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ANDREW HATHAWAY
INFERNO AUF DER TODESPISTE
Deutscher Taschenbuch-Erstdruck
MARTIN KELTER VERLAG – HAMBURG 70 KELT...
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ANDREW HATHAWAY
INFERNO AUF DER TODESPISTE
Deutscher Taschenbuch-Erstdruck
MARTIN KELTER VERLAG – HAMBURG 70 KELTER TASCHENBUCH Band 6 Germany 1975
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John Terell schloß seinen Helm, der ihn wie einen Astronauten aussehen ließ. Flüchtig dachte er darüber nach, ob es ein gutes Zeichen war, daß er an diesem Tag genau achtundzwanzig Jahre alt wurde, oder nicht. Dann konzentrierte er sich auf den Starter, damit er möglichst von Anfang an gut wegkam. Dieses Autorennen sollte der vorläufige Höhepunkt in seiner Karriere werden. Start! John Terell hetzte zu seinem Wagen, sprang hinter das Steuer. Der Motor röhrte auf, der Wagen scherte aus der Reihe aus, schlenkerte. Eine kurze Korrektur, und John Terell lag als erster vor dem Pulk der anderen Wagen. Obwohl sich alle seine Gedanken mit der Führung des Rennwagens beschäftigten, dachte er doch kurz daran, daß ganz England mit seinem aufstrebenden Talent fieberte. John Terell mußte gewinnen in diesem Flughafenrennen, dann war er ein gemachter Mann und hatte auch genug Geld, um Janet das Leben zu bieten, das sie immer erträumte. Mit höchstmöglicher Geschwindigkeit zog John Terell seinen Wagen mit der Nummer 5 durch die Kurven, beschleunigte auf den Geraden zu einem höllischen Tempo. Der Wind pfiff und heulte um seine Ohren. Er überrundete bereits den langsamsten Wagen. Ein unbestimmtes Gefühl veranlaßte ihn, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Bisher hatte er das kaum getan, weil er sicher war, von keinem seiner Konkurrenten überholt zu werden, aber jetzt wurde die Empfindung, jemand wäre hinter ihm, stärker und stärker. John Terells Augen zuckten für Momente zur Seite, doch er sah keinen Wagen, der zum Überholen ansetzte. Er sah etwas anderes, das ihm das Blut in den Adern stocken ließ. Wie aus einer schwarzen Wolke heraus griffen zwei Hände nach ihm, blutrote Hände, die Pranken eines Ungeheuers. 3
Die verkrümmten Finger mit den spitzen, scharfen Nägeln zielten nach ihm. Scheinbar aus dem Nichts kommend, jagten diese Geisterhände hinter seinem Wagen her, der mit Höchstgeschwindigkeit über die Zielgerade raste. John Terell zweifelte an seinem Verstand, er glaubte zu träumen. Das konnte nicht wahr sein, das gab es nicht. Es mußte sich um eine optische Täuschung handeln, auch wenn er die Hände klar und deutlich im Rückspiegel erkannte. Von Entsetzen geschüttelt, trat er das Gaspedal noch tiefer durch, obwohl die Maschine bereits das Äußerste leistete. Der Rennwagen brauste wie ein Geschoß auf die nächste Kurve zu. Das schaffst du nicht! schrie es in seinem Gehirn. Nimm das Tempo weg, sonst fliegst du aus der Bahn! Doch sein Geist funktionierte nicht mehr. Das tödliche Grauen, das diese Hände aussandten, raubte ihm den Verstand. John Terell jagte schnurgerade auf die Leitplanke der Kurve zu. Über seinem Wagen wurde es dunkel. Die blutroten Hände senkten sich über ihn. Im nächsten Augenblick brach das Inferno auf der Todespiste los. . . »Ich finde Autorennen langweilig«, maulte Juliette Chabonniere und warf ihrem Begleiter einen vorwurfsvollen Blick zu. »Warum hast du mich hierher geschleift, Rick? Ich mag Autorennen nicht, auch wenn sie auf einem stillgelegten Flughafen stattfinden.« »Hast du mir nicht selbst erzählt«, antwortete Rick Masters, »daß du schon in Les Mans gewesen bist?« »Les Mans?« fragte Juliette mit dem endlos langen Nachnamen, den sich kein Engländer merken konnte. »Natürlich war ich in Les Mans, aber doch nicht beim Autorennen,
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sondern in der dortigen ›Orangerie‹, einem Feinschmeckerlokal. « »Ach, ihr Französinnen«, seufzte Rick in gespielter Verzweiflung. »Ihr könnt nur an feines Essen denken.« »Nur an Essen?« fragte Juliette und warf Rick einen Blick zu, der heiße Schauer durch seinen Körper jagte. Der junge Londoner Privatdetektiv ließ seinen Blick über ihre wohlproportionierte Figur gleiten. »Na ja, zwischen den einzelnen endlos langen Mahlzeiten denkt ihr auch gelegentlich an etwas anderes«, sagte er zögernd. »Schuft!« stieß seine derzeitige Freundin hervor und zog einen Schmollmund. »Es geht los!« rief Rick Masters in diesem Moment aufgeregt und deutete hinunter auf die Rennbahn. »Warum stehen die denn alle so weit von ihren Autos entfernt?« erkundigte sich Juliette Chabonniere erstaunt. »Wenn man fahren will, muß man doch hinter dem Steuer sitzen.« »O Gott, du stellst Fragen!« stöhnte Rick. »Ist doch nicht meine Schuld«, erklärte Juliette achselzuckend. »Ich wollte ja nicht hierher.« »Start!« Rick Masters war Feuer und Flamme. Sein aufreibender Beruf hatte ihm endlich für zwei schöne Dinge im Leben Zeit gegönnt: eine treue Freundin und ein Autorennen. Beides liebte Rick über alles, und so kam es, daß sich Juliette mit dem endlosen Namen haargenau beschreiben lassen mußte, was sich auf dem Flughafen vor den Toren Londons abspielte. »John Terell führt«, sagte Rick Masters aufgeregt. »Ich kenne ihn sogar persönlich recht gut. Drück die Daumen, Juliette, damit er gewinnt!« »Gehen wir nach dem Rennen in ein schönes Restaurant, sofern es das in London überhaupt gibt?« fragte die junge, aparte Französin gelangweilt. 5
»Du kannst nur an solche Dinge denken«, seufzte Rick. »Ich verstehe gar nicht, wieso du so schlank bleibst bei so vielem Essen.« Er erhielt keine Antwort, und das wunderte ihn, da er die als Dolmetscherin in London arbeitende Französin bisher nur als schlagfertig und manchmal sogar ziemlich bissig kennengelernt hatte. Daß sie nichts auf seine letzte Bemerkung erwiderte, paßte nicht zu ihrem Bild. Rick Masters wandte sich ihr zu und zuckte zusammen. Juliettes Gesicht war verzerrt, als hätte sie große Schmerzen. Sie sah so aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Dazu zitterte sie am ganzen Körper. »Aber, Mädchen!« rief Rick erschrocken. »Was habe ich denn so Fürchterliches gesagt?« Sie reagierte nicht, und Rick erforschte sein Gewissen, ob er sie tatsächlich mit seiner Bemerkung über ihre Eßlust so schwer beleidigt haben konnte. »Juliette!« rief er und wollte sie an den Schultern packen, doch sie riß den Mund weit auf, holte röchelnd Atem, wollte schreien und brachte keinen Ton aus der Kehle. Gleichzeitig fühlte sich auch Rick von einem unbeschreiblichen Grauen erfaßt. Unten an der Zuschauertribüne rasten die Rennwagen vorbei. An dieser Stelle kamen sie aus der Kurve und schwenkten in die Zielgerade ein. Rick kümmerte sich nicht darum, es interessierte ihn auch nicht mehr, ob noch immer John Terell in Führung lag oder nicht. Gewaltsam riß er sich von Juliettes Anblick los. Seine Nackenhaare sträubten sich, über seinen Rücken lief eine Gänsehaut. Es war ihn, als würde ihm eine unsichtbare eisige Hand die Kehle zudrücken. Röchelnd rang er nach Luft und klammerte sich mit aller Kraft an seinem Sitz fest, um nicht auf den Boden zu stürzen. Direkt vor ihm raste Wagen Nummer 5 vorbei, das Auto John Terells. Rick registrierte es automatisch, daß der junge Fahrer in Führung lag. Doch gleich darauf wurde er wie6
der abgelenkt. Er begriff, daß auch alle anderen Zuschauer des Rennens unter den gleichen Zuständen litten wie Juliette und er. Keiner achtete auf die Rennbahn, sondern alle wehrten sich gegen etwas Unbekanntes, etwas Drohendes. Ein Alpdruck lastete auf den Zuschauern. Und plötzlich erfolgte eine ohrenbetäubende Explosion. Eine Flammensäule stieg gen Himmel, schwarzer Qualm wälzte sich über den umgebauten Flugplatz. Ein vielstimmiger Entsetzensschrei beendete die unerklärliche Starre des Publikums, den Druck, der sie alle zur Unbeweglichkeit verurteilt hatte. Die Menschen schrien und riefen, und auch Rick Masters fühlte, wie Erschrecken sein Herz verkrampfte. Einer der Wagen brannte lichterloh! Es war Nummer 5, der Wagen von John Terell. Der Fahrer lag neben dem Wrack seines Fahrzeugs. Über seine Kleider leckten Flammen, ausfließendes und brennendes Benzin bedrohte ihn. Von allen Seiten liefen Retter auf die Unfallstelle zu, Feuerwehr- und Krankenwagen heulten über den Platz. Die anderen Rennautos wurden abgewunken. Rick Masters saß wie betäubt auf seinem Platz. Er blickte zu Juliette, die von Grauen wie gelähmt neben ihm saß und auf den Unfall hinunterstarrte. Rick glaubte zu träumen. Niemand sagte ein Wort über die Angst- und Lähmungszustände, von denen die Zuschauer noch vor wenigen Sekunden befallen worden waren. Die Menschen hatten nur Augen für den brennenden Wagen und den verunglückten Fahrer, so, als wäre mit ihnen selbst nie etwas passiert. In kürzester Zeit waren die Flammen an John Terells Kleidung erstickt. Der Verletzte wurde auf eine Bahre gelegt und in den Krankenwagen gehoben, der sofort davonraste.
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Das Rennen war vorbei. Ein gräßlicher Unfall hatte es beendet. Schweigend oder nur leise miteinander sprechend, schoben sich die Zuschauer zu den Ausgängen. »Gehen wir«, sagte Rick Masters zu seiner Freundin. Juliette Chabonniere war kreidebleich. Sie nickte stumm und hakte sich bei Rick Masters unter. »Fühlst du dich wieder besser?« fragte der junge Privatdetektiv, als sie in seinen Wagen, einen offenen, dunkelgrünen Morgan, eingestiegen waren. Er zündete zwei Zigaretten an und gab Juliette eine. »Ich werde den Schock dieses Unfalls nicht so schnell überwinden«, antwortete sie mit brüchiger Stimme. »Unfall?« wiederholte Rick verblüfft. Er verstand gar nichts mehr. »Ich spreche nicht von dem Unfall, sondern davon, daß dir schon vorher schlecht wurde.« Juliette richtete ihre großen blauen Augen erstaunt, beinahe schon entgeistert auf Rick »Mir war schlecht?« fragte sie gedehnt. »Ich glaube, du bist übergeschnappt. Mir war seit Jahren nicht mehr schlecht. Ich weiß gar nicht, wovon du redest.« Rick blickte ihr einige Sekunden lang fest in die Augen, dann startete er den Wagen und reihte sich in den dichten Verkehr ein, der von den zurückflutenden Autos gebildet wurde. »Kannst du dich noch erinnern, wie es zu dem Unfall gekommen ist?« fragte er nach einer Weile und bemühte sich, die große innere Aufregung nicht zu zeigen. »Ich meine, wieso geriet der Wagen in Brand?« » Aber, das hast du doch auch gesehen!« rief Juliette heftig. »John Terell fuhr in die Gerade ein und dann ... Ja, die Gerade, und dann . . .« Sie brach erstaunt ab und schüttelte den Kopf. »Was geschah danach? Wieso geschah das alles? Ich kann mich nicht mehr erinnern, Rick. Das muß der Schock sein.« »Das muß der Schock sein«, wiederholte Rick Masters ohne innere Überzeugung. Schließlich hatte er das Verhalten des 8
Publikums beobachtet, obwohl er selbst unter dieser rätselhaften Beklemmung litt. Während sie die Zuschauertribüne verlassen hatten, waren Gesprächsfetzen der anderen Leute zu Rick gedrungen. Alle hatten natürlich über den tragischen Zwischenfall gesprochen, aber keiner hatte erwähnt, wie er sich selbst in den Sekunden vor dem Unglück gefühlt hatte. Dafür mußte es eine Erklärung geben. Rick Masters wußte auch eine, doch er wagte noch nicht, daran zu glauben. Wenn er sich nur vorstellte, daß er recht haben könnte, überlief es ihn eiskalt. Einer plötzlichen Eingebung folgend, riß er das Lenkrad seines offenen Sportwagens herum. »Was machst du?« fragte Juliette überrascht. »Willst du zurück zur Rennbahn?« »Nein«, antwortete Rick mit verkniffenem Gesicht. »Ich fahre ins Krankenhaus. Ich will wissen, was mit Terell los ist.« »Weil er dein persönlicher Bekannter ist?« »Auch deshalb«, sagte Rick Masters. »Vor allem aber möchte ich herausfinden, was wirklich geschehen ist.« »Das verstehe ich nicht«, sagte Juliette kopfschüttelnd, während Rick verbissen über dem Lenkrad hing. »Glaubst du, daß die Ursache schon ermittelt wurde?« »Im Moment weiß und glaube ich gar nichts«, gab der junge Privatdetektiv schroff zurück. »Ich weiß nur, daß du dich nicht an den Hergang des Unfalls erinnern kannst – und ich auch nicht.« Von diesem Moment an verzichtete Juliette Chabonniere auf weitere Fragen. Sie war verwirrt und fühlte sich unbehaglich, weil sie ahnte, daß etwas in der Luft lag, das sie nicht begriff. Der dunkelgrüne Morgan, der im Stil der dreißiger Jahre gehalten war, bremste vor dem Krankenhaus. Rick Masters stieg aus und pfiff leise durch die Zähne. 9
»Der alte Fuchs ist also auch schon hier«, murmelte er. »Wen meinst du?« erkundigte sich Juliette, die zum ersten Mal ihr Schweigen brach. »Chefinspektor Kenneth Hempshaw«, erklärte Rick. »Ich habe dir von meinem Freund bei Scotland Yard schon erzählt. Der Chefinspektor scheint sich ebenfalls für den Unfall zu interessieren. Er wird Augen machen, wenn er mich sieht.« »Darf ich im Wagen bleiben?« fragte das Mädchen. »Ichich möchte nicht da hineingehen. Ich hasse Krankenhäuser. « »Ich komme bald wieder«, versprach ihr Rick und drückte ihr einen flüchtigen Kuß auf die Wange. Dann lief er auf den langgestreckten Gebäudekomplex zu. Chefinspektor Kenneth Hempshaw von Scotland Yard machte tatsächlich Augen, als er den Privatdetektiv in der Eingangshalle erblickte. Er kam sofort auf Masters zu. »Ich hätte mir denken können, daß Sie hier auftauchen werden!« rief er von weitem. »Bei allen mysteriösen Fällen mischt sich Rick Masters ein.« »Und Chefinspektor Hempshaw hat ebenfalls seine Pfoten mit im Spiel«, konterte Rick. »Was hat Scotland Yard mit dem Unfall zu tun?« Hempshaw zog seine buschigen Brauen finster zusammen. »An und für sich würde sich der Yard überhaupt nicht für einen Unfall interessieren, aber ein Unfall, für den es nicht einen einzigen Zeugen gibt, obwohl Tausende zugeschaut haben, der interessiert uns brennend.« »Sie meinen, nicht ein einziger . . .?« Rick brach fassungslos ab. »Nein, niemand, den wir bisher befragten, hat gesehen, wie es zu dem Unglück gekommen ist«, bestätigte der Chefinspektor. »Waren Sie vielleicht auf dem Platz?« »Ja«, antwortete Rick. »Ich war mit Miß Chabonniere dort.« 10
»Ach, das ist die kleine Französin, die als Dolmetscherin hier in London arbeitet?« »Ja, die ist es.« Rick strich sich gedankenverloren über seine krausen blonden Haare. »Aber weder sie noch ich haben gesehen, was eigentlich geschehen ist.« »Rätselhaft«, brummelte Hempshaw. »Kenneth, das Rennen wurde im Fernsehen und im Rundfunk übertragen. Auf diese Weise . . .« »Nein!« fuhr ihm der Chefinspektor schroff ins Wort. »Kurz vor dem Unfall fielen Bild und Ton aus, und auch die Kommentatoren wissen von nichts. Alle behaupten, sie hätten in diesen Augenblicken nicht auf die Bahn geachtet.« Ricks Augen bildeten nur mehr schmale Schlitze. »Hat auch niemand über Angstzustände und eine unerklärliche Beklemmung gesprochen, darüber, daß sich niemand im Publikum bewegen konnte?« Da war die Reihe an Hempshaw, seinen Gesprächspartner anzustieren, als würde er behaupten, die Erde sei viereckig. »Das verstehe ich nicht«, polterte der Chefinspektor. »Das müssen Sie mir schon genauer erklären.« »Ich kann es leider nicht«, sagte Rick Masters achselzuckend. »Ich selbst wurde von diesem Zustand befallen, und Juliette – Miß Chabonniere – erging es nicht anders. Deshalb, Kenneth, und nur deshalb hat niemand den Unfall beobachtet. Eine unerklärliche, geheimnisvolle Macht hat das verhindert.« Der Chefinspektor trat hastig einen Schritt näher an Rick heran. »Sie wollen damit andeuten, daß wir es mit einem übersinnlichen Phänomen zu tun haben?« »Genau das will ich«, bestätigte Rick Masters. »Ich bin sicher, daß wir keine natürliche Erklärung finden werden, weder für den Unfall noch für diese Art von Massenhypnose, wenn ich es so nennen darf.«
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»Und da Sie auf die Aufklärung von Fällen spezialisiert sind, in denen Übernatürliches die Hauptrolle spielt, werden Sie weitere Nachforschungen anstellen?« »Erraten, Kenneth!« Rick Masters hatte schon so oft mit dem Chefinspektor zusammengearbeitet, daß er genau wußte, wie sehr er sich auf Hempshaw verlassen konnte. Der Yard-Beamte würde ihm jede nur erdenkliche Unterstützung gewähren. »Na schön, wenn Sie meinen«, sagte Chefinspektor Hempshaw achselzuckend. »Ich werde diesen Fall von der rein kriminalistischen Seite her beleuchten. Wenn einer von uns etwas herausfindet, unterrichtet er den anderen. Abgemacht?« »Abgemacht«, versprach Rick. »Und keine faulen Tricks wie schon ein paarmal in der Vergangenheit«, warnte Hempshaw. »Ich kann sehr ungemütlich werden.« »Was heißt werden?« Rick grinste. »Sie sind es immer. Aber jetzt eine Frage, die ich schon die ganze Zeit über stellen will: was ist mit John Terell?« »Er wird die nächste Stunde nicht überleben«, sagte Chefinspektor Hempshaw düster. »Er ringt mit dem Tod.« Mehr als eine Freundin war Rick Masters bereits davongelaufen. Das lag keineswegs daran, daß er nicht gut aussah oder keinen Charme besaß. Es lag vielmehr daran, daß er seinen Beruf ernst nahm wie sonst nichts. Wenn er in einem Fall hinter einer heißen Spur her war, gab es für ihn nichts anderes. Auch diesmal war das so wie immer. Er schickte Juliette, mit einem Kuß versorgt, mit einem Taxi nach Hause. »Wie lange wirst du noch hierbleiben?« fragte sie enttäuscht, bevor sie einstieg. »Ich dachte, wir wollten in ein hübsches Restaurant gehen.«
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Rick seufzte innerlich. Wahrscheinlich würde es nicht mehr lange dauern, dann war er auch Juliette los, weil sie die Geduld verlor. »Ich habe dir gleich von Anfang an gesagt, Darling, daß ich nicht lockerlasse, wenn ich einen Fall übernehme. Und diesen habe ich freiwillig übernommen. Ich kann dir also nichts versprechen.« Zu seiner Überraschung brachte Juliette trotz ihrer Enttäuschung ein Lächeln zustande und winkte ihm aus dem Taxi zu. Voller böser Vorahnungen kehrte Rick in das Krankenhaus zurück, doch diese Ahnungen erfüllten sich nicht. Er wartete jede Minute darauf, daß die Ärzte den Tod des jungen Rennfahrers bekanntgeben würden. Sie taten es nicht. »Seit drei Stunden operieren sie nun schon«, stellte Chefinspektor Hempshaw nach einem Blick auf die Wanduhr fest. »Was sie wohl machen? Ich habe gehört, daß Terell schwerste Verbrennungen erlitten hat.« »Vielleicht hat er doch noch eine Chance«, wandte Rick Masters ein. »Kann doch sein, daß die erste Diagnose zu ernst war.« Eine Krankenschwester versorgte sie mit Kaffee, den sie im Aufenthaltsraum für Personal trinken durften. Nach weiteren zwei Stunden ließ Hempshaw aus einer Imbißstube Sandwiches bringen. Doch noch immer war das Warten nicht beendet. Erst um zehn Uhr abends erschienen die Ärzte des Operationsteams. Sie waren ebenso wie die assistierenden Schwestern völlig erschöpft. »Sieben Stunden«, zog der Chefinspektor Bilanz. »Kommen Sie, Rick, jetzt werden wir hören, wie es ausgegangen ist.« Er hätte den Privatdetektiv gar nicht auffordern müssen, mit ihm zu kommen. Rick zerstieß seine Zigarette im Aschenbecher und lief hinaus auf den Korridor, den Ärzten
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entgegen. Masters und Hempshaw überfielen die Mediziner mit Fragen. »Er lebt«, gab der Chefarzt bekannt. »Und er hat schwerste Verletzungen erlitten. Das wird die Presse ebenfalls erfahren.« »Eine ganze Meute von Reportern belagert die Klinik«, meldete eine Krankenschwester. »Doktor«, sagte Chefinspektor Hempshaw, »das alles klingt so, als wollten Sie noch etwas sagen. Er lebt, aber. . .« »Ja, da gibt es ein großes Aber«, erklärte der Chefarzt bedrückt. »Wir haben John Terell zwar am Leben erhalten, aber er ist kein Mensch mehr und wird nie mehr einer sein – zumindest nicht das, was man unter einem Menschen versteht.« Rick Masters und Chefinspektor Hempshaw starrten den Arzt sekundenlang verständnislos an, bis der Chirurg fortfuhr: »Wenn wir auch nur eine einzige der Maschinen abschalten, die seinen zum Teil zerstörten Organismus ersetzen, stirbt Terell. Auch große Teile seines Gehirns sind vernichtet worden. Er ist nur noch ein Körper, der von einem komplizierten Mechanismus zum Funktionieren gezwungen wird.« Rick fühlte einen Kloß in seiner Kehle sitzen. Er räusperte sich mehrmals, ehe er sagte: »Halten Sie es unter diesen Umständen überhaupt für richtig . . .« »Darüber diskutiere ich nicht!« fiel ihm der Chefarzt scharf ins Wort. »Wir haben alles getan, um sein Leben zu erhalten. Wie es weitergehen soll, wird die Zukunft zeigen. Auf Wiedersehen!« Er setzte sich in Bewegung, um sich der Presse zu stellen. »Das war ein perfekter und nicht mal eleganter Rausschmiß«, murrte Chefinspektor Hempshaw. »Ich kann mir nicht helfen«, flüsterte Rick Masters. »Aber mit diesem John Terell haben die Ärzte etwas vor. Ich
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fürchte, er soll ihnen als eine Art Versuchskaninchen dienen.« »Glaube ich nicht«, entgegnete Hempshaw skeptisch. »Ich vermute eher, daß sie irgend etwas an ihm so erstaunt und verwirrt, daß sie ihn unter allen Umständen am Leben erhalten wollen.« »Sie meinen, daß er aus irgendeinem Grund ein Phänomen darstellt, das der Wissenschaft ein Rätsel ist?« Rick dachte an die seltsamen und erschreckenden Begleitumstände des Unfalls. »Kann sein. Ich werde mich bald davon überzeugen. Sobald ich darf, statte ich Terell einen Besuch ab. Und ich hoffe herausfinden zu können, daß hier etwas nicht stimmt.« »Sie können sich darauf verlassen, Rick«, sagte der Chefinspektor mit Nachdruck. »Hier stimmt sehr viel nicht.« Die Ärzte hatten eine vielstündige Operation hinter sich, weshalb Rick Masters überzeugt war, daß sie nicht mehr lange in der Klinik bleiben, sondern nach Hause gehen würden. Bei dieser Gelegenheit wollte er sich an einen der jüngeren Assistenzärzte heranmachen und ihn über den Verlauf der Operation ausfragen. Wie schon der Chefinspektor, so war auch Rick Masters der Ansicht, daß man aus dem Verhalten des führenden Arztes im Operationsteam auf irgend etwas Ungewöhnliches schließen konnte. Wenigstens einem Vertreter von Scotland Yard hätte er genauere Auskunft geben müssen. Daß er es nicht getan hatte, bedeutete, daß er etwas verheimlichte. Die Ärzte kamen nicht. Chefinspektor Hempshaw hatte sich in den Yard zurückbegeben, und auch der Privatdetektiv hatte so getan, als würde er das Krankenhaus verlassen. In Wirklichkeit hatte er seinen Wagen ein Stück weiter unten auf der Straße geparkt, war zurückgeschlichen und hatte sich zwischen Büschen verborgen. Dort wartete er ungeduldig, aber – die Ärzte kamen nicht. 15
Ricks Mißtrauen wuchs. Diese Männer hatten operiert, hatten stundenlang unter einem schweren Druck gestanden. Es wäre nur natürlich gewesen, wenn sich einige von ihnen sofort im Krankenhaus zum Schlafen niedergelegt hätten, aber doch nicht alle. Und zum Dienst waren sie zu erschöpft. Was also ging da drinnen hinter diesen Mauern vor? Rick Masters überlegte nicht lange. Als es ein Uhr nachts geworden war, hielt es ihn nicht länger an seinem Platz. Er verließ den Beobachtungsposten zwischen den Büschen des Parks rings um das Krankenhaus. Daß ihn jemand entdecken würde, brauchte er nicht zu befürchten, da die Büsche bis dicht an die Hausmauer heranwuchsen. Tief geduckt schlich sich der Privatdetektiv näher, wobei er die Front des Hauses nicht eine Sekunde lang aus den Augen ließ. Niemand schaute aus einem der Fenster, und er entdeckte im Erdgeschoß einen Fensterflügel, der nur angelehnt war und keine Schwierigkeiten bieten würde. Fraglich war nur, ob Chefinspektor Kenneth Hempshaw einen Einbruch in das Krankenhaus wieder ausbügeln konnte, falls man Rick erwischte. Ein widerrechtliches Eindringen blieb es, auch wenn der junge Privatdetektiv nicht die Absicht hatte, etwas zu stehlen. Rick schob auch diese Befürchtungen beiseite. Wenn er etwas über die Vorgänge in diesem Gebäude erfahren wollte, mußte er schon einiges riskieren. Der Fensterflügel schwang geräuschlos hoch. Rick kletterte unterhalb des Kippfensters in den dunklen Raum, landete sicher auf dem Boden und tastete um sich. Es war das Dienstzimmer einer Krankenschwester, wie er sehr schnell herausfand. Bei diesem Gedanken wurde ihm heiß, aber nicht, weil er sich im Zimmer einer Frau befand, sondern weil diese Frau jeden Moment kommen und ihn entdecken konnte. Er mußte also schleunigst verschwinden.
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Rick schlich zur Tür, lauschte, öffnete die Tür einen Spalt und fand die Luft rein. Schon wollte er auf den Korridor treten, als ihm eine Idee kam. Er schloß die Tür wieder und ging zum Kleiderschrank. Als er ihn öffnete, huschte ein befriedigtes Lächeln über sein Gesicht. Die Krankenschwester war zum Glück ziemlich groß, so daß ihr Arbeitsmantel Rick paßte. Er schlüpfte in das weiße Kleidungsstück und hoffte, wie ein Arzt oder wenigstens wie ein Krankenpfleger zu wirken, wenn er jemandem unvermutet auf dem Korridor begegnen würde. Mit dieser etwas dürftigen Tarnung wagte er sich aus dem Zimmer. Er hatte sich die Lage der Arzt-Diensträume gut gemerkt, weshalb er keine Schwierigkeiten haben würde, sie wiederzufinden. Gerade als Rick auf die Treppe zuging, hielt der Aufzug im Erdgeschoß. Der Privatdetektiv huschte wie ein Blitz in den toten Winkel einer Mauernische, preßte sich eng gegen die Wand und hielt die Luft an. Die Aufzugstür öffnete sich, zwei Frauen kamen heraus. Sie trugen zwar keine Dienstkleidung, mußten aber Krankenschwestern sein, wie Rick ihren Gesprächen entnahm. Was sie sagten, löste in Rick Masters einen Alarm aus. »Der Chef muß verrückt geworden sein«, sagte die eine. »Das kann niemals gutgehen. Der Mann ist doch praktisch schon tot, das ist eine Leiche, die wir mit einem neuartigen Gerät am Leben erhalten.« »Ich kann da nicht mitmachen«, sagte die zweite so gepreßt, als stünde sie dicht vor einem Nervenzusammenbruch. »Wenn ich mir vorstelle, daß da ein menschlicher Körper dahinvegetieren soll, ohne auch den Geist eines Menschen zu haben, dann läuft es mir kalt über den Rücken.« »Er hat sich in den Kopf gesetzt, diesen Mann nicht sterben zu lassen«, sagte die erste Krankenschwester, dann verschwanden die beiden in einem der Räume, so daß Rick nichts mehr hören konnte. 17
Also darum ging es! Der schwerverletzte John Terell sollte mit einem Spezialgerät am Leben erhalten werden. Rick schüttelte den Kopf, während er die Treppe hinauflief. Er verstand die Aufregung der beiden Schwestern nicht ganz. Es war doch nur natürlich, daß sich die Ärzte um das Leben eines Patienten bemühten. Und noch etwas verstand er nicht: was hatten sie damit gemeint, daß ein menschlicher Körper dahinvegetieren sollte, ohne den Geist eines Menschen zu haben? Rick versprach sich eine Antwort auf seine Fragen, sobald er Kontakt zu den Ärzten aufgenommen hatte. Entweder wollte er mit einem mitteilungsfreudigen Arzt sprechen, oder er würde sie bei einer Unterhaltung belauschen. Im ersten Stock angelangt, blieb Rick, nach allen Seiten sichernd, stehen, bis er das Murmeln von Stimmen hörte, die gedämpft durch eine Tür drangen. Er ging näher, und seine Augen leuchteten auf, als er merkte, daß er den richtigen Raum gefunden hatte. Deutlich erkannte er die Stimme des Chefarztes, ohne jedoch im einzelnen verstehen zu können, was er sagte. Rick schaute sich nach einer Möglichkeit um, wie er das Gespräch belauschen konnte. Dabei fiel sein Blick auf einen fahrbaren Instrumententisch, der auf dem Korridor stand und auf dem ein Stethoskop lag. Er holte es sich, klemmte es in die Ohren und hielt die Hörmuschel an die Tür. Nun klappte es. ». . . absolut geheim bleiben, sonst ist die Klinik von Reportern überschwemmt«, sagte der Chefarzt. »Ich hasse Presserummel, vor allem, solange wir nicht wissen, ob unser Experiment erfolgreich ist.« »Ich glaube eher, daß Sie die Kritik der Öffentlichkeit fürchten«, erklang eine scharfe Stimme. »Unsinn!« fuhr der Chefarzt auf. »Der Mann wäre jetzt schon seit Stunden tot, wenn wir nicht operiert hätten.« »Vielleicht wäre es für ihn besser so«, hielt ihm die scharfe Stimme entgegen. »Sie haben keinen Schwerverletzten am 18
Leben erhalten, sondern einen Toten zu einem künstlichen Leben gezwungen. Sie haben ihn mit Maschinen ins Leben zurückgerufen, obwohl dieser Mensch nicht mehr lebensfähig ist. Ganz abgesehen von seiner verbrannten Haut, das Gehirn existiert zum größten Teil nicht mehr. Aber das hat Sie nicht gestört. Sie haben endlich eine Gelegenheit gehabt, den von Ihnen entwickelten Kleinstcomputer in einen Halbtoten einzusetzen.« »Ein Wunderwerk der Technik!« rief der Chefarzt heftig aus. »Er steuert sämtliche Körperfunktionen. Begreifen Sie doch, er ersetzt das Gehirn dieses Mannes.« » Nur, was die rein animalischen Funktionen seines Körpers betrifft!« schrie der zweite Mann außer sich. »Aber der Geist! Dieser Mann hat keinen Geist mehr! Sie haben gegen die Menschenwürde gesündigt, und das wird Ihnen noch leid tun.« Rick Masters konnte sich nicht mehr rechtzeitig zurückziehen. Die Tür flog auf. Der Arzt, der bisher so heftig gegen den Chefarzt Stellung genommen hatte, wollte den Raum in höchster Erregung verlassen. Er riß die Tür auf und stürmte auf den Korridor, stieß mit Rick Masters zusammen, und beide gingen zu Boden. Drinnen im Konferenzraum entstand beträchtliche Verwirrung. Alle begriffen sofort, daß ein Fremder gelauscht hatte. Zahlreiche Hände streckten sich nach dem Privatdetektiv aus, um ihn an einer Flucht zu hindern. Mit einer wütenden Handbewegung streifte Rick alle von sich ab, die ihn festhalten wollten. »Ich komme freiwillig zu Ihnen hinein, Gentlemen«, fauchte er, betrat das Konferenzzimmer und setzte sich. Sofort schloß einer der Ärzte die Tür. »Was machen Sie hier?« herrschte der Chefarzt den für ihn Fremden an. »Sie sind widerrechtlich eingedrungen und...« »Ich stelle mich erst einmal vor«, fuhr ihm Masters ins Wort. »Ich heiße Rick Masters und bin Privatdetektiv. Sie 19
haben mich schon einmal gesehen, und zwar mit Chefinspektor Hempshaw vom Yard. Offenbar haben Sie mich jetzt nicht wiedererkannt.« Der Chefarzt erschrak sichtlich. »Natürlich, ich erinnere mich selbstverständlich an Sie.« »Wie schön«, gab Rick sarkastisch zurück. »Dann werden Sie auch verstehen, daß ich mich für den Fall John Terell interessiere. Ich werde dafür sorgen, daß der Chefinspektor eine Untersuchung darüber einleitet, ob Sie sich richtig verhalten haben. Ohne Einwilligung der Verwandten führten Sie eine unübliche und besondere Operation aus, die mir sehr bedenklich erscheint.« »Alle Neuerungen wurden zuerst abgelehnt«, antwortete der Chefarzt, dessen Namen Rick nicht einmal kannte. »Ich bin überzeugt, nichts Verbotenes getan zu haben.« »Können Sie aber auch die Folgen absehen?« fragte Rick scharf. »Wenn Terell den Eingriff übersteht und sozusagen zu einem zweiten Leben erwacht, wird er ein menschlicher Roboter sein. Wissen Sie jetzt schon, wie er sich dann verhalten wird? Seine ganze Persönlichkeit wird verändert sein, er könnte gefährlich . . .« »Nein, er wird überhaupt nicht in der Lage sein, irgendwelche Handlungen auszuführen«, berichtigte ihn der Chefarzt. »Sein Körper bleibt unbeweglich, da der Geist fehlt, um ihn anzutreiben.« »Einfach schrecklich«, stöhnte Rick kopfschüttelnd. Diese Vorstellung peinigte ihn. »Mr. Masters! Überlegen Sie folgendes: der Herzschrittmacher gibt Impulse an das menschliche Herz, damit es funktioniert. Unser Gerät gibt Impulse an alle Organe, damit sie arbeiten. Das ist das ganze Geheimnis.« »Aber dieser Mensch ohne eigenen Geist...«, setzte Rick Masters an, doch er wurde durch’ einen unerwarteten Zwischenfall unterbrochen.
