Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 202
Ingenieure der
Vernichtung
Ein Planet soll sterben - die
Lopsegger wollen es s...
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 202
Ingenieure der
Vernichtung
Ein Planet soll sterben - die
Lopsegger wollen es so
von H. G. Ewers
In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend vor Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, de ren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eige nen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen. Der Kristall prinz ist bei seinem Besuch von Skrantasquor durch die Einwirkung einer Geheim waffe der Maahks erneut in ein anderes Raum-Zeitkontinuum gelangt – in den Mikro kosmos. Zusammen mit Crysalgira von Quertamagin, der jungen, tapferen Arkonidin aus ei nem alten Adelsgeschlecht, sucht er nach einer Chance der Rückkehr in den Mikro kosmos. Er stößt dabei auf die INGENIEURE DER VERNICHTUNG …
Ingenieure der Vernichtung
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz wird zum Leiter eines »Bohrkommandos« ernannt.
Crysalgira - Atlans Begleiterin.
Warquel - Pilot eines Tejonther-Schiffes.
Karsihl-HP - Anführer einer Iopseggischen Expedition.
Colgan-HP und Zirko-HP - Zwei Ingenieure der Vernichtung.
1. »Aufpassen, Atlan!« schrie Crysalgira. Der Schrei erreichte mich zur gleichen Zeit wie der warnende Impuls meines Extra hirns. Ich wirbelte herum, entdeckte in der Öff nung der Klimaanlage den Kopf eines Te jonthers und blickte in die dunkle Mündung einer Energiewaffe. Im nächsten Augenblick hatte ich mich zu Boden geworfen und rollte mich fort. Dort, wo ich eben noch gestanden hatte, brodelte eine Glutlache auf dem Boden. Ich riß meine Schockwaffe aus dem Gürtelhalf ter. Der Tejonther hatte inzwischen seinen Oberkörper durch die Öffnung gezwängt. Seine gelben Augen funkelten mich an, während die Waffe in seiner Hand in meine Richtung schwenkte. Doch bevor er dazu kam, ein zweites Mal abzudrücken, hatte ich geschossen. Der Te jonther zuckte zusammen, dann sackte sein Oberkörper vornüber. Die Waffe entglitt sei ner Hand. Ich sprang auf und rief Crysalgira zu: »Passen Sie auf Warquel auf!« Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der Kommandant des Schiffes das dreizackige Instrument, das das Schiff aktiviert hatte, aus seiner Öffnung zog. Mehr konnte er al lerdings nicht tun, denn er trug keine Waffe. Er war unser Gefangener und befand sich nur deshalb im Kommandoraum, weil er das Schiff steuern sollte. Doch auch die übrigen sieben Tejonther waren unsere Gefangenen. Crysalgira und ich hatten die Besatzung des dreißig Meter langen tejonthischen Schiffes, das uns nach
Yarden bringen sollte, überwältigt und mit Ausnahme des Kommandanten eingesperrt. Es war mir schleierhaft, wie es ihnen gelun gen war, sich zu befreien und zu bewaffnen. Aber für lange Überlegungen war keine Zeit. Ich sprang zu dem geschockten Tejonther, hob die Waffe auf und schob sie unter den Gürtel meines flexiblen blauen Metallan zugs. Dann feuerte ich mit der Schockwaffe über den Reglosen in den Schacht der Kli maanlage. Ein dumpfer Schrei ertönte, dann polterte etwas. Offenbar hatte ich einen zweiten Tejonther getroffen, und er war durch den Schacht zurückgefallen. Schnell zog ich den geschockten Tejon ther ganz durch die Schachtöffnung, dann lehnte ich das Gitter, das er völlig lautlos aus seiner Verankerung gelöst hatte, wieder gegen die Öffnung. Anschließend stellte ich die erbeutete Waffe auf minimale Leistung und scharfe Bündelung und schweißte das Gitter am Rand der Öffnung fest. Damit war dieser Angriffspunkt erst einmal neutralisiert. Allerdings war ich mir klar darüber, daß die Gefahr solange nicht gebannt war, wie die fünf übrigen Tejonther noch frei im Schiff herumliefen. Ich wandte mich um. Warquel setzte gerade zu einem Sprung an, der ihn in die Nähe der Öffnung des Ab fallvernichters bringen würde. Offensicht lich wollte er das dreizackige Instrument, das für die Beherrschung des Schiffes unent behrlich war, vernichten. Doch Crysalgira paßte auf. Bevor ich rea gieren konnte, feuerte sie mit ihrer Schock waffe auf den Tejonther. Das schwarz be pelzte Wesen kam nicht über den Sprungan satz hinaus. Es erstarrte und fiel schwer zu Boden.
4 »Gut gemacht, Crysalgira!« sagte ich. Ich hob das dreizackige Instrument auf und schob es wieder in die dafür vorgesehene Öffnung. Augenblicklich leuchteten die zahlreichen Kontrollampen, die beim Her ausziehen des Instruments erloschen waren, wieder auf. »Der Überlichtflug wurde unterbrochen«, sagte das Raumschiff aus mehreren verbor genen Lautsprechern. Es sprach Arkoni disch, denn es hatte inzwischen aus den Ge sprächen zwischen Crysalgira und mir unse re Sprache gelernt. »Wird Wiederaufnahme gewünscht?« »Vorläufig nicht«, antwortete ich. »Beobachte die Umgebung und melde uns, wenn deine Ortungssysteme andere Raum schiffe entdecken!« »Verstanden!« erwiderte das Schiff. »Überlichtflug bleibt unterbrochen. Meine Ortungssysteme beobachten die Umgebung. Wir befinden uns dicht über einem leuchtenden Gasnebel und treiben auf den Raum zwischen zwei gelben Sonnen zu. Andere Raumschiffe werden nicht geortet.« Ich atmete erleichtert auf und nickte der Prinzessin beruhigend zu. Das Schiff war vorläufig nicht gefährdet. Auf uns traf das allerdings nicht zu. Doch das war kein Grund, den Mut sinken zu lassen. Solange wir den Kommandoraum hielten, beherrsch ten wir das Schiff. »Was jetzt?« fragte Crysalgira. »Wir müssen die fünf übrigen Tejonther mit Hilfe einer List überwältigen«, erklärte ich. »Wahrscheinlich lauern sie in der Nähe des Zentraleschotts. Wenn sie bewaffnet sind, was wir vorsichtshalber annehmen müssen, dürfen wir das Schott nicht öffnen. Ich werde durch den Notausstieg nach drau ßen gehen und durch eines der Reparatur luks am Heck wieder einsteigen. Danach se he ich zu, daß ich den Tejonthern in den Rücken komme. Sie müssen inzwischen ver hindern, daß sie das Zentraleschott zerschie ßen und eindringen. Glauben Sie, daß Sie das können?« »Ich werde es jedenfalls versuchen, At-
H. G. Ewers lan«, antwortete die Prinzessin und zog den tödlichen Energiestrahler aus ihrem Gürtel halfter. Ich winkte ihr zu, dann kletterte ich die Metallplastikleiter hinauf, öffnete die innere Luke des Notausstiegs und zwängte mich durch die Öffnung.
* Nachdem ich die innere Luke hinter mir verschlossen hatte, klappte ich den Druck helm meines Schutzanzugs nach vorn und prüfte, ob er absolut dicht schloß. Anschließend öffnete ich die äußere Luke. Die Luft schoß aus der engen Kammer ins Vakuum und verwandelte sich in einen Schleier von Kristallen, die im Licht meiner Helmlampe glitzerten. Ich wußte, daß Crysalgira sich nicht unbe grenzt lange halten konnte, wenn die fünf Tejonther entschlossen genug angriffen. Dennoch nahm ich mir die Zeit, das in der Kammer befestigte Kunststoffseil an dem Karabinerhaken meines Gürtels zu befesti gen, damit ich draußen nicht abtreiben konn te. Danach zog ich mich nach draußen. Ringsum war Finsternis. Immerhin aber reichte das Licht des leuchtenden Gasnebels und der fernen Sterne aus, die hellrote Hülle des stromlinienförmigen Raumschiffs zu er hellen. Unser Schiff war nur dreißig Meter lang, dennoch konnte es sich offenbar Tausende von Lichtjahren durch den Weltraum des Mikrokosmos bewegen. Bei dem Gedanken an den Mikrokosmos überlegte ich unwillkürlich, daß unser Raumschiff relativ zum Makrokosmos viel zu winzig war, um mit den dortigen Mikro skopen überhaupt entdeckt zu werden. Das gleiche traf auf Crysalgira und mich zu, ob wohl wir aus dem Makrokosmos stammten. Wir waren beide durch eine neue Waffe der Maahks submikroskopisch verkleinert wor den, so daß wir zu integrierten Bestandteilen des Mikrokosmos geworden waren.
Ingenieure der Vernichtung Irgendwo und irgendwie war aber dieser Mikrokosmos in unseren Makrokosmos ein gebettet. Folglich gehörten beide zu einem gemeinsamen Universum. Die Varganen – oder Topoythers, wie sie hier genannt wur den – hatten in ferner Vergangenheit das Geheimnis der Absoluten Bewegung ent schleiert, der Möglichkeit, vom Mikrokos mos in den Makrokosmos und umgekehrt überzuwechseln und dabei jedesmal voll in tegriert zu werden. Sie waren in den Makrokosmos einge drungen und hatten dort einen Eroberungs feldzug veranstaltet, der sie als Varganen berühmt und berüchtigt gemacht hatte. Zu spät merkten sie, daß der Preis für das Eindringen in den Makrokosmos viel zu hoch gewesen war. Sie waren unfruchtbar geworden und wären ausgestorben, wenn nicht eine kleine Gruppe von ihnen die Un sterblichkeit erlangt hätte. Die Unsterblichen kehrten in den Mikro kosmos zurück, siedelten sich in der Eisigen Sphäre an und verzichteten für immer dar auf, wieder in den Makrokosmos vorzudrin gen. Nur eine kleine Gruppe von Rebellen blieb im Makrokosmos. Ischtar gehörte zu ihnen. Als sich herausstellte, daß die im Ma krokosmos verbliebenen Varganen mit humanoiden Lebewesen Kinder zeugen konn ten, versuchten die Varganen des Mikrokos mos, die Rebellen zu töten. Sie transferierten zu diesem Zweck das Bewußtsein des varga nischen Henkers Magantilliken in den Ma krokosmos. Dabei erfuhren sie, daß ich mit Ischtar einen Sohn gezeugt hatte. Daraufhin schickten sie zwölf ihrer Robo ter aus, die meinen Sohn Chapat entführten. Als sie erfuhren, daß Crysalgira und ich in den Mikrokosmos eingedrungen waren, be auftragten sie die Tejonther, uns einzufan gen und in die Eisige Sphäre zu bringen. Dort wollten sie uns dazu zwingen, mit ih nen Kinder zu zeugen, um ihre Gruppe zu vergrößern. Die Prinzessin und ich verspürten aller dings keine Lust dazu, uns als Zuchtexem
5 plare mißbrauchen zu lassen. Es war uns ge lungen, die Besatzung des Transportschiffs zu überwältigen. Unser Ziel war allerdings ebenfalls die Eisige Sphäre, hier Yarden ge nannt, aber wir wollten heimlich dort ein dringen, meinen Sohn befreien und uns in den Besitz des Geheimnisses der Absoluten Bewegung bringen. Ich spekulierte hin und wieder sogar dar auf, daß es mir mit Hilfe der Absoluten Be wegung gelingen könnte, direkt zu Orbana schol III. dem Mörder meines Vaters, vorzu dringen. Der Diktator mußte gestürzt wer den, wenn das Große Imperium den mörde rischen Krieg mit den Maahks überstehen sollte. Doch zur Zeit mußten Crysalgira und ich erst einmal dafür sorgen, daß die fünf noch aktiven Tejonther uns nicht wieder überwäl tigten. Ich schwang mich so vorsichtig wie mög lich auf die Außenhülle des Schiffes. Das Seil hielt ich dabei gestrafft, damit ich nicht zu weit abtreiben konnte, was kostbare Zeit gekostet hätte. Als ich mich umschaute, erblickte ich als erstes die vier mächtigen Heckflossen des Schiffes. Langsam kroch ich auf sie zu. Doch meine Bewegungen waren noch im mer zu schnell für die absolute Schwerelo sigkeit, die außerhalb des Schiffes herrschte. Plötzlich überschlug ich mich, trieb ab und sah abwechselnd die Schiffshülle, die Sterne und den leuchtenden Gasnebel scheinbar um mich kreisen. Dann straffte sich das Seil. Ich zog ruck artig daran und brachte meine Bewegung re lativ zum Schiff wieder zum Stillstand. In nerlich die Verzögerung verwünschend, zog ich mich Hand über Hand zur Schiffshülle zurück. Danach kroch ich noch vorsichtiger weiter. Endlich hatte ich das nächste Reparatur luk dicht oberhalb der Heckflossen erreicht. Es ließ sich mit einem Speichenkranz von außen öffnen. Sehr behutsam drehte ich den Speichen kranz. Dabei hielt ich mich von dem Luk
6 entfernt. Nur meine Hand befand sich dar über. Als ich ein Klicken fühlte – hören konnte ich ja nichts –, zog ich meine Hand schnell zurück. Im nächsten Augenblick flog der Luken deckel auf, von der darunter befindlichen Luft hinausgetrieben, eine Vorsicht hatte sich bezahlt gemacht. Der Deckel hätte mich treffen und verletzen können. Zumindest aber hätte er mich von der Hülle gestoßen. Es dauerte nicht lange, bis die Luft restlos aus der Kammer entwichen war. Ich zog und drückte mich hinein, zog den Lukendeckel hinter mir zu und verschloß ihn. Danach öff nete ich das Innenluk. Luft strömte herein. Ich ließ meinen Druckhelm geschlossen und stieg durch das innere Luk. Auch das schloß ich hinter mir wieder sorgfältig, denn es war mir längst in Fleisch und Blut über gegangen, daß im Weltraum immer beide Öffnungen einer Schleuse verschlossen wer den mußten. Wer gegen diese Regel ver stieß, gefährdete sein Leben und das seiner Gefährten. Ich stand in einem der Maschinenräume, in denen die Schiffsaggregate hinter durch sichtigen Panzerwänden arbeiteten. Hinter dem nächsten Schott mußte die Antigravröh re des Achsliftschachts liegen, und von dort waren es höchstens zwanzig Meter bis zum Kommandostand. Wenn mich meine Ein schätzung der Lage nicht täuschte, hielten sich die fünf Tejonther in der Antigravröhre auf. Ich zog meine Schockwaffe, stellte sie auf maximale Abgabeleistung und breite Streu ung und öffnete das Schott. Geräuschlos glitten die Hälften beiseite. Vorsichtig und mit schußbereiter Waffe steckte ich den Kopf durch die Öffnung, dar auf gefaßt, daß man mich entdeckte und be schoß. Was ich sah, erheiterte mich so, daß ich laut loslachte. Die fünf Tejonther vor dem Zentralschott fuhren erschrocken herum und prallten in der Schwerelosigkeit des Antigravschachts gegeneinander. Dennoch hielten sie ihre
H. G. Ewers Waffen fest: Werkzeuge und Metallplastik stangen, die sie aus einer Ausrüstungskam mer geholt haben mußten. Keiner von ihnen trug eine Schockwaffe oder gar einen Energiestrahler. Demnach hatten sie nur eine einzige echte Waffe be sessen, die, mit der ihr Gefährte aus der Öff nung der Klimaanlage auf mich geschossen hatte. Ich schaltete meinen Armband-Translator ein und sagte: »Widerstand ist sinnlos. Gehen Sie in den Vorratsraum zurück, wenn Sie nicht wollen, daß ich Sie schocke – und lassen Sie Ihre primitiven Waffen fallen!« Sie blickten erst die Schockwaffe in mei ner Hand an, dann sahen sie sich in die Ge sichter. Nebeneinander ließen sie ihre be helfsmäßigen Waffen fallen, stießen sich von den Wänden ab und segelten in meine Richtung. Die Tejonther hatten jeden Gedanken an Widerstand aufgegeben und sich an der Rückwand des Vorratsraums aufgestellt. Dennoch behielt ich sie im Auge, während ich das Schott untersuchte. Das Impuls schloß war mit einem Strahler zerschossen worden, zweifellos mit dem, mit dem auf mich geschossen worden war. Wahrschein lich hatte er unter den Vorräten verborgen gelegen. »Das wäre es dann!« sagte ich. »Bleiben Sie dort stehen, bis ich Ihre Gefährten zu Ih nen gebracht habe. Sie haben nichts zu be fürchten, wenn Sie sich friedlich verhalten.« »Wir werden gehorchen«, antwortete ei ner von ihnen.
* Ich schwebte zum Zentraleschott, akti vierte die Sprechanlage und berichtete Crys algira. Kurz darauf öffnete die Prinzessin das Schott von innen. »Ich bin froh, daß Ihnen nichts geschehen ist, Atlan«, sagte sie erleichtert. »Ich war keine Sekunde lang gefährdet«,
Ingenieure der Vernichtung erwiderte ich. »Bitte, bewachen Sie die fünf Gefangenen, während ich die beiden ge schockten Tejonther abtransportiere.« Ich wartete, bis Crysalgira sich vor dem offenen Schott der Vorratskammer postiert hatte, dann holte ich den Mann, der auf mich geschossen hatte. Ich lud ihn mir auf die Schultern und brachte ihn zu seinen fünf Ge fährten. Anschließend holte ich den Tejon ther, der in den Klimaschacht gestürzt war. Er hatte nur leichte Abschürfungen und Prel lungen erlitten und würde keine Hilfe benö tigen, wenn er aus der Schockstarre erwach te. Nachdem ich auch ihn in der Vorratskam mer abgeladen hatte, schloß ich die Schott hälften und verschweißte sie mit Hilfe des Energiestrahlers miteinander. »So!« sagte ich zu Crysalgira. »Die Bur schen sind wieder sicher aufgehoben. War quel lassen wir im Kommandoraum. Ihn brauchen wir, sobald seine Schockstarre ver flogen ist.« »Vielleicht kann uns auch das Schiff wei terhelfen«, meinte die Prinzessin. »Wir werden es versuchen«, erklärte ich. »Aber das Schiff weiß nicht alles. Bevor wir es wagen dürfen, auf einem Planeten zu lan den, müssen wir wissen, was uns dort erwar tet. Diese Information aber kann nur der Kommandant uns geben.« Wir kehrten in den Kommandoraum zu rück, setzten uns in die Sessel, die wie für Arkoniden angefertigt schienen. Das waren sie jedoch nicht. Aber die Tejonther glichen bis auf ihre schwarz bepelzten Körper und gelben Augen äußerlich fast vollkommen Arkoniden und entsprechend war die Innen ausstattung des Schiffes konstruiert. »Hörst du mich, Schiff?« fragte ich. »Ich höre«, antwortete das Schiff. »Ich benötige zweierlei«, erklärte ich. »Einmal die Koordinaten eines Planeten, auf dem wir unsere Gefangenen absetzen kön nen und von dem sie in absehbarer Zeit von ihren eigenen Leuten abgeholt werden – und zum zweiten die Koordinaten von Yarden. Kannst du uns helfen?«
7 »Mit den Koordinaten von Yarden kann ich nicht helfen«, antwortete das Schiff. »Ich besitze sie nicht. Aber ich kann zur nächsten Gefühlsbasis fliegen, von der aus die Flotte des Kreuzzuges nach Yarden weitergelenkt werden soll. Sobald die Flotte eintrifft, brau chen wir uns ihr nur anzuschließen.« »Diese Methode ist für uns unbrauchbar«, entgegnete ich. »Die Raumschiffe der Kreuzzugsflotte würden uns angreifen. Wie ist es mit den Koordinaten eines Planeten, auf dem wir unsere Gefangenen aussetzen können?« »Ich habe mehrere solcher Koordinaten gespeichert«, sagte das Schiff. »Es handelt sich dabei um Depotplaneten der Tejonther, die unregelmäßig von anderen Raumschiffen angeflogen werden.« »Gibt es auf diesen Depotplaneten ständi ge Besatzungen?« erkundigte sich Crysalgi ra. »Darüber liegt keine Information vor«, er klärte das Schiff. Das leuchtete mir ein. Ein Raumschiff – beziehungsweise sein Kommandogehirn – benötigte keine Informationen über Depot beziehungsweise Stützpunktbesatzungen, denn es brauchte solche Informationen nicht, um seinen Zweck zu erfüllen. Folglich hatte es für die Tejonther keinen Grund gegeben, derartige Informationen einzuspeichern. »Dann werden wir warten müssen, bis Warquel vernehmungsfähig ist«, sagte ich zu Crysalgira. »Denken Sie, daß er uns die Wahrheit sa gen wird?« fragte die Prinzessin skeptisch. »Nicht freiwillig«, erwiderte ich. »Wir werden ihn zwingen, die Wahrheit zu sa gen.« »Wollen Sie ihn foltern?« fragte Crysalgi ra. Aber ihrem Tonfall entnahm ich, daß sie die Frage innerlich schon verneinte, bevor sie sie richtig gestellt hatte. »Wir sind schließlich keine Verbrecher«, erwiderte ich. »Es gibt andere Mittel, jeman den zur Preisgabe der Wahrheit zu bringen.« Wir überbrückten die Wartezeit, indem wir das Schiff über alles ausfragten, was es
8 wußte. Vielleicht konnten uns diese Infor mationen irgendwann einmal helfen. Als Warquel sich endlich wieder regte, half ich ihm auf die Beine und führte ihn zu einem freien Sessel. »Ich habe die Bewaffnung des Schiffes überprüft«, erklärte ich ihm. »Sie reicht aus, um den Stützpunkt eines Depotplaneten zu zerstören. Genau das haben wir vor. Was sa gen Sie dazu?« »Sie müßten erst einmal die Koordinaten eines Depotplaneten kennen«, entgegnete der Tejonther. Ich lächelte kalt. »Das Schiff kennt die Koordinaten meh rerer Depotwelten, Warquel«, sagte ich. »Ich brauche ihm nur zu befehlen, die nächste Depotwelt anzufliegen. Die Besatzung des Stützpunkts wird keinen Verdacht schöpfen, wenn sich ein tejonthisches Raumschiff nä hert – bis es für sie zu spät ist. Aber ich habe beschlossen, Ihnen die Wahl zu überlassen, welchen Depotplaneten wir anfliegen sol len.« Warquels gelbe Augen funkelten. Sonst konnte ich keine Regung an ihm beobach ten, da auch sein Gesicht von schwarzem Fell bedeckt war. Sicher überlegte er, wie er uns hereinlegen konnte. Ich hoffte, daß es eine tejonthische Depotwelt ohne Besatzung gab, und ich erwartete, daß Warquel sie mir nennen würde, weil er dann sicher sein durf te, daß unser Angriff keine Opfer forderte. Jedenfalls hätte ein Arkonide in seiner Lage so gehandelt. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß Crys algira lächelte, als der Tejonther schließlich sagte: »Fliegen Sie den Planeten Ayw an, At lan!« »Warum ausgerechnet diesen Planeten?« erkundigte ich mich. »Befindet sich unter der Besatzung des Stützpunktes auf Ayw vielleicht ein persönlicher Feind von Ih nen?« Warquels Augen leuchteten kurz auf. Ich wertete das als Zeichen, daß er glaubte, ich hätte mich selbst hereingelegt, indem ich
H. G. Ewers ihm ein Argument lieferte, nach dem er bis her vergeblich gesucht hatte. »So ist es«, antwortete er. »Vielen Dank für Ihre Hilfe«, erwiderte ich. »Natürlich hat Ayw überhaupt keine Besatzung. Ich hoffe es jedenfalls, denn wir werden dort landen, um Sie und Ihre Leute auszusetzen. Oder glaubten Sie wirklich, Crysalgira und ich wären darauf aus, intelli gente Wesen kaltblütig umzubringen, die wir überhaupt nicht kennen?« »Sie haben mich überlistet, Atlan!« stellte Warquel resignierend fest. »Und ich dachte wirklich, Sie wollten einen bemannten Stützpunkt vernichten. Es tut mir leid. Sie haben meinen Respekt. Dennoch werde ich die erste Gelegenheit nutzen, Sie zu über wältigen.« »Ihre Haltung verdient ebenfalls Re spekt«, erwiderte ich. »Bitte, entschuldigen Sie, wenn ich dafür sorge, daß Sie keine Ge legenheit erhalten werden, uns zu überwälti gen.« Ich stellte die Schockwaffe auf schwäch ste Leistung und feuerte auf den Tejonther. Er wurde nicht gelähmt, aber seine Bewe gungen verlangsamten sich so stark, daß er sich nicht wehren konnte, als ich ihn in eine leere Abstellkammer führte und einsperrte. Ich stellte ihm einen Wasserbehälter und ei nige Konzentrate hin, damit er nicht ver schmachtete, dann kehrte ich in den Kom mandoraum zurück. »Schiff, kannst du mich hören?« fragte ich. »Ich höre!« antwortete das Schiff. »Nimm Kurs auf den Depotplaneten Ayw und lande dort!« befahl ich. »Verstanden!« sagte das Schiff. »Die Ko ordinaten von Ayw liegen vor. Der Kurs wird entsprechend ausgerichtet. Wir werden den Depotplaneten in neuneinhalb Stunden erreichen. Überlichtflug ist eingeleitet.« Ich erwiderte nichts darauf, denn das Schiff benötigte keine Antwort. Statt dessen blickte ich auf die Bildschir me, die die Umgebung zeigten. Ungefähr zehn Minuten lang veränderte sich nichts,
Ingenieure der Vernichtung obwohl ich an den Maschinengeräuschen hörte, daß das Schiff mit hohen Werten be schleunigte. Nach Ablauf dieser Zeitspanne ver schwand das Abbild des Normalraums schlagartig und machte undefinierbaren Lichtmustern und Schleiern Platz. Wir be wegten uns durch ein anderes Kontinuum, das aber nicht der Hyperraum sein konnte, denn die Schiffe der Tejonther vollführten keine Transitionen wie die arkonidischen Raumschiffe. Es gab keine Ent- und Rema terialisationen, sondern die Schiffe beweg ten sich mit hoher Überlichtgeschwindigkeit linear durch ein rätselhaftes Medium, das mir wie ein Zwischending von Normal- und Hyperraum vorkam. Doch das spielte in unserer Lage nur eine geringe Rolle. Die Hauptsache war, wir ka men vorwärts.
