll eingestanden.
Endlich erreichten sie die Panzerpforte, die hinaus in die seltsam bedrückende Stille der toten Stadt
führte.
»Geschafft!« stöhnte Pondo.
»Noch lange nicht«, keuchte Jarod zwischen zwei Atemzügen. Er füllte seine Lungen, während unter
seinen trommelnden Füßen der Staub in Wolken emporstieg, verdoppelte seine Anstrengungen und kam
auf gleicher Höhe mit Tantal.
»Wie... lange... noch?«
»Fünf Minuten«, war die Antwort.
Im Laufen sah Jarod auf sein Chrono.
Von den 20 Minuten des Countdowns waren bereits 17 vorüber. Er konnte nur noch hoffen, daß die
Angaben des alten Nogk hinsichtlich der Zeitdauer der Selbstzerstörungssequenz nicht hundertprozentig
exakt waren.
Ansonsten - adieu, du schöne Welt!
Sie mußten sich nicht aus dieser Welt verabschieden, obwohl sie vier Minuten über der Zeit lagen. Als
sie die Fähre vor sich auftauchen sahen, sie erreichten und sich ins Innere retteten, brachten erste
Erschütterungen die Ruinen um den Landeplatz zum Einstürzen. Jarod warf sich geradezu verzweifelt in
das Cockpit und hieb mit einem wilden Schrei der Erlösung auf die Kontaktplatte auf der Konsole, die
den Schutzschirm um die Fähre aktivierte.
Gerettet!
Die beiden Terraner setzten sich mit vor Anstrengung verzerrten Gesichtern und fliegendem Puls in den
Kontursitzen zurecht -während draußen die Welt unterging.
Unterging in einem atomaren Feuersturm.
Denn im diesem Augenblick detonierten in dem unterplanetarischen Simulationszentrum die nuklearen
Sprengsätze der Selbstzerstörung.
154 Die in Nanosekunden expandierenden Gase suchten sich in einem heulenden, kreischenden Crescendo ihren Weg durch die Gänge und Räume des Komplexes, zerfetzten, zerschmolzen alles, was sich ihnen
in den Weg stellte.
Eine riesige, lodernde Flammenzunge schoß aus der offenen Panzerpforte ins Freie.
Schließlich hob der Explosionsdruck die Trümmerwüste über dem in der Tiefe verborgenen Komplex
mit einer Gewalt in die Luft, wie sie nur eine Kernexplosion zuwege brachte. Der Tag verdunkelte sich,
als sich die Säule aus Abertonnen von Gestein und Staub und glühenden Fragmenten fast in Zeitlupe in
den Himmel emporhob, wuchs und wuchs und sich in den unteren Schichten der Atmosphäre zu einem
typischen Atompilz auffächerte.
Diesem atomaren Inferno entkam nichts und niemand...
Dann erreichte die Explosionswelle am Boden die Raumfähre.
Von einer Sekunde zur anderen wurde es Nacht, als der Staubsturm über das Gefährt hinwegfegte,
Gesteins- und Trümmerbrocken mit sich führend, die alles im Umkreis der Explosion zerschlugen und
zermahlten.
»Die Schirme«, murmelte Jarod mit angespannten Zügen, »hoffentlich halten sie.«
Sie hielten.
Die Raumfähre im Kokon ihres Schutzschirmes, ein Nogk-Er-zeugnis wie die mehrfach gestaffelten
Schirme der CHARR, zeigte sich von dem tobenden Sturm wenig beeindruckt.
Die Energieblase leuchtete zwar in unregelmäßigen Abständen um die Fähre herum auf, wenn sie von
einem größeren Brocken getroffen wurde, aber das war auch schon alles.
Nichts kam durch.
Sie waren so sicher wie in Abrahams Schoß.
»Verdammt«, stöhnte Jarod. Sein Gesicht glänzte schweißnaß, seine Augen brannten. »Knapper ging's
kaum.« Ihn schauderte vor der Vorstellung, sich in diesem Moment im Freien aufhalten zu müssen.
»Haben wir ein Glück gehabt!« keuchte Pondo Red, noch immer nach Atem ringend; die dünne Luft des
Planeten hatte ihn an die
156 Grenze seiner physischen Leistungsfähigkeit gebracht.
»Das haben wir«, gab Tantal zu verstehen. Er und die Meeg waren von den Ereignissen offenbar weit
weniger beeindruckt als die beiden Männer, sie hatten sich bereits in den Sicherheitskäfigen des
Passagierabteils der Fähre zurechtgesetzt.
Der Funk schlug an.
»Huxley an Fähre!« kam die laute Stimme des Colonels aus den Lautsprechern. »Mister Curzon, melden
Sie sich!«
Jarod tastete die Verbindung ein.
Huxleys kantiges Gesicht erschien auf dem Sichtschirm. Die übliche rötliche Farbe seines Gesichtes war
um ein paar Stufen dunkler geworden; er war eindeutig zornig.
»Was zum Teufel ist dort unten los, Leutnant? Warum haben Sie sich nicht wie vereinbart gemeldet?
Unsere Taster haben vor rund zwanzig Minuten - der Zeitpunkt, an dem der alte Nogk den Fluchtweg
freischaltete, durchzuckte es Jarod, - eine große unterirdische Anlage geortet. Wir sahen die Explosion,
in der sie unterging, und bekamen die Fähre auf unsere Taster. Was ist geschehen? Berichten Sie!«
Jarod Curzon klärte ihn in aller Kürze auf.
»Na, das will ich ausführlicher haben, Leutnant. Kommen Sie an Bord. Rasch! Die FO I mit dem
Expeditionsteam unter Mister Prewitts Leitung ist schon vor Ihnen eingetroffen. Wir haben uns alle
große Sorgen gemacht.«
»Sofort, Sir!«
Jarod Curzon schaltete den Antrieb der Fähre ein.
Das große Beiboot mit der Bezeichnung CH 2 auf der matt schimmernden Hülle erhob sich von seinem
Platz und nahm Kurs auf die im Raum wartende CHARR.
»Ihr hattet großes Glück, daß euch nichts passiert ist!« polterte Prederic Huxley ungehalten. Harte
Linien prägten sein vom langen Weltraumaufenthalt rötlich ledernes Gesicht, seine eisgrauen Augen
sahen voller Mißbilligung auf den kobaltblauen Nogk-Mutanten, der überraschend gelassen blieb.
Offensichtlich spürte er, daß
157
Huxleys schroffes Auftreten nur seiner Sorge um ihr Wohlergehen entsprang. Curzon, Red, die Meegs und Tantal saßen im Aufenthaltsraum des Colonels, der unmittelbar neben dem Leitstand gelegen war. Sie hatten dem Kommandanten der CHARR ausführlich Bericht erstattet und warteten nun auf Huxleys Entscheidungen. Der schwieg lange. Mit gefurchter Stirn blickte er auf die Sichtsphäre in seinem Raum, auf der sich der
Planet inmitten der Schwärze des Alls drehte. Die nukleare Zerstörung des Simulationskomplexes hatte
auf seiner Oberfläche keine markanten Veränderungen hinterlassen.
Schließlich straffte sich Huxleys hagere Gestalt.
Er wandte sich an Tantal und die Meegs.
»Habt ihr inzwischen die Bedeutung des Wortes >Nokil< herausgefunden?«
Tantal war es, der antwortete.
»Ja«, erreichten seine Impulse den Colonel. »Nokil ist in der alten Sprache eine Bezeichnung für ein
extragalaktisches Stemsy-stem. Ratsmitglied Huxley. Eine benachbarte Sternengruppe dieser Galaxis, in
der wir uns befinden, gehört also zur - wie ihr Menschen es nennt - Lokalen Gruppe.«
Huxley räusperte sich, und ein flüchtiges Grinsen huschte über seine Züge. Er hob die Hand. »Sieh es
nicht als Unhöflichkeit an, daß ich dich unterbreche. Ich weiß, daß du über ein enormes Wissen
verfügst, Tantal, aber es genügt, wenn du uns einfach den Namen sagst. In Ordnung?«
»Natürlich, Ratsmitglied Huxley.« Der junge Nogk-Mutant nickte, eine Geste, die er wie viele andere
Nogk auch, die ständig Kontakt mit Terranem hatten, inzwischen von den Menschen übernommen hatte.
»Nokil«, so erklärte er, »heißt in eurer Terminologie die Große Magellansche Wolke.«
Huxleys Kopf ruckte hoch.
»Du irrst dich nicht?«
Er spürte über sein Implantat eine Regung des Unwillens, die Tantal durchzuckte.
»Ich irre mich nicht.«
»Hmm...« Frederic Huxley schürzte die Lippen. Überlegte. Ein
158 paar Augenblicke später hatte er seine Entscheidung getroffen. Er tastete die Verbindung zum Leitstand
ein.
»Skipper?«
Lee Prewitts Gesicht sah von dem Schirm.
»Mister Prewitt«, sagte der grauhaarige Colonel, »Setzen Sie unverzüglich Kurs auf die Große
Magellansche Wolke. Es wird Zeit, ein wenig Neuland zu betreten...«
11. Der Heerzug der Heimatlosen war eine gigantische Flotte von Raumschiffen unterschiedlichster Formen und Farben, erbaut und bewohnt von mehreren Tausend verschiedenen Völkern. Die Schiffe bewegten sich synchron mit der gleichen Geschwindigkeit in die gleiche Richtung - unterlichtschnell und antriebslos, nur vom Bewegungsimpuls vorangetrieben. Die meisten Raumer waren miteinander verbunden, andere konnten bei Bedarf miteinander verbunden werden. Es gab feste röhrenförmige oder auch flexible schlauchartige Verbindungen, die von einem Schiff zum nächsten führten, manchmal auch zu mehreren Schiffen zugleich - ein Netz, das auf den ersten Anschein total verworren erschien, das aber mit System angelegt worden war. Durch die Röhren und Schläuche bildeten die Raumschiffe so etwas wie einen festen Verbund. In erster Linie dienten sie allerdings als Übergänge, Wege von Schleuse zu Schleuse, so daß man mühelos von einem Raumschiff zum anderen gelangen konnte. Vereinzelt waren auch Transmitter vorhanden. Die gesamte Flotte wurde von einem riesigen, grobmaschigen, drahtähnlichen Metallkokon eingeschlossen, der es fremden Schiffen unmöglich machte, den Heerzug zu orten. Überwiegend wurde innerhalb der Flotte Worgun gesprochen, die Sprache der Mysterious, welche in der Galaxis Om allgemeiner Standard war. Ein paar Völker legten zusätzlich sprachlichen Lokalpatriotismus an den Tag. Für mich stellte das kein Problem dar. Dank meiner unübertrefflichen Lernfähigkeit, meiner aufnahmefähigen Speicher und meines eingebauten hypermodernen Translators, der in der Lage war, selbst die fremdartigsten Töne in halbwegs brauchbares Angloter umzusetzen, konnte ich mich bestens verständigen. 160 Meist geschah dies auf Worgun, weshalb ich den Translator kaum einsetzen mußte. Die Mysterioussprache war mir derweil genauso vertraut wie Ren Dhark. Auch die übrigen Terraner be herrschten sie inzwischen, hatten dafür aber auf Terra Nostra Mentcaps einnehmen müssen, Hilfsmittel, die ich glücklicherweise nicht benötigte. Mittlerweile war meine »Lemwanderung« schon ziemlich vorangeschritten. Über Verbindungsröhren und -schlauche hatte ich verschiedenen Raumschiffen einen Besuch abgestattet und mich mit den merkwürdigsten Lebewesen unterhalten. Ausnahmsweise war ich schwer beeindruckt. Die Existenz fremder biologischer Intelligenzen war mir durchaus bewußt, aber auf eine derartige Vielfalt war ich nicht vorbereitet gewesen. Offensichtlich kannte die Natur in ihrer Schöpfungswut keine Grenzen. Auf den schlanken, plumpen, scheibenförmigen, kugeligen, zylinderartigen, kubusförmigen,
pyramidalen, teils bizarren alten und hochmodernen Räumern und Raumgiganten traf ich auf Sauer stoffatmer, einstige Wasserplanetenbewohner sowie Flüchtlinge von Wasserstoff- und Chlorwelten. Einige Kreaturen mußten außerhalb ihrer Schiffe Druckanzüge tragen, andere konnten nur in schwebenden Aquarien überleben. Mir begegneten pflanzliche Intelligenzen mit großen Blättern, den Giants ähnliche Raubtierwesen, die orange-gelb-beschuppten dreiäugigen Chilp, die zweiköpfigen, tentakelbewehrten Saviper, die Namm mit ihrer senkrecht verlaufenden Physiognomie, die nackten IvelRothäute, die sechs-fingrigen Luwaren oder die sauerstoffatmenden Tarr, deren Eigennamen für Terraner unaussprechlich waren. (Nicht für mich!) Letztere verließen ihre Raumschiffe nur mit Spezialatemgeräten, welche ein zusätzliches Gasgemisch enthielten. Bei meinen Stippvisiten auf den fremden Räumern gab ich mich meistens von vornherein als lebendes, denkendes Wesen zu erkennen. Dadurch kam ich mit den Besatzungsmitgliedem leicht ins Gespräch. Manchmal zog ich es allerdings vor, den toten Roboter zu mimen, der sich aufgrund einer Fehlprogrammierung in dem Gewusel von Schläuchen und Röhren verlaufen hatte. Dann »irrte« ich ziellos durchs Schiff und belauschte so ganz nebenher die interessantesten Unterhaltungen. Selbstverständlich war ich nach wie vor stolz darauf, bislang die einzige Maschine des uns bekannten 161 Kosmos zu sein, die über Gefühle und einen echten Verstand verfügte. Dennoch mußte ich anerkennen,
daß nicht nur ich etwas Einmaliges, etwas ganz Besonders war. Jede Spezies war eine Einmaligkeit für
sich. Wer all diese verschiedenartigen Lebewesen einst erschaffen hatte, war zweifelsohne ein Meister
seines Fachs.
Die eindrucksvollste Schöpfung, mit der ich auf meinem Streifzug zusammentraf, war eine eher
unscheinbar wirkende Spezies, die wie eine fußballgroße, farblose Seifenblase aussah. Im Inneren der
schwebenden, etwas unförmigen durchsichtigen Blase waberte eine Art Energiefähnchen, das optisch
einem winzigen Nebel- oder Rauchschwaden ähnelte.
Während sich die zahlreichen Völker überwiegend auf ihren eigenen Raumschiffen aufhielten und nur
selten ihren Nachbarn Besuche abstatteten, waren die blasenförmigen Bebir ständig innerhalb des
Heerzugs unterwegs. Ihre Unrast teilten sie mit diversen Händlern, die von Schiff zu Schiff pilgerten,
um Geschäfte zu machen. Der wesentliche Unterschied: Am Ende einer jeden Reise kehrten die Händler
auf ihre jeweiligen Heimatschiffe zurück. Die Bebir konnten das nicht. Sie besaßen schon seit vielen
Jahrhunderten keine Unterkunft mehr - sie waren die Heimatlosen unter den Heimatlosen.
Das empfanden sie in keiner Weise als Manko. Ihr Vagabundendasein machte ihnen große Freude. Sie
waren regelrecht süchtig danach, sich mit den übrigen Völkern auszutauschen.
»Unsere Heimat ist die gesamte Flotte«, erklärte mir ein Bebir namens Kju, der mir mitten in einem
breiten Verbindungsschlauch begegnete, auf meinem Weg von den einarmigen Olm zu den stachligen
Sirr. »Wir sind überall beliebt und willkommen, weil wir gute Zuhörer sind. Und weil wir stets die
neuesten Nachrichten parat haben. Wobei ich betonen möchte, daß man uns auch Geheimnisse
anvertrauen kann - wir sind keine Tratschen.«
Tratschen. Natürlich verwendete Kju nicht exakt diesen Begriff, das war lediglich meine eigene
Interpretation. Üblicherweise verständigten sich die Bebir per Telepathie mit anderen Lebewesen.
Meine Begabung auf diesem Gebiet hielt sich leider in Grenzen,
162
daher einigten Kju und ich uns auf eine Art Funksignalsprache. Das war nicht ganz unproblematisch,
weil sich nicht jedes empfangene Signal in einen gleichlautenden Begriff auf Angloter umsetzen ließ.
»Wozu übersetzt du unsere Signale überhaupt?« fragte mich Kju, als ich ihm von dem kleinen Problem
erzählte.
»Mein Commander hat mich um einen ausführlichen Bericht gebeten«, signalisierte ich ihm zurück.
»Deshalb speichere ich all meine Gespräche mit Fremdwesen sorgsam ab. Später lege ich dem
Commander dann eine Zusammenfassung vor - in seiner gewohnten Sprache.«
Im weiteren Verlauf unseres Erfahrungsaustauschs beschrieb ich dem Bebir in groben Zügen das
terranische Volk. Ich schilderte ihm, wie die Menschen wohnten, welche Vorlieben sie hatten, was sie
arbeiteten, nach welchen Gesichtspunkten sie ihre Zeiteinheiten aufteilten, wie sie sich paarten...
»Sie paaren sich?« unterbrach mich Kju, der mit diesem Wort/Signal absolut nichts anfangen konnte.
»Wozu ist das gut?«
»Zum Zwecke der Vermehrung«, lautete die Antwort, die mir als erste einfiel. »Wie vermehrt ihr
euch?«
»Irgendwie erfolgt das ganz von selbst«, erwiderte das Blasengeschöpf. »Wir bringen sehr viel mehr
Nachfolger zur Welt als die Zyzzkt. Trotzdem behält unser Volk stets dieselbe Größe, weil unsere
Lebenserwartung nicht sonderlich hoch ist und für jeden neuerschaffenen Bebir ein gealterter Bebir
seine Existenz einbüßt. Solch ein Austausch erfolgt mitunter völlig überraschend, darum erschrick bitte
nicht, wenn ich mich mitten im Gespräch auflöse und ein Jüngerer meinen Platz einnimmt.«
»Wie groß ist euer Volk?« erkundigte ich mich gespannt.
Kju zeigte sich ratlos, konnte mir die Frage nicht beantworten. Auch über seine ursprüngliche Heimat
wußte er nichts. Ebensowenig konnte er mir sagen, wann und mit was für einem Schiffstyp seine
Spezies zum Heerzug gestoßen war.
»Wir waren schon immer hier, glaube ich«, vernahm ich nach einer Weile des Zaudems sein Signal.
Offensichtlich verwirrten ihn meine Fragen.
Während wir miteinander kommunizierten, füllte sich das Innere
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von Kju immer mehr mit diesen seltsamen Energieschwaden. Ein Schwaden schien aus dem anderen zu entstehen. Bald nahmen sie fast drei Viertel der Blase ein. Kju schien das nicht weiter zu beunruhigen. Unbefangen erzählte er mir von seinen diversen Besuchen auf fremden Schiffen und gab mir nützliche Tips für meine eigene kleine Expedition. Bald verfügte ich über eine lange Liste von Leuten, die ich seiner Meinung nach unbedingt kennenlernen sollte. Der Bebir warnte mich davor, bestimmte Bereiche der Flotte zu betreten. »Vor allem um das Kernstück der Flotte solltest du einen großen Bogen machen, Artus. Halte dich von der Mitte des Heerzugs fern. Dort ist der Platz, an dem alles begann, wo sich einst die ersten Raumschiffe von Heimatvertriebenen zu einer Interessengemeinschaft zusammenschlössen und gemeinsam den perfekten Ortungsschutz entwickelten. Der terranischen Zeitrechnung nach ist das ungefähr 600 Jahre her. Später hinzukommende Völker plazierten ihre Schiffe daneben, darüber, davor oder dahinter.« »Demnach sind die Raumschiffe im Herz der Flotte die ältesten«, schlußfolgerte ich. »Sind sie noch in Betrieb?« »Der größte Teil davon wird trotz allmählicher Verfallserscheinungen noch bewohnt. Ihre Besitzer sind fortwährend damit beschäftigt, sie instandzuhalten. Aus gutem Grund. Würden sie ausziehen, müßte man ein geeignetes neues Schiff für sie finden, dessen Bewohner davon sicherlich nicht begeistert wären. Wohnraum ist knapp. Je mehr Raumer aufgegeben werden, um so enger müssen die Völker zusammenrücken. Glücklicherweise befinden sich im Kem der Flotte bisher lediglich drei verlassene Schiffe. Sie liegen direkt nebeneinander und haben quasi nur noch Schrottwert.« »Warum werden sie dann nicht aus der Flotte entfernt?« »Weil das zu kompliziert und zu teuer wäre.« Ich verstand. Auch auf Terra gab es verlassene Industriebrachen, die aus Kostengründen einfach sich selbst überlassen wurden. »Mittlerweile hat sich dort allerlei Gesindel eingenistet«, fuhr Kju fort. »Gesindel?« »Flüchtige Verbrecher, Arbeitsscheue, Ausgestoßene - dunkle
165 Elemente halt, mit denen niemand etwas zu schaffen haben will. Anfangs waren es nur Vereinzelte, die an diesem trostlosen Ort Unterschlupf suchten. Keiner scherte sich um sie. Als es mit den Jahren jedoch immer mehr wurden, entschlossen sich die Deeska-lationsbeamten, regelmäßig in den verlassenen Schiffen zu patrouillieren. Um zu verhindern, daß sich das Gesocks organisiert und Gewalttaten gegen den Rest der Gemeinschaft ausübt, wurde über dieses Gebiet ein Hyperfunk- und Waffenverbot verhängt. Technik ist dort nur in begrenztem Maße erlaubt, ausschließlich zum Zwecke der Lebenserhaltung.« Gesindel, dunkle Elemente, Gesocks... zur Umschreibung der gemischten Ausgestoßenenclique, die sich in den drei Schrottrau-mem niedergelassen hatte, benutzte Kju verschiedene Signalarten. Ich bemühte mich redlich, sie auf unterschiedliche Weise zu übersetzen. Deeskalationsbeamte (auch so ein Übersetzungskunststück von mir) waren mir schon mehrfach begegnet. Sie traten in beige umformierten Gruppen auf und gehörten einer multikulturellen Poli zeitruppe an, die auf allen Raumschiffen Handlungsvollmacht hatte. Derzeit waren sie überwiegend damit beschäftigt, sämtliche Hyperfunkgeräte innerhalb der Flotte zu katalogisieren und zu verplomben. Dadurch sollte einer verbotenen Kontaktaufnahme mit dem Feind vorgebeugt werden. Denn eins stand nach den zurückliegenden Vorfällen fest: Es gab einen gewissenlosen Verräter im Heerzug. »Die Ausgestoßenen sehen sich nicht als Täter, sondern als Opfer«, sagte Kju. »Sie nennen sich Büßer, und den düsteren Ort, an den sie sich zurückgezogen haben, bezeichnen sie selbstironisch als ihr Elysium.« Wohnsitz der Seligen, Paradies, Garten Eden, Elysium - für die Bezeichnung des »Büßer-Domizils« gab es gleich mehrere Übersetzungsmöglichkeiten auf Angloter. Ich überlegte, welche davon ich wählen würde, müßte ich ein Buch über die Ausgestoßenen schreiben. Ich entschied mich für die letzte. Kju warnte mich nochmals eindringlich davor, das Elysium aufzusuchen, weil das viel zu gefährlich sei.
Wie konnte er auch ahnen, daß Gefahr mich anzog wie ein Magnet Eisen? Mein For 166
scherdrang war geweckt, und er würde ganz bestimmt nicht vor ein paar leeren Schiffen haltmachen.
Kjus Signale wurden schwächer. Mittlerweile hatten sich die Schwaden weiter vermehrt und füllten ihn
nun total aus. Die Blase, die sie umhüllte, wurde immer straffer.
Plötzlich zerplatzte sie vor meinen Sensoren. So erschien es mir jedenfalls. Genaueres konnte ich nicht
erkennen, da mein gesamtes Wahrnehmungsvermögen für eine volle Sekunde getrübt war.
Kju war verschwunden. An seiner Stelle schwebte nun ein anderer Bebir über meinem Kopf. Er war
verhältnismäßig klein und beinhaltete nur einen winzigen Energieschwaden.
»Ich heiße Eja«, signalisierte er mir. »Alles in Ordnung mit dir, Artus?«
»Danke«, antwortete ich verblüfft. »Wo ist Kju abgeblieben?«
»Kju existiert nicht mehr«, erklärte mir Eja. »Unsere Lebenserwartung ist nicht sonderlich hoch. Der
terranischen Zeitrechnung nach beträgt sie lediglich eine gute Stunde.«
»Nur eine Stunde?« entfuhr es mir erschrocken. »Demnach hat Kju fast sein ganzes Leben damit
verbracht, sich mit mir zu unterhalten.«
»Gibt es etwas Erfüllteres im Leben als den Erfahrungsaustausch mit einer fremden Existenz?« fragte
mich Eja. »Mach's gut, mein Freund, mich zieht es zu den Olm. Ich wünsche dir gute Gespräche mit den
Sirr. Sie sind ein überaus feinsinniges Volk. Vielleicht kannst du sie mit etwas Poesie aus deiner Heimat
erfreuen.«
Mit diesen Worten schwebte er davon - und ließ einen total perplexen Roboter zurück.
Auf meinem Weg zu den Sirr gingen mir die Bebir nicht aus dem Metallkopf. Die beiden hatten mich
ziemlich durcheinandergebracht.
Meine Verwirrung hatte nichts mit Kjus unerwartetem Ableben und Ejas überraschendem Auftauchen
zu tun. Schließlich hatte Kju mich darauf vorbereitet, daß für jeden neuerschaffenen Bebir die Existenz
eines gealterten Bebir erlosch. Nun war er fort, und Eja
hatte seinen Platz eingenommen.
Aber hatte er nicht behauptet, schon viele Schiffe besucht zu haben? Wann sollte das passiert sein?
Immerhin war er fast sein ganzes kurzes Leben über bei mir gewesen.
Ich kam zu dem Schluß, daß jeder Bebir zum Zeitpunkt seines Todes sein gesamtes Wissen und all seine
Erfahrungen an seinen Nachfolger übertrug. Das erklärte auch, wieso Eja meinen Namen kannte und mit
der terranischen Zeitrechnung etwas anzufangen wußte. Zudem war ihm auf Anhieb klar, auf welche
Weise er sich mit mir verständigen konnte. Sogar über die künstlerischen Vorlieben der Sirr wußte er
Bescheid, obwohl er sie als »Neugeborener« noch nie zu Gesicht bekommen hatte.
Zu Gesicht? Die Bebir hatten gar keines.
Ihre Methode der Informationsweitergabe schien reichlich lÜkkenhaft zu sein. Über den ursprünglichen
Heimatplaneten seines Volkes und die Ankunft seiner Vorfahren im Heerzug hatte Kju jedenfalls nichts
mehr gewußt. Möglicherweise löste sich ein Teil des von Bebir zu Bebir weitergeleiteten Wissens in
Wohlgefallen auf, je länger die damit zusammenhängenden Ereignisse zurücklagen. Erinnerungslücken
gab es schließlich auch bei den Menschen. Hätte man auf Terra die Geschichte der Menschheit nicht
sorgsam niedergeschrieben und die Schriften von Generation zu Generation weitergereicht, wüßte dort
heutzutage niemand mehr etwas von so verstaubten Berühmtheiten wie Moses, Kaiser Nero oder John
Wayne.
Die Sirr, die auf mich wie aufrechtgehende Stachelschweine wirkten, entpuppten sich als
gastfreundliches Volk. Nach einem belanglosen Austausch von Höflichkeiten lud mich eine kinderrei
che Familie zum Essen ein, was ich natürlich ablehnte, da ich keinerlei Nahrung benötigte.
»Macht nichts«, sagte das Familienoberhaupt. »Wir betrachten Essen nicht als pure Nahrungsaufnahme,
sondern als gemütliches Beisammensein unter Freunden. Es genügt, wenn du mit uns an der Decke sitzt
und wir miteinander reden.«
In der Tat aßen die Sirr nicht an einem Tisch. Statt dessen breiteten sie ihre reichhaltige Mahlzeit -
irgendwas, das krabbelte -auf einer großen Stoff decke aus, wie es die Menschen üblicher-
168 weise bei einem Picknick zu tun pflegten. Anschließend nahmen ,- sie rund um die Decke Platz.
Die krabbeligen Speisen versuchten davonzulaufen. Sobald eines der zehnbeinigen Tierchen den Rand der Decke erreicht hatte, wurde es von dem Sirr, der am nächsten dransaß, mit der flachen Pfote erlegt und verzehrt. Wir unterhielten uns zunächst über die Bebir. Die Sirr berichteten mir über zahlreiche Begegnungen mit den intelligenten freundlichen Blasen, wußten aber auch nichts Genaues über deren Herkunft. Bei den einzelnen Schilderungen fiel mir etwas auf. Aber was? Es war nur so eine Ahnung, nichts Greifbares... Nach Abschluß der Familienmahlzeit ging es zum gemütlichen Teil über. Die Sirr trugen mir selbstverfaßte poetische Gedichte vor - in der Worgunsprache. Danach forderten sie mich auf, ein Gedicht aus meiner Heimat zum Besten zu geben. In meiner Heimatsprache. »Keine leichte Aufgabe«, bekannte ich. »Terra ist in viele Regionen unterteilt, und jedes Land hatte einmal seine eigene Sprachidentität. Inzwischen spricht, schreibt und dichtet man auf der Erde zwar überwiegend in Angloter, doch nicht jedes alte Gedicht läßt sich so mir nichts, dir nichts in eine Einheitssprache übertragen.« »Such dir irgendeines aus«, erwiderte das Familienoberhaupt. »Eins, das herrlich klingt, selbst wenn man es nicht versteht.« Ich durchkämmte meine vielfältigen Informationsspeicher nach einem passenden Gedicht - in Sekundenschnelle. Da ich die Fähigkeit besaß, andere Rechner zu beeinflussen und ihr gespeichertes Wissen komplett zu übernehmen, war ich sozusagen ein Lexikon auf zwei Beinen. Ein hyperkurzes Suchsignal genügte, schon öffnete sich mir unter dem Begriff »Dichtkunst« eine ellenlange Liste aller bekannten und unbekannten Dichter, die jemals auf Terra gelebt hatten oder noch lebten. Himmel, waren das viele! Offensichtlich fühlte sich Jeder Terraner, der in der Lage war, zwei Verslein zusammenzu-^tzen, dazu berufen, mit seinen geistigen Ergüssen an die Weltöffentlichkeit zu treten.
169 Nach dem Zufallsprinzip wählte ich einen längst verstorbenen deutschen Autor namens Johann
Wolfgang Goethe aus und gab eine Kostprobe seiner Kunst zum besten.
Ȇber allen Wipfeln ist Ruh,
in allen Wipfeln spürest du
kaum einen Hauch;
die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, Wotan
holet dich auch.«
Wotan? Schon wieder gingen meine Worte und meine Abspeicherung getrennte Wege. Ich hatte etwas anderes
gesagt als ich abgespeichert hatte.
»Warte nur, balde ruhest du auch«, verbesserte ich rasch.
Eigentlich war das völlig überflüssig, da die Sirr der deutschen Sprache ohnehin nicht mächtig waren.
Aber ich wollte den kleinen Irrtum nicht unbereinigt im Raum stehenlassen.
Es war nur ein winziger Fehler. Dennoch beunruhigte mich der Vorfall. Ein vollkommenes Wesen wie
ich machte keine Fehler, egal wie bedeutungslos sie waren.
Erst Caesars falsches Todesdatum, dann eine verhunzte Goethe-Zeile. .. was war nur los mit mir?
Im Vergleich zu den Terranem hatten die sechsfingrigen humanoiden Luwaren sehr schmale
Ohrmuscheln - insgesamt achtzehn Millionen, denn ihr Volk war neun Millionen Individuen groß. Es
hatte sich schon vor langer Zeit mit achtzehn Schiffen in den Heerzug der Heimatlosen eingegliedert.
Das bedeutete, daß in jedem der walzenförmigen Schiffe rund eine Million Ohren, beziehungsweise eine
halbe Million Luwaren lebten.
Ihre etwa 2000 Meter breiten und 7000 Meter langen Raumer boten ihnen nur auf den ersten Anschein
reichlich Platz. Antrieb und Energieversorgung sowie die hydroponischen Anlagen zur
Nahrungserzeugung mußten schließlich auch untergebracht werden, so daß trotz der insgesamt 500
Decks nicht sehr viel Raum für
170
jeden einzelnen Luwaren blieb.
Die Gläubigen unter ihnen beteten täglich zu den Göttern und flehten sie an, die endlose Odyssee möge bald ihr Ende finden, so oder so. Auf den Schiffen kamen sich die freiheitsliebenden Luwaren wie ihre eigenen Gefangenen vor. Von Jahr zu Jahr wurde die Situation unhaltbarer. Aus Platzgründen durfte jedes Luwarenpaar nur ein Kind aufziehen, aber dieses Kind wurde innerhalb von fünf oder sechs Jahren geschlechtsreif und sorgte für weitere Vermehrung. Im Rat der Flotte wurden die Luwaren von Dokemtar vertreten. Er war fast zwei Meter groß, wog aber nur knapp 65 Kilo. Dadurch wirkte er dürr und zerbrechlich - so wie der Durchschnitt seines Volkes. Was niemand im Heerzug wußte: Dokemtar war der Verräter, der beinahe die Zyzzkt auf die Spur der Heimatlosen gebracht hatte. Über einen verborgenen Rechner hatte er sich in das Netz des Flaggschiffs und der gesamten Flotte eingeschaltet und auf etlichen Schiffen für Chaos gesorgt. Sein weiterer Plan war jedoch vereitelt worden. Zwar war es ihm gelungen, eine Funksonde zu starten - doch er hatte nicht mit der aufmerksamen Besatzung der POINT OF gerechnet. Der außergewöhnliche Ringraumer der Terraner war nicht mit der Heimatlosen-Flotte vemetzt gewesen und daher vom Chaos verschont geblieben. Dank der Geistesgegenwart des Ortungsoffiziers Grappa und eines raffinierten Ablenkungsmanövers hatte man die Zyzzkt in die Irre führen können. Von vornherein hatte Dokemtar geahnt, daß ihm Gisol und die Terraner Ärger machen würden. Sie hatten seine Pläne durchkreuzt, brachten ihn bisher aber nicht mit der Funksonde in Verbindung. Als gewähltes Ratsmitglied stand er außer Verdacht. Noch. So schnell gab Dokemtar nicht auf. In seinem geheimen, abgeschirmten Labor arbeitete er an einem starken Hyperfunkgerät. Diesmal würde er nicht versagen. Es konnte überhaupt nichts schiefgehen... Zu seinem Pech waren auch Luwaren nicht gegen kleine, heimtückische Fehler gefeit. Aufgrund eines winzigen Bedie
171 nungsfehlers kam es bei der Kalibrierung der Schwingkristalle zu einer kurzfristigen Unterbrechung der Abschirmung. Ein kaum wahrnehmbarer Hyperimpuls verließ das Labor - und ein deutlich wahrnehmbarer Fluch verließ den Verräter. Dokemtar bekam das Problem und sich selbst rasch wieder in den Griff. »Alles halb so schlimm«, murmelte er. »Die Niederen können mit dem kurzen Impuls kaum etwas anfangen - falls sie ihn überhaupt aufgefangen haben.« Nicht weit von ihm entfernt verharrte ein Lebewesen, das sich ganz gewiß nicht für eine niedere Kreatur hielt. Eigentlich hatte es in eine andere Richtung gehen wollen, aber nun folgte es neugierig dem merkwürdigen Kurzsignal.
Nach meinem Besuch bei den Sirr suchte ich ihre direkten Nachbarn auf, die Krowia. Sie erwiesen sich als ziemlich unzugänglich, so daß ich schon nach einer zwanzigminütigen Plauderei meinen Weg fortsetzte. Mir wurde bedeutet, daß es mit dem Wiederkommen keine Eile hatte. Meine Unterhaltung mit jenen schmerbäuchigen, kahlköpfigen Kreaturen war wenig ergiebig gewesen. Wir hatten über die Bebir gesprochen, deren »häufige« Besuche (sie schauten so ungefähr alle zweieinhalb Jahre mal vorbei) von den Krowia als überaus lästig empfunden wurden. Erneut befiel mich eine unerklärliche Ahnung im Zusammenhang mit den Bebir. Mir war, als hätte ich etwas Wichtiges übersehen... War es der Zufall, der meine Schritte immer weiter ins Herz der Flotte lenkte? Oder trieb mich nur die pure Neugier zu den leerstehenden drei Raumschiffen? Weder auf meinem Weg dorthin, der durch zahllose Schlauch- und Röhrenverbindungen führte, noch bei meiner Ankunft konnte ich mir diese Fragen beantworten. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem, Zufall und Neugier. Ich betrat ein kahles, allmählich verrottendes Mannschaftsdeck. Obwohl im Elysium nicht gerade paradiesische Zustände herrscb 172
ten, empfand ich eine gewisse Ehrfurcht. Hier war der Ursprung der Flotte, gewissermaßen die Steinzeit
des Heerzugs der Heimatlosen. Hier hatte alles begonnen.
Von hier aus konnte aber auch das Ende der Flotte ausgehen. Wenn man es zuließ, daß immer mehr
uralte Schiffe verlassen und zur Heimstatt von Verbrechern wurden, würde sie eines fernen Tages von
innen heraus verfaulen.
Meine Sensoren tasteten wachsam die nähere Umgebung ab. Ich spürte, daß ich nicht allein war.
Vermutlich beobachtete man mich längst von irgendwoher.
Plötzlich fing ich ein schwaches Signal auf, das aus den Tiefen dieses Schiffes zu kommen schien,
vielleicht aber auch vom Nachbarschiff. Es kam nur ganz kurz herein, als kaum wahrnehmbarer Impuls,
und ließ sich aus keiner meiner Datenbanken heraus einordnen.
Eine Berechnung meines Programmgehirn-Nexus ergab mit hoher Wahrscheinlichkeit, daß der Impuls
möglicherweise einem leistungsstarken Hyperfunkgerät entwichen war, eventuell bei der Kalibrierung
der dafür notwendigen Schwingkristalle. Wie konnte das sein? Kju hatte mir erzählt, daß Hyperfunk im
Elysium streng verboten war. Im übrigen müßten inzwischen alle Geräte verplombt sein.
Mein detektivischer Eifer erwachte, und ich entschloß mich, das Geheimnis des Signals zu ergründen.
Vorher wollte ich allerdings die Zentrale dieses Schiffes inspizieren - meine Sensoren hatten dort
biologisches Leben registriert.
»Wem er wohl gehört?«
»Ist mir völlig egal. Ich habe ihn gefunden, darum gehört er jetzt mir.«
»Gefunden? Er kam hier einfach hereinspaziert. Hätte ich nicht blitzschnell das Energienetz aktiviert,
wäre er womöglich entkommen. Ich habe keine Ahnung, was ein Roboter dieser merkwürdigen Bauart
wert ist - aber vom Erlös gehört mir in jdem Fall die Hälfte.«
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»Und sonst geht's dir gut, wie? Dies ist mein Lokal, Lakkkap, und das Netz habe ich seinerzeit
höchstpersönlich über dem Eingang befestigt, zum Schutz gegen allzu übereifrige Polizisten. Keinen
Doke zahle ich dir! Na schön, vielleicht gebe ich dir gelegentlich einen aus.«
»Nur nicht zu großzügig, Cim-mic. Entweder teilen wir, oder dir ergeht es wie Obe-ebo, klar?«
Üblicherweise kümmerten sich die Gäste des »Namenlos« um ihre eigenen Angelegenheiten. Der
lautstarke Streit zwischen dem Wirt und der Muuu war jedoch nicht zu überhören.
Und der erstarrte Roboter, dessen Funktionen durch ein mit starker Elektrizität geladenes Netz komplett
ausgeschaltet worden waren, war nicht zu übersehen.
Immer mehr zerlumpte Gestalten erhoben sich von ihren Plätzen und versammelten sich im
Eingangsbereich. Einige ergriffen für Lakkkap Partei, andere hielten zum Wirt, wohl in der Hoffnung,
daß er ihnen als Belohnung was spendierte.
Mehrere Gäste erhoben sogar selbst Anspruch auf einen Anteil an der Beute.
»Wir verkaufen ihn auf dem Markt und teilen das Geld gerecht auf.«
»Unsinn, dann bleibt jedem von uns doch nur ein Almosen!«
»Besser als nichts. Wenn wir hier noch länger palavern, kommt womöglich der Besitzer herein und
fordert seine Maschine zurück.«
»Soll er doch! Ich und mein Mahara-Dolch werden ihm schon klarmachen, daß man mich zu Recht
einen Halsabschneider nennt.«
»Ob uns die Denunzianten das Ding auf den Hals geschickt haben?«
Schlagartig war es still im Raum. Setzte die Polizei neuerdings Maschinen ein, um das Elysium zu
kontrollieren?
»Bringen wir ihn zum Herrn«, entschied Cim-mic letzten Endes. »Keinen Widerspruch! Er wird uns
sagen, was zu tun ist.«
174 Zum Herrn? Allmählich wurde es wirklich spannend. Ich stellte mich weiterhin tot und bewegte mich um keinen Millimeter. Kaum daß ich das Zentraldeck betreten hatte, war ein elektrisches Netz auf mich herabgefallen. Primitivere Roboter hätte man damit sofort außer Gefecht gesetzt. Aber ich war nicht irgendwer -ich war ich. Mein Inneres war vollständig isoliert. Um Artus abzuschalten, mußte man schon härtere Kaliber auffahren, keine elektrischen Kinkerlitzchen. Dennoch hatte ich mich zunächst einmal reglos gestellt, um herauszufinden, mit wem ich es zu tun hatte. Nach und nach hatte sich das in Lumpen gehüllte Gesindel um mich geschart... Nun beförderte mich eine sechsköpfige Delegation zur »Festung des Herrn«. Na ja, genaugenommen handelte es sich um eine fünfköpfige Abordnung - eines der Wesen hatte kein Haupt. Über Schwebeplatten oder ähnliche Hilfsmittel schienen meine Begleiter nicht zu verfügen. Sie hatten mich
vom Netz befreit, mich an den Armen, Beinen und am Mittelteil gepackt und trugen mich tiefer ins Schiff hinein. Bis auf den Wirt, der sein »nobles Etablissement« nicht hatte alleinlassen wollen, hatten sich zahlreiche Freiwillige für den Transport gemeldet. Das Los hatte entschieden. Die monströse Dame namens Lakkkap war mit dabei. Sie sah stark aus, schnaufte aber beim Gehen wie eine Lok. Tja, ich war halt keine Feder! Unterwegs plazierte man mich auf einen herausgerissenen Sitz, der irgendwo im Gang herumlag. Dadurch gestaltete sich der Transport nur unwesentlich leichter. Bald darauf begaben wir uns hinüber ins nächste unbewohnte Schiff. Offensichtlich hatten die drei großen Raumer, die das Ely-sium bildeten, aneinander angedockt, jedenfalls durchquerten wir beim Überwechseln keinen Schlauch. Ich registrierte, daß man Olich genau dorthin brachte, wo ich ohnehin hingewollt hatte: in die Richtung, aus welcher der geheimnisvolle Impuls gekommen War. Nach einem längeren Marsch, der für alle ziemlich anstrengend War, nur für mich nicht, gelangten wir in einen Bereich im Unterdeck, der bestens gepflegt war und gar nicht verfallen wirkte. Die
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ihn umgebenden Panzerschotts und Panzerwände waren noch zusätzlich mit Energiefeldem abgesichert. Durch das viele Metall ringsum konnten sie von außen offenbar nicht geortet werden. Vor einem geschlossenen Tor blieben »meine Sänftenträger« stehen. Über eine Gegensprechanlage verhandelten sie mit der Person, die sie ihren Herrn nannten. Sie versuchten, einen möglichst hohen Preis für mich herauszuschlagen. Dabei stellten sie sich so unbeholfen an, daß ich am liebsten mitgefeilscht hätte. Nachdem eine Einigung erzielt worden war, öffnete sich neben dem Tor eine verborgene Schleuse. Ein dickes Geldbündel wechselte seinen Besitzer. »Habt ihr schon mal so viele Dokes auf einen Haufen gesehen, Jungs?« sagte Lakkkap, die zuerst zugegriffen hatte. »Das Geld macht uns zu den wohlhabendsten Bewohnern des Elysiums -wenigstens für ein Weilchen.« Dokes? Das war nicht die offizielle Währung innerhalb der Flotte. Wahrscheinlich war dieses Geld nur im Elysium etwas wert, als Tauscheinheit für gestohlene Güter. Und noch wahrscheinlicher war, daß der »Herr« die Scheine selbst druckte. Aber warum hatte er dann bei meinem Kauf um jeden Doke hart gefeilscht? Aus Prinzip, vermutete ich mal. Ich war schon gespannt darauf, den großen Unbekannten endlich kennenzulernen. Lakkkap und die anderen verfrachteten mich mitsamt Sitz in die Schleuse. Anschließend machten sie kehrt, ohne sich weiter um mich zu kümmern. Sie stritten darum, wer das Geld in Gewahrsam nehmen durfte. Ich bezweifelte, daß sie alle heil und gesund bei Cim-mic ankommen würden. Unterwegs würde sich die kleine Gruppe um mindestens die Hälfte dezimieren. Je weniger sie waren, um so größer war der Anteil für jeden einzelnen. Die Schleuse schloß sich wieder. Prallfelder transportierten mich tiefer ins Innere des Komplexes. Als sich die Schleuse wieder öffnete, erhob ich mich und trat nach draußen. Ich hielt es nicht mehr für notwendig, mich weiterhin zu verstellen. Was konnte mir schon groß zustoßen? Noch bevor ich mich näher umsehen konnte, trat mir ein Manu 176
in den Weg, den ich auf Anhieb erkannte. Jetzt machte es sich bezahlt, daß ich mir eine Datenbank mit allen Ratsmitgliedem des Heerzugs einverleibt hatte. Vor mir stand der offizielle Rats Vertreter der Luwaren: Dokemtar. Ich fragte mich, ob auch er wußte, wer ich war. Immerhin war das A auf meinem Stirnband nicht zu übersehen. Auf der Erde war ich eine Berühmtheit. Doch als Luware hatte er bestimmt noch nie von mir gehört. Oder? Zumindest schien ihn meine plötzliche »Wiedererweckung« nicht wirklich zu überraschen. Er war darauf vorbereitet... Mit den Metallfüßen stand ich auf einer Platte, von der merkwürdige Strömungen ausgingen, die tief in meinen Körper eindrangen. Viel zu spät merkte ich, daß mich Dokemtar einer kontrollierten Energieentladung aussetzte. Bestürzt erkannte ich, daß meine innere Energieversorgung zusammenbrach. Ich war im Begriff, das Bewußtsein zu verlieren, ohne daß ich mich dagegen wehren konnte. Nein! schrie alles in mir auf. Menschen fallen in Ohnmacht, aber nicht ich! Mich kann man nicht so einfach ausschalten! Ich bin ich -Artus der Unverwundbare!!! Ich... bin...
12. Die Bordverständigung sprach an.
Ren Dhark seufzte. Es gab Tage, an denen kam man einfach nicht zur Ruhe. Der weißblonde Mann mit
den braunen Augen erhob sich von seinem Ruhelager, ging hinüber zum Sprechgerät und drückte eine
Taste. Bei aller Supertechnik waren die Myste-rious, die Erbauer dieses sagenhaften Raumschiffs, in
einigen kleinen Dingen doch noch auf dem Teppich geblieben und zwangen zu »seriöser Handarbeit«.
Auf dem kleinen Holoschirm zeigte sich das Brustbild Gisols.
»Ren, ich muß mit dir reden«, sagte er.
»Bei aller Freundschaft, Gisol - hat das nicht ein paar Stunden Zeit? Ich habe mich gerade hingelegt, um
ein wenig zu schlafen.«
»Es ist wichtig«, behauptete der Worgun.
»In Teufels Namen - dann komm, herein ohne anzuklopfen.«
Nur eine halbe Minute später betrat der Worgun die kleine Kabine, in die sich der Commander der
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Planeten zurückgezogen hatte. Sie war recht spartanisch und schmucklos eingerichtet. Dhark brauchte keinen Luxus, wenn er mit seinem Raumschiff zwischen den Sternen unterwegs war. Er sah sich als der Erste unter Gleichen, und warum sollte seine Kapitänskajüte besser ausgestattet sein als die des einfachen Raumsoldaten? Das einzige Privileg, auf dem er bestand, war, daß er sie allein nutzte. Die meisten anderen Kabinen wurden als Zwei- bis Vierbetträume genutzt. Dhark hatte sich wieder auf seine Koje zurückfallen lassen. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt. »Was ist denn so wichtig, daß es keinen Aufschub duldet?« fragte er. Unaufgefordert nahm der Worgun in einem der Sessel Platz. Er sah aus wie ein Mensch, aber er war keiner. Er war einer der My
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sterious, einer aus jenem Volk, das die POINT OF und die anderen Ringraumer erbaut hatte, jenem Volk, das vor tausend Jahren Hals über Kopf aus der heimatlichen Milchstraße verschwunden war. Die Heimatgalaxis... unendlich fern war sie. Die Sterne, zwischen denen die POINT OF mit ihren Begleitschiffen jetzt kreuzte, gehörten zur Galaxis Om, zur Heimat der Mysterious. Doch diese Heimat war den Worgun geraubt worden von den insektoiden Zyzzkt. Dieses mörderische Volk hatte das schier Unglaubliche geschafft und die Worgun trotz deren Supertechnik besiegt und unterjocht. Gisol war ein Rebell, der gegen die Zyzzkt kämpfte und stets nach Verbündeten suchte. In den Terranem, die in der Galaxis Nai - in der Milchstraße -das technische Erbe der Worgun teilweise übernommen hatten, glaubte er diese Verbündeten gefunden zu haben. Nur war Ren Dhark nicht bereit, Terra in einen intergalaktischen Krieg zu stürzen gegen ein expandierendes Volk, das nicht einmal Rücksicht auf das Leben der eigenen Leute nahm, weil seine Vermehrungsrate so ungeheuerlich groß war. Er wollte zuerst die Lage sondieren. Deshalb war er mit zehn Ringraumern hier, begleitet von Gisols Flaggschiff EPOY und weiteren neun robotgesteuerten Räumern des Worgun. Das Ziel der Mission war, Informationen zu sammeln, nicht zu kämpfen. Doch es hatte sich schon bei der Annäherung an Om gezeigt, daß das eine sich nicht so leicht vom anderen trennen ließ. Sie waren in gefährliche Auseinandersetzungen mit den Zyzzkt verwickelt worden, und jetzt flogen sie im Schutz des »Heerzugs des Heimatlosen«, als Teil einer gigantischen Flotte der unterschiedlichsten Völker, die alle von den Zyzzkt von ihren Heimatwelten vertrieben worden waren. Der Heerzug wurde durch Tarn-felder geschützt und war von den Zyzzkt nicht wahrnehmbar. Aber Dhark gefiel es nicht, auf diese Weise zur Untätigkeit verurteilt zu sein. Er wollte aktiv sein, wollte etwas tun. Auch wenn das Risiko hoch war. Gisol sah seinen terranischen Freund an. »Ich habe da eine Idee«, sagte er. »Laß hören«, murmelte der Commander. »Aber laß dir auch sa 179 gen, daß ich in keiner guten Stimmung bin. Von diesen Vieraugengespräche habe ich langsam genug.«
»Woran liegt das?« fragte Gisol. »Es ist doch unser erstes.«
Dhark schloß die Augen.
