Intelligent produzieren
Steffen Braun • Walther Maier • Simone Zirkelbach
Intelligent produzieren Liber amicorum
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Herausgeber Dipl.-Ing. Steffen Braun Leiter der Forschungsgruppe Maschinenuntersuchung Universität Stuttgart Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) Holzgartenstraße 17 D-70174 Stuttgart Deutschland
[email protected] Dipl.-Ing. Walther Maier Leiter der Forschungsgruppe Maschinenkonstruktion Universität Stuttgart Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) Holzgartenstraße 17 D-70174 Stuttgart Deutschland
[email protected] Dipl.Verw. Simone Zirkelbach, MPA Universität Stuttgart Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) Holzgartenstr. 17 D-70174 Stuttgart Deutschland
[email protected]
ISBN 978-3-642-13100-4 e-ISBN 978-3-642-13101-1 DOI 10.1007/978-3-642-13101-1 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
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Vorwort Am 06. Juli 2010 feiert Prof. Dr.-Ing. Prof. h. c. Dr. h. c. mult. Uwe Heisel seinen 65. Geburtstag. Die Herausgeber freuen sich, aus diesem Anlass das vorliegende Buch „Intelligent Produzieren“ präsentieren zu können. Es enthält eine Reihe von Grußworten und eine große Zahl an Fachbeiträgen aus den verschiedensten Berufsfeldern. Die Autoren, die als ehemalige Assistenten und Doktoranden dem Verein der Freunde des Instituts für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart e.V. angehören, gratulieren damit Professor Heisel zu seinem Geburtstag auf das Herzlichste. Der Verein, dessen Gründung 1977 auf den Vorgänger von Professor Heisel, Professor Karl Tuffentsammer, zurückgeht, verfolgt die Ziele, wissenschaftliche Forschung und wissenschaftlichen Gedankenaustausch auf dem Gebiet der spanenden Werkzeugmaschinen zu fördern und die Ausbildung des Ingenieurnachwuchses zu unterstützen. Hierzu möchte der Verein Absolventen und dem Institut verbundene Personen mit den Aktiven in Berührung bringen und so die Arbeit am Institut mit gestalten. Die Bandbreite der Beiträge reicht von Themen aus dem direkten Bereich der Werkzeugmaschinen und der Holzbearbeitungsmaschinen bis in Branchen wie die der Automobilindustrie oder des Schienenfahrzeugbaus, der Qualitätssicherung, der Unternehmensberatung oder des Versuchs. Das Buch dokumentiert damit das weite und spannende Feld der Arbeitsgebiete von Absolventen des Fachs Werkzeugmaschinen. Es zeigt darüber hinaus, dass das im Studium erworbene Wissen auch eine hervorragende Grundlage für erfolgreiche Tätigkeiten in Berufsfeldern bildet, die weit über das Gebiet der Werkzeugmaschinen hinausgehen. Mit diesem Buch dankt der Verein der Freunde des Instituts für Werkzeugmaschinen dem Leiter des Instituts und Lehrstuhlinhaber Professor Heisel sehr herzlich und würdigt seine Verdienste um die Forschung und vor allem um die Ausbildung des Ingenieurnachwuchses. Nicht zuletzt danken die Herausgeber besonders allen Autoren sehr herzlich für ihre tatkräftige Unterstützung in Form von hervorragenden Artikeln mit hochwertigen Abbildungen aus Ihrem jeweiligen Arbeitsgebiet. Mit ihren Beiträgen haben sie maßgeblich zum Gelingen eines interessanten Buches beigetragen. Besonderer Dank gilt auch dem Springer-Verlag für die gute Zusammenarbeit und die hervorragende Ausgestaltung des Buches. Stuttgart, im Juni 2010 Steffen Braun
Walther Maier
Simone Zirkelbach
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Prof. Dr.-Ing. Prof. E. h. Dr. h. c. mult. Uwe Heisel
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Curriculum Vitae Prof. Dr.-Ing. Prof. E. h. Dr. h. c. mult. Uwe Heisel wurde am 6. Juli 1945 in Brannenburg am Inn geboren. Nach dem Schulbesuch in Freiburg/Brg. studierte er in Hamburg und Berlin Maschinenbau und Fertigungstechnik und war von 1974 bis 1979 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der Technischen Universität Berlin bei Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Dr. h. c. mult. Günter Spur. 1979 promovierte er mit einer Dissertation über das Thema „Ausgleich thermischer Deformationen an Werkzeugmaschinen“ und wechselte 1980 zu dem Berliner Werkzeugmaschinenhersteller Fritz Werner im DIAG-Konzern, wo er bis 1988 in verschiedenen Positionen im Bereich der Konstruktion an der Entwicklung neuer Bearbeitungszentren und insbesondere an der Auslegung neuartiger, rechnergesteuerter flexibler Fertigungszellen und –systeme arbeitete. Im März 1988 erhielt er den Ruf auf die Professur für Werkzeugmaschinen an der Universität Stuttgart, wo er sich in der Forschung nach wie vor in der Fortführung seiner Arbeiten u. a. mit der Gestaltung rekonfigurierbarer Bearbeitungssysteme und vielfältigen Fragen der Werkzeugmaschinenkonstruktion zuwendete. Die Schwerpunkte seiner Forschungsarbeiten umfassen in diesem Zusammenhang Maschinenkonstruktionen, wie beispielsweise von Werkzeugmaschinen mit paralleler Kinematik oder auch hochdynamische Werkzeugmaschinen für die Hochgeschwindigkeitsbearbeitung, die als Leichtbaukonstruktionen ausgeführt sind. Unter anderem erhielt er 1996 ein Patent auf die von ihm entwickelte, parallelkinematische Maschine „Hexact“, die auf Werkzeugmaschinenausstellungen wie der EMO große Beachtung fand. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit speziellen Aufgabenstellungen der Zerspanungstechnologie und der Werkzeugentwicklung sowohl im Bereich der Metall- als auch im Bereich der Holzbearbeitung. Hervorzuheben sind seine Forschungen auf dem Gebiet kleinster Tiefbohrer beispielsweise für die Common-Rail-Technik. Weiterhin zählen zu seinen Arbeitsgebieten maschinentechnische Untersuchungen und Optimierungen bezüglich der Dynamik und der Thermik sowie der Minderung der Geräusch- und Schadstoffemissionen der Werkzeugmaschinen. Unter seinen über 620 national und international erschienenen Veröffentlichungen finden sich auch Publikationen aus dem Bereich der Reduktion der Holzstaubemission und der Schallemissionen an Werkzeugmaschinen. Professor Heisel ist seit 1989 Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik WGP, deren Präsident er in den Jahren 2006 und 2007 war. Auch ist er seit 1999 Fellow der International Academy for Production Engineering CIRP und seit 2009 Mitglied in der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech. Er beriet Firmen der Maschinenbaubranche und der Automobilzulieferung in Aufsichtsräten und er hat zahlreiche Ehrenämter innerhalb der Universität inne. Unter anderem war er von 1994 bis 1996 Dekan der Fakultät für Konstruktions- und Fertigungstechnik.
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In der Tradition des Institutes führte er die internationalen Kontakte in den USA, Großbritannien, Brasilien, Polen, auf dem Balkan und in Russland sowie in China fort. In Cluj-Napoca in Rumänien entstand durch seine Initiative 1993 ein erfolgreicher deutschsprachiger Studiengang, der vom DAAD gefördert und inzwischen von einer Reihe seiner Fakultätskollegen mit Vorlesungen aktiv unterstützt wird. Professor Heisel erhielt 1993 die Ehrendoktorwürde der technischen Universität Cluj-Napoca. 1999 wurde ihm von der University of Iron and Steel in Baotou, China, die Würde eines Ehrenprofessors verliehen. Weitere Ehrendoktortitel erhielt er im Jahr 2000 von der Technischen Universität Sofia/Plovdiv in Bulgarien und 2005 von der Technischen Universität Timisoara in Rumänien. Die Academic Association of Manufacturing Engineering in Rumänien ernannte ihn 2005 zu ihrem Honory President und im Jahr 2007 wurde er von der St. Petersburg State Polytechnical University in Russland mit dem Titel eines Professors Ehren halber geehrt.
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INHALT Grußwort ............................................................................................................... 1 Dipl.-Ing. Helmut Hammer
Grußwort ............................................................................................................... 4 Dr.-Ing. Manfred Berger
Grußwort ............................................................................................................... 7 Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Bühler
Grußwort ............................................................................................................... 9 Dr.-Ing. Klaus-Dieter Enderle
Grußwort ............................................................................................................. 11 Dr.-Ing. Michael Fried
Grußwort ............................................................................................................. 13 Dr.-Ing. Dieter Kress
Grußwort ............................................................................................................. 14 Dr.-Ing. Rainer Krug
Grußwort ............................................................................................................. 16 Dr.-Ing. Fritz Ruoff
Grußwort ............................................................................................................. 19 Dr.-Ing. Jürgen Walz
Revolutionärer Einsatz Agiler Fertigungssysteme in der Großserienproduktion ............................................................................. 21 Dr.-Ing. Manfred Berger
Geräuschreduzierung hydrostatischer Pumpen durch akustische Strukturoptimierung ............................................................. 32 Dr.-Ing. Stephan Berneke
Safer Machine – Präservativ Maschinenrichtlinie? ......................................... 42 Dr.-Ing. Bernd Birkicht
Ausbeute durch CNC-Bearbeitung im Sägewerk............................................. 56 Prof. Dr.-Ing. Hans Dietz
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Der ziehende Schnitt............................................................................................68 Dr.-Ing. Martin Dressler
Verbesserung der Prozessbedingungen beim Einlippentiefbohren durch unterschiedliche Formen der Vorschubmodulation..............................77 Dipl.-Ing. Dipl.-Gwl. Rocco Eisseler
Toolmanagement - Werkzeuge und Prozesse als Schlüssel für eine effiziente Produktion.......................................................88 Dr.-Ing. Dipl.-Gwl. Magnus Enßle
Die Rolle der Finite-Elemente-Berechnung in der Produktentwicklung........97 Dr.-Ing. Ignacio Esteban
Nachhaltige Fertigung.......................................................................................106 Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Achim Feinauer
Schallquellenidentifizierung und Geräuschminderung von Hydraulikaggregaten ................................................................................. 112 Prof. Dr.-Ing. Wieslaw Fiebig
Innovative Spanntechnik, ein Mehrwert für den Kunden .............................121 Dr.-Ing. Michael Fried
KomTronic® - Aktorische Werkzeugsysteme für die Einsatzerweiterung von Standard-Bearbeitungszentren .........................128 Dr.-Ing. Jürgen Fronius
Sorb Tech - ein neuer Konstruktionswerkstoff für den Holzbearbeitungsmaschinenbau ......................................................................135 Dipl.-Ing. Martin Gringel
Hochleistungswerkzeuge für die Bohrungsbearbeitung mit MMS: Entwicklungen zur Steigerung der Prozesssicherheit ....................................143 Dr.-Ing. M.Sc. Peter Hänle
Qualität und Kundenorientierung ...................................................................148 Dr.-Ing. Christof Hartmann
Neue Methode zur Ermittlung des thermischen Verhaltens von Vorschubsachsen ........................................................................................ 153 Dr.-Ing. Géza Koscsák
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Intelligent produzieren – Prozesse verstehen und mit innovativen Werkzeugen verbessern .................................................................................... 160 Dr.-Ing. Dieter Kress
Neue Methoden zur Ermittlung der volumetrischen Genauigkeit von Werkzeugmaschinen .................................................................................. 177 Dr.-Ing. Rainer Krug
Hochproduktive Werkzeugbeschichtungen .................................................... 184 Dipl.-Ing. Jacek Kruszynski, Dr. Arno Köpf, Dipl.-Ing. Reinhard Pitonak
Positive Werkzeuge mit hohem IQ .................................................................. 197 Dr.-Ing. Matthias Luik
Effizienzsteigerung durch intelligente Planung .............................................. 205 Dipl.-Ing. Walther Maier, Dipl.-Ing. Alexander Bader
Intelligente Aufteiltechnik für die flexible Fertigung..................................... 215 Dr.-Ing. Sergey Martynenko
Qualität auf dem Prüfstand.............................................................................. 223 Dr.-Ing. Michael Michaelis
Das AL-Konzept: Ein Konzept für Bearbeitungszentren zur Großserienfertigung.......................................................................................... 230 Dipl.-Ing. Ralf Müllner
Werkzeugverschleißdetektion beim Fräsen mittels Infrarotmesstechnik.............................................................................. 239 Dr.-Ing. Walter Pittner
Diamantkugeln verbessern Produktivität von 3D-Koordinatenmessgeräten..................................................................... 247 Dr.-Ing. Frank Richter
Kosteneffiziente Honbearbeitung durch intelligente und flexible Verknüpfung von autarken Honzentren ......................................................... 258 Dr.-Ing. Günther Roth, Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Stephan Schaible
Flexibles Vorrichtungssystem .......................................................................... 269 Dipl.-Ing. Stefan Schwock
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Untersuchung der thermischen Wirkungen beim orthogonalen Zerspanen.......................................................................... 275 Dr. Sc. M. Storchak, Dr.-Ing. T. Stehle
Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte als Matrix für Schüttdämmstoffe, für plattenförmige Dämmstoffe und leichte Spanplatten ...............................................................299 Prof. Dr.-Ing. habil. Johannes Tröger, Dipl.-Ing. Lucia Groß
Grußwort Dipl.-Ing. Helmut Hammer So fing alles an ...
Helmut Hammer Helmut Hammer wurde am 07.03.1936 in Berlin geboren. Erste Berufserfahrung sammelte er von 1962 – 67 als Werksleiter der GUSTAV STROHM, Werkzeugmaschinen GmbH in Schwenningen und wechselte danach als technischer Leiter zur TRAUB Werkzeugmaschinen GmbH, Reichenbach/Fils. Im Jahr 1982 übernahm er die Leitung der DIAG GmbH Berlin sowie die Geschäftsführung der Firmen FRITZ WERNER Berlin, HERMANN KOLB, Köln and Gebr. HONSBERG, Remscheidt. 1990 – 95 war Herr Hammer Vorstand der FRITZ WERNER Werkzeugmaschinen AG, Berlin. Die 1966 erfolgte Berufung als Generalbevollmächtigter der BURKHARDT+WEBER (Holding) GmbH, Karlsruhe, führte 1999 zur Gründung und Übernahme der Geschäftsführung der BW SHENYANG Machine Tool Ltd., ein Joint Venture zwischen Shenyang Machine Tool Group und BURKHARDT+WEBER (Holding). Seit 2002 ist Helmut Hammer freiberuflich tätig. Als Generalbevollmächtigter für China vertrat er u.a. die Firmen ZIMMERMANN/BOKÖ, BURKHARDT+WEBER, HONSBERG und ABA Z&B mit eigenen Büros in Shanghai und Dalian und berät auch heute noch namhafte chinesische und deutsche Werkzeugmaschinenunternehmen bei der Markterschließung sowie bei der Gründung von Joint Ventures. Für sein Engagement in China erhielt er im Jahr 2000 den Dalian Xinghai Friendship Award sowie 2002 den Friendship Award, die höchste an Ausländer verliehene Auszeichnung des PRC State Council.
Trotz erheblicher Bedenken war ich dem Drängen gefolgt, die Leitung der bundeseigenen DIAG in Berlin zum Jahresbeginn 1982 zu übernehmen. Prof. Milberg hatte es in letzter Minute vorgezogen lieber dem Ruf an die TU München zu folgen, was ich im nachhinein sehr wohl verstand. Von den drei Werkzeugmaschinenfabriken Fritz Werner, Hermann Kolb und Gebr. Honsberg befanden sich die ersten beiden in einem desolaten Zustand. Aber auch die anderen Konzernunternehmen hatten es in sich. Der wenig erfolgreiche Vorgänger gab mir nach einer auch hinsichtlich des Führungspersonals ernüchternden Bestandsaufnahme den einzig wertvollen Rat, man müsse eben mit den Bräuten tanzen, die im Saal seien.
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Helmut Hammer
Ich redete mir selbst Mut zu, dass in jedem Neuanfang auch eine Chance stecke und packte entschlossen zu. Und siehe da, es gab durchaus begeisterte Mitstreiter! An vorderster Stelle Dr. Uwe Heisel, gerade bei Prof. Günther Spur erfolgreich promoviert, brannte darauf sein angestautes Wissen praktisch umzusetzen. Zu nennen sind hier neben den Fritz Werner Insidern Joachim Schuster, Wolfgang Banaszak sowie Rolf Binder von Kolb und Günter Ambacher vom Büro Ludwigsburg, später noch ergänzt durch Dr. Bernd Vieweger vom IPK, auch die externen Verstärkungen durch Dr. Herbert Schiffelmann (PROCAM), Dr. August Pothast (INC) und Walter Diehl (RWT). Ein hoch qualifiziertes Power-Team, dem keine Herausforderung Angst machen konnte. Das angestrebte Ziel: Neuartige flexible Fertigungssysteme (FMS) mit vollautomatischer Werkstück- und Werkzeugbeschickung sowie selbsttätigem Auftrageswechsel bis hin zum mannlosen Betrieb. Bevor wir auf der EMO 1983 in Paris die Fachwelt nach nur einjähriger Entwicklungszeit mit 3 unterschiedlichen FMS Lösungen überraschen konnten, musste sich jeder im Team auch schriftstellerisch betätigen. Es gab keine Fachzeitschrift, in der wir nicht minutiös alle technischen Details beschrieben hatten, oft auch mehr als sich dann tatsächlich realisieren ließ. Das war für viele offensichtlich der unangenehmste Part, zumal ich, durch meine Mutter schriftstellerisch vorbelastet, an allem was nicht von mir stammte herum korrigierte. Auch Dr. Heisel brachte ich gelegentlich damit zur Weißglut. Er möge mir verzeihen. Die EMO 83 war dann wirklich das High Light. Die gesamte Werkzeugmaschinenbranche befand sich in dieser Zeit weltweit in einer tiefen Krise und kein Ausweg war in Sicht. Und da trumpften wir mit einem über 1000 qm großen, sehr imposanten Stand auf und standen nicht zuletzt auch durch die publizistische Vorbereitung sofort im Mittelpunkt des Interesses. Wen unsere FMS Präsentationen nicht interessierte, wurde durch unsere Äpfel - Aktion angelockt. Es waren wohl insgesamt 6 Tonnen, die wir jeden Morgen von den berühmten Pariser Markhallen herbei schafften. Unsere Tassen mit der Aufschrift -do it flexible-, die das Wernerund Kolb- Logo beim Einfüllen eines warmen Getränkes in eine von vorne und hinten sichtbar werdende unverhüllte Schönheit verwandelten, sind heute noch begehrte Sammlerstücke. Die Reaktionen auf unsere Show waren unterschiedlich, doch mehrheitlich teilte man unseren unbeschwerten Enthusiasmus. Die konsequente Integration von Mechanik und Elektronik mit der Computersteuerung hatte auch etwas Faszinierendes und eröffnete ein Neuland von bis dahin ungeahnten Möglichkeiten. Dass wir mit unseren Lösungen allerdings erst am Anfang standen, wurde uns schon auf der Messe klar. Überall befanden sich Not-Aus Schalter, die von möglichst unauffällig wirkenden Mitarbeitern sofort betätigt werden konnten. An der Software musste nachts ständig nachgebessert werden, der große Crash ist glücklicherweise aber ausgeblieben. Es war dann noch ein gutes Jahr erforderlich bis wir die notwendige Betriebssicherheit und eine zufriedenstellende Verfügbarkeit gewährleisten konnten.
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Weit über 200 rechnergesteuerte, voll automatisch arbeitende FMS mit durchschnittlich 4 integrierten Maschinen hatten Fritz Werner und Hermann Kolb innerhalb von 6 Jahren weltweit realisiert. Bei einigen Anlagen waren sogar mehr als 20 Maschinen hard- und softwaremäßig verbunden. Viele befinden sich noch heute im Einsatz. Vielleicht war es auch nur ein zeitlich begrenzter Fortschrittsrausch, der vor allem von den Anwenderwünschen ständig neu beflügelt wurde. Richtig ist, dass die angestrebte Wirtschaftlichkeit oft erst sehr viel später erreicht wurde. Unbestritten ist aber auch, dass durch diese Entwicklung das technisch Machbare erfahren wurde und das Sinnvolle weiter vielfältig nützlich blieb. Möglicherweise wäre die Entwicklung auch anders verlaufen, wenn die bundeseigene DIAG nicht über die erforderlichen Mittel verfügt hätte. Das führte damals beim Wettbewerb durchaus zu Unmut. Bei allen Beteiligten bleibt diese innovative Zeit aber auch im Rückblick ein unvergessenes Erlebnis, das für Viele richtungweisend für die eigene berufliche Weiterentwicklung wurde. Prof. Heisel hatte für seine aufschlussreiche Gastvorlesung an der TU-Stuttgart im Jahr 1988 sicher nicht zufällig das Thema Rechnergesteuerte Flexible Fertigungssysteme gewählt.
Grußwort Dr.-Ing. Manfred Berger Executive Vice President Sales MAG Powertrain GmbH
Dr. Manfred Berger Nach dem Studium an der Universität Stuttgart hat Dr. Berger (14.3.1956) eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich 155 - Flexible Fertigungssysteme 1988 am Institut für Werkzeugmaschinen begonnen. 1984 übernahm er die Leitung Forschungsgruppe "Fertigungssysteme" und wurde 1986 zum Geschäftsführer des Sonderforschungsbereichs 155 berufen. Die Promotion auf dem Gebiet der mehrspindligen Bohrbearbeitung in Flexiblen Fertigungssystemen wurde unter der Leitung von Prof. Karl Tuffentsammer begonnen, der leider 1987 verstarb, und diese mit Herrn Prof. Dr. Alfred Storr als Hauptberichter 1988 zum Abschluss gebracht. Ab 1988 übernahm Dr. Berger bei Hüller Hille die Assistenz für den Technischen Geschäftsführer. 1989 wurde ihm die Leitung des Technischen Angebotes übergeben. Als Bereichsleiter wechselte Dr. Berger 1995 in die Vertriebsleitung (Technisches Angebot, Kalkulation, Verkauf, Service und Marketing) und hat dieses Ressort seit 2003 als Geschäftsführer geführt. Markante Schwerpunkte im bisherigen Berufsleben waren 1993 die Entwicklung der "Agilen Fertigungssysteme", heute ein Weltstandard für den Einsatz von CNC-Maschinen bei der Volumenfertigung für alle OEMs, der erste Einsatz von Adapterplatten in der flexiblen Produktion, Einführung der Trockenbearbeitung mit Minimalschmiertechnik für die Serienfertigung sowie Patente im Bereich Automation und Verkettung von Anlagen. Bei MAG ist Dr. Berger heute als Geschäftsführer Vertrieb für das Industriesegment "Automotive" und die Produkte zur Fertigung von Gehäusen, Komponenten, Kurbelwellen und Drehteilen verantwortlich.
Baden-Württemberg, als Land der „Tüftler und Häuslesbauer“, ist die forschungsintensivste Region der Europäischen Union. Die Investitionstätigkeiten werden im Wesentlichen vom Fahrzeugbau und dem Maschinenbau getragen. Die starke technologische Ausrichtung der Unternehmen im Lande auf die „Gehobenen Gebrauchstechnologien“ sichert den Erfolg in den internationalen Märkten und damit auch die Arbeitsplätze der mehr als 300.000 Beschäftigten im Maschinenbau. In keiner Region der Welt ist die Dichte der Werkzeugmaschinenunternehmen, die „Königsdisziplin“ im Maschinenbau, größer als in Baden-Württemberg.
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Allein durch das Umfeld besitzt das Institut für Werkzeugmaschinen an der Universität Stuttgart eine exponierte Bedeutung, inmitten einer Region mit höchster Forschungsintensität und größtem Bedarf an bestausgebildeten Technikern und Ingenieuren. Der Erhalt des höchsten Standards ist die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes und eine Sicherung für die Zukunft im internationalen Wettbewerb. In diesem Zusammenhang kommt auch dem Leiter des Instituts für Werkzeugmaschinen eine besondere Bedeutung und Aufgabenstellung in den Bereichen Ausbildung und Forschung zu. Der internationale Wettbewerb, insbesondere die asiatischen Firmen in Japan, Korea und China, treibt in einem permanenten Innovationsrennen die Produzenten vor sich her. Ein Verlust der Innovationsführerschaft hätte unabsehbare fatale Folgen für Industrie und Wirtschaft. Seit mehr als zwei Jahrzehnten gestaltet Herr Professor Heisel die Ausrichtung von Forschung und die Lehre am Lehrstuhl und Forschungsinstitut. Wir blicken zurück auf eine sehr erfolgreiche Berufs-Bilanz, welche im Juli 1988 mit der Berufung zum Universitätsprofessor und der Position des Direktors des Instituts für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart nach leitenden Positionen an der TU Berlin und in der Werkzeugmaschinenbranche ihre Fortsetzung fand. Neben den obigen Prädikaten als „Tüftler und Häuslesbauer“ hat man den süddeutschen Landsleuten auch eine hohe Heimatverbundenheit in die Wiege gelegt. Man geht in der Region zur Schule, studiert an den Landes-Hochschulen und arbeitet bei einem Unternehmen der Region. Daher kann eine direkte Abhängigkeit zwischen Innovationsstärke der Region und der Qualität der universitären Ausbildung im Lande hergestellt werden. Man darf somit ohne Übertreibung den außergewöhnlichen Erfolg der Werkzeugmaschinen-Industrie mit dem nachhaltigen Wirken von Professor Heisel als Hochschullehrer und Forscher im Lande in Verbindung bringen. Sie haben von Ihrem Vorgänger Herrn Professor Tuffentsammer ein erstklassiges Institut mit der Ausrichtung auf Lehre und Normung übernommen. Die Beteiligung an den Sonderforschungsbereichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, gemeinsam mit den Partnerinstituten der Fakultät, hatte damals sicherlich zu einer wesentlichen Bereicherung neben der reinen universitären Ausrichtung des Institutes geführt. Historisch war man in den Bereichen des Tiefbohrens, der hydraulischen Pumpen und der Lärmminderung bei Holzbearbeitungsmaschinen eine erste Adresse in der Deutschen Forschungslandschaft. Die Umgestaltung des Instituts unter Ihrer Leitung auf Schwerpunkte der Konstruktion, Simulation und Optimierung von Werkzeugmaschinen, Baugruppen und Werkzeuge sowie deren Untersuchung war visionär und zielführend. Die Entwicklung und Optimierung von Werkzeugen und Prozessen für spanende Bearbeitungsverfahren von metallischen Werkstoffen, Holz und Kunststoffen – insbesondere für die Zerspanung unter Einsatz der Minimalschmiertechnik (MMS) – fanden ihre Umsetzung bei den Werkzeugherstellern und in der Produktion. Mit
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Manfred Berger
den Themen Automatisierungstechnik und der Umwelttechnik zur Reduzierung auftretender Emissionen in Fertigungsverfahren wurden die Bereiche Peripherie für die Integration in der Werkzeugmaschine abgedeckt. Die internationale Ausrichtung der Institutskontakte, welche seit ihrer Amtszeit aufgebaut wurde, trägt auch deutlich ihre Handschrift. Hier liegt der Fokus auf osteuropäische und asiatische Institutspartnerschaften und aus ihren Berichten wissen wir, dass diese Kontakte nicht nur dem wissenschaftlichen Gedankenaustausch gewidmet waren, sondern auch immer eine persönliche Entwicklungshilfe für diese Partner und deren Studierenden durch Professor Heisel darstellen. Neben der Ausrichtung auf Forschung und Lehre am Institut, an der Universität und in den nationalen und internationalen Forschungsgremien haben Sie immer noch die Zeit gefunden für das soziale Engagement. Für alle nicht zu Wort gekommenen Empfänger Ihrer Hilfen: Studenten, Mitarbeiter, Partnerinstitute und Partnerhochschulen, möchte ich hier die Gelegenheit wahrnehmen und Ihnen für die Unterstützung herzlichst danken. An der Stelle auch dem Verein der Freunde des Instituts für Werkzeugmaschinen, welcher diese Hilfen ebenfalls unterstützt hat, ein Dankeschön für die Bereitschaft. Außerhalb des Instituts konnten Sie auch das universitäre Umfeld durch das Mitwirken in vielen Gremien mit gestalten. In wichtigen Positionen: Dekan der Fakultät Konstruktion und Fertigungstechnik (Fakultät 7) der Universität Stuttgart, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung des öffentlichen Rechts „Zentrum für Fertigungstechnik (ZFS)“, Sprecher der Gesellschaft für Fertigungstechnik Stuttgart und seit 2009 als Mitglied der Akademie der Technikwissenschaften, prägen Sie die Zukunft der Fertigungstechnik am Standort Deutschland. Lieber Herr Professor Heisel, Sie können heute auf ein ertrag- und erfolgreiches Schaffen zurückblicken. In mehr als 20 Jahren im Dienst der Universität haben Sie mehrere tausend Ingenieure ausgebildet, über hundert Promotionen als Haupt- und Mitberichter begleitet und sind mehrfach mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet worden. Ihre berufliche Spur bleibt für immer in Normen, Patenten und Dokumentationen für die Fertigungstechnik erhalten und auch den kommenden Generationen somit nutzbar. Durch Ihr soziales Engagement haben Sie sich neben dem Ansehen als Fachmann auch die Freundschaften der internationalen Partner erworben. Im Namen des Vereins der Freunde des Instituts für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart darf ich mich für die Zusammenarbeit und Unterstützung bei Ihnen recht herzlich bedanken. Zu Ihrem 65. Geburtstag die besten Glückwünsche und für die Zukunft noch viele Jahre in Gesundheit und Zufriedenheit. Wir wünschen uns von Ihnen weiterhin eine partnerschaftliche Verbundenheit im Freundeskreis und noch die eine oder andere inspirierende innovative Idee.
Grußwort Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Bühler Ein langjähriger Werkzeugmaschinenkollege lässt grüßen …
Prof. Wolfgang Bühler
Zu meiner Person: Lehre als Maschinenschlosser bei VDF-Boehringer, weitere Praxis bei den INDEX-Werken, Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule Stuttgart, WZM-Vorlesung bei Prof. Alfred Ehrhardt, Diplomarbeit bei Prof Karl Tuffentsammer, Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) und Promotion bei Tuffentsammer und Stute), Initiator für die Gründung des Vereins der Freunde und ehemaligen Mitarbeiter (VdF) des IfW, 10 Jahre lang dessen Geschäftsführer unter den Vorsitzenden Dr. Günter Kessler und Prof. Gerhard Haasis, seit Prof. Uwe Heisel Beiratsmitglied in diesem Verein, Ruf als C3–Professor für Fertigungstechnologie an den Lehrstuhl für Fertigungstechnologie (LFT) der Universität Erlangen-Nürnberg von Prof. Manfred Geiger (abgelehnt), 22 Jahre Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an diesem Lehrstuhl mit Vorlesungen über spanende Fertigungstechnologie und Werkzeugmaschinen, 30 Jahre Mitarbeiter bei den INDEX-Werken als Leiter des Versuchs und der Systemerprobung, zusätzlich Leiter der Fertigungsmesstechnik, der Qualitätssicherung und als QMB u. a. für die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems nach DIN EN ISO 9001 und VDA 6.4 bei INDEX und TRAUB verantwortlich.
50 Jahre Verbundenheit und aktives Engagement mit dem Institut für Werkzeugmaschinen und dessen Institutsdirektoren mit Einblick in die Forschungstätigkeiten - die Schwerpunkte sollen hier nur stichwortartig erwähnt werden: Es sind dies die konstruktive Gestaltung und die maschinentechnische Untersuchung und Optimierung des akustischen, dynamischen, kinematischen und thermischen Verhaltens der Werkzeugmaschinen und deren Werkzeuge einschließlich ihrer automatisierten Peripherie, sowie die trennende Materialbearbeitung. Dazu gehört auch die Abteilung Holzbearbeitung von apl. Prof. Johannes Tröger. Viele neue Themen wurden im Laufe der Jahre aufgegriffen, weiterentwickelt und neue Akzente ge-
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Wolfgang Bühler
setzt. Der Ausbildung der Studierenden und dem akademischen Nachwuchs wurde stets besondere Aufmerksamkeit beigemessen. In seinem letzten Semester als Universitätsprofessor nach 22 Dienstjahren möchte ich dem geschätzten Kollegen Uwe Heisel ganz herzlich zu seinem 65. Geburtstag gratulieren. Er hat als Hochschullehrer und Institutsleiter im Verbund mit seinen Kollegen in den anderen produktionstechnischen Forschungseinrichtungen der Stuttgarter Maschinenbau-Fakultät mit dazu beigetragen, dass die Stuttgarter Produktionstechniker weltweit einen sehr guten Ruf genießen und im Ranking mit anderen Forschungseinrichtungen hervorragende Plätze einnehmen. Ich wünsche Herrn Professor Uwe Heisel auch als baldigem Emeritus für die Zukunft alles Gute, Gesundheit und Wohlergehen.
Grußwort Dr.-Ing. Klaus-Dieter Enderle Schulungsleiter Firma Walter Tübingen
Dr. Klaus Dieter Enderle
Dr.-Ing. Klaus-Dieter Enderle wurde am 10.11.1955 in Kirchheim/Neckar geboren. Nach einer Ausbildung als Werkzeugmacher bei der Firma Mann & Hummel in Ludwigsburg, erlangte er 1977 das Abitur an der technischen Oberschule in Stuttgart. Nach Ableistung des Wehrdienstes studierte er Maschinenbau an der Universität Stuttgart. Von 1985 - 1991 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart beschäftigt. Seine berufliche Laufbahn außerhalb der Hochschule begann er im Jahre 1991 als Versuchsleiter beim Werkzeughersteller Komet in Besigheim. Im Jahr 1998 wurde er Versuchsleiter beim Werkzeugmaschinenhersteller Walter in Tübingen. Seit 2000 ist er dort als Schulungsleiter tätig. Von 1998 bis 2010 engagierte sich Herr Dr. Enderle als Schatzmeister des Vereins der Freunde des Instituts für Werkzeugmaschinen.