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Die Tür des Konferenzzimmers wurde aufgestoßen und prallte gegen die Wand. Im Türrahmen stand eine Krankenschwester, hoch aufgerichtet und stocksteif wie eine Statue. In ihrem bleichen Gesicht brannten zwei lange, blutige Schrammen von der linken Schläfe bis zum Kinn. Sie wollte etwas sagen. Ihr Kinn zitterte. Mehrmals setzte sie zum Sprechen an, doch sie konnte nur ein heiseres Krächzen hervorstoßen. »Schwester Blythe!« rief der Chefarzt und sprang erschrocken auf. »Was ist denn geschehen, um Himmels willen? Sprechen Sie schon! Was ist los?« Die Krankenschwester nahm alle Kraft zusammen, doch außer einem gurgelnden Laut war nichts zu hören. Sie stand offenbar unter einem schweren Schock. Plötzlich verdrehte sie die Augen und brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Natürlich ist es erschreckend und beunruhigend für einen Chefarzt, wenn eine der für ihn arbeitenden Krankenschwestern in sein Zimmer gestürmt kommt, etwas sagen will und ohnmächtig wird, weil sie einen Schock erlitten hat. Dennoch verstand Rick Masters die Aufregung nicht, die sich des Chefarztes bemächtigt hatte. Für einige Sekunden sah es so als, als würde der Mann einen hysterischen Anfall bekommen, dann faßte er sich mühsam und lehnte sich heftig atmend an die Wand. Sein Gesicht war schweißbedeckt und aschfahl. »Schwester Blythe hielt Wache bei John Terell«, erklärte einer der Assistenzärzte dem Privatdetektiv. Ricks Kopf ruckte hoch. Also hatte er sich doch nicht getäuscht. Es war etwas geschehen, das die Ärzte nicht vorausgesehen hatten. Diese ungewöhnliche Operation war nicht gut verlaufen. Ob das mit den seltsamen Ereignissen auf der Rennbahn zusammenhing, bei denen alle Zuschauer von einer Art Massenhypnose ergriffen worden waren, konnte er nicht beurteilen, und er machte sich auch weiter 21
keine Gedanken mehr darüber, sondern folgte den Ärzten, die eiligst das Konferenzzimmer verließen. Nur einer von ihnen blieb zurück und kümmerte sich um die ohnmächtige Krankenschwester. Das Zimmer, in dem der schwerverletzte John Terell von den kompliziertesten Apparaturen am Leben erhalten wurde, lag am Ende des Korridors. Der Chefarzt erreichte es als erster und stieß die Tür auf. Mit einem heiseren Aufschrei taumelte er zurück. John Terell saß aufrecht in seinem Bett. Sein Gesicht war von Brandwunden vollkommen entstellt. Nur ein Auge war heil geblieben. Dieses eine Auge funkelte die Menschen an der Tür mit einem Haß und einer Bosheit an, daß Rick Masters der Atem stockte. Das war der Blick eines Satans! Rick Masters versuchte sich einzureden, daß alles nicht stimmte, daß es gar nicht stimmen konnte. Das Gesicht John Terells war bei dem Brand seines Rennwagens fast vollkommen zerstört worden, also konnte es keinen Ausdruck zeigen. Und doch hatte es sich zu einer Teufelsfratze verzerrt, zu dem Abbild des blinden Hasses und der Wut gegen die Menschen, die sich entsetzt an der Tür des Krankenzimmers drängten. Die Ärzte waren diesem Anblick ebenfalls nicht gewachsen. Sie wollten davonlaufen, wollten diesem gnadenlosen Auge entkommen, doch andererseits hielt sie ihr Pflichtgefühl zurück. Das war ihr Patient, der ihre Hilfe brauchte und den sie nicht im Stich lassen durften. Terell streckte den Ärzten und Rick Masters eine Hand entgegen. Es waren verkrümmte Finger, von Brandwunden bedeckt. Das rohe Fleisch war zu sehen. Anklagend reckte sich die zerstörte Hand in die Luft. »John!« rief Rick Masters mit zitternder Stimme. »John Terell! Bleib liegen! Um alles in der Welt, bleib liegen, damit du gesund werden kannst!« 22
»Lassen Sie das«, sagte der Chefarzt grob zu dem jungen Privatdetektiv. »Er kann Sie nicht hören, die Trommelfelle sind geplatzt.« »Er hat mich gehört«, behauptete Rick energisch. »Ich habe deutlich gemerkt, daß er den Kopf schief legte, als ich zu sprechen begann.« »Unsinn!« Der Chefarzt schüttelte seine Haarmähne aus der Stirn. »Er empfindet auch keine Schmerzen, trotz seiner fürchterlichen Wunden. Die entsprechenden Nervenstränge und Gehirnteile sind vernichtet.« Rick wurde zwischen Abscheu und Mitleid hin und her gerissen. Mitleid mit dem Verunglückten, und Abscheu gegenüber dem Experiment der Ärzte, die einen Menschen »geschaffen« hatten, der keine Empfindungen, keine Gedanken, keinen Willen besaß. Der bis an sein Ende an dieses Bett gefesselt sein würde. Und dieses Ende wurde durch das Aufhören maschineller Funktionen bestimmt. Es war gräßlich! »Verlassen Sie jetzt den Raum«, riß ihn die Stimme des Chefarztes aus seinen Überlegungen. »Wir müssen uns um den Patienten kümmern. Dabei stören Sie nur.« Wenn Rick etwas daran gelegen hätte, in dem Zimmer zu bleiben, dann hätten ihn zehn Chefärzte nicht an die frische Luft befördern können. So aber kam ihm die Aufforderung gerade recht. Schweigend drehte er sich um und stieg in das Erdgeschoß hinunter, wo er an der Wand einen automatischen Telefonapparat entdeckt hatte. Rick kramte in seinen Taschen nach Münzen, dann wählte er die Nummer von Scotland Yard. »Chefinspektor Hempshaw«, verlangte er, als sich die Telefonistin in der Zentrale meldete. »Es ist dringend. Hier spricht Rick Masters.« »Tut mir leid, Mr. Masters«, antwortete die Telefonistin. »Aber der Chefinspektor ist nicht im Haus.« »Dann versuche ich es in seiner Wohnung.« 23
»Sparen Sie sich die Mühe, Mr. Masters«, lautete die enttäuschende Information. »Der Chefinspektor hat heute nacht dienstfrei, und ich habe selbst gehört, wie er sagte, daß ihn kein Mensch auf der ganzen Welt würde aufspüren können.« »Vielen Dank«, knurrte Rick. Erlegte auf und versuchte es trotz des Rats der Telefonistin in Chefinspektor Hempshaws Wohnung, allerdings ohne Erfolg. Schließlich rief er noch einmal im Yard an und hinterließ für Hempshaw die Nachricht, er solle ihn dringend anrufen, sobald das möglich wäre. Als Rick in den ersten Stock zurückkehren wollte, um sich nach Terells Befinden zu erkundigen, fand er den Zugang durch zwei Assistenzärzte versperrt. »Der Chef ist der Meinung, daß Sie hier nichts mehr zu suchen haben«, erklärten sie dem Privatdetektiv mehr als deutlich. Rick warf ihnen einen langen Blick zu, dann wandte er sich achselzuckend ab. »Sie werden nicht viel Freude an Ihrem verrückten Experiment haben«, prophezeite er. Er wußte nicht, woher er die Sicherheit nahm, aber plötzlich ahnte er die kommenden Katastrophen. »Sie werden noch den Tag verfluchen, an dem Sie aus John Terell einen computergesteuerten Menschen machten.« »Wir brauchen Ihre Ratschläge und Belehrungen nicht«, kam die hochmütige Antwort. »Kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten, wir kümmern uns um die unseren.« »Von Herzen gerne«, entgegnete Rick Masters, blieb stehen und warf den Ärzten einen scharfen Blick zu. »Nur fürchte ich, daß Ihre Angelegenheiten auch sehr bald die meinen sein werden.« Die Ärzte verstanden nicht ganz, was Masters damit meinte. Sie ahnten nicht, daß der junge Privatdetektiv auf die Aufklärung mysteriöser und aus der Norm fallender Verbrechen spezialisiert war. 24
Rick Masters fand, daß es bereits zu spät war, Juliette zu stören, weshalb er direkt nach Hause in sein Wohnbüro in der City von London fuhr. Er hörte noch den Anrufbeantworter ab, doch niemand hatte Sehnsucht nach ihm verspürt. Auch Chefinspektor Hempshaw hatte sich in der Zwischenzeit nicht gemeldet. Achselzuckend stellte Rick das Telefon neben sein Bett, damit er es gleich klingeln hörte, wenn es etwas Neues gab. Dann riß er sich die Kleider vom Leib und fiel total übermüdet ins Bett. Er träumte von explodierenden Rennwagen und entsetzlich verbrannten Männern, die ihn mit unheimlich schwankenden Schritten verfolgten. Mehr als einmal schreckte er stöhnend hoch, bis er gegen Morgen in einen bleiernen, traumlosen Schlaf fiel. Ausgerechnet zu der Zeit, in der er am wenigsten hätte schlafen sollen. Die restlichen Nachtstunden ließ der Chefarzt keine Krankenschwester allein bei John Terell im Zimmer. Das böse Erlebnis mit Schwester Blythe hatte ihn gewarnt. Es stand allerdings keineswegs fest, daß Terell der Krankenschwester die Kratzer im Gesicht zugefügt hatte. Und er mußte sie auch nicht aus dem Zimmer gejagt haben. Es genügte, daß er aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit erwacht war und sich die Frau fürchterlich über seinen Anblick erschreckt hatte. Der Chefarzt wollte andererseits kein Risiko mehr eingehen. Die schweren Vorwürfe von diesem Privatdetektiv, diesem Rick Masters, genügten ihm bereits. Außerdem verfügte Masters über gute Beziehungen zu Scotland Yard, und unter Umständen konnten sie ihm Schwierigkeiten machen, weil er eine Operation ausgeführt hatte, ohne die Angehörigen um Erlaubnis gefragt zu haben. Dann tröstete sich der Chefarzt wieder mit dem Gedanken, daß der Patient unweigerlich innerhalb weniger Stunden 25
gestorben wäre, hätte er diese einmalige Operation nicht ausgeführt. Das stimmte und war nachzuweisen, dafür gab es auch genügend Zeugen. Nachdem der Chefarzt sein Gewissen durch theoretische Überlegungen beruhigt hatte, ließ er praktische Anweisungen folgen. Zwar sollte sich eine Krankenschwester in Terells Zimmer aufhalten, doch die Hauptverantwortung lag stundenweise bei jeweils einem der Ärzte aus dem Operationsteam. Keiner von ihnen war nach Hause gegangen, weil sie ständig in der Nähe ihres ungewöhnlichen Patienten bleiben wollten. Sie waren zwar alle völlig übermüdet und erschöpft, doch für immer eine Stunde konnten sie die Wache übernehmen. In der Zeit zwischen drei und vier Uhr morgens versah Dr. Ralph Oglander Dienst bei Terell. Schwester Edith leistete ihm Gesellschaft. Sie saßen in einer Ecke des Raumes und unterhielten sich im Flüsterton. Der Kranke schlief friedlich. Die Geräte, die noch immer an seinen Körper angeschlossen waren und nur zur Kontrolle der Organfunktionen dienten, zeigten an, daß alles in Ordnung war. »Schwester Blythe ist noch immer ohnmächtig?« fragte Dr. Oglander mit einem unbehaglichen Seitenblick zu dem Bett, in dem sich die dunkle Masse des fast verschmorten Körpers abzeichnete. »Ja, es ist schrecklich«, hauchte Schwester Edith. »Ich war vor Antritt meiner Wache noch bei ihr, aber sie reagiert auf nichts. Der Chef meint, daß sie einen grauenhaften Schock erlitten haben muß, aber er kann sich nicht vorstellen, daß es allein der Anblick des Verletzten gewesen war.« »Sicher nicht«, gab Dr. Oglander grübelnd zurück. »Als Krankenschwester hat sie schon zahlreiche Opfer schwerer Verbrennungen gesehen, und die bewegten sich auch, so wie Terell, als wir das Zimmer betraten.« »Was war es dann, das sie so geschockt hat?« wollte Schwester Edith wissen. Sie vermied es ängstlich, zu dem 26
Bett hinüberzuschauen, als ginge von dort ein unheimlicher, verderblicher Einfluß aus, gegen den sie keinen Schutz hatte. Dr. Oglander zuckte hilflos die Achseln. »Das können wir nur erfahren, wenn Schwester Blythe wieder zu sich kommt und uns erzählt, was sie hier erlebt hat.« »Hoffentlich wird sie das bald tun«, murmelte Schwester Edith, die erst Mitte Zwanzig war. »Ehrlich gestanden, Doktor, ich fürchte mich mit Terell in einem Zimmer. Ich habe Angst, daß auch ich das sehen könnte, was die arme Mrs. Blythe . . .« »Ich bin doch bei Ihnen«, versuchte Dr. Oglander, sich als Held und Beschützer aufzuspielen. »Solange ich . . .« Er brach unvermittelt ab, weil aus dem Mund des Verletzten ein Röcheln und Stöhnen drang, das sogar diesen beiden erfahrenen Menschen einen Schauer über den Rücken jagte. Mit einem Sprung war Dr. Oglander bei dem Bett. Er neigte sich über die Anzeigegeräte der Überwachungsinstrumente. »Soll ich den Chef rufen?« rief Schwester Edith nervös und griff bereits nach dem Haustelefon. Der Chefarzt hatte die strikte Anweisung erteilt, ihn sofort zu wecken, wenn sich etwas Besonderes ereignete. »Warten Sie noch einen Augenblick«, befahl Dr. Oglander. »Sehen Sie sich das an!« Er zeigte mit zitternden Fingern auf die Skalen. »Alles nicht nur normal, sondern sogar besser als bei einem gesunden Menschen. So etwas dürfte es bei seinen Verletzungen eigentlich gar nicht geben. « »Warum stöhnt und ächzt er dann, als würde er jeden Moment sterben?« fragte die Krankenschwester ängstlich. Dr. Oglander trat einen Schritt zurück und warf einen sehr nachdenklichen Blick auf den Kranken. »Es sieht fast so aus, als würden zwei Seelen in ihm wohnen«, murmelte er. »John Terell, der Verletzte, und dann noch jemand, der. . .« Der Rest seiner Worte war unverständlich. 27
»Soll ich den Chef wecken?« wiederholte Schwester Edith ihre Frage. »Moment!« Dr. Oglander stand ganz still und richtete seinen Blick starr auf den Kranken. »John Terell, können Sie mich hören?« fragte er halblaut. Ich höre dich, tönte es röchelnd zwischen den verbrannten Lippen hervor, ohne daß sie sich bewegten. Aber ich bin nicht John Terell. Terell ist tot! Ich habe seinen Körper für mich in Besitz genommen. Er gehört jetzt mir, mir ganz allein! Schwester Edith fiel mit einem leisen Aufschrei in Ohnmacht. Dr. Oglander kümmerte sich nicht weiter darum. Er hatte nur Augen und Ohren für die phantastische Szene, die sich vor seinem entsetzten Blick abspielte. »Wer bist du?« fragte er zitternd. Er hatte von Besessenheit durch den Teufel gehört, nie an diese Dinge geglaubt, doch jetzt vermeinte er, den Beweis für alle diese Gerüchte vor sich zu sehen. »Wer bist du?« wiederholte er seine Frage. »Bist du – kommst du – ich meine . . .« Er brach verwirrt ab, weil er sich scheute, das Wort »Teufel« auszusprechen und kein geeignetes Ersatzwort fand. Ich bin nicht Satan, ächzte die fremdartige Stimme. Ich war ein Mensch wie du und wie John Terell, dessen Körper ich übernommen habe. »Sage mir deinen Namen!« verlangte Dr. Oglander erregt. »Und zeige dich mir in deiner wahren Gestalt!« Er hatte auch davon gehört,, daß man in einem solchen Fall der Besessenheit diese Befehle an den Geist erteilte, der in einen menschlichen Körper geflüchtet war. Dumpfes Lachen hallte ihm entgegen. Meinen Namen? Meinen Namen verrate ich dir nicht! rief der Geist aus dem Mund Terells. Aber ich werde mich dir zeigen. Es wird das Letzte sein, das du in deinem zur Neige gehenden Leben zu sehen bekommst!
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Bisher hatten noch immer Zweifel Dr. Oglander dazu getrieben, Fragen zu stellen, durch die er einen vermeintlichen Irrtum aufklären wollte. Er hatte sich selbst eingeredet, daß diese Stimme die John Terells wäre, der nur fieberte. Obwohl es mehr als unwahrscheinlich war, hatte er sich bis zuletzt geweigert, an die Möglichkeit zu glauben, daß tatsächlich der Geist eines Verstorbenen Besitz von diesem Körper ergriffen habe. Mit diesen Selbsttäuschungen war jetzt Schluß. Schlagartig begriff Dr. Oglander, daß er tatsächlich einem Wesen aus dem Jenseits gegenüberstand, dem dieser mit Brandwunden übersäte Körper des toten Rennfahrers nur als Hülle diente. Und gleichzeitig verstand er den fürchterlichen Schock von Schwester Blythe. Sie mußte irgendwie gesehen, gehört oder auf sonst irgendeine Weise begriffen haben, was hier vor sich gegangen war. Deshalb also ihre grauenhafte Angst. Doch alle diese Einsichten kamen zu spät. Dr. Oglander mußte sich wehrlos dem Tod übergeben, der nach ihm griff. Der Körper John Terells erwachte zu Leben. Seine Hände, die durch die Brandwunden wie aus knorrigem Holz geschnitzt wirkten, packten die Drähte, mit denen er an die Kontrollgeräte angeschlossen war. Mit einem kräftigen Ruck riß er die Verbindungen los und schleuderte sie von sich. Ein wildes, zufriedenes Fauchen drang aus seinem weit aufgerissenen Mund. Das einzige gesunde Auge öffnete sich. Der todverkündende Blick suchte und fand Dr. Oglander, der keiner Bewegung fähig war und in der Mitte des Raumes dicht vor dem Fußende des Bettes stand. Wie ein Kaninchen vor der Schlange, so verharrte der Arzt reglos vor diesem Ungeheuer. Es war blanker Irrsinn, und doch dachte Dr. Oglander in diesem Augenblick mit einer gewissen Erleichterung, daß nicht durch einen medizinischen Fehlgriff oder durch ein 29
gewagtes Experiment dieses scheinbar lebende Scheusal entstanden war. Der Geist eines Verstorbenen hatte sich einen geeigneten Körper ausgesucht, und zufällig war seine Wahl auf John Terell gefallen. Dann sah der Arzt, wie das unheimliche Wesen aus dem Bett stieg und sich reckte. Hoch aufgerichtet kam John Terell auf Dr. Oglander zu, die Arme seitlich herunterhängen lassend. Schritt um Schritt wich der Arzt zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. In diesem Moment wußte er, daß es für ihn keine Rettung mehr gab. Kaum die Beine bewegend, schob sich Terell näher und näher heran, bohrte den fürchterlichen, haßerfüllten Blick in die Augen des Arztes. Dr. Oglander las sein Todesurteil in der starren Pupille des Monsters. Eröffnete den Mund zu einem verzweifelten Hilfeschrei, obwohl sein Verstand scharf und deutlich erkannte, daß es für ihn keine Hilfe mehr gab. In der nächsten Sekunde schoß die Hand John Terells vor. Tief gruben sich seine Fingernägel in die Kehle des Arztes. Mit der rechten Hand preßte er Dr. Oglander den Hals zu, während die freie herumtastete, bis sich die Finger um eine lange, spitze Schere schlossen, die auf einem der Tischchen neben dem Bett lag. Von der gnadenlosen Faust um seinen Hals gegen die Wand gepreßt, konnte Dr. Oglander nicht zusammenbrechen, obwohl Terell mit rasender Wut die Schere immer wieder in seinen Körper stieß. Endlich ließ das mordende Ungeheuer von seinem Opfer ab. Die Schere polterte auf den Boden. Der Würgegriff öffnete sich. Dr. Oglanders Leiche sackte im Zeitlupentempo auf die blankgeschrubbten Fliesen. Mehr als Poltern und Stöhnen war während der schrecklichen Tat nicht zu hören gewesen. Dennoch hob John Terell
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lauschend den Kopf, ob sich jemand dem Zimmer näherte. Dabei fiel sein Blick auf das Haustelefon. Schwester Edith hatte den Hörer heruntergerissen, als sie zusammengebrochen war. Aus der Muschel drang das Freizeichen. Unterhalb des an der Wand befestigten Apparats lag die Krankenschwester. John Terell streifte die Ohnmächtige achtlos im Vorbeigehen. Er bewegte sich sicher und mit kräftigen Bewegungen, als er den Schrank im Zimmer aufriß. Eine Verwünschung entfloh seinen verbrannten Lippen, als er den leeren Schrank sah, dann wandte er sich um. Lautlos verließ er das Zimmer. Seine Schritte waren auf dem nach Desinfektionsmitteln riechenden Korridor des Krankenhauses kaum zu hören. Zur gleichen Zeit schüttelte der Nachtwächter in der Pförtnerloge des Krankenhauses den Kopf. Seit einer Viertelstunde zeigte eine Kontrollampe an, daß in einem der Zimmer im ersten Stock der Hörer vom Haustelefon abgenommen war, daß aber niemand sprach. Der Nachtwächter wußte, daß sich der Chefarzt für dieses Zimmer, genauer gesagt für den darin liegenden Patienten, besonders interessierte. Also griff er zum Telefon und rief den Chefarzt an. Er meldete seine Beobachtung und schüttelte verwundert den Kopf, als er keine Antwort erhielt. Der Chef hatte einfach aufgelegt. Sekunden später polterten Schritte einiger Männer im ersten Stock. Gleich darauf gellte ein schneidender Schrei durch die Stille. Der Nachtwächter übersah in seinem Schrecken die schauerliche Gestalt, die an seiner Loge vorbei ins Freie glitt und in der Dunkelheit verschwand. Gähnend tastete Rick Masters nach dem Störenfried neben seinem Bett. Von einem hübschen jungen Mädchen ließ er 31
sich jedenfalls lieber wecken als von dem alten Schepperkasten. Noch während er schlaftrunken versuchte, den Hörer in der richtigen Stellung ans Ohr zu nehmen – was ihm beträchtliche Schwierigkeiten verursachte -, überlegte er angestrengt, wieso er das Telefon nicht wie sonst auf den Anrufbeantworter umgeschaltet hatte. Das automatische Gerät hätte jeden Anruf aufgezeichnet und ihn vor der vorzeitigen Beendigung seines wohlverdienten Schlafes bewahrt. Dann fiel es ihm wieder ein – das Rennen, der unerklärliche Angstzustand aller Zuschauer, der Unfall, das gewagte Experiment der Ärzte, die Vorfälle im Krankenhaus. Und er erinnerte sich auch wieder daran, daß er noch während der Nacht versucht hatte, Chefinspektor Hempshaw darauf anzusetzen, daß er die Handlungsweise der Ärzte überprüfte. »Masters!« meldete er sich mit langsam erwachenden Lebensgeistern. Insgeheim hoffte er, daß Hempshaw am Apparat war. Er war es. »Wo brannte es denn letzte Nacht, Rick?« fragte der Chefinspektor in seiner üblichen rauhen Art. »Sie wollten mir nicht mal einige freie Stunden gönnen.« »Es drehte sich um John Terell«, berichtete Rick und tastete nach seinen Zigaretten, fand sie nicht und gab es auf. »Er wurde . . .« »Ganz gleich, was er wurde und was nicht«, unterbrach ihn Hempshaw grimmig. »Jetzt sieht auf jeden Fall alles ganz anders aus.« »Verstehe ich nicht«, murmelte Rick. »Was soll das heißen? Ich will mit Ihnen über die Operation sprechen, bei der die Ärzte . . .« »Hören Sie zu, Rick!« fauchte der Chefinspektor dazwischen. »Das alles können Sie mir erzählen, sobald Sie hier im Krankenhaus sind.«
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»Was machen Sie im Krankenhaus, Kenneth? Ach so, Sie kümmern sich schon um den Fall.« Rick Masters war noch immer überzeugt, der Chefinspektor würde über das nicht ganz legale Experiment sprechen, das die Ärzte mit dem verunglückten Rennfahrer unternommen hatten. »Natürlich kümmere ich mich um den Fall«, murrte Hempshaw. »Mord fällt schließlich in meinen Bereich.« »Mord?« Da setzte sich Rick wie von der Tarantel gebissen in seinem Bett auf. Die allerletzten Schlafreste, die sich irgendwo in seinem Gehirn noch gehalten hatten, waren verflogen. »Sagen Sie Mord?« »Das sagte ich. Und zwar brutaler, gemeiner Mord.« »Wer hat. . . Ich meine, wieso?« stammelte Rick verwirrt, der nicht verstehen konnte, wie Mord in das Bild des Unfalls und der anschließenden Operation paßte. »John Terell hat in der vergangenen Nacht einen Arzt ermordet und ist geflohen«, erklärte Hempshaw. »Das ist unmöglich! Das kann nicht stimmen, Kenneth!« Ricks Stimme nahm einen beschwörenden Klang an. »Sie hätten den Mann sehen sollen. Er war völlig bewegungsunfähig – abgesehen davon, daß er sich in seinem Bett aufsetzte. Aber das war eigentlich schon nicht mehr normal für seinen Zustand. Er war eine halbe Leiche. Er konnte nicht gehen, schon gar nicht morden.« »Er hat aber. Kommen Sie her und sehen Sie es sich selbst an, Rick!« »Bin schon unterwegs.« Der junge Privatdetektiv knallte den Hörer auf den Apparat und fuhr mit beiden Beinen gleichzeitig aus dem Bett. Es war neun Uhr vormittags, er hatte nur wenige Stunden geschlafen, und dennoch fühlte er sich nicht müde. Die Anspannung war groß genug, um ihn zu voller Leistungskraft zu bringen. John Terell sollte gemordet haben – Unsinn! Rick schüttelte den Kopf, während er sich zum Ausgehen
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fertig machte. Schon an der Tür, blieb er noch einmal stehen, lief zurück und rief Juliette an. »Ich bin vormittags im Krankenhaus beschäftigt«, sagte er, nachdem er ihre Beschwerde über sein Fernbleiben unterbunden hatte. »Ich rufe dich an, sobald ich wieder frei bin.« Seufzend legte er auf und verließ sein Wohnbüro, das in demselben Haus lag wie das älteste Cafe der Londoner City. Er holte den dunkelgrünen Morgan aus einer in der Nähe befindlichen Garage und fädelte sich in den flüssigen Vormittagsverkehr. Während der Fahrt hörte er den Polizeifunk über das in seinem Handschuhfach verborgene Gerät ab, doch es war nichts dabei, das ihn interessierte. Vor dem am Stadtrand gelegenen Krankenhaus parkten ein paar schwarze Wagen von Scotland Yard. Rick erkannte einige der Männer, die neben den Fahrzeugen standen, weil er sie schon oft während seiner Zusammenarbeit mit Chefinspektor Hempshaw gesehen hatte. Er winkte ihnen zu, sie winkten zurück und deuteten zum ersten Stock hinauf. Rick Masters traf den Chefinspektor auf dem Flur. Hempshaw lief mit einem Gesicht herum, als hegte er selbst Mordabsichten. Rick kannte das an ihm. Je rätselhafter ein Fall war und je weniger der Chefinspektor über ein Verbrechen wußte, desto wütender wurde sein Gesichtsausdruck. Er begann erst zu strahlen, wenn er den Mörder verhaftet und hieb- und stichfeste Beweise gesammelt hatte. »Ihrem Gesicht nach zu urteilen, ist alles sehr mysteriös«, sagte Rick zur Begrüßung, auf diese Gewohnheit des Chefinspektors anspielend. Hempshaw schoß ihm einen Blick zu, der ungefähr die Wirkung eines Laserstrahls haben sollte. »Das kann man wohl sagen«, fauchte er. »Zwei Krankenschwestern sind total durchgedreht und faseln wirres Zeug, aus dem kein Mensch schlau wird. Die Ärzte hüllen sich in Schweigen, und ein Mann, der dazu gar nicht in der Lage ist, begeht einen bru34
talen Mord und flieht, obwohl er gar nicht gehen kann. So, das wäre alles.« »Reichlich verworren«, mußte Rick zugeben. »Also das Richtige für mich.« »Ich weiß, ich weiß», schimpfte Hempshaw. »Sie stecken überall Ihre Nase hinein.« Im Grunde genommen war er jedoch sehr froh, daß sich Rick Masters um den Fall kümmerte, da der Privatdetektiv durch seine ungewöhnlichen Methoden schon oft Erfolge verzeichnet hatte, wo der schwerfällige Polizeiapparat versagen mußte. »Dann rücken Sie erst einmal mit den nackten Tatsachen heraus«, verlangte Rick. »Die Krankenschwester Blythe sagte aus, John Terell wäre im Laufe der Nacht plötzlich von einer Art Krampf befallen worden, seine Augen – besser, sein eines Auge – hätte zu glühen begonnen, und er hätte sie obszön beschimpft und sie angegriffen. Dabei verletzte er sie im Gesicht. Sie floh und wurde im Konferenzraum der Ärzte ohnmächtig.« »Wo bleibt der Mord?« »Kommt schon. Danach hielten Dr. Oglander und Schwester Edith Wache bei dem Kranken. Schwester Edith behauptet, eine fremdartige Stimme hätte aus dem bewußtlosen John Terell gesprochen und behauptet, nicht Terell zu sein, sondern nur seinen Körper für sich in Besitz genommen zu haben. So ein Blödsinn!« Rick Masters zog überrascht die Augenbrauen hoch. Sollte auch hier wieder einmal eine rätselhafte, unerklärliche und übersinnliche Macht im Spiel sein? Er war auf solche Fälle spezialisiert, also interessierte er sich sofort doppelt für den Mordfall Terell. Gleichzeitig wunderte ihn nicht, daß Chefinspektor Hempshaw so abfällig über die Aussagen der Krankenschwestern sprach. Hempshaw hatte zwar schon oft gemeinsam mit Rick Masters das Vorhandensein übernatürlicher Phänomene feststellen müssen, verhielt sich aber immer noch 35
skeptisch und ablehnend und brauchte schon einen sehr handfesten Beweis, um seine Zweifel aufzugeben. »Gleich nachdem diese fremdartige Stimme zu hören gewesen war, fiel die abergläubische Gans in Ohnmacht«, fuhr Hempshaw nicht sehr respektvoll fort. »Den Rest können wir nur rekonstruieren. John Terell griff Dr. Oglander an, würgte ihn und tötete ihn durch Stiche mit einer Schere. Danach floh er. Das ist alles, Meisterdetektiv. Jetzt zeigen Sie, was Sie können!« »Das wird auf jeden Fall mehr sein als bei Scotland Yard«, stichelte Rick Masters anzüglich. »Sind die beiden Krankenschwestern noch im Haus? Ich möchte mit ihnen sprechen.« »Dort drinnen heulen sie um die Wette«, brummte Hempshaw und deutete auf eine Tür. »Und Dr. Deventry, den Chefarzt, finden Sie zwei Türen weiter.« »Sie sind heute wieder ungemein charmant, Kenneth«, spottete Rick Masters und sah zu, daß er außer Reichweite des Chefinspektors kam. Er klopfte an die bezeichnete Tür, und als von drinnen ein schwacher Ruf ertönte, trat er ein. Die beiden Krankenschwestern, eine Frau um die Vierzig und eine Mitte Zwanzig, saßen mit verängstigten Augen und roten Lidern nebeneinander und blickten erwartungsvoll und scheu auf den Eintretenden. »Rick Masters«, stellte sich der Privatdetektiv vor. »Ich gehöre nicht zur Polizei, arbeite aber sehr eng mit ihr zusammen. Wenn Sie mir einige Auskünfte über die Vorfälle in der vergangenen Nacht geben könnten, würden Sie . . .« »Warum sollten wir?« fiel ihm die Ältere spitz ins Wort. »Es glaubt uns sowieso keiner ein Wort. Man stellt uns als überspannte und verrückte . . .« »Schwester Blythe?« unterbrach Rick sie. Als sie nickte, fuhr er fort: »Schwester Blythe, vielleicht sind Sie bei der Polizei auf Skepsis gestoßen, nicht aber bei mir. Ich habe Erfahrung in Dingen, die – sagen wir, die sehr außergewöhnlich sind.« 36
Die Krankenpflegerin überlegte, dann nickte sie. »Gut, ich werde Ihnen erzählen, was ich weiß. Es begann damit, daß ich Nachtwache hielt. Der Kranke lag reglos in seinem Bett. Er konnte sich nicht bewegen, weil nicht nur sein Körper fast völlig zerstört war, sondern auch große Teile seines Gehirns. Deshalb hatte ich auch gar keine Angst, es könne mir etwas passieren.« »Warum erwähnen Sie diese Angst?« fragte Rick verwundert. Schwester Blythe schüttelte sich. »Plötzlich – ich weiß nicht mehr die Uhrzeit – überkam mich ein Frösteln. Ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich war nicht mehr allein im Raum, obwohl sich außer Terell und mir niemand in dem Zimmer befand. Und dann- dann ging ein Ruck durch den Körper des Verletzten. Gleich darauf begann er zu sprechen.« »Zu sprechen?« Rick horchte auf. »Davon haben Sie der Polizei aber nichts gesagt. Nur Schwester Edith hat von einer eigenartigen Stimme erzählt.« Schwester Blythe zog die Augenbrauen hoch, bis sie unter dem Rand ihres Häubchens verschwanden. »Dieser Flegel von Chefinspektor machte eine höhnische Bemerkung über eine gewisse abergläubische Gans, daß ich es nicht für nötig hielt, ihm den Rest auch noch zu erzählen.« Rick Masters konnte nur mit Mühe ein lautes Auflachen unterdrücken. Lachen durfte er in dieser Situation auf keinen Fall, auch nicht über das bärbeißige Verhalten Hempshaws. Die Krankenpflegerin hätte es unweigerlich auf sich bezogen und ihn hinausgeworfen. »Ich hörte die Stimme«, setzte sie ihre Schilderung fort, »ohne daß der Kranke die Lippen bewegte.« »Was sagte die Stimme?« fragte Rick gespannt. »Sie sagte: ›Ich bin nicht John Terell, und du sollst als erster Mensch erfahren, daß ich wieder unter euch bin.‹ Ich antwortete, weil ich an eine Fieberphantasie des Kranken 37
dachte: ›Mr. Terell, Sie dürfen sich nicht aufregen!‹ Aber die Stimme sagte: ›Ich bin nicht Terell, sondern Ed Cato!‹ – Was haben Sie, Mr. Masters?« Rick war bei diesem Namen entsetzt zurückgezuckt. Offenbar kannte Schwester Blythe Ed Cato nicht, dafür kannte Rick ihn um so besser. Seit zwei Jahren fahndete die Polizei nach diesem Mann. Er war ein Berufskiller, dem man vier Morde nachweisen konnte. Zahlreiche weitere waren der Polizei zwar bekannt, doch dafür gab es keine Beweise. Ed Cato! »Erzählen Sie weiter!« forderte Rick die Krankenschwester auf, während sich seine Gedanken überschlugen. Wenn es tatsächlich so war, daß Ed Catos Geist sich des Körpers von John Terell bemächtigt hatte, dann konnte das nur eines bedeuten: Ed Cato war tot, auch wenn die Polizei noch nichts davon wußte. Sein Geist aber lebte in John Terells Körper weiter. »Ich wollte Mr. Terell beruhigen und ging auf das Bett zu. Plötzlich setzte er sich auf und schlug nach mir. Ich zuckte zurück, seine Finger rissen eine Wunde in meinem Gesicht. Hier sehen Sie es noch.« Sie deutete auf die langen Schrammen auf ihrer Wange. »Ich schrie und lief aus dem Zimmer. Als ich den Konferenzraum erreichte; wurde ich ohnmächtig.« »Ich glaube Ihnen jedes Wort«, versicherte Rick Masters ernsthaft. »Ich habe nur noch eine Frage. Sind Sie ganz sicher, daß Sie den Namen Ed Cato richtig verstanden haben? Er kann nicht anders gelautet haben?« »Ich bin ganz sicher«, erklärte Schwester Blythe überzeugt. »Gut, vielen Dank.« Rick nickte. »Nun zu Ihnen, Schwester Edith. Wie war es mit Dr. Oglander?« Die junge Krankenschwester mußte gegen die Tränen ankämpfen, ehe sie sprechen konnte. Sie schilderte dem Privatdetektiv genau, wie sie gemeinsam mit dem Arzt Wache gehalten und plötzlich das Stöhnen gehört hatte, obwohl die 38
Meßgeräte ein einwandfreies Funktionieren des Organismus anzeigten. Dann beschrieb sie die Stimme, die davon sprach, nicht John Terell zu sein. »Gleich darauf fiel ich in Ohnmacht«, schloß Schwester Edith ihre Erzählung. »Ich wollte noch Dr. Deventry, den Chefarzt, anrufen. Dabei muß ich im Zusammenbrechen den Telefonhörer heruntergerissen haben, denn unser Nachtportier sah die Kontrollampe auf seinem Pult leuchten. Er schöpfte schließlich Verdacht und rief Dr. Deventry an. Der kam nachsehen und fand mich – und Dr. Oglander.« Ihre letzten Worte gingen in Schluchzen unter. Rick sah ein, daß er hier nichts mehr erfahren konnte. Er bedankte und verabschiedete sich. Auf dem Flur stieß er fast mit Chefinspektor Hempshaw zusammen. »Können Sie nicht aufpassen?« fauchte der Yard-Beamte. »Ich kann schon, aber ich will nicht«, konterte Rick Masters. »Übrigens«, warf er lässig hin, »wußten Sie schon, daß Ed Cato tot ist?« »Unsinn!« Der Chefinspektor lachte bitter auf. »Die Polizei fast der ganzen Welt jagt diesen Killer.« » Und ich sage Ihnen, er ist tot«, behauptete Rick Masters mit Nachdruck. Hempshaw tippte sich an die Stirn und ging achselzuckend weiter. Rick blickte grinsend hinter ihm her. So war Hempshaw nun einmal. Was nicht im Polizeibericht schwarz auf weiß zu lesen war, glaubte er gar nicht oder nur in den seltensten Fällen. Dr. Deventry schaute unwillig hoch, als Rick Masters sein Zimmer sofort nach dem Anklopfen betrat. »Sie schon wieder?« fragte der Chefarzt ungehalten. »Ich habe Ihnen doch erklärt, daß ich nichts mehr mit Ihnen zu tun haben will.« »Aber ich habe noch mit Ihnen zu tun, Dr. Deventry«, versetzte Rick kühl. »Sie werden sich also damit abfinden und meine Gegenwart ertragen müssen.« 39
»Dazu sehe ich keine Veranlassung«, fauchte der Arzt wütend. »Nein, wirklich nicht?« Rick trat einen Schritt näher, weil er sich nicht so einfach hinauswerfen ließ. »Und was sagen Sie dazu, daß der von Ihnen künstlich zum Leben gezwungene menschliche Körper einen Ihrer Ärzte ermordet hat? Fühlen Sie sich nicht mitschuldig an seinem Tod?« Dr. Deventry wurde bleich, aber er verzichtete wenigstens darauf, den Privatdetektiv an die frische Luft zu befördern. Er machte sogar eine vage Handbewegung, die man mit einiger Phantasie als Aufforderung zum Platznehmen verstehen konnte. Rick verstand sie so und setzte sich Dr. Deventry gegenüber. Eine Weile fixierten sich die beiden Männer, dann senkte der Chefarzt den Blick. »Meinen Sie wirklich, daß Terell zum Mörder wurde, weil ich diese Operation an ihm ausführte?« fragte er leise. Also hatte er sich doch schon Gewissensbisse gemacht. Rick Masters schüttelte den Kopf. »Es stimmt zwar, daß die Operation der Ursprung des ganzen Unglücks war, aber es ist nicht Ihre Schuld.« »Das verstehe ich nicht«, gestand der Chefarzt ein. »Dann werde ich Ihnen ein einziges Mal meine Theorie erklären. Wenn Sie sie nicht glauben, ist das Ihre Sache. John Terell war tödlich verletzt. Er hätte innerhalb einer Stunde an seinen Verbrennungen sterben müssen. Da setzten Sie ihm einen Computer ein – ich nenne es laienhaft so -, um seine Körperfunktionen zu erhalten. Trotzdem und vor allem durch die Zerstörung großer Teile seines Gehirns verlor der Körper John Terells den Geist. Da drüben in dem Krankenzimmer lag also ein funktionierender Körper ohne Geist.« »Das ist eine sehr gewagte Theorie«, gab Dr. Deventry zu bedenken. Er schien nicht sehr überzeugt zu sein. »Ich bin noch nicht fertig, es kommt noch verrückter, wie Sie meinen werden. Ein Geist ohne Körper hat sich John 40
Terells Körper angeeignet, so daß dieses mordende Ungeheuer jetzt eine Verbindung darstellt: Terells Körper und der Geist eines anderen.« Dr. Deventry starrte den jungen Privatdetektiv aus großen Augen an. Dann begann er schallend zu lachen. Er lachte, bis ihm die Tränen kamen. »Na gut«, sagte Rick Masters, ohne im geringsten beleidigt zu sein. »Sie glauben mir also nicht.« »Nein, wirklich nicht!« stieß der Chefarzt glucksend hervor. »Dann erklären Sie mir«, sprach Rick leidenschaftslos weiter, »wieso diese halbe Leiche, dieses mit Brandwunden übersäte menschliche Wrack, einen so scheußlichen Mord begehen und aus dem Krankenhaus fliehen konnte und sich bis jetzt verborgen gehalten hat. Wenn Sie eine Erklärung gefunden haben, lassen Sie es mich wissen, Dr. Deventry.« Rick Masters stand auf und verließ das Zimmer. Als er einen Blick zurückwarf, sah er, daß Dr. Deventry nicht mehr lachte. Rick Masters machte sich auf die Suche nach Chefinspektor Hempshaw. Er hatte im Krankenhaus nichts mehr zu tun und wollte sich von seinem Freund und Berufskollegen verabschieden. Er fand den Chefinspektor in dem Zimmer, in dem John Terell nach der Operation bis zu seinem Ausbruch untergebracht war. »Sie können froh sein«, sagte Hempshaw, als der Privatdetektiv den Raum betrat, »daß die Leiche von Dr. Oglander schon weggeschafft wurde.« »Ich habe gute Nerven«, bemerkte Rick. »Zweien meiner Leute wurde schlecht«, sagte Chefinspektor Hempshaw ohne sichtliche Gemütsbewegung. »Vielleicht machen Sie sich jetzt eine Vorstellung davon, wie dieser Oglander ausgesehen hat.« »Ich kenne Ed Catos Brutalität«, murmelte Rick.