»Dessen bin ich mir nicht so sicher wie du«, erwiderte er. »Ich fürchte, wir haben schon einige dieser
Gespräche hinter uns. Aber...«
»Du klingst, als habe dir jemand auf den Schlips getreten«, sagte Gisol.
Dhark öffnete ein Auge wieder und blinzelte den Worgun an. »Terranische Redensarten scheinst du ja
verinnerlicht zu haben.«
»Man tut, was man kann, um nicht aufzufallen, wenn man auf Terra Daten sammeln will.« Gisol grinste.
Als »Jim Smith« hatte er sich für einige Wochen auf Terra aufgehalten, auch auf Hope, und terranische
Datenbanken geplündert. Trotzdem war ihm die Galaktische Sicherheitsorganisation auf die Spur
gekommen, nur etwas zu spät. Als die GSO zuschlagen wollte, war er bereits wieder im
Sternendschungel verschwunden.
Jim Smith hieß er jetzt noch offiziell. An Bord der terranischen Raumer war es zwar bekannt, daß er der
Worgun Gisol war. Aber was nur ganz wenige Eingeweihte wußten, war, daß er einem Volk von
Gestaltwandlem angehörte.
In seiner Urform glich er einer riesigen Amöbe, allerdings ohne ein Einzeller zu sein. Er konnte jede
beliebige Gestalt annehmen, solange seine Körpermasse dem nicht entgegenstand; als Feldmaus oder
Goldhamster aufzutreten, war ihm unmöglich, weil er seine Zellmasse nicht so weit verdichten konnte,
und für einen Tyranno-saurus rex wäre er wohl etwas zu »luftig«.
»Erzähl endlich«, verlangte Dhark.
»Wer hat dich genervt?« fragte Gisol.
»Artus«, seufzte der Commander. »Auch in einem dieser Vieraugengespräche. Jetzt nerv du mich
endlich, damit ich anschließend meine Ruhe habe!«
»Nerven will ich dich keinesfalls«, sagte Gisol. »Aber wenn du bereit bist, dir meinen Plan anzu...«
»Verdammt noch mal, jetzt rede endlich, statt wie die Katze um den heißen Brei zu schleichen!« fuhr
Dhark ihn an. »Entschuldi
180 ge«, fügte er rasch hinzu, »aber ich bin gerade wirklich nicht gut drauf. Dieser leider ziemlich intelligente Blechmann ist manchmal wirklich lästig.« »Schon gut«, seufzte Gisol. »Paß auf. Unsere 20 Schiffe sind wieder sicher innerhalb des Tarnnetzes der Flotte der Heimatlosen. Die suchen nach dem Verräter, der uns allen die Zyzzkt auf den Hals gehetzt hat. Ich hoffe, daß sie ihn bald finden. Denn ich bin sicher, daß dem ersten Verrat noch weitere folgen werden.« »Und du willst jetzt deinerseits versuchen, diesen Verräter...« »Unsinn!« unterbrach Gisol seinen terranischen Freund. »Ich plane etwas ganz anderes. Nämlich eine Expedition. Ich will mit meiner EPOY das Arkan-Schiff der Zyzzkt verfolgen.« »Diesen Koloß? Diesen Raumgiganten?« Dhark runzelte die Stirn. »Und das im Alleingang?« »Richtig. Nur mit der EPOY. Die anderen Raumer sollten hierbleiben. Hier sind sie geschützt. Zudem wären mir die anderen Raumer... wie sagt ihr auf Terra - ein Klotz am Bein. Mit einem einzelnen Schiff bin ich beweglicher und brauche auf niemanden Rücksicht zu nehmen.« »Aber auch gefährdeter«, wandte Dhark ein. Gisol zeigte ein Grinsen. »Darüber läßt sich trefflich streiten«, sagte er. »Bevor ich eure Galaxis ansteuerte, habe ich auch alle Aktionen im Alleingang durchgeführt - und stets überlebt. Nur in seltenen Fällen habe ich meine anderen Ringraumer einsetzen müssen.« »Hm«, machte der Commander. »Und warum kommst du jetzt mit dieser Idee zu mir? Du hättest einfach über Funk von deiner EPOY aus einen Abschiedsgruß schicken können. Es hat doch einen Grund, daß du hierher gekommen bist.« »Und dich in deiner kargen Freizeit belästige«, schmunzelte der Mysterious. »Aber die Sache hat einen anderen Hintergrund. Ich möchte, daß du und einige ausgewählte Terraner mich auf dieser Expedition begleiten.« Dhark runzelte die Stirn. »Und es muß schnell entschieden werden«, ergänzte Gisol. »Noch können wir die Transitionen der ARKAN-1 anmessen. Wie iange noch, wissen die Sternengötter. Dank seiner gigantischen 181 Masse erzeugt dieses Kampfschiff natürlich auch gigantische Strukturerschüttemngen bei jeder Transition. Aber irgendwann, wenn der Raumer weit genug entfernt ist, werden sie verblassen. Wir sollten also schnell handeln.« Dhark setzte sich wieder auf. »Das heißt, daß du Terraner an Bord der EPOY kommen lassen willst«, sagte er. Gisol nickte. Es war etwas erstaunlich. Lange Zeit hatte der Worgun sich strikt dagegen gewehrt, daß Fremde sein Schiff betraten, und nur zögernd Zugeständnisse gemacht. Wenn er jetzt sich beziehungsweise das Schiff anderen geradezu »öffnete«, war das schon überraschend. Erste Ansätze dazu hatten sich zwar schon vor Tagen gezeigt. Aber mit Gisol mußte eine grundlegende Wandlung vor sich gegangen sein. Begann er endlich, den Terranem zu vertrauen? Wirklich zu vertrauen? »Weshalb willst du dieses Riesenschiff verfolgen?« fragte Dhark. Gisol lachte leise. »In meiner Zeit als Rebell«, sagte er, »habe ich viele Hinweise auf ein ultrageheimes Machtzentrum der Zyzzkt gefunden. Aber immer nur Hinweise, niemals dieses Machtzentrum selbst.« Unwillkürlich fühlte Dhark sich an seine eigene Suche nach den Mysterious erinnert. Er hatte sie immer finden wollen, die geheimnisvollen Erbauer seiner POINT OF und Druiden anderer technologischer Großtaten. Immer wieder hatte er überall in der Galaxis Hinterlassenschaften der Mysterious gefunden, die vor tausend Jahren spurlos verschwunden waren und nicht einen einzigen persönlichen Gegenstand zurückgelassen hatten, durch den man Rückschlüsse auf ihr Aussehen hätte ziehen können... allenfalls die Ausformung der Sitze und die Anordnung der Kontrollinstrumente und Steuerungen deuteten darauf hin, daß es sich um ein humanoides Volk handeln mußte; ebenso wie die filmdünnen M-Raumanzüge, die in der POINT OF vorgefunden wurden und im Industriedom von Deluge auf dem Planeten Hope massenhaft produziert werden konnten, um das Personal der gesamten Terranischen Flotte damit auszustatten. 182
Daß die Worgun in der Milchstraße nur in humanoider Form aufgetreten waren, in Wirklichkeit aber jede beliebige Gestalt annehmen konnten, hatte niemand geahnt. Nicht einmal Ren Dhark, der auf der Suche nach den Geheimnisvollen von Stern zu Stern geflogen und dabei auf viele unbekannte Spezies gestoßen war -nur eben niemals auf die Mysterious. Und jetzt sah er in Gisol wieder eine verwandte Seele. »Du glaubst, die ARKAN-1 führt dich direkt zu diesem Machtzentrum?« »Ich hoffe es«, gestand Gisol. »Und deshalb müssen wir ihr folgen, solange die Transitionen noch anmeßbar sind.« Der Commander nickte langsam. Er entsann sich an seine eigenen Abenteuer. Er dachte an damals, als er der Spur der Robotflotte folgte, die Terra überfallen hatte. Er wollte wissen, wo deren Basis war. Aber immer wieder hatte es Zwischenstationen gegeben, zum Beispiel der Planet Worgun 4 im Dca-S-3-System, der rätselhafte technische Hinterlassenschaften barg, die aber durch eine Planetenbombe vernichtet worden waren. Dann - das »Sternbild der Sterne«, immer noch unerforscht, und die Sternenbrücke mit dem Planeten Zwitt, der
sich als Sonne tarnte. Und irgendwann war die Spur der Robotflotte verloren.
Und jetzt wollte Gisol einer Spur zwischen den Sternen folgen!
Sollte er sie auch verlieren?
Dhark schüttelte den Kopf. Gisol und er, sie waren beide zu seelenverwandt, als daß er so etwas hätte
zulassen können.
»Einverstanden«, sagte er. »Wir sind dabei.«
Daß der Commander nach so kurzer Zeit schon wieder in der Zentrale der POINT OF erschien, obgleich er vorher angesagt hatte, sich für ein paar Stunden zurückzuziehen, überraschte die diensthabenden Offiziere, die schon befürchteten, Dhark würde wieder einmal durch seine Omnipräsenz alle Dienstpläne über den Haufen werfen. Aber der Commander dachte gar nicht daran, den Befehl über 183 den Ringraumer schon wieder in die eigene Hand zu nehmen.
»Weitermachen, Gentlemen«, erklärte er trocken, während er ans Kommandopult trat und sich auf einem
der freien Sitze niederließ. »Lassen Sie sich nur nicht von mir stören.«
Fünf Sessel gab es am Kommandopult, über dem die große Bildkugel schwebte, welche die Umgebung
des Ringraumers zeigte. Normal waren zwei bis drei der Plätze besetzt. Im Grunde reichten zur Not fünf
Personen, die POINT OF zu fliegen - einer im Leitstand, einer im Maschinenraum, zwei in den beiden
Waffensteuerungen und einer an der Ortung. Trotzdem besaß der Ringraumer eine 210köpfige
STarnmbesatzung.
Dhark dachte an Gisols EPOY. Die konnte von einer Person allein geflogen werden.
Das ging im Extremfall bei der POINT OF auch, mittels der Gedankensteuerung. Auch bei den
Robotschiffen der Mysterious, den S-Kreuzem, wie die Terraner die erbeuteten und für ihre Zwecke
umgerüsteten Schiffe nannten, war es möglich, daß ein Mann das Schiff lenkte und der Rest von
Robotern und Automatiken erledigt wurde. Aber das war die Theorie. In der Praxis waren damals die M-
Roboter entsorgt worden, und man stellte die Bedienung der Raumer auf terranische Ansprüche um. Das
bedeutete aber, daß man mehr Personal brauchte. Unter 30 Mann war da nichts zu machen.
Nun, die EPOY war viel später erbaut worden als die POINT OF, sie mußte also zumindest in einigen
Punkten modemer, fortschrittlicher sein als das Flaggschiff der Terranischen Flotte. In vielen anderen
Dingen war wiederum die POINT OF noch den neueren Räumern der Worgun voraus, die beiden Genies
Margun und Sola hatten hier etwas geschaffen, das nach tausend Jahren noch nicht übertroffen worden
war. So zumindest hatte Gisol sich geäußert.
Ren Dhark aktivierte die Bordsprechanlage.
»Dhark an alle. Ich brauche ein paar Freiwillige für einen Risikoeinsatz«, sagte er und erläuterte den Plan
Gisols. Der Worgun stand schweigend hinter ihm und wartete ab.
Noch während Dhark sprach, kamen die ersten Meldungen. Als er mit seinen Erklärungen fertig war,
stand die komplette Mann-184
schaft bereit, ihn und den Worgun zu begleiten.
Dhark ließ seinen Sitz herumschwingen, so daß er Gisol ansehen konnte.
»Was sagst du, Geheimnisvoller?«
»Ich sage, wenn ich deine gesamte Mannschaft dabeihaben wollte, könnte eher ich an Bord der POINT
OF bleiben als ihr alle in die EPOY kommen. Ich brauche nur eine Handvoll Begleiter. Wähle sie mit
Bedacht.«
Dhark überflog die Liste. Der einzige der Mannschaft, der sich nicht gemeldet hatte, war der Roboter
Artus, aber der war ja längst außerhalb des Schiffes unterwegs, um die Verhältnisse im Heerzug der
Heimatlosen zu untersuchen.
»Zwei Cyborgs«, entschied Dhark. »Lad Oshuta und Amy Ste-wart.«
Etwas eigenartig war ihm bei der Entscheidung schon zumute;
der Tod des Cyborgs Holger Alsop auf dem Planeten Pscherid ging ihm nahe. Andererseits diente es der
Sicherheit, bei dem Einsatz Cyborgs dabeizuhaben. Und aus ganz persönlichem Interesse, das er sich
selbst nur halb eingestehen mochte, wählte er neben dem altgedienten Japaner auch die attraktive Amy
Stewart.
Die Wahrscheinlichkeit, daß bei diesem Einsatz erneut ein Cy-borg ums Leben kam - etwa Amy - war
extrem gering. Daß ein Cyborg im Einsatz starb, war eine ganz große Ausnahme. Selbst Verwundungen
gehörten nicht zur Tagesroutine.
»Manlius«, fuhr er fort und meinte damit einen der Römer, die auf Terra Nostra an Bord der POINT OF
gegangen waren. Der Römer mit seinem technischen Wissen konnte hilfreich sein; immerhin hatte sein
Volk es geschafft, die Technik der Worgun teilweise weiterzuentwickeln!
»Manu Tschobe.« Der Afrikaner war Arzt und Funkspezialist und schon auf Hope mit Dhark und den
anderen durch dick und dünn gegangen. Einen Arzt in greifbarer Nähe zu haben, war nicht schlecht, und
in diesem Moment dachte Dhark nicht einmal an die latente Parafähigkeit Tschobes, anderen seinen
Willen aufzuzwingen.
Und: Arc Doorn. Der stets mürrisch wirkende, wortkarge Sibirier besaß ein un
185
glaubliches Einfühlungsvermögen in Fremdtechnik. Intuitiv erfaßte er die Funktionsweise von Geräten,
die er niemals zuvor gesehen hatte. Deshalb wollte Dhark auch ihn dabei haben. Wer wußte denn, was sie
in dem geheimnisumwitterten Machtzentrum der Zyzzkt erwartete, das Gisol durch die Verfolgung des
Arkan-Giganten finden wollte?
»Anja Riker.«
Die einzige Terranerin, die mit der Supermathematik der Myste-rious wirklich zurecht kam, die sie
verstand und damit arbeiten konnte. Möglicherweise konnte sie wertvolle »Hintergrundarbeit« leisten.
Dhark sah Gisol fragend an.
Der nickte; eine menschliche Geste, die er sich schon früh angeeignet hatte, weil er sich ja unter
Menschen bewegen mußte.
»Ja«, knurrte Dan Riker, »und was ist mit mir?«
»Dich brauche ich hier in der POINT OF, wie auch den Rest der Besatzung«, stellte Dhark klar.
»Verdammt, Ren - Anja nimmst du mit und mich nicht? Da fliegt mir doch der Kitt aus der Brille,
Mann!« Riker sprang auf und baute sich vor seinem Freund auf. »Was soll das, Ren?«
Auf seinem Kinn hatte sich ein kleiner roter Punkt gebildet;
deutliches Zeichen der innerlichen Erregung, die den untersetzten, schwarzhaarigen Mann gepackt hatte,
der Ren Dharks ältester Freund war.
Anja lehnte am Checkmaster. Sie schaute zu und wartete ab. Natürlich hatte sie sich ebenso wie ihr Mann
Dan für den Einsatz gemeldet.
Dhark trat ganz nahe vor seinen Freund, legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Eifersucht, nach all den Jahren?« flüsterte er so leise, daß es niemand außer Dan hören konnte.
Es hatte auf Hope eine Zeit gegeben, in der Ren verliebt in Anja Field gewesen war, doch er hatte es nie
geschafft, ihr seine Gefühle zu zeigen. Ihre Gefühle galten nur Dan Riker, und Dan hatte genommen, was
er bekam und Anja geheiratet.
Ren hatte es akzeptiert; er war damit glücklich, daß Dan und Anja sich liebten. Sie waren doch seine
Freunde! Nur ein einziges
186 Mal hatte er sich Dan offenbart. Und dann war Joan Gipsy in sein Leben getreten, es war Liebe auf den
ersten Blick, und es war Verrat.
Joan hatte ihn hereingelegt.
Und jetzt war da plötzlich Amy Stewart.
Nein, Dan brauchte nicht eifersüchtig zu sein. Ren wollte Anja längst nicht mehr. Seit sie Dan geheiratet
hatte nicht. Er war nicht der Mann, der seinem besten Freund die Frau wegnahm.
Eher interessierte ihn Amy.
»Du bist unfair«, flüsterte Dan ihm ebenso leise zu.
Ren schüttelte langsam den Kopf.
»Ihr bleibt beide hier«, sagte er schließlich. »Ich fliege mit Oshuta, Stewart, Manlius, Tschobe und
Doorn. Zufrieden?«
»Nein!« erwiderte Riker. »Ich will mit. Begreifst du das nicht? Ich will nicht immer in der zweiten Reihe
stehen.«
»Aber nur da kannst du helfen, wenn wir plötzlich in der Patsche stecken«, erwiderte Dhark.
»Gewissermaßen bist du auch an dem Einsatz beteiligt - als derzeitiger Kommandant der POINT OF, als
Eingreifreserve.«
»Wie immer«, brummte Riker. »Diese Sprüche kenne ich doch schon auswendig. Ich will auch mal
wieder vom mit dabei sein.«
»Und so sterben wie Holger Alsop?« fragte Dhark leise.
Neben ihm zuckte Gisol zusammen; der Worgun gab sich die Schuld am Tod des Cyborgs.
»Du bist wirklich unfair«, raunte Riker.
Was hätte Ren noch darauf sagen sollen?
»Wir sollten keine Zeit mehr verlieren«, drängte Gisol. »Wünschen Sie uns Glück, Ladys und
Gentlemen.« Er schritt auf einen getarnten Transmitter zu, von denen es mehrere in der Zentrale der
POINT OF gab, und schaltete ihn auf das Empfangsgerät in seiner EPOY. Dann verließ er als erster das
Flaggschiff.
Ren Dhark nickte seinem Freund zu. »Halt die Ohren steif«, sagte er, »und hol' uns 'raus, wenn es nötig
werden sollte.«
»Worauf du dich verlassen kannst«, knurrte Dan. »Schließlich will ich dich nach deiner Rettung
windelweich klopfen, Mann!«
Sie grinsten sich an. Dann wechselte Ren zur EPOY.
Die anderen folgten.
187 Von der EPOY aus rief Ren Dhark den »Rat der Heimatlosen« an. Der Saviper Ona Then Grom meldete
sich. Dhark schilderte ihm Gisols und sein Vorhaben und informierte ihn über den bevorstehenden Start
des Ringraumers.
»Erlaubnis erteilt«, sagte das Ratsmitglied. »Tun Sie das, was Sie für richtig halten. Wir haben
momentan ohnehin andere Probleme.«
»Sie suchen immer noch nach dem Verräter?« vermutete Dhark.
»Haben Sie einen Hinweis für uns?« fragte der Saviper.
»Leider nicht...«
»Das ist bedauerlich, aber wohl nicht zu ändern. Wir wünschen Ihnen Erfolg bei Ihrer Mission.«
Wenig später koppelte sich die EPOY vom Verbund der Heimatlosen-Flotte ab und flog den
Schleusenbereich des gigantischen Tarnnetzes an.
Draußen wartete der freie Weltraum.
Wartete Oms Sternendschungel.
Wartete der Tod...
13.
Tiporis Schnabel zitterte heftig, ein deutliches Zeichen für seine Erregung. Er machte sich nicht die
Mühe, sich von dem Diwan zu erheben, auf dem er lag. In seiner Position konnte er es sich leisten,
sich um Etikette einen Kehricht zu kümmern, selbst wenn es sich um wichtige Geschäfte handelte.
Wer zu ihm kam, kam nicht erhobenen Hauptes, sondern als Bittsteller.
»Bald wird jeder Dummkopf auf Himmfarr denken, mich hintergehen zu können«, trällerte er,
wobei er sich wütend einige Federn aus seinem Federkleid zupfte. »Ich muß etwas unternehmen,
um meinen Ruf wiederherzustellen.«
Er betrachtete zwei in dunkle Gewänder gehüllte Gestalten, deren bläuliche Lederhaut in krassem
Kontrast zum glühenden Gelb ihrer Augen stand. Es war nicht das erste Mal, daß Tipori auf die
Dienste der beiden Kuchas zurückgriff. Er wußte, daß er sich auf ihre Verschwiegenheit verlassen
konnte. Lygg'lyggs Tod würde sich nur in den richtigen Kreisen herumsprechen und damit garan
tieren, daß niemand mehr auf die Idee kam, seine Schulden nicht zu bezahlen.
»Lygg'lygg ist ein Idiot, Erhabener«, gab einer der Kuchas in seinem typischen Geflüster zurück.
»Er hat dich nicht mit Absicht betrogen.«
»Unwichtig!« fuhr Tipori auf. Er zog einen Stapel Creds aus seinem Gefieder und warf ihn auf die
Tischplatte vor sich. »Das hier müßte für eure Bemühungen ausreichen.«
Einer der Kuchas griff nach dem Geldbündel und ließ es unter Einern Umhang verschwinden. In
ihren Gesichtern war blanke Gier zu erkennen. Aufgeregt flüsterten sie miteinander. Auch ^Wenn
Tipori dem Verlauf der Unterhaltung nicht folgen konnte,
189 wußte er, daß seine Handlanger keine moralischen Bedenken kannten.
Und ein toter Gyrre auf Himmfarr interessierte niemanden. Er brauchte sich also keine Sorgen über
gesetzliche Repressalien zu machen. Gesetze waren in der Unterwelt nicht mehr wert als das
Papier, auf dem sie in grauer Vorzeit manifestiert worden waren.
Mit hektischen Bewegungen scheuchte Tipori die Kuchas aus dem Raum.
»Ich will euch erst wieder sehen, wenn euer Auftrag erledigt ist.«
Eben noch hatte er gemeint, die Giants zu hassen für das, was sie der Menschheit angetan hatten.
Und auch ihm selbst, hatten sie ihm doch ein ganzes Jahr seines Lebens gestohlen, als sie die Erde
besetzt hielten, die sie in eine Trümmerwüste verwandelten. In den vergangenen Jahren hatte er den
Gedanken an Rache wie einen wohlbehüteten kleinen Schatz mit sich getragen, wie eine Verhei
ßung, die sich vermutlich niemals einstellen, die er aus eigenem Antrieb aber auch niemals
aufgeben würde.
Nun aber war alles anders. Starr hing Simons Blick in der Kommandozentrale der NOREEN
WELEAN, gerichtet auf einen imaginären Punkt jenseits des verlöschenden Hologramms.
Diese Bestien! Gegen das Wirken der Zyzzkt verblaßten die Taten der Biostrukte zu Marginalien. Die Holobilder hatten die Insektoiden als wahre Monster entlarvt, als Massenmörder bar jeglichen Gewissens. Wie eine biblische Plage apokalyptischen Ausmaßes kamen und gingen sie, Tod und Zerstörung verbreitend. Sie hatten die Worgun besiegt und versklavt, nachdem sie eine Waffe gegen deren Intervallfelder erfunden hatten. Die scheinbar unüberwindlichen Worgun oder auch Mysterious, deren Spuren und Hinterlassenschaften Ren Dhark nachgejagt war. Ren Dhark! Wo mochte er sich mit seiner POINT OF aufhalten? Lebte der Commander der Planeten überhaupt noch? Bestimmte er als politischer Anführer der irdischen Regierung nach wie vor die 190 Geschicke der Menschheit? Eine Schreckensvision befiel Simon, die Bilder einer emeut zer-i störten Erde, mit der die Zyzzkt das gleiche getan hatten wie mit Dark Mystery. Es war erst wenige Stunden her, daß er das kom promißlose Vorgehen des Insektenvolks mit eigenen Augen erlebt hatte. Alles nur seinetwegen, erkannte er mit einem Anflug von Bedauern. Erst mit seinem Eindringen in die geheimen Anlagen des Dunkelplaneten hatte er die Zyzzkt zum zweiten Mal auf diese Welt aufmerksam gemacht. Simon hatte den Krieg der Maschinen miterlebt. Worgun-Roboter gegen
Zyzzkt-Kampfmaschinen. Er selbst war dem starken Kampfgeschwader der Insektoiden nur entkommen, weil ihre Ringraumer, die sie einst den Mysterious gestohlen hatten, beinahe vollständig von einer uralten Falle vernichtet worden waren. Wächter Simon! Die Stimme, auf Funkbasis übertragen, drang in seine Erinnerungen und riß ihn in die Gegenwart zurück. Vor der Bildkugel schwebte eine Spindel von anderthalb Metern Länge bei einer größten Dicke von einem halben Meter. Die beweglichen Tentakel in der unten Rumpfhälfte hingen inaktiv am Körper herab. Hugo, antwortete Simon. Ich war in Gedanken. Das war nicht zu übersehen, aber es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen. Ich wollte dich nur daraufhinweisen, daß die anderen die Datenbank verstaut haben und auf weitere Anweisungen warten. Die anderen. Simon mußte sich eingestehen, daß er die Roboter, die mit der Datenbank per Transmitter an Bord gekommen waren, völlig vergessen hatte. Bisher hatte er sie nicht einmal zu Gesicht bekommen. Der Gedanke, sie unbeaufsichtigt irgendwo an Bord zu haben, behagte ihm nicht. Allerdings erwies sich Hugo als äußerst kooperativ, er hatte die Autorität des Wächters vom ersten Augenblick an anerkannt. Wie viele von ihnen... bewachen die Datenbank? Zwölf. Aber sie stellen keine Wache dar. An Bord deines Ringschiffs kann nichts gestohlen werden. Meine Kollegen dienen dei 191 ner Unterstützung, so wie ich selbst. Simon fühlte sich ertappt, eine Emotion, die Anbetracht der worgunschen Maschinen vollkommen unangebracht war. Dir als Wächter sind sie zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet fuhr der Spindelroboter fort. Wenn du ihnen allerdings aus mir nicht verständlichen Gründen mißtraust, wie ich deinem Zögern entnehme, kann ich sie auf unbestimmte Dauer abschalten. Ich gebe aber zu bedenken, daß es die Logik in einem solchen Fall ge-böte, mich ebenfalls zu deaktivieren. Das hatte Simon nicht vor, obwohl er momentan keine Vorstellung davon hatte, was er mit den Robotern anfangen sollte. Den Ringraumer vermochte er ohne ihre Unterstützung zu steuern, an dererseits waren sie willkommene Gesprächspartner. Er wurde sich seiner inneren Zerrissenheit bewußt. Eine viel zu lange Zeit hatte er in Einsamkeit verbracht und sich nach Gesellschaft gesehnt - selbst wenn es sich um die von Maschinenwesen handelte. Doch mit der plötzlichen Erfüllung seines Wunsches war er überfordert. Vielleicht hatte er sich so sehr an das Alleinsein gewöhnt, daß es seine Zeit brauchte, bis er wieder unbelastet mit anderen verkehren konnte. Er war kein Mensch mehr. Sein Körper war für alle Zeiten zerstört. Doch sein Bewußtsein, seine Seele, war nicht mit seinem Körper untergegangen. Es existierte nun in diesem gewaltigen Körper aus formbarem Tofirit, der ihn zu einem der mächtigsten Wesen des Universums machte - aber zugleich auch zu einem der einsamsten. Niemand wird abgeschaltet, erklärte er. Ich will euch nur nicht alle in der Schiffszentrale haben. Du kannst noch einen deiner Kollegen rufen, die anderen bleiben im Frachtraum, bis ich ihre Dienste benötige. Noch immer glaubte er Photonen des kollabierten Hologramms an die Sensoren seiner dunkelroten Tofirithülle prasseln zu sehen. Seine Imagination setzte sie zu Bildern aus der Vergangenheit zu sammen, zu denen von Siegern und Besiegten. Zu Zyzzkt und Worgun. Er versuchte den peinigenden Gedanken zu verdrängen, dabei war er in seiner Konsequenz nur logisch. Die Mysterious waren 192 aus der Milchstraße verschwunden, ihre Planeten waren verlassen oder zerstört. Auch auf Dark Mystery hatte man annähernd tausend Jahre nichts mehr von ihnen gehört. Wenn es einer endgülti gen Bestätigung bedurfte, wie mochte die aussehen? Er konnte nicht anders, als den Spindelroboter zu fragen. Gibt es noch Worgun in Orn?
Ich kann dir darauf keine Antwort geben, auch keiner der anderen. Wir wissen es leider nicht,
ansonsten hätten wir längst versucht, Kontakt zu ihnen aufzunehmen.
Sie haben sich nie bei euch gemeldet?
Seit der Zerstörung der Sternenbrücke haben wir nicht mehr mitbekommen, was in Orn vor sich
geht. 900 Jahre waren wir von den kosmischen Geschehnissen abgeschnitten. Vergiß nicht, daß
unsere Aufgabe die Bewachung der geheimen unterirdischen Anlagen war, so lange, bis die
Worgun wieder auftauchen. Simons Hoffnung, daß das jemals geschehen könnte, sank ins Mikroskopische. Die Mysterious schienen sich von der galaktischen Bühne zurückgezogen zu haben. Aufgerieben und vertrieben von einer Spezies, der sie letzten Endes nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Wiederholte sich die Geschichte? Mit Schwermut dachte Simon an seine Begegnung mit Vonnok, rein äußerlich ein Wächter wie er selbst, in seinem Innern jedoch beseelt von der Essenz des An gehörigen eines gleichfalls aussterbenden Volkes. Ein Amphi. Oder besser, ein Fanjuur. Bei Vonnok war aus Hoffnungslosigkeit neue Hoffnung geboren worden. War das auch für die Worgun denkbar? Viel wahrscheinlicher war, daß Hugo und die anderen Roboter von ihrer Programmierung zu Narren gemacht worden waren. Sie hätten so lange in ihrer Diaspora ausgeharrt, bis in der Eiswelt selbst ihre widerstandsfähigen Unitall-körper eingefroren oder in unerreichbar femer Zukunft dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen wären. Wenn nicht doch noch ein Worgun aus der Hinterlassenschaft des Universums aufgetaucht wäre... Oder ein Wächter. Wie viele Wächter mochte es noch geben? Simon erinnerte sich an die biologischen Körper der unterschiedlichsten Wesen, die 193 einst für 98 Jahre die ruhmreiche Wächteraufgabe übernommen hatten. Sie waren in Arkan-12 gelagert, nur sein eigener zerstörter menschlicher Körper nicht. Welche Ironie des Schicksals! Seinen eigenen Leib, in den er hätte zurückkehren können, gab es nicht mehr. Dafür unzählige andere, die vielleicht nie wieder beseelt werden würden, weil ihre Insassen nicht mehr existierten. Die Worgun sind nicht aus gestorben, meldete sich Hugo. Sie haben sich nur zurückgezogen. Konnte die Spindel seine Gedanken lesen? Simon befürchtete, daß sie ihm nur Mut machen wollte. Oder gab sie lediglich ihrer eigenen Hoffnung Ausdruck, weil ihre Existenz ansonsten sinnlos geworden war? Was schlägst du vor?
Wir müssen nach Epoy fliegen. Wenn es noch Worgun in Orn gibt, werden wir sie dort finden.
Epoy - die Heimat der Worgun. Ihre Ursprungswelt, die Foru umkreiste. Eine Idee, die etwas für sich hatte. Doch Simon gab sich keinen Illusionen hin. Er konnte Epoy nicht einfach anfliegen, ohne die NOREEN WELEAN zu gefährden. Die Zyzzkt werden Epoy nicht sich selbst überlassen haben. Wir werden aufwacheinheiten treffen. Und nicht auf wenige. Simon erwartete starke Verbände der In-sektoiden, die das Foru-System auch nach der langen Zeit noch sicherten. Mit eingeschaltetem Ortungsschutz werden sie uns nicht bemerken.
Ich wollte, ich hätte deine Zuversicht. Bisher ahnen die Zyzzkt nichts von unserer Existenz. Ich
möchte, daß das möglichst lange so bleibt. Nach allem, was wir wissen, ist die NOREEN WELEAN
der letzte freie Ringraumer in Orn. Die INSTANZ von Arkan-12 verläßt sich darauf, daß ich sie mit
Informationen versorge.
Informationen kannst du nur vor Ort besorgen, nicht aus der Ferne. Die INSTANZ würde mir
beipflichten.
Auch auf die Gefahr hin, daß wir aufgebracht werden?
Ich habe nur einen Vorschlag gemacht. Du bist der Wächter, die Entscheidung liegt bei dir.
Simon gestand sich ein, daß er keine Alternative sah. Schließlich
194
gab er dem Hyperkalkulator über Gedankensteuerung die entsprechenden Anweisungen, und der letzte Ringraumer von Arkan-12 nahm Fahrt auf und ging auf Kurs.
Sternensog. Der blauviolett schimmernde Raumer mit der Form einer Ringröhre von 180 Metern Durchmesser bei einem Röhrendurchmesser von 35 Metern raste mit eingeschaltetem Intervallfeld überlicht schnell Richtung Foru-System. Der laufende Ortungsschutz machte ihn energetisch unsichtbar. Aufrecht stand Simon in der Schiffszentrale und zählte die Minuten. Mit jedem Lichtjahr, das sich die NOREEN WELEAN dem Heimatsystem der Worgun näherte, wuchs seine Unruhe. Noch immer war er nicht davon überzeugt, richtig zu handeln. Ein einziger Fehler konnte sämtliche Pläne für sein weiteres Leben zunichte machen. Das durfte nicht passieren, nicht jetzt, da die Arkan-IN
STANZ ihm die Reproduktion seines menschlichen Körpers in Aussicht gestellt hatte.
Als ein weiterer Roboter in die Zentrale geschwebt kam, schaute Simon kurz auf. Er besaß die
gleiche Form wie Hugo.
Ich melde mich wie befohlen, funkte die Spindel und ließ eine nichtssagende Kennung folgen.
Simon betrachtete sie eingehender. Das metallische Geschöpf reflektierte das Kunstlicht der
Bordbeleuchtung, während es bewegungslos einen halben Meter über dem Boden schwebte.
Simons Unsicherheit kehrte zurück. Das Fehlen jeglicher Persönlichkeit des Roboters führte ihm
wieder sein eigenes Dilemma vor Augen.
Du brauchst ebenfalls einen Namen.
Nachdenklich musterte er die kalte Hülle der Worgun-Schöp-füng. Er entdeckte Mysterious-
Schriftzeichen und eine kryptische Linienführung. Sie erinnerte ihn frappant an ein grinsendes Ge
sicht. Am liebsten hätte er die Spindel in den Frachtraum zurückgeschickt, aber er unterdrückte den
Impuls.
Ich werde dich Joker nennen. Hugo, darf ich vorstellen, das ist
195 Joker. Keiner der beiden Spindelroboter reagierte auf seine Bemerkung.
Ortungsimpulse von Raumschiffen, meldete sich statt dessen der Hyperkalkulator. Ich registriere
Flottenbewegungen im Nahbe-reich des Foru-Systems.
Einblenden.
Die Femortung arbeitete auf Hochtouren. Der Reizstrahl, der die optische Raumbeobachtung aus
dem Intervallfeld heraus ermöglichte, lieferte Bilder zahlreicher Ringraumer, aber auch anderer,
Simon unbekannter Schiffstypen.
Der Wächter verfolgte die eingehende Datenflut mit beiläufigem Interesse. Die Anwesenheit der
zahlreichen Einheiten in diesem Raumsektor behagte ihm nicht. Zwar gehörten Ringraumer in das
Heimatsystem der Worgun, aber eigentlich sollten sie von ihren Erbauern gesteuert werden. Statt
dessen waren sie mit Zyzzkt bemannt, die sie sich unrechtmäßig angeeignet hatten.
Er betrachtete die holographischen Abbilder der anderen Schiffe. Ihre unterschiedlichen Bauweisen
ließen vermuten, daß sie nicht die gleiche Herkunft hatten. Simon fragte sich, wie viele andere
Völker die Zyzzkt noch unterworfen und ausgeplündert hatten.
In Ausschnittsvergrößerungen zoomte er die unterschiedlichen Typen nacheinander in die Holo-
Darstellung.
Ist eine Identifikation möglich? Negativ. Für Sekunden drängte sich ihm das Abbild des blauen Zentral-gestims auf und verwandelte sich vor seinen Augen in eine gelbe Sonne, die von neun Planeten umkreist wurde. Dann verringerte Simon die Geschwindigkeit, behielt aber Sternensog bei. Fortschreitende Annäherung an die Grenzen des Systems. Ich emp fehle Umschalten auf SLE. Simon zögerte, ohne einen Grund nennen zu können. Der Tarn-schutz verhinderte zwar, daß die NOREEN WELEAN angemessen wurde, trotzdem blieben Zweifel. Denn wenn er sich irrte, würde sie trotz ihrer hochgezüchteten Technik wertvolle Zeit brauchen, wieder Fluchtgeschwindigkeit zu erreichen. Es mochte sich dabei um Sekunden handeln, doch die konnten ausschlaggebend sein.
196 Noch nicht.
Noch war die NOREEN WELEAN weit genug vor Foru, doch allzu lange durfte Simon seine
Entscheidung nicht mehr hinauszögern, sonst blieb die blaue Sonne nur als ein weiteres Lichtpünkt
chen unter Myriaden hinter ihm zurück. Kontinuierlich nahm er weiter Geschwindigkeit weg, bis
sich die Ringröhre nur noch knapp oberhalb der einfachen Lichtgeschwindigkeit bewegte. In Kürze
würde der initiierte Brennpunkt ersterben und das Schiff auf Sub-Licht-Effekt fallen.
Gibt es Anzeichen, daß unsere Annäherung registriert -wird? Änderungen in den
Flottenbewegungen?
Negativ. Ich weise daraufhin, daß unser Ortungsschutz zuverlässig arbeitet.
Das weiß ich selbst, wollte Simon funken, tat es aber nicht. Es war wenig produktiv, den
Bordrechner oder die Roboter mit seinen unbegründeten Zweifeln zu konfrontieren.
Im nächsten Moment erhielt er die Bestätigung, daß sie keineswegs unbegründet waren.
Ein Ringraumer geschwader ändert den Kurs. Der Hyperkalkulator präsentierte die Daten und
spielte eine entsprechende visuelle Sequenz ein.
Neuer Kurs? Simon kannte die Antwort, bevor sie ihn erreichte.
Zielvektor auf die NOREEN WELEAN ausgerichtet. Flotte befindet sich auf Abfangkurs.
Simons Instinkte hatten ihn demnach nicht getrogen. Oder war es nur sein übertriebener
Pessimismus? Annähernd in Nullzeit stellte er sich auf die neue Situation ein. Mit Bewegungen, die schneller waren, als ein menschliches Auge folgen konnte, kehrte er die negative Beschleunigung wieder um. Der Ringraumer machte einen bockigen Sprung, als die Flächenprojektoren die Energieerzeuger mit dem sprunghaften Leistungsanstieg konfrontierten. Simon beglückwünschte sich zu seinem Entschluß, auf Überlicht geblieben zu sein. In der Bildkugel war das anfliegende Geschwader deutlich zu erkennen. Ein halbes Dutzend Ringraumer, die dem seinen in nichts nachstanden. Im Vollbetriebsmodus rasten sie heran. Simon versuchte auszuweichen. Bevor seine Mission überhaupt 197 begonnen hatte, war sie schon wieder zu Ende. Jetzt galt nur noch, den Zyzzkt nicht in die Hände zu fallen. Brutal riß er die NOREEN WELEAN aus der Bahn, was deren Aggregate mit wütendem Hämmern quittierten. Die Stabilisatoren wirkten der extremen Kursänderung entgegen und hielten die Röhre trotz ihrer Wahnsinnsgeschwindigkeit in der Waagerechten. Das anfliegende Geschwader zerfiel und zog sich auseinander. Es glich seinen Kurs an und versuchte, die NOREEN WELEAN abzufangen. Angreifer eröffnen das Feuer. Rosarote Nadelstrahlen jagten überlichtschnell durch den Raum und zerteilten die Schwärze in spitzwinklige Sektoren. Noch kamen sie nicht gefährlich nahe, aber das konnte sich jeden Moment ändern, besonders wenn... Vier weitere Ringraumer, meldete Hugo beinahe teilnahmslos. ... das erste Geschwader Unterstützung erhielt. Genau damit hatte Simon gerechnet. Die Bildkugel zeigte ihm, daß damit noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht war. Rings um das ForuSystem kam Bewegung in die eben noch routinemäßig patrouillierenden Einheiten. Die Zyzzkt machten keine halben Sachen, sondern warfen dem ungebetenen Besucher ihre volle Schlagkraft entgegen. Die NOREEN WELEAN raste oberhalb der Bahnebene des Systems dahin und hatte es längst wieder hinter sich gelassen. Aber das schien den Zyzzkt nicht zu genügen, hartnäckig hängten sie sich dran und intensivierten ihr Feuer. Über kurz oder lang erwischen sie uns, orakelte der Hyperkalkulator. Ich empfehle, das Feuer zu erwidern. Sinnlos. Gegen diese Übermacht können wir nichts ausrichten. Sie verfügen über eine ähnliche Feuerkraft wie wir. Selbst beim Kampf eins gegen eins wäre der Ausgang reine Glückssache. Simon schlug einen Haken nach dem anderen und entging immer wieder dem feindlichen Feuer. Es grenzte an ein Wunder, daß sein Schiff bisher keinen einzigen Treffer eingesteckt hatte, doch auf Dauer ließ sich das Glück nicht strapazieren. Ich muß eine Transition versuchen, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. 198 dazu müssen die Intervallfelder abgeschaltet werden, Simon dachte nicht daran, auf Selbstverständlichkeiten eine Antwort zu geben. Natürlich war ihm diese Tatsache bewußt, und ein direkter Treffer bei deaktiviertem Intervall konnte ihn aus dem Universum pusten. Er mußte sein Schiff in eine günstige Situation manövrieren, nur eine einzige Sekunde ohne gegnerischen Beschuß gewinnen. Aber die Zyzzkt dachten nicht daran, das Feuer einzustellen. Abwechselnd schössen sie, um ihm keine Gelegenheit zu einer Transition zu geben. Natürlich war ihnen klar, daß er genau das plante, schließlich verfügte er über keine sonstigen Optionen. Sie versuchen uns in die Zange zu nehmen. Zwei massive Schläge erschütterten die NOREEN WELEAN, dann noch einer. Bisher konnten sie den Intervallfeldem nichts anhaben, aber wenn die Zyzzkt sich einschossen und es ihnen gelang, das Schiff festzunageln, gab es keinen Ausweg mehr. Willkürlich wechselte Simon den Kurs, um den Angreifem kein Schema zu bieten. Ständig bestrebt, seine Verfolger abzuschütteln, jagte er tiefer nach Om hinein. Die Tatsache, daß nur eine Bogensekunde Abweichung vom Kurs sich gleich um Lichtjahre auswirkte, kam ihm zu Hilfe. Es war für den Flüchtenden wesentlich einfacher, willkürliche Bewegungen auszuführen, als für die Verfolger, sie zu kompensieren. Ein paar Mal gelang es Simon beinahe, die Verfolger abzuschütteln, aber sie schlössen immer wieder auf. Langsam wird es eng, erkannte er, während das gejagte Schiff immer mehr Treffer ein stecken mußte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen. Simons metallische Finger flogen über die Bedienungselemente des Instrumentenpults. Er programmierte eine wahnwitzig erscheinende Abfolge von Haken und Kursänderungen.
Permanent die Trefferwahrscheinlichkeit unserer Verfolger be-yechnen, wandte er sich an den
Hyperkalkulator. Sobald eine Wahrscheinlichkeit von unter fünfunddreißig Prozent für den Zeit
räum einer Sekunde vorliegt, Intervallum abschalten.
Verstanden.
In der gleichen Sekunde schüttelte sich die NOREEN WELEAN 199 unter einem Strahlenbündel, sie lag im Feuerfokus von drei Verfolgern, schaffte es aber, sich
wieder daraus zu befreien.
Eine Sekunde, dachte Simon. Eine halbe Ewigkeit. Das reinste Vabanquespiel.
Furcht stieg in dem Wächter auf, kreatürliche Angst vor dem Ende. Er verdammte seine Schwäche
und wünschte, er hätte seine Emotionen ebenso negieren können, wie es mit seinem biologischen
Körper geschehen war. In einer Sekunde konnten die Zyzzkt ihn hundertmal vernichten, er würde
es nicht mal bemerken.
Wann war es endlich soweit? Würde der richtige Augenblick jemals kommen, oder war sein Plan
von vornherein zum Scheitern verurteilt?
Wieder verfing sich feindliches Feuer in den sich zu einem Fünftel überlappenden Intervallfeldern.
Noch war die NOREEN WELEAN im Zentrum der Ellipse sicher wie im Auge eines Hurrikans,
aber die Belastung der Schutzschirme stieg mit jedem direkten Treffer. Jeden Moment konnten sie
sich verabschieden.
Simon versuchte den Gedanken zu verdrängen, welche Konsequenz das bedeutete. Es gelang ihm
nicht. Endgültige Zerstörung, das Ende auch seiner geistigen Existenz.
Die Zyzzkt hämmerten Dust- und Nadelstrahl, unterlegt mit einer Mix-Kombination.
Plötzlich brach der Raumer aus, beschrieb eine brutal enge Kurve und tänzelte scheinbar
willkürlich hin und her. Das Feuer der Verfolger ging ins Leere.
Die Stabilisatoren leisteten Höchstarbeit. Fatalistisch ging es Simon durch den Sinn, daß sie bei
extremer Überlastung explodieren konnten.
Jetzt oder nie! Simon kämpfte seine Angst nieder. Sie durfte keine Hundertstelsekunde seiner Reaktionszeit beanspruchen. Er erfaßte das Erlöschen des Intervallums, sobald es stattfand. Übergangslos war das Schiff unterlichtschnell und verwundbar. Simon reagierte analog seinem äußeren Erscheinungsbild -schnell und präzise wie eine Maschine. Er sah einen rosaroten Strahl auf sich zukommen und nach seinem Schiff lecken, dann riß das Transitionstriebwerk die NOREEN WELEAN aus der normalen 200
Raumzeitstruktur des Universums und schleuderte sie in den Hyperraum.
Aus dem sie in derselben Sekunden wieder in den dreidimensionalen Raum zurückfiel.
Sie war unversehrt, nur die Sternbilder hatten sich schlagartig verändert. 14.
Simon studierte die Anzeigen des Koordinatenpeilers. Wie die verschiedenen Meßeinrichtungen
übermittelten sie keine Werte. Es gab weder energetische Emissionen noch Masseanzeigen.
Keine Verfolger? fragte Simon.
Negativ, bestätigte der Hyperkalkulator. Schiff-wurde mit Maximaltransition aus Orn
herausgeschleudert. Dämpfer haben funktioniert und unseren Verfolgern keinen Hinweis auf den
Wiedereintrittspunkt gegeben.
Der weit außerhalb Oms lag, wie Simon rasch feststellte. In der Bildkugel leuchtete das Band der
worgunschen Heimatgalaxis vor dem Hintergrund des Alls wie ein funkelndes Collier vor dem
Schwarz eines Samtkissens.
Die NOREEN WELEAN war im intergalaktischen Leerraum zwischen den Sterneninseln ins
Normalkontinuum zurückgestürzt, noch weit außerhalb des galaktischen Halos. Erste Messungen
ergaben eine ungefähre Distanz von 30 000 Lichtjahren zum Außenrand von Om. Die exakte
Position ließ sich nicht auf Anhieb bestimmen, da der Sprung nicht gezielt, sondern vektoriell
willkürlich initiiert worden war.
Jedenfalls war die Flucht gelungen, eine Erkenntnis, die Simon allerdings nur bedingt
zufriedenstellte. Denn genauso gut hätte sein Plan schiefgehen können. Im Nachhinein hielt er seine
Entscheidung, den Hyperkalkulator eine auf purem Glück basierende Hochrechnung durchführen
zu lassen und danach zu handeln für zweifelhaft.
Dennoch war sie zu vertreten. Schließlich hatte er keine andere Möglichkeit gehabt.
Position ermitteln, wies Simon das Bordgehirn an. Die Reihe der Flächenprojektoren erlosch, als Simon das Schiff 202 abbremste und die Triebwerke abschaltete. Antriebslos driftete es nun im Nichts zwischen den Welteninseln. Während der Hyperkalkulator die Sternkarten analysierte und mit den Berechnungen begann, versank Simons Blick in der Ansicht, die die Bildkugel ihm lieferte. Eine Galaxis von außen zu sehen war ein faszinierendes Schauspiel, aus dieser unmittelbaren Nähe allemal. Was aus der Feme wie ein gigantisches Leuchtfeuer wirkte, das zum Rand hin zerfaserte, waren in Wahrheit unzählige Milliarden von Sternen der unterschiedlichsten Größen und Spektralklassen. Simon bildete sich ein, jedes einzelne Gestirn sehen zu können. Als Kind hatte er, wie so viele seiner Alterskameraden, davon geträumt, eines Tages zu den Sternen zu fliegen. Doch für die wenigsten Menschen war dieser Traum Wirklichkeit geworden. Er fragte sich, ob seine reglos dastehende metallene Hülle der Preis war, den er für diesen Vorzug zu zahlen hatte. Vielleicht war allein das von der Bildkugel präsentierte Naturschauspiel diesen Preis wert. Er wußte nicht, wieviel Zeit verstrich, während sein Geist mit der Pracht der Schöpfung verschmolz. Er stand einfach da und sog den Anblick in sich auf. Kein Mensch, dem eine solche Betrachtung vergönnt war, würde sie jemals wieder vergessen. Sie war suchterzeugend, konnte einen immer wieder und immer weiter hinaustreiben. Dem menschlichen Begriffsvermögen erschien es schwer zu akzeptieren, daß dort draußen wiederum Milliarden von Galaxien darauf warteten, entdeckt und erforscht zu werden. Eine Unmöglichkeit, dachte Simon angesichts der umfassenden Größe der Schöpfung. Die Zeit bis zum Ablauf des Universums konnte dazu nicht ausreichen. Ganz gleich, wie weit die Menschen und andere Rassen vordrängen, sie würden der Unendlichkeit dort draußen niemals sämtliche Geheimnisse entreißen. Orientierungsphase beendet, riß ihn die unerbittliche Meldung des Bordrechners aus seinem Zustand der Entrückung. Positionsbestimmung erfolgreich abgeschlossen. In taktische Anzeigen einblenden und markieren! In der Bildkugel brach das Abbild Oms in sich zusammen und Wurde durch das geforderte Schema ersetzt. Simon nickte zufrie 203 den, eine menschliche Geste, die bei seiner Tofirithülle anachronistisch und beinahe skurril wirkte. Damit steht einem weiteren Versuch nichts im Weg, meldete sich Joker. Wir müssen herausfinden, was aufEpoy geschieht. Da war Simon anderer Meinung. Sie hatten den Gegner aufgeschreckt und damit keine Aussicht, noch einmal so nahe an die Heimat der Worgun heranzukommen wie beim ersten gescheiterten Versuch. Die Zyzzkt sind vorgewarnt. Zweifellos rechnen sie damit, daß wir unser Glück erneut versuchen.
Jetzt, da sie auf uns vorbereitet sind, würden wir ihnen direkt in die Falle ßie gen.