Sehr geehrter Herr Professor Heisel, es ist mir eine Freude und eine Ehre, Ihnen im Rahmen des vorliegenden Buches einige Zeilen des Grußes und des Dankes zu schreiben. Gerne erinnere ich mich an die gemeinsame Zeit, die ich bei Ihnen und dem leider viel zu früh verstorbenen Professor Tuffentsammer, verbringen durfte. Meine Zeit am Institut fiel genau in diesen Umbruch und es ist nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten, dass der „Neue“ die Mitarbeiter, die er von seinem Vorgänger erbt, so einfach übernimmt und zu einem erfolgreichen Abschluss führt. Es waren schwere Jahre für Sie und genauso für meine damaligen Institutskollegen und mich, all die neuen Dinge, die zur Einführung anstanden, auszuarbeiten. Vor allem ist dabei die neue Vorlesung für das Fach Werkzeugmaschinen, die zum fast schon beginnenden Semester stehen sollte, zu erwähnen. Es blieb wenig
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Klaus-Dieter Enderle
Zeit bis zum Start des Semesters, so dass wir alle zusammen in Nacht und Nebel Aktionen die Unterlagen buchstäblich aus dem Boden stampften. Doch genau diese Dinge sind es im Nachhinein, die dann den Zusammenhalt innerhalb des Institutes ausmachten. All dies war für mich Ansporn, auch nach meinem Ausscheiden aus dem Institut, diesem weiterhin verbunden zu bleiben. Und wie könnte man besser mit dem Institut in Kontakt bleiben, als in den Klub der Ehemaligen – sprich: dem Verein der Freunde des Instituts für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart e.V. – beizutreten. Dieser Verein ist die ideale Plattform, um Kontakte mit seinen früheren Kollegen, den Altvorderen aber auch den neuen Mitarbeitern des Instituts zu knüpfen und zu pflegen. Man hat die Möglichkeit auch einmal über seinen eigenen bescheidenen Tellerrand hinaus zu blicken und nicht immer nur sein doch relativ eingeschränktes Spezialgebiet vor Augen zu haben. Deshalb war - und ist es mir immer noch - eine Freude, sie, lieber Professor Heisel, in regelmäßigen Abständen zusammen mit den anderen Mitgliedern unseres Freundeskreises, dessen Schatzmeister ich über mehr als ein Jahrzehnt hinweg sein zu dürfen ich die Ehre hatte, sehen zu können. Ich bin mir sicher, dass auch in Zukunft Ihr Name immer wieder im Zusammenhang mit dem Institut für Werkzeugmaschinen genannt werden wird, auch wenn sich eine Ära nun allmählich dem Ende zuneigt und wie damals auch, ein „Neuer“ schon in den Startlöchern steht und alles besser machen will. So verbleibe ich mit den herzlichsten Wünschen zu Ihrem 65. Geburtstag. Ich hoffe auf eine noch lange währende, in Glück und Gesundheit zu verlebende Zeit, die wir vom Freundeskreis mit Ihnen gemeinsam genießen dürfen.
Grußwort Dr.-Ing. Michael Fried Geschäftsführer Röhm GmbH Sontheim/Brenz
Dr. Michael Fried Dr.-Ing. Michael Fried (Jahrgang 1966) studierte von 1987 bis 1993 an der Universität Stuttgart Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Fertigungstechnik. Von 1994 bis 1997 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen und promovierte zum Thema „Messen von Drehschwingungen an Verzahnmaschinen“. Von 1997 bis 2008 war er für die KOMET Group, einem führenden Hersteller von Präzisionswerkzeugen zur Bohrungsbearbeitung in unterschiedlichen Funktionen tätig, zuletzt als technischer Geschäftsführer der KOMET Precision Tools und Verantwortlicher für die weltweite Produktion der gesamten KOMET Group. In dieser Funktion führte er mehr als 1.000 Mitarbeiter an unterschiedlichen Produktions- und Servicestandorten weltweit. Weitere Schwerpunkte seiner Tätigkeiten waren die erfolgreiche Restrukturierung von Standorten in den USA und in der Schweiz sowie der Aufbau von Joint Ventures in Osteuropa und in Asien. Seit 2008 ist er Alleingeschäftsführer der Fa. RÖHM. 1909 gegründet, gilt RÖHM heute als einer der bedeutendsten Spannmittelhersteller der Welt, mit einem umfangreichen Standardprogramm und leistungsfähiger Sonderfertigung. Die Produkte werden über ein globales Netzwerk mit 10 Tochtergesellschaften, einem Jointventure in China und mehr als 50 Vertretungen weltweit vertrieben. Der Exportanteil der deutschen Produktion liegt bei ca. 50%. Röhm beschäftigt in der Unternehmensgruppe mehr als 1.500 Mitarbeiter. Der aus Fellbach bei Stuttgart stammende Maschinenbauingenieur ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Dieses Buch ist Herrn Prof. Uwe Heisel gewidmet, der mit seinem Wirken als Hochschullehrer und als Leiter des Instituts für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart das Geschehen in der Fertigungs- und Konstruktionstechnik von Werkzeugmaschinen und Produktionsverfahren in Deutschland und international entscheidend mitgeprägt hat. Die Aktivitäten des Instituts haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten dazu beigetragen, dass viele junge Wissenschaftler zu herausragenden Arbeiten motiviert wurden und als exzellent ausgebildete Fach- und Führungskräfte in die Wirtschaft gewechselt sind. Die Forschungsschwerpunkte des Instituts (Maschinendynamik, Automatisierungstechnik, Fertigungsverfahren
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für Metall-, Kunststoff- und Holzwerkstoffe sowie Baugruppen und Werkzeuge für die spanende Bearbeitung) sind auch heute noch von größter Bedeutung für die Werkzeugmaschinenbranche. Prof. Heisel hat durch sein Engagement in vielen internationalen Gremien dazu beigetragen, die deutsche Ingenieursausbildung und den deutschen Maschinenbau national und international bekannt zu machen. Der Maschinenbau lebt von ständig neuen Innovationen hinsichtlich der Steigerung der Produktivität und der Leistungsfähigkeit seiner Produkte. Nur so können sich die Unternehmen in Deutschland im internationalen Wettbewerb behaupten. Dies wurde in den vergangenen Jahren besonders deutlich. Nach den sehr erfolgreichen Jahren 2007 und 2008, die geprägt waren von Vollauslastung sowie Kapazitäts- und Lieferengpässen, traf die Branche die wohl schwerste Wirtschaftskrise seit Ende des zweiten Weltkriegs. Erfolgreiche Unternehmen unterscheiden sich vor allem darin von weniger erfolgreichen, dass sie sich schnell auf Veränderungen einstellen können und eine sehr hohe Innovationsfähigkeit haben. Gerade in der aktuellen Situation müssen sich die deutschen Maschinenbauunternehmen mehr denn je dem internationalen Wettbewerb stellen. Erfolgreich können sie aber nur sein, wenn sie die besten Ingenieure und motivierte Mitarbeiter haben. Der deutsche Maschinenbau verfügt über starke und engagierte Köpfe, die ihn durch ihre Kompetenz und Zielstrebigkeit vorantreiben. Daher ist es für die Zukunft weiterhin wichtig, die Ingenieurausbildung an den deutschen Hochschulen zu stärken bzw. weiter intensiv zu fördern, wie es Prof. Heisel in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit seiner Arbeit als Hochschullehrer und Leiter des Instituts für Werkzeugmaschinen erfolgreich getan hat. Als ehemaliger Mitarbeiter des Instituts für Werkzeugmaschinen und Student des Maschinenbaus an der Universität Stuttgart ist es für mich eine Ehre, als Autor aktiv an einem Buch anlässlich des 65. Geburtstags von Prof. Heisel mitzuwirken. Gerne und mit viel Freude und positiven Erinnerungen denke ich an meine aktive Zeit am Institut für Werkzeugmaschinen zurück. Ihnen Herr Prof. Heisel wünsche ich für die Zukunft alles Gute, Glück und vor allem Gesundheit; genießen Sie den neuen Lebensabschnitt. Den Lesern dieses Buches wünsche ich viel Spaß und Neugier beim Verzehr dieser „produktionstechnischen Lektüre“.
Grußwort Dr.-Ing. Dieter Kress Geschäftsführender Gesellschafter MAPAL Fabrik für Präzisionswerkzeuge Dr. Kress KG
Dr. Dieter Kress Dieter Kress wurde am 18. Mai 1942 in Stuttgart geboren. Nach Schule und Abitur in Aalen hat er von 1961 – 1965 Maschinenbau in Stuttgart studiert, anschließend von 1965 – 1968 Betriebswirtschaft in München. Er trat dann in die von seinem Vater gegründete Firma MAPAL ein und hat nebenberuflich am Institut für Werkzeugmaschinen der TU Stuttgart bei Prof. Karl Tuffentsammer promoviert, auf dem für die Firma MAPAL einschlägigen Gebiet „Reiben bei hohen Schnittgeschwindigkeiten“. Die Firma MAPAL beschäftigt sich mit der Feinbearbeitung von Bohrungen. Der Beginn war die Einführung der Einmesser-Reibahle, die heute ein weltweit eingesetztes Werkzeug zur Feinbearbeitung von Bohrungen ist. Heute ist das Unternehmen ein weltweit tätiger Anbieter zur Komplettbearbeitung kubischer Teile. Es beschäftigt über 3.000 Mitarbeiter und stellt ein komplettes Programm an Präzisionswerkzeugen für den genannten Bereich her. Die Firma hat über 20 Tochterfirmen, in denen neben Service und Beratung für die Kunden im Wesentlichen diese Werkzeuge produziert werden. MAPAL ist sehr innovativ und intensiv in Forschung und Entwicklung tätig.
Lieber Herr Heisel, zunächst herzlichen Dank für die Möglichkeit, an Ihrem Buch „Intelligent produzieren“ mitzuwirken. Es zeigt sich daran die gute Verbindung zwischen dem Institut für Werkzeugmaschinen und MAPAL. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zum 65. Geburtstag, wünsche alles Gute, und bin sicher, dass Sie weiterhin dem Gebiet der Werkzeuge und der Werkzeugmaschinen erhalten bleiben. Sie haben sich an Ihrem Institut sehr intensiv mit der Werkzeugentwicklung beschäftigt und sehr viel dazu beigetragen, hierfür möchten wir Ihnen herzlich danken. Diese Unterstützung ist für uns sehr wichtig, da die Werkzeughersteller doch immer etwas im Schatten der Werkzeugmaschinen stehen. Für die Zukunft alles Gute, Gesundheit und etwas mehr Zeit für die privaten Dinge. Ich danke Ihnen für viele interessante Gespräche und freue mich auf weitere Begegnungen. Mit freundlichen Grüßen Dr. Dieter Kress
Grußwort Dr.-Ing. Rainer Krug Technischer Leiter Renishaw GmbH Pliezhausen
Dr. Rainer Krug
Dr.-Ing. Rainer Krug wurde 1961 in Ravensburg geboren. Nach dem Abitur am Technischen Gymnasium studierte er von 1983 bis 1988 Maschinenbau an der Universität Stuttgart. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er bis 1992 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen. Als einer der ersten Mitarbeiter bei Prof. Heisel promovierte Rainer Krug zum Doktor-Ingenieur. Seit 1992 arbeitet Dr. Krug bei Renishaw als Technischer Leiter, er ist derzeit zuständig für die Produktbereiche „Systeme zur Maschinenüberwachung“ und „Health Care“.
Als einer der ersten wissenschaftlichen Mitarbeiter die bei Herrn Professor Heisel promoviert wurden, ist es mir eine Ehre und eine Verpflichtung ein Grußwort beizutragen. In der gedanklichen Vorbereitung zu diesem Grußwort habe ich mich intensiv an meine Zeit als Student und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen erinnert. Es gibt viele Erinnerungen an diese Zeit, die sicherlich in manchen Aspekten sehr hohe Anforderungen stellte, im Rückblick stehen jedoch sehr viele angenehme und interessante Erinnerungen im Vordergrund. Es war für mich immer sehr beeindruckend, wie sich Professor Heisel nicht nur für die beruflichen und wissenschaftlichen Gesichtspunkte seiner Mitarbeiter interessiere und einsetzte sondern auch für persönliche Belange mit Rat und Tat zur Seite stand. Als junger Mitarbeiter wollte ich mich intensiv meiner wissenschaftlichen Arbeit widmen, es gab zu dieser Zeit jedoch eine Situation, dass die Finanzierung meines Projekts nicht gesichert war und ich so auf der Suche nach weiteren Projekte war, um die Zeit bis zur Anschlussfinanzierung zu überbrücken. Herr Professor Heisel hat einen Rundruf an die Mitglieder des Vereins der Freunde des Instituts für Werkzeugmaschinen gestartet. Tatsächlich kam aus dem Kreis der
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Freunde ein Projekt von einem Unternehmen, das eine Industrieumfrage durchführen wollte. Obwohl dieses Projekt wenig mit der wissenschaftlichen Arbeit an einem Institut für Werkzeugmaschinen gemeinsam hatte, wurde das Projekt mit großem Engagement und zur Zufriedenheit des Auftraggebers erfolgreich abgeschlossen. Im Anschluss daran war das Unternehmen daran interessiert, technische und vertriebliche Unterstützung zur Markteinführung eines neuen anspruchvollen Produktes zu bekommen. Auch dieses Projekt war wissenschaftlich weniger anspruchsvoll, es half jedoch die parallel durchzuführende wissenschaftliche Arbeit zu finanzieren. Ein interessanter Aspekt hierbei ist, dass dieses Engagement vom Auftraggeber ständig verlängert wurde und schließlich nach Abschluss der wissenschaftlichen Tätigkeit am Institut direkt in ein Arbeitsverhältnis führte, das nun seit nahezu 20 Jahren besteht und immer noch interessante neue Herausforderungen bietet. Ich erwähne diese Tatsachen auch, um junge Institutsmitarbeiter zu ermutigen, frühzeitig den Kontakt zu Industrie zu suchen. Es können daraus befruchtende Erkenntnisse auf beiden Seiten zustande kommen. Gerne erinnere ich mich an die Reisen mit Herrn Professor Heisel nach Russland um in der spannenden Zeit des Wandels und des politischen Umbruchs in Moskau und Sankt Petersburg neue Kontakte zu knüpfen. Für mich als junger Mitarbeiter waren dies sehr spannende Erfahrungen außerhalb des alltäglichen Wissenschaftsbetriebs. Ich gratuliere Ihnen, Herr Professor Heisel zu Ihrem 65. Geburtstag und wünsche Ihnen von Herzen alles Gute.
Grußwort Dr.-Ing. Fritz Ruoff Quality Manager Capgemini Deutschland GmbH Stuttgart
Dr. Fritz Ruoff Dr.-Ing. Fritz Ruoff wurde am 16. April 1947 in Öhringen geboren. Von 1969 bis 1974 studierte er Maschinenbau an der Universität Stuttgart, wo er im Anschluss bis 1980 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen an der Technischen Universität Stuttgart bei Professor Dr.-Dtech. K. Tuffentsammer arbeitete und 1980 zum Doktor-Ingenieur promovierte. Von 1980 bis Ende 1998 war er bei der Fa. Digital Equipment GmbH in unterschiedlichen Funktionen beschäftigt, beginnend in der Vertriebsunterstützung und endend als Vertriebsleiter sowie aktiv in der Niederlassungsleitung mit Prokura. Danach war er als Qualitätsmanager bei der Capgemini Deutschland GmbH tätig.
Lieber Herr Professor Heisel, als langjähriges Mitglied des Freundeskreises des Instituts für Werkzeugmaschinen (IfW) und bei Ihrem Vorgänger Prof. Tuffentsammer promovierter Dr.-Ing. verfolge ich natürlich schon immer die Entwicklung Ihres Instituts. Gerne denke ich an die Zeit Ihrer Berufung ans Institut für Werkzeugmaschinen zurück, die ich begrüßt habe, weil ich Sie als Fachmann für flexible Fertigungsmethoden (CIM Computer Integriertes Manufacturing) kennen- und schätzen gelernt habe. Lange Jahre nach meiner Promotion habe ich als Verkaufsberater bei der Fa. Digital Equipment Corporation (DEC) auf dem Gebiet der C-Technologien gearbeitet und wir haben damals sehr stark mit Ihrem Stall, dem Institut für Werkzeugmaschinen von Prof. Spur in Berlin, kooperiert und gemeinsam tolle Projekte realisiert, wenn ich nur an die Demonstration einer CIM-Fabrik auf der CEBIT bzw. bei der EMO-Werkzeugmaschinenmesse denke. Später zur Zeit Ihrer Berufung nach Stuttgart war ich inzwischen zum Vertriebsleiter für den Bereich Forschung und Lehre aufgestiegen und hatte so die Möglichkeit, von Digital geförderte, stark reduzierte Computerausrüstung für Sie
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und das Institut aus einem Teil Ihrer Berufungsmittel zu beschaffen, so dass Ihr Institut zu Beginn mit optimalen Computerressourcen infrastrukturell ausgestattet war. Vergessen werde ich auch nicht unser zufälliges Zusammentreffen in einem wunderschönen Urlaub an der französischen Atlantikküste, bei dem wir fachsimpelnd die französische Küche und den dortigen Bordeauxwein genossen. Bedingt durch meine berufliche Weiterentwicklung kam ich zwar in der Hierarchie nach oben, jedoch fachlich immer weiter weg von dem Produzieren. Leider hat sich dadurch auch unser Kontakt auf die wenigen Instituts-Freundestreffen bzw. Exkursionen reduziert, was ich als fachlich interessierter Ingenieur schade fand, den produktionstechnischen Austausch auch oft vermisst habe, aber dies war durch mein starkes berufliches Engagement auch zeitlich nicht möglich. Deshalb freut es mich um so mehr zu Ihrem 65. Geburtstag zu sehen, wie erfolgreich unser Institut für Werkzeugmaschinen inzwischen geworden ist, herausragend dargestellt finde ich dies in den neuen IfW News.
Zum Thema „Intelligent Produzieren“ Es kommt einem schon seltsam vor, wenn man heute so die Entwicklung der Fertigungstechniken in den vergangenen 30 Jahren Revue passieren lässt und man versucht, dies dann in einem Artikel unter dem Titel “Intelligent Produzieren“ zusammenzufassen. Für mich ist dabei der Einsatz von C(omputer)-Technologien nach wie vor der Schrittmacher fürs Intelligente Produzieren. Dadurch eröffnen sich immer neue Verfahren und verbesserte Methoden gelangen zur Anwendung. Natürlich beginnend in der Konstruktion bei der Produktentwicklung durch den Einsatz computerunterstützter Systeme (CAD, CAE, CAP, CAM), womit die Werkstückinformationen gleich digital generiert und in Zeichnungen, Stücklisten und Arbeitsplänen elektronisch dokumentiert werden. Weiter in der Fertigungsplanung bei der Festlegung der Fertigungsschritte, der Bearbeitungsmaschinen, der Werk- und Spannzeuge, dem automatisierten Erstellen der NC-Programme (teils abgeleitet aus den CAD-Systemen), danach dem Ermitteln der Rüst-, Nebenund Hauptzeiten bis hin zur Programmierung der Transport- und Lagersysteme sowohl für die Werkstücke als auch der eingesetzten Werk- und Spannzeuge. Alle diese Informationen werden in den ERP-Systemen (Enterprise Ressource Planning) benötigt, um eine optimale Auslastung der vorhandenen Fertigungsmittel planen zu können. Die Planungen aus den ERP-Systemen und alle weiteren Informationen dienen als Grundlage für die MES-Systeme (ManufacturingExecution-Systeme), früher waren das die Fertigungsleitstände und ganz früher die Plantafeln, mit denen in der eigentlichen Produktion gesteuert wird. Voraussetzung für “Intelligentes Produzieren“ ist dabei eine Verbesserung der Prozesse und damit einhergehend ein optimaler Informationsfluss vor allem durch Real-
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time-Rückmeldung von den eingesetzten Betriebsmitteln, wie z.B. von den Maschinen über MDE (Maschinen-Daten-Erfassung), mit BDE (Betriebs-DatenErfassung) von den Transport- und Lagersystemen. Auch wenn die C-Technologien immer ausgefeilter und ausgeklügelter werden, eine automatische oder teilautomatisierte Fertigung gibt es nur, wenn diese vorher intelligent geplant wurde; neue Denkansätze ausprobiert werden, und nicht nur aus der Vergangenheit extrapoliert wird! Oder anders formuliert: ohne das Wissen, die Erfahrung, der Intelligenz von Ingenieuren wird in Zukunft nicht intelligenter produziert werden. Man darf insgesamt auch die wirtschaftlichen Gesichtspunkte nicht außer Acht lassen. Wertschöpfung und Kostenrechnung sind hier die Steuerungsinstrumente, um die Produktivität zu erhöhen, wobei sich der Marktpreis = Gewinn – Kosten und nicht als Kosten + Gewinn = Marktpreis errechnen sollte. Zielkosten sind dabei Steuerungsinstrument und allen bekannt, auch den Lieferanten. Eine Kostenermittlung erfolgt von allen Beteiligten permanent. Hier kann “Intelligentes Produzieren“ bei einem Einzelfertiger ganz anders aussehen als bei einer Produktion für Klein- bzw. Großserien, ganz zu schweigen für einen Massenfertiger, bei der ich bis zur vollautomatischen Produktion gehen kann. Dies muss in jedem Unternehmen individuell in Abhängigkeit des Produktspektrums adaptiert werden.
Grußwort Dr.-Ing. Jürgen Walz Geschäftsführer GILDEMEISTER Drehverbund, GILDEMEISTER Drehmaschinen GmbH, GILDEMEISTER Italiana S.p.A., GRAZIANO Tortona S.r.l.
Dr. Jürgen Walz
Dr. Jürgen Walz wurde 1966 geboren. Nach dem Studium der Werkzeugmaschinen und der Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen an der Universität Stuttgart war er von 1992 bis 1997 Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen und promovierte zum Thema des dynamischen Verhaltens von Holzbearbeitungsmaschinen. Von 1998 bis 2006 war er bei der EMAG Maschinenfabrik GmbH tätig, zuletzt als Geschäftsführer für Technik und Technologie. Seit 2007 ist er Geschäftsführer bei der Gildemeister Drehmaschinen GmbH und seit 2009 Geschäftsführer des Gildemeister Drehverbundes, Gildemeister Drehmaschinen GmbH in Bielefeld, Gildemeister Italiana S.p.a. in Bergamo, Graziano S.r.l. in Tortona.
Als ehemaliger Schüler von Herrn Professor Heisel habe ich es gerne übernommen, eine Laudatio zu schreiben. Herr Professor Heisel ist in der Vorlesung im Hauptstudium des Studienfachs Maschinenwesen an der Universität Stuttgart einer der beliebtesten Pflichtfachlehrer. Mit der Vorlesung „Grundlagen der Werkzeugmaschinen und der spanenden Verfahren“, mittlerweile „Werkzeugmaschinen und Produktionssysteme“, bekommt jeder Maschinenbauingenieur das Handwerkszeug vermittelt, wie aus konkreten Konstruktionen reale Bauteile und Präzisionsbaugruppen entstehen. Die stete Veränderung von der mechanisch geprägten Werkzeugmaschine, die in der Vergangenheit zuerst mechanisch konstruiert und dann elektrisch in Betrieb genommen wurde, zum modernen mechatronischen Produktionsmittel mit integrierter Mechanik und Elektrik waren und sind immer die Ziele und Visionen, die uns Herr Professor Heisel gelehrt hat. Dadurch wurden wir zu Konstrukteuren ausgebildet. Konstrukteure, die Getriebe auslegen können, die Motoren und Antriebe auslegen können, die ihr Konstruktionshandwerk beherrschen und die mit CAD, FEM und modernster Messtechnik mechanische Strukturen zeichnen, berechnen, messen und beurteilen lernten.
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Die Konstruktion und die messtechnische Beurteilung von Strukturen begeisterte mich, so dass ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen bei Professor Heisel in der neugegründeten Arbeitsgruppe für Maschinendynamik mit moderner Mehrkanalmesstechnik und Simulationssoftware Schwachpunkte an Werkzeugmaschinen erkennen und Strukturen berechnen durfte. Professor Heisel legte den Grundstein dafür, moderne Analyse und Berechnung mit akustischer Messtechnik zu kombinieren und die Grundlagen für effiziente Schallreduzierung auch in der Hydraulik einzusetzen. Neben erfolgreichen Sonderforschungsbereichen hat sich Herr Professor Heisel in der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und vielen Drittmittelforschungen einen großen Namen erworben. Dabei sind die starken Standbeine des Instituts im Bereich der Holzbearbeitung besonders hervorzuheben. Die großen Fortschritte insbesondere bei den Holzbearbeitungsmaschinen sind dem besonderen Einsatz von Professor Heisel zu verdanken, durch den die gelehrte Methodik durch intensive Industriebeteiligung in der Praxis Spuren hinterlassen hat. Herr Professor Heisel hat neben seinen Aufgaben am Institut für Werkzeugmaschinen in ehrenamtlichen Tätigkeiten viele junge Studenten beraten und gefördert, die mittlerweile die Ingenieurlandschaft bereichern und gerne auf Ihre Zeit an der Universität Stuttgart zurückblicken. Die Arbeitsgruppe Maschinendynamik und die aus ihr hervorgegangenen Arbeiten, Dissertationen, Patente und Innovationskraft zeigen, dass Herr Professor Heisel eine glückliche Hand hat, dass Richtige zur richtigen Zeit vorzuleben. Ich möchte mich zusammen mit den vorherigen Laudatoren bedanken und wünsche Ihnen, dass Sie dem Institut noch lange Zeit mit Rat und Tat zur Verfügung stehen und Ihre Erfahrungen für die Herausforderungen, die auch die Industrie im harten internationalen Wettbewerb in Zukunft zu meistern hat, weiterhin erfolgreich einbringen können. Im April 2010 Dr.-Ing. Jürgen Walz
Revolutionärer Einsatz Agiler Fertigungssysteme in der Großserienproduktion Dr.-Ing. Manfred Berger Executive Vice President Sales MAG Powertrain GmbH
Dr. Manfred Berger Nach dem Studium an der Universität Stuttgart hat Dr. Berger (14.3.1956) eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich 155 - Flexible Fertigungssysteme 1988 am Institut für Werkzeugmaschinen begonnen. 1984 übernahm er die Leitung Forschungsgruppe "Fertigungssysteme" und wurde 1986 zum Geschäftsführer des Sonderforschungsbereichs 155 berufen. Die Promotion auf dem Gebiet der mehrspindligen Bohrbearbeitung in Flexiblen Fertigungssystemen wurde unter der Leitung von Prof. Karl Tuffentsammer begonnen, der leider 1987 verstarb, und diese mit Herrn Prof. Dr. Alfred Storr als Hauptberichter 1988 zum Abschluss gebracht. Ab 1988 übernahm Dr. Berger bei Hüller Hille die Assistenz für den Technischen Geschäftsführer. 1989 wurde ihm die Leitung des Technischen Angebotes übergeben. Als Bereichsleiter wechselte Dr. Berger 1995 in die Vertriebsleitung (Technisches Angebot, Kalkulation, Verkauf, Service und Marketing) und hat dieses Ressort seit 2003 als Geschäftsführer geführt. Markante Schwerpunkte im bisherigen Berufsleben waren 1993 die Entwicklung der "Agilen Fertigungssysteme", heute ein Weltstandard für den Einsatz von CNC-Maschinen bei der Volumenfertigung für alle OEMs, der erste Einsatz von Adapterplatten in der flexiblen Produktion, Einführung der Trockenbearbeitung mit Minimalschmiertechnik für die Serienfertigung sowie Patente im Bereich Automation und Verkettung von Anlagen. Bei MAG ist Dr. Berger heute als Geschäftsführer Vertrieb für das Industriesegment "Automotive" und die Produkte zur Fertigung von Gehäusen, Komponenten, Kurbelwellen und Drehteilen verantwortlich.
Seit Einführung des weltweit ersten Agilen Fertigungssystems im Jahre 1994 durch MAG Powertrain setzt sich dieses neuartige Produktionskonzept konsequent durch. Die Agile Fertigung ist durch eine parallele Bearbeitung in den einzelnen Prozessschritten einer Fertigungskette gekennzeichnet, wobei für die jeweiligen Operationen prozessoptimierte Maschinen eingesetzt werden. In vielen Fällen führen heute ein- und zweispindlige CNC-Bearbeitungsmaschinen die Komplettbearbeitung komplexer Werkstücke, wie z.B. Zylinder-Kurbelgehäuse, Zylinderköpfe und Getriebegehäuse, durch.
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Im Gegensatz zu den klassischen Flexiblen Fertigungssystemen, wo das CNCBearbeitungszentrum die Basismaschine darstellt und ein möglichst hoher Arbeitsinhalt pro Maschine angestrebt wird, dominiert die moderne HochleistungsBearbeitungseinheit in den Agilen Anlagen. Durch hohes Zeitspanvolumen und minimierte Nebenzeiten, durch hohe Achsgeschwindigkeiten und Beschleunigungswerte in Verbindung mit extrem kurzen Span-zu-Span-Zeiten sowie Werkstückwechselzeiten, gelang es diesen Maschinen, in die Volumenfertigung einzudringen und die konventionelle Fertigung der Werkstücke auf Transferstraßen anzugreifen. Unter dem Blickwinkel des Produktionsvolumens setzt die Agile Fertigung eigentlich dort an, wo die Wirtschaftlichkeit eines traditionellen Flexiblen Fertigungssystems (FFS) endet (Jahresproduktionsvolumen > 50.000 Einheiten) und schneidet tief in den klassischen Anwendungsbereich von Transferlinien (> 300.000 Einheiten pro Jahr). Bei der Leichtmetallbearbeitung wird bereits heute der Break-Even von 400.000 Werkstücken (Grauguss: ca. 300.000 Teile pro Jahr) mit der CNC-Fertigung erzielt, wobei die Werkstückflexibilität noch nicht einmal bewertet wird. Obgleich mittlerweile viele namhafte Motoren- und Getriebefertiger Erfahrungen mit Agilen Fertigungssystemen gesammelt haben, öffnen sich noch nicht alle Fachleute aus Fertigungsplanung und Produktion für das neue Fertigungskonzept. Fehlendes Vertrauen am Prozess oder negative Erfahrungen mit den „Erstlingswerken“ der Anlagenlieferanten mögen hierfür die Ursache darstellen. Insbesondere der parallele Prozess, d.h. mehrere Maschinen in einer Anlage führen identische Operationen an den Werkstücken durch (ersetzender Prozess), wird häufig als qualitätskritischer Aspekt angesehen. Um diesen vermeintlichen Nachteil zu umgehen, jedoch den erkannten Vorteil der Werkstückflexibilität auszunutzen, setzen manche Motoren- und Getriebehersteller auf den japanischen Ansatz, den sequentiellen Prozess mit CNC-Einheiten. Dabei sind einzelne Maschinen in Reihenschaltung angeordnet und mit einem gerichteten Materialflusssystem verkettet, was zunächst grundsätzlich eine Transferstraße darstellt. Gerade nun diese Konstellation der flexiblen Transferstraße war für die europäischen Anlagenhersteller die Motivation eine Fertigungsalternative zu suchen. Die starre Verkettung von komplexen Einheiten (Bohrkopfwechsler, Schiebekopfeinheiten) - die 3-Achs-CNC-Einheit ist nun einmal technisch höchstkomplex - mit starrem, gerichteten Materialfluss führt dazu, dass die technische Verfügbarkeit durch die Ausfallwahrscheinlichkeit der Vielzahl der Einzelkomponenten abnimmt. In einer sequentiellen Anlage sind nur zwei Betriebszustände möglich: 100% Produktion oder Produktionsstillstand, was zu Gesamtanlagenverfügbarkeiten von 65 – 75% führt. Die parallele Fertigung, welche auf Störungen mit zeitweiser Reduzierung des Produktionsvolumens reagiert und nur in seltensten Fällen einen Produktionsstillstand (Ausfall der zentralen Verkettung) aufweist, bietet einen erheblichen Produktivitätsvorteil mit Gesamtanlagenverfügbarkeiten zwischen 80 und 90%. Die Werkstückbearbeitung mit Hochleistungsmaschinen (ein- bzw. zweispindlige CNC-Einheiten) setzt für bestimmte Operationen eine für OEMs neue Werkzeugtechnologie voraus. Anstelle des Drehens von Ventilsitzen werden
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diese gestochen, die Nockenwellen- bzw. die Kurbelwellenbohrung wird mit Bohrstangen mit Führungsleisten, geführt von Steg zu Steg, im Gegensatz zum Ausdrehen mit zwischengelagerten Werkzeugen, ausgeführt. Schwere Werkzeuge (> 25 kg) und Winkelköpfe können nicht eingesetzt werden. Die messgesteuerte Bearbeitung von Zylinderbohrungen mit automatisch wechselbaren Werkzeugen ist möglich und liefert erstaunlich gute Qualitäten bei hoher Standzeit. Für höchstes Zeitspanvolumen kommen vielfach Werkzeuge mit PKD-Schneidstoffen zum Einsatz, was die Werkzeugkosten, u. a. auch durch den parallelen Betrieb, gegenüber der klassischen Fertigung beträchtlich erhöht. Die Werkzeugkosten für ein Zylinderkopf-Werkstück liegen bei der Agilen Fertigung um ca. 40 bis 60% höher. Werkzeuge haben einen Anteil an den Produktionskosten pro Teil in Höhe von 4%.
