KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
HANS
KULTURKUNDLICHE
WILHELM
HEFTE
SMOLIK
Insekten-Rä...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
HANS
KULTURKUNDLICHE
WILHELM
HEFTE
SMOLIK
Insekten-Rätsel Liliputaner der Tierwelt
V E R L A G S E B A S T I A N LUX MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Das Heer der 750 000 Arten Am sandigen Rand des Kiefernwaldes haben wir uns gelagert. Die Augen fliegen sonnentrunken über das in sanften Wellen vor uns ausgebreitete Land. Jubelnd steigen die Lerchen in den flimmernden Himmel. Über die Wiesen und Felder schaukeln Schmetterlinge, brummen dicke Hummeln und klirren blitzende Libellen. Am Waldrand rütteln wie getigerte Falken die schlanken Raubwespen; jäh stürzen sie sich über die entsetzt aufsummenden blauen Schmeißfliegen. In rhythmischen Tonwellen schrillt der Singsang der Heuschrecken, der Grillen und Grashüpfer über das Land. Neben uns hasten rotbraune Waldameisen auf ausgetretenen Pfaden zum Holunderbusch am Feldrain. Sicher sitzt er voller Blattläuse, die für die Ameisen soviel bedeuten, wie für uns der Zuckerbäcker und die Milchkuh. Wie in silbernen Pantoffeln stelzt ein großer Rüsselkäfer vorbei. Wir legen ihm die Hand in den Weg, die er nach einigem Zögern und vorsichtigem Betasten erklettert. Die gelben Harlekinflecken auf seinem starkgebuckelten Rückenschild, der zu einem nasenartigen Rüssel ausgezogene Spitzkopf und die eingeknickten Beine mit den hellen Laufsohlen geben ihm das Aussehen eines drolligen Unikums. Viel Intelligenz, wenn wir so menschlich von einem Käfer sprechen wollen, scheint in seinem spitzen Köpfchen nicht Platz zu haben. Das Gehirn muß ungewöhnlich winzig sein. Immerhin stelzt der Rüsselkäfer in dieser lustigen Gestalt schon seit Jahrmillionen durch die Welt, immerhin hat er es fertiggebracht, sich allen großen revolutionären Wandlungen der Lebensbedingungen anzupassen und sich in ungezählten Arten zu erhalten. Er ist der Veteran aller Käfer und ist dasselbe, was einst der noch mit Zähnen bewehrte Urvogel Archäopteryx für die Vögel war. Wir lassen den Käfer in die Mitte unserer Handfläche rollen, wo er auf dem Rücken liegend mit festangezogenen Beinen und Fühlern den toten Mann spielt. Wir sehen, daß er ringsum sehr fest gepanzert ist. Dieser Chitinpanzer ist das wesentliche Merkmal des Insekts. Chitin wird von den Zellen des Deckgewebes ausgeschieden und verdickt sich zu einem hornartigen und farbigen Hautskelett, das den Körper des Insekts schützt, ähnlich wie unsere Schädelkapsel das Gehirn. Dieser starre Panzer setzt voraus, daß der Insektenkörper, um sich in dieser Umhüllung überhaupt bewegen zu können, stark g e g l i e d e r t , e i n g e k e r b t und in den Gelenken beweglich sein muß. Und unter Insekten verstehen wir eben die Klasse der 2
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Glieder- oder Kerbtiere Bei den Waldameisen, die soeben einen Angriff auf unsere Waden unternommen haben, erkennen wir diese starke Gliederung, diese tiefe Kerbung, noch deutlicher. Die in unsere Haut festgebissenen Tierchen vermögen sich fast zu einer Kugel zusammenzukrümmen. Das dritte Kennzeichen der Insekten ist die Sechsbeinigkeit; zu beachten ist, daß alle sechs Beine am Brustkasten angeheftet sind. Die achtbeinigen Spinnen dürfen wir also streng genommen nicht zu den Insekten rechnen. Sie vertreten die außenseiterische Klasse der Spinnentiere. Aber auch der sonstige Aufbau des Insektenkörpers weicht weitgehend von dem der Wirbeltiere ab. Erwähnt sei hier nur, daß sich das Rückenmark bei allen Insekten unterhalb des Darmes, also an der Bauchseite, hinzieht. Folgender Bauplan ist allen Insekten gemeinsam: Chitinpanzer, K e r b u n g des K ö r p e r s , Sechs am B r u s t k a s t e n a n g e h e f t e t e Beine, V e r l a g e r u n g des R ü c k e n m a r k s auf die B a u c h s e i t e . Sonst aber kennzeichnet sich ihre ungeheure Artenzahl, die heute schon auf 750 000 Arten geschätzt wird, durch die größte Mannigfaltigkeit der Körperformen. Die Schmetterlinge, Hummeln und Libellen dort über den Wiesen, die musizierenden Grillen, Heuschrecken und Grashüpfer im Halmwald, der Käfer in unserer Hand, die Raubwespe und die Schmeißfliege, die Ameisen neben uns und die goldbehoste Honigbiene, die tanzende Mücke und die stinkende Blattwanze, die zarte Kleidermotte und die düstere Küchenschabe, die Plagegeister Floh und Laus, die huschenden Silberfische in den feuchten Winkeln und der Ohrwurm im Krautkopf, die geheimnisvolle Termite und die berühmte Zikade, sie alle gehören der großen Familie der Glieder- oder Kerbtiere an, sie alle sind Insekten. Um sich in dieser verwirrenden Fülle von Gestalten zurechtfinden zu können, wurden folgende zwölf Gruppierungen vorgenommen: Die Hautflügler: Ameisen, Bienen, Hummeln und Wespen. Die Käfer. Die Zweiflügler: Schnaken, Mücken und Fliegen. Die Flöhe. Die Schmetterlinge. 3
Die Köcherfliegen und die Schnabelhaften. Die Netzflügler: Florfliegen und Ameisenjungfern. Die Schnabelkerfe: Schildläuse, Blattläuse, Blattflöhe, Zikaden, Wasser- und Landwanzen, Wasserläufer. Die Nagekerfe: Blasenfüße, Läuse, Pelzfresser und Termiten. Die Geradflügler: Ohrwürmer, Spring-, Laub- und Gespenstschrecken, Grillen und Schaben. Die Libellen, Uferbolde und Eintagsfliegen. Die Urinsekten: Doppel-, Spring- und Zottenschwänze. Eine in Formen und Farben schillernde, in Lebensgewohnheiten und Fähigkeiten überraschende und noch immer zum größten Teil in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllte Welt, voll von Schrecken und Wundern, Unerklärlichkeiten und Rätseln, tut sich hinter dem Rüsselkäfer in unserer Hand auf. In diese Welt wollen wir heute vorstoßen, wollen wir einen Pfad schlagen, so wie sich der Forscher durch die undurchdringlich erscheinenden Wälder ferner Länder seinen Weg schlägt, um kleine Einblicke in die Gesetze einer fremden Welt zu gewinnen. Es wird uns dabei schwerfallen, alle die wundersamen Erscheinungen richtig zu benennen. Wir werden viele Begriffe aus unserer menschlichen Vorstellungswelt verwenden müssen, die wir dann immer, um ihre Fragwürdigkeit anzudeuten, zwischen Gänsefüßchen setzen werden.