2. Als wir in den Normalraum zurückkehr ten, leuchtete auf dem Frontbildschirm eine gelbweiße Sonne. Ein Planet war nicht zu sehen, doch das wäre wohl auch zuviel verlangt gewesen. Wir waren offenbar noch zu weit von Ayw entfernt dafür. Das Schiff, das ohne Eigenfahrt aus dem Überlichtflug gekommen war, beschleunigte wieder bis auf ungefähr halbe Lichtge schwindigkeit. Dennoch dauerte es noch drei Stunden, bis der Frontschirm den blassen Lichtfleck eines Planeten abbildete. »Anflug auf Ayw« meldete das Schiff. »Gibt es noch andere Planeten dieser Son ne?« erkundigte sich die Prinzessin. »Noch sechs Planeten«, antwortete das Schiff bereitwillig. »Sie sind alle unbe wohnt. Ayw ist der dritte Planet, von innen gezählt. Wir werden in anderhalb Stunden aufsetzen.« Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und schloß die Augen. Mein Pflegevater Fartuulon hatte mir zwar in vielen harten Lehrjahren eine für andere Arkoniden kaum
9 vorstellbare Geduld beigebracht, doch gab es auch für mich eine Grenze. Ich vibrierte innerlich vor nervöser An spannung. Zu lange schon irrten wir durch den Mikrokosmos. Gewiß, wir hatten viele wertvolle Informationen gesammelt, aber der Weg, der noch vor uns lag, kam mir mit jeden Tag länger vor. Viele Wege führen zu einem Ziel! hatte mir Fartuulon einmal erklärt. Ich wußte aus zahlreichen Erfahrungen, daß das stimmte. Aber seit diesem Eindringen in den Mikro kosmos gerieten wir immer wieder nur auf neue Umwege, während das Ziel, die Abset zung Orbanaschols, in immer weitere Fernen zu rücken schien. Dazu kam das Bewußtsein, daß Crysalgira und ich winzige Wesen waren, von denen Milliarden in ein Atom des Makrokosmos gingen. Die Größe des Körpers ist nicht maßge bend! wisperte mein Logiksektor. Das Volu men, das jemand einnimmt, muß stets in Re lation zur Umwelt gesehen werden, die als Handlungsraum vorgegeben ist. Orbana schol III. wäre hier nicht größer als du – und du wirst drüben nicht kleiner als er sein. Eine Begegnung aber kann nur entweder im Mikrokosmos oder im Makrokosmos stattfin den. Dieser Logik vermochte ich nichts entge genzusetzen. Ich lächelte beruhigt und war im nächsten Moment eingeschlafen. Als ich erwachte, hing der Zielplanet groß und blau im Frontbildschirm. Ungefähr die Hälfte seiner Oberfläche war den Blicken durch weiße strahlende Wolkenfelder entzo gen. »Landemanöver eingeleitet!« meldete das Schiff. »Wurden andere Raumschiffe geortet?« fragte ich. »Keine anderen Schiffe innerhalb des Or tungsbereichs«, antwortete das Schiff. »Bezeichne das Landegebiet näher«, for derte ich. »Ein Felsplateau innerhalb eines Gebir ges«, erklärte das Schiff. »Nördlich davon
10 liegt in einer Felswand der getarnte Eingang zum Depot.« »Gibt es dort Abwehrforts?« forschte ich weiter. »Darüber liegt keine Information vor«, antwortete das Schiff. »Es erscheint jedoch sicher, daß es automatisch arbeitende Ab wehranlagen gibt, denn bei Annäherung muß ein Kodesignal zur Erkennung abge strahlt werden.« Ich fuhr hoch. »Warum hast du das nicht früher gesagt? Wie lautet das Erkennungssignal?« »Es wurde bereits abgestrahlt«, sagte das Schiff. Aufatmend sank ich in meinen Sessel zu rück. Es beunruhigte mich dennoch, daß ich nicht an alles gedacht hatte. So etwas konnte eines Tages tödlich sein. Das Schiff bremste immer stärker ab. Noch bevor es die ersten dünnen Schleier der Atmosphäre durchstieß, drehte es sich, so daß die starken Hecktriebwerke nach un ten gerichtet waren. Dann sank es vibrierend in die Lufthülle. Die Gasmassen tobten heu lend über die Hülle, doch sie wirkten wegen der mächtigen Heckflossen nur stabilisie rend auf die Lage des Schiffes. Später tauchten wir durch eine dicke Wol kenschicht. Als sie hinter beziehungsweise über uns lag, entdeckte ich unter uns ein mächtiges Gebirge, das sich durch eine riesi ge graugrüne Ebene wand. Das Schiff sank tiefer und tiefer. Ein scheinbar winziges Plateau wurde sichtbar, wuchs an und füllte den Subbildschirm schließlich völlig aus. Mit einem schwachen Ruck kam das Schiff zum Stehen. Crysalgira und ich schauten uns an. Wir kannten beide das Risiko, das wir eingegangen waren. Falls Warquel uns ge täuscht hatte und sich doch eine Besatzung im Depot befand, würden wir unweigerlich entlarvt werden. Dann käme es zum Kampf, und ich war nicht sicher, ob es uns gelingen würde, in dem Fall wieder in den Weltraum zu entkommen.
H. G. Ewers Doch nichts rührte sich. Wir wurden we der über Funk angerufen, noch zeigte sich ein Tejonther. Dennoch konnten wir unsere Gefangenen nicht einfach freilassen. Wenn es ihnen gelang, schnell genug in den Stütz punkt zu kommen und die Bodenforts zu ak tivieren, konnten sie das Schiff nach dem Start abschießen. Als eine halbe Stunde ereignislos verstri chen war, erhob ich mich und sagte: »Ich schaue mich im Stützpunkt um, Cry salgira. Schiff, wie kommt man in den Stütz punkt hinein?« »Indem ich veranlaßt werde, einen Sym bolkodespruch abzustrahlen«, antwortete das Schiff. »Dann strahle ihn ab!« Das Schiff schwieg eine Weile, dann sag te es: »Symbolkodespruch ist abgestrahlt. Der geheime Zugang öffnet sich in zwei Minu ten.« »Also, dann bis nachher!« sagte ich zu Crysalgira und ging zum Zentraleschott.
* Als ich das Schiff verließ, sah ich, daß sich in der nördlichen Felswand eine gleiter große Öffnung gebildet hat. Sie war quadra tisch wie die Schleusen der tejonthischen Raumschiffe, und von innen schimmerte Licht heraus. Langsam ging ich auf die Öffnung zu. Meine Waffen ließ ich in den Gürtelhalftern stecken. Erstens würden sie mir gegen die Verteidigungsanlagen des Depots ohnehin nichts nützen, und zweitens wollte ich – für den Fall einer Automatüberwachung – jeden Eindruck von Feindseligkeit vermeiden. Ich wußte nicht, ob eine Automatüberwa chung zwischen mir und einem Tejonther unterscheiden konnte. Körperform und große sowie Bekleidung und Bewaffnung stimmten überein. Aber außer durch das feh lende Fell und die rötlichen Augen unter schied ich mich von einem Tejonther be stimmt durch Charakteristika der x
Ingenieure der Vernichtung dimensionalen Hirnwellenkomponente. Als ich die Öffnung erreicht hatte, ohne daß eine feindselige Reaktion erfolgt war, wuchs meine Zuversicht wieder. Dennoch spähte ich mißtrauisch in die quadratische Kammer hinter der Öffnung. Ihre Kanten länge betrug schätzungsweise fünf Meter. Sie war leer, und an ihrer Rückwand sah ich die Umrißlinien eines Schotts oder einer Tür. Mir blieb weiter nichts übrig, als mein Spiel weiterzuspielen. Ich trat ein. Summend schloß sich die Öffnung hinter mir. Ich hoffte, daß sie sich wieder öffnen würde, wenn ich hinaus wollte. Als die Öffnung sich geschlossen hatte, öffnete sich in der gegenüberliegenden Wand ein Schott. Dahinter lag ein in gelbli ches Licht getauchter Korridor. Auch er war leer. Es schien sich also tatsächlich keine Besatzung im Depot aufzuhalten. Ich betrat den Korridor und entdeckte in den Seitenwänden die Umrißlinien weiterer Schotte. Als ich mich dem nächsten Schott bis auf zirka zwei Schritt genähert hatte, teil te es sich. Die beiden Hälften glitten zur Sei te. Ich trat näher und entdeckte einen Raum, der mit Geräten zur Hälfte angefüllt war. An einer Wand befanden sich sechs Bildschir me. Sie dienten offenbar der optischen Be obachtung der Außenwelt, waren aber zur Zeit nicht aktiviert. Vermutlich war die Kammer für eine Wachmannschaft ausge stattet worden, die dann aber doch nicht ein gesetzt worden war. Mir konnte das nur recht sein. Damit war mein Interesse an diesem Raum befriedigt. Ich verließ ihn wieder und wandte mich dem nächsten Schott zu. Es öffnete sich ebenfalls automatisch. Dahinter lag ebenfalls ein Raum, aber er war leer bis auf ein paar Stahlmöbel, die an scheinend hier untergestellt worden waren, um anderswo Platz zu schaffen. Ich untersuchte die Wände und stellte fest, daß sie aus massivem Stahlplastik be standen. Sie waren höchstens mit einer
11 Energiewaffe zu durchbrechen. Damit hatte ich gefunden, wonach ich suchte: einen Raum, in dem die Gefangenen so sicher un tergebracht werden konnten, daß sie den Start des Raumschiffs nicht zu behindern vermochten. An einer weiteren Erforschung des De pots war ich nicht interessiert, schon aus Zeitmangel nicht. Deshalb kehrte ich ins Schiff zurück. Das Außenschott öffnete sich ebenso bei Annäherung wie die inneren Schotte. Ich begab mich in einen Ausrüstungsraum des Schiffes, in der Hoffnung, das zu finden, was ich brauchte, um erstens die Gefange nen ausbruchsicher unterzubringen und um zweitens dafür zu sorgen, daß sie ihr Ge fängnis nach annehmbarer Zeit wieder ver lassen konnten. Das Glück verließ mich auch diesmal nicht. Ich entdeckte mehrere Impulskode schlösser, die eine automatische Ein schweißvorrichtung besaßen sowie einige Wurfgranaten mit Zeitzündern. Indem ich einen der Zeitzünder mit einem Impulskode schloß verband, das der Zündimpuls das Verriegelungsfeld desaktivieren würde er hielt ich ein elektronisches Zeitschloß. Anschließend befreite ich die gefangenen Tejonther und führte sie ins Depot und dort in den Raum mit den Stahlmöbeln. »Sie werden einige Zeit hier bleiben müs sen«, erklärte ich ihnen. »Aber keine Sorge, ich stelle das Zeitschloß auf zwölf Stunden ein, so daß sie nicht verschmachten müssen. Sobald sich das Schott öffnet, sind Sie frei. Ich nehme an, Sie können über Funk Hilfe herbeiholen. Andernfalls gibt es im Depot sicher genug Vorräte, mit denen Sie sich am Leben erhalten können, bis wieder ein Raumschiff auf Ayw landet.« Die Tejonther erwiderten nichts darauf. Sie starrten mich nur mit ihren gelben Au gen an, bis das Schott sich zwischen sie und mich schob. Der Rest war einfach. Ich drückte das Impulskodeschloß von au ßen gegen die Mittelfuge des Schottes und
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H. G. Ewers
trat zurück. Wenige Sekunden später glühte der untere Rand des würfelförmigen Schlos ses bläulich auf. Das Gebilde fraß sich etwa drei Zentimeter tief ins Schott, dann erlosch das Glühen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß der Zeitzünder nicht beschädigt war, stellte ich ihn auf eine Laufzeit von umgerechnet zwölf Stunden Arkonzeit. Danach verließ ich das Depot. Crysalgira wartete im Kommandoraum auf mich. Ihre Augen leuchteten, als sie mich unversehrt wiedersah. Ich lächelte ihr zu und sagte: »Dem Start von Ayw steht nichts mehr im Wege, Prinzessin. Sobald wir im Weltraum sind, werden wir überlegen, welches Ziel wir als nächstes anfliegen. Irgendwann wer den wir auch Yarden erreichen.« Ich setzte mich und sagte zu dem Schiff: »Start und Überlichtflug bis zum nächsten Sonnensystem!«
* Es dauerte nicht mehr als drei Stunden, bis wir das nächstliegende Sonnensystem des Mikrokosmos erreichten, eine grünlich schillernde große Sonne mit nur einem Pla neten. Das Schiff teilte mir auf eine entsprechen de Frage mit, daß der Planet von den Leer raumkonstrukteuren unter Quarantäne ge stellt worden sei. Den Grund dafür konnte es uns nicht angeben. »Ich bin auch nicht scharf darauf, den Grund herauszufinden, indem wir auf dieser Welt landen«, sagte ich zu Crysalgira. »Wahrscheinlich existieren dort gefährliche Lebensformen.« »Ich möchte es auch nicht herausfinden und dabei eventuell umkommen«, meinte die Prinzessin. »Ich denke, wir sollten trotz der damit verbundenen Gefahren die nächste Gefühlsbasis anfliegen und versuchen, dort die Koordinaten der Eisigen Sphäre zu be kommen.« »Zu gefährlich«, gab ich zurück. »Sie
wissen doch, daß die Flotte der Kreuzzügler sich gerade jetzt sammelt und in nächster Zeit die Gefühlsbasen anfliegen wird.« »Dann müssen wir eben irgendwo warten, bis wir sicher sein dürfen, daß die Kreuzfah rer die Eisige Sphäre erreicht haben. Dann können wir die nächste Gefühlsbasis anflie gen.« »Hm!« machte ich nachdenklich. »Der Gedanke ist gut. Aber wir sollten nicht im Raum warten, wo wir durch einen dummen Zufall geortet werden könnten, sondern auf einem Planeten.« Ich wandte mich an das Schiff und sagte: »Gibt es in der Nähe der nächsten Ge fühlsbasis Planeten, die für Lebewesen wie uns bewohnbar sind, die aber noch nicht be siedelt wurden und auf denen auch keine Stützpunkte existieren?« »Es gibt die Planwelten«, antwortete das Schiff. »Das sind Planeten, die von meinen Erbauern erforscht, kartographiert und für eine spätere Besiedlung vorgesehen wur den.« »Das klingt nicht übel«, meinte ich. »Aber sind solche Planwelten nicht ständig von Forschungskommandos besetzt?« »Nicht während eines Kreuzzugs«, erwi derte das Schiff. »Ein solcher Kreuzzug be ansprucht alle Kräfte meiner Erbauer. Die Planwelten werden auf lange Sicht nicht be setzt werden können.« »Weißt du, welchem Zweck diese Kreuz züge dienen, die deine Erbauer alle dreihun dert Jahre zur Eisigen Sphäre unterneh men?« erkundigte ich mich, denn dieses Rätsel beschäftigte mich, seitdem ich davon gehört hatte. »Zur Eisigen Sphäre?« fragte das Schiff. »Deine Erbauer nennen sie Yarden«, er klärte ich. »Wir kennen sie außerdem unter dem Namen Eisige Sphäre.« »Verstanden«, sagte das Schiff. »Mir lie gen keine Informationen über den Zweck der Kreuzzüge vor.« Crysalgira und ich blickten uns an. Unsere Hoffnung, vielleicht durch unser Schiff etwas mehr über die Kreuzzüge der
Ingenieure der Vernichtung Tejonther zu erfahren, hatte sich auch dies mal nicht erfüllt. »Dann werden wir die nächste Planwelt anfliegen«, entschied ich. »Verstanden!« sagte das Schiff. »Nächste Planwelt wird angeflogen.« Crysalgira und ich lehnten uns zurück, wäh rend das Schiff aus seiner weiten Kreisbahn um die grünschillernde Sonne ausscherte und beschleunigte. Als die Überlichtflugphase einsetzte, ver stellten wir beide unsere Sessel so, daß sie zu bequemen Liegen wurden. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, waren wir uns darüber einig geworden, daß wir den Über lichtflug zu einer Schlafpause ausnutzen wollten. Ich streckte mich aus, warf noch einen Blick auf die seltsamen Leuchterscheinun gen und wirbelnden Grauschleier des Zwi schenraums und war im nächsten Moment eingeschlafen.
3. Ein schrilles Signal weckte mich. Ich fuhr hoch und benötigte einige Sekun den, bevor ich mich erinnerte, wo ich mich befand und was in letzter Zeit alles gesche hen war. Neben mir richtete sich die Prinzessin auf, gähnte verhalten und blinzelte. »Was ist los?« fragte sie schläfrig. »Wir befinden uns im Landeanflug auf die Planwelt«, teilte unser Schiff uns mit. Ich blickte auf den Frontschirm und er kannte dort die Scheibe eines Planeten, eines blauen Planeten mit weißen Wolkenfeldern. Bei diesem Anblick regte sich Heimweh nach Arkon. Die drei Arkonwelten sahen vom Raum ähnlich aus wie diese Planwelt der Tejonther. Würde ich jemals nach Arkon zurückkeh ren? Ich schüttelte diese Empfindungen ab, so gut es ging. In meiner Lage durfte ich mich nicht in Sentimentalitäten verlieren. Das würde nur meine Willenskraft schwächen.
13 »Ich brauche Daten über das System und den Zielplaneten!« erklärte ich dem Schiff. »Die Planwelt ist der dritte Planet einer gelbweißen Sonne, die von insgesamt drei zehn Planeten und siebenundzwanzig Monden umkreist wird«, teilte das Schiff mit. »Der Zielplanet besitzt zwei Monde, einen mit einem Achtel seiner eigenen Masse und einen mit einem Zwanzigstel seiner Masse. Er ist der einzige besiedelbare Planet des Systems.« »Gut!« erwiderte ich. »Hier werden wir in aller Ruhe abwarten können, bis die Flotte der Kreuzzügler alle Gefühlsbasen passiert hat und nach Yarden weitergeflogen ist. Ich möchte, daß wir auf einem Kontinent mit gemäßigtem Klima landen.« »Verstanden!« sagte das Schiff. Das Abbild des Planeten im Frontbild schirm wuchs sehr schnell an, außergewöhn lich schnell sogar. »Ich empfinde unseren Landeanflug als zu schnell«, sagte ich zum Schiff. »Überprüfe die Verzögerungsrelationen!« »Das ist bereits geschehen«, erwiderte das Schiff. »Es gibt Differenzen, die auf Unre gelmäßigkeiten des Hauptreaktors zurückzu führen sind. Ich werde den Hauptreaktor stillegen müssen, da sonst die Gefahr eines Zusammenbruchs der Kernfelder besteht.« »Dann stürzen wir also ab«, sagte Crysal gira erstaunlich ruhig. »Nicht unbedingt«, sagte ich. »Schiff, welche Maßnahmen sind erforderlich, um eine weiche Landung auf der Planwelt zu gewährleisten?« »Das Schiff muß so gesteuert werden, daß es von der Atmosphäre abgebremst wird«, antwortete das Schiff. »Das ist bereits einge leitet. Sobald die Geschwindigkeit weit ge nug gesunken ist, genügen die beiden Ne benreaktoren, um eine weiche Landung zu gewährleisten. In diesem Fall muß ich aller dings dort landen, wohin die VerzögerungsSchwung-Relationen uns hintreiben. Wahr scheinlich geraten wir auf den zweitgrößten Kontinent der Nordhalbkugel, auf dem zur Zeit Winter herrscht.«
14 »Das wäre nicht so schlimm«, meinte ich. »Hauptsache, wir kommen weich genug auf und machen keine Bruchlandung. Ebenso wichtig erscheint es mir aber, daß wir wie der starten können. Wie stehen unsere Aus sichten dafür?« »Es besteht eine Wahrscheinlichkeit von siebenundachtzig Prozent, daß die Repara turschaltung des Hauptreaktorsektors den Hauptreaktor instand setzt, sobald er stillge legt worden ist«, antwortete unser Raum schiff. »Danach wären sowohl ein normaler Start als auch der Weiterflug möglich.« Ich atmete auf und lächelte Crysalgira zu, die doch ein wenig blaß geworden war. Eine Wahrscheinlichkeit von siebenun dachtzig Prozent war eine sehr gute Chance. Mit einem arkonidischen Kugelraumschiff wäre es erheblich schwieriger gewesen, die Atmosphäre eines Planeten zum Abbremsen zu benutzen. Die Stromlinienform der tejon thischen Raumschiffe zusammen mit der stabilisierenden Wirkung der mächtigen Heckflossen waren in unserem Fall eine un schätzbare Hilfe. »In Ordnung!« sagte ich. »Versuche, auf festem Land niederzugehen. Aber wenn es nicht anders geht, müssen wir auch eine Wasserung in Kauf nehmen. Ich hoffe doch, daß das Verhältnis zwischen der festen Ma terie des Schiffes und den Hohlräumen so günstig ist, daß unser spezifisches Gesamt gewicht unter dem von Wasser liegt und wir nicht sinken können.« »So ist es«, sagte das Schiff. »Die Kom munikation muß bis auf weiteres eingestellt werden, damit ich mich den Problemen der Landung und des Hauptreaktors zuwenden kann.« Ich erwiderte nichts darauf, denn ich er kannte selbst, daß unser Landeanflug in die kritische Phase eintrat. Sekunden später tauchten wir in die obe ren Ausläufer der Atmosphäre ein. Als die ersten feinen Gasschleier auf den Bildschir men zu sehen waren, wurde meine Brust völlig unerwartet von einem gewaltigen Druck zusammengepreßt. Von Crysalgira
H. G. Ewers kam ein gequältes Pfeifen, als die Luft aus ihren Lungen entwich. Entweder hatten die Andruckneutralisato ren versagt oder waren ausgeschaltet wor den, damit die freiwerdende Energie zur Verzögerung und Steuerung des Schiffes verwendet werden konnte. Vor meinen Augen wurde es schwarz. Dennoch spürte ich, wie das Schiff von der dichteren Atmosphäre aufgefangen, ab gebremst und wieder hinaus in den Raum geschleudert wurde. Der Druck wich von meiner Brust. Ich konnte allmählich wieder etwas erkennen. Eine grelle Sonnenscheibe erschien im Frontschirm – und tauchte wieder nach oben weg, als die Nase des Schiffes sich abermals senkte. Auch beim nächsten Eintauchmanöver quetschte eine mächtige Kraft Crysalgira und mir die Lungen zusammen, so daß wir beinahe das Bewußtsein verloren. Aber es wurde nicht ganz so schlimm wie beim er stenmal. Wieder schossen wir aus der Atmosphäre hinaus. Diesmal tauchte die Sonne nicht im Frontschirm auf, ein sicheres Zeichen dafür, daß unser Abschwungwinkel flacher gewor den war. Das dritte Eintauchmanöver war längst nicht mehr so hart. Dennoch bewegte ich mich vorsichtshalber nicht. Noch einmal verließen wir die Atmosphäre. Als wir zum viertenmal eintauchten, blieben wir darin. Langsam schwenkte sich das Schiff her um, bis das Heck zur Oberfläche des Plane ten zeigte. Auf dem Subbildschirm sah ich, wie eine glühende Gassäule aus der Heckdü se stach. Erneut preßte mich der Andruck auf den Sessel, doch er blieb erträglich. Der Druck schwächte sich etwas ab, dann blieb er konstant. Das konnte nur bedeuten, daß unsere Verzögerung für eine weiche Landung ausreichte. Wieder widmete ich meine Aufmerksam keit dem Subbildschirm, der alles zeigte, was sich unter dem Schiff befand. Außer der Glutsäule aus dem Heckaggregat und wir
Ingenieure der Vernichtung belnden Schneewolken war jedoch nichts zuerkennen. Wenig später rissen die Wolken auseinan der. Unter uns erstreckte sich eine schneebe deckte Ebene, aus der sich die kahlen Äste und Zweige von Pflanzen reckten. Das Flachland wurde auf einer Seite durch einen breiten Strom begrenzt, auf dem Eisschollen trieben. Auf dem jenseitigen Ufer lagen wei ße Hügel, die allmählich zu einem Vorgebir ge übergingen, das vor einer grauweißen Gebirgsmauer endete. Keiner sehr verlockender Anblick, aber schließlich wollten wir uns hier nicht für den Rest unseres Lebens niederlassen, sondern nur eine Rast einlegen. Als der Triebwerksstrahl die weiße Ebene traf, wurde der Schnee in weitem Umkreis verdampft. Mächtige Dampfschwaden nah men mir die Sicht. Das Schiff schüttelte sich, wurde langsa mer und hielt nach einem von Knirschen und Knacken begleiteten Ruck an. »Wir sind weich gelandet!« meldete das Schiff.