Abb. 1 Vergleich des parallelen und sequentiellen (flexible Transferstraße) Prozesses
Analysiert man die Werkzeugkosten an den Produktionskosten nicht einseitig, sondern unter dem Systemaspekt, dann wendet sich das Blatt bedingt durch den automatischen Werkzeugwechsel bei CNC-Einheiten und dem damit verbundenen Produktivitätszuwachs von ca. 3% im Vergleich zur Fertigung auf Transferlinien.
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Abb. 2 Werkzeugkosten bei Agiler Fertigung und Auswirkung auf die Werkstückkosten
Die Fragestellung der Qualitätserreichung mit paralleler, Agiler Fertigung gegenüber konventioneller Bearbeitung auf Sondermaschinen, beantwortet die statistische Auswertung der Werkstückqualität sehr positiv. Von einem aktuellen Zylinderkopf-Projekt liegen Cmk Ergebnisse vor mit ca. 90% aller Merkmale > 3,0 und alle Weiteren > 2,0. Auf dem Weg zur Fertigstellung muss ein Werkstück (Zylinder-Kurbelgehäuse oder -kopf) auf einer Transferlinie ca. 50 bis 60 Stationen passieren, wird an jeder Station gespannt, gelöst und transportiert. Mehrfach wird das Werkstück in derselben Bohrung positioniert und fixiert. Ein Zylinderkopf, vom Roh- zum Fertigteil, wird in einem Agilen System maximal neun Mal gespannt. Wird eine Adapterplatte als Werkstückträger verwendet, können alle Merkmale von derselben Basis ausgehend bearbeitet werden. Mit Agiler Fertigung werden mindestens gleichwertige Qualitätswerte erreicht. Mit Adapterplatten können diese nochmals verbessert werden. Beim Einsatz von Maschinen, die nach europäischem Standard gebaut und abgenommen sind, ist auch die Parallelbearbeitung, selbst ohne Kompensation, kein Thema. Eigentlich bleiben nur zwei wirklich kritische Themen zu Ungunsten der Agilen Fertigung stehen: der Flächenverbrauch und die Qualifikation der Maschinenbetreiber. Für die Sicherstellung einer hohen Anlagenproduktivität ist es für den Betrieb von CNC-Maschinen unerlässlich, Mitarbeiter mit Facharbeiterqualifikation einzusetzen oder ein exzellentes Schulungs- und Personalqualifikationssystem zur Verfügung zu stellen. Dazu bietet MAG Powertrain ein komplettes interaktives Softwarepaket an, von Programmieranleitung bis hin zur Wartungsanleitung, zur nachhaltigen Auffrischung der Kenntnisse nach der Schulung bei Anlagenlieferung. Die Kundenzufriedenheit ist nur dann erreichbar, wenn die Anlagenproduktivität langfristig sichergestellt ist. Und Produktivität beinhaltet keinen Korrek-
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turfaktor für die Qualifikation des Maschinenbedieners. Somit ist es unsere Aufgabe als Systemlieferant, auch diese Aufgabenstellung in schwierigem Umfeld nachhaltig zu meistern.
Abb. 3 Zylinderkopf mit Adapterplatte
Der Flächenverbrauch von Agilen Fertigungssystemen in Relation zu konventionellen Anlagen ist eindeutig höher bei vergleichbarer Anlagenausbringung. Das einspindlige System benötigt ca. 25%, das zweispindlige System ca. 10% mehr an Hallenfläche. Beim überwiegenden Anteil Agiler Fertigungssysteme werden die parallelen Maschinen mit Ladeportalen verkettet. Die Taktzeit für diese Einrichtung beträgt ca. 36 s (Be-/Entladen der Maschine, Fahren zwischen Zellenverkettung und Maschine sowie Aufnehmen und Ablegen des Werkstücks auf die Zellenverkettung). MAG Powertrain empfiehlt eine Anlagenausbringung von 400.000 Werkstücken pro Jahr – 500.000 Werkstücke pro Jahr sollten nicht überschritten werden. Ladeportale werden nicht mit den maximalen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen betrieben, da höchste technische Zuverlässigkeit Priorität hat. Um ein Höchstmaß an Teileflexibilität in einem Agilen System zu erzielen, können Operationsfolgen (globaler Prozess) für eine Werkstückart (z.B. Zylinderkopf) unabhängig vom Werkstücktyp vorgeschlagen werden. Damit wird eine Integration von neuen Werkstücktypen in eine bestehende Anlage ohne Umbau (bei Adapterplatten) sichergestellt.
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Die Volumenflexibilität wird durch Freiplätze für Maschinen oder eine komplette Operationsfolge (Zelle) erzielt. In bestimmten Bereichen muss auch mit der Wahrscheinlichkeit einer Erhöhung des Arbeitsinhaltes (zweite Zündkerzenbohrung, Umstellung von 3 Ventilen auf 4 Ventile) oder mit Materialänderungen (Ventilsitzring) gerechnet werden.
Abb. 4 Vergleich unterschiedlicher Verkettungskonzepte
Abb. 5 Beispiel für einen globalen Zylinderkopf-Bearbeitungsprozess
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Aus der MAG Powertrain SPECHT®–Familie stehen eine breite Auswahl an Hochleistungsmaschinen, CNC-Maschinen und Bearbeitungszentren für Agile Systeme zur Verfügung. In nachfolgend beschriebener Anlage wird der Maschinentyp SPECHT® 500 eingesetzt, eine Maschine mit zwei Achsen im Werkzeug (alle Achsen 90 m/min und 1g) und einer weiteren Linearachse (Z-Achse) sowie der Drehachse (B-Achse, alternativ A- bzw. A/B-Achse) im Werkstück. Die Maschine wird von oben direkt in die Vorrichtung beladen. Das Lehrenbohrwerksprinzip mit der Z-Achse im Werkstück schafft optimale Voraussetzungen für die Fertigungsqualität und für den Einsatz langer Werkzeuge (Bohrstangen u. ä.). Da eine hohe Maschinengenauigkeit auch bei der Bearbeitung unkritischer Merkmale nicht von Nachteil ist und eine maximale Prozessflexibilität zulässt, ist diese Einheit die bevorzugte Systemmaschine. Die modernen CNC-Maschinen für den Systemeinsatz sind alle unter dem Fokus „Energieeinsparung“ beim Betrieb mit hoher Produktivität entwickelt und optimiert. Neben vorteilhaften Konstruktionskonzepten für den geringsten Medienverbrauch und dem Einsatz von Nieder-Verbrauchskomponenten verfügt jede Maschine über einen Energiemonitor. Dort werden nicht nur die Verbrauchsdaten angezeigt. Das Verhalten der Maschine bei schwankender Produktion (hohe/geringe Auslastung) kann konfiguriert werden. So können stufenweise Kühlmittel, Hydraulik, Regelung der Achsen etc. abgeschaltet werden, bis im „SchlafModus“ nur noch das Bedienfeld aktiv ist. Weitere Möglichkeiten sind die Eilgangsgeschwindigkeiten und die Beschleunigungen bei geringer Anlagennutzung im Hinblick auf Lebensdauer der Komponenten zurückzunehmen („keine Formel1-Werte im Stadtverkehr“).
Abb. 6 Hochleistungsbearbeitungsmaschine SPECHT® 500 für die Direktbeladung
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Mehrere parallel arbeitende Maschinen werden mit einem Ladeportal zu einer Bearbeitungszelle verkettet. Der Obertransfer schafft freien Zugang rund um die Maschine und ermöglicht einen sauberen und sicheren Werkstücktransport von und zu der Maschine. Ein Auskippen des Kühlschmierstoffes und der Späne nach der Entnahme aus der Maschine gehört ebenso zum MAG Powertrain Standard wie eine automatische Reinigung der stabilen Sicherheitswanne des Ladeportals. Über jeder Maschine kann eine Sicherheitstüre in der Wanne geschlossen werden, somit steht die jeweilige Maschine während des automatischen Betriebes des Umfeldes für Wartungsarbeiten oder Einfahren eines neuen Werkstückes zur Verfügung. Jede Zelle ist mit einem SPC-Platz ausgerüstet, der vom Portal bedient wird und für die Qualitätssicherung als Messplatz oder zum Ein-/Ausschleusen von Teilen für den Messraum genutzt werden kann. Für die Verkettung zwischen den Zellen bietet sich ein Rollenband an. Einfache Technik und kostenloser Werkstückpuffer zwischen den Operationen überzeugen.
Abb. 7 Beispiel für eine Agile Fertigungszelle mit Ladeportal als Maschinenverkettung und Rollenband für die Zellenverkettung
Die Funktion „Teileverfolgung“ ist unerlässlich bei paralleler Fertigung nach modernen Maßstäben. Jeder Eingriff am Werkstück – ob automatisch in der Maschine oder manuell auf dem Messplatz – wird an jeder Stelle dokumentiert und steht als komplette Fertigungshistorie mit dem Fertigteil zur Verfügung. Mehrere Möglichkeiten: Kennzeichnen in der Maschine, Prägestationen, Farb- und Strichkodierung in Verbindung mit Fertigungsleitrechner kommen zum Einsatz. Die Verwendung einer Adapterplatte lässt den Einsatz von elektronischen Datenträgern zu. Die Schreib-/Lese-Chips werden in Bezug auf Komfort und Datenmenge selbstverständlich bevorzugt. Nach einer Vorbearbeitung der Werkstücke (häufig in der Gießerei) können die Werkstücke an eine Adapterplatte angeschraubt werden. Beim Zylinderkopf bietet sich die Auslassseite an. Dieser Werkstückträger ermöglicht eine einheitliche Schnittstelle für die Automation und für die Vorrichtung. Bei Änderung des Teiletyps sind demnach keinerlei Änderungen an diesen Baugruppen vorzunehmen. Mit der patentierten MAG Powertrain Schnittstelle zur Vorrichtung können bei einfachster und sehr robuster Spanntechnik höchste Wiederholgenauigkeiten erreicht werden. Nach ca. 10 Jahren Systemerfahrung mit Adapterplatten ist keine Nacharbeit oder Nachjustierung durch Verschleiß an dem Präzisionsteil erforderlich. Die Qualitätssicherung beschränkt sich
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auf eine jährliche Kontrollmessung jeder Platte. Seit 2009 wird zunehmend die „Nullpunkt-Spannung“ aufgrund geringerer Herstellkosten eingesetzt. Die Spanntöpfe zur Integration in den Vorrichtungen werden von mehreren Herstellern angeboten. Am Werkstück bzw. an der Adapterplatte ist das „männliche“ Gegenstück montiert.
Abb. 8 Adapterplatte mit Prismenaufnahme und mit Nullpunkt-Spannung
Die Produktpalette der Automobilhersteller umfasst u. a. mehrere Motorenbaureihen. Für jeden Motortyp und den prognostizierten maximalen Absatz wird heute noch in vielen Fällen eine Fertigungslinie beschafft, welche vom Tag eins der Inbetriebnahme bereits auf eine möglicherweise nie erforderliche Stückzahl ausgerichtet ist. Durch unabhängige Installationen werden Überkapazitäten geschaffen, die z. T. mehrere 100.000 Teile pro Jahr betragen. Erste Ansätze, nur die gesicherten Minimalkapazitäten mit konventionellen Anlagen (Transferlinien) abzudecken und die fluktuierenden Kapazitäten gemeinsam auf flexiblen Anlagen zu fertigen, wurden nur ansatzweise, aufgrund von Standortabhängigkeiten, verfolgt. Nach den positiven Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit entschloss sich ein nordamerikanischer Kunde weltweit zu einer Strategie, große Kapazitäten vollflexibel abzudecken, und öffnete damit eine neue Dimension für die Agile Fertigung. Dies steht auch in direktem Zusammenhang mit Unsicherheiten in der Einschätzung des Kaufverhaltens der Kunden und der hohen Frequenz der konstruktiven Änderung der Werkstücke durch Weiterentwicklung (z.B. Common Rail), Umweltgesetzgebung und Wettbewerbsdruck. Der Schritt in die Agile Fertigung für Produktionsvolumina weit oberhalb von 500.000 Einheiten pro Jahr scheint sich zu rechnen und Einsparpotentiale für den Zeitraum von 10 Jahren wurden aufgezeigt. Da diese hohen Stückzahlen nicht mit einer Anlage abdeckbar sind, war der Schritt zu einem globalen Anlagenlayout und einem globalen Prozess die logische Konsequenz. Damit kann in kürzester Zeit eine Einlastung von zweiten und weiteren Werkstücktypen mit einem minimalen Kostenaufwand vollzogen werden und V6, V8 und R4-Zylinderköpfe problemlos auf einer Anlage gefertigt werden. Die definierte Anlagengröße für Zylinderköpfe und Zylinder-Kurbelgehäuse liegt bei einer Ausbringung von 325.000 Werkstücken pro Jahr.
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Manfred Berger
Im neuen Motorenwerk wurde eine Gesamtanlage, bestehend aus 4 identischen Agilen Systemen, installiert und der flexible, modulare Gedanke bis in den Montagebereich der Zylinderköpfe, welcher sich in direkter Nachbarschaft zur Zerspanung befindet, verfolgt. Mit insgesamt 172 SPECHT® 500 Maschinen können 1,3 Mio. Zylinderköpfe pro Jahr produziert werden. Für die Vorbearbeitung wurden weitere 54 Maschinen gleichen Typs bei einem Zuliefererbetrieb aufgebaut.
Abb. 9 Beispiel einer Zylinderkopfanlage für 325.000 Werkstücke pro Jahr
Abb. 10 Weltgrößte Agile Fertigungsanlage für Zylinderköpfe bestehend aus 4 Systemen (Module A-D)
Eine Agile Fertigungsanlage ist kein flexibles Fertigungssystem. Die Werkzeugkapazität der agilen Systemmaschinen ist begrenzt (max. 30 bis 50 Werkzeuge). Ein Überladen der Anlagen in Verbindung mit erforderlichen manuellen Eingriffen führt zu einem dramatischen Produktivitätseinbruch. Das Agile System ist eine prozessoptimierte Anlage und auf eine Teilefamilie ausgerichtet. Übergroße Werkstücke und Bauteile mit anderen Prozessfolgen führen zu negativen Aspekten. Unter Berücksichtigung wichtiger Regeln – MAG Powertrain übernimmt gerne Ihre Aufgabenstellung – ist eine hohe Werkstückflexibilität und Wirtschaftlichkeit der Anlagen sichergestellt.
Revolutionärer Einsatz Agiler Fertigungssysteme
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Weitere namhafte Kunden haben sich ebenfalls entschieden, Zylinderköpfe überwiegend auf Agilen Systemen zu produzieren, und praktizieren dies mit Erfolg bereits seit einigen Jahren in Frankreich, Ungarn und Süddeutschland. Das ZylinderKurbelgehäuse ist erfahrungsgemäß mit einem geringeren Änderungsdienst beaufschlagt und wird wieder zunehmend in Grauguss gefertigt. Werkstückmaterial und auch Teilegröße, sowie der größere Arbeitsinhalt, stellen die Produktion von Zylinder-Kurbelgehäusen auf Transferlinien wirtschaftlicher dar. Um dennoch die Vorteile der Agilen Fertigung in Teilbereichen einfließen zu lassen, kann ein klarer Trend zu Hybridanlagen festgestellt werden, wo schwere Bearbeitung und die Fertigbearbeitung auf Transferstraßen durchgeführt wird und die änderungsintensiven Operationen auf Front- und Rückseite sowie die Seitenflächen in Agilen Fertigungszellen erfolgen.
Abb. 11 Grenzenlose Zuversicht beim Einsatz Agiler Fertigungssysteme
Mit Agilen Systemen ist man auf die hohe Dynamik des Marktes und auf das wirtschaftliche Umfeld von heute und morgen vorbereitet. Kann die Produktionsflexibilität beim Erstinvest in Erwägung gezogen werden, ist die Agile Fertigung für Zylinderköpfe bis in sehr hohe Produktionsvolumen nachweislich die kostengünstigere Entscheidung. Für das Zylinder-Kurbelgehäuse setzen sich Hybridanlagen durch. Einzelkriterien müssen im Zusammenhang betrachtet und bewertet werden und bislang diskutierte Bedenken und Risiken sind größtenteils unsachlich. Ein Mehrverbrauch von Aufstellfläche für Agile System ist Fakt. Die Ausbringung (OEE) einer jeden Anlage, unabhängig vom Automationsgrad, ist direkt vom Faktor Mensch abhängig. Stimmen Qualifikation und/oder Qualifizierungsmaßnahmen, ist der Erfolg gesichert. Systemverantwortung aus einer Hand vermeidet Schnittstellenprobleme und Mehrkosten. MAG Powertrain, der Turn-Key-Systemlieferant, bietet diesen Service mit Kompetenz und Kapazität. Unsere Partnerschaft endet nicht mit Abnahme der Anlage, sondern hat eine kontinuierliche Kundenzufriedenheit als Ziel.
Geräuschreduzierung hydrostatischer Pumpen durch akustische Strukturoptimierung Dr.-Ing. Stephan Berneke Teamleiter Methoden und Simulation (Akustik) Bosch Rexroth AG Horb a.N.
Dr. Stephan Berneke
Dr.-Ing. Stephan Berneke wurde am 01. April 1971 in Neuenbürg geboren. Im Anschluss an die Allgemeine Hochschulreife leistete er seinen Wehrdienst und studierte dann von 1991 bis 1997 Maschinenbau an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Nachfolgend arbeitete er bis Mitte 2004 als wissenschaftlicher Angestellter bei Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. U. Heisel am Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart. Seither ist er in der AkustikVorausentwicklung bei der Bosch Rexroth AG beschäftigt. Die Promotion zum DoktorIngenieur hat er 2009 abgeschlossen.
Einleitung Die wichtigsten Entwicklungsvorgaben für hydrostatische Verdrängereinheiten sind: hohe Funktionalität, hohe Leistungsdichte, hohe Lebensdauer und geringe Geräuschemission. Hierbei können nicht nur für stationäre Anwendungen sondern auch für die Mobil-Industrie steigende Anforderungen insbesondere hinsichtlich Geräuschreduzierung beobachtet werden Eine generelle Tendenz zu geringeren umweltrelevanten Emissionen wird nicht zuletzt durch die Anforderungen der Gesetzgebung forciert [1]. Für die Geräuschoptimierung von Maschinen können grundsätzlich zwei unterschiedliche Ansatzpunkte in Betracht gezogen werden: „primäre“ Maßnahmen, die direkt bei der Geräuschanregung ansetzen, sowie „sekundäre“ Maßnahmen, welche die Weiterleitung von Schwingungen und die Abstrahlung betreffen. In einer hydraulischen Anlage wird die relevante Anregungsquelle für die Geräuschemission typischerweise durch die Pumpe repräsentiert, wobei die abgestrahlte Schallleistung vielfach von weiteren Komponenten des Systems (Antrieb,
Geräuschreduzierung hydrostatischer Pumpen
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Tank, Leitungssystem oder Verkleidung der Anlage) dominiert wird [2]. Für die akustische Optimierung von Maschinen und hydraulischen Anlagen ist aufgrund der komplexen Wirkzusammenhänge ausschließlich eine systematische Vorgehensweise zielführend, die gleichberechtigt Anregung, Weiterleitung und Abstrahlung berücksichtigt. Dieselbe Systematik kann auch bei der Geräuschreduzierung von Hydraulikpumpen und –motoren eingesetzt werden. Hierbei basiert die Geräuschanregung auf der funktionsbezogenen Triebwerksdynamik, die sowohl Körperschall als auch Druckpulsation erzeugt (Abbildung 1).
Abb. 1 Geräuschentstehungsmechanismen innerhalb einer Axialkolbenpumpe
Der Körperschall wird von den inneren Bauteilen auf das Gehäuse übertragen, und führt dort sowohl zu abgestrahltem Luftschall, als auch zu einer weiterführenden Schwingungsanregung der tragenden Maschinenstruktur. Die Druckpulsation wird über das Fluid in das angeschlossene hydraulische System weitergeleitet, und trägt im Weiteren über die Anregung des Leitungssystems und installierter Hydraulikkomponenten ebenfalls zur Emission von Luftschall bei. Mit Fokus auf umsetzbare primäre Maßnahmen wurde z.B. das akustische Potenzial einer optimierten Triebwerksdynamik bereits vielfach in Forschungs- und Entwicklungsprojekten thematisiert. Ein zentraler Punkt ist hierbei die Umsteuerung zwischen Nieder- und Hochdruck, durch deren Anpassung eine Reduzierung
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der anregenden Kräfte bzw. der Druckpulsation erreicht werden kann [3]. Nachfolgend soll die Leistungsfähigkeit sekundärer Maßnahmen anhand der akustischen Strukturoptimierung aufgezeigt werden. Gestaltung der Gehäusestruktur unter akustischen Aspekten Im Folgenden wird anhand der Pumpenbauart A10VSO die fortschrittliche Entwicklung einer Gehäusestruktur für Hydraulikpumpen unter Berücksichtigung akustischer Aspekte dargestellt. Die A10VSO ist eine verstellbare Axialkolbenpumpe in Schrägscheibenbauweise für den Mitteldruckbereich, die vorrangig für den Einsatz in Stationäranwendungen im offenen Kreislauf vorgesehen ist. Ausgangspunkt der Entwicklung ist die Gehäuseform der Baureihe 31, die vor allem unter Berücksichtigung von Funktion, Lebensdauer, Gewicht und Kosten gestaltet wurde (Abbildung 2).
Abb. 2 A10VSO Baureihe 31
Im Vorfeld durchgeführte Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass die Geräuschemission durch die folgenden strukturellen Gestaltungsmerkmale positiv beeinflusst werden kann: x Anbauflansch mit massiv ausgeführter Gehäuseanbindung (Reduzierung der Biegeschwingungen um den Flansch) x Kreisförmiger Gehäusequerschnitt (höhere geometrische Steifigkeit und Reduzierung lokale Membranschwingungen) Die genannten Merkmale wurden in einem ersten Entwurf der Gehäusevariante „32-B“ umgesetzt (Abbildung 3). Basierend auf der Gehäusevariante „32-B“ wurde ein Prototyp aufgebaut, und experimentell anhand von Luftschallmessungen untersucht. Hierzu wurde im Schallmessraum des Instituts für Werkzeugmaschinen (IfW) der Universität Stuttgart der Schallleistungspegel gemäß DIN 45635 Teil 1 und 26 ermittelt.
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Abb. 3 Gehäuse „32-B“ mit verbesserter Grundstruktur
In Abbildung 4 ist die infolge des verbesserten Gehäuses “32-B” gegenüber der Baureihe 31 erreichte Geräuschreduzierung als Zusammenfassung dieser Messreihen dargestellt. Diese Messergebnisse belegen, dass infolge einer Verbesserung der Gehäusegrundstruktur besonders im “Vollhub” (maximales Verdrängungsvolumen) eine Geräuschreduzierung auftritt.
Abb. 4 Geräuschreduzierung durch das Gehäuse „32-B“ gegenüber Baureihe 31
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In vielen Kundenanwendungen ist dagegen das Geräuschverhalten in der Druckregelung („Druckhaltebetrieb“, minimales Verdrängungsvolumen) von wesentlich größerer Bedeutung. Bezogen auf diesen Betriebszustand konnte jedoch aufgrund der bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführten strukturellen Modifikationen keine Geräuschreduzierung erreicht werden. Daher wurde hierauf aufbauend das Potenzial ergänzender Modifikationen der Gehäusegrundstruktur, wie z.B. Versteifungsrippen, untersucht. Einfluss lokaler Versteifungen auf das Geräuschverhalten Ziel der akustischen Strukturoptimierung ist es, mit möglichst geringem zusätzlichen Materialeinsatz (Gewichtserhöhung), den Widerstand einer Struktur gegen die Einleitung von Anregungskräften zu erhöhen, sowie die Reaktion der Struktur infolge dieser Anregungskräfte zu minimieren. Klassischerweise wird dies unter anderem durch Versteifungsrippen realisiert. Die grundsätzliche Wirkungsweise der akustischen Strukturoptimierung soll zunächst anhand von grundlegenden Untersuchungen, die an sogenannten. „Prinzip-Gehäusen“ für Getriebe durchgeführt wurden [4], dargestellt werden (Abbildung 5). Die getroffenen Aussagen können inhaltlich auf beliebige Strukturen übertragen werden. Abbildung 5 zeigt die Ergebnisse einer Akustiksimulation anhand der Schallleistungspegel in Abhängigkeit der Grundstruktur (mit / ohne Kupplungsglocke), der Verrippungstyp (Diagonal- bzw. Kreuzrippen) und des Verhältnisses zwischen Rippenhöhe h und Wandstärke t (h/t = 0 … 5,3).
Abb. 5 Schallleistungspegel Lw in Abhängigkeit von Grundstruktur, Verrippungstyp und dem Verhältnis zwischen Rippenhöhe und Wandstärke h/t; [4]
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Für die rechnerische Betriebsschwingungsanalyse wurde im Frequenzbereich zwischen 0 Hz und 4 kHz eine Rauschanregung mit normierter Kraftamplitude angenommen. In diesem Fall ist die erreichbare Geräuschreduzierung vorrangig von dem Verhältnis zwischen Rippenhöhe und Wandstärke abhängig. Darüber hinaus ist es erforderlich, die effektivste Rippenhöhe für die betroffene Grundstruktur und Verrippungsart zu bestimmen. Diese Art der Strukturoptimierung mit Hilfe von Verstärkungsrippen kann effizient auf Basis einer rechnerischen Beschreibung des akustischen Systemverhaltens durchgeführt werden. Die damit verbundene grundsätzliche Vorgehensweise wird im Folgenden beschrieben. Vorgehensweise bei der akustischen Strukturoptimierung Die akustische Strukturoptimierung wird mit Hilfe einer Kombination verschiedener numerischer Berechnungsverfahren durchgeführt. Hierbei wird zur Simulation des dynamischen Strukturverhaltens die Finite-Elemente-Methode (FEM), und zur Simulation akustischer Kenngrößen in einem Schallfeldraum üblicherweise die Randelemente-Methode (BEM) eingesetzt [5]. Abbildung 6 zeigt die grundsätzliche Vorgehensweise anhand der sequenziell ablaufenden Einzelschritte.
Abb. 6 Vorgehensweise bei der rechnerischen Strukturoptimierung
Voraussetzung für die Durchführbarkeit ist, dass die zu optimierende Struktur mit einem geometriebasierten 3D-Modell beschrieben werden kann. Hieraus wird ein FE-Modell der Struktur aufgebaut, das im Rahmen der Simulation zur Ermittlung des Eigenschwingungsverhaltens, sowie des Betriebsschwingungsverhaltens unter einer äußeren Kraftanregung eingesetzt wird. Falls bereits ein Prototyp zur Verfügung steht, kann das erstellte Finite-Elemente-Modell mit Hilfe von experimentellen Untersuchungen validiert werden. Anschließend erfolgt mit Hilfe eines Oberflächenmodells der betrachteten Struktur eine Akustikanalyse. Auf diese Weise ergibt sich ein aussagefähiges Bild
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Stephan Berneke
des Schallabstrahlungsverhaltens bezogen auf die jeweilige Schwingungsanregung. Die Beurteilung einzelner Strukturvarianten erfolgt anhand eines oder mehrerer Zielparameter. Im Regelfall wird hierzu der Schalldruck in einem vorgegebenen Frequenzbereich an festgelegten Punkten im Fernfeld genutzt. In der vorliegenden Untersuchung wurden die Auswertepunkte analog der Messpositionen gemäß DIN 45635 Teil 26 ausgewählt. Der emittierte Luftschall wird durch Variation von Geometrieparametern (z.B. Höhe und Anzahl von Verrippungen) in Abhängigkeit spezifizierter Randbedingungen minimiert. Praktische Umsetzung und Ergebnisse Die wichtigsten Komponenten des Simulationsmodells für die durchgeführte rechnergestützte Untersuchung sind in Abbildung 7 dargestellt.
Abb. 7 Komponenten des Simulationsmodells A10VSO
Pumpengehäuse und Anschlussplatte wurden durch parabolische Tetraederelemente diskretisiert. Eine Abbildung der Rotationsbaugruppe auf Basis von BeamElementen war für die Berücksichtigung der real vorliegenden Massenverteilung in der Pumpe ausreichend genau. Die einzelnen Komponenten wurden mittels Feder-Dämpfer-Elementen verbunden. Zur Festlegung eindeutig definierter Randbedingungen wurden für den Montageflansch starre Auflager im Bereich der Verschraubungspunkte eingesetzt. Die dynamischen Triebwerkskräfte wurden im ersten Schritt mit einem separaten Berechnungsprogramm ermittelt, nachfolgend in den Frequenzbereich transformiert und anhand ihrer vektoriellen Komponenten auf die relevanten Krafteinleitungsstellen der Struktur aufgebracht.
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Im Folgenden werden die Ergebnisse der Akustiksimulation exemplarisch anhand charakteristischer Resultate dargestellt (Abbildung 8). Der hierbei betrachtete Betriebspunkt liegt bei einer Drehzahl von 1500 min-1, einem Betriebsdruck von 250 bar und maximalem Fördervolumen der Axialkolbeneinheit.
a)
b)
Abb. 8 Verteilung von Schwinggeschwindigkeit a) und Schalldruck b) auf der Pumpenoberfläche für eine typische Betriebsschwingform
Abbildung 8 a) zeigt die Verteilung der Schwinggeschwindigkeit über der Strukturoberfläche für 2.250 Hz als ein Ergebnis der Betriebsschwingungsanalyse. Es ist deutlich zu erkennen, dass die maximalen Schnellewerte im Bereich der seitlichen Gehäusewand liegen. Abbildung 8 b) zeigt die hieraus resultierende Schalldruckverteilung an der Pumpenoberfläche. Für die vorliegende Auswertung ergeben sich maximale Schalldruckpegel im seitlichen Bereich von Gehäuse und Anschlussplatte. Beruhend auf diesen Simulationsergebnissen konnte eine akustisch wirksame Verrippung im Bereich der seitlichen Gehäusewände für die GehäuseGrundstruktur 32-B generiert werden. Wichtige Parameter sind hierbei die Höhe sowie die Verteilung der Verstärkungsrippen innerhalb des Gehäuses. Das optimierte Pumpengehäuse in der Serienausführung Baureihe 32 ist in Abbildung 9 dargestellt. Basierend auf diesem Gehäuse wurde ebenfalls ein Prototyp aufgebaut, und im Schallmessraum des IfW untersucht. Abbildung 10 zeigt die letztendlich gegenüber der Baureihe 31 erreichte Geräuschreduzierung in Abhängigkeit des Betriebsdrucks.
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Abb. 9 optimierte Gehäusestruktur Baureihe 32
Abb. 10 Geräuschreduzierung infolge des strukturoptimierten Gehäuses Baureihe 32 gegenüber Baureihe 31 in Abhängigkeit des Betriebsdrucks
Anhand dieser Messergebnisse ist klar erkennbar, dass durch die gezielte Verrippung des Pumpengehäuses sowohl die gewünschte Geräuschreduzierung in der Druckregelung, als auch eine zusätzliche Geräuschreduzierung im Vollhub erreicht werden konnte.
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Fazit Am Beispiel der Pumpenbauart A10VSO konnte nachgewiesen werden, dass über eine Optimierung der Gehäusegrundstruktur in Verbindung mit zusätzlichen lokalen Versteifungen eine signifikante Geräuschreduzierung von bis zu 3 dB(A) erreicht werden kann. Die rechnergestützte Optimierung auf Basis von Modalanalyse, Betriebsschwingungsanalyse und Akustiksimulation führt sowohl zu einer gesteigerten Entwicklungsqualität, als auch zu einer Reduzierung der anderenfalls notwendigen Anzahl experimenteller Untersuchungen an Prototypen.
Literatur [1] [2] [3] [4] [5]
N.N.: Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen. Grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen von Arbeitnehmern und Verbrauchern, 2006 Fiebig W.: Schwingungs- und Geräuschverhalten der Verdrängerpumpen und hydraulischen Systeme. Habilitation Universität Stuttgart, 2000 Weingart, J., Helduser S.: Geräuschminderung von Hydraulikpumpen durch aktive Verminderung der Volumenstrom- und Druckpulsation. VDMA – Abschlussbericht, TU Dresden, 2004 Wender, B.: Untersuchungen zur Gehäusegestaltung für lärmarme Zahnradgetriebe. Konstruktion, 54 (2002), Heft 6; S. 85-90 v. Estorff, O.: Möglichkeiten und Grenzen der akustischen Berechnung. Konstruktion, 52 (2000), Heft 4; S. 35-37
Safer Machine – Präservativ Maschinenrichtlinie? Dr.-Ing. Bernd Birkicht Inhaber BB-Ingenieure Ingenieurbüro Dr. Birkicht Großbottwar
Dr. Bernd Birkicht Dr.-Ing Bernd Birkicht studierte von 1977 bis 1984 Maschinenbau an der Universität Stuttgart, wo er im Anschluss bis 1990 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen an der Universität Stuttgart bei oProf. DTech. h.c. Dipl.-Ing. K. Tuffentsammer und Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. U. Heisel arbeitete und 1991 zum DoktorIngenieur promovierte. 1990 bis 1994 war er technischer Leiter des Geschäftsbereichs Handhabungssysteme der Otto Bilz Werkzeugfabrik GmbH & Co, Ostfildern, von 1994 bis 2005 Geschäftsführer der telerob Gesellschaft für Fernhantierungstechnik mbH, Kiel/Ostfildern, beides mal tätig in der Entwicklung von Geräten und Systemen zum Einsatz in Hochrisikobereichen von Nuklearindustrie und Bombenentschärfung. Seit 2006 ist er Inhaber der BB-Ingenieure Ingenieurbüro Dr. Birkicht, Großbottwar, Schwerpunkt: Consulting in Gefahrenanalysen & Risikobeurteilungen gemäß Maschinenrichtlinie 2006/42/EG.