Gulliver im Land der Liliputaner Das Volk der Insekten ist wirklich, wie der Naturforscher Wilhelm Bölsche es treffend schilderte, dem Volk der winzigen Liliputaner gleichzusetzen, das den guten Gulliver von allen Seiten bestürmt, umringt, überklettert und beschießt, das ihn sticht, beißt, zwickt und brennt. Dieser Gulliver sind aber nicht nur wir Menschen, sondern sind ebenso Pflanze und Tier, sind Erde, Luft und Wasser. Wir müssen uns nur einmal vergegenwärtigen, welche Rolle die Insekten als Bestäuber und Befruchter der Blütenpflanzen spielen, welch inniger und gegenseitig zu immer neuen Vervollkommnungen anregender , Beziehungsreigen zwischen ihnen und der Pflanzenwelt besteht, welche Entwicklung das Pflanzenreich seit dem Tage durchgemacht hat, da der unzuverlässige Wind als Bestäuber ausgeschaltet wurde und die Pflanze lernte, das Insekt mit bunten Farben, Schauapparaten, Nektarien, Zuckerbroten und berauschenden Düften oder durchdringenden Gerüchen anzulocken und in ihren Dienst zu spannen. Wir dürfen die Insekten in dieser Beziehung als Pflanzenzüchter ansehen. Ganz abgesehen davon, 4
daß sich die Insekten, besonders die Ameisen, auch der Samenverbreitung angenommen haben. Andererseits aber sind es wieder die Insekten, die das Pflanzenreich in seinem Bestehen bedrohen und gefährden, die als Rinden- und Borkenkäfer, als Spinner und Spanner die mächtigsten Wälder besiegen, die als Blütenstecher, Rippenstecher, Zweiga'bstecher, Fruchtstecher, Gallmücke, Kirschfliege, Blattlaus, Wespe und Motte unsere Obstkulturen vernichten, die als Getreide- und Kartoffelkäfer, als Rüben- und Rapskäfer, als Spargelhähnchen und Erdfloh, als Halmwespe und Wiesenwanze, als Saateule und Kohlweißlingsraupe, als Möhren- und Zwiebelfliege den Ertrag unserer Felder zehnten. Die unsere Vorratslager stürmen und als Korn-, Erbsen-, Linsen-, Bohnen- und Mehlkäfer gewaltige Verluste verursachen. Die in ungeheuren Heuschreckenschwärmen große Ländereien in Wüsten verwandeln und Hungerkatastrophen auslösen. Und wieder sind es die Insekten, die den Schutz besonders bedrohter Pflanzen übernehmen, sind es die Ameisen und die Puppenräuber, die den von der Nonnenplage befallenen Wald verteidigen, sind es die Raub-, Sand-, Grab- und Schlupfwespen, die den Kampf gegen die Spinner und Spanner aufnehmen. Die wesentlichste Ausgleichs- und Balancekraft im Haushalt der Natur sind die Insekten. Sie sind es auch, die den großen Reigen zwischen Tod und Leben, Verfall und Auferstehung beschleunigen, die als Aaskäfer und Aasfliege, als Totengräber und Abbauspezialisten die organischen Stoffe auflösen, aufspalten, zersetzen und sie dem großen Wandlungsprozeß auf schnellstem Wege wieder zur Verfügung stellen. Ohne Insekten wäre unsere blühende und fruchtbringende Welt ein einziges stinkendes Leichenfeld, wäre unsere Luft verpestet, wären unsere Wasser verseucht. In unvorstellbaren Massen und zum größten Teil noch unbekannten winzigen Variationen stürzen sich Insekten in der Gestalt von Moder-, Mulm-, Mist- und Dungkäferchen, von Fliegen, Ameisen und Wanzen auf alle Abfallstoffe und beschleunigen den Verwesungs- und Auflösungsprozeß dieser Stoffe, wobei ihnen ihre Larvenformen wichtigste Hilfsdienste leisten. Ein Dutzend Mistkäfer vertilgt einen Korb voll Eselsmist an einem einzigen Tage. Ein Dutzend Totengräberkäfer versenkt die Leiche einer Maus oder eines Vogels in wenigen Stunden. Die Larven von nur einem Dutzend blauer Schmeißfliegen verwandeln den Kadaver eines verendeten Rehs in wenigen Tagen in eine in den Boden einsickernde Brühe. Auch an der Durchlüftung und Bearbeitung unserer Erde wirken Insekten in der Gestalt von Ohrwürmern, Maulwurfsgrillen, Käfern, 5
Wespen und Ameisen mit und tragen ganz außerordentlich zur Fruchtbarkeit des Bodens bei. , Oft genug stehen Insekten auch im Dienste des Todes; das ist der Fall, wenn Seuchen und Verpestungen auftreten. Die Flöhe tragen die Pest zu Menschen und Tieren, die Mücken verschleppen die Malaria, das Gelbfieber, das Denguefieber, die Fliegen die Schlafkrankheit, die Ruhr und den, Aussatz. Die Rolle, die das Insekt als Nahrungsmittel für einen großen Teil der Tierwelt, für Lurch, Fisch, Vogel und Säuger, spielt, wollen wir nur noch am Rande vermerken. Wir erkennen: Die Insekten sind in den großen Ring des Lebens derartig vielseitig verwoben, daß weder Pflanze noch Tier und Mensch ohne ihre Mitwirkung zu leben vermöchten, daß überhaupt der ganze Kreislauf des Lebens ohne sie ins Stocken käme. Ist es da nicht im höchsten Maße verwunderlich, daß uns gerade diese Tiergattung noch so fremd und ihre Lebensgesetze vielfach noch so verschleiert sind? An Versuchen, in Anopheles, die Fiebermücke, diese Welt einzudringen, fehlt es bestimmt die die Malaria überträgt, nicht. Forscher von Weltruf haben ihr ganzes Leben dem Studium des Insektenlebens gewidmet. Es liegen gewaltige Werke über Ameisen, Bienen, Wespen, Wanzen, Käfer, Schmetterlinge und Termiten vor. Werke, die uns eine ganz phantastische Welt erschließen, die aber doch nicht den letzten Schleier zu lüften vermochten. Vielleicht ist es die völlige Andersartigkeit dieser Tiere, die es uns erschwert, in sie einzudringen, die es ihnen ermöglicht, sich dem Zugriff unseres Verstandes zu entziehen, so daß wir, so viele Einzelheiten wir auch erforschten, doch immer wieder vor verschlossenen Toren stehen.
Das Wunder der Wunder Ein wesentliches Merkmal dieser Andersartigkeit der Insekten ist der geheimnisvolle Gestaltenwandel, der ihr Leben in ein ungeflügeltes Freßstadium und ein geflügeltes Liebesstadium aufteilt. Es scheint der Natur nicht möglich zu sein, das Wunder des so kleinen und so vollkommenen Flugapparates eines Insektes schon im Ei auszubilden, sie 6
schaltet darum, bevor sie dieses Wunder auferstehen läßt, ein Larvenleben ein. Diese aus dem Insektenei schlüpfende Larve ist im Grunde nichts anderes als ein Freßschlauch, als ein selbständiger Darm, der die Aufgabe hat, die Baustoffe zu sammeln, die zur Schaffung des vollkommenen Insektes benötigt werden. Sind diese Baustoffe zusammengetragen, was bei den Käfern oft Jahre, bei den Fliegen nur Tage währt, so hat der Freßschlauch seine Aufgabe erfüllt und zieht sich zur Verwandlung zurück. Sparsam und praktisch wie die Natur ist, hat sie der Larve nur die Sinne, Organe und Fähigkeiten mitgegeben, die zur Auffindung und Aufnahme der Nahrung unbedingt erforderlich sind. Sie läßt sie als armselige, meist nackte und blinde Würmer, die sich auf kümmerlichen Stummelbeinen fortbewegen, dahinkrauchen, und versetzt sie entweder dorthin, wo die erforderlichen Baustoffe leicht zu erlangen sind, also in das Wasser, die Erde, das Holz und die Abfallstoffe, oder überläßt es dem Vollinsekt, die erforderliche Nahrung für die Larve selbst herbeizutragen. „Das Wunder der Wunder in Gottes Natur", wie es die alten Naturforscher nannten, nämlich der Umbau der von der Larve zusammengetragenen Stoffe, vollzieht sich dann im mystischen Dunkel der „Puppe", also der kleinen hornigen Einsiedelei, die sich die Larve in ihren letzten Tagen selbst gefertigt hat. Diese Puppe ist der Bauzaun, den die Natur und ihr Schöpfungsgeheimnis errichtet hat, und das wir Menschen, so viele Fensterchen und Gucklöcher unser Forscherdrang auch in diese Planken gebohrt hat, noch nicht restlos zu lüften vermochte. Wir wissen nur so viel, daß schon während des Larvenlebens viele einzelne Bestandteile des zukünftigen Körpers aufgebaut werden, daß dann aber innerhalb der Puppe ein derartiger brodelnder Wandel beginnt, daß fast die ganze Larve in einen bebenden Lebensbrei zerrinnt. Wir vermögen uns kaum vorzustellen, welche Arbeit innerhalb des engen Puppenraums geleistet wird. Denn es müssen ja alle Organe, die bis dahin für das Larvenleben erforderlich waren, vollkommen eingeschmolzen und aus diesem und anderem Material ein neuer Darm, neue Sinneswerkzeuge, eine neue Muskulatur, ein neues Nervensystem, eine neue Hautdecke und ein neuer Gliedmaßenapparat aufgebaut werden, wobei totale Neuschöpfungen, wie Augen, Rüssel, Flügel und Geschlechtsapparat, zu vollbringen sind. Das neue Insekt, das den Bauzaun nach geraumer Zeit durchbricht, das zumeist auch in einen neuen Lebensraum hineingeboren wird, ernährt sich, bewegt sich und empfindet völlig anders als die Larve. Es hat neben der körperlichen auch eine vollkommene seelische Verwand-
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Iung hinter sich gebracht, und es verfügt vom ersten Tage an über eine Summe von „Kenntnissen" und „Erfahrungen", die es hoch über die mehr oder weniger stumpfsinnige Larve stellen. Wenn wir uns aber fragen, was wohl der tiefere Sinn dieses umständlichen Entwicklungsweges sein mag, so können wir folgende Erwägungen anstellen: Es scheint, wie schon gesagt, nicht möglich zu sein, eine solch feine und komplizierte Flugmaschine, wie sie das hochentwickelte Insekt darstellt, schon im Ei zu entwickeln. Die Vorschaltung eines Freßstadiums. eines nur auf Nahrungserwerb bedachten dämmernden Vorlebens, scheint unbedingt nötig zu sein, um zum ersehnten Ziel zu gelangen. Es leuchtet weiterhin ein, daß der Flugapparat nicht noch Platz für umfangreiche und lediglich der Nahrungsaufnahme dienende Organe hat, die den Wachstumsbedürfnissen Rechnung tragen könnten. Das Wachsen mußte also ebenfalls den Larven übertragen werden, die sich mühelos durch einfache Häutungen den erforderlichen Raum für die genügende Menge von Baustoffen schaffen können. Mit dieser Übertragung des Wachstums an die Larven wich die Natur gleichzeitig den Schwierigkeiten aus, die sich den Wachstumsvorgängen beim fertigentwickelten Insekt entgegengestellt hätten. Denn wie sollte sich wohl der in seinen harten Panzer eingeschnürte Käfer häuten? Wie sollte der Schmetterling oder die Libelle die starren Flügel vergrößern und erneuern, die alten einziehen und die neuen herausschieben? Nein, wenn die Natur auf ihren Flugmaschinenplan nicht verzichten wollte — wenn wir uns einmal so ausdrücken dürfen! —, dann mußte sie eine Arbeitsteilung zwischen den Freß- und den Fortpflanzungsaufgaben vornehmen. Die Aufgabe der Selbsterhaltung mußte den Larven, die Arbeit der Arterhaltung den vollentwickelten Insekten übertragen werden. Dem Vollinsekt obliegt dann nur noch, die herrliche Flugmaschine funktionsfähig zu erhalten, was mit feinen Nährstoffen möglich ist und den erhöhten Aktionsradius in den Dienst der Arterhaltung zu stellen. Das Insekt wurde damit zu einem spezialisierten Fortpflanzungswesen, das seine Eier dort abzustoßen hat, wo die zukünftigen Larven ihren Freß- und Wachstumsaufgaben mühelos nachzukommen vermögen. Um die Art zu erhalten und neuen Lebensraum zu gewinnen, wurde der Flugapparat ersonnen. Um zum Flugapparat zu kommen, mußte der Umweg über die Larve und die Mühe des Umbaus innerhalb der Puppe in Kauf genommen werden. Die Wahrscheinlichkeit unserer Überlegungen erhärtet die Tatsache, daß alle schlechten Flieger unter den Insekten, wie die Ohrwürmer, die Schnecken, die Grillen und die Schaben, wie auch die flügellosen Urinsekten, z. B. das Silberfischchen, den Umweg über Larve und Puppe 8
nicht kennen. Bei diesen Insekten entschüpft dem Ei das junge Geschöpf als ein flügelloses winziges Ebenbild der Eltern, das sich während seines Wachstums mehrfach häutet und dem die Flügel erst nach und nach wachsen, wenn es überhaupt flugfähig ist. Wir hatten diese Insekten unter der Gruppe der Geradflügler zusammengefaßt und können sie im gewissen Sinne als primitive Vorbilder des hochentwickelten Insekts ansehen.