* Als die Dampfwolken sich verzogen hat ten, sah ich rings um die Heckflossen des Schiffes eine halb durchsichtige milchglas ähnliche Masse. Die Hitze des Triebwerksstrahls hatte den Boden in einem Radius von zirka hundert Metern geschmolzen. Er war noch weich, er starrte aber zusehends, wobei er wieder un durchsichtig wurde und zahlreiche Risse und Sprünge bekam. »Da wären wir also auf Cerkol!« stellte ich fest. »Auf Cerkol?« fragte Crysalgira verwun dert. Ich lächelte. »Das Wort Cerkol stammt aus dem Altar konidischen und bedeutet soviel wie Schneeflöckchen«, erklärte ich. »Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich diese Welt so nennen.«
15 »Oh!« machte die Prinzessin. »Ein sinni ger Name, wenn auch nicht ganz zutreffend, da der Winter hier nur eine der Jahreszeiten ist. Aber meinetwegen, nennen wir die Welt Cerkol.« »Danke!« erwiderte ich. »Für uns wird Cerkol allerdings eine Winterwelt bleiben. Ich habe nicht vor, hier bis zur Schnee schmelze auszuharren.« »Ich auch nicht«, meinte Crysalgira. »Sobald der Boden abgekühlt ist, möchte ich mir draußen die Füße vertreten und endlich einmal wieder frische Luft atmen. Wenn Sie einverstanden sind, Atlan, bereite ich inzwi schen eine Mahlzeit für uns zu.« »Ich habe nichts dagegen – im Gegen teil«, sagte ich. »Auch mit dem Ausflug bin ich einverstanden. Vielleicht gibt es draußen Wild, so daß wir nach langer Zeit richtiges Fleisch essen können. Es ist eine halbe Ewigkeit her, daß ich einen Spießbraten ge gessen habe.« »Einen Spießbraten?« erkundigte sich Crysalgira. »Was ist das?« Ich sah die Prinzessin verwundert an, bis mir einfiel, daß der auf Arkon ansässige Adel dem natürlichen Leben weitgehend entfremdet war. Manche Arkoniden waren so dekadent ge worden, daß sie vor allen natürlichen Nah rungsmitteln einen starken Widerwillen empfanden und nur noch Synthonahrung zu sich nahmen. »Wildbret, auf einen Stahlstab gesteckt und über offenem Feuer zubereitet«, erläu terte ich. »Selbstverständlich wird das erleg te Wild vorher abgezogen und ausgenom men. Nach Möglichkeit soll man es auch noch einige Tage bei niedriger Temperatur abhängen lassen.« Crysalgira schüttelte sich. »Und so etwas könnten Sie essen?« fragte sie angewidert. »Ich habe es sogar schon oft gegessen«, antwortete ich. »Vergessen Sie bitte nicht, daß ich schon als Kind von Arkon fliehen und seitdem auf vielen Welten unter primiti ven Bedingungen leben mußte. Aber ich bin
16 sicher, daß Sie nach allem, wovon wir uns bisher im Mikrokosmos notgedrungen er nähren mußten, einen Spießbraten als Deli katesse empfinden werden.« Sie blickte mich zweifelnd an. Ich zuckte die Schultern. Vielleicht gab es hier tatsächlich Wild, dann konnte ich Crysalgira beweisen, daß ein Spießbraten immer noch besser mundete als das synthetische Zeug, das wir im Mikro kosmos vorgesetzt bekommen hatten. Nachdem Crysalgira den Kommando stand verlassen hatte, durchstreifte ich das Schiff von vorn bis hinten. Wir waren ja bis her noch nicht dazu gekommen, eine gründ liche Bestandsaufnahme vorzunehmen. In einer Kammer fand ich zu meiner Freu de eine reichhaltige Sammlung von Mikro filmspulen sowie einen Vorführapparat. Meine Freude wurde allerdings etwas ge dämpft, als ich die ersten Spulen stückweise abgespielt hatte. Sie enthielten keine Informationen über die großen politischen und militärischen Zu sammenhänge im Mikrokosmos, sondern Unterhaltungsfilme kriminalistischen Cha rakters. Dennoch entschloß ich mich dazu, mehre re Spulen im Schnellverfahren ganz abzu spielen. Unter einem Schnellverfahren ver stand ich die Methode, zuerst den Schluß des Films ablaufen zu lassen, danach ein Stück aus dem Mittelteil und dann zu erra ten, worum es ging und wie die Gesamt handlung ablief. Stichproben lieferten mir dann den Beweis für die Richtigkeit meiner Theorie. Allerdings merkte ich bald, daß bei diesen Filmen etwas nicht stimmte. Jedesmal zum Schluß kam ein Bruch in die Handlung, tauchten Faktoren auf, die im vorhergehen den Verlauf überhaupt nicht aufgebaut wor den waren. Ich hatte gerade herausgefunden, woran das lag, als Crysalgira den Kopf zum Schott hereinsteckte und mir mitteilte, daß das Es sen fertig sei. Als sie die Handlung auf dem Projektor
H. G. Ewers flimmern sah, erkundigte sie sich danach, worum es dabei ging. Ich lächelte verstohlen. »Es handelt sich um Kriminalfilme. Sie unterscheiden sich allerdings in einem we sentlichen Punkt von allen Kriminalfilmen, die ich bisher im Makrokosmos zu sehen be kommen habe.« »So?« meinte Crysalgira. »Und was ist dieser wesentliche Punkt?« »Der Täter kommt immer aus einem an deren Film und nicht aus dem, in dem die Tat begangen wurde«, antwortete ich. »Wie?« machte Crysalgira verblüfft. »Aber das ist doch idiotisch!« »Oder sehr geschäftstüchtig«, erwiderte ich. »Durch diesen Dreh sind die Leute ge zwungen, sich immer wieder neue Filmspu len zu kaufen, um die Filme, die sie schon gesehen haben, verstehen zu können.« »Der Täter kommt aus einem anderen Film«, wiederholte Crysalgira, immer noch verblüfft. »Wie kann jemand nur auf eine so ausgefallene Idee kommen!« Ich zuckte die Schultern und erwiderte: »Es gibt eben nichts, was es nicht gibt, verehrte Prinzessin. Ich hoffe allerdings, daß ich mich in dem Mahl, das Sie bereitet ha ben, leichter zurechtfinden werde.« »Lassen Sie sich überraschen, Erhabe ner«, sagte Crysalgira übermütig. Ich ließ mich überraschen – und ich wur de angenehm überrascht. Crysalgira hatte aus den verschiedensten Ingredienzien tejon thischer Herkunft ein Menü zubereitet, das aus einer gebundenen Suppe, einem täu schend nachgemachten Synthofleischbraten mit ebenfalls täuschend nachgemachten Sherkklößen und Trubgemüsen sowie einem Dessert bestand, das an arkonidische Ruk halbeeren erinnerte. Es schmeckte sogar so ähnlich, wie es aussah. Ich hatte nicht gedacht, daß eine ver wöhnte Prinzessin des arkonidischen Hocha dels imstande war, aus absolut fremdartigen Zutaten ein solches Menü zuzubereiten. Crysalgira errötete bei meinem Lob. »Ich habe mich mit der Kochkunst be
Ingenieure der Vernichtung schäftigt, seit ich Chergost kennenlernte«, erklärte sie, als würde das alles erklären. Chergost, das war der arkonidische Son nenträger, dem Crysalgira in heißer Liebe zugetan war. In diesem Augenblick beneide te ich den jungen Adligen darum. Doch das ging schnell vorüber. Als wir unser Mahl beendet hatten, dankte ich der Prinzessin und sagte: »Wenn Sie nichts dagegen haben, können wir einen kleinen Verdauungsspaziergang unternehmen.« Crysalgira lächelte mich an und meinte: »Ein Glück, daß ich durch meine Aben teuer im Mikrokosmos abgehärtet worden bin, Atlan, sonst hätte ich mich bei der Er wähnung des Verdauungsvorgangs überge ben müssen. Beim arkonidischen Hochadel ist bereits die geringste Andeutung in dieser Richtung verpönt.« »Ich bitte um Verzeihung!« sagte ich er schrocken. »Das wußte ich nicht, Crysalgi ra.« Nach einer Weile fügte ich finster hinzu. »Ein weiteres Merkmal für die schlei chende Dekadenz meines Volkes. Wenn nicht bald etwas geschieht, das dieser Ent wicklung Einhalt gebietet, gerät das Große Imperium in eine Talfahrt, die sich nicht mehr aufhalten läßt.« »Ich sehe da nicht so schwarz wie Sie«, entgegnete Crysalgira. »Kommen Sie, an der frischen Luft werden Ihre trüben Gedanken verfliegen.« »Ich hoffe es«, erwiderte ich und stand auf.
* Als wir aus der Schleuse auf die ausge fahrene Rampe traten, wehte uns eisiger Wind in die Gesichter. Doch das war nicht so schlimm, wie es uns im ersten Moment vorkam. Wir waren nur die gleichmäßige Temperatur im Innern des Raumschiffs gewöhnt. Rasch stiegen wir die Rampe hinunter. Unten blies der Wind erheblich schwächer.
17 Allmählich gewöhnten wir uns an die Kälte und atmeten tief die klare frische Luft ein, die sich wohltuend von der sterilen abge standenen Luft im Schiff unterschied. Ich trug zusätzlich zu meinen beiden Handwaffen ein Nadelgewehr, das zur Aus rüstung der ursprünglichen Besatzung gehört hatte. Es verschoß winzige Stahlnadeln, die im Ziel eine Schockwelle auslösten, die je des Lebewesen bis zu einer bestimmten Kör pergröße tötete. Für die Jagd war es die ideale Waffe, denn es ersparte der Beute auch dann jegliches Leiden, wenn die Nadel kein lebenswichtiges Organ traf. Vorerst aber ließ sich kein Tier blicken. Ich sah nur die Zweige von niedrigen Bäu men und kugeligen Sträuchern, die sich im Wind bewegten und uns zuzuwinken schie nen. Doch wo es Pflanzen gab, sollte es auch Tiere geben. Es war eines der universellen Gesetze, daß sich dort, wo sich pflanzliches Leben entwickelt hatte, auch andere Lebens formen entwickelten, die von den Pflanzen lebten. Allerdings hatte Fartuulon mir ein mal erklärt, daß Ausnahmen die Regel be stätigten. Langsam stapften wir durch den waden hohen pulvrigen Schnee außerhalb der Schmelzzone. Als wir den ersten Baum er reichten, sah ich, daß er nur scheinbar nied rig war. Unter der Pulverschneedecke be fand sich eine ältere, dick verharrschte Schneedecke, die wahrscheinlich den größ ten Teil der Baumstämme verbarg. Wir gingen weiter und hielten dabei stän dig nach tierischem Leben Ausschau. Doch wir entdeckten nichts – bis wir plötzlich hinter einem Baum auf eine Spur stießen. Es war die Fährte eines katzenartigen Tie res, einer Großkatze, wie an den breiten Trittsiegeln zu erkennen war. Die Stellung der Trittsiegel deutete darauf hin, daß sich das Tier im Schlendergang fortbewegt hatte. »Die Spur ist frisch«, sagte ich zu Crysal gira. »Sonst wäre sie wenigstens teilweise zugeweht. Das Tier muß sich in der Nähe befinden.«
18 »Ob es uns gefährlich werden kann?« er kundigte sich die Prinzessin. »Nicht, wenn wir es entdecken, bevor es uns angreift«, antwortete ich. Ich feuchtete einen Finger an und hielt ihn hoch. »Der Wind weht in die Richtung, in die sich das Tier entfernt hat«, stellte ich fest. »Wahrscheinlich hat es uns längst gewittert. Wir werden einen Bogen schlagen, damit es unsere Witterung verliert.« »Wollten Sie nicht ein Tier schießen?« fragte Crysalgira. »Ja, aber möglichst einen Pflanzenfres ser«, erwiderte ich. »Das Fleisch von Raub tieren hat meist einen unangenehm strengen Geschmack.« Ich wich nach rechts von unserer bisheri gen Marschrichtung ab, behielt aber die Ge gend, in die das Raubtier verschwunden sein mußte, weiterhin im Auge. Wenn es mich überraschend ansprang, würde mir auch das Nadelgewehr wenig nützen. Nach ungefähr hundert Metern schlug ich wieder die alte Richtung ein. Ich warf einen Blick zum Schiff. Es stand kerzengerade auf der Landefläche unter dem trübgrauen Him mel Cerkols und wirkte wie das Verspre chen, daß wir diesen Planeten in absehbarer Zeit wieder verlassen konnten. Als ich mich wieder umdrehte, sah ich das Tier. Es war nur etwa fünf Meter vor uns hinter einem dichten Strauch hervorgekommen und offensichtlich genauso überrascht wie wir. Ich brachte das Nadelgewehr in Anschlag, schoß aber nicht, sondern beobachtete das Tier. Crysalgira griff nach meinem Arm. Es handelte sich tatsächlich um eine Großkatze, zirka zwei Meter lang, mit etwa achtzig Zentimetern Schulterhöhe, kleinem Schädel und schneeweißem Fell. Die hellro ten Augen hatten Schlitzpupillen. Die Lef zen waren etwas zurückgezogen und gaben den Blick auf fingerlange messerscharfe Reißzähne frei. Die Schneekatze duckte sich und fauchte. Dennoch schoß ich nicht. Die Tatsache,
H. G. Ewers daß das Tier wie wir einen Bogen geschla gen hatte, der es aus der bisherigen Richtung brachte, bewies mir, daß es uns gewittert hatte und ausgewichen war, anstatt sich auf die Lauer zu legen. Die Schneekatze fauchte lauter, dann wandte sie sich um und eilte in langen Sprüngen davon. In etwa zwanzig Metern Entfernung blieb sie noch einmal stehen und blickte zurück, dann verschwand sie hinter einem Busch. Crysalgira atmete auf. »War das nicht leichtsinnig, einfach ste henzubleiben, statt zu schießen?« fragte sie. »Keineswegs«, antwortete ich. »Erstens weichen die meisten Raubtiere den Vertre tern der dominierenden planetarischen Intel ligenz grundsätzlich aus und zweitens war unser Geruch völlig fremdartig für das Tier. Es konnte uns nicht einordnen. Folglich stellten wir keine Beute dar.« Wir marschierten weiter und kamen bald darauf ans Ufer des breiten Stromes. Die Eisschollen trieben träge dahin, denn die Strömung war wegen des geringen Gefälles nur sehr geh wach. »Dort!« flüsterte Crysalgira plötzlich und deutete mit dem Arm zur anderen Seite des Stromes. Ich folgte der angegebenen Richtung mit den Augen und entdeckte am gegenüberlie genden Ufer drei große gehörnte Tiere, die ihre Köpfe zum Wasser senkten und tran ken. Ihr langhaariges Fell war grau und braun gefleckt. Nach einiger Zeit machten die Tiere kehrt und tauchten in den Hügeln unter. »Offenbar Pflanzenfresser«, sagte ich. »Vielleicht sollten wir morgen in den Hü geln auf die Jagd gehen. Für heute ist es zu spät. Es wird bald dunkel.« »Wie sollen wir hinüber kommen?« fragte die Prinzessin. »Wir haben weder ein Boot noch einen Gleiter.« »Die Eisschollen treiben sehr dicht zu sammen und langsam«, erwiderte ich. »Außerdem sind sie mindestens einen Vier telmeter stark. Es dürfte ein Kinderspiel
Ingenieure der Vernichtung sein, von einer Scholle zur anderen das ge genüberliegende Ufer zu erreichen.« Crysalgira blickte mich skeptisch an. Dann, als sie merkte, daß es mir ernst war, lachte sie und meinte: »Bei Ihnen kann man wirklich viel dazu lernen, Atlan. Ich bin sehr froh darüber, daß wir uns getroffen haben.« »Ich auch«, sagte ich. »Obwohl ich Ihnen die Strapazen unserer Irrfahrt gern erspart hätte. Gehen wir zum Schiff zurück.« Wir kehrten um und erreichten das Schiff, kurz bevor die Nacht hereinbrach. Als wir den Kommandoraum betraten, sahen wir auf den Bildschirmen, daß es dunkel geworden war. Nur der größte der beiden Monde Cer kols schien als gelber Lichtfleck durch die Wolkendecke und spendete ein wenig Hel ligkeit. Ich gähnte hinter der vorgehaltenen Hand und fragte: »Schiff, wie weit sind die Reparaturarbei ten gediehen?« »Die Reparatur ist beendet«, antwortete das Schiff. »Wir können jederzeit wieder starten. Es brauchte lediglich ein wichtiges Element der Simultanschaltung für die Feld projektoren des Hauptreaktors ausgewech selt zu werden.« »Ausgezeichnet«, erwiderte ich. »Aber vorläufig werden wir noch auf Cerkol blei ben. Ich muß unbedingt noch einen Spieß braten schießen.« Ich zwinkerte Crysalgira zu. »Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich Ihnen nicht die Vorzüge eines naturhaften Mahls beweisen würde«, erklärte ich. »Außerdem wird es Ihr Sonnenträger Cher gost sicher zu schätzen wissen, wenn Sie ihm eigenhändig einen Spießbraten zuberei ten.« »Wenn Ihr Spießbraten mir schmecken sollte, werde ich Chergost beibringen, wie er so etwas zubereiten kann, Atlan«, erwiderte die Prinzessin. Ihr Gesicht verdüsterte sich. »Wenn ich ihn jemals wiedersehen soll te«, fügte sie wehmütig hinzu.
19 Ich streckte mich auf meinem zurückge klappten Sessel aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sagte: »Sie werden noch viele Kinder mit Cher gost haben, Crysalgira. Und nun wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.«
4. Der neue Tag begrüße uns mit einem strahlend blauen Himmel. Crysalgira und ich hielten uns nicht länger auf als unbedingt nötig. Mich lockte in erster Linie das Jagdfieber, Crysalgira dagegen wohl mehr das schöne Wetter, das aber auch mich reizte. Nachdem wir etwas gegessen hatten, nahm ich wieder das Nadelgewehr an mich, dann verließen wir das Schiff. Die Luft draußen war etwas kälter als am Vortage, dafür aber noch klarer und trockener. Frohen Mutes stapften wir durch den Schnee zum Strom. Bald machten sich die wärmenden Strahlen der Sonne bemerk bar. »Ich wünsche, wir hätten Langlaufschnee schuhe bei uns«, sagte ich. »Dann kämen wir schneller vorwärts.« »Man kann nicht alles haben«, erwiderte Crysalgira, und damit hatte sie völlig recht. Als wir den Fluß erreichten, stellten wir fest, daß er während der Nacht ganz zuge froren war. Die Eisschollen waren regelrecht zusammengewachsen. Hier und da waren ei nige von ihnen hochgeschoben und aufge türmt worden. Das hob unsere Stimmung noch mehr. Wir wurden so übermütig, daß wir während der Überquerung des zugefrorenen Stromes einige arkonidische Raumfahrerlieder san gen. Drüben angekommen, schwiegen wir al lerdings, denn wir wollten das Wild nicht verscheuchen. Wir fanden die Trittspuren der Tiere, die wir am Vortag beobachtet hatten, auf An hieb. Von den Tieren selbst war zwar nichts zu sehen, aber ich hoffte, daß wir auf sie
20 treffen würden, wenn wir den Spuren gedul dig folgten. Die Spuren führten uns zwischen den Hü geln hindurch. Auf dieser Seite des Stromes gab es nur vereinzelte Bäume, dafür waren sie erheblich größer als auf der anderen Sei te. Wir sahen, daß die Tiere bei den Bäumen angehalten und die jungen Zweige mit den Blatt- und Blütenknospen abgefressen hat ten. Der Schnee ringsum war von ihren Hu fen zertrampelt. Die Tiere hatten sich gemächlich bewegt, auch das konnte ich aus den Spuren heraus lesen. Das Bild änderte sich jedoch, als wir in ein muldenförmiges Tal kamen, das von drei Hügeln umrahmt wurde. Hier mußten die Pflanzenfresser durch etwas aufge scheucht worden sein, als sie sich gerade an den jungen Zweigen eines Baumes zu schaf fen gemacht hatten. Die Spuren verrieten, daß sie in weiten Sprüngen zuerst auf den einen Hügel zugerannt waren. Dort hatten sie plötzlich gewendet und waren auf den Zwischenraum von zwei anderen Hügeln zu gestürmt. »Was mag sie aufgescheucht haben?« fragte Crysalgira mit gerunzelter Stirn. »Vielleicht eine Schneekatze«, gab ich zurück und blickte mich wachsam um. Es muß eine Schneekatze oder ein anderes Raubtier gewesen sein! sagte ich mir. Dennoch konnte ich mich eines unguten Gefühls nicht erwehren. Wenn die Pflanzen fresser von einer Schneekatze oder von meh reren Schneekatzen verfolgt worden waren, wo waren dann die Spuren der Raubtiere ge blieben? Sie hätten doch irgendwo die Spu ren der Pflanzenfresser kreuzen und dann neben oder auf ihnen bleiben müssen. Ich wandte mich um und spähte zwischen dem mittleren und dem rechts von uns gele genen Hügel hindurch. Die Pflanzenfresser waren in die gegenüberliegende Richtung geflohen. Irgendwo weiter draußen glaubte ich so etwas wie eine Spur zu sehen, vermochte aber nicht zu erkennen, ob sie von einer
H. G. Ewers Schneekatze stammte. Sie sah eher wie eine breite Schleif spur aus. Gefahr! Der Warnimpuls meines Extrahirns traf mich so intensiv, daß ich unterdrückt auf stöhnte. »Was haben Sie?« fragte Crysalgira er schrocken. Ich schluckte. »Wir kehren lieber zum Schiff zurück«, sagte ich. »Hier stimmt etwas nicht. Viel leicht gibt es intelligente Eingeborene.« »Auf einer Planwelt?« fragte die Prinzes sin. »Ich weiß, das klingt unwahrscheinlich«, erwiderte ich. »Aber wir wissen nicht, ob die Tejonther die gleichen Maßstäbe wie wir an Kolonisationswelten anlegen. Vielleicht nehmen sie keine Rücksicht auf Eingebore ne, wenn sie nur primitiv genug sind, daß sie ihnen nicht gefährlich werden können.« Crysalgira zog die Schultern hoch. »Dann kehren wir lieber um«, meinte sie. Wir drehten uns um. Im gleichen Augenblick bemerkte ich aus den Augenwinkeln auf einem Hügel eine Bewegung – und im nächsten Augenblick knallte es peitschenartig. Von drei Seiten flogen dunkle Bündel in hohem Bogen in unsere Richtung, entfalte ten sich über uns zu feinmaschigen, metal lisch schimmernden Netzen und stürzten auf uns herab. Ich ergriff Crysalgiras Hand und lief, so schnell ich konnte. Aber wir schafften es nicht. Als die Netze uns berührten, durchfuhr mich ein starker energetischer Schlag. Ich konnte nur noch einen halberstickten Schrei ausstoßen, dann kippte ich stocksteif um. Es war die gleiche Wirkung, wie sie durch Schockwaffenbeschuß hervorgerufen wurde. Also doch keine primitiven Eingeborenen! dachte ich, während Crysalgira halb über mich fiel und mir die Sicht nahm.