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Hempshaws Kopf zuckte herum. »Was haben Sie nur immer mit Ed Cato?« fragte er lauernd. »Meinen Sie, daß er in diesen Fall verwickelt ist?« »Sie glauben mir ja doch nicht, also lassen wir es.« Das klang sehr endgültig, weshalb der Chefinspektor auf jede weitere Frage verzichtete. Er kannte seinen Freund gut genug. Wenn der junge Privatdetektiv etwas nicht sagen wollte, dann hätte man schon den Dritten Grad anwenden müssen, und selbst dann wäre ein Erfolg noch sehr fraglich gewesen. »Erkundigen Sie sich auf jeden Fall bei Interpol nach Ed Cato, vielleicht erleben Sie eine kleine Überraschung«, schloß Rick Masters. »Ich gehe jetzt. Hier bin ich fertig.« »Was werden Sie unternehmen, Rick?« »Haben Sie schon einmal erlebt, daß ich nach einem fixen Plan vorgegangen bin, Kenneth? Ich stelle mich immer auf die Situation ein, in der ich mich befinde.« »Sie wollen mir nicht verraten, was Sie tun werden«, beschwerte sich der Chefinspektor. »Das ist nicht fair.« »Wenn ich etwas Wichtiges herausfinde, werde ich Sie verständigen«, versprach Rick. »Genügt das?« »Hoffentlich!« Ohne sich weiter um das Brummen und Schimpfen seines Freundes zu kümmern, verließ Rick Masters das Zimmer, durchquerte die Vorhalle und ging hinaus zu seinem Morgan. Unterwegs fiel sein Blick auf den Telefonapparat an der Wand, aber er unterdrückte den Wunsch, Juliette anzurufen. Was hätte er der zierlichen Französin sagen sollen? Daß er noch immer keine Zeit für sie hatte, weil sein Beruf vorging? Weil er sich mit Leib und Seele in einen Fall kniete, wenn er ihn einmal übernommen hatte? Da war es schon besser, er meldete sich tatsächlich erst wieder, wenn er frei war. Die Frage ist nur, überlegte der Detektiv, während er in seinen offenen Sportwagen kletterte, ob Juliette Chabonniere 42
zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch an einem gewissen Rick Masters interessiert ist. Doch dieses Risiko mußte er auf sich nehmen. Er startete, als der Chefinspektor gerade aus dem Krankenhaus kam. Hempshaw schien sehr aufgeregt zu sein, denn seine Arme kreisten wie die Flügel einer Windmühle. Er rannte hinter Ricks Wagen her. Der Privatdetektiv bremste erst an der Ausfahrt des Krankenhauses, schaltete den Motor aus und drehte sich mit einem niederträchtigen Grinsen um. Keuchend erreichte Hempshaw den Morgan und klammerte sich völlig außer Atem an der Karosserie fest. »Wieso – wieso haben – Sie nicht – früher angehalten?« stieß Chefinspektor Hempshaw abgehackt hervor. »Sie — haben mich – doch – gesehen.« »Sie setzen einen leichten Bauch an, Kenneth«, sagte Rick unverfroren. »Da tut ein bißchen Bewegung sehr gut.« »Ich könnte Sie umbringen!« drohte Hempshaw. »Sie könnten, aber Sie können nicht«, entgegnete Rick. »Sie sind viel zu erschöpft dazu.« Er öffnete die Seitentür und ließ den Chefinspektor auf den Beifahrersitz. »Was gibt es denn so Wichtiges?« »Ed Cato«, schnaufte Hempshaw, der langsam wieder normal Luft bekam. »Woher wußten Sie das mit Ed Cato?« »Was denn?« stellte sich Rick ahnungslos, obwohl er sehr wohl wußte, was kommen würde. »Woher wußten Sie, daß Ed Cato tot ist, Rick?« grollte der Chefinspektor. »Ich ließ bei Interpol und auch in den Staaten drüben anfragen. Ed Cato ist vor zwei Tagen bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Das war in der Nähe von Chicago. Sein Wagen prallte gegen einen Lichtmast und ging in Flammen auf. Noch ehe jemand helfen konnte, war Ed Cato in seinem Fahrzeug verbrannt. Woher wußten Sie das alles?«
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Rick pfiff durch die Zähne. »Wußte ich gar nicht, aber ich ahnte es«, sagte er leise, während er überlegte. Das paßte ja alles noch viel besser zusammen. Ed Cato kam bei einem Autobrand ums Leben, und sein Geist übernahm den Körper von John Terell. Ricks Gedanken gingen sogar noch einen Schritt weiter. Er dachte daran, daß er und auch alle anderen Zuschauer bei dem Autorennen ein unerklärliches Angstgefühl gehabt hatten, ehe der Wagen mit der Nummer 5 in Flammen aufging. Rick war überzeugt, daß Ed Catos Geist diesen Unfall und den anschließenden Brand verursacht hatte. Chefinspektor Kenneth Hempshaw machte ein immer finstereres Gesicht, während ihm Rick Masters seine Theorie erläuterte. Er unterbrach den Privatdetektiv jedoch kein einziges Mal, was ein gutes Zeichen dafür war, daß er Ricks Meinung zumindest eine kleine Chance einräumte, mit den Tatsachen übereinzustimmen. »Ich glaube es erst, wenn Sie mir einen Beweis liefern«, sagte er vorsichtig, als Rick Masters geendet hatte. »Allerdings scheint es mir ein sehr seltsames Zusammentreffen zu sein, daß die Krankenschwester den Namen Ed Cato erwähnte, obwohl sie keine Ahnung hat, wer das ist.« Noch ehe Rick antworten konnte, geschah etwas Unvorhergesehenes. Einer alten Gewohnheit folgend, hatte Rick beim Einsteigen in seinen Wagen das Funkgerät eingeschaltet. Das tat er immer, solange er einen Fall bearbeitete und sozusagen im Dienst war. Und außerdem war dieses Funkgerät auf die Wellenlänge der Polizei eingestellt. Das alles geschah mit Wissen und Erlaubnis von Scotland Yard. Während Rick und Hempshaw ihre Meinungen austauschten, lief das Funkgerät nur leise nebenher, aber es war so wie in einer lauten, überfüllten Bahnhofshalle. Man versteht sein eigenes Wort kaum, und die Ansagen aus dem Lautsprecher sind so verzerrt, daß man sie für Chinesisch
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halten könnte. Doch wenn der eigene Name genannt wird, ist man sofort hellwach. So ging es auch mit Chefinspektor Hempshaw. Als Rick Masters gerade den Mund öffnete, um etwas zu sagen, hob er die Hand und winkte ab. Dann drehte er das Gerät lauter. »Hier spricht Hempshaw«, sagte er in das Mikrophon, das er aus der Halterung genommen hatte. »Ich höre!« »Schwerer Raubüberfall in der Green Road in Tottenham«, meldete die Zentrale. »Ich habe schon einen Fall am Hals, auch wenn das ziemlich in der Nähe ist«, wandte Chefinspektor Hempshaw ein. »Sir«, erwiderte der Mann in der Zentrale, »der Täter wird als ein Mann beschrieben, der am ganzen Körper mit frischen Brandwunden übersät ist.« Die Meldung von der Sprengung des Towers hätte nicht stärker einschlagen können. »Ich komme!« rief Hempshaw in das Mikrophon, während Rick Masters schon den Motor startete und mit durchdrehenden Reifen losjagte. »Schicken Sie meine Kommission hinterher!« ordnete der Chefinspektor an. »Ich fahre mit Mr. Masters an den Tatort. Geben Sie noch einmal die genaue Adresse durch und lassen Sie die Gegend in weitem Umkreis abriegeln! Wäre doch gelacht, wenn wir den Burschen nicht schnappen könnten.« »Hahaha!« machte Rick, während er mit quietschenden Pneus eine Kurve nahm. »Warum lachen Sie?« fragte Chefinspektor Hempshaw. Er griff unter Ricks Sitz und holte die dort verborgene Kunststoffhaube mit der Blaulicht-Blinkvorrichtung hervor. Mit einem geschickten Griff steckte er sie auf das eigens neben der Windschutzscheibe befestigte Rohr. Rick schaltete das Blaulicht ein und stellte die Autohupe auf das schrille Alarmklingeln um, wie es die Polizeiwagen benutzten. Er besaß die Erlaubnis, in dringenden Notsituatio45
nen auch als Privatmann beides zu verwenden, weil er schon so oft dem Yard wertvolle Dienste erwiesen hatte. »Sie werden John Terell nicht erwischen, um bei diesem Namen zu bleiben, wer immer dieser halbverbrannte Körper auch sein mag!« schrie Rick über das Schrillen der Klingel hinweg. »Wer weiß, wie lange der Überfall schon zurückliegt!« »Aber Terell ist entstellt«, schrie Hempshaw zurück und klammerte sich fest, als der Wagen wieder durch eine Kurve jagte. »Jedermann kann ihn erkennen.« »Terell ist nicht mit normalen Maßstäben zu messen! Er besitzt jetzt den Geist eines raffinierten Killers!« »Ihrer Meinung nach!« »Abwarten!« Damit schwiegen sie, bis sie in die Green Road einbogen und vor einem Haus hielten, vor dem bereits zwei Streifenwagen und ein Fahrzeug der örtlichen Kriminalpolizei standen. Rick schaltete den Motor ab und folgte Chefinspektor Hempshaw, der bereits auf das Haus zulief. Im Erdgeschoß war ein kleiner Laden mit einer altmodischen Fassade. Im Schaufenster hingen diverse Herrenmäntel, daneben Hüte. An der Hinterwand sah Rick einige Regale mit Hosen und Pullovern. John Terell war fast nackt aus der Klinik geflohen, weil er unter normalen Umständen auf seinem verbrannten Körper keine Kleidung vertragen hätte. Allein das bewies schon, daß übernatürliche Kräfte im Spiel sein mußten. Der verunglückte Rennfahrer hätte weder gehen noch Kleider anziehen können. Hempshaw betrat den Laden und stockte, sobald er die Schwelle überschritten hatte. Rick trat neben ihn und sog scharf die Luft ein, als sein Blick auf den Boden fiel. Ein Mann um die Fünfzig lag verkrümmt in einer Blutlache. Neben ihm knieten zwei Ärzte und zwei Sanitäter. Vorsichtig hoben sie den Verletzten hoch und betteten ihn auf eine Bahre. 46
»Wie sieht es aus?« fragte Hempshaw einen der Ärzte und zeigte seinen Ausweis kurz vor. »Nicht gut«, antwortete der Arzt. »Ich würde sagen, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, daß er durchkommt. Entschuldigen Sie mich, ich muß die Anweisungen für die Operation ins Krankenhaus durchgeben.« Er lief zu einem der draußen wartenden Wagen und griff zum Funkgerät. In der Zwischenzeit wurde der Verletzte bereits abtransportiert, »Hoffen wir, daß er durchkommt«, murmelte Chefinspektor Hempshaw erschüttert. Rick nickte nur stumm. Er hatte das zerkratzte Gesicht des Mannes und seinen blau angelaufenen Hals gesehen, von den anderen Verletzungen ganz zu schweigen. Falls es wirklich John Terell gewesen war, hatte er sich in eine wilde Bestie verwandelt. Einen Vorgeschmack hatten sie ja schon bei der Ermordung Dr. Oglanders im Krankenhaus erhalten. »Wo sind die Zeugen, die den Täter gesehen haben?« rief Chefinspektor Hempshaw. Eine bleiche Frau mit brandroten Haaren und verschreckten Augen trat vor. »Ich«, sagte sie leise. »Ihren Namen und die Adresse!« verlangte Hempshaw in seiner lauten Art. Die Frau machte ihre Angaben noch leiser. »Und jetzt erzählen Sie . . .«, wollte Hempshaw fortfahren, doch Rick Masters griff ein. »Sie führen sich wie ein Elefant im Porzellanladen auf«, flüsterte er seinem Freund zu. »Sie erreichen noch, daß die Frau überhaupt nicht spricht.« Und laut fuhr er fort, indem er Mrs. Pindock – so hieß die Zeugin – freundlich anlächelte: »Sie haben einen Mann hier im Laden gesehen?« »Nicht im Laden«, erklärte Mrs. Pindock, die sofort auftaute. Sie war nicht die erste, bei der Ricks Charme wirkte. »Ich sah einen Mann hier hineingehen und dachte mir noch, wie sieht denn der komisch aus. Wissen Sie, ich 47
glaubte, er hätte fast keine Kleider an. Aber ich sah ihn nur flüchtig, und da dachte ich, er ist so dunkel gefärbt, das ist bestimmt ein Anzug.« »Das waren die Brandwunden«, murmelte Hempshaw, der nicht weiter darüber böse war, daß Rick das Verhör an sich gerissen hatte. »Und wie sah der Mann aus, als er wieder herauskam?« wollte Rick Masters von der Zeugin wissen. »Da war doch noch der Schrei«, sagte Mrs. Pindock. »Welcher Schrei?« »Der Mann war erst kurz im Laden, da hörte ich einen Schrei. Sehr leise nur, und deshalb dachte ich, daß ich mich geirrt hätte. Wissen Sie, ich arbeitete in meiner Küche, und die hat ein Fenster, das zur Straße hin liegt. Dort drüben!« Sie zeigte auf eines der gegenüberliegenden Häuser. »Ich achtete nicht so sehr darauf, was hier draußen geschah. Dann sah ich den Mann aus dem Laden kommen. Jetzt trug er irgendeinen dunklen Anzug und ein Hemd und einen Hut. Den hatte er ganz tief ins Gesicht gezogen. « »Eine Beschreibung, die auf Hunderttausende paßt«, seufzte Chefinspektor Hempshaw. »Wieso hat es eigentlich in dem Funkspruch geheißen«, fragte Rick, halb zu Hempshaw und halb zu den anwesenden Detektiven gerichtet, »daß es sich eindeutig um John Terell handelte? Es war die Rede von einem Mann mit Brandwunden. Mrs. Pindock hat es aber nicht gesehen.« »Ich habe es doch gesehen«, beantwortete Mrs. Pindock die Frage. »Er hatte den Hut zwar tief im Gesicht, aber einmal hat er hochgeschaut. Ich glaube, er hat mich hinter dem Fenster gesehen. Ja, und da erkannte ich die fürchterlichen Brandwunden in seinem Gesicht.« Sie schüttelte sich vor Grauen. »Es war schrecklich. Ich glaube, er hatte nur ein Auge.« »Dann war er es«, bestätigte Hempshaw. »Mrs. Pindock, vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen.« 48
Rick mußte bei dem ziemlich vergeblichen Versuch des Chefinspektors, freundlich zu wirken, heimlich lachen. Einer der Kriminalisten vom örtlichen Revier trat näher und reichte dem Chefinspektor einen Plastikbeutel, in dem eine blutverschmierte Schere lag. »Das ist die Tatwaffe«, erklärte er dabei. »Der Täter hat wie irrsinnig siebenmal auf den Ladenbesitzer eingestochen.« »Ed Cato scheint eine Vorliebe für Scheren zu entwickeln«, stellte Rick mit harter Stimme fest. »John Terell«, berichtigte ihn Chefinspektor Hempshaw. »Noch ist Ihre Theorie nicht bewiesen.« »Also gut«, lenkte Rick ein. »Bleiben wir auf jeden Fall bei dem Namen Terell, damit keine Verwirrung entsteht. Was werden Sie unternehmen, Kenneth?« »Eine Fahndung nach Terell ausschreiben, was sonst. Bisher bin ich nicht dazu gekommen.« Er ging zur Tür, dann warf er noch einen Blick auf den blutverschmierten Boden des Ladens zurück. »Ich würde es nicht glauben, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen«, sagte er kopfschüttelnd. »Warnen Sie auf jeden Fall alle, die an der Fahndung beteiligt sind«, riet ihm Rick Masters. »Auch wenn Terell bisher keine Schußwaffen an sich gebracht hat, ist er doch gefährlicher als eine entsicherte Maschinenpistole.« »Werde ich machen.« Der Chefinspektor nickte. »Passen Sie aber auch auf sich auf, Rick. Wie ich Sie kenne, werden Sie ziemlich dicht an Terell herankommen.« »Das hoffe ich sogar, Kenneth.« »Dann sehen Sie sich vor, damit Sie nicht auch so daliegen wie Dr. Oglander und dieser arme Kerl hier«, gab Hempshaw zu bedenken. Rick klopfte auf seine linke Achsel, unter der seine 38er Automatik steckte. »Darauf kann ich mich hoffentlich verlassen.«
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Hempshaw lachte kurz und bellend auf. »Das wird die makaberste Personenbeschreibung, die ich je in einer Fahndung durchgegeben habe«, rief er und verließ den Tatort. Zu Mittag nahm sich Rick Masters die Zeit, um mit seiner Freundin zu essen. »Auch ein Detektiv hat ein Recht auf ein Privatleben«, sagte er bedeutungsvoll, als sie an dem Tisch des kleinen Restaurants in der City Platz nahmen, das Juliette ausgesucht hatte. Die Französin runzelte die Stirn und griff nach der Speisekarte. »Und die Freundin eines Detektivs hat ein Recht auf mehr Zeit ihres Freundes«, versetzte sie spitz. »Der Fall ist. . .«, begann Rick. »Der Fall ist sehr wichtig«, unterbrach sie ihn spöttisch. »Natürlich. Ich sehe das auch ein.« »Du machst dich über mich lustig«, beschwerte sich Rick. »Ich werde dir beweisen, daß du keinen Grund dazu hast.« Und er erzählte ihr so viel, wie er verantworten konnte. Juliettes Augen wurden immer größer, und Rick mußte sie mehrmals zum Essen ermahnen. »Da vergeht einem ja der Appetit!« stieß sie schließlich hervor und legte Messer und Gabel weg. »Wie kannst du nur weiteressen, während du solch scheußliche Dinge erzählst?« »Mit der Zeit gewöhnt man sich daran«, sagte Rick entschuldigend. »Wie bei Ärzten, die auch während des Essens von Operationen sprechen. Man stumpft ab.« Leise fügte er nach einer Weile hinzu: »Manchmal wünsche ich mir allerdings, ich wäre noch viel mehr abgestumpft. Es geht verdammt an die Nieren, wenn du . . . Ach, lassen wir das. Nieren ist ein gutes Stichwort. Essen wir weiter!« Während des restlichen Essens vermieden sie das Thema, so daß Juliette der Appetit nicht mehr verging. Allerdings war sie stiller und nachdenklicher geworden. Hinterher drückte sie Rick einen Kuß auf die Wange. »Ich muß wieder ins Büro«, sagte sie, verabschiedete sich und ging davon. 50
Der Privatdetektiv blickte ihr noch eine Weile nach, dann reckte er sich und ging zu seinem Morgan. Rick plante einen Besuch, den er am liebsten noch hinausgezögert hätte. Am allerliebsten hätte er ihn überhaupt nicht gemacht. Dennoch mußte er in den sauren Apfel beißen. Er hatte John Terell flüchtig gekannt und wußte daher, daß der Rennfahrer keine Angehörigen hatte. Aber er war verlobt gewesen, und Rick Masters hatte auf einer Party auch einmal Janet Haggard kennengelernt. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt und arbeitete als Sekretärin bei einer Zeitung. Rick rief ihren Chef an, um sich anzukündigen, erfuhr jedoch, daß Janet Haggard Urlaub genommen hatte. »Um sich von dem Schock zu erholen«, erklärte ihr Chef. »Sie war sehr mitgenommen.« »Dann können Sie mir vielleicht ihre Privatnummer geben, Sir«, sagte Rick. »Tut mir leid«, kam die enttäuschende Antwort, »Miß Haggard hat kein Telefon zu Hause.« Der Detektiv bedankte sich und setzte sich wieder in seinen Wagen. Er mußte also darauf verzichten, Janet Haggard vorher von seinem Besuch zu unterrichten. Er hoffte nur, nicht allzu ungelegen zu kommen. Janet Haggard war zu Hause. Als sie die Tür öffnete, blickte Rick in ein schmales, blasses Gesicht, in dem große tränenlose Augen brannten. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen, die Wangen wirkten eingefallen. Wenn sie fröhlich war, sah sie bildhübsch aus, daran konnte sich Rick noch von der schon länger zurückliegenden Party her erinnern, aber diesmal war sie ein Bild der Verzweiflung. »Kommen Sie herein, Mr. Masters«, sagte Janet Haggard lächelnd, nachdem er sich bei ihr wieder ins Gedächtnis gerufen hatte. »Entschuldigen Sie die Unordnung, aber ich - ich konnte einfach – nicht aufräumen und arbeiten.« Ihre Stimme schwankte, aber sie beherrschte sich.
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Rick betrat die Wohnung. Er mußte zugestehen, daß hier eine ziemliche Unordnung herrschte, aber verglichen mit seinem Wohnbüro, in dem er seinen Junggesellenhaushalt führte, herrschte peinlichste Sauberkeit. An seinem eigenen Chaos durfte man aber auch nicht Maß nehmen. »Sie können sich denken, Janet, weshalb ich komme«, begann Masters das Gespräch, nachdem sie im Wohnzimmer Platz genommen hatten. Der Raum war freundlich mit modernen Möbeln ausgestattet und trug eine sehr geschmackvolle, persönliche Note. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, darüber zu sprechen.« Janet Haggard schüttelte langsam den Kopf. »Insgeheim habe ich immer befürchtet, daß es einmal so kommen würde. Wie oft habe ich John beschworen, den Beruf des Rennfahrers aufzugeben. Er war davon besessen, also konnte ich nichts machen als mich zu fügen und um ihn zu zittern.« »Das meine ich nicht«, setzte der Detektiv an. Er fürchtete schon, die junge Frau wäre noch nicht über die Verbrechen unterrichtet, die man John Terell anlastete. »Ich weiß, ich weiß.« Sie winkte müde ab. »Dieser Mord an dem Arzt. Die Kriminalpolizei war hier und hat mich befragt, aber ich konnte ihnen natürlich nichts sagen.« Sie stand auf und trat an die Hausbar. »Trinken Sie einen Whisky mit mir? Ich kann ihn jetzt brauchen, wirklich.« Rick Masters nickte. Er wartete, bis sie zwei Gläser eingeschenkt hatte und zurückkam. »Mittlerweile wurde der Besitzer eines Kleidergeschäfts überfallen und brutal niedergeschlagen und -gestochen«, sagte er gepreßt. Sie sah ihn für einen Moment aus ihren großen Augen an, dann schlug sie den Blick nieder und spielte gedankenverloren mit ihrem Glas. »Stört es Sie denn gar nicht, daß Ihr Verlobter zum Mörder wurde?« fragte Rick erstaunt. »Stören?« Janet Haggard lachte heiser auf. »Die Ärzte haben den Halbtoten irgend52
wie zusammengeflickt und ihm ein künstliches Gehirn eingepflanzt.« Das stimmte zwar nicht ganz, doch Rick verzichtete auf Widerspruch. »Können Sie John jetzt noch dafür verantwortlich machen, was er tut? Er ist doch nicht mehr er selbst.« Darauf hatte der junge Privatdetektiv nichts zu erwidern. Bis zu einem gewissen Grad hatte sie sogar recht, ohne zu ahnen, was wirklich dahintersteckte. »Ich möchte Sie warnen, Janet«, sagte er nach einer Weile. »Ich fürchte, daß John früher oder später zu Ihnen kommen wird. Lassen Sie ihn nicht in die Wohnung, sondern verständigen Sie sofort die Polizei! Es ist richtig, was Sie sagen, er ist nicht mehr er selbst. Es könnte sogar geschehen, daß er Sie tötet.« Sie trank ihren Whisky aus, dann stellte sie das Glas mit einem harten Ruck auf die Tischplatte. »Um meinen Kopf muß ich mir wohl Sorgen machen, nur ich«, entgegnete sie schnippisch. »Sie sollten London für einige Zeit verlassen«, sprach Rick weiter, ohne sich um ihren Stimmungsumschwung zu kümmern. »Für ein paar Tage, bis alles – bis alles vorbei ist.« »Ich bleibe!« Das sagte sie so entschieden, daß es keine weitere Diskussion darüber gab. Rick Masters verfügte über genügend Menschenkenntnis, um sie nicht weiter zu drängen. »Wenn Sie schon nicht die Polizei rufen wollen, falls John sich bei Ihnen meldet, dann verständigen Sie wenigstens mich, damit ich Ihnen helfen kann«, versuchte er, sie zu überreden. »Ich werde dann nichts ohne Ihr Einverständnis unternehmen.« »Ist sonst noch etwas?« fragte sie kühl, ohne auf seinen Vorschlag einzugehen. Rick erhob sich und wandte sich zur Tür. »Wie Sie meinen, Janet«, sagte er und kämpfte gegen ein Gefühl der Beklemmung und der Unruhe an. Dann fiel ihm noch etwas 53
ein. »Waren Sie eigentlich auf der Rennbahn, als es passierte?« Sie nickte stumm, und das Entsetzen der Erinnerung spiegelte sich in ihren Augen. »Haben Sie genau gesehen, wie der Unfall verlief?« »Nein, das hat mich die Polizei auch gefragt, Rick. Ich weiß es nicht. Ich glaube, es ging alles so schnell, daß ich es nicht mitbekam. Das ist doch den anderen Zuschauern auch so ergangen. Alle haben gemeint, sie hätten plötzlich den brennenden Wagen gesehen, so von einer Sekunde auf die andere.« »Und was zwischen diesen beiden Sekunden war«, bohrte Rick weiter, »daran haben Sie keine Erinnerung?« » Nein.« Sie begann zu zittern und griff rasch nach ihrem leeren Whiskyglas, als müßte sie sich an einem Gegenstand festhalten. »Nein, ich weiß es nicht. Ich empfinde nur schreckliche Angst, wenn ich an diesen Moment vor dem Unfall denke. Seltsam«, murmelte sie, »die Angst kommt, wenn ich an die Zeit kurz vor dem Unfall denke, nicht aber an den Unfall selbst.« Auch das war wieder eine Bestätigung für Ricks Theorie, daß der Unfall nicht durch ein technisches oder menschliches Versagen, sondern durch eine übernatürliche Kraft ausgelöst worden war. »Janet, denken Sie bitte immer an meine Warnung und rufen Sie mich an, wenn sich etwas tut«, sagte der junge Privatdetektiv noch einmal. Dann verließ er die Wohnung. Er hatte ein schlechtes Gefühl, eine Vorahnung kommenden Unheils. Es war eine Art sechster Sinn, der ihn warnte, und doch konnte er nichts für Janet Haggard tun. Wenn sie selbst nicht für ihre Sicherheit sorgte, waren Rick die Hände gebunden. Er konnte nur hoffen, daß seine Befürchtungen sich früher oder später als grundlos herausstellten. *
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In dem Londoner Stadtteil Tottenham gab es viele Straßenzüge, die einen fast ländlichen Charakter aufwiesen. Kleine Häuschen standen aneinandergereiht, vor jedem Gebäude blühten Rosenstöcke in einem winzigen Vorgarten, der nicht größer als ein Handtuch war. Hinter dem Haus gab es eine Wiese in der Größe von zwei Badetüchern, einen Obstbaum und drei Sträucher. Eine idyllische Monotonie. An diesem Nachmittag wurde die Idylle empfindlich gestört. Es begann damit, daß um vier Uhr Mrs. Barnabas, eine vierunddreißigjährige Hausfrau, ihren vierjährigen Sohn Tom in den Garten schickte. »Du machst so viel Wirbel im Haus«, sagte sie, »da kann ich nicht arbeiten. Spiel mit deinem Ball.« Tom hatte aber absolut keine Lust zum Ballspielen, weshalb er beschloß, im Garten auf Entdeckungsreise zu gehen, wie er das schon so oft getan hatte. An diesem Nachmittag sollte der Garten das offene Meer sein. Der winzige Geräteschuppen, der dem Haus gegenüber an der Hinterfront des Grundstückes lag, stellte eine Schatzinsel dar, die natürlich von wilden Tieren bewacht wurde. Vorsichtig näherte sich der Kleine der »Insel«, ganz leise »ruderte er heran, um die »wilden Tiere« nicht zu wecken. Endlich hatte er seine »Insel« erreicht und klinkte die Brettertür auf, die nie verschlossen war. Seine Mutter sah es nicht gerne, wenn er in den Schuppen ging, weil sie immer fürchtete, er könne sich an einem der Werkzeuge verletzen. Sie hatte Tom auch oft genug ermahnt, anderwo zu spielen, doch wenn der Junge sicher war, daß sie nicht zusah, bevorzugte er den Schuppen trotz oder gerade wegen des Verbots. An diesem Nachmittag stand für ihn fest, daß sich die Mutter nicht um sein Spiel kümmerte, da sie einen Stapel Bügelwäsche in der Küche auf dem Tisch liegen hatte. Deshalb hatte sie ihn auch hinausgeschickt.
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Das unheimliche Zwielicht innerhalb des kleinen Holzgebäudes jagte Tom einen leichten Schauer über den Rücken. Hier fürchtete er sich wirklich ein bißchen, was den Reiz des Abenteuers nur noch erhöhte. Seine »Waffe« – einen Holzpfahl – wie eine Flinte vor sich haltend, wagte er sich tiefer in das Innere der »Insel« Als es raschelte, fuhr der kleine Tom Barnabas erschrocken zurück. Er wollte davonlaufen, doch dann überwog die Neugierde. Es war ja möglich, daß sich eine Katze in den Schuppen verirrt hatte, mit der er spielen konnte. Er tat einen Schritt in den Holzverschlag – und erstarrte! Tom sah das schrecklichste Ungeheuer vor sich, das ihm jemals begegnet war. Auch im Fernsehen hatte er so Scheußliches noch nicht gesehen. Selbst die Schilderungen von Drachen und bösen Riesen in seinen Büchern waren harmlos gegen dieses Wesen, das ihn aus einem einzigen Auge haßerfüllt anstierte. Tom Barnabas stieß einen spitzen Schrei aus, warf sich herum und lief, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen, zurück zum Haus. »Tom, was hast du denn?« rief Mrs. Finch, die Nachbarin, erschrocken. Sie hatte Toms Geschrei gehört und ihr Küchenfenster aufgerissen. Sie erhielt keine Antwort. Der Junge lief schnurstracks ins Haus zu seiner Mutter. Auch Mrs. Barnabas erbleichte, als sie ihren aufgeregten Jungen sah. Noch ehe sie etwas fragen konnte, warf Tom sich ihr entgegen und klammerte sich wie ein Ertrinkender an ihr fest. Er schluchzte laut und herzzerreißend und konnte sich kaum beruhigen. »Im Schuppen ist ein Ungeheuer«, jammerte er schließlich, nachdem ihm seine Mutter eine Weile gut zugeredet hatte. »Ein furchtbares Ungeheuer mit einem Auge.« Mrs. Barnabas seufzte. Sie kannte die blühende Phantasie ihres Jungen, der überall Gespenster, Ungeheuer und ähn56
liche Dinge sah. Er war eines der wenigen Kinder, die sich noch immer mit ganz einfachem Spielzeug begnügten, das in ihrer Vorstellungswelt zu den herrlichsten Gebilden wurde. Mrs. Barnabas wollte Tom den Unsinn mit dem Ungeheuer ausreden, doch er ließ sich nicht beschwichtigen, bis die Frau endlich sagte: »Also gut, ich gehe und sehe nach, damit du Ruhe gibst!« »Was hat denn der Kleine?« rief die Nachbarin über den Zaun, als sie Mrs. Barnabas durch den Garten gehen sah. »Er hat ein Ungeheuer im Schuppen getroffen«, rief Mrs. Barnabas lachend. »Sie kennen ihn ja.« Mrs. Finch, die Nachbarin, lachte ebenfalls und wollte sich wieder ihrer Arbeit zuwenden, als sie durch den grauenerfüllten Schrei von Mrs. Barnabas wie gelähmt wurde. Zitternd wandte sie den Kopf und glaubte, der Boden würde unter ihren Füßen nachgeben. An der offenen Tür des Gerätschuppens der Familie Barnabas war ein Mann erschienen. Nicht allein die Tatsache, daß so plötzlich ein Fremder auftauchte, erschreckte die beiden Frauen. Es war sein Aussehen. Er war in einen dunklen Anzug gekleidet und hatte einen Hut tief ins Gesicht gezogen, so daß man nur seine Hände und das Kinn sah. Alles andere war verdeckt oder lag im Schatten. Als er durch den Türrahmen trat, blieb der Hut am Querbalken hängen. Ein völlig kahler Schädel kam zum Vorschein und ein Gesicht, das eine einzige Wunde darstellte. Gesicht und Kopfhaut waren verschmort. Ein Auge fehlte. Die Nase war nur ein dunkler Klumpen. Das gesunde Auge richtete sich mit einem feindseligen Funkeln auf Mrs. Barnabas, die nur wenige Schritte von der gräßlichen Erscheinung entfernt stand. Die Frau war vor Entsetzen unfähig, auch nur eine einzige Bewegung zu machen. 57
Vom Haus her ertönte ein leises Wimmern. Tom stand an der Hintertür und weinte vor Angst. Minutenlang schienen die vier Menschen in derselben Stellung zu verharren. Der Fremde mit dem verbrannten Gesicht und dem mit Wunden übersäten Schädel stand einen Schritt vor dem Geräteschuppen und starrte unverwandt Mrs. Barnabas an. Die stand nur drei oder vier Schritte vor dem Ungeheuer. Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen und rang nach Luft. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, so daß sie nicht einmal mehr schreien konnte. Mrs. Finch, die Nachbarin, hatte gerade in ihr Haus zurückgehen wollen, aus dem sie gekommen war, um nach dem Grund der Unruhe zu sehen. Mitten im Gehen hatte sie gestockt, weshalb sie noch immer einen Fuß vor den anderen gesetzt hielt. Und der weinende Tom Barnabas drückte sich zitternd gegen die Hintertür. Plötzlich kam Leben in den Fremden mit dem entstellten Gesicht. Er trat näher auf Mrs. Barnabas zu. Die Frau sank stöhnend vor ihm in die Knie. Sie konnte nicht davonlaufen, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen. Dieser grauenhafte Anblick war zuviel für den menschlichen Verstand. Es war nicht einmal so sehr das Aussehen des Mannes mit den Brandwunden, obwohl auch das schockierend wirkte. Es war vielmehr der Blick seines einzigen Auges, der so viel Böses und Gemeines ausdrückte und Tod verkündete. »Lauf weg, Tom!« schrie Mrs. Barnabas gellend auf. Sie hatte an ihren Sohn gedacht und schlagartig ihre Stimme wiedergefunden. »Lauf weg, Tom!« brüllte sie noch einmal aus Leibeskräften. Da sie sich nicht umdrehen konnte, sah sie nicht, wie der Junge wie ein Blitz zurück in das Haus sauste und auf der anderen Seite hinaus auf die Straße rannte. 58
Beim ersten lauten Wort von Mrs. Barnabas sprang das Monster wie katapultiert auf die Frau zu. Die Hände schossen hoch, verkrümmte Krallen, dunkelbraun und mit Krusten bedeckt. Die Finger umspannten den Hals der Unglücklichen. Mit einem Ruck riß der Mörder ihren Kopf nach hinten. Der gnadenlose Druck brach ihr Genick. Mrs. Finch taumelte schreiend und wimmernd durch ihr Haus und auf die Straße. Inzwischen waren schon Nachbarn auf die gräßlichen Ereignisse aufmerksam gemacht worden. Sie hatten die Polizei gerufen. Alarmklingeln schrillten von drei Seiten. Sie kamen rasend schnell näher. Die mordende Bestie hob lauschend den Kopf, dann öffneten sich die Hände. Die Leiche der Frau rollte in das Gras des Gartens. Bei manchen Gelegenheiten verfluchte Rick Masters seinen Beruf in allen Tonarten. Nun war wieder eine solche Gelegenheit gekommen. Er steckte mit seinem offenen Sportwagen im beginnenden Feierabendverkehr und freute sich schon auf das Zusammentreffen mit Juliette. Sie hatten vereinbart, daß sie sich um fünf Uhr in der City vor dem Bürogebäude, in dem sie arbeitete, treffen wollten. Die junge Dolmetscherin hatte am Telefon einige zurückhaltende Andeutungen gemacht, die Ricks Gedanken in eine ganz bestimmte Richtung lenkten, die absolut nichts mit Kriminalistik zu tun hatten. Die Aussicht auf die kommenden Vergnügen vertrieben sogar die düsteren Gedanken an John Terell und dessen Verlobte Janet Haggard. Der Besuch bei Janet hatte Rick erschüttert. Es stimmte zwar, was er Juliette beim Essen gesagt hatte, daß man im Laufe der Zeit in diesem Beruf ähnlich wie ein Arzt abstumpfte, aber Gespräche mit den Angehörigen von Verstorbenen oder Verunglückten gingen ihm stets ziemlich nahe. 59
Rick Masters fuhr also in freudiger Erwartung durch die Londoner City. Es ging nur langsam weiter, weil schon viele Büros schlössen und die erste Welle Autos die Straßen zu verstopfen begann. Rick hatte daher genügend Zeit, um die Vorfreude zu genießen und die Auslagen der Geschäfte und die Passanten zu mustern. Gewohnheitsmäßig hatte er das Funkgerät eingeschaltet und hörte mit einem halben Ohr die Meldungen. Er war an diesem späten Nachmittag wirklich nicht sehr aufmerksam, und doch entging ihm eine Meldung nicht, die einen Mord in Tottenham betraf. Zuerst horchte er bereits auf, als Tottenham erwähnt wurde. Sofort neigte er sich nach rechts zum Handschuhfach und stellte die Lautstärke höher. Gleich darauf kam der Großalarm durch. Der Mann mit den Brandwunden war der Mörder! Es versetzte Rick einen Schlag, als er hörte, daß John Terell aufgetaucht war und wieder gemordet hatte. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Gleich einem Phantom schlich dieses Ungeheuer durch Londons Straßen, ein Körper, der durch einen Kunstgriff der Ärzte am Leben erhalten und von dem Geist eines Mörders angetrieben wurde. Als es über Funk knapp hieß, die Mordkommission wäre unterwegs, wußte Rick, daß sich Chefinspektor Hempshaw bereits eingeschaltet hatte. Denn daß er sich um den Mord in Tottenham kümmern würde, war selbstverständlich. Fehlte also nur er, um die Untersuchungsmannschaft zu vervollständigen. Einen Moment schwankte er zwischen Privatvergnügen und Pflichtbewußtsein. Schweren Herzens entschied er sich für die Pflicht. Er wagte gar nicht, sich Juliettes wütendes Gesicht vorzustellen, wenn sie vergeblich vor ihrem Büro auf ihn wartete. Rick hatte nicht einmal eine Möglichkeit, sie sofort anzurufen. Das mußte er auf seine Ankunft in Tot60
tenham verschieben. Vielleicht bestand nämlich noch eine geringe Chance, den Mörder zu fassen. Rick hielt mitten auf der Straße, griff unter seinen Sitz und holte die Blaulichtkapsel hervor. Sie flog förmlich auf die dafür vorgesehene Halterung und begann, hektisch zu zucken. Einen Schalter am Armaturenbrett legte er ebenfalls noch um, und gleich darauf ertönte das schrille Klingelzeichen, das gemeinsam mit dem Blaulicht für freie Bahn sorgte. Wie immer machten die Londoner Autofahrer mit bewunderungswürdiger Disziplin dem mehr als ungewöhnlichen Einsatzfahrzeug die Bahn frei, so daß es Rick in einer knappen Viertelstunde schaffte, Tottenham zu erreichen. Eine Gruppe von Leuten hatte sich bereits vor Rick eingefunden, die nicht zur Polizei gehörte – Reporter. Der Mord im Krankenhaus an Dr. Oglander war weitgehend vertuscht worden, so daß nur eine kurze Meldung darüber durchgekommen war, ein Arzt wäre von einem Patienten angegriffen und tödlich verletzt worden. Das Anstaltspersonal hatte soweit dichtgehalten, daß nichts über die Person des Mörders durchgesickert war. Der Raubüberfall auf den Besitzer des Kleidergeschäfts in Tottenham war allein schon deshalb weniger beachtet worden, weil der Mann am Leben blieb. Die Ärzte bestätigten mittlerweile auch, daß er durchkommen würde. Die Schilderung einer Zeugin, der Täter wäre über und über mit Brandwunden bedeckt gewesen, fand nur wenig Glauben. Doch inzwischen gab es gleich mehrere Zeugen, die den Mörder gesehen hatten, und alle beschrieben ihn übereinstimmend. Daran konnte die Presse natürlich nicht vorübergehen, weshalb die Sensation des Tages perfekt war. Zu seinem Erstaunen sah Rick sogar am anderen Ende der Straße mit den Reihenhäusern, in der sich der Mord ereignet hatte, einen Übertragungswagen des Fernsehens auftauchen. In Hempshaws Haut möchte ich jetzt nicht stecken, dachte Rick, während er auf das Haus zuging, auf das sich die gan61
ze Aufregung konzentrierte. Ein Polizist wollte ihn abweisen, und Rick griff schon nach seiner Detektivlizenz, als ihm einer der Beamten von Scotland Yard Zutritt verschaffte. Rick Masters kannte den Mann flüchtig und bedankte sich durch ein Kopfnicken. »Ganz schön was los«, sagte der Privatdetektiv und deutete auf die Reporter, die sich im Vorgarten drängten und Rosenstöcke und gepflegte Beete zertrampelten. »Das kann man wohl sagen«, antwortete der Kriminalist. »Gehen Sie vorsichtig mit dem Alten um, er steht kurz vor der Explosion.« Chefinspektor Hempshaw, der so respektlos mit dem »Alten« gemeint war, konnte durch die Lautstärke seiner Stimme geortet werden. Rick durchquerte das Haus. Im Wohnzimmer stockte er, als er einen Mann Anfang Dreißig sah, der völlig gebrochen in einem der Sessel mehr lag als saß. Er drückte einen vielleicht vierjährigen Jungen an sich, der aus entsetzten Kinderaugen auf alle die Menschen starrte, die er nicht kannte und die ihm Angst einflößten. »Der Ehemann und der Sohn der Ermordeten«, flüsterte der Yard-Beamte Rick ins Ohr. »Der Junge hatte unglaubliches Glück. Er entdeckte Terell im Gerätschuppen hinten im Garten und lief zu seiner Mutter. Sie ging nachsehen und wurde vor den Augen ihres Sohnes und einer Nachbarin ermordet – Genickbruch. Der Ehemann ist vor einer halben Stunde ahnungslos nach Hause gekommen.« »Schrecklich«, murmelte Rick. Der Mann tat ihm leid, doch er konnte ihm nicht helfen. Er vermochte nur seinen Teil dazu beizutragen, daß dieses Ungeheuer, das aus John Terell geworden war, unschädlich gemacht wurde, um anderen Menschen dieses Leid zu ersparen. Hempshaw stand im Mittelpunkt des kleinen Gartens und erteilte Befehle wie ein Feldherr. Entlang des Zauns hatte er Polizeiposten ringsum aufstellen lassen, um Neugierige ab-
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zuhalten. Er konnte ihnen nicht verbieten zuzusehen, aber sie am Betreten des Tatorts hindern. In einer Ecke des Gartens stand eine Gruppe von fünf Personen, vermutlich Zeugen. Daneben hatte sich ein Polizist aufgebaut, der wahrscheinlich dafür zu sorgen hatte, daß sie nicht verschwanden. Im Garten herrschte Betriebsamkeit. Spuren wurden gesichert, das Gelände wurde vermessen, Fotos wurden angefertigt. Chefinspektor Hempshaw entdeckte Rick Masters, ließ sich jedoch nicht in seiner Arbeit stören. Nur ein kurzes Zusammenziehen seiner buschigen Augenbrauen verriet, daß er den Detektiv überhaupt wahrgenommen hatte, und Rick hütete sich, Hempshaw jetzt zu nahe zu kommen. Der Chefinspektor war in dieser Situation gefährlicher als ein Sack voller Giftschlangen. Eine Weile stand Rick abseits und beobachtete die Tätigkeit der Mordkommission, bis er den Polizeiarzt entdeckte. Es war Dr. Sterling, der alte Pathologe, der stets mit Hempshaw zusammenarbeitete. Rick ging auf den Arzt zu und begrüßte ihn. Dr. Sterling blinzelte Rick Masters durch seine dicken Brillengläser an. Er war im ganzen Yard wegen seiner spitzen Bemerkungen und wegen seiner scharfen Zunge gefürchtet. Von dieser Freude an feinen Spitzen war im Moment nichts zu merken. »Sie müßten die Tote sehen, Rick«, sagte Dr. Sterling. Er zeigte auf die Leiche, die noch immer vor dem Geräteschuppen lag und nur mit einem Tuch zugedeckt war. »Es ist scheußlich. Er hat ihr mit bloßen Händen das Genick gebrochen.« »Kennen Sie die Hintergründe des Falles?« fragte Rick Masters. »Ich meine, wissen Sie, was eigentlich mit dem Täter los ist?« Und als Dr. Sterling unsicher antwortete, unterbreitete ihm Rick seine Theorie, daß Ed Catos Geist John Terells Körper übernommen habe.