Einleitung Mit der Veröffentlichung der novellierten Maschinenrichtlinie [1] sehen sich immer mehr Hersteller von Maschinen, Anlagen und deren Komponenten mit Kundenanfragen für einen erweiterten Nachweis zur Maschinensicherheit konfrontiert – und sind häufig im ersten Moment ratlos, wie sie diesen Nachweis führen sollen. Die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, in Deutschland durch die neunte Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (Maschinenverordnung, [2]) in nationales Recht umgesetzt, legt in Anhang VII fest, welche technischen Unterlagen erstellt und bereitgehalten werden müssen, um die Übereinstimmung einer Maschine mit den Anforderungen der Maschinenrichtlinie beurteilen zu können. Allerdings müssen diese Unterlagen nur auf begründetes Verlangen den zuständigen einzelstaatlichen Behörden vorgelegt werden – der Käufer einer Maschine hat darauf kein Anrecht.
Safer Machine – Präservativ Maschinenrichtlinie?
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Als zentrale Dokumente für den Maschinenkäufer sind vom Gesetzgeber die Betriebsanleitung und die EG-Konformitätserklärung für eine Maschine vorgesehen. In der EG-Konformitätserklärung muss der Maschinenhersteller erklären, dass die Maschine allen einschlägigen Bestimmungen der Maschinenrichtlinie und gegebenenfalls zusätzlich anderen Richtlinien/Bestimmungen, denen die Maschine zu genügen hat, entspricht. Diese Dokumente muss der Maschinenhersteller dem Erwerber der Maschine aushändigen. Ein Unternehmer hat gemäß §3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG, [3]) für seine Mitarbeiter die Verpflichtung, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Dazu hat er durch eine Beurteilung die für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundene Gefährdung zu ermitteln. Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit. Um dieser Verpflichtung nachweisbar nachzukommen, verlangen immer mehr Unternehmen von Ihren Maschinen- und Ausrüstungslieferanten über die EGKonformitätserklärung und die Betriebsanleitung hinausgehende Unterlagen, da das Vertrauen in die bisher von vielen Anbietern recht lax gehandhabte Umsetzung der Maschinerichtlinie nicht besonders ausgeprägt ist. Insbesondere wird von Maschinenkäufern immer häufiger die Aushändigung der Risikobeurteilung gefordert, die gemäß Maschinenrichtlinie für jede Maschine und neu zum 29.12.2009 mit dem Inkrafttreten der Richtlinie 2006/42/EG auch für jede Teilmaschine, die innerhalb der EU in Verkehr gebracht wird, verbindlich anzufertigen ist. In der Risikobeurteilung hat der Maschinenhersteller eine Liste der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen, die für die Maschine gelten und eine Beschreibung der zur Abwendung ermittelter Gefährdungen oder zur Risikominderung ergriffenen Schutzmaßnahmen und gegebenenfalls eine Angabe der von der Maschine ausgehenden Restrisiken [1] aufzuführen. Die Auflistung der ermittelten Gefährdungen und die Beschreibung der zu deren Reduzierung umgesetzten Schutzmaßnahmen erlauben dem Maschinenkäufer eine weit umfassendere Beurteilung der von der Maschine ausgehenden Restrisiken als nur die Überprüfung der Betriebsanleitung, die diese Restrisiken ebenfalls vollständig aufführen muss. Obwohl der Maschinenhersteller zu einer Weitergabe der für seine Maschine erstellten Risikobeurteilung an seinen Kunden nicht verpflichtet ist, sollte er dennoch in Erwägung ziehen, dies zu tun – vorausgesetzt, die in der Risikobeurteilung beschriebenen Schutzmaßnahmen erfüllen die gesetzlichen Forderungen. Reichen jedoch die gesetzlichen Mindest-Sicherheitsanforderungen aus, um zu garantieren, dass eine Maschine sicher ist?
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Gefahrenanalyse und Risikobeurteilung Die im Anhang I der Maschinenrichtlinie aufgeführten allgemeinen Grundsätze zu den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Konstruktion und Bau von Maschinen verpflichten den Maschinenhersteller oder seinen Bevollmächtigten (z.B. dem Importeur von außerhalb der EU gefertigten Maschinen) eine Risikobeurteilung vorzunehmen, deren Ergebnisse dann in Konstruktion und Bau der Maschine bindend berücksichtigt werden müssen: Grundsätze für die Integration der Sicherheit: x Die Maschine ist so zu konstruieren und zu bauen, dass sie ihrer Funktion gerecht wird und unter den vorgesehenen Bedingungen — aber auch unter Berücksichtigung einer vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung der Maschine — Betrieb, Einrichten und Wartung erfolgen kann, ohne dass Personen einer Gefährdung ausgesetzt sind. Die getroffenen Maßnahmen müssen darauf abzielen, Risiken während der voraussichtlichen Lebensdauer der Maschine zu beseitigen, einschließlich der Zeit, in der die Maschine transportiert, montiert, demontiert, außer Betrieb gesetzt und entsorgt wird. x Bei der Wahl der angemessensten Lösungen muss der Hersteller oder sein Bevollmächtigter folgende Grundsätze anwenden, und zwar in der angegebenen Reihenfolge: – – –
Beseitigung oder Minimierung der Risiken so weit wie möglich (Integration der Sicherheit in Konstruktion und Bau der Maschine); Ergreifen der notwendigen Schutzmaßnahmen gegen Risiken, die sich nicht beseitigen lassen; Unterrichtung der Benutzer über die Restrisiken aufgrund der nicht vollständigen Wirksamkeit der getroffenen Schutzmaßnahmen; Hinweis auf eine eventuell erforderliche spezielle Ausbildung oder Einarbeitung und persönliche Schutzausrüstung.
x Bei der Konstruktion und beim Bau der Maschine sowie bei der Ausarbeitung der Betriebsanleitung muss der Hersteller oder sein Bevollmächtigter nicht nur die bestimmungsgemäße Verwendung der Maschine, sondern auch jede vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung der Maschine in Betracht ziehen. Die Maschine ist so zu konstruieren und zu bauen, dass eine nicht bestimmungsgemäße Verwendung verhindert wird, falls diese ein Risiko mit sich bringt. Gegebenenfalls ist in der Betriebsanleitung auf Fehlanwendungen der Maschine hinzuweisen, die erfahrungsgemäß vorkommen können. x Bei der Konstruktion und beim Bau der Maschine muss den Belastungen Rechnung getragen werden, denen das Bedienungspersonal durch die notwendige oder voraussichtliche Benutzung von persönlichen Schutzausrüstungen ausgesetzt ist. x Die Maschine muss mit allen Spezialausrüstungen und Zubehörteilen geliefert werden, die eine wesentliche Voraussetzung dafür sind, dass die Maschine sicher eingerichtet, gewartet und betrieben werden kann.
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Beim iterativen Verfahren der Risikobeurteilung und Risikominderung hat der Hersteller oder sein Bevollmächtigter x die Grenzen der Maschine zu bestimmen, was ihre bestimmungsgemäße Verwendung und jede vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung einschließt; x die Gefährdungen, die von der Maschine ausgehen können, und die damit verbundenen Gefährdungssituationen zu ermitteln; x die Risiken abzuschätzen unter Berücksichtigung der Schwere möglicher Verletzungen oder Gesundheitsschäden und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens; x die Risiken zu bewerten, um zu ermitteln, ob eine Risikominderung gemäß dem Ziel der Maschinenrichtlinie erforderlich ist; x die Gefährdungen auszuschalten oder durch Anwendung von Schutzmaßnahmen die mit diesen Gefährdungen verbundenen Risiken in der in den Grundsätzen für die Integration der Sicherheit, Buchstabe b festgelegten Rangfolge zu mindern. Diese umfassenden Anforderungen an die Sicherheit einer Maschine zwingen den Hersteller schon vor Beginn der Konstruktion in eine arbeitsintensive Konzeptionsphase, in der die von der Maschine ausgehenden Gefährdungen während der gesamten Maschinenlebensdauer zu ermitteln, zu bewerten und geeignete Planungsmaßnahmen zur Risikominderung festzulegen sind. Dies erfordert umfangreiche Kenntnis der bei dem geplanten Maschinentyp zu erwartenden Gefährdungen, die bei Weiterentwicklungen oder Umkonstruktionen in zumeist ausreichendem Maß, bei Neuentwicklungen jedoch häufig nur ansatzweise vorhanden ist. Die Maschinenrichtlinie beschreibt zwar einen Großteil der zu betrachtenden Risikobereiche, gibt aber keine Hilfestellung im Detail. Hier können ergänzend die Grundnormen zur Maschinensicherheit EN ISO 121001:2003/A1:2009, [4], EN ISO 12100-2:2003/A1:2009, [5], EN ISO 141211:2007, [6] und die für einige Maschinenarten vorhandenen Maschinensicherheitsnormen herangezogen werden. Anwendung von Normen für die Sicherheit von Maschinen Die Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen des Anhang I der Maschinenrichtlinie ist zwingende Voraussetzung für das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Maschinen und Sicherheitsbauteilen. Den Maschinenherstellern stehen folgende drei Varianten zur Verfügung: 1.
Allein durch Erfüllung des Anhanges I Maschinenrichtlinie
2.
Durch Anwendung EG-harmonisierter Normen
3.
Durch Erfüllung des Anhang I der Maschinenrichtlinie in Verbindung mit der Anwendung EG-harmonisierter Normen und nationaler Normen.
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Ein Hersteller ist für die Einhaltung der grundlegenden Anforderungen beweispflichtig. Um ihm den Nachweis zu erleichtern, ist die freiwillige Anwendung EG-harmonisierter Normen zweckmäßig. Behörden sind verpflichtet davon auszugehen, dass bei Einhaltung EG-harmonisierter Normen die Gesetzgebung erfüllt ist (Vermutungswirkung). Ein Hersteller hat aber nur dann keine Beweisprobleme, sofern die harmonisierten Normen im Amtsblatt der EG veröffentlicht wurden und alle von seiner Maschine ausgehenden Gefährdungen von diesen Normen erfasst werden. Da wegen der Komplexität einer Maschine davon in der Regel nicht ausgegangen werden kann, können zur Ergänzung der EG-harmonisierten Normen noch nationale Normen und technische Spezifikationen herangezogen werden, die zur Umsetzung der grundlegenden Anforderungen wichtig oder hilfreich sind. Allerdings sind die Behörden bei der Einhaltung von „wichtigen oder hilfreichen“ nationalen Normen nicht verpflichtet, von der Richtlinien-Konformität auszugehen, der Hersteller unterliegt einer ähnlichen Beweispflicht wie bei der alleinigen Erfüllung des Anhanges I Maschinenrichtlinie. Das von der EG verabschiedete Konzept zur EG-harmonisierten Normung zur Maschinensicherheit sieht „Grund-Normen“ (Typ A-Normen), „GruppenNormen“ (Typ B1- und B2-Normen) und „Maschinen-“ oder „Produkt-Normen“ (Typ C-Normen) vor. x Typ A-Normen sind Normen, die generelle Aussagen zur Maschinensicherheit machen und nur einmal in einer Grund-Norm niedergelegt werden müssen. x Typ B-Normen sind Normen mit sicherheitstechnischen Aussagen, die in gleicher oder ähnlicher Weise für verschiedene Maschinen oder Anwendungen zutreffen und sich als Gruppen-Normen verstehen. Typ B-Normen sind unterteilt in B1-Normen für übergeordnete Sicherheitsaspekte, wie z.B. Sicherheitsabstände, und B2-Normen für Schutzeinrichtungen, die für verschiedene Maschinenarten verwendet werden können, wie z.B. NOT-HALT-Schaltungen. x Typ C-Normen sind Normen, in den für Maschinengruppen oder einzelne Maschinenarten spezifische Sicherheitsanforderungen festgelegt bzw. konkretisiert werden. Die Aussagen der Grund- und Gruppen-Normen müssen dabei nicht in jeder C-Norm wiederholt oder neu festgelegt werden, es wird gegebenenfalls auf sie verwiesen. In der A-Norm EN ISO 12100-1 ist die Leitlinie für die Strategie zur Erreichung des in der Maschinenrichtlinie festgelegten Grundsatzes der Gefährdungsvermeidung bzw. Risikominderung enthalten. Ein wesentlicher Anspruch ist, dass die Auswahl der Schutzmaßnahmen keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden darf. Für die Auswahl ist in der Norm die folgende Reihenfolge festgelegt: 1. 2. 3. 4.
Sicherheit der Maschine in sämtlichen Phasen ihrer Lebensdauer Fähigkeit der Maschine, ihre Funktion auszuführen Benutzerfreundlichkeit der Maschine Herstellungs-, Betriebs- und Demontagekosten der Maschine
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Diese Einhaltung dieser Gewichtung stellt eine Abweichung von der marktwirtschaftlichen Praxis dar, bei einem eingetretenem Schadensfall könnte sie für ein Unternehmen jedoch das Überleben bedeuten. Um zu einer möglichst vollständigen Risikobeurteilung zu gelangen, ist der iterative Verfahrensansatz der Risikobeurteilung nach EN ISO 14121-1 gemäß Abbildung 2 hilfreich.
Abb. 1 Normungsprogramm Sicherheit von Maschinen
Abb. 2 Iterativer Prozess Risikobeurteilung
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Während des Projektfortschritts sind die gefundenen Gefährdungen und Abhilfemaßnahmen immer wieder auf ihre Sinnfälligkeit und Wirksamkeit zu prüfen. Eine vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung, psychophysiologische Wirkungen, wie die „Wahl des geringsten Widerstands“ bei der Aufgabenausführung oder vorhersehbares anderes Verhalten, z.B. Bedienung durch Linkshänder oder Behinderte, ist ebenfalls einzubeziehen. Ebenso muss festgestellt werden, ob durch neu getroffene Festlegungen neue Gefährdungen entstanden sind oder Wechselwirkungen mit bereits bestehenden Komponenten zu veränderten Gefahrenpotentialen geführt haben. Die in Anhang A der EN ISO 14121-1 aufgelisteten Beispiele für Gefährdungen, Gefährdungssituationen und Gefährdungsereignisse stellen keine vollständige Erfassung sicher; sie jedoch sollen Personen, die mit der Erstellung von Risikobeurteilungen betraut wurden, bei der Identifizierung von Gefährdungen unterstützen. Dieser Personenkreis besteht meist aus den MaschinenKonstrukteuren aller Fachdisziplinen, die schon während der Entwicklung gefordert sind, neben der Normen-Recherche ergänzend die aus den Maschinenspezifika resultierenden Gefährdungen zu erkennen, zu dokumentieren und zu mindern. Zweckmäßigerweise sollten jedoch nicht allein die Konstrukteure mit der Untersuchung der Maschinensicherheit beauftragt werden; Montagepersonal und vor allem Servicetechniker können mit ihren Erfahrungen in Bau, Betrieb und Wartung ähnlicher Maschinentypen maßgeblich zur Identifizierung von Risiken beitragen, die aus der Konstruktion nicht immer abzuleiten sind. Weitere zu beachtende Richtlinien Im Umfeld des Maschinenbaus gibt es neben der Maschinenrichtlinie und der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie 89/391/EWG mit ihren diversen Einzelrichtlinien für spezielle Gefährdungen von Arbeitnehmern bei ihrer Arbeit eine ganze Reihe weiterer Richtlinien, die für einzelne Produkte oder Produktgruppen, für spezielle Gefährdungen oder für andere maschinenrelevante Aspekte gelten. Hersteller von Maschinen müssen prüfen, ob und wie weit bei ihren Produkten diese Richtlinien aus dem Umfeld der Maschinenrichtlinie ebenfalls zu beachten sind: RL 70/156/EWG Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger zuletzt RL 85/374/EWG Produkthaftungsrichtlinie RL 87/404/EWG Einfache Druckbehälter-Richtlinie RL 89/654/EWG Arbeitsstättenrichtlinie RL 89/656/EWG Benutzung von PSA RL 89/686/EWG Anforderungen an PSA RL 90/270/EWG Bildschirmarbeitsplatzrichtlinie RL 92/58/EWG Sicherheitskennzeichnungsrichtlinie RL 93/42/EWG Medizinprodukterichtlinie
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Safer Machine – Präservativ Maschinenrichtlinie? RL 94/9/EG Explosionsschutzrichtlinie RL 95/16/EG Aufzüge RL 96/29/Euratom Gefahren ionisierender Strahlung RL 97/23/EG Druckgeräterichtlinie RL 98/24/EG Arbeitsschutzrichtlinie gegen chemische Arbeitsstoffe RL 98/34/EG Informationsrichtlinie RL 1999/92/EG Arbeitnehmer-Explosionsschutz-Richtlinie RL 2000/14/EG Lärmrichtlinie RL 2000/54/EG Arbeitsschutzrichtlinie gegen biologische Arbeitsstoffe RL2001/95/EG Produktsicherheitsrichtlinie RL 2002/44/EG Arbeitnehmer-Vibrationsschutz-Richtlinie RL 2002/95/EG Stoffrichtlinie Elektrogeräte (RoHS) RL2002/96/EG Elektroschrottrichtlinie (WEEE) RL 2003/10/EG Arbeitnehmer-Lärmschutzrichtlinie RL 2003/37/EG über die Typgenehmigung für land- oder forstwirtschaftliche RL 2004/22/EG Messgeräte RL 2004/108/EG EMV-Richtlinie RL 2006/95/EG Niederspannungsrichtlinie Tabelle 1 Liste der Richtlinien aus dem Umfeld der Maschinenrichtlinie
Abb. 3 EG-Richtlinien mit Einfluss auf Gestaltung und CE-Kennzeichnung von Maschinen
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Sicherheit von Maschinen erzeugen Grundlegende Anforderungen an den Gesundheitsschutz und die Maschinensicherheit sind in der Maschinenrichtlinie Anhang I, Kap. 1 formuliert. Sie stellen die Richtschnur dar, die zwingend erreicht werden muss. Bei der Wahl der angemessensten Lösung von sicherheitstechnischen Problemen muss gemäß Ziffer 1.1.2 b), Anhang I Maschinenrichtlinie, in der folgenden Reihenfolge vorgegangen werden: 1. Beseitigung oder Minimierung der Gefahren durch die Konstruktion selbst (inhärente bzw. eigensichere Konstruktion) 2. technische Schutzmaßnahmen gegen nicht zu beseitigende Gefahren 3. Unterrichtung der Benutzer über die Restgefahren und den Umgang mit diesen sowie Hinweise auf eine eventuell erforderliche spezielle Ausbildung oder Einarbeitung und persönliche Schutzmaßnahmen Ein wichtiger Ansatz zur Risikominderung durch Konstruktion ist in der EN ISO 12100-2, Abschnitte 4.13 bis 4.15 festgehalten. Dort wird als konstruktive Schutzmaßnahme auch die Reduzierung der Notwendigkeit des Eingreifens von Bedienern in den Gefahrenbereich genannt. Darunter ist neben einem anzustrebenden hohen Automatisierungsgrad die zuverlässige, störungsfreie Funktion der Maschine zu verstehen. Ferner ist hier gefordert, Diagnosesysteme zur Fehlersuche einzubauen. Zu den meistgenutzten technischen Schutzmaßnahmen zählt zweifelsohne die Nutzung trennender Schutzeinrichtungen, wie z.B. Maschinenumhausungen. Die maschinenspezifischen C-Normen stellen hierzu brauchbare Informationsquellen dar. Häufig sind in deren Anhängen zu grundlegenden Schutzverfahren ausführliche Auslegungsvorgaben und / oder Prüfvorschriften aufgeführt, die den Konstrukteuren als Leitlinien für ihre letztlich gewählten Lösungen dienen können. Wird ausschließlich durch den Einsatz einer technischen Schutzmaßnahme eine durch die Maschine verursachte Gefährdung abgesichert, so fallen die dazu genutzten Komponenten unter die Kategorie Sicherheitsbauteile, die gemäß Maschinenrichtlinie einer Maschine gleichzustellen sind. Auch Hersteller derartiger Komponenten sind verpflichtet, alle von der Maschinenrichtlinie geforderten Unterlagen einschließlich der Risikobeurteilung zu erstellen, eine Betriebsanleitung anzufertigen und eine EG-Konformitätserklärung auszustellen. Insbesondere der Einsatz moderner Steuerungstechnik kann es ermöglichen, Schutzmechanismen einzusetzen, die konventionelle mechanische Lösungen vollwertig ersetzen. Der sicherheitsbezogene Anteil einer Maschinensteuerung sollte hierbei den Sicherheitsfachgrundnormen EN ISO 13849, [7], [8], oder EN 62061, [9], genügen, die dem Konstrukteur die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines gefahrbringenden Ausfalls einer Sicherheitsfunktion auf Basis einer Kategorisierung von Strukturen nach speziellen Entwurfskriterien und spezifizier-
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tem Verhalten bei Fehlerbedingungen ermöglicht. EN ISO 13849-1 schließt auch pneumatische und hydraulische Steuerungskomponenten ein. Sofern sich mit keiner der vorgenannten Maßnahmen eine adäquate Minderung eines Gefährdungspotentials erzielen lässt, hat der Maschinenhersteller den Maschinennutzer vor den Restgefahren zu warnen. Sicherheitshinweise müssen sowohl an der Maschine angebracht als auch in der Betriebsanleitung aufgeführt werden. Hinweise müssen gut verständlich und unverwechselbar sein, Piktogramme sind zu bevorzugen. Gefahrenhinweise ersetzen jedoch in keiner Weise eine sichere Konstruktion oder den Einsatz technischer Schutzmaßnahmen. Wird im Schadensfall festgestellt, dass eine Schutzmaßnahme technisch möglich gewesen wäre und der Unfall dadurch verhindert werden hätte können, läuft ein Hersteller trotz bzw. gerade wegen der ausgegebenen Warnungen Gefahr, in Haftung genommen zu werden, da ihm unterstellt werden kann, dass er trotz ersichtlich bekannter Gefahr keine Schutzmaßnahmen ergriffen hat [10]. Auch das sehr umfangreiche sicherheitstechnische Normenwerk ist nicht in der Lage, alle Sicherheitsaspekte einer spezifischen Maschine zu betrachten. Die darin aufgeführten Lösungen müssen auch nicht zwingend angewandt werden, die Befolgung von Normen ist immer freiwillig. Kreative Lösungen sind nicht ausgeschlossen, sie haben aber immer einen erhöhten Aufwand zum Nachweis der Sicherheit zur Folge. Risikobereich Vertikalachsen Vertikalachsen fertigungstechnischer Anlagen werden bei Stillstand üblicherweise allein durch die im Antriebsmotor eingebaute Haltebremse gehalten. Durch Verölen oder mechanischen Verschleiß kann es dazu kommen, dass das Nennhaltemoment der Bremsen unterschritten wird. Dies kann zum ungewollten Herabsinken bzw. zum Absturz der Achse führen. Haben Personen Zutritt zu den Gefahrbereichen und ist ein vollständiger oder teilweiser Aufenthalt unter der Achse möglich, z.B. beim Einlegen von Teilen, beim Einrichten, bei der Instandhaltung etc., dann müssen Maßnahmen zur Risikominderung getroffen werden, wenn ein Versagen der Haltebremsen in diesen Situationen nicht ausgeschlossen werden kann. Eine spezielle Norm zur Beurteilung der Gefährdungen durch Vertikalachsen existiert nicht. Anhang A der EN ISO 14121-1 beschreibt mögliche Gefahren u. a. infolge Schwerkraft. In Abhängigkeit vom praktischen Einsatzfall und des zu mindernden Risikos sind unterschiedliche sicherheitstechnische Einrichtungen zur Verhinderung des ungewollten Herabsinkens von Vertikalachsen geeignet (siehe Tabelle 2 am Ende des Artikels). In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass außer der Motorbremse keine weiteren Maßnahmen gegen ungewolltes Herabsinken vorgesehen werden, auch wenn
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bei bestimmungsgemäßer Verwendung mit dem Personenzugang unterhalb der Vertikalachse zu rechnen ist. Die Übersicht in Tabelle 2 berücksichtigt entsprechend den Grundsätzen der Risikobetrachtung die Aufenthaltsdauer, die Schwere der möglichen Verletzung und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens der gefährlichen Situation. Dementsprechend werden an besonders exponierten Arbeitsplätzen mit großer Aufenthaltsdauer oder häufigem Zugriff redundant wirkende Maßnahmen entspr. EN ISO 13849-1, Kategorie 3 vorgeschlagen. Wenn z.B. eine schützende Konstruktion den Zutritt unter die Vertikalachse verhindert oder die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Gefahrsituation und die Aufenthaltsdauer geringer sind, kann ein zyklischer Test der nur einmal vorhandenen Motorbremse (Bremsentest) eine sehr wirkungsvolle Maßnahme sein. Dabei wird die Bremse mit einem Testmoment beaufschlagt. Dieser Test sollte entsprechend den Anforderungen von EN ISO 13849-1, Kategorie 2 ausgeführt sein, d. h. der Test muss selbsttätig während der normalen Produktion, z. B. während eines prozessbedingten Halts, bei Betriebsartenwechsel oder dgl. stattfinden. Wenn das nicht möglich ist, muss der Test spätestens vor Freigabe des Zugangs durch eine trennende zugehaltene Schutzeinrichtung erfolgen [11]. Um die Sicherheit einer Vertikalachse zu beurteilen, ist es auch unerlässlich, den gesamten mechanischen Antriebsstrang der Achse zu untersuchen. Insbesondere die Anbindung der Getriebe an den Antrieb und die Verbindungselemente zwischen den einzelnen Komponenten des Antriebsstrangs stellen oftmals übersehene Sicherheits-Schwachstellen dar. Der häufigste Konstruktionsfehler beim Design vertikaler Achsen wird mit der Verwendung von kraftschlüssig verbundenen Kupplungen gemacht, die nur eine oder zwei Klemmschrauben pro Klemmstelle aufweisen. Bei diesen Kupplungen ist nicht auszuschließen, dass während der Betriebsdauer die Klemmkraft der Kraftschlussverbindung z.B. durch Setzerscheinungen der Schraubverbindung, nicht komplett ölfreie Montage oder Vibrationen schleichend nachlässt, so dass sich die Achse unvermittelt bewegen könnte.
Abb. 4 Beispiel einer Kupplung mit Klemmelementen.
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Falls nur ein einzelnes Achsmesssystem direkt auf der Motorwelle montiert ist, kann ein Fehler auch durch steuerungstechnische Maßnahmen nicht erkannt werden. Auch die Motorbremse könnte einen Absturz nicht mehr aufhalten, da der Antriebsstrang zwischen Motor und Schlitten durch den Kupplungsausfall unterbrochen wäre. Auch für den mechanischen Aufbaus von Vertikalachsen sollte daher in Analogie zu den steuerungstechnischen Konstruktionsempfehlungen der SicherheitsKategorien der EN ISO 13849-1 ein redundanter oder eigensichererer Aufbau gewählt werden. Richtig dimensionierte formschlüssige Verbindungen können als eigensicher angesehen werden. Müssen kraftschlüssige Verbindungen eingesetzt werden, so sollte darauf geachtet werden, dass ein Versagen einer einzelnen Verschraubung nicht zum Versagen der gesamten Klemmverbindung führen kann, deren richtige Montage zu gewährleisten und zu protokollieren und ergänzend die korrekte Funktion der Klemmverbindung in regelmäßigen Intervallen zu überprüfen. Fazit Bei der Maschinenrichtlinie geht es um die vorgreifende in Konzeption und Bau von Maschinen zu integrierende Risikominderung. Die Betrachtung des Herstellers konzentriert sich dabei im Wesentlichen auf seine Maschine, deren bestimmungsgemäße Verwendung unter Berücksichtigung von vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendungen sowie alle zweckdienlichen Angaben im Hinblick auf die Sicherheit und den Gesundheitsschutz während der gesamten Lebensdauer der Maschine unter Anwendung einer Risikoanalyse. Das Hauptproblem der Risikoanalyse liegt im Bereich unvollständiger Informationen. Ein Rückgriff auf das sog. Vorsorgeprinzip ist dann möglich, wenn potentielle Gefahren eines Produkts durch eine objektive Bewertung ermittelt wurden, das Risiko sich aber nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmen lässt. Der Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip erfolgt somit im Rahmen des Risikomanagements, d.h. der Entscheidungsfindung. Die Ermittlung der möglichen negativen Folgen, die Bewertung der verfügbaren Daten und der Grad der Unsicherheit müssen zu einer Entscheidung für oder gegen ein Tätigwerden führen [12]. Dabei handelt es sich um eine Entscheidung, die davon abhängt, welches Risikoniveau das Unternehmen als „akzeptabel“ ansieht. Grundsätzlich gilt, dass der erforderliche Sicherheitsaufwand vom Verhältnis des Ereignisrisikos zum Grenzrisiko abhängt. Kriterien zur Bestimmung des Grenzrisikos sind beispielsweise die persönliche und gesellschaftliche Gefahrenakzeptanz, der zu erwartenden Ausbildungsgrad der Maschinennutzer oder die vorhanden Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr. Es muss davon ausgegangen werden, dass in jedem technischen System eine Störung auftreten wird, die eine Gefährdung verursachen kann. Die Einhaltung nur der einer gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Rechtsvorschriften kann angesichts der Komplexität der Maschinen nach heutigem technischem Stand nicht gewährleisten, dass eine Maschine sicher ist. Auch die im zugehörigen Normenwerk beschriebenen Vorgehensweisen und
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Lösungsvorschläge vermögen nicht zu garantieren, dass alle von einer Maschine ausgehenden Gefährdungen erkannt und alle Risiken ausreichend gemindert werden können. Die bloße Einhaltung der Maschinenrichtlinie als Präservativ anzusehen, das eine sichere Maschine garantiert, ist daher nicht gegeben, im Zweifelsfall darf’s immer ein bisschen mehr sein.
Literatur [1]
Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (Neufassung) [2] Neunte Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (Maschinenverordnung - 9. GPSGV) Vom 12. Mai 1993 (BGBl. I S. 704) zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 18. Juni 2008 (BGBl. I, Nr. 25, S. 1060) in Kraft getreten am 29. Dezember 2009 [3] Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit(Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG) vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 30. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2130) [4] DIN EN ISO 12100-1:2003/A1:2009 Sicherheit von Maschinen – Grundbegriffe – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Teil1: Grundsätzliche Terminologie, Methodologie – Änderung 1 (ISO 12100-1:2003/Amd 1:2009) [5] DIN EN ISO 12100-2:2003/A1:2009 Sicherheit von Maschinen – Grundbegriffe – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Teil2: Technische Leitsätze – Änderung 1 (ISO 121002:2003/Amd 1:2009) [6] DIN EN ISO 14121-1:2007 Sicherheit von Maschinen – Risikobeurteilung – Teil1: Leitsätze (ISO 14121-1:2007) [7] EN ISO 13849-1:2008 Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsbezogenen Teile von Steuerungen – Teil 1: Allgemeine Gestaltungsleitsätze (ISO 13849-1:2006) [8] EN ISO 13849-2:2008 Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsbezogenen Teile von Steuerungen – Teil 2: Validierung (ISO 13849-2:2003) [9] EN 62061:2005; VDE 0113-50:2005 Sicherheit von Maschinen - Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener elektrischer, elektronischer und programmierbarer elektronischer Steuerungssysteme (IEC 62061:2005) [10] Thomas Klindt, Ein Evergreen-Urteil zur Produkthaftung von Maschinenherstellern, Maschinenrichtlinie aktuell, Heft I/2008, S.7-8 [11] Schwerkraftbelastete Achsen (Vertikalachsen), Fachausschuss Maschinenbau, Fertigungssysteme, Stahlbau, Fachausschuss-Informationsblatt Nr. 005, Ausgabe 02/04 [12] Leitfaden Maschinensicherheit in Europa, Kap 2.3.7 Risikobeurteilung und Risikomanagement, Loseblattsammlung, Beuth Verlag GmbH,1994
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Ausbeute durch CNC-Bearbeitung im Sägewerk Diagonal Profilieren - Bogenfolgendes Einschneiden - Simulation Prof. Dr.-Ing. Hans Dietz Honorarprofessor der Universität Stuttgart Leiter Entwicklung Sägewerksmaschinen Esterer WD GmbH Altötting
Prof. Hans Dietz Hans Dietz wurde am 29. April 1940 in Tübingen geboren. Absolvierte 1960 das Abitur des Humanistischen Uhland Gymnasiums in Tübingen. Das Studium des Maschinenbaus schloss er 1966 als Dipl.-Ing. ab und wechselte danach in die Firma Wurster & Dietz GmbH & Co KG als Mitglied der Entwicklungsabteilung. Parallel zur Berufstätigkeit hielt er die Verbindung zum IfW - damals Prof. Tuffentsamer. Ab 1969 wurde ihm von den Prof. Tuffentsamer, die Aufgabe übertragen, bei Verhinderung von Prof. Tschernjakow, dem damaligen Lehrbeauftragten für Holzbearbeitungsmaschinen die Vorlesung abzuhalten. Seit 1971 hält er die Vorlesung „Spanende Bearbeitung nichtmetallischer Werkstoffe“ für das IfW regelmäßig. Im Jahr 1972 promovierte er sich zum Doktor-Ingenieur. Im gleichen Jahr trat er in die Geschäftsführung der Fa. Wurster und Dietz GmbH & Co KG ein. 1977 übernahm er die Leitung der Geschäftsführung als geschäftsführender Gesellschafter. Im Jahr 1981 wurde Herrn Dietz die Honorarprofessur der Universität Stuttgart verliehen. 1997 fusionierte er die Unternehmen Wurster & Dietz GmbH & Co KG in Tübingen und Esterer AG in Altötting zur späteren Esterer WD GmbH (Marke EWD The SawLineCompany). Seit 2002 ist Herr Dietz Berater und Entwickler für Sägewerksmaschinen bei Esterer WD GmbH. Ehrenämter begleitet Herr Dietz an der Fachhochschule Rosenheim, sowie an der IHK Reutlingen.