Ich stimme dir zu, Wächter Simon, pflichtete Hugo bei. Doch das ändert nichts am Auftrag der
INSTANZ. Sie verläßt sich auf dich.
Das war Simon bewußt, und er hatte nicht vor, die INSTANZ im Stich zu lassen. Davon abgesehen, daß er sich ihr in seiner Rolle als Wächter nach wie vor verbunden fühlte, war sein eigenes Schicksal untrennbar mit seiner Aufgabe verbunden. Egal was geschah, er würde den Auftrag der INSTANZ gewissenhaft erfüllen, um endlich wieder ein Mensch sein zu können. Wenn die Zyzzkt die NOREEN WELEAN im Foru-System abschießen, ist unsere Aufgabe hinfällig.
Dann gibt es für die INSTANZ keine Möglichkeit mehr, an Informationen zu gelangen,
Na, dann laß dir mal was einfallen, bemerkte Joker trocken.
Die Aufforderung des Spindelroboters war dazu angetan, Simon zu erheitern. Er fragte sich, ob es
sich um eine nüchterne Aussage handelte oder ob sie ironisch gemeint war.
Die Energiesignatur des Schiffs ist ein grundsätzliches Problem, mischte sich der Hyperkalkulator
ein. Sie ist in ganz Orn bekannt. Verbunden mit der Tatsache, daß die Zyzzkt uns trotz Ortungs
schütz anmessen können, bedeutet das, daß wir uns nirgendwo gefahrlos hinwenden können.
Trotz seiner Achtung jeglichen Lebens empfand Simon Bedauern darüber, daß drei ZyzzktEinheiten der Planetenfalle von Dark Mystery entkommen waren. Wären sie ebenfalls vernichtet worden, hätten sie die Signatur der NOREEN WELEAN nicht per Hyperfunk weiterleiten und ihre Streitkräfte warnen können. 204
Das stimmt. Unsere Signatur wird die Zyzzkt immer wieder auf unsere Fährte locken. Also
brauchen wir ein anderes Schiff.
Du willst den Ringraumer aufgeben?
Auf keinen Fall. Simon war kein Narr, dieses Machtinstrument aus der Hand zu geben. Nur mit den
nahezu unbegrenzten technischen Möglichkeiten des Ringraumers konnte er seine Ziele erreichen.
Aber ich brauche eine Alternative, die meine Anwesenheit in Orn nicht gleich verrät.
Früher gab es einmal einen Schrotthändlerplaneten, erinnerte sich der Hyperkalkulator.
Früher?
Vor 900 Jahren. Den Planeten, Himmfarr, gibt es zweifellos immer noch, in einem abgelegenen
Seitenarm von Orn. Seinerzeit wurden dort alte Raumschiffe ausgeschlachtet und teilweise wieder
flugfähig gemacht.
Das klang vielversprechend, fand Simon. Allerdings bedeutete es nicht zwangsläufig, daß dort noch immer mit überholten Räumern gehandelt wurde. In 900 Jahren konnten sich die Verhältnisse entscheidend verändert haben. Immerhin hatte er aber mit Himmfarr eine verlockende Anlaufmöglichkeit. Daß der Planet in einem abgelegenen Seitenarm von Om lag, erhöhte zudem die Wahrscheinlichkeit, daß er nicht von den Zyzzkt okkupiert worden war. Versuchen wir unser Glück. Vielleicht bekommt man dort auch heute noch Raumschiffe. Das weiß ich nicht. Ich kann auch nichts über Preise und Vertragsmodalitäten aussagen. Aber ich warne. Auf Himmfarr trieben eine Menge zwielichtiger Händler ihr Unwesen. Nichts anderes hatte Simon erwartet, trotzdem sah er keine Alternative. Zudem wollte er die zwielichtige Gestalt sehen, der es gelang, einen Wächter in seiner nahezu unzerstörbaren Tofirithülle übers Ohr zu hauen. Kurs setzen. Wir fliegen die Koordinaten an. Er wandte sich an Hugo. Die anderen Roboter von Dark Mystery halten sich im Lagerraum auf? Wie du angeordnet hast, Wächter Simon. Funk ihnen. Simon hatte seine Meinung inzwischen geändert. Es 205 konnte sein, daß er irgendwann auf die Hilfe der Worgun-Roboter angewiesen war. Dazu mußten
sie sich in der NOREEN WELEAN auskennen. Sie sollen sich mit dem Schiff vertraut machen.
Außerdem benötige ich eine Möglichkeit, mich verbal zu artikulieren. Untereinander können mr
über Funk kommunizieren, aber ich "will in der Lage sein, auf Himmfarr vernünftige
Verhandlungen durchzuführen.
Ob die vernünftig sein werden, hängt nicht von der Art der Kommunikation ab, warf Joker ein.
Sondern von ihren Inhalt.
Irritiert betrachtete Simon die Spindel. Täuschte er sich, oder waren ihre Signaturen noch etwas grinsender als zu Beginn? Hugo, ich werde darüber nachdenken, Joker in den Frachtraum zu schicken und einen anderen
Roboter in die Zentrale zu beordern.
Wenn meine vorsorglichen Bemerkungen nicht erwünscht sind, schweige ich eben, kommentierte
Joker und zog sich diskret in den Bereich einer Schleuse zurück.
Wir werden einen Transponder bauen, der deine Funkimpulse in Sprache umwandelt, Wächter
Simon, verkündete Hugo. Ebenfalls wird er dir ermöglichen, die Sprache von biologischen Wesen
zu verstehen. Es handelt sich um einen kleinen Kasten, den du problemlos in deinen Körper
integrieren kannst. Ich habe den Auftrag bereits erteilt.
Zufrieden verfolgte Simon, wie die NOREEN WELEAN Fahrt aufnahm. Zurück in den Machtbereich der Zyzzkt. Das Ringschiff fuhr Schleichfahrt. Nach drei Hyperraumsprün-gen legte es den Rest der Strecke mit gedrosseltem Sternensog zurück, um so wenig wie möglich verräterische Emissionen zu erzeugen. Natürlich ließen sich nicht alle Eventualitäten kalkulieren. Wenn sich zufällig eine Einheit der Zyzzkt in der Nähe aufhielt, blieb Simon nichts anderes übrig, als erneut sein Heil in der Flucht zu suchen. Doch nichts geschah. Ohne daß sie gegnerische Verbände an 206 maß, erreichte die NOREEN WELEAN einen heißen Gasnebel, Torrgott genannt, der in intensivem Rot leuchtete. Untersuchungen ergaben, daß nicht nur der Wasserstoff des Nebels ionisiert war, sondern sogar das enthaltene Helium. Sommzot, teilte der Hyperkalkulator mit, als das massereiche Zentralgestim des Schrottplaneten in den Aufnahmebereich der Orter kam. Es hatte eine Oberflächentemperatur von 90 000 Grad ^K Celsius und verfügte über die zwanzigfache Masse von Sol. H Simon ließ sich weitere Daten geben. Bei Sommzot handelte es sich um einen ultrastarken UV-Strahler, einen sogenannten Wolf
Rayet-Stem, dessen enormer Strahlungsdruck seine unmittelbare Umgebung frei von Gas hielt. R Angenehme Umgebung, dachte Simon. Auf der Erde hätte sich • unter diesen Bedingungen das Leben in eine ganz andere Richtung entwickelt, aufgrund der viel größeren Nähe zu Sol aber wahrscheinlich überhaupt nicht. Denn Wolf-Rayet-Steme strahlten so stark im UV-Bereich, daß ein schlichtes Sonnenbad bereits nach wenigen Sekunden zum Tod geführt hätte. Die Bewohner Himm-farrs mußten sich den herrschenden Verhältnissen im Laufe der Jahrtausende angepaßt haben. Bei Vertretern raumfahrender Rassen, die auf dieser Welt strandeten, kam es aber zweifellos zu häufigen Todesfällen und zahlreichen Mutationen aufgrund geBschädigter Erbanlagen. Als Mensch hätte sich Simon ohne Schutzkleidung von Himmfarr femgehalten, seiner Hülle jedoch konnte die UV-Strahlung •nichts anhaben. Sobald der Ringraumer in den Nebel einflog, brachte Simon ihn in eine Parkposition, in der er nur durch einen ungewöhnlichen »Zufall entdeckt werden konnte. Wir benutzen Flash, entschied er. Du wirst mich begleiten, Hugo. Denn der Wächter wollte auf Himmfarr nicht mit einem in ganz Oni gesuchten Raumschiff aufkreuzen. Er mußte damit rechnen, selbst in Torrgott auf Zyzzkt zu treffen, da war ein Beiboot viel r unauffälliger. Gemeinsam mit dem Spindelroboter ging er an Bord. Zwar lagen noch ein paar Lichtjahre vor ihnen, aber mit aufgebautem In207 tervallfeld legte sie der zylinderförmige Kleinstraumer in kurzer Zeit zurück. Himmfarr lag in der von seinem Zentralgestim erzeugten gasfreien Zone. Es handelte sich um einen Sauerstoffplaneten mit einer Schwerkraft von 1,1 Gravo. Die ersten Aufnahmen zeigten, daß er praktisch vollständig von ausgedehnten, unüberschaubaren Gebäudekomplexen bedeckt war. Nur die Meere, die lediglich dreißig Prozent der Oberfläche ausmachten, waren frei von Bebauung. Die Tastsensoren des Flash registrierten gewaltige Hohlräume und unterirdische Aktivität. Was auf den ersten Blick zu erkennen war, setzte sich subplanetarisch fort. Die äußeren Planetenschichten waren komplett ausgehöhlt und untertunnelt. Die Bebauung hatte sich wie ein Parasit viele Kilometer tief in die Kruste gefressen. Während Simon den Planeten anfünkte und auf Antwort wartete, spielte er eine Reihe von Ausschnitts Vergrößerungen ein. Die Bauwerke machten einen mitgenommenen Eindruck, die Baustruktur wirkte marode. Simon entdeckte Bereiche, die an Ruinen erinnerten. Zwischen den düsteren, grauen Mauern ließ sich gespenstisches Leben erahnen. Endlich bekam er einen Gesprächspartner in die Phase. Die Bildübertragung zeigte Kopf und Oberkörper eines Wesens, das von Vögeln abzusTarnmen schien. Über seinen spitz zulaufenden Kopf lief ein roter Zackenkamm. Zwei schwarze Knopfaugen schauten listig aus einem federflaumbesetzten Gesicht, in dem ein kurzer, gelber Schnabel aufgeregt zitterte. »Raumhafenkommandant Riip«, stellte sich der Vogelabkömmling trällernd vor. »Wer sind Sie, und was verschlägt Sie nach Himmfarr?« Simon dachte kurz nach. Er hielt es für besser, seine Angelegenheiten nicht in aller Öffentlichkeit auszubreiten. Vielleicht irrte er sich, aber er mußte mit Agenten der Zyzzkt rechnen. Geschäfte, funkte Hugo ihm zu. »Ich handle mit Schrott«, erklärte Simon dem Beamten. »Ich kaufe und verkaufe.« Der Transponder funktionierte einwandfrei. Er verwandelte Simons Gedankenimpulse in die Laute einer tiefen, 208 wohltönenden Stimme. Auch hier war die Verkehrssprache zwischen Angehörigen unterschiedlicher Völker wie selbstverständlich die Diktion der Worgun. »Ihir kleines Schiff macht mir nicht den Eindruck, über Kapazitä-^^: ten für Warentransporte zu verfügen«, erklärte Riip. »Es handelt sich um einen informellen Besuch«, versuchte Simon die Bedenken des Raumhafenkommandanten zu zerstreuen. »Ich habe eine Menge über Himmfarr gehört, und nun will ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß es sich wirklich lohnt, auf diesem Markt aktiv zu werden.« »Dann kann ich all Ihre Bedenken zerstreuen. Nirgendwo in diesem Sektor werden so gute Geschäfte getätigt wie auf Himmfarr.« Riip schlug aufgeregt mit den Armen, offensichtlich ein übriggebliebener Reflex aus Zeiten, da es sich bei ihnen noch um Flügel gehandelt hatte. »Ich schicke Ihnen einen Leitstrahl, der Sie zu einem freien Landeplatz führen wird. Bitte richten Sie
sich strikt danach.« »Wie gesagt, dies ist mein erster Besuch auf Himmfarr. Können Sie mir einen Händler nennen, dem ich mein Anliegen vortragen B kann? Ich interessiere mich besonders für Raumschiffsschrott.« »Ich werde mich persönlich darum kümmern. Sie werden feststellen, daß Hilfsbereitschaft bei uns großgeschrieben wird. Unser Ruf in der Galaxis kommt nicht von ungefähr.« Simon kannte den Ruf Himmfarrs leider nicht, und der Hyperkalkulator konnte nur mit längst veralteten Informationen aufwarten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf Riips Worte zu verlassen. »Ich schicke eine Delegation, die Sie abholen wird.« Damit wurde die Verbindung unterbrochen.
»Das ging fast zu einfach«, überlegte der Wächter. »Aber Hauptsache, wir sind erst einmal unten.
Was wir danach als erstes
»unternehmen, richtet sich nach den Umständen.« Ich traue diesem Riip nicht, funkte Hugo. Er
verbirgt etwas vor uns. Hoffentlich erleben wir keine unangenehme Überraschung.
»Hör auf zu unken. Was wir benötigen, ist ein wenig Optimismus. Wenn wir nämlich auf Himmfarr erfolglos sind, weiß ich nicht, wohin wir uns als nächstes wenden sollen.« Unwillkürlich bediente er sich weiterhin der akustischen Sprache, stellte Simon fest. Es handelte sich um einen tief verwurzelten Instinkt, dem er nun, da er endlich wieder 209 sprechen konnte (wenn auch auf eine mechanische Art), erleichtert nachgab. Die so lange schmerzhaft vermißte Fähigkeit war wie eine Befreiung, so als könnte ein Stummer aus heiterem Himmel wieder reden. Der Leitstrahl dirigierte den Flash über eine architektonische Stahl- und Betonwüste. Vergeblich hielt Simon nach grünen Oasen Ausschau, aber wenn es naturbelassene Enklaven auf Himmfarr gab, befanden sie sich unter der Erde. Der Eindruck des Verfalls bestätigte sich bei allen Bezirken der planetenumspannenden Stadt, die der Flash überflog. Es ließ sich nur schwer abschätzen, wann sie entstanden war, aber Simon ge wann nicht den Eindruck, daß es Instanzen gab, die sich um die Instandhaltung kümmerten. Nach einer halben Flugstunde senkte sich das Beiboot nach unten und steuerte ein weiträumiges Landefeld von vielen Quadratkilometern Ausdehnung an. Zahlreiche Raumschiffe unterschiedli cher Bauweise standen in markierten Bereichen. Es herrschte hektische Betriebsamkeit bei Be- und Entladetätigkeiten. Erleichtert stellte Simon das Fehlen von Ringraumern fest. Also hielten sich keine Zyzzkt auf Himmfarr auf, jedenfalls nicht auf diesem Hafen. Aber wahrscheinlich gab es davon noch weitere, über die Planetenoberfläche verstreut. Sanft setzte der Flash in einem durch Leuchtfelder grün markierten Bereich auf. Ein Empfangskomitee mit einem Passagierschweber erwartete Simon und Hugo bereits, um sie zum Raumhafenkommandanten zu geleiten.
»Sie sind ein Roboter?«, fragte Riip verblüfft. »Ein Roboter, der sich einen anderen Roboter als Gefährten hält. Sehr interessantes Arrangement.« Simon wurde aus seiner Betrachtung des großzügig angelegten Büros gerissen, in das man ihn geführt hatte. Er fixierte Riip, der
210 hinter einem von Speiseresten übersäten Schreibtisch kauerte. Anscheinend gehörte er einer Rasse an, die sich aus Vögeln entWikkelt hatte. Er war etwa menschengroß und, soweit sich das sehen ließ, von einem rudimentären Federkleid bedeckt. Seine schlackernden Arme, die in ständiger Bewegung waren, hatten sich tatsächlich aus ehemaligen Flügeln gebildet. Sie endeten in ge schickten Greifklauen, die nußartige Früchte knackten, die sich Riip mit sichtlichem Wohlgenuß in den Schnabel steckte. In dem Moment, als er die Gefahr erkannte, spannte sich Simon innerlich an. Die schimmernde Abstrahlmündung der Waffe wirkte wie ein dunkles Auge, das ihn drohend anstarrte. Wie aus heiterem Himmel hatten die vier Mitarbeiter des Raumhafenkommandanten auf ihn und Hugo angelegt. Simon rührte sich nicht. Noch hatte er die Hoffnung, daß es sich nur um ein Mißverständnis handelte. »Wir sind keine Bedrohung«, wandte er sich an Riip. »Was ich Ihnen gesagt habe, war die Wahrheit. Waffen sind nicht nötig.« Riip sah das offenbar anders, denn weitere fünf Bewaffnete betraten wie auf ein geheimes Kommando hin den Raum. Wie das Empfangskomitee gehörten auch sie der gleichen Rasse an wie Riip. Noch nichts unternehmen, funkte Simon dem Roboter zu. Ich will erst hören, "was sie wollen. »Sie haben vielleicht die Wahrheit gesagt, aber ich nicht.« Riip gab ein krächzendes Kichern von sich. »Ich kenne niemanden, der Ihnen weiterhelfen kann, aber sie brauchen auch keinen Verhand
lungspartner. Denn ich beschlagnahme Ihr Schiff.« »Dann sind Sie nicht der Kommandant dieses Raumhafens?« »Sicher bin ich das, aber es interessiert niemanden. Viel wichtiger ist, daß Ihr kleines Schiff einen enormen Wert darstellt. Auf den ersten Blick war mir klar, daß es sich um ein besonderes Schmuckstück handelt, und ich habe mich nicht geirrt.« Zum Glück hatte Riip weder eine Ahnung, wie wertvoll der Plash tatsächlich war, noch daß es sich dabei lediglich um das Beiboot eines wahren Wunderwerks handelte. Andernfalls hätte er ^ch sämtliche Greifklauen danach geleckt. Simon hatte den Eindruck, daß die Bewaffneten nur auf einen
211 Wink ihres Auftraggebers warteten. Sollten sie ihn umbringen? »Ich kann Ihnen mein Schiff nicht überlassen. Ich bin darauf angewiesen.« »Kein Roboter braucht ein eigenes Raumschiff. Zudem sind Sie nicht der erste, der alles verliert und auf Himmfarr strandet.« Simon spürte, wie die Programme seines Wächterkörpers an die Oberfläche drängten. Er konnte den einsetzenden Prozeß nicht aufhalten. Riip und seine Leute waren in tödlicher Gefahr. »Sie machen einen Fehler«, beschwor er das Vogelwesen. »Tun Sie nichts, was Sie später bereuen.« »Ein profitables Geschäft habe ich noch nie bereut.« Riip begriff nicht, was Simon meinte. Wie sollte er auch? Er hatte keine Ahnung, daß er es mit einer zerstörerischen Kampfmaschine zu tun hatte, die zuweilen die Kontrolle über ihre eigene Macht verlor. So wie in diesem Moment. Keine tödlichen Waffen! flehte Simon in sein Innerstes. Er wollte kein Blutbad anrichten, wenn der Wächterkörper sich verteidigte. Doch es gab noch eine weitere Gefahr. Der Spindelroboter verfügte ausschließlich über tödliche Waffen, und er würde nicht zögern, sie einzusetzen. Simons Körper handelte automatisch. Er eröffnete das Feuer. Betäubt sanken zwei der Vogelwesen in sich zusammen. Immerhin, dachte Simon. Paralysierende Wirkung. Das bedeutete, daß er die Kampfprogramme seines Körpers inzwischen unterdrücken konnte. Mit der rasenden Schnelligkeit einer durch organische Komponenten perfektionierten Tofirithülle warf er sich zur Seite und aus dem Schußbereich seiner Gegner. Gleichzeitig sah er, daß sich im oberen Körperdrittel des Spindelroboters zwei leuchtende Energiebänder bildeten. Dafür hatten sich die Tentakel zurückgebildet. Die Maschine war drauf und dran, ihre vernichtenden Energiepro jektoren einzusetzen. Das durfte Simon nicht zulassen. Auch wenn es sich um Gesindel handelte, wollte er nicht den Tod der Vogelartigen. Keine Kampfhandlungen gegen diese Wesen, funkte er Hugo zu. Konzentriere dein Feuer auf die Tür. Wir müssen hier raus.
212 Erleichtert registrierte er, daß Hugo dem Befehl gehorchte. Die Maschine nahm die Einrichtung des Büros unter Beschuß und sorgte für ein Chaos. In Sekundenschnelle stand der Schreibtisch in Flammen. Qualm und ätzende Dämpfe stiegen in die Höhe und behinderten die Sicht. Riips Leute feuerten verzweifelt, aber sie bekamen weder Simon noch seinen Roboter ins Visier. Dafür fällte der Wächter aus ständig wechselnden Deckungen einen Gegner nach dem anderen. Mit ohrenbetäubendem Lärm flog die Tür aus dem Rahmen und schlug in den angrenzenden Korridor. Raus hier! Simon benutzte jetzt wieder den Funk. Auch wenn die Vogelwesen sich ausrechnen konnten, daß er zum Flash zurückwollte, brauchte er ihnen seine Absichten nicht bestätigend auf den Schnabel zu binden. Er huschte unter den Strahlschüssen hinweg durch die entstandene Öffnung. Dank seiner Schnelligkeit hatte er nicht einen Treffer abbekommen, obwohl selbst das ihn nicht aufgehalten hätte. Hugo hielt sich an seiner Seite und bestrich den Türrahmen mit irisierenden Strahlen. Die züngelnden Flammen hielten die Verfolger für wertvolle Sekunden zurück. Aus einem Raum trat ihnen jemand entgegen. Bevor die Waffen sprachen, rannte Simon ihn kurzerhand über den Haufen. Hugo sicherte nach hinten und gab ungezielte Warnschüsse ab. Irgendwo setzte das durchdringende Geheul kreischender Sirenen ein und trieb zahlreiche Wesen auf den Korridor hinaus, dessen Ende Simon eben erreichte. Nicht mehr schießen! ordnete er an, um keine Unschuldigen zu gefährden. Doch drei von Riips Leuten gaben die Verfolgung nicht auf. Auch sie schössen nicht mehr, ließen
aber keinen Zweifel, daß sie ihre schon sicher geglaubte Beute nicht entkommen lassen wollten.
Vor Simon tauchte ein Fenster auf. Ohne zu zögern sprang er aus vollem Lauf hindurch. Unter ihm
lag das Landefeld, aber bis zur Parkposition des Flash waren es gut und gerne drei Kilometer, eine
Distanz die er dank der überragenden Fähigkeiten seiner Tofirithülle in Minutenschnelle
überwinden konnte. Aber er mußte
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damit rechnen, daß Riip ihm mobile Einheiten nachschickte.
Noch während er von Splittern umschwirrt zwanzig Meter in die Tiefe stürzte, nahm er Verbindung
zum Flash auf und rief ihn mittels Gedankensteuerung herbei.
Mühelos landete er auf den Beinen, federte den Sturz ab und warf einen Blick nach oben. Die
Vogelwesen hatten das Fenster erreicht. Sie schrien wütende Beschimpfungen hinter Simon her.
Wie gut, daß sie nicht mehr flugfähig sind, funkte Hugo.
Dafür brachten die Verfolger die Waffen in Anschlag. Doch bevor sie das Feuer eröffnen konnten,
trieb der Spindelroboter sie mit plazierten Schüssen von der Fensterfront zurück.
Aus der Feme raste der zylinderförmige Kleinstraumer heran und senkte sich tiefer.
Nur Sekunden später jagte er mit Simon und Hugo an Bord durch die Atmosphäre.
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15. Die EPOY flog mit Sternensog. Überlichtschnell jagte der Ringraumer durch Weltraumtiefen, ohne dabei das Normalkontinuum verlassen zu müssen. Das Intervallfeld war eine absolute Transitionsbremse. Solange es einge schaltet blieb, konnte der Ringraumer keine Transition durchführen. Damals, als die Terraner auf Hope die POINT OF startbereit gemacht hatten, hatten sie sich darüber gewundert, daß der Ringraumer wohl mit vielfacher Überlichtgeschwindigkeit fliegen konnte, aber scheinbar unfähig zur Transition war. Das lag jedoch daran, daß sie den Raumer stets nur unter Intervallschutz geflogen hatten. Niemand hatte geahnt, daß dieser künstlich erzeugte Miniweltraum •einen Hyperraumsprung verhinderte. Bis sie es schließlich eher zufällig herausfanden. An dieser antriebstechnischen Kuriosität hatte sich in den letzten tausend Jahren offenbar nichts geändert. Diesmal war es aber gewollt, daß die EPOY nicht transitierte, sondern im »normalen« Überlichtflug unterwegs war. Dieser Modus, der ungleich mehr Energie erforderte als ein Sprung durch den Hyperraum, hatte den Vorteil, daß es keine Strukturerschütterungen gab. Transitionen waren anmeßbar. Sie erzeugten Schockwellen im Raum-Zeitgefüge, sowohl am Ort des »Absprungs« wie auch am Ziel. Und je größer die Entfernung und damit der Energieaufwand oder je größer die Masse des zu bewegenden Objekts, x um so stärker war auch die Gefügeerschütterung. Die ARKAN-1 war daher recht gut zu orten. Ihre enorme Masse ^n einer Position zur anderen zu versetzen, bedeutete einen gewaltigen Energieaufwand. Daß dieser Gigant in Marsch gesetzt werden war, um der Information des Verräters nachzugehen, zeigte, wie wichtig den Zyzzkt sogar der »Heerzug der Heimatlosen« war. Genauer gesagt: die großen Mengen Tofirit, die Gisol und die Terraner an Bord ihrer Schiffe mitführten. Denn auch bei den Zyzzkt war Energie knapp - genauer gesagt, das Ala-Metall, das die Terraner unter dem Namen Tofirit kannten. Es war ein Energielieferant erster Güte. Als die Konverter der POINT OF plötzlich mit Tofiritstaub bestückt wurden, erhöhte sich die Leistungsfähigkeit des Ringraumers um ein Vielfaches. Belastungsanzeigen, die früher über die Hundertprozentmarke 215 hinausgingen, ergaben jetzt Sinn, da der Ringraumer nun im »Vollbetriebsmodus« flog anstatt wie anfangs auf Sparflamme, bei der kurzfristige Überbelastungen gerade noch abgefangen werden konnten. Mit dem Überlichtflug verpulverte Gisol ganz bewußt Energie. Sie hatten ja genug davon. Die Frachträume der an der Expedition beteiligten Ringraumer waren voll mit Tofiritstaub, der bei Bedarf »nachgetankt« werden konnte. Damit waren sie den meisten Zyzzkt-Raumern überlegen, bei denen Tofirit Mangelware war. Immerhin konnte die EPOY so nicht geortet werden. Es gab keine verräterischen Transitionsschocks. Dazu flog die EPOY getarnt. Diesen Tarnschirm hatten die Ortungen der Zyzzkt bisher nicht durchdringen können. Dabei benutzten sie die Technik, die sie den Worgun gestohlen hatten. Aber sie hatten wohl die Ortungstechnik nicht weiterentwickeln können. »Vermehren wie die Blöden können sie sich«, hatte Gisol dazu spöttisch bemerkt. »Aber mehr auch
nicht...« Immerhin - viel hatte auch sein Volk in den letzten tausend Jahren nicht mehr entwickeln können. Die letzte Erfindung von Bedeutung war das Waffensystem Mix-4, das Intervallfelder »aufweichte«. Aber die Zyzzkt hatten diese Erfindung, als sie die Worgun unterjochten, gleich mitgeschluckt und wendeten sie bei Bedarf an. Der Ortungsschutz war nicht weiterentwickelt worden. Zumindest nicht von den Worgun, die nur zu gut wußten, daß jede ihrer Erfindungen von den Zyzzkt übernommen und eingesetzt wurde. Nur die Römer in ihrer geschützten Enklave, die weder von Zyzzkt
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noch von Worgun angeflogen werden konnte, entwickelten die Technik der Verehrten - der Worgun - im Laufe der Jahrhunderte weiter. Und sie hatten auch die Schiffe der Dhark-GisolExpedi-tion mit den neuesten Tarnschirmen ausgerüstet. Es hatte sich gezeigt, daß die Zyzzkt diese Tarnung tatsächlich nicht durchschauen konnten. Die Strukturerschütterungen, die von den Raumsprüngen der ARKAN-1 sTarnmten, ließen sich dagegen nach wie vor gut anmessen. Die Transitionsspur des Giganten führte diagonal durch die Galaxis Orn. Sie würde wohl irgendwann wieder in einen Randbereich führen, wenn die Zyzzkt den Flug weiter fortsetzten. Obwohl es völlig unlogisch schien, ging Ren Dhark plötzlich ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf: Was, wenn man in der ARKAN-1 mit einer Verfolgung rechnete und den unsichtbaren Verfolger in eine Falle zu locken versuchte? Die Zyzzkt und ihr Handeln waren unberechenbar... »Stop!« Nur leise sprach Gisol diesen Befehl aus, den die Gedankensteuerung der EPOY schon erfaßt hatte, bevor er ihn akustisch ausformulierte. Der Ringraumer bremste ab. Innerhalb von Sekunden wechselte er auf unterlichtschnellen Flug und baute auch die Restgeschwindigkeit ab. Dabei war der Brennpunkt zum Brennkreis geworden jenes energetische Zentrum, das den Raumer durch die Sternen-räume jagte und von den Flächenprojektoren an der Innenseite der Ringhülle erzeugt wurde. Der Brennkreis kennzeichnete den SLE-Antrieb - Sub-Licht-Effekt - und wurde immer enger, je schneller der Raumer flog, um schließlich beim Überschreiten der Lichtgeschwindigkeit zum Brennpunkt zu verschmelzen. Hier gab es keine optischen Veränderungen mehr, da der Brennpunkt für Transition stand, die aber vom Intervallfeld abgebremst wurde... unabhängig davon, ob der Ringraumer mit einfacher oder millio nenfacher Lichtgeschwindigkeit flog. Das war bei allen Raumschiffen der Mysterious gleich, ob es
217 sich nun um die POINT OF, die EPOY, Robotflotten oder die umgerüsteten S-Kreuzer der Terranischen Flotte handelte. Jetzt erlosch auch der Brennkreis. Die Rächenprojektoren strahlten keine Energie mehr ab. Die EPOY driftete antriebslos durch den Raum. »Was ist los?« fragte Dhark, der sich neben Gisol in einem der Sitze vor dem Kommandopult niedergelassen hatte. Grundsätzlich waren EPOY und POINT OF von der Bedienung her identisch. Ren war sicher, daß er Gisols Schiff notfalls so fliegen konnte wie sein eigenes. Die EPOY war fast ein perfektes Abbild der POINT OF -fast. Die Unterschiede lagen im Detail. Die POINT OF war tausend Jahre alt, die EPOY wesentlich jünger, aber Margun und Sola, die genialen Konstrukteure, hatten damals in die POINT OF Erfindungen eingebaut, von denen kein heutiger Worgun etwas wußte. Wenn es zum Vergleich kommt, würde die POINT OF den vermutlich gewinnen, dachte Ren Dhark. Obgleich die POINT OF wesentlich älter ist als die EPOY... »Die ARKAN-1 hat gestoppt«, sagte Gisol. »Genauer gesagt, sie transitiert nicht weiter. Vorsicht ist angesagt.« Dhark nickte. Die Ortungen der EPOY tasteten den Raum ab. Lichtjahre weit. Das Echo der ARKAN-1 war beeindruckend. Der gigantische Raumer verharrte. Nichts deutete darauf hin, daß die nächste Tran sition vorbereitet wurde, noch daß er in Überlichtflug wechseln würde. »Ich kenne diesen Bereich Oms nicht«, bekannte Gisol. »Hier bin ich noch nie gewesen.« »Was heißt das für uns?« wollte Dhark wissen. »Daß die Zyzzkt uns hier möglicherweise einen Schritt voraus sind.« »Na klasse«, murmelte Manu Tschobe an der Ortung. »Darauf habe ich mich schon immer
gefreut.«
»Warum gehen wir nicht näher heran?« wollte der Römer Man-lius wissen. »Schließlich fliegen
wir unter vollem Tarnschutz. Meine Instrumente zeigen keinen Ausfall an, die Zyzzkt können uns
also nicht orten.«
»Ihre Instrumente?« Gisol lachte kurz und spöttisch.
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Der Römer zeigte sich unbeeindruckt. »Die Technik ist mein, wo ich bin«, sagte er.
»Und ich bin der Kommandant, wo immer ich auch bin«, sagte Gisol. »Wir gehen nicht näher
heran, weil ich ein vorsichtiger Worgun bin. Ich werde das Risiko nicht eingehen, bei einer Annä
herung doch geortet zu werden. Was diese Arkan-Schiffe waffentechnisch draufhaben, haben sie
uns ziemlich deutlich gezeigt. Vielleicht sind sie in Sachen Ortung ähnlich perfekt und können
unsere Tarnung durchschauen, wenn wir nur nahe genug an sie herankommen.« »Was also dann?«
fragte Dhark.
Gisol grinste ihn an.
»Ich habe da eine kleine Neuentwicklung. Von der können die
Zyzzkt nichts wissen.«
»Neuentwicklung?« wunderte sich Manlius. »Ich dachte immer, die Verehrten seien soweit unterjocht worden, daß jede ihrer Neu „ entwicklungen den Zyzzkt zur Verfügung gestellt werden muß.« »Das stimmt«, sagte Gisol. »Und besonders talentierte Worgun werden von den Zyzzkt auf deren Planeten geholt, um für die Wimmelwilden zu arbeiten. Nun, ich bin und war immer ein Rebell. Ich habe eine wissenschaftliche Ausbildung. Auch mich holten die Zyzzkt von unserer Heimatwelt, damit ich für sie arbei tete.«* »Und?« hakte Manlius nach, der die Geschichte nicht kannte, die Gisol den Terranem während des Anflugs auf Orn erzählt hatte. »Ich habe die Projekte der Massenvermehrer sabotiert und wurde zum Rebellen«, sagte Gisol trocken. »Aber geforscht und entwickelt habe ich auch weiterhin. Eines der Resultate meiner Arbeit werde ich jetzt einsetzen.« »»Und was ist das?« Gisol berührte eine Sensorschaltfläche am Kommandopult, und etwas verließ die EPOY...
219 »Was ist das?« wiederholte Manlius. Gisol schwenkte mit seinem Kontursitz zu ihm hemm und zeigte ein menschliches Lächeln. »Eine kleine Sonde, mit Mikroantrieb und dank ihrer Winzigkeit kaum zu entdecken. Oder können Sie sie mit der Ortung erfassen, Mister Tschobe?« Die Bildkugel zeigte die Sonde in Vergrößerung. Das winzige Objekt entfernte sich mit steigender Geschwindigkeit von der EPOY. Die Bildwiedergabe zeigte kurzzeitig einen winzigen Brennkreis. Manu Tschobe, eigentlich als Mediziner und Funker ausgebildet, schaltete an der Ortung. Dann schmunzelte er leicht. »Erfasse die Funksonde. Momentane Geschwindigkeit 0,8 Licht, linear stei gend. Distanz...« »Sie erfassen sie nur, weil Sie wissen, wonach Sie suchen müssen, Mister Tschobe«, sagte Gisol. »Wenn nicht, würde sie Ihnen nicht auffallen.« »Da seien Sie sich mal nicht so sicher«, murmelte der Afrikaner. »Ich kenne mich zwar mit den Ortungen bei weitem nicht so gut aus wie Grappa, aber unterschätzen Sie uns Terraner nicht! Wir sind allesamt kleine Zauberkünstler.« Plötzlich fiel ihm etwas auf. »Die Sonde steht in Dauerfunkkontakt mit der EPOY.« »Das soll sie auch«, sagte Gisol. »Sie wird uns wunderschöne Bilder und Berichte zuschicken.« »Zu gefährlich«, warnte Tschobe, der Einrichtungen der Funk-Z auf sein Kontrollpult in der Ortung umgeschaltet hatte, die der Kommandozentrale angegliedert war. »Die Dauerfunksendung dürfte bereits jetzt von den Zyzzkt angepeilt werden, und gleich haben wir sie wieder auf dem Hals - oder sie schießen die Sonde einfach nur ab.« »Die Sendung wird nicht angepeilt. Sie läuft über Ala-Richt-funk.« Tschobe schluckte. »Den kennen Sie auch?« »Unterschätzen Sie uns Worgun nicht«, sagte Gisol. »Wir sind allesamt kleine Zauberkünstler.« 220 »Geschenkt«, murmelte der dunkelhäutige Funkspezialist. »Glauben Sie im Ernst«, fuhr der Mysterious fort, »daß wir uns nicht wenigstens ebenso mit dem Ala-Metall, das Sie Tofirit nennen, befaßt haben wie Sie Terraner? Sogar noch intensiver, denn daß Ala-Metall Energielieferant für Raumschiffsantriebe und nicht nur dafür ist, hatten Sie noch längst nicht herausgefunden. Dabei
liegt es doch auf der Hand, wie Sie spätestens seit der Verwendung des Tofirit als Funkverstärker wissen müßten. Vom einen aufs andere zu schließen, kann doch nicht so schwer sein.« Tschobe verzichtete auf eine Antwort. Wurde ein Tofiritkristall dem Hyperfunksender vorgeschaltet, verstärkte er nicht nur dessen Leistung um ein Vielfaches, sondern er bündelte den Funkstrahl auch dermaßen, daß dieser nur das genau angepeilte Zielobjekt erreichte. Ein nur wenige Dutzend Meter entfernter zweiter Empfänger bekam von dem Funkspruch schon nichts mehr mit. Somit war es möglich, über Lichtjahrdistanzen Gespräche zu führen, die nicht anmeßbar und nicht abhörbar waren, sofern man die exakten Koordinaten des Empfängers kannte. Und in der Sonde arbeitete ein kleiner Hyperkalkulator, der bei jeglicher Kursabweichung den Sender neu ausrichtete, damit er den Kontakt mit dem Empfänger in der EPOY nicht verlor. Längst war die Sonde aus dem Erfassungsbereich der Bildkugel 1 verschwunden, weil auch deren Zoom-Funktion ihre Grenzen hatte. Die Ortungsimpulse zeigten Tschobe, daß die Sonde die Lichtgeschwindigkeit überschritten hatte und jetzt unter Intervall » schütz mit Sternensog ihrem Ziel entgegenstrebte. Was Gisol da alles hineingebaut hatte, war schon phänomenal. »Dann schauen wir mal, was uns dieses Wunderding an neuen . Erkenntnissen liefert«, murmelte er. Die Sonde schaltete von Sternensog auf SLE zurück und näherte sich der bewegungslos im All verharrenden ARKAN-1 bis auf wenige tausend Kilometer. Dort stoppte sie und begann, mit ihren tnstrumenten den Raumgiganten abzutasten und die Bilder zu senden.
221 Gisol schaltete sie direkt auf die Bildkugel. »Beeindruckend«, raunte Manlius. Obgleich er als Römer mit der Gigantomanie worgunscher Technik vertraut war, der die ARKAN-1 schließlich entsTarnmte, erschauerte er geradezu bei den Details, die die Sonde aufzeichnete und übertrug. Ein zusätzlicher Datenstrom floß in den Hyperkalkulator der EPOY und wurde ausgewertet. Lati Oshuta, der quirlige Japaner, kümmerte sich darum. Gisol sah fast starr auf die Bildkugel; er schien in Gedanken versunken zu sein und Pläne zu schmieden. Arc Doorn betrachtete alles aus der nüchternen Sicht eines Technikers oder Ingenieurs. Stumm verinnerlichte der rothaarige Sibirier, der immer ein wenig ungepflegt aussah, die Bilder und Daten. »Sieht so aus, als hätten die ein Problem«, sagte er plötzlich. »Inwiefern?« fragte Dhark. »Energiemangel«, erwiderte Doorn in seiner wortkargen Art und glaubte, damit alles gesagt zu haben. Manlius ergänzte: »Die Analyse der Energiesignatur zeigt, daß die Energie in der ARKAN 1 recht knapp ist. Sie müssen auf Sparflamme schalten. Denen mangelt es wohl an Ala-Metall.« Doorn grinste. Jedem an Bord der EPOY war klar, welche unglaublichen Energiemengen ein Gigant wie die ARKAN-1 verbrauchte. Allein um die träge Masse in Bewegung zu setzen, bedurfte es der Stromerzeugung eines halben Planeten. Ohne Ala-Metall war da kaum etwas zu machen - es sei denn, es wurde so gehandhabt, wie es die Mysterious in der Milchstraße getan hatten, wo sie Sonnen zu Energielieferanten gemacht hatten. Auf diese Weise hatte Zwitt in der Sternenbrücke funktioniert. Die sechs anderen Sonnen waren angezapft worden, um die Energie für die künstliche Sonnenkorona zu liefern, die aus Zwitt einen vermeintlichen Stern machte. Hier in Orn war Dhark dergleichen noch nicht aufgefallen. In ihrer Heimatgalaxis schienen die Mysterious einen anderen Weg gegangen zu sein. Sie verließen sich wohl vorwiegend auf das To firit. Oder - die Terraner waren bisher noch nicht in Regionen vorgedrungen, in denen Einrichtungen der Worgun beziehungsweise der 222
Zyzzkt Sonnen zu Energielieferanten machten.
Lag es am Energiemangel, daß das Arkan-Schiff eine längere Pause eingelegt hatte?
Daß der Gigant dadurch kampfunfähig geworden war, wagte aber nicht einmal Ren Dhark zu
hoffen. Immerhin besaß der Ar-kan-Riese als Trägerschiff noch gewaltige Flotten von Ringrau
mem, die ja über ihre eigene Energieversorgung verfügten.
Einen dieser Ringraumer schleuste die ARKAN-1 plötzlich aus!
Gisol beugte sich vor, als könne er dadurch mehr erkennen.
Seine Hände flogen über die Steuerschalter und Sensortasten. Die Ortungsmstmmente der Sonde
wurden auf den Ringraumer fokussiert.
»Da stimmt doch was nicht«, murmelte der Worgun. »Ein einziges Schiff...?«
»Reicht, um die Sonde abzuschießen«, unkte Tschobe. »Trotz Intervallfeld.«
Aber der Raumer flog nicht die Sonde an, sondern nahm Kurs auf den Tiefraum, in die Richtung,
die die ARKAN-1 ursprünglich eingeschlagen hatte. Das Ringschiff beschleunigte unaufhörlich
»und ging dann auf Überlichtgeschwindigkeit. »Da stimmt doch wirklich was nicht«, grummelte Gisol. »Das ist doch gegen jede zyzzktsche Gewohnheit! Die transitieren doch »Heber und sparen damit Energie, als mit Sternensog zu fliegen...« »Mit Sternensog kommen sie langfristig schneller voran«, gab Dhark zu bedenken, »weil die Transitionspausen entfallen, in denen die Eintauchkoordinaten für den nächsten Raumsprung berechnet werden müssen.« Das erwies sich vor allem bei dichter Stempopulation oftmals als aufwendig, selbst für Super-Rechen gehirne wie den Hyperkalkulator der EPOY oder den Checkmaster der POINT OF. Die Rechner mußten sich an den Ortungswerten oder Sternkarten orientieren. Mit einer Rematerialisation im Zentrum einer Sonne war niemandem gedient. Es würde nicht einmal genug Zeit bleiben, das Intervallfeld wieder aufzubauen... Das gleiche galt für die Materialisation in einem Planeten oder ~ Asteroiden. Die schockartig spontane Massenverdrängung würde den Raumer unweigerlich zerstören beziehungsweise komplett mit der Materie seiner Umgebung verschmelzen lassen. Die Terranische Flotte hatte vor Jahren ein entsprechendes Experiment mit einer Transitionsdrohne durchgeführt. Die Drohne, das unbemannte Robotschiff, war zielbewußt in einen Asteroiden transitiert worden. Als man den hinterher zerbröselte, war jeder vorher freie Kubikmillimeter der Drohne mit der Materie des Asteroiden ge füllt, und selbst das Schiffsmaterial selbst hatte sich mit der Fremdmaterie vermischt und war zu etwas völlig anderem geworden. Dhark mochte sich lieber nicht vorstellen, was aus Menschen wurde, die in einem festen Körper rematerialisierten... Deshalb mußten Transitionsberechnungen, vor allem über längere Distanzen, stets mit äußerster Sorgfalt ausgeführt werden. Überlichtflug im Schutz des Intervallfelds war dagegen kein Problem. Dieser vom Schiff erzeugte künstliche Miniweltraum durchdrang mühelos feste Materie, als sei sie für ihn gar nicht existent. Damit konnten Planeten durchflogen werden. Mit Sonnen hatte das allerdings bisher noch niemand ausprobiert... »Und bei Sternensog erzeugen sie keine Gefügeerschütterungen«, ergänzte der Römer Manlius. »Die Transitionen können geortet werden, der Überlichtflug nicht. Wenn sie transitieren, können wir ihnen jederzeit von einem Sprungpunkt zum anderen folgen. Bei Sternensog müssen wir sie schon permanent in der Ortung haben, sonst verlieren wir sie.« »Wir nicht«, sagte Gisol. Emeut bediente er die Steuerschalter. Über To-Funk erhielt die Sonde neue Befehle. Die Bestätigung kam. Zugleich stellte Tschobe über die Femortung fest, daß die Sonde ihre Position ebenfalls verließ und dem Zyzzkt-Raumer folgte. Ebenfalls per To-Funk lieferte sie Steue rungsdaten für den Hyperkalkulator der EPOY, die somit automatisch die Verfolgung des Ringraumers aufnehmen konnte, ohne dabei den Sicherheitsabstand verringern zu müssen. Ein ständiger gegenseitiger Kursdatenaustausch hatte begonnen. »Was ist mit dem Arkan-Schiff?« fragte Dhark. »Willst du das jetzt unbeachtet hier zurücklassen, Gisol? Ich dachte, du warst an dem Ding interessiert.« »Momentan ist der Zyzzkt-Raumer interessanter«, wehrte der 224
Worgun ab. »Ich muß wissen, was hinter diesem Alleinflug steckt.« Dhark atmete tief durch. Irgendwie war er froh, daß Dan Riker nicht hier war. Der hätte garantiert wieder eine Grundsatzdiskussion angefangen. Schließlich hatte Ren Dhark selbst auch immer wieder ähnliche Entscheidungen getroffen wie jetzt der Mysterious. Dadurch hatten sie schließlich die Spur der Robotflotte verloren, dafür aber die Sternenbrücke gefunden und über Zwitt Erron-3 und später das Imperium der Tel... In diesem Fall zweifelte er selbst, was die richtige Entscheidung war. Aber hier war Gisol der Kommandant. Und Ren mischte sich vorsichtshalber nicht ein. Die EPOY folgte der Sonde und dem Zyzzkt-Raumer in gebührendem Abstand. Der ZyzzktRaumer flog mit sehr hoher Überlichtgeschwindigkeit und damit auch hohem Energieverbrauch. Es schien gerade so, als könnten die Insekten plötzlich aus dem vollen schöpfen. Das war ebenfalls ungewöhnlich.
Auch Ren Dhark und seine Begleiter wurden immer mißtrauischer.
Da während des Verfolgungsfluges nicht ständig jeder an Bord gebraucht wurde, suchten die Gäste
die ihnen zugewiesenen Kabinen auf. Normalerweise flog Gisol die EPOY ja allein, warum dann
auch nicht jetzt?
Einmal löste Ren Dhark ihn für einige Stunden ab, in denen Gisol sich ausruhte. Dann übernahm
der Worgun wieder das Kommando.
Dhark versuchte zu schlafen, aber es wollte ihm nicht so richtig gelingen.
Immer wieder schlichen sich Erinnerungen ein, an seine Suche uach den Mysterious, aber auch an
private Dinge. Auf Terra Wartete sein Sohn Ion Alexandru auf ihn, samt seiner Rabenmutter Joan
Gipsy.
225 AufTerra warteten aber auch politische Probleme, die es zu lösen galt. Natürlich war Henner Trawisheim der beste Mann für diese Dinge, aber die Wähler hatten Dhark zum Commander der Planeten gemacht und nicht Trawisheim. Allerdings hatte Ren sich nie nach diesem Amt, nach dieser Position gedrängt. Er war einfach hineinbugsiert worden. Am liebsten hätte er alles hingeworfen, um weiter zwischen den Sternen herumzuzigeunem. Sein Vater hatte in die Politik gehen wollen. Der erfahrene Raumschiff scommander S am Dhark, dem man einst das größte Kolonistenraumschiff der Erde anvertraut hatte, war ein Stratege gewesen. Aber Ren lebte in einer anderen Welt. Er fühlte sich auf dem politischen Parkett unwohl. Da wurde ihm zu viel gelogen und betrogen, und mit seiner Geradlinigkeit und seinem Hang zu Wahrheit und Gerechtigkeit konnte er nur verlieren. Wenn er es genau nahm, hatte er bereits das Handtuch geworfen. Er wich den Entscheidungen einfach aus. Obgleich es auf Terra eine Menge zu regeln gab, flog er ausgerechnet in einer Krisenzeit in eine völlig fremde Galaxis! Mit einer Expedition, deren Kosten den terranischen Staatshaushalt noch mehr belasteten. Dabei stand Terra finanziell vor dem Kollaps. Der Krieg gegen die Grakos und zahlreiche andere Aktionen hatten Unsummen gekostet. Wiederaufbauprogramme verschlangen weiteres Geld. Und der terranische Bürger konnte nicht mit noch höheren Steuern und Abgaben belastet werden - er hatte ja ohnehin kaum noch Geld. Wenige große Firmen prosperierten, andere gingen zugrunde, weil von den Kolonien, speziell von Babylon, ein unglaublicher Warenstrom nach Terra floß. Damit bezahlte Babylon zwar die Kolonisierungskosten, aber wer sollte diese Waren denn kaufen? Da Terra selbst immer weniger produzierte, gab es immer weniger Arbeitnehmer, die erstens Geld verdienten und zweitens Steuern zahlten; die Kaufkraft sank immer weiter ab. Das Wirtschaftswachstum war längst negativ. Während des Grako-Krieges hatte die Bevölkerung es noch akzeptiert, daß gigantische Summen in die Rüstungsindustrie flössen, 226 die von Wallis Industries dominiert wurde - dort entwickelte und produzierte man die besten,
modernsten und kämpf stärksten Raumschiffe.
Das diente der Sicherheit Terras und der Kolomen.
Wenn aber jetzt Expeditionen wie die des Commanders weiteres Geld verschlangen, ohne daß ein
verwertbarer Nützeffekt erkennbar war, erregte das Unmut.
Zumal es viele Stimmen gab, die behaupteten, daß die bisherigen Aktionen Dharks immer wieder
neue Gefahren für Terra heraufbeschworen hatten.
Völlig von der Hand zu weisen war das nicht einmal.
Was dabei verschwiegen wurde, war, daß der Commander der Planeten andererseits immer wieder
auch dafür gesorgt hatte, diese Gefahren wieder abzuwehren, und durch seine Kontakte mit Au
ßerirdischen stets einen neuen Technologieschub in Gang gesetzt hatte.
Aber die Opposition schlachtete alles aus und wetzte die Messerchen.
Zumindest waren in der Öffentlichkeit keine Details der Expedition nach Om bekannt... sonst hätte
es Unruhen größten Ausmaßes gegeben.