*
Ingenieure der Vernichtung Es ist immer äußerst deprimierend, wenn man von einer Schockwaffe gelähmt wird und dem Gegner völlig hilflos ausgeliefert ist. Ich konnte kein Glied rühren. Glückli cherweise war die unwillkürliche Bewegung meiner Augenlieder von der Lähmung nicht beeinträchtigt worden, sonst wären meine Augäpfel innerhalb kurzer Zeit gefroren und danach ausgetrocknet. Lange Zeit blieb es still, und ich begann schon zu fürchten, daß die Wesen, die uns mit ihren Schocknetzen ausgeschaltet hatten, uns hilflos in der Kälte liegen lassen wür den. Dann wären wir nämlich innerhalb ei ner Stunde erfroren. Doch dann vernahm ich knarrende und schleifende Geräusche, die sich uns näher ten. Wenig später wurde Crysalgira von mir gezogen, so daß ich nach einer Seite wieder freies Gesichtsfeld bekam. Das Lebewesen, das in meinem Gesichts feld auftauchte, war fremdartig. Doch die Fremdartigkeit interessierte mich zuerst we niger als die Kleidung, die es trug. Es war ein kombiartiger Schutzanzug. Na türlich hätte es einfach ein Schutzanzug ge gen die Winterkälte sein können. Doch das war es nicht. Der Randwulst unterhalb des Kopfes und der kapuzenartig auf dem Rücken zusammengefaltete KlarsichtDruckhelm verrieten eindeutig, daß es sich um einen Raumanzug handelte. Demnach hatte Cerkol Besuch von frem den Raumfahrern erhalten. Das Wesen war kein Tejonther. Es war auch kein Angehöriger eines Volkes, das ich kannte. Immerhin war es ein aufrecht gehender Zweibeiner mit einem Rumpf, einem Kopf, zwei kurzen Stummelbeinen und zwei langen Armen und demnach ein humanoider Typ. Ich besah mir es genauer. Der Rumpf glich dem einer arkonidischen Flunder, also dem eines sogenannten Plattfi sches. Nur der Kopf unterschied sich wieder sehr stark von dem eines Plattfisches. Er saß halslos und kammförmig auf dem Rumpf,
21 war zirka fünfzehn Zentimeter hoch und breit und verlief vom obersten Rückenwirbel – wenn das Wesen eine Wirbelsäule besaß – in Richtung Brust. In diesem Kamm, der in leuchtendem Rot gehalten war, waren auf jeder Seite drei Au gen zu erkennen. Auf dem Kammrücken be finden sich acht quastenartige Gebilde. Die Haut war, soweit ich sie sehen konnte, grau. Die Größe des Wesens betrug schätzungs weise anderthalb Meter, und als es sich um wandte, entdeckte ich einen aus der Steißge gend ragenden stachelähnlichen Auswuchs, der bis zu den Kniekehlen reichte. Der Aus wuchs war allerdings von dem gleichen Ma terial überzogen, aus dem der Raumanzug bestand. Das Wesen wandte sich wieder mit der Vorderseite zu mir und gab eine Reihe von knarrenden Lauten von sich. Dabei sah ich, daß es eine Art fleischigen Schubladenmund bewegte, der mitten auf der Brust saß und nur zu sehen war, weil dort eine Klappe im Raumanzug geöffnet war. Die knarrende Sprache war mir völlig fremd, und da mein Armband-Translator desaktiviert war, konnte sie nicht übersetzt werden. Dennoch sagte ich etwas auf Arko nidisch, womit wiederum der Fremde nichts anzufangen wußte. Außerhalb meines Blickfelds bewegten sich weitere Fremde. Ich hörte ihre Schritte und ihre knarrende Unterhaltung. Hände griffen zu und befreiten mich von meinen Waffen sowie von den anderen Ausrü stungsgegenständen, die ich am Gürtel und in den Außentaschen trug. Ganz zuletzt nahm mir jemand den Arm band-Translator ab. Das Wesen kannte offenbar die Bedeu tung und Funktionsweise des Geräts, denn es schaltete es zielsicher ein. Danach wandte es sich an mich und sagte: »Sie sind mit einem tejonthischen Raum schiff gelandet, aber Sie sind keine Tejon ther. Zu welchem Volk gehören Sie und be finden sich noch andere Personen an Bord Ihres Schiffes?«
22 Die Schocknetzlähmung hatte meinen Stimmapparat nicht betroffen, wie ich schon vorher festgestellt hatte, deshalb antwortete ich: »Ich heiße Atlan, und meine Begleiterin heißt Crysalgira. Wir waren Gefangene der Tejonther, konnten uns aber eines Raum schiffs bemächtigen und hierher fliehen. Da Sie uns angegriffen haben, müssen die Te jonther Ihre Feinde sein. Da die Tejonther auch unsere Feinde sind, besteht kein Grund zu einer Gegnerschaft zwischen uns.« »Das wird unser Stammesführer entschei den«, erwiderte der Fremde. »Sie haben noch nicht gesagt, ob sich an Bord des Schiffes weitere Personen befinden. Ant worten Sie!« Ich überlegte, ob ich ihm verraten sollte, daß wir ganz allein mit dem tejonthischen Schiff auf Cerkol gelandet waren. Er würde dann wissen, daß wir ihnen hilflos ausgelie fert waren, so daß die Fremden mit uns ma chen konnten, was sie wollten. Dennoch entschied ich mich dafür, bei der Wahrheit zu bleiben, denn wenn ich log, kam es sicher heraus, und in dem Fall wür den uns die Fremden nicht mehr trauen kön nen. »Wir sind allein gekommen«, erklärte ich. »Leider kennen wir Ihr Volk noch nicht. Wie nennen Sie sich?« »Wir sind Lopsegger«, antwortete der Fremde. »Wir bringen Sie in unser Lager. Verhalten Sie sich ruhig, wenn die Lähmung verschwindet. Vielleicht läßt Karsihl-HP Sie am Leben.« »Karsihl-HP, ist das Ihr Stammesführer?« fragte ich. »Und was bedeutet das ›HP‹ am Ende des Namens?« Darauf antwortete der Lopsegger jedoch nicht. Er schaltete den Armband-Translator aus und entfernte sich. Kurz darauf wurde ich auf die Ladefläche eines niedrigen Fahrzeugs gehoben und fest geschnallt. Was ich von dem Fahrzeug sah, ließ mich vermuten, daß es sich um einen Düsenschlitten handelte. Ein solcher Schlit ten mußte es gewesen sein, der die breite
H. G. Ewers Schleifspur jenseits der drei Hügel hinterlas sen hatte. Offenbar hatten die Lopsegger uns seit unserer Landung beobachtet und uns dann bei den Hügeln eine Falle gestellt. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß Crys algira neben mir auf die Ladefläche gehoben und ebenfalls festgeschnallt wurde. »Sind Sie in Ordnung, Prinzessin?« er kundigte ich mich. »Ja, bis auf ein paar blaue Flecken«, erwi derte sie. »Die Burschen sind nicht gerade sanft mit mir umgegangen.« »Tut mir leid«, sagte ich. »Aber ich den ke, wir haben nichts Schlimmes zu erwarten. Die Lopsegger haben uns nur gefangen, weil sie uns für Tejonther hielten. Sobald ich ih rem Anführer klargemacht habe, daß die Te jonther auch unsere Feinde sind, wird alles gut werden.« Crysalgira seufzte. »Dann bin ich ja beruhigt«, erklärte sie. Die Ironie in ihrem Tonfall war nicht zu überhören. Meine Worte mußten nicht sehr überzeugend geklungen haben. Wahrscheinlich deshalb, weil ich selbst nicht davon überzeugt war, daß wir auch diese Situation zu unserem Besten wenden konnten.
* Als der Düsenschlitten sich summend und fauchend in Bewegung setzte, kam Wind auf. Es war ein warmer Wind, der gar nicht zu der Jahreszeit paßte, die auf diesem Konti nent herrschte. Aber ich war dankbar dafür, denn er vertrieb die Kälte, die mir inzwi schen bis in die Knochen gedrungen war. Die Luft erwärmte sich immer stärker. Bald schwitzte ich am ganzen Körper. Gleichzeitig brauten sich am Himmel graue Wolken zusammen. Sie verdunkelten die Sonne, so daß wir bald durch eine im Halb dunkel liegende Landschaft fuhren. Kurz darauf traf uns eine Sturmbö. Der Düsenschlitten schwankte und schaukelte.
Ingenieure der Vernichtung Der Schnee schien schnell abzuschmelzen, denn hin und wieder spritzten Wasserfontä nen von den Kufen hoch und überschütteten Crysalgira und mich mit Schmelzwasser. »Es wird Frühling«, rief ich der Prinzes sin über dem Heulen des Sturmes zu. »Darauf hätte ich gern verzichtet«, rief Crysalgira zurück. Der Schlitten schoß eine Anhöhe hinauf und hielt an. Mehrere Lopsegger schnallten die Prinzessin und mich los. Ich spürte, daß die Schockstarre von meinen Gliedern wich. Vorsichtig bewegte ich Finger und Zehen. Die Lopsegger ließen mir jedoch keine Zeit, mich langsam von der Starre zu erho len. Zwei von ihnen stellten mich auf die Füße und ließen mich dann so abrupt los, daß ich beinahe gestürzt wäre. Ich schwank te, konnte mich aber unter Aufbietung aller Willenskraft halten. Als die beiden Lopsegger auch Crysalvira losschnallten und neben mich stellten, be herrschte ich meinen Körper bereits gut ge nug, um sie abzustützen, damit sie nicht fiel. Die Lopsegger trieben uns mit vorgehalte nen Strahlwaffen zu einem kuppelförmigen Zelt. Ich hatte nichts dagegen, aus dem Re gen zu kommen. Unter der Zeltdecke hing eine Atomlampe und verbreitete gelbliche Helligkeit. Mehre re Sitzgelegenheiten und eine Art Schreib tisch standen im Zelt. Hinter dem Tisch saß ein Lopsegger und betrachtete eine ausge breitete Karte. Seine sechs Augen richteten sich auf Crysalgira und mich. Er musterte uns eine Weile schweigend, dann schaltete er einen flachen schachteiför migen Translator ein, der ihm an einer Schnur vor der Brust hing. »Warum sind Sie auf diesem Planeten ge landet?« fragte er. Ich wischte mir mit dem Ärmel das Was ser, das aus den Haaren über meine Augen rann, fort, dann antwortete ich: »Wir wollten uns hier verstecken, bis die Kreuzzugsflotte der Tejonther endgültig nach Yarden aufgebrochen war. Wären wir im Raum geblieben, hätten sie uns vielleicht
23 geortet.« »Woher soll ich wissen, ob Ihre Angaben stimmen?« meinte er. »Sie könnten ebenso gut Spione der Tejonther sein. Oder können Sie beweisen, daß die Tejonther Ihre Gegner sind?« »Wenn Ihre Leute unser Raumschiff un tersuchen, werden sie Kampfspuren finden«, erklärte ich. »Sie stammen von dem Schuß wechsel, der sich ereignete, als wir die te jonthische Besatzung überwältigten.« »Vielleicht haben Sie die Schußspuren auch selbst angebracht, um uns zu täu schen«, erwiderte der Lopsegger. »Wo ist denn die von Ihnen angeblich überwältigte tejonthische Schiffsbesatzung?« »Wir haben sie auf einem Depotplaneten der Tejonther ausgesetzt«, antwortete ich. »Das kann stimmen«, meinte der Lopseg ger. »Es kann aber auch nicht stimmen. Wie soll ich die Wahrheit feststellen?« »Ich weiß es nicht«, gab ich resignierend zu. »Vielleicht läßt sich aus unserem Ver halten nach der Landung schließen, daß wir keine Spione sind. Spione wären wohl kaum auf die Jagd gegangen und ahnungslos in ei ne Falle getappt. Das war doch nur möglich, weil wir keine Ahnung davon hatten, daß es auf Cerkol andere Intelligenzen gibt.« »Cerkol?« fragte der Lopsegger. »Wir haben den Planeten so genannt, weil wir wegen des Ausfalls unseres Hauptreak tors auf diesem Kontinent landen mußten und eine Winterlandschaft vorfanden. Cer kol ist ein Wort einer alten Sprache und be deutet Schneeflöckchen.« »Bald wird der Name überhaupt nicht mehr zutreffen«, sagte der Lopsegger rätsel haft. »Aber es stimmt, Spione hätten sich anders verhalten als Sie – es sei denn, es wä re Ihre Absicht gewesen, sich von uns ein fangen zu lassen.« »Wir lieben unsere Freiheit!« warf Crys algira zornig ein. »Niemals hätten wir uns freiwillig in Gefangenschaft begeben. Aus dem Grund haben wir ja auch die tejonthi sche Besatzung des Raumschiffs überwäl tigt.«
24 Der Lopsegger blickte uns lange schwei gend an, dann sagte er: »Karsihl-HP wird entscheiden, ob Sie als Spione einzustufen sind oder nicht. Sobald der Regensturm abgeflaut ist, lasse ich Sie zu ihm bringen. Solange werden Sie in ei nem Zelt eingesperrt.« Er schaltete den Translator aus, knarrte unsere beiden Wächter befehlend an und beugte sich wieder über die Karte auf dem Tisch. Unsere Wächter führten uns aus dem Zelt, durch einen Schneebrei zum Nachbarzelt und stießen uns hinein. Auch von der Decke dieses Zeltes bau melte eine Atomlampe. Ansonsten bestand die Einrichtung nur aus zwei kleinen Kissen stapeln. Wir setzten uns und blickten uns in die nassen Gesichter. Unsere Wächter waren draußen geblieben. »Was tun diese Lopsegger eigentlich auf Cerkol?« erkundigte sich Crysalgira. »Sie scheinen sich im Krieg mit den Te jonthern zu befinden«, sagte ich. »Wahrscheinlich haben sie sich die Planwelt als Stützpunktplaneten ausgesucht.« »Die tejonthische Besatzung des Raum schiffs hat die Lopsegger nie erwähnt und auch nicht nach lopseggischen Raumschif fen Ausschau gehalten«, sagte Crysalgira nachdenklich. »Demnach scheinen die Te jonther die Lopsegger nicht als gefährliche Gegner einzustufen. Ich nehme an, daß un sere neuen ›Freunde‹ militärisch zu schwach sind, um offen gegen die Tejonther zu kämpfen. Deshalb fürchten sie sich auch vor Spionen, die den Tejonthern melden könn ten, daß sie Cerkol besetzt haben.« »Schon möglich«, gab ich zu. »Ich hoffe, daß ich diesen Karsihl-HP davon überzeu gen kann, daß wir wertvolle Verbündete in seinem Kampf gegen die Tejonther sein könnten.« Crysalgira lächelte. »Sie wollen natürlich versuchen, mit Hilfe der Lopsegger den Weg nach Yarden fort setzen zu können.«
H. G. Ewers »Stimmt!« erwiderte ich. »Ich bewundere Sie!« sagte Crysalgira. »Schlafen Sie lieber ein paar Stunden«, gab ich zurück und streckte mich auf mei nem Kissenstapel aus. »Bewundern dürfen Sie mich, wenn wir unsere Ziele erreicht ha ben.«
5. Trotz unserer mißlichen Lage schlief ich fest und traumlos. Ich erwachte davon, daß es still wurde. Als ich mich lauschend aufrichtete, merk te ich, daß das Heulen des Sturmes und das Prasseln der Regenböen verstummt waren. Von draußen klangen die knarrenden Sprechlaute der Lopsegger sowie das Sum men von Maschinen herein. Ein Blick zur Seite überzeugte mich da von, daß Crysalgira noch schlief. Sie hatte sich im Schlaf in eine typische Embryohal tung zusammengerollt, ein Beweis dafür, daß ihr Unterbewußtsein nach Geborgenheit strebte. Leise erhob ich mich, ging zur Zeltöff nung und schlug sie zurück. Sofort richteten sich die Strahlwaffen unserer beiden Wäch ter auf mich. Ich blieb stehen und zeigte ihnen meine leeren Hände. Ob sie mich verstanden, wuß te ich nicht. Ihre Waffen zeigten jedenfalls weiter auf meinen Bauch. Ich ignorierte die Bedrohung und spähte nach draußen. Es war immer noch trübe. Ein leichter Nieselregen ging über dem Lager nieder. Ich erkannte andere Rundzelte, mehrere schwere Gleiskettenfahrzeuge sowie eine Gruppe Lopsegger, die mit Hilfe von Maschinen ei ne Art Bohrturm errichteten. Ich runzelte die Stirn. Mir war bekannt, daß viele PrimitivZivilisationen ihren Energiebedarf mit Hilfe von Erdöl deckten, das sie verbrannten, wo bei die dabei entstehende Wärme zur Auf heizung von Wasser diente, das in Dampf umgewandelt wurde und Turbinen antrieb,
Ingenieure der Vernichtung die elektrischen Strom lieferten. Aber keine der mir bekannten Zivilisatio nen, die interstellare Raumfahrt betrieben, deckte ihren Energiebedarf noch auf diese Weise. Das hätten sie auch nicht nötig ge habt, denn wer interstellare Raumfahrt be trieb, verfügte über Fusionsreaktoren, und mit Fusionsreaktoren ließ sich Energie er heblich rationeller und vor allem in größeren Mengen erzeugen als mit Kraftwerken, die auf der Basis fossiler Brennstoffe arbeiteten. Ein Bohrturm konnte also bei den Lop seggern kaum bedeuten, daß sie nach Erdöl suchten. Es mußte eine andere Bewandtnis damit haben. Welche, vermochte ich jedoch nicht zu erraten, denn zu geologischen Un tersuchungen wurden in fortgeschrittenen Zivilisationen keine Bohrungen durchge führt. Dafür nahm man Detektoren, die auf der Basis von Hyperwellen arbeiteten. Als eine Maschine ein klobiges Gebilde zum Oberteil des Bohrturms hievte, wich meine Verwunderung einem Anflug von Be sorgnis. Das Gebilde war zweifellos ein Laserboh rer, auch wenn es plumper als ein arkonidi scher Laserbohrer konstruiert war. Trotz der Plumpheit mußte der Laserbohrer enorm lei stungsfähig sein. Das ließ sich schon allein am Durchmesser der Abstrahlmündungshül le erkennen. Mit einem Laserbohrer solchen Kalibers aber konnte man bis zum Planetenkern vor dringen, was eine äußerst riskante Angele genheit war, denn bei einem Planeten von der Größe und Dichte Cerkols baute sich der Kern aus ziemlich reiner Sonnenmaterie auf. Wenn eine Bohrung bis dorthin vordrang, kam es unweigerlich zu einem explosiven Ausbruch dieser unter hohem Druck stehen den Materie. Ein solcher Ausbruch würde den relativ engen Bohrschacht erweitern, wenn nicht gar sprengen, wodurch es an der Oberfläche zu schweren Beben und Vulkan ausbrüchen kommen mußte. Bevor ich das Problem zu Ende denken konnte, tauchte ein Lopsegger mit einem Translator auf.
25 Ich wußte nicht, ob es der gleiche Lopseg ger war, der uns in dem Zelt verhört hatte, denn für mich sahen diese Intelligenzen alle gleich aus. Er blieb vor mir stehen und sagte: »Ich habe Anweisung erhalten, Sie zu Karsihl-HP zu bringen.« »Es ist gut«, erwiderte ich. »Ich hole nur noch meine Begleiterin.« Ich kehrte zurück und weckte Crysalgira. »Sind wir schon in Nam Torh, Chergost?« Ich mußte lächeln. Offensichtlich hatte Crysalgira von vergangenen besseren Zeiten geträumt. »Nein, wir sind noch immer auf Cerkol – und ich bin leider nicht Chergost, sondern nur Atlan«, erklärte ich. »Oh!« rief Crysalgira enttäuscht aus. »Ich muß geträumt haben, Atlan. Warum haben Sie mich geweckt?« »Wir sollen zu Karsihl-HP gebracht wer den«, antwortete ich. »Sind Sie bereit?« »Was bleibt mir weiter übrig«, meinte Crysalgira. Ich half ihr hoch, dann traten wir vor das Zelt. Die Wächter hatten sich ein paar Schritte zurückgezogen und hielten ihre Waffen gesenkt. Ein elliptisch geformter Gleiter schwebte an und landete dicht vor uns. Der Lopsegger mit dem Translator stieg zuerst ein. Wir folgten ihm, dann kamen die beiden Wäch ter. Gleich darauf startete der Gleiter wieder. Glücklicherweise war es ein geschlossenes Fahrzeug, sonst wäre der Flug bei dem Nie selregen recht unangenehm geworden. Ich blickte aus dem Seitenfenster neben mir und sah, daß wir auf das Gebirge zuflo gen, das ich schon vom Raumschiff aus ge sehen hatte. Meine Vermutung, das Hauptquartier des Lopsegger befände sich mitten im Gebirge, erfüllte sich jedoch nicht. Schon von weitem entdeckte ich das Raumschiff, das – noch im Vorgebirge – in einer flachen Talmulde, un gefähr zweihundert Meter über dem Meeres spiegel, stand.
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H. G. Ewers
Es handelte sich um ein rund sechzig Me ter langes ovales Raumfahrzeug, das einen Durchmesser von etwa zwanzig Metern hat te und auf einer Doppelkufe ruhte. Von der offenen Backbordschleuse führte eine breite Rampe nach unten. Gerade, als der Pilot unseres Gleiters zur Landung ansetzte, zerriß der Donner einer Explosion die Stille. Ich fuhr herum und blickte zum Heckfen ster hinaus. Weit hinten stand ein schwefelgelber Rauchpilz. Qualmende Trümmerstücke se gelten aus dem Kopf des Rauchpilzes. »Sie haben unser Schiff gesprengt!« stieß Crysalgira hervor. Ich preßte die Lippen zusammen. Die Zerstörung unseres Raumschiffes war eine sinnlose Tat. Sie brachte den Lopseg gern keinen Nutzen, und uns beraubte sie ei nes Transportmittels, ohne das wir zur Inak tivität verurteilt waren. Wie sollten wir ohne Raumsschiff in die Eisige Sphäre kommen?