Einleitung In Mitteleuropa wird beim Einschnitt von Rundholz zu Schnittware zwischen sogenannter Hauptware und Seitenware unterschieden. In Abbildung 1 ist von links nach rechts eine beispielhafte Bearbeitungsreihenfolge eines Rundholzes wiedergegeben. Die rechteckige Hauptware liegt im Zentrum; sie ist das Zielprodukt, das der Kunde bestellt hat. Die Seitenware bildet sich zufällig, je nach Wuchs des Rundholzes, an den Außenseiten des Hauptprodukts; es wird i.d.R. in handelsüblichen Dimensionen erzeugt. Die Preise der Hauptware sind i.d.R. 20 bis 50 % höher als
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diejenigen der Seitenware. Somit ist es logisch, die Ausbeute der Hauptware bis an die theoretisch möglichen Werte zu steigern; natürlich zu Lasten der Seitenwarenausbeute; denn die Gesamtausbeute eines Rundholzes hängt bei gegebener Anzahl der Schnittfugen im Wesentlichen vom Verlust durch Schnittfugen ab. Das Streben nach Ausbeute führte in der Vergangenheit zu verschiedenen Methoden bogenfolgender Bearbeitung entsprechend dem Wuchs des Baumes.
Abb. 1 Reihenfolge des Einschnitts von Rundholz
Diese Bearbeitungsart ist nämlich dann zulässig, wenn der Bogen in der Schnittware bei der nachfolgenden technischen Trocknung wieder eliminiert werden kann. In der Regel ist das eine Brett- oder Bohlendicke bis ca. 60 mm; dickere Ware wird, da sie bei der technischen Trocknung nicht zurückgebogen werden kann, gerade geschnitten.
Bogenfolgendes Einschneiden von Rundholz Eine im neuen Jahrtausend realisierte Methode soll nachfolgend beschrieben werden; hier hat der Autor maßgeblich mitgearbeitet. Sie entspricht weitgehend den Bearbeitungsmethoden der metallbearbeitenden Werkzeugmaschinenindustrie. Trotz der groben Bearbeitungsbedingungen im Sägewerk kann hier innerhalb des Rundholzes eine Treffsicherheit für die spätere Schnittware von ± 1mm eingehalten werden. D.h. z.B. eine Schnittware, deren Schnittkante die Waldkante des Baumes tangiert, hat noch keine sichtbaren Spuren von Waldkante. Die Auswirkung bogenfolgenden Rundholzeinschnitts auf die Ausbeute ist beispielhaft aus nachfolgendem Diagramm (Abb. 2) ersichtlich. Die Ausbeute der wertvolleren Hauptware wird durch den Bogenschnitt auf Kosten der Seitenware deutlich höher; wegen der gleichzeitig vorgenommenen Optimierung der Seitenware, steigt auch die Gesamtausbeute.
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Abb. 2 Steigerung der Hauptwarenausbeute durch bogenfolgendes Einschneiden
Diagonal Profilieren von Seitenbrettern Ein für den Einschnitt vorbereitetes Rundholz wird zunächst, um eine stabile Lage zu gewährleisten, mit dem Bogen nach oben auf die Förderbahn, die in die erste Bearbeitung führt, aufgelegt (s. Abb. 3). Damit ist auch impliziert, dass die Schnittbahn eine Gerade sein muss, da die Krümmung des Rundholzes in der Schnittebene der vertikal arbeitenden Werkzeuge liegt. Die Bearbeitung des Bogens wird also erst nach einem sogenannten Vorschnitt, der den ersten Zerlegungsvorgang darstellt, durchgeführt. Im Vorschnitt dagegen liegt ein virtuelles zukünftiges Seitenbrett nicht parallel zur Förderebene sondern geneigt. D.h., wenn die schmalen Seitenflächen des Seitenbrettes in der Bearbeitungslinie bearbeitet werden sollen, also nicht in einer separat aufgestellten Besäumanlage, dann muss auch hier das Bearbeitungswerkzeug während Bearbeitungsprozesses durch eine CNC-Struktur nachgeführt werden. Diese Anordnung hat eine wesentlich höhere Leistung, als separate Besäumanlagen für Seitenware.
Abb. 3 Lage eines virtuellen Seitenbrettes im Vorschnitt mit Profilierwerkzeug
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Die Arbeitsschritte einer intelligenten Sägewerksanlage Im Folgenden sollen die Methoden und Arbeitsschritte dargestellt werden, die in einer modernen Sägelinie für eine einschichtige Leistung von ca. 500.000 m³ Schnittholz Output pro Jahr angewandt werden (Abb. 4). Der Grundflächenbedarf liegt bei 115 m auf 23 m; die installierte Antriebsleistung ist ca. 7 MW; zur Ansteuerung der Wirkbewegungen sind 245 Servoachsen verbaut. Allein die Anzahl der eingesetzten Servoachsen zeigt, dass die Linie auf alle Erfordernisse einer jeweils vorgeschalteten Optimierung reagieren kann. Die Vorschubgeschwindigkeit bei Eintritt des Rundholzes in die Bearbeitungsstraße ist maximal ca. 195 m/min bei kleinen Mittendurchmessern bis ca. 200 mm. Mit steigendem Rundholzdurchmesser fällt die Vorschubgeschwindigkeit reziprok zur maximalen Schnitthöhe auf ca. 80 m/min bei einem Mittendurchmesser um 500 mm. Im Verlauf des Förderweges wird die Vorschubgeschwindigkeit leicht erhöht, um sicherzustellen, dass die Lücken zwischen Holzende und Holzanfang nicht kleiner werden als ein notwendiges Mindestmaß, das vom Schnittprogramm abhängig ist. Die Spanne reicht von 500 mm bis 2500 mm. So können bei bestimmten einfachen Schnittprogrammen bis über 40 Rundhölzer pro Minute durch die Anlage gefahren werden. Die Dimensionsgenauigkeit der Schnittware liegt im Bereich einer Standardabweichung von 0,3 mm bei Hauptware und von 0,4 mm bei Seitenware.
Abb. 4 Anlage für diagonal Profilieren und bogenfolgend Aufschneiden
Zunächst ein Überblick über die gesamte Installation gemäß Bild 4. Das Rundholz kommt am rechten unteren Bildrand in die Anlage. Am Eingang in den rechten vertikalen Maschinenstrang beginnt die Ausrichtung der Rundholzkrümmung nach Vermessung mit einem ersten Scanner; danach werden die ersten Waldkanten abgespant und die ersten Seitenbretter abgetrennt (Abb. 1: Schemata 1, 2 und
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3). Auf den „ersten Scanner“ soll weiter unten nochmals eingegangen werden, da sich zurzeit in diesem Bereich vor dem Einschnitt ein wichtiges Arbeitsfeld für Simulation und Scanning entwickelt. Das Motto ist: Erst Daten aufnehmen, dann simulieren, erst dann Schneiden; denn nach dem Schneiden kann nicht mehr verbessert werden, was durch Schneiden an Fakten geschaffen wurde.
Abb. 5 Grundriss der Sägewerksanlage mit Scannern 1 bis 6
Die Bearbeitung der paarweisen Schwarten erfolgt durch sogenannte Spaner, die die feste Holzmasse in Hackschnitzel zerlegen, die bevorzugt in den drei Industriezweigen Holzwerkstoff, Papier und Pellets Verwendung finden. Das Abtrennen der Seitenbretter kann durch vertikale Bandsägen oder paarweise übereinander angeordnete Kreissägen erfolgen. Die Verwendung der jeweiligen Sägetechnik hängt von Planungsvorgaben ab wie mittlerer Rundholzdurchmesser und gewünschter Output. Die Vermessung und Optimierung der sequenziell profilierten und dann abgetrennten maximal zwei Seitenbretter je Bearbeitungsstation, also maximal vier Stück im Vorschnitt, wird jeweils mit den Scannern zwei und drei vorgenommen (Schemata 2 und 3 in Abb.1). Dann folgt eine Umkantung der Rundholzachse um 90°, so dass das Rundholz eine Lage gemäß Schema 4 in Abb. 1 einnimmt. Die Umkantung erfolgt dabei alternierend; z.B. jeder zweite Bogen wird nach links gelegt, alle anderen nach rechts. Dadurch entsteht eine Art Schlangenlinie für die spätere Bearbeitung durch den Spaner. Die Stellwege der Maschine werden dadurch kleiner; die Prozesse werden schneller. In dieser neuen Lage wird das Rundholz, das in der Sägewerkssprache nun zu einem Model geworden ist, erneut vermessen durch Scanner vier. Auf der Grundlage der Vermessung wird der jeweilige virtuelle Kreisbogen, entlang dem die spätere Bearbeitung erfolgen soll, festgelegt. Danach wird das Model ohne Lageveränderung auf der Transportkette einem Spaner zugeführt. Dieser bearbeitet am Model, welches auf der Transportkette fixiert ist, die errechnete Kreisbogen-Kontur, indem er, gesteuert durch eine CNCStruktur, die nicht höherwertig verwertbare Schwarte von Model abspant (Abb. 6).
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Abb. 6 Kreisbogenförmiges Spanen eines Models
Nach der Bearbeitung der kreisbogenförmigen Außenkontur wird das Model, das nun neben den planparallelen Flächen oben und unten auch seitliche Flächen mit i.d.R. ausgiebigem Waldkantenanteil aufweist, auf einen Quertransport übergeben, der sich im Hintergrund von Abb. 4 befindet. Auf der Förderstrecke vom rechten zum linken Maschinenstrang wird jedes zweite Model um 180 ° um seine Längsachse gewendet, so dass danach alle Model mit ihrer Krümmung gleichsinnig auf dem Quertransport liegen. Diese Maßnahme dient ebenfalls der Minimierung der Stellwege und damit einer Beschleunigung der Bearbeitungsprozesse in der nachfolgenden Bearbeitung. Dann werden die vorbereiteten Model auf den zum linken unteren Bildrand führenden Maschinenstrang übergeben. Die zunächst überraschende Umkehr der Bearbeitungsrichtung, die auch nicht unbedingt üblich ist, wurde wegen der Planungsvorgaben notwendig. Im rechten Maschinenstrang von Abb. 4 wird das Rundholz mit dem dünnen Ende voraus bearbeitet, da so das kleinere Zopfende des Rundholzes mit größerer Wahrscheinlichkeit genau getroffen wird; Fehler bei der Zentrierung hätten großen Einfluss auf das Ausbeuteergebnis. Anders ist es beim sogenannten Nachschnitt – wohlgemerkt nach dem Bogenspaner im rechten Maschinenstrang. Hier hat man bereits die Kontur des weiter zu bearbeitenden Models als Kreisbogen hergestellt. Jede weitere Bearbeitung kann deshalb aus logischen Gründen nur noch einen Kopiervorgang darstellen, der am dicken „vollen“ Holzende beginnen soll, da hier stets genug Holzflächen für die Führung vorhanden sind. Nachdem das vom Bogenspaner vorbearbeitete Model seine Förderrichtung umgekehrt hat, wird es von zwei weiteren Scannern vermessen. Scanner fünf vor der Profilierung und Abtrennung der ersten bis zwei Seitenbretter des Nachschnitts (Schemata 4 und 5 in Abb.1) und Scanner sechs vor der Profilierung und Abtrennung der zweiten bis zwei Seitenbretter des Nachschnitts (ebenfalls Schemata 4 und 5 in Abb.1).
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Abb. 7 Kreisbogenförmige Kontur im Nachschnitt
Nach der vollständigen Abtrennung der je nach Rechenergebnis maximal acht Seitenbretter bleibt der Zentrumskantling (Schema 6 in Abb.1), um in die Produktdicken aufgeteilt zu werden, die der Sägewerkskunde bestellt hat. An dieser Sägestation hat man zwei Maschineneinheiten installiert, die sich gegenüberstehen. Im Falle eines Werkzeugschadens kann die jeweils andere Maschine sofort in Eingriff gebracht werden; Nebenzeiten für Werkzeugwechsel werden fast vollständig vermieden. Diese maschinentechnische und organisatorische Lösung wurde gewählt, weil so die Qualität des Kundenprodukts mit höchster Priorität gesichert werden kann und Werkzeugwechselzeiten vermieden werden (Abb. 7). Parallel zu den in Abb.4 gezeigten Maschinensträngen sind in der Sägewerksanlage in einer tiefer gelegenen Ebene Förderanlagen für den Abtransport von Seitenbrettern, Hauptware und Restholzprodukten wie Hackschnitzel und Sägemehl. Sie sollen nicht Gegenstand dieser Informationen sein. Die Berechnung des Bogens und der optimalen Wertschöpfung Wie schon beschrieben, liegt das Rundholz im Vorschnitt mit seinem Bogen in der Schnittebene. Es kann deshalb gerade geschnitten werden. Das Maß der zukünftigen Schnittwarenbreite, die dem Besteller geliefert werden soll, ist zugleich die zwischen den inneren Schnittwerkzeugen oder die spätere Modelhöhe. In diesem Zerlegungsprozess werden die ersten Seitenbretter nach Dimension und Wert op-
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timiert. Hier können grundsätzliche Betrachtungen analog zu Abb. 8 angestellt werden. Es zeigt eine mögliche Menge Hauptware zu deren Seiten wiederum mögliche Seitenbretter angeordnet sind, die der Anwender sich als Zielprodukte für die Seitenwarenproduktion vorgestellt hat.
Abb. 8 Basics zum Thema Optimierung der Kreisbogen-Kontur
Sobald das Model hergestellt ist, beginnt der schwierigere Teil der Wert- und Dimensionsoptimierung. Zunächst ist ein Bogen zu finden, der in das vorgefundene Model hineinpasst. Ein Beispiel hierfür ist Abb. 9. Hier sieht man eine Kreisbogenkontur, die in das Model hineingelegt ist. Sie repräsentiert den Bereich, in dem die Hauptware positioniert werden kann. Die Position der Hauptware im Model hängt nun davon ab, wie die Seitenware zu beiden Seiten der Hauptware angeordnet werden kann, um dort eine maximale Ausbeute/Wertschöpfung zu erhalten.
Abb. 9 Kreisbogenförmiger Bereich in dem die Hauptware positioniert werden kann
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In Abb. 10 ist ersichtlich, wie die in den Bogenbereich maximal einzupassende Hauptware frei verschoben werden kann, bis eine optimale Seitenwarenausbeute zum Schnittbild hinzugefügt werden kann. Dieser Vorgang ist interessanterweise kein kontinuierlicher sondern er weist Sprünge auf, die durch die Stufung der einzelnen zugelassenen Seitenbrettdimensionen hervorgerufen wird.
Abb. 10 Richtige Lage von Haupt- und Seitenware ergeben maximale Wertschöpfung
Noch eine Bemerkung zum Thema Kreisbogen: Es ist bekannt, dass Bäume nicht so wachsen, dass ihre Krümmung in eine Kreisbogenkontur hineinpasst. Andererseits hat es sich bei umfangreichen Versuchen herausgestellt, dass eine kreisförmige Schnittbahn für die Herstellung genauer Schnittware die beste Variante ist. Schlangenlinien und unstetige bogenartige Schnittbahnen ergeben wesentlich schlechtere Toleranzergebnisse. Der Wechsel des Schnittbahnverlaufs irritiert offensichtlich sowohl Kreissäge- als auch Bandsägesysteme so sehr, dass die messbare Standardabweichung der Schnittware nicht mehr einem heutigen guten Niveau von 0,3 bis 0,4 mm entspricht. Deshalb wurden umfangreiche Messungen durchgeführt, um festzustellen, inwieweit eine kreisförmige Schnittbahn zu einem schlechteren Ergebnis führt, als eine beliebige, also auch evtl. schlangenförmige. Das Ergebnis ist überraschend: Bei Europäischen, Südamerikanischen usw. Bäumen ist der theoretische Ausbeuteverlust an Hauptware im Bereich von 0,1 bis 0,3%. Bei Nordamerikanischen dagegen bis um eine Zehnerpotenz größer. Nachdem es aber zwischen der Nordamerikanischen und der übrigen Sägewerksmaschinenindustrie ohnehin eine totale Spaltung gibt, denn keiner kann in des anderen Gebiet hinein verkaufen, fiel die Entscheidung zu Gunsten des Kreisbogens.
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Scanning und Simulation Die Themen Scanning und Simulation sind heute von entscheidender Bedeutung für die Weiterentwicklung der Sägewerksindustrie. Zunächst zu Thema Scanning. Alles über einen Baumstamm zu wissen ist logischerweise die Voraussetzung für seine richtige Bearbeitung. Auf diesem Gebiet haben sowohl die Technik der Scanner als auch die Computertechnik - eingeschlossen die Rechenprogramme - in den letzten wenigen Jahren eine progressiv beschleunigte Entwicklung genommen. Die Außenkontur eines Rundholzes kann heute bei einer Vorschubgeschwindigkeit von 200 m/min an 24 Punkten der Außenkontur mit einem Längenraster zwischen 10 und 15 mm vermessen werden. D.h. die Technik der geometrischen Vermessung hat mit der Steigerung der Vorschubgeschwindigkeiten gut Schritt gehalten. Leider ist es noch nicht generell möglich, ein Rundholz, das zum Sägewerk kommt, nach seiner inneren Holzstruktur zu sortieren. Dieser Prozess sollte dazu dienen, um Äste und andere verborgene Eigenschaften zu entdecken (Abb. 11). Geräte, die auf dem Markt sind, sind für die meisten Anwendungen noch zu langsam. Deshalb ist es industriell nicht möglich, beim Betrieb einer Sägelinie das Rundholz so um seine Längsachse so zu orientieren, dass die Lage der Äste im Holz im späteren Schnittprodukt den Erwartungen des Bestellers, also seinem Handelswert entspricht (Abb. 12). Ein Beispiel hierfür sind sogenannte Flügeläste, die sich nach dem Aufschneiden anstatt etwa senkrecht zu breiten Brettfläche parallel zu ihr präsentieren.
Abb. 11 Computertomograph im Versuchsfeld
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Hans Dietz
Hier hat sich das Interesse der Computertomographen herstellenden Industrie nach dem Vorfall „nine eleven“ in den USA verstärkt der Sicherheitstechnik zugewandt, so dass trotz der Begrenzung der technischen Möglichkeiten ein gewisser Entwicklungsspielraum offen bleibt. Im Gegensatz zu Geräten, die den menschlichen Körper oder andere Gegenstände wie Gepäck untersuchen, ist beim Rundholz in einem ersten Stadium weniger die Genauigkeit gefordert als vielmehr die Geschwindigkeit (Abb. 12 und Abb. 13). Der heutige Entwicklungsstand bietet ausschließlich Scanner die stationär montiert –also nicht rotierend - das Innere eines Rundholzes wiedergeben können. Hier gibt es z.Zt. noch Entwicklungsbedarf.
Abb. 12 Aststruktur im Rundholz; Brettfläche sollte senkrecht zur Astrichtung liegen
Abb. 13 Größere Wertschöpfung bei richtiger Astposition im Schnittholz
Ausbeute durch CNC-Bearbeitung im Sägewerk
67
Nun zur Simulation. Um eine maximale Rundholzausbeute zu bekommen, ist vor dem Einschnitt eine Kontrolle dessen, was man sich auf Grund fundierter Erfahrung vorgestellt hat, sicherlich hilfreich. Das bedeutet, eine (virtuelle) Simulation des geplanten Einschnitts kann die späteren Ergebnisse vorwegnehmen, sofern die Sägelinie praktisch ohne Toleranzen arbeitet. Solche Voraussetzungen bietet die oben beschriebene Anlage, da alle spanenden und sägenden Bearbeitungen durch CNC-kontrollierte Werkzeuge am auf der Transportkette festgespannten Holz erfolgen. Sofern nach der Simulation das Ausbeuteergebnis nicht den Erwartungen entspricht, kann man auf einen anderen Rundholzpolter zurückgreifen oder das Schnittbild anpassen. In beiden Fällen sollte dann der Simulationslauf wiederholt werden. Nur dann ist es gewährleistet, dass nicht nur die Ausbeute der Menge rational kontrolliert wird, sondern auch der Wert der des Einschnitts. Zusammenfassung Noch im letzten Jahrtausend war es üblich, die Korrektur einer Schnittbahn durch ein Rundholz oder Model mittels Seitenbewegungen des Rundholzes vorzunehmen. Übernommen wurde diese Technik von den Sägegattern vor denen man Seitenkräfte auf das Schnittgut ausübte. Die Umkehrung des Prinzips: Das Schnittgut fixieren und dem Werkzeug die Aufgabe übertragen, die errechnete Schnittbahn zu beschreiben, hat die Genauigkeit der Bearbeitung entscheidend und damit die Ausbeute an Hauptware verbessert. Dies trifft sowohl auf die CNC-Diagonalbearbeitung zur Profilierung von Seitenbrettern, als auch auf den Bogen, der entlang des Models erzeugt wird. Die tatsächliche Treffsicherheit für die Schnittwarenlage im Rundholz ist heute ± 1 mm.
Weiterführende Literatur Dietz, Hans: Mehr Ausbeute durch aktive Bogenbearbeitung; Holzzentralblatt, 130. Jg., 2004, Nr. 61, Seite 799. Dietz Hans, Krzosek Sáawomir, 2007: Die Zukunftsstruktur mittelgroßer Sägewerke in Europa. Annals of Warsaw University of Life Sciences - SGGW. Forestry and Wood Technology No 61, p.126 – 133. Dietz Hans, Krzosek Sáawomir, 2008: Innovationen-Wertschöpfungspotentiale für die Holzindustrie. Annals of Warsaw University of Life Sciences - SGGW, Forestry and Wood Technology No 63, Warsaw, p. 175-179. Dietz Hans, Krzosek Sáawomir, 2009: Ende des Größenwahnsinns bei Sägewerksprojekten?. Annals of Warsaw University of Life Sciences - SGGW, Forestry and Wood Technology No 68 p. 128 - 131.
Der ziehende Schnitt Dr.-Ing. Martin Dressler Forschung und Entwicklung LEUCO Horb
Dr. Martin Dressler Dr.-Ing. Martin Dressler wurde am 23.12.1967 in Schorndorf geboren. Von 1985 an lernte er Industriemechaniker bei der Fa. Kelch & Co., einem Produzenten von Werkzeughaltern in Schorndorf. Nach dem Abitur 1991 auf dem zweiten Bildungsweg an der Technischen Oberschule in Stuttgart, studierte er bis 1997 Maschinenbau an der Universität Stuttgart. Schon ab dem 4. Semester arbeitete er als Hiwi im Bereich Holzbearbeitungsmaschinen am Institut von Prof. Heisel. Mit Abschluss des Studiums begann 1998 seine Tätigkeit am Institut für Werkzeugmaschinen als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Zeitweise leitete Dr. Dressler die Gruppe Holzbearbeitung des Instituts. 2006 promovierte er schließlich an der Universität Stuttgart und erhielt 2007 den ProWood-Preis für seine Dissertation über die Simulation der Späneerfassung, bevor er im gleichen Jahr in die Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Fa. LEUCO in Horb wechselte.
In der Literatur ist hinlänglich bekannt, dass bei einem Neigungswinkel der Schneide, der in der Holzbearbeitung üblicherweise als Achswinkel bezeichnet wird und im weiteren Artikel nach dieser Tradition so benannt werden soll, die Winkel in der Arbeitsebene des Scheidkeils zu der in der Keilmessebene differieren. Abbildung 1 zeigt den typischen Verlauf der Winkel in Schnittebene einer Schneide mit einer Diamantgeometrie unter diversen Achswinkeln. Es wird nun davon ausgegangen, dass durch den Achswinkel der Schneide eine Reduktion des Keilwinkels, des Freiwinkels und des gemeinsamen Schnittwinkels auftritt, der für eine Verbesserung des Schnittergebnisses durch eine schlankere und damit schärfere Schneide verantwortlich ist. Dies wird allgemein bislang als „ziehender Schnitt“ bezeichnet. Untersuchungen im Hause LEUCO haben nun gezeigt, dass bei einem großen Achswinkel einer Diamantschneide von 70 Grad bei der Bearbeitung von Massivholz nicht etwa nur die Bearbeitungsqualität einer typischen Hartmetallschneide von 60 Grad Keilwinkel erreicht werden kann wie dies Abbildung 1 nahe legt. Es
Der ziehende Schnitt
69
werden deutlich bessere Schnittergebnisse erreicht wie dies jemals mit einer Hartmetallschneide aufgrund ihrer kleineren realisierbaren Keilwinkel möglich wäre. Es muss also einen weiteren Mechanismus geben, der für die deutlich von der Erwartung abweichenden Bearbeitungsergebnisse verantwortlich ist. Hierfür muss die Definition des ziehenden Schnittes von der bisherigen Definition abweichend erweitert, bzw. neu definiert werden. Auswirkungen großer Achswinkel 90 Freiwinkel 80
Keilwinkel Schnittwinkel
70
Achswinkel
60
50
40
30
20
10
0 0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
55
60
65
70
75
80
85
90
Wirkender Winkel der Schneide
Abb. 1 Tatsächlich schneidender Winkel des Werkzeugs bei div. Achswinkeln, (Beispiel: 10° Freiwinkel und 70° Keilwinkel)
Der schräge und der ziehende Schnitt Bislang wird jede schräg zur Schnittrichtung angestellte Schneide als „ziehender Schnitt“ bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen „schrägen Schnitt“. Im fortlaufenden Artikel sollen Schneiden, die nur schräg zur Schnittrichtung angestellt werden als schräger Schnitt bezeichnet werden. Dies sind beispielsweise schräg angestellte Stirnschneiden von Werkzeugen oder aber auch beispielsweise schräg angestellte Finiermesser. Der zweite Effekt, der tatsächlich ziehende Schnitt, wurde in der Forschung und Lehre bislang nicht erkannt. Tatsächlich überlagern sich aber beim Werkzeug mit großem Achswinkel die zwei unterschiedlichen kinematischen Bewegungen des schrägen und des nun näher auszuführenden tatsächlich ziehenden Schnittes, die beide am Achswinkel der Umfangsschneide des Werkzeugs hängen, völlig unabhängig voneinander.
70
Martin Dressler
Der tatsächlich ziehende Schnitt tritt in der Reinform beim Schneiden mit einem Messer auf. Dabei wird das Messer entlang der Klinge (Schneide) „gezogen“ und dringt dabei in das zu schneidende Material ein. Das Messer wird erst durch die ziehende Bewegung wirklich scharf, wie jedermann aus eigener Erkenntnis weiß. Umgesetzt auf eine Werkzeugschneide ist die ziehende Bewegung die Schnittgeschwindigkeit und die Zunahme der Spandicke während des Schnittes entspricht dem Eindringen des Messers in das zu schneidende Material. Der Effekt des ziehenden Schnitts kann somit nur an Umfangsschneiden und nicht an Stirnschneiden eines Werkzeugs auftreten. Keilwinkelreduktion durch ziehenden Schnitt Beim Messer wird der tatsächliche Schnittwinkel der Schneide durch die Geschwindigkeit in Richtung der Klinge und durch die Vorschubgeschwindigkeit der Klinge ermittelt. Auf ein Werkzeug mit Achswinkel übertragen wirkt anteilig die Schnittgeschwindigkeit (50-100 m/s) als Geschwindigkeit in Richtung der Klinge und die Veränderung der Spandicke über den Werkzeugumfang als Vorschubgeschwindigkeit der Klinge. Abb. 2 zeigt die Verhältnisse an der Messerklinge. Durch die ziehende Bewegung und die Vorschubbewegung wird ein Bewegungsdreieck aufgespannt das den schneidenden Keilwinkel des Messers bestimmt. Ein schnell gezogenes Messer schneidet demnach besser als ein langsam gezogenes.
Abb. 2 Schneidkeilreduktion durch ziehenden Schnitt
Der Winkel [ aus der Abwicklung der Spandicke über den Werkzeugumfang berechnet werden. Es geht auch den Winkel [ kann über die maximale Spandicke hmax und den Eingriffswinkel Ue zu berechnen, der Ansatz über den Sonderfall des Volleingriffs ist jedoch einfacher. Es handelt sich hierbei um eine vertretbare Näherungslösung, da die Abwicklung der Schnittbögen nicht exakt dem angesetzten Dreieck entspricht. Abbildung 3a zeigt den Ansatz, durch Abwicklung des Werkzeugumfangs und des Zahnvorschubes ein Dreieck zu bilden, aus welchen sich dann der Winkel [ bestimmen lässt. Je kleiner der Winkel [ ausfällt, desto schärfer wird die Umfangsschneide im Schnitt.
Der ziehende Schnitt
71
tan [
fz 'U T
4 fz S D
4vf
(1)
n Z S D
Durch die Umstellung des Zahnvorschubes fz auf den Vorschub vf die Drehzahl n und die Zähnezahl des Werkzeugs Z enthält die Formel nur noch Parameter, die in der Regel bekannt sind.
(a)
(b)
Abb. 3 Ansatz zur Ermittlung des ziehenden Schnittwinkels (a), Winkel am Schneidkeil eines Werkzeugs (b)
Aus den obigen Überlegungen lässt sich folgern, dass ein Werkzeug mit größerem Durchmesser und gleichem Zahnvorschub und gleicher Schneidgeometrie bezüglich des ziehenden Schnittes ein besseres Schnittergebnis erzielt, da sich durch die Verlängerung des Schenkels 'UT des Dreiecks der Winkel [ reduziert. Dies kann jedoch bei einem kleineren Werkzeug wieder durch einen kleineren Zahnvorschub fz oder durch eine Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit bei gleichem Vorschub (was auch den Zahnvorschub fz verkleinert) kompensiert werden. Der Keilwinkel des ziehenden Schnitts Zuerst soll der Keilwinkel des ziehenden Keiles in Reinform angesetzt werden. Dies würde dem nicht praxisrelevanten Fall eines Achswinkels von 90 Grad entsprechen. Im Unterschied zum symmetrischen Keil einer Messerschneide handelt es sich beim Schneidkeil eines Werkzeugs um einen unsymmetrischen Keil aus dem Freiwinkel D, dem Keilwinkel E und dem Spanwinkel J (Abb. 3b). Recht einfach lässt sich der ziehende Keilwinkel durch einen vektoriellen Ansatz ermitteln. Dazu müssen die rote Ebene in Abbildung 4, welche im weiteren Artikel als Schnittebene des ziehenden Schnitts bezeichnet werden soll, und jeweils die beiden Flankenebenen der Schneide als Vektorgleichung erstellt werden. Verschneidet man diese Ebenen nun paarweise miteinander, so ergeben sich aus den beiden resultierenden Geraden die Kanten des ziehenden Schneidkeils. Abschließend muss noch der kleinere Winkel zwischen diesen beiden Geraden bestimmt werden um den Schneidkeil des ziehenden Schnitts zu ermitteln. Alle notwendigen Ebenen laufen durch den Koordinatenursprung.
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Martin Dressler
Abb. 4 Ebenen zur Ermittlung des ziehenden Schneidkeils
Aufstellung der Ebenengleichungen Die Ebenen sollen alle in der Punkt-Richtungs-Form aufgestellt werden. Das heißt, es werden ein Punkt der Ebene und zwei Richtungsvektoren benötigt. Wie bereits definiert, gehen alle Ebenen durch den Koordinatenursprung, so dass der Punkt aller aufgestellten Ebenen immer der Koordinatenursprung sein kann. Der erste Richtungsvektor zeigt in die positive x-Richtung, da die Schnittebene des ziehenden Schnitts senkrecht zur y-z-Ebene verläuft. Der zweite Richtungsvektor ermittelt sich aus dem bekannten Winkel [ und der daraus Resultierenden in y- und z-Richtung. Damit ergibt sich die Flächengleichung der Schnittebene des ziehenden Schnitts wie folgt:
R:
o
x
§0· §1· § 0 · ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ s t 0 0 ¨ ¸ 1 ¨ ¸ 1 ¨ cos [ ¸ ¨0¸ ¨0¸ ¨ sin [ ¸ © ¹ © ¹ © ¹
(2)
Die Spanflächenebene lässt sich in der Punkt-Richtungs-Form ebenfalls aus dem Koordinatenursprung und einem Richtungsvektor in y-Richtung (da sie parallel zur Schneidkante verläuft) sowie aus einem Richtungsvektor aus dem Dreieck aus dem Spanwinkel und dessen Komponenten in x- und z-Richtung wie folgt aufstellen:
S:
o
x
§ 0· § 0· § sin J · ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ 0 ¸ s2 ¨ 1 ¸ t 2 ¨ 0 ¸ ¨ 0¸ ¨ 0¸ ¨ cos J ¸ © ¹ © ¹ © ¹
(3)
Der ziehende Schnitt
73
Die dritte Ebene, die Ebene der Freifläche erstellt sich schließlich analog zur Spanflächenebene: o
x
F:
§0· §0· § sin J E · ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ 0 ¨ 0 ¸ s3 ¨ 1 ¸ t 3 ¨ ¸ ¨0¸ ¨0¸ ¨ cosJ E ¸ © ¹ © ¹ © ¹
(4)
Berücksichtigt man in dieser Gleichung noch die folgenden trigonometrischen Beziehungen
sin J E sin 90 D cos D cosJ E cos90 D sin D
und
(5) (6)
so ergibt sich schließlich:
F :
o
x
§0· §0· § cos D · ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ 0 ¸ s3 ¨ 1 ¸ t 3 ¨ 0 ¸ ¨0¸ ¨0¸ ¨ sin D ¸ © ¹ © ¹ © ¹
(7)
Paarweises Schneiden der Ebenen Als erstes sollen die Spanflächenebene und die Schnittebene des ziehenden Schnitts miteinander verschnitten werden. Deshalb wird aus den beiden Ebenengleichungen die folgende Matrix gebildet: § 1 0 0 sin J 0 · ¸ ¨ 0¸ ¨ 0 cos [ 1 0 ¸ ¨ 0 sin 0 cos J 0 ¹ [ ©
(8)
Über das Gaußsche Eliminationsverfahren gelangt man nun sehr leicht zu einer Diagonalform der Matrix aus welcher sich schließlich die Variable s1 bestimmen lässt. Setzt man diese in Formel (3) der Ebenengleichung ein, so ergibt sie die gesuchte Schnittgerade wie folgt:
o
s: x
§ sin J §0· ¨ ¨ ¸ cos J ¨ 0 ¸ t2 ¨ ¨ tan [ ¨0¸ ¨ cos J © ¹ ©
· ¸ ¸ ¸ ¸ ¹
(9)
74
Martin Dressler
Als zweites sollen die Freiflächenebene und Schnittebene des ziehenden Schnitts in gleicher Weise miteinander verschnitten werden. Die zweite Geradengleichung ergibt sich schließlich wie folgt: § cos D · § 0· ¨ ¸ ¨ ¸ sin D ¸ ¨ 0 ¸ t3 ¨ ¨ tan [ ¸ ¨ 0¸ ¨ sin D ¸ © ¹ © ¹
o
f: x
(10)
Keilwinkel des reinen ziehenden Schnitts Damit berechnet sich der Winkel zwischen den beiden ermittelten Geraden, die beide Ursprungsgeraden darstellen, aus dem Winkel der beiden Richtungsvektoren zueinander. Es werden dazu das Skalarprodukt der beiden Vektoren und die Beträge der Vektoren benötigt:
cos E z
§ sin J · § cos D · ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ cos J ¸ ¨ sin D ¸ ¨ tan [ ¸ ¨ tan [ ¸ ¨ cos J ¸ ¨ sin D ¸ © ¹ © ¹ § sin J · § cos D · ¨ ¸ ¨ ¸ ¨ cos J ¸ ¨ sin D ¸ ¨ tan [ ¸ ¨ tan [ ¸ ¨ cos J ¸ ¨ sin D ¸ © ¹ © ¹
(11)
Ziehender Keilwinkel unter Berücksichtigung des Achswinkels Zwischen den zwei Extrempunkten (kein Achswinkel und 90°-Achswinkel = Messerschnitt) muss sich der tatsächliche ziehende Keilwinkel bewegen. Dies bedeutet, dass zuerst aus dem ermittelten Messerschnitt-Keilwinkel und dem tatsächlichen Keilwinkel der Schneide die Differenz gebildet wird.