Oder gab es die vielleicht sogar schon? Vielleicht waren Informationen an die Medien
durchgesickert, die oft genug unverantwortlich handelten, indem sie mit Sensationsberichten ihre
Quoten hochpuschten, auch wenn an der Sache selbst kaum etwas dran war. Es hing immer davon
ab, wie reißerisch man ein Thema abhandelte.
Irgendwie war Ren froh, dem jetzt nicht ausgesetzt zu sein. Es war wohl tatsächlich eine
unterbewußte Flucht vor dieser Art von Verantwortung gewesen, als er Gisols Bitte zustimmte, ihn
nach Om zu begleiten.
Gisol hatte sich davon sogar noch weit mehr versprochen: praktische, bewaffnete Hilfe gegen die
Zyzzkt. Aber diese Hilfe wollte ihm Dhark nicht gewähren, ohne mehr über die Hintergründe zu wissen. Und selbst wenn, hatten die Leute durchaus recht, die sagten, ein weiterer Krieg wäre rein finanziell überhaupt nicht mehr zu führen. 227 Noch dazu war es ein Krieg, der die Terraner eigentlich überhaupt nichts anging.
Es gab allenfalls eine moralische Verpflichtung, da Terra bislang vom technischen Erbe der
Mysterious profitiert hatte. Eigentlich war eine Gegenleistung angebracht.
Aber nicht jetzt, nicht in diesen Monaten und Jahren...
Und wieder kehrten Dharks Gedanken zu seinem kleinen Sohn zurück.
Wie mochte es ihm derzeit gehen?
»Ren?«
Er schreckte hoch; er war tatsächlich noch eingeschlafen. Manu Tschobe stand in der Kabinentür.
»Was ist los?« Dhark erhob sich von seinem Lager, zog die Kleidung glatt, mit der er sich auf das
Bett geworfen hatte. Seine Hand glättete das weißblonde Haar.
»Wir nahem uns dem galaktischen Zentrum Oms«, sagte Tschobe. »Mister Jim Gisol Smith ergeht
sich in abstrusen Äußerungen. Ich dachte, das könnte Sie interessieren.«
Dhark brauchte noch ein paar Sekunden, um in die Wirklichkeit zurückzukehren. In einer
Traumsequenz war er mit Ion zusammengewesen, hatte mit ihm auf einer blühenden
Frühlingswiese gespielt, mit einem großen, grauen Hund mit riesigen Schlappohren und treuen
Augen. »Baidur, komm, will reiten! Gutes Pferd!« hörte er immer noch das Echo der fröhlichen
Kinderstimme. Nur langsam glitt der Traum zurück ins Vergessen.
»Sie sehen nicht gut aus, Ren«, sagte Tschobe. »Stimmt etwas nicht mit Ihnen?« Aus ihm sprach
die Sorge des Freundes und des Mediziners, aber wieder einmal brachte er es nicht fertig, seinem
Gegenüber beim Sprechen ins Gesicht zu sehen. Wie immer wich er Dharks Blick aus, wie auch in
anderen Situationen den Blicken anderer. Eine Eigenart, die ihn auf den ersten Blick unsympathisch
machte.
»Ich habe nur schlecht geträumt, glaube ich«, erwiderte Dhark. Ich habe so gut geträumt wie schon
lange nicht mehr! Ion... vor
228 dämmt, wieso kann ich nicht bei ihm sein? War es vielleicht ein Blick in die Zukunft? Aber dann
erschrak er vor diesem eigenen Gedanken; vor Jahren hatte er schon einmal einen ähnlich intensi
ven Traum gehabt, der ihm die Mysterious zeigte, als lethargisches, krankes, regloses Volk. Er war
froh, daß jener Traum niemals Wirklichkeit geworden war, aber hieß das nicht auch, daß der Traum
von Ion niemals Wirklichkeit wurde?
Du machst dich verrückt! schalt er sich selbst. Denke lieber an das, was hier und jetzt mehlig ist.
Du bist in der Gegenwart und in Orn, nicht in der Zukunft auf Terra! Träume sind Spiegelbilder
unserer Wünsche!
»Kommen Sie«, bat der Afrikaner.
Dhark folgte ihm in die Zentrale der EPOY. Dort hatten sich neben Gisol Manlius und Doorn
eingefunden. Die beiden Cyborgs ruhten offensichtlich.
»Was ist los, Gisol?« fragte Dhark und ließ sich neben dem Mysterious in einen Kontursitz fallen.
»Der Kurs des Zyzzkt-Raumers geht in einen Sektor in der Nähe des Zentrums von Om«, erklärte
Gisol. »Wir sind schon sehr dicht dran. Ich gehe davon aus, daß dieser Sektor das Ziel des Raumers
ist.«
»Wie kommst du darauf?«
»Dieser Sektor ist die Region, aus der die Zyzzkt ursprünglich sTarnmen«, berichtete Gisol. »Man
sagt, hier gäbe es ein sagenhaftes >Zentrum der Macht<, in dem die Herren der Zyzzkt leben.«
»Die Herren der Zyzzkt?« echote Dhark. »Was soll das heißen? Gibt es noch eine Macht, die über
diesen Insekten steht?«
»Da habe ich mich wohl etwas mißverständlich ausgedrückt«, sagte Gisol. »Ich meine damit die
Herrscher, die Regierung. So wie du zu den Herren von Terra gehörst und Charaua der Herrscher
der Nogk ist.«
»Ich bin keiner der Herren von Terra«, sagte Dhark. »Du solltest wissen, daß wir eine
parlamentarische Demokratie als Staatsform haben. Ich bin nur der primus inter pares.«
Manlius grinste herüber.
»Schön zu hören, daß sich lateinische Begriffe auch auf Terra "is in die Gegenwart erhalten
haben«, sagte der Römer.
229 »Bilde dir da bloß nichts drauf ein, Freundchen«, knurrte Arc Doorn von der Seite. Aber er grinste
ebenfalls.
»Was hat es mit diesem >Zentrum der Macht< auf sich?« fragte Dhark.
»Niemand weiß es ganz genau«, sagte Gisol. »Ich weiß nur, was man sich erzählt.«
»Auf Terra Nostra haben wir auch davon gehört«, warf Manlius ein. »Es soll ich um die Brutstätte
handeln, der die Zyzzkt einst entschlüpften, und es soll immer noch das Herrschaftszentrum dieses
vermehrungswütigen Kriegervolks sein. Mehr wissen auch wir nicht.«
Natürlich nicht,
Seit Jahrhunderten lebten die Römer abgeschottet vom Rest der Galaxis in ihrer Wolke aus
Sternenstaub. Natürlich sammelten sie nach wie vor Informationen, aber allein dadurch, daß weder
Zyzzkt noch Worgun in diese Materiewolke eindringen konnten, blieb ihnen natürlich ein großer
Teil der Informationen, welche Om durchströmten, verschlossen.
»Ich habe dieses Zentrum niemals gefunden«, sagte Gisol. »Weil es mir niemals gelang, unbemerkt
in den Kembereich der Zyzzkt einzudringen. Ab einer bestimmten Grenze wurde immer Jagd auf
mich gemacht. Wieso, habe ich nie herausgefunden. Dabei flog ich immer getarnt. Aber offenbar
ist es den Zyzzkt möglich, den worgunschen Ortungsschutz zumindest in diesem galaktischen
Kembereich zu durchschauen.«
»Gegen jedes Mittel gibt es ein Gegenmittel«, sagte Doorn trocken. »Ist nur eine Frage der Zeit.«
Dhark schmunzelte.
»In einem bestimmten Bereich von Nai«, er verwandte den Wor-gun-Begriff für die Milchstraße,
»wurde auch auf uns anfangs immer Jagd gemacht, als wir mit der POINT OF unterwegs waren.
Eine Strecke zwischen Kaso und Terra war immer wieder ein Gefahrenpunkt. Raumschiffe der
verschiedensten Völker tauchten auf und griffen uns an.«
»Und?« fragte Gisol.
»Erst viel später erfuhren wir von den Utaren, daß eine Art Ortungsstrecke im Hyperraum installiert
worden war, die die POINT
230 OF anpeilte. Genauer gesagt, die jeden Ringraumer angepeilt hätte und sofort Alarm gab, worauf die Streitkräfte unzähliger Planeten ausrückten, um diesem Ringraumer den Garaus zu machen. Utaren, Rateken, und viele, die wir bis heute nicht kennen.« »Man sah in den Ringraumern eine Gefahr, die vor tausend Jahren aus unserer Galaxis verschwand und jetzt plötzlich wieder auftauchte. Man hielt die Insassen der Ringraumer - des Ringraumers für die Grakos, die Geißel der Galaxis.« »Weil sie Schiffe unseres Volkes in ihre Gewalt gebracht und für ihre mörderischen Taten mißbraucht hatten. Ich habe davon gehört«, sagte Gisol düster. »So, wie es in Om die Zyzzkt gemacht haben und heute noch machen. Sie haben unsere Technik gestohlen.« »Vielleicht ist es rund um dieses ominöse Zyzzkt-Zentrum ähnlich«, überlegte Dhark. »Vielleicht gibt es auch da Ortungsstationen im Hyperraum.« »Aber ich bin immer getarnt geflogen«, protestierte Gisol. »Und nie per Transition, um nicht durch die Strukturerschütterungen angemessen werden zu können, sondern immer nur mit Sternensog.« »Wie wir mit der POINT OF damals auch«, sagte Dhark. »Trotzdem haben sie uns immer wieder erwischt und versuchten mit allen Mitteln, uns zu vernichten.« »Und irgendwann, von einem Tag zum anderen, hörte es auf«, warf Tschobe ein. »Von den Utaren erfuhren wir dann den Grund: Wir verhielten uns nicht wie die Grakos. Wir schössen die gegnerischen Raumer kampfunfähig, teilweise auch manövrierunfähig, aber wir vernichteten sie nicht, wir schlachteten sie nicht einfach ab. Das machte sie nachdenklich, und sie kamen zu dem Schluß, daß wir nicht mit den Grakos identisch sein konnten, sondern daß jemand anderer in dem Ringraumer saß. Da war der Spuk schlagartig vorbei.« Gisol nickte bedächtig. »Ich hoffe, daß diesmal auch hier der Spuk vorbei ist«, sagte er und warf Manlius einen kurzen Blick zu. »Der neue römische Or tungsschutz hilft uns vielleicht. Er ist ja besser als unser bisheriger.« »Garantiert«, sagte der Römer trocken. 231 »Dann wollen wir mal«, sagte Gisol. »Trotzdem mit erhöhter Vorsicht.« Die EPOY folgte dem Zyzzkt-Raumer und der Sonde in den geheimnisvollen Zentrumsbereich. 16.
Lygg'lygg verbarg sich zwischen den Müllhalden, wobei seine Gedanken nur um ein Thema kreisten, um den Kulebb, den er verloren hatte. Verloren! Trotz seiner Angst ließ der Gyrre ein gehetztes Kichern erklingen. Er hatte den Kulebb nicht verloren. Dann wäre alles viel einfacher gewesen, weil noch die Chance bestanden hätte, ihn wie derzufinden. Doch der Kulebb existierte nicht mehr. Und Lygg'lygg trug die Schuld daran. In einer Mischung aus Gier und Neugier hatte er gegen alle Vorsichtsmaßnahmen verstoßen und die geheimnisvolle Kreatur aus ihrem energetischen Gefängnis geholt, um sie aus der Nähe zu betrachten. Ein Fehler, vor dem der Schwarzmarkthändler ihn ausdrücklich gewarnt hatte, ebenso wie Tipori. Tipori! Bei dem Gedanken an den Schrotthändler drohte Lygg'lygg vor Angst beinahe die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Er stand dicht vor einer Panik, die ihn laut aufschreien ließ. Er fühlte sich elend und hilflos wie selten in seinem Leben. Denn er hatte nicht die geringste Vorstellung, was er tun sollte. Kulebbs waren extrem selten, daher konnte er nicht einfach einen Ersatz besorgen. Ganz davon abgesehen, daß er sich eine solche Kreatur in seinem ganzen Leben nicht würde leisten können. Nur eines wußte er genau. Tipori würde ihn töten, ohne seine Erklärungen anzuhören. Sein Ruf ging dem Schrotthändler über alles, das hatten schon andere am eigenen Leib erfahren. Bevor Lygg'lygg auch nur ein einziges Wort herausbrächte, wäre er tot. Ihm blieb daher nichts anderes übrig, als sich so gut es ging zu verstecken. Es mußte ihm gelingen, eine Entschädigung für Tipori 233 aufzutreiben - doch was entschädigte schon für einen Kulebb? Lygg'lygg erinnerte sich an den Wohlgenuß, der ihn befallen hatte, als die Kreatur, kaum daß sie eine Gelegenheit sah, aus ihrem Gefängnis zu entkommen, sich an ihm festgesaugt und ihn zu einer anderen Daseinsebene gebracht hatte. Höchste Wonnen waren ihm zuteil geworden, und zum ersten Mal hatte er begriffen, wieso Kulebbs ungleich höher gehandelt wurden und um ein Vielfaches begehrter waren als die besten bewußtseinsverändemden Drogen, die auf Himmfarr erhältlich waren. Für Sekunden kam dem Gyrren in den Sinn, die Tatsache, daß Tipori die verbotenen Kulebbs benutzte, zu seinen Gunsten zu nutzen. Er hatte den Händler damit in der Hand. Allerdings würde das niemanden wirklich interessieren, sondern nur dazu führen, daß Lygg'lygg nicht nur einfach starb, sondern auf äußerst schmerzvolle Weise. Er tastete nach seinem Hals. Ein kaum spürbarer Wulst war von der Lustattacke des Kulebbs verblieben. Die Kreatur selbst war wie üblich gleich danach gestorben. Eine seltsame Einrichtung der Natur, dachte Lygg'lygg. Zudem eine sehr schicksalhafte, jedenfalls für ihn. Er verfluchte sich, nicht auf die Warnungen gehört zu haben, aber nun war es zu spät. Mit Schaudern dachte er an Tiporis Helfer, die Kuchas. Meuchelmörder, die noch jedes ihrer Ziele zur Strecke gebracht hatten. Er flehte nach einem Wunder. Doch woher sollte es kommen?
Er durfte nicht aufgeben, zumal er keine Optionen auf sonstige Anlaufstellen besaß. Simon erkannte, daß er eine Bewußtseinsveränderung durchlebte. Noch vor kurzem hätte er nach diesem zweiten mißlungenen Vorstoß den Kopf in den Sand gesteckt und sich in die Tiefe der dunkekoten Hülle zurückgezogen. Nun gelang es ihm, seine Unsicherheit zu überwinden. Er war nicht bereit, die Niederlage hinzunehmen, ohne einen zweiten Versuch gewagt zu haben. Du machst dir selbst etwas vor. höhnte eine innere Stimme. Du 234 bist keineswegs so selbstsicher, wie du tust. Verdränge deine Probleme nicht hinter vorgeschobenem Pseudo-Selbstbewußtsein, sondern stelle dich ihnen. Simon glaubte Feuer durch die Moleküle seiner Tofirithülle toben zu sehen.
Das ist eine Lüge., versuchte er sich selbst zu überzeugen. Ich verdränge meine Probleme nicht.
Und er tat es doch. Tief in seinem Bewußtsein war das Wissen um die eigene innere Zerrissenheit.
Dort lauerten seine Ängste und Phobien, die quälenden Selbstzweifel, die ihn im Griff hatten.
Ich werde sie überwinden, schwor er sich, wohl wissend, daß das ein steiniger Weg war. Vielleicht
half ihm forscher Aktionis-mus dabei.
Während der Flash im Schutz seines Intervallums eine Kehre um Sommzot flog, stellte Simon
Kontakt zum Hyperkalkulator der NOREEN WELEAN her. Im Bereich des wartenden Ringschiffs
gab es keine Veränderungen, von den Zyzzkt war nichts zu bemerken.
»Wir fliegen Himmfarr erneut an«, teilte der Wächter Hugo mit.
Damit wird Riip rechnen und den Raum überwachen lassen. »Soll er, aber das nützt ihm nichts. Wir nahem uns dem Planeten von der anderen Seite unter Intervallschutz.« Er beschleunigte das Beiboot und nahm den angedachten Kurs auf. Wie schon beim ersten Anflug herrschte in unmittelbarer Umgebung des Planeten reger Schiffsverkehr. Erst jetzt fiel Simon die Trostlosigkeit der häßlichen grauen Murmel auf. Selbst die Wasserflächen wirkten aus großer Höhe nicht blau, sondern trüb und schmutzig. Er hätte auf Himmfarr nicht leben können. Aber das mußte er ja auch nicht. Er stellte sich vor, daß Riip auf der anderen Seite des Planeten auf Simons Rückkehr lauerte, aber er hatte eben keine Ahnung von den Fähigkeiten und dem wahren Wert des Beiboots. Entschlossen drückte Simon den Flash tiefer, die Ergebnisse der auf Hochtouren laufenden Abtastungen nicht eine Sekunde aus den Augen lassend. Die lückenlose Bebauung bedeckte nicht nur die Oberfläche des Planeten, sondern reichte an manchen Stellen his zu zehn Kilometer in die Tiefe. 235 Dabei war es schwierig, die ursprüngliche Planetenoberfläche überhaupt noch als solche zu erkennen. Ein Anhaltspunkt waren riesige Enklaven naturbelassener Gesteinsmassen, die man nicht aus dem Weg geräumt, sondern von allen Seiten umbaut hatte. Simon schätzte, daß Millionen von Kubikmetern Erdreich verdampft oder von Himmfarr abtransportiert worden waren. Jedenfalls war der Abraum nicht auf Himmfarr selbst umgelagert worden, sonst hätten entsprechende Halden existieren müssen. Die Anzeigen der Vitaltaster zeigten, daß die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung unterirdisch lebte. Ohne Tageslicht? Himmfarr wurde dem Wächter immer unsympathischer.
Simon suchte nach einem Hohlraum, der groß genug war, den Flash darin zu verstecken.
Gemächlich sank das Beiboot in seinem eigenen künstlichen Zwischenraum Kilometer um
Kilometer in die subplanetare Welt hinein.
»Da ist es!« stieß er aus.
Ein Versteck? »Ja, wie gemacht für unsere Zwecke. Es liegt so tief und abgeschieden, daß sich weit und breit keine Lebewesen in der Nähe aufhalten.« Das wird ein langer Aufstieg werden. Simon antwortete nicht. Über dieses Problem konnte er nachdenken, sobald es sich stellte. Kurz darauf landete er den Flash an der tiefsten Stelle der Mega-lopolis.
Schier unvorstellbare Massen aus Stahl und Beton umgaben ihn. Die kilometerdicke Schicht über seinem Kopf, ein gigantisches, unüberschaubares Konglomerat aus Wohn- und Geschäftsbezirken, Produktionsstätten, Industrieanlagen und Maschinenparks, Straßen, Korridoren, Vergnügungsvierteln, Stollen und Schächten mußte über eine unglaubliche Statik verfügen. Simon vermutete, daß leistungsstarke Andschwerkraftfelder die konventionelle Bauweise unterstützten. 236 Seit er den Flash verlassen und Hugo zu dessen Bewachung zurückgelassen hatte, war die bleierne Schwermut wieder da, die ihm die eigenen Zweifel an seinen Bemühungen deutlich vor Augen führte. Immer mehr wurde Simon sein künstlicher Körper zur Last. Er meinte das Gewicht des Tofirits auf seiner Seele zu spüren. Des lebenden Ala-Metalls seines Wächterkörpers. So sehr ihm die dunkle, rote Kunsthülle zur zweiten Identität geworden war, so sehr verabscheute der Wächter sie. Kein Mensch von der Erde, den er je gekannt hatte, würde ihn unter dem kalten, nichtssagenden Metall erkennen. Am schlimmsten empfand Simon das Fehlen jeglicher Gesichtszüge, dem wesentlichen Bestandteil optisch sichtbarer Individualität. Daß niemand in seinen Zügen lesen konnte, machte ihn zur Nichtperson. Es bereitete ihm Mühe, die lähmenden Gedanken abzuschütteln. Sie hielten ihn nur von seinem Ziel ab, von einem Ziel, das er seit seinem unfreiwilligen Aufenthalt im Hyperraum auf Arkan-12
endlich wieder hatte. Zwar war sein ursprünglicher Körper bereits vor langer Zeit auf Hope zerstört worden, aber Simon mußte sich nicht länger mit dem Schicksal abfinden, nie wieder in seine men schliche Erscheinungsform zurückkehren zu können. Denn die INSTANZ von Arkan-12, ähnlich der von Erron-2, benötigte lediglich eine Probe seiner DNS, um seinen Körper reproduzieren zu können. Das war Simons Chance. Seine ehemalige Arbeitgeberin Noreen Welean hatte für medizinische Notfälle DNS-Proben von sich selbst sowie all ihren Mitarbeitern auf der Erde deponiert. Simon war entschlossen, sich diese Chance und die damit verbundene Rückkehr in ein menschenwürdiges Leben nicht nehmen zu lassen. Das hieß, daß er zunächst zur Erde gelangen mußte und anschließend zurück zur INSTANZ der Arkan-12-Station, die um ein Vielfaches größer war als alle bekannten Erron-Stationen. Zu letz terem Zweck hatte die INSTANZ dem Wächter den Arkan-Sender ausgehändigt, ein Gerät von der Größe eines Schuhkartons, mit der Am, und nur ihm, der problemlose Übergang in das Sternen und planetenlose Paralleluniversum möglich sein würde. Diese Hoffnung trieb Simon an, während er sich daranmachte, üie Unterwelt Himmfarrs zu erkunden. 237 Er befand sich in einem unbelebten Stadtteil, der von grauer Tristesse beseelt war. In dem schmalen, von in unregelmäßigen Abständen angebrachten Leuchtfeldem nur spärlich erhellten Gang hielt sich niemand auf. Die abgestandene Luft schmeckte schal. Auch wenn Simon über keinen menschlichen Organismus mehr verfügte, entging ihm dieser Eindruck nicht. Wenn es schädliche Verunreinigungen in der Luft gab, konnten sie ihm nichts anhaben. Die zynische Erkenntnis widerstrebte ihm. Nur allzu gern hätte er einen rauhen Reiz in seinen Atemwegen und das Kratzen seiner Lungen gespürt, um seine Menschlichkeit bestätigt zu bekommen. Ein stetiges, monotones Hintergrundrauschen wie von aktiven Aggregaten vibrierte in der Luft, aber es gelang Simon nicht, die Richtung zu bestimmen, aus der es zu ihm drang. Es schien von überall gleichzeitig zu kommen. Dabei war es so leise, daß er es mit menschlichen Ohren wahrscheinlich überhaupt nicht gehört hätte. Nach einer Weile verzweigte sich der Gang in ein halbes Dutzend Richtungen. Die abgehenden Korridore zeigten keinerlei Unterscheidungsmerkmale. Nach ein paar Dutzend Metern ver schwanden sie im trüben Zwielicht. Simon entschied sich willkürlich für eine Richtung und folgte dem vor ihm liegenden Gang. Er war wie der, durch den er zuvor gegangen war. Niemand begegnete ihm. Hätte er es nicht besser gewußt, wäre er auf den Gedanken gekommen, allein auf dieser Welt zu sein. Doch dem widersprachen seine Erkenntnisse, daß Himmfarr von Milliarden Lebewesen bewohnt war. In den grauen Wänden gab es keine Unterbrechungen. Keine Türen, keine Öffnungen, nicht mal Markierungen oder Hinweisschilder. Simon kam immer mehr zu dem Eindruck, in einen verlasse nen Sektor des Planeten geraten zu sein. Oder auf eine verlassene Ebene. Er befand sich ganz unten, tiefer ging es nicht. Er konnte nicht ausschließen, daß hier niemand lebte. Ohnehin wollte er höhersteigen, sobald sich ihm eine Mög lichkeit dazu bot, doch er fand keine. Die Lichtverhältnisse wurden mit jeder Minute schlechter. Zahlreiche Leuchtfelder funktionierten nicht. Sie waren entweder de 238 fekt oder mit Vorsatz abgeschaltet. Simon hielt inne und betrachtete die Wände. Was mochte sich dahinter befinden? Räumlichkeiten oder massives Gestein? Er hob eine Hand und ballte sie zur Faust, um sie vehement gegen das Mauerwerk zu schlagen. In der abgelagerten Staubschicht, die er zuvor nicht erkannt hatte, entstand ein verwaschener Abdruck. Massiv, dachte Simon und schaute sich nachdenklich um. Anscheinend war hier schon sehr lange niemand mehr gewesen. Er spielte mit dem Gedanken, umzukehren und sein Glück in einem der anderen Gänge zu versuchen. Ein hohles Poltern hielt ihn zurück. Vor ihm war niemand, aber das Geräusch war nicht von allein entstanden. Er lief los, während er angestrengt lauschte. Da war das Poltern wieder, näher diesmal. Es klang, als wäre etwas auf Metall geschlagen. Noch immer ließ sich kein Ausgangsort lokalisieren, aber wenn sich jemand im Gang vor ihm aufhielt, konnte Simon ihn trotz des diffusen Lichts nicht übersehen. Ein dunkler Schatten huschte an ihm vorbei, eine rechteckige Öffnung in der Wand. Simon glaubte eine Bewegung dahinter zu erkennen. Sein Tofiritkörper erlaubte ihm, aus vollem Lauf ohne Zeitverzögerung anzuhalten. Beiläufig ging
Simon durch den Sinn, daß ein Mensch nach Luft geschnappt hätte. Ihn ließ die körperliche Anstrengung kalt. Statt dessen waren seine Sinne auf das Innere des kleinen, quadratischen Raums gerichtet, der hinter der Öffnung lag. Eine primitive metallische Treppe, zentral gelegen, führte in die Höhe. Manndicke Rohre, die in einen durchsichtigen, von Staub überzogenen Mantel gehüllt waren, liefen an der Wand herunter und verschwanden im Boden. Ansonsten war die Betonkammer leer. Ein panischer Schrei gellte an Simons akustische Sensoren. Wenige Meter über dem Wächter kauerte eine verkrümmte Gestalt auf einem Absatz der Treppe. Die Bewegung, die Simon gesehen hatte, war die des geworfenen Schattens gewesen. Die Gestalt starrte zu ihm herunter, unfähig, sich zu bewegen. Schneller 239 als der Fremde reagieren konnte, war der Wächter bei ihm.
»Mein Name ist Simon. Wer bist du?« fragte er, augenblicklich erkennend, daß ihm von dem
verkrümmten Geschöpf keine Gefahr drohte.
Es zitterte am ganzen Leib und umklammerte krampfhaft einen Kasten, der beim gelegentlichen
Aufschlagen auf die Treppenstufen die Geräusche erzeugt hatte. Dabei wirkte es nicht einmal son
derlich fremdartig.
Beinahe menschlich, dachte Simon.
Der Fremde schielte ihn aus schrägstehenden, blutunterlaufenen Augen, die hektisch flatterten,
mißtrauisch an. Er maß nicht mehr als anderthalb Meter und war von hagerer, beinahe dürrer
Statur. Eitrige Ekzeme bedeckten seinen kahlen Schädel, aus seinem vor Erstaunen aufgerissenen
Mund drang warmer, stinkender Atem.
»Bitte nicht, Maschine«, zischte er und preßte seine Kiste noch fester an sich. »Du darfst ihn Eyal
nicht wegnehmen, Maschine.«
Eyal war offenbar der Name des Fremden, überlegte Simon. »Ich will dir nichts wegnehmen«,
versicherte er behutsam. Die Tatsache, als Maschine klassifiziert zu werden, berührte ihn unan
genehm.
»Mein Kulebb. Niemand darf ihn mir wegnehmen«, brabbelte Eyal.
»Das wird auch niemand.« Simon deutete die Stufen hinauf. »Du kommst von oben? Führt diese
Treppe zu einer anderen Ebene?«
»Sie wollten mir meinen Kulebb stehlen, aber ich habe sie in die Irre gelockt. Sie haben sich im
Basar verirrt, so konnte ich ihnen entkommen.«
»Eyal!« Simon faßte die ausgemergelte Gestalt bei den dürren Schultern. Augenblicklich stieß Eyal
einen flehenden Schrei aus. Schmerz, Verzweiflung und Wahnsinn flackerten in seinen Augen, und
sein Körper wurde von einem heftigen Krampf geschüttelt. Rasch zog Simon seine Hände zurück.
»Ist schon gut«, versicherte er. »Ich tue dir nichts. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Sag
mir nur, ob ich über diese Treppe eine andere Ebene erreiche.«
Als Antwort erhielt er ein unverständliches Lallen. Eyal ver
240 suchte sich aufzurichten und seine Kiste mit sich zu ziehen. Aus einem Mundwinkel rann blutiger Speichel und tropfte auf die Lumpen, in die er gehüllt war. »Maschine, ich kenne dich. Ich habe dich schon einmal gesehen«, stieß er keuchend hervor. »Du irrst dich. Ich bin erst neu in dieser Gegend angekommen.« »Nein, nein, kein Zweifel. Solche wie du sind nicht gern gesehen. Solche wie du sind aber sehr wertvoll. Viele Creds dafür zu bekommen. Genug Creds für ein Dutzend Kulebbs. Für hundert Kulebbs vielleicht?« »Wo hast du mich schon einmal gesehen?«, fragte Simon. »Hier, in dieser Stadt? Auf diesem Planeten?« Wo sonst? Zweifellos hatte diese arme Seele Himmfarr nie in seinem Leben verlassen. Simon wartete vergeblich auf eine Antwort. Eyal ließ seine Kiste fallen, dann kippte er leblos zur Seite. In seinem Rücken steckte ein Messer. Simon stellte rasch fest, daß die Wunde tödlich war. Auch bei sofortiger Behandlung wäre da nichts mehr zu machen gewesen. Es war ein Wunder, daß Eyal es noch bis hierher geschafft hatte. Sekundenlang stand der Tofiritkörper bewegungslos. Simon starrte auf den Toten hinab. Wieder ein Wesen, das in seiner Gegenwart das Ende gefunden hatte. Wieso nur gelang es Simon nicht, diesem Fluch endlich zu entkommen, der ihn wie eine zweite Haut umgab? Er griff nach der Kiste, die mit einem simplen Schnappschloß versehen war, und öffnete sie. Sie war leer. Was immer ein Kulebb war, derjenige, der Eyal erstochen hatte, hatte ihn an sich gebracht. »Armer Kerl«, sagte der Wächter, als ob das etwas geändert hätte. Er ließ den Toten mit seiner Kiste zurück. Immerhin hatte er diese Treppe gefunden. Im Nachhinein gestand er sich ein, daß
seine Frage naiv gewesen war. Wohin sollte die Treppe führen, wenn nicht auf eine andere Ebene! Während er sich an den Aufstieg machte, dachte er über Eyals Worte nach. Angeblich hatte der Tote jemanden wie ihn schon einmal gesehen. Meinte er damit tatsächlich den Tofiritleib eines Wächters? Unwahrscheinlich. Vermutlich hatte er Simon mit ei 241 nem banalen Roboter verwechselt. Jedenfalls fiel die rote Metallgestalt zu sehr auf, und das konnte bedeuten, daß irgendwelche Halsabschneider Jagd auf ihn machen würden, wenn er wirklich soviel wert war. Also mußte er dafür sorgen, daß sich sein Aussehen nicht herumsprach. Zwar konnte er seine Gestalt nach Belieben ändern, aber dann wäre er immer noch nackt. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich irgendwo Kleidung zu besorgen, um sich zu tarnen. Simon stieg mehrere hundert Meter in die Höhe, bis ihn ein Geräusch alarmierte. Ein sonores Summen wie von einem sich nähernden Bienenschwarm ließ ihn innehalten. Es kam nicht wirklich näher, sondern entstand irgendwo über ihm. Er überwand drei weitere Treppenabsätze, bis er einen schmalen Steg erreichte, der zu einer unscheinbaren Tür führte. Simon warf einen Blick in die Tiefe. Er bewunderte Eyals Leistung, es trotz seiner tödlicher Verletzung noch beinahe bis nach unten geschafft zu haben. Genutzt hatte es ihm jedoch nichts, sein Tod hatte bereits festgestanden, als er das Messer abbekommen hatte. Simon fragte sich, wieso er bis ganz nach unten geflüchtet war. Was hatte er dort zu finden gehofft? Er würde niemals eine Antwort erhalten, und Simon interessierte sich auch nicht wirklich dafür. Er näherte sich der Tür. Sicher gab es einen Öffnungsmechanismus, der ihn vor keine großen Probleme stellen würde. Bevor er sich versah, stand Simon, von penetrantem Gestank empfangen, auf der anderen Seite.
Er befand sich am Rande einer von zerlumpten Gestalten umkämpften Müllkippe. Für Sekunden hatte Simon den irritierenden Eindruck, wieder unter freiem Himmel zu sein. Doch der scheinbar blaue Himmel entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als Ansammlung gewölbter Kuppeln mit Durchmessern von jeweils einem halben Kilometer, die von mächtigen Säulen gestützt wurden. In hundert Metern Höhe quoll warmes blaues Licht aus unsichtbaren Quellen. 242 Vom Regen in die Traufe! An diesen Ort hatte Simon ganz sicher nicht gewollt. Immerhin erkannte er zahlreiche Lebewesen unterschiedlicher Herkunft. Flink wie Wiesel bewegten sie sich zwischen den Müllhalden, beladen mit Säcken, in denen sie ihre vermeintlich wertvolle Beute verschwinden ließen. Manche führten grob gezimmerte Handkarren mit sich, auf die sie warfen, was ihnen loh-nenswert erschien. Auch Mitglieder des Volks, dem Eyal angehört hatte, waren vertreten. Das brachte Simon auf eine Idee. Er sah sich um und entdeckte einen dunklen Umhang aus einer Art Kunststoff. Er war an den Rändern verschlissen, ansonsten aber noch brauchbar. Bislang war Simon unbemerkt geblieben. Niemand kümmerte sich um ihn, alle hatten viel zu sehr mit sich selbst zu tun. Bevor einer der Müllsammler den Umhang entdeckte, zog Simon ihn zwischen dem Müll hervor und unterzog ihn einer oberflächlichen Untersuchung. Zufrieden stellte er fest, daß er frei war von Verschmutzungen. Inzwischen beherrschte der Wächter die Programme, die ihm ermöglichten, seine äußere Erscheinungsform zu verändern, mühelos. Er bildete Körper, Kopf und Gliedmaßen aus, wie er sie von Eyal in Erinnerung hatte, und warf sich den Umhang über. Er steckte Kopf und Arme durch die dafür vorgesehenen Löcher und kam zu dem Schluß, zwischen den Müllsammlem nicht mehr auf zufallen. »Gar nicht schlecht, dein Trick«, riß ihn eine rasselnde Stimme aus seinen Überlegungen. Sie klang wie von einem Asthmatiker. Zu früh gefreut! Simon fuhr herum, instinktiv auf einen Angriff vorbereitet. Inmitten des Mülls kauerte ein zerbrechlich wirkendes Wesen und betrachtete ihn eindringlich. Es machte nicht den Eindruck, eine Gefahr für ihn darzustellen. Gemächlich, als wollte es seine Harmlosigkeit demonstrieren, erhob es sich und breitete die knöchernen Arme aus. Bewegungslos wartete Simon ab, ohne nur einen Augenblick in seiner Wachsamkeit nachzulassen. Die Kreatur war an die zwei Meter groß und beinahe noch hagerer als Eyal. Sie bewegte sich geschmeidig, als sie sich aus ihrer
243 Erstarrung löste und auf ihren spindeldürren Beinen näherkam. Weit ausladende Greifklauen machten ihr das Gehen zwischen dem Müll leicht. Der Körper war in eine Ansammlung verschie denfarbiger Tücher gewickelt, von denen keines mit den anderen harmonierte. Wahrscheinlich hatte das Wesen sie ebenfalls eingesammelt. Der keilförmige Kopf, der von einem wirren Gespinst rostroter Strünke bedeckt war, die an Pflanzentriebe erinnerten, pendelte leicht hin und her »Man nennt mich Lygg'lygg. Ich bin ein Gyrre.« »Ich bin Simon«, antwortete der Wächter. Die Kontaktaufnahme schien einfacher vonstatten zu gehen, als er befürchtet hatte. Vielleicht konnte er von diesem Wesen etwas erfahren, das ihm wei terhalf. »Ein Kormore, wie ich sehe. Jetzt jedenfalls.« In Lygg'lyggs großen Augen, die außer einem kleinen Mund mit zwei Reihen messerscharfer Zähne beinahe die gesamte Gesichtspartie bedeckten, blitzte es listig. »Ein Kormore, ja«, beeilte sich Simon zu sagen. So also nannte sich Eyals Volk. Offenbar hatte der Gyrre seine Verwandlung mitbekommen. Es war die Frage, welche Schlüsse er daraus zog. »Jedoch nicht nur ein Kormore. Du bist noch etwas anderes.« »Wer ich bin, ist unwichtig«, lenkte Simon das Gespräch in eine andere Richtung. »Man sollte nicht alles glauben, was man sieht. Zumindest sollte man nicht in jeder Situation darüber reden. Viel wichtiger...« »... ist, daß du Hilfe benötigst«, fiel ihm Lygg'lygg ins Wort. »Einen Führer vielleicht. Jemanden, der einem Fremden den Weg zeigen kann und nicht allzuviel dafür verlangt.« Simon begriff. Der Gyrre hatte ihn nicht aus einer Laune heraus angesprochen. Anscheinend war er auf der Suche nach einer Arbeit, die mehr einbrachte als das Wühlen im Müll. Simon brauchte nicht lange zu überlegen. In der Tat war ein Führer genau das, was er brauchte. Allerdings besaß er nichts, was er dem Gyrren im Gegenzug bieten konnte. Jedenfalls nicht an diesem Ort. Doch an Bord der NOREEN WELEAN gab es genug, was sich als Zahlungsmittel verwenden ließ. »Was verlangst du?«, fragte er geradeheraus. 244 »Was denkst du wohl? Creds! Jeder braucht Creds. Hast du Creds?«
fc Auch Eyal hatte von Creds gesprochen. Offensichtlich handelte ^es sich dabei um die auf
Himmfarr übliche Währung. Natürlich konnte Simon damit nicht dienen.
»Ich habe keine Creds«, gestand er. »Aber ich kann dir... Dinge geben, die du brauchen kannst.«
»Dinge? Darunter kann man viel verstehen.« Lygg'lygg deutete hinter sich. »Hier gibt es Dinge im
Überfluß, doch nur die wenigsten kann man verwenden. Ich hoffe, deine Dinge sind mehr wert als
dieses Zeug. Zeig sie mir.«
»Ich trage sie nicht bei mir. Ich kann sie dir erst später geben. Aber ich verspreche dir, daß du sie
bekommst.«
Der Kopf des Gyrren pendelte aufgeregt hin und her. »Was sind das für Dinge? Sag es mir.«
Simon fühlte sich in der Klemme. Er wollte dieses Wesen nicht belügen, aber wie es aussah, blieb
ihm keine andere Wahl. Er entschloß sich zu einer Notlüge, die sich später wieder gutmachen ließ.
Schließlich hatte er nicht vor, den Gyrren zu betrügen. Wenn er ihn führte, würde er bekommen,
was ihm zustand. Trotzdem wußte Simon nicht, was er Lygg'lygg anbieten sollte. Egal, was er
nannte, sein Führer in spe konnte mit der Bezeichnung nichts anfangen.
Ein schlechtes Gewissen befiel Simon, dennoch fragte er: »Wie wäre es mit einem Kulebb?«
»Ein Kulebb?«, rasselte Lygg'lygg euphorisch. »Ein Kulebb! Sag mir, wohin ich dich führen soll.«
Voll ins Schwarte getroffen. Was wohl ein Kulebb ist, daß sie hier alle so mid darauf sind? Simon entging die überschwengliche Freude des Fremden nicht. Er hatte den Eindruck, daß sie
nicht allein bloßer Gier entsTarnmte. Der Gyrre gebärdete sich beinahe, als hinge sein Leben
davon ab.
»Ich brauche ein Raumschiff«, erklärte der Wächter, während er die Müllsammler beobachtete.
Keiner von ihnen beachtete die Unterhaltung zwischen den beiden unterschiedlichen Wesen.
Wahrscheinlich waren Geschäfte dieser Art auf Himmfarr an der Tagesordnung.
245 »Für eine Passage?«
»Nein, ich will es erwerben.«
»Ein Raumschiff erwerben? Dann mußt du reich sein. Kein Wunder, daß du mich mit einem
Kulebb bezahlen kannst.«
Mit seinen an bloße Knochen erinnernden Fingern griff der Gyrre nach Simon und zog ihn mit sich.
»Es gibt nur einen Mann, der dir weiterhelfen kann. Wenn du ein weltraumtaugliches Schiff willst
und nicht nur Schrott, müssen wir zu Tipori gehen.«
Simon hatte das Gefühl, daß Lygg'lygg den Namen mit großer Ehrfurcht aussprach.Und mit einem
Anflug vn Angst. Lygg'lygg konnte sein Glück nicht fassen, auf den Fremden getroffen zu sein. Während sie die Müllkippe hinter sich ließen, warf er ihm immer wieder verstohlene Blicke zu. Natürlich handelte es sich bei Simon nicht um einen Kormoren. Lygg'lygg hatte genau gesehen, wie der Fremde sich verwandelt hatte. Davor hatte er ein wenig wie die Kalthäute ausgesehen, die Maschinenmenschen, die den Reichen oben als hilfreiche Geister dienten. Doch nur auf den ersten Blick, denn Simon war keine Kalthaut, sondern ein lebendes Wesen. Lygg'lygg verließ sich auf seinen Instinkt, der ihn selten täuschte, auch wenn er noch nie von einem solchen Wesen gehört hatte. Doch Om war groß, und die wenigsten Völker verirrten sich nach Himmfarr. Jedenfalls nicht, wenn sie sich das Leben auf einer anderen Welt leisten konnten. Nach Himmfarr kamen nur die Verlorenen, die Außenseiter, die anderswo nicht erwünscht waren. Jedenfalls konnte der Fremde die Lösung seiner Probleme bedeuten. Seine Lebensrettung! »Himmfarr ist der Schrottplanet der Galaxis. Hier strandet nur Treibgut.« »Deshalb werde ich diesen Planeten auch wieder verlassen, sobald ich ein geeignetes Schiff gefunden habe.« Der angebliche Kormore war schlau. Er hatte begriffen, daß Lygg'lygg nicht nur die heruntergekommene Technik als Treibgut bezeichnet hatte, sondern auch die Angehörigen zahlreicher Spezies, die es auf Himmfarr verschlagen hatte. Kaum einer von ihnen hatte die Chance, diese Welt zeitlebens wieder zu verlassen. Dieser Simon war anders. Zweifellos gehörte er nicht hierher. Eine eigenartige Aura umgab ihn, die tief aus seinem Inneren kam, gleichgültig, welche Form er annahm. Er trug ein Geheimnis mit 247 sich, das vielleicht weitaus wertvoller war als ein Kulebb, aber Lygg'lygg war bei aller Habgier kein Narr. Er erkannte deutlich, daß der Fremde gefährlich war. Bei ihm handelte es sich nicht um ein dankbares Opfer, das sich wehrlos übers Ohr hauen ließ. »Wie bist du nach Himmfarr gelangt?« Simon zögerte. »Ein gelandetes Schiff hat mich abgesetzt. Ich habe mich mit dem Kapitän zerstritten, und nun weigert er sich, mich wieder mitzunehmen.« Eine glatte Lüge! Lygg'lygg war nicht so einfältig, darauf hereinzufallen. Wieso sollte Simon mit einem unzuverlässigen Raumschiffkapitän reisen, wenn er sich mal so eben ein eigenes Schiff leisten konnte? Außerdem machte er nicht den Eindruck, einen Kontrakt einzugehen, der nicht so hieb- und stichfest war, daß ein Kapitän ihn kurzerhand aufzukündigen wagte. Nicht nur auf Himmfarr konnte ein solcher Vertragsbruch den Vertragsbrüchigen in den Ruin treiben. Manche hatten bei ähnlichen Streitigkeiten bereits den Kopf verloren. Du unterschätzt mich, dachte der Gyrre. Ein Fehler, den niemand begehen sollte. Vielleicht bekomme ich noch viel mehr von dir als lediglich einen Kulebb. Er würde auf keinen Fall den Fehler machen, Simon seinerseits zu unterschätzen. Andererseits durfte er sich diese Gelegenheit einfach nicht entgehen lassen. Denn endlich hatte er die niemals für möglich gehaltene Chance, seinen ramponierten Ruf bei Tipori wieder zurecht zurücken. Der Fremde konnte seine Lebensversicherung sein. Es lag nur an Lygg'lygg, Tipori davon zu überzeugen, daß er ihm mit Simon jemanden brachte, der weitaus mehr wert war, als Lygg'lyggs Schulden bei dem Schrotthändler jemals sein konnten. »Ich brauche das Schiff so schnell wie möglich«, drängte der Gestaltwandler. »Niemand auf Himmfarr hat es so eilig wie du. Ist jemand hinter dir her?« Simon schüttelte den Kopf, eine merkwürdige Bewegung für einen Kormoren. Lygg'lygg hatte keine Ahnung, was die Geste bedeutete. Dafür spürte er deutlich, daß er mit seiner Frage den 248 Kem der Sache getroffen hatte, auch wenn Simon keine Antwort gab.
»Es ist nicht leicht, nach oben zu gelangen«, erklärte der Gyrre. »Es gibt Kontrollen, die kaum
jemanden durchlassen. Sie verhindern, daß die Armen sich in den höher gelegenen Ebenen breitma
chen.«
»Ist eure Regierung dafür verantwortlich?«
»Die Regierung?« Lygg'lygg stieß ein meckerndes Lachen aus. Simon, sofern das der wahre Name
des fremden Gestaltwandlers war, konnte sich wirklich noch nicht lange auf Himmfarr aufhalten.
Ansonsten wäre er besser über die hiesigen Verhältnisse informiert gewesen.
»Bedeutet das, niemand regiert euch? Ihr habt keine Regierung?«
»Sicher haben wir die. Habe ich jedenfalls gehört. Aber ich weiß nicht mal, wo man danach suchen
sollte. Die Kontrolleure, die zwischen den einzelnen Ebenen stationiert sind, werden von den
Reichen bezahlt. Sie halten nicht jeden auf, aber man muß schon verdammt gute Argumente haben,
damit sie einen passieren lassen.«
»Du meinst Creds.«
»Gibt es bessere Argumente?«, fragte Lygg'lygg amüsiert.
»Ich habe dir bereits gesagt, daß ich keine Creds besitze. Wir müssen einen anderen Weg finden. Es
muß uns gelingen, die Kontrollen zu umgehen. Es ist mir auch gelungen, hier herauf zu kommen.
Ich habe eine Treppe benutzt.«
»Was hast du denn bei den Fundamenten gemacht? Dort gibt es gar nichts, nur Steine und die
Versorgungsleitungen, die von den Wärmequellen im Planeteninnem gespeist werden.«
Lygg'lygg fragte sich, wie Simon dort hinuntergelangt war. Wie kam er überhaupt auf die unterste
Ebene, wenn er doch angeblich erst kürzlich gelandet war? Ein Schiff bekam er nur oben, also gab
es keinen Grund, der ihn nach ganz unten verschlagen haben konnte. Immer mehr zweifelte der
Gyrre an den Aussagen des angeblichen Kormoren.
Jeden anderen hätte er längst seinem Schicksal überlassen, doch bei Simon war es etwas anderes.
Wenn er genauer darüber nach
249 dachte, half er ihm nicht allein wegen des Kulebbs. Ein Wesen, das seine Gestalt verändern konnte,
war viel wertvoller und beliebig einsetzbar. Man mußte es nur in seine Dienste zwingen.
Was für einen Mann vom Format Tiporis kein Problem war.
Lygg'lygg mußte nur aufpassen, daß er Tipori den Fremden nicht unter Wert verkaufte.
»Ich sagte dir schon, daß es Kontrollen gibt«, belehrte er seinen Kunden. »Auch die Treppen sind
davon betroffen, die zu den Fundamenten natürlich nicht. Aber bis an die Oberfläche von Himm
farr können wir sie sowieso nicht nutzen. Der Weg ist viel zu lang. Wir müssen einen der Gravo-
Lifts benutzen.«
»Gravo-Lifts?«
»Wir können nicht kilometerhohe Treppen steigen. Wir wären tagelang unterwegs. Ich bevorzuge
die Lifts.«
»Um so besser. Dann führe mich endlich dorthin.«
»Zunächst müssen wir noch ein paar Vorbereitungen treffen. Doch keine Sorge, verlaß dich ganz
auf Lygg'lygg. Für Lygg'lygg gibt es keine unüberwindlichen Barrieren.«
Denn der Gyrre hatte Simon nicht alles gesagt. Er war ein Gänger zwischen den Ebenen, doch das
mußte der falsche Kormore nicht wissen.
Lygg'lygg stieß ein vergnügtes Lachen aus.
Welch Elend in der Dunkelheit, begraben unter Millionen Tonnen ungebremsten Städtewachstums,
das sich wie ein Krebsgeschwür über den gesamten Planeten ausgebreitet und auch die letzte freie
Nische in Besitz genommen hatte. Unter der Erde sah es noch viel schlimmer aus als darüber, fehlte
doch das Tageslicht, das von der Sonne gesandt und nicht künstlich erschaffen wurde. Ebenso
mangelte es an frischer Luft, die statt dessen aus nimmermüden Aufbereitungsanlagen sTarnmte
und von allgegenwärtigen Turbinen und Gebläsen in die Hohlräume zwischen den Betonmassen
gespien wurde.
So mußte der Anfang vom Ende aussehen.