D e r Ölkäfer und die Eintagsfliege tanzen aus der Reihe Den üblichen Weg über das Ei, die Larvenform und die Puppenruhe, den das hochentwickelte Insekt durchläuft, verlassen und durchbrechen in höchst eigenwilliger Weise nur der Ölkäfer und die Eintagsfliege. Aus den vielen tausend Eiern, die der im Mai auftauchende, kurzbefrackte, dunkelblau schillernde und schwerfällig dahinstolpernde Käfer legt, schlüpfen nach vier bis fünf Wochen winzige behende Käfer-
Aus dem Ei des O l k ä f e r s ist diese lausähnliche Käferlarve geschlüpft (links); sie entwickelt sich zur schlemmenden H o n i g m a d e (rechts).
larven mit Augen und langen Fühlern. Ohne Zögern begeben sie sich in die Blüten der Korbblütler, des Löwenzahns etwa, in denen sie wie gehetzt auf und ab laufen. Sie haben aber nicht die Absicht, die Blütenblätter anzuknabbern, Nektarien zu schlürfen oder Pollenhonig zu schmausen, nein, sie laufen hin und her, als warteten sie auf einen Besuch. Naht sich mit Summ und Brumm ein Blütenbesucher, bemächtigt sich der winzigen Kerle eine große Erregung. Wie die Wilden stürzen sie sich auf den Zecher, ganz gleich, ob es sich um eine Wild- oder Honigbiene, eine Hummel oder Wespe, einen Blumenkäfer oder eine Fliege handelt, und klammern sich mit ihren sechs dreiklauigen Füßen an deren Haarpelz fest. Sind die Ölkäfer darum etwa kleine Blutsauger oder milbenähnliche Schmarotzer? Nein, sie sind lediglich darauf bedacht, eine billige Luftreise antreten zu können. Ihr weiterer Entwicklungsweg führt zu den Honigzellen der Wildbienen, wo sie allein ihr Lebenselement finden; 9
Aus der Honigmade d e s . ö l k ä f e r s b i l d e t sich d i e Puppe (links), aus der Puppe der f e r t i g e Käfer (rechts).
alle die, die sich an andere Blütenbesucher klammerten, gehen an diesem Irrtum zugrunde. Die Ölkäferlarve aber, die sich zufällig am Pelz einer weiblichen Wildbiene anklammerte oder der es gelingt, während der Begattung von der männlichen zur weiblichen Biene umzusteigen, springt in dem Augenblick, da die Biene ihr Ei in die Honigzelle legt, auf dieses im süßen Meer schwimmende Ei und wird aus einem blinden Luftpassagier zu einem blinden Schiffspassagier. Die nichtsahnende Wildbiene verschließt nun ihre Honigzelle, und unsere Ölkäferlarve verzehrt zuerst einmal das Bienenei. Das heißt, sie frißt das Floß auf, das sie trägt! Unweigerlich würde sie kurz darauf im Honigmeer ertrinken, wenn — ja, wenn nicht plötzlich das Wunder geschehen würde, das die mit Augen, Fühlern und Beinen ausgestattete, hochentwickelte Käferlarve in eine plumpe Bienenmade verwandelt. Diese Made führt nun ein herrliches Schlemmerleben. Nach mehrfachen Häutungen verpuppt sie sich, verwandelt sich während der Puppenruhe in eine neue Larvenform, verläßt das Schlaraffenland, wühlt sich in die Erde, verpuppt sich wiederum und erlebt nun endlich die Verwandlung zum Käfer. Aus den drei Entwicklungsstufen: Ei, Larve und Puppe, sind also beim Ölkäfer sechs Entwicklungsstufen geworden: Ei, Larve, Bienenmade, Scheinpuppe, Käferlarve, Puppe. Die hohe Eierzahl des Ölkäfers erklärt sich aus den vielen Verlusten, die auf diesem komplizierten Entwicklungsweg entstehen. Uns aber kann nicht wunderbarer gezeigt werden, welche Fülle von erstaunlichen Anpassungsfähigkeiten das Insekt entwickelt hat, und wie verschleiert im Grunde sein Wesen ist. Wir brauchen nur einmal daran zu denken, wie viele „Wieso und Warum" auf diesem Wege liegen, wie viele sogenannte „Zufälligkeiten" dazu führten, daß dieser Lebensweg zum Entwicklungsgesetz des Ölkäfers werden konnte. Am Beispiel der eigenwilligen Eintagsfliege aber beweist uns die Natur, daß es ihr durchaus möglich ist, die Schwierigkeiten zu 10
überwinden, die der Häutung eines geflügelten Insekts entgegenstehen. Wichtig ist für uns dabei zu wissen, daß die Eintagsfliege ein uraltes Insekt ist, das in dieser seiner heutigen Gestalt schon in der späteren
Als fertiges v o l l beflügeltes Insekt schlüpft die Eintagsfliege aus der Larvennülle; wenige Minuten später piatzt das Insekt in der Rückenmitte auf und aus dem a l l e n Flieger {links unten) ersteht ein neuer Flieger (links o b e n und rechts), ebenfalls mit v o l l ausgebildeter Flugeinrichtung., Die alte Käferhülle b l e i b t zurück (links unten).
Sfeinkohlenzeit vor vielen Millionen Jahren aufflog, und das vielleicht überhaupt das erste geflügelte Insekt darstellt. Jahrelang als häßliche Larve im Wasser und im Schlamm lebend, sich immer wieder häutend und vorwärtsentwickelnd, verläßt es auf irgendeinen geheimen Antrieb hin plötzlich sein Element und sucht in ungeheuren Scharen gleichzeitig und meist in einer Nacht emporzusteigen. Das Wasser zischt und wallt von dem Bemühen der Millionen, sich von der Larvenhülle zu befreien. Die Flut ist weithin wie beschneit. Als fertiges luftatmendes und fliegendes Insekt verläßt die Eintagsfliege die Larvenhaut nach wenigen Minuten, schwingt sich auf, flattert dicht über den Wasserspiegel dahin, um einen Ruheplatz an Schilfstengeln, Ufergräsern und Büschen aufzusuchen. Hier aber geschieht das Erstaunliche und Einmalige in der gesamten Insektenwelt, daß die Haut des eben geschlüpften, libellenähnlich dahinfliegenden Wesens in der Rückenmitte aufplatzt und ein neuer Flieger aus dem alten aufersteht. Fix und fertig lag dieses neue Geschöpf unter der flugfähigen und vollentwickelten Hülle. Die zwei Verwandlungen folgen aufeinander und 11
vollziehen sich innerhalb weniger Minuten, also in einem fabelhaften Tempo. Und der neue Flieger steigt nun hoch in die Lüfte, um, ohne einen Bissen Nahrung zu sich zu nehmen, seine Lebenskraft restlos in der Paarung und im Abstoßen der Eier zu verströmen. Die Luft in den Därmen wird zur Regulierung des Auf- und Niederschwebens benutzt. Der Flugapparat ist noch sehr einfach und gestattet nur ein Hochklappen, nicht aber ein Zurückfalten der Flügel (s. Bild S. 11). Es ist also möglich, daß sich ein beflügeltes Insekt nochmals häutet! Die Eintagsfliege beweist es. Aber es scheint, als ob dieser erste Versuch, dieses Experiment, dem Insekt mit Hilfe eines Flugapparates eine gesteigerte Expansionsmöglichkeit zu verleihen, zugleich auch den Beweis erbrachte, daß das ein Experiment auf Tod und Leben war. Es scheint, als ob die Natur erkannte, daß sie Zeit und Muße gewinnen mußte, um dem ihr vorschwebenden Idealbild einer leistungsfähigen und dauerhaften Flugmaschine nahezukommen. Diese Zeit sicherte ihr die Puppenruhe, die nun künftig in den Lebensgang der Insekten eingeschaltet wurde.
Die Made im Speck Wie die im Honig der Bienenzelle lebende Ölkäferlarve führen auch viele andere Insektenlarven ein Sehlemmerleben, das lediglich aus der Aufnahme der in Überfülle vorhandenen Nahrung und den Mühen einiger Häutungen besteht. Solche Schlemmer stellen meist nichts anderes als einen plumpen Hautsack dar, besitzen keine Kopforgane und weisen nur
Die Sandwespe bringt eine gelähmte Schmetterlingsraupe als Nahrung für ihre Larven ein.