* Nach einer eleganten Schleife setzte unser Gleiter direkt vor dem Fuß der Rampe auf. Wir mußten über die Rampe gehen und wurden in den Kommandoraum des Schiffes geführt. Dort erwartete uns ein weiterer Lopsegger. Ob das Karsihl-HP war? Die respektvolle Haltung unserer Wächter schien meine unausgesprochene Frage zu bejahen. Ich grüßte nach der alten Sitte arkonidi scher Raumoffiziere. Wenn diese Intelligen zen Ehrenbezeigungen kannten, dann muß ten sie merken, daß ich eine Art von Zere monie absolvierte, die distanzierten Respekt ausdrücken sollte. Der Lopsegger, der uns erwartete, trug ebenfalls einen Translator vor der Brust. »Sie sind Atlan und Crysalgira!« stellte er fest. »Ich bin Karsihl-HP, der Leiter dieser Expedition.«
»Wir grüßen Sie, Karsihl-HP!« sagte ich. »Leider muß ich sagen, daß Ihr Verhalten mich empört. Es war völlig unnötig, unser Raumschiff zu zerstören.« »Es handelte sich um ein tejonthisches Raumschiff«, erwiderte Karsihl-HP, als wä re damit alles erklärt. »Aber wir sind keine Tejonther«, entgeg nete ich. »Das ist mir klar«, meinte Karsihl-HP. »Welchem Volk gehören Sie an, Atlan?« »Wir sind Arkoniden«, erklärte ich. Damit verriet ich absolut nichts, denn mit diesem Namen konnten höchstens die Leer raumkontrolleure des Mikrokosmos etwas anfangen, nicht aber die Angehörigen ande rer Völker im Leerraum. »Ich habe noch nie etwas vom Volk der Arkoniden gehört«, sagte Karsihl-HP. »Und ich erfuhr heute zum erstenmal, daß es Lopsegger gibt«, konterte ich. »Ihre Heimatwelt muß sehr weit von hier entfernt sein«, meinte Karsihl-HP. »Erzählen Sie mir mehr davon!« Das war eine heikle Angelegenheit. Ich konnte diesem Wesen schlecht die Wahrheit berichten, nämlich, daß wir Arko niden ein gewaltiges Sternenimperium besa ßen und daß unsere Raumflotten aus Hun derttausenden von schweren und schwersten Kampfschiffen bestanden. Das hätte die Lopsegger nur zu der Überlegung veranlaßt, warum wir noch nicht mit unseren Schiffen in ihrem Sektor aufgetaucht waren. Folglich mußte ich ein Gemisch von Lüge und Wahrheit ersinnen, das aber nicht zu bunt werden durfte, wenn ich mich nicht später in Widersprüche verwickeln wollte. »Wir Arkoniden sind ein sehr altes Volk, das bereits die Raumfahrt betrieb, als die Te jonther noch halbe Tiere waren«, sagte ich. »Aber nach vielen Jahrtausenden stetiger Höhenentwicklung verlief unsere Entwick lung wieder rückläufig. Wir stellten die Raumfahrt nach und nach ganz ein und leb ten ganz allein nach unseren philosophi schen Gedankenflügen. Vor einiger Zeit aber bildeten sich mehre
Ingenieure der Vernichtung re Gruppen, die die Rückkehr meines Vol kes zur früheren Größe anstreben. Sie kon zentrierten sich zuerst auf die Entwicklung einer leistungsfähigen Technologie, mit de ren Hilfe interstellare Raumschiffe gebaut werden konnten. Da man für Raumschiffe ausgebildete Besatzungen braucht, wurde außerdem mit der Schulung ausgesuchter Leute begonnen. Crysalgira und ich gehörten zu den Leu ten, deren Ausbildung zuerst abgeschlossen wurde. Wir sollten in wenigen Tagen mit dem ersten neuen Raumschiff zu einem Pro beflug starten. Aber kurz vorher tauchten Raumschiffe der Tejonther über Arkon auf. Sie schickten Beiboote aus und fingen uns ein. Wir sollten, wie wir erfuhren, nach Yar den gebracht werden. Das Raumschiff, in das wir gebracht wurden, schloß sich der Kreuzzugsflotte an. Es gelang Crysalgira und mir jedoch, die Besatzung zu überwälti gen und aus dem Sektor des Flottenauf marschs zu entkommen. Wir setzten die tejonthische Besatzung auf einem Depotplaneten der Tejonther aus und landeten auf diesem Planeten, um in al ler Ruhe abzuwarten, bis die Flotte der Kreuzfahrer endgültig nach Yarden aufge brochen war. Das ist alles. Leider griffen Ihre Leute uns an, nahmen uns gefangen und vernichteten unser Transportmittel.« Karsihl-HP schwieg lange Zeit. Offenbar mußte er meine Aussage erst gründlich durchdenken. Nach einer Weile sagte er: »Ich bedaure, daß meine Männer gewalt sam gegen Sie vorgingen, Atlan und Crysal gira. Aber sie hatten keine andere Wahl, denn wir erfüllen auf dieser Planwelt der Te jonther eine schwierige und geheime Missi on. Jeder Fremde, der hier auftaucht, könnte ein Spion sein, der uns an die Tejonther ver rät.« »Das sehe ich ein«, erwiderte ich. »Aber wir sind keine Spione, sonst hätten wir uns anders verhalten und wären Ihren Leuten
27 nicht in die Falle gegangen. Ich bitte Sie, uns als Freunde zu betrachten, Karsihl-HP.« »Das kann ich nicht eher tun, als bis er wiesen ist, daß Sie tatsächlich Gegner unse rer Erbfeinde sind«, erwiderte Karsihl-HP. »Dennoch werde ich Ihnen verraten, mit welcher Mission meine Expedition betraut ist. Sie werden keine Gelegenheit erhalten, die Tejonther darüber zu informieren. Die Tejonther sind seit langem unsere Feinde. Wir führten viele Kriege gegen sie und verloren sie alle, da die Tejonther eine weitaus größere Werftkapazität als wir besit zen und auch über ein größeres Reservoir an Besatzungen verfügen. Seit dem letzten Krieg haben die Tejon ther uns immer weiter zurückgedrängt. Sie greifen unsere Siedlungswelten an, wo im mer sie sie finden. Dabei haben sie selbst mehr Siedlungswelten, als sie auf absehbare Zeit benötigen. Aus diesem Grund erklären sie alle neu entdeckten, besiedlungsfähigen Welten zu Planwelten, die sie irgendwann in der Zukunft einmal besiedeln werden, wenn ihre derzeitige Bevölkerung sich verdoppelt oder verdreifacht hat. Wir Lopsegger sind gezwungen, unseren Kampf gegen die tejonthische Übermacht heimlich zu führen. Unsere Flotten sind zu schwach, um bewohnte tejonthische Welten anzugreifen. Deshalb suchen wir nach den Planwelten. Wenn wir eine gefunden haben, manipulieren wir sie so, daß die Tejonther vor einer Besiedlung zurückschrecken. Wenn sie eine ihrer Planwelten abgeschrie ben haben, wollen wir versuchen, sie selbst zu kolonisieren. Selbstverständlich müssen wir vorher die Manipulationen rückgängig machen.« Mir ging plötzlich ein Licht auf. Mit einem Mal wußte ich, was der starke Laserbohrer zu bedeuten hatte, der in dem Bohrgerüst des Lagers montiert worden war. Die Lopsegger hatten tatsächlich vor, den Planetenkern anzubohren und damit schwer ste Beben und Vulkanausbrüche hervorzuru fen. »Mit Kernbohrungen können Sie einen
28 ganzen Kontinent verwüsten«, erklärte ich. »Ich merke, Sie haben unseren Laserboh rer im Lager entdeckt und begriffen, was man damit anfangen kann«, sagte KarsihlHP. »Aber wir werden nur wenige Laser bohrungen durchführen. In erster Linie brin gen wir die Poleiskappen durch Installierung künstlicher Atomsonnen zum Abschmelzen. Außerdem heizen wir die Atmosphäre auf, indem wir sie mit Kohlendioxid anreichern. Die Wolkenmassen, die sich durch die Hitze und die dadurch bedingte größere Wasser verdunstung bilden, bringen wir durch Ab regnen von Chemikalien zum Nieder schlag.« »Das ist Wahnsinn!« warf Crysalgira ent setzt ein. »Dadurch würden riesige Land massen überflutet, und das Klima würde mörderisch werden.« »So soll es auch sein«, erwiderte KarsihlHP. »Nur dann werden die Tejonther diesen Planeten abschreiben. Natürlich würde sich der Planet von selbst wieder in die Normali tät einpendeln, doch das würde Jahrtausende dauern. Wir werden diesen Vorgang zur ge gebenen Zeit beschleunigen. Ich rechne da mit, daß wir ein Jahrhundert, nachdem die Tejonther den Planeten aufgegeben haben, mit der Besiedlung anfangen können.« »Wenn die Tejonther dahinterkommen, welches Spiel Sie treiben, werden sie sich fürchterlich rächen«, sagte ich ernst. »Und Sie können nicht eine Planwelt nach der an deren manipulieren, ohne daß es heraus kommt.« »Deshalb sind wir so vorsichtig gegen über Fremden, die plötzlich auf einer Plan welt auftauchen, die wir gerade manipulie ren wollen«, meinte Karsihl-HP. »Und was fangen Sie mit uns an?« erkun digte sich Crysalgira. »Sie werden einem unserer Arbeitskom mandos zugeteilt«, antwortete der Stammes führer. »Da Sie offenbar etwas von Laser bohrungen verstehen, lasse ich Sie dort ar beiten. Colgan-HP wird Sie zum Lager zurück bringen.«
H. G. Ewers Damit waren wir verabschiedet. Der Lopsegger mit dem Translator, der uns zu Karsihl-HP begleitet hatte und der Colgan-HP hieß, führte uns aus dem Schiff und zum Gleiter zurück. Als wir starteten, meinte Crysalgira leise: »Die Arbeit mit einem Laserbohrer ist ge fährlich, nicht wahr?« »Nur, wenn man damit den Kern eines Planeten anbohrt«, erwiderte ich mit einem Anflug von Sarkasmus.
* Bis wir das Lager erreichten, hatte der Nieselregen aufgehört. Über uns spannte sich wieder blauer Himmel. Aber die Landschaft sah böse aus. Der Schnee war zum größten Teil geschmolzen. Das Schmelzwasser strömte und gurgelte zwischen den Hügeln zum Strom hinab. In den Tälern hatten sich regelrechte Seen ge bildet, und die Hügel selbst glichen großen Schlammklumpen. Die Tiere, die sich aus den reißenden Schmelzwasserfluten gerettet hatten, standen oder lagen hilflos auf den Hügelkuppen. Innerhalb des Lagers lagen, zu einer Reihe geordnet, fünf Schneekatzen, die sich auf den Hügel geflüchtet hatten und von den Lopseggern erlegt worden waren. Colgan-HP führte uns gleich nach der Landung zum Bohrgerüst und stellte uns der Mannschaft vor. Ich konnte nicht erkennen, ob die Lopsegger über uns als zusätzliche Arbeitskräfte erfreut waren oder ob sie uns als unliebsame Konkurrenz betrachteten. Da Colgan-HP bei uns blieb, ließ ich mir von ihm erklären, mit welcher Geschwindig keit die Bohrung vorgetrieben werden sollte. Die Antwort erschreckte mich. Schon am ersten Tag sollte die Bohrung bis in die Mitte der Magmazone vorgetrie ben werden, und am zweiten Tag sollte sie den Kern aus Sonnenmaterie erreichen. »Das ist viel zu schnell«, erklärte ich. »Wenn wir so vorgehen, gibt es einen Ener gierückschlag, der das Bohrgerüst mitsamt der Bemannung zerfetzen wird. Ich schlage
Ingenieure der Vernichtung vor, die Bohrung am zweiten Tag nur bis dicht an den Kern heranzubringen und dann schnellstens von hier zu verschwinden. Die Sonnenmaterie dürfte dann erst etwa einen Tag später durchbrechen.« »Einverstanden, Atlan«, erklärte ColganHP. »Ich ernenne Sie zum Leiter des Bohr kommandos, da Sie offenbar über einschlä gige Erfahrungen verfügen.« Das wiederum paßte mir nicht. Aber Col gan-HP ließ sich von seinem Entschluß nicht abbringen. Er teilte ihn der Bohrmannschaft mit, und wir mußten sofort mit den Arbeiten anfangen. Ich bekam sogar einen Armband-Trans lator, damit ich mich mit der Mannschaft verständigen konnte. Zu meiner Verwunderung erhob niemand einen Einwand gegen meine Ernennung. Die Lopsegger führten alle meine Anordnungen exakt aus. Der Laserstrahl war ungefähr schenkelstark und schnitt durch die Ge steinskruste wie durch Butter, so daß wir gut vorankamen. Gegend Abend hatten wir eine Bohrtiefe von 2.300 Kilometern erreicht und waren damit tief in den festen inneren Planeten mantel vorgestoßen. Selbstverständlich konnten wir den Laserbohrer nicht abschal ten, sonst wäre der vom Laserstrahl geschaf fene und allein von ihm erhaltene Schacht innerhalb weniger Sekunden eingedrückt worden, und wir hätten ganz von vorn an fangen müssen. Ich sorgte dafür, daß meine Leute abge löst wurden. Ich selbst als Verantwortlicher wagte nicht, mich zu entfernen. Crysalgira besorgte etwas zu essen. Sie blieb bei mir, da sie sich fürchtete, allein in ein Zelt zu ge hen. Ihre Furcht war natürlich unbegründet, denn für einen Lopsegger mußte eine Arko nidin sexuell völlig reizlos sein. Die meisten Lopsegger im Lager wußten wahrscheinlich nicht einmal, daß Crysalgira weiblichen Ge schlechts war. So aßen wir gemeinsam auf dem Bohr turm, während ich die Kontrollen des Laser
29 geräts überwachte. Scheinwerfer erhellten den Turm und das Lager und machten für uns die Nacht zum Tage. Gegen Mitternacht brach dann das Unheil über uns herein. Ich hatte gerade angeordnet, die Vortrie bsgeschwindigkeit zu drosseln, um eine In stabilität in der Strahldichte zu kompensie ren, als der Turm von einer Orkanbö getrof fen wurde. Im Bruchteil einer Sekunde war die Hölle los. Lopsegger schrien, die Metallverstre bungen schwankten und ächzten, und von oben stürzte ein Arbeiter dicht an Crysalgira und mir vorbei in die Tiefe. Ich umklammerte mit einem Arm die Prinzessin und mit dem anderen das Gelän der, das den Kontrollstand umgab. Dennoch fühlte ich mich alles andere als sicher, denn der ganze Turm schwankte unter dem An prall immer neuer Orkanböen. Einmal wagte ich einen Blick ins Lager. Ich sah, daß sämtliche Zelte von der Hügel kuppe gefegt waren. Ein Düsenschlitten lag zerschmettert an der Seitenwand eines Gleiskettenfahrzeugs. Dunkle Gestalten kro chen durch den Schlamm oder lagen ver renkt zwischen zerbeulten und zerfetzten Geräten und Zeltstangen. Ungefähr die Hälf te der Scheinwerfer waren ausgefallen. Die Helligkeit reichte aber noch aus, um mich erkennen zu lassen, daß es kaum hätte schlimmer kommen können. Doch, es konnte noch schlimmer kom men! Das wurde mir im nächsten Augen blick klar, als der Turm sich mit unheilver kündendem Knirschen und Knacken zur Sei te neigte. »Wir müssen runter«, schrie Crysalgira mir über das Tosen des Orkans zu. »Das geht nicht!« schrie ich zurück. »Die Leiter ist fort!« Die schwere Metallplastikleiter, die von unten bis zur Kontrollplattform führte, war aus ihren Verankerungen gerissen worden und hatte sich um den Aufbau eines Ketten fahrzeugs gewickelt. Wenn wir versuchten, in dem Metallpla
30 stikgerüst nach unten zu klettern, würde der Orkan uns wahrscheinlich losreißen. Dabei bestand die Gefahr, daß wir in den Laser strahl gerieten. »Der Laserstrahl«, rief mir mein Logik sektor zu. »Wenn der Turm umstürzt, ver brennt er alles in seiner Umgebung!« Ich mußte den Laserbohrer abschalten, das war mir klar. Mir war nur nicht klar, wie ich das bewerkstelligen sollte, denn die Kontrollen befanden sich auf der gegenüber liegenden Seite der Plattform, und wenn ich unseren Halt losließ, würden wir beide von der Plattform geweht werden. Dennoch mußte es getan werden! Ich schob meinen rechten Arm, mit dem ich das Geländer umklammerte, weiter um das Geländer herum, so daß ich mit der rechten Hand das Schloß von Crysalgiras Waffengürtel erreichte. Den linken Arm schob ich ganz um Crysalgiras Taille, so daß ich auch die linke Hand an ihr Gürtelschloß brachte. »Was haben Sie vor?« rief sie. Ich antwortete nicht, denn ich brauchte meine ganze Kraft und Konzentration, um mein Vorhaben durchzuführen. Mit beiden Händen öffnete ich Crysalgi ras Gürtelschloß, dann zog ich unter An spannung aller Kräfte, bis Crysalgira gegen das Geländer gepreßt wurde und ich das Gürtelschloß hinter der Geländerstange wie der schließen konnte. »Festhalten!« schrie ich ihr zu. Sie packte die obere Geländerstange mit beiden Händen, so daß sie nunmehr an drei Punkten mit dem Geländer verbunden war. Das Gürtelschloß würde sicher halten, doch auch ihre Hände mußten halten, sonst konn te die nächste Orkanbö ihr das Rückgrat bre chen. Crysalgira verstand offenbar, was ich vor hatte. Sie klammerte sich mit beiden Händen fest und nickte mir zu. Als ich losließ, wurde ich gegen die Kon trollen des Laserbohrers geschleudert. Ich warf mich mit dem Oberkörper über das schräge Schaltpult, krallte eine Hand um den
H. G. Ewers oberen Rand und betätigte mit der anderen die Schalthebel, mit denen der Laserbohrer allmählich gedrosselt werden konnte. Diese allmähliche Drosselung war wich tig, denn wenn ich den Laser sofort aus schaltete, würde eine glutflüssige Magma fontäne aus dem Bohrschacht schießen. Schwächte sich die Leistung aber langsam ab, dann kroch der schenkelstarke Laser strahl sozusagen allmählich aufwärts, wobei er die zirka zwanzig Kilometer durchmes sende Planetenkruste im Bereich des Bohr lochs so verschweißte, daß das weiter unten brodelnde Magma nicht nachstoßen konnte. Der Turm neigte sich immer stärker. Die Bohrung wurde davon nicht beeinflußt, da das schwere Lasergerät von Gyrotronen ständig so gesteuert wurde, daß der Laser strahl genau senkrecht auf die Oberfläche traf. Endlich, nach einer kleinen Ewigkeit von zirka zwanzig Minuten, durfte ich das Laser gerät ganz ausschalten. Der inzwischen stark abgeschwächte Laserstrahl erlosch. Nacheinander schaltete ich die starken Magnetanker aus, an denen der Laserbohrer hing. Das Gerät löste sich und prallte mit Donnergetöse unten auf. Dennoch war der Fall des Bohrturms nicht mehr aufzuhalten. Er krängte bereits zu stark. Ich wußte aber auch, daß ich so gut wie tot war, wenn ich bei den Kontrollen blieb. Der Turm würde nach dieser Seite stürzen. Ich mußte wieder auf die andere Seite. Nur dann hatte ich eine geringe Überleben schance. Als nach der nächsten Bö sekundenlang Stille eintrat, löste ich meine blutenden Hän de vom Schaltpult, drehte mich um, stemmte die Füße fest in den Winkel, den Schaltpult und Plattform bildeten und stieß mich mit aller Kraft ab. Ich erreichte das Geländer neben Crysal gira, als die nächste Orkanbö sich gleich ei nem gigantischen Ungeheuer gegen den Turm warf. Verbissen hielt ich mich fest, obwohl ich das Gefühl hatte, bei dem Ruck
Ingenieure der Vernichtung in zwei Teile zerrissen worden zu sein. Der Bohrturm stürzte endgültig. Ich be zweifelte, daß wir den Aufprall überleben würden. Wenn die riesige Konstruktion zer schmettert wurde, würden wir von den los gerissenen Teilen erschlagen und begraben werden. Die aufgewühlten Elemente selbst kamen uns im letzten Augenblick zu Hilfe. Die Or kanrichtung änderte sich um hundertachtzig Grad, und als der Bohrturm fiel, stemmte sich die nächste Bö ihm entgegen und brem ste die Fallgeschwindigkeit ab. Es war wie ein Wunder, aber das riesige Gebilde schlug kaum härter auf als ein Glei ter bei einer etwas überhasteten Landung. Ir gendwo brachen ein paar Stützen weg, doch die waren sicher schon vorher angeknackst worden. Dann war es vorbei. Ich half Crysalgira, ihr Gürtelschloß zu öffnen, dann krochen wir um die Kontroll plattform herum, so daß wir sie als Schutz wand gegen den Orkan benutzen konnten. Gegen Morgen hörte der Orkan auf. Crysalgira und ich lebten – und einige Lopsegger hatten die Katastrophe ebenfalls überstanden. Aber ringsum herrschte ein un vorstellbares Chaos, das die Lopsegger wahrscheinlich mit ihren planetenweiten Manipulationen selbst verschuldet hatten. Aber meine Hoffnung, sie würden ihr wahnwitziges Vorhaben aufgeben, erfüllte sich nicht. Colgan-HP, der sich unter den Überleben den befand, ordnete die Bergung des Laser bohrers an. Er sollte an einer anderen Stelle des Planeten in einen neuen Bohrturm instal liert werden und seine Arbeit dort fortsetzen. Ich wußte nicht, ob ich diese Planetenin genieure wegen ihrer Zähigkeit bewundern oder wegen ihrer Sturheit verwünschen soll te. Aber ich ahnte, daß der Orkan nur ein Vorgeschmack von dem gewesen war, was uns auf Cerkol noch erwartete.
6. Drei Tage war es her, seit der Orkan unse
31 ren Bohrturm umgerissen und die Kernboh rung vereitelt hatte. Seitdem hatten wir alle Hände voll zu tun gehabt. Wir waren mit den Gleiskettenfahr zeugen und dem Laserbohrer zum Raum schiff des Karsihl-HP gefahren und hatten dort aus Teilen, die von einem anderen Raumschiff angeliefert worden waren, einen zweiten Bohrturm errichtet. Bei ständigem Regen, der hin und wieder von Hagelschauern abgelöst wurde, hatten wir eine neue Bohrung vorgetrieben. Dies mal war kein Orkan dazwischengekommen. Dicht vor dem Planetenkern hatten wir, so, wie ich es vorgeschlagen hatte, die Bohrung gestoppt. Danach waren wir müde, durchnäßt und zerschlagen darangegangen, den Turm zu demontieren und im Laderaum des Schiffes zu verstauen – und vor einer halben Minute war das das Schiff gestartet. Crysalgira saß neben mir in der Mann schaftskabine. Sie schlief mit halboffenem Mund. Ihr Haar war naß an den Kopf ge klatscht, ihre Haut gerötet, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Ich fühlte mich ebenfalls todmüde. Den noch hielt ich mich wach, denn ich wollte während des Flugs soviel wie möglich von den Veränderungen sehen, die inzwischen auf der Oberfläche von Cerkol bewirkt wor den waren. Das Raumschiff gewann schnell an Höhe. Als es die untere Wolkenschicht durchstieß, war von der Planetenoberfläche nichts mehr zu sehen. Doch nach etwa einer halben Stunde ris sen die Wolken unter uns auf. Ich sah, daß wir ein Gebirgsmassiv ansteuerten. Ein Lopsegger kam aus dem Kommando stand und setzte sich auf einen freien Sessel mir gegenüber. Ich nahm an, daß es KarsihlHP war, konnte es aber nicht mit Bestimmt heit sagen. »Karsihl-HP?« fragte ich deshalb. »Ich bin Karsihl-HP«, antwortete der Lopsegger. Er deutete zu dem Gebirge hinüber.
32 »Dort arbeitet das Bohrkommando von Zirko-HP«, erklärte er. »Wir werden der Bohrstelle einen Besuch abstatten und da nach zum Nachbarkontinent fliegen. Dort bringen wir eine zweite Bohrung an.« »Aha!« sagte ich. Die nächste Bohrung interessierte mich im Moment nicht sonderlich. Dafür interes sierte mich etwas anderes. »Diese Bezeichnung ›HP‹ hinter den Na men, was bedeutet sie?« erkundigte ich mich. »Sie steht für die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stamm«, antwortete Karsihl-HP bereitwillig. »Auf diesem Planeten arbeite ich nur mit Angehörigen meines Stammes, der eigentlich Harpen-Pincat heißt, genau genommen, Stamm von Harpen-Pincat. Har pen-Pincat war der Gründer unseres Stam mes. Die Buchstaben HP sind also eine Ab kürzung.« »Gibt es viele Stämme?« fragte ich wei ter. »Sehr viele«, sagte Karsihl-HP. »Die mei sten sind klein und unbedeutend. Die größ ten und mächtigsten, Stämme leben auf dem Planeten Wartzong. Sie heißen HP, QR, RF, JL, und TT.« Ich verriet ihm nicht, daß sich meiner Meinung nach interstellare Raumfahrt nicht mit einer Stammesgesellschaft vertrug. Die Kräfte wurden zu sehr zersplittert, so daß die wirtschaftliche und militärische Leistungsfä higkeit gering bleiben mußte. Vielleicht wa ren die Lopsegger deshalb den Tejonthern unterlegen. »Haben Sie keine Zentralregierung?« er kundigte ich mich. »Wozu?« fragte Karsihl-HP zurück. »Wenn gemeinsame Probleme gelöst wer den müssen, treffen sich die Stammesführer, beraten darüber und führen einen Beschluß herbei.« »Wollen Sie sagen, Sie haben nicht ein mal ein gemeinsames militärisches Ober kommando?« fragte ich verwundert. »Militärisches Oberkommando?« wieder holte Karsihl-HP. »An so etwas haben wir
H. G. Ewers nicht einmal gedacht. Wir kennen keine spe ziellen Streitkräfte, wenn Sie das meinen. Unsere Raumschiffe dienen dem Handel und unseren Expeditionen. Nur wenn wir ange griffen werden, setzen wir unsere Schiffe für militärische Zwecke ein.« »Hm!« machte ich. Offensichtlich waren die Lopsegger von Natur aus ein friedliebendes Volk, sonst hät ten sie unter dem Druck der tejonthischen Bedrohung längst eine Zentralverwaltung und eine ständige Raumflotte geschaffen. »Dort liegt das Lager von Zirko-HP!« sagte Karsihl-HP und deutete aus einem Fenster schräg nach unten. Ich blickte in die angegebene Richtung und entdeckte an der Flanke des Gebirgs massivs einen großen Bohrturm. Daneben stand ein Raumschiff des gleichen Typs wie das von Karsihl-HP. Außerdem gab es noch einige große Rundzelte und alle möglichen Maschinen und Kettenfahrzeuge. Das sicht bare Stück des Laserbohrstrahls leuchtete von unten heraus wie eine künstliche Sonne. Während ich noch hinschaute, erlosch der Laserbohrstrahl. Im nächsten Augenblick schwankte die Turmkonstruktion. Es sah aus, als sähe ich sie durch stürmisch beweg tes Wasser hindurch. »Zirko!« schrie Karsihl-HP. Der riesige Bohrturm kippte um. Ich schloß unwillkürlich die Augen, als er mit großer Wucht auf das ovale Raumschiff der Gruppe Zirko-HP krachte. Als ich die Augen wieder öffnete, war das Raumschiff in zwei Stücke zertrümmert. Lopsegger krochen aus den Trümmern her vor. Andere Lopsegger rannten in panischer Flucht zu den Kettenfahrzeugen. Als das erste Fahrzeug anrollte, barst der Boden an der Bohrstelle. Zuerst schoß nur eine schenkeldicke Glutfontäne in die Luft. Aber sie verbreiterte sich schnell und wurde zu einer zirka zweihundert Meter durchmes senden Säule, die sowohl das zertrümmerte Raumschiff als auch sämtliche Gleisketten fahrzeuge verschlang – und alle Lopsegger der Gruppe Zirko-HP.