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»Ich kann mir vorstellen«, sagte Dr. Sterling, als Rick fertig war, »daß unser guter Kenneth bei solchen Überlegungen an die Decke gegangen ist, aber ich bin kein solcher Skeptiker. Sagen wir, ich räume Ihrer Theorie achtzig Prozent Wahrscheinlichkeit ein.« »Danke, Doktor.« Rick nickte mit einem schwachen Lächeln. »Ich bin zwar kein Mensch, der ständig von anderen hören muß, daß er recht hat, aber es tut gut, wenn man einmal auch Zustimmung findet und nicht nur Ablehnung und Skepsis.« »Sagen Sie«, schwenkte Dr. Sterling auf ein anderes Thema, »war John Terell nicht verlobt?« »Verlobt?« entfuhr es Rick überrascht. »Verlobt, natürlich war er verlobt – verlobt«, murmelte er. »Was ist denn?« erkundigte sich der alte Polizeiarzt und rückte seine Brille zurecht. »Ist etwas mit dem Mädchen?« Rick richtete sich unter einem plötzlichen Entschluß auf. »Das ist es, so schaffe ich es!« rief er, ließ Dr. Sterling einfach stehen, beachtete Chefinspektor Hempshaw nicht weiter und verließ schnell das Haus. Während er mit seinem Wagen unterwegs war, fiel ihm ein, daß er noch immer nicht bei dem Pförtner von Juliettes Bürogebäude angerufen und sie nach Hause geschickt hatte, doch dann warf er einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Es war anderthalb Stunden nach der vereinbarten Zeit, Juliette würde sicher schon nach Hause gegangen und entsprechend wütend sein. Rick lenkte seine Gedanken wieder auf die Ausführung seiner Idee, die ihm bei Dr. Sterlings Frage gekommen war. Er hielt vor dem Haus, indem Janet Haggard wohnte, die Verlobte des Rennfahrers. Sie öffnete auf sein Klingeln und war sichtlich unangenehm überrascht, den Privatdetektiv vor sich zu sehen. »Stellen Sie bitte keine Fragen, Janet«, bat Rick. »Kommen Sie mit mir!« 64
»Haben Sie John gefunden?« fragte sie totenblaß. »Nein, das nicht, aber es hat mit ihm zu tun. Bitte, kommen Sie!« wiederholte Rick. Sie zögerte, dann nickte sie. »Gut, warten Sie unten. In zwei Minuten bin ich bei Ihnen.« Rick mußte tatsächlich nur zwei Minuten warten, dann fuhren sie schweigend zurück nach Tottenham. Janet Haggard sprach die ganze Zeit über kein Wort, doch Rick merkte ihr die Nervosität an. Sie rauchte eine Zigarette nach der anderen und warf die halbgerauchten Kippen achtlos hinaus auf die Straße. Er fuhr scharf und setzte auch das Blaulicht ein, weil er nicht zu spät kommen wollte. Janets Aufregung steigerte sich noch, als sie den Aufruhr in der Straße sah, in der sich der Mord abgespielt hatte. Rick hielt diesmal an der nächsten Ecke, stieg aus und führte Janet von hinten an den Garten heran. Er wollte nicht, daß sie von den Reportern überfallen und fotografiert wurde. Er half der jungen Frau über den Zaun. Den Polizisten, der sich auf ihn stürzen wollte, weil er ihn für einen vorwitzigen Neugierigen hielt, pfiff Hempshaw zurück. Der Chefinspektor kam auf die beiden zu. »Ich weiß nicht, was das soll«, sagte er gefährlich leise. »Rick, wollen Sie mir erklären, warum Sie Miß Haggard hierher bringen? Wenn ich es für nötig befunden hätte, dann hätte ich sie holen lassen.« »Kenneth«, antwortete Rick ebenso leise und mit ebenso viel verhaltener Anspannung in der Stimme. »Sie haben offenbar nicht daran gedacht, daß sich John Terell früher oder später an einen Menschen wenden wird, den er vor dem Unfall sehr gut kannte, um Hilfe zu erhalten. Und dieser Mensch ist Miß Haggard, da Terell keine Verwandten und kaum Freunde hatte. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, daß Miß Haggard in höchster Gefahr schwebt.« »Das ist noch lange kein Grund, sie hierher zu bringen!« schrie Hempshaw unbeherrscht los. 65
»Doch!« erwiderte Rick fest. »Ich wollte Miß Haggard dazu überreden, London für ein paar Tage zu verlassen. Aber sie hat sich geweigert. Vielleicht denkt sie anders darüber, wenn sie das hier gesehen hat.« Mit diesen Worten ging Rick Masters zu der Leiche und hob das Laken, das über den starren Körper gebreitet war, an. Janet Haggard taumelte einen Schritt zurück, als sie die unnatürliche Haltung des Kopfes und die weit aus den Höhlen tretenden Augen sah. »Genickbruch«, konstatierte Dr. Sterling. Er hatte Ricks Absicht verstanden und wollte ihm helfen. »Der Mörder hat mit unglaublicher Brutalität zugeschlagen. Kein normaler Mensch ist dazu imstande. Das ist das Werk eines Ungeheuers.« Sogar Chefinspektor Hempshaw sah ein, daß Ricks Versuch richtig war und weiteres Unglück verhindern sollte. »Der Täter ist gemeingefährlich«, schlug er in dieselbe Kerbe. »Man kann ihm nicht trauen, auch Sie nicht, obwohl Sie ihn gut kannten. Er ist ein ganz anderer Mensch geworden, ganz abgesehen von seinem Aussehen. Durch den Unfall oder die Operation wurde etwas in ihm entfesselt, ein Urtrieb, der Instinkt zum Töten, ich weiß es nicht. Folgen Sie dem Rat Mr. Masters’, Miß Haggard, verlassen Sie London, bis alles vorüber ist.« Die junge Frau stand kreidebleich vor der Leiche. Eine volle Minute verstrich, dann schien sie aus einem tiefen Traum zu erwachen. »Ich bleibe«, erklärte sie mit fester Stimme, warf den Kopf in den Nacken und wandte sich ab. »Sie brauchen mich nicht nach Hause zu bringen, Mr. Masters«, sagte sie über die Schulter zurück. »Ich nehme ein Taxi.« Sie verließ den Garten auf demselben Weg, den sie gekommen war, um nicht mit den Reportern zusammenzutreffen. Rick Masters, Chefinspektor Hempshaw und Dr. Sterling blickten ihr betreten nach. 66
»Ich werde einen Mann zu ihrer Bewachung abstellen«, murmelte Hempshaw und ging mit hängenden Schultern ins Haus, um mit dem Yard zu telefonieren und die Überwachung zu organisieren. »Ich glaube, sie hält noch immer zu ihrem Verlobten«, sagte Dr. Sterling kopfschüttelnd. »Das wäre eine gute Lebensgemeinschaft geworden, wenn das Unglück nicht passiert wäre.« »Wenn, wenn, wenn!« fuhr Rick nervös auf. »Damit ist uns nicht geholfen. Ich weiß aber nicht, was ich zu ihrem Schutz tun kann. Ein Mann zu ihrer Bewachung – gut, aber das reicht nicht aus. Ich kann mich nicht vierundzwanzig Stunden am Tag in ihrer Nähe aufhalten, abgesehen davon, daß sie es gar nicht erlauben würde.« »Sie müssen John Terell eben so schnell wie möglich stellen«, sagte Dr. Sterling achselzuckend. »Eine andere Wahl haben Sie nicht.« »Gut gebrüllt, Löwe«, entgegnete Rick gereizt. »Falls es Ihnen nicht bekannt ist, London hat mehr als zehn Einwohner. Wie soll ich John Terell so schnell aufspüren?« »Ich bin Arzt, kein Kriminalist«, antwortete Dr. Sterling bedauernd. »Vielleicht fällt mir etwas ein, dann verständige ich Sie. Aber ich muß gestehen, daß ich ebenfalls ziemlich ratlos bin.« »Da sind wir dann drei Ratlose«, bemerkte Chefinspektor Hempshaw, der in diesem Moment wieder aus dem Haus kam und die letzten Worte des Arztes gehört hatte. »Die Großfahndung läuft seit Stunden, und ich hatte für Tottenham verstärkte Kontrollen angeordnet, aber bisher ist alles negativ.« »Denken Sie an meine Theorie, Kenneth«, erinnerte ihn Rick Masters. »Sie haben es nicht mit einem gewöhnlichen Verbrecher zu tun.« »Langsam schließe ich mich Ihrer Meinung an, Rick«, sagte der Chefinspektor kopfschüttelnd. »John Terell kommt und 67
geht wie ein Phantom, obwohl wir einen vierfachen Sperring um dieses Gebiet gelegt haben.« »Und die Dunkelheit wird ihm weiterhelfen«, stellte Dr. Sterling nüchtern fest, nachdem er einen Blick zum bleigrauen Abendhimmel geworfen hatte. »Ich glaube, wir sollten uns diesmal auf eine Katastrophennacht einstellen. « »Malen Sie nicht den Teufel an die Wand!« brummte Chefinspektor Hempshaw. »Er hat recht.« Rick Masters winkte ab. »Wir müssen uns auf einiges vorbereiten. Aber das Schreckliche daran ist, daß wir gar nichts tun können, um das Unglück zu verhindern. Kenneth, haben Sie Ihren Mann als Schutz abkommandiert?« Hempshaw nickte. »Er trifft wahrscheinlich gleichzeitig mit Miß Haggard bei ihrer Wohnung ein. Ich habe ihm eingeschärft, daß er auf sie wie auf seinen Augapfel aufpassen soll. Er weiß auch, mit welchem Gegner er es zu tun hat. Außerdem hat er ein tragbares Funkgerät bei sich, damit er jederzeit Alarm geben kann.« »Wenigstens etwas«, seufzte Rick. »Mehr können wir nicht unternehmen. Ich werde auch noch einmal bei Miß Haggard vorbeifahren und kontrollieren, ob alles in Ordnung ist. Vielleicht ist sie inzwischen zur Besinnung gekommen und entscheidet sich doch dafür, ein paar Tage aus London zu verschwinden.« »Nein«, erklärte Dr. Sterling überraschend sicher. »Ich habe die junge Dame genau beobachtet. Die ändert ihre Meinung nicht, darauf gebe ich Brief und Siegel.« »Ich bin von Pessimisten und Schwarzmalern umgeben«, beklagte sich Hempshaw. »Bisher hatten wir noch keinen Grund, die Optimisten zu spielen«, konterte Rick und schaute mit einem Achselzucken auf seine Armbanduhr. Es wurde Zeit, daß er Juliette anrief. Er verabschiedete sich von Hempshaw und Dr. Sterüng.
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Bei einer Telefonzelle hielt er und wählte Juliettes Nummer. Zwei Minuten später kam er strahlend heraus. Er hatte noch eine Chance erhalten. Hoffentlich kam nicht wieder etwas dazwischen. Die Fahrt im Taxi erschien ihr wie ein Traum, genauso wie sie alles andere nicht mehr für Wirklichkeit halten konnte. Allein schon der Unfall auf der Rennbahn — das war kein normaler Unfall gewesen. Das hatte man ihr von verschiedenen Seiten bestätigt. Und dann die nachfolgenden Ereignisse. Sie waren einfach zuviel für Janet Haggard gewesen. Die grauenhafte Verstümmelung ihres Verlobten. Zuerst das Warten auf seinen Tod innerhalb von Minuten, von Stunden, danach das Bewußtsein, daß er dank ärztlicher Kunst weiterleben würde – aber wie! Doch auch das war noch nicht genug gewesen. Die Nachricht von dem Mord im Krankenhaus hatte Janet Haggard wie ein Keulenschlag getroffen. Verzweifelt hatte sie sich an der Überzeugung festgeklammert, nicht John, sondern irgendein anderer hätte diesen Arzt getötet. Ihre Überzeugung war unter den unwiderlegbaren Beweisen der Polizei weggeschmolzen wie Schnee an der Sonne. Dann der Raubüberfall auf den Ladenbesitzer und jetzt der Mord an der Hausfrau, die nur ihren Sohn hatte schützen wollen. In allen Fällen stand John Terell als Täter fest. Janet Haggard war am Ende ihrer nervlichen und körperlichen Kraft. Sie konnte die Erinnerung an diesen Menschen nicht einfach auslöschen, sich nicht sagen, daß sie mit einem Mörder dieses schrecklichen Aussehens nichts mehr zu tun hatte. Die gemeinsam erlebten Jahre ließen sich nicht beseitigen wie ein altes Kleid, das man in die Mülltonne wirft. Janet mußte um Fassung kämpfen, als sich das Taxi ihrem Haus näherte, in dem sie viele schöne Stunden mit John 69
verbracht hatte. Sie schaffte es noch, den Fahrpreis zu zahlen, aus dem Taxi zu springen und in den Hausflur zu laufen. Dann brach sie zusammen. Hemmungslos schluchzend sank sie zu Boden. Lange Zeit saß sie, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, auf den kalten Steinplatten, bis wieder etwas Ruhe in ihre Gedanken gekommen war. Ermattet stemmte sie sich hoch und stieg die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf. Noch nie war ihr der Weg so weit vorgekommen. Sie glaubte bei jeder Stufe, sie würde die nächste nicht mehr schaffen, und doch stand sie endlich vollkommen erschöpft vor ihrer Wohnungstür, schob den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn herum. Die vertraute und irgendwie schutzbietende Dunkelheit ihrer Diele umfing sie. Sie griff nach dem Lichtschalter und knipste ihn an. Mit aufkeimendem Entsetzen starrte sie auf den leeren Rahmen ihres Spiegels in der Diele. Nur noch einige wenige Zacken hingen schief in der Halterung. Die Splitter bedeckten den Fußboden des kleinen Raums. Janet war sicher, daß sie selbst den Spiegel nicht zerbrochen hatte. Oder doch? War das in jener kurzen Zeit geschehen, in der Rick Masters sie hatte abholen wollen und sie ihn hinunter auf die Straße geschickt hatte, ehe sie ihm gefolgt war? Sie hatte sich schwach gefühlt, und dennoch konnte sie sich nicht vorstellen, daß sie bei dieser Gelegenheit den Spiegel zerbrochen hatte, ohne es zu merken oder sich hinterher daran zu erinnern. Oder doch? Grübelnd stand sie vor den Trümmern. Sie fühlte, wie eine Gänsehaut ganz langsam über ihren Rücken kroch, als striche eine eisige Hand ihre Wirbelsäule entlang. Gleichsam einem inneren Zwang folgend, betrat sie das Wohnzimmer. Auch hier schaltete sie das Licht ein und hielt sekundenlang den Atem an. Sie war darauf gefaßt, et70
was Grauenhaftes zu sehen, doch das Zimmer war leer. Nichts hatte sich verändert, es war niemand hier. Und auch die Einbrecher, an die sie bei dem Anblick des zerbrochenen Spiegels gedacht hatte, existierten nur in ihrer Einbildung. Aufatmend ließ sich Janet Haggard in einen Sessel fallen. Ihre Nerven spielten ihr wirklich manchmal böse Streiche, aber das war schließlich kein Wunder. Sie hatte in den letzten Stunden viel durchmachen müssen, mehr, als ein normaler Mensch verkraften konnte, ohne die Beherrschung zu verlieren. Flüchtig überlegte sie, ob sie nicht doch lieber wieder zur Arbeit gehen sollte. Die Tätigkeit im Zeitungsverlag würde sie ein wenig von ihren trüben Gedanken ablenken. Sie beschloß, am nächsten Morgen in der Redaktion zu erscheinen. Nachdem sie sich zu diesem Entschluß durchgerungen hatte, fühlte sie sich etwas erleichtert. Sie hatte sich aus ihrer Lethargie gerissen und zum ersten Mal seit dem schrecklichen Unfall etwas getan. Ein Teil ihrer alten Energien kehrte zurück, und sie faßte sofort einen zweiten Entschluß, weil der erste eine so gute Wirkung hervorgebracht hatte. Sie stand auf und goß Whisky in ein Glas. Unschlüssig drehte sie das Glas in der Hand und überlegte, ob sie Eis dazutun oder den Whisky auf englische Art ohne Eis trinken sollte. Die Entscheidung fiel zugunsten von Eis aus. Janet Haggard ging in die Küche hinüber, holte die Eiswürfel aus dem Tiefkühlfach und warf sie ins Glas. Das Klingeln der Würfel war das einzige Geräusch in der Wohnung. Es wirkte auf Janet belebend, obwohl es auch eine Erinnerung an fröhliche Partys mit sich brachte, ein Gedanke, den sie jetzt nicht sonderlich schätzte. Als sie das Wohnzimmer wieder betrat, warf sie noch einen Blick auf die Scherben des Vorzimmerspiegels, dann schloß sie die Tür und nahm sich vor, sich über nichts mehr den
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Kopf zu zerbrechen und die Dinge so zu nehmen, wie sie kamen. Wieder setzte sie sich in den Sessel und hob das Whiskyglas hoch. Etwa auf halbe Armlänge streckte sie es vor sich und beobachtete, wie ein Tropfen außen herunterlief. Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht. Über ihren Kopf hinweg schob sich ein Arm in brauner Jacke. Die Hand tastete nach dem Glas, die Finger umspannten den oberen Rand. Janet Haggard saß wie gelähmt. Sie konnte nichts tun, sondern mußte auf diese Hand starren, die einem Menschen gehörte und doch nichts mehr Menschliches an sich hatte. Die Haut war verbrannt. Nein, die Haut existierte überhaupt nicht mehr. Das Fleisch lag bloß vor ihren Augen, von einem dunkelbraunen Schorf überzogen. Die Finger zuckten unkontrolliert und vibrierten leicht, bei der Berührung des Glases. Als sie sich zu einer Faust krampften, sah Janet, daß auch die Fingernägel fehlten. Diese Hand war so zerstört, daß sie sich eigentlich gar nicht mehr bewegen konnte. Sie tat es aber doch, und sie entwickelte eine ungeheure Kraft. Mit einem einzigen Ruck zerdrückte sie das schwere geschliffene Kristallglas, als wäre es ein Pappbecher. Mit einem knirschenden Mahlen zerbröckelten die Eiswürfel. Der Whisky spritzte in Janets Gesicht und ergoß sich auf ihr Kleid. Sie achtete nicht darauf. Sie achtete auch nicht auf die scharfen Glassplitter, die in die nackte Haut ihrer Schenkel stachen. Janet starrte und starrte und fühlte, wie das Grauen ihr Herz mit eisernen Klammern zusammenpreßte. Die Finger spreizten sich und ließen die Überreste des Glases in Janets Schoß fallen. Hinter ihr raschelte und knackte es, als würde sich ein riesiges Insekt bewegen. Dann trat der Mann in ihr Blickfeld. Er trug einen dunkelbraunen Anzug, Gesicht und Schädel waren nackt. Sie sahen genauso aus wie die Hände – ver72
brannte Haut, Krusten und Blasen. Die Haare fehlten. Anstelle des einen Auges klaffte ein Loch in dem gräßlichen Kopf. Das zweite Auge bohrte einen flammenden Blick in Janets Augen. Ihr Unterbewußtsein hatte sofort beim Anblick der Hand registriert, wer hinter ihr stand, doch nun traf sie das Verstehen mit voller Wucht. Es war John Terell, ihr John, ihr Verlobter! Jon Terell, der nach seinem Unfall und der unglücklichen Operation zum Doppelmörder geworden war. Ich werde wahnsinnig! Wahnsinnig! dachte Janet Haggard verzweifelt. Diesen Anblick kann ich nicht ertragen! Sie wartete vergeblich auf die ersehnte Ohnmacht, die sie von diesem unbeschreiblich schrecklichen Anblick befreien sollte. Sie kam nicht. Der Gedanke durchzuckte sie schemenhaft, daß sie einmal gehört hatte, zum Tode Verurteilte würden vor und während des Beginns ihrer Hinrichtung niemals ohnmächtig. Die enorme Nervenanspannung würde das verhindern. So ähnlich schien es auch bei ihr zu sein. Mit vollem Bewußtsein mußte sie den Anblick ihres entstellten Verlobten ertragen, obwohl sich ihr Verstand mit aller Macht dagegen wehrte. Minutenlang stand er ihr schweigend gegenüber, Zeit genug, daß sich ihre innere Verkrampfung lösen und Todesangst Platz machen konnte. Janet dachte an die beiden Morde und den brutalen Überfall, die John verübt hatte, und daran, daß Rick Masters sie gewarnt hatte. Würde John auch sie umbringen? Unten auf der Straße vor Janet Haggards Haus schaltete in diesem Moment der Detektiv von Scotland Yard sein tragbares Funkgerät auf Senden und gab die routinemäßige Meldung durch: »Alles in Ordnung, keine besonderen Vorkommnisse!«
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Der schmale Schlitz des Mundes öffnete sich einen Spalt breit. Die Lippen fehlten. Die Stimme klang rauh, krächzend und zischend. »Du darfst keine Angst vor mir haben, Janet«, sagte John Terell heiser. Er war trotz seines entstellten Mundes überraschend gut zu verstehen. »Ich werde dir nichts tun. Du hast mich früher einmal geliebt, jetzt sicher nicht mehr. Wie solltest du auch.« Es schnürte Janet Haggard die Kehle zu, als sie ihren Verlobten so sprechen hörte. In diesem Augenblick vergaß sie alles, was sie über ihn wußte, vergaß die beiden Morde und den brutalen Raubüberfall. Sie wollte etwas erwidern, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Janet, ich will nicht viel von dir. Ich möchte mich bei dir ausruhen können, sonst nichts.« Das klang so weich und so flehend, daß sie in Tränen ausbrach. Vorbei war der Abscheu vor seinem Anblick, vorbei die Angst vor seinen mörderischen Trieben. »Janet, schick mich nicht weg!« bat er. »John!« Mit diesem Aufschrei schlug sie die Hände vors Gesicht. Ein Weinkrampf schüttelte ihren schmalen Körper. »Ich verstehe«, murmelte er dumpf. »Du schickst mich weg. Du kannst mich nicht ertragen.« »Halt!« schrie sie auf, als er sich zur Tür wandte. »Halt, du darfst nicht gehen! Natürlich helfe ich dir!« Sie versuchte krampfhaft ein Lächeln, das jedoch mißlang. Und sie versuchte, ihm tapfer ins Gesicht zu blicken, ohne ihn ihren Ekel merken zu lassen. »Ich darf bleiben?« fragte er leise. Sein zerstörtes Gesicht blieb zwangsläufig ausdruckslos. Es verzog sich nicht im mindestens. Doch Janet Haggard hatte den Eindruck, ein freudiges Leuchten wäre darauf erschienen, wäre es nicht eine blutige Masse gewesen. »Du legst dich im Schlafzimmer auf das Bett«, entschied sie. »Dort kannst du bleiben, so lange du willst. Ich schlafe 74
hier auf der Couch, da wirst du nicht gestört. Und wenn du sonst etwas brauchst, sage es mir.« Er versuchte ein Nicken. Die Krusten an seinem Halt knirschten und knackten, als er den Kopf bewegte. Ein weicher, dankbarer Blick aus dem gesunden Auge strich über ihr Gesicht. Hilflos hob er ihr seine Hand entgegen, ließ sie wieder sinken, drehte sich um und ging mit hölzern steifen Bewegungen ins Schlafzimmer. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Noch eines«, bat er. »Rufe nicht die Polizei an!« »Natürlich nicht«, versicherte sie hastig. »Und auch diesen Rick Masters nicht, den Privatdetektiv, den du auch kennst. Ich werde dich nicht verraten. Du kannst dich auf mich verlassen.« Er verschwand im Schlafzimmer. Als sich die Tür hinter ihm schloß, sank Janet Haggard halb ohnmächtig auf die Couch. Es war doch zuviel für sie gewesen. Sie konnte den satanischen, mordgierigen Blick nicht sehen, den John Terell drinnen im Schlafzimmer auf die geschlossene Tür warf, die ihn von Janet Haggard trennte. Sein gesundes Auge glühte wie das eines leibhaftigen Teufels. Mit einem zufriedenen Seufzen streckte er sich auf dem Bett aus. Ein keuchendes Lachen quoll zwischen den verbrannten Hautteilen seines Mundes hervor. Dann schloß sich das eine Auge. Rick Masters wurde immer nervöser, je näher der Zeitpunkt rückte, an dem er Juliette Chabonniere abholen sollte. Sie bewohnte ein kleines Apartment in der Nähe der Themse, so daß Rick es nicht weit bis zu ihr hatte. Es war also gar kein Grund für seine Nervosität vorhanden. Verstehen konnte ihn nur jemand, der wußte, wie viele Mädchen ihm schon davongelaufen waren, weil er sie versetzt hatte. Nicht umsonst pflegte er sich immer als Opfer seines Berufs hinzustellen, was ja auch der Wahrheit entsprach. 75
Endlich siegte seine Vernunft über die Nervosität, und er sah ein, daß er wirklich keinen Grund zur Aufregung hatte. Im Gegenteil, es blieb ihm sogar noch ausreichend Zeit, um einen Gedanken weiterzuverfolgen, der ihm inzwischen gekommen war. Rick verließ sein Haus eine Stunde vor der angegebenen Zeit und holte den Morgan aus der Garage. Während er losfuhr, schaltete er das Funkgerät ein und rief die Zentrale von Scotland Yard. »Hier Rick Masters«, meldete er sich. »Hat der Wachtposten vor Janet Haggards Haus etwas Besonderes durchgegeben?« wollte er wissen. Auch in der Funkzentrale des Yard war der junge Privatdetektiv so gut bekannt, daß er ohne Schwierigkeiten Auskunft erhielt. »Erst vor drei Minuten hat er bestätigt, daß alles in Ordnung ist«, kam die Antwort über Äther. »Ausgezeichnet«, freute sich Rick. »Wissen Sie etwas von Chefinspektor Hempshaw?« »Ja«, sagte der Mann in der Zentrale. »Der Chefinspektor nimmt an einer Sitzung teil, in der das weitere Vorgehen gegen Terell besprochen wird.« »Grüßen Sie ihn von mir, wenn er die Sitzung lebend überstanden hat«, schloß Rick grinsend und hängte das Mikrophon in die Halterung zurück. Er kannte Hempshaws Abneigung gegen Sitzungen aller Art. Er war in dieser Hinsicht ausgesprochen allergisch. Rick Masters setzte seinen Weg zu Janet Haggard fort. Vielleicht hatte inzwischen der Anblick der Leiche dieser unglücklichen Hausfrau derart gewirkt, daß Janet weiteren Vernunftargumenten zugänglich wurde. Es war etwas Zeit verstrichen, in der Janet hatte nachdenken können. Rick war nicht überzeugt davon, daß er Erfolg haben würde, doch er fand, daß es einen Versuch wert war. Noch einmal warf er einen ängstlichen Blick auf das Armaturenbrett und nickte zufrieden. Es war genug Zeit. Wenn 76
nicht etwas Unvorhergesehenes geschah, kam er zu dem Rendezvous mit Juliette zurecht. Als Rick seinen Wagen vor Janet Haggards Wohnhaus parkte, tauchte für Momente auf der anderen Straßenseite ein Mann in einem unauffälligen Mantel auf und winkte Masters kurz zu. Der Privatdetektiv erkannte den Beamten von Scotland Yard, der die Überwachung Janets übernommen hatte. Er war verläßlich. Wenigstens ein Lichtblick. Rick stieg die ausgetretene Treppe hinauf und schellte an Janets Tür. Niemand antwortete, so daß der junge Privatdetektiv bereits stutzte. Sie mußte daheim sein. Der YardBeamte hätte ihm sonst gesagt, daß sie ausgegangen war. Sollte sie Schlaftabletten genommen haben, daß sie auf sein Klingeln nicht antwortete? Rick läutete und hämmerte mit der Faust gegen die Tür, bis er zu seiner Erleichterung schlurfende Schritte hörte. Dann öffnete sich die Tür ein Stück, und er blickte in das verquollene Gesicht Janets. Sie sah noch schlechter aus als tagsüber. Rick fühlte einen Stich seines Gewissens. Ich hätte sie doch nicht zu der Leiche bringen dürfen, dachte er. Das war offenbar zuviel für die junge Frau gewesen. »Ich – ich wollte nur nachsehen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist, Janet«, sagte er verlegen. »In Ordnung?« wiederholte sie, als wäre sie in Gedanken weit weg und hätte Schwierigkeiten, in die Wirklichkeit zurückzufinden. »Was soll sein?« »Ich meine, ob es nicht zuviel war, was ich Ihnen zumutete. « »Nein, machen Sie sich keine Sorgen«, antwortet sie. Langsam erwachte sie wieder zu Leben. »Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, Schläge einzustecken.« »Es war nicht als Schlag gemeint, sondern um Ihnen zu helfen«, wandte Rick ein. »Ist ja schon gut, Rick«, sagte Janet, und ein schwaches Lächeln stahl sich über ihr eingefallenes Gesicht, das schlaff 77
wirkte. »Ich bin Ihnen auch nicht böse. Ich brauche nur sehr viel Ruhe, das werden Sie doch verstehen, nicht wahr?« »Selbstverständlich.« Der Privatdetektiv nickte. »Hat sich John bei Ihnen gemeldet? Haben Sie vielleicht eine Nachricht von ihm erhalten?« »Ich?« staunte Janet Haggard. »Rick, Sie reden Unsinn. Ich habe schon einmal versichert, glaube ich, daß ich nichts von John weiß. Lassen Sie mich jetzt schlafen, bitte! Ich stelle die Türklingel ab, sobald Sie gegangen sind, Telefon habe ich zum Glück nicht. Auf Wiedersehen, Rick«, sagte sie und drückte die Tür zu. »Hoffentlich sehen wir uns wieder«, murmelte Rick Masters, während er sich achselzuckend abwandte und die Treppe hinunterstieg. Er tippte grüßend mit zwei Fingern gegen die Schläfe, als er den Yard-Beamten auf der anderen Straßenseite sah, dann setzte er sich in seinen Morgan und beeilte sich, pünktlich zu seiner Verabredung zu kommen. Er konnte sich unbesorgt unterhalten. Es war ja alles in Ordnung. Mit letzter Selbstbeherrschung hatte Janet Haggard das Gespräch an der Tür mit Rick Masters durchgestanden. Sie hatte ihn nicht so unfreundlich wegschicken und ihm die Tür vor der Nase zuknallen wollen, aber es ging nicht mehr anders. Sie war am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Kaum war er gegangen, als sie auch schon zurück ins Wohnzimmer lief, als würde sie verfolgt, und hemmungslos schluchzend in den Sessel sank. Es wäre alles für sie so einfach gewesen. Sie hätte Rick nur sagen müssen, daß John bei ihr in der Wohnung war. Der Privatdetektiv hätte sich dann um alles andere gekümmert, sie wäre von diesem Alpdruck befreit gewesen. Aber Janet hatte es nicht über sich gebracht, John zu verraten, auch nicht nach zwei Morden und einem Raubüberfall mit schwerer Körperverletzung. Sie konnte ihn nicht ans 78
Messer liefern, auch wenn sie in dieser halbverkohlten wandelnden Leiche nicht mehr ihren Verlobten erkennen konnte. Doch wie sollte das weitergehen? Diese Frage quälte sie im Augenblick am meisten. Was sollte sie machen, wenn in ihm wieder diese schrecklichen Instinkte erwachten, die ihn bereits zu drei unbegreiflichen Verbrechen gedrängt hatten? Janet wußte es nicht, ihr Kopf war wie ausgehöhlt. Janet Haggard wollte nur schlafen, um zu vergessen. Doch auch das durfte sie noch nicht. Sie hörte neben sich das typische Rasseln von Johns Atem und das Knistern und Knacken seines mit einer starren Kruste überzogenen Körpers. »Das hast du gut gemacht, Janet«, zischte John und lachte leise. Es klang wie ein abgehacktes Schnarren. Janet Haggard hatte sich noch immer nicht an seinen Anblick und an den Klang seiner Stimme gewöhnt. Das würde sie auch nie schaffen, das war ihr mittlerweile klargeworden. Es stimmte sie traurig, obwohl es unsinnig war, sich darüber Gedanken zu machen. Daß sie nicht auf lange Zeit mit diesem Ungeheuer zusammenleben konnte, war ohnehin klar. Doch die junge Frau dachte gar nicht mehr nach. Sie ließ sich treiben, übergab sich ganz dem Strudel der Ereignisse, der sie mitgerissen hatte, sie herumwirbelte und irgendwann auch wieder freigeben würde. »Ich möchte schlafen«, murmelte Janet schwach. »Ich fühle mich nicht gut, John. Bitte, ich möchte nicht mehr sprechen.« Er machte die Andeutung eines Nickens. »Geh schlafen«, raspelte er. »Drinnen im Schlafzimmer. Ich nehme die Couch.« »Aber- ich bleibe im Wohnzimmer, du gehst. . .«, setzte sie zu einer Widerrede an.