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sehr armselige Stummel von Brustbeinen auf; ihre Fähigkeiten sind auf ein Mindestmaß zurückgesetzt, sie sind in Wirklichkeit nur selbständig gewordene Därme. Die Fürsorge der Muttertiere setzt sie dort ab, wo eine müheund gefahrlose Nahrungsaufnahme gesichert ist; oder aber sie schaffen von sich aus Voraussetzungen dazu und sparen dabei keinerlei Mühe. So schleppen die Mistkäfer den Dung der Säugetiere in der Gestalt von Kugeln, Würsten, Birnen und Kuchen in beachtlich tiefe, selbstgegrabene Schächte und Höhlen, betten ihre Eier in den nahrhaften Stoff und G a l l ä p f e l an Eichenblättern entstehen durch mauern diese Kinderstuben den Stich d e r G a l l w e s p e . Sie d i e n e n d e n wieder zu. Die ausschlüpfende W e s p e n l a r v e n als Unterschlupf. Larve braucht nun bloß noch das Mäulchen zu öffnen und zu fressen, bis sie buchstäblich platzt. Genau so gut versorgt sind die Larven der Aas- und Totengräberkäfer, die 'in den verwesenden Kadavern geboren werden und im Verein mit den Schmeißfliegenlarven dort ihre Nahrung finden. Wem aber weder Dung noch Aas schmecken, der bekommt, wie die Larven der Raub-, Sand- und Grabwespen von den sorgenden Müttern das beste Frischfleisch in Gestalt von gelähmten Spinnen, Käfern, Heuschrecken und Raupen vorgesetzt (s. Bild S. 12). Ameisen, Bienen, Hummeln, Holz- und Erdwespen füttern ihre Larven sorgfältig mit einem besonders zubereiteten und auserlesenen Speisebrei, betreiben also eine hochentwickelte Brutpflege. Der mütterliche Instinkt der Insekten und der Fürsorgetrieb für die Nachkommenschaft hat die wunderbarsten und eigentümlichsten Wege gefunden, die ebenso überraschend in ihrer originellen und genialen Art wie oft grausam und unerbittlich in ihrer Durchführung sind. So sind die Schlupfwespen auf den „Einfall" gekommen, ihre Eier in lebende Raupen, Spinnen und Blattläuse einzuführen und damit den 13
ausschlüpfenden Maden nicht nur das beste Frischfleisch, sondern auch den vollkommensten Schutz zu sichern. Andere Schlupfwespen stechen die Schmetterlingspuppen an, setzen ihre Larven also mitten in den herrlichsten Fleischtopf und verschaffen ihnen ein sicheres und festverschlossenes Schlaraffenland. Eine dritte Art von Wespen erspürt auf rätselhafte Art die tief unter der Rinde der Bäume nagenden Larven der Holzbohrer und Borkenkäfer, durchbohrt mit raffiniert konstruierten Legestacheln das Holz und versenkt ihre Eier in diese ahnungslosen und sich so sicher wähnenden Wühler. Auch die Pflanzen werden in den Dienst dieser kleinen faulen Schlemmer gespannt und durch Stiche in ihre Blätter und Zweige zu Bildungen von den verschiedenartigsten Gallen angeregt. Diese Gallen sind im Grunde nichts anderes als Eigenheime für Insektenlarven, die die Pflanze außerdem noch mit nährenden Säften zu beschicken hat. Diese Kunst verstehen Wespen wie Mücken und Blattläuse. Diese geheimnisvollen Beziehungen zwischen Insekt und Pflanze, die Zusammenhänge zwischen Insektenstich und Gallenbildung bedürfen noch der Erklärung und stellen immer noch eine Fülle von Rätseln dar (s. Bild S. 13). Doch nicht nur die Gallen hat die Pflanze für die Larven der Insekten zur Verfügung zu stellen. Auch ihre mannigfaltigen Früchte sind dazu auserkoren, den Larvenschlemmern ein gesichertes Fraßparadies zu bieten. Die Made der Pflaumensägewespe lebt im Kern der Pflaume, die Made der Kirschfliege in der Kirsche, die Maden der Apfel- und Birnenwickler in den Äpfeln und Birnen. Es gibt nicht eine Frucht, die nicht mindestens einen Insektenliebhaber hat. Selbst Blüten und Triebe haben ihre Käferfreunde aus dem Geschlecht der Rüsselkäfer und müssen deren Larven Wohnung und Nahrung sein. Aber nicht nur Pflanzen und Früchte, Dung und Aas, lebende, gelähmte und tote Insekten werden von den Insekten zum Schlaraffenland für ihre mitten im Speck lebenwollenden Maden erklärt. Auch der Säuger muß heran,' So, legt die Dasselfliege des Rindes ihre Eier an solche Stellen des Rinderkörpers, an denen sich das Tier öfters leckt. Die Eier wandern dann durchs Maul und die Schlundröhre in den Magen, wo die Larve ausschlüpft und sich, gemächlich durch den Tierkörper hindurchfrißt. Dicht unter der Haut angekommen, setzt sie sich fest. An diesen Stellen bilden sich dann die sogenannten Dasselbeulen, eiternde Geschwüre, aus denen die Larve wieder ins Freie gelangt, da sie sich nun in der Erde verpuppen möchte. Die Larven der Pferdedasselfliege, die auf dem gleichen Wege in den Körper gelangen, schmiegen sich der Schleimhaut des Magens an, der 14
auf ihren Anreiz hin eine eitrige Flüssigkeit absondert, und lassen sich dann auf dem üblichen Darmweg wieder ins Freie befördern. Die Schafdasselfliege legt ihre Eier an die Nasenlöcher der Schafe. Die Larven wühlen sich bis zur Stirnhöhle empor, deren Schleimabsonderung sie anregen; sie ernähren sich hier einige Monate lang und lassen sich, wenn ihre Verpuppungsstunde gekommen ist, von den gequälten Tieren ausniesen. Die Rachenbremse setzt ihre sofort als Larven austretende Brut an die Nasenlöcher der Elche, Hirsche und Rehe, von wo aus sich die Plagegeister in die Rachenhöhle oder die Nasengänge begeben und sich schließlich im Drosselknopf festsetzen. Mit ihrer Entwicklung verstopfen sie im nächsten Frühjahr die Atmungswege, so daß das Wild nur noch mühsam atmen und äsen kann. Oft muß der unfreiwillige Ernährer dieser heimtückischen Larvenschlemmer ihren Besuch mit dem Erstickungstod bezahlen. Auch diese Larven lassen sich, wenn sie entwickelt sind, von ihren Wirten aushusten oder ausniesen. Diese Beispiele ließen sich mühelos vermehren, geben uns aber in ihrer bunten Fülle, die alle organischen wie anorganischen Ernährungsmöglichkeiten umfaßt, schon genügend Fragen nach den rätselhaften Instinkten, Erfahrungssinnen und geistigen Fähigkeiten der Insektenmütter auf.
Stiefkinder, Hungerleider und Räuber Durchaus nicht alle Insektenlarven erfreuen sich solch erfindungsreicher und fürsorglicher Mütter. Es gibt auch im Insektenreich Mütter, die es sich leicht machen, die ihre Eier einfach in die Erde scharren und es dem armen Engerling dann selbst überlassen, sich sein Brot zu suchen. Mühselig quält sich dann der nackte und schutzlose Wurm vier Jahre lang durch die Erde und wird auf seiner Suche nach nahrhaften Pflanzenwurzeln sehr oft noch die Beute der Maulwürfe, Igel, Krähen, Vielfüßler und Laufkäfer. Als wahre Hungerkünstler erweisen sich die Larven des Afterrüsselkäfers. Sie bekommen als Fraßparadies das von der Mutter zu einem Tönnchen zusammengerollte Blatt der Stieleiche zugewiesen. Solange das Blatt frisch und zart ist, gedeihen sie zusehends. Später, wenn die Blätter fallen, sorgt der Fäulnisprozeß weiter für die Zuträglichkeit der Nahrung. In heißen Sommern aber, wenn die gerollten Blätter hart und trocken werden, ist die Larve zu wochenlangem Fasten verurteilt. Jede andere Larve würde in dieser heiklen Situation verloren sein. Nicht so die kleine Afterrüßlerin, die eine großartige Hungerkünstlerin 15
ist. Sie fällt dann einfach in eine Art Sommerschlaf und wartet auf Regen und Fäulnis. Auch die meisten Schmetterlingslarven führen im Verhältnis zu den „Maden im Speck" ein mühevolles und gefährliches Leben. Sind sie nackt und schutzlos, so ziehen sie ein nächtliches Leben vor, verkriechen sich am Tage unter Blätter, Moose, Steine und in die Erde, oder spinnen die Blätter zu großen schützenden Nestern zusammen, in denen sie tagsüber dicht beieinander ruhen. Auch die Neigung der Prozessionsspinner, sich zu großen geschlossenen Heerhaufen zu vereinigen, die in der Nacht gleich Lindwürmern losmarschieren, scheint aus der Sorge um die Nahrung und den Kampf um die Selbsterhaltung geboren zu sein. Diese Prozessionsspinnerraupen sind außerdem noch durch leicht lösliche Haare geschützt, die sich in die Schleimhäute der Vögel und Säuger bohren und ein sehr lästiges Brennen verursachen. Mit drohenden Stacheln und Dornen, mit phantastischen Schreckgestalten sind viele Spinner- und Schwärmerraupen „bewaffnet"; oft treten dann noch treffliche Schutzfarben oder grelle Warnfarben hinzu. Andere Raupen wieder kamen auf die „Erfindung" des Schwebeseiles, das es ihnen ermöglicht, sich bei Gefahr oder Nahrungsmangel schnell von der Futterpflanze abzuseilen. Die kleinen Spannerraupen sichern sich ihr bedrohtes Leben durch wunderbare Schutzfarben und kleine Tarnkünste. Sie halten sich tagsüber nur mit den hinteren Beinen an den Stengeln fest und strecken den Körper lang und steif in die Luft. Sie gleichen dann selbst kleinen Ästen und Zweigen so täuschend, daß sich selbst scharfäugige Vögel narren lassen. Die sogenannten Sackträger aber, die Raupen kleiner und düster gefärbter Schmetterlinge, bauen sich in ihrer Not ein sackartiges Futteral aus Nadeln, Halmen und Erde, das sie trefflich schützt und tarnt. Auf denselben Ausweg kamen auch die auf dem Grunde des Wassers lebenden Larven der Köcherfliegen. Sie fertigen sich feste Köcher aus Halmen, Stengeln, Steinchen, Sand und Muschelschalen an, die sie zwar sehr behindern und belasten, die trotzdem aber immer mit herumgeschleppt werden. Den Mückenlarven wurde lediglich eine erhöhte Beweglichkeit verliehen. Die geringste Beschattung oder Beunruhigung des Wasserspiegels läßt sie blitzartig zur Tiefe sinken. Trotzdem werden sie in ungeheuren Mengen die Beute der hungrigen Wassertiere aller Art, die ja mit ganz wenigen Ausnahmen mächtige und erstaunlich behende Räuber und Fresser sind. Einer von den gefräßigsten und heimtückischsten Räubern im Wasser ist die Larve der Libelle. Als ein kleines graugrünes Scheusal lauert sie, 16
im Schlamme versteckt, auf ihre Opfer. Schwimmt solch ein ahnungsloses Krebschen, Fischchen oder Schwimmkäferlärvchen vorüber, so schnellt plötzlich eine wahre Teufelsangel aus dem Schlamm hervor. Es ist die „Fangmaske" der Libellenlarve, eine aus dein Unterkiefer heraus entwickelte Greifzange, die weit vorgeschleudert werden kann und das Opfer in den Bereich der scharfen Kiefer zieht.