'E
E Ez
(12)
Aus diesem Winkelbereich berechnet sich der Anteil des ziehenden Winkels aus dem Anteil der projizierten Schneide auf die Umfangsrichtung. 'E z , O
'E sin O
(13)
Der ziehende Schnitt
75
Schließlich wird der so ermittelte Winkelanteil vom tatsächlichen Keilwinkel abgezogen und es ergibt sich der tatsächlich unter Berücksichtigung des Achswinkels wirkende ziehende Schneidkeil indem die beiden Formeln (12) und (13) noch in die Gleichung eingesetzt werden:
E z ,O
E >E E z sin O @
(14)
Unter Berücksichtigung des tatsächlich ziehenden Schnitts ist es möglich, an den Umfangsschneiden von Werkzeugen mit tatsächlich wirkenden Keilwinkeln von ca. 5 Grad zu schneiden. Dies erklärt nun auch die nachfolgend dargestellten guten Schnittergebnisse (Abbildung 5), die rein aus dem schrägen Schnitt nicht zu erklären waren. Denkt man dieses Prinzip weiter, so können Werkzeuge durch eine Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit tatsächlich schärfer werden. Auch sind die verbesserten Schnitteigenschaften von Werkzeugen mit Achswinkeln, die bislang der Reduktion des Keilwinkels durch die schräge Anstellung der Schneide zugeschrieben wurden, tatsächlich auf das Wirkprinzip des tatsächlich ziehenden Schnitts zurückzuführen. Denn bei Werkzeugen die bislang konventionell mit bis zu 45 Grad Achswinkel ausgeführt wurden, ist zwar eine Verbesserung des Schnittergebnisses erkennbar, betrachtet man aber die Schnittwinkelreduktion in Abbildung 1, so ergibt sich hier noch fast kein Reduktionseffekt auf den Schnittwinkel durch die ausgeführten Achswinkel. Erzielbare Schnittergebnisse Wie schon eingangs erwähnt, ergeben sich bei der Bearbeitung von Massivholz exzellente Schnittqualitäten, obwohl der Schneidstoff Diamant, der üblicherweise in Massivholz aufgrund seines großen notwendigen Keilwinkels nicht oder nur eingeschränkt eingesetzt werden kann, verwendet wurde. Die erreichbare Oberflächengüte übertrifft die bislang erzielbare Qualität von Hartmetall bei weitem. Es sind Schnittqualitäten erzielbar, die bislang Mikrotomschnitten vorbehalten waren. Exemplarisch soll dies hier am Beispiel des Hirnschnittes eines tropischen Holzes mit großen Zellen dargestellt werden (Abbildung 5). Im oberen Teil des Bildes ist das Schliffbild des Holzes mit einer Körnung von 180 (lineare Schleifbewegung) dargestellt. Es wurde hierbei eine Schliffqualität erzeugt, die über der normalerweise üblichen Schliffqualität lag. Deutlich sind die Riefen der einzelnen Schleifkörner zu erkennen. Auch ist zu erkennen, dass einzelne Fasern nicht vollständig abgetrennt wurden. Dies führt zu einem Aufstehen der Fasern beim Lackiervorgang und hat in der Regel zur Folge, dass zwischen den einzelnen Lackiervorgängen ein Zwischenschliff zum Abtragen der Fasern ausgeführt werden muss.
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(a)
(b)
Abb. 5 Hirnschnitt Tropenholz, geschliffen mit Körnung 180 (a), gefräst mit neuem Werkzeugsystem (b)
Im unteren Teil des Bildes ist der Schnitt des neu konzipierten Werkzeugsystems von LEUCO zu sehen. Alle Fasern wurden vollständig und sauber getrennt. Es finden sich keine faserigen Ablagerungen in den Poren des Holzes wieder. Damit wird direkt eine lackierfähige Holzoberfläche erreicht, bei der auch auf den sonst obligatorischen Zwischenschliff verzichtet werden kann, da keine Fasern aufstehen können. Das Schnittergebnis ist einem Mikrotomschnitt vergleichbar, wurde jedoch mit einem Fügefräser und üblichen Schnittbedingungen erzielt.
Verbesserung der Prozessbedingungen beim Einlippentiefbohren durch unterschiedliche Formen der Vorschubmodulation Dipl.-Ing. Dipl.-Gwl. Rocco Eisseler Institut für Werkzeugmaschinen Universität Stuttgart
Rocco Eisseler
Rocco Eisseler wurde im Jahre 1968 in Horb a. N. geboren. 1987 erlangte er die allgemeine Hochschulreife an der Heinrich-Schickhardt-Schule in Freudenstadt und studierte von 1988 bis 1997 in den Studiengängen Maschinenbau und Technikpädagogik an der Universität Stuttgart. Im Anschluss daran wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen an der Universität Stuttgart bei Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. U. Heisel. Seit 2004 ist er dort Leiter der Arbeitsgruppe Zerspanungstechnologie.
Einleitung Das Tiefbohren mit Einlippenwerkzeugen ist bei vielen Anwendungen das Verfahren der ersten Wahl, vor allem wenn kleine und kleinste Bohrungsdurchmesser, ein sehr großes Verhältnis zwischen Bohrtiefe und Durchmesser (l/D) und eine hohe Bearbeitungsqualität gefordert werden. Der erreichbare Durchmesserbereich des Verfahrens liegt zwischen D = 0,5 mm und 40 mm, wobei die möglichen Bohrtiefen von l = 3 x D bis 250 x D reichen. Diese Werte beziehen sich auf das Vollbohren, beim Aufbohren können noch größere Durchmesser erreicht werden [1]. Die erreichbare Oberflächenqualität ist so hoch, dass in den meisten Fällen auf eine nachfolgende Feinbearbeitung verzichtet werden kann. Weiterentwicklungen beim Einlippenbohren werden einerseits vom Anspruch des Anwenders an eine sich stets verbessernde Bauteilqualität und Verfahrenseffizienz getrieben, andererseits ist das Verfahren einem zunehmenden Wettbewerb
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Rocco Eisseler
durch das Tiefbohren mit Wendelbohrern ausgesetzt. Dieses nähert sich bei den kleinsten möglichen Bohrungsdurchmessern und der erreichbaren Bohrungsqualität immer mehr dem Einlippenbohren an und erreicht darüber hinaus ein vielfach höheres Zeitspanungsvolumen. Vorschübe mit dem 6-fachen der beim Einlippenbohren üblichen Werte sind Stand der Technik [2]. Aufgrund von Neuentwicklungen in den Bereichen Schneidstoff und Werkzeuggeometrie sowie durch Präparation der Schneidkanten werden inzwischen l/D-Verhältnisse bis 30 bei Bohrungsdurchmessern unter D = 3 mm erreicht. Das Wendeltiefbohren stellt daher in vielen Bereichen einen adäquaten Ersatz für das Einlippenbohren dar. Dennoch ist auch beim Einlippenbohren das Potenzial einer weitergehenden Optimierung von Werkzeug, Technologie und Prozessüberwachung längst nicht ausgeschöpft. Dies beweisen die aktuellen Entwicklungen der Werkzeughersteller mit denen die Leistungsfähigkeit des Verfahren gesteigert werden kann [3, 4]. Auch am Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) werden unterschiedliche Ansätze zur Werkzeug- und Prozessoptimierung verfolgt, die das Einlippenbohren im Vergleich zu anderen Tiefbohrverfahren wettbewerbsfähig halten sollen. Im Bereich der Prozessoptimierung befassen sich die Forschungsarbeiten mit unterschiedlichen Möglichkeiten zur Modulation der Vorschubbewegung und den daraus resultierenden Effekten. Die Modulation erfolgt durch das Überlagern einer gleichförmigen Vorschubbewegung mit Schwingungen im Hör- und Ultraschallbereich oder durch wiederholte winkellagesynchrone Impulse in Axialrichtung des Werkzeugs. Im Folgenden wird auf diese Ansätze und auf deren Effekte hinsichtlich Spantransport sowie Bohrungsmittenverlauf näher eingegangen. Schwingungen im Hörschallbereich Zur Vorschubmodulation im Hörschallbereich wurden empirische Untersuchungen mittels vergleichender Zerspanversuche durchgeführt. Dabei sollte der Zusammenhang zwischen den Eigenschaften der eingekoppelten Schwingung, variierten Bearbeitungsparametern, Prozessgrößen, Spancharakteristik und Bearbeitungsqualität ermittelt werden. Die hierfür erforderlichen versuchstechnischen Voraussetzungen wurden durch den Einbau der in Abbildung 1 gezeigten Vorrichtung zur Schwingungseinkopplung in eine Tiefbohrmaschine des IfW geschaffen. Die wesentliche Komponente dieser Vorrichtung ist ein piezoelektrischer Translator mit dem eine Werkstückprobe über eine axial verschiebbare aber gegen Verdrehen gesicherte Kugelkeilwelle bewegt wird (siehe Abbildung 1a). Mit einer Quarz-Messunterlegscheibe am Fuß des Translators kann die im Verlauf der Bearbeitung wirkende Axialkraft gemessen werden. Abbildung 1b zeigt das in der Keilwelle fixierte Werkstück sowie den Bohrbuchsenhalter mit Bohrbuchse, die zur Anbohrführung des einschneidigen, asymmetrischen Werkzeugs erforderlich ist.
Verbesserung der Prozessbedingungen beim Einlippentiefbohren
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Abb. 1 Vorrichtung zur Einkopplung von Schwingungen im Hörschallbereich
Mit Hilfe dieses Versuchsaufbaus wurden mit einem Vollhartmetallwerkzeug Bohrungen des Durchmessers D = 2,5 mm in martensitischen Stahl, Reinaluminium und Elektrolytkupfer eingebracht. Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Untersuchungen zum martensi-tischen Stahl X17CrNi16-2 näher betrachtet werden. In mehreren Versuchsreihen wurden die Schnittgeschwindigkeit vc und der Vorschub f sowie die Frequenz fac und die Amplitude hac der überlagerten Schwingung variiert (s. Tabelle 1). Als Kriterien zur Bewertung des Prozesszustands und der Bearbeitungsqualität wurden unter anderem die mittlere Vorschubkraft Ff sowie die mittlere Spanlänge lSpan herangezogen. Die durch die Schwingungsüberlagerung erzeugten Effekte spiegeln sich zunächst im Verlauf der Vorschubkraft Ff wieder (siehe Abbildung 2). Parameter Schnittgeschwindigkeit vc Vorschub f Aktuatorfrequenz fac Aktuatorhub hac
Wertebereich 55 / 60 / 65 / 70 / 75 5,2 / 7,9 / 10,5 / 13,1 0 / 250 / 500 / 750 /1000 | 2 / | 15
Einheit m/min mm/min Hz μm
Tabelle 1 Im Rahmen der Untersuchung variierte Größen
Die Verläufe gelten für vc = 60 m/min und stehen exemplarisch für alle untersuchten Schnittgeschwindigkeitswerte. Ohne Vorschubmodulation, also bei fac = 0 Hz, nimmt die Vorschubkraft zwischen den Vorschubwerten f = 5,2 μm und f = 7,9 μm aufgrund des steigenden Spanungsquerschnitts zu.
80
Rocco Eisseler
Bei f = 7,9 μm erreicht die Vorschubkraft einen mittleren Wert von Ff | 50 N. Hinsichtlich einer Überbeanspruchung des Werkzeugs durch Zerspankräfte wird damit noch kein kritischer Bereich erreicht, dennoch kommt es bei den genannten Schnittdaten zu instabilen Prozessen sowie zum Werkzeugversagen durch zu hohe Torsionsmomente. Die Ursache des Werkzeugbruchs ist hierbei in der Bildung von Spanklemmern zu suchen, wie auch schon in vergangenen Arbeiten beschrieben wurde [5].
Abb. 2 Verlauf der Vorschubkraft Ff bei unterschiedlichen Einstellungen
Die in Abbildung 3 dargestellten Ergebnisse geben Aufschluss über den Erfolg der eigentlichen Bestrebungen bei der Schwingungseinkopplung, nämlich der gezielten Beeinflussung der Spanlänge lSp. Hierzu wurde die mittlere Spanlänge einer repräsentativen Stichprobe ermittelt und in Abhängigkeit des eingestellten Vorschubs sowie der Translatorfrequenz aufgetragen. Ein Vergleich der beiden Diagramme zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Translatorhub hac und den daraus resultierenden Spanlängen lSp. Beim nicht abhebenden Werkzeug (hac < f) liegen die Spanlängen im niedrigen Vorschubbereich bei ca. 50% der Werte, die ohne Schwingungsanregung erreicht werden. Mit höher werdenden Vorschüben steigt die Spanlänge zunächst auf Werte an, die mit denen vergleichbar sind, die bei anregungsfreier Bearbeitung erreicht werden. Nach dem Durchlaufen des Maximums bei f = 10,5 μm sinken die Spanlängen mit den weiter ansteigenden Vorschubwerten.
Verbesserung der Prozessbedingungen beim Einlippentiefbohren
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Abb. 3 Spanlänge lSp bei nicht abhebendem (links) und abhebendem Werkzeug (rechts)
Der diesem Verlauf zugrunde liegende Mechanismus kann bisher zwar noch nicht erklärt werden, dennoch kam es in keinem Fall zu instabilen Prozessen durch Spanklemmer. Der problemlose Spantransport entlang der Werkzeugsicke ist sicherlich auch auf ein Rütteln des schwingenden Werkstücks zurückzuführen. Im Fall des abhebenden Werkzeugs ergeben sich unabhängig von der eingestellten Translatorfrequenz Spanlängen, die teilweise unter lSp = 0,5 mm liegen. Späne dieser Dimension lassen sich ausgezeichnet aus der Bearbeitungszone entfernen. Abweichende, größere Spanlängen wie sie im rechten Diagramm der Abbildung 3 z.B. bei fac = 250 Hz sowie 1000 Hz und hohen Vorschubwerten auftreten, sind wiederum auf Resonanzschwingungen im Eigenfrequenzbereich des Versuchsaufbaus zurückzuführen. In Abbildung 4 sind Formen der erzeugten Späne sowie deren Abhängigkeit vom eingestellten Vorschub und der Schwingungscharakteristik des Translators dargestellt. Auch hier fällt auf, dass die Wahl der Translatorfrequenz fac für die Spanlänge zumindest im Rahmen der untersuchten Werte eine sekundäre Rolle spielt. Vielmehr spielt die richtige Wahl des Translatorhubs hac eine wichtige Rolle, da mit diesem der Spanbruch direkt kontrolliert werden kann. Darüber hinaus haben die Untersuchungen gezeigt, dass es hinsichtlich der erreichbaren Spanlängen ein Optimum gibt. Sind die erzeugten Späne zu lang, so kommt es zu den oben beschriebenen Problemen beim Spantransport in der Werkzeugsicke, sind die Späne jedoch zu kurz, so können diese zwar sehr gut aus der Bohrung ausgespült werden, aufgrund ihrer Dimension und Gestalt sind sie jedoch in der Lage Abdeckungen von Führungs- und Antriebelementen im Arbeitsraum der Maschine zu unterwandern und Schäden zu verursachen.
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Rocco Eisseler
Abb. 4 Spanform in Abhängigkeit von Vorschub f und Schwingungscharakteristik fac, hac
Letztere lassen sich schlechter aus der Bohrung befördern, da sie sich stärker an Bohrungswand und Werkzeugsicke abstützen. Damit setzten sie nicht nur dem Kühlschmierstoffstrom einen höheren Widerstand entgegen, sondern erhöhen auch die Gefahr einer Oberflächenbeschädigung an der Bohrungswand bzw. die eines Werkzeugbruchs. Hinsichtlich der axialen Werkzeugbelastung beim Zuschalten des Translators, spiegeln sich die oben erwähnten Erkenntnisse wieder, indem auch hier der frequenzproportionale Anteil zur Vorschubkraft auftritt. Hinsichtlich der Spanlängenbeeinflussung zeigt sich zunächst vor allem im mittleren Bereich der variierten Vorschubgeschwindigkeit eine deutlich reduzierte mittlere Spanlänge. Dieser Vorteil scheint sich mit weiter steigender Vorschubgeschwindigkeit teilweise wieder aufzuheben. Wird jedoch berücksichtigt, dass die hier zunehmende Spansteifigkeit insbesondere bei langen Spänen zum Tragen kommt, so wird auch im Bereich hoher Vorschubgeschwindigkeiten eine deutliche Verbesserung des Spantransports erzielt. Schwingungen im Ultraschallbereich Aus technologischer oder wirtschaftlicher Sicht betrachtet, stellen konventionelle Tiefbohrverfahren immer häufiger eine unbefriedigende Lösung für die Fertigung von Produkten aus hartspröden oder hochduktilen Materialien dar. Harte und zugleich abrasive Werkstoffe führen zu hohen mechanischen Werkzeugbelastungen und begünstigen einen progressiven Verschleiß. Darüber hinaus ist der einstellbare Vorschub nach oben begrenzt. Dies gilt sowohl bei harten Werkstoffen, wie beispielweise vergüteten Stählen als auch bei duktilen Materialien wie Aluminium- oder Kupferlegierungen. Wie schon weiter oben erläutert, ist der Grund hierfür in den Eigenschaften der bei der Bearbeitung entstehenden Späne zu suchen. Diese fallen bei gehärteten Werkstoffen kurz aber sehr zäh, bei duktilen Materialien eher lang und bandförmig aus. Beide Ausprägungsformen können schon
Verbesserung der Prozessbedingungen beim Einlippentiefbohren
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bei geringen Bohrtiefen zu einem unregelmäßigen Spantransport führen, der sich mit zunehmender Tiefe noch weiter verschlechtert. Hier können hybride Verfahren ansetzen, mit deren Hilfe sich die Grenzen einer konventionellen Bearbeitungsweise deutlich nach oben verschieben lassen oder eine spanende Bearbeitung überhaupt erst möglich wird. Neben chemisch und thermisch unterstützten Verfahren zählen auch solche zu den hybriden Verfahren, bei denen unterschiedliche mechanische Wirkprinzipien miteinander kombiniert werden, also beispielweise die Überlagerung einer konventionellen Schnittbewegung mit Ultraschall. Im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen dem IfW und dem Heinz-Nixdorf-Institut (HNI) der Universität Paderborn zur Nutzung hybrider Prozesse beim Einlippenbohren wurde ein Ultraschallaktor entwickelt und in Zerspanungsuntersuchungen eingesetzt. Der fertig aufgebaute und in der Versuchsmaschine des IfW integrierte Ultraschallaktor ist in Abbildung 5 dargestellt. Eine der Hauptzielsetzungen bei der Auslegung des Aktors war die Schaffung von Möglichkeiten zur Anregung handelsüblicher Einlippenwerkzeuge, um auf Sonderlösungen verzichten zu können [6, 7].
Abb. 5 Prototypischer Ultraschallaktor für das Einlippentiefbohren
Die Zerspanungsuntersuchungen wurden an martensitischem Stahl X17CrNi16-2 und Elektrolytkupfer E-Cu 57 durchgeführt, wobei im Folgenden auf den Werkstoff E-Cu 57 näher eingegangen werden soll. Elektrolytkupfer wird im Bereich elektrischer Anlagen eingesetzt, wo eine hohe elektrische Leitfähigkeit erforderlich ist. Die zugleich hohe Wärmeleitfähigkeit des Werkstoffs prädestiniert ihn aber auch für die Verwendung beim Bau von Mikrokühlern und kleinen Wärmetauschern. Die hier zu fertigenden Kühlkanäle besitzen im Vergleich zu ihrer Länge sehr geringe Querschnitte und Wandstärken. Die bei der Bearbeitung des Werkstoffs entstehenden, teilweise extrem langen Bandspäne lassen nur sehr niedrige Vorschubwerte zu, um einen sicheren Spantransport gewährleisten zu können. Neben anderen Prozessgrößen wurde im Rahmen der Untersuchungen auch das Bohrmoment Mz aufgenommen, dessen Verlauf in Abbildung 6 für variierte Bearbeitungsbedingungen dargestellt ist. Bei einer Schwingungsfrequenz von
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Rocco Eisseler
fac = 20 kHz wurde die Schwingungsamplitude û verändert, wobei sich mit steigenden Amplitudenwerten eine deutliche Verringerung des Bohrmoments erzielen lässt. Darüber hinaus verläuft das Bohrmoment bei hohen Amplituden mit zunehmendem Vorschub weniger progressiv. Eine weitere Erhöhung der Amplitude über û = 11,7 μm hinaus scheint im vorliegenden Fall nicht erforderlich zu sein, da schon die Kurvenverläufe für û = 6,7 μm und 11,7 μm auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau der Bohrmoments dicht beieinander liegen.
Abb. 6 Einfluss der Schwingungseinkopplung auf das Bohrmoment Mz
Mit steigender Schwingungsamplitude û können zunehmend kürzere Späne erzeugt werden (siehe Abbildung 7). Ein dadurch verbesserter Spantransport sowie die damit verbundene bessere Reibungssituation im Bereich der Bearbeitungszone können eine Ursache für den oben beschriebenen, günstigen Einfluss der Schwingungseinkopplung auf das Bohrmoment sein.
Abb. 7 Spanformoptimierung durch Einkoppeln von Ultraschallschwingungen unterschiedlicher Amplitude û
Winkellagesynchrone Impulse Mit dem ganz allgemeinen Wunsch des Anwenders nach einer stetigen Verbesserung der Bauteilqualität steigt auch sein Anspruch im Hinblick auf einzelne Qualitätskenngrößen. Beim Tiefbohren spielt hier der Bohrungsmittenverlauf eine herausgehobene Rolle. Dieser wird durch unterschiedliche Effekte verursacht [8]
Verbesserung der Prozessbedingungen beim Einlippentiefbohren
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und tritt insbesondere bei schwer zerspanbaren Werkstoffen mit zunehmender Bohrungstiefe verstärkt auf. Eine übliche Maßnahme den Mittenverlauf zu vermindern ist es, das Werkstück vergleichsweise langsam entgegen der Drehrichtung des Werkzeugs rotieren zu lassen. Bei exzentrisch im Bauteil liegenden Bohrungen oder großen prismatischen Werkstücken ist dies jedoch nicht möglich. Hier schaffen geregelte Verfahren Abhilfe, bei denen die messtechnisch erfasste Mittenabweichung als Störgröße aktiv kompensiert wird. Einen ersten Ansatz stellte das Prinzip der Kühlschmierstoffpulsation dar, das in den 90er Jahren am IfW entwickelt und grundlegend untersucht wurde. Die Industrie hat dieses Prinzip inzwischen aufgegriffen, weiterentwickelt und zur Anwendung gebracht [9, 10]. Die gezielte Nutzung thermischer Effekte [11] sowie die am IfW untersuchte Einkopplung von Axialkraftimpulsen sind weitere Möglichkeiten, um auf den Mittenverlauf Einfluss zu nehmen. Bei letzterem werden Axialkraftimpulse mit einem (beispielsweise piezoelektrischen) Aktor werkzeug- oder werkstückseitig eingeleitet. Die zugrundeliegenden Effekte beruhen auf einer kurzzeitigen Änderung der radialen Belastungsverhältnisse im Kopfbereich des Werkzeugs sowie einem begrenzten Ausknicken des Werkzeugschafts nach dem 4. Eulerschen Knickfall. Dabei konnte festgestellt werden, dass der Bohrungsmittenverlauf beim Axialpulsen durch unterschiedliche Parameter beeinflusst wird. Hierzu zählen die Winkellage des Werkzeugs im Augenblick des Kraftimpulses, die Impulsdauer, das Kraftniveau sowie das Verhältnis zwischen Werkzeugdrehzahl und Impulsfrequenz. In Abbildung 8 ist der Mittenverlauf zweier Bohrungen des Durchmessers D = 10 mm und der Länge l = 400 mm dargestellt, die mit identischen Einstellwerten, jedoch im ersten Fall ohne (linkes Diagramm) und im zweiten Fall in Verbindung mit Axialkraftimpulsen (rechtes Diagramm) gefertigt wurden. Die Impulsbeaufschlagung erfolgte hierbei mit 1 Impuls auf 10 Umdrehungen bei einer Kraftamplitude von 1 kN und einer Impulsdauer von 100 μs.
Abb. 8 Einfluss von eingekoppelten Axialkraftimpulsen auf den Bohrungsmittenverlauf
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Ein Vergleich der Diagramme zeigt, dass der polare Mittenverlauf bei konventioneller Bearbeitungsweise über die gesamte Bohrtiefe l zunimmt und bei l = 395 mm mit ca. ' = 0,7 mm den höchsten Wert aufweist. Anders dagegen der Mittenverlauf bei gepulster Bearbeitungsweise. Hier liegt die maximale Abweichung in etwa der halben Bohrungstiefe bei nur ca. ' = 0,03 mm. Darüber hinaus konnte der Verlauf gegen Ende der Bohrung wieder gegen Null korrigiert werden, d.h. die An- und Ausbohrpositionen in der XY-Ebene sind nahezu deckungsgleich. Zusammenfassung Die Effizienz des Einlippenbohrens lässt sich, wie bei anderen spanabhebenden Verfahren auch, durch die Wahl höherer Vorschubwerte verbessern. Bei Bohrungen mit einem großen l/D-Verhältnis und in schwer zerspanbaren Werkstoffen werden hier jedoch schnell Grenzen erreicht. Mechanische Belastungen durch zu hohe Zerspankräfte aber auch ein mangelhafter Spantransport durch zu lange, ungünstig geformte Späne sind hierfür verantwortlich. Wenn die Vorschubbewegung in einer geeigneten Weise moduliert wird, was hier durch Überlagerung mit Axialschwingungen im Hör- und Ultraschallbereich erfolgt, so kann damit die Spanlänge beeinflusst und der Spantransport unterstützt werden. Am IfW werden derzeit überwiegend piezoelektrische Translatoren und Aktoren verendet, um die angesprochenen Schwingungen mit einer entsprechenden Charakteristik in den Prozess einzukoppeln. Die im Rahmen der Untersuchung gewonnenen Ergebnisse lassen darauf schließen, dass sich durch Einkoppeln von Schwingungen die Leistungsfähigkeit des Einlippentiefbohrens steigern lässt. In einem weiteren Schritt wurde die Einkopplung von winkellageabhängigen Axialkraftimpulsen in das Werkzeug untersucht. Dieser Ansatz zur Beeinflussung des Mittenverlaufs zeigt ein hohes Potenzial zur Verbesserung der Bearbeitungsqualität auf.
Ein Teil der oben beschriebenen Untersuchungen wurde im Rahmen eines von der DFG geförderten Projekts durchgeführt.
Literatur [1] [2] [3]
VDI-Richtlinie 3208 (Entwurf), Tiefbohren mit Einlippenbohrern, Oktober 2009, Beuth Verlag, 2009 Müller, P.: Hochleistungswendelbohrer für das Tieflochbohren. In: VDI Berichte 1897: Präzisions- und Tiefbohren aktuell, Tagung Dortmund, 15. und 16. März 2006. Düsseldorf: VDI Verlag, 2006, S. 165-171 Klein, W.: Zukunftsweisende Bearbeitungsstrategien für Automobilwellen, Weiterentwickeltes Einlippentiefbohrverfahren für Kurbel-, Nocken- und Getriebewellen. In: VDI Berichte 1897: Präzisions- und Tiefbohren aktuell, Tagung Dortmund, 15. und 16. März 2006. Düsseldorf: VDI Verlag, 2006, S. 197-206.
Verbesserung der Prozessbedingungen beim Einlippentiefbohren [4]
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Schur, S.: Mit axialem Pulsieren zu höherem Vorschub. Hochleistungs-Tiefbohren mit dem Axial-Pulsator. In: WB Werkstatt und Betrieb. Band 141 (2008) Heft 4, S. 24-28 [5] Eichler, R.: Prozeßsicherheit beim Einlippenbohren mit kleinsten Durchmessern. Dissertation, Universität Stuttgart (1996) [6] Heisel, U.; Wallaschek, J.; Eisseler, R.; Potthast, C.: Ultrasonic deep hole drilling in electrolytic copper ECu 57. In: Annals of the CIRP; Vol. 57/1/2008. S. 53-56 [7] Potthast, C., Eisseler, R., Klotz, D., Wallaschek, J., Heisel, U., 2007, Piezoelectric Actuator Design for Ultrasonically Assisted Deep Hole Drilling, Journal of Electroceramics, Online-Publication, Digital Object Identifier 10.1007/s10832-007-9132-4. [8] Fink, P. G.: Spanbildung und Bohrungsqualität beim Tiefbohren. Dissertation, Universität Stuttgart (1977) [9] Enderle, K.: Reduzierung des Mittenverlaufs beim Einlippen-Tiefbohren durch Kühlmittelpulsation. Universität Stuttgart, Dissertation, 1994. [10] Metzner, K.: Gerichtetes Einlippentiefbohren. Beeinflussung des Mittenverlaufs durch Kühlmittelpulsation. In: VDI Berichte 1897: Präzisions- und Tiefbohren aktuell, Tagung Dortmund, 15. und 16. März 2006. Düsseldorf: VDI Verlag, 2006, S. 225-230 [11] Weinert, K.; Hagedorn, M.; Kessler, N.: Mittenverlauf beim BTA-Tiefbohren. Untersuchungen zeigen Einflussfaktoren auf die Bohrungsqualität. In: VDI-Z Integrierte Produktion. Band 147 (2005) Heft 11/12, S. 35-38.
Toolmanagement - Werkzeuge und Prozesse als Schlüssel für eine effiziente Produktion Dr.-Ing. Dipl.-Gwl. Magnus Enßle Leiter des Toolmanagements EADS Eurocopter Deutschland GmbH Donauwörth
Dr. Magnus Enßle Dr.-Ing. Dipl.-Gwl. Magnus Enßle wurde am 3. März 1977 ist Stuttgart geboren. Von 1997 bis 2003 studierte er Maschinenbau, Politikwissenschaft und Berufspädagogik an der Universität Stuttgart, wo er im Anschluss bis 2009 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen bei Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. mult. Uwe Heisel war. 2008 promovierte er auf dem Gebiet der Diamantwerkzeuge für die Holz- und Holzwerkstoffbearbeitung. Seine Arbeit wurde 2009 mit dem Innovationspreis der ProWood Stiftung ausgezeichnet. Seit Mai 2009 ist er bei der EADS Eurocopter GmbH in Donauwörth Leiter des Toolmanagements. Eurocopter ist ein deutsch-französisch-spanischer Hubschrauber-Konzern und ein Geschäftsbereich der EADS. Die Eurocopter-Gruppe beschäftigt rund 15.600 Mitarbeiter und ist Weltmarktführer im Bereich des zivilen und halbstaatlichen Hubschraubermarkts. Zusammen mit den militärischen Hubschraubern stellen die Produkte der Gruppe einen Anteil von 30 Prozent am gesamten weltweiten Hubschrauberbestand.