Entropie, 250
Für Sekunden nur hatte Simon seine imaginären Augen geschlossen, sich also gegen die Wahrnehmungsfähigkeit des Wächterkörpers abgeschottet. Als er den Vorgang wieder rückgängig machte, hatte sich das Bild nicht verändert. Er verdrängte seine Schwermut und tauchte ein in die sachliche Nüchternheit, die ihn zwang, stoisch den Blick auf sein Ziel zu richten. »Meine Zeit ist knapp«, erklärte er, während er sich unbehaglich umsah. »Wenn du eine Abkürzung kennst, sollten wir sie wählen.« Schmutz war das vorherrschende Element von Himmfarr, jedenfalls in den unterirdischen Bereichen. Je weiter der Gyrre ihn führte, desto mehr verstärkte sich der Eindruck in Simon. Überall trafen sie auf Verfall und Verwahrlosung. Offenbar kannten die Bewohner der unteren Ebenen weder Reinigungskräfte noch führten sie Instandsetzungsarbeiten durch. Nicht seine Sache, denn ohnehin konnte er an den Zuständen nichts ändern. Je früher er diese Welt wieder verließ, desto besser. »Du machst einen Scherz, was?«, rasselte der Gyrre. »Alle haben es immer eilig. Dabei wähle ich
stets den kürzesten gangbaren Weg, sofern er nicht in eine Sackgasse führt. Zeit ist schließlich Creds. Aber wenn wir nicht ein paar Umwege machen, kommen wir nie nach oben. Wir müssen zunächst einen der Knotenpunkte erreichen.« Lygg'lygg führte Simon mit schlafwandlerischer Sicherheit durch ein unüberschaubares Gewirr von Straßen und Hohlgassen, die niemals das Tageslicht gesehen hatten. Trotzdem ließ der in der Metallhülle gefangene Mensch seinen Führer nicht aus den Augen. Er kannte den Gyrren viel zu wenig, um ihm vertrauen zu können, und mußte in Erwägung ziehen, in eine Falle gelockt zu werden. Keines der zahlreichen Lebewesen, denen sie begegneten, nahm Notiz von ihnen. Simons Tarnung unter dem auffälligen Umhang war so gut, daß man ihm nicht mehr als einen beiläufigen Blick gönnte. Gib dich betont auffällig, und du wirst weniger beachtet und schneller wieder vergessen, als wenn du dich zu verbergen suchst und damit nur die Neugier anderer weckst. Vergeblich hielt Simon nach Vertretern ihm bekannter Völker 251 Ausschau, doch keines dieser Wesen hatte er je zuvor gesehen. Das war auch nicht nötig, um zu erkennen, daß es sich bei ihnen um Verlorene der Sterne handelte. Sie besaßen kaum etwas, und das Wenige, das ohnehin kaum einen Wert besaß, hätten sie mit ihrem Leben verteidigt. Auf dieser Ebene lebte man von dem Müll, der anderswo anfiel. Wer hier unten landete, war ohne Aussicht, es jemals wieder in höherliegende Bereiche des planetenweiten Komplexes zu schaffen. Beinahe fühlte sich Simon wieder daheim. Das Leben im manchen Slums der Erde sah nicht anders aus, ein Zustand, der auf vielen Welten der Galaxien, nicht nur der Milchstraße, sein Pendant zu besitzen schien. Das Bewußtsein, daß nur auf wenigen Planeten derlei Mißstände überwunden worden waren, behagte Simon nicht. Eine trennende Kluft zwischen Reich und Arm schien beinahe ein interuniversell gültiges Axiom zu sein. Simon fand das bedauerlich. Ein sich trichterförmig erweiternder Korridor spie sie auf einen weitläufigen Platz. Lautes Stimmengewirr und eine Melange aus tausend verschiedenen Düften und Gerüchen empfing die beiden Wesen. Lygg'lygg drängte Simon, der unwillkürlich stehenblieb, um die Eindrücke in sich aufzunehmen, mit sanfter Gewalt weiter. »Der Basar von Kraah. Hier kann man alles kaufen oder eintauschen, was man sich nur vorstellen kann. Vorausgesetzt natürlich, man verfügt über entsprechende Creds oder Tauschobjekte.« Simon entging nicht der begehrliche Blick seines Führers. Er war sicher, daß er sich auf seinen Tofiritleib bezog. Selbst wenn sie hier kein Ala-Metall kannten und nichts von seinem rein mate riellen Wert wußten, stellte seine formbare Außenhülle eine exotische Seltenheit mit zahlreichen Verwendungsmöglichkeiten dar. Zudem übten exotische Seltenheiten stets ihre eigene Anziehungs kraft auf habgierige Gestalten aus. Oder erlag er einem Trugschluß? Die Mimik des Gyrren mochte eine ganz andere Bedeutung haben als die eines Menschen. Niemand wußte das besser als ein Wächter aus Tofirit. »Haben wir hier etwas zu erledigen?«, fragte er. »Wir müssen den Basar durchqueren, wenn wir nicht eine 252 Menge Zeit verlieren wollen. Ihn zu umgehen, kostet einen halben | Tag.«
Simon konnte sich die Ausmaße des Marktes nicht vorstellen, doch von seiner Peripherie aus war
er unüberschaubar. Auch als er und Lygg'lygg sich ihren Weg durch die teilweise bizarren Aliens
bahnten, änderte sich daran nichts.
Scheinbar endlos reihte sich Stand an Stand. Bei den meisten handelte es sich um wacklige,
wagemutige Konstruktionen, die beim leisesten Windzug in sich zusammenzufallen drohten. Wahr
scheinlich standen sie nur noch, weil es hier keinen Wind gab. Dafür hätte sich jedem normalen
Menschen der Magen umgedreht.
Denn nach einer Weile wurden die anfänglich aromatischen Düfte von Schweißgeruch und
tierischen Ausdünstungen überlagert.
»Snogas«, erklärte Lygg'lygg und deutete zwischen den Ständen hindurch. Kräftige,
muskelbepackte Vierbeiner, die entfernt an irdische Schildkröten erinnerten, kauerten regungslos
dahinter. »Packtiere mancher Händler.«
»Was ist mit dem Belüftungssystem?«
»Was soll damit sein?« gab sich der Gyrre verständnislos, wobei i er sich zwischen zwei
Lastkarren hindurchzwängte, die die vergleichsweise schmale Einkaufsstraße versperrten. »Es
funktioniert, t ansonsten wären längst alle erstickt.«
Unter funktionieren verstand Simon etwas anderes. Augenscheinlich galt es auf Himmfarr zahllose
Lebensbedingungen zu reorganisieren, doch wieder sagte er sich, daß das nicht seine Aufgabe war.
Sich mit Gedanken über die herrschenden Bedingungen zu belasten war sinnlos, da er ohnehin nichts ändern konnte. Der penetrante Gestank der beiden die Lastkarren ziehenden Snogas schlug wie eine Welle über ihm zusammen. Nur mit Mühe gelang es ihm, seinen angenommenen Kormoren-Körper an ihnen vorbeizudrücken. Für einen Moment glaubte er eine Bewegung hinter sich zu erkennen, und als er sich rasch umwandte, sah er gerade noch eine dunkle Gestalt in dem Durcheinander untertauchen. Vielleicht handelte es sich nur um einen harmlosen Passanten, aber Simons Instinkte sagten ihm etwas anderes. Entweder wurden er und sein 253 Führer gezielt verfolgt, oder jemand hatte sie als lohnende Beute auserkoren. »Gibt es hier Diebe?« »Diebe? Worauf du dich verlassen kannst. Allerdings trägst du ja nichts bei dir, was sich stehlen ließe. Halsabschneider gibt es aber noch viel mehr. Die schleppen gern schon mal einen Fremden weg, wenn sie meinen, seinen Körper brauchen zu können.« Simon überging die Anspielung. Statt dessen folgerte er: »Natürlich erst, nachdem sie ihn umgebracht haben, schätze ich.« »Was denkst du denn? Ich weiß nicht, woher du kommst, aber auf Himmfarr solltest du dich nie und nirgends in Sicherheit wähnen. Vor allem nicht auf den unteren Ebenen.« Werde ich mir merken, dachte Simon. Und bei dir fange ich damit an. Auch wenn es nicht so leicht war, ihn umzubringen. An seiner Hülle würden sich gewöhnliche Diebe die Zähne ausbeißen, aber dann war es mit seiner Unauffälligkeit vorbei. Simons erster Ein druck, den er bei der Auseinandersetzung mit dem Raumhafenkommandanten gewonnen hatte, war demnach kein Zufall gewesen. Auf Himmfarr schien es kaum jemanden zu geben, der einem nicht an den Kragen wollte. Jeder auf diesem Schrottplaneten verfolgte seine eigenen materiellen Ziele, alles andere waren nebensächlich, auch wenn das im wahrsten Sinne des Wortes bedeutete, über Leichen zu gehen. »Erzähl mir etwas über diesen Tipori«, forderte Simon. »Ist er auch einer von diesen Halsabschneidern?« »Der schlimmste von allen. Ich rate niemandem, sich mit Tipori anzulegen.« »Wieso sollte ich ihm dann vertrauen?« »Weil er vor allem Geschäftsmann ist. Ein Geschäft, wie du es ihm anbietest, ist ganz nach seinem Geschmack. Ein Raumschiff kaufen! Einfach grandios, und ich bringe ihm den Käufer und damit das Geschäft seines Lebens. Na ja, vielleicht das nicht gerade, aber immerhin. Tipori wird mir eine Menge Abbitte leisten müssen, statt mich...« Als hätte Lygg'lygg sich verplappert, brachen seine Worte ab. Er bahnte sich seinen Weg durch die Menge, ohne sich nach Si 254 mon umzuschauen. Anscheinend hatte er nicht den geringsten Zweifel, daß sein Kunde ihm folgte.
Simon kam zu dem Schluß, daß dazu keine besondere Weitsicht erforderlich war, er war auf den
Gyrren angewiesen. Trotzdem behagten ihm dessen unbedachte Worte nicht.
»Ich hoffe, du hast keinen Ärger mit diesem Tipori«, sagte er. Ärger war das letzte, was er
brauchen konnte. Unter keinen Umständen durfte er auffallen, schließlich war nicht auszuschließen,
daß auch Zyzzkt auf diesem galaktischen Schrottplatz verkehrten.
Als Simon keine Antwort erhielt, fragte er: »Ist Tipori ein Gyrre?«
»Ein Gyrre?« echote Lygg'lygg und verfiel in kehliges Lachen. »Kein Gyrre hat es jemals bis an
die Oberfläche geschafft, außer mir natürlich. Alle anderen Gyrren leben unter der Oberfläche. Ti
pori ist ein Kolk.«
»Und die Kolk leben an der Oberfläche?«
»Die meisten von ihnen schon, aber nicht, weil sie Kolks, sondern weil sie Schrotthändler sind.
Niemand auf Himmfarr macht so lohnende Geschäfte wie ein Raumschiffsschrotthändler. Einige
Kolks leben auch in den tieferen Ebenen, hier ganz unten allerdings nicht. Dazu sind die Kolks zu
klug und geschäftstüchtig. Sie sind die beherrschende Rasse auf Himmfarr.«
Simon begriff. Die Hierarchie auf Himmfarr war recht simpel gestrickt.
Alles drehte sich ausschließlich darum, wie weit oben jemand lebte. Je höher, desto besser. Die
höchsten, weil wohlhabendsten Individuen, waren die Schrotthändler, und deren Speerspitze stell
ten offenbar die Raumschiffsschrotthändler dar.
»Dann sind die Kolks die ursprünglichen Bewohner Himm-farrs?« folgerte Simon, während er sich
unauffällig umsah und nach der dunklen Gestalt von vorhin Ausschau hielt. Zwar belästigte sie
niemand, aber er hatte das untrügliche Gefühl, verfolgt zu werden.
»Darüber kann ich dir keine Auskunft geben. Vielleicht ist das so, vielleicht auch nicht. Niemand
weiß das, außer vielleicht die Kolks selbst. Aber ich glaube, nicht mal Tipori kann sich daran erinnern. Jedenfalls hat er nie eine entsprechende Bemerkung ge 255 macht, dabei gibt es wenig, was Tipori nicht in Erfahrung bringen kann.« Simon hatte eine Eingebung. Er beschrieb den Raumhafenkommandanten Riip, der sich den Flash unter den Nagel reißen wollte. »Zweifellos ein Kolk«, bestätigte der Gyrre seine Vermutung. Simon hatte es sich gedacht. Er fragte sich, was Lygg'lygg mit dem Schrotthändler verband. Daß sein Führer Tipori schon früher Geschäfte vermittelt hatte, konnte nicht alles sein. Simon hatte beinahe den Eindruck, daß es eine Abhängigkeit gab. Daß der Schrotthändler Lygg'lygg mit irgend etwas in der Hand hatte. War das auch der Grund für ihren - sofern sich Simon nicht irrte - un sichtbaren Verfolger? Zudem verfügte Lygg'lygg über einen besonderen Status, wenn er tatsächlich der einzige Gyrre war, der es in der Sozialstruktur Himmfarrs bis an die Oberfläche geschafft hatte. Denn Simon hatte nicht den Eindruck, daß sein Führer ihn belog. Dazu ging er viel zu zielgerichtet vor. Simon ignorierte die Händler, die ihn ansprachen, um ihn für einen Handel zu gewinnen. Ringsum wurde um die Güter in den Auslagen gefeilscht, um Waren, die anderswo direkt im Müll gelandet wären. Wo sie wahrscheinlich auch herkamen. Das meiste von dem, was im Basar von Kraah den Besitzer wechselte, hatte wohl vor kurzem noch auf der Müllkippe gelegen. Laute Rufe, die die Stimmen der Händler übertönten, machten Simon aufmerksam. Ein Stück voraus hatte sich eine Versammlung gebildet. »Apokalyptiker!« schnaubte Lygg'lygg verächtlich. »Religiöse Eiferer, die vom bevorstehenden Ende der Welt erzählen. Ich fürchte, da kommen wir nicht durch.« Von beiden Seiten staute sich der Strom der Passanten. Zu allem Überfluß hatte sich ein SnogaKarren in dem hoffnungslos drängelnden Pulk eingekeilt und kam nicht vor und nicht zurück. »Das sehe ich auch so. Da müssen wir wohl einen weiteren Umweg in Kauf nehmen.« »Es bleibt uns nichts anderes übrig«, bestätigte Lygg'lygg. Simon versuchte sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen, aber das war beinahe aussichtslos. Er entdeckte eine 256 schmale Gasse zu seiner Linken. »Versuchen wir dort drüben unser Glück«, entschied er. Wenn die Hauptwege parallel angelegt waren, mußten sie nach einer Weile zwangsläufig auf den nächstgelegenen stoßen, um sich dann wieder nach rechts zu wenden. Ein dumpfes Plop aktivierte schlagartig seine geschärften Sinne. Für einen Sekundenbruchteil gewahrte er einen huschenden Schatten unter einem dunklen, kapuzenbewehrten Umhang, der in der Menge untertauchte. Dann war er verschwunden. Zum zweiten Mal! Auf keinen Fall handelte es sich um einen Zufall.
Am Rand des Pulks sackte eins der Wesen in sich zusammen. Bevor überhaupt jemand begriff, was
geschehen war, machte Simon einen Satz nach vom. Er stieß die nächsten Passanten beiseite und
bekam Lygg'lygg zu fassen.
»Das galt dir!« stieß Simon aus und riß den Gyrren mit sich. »Irgendwer will dich umbringen.«
»Mich? Unmöglich. Das... das kann nicht sein«, stotterte Lygg'lygg. »Wie haben sie mich so
schnell gefunden?«
Ringsum setzten entsetzte Schreie ein, als die Basarbesucher endlich begriffen, was geschehen war.
»Weg hier, bevor eine Panik ausbricht«, drängte Simon, während sie sich aus dem Gewühl
zurückzogen und in dem Seitengang untertauchten. »Oder bevor Sicherheitskräfte auftauchen und
beginnen, Fragen zu stellen, die uns aufhalten.«
»Sicherheitskräfte? Gibt es hier unten auch nicht. Glaubst du ernsthaft, oben interessiert es
jemanden, wenn auf den unteren Ebenen jemand sein Leben aushaucht? Hier regelt sich alles von
selbst. Nicht lange, und der Tote ist verschwunden.«
»Niemand verschwindet einfach so, auch keine Leiche.«
»Dafür sorgen die Organmetzger. Wenn du hier unten Creds machen kannst, dann mit frischen
Organen.«
»Wer war dieser Angreifer?«
»Woher soll ich das wissen? Hier unten gibt es viele Verrückte.«
»Mag sein, aber der hier war eindeutig hinter dir her«, folgerte Simon. »Wundertest du dich nicht
eben noch, so schnell gefunden worden zu sein?«
257
Er erwartete keine Antwort, und er erhielt auch keine. Dafür nahm er sich vor, Lygg'lygg noch besser im Auge zu behalten als bisher. Außerdem mußte er von nun an jederzeit mit einem neuer lichen Angriff des Vermummten rechnen. Kurz darauf befanden sie sich wieder auf dem ursprünglichen Weg. Es gab keine weiteren Vorkommnisse, die sie aufhielten, aber Simon war sicher, daß dieser Zustand nur vorübergehend war. Nach einer Weile lichteten sich die Reihen der ärmlichen Verhaue. Der niemals zur Ruhe kommende Basar blieb hinter Simon und seinem Führer zurück.
Nach Gelb kam Blau und dann Braun. Schließlich Rot. Simons interne Sensoren arbeiteten auf Hochtouren. Sie registrierten Abtastfelder von Bioscannem, Objektive von Überwachungskameras und ein kompliziertes Netzwerk miteinander verflochtener Laserschranken. Es war unmöglich zu umgehen, allerdings auch primär ungefährlich. Das konnten jedoch die möglichen Maßnahmen werden, die anliefen, sobald ein Lebewesen registriert wurde. Und sie waren bereits in der ersten, der gelben Kammer registriert worden, daran zweifelte Simon nicht. Die Kontrolleure, von denen Lygg'lygg gesprochen hatte, wußten längst, daß sich ihnen jemand näherte. Die rote Kammer unterschied sich allein durch die Farbe von den vorhergehenden. Ansonsten glich sie ihnen wie ein Ei dem anderen. Es handelte sich um deprimierend nüchterne Betonverliese, bis auf die Überwachungsmechanismen völlig leer und mit nur einem Zweck - nämlich jedem, der sich den Gravo-Lifts näherte, eine unausweichliche Route aufzuzwingen und ihn rechtzeitig anzukündigen. Simon konnte anmessen, daß sie ringförmig um die zentrale Einrichtung angeordnet waren. Sie waren lückenlos und nicht mal von unten zu umgehen, falls jemand auf die Idee gekommen wäre, sich durch den Boden zu buddeln. 258 »Unerwünschte Besucher wären längst aufgehalten worden«, bemerkte Lygg'lygg, während sie die abschließende Schleuse passierten. »Vertrieben oder bei Gegenwehr umgebracht worden. Wen interessiert das schon? Sagte ich schon, daß uns das nicht passieren kann? Ja, ja, doch, ich erinnere mich.« Simon registrierte, daß der Gyrre die Ruhe in Person war. Anscheinend war er diese Art Passage tatsächlich gewohnt. Er machte sogar einen vergnügten Eindruck, als freue er sich bereits, bald wieder einige Ebenen höher zu sein. Auch Simon selbst machte sich keine Sorgen. Mit seinem körpereigenen Wächter-Instrumentarium hätte er Signaturen auf Energiebasis arbeitender Waffen in diesem energetisch recht übersichtlichen Bereich frühzeitig geortet. »Ich gewinne den Eindruck, dich nicht wirklich zu brauchen«, sagte er provokativ. Mit ein paar Kontrolleuren würde er spielend fertigwerden. Lygg'lygg gab ein rasselndes Kichern von sich. »Ich sage doch, du kennst dich hier nicht aus. Ob Kormore oder nicht, allein würdest du schneller auf der Strecke bleiben, als dir lieb ist. Beim ge ringsten Anzeichen von Gefahr aktivieren die Örrög-Wächter die Kalthäute. Keine Sekunde, und die Maschinenwesen haben dich erwischt. Die kennen keine Gnade, sondern töten jeden. Wenn du es einmal mit denen zu tun bekommst, hast du schon verloren.« »Die Örrög-Wächter sind die Kontrolleure, von denen du sprachst?« »Sicher. Von jetzt an überlaß das Reden mir. Auch wenn es schlau von dir war, dich zu tarnen, hättest du nicht unbedingt die Form eines Kormoren wählen sollen. Die sind bei den Kontrolleuren nämlich gar nicht gut gelitten. Kein einziger Kormore hat es jemals bis oben geschafft.« Schade, dachte Simon. Aber nun war es zu spät, erneut die Gestalt zu wandeln. Das hätte er vor den Überwachungsanlagen wissen müssen. Er war sicher, daß Lygg'lygg ihm die Tatsache mit Absicht verschwiegen hatte, um damit ein weiteres Pfand in der Hand zu haben. Er konnte nicht ahnen, daß die Simon zur Verfügung stehenden Machtmittel durchaus gegen eine Horde Roboter bestehen konnten. 259 Dann befanden sie sich in einem stark gekrümmten Ringkorridor. Hier entdeckte Simon versteckte Abstrahlmündungen der bereits zuvor erwarteten Waffen. An den minimalen Streuemissionen erkannte er, daß sie im Bereitschaftsmodus ruhten, jederzeit fähig, in Sekundenschnelle zu destruktivem Leben zu erwachen. Scharrende Geräusche machten ihn auf einen gedrungen wirkenden, klobigen Zweibeiner
aufmerksam, der über zwei in ständiger Unruhe befindliche Armpaare verfügte. »Wer seid ihr?« drang seine Stimme zu Simon herüber. »Ihr haltet euch in einem gesperrten Bereich auf. Was wollt ihr hier?« »Ich werde allein mit ihm reden«, kam Lygg'lygg Simon zuvor, als der zu einer Antwort ansetzte. »Das erhöht unsere Chancen beträchtlich. Wie gesagt, die Wächter mögen keine Kormoren.« Simon erhob keinen Einwand. Skeptisch schaute er Lygg'lygg nach, dann nahm er die Umgebung in Augenschein. Auf keinen Fall war er gewillt, sich zurückzuziehen, auch nicht wenn die Kontrolleure ihnen die Passage verwehrten. Unwillkürlich verspürte Simon einsetzende Aggressivität. Es war besser für die Wächter, sie passieren zu lassen. Er konzentrierte sich auf die Roboterprogramme seines künstlichen Körpers. Ein einziger Gedanke, und die Morphingfähigkeit würde Kormoren Kormoren sein lassen und den Wächter in ein feuerspeiendes Ungetüm verwandeln. Unter der Decke waberten blasse Dämpfe und umspielten freiliegende Kabelbäume. Gelegentliches Zischen verriet, daß sie von den Düsen eines versteckten Entlüftungssystems ausgestoßen wurden. Vereinzelte Schwaden sanken feucht und schwer zu Boden und erweckten den Anschein von Leben. Simon drückte sich in eine Nische, von der aus er den Gang in beide Richtungen einsehen konnte. Bis auf Lygg'lygg und den Örrög-Wächter lag er verlassen, eine Tatsache, die Simon irritierte. Selbst wenn es sich um einen gesperrten Bereich handelte, mußten Wagemutige immer wieder ihr Glück versuchen. Doch nichts deutete darauf hin, daß es hier zu gelegentlichen Zwischenfällen kam. Anscheinend hatten die Bewohner dieser Gegend sich längst in ihr Schicksal gefügt. Sie unternahmen keinen Versuch, eine höhere Ebene zu erreichen. Vermutlich hatten unzählige gescheiterte 260 Versuche sie desillusioniert, was ihre Chancen anging. Simon war überzeugt, daß die Kontrolleure
keinen potentiellen Flüchtling mit Samthandschuhen anfaßten.
Lygg'lyggs Stimme, der sich in gedämpfter Lautstärke mit den Örrög-Wächtem unterhielt, drang zu
Simon herüber. Die Worte waren nicht zu verstehen. Doch selbst wenn, hätte ihm das nicht
geholfen. Wenn er sich den Weg nicht freikämpfen wollte, mußte er darauf vertrauen, daß die
optimistischen Versprechungen seines Führers nicht geprahlt waren.
Nach einer Weile verstummten die Worte. Lygg'lygg winkte ihm zu.
Als Simon zu ihm hinüberging, entdeckte er weitere Örrög-Wächter. Sie überwachten eine Phalanx
von Monitoren, ohne sich weiter um ihn zu kümmern.
Stumm folgte Simon seinem Führer, bis sie ein enges Portal erreichten. Beim Eintreten registrierte
er einen Schauer schwacher elektromagnetischer Impulse.
»Ein antibakterielles Feld«, sagte der Gyrre. »Eine reine Schutzmaßnahme.«
»Benehmt euch da oben!« rief der Wächter hämisch hinter ihnen her, während sie sich vom Boden
erhoben und in die Höhe schwebten.
Es ging immer weiter hinauf. Mehrmals versuchte Simon einen Blick nach draußen zu werfen,
wenn sie eine weitere Ebene passierten, doch es gelang ihm nicht. Die Zugänge lagen überall im
gleichen Zwielicht, auch wenn er bald den Eindruck gewann, daß sie freundlicher gestaltet waren,
je weiter man nach oben kam.
Irgendwann trafen sie auf eine weitere Kontrolle. Das künstliche Schwerkraftfeld hielt Simon und
Lygg'lygg bewegungslos in der Schwebe. Am Rand des Einstiegs erschien ein Kontrolleur, bei dem
es sich seinem Aussehen nach auch um den von unten hätte handeln können.
^Lygg'lygg«, stieß er vergnügt aus. »Lange nicht gesehen. Ich hörte, du bist Tiporis neuer Schatz.«
261
»Harid, alter Freund. Du weißt doch, daß viel geredet wird«, wiegelte der Gyrre ab. »Du darfst
nicht alles ernst nehmen, was die Leute verbreiten.«
»Ich hörte aber auch, daß Tipori dir ein paar seiner Kuchas nachschickt.«
Die Bemerkung schien Lygg'lygg zu lahmen. Sekundenlang starrte er den Kontrolleur an, dann
verfiel er in hektische schwimmende Bewegungen, die ihn näher an den Rand des Schachts
brachten. Simon erkannte deutlich, daß der Gyrre Angst hatte. Also schien die Bemerkung Harids
nicht aus der Luft gegriffen.
Simon dachte an den dunklen Schatten mit dem Umhang und der Kapuze. War das einer der
Kuchas gewesen?
Offenbar hatte Lygg'lygg den gleichen Gedanken. »Weißt du Genaueres?« fragte er aufgeregt. »Ist
jemand hier gewesen und hat nach mir gefragt?«
»Das kann man so sagen. Angeblich sollst du Tipori etwas schulden, und jedermann auf Himmfarr
weiß, daß Tipori sich so etwas nicht gefallen läßt. Du weißt so gut wie ich, daß er seine eigenen
Methoden hat.«
»Ja, ja, er bekommt ja auch, was ich ihm schulde. Es war ein Unglücksfall. Du darfst niemandem
sagen, daß du mich gesehen hast. Tipori bekommt, was er will. Dieser verdammte Kulebb!«
Simon gefiel der ungeplante Aufenthalt immer weniger. »Wir müssen weiter!« rief er. »Komm
endlich!«
»Gleich«, antwortete Lygg'lygg, während er sich von Harid auf die Kante des Ausstiegs helfen ließ.
»Versprich mir, daß du mit niemandem über mich sprichst. Ich habe gerade einen lohnenden
Auftrag. Ich werde auch an dich denken, sobald ich die Angelegenheit mit Tipori bereinigt habe.«
Simon sah das Unheil in Form zweier dunkler Schatten kommen, die plötzlich aus dem Hintergrund
auftauchten.
»Lygg'lygg!« schrie er. »Spring!«
Verwirrt drehte der Gyrre sich um. Er hatte die Gestalten in den dunklen Umhängen noch nicht
bemerkt.
»Du verstehst immer noch nicht, alter Freund«, sagte Harid. »Den Kulebb hat Tipori längst
abgeschrieben. Was er will, ist dein Kopf.«
262 »Der wird noch lange auf meinem Hals sitzen, verlaß dich drauf. Ich...«
Abrupt erstarben Lygg'lyggs Worte, als er die Waffe in Harids Hand bemerkte. Dann waren die
beiden Kuchas heran. Neben dem Kontrolleur verharrten sie.
»Wenn du dir die Belohnung verdienen willst, dann mach«, drang eine flüsternde Stimme unter
einer der Kapuzen hervor. »Sonst nehmen wir ihn mit, und du gehst leer aus.«
Simon warf sich nach vom. Es war, als kämpfte er sich durch Zuckerwatte. Noch bevor der Schuß
aus Harids Waffe seinen Führer von den Beinen riß, begriff er, daß er nichts mehr tun konnte.
Lygg'lygg brach mit einem entsetzten Gurgeln in sich zusammen.
Ein Kampf begann in Simon zu toben. Er war drauf und dran, die Gewalt über sich verlieren. Er
nahm die Veränderung in seinen Reaktionen wahr, die Anspannung, die ihn schlagartig befiel. Et
was tat sich in seinem Körper, das nicht zu steuern war, wenn er es nicht gleich aufhielt.
Er registrierte, wie der Kontrolleur die Waffe sinken ließ. »Wir haben keinen Handel auszutragen«,
sagte er. »Nehmen Sie es von der sportlichen Seite. Was immer dieser Gauner Ihnen für seine
Dienste abverlangen wollte. Sie haben es gespart.«
So unbeeindruckt Simon äußerlich war, so heftig tobte der Kampf in seinem Innern. Lygg'lygg war
tot, und er konnte nicht einfach zur Tagesordnung übergehen...
... und doch blieb ihm keine andere Wahl.
Dieser Planet hatte seine eigenen Gesetze, und wenn er jetzt eine Feuerhölle entfachte, die den
Kontrolleur und die Kuchas verschlang, nützte das weder ihm noch dem toten Gyrren.
»Sie wollen doch zu Tipori«, flüsterte einer der Kuchas. »Wir können Sie zu ihm bringen, und nur
wir. Mit Lygg'lygg wären Sie niemals zu Tipori vorgedrungen.«
»Wir vermuten doch richtig, daß Sie noch immer an dem Geschäft mit dem Raumschiff interessiert
sind«, wisperte sein Begleiter. »Dann sollten sie sich uns jetzt anschließen. Es gibt andere Wege zu
Tipori als die Gravo-Lifts.«
263 Simon gab nach, auch wenn ihn das Wissen um einen weiteren Toten belastete. Diesmal war er
zwar nicht der Auslöser, trotzdem war er auf eine gewisse Weise wieder daran beteiligt. Doch so
bitter es auch klang, er konnte nichts mehr ändern.
Nach und nach ebbten die Wellen der inneren Auseinandersetzung in Simons Wächterkörper ab,
bis er sich wieder vollständig unter Kontrolle hatte.
Aus eigener Kraft erreichte er das Zwischendeck und zog sich hinein. Er fragte sich, woher die
Kuchas von seinem Gesuch wußten. In dieser Welt blieb wahrscheinlich nichts lange geheim.
»Folgen Sie uns«, flüsterte eine der vermummten Gestalten.
Da Simon sicher war, daß sie nichts gegen ihn unternehmen würden, kam er der Aufforderung
nach.,Und stand kurz darauf vor einem aktivierten Transmitter.
18. Manlius, Doorn und Tschobe behielten die Ortungsanzeigen besonders aufmerksam unter Kontrolle. Zu dritt kontrollierten sie die hereinkommenden Werte, aber dann war es Tschobe, der einen merkwürdigen Impuls registrierte. »Dieser Impuls scheint von einem Feld zu sTarnmen, das wir gerade durchfliegen«, überlegte Manlius.
»Was meinen Sie damit?« fragte Tschobe. »Was für ein Feld ist das?« »Kann ich noch nicht feststellen«, erwiderte der Römer. Er führte eine Reihe von Schaltungen durch und kalibrierte die Ortungen neu, aber trotz aller Filter und Gitter, welche er hinzuschaltete oder entfernte, kam er zu keinem brauchbaren Ergebnis. Tschobe versuchte inzwischen, den aufgefangenen Impuls zu analysieren. Aber ihm fehlten dazu die Spezialkenntnisse. Er war Punker, kein Orter. Er wünschte sich, Tino Grappa wäre hier. Der war ein Fuchs auf seinem Gebiet und kannte eine Menge Tricks, bei denen andere nur mit den Ohren schlackern konnten. Doorn kapitulierte schon viel früher. Wenn es darum ging, die Punktionsweise fremder Geräte zu erfassen, stellte ihn das vor nur geringe Probleme. Aber Ortungstechnik war nicht so sein Ding. »Werden wir aktiv geortet?« fragte Ren Dhark, dem die Sache auch etwas seltsam vorkam. »Definitiv nicht«, konnte Manlius versichern. »Das dürfte auch unmöglich sein«, behauptete Gisol. »Immerhin fliegen wir getarnt.« »Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, korrigierte ihn Manlius trocken. »Auch wenn wir unter Ortungsschutz fliegen, können wir von einem Ortungsstrahl getroffen werden. Die Frage lautet: Wird dieser Ortungsstrahl abgeleitet oder reflektiert er? Nur 265 darauf kommt es an!«
»Dann gehe ich mal davon aus, daß er abgeleitet wird«, sagte Gisol etwas knurrig.
Plötzlich stutzte Tschobe. Er begann zu schalten.
»Resonanzkontakt«, meldete er dann. »Achtzehn... vierund-zwanzig... dreißig Echos! S-Kreuzer!
Annäherung von achtem, Geschwindigkeit 25 OOOfach Überlicht. Sind auf Kollisionskurs!«
»Verfolger?« Dhark wechselte einen schnellen Blick mit Gisol. »Wir fliegen mit 15 000 ÜL wie
die Sonde und unser Solo-Raumer - die reinste Schleichfahrt...«
Vor zehn Jahren noch hätte auf Terra jeder ihn für verrückt erklärt, wenn er eine solche
Geschwindigkeit als »Schleichfahrt« bezeichnet hätte.
Aber durch die rasante Entwicklung hatten sich die Maßstäbe längst verschoben. Dhark entsann
sich, daß noch vor rund 200 Jahren, als die Eisenbahn ihren Siegeszug um die Welt antrat, Medizi
ner gewarnt hatten, daß Geschwindigkeiten von mehr als 20 Kilometer in der Stunde tödlich für
den menschlichen Organismus seien...
»Energieerzeuger der Verfolger sind auf maximale Leistung hochgefahren«, meldete Manlius.
»Nett zu wissen, aber Aktivortung sofort aus!« kam Dhark dem Befehl Gisols zuvor. »Damit
verraten wir unsere Position, Mann! Die messen den Ausgangspunkt unserer Ortung an und wissen
dann ganz genau, wo wir stecken, Tarnung hin oder her!«
»Aber...« setzte Manlius zu seiner Verteidigung an.
»Die spinnen, die Römer!« knurrte Doorn neben ihm. »Mach deine Hobbykiste aus, Freundchen!
Nur noch passiv orten!«
Er funkelte Manlius wütend an.
Ortungsimpulse zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen hatten sogar die Terraner schon vor der
Jahrtausendwende gekonnt. Und was die Terraner damals schon konnten, beherrschten die Myste
rious und die Zyzzkt erst recht!
»Werden von Fremdortung erfaßt«, meldete Manu Tschobe.
»Da haben wir den Salat...«
»Erfaßt trotz Ortungsschutz?« staunte Manlius.
»Kopf zu!« knurrte Doorn.
266 Gisol zwang die EPOY in einen Ausweichkurs. Der Ringraumer flog waghalsige
Zickzackmanöver. Aber dadurch, daß die EPOY sich bei überlichtschnellem Flug innerhalb des
Intervallums, des künstlichen Miniweltraums, befand, wurden die Andruckabsorber nicht belastet.
Die Massekontrolle regelte alles, die auch verhinderte, daß das Raumschiff sich bei Erreichen der
Lichtgeschwindigkeit im Normalraum in Energie verwandelte. Abgesehen davon verhinderte sie
auch Zeitdilatationseffekte bei hochrelativistischen Geschwindigkeiten.
»Fremdortung verliert uns«, meldete Tschobe. »Himmel, ist das ein Gewimmel...«
»Was meinen Sie damit. Manu?« fragte Dhark.
»Was die an unterschiedlichen Ortungsimpulsen haben... Masse, Distanz, Energie sowieso. Aber da
sind auch noch Blips, die ich im ganzen Leben nicht gesehen habe.«
»Auswertung durch Hyperkalkulator«, verlangte Gisol. »Daten überspielen.«
Er flog immer noch im Zickzack in völlig unvorhersehbarem Rhythmus.
»Eine dieser Ortungsarten sucht nach biologischen Lebensformen, eine andere nach künstlicher
Intelligenz«, meldete Manlius die Auswertung der Impulse durch den Bordrechner. »Die anderen...
teilweise unbekannt. Da scheint jemand etwas völlig Neues erfunden zu haben.«
»Könnte das darauf hinweisen, daß hier nicht die Zyzzkt im Spiel sind, sondern ein weiteres
Fremdvolk?« Dabei dachte er an den Ringraumer, den sie beim Anflug auf Om gefunden hatte und
dessen Besatzung offenbar aus der Andromeda-Galaxis sTarnmte...
»Das können wir ganz schnell feststellen«, sagte Tschobe und widmete sich den Funktionen der
Funk-Z, die er zu sich herüberschalten konnte.
»Dem Funkverkehr innerhalb der Flotte zufolge handelt es sich eindeutig um Zyzzkt«, stellte er
dann fest.
Dhark nickte nur.
Fragend sah er Gisol an. Was würde der Worgun jetzt tun?
267 Gisol flog weiterhin wilde Ausweichmanöver. Einzelne Ortungsstrahlen, die das Schiff trafen, führten nicht zu einer Anpeilung. Sie wurden abgelenkt und erzeugten kein Echo. Hier machte sich jetzt der römische Tarnschutz bezahlt. »Weit besser, als ich hoffte«, stellte der Worgun fest. »Ihre Erfinder, Entwickler und Konstrukteure sind wirklich fabelhaft, Manlius«, lobte er. Die Raumer der Zyzzkt-Flotte verloren die EPOY. Es war ihnen zwar völlig klar, daß da ein feindliches Raumschiff sein mußte, aber sie konnten es nicht mehr erfassen. Sie begannen auszu schwärmen, um einen größeren Raum abtasten zu können, aber das half ihnen auch nicht weiter. Sie konnten die EPOY nicht wieder orten. Sicher wäre es ihnen gelungen, wenn der Ringraumer seinerseits wieder aktiv geortet hätte. Dann hätten sie den Ausgangspunkt der Ortungsimpulse anmessen können. Das aber geschah nicht mehr. Allerdings war durch den hektischen Zickzackkurs der Kontakt zu der kleinen Sonde abgerissen. Sie und der verfolgte Ringraumer waren verloren. Zumindest in dieser Hinsicht konnten die Zyzzkt einen Erfolg verbuchen. Dhark fragte sich, ob eben das die Absicht der Zyzzkt gewesen war - die EPOY bei ihrer Verfolgung zu stoppen. Noch ehe der Commander seine Vermutung in Worte kleiden konnte, polterte Manlius los: »Bei Jupiter, ich glaube, das Ausweichmanöver war überhaupt nicht nötig! Bei allem Respekt, Worgun Gisol, aber Sie haben einen gewaltigen Fehler gemacht. Die fremden Ortungsstrahlen haben das Schiff zwar getroffen, konnten es aber dank des Tarnfelds nicht verraten! Schauen Sie sich die Auswertungen an! Wir waren und wir sind sicher!« Gisol schwieg. Mit Kritik kann er nicht gut umgehen, dachte Ren Dhark. Die Bildkugel zeigte, wie die dreißig Zyzzkt-Raumer manövrierten. Auch die eigene Passivortung verriet anhand der Energieimpulse, daß die feindlichen Ringraumer recht planlos das All durchkreuzten. Sie suchten, aber sie wurden nicht fündig. Gisol ging plötzlich auf Linearkurs. Keine Ausweichmanöver 268 mehr. Die EPOY beschleunigte, jagte immer schneller werdend davon.
Und die Zyzzkt-Flotte blieb zurück...
Das war der endgültige Beweis, daß der römische Ortungsschutz funktionierte!
Es bedurfte nur einer relativ kurzen Diskussion zwischen Gisol als »Ortskundigem« und
Kommandanten der EPOY einerseits und Ren Dhark als Leiter der gesamten Expedition
andererseits, um sich einig zu werden.
Sie beschlossen einträchtig, das Risiko einzugehen und die »verbotene Region« nach dem
ominösen »Zentrum der Macht« zu durchsuchen, von dem Gisol sprach. Immerhin waren sie nun
schon einmal in die »verbotene Zone« eingedrungen, konnten sich aber offenbar problemlos und
ungefährdet darin bewegen.
Nachdem sie die Zyzzkt-Flotte erfolgreich abgehängt hatten, brachte Gisol die EPOY auf neuen
Kurs. Er entsprach ungefähr dem, den sie vor dem Abbruch des Kontaktes zur Sonde geflogen
hatte.
Gisol und auch Dhark gingen davon aus, daß der ursprünglich verfolgte Ringraumer seine Richtung
nicht verändert hatte.
Dennoch blieb Gisol vorsichtig. In diesem ihm unbekannten Bereich flog er nur im Schleichtempo
mit gerade mal 4000facher Überlichtgeschwindigkeit.
Das mußte reichen, und es gab auch Zeit, zu reagieren, falls etwas Unvorhergesehenes geschah.
Die Ortungen nahmen ständig Daten auf und ließen sie vom Hyperkalkulator verarbeiten.
Nichts geschah... keine Gefahr wurde angezeigt... die Zyzzkt-Raumer waren bereits weit hinter
ihnen zurückgeblieben.
Vermutlich würden sie die Suche bald aufgeben.
Der Römer, Doorn und Tschobe blieben skeptisch. Weiterhin beobachteten sie die Umgebung mit
voller Aufmerksamkeit.
Die Stunden vergingen, ohne daß etwas geschah.
Irgendwann - zwischenzeitlich hatten sie sich vorübergehend
269 von den Cyborgs ablösen lassen - zuckte Tschobe zusammen. »Da ist es wieder«, stieß er hervor. »Was?« »So ein seltsames Feld wie gestern, dessen Struktur ich nicht richtig erfassen kann«, sagte Tschobe.
Sie waren mit ihrer Schleichfahrt inzwischen etwa zehn Lichtjahre von dem Ort der letzten
Konfrontation entfernt. Bei einem Überlichtfaktor von 4000 legte die EPOY diese zehn Lichtjahre
in knapp 22 Stunden zurück. Tschobe fing wieder die gleichen Werte auf, konnte aber auch diesmal
nichts daraus deuten. »Wir sollten über To-Funk die POINT OF anrufen«, schlug er vor, »und die
Daten übermitteln. Vielleicht kann Grappa etwas damit anfangen.«
»Wir werden darauf verzichten müssen«, sagte Dhark. »Die POINT OF befindet sich innerhalb des
Tarnnetzes der Heimatlosen. Wir kennen die exakte Position nicht.«
»Wieso nicht?« fragte Tschobe.
»Weil wir sie nicht gespeichert haben. Der Heerzug der Heimatlosen ist ein ziemlicher Bandwurm.
Gut, die POINT OF befindet sich in der Nähe der Einflugöffnung, aber vielleicht hat sie inzwischen
die Position gewechselt. Und dann nützt uns auch der To-Funk nichts, weil er zu eng gebündelt ist
und vielleicht ein paar Meter an der POINT OF vorbeigeht, ohne daß irgend jemand das merkt.«
»Vielleicht fangen andere Schiffe der Heimatlosen den Funkstrahl auf und geben die Information
weiter.«
»Dann braucht die POINT OF für eine Antwort immer noch unsere stellaren Koordinaten, Manu.
Und die wechseln doch ständig. Vergessen Sie's!«
»Ungern«, murmelte Tschobe.
»Ortung zeichnet«, unterbrach Manlius den Disput. »Siebzehn Fremdobjekte auf Kollisionskurs.
Energiesignatur entspricht Ring-raumern mit voll aktivierten Intervallfeldem und
WaffensySternen.«
»Zweiter Versuch«, kommentierte Gisol trocken. »Taktische Darstellung in die Bildkugel!«
Zugleich gab er diese Anweisung mental an die Gedankensteuerung. Die Bildkugel schaltete ihre
Wiedergabe überraschend um.
270 Dhark stutzte. Das hatte er in der POINT OF bisher noch nicht erlebt.
Allerdings war er auch noch nie auf die Idee gekommen, eine solche Anweisung zu geben.
Auch Doorn und Tschobe waren verblüfft. Der Römer dagegen schien es als völlig normal
anzusehen.
Die Bildkugel, 2,68 Meter durchmessend und frei über dem Kommandopult schwebend, zeigte jetzt
die fremden Raumschiffe ebenso wie die EPOY als Symbole, und der Hyperkalkulator errechnete
Kursdaten, die als Vektorpfeile und Linien eingeblendet wurden, sowie Statusinformationen der
einzelnen Raumer, soweit sie von der Passivortung erfaßt werden konnten.
So etwas Ähnliches hatte Dhark einmal in einem Nogk-Raum-schiff und auch in der von den Nogk
entsprechend umgerüsteten FO I Commander Huxleys erlebt. Allerdings gab es da keine Bildkugel,
sondern die ganze Zentrale schien plötzlich transparent zu werden. »Allsichtsphäre« nannten es die
Nogk. Kontrollpulte und Sitze mit ihren Benutzem schienen völlig frei im Weltraum zu schweben;
Boden, Decke und Wände wurden zu Bildschirmen, und auch hier wurden entsprechende Daten
eingeblendet.
Dhark war sicher, daß die Nogk mit ihrer anderen Wahrnehmung daraus sogar noch weit mehr
Informationen holen konnten, als es den Terranem möglich war...
Die Bildkugel zeigte Taststrahlen an, mit denen die Ringraumer der Zyzzkt den umgebenden
Weltraum durchsuchten. Zwei, drei dieser Strahlen erfaßten kurzzeitig die EPOY, aber die
Darstellung zeigte, daß sie nicht reflektiert, sondern umgelenkt wurden.
Der römische Ortungsschutz war sicher!
Dennoch änderte Gisol sofort den Kurs.
Die Zyzzkt suchten weiter, verfolgten die EPOY auf ihrem neuen Kurs nicht. Dir Vorstoß ging ins
Leere, wie schon beim ersten Mal.
»Bildkugel optisch«, verlangte Gisol, und die Anzeige wechselte wieder auf Normalansicht.
»Sieht so aus, als wären diese ominösen Felder eine Art Ortungsmaßnahme. Wenn etwas einfliegt,
gibt es Alarm, und die Zyzzkt tauchen auf.«
»Und wieder mit Sternensog, nicht mit Transition. Sie müssen
271
Startbasen in direkter Nähe dieser Felder haben«, warf der Römer ein.
»Getarnte Startbasen«, vermutete Tschobe.
»Aber wieso kann dieses... hm... dieses Feld uns wahrnehmen? Ich denke, wir fliegen unter
Ortungsschutz!« grübelte Ren Dhark.
Manlius zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gibt es eine Sperre, die wir durchbrechen. Wie eine
Lichtschranke. Wir selbst merken nichts davon, werden aber registriert, nur kann diese
Lichtschranke hinterher natürlich nicht feststellen, wo wir sind. Deshalb kommen die Zyzzkt, um
das herauszufinden. Und finden es nicht heraus.«
»Möglich - vielleicht«, brummte Arc Doorn.
»Haben Sie eine andere Erklärung?« fragte Dhark.
»Nein«, gab sich der Sibirier einmal mehr von der wortkargen Seite.
»Ihnen geht doch was durch den Kopf!« drängte der Comman-der. »Sonst hätten Sie doch nichts
gesagt.«
»Möglich - vielleicht.«
»Mann, reden Sie schon!«
»Wenn ich mehr weiß«, sagte der Sibirier. »Ich bin kein Huhn, das über ungelegte Eier gackert.«
»Jedenfalls sind wir unsere Verfolger erst mal wieder los«, stellte Tschobe fest. »Vielleicht sollten
wir künftig sofort abdrehen, sobald wir eines dieser seltsamen Felder anmessen.«
»Einverstanden«, sagte Gisol. »Warnen Sie mich rechtzeitig.«
Dhark warf Arc Doorn einen nachdenklichen Blick zu. Er war sicher, daß der Mann etwas
ausbrütete...
Nach einer Weile erhob sich Doorn aus seinem Sitz und kam zu Gisol und Dhark herüber. »Mister
Mysterious«, sagte er. »Wir brauchen Sternkarten. Können Sie uns die zur Verfügung stellen? Und
Zugriff auf den Hyperkalkulator natürlich.«
Gisol runzelte in menschlicher Manier, die er mittlerweile perfekt kopieren konnte, die Stirn. »Was
für Sternkarten brauchen Sie, Mister Mensch?«
272 »Karten des ursprünglichen Siedlungsgebietes der Zyzzkt.«
»Kein Problem. In den Kartentanks der Astroabteilung findet sich alles, was Sie wünschen.«
»Zugriffscode?«
Gisol schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen«, sagte er. »Sie können alles abrufen, was Sie wollen.
Da ich dieses Raumschiff früher stets allein flog, brauchte ich keine speziellen Sicherungen für jede
Kleinigkeit.«
»Was ist mit dem Rechnerzugriff?«
»Freigegeben. Aber die Zentrale hat Vorrang.«
»Natürlich. Wie in der POINT OF«, brummte Doorn und wandte sich ab, um davonzuschlurfen. Er
fragte nicht einmal, wo die Astroabteilung zu finden war; er ging einfach davon aus, daß die EPOY
auch in diesem Punkt baugleich mit der POINT OF war.
»Are«, rief Dhark ihn an. »Seit wann sind Sie unter die Astronomen gegangen?«
»Ich nicht, aber Tschobe und Manlius, und ausgerechnet mich haben sie zu ihrem Sprecher
gemacht.«
Auch die beiden anderen erhoben sich. Tschobe nickte dem Commander zu. Ȇbernehmen Sie
solange Funk und Ortung? Wir haben in der Astro wirklich eine Menge Arbeit.«
»Und wie sieht die aus?«
»Kann ich Ihnen jetzt noch nicht konkret sagen, Ren«, wich Tschobe aus.
»Springen deine Mitarbeiter immer so mit dir um?« fragte Gisol, als die drei die Zentrale verlassen
hatten.
Dhark grinste freudlos.
»Die Besatzung der POINT OF besteht vorwiegend aus einem wilden Haufen von Künstlern und
Individualisten«, sagte er. »Das unterscheidet uns von allen anderen in der TF. Ich brauche auch
keine Jasager und Befehlsempfänger, sondern Menschen, die selbständig denken und handeln
können. Bisher bin ich damit immer gut gefahren.«
»Wenn du meinst...«
Gisol war in einer völlig anderen Tradition auf gewachsen, und auch wenn er rebellierte, war er doch an eine Struktur aus Befehl und Gehorsam gewöhnt. Die gab es auch bei den Rebellen, die ge 273 gen das Joch der Zyzzkt kämpften.
Diese Struktur hatte er auch auf Babylon, Terra und einigen anderen Planeten kennengelernt, die er
zwecks Datensammlung aufgesucht hatte, ehe er sich Ren Dhark als der offenbarte, der er war.
Deshalb überraschte es ihn immer wieder, wie liberal alles an Bord der POINT OF und überhaupt
im Zusammenspiel mit Dharks engsten Mitarbeitern ablief.
Aber er sagte nichts dazu. Wenn es zufriedenstellend funktionierte, war es in Ordnung. Dhark
wußte sicher, was er tat, wenn er seinen Mitarbeitern Respektlosigkeiten durchgehen ließ.
Der lehnte sich zurück.
»Bin mal gespannt, was diese Burschen vorhaben«, murmelte er.
In den nächsten drei Stunden meldete sich aus der Astro niemand, aber der Hyperkalkulator
signalisierte, daß seine Kapazität teilweise bis zu 30 Prozent ausgelastet wurde. Dhark versuchte
die Daten abzurufen, aber sie waren gesperrt.
»Wundert dich das?« fragte Gisol etwas spöttisch. »Die drei gehen irgendeiner Sache nach, und ehe
sie sich nicht hundertprozentig sicher sind, lassen sie den Deckel drauf.«
»Terranische Floskeln hast du wohl sehr gut auswendig gelernt«, gab Dhark zurück.
»Ich bin lange genug unter euch gewesen, und den Rest hat mir Juanita beigebracht.«
»Hoffentlich fühlt die sich bei den Römern wirklich wohl. Sie wird dich vermissen, Jim Smith. Sie
sieht in dir so etwas wie eine Mischung aus großem Bruder und Vater.«
»Ich weiß«, sagte Gisol. »Aber vielleicht ist diese vorübergehende Trennung eine Hilfe, daß sie
sich auf eigene Beine stellt. Vielleicht findet sie bei den Römern andere Vorbildfiguren. Das wäre
schön.«
Wieder mußte Ren an Ion denken, seinen Sohn, der ihm vorenthalten wurde.