Ingenieure der Vernichtung Unser Pilot zog das Schiff hart nach Steu erbord, dann kippte er nach Backbord und ließ es steigen. Der Schauplatz der Katastro phe fiel rasch zurück. Dennoch sah ich noch genau, wie sich das Gelände in kilometerweitem Umkreis in einen wahren Höllenschlund verwandelte, aus dem die sonnenheißen Massen des Pla netenkerns geschleudert wurden. Die Lopsegger hatten ihr Ziel, einen Vul kanausbruch herbeizuführen, erreicht, aber sie hatten es mit ihren eigenen Leben be zahlt. »Das ist Wahnsinn!« sagte ich zu KarsihlHP. »Zirko-HP war unvorsichtig«, erwiderte der Lopsegger. »Wir haben schon lange kei nen Planeten mehr manipuliert, deshalb fehlt uns die Routine. Ich werde die anderen Kommandos anweisen, größere Vorsicht walten zu lassen.« »Das hätten Sie längst tun sollen«, sagte ich tonlos und deutete zum Sichthorizont jenseits des Gebirges. Dort brauste ebenfalls eine gigantische Magmasäule in den Himmel. Gründlich waren die Lopsegger, das muß te ich ihnen lassen …
* Unser Raumschiff hatte die Atmosphäre verlassen und war in eine niedrige ellipti sche Umlaufbahn eingeschwenkt. Karsihl-HP wollte dadurch beobachten, welche Erfolge seine Arbeitskommandos bisher erzielt hatten. Er erzählte mir, daß insgesamt siebzehn Raumschiffe seines Stammes an verschiedenen Stellen des Pla neten gelandet seien. Zwei davon waren inzwischen ausgefal len. Wenn die Lopsegger weiterhin so un vorsichtig zu Werke gingen, würden sie noch mehr Raumschiffe und noch mehr Leu te verlieren. Sie arbeiteten einfach zu hastig. Wahrscheinlich standen sie unter Zeitdruck, weil sie befürchteten, von tejonthischen Pa trouillenbooten entdeckt zu werden.
33 Während Karsihl-HP wieder in den Kom mandoraum ging, um die übrigen Komman dos über Funk zu größerer Vorsicht zu er mahnen, beobachtete ich weiter die Plane tenoberfläche. Deutlich waren die überschwemmten Kü stenstreifen zu erkennen. Aber auch im Bin nenland der Kontinente gab es riesige Über flutungen. Alle Binnenseen waren infolge heftiger Regenfälle und verstärkter Zuflüsse weit über die Ufer getreten. Neue Binnen seen hatten sich in Senken und Tälern gebil det. Die Bäche waren zu Flüssen, die Flüsse zu reißenden Strömen angewachsen, und die Ströme hatten weite Landstriche unter Was ser gesetzt. Doch das war längst nicht alles. Es schien noch einige Trockengebiete zu geben, denn auf dem kleinsten Kontinent des Planeten entdeckte ich die halb unter Rauchwolken verborgenen Glutfelder riesi ger Waldbrände. Brände dieser Ausdehnung konnten nicht auf natürliche Weise entstan den sein. Offenbar hatten lopseggische Kommandos sämtliche trockenen Waldge biete in Brand gesteckt. Ich war sicher, daß es auch dort bald reg nen würde. Der Regen kam aber bestimmt zu spät, um noch etwas von den Waldbe ständen zu retten. Er würde die Zerstörung vollenden, indem er die nunmehr unge schützte Bodenkrume fortschwemmte. Große Landstriche würden durch die Boden erosion für lange Zeiträume unfruchtbar werden. Als ich mich nach Crysalgira umschaute, schlief sie noch immer. Ich verspürte ein kaum noch bezähmbares Verlangen, eben falls die Augen zu schließen und mich aus zuschlafen. Vorher aber wollte ich noch einmal mit Karsihl-HP reden. Meiner Meinung nach fügten seine Kommandos dem Planeten zu großen Schaden zu. Es bestand die Gefahr, daß die Ökologie planetenweit so total um kippte, daß sie auch mit massiver Unterstüt zung nicht mehr zu regenerieren sein würde. Davor wollte ich den Stammesführer war
34 nen. Ich stemmte mich hoch und ging zu dem Schott, das die Mannschaftskabine und den Kommandoraum miteinander verband. Das Schott öffnete sich automatisch vor mir. Ich blickte in den Kommandoraum und sah, daß Karsihl-HP eine Telekonferenz mit den Leitern der anderen Kommandos ab hielt. Von den Monitoren flimmerten die Abbilder von vierzehn Lopseggern. Ich schaltete meinen Armband-Translator ein und wollte mich bemerkbar machen. Doch als das Gerät die nächsten Worte von Karsihl-HP übersetzte, stockte ich. »Selbstverständlich gibt es keinen Beweis dafür, daß Atlan und Crysalgira keine Spio ne der Tejonther sind«, sagte Karsihl-HP. »Dann sollten wir diesen Unsicherheits faktor schnellstens beseitigen«, erwiderte ei ner der Konferenzteilnehmer. »Wie meinen Sie das?« fragte KarsihlHP. »Wir müssen die Fremden töten. Nur dann können wir sicher sein, daß den Tejon thern nichts über unsere Arbeit hier verraten wird.« »Nein!« warf ein anderer Konferenzteil nehmer ein. »Wir haben bisher immer ver sucht, mit den Angehörigen anderer Völker friedlich auszukommen. Von dem Prinzip sollten wir auch bei den Arkoniden nicht ab weichen.« »Ich bin auch nicht dafür, Atlan und Crys algira zu töten«, erklärte Karsihl-HP. »Andererseits dürfen wir ihnen auch nicht trauen. Ich schlage deshalb vor, wir lassen sie nach Abschluß unserer Arbeiten einfach auf diesem Planeten zurück. Hier wird in ab sehbarer Zeit kein Raumschiff landen, und selbst dann ist es unwahrscheinlich, daß zwei Personen ohne technische Hilfsmittel sich der Besatzung bemerkbar machen kön nen.« »Das ist eine gute Lösung«, erwiderte ein anderer Lopsegger. »Wir brauchen nicht zu töten und haben dennoch die Gewißheit, daß die Arkoniden uns nicht verraten können.« Ich hatte genug gehört, und mir wurde
H. G. Ewers klar, daß die Lopsegger nicht merken durf ten, daß ich ihre Gespräche mitgehört hatte. Nur dann hatten Crysalgira und ich Aussich ten, ihren Plan zu durchkreuzen. Leise trat ich zurück. Das Schott schloß sich wieder, als ich weit genug entfernt war. Ich ging zu meinem Platz, setzte mich und schaltete meinen Armband-Translator aus. Danach weckte ich die Prinzessin. »Sind wir gelandet?« fragte Crysalgira schlaftrunken. Sie warf einen Blick aus dem Seitenfenster. »Oh! Wir sind noch im Raum. Weshalb haben Sie mich dann nicht weiter schlafen lassen, Atlan? Ich bin völlig fertig.« »Sie werden gleich hellwach sein«, ver sprach ich ihr. Ich berichtete, was ich belauscht hatte. Wie ich vorausgesagt hatte, fiel alle Mü digkeit von Crysalgira ab. »Sie wollen uns auf Cerkol aussetzen!« sagte sie erschrocken. »Aber das würde für uns das Ende bedeuten! Wie sollen wir in dem Chaos, das die Lopsegger anrichten, überleben?« »Überhaupt nicht«, antwortete ich wahr heitsgemäß. »Für uns gibt es nur eines. Wir müssen erzwingen, daß man uns mitnimmt.« »Wie denn?« fragte Crysalgira. »Das weiß ich auch noch nicht«, bekannte ich. »Aber uns wird schon etwas einfallen.« »Ihnen bestimmt nicht, wenn Sie nicht so fort schlafen!« erklärte die Prinzessin ener gisch. »Sie sehen aus, als würden Sie im nächsten Augenblick umfallen.« »So fühle ich mich auch«, erwiderte ich matt. »Dann lehnen Sie sich zurück und schlie ßen Sie die Augen!« sagte Crysalgira. Ich gehorchte – und war im selben Au genblick weg.
* Als ich erwachte, waren die Sessel vor mir leer. Ich wandte den Kopf und sah, daß Crysal gira neben mir schlief. Mein nächster Blick
Ingenieure der Vernichtung ging zu den Fenstern. Wir waren inzwischen gelandet. Das Schiff stand auf einem Felsplateau, das sich nach rechts mindestens zehn Kilo meter weit erstreckte und nach links steil in eine Schlucht abfiel, durch die die schäu menden Wassermassen eines Flusses tobten. Unser Raumschiff war nicht allein. Zwei weitere Raumschiffe ruhten in der Nähe auf ihren Landekufen. Mindestens hundert Lop segger waren dabei, Rundzelte aufzubauen, die beiden anderen Schiffe zu entladen und aus irgendwelchen Teilen Geräte zusam menzusetzen. Ich fuhr von meinem Platz hoch. Die Passagierkabine war leer. Hatten die Lopsegger uns ganz allein in ihrem Schiff zurückgelassen? Ich rüttelte Crysalgira an den Schultern. »Aufwachen, schnell!« »Was ist los?« fragte Crysalgira unwillig. »Sie tun mir ja weh, Atlan!« »Wir sind allein im Schiff!« sagte ich ein dringlich. »Das ist die Gelegenheit für uns, den Planeten zu verlassen!« Das machte die Prinzessin vollends wach. Sie fuhr genauso hoch wie ich kurz vorher. »Dann wollen wir keine Zeit verlieren!« erwiderte sie. Wir setzten uns in Richtung Komman doraum in Bewegung – und erstarrten, als das Schott sich viel zu früh öffnete. Drei bewaffnete Lopsegger erschienen in der Öffnung. Einer trug einen Translator vor der Brust. Er mußte Karsihl-HP sein. »Ich wollte Sie gerade wecken«, sagte Karsihl-HP. »Können Sie ein Flugzeug steu ern. Atlan?« »Selbstverständlich«, antwortete ich, ohne lange zu überlegen. »Ich müßte vorher nur Gelegenheit haben, mich mit der Bedienung vertraut zu machen.« »Die sollen Sie bekommen«, erwiderte Karsihl-HP. »Vorher müssen Sie meinen Leuten helfen, das erste Flugzeug aus den Einzelteilen zusammenzusetzen, die aus dem Schiff von Leptron-HP entladen wur den.«
35 »Gut!« sagte ich. »Aber ich brauche Crys algiras Hilfe – auch bei der Führung des Flugzeugs. Sie ist eine gute Navigatorin!« »Einverstanden«, meinte Karsihl-HP. »Kommen Sie mit!« Er führte uns aus dem Schiff. Unterwegs flüsterte Crysalgira mir zu: »Ich habe noch nie ein Flugzeug geflo gen.« »Ich auch nicht, Crysalgira«, flüsterte ich zurück. »Aber ich habe schon viele Flug gleiter gesteuert, da werde ich wohl auch mit einem Flugzeug zurechtkommen.« Inzwischen hatten wir den Platz erreicht, auf dem das Flugzeug zusammengebaut wurde. Ich ließ mir die Montageanleitung und die Konstruktionsdaten geben. Es handelte sich, wie ich sah, um ein zweisitziges Überschallflugzeug mit ver stellbaren Tragflächen, zwei Pulsationstrieb werken mit jeweils maximal 20.000 kp Schubleistung und einer Höchstgeschwin digkeit von Mach 6,3 auf 27.000 Meter Hö he. Die Spannweite betrug maximal 21,35 Meter, minimal 10,34 Meter, die Länge 22,42 Meter und die Höhe 5,19 Meter. »Welche Aufgaben soll das Flugzeug er füllen?« wandte ich mich an Karsihl-HP. »Sobald es fertig montiert ist, werden un ter den Tragflächen sechs Luft-Bo den-Lenkwaffen eingehängt«, erklärte Kar sihl-HP. »Es sind spezielle HHe-Waffen, die sogar den stärksten Wasserdruck aushalten. Sie sollen sie auf einen Tiefseegraben ver schießen, den ich Ihnen noch auf einer Karte zeigen werde.« »Und sie sollen im Tiefseegraben explo dieren?« fragte ich. »Welche Energieentfal tung hat denn eine Lenkwaffe?« »Zehn Gigatonnen«, antwortete der Lop segger. »Aber das ist Wahnsinn!« entrüstete ich mich. »Sechs Lenkwaffen mit je zehn Giga tonnen Explosionswirkung in einen Tiefsee graben zu schießen, kann zum Aufreißen der Planetenkruste und damit zu verheerenden Beben führen, die einen ganzen Kontinent
36 vernichten können.« »So ist es«, erwiderte Karsihl-HP. »Wir werden dafür sorgen, daß der kleinste Konti nent des Planeten untergeht. Erst das wird die Tejonther endgültig davon überzeugen, daß ihre Planwelt untauglich zur Besiedlung ist. Geologische Untersuchungen haben ge zeigt, daß der Untergang des kleinsten Kon tinents zur Auffaltung von hohen Gebirgszü gen auf zwei anderen Kontinenten führen werden. Diese Gebirgszüge sollen uns später dabei helfen, die Zustände wieder zu norma lisieren.« Das klang genial. Dennoch erschauderte ich bei dem Gedanken, daß ich mithelfen sollte, einen ganzen Kontinent im Meer ver sinken zu lassen. Schließlich hatten die Tie re und Pflanzen, die dort existierten, eben falls ein Recht auf Leben. Ich beschloß, diesen Auftrag nicht durch zuführen und nach Möglichkeit vorher zu fliehen. Nachdem ich eine Weile mitgeholfen hat te, die Einzelteile zusammenzubauen, führte ich Crysalgira auf die Seite. »Wir werden entweder noch heute oder morgen fliehen«, eröffnete ich ihr. »Das nützt uns nichts«, entgegnete Crys algira. »Wenn wir fliehen, verurteilen wir uns selbst dazu, auf Cerkol zu bleiben.« Ich lächelte beruhigend. »Wir nehmen Karsihl-HP als Geisel mit«, erklärte ich ihr. »Dann können wir den Lop seggern die Bedingung stellen, uns mitzu nehmen, wenn sie ihren Anführer wiederse hen wollen.« »Und wie sollen wir fliehen?« erkundigte sich Crysalgira. »An die Raumschiffe kom men wir nicht heran. Meinen Sie etwa, mit dem Flugzeug?« »Vielleicht«, sagte ich. »Natürlich wird es eng in der Kanzel werden, die nur für zwei Personen ausgelegt ist. Aber wir brauchen ja nicht weit zu fliegen, sondern nur eine ge wisse Entfernung zwischen uns und dieses Lager zulegen.« Crysalgira blickte mich prüfend an. Ich merkte, daß sie wußte, welche Risiken wir
H. G. Ewers mit einer Flucht und einer Entführung des Anführers auf uns nehmen würden. Dennoch stimmte sie schließlich zu.
7. Gegend Abend war das Flugzeug fertig montiert. Nach einem Probelauf der Pulsati onstriebwerke forderte Karsihl-HP mich auf, einen kurzen Probeflug zu unternehmen. Ich hatte nichts dagegen, denn der Probe flug bot Crysalgira und mir die Möglichkeit, uns mit der Maschine vertraut zu machen. Immerhin war es bis auf die Pulsationstrieb werke ein primitives Fahrzeug, wie es viel leicht meine Urahnen auch einmal geflogen hatten. Wer an den Umgang mit Raumschif fen und Gleitern gewöhnt war, würde sich gründlich umstellen müssen, wenn er eine Maschine steuerte, die nach aerodynami schen Gesetzen funktionierte. Die Prinzessin und ich nahmen in der doppelsitzigen Kanzel hintereinander Platz. Ich musterte die Kontrollen, mit denen ich mich anhand der Zeichnungen und Beschrei bungen theoretisch vertraut gemacht hatte. Mein photographisches Gedächtnis erwies sich als unschätzbare Hilfe, ohne die ich, wie ich gestehen muß, den Start nach so kur zer Vorbereitung niemals hätte wagen dür fen. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß alles einwandfrei funktionierte, erhöhte ich den Schub der beiden Pulsationstrieb werke. Die Aggregate arbeiteten mit Fusions energie. Sie saugten Luft an, heizten sie ato mar auf und stießen sie hinten als sonnen heißen Plasmastrahl wieder aus den Felddü sen. Langsam ließ ich das Flugzeug zur vorbe reiteten Startbahn rollen. Dabei drehte ich es ganz kurz versehentlich so, daß die Plasma strahlen ein Raumschiff als glutheiße Orkan bö trafen. Das Schiff schwankte leicht. »Passen Sie auf, Atlan!« rief Karsihl-HP mir über Sprechfunk zu. »Sie dürfen das Seitenruder nicht zu abrupt betätigen!«
Ingenieure der Vernichtung »Schon bemerkt!« gab ich grinsend zu rück. Am Anfang der Startbahn stellte ich die Bremsen fest und jagte die Triebwerke kurz bis zu ihrer Leistungsgrenze hoch. Ein infer nalisches Donnern erfüllte die Luft. Der Rumpf der Maschine erbebte. Ich löste die Bremsen und rollte an. Es war ein komisches Gefühl, zu wissen, daß die Triebwerke allein das Flugzeug nie mals in die Luft bringen konnten, wie es bei Raumschiffen oder Fluggleitern der Fall war. Doch ich gewöhnte mich überraschend schnell an diesen Gedanken. Crysaligra hatte unterdessen anhand der Leistungswerte in Relation zum Startge wicht von rund 50.000 Kilogramm die Ge schwindigkeit errechnet, bei der wir abheben durften. Als die Geschwindigkeit erreicht war, zog ich den Steuerknüppel leicht an. Gehorsam richtete die Maschine ihre Bugnase hoch, das Rollgeräusch des Fahrwerks verstumm te, als wir abhoben. Die Maschine lag ruhig wie ein Brett in der Luft, für mich ein ganz neues, aber nicht unangenehmes Fluggefühl. Für kurze Zeit fühlte ich mich wie ein Vogel. Doch dann unterdrückte ich dieses Gefühl wieder. Ich zog die Maschine immer steiler nach oben und glich mit den Seitenrudern aus, wenn wir von Windböen getroffen wur den. Das Wichtigste war jetzt, erst einmal ge fühlsmäßig mit der Maschine zu verwach sen. Ich ging auf zehntausend Meter Höhe, wofür ich genau neunzehn Sekunden brauchte. Vorher hatte ich die Tragflächen zurückgefahren, so daß die Maschine ähn lich pfeilförmig aussah wie manche arkoni dischen Raumjäger. Bei zehntausend Meter probierte ich her um, bis ich wußte, wieviel ich der Maschine zumuten konnte. Sie erwies sich als erstaun lich wendig für ein Primitivgerät und be stand auch die Trudelversuche mit Bravour. Das, was die Beschreibung »integrierte Avionik« genannt hatte, war relativ modern.
37 Die Untersysteme bestanden vor allem aus einem einfach lichtschnell arbeitenden Mehrzwecktaster, der weitgehend automati siert war, einer Trägheitsnavigationsanlage und einem Zentralcomputer, der unter ande rem dazu diente, den starr eingebauten Bugstrahler bei Zielerfassung auszulösen und die Lenkwaffen ins Ziel zu steuern. Natürlich führten wir beim Probeflug die Lenkwaffen nicht mit. Ich hatte auch nicht vor, sie jemals einhängen zu lassen, obwohl ich kurz mit dem Gedanken spielte, die lop seggischen Raumschiffe damit anzugreifen. Ich hätte es niemals fertig gebracht, die im Grunde genommen friedliebenden Lopseg ger vorsätzlich zu töten. Außerdem wäre die Maschine nach dem ersten Angriff mühelos von den übrigen Raumschiffen abgeschos sen worden. Nachdem ich mich mit der Maschine ver traut genug gemacht hatte, ließ ich sie auf ihre Dienstgipfelhöhe steigen. Ich versuchte auch, sie noch höher zu bringen, doch das schaffte sie nicht. In größerer Höhe war die Luft einfach zu dünn, so daß die Leistung der Pulsationstriebwerke rapid absank. Ich orientierte mich, dann kehrte ich um. Während ich die Maschine allmählich sin ken ließ, schaltete ich das Funksprechgerät ab und sagte: »Heute nacht geht es los, Crysalgira. Wir müssen Karsihl-HP überwältigen, fesseln und ins Cockpit zwängen. Danach starten wir. Unterwegs stelle ich den Lopseggern über Sprechfunk unser Ultimatum. Danach sehen wir zu, daß wir so schnell wie mög lich landen. Klar?« »Nein!« erwiderte Crysalgira. »Ich frage mich nämlich, wo Sie mit einem Flugzeug landen wollen, dessen Landestrecke mit aus gefahrenen Tragflächen rund tausend Meter beträgt und das auf einem Räderfahrwerk aufsetzen muß.« Sie hatte völlig recht, aber wenn wir ge winnen wollten, mußten wir eben einiges riskieren. »Wir werden schon einen ebenen Lande platz finden«, erklärte ich.