Einleitung In Bezug auf die Fertigungskosten nehmen die Werkzeugkosten mit 3% einen sehr kleinen und daher vermeintlich unwichtigen Posten ein. Hohe Kosten ergeben sich aber meist indirekt durch Maschinenstillstandszeiten wegen fehlender oder falscher Werkzeuge, wegen ineffektiven Rüstvorgängen, umständlicher Werkzeuglogistik, unnötig hoher Bestände, unabgestimmter Abläufe, nicht aktueller Fertigungsunterlagen sowie mangelhafter Informationsflüsse zwischen Planung, Vorbereitung und Ausführung in der Fertigung [1]. Rahmenbedingungen wie komplexer werdende Werkstücke mit zunehmendem Werkzeugbedarf, Neuausrichtungen aufgrund kürzerer Produktlebenszyklen und höhere Umrüstfrequenzen durch häufigen Auftragswechsel machen den Produktionsfaktor Maschinenverfügbarkeit zu einer komplexen Aufgabe.
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Die Maschinenverfügbarkeit wird durch eine verbesserte Werkzeugbedarfsplanung und schlanke Bereitstellungsprozessen steigen. Effektives Toolmanagement bedeutet die optimale Integration von Hard- und Softwarekomponenten, die erforderlich sind, um ein beliebiges Werkzeug zum vorgegebenen Zeitpunkt an der richtigen Stelle mit den zugehörigen Daten bereitzustellen. Fehlende Werkzeuge verursachen Maschinenstillstände, falsch zugeordnete Werkzeuge zu Nacharbeit oder gar Ausschuss.
Abb. 1 Endmontage der EC 145: Die Toolmanagementabteilung ist u. a. verantwortlich für die Beschaffung der Montagewerkzeuge
Ein Toolmanagementsystem (TMS) unterstützt die Tätigkeiten rund um den Werkzeugkreislauf und bringt Transparenz bei den echten Einstandskosten, bis das Werkzeug an der Maschine ist. Das System hilft, Werkzeugkosten zu optimieren, die Bewirtschaftungskosten darzustellen und eine optimale Maschinenauslastung zu gewährleisten. Kern eines jeden TMS ist das schnelle Finden des richtigen Betriebsmittels. Bei mehr als 16.000 unterschiedlichen Betriebsmittelpositionen stellt sich die Frage, wie viele Komponenten redundant sind und welche nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen. Eine Reduzierung der Werkzeugvielfalt wirkt sich direkt auf den Lagerwert und den Lagerplatz aus. Eine Erörterung dieser Fragen ist allerdings nur möglich, wenn die Eigenschaften der Werkzeuge in der Software hinterlegt sind und somit verglichen werden können. Vor jeder Neubeschaffung eines Werkzeuges muss überprüft werden, ob dies nicht bereits vorhanden ist oder vorhandene Komponenten den Anforderungen genauso gerecht werden können.
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Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung eines Toolmanagementsystems beinhaltet folgende drei Teilaspekte:
x Die Werkzeugeinstandskosten umfassen den Kaufpreis und die Logistikkosten, um das Werkzeug vom Lieferanten an den Verwendungsort im eigenen Betrieb zu bringen. Das Einbeziehen der Nachschleifarbeiten und die anschließende Verschrottung der Werkzeuge machen die tatsächliche Lebensdauer und somit auch die Kosten-/Nutzenrechnung transparent. Das TMS ermöglicht eine Reduzierung der Werkzeugvielfalt und trägt somit zur Kostensenkung bei. x Die Maschinenverfügbarkeit wird mit der verbesserten Werkzeugbedarfsplanung und effektiveren Bereitstellungsprozessen steigen. Die Pflege und Vergleichbarkeit von hinterlegten Technologiedaten machen „Best-Practise“Benchmarks möglich. x Der Zeit- und Personalaufwand für die Datenpflege, Suche und Beschaffung sinkt durch den Einsatz der IT [2]. Toolmanagement bei Eurocopter Die Zerspanung bei Eurocopter in Donauwörth umfasst die Produktion komplexer prismatischer und rotationssymmetrischer Bauteile aus Aluminium, Titan und Hochleistungsstählen. Im prismatischen Bereich ist das komplette Spektrum kleiner mit mittelgroßer Bauteile maschinenseitig abgedeckt, angefangen von einfacher Dreiachsbearbeitung mit werkstattorientierter Programmierung, über die Vierspindelbearbeitung von Titan, 4- und 5-Achsenfräsen in Aluminium bis hin zur 5-Achsen-Präzisionsbearbeitung hochkomplexer Klasse-1-Bauteile. Im Großdrehbereich liegt der Schwerpunkt auf der Bearbeitung komplexer Kinematikkomponenten sowie der integrierten Dreh-Fräsbearbeitung.
Abb. 2 Rotorstern mit Blattanschluss: Für die Fertigung komplexer Bauteile aus Titan und Aluminium sind exakt vermessene und dokumentierte Werkzeuge ein absolutes Muss
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Hauptaufgaben im spanabhebenden Bereich sind die Produktion von Titanbauteilen für die Rotorsysteme und Aluminium-Integralbauteile für Türen und Tore von Airbus-Flugzeugen. Rund 1,5 Millionen Einzelteile und Baugruppen verlassen pro Jahr die Werkshalle. Entsprechend anspruchsvoll gestaltet sich die Produktionsplanung von der Konstruktion, Werkzeug- und Prozessauslegung über die NCProgrammierung und Simulation bis hin zu den ersten Tests an der Maschine. Die Toolmanagement-Abteilung bei Eurocopter umfasst vier Dienstleistungsbereiche, die eine lückenlose, werksweite Versorgung mit Werkzeugen, Montagemitteln sowie weiteren Betriebsmitteln sicherstellt.
x Das Toolmanagement übernimmt in Zusammenarbeit mit der Konstruktion, der Programmierung, der Arbeitsvorbereitung und der Produktion die Prozessauslegung und die Werkzeugauswahl inklusive der Erstellung, Pflege und Verbreitung der notwendigen Dokumentationen. x Die Abteilung ist verantwortlich für den Werkzeugkreislauf von der Werkzeugbeschaffung, -montage und -voreinstellung über die Bereitstellung an die Maschine und zurück in die Werkzeugausgabe zur Demontage. x Die Werkzeugreparatur und der Nachschleifservice sind ebenfalls integriert. Mit den vorhandenen CNC-Schleifmaschinen fertigt die Abteilung kundenspezifische Fräser und Bohrer aus Hartmetall. x Das Toolmanagement übernimmt zusätzlich das Procurement für die verantworteten Betriebsmittel. Dabei stehen die Mitarbeiter im engen Kontakt mit den Lieferanten und Herstellern, womit gewährleistet ist, dass stets der Stand der Technik im Werk abgebildet ist. Tooldatamanagement mit TDM Seit 2001 nutzt Eurocopter die Tooldatamanagement- Software TDM der Firma Walter aus Tübingen, um seine Werkzeuge, Mess- und andere Betriebsmittel zu verwalten. Der Fokus liegt dabei aktuell auf den spanabhebenden Werkzeugen und deren Einsatzdaten für den Bereich der Komponentenfertigung. Die Datenbank mit den Stammdaten der Werkzeuge einschließlich der 2D- und 3D-Grafiken ist die Basis jeder digitalen Werkzeugverwaltung. Die Software TDM ist mit den NC-Programmiersystemen, mit den Bearbeitungsmaschine und den Voreinstellungsgeräten verbunden. Dieser reibungslose Datenfluss geht einher mit einer enormen Zeiteinsparung bei der Werkzeugversorgung und sichert zudem die Bearbeitungsprozesse und somit die Qualität der Bauteile. Die montierten Werkzeuge werden am Voreinstellgerät vermessen und die Messwerte über eine Schnittstelle an TDM zurückgesendet. Anschließend gehen die Werkzeugdaten an die Maschine. Sämtliche Schnittdaten und Parameter zu einem Werkzeug sind in TDM festgehalten.
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Abb. 3 Werkzeugverwaltung mit TDM: Aktuell sind für über 16.000 Betriebsmittel Identnummern gepflegt. Davon entfallen über 9.000 auf spanabhebende Werkzeuge und rund 5.000 auf Messmittel
Mit Hilfe der Software lassen sich schnell Komplettwerkzeuge erzeugen. TDM sucht anhand der für jedes Werkzeug hinterlegten Trennstellen alle möglichen und passenden Kombinationen. Das aus den Einzelteilen generierte Komplettwerkzeug kann in eine 3D-Grafik konvertiert werden, um so die Daten für die Programmierung und die (Kollisions-)Simulation zur Verfügung zu stellen. Per Drag and Drop übernimmt die Toolmanagement-Software auch Dokumente wie PDF, Fotos, Grafiken, Videos, Messprotokolle, NC-Programme, Werkzeugkorrekturdaten oder Aufspannskizzen. Das Auffinden der Werkzeuge im System wird durch eine Suchfunktion ermöglicht. Neben der direkten Eingabe von Identnummern kann auf eine grafische Suche zurückgegriffen werden. Diese ermöglicht es, die Suche nach Werkzeugklassen und -gruppen oder nach Bearbeitungstyp anzugehen. Die in den Werkzeugdatensätzen hinterlegten Technologiedaten wie Drehzahlen, Vorschübe, Längen und Durchmesser helfen der Programmierung, schnell ein geeignetes Werkzeug zu finden. Die Auswahl startet in der Regel mit der geometrischen Beschreibung des benötigten Werkzeuges.
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Einsatzparameter, Bearbeitungsverfahren und die Einsatzbedingungen (Maschine, Werkstoff, Fertigungsmittel) werden herstellerunabhängig in der Datenbank recherchiert. Wird auf Ebene der Komplettwerkzeuge nichts gefunden, besteht die Möglichkeit aus den Einzelkomponenten sein Wunschwerkzeug zu konfigurieren. Da die Lagerverwaltung in der Software integriert ist, kann gleichzeitig geprüft werden, ob die Komponenten vorhanden sind. Durch die enge Zusammenarbeit des Toolmanagements mit der Konstruktion, Programmierung und Arbeitsvorbereitung ist sichergestellt, dass gegebenenfalls notwendige Sonderwerkzeuge identifiziert werden und ein Beschaffungsvorgang frühzeitig ausgelöst werden kann. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine eindeutige Spezifikation der benötigten Werkzeuge. Ungenaue Anforderungen der NC-Programmierung an die Werkzeugeinsteller und somit zeitaufwändige Rückfragen und Abstimmungsprozesse entfallen. Werkzeugkommissionierung und Schleiferei Werkzeuge zu vermessen und einzustellen reichen bei weitem nicht mehr aus, um die Prozesssicherheit zu gewährleisten. TDM sorgt in Zusammenarbeit mit den Einstellgeräten für eine Plausibilitätsprüfung. Ist es das richtige Werkzeug für die Bearbeitung? Sind die richtigen Komponenten angefügt? Sind die Schneiden hundertprozentig in Ordnung? Kein Werkzeug kommt ungeprüft an die Maschine. Erst nach den Sicherheitschecks werden die Werkzeugdaten per Direktleitung oder Chip an die Maschine übertragen.
Abb. 4 Der Einsatz CNC-gesteuerter Schleifmaschinen ermöglicht eine flexible, schnelle und kostengünstige Fertigung kundenspezifischer Werkzeuge
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Die Reparatur, das Nachschleifen sowie die Fertigung von Sonderwerkzeugen finden hauptsächlich im Toolmanagement statt. Dennoch finden jährliche Untersuchungen statt, ob eine wirtschaftliche Herstellung von Vollhartmetall-Werkzeugen bei Eurocopter interner im Vergleich zur externen Beschaffung (Make or Buy) sinnvoll ist. Die teilweise sehr geringen Losgrößen und die schnell wechselnden Aufträge erfordern in den meisten Fällen eine große Flexibilität in Bezug auf die Werkzeugbereitstellung. Externen Schleifdiensten fehlt oftmals das notwendige Reaktionsvermögen. Das Risiko von Produktionsausfällen aufgrund nicht verfügbarer (nicht produzierter, reparierter oder nachgeschliffener) Werkzeuge zeigt, wie wichtig es für Eurocopter ist, den Schleifservice vor Ort zu haben. Leistungsstarke CNC-Schleifmaschinen ermöglichen zudem die Herstellung von kundenspezifischen Werkzeugen nicht nur für die Aluminium- und Titanbearbeitung sondern auch für das wachsende Segment der Kohlefaserbauteile. Durch die Herstellung von Werkzeugprototypen ermöglicht das Toolmanagement die Entwicklung von Werkzeuggeometrien für die Eurocopter- spezifischen Anforderungen (Maschine, Material, Aufspannung, etc.). e-Procurement im Toolmanagement e-Procurement ist in zahlreichen Großunternehmen aber auch in zunehmendem Maße in mittelständischen und kleinen Unternehmen Stand der Technik. Kundenspezifische e-Procurement- Lösungen werden vor allem bei der Bestellung von CArtikeln, also Produkte von hohem Verbrauch und geringer Komplexität, eingesetzt. Einfach zu bedienende Web-Oberflächen und Anbindungen an ERP- und Warenwirtschaftsysteme tragen zum hohen Nutungsgrad bei. Händler und Lieferanten sind schon seit langem dazu übergegangen, elektronische Kataloge zu Verfügung zu stellen, um somit dem Kunden eine reibungslose elektronische Beschaffung zu ermöglichen. Diese Entwicklung ging einher mit der Installation effektiver Logistikkonzepte. Online georderte Artikel sind in der Regel 24 Stunden später beim Kunden, Sammelabrechnungen oder die Zuordnung auf Kostenstellen laufen elektronisch im Hintergrund. Das Toolmanagement bei Eurocopter nutzt die Möglichkeiten des eProcurement zusätzlich, um eine EADS- weit forcierte Harmonisierung des Procurements umzusetzen. Ziel dieses Projektes ist es, über alle Tochtergesellschaften des Unternehmens hinweg einheitliche Standards im Beschaffungswesen zu implementieren. Dabei soll eine gemeinsame Basis an Lieferanten definiert sowie eine Standardisierung der Betriebsmittel vorangetrieben werden. Die (Beschaffungs)Prozesskosten, die Artikel- und Variantenvielfalt und die Betriebsmittelkosten sollen minimiert werden. Durch das Konsummanagement sollen die Lagerbestände sowie die Nutzungsdauer und -häufigkeit der Betriebsmittel optimiert werden. Im Bereich der spanabhebenden Werkzeuge, Montagewerkzeuge, handgeführten (Elektro-)Werkzeuge und der Werkstattausstattung unterstützt das Toolmanagement in Donauwörth seine internen Kunden. Betriebsmittel für den täglichen Bedarf werden direkt im Toolmanagement bestellt - über einen von der Abteilung be-
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treutes Werkzeugzentrallager können via Onlinekatalog Betriebsmittel abgerufen werden. Bei größeren Projekten und Investitionen wie etwa die Planung und Ausstattung kompletter Produktionslinien hat das Toolmanagement eine beratende Funktion, weist auf Standardwerkzeuge hin und benennt für die jeweiligen Betriebsmittel die geeigneten Lieferanten. Aussicht Um die Versorgung mit Werkzeugen, Mess- und anderen Betriebsmitteln vor allem im Bereich der Zerspanung weiter zu verbessern, erarbeitet das Toolmanagement Konzepte zur Integration von Werkzeugautomaten in der Produktion. Aktuell wird die Komponentenfertigung in drei Schichten betrieben. Die angegliederte und durch das Toolmanagement betreute Werkzeugausgabe ist jedoch lediglich in zwei Schichten verfügbar. Um Maschinen- und Produktionsstillstände aufgrund nicht verfügbarer Werkzeuge und Messmittel zu vermeiden, versorgt sich vor allem die Nachtschicht mit Betriebsmitteln in unangemessener Anzahl. Es wird geschätzt, dass sich circa 15 % der gesamten Betriebsmittel in sogenannten „privaten Lagern“ ungenutzt an den Maschinen befinden. Die Installation von Werkzeugautomaten könnte eine 24-Stunden-Werkzeugverfügbarkeit sicherstellen. Die Investition würde sich durch das Eindampfen der gehorteten Werkzeuge an der Maschine schnell rechnen. Durch eine im Automaten hinterlegte Analysesoftware ist ein permanentes Reporting sämtlicher Bewegungsdaten möglich. Dadurch können die Bestände dem Bedarf angepasst werden, um Lager- und Verwaltungskosten und somit die Bauteilkosten zu senken bzw. die Produktivität zu steigern. Das genannte Analysetool ermöglicht es, die entnommenen Betriebsmittel Bauteilen, Maschinen, Projekten oder Kostenstellen zuzuordnen, um detailliertere Aussagen über den Werkzeugkostenanteil für einzelne Baugruppen treffen zu können. Die Möglichkeiten der Verbrauchsstatistik und die personengenaue Zuordnung von Entnahmen können auch bei der Verteilung von persönlicher Schutzausrüstung wie Hautcremes, Handschuhen und Gehörschutz genutzt werden. Derartige Bedarfsartikel können in ihrer Ausgabemenge beschränkt sein. Ist der Grenzwert pro Anwender erreicht, kann der zusätzliche Bedarf nur noch über den Vorgesetzten angefordert werden. Eine Sensibilisierung der Mitarbeiter für die Betriebsmittelkosten ist dabei ein positiver Nebeneffekt. Die Werkzeugentnahme geht wie folgt von statten: Nachdem sich der Mitarbeiter mit Hilfe eines am Werkzeugautomaten angebrachten Scanners über seinen (Werks-)Ausweis legitimiert hat, erhält er ein Verzeichnis, in dem die aktuell verfügbaren Materialien und die entsprechenden Lagerfächer vermerkt sind. Ist der Mitarbeiter zur Warenentnahme berechtigt, öffnet sich nach Eingabe des gewünschten Artikels das entsprechende Fach und der Artikel kann entnommen werden. Die Software aktualisiert umgehend den Bestand. Es besteht die Möglichkeit mit einem Lieferanten als selbstständigen Wiederbefüller zusammenzuarbeiten. Es entstehen dadurch erhebliche Kostenvorteile bei
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der Logistik und Lagerung. Statt Werkzeuge und Gebrauchsmaterialien auf Vorrat zu halten und dafür Kapital zu binden, übernimmt der Bestücker die Vorratshaltung und verrechnet seine Ware exakt nach der Zahl der entnommenen Produkte. Durch Anbindung an SAP, Sammelrechnung oder Kostenstellenzuordnung stehen zahlreiche administrative Möglichkeiten offen [3]. Das e-Procurementsystem sorgt dabei selbstständig für die Einhaltung von Mindestbeständen im Automaten. Die Menge an entnommenen Werkzeugen wird unmittelbar dem System gemeldet, woraufhin ein Abgleich mit der festgelegten Mindestmenge stattfindet. Ist diese unterschritten kann eine automatische Bestellung ausgelöst werden. Alternativ kann eine Meldung an den jeweiligen Einkäufer gesendet werden, der dann eigenhändig die Bestellung ausführt. Somit besteht die Möglichkeit, Bestellungen zu bündeln, um den Verwaltungsaufwand zu minimieren.
Quellennachweis [1] [2] [3]
Vogt, Lutz: Durchgängig von der Planung bis zur Werkstatt. Werkstatt und Betrieb 10/2007. Carl Hanser Verlag, München, S. 68ff. Marczinski, Götz: Einsparpotenzial optimal ausschöpfen. Onlinepublikation der CIM Aachen 11/2006. Rönsch, Jürgen: Selbstbedienung. Rund-um-die-Uhr-Warenversorgung mit Werkzeugautomaten. Industriebedarf 4/2005, S. 26f.
Die Rolle der Finite-Elemente-Berechnung in der Produktentwicklung Dr.-Ing. Ignacio Esteban Lauer & Weiss GmbH Fellbach
Herr Dr. Esteban wurde am 15.04.1975 in Madrid geboren und hat Maschinenbau an der Universidad Politecnica de Madrid studiert. Seine Diplomarbeit hat er am Institut für Eisenhüttenkunde der RWTH Aachen geschrieben, wobei er erste Erfahrungen im Bereich der numerischen Simulation gesammelt hat. Von Juni 2001 bis Dezember 2006 war Herr Dr. Esteban als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart tätig. Hier hat er verschiedene Projekte mit dem Schwerpunkt auf Werkzeugmaschinen mit Parallelkinematik bearbeitet und bei Prof. Heisel zum Thema „Anforderungsgerechte Optimierung von Hexapod-Strukturen für Werkzeugmaschinen mit Hilfe genetischer Algorithmen“ promoviert. Seit Januar 2007 ist der Autor bei der Firma Lauer & Weiss GmbH beschäftigt, einem Dienstleister, der auf die Anwendung von virtuellen Werkzeugen spezialisiert ist und eine integrale Entwicklungsunterstützung durch die Zusammenarbeit von Konstruktion, Finite-Elemente-Berechnung und Strömungssimulation anbietet. Hier hat sich Herr Dr. Esteban auf die Simulation von stark nichtlinearen Prozessen spezialisiert.
Einleitung Der Preisdruck wird in allen Industriebranchen immer größer. Aufgrund der Qualitätsstandards gewinnt der Entwicklungsprozess immer mehr an Bedeutung, so dass die Produktkosten durch diese Phase erheblich beeinflusst werden. Die Anwendung computergestützter Konstruktion und Berechnung hat sich als effektives Entwicklungswerkzeug erwiesen, um kürzere Entwicklungszeiten und eine höhere Qualität zu erreichen. Dadurch tragen diese virtuellen Werkzeuge zu niedrigeren Produktkosten bei. Dieser Artikel orientiert sich am Potential der Finite-Elemente (FE)-Berechnung im Entwicklungsprozess. Eine der neuesten Anwendungsmöglichkeiten der FE-Simulation wird am Beispiel einer Werkzeugmaschine präsentiert. In diesem Beispiel wird die Maschinensteuerung in das FE-Modell implementiert, und ein Beschleunigungsvorgang wird simuliert.
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Entwicklungsqualität und -kosten Die Kosten eines Produkts werden schon in der frühen Entwicklungsphase erheblich beeinflusst. Die höchsten Gewinnverluste an einem Produkt entstehen durch zu kurze oder zu lange Entwicklungszeiten. Eine mangelhafte Entwicklung hat Produkte mit Qualitätsproblemen zur Folge. Diese Qualitätsprobleme sind mit Kosten verbunden, da sie Maßnahmen wie Preissenkung oder Kulanz verlangen. Wenn zu lange Entwicklungszeiten benötigt werden, um eine höhere Produktqualität zu erreichen, entstehen die hohen Kosten in der eigentlichen Entwicklung und aus einer verspäteten Markeinführung des Produkts. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel, wie sich die Entwicklungsqualität auf die Endproduktkosten auswirkt. Die Optimierung der Produktkosten erfordert eine effiziente Entwicklung, die eine Produktqualität gemäß Kundenanforderung erzielt.
Abb. 1 Entwicklungsqualität und -kosten, Quelle: [1]
In Abb. 2 wird ein Schema des Entwicklungsprozesses dargestellt. Maßgebend für eine beschleunigte Entwicklung ist der konsequente Einsatz von virtuellen Werkzeugen. Diese ermöglichen den schnellen Entwurf und die Analyse von Produktvarianten, so dass der Aufbau von Prototypen nur zur Validierung notwendig ist. Schon in der Konzeptphase entsteht eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen rechnergestützter Konstruktion und Berechnung. Eine effiziente Entwicklung erfordert eine kommunikationsstarke Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen. Die Übergabe von Daten von der Konstruktion an die Berechnung muss durch kürzere Wege erfolgen. Die Ziele der Berechnung müssen mit der Konstruktion sorgfältig abgestimmt werden, um den Entwurfsprozess gezielt zu unterstützen. Durch schnelle und gezielte Simulationsverfahren kann der Entwurfsprozess von der Konzeption bis zur Detailkonstruktion unterstützt werden. In der Konzeptphase können Vorentwürfe schnell analysiert werden und entsprechend akzeptiert oder verworfen werden. In der Entwurfsphase trägt die Berechnung zu einer höheren Produktqualität durch eine optimierte Auslegung bei.
Die Rolle der Finite-Elemente-Berechnung in der Produktentwicklung
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Abb. 2 Produktentwicklungsprozess
Die Simulation und Berechnung ist heutzutage ein anerkannter Bestandteil des Entwicklungsprozesses in Branchen wie der Automobilindustrie oder der Luftund Raumfahrt. Die Entwicklung der Berechnungsmethoden bietet immer mehr Anwendungsbereiche. Im folgenden Abschnitt wird das Anwendungsspektrum der Finite-Elemente-Methode (FEM) in der Strukturmechanik kurz präsentiert.
Die FE-Berechnung im Entwicklungsprozess Seit der ersten Industrieanwendung der Finite-Elemente-Methode im Jahr 1956 bei einer Strukturberechnung von Flugzeugtragflächen hat sich diese Berechnungsmethode als ein zuverlässiges Entwicklungswerkzeug etabliert. Ursprünglich wurde die Methode für die Lösung von Problemen der Strukturmechanik entwickelt. Seitdem wurde sie auf die Lösung zahlreicher Feldprobleme erweitert, wie Wärmeleitung, elektromagnetische Felder und gekoppelte Feldberechnungen. Das Potential der Simulation als Entwicklungswerkzeug hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich erhöht. Mit der Entwicklung der Rechenleistung und der Lösungsalgorithmen können heutzutage viel größere Modelle berechnet werden. Die ersten FE-Berechnungen waren auf die Untersuchung von Einzelbauteilen gerichtet. Die aktuellen Qualitätsstandards erfordern jedoch die Analyse der Bauteile
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innerhalb eines gesamten Systems. Bei dynamischen Analysen, wie z.B. Eigenfrequenzberechnung oder Frequenzganganalyse, ist die Berücksichtigung des gesamten Zusammenbaus unabdingbar. Aber auch bei quasi-statischen Prozessen ist für eine realitätsnahe Simulation der Einfluss der Hauptbauteile in einem System erforderlich. So entsteht die Anforderung, eine immer größere Anzahl von Freiheitsgraden lösen zu können. Tabelle 1 zeigt ein Beispiel der Entwicklung der FE-Modelle in der Automobilindustrie in den letzten 20 Jahren. Während die Anzahl an Elementen sich um Faktor 4 bis 5 vergrößert hat, haben sich die Berechnungszeiten teilweise um den Faktor zwei verkürzt. Sehr wichtig ist auch die benötigte Zeit, um ein komplexes Modell zu erstellen. Die Prüfung von Designkonzepten soll parallel mit der Konstruktion erfolgen, um kürzere Entwicklungszeiten zu erreichen. So hat sich die Modellerstellungszeit um den Faktor 4 bis 5 reduziert.
Tabelle 1 Entwicklung im Berechnungsprozess bei VW seit 1999, Quelle: [2]
Die Simulation mittels FEM ist nicht mehr auf den elastischen Bereich der Strukturmechanik eingeschränkt. Durch die Solver-Entwicklung in Richtung auf nichtlineare Probleme können sehr komplexe Prozesse simuliert werden. NichtLinearitäten auf Grund von Materialien mit plastischem Verhalten, große geometrische Verformungen oder Kontaktprobleme können effektiv berechnet werden. So können z.B. Umformprozesse simuliert werden. Ein interessanter Trend in der Solver-Entwicklung im Bereich großer Verformungen ist die Entwicklung der FE-Simulation in Richtung auf Mehrkörpersysteme (MKS). Die klassische MKS-Simulation betrachtet erstarrte Körper, die auf ihre Trägheitseigenschaften reduziert werden. Flexible Komponenten können durch Modalreduktion im Modell implementiert werden. Die Anzahl von Freiheitsgraden soll jedoch sehr eingeschränkt bleiben, um annehmbare Rechenzeiten zu erreichen. FE-Solver wie ABAQUS oder ANSYS bieten die Möglichkeit,
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Mehrkörpersysteme über die Finite-Elemente-Schiene zu simulieren. Im Folgenden wird eine Werkzeugmaschine als Anwendungsbeispiel der Mehrköpersimulation durch die Finite-Elemente-Methode vorgestellt. Gekoppelte FE-Simulation einer Werkzeugmaschine In diesem Abschnitt wird die Simulation des Beschleunigungsprozesses einer Werkzeugmaschine mittels der Finite-Elemente-Methode vorgestellt. Die Antriebskraft wird durch einen PID-Regler gesteuert. Dadurch wird die Positionsabweichung der Maschine unter Berücksichtigung der Zusammenwirkung von Struktursteifigkeit und Steuerung simuliert. In diesem Beispiel handelt es sich um eine hypothetische Maschine, deren Struktur nicht optimiert wurde. Abbildung 3 zeigt das FE-Modell einer Portalmaschine. Für diese Maschine wurde eine gewöhnliche Blechkonstruktion angenommen, weswegen Schalenelemente in der Vernetzung verwendet wurden. Als Antrieb der Portalstruktur werden zwei Linearmotoren angenommen. Diese Motoren werden jeweils auf einer Schiene geführt, was durch einen reibungslosen Kontakt simuliert wird. Die Y- und Z-Maschinenachsen werden in einer fixierten Position modelliert, da ausschließlich eine Beschleunigung entlang der X-Achse simuliert wird.
Abb. 3 FE-Modell einer Portalstruktur
In Abbildung 4 werden die ersten Eigenformen der Struktur vorgestellt. Die erste Eigenfrequenz bei 37 Hz ist eine Schwenkbewegung der Z-Achse aufgrund der Torsion der Portalquerträger. Die zweite Eigenfrequenz liegt bei 53 Hz und entspricht der Biegung des gesamten Portals um die Y-Achse. Die Biegeschwingung um die X-Achse tritt bei 64 Hz auf. Die vierte Eigenfrequenz bei 104 Hz entspricht der vertikalen Schwingung der Z-Achse. Die Soll-Position der Struktur auf der X-Achse wird durch einen Referenzpunkt definiert. Dieser Referenzpunkt wird auf 1,7 m/s in 0,6 Sekunden beschleunigt.
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Diese Beschleunigung wird mit einem Sinusquadrat geglättet. Abbildung 5 stellt die vorgegebene Geschwindigkeit und Beschleunigung dar. Die Position des Tool Center Points (TCP) wird als Ist-Position der Struktur ermittelt. Durch den PIDRegler wird die Differenz zwischen Soll- und Ist- Position in eine Antriebskraft übersetzt, die auf die Linearmotoren aufgebracht wird. Die Antriebskraft wird in einem Takt von 2 ms aktualisiert.
Abb. 4 Eigenfrequenzen der Portalstruktur
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Abb. 5: Simulierte Soll-Geschwindigkeit und –Beschleunigung
Eine erste Simulation des Beschleunigungsvorgangs wurde mit folgenden PIDFaktoren durchgeführt: Proportional-Faktor = 1200; Integral-Faktor = 0; Differential-Faktor = 12. Abbildung 6 zeigt die Ist-Position (rote Linie) gegenüber der Soll-Position des TCP (schwarze Linie). Es ist zu erkennen, dass die Position des TCP deutlich um die Soll-Position schwingt. Abbildung 7 zeigt die Abweichung der Ist-Position am TCP und an den Linearmotoren. Die Regelung bringt die Struktur in Resonanz mit immer größeren Amplituden. Die Periode der Schwingungen entspricht der ersten Eigenfrequenz der Maschine.
Abb. 6 Darstellung der Ist- (rot) und der Soll-Position (schwarz) des TCP
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Abb. 7 Darstellung der Positionsabweichung des TCP (rot) und der Linearmotoren (grün)
Für die zweite Simulation wurden die PID-Faktoren neu eingestellt: ProportionalFaktor = 1000; Integral-Faktor = 0; Differential-Faktor = 10. Abbildung 8 zeigt die entsprechende Abweichung der Soll-Position mit dieser neuen Reglereinstellung. In diesem Fall wird die Struktur auch in Resonanz angeregt. Die Amplituden der Schwingungen wurden jedoch um den Faktor 15 reduziert. Hier ist zu betonen, dass lediglich die Reglerparameter geändert wurden und die Maschinenstruktur unverändert blieb.