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Die Greifzange der gefräßigen Libellenlarve wird aus dem Mund herausgeklappt. Mit dieser „Fangmaske" wird die Beute gefaßt.
Auf das Räuberhandwerk haben sich überhaupt fast alle Larven verlegt, die ins Wasser versetzt wurden. Selbst die ängstlichen Köcherfliegenlarven sind kleine Räuber. Und natürlich auch alle Schwimmkäfer- und Wasserkäferlarven. Gut ausgerüstete Räuber sind ebenfalls die in der Erde lebenden festen Larven der Lauf- und Saatschnellkäfer. Sie verfügen über eine gute Panzerung, über fürchterliche Kiefernzangen, sind flinke und bewegliche kleine Ungeheuer, die in ihrer Entwicklung hoch über den plumpen Freßsäcken des vorigen Kapitels stehen. Ja, es ist oft so, daß das Vollinsekt ein harmloser Blütennascher, seine Larve aber ein mordgieriger Fleischfresser ist. So ist es z. B. bei den meisten Wespen, Florfliegen und Ameisenjungfern. Die Larve der Ameisenjungfer hat als „Ameisenlöwe" geradezu Weltruf erlangt. Das Vollinsekt ist ein ätherisches und überaus zartgliedriges Geschöpf mit durchsichtigen Flügeln und riesengroßen Goldaugen, ein wahres Gedicht von einer Fliege. Seine Larve aber ist ein fahles, borstiges, zeckenartiges Scheusal, das mit der Pflugschar seines Hinterleibes tief in den lockeren Sand eindringt, bis der Körper vollkommen bedeckt ist. Mit ruckartigen Bewegungen wird der Sand dann hochgeschleudert und dieses Manöver so lange wiederholt, bis sich ein kleiner Trichter gebildet hat. Auf dem 17
Grunde des Trichters lauert die Larve dann auf herabstürzende Ameisen. Gelingt es ihr nicht, das Opfer gleich zu packen, und ist die Ameise so gewandt und kräftig, daß sie wirklich die Trichterwände wieder hinaufzukrabbeln vermag, dann beginnt der Heimtücker wieder mit Sand zu werfen. Die Trichterwände kommen dadurch ins Rieseln, die Ameise stürzt unweigerlich ab, und die fürchterlichen Kiefer schließen sich über dem Opfer. Noch schauderhaftere Methoden entwickeln die weiß-, rotund schwarzgestreiften Larven der Florfliegen, die, obwohl blind, mit ihren harpunenartigen Kiefern fürchterlich unter den Blattläusen aufräumen. Sie haben dabei die Gewohnheit, sich mit den ausgesaugten Bälgen ihrer Opfer zu bedecken, sich sozusagen wie die Ureinwohner Amerikas mit den Skalps ihrer. Feinde schmücken. Vielleicht aber ist In der Tiefe des selbstgegrabenen Sandlrichters lauert der „ A m e i s e n - dieser Brauch auch eine Tarnkunst. l ö w e " . W e n n Beutetierchen zu ihm Selbst die Larve des lieblichen herunterpurzeln, g r e i f t er mit seinen Marienkäfers, dem Freund unserer Zangen zu. Kindheit, des Gottesschäfchens, entpuppt sich als ein mächtiger Blattlausschlächter. Hier allerdings ist nicht nur die Larve solch ein Bösewicht, sondern auch der Käfer selbst. Auf die originellste Art der Tarnung aber ist wohl die Larve der Schaumzikade gekommen. Sie, die wie die fertigentwickelte Zikade ein typischer Pflanzensauger ist, hüllt sich in ein seifenschaumartiges Gebilde, das im Volksmund als „Kuckucksspeichel" bekannt ist und im Frühjahr die Blätter und Zweigwinkel vieler Büsche, Blumen und Pflanzen schmückt. Der Seifenschaum entsteht dadurch, daß die kopfunter sitzende Zikadenlarve ihren Kot über den eigenen Rücken rinnen läßt, auf dem sich durch die Absonderungen von Wachsdrüsen die Schaumflüssigkeit bildet. Durch das Hineinstoßen der Atemluft entstehen die feinen lockeren Bläschen, die die Larve vor allen Feinden vortrefflich bewahren. Wir sehen also, wie weit sich der Bogen spannt, der den Begriff Insektenlarve umschließt, wie erstaunlich vielfältig und oft auch wunderbar die Wege der Larven sind. Und wenn wir hier die Frage erheben, wie und wann sich diese Wege wohl herausgebildet haben, dann stehen wieder Rätsel über Rätsel vor uns auf, die wir wohl niemals lösen werden. 18
Die „Intelligenz" der Larven Schon das Verhalten des Ameisenlöwen, der Larve der ätherischen Ameisenjungfer, hat sicher in vielen Lesern die Frage auftauchen lassen: Besitzt die Insektenlarve nun eigentlich so etwas Ähnliches wie Intelligenz, handelt sie überlegt und planvoll oder ist sie wirklich nur ein mehr oder weniger plumper Fleischsack? Um dieser verfänglichen Frage willen wollen wir jetzt dem Verhalten von Larven nachspüren, die in ihrer Entwicklung auf der Stufe des blinden und kümmerlichen Wurmes stehengeblieben sind. Wir wenden uns den bisher wenig erwähnten Käferlarven zu, denen von ihren Eltern das Holz der Bäume als Fraßparadies zugedacht-wurde. Drei Jahre lang bohrt sich die Eichenbocklarve mühselig durch den festen Stamm. Sie besitzt wohl lediglich ein stumpfes Geschmacks- und Tastempfinden, vielleicht auch noch den Instinkt, daß sie, je tiefer sie im Holze sitzt, um so sicherer vor dem Stachel der Schlupfwespe und dem Schnabel des Spechtes ist. Trotzdem begibt sich die Larve, wenn die Verpuppungsstunde naht, wieder dicht unter die Rinde des Baumes, nagt auch diese bis auf ein hauchdünnes Wändchen durch und zieht sich erst dann in der unmittelbar darunterliegenden Kammer zur Verpuppung zurück; dabei bettet sie sich so, daß ihr Kopf dem zukünftigen Schlupfloch zugekehrt ist. Sie hat mit diesem Verhalten nicht weniger als drei Voraussetzungen für das Schlüpfen des Käfers geschaffen. Die Larve hat erstens „vorausgesehen", daß der Käfer nicht auf demselben Wege den Stamm verlassen kann, den sie selbst genommen hat, da er ja im umgekehrten Verhältnis zu ihrem Wachstum immer enger und schmäler wird, je mehr er sich dem ehemaligen Eingang nähert. Sie hat zweitens „gewußt", daß der Käfer nicht imstande ist, die dicke Eichenrinde zu durchnagen und hat diese Arbeit darum für ihn erledigt und nur das hauchdünne Blättchen übriggelassen. Sie hat drittens „geahnt", daß sich der Käfer innerhalb der Puppenkammer mit seinen langen Fühlern und Beinen nicht umzudrehen vermag und hat sich deshalb mit dem Kopf zum Schlupfloch gebettet. Die stumpfe Larve ist also mit solcher „Weisheit" begabt, daß sie alle Gefahren, die den zukünftigen Käfer bedrohen könnten, durch „wohlüberlegte" Handlungen beseitigt. Und ähnlich verhalten sich alle anderen Holzlarven. Manche, wie die des Riesenbastkäfers, gehen sogar noch einen Schritt weiter. Sie vereinigen sich nämlich innerhalb des Stammes zu Arbeitskolonnen, die in geschlossener Fraßfront vorrücken. Hinter dieser Fraßfront wirkt eine Schar, die wie die Straßenkehrer den Kot der Fressenden, die durch die Häutungen anfallenden Chitinreste und die unver19
dauten Nagespänchen zu festen Bohrmehlplatten zusammendrücken, um mit ihnen den Fraßgang nach hinten fest zu verschließen und anderen räuberischen Käferlarven das Handwerk zu legen. Sogar Verbindungsstraßen zu anderen Fraßtrupps werden von diesen Straßenkehrern oder „Etappenlarven" hergestellt.
Der Hasel nußbohrer legt seine Eier in die reifenden Haselnüsse, wo d i e M a d e reichlich Futter findet. Rechtzeitig bohrt sie sich aber w i e d e r ins Freie", da sie „ w e i ß " , daß sie als Käfer hoffnungslos e i n g e schlossen w ä r e .