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»Ich schlafe auf der Couch, verstanden?« zischte Terell. Seine Stimme klang befehlend und bösartig. Aus seinem gesunden Auge traf sie ein so harter, kalter Blick, daß sie erschrocken zusammenzuckte und einen Schritt zurückwich. »Ich möchte noch die Scherben des Spiegels in der Diele aufheben«, sagte sie zaghaft. »Hast du ihn zerbrochen?« Aus seinem lippenlosen Mund kam ein gefährliches Zischen. Im gleichen Moment verstand sie, daß er sich in dem Spiegel gesehen hatte, als er die Wohnung betrat, und daß dieser Anblick unerträglich gewesen sein mußte. »Wie bist du in die Wohnung gekommen?« stellte sie rasch eine andere Frage, um ihn abzulenken. »Hattest du noch meine Schlüssel?« Sein Arm hob sich. Für eine Sekunde glaubte sie schon, er wollte sie schlagen. Doch dann zeigte er nur mit seinem wie ein knorriger Zweig wirkenden Finger auf die Tür des Schlafzimmers. Mit hängenden Schultern wankte Janet Haggard in ihr Schlafzimmer. Sie fiel kraftlos auf das Bett, hörte hinter sich die Tür zufallen, und dann entfernten sich Johns schlurfende Schritte. Nein, so hatte sie es sich nicht vorgestellt, als sie ihn bei sich aufnahm. Sie hatte sich eigentlich gar nichts vorgestellt, weil ihr in diesen Minuten keine Zeit zum Nachdenken geblieben war, doch nun war sie auf jeden Fall ernüchtert und begann zu bereuen, daß sie Rick Masters nicht eingeweiht hatte, als er zu ihr gekommen war. »Ich muß etwas unternehmen«, hauchte sie verzweifelt. Im nächsten Moment fiel sie in einen bleiernen Schlaf der völligen Erschöpfung, der sie wenigstens für einige Zeit von ihren Grübeleien erlöste. Als sie die Augen aufschlug, hatte sie keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Sie warf einen müden Blick auf die Uhr neben ihrem Bett. Die Zeiger standen auf Mitter-
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nacht. Draußen war es dunkel, im Schlafzimmer brannte nur eine kleine Lampe, die sie meistens eingeschaltet ließ. Es dauerte einige Sekunden, bis sich Janet Haggard auf alles besann, was geschehen war. Erst der Gedanke an John Terell, der draußen im Wohnzimmer auf der Couch lag, riß sie aus ihrer Erschlaffung. Sie setzte sich kerzengerade in ihrem Bett auf. Janet hatte etwas unternehmen wollen, und dieser kurze Schlaf hatte sie soweit erfrischt, daß sie sich in der Lage fühlte, ihr Unternehmen auch auszuführen. Es war nur die Frage, was sie tun sollte. Woher hätte die Frau aber auch wissen sollen, daß gegenüber ihrem Haus ein Kriminalbeamter Wache hielt. Ein Yard-Detektiv, der keine Ahnung hatte, wer sich bei ihr in der Wohnung aufhielt. Es hätte genügt, das Fenster aufzustoßen und einmal um Hilfe zu rufen. Innerhalb kürzester Zeit hätte die Gegend von Polizei gewimmelt. Diese Chance ging Janet Haggard durch ihre Unkenntnis verloren. Sie grübelte nach, kam aber nur zu einem einzigen Ergebnis. Sie mußte versuchen, heimlich die Wohnung zu verlassen. Da sie kein Telefon besaß, über das sie jemanden zu Hilfe holen konnte, mußte sie es persönlich tun. Dabei dachte sie sofort an Rick Masters, der ihr am ehesten aus der Klemme helfen konnte. Da sie nun schon einmal einen Entschluß gefaßt hatte, machte sie sich gleich an die Ausführung. Mit langem Zögern erreichte sie nichts. Ihre Schuhe nahm sie in die Hand und schlich auf bloßen Sohlen zur Verbindungstür zum Wohnzimmer, dem einzigen Ausgang aus dem Schlafraum. Im Zeitlupentempo drückte sie die Klinke nieder und schob die Tür kaum mehr als Haaresbreite auf. John durfte auf keinen Fall sehen, daß sie ihr Zimmer verließ. Zwar hätte sie eine Ausrede erfunden und behauptet, sie müsse ins Bad, aber dann hätte sie die Wohnung nicht verlassen können. 81
Im Wohnzimmer brannte Licht. Durch den Spalt konnte sie genau die Couch sehen. Sie war leer! John Terell war verschwunden! Ein verrückt-verwirrtes Gefühl aus Panik und Erleichterung überkam Janet Haggard. Einerseits war sie erleichtert, weil es so aussah, als wäre John Terell und damit das drückende Problem von selbst aus ihrem Leben verschwunden. Die Panik jedoch keimte in ihr auf, weil es möglich war, daß er irgendwo auf sie lauerte. Wenn die mörderischen Triebe wieder in ihm erwacht waren, mußte sie innerhalb der nächsten Minuten sterben, auf qualvolle Weise sterben. Janet nahm all ihren Mut der Verzweiflung zusammen und durchsuchte die Wohnung gründlichst. Zuletzt war sie sicher, daß John gegangen war und sich nicht irgendwo versteckte. Schon wollte sie sich entspannen, da durchzuckte sie ein neuer Schreck. Sie erinnerte sich daran, daß sie John gegenüber Rick Masters erwähnt hatte. Wenn sie sich nicht irrte, hatte sie sogar gesagt, der Privatdetektiv wäre hinter John her. Wenn Terell hinging und Rick Masters tötete . . . Hastig raffte Janet Haggard ihren Mantel an sich. Sie zog ihn erst auf der Treppe an, während sie schon hinunter auf die Straße hastete. Dort vorne an der nächsten Straßenecke stand eine Telefonzelle. Sie betrat die Kabine, warf die Münzen ein und wählte die Nummer des Privatdetektivs, die sie von seiner Visitenkarte ablas, die er bei ihr zurückgelassen hatte. Während sie darauf wartete, daß die Verbindung zustandekam, fiel ihr Blick hinaus auf die Straße. Schon wollte sie erschrocken aufschreien, als sie ein Stück weiter zu ihrem Haus eine dunkle Gestalt sah, doch dann erkannte sie, daß es nicht John war. Es war ein Fremder, der einen länglichen Gegenstand an den Mund hielt. 82
Janet Haggard interessierte sich nicht weiter für den Fremden, der niemand anderer als der Yard-Beamte war. Er gab über Funk durch, daß die von ihm überwachte Frau die Wohnung in großer Aufregung verlassen habe und nun telefoniere. Es klickte in der Leitung, dann meldete sich die Stimme von Rick Masters. Janet wollte schnell ihre Warnung loswerden, aber sie hielt die Worte zurück. »Hier spricht der automatische Anrufbeantworter von Rick Masters«, sagte die Stimme des Privatdetektivs überdeutlich und seltsam starr. »Nach dem Summton haben Sie dreißig Sekunden Zeit, um Ihre Nachricht auf Tonband zu sprechen.« Noch bevor der Summton erklang, hängte Janet resigniert auf. Mit schleppenden Schritten verließ sie die Telefonkabine. Was nützte es, wenn sie für Rick Masters eine Nachricht hinterließ, die er vielleicht erst am nächsten Morgen abhören würde? Bis dahin konnte er schon tot sein, ermordet von ihrem ehemaligen Verlobten. Als ein Taxi vorbeirollte, sprang Janet auf die Straße und hielt es an. Sie ließ sich auf die hintere Sitzbank fallen und rief dem Fahrer Ricks Adresse so laut zu, daß der YardBeamte sie verstehen konnte. »Sie nimmt ein Taxi«, meldete der Kriminalist über Funk an die Zentrale. Er fügte die Zulassungsnummer hinzu. »Sie möchte zu Mr. Masters. Schickt mir einen Streifenwagen, damit ich sie bei Masters wieder einhole!« »Verstanden«, bestätigte die Zentrale. »Ein Wagen ist schon zu Ihnen unterwegs. Einen zweiten hängen wir an das Taxi an. Es wird nicht schwer sein, die Fahrtroute festzustellen. Die Überwachung darf nicht abreißen.« In der Zwischenzeit fieberte Janet Haggard dem Moment entgegen, in dem sie Rick Masters endlich vor der Gefahr warnen konnte, die von John Terell drohte.
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Die junge Frau hatte keine Ahnung, daß sie mit ihrer hastig angetretenen Taxifahrt einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst hatte. * Wie Rick Masters immer betonte: auch ein Privatdetektiv hat ein Anrecht auf ein Privatleben. An diesem Abend hatte er alles nachgeholt, was er in der letzten Zeit versäumt hatte. Zuerst war er mit Juliette ausgegangen – natürlich in ein hübsches Restaurant -, danach waren sie durch einige Bars gezogen und zuletzt in Ricks Wohnung gelandet. Rick Masters war mit sich und der Welt zufrieden. Neben ihm rekelte sich Juliette in dem breiten französischen Bett. Das Telefon, das ihm einen großen Teil seiner Lebensfreude vergällte, stand auf dem Schreibtisch und war an den automatischen Anrufbeantworter angeschlossen, damit es nicht stören konnte. Der junge Privatdetektiv warf Juliette einen schläfrigen Blick zu. »Du denkst tatsächlich nicht nur an gutes Essen«, murmelte er lächelnd. »Und du verstehst auch nicht nur etwas von gutem Essen.« »Man muß mir nur Gelegenheit geben, mich frei zu entfalten« , erwiderte Juliette Chabonniere und ließ ihren Zeigefinger spielerisch über seinen Rücken gleiten. Rick zog sie an sich und küßte sie lange und leidenschaftlich. »Ich werde dir sehr oft Gelegenheit geben, dich zu entfalten«, sagte er lachend. »Versprich nicht zuviel, dann läßt du mich wieder umsonst warten«, mahnte Juliette. »Du nimmst deinen Beruf zu wichtig. Auch um diesen Rennfahrer kümmerst du dich viel zuviel.« Das hätte sie nicht sagen sollen. Rick konnte zwar abschalten und Beruf und Privates trennen, doch sobald sie den Fall erwähnte, der ihn im Moment beschäftigte, liefen ihm seine Gedanken davon und machten sich selbständig.
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»Jetzt denkst du wieder an deine Arbeit«, schmollte Juliette. »Hätte ich nur den Mund gehalten.« »Ich überlege, ob Janet Haggard etwas über John Terell weiß«, sagte Rick halblaut. »Ob sie ihn noch immer liebt?« »Ein Ungeheuer? Ein Monster?« fragte Juliette zweifelnd. »Das glaubst du doch selbst nicht.« »Sie war mit ihm verlobt, vergiß das nicht.« »Trotzdem. Sie könnte einen Menschen weiter lieben, der bei einem Unfall schwer verletzt und entstellt wurde, aber Terell ist ja nur mehr eine Leiche, die durch medizinische Geräte in Bewegung gehalten wird.« Und durch den Geist eines Killers, fügte Rick in Gedanken hinzu. Laut sagte er: »Vielleicht versteckt sie ihn sogar. Diese Janet Haggard ist schwer zu durchschauen.« In diesem Moment klingelte es an der Wohnungstür. Rick richtete sich sofort auf. »Wer kann das sein?« fragte er erstaunt. Die Uhr zeigte weit nach Mitternacht. »Ich erwarte niemanden.« »Vielleicht hast du vergessen, daß dich eine Dame besuchen will?« stichelte Juliette. »Du hast mich eben nicht rechtzeitig aus deiner Wohnung geworfen, um die nächste zu empfangen.« »Witzbold!« Rick sprang aus dem Bett und schlüpfte in einen Bademantel. Auf nackten Sohlen lief er durch das Wohnzimmer zur Tür, warf einen Blick durch das Guckloch und öffnete. »Mr. Masters, Gott sei Dank!« seufzte Janet Haggard. »Ich bin so froh, daß ich Sie treffe.« »Janet!« rief der junge Privatdetektiv überrascht. »Ist etwas geschehen? Kommen Sie herein!« Sie betrat die Wohnung und lehnte sich erschöpft gegen die Wand. »Nein, es ist nichts geschehen«, murmelte sie und wunderte sich darüber, daß sie nicht endlich die Wahrheit sagte. »Ich hatte plötzlich ein schreckliches Gefühl. Ich fürchtete, es wäre Ihnen etwas zugestoßen. John wird viel85
leicht versuchen, Sie umzubringen, da Sie hinter ihm her sind.« »So leicht lasse ich mich nicht umbringen«, spielte Rick den Optimisten, um ihre Bedenken zu zerstreuen. »Kommen Sie ins Wohnzimmer, dort können wir in Ruhe miteinander sprechen.« »Nein, ich sehe, daß ich störe«, sagte Janet. »Ich fahre wieder nach Hause.« Jetzt muß ich sprechen, dachte sie. Sie mußte Masters alles erzählen, daß John zu ihr gekommen war, daß sie ihn bei sich versteckt hatte und daß er wieder verschwunden war. Aber statt dessen sagte sie nur: »Entschuldigen Sie, daß ich Sie belästigt habe, Mr. Masters. Gute Nacht!« » Gute Nacht«, erwiderte Rick ihren Gruß und blickte ihr nach, während sie mit müden Bewegungen die Treppe hinunterstieg. Er hatte das Gefühl, daß sie ihm etwas verschwieg. Sie kam doch nicht mitten in der Nacht zu ihm, nur um nachzusehen, ob bei ihm alles in Ordnung war. Kopfschüttelnd drehte sich Rick um und wäre beinahe mit Juliette zusammengestoßen, die dicht hinter ihm stand. »Also doch Damenbesuch, du Wüstling!« rief die zierliche Französin halb im Ernst, halb im Spaß. »Wer war das? Ich verlange sofort, daß du mir sagst, wer das war!« »Augenblick!« winkte Rick ab. Er lief zum Telefon und wählte rasch die Nummer von Scotland Yard. Sobald er mit der Funkzentrale verbunden wurde, sagte er: »Sie überwachen Janet Haggard. Falls Sie ihre Spur verloren haben, sie war gerade bei mir.« »Danke, Mr. Masters«, antwortete der zuständige Einsatzleiter in der Zentrale. »Das wußten wir.« »Hat Ihr Mann etwas Außergewöhnliches festgestellt, ehe sie ihre Wohnung verließ?« erkundigte sich Rick. »Ich meine, gibt es irgendwelche Anzeichen, daß John Terell in die Nähe ihres Wohnhauses gekommen ist?« »Nein, nichts. Haben Sie etwas davon gehört?« 86
Rick versicherte, daß auch er keine Ahnung habe, was hinter dem unerwarteten Besuch Janet Haggards stecken könnte, dann beendete er das Gespräch. »Jetzt zufrieden, weiblicher Othello?« fragte er lachend. Juliette drückte ihm einen Kuß auf die Stirn. »Ich war doch gar nicht eifersüchtig«, log sie. » Nein, natürlich nicht«, stimmte ihr Rick so übertrieben bereitwillig zu, daß sie genau wußte, wie gut er sie durchschaute. Gleich darauf verdüsterte sich sein Gesicht wieder. »Ich möchte zu gern wissen, was sie bei mir wollte.« »Hoffentlich nicht dasselbe wie ich«, hauchte Janet dicht an seinem Ohr. Sie hakte sich bei ihm unter und zog ihn von dem Stuhl an seinem Schreibtisch hoch. »Komm, beruflich hast du schon genug gearbeitet. Jetzt kommt wieder einmal das Private dran.« »Sie wirkte, als wollte sie noch etwas sagen«, fuhr Rick unbeirrt fort, während Juliette ihn mit sanfter Gewalt ins Schlafzimmer bugsierte. »Ich werde dir gleich etwas sagen«, drohte Juliette. »Das wird dann gar nicht damenhaft sein.« »Sie fand nur nicht die Kraft, um es zu sagen.« »Wirst du wohl aufhören!« schimpfte die Französin los. »Ich werde sonst böse.« »Wenn sie nicht sprechen will, kann ich sie nicht zwingen«, schloß Rick sein Selbstgespräch. Es klang wie eine Rechtfertigung. »Aber ich kann dich zwingen!« Juliette versetzte ihm einen Stoß, daß er rücklings auf das Bett fiel. »Und jetzt werde ich dafür sorgen, daß du nicht mehr an Arbeit denkst, Cherie!« versprach sie. Juliette Chabonniere hielt in dieser Nacht ihr Versprechen. Seit er die Wohnung dieser jungen Frau verlassen hatte, fühlte sich Ed Cato oder John Terell unter einer ungeheuren Anspannung stehen. 87
Ed Cato oder John Terell! Allmählich wußte er selbst nicht mehr, wer er war. Anfangs war alles so einfach gewesen. Er – Ed Cato – hatte den Körper eines Mannes übernommen, der im selben Moment gestorben war. Sein Bewußtsein bestand nur aus seinen eigenen Gedanken und seinem eigenen Wissen. Er war voll und ganz Ed Cato. Das Gehirn des Rennfahrers, von dessen Körper er Besitz ergriffen hatte, war zu einem großen Teil zerstört worden, vor allem jene Teile, die für die rein automatisch ablaufenden Körperfunktionen zuständig waren. Die Ärzte hatten diese Gehirnteile durch ein kleines Steuergerät ersetzt. Ed Cato hatte nicht weiter auf jene Teile des Gehirns geachtet, in denen das Wissen und die Erinnerung John Terells gespeichert waren. Doch nach und nach mußte er eine seltsame Veränderung an sich feststellen. Er dachte an Dinge, von denen er keine Ahnung hatte, und er sah in Gedanken Personen vor sich, die er noch nie gesehen hatte, die er jedoch kannte. So wußte er zum Beispiel ganz plötzlich, daß er mit einer Frau namens Janet Haggard verlobt war, wie sie aussah und wo sie wohnte, obwohl er in seinem ganzen Leben keine Janet Haggard und kein Mädchen dieses Äußeren getroffen hatte. Ed Cato begriff, was geschehen war. John Terells Gehirn übernahm einen Teil seines Bewußtseins und lieferte seinerseits Informationen. Es war unheimlich und beängstigend, vor allem deshalb, weil Ed Cato fürchtete, mit der Zeit ganz von der Persönlichkeit John Terells aufgesogen zu werden. Doch dann beruhigte er sich wieder. Die Verschmelzung ihrer beider Persönlichkeiten kam an einem gewissen Punkt zum Stillstand. Nur gelegentlich überwog Ed Cato oder dann wieder John Terell. Die meiste Zeit hatte Ed Cato, der Killer, das Kommando über Körper und Geist fest in der Hand.
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Nur so war es möglich, daß er nun endlich an die Ausführung seines Planes gehen konnte, den er bis zum Ende durchführen wollte. Kurz vor seiner Flucht vor der Polizei hatte man ihn vor Gericht gestellt und verurteilt – wegen Mordes. Das war in London geschehen. Danach war ihm der Ausbruch geglückt. Er war zunächst in den Vereinigten Staaten untergetaucht, von wo er hatte zurückkommen wollen, um sich zu rächen. Sein Autounfall hatte das verhindert, zumindest daß er in eigener Person seine Rache ausführte. Unerklärliche Kräfte des Jenseits jedoch halfen ihm dabei, mit dem Körper eines anderen Menschen seinen ursprünglichen blutgierigen Plan in die Tat umzusetzen. Bei dieser Janet Haggard hatte er sich einen sicheren Unterschlupf geschaffen, wie er zumindest glaubte, von wo aus er jeweils seinen Rachefeldzug ausführen konnte. Auch diesmal plante er einen Mord, den ersten Mord an einem an seinem damaligen Prozeß Beteiligten. Bisher hatte er seine Zeit nur damit vertan, aus dem Krankenhaus zu fliehen und unterzutauchen. Nun erst wurde es ernst. Sie war siebenunddreißig Jahre alt, Strafverteidigerin, hieß Margot Plender und war Ed Cato vom Gericht als Pflichtverteidigerin beigegeben worden. Seiner Meinung nach hatte Margot Plender ihre Sache absichtlich so schlecht gemacht, daß er verurteilt wurde. Die Rechtsanwältin stand aus zwei Gründen als Nummer eins auf seiner Todesliste. Er gab ihr den größten Teil der Schuld an seiner Verurteilung, und sie wohnte von allen Beteiligten am nächsten der Wohnung von Janet Haggard. Er brauchte nicht weit zu gehen, so daß er nicht so leicht entdeckt werden konnte. Außerdem half ihm die Dunkelheit, die auch um vier Uhr morgens noch ganz London wie ein Leichentuch einhüllte. Hörte er die Schritte eines späten oder frühen Fußgängers, wich er aus, kam ein Auto vorbei, wendete er sein Gesicht ab und versteckte seine Hände. 89
Den entstellten Schädel hatte er wieder mit einem Hut bedeckt, weshalb er sich relativ sicher fühlte. Zweimal mußte er sich vor einem Polizisten verstecken, der ihm auf seinem Rundgang begegnete, dann stand Ed Cato in der Gestalt John Terells vor dem Einfamilienhaus Margot Plenders. Mit dem einzigen gesunden Auge starrte er haßerfüllt auf die Fenster, hinter denen er seine Feindin vermutete. Zuerst mußte er feststellen, ob Miß Plender – die Anwältin war nicht verheiratet – daheim war. Er versuchte es an der Garage. Das Tor war verschlossen, doch durch ein Fenster sah er das matte Schimmern eines Autodaches. Ein zufriedenes Knurren drang aus seiner Kehle. Sie war da, und sie würde ihm nicht entkommen, das stand fest. Mit seinen Händen würde er sie umbringen. Mit den Händen, die meinem Gastkörper gehören, verbesserte er sich in Gedanken. Er lenkte seine Aufmerksamkeit darauf, wie er unbemerkt in das Haus einbrechen konnte. Er wollte nicht von Nachbarn beobachtet und gestört werden. Den Mord hätte er trotzdem ausgeführt, aber er wollte Ruhe dabei haben, viel Zeit, damit Margot Plender möglichst lange leiden mußte. Er schlich auf das Haus zu, als es hinter einem der Fenster hell wurde. Ed Cato zuckte zurück wie vor einer giftigen Schlange. So schnell es sein schwer zerstörter Körper erlaubte, tauchte er hinter einem Busch unter. Er orientierte sich an der Fassade des ebenerdigen, im Bungalowstil gehaltenen Hauses. Das Licht mußte im Badezimmer brennen. Die wichtigste Frage war, ob Margot Plender nur eben kurz das Badezimmer aufsuchte und dann wieder schlafen ging, oder ob sie schon um diese Zeit aufstand. Es war fast fünf Uhr morgens, und da sie eine vielbeschäftigte Rechtsanwältin war, konnte es schon möglich sein, daß sie sich so zeitig an die Arbeit machte.
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Das Licht ging nicht nach wenigen Minuten aus, also dachte sie nicht mehr daran, sich ins Bett zu legen. Das war für Ed Cato eine schwierigere Lage als zuvor, da er nunmehr damit rechnen mußte, nicht nur von Nachbarn, sondern auch von seinem Opfer entdeckt zu werden. Dennoch konnte ihn das nicht von der Ausführung seines schauerlichen Vorhabens abbringen. Er wartete, bis das Licht im Bad aus- und in der Küche anging, dann huschte er auf die Hintertür des Bungalows zu. Sie führte direkt in die Küche. Ed Cato rechnete damit, daß die Frau irgendwann in den Garten kommen oder aus einem anderen Grund die Tür öffnen würde. Dann war es um sie geschehen. Lauernd näherte sich der Mörder dem Haus. In der Küche summte eine Kaffeemaschine. Man hörte es durch das halb offenstehende Fenster. Eine Tasse klapperte, Wasser rauschte. Miß Plender bereitete sich ihr Frühstück. Der Mörder, der aus dem Jenseits gekommen war, streckte seine Hand nach dem Türgriff aus . . . Ahnungslos richtete Margot Plender den Frühstückstisch in der Küche her. Obwohl sie allein lebte, hielt sie sehr viel auf einen hübschen Tisch. Es steigerte den Appetit. Überhaupt machte das Essen mehr Freude. Außerdem brauchte sie in ihrem nervenaufreibenden Beruf sehr viel Entspannung. Wenn sie schon daheim aß, wollte sie es sich schön machen. Das Wasser für den Kaffee kochte. Daß sie nicht filterte, sondern löslichen Kaffee verwendete, war ihr einziges Zugeständnis an ihre Zeitknappheit. Margot Plender trat an den Herd und nahm den Wasserkessel von der Platte. Er war so heiß, daß sie ihn mit einem Topflappen halten mußte. Sie drehte sich um – und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Die Tür, die in den Garten führte, flog auf. Sie mußte wohl vergessen haben, sie zu versperren.
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Margot Plender reagierte rein instinktiv, ohne zu überlegen. Dazu hatte sie auch gar keine Zeit. Kaum hatte sich die Tür geöffnet, erschien ein Mann auf der Schwelle. Um einen harmlosen Besucher konnte es sich nicht handeln, nicht um diese Zeit und nicht auf diese Art. In einer Reflexbewegung schleuderte ihm Miß Plender den Kessel mit dem kochenden Wasser entgegen. Der Kessel traf den Fremden am Kopf und fegte seinen Hut herunter. Das kochende Wasser ergoß sich über den Schädel des Mannes. Der Fremde reagierte nicht. Er schrie nicht vor Schmerzen, als das kochende Wasser über ihn floß. Da erst sah Margot Plender Gesicht und Schädel des Mannes. Ihre Knie wurden weich vor Entsetzen. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß es keine Maske war, die sich jemand aufgesetzt hatte, um unerkannt einen Raubüberfall auszuführen. Die Blutkrusten und Brandwunden waren echt. Die Rechtsanwältin erholte sich schneller von dem Schock als die anderen, die vor ihr dieses Ungeheuer zu Gesicht bekommen hatten. Geistesgegenwärtig schnellte sie herum und floh. Sie hatte keine Waffe, keine Verteidigungsmöglichkeit. Sie überlegte nicht erst lange, wer das war und weshalb er gekommen war. Sie flüchtete vor der Bedrohung, wobei sie einen geringen Vorteil hatte. Der Mann bewegte sich etwas schwerfällig, wahrscheinlich weil ihn seine Verletzungen behinderten, auch wenn sie nicht schmerzten. Margot Plender lief um ihr Leben. Sie schrie nicht, weil ihre Nachbarn verreist waren und die nachfolgenden Häuser zu weit entfernt standen und sie niemand gehört hätte. Also sparte sie sich ihren Atem zum Laufen. Den Fluchtweg durch die Hintertür schnitt ihr der Mann ab. Sie mußte durch die Vordertür oder durch eines der Fenster entkommen. Nirgendwo im Haus brannte Licht, ebenfalls ein Vorteil für Miß Plender, da sie sich aus92
kannte und nicht in Gefahr geriet, über einen Teppich zu stolpern oder gegen ein Möbelstück zu laufen. Sie hetzte aus der Küche, durch das anschließende Wohnzimmer und erreichte keuchend den Vorraum. Hinter sich hörte sie die tappenden Schritte ihres Verfolgers. Er war ihr dicht auf den Fersen. Sein Atem ging rasselnd, als würden Nägel in einem Metallbehälter geschüttelt. Mit aller Kraft warf sich Margot Plender gegen die Eingangstür und drückte gleichzeitig die Klinke. Sie erwartete, ins Freie geschleudert zu werden und ihre Flucht fortsetzen zu können, doch statt dessen krachte sie dröhnend gegen die Tür, die sich nicht bewegen ließ. In Bruchteilen von Sekunden wurde ihr ein für sie verhängnisvoller Irrtum bewußt, den sie nach dem Aufstehen begangen hatte. Anstelle der Vorder- hatte sie die Hintertür aufgesperrt. Ihre Hand zuckte zum Schloß, in dem sie den Schlüsselbund vermutete. Das Entsetzen raubte ihr fast den Verstand, als sie einsehen mußte, daß der Schlüsselbund ebenfalls an der Hintertür steckte. Sie saß rettungslos in der Falle. Hinter ihr stürzte ein Stuhl polternd um, als der Fremde dagegenstieß. Die Arme abwehrend von sich gestreckt, wirbelte Margot Plender herum. Er stand vor ihr, der Unheimliche. Und aus seinem Mund kamen zischend und röchelnd die Worte: »Jetzt rechne ich mit dir ab, du Schlampe! Ich, Ed Cato!« Ein wütendes Fauchen wie das eines gereizten Raubtiers jagte der Frau einen eisigen Schauer über den ganzen Körper. Als sie diesen Namen hörte, wußte Margot Plender, daß es für sie keine Rettung mehr gab. Sie hatte diesen Mann gegen ihren Willen verteidigt, diese skrupellose Bestie, die kaltblütig gegen Bezahlung Menschenleben vernichtete. Tatsächlich hatte sie sich nicht sehr angestrengt, einen
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Freispruch oder eine milde Bestrafung für Ed Cato zu erreichen. Er war gekommen, um mit ihr abzurechnen. In diesem Moment vergaß Margot Plender fast das widerliche Aussehen dieses Mannes. Sie sah nur die Hände, diese formlosen Klumpen mit den verbrannten, verkrümmten Fingern, die sich ihrem Hals näherten. Ein Schrei brach aus ihrer Kehle, doch er erstarb sofort unter dem brennenden Schmerz und dem unmenschlichen Druck der Mörderhände. Ganz dicht sah Margot Plender die leere Augenhöhle und das gesunde Auge vor ihrem Gesicht. Der rasselnde Atem und das schaurig-kreischende Gelächter ihres Mörders schlugen ihr entgegen. »Es wird lange dauern«, krächzte Ed Cato. »Du sollst büßen, daß du mich in die Tinte geritten hast, du Schlampe!« Er ließ ihr gerade so viel Luft, daß sie nicht völlig erstickte. Hilflos hing sie wie eine Puppe in seinen Händen, als er sie durch die Küche hinaus in den Garten schleifte. Immer weiter zerrte das Ungeheuer sein Opfer, zwischen Büschen und Bäumen hindurch, quer über eine Seitenstraße, dann in einen fremden Garten hinein. Zuletzt mußte er Miß Plender tragen, weil ihr die Beine den Dienst versagten. Nach fünf Minuten, den fürchterlichsten fünf Minuten in Margot Plenders Leben, erreichten sie ein unbebautes Grundstück, auf dem zwischen Steinhaufen Unkraut wucherte. Dort legte Cato die Frau auf die Erde. Knisternd zog sich das maskenhaft starre Gesicht ein wenig in die Breite. Wahrscheinlich versuchte der entstellte Mörder zu grinsen. »Hier ist Endstation für dich«, schnarrte er und beugte sich über die Rechtsanwältin. »Jetzt wirst du dir wünschen, du wärest nie geboren!« Erst eine Stunde später war Margot Plender tot.
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Die beiden Männer, die gegen sechs Uhr morgens an dem unbebauten Grundstück vorbeiwankten, hatten gründlich getankt. »War – war das eine Nacht«, lallte der große Weißhaarige mit schwerer Zunge. »Haben wir ge-gefeiert!« »Hast du die Blonde gesehen, mit der ich getanzt habe?« kicherte der Schwarzhaarige. »War ein tolles Stück, alles dran.« Der große Weißhaarige griff sich plötzlich an den Hals. »Ich – ich glaube«, murmelte er, »ich habe – habe zuviel geschluckt. Ich verschwinde mal in – in den Büschen.« »Du verträgst gar nichts mehr«, spottete der zweite, obwohl er selbst kaum noch auf den Beinen stehen konnte. Sein Freund verschwand zwischen den Büschen des ungenutzten Grundstücks. Es herrschte jenes Dämmerlicht, bei dem es nicht mehr dunkel aber auch noch nicht hell ist. Gerade zu dieser Zeit sieht man am schlechtesten, weshalb sich der Zurückgebliebene nicht wunderte, als er plötzlich einen Fluch und gleich darauf einen dumpfen Aufprall hörte. »Gehen muß auch gelernt sein«, sagte der Schwarzhaarige und lachte laut. Er wartete vergebens auf eine bissige Antwort. Es blieb totenstill. »He!« rief er. »Was ist? Hast du dir vielleicht weh getan, Alter?« Sekunde um Sekunde verstrich, ohne daß sein Freund zurückkehrte. Schon wollte ihm der Schwarzhaarige folgen, weil er sich bereits Sorgen machte, als sich die Büsche teilten. Rückwärts wankend zog sich der Weißhaarige zurück. Er konnte kaum die Beine heben. »He, du bist ja noch besoffener, als ich dachte«, krächzte sein Zechkumpan, packte ihn an der Schulter und drehte ihn herum. Erschrocken weiteten sich seine Augen, als er den starren Gesichtsausdruck seines Freundes sah. Die Al-
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koholwirkung war bei beiden Männern verflogen, nur noch Grauen beherrschte sie. Der Schwarzhaarige zitterte bei dem Anblick seines Freundes. Dessen Kleider waren über und über mit Blut bespritzt, obwohl er selbst keine Wunde hatte. Und der Weißhaarige zeigte erregt auf die Büsche. »Da drinnen liegt eine tote Frau«, sagte er klar und deutlich. Er stieß mit der Zunge nicht ein einziges Mal an. »Ich bin gestolpert und direkt auf die Leiche gefallen.« »Ermordet?« flüsterte der Schwarzhaarige. »Das muß eine Bestie getan haben, ein Unmensch, der. . .« Der Weißhaarige stockte. Mitten im Satz blieb ihm die Luft weg. An der Stelle, an der er das Grundstück verlassen hatte, schwangen die Zweige der übermannshohen Büsche zurück. Ein Mann trat heraus. Als die beiden Betrunkenen das von Brandwunden entstellte Gesicht und die blutüberströmten Hände sahen, wußten sie, daß sie den Mörder vor sich hatten. Sie rannten schneller, als sie es sich selbst je zugetraut hätten. Die nächste Polizeiwache war eine knappe halbe Meile entfernt. Erleichtert hasteten sie die Treppe hoch und fielen fast in den durch eine Barriere zweigeteilten Raum hinein. »Hallo, immer langsam, meine . . .« Auch der wachhabende Polizist vollendete seinen Satz nicht. Sein Blick war auf die blutverschmierten Kleider des Weißhaarigen gefallen. »Tom, Bill, Harold!« rief er scharf. Gleich darauf kamen die drei genannten Polizisten aus dem Nebenraum gelaufen. Sie sahen die zwei Männer, das Blut an den Kleidern, die verstörten Gesichter. Verletzt war keiner der beiden. Da die Polizisten nicht wußten, was geschehen war, schnitten sie den frühen Besuchern erst einmal den Rückzug ab, indem sich zwei von ihnen vor der Tür aufbauten.