»Hältst du es für möglich, daß sie sich auf Terra Nostra eingewöhnen könnte?« fragte er.
274 »Ich weiß es nicht«, gestand Gisol. »Sie ist neugierig, sie will lernen und erleben. Noch ist Terra Nostra neu für sie. Aber der Planet bietet ihr nur eine einzige Perspektive, die römische. Terra ist kulturell vielschichtiger. Es wäre wohl besser, wenn sie dorthin zurückkehrte. Außerdem ist bei euch langfristig die Chance auf Frieden größer. Om wird noch lange eine Galaxis der Rebellion und des Krieges bleiben. Die Römer Schotten sich zwar in ihrer Materiewolke gegen alles ab. Aber irgendwann werden die dunklen Schatten auch Terra Nostra erreichen.« »Das klingt sehr pessimistisch«, sagte Dhark. »Realistisch.« »Weil du davon ausgehst, daß Terra dich bei dem Freiheitskampf gegen die Zyzzkt nicht unterstützen wird?« »Du bist dir da sehr sicher, mein Freund.« Dhark nickte. »Wir haben schon darüber gesprochen, und mir klingeln noch die Ohren von den letzten Sitzungen auf Terra - wir können uns einen weiteren Krieg einfach nicht leisten, und auf einen Krieg wird es wohl hinauslaufen, so wie ich es derzeit sehe. Mit Geheimdiensteinsätzen können wir hier wenig bewirken.« Gisol sah seinen terranischen Freund nachdenklich an. »Mir ist das klargeworden«, sagte er. »Aber es gibt andere Fakten, die hier entscheidend sind. Es braut sich etwas zusammen, das vielleicht unserer Kontrolle entgleiten wird. Nicht jetzt, nicht mor gen, nicht nächsten Monat... aber irgendwann ist es so weit. Dann kommt es zu einer Katastrophe.« »Woher willst du das wissen?« »Vielleicht... eine Vorahnung? Ich weiß es nicht, Ren. Aber ich fürchte, daß irgendwann in absehbarer Zukunft in Om nichts und niemand mehr sicher sein wird. Deshalb ist es bestimmt besser, wenn Juanita nach Terra zurückkehrt. Mit mir oder ohne mich. Letzteres wird sie sicher überleben. Sie wird älter, sie wird stärker. Irgendwann wird sie mich nicht mehr brauchen.« »Aber sie wird dir nachtrauern.« »Trauern?« »Wenn du für sie verloren bist, weil du vielleicht hierbleibst, sie aber zurück nach Terra muß.« »Sie wird mich in Erinnerung behalten. Nur das zählt. Dieses 275 kleine Mädchen ist einfach fantastisch. So lemfreudig, anpassungsfähig, begeisterungsfähig... und doch eine Seele, deren Grund sich nicht abschätzen läßt. Sie ist eine kleine Philosophin. Sie hat ihre
Eltern verloren, durch einen Mord und durch einen Grako-Angriff. Und gerade deshalb wird sie es
überstehen, falls sie mich ebenfalls verliert.«
Gisol schwieg einen Moment, dann wandte er sich Dhark zu und sah ihn direkt an.
»Ich gestehe dir jetzt etwas, was ich nie sagen wollte: Ganz zu Anfang habe ich sie benutzt, ihrer
Parafähigkeit wegen, sich >unsichtbar< machen zu können. Danach wollte ich sie...« Er ver
stummte kurz und fuhr dann fort: »Aber ich habe sie liebgewonnen. Sie ist mir wie ein eigenes
Kind. Was ich will, ist, daß es ihr gutgeht. Dieses fröhliche, offene Gemüt... Juanita ist einfach un
glaublich. In jeder Hinsicht. Und ich werde für sie tun, was ich kann. Sie vertraut mir, und ich
werde ihr Vertrauen nicht enttäuschen. Niemals.«
Er beugte sich vor und schaltete die Bordverständigung ein.
»Zentrale an Astro. Dürfen wir bei Gelegenheit auch mal das Resultat Ihrer Arbeit erfahren?«
»Wenn wir fertig sind«, murrte Arc Doorn und schaltete wieder ab.
Ren musterte Gisol.
Der Worgun hatte das Gespräch absichtlich abgebrochen. Er wollte nicht weiter über dieses Thema
reden.
Und vermutlich führte es auch zu nichts...
Dhark suchte die Astroabteilung auf.
Doorn, Tschobe und der Römer waren in Berechnungen vertieft und wollten sich nicht dazu
äußern.
Der Commander betrachtete die Sternkarten. Die Folien zeigten sich als dreidimensional, wenn sie
projiziert wurden, obgleich sie filmdünn waren. Er hatte früher schon Sternkarten der Mysterious in
der Hand gehabt. Jene, die auf dem Planeten Mirac gefunden worden waren.
276 Sie zeigten teilweise Bereiche der Milchstraße, die den Terra-nem bis heute noch unbekannt waren.
Was kein Wunder war - die wirkliche Eroberung des Weltraums hatte erst mit der Erfindung des
»Time-Effekt« begonnen, der Raumschiffe um bis zu 1,7 Lichtjahre im Weltall verschieben konnte.
Erste fremde Sonnensysteme waren erforscht, erste Planeten kolonisiert worden.
Der größte Kolonistenraumer, die GALAXIS, war zum Deneb-System gestartet, aber durch einen
Fehler des Time-Effekt-Antriebs im Col-System gestrandet.
Ein Glücksfall, denn dort waren Ren Dhark und seine Gefährten auf die technischen
Hinterlassenschaften der Mysterious gestoßen - mit denen sie die Gewaltherrschaft der Giants über
die Erde hatten beenden können, die während ihrer Abwesenheit von Terra begann.
Und danach erst ging es richtig los.
Von einem Moment zum anderen waren ferne Sterne zum Greifen nahe. Die erbeutete Technik der
Giants und Amphis und auch die der Mysterious ermöglichte es.
Und doch war nur ein winziger Bruchteil der Galaxis erforscht, weit weniger als ein Prozent. Es
würde sicher noch Jahrtausende brauchen, alles kennenzulernen.
Die Sternkarten von Mirac - sie zeigten teilweise die Positionen eines gewaltigen stellaren
Abwehrsystems der Mysterious, das kennenzulernen und zu erforschen bislang niemand Zeit
gefunden hatte. In Weltraumtiefen gab es ein gestaffeltes System von mehr als 180
Hochenergiekampfstationen; irgendwie war Dhark froh, damit bislang noch nichts zu tun
bekommen zu haben. Aber über kurz oder lang würde den Terranem nichts anderes übrig bleiben,
als sich darum zu kümmern.
Auf jeden Fall bevor die Tel darauf aufmerksam wurden...
Aber sie waren jetzt nicht in der Milchstraße, nicht in Nai, sondern in Om, der Heimatgalaxis der
Mysterious.
Hier ging es um ganz andere Dinge!
Grübelnd schaute er sich die Karten an, welche, die drei Gefährten abgerufen hatten. Sie zeigten
das ursprüngliche Siedlungsgebiet der Zyzzkt; den galaktischen Bereich, von dem aus sie sich einst
ausgebreitet hatten.
Es handelte sich um einen fast kugelförmigen Raumabschnitt von ungefähr 300 Lichtjahren
Durchmesser mit einer recht hohen Sternendichte.
Manlius, Doorn und Tschobe führten permanent Berechnungen durch und lasteten damit den
Hyperkalkulator aus.
»Worauf wollen Sie hinaus?« fragte Dhark.
»Erfahren Sie, wenn wir fertig sind, und jetzt hören Sie auf zu stören«, knurrte der Sibirier ihn an.
Dhark konnte ihm über diese Abfuhr nicht mal wirklich böse sein, denn er kannte Arc Doorn und
seine wortkarge, abweisende Art nur zu gut.
Trotzdem ärgerte er sich, daß die drei ihm nicht einmal Hinweise gaben. Er sprach Tschobe offen
darauf an.
Der fühlte sich gestört.
»Ren, wir können Ihnen nichts sagen, ehe wir nicht selbst absolut sicher sind und Beweise vorlegen
können... vertrauen Sie uns doch einfach!«
»Fällt schwer«, gab ihm der Commander zu denken und verließ die Astroabteilung.
»Sturheit in Hochpotenz«, brummte er verdrossen vor sich hin, während er zur Zentrale
zurückkehrte. »So was kann doch nicht wahr sein - warum erzählen die drei nicht einfach, worauf
sie hinauswollen?«
Die Frage konnte ihm momentan niemand beantworten...
Etwa eine halbe Stunde, nachdem Dhark die Zentrale wieder betreten hatte, rief Manlius über die
Bordsprechanlage durch. »Wir haben Kursdaten ermittelt und möchten Sie bitten, diese ab
zufliegen.«
»Und wozu soll das gut sein?« fragte Dhark, ehe Gisol etwas sagen konnte.
»Es dient der Verifizierung unserer Berechnungen.«
278 »Möchten Sie nicht endlich mal damit herausrücken, was Sie errechnet haben?« fragte Dhark
verärgert.
»Möchten Sie, daß wir uns blamieren, falls die Berechnungen doch nicht stimmen?«
Der Commander lehnte sich zurück und faßte sich mit beiden Händen an den Kopf. »Soviel
Sturheit ist kaum noch zu überbieten«, stöhnte er. »Niemand blamiert sich, aber ich gerate allmäh
lich an den Rand meiner Geduld! Rücken Sie schon 'raus mit den Fakten!«
»Bleib ruhig, mein Freund«, mahnte Gisol. »Wenn hier einer die Geduld verlieren darf, bin ich das,
weil ich der Eigentümer und Kommandant dieses Schiffes bin. Ich habe den dreien erlaubt, ihre
Arbeit zu machen, und jetzt warte ich eben ab, was dabei herauskommt. Manlius, darf ich um das
Überspielen der Kursdaten bitten?«
»Sind im Hyperkalkulator gespeichert.«
Der Worgun rief die Daten auf. »Taktische Darstellung in Bildkugel projizieren.«
Wieder einmal änderte sich deren Bildwiedergabe. Sie zeigte, was Dhark schon in der
Astroabteilung gesehen hatte - diese Raumkugel von rund 300 Lichtjahren Durchmesser.
In dieser Projektion sah die dichte Stempopuladon noch beeindruckender aus.
Eine derartige Häufung von Sternen war eher typisch für den Zentrumsbereich einer Galaxis.
Andererseits handelte es sich auch nicht um einen Sternhaufen bekannter Ausprägung.
»Der reinste Sternendschungel«, murmelte Dhark.
Eine goldgelb leuchtende Linie zog sich durch den Bereich. Sie führte ziemlich zickzackförmig
hindurch von der Stelle, an der ein Symbol die Position der EPOY anzeigte, bis hinüber zur
anderen Seite der Stemballung.
»Und was soll das alles werden, wenn's fertig ist?« fragte der Commander kopfschüttelnd.
»Werden wir alle sehen, wenn wir diesem Kurs folgen«, bemerkte Manu Tschobe, der soeben die
Zentrale wieder betrat und am Ortungspult Platz nahm.
279 Er schaltete sich zuerst eine Dauerverbindung zur Astroabtei-lung.
»Können wir, Mister Gisol?« fragte er dann, wieder einmal ohne seinen Gesprächspartner dabei
anzusehen.
»Wir können.« Demonstrativ brachte der Worgun einen Steuerschalter in eine neue Position und
erhöhte die Geschwindigkeit der EPOY. Den Rest erledigte er per Gedankensteuerung. Das war
wesentlich präziser und schneller.
19. Der Raum, in dem das Gegenstück des Transmitters ihn ausspie, war mit luxuriösen Intarsien bestückt, die zu kleinen Gruppen arrangiert waren und in den fokussierten Lichtkegeln dezenter Leuchtquellen golden und silbern glänzten. Sie erinnerten Simon an irdische Weinpokale. Die künstliche Beleuchtung war indes überflüssig, denn durch eine Fensterfront auf der gegenüberliegenden Seite des Raums drang helles Tageslicht herein. An den Wänden hingen schwere Teppiche, die Naturlandschaften zeigten, wie es sie auf Himmfarr nicht mehr gab. Mehrere großformatige Gemälde stellten einen Kolk in heroischen Posen dar. Simon wußte auf Anhieb, um wen es sich handelte. Um Tipori, den Raumschiffsschrotthändler. Der Kolk, der für Lygg'lyggs Tod verantwortlich war, lag auf einem Diwan und schlürfte eine dunkekote Flüssigkeit aus einem goldenen Pokal. An Blut erinnernde Spritzer färbten die Federn
seiner freiliegenden Brustpartie. »Ich bin Simon«, stellte sich der Wächter vor, den Impuls unterdrückend, die Sprache aufLygg'lygg zu bringen. »Ich suche nach einem Raumschiff.« Tipori richtete sich umständlich auf. »Nach einem Raumschiff, so, so«, sagte er in einer trillernden Lautsprache. »Ich habe bereits von Ihnen gehört.« Damit hatte Simon gerechnet. Die Kuchas hatten ihren Herrn zweifellos über seine bevorstehende Ankunft unterrichtet. Die beiden Vermummten hatten sich in eine Ecke des Raumes zurückgezogen und ließen Simon nicht aus den Augen. Er war überzeugt, daß sie ihm das gleiche Schicksal zudachten wie dem Gyrren, 281 wenn er nicht mit Tipori handelseinig wurde. Allerdings würden sie sich an ihm die Zähne ausbeißen. »Sie sind ein seltsamer Bursche«, überlegte der Schrotthändler laut, während er seinen Besucher unverwandt anstarrte. »Dieser Umhang! Hm, mir egal, über Mode kann man streiten. Aber ein Kormore, der sich für ein Raumschiff interessiert, so etwas hat es noch nicht gegeben. Wie soll ich wissen, daß ich Ihnen vertrauen kann? Sie machen nicht den Eindruck, sich eine solche Investition leisten zu können.« Simon ließ sich nicht aus der Reserve locken. »Natürlich trage ich meine Creds nicht bei mir. Sie müssen mir vertrauen, so wie ich Ihnen vertraue. Ich weiß ja auch nicht, ob Sie überhaupt ein Schiff besitzen, das meinen Zwecken dient.« Er hatte den Eindruck, daß Tipori aufbrausen wollte. Seine Arme flatterten aufgeregt und stießen den Pokal vom Tisch. Zähflüssig tropfte das schwere Destillat über die Kante. »Ich vertraue meinen Geschäftspartnern, denn jeder weiß, daß es nicht gut ist, mich zu hintergehen. Ich nehme an, Sie haben meine kleine Demonstration als Beweis meiner Behauptung nicht verges sen.« ' Zorn wallte in Simon auf, aber er hielt sich unter Kontrolle. Er konnte Lygg'lyggs Schicksal nicht mehr ändern, so gern er es auch gesühnt hätte. Doch ihm war klar, daß er sich damit nur selbst in Gefahr gebracht hätte. Wenn er nicht länger von den Zyzzkt gejagt werden wollte, benötigte er die Hilfe des Händlers. »Ich denke genau wie Sie«, konnte er sich eine unterschwellige Drohung trotzdem nicht verkneifen. »Nur bin ich gewohnt, eine Ware zu begutachten, bevor ich sie erwerbe. Das gilt für einen guten Wein ebenso wie für einen Thermostrahler oder ein Raumschiff.« »Dann überzeugen Sie sich selbst«, forderte Tipori seinen Besucher auf und ging zur Fensterfront hinüber, die eine ganze Wand des Zimmers einnahm. Simon folgte ihm und blieb überrascht vor den Scheiben stehen. Er befand sich tatsächlich ganz oben, in einer Art Wohnturm, der im Randbereich eines riesigen Schrottplatzes lag. Zwischen Hal den rostenden Metalls entdeckte er Segmente von Raumschiffshül 282 len in unterschiedlichen Größen und Erhaltungszuständen, daneben aufgeschichtete Wandungsskelette, Streben und Stapel von Hüllenpanzerungen sowie ein Sammelsurium unterschiedlichster Bauteile. Heerscharen von Lebewesen und Robotern waren damit beschäftigt, die Teile zu sortieren und zu warten. Ausgewählte Stücke wurden von Antigravkränen auf Lastplattformen gehievt und zu in der Feme erkennbaren Werftanlagen transportiert. Der betriebene Aufwand war gewaltig. Zweifellos war Tipori einer der führenden Händler seiner Branche und ein wohlhabender Kolk. Allein die Ausmaße des weitläufigen Landefelds waren riesig. Simon ließ sich nicht anmerken, wie beeindruckt er war, denn gleichzeitig war ihm klar, daß Tipori sich seine Machtposition nicht allein auf legalem Weg erkämpft hatte. Zweifellos ging er über Leichen, um seine Ziele zu erreichen. Wie Lygg'lyggs Schicksal eindrucksvoll belegte. »Ist das Beweis genug?« Der Kolk deutete in die Feme. »Wie ich sehe, hat man mich an den richtigen Händler verwiesen«, beeilte sich Simon zu antworten. Vor allem eine Beobachtung brachte ihn zu dieser Überzeugung. Jenseits der Halden ragten stählerne Kolosse wie Gebirgszüge auf und verdunkelten die Sonne. Komplette Schiffe! Simon zählte ein halbes Dutzend, die wie an der Schnur aufgereiht in großen Abständen nebeneinander standen. »Funktionstüchtig«, trällerte Tipori vergnügt, der Simons Gedanken zu erraten schien. »Ich bin sicher, Sie wollen sie genauer betrachten.« Je eher, desto lieber, dachte der Wächter. Ihm lag daran, diese Welt möglichst rasch wieder zu verlassen. Tipori wartete keine Antwort ab, sondern öffnete eine Klappe seines Schreibtischs, hinter der eine
verborgene Bedienungsleiste lag. Mit flinken Bewegungen seiner Greifklauen nahm er eine Reihe von Schaltungen vor und verschloß die Öffnung wieder. Simons feine Sensoren registrierten ein elektrostatisches Knistern, als sich ein weiß leuchtender Torbogen von zwei Metern Höhe und doppelter Breite aufbaute. Offenbar hatte Tipori den 283 Transmitter umgepolt.
»Kommen Sie«, forderte der Schrotthändler ihn auf. Gemeinsam traten sie in das Abstrahlfeld,
gefolgt von den beiden Kuchas, um im gleichen Moment an anderer Stelle wieder zu verstofflichen.
Mitten in der Düsternis eines gewaltigen Schlagschattens.
Simon erkannte auf den ersten Blick, daß es sich um keine neuen Raumer handelte. Sie hatten
zahlreiche Ausbesserungen und Überholungen hinter sich, die jedoch, zumindest optisch, profes
sionell und sorgfältig durchgeführt worden waren.
»Schauen Sie sich in aller Ruhe um. Sie werden rasch feststellen, daß man bei der Nennung meines
Namens nicht übertrieben hat. Jedes dieser Schiffe ist ein Juwel. Durch die Modifikationen meiner
Techniker und Mechaniker sind sie so gut wie neu. Kunden aus ganz Om reißen sich um meine
Ware.«
Simon ignorierte den Redeschwall. Er war nicht dumm genug, auf die Worte eines professionellen
Händlers zu hören. Statt dessen tat er, wozu er aufgefordert wurde. Er betrachtete die Raumschiffe
und analysierte ihren optischen Zustand, ständig beobachtet von den beiden Kuchas.
Die zahlreichen Beiboote und Kleinstraumer ignorierte er von vornherein.
Lieber widmete er sich den sechs größeren Einheiten, zwischen denen jeweils fast ein Kilometer
Abstand lag. Die verschwenderische Platzaufteilung war ein weiterer Beweis für Tiporis Reichtum.
Sie zeigte aber auch, daß dem Händler mehr Platz als Schiffe zur Verfügung stand.
Simon, Tipori und die Kuchas bestiegen einen schüsselähnlichen Personenschweber, den der Kolk
eigenhändig steuerte. Er wählte eine geringe Geschwindigkeit, damit sein Kunde sich die dargebo
tenen Raumer in aller Ruhe anschauen konnte.
Zwei von ihnen wiesen Kugelform auf. Selbst sie waren noch zu klein für Simons Zwecke. Bei
einem anderen Schiff handelte es
284 sich um eine ballistische Rakete, bei einem weiteren um einen stachelübersäten Körper mit unregelmäßiger Form, der an eine Kartoffel erinnerte. Simon schritt ihre Reihe ab und kam danach zu einer zylindrischen Walze, die über zahllose Abstrahlprojektoren schwerer Waffensysteme verfügte. Trotz zahlreicher Schönheitsoperationen an der Außenhülle waren die verbliebenen Narben aus dem Geschützfeuer leistungsstarker Strahlwaffen nicht zu übersehen. Offenbar handelte es sich um ein schweres Kampfschiff, mit dem er in Om nur Aufsehen er-' regen würde. Zudem hatten all diese Schiffe einen entscheidenden Nachteil. Simon erkannte keine Schotts, die genügend große Hangars zum Unterstellen der NOREEN WELEAN versprachen. Anders beim letzten Schiff in der Reihe. Anscheinend handelte es sich um eine Bergungseinheit, eine kreisrunde, fliegende Plattform von 400 Metern Durchmesser. Mehr als die Hälfte dieser Plattform war von einer schützenden Halle bedeckt, die über gewaltige Schotts zugänglich war. Der freiliegende Rest der Fläche diente dem Transport magnetisch verankerter Waren. Simon war wie elektrisiert. Genau das, was er brauchte! Mit diesem Gefährt konnte er, seinen Ringraumer inaktiv im Sichtschutz der Halle geparkt, halb Om durchfliegen, ohne entdeckt zu werden. »Ein Prachtstück, nicht wahr«, trällerte Tipori, dem das Interesse seines Kunden nicht entging. »Das beste Stück von allen.« Das schätzte Simon ebenfalls, auch wenn eine nähere Betrachtung der technischen Einrichtungen diesen Eindruck natürlich noch bestätigen mußte. »Womit wird das Schiff angetrieben?«, fragte er, während er nach sichtbaren Hinweisen Ausschau hielt. »Sicher nicht mit Tofirit.« »Mit Tofirit?« »Mit Ala-Metall.« Tipori ließ ein entsetztes Glucksen hören. »Wo denken Sie hin? Wissen Sie, was Ala-Metall kostet? Es ist nahezu unbezahlbar. 285
Nur die Zyzzkt können es sich leisten.«
Simon horchte auf. »Sie verkaufen auch an die Zyzzkt?«
Das war eine Aussicht, die ihm nicht behagte. Wenn der Händler Geschäftsverbindungen zu den
Zyzzkt unterhielt, hielten sich womöglich Angehörige des Insektenvolks auf Himmfarr auf.
»Hin und wieder, sie sind gute Kunden, auch wenn sie nur höchst ungern nach Himmfarr kommen.
Die starke UV-Strahlung von Sommzot schädigt ihr Erbgut und würde auf Dauer tödlich für sie
sein. Ein Glück für uns, sonst wären sie vielleicht längst auch auf Himmfarr ansässig geworden und
hätten sich hier ausgebreitet.«
»Dann leben hier also keine Zyzzkt«, sprach Simon seine Gedanken laut aus.
Ungeduldig wedelte Tipori mit den Armen. »Reden wir über die Zyzzkt oder übers Geschäft? Ich
mag es nicht, wenn meine Zeit verschwendet wird.«
Der Wächter musterte die Plattform.
Er durfte sich keine Blöße geben, um den Händler nicht mißtrauisch zu machen. Vielleicht kam er
zu dem Schluß, für Informationen bei den Zyzzkt einen höheren Profit herausschlagen zu können,
wenn er auf die Idee kam, daß mit seinem Kunden etwas nicht stimmte.
»Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Das Schiff ist mit Fusionsreaktoren ausgestattet, braucht also Wasserstoff als Treibstoff.«
»Transitionstriebwerke?«
»Natürlich auch.«
Perfekt, dachte der Wächter.
Inzwischen hatten sie den Bergungsraumer erreicht. Aus der Nähe verstärkte sich Simons
Überzeugung, das ideale Objekt für seine Zwecke gefunden zu haben.
»Was soll er kosten?«
»Nein, nein«, wehrte Tipori ab. »Sie können jedes der anderen Schiffe haben, aber das hier ist
unverkäuflich. Ich benutze es selbst, um Schiffswracks nach Himmfarr zu transportieren. Ohne es
könnte ich meinen Laden dicht machen.«
»Sie wollen den Preis in die Höhe treiben«, hielt Simon dem
286 Kolk vor. »Ein Geschäftsgebaren, das einem Mann in Ihrer Position nicht zur Ehre gereicht.«
Was verstand ein Mörder schon von Ehre? fragte sich Simon. Natürlich versuchte der Händler, ihn
übers Ohr zu hauen. Nach seinen bisherigen Erfahrungen auf dieser Welt schien das Usus zu sein.
»Sie irren sich«, beharrte Tipori. »Denken Sie, was Sie wollen, aber das Bergungsschiff können Sie
nicht haben.«
Simon hatte eine Idee. »Was würde es bei Bezahlung mit Ala-Metall kosten, dieses Schiff neu zu
bauen?«
Tipori dachte kurz nach, dann nannte er eine Zahl. »Das ist soviel, wie ein Ringraumschiff der
Zyzzkt im Jahr zum Betrieb benötigt.«
Ein Ringraumschiff der Zyzzkt, dachte Simon bitter. Diese Diebe, die die Röhren samt und sonders
von den Worgun gestohlen hatten.
Er machte nicht den Fehler, seine Gedanken in Worte zu fassen. | Statt dessen dachte er an das
Ersatztofirit von Arkan-12, das in seinem Raumschiff lagerte. Ein Kubikmeter, genau die Menge,
die der Händler genannt hatte.
Auf absehbare Zeit würde Simon es nicht benötigen, und bevor die NOREEN WELEAN ertobit
wäre, würde er anderswo neuen Brennstoff finden.
Auch wenn er fand, daß er damit einen verdammt hohen Preis bezahlte, sah er keine Alternative.
Zwar würde es ihm nicht schwerfallen, das Objekt seines Interesses zu stehlen, aber er wollte sich
nicht mit Leuten wie Tipori oder den Insektoiden auf eine Stufe stellen. Ganz davon abgesehen, daß
er mit einem gestohlenen Raumer in Om die gleiche Aufmerksamkeit erregen würde wie mit der
speziellen Energiesignatur seines eigenen Ringschiffs.
»Sie sollen die benötigte Menge Ala-Metall erhalten«, sagte er. »Bedenken Sie, welcher Vorteil
Ihnen ein neuer Bergungsraumer bringt. Er hält mindestens zehn Jahre länger als dieser hier.«
Sekundenlang schwieg Tipori. Simon hatte den Eindruck, daß er mit einem solchen Angebot nicht
gerechnet hatte. Wahrscheinlich überlegte er, ob er seinem Kunden tatsächlich trauen durfte. Wer
287 eine solche Menge des extrem kostbaren Metalls einfach so herausrücken wollte, betrieb entweder einen Schwindel oder er war so reich, daß er noch mehr zahlen konnte. »Die Bauarbeiten werden eine ganze Weile dauern«, platzte es aus Tipori heraus. »In dieser Zeit kann ich keine reparaturbedürftigen Schiffe bergen. Meine Verdienstausfälle werden nicht gering sein.« Deutlich empfand Simon die Gier, die beinahe greifbar von dem Kolk ausging. Er witterte das Geschäft seines Lebens, aber Simon dachte nicht daran, sich auf das Spiel einzulassen.
Zudem war die Tofiritmenge, die er geboten hatte, alles, was er besaß.
Selbst wenn er gewollt hätte, konnte er keinem höheren Preis zustimmen. Deshalb blieb er hart.
»Ihr Risiko«, sagte er, betont gleichgültig. »Entweder Sie akzeptieren, oder ich suche mir einen
anderen Händler. Ich bin sicher, jeder andere auf Himmfarr wird von meinem Angebot begeistert
sein.«
»Aber Sie wissen nicht, ob einer meiner Konkurrenten ein vergleichbares Schiff besitzt.«
»Das ist dann mein Risiko. Also, was ist nun?«
Nach einer Weile des Zögems gab Tipori schließlich klein bei. Natürlich war ihm klar, daß er auch
so ein hervorragendes Geschäft gemacht hatte, wie es die nächsten Jahre nicht noch einmal auf ihn
zukommen würde.
»Ich werde alles Nötige veranlassen«, erklärte Simon und setzte sich über seinen internen Funk mit
Hugo in Verbindung. Er schickte den Roboter mit dem Flash zurück zur NOREEN WELE-AN, das
Ersatztofirit holen.
Der Schwerkraftneutralisationsbehälter würde gerade so in das Beiboot passen.
»Wann kann ich das Ala-Metall sehen?« Tipori konnte seine Ungeduld kaum noch zögern.
»Bald. Ich habe bereits veranlaßt, daß es hergebracht wird. Bis es eintrifft, würde ich das Schiff
gern inspizieren.«
Der Händler warf ihm einen skeptischen Blick zu, denn natürlich hatte er die stumme
Funkverbindung nicht mitverfolgen können.
288 Doch er fragte nicht weiter nach, sondern zeigte sich einverstanden. Er führte seinen Kunden über die Plattform sowie durch deren dickwandigen Bauch, in dem Aggregate und sonstige technische Einrichtungen untergebracht waren. Auch die Kommandoräume und Unterkünfte für Maschinen fanden sich dort. Simon führte eine Reihe von Tests durch, die ausnahmslos zu seiner Zufriedenheit verliefen. Der Bergungsraumer war in einwandfreiem Zustand und eine gute Wahl. Zu guter Letzt besichtigte er die weitläufige Halle. Auch sie hielt, was sie versprach. Sie war groß genug, um die NOREEN WELEAN darin zu verstecken. Auch hier gab es zahlreiche Bedienungseinrichtungen, die mit dem zentralen Bordrechner verbunden waren. Über Antigravschächte gelangte man in die Schiffszentrale und zu den Triebwerksräumen. Die dickwandigen Panzerschotts würden sogar leichtem Beschuß standhalten, aber das würde sich hoffentlich nicht als nötig erweisen. Ständig blieben die beiden Kuchas in ihrer Nähe. Simon ließ sie so wenig aus den Augen wie sie ihn. »Sie brauchen eine Mannschaft«, sagte Tipori. »Allein können Sie das Schiff nicht steuern. Sie benötigen mindestens fünfzig Mann Besatzung. Ich kenne eine Menge Raumfahrer, die auf der Suche nach einer Heuer sind. Ich kann Sie Ihnen gern vermitteln.« Simon ersparte es sich, nach dem Preis für die Vermittlung zu fragen. Der Raumschiffshändler tat nichts umsonst, aber Simon wollte keine fremde Besatzung an Bord haben. Raumfahrern von Himmfarr konnte er auf keinen Fall vertrauen. Sie würden herumschnüffeln und irgendwann entdecken, was sie transportierten, um ihn bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu verraten, wenn sie sich einen Profit davon versprachen. Inzwischen hatte der Wächter die Sozialstruktur Himmfarrs und ihre Auswüchse verstanden. Zudem sah er einen anderen Weg, sein neues Schiff allein zu steuern. »Ich brauche niemanden«, antwortete er kurz angebunden. Wann wirst du Himmfarr erreichen? funkte er Hugo zu. Ich bin unterwegs, kam die prompte Antwort. Ich treffe in Kürze ein. 289 Simon ließ sich von Tipori einige technische Erläuterungen geben. Schon bald war er sicher, die fremde Technik zu beherrschen. Auch wenn sie sich von der der Worgun erheblich unterschied, war sie doch ungleich schlichter und stellte seine Fähigkeiten auf keine große Probe. Er konnte einen Start jederzeit wagen. »Sie haben Ihre eigenen Leute?« bohrte Tipori weiter. »Ich verstehe. Wenn Sie die Mannschaft nur aufstocken wollen, kann ich das ebenfalls arrangieren.« »Ich möchte nur den Vertrag für dieses Schiff unterschreiben.« Simons Ungeduld wuchs. Er sollte nicht zu lange auf Himmfarr verweilen, selbst wenn die Zyzzkt den Planeten nur zu sporadischen Käufen anflogen. »Ich habe wenig Zeit und möchte so schnell wie möglich wieder aufbrechen.« Der Gesichtsausdruck des Händlers änderte sich. Auch wenn Simon die Mimik nicht deuten konnte, hatte er den Eindruck, daß der Kolk sich mit dieser Antwort nicht zufrieden gab. »Also gut«, sagte Tipori dennoch. Er zog ein miniaturisiertes Keyboard hervor und nahm einige Eintragungen vor, um es schließlich an Simon zu reichen. »Unterschreiben Sie einfach in diesem
Feld.«
Der Wächter überflog den Kaufvertrag und fand keinen Pferdefuß, so daß er der Aufforderung
nachkam.
Tipori flatterte zufrieden mit den Rügelarmen. »Lassen Sie uns in mein Büro zurückkehren und auf
unser Geschäft anstoßen.«
Simon zögerte und nahm stumme Verbindung zu Hugo auf.
Ich erreiche die Atmosphäre, kam die Antwort, und werde gleich darin eintauchen.
Simon instruierte den Roboter, wo er zu landen hatte, und erhielt die Bestätigung.
»Ich bitte Sie noch um ein wenig Geduld«, wandte er sich an Tipori. »Dann können Sie Ihr Ala-
Metall gleich in Empfang nehmen.«
Tipori stieß einen erstaunten Ruf aus und schaute sich suchend um.
Simon dachte nicht daran, ihm eine Erklärung zu geben. Er registrierte die Annäherung des
getarnten Flash. Hugo landete ihn
290 direkt im Großraumhangar des Bergungsraumers. Tipori und seine beiden Handlanger bekamen
davon nichts mit.
»Es dauert nicht lange«, sagte Simon. »Ich werfe nur noch einen kurzen Blick in den Hangar.«
Wenn dem Händler sein Wunsch verdächtig vorkam, behielt er das für sich. Immerhin hatte Simon
den Hangar schon zuvor ausgiebig untersucht. Tipori machte auch keine Anstalten, ihm zu folgen,
als er auf die Plattform kletterte und sie mit großen Schritten überquerte. Als er den Hangar betrat,
warf er einen kurzen Blick zurück. Seine Bewacher standen noch immer auf dem Landefeld und
schauten ihm nach.
Ich werde das Tofirit mitnehmen. Verstau es auf einer A-Grav-plattform, forderte er den
Spindelroboter auf, der ihn bereits erwartete. Sollte Tipori sich ruhig ein wenig wundem, wie das
kostbare Ala-Metall hergelangt war. Wenn er begriff, daß sein Geschäftspartner noch ein paar
Trümpfe in der Hinterhand hatte, käme er auch nicht auf dumme Gedanken.
Ist bereits geschehen, bestätigte Hugo.
Gut, und nun bleiben wir in ständiger Funkverbindung. Der Wächter betrachtete den
Schwerkraftneutralisationsbehälter und gab Hugo einige Anweisungen, denn noch immer traute er
Tipori nicht. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, wirst du eingreifen.
Danach öffnete er eines der Hangartore eben so weit, daß er das wertvolle Metall ins Freie
bugsieren konnte. Dank der technischen Manipulation schien es so gut wie nichts zu wiegen, doch
unter normalen Umständen wäre die Bergungsplattform unter der Last kollabiert.
Tipori stieß einen spitzen Schrei aus, als Simon auftauchte. Mit eiligen Schritten kam er
herangesprungen und nahm die kostbare Pracht unter die Lupe. Er ließ ein begeistertes Trillern
ertönen, das die Kuchas zum Näherkommen animierte. Obwohl sie keinen Ton von sich gaben,
erkannte Simon, daß sie von der Begeisterung ihres Chefs angesteckt wurden.
»Den Vertrag bitte«, forderte der Wächter. »Ich hätte gern eine Quittung für das Ala-Metall.«
Augenblicklich verstummte der Händler. Grübelnd schaute er zwischen Simon und dem Tofirit hin
und her. Dann warf er einen
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nachdenklichen Blick zum Hangar des Bergungsschiffs hinüber. Bevor Simon reagieren konnte,
änderte sich die Lage. Er schaute in die Abstrahlmündungen schwerer Strahler, die die
Kuchas auf ihn angelegt hatten.
»Was soll das?« fragte Simon bewegungslos.
»Ist das nicht offensichtlich?« gab der Händler die Frage anstelle einer Antwort zurück. »Ich nehme
mir, was mir gehört.«
»Ich glaube eher, daß Sie vorhaben, mich zu bestehlen. Ich werde diesen Umstand nicht
tolerieren.«
Simon fühlte sich nicht wirklich bedroht. Seine Schnelligkeit im Verbund mit seinen körpereigenen
WaffensySternen versprachen eine hohe Wahrscheinlichkeit, erfolgreich gegen die Kuchas be
stehen zu können. Doch noch unternahm er nichts.
»Wenn ich das richtig sehe«, wisperte Tipori, »sTarnmt das Ala aus meinem Raumschiff. Das
bedeutet, daß es mir gehört. Wieso sollte ich etwas quittieren, das ohnehin mein Eigentum ist?«
Simon zeigte keine Regung. Er hatte sich also nicht getäuscht. Der Kolk trachtete noch immer
danach, ihn übers Ohr zu hauen. Ehe er sich versah, tauchten weitere Kuchas auf, die scheinbar nur
auf einen Wink ihres Herrn gewartet hatten. Sie trugen ebenfalls Waffen in den Händen.
Simon fühlte sich nicht wohl in seiner Tofmthaut. Die Horde konnte ihm nicht wirklich gefährlich
werden, solange sie keine schweren Geschütze auffuhr, aber Simon wollte jedes unnötige Aufsehen
vermeiden. Er brauchte das neue Schiff ja gerade deswegen, weil er sich unerkannt bewegen wollte.
Trotzdem würde er es auf einen Kampf ankommen lassen, wenn ihm keine andere Wahl bliebe. Die
Kuchas ahnten nicht, daß in Wirklichkeit er in der Übermacht war.
Allerdings half ihm selbst ein erfolgreicher Kampf gegen Tipo-ris Leute nichts, wenn er dadurch
keine Legitimation als neuer Eigentümer des Bergungsschiffs erhielt.
»Lassen Sie das!« forderte er deshalb. »Noch können wir unser Geschäft friedlich beenden und
danach unserer Wege gehen.
292 Zwingen Sie mich nicht dazu, etwas zu tun, was Sie hinterher bereuen.«
»Ich bereue nie etwas. Sie sollten sich viel mehr Sorgen um sich machen.«
Die eindeutige Drohung war nicht zu überhören. Die Kuchas hatten sich inzwischen genähert.
Simon zählte acht von ihnen, die einen Kreis um ihn bildeten und dabei langsam näherrückten. Es
wurde Zeit, daß er etwas unternahm.
Immer noch regungslos sandte er den vereinbarten Code an Hugo.
»Passen Sie gut auf!« stieß er drohend aus. »Was gleich geschieht, verdanken Sie nur Ihrer
üneinsichtigkeit.«
Sekunden später schien die Welt unterzugehen. Donner raste über das Landefeld hinweg, und ein
greller Lichtblitz ließ Tipori und seine Halsabschneider für Sekunden blind werden. Eine
Druckwelle riß sie von den Beinen und wirbelte sie durcheinander. Der Boden vibrierte, gefolgt
von einem Beben und dem Donnern weiterer kleiner Explosionen.
Verzweifelte Flüche wurden ausgestoßen, als die Hitzewelle folgte.
Simon widerstand dem Chaos, ohne auch nur ins Schwanken zu geraten. Was unter dem falschen
Kormoren-Körper steckte, wurde von den Folgen der vorangegangenen Explosionen nicht
betroffen.
»Was war das? Was ist geschehen?« schrie Tipori unkontrolliert. Er hatte Mühe, wieder auf die
Beine zu kommen, und den Kuchas ging es nicht besser. Sie waren viel zu verwirrt, um ihre
Waffen wieder gegen Simon zu erheben. Sie wandten sich in alle Richtungen, als suchten sie nach
einem unsichtbaren Angreifer.
Und das war er wirklich - so unsichtbar, daß sie ihn auf keinen Fall entdecken konnten.
Tipori taumelte, anscheinend waren seine Sinne verwirrt. Es dauerte eine Weile, bis er sich wieder
unter Kontrolle hatte.
»Ich hatte Sie gewarnt«, bemerkte Simon mit eisiger Kälte. »Wenn Sie nicht ein weiteres Ihrer
Schiffe verlieren wollen, sollten Sie mir meine Quittung aushändigen.«
Einige Kilometer hinter ihnen stieg eine dichte Rauchwolke in den Himmel. Zahlreiche
Bewegungen ließen erahnen, daß Lösch
293 maimschaften versuchten, das Großfeuer unter Kontrolle zu bringen. »Sie waren das? Lichtgötter von Torrgott, das ist unmöglich.« Tipori sTarnmelte fassungslos vor sich hin, während er genauer zu erkennen versuchte, was geschehen war. Der dem Wohnturm am nächsten gelegene Kugelraumer existierte nicht mehr. Die obere Hälfte der ehemaligen Kugelzelle war zerfetzt worden und ein Teil der ausgefahrenen Landestützen eingeknickt, so daß das Schiff haltlos zu Boden gestürzt war. Mit seinen künstlichen Sinnen erkannte Simon, daß auch ein Teil der Beiboote durch die Explosion oder durch herabregnende Trümmerstücke schwer beschädigt worden war. Er hätte gern einen anderen Weg gewählt, verspürte aber auch kein Mitleid mit dem Raumschiffshändler. Hätte Tipori sich an den Vertrag gehalten, wäre nichts passiert, so aber hatte Hugo eingegriffen und Si-mons Anweisungen in die Tat umgesetzt. Er hatte den getarnten Flash mit aktiviertem Brennkreis durch den Meiler des Kugelrau-mers gelenkt. »Ich werde Sie töten!« schrie der Händler mit sich überschlagender Stimme. Er riß einem der Kuchas den Strahler aus der Hand und stieß ihn beiseite. Wenn es Simon in seiner angenommenen Gestalt möglich gewesen wäre zu schwitzen, hätte er es getan. »Machen Sie keinen Fehler«, sagte er ruhig. »Bisher haben Sie nur ein Schiff verloren, aber wenn Sie nicht endlich Ihren Teil des Vertrags erfüllen, besitzen Sie bald gar keines mehr.« Tipori tänzelte unruhig von einem Bein aufs andere. Der Strahler in seiner Hand zitterte heftig. Zweifellos dachte er darüber nach, wie Simon die Zerstörung des Kugelraumers bewerkstelligt hatte, schließlich war er die ganze Zeit hier gewesen. Noch viel mehr aber mußte sich der Kolk fragen, ob sein Kunde die Möglichkeit hatte, seine Drohung in die Tat umzusetzen. »Wenn ich Sie töte, können Sie mir nicht mehr drohen. Sie können dann auch nichts mehr
unternehmen.«
Noch immer bewegte sich Simon keinen Millimeter. »Wenn Sie sich da so sicher sind, schießen
Sie. Aber vergessen Sie nicht, daß Sie sich schon einmal geirrt haben.«
294 Auch die Kuchas hatten mittlerweile wieder auf ihn angelegt.
Unschlüssig stand Tipori da, dann deutete er auf den Bergungsraumer.
»Von dort hat er das Ala-Metall geholt, also hat er einen Verbündeten. Na los, seht schon nach!«
trieb er die Kuchas an. »Wenn ihr ihn findet, bringt ihn mir!«
Die Gestalten in den Kapuzenumhängen enterten die Plattform und stürmten zum Hangar hinüber.
Stoisch beobachtete Simon ihre vergeblichen Anstrengungen, und Minuten später kamen sie er
folglos zurück.
»Da drin ist niemand!«
Tipori flatterte aufgeregt mit den Armen, wobei sein Schnabel ein ums andere Mal nach vom
zuckte, als wollte er nach Simon hacken. Doch er ging das Risiko nicht ein, seine Waffe zu benut
zen.
Der Wächter lauschte auf seine Kampfprogramme. Auch wenn es ihm nicht gelang, sie vollständig
zu unterdrücken, und sie die ganze Zeit über latent in Aktionsbereitschaft waren, machten sie sich
doch nicht selbständig, wie sie es schon in ähnlich bedrohlichen Situationen getan hatten.
»Meine Quittung!« forderte er unmißverständlich.
Schließlich gab Tipori klein bei. Er überreichte Simon einen Speicherchip, der die Quittung für das
Tofirit und die Besitzurkunde für den Bergungsraumer beinhaltete, die der Wächter umgehend auf
ihre Richtigkeit hin prüfte.
Zufrieden stellte er fest, daß sie ihre Richtigkeit hatten, obwohl er mit einem weiteren Trick Tiporis
gerechnet hatte.
Es ist nicht nötig, ein weiteres Schiffzu zerstören, funkte er Hugo an. Bring den Flash zurück in den
Hangar des Bergungsraumer s. Trotz allem glaube ich nicht, daß Tipori aufgibt. Ich komme an
Bord, und wir starten so schnell wie möglich.
Ich habe schwere Waffen entdeckt, mit denen der Händler uns nach dem Start abschießen kann.
Er wird uns nicht abschießen, denn er will sein Schiff ja in einem Stück behalten. Trotzdem erwarte
ich, daß er noch irgendwas unternimmt.
Während Simon sich zurückzog, ließ er die Kuchas nicht aus der
295 Überwachung. Sie machten keine Anstalten, ihm zu folgen, sondern warteten auf einen Befehl ihres Herrn. Tipori warf unsichere Blicke zu seinen übrigen Raumschiffen. Er ließ den Kopf sinken und schwieg. 296Gisol flog den errechneten Kurs. Manlius, Doorn und Tschobe wechselten sich an der Ortung und in der Astroabteilung ab, einer ^ von ihnen zog sich jeweils zur Ruhe zurück. In der Zentrale bot ; $ Dhark an, Gisol für eine Weile abzulösen, aber der Worgun lehnte ab. Er schien keinen Schlaf zu benötigen. Die EPOY drang in den sternendichten Raumabschnitt ein. Nach einigen Stunden maß Tschobe wieder so ein seltsames Feld an, und wieder erschienen nur wenig später Zyzzkt-Raumschiffe auf dem Plan. Diesmal waren es schon über vierzig Schiffe, die nach der EPOY suchten und sie nicht finden konnten. »Ziemlich aufgeregter Funkverkehr«, stellte Tschobe fest, als er . zwischendurch einmal kurz in die Funk-Z wechselte. »Die veranstalten einen Zauber, als hätte der Kaiser von Kalifornien sich zum Staatsbesuch angemeldet.« Gisol ging auf die Bemerkung nicht ein. Wie schon zuvor, än-1 derte er vorsichtshalber den Kurs der EPOY. Tschobe murrte etwas und ließ von Manlius eine Kursangleichung errechnen, die das Schiff später wieder auf die ursprüngliche Zickzacklinie zurückbrachte. Die Zyzzkt-Flotte blieb wie erwartet weit hinter ihnen zurück. Irgendwann suchte auch Ren Dhark seine Kabine auf, um ein wenig zu schlafen, bat Gisol aber dringend, ihn über die Bordverständigung zu wecken, falls sich etwas Unvorhergesehenes ereig nete. Aber die Stunden vergingen, und alles blieb ruhig. Als er wieder in die Zentrale zurückkehrte, saß Amy Stewart auf seinem Platz und wollte den sofort für ihn räumen. »Bleiben Sie ruhig sitzen. Hier gibt's, wenn ich noch richtig zählen kann, fünf Plätze am Kontrollpult. Da werde ich wohl noch ir
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gendeinen finden.« »Du hast nichts versäumt«, sagte Gisol, der immer noch keine Ermüdungserscheinungen zeigte.
Vielleicht, überlegte Dhark, besaß der Worgun mit seinem fremdartigen Metabolismus Möglich
keiten der Erholung oder geistigen Erfrischung, die ein Terraner sich nicht einmal im Traum
vorstellen konnte. Bisher hatte er zwar stets mehr oder weniger regelmäßige Schlafpausen
eingehalten, aber das besagte nicht viel.
Doorn saß jetzt an der Ortung. Er verstand Dharks Blick als Aufforderung, etwas zu sagen.
»Dieser Sektor ist "ne tote Hose«, brummte er. »So verflixt viele Sterne, aber nix los! Hier sollen
die Heuschrecken ihren Ursprung haben? Glaub' ich nicht...«
Gisol reagierte nicht darauf.
Plötzlich beugte sich der Sibirier leicht vor und prüfte die Anzeigen seiner Instrumente.
»Scheint, wir fliegen wieder mal in so ein Feld«, meldete er.
Und prompt tauchten wieder Zyzzkt-Raumer auf!
Diesmal waren es schon über siebzig, wie die Passivortung anzeigte.
»Die werden von Mal zu Mal mehr«, überlegte Dhark. »Je weiter wir auf diesem Zickzackkurs
vordringen, um so interessanter scheint es zu werden.«
Die Bildkugel zeigte nach wie vor die taktische Darstellung. Sie umfaßte immer noch die gesamte
Stemballung. Nur das Symbol, das die EPOY darstellte, befand sich jetzt weiter »drinnen«. Und es
wurde umgeben von Symbolen, welche für die Zyzzkt-Raumer standen.
Natürlich war das alles nicht maßstabgetreu, dafür aber gut überschaubar. Ren beschloß zu prüfen,
ob die Bildkugel der POINT OF diese Möglichkeit ebenfalls besaß.
Plötzlich zeigte Doorn ein breites Grinsen.