Die stumpfen Freßsäcke sind also zu einer Arbeitsteilung gekommen, wie wir sie sonst nur bei den staatenbildenden Vollinsekten antreffen. Es muß wohl nicht besonders erwähnt werden, daß die gesättigten Fresser nach geraumer Zeit zu Straßenkehrern und diese zu Fressern werden, und daß die also erweiterten Gänge dem ausschlüpfenden Käfer den Weg ins Freie sichern. Dieselbe „kluge Vorausschau" zeigt die Larve des Haselnußbohrers, eines kleinen eiförmigen, gelbgewürfelten und behaarten Rüsselkäfers, der seine Eier in die reifenden Haselnüsse versenkt. In jede Nuß kommt ein Ei. Herrlich und in Freuden lebt die Made in ihrem festen Köfferchen. Wir möchten meinen, daß sie nichts Gescheiteres tun könnte, als sieb darin vergnügt zu verpuppen; denn eine geschütztere Puppenwiege ließe sich wohl kaum finden. Die Larve ist aber „klüger" als wir. Unter unsäglichen Mühen durchnagt sie die steinharte Nußschale, würgt sich heraus und läßt sich zur Erde niederfallen, wenn die Nuß nicht bereits vom Winde heruntergeweht wurde. Sie „weiß", daß sich der entwickelte Käfer niemals aus dem festen Nußgehäuse befreien könnte und nimmt darum die Gefahren einer Verpuppung in der von herbstlichen und winterlichen Wetterunbilden heimgesuchten Erde gelassen auf sich. Ihre Schwester, die in den Eicheln lebende Made des Eichelbohrers, tut desgleichen. Wir könnten auch diese Beispiele beliebig vermehren. France, der hervorragende Naturforscher, beobachtete, daß sich die Schwammspinner20
raupen immer zu zweien einen Verpuppungsplatz aussuchen. Sie „spüren", welches Geschlecht sich in ihnen entwickelt, und hängen ihre Puppen so dicht beieinander auf, daß sich am Auferstehungstag „Mann und Frau entzückt wiederfinden". Sie „denken" also schon als Larven an die Sicherung der Arterhaltung. Auf die verblüffenden Fähigkeiten, die die Larven bei der Anfertigung von Puppen, Kokons, Puppenwiegen und Schutzköchern an den Tag legen, sei nur kurz hingewiesen. Oft stehen diese Fähigkeiten hoch über der „Intelligenz" der Vollinsekten. Es sträubt sich natürlich alles in uns, den Larven, diesen plumpen Fleischsäcken, einen derartigen Grad von Weisheit zuzusprechen. Die Wissenschaft hat sich geeinigt, diese wundersamen Handlungen als „Instinktvorgänge" zu bezeichnen. Es spielt aber wohl im Grunde keine große Rolle, ob wir vor Instinkten oder vor bewußten Intelligenzhandlungen staunend den Hut abziehen. Das Wunder bleibt' ein Wunder, nur daß es uns noch rätselhafter, unbegreiflicher und großartiger erscheint, je schlichter die Geschöpfe sind, an denen es sich vollzieht.
Vorausschauende und „wissende" Mütter Die nächste Frage, die uns jetzt geradezu anspringt, ist vielleicht überhaupt das Rätsel aller Rätsel. Es ist die Frage: Woher wissen die Insektenmütter, welche Nahrung ihren Jungen zusagt? Erinnern sie sich ihres Vorlebens? Können sie sich ihres eigenen Larvendaseins entsinnen? Fabre, der bedeutende französische Insektenforscher, verneint dieses Erinnerungsvermögen und sagt, genau so wenig wie wir uns der Muttermilch und ihres Geschmacks zu entsinnen vermögen, kann sich das Insekt an seine Nahrung während des Larvenlebens erinnern. Das ist auch deshalb unmöglich, weil das Insekt während der Puppenruhe derart umwälzende Verwandlungen durchläuft, daß kaum eine Zelle unverändert in den neuen Körper herübergenommen wird. Es mag uns ja noch einleuchten, daß der dungverzehrende Mistkäfer auch seinen Larven diese Nahrung sichert, und daß die von Pollenstaub und Nektarien lebende Honigbiene ihre Jungen mit einem Honigbrei füttert, der aus diesen Bestandteilen besteht. Wer aber sagt den Dolch- und Schlupfwespen, die nur vom Blütenhonig leben, daß ihre Maden frisches Käfer-, Raupenoder Fliegenfleisch brauchen? Wer veranlaßt den im duftenden Blütensaft schwelgenden Rosenkäfer, seine Eier zwischen faulendes Fallaub, und die Blütenwein nippende Schmeißfliege, ihre Eier an alle möglichen eklen Fleischstücke zu legen? Eine Verständigung mit den Larven ist in den allermeisten Fällen schon deshalb ausgeschlossen, weil die Muttertiere unmittelbar nach der 21
Eiablage sterben, ihre Nachkommenschaft also nie zu Gesicht bekommen. Trotzdem legt der Kohlweißling seine Eier an die Krautblätter, der Kiefernspinner an Ästchen der Kiefer, das Pfauenauge an die Brennesselstengel und der Windenschwärmer an die Winde. Sie „wissen" auf rätselhafte Weise, daß ihre Larven ganz ausschließlich auf diese bestimmte Pflanzenkost eingestellt sein werden. Gerade bei den Schmetterlingen und Käfern ist diese Verbundenheit mit der Nährpflanze so innig, daß sie sehr oft den Namen der Insekten bestimmt hat. Wir sprechen von Wolfsmilchschwärmern, Schlehenwidderchen, Brombeerspinnern, Heidekrauteulen, Ginsterspannern und Weidenkarminen unter den Schmetterlingen, und von Apfelblütenstechern, Eschenblattschabern, Birkensplintkäfern, Spargelhähnchen und Pappelböcken unter den Käfern. Die Insektenmütter „wissen" aber noch mehr! Sie finden diese Pflanzen mit unfehlbarer Sicherheit aus der verwirrenden Fülle von Pflanzengestalten heraus und kennen sich in allen ihren Gliederungen fabelhaft aus. Sie stechen entweder nur Knospen, Fruchtknoten, Blüten, Blätter, Nadeln oder Triebe an oder schieben ihre Eier in die Rindenspalten, wickeln sie um kleine Zweige und betten sie an die Wurzeln. Sie besitzen botanische Kenntnisse in einem Umfang, daß wir vor Neid erblassen können. Der kleine Distelrüßler, ein hübscher Rüsselkäfer, kennt alle Distelarten — ganz gleich, ob sie sich meterhoch erheben oder sich dicht an die Erde schmiegen, ob sie blau, rot, violett oder silbern blühen. Doch nicht genug damit! Die Insektenmütter „wissen" auch, wieviel Nahrung die Larve zu ihrer Entwicklung braucht. Der Haselnußbohrer wird nie eine Nuß mit zwei Eiern bestiften. Der Pillendreher wird seine Brutpille nie zu klein gestalten. Die Wegwespe wird niemals nur eine einzige Spinne in die unterirdische Bruthöhle schleppen, wenn die Larve deren drei bedarf. Die Mörtelbiene berechnet haarscharf Umfang und Inhalt des selbstgetöpferten Honigbehälters, in dem die Larve heranwachsen soll. Später den Vorrat zu ergänzen, ist diesen Müttern unmöglich. Ein Fehler in ihrer Berechnung würde den Jungen also das Leben kosten. Die Insektenmütter sind demnach auch wirtschaftliche Genies. Aber weder botanische noch ökonomische Fähigkeiten reichen aus, die Nachkommenschaft zu sichern. Die Schmeißfliege, die ihre Eier an den Kadaver einer Maus legt, braucht auch noch anatomische Kenntnisse. Sie weiß, daß sich ihre Larven nicht durch das dichte Fell und die dicke Haut der Maus hindurcharbeiten können und legt ihre Eier darum wohlüberlegt nur an den Augen, den Körperöffnungen, wie Nase, Maul, Ohren und After, oder an den unbehaarten Achselhöhlen des kleinen 22
Leichnams ab. Woher ihr die Kenntnis von der Organisation des Mauskörpers gekommen ist, das bleibt ihr Geheimnis. Noch verblüffender, ja nahezu phantastisch sind die anatomischen Kenntnisse der Knotenwespe, die ihren Larven zuliebe zur Jägerin wird und ausgerechnet den rundum festgepanzerten Rüsselkäfer zum Futter für ihre Larven ausersehen hat. Sie „weiß", daß nur bei diesem Käfer das Nervensystem so an einer Stelle zusammengefaßt ist, daß ein einziger Stich in den winzigen Panzerspalt zwischen dem ersten und dem zweiten Beinpaar das gesamte Bewegungssystem lähmt. Ihre Schwester aber, die von Fahre beobachtete Grabwespe von Languedoc, wird sogar zum Gehirnphysiologen. Sie lähmt zuerst mit einigen Bruststichen die langen Sprungbeine der zum Larvenfraß ausersehenen Weinbergheuschrecke, stellt sich dann rittlings über ihr Opfer, schiebt die Kiefer unter das Nackenschild und drückt das Gehirn der Heuschrecke leicht zusammen. Sofort hören alle Bewegungen der also Operierten auf. Es ist wohlgemerkt nur ein sanfter Druck, der diese Lähmung auslöst. Das Gehirn darf dabei auf keinen Fall zerstört werden, denn die Larve will kein verwesendes Fleisch, und die Heuschrecke soll nur für die Dauer des schwierigen Transportes am Gebrauch ihrer fürchterlichen Kinnbacken gehindert werden. , An diesem Punkt angelangt, sind wir so weit, daß wir gar nicht mehr zu fragen wagen, woher die Wespe dieses spezialisierte anatomische Wissen haben mag. Wir stehen fassungslos und auch verständnislos vor einem der größten Rätsel der Natur.