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Doch die beiden Männer dachten gar nicht daran, wieder aus der Polizeistation zu fliehen. Einander überschreiend schilderten sie den Leichenfund und ihr grauenhaftes Erlebnis bei dem leeren Grundstück. Hatten sie befürchtet, man würde ihnen die Beschreibung des Mannes nicht glauben, der sich zwischen den Büschen verborgen hatte, so sahen sie sich getäuscht. Sie hatten kaum erwähnt, daß der Mörder überhaupt kein richtiges Gesicht mehr hatte, als auch schon einer der Polizisten ans Telefon stürzte und eine Nummer wählte, während der zweite durch Knopfdruck eine Alarmklingel in Betrieb setzte. Es war eine ziemlich große Polizeiwache, die auch eine kleine Bereitschaftstruppe unterhielt. Innerhalb weniger Minuten schwärmten zehn Polizisten zu Fuß und auf Fahrrädern aus. In der Zwischenzeit wimmelte es auch schon von Streifenwagen, die mit Alarmsignal durch die Straßen rasten. Die Jagd auf den Mörder ohne Gesicht war voll angelaufen. Rick Masters sah ein, daß es gefährlich sein konnte, mitten in einem Fall sein Telefon zu blockieren. So hatte zum Beispiel Janet Haggard vergeblich versucht, ihm über diesen Apparat eine Warnung zukommen zu lassen. Mit einer leichten Gänsehaut bekleidet – und nur mit dieser – fragte sich Rick, was geschehen wäre, wenn ihm Janet hätte sagen wollen, daß John Terell-Ed Cato auf dem Weg zu ihm war. Nicht auszudenken! Er hätte ahnungslos geschlafen! Aus allen diesen Gründen wich er von einer angenehmen Gewohnheit ab, ehe er sich neben Juliette im Bett einrollte. Er schaltete ausnahmsweise nicht den automatischen Anrufbeantworter ein. Im selben Moment schrillte der Apparat. Als Rick nach dem Hörer griff, hatte er das Gefühl, nicht länger als eine Sekunde gelegen zu haben. Dann sah er unter schweren Augenlidern hervor den Wecker, der auf sieben Uhr zeigte. 97
»Ja«, murmelte er undeutlich, weil er die Zähne vor Müdigkeit nicht voneinander lösen konnte. Dabei verfluchte er seinen Leichtsinn, das Telefon nicht abgeschaltet zu haben. Gleich darauf ging ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht, als er daran dachte, was sich bis vor einer halben Stunde abgespielt hatte. »Kommen Sie sofort zu der Adresse, die Sie sich gleich notieren werden, Sie Faulpelz«, dröhnte Chefinspektor Hempshaws Stimme durch den Draht. Er bellte die Anschrift, daß Rick den Hörer ein Stück vom Ohr weghalten mußte, um keinen Schaden am Trommelfell zu erleiden. »Terell-Cato hat ein neues Opfer gefunden!« »Ich komme«, stöhnte Rick. »Sie fragen gar nicht nach den Einzelheiten?« staunte der Chefinspektor. »Viel zu müde«, hauchte Rick, gegen das neuerliche Einschlafen ankämpfend. »Dann sehen Sie sich mal an, was wir gefunden haben! Da wird Ihre Müdigkeit verfliegen.« »Haben Sie eine Ahnung von meinem Zustand!« Rick hatte gerade noch die Kraft, den Hörer auf den Apparat fallen zu lassen, dann stemmte er sich hoch. Knieweich zog er sich ins Bad zurück. Juliette schlief noch tief und fest, als Rick die Wohnung verließ. Grün vor Neid, daß niemand sie störte, legte ihr der Privatdetektiv einen Zettel auf das Kopfkissen und schloß leise die Tür von außen. Hempshaw hatte nicht übertrieben. Rick war zwar schon während der Fahrt wach, sonst hätte er sich gar nicht erst ans Steuer gesetzt, doch als er die scheußlich zugerichtete nackte Leiche der Frau sah, die inmitten von Unkraut auf einem ungenutzten Grundstück lag, war auch der letzte Rest von Müdigkeit wie weggeblasen. Fassungslos starrte Rick Masters auf die sterblichen Überreste des unglücklichen Opfers. 98
»Das kann doch gar nicht wahr sein«, stöhnte er. Sein Magen krampfte sich zusammen, daß er schwer schlucken mußte. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen. »Ich habe noch nie einen solchen irrsinnigen Mord gesehen.« »Ich schon, wenn auch nur auf Fotos«, erwiderte der Chefinspektor. Er hatte zwar Zeit gehabt, sich an den Anblick der Leiche zu gewöhnen, doch auch er vermied es ängstlich, sie zu betrachten. Es gab keinen Quadratzoll an dem Körper des Opfers, der nicht eine Wunde aufgewiesen hätte. Und außerdem war der Mörder so vorgegangen, daß die Unglückliche lange hatte leiden müssen. »Ich muß weg hier«, keuchte Rick mit letzter Selbstbeherrschung. »Das halte ich nicht aus.« Sie gingen ein Stück hinaus auf die Straße. Rick Masters steckte sich erst einmal mit bebenden Händen eine Zigarette an, und nachdem er einige Züge genommen hatte, konnte er wieder ruhig weitersprechen. »Sie haben vorhin erwähnt, Kenneth, daß Sie schon einmal eine so grauenhafte Leiche gesehen haben.« »Allerdings«, nahm der Chefinspektor den Faden auf. »Als die praktisch weltweite Fahndung nach Ed Cato anlief, landeten die Bilder eines seiner Mordopfer auf meinem Schreibtisch. Damals handelte es sich um einen Mann, und er sah nicht besser aus als die Unbekannte da drinnen.« »Ein Killer, der auf solche Weise mordet?« wunderte sich Rick. »Das sieht doch gar nicht nach professioneller Arbeit aus.« »War es auch nicht«, bestätigte Hempshaw. »Es handelte sich um eine persönliche Feindschaft zwischen Cato und jenem Mann. Übrigens, wir konnten die Tote noch nicht identifizieren. Es wird wahrscheinlich auch sehr schwer sein. Sie selbst haben das Gesicht gesehen, das heißt, nicht gesehen.« Der Chefinspektor schüttelte sich bei der Erinnerung.
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Der Privatdetektiv kaute nervös am Filter seiner Zigarette herum, bis er sich in seine Bestandteile auflöste. Mit einer wütenden Handbewegung schleuderte Rick die Kippe in den Rinnstein. »Was wollen Sie unternehmen, Kenneth?« fragte er, obwohl er selbst ratlos war. »Sie können nicht einfach zusehen, wie dieses Scheusal weiter Morde begeht, die jeder Beschreibung spotten.« Der Chefinspektor warf einen hilfesuchenden Blick zum Himmel, doch das erwartete Zeichen blieb aus. »Rick, bringen Sie mich nicht mit solchen Fragen um meine letzten Nerven«, flehte Hempshaw. »Ich tue, was ich kann. Jeder Polizist hält nach John Terell Ausschau, alle haben seine Beschreibung, was ja in diesem Fall sehr einfach ist. Wir haben mehr zivile Wagen auf der Straße als sonst. Die Wagen sind verstärkt worden. Innerhalb der Stadt haben wir Sperrzonen angelegt, die so dicht kontrolliert werden, daß keiner durchschlüpfen kann, ohne gesehen zu werden - soweit man das in einer so riesigen Stadt überhaupt machen kann. Was sollen wir denn noch unternehmen?« Zuletzt hatte sich Chefinspektor Hempshaw in immer größere Erregung hineingesteigert. Er begleitete seine Worte mit heftigen und unbeherrschten Gesten. »Schon gut, schon gut.« Rick winkte ab. »Es war auch gar nicht als Kritik oder Vorwurf gedacht. Ich wollte nur wissen, was Sie unternehmen, damit wir unsere Schritte aufeinander abstimmen können.« »Gegenfrage, Rick: was machen Sie als nächstes?« »Ich werde noch einmal mit Janet Haggard sprechen. Sie besuchte mich letzte Nacht, und bei dieser Gelegenheit hatte ich den Eindruck, daß sie mehr weiß, als sie sagt.« »Dann nichts wie hin!« rief Hempshaw temperamentvoll. »Aus der Dame quetsche ich den letzten Tropfen Information heraus.« »Lassen Sie das Quetschen«, bremste ihn der Privatdetektiv halb im Spaß, halb ungehalten. »Mit Ihrer groben Art ver100
schrecken Sie mir das Mädchen womöglich noch. Nein, das erledige ich lieber selbst. Ich rufe Sie hinterher an. Bis später, Kenneth!« Chefinspektor Hempshaw starrte düster dem offenen Sportwagen nach, dann wandte er sich wieder dem verwilderten Grundstück zu, auf dem sich eine für einen normalen Verstand unfaßbare Tragödie ereignet hatte. Janet Haggard war doch nicht zur Arbeit in die Zeitungsredaktion gegangen, wie sie ursprünglich geplant hatte. Die Aufregung über Johns unerwartetes Auftauchen in ihrer Wohnung und sein anschließendes spurloses Verschwinden hatte sie so mitgenommen, daß sie kaum die Kraft fand, an diesem Morgen aufzustehen, sich zurechtzumachen und sich anzukleiden. Dennoch hielt sie an den gewohnten Handgriffen der Morgentoilette fest, um nicht den letzten inneren Halt zu verlieren. Das Röhrchen mit den starken Schlaftabletten lag griffbereit im Medizinschränkchen im Badezimmer. Sie brauchte es nur zu öffnen, die Pillen in einem Glas zu zerstoßen, Wasser darüberzugießen und den Brei zu schlucken. Dann war sie von allem befreit und hatte endlich Ruhe. Mehr als einmal hatte sie seit Johns Unfall auf der Rennbahn an diese Lösung gedacht, sie jedoch bisher verworfen. Es entsprach nicht ihrer Natur, einem Problem feige auszuweichen. Sie wollte bis zum Ende durchhalten. Die Türklingel riß sie aus ihren düsteren Betrachtungen. Sie ging hin und öffnete. Jeden anderen hätte sie erwartet, Rick Masters vielleicht oder den stets bärbeißigen Chefinspektor von Scotland Yard, nicht aber diesen Mann. John Terell! »Du freust dich nicht, Puppe«, krächzte er und schleuderte ihr einen stechenden Blick zu. »Soll das heißen, daß du mich nicht mehr bei dir haben willst? So war es doch abgemacht, ich kann bei dir unterschlüpfen, solange ich will.« 101
Während er sprach, kam er in das Vorzimmer und drückte die Tür hinter sich ins Schloß. Janet wich Schritt für Schritt vor ihm zurück. Sie war von namenloser Angst erfüllt, die keinen klaren Gedanken mehr aufkommen ließ. Wieso hatte John an dem Kriminalbeamten vorbeikommen können, der sie ständig überwachte, damit ihr nichts zustieß? Mittlerweile hatte sie von der Beobachtung erfahren. Noch vor einigen Tagen hätte sie bei dem Gedanken, unter Polizeischutz gestellt zu werden, laut gelacht. Nun dachte sie anders darüber. »Hast du mich vielleicht gar bei der Polizei verpfiffen?« fragte Terell fauchend. »Ich habe gestern schon diese komische Figur gesehen, die dir auf Schritt und Tritt folgt. Wer ist das? Ein Kriminalbeamter?« Und als sie nicht sprach, schrie er sie an: »Antworte, du Schlampe, sonst ergeht es dir wie dieser anderen!« »Ich habe nichts verraten«, ächzte Janet Haggard. Sie wußte nicht, von welcher anderen John sprach, doch sie konnte erahnen, was mit ihr geschehen war. Sie brauchte nur einen Blick auf seine Kleider zu werfen, um zu erkennen, daß er seiner Verbrechensserie eine neue Bluttat hinzugefügt hatte. »Ich bleibe hier bei dir«, schwenkte John vom Thema ab. »Ich bleibe so lange bei dir, wie ich will. Ich habe eine große Aufgabe zu erfüllen, die mich am Leben erhält. Erst wenn ich sie ausgeführt habe, werde ich dich verlassen – falls du dann noch lebst«, fügte er drohend hinzu. Kraftlos schlurfte Janet mit hängenden Schultern vor ihm ins Wohnzimmer. Sie ließ sich auf einen Sessel fallen und schloß die Augen. Nein, sie konnte nicht mehr, das fühlte sie ganz deutlich. Nur mehr wenige Minuten, und sie würde schreiend zusammenbrechen. Janet fühlte sogar schon die Hysterie in sich hochsteigen. Sie begann zu grinsen, dann lautlos zu lachen. Es war ein
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unhörbarer, verzweifelter Aufschrei, der einem Tier ähnelte, das von seinem Jäger in die Enge getrieben worden war. Ein leises Stöhnen quälte sich zwischen ihren blutleeren Lippen hervor und steigerte sich. Noch merkte John Terell nichts davon. Er war an das Fenster getreten und starrte, durch die Gardine geschützt, hinüber auf die andere Straßenseite, wo er deutlich die bullige Gestalt des YardBeamten erkannte, der die Wohnung im Auge behielt. Das leise Stöhnen ging in einen langgezogenen Schrei über. John Terell wirbelte herum, so schnell es sein zerstörter Körper erlaubte. Er ahnte die Gefahr, die von dieser Frau ausging. Sie war an einem Punkt angelangt, an dem sie keine Rücksicht mehr auf die Todesgefahr nahm, in die sie durch ihr Schreien geriet. Ihr war alles gleichgültig. Es gab nur ein Mittel für Terell-Cato: er mußte Janet Haggard töten. In diesem Augenblick schellte es an der Tür. Um Punkt zehn Uhr vormittags legte Rick Masters seinen Finger auf den Klingelknopf von Janet Haggards Tür. Von ihrem Beschützer hatte er die Meldung erhalten, daß alles in Ordnung war, weshalb er auch keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen ergriff. Er zog den Finger zurück und lehnte sich bequem an den Türrahmen. Gleich darauf schreckte er hoch. In der Wohnung schrie eine Frau, wie nur ein Mensch schreien kann, der den Tod in seiner schrecklichsten Form auf sich zukommen sieht. Sie schrie ihre Angst und ihre Verzweiflung und ihre Hilflosigkeit aus sich heraus, daß es Rick fast körperlich schmerzte. Gehetzt blickte er sich um. Er mußte schnellstens in die Wohnung gelangen. Sofern Janet Haggard nicht verrückt geworden war und sich vor etwas fürchtete, das es nicht gab, mußte da drinnen John Terell sein und Janet angreifen.
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In blinder Wut warf sich Rick Masters mit seinem vollen Gewicht gegen die Wohnungstür, die nicht einmal unter dem Aufprall seines Körpers nachgab. Obwohl es vollkommen sinnlos war, sprang Rick drei Schritte zurück und spannte sich, um seinen Versuch zu wiederholen. Er dachte in diesem Moment nicht daran, daß er sich einen Knochenbruch einhandeln würde, ohne die Tür aufzubekommen. Da drinnen war eine Frau in höchster Not und Gefahr, und er mußte ihr helfen. Schon wollte er sich losschnellen, als die Tür von innen geöffnet wurde und aufflog. Janet stand im Türrahmen. Sie schrie noch immer aus Leibeskräften. Hinter ihr tauchte die Schreckensgestalt John Terells auf. Rick konnte seinen Schwung nicht mehr aufhalten. Er flog auf die beiden zu, doch gelang es ihm, sich am Türpfosten abzufangen. Seine Hände schnellten nach Janet. Er schleuderte sie mit einem harten Ruck hinaus auf den Hausflur. Janet war in Sicherheit, wenigstens vorläufig. Und der Yard-Beamte mußte die Schreie gehört und Alarm über sein tragbares Funkgerät gegeben haben. Rick verlor bei seinem Rettungsversuch das Gleichgewicht. Er taumelte weiter in die Wohnung hinein, während Terell die junge Frau in blinder Wut verfolgen wollte. Schwer prallten sie gegeneinander. Terell geriet ins Wanken, ruderte mit den Armen durch die Luft und kippte rücklings auf die Teppichplatten der Diele. Rick Masters stolperte über den Mörder und stürzte auf ihn. Sofort schlangen sich die Arme des Unmenschen um seinen Körper und drückten mit einer Kraft zu, als wollten sie ihn zermalmen. Rick mußte alle Muskeln anspannen, um nicht mit gebrochenen Rippen liegen zu bleiben. Es kostete ihn ungeheure Überwindung, einen Schlag gegen dieses unnatürliche Wesen zu führen, das er nicht mehr als Mensch ansah. Es war ein Monster, ein Ungeheuer, und dennoch war es einmal ein normaler Mensch gewesen, so104
gar ein Bekannter Ricks. Er durfte sich keine Sentimentalitäten und Skrupel erlauben. Es ging um sein nacktes Leben, denn bis der Beschatter zu Hilfe kam oder gar erst die Verstärkung eintraf, mußte er längst tot sein. Hart krachte Ricks Faust gegen das Kinn Terells, dessen Kopf nach hinten gedrückt wurde und gegen den Fußboden knallte. Mit Entsetzen sah Rick, daß sein Schlag keine Wirkung zeigte. Einen anderen hätte er halb betäubt, nicht aber dieses Monster. Zwar lockerte Terell seinen mörderischen Griff um Ricks Brustkorb, aber nur, um ihm einen gemeinen Nierenschlag zu versetzen. Vor Schmerz aufschreiend, rollte der junge Detektiv zur Seite und blieb verkrümmt und nach Luft ringend liegen. Er sah alles durch einen roten Schleier, sah, wie sich Terell auf die Knie aufrichtete, wie er die rechte Hand zum tödlichen Schlag hob. Das mobilisierte die letzten Reserven Ricks. Er wollte hier nicht elend umkommen. Die Fersen in den Teppich grabend, versetzte er sich selbst einen Stoß, der ihn gegen die hinter ihm liegende Wand schleuderte. Dicht vor ihm knallte die Hand Terells mit schrecklicher Wucht auf den Boden. Auch in diesem Moment reagierte der Mann anders, als man es von ihm erwartet hätte. Er empfand keinen Schmerz in der geprellten Hand, sondern wollte einen neuen Angriff starten. Von Schmerzen fast gelähmt, lag Rick an der Wand, unfähig, sich zu verteidigen. Er erwartete jeden Moment den Tod. John Terell stand auf. Drei Schritte trennten ihn von Rick Masters. Er hob den Fuß und machte den ersten Schritt auf sein Opfer zu. Plötzlich merkte Rick, wie still es geworden war. Alle Geräusche waren verstummt – bis auf seinen eigenen keuchenden Atem und das rasselnde Fauchen und Ächzen des Unmenschen. 105
In diese Stille hinein gellte scheinbar ohrenbetäubend laut eine Polizeipfeife. Eine zweite antwortete, eine dritte gab den Ton weiter. Beim ersten Pfiff zuckte John Terell zusammen. Der Geist Ed Catos kannte diese Pfeifen nur zu gut. Er war oft genug vor Londoner Polizei geflohen. Dieses Pfeifen bedeutete Gefahr, allerhöchste Gefahr, bei der es nur eines gab: Flucht. Ohne den hilflosen Detektiv weiter zu beachten, drehte sich John Terell um. Rick schob sich ein Stück an der Wand hoch, damit er alles verfolgen konnte. Auf dem Hausflur lag in einer Ecke die schlaffe Gestalt Janet Haggards. Der Mörder ging nur eine Handbreit von ihr entfernt auf die Treppe zu, doch auch sie war nur mehr Luft für ihn. Er wurde ausschließlich von dem Gedanken an Flucht beherrscht. Schwere Schritte kamen die Treppe herauf, gleich darauf ertönte ein Schrei. Rick kannte die Stimme. Der YardBeamte war, nachdem er über Funk den Alarm durchgegeben und mit seiner Pfeife Streifenpolizisten zu Hilfe gerufen hatte, in das Haus eingedrungen, um Rick und Miß Haggard zu unterstützen. Daß er bei dem Anblick Terells schrie, konnte ihm nicht einmal sein ärgster Feind als Feigheit auslegen. Mit angehaltenem Atem wartete Rick darauf, das Geräusch eines Schlags oder Falls zu hören, doch außer den Schritten des fliehenden Mörders blieb es still. Eine Tür schlug zu, der Mörder war entwischt. Wie Sand glitt er durch die Finger – ein unheimlicher, übermächtiger Gegner, gegen den es kein Mittel zu geben schien. Die Zähne zusammenbeißend, schob sich Rick Masters Zoll für Zoll an der Wand hoch, bis er sich knieweich und zitternd dagegenlehnte. Er hielt sich vornübergebeugt und mußte ein paarmal tief durchatmen, bevor es ihm etwas besser ging. Sich ständig abstützend, wankte er hinaus auf den Hausflur.
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Janet Haggard hatte sich nicht mehr bewegt, seit sie von Rick aus der Wohnung gestoßen worden war. Der Privatdetektiv machte sich bereits Sorgen um die junge Frau. Sie hatte sich bei dem unsanften Aufprall doch nicht verletzt? Rick wollte sich zu ihr hinunterbücken, doch ein stechender Schmerz in seinen Nieren riß ihn sofort wieder zurück. Für einen Moment drehte sich alles vor seinen Augen. Schwerfällig taumelte er gegen die Wand und blieb keuchend daran lehnen. Bevor er sich nicht ausgiebig erholt hatte, war mit ihm nichts mehr anzufangen. Seine Sorge um Janet Haggard wurde ihm abgenommen. Der Mann, den Chefinspektor Hempshaw zur Überwachung Janets abgestellt hatte, kam die Treppe herauf. Er war noch immer sehr bleich, hatte sich in der Zwischenzeit jedoch schon einigermaßen erholt. »Ist Ihnen etwas geschehen, Mr. Masters?« rief er erschrocken, als er das verbissene Gesicht des Detektivs sah. »Geht schon!« preßte Rick hervor. »Kümmern Sie sich um Miß Haggard, das ist wichtiger!« Der Kriminalist kniete sich auf den Steinboden und untersuchte Janet kurz aber gründlich. »Ohnmacht«, stellte er fest, hob sie hoch und trug sie in die Wohnung. Als er sie auf der Couch niedergelegt hatte und sich umdrehte, sah er, daß Rick Masters noch immer an derselben Stelle stand. Über seine Stirn rannen dicke Schweißtropfen. »Sie haben ja doch etwas abbekommen!« rief der Kriminalist besorgt. Er stützte Rick und führte ihn ebenfalls in das Wohnzimmer, wo sich der Privatdetektiv mit einem leichten Stöhnen in den Sessel sinken ließ, der neben der Couch stand. »Der Chefinspektor ist schon verständigt, und einen Arzt bringt er vorsichtshalber auch gleich mit. Wir wußten ja nicht, was sich hier oben abspielte«, fügte er verlegen hinzu. »Ich schwöre Ihnen, Mr. Masters, ich habe aufgepaßt und Terell nicht ins Haus kommen gesehen.«
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»Ihnen kann niemand einen Vorwurf machen«, beruhigte ihn Rick. »Wir haben außer acht gelassen, daß Terell früher in diesem Haus ein und aus ging und sicherlich einen Schleichweg kannte, auf dem er ungesehen kommen und auch wieder verschwinden konnte.« »Wenn ich nicht so fürchterlich erschrocken wäre, als er plötzlich auf der Treppe vor mir stand«, ärgerte sich der Kriminalist, »dann hätte ich ihn erwischt.« »Irrtum«, verbesserte ihn Rick. »Dann hätte er Sie erwischt. Mit diesem rätselhaften Wesen wird kein einzelner so leicht fertig. Ich weiß überhaupt nicht, was man gegen ihn unternehmen kann. Er scheint fast unbesiegbar zu sein.« »Das gibt es nicht«, behauptete der Kriminalbeamte mit Überzeugung. »Niemand ist unverwundbar oder unbesiegbar, das ist Unsinn.« Rick wurde einer Antwort enthoben, weil in diesem Moment Chefinspektor Hempshaw eintraf. Gleichzeitig mit ihm betraten einige Polizisten die Wohnung, die das Haus durchsucht hatten. An ihren Gesichtern erkannte der Privatdetektiv, daß sie keine Spur von John Terell hatten entdecken können. Rick hatte es gar nicht erwartet und war daher auch nicht sonderlich enttäuscht. Hempshaw hatte Dr. Sterling mitgebracht, der sich zuerst um die noch immer bewußtlose Janet Haggard kümmerte. Anschließend kam er zu Rick. »Kein Grund zur Aufregung«, sagte er beruhigend. »Sie wird in wenigen Minuten aufwachen. Körperlich ist sie in Ordnung, aber ich mache mir Sorgen um ihren seelischen Zustand. Jetzt zu Ihnen, Rick. Tut das weh?« Gleichzeitig drückte der alte Polizeiarzt gegen Ricks Nieren. Der Privatdetektiv schrie auf. »Sind Sie wahnsinnig, Doktor?« fauchte er. »Wollen Sie mich umbringen?«
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»Klarer Fall von Nierenschlag«, stellte Dr. Sterling die Diagnose und zuckte die Schultern. »Da kann ich nichts machen.« » Stellen Sie sich vor, ich wußte schon, daß ich einen Nierenschlag erhalten habe«, knurrte Rick. Achselzuckend wandte sich Dr. Sterling ab. Der Privatdetektiv fühlte sich wie gerädert, und doch war er sofort wieder mit vollem Einsatz dabei, die weiteren Schritte des Kesseltreibens auf John Terell zu besprechen. Hempshaw wollte gerade einen Vorschlag machen, als sich Janet Haggard bewegte. Sie öffnete die Augen, blickte verwirrt um sich, schien zu begreifen und begann zu weinen, daß sie minutenlang nicht sprechen konnte. Endlich war es den vereinten Anstrengungen der Männer gelungen, Janet zu beruhigen. Sie erzählte, wie sich John Terell Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft hatte. »Glauben Sie mir, Mr. Masters«, beschwor sie Rick zuletzt. »Ich wollte Ihnen sagen, daß John bei mir versteckt ist, aber ich konnte es nicht. Ich weiß auch nicht, was mit mir los war. Ich konnte einfach nicht darüber sprechen.« Chefinspektor Hempshaw übernahm es, die Verzweifelte zu trösten. »Ich glaube nicht, daß Ihnen deshalb irgend jemand einen Vorwurf machen wird«, versicherte er. »Obwohl Sie uns natürlich eine Menge Arbeit erspart hätten«, konnte er sich doch nicht verkneifen zu bemerken, wofür er sich einen strafenden Blick Ricks einfing. Dr. Sterling beendete Janet Haggards Aussage auf eine sehr rigorose Weise. Er gab ihr ein starkes Beruhigungsmittel und steckte sie ins Bett. Nachdem er die Tür ihres Schlafzimmers geschlossen hatte, verkündete er streng: »Niemand wird die Ärmste vor Ablauf von zwölf Stunden wecken, sonst bekommt er es mit mir zu tun!« »Dann lieber schon mit John Terell«, zog Rick den Polizeiarzt auf. Dr. Sterling nahm es ihm nicht weiter übel, dazu kannten sie sich schon zu lange. 109
Während der Chefinspektor seine taktischen Überlegungen erläuterte, durch die er endlich diesem Ungeheuer das Handwerk legen wollte, wurde Rick immer stiller, bis es schließlich Hempshaw auffiel. Er postierte sich vor Masters und schaute giftig auf ihn herab. »Sie begnügen sich wohl damit, sich faul in einem bequemen Sessel zu rekeln«, schimpfte er, aber auch das war nicht unbedingt ernst gemeint. »Soll ich Ihnen ein Bett in den Raum stellen lassen, damit Sie es noch angenehmer haben?« »Das wäre nett«, schlug Rick zurück. »Doch ganz im Ernst, Kenneth, ich habe überlegt. In diesem von dem Brand fast völlig zerstörten Körper existieren sozusagen zwei Geister: John Terell und Ed Cato.« »Das ist Ihre Theorie, die ich nicht entkräften kann«, schränkte Chefinspektor Hempshaw vorsichtig ein. »Gut, gut«, entgegnete Rick ungeduldig. »Ich habe nachgedacht, wer die unbekannte Tote sein könnte. Warum hat Terell sie ermordet?« »Er hat auch noch andere Menschen getötet oder schwer verletzt«, gab Hempshaw zu bedenken. »Da lag aber immer ein Grund vor«, behauptete Rick. »Dr. Oglander mußte sterben, damit Terell aus dem Krankenhaus fliehen konnte. Den Ladenbesitzer mißhandelte er, um an Kleider heranzukommen, die er für seine Flucht brauchte. Und schließlich tötete er diese Hausfrau in Tottenham, um aus ihrem Garten zu fliehen.« »Auch die Unbekannte hat ihn vielleicht gesehen und wollte um Hilfe schreien, Rick.« »Möglich, aber ich habe noch eine andere Theorie, Kenneth. Die treibende Kraft in diesem Körper ist der Geist Ed Catos, des Massenmörders. Cato wurde in London verurteilt und floh erst hinterher. Könnte es nicht sein, daß sich Cato jetzt an den Personen rächen will, die an seinem Prozeß beteiligt waren?« 110
Chef inspektor Hempshaw starrte den jungen Privatdetektiv sekundenlang fassungslos an, dann schlug er sich gegen die Stirn. »Daß ich nicht früher daran gedacht habe!« rief er. »Natürlich, das könnte eine Lösung sein!« »Ich bin dadurch darauf gekommen«, erklärte Rick, »weil wir schon öfter den Fall hatten, daß sich jemand an seinem Richter, dem Staatsanwalt und den Geschworenen rächen wollte. Bei wem könnte dieses Motiv besser passen als eben bei Ed Cato?« Hempshaw war Feuer und Flamme. Auch Dr. Sterling nickte beifällig. »Ich finde die Theorie gut, Kenneth«, bemerkte er, an den Chefinspektor gewandt. »Sie sollten sie überprüfen lassen.« »Was glauben Sie wohl, was ich jetzt mache?« fragte Hempshaw und lief aus dem Zimmer. Das Warten begann. Die Minuten schleppten sich dahin, wurden zu Stunden. Rick rief zwischendurch Juliette an, um sie über den Stand der Dinge zu unterrichten und sie vorsichtig darauf vorzubereiten, daß er am Abend möglicherweise keine Zeit haben werde. »Nichts anderes erwartet, Darling«, gab sie schnippisch zurück. »Du kannst mir einen Brief schreiben, in dem du mir deinen nächsten freien Termin in vier Wochen mitteilst. Ich werde mich dann für diesen seltenen Augenblick freihalten!« Damit knallte sie den Hörer auf den Apparat. Achselzuckend kehrte Rick in die Wohnung von Janet Haggard zurück, die noch immer tief und fest schlief. Chefinspektor Hempshaw kam Rick freudestrahlend entgegen. »Wir haben die Tote identifiziert!« rief er begeistert. »Ihrem Gesicht nach zu urteilen, hätten Sie eigentlich John Terell fangen müssen«, erwiderte Rick enttäuscht. »Nicht so unbescheiden, man muß klein anfangen!« Chefinspektor Hempshaw nahm sein Notizbuch zu Hilfe. »Mar111
got Plender, Rechtsanwältin. Sie mußte in Catos Prozeß die Pflichtverteidigung übernehmen, weil er sich weigerte, einen Rechtsanwalt nach eigener Wahl zu bestellen. Ich habe mich auch schon ein wenig umgehorcht. Miß Plender scheint damals keine Sympathien für ihren Mandanten empfunden zu haben. Das wäre doch ein glaubhaftes Motiv für den Mord.« »Allerdings, das wäre ein Motiv«, sagte Rick. »Aber wieso ermordete er sie auf diesem einsamen Grundstück? In ihrer Wohnung hätte er es viel einfacher gehabt.« »Sie besitzt sogar ein Haus, wo er ganz ungestört mit ihr gewesen wäre«, berichtete Hempshaw. Er kratzte sich verlegen am Kopf. »Ja, da weiß ich auch keine Erklärung mehr«, fügte er resigniert hinzu. »Denken Sie doch an das völlig unkenntliche Gesicht der Toten«, mischte sich Dr. Sterling ein, der sich von Zeit zu Zeit als Amateurkriminalist betätigte, während er sich sonst auf die medizinischen Bereiche beschränkte. »Bis Rick die Idee mit dem Racheplan hatte, wußten wir nicht, wer die Tote war, weil es zwischen ihr, ihrem Mörder und dem Tatort keinen Zusammenhang zu geben schien. Cato hat die Frau absichtlich aus ihrem Haus geschleppt, damit man nicht erkennen sollte, daß er sich an den Prozeßbeteiligten rächen will. Es sollte jede Störung seines Unternehmens ausbleiben.« »Hervorragend kombiniert«, lobte Rick Masters. »Wahrscheinlich haben Sie recht, Doktor. Denn die natürliche Folge der Identifizierung des Opfers wird sein, daß Kenneth . . .« ». . . daß ich alle anderen am Prozeß gegen Ed Cato beteiligten Personen unter strenge Bewachung stelle«, vollendete Hempshaw den Satz für Rick. »An Ihrer Stelle würde ich mich beeilen«, riet Rick Masters. »Innerhalb der paar Stunden, die seit Terells Flucht vergangen sind, ist schon viel geschehen und in jeder Minute, 112
die wir mit Diskutieren verlieren, kann ein Mord verübt werden.« Das breite Grinsen auf Hempshaws kantigem Gesicht verriet genug. Er hatte die Überwachung bereits veranlaßt. Seine bissigen Bemerkungen bestätigten es gleich darauf. »Dann können wir nur hoffen«, sagte Rick und versuchte, trotz seiner inneren Anspannung optimistisch zu wirken, »daß wir diesmal schneller als dieses Ungeheuer sind.« Die beiden Polizisten fuhren seit mehreren Stunden Streife. Die ganze Zeit über hatten sie sich hauptsächlich auf ein Ziel konzentriert, nämlich den Mann zu finden, der angeblich durch einen Brand so entstellt worden war, daß man kaum noch von einem Menschen sprechen konnte. Nicht nur diese beiden Polizisten waren auf die Fährte John Terells angesetzt, sondern Dutzende, Hunderte. Keiner von ihnen hatte den Mörder auch nur von ferne gesehen. »Du kannst sicher sein, wir werden auch kein Glück haben«, seufzte der Fahrer des Streifenwagens. »Warum auch ausgerechnet wir? Stell dir vor, wo sich der Mann überall verstecken kann. Es ist unmöglich, ihn auf diese Weise zu finden. Also, wenn man mich fragt . . .« »Es fragt dich aber keiner«, sagte der Kollege grinsend und griff nach dem Mikrofon des Funkgeräts, um ihre Position durchzugeben. Der Fahrer schwieg beleidigt, während die Meldung erfolgte. 14.00 Uhr, schrieb der Beifahrer schließlich in ein Fahrtenbuch und wollte »keine besonderen Vorkommnisse« vermerken, als der Fahrer so heftig auf die Bremse trat, daß es den Polizisten gegen das Armaturenbrett schleuderte. Er hatte Glück, daß er sich nicht verletzte. »Wahnsinnig geworden?« schrie er wütend. Er richtete sich wieder auf und schaute durch die Windschutzscheibe. »Da ist doch gar nichts. Warum hast du gebremst wie ein Irrer?«
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»Dort!« stammelte der Fahrer, blaß vor Aufregung. »Das muß er sein! Bestimmt, das ist er!« Er deutete durch die Seitenscheibe auf den gegenüberliegenden Bürgersteig. Sie hielten am Rand des Stadtbezirks Tottenham in einer menschenleeren Straße. Hier lagen kleinere Fabriken, deren Grundstücke von Mauern umgrenzt waren. Gelegentlich rumpelte ein Lastwagen vorbei, ansonsten war es eine Straße, durch die jemand fast unbeobachtet gehen konnte. Auch am hellichten Tag lief der Mörder kein Risiko, erkannt zu werden. Er hatte den Hut so tief ins Gesicht gedrückt, daß nur die Mundpartie freiblieb, aber auch sie war nicht sichtbar, weil der Mann den Kragen seines Sakkos hochgeschlagen trug. »Der soll das sein?« fragte der Beifahrer skeptisch. »Ich sehe sein Gesicht nicht, aber ich kann auch nichts Besonderes feststellen, Freund und Kollege. Die Phantasie spielt dir einen Streich.« »Aber nein!« beharrte der Fahrer auf seinem Verdacht. »Die Hände! Sieh doch auf seine Hände!« Da zuckte auch der Beifahrer zurück. Damit der Kragen des Sakkos nicht von einem unerwarteten Windstoß zurückgeschlagen werden konnte, hielt der Mann ihn mit einer Hand fest. Auf den ersten Blick sah es so aus, als würde er einen braunen Handschuh tragen, doch bei genauerem Hinsehen erkannte der Polizist die verbrannten Hautstellen, auf die in der Fahndungsbeschreibung extra hingewiesen worden war. »Er ist es«, bestätigte er. »Los!« Zwei Dinge geschahen gleichzeitig: der Fahrer gab Gas und riß das Lenkrad herum, so daß der Streifenwagen eine scharfe Kehrtwendung ausführte. Und der Beifahrer jagte über Funk die Meldung von der Entdeckung des Mörders hinaus. Er entfesselte damit einen Großeinsatz. Aus dem Lautsprecher rasselte die Stimme des Einsatzleiters in der Zentrale 114
die Anweisungen an insgesamt zehn Streifenwagen herunter. Die perfekt eingespielte Maschinerie von Scotland Yard und motorisierter Polizei war angelaufen. Diesmal gab es kein Entrinnen für John Terell. »Schneide ihm den Weg ab!« schrie der Beifahrer. Der Motor des Streifenwagens heulte im niedrigen Gang gequält auf, während das Auto auf den Mörder zuschoß. Terell-Cato sah sich entdeckt. Das Polizeifahrzeug war ihm natürlich nicht entgangen, aber er hatte doch gehofft, daß er unbemerkt weitergehen konnte, wie ihm das bisher stets gelungen war. Nur die wenigsten Menschen achteten auf seine Hände. Und sein Gesicht hielt er so gut verborgen, daß er sich dadurch nicht verraten konnte. Als der Streifenwagen scharf wendete, stand fest, daß die Polizisten Verdacht geschöpft hatten. Er mußte fliehen. Vor den beiden Männern hatte er keine Angst. Da sie nicht mit Schußwaffen ausgerüstet waren, würde er in einem Handgemenge spielend mit ihnen fertig werden. Was er fürchtete, war das Auto. Zu seinem Glück kamen die Polizisten nicht im entferntesten auf den Gedanken, ihn einfach über den Haufen zu fahren, da sie ihn für einen gewöhnlichen Menschen hielten. Woher hätten diese beiden Männer auch die schreckliche Wahrheit wissen sollen? Gehetzt blickte sich Terell-Cato um. Er mußte einen Fluchtweg finden, den sie ihm nicht mit ihrem Auto und mit den anderen Wagen, die zur Verstärkung unterwegs waren, verbauen konnten. Innerhalb einer Sekunde entdeckte er einen schmalen Durchgang zwischen zwei Fabrikgrundstücken, der gerade zwei erwachsenen Männern nebeneinander Platz bot, für ein Fahrzeug jedoch zu eng war. Noch ehe ihn der Streifenwagen erreichte, tauchte TerellCato in diesen Durchgang. Nur wenige Zoll hinter ihm bremste das Auto. Die Türen flogen auf. Die Polizisten nahmen die Verfolgung zu Fuß auf. 115
Der Mörder lief – nicht um sein Leben, denn Leben im eigentlichen Sinn besaß er nicht mehr. Er lief um seine Freiheit und die Möglichkeit, seinen Racheplan vollenden zu können. »Dort vorne ist er!« rief der Streifenführer. »Schnell, er darf nicht entwischen!« »Die schicken uns sonst auf den Nordpol«, ergänzte sein Kollege und rannte, als wäre eine Wolfsmeute hinter ihm her. Sie waren beide keine guten Läufer, doch es gelang ihnen, den Vorsprung des Flüchtigen zu verkleinern. Unaufhaltsam rückten sie näher an ihn heran. Der Durchgang war endlich zu Ende. Der Mörder erreichte die Ecke, bog nach links und verschwand aus dem Gesichtskreis seiner Verfolger. Sekunden später hetzten die beiden Polizisten ebenfalls um die Ecke und blieben fassungslos stehen. »Er ist weg!« rief der Streifenführer und starrte auf den leeren Platz vor ihnen. Die Polizei ergriff ungewöhnliche Maßnahmen. Sofort nach dem Eintreffen der Ortsangaben aus dem Streifenwagen stellten zehn Beamte gleichzeitig Verbindungen zu den Fabriken her, in deren Bereich John Terell gesichtet worden war. Jedesmal lautete die Anordnung der Polizei gleich. »Lösen Sie den Feueralarm aus, räumen Sie das Gelände! Die Betriebsfeuerwehr braucht nicht einzugreifen.« Die Männer in der Zentrale der Polizei konnten nicht persönlich feststellen, ob ihre Anweisungen befolgt wurden, sie erhielten jedoch laufend die Bestätigungen von den Streifen. Im ganzen Gebiet heulten die Sirenen, strömten die Arbeiter und Angestellten aus den Fabriken und Bürogebäuden hinaus auf die Straßen. Es bestand eine neue Gefahr, nämlich daß sich der Mörder unter diese Menschenmengen mischte und auf diese’ Weise
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unerkannt entkam. Kaum jemand würde sich in der allgemeinen Aufregung sonderlich um ihn kümmern. Chefinspektor Hempshaw, der sofort nach dem ersten Alarm Scotland Yard verlassen hatte, hielt eine ständige Verbindung mit der Zentrale über Funk aufrecht. Auch er hatte natürlich die Möglichkeit erkannt, auf diese einfache Weise den Kontakt zu dem Mörder zu verlieren, weshalb er entschlossen eine ebenso ungewöhnliche wie unpopuläre Maßnahme befahl. Wenn es schiefgeht, werden mich die Zeitungen am nächsten Tag in der Luft zerreißen, dachte er, während er zum Hörer des Funkgeräts griff. Man würde von Einengung der persönlichen Freiheit und solchen zwielichtigen Dingen wie Übergriffen der Polizei und ähnlichem sprechen. Dennoch zögerte er nicht, alle Maßnahmen zu treffen, die dem teuflischen Wüten des Mörders ein Ende bereiten konnten. »Die Straßensperren bleiben bestehen«, sagte er mit ruhiger Stimme, die seine innere Anspannung nicht verriet. »Kein einziges Fahrzeug darf in das Sperrgebiet!« »Wir halten sogar die Kanäle unter Kontrolle«, gab die Zentrale durch. Hempshaw nickte befriedigt, er holte tief Luft, dann ließ er die Bombe los. »Nicht ein einziges Auto, kein Motorrad, nicht mal ein Fahrrad darf den Sperrbezirk verlassen! An den Kontrollen werden auch alle Fußgänger zurückgewiesen. Lassen Sie die Belegschaften der Fabriken in einzelnen Gruppen zusammentreiben. Alle diese Leute dürfen ihren Standort nicht verlassen.« »Aber – aber das bedeutet doch . . .«, begann der Einsatzleiter in der Zentrale. »Das bedeutet«, unterbrach ihn Hempshaw kühl, »daß ich den Leuten das Gehen verbiete. Verstehen Sie nicht? Wenn niemand sich von der Stelle rührt, fällt der Mörder sofort auf, wenn er zu fliehen versucht. Also bleiben die Leute, wo 117
sie sind! Geben Sie das durch, und verstärken Sie die Einsatztruppe um jeden Mann, den wir auftreiben können!« »Verstanden, Sir«, kam die Bestätigung aus der Zentrale. Aufatmend hängte Chefinspektor Hempshaw den Hörer ein. Sie näherten sich dem Sperrgürtel, den die Polizei in aller Eile errichtet hatte. Er stand bereits, als Hempshaw eintraf, da der Chefinspektor von Scotland Yard her den weitesten Anfahrtsweg hatte. Hempshaw nickte zufrieden. Nicht einmal Reporter durften das Einsatzgebiet betreten, obwohl sie lautstark protestierten. Ein Monteur in blauem Arbeitskittel wollte durch die Kontrollen nach draußen. Wahrscheinlich war seine Schicht beendet, und er war auf dem Nachhauseweg. Unerbittlich wurde er abgewiesen und zu einer Gruppe von ungefähr dreißig Personen geführt, die – von zwei Polizisten bewacht – in einer von zwei Mauern gebildeten Ecke standen. Sie beschwerten sich nicht mehr. Wahrscheinlich hatten sie ihren Widerstand aufgegeben, weil die Uniformierten keine Ausnahmen machten, sich auch nicht beeinflussen ließen. Soweit Chefinspektor Hempshaw schauen konnte, bewegten sich innerhalb des Sicherheitsgürtels nur Polizisten. Mit Erleichterung dachte er, daß sich hier zum Glück nur einige wenige Wohnhäuser befanden, die alle von Polizei besetzt worden waren. Es sollte vermieden werden, daß der Mörder Geiseln nahm und damit die Polizei unter Druck setzen konnte. Der Chefinspektor wollte sich bereits zu Fuß in das Sperrgebiet begeben und hatte auch schon die quergestellten Streifenwagen erreicht, als er hinter sich kurz das Schrillen einer Alarmklingel hörte. Er drehte sich um und sah den dunkelgrünen Morgan des jungen Privatdetektivs auf sich zurollen. Neben der Windschutzscheibe des seltsamen Einsatzwagens blinkte das Blaulicht. Hempshaw hatte sich von Rick Masters noch in der Wohnung Janet Haggards getrennt und war in den Yard zurück118
gefahren. Rick hatte gesagt, er würde noch eine Weile bei Miß Haggard bleiben. Der Morgan hielt neben dem Chefinspektor. »Ich war auf der Heimfahrt«, rief Rick Masters, während er Motor und Blaulicht abstellte und ausstieg. »Über Funk hörte ich die Meldung.« »Gut, kommen Sie!« forderte ihn der Chefinspektor auf. »Halten Sie sich in meiner Nähe. Ich habe verboten, daß sich Privatpersonen innerhalb des fraglichen Gebietes bewegen – im wahrsten Sinn des Wortes. Niemand darf gehen.« Rick verstand sofort, welchen Zweck der Chefinspektor mit dieser Maßnahme verfolgte. Er warf einen Blick auf die Meute der Reporter. »Mut haben Sie, Kenneth, das muß man Ihnen lassen«, sagte er anerkennend. »Hoffentlich aber nicht nur Mut, sondern auch Erfolg.« »Das werden wir gleich sehen.« Hempshaw ging auf zwei Polizisten zu, die ihm verlegen entgegensahen. »Wenn ich mich nicht irre, haben Sie Terell zuerst entdeckt«, sprach er sie an. »Ja, Sir«, meldete der eine von ihnen. »Wir haben weisungsgemäß hier auf Sie gewartet. Wir haben den Verdächtigen wieder aus den Augen verloren, er war einfach verschwunden.« »Kann passieren«, sagte Hempshaw tröstend. Die beiden waren niedergeschlagen und erwarteten wahrscheinlich einen Anpfiff. Daher machten sie erstaunte Gesichter, daß keine Vorwürfe erfolgten. »Zeigen Sie uns die Stelle, an der Sie Terell verloren haben!« Die Polizisten gingen voraus. Sie führten Hempshaw und Masters durch einen langen, engen Weg zwischen zwei Mauern. Die Passage endete auf einem kleinen Platz, der scheinbar auf allen vier Seiten geschlossen war und nur diesen einen Zugang besaß.