38
H. G. Ewers
Kurz darauf kam der provisorische Flug platz in Sicht. Ich drosselte die Triebwerke, fuhr die Landeklappen aus und ging tiefer. Wieder hatte ich ein unbehagliches Ge fühl, als ich etwas tun mußte, das sich von allem unterschied, was ich bisher mit Glei tern und Raumschiffen getan hatte. Mir wur de fast zu spät klar, daß ich die letzte Phase der Landung allein nach dem Gefühl absol vieren mußte. Ich mußte sozusagen mit dem Gesäß fühlen, wann das Fahrwerk den Bo den berührte. Doch auch das gelang. Zwar zog ich den Steuerknüppel etwas zu stark an, so daß die Maschine nach einem Hopser unsanft den Boden berührte, aber schließlich rollte sie aus. Ich berührte den Schalter, der das Hoch klappen des Kanzeldachs bewirkte, winkte den wartenden Lopseggern zu und rief: »Kompliment, Freunde! Das Ding fliegt sogar!«
* Nach einer letzten Beratung mit Crysalgi ra hatten wir uns auf eine Stunde vor Son nenaufgang als Startzeit geeinigt. Danach waren wir in dem Zelt, daß die Lopsegger uns zuwiesen, schlafen gegangen. Ich wachte allerdings schon kurz nach Mitternacht auf und konnte nicht wieder ein schlafen. Deshalb öffnete ich den Zeltein gang ein Stück und beobachtete das Lager. Beide Monde Cerkols standen am Him mel und verbreiteten genug Helligkeit zur Orientierung. Das Lager lag still und fried lich da. Kein Wachtposten war zu sehen. Auch vor dem Zelt des Anführers stand kein Posten. Wir wußten, daß Karsihl-HP allein in sei nem Zelt schlief. Das würde unser Vorhaben wesentlich erleichtern. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir mit einem Raumschiff entkommen könnten. Doch ich wußte, daß in jedem Schiff drei Lopsegger schliefen und daß die Schotte nachts von innen elektronisch verriegelt
wurden, so daß ein Einbruchsversuch Alarm auslösen würde. Genau zur vorgesehenen Zeit weckte ich die Prinzessin. Wir sahen uns vor dem Zelt noch einmal genau um, aber es war noch immer alles ru hig. Ich nickte Crysalgira zu, dann schlichen wir zum Zelt des Anführers. Crysalgira hielt vor dem Zelt Wache, während ich hinein schlüpfte. Die rasselnden Atemzüge verrie ten mir, daß Karsihl-HP fest schlief. Ich wartete, bis meine Augen sich halb wegs an die Dunkelheit gewöhnt hatten, die nur durch das Mondlicht etwas erhellt wur de, das durch den spaltweit geöffneten Ein gang fiel. Dann schlich ich zu Karsihl-HP und hieb ihm meine Faust an die Stelle zwi schen Kopf und Rückgrat. Das Atemgerassel brach ab. Der Lopseg ger fuhr hoch und schlug mit den langen Ar men um sich. Ich erhielt einen Schlag auf die Nase, so daß mir das Wasser in die Au gen schoß. Ich preßte die Lippen zusammen und schlug noch einmal auf dieselbe Stelle. Diesmal trat die erhoffte Wirkung ein. Karsihl-HP sank schlaff zusammen. Ich fesselte ihn mit den Plastikbändern, die wir uns besorgt hatten. »Alles ist ruhig!« flüsterte Crysalgira mir zu. »Gut!« flüsterte ich zurück. »Gehen sie voraus und öffnen Sie das Kanzeldach!« Die Prinzessin huschte leichtfüßig davon. Ich folgte ihr mit meiner schweren Last erheblich langsamer. Karsihl-HP war noch immer bewußtlos, als wir ihn gemeinsam ins Cockpit hoben. Sie setzte sich so, daß ihre Beine auf dem Rücken von Karsihl-HP lagen und die Füße auf den Armlehnen meines Sitzes. So konnte sie sich wenigstens anschnallen. Ich verzichtete darauf, die Maschine durchzuchecken, sondern schaltete sofort die Triebwerke ein und rollte in Richtung Start bahn. Das Donnern der Pulsationstriebwerke war natürlich nicht zu überhören. Deshalb
Ingenieure der Vernichtung wunderte ich mich auch nicht, als Crysalgira mir kurz darauf Bewegung innerhalb des La gers meldete. Ich wunderte mich nur dar über, daß wir nicht beschossen wurden, ob wohl die glühenden Plasmastrahlen der Triebwerke doch verrieten, daß jemand mit dem Flugzeug starten wollte. Doch das konnte uns nur rech sein. Ich beschleunigte und brachte die Maschine so exakt hoch wie bei unserem Probeflug. Als ich sie in eine scharfe Linkskurve legte, reg te sich Karsihl-HP und gab knarrende Laute von sich. Ich schaltete meinen Armband-Translator ein und sagte: »Immer mit der Ruhe, Karsihl-HP. Wir wollen Ihnen nichts tun, sondern haben Sie nur ein bißchen entführt.« Dann aktivierte ich das Funksprechgerät und rief nach Karsihl: Stellvertreter. Als er sich meldete erklärte ich: »Hier spricht Atlan. Wir haben Ihren An führer mitgenommen. Werden Sie alo nicht leichtsinnig. Wir wissen, daß Sie uns nach Beendigung Ihrer Mission auf Cerkol zu rücklassen wollen. Das würde angesichts der aufgewühlten Elemente unseren sicheren Tod bedeuten. Sie werden verstehen, daß wir damit nicht einverstanden sind. Wir verlangen nicht mehr und nicht weni ger, als von Ihnen mitgenommen zu werden. Sie haben nur die Wahl zwischen zwei Mög lichkeiten: Entweder lassen Sie uns auf Cer kol zurück – dann teilt Karsihl-HP unser Schicksal, oder Sie lassen uns in eines Ihrer Raumschiffe einsteigen, dann ist Ihr Anfüh rer gerettet. Wir melden uns wieder. Ende!« Ich schaltete das Gerät einfach ab. Die Lopsegger sollten in Ruhe überlegen, was sie tun wollten. Natürlich rechnete ich da mit, daß sie uns eine Falle zu stellen versu chen würden, aber dem ließ sich vorbeugen. »Ich werde lieber mit Ihnen sterben als zulassen, daß meine Leute erpreßt werden!« machte sich Karsihl-HP bemerkbar. Mir war klar gewesen, daß er so etwas sa gen würde. Es war logischerweise die erste Reaktion. Aber wir hatten Zeit, und ich hoff
39 te, daß es für Karsihl-HP Zeit genug zur bes seren Einsicht sein würde. Wenn nicht, dann allerdings hatten wir unser Spiel verloren. »Es ist keine Erpressung, sondern Not wehr«, erwiderte ich. »Wir verlangen von Ihnen und Ihren Leuten nichts weiter als ei ne faire Überlebenschance. Die hätten wir aber nicht, wenn wir auf Cerkol zurückblie ben. Was verlieren Sie schon, wenn Sie uns mitnehmen?« »Mein Gesicht!« gab Karsihl-HP zurück. Ich erwiderte diesmal nichts, sondern zog die Maschine auf fünftausend Meter. Inzwi schen war die Sonne aufgegangen, so daß wir uns besser orientieren konnten. Lange durften wir nicht in der Luft blei ben, das war uns von vornherein klar gewe sen. Die Lopsegger würden mit ihren Raum schiffen starten und uns verfolgen, und wenn sie uns nach der Landung umstellen, bestand die Gefahr, daß sie uns überrumpel ten. Als ich voraus, mitten in einer düster wir kenden Geröllebene, einen zirka fünf Kilo meter langen und hundert Meter breiten Sandstreifen entdeckte, entschloß ich mich, dort zu landen. Mir war klar, daß unter dem Sand Fels brocken oder – klippen verborgen sein konn ten. Auf jeden Fall war es höchst ungewiß, wie dieser Sandstreifen entstanden war. Doch ansonsten konnte ich nur schlammiges Hügelland, überschwemmte Wälder und glühende Lavafelder ausmachen. Ich drückte die Maschine hinunter, fuhr die Tragflächen ganz aus und schwebte mit dreihundert Stundenkilometern dicht neben der sandigen Naturpiste entlang. Dabei nahm ich das Gelände in Augenschein. Ich bemerkte, daß der Sand naß war. Vor nicht allzu langer Zeit mußte es hier gereg net haben. An einigen Stellen stachen niedri ge und scharfkantige Felsbuckel heraus. Das war der erste Hinweis auf die geologische Entstehungsgeschichte. Ein alter Bebenspalt mußte sich im Verlauf langer Zeiträume mit angewehtem Sand gefüllt haben. Der Sand würde also vermutlich fest genug für eine
40 Landung sein. Nur vor den Felsbuckeln mußte ich mich in acht nehmen. Wenn ein Rad des Fahr werks einen Felsbuckel auch nur streifte, würde die Maschine unweigerlich zu Bruch gehen. Ich zog das Flugzeug wieder hoch, kehrte um und flog zum zweitenmal an. Am lieb sten wäre ich die Piste im Schleichflug an gegangen. Doch ich wußte, daß die Maschi ne absacken würde, wenn die Fluggeschwin digkeit unter zweihundertfünfzig Stundenki lometer sank. Folglich mußte ich noch rund zweihundertfünfzig Fahrt daraufhaben, wenn das Fahrwerk den Boden berührte. Schneller als mir lieb war, waren wir un ten. Diesmal konnte ich einen Hopser ver meiden und brachte sogar eine Dreipunkt landung zustande. Sofort nach Bodenberüh rung schaltete ich auf Gegenschub um. Die glühenden Plasmaströme schossen in Fahr trichtung aus den vorderen Schubdüsen der beiden Triebwerke. Danach blieb mir nur noch übrig, meine Maschine ›auf der Spur‹ zu halten, denn wenn sie nach der Seite ausbrach, mußte das auf dem Sandboden zur Katastrophe führen. Ich preßte unwillkürlich die Lippen zu sammen, als das linke Fahrwerksrad nur einen halben Meter an einem scharfkantigen Felsbuckel vorbeirollte. Die Reifen hinterließen handspannentiefe Spuren im nassen Sand. Plötzlich sprang das Bugrad hoch. Es mußte über einen vom Sand verdeckten Buckel gerollt sein. Ich kam nicht mehr dazu, eine Bugradlen kung zu kontrollieren. Als das Bugrad auf setzte, war es um zirka dreißig Grad ver dreht. Prompt brach die Maschine aus der Spur, drehte sich nach Backbord und kippte dann nach Steuerbord um. Knirschend und splitternd zerbarst die rechte Tragfläche, gefolgt vom Seitenleit werk. Die Maschine legte sich auf die Seite und drehte sich um ihre Längsachse. Das rechte Höhenleitwerk verfing sich an einem weiteren Felsbuckel und brach ab. Plötzlich lagen wir still.
H. G. Ewers Ich holte erst einmal tief Luft, dann drehte ich mich um. »Wir sind gelandet!« verkündete ich. »Die Passagiere werden gebeten, auszustei gen!« »Leben wir tatsächlich noch?« fragte Kar sihl-HP. Wahrscheinlich war es ironisch ge meint. »Probieren Sie mal aus, ob Sie noch den ken können«, gab ich, ebenfalls ironisch ge meint, zurück. »Wenn ja, dann leben Sie noch. Wenn nein, haben Sie keine Sorgen mehr.« Ich schnallte mich los und half danach Crysalgira, sich aus ihrer Enge zu befreien. Anschließend hievten wir Karsihl-HP hin aus, was uns durch die Seitenlage der Ma schine erleichtert wurde. Ich durchtrennte seine Beinfesseln mit einem Messer und half ihm auf die Füße. »Meine Leute werden auf Ihren Handel nicht eingehen, Atlan«, erklärte der Anfüh rer der Lopsegger. »Sie hätten lieber allein fliehen sollen.« Mir ging ein Licht auf. »Hatten Sie das so geplant?« erkundigte ich mich. »Dann war meine Ernennung zum Primitivpiloten nur ein Vorwand, um mir ei ne Fluchtgelegenheit vor die Nase zu setzen, wie?« »Sie sind für uns ein zu großes Sicher heitsrisiko«, erwiderte Karsihl-HP offen. »Mit Hilfe des Flugzeugs hätten Sie sich einen einigermaßen sicheren Platz aussu chen können, auf dem sie das Abklingen der Orkane und Beben abwarten konnten.« »Und wovon hätten wir uns ernähren sol len?« fragte Crysalgira erbittert. »Im Flugzeug befindet sich ein Vorrat an Konzentraten, der mindestens hundert Tage reicht«, antwortete Karsihl-HP. »Danach hätten Sie auf die Jagd gehen müssen. Au ßerdem sind die Meere und Flüsse sehr fischreich.« »Vielen Dank!« erwiderte ich. »Wir zie hen es vor, Cerkol mit einem Raumschiff zu verlassen und auf einem bewohnten Plane ten zu landen. Bis Ihre Leute eingesehen ha
Ingenieure der Vernichtung ben, daß Sie auf unsere Wünsche eingehen müssen, werden wir allerdings auf der Flucht sein.« Ich wandt mich an Crysalgira. »Ganz in der Nähe ist ein Fluß, dessen Strömung noch nicht zu reißend geworden ist«, erklärte ich. »Wir nehmen das Schlauchboot, das im Bombenschacht der Maschine verstaut ist und lassen uns flußab wärts treiben.« »Sollten wir uns nicht lieber irgendwo verstecken?« fragte die Prinzessin. Ich deutete auf das Flugzeugwrack. »Die Lopsegger werden es bald entdeckt haben. Bis dahin müssen wir von hier ver schwunden sein. Also, an die Arbeit!« Wir holten das zu einem kleinen Paket zu sammengefaltete Schlauchboot sowie die beiden Paddel. Den Rucksack mit den Kon zentraten hängte ich Karsihl-HP über die Schultern. Danach machten wir uns auf den Weg zum Fluß. Als wir das Ufer erreichten, sah ich, daß die Strömung doch stärker war, als ich von oben gesehen hatte. Aber das half nichts mehr. Wir konnten nicht zurück. Ich nahm die Leine in die Hand und warf das gefaltete Boot in den Fluß, wo es sich automatisch aufblies. Danach ließ ich zuerst Karsihl-HP einsteigen und sich am Bug nie derkauern. Ihm folgte Crysalgira. Sie hielt einen erbeuteten Schockstrahler schußbereit auf den Rücken des Lopseggers gerichtet. Ich warf ihr die Leine zu und sprang. Das kleine Boot schaukelte bedrohlich und wurde sofort von der Strömung mitge rissen. Ich setzte mich ins Heck und ge brauchte eines der beiden Paddel als Steuer. Viel nützte es nicht. Wir waren praktisch auf Gnade und Ungnade den Launen des Flusses ausgeliefert. Das Wasser war gelblichbraun gefärbt und führte Pflanzenteile, ausgerissene Bäu me sowie Tierleichen mit sich. Die Bäume waren die größte Gefahr für uns. Mehrmals konnte ich erst im letzten Moment eine Kol lision mit sprerrigen Ästen oder Wurzeln
41 verhindern. Kurz darauf öffneten sich die Schleusen des Himmels erneut. Ein wahrer Wolken bruch ergoß sich über uns. Im Nu füllte sich das Schlauchboot randvoll mit Wasser. Es war zwar warm, aber ich wußte, daß stun denlange Sitzbäder trotzdem nicht allzu ge sund waren. »Es wird Zeit, daß wir ans Ufer gehen«, meinte Karsihl-HP nach ungefähr zwei Stunden. »Sie müssen es schon noch etwas länger aushalten«, erwiderte ich. »Crysalgira und ich würden auch lieber mit trockenen Sa chen in einem Zelt sitzen.« »Darum geht es nicht«, meinte der Lop segger. »Offenbar wissen Sie nicht, daß wir in spätestens einer Viertelstunde einen steil abfallenden Katarakt erreichen.« Ich runzelte die Stirn. Woher sollte ich wissen, ob Karsihl-HP die Wahrheit sprach oder bluffte? Zu meiner Schande mußte ich gestehen, daß ich den Fluß vom Flugzeug aus zwar registriert, aber seinen Lauf nicht kontrolliert hatte. Karsihl-HP konnte das allerdings nicht wissen. Ich entschloß mich, ihm zu trauen. Aufmerksam musterte ich die Ufer. Sie sahen nicht verlockend aus. Links rauschte das Wasser an haushohen Felsen vorbei, und rechts sah ich eine schlammige Böschung. Plötzlich vernahm ich durch das Prasseln und Tosen des Wolkenbruchs und das Gur geln des Flusses ein fernes dumpfes Don nern. Das mußte der Katarakt sein. KarsihlHP hatte also doch nicht geblufft. Am rechten Ufer wurde die schlammige Böschung von steil aufragenden Felswänden abgelöst. Dort kamen wir nicht hinauf. Ich blickte erneut zum linken Ufer. Dort waren die Felswände ebenfalls steil, aber nicht zusammenhängend wie rechts. Es gab tiefe Einschnitte, in denen das Wasser ruhiger war. »Wir werden versuchen, einen Einschnitt zu erreichen«, sagte ich. »Anschließend marschieren wir zu Fuß flußabwärts. Unter halb des Katarakts setzen wir dann die Fahrt
42 fort.« Weder Crysalgira noch Karsihl-HP erwi derten etwas darauf. Es gab auch nichts, was dazu zu sagen gewesen wäre. Das Donnern des Katarakts schwoll zuse hends an. Es wurde höchste Zeit, daß wir den Fluß verließen. Crysalgira ergriff das freie Paddel. Ge meinsam arbeiteten wir uns zum linken Ufer, wichen einer treibenden Insel aus in einander verkeilten Bäumen aus und gelang ten mit letzter Kraft in einen der Felsein schnitte. Das Boot drehte sich einige Male um sich selbst, dann lag es still. Ich nahm die Leine und sprang auf eine Felsleiste, die sich mit Unterbrechungen nach oben wand. Danach stiegen Karsihl-HP und Crysalgira aus. Karsihl-HP blickte an der Felsleiste em por und meinte: »Mit gefesselten Händen komme ich nicht weit, Atlan.« Er hatte recht, deshalb erwiderte ich: »Zuerst wird Crysalgira hinaufsteigen. Sobald sie oben ist, schneide ich Ihre Fes seln durch, Karsihl-HP. Crysalgira, Sie wer den von oben auf ihn aufpassen. Greift er sie an oder versucht er zu fliehen, schießen Sie ihn mit der Schockwaffe nieder. Ich werde mich dicht hinter ihm halten.« Während Crysalgira die Leiste emporklet terte, ließ ich die Luft aus dem Boot. Das winzige Pumpaggregat würde es wieder fül len, sobald sein Sensor unter Wasser geriet. Als Crysalgira oben angelangt war, schickte ich den Lopsegger hinterher. Ich folgte ihm in wenigen Metern Entfernung. Karsihl-HP kletterte sehr geschickt und erweiterte seinen Vorsprung vor mir. Ich nahm es nicht tragisch, denn oben wartete ja Crysalgira mit schußbereiter Schockwaffe, und ich wußte, daß sie nicht zögern würde, sie zu benutzen. Wenn ich gewußt hätte, was Karsihl-HP plante, hätte ich seinen Plan vielleicht noch durchkreuzen können. Doch so war ich ah nungslos – auch noch dann, als der Lopseg ger sich über mir auf die Felskuppe
H. G. Ewers schwang. Im nächsten Moment hörte ich die dump fe Entladung der Schockwaffe. Wütend auf mich selbst, legte ich den Rest der Strecke zurück. Wie ich erwartet hatte, lag KarsihlHP oben stocksteif auf dem Boden. »Er ging einfach auf mich los«, berichtete die Prinzessin. »Mir blieb keine andere Wahl.« »Er hatte es darauf angelegt«, erklärte ich. »Da er zu schwer ist, als daß ich ihn tragen könnte, bleibt uns weiter nichts übrig, als die zirka sechs Stunden hier zu warten, bis er sich wieder bewegen kann, wenn wir nicht auf ihn als Geisel verzichten wollen.« »Und das können wir nicht«, ergänzte Crysalgira. »Nein«, sagte ich und setzte mich. »Machen wir es uns gemütlich.« Das war natürlich blanker Zynismus. Ma chen Sie es sich einmal gemütlich, völlig durchnäßt auf einem harten Felsen, während der Regen so dicht herabstürzt, daß Sie kaum atmen können! Aber was blieb uns anders übrig!
8. Der Regen hörte schon nach zwei Stunden auf. Dafür schaukelte plötzlich der Boden unter der Gewalt eines Bebens. Crysalgira und ich legten uns flach hin und krallten uns in den Rissen und Vor sprüngen unserer Felsenkanzel fest. Beim dritten Stoß bildete sich krachend und kni sternd ein Spalt, der mitten durch den Fels ging. Er erweiterte sich bis auf einen halben Meter, und eines der beiden Paddel fiel hin ein, bevor ich es halten konnte. Ich kroch zu Karsihl-HP, schlang ihm das Seilende um den Leib und legte mich auf das zusammengefaltete Boot. Abermals schwankte der Boden. Der Spalt vergrößerte sich. Felsbrocken lösten sich von der Kante unseres Felsens und stürzten ins Wasser. Ich rief Crysalgira an und deutete auf die schmale Felsbrücke, die unsere Klippe mit dem gleichhohen Steilhang des eigentlichen
Ingenieure der Vernichtung Ufers verband. Crysalgira zögerte einen Moment. Doch dann sah sie wohl ein, daß ich recht hatte. Sie stand auf, lief hinüber und blickte sich nach mir um, das gerettete Paddel in der Hand. Ich löste das Seil von Karsihl-HP und warf den Packen hinüber. Danach packte ich den Lopsegger unter den Schultern und schleifte ihn über die Felsbrücke. Ich war noch nicht ganz drüben, da lief das nächste Beben durch den Fels. Unsere Klippe brach in der Mitte auseinander. Die äußere Hälfte stürzte ins Wasser, die andere wurde plötzlich von vielen Rissen durchzo gen. Kaum war ich drüben, brach die Fels brücke ein, und kurz darauf sank der Klip penrest in sich zusammen. Ich schleifte Karsihl-HP noch etwa hun dert Meter weit, dann ließ ich ihn liegen. Crysalgira packte einige Konzentratwür fel aus. Wir kauten sie langsam. »Lange halten wir das nicht durch«, mein te Crysalgira. Ich zuckte die Schultern. »Das habe ich schon oftmals gedacht. Dennoch lebe ich noch. Wir werden es schon überstehen.« Aber das Schlimmste war, daß wir untätig herumhocken mußten, weil eine Schockläh mung eben eine bestimmte Zeit anhält. In der Richtung, aus der wir gekommen waren, braute sich unterdessen ein Gewitter zusam men. Als Karsihl-HP sich endlich wieder regen konnte, brach das Gewitter mit fürchterli cher Wucht über uns herein und nagelte uns eine weitere Stunde am Boden fest. Blitze zuckten in unaufhörlicher Folge knatternd herab und entluden sich krachend. Der Don ner grollte ohrenbetäubend, schwoll an, sank wieder ab und schwoll wieder an. In der Nä he schlug ein Blitz in einen Felsenturm und zerschmetterte ihn. Die Steinsplitter flogen bis zu uns herüber, verletzten aber glückli cherweise niemanden. Als das Gewitter sich verzogen hatte,
43 richteten wir uns benommen auf. Das erste, was ich sah, war eine Flammenwand, die sich uns vom Horizont auf unserer Seite des Flusses näherte. Sie war noch mindestens acht Kilometer entfernt, doch an der zuneh menden Helligkeit ließ sich erkennen, daß sie näherrückte. »Lava!« stellte Crysalgira fest. »Wir müs sen auf die andere Seite des Flusses, wenn wir nicht verbrennen wollen.« »Aber erst unterhalb des Wasserfalls«, sagte ich. »Karsihl-HP, ich fordere Sie auf, künftig alles zu unterlassen, was uns aufhal ten könnte. Wenn es ums nackte Überleben geht, lassen wir Sie notfalls liegen.« »Ich werde nichts unternehmen, bis wir vor der Lavaflut in Sicherheit sind«, erwi derte Karsihl-HP. Ich warf ihm das Boot zu. Schließlich konnten wir verlangen, daß er auch etwas tat. Es ging ja auch um sein Leben. Dann brachen wir auf. Der Marsch flußabwärts gestaltete sich leichter, als ich erwartet hatte. Zwar zogen sich zahlreiche frische Spalten durch den Felsboden, aber keine war so breit, daß wir sie nicht überspringen konnten. Als sich uns immer mehr Felsblöcke in den Weg stellten, wichen wir in Richtung Fluß aus. Dort gab es eine durchschnittlich fünfzehn Meter breite Uferterrasse, die rund fünf Meter über dem Fluß lag. Auf ihr ka men wir gut voran. Ungefähr eine Dreiviertelstunde später er reichten wir den Katarakt. Wir wären mit dem Boot niemals lebend durchgekommen, denn die Wassermassen stürzten in drei Stu fen insgesamt etwa hundertzwanzig Meter tief hinab. In dem großen Becken am Fuß des Katarakts wirbelten in den Strudeln zer kleinerte Bäume herum. Ich blickte mich nach der Lavafront um. Sie war inzwischen bis auf zirka zwei Kilo meter herangerückt und näherte sich weiter. Dampf und Rauch wallten über der rund zehn Meter hohen Masse aus glutflüssigem Gestein, Schlackenkrusten und Flammen zungen.
44 »Unterhalb des Beckens müssen wir über den Fluß, sonst schaffen wir es nicht mehr«, sagte Karsihl-HP. Ich hielt ihm das Funksprechgerät hin, das ich aus dem Flugzeug mitgenommen hatte. »Rufen Sie Ihre Leute und sagen Sie ih nen, daß sie uns mitnehmen sollen!« »Niemals!« entgegnete Karsihl-HP. Er wandte sich einfach um und marschier te weiter. Ich war wütend, konnte aber nichts tun. Wenn Karsihl-HP stur blieb, mußten wir un seren Kampf gegen die aufgewühlten Ele mente solange fortsetzen, bis er psychisch zermürbt war. Ich hoffte nur, daß wir nicht zuerst zusammenbrechen. Unterhalb des großen Beckens flossen die Wassermassen wieder so ruhig dahin, wie das bei Hochwasser möglich war. Die großen Bäume waren im Mahlstrom des Ka tarakts und im Wirbel des Beckens zerklei nert worden und konnten uns nicht mehr viel schaden. Wir brachten das Boot zu Wasser, stiegen ein – und wurden sofort von der Strömung mitgerissen. Wieder saß Karsihl-HP im Bug. In der Mitte hockte Crysalgira und bedrohte ihn mit der Schockwaffe, und ich paddelte um unser aller Leben. Plötzlich schrie Crysalgira auf. Mein Kopf fuhr nach oben. Ich hatte die ganze Zeit über so verbissen gepaddelt, daß ich keinen Blick mehr nach vorn geworfen hatte. Im ersten Moment erkannte ich nicht, wa rum die Prinzessin geschrien hatte. KarsihlHP saß unverändert im Bug und blickte sich nicht einmal um. Doch dann sah ich Crysalgiras ausge streckten Arm und folgte ihm mit den Au gen. »Festhalten!« schrie ich. Knapp zehn Meter vor uns rotierte ein rie siger Strudel. Sein Mittelpunkt lag minde stens einen halben Meter tiefer als die übrige Wasseroberfläche. Das bewies, welchen un geheuerlichen Sog er ausübte.
H. G. Ewers Ich handhabte das Paddel wie ein Ver rückter, um uns auf einen Ausweichkurs zu bringen. Doch schon bald sah ich ein, daß es ein sinnloses Unterfangen war. Wir befan den uns bereits im Anziehungsbereich des Strudels. Crysalgira saß wie erstarrt im Boot. Ihr ausgestreckter Arm zeigte noch immer auf den Strudel. Ich zog das Paddel ein, warf mich nach vorn und riß Crysalgira auf den Boden des Schlauchboots. Während ich sie mit dem Gewicht meines Körpers niederhielt, packte ich mit den Händen die Verseilung der Bootsränder. Im nächsten Augenblick wurde das Boot von einer furchtbaren Kraft herumgewirbelt. In meinen Ohren rauschte, dröhnte und gur gelte es. Dann gab es einen harten Ruck, und ich hatte das Gefühl, als würden glühende Drahtseile durch meine Hände gezogen. Ich wußte erst gar nicht, was geschehen war. Erst, als das Wasser über meinem Kopf zusammenschlug und ein schlammiger Schwall mir in den Mund drang, merkte ich, daß der Ruck mich aus dem Boot geschleu dert hatte. Ich schlug mit den Armen um mich, brachte den Kopf über Wasser und holte Luft. Bevor ich sehen konnte, was mit dem Boot und meinen Gefährten geschehen war, klatschte mir eine Welle ins Gesicht. Aber mals schluckte ich Wasser. Als ich wieder sehen konnte, trieb ich mit der Strömung ungefähr in der Flußmitte. Weder von dem Boot noch von Crysalgira und Karsihl-HP war etwas zu entdecken. Oder doch? Undeutlich machte ich etwas Dunkles aus, das schräg hinter mir auf das jenseitige Ufer zu schwamm. Aber schwamm es nicht viel zu schnell? Crysalgira konnte es jedenfalls nicht sein. Karsihl-HP? Konnten Lopsegger so schnell schwim men wie dieses undefinierbare Dunkle? Vielleicht wurden sie durch ihre flunderför migen Körper dazu befähigt.