Töpfer, Maurer, Faßbinder und andere Baukünstler Auf dem in der Sonne gleißenden Band der Kalkstraße sitzt die schwarze Mörtelbiene mit braunviolett schimmernden Flügeln, schabt mit ihren Kiefern und kratzt mit ihren Beinen winzige Sandkörnchen aus der harten Straßendecke, befeuchtet sich mit ihrem Speichel, ballt sie zu einer erbsengroßen Kugel zusammen und fliegt mit ihrem Baustoff wie ein geölter Blitz von dannen. Aus diesem Kalksteinstaub bildet sie auf irgendeinem Feldstein einen ringförmigen Wulst, setzt hartkantige Kieselsteinchen auf und baut dieses Gebilde zu einer 2—3 Zentimeter hohen Zelle aus. Zur gleichen Zeit umfliegt die Blattschneiderbiene mit den auffälligen weißen Hinterleibsbinden den Heckenrosenbusch, läßt sich auf einem Blatt nieder, schneidet mit ihren Kiefern ein ovales Stück aus der grünen Spreite und kleidet mit dieser Tapete ein altes Käferbohrloch in der 23
Pappel am Straßenrande aus. Hübsche kleine Zellen baut sie aus diesen Rosenblattstücken, die sich dank ihrer Federkraft dicht an die Wände des Bohrloches schmiegen. Dieselbe Pappel besucht mit schwirrenden Flügeln die sogenannte Deutsche Wespe. Eifrig nagt und schabt sie die morsche graue Rinde ab, zerkaut und durchspeichelt die Fasern gründlich, fliegt mit dem Ballen zum Feldrain, verschwindet in einem Erdloch und baut aus diesem papierähnlichen Stoff das Wunderwerk einer Glocke, die sie geschickt an der Decke der Erdhöhle aufhängt. Diese ballonähnliche Glocke besteht aus mehreren Schichten dachziegelartig übereinander gelegter Schuppen mit vielen abgeschlossenen Luftkammern; sie wird später mit sechseckigen Zellen angefüllt. Die Die Blatfschneiderbiene schneidet sich o v a l e Tapetenslücke aus den Rosenblättern und baut Mittlere Wespe, die sich damit kleine W o h n z e l l e n . Waldwespe und die Sächsische Wespe hängen solche Papierballone an Baumzweige, Dachschindeln und Balkone. Die Hornisse webt aus diesem Holzbrei wunderhübsche Gardinen vor die allzu große Asthöhle, in der sie ihr Nest aufgehangen hat. Wohin wir schauen, überall sind Baukünstler am Werk. Auf allen heimlichen Straßen des Waldes wandern Ameisen, die Fichten- und Kiefernnadeln schleppen. Millionen solcher Nadeln werden zur Burg getragen und daraus über den weitverzweigten unterirdischen Kammern ein Berg getürmt, der sozusagen als Sommerfrische für die licht- und wärmebedürftigen Eier, Larven und Puppen dient. Das Werk der Tausende ordnet sich nach dem jedem Arbeiter innewohnenden Bauplan zu einem sinnvollen Ganzen, einer geordneten Stadt von Häusern, Straßen und Plätzen. Auf die großen Kiefernnadeln stürzt sich auch die Zweifarbige Mauerbiene, hebt die viermal größeren Nadeln mühelos auf, fliegt mit ihnen davon und stellt sie wie Zeltstangen über ein leeres Schneckenhaus. Dieses Schneckenhaus hat sie durch Wände aus grünem Pflanzenbrei 24
in einzelne Kämmerchen geteilt, in jede Kammer ein Ei und einen Packen Pollenhonig gelegt, zuletzt das Häuslein zugemauert, und nun ist sie dabei, das ganze Madenparadies zu tarnen. Zwischen die Zeltpfosten aus Kiefernnadeln werden später noch Moosfetzen und Grashalme gewoben. Am Waldrand wirbeln winzige Staubwölkchen auf. Wie ein scharrender Dackel schleudert die überaus schlanke Sandwespe, die wir am rot und blauschwarz schillernden Hinterleib erkennen, den lockeren Sand unter ihren Füßen nach hinten und summt dabei vor Begeisterung. In wenigen Minuten ist sie vor unseren Augen in die Böschung eingedrungen. Ab und zu taucht sie wieder auf und trägt größere Steinchen nach außen. Sie gräbt eine ungefähr fünf Zentimeter tiefe Höhle, in die sie später gelähmte Raupen einschleppt. Das Ei wird auf die Raupe geheftet und die Höhle dann sehr sorgfältig wieder zugemauert. Die Sandwespe gehört zur großen Familie der Grabwespen, die alle ähnliche Erdhöhlen bauen (s. Bild S. 12). Auf den Blättern des Haselbusches wirkt indessen ein anderer Baukünstler. Es ist der zinnoberrote Haseldickkopfkäfer, der die Blätter in ganz bestimmten Abständen einschneidet und dann zu kleinen Tonnen zusammenrollt, die oben und unten eingeschlagen werden. Der größte Künstler unter diesen Afterrüßlern, die das Handwerk der Faßbinder, Tüten- und Zigarrendreher vertreten, ist der Birkenstecher. Er ist ein. Zuschneider von Format. Seine geradezu mathematisch berechneten Einschnitte stehen in einem wohlberechneten Verhältnis zur Kurve des Blattrandes und gewährleisten ein leichtes Einrollen des Blattes wie bei einer gerollten Zigarre. Die Kunst, durch tiefe Stiche und Nagelöcher die Blätter und die Triebe von selbst zum Welken und Einrollen zu bringen, wird von den Zweigabstechern und Blattrippenstechern aus dieser Käferfamilie geübt. Der Rebenstecher, der sich zu einem großen Schädling des Weinbaues ausgewachsen hat, klebt den äußeren Rand noch sehr gewissenhaft an die Zigarre an und benützt dazu einen Saft, den er durch Druck hervortreten läßt. Doch nicht nur Tonnen und Zigarren können die Käfer anfertigen. Der Eichblatt-Rollkäfer schneidet sich seine Kinderstube in Form eines rollenförmigen Behälters aus der oberen Hälfte des Eichenblattes. Im Wiesentümpel schwimmt der Kolbenwasserkäfer auf dem Rücken und heftet eine feine Gespinstplatte an die Unterseite eines Teichrosenblattes. Jetzt dreht er sich um und fertigt das Gegenstück an. Schon werden beide Platten zu einem runden Säckchen zusammengeheftet, die Eier mit einer watteartigen Masse hineingebettet und das Ganze mit 25
einem Luftmast versehen. Wie der Mosesknabe in seinem Binsenkörbchen, so schwimmen die Eier wohlverwahrt in dieser seltsamen und außerordentlich sinnvoll konstruierten Wasserwiege. Das sind nur einige Beispiele für die überraschenden baulichen und geometrischen Fähigkeiten, die viele Insektenmütter besitzen. Der Urtrieb, der zu diesen Fertigkeiten hinführte, ist natürlich der mütterliche Fürsorgeinstinkt. Wir treffen aber, besonders bei den Bienen, Ameisen
W e b e r a m e i s e n nähen mit einem 5 e i d e n f a d e n Blätter zu einem Nest zusammen. Sie g r e i f e n sich ihre spinnenden Larven (redits), d i e ihnen als N ä h e r i n n e n d i e n e n .
und Termiten, auf bauliche Fähigkeiten, die sich unabhängig von diesem (Jrtrieb entwickelten und also noch weniger zu erklären sind. Erwähnenswert sind hier vor allem die Erdställe, die die Ameisen ihren Milchkühen, den Blattläusen, bauen, um sie vor ihren vielen Feinden und den Witterungsunbilden zu schützen. Diese Ställe werden aus Lehm aufgerichtet und gleichen kleinen Kuppelhallen, ähnlich denen unserer Durchgangsbahnhöfe. Die tropischen Weberameisen aber, die Blätter zu großen Nestern zusammenweben, sind sogar zur Benutzung von Handwerkszeugen übergegangen. Da sie nämlich selbst keinen Spinnfaden erzeugen können, packen sie ihre Larven, drücken sie gegen die Blattränder und pressen ihnen den erwünschten Spinnfaden aus dem Mäulchen. Sie gebrauchen ihre Jungen also als Werkzeuge, als Weberschiffchen! Ob wir uns in diesem Falle auch noch mit der Zuweisung an den „Instinkt" aus der Klemme helfen können? 26
Rauschsiichtige Sklavenhalter einer Insektengrofistadt Noch stärker verdichten sich die Rätselschleier, wenn wir die staatenbildenden Insekten betrachten und uns fragen, wie es zu diesen großartigen Zusammenschlüssen gekommen sein mag, welche geheimnisvolle Kraft diese hunderttausend und mehr „Seelen" eines Ameisenstaates zu jenem sinnvollen und wohlorganisierten Ganzen werden läßt, in dem jeder „Bürger" um seine Pflichten weiß. Schon die soziale Gliederung in Arbeiter, Soldaten und Geschleehtstiere und die strengen „beruflichen" Schichtungen in Jäger, Samensammler, Larven- und Puppenpfleger, Blattlausmelker, Transportarbeiter, Krieger, Baumeister, Türhüter und Bedienstete der Königin lassen die bewundernswerte Einordnung des einzelnen erkennen. Betrachten wir aber die Fähigkeiten, die diese Facharbeiter entwickeln, die Geschicklichkeit der Flebammen beim Aufschneiden der reifen Puppen, der Baumeister bei der Anlage von Kammern und umfangreichen Burgen, der Pilzgärtner bei der Pflege der angelegten Kompostbeete, der Samensammler beim Einheimsen der Feldfrüchte, der Krieger beim planvollen Überfall auf eine Nachbarburg, so erfaßt uns grenzenloses Staunen über den hohen Grad der Anpassungsfähigkeit; der Vergleich mit menschlichen Einrichtungen drängt sich uns immer wieder auf. Wir sehen diese Tiere, die doch auf einer unendlich tieferen Entwicklungsstufe als wir Menschen stehen, kennen die Vorratswirtschaft, den Ackerbau, die Viehzucht, sie halten sich stehende Heere, sie rauben sich Arbeitssklaven aus anderen Völkern, sie gehen Bündnisse mit anderen Tieren und mit Pflanzen ein, ja sie kennen sogar das Laster der Rauschsucht. Sie dulden eine Anzahl von schmarotzerischen Stutzkäfern und Mordraupen in ihren Burgen, die auf kosendes Streicheln hin berauschende Düfte und Flüssigkeiten absondern. Diese Rauschsucht kann den ganzen Staat gefährden und seinen Untergang herbeiführen. Ein weiteres unbegreifliches Wunder ist die Königin dieser staatenbildenden Insekten, ganz gleich, ob es sich um Honigbienen, Erdwespen oder Ameisen handelt. Die einmalige Befruchtung dieses weiblichen Tieres genügt, um sie zur ununterbrochenen Ablage von Tausenden und Hunderttausenden von Eiern anzuregen. Ihr angeschwollener Leib ist eine einzige Eifabrik, die Eier am laufenden Band produziert. Bei den Ameisen kann diese Eilegemaschine zehn bis fünfzehn Jahre funktionieren. Unbegreiflich bleibt es auch, daß zwei so weit auseinander liegende Insektengruppen, wie die Ameisen und Termiten, zu der gleichhohen staatlichen Organisation kommen konnten. Denn die Termiten sind 27