Abb. 8 Darstellung der Positionsabweichung des TCP (rot) und der Linearmotoren (grün)
Die Rolle der Finite-Elemente-Berechnung in der Produktentwicklung
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Die Ergebnisse zeigen, dass die hier vorgestellten Strukturen und Regler optimierungsbedürftig sind. In dieser Simulation wurden hohe dynamische Anforderungen an eine weiche Struktur gesetzt mit dem Ziel, den großen Einfluss des Zusammenwirkens zwischen Struktursteifigkeit und Reglerverstärkung zu verdeutlichen. Zweck dieses Beitrags ist jedoch, das Potential der Finite-ElementeMethode als Entwicklungswerkzeug zu präsentieren. Die vorgestellte Simulation ermöglicht die parallele Optimierung von Struktur und Regelung sowie die Ermittlung der erreichbaren Maschinengenauigkeit in Abhängigkeit der Anforderungen an Geschwindigkeit und Beschleunigung. Mit derselben Technik können zusätzliche Störungseinflüsse im Modell implementiert werden, wie z.B. Bearbeitungskräfte oder Reibungskräfte. Ein sehr wichtiger Einflussparameter in einer dynamischen Simulation, wie der hier vorgestellten, ist die Einstellung der Strukturdämpfung. Diese kann ausschließlich experimentell ermittelt werden. Dämpfungswerte können jedoch aus Erfahrung mit ähnlichen Strukturen abgeschätzt werden und als Modal-Dämpfung oder Materialdämpfung im Modell implementiert werden. Dadurch wird eine realitätsnähere Simulation erreicht. Zusammenfassung Die rechnergestützte Berechnung (CAE/CFD) hat sich als ein effektives Entwicklungswerkzeug erwiesen. Durch die Berechnung können kürzere Entwicklungszeiten erreicht werden, und die Entwicklungsqualität kann gesteigert werden. Dadurch werden die Produktkosten schon im Entwicklungsprozess minimiert. Mit der Steigerung der Rechenleistung und der Entwicklung der Berechnungsmethoden haben sich die Anwendungsmöglichkeiten der numerischen Berechnung erweitert. Das Potential der Simulation ist in Industriebranchen wie dem Automobilbau seit Jahrzehnten anerkannt und etabliert als Bestandteil des Entwicklungsprozesses. In Branchen wie dem Werkzeugmaschinenbau ist die Anwendung der Simulation noch eingeschränkt. In diesem Beitrag wurde eine der neuesten FEM-Anwendungen am Beispiel einer Werkzeugmaschine präsentiert. Durch die Kopplung eines FE-Modells mit einem Antriebsregler kann der gegenseitige Einfluss zwischen Struktursteifigkeit und Reglerverstärkung auf die Maschinengenauigkeit simuliert werden. Diese Simulation ermöglicht die gemeinsame Optimierung von Struktur und Steuerung. Diese Anwendung ist von besonderem Interesse in der Entwicklung von Werkzeugmaschinen, in denen die Steuerung entscheidend für die Maschineneigenschaften ist. Quellen [1] Seifert, M.; Steiner, M.: F+E: Schneller, schneller, schneller. In: Ahrvard Business Manager, 17. Jg. (1995), Nr. 2, S. 22 [2] Dr.-Ing. Jürgen Brums, Volkswagen AG, im Medina User Forum, (2009)
Nachhaltige Fertigung Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Achim Feinauer Geschäftsführer STAMA Maschinenfabrik GmbH Schlierbach
Dr. Achim Feinauer
Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Achim Feinauer wurde am 28. Januar 1968 in Stuttgart geboren. Nach Abschluss der Studiengänge Maschinenwesen sowie Betriebswirtschaft an der Universität Stuttgart im Jahr 1994 arbeitete er am „Zentrum Fertigungstechnik Stuttgart“ in der Fachgruppe Zerspanung. Ab 1997 war er bei der Ex-Cell-O GmbH in Eislingen als Entwicklungsleiter tätig und schloss dort seine Promotion zum Doktor-Ingenieur ab. Von der Position des Gesamtkonstruktionsleiters bei Ex-Cell-O wechselte er im Jahr 2003 zur STAMA Maschinenfabrik und ist dort in der Geschäftsführung verantwortlich für Technik und Vertrieb einschließlich Service.
Einleitung Nachhaltige Unternehmensführung ist eine Formulierung, die in mehr und mehr Imagebroschüren von Unternehmen zu finden ist. Sie ermöglicht jedoch vielschichtige Interpretationen. Nachhaltigkeit steht hier meist im Widerspruch zu dem kurzfristigen Denken in börsennotierten Unternehmen, das lediglich auf die kommende Quartalsbilanz ausgerichtet ist. Getrieben durch ein zunehmendes Umweltbewusstsein und die Belange zukünftiger Generationen wird Nachhaltigkeit auch oft mit ressourceneffizientem Handeln gleichgesetzt. Für Unternehmen besteht Nachhaltigkeit hingegen in einer langfristig profitablen Generierung von Umsätzen, die es dem Unternehmen ermöglicht sowohl dem internationalen Wettbewerb als auch wirtschaftlichen Krisen Stand zu halten. Es zeigt sich, dass dieser vermeintliche Widerspruch mit intelligenter, nachhaltiger Fertigung nicht nur aufzulösen ist. Vielmehr ist Ressourceneffizienz ein Baustein für eine kostendeckende und profitable Fertigung.
Nachhaltige Fertigung
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Energiebedarf in der spanenden Fertigung Aktuell werden ressourceneffiziente Fertigung und Einsparung von Energie im laufenden Betrieb gleichgesetzt. Lange Zeit standen die Reduzierung von Hauptund Nebenzeiten im Fokus der Maschinen- und Prozessentwicklung. Im Bereich Energieeinsparung werden deshalb noch recht große, bisher nicht beachtete Potenziale vermutet. Abbildung 1 zeigt hierzu den Stromverbrauch eines Bearbeitungszentrums während der Bearbeitung im Automatikbetrieb sowie im Stillstand mit eingeschalteten Aggregaten.
Abb. 1 Stromverbrauch eines Fräs-Bearbeitungszentrums mit und ohne Bearbeitung
Die Verfahrbewegungen beim Werkzeugwechsel mit Beschleunigungs- und Abbremsvorgängen sowohl für Linearachsen als auch für die Frässpindel sind in Abbildung 1 in Form kurzer, hoher Spitzenverbräuche gut zu erkennen. Das Integral unter diesen Spitzen ist jedoch vergleichsweise gering. Der hochdynamische Werkzeugwechsel hat damit lediglich extreme Forderungen hinsichtlich der benötigten Anschlussleistung zur Folge. Während der Verzögerungsvorgänge ist die Rückspeisung von Bremsenergie dank der durchweg geregelten elektrischen Antriebe Stand der Technik. Gleichzeitig besteht jedoch ein Energiebedarf der peripheren Einheiten wie z. B. Hydraulikaggregat, Arbeitsraumabsaugung, etc. Das maschineninterne Energiemanagement nutzt die bei Bremsvorgängen anfallende Energie und führt diese direkt den anderen Verbrauchern zu. Eine Rück- bzw. Einspeisung in das öffentliche Stromnetz erfolgt nicht, sondern die Menge an aufgenommener Fremdenergie wird gesenkt. Dies begründet, weshalb die Verbrauchskurve keine negativen Ausschläge aufweist.
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Achim Feinauer
Die eigentliche Zerspanungsleistung zeigt sich lediglich in kleinen Ausschlägen der Messkurve und beträgt ca. 20% des durchschnittlichen Energieverbrauches. Die Potenziale weich schneidender, scharfer Werkzeuge zur Reduzierung der Leistungsaufnahme bei der Spanbildung sind damit relativ klein. Wesentlich stärker fällt der Stromverbrauch der peripheren, eigentlich nur indirekt oder teilweise sogar überhaupt nicht am Zerspanungsprozess beteiligten Komponenten ins Gewicht. Die Steigerung der Effizienz dieser Aggregate muss deshalb lang- und mittelfristiges Ziel der Entwicklung sein. Kurzfristig ist eine Reduzierung des Stromverbrauches nur durch zeitweiliges Abschalten der Aggregate oder Verzicht auf Zusatzaggregate möglich. Reduzierung der Einschaltdauer Am Laptop Standard, für Werkzeugmaschinen neu – der mehrstufige Stand-byBetrieb. In Phasen, in welcher die Maschine aus verschiedenen Gründen nicht produktiv eingesetzt wird, können insbesondere im Peripherbereich, aber auch die Vorschubachsen sequentiell abgeschaltet werden. Die STAMA-Bearbeitungszentren sind hierzu mit einem „ECO-Menü“ ausgestattet. Die werkseitige Voreinstellung für eine zeitlich gestaffelte Abschaltung kann vom jeweiligen Betreiber beliebig auf seine Bedürfnisse vor Ort angepasst werden. Im Abschaltbetrieb werden bis zu 80% an Einsparpotenzial ausgeschöpft. Dies bedeutet i. d. R. eine Einsparung von bis zu ca. 1.500 € je Bearbeitungszentrum und Jahr. Einmal im Stand-by-Modus kann die Maschine durch Drücken des StartKnopfes ohne Zeitverzug wieder aktiviert werden. Eine selbstständige Aktivierung ist ebenfalls vorgesehen. Dies ermöglicht z. B. die zyklische Umwälzung des Kühlschmierstoffes am Wochenende ohne dass die Maschine hierzu permanent und komplett eingeschaltet sein muss.
Abb. 2 ECO-Menü zur Einstellung individueller Abschaltroutinen
Nachhaltige Fertigung
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Ebenfalls positiv auf die Energiebilanz wirkt sich die trockenbearbeitungsgerechte Gestaltung des Arbeitsraumes aus. Sie ermöglicht bei der Nassbearbeitung deutlich reduzierte Mengen an Kühlschmierstoff für Spülvorgänge und Spänetransport. Damit ergeben sich Vorteile in zweifacher Hinsicht. Erstens sinkt die umzuwälzende Menge an Kühlschmierstoff und der damit verbundene Energiebedarf. Gleichzeitig kann die gesamte Kühlschmierstoffanlage kleiner dimensioniert werden. Dies ergibt positive Auswirkungen sowohl auf den Platzbedarf als auch auf das Investitionsvolumen. Der gänzliche Verzicht auf eine Kühlschmierstoffversorgung und –filtrierung erscheint dabei sehr erstrebenswert. Die Entwicklung der vergangenen 15 Jahre hat jedoch gezeigt, dass die erfolgreiche Umsetzung der Trockenbearbeitung an viele zwingend erforderliche Randparameter geknüpft ist. Die flächendeckende Einführung der Trockenbearbeitung ist deshalb auch in den kommenden Jahren nicht zu erwarten. Gegenüber elektrischer Energie ist pneumatische Energie wesentlich teurer und der Verbrauch wird oftmals in den Unternehmen nicht ermittelt bzw. die mit Druckluft verbundenen Kosten werden unterschätzt. Neben dem Einsatz von Druckluft für Stellglieder, wird der Überdruck in Form sogenannter Sperrluft zur Abdichtung von Maschinenelementen gegen eindringende Feuchtigkeit eingesetzt. Mit Abschalten der Maschine kann die Sperrluft nicht abgestellt werden, da sich in den abkühlenden Maschinenelementen Kondensat bilden kann. Auch durch das mit dem Abkühlvorgang verbundene „thermische Schrumpfen“ im Sub-μm- und μm-Bereich könnten kleine Flüssigkeitspartikel in die Komponenten eingesaugt werden. Ein Nachwirken der Sperrluft nach Abschalten der Maschine ist deshalb erforderlich. Mit dem STAMA-Pneumatic-Power-Safe kann diese Sperrluft über ein definiertes Zeitglied automatisch nach einer bestimmten Nachlaufzeit abgeschaltet werden, ohne dass dafür noch die NC-Steuerung aktiv sein muss. Insbesondere für produktionsfreie Schichten und Wochenenden wird so der Druckluftverbrauch dramatisch gesenkt. Kurze Haupt- und Nebenzeiten als Mittel der Nachhaltigkeit Die beschriebenen Abschaltsequenzen wirken leider vorrangig für ohnehin unproduktive Zeiten. Während des aktiven Einsatzes der Werkzeugmaschine sind die damit verbundenen Potenziale gering und die Verbräuche vollumfänglich vorhanden. Eine Reduzierung des Energieverbrauches kann somit nur dann realisiert werden, wenn die Bearbeitungszeit verkürzt wird. Die Verkürzung von Hauptund Nebenzeiten rücken so unerwartet erneut in den Fokus und sind unabhängig von allen anderen Maßnahmen weiterhin verstärkt zu verfolgen. Zur Verkürzung der Haupt- und Nebenzeiten ist die Mehrspindelbearbeitung die Produktionsform mit den meisten Vorteilen. Mit zweispindligen TWINBearbeitungszentren werden identische Werkstücke paarweise gefertigt. Der Stromverbrauch eines TWIN-Zentrums liegt im Mittel nur ca. 20% über dem eines
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Achim Feinauer
vergleichbaren einspindligen Bearbeitungszentrums. Der Mehrverbrauch ist primär begründet durch die zusätzliche Frässpindel. Bei der TWIN-Fertigung ist der Stromverbrauch je gefertigtem Werkstück damit um rund 40% niedriger als bei der einspindligen Herstellung. Für Werkstücke, die sich mit den vierspindligen STAMA-TWIN2-Zentren fertigen lassen, ist eine Reduzierung des Stromverbrauches von bis zu ca. 60% gegeben. Gleichzeitig übersteigt der Platzbedarf von TWIN-Bearbeitungszentren den Bedarf eines einspindligen Bearbeitungszentrums nur geringfügig. Für die gleiche Fertigungskapazität ist damit der Flächenbedarf ca. 40% geringer. Da Gebäude für die eigentliche Wertschöpfung keinerlei Beitrag leisten und lediglich Kosten verursachen, ist die Mehrspindel-Bearbeitung ein wichtiger Beitrag für nachhaltige Fertigung sowohl unter Umwelt- als auch Renditeaspekten. Die TWIN-Bearbeitung an sich erfordert eine Betrachtung der Prozesse sowohl hinsichtlich der erzielbaren Werkstückqualität als auch der Gestaltung logistischer Abläufe bzw. der Mehrfachspannung bei Mehrspindelbearbeitung. Abbildung 3 zeigt hierzu einen Vergleich eines klassischen einspindligen Bearbeitungszentrums mit Kugelgewinde- sowie mit Linearantrieb als auch eines TWINBearbeitungszentrums. Die Platz- und Energiebilanz fällt für die TWIN-Lösung deutlich positiv aus, wie oben beschrieben. Für die dargestellte Stückkostenbetrachtung wurden diese Aspekte nicht nochmals bewertet. Es wurden jedoch die Investitionskosten, die Grundlage jedes Kurzfrist- und Budgetdenkens ist, sowie die Qualitätssicherungskosten berücksichtigt.
Abb. 3 Stückkostenbetrachtung für die Einspindel- und TWIN-Bearbeitung
Nachhaltige Fertigung
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Betrachtet wurde die Möglichkeit der Mehrfachaufspannung für die verschiedenen Fertigungsformen und deren Einfluss auf die Anzahl Werkzeugwechsel, Verfahrbewegungen aber auch die Vorrichtungskosten. Mit zunehmender Anzahl aufgespannter Werkstücke lassen sich die Werkzeugwechselzeiten auf mehr Werkstücke verteilen, so dass es zu einer asymptotischen Abnahme der Fertigungszeit je Werkstück kommt. Mit zunehmender Anzahl an Spannnestern steigen jedoch die Anforderungen an die Vorrichtung und die Qualitätssicherungskosten. Die Kostenentwicklung aus Bearbeitungszeit und Qualität ist damit gegenläufig. Das Kostenoptimum ergibt sich sowohl für die ein- als auch die zweispindlige Bearbeitung für 4 aufgespannte Werkstücke. Aus der geringeren Anzahl Verfahrbewegungen und der zeitgleichen Bearbeitung zweier Werkstücke bei der TWIN-Bearbeitung sinken die Stückkosten hier auf 65% gegenüber der einspindligen Bearbeitung mit einem aufgespannten Werkstück. Der Vorteil gegenüber der Einspindelbearbeitung mit mehr aufgespannten Werkstücken beträgt rund 30%. Die Erfolgsformel für die nachhaltige Fertigung lautet somit:
Abb. 4 Erfolgsformel für die nachhaltige Fertigung: mit 2 Spindeln und 4 Werkstücken ca. 30% Kostenvorteile erzielen.
Die theoretische Betrachtung konnte bei STAMA in vielen umgesetzten Projekten in der Praxis bestätigt werden. Dabei kann die TWIN-Bearbeitung für Spindelabstände von 200 mm bis 600 mm realisiert werden. Für größere Spindelabstände stellen oftmals der Bauraum und Ladeautomationen für Werkstücke eine natürliche Grenze dar. Zusammenfassung Bei der nachhaltigen Fertigung stehen Umwelt- und Ressourcenbewußtsein auf der einen Seite und profitable Zerspanung auf der anderen Seite keinesfalls im Widerspruch zueinander. Vielmehr bietet die Mehrspindelbearbeitung, und hier aufgrund der beherrschbaren Komplexität vorrangig die TWIN-Bearbeitung, die Möglichkeit gleichzeitig Platz-, Energie- und Stückkostenvorteile in der Größenordnung von 30% zu erzielen. Darüber hinaus lassen sich während unproduktiver Phasen die Energieverbräuche durch intelligentes Abschalten nicht benötigter Komponenten drastisch reduzieren.
Schallquellenidentifizierung und Geräuschminderung von Hydraulikaggregaten Prof. Dr.-Ing. Wieslaw Fiebig Institut für Maschinenkonstruktion- und Betrieb Technische Universität Wroclaw Wroclaw, Polen
Prof. Wieslaw Fiebig Prof. Dr.-Ing. Wieslaw Fiebig wurde am 5. Juni 1955 in Ostrow geboren. Von 1975 bis 1980 studierte er Maschinenbau an der Technischen Universität Wroclaw. Nach der Promotion im Jahre 1985 arbeitete er am Institut für Maschinenkonstruktion und Betrieb. Von 1990 bis 1991 war er Stipendiat der Alexander von Humboldt Stiftung am Institut für Werkzeugmaschinen an der Universitaet Stuttgart. Von 1991 bis 1998 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am IfW bei Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. mult. Uwe Heisel. Im Jahr 2000 habilitierte er an der TU Stuttgart auf dem Gebiet Fertigungstechnik. Von 1998 bis 1999 war er Mitarbeiter bei Firma Boasch Automation Technology in Racine/USA und seit 2000 bis 2003 bei Bosch Braking Systems in Mirkow/Polen. Seit 2003 ist er am Institut für Maschinenkonstruktion- und Betrieb der TU Wroclaw im Bereich der Fluidtechnik und Maschinenakustik tätig.
Einleitung Die Geräuschemission von Werkzeugmaschinen ist oftmals durch die Geräuschabstrahlung von verbauten Hydraulikaggregaten bestimmt. In einer solche Situation kann die Schallminderung an Hydraulikaggregaten zur Reduzierung des Gesamtgeräusches der Werkzeugmaschine beitragen. Dies ist insbesondere in Hinblick auf die steigenden Anforderungen an die Schallabstrahlung von Werkzeugmaschinen von Bedeutung. Nach längjähriger Forschung und industrieller Anwendungserfahrung konnten die Ursachen für die erhöhte Geräuschemission von Einzelkomponenten weitgehend geklärt werden. Eine wirksame Schallreduzierung kann jedoch in vielen Fällen nicht durch die Betrachtung von Einzelkomponenten alleine, sondern nur bei der Betrachtung des Hydraulikaggregats als Gesamtsystem erreicht werden.
Schallquellenidentifizierung und Geräuschminderung
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Mehrere Untersuchungen [1, 2, 3] haben gezeigt, dass die Einbausituation der Pumpen sowie die Leitungsführung einen wesentlichen Einfluss auf die Geräuschabstrahlung von Hydraulikaggregaten haben. Aus der Erfahrung ist auch bekannt, dass die Pumpen, die im Schallmessraum als leise beurteilt werden, oftmals im Gesamtsystem als sehr laut empfunden werden. Dies weist deutlich darauf hin, dass die Geräuschabstrahlung stark von der Struktur des Gesamtsystems abhängt. Die Schallleistung eines Hydraulikaggregats ist als die Summe der Schalleistungen von einzelnen Komponenten zu betrachten. Der Schalleistungspegel des Aggregats ist durch die lauteste Schallquelle bzw. durch die lautesten Schallquellen bestimmt. Bekannterweise kann eine wirksame Geräuschreduzierung erreicht werden, wenn die Maßnahmen an der Hauptschallquellen vorgenommen werden. Die Lokalisierung der Hauptschallquellen ist deshalb von entscheidender Bedeutung.
Geräuschquellen in einem Hydraulikaggregat Die inneren Wechselkräfte in der Verdrängerpumpe hängen von den periodischen Druckwechseln an den Verdrängerelementen ab. Zusätzlich wirken Erregerkräfte infolge der Druckpulsation, die insbesondere im niederfrequenten Bereich einen wesentlichen Einfluss haben. Auch die mechanischen Stoßanregungen, welche in Pumpen auftreten, müssen berücksichtigt werden. Beide Ursachen für die Anregung, d.h. die Körperschallanregung und die Anregung durch den Flüssigkeitsschall, lassen sich in realen Systemen meistens nicht trennen. Die Antwort auf die Frage, ob die Geräuschentstehung in einem Hydraulikaggregat im Wesentlichen durch die inneren Wechselkräfte und den daraus resultierenden Körperschall oder durch den Flüssigkeitsschall verursacht wird, hängt von der Struktur des Aggregats ab. Die Untersuchungen [1] haben gezeigt, dass der Geräuschentstehungsmechanismus in einem Aggregat mit horizontal eingebautem E-Motor von dem eines Aggregats mit vertikal eingebautem E-Motor unterschiedlich ist. Das Geräuschverhalten des Aggregats hängt stark von der eingesetzten Pumpe ab. Die Zusammenhänge zwischen beiden Ursachen für die Geräuschentstehung in realen Systemen sind meist sehr komplex. In Abbildung 1 sind die vier Grundbauarten von Hydraulikaggregaten schematisch abgebildet.
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Wieslaw Fiebig
Abb. 1 Grundbauarten von Hydraulikaggregaten
Standard In einem solchen Hydraulikaggregat ist die Motor-Pumpe Baugruppe horizontal auf dem Tank angeordnet. Die Geräuschabstrahlung der Pumpe ist meist kleiner als die Geräuschabstrahlung des E-Motors [1]. Die Pumpe ist jedoch für die Geräuschentstehung des Motors mitverantwortlich. Ein Dämpfungsflansch wird zur Minderung der Schwingungsübertragung zwischen Pumpe und E-Motor verwendet. Die Schwingungsübertragung vom Motor zum Tank wird mit Dämpfungsschienen reduziert. Behälter oben Bei dieser Bauform ist die Schallabstrahlung der Tankstruktur meist relativ niedrig [1]. Ein Dämpfungsflansch sowie Dämpfungsschienen werden zur Minderung der Schwingungsübertragung zwischen Pumpe und E-Motor bzw. zwischen Motor und Rahmenstruktur verwendet. Vorteilhaft bei dieser Bauart ist, dass in der Saugleitung anordnungsbedingt meist keine Unterdrücke entstehen. Pumpe im Tank horizontal oder vertikal In Hydraulikaggregaten dieser Bauart befinden sich die Pumpen im Tank. Motoren werden horizontal bzw. vertikal eingebaut. Dämpfungsflansche werden bei dieser Bauart ebenfalls zur Minderung der Schwingungsübertragung zwischen der Pumpe und dem Motor verwendet. Zwischen E-Motoren und Tankwänden werden Dämpfungsringe verwendet.
Schallquellenidentifizierung und Geräuschminderung
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Die Schallübertragungswege sind in Abbildung 2 schematisch skizziert. Der Körperschall wird von der Pumpe zum E-Motor auf dem Weg 1 weitergeleitet. Die Übertragung erfolgt durch den Dämpfungsflansch und über die Kupplungsglocke (Weg 1a) sowie über die Kupplung (Weg 1b). Vom Motor werden die Schwingungen zur Lüfterabdeckung (Weg 2) und zur oberen Tankwand (Weg 3) weitergeleitet. Ein Teil der Schwingungsenergie wird in Form von Flüssigkeitsschall durch die Leitungselemente von der Pumpe zum Tank weitergeleitet (Weg 5). Infolge der Pumpenschwingungen wird ebenfalls Flüssigkeitsschall angeregt und direkt zur Tankstruktur geleitet (Weg 6). Der Luftschall, der sich im Luftraum des Tankvolumens ausbreitet, wird durch die Tankwände nach außen abgestrahlt (Weg 7).
Abb. 2 Die Schallübertragungswege in einem Hydraulikaggregat mit vertikal eingebautem Antriebsmotor
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Wieslaw Fiebig
Schallquellenlokalisierung und deren Rangfolge Zur Schallquellenlokalisierung wird das Schallintensitätsmessverfahren verwendet. Die wichtigsten Vorteile dieser Methode sind:
x x x x
die einzelnen Schallquellen können betrachtet werden, stationäre Störgeräusche haben keinen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis, der Einfluss des Raumes sowie anderer Schallquellen ist relativ klein, Messungen im Nachfeld sind möglich.
Die Messungen wurden an einem Hydraulikaggregat mit 800 l Tankvolumen und vertikal eingebautem E-Motor mit einem Abstand von 5 cm von der Oberfläche des Hydraulikaggregats durchgeführt. In Abbildung 3 ist die Intensitätsverteilung an der Oberfläche des Hydraulikaggregats mit vertikal eingebauten E- Motor für Vollhub und Nullhub dargestellt.
Abb. 3 Schallintensitätsverteilung an der Oberfläche des 800 l Aggregats (1200 min-1, 120 bar), für a) Nullhub und b) Vollhub, Frequenzbereich 100 – 8000 Hz
Schallquellenidentifizierung und Geräuschminderung
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Der aktive Anteil der Schallintensität, der für die Schallabstrahlung verantwortlich ist, ist für den Frequenzbereich von 100 Hz bis 8 kHz auf die Oberfläche des Aggregates projiziert. Es ist zu sehen, dass der E-Motor und die vordere und obere Tankwand die Hauptschallquellen bei Vollhub darstellen. Die Schallabstrahlung des Motors erfolgt besonders auf der Grundfrequenz der Pumpe bei 216 Hz und deren Harmonischen (432 Hz, 648 Hz, siehe Abbildung 4). Dies weist darauf hin, dass die Pumpe für die Geräuschabstrahlung am Motor verantwortlich ist. Bei Nullhub werden die Schallintensitätspegel an den Tankwänden relativ hoch (Abbildung 3b). Die Schallabstrahlung der Tankwände ist besonders stark im hoherfrequenten Bereich von 2 bis 8 kHz.
Abb. 4 Schallintensitätsspektrum für ein Messpunkt am Motor (1180 min-1, 120 bar, Nullhub)
Abbildung 5 ordnet die Schallquellen in einer Rangfolge nach der Schallintensität bei Vollhub und Nullhub. Eine Geräuschminderung des Komplettaggregats im Betriebszustand „Vollhub“ ist zu erreichen, wenn die Geräuschabstrahlung des EMotors sowie der Tankwände (vordere und obere Seite) reduziert wird. Für Nullhub dagegen ist die Schallabstrahlung der Tankwände entscheidend. Nur die Maßnahmen an Hauptgeräuschquellen führen zu einer entscheidenden Reduzierung des Gesamtgeräusches des Hydraulikaggregats.
Abb. 5 Rangfolge der Schallquellen am Hydraulikaggregat a) Vollhub, b) Nullhub (1180 min-1, 120 bar)
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Wieslaw Fiebig
Schwingungsmessungen und FE- Simulation Zur weiteren Identifizierung des Geräuschverhaltens des Hydraulikaggregats wurden zusätzlich Schwingungsmessungen an den Hauptschallquellen durchgeführt. Mit Hilfe der Betriebsschwingungsanalyse (ODSA - Operational Deflection Shape Analysis) werden die dominierenden Frequenzen und Schwingformen bei diesen Frequenzen aufgezeigt.
Abb. 6 Schwingformen aus der Betriebsschwingformanalyse bei dominierenden Frequenzen a) für Motor und Tankdeckel bei 432 Hz, b) für den Tank bei 2390 Hz
Es wurde festgestellt, dass der Elektromotor im Frequenzbereich unterhalb 1000 Hz (Abbildung 6a) als Starrkörper schwingt. Diese Schwingungen hängen hauptsächlich von der Abstützung des Motors auf dem Tankdeckel ab. Die Tankstruktur dagegen (Abbildung 6b) schwingt im Frequenzbereich über 2 kHz. Dieses Verhalten stimmt mit den Ergebnissen aus der Schallintensitätsmessung überein. In der Tabelle 1 sind charakteristische Frequenzen des Hydraulikaggregats zusammengestellt. Grundfrequenz der Pumpe und Harmonische: fk = k·n·z/60 mit k = 1…n N=1180 U/min, z=11 (Anzahl der Verdrängerelemente): f1 = 216 Hz Schwingungsanregung des E-Motors: fM =2·fL·R (1-s)/P+2·fL (Netzfrequenz) fL = 60 Hz R = 42 (Anzahl der Kurzschlussstäbe am Rotor (Schlupf des Motors unter Belastung, s = 1-1180/1200 = 0.0166) S = 1-ns/n P=6 (Anzahl von magnetischen Pole, fM =945 Hz) Frequenz [Hz] 216 275 292 432 596 648 876 948 1080
Beschreibung 1. Harmonische Hauptpumpe 1. Harmonische Speisepumpe Motor (5. Harmonische der Betriebsfrequenz) 2. Harmonische Hauptpumpe Motor (10. Harmonische der Betriebsfrequenz) 3. Harmonische Hauptpumpe 4. Harmonische Hauptpumpe Motor (Pulsation elektromagnetischer Kräfte) 5. Harmonische Hauptpumpe ff.
Schallquellenidentifizierung und Geräuschminderung
Frequenz [Hz] 1296 1512 1728 1944 2163 2376 2595
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Beschreibung 6. Harmonische Hauptpumpe 7. Harmonische Hauptpumpe 8. Harmonische Hauptpumpe 9. Harmonische Hauptpumpe 10. Harmonische Hauptpumpe 11. Harmonische Hauptpumpe 12. Harmonische Hauptpumpe
Tabelle. 1 Charakteristische Frequenzen am Hydraulikaggregat
Abb. 7 Eigenschwingform der Motor-Pumpe Baugruppe bei 716 Hz (FE-Simulation)
Es wurden parallel zu den Messungen Berechnungen mit der FEM (Finite Elemente Methode) durchgeführt. In Abbildung 7 ist die Eigenschwingform der Motor- Pumpe Baugruppe bei der Eigenfrequenz von 716 Hz z sehen. In dem FEModell ist die Pumpe (unten) und der E-Motor (oben) als Starrkörper modelliert. Die Kupplungsglocke sowie die Lüfterabdeckblech sind dagegen mit elastischen Schalenelementen, der Dämpfungsflansch zwischen Pumpe und Motor mit 3DFederelementen modelliert. Die Simulationsergebnisse waren sehr hilfreich für die Interpretation der Messergebnisse und erlauben den Modellabgleich auf die Eigenfrequenzen der Motor-Pumpe Baugruppe und die Identifizierung der Modellparameter. Die Geräuschabstrahlung des Tanks erfolgt, wie bereits erwähnt, hauptsächlich im Frequenzbereich über 2 kHz. Um hier eine Geräuschminderung zu erreichen wurden die Tankwände zusätzlich mit schallisolierendem Material ausgestattet.
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Abb. 8 Gemittelte Schalldruckpegel am Hydraulikaggregat in Abhängigkeit des Betriebsdrucks für eine Standardausführung und eine optimierte Version bei a) Vollhub, b) Null-hub
Die Abbildung 8 zeigt den abschließenden Vergleich der gemittelten Schalldruckpegel (nach DIN 65435) in Abhängigkeit vom Betriebsdruck für eine Serienversion (Standardversion) und eine optimierte Version des Hydraulikaggregats. Aus dem Vergleich ist zu sehen, dass für die Betriebsdrücke 150 bar und Nullhub eine deutliche Geräuschminderung von 6 dB(A) erreicht worden ist. Schlussfolgerungen In diesem Beitrag werden die Geräuschentstehungsmechanismen und die Identifizierung der Hauptschallquellen am Beispiel eines Hydraulikaggregats mit vertikal eingebauter Pumpe-Motorbaugruppe aufgezeigt. Zur Schallquellenlokalisierung wurden Messungen nach der Schallintensitätsmethode verwendet. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Schallquellen mit großen Abstrahlflächen wie beispielsweise Elektromotor und Tankwände auch den größten Anteil an der gesamten Schallemission des Hydraulikaggregats haben. Die Wirksamkeit von Schallminderungsmaßnahmen ist demzufolge nur dann hoch, wenn sie an diesen Hauptschallquellen vorgenommen werden. Eine wesentliche Geräuschminderung des Hydraulikaggregats mit vertikal eingebautem Motor wurde durch die Reduzierung der Schallübertragung zwischen Pumpe und Motor sowie einer Bedämmung der Tankwände erreicht. Es konnten Schallpegelreduzierungen von 2 dB(A) im Vollhub und bis zu 6 dB(A) im Nullhub erzielt werden.
Literatur [1] [2] [3]
Fiebig, W.; Wernz, Ch.: Untersuchung des Geräusch- und Schwingungsverhaltens von hydraulischen Systemen. In: o+p Ölhydraulik und Pneumatik, Nr 5, 1997, S. 368 – 372 Fiebig W.; Zirkelbach, T.: Simulation des Körperschallverhaltens von hydraulischen Systemen. Teil 2. Rehnergestützte Strukturoptimierung. In: o+p Ölhydraulik und Pneumatik, Nr. 8, 1997, S. 610 - 614 Dahm, M.: Wirksame Schallreduzierung von Hydraulikaggregaten. In: o+p Ölhydraulik und Pneumatik, Nr 2, 1997
Innovative Spanntechnik, ein Mehrwert für den Kunden Dr.-Ing. Michael Fried Geschäftsführer Röhm GmbH Sontheim/Brenz
Dr. Michael Fried Dr.-Ing. Michael Fried (Jahrgang 1966) studierte von 1987 bis 1993 an der Universität Stuttgart Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Fertigungstechnik. Von 1994 bis 1997 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen und promovierte zum Thema „Messen von Drehschwingungen an Verzahnmaschinen“. Von 1997 bis 2008 war er für die KOMET Group, einem führenden Hersteller von Präzisionswerkzeugen zur Bohrungsbearbeitung in unterschiedlichen Funktionen tätig, zuletzt als technischer Geschäftsführer der KOMET Precision Tools und Verantwortlicher für die weltweite Produktion der gesamten KOMET Group. In dieser Funktion führte er mehr als 1.000 Mitarbeiter an unterschiedlichen Produktions- und Servicestandorten weltweit. Weitere Schwerpunkte seiner Tätigkeiten waren die erfolgreiche Restrukturierung von Standorten in den USA und in der Schweiz sowie der Aufbau von Joint Ventures in Osteuropa und in Asien. Seit 2008 ist er Alleingeschäftsführer der Fa. RÖHM. 1909 gegründet, gilt RÖHM heute als einer der bedeutendsten Spannmittelhersteller der Welt, mit einem umfangreichen Standardprogramm und leistungsfähiger Sonderfertigung. Die Produkte werden über ein globales Netzwerk mit 10 Tochtergesellschaften, einem Jointventure in China und mehr als 50 Vertretungen weltweit vertrieben. Der Exportanteil der deutschen Produktion liegt bei ca. 50%. Röhm beschäftigt in der