»Okay, ich glaube, wir haben's«, sagte er. »Ich wecke Tschobe!«
298 Der Afrikaner war nicht besonders erfreut, aus dem Schlaf gerissen zu werden, und äußerte das auch deutlich, als er gemeinsam mit Manlius die Zentrale betrat. »Ich dachte. Sie sollten es sofort erfahren, daß unsere Vermutungen stimmen.« »Moment mal«, entfuhr es Dhark. »Vermutungen? War nicht die Rede von Berechnungen?« »Die auf Vermutungen basieren«, konterte Manlius. Tschobe gähnte. »Die Fakten bestätigen unsere Vermutung«, ergriff er das Wort. »Was wir nun also herausgefunden haben, ist folgendes: Dieser Raumabschnitt ist offenbar von konzentrisch angeordneten, kugelförmigen Feldern umgeben. Das sind die, die wir immer wieder angemessen haben. Das größte dieser Felder hat einen Durchmesser von 300 Lichtjahren, jede weitere Kugelschale ist 20 Lichtjahre kleiner, so daß man bei einem Anflug ins Zentrum dieses Gebietes alle zehn Lichtjahre ein solches Feld durchstößt. Dabei kommt es offenbar zu einer von keiner Tarnvorrich-tung zu verhindernden Störung des Feldes, die die Raumschiffe der Zyzzkt auf den Plan ruft.« »Das heißt, sie können uns zwar nicht direkt orten, aber beim Eindringen in dieses Kugelfeld lösen wir etwas aus, das wir nicht kontrollieren können, das aber die Wimmelwildeü alarmiert?« vergewisserte Gisol sich. Tschobe nickte. »Dieses geheimnisvolle >Zentrum der Macht<, von dem Sie sprachen, Mister Gisol«, fuhr er fort, »muß nach aller menschlichen Logik in der innersten Kugel von 20 Lichtjahren Durchmesser zu finden sein.« »Ein geniales System«, stellte Stewart fest. »Und eine faszinierende Technik. Ich frage mich, wie die das gemacht haben.« »Mysterious-Größenwahn«, brummte Doorn. »Sie verwenden Worgun-Technologie, und denen ist doch nie etwas zu bombastisch gewesen! Wer Sterne von ihren Positionen verschieben und ganze Leerzonen als Transitionsinseln schaffen kann, wie wir sie in unserer Milchstraße auf dem Weg nach Drakhon gefunden haben, der kann auch derartige Strukturfelder schaffen. Oder, mein Bester?« Er grinste den Worgun an. 299 »Das Wort Größenwahn will ich nicht gehört haben«, erwiderte Gisol trocken. »Ich muß gestehen ich weiß selbst nicht, ob es meinen Vorfahren möglich war, so etwas zu bewerkstelligen, oder ob
von den Zyzzkt unterjochte Wissenschaftler meines Volkes diese Technik später entwickelten. Oder ob die Zyzzkt sie selbst erfunden haben, oder ob sie von noch einer anderen Spezies über nommen wurde, von der selbst wir nichts wissen... oder...« »Hören Sie schon auf, herumzuodem«, sagte Doorn. »Ich traue Ihren Leuten jedenfalls alles zu.« Gisol winkte ab. »Das einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, daß ich dieses >Zentrum der Macht< nie gefunden habe, weil immer wieder Jagd auf mich gemacht wurde. Sieht so aus, als wäre es jetzt möglich, mit dem römischen Ortungsschutz doch durchzudringen.« »Seien Sie lieber nicht so übertrieben optimistisch«, wandte Stewart ein. »Wer weiß, womit die Zyzzkt noch weiter drinnen aufwarten. Die Zahl der Abfangraumschiffe vergrößert sich von Kugelschale zu Kugelschale erheblich, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Und der Alarmimpuls läßt sich nicht UnterdrÜkken. Gisol, wer ein solches passives Ortungssystem installieren kann, der kann auch noch mehr! Ich würde jedenfalls meine Zentralwelt mit allen Mittel schützen, die verfügbar sind. Vielleicht können sie weiter drinnen auch die römische Tarnung knacken. Mit Spezialortungen, mit weiteren Feldern, was weiß ich! Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir einfach so dorthin gelangen! Sie werden uns abfangen, spätestens in der vorletzten Schale. Denen entgeht doch nichts, kein Stein und kein Staubkorn!« »Unsere Tarnvorrichtung ist perfekt«, protestierte Manlius. »Und kann trotzdem nicht verhindern, daß wir bei jedem Wechsel in eine der weiter innen liegenden Kugeln wieder einen Alarm auslösen. Die Kugelsphären werden jedesmal kleiner, die Jäger jedesmal mehr. Irgendwann kriegen sie uns!« »Nicht, wenn wir keinen Fehler machen«, behauptete der Römer. »Und wenn wir den doch machen?« fragte Doorn. Manlius verzog das Gesicht und sah den Sibirier strafend an. »Ein Mann wie Gisol begeht keinen Fehler. Er ist ein verehrungs 300 würdiger Worgun.«
»Dein Wort in des Herrn gespitzte Lauscher«, murmelte Doorn.
Manlius schenkte ihm einen verständnislosen Blick, Stewart hatte Mühe, sich ein Lachen zu
verkneifen, und Tschobe grinste von einem Ohr zum anderen. Nur Dhark blieb ernst.
»Was außer einer möglichen Enttarnung erwartet uns in der innersten Kugel?« fragte er.
»In dieser Kugel von 20 Lichtjahren Durchmesser gibt es knapp 80 Sonnen, fast alle mit Planeten«,
sagte Manlius. »Das konnten wir errechnen.«
»Ziemlich dicht gepackt«, sagte die Cyborg. »Auf den Planeten muß es ja einen prachtvollen
Sternenhimmel geben. Da wird die Nacht wohl fast zum Tag. Wissen wir, ob die Planeten Leben
tragen?«
»Sicher tragen sie Leben«, sagte Manlius. »Aber ebenso sicher nicht alle, sondern nur die, die sich
in der jeweiligen Lebenszone ihres Sterns befinden. Das konnten wir aber bisher nicht erfassen.
Dafür brauchen wir genauere Daten, für die wir noch entschieden zu weit entfernt sind.«
»Wenn das hier der Ursprung der Zyzzkt ist, dürfte es ja wohl klar sein, daß es bewohnte Planeten
gibt«, kommentierte Dhark.
»Wie gehen wir weiter vor?« fragte Stewart.
Dhark lächelte.
»Ich habe da einen Plan...«
Dhark unterbreitete Gisol seinen Vorschlag. »Wir fliegen aus dem gesicherten Bereich hinaus,
beschreiben einen großen Bogen und stoßen dann mit hohem Überlichttempo innerhalb weniger
Sekunden bis ins >Zentrum der Macht< vor. Dort stürzen wir aus dem Intervallflug zurück und
schauen uns an, was die Zyzzkt so aufwendig sichern.«
»Das wird aber ein ziemlich hohes Tempo sein müssen«, gab Gisol zu bedenken.
»Die EPOY ist ein schnelles Schiff, hoffe ich«, schmunzelte Ren Dhark.
301
Gisol erhob sich und ging zum Hyperkalkulator hinüber. Er gab Zahlen ein und wartete auf die
Berechnung. Sicher hätte er sie auch vom Kontrollpult aus eingeben und abrufen können, aber er
schien etwas Beschäftigung zu brauchen.
In der POINT OF, wußte Ren Dhark, war es mit der Arbeit am Checkmaster nicht anders.
»Ein Überlichtfaktor von wenigstens 10 Millionen ist erforderlich«, sagte Gisol. »Behauptet
zumindest dieser Kasten da.«
»Und wenn wir mit einer Transition direkt vorstoßen?« überlegte Dhark.
»Besser nicht. Wer weiß, ob sie da nicht noch gemeinere Sicherungen haben.«
»Typischer Ren-Dhark-Plan«, knurrte Arc Doorn. »Augen zu und durch. Und jedesmal, wenn wir
so was gemacht haben, hat's gescheppert und geknallt. - Ich bin dafür.«
»Typisch?« fragte Gisol.
Doorn nickte und war in seiner mundfaulen Art der Ansicht, damit alles geklärt zu haben.
Dhark zuckte mit den Schultern.
»Typisch«, sagte Tschobe. »Speziell immer dann, wenn wir es mit dem Erbe Ihres Volkes zu tun
hatten, Mister Gisol. Da mußte er stets mit dem Kopf durch die Wand. Wenn es Abwehreinrich
tungen gab, mußten die unbedingt ausgetrickst werden, notfalls eben auch per Transition. Und
immer wieder haben wir dabei voll ins braune Glück gepackt, nur hat der werte Herr Commander
es auch immer wieder geschafft, uns aus dieser Sauce 'rauszuholen. -Ich bin auch einverstanden.«
Ren wandte sich zu dem Afrikaner um. »Sie haben sich nie beschwert, Manu.«
»Für eine Beschwerde war's ja auch immer zu spät... aber, Ren, wenn Sie nicht immer bereit wären,
Risiken einzugehen, wäre Terra vielleicht heute noch von den Giants unterjocht - oder durch die
Drakhon-Katastrophe zerstört.
Hat sonst noch jemand Einwände gegen Dharks Plan?«
Niemand meldete sich.
»Wir könnten das wirklich schaffen«, überlegte Gisol. »Dank der römischen Tarntechnik scheint
die EPOY trotz allem sicher zu
302 sein. Gut, wir machen das so. Allerdings sollten wir damit rechnen, daß wir in der innersten Kugel
dennoch einen heißen Empfang bereitet bekommen.«
»Das heißt also. Waffensteuerungen besetzen und notfalls auf alles schießen, was sich uns nähert«,
sagte Stewart.
»Das kann die Gedankensteuerung schneller und präziser«, erwiderte Gisol.
»Sind Sie da wirklich sicher? Vielleicht sind Cyborgs auf diesem Gebiet doch überlegen«, konterte
Stewart. »Vor allem können Cyborgs auch Entscheidungen treffen, zu denen die Automatiksteue
rung des Ringraumers nicht in der Lage ist - Intuition nennen wir das.«
Ren Dhark entsann sich jener Momente, in denen die Gedankensteuerung, jene gnaden- und
seelenlose Automatik, hin und wieder das Kommando über die POINT OF an sich gerissen hatte,
weil sie davon ausging, daß die Terraner nicht schnell oder nicht gut genug reagierten, und
jedesmal hatte sie die Kontrolle erst dann wieder abgegeben, wenn die kritische
Auseinandersetzung vorbei war. Und stets ging diese Automatik dabei mit einer Brutalität und
Kompromißlosigkeit vor, die ihresgleichen suchte. Oft genug hatte Dhark sie verflucht bis in den
tiefsten Schlund der Hölle.
»Laß die Cyborgs die Waffensteuerungen besetzen«, bat er.
»Einverstanden«, sagte Gisol nach ein paar Sekunden des Über-legens.
Amy Stewart erhob sich. »Ich übernehme die WS-West«, sagte sie und verließ die Zentrale.
Gisol starrte ihr verblüfft nach.
»Ich dachte bisher, ich sei hier der Kommandant«, entfuhr es ihm. »Weiß sie überhaupt, wie die
WS funktioniert?«
»Das dürfte als Grundwissen in ihrem Programmgehirn gespeichert sein«, sagte Dhark. »Wecken
wir also Oshuta aus seiner beschaulichen Ruhe und schicken ihn in die WS Ost. Wenn sich die
EPOY nicht grundlegend von der POINT OF und den S-Kreuzem untertscheidet, müßten die beiden
mit den Waffensteuerungen zurechtkommen.«
»Ein ziemlich waghalsiger Plan, Dhark«, sagte Doorn. »Hoffentlich führt er uns nicht schon wieder
in des Teufels Küche.«
303 »Bei der hohen Vermehrungsrate der Zyzzkt dürfte das Küchenpersonal so groß sein, daß sie zu
viele Köche haben und sich damit den Brei selbst verderben«, grinste der Commander.
Dabei war ihm gar nicht so fröhlich zumute.
Er rechnete selbst mit Problemen.
Ein Volk, das die Mysterious besiegt hatte, mußte über enorme technische Mittel verfügen, die
einfach unvorstellbar waren.
Was erwartete sie in jenem ominösen »Zentrum der Macht«?
Zunächst mußten sie die Sphäre wieder verlassen. Diesmal flogen sie fast geradlinig; der errechnete
Zickzackkurs spielte jetzt keine Rolle mehr. Er hatte seinen Zweck erfüllt.
Jetzt ging es nur darum, so schnell wie möglich wieder aus diesem Sektor hinauszukommen. Gisol
erhöhte die Geschwindigkeit erheblich, mußte aber dennoch immer wieder abweichen, weil hier und da Sterne mit ihren Planeten im Weg waren. Die hohe Stem-dichte in diesem Bereich war ein nicht zu unterschätzendes Hindernis. Auch auf dem Rückweg stellte sich immer wieder das gleiche Problem: Bei jedem Eindringen in eine andere der Kugelschalen lösten sie irgendwie Alarm aus und hatten prompt die Zyzzkt-Raumer am Hals. »Es funktioniert also auch in umgekehrter Richtung«, sagte Manlius überflüssigerweise und fügte hinzu. »Aber welchen Sinn soll das nun haben?« »Absolute Kontrolle«, sagte Gisol. »In dieser Hinsicht sind die Zyzzkt ein wenig paranoid.« »Was ich nicht so ganz verstehe«, sagte Arc Doorn bedächtig, »ist das: Die fliegen Ringraumer. Wir fliegen Ringraumer. Technisch wohl weitgehend identisch. Wieso lösen wir Alarm aus und die nicht?« »Gute Frage. Wir müßten einen ihrer Raumer in die Hand bekommen und untersuchen«, sagte Manlius. »Ich denke mal, die arbeiten mit Transpondem.« »Das ist ja auch eines unserer geringsten Probleme«, bemerkte 304 Tschobe spöttisch. »Wir funken die nächste Angreiferflotte an und verlangen, daß sie uns einen ihrer Raumer zur Verfügung stellt.« Manlius runzelte die Stim. »Ich meinte das ernst.« »Ich auch«, erwiderte der Afrikaner. Die EPOY raste weiter. Die nach ihr suchenden Zyzzkt-Raumer stellten keine wirkliche Gefahr dar. Dafür war die EPOY längst zu schnell. Der Rückzug war einfacher und rascher zu vollziehen als das Eindringen in die seltsame Stemballung. Selbst wenn die Tarnung des Worgun-Raumers versagt hätte, wäre es den Zyzzkt kaum gelungen, der EPOY zu folgen und sie anzugreifen. Bei der hohen Überlichtgeschwindigkeit könnten sie sie vielleicht noch erfassen, aber keinesfalls mehr verfolgen. »Wir sind draußen«, meldete Doorn schließlich von der Ortung. Dhark nickte Gisol zu. »Dann los«, munterte er den Freund auf. Immer noch beschleunigte die EPOY. Sie hatte nur einen Bruchteil der Zeit benötigt, aus der Sphäre herauszukommen, die das Eindringen in Anspruch genommen hatte, und auch jetzt noch wurde sie unaufhörlich schneller. Der Überlichtfaktor betrug bereits mehr als vier Millionen; kein Vergleich zu der anfänglichen Schleichfahrt. Der Hyperkalkulator bekam zu tun. Er stellte permanent neue Kursberechnungen an, die Daten der Ortung abgreifend und verarbeitend. Hier »draußen« standen die Sterne zwar nicht mehr so immens dicht wie in der Ballung, dennoch war immer wieder irgendwo irgendwas im Weg. Gisol bevorzugte den Flug durch den freien Raum; er wollte nicht durch die Magnet- und Schwerkraft felder der diversen Sonnensysteme fliegen. Und vor allem - niemand wußte genau, wer da wohnte, und ob dieser »wer« nicht vielleicht durch einen dummen Zufall auf das aufmerksam wurde, was durch seinen Einflußbereich flog. Trotz aller Beteuerungen des Römers traute Gisol dem neuen Ortungsschutz nicht hundertprozentig. Die Erfahrung hatte ihm gezeigt, daß nichts wirklich absolut sicher war. Weiterhin getarnt flog die EPOY einen weiten Bogen um den eigenartigen Raumsektor, um sich ihm dann von einer anderen Seite her zu nahem. »Wir müssen sehr schnell sein, wenn wir überraschend in den 305 inneren Sektor vordringen wollen. Es muß so rasch gehen, daß die Zyzzkt gar keine Chance mehr haben, den Alarm wahrzunehmen -wenn der in der äußeren Schale ausgelöst wird, müssen wir gewissermaßen schon >drinnen< sein«, sagte Ren Dhark. »Wir sollten es vielleicht doch mit einer Transition versuchen.« »Auf keinen Fall«, wehrte Gisol ab. »Dann haben sie sofort unseren Eintauchpunkt. Außerdem ist mir das zu riskant. Die Sonnen stehen mir da etwas zu dicht beieinander. Ich möchte nicht in einem Zentrum oder auch nur in einer Korona materialisieren, und auch nicht durch Zufall in einem dieser Planeten. Wenn wir im Intervallfeldschutz hindurchrasen, ist das weniger problematisch.« »Die Sternkarten«, setzte Manlius an, aber Gisol unterbrach ihn. »Die Sternkarten sind vielleicht nicht präzise genug«, sagte er. »Zudem weiß ich nicht genau, wie alt sie sind. Wenn sie vor tausend oder mehr Jahren erstellt wurden, stimmen die stellaren Posi tionen nicht mehr. Das ist mir für eine Transition zu vage. Wir werden mit höchstmöglicher Überlichtgeschwindigkeit die Schalen durchdringen. Der Hyperkalkulator wird einen Kurs berech nen, mit dem wir allen Hindernissen aus dem Weg gehen.« Dhark wünschte sich in diesem Moment Anja Riker her, die absolute Expertin für die WorgunHypermathematik. Es gab keinen Menschen, der sie so perfekt beherrschte wie Anja. Sie hätte die
Berechnungen kontrollieren können. Aber sie befand sich an Bord derPOINTOF.
»Ich schlage für jeden etwa drei Stunden Ruhe vor«, empfahl Gisol, »mich selbst eingeschlossen.
Die Automatik wird die EPOY fliegen und Alarm geben, wenn etwas Unvorhergesehenes ge
schieht. Aber in etwa drei Stunden dürften wir soweit sein, daß wir wieder in den gesicherten
Raumsektor hineinstoßen können.«
Dhark sah den Mysterious von der Seite an. Der Gestaltwandler war also doch nicht unendlich
belastbar.
Schließlich war es soweit. Die EPOY drang von der entgegengesetzten Seite mit einem Überlichtfaktor von zehn Millionen in den gesicherten Sektor ein. 306 Der Hyperkalkulator hatte den Kurs berechnet; und Gisol ließ ihn von der Automatik fliegen. Er hielt sich nur bereit, über die Gedankensteuerung einzugreifen, wenn etwas nicht hundertprozentig stimmte. Bei ihrem Umrundungsflug hatte die EPOY unablässig beschleunigt; jetzt mußte sie bereits mit hohen Werten abbremsen, um nicht immer noch mit einem geradezu aberwitzigen Tempo über das Ziel hinauszuschießen. Denn der abrupte Übergang von Sternensog zu SLE war nur bis zu einer bestimmten Geschwindigkeit gefahrlos möglich. Sie lag, wie Dhark selbst wußte, bei einem ÜLFaktor von etwa einer Million. War das Raumschiff noch schneller, würde es wahrscheinlich zerfetzt. Da konnten auch die Andruckabsorber nicht mehr helfen, und die Massenkontrolle, die jede Flieh- und Beharrungskraft und die Masseträgheit kompensierte und steuerte, funktionierte ja nur bei Sternensog, wenn die POINT OF sich in ihrem Intervallfeld, ihrem eigenen Mimweltraum, befand. Und in der EPOY war das nicht anders. Selbst bei einmillionenfacher Lichtgeschwindigkeit konnte es schon zu Problemen kommen, wenn von einem Moment zum anderen die Intervallfelder abgeschaltet wurden und der Raumer auf einfache Lichtgeschwindigkeit gepolt wurde. Jemand hatte einmal zu bedenken gegeben, daß dann unbedingt eine Transition ausgelöst werden würde, weil Sternensog ohne Intervallfeld ja Transition bedeutete. Aber die Praxis sah anders aus. Vermutlich arbeiteten die Module, die eine Transition steuerten und auslösten, nur im unterlichtschnellen Bereich und waren bei Überlichtgeschwindigkeit so überfordert, daß sie sich wegschalteten. Dharks Hände umfaßten die Lehnen seines Kontursitzes, als wolle er sie zerdrücken. Wenn er selbst in abgesicherte Bereiche der Mysterious vorgestoßen war, weil er sich einfach nicht hatte abweisen oder hinauswerfen lassen, hatte er das meistens mit einer metergenauen Transition durchgeführt. Das war aber hier nicht möglich. Er sah sich einer ungewohnten Situation gegenüber. Sie flogen das Zielgebiet an, statt einfach mitten hinein zu springen. 307 Die EPOY durchraste mit ständig sinkender Geschwindigkeit die Kugelschalen. Doorn hatte sich in
den Maschinenraum begeben. Dort überwachte er den Antrieb, soweit das möglich war.
»Belastung bei 98 Prozent«, meldete er über die Bordverständi-gung.
Damit war die Bremsleistung gemeint - oder wie es offiziell hieß, die negative Beschleunigung. So
viel Energie die EPOY zuvor aufgewandt hatte, um auf Tempo zu kommen, so viel wurde jetzt für
das Abbremsmanöver verpulvert.
Irgendwie hatte Dhark das Gefühl, daß in der Berechnung des Hyperkalkulators der Wurm steckte.
Etwas stimmte nicht. Es war nur ein Gefühl, das er nicht konkretisieren konnte, aber es warnte ihn.
Dabei war es praktisch unmöglich, daß der Hyperkalkulator sich verrechnet hatte!
Hatte Gisol das Bremsmanöver eine oder zwei Sekunden zu spät eingeleitet?
Das konnte entscheidend sein!
In diesem Geschwindigkeitsbereich waren selbst Sekunden von größter Bedeutung. Da gingen
Hunderte oder Tausende von Lichtjahren durch...
Sollte er noch einmal eine Neuberechnung der Kurs- und Geschwindigkeitsdaten fordern?
Doch das bedeutete, daß der Anflug abgebrochen und später wiederholt werden mußte!
Aber dann waren die Zyzzkt vielleicht wachsamer als jetzt!
Derzeit rechneten sie nur mit einem Raumer, der relativ langsam einflog, von Schale zu Schale.
Und der wieder verschwunden war.
Wenn jetzt die EPOY mit einem Affentempo durch die Warn-felder raste, konnten sie zwar nicht
schnell genug reagieren, aber sie würden es sich merken. Die Zyzzkt waren alles andere als dumm.
Sie würden sich vermutlich recht schnell auf ein Objekt einrichten, das mit einer so hohen
Geschwindigkeit herankam.
»Dritte Schale...«
Dann: »Vierte...«
Hinter ihnen war Chaos. Die jeweiligen Alarmimpulse brachten die Zyzzkt in Aufruhr. Wieder
starteten sie ihre Flotten, die aber
308 viel zu spät kamen. Selbst wenn die EPOY ungeTarnt geflogen wäre, hätten sie sie nicht mehr erreicht. Allenfalls wäre es ihnen gelungen, den Kurs des Ringraumers zu ; berechnen. Aber was hätte es ihnen genützt? Bei diesem hohen l Tempo ließen sich Abfängflotten nicht mehr rechtzeitig starten. Allenfalls noch in der innersten Kugel, im Zentrum dieser eigenartigen Sphäre. Immer weiter stieß die EPOY vor, mit immer noch hoher Ge »schwindigkeit. Der Raumer bremste immer noch ab. »100 Prozent«, meldete Doorn aus dem Maschinenraum. Früher, bei den Flügen mit der POINT OF, wäre das kein Grund zur Besorgnis gewesen. Damals hatte das Flaggschiff der POINT OF Belastungen von mehreren hundert Prozent verkraftet. Woran das lag, hatten die Terraner erst erkannt, als sie feststellten, daß sowohl die POINT OF als auch die erbeuteten S-Kreuzer auf »Sparflamme« liefen. Ihnen fehlte der Tofiritstaub als Brennstoff. In Ausnahmesituationen wurde zwar die Energieabgabe entsprechend hochgefahren bis auf schier unglaubliche Werte - die für den »Vollbetriebsmodus« durchaus normal waren. Damals allerdings lief das Schiff im »Energiesparmodus«, und es wurden die letzten Reserven zusammengekratzt... Als dann schließlich die Konverter der POINT OF mit Tofiritstaub beschickt wurden, schaltete der Ringraumer schlagartig auf (den Vollbetriebsmodus um. Teilweise gab es ganz andere Statusanzeigen. Wo früher die Energieleistung 100 Prozent betrug, lag sie jetzt gerade noch bei 20 oder 25 Prozent. Das, was früher Überlastung gewesen war, war jetzt normal! Und auch die EPOY, deren Speicher mit Tofirit gefüllt waren, flog im Vollbetriebsmodus. Das hieß, wenn jetzt 100 Prozent angezeigt wurden, war keine Luft mehr drin. Das war nun wirklich das absolute Maximum. Gisol hieb mit der flachen Hand auf die Konsole. »Wir sind noch zu schnell!« stieß er hervor. »Abbrechen!« schlug Ren Dhark vor. »Nicht mehr jetzt, wo wir so nahe dran sind!« Der Worgun wirkte beinahe fanatisch. Wie oft hatte er schon versucht, das Machtzentrum zu finden 309 erfolglos. Und jetzt stand er kurz davor! Zumindest deutete alles daraufhin.
Das wollte er sich nun nicht mehr nehmen lassen!
Dreizehnte Schale erreicht...
Und immer noch war die EPOY zu schnell!
»Wir müssen unter eine Million ÜL kommen, wenn wir in der innersten Schale sind!« warnte
Dhark. »Oder wir müssen auf der anderen Seite wieder ausfliegen und dann zurückkehren, nur ist
der Überraschungseffekt dann verpufft...«
»Weiß ich!« schrie Gisol ihn an. Er schien tatsächlich wütend zu sein. Auf wen oder was, konnte
Ren nur spekulieren.
Vierzehnte Schale!
»Konverter immer noch auf 100 Prozent!« meldete Doorn. »Hier leuchtet alles Rot auf! Bremsen
Sie weniger stark, oder mir fliegen hier die Aggregate um die Ohren!«
»Die fliegen nicht!« widersprach Gisol« »Machen Sie nicht sich und uns verrückt, Doorn!«
»Abbrechen, Gisol«, warnte Dhark erneut. »Das packen wir nicht mehr! Die Berechnungen sind
falsch.«
»Aber das ist unmöglich! Der Hyperkalkulator...«
»Kocht auch nur mit Wasser, Mann!« unterbrach ihn Dhark. »Er kann nur mit den Daten arbeiten,
die man ihm eingibt, und wenn in denen schon ein Fehler steckt...«
»Die Daten sind fehlerlos errechnet!« behauptete Manlius.
»Ja...« Dhark winkte ab. »Gisol, starte durch. Wir sind zu schnell für einen Stop! Wir müssen auf
eine Million 'runter, oder noch niedriger, sonst...«
»Fünfzehnte Schale!«
Sie waren drin!
Und im gleichen Moment kam es zur Katastrophe.
21.
Simon war erleichtert, das Bergungsschiff zuvor erkundet zu haben. Er lief, seinen Umhang von sich werfend, durch die in der Trägerplatte versteckten Räume, als wäre er schon tausendmal hier gewesen. Dennoch nahm er bei jedem Schritt weitere Informationen über die räumlichen Gegebenheiten in sich auf und speicherte sie. Bist du weder an Bord? rief er Hugo über Funk, während er in die Schaltzentrale des Bergungsraumers stürmte. Simons Sensoren erfaßten in Gedankenschnelle die Maschinen-und Kontrolleinrichtungen,.die seine große Erfahrung vor nur geringe Probleme stellten. Intuitiv führte er die Handgriffe durch, die die Schiffssysteme anlaufen ließen. Lichter flammten auf, und Diagramme erwachten zum Leben. Zufrieden las Simon die Anzeigen ab. Der äußere Eindruck und seine anfänglichen Begutachtungen hatten nicht getrogen. Offenbar war das Schiff in hervorragendem Zustand. Simon konnte verstehen, daß Tipori es nicht so einfach aufgeben wollte. Während er einige manuelle Schaltungen vornahm, kamen ihm Tiporis Worte wieder in den Sinn, und nun bestätigte sich deren Inhalt. Ein einzelnes Wesen konnte dieses Schiff unmöglich allein starten und in den Raum hinausbringen. Doch Simon war kein gewöhnliches Wesen. Der Wächter studierte die Statusanzeigen der Computersysteme. Sie zeigten Bereitschaft. Brennkreis ausgeschaltet, meldete die Spindel aus dem Flash. Ich steige mit Antigrav in den Hangar und lande. Simon nahm die Vollzugsmeldung kommentarlos hin. In menschlicher Manier nickte er zufrieden. Mochte Tipori sich den Kopf zerbrechen, wie seinem Kunden die Zerstörung des Kugel
311 raumers gelungen war, er würde zu keinem Ergebnis kommen. Während der gesamten Aktion war der Flash im Boden verborgen gewesen. Simons sensorische Blicke glitten über die Anordnungen der Bedienungselemente, er ging auf Nummer Sicher. Seine Finger flogen über die Konsolen und initialisierten die magnetische Ver riegelung. Niemand konnte nun noch ohne massive Gewalt in das Schiff eindringen. Du kannst das Schiff nicht alleine starten. Ohne Vorankündigung war Hugo in der Zentrale aufgetaucht und gab Simons eigenen Zweifeln Ausdruck. Daran habe ich auch schon gedacht, aber das wird sich zeigen, wehrte der Wächter ab. Er hoffte, daß er sich nicht irrte, sonst mußte er sich bald wieder mit dem Schrotthändler herumschlagen. Doch zuerst wollte er sein lästiges Erscheinungsbild loswerden. Allmählich begann sich die Gestalt des Kormoren aufzulösen. Zunächst zerflossen Kopf und Extremitäten, dann der Rumpf. Für eine kurze Übergangsphase verlor Simon jegliche Gestalt, bis sich der scheinbare Zerfallsprozeß umkehrte. Aus der amorphen Masse bildete sich eine humanoide Gestalt, Simons dunkelrote Hülle, in der zu leben er akzeptieren gelernt hatte, aus der er jedoch lieber heute denn morgen geflohen wäre. Nun berührte ihn der Wunsch nur oberflächlich, seine Konzentration war auf andere Vorgänge gerichtet. Hauchdünne Tofiritfäden schoben sich aus der stählernen Hülle, tasteten zitternd nach den Konsolen und erkundeten sie wie mobile Nervenenden, die ihre Entdeckungen zum Dechiffrieren an die Synapsen weitergaben. Simons Geist drängte aus seinem Körper heraus, stellte eine direkte Verbindung zum Bordrechner her und wurde quasi eins mit den ihn umgebenden Maschinen. Draußen tut sich etwas, drangen Hugos Impulse zu ihm durch. Zahlreiche von Tiporis Leuten hasten über das Landefeld. Was tun Sie? Ihre genauen Absichten lassen sich nicht erkennen. Jedenfalls nähern Sie sich uns. Simons eigene Fähigkeiten als Rechner verschmolzen mit denen des Bergungsraumers. Die Kommunikation bereitete ihm keine 312 Schwierigkeiten. Er erlangte Zugriff auf sämtliche Programme und Routinen und erkannte, daß es
ihm keine Mühe bereitete, sie zu kontrollieren und nach seinen Wünschen zu aktivieren.
Prallfelder aktiv, meldete Hugo. Schutzschinne wurden hochgefahren.
Das habe ich getan. So schnell, wie es nur elektrochemische Prozesse ermöglichten, erkundete
Simons Geist weiter die Subroutinen des Bordrechners. Mit jeder Speichereinheit, die er erreichte,
nahm er die internen Systeme ein wenig mehr in Besitz.
Draußen bricht eine ziemliche Unruhe aus. Die Kuchas ziehen sich zurück. Bevor die Funkbotschaft mental verklungen war, hatte Simon den gesamten Computemexus okkupiert. Es gab keinen verborgenen Speicher, in den er nicht eingedrungen, keinen noch so peri
pheren Datenstrang, dem er nicht gefolgt war. A-Gravpolster bauten sich unter dem gewaltigen stählernen Leib des Bergungsraumers auf und drückten ihn sanft nach oben. Es ist besser für die Burschen, wenn sie verschwinden.
Ich bestätige. Die Kuchas laufen, als ginge es um ihr Leben.
Das tut es ja auch. Was ist mit Tipori?
Der ist längst verschwunden.
Simon war erleichtert. Trotz allem wollte er nicht den Tod auch noch dieser Wesen auf dem Gewissen haben. Unter seinen Füßen begann der Boden zu vibrieren, als die Schiffsmeiler ihre Arbeit aufnahmen und die schiffseigenen Speicherbänke mit Energie versorgten. Dumpfes, stetig schneller werdendes Wummern drang aus dem Inneren des Raumers und kommunizierte schwingend mit jedem Tofiritmolekül von Simons künstlicher Hülle. Dann sprangen die Triebwerke an und brachten die stählerne Plattform gemächlich in die Höhe. Wir werden beschossen! Der Wächter zuckte innerlich zusammen. Also hatte er sich geirrt. Tipori wendete lieber Gewalt an, als Simon mit dem Raumer entkommen zu lassen. Sind wir gefährdet?
Prallschirme halten, aber ich wage keine Prognose, wie lange.
313 Simon suchte nach den Dateien der Bordbewaffnung. Es existierten keine. Mit einem Anflug von Bedauern dachte er an das Kriegsschiff aus Tiporis Flotte. Damit hätte er sich zumindest zur Wehr setzen können. Und dann? Was hätte das für die Bergung der NOREEN WE-LEAN genutzt? Simon ignorierte seinen eigenen Einwurf und konzentrierte sich auf die Schiffssteuerung. Mit steigender Geschwindigkeit stieg der Bergungsraumer. Schon war das Landefeld unter ihm nur noch als kleinerwerdende Parzelle zu erkennen, entfernte sich die Planetenoberfläche rasend schnell. Noch einmal gaben Tiporis Geschützbatterien Sperrfeuer, schlugen oberschenkeldicke Feuerbahnen in die sich grell verfärbenden Schirme der Plattform. Für Sekunden bäumte sie sich auf und ver suchte aus ihrem Kurs auszubrechen. Das Wummern der Meiler stieg an und steigerte sich zu einem enervierenden Crescendo. Dann raste der Bergungsraumer durch die Atmosphäre ins All hinaus.
Niemand verfolgte das Raumschiff, das sich mit halber Lichtgeschwindigkeit einem planetenlosen roten Riesen nicht weitab des Sommzot-Systems näherte. Simon hatte die NOREEN WELEAN aus ihrer Warteposition herbeibefohlen. Zu seiner Erleichterung hatte seine Neuerwerbung bei der Flucht von Himmfarr keine Beschädigungen davongetragen. Auch wenn der Wächter nicht erwartete, in Zukunft in Kämpfe verwickelt zu werden, war das Wissen, sich auf die Schutzschirme verlassen zu können, doch beruhigend. Simon hatte sich nicht geirrt. Die Möglichkeiten seines künstlichen Körpers befähigten ihn, den Raumer allein zu steuern. Gleichzeitig hielt er die Raumüberwachung im Auge. Er ortete keine verdächtigen Schiffsbewegungen. Auch wenn der Bergungsraumer unverdächtig wirkte, war ihm nicht daran gelegen, auf Zyzzkt zu treffen. Mit diesem Schiff fühlte er sich hilflos und ihnen gegenüber hoffnungslos unterlegen.
314 Ich bin in die Umlaufbahn eingeschwenkte meldete sich der Hyperkalkulator der NOREEN
WELEAN über Funk.
Die PROJEKT LEBEN erreicht den roten Riesen ebenfalls in Kürze, bestätigte Simon, obwohl ihm
klar war, daß die Geräte des Ringraumers das längst angemessen hatten.
PROJEKT LEBEN? echote Hugo verständnislos.
»Ich habe diese Kiste so getauft«, entgegnete Simon, unwillkürlich seine Sprechmöglichkeit
benutzend. Er hatte diesen Namen gewählt, weil das Schiff ihm dabei helfen würde, seine Mission
zu erfüllen und wieder einen menschlichen Körper zu erhalten. Seinen eigenen, ursprünglichen!
Allerdings hatte er nicht vor, seine Beweggründe Hugo zu erläutern.
»Wir werden einige Umbauten vornehmen. Dazu brauche ich die anderen Roboter, die von Dark
Mystery mitgekommen sind.«
Sie stehen dir zur Verfügung, Wächter Simon. Inzwischen werden sie sich genügend gut im
Ringschiff auskennen. »Die Umbauten betreffen die PROJEKT LEBEN«, korrigierte Simon, allmählich die negative Beschleunigung einleitend. »Ich habe vor, sie dahingehend zu modifizieren, daß sie vom Hyperkal kulator der NOREEN WELEAN aus gesteuert werden kann.« Sie soll ohne Besatzung auskommen? »Das ist das Ziel. Wie du siehst, gelingt es mir zwar, sie allein zu steuern, aber dieser Prozeß ist sehr anstrengend. Vor allem aber hindert er mich daran, mich anderen Dingen zu widmen.« Denn er konnte sich seine derzeitige Inaktivität nicht permanent leisten. Bei den vor ihm liegenden Plänen mußte er selbst aktiv werden, eine Option, die ihm als integraler Bestandteil der Schiffs systeme nicht blieb. Als die PROJEKT LEBEN in eine Kreisbahn um den roten Riesen einschwenkte, drang die NOREEN WELEAN in den Hangar ein und landete dort. Da sie ihr Intervallum benutzte, brauchte Simon nicht einmal die Hangarschotts hochzufahren. Nun, da der Ring-raumer in der Halle stand, kam Simon erst richtig zu Bewußtsein, welch perfekten Fang er gemacht hatte. Der Bergungsraumer mit seinen Abmessungen wirkte tatsächlich, als sei er in Hinblick auf seine spezielle Fracht konzipiert und gebaut worden.
315 Simon gönnte sich keine Ruhepause. Nachdem er die Roboter instruiert hatte, begannen die
Umbauarbeiten. Dabei erwiesen sich die Dienste von Hugos Kollegen als unverzichtbar. Mit ihrem
elektronischen Wissen und ihrer Fähigkeit, gleichzeitig als planender Computer und ausführendes
Werkzeug zu arbeiten, verringerten sie Simons Zeitkalkulation enorm. Er wollte sich nicht ausma
len, wieviel Zeit er allein für die nötigen Tätigkeiten gebraucht hätte.
Um so zufriedener war er mit dem Verlauf der Arbeiten. Wichtigste Prozedur war dabei die
Abstimmung von Hyperkalkulator und den BetriebssySternen des Bergungsraumers, für die die
Installation unzähliger elektronischer Bauteile und deren Verknüpfung sowie das Erstellen
zahlreicher neuer Programme erforderlich war. i»^ Daß die Verbundsteuerung auf Funkbasis
funktionieren sollte, B machte die Änderungen nicht leichter. Schließlich wollte Simon trotz
allem die Möglichkeit nicht verlieren, die NOREEN WELEAN aus dem Stand heraus autark
operieren zu lassen. Da waren Leitungen und feste Verbindungen nur im Weg.
Nachdem die Umbauarbeiten abgeschlossen waren, führte er zahlreiche Tests durch, die
ausnahmslos zu seiner Zufriedenheit :
verliefen. Nun konnte er so weit wie möglich auf den Antrieb des • Ringraumers mit seinen
verräterischen Signaturen und Emissionen verzichten. Die Gefahr, die nach ihm suchenden Zyzzkt
aufzuscheuchen, wurde damit nicht nur auf ein Minimum heruntergefahren, sondern praktisch
negiert.
Da die Insektoiden nach der PROJEKT LEBEN nicht fahndeten, hatte sich Simons
Aktionsspielraum dramatisch erhöht, zumal die Tarnvorrichtung der NOREEN WELEAN ein
Übriges tat. Aufgrund ihrer Kapazität war sie in der Lage, den Bergungsraumer mit in ihrem
schützenden Feld zu verbergen.
Wir können einen Testflug wagen, schlug Hugo vor. Ich habe abschließend noch einmal die
Hyperkommunikation der beiden Rechner überprüft. Es gibt keine Probleme. Der Hyperkalkulator
ist in sämtlichen SySternen beider Schiffe als Primärinstanz etabliert und verfügt über
übergeordneten Handlungsspielraum, ohne die Arbeitsroutinen des Zweitrechners zu blockieren
oder in ihrer Effizienz und Schnelligkeit einzuschränken.
310
Simon überlegte. Um einen Testflug kam er nicht herum, und derzeit bot sich die Gelegenheit, da
es im Raum ringsum ruhig war. Es befanden sich keine Schiffe als mögliche Zeugen in der Nähe.
Selbst wenn es zu Problemen käme, würde niemand aufmerksam werden.
Der Wächter kam nicht mehr dazu, die Anweisungen zu geben, denn eine Sirene gellte durchs
Schiff.
Transitionsalarm, meldete der Hyperkalkulator.
Simon starrte die Bildkugel an.
Eine schimmernde Ringröhre war soeben in dem Gasnebel re-transitiert.
Zyzzkt!
Simon warf sich m den Flash und jagte in den Weltraum hinaus, vor sich den Ringraumer der Zyzzkt. Hugo, ihr unternehmt den Testflug ohne mich, funkte er. Ich will definitiv wissen, daß der Hyperkalkulator sämtliche Systeme der PROJEKT LEBEN nicht nur in der Theorie beherrscht,
sondern auch im Feldversuch. Eine Kurztransition durchföhren, danach auf Normaltriebwerke schalten und unverzüglich wieder zurück in Parkposition. Im Anschluß instruierte er den Hyperkalkulator. Die Zyzzkt flogen jetzt mit energieintensiverem Sternensog. Zumeist transitierten sie, weil das kostbare Energie sparte, aber bei den widrigen Bedingungen, die innerhalb des Gasnebels herrsch ten, gingen auch sie kein Risiko ein. Zum Glück hatten sie keine Dämpfer verwendet, sonst hätte Simon sie womöglich zu spät entdeckt. Der eingeschlagene Kurs ließ keinen Zweifel am Ziel der Insektoiden. Er war von Simons vorherigem Ausflug noch in den Speicherbänken des Flash verankert. Sie steuerten das SommzotSystem an. Obwohl er getarnt war, hielt der Wächter ausreichenden Abstand zu dem Ringraumer. Urplötzlich war sein verzehrender Haß gegen die Zyzzkt wieder da. Es stand ihnen nicht zu, das Ringschiff der
317 Worgun zu fliegen. Wie mechanisch tasteten seine Finger nach den Waffenkontrollen des Flash. Ein unsinniger, wenn nicht sogar selbstmörderischer Reflex. Rasch zog er die Finger zurück, als er erkannte, was er im Begriff stand zu tun. Selbst mit dem absoluten Überraschungseffekt auf seiner Seite hätte er in diesem Kampf nicht den Hauch einer Chance. Vorrangig wichtig war herauszufinden, was die Zyzzkt unternahmen. Tipori hatte erwähnt, daß sie Himmfarr zuweilen aus geschäftlichen Gründen aufsuchten. Deshalb hatte Simon eine Ahnung, was sie zu ihrem jetzigen Besuch trieb. Obwohl er sich über ihr Ziel im Klaren war, ließ er die Ortung keine Sekunde aus den Augen, bis der Ringraumer Himmfarr erreichte. Simons dunkle Ahnung bestätigte sich. Die Zyzzkt landeten aufTiporis Landefeld. Wenn ich das geahnt hätte! Er dachte an Tiporis Worte. In dieser Gegend konnten sich allein Zyzzkt das extrem teure AlaMetall leisten. Als ihr Ringschiff nach kurzer Zeit wieder startete, zweifelte er nicht daran, daß sie seine ehemalige Ersatzladung Tofirit erworben hatten. Ein Grund mehr, sie aus der Galaxis zu pusten! Simon mußte seinen irrealen Drang niederkämpfen, um nicht von ihm übermannt zu werden. Wenn er sich hier verzettelte, schwanden seine Aussichten, seine eigenen Pläne in die Tat umzusetzen, ins Bodenlose. Die Zyzzkt würden kurzen Prozeß mit ihm machen. Sie hielten sich nicht lange auf, sondern machten sich unverzüglich auf den Rückweg. Stetig beschleunigend, raste der Ringraumer in den Gasnebel hinaus. Hugo, wie ist die Lage bei euch? nahm Simon Verbindung auf. Keine Probleme, meldete sich der Spindelroboter. Wir sind im Unterlichtflug und bereiten die Rücktransition vor. Nicht transitieren. Ich komme mit dem Flash. Sobald ich an Bord bin, starten wir unverzüglich. In Kürze wird die Transition eines Zyzzkt-Raumers erfolgen. Wir brauchen die genauen Daten, denn wir müssen dranbleiben. Simon wußte selbst nicht genau, was er sich von einer Verfolgung der Zyzzkt versprach. Noch war er nicht von der uneinge
318 schränkten Betriebsbereitschaft seiner Schiffe überzeugt, und eigentlich hatte das Priorität. Zudem
konnte er in jedem Winkel von Om auf Zyzzkt treffen, wenn ihm danach war. Doch ein eigenarti
ges Gefühl trieb ihn an, etwas wie ein siebter Sinn, der ihm einreden wollte, ausgerechnet dieser
eine Ringraumer unter unzähligen verdiene besondere Aufmerksamkeit.
Ist etwas Außergewöhnliches geschehen?
Ende! Simon schaltete kurzerhand die Verbindung ab.
Er hatte das irritierende Gefühl, zu spät zu kommen, und trieb das zylinderförmige Beiboot zur
Höchstleistung. Die Zeit, die bis zum Erreichen des Zielgebiets verging, erschien ihm wie eine
Ewigkeit. Dabei hatte er alle Zeit des Universums, so lange er in dem Tofiritleib steckte.
Zum Glück war die PROJEKT LEBEN genau auf Kurs und kam ihm entgegen. Simon
verschwendete keine Zeit mit Erklärungen, sondern schleuste kurzerhand ein.
Die Zyzzkt verlassen den Nebel und leiten Transition ein, empfing ihn Hugo.
Sprungdaten ermitteln und Verfolgung aufnehmen^ wandte sich Simon per Gedankensteuerung an
den Hyperkalkulator. Volle Tarnung! Dämpfer auf maximale Leistung!
Der Bergungsraumer huschte wie ein Schatten aus dem Sonnenorbit und beschleunigte mit
Irrsinnswerten. Dann reagierte die Automatik.
Transition jetzt! Simon hatte keine Ahnung, wo das Schiff retransitieren würde. Hoffentlich nicht mitten in einem Wespennest.
Er starrte auf die Anzeigen. Die Zyzzkt sprangen mit unterschiedlichen Reichweiten, dreimal,
viermal, und noch war kein Ende in Sicht. Bislang hatte der Hyperkalkulator keine Schwierig
keiten, ihnen zu folgen.
»Sternkarten einblenden!« forderte Simon. »Sommzot, Orientie-rungsstops und derzeitige Position
markieren!«
Hugo hatte sich mit sämtlichen Bedienungseinrichtungen ver
319 traut gemacht und kam dem Hyperkalkulator zuvor. Nachdenklich betrachtete Simon die Bilder, die sich ihm Augenblicke später boten. Offenbar hegten die Zyzzkt nicht den geringsten Verdacht, daß jemand sie verfolgen könnte. Sie änderten nicht einmal den Kurs, sondern bewegten sich auf einer beinahe perfekten Geraden. In Gedanken verlängerte Simon die Linie, erhielt aber keine markante Zielvorstellung. Er kannte sich einfach zu wenig in diesem Bereich Oms aus. Das Ziel der Zyzzkt scheint im Randbereich der Galaxis w liegen. »Wenn sie diese Sterneninsel nicht sogar verlassen.« Aber daran glaubte der Wächter nicht
wirklich.
Nach wenigen Minuten ging der Ringraumer der Erzfeinde der Worgun in erneute Transition.
Inzwischen hatte sich Simon daran gewöhnt, daß bei der angleichenden Verfolgung keine Probleme
auftraten, so auch diesmal nicht. Er fragte sich, wie weit und wohin ihn die Reise noch tragen
würde. Allmählich kam er zu dem Schluß, seine Zeit zu verschwenden. Bei den Zyzzkt schien es
sich um eine versprengte Splittergruppe zu handeln.
Er stöhnte überrascht auf, als die PROJEKT LEBEN nach dem Sprung zeitverlustfrei in den
Normalraum zurückfiel. Nie zuvor in seinem Leben hatte er sich mehr geirrt. Wie gelähmt
wanderten seine Blicke über die Ortungsechos und die Aufnahmen, die die Bildkugel lieferte.
Wir müssen sofort hier weg! drängte Hugo.
Simon vergewisserte sich, daß der Hyperkalkulator eigenständig reagierte. In dem Moment, da die
Gefahr sichtbar geworden war, hatte er sie ebenfalls erkannt.
Der Bergungsraumer raste einem nahegelegenen Sonnensystem entgegen, um sich vor der
erdrückenden Übermacht zu verstecken.
Wieder und wieder richtete Simon seine Sensoren auf die Anzeigen und ließ sich die eingespielten
Zahlen bestätigen. Auch wenn er nicht glauben wollte, was er sah, blieb ihm nichts anderes übrig,
als die Fakten zu akzeptieren.
Eine gewaltige Flotte war am Rande Oms zusammengezogen.
Acht gewaltige Arkan-Schiffe und unvorstellbare 56 Erron-Raumer.
320 Dazu fast eine Million sonstiger Raumschiffe. Simon erfaßte nicht nur Ringraumer, sondern
zahlreiche unterschiedliche Bautypen, die ihm völlig unbekannt waren.
Was ging in dieser abgelegenen Region am Rande der Galaxis vor sich?
Ein ganz mieses Gefühl bemächtigte sich des Wächters. Nie hätte er gedacht, daß eine derartige
zusammengezogen?
Was er sah, waren großmaßstäbliche Kriegs Vorbereitungen. Oder sah er zu schwarz, und es gab
Hoffnung in einer anderen Richtung? Eine solch unüberschaubare Anzahl von Raumschiffen Flotte
existieren könnte. Woher kamen all diese Schiffe? Und wozu waren sie in diesem Sektor setzte sich
nicht einfach so in Bewegung.
»Vitalfunktionen erfassen!«
Die ermittelten Werte versetzten ihm den nächsten Schock.
All die Raumschiffe dort draußen waren bemannt. Mit Milliarden von Lebewesen, wie die
Anzeigen unmißverständlich klarstellten.
Und ein Gedanke ging Simon nicht aus dem Kopf, die Angst vor dem, was er zu sehen glaubte.
Die gewaltigste Kriegsflotte, die jemals existiert hatte.
22. Intervallfeld auf Null! Von einem Moment zum anderen! Andruckabsorber heulten unter höchster Belastung auf. Der Hyperkalkulator gab höchste Alarmstufe. Die Schiffszelle dröhnte wie eine zersprungene Glocke. Die Menschen an Bord wurden in ihre Sitze gepreßt oder von den Füßen gerissen. Das gesamte Kontrollpult schien nur noch aus Warnmeldungen zu bestehen. Aus Richtung des Maschinenraums kam ein urtümliches Brüllen und Dröhnen, als finde dort gerade der Weltuntergang statt. Der Gravitationsschlag raubte Dhark und Manlius fast die
Besinnung. Gisol war nichts anzumerken, aber Dhark ahnte, daß auch der Gestaltwandler erheblich
zu leiden hatte.
Der Alarm hielt an.
An verschiedenen Stellen sprühten Funken; die entsprechenden Instrumente waren den
Belastungswerten nicht gewachsen und brannten durch. Der Schwerkraftvektor im Inneren des
Raumschiffs wechselte rasend schnell. Am Hyperkalkulator standen alle Wamanzeigen auf Rot,
Alarmfarbe bei den Worgun ebenso wie bei den Terranem.
Dhark hatte ebenso wie Gisol die Orientierung verloren. Der Raumer trudelte durchs All, mit
hochrelativistischer Geschwindigkeit. Gisols Hände flogen über die Steuerschalter, aber Reaktionen
des Schiffs wurden nicht gemeldet. Es war zu einem Spielball hy-perdimensionaler Kräfte
geworden.
Das ebbte rasend schnell ab!
Aber der Hyperkalkulator hielt den Alarm aufrecht.
»Was zum Teufel ist hier passiert?« keuchte Manu Tschobe.
Dhark zuckte mit den Schultern.
»Wir waren noch viel zu schnell, als wir von Sternensog auf
322 SLE zurückgeschaltet haben«, behauptete er.
»Wir haben gar nicht zurückgeschaltet«, rief Gisol. »Wir sind geschaltet worden!
Schadensmeldung an Zentrale!«
»WS-West - nicht einsatzbereit«, meldete Amy Stewart.
»WS-Ost nicht einsatzbereit. Die Anzeigen spinnen, hier ist eine Menge in Unordnung geraten«,
ergänzte Lati Oshuta.