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»Wir vergeudeten wertvolle Sekunden«, berichtete der Streifenführer, »bis wir das hier entdeckten.« Er ging ein Stück weiter, und erst dann sahen Rick und Hempshaw eine zweite Passage, deren Eingang so angelegt war, daß es bei flüchtigem Hinsehen so wirkte, als würde die Mauer nur einen kleinen Knick machen. »Das hätte ich auch übersehen«, bemerkte der Privatdetektiv. »Als wir diesen Durchgang fanden, war der Mörder schon verschwunden«, fuhr der Streifenführer erleichtert fort. »Wir liefen sofort hinterher, doch wir konnten ihn nicht mehr einholen.« »Unsere Absperrungen wurden so schnell errichtet, daß er sich noch immer hier irgendwo aufhalten muß«, murmelte Hempshaw und machte eine Handbewegung, die das riesige Gebiet kleiner und kleinster Fabriken einschloß. »Es wird ein hartes Stück Arbeit werden und vielleicht stundenlang dauern.« Er zog ein kleines Funkgerät aus der Tasche und rief den Einsatzleiter. »Lassen Sie die Leute aus der Sperrzone, aber immer nur jeweils zwei. Wir können sie nicht bis zum Ende des Einsatzes warten lassen. Ich wiederhole, daß immer nur zwei Personen gleichzeitig gehen dürfen.« Er steckte das Funkgerät weg. Mit einem kurzen Kopfnicken setzte er sich in Bewegung und ging in die Passage voran. Rick Masters und die beiden Polizisten folgten. »Wir müssen mit einem harten Kampf rechnen«, warnte Rick. »Gewöhnliche Kampfmethoden haben keinen Sinn, ich weiß das aus eigener bitterer Erfahrung. Wir müssen versuchen, ihn zu Fall zu bringen und dann festzuhalten, bis Verstärkung kommt.« »Immer vorausgesetzt, daß wir ihn überhaupt finden«, schränkte der vorangehende Chefinspektor ein. Im nächsten Moment stieß er einen halblauten Ruf aus.
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Sofort kam Rick Masters an seine Seite und erkannte, weshalb der Chefinspektor so überrascht war. In der linken Mauer, die den Durchgang bildete, befand sich eine niedrige Metalltür. Sie stand offen, man konnte in den darunterliegenden Hof sehen. In seiner Mitte stand John Terell, das zerstörte Gesicht der Tür zugewandt. Sein einziges Auge richtete sich auf die Männer, die so plötzlich im Hof auftauchten. Hempshaw setzte die Signalpfeife an die Lippen und blies Alarm. Von allen Seiten antworteten die Leute des Einsatzkommandos. Rick Masters wartete nicht darauf, bis die Verstärkung eintraf. Er ging langsam auf den Mörder zu – diesen halbverkohlten Körper, in dem der Geist eines Killers steckte. Der Privatdetektiv bückte sich und hob ein auf dem Boden liegendes armdickes Metallrohr auf. Zwar steckte unter der linken Achsel seine Pistole, doch er wollte das Ungeheuer nicht töten. Außerdem bestand die Gefahr, daß die Kugeln keine Wirkung haben würden. Das schwere Rohr in der rechten Hand zum Schlag erhoben, näherte sich Rick Schritt für Schritt Terell-Cato. Der Blick des gesunden Auges folgte ihm. Rick war bis auf wenige Armlängen herangekommen, als der Mörder langsam die Hand ausstreckte. Er bedeutete Rick, daß er stehenbleiben solle. »Halt!« rasselte die verzerrte Stimme, ohne daß sich ein Zug in dem verkrusteten, verbrannten Gesicht bewegte. »Halt! Ich komme freiwillig mit. Es sind zu viele gegen mich. Widerstand hat keinen Sinn, das sehe ich ein.« Rick blieb mißtrauisch stehen, ohne das Metallrohr zu senken. Auch Chefinspektor Hempshaw und die beiden Polizisten waren herangekommen und hatten die Worte des Mörders gehört.
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»Gehen Sie nicht näher!« warnte Rick, als sich Hempshaw an ihm vorbeidrängen wollte. »Ich glaube ihm erst, wenn er hinter Schloß und Riegel sitzt.« »Ich gehe freiwillig mit«, versicherte Terell noch einmal und setzte sich langsam in Bewegung. »Achtung!« sagte Hempshaw in sein Funkgerät. »Wir haben Terell. Er geht in Richtung Sammelplatz, auf dem der Gefangenenwagen steht. Treibt die Zivilisten zurück und bildet Spalier! Er darf nicht mehr entkommen.« Terell blieb stehen und wandte den Kopf dem Chefinspektor zu. »Ich will nicht entkommen«, schnarrte er, dann ging er weiter. Rick folgte ihm kopfschüttelnd auf seinem Weg zu dem Wagen, in dem er abtransportiert werden sollte. Sie sahen ihn schon von weitem, die Türen standen offen und gaben den Blick in sein Inneres frei. Mit ruhigen, gleichmäßigen Schritten ging John Terell auf den Gefangenenwagen zu. Er blickte nicht nach links oder rechts, wo sich zahlreiche Polizisten aufgestellt hatten, um jederzeit eingreifen zu können, sondern kletterte in den Wagen. »Na endlich, das wäre geschafft«, seufzte Chefinspektor Hempshaw und wischte sich den Schweiß von der Stirn, der ihm vor Aufregung ausgebrochen war. »Ich weiß nicht recht«, blieb Rick Masters skeptisch. »Das geht mir alles viel zu glatt.« »Was heißt zu glatt? Er hat eingesehen, daß er gegen die Übermacht nichts ausrichten kann, und sich ergeben. Was ist daran so verwunderlich?« »Merken Sie das nicht, Kenneth? In diesem Gebiet hier hätte er sich in unzähligen Maschinenhallen, Büros, Dachböden, Lagern, Kellern und was weiß ich noch verstecken können. Es hätte Stunden, vielleicht sogar Tage gedauert, bis Sie ihn gefunden hätten. Und es wäre trotz Großeinsatzes noch sehr fraglich gewesen, ob er Ihnen letztlich nicht
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doch noch durch die Lappen gegangen wäre. Warum also hätte er sich ergeben sollen?« »Sie müssen immer ein Haar in der Suppe finden«, murrte der Chefinspektor. »Ich begleite Terell zum Yard.« »Fahren Sie nicht allein im Wagen mit ihm!« warnte Rick. »Natürlich nicht, ich bin nicht lebensmüde.« Hempshaw griff zu seinem tragbaren Funkgerät und gab das Ende der Polizeiaktion durch. Dann stieg er zu Terell, winkte drei kräftige Polizisten zu sich und schloß die Türen. Nachdenklich und innerlich alarmiert ging Rick Masters zu seinem offenen Sportwagen zurück. Er setzte sich hinter das Steuer des Morgan, montierte das Blaulicht ab, stellte auf normale Hupe um und hängte sich hinter den Gefangenenwagen. Gleichzeitig schaltete er den Polizeifunk ein, um ständig Verbindung mit dem voranfahrenden Fahrzeug aufrechtzuerhalten. Er traute dem Frieden nicht. Er rechnete mit einer Falle, damit, daß John Terell vielleicht den Chefinspektor töten wollte und sich nur deshalb hatte festnehmen lassen. Oder daß er sich von Hempshaw aus dem Sperrgebiet bringen lassen und später entfliehen wollte, wo er unerkannt im Gewühl der Großstadt untertauchen konnte. Um so mehr erstaunte es Rick Masters, als der Gefangenenwagen auf den Hof von Scotland Yard rollte, ohne daß etwas geschehen war. Die Türen klappten auf. Chefinspektor Hempshaw erfreute sich noch immer bester Gesundheit. Persönlich brachte er John Terell hinauf in sein Büro. Rick Masters folgte ihm wie ein aufmerksamer Jagdhund auf einer frischen Fährte. »Das können Sie nicht machen!« rief Dr. Sterling wütend aus und hieb mit der Faust auf den Schreibtisch des Chefinspektors. »Sie dürfen es dieser armen gequälten Person nicht zumuten, John Terell noch einmal zu sehen.« Hempshaw hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Tut mir leid, aber was soll ich machen? Die Vorschriften 123
erfordern es, daß die Zeugin Janet Haggard diesen Mann, der einmal mit ihr verlobt war, identifiziert. Das wissen Sie sehr gut, Dr. Sterling, also regen Sie sich doch nicht so auf.« »Und ob ich mich aufrege«, wetterte der alte Polizeiarzt. »Sie wissen genausogut wie ich, daß Janet Haggard mit den Nerven am Ende ist. Wenn wir sie noch einmal mit Terell konfrontieren, bricht sie wahrscheinlich zusammen. Wollen Sie das?« »Natürlich nicht.« Chefinspektor Hempshaw rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl hin und her. »Ich werde jemanden zu ihr schicken, da sie kein Telefon hat, und sie fragen lassen, ob sie die Gegenüberstellung gleich hinter sich bringen oder damit noch warten will. Sie selbst soll entscheiden.« Rick Masters, der in einer Ecke des Büros saß und seit einer Stunde den vergeblichen Versuchen Hempshaws zuhörte, John Terell zu einer Aussage zu veranlassen, spielte weiterhin den stummen Beobachter. Hempshaw war mit seinen Nerven und mit seiner Weisheit am Ende. Er wußte nicht, was er mit Terell machen sollte. Dr. Sterling, der sich als medizinischer Beobachter im Büro eingefunden hatte, sah in diesem entstellten und verstümmelten Wesen ein unlösbares Rätsel vor sich. Der einzige, den die Aufregung nicht erfaßte, war John Terell. Seinem maskenhaften Gesicht merkte man keine Gemütsregung an, weil die menschlichen Züge zerstört waren. Da er kein Wort sprach, konnte man nur aus der Haltung seines Körpers auf seine inneren Stimmungen schließen. Demnach mußte er sehr sicher und sehr gelöst sein, da er entspannt vor dem Schreibtisch des Chefinspektors saß. Während der Bote unterwegs war, der Janet Haggard zu der Gegenüberstellung holen sollte, beschränkte sich Hempshaw darauf, ein Protokoll über die bisherigen Ergebnisse zu diktieren, telefonisch Auskünfte an seine vorge-
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setzten Dienststellen und an die Presse zu geben und sich immer wieder verzweifelt die Haare zu raufen. »Haben Sie eigentlich schon den Chefarzt Dr. Deventry verständigt?« erkundigte sich Rick Masters. »Schließlich hat er die Operation an Terell ausgeführt und ihm überhaupt erst das Weiterleben ermöglicht.« Hempshaw nickte. »Deventry befindet sich derzeit auf einem Kongreß in Paris. Er wurde schon benachrichtigt, was sich hier alles ereignet hat.« Auch in diesem Moment zeigte John Terell keine Regung. Wie eine Statue saß er auf dem Besucherstuhl, den Rücken zur Tür gewandt. Er drehte sich auch nicht um, als sich die Tür öffnete und der Sergeant zurückkam, den der Chefinspektor zu Miß Haggard geschickt hatte. »Die Zeugin ist gleich mitgekommen«, meldete der Mann. Rick glaubte, ein kurzes Zucken in Terells Händen gesehen zu haben, aber er konnte sich auch täuschen. Auf dem Flur hörte man die tackenden Schritte einer Frau, die Schuhe mit hohen Absätzen trug. Da sah Rick deutlich, wie sich John Terell spannte. War das nur die Erregung darüber, daß seine ehemalige Verlobte herkam? Oder steckte mehr dahinter? Ehe sich Rick Masters weitere Gedanken machen konnte, betrat Janet Haggard das Büro. Sie war blaß, wirkte mitgenommen aber gefaßt. Sie vermied es, John Terell anzusehen, trat näher an den Schreibtisch heran. Der Sergeant schloß die Tür von innen, er blieb im Büro. »Miß Haggard«, begann Chefinspektor Hempshaw und erhob sich hinter seinem Schreibtisch. »Es tut mir wirklich leid, daß ich Sie noch einmal belästigen muß, aber ich will. . .« Hempshaw konnte nicht weitersprechen. Rick Masters erkannte im Ansatz, wie John Terell sich verkrampfte. Er stieß auch noch einen Warnschrei aus, doch es war schon zu spät. 125
Mit einer Schnelligkeit, der das Auge kaum folgen konnte, schoß John Terell aus seinem Stuhl hoch. Er warf sich auf Janet, die von dem Anprall gegen die Wand geschleudert wurde. Von beiden Seiten schossen die verkrümmten Hände Terells nach Janets Hals. Wie Schraubstöcke legten sie sich um ihre Kehle. Noch ehe jemand hinzuspringen konnte, holte John Terell mit der rechten Hand zu einem fürchterlichen Schlag aus. Seine Faust sauste mit tödlicher Wucht auf Janet Haggard nieder. Entsetzen lähmte die Männer in dem kleinen Büro von Scotland Yard. Vor ihren Augen war ein Mord geschehen, ohne daß sie ihn hätten verhindern können. Rick Masters, Chefinspektor Hempshaw, Dr. Sterling und der Sergeant, der Janet Haggard hergebracht hatte, saßen und standen noch Sekunden nach dem Mord, als hätte der Blitz in den Raum eingeschlagen. Alles war zu schnell vor sich gegangen, um verstandesmäßig erfaßt zu werden. Sie sahen, daß die junge Frau tot war, aber sie begriffen es nicht und konnten auch nicht reagieren. Das Ungeheuer, das einmal ein normaler Mensch gewesen war, hielt die Leiche Janets für einen Augenblick in den Armen. Ein abgehacktes, in den Ohren schmerzendes Lachen ließ den lippenlosen Mund beben. Dann schleuderte John Terell die Leiche zu Boden und drehte sich mit einem mordgierig funkelnden Blick zu den Männern im Raum um. »Habt ihr verdammten Narren jetzt endlich begriffen, warum ich mit euch gekommen bin?« keuchte er triumphierend. »Diese Frau hat mich verraten, und Ed Cato verrät man nicht ungestraft. Sie wollte mich ans Messer liefern, dafür wurde sie bestraft.« Er senkte seine Stimme zu einem verzerrten, krächzenden Flüstern. »Ich rate euch, laßt mich freiwillig gehen. Ihr könnt mich nicht aufhalten, also haltet euch fern von mir.
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Ich habe noch viel vor, und daran lasse ich mich von euch nicht hindern.« Beim Ertönen seiner Stimme löste sich die Erstarrung. Chefinspektor Hempshaws Hand zuckte nach dem Knopf, mit dem er einen Alarm auslösen konnte. Im nächsten Augenblick schnellte Terells Faust über den Schreibtisch, traf den Chefinspektor an der Stirn und warf ihn mitsamt seinem Drehstuhl gegen die Wand. Benommen sank Hempshaw in dem Stuhl zusammen. Dr. Sterling wurde von der in Raserei geratenen Bestie einfach umgerannt. Er stürzte und fiel rücklings neben dem Schreibtisch auf den Teppichboden, der den Aufprall etwas milderte. Der Sergeant war in Verteidigungsstellung gegangen. Er riß die Fäuste hoch und versetzte Terell einen Boxhieb, der einen gewöhnlichen Mann schwer angeschlagen hätte, bei diesem Ungeheuer jedoch ohne Wirkung verpuffte. Der Mund des Scheusals öffnete sich zu einem heiseren Wutschrei. Zweimal schlug Terell zu, dann brach der Sergeant blutend zusammen. Er lag stöhnend quer vor der Tür und versperrte den Ausgang. Terells wuchtiger Tritt beförderte ihn in eine Ecke des Zimmers. Nur Rick Masters hatte sich nicht an den Kämpfen beteiligt. Er saß still in seinem Sessel und schaute allem wie ein gänzlich unbeteiligter Beobachter zu. Sein Gesicht zeigte keine Regung, als ginge ihn das alles nichts an. Auch als der Mörder das Büro verließ und sich seine hastigen Schritte auf dem Korridor entfernten, machte Rick keine Anstalten, den Alarm auszulösen. Fluchend kam Dr. Sterling auf die Beine. Er hatte am wenigsten von den drei Männern abbekommen. Schwankend hielt er sich an der Schreibtischkante fest, blickte benommen um sich, rückte seine verrutschte Brille zurecht und preßte den Daumen auf den Alarmknopf.
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Sofort gellte schrilles Klingeln durch das ganze Haus. Sterling beugte sich über das Sprechgerät. »John Terell flieht!« rief er hinein. »Er ist aus Chefinspektor Hempshaws Büro ausgebrochen, nachdem er eine Zeugin ermordete. « Der Alarm löste einen fieberhaften Einsatz aus. Rick hörte alles, er nahm alles wahr, und doch konnte er sich nicht dazu aufraffen, sich zu beteiligen. Bleierne Müdigkeit und Teilnahmslosigkeit hatten von ihm Besitz ergriffen, daß er meinte, Arme und Beine wären zentnerschwer geworden und würden gar nicht mehr zu seinem Körper gehören. Er wollte etwas sagen, doch auch das schaffte er nicht. »Rick!« drang die Stimme Dr. Sterlings in sein Bewußtsein. »Rick, wachen Sie auf! Terell ist weg! Rick, reißen Sie sich zusammen!« Als der Privatdetektiv nicht reagierte, faßte Dr. Sterling ihn an der Schulter und rüttelte ihn kräftig. Auch das half nichts, Rick Masters verharrte in seiner teilnahmslosen Stellung. Dr. Sterling trat einen kleinen Schritt zurück, holte weit aus und versetzte dem Detektiv eine schallende Ohrfeige. Sofort kam Leben in den jungen Mann. »So fest hätten Sie nicht schlagen müssen, Doktor«, rief er und rieb sich die brennende Wange. »Tut mir leid, Rick, es war nötig«, erwiderte der alte Arzt. »Was war denn mit Ihnen? Sie haben wie ein Schlafwandler ausgesehen.« »So ungefähr habe ich mich auch gefühlt«, antwortete Rick verwirrt. »Ich glaube, das war irgendein übersinnlicher Einfluß, den Ed Catos Geist auf mich ausgeübt hat.« »Oder Sie waren zu feige, um gegen den Mann etwas zu unternehmen«, kam eine scharfe Stimme aus der Ecke des Büros. Rick wirbelte herum. Er stand dem Sergeant gegenüber, der von dem flüchtenden Mörder so brutal niedergeschlagen
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worden war. Blut lief aus seiner Nase, seine Lippen waren aufgeplatzt. »Sagen Sie das noch einmal!« fauchte Rick wütend. »Und ob ich das noch einmal sagen werde!« schrie der Sergeant zurück. »An geeigneter Stelle werde ich es sagen. Sie nehmen Vorrechte für sich in Anspruch, die einem Zivilisten nicht zustehen, aber wenn es hart auf hart geht, spielen Sie den Hypnotisierten und halten sich aus allem raus.« »Sergeant!« Chefinspektor Hempshaw hatte sich ebenfalls wieder von den Nachwirkungen des Schlages erholt, den er hatte einstecken müssen. »Sie haben sich gut gehalten, aber das gibt Ihnen noch nicht das Recht zu solch haltlosen Anschuldigungen.« Der Sergeant schwieg zwar, und Rick verzichtete auf eine Erwiderung, um keinen Streit vom Zaun zu brechen, aber er wußte, daß der Sergeant bei passender Gelegenheit versuchen würde, ihm zu schaden, weil er den Privatdetektiv für einen Feigling hielt. Er konnte schließlich nicht verstehen, daß übernatürliche Kräfte in dem von dem Unfall entstellten Mörder steckten. Nicht zuletzt der Umstand, daß der Alarm so spät ausgelöst worden war, trug dazu bei, daß John Terell aus dem Yard fliehen konnte. Einige Leute hatten ihn gesehen, doch dann war er in den weitläufigen Anlagen untergetaucht. Wurde er in einem Stockwerk gesichtet und hatte man die betreffende Etage gesperrt, tauchte er bereits in einer anderen auf. Immer näher kam er einem der Ausgänge, aber durch einen anderen verließ er den Yard. Wie ein Phantom kam und ging er, als gäbe es tatsächlich nichts, das ihn hätte aufhalten können. Nach zwei Stunden stellten Hempshaw und seine Kollegen die Suche ein. John Terell war entkommen. Janet Haggards Leiche wurde aus Hempshaws Büro geschafft. Die Presse tobte. 129
Während sich Rundfunk und Fernsehen auf nüchterne Meldungen beschränkten und Interviews mit den beteiligten Personen brachten, sofern diese dazu bereit waren, ergingen sich die Zeitungen in schweren Anschuldigungen gegen den Yard. Ein Mord im Gebäude der Londoner Kriminalpolizei war schließlich nichts Alltägliches. Es fehlte nicht an bissigen Kommentaren, und einige Journalisten gingen so weit, die Polizei für restlos unfähig hinzustellen und ihre Abschaffung zu fordern, weil sie ohnehin nichts erreichte. Zwar nahm das niemand ernst, denn es war reine Polemik, aber der betreffende Artikel enthielt einen Funken Wahrheit. Es stimmte nämlich, daß die Polizei absolut nichts erreichte. Rick Masters las die Presseberichte am nächsten Morgen noch im Bett. Wütend schleuderte er die Zeitungen in eineZimmerecke und griff nach dem Telefon. Er wollte Hempshaw anrufen, doch dann schob er den Apparat wieder von sich. Erst mußte er sich ein wenig beruhigen und überlegen, was er eigentlich sagen wollte. Es war eine Tatsache, daß John Terell verschwunden blieb. Er hatte sie alle genarrt und sich nur festnehmen lassen, weil er sich an Janet Haggard rächen wollte. Er hatte sich ausgerechnet, daß seine ehemalige Verlobte nach dem mißglückten Anschlag hermetisch von der Polizei abgeschirmt würde. Also gab es nur eine Möglichkeit, um an sie heranzukommen. Die Polizei selbst mußte ihn mit ihr zusammenbringen. Genau das hatte sie in ihrer Ahnungslosigkeit getan. Ricks Alpträume waren in Erfüllung gegangen. Rick hatte sich nach dem Mord im Yard enttäuscht und verbittert zurückgezogen. Er hatte alles mögliche in diesem Fall versucht, doch nichts erreichen können. Juliette mußte zu einer Konferenz in die Staaten fliegen, so daß sie ihm nicht mit aufmunternden Worten helfen konnte. Zwar soll130
te sie bereits an diesem Abend wieder zurück sein, aber bis dahin war Rick allein. Was konnte er also noch unternehmen? Die Fahndung war Sache der Polizei. Sie verfügte über die nötigen Einrichtungen, die einer Einzelperson nicht zugänglich waren. Seufzend drehte Rick die Wählscheibe und ließ sich mit dem Chefinspektor verbinden. Vielleicht gab es etwas Neues, das ihn ein wenig aufrichtete. »Fehlanzeige«, knurrte der Chefinspektor, als sich Rick Masters nach dem Stand der Suche erkundigte. »John Terell ist wie vom Erdboden verschluckt, obwohl es das nicht geben kann. Der Mann ißt und trinkt scheinbar gar nicht.« »Er hat keine körperlichen Wünsche, Kenneth«, gab Rick zu bedenken. »Er ist kein normaler Mensch, also dürfen Sie auch keine normalen Maßstäbe anlegen.« »Schon gut«, seufzte Hempshaw. »Haben Sie die Zeitungen gelesen? Die Reporter würden mich am liebsten aufhängen.« »So schlimm ist es auch wieder nicht«, tröstete ihn Rick. »Köpfen würde ihnen genügen.« » Sie sind ein wahrer Freund«, brummte der Chefinspektor. »Wenn man eine Aufmunterung braucht, sind Sie garantiert mit einem Tiefschlag zur Stelle.« »Ich brauche ebenfalls besagte Aufmunterung«, hielt ihm der Privatdetektiv entgegen. »Und mir hilft auch keiner. Wie steht es mit den Personen, die an dem Prozeß gegen Ed Cato beteiligt waren? Stehen sie alle unter Polizeischutz, wie Sie angekündigt haben, Kenneth?« »Alle, mit einer einzigen Ausnahme«, berichtete Hempshaw. »Wir können einen Reporter nicht auftreiben, der damals besonders viel und ziemlich gehässig über den Prozeß berichtet hat. Das heißt, nicht direkt gehässig. Er hat nur von Anfang an Stimmung gegen Ed Cato gemacht und auch einiges an Beweismaterial gegen den Killer zusammengetragen, das zu seiner Verurteilung beitrug. Ich kann 131
mir vorstellen, daß Ed Cato großen Wert darauf legt, diesen Mann unter der Erde zu sehen.« »Wieso nicht aufgetrieben?« wollte Rick Masters wissen. »Haben Sie seine Adresse nicht gefunden?« »Doch, wir haben uns auch bei seiner Zeitung und bei den Nachbarn erkundigt. Keiner weiß, wo der Mann steckt.« »Dann wäre es doch möglich«, rief Rick entsetzt, »daß Terell beziehungsweise Cato ihn schon umgebracht hat, die Leiche aber noch nicht gefunden wurde.« »Möglich ist alles in diesem verrückten Fall, in dem sich kein Mensch mehr helfen kann«, seufzte Hempshaw. »Es ist gut, daß Sie anrufen, Rick. Ich wollte Sie sowieso bitten, sich um diesen Reporter zu kümmern.« »Gut, mache ich.« Rick war froh, daß er aus seinem stumpfen Brüten gerissen wurde. »Geben Sie mir die Daten des Mannes durch, ich setze mich dann gleich in Trab.« Er notierte alles, legte auf und stieg schwungvoll aus dem Bett. Der Tag begann besser, als er gehofft hatte. Er konnte wieder einer Aufgabe nachgehen. Bis zum Abend würde er den Reporter gefunden haben, dachte Rick Masters, dann kommt auch Juliette zurück, und ich kann mir mit ihr angenehme Stunden bereiten. Voller Optimismus machte sich Rick Masters auf die Suche nach dem unauffindbaren Reporter, der als Mordopfer für John Terell in Frage kam. Hätte er schon gewußt, was ihm bevorstand, wäre er nicht so unvorsichtig in die tückische Falle gelaufen, die auf ihn wartete. Rick begann seine Ermittlungen bei der Zeitung, einem kleinen Wochenblatt, für das Clark Blackstone als Reporter arbeitete. »Wir sind daran gewöhnt«, sagte der Chefredakteur zu Rick Masters, »daß Blackstone gelegentlich für einige Tage verschwindet.« »Das kommt öfter vor?« fragte der Detektiv erstaunt.
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»Allerdings, immer in Abständen von ungefähr drei Monaten.« Der Chefredakteur, ein alter, gebeugter Mann, lächelte entschuldigend. »Er bekommt dann eine Art Koller. Er hält es nicht mehr in geregelten Verhältnissen aus. Er bricht aus. Verstehen Sie, was ich meine?« »Das schon, aber wie bricht er aus? Ich will sagen, was macht er dann?« »Wer weiß das schon so genau.« Der alte Chefredakteur zuckte mit den schmalen Schultern. »Einen Teil seiner Freizeit verbringt er in Kneipen, das ist mir bekannt. Dann zieht er mit Genossen saufend durch London und ist tagelang blau.« »Mit wem trinkt er? Welche Lokale besucht er?« Rick wurde langsam ungeduldig. Zwar war zu hoffen, daß auch Ed Cato den Reporter nicht finden würde, wenn ihn nicht einmal die Polizei entdeckte, doch darauf wollte Rick keinen Eid ablegen. Es wäre ihm viel lieber gewesen, den Reporter in Sicherheit zu wissen. »Tut mir leid, ich habe keine Ahnung, mit wem und wo er zecht, Mr. Masters«, antwortete der Chefredakteur. Rick wollte sich schon enttäuscht zurückziehen, als über das faltige Gesicht des Alten ein freudiges Zucken ging. »Moment! Mit einem ehemaligen Kollegen habe ich Blackstone einmal in einer Bar gesehen, das war im ›Colibri‹ in der Nähe von Piccadilly Circus.« »Ich kenne die Bar«, sagte Rick. »Untere Preisklasse.« »Man wird auch von billigem Whisky betrunken«, gab sich der Chefredakteur weise. »Und nur darauf kommt es Blackstone bei seinen Touren an. Hier haben Sie einen Zettel mit der Adresse dieses Kollegen. Vielleicht hilft es Ihnen weiter.« »Vielen Dank«, sagte der Privatdetektiv, steckte den Zettel ein und verließ die Redaktion. Zunächst fuhr er zu der angegebenen Adresse des Kollegen Blackstones und fand eine wütende Ehefrau vor, die in allen 133
Tonarten über ihren Mann schimpfte, der sich schon so lange herumtrieb, ohne ihr Nachricht zu geben. »Kennen Sie Mr. Blackstone?« erkundigte sich Rick. »Und ob ich den kenne«, keifte die Frau los. »Er verführt meinen Mann ja immer zum Saufen. Aber ich weiß nicht, wo die beiden stecken könnten. Glauben Sie mir, Mister, wenn ich es wüßte, wäre ich schon längst hingegangen und hätte meinem Harry gezeigt, was ich von ihm halte.« Rick Masters verzog sich eiligst, damit sich der Zorn der Frau nicht etwa auf ihm entladen würde. Er mußte sich an die Spur halten, die er in der Redaktion aufgenommen hatte. Sie führte ins »Colibri«, dem Rick einen Besuch abstattete. Erst als er das Lokal betrat, fiel ihm ein schweres Versäumnis ein. Er wußte gar nicht, wie Clark Blackstone aussah. Rick blickte in den Garderobenspiegel und schüttelte über sich selbst den Kopf. Er schnitt seinem Spiegelbild eine Grimasse, dann betrat er die Telefonkabine neben dem Zugang zu den Toiletten und rief den Chefinspektor im Yard an. »Darauf warte ich schon die ganze Zeit.« Hempshaw lachte. »Sie haben mich nie gefragt, wie Blackstone aussieht. Also, er ist groß, dick, schwammig und hat eine Glatze. Das ist zumindest die Beschreibung, die man mir gegeben hat. Nicht sehr schmeichelhaft, aber Sie werden ihn leicht finden.« »Wenn ich ihn überhaupt finde«, seufzte Rick. Er bedankte sich bei Hempshaw und betrat die Bar. Einmal war er schon hier gewesen, und damals hatte er sich geschworen nie mehr herzukommen. Nun mußte er aus beruflichen Gründen diesen Schwur brechen. Beim Anblick des zweitklassigen Publikums und der letztklassigen Ausstattung des Lokals bereute er es sofort, daß er den Schwur nicht eingehalten hatte. Er ließ seine Blicke über die Gäste schweifen, fand niemanden, auf 134
den die Beschreibung paßte, und wollte sich schon wieder zurückziehen, als sein Blick in eine der Nischen fiel. Dort war auf jeden Fall etwas los. Zwei Männer und zwei Bardamen führten eine Art von Ringkampf auf, bis Rick erkannte, daß es sich offenbar um den Austausch von Zärtlichkeiten handeln sollte, um es im Stil des Polizeiprotokolls zu sagen. Der Privatdetektiv ging näher heran, aber nicht, weil er sich für die Spiele der vier Personen interessierte, sondern weil ihn die Glatze des einen Mannes magisch anzog. Er war dick, schwammig, und auch im Sitzen konnte man sehen, daß er sehr groß war. »Mr. Blackstone?« fragte Rick und stieß den Mann gegen die Schulter, als er nicht sofort reagierte. »Sind Sie Mr. Blackstone?« »Nenn mich Clark, Kumpel!« lallte der Mann, der schwer betrunken war. »Das sagen alle zu mir.« »Okay, Clark, ich möchte wissen, ob Sie Blackstone heißen.« »Jawohl!« grölte der Mann mit donnernder Stimme. »Ich bin Clark Blackstone, und ich bin ein berühmter Reporter bei einer berühmten Zeitung – Käseblatt!« fügte er hinzu und rülpste lautstark. Rick nickte zufrieden. Es hätte ihm nicht genügt, daß der Mann Clark mit Vornamen hieß und bestätigte, daß Blackstone sein Familienname war. Er befand sich in einem Zustand, in dem er alles bestätigt hätte. Aber das mit der Zeitung konnte kein Zufall sein. Ricks Schuß ins Blaue hatte ins Schwarze getroffen. »Kommen Sie mit, Mr. Blackstone, es ist wichtig!« sagte er eindringlich. Es kostete den Privatdetektiv viel Überredungskunst und vor allem das Versprechen, mit seinem »neuen Freund« eine Flasche Whisky zu leeren, ehe er Blackstone aus der Bar hinausmanövriert hatte.