Ingenieure der Vernichtung Schmerz und Zorn wallten in mir auf, als ich mir klar darüber wurde, daß Karsihl-HP uns absichtlich in den Strudel hatte fahren lassen. Er hatte im Bug gesessen und hätte die Gefahr vor Crysalgira entdecken müs sen. Dennoch hatte er uns nicht gewarnt. Wahrscheinlich, weil er sicher war, daß nur er sich aus der reißenden Strömung retten konnte. Wahrscheinlich war Crysalgira ertrunken, von dem mächtigen Strudel unbarmherzig in die Tiefe gezogen worden. Der Zorn auf Karsihl-HP steigerte meine Kräfte. Mein Körper verwandelte sich in ein maschinenhaft funktionierendes Bündel aus Knochen, Muskeln und Sehnen, das sich förmlich durch das Wasser schnellte. Karsihl-HP sollte mir nicht entkommen! Und ich schaffte das, was ich niemals so schnell geschafft hätte, wäre ich noch bei klarem Verstand gewesen. Als ich das schlammige Ufer erreichte, krallte ich mich förmlich in den Boden, zog mich an Land und richtete mich auf, um den Lopsegger einzuholen, der sicher zu fliehen versuchte, wenn er mich sah. Doch plötzlich stoppte ich so abrupt, als wäre ich gegen eine unsichtbare Wand ge prallt. Der Grund dafür war Karsihl-HP, der zir ka zwanzig Meter entfernt im Schlamm stand und Crysalgira vor sich hielt. Die Prin zessin lebte, aber ihre Schockwaffe befand sich in Karsihls Hand und war auf mich ge richtet. Doch es war nicht die Waffe, die mich zu sammenbrechen ließ, sondern die Tatsache, daß das Motiv meines Rachedursts plötzlich nicht mehr existierte. Damit verließen mich auch meine Kräfte. Völlig ausgepumpt sank ich in den Schlamm.
* Ich merkte noch, wie Karsihl-HP mir das Funksprechgerät abnahm, aber ich konnte mich nicht dagegen wehren. Außerdem hatte
45 er Crysalgira als Geisel. Die Lage hatte sich ins Gegenteil ver kehrt. »Ich sagte Ihnen schon, daß ich mich nicht erpressen lasse«, vernahm ich Karsihls Stimme. »Ich werde meine Leute herbeiru fen und Sie dann verlassen. Aber ich sorge dafür, daß Sie einen kleinen Vorrat an Le bensmitteln bekommen, damit Sie die schlimmste Zeit überbrücken können.« Ich wollte aufstehen, schaffte es aber nicht. Ich hatte überhaupt kein Gefühl mehr in Armen und Beinen und konnte gerade noch den Kopf soweit drehen, daß Crysalgi ra und Karsihl-HP in mein Blickfeld gerie ten. Der Anführer der Lopsegger hatte die Prinzessin losgelassen und entfernte sich rückwärts von uns. Nach ungefähr dreißig Schritten blieb er stehen, schaltete das Funk sprächgerät ein und sprach hinein. Crysalgira kam zu mir und kniete sich ne ben mich in den Schlamm. »Er hat mich gerettet«, berichtete sie. »Ich wurde durch einen furchtbaren Ruck aus dem Boot geschleudert und wäre, halb be täubt, wie ich war, ertrunken, wenn KarsihlHP mich nicht gepackt hätte und mit mir ans Ufer geschwommen wäre. Ich muß ihm also noch dankbar sein.« Ich versuchte ein grimmiges Lächeln, wußte aber nicht, ob es mir gelang. »Alles Berechnung!« stieß ich mit rauher, krächzender Stimme hervor. »Er brauchte das Funkgerät. Ohne Sie als Geisel und ohne Ihre Waffe hätte er es nicht bekommen. Also mußte er Sie retten.« »Jedenfalls wäre ich ohne ihn schon tot«, erwiderte Crysalgira. Das war typisch weibliche Logik. Wußte sie denn nicht, daß er uns, indem er ihr das Leben gerettet hatte, zum sicheren Tode ver urteilte? Wie sollten wir inmitten von Schlamm, reißendem Wasser, flammenden Lavaströmen und ständigen Beben auf die Dauer überleben? »Wir müssen ihn aufhalten!« sagte ich. Diesmal klang meine Stimme schon fast
46 wieder normal. »Helfen Sie mir hoch!« Crysalgira gab sich alle Mühe, aber ich war einfach noch zu schlapp, um hochzu kommen. Nach einiger Zeit brauchte ich es gerade fertig, auf die Knie zu kommen. Mehr schaffte ich nicht. Karsihl-HP sprach in kurzen Abständen immer wieder in das Funkgerät. Wahr scheinlich dirigierte er einen Bergungstrupp hierher. Ich wandte den Kopf und blickte zu dem Ufer, von dem wir gekommen waren. Die Lavafront hatte den Fluß fast erreicht. Sie staute sich vorübergehend an der Barrie re aus großen Felsblöcken, die hinter der Uferterrasse eine weite Fläche bedeckten. Oberhalb des Katarakts mußten die ersten Ausläufer sich bereits in den Fluß ergossen haben, denn dort sah ich Dampfwolken auf steigen. »Wir dürfen hier nicht bleiben«, sagte ich. »Wenn die Lava in den Fluß stürzt, wird sie sein Bett auffüllen. Dann wird der Fluß zu uns herübergedrängt.« »Wir haben noch etwas Zeit«, erwiderte Crysalgira. »Ruhen Sie sich erst einmal aus, Atlan!« Ich sah, daß Karsihl-HP das Funksprech gerät abschaltete und in eine seiner Gürtelta schen schob. Als ich den Kopf hob, entdeck te ich über dem Fluß einen Fluggleiter. Die Erkenntnis, daß wir in wenigen Minu ten allein zurückbleiben würden, wenn es mir nicht gelang, den Anführer der Lopseg ger umzustimmen, verlieh mir neue Kraft. Ich konnte mich erheben und ging mit Crysalgiras Unterstützung langsam auf Kar sihl-HP zu. Erst, als er die Schockwaffe wie der auf mich richtete, blieb ich stehen. »Nehmen Sie uns mit, Karsihl-HP!« rief ich. »Wenn Sie uns retten, können wir Ihnen gegen die Tejonther helfen. Wir verstehen mehr von Raumschiffen und von Raum kriegsführung als Ihre Leute. Es gibt keinen logischen Grund dafür, warum Sie auf unse re Hilfe verzichten sollten.« »Kommen Sie keinen Schritt näher!« warnte Karsihl-HP. »Sie haben verloren und
H. G. Ewers könnten nicht einmal mehr dann gewinnen, wenn Sie mich überwältigen sollten. Meine Leute würden Sie töten.« »Wenn Sie uns zurücklassen, verlieren Sie ebenfalls – den Kampf gegen die Tejon ther nämlich«, erwiderte ich. Aber es war sinnlos. Der Fluggleiter landete zwischen ins und Karsihl-HP. Bewaffnete Lopsegger sprangen heraus und legten mit ihren Strahlgewehren auf uns an. Sie hätten uns zweifellos er schossen, wenn ihr Anführer ihnen nicht zu geschrien hätte, uns am Leben zu lassen. Hilflos mußten wir zusehen, wie KarsihlHP in den Gleiter stieg. Kurz darauf warf ein Lopsegger etwas heraus, was wie ein Rucksack aussah. Dann stiegen alle Lopseg ger zurück. Der Gleiter hob mit leisem Summen ab, drehte sich in der Luft und entschwebte über den Fluß. »Vorbei!« sagte ich resignierend. »Wir werden auf einem Planeten sterben, der, ver glichen mit den Dingen des Makrokosmos, so winzig ist, daß wir ihn nicht einmal sehen könnten, besäßen wir unsere normale Grö ße.« Ein dumpfes Donnern ertönte, dann ein lautes Prasseln und Zischen. Die Lavafront hatte den Fluß auf der ge genüberliegenden Seite erreicht. Glutflüssi ges Gestein rann am Steilufer hinab und er goß sich in die Fluten. Mächtige Dampfwol ken stiegen auf und verbargen den gräßli chen Anblick vor uns. »Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, Karsihl hätte mich nicht aus dem Fluß gezo gen«, meinte Crysalgira. Das brachte mich zur Besinnung. Ich merkte erst jetzt, daß ich auf dem besten Wege gewesen war, mich selbst aufzugeben. »Nein!« sagte ich schroffer als beabsich tigt. »Wir werden den Kampf gegen die ent fesselten Naturgewalten Cerkols aufneh men.« Ich lächelte. »Schließlich haben wir beide unsere Ziele, nicht wahr?« »Ich werde Chergost nie wiedersehen«, erwiderte Crysalgira. »Selbst wenn wir über
Ingenieure der Vernichtung leben, wie sollten wir Cerkol verlassen, At lan?« »Vielleicht treffen wir auf eine andere Gruppe Lopsegger und können ihnen das Raumschiff stehlen«, erklärte ich. »Oder ein Patrouillenschiff der Tejonther landet später, und wir können uns der Besatzung bemerk bar machen.« »Es kann Jahre dauern, bis die Tejonther sich um ihre Planwelt kümmern«, meinte Crysalgira. »Dann müssen wir eben Jahre aushalten«, erwiderte ich. »Wir schaffen es schon, Crys algira.« Sie lächelte zaghaft. Als ich merkte, daß es mir gelungen war, ihr wieder etwas Mut einzuflößen, nahm ich sie am Arm und führte sie zu dem Rucksack, den die Lopsegger zurückgelassen hatten. Ich öffnete ihn und fand darin Konzentra te, Wasserkapseln und eine komplette Ange lausrüstung. Als meine suchenden Hände auf etwas Hartes, Metallisches stießen, zog ich es heraus. Ich hielt einen Thermostrahler in der Hand, an dem sogar zwei ErsatzEnergiemagazine befestigt waren. Als ich ihn öffnete, entdeckte ich auch in ihm ein Magazin. Lächelnd schob ich die Waffe in mein Gürtelhalfter und verstaute die beiden Ener giemagazine in den Außentaschen meines flexiblen Metallanzugs. »Damit können wir uns notfalls gegen Raubtiere wehren«, erklärte ich. »Und jagen«, fügte Crysalgira hinzu. »Nur, wenn es uns nicht gelingt mit der Angelausrüstung genügend Fische zu fan gen«, entgegnete ich. »Drei Energiemagazine reichen nicht ewig.« Crysalgira packte meinen Arm, als Wind aufkam und die über dem Fluß entstehenden Dampfwolken auf uns zutrieb. Beim jensei tigen Ufer zischte und brodelte es wie in ei nem Hexenkessel. »Ich weiß, wir müssen weiter«, sagte ich. Crysalgira streckte den Arm aus und deu
47 tete über die schlammige Ebene, auf der wir standen. Ganz hinten am Horizont entdeckte ich die verschwommenen Umrisse eines Ge birgszuges. Es würde ein weiter Marsch werden bis dorthin, aber es genügte schon, höher gele genes Terrain zu erreichen, um vor dem Wasser und der unerbittlich vorrückenden Lavaflut sicher zu sein. Ich hängte mir den Rucksack über die Schultern, dann stapften wir durch den knö cheltiefen Schlamm. Bald hatten die Dampf wolken uns eingeholt, hüllten uns ein und raubten uns die Sicht. Doch wir kannten die Richtung, in die wir zu gehen hatten.
* Gegend Abend drehte der Wind. Die Dampfwolken blieben hinter uns zurück. Sie bildeten eine himmelhohe Wand, die uns den Ausblick auf die Gegend verwehrte, aus der wir gekommen waren. Erleichtert stellten wir fest, daß wir unse re Marschrichtung beibehalten hatten. Im Schein der Abendsonne färbte sich der Ge birgszug vor uns goldrot. Die Gipfel schie nen aufzuglühen. Doch auch weiter unten glühte es, dort al lerdings nicht nur scheinbar. Eine Magma säule stieg rasend schnell empor, ein Geysir, der vom Kern des Planeten gespeist wurde. Sekunden später barst der Boden an seinem Fuß. Ein gigantischer Feuerball breitete sich aus. Über ihm stieg ein Rauchpilz in den Himmel. Kurz darauf erreichte uns ein Rumoren, das in einem Donnerschlag endete, der über haupt nicht mehr aufhören wollte. Der feste Boden unter unseren Füßen erbebte, und vom Gebirge wehte ein heißer Atem zu uns herüber. Wir blieben stehen. »Das ist das Ende«, stellte Crysalgira la konisch fest. »Das Ende unserer Marschrichtung, ja«, gab ich zu. »Aber nicht unser Ende. Ich
48 schlage vor, wir gehen die rund fünfhundert Meter bis dorthin, wo der felsige Boden an fängt, geradeaus und schwenken dann im Winkel von fünfundvierzig Grad nach links ab.« »Einverstanden«, sagte Crysalgira. »Aber ich kann bald nicht mehr, Atlan.« »Dann rasten wir auf dem felsigen Bo den«, erwiderte ich. Wir marschierten weiter und erreichten den felsigen Boden nach ungefähr einer hal ben Stunde. So lange brauchte man in dem knöcheltiefen Schlamm, um einen halben Kilometer zurückzulegen. Auf der kümmerlichen Grasnarbe zwi schen zwei flachen Felsbuckeln ließen wir uns nieder. Crysalgira streckte sich seufzend aus und schloß die Augen. Ich war ebenfalls erschöpft. Meine Knie zitterten. Ich nahm den Rucksack ab, öffnete ihn und holte zwei Konzentratwürfel heraus. »Essen Sie!« sagte ich zu Crysalgira und hielt ihr einen der Würfel hin. Doch sie rührte sich nicht. Sie schlief. Ich legte den Würfel zurück und schob mir den anderen in den Mund. Danach öff nete ich eine Wasserkapsel und ließ mir das warme, aber klare Naß in den Mund rinnen. Dabei wurde mir klar, daß wir ins Gebirge mußten. Nur dort konnten wir eine Quelle finden. Keinesfalls durften wir das durch Schlamm, verfaulende Pflanzenteile und Tierkadaver verunreinigte und verseuchte Wasser eines Flusses oder Sees trinken. Dadurch ergab sich ein Dilemma, denn wie sollten wir im Gebirge Fische fangen. Vielleicht gab es Gebirgsbäche, in denen Fi sche lebten, aber auch diese Bäche würden durch die letzten Wolkenbrüche so reißend geworden sein, daß die meisten Fische tal wärts gespült worden waren. Doch das war ein Problem, das heute noch nicht akut war. Ich fühlte mich gesät tigt, war müde und erschöpft und hatte nur noch den einen Wunsch, vierzehn Tage lang rund um die Uhr zu schlafen. Kaum hatte ich mich ausgestreckt, da sch lief ich auch schon.
H. G. Ewers Als ich erwachte, war es heller Tag, so fern man bei einem wolkenverhangenen Himmel von einem hellen Tag sprechen konnte. Das dumpfe Donnern und Grollen des neuen Vulkans hielt unverändert an. Ich richtete mich auf. »Entschuldigen Sie, daß ich gestern ein fach eingeschlafen war«, sagte Crysalgira. Ich blickte nach links und sah, daß Crys algira sich einen Konzentratwürfel aus dem Rucksack genommen hatte und darauf her umkaute. Neben ihr lagen zwei geleerte Wasserkapseln. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldi gen«, erwiderte ich. »Wie fühlen Sie sich?« »Wenn ich die Augen schließen und mir die Ohren zuhalten würde, fühlte ich mich sicher satt und zufrieden«, meinte Crysalgi ra. Ich lachte leise. »So gefallen Sie mir schon besser als ge stern.« Ich stand ganz auf und blickte zu dem neuen Vulkan hinüber. Das ausströmende Magma hatte einen Glutberg von zirka zwei hundert Metern Höhe und drei Kilometern Durchmesser gebildet, und noch immer schoß ein dicker Magmastrom aus dem Eruptionskanal. Noch während ich hinsah, riß die uns zu gewandte Flanke des Schildvulkans auf. Ei ne Dampfwolke schoß empor, gefolgt von einer riesigen Fontäne aus Felsbrocken und Wasser. »Da ist ein subplanetarischer Fluß ange zapft worden«, sagte ich. »Wir brechen am besten auf, bevor es hier zu ausgedehnten Beben kommt und bevor wir wieder in Dampf gehüllt werden.« Ich nahm mir ebenfalls einen Konzentrat würfel, leerte eine Wasserkapsel und warf mir den Rucksack über. Danach marschier ten wir im Winkel von fünfundvierzig Grad nach links zu unserem bisherigen Kurs. Hin und wieder warf ich einen argwöhni schen Blick auf den Schildvulkan. Noch im mer schoß hochgespannter Wasserdampf aus dem Riß in seiner Flanke. Er breitete sich
Ingenieure der Vernichtung nicht aus, sondern stieg fast senkrecht nach oben. Plötzlich fesselte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Der Teil des Bergmassivs, der – von uns aus gesehen – direkt hinter dem Vulkan lag, schwankte, dann gerieten Milliarden Tonnen Fels in Bewegung. Es war ein Ausschnitt von mindestens fünfzig Kilometern Breite dieser Bergkette, der in sich zusammensank. Aber auch die Berge rechts und links davon wankten. Felslawinen gingen zu Tal. »Hinlegen!« rief ich Crysalgira zu, die wie gebannt auf das grauenhafte Schauspiel starrte. Mir war klar, daß die Erschütterun gen, die diese Berge zum Einsturz gebracht hatten, auch uns erreichen mußten. Kaum lagen wir, da schnellte der Felsbo den förmlich mit uns hoch. Ringsum war nur noch ein ohrenbetäubendes Donnern, Knir schen und Krachen zu hören. Mein Mund, meine Augen und meine Ohren füllten sich mit Staub und Rauch, und ich wurde immer wieder durchgeschüttelt, hochgeworfen und geprellt. Kleine Steinsplitter prasselten auf mich herab. Einer riß mir die linke Wange auf. Ich kroch blind zu Crysalgira und schob mich schützend über sie. Es schien eine hal be Ewigkeit zu dauern, bis die Beben all mählich nachließen. Ganz hörten sie aller dings nicht auf. Aber wenigstens prasselten keine Steinsplitter mehr herab. Ich spie Staub aus, wischte mir Staub aus den Augen, hustete und nieste, bis ich wie der einigermaßen sehen und atmen konnte. Rings um uns schwammen einige dünne Rauchwolken in der Luft. Der Boden, der vor dem Beben glatt gewesen war, wies un zählige Risse und Spalten auf. Eine Spalte – sie mochte drei Meter breit sein – zog sich wenige Schritte vor uns durch den Boden. Aus ihr stiegen gelbliche Schwaden, die einen Geruch nach faulen Eiern verbreiteten. Ich zog Crysalgira hoch. Sie war unver letzt, hatte aber einen leichten Schock erlit ten. »Kommen Sie!« sagte ich, packte ihre
49 Hand und zog sie mit mir. In ihrem derzeitigen Zustand würde ich sie nicht bewegen können, über den Spalt zu springen. Wir konnten also unsere alte Mar schrichtung nicht beibehalten. Da der Ge ruch verriet, daß die aus dem Spalt steigen den Gasschwaden unter anderem Schwefel wasserstoff enthielten, führte ich die Prin zessin von dem Spalt fort. Wir kamen bis zu der Schlammebene, die wir am Vortag durchquert hatten. Dort war unser Weg zu Ende, denn unter dem Schlamm hatten sich Hunderte von heißen Quellen geöffnet. Überall kochte, brodelte und zischte es. Schlammfontänen spritzten hoch. Ich drehte mich um – und erschrak. Aus der Flanke des Schildvulkans kam kein Dampf mehr. Dafür waren noch mehr Spalten entstanden – und aus ihnen wälzten sich lodernde Ströme glühender Lava, die sich in der Ebene vereinigten und unaufhalt sam weiter vorrückten. In weniger als fünf Stunden mußte die Lava uns erreicht haben. Ich packte Crysalgira bei den Schultern und schüttelte sie heftig, um sie aus ihrer Lethargie zu reißen. Als sie einen Schmer zenslaut von sich gab, hörte ich auf. »Verstehen Sie mich?« fragte ich. »Ja!« flüsterte sie. »Was war mit mir?« Ich atmete auf und antwortete: »Sie hatten unter Schockeinwirkung ge standen. Das Beben, verstehen Sie! Trauen Sie sich zu, über einen drei Meter breiten Spalt zu springen?« »Ich werde es schaffen«, antwortete sie tapfer. Ich nahm sie wieder bei der Hand und führte sie zu dem Spalt, aus dem noch im mer giftige Gasschwaden stiegen. Der Schwaden wegen bemerkte ich die Verände rung erst, als wir schon dicht bei dem Spalt waren. Er hatte sich erweitert, und seine gering ste Breite betrug ungefähr acht Meter. Das schaffte keiner von uns. Wir waren tatsächlich am Ende – am En de unseres Weges und am Ende unseres Le
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H. G. Ewers
bens. Über den Spalt kamen wir nicht, und vom Gebirge her näherte sich eine glühende Lavaflut. Sie näherte sich schnell, da das Gelände in unsere Richtung abfiel. Und durch die kochende Schlammebene kamen wir auch nicht. Es hätte auch wenig Sinn gehabt, denn an ihrem anderen Ende verdampfte der Fluß unter der anbrandenden Lavaflut. »Wir werden heute noch sterben«, sagte Crysalgira mit leiser Stimme. Ich blickte in ihre Augen und sah, daß sie die Furcht vor dem Tode bereits überwun den hatte. Sie brachte sogar ein Lächeln zu stande. Aber ich wußte, daß die Furcht vor dem Sterben erst noch kommen würde, dann nämlich, wenn die Hitze der Lavaflut uns die Haut verbrannte und die Haare aufglü hen ließ. »Wahrscheinlich«, antwortete ich. »Wir können versuchen, durch das kochende Schlammeer zu entkommen. Vielleicht ver siegt die Lavaflut rechtzeitig.« Ein neues Donnern ertönte. Es klang ähn lich wie das Donnern ausbrechender Vulka ne und doch irgendwie anders. Ein metalli sches Dröhnen begleitete es. Als ich erkannte, worum es sich handelte, blickte ich nach oben. Sie waren noch nicht sehr hoch, die Raumschiffe der Lopsegger, aber der Kurs ihrer keilförmigen Formation wies nach oben. Demnach hatten sie ihre Mission er füllt und verließen Cerkol wieder. Ich hob die Fäuste, dann ließ ich sie resi gnierend sinken. Zorn würde uns auch nicht helfen. Die Lopsegger ließen uns zurück, weil sie uns nicht vertrauten. Irgendwie konnte ich sie verstehen, obwohl sie in unse rem Fall unrecht hatten. Plötzlich kniff ich die Augen zusammen. Bei dem äußersten Schiff des linken Keilflügels blitzte es grell auf, dann scherte das Schiff aus und verlor an Höhe. »Es stürzt ab!« sagte Crysalgira.
»Nein!« erwiderte ich. »Es will landen!« Mein Puls beschleunigte sich, als ich sah, daß das Raumschiff genau in unsere Rich tung flog und dabei stetig an Höhe verlor. Aber vielleicht wollten die Lopsegger gar nicht landen. Vielleicht hatten sie uns mit ih ren Ortungsgeräten entdeckt, wollten mit ei nem Schuß aus dem Buggeschütz dafür sor gen, daß wir nicht doch noch überlebten. Dennoch blieb ich aufrecht stehen. Es war sowieso alles egal. Doch das Schiff landete knapp fünfzig Meter vor uns. Die Schleuse an seiner Seite öffnete sich, und die Rampe glitt heraus. Crysalgira und ich standen immer noch unbeweglich, als die Rampe den Boden be rührte. Erst als in der Schleuse ein Lopseg ger erschien und uns zuwinkte, erwachten wir aus unserer Erstarrung. Wir liefen los, rannten die Rampe hinauf und standen wenig später vor dem Lopseg ger, der kein anderer als Karsihl-HP sein konnte. »Ich habe nachgedacht«, sagte KarsihlHP. »Und ich habe beschlossen, Sie mit zu meiner Heimatwelt zu nehmen. Willkom men an Bord.« »Danke, Karsihl-HP!« sagte Crysalgira. Ich zog meinen Handstrahler mit zwei Fingern, hielt ihn am Lauf fest und reichte ihn Karsihl-HP. »Damit es keine Mißverständnisse gibt«, erklärte ich. »Danke!« Wir gingen durch die Schleuse, während die Rampe eingezogen wurde. Wenig später saßen wir im Kommandoraum und beobach teten auf den Bildschirmen, wie das Schiff abhob. Es sollte uns nach Karsihis Heimat welt bringen. Ich war gespannt, was uns dort erwartete.
E N D E
ENDE