»Ortung muß neu kalibriert werden«, meldete Tschobe. »Hier sieht's aus, als habe der Blitz
eingeschlagen!«
»Intervallfeld läßt sich nicht aufbauen«, erklärte Manlius. »Intervallwerfer erhalten keine
Energie.«
»Maschinenraum!« verlangte Gisol. »Bitte melden!« - Dann, nach kurzer Pause:
»Maschinenraum! Was ist los, Doorn?«
Erst beim dritten Versuch erhielt er Antwort.
»Die Hölle...«
In jenem Moment, als die EPOY von Sternensog auf Sub-Licht-Effekt umschaltete, flog Arc
Doorn die Technik regelrecht um die Ohren - so, wie er es befürchtet hatte. Blitze zuckten durch
den Maschinenraum; die Bildkugel, die es hier ebenso wie in der Zentrale gab, verlosch von einem
Moment zum anderen. Doorn schrie entsetzt auf, als er sah, wie einer der 24 kugelförmigen
Konverter aus seiner Halterung herausflog und funkensprühend niederprallte. Mehrere Sekunden
lang loderten Flammen, und Doorn glaubte schon, im nächsten Moment müsse der Konverter, der
immerhin auf 100 Prozent Leistung lief, explodieren - aber das geschah dann doch nicht. Die
Flammen und Funken erloschen, aber das verdammte Ding glühte und strahlte eine unglaubliche
Hitze ab. Die Unitallverkleidung hatte sich ein wenig verfärbt. Dem Sibirier sträubten sich die
Haare - immerhin betrug der Schmelzpunkt von Unitall sage und schreibe 143 750 Grad Celsius!
In dem Aggregat mußte eine unglaublich hohe Temperatur herrschen!
Der Konverter wurde heiß!
Er war vom Versorgungsnetz getrennt, aber er arbeitete nach wievor unter Vollast! Irgendwo
mußte die Energie, die er lieferte, hin!
323 Das verdammte Ding stand nahe davor, superpromptkritisch zu werden! Abschalten! Die Gedankensteuerung reagierte nicht auf Doorns Wunsch. Entweder weil sie seine Anweisungen nicht akzeptierte oder weil sie auf den losgerissenen Konverter keinen Einfluß mehr hatte. In der POINT OF hatte Doorn schon einen durchbrennenden Konverter aus dem Maschinenraum entfemen und ins All stoßen lassen, damit er da in aller Ruhe und ohne jemanden zu stören auseinanderfliegen konnte, nur hatte er da Roboter zur Verfügung gehabt, die das unglaublich schwere Ding transportierten und nebenbei immun gegen die Hitze und Strahlung waren. Diese Robs gab es in der EPOY aber nicht. Hier war Handarbeit gefragt! Weitere Alarmmeldungen kamen. Mehrere Andruckabsorber waren durchgebrannt. Hier und da entstanden Brände. Auch im Maschinenraum.
In der POINT OF gab es Löschmechanismen.
In der EPOY offenbar nicht, sonst wären sie bereits in Tätigkeit getreten. Oder auch die
Löschautomatik war beschädigt worden.
Doorn versuchte über die Bordverständigung die Zentrale zu erreichen. Aber das funktionierte
nicht. Er kam nicht durch.
Plötzlich tauchte Ren Dhark auf. »Doorn! Was ist hier los? Warum melden Sie sich nicht?«
»Fragen Sie die Scheiß-Worguntechnik! Der Teufel soll die Mysterious holen!«
Diesen unfrommen Wunsch äußerte er nicht zum ersten Mal in seinem Leben.
»Hier ist doch alles für die Katz!« grollte der Sibirier. »Wo hat dieser Irre seinen Pilotenschein
gemacht? Dem drehe ich den Hals um! Der hat sein wunderschönes Schiff in einen Haufen Schrott
verwandelt!«
Ganz stimmte das nicht, aber Doorn lag mit seiner Behauptung sehr dicht an den Fakten. Die
EPOY war schwer beschädigt.
Plötzlich stürmte Doorn auf den losgerissenen Konverter zu. Er griff zu, riß etwas heraus und
schleuderte es von sich.
»Au, verdammt«, schrie er auf. »Heiß, das Miststück...«
324 Im gleichen Moment begann die Hüllentemperatur des Konverters zu sinken.
»Was haben Sie da gemacht, Are?« fragte der Commander.
»Mir ist nur was eingefallen... dieser verdammte Schachtelkontakt steuert die Energieabgabe, nur
bringt er die auf Maximum, wenn er keine anderslautenden Befehle von der Gesamtsteuerung
erhält, und von der war das Rabenaas getrennt... zum Teufel mit den Mysterious und ihrer
Supertechnik! Mann... das verdammte .Ding hätte uns hier fast verbrannt...« | »Und Sie wußten das
und standen seelenruhig daneben?« 1l »Seelenruhig?« Doorn griff sich an den Kopf. »Seelenruhig
sagt Ider! Ich bin fast gestorben vor Panik...«
Aber die hatte er sehr gut versteckt!
Allmählich stabilisierte sich die Lage wieder. Gisol führte die Schadensanalysen durch.
Die EPOY war schwer in Mitleidenschaft gezogen. Das lag offenbar daran, daß sie mit viel zu
hoher Geschwindigkeit auf Unterlicht gegangen war. Der ÜL-Faktor von einer Million war
erheblich überschritten worden; der Ringraumer mußte noch mit l ,2 Millionen Überlicht unterwegs
gewesen sein, als er in die letzte Kugelschale von 20 Lichtjahren Durchmesser eindrang. Die
Berechnungen hatten sich als richtig erwiesen, und das Schiff hätte noch innerhalb dieses Bereichs
auf einen unterkritischen Wert abgebremst. l Doch das Intervallfeld war einfach
zusammengebrochen.
Gisol hatte es nicht abgeschaltet! Und vom Hyperkalkulator war |nachweislich auch kein derartiger
Befehl gekommen! Das hieß, daß etwas Fremdes das Intervall ausgeschaltet und den |Ringraumer
zum abrupten Rücksturz in den Sublichtbereich gezwungen hatte!
Eine neue Variante der Raumüberwachung der Zyzzkt? Griffen sie hier, in ihrem »Zentrum der
Macht«, zu den radikalsten Mitteln, über die sie verfügten, um Eindringlinge zu stoppen? Das
Tempo, bei dem die EPOY aus der Überlichtphase gerissen worden war, war jedenfalls noch viel
zu hoch gewesen. Es war für Ren Dhark keine Genugtuung, daß er frühzeitig darauf hingewiesen
hatte, daß sie zu schnell in diesen Raumsektor eindrangen. Es war nun einmal passiert, und sie
mußten einigermaßen damit fertigwerden.
Die Zentrale war üblicherweise besonders geschützt, hier kamen nur die hohen Gravitationskräfte
durch. Allein das war schon schlimm genug gewesen. Aber noch böser hatte es Maschinenraum
und Waffensteuerungen erwischt. Der Konverter, der sich aus der Verankerung gerissen hatte, war
in jenem Moment ausgerechnet als Energielieferant für die Waffensteuerungen zuständig gewesen.
Das führte zu Kurzschlüssen im System. Die Bordwaffen waren nicht mehr einsatzfähig.
Was aber das schlimmste war: Das Intervallfeld ließ sich nicht mehr aufbauen!
Und es war nfcht festzustellen, ob das an Schäden im Schiff lag oder an einem äußeren Einfluß!
Dhark vermutete letzteres, zumal die EPOY so abrupt aus ihrem Überlichtflug gerissen worden
war. Aber ganz sicher konnte er nicht sein.
Gisol erhob sich aus dem Kommandositz. »Die EPOY ist stark beschädigt, aber nicht verloren«,
sagte er. »Wir werden reparieren, was wir können, und...«
»Wenn man uns läßt«, unterbrach ihn Tschobe. »Ringraumer im Anflug...«
Zumindest die Ortung funktionierte also noch.
Tschobe meldete gleich mehrere große Ringraumerflotten, die sich aus verschiedenen Richtungen
näherten. Die am nächsten befindliche war nur etwa ein Lichtjahr entfernt.
»Benutzen Sie aktive Ortung?« entfuhr es Ren Dhark.
»Selbstverständlich«, bekannte Tschobe, »weil ich mit der Passivortung nicht so weit käme.« »Aber damit verraten Sie unsere Position! Die Zyzzkt werden die Ortungsstrahlen anpeilen und...« 326 »Da gibt es nicht mehr viel zu verraten, Ren«, erwiderte der Afrikaner trocken. »Weil unser
Ortungsschutz nämlich zum Teufel 4st!«
»Nein!« protestierte Manlius sofort. »Das ist unmöglich!«
»Der spinnt, der Römer«, kommentierte Tschobe trocken. »Wir haben nicht nur das Intervallfeld,
sondern auch die Tarnung verloren. Meine Instrumente zeigen es eindeutig an.«
»Die sind auch beschädigt«, behauptete Manlius. »Die von uns entwickelte Tarnung...«
»... ist am Arsche des Propheten«, unterbrach ihn Tschobe unierwartet unhöflich. »Überzeugen
Sie sich selbst, Manlius! Schauen Sie sich die Daten an!«
»Vielleicht sollten Sie Ihren Disput aufs nächste Jahr verschieben«, empfahl Dhark. »Was ist jetzt
mit den Ringraumern?«
»Sind alle auf Kollisionskurs zur EPOY, wie die Femortung verrät. Und-ha!«
»Können Sie das >Ha< auch übersetzen?« wollte Dhark wissen.
»Strukturerschütterung! Ein kleiner Verband von zwölf Ringraumern ist gerade transitiert!
Entfernung zehn astronomische Einheiten, hohe Restgeschwindigkeit. Die greifen an, Dhark!
Konverter arbeiten mit maximaler Leistung! Das gibt 'neu Feuerzauber...«
»Es wäre nett, Mister Tschobe, wenn Sie Ihre Meldungen auch an mich richten würden und nicht
nur an Ren Dhark«, machte sich Gisol erstaunlich ruhig bemerkbar.
»Pardon... alte Gewohnheit...«
Dhark grinste schief.
Gisol erwiderte nichts. Er starrte auf die Bildkugel, die die Fremdflotte zeigte. Es handelte sich
um zwölf Schiffe, die mit ih-|rer Transition sehr nahe an die EPOY herangekommen waren und '
mit SLE auf Angriffskurs gingen. Sie flogen fast lichtschnell.
Warum flogen sie nicht mit Sternensog und fächerten aus, um die EPOY in die Mitte zu nehmen
und dann von allen Seiten zugleich das Feuer zu eröffnen?
Ihre Intervallfelder funktionierten doch!
»Ausweichkurs«, murmelte Gisol im Selbstgespräch. Er belästigte einige Steuerschalter. Die
EPOY änderte ihren Kurs, wirkte
327 dabei aber recht träge.
Die gegnerische Flotte glich ihren Kollisionskurs sofort an.
»Mit einem kurzen Überlichtflug könnten sie uns spielend in die Zange nehmen und abschießen«,
sagte Gisol. »Warum tun sie das nicht?«
»Vielleicht ist Überlicht-Intervallflug in dieser innersten Kugelschale nicht möglich?« spekulierte
Ren Dhark. »Eine weitere Sicherheitsmaßnahme! Immerhin hat es uns ja auch total herausge
rissen.«
»Das wäre eine Möglichkeit«, gestand Gisol. »Aber keine, die mir gefällt.«
»Angreifer sind aufKemschußweite«, meldete Tschobe. »Werden gleich das Feuer eröffnen.«
»Wieso fliegen die schneller als wir?« grummelte Manlius.
»Vielleicht, weil sie keine Schäden haben«, erwiderte Gisol etwas bissig. »Sieht so aus, als wäre
bei uns noch etwas mehr kaputtgegangen, als wir bisher vermuten.«
Er flog erneut ein Ausweichmanöver. Unbeeindruckt setzten die Verfolger nach.
»Transition«, kündigte Gisol an, während er den Befehl zugleich in Gedanken formulierte. »Sprung
über fünf Lichtjahre in Flugrichtung berechnen. Ortung, Daten an Hyperkalkulator!«
Das war eher theoretisch; der Bordrechner holte sich diese Informationen selbst, war er doch damit
vertraut, daß im Normalfall die EPOY von einer einzigen Person geflogen wurde.
Aber daran dachten im Moment weder Tschobe, Dhark noch der Römer.
»Daten überspielt. In fünf Lichtjahren plus-minus einhalb keine festen Körper registriert«, meldete
Tschobe.
Der Hyperkalkulator zeigte die Sprungdaten an.
Gisol hieb mit der flachen Hand auf die grün pulsierende Taste.
Sternensog!
Transition, Sprung durch den Hyperraum!
... der nicht stattfand!
328
Über die wieder funktionierende Bordverständigung brüllte Arc Doorn aus dem Maschinenraum.
»Was zur Hölle machen Sie da, Gisol? Mir brennen hier schon wieder reihenweise die Aggregate
durch!«
»Transitionsversuch...«
»Und fehlgeschlagen, wie? Mann, kennen Sie Ihren eigenen Schrotteimer nicht? Dieser verdammte
Mist vorhin hat auch die Transitionsmodule durchbrennen lassen! Warum haben Sie mich nicht
vorher gefragt?«
»Neue Schäden?« fragte Gisol kalt.
»Natürlich! Hier...«
»Daten an Hyperkalkulator!« schnarrte der Worgun eiskalt. »Maschinenraum, Ende!«
Er zog die EPOY erneut in einen Ausweichkurs.
Die zwölf Verfolger eröffneten das Feuer.
»Sieht übel aus, wie?« wandte Gisol sich an Ren Dhark. »Könnte sein, daß sie uns diesmal
erwischen.«
»Wenn wir wenigstens zurückschießen könnten... aber solange die Waffensteuerungen keine
Energie bekommen...« murmelte Manlius. Er erhob sich.
»Wohin wollen Sie?« fragte Dhark.
»Maschinenraum! Ich werde Doorn bei den Reparaturen helfen. Ich kenne die Worgun-Technik
besser als er...«
Dhark lachte auf. »Wenn Sie meinen...« Er wußte immerhin, was Doorn bislang beim Erforschen
und Enträtseln gerade dieser Technik geleistet hatte. Aber Unterstützung konnte nicht schaden.
Auch Gisol erhob sich. »Ich gehe mit«, sagte er. »Ren, übernimm bitte die Steuerung. Versuche uns
die Massen vermehrer vom Hals zu halten.«
Dhark sah ihn etwas überrascht an. Ihn erstaunte immer wieder die Wandlung, die mit Gisol
vorgegangen war. Noch vor ein paar Wochen hätte er nicht einmal erlaubt, daß jemand anderer
außer Juanita oder notfalls noch Ren Dhark an Bord seines Schiffes kam, und jetzt gab er freiwillig
das Kommando ab!
Dhark schaltete die Hauptsteuerung zu seinem Platz am Kommandopult herüber. Gisol folgte
Manlius in Richtung Maschinenraum.
329 Die beiden Cyborgs in den Waffensteuerungen waren arbeitslos. Aber was hätten sie auch gegen eine ganze Flotte von Ringraumern ausrichten können? Immerhin bestanden die gegnerischen Schiffe ebenso wie das eigene aus Unitall. Dieses hochkomprimierte Kunstmetall wurde unter Strahlbe-schuß so kompakt, daß es jede hochenergetische Strahlung in 16 Zentimetern Tiefe zum Stillstand brachte. Die einzige Ausnahme bestand in Nadelstrahlbeschuß von mehr als 210 Sekunden Dauer. In seiner Zerfallswirkung übertraf Unitall dann jede nukleare Bombe. Es war unwahrscheinlich, daß die Zyzzkt der EPOY die Chance gaben, so lange Dauerfeuer auf eine bestimmte Stelle eines ihrer Schiffe zu geben! Umgekehrt sah das schon anders aus. Allein durch ihre Vielzahl konnten sie ein Sperrfeuer entfesseln, das die EPOY bei jedem Ausweichmanöver immer wieder in den Bereich ihrer Nadelstrahlen brachte. Und da waren sie schon! »Strukturerschütterung!« meldete Tschobe. »Wiedereintrittsbe-reich fünf Lichtminuten auf Gelb 23!« Aberwitzig nahe war die Zyzzkt-Flotte herantransitiert, um aus nächster Nähe das Feuer auf die EPOY zu eröffnen! Dhark ließ die Finger von den Steuerschaltern. Er benutzte die Gedankensteuerung, die weitaus schneller reagierte. Die EPOY ging in einen rasanten Ausweichkurs über. »Treffer!« Und - vorbei. Aber nur wenige Augenblicke später erfaßte der nächste Nadelstrahl die ungeschützte Hülle des Ringraumers. Intervallfeld aufbauen! forderte Dhark immer wieder. Ausführung unmöglich. Intervallwerfer erhalten keine Energie, kam regelmäßig die Antwort der Gedankensteuerung. Wieder wurden Treffer gemeldet. Die Zyzzkt schössen sich immer besser ein, trotz Dharks Pilotenkünsten. Sein jahrelanges Training mit der Gedankensteuerung 330 der POINT OF zahlte sich hier aus, aber alle Treffer konnte er den-y noch nicht vermeiden. Die POINT OF hätte er jetzt gern hiergehabt. Die hätte sich wenigstens mit dem Hy-Kon wehren können. Denn das wurde nicht | von den Waffensteuerungen aus eingesetzt, sondern von der Zen
trale.
Oder - besaß die EPOY diese unheimliche Waffe auch? Dhark probierte es aus!
Seine besondere Fähigkeit, zweigleisig zu denken, kam wieder zum Tragen. Während er über die
Gedankensteuerung wieder und wieder Ausweichmanöver flog, die die Andruckabsorber aufs
Höchste belasteten, führte er manuell die Schaltung durch, die das Hy-Kon auslösen sollte.
In einer ganz bestimmten Reihenfolge wurden Steuerschalter betätigt - in einer Reihenfolge, die
normalerweise keinen Sinn ergab! E Und die EPOY erwies sich als normal!
Schaltfolge gesperrt, weil widersinnig, meldete sich die Gedan-kensteuerung. l Die EPOY besaß
kein Hy-Kon!
»Strukturerschütterung! Unsere Freunde erhalten weitere Verstärkung! Zwanzig zusätzliche
Schiffe... Mann, die springen mit einer Präzision, als würden die Raumer von Robotern gesteuert!«
Dhark schaltete eine Sprechverbindung zum Maschinenraum. »Gisol, setzen die Zyzzkt auch
Robotschiffe ein?«
»Das haben die bei ihrer Vermehrungsrate doch gar nicht nötig«, K wehrte der Mysterious ab.
»Meine Vorfahren dagegen litten unter Personalmangel und ließen ihre Geschwader größtenteils
von Robotern fliegen.«
»Das haben wir erlebt«, murmelte der Commander, in dem die Erinnerung an die irrtümliche
Invasion des Sol-Systems durch eine automatikgesteuerte S-Kreuzerflotte wieder erwachte. Aber er
verdrängte sie wieder. »Wie weit seid ihr mit den Reparaturen? Wir müssen schnellstens hier weg!«
»Wenn Sie uns noch länger aufhalten, Dhark, sind wir in drei Jahren noch nicht fertig!« knurrte
der Sibirier aus dem Hintergrund.
331 Treffer!
Diesmal von fast zwanzig Schiffen zugleich, die aus allen Strahlantennen Dauerfeuer gaben und
diesmal die EPOY nicht mehr entkommen ließen. Trotz aller Versuche des Commanders, mittels
der Gedankensteuerung doch noch auszuweichen, war da nichts mehr zu machen.
Nadelstrahlbeschuß von mehr als 210 Sekunden Dauer erinnerte Dhark sich einmal mehr. Er
konnte nur hoffen, daß durch die ständigen hektischen Ausweichmanöver die Nadelstrahlen der
Zyzzkt nicht ständig die gleiche Stelle trafen. Dann hatten sie vielleicht noch eine Chance. Aber
jetzt feuerten noch mehr Schiffe. Die EPOY war in ein flächendeckendes Feuerwerk gehüllt. Die
überlichtschnellen, blaßroten Strahlen huschten über die Unitall-zelle, die allmählich zu schwingen
begann. Ein unheimliches, anschwellendes Dröhnen machte sich bemerkbar.
Noch richtete der Beschuß keine merklichen Schäden an. Die halbmeterstarke Unitallwandung fing
auch die Nadelstrahlen in 16 Zentimeter Tiefe ab. Aber die Vibrationen konnten Aggregate zer
stören und Verbindungen lösen. ^
»Doorn, Gisol - es eilt!«
210 Sekunden, das war nicht viel. Dreieinhalb Minuten!
Wie lange lag die EPOY schon unter Dauerfeuer?
Eine Minute? Zwei?
»Wenn wir nicht in spätestens einer Minute transitieren können, sind wir erledigt!«
Aus dem Maschinenraum kam keine Antwort.
»Was tun Sie da?« fragte Manlius erschrocken, als Doorn zum Spezialwerkzeug griff. Damit
begann er zwei Schachtelkontakte miteinander zu verbinden, die normalerweise den losgerissenen
Konverter an die Energieverbundleitungen koppelte.
»Ich schalte eine Notbrücke«, erklärte Doorn. »Die hält für eine Transition, aber nicht mehr...«
»Sie sind verrückt!« stieß Gisol hervor. »Sie zerstören mein Schiff! Diese Notbrücke läßt doch
noch mehr durchbrennen, weil
332 sie der geforderten Energieleistung überhaupt nicht gewachsen Doorn arbeitete weiter. Gisol wollte Doorn zurückreißen, aber der fuhr ihn an: »Haben E Sie nicht gehört, was Dhark sagte? Von der Minute ist nicht mehr viel übrig! Wollen Sie, daß wir alle mitsamt Ihrem verdammten Kahn zu einer kleinen Sonne werden?« Die Verbindung steckte! Zwei andere schloß er kurz und versiegelte sie. »Das ist zu riskant!« warnte auch Manlius. »Das Schiff wird explodieren!« »Das tut es auch, wenn die Zyzzkt uns den Fangschuß verpassen!« Doorn schleuderte das Werkzeug von sich und hetzte zum Kontrollpult. Er berührte Sensortasten.
Die Notüberbrückung loderte hell auf. Überschlagblitze zuckten. Etwas begann zu verglühen.
»Nein!« stöhnte Gisol und wollte die Notbrücke wieder entfernen, stoppte aber in der Bewegung.
Er würde zu Asche verbrennen.
»Maschinenraum an Dhark! Transitieren Sie - jetzt!« schrie Doorn in die Bordverständigung.
Im nächsten Moment war alles um sie herum nur noch eine tosende Feuerhölle!
Wir schaffend nicht, dachte Dhark. Er zählte die Sekunden. Noch dreißig vielleicht, dann kam das Ende der EPOY. Diesmal haben wir zuviel riskiert. Wie kann man auch nur so naiv sein zu glauben, mit nur einem Schiff in das abgesicherte Zentrum eines Imperiums eindringen zu können, das selbst die Mysterious besiegt hat! Aber sie waren so närrisch gewesen, es zu versuchen. Und nun zahlten sie ihren Preis dafür.
Das Schlimmste daran war, daß niemand in der POINT OF jemals erfahren würde, was hier
geschah. Aber wie hätten sie das Schiff erreichen sollen, ohne daß die Nachricht von den Zyzzkt
333 abgehört wurde? To-Funk schied in diesem Fall aus, weil sie nicht genau errechnen konnten, an
welcher exakten Position im Heerzug der Heimatlosen sich der Ringraumer befand.
Zehn Sekunden...
Sechs...
Da brüllte Doorns Stimme aus der Bordverständigung. »Maschinenraum an Dhark! Transitieren Sie
-jetzt!«
Der Commander handelte wie eine Maschine.
Seine Hand knallte förmlich auf den Transitionsschalter.
Notsprung!
Von einer Sekunde zur anderen war im Schiff das charakteristische Pfeifen zu hören, das die
Tonleiter hinaufraste, um im Ultraschallbereich zu verschwinden, und das war auch der Moment, in
dem die Transition ausgelöst wurde. Blitzschnell spielte dieser Vorgang sich diesmal ab, und dann
sprang die EPOY in den Hyperraum!
Positionswechsel in Nullzeit!
Ausfall der Bildkugel!
Ausfall des Hyperkalkulators!
Über das Kommandopult zuckten Blitze. Dhark hob die Hände hoch und warf sich zurück, als ein
Blitz auf ihn zu raste. Und dann war alles vorbei. Da war nur noch Weltraumschwärze...
23. Vor Gisol schien alles auseinanderzufliegen. Grelle Explosionsblitze zuckten durch den Maschinenraum. Die Notüberbrückung schmorte endgültig durch. Steuergeräte verbrannten. Eine Abdeckplatte schien im Zeitlupentempo durch die Halle zu rasen, streifte Gisol und riß eine klaffende Wunde in seinen Körper. Manlius wurde durch die Luft geschleudert und prallte gegen die Verkleidung eines Maschinensatzes. Doorn taumelte vom Kontrollpult weg und geriet in den Glutblitz einer Sekundärexplosion. Aufschreiend brach er zusammen. Schlagartig wurde es ruhig. Automatische Löscheinrichtungen wurden ausgelöst. Der Schaum prasselte auf Flammen und Glut nieder, aber auch auf menschliche Körper. Doorn wimmerte vor Schmerzen, als die Chemikalie seine verbrannte Haut traf. Gisol kämpfte gegen seine eigenen Schmerzen an. Als Gestalt-, wandler konnte er seine Verletzung rasch heilen. Er zwang seine |Körperzellen, sich wieder miteinander zu verbinden. Dennoch war ? dieser Vorgang nicht unproblematisch. Die beiden Menschen hatte es allerdings böser erwischt. Sie brauchten schnellstens medizinische Hilfe. »Gisol an Zentrale!« Die Bordsprechanlage funktionierte nicht. Der Worgun raffte sich auf. Vorsichtig brachte er nacheinander |Doorn und Manlius in die Medostation und aktivierte die automattische Versorgung. Doorns Verbrennungen waren erheblich, und iManlius hatte mehrere Knochenbrüche erlitten. Nach der Diagnose aktivierte der Worgun die entsprechenden Heilprogramme. Dann machte er sich auf den Weg in die Zentrale seines Schiffes. 335
Die Schwärze war der Notbeleuchtung gewichen. Am Hyperkalkulator flackerten Warnleuchten,
aber der Bordrechner schien allmählich aus dem elektronischen Nirwana zurückzukehren. Auch die
Bildkugel baute sich wieder auf. Sie zeigte einen wesentlich Sternenärmeren Raum als den,
welchen sie vorhin erlebt hatten -und vor allem keine feindlichen Raumschiffe.
»Ortung steht!« meldete Tschobe.
Der Hyperkalkulator gab wieder Klarmeldung. Dhark rief die Daten ab.
Die Nottransition hatte sie über eine Distanz von rund 800 Lichtjahren geführt. Wohin, ließ sich
allerdings nicht feststellen. Dazu bedurfte es größerer Mühen und Sternenkartenvergleiche.
Dhark fischte eine Schachtel aus der Brusttasche seiner Bordkombination und zog ein Stäbchen
heraus. Er schob es zwischen die Lippen, drehte kurz am Mundstück und hatte die Zigarette damit
automatisch in Brand gesetzt. Er inhalierte einen tiefen Zug.
»Sie auch, Tschobe?« ,
»Gem...«
Dhark warf ihm die Packung quer durch die Zentrale zur Ortungsabteilung zu.
Er hatte sich das Rauchen eigentlich abgewöhnen wollen, aber jetzt brauchte er das Nikotin. Er
nahm ein paar weitere Züge.
»Da haben wir wohl wahnsinniges Glück gehabt«, sagte Tschobe. »In zweierlei Hinsicht.«
»Wie das?«
»Zum einen, weil sie uns nicht in eine Atomwolke verwandelt haben, und zum anderen, weil unsere
Transition überlagert wurde. Im gleichen Moment, als wir sprangen, fiel eine weitere Zyzzkt-Flotte
aus dem Hyperraum. So konnten sie unsere Sprungkoordinaten auf keinen Fall anmessen.«
Die Notbeleuchtung wechselte auf Normal. Das vertraute, nahezu schattenlose Blaulicht erhellte
die Zentrale wieder. Zugleich wurde die Bordverständigung klar gemeldet. Nach und nach fuhren
die ausgefallenen Systeme wieder hoch.
336 »Maschinenraum«, verlangte Dhark. »Wie sieht es bei euch aus?«
»Schaurig«, erwiderte Gisol, der im gleichen Moment die Zentrale betrat. Dhark fiel auf, daß die
Bordkleidung des Worgun zerfetzt war.
Gisol nahm am Kontrollpult Platz und berichtete, was geschehen war.
»Ich habe Doorn gewarnt, aber er wollte nicht auf mich hören«, schloß er. »Jetzt sind die Schäden
noch größer als zuvor. Ich weiß noch nicht, was alles zerstört wurde, aber es ist erheblich.«
»Wenn er auf dich gehört hätte, wären wir jetzt schon Sternenstaub«, sagte Dhark und dachte an die
dritte Flotte der Zyzzkt. Viele Hunde waren des Hasen Tod. »Was ist mit Doorn und Manlius?«
»Sie sind in der Medostation. Ich denke, daß sie in einer Woche voll wiederhergestellt sein
werden.«
Tschobe erhob sich. »Ich kümmere mich darum.«
»Pfuschen Sie der Medo-Automatik nicht ins Handwerk«, mahnte Gisol. »Die Programme sind auf
terranischen und damit auch römischen Metabolismus abgestimmt - vergessen Sie nicht, daß auch
unser einstiges Hilfsvolk, die Salter, von Ihrer Erde sTarnmten.«
»Und Sie selbst?« fragte der dunkelhäutige Arzt.
»Ich bin wieder fit.«
Er widmete sich den Instrumenten. »Wollen doch mal sehen, wohin es uns verschlagen hat.«
Daß sein Selbstheilungsprozeß noch nicht endgültig abgeschlossen war und er starke Schmerzen
litt, verbarg er vor den anderen.
Die schwer angeschlagene EPOY war an der äußeren Grenze eines unbekannten Sonnensystems
aus der Transition gekommen. Fremde Raumschiffe waren weit und breit nicht zu orten. Die
Zyzzkt hatten die Spur wohl tatsächlich verloren.
Die galaktische Position war immer noch nicht festzustellen. Ren Dhark trug es mit Fassung; er
hatte sich schon öfters in einer
337 ähnlichen Situation befunden und war mit seinem Schiff und seiner Mannschaft immer wieder nach Terra zurückgekehrt. Mehr Sorge bereitete ihm der Zustand der EPOY. Die Schäden mußten dringend behoben werden. »Ich möchte nach Möglichkeit auf einem Sauerstoffplaneten landen, um die Reparaturen durchzuführen«, sagte Gisol. »Es geht erheblich schneller, wenn man das Schiff komplett abschalten kann und nicht ständig irgendwelche Maschinen laufen müssen, um die Lebenserhaltungssysteme im Gang zu halten.« »Was ist mit der Medo-Station?« fragte Tschobe etwas mißtrauisch. »Die werden wir auf Sparflamme in Betrieb halten. Sie besitzt eine autarke Notversorgung, die
nehmen wir. Später laden wir die Energiebänke wieder auf.« Die Ortungen der EPOY tasteten das System ab. In der Tat gab es einen Planeten in der Lebenszone. Gisol zeigte sich erleichtert. Er und die anderen hatten schon befürchtet, auf die Suche nach anderen SonnensySternen gehen zu müssen. Sie flogen den Planeten mit SLE an und gingen zunächst in einen Orbit, um so viele Daten wie möglich zu erfassen. Gisol wollte unangenehme Überraschungen weitgehend vermeiden. Der Planet stellte sich als unbewohnte Dschungelwelt heraus. Die relative Nähe zur Sonne sorgte für eine hohe Durchschnittstemperatur. Auch die Luftfeuchtigkeit war ziemlich hoch. »Sicher kein Vergnügen, da unten als Animateur für Touristenhorden arbeiten zu müssen«, brummte Manu Tschobe angesichts der Daten. »Ideen haben Sie«, seufzte Dhark. »Animateur für Touristen! Hier scheinen ja nicht mal die Zyzzkt Urlaub machen zu wollen! Wieso eigentlich nicht? Die lassen doch sonst keine Sauerstoffwelt ungeschoren!« Und nur 800 Lichtjahre von ihrem Ursprungszentrum entfernt? Das war mehr als seltsam... Die EPOY landete in den gemäßigten Zonen des nördlichen Polarkreises. Hier ließ es sich noch am ehesten aushalten. Die Atmosphäre war frei von Giftstoffen und Keimen, die für den menschlichen Metabolismus gefährlich werden konnten, wie Tschobe nach einer vierstündigen, äußerst sorgfältigen Analyse herausfand. Also 338 konnten die Schleusen geöffnet werden und die Frischluft des Planeten das Sauerstoffrecycling der
Lebenserhaltungssysteme ersetzen.
»Ich will das Schiff nur so weit wiederherstellen, daß ich meinen geheimen Stützpunktplaneten
anfliegen und es dort von der automatischen Werft vollständig reparieren lassen kann«, sagte Gisol.
Als einstiger Konstrukteur von Raumschiffsproduktionsanlagen hatte er sein Versteck natürlich
entsprechend ausgerüstet.
»Das wichtigste Problem ist die provisorische Befestigung des losgerissenen Konverters und die
Wiederherstellung einer zuverlässigen Energieversorgung«, fuhr er fort. »Wenn wir den Konverter
nicht wenigstens halbwegs vernünftig befestigen können, haben wir eine rollende Bombe im
Maschinenraum.«
Er machte sich an die Arbeit, die Schäden zu analysieren.
Dabei stellte sich heraus, daß das Intervallfeld wieder aufzubauen war und somit auch der
Sternensog weiterhin überlichttauglich war. Diese Technik war also erfreulicherweise nicht beschä
digt, sondern nur von dem seltsamen Feld in der innersten Raumkugel gedämpft worden, bis auf
Nullwert! ,
Doch das alles half ihnen nicht weiter. Die EPOY hatte einfach nicht genug Energie, vor allem
nicht, um gleichzeitig mit Sternensog und Intervall die Tarnvorrichtung zu versorgen.
»Ich werde mit den vorhandenen Bordmitteln die geplanten Reparaturen durchführen können«,
berichtete Gisol ein paar Stunden später. »Aber ich werde die beiden Fachleute Doorn und Manlius
dafür brauchen. Nur fallen die noch etwa sieben Tage lang aus. Ich fange trotzdem schon mal an
und erledige das, wofür ich keine Hilfe benötige. Mal sehen, wie weit ich komme.«
»Das heißt für uns andere: Freizeit?«
Gisol nickte. »Helfen könnt ihr mir nicht.«
Damit war zunächst alles abgeklärt.
Dhark und die Cyborgs nutzten die Zeit, um die nähere Umgebung zu erkunden. Selbst hier, in der
gemäßigten Zone, war es noch heiß. Die Pflanzenwelt wucherte üppig. Trotz der Hitze
340 schien es an Wasser nicht zu fehlen; offenbar kam es häufig zu ergiebigen Niederschlägen. Der Boden jedenfalls war, wie Oshuta feststellte, ab einer Tiefe von etwa drei Zentimetern recht feucht. Hier und da wurden kleine Tiere aufgeschreckt. Die meisten von ihnen waren Reptilien. Säuger und Vögel stellten die Minderheit dar. »Es dürfte sich um eine noch urzeitliche Welt handeln«, ver mutete Amy Stewart. »Noch dominieren die Echsen. Die Zeit der anderen Arten kommt erst noch. Schauen Sie sich die Pflanzen an. Riesenwuchs und vorwiegend einfache Formen. Sollte mich nicht wundem, wenn wir auf die Brüder und Schwestern des guten alten Tyrannosaurus rex stoßen.« »Mich wundert etwas ganz anderes«, sagte Dhark. »Fällt Ihnen nichts auf?« »Was meinen Sie?« fragte der Japaner. »Es gibt keine Stechmücken oder sonstige lästige Fluginsekten, die auf Schweißabsonderungen reagieren.« »Aufgefallen ist es mir schon«, sagte Stewart. »Aber es ist nicht so, daß ich es bedaure. Darüber hinaus - es scheint hier überhaupt keine Insekten zu geben. Nicht am Boden, nicht an den Bäumen
und sonstigen Pflanzen. Da fehlt eine ganze Gattung.«
»Aber dafür gibt's bei den Pflanzen ein paar Übertreibungen«, sagte Oshuta. »Schauen Sie...«
Er wies auf eine Stelle, wo eine etwa kaninchengroße, blauschillernde Echse hockte und auf irgend
etwas lauerte.
Direkt daneben befand sich ein Strauch mit gut eimergroßen Blüten. Von einem Moment zum
anderen kam Bewegung in den Strauch. Ein Ast mit einer dieser Blüten senkte sich blitzschnell
nieder, und der Blütenkelch stülpte sich über die Echse. Ruckartig wurde das Tier emporgerissen.
Der Kelch schloß sich. Für ein paar Sekunden war noch heftige Bewegung darin zu erkennen, dann
wurde es ruhig.
»Guten Appetit«, wünschte Oshuta trocken.
Unwillkürlich sah Dhark sich um. Der über ein Dutzend Meter aufragende Baum, in dessen
Schatten sie standen, wies eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Strauch auf, und er trug Blüten
die so groß waren wie Müllcontainer. Und die Bordkombinationen der drei Terraner schimmerten
blau...
341
»Weg hier!« stieß er hervor und gab Oshuta und Stewart einen Stoß. »Schnell!«
Er spurtete los.
Oshuta zögerte noch.
Im gleichen Moment raste ein beweglicher Ast pfeilschnell herab und stülpte eine der Blüten über
ihn!
Rasend schnell wurde der Kelch wieder nach oben gerissen.
Dhark und Stewart rissen die Blaster hoch.
Aber da war Oshuta schon selbst aktiv geworden.
Umschalten auf Zweites System! Und phanten!
Das schützte seinen Körper vor dem Verdauungssaft, der sich rasend schnell im Kelch bildete, und
das Betäubungsgift, das die Blütenstempel verströmten, brauchte er auch nicht einzuatmen. Über
sein Zweites System entwickelte er unglaubliche Kräfte, mit denen ihm gelang, was der kleinen
Echse unmöglich gewesen war.
Er riß die Blüte einfach auf!
Er fetzte die Blätter auseinander!
Aus gut zehn Metern Höhe stürzte er jäh in die Tiefe, schaffte es, gut aufzukommen und sich
abzurollen.
Im nächsten Moment war er schon wieder auf den Beihen und sah, wie andere Blütenkelche auf ihn
niederstießen, aber auch auf Dhark und Stewart.
Drei Blaster jagten ihre hochenergetischen Strahlen in den Baum, dessen STarnm regelrecht
explodierte, als das in den Zellen gespeicherte Wasser jäh verdampfte. Die Baumreste stürzten kra
chend und splitternd ineinander.
Eine Minute später war der Spuk vorbei.
Der fleischfressende Baum war tot.
Und Dhark wich vor Oshuta zurück. »Mann, wie Sie stinken...«
Der schaltete gerade vom Zweiten System wieder auf Normal zurück, und da stieg es ihm selbst in
die Nase. Die Verdauungssäure, die einen Teil seiner Kleidung zerfressen hatte, sorgte für diesen
Gestank.
Er schaltete erneut um.
»Bleiben Sie bloß von uns weg, bevor Sie nicht in den nächsten Bach gefallen sind«, warnte Dhark,
grinste aber dabei. Amy Stewart grinste auch, aber aus einem anderen Grund. Sie betrachtete
342 amüsiert, welcher Teil von Oshutas Kleidung weggeätzt worden war... Der Commander beschloß, die Exkursion für heute zu beenden.
Ren Dhark besuchte Manlius auf der Krankenstation und erkundigte sich nach dessen Befinden, so wie er sich kurz zuvor ? auch mit Arc Doorn unterhalten hatte. Aber sein Besuch bei dem Römer hatte noch einen weiteren Grund. »Wir sind im unmittelbaren Einflußbereich der Zyzzkt«, sagte er. »Wie groß ist das Risiko, von zufällig patrouillierenden Schiffen geortet zu werden, wenn ich mich mit einem Flash auf diesem Planeten umsehe? Immerhin sind die Beiboote der EPOYja nicht mit römischen Tarnvorrichtungen versehen worden.« »Dhark, solange Sie das Schwerefeld nicht verlassen und den Antrieb nicht zu sehr belasten, besteht keine Gefahr der Ortung durch die Zyzzkt«, versicherte der Römer.
Dhark bedankte sich für die Auskunft, die seine Vermutung bestätigte, und bat Amy Stewart, ihn
auf einem Erkundungsflug zu begleiten.
»Was soll es auf diesem Planeten eigentlich zu erkunden geben?« fragte sie etwas schnippisch.
»Noch mehr kleine Echsen, die von fleischfressenden Pflanzen verspeist werden? Noch mehr
schweißtreibende Hitze? Nicht mein Fall, Commander. Warum fragen Sie nicht Oshuta?«
Dhark schmunzelte. »Weil der sich noch davon erholen muß, mit einer kleinen Echse verwechselt
worden zu sein. Ich möchte seine zerbrechliche Psyche nicht zusätzlich belasten.«
»Zerbrechliche Psyche... seit wann gibt's so was bei Männern?«
»Wir sind sehr sensible Geschöpfe. Das lernt man eigentlich schon im Kindergarten.«
»Da bin ich nie gewesen.«
»Begleiten Sie mich trotzdem?«
»Wenn ich nein sage, machen Sie einen dienstlichen Befehl draus«, murrte sie.
»Genau das möchte ich vermeiden.«
343 »Also gut, damit die liebe Seele ihre Ruhe hat...«
Sie ahnte, daß Dhark nur ein wenig Zeit privat mit ihr verbringen wollte und es ihm weniger darum
ging, den Planeten tatsächlich zu erkunden. Immerhin würde diese namenlose Welt nach Abschluß
der Reparatur wohl nie wieder für einen von ihnen eine Rolle spielen.
Aber dann sagte sie gerade auch deshalb zu.
Und Ren Dhark machte große Augen, als sie sogar einen Pick-nickkorb mit in das Flashdepot
brachte!
Sie genossen die urweltliche Dschungelszenerie. Im Flash waren sie sicher vor Pflanzen und Tieren
dieser Welt und bewunderten die farbige Pracht der tropischen Vegetation. Es störte sie nicht, daß
sie in dem zylindrischen Flugkörper Rücken an Rücken saßen und der Bildschirm sich über ihren
Köpfen befand. Jahrelang hatten die Terraner vermutet, daß die Mysterious ein drittes Auge auf
dem Schädel besitzen müßten, bis die letzten Salter ihnen erjdär-ten, daß die Flash nur in
Ausnahmefällen von den Mysterious selbst geflogen worden waren, sondern vorwiegend von
Robotern, und die besaßen jenes dritte Auge. Mittlerweile wußte man, daß Mysterious oder
Worgun überall dort ein Auge haben konnten, wo sie eines benötigten...
Deshalb verfügte jeder Flash über eine Gedankensteuerung, in der POINT OF ebenso wie in der
EPOY. Auch in diesen Miniraumschiffen war höchste Bequemlichkeit angesagt - zumindest in die
ser Hinsicht...
Zwischendurch kamen sie ein wenig ins Plaudern. Ren erzählte von seinen Eltern, vom Tod seines
Vaters beim Irrflug der GALAXIS, von seinem Werdegang in der Solaren Handelsflotte, von
kleinen privaten Anekdoten. Amy Stewart hielt sich eher zurück. Sie wollte nicht zu viel von sich
preisgeben. Nicht, bevor sie sich ihrer Sache sicher war. Sie hatte schon früh aufgehört, anderen
blind zu vertrauen. Dabei spürte sie, daß Dhark ihr privat nahekommen wollte. Sie war sich nur
noch nicht sicher, ob er wirklich an ihr interessiert war, oder ob es ihm nur darum ging, seine Ent
344 täuschung zu verarbeiten, die er mit Joan Gipsy erlebt hatte. Amy hielt diese Joan für ein hinterhältiges Rabenaas. An Ren Dharks Stelle hätte sie längst alles versucht, Joan Gipsy fertigzumachen. Das einzige echte Problem war wohl das Sorgerecht für seinen Sohn. Ein Mann, der permanent irgendwo im Weltraum herumgondelte und dabei sogar seine Pflichten als Regierungschef vernachlässigte, wäre in den Augen der Jugendrichter sicher nicht besonders geeignet, das Sorgerecht zu erhalten. Dennoch... sie hätte es zumindest versucht. Aber zumindest in diesem Punkt schien Dhark kein Kämpfer zu sein. Vielleicht liebte er Gipsy auch immer noch, selbst wenn er es nicht zugeben wollte. Und das war der springende Punkt. Amy fand den weißblonden Hünen durchaus sympathisch, fand immer mehr zu ihm, aber sie wollte kein Ersatz sein. Sie wollte seine Gefühle nicht mit einer anderen Frau teilen müssen. Deshalb öffnete sie sich ihm nicht so, wie er sich ihr öffnete. Plötzlich zuckte er mitten im Gespräch zusammen. Den Grund dafür registrierte sie gleichzeitig mit ihm. Die Instrumente waren an beiden Plätzen identisch, jeder Flash konnte jederzeit von jedem der beiden Insassen geflogen werden. Die Energieortung sprach an! Es war nur ein ganz schwacher Impuls, kaum wahrnehmbar, aber die fein kalibrierte Ortung des Flash hatte ihn registriert. Im nächsten Moment war der Impuls schon wieder verschwunden.
Wortlos änderte der Commander den Kurs und flog die Stelle an, die der Ausgangsort des Impulses
war.
Der war ganz in der Nähe. Nach nur wenigen Kilometern schwebte der Flash über einer Stadt.
Mitten im Dschungel, und völlig überwuchert und verfallen!
»Deluge«, kam es leise über Dharks Lippen. »Die Ruinenstadt vor dem Eingang zum
Industriedom...«
Aber hier war es anders als auf Hope. Hier gab es kein aufragendes Bergmassiv, vor dessen Fuß
eine verfallene Stadt mit siebeneckigen Ruinen die Grenze zwischen Dschungel und Gebirge
markierte.
Dies war ein urzeitlicher Planet, auf dem noch kein intelligentes
345 Leben die Chance bekommen hatte, sich zu entwickeln. Woher aber kam dann diese Stadt? Über UKW nahm Dhark Verbindung mit der EPOY auf.
Nur eine halbe Stunde später tauchten Gisol und Tschobe mit einem zweiten Flash auf. Der Worgun hatte prompt alles stehen und liegen gelassen, als Dhark ihm die verfallene Stadt beschrieb. Lad Oshuta hielt »Stallwache« in der EPOY. Es hatte nur eine kurze Diskussion zwischen dem Cyborg und dem Arzt gegeben -auch Tschobe dachte sofort an die Ruinenstadt auf Hope! Und deshalb wollte er auf jeden Fall dabeisein! Doch das hier war keine Worgun-Stadt. »Das war eindeutig eine zyzzktische Siedlung«, stellte Gisol klar. »So bauen nur die Wimmelwilden. Sehen Sie sich die Architektur an. Wie kleine Bienenkörbe, die Häuser... ich kenne keine andere Zivilisation, die ihre Wohnungen in dieser Form baut.« Große Teile der Stadt waren vom Dschungel völlig überwuchert. Schließlich fanden die Flash eine Stelle, an der sie landei?konnten. »Blaster bereithalten«, ordnete Dhark an. »Wir könnten auf ähnliche menschenfreundliche Vertreter der einheimischen Flora treffen wie bei den fleischfressenden Bäumen. Und vergeßt nicht den schwachen Energieimpuls, den wir aufgefangen haben.« »Ist der noch einmal wieder aufgetaucht?« wollte Gisol wissen. Dhark schüttelte den Kopf. Sie stiegen aus, verriegelten die Flash und sicherten sie über die Gedankensteuerung vor unbefugtem Zugriff - vorsichtshalber. Dhark traute der Sache nicht. Die Stadt war verfallen und leer, aber woher kam dann das Energieecho? Irgendwo mußte ein Aggregat in Betrieb sein, oder es zumindest kurzfristig gewesen sein! . Zu viert machten sie sich daran, die Stadt zu erkunden. Hier und da zerbröckelndes Mauerwerk, verblichene Farbe. Ranken, die sich an den Wänden emporarbeiteten. Blinde Fensterscheiben, zerstörte Türen. Hier und da wuchsen Pflanzen durch die Häuser hindurch - hier zum Fenster hinein, dort wieder heraus. Die Straßen waren von Erde bedeckt und von Gras oder Moosen 346
überwuchert. Die Stadt mußte schon vor Jahrhunderten verlassen worden sein. Dhark betrat eines der Häuser. Stewart begleitete ihn. Sie hatte auf ihr Zweites System geschaltet, um mögliche Gefahren schneller und effizienter abwehren zu können. Auch Gisol tauchte bei ihnen auf. Es war düster im Inneren des Gebäudes. Die Beleuchtung funktionierte schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Gisol feuerte seinen Blaster ab und setzte einen Teil der zerbröckelnden Einrichtung in Brand. Der Lichtschein des Feuers half ein wenig, aber der Gestank trieb sie bald wieder ins Freie. »Ich verstehe nicht, wieso diese Stadt aufgegeben wurde«, sagte Gisol kopfschüttelnd. »Es gibt nicht den geringsten Grund dafür.« »Vor dem gleichen Rätsel haben wir gestanden, als wir die Hinterlassenschaften deiner Vorfahren entdeckten«, sagte Dhark. »Auch wir konnten uns keinen Grund für dieses spurlose Verschwinden vorstellen.« »Inzwischen kennst du den Grund ja«, brummte Gisol. »Aber bei den Wimmelwilden ist das anders. Wir haben auch vor unserem großen Rückzug schon viele Planeten aufgegeben, wenn sie für uns uninteressant wurden. Aber die Zyzzkt verlassen niemals einen Planeten, auf dem sie einmal Fuß gefaßt haben. Niemals.« Er sah sich um. »Wir müssen ins Zentrum der Ruinenstadt«, sagte er. »Dort muß es ein Verwaltungs- und Archivgebäude geben, das Teil einer typischen Zyzzkt-Siedlung ist. Vielleicht finden wir dort etwas, das uns weiterhilft.«
Eine halbe Stunde später waren sie am Ziel. Gisol durchforschte die leere Ruine. Es gab nichts, was
die Zyzzkt als Hinweis auf den Grund ihres Verschwindens zurückgelassen hatten.
»Keine verwertbaren Spuren«, sagte er, als sie sich draußen wieder trafen. »Oder habt ihr etwas
gefunden?« Neugierig sah er die anderen an.
Allgemeines Kopfschütteln war die Antwort.
Im nächsten Moment schlug das Unheimliche zu!
Keiner der Menschen war mehr in der Lage, sich zu bewegen. Selbst Amy Stewart mit ihrer
Cyborgkraft nicht!
347 Sie konnten nur hilflos zuschauen! Ein Antigravfeld erfaßte Gisol und zog ihn empor! Das Energieecho! durchzuckte es Dhark. Wir waren wieder einmal zu unvorsichtig! Hier ist doch noch etwas, das wir bisher übersehen haben... dabei hätten wir damit rechnen müssen! Gisol schwebte immer weiter aufwärts, dem Himmel entgegen. Deutlich war zu sehen, wie er versuchte, sich gegen das Antigravfeld zu wehren, aber das gelang ihm ebensowenig, wie es Dhark, Tschobe und Stewart schafften, sich aus der Starre zu befreien. Sie waren zum Zuschauen verurteilt! Und Gisol entschwand
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