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Rick stützte den Reporter auf dem Weg zu seinem Wagen und ließ ihn schwer auf den Beifahrersitz fallen. Er wollte gerade einsteigen, als er von hinten einen wuchtigen Schlag ins Genick erhielt. Lautlos brach er neben dem Morgan zusammen. Der Reifen eines Autos war der erste Eindruck, der sich in der tiefen Schwärze von Ricks Bewußtlosigkeit abzeichnete. Es war ein Gummireifen – staubig, aber noch ziemlich neu. Rick wollte den Kopf drehen, doch es ging nicht. Sein Genick schmerzte, als wäre es in unzählige Trümmer zersplittert. Er wollte nach der Stelle greifen, von der die Schmerzen ihren Ausgang nahmen, doch er konnte die Hände nicht bewegen. Der Detektiv wunderte sich bereits, warum er nichts hörte, als sich das Brummen eines Automotors näherte, an ihm vorbeiglitt und sich wieder entfernte. Also funktionierten seine Ohren doch noch, er befand sich nur in einer stillen Straße. Wo? In welcher Straße? Und was war geschehen? Wieso fühlte er diese Schmerzen? Warum lag er auf dem Pflaster des Bürgersteigs neben seinem Wagen? Ganz langsam holte Rick Masters die Erinnerung Stück für Stück zurück in sein Gedächtnis. Die Colibri-Bar, der betrunkene Reporter Clark Blackstone, dann . . . Ja, was kam dann? Rick hörte ein Stöhnen, sein eigenes Stöhnen. Dann war er mit Blackstone auf die Straße gegangen und hatte ihn zu seinem Sportwagen geführt. Er konnte sich noch erinnern, wie der Reporter gewankt hatte und wie er ihn hatte stützen müssen. Blackstone war auf dem Beifahrersitz zusammengesunken, und Rick wollte auf seiner Seite einsteigen, als ihn dieser Schlag ins Genick traf. Daher kamen die Schmerzen. Rick ging ganz langsam vor, um mit seinem noch schwach arbeitenden Gehirn nicht sofort wieder den Faden zu verlieren. Er wußte nicht, wer ihn niedergeschlagen hatte, des136
halb dachte er auch gar nicht darüber nach. Viel wichtiger war, weshalb er sich nicht bewegen konnte. Stammte diese Lähmung von dem Schlag? Hatte der Unbekannte wichtige Nerven getroffen? Rick versuchte noch einmal, den Kopf zu drehen, und diesmal gelang es ihm, wenn auch unter Schmerzen. Also war er nicht gelähmt, sondern etwas anderes hinderte ihn in seinen Bewegungen. Da er auf dem Rücken lag, mußte sich dieses Etwas über ihm befinden. Mühselig und mit zusammengebissenen Zähnen hob Rick Masters den Kopf an. Im nächsten Augenblick vergaß er seine Schwäche, die Schmerzen in seinem Genick und die quälenden Fragen, auf die er keine Antwort wußte. Er fühlte nur noch, wie das eisige Entsetzen von seinen Füßen aufwärts durch seinen Körper kroch und ihn erstarren ließ. Ekel und Entsetzen schüttelten ihn. Auf ihm lag ein Mann. Rick Masters kannte ihn. Es war der dicke, schwammige, glatzköpfige und zuletzt total betrunkene Clark Blackstone, jener Reporter, der während des Cato-Prozesses Beweismaterial geliefert und Stimmung gegen den Angeklagten gemacht hatte. Jener Reporter, den Rick in der Colibri-Bar aufgelesen hatte. Jener Reporter, den Rick vor Ed Cato schützen wollte. Rick erkannte ihn am Stoff seines Anzugs, nicht an seinem Gesicht, das auf Ricks Brust lag. Daran konnte der Detektiv Clark Blackstone nicht mehr identifizieren, weil es nicht mehr existierte. Blackstones Mörder hatte es mit einem scharfen Gegenstand, wahrscheinlich einem Messer, völlig zerstört. Langsam begann Rick auch zu fühlen, daß seine Kleider durchnäßt waren – von Clark Blackstones Blut. Sein Körpergewicht drückte Rick zu Boden, es verursachte diese Starre, die der Detektiv anfänglich für eine Lähmung gehalten hatte. Nach und nach drang die schreckliche Wahrheit ganz in Ricks Gehirn. Der Mann, den er hatte warnen und beschüt137
zen wollen, war ermordet worden. An der Person des Täters gab es wohl kaum einen Zweifel. Ed Cato in Gestalt des verunglückten Rennfahrers John Terell hatte Rache genommen. Noch ehe Rick Masters das ganze Ausmaß dieses abscheulichen Verbrechens ermessen konnte, näherten sich Schritte. Während sie immer lauter erklangen, versuchte der Detektiv verzweifelt, sich unter der Leiche hervorzustemmen. Warum Clark Blackstone auf ihn gefallen war, wußte er nicht. Vielleicht hatte er sich gewehrt und war dabei aus dem Auto gestürzt oder – oder der Mörder hatte versucht, Rick auf diese Weise verdächtig zu machen, den Reporter getötet zu haben. Daß die zweite Version etwas an sich hatte, stellte sich gleich darauf heraus. Eine Frau schrie gellend auf, der Mann in ihrer Begleitung holte tief Luft, dann brüllte er die ganze Straße zusammen. »Mord! Mord!« schrie er. »Da liegt der Mörder! Ich habe ihn!« Tatsächlich war es für ihn einfach, den noch immer halb benommenen und durch die Leiche des Reporters behinderten Rick Masters festzuhalten. Immer wieder rief er, daß er den Mörder gefaßt habe. Eine andere Erklärung für Ricks Anwesenheit am Tatort schien ihm nicht einzufallen. Zu Ricks Enttäuschung aber auch nicht dem Polizisten, der nach weniger als einer Minute auf dem Schauplatz des Geschehens erschien. »Zurücktreten!« herrschte er die Neugierigen an, die sich innerhalb dieser kurzen Zeit versammelt hatten. »Sie sind festgenommen!« erklärte er dem Privatdetektiv großspurig. »Ich bin verletzt, ich habe einen Schlag. . .«, begann Rick, doch niemand hörte ihm zu. Seufzend lehnte er sich gegen seinen Wagen. Wenigstens hatten sie ihn unter der Leiche hervorgeholt.
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Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er, daß Ed Cato den Reporter ermordet und die Leiche über ihn gelegt hatte, während er bewußtlos war, um ihn verdächtig zu machen und dadurch von einer weiteren Verfolgung auszuschalten. Er stellte eine gewisse Gefahr für den Mörder dar und war ihm schon näher als die Polizei gewesen. Mit zitternden Händen, an denen Blut klebte, steckte sich Rick eine Zigarette an, während sie auf die Mordkommission warteten. Diesmal machte sich der junge Privatdetektiv keine allzu großen Hoffnungen darauf, daß Hempshaw ihn herauspauken konnte. Es gab zu viele Indizien, die gegen ihn sprachen. Zumindest drohte ihm eine längere Untersuchungshaft, und genau das konnte er sich nicht leisten, wollte er Ed Cato zur Strecke bringen, ehe noch größeres Unheil geschah. Nur kurz dachte Rick Masters an Flucht, dann sah er die Aussichtslosigkeit ein. Nein, er konnte nichts anderes machen als darauf zu hoffen, daß man ihm seine Rolle in diesem Mordfall glauben würde. Die blauen Blinklichter kündeten das Eintreffen der Mordkommission an. Die schwarzen Limousinen von Scotland Yard hielten in der zweiten Spur. Die Türen öffneten sich, die Angehörigen von Hempshaws Truppe stiegen aus. Rick Masters kannte alle diese Männer sehr gut, er hatte schon oft mit ihnen zu tun gehabt, aber dann immer nur als Partner, nicht als an einem Mordfall Beteiligter. Auf beiden Seiten herrschte Verlegenheit vor. Rick war unsicher, wie sie sich ihm gegenüber verhalten würden, und die Kriminalisten wollten einerseits niemanden bevorzugen, andererseits traute keiner von ihnen dem jungen Privatdetektiv diesen scheußlichen Mord zu. Aus dem Dilemma half ihnen der Sergeant, der Janet Haggard in den Yard gebracht und gegen John Terell gekämpft
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hatte. Er tat es allerdings anders, als sie es alle erwartet hatten. »Dachte ich mir doch, daß mit diesem Mann etwas nicht stimmt«, sagte er so laut, daß es die Umstehenden hören konnten, auch die zwei oder drei Reporter, die den Polizeifunk überwacht hatten und zum Tatort gerast waren. »Bei der Ermordung von Miß Haggard unternahm Mr. Masters nichts gegen den Mörder, und nun findet man ihn in dieser Situation. Das muß gründlichst untersucht werden.« Chefinspektor Hempshaw machte ein Gesicht, als wollte er den Sergeant auf der Stelle zu Hackfleisch verwandeln, doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als eine genaue Untersuchung anzukündigen. Er mußte Rick Masters in Haft nehmen. Es gab keine Zeugen. Niemand konnte daher Ricks Version unterstützen, er wäre niedergeschlagen worden und wisse nicht, was sich danach abgespielt habe. Zwar stellte Dr. Sterling, der die Mordkommission begleitete, eine Schwellung in Ricks Genick fest, doch das allein war noch kein Beweis für seine Unschuld. Diese Verletzung konnte er sich bei dem Kampf mit Clark Blackstone zugezogen haben. »Wir fahren in den Yard«, entschied Chefinspektor Hempshaw nach einer Stunde. »Dort sehen wir weiter.« Er hoffte wohl auch, etwas für Rick Masters tun zu können, sobald sie aus dem allgemeinen Wirbel um den Mordfall heraus waren. Vorläufig erfüllte sich seine Hoffnung nicht. Obwohl er sofort alle Hebel in Bewegung setzte, sobald er sein Büro betreten hatte, lehnten es seine Vorgesetzten ab, den Privatdetektiv freizulassen. »Solange es keinen Gegenbeweis gibt, bleibt Mr. Masters in Haft«, lautete die Entscheidung. »Machen Sie sich nicht zu viel daraus«, versuchte Hempshaw, Rick zu trösten und zu beruhigen. »Dr. Sterling ist schon mit Hochdruck an der Arbeit. Es sollte mich doch 140
sehr wundern, wenn wir Sie nicht irgendwie aus der Sache rauspauken könnten.« »Dadurch komme ich auch nicht weiter bei der Jagd auf den Mörder«, seufzte Rick. »Und meine Verabredung mit Juliette versäume ich auch. Sie ist bereits aus den Staaten zurückgekommen.« »Ich habe veranlaßt, daß sie verständigt wird, Rick. Allerdings erhält sie keine Besuchserlaubnis.« Der Chefinspektor ersparte Rick Masters wenigstens die Zelle. Sie saßen in Hempshaws Büro und diskutierten den Fall von allen Seiten durch. Dabei rauchten sie und tranken Whisky. Unter anderen Umständen hätte Rick dieses Gespräch geschätzt, so aber schwebte über ihm ständig die Drohung einer Mordanklage. Auf einen Anwalt hatte er verzichtet, weil er noch immer hoffte, daß sich ein Beweis für seine Unschuld finden würde. Stundenlang tat sich nichts, mit Ausnahme eines Anrufs aus der Presseabteilung des Yard. »Die Reporter stürmen mir das Büro«, stöhnte der Pressesprecher. »Mr. Masters ist so bekannt, daß jeder wissen möchte, warum er verhaftet wurde, welche Beweise man gegen ihn hat und was nun aus ihm wird. Was soll ich den Leuten sagen, Sir?« »Sagen Sie ihnen, sie sollen . . . Ach was, sagen Sie gar nichts«, verbesserte sich Hempshaw, der um ein Haar etwas ziemlich Unfeines hatte brüllen wollen. »Absolute Nachrichtensperre!« Er knallte wütend den Hörer auf den Apparat. Seine Hand zuckte noch einmal zum Telefon. Er wollte Dr. Sterling anrufen, obwohl er wußte, daß der alte Polizeiarzt noch immer mit der Untersuchung der Leiche beschäftigt war und nicht gestört werden durfte. Achselzuckend zog Hempshaw die Hand zurück. Dr. Sterling konnte sehr unangenehm werden, wenn man ihn bei der Arbeit unterbrach.
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Gegen zehn Uhr abends kam der Polizeiarzt in Chiefinspektor Hempshaws Büro. Er sah die Sandwiches, die auf einem Teller auf Hempshaws Schreibtisch aufgetürmt waren. »Gemütlich ist es hier, das muß man zugeben«, bemerkte er zufrieden, ging auf den Schreibtisch zu und holte sich ein Sandwich. Herzhaft biß er hinein. »Köstlich, einfach köstlich!« rief er mit vollem Mund. Er genoß es, daß er die beiden zappeln ließ. Er wußte schließlich genau, wie gespannt sie auf seinen vorläufigen Zwischenbericht von der Obduktion der Leiche des Reporters warteten. »Na, was ist?« fragte der Chefinspektor. »Sie müssen mir verraten, wie diese Sandwiches gemacht werden«, schwärmte Dr. Sterling. »Die sind doch bestimmt nicht aus der Kantine, oder?« »Wenn Sie nicht augenblicklich sprechen, Dr. Sterling«, zischte der Chefinspektor und stemmte sich mit den Fäusten auf die Schreibtischplatte, »können Sie gleich anschließend Ihre eigene Leiche sezieren!« Er sah aus, als wollte er sich über den Schreibtisch hinweg auf den Arzt stürzen. »Dann wird mir die Bestimmung der Todeszeit anhand des Mageninhalts – ein Sandwich – sehr leichtfallen«, entgegnete Dr. Sterling spöttisch. »Zweiundzwanzig Uhr, auf die Minute exakt.« Hempshaw ergriff ein Sandwich und holte damit aus, als wollte er es dem Arzt ins Gesicht schleudern. Es blieb natürlich bei der scherzhaften Andeutung. »Dazu sind die Dinger zu schade«, sagte Rick grinsend. »Also gut, ich spreche«, gab Dr. Sterling den »Drohungen« nach. Er hätte gar nichts zu sagen brauchen, da nach seinem Verhalten sowieso bereits feststand, daß er etwas Erfreuliches zu berichten hatte. Ansonsten wäre er nicht so gut gelaunt gewesen. »Ich konnte in den Wunden des Toten Spuren von verkohltem Fleisch und verbrannter Haut feststellen, eindeutig Partikel von John Terells Körper. Vergleichsproben habe ich von dem Krankenhaus er142
halten, in dem Terell nach seinem Unfall auf der Rennbahn operiert wurde.« »Na also«, seufzte Chefinspektor Hempshaw auf und ließ sich in seinen Drehsessel zurücksinken. Auch Rick Masters entspannte sich erleichtert. »Vielen Dank, Doktor«, sagte der Privatdetektiv. »Hat mich gefreut, daß ich Ihnen helfen konnte, Rick«, antwortete der Arzt ebenso einfach wie ehrlich. »Immer wieder gerne zu diesem Dienst bereit.« »Ich habe nicht die Absicht, so oft als Mörder verdächtigt zu werden, Doktor«, erwiderte Rick lächelnd. »Halt, Kenneth! Sie wollen telefonieren?« Der Chefinspektor zog seine Hand vom Telefon zurück. »Ja, ich will Ihre Freilassung erwirken.« »Dann sorgen Sie dafür, daß niemand davon erfährt«, verlangte Rick. »Nicht einmal Juliette soll es wissen. Ich möchte, daß sich John Terell oder Ed Cato, ganz wie Sie wollen, in Sicherheit wiegt.« »Das verstehe ich nicht ganz«, warf Dr. Sterling dazwischen. »Sehr einfach«, erklärte ihm Rick. Der Chefinspektor kannte seine Vermutungen schon. Rick hatte genug Zeit gehabt, um sie ihm auseinanderzusetzen. »Ed Cato hat den Mord bestimmt nur aus einem Grund auf diese Weise verübt: er wollte mich ausschalten, weil ich eine Gefahr für ihn bin.« »Warum hat er sie dann nicht einfach umgebracht?« wandte Dr. Sterling ein. »Sie waren bewußtlos, also nichts einfacher als ein zweiter Schlag.« »Sie sind eine Seele von einem Menschen.« Rick grinste. »Nein, er wollte mich nicht töten. Haben Sie noch nicht gemerkt, daß er immer nur Leute ermordet, gegen die sich sein Haß richtet oder die ihn an etwas direkt hindern? Ich habe ihn nicht gehindert, da ich mich ihm nicht in den Weg stellte, als er den Reporter tötete. Und aus früherer Zeit haßt er mich nicht. Er glaubt jetzt, daß ich verhaftet bin und 143
hinter Gittern sitze. Soll er es glauben, ich kann dadurch ungestört weiterarbeiten. Also, strengste Geheimhaltung.« Chefinspektor Hempshaw veranlaßte alles und brachte Rick anschließend durch einen Hinterausgang ins Freie. »An der Vorderseite lauern noch immer zwei Reporter«, sagte er erklärend. »Gehen Sie zwei Straßen weit, dort steht der Morgan. Ihren Wagen können wir schon freigeben, weil er bereits im Labor untersucht wurde.« »Danke für alles, Kenneth«, sagte Rick zum Abschied. »Keine Ursache. Viel Glück, Rick!« »Das haben Sie mir schon oft gewünscht, wenn wir zusammenarbeiteten«, sagte der Privatdetektiv. »Ich habe jedoch das Gefühl, daß ich es diesmal noch mehr als sonst brauchen kann.« Chefinspektor Hempshaw blickte hinter seinem Freund her, bis dieser die nächste Straßenecke erreicht hatte, dann verschloß er die Tür. Rick Masters war auf sich allein gestellt. Weder Chefinspektor Kenneth Hempshaw noch Rick Masters bemerkten die dunkle Gestalt, die sich gegenüber der Hinterfront von Scotland Yard in eine Mauernische drückte. Sie hatten ihr Hauptaugenmerk auf die Reporter gerichtet und dabei den größten Feind übersehen: John Terell, den der Geist Ed Catos zu immer gräßlicheren Morden trieb. Ein haßerfülltes Fauchen drang aus dem lippenlosen Mund des Brandopfers. Ed Cato sah seinen Feind, den er dadurch hatte mattsetzen wollen, daß er ihn als Mörder verdächtig machte. Und nun war Rick Masters wieder frei. Mit zwei Eigenschaften dieses Mannes hatten die Detektive nicht gerechnet. Da er aus dem Körper eines Menschen und dem Geist eines anderen bestand, verfügte er über Kräfte, die aus wissenschaftlicher Sicht nicht erklärt werden konnten. Sie waren übersinnlichen Ursprungs. Daher kam es, daß John Terell 144
gegen zehn Uhr abends unruhig geworden und zum Yard gegangen war. Einer inneren Stimme folgend, hatte er sich nicht vor dem Vordereingang postiert, sondern sich ein Versteck an der Hinterfront gesucht. So war er Zeuge von Ricks Freilassung geworden. Die zweite Eigenschaft, an die Masters und Hempshaw nicht dachten, war das engstirnige Denken in gewohnten Bahnen, wie es viele Berufskiller haben. Einmal schon hatte der Trick funktioniert, den Privatdetektiv als Mörder verdächtig zu machen und hinter Gitter zu bringen. Anstatt sich ein neues Mittel auszudenken, um seinen Gegner auszuschalten, beschloß Cato, es noch einmal auf die gleiche Weise zu versuchen. Daß es beim ersten Mal nicht geklappt hatte, lag nach Catos Meinung daran, daß es kein klares Motiv für Masters gab, den Reporter zu töten. Außerdem fehlte eine enge persönliche Beziehung zwischen den beiden. Beim zweiten Mal würde Ed Cato diesen Fehler nicht mehr machen, das nahm er sich fest vor. Er mußte sich eine Person als Mordopfer aussuchen, die Rick Masters nahestand und für deren Ermordung der Privatdetektiv auch ein Motiv haben konnte – Eifersucht zum Beispiel, einen großen Streit, sozusagen Motive zur Auswahl. Ed Cato kannte auch eine solche Person. Sie bot sich förmlich an als Mordopfer. Juliette Chabonniere, Ricks Freundin! Juliette Chabonniere hatte sich schon lange nicht so niedergeschlagen gefühlt wie an diesem Abend. Sie hatte sich über den Flug in die Staaten gefreut, weil er für sie eine Abwechslung darstellte und weil sie auf diese Weise Rick seine Verbissenheit für seinen Beruf wenigstens teilweise zurückzahlen konnte. Hatte er bisher für sie keine oder nur sehr wenig Zeit gehabt, weil er sich mit einem Fall beschäftigte, so hatte sie jetzt keine Zeit für ihn, weil sie beruflich verreisen mußte. 145
Andererseits hatte sie sich bereits auf die Rückkehr und das Zusammentreffen mit Rick gefreut. Das war ins Wasser gefallen, aber nicht, weil Rick beschäftigt war, sondern weil man ihn als Mordverdächtigen verhaftet hatte. So ein Unsinn! Juliette war felsenfest davon überzeugt, daß Rick kein Mörder sein konnte. Sie wußte, daß auch der Chefinspektor so dachte, und doch war es eine mehr als unangenehme Situation für den Privatdetektiv. Wenn es Indizien für seine Schuld gab – auch wenn sie nicht stimmten —, bedeutete das Schwierigkeiten für ihn, vielleicht sogar den Verlust seiner Existenz. Kein Wunder, daß sie unruhig in ihrer kleinen Wohnung herumging, verschiedene Arbeiten verrichtete, die absolut unnötig waren, zwanzigmal zur Tür lief und immer wieder einen Blick auf das Telefon warf, das die ersehnte Freilassung ankündigen sollte. Wie hatte der Kriminalist von Scotland Yard am Telefon gesagt? »Wenn sich etwas Neues ergibt«, hatte er ihr versichert, »werden wir Sie sofort verständigen.« Mittlerweile war es schon 22 Uhr, und noch immer hatte sich dieses tote Ding, dieses Telefon, nicht gemeldet. Juliettes Nervosität steigerte sich von Minute zu Minute. Zwei Beruhigungstabletten hatte sie schon genommen, mehr wollte sie nicht. Sie hatte sich gerade in einen Sessel gesetzt, als das Telefon schrillte. So lange hatte sie darauf gewartet, und nun, als es endlich soweit war, konnte sie sich vor Angst nicht bewegen. Sie hatte Angst, weil sie nicht wußte, welche Nachricht sie erhalten würde. War es eine gute, sollte Rick freigelassen werden? Oder . . . Sie nahm ihre ganze innere Kraft zusammen, stand auf und ging mit unsicheren Schritten zum Telefon. Ihre Finger konnten kaum den Hörer halten und ans Ohr heben. »Ja?« meldete sie sich mit belegter Stimme.
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»Miß Chabonniere?« fragte ein Mann, den sie noch nie gehört hatte. Er krächzte eigentümlich beim Sprechen, war aber leidlich zu verstehen. »Ja, ich bin selbst am Apparat«, versicherte Juliette. »Wer spricht dort?« »Inspektor Parkins von Scotland Yard«, sagte die krächzende Stimme. »Mr. Masters ist wieder frei, der Verdacht gegen ihn ist zusammengebrochen.« »Gott sei Dank!« schluchzte Juliette glücklich auf. »Ist er...« Sie stockte, weil der Anrufer bereits wieder aufgelegt hatte. Ein wenig verwundert schüttelte sie den Kopf, doch dann sagte sie sich, daß die Polizei wahrscheinlich so viel zu tun hatte, daß keine Zeit für viel Höflichkeit blieb. Zuerst wollte sie feststellen, ob Rick schon zu Hause war. Sie wählte seine Nummer, wurde jedoch nur mit dem automatischen Anrufbeantworter verbunden. Juliette verzichtete darauf, für Rick eine Nachricht auf Band zu sprechen, weil sie mit ihm persönlich zusammen sein und nicht nur einen Gruß sagen wollte. Ich könnte ihm ein kleines Fest bereiten, überlegte sie. Sozusagen eine Feier zu seiner Freilassung. Sie besaß einen Schlüssel zu seiner Wohnung, doch um die Überraschung perfekt zu machen, mußte sie wissen, ob er schon zu Hause war. Vermutlich nicht, sonst hätte er den Anrufbeantworter ausgeschaltet, aber sie wollte ganz sichergehen. Dieser Inspektor hatte nichts davon gesagt, wann Rick entlassen würde. Das konnte sich noch über Stunden hinziehen. Chefinspektor Hempshaw würde ihr sicherlich bei ihrem kleinen Scherz helfen. Sie wählte die Nummer des Yard und verlangte sein Büro. Nach einer halben Minute hatte sie die Verbindung. »Hallo, Hier Hempshaw!« hörte sie seine bellende Stimme. »Juliette Chabonniere«, meldete sie sich. »Ich bin ja so glücklich, daß Rick schon wieder frei ist. Ich möchte ihm
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eine Überraschung bereiten. Ist er schon nach Hause gefahren?« »Ja, aber . . .«, sagte Hempshaw verblüfft. »Ach, schade!« rief Juliette. Blitzschnell überlegte sie, daß sie sich beeilen mußte, um vielleicht gleichzeitig mit Rick bei seiner Wohnung einzutreffen. Sie hatte es nicht weit bis zu ihm. »Vielen Dank!« rief sie und legte rasch auf. Chefinspektor Hempshaw starrte verblüfft und sehr mißtrauisch auf das Telefon. Miß Chabonniere wußte, daß Rick schon frei war, sie wußte es aber nicht von ihm, sonst hätte sie nicht danach gefragt, ob er schon den Yard verlassen habe oder nicht. Woher hatte sie die Information, die als streng geheim galt? Hempshaw mußte das unbedingt herausfinden. Er suchte schnell ihre Nummer aus dem Telefonbuch, wählte, erhielt aber keine Antwort. Sie hatte die Wohnung schon verlassen. Je mehr Zeit verstrich, desto unruhiger wurde der Chefinspektor. Mit dem Instinkt des erfahrenen Kriminalisten witterte er, daß hier etwas nicht stimmte. Den Hörer noch einmal am Ohr, drückte er die Gabel und wählte Ricks Anschluß. Als er die Stimme des Anrufbeantworters hörte, knallte er wütend den Hörer auf die Gabel. Sein kräftiger Zeigefinger stach auf eine Taste des Sprechgeräts auf seinem Schreibtisch. »Funkzentrale«, meldete sich eine unpersönliche Stimme. »Stellen Sie sofort eine Verbindung mit Rick Masters her!« befahl der Chefinspektor. »Dringend und vorrangig! Geben Sie das Gespräch auf meinen Apparat und sagen Sie ihm, er soll sofort anhalten!« »Verstanden, Sir!« kam die Bestätigung. Hempshaw trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte. Er konnte sich nicht erklären, was dahintersteckte, aber er ahnte, daß etwas faul war. 148
Das Telefon klingelte. Hempshaw riß den Hörer ans Ohr. »Ja!« bellte er in die Sprechmuschel. »Wo brennt es, Kenneth?« hörte er die Stimme Ricks. »Gut, daß ich Sie noch erreiche«, seufzte der Chefinspektor. »Wo sind Sie?« »Ich halte befehlsgemäß, allerdings im Halteverbot.« Rick lachte. »Das Bußgeld bezahlen Sie, wenn es eines gibt.« »Das nehme ich gern auf mich«, versicherte Hempshaw. »Hören Sie, Rick! Haben Sie Miß Chabonniere verständigt, daß Sie frei sind?« »Ich?« vernahm er die erstaunte Frage des Privatdetektivs. »Wir haben doch vereinbart, daß es geheim bleibt. Was soll diese seltsame Frage?« »Seltsam ist es«, sagte Hempshaw grimmig. »Aber nicht meine Frage, sondern die Tatsache, daß mich Miß Chabonniere vor fünf Minuten anrief und fragte, ob Sie noch hier oder schon nach Hause gefahren wären. Als ich sagte, Sie wären schon weg, hatte sie es plötzlich sehr eilig. Sie ist auch nicht mehr zu Hause.« »Das ist allerdings mehr als merkwürdig«, murmelte Rick. »Hat sie nicht gesagt, woher sie es weiß?« »Kein Wort«, versicherte Hempshaw. »Ich stehe vor einem Rätsel.« »Ich auch«, seufzte Rick. »Brauchen Sie Hilfe? Soll ich zu Ihnen kommen oder jemanden schicken?« »Nein, danke«, antwortete Rick Masters. »Falls ich mich aber in einer Stunde noch nicht bei Ihnen gemeldet habe, schicken Sie einen Streifenwagen zu meiner Wohnung. Einverstanden?« »Wieder ein Alleingang?« fragte Hempshaw mißtrauisch. »Ich mag es nicht, wenn Sie hinter meinem Rücken . . .« »Tue ich schon nicht«, fiel ihm Rick ins Wort. »Ich stehe mit meinem Wagen nur zwei Blocks von der Wohnung entfernt. In fünf Minuten werde ich mehr wissen, falls Juliette 149
sofort zu mir gefahren ist. Vielen Dank für die Nachricht, Kenneth.« »Passen Sie auf sich auf«, riet Hempshaw. »Ich möchte nicht Ihre Ermordung untersuchen müssen.« Nachdem er die Verbindung mit Chefinspektor Hempshaw unterbrochen hatte, blieb Rick Masters noch einige Sekunden bewegungslos sitzen, dann startete er und fuhr langsam weiter. Hempshaw hatte gesagt, daß er sich nicht erklären könne, wieso Juliette über Ricks Freilassung informiert war. Dabei war es so einfach festzustellen. Man mußte sich nur fragen, wer davon wußte. Rick und Hempshaw schieden aus. Dann waren noch die anderen Beamten von Scotland Yard, doch sie hatten absolut keinen Grund, Ricks Freundin zu benachrichtigen. Wäre ein Reporter hinter die Sache gekommen, hätte er Rick um ein Interview gebeten oder wäre sofort in seine Redaktion gesaust, um einen Bericht zu schreiben. Aber er hätte niemals Juliette angerufen. Es blieb also nur eine einzige logische Möglichkeit über. John Terell, von dem mörderischen Geist Ed Catos angetrieben, steckte dahinter. Er wußte, daß Rick frei war, und verständigte Juliette. Das hatte nur einen Sinn, wenn sich Terell ein bestimmtes Verhalten von Juliette versprach. Was würde sie in ihrer Freude über die Freilassung ihres Freundes tun? Sie würde in Ricks Wohnung fahren, zu der sie einen Schlüssel besaß. Rick zuckte unter einem plötzlichen Gedanken zusammen. Er hielt gerade vor einer Ampel mit Rotlicht. Seine Hand fuhr in seine Jackentasche. Tatsächlich, sein Wohnungsschlüssel war weg. John Terell mußte ihm den Schlüssel abgenommen haben, da er nicht von der Polizei beschlagnahmt worden war. John Terell hatte Ricks Wohnungsschlüssel, und Juliette Chabonniere fuhr zu Ricks Wohnung! Grund genug, um das 150
Blaulicht aufzustecken. Rick vermied jedoch die Alarmklingel, um seine Annäherung nicht von weitem schon zu verraten. Der Anruf Hempshaws über Funk hatte ihn bereits in der Nähe seiner Wohnung erreicht. Er brauchte daher nicht lange zu fahren, dann bremste er vor dem ältesten Cafe der City. In der Eile vergaß er, das zuckende Blaulicht auszuschalten. Blaue Lichtblitze huschten über die Hausmauern wie Geisterfinger. Es war dunkel im Hausflur, als Rick sich hineinschlich. Am untersten Treppenabsatz blieb er stehen. Er hatte vergessen, sich von Hempshaw seine Pistole wiedergeben zu lassen. Auch sonst besaß er keine Waffe, mit der er sich gegen den Mörder verteidigen konnte. Er machte noch einmal kehrt und lief zu seinem Wagen zurück. Aus dem Kofferraum holte er den Reservekanister mit Benzin. Mit einem Griff in seine Sakkotasche vergewisserte er sich, daß das Feuerzeug an der gewohnten Stelle steckte. Rick schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an. Dann betrat er wieder das Haus, wobei er an der Zigarette nur so zog, daß sie nicht ausging. Lautlos schlich er die Treppe hinauf. Von oben drangen keinerlei Geräusche herunter. Das Cafe im Erdgeschoß war geschlossen. Ruhetag. Niemand sonst war im Haus. Obwohl Rick nichts sah und hörte, fühlte er fast körperlich die Anwesenheit seines Feindes. Und er spürte, wie die Anspannung in ihm wuchs, bis sie fast unerträglich wurde. War Juliette vor ihm eingetroffen? Lebte sie noch? Rick war sicher, daß sie sich in den Händen Terells befand, der sie als Druckmittel einsetzen wollte. Noch fünf Stufen, noch drei, noch eine – Rick stand vor seiner Wohnung. Den Benzinkanister in der linken Hand, die Zigarette im Mundwinkel eingeklemmt, streckte er die rechte Hand nach der Türklinke aus.
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Er drückte. Lautlos schwang die Tür in gut geölten Angeln nach innen. Die Wohnung lag in Dunkelheit vor ihm. Rick trat zwei Schritte in den Vorraum, schlug hörbar die Tür hinter sich zu und machte Licht. Auf den ersten Blick war nichts verändert, doch dann sah er Juliettes Mantel an der Ablage hängen. Hatte sie ihn bei ihrem letzten Besuch hier vergessen? Oder war sie schon hier? Wo war John Terell? Rick kämpfte die aufsteigende Panik nieder. Er durfte sich jetzt keinen Fehler leisten, sonst verlor nicht nur er sein Leben, sondern auch Juliette. Sich nach außen hin möglichst unbefangen gebend, betrat Rick das Wohnzimmer. An dem Benzinkanister klammerte er sich wie an einem Rettungsanker fest. Er war auch so eine Art Rettungsanker. Da er keine andere Waffe hatte, wollte Rick dem Mörder drohen, die ganze Wohnung in ein Flammenmeer zu verwandeln, wenn er sich nicht freiwillig ergab. Wo war John Terell? Wo in diesem dunklen Wohnzimmer lauerte der Mörder auf ihn? Ricks Hand glitt über die Wand, fand den Lichtschalter, drückte ihn nieder. Helligkeit flammte auf. Da stand er – John Terell, der Rennfahrer, von dem Geist des Berufskillers Ed Cato besessen. In der Mitte des Zimmers stand er mit dem Gesicht zu Rick Masters gewandt, die Hände schlagbereit erhoben. Als er den Privatdetektiv sah, ließ er die Arme sinken, als wäre er überrascht. Sekundenlang bewegte sich keiner der beiden. »Wo ist Juliette?« durchbrach Rick plötzlich das Schweigen. Er hielt die Stille nicht mehr aus. »Was hast du mit Juliette gemacht, du Ungeheuer?« schrie er. Das maskenhaft starre Gesicht mit der verbrannten Haut bewegte sich nicht. »Juliette stempelt dich zum Mörder«, schnarrte Terell. »Sie ist deine Freundin, du hast ein Motiv, sie zu ermorden. Du wirst bis an dein Lebensende im Ge152
fängnis sitzen, weil du sie getötet hast. Das ist meine Rache an dir, weil du versucht hast, mich an der Ausführung meines Plans zu hindern.« »Du hast sie . . .?« Ricks Stimme erstickte. Dieses Scheusal durfte nicht länger frei herumlaufen. Wenn Juliette schon tot war, so sollte Terell-Cato wenigstens an einem sicheren Ort untergebracht werden, so er keinen Schaden mehr anrichten konnte. Mit verkrampften Fingern öffnete Rick die Verschlußkappe des Benzinkanisters. Seine Zigarette war zur Hälfte heruntergebrannt. Ihre Glut genügte, um das Benzin zur Explosion zu bringen. Terells gesundes Auge weitete sich entsetzt. »Tu das Benzin weg!« schrie er krächzend. »Feuer! Ich will kein Feuer! Ich fürchte das Feuer! Hilfe! Hilfe! Hilfe! Feuer!« Noch ehe Rick seine Drohung aussprechen konnte, wurde er angegriffen. John Terell verlor die Nerven. Sowohl er, dessen Körper Rick vor sich sah, als auch Ed Cato, von dessen Geist dieser Körper beherrscht würde, waren durch Flammen umgekommen. Terell sprang Masters an und stieß ihn zu Boden. Der Benzinkanister wurde dem Privatdetektiv aus der Hand geprellt und prallte gegen die Tischkante. Dabei brach das Plastik der Hülle. Das Benzin ergoß sich auf den Boden und wurde sofort von dem Teppich aufgezogen. Doch das Unglück war noch nicht perfekt. Anstatt Vernunft anzunehmen, versetzte Terell dem Privatdetektiv einen harten Schlag gegen den Kopf. Dadurch flog die Zigarette, die noch immer brannte, in einem hohen Bogen durch die Luft und mitten auf den benzingetränkten Teppich. Mit einem lauten Brüllen verwandelte sich das Zimmer augenblicklich in eine Flammenhölle.
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Mit aller Kraft schnellte Rick vom Boden hoch. Ihn selbst hatte das Benzin noch nicht erreicht. Aber John Terell wurde von den Flammen eingehüllt. Rick konnte ihm nicht helfen. Er mußte tatenlos zusehen, wie Terell-Cato inmitten der Flammen stand – starr, gelähmt. Während er zum Telefon griff und die Feuerwehr verständigte, sank Terell-Cato im Zeitlupentempo in sich zusammen. Mehr als verkohlte Reste würden von ihm nicht übrigbleiben. Und von Juliette, dachte Rick bitter. Er hetzte aus der Flammenhölle seiner Wohnung, wankte die Treppe hinunter und torkelte ins Freie. Neben seinem Wagen stand eine schmale Gestalt. Es traf ihn wie ein elektrischer Schlag. Juliette! »Rick!« jauchzte sie auf. »Ich hatte unterwegs eine kleine Panne, sonst wäre ich schon früher hergekommen. Mein Taxi hatte kein Benzin mehr.« Fassungslos sah Juliette Chabonniere, wie Rick Masters kraftlos auf den Stufen vor seinem Haus in sich zusammensank und zu lachen begann. Rick lachte brüllend, und er lachte auch noch, als die Feuerwehr kam, die den Brand bald unter Kontrolle hatte. Chefinspektor Hempshaw traf nur wenige Sekunden nach der Feuerwehr ein. »Gratuliere, Rick«, sagte er, nachdem er gehört hatte, was vorgefallen war. »Leider wird von Ihrer Wohnung nichts übrigbleiben.« »Viel wichtiger ist«, murmelte Rick, »daß alles vorbei ist.« »Stellen Sie sich vor«, berichtete Juliette dem Chef Inspektor aufgeregt. »Ich kam nur deshalb mit dem Leben davon, weil meinem Taxi das Benzin ausging.« Juliette und Hempshaw starrten gemeinsam auf Rick Masters, der drohend einen Schritt näher trat. »Wer noch einmal das Wort Benzin ausspricht«, knurrte Rick drohend, »bekommt es mit mir zu tun. Ich kann für lange Zeit nichts 154
mehr von Benzin und Feuer hören.« Er warf noch einen Blick zu den flammengeschwärzten Fenstern seiner Wohnung hinauf. »Der Flammentod war sein Schicksal, dem er nicht entgehen konnte«, sagte er leise und wandte sich schaudernd ab.
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