keine „Weißen Ameisen", wie sie gern genannt werden, sondern Urinsekten, fast unmittelbare Nachkommen der Schaben, und gehören in die Klasse der Nagekerfe, der Blasenfüße und Läuse. Sie kennen auch nicht den Umweg über Larve und Puppe. Das dem Ei entschlüpfende Jungtier ähnelt, wie bei den Läusen und Schaben, den Ohrwürmern und Heuschrecken, der Gestalt des Vollinsekts (s. 2. Umschlagseite). Fast unglaublich aber ist die Erscheinung, daß.sich bei den Termiten die Geschlechter sozusagen schon als Braut und Bräutigam kennenlernen und ein gemeinsames Leben führen. Sie hausen nach dem Ausflug als ungeflügelte Tiere treulich beisammen und warten ihre Geschlechtsreife ab, die sich erst nach Monaten einstellt. Wie die Liebespaare wandern sie dahin, wie die Verlobten „wissend", daß sie füreinander bestimmt sind. Die Eiproduktion der befruchteten Termitenkönigin wird auf etwa 30 000 am Tage, also auf etwa 10 Millionen im Jahr, geschätzt. Während nun die Staaten der Ameisen, Bienen und Termiten viele Jahre hindurch bestehen, haben die der Wespen und Hummeln nur einjährige Dauer, obwohl sie, wie bei den Deutschen Wespen, immerhin auch bis zu dreißigtausend „Seelen" in den unterirdischen Nestern vereinigen. Graben wir solch ein Wespennest im September auf, so deutet noch nichts auf das bevorstehende Ende des Staates hin. Alle Zellen der in Stockwerken aufgehängten Waben sind bestiftet, mit Larven gefüllt und die Pflegerinnen sind noch eifrig am Füttern. Die Königin legt ihre Eier, als werde der Staat noch Jahre bestehen. Im Oktober aber beobachten wir, daß immer häufiger tote Tiere aus der Burg herausgetragen werden. Es sind vor allem männliche Geschlechtstiere, die jetzt aussterben. Die Pflegerinnen werden nun zu Leichenbestattern und lassen die hungrigen Larven vergeblich nach ihrer Nahrung gieren. Sind sie doch so entkräftet, daß sie in allen Gängen zusammenbrechen. Ein solcher Wespenstaat macht den Eindruck einer von der Pest heimgesuchten Stadt. Anfang November scheint die Restbevölkerung von der Verzweiflung befallen zu werden. Sie stürzt sich auf die Larven, reißt sie aus den Zellen, zerfleischt sie und wirft sie in die große Kloake unterhalb des Nestes. Dann werden die Eier aufgefressen. Es ist die letzte Mahlzeit. Einige geschlechtsreife Weibchen verlassen vorher diese Stätte des Grauens und überwintern in irgendeinem Schlupfwinkel, um im nächsten Jahre ganz aus eigener Kraft einen neuen Wespenstaat aufzubauen. Uns, die uns dieses sinnlose Verhalten der Wespen erschreckt, die wir uns schaudernd von diesem blutigen Gemetzel abwenden, ist es vielleicht noch zu wenig bewußt, wie gnadenlos und unerbittlich oft die Lebensgesetze der Insektenwelt sind. 28
Links: Duftschuppen strahlen Düfte aus, d i e d i e Geschlechter z u e i n a n d e r f ü h r e n . Rechts: Trommelfelle an der V o r d e r - und Rückseite der Beine dienen den G r i l l e n als H ö r o r g a n e .
Von Klopfsignalen und Ausdruckstänzen In die Stille des nächtlichen Arbeitszimmers tönt ein feines leises Klopfen. Tock-tock, tock-tock, tock-tock! Das Geräusch kommt aus dem alten Schrank, der früher viele Jahre lang auf dem Boden gestanden hat und nun wieder zu Ansehen gekommen ist. Die „Totenuhr" rufen abergläubische Menschen, und eine Gänsehaut läuft ihnen über den Rücken. In Wirklichkeit aber sind es Signale, die ein liebesbedürftiger Holzkäfer in den Raum hinaussendet. Hat er Glück, wird die Antwort nicht lange auf sich warten lassen. Sein Klopfen hat dann genau denselben Erfolg wie das Lied des zirpenden Heimchens oder der geigenden Grille. Die Liebe hat diesen stummen Geschöpfen Stimme und Sprache verliehen; der Radioapparat hat uns den Beweis erbracht, daß diese Sprache auch verstanden und beantwortet wird. Die Versuchstiere liefen sofort auf den Lautsprecher zu, aus dem die verlockenden Weisen erklangen, selbst wenn er im Nebenzimmer aufgestellt worden war. Zudem gelang es, an den Vorderbeinschienen der Laubheuschrecken und Grillen sowie am ersten Hinterleibsring der Grashüpfer richtige kleine Trommelfelle zu entdecken. 29
Auch die Trillersprache der Ameisen wurde erforscht: Sie klopfen mit den Fühlern gegen die Stirn der Artgenossin, und mit diesen Klopf Signalen vermögen sich die Ameisen über alles Notwendige tadellos zu verständigen. Alarmsignale werden bei ihnen, wie bei den Termiten, durch das Aufschlagen des Kopfes auf eine tönende Unterlage vermittelt. Die „Sprache" der Bienen äußert sich in ganz bestimmten Tänzen. Hat eine honigsammelnde Biene eine besonders erträgliche Blütenweide gefunden, so führt sie im Stock den „Rundtanz" auf. Sie bewegt sich mit trippelnden Schritten im Kreise herum, macht plötzlich kehrt, tanzt weiter und versetzt alle Gefährtinnen in große Erregung. Die pollensammelnden Bienen führen bei solcher Gelegenheit den „Schwänzeltanz" auf, der in Halbkreisen rechts und links herum führt, durch gradliniges Laufen unterbrochen und von bebenden Verbiegungen des Hinterleibes begleitet wird. Bei beiden Tänzen stülpen die Nachrichtenvermittler gleichzeitig ihre Dufttaschen am Hinterleib aus, der den Gefährtinnen das Auffinden der angezeigten Blütenweide erleichtert. Wie fein die Riechorgane der Insekten sind, können wir uns kaum richtig vorstellen. Aber jeder Schmetterlingssammler weiß, daß er nur ein Weibchen irgendeiner Art ans Fenster zu setzen braucht, um sämtliche Männchen in einem Umkreis von mehreren Kilometern herbeizulocken. Auf den Geruchssinn ist die „Sprache" der Schmetterlinge aufgebaut. Obwohl sie über vorzügliche Augen verfügen, leitet ausschließlich der Duft die Geschlechter zueinander. Die Düfte werden von besonderen Organen an den Flügeln, Beinen und Hinterleibern ausgestrahlt und sind so fein, daß wir Menschen sie nicht einmal in allernächster Nähe und bei stärkster Verdichtung wahrzunehmen vermögen. Aber nicht nur die Weibchen, auch die Männchen verfügen über dieses „Sprachvermögen". Das Posthörnchen duftet nach Heliotrop, der Rostbindenfalter nach Schokolade, der Heufalter nach Ananas, der Rapsweißling nach Zitronenblüte und der Rübenweißling nach Reseda. Durch diesen Duft werden nun die Weibchen von der Liebesbereitschaft der Männchen verständigt und in Erregung versetzt. Erst in den letzten Jahren entdeckte der 1944 in den Beskiden gefallene Forscher Arthur Frank, daß die eigenartige und bisher unerklärliche Erscheinung, daß die Hummelmännchen immer auf den gleichen Luftwegen wie auf eingefahrenen Fluglinien dahinziehen, auf Duftsignale zurückzuführen ist. Diese Hummelflugbahnen werden von „berufsmäßigen Duftsprühern" festgelegt und immer wieder erneuert. Abgefangene Duftsprüher rochen angenehm nach Rosen. Zuletzt aber sei noch auf die Lichtsignale, als auf die Sprache der Leuchtkäfer und Feuerfliegen hingewiesen. Diese magischen Laternchen, 30
die in den warmen Juninächten aufleuchten, stellen ja auch .nichts a n deres dar als ein Verständigungsmittel der flugunfähigen Glühwürmchen. Sie werden ganz zielbewußt und zweckbetont geschwenkt, damit sich die flugfähigen Männchen zu ihnen finden. W a r u m die Männchen und später sogar auch die Eier der Leuchtkäfer ebenfalls aufleuchten, das ist freilich wieder ein Rätsel, das im ersten Rätsel eingeschachtelt liegt. Deutlich h a t uns gerade das Beispiel der Duftsprüher unter den Hummelmännchen gezeigt, daß wir alle, wenn wir nur die Augen offenhalten, zu der Lösung dieser vielen Rätsel manches beitragen k ö n n e n , daß Geduld und Aufmerksamkeit bei allen Beobachtungen wunderbar belohnt werden können. Die kleinen Stichproben, die dieser Lesebogen vermittelte, sagen ja n u r einen Bruchteil von den Wundern aus, die u n s im Reich der Insekten erwarten.
Aus den Abbildungen auf der 2. Unischlagseite ist die starke Gliederung des Insektenkörpers, die Panzerung und die Secbsbemigkeit bei den verschiedenartigen Insekten gut zu erkennen. Oben: die Verwandlung der Ameise (Ei, Larve, Puppe, fertiges Insekt). Unten: Bei den Termiten entschlüpft dem Ei eine Larve, die dem erwachsenen Tier schon ähnlich sieht. Links: Termitenweibchen mit von Eiern strotzendem Leib (Originalgröße). Rechts oben: Verschiedene Termitenformen. Rechts Mitte: Steppenameise alarmiert ihre Artgenossen mit erhobenem Hinterleib. Rechts unten: Insekten, die wegen ihrer appetitlichen Ausscheidungen von den Ameisen als Sklaven gehalten werden.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
L-ux-L es eb o g e n 36 ( N a t u r k u n d e ) - H e f t p r e i s 25 Pf Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen" (viertel], 6 Hefte DM 1,50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt - Verlag Sebastian Lux, Murnau (Oberb.), Seidlpark - Druck: Greven & Bechtold, Köln - Printed in Germany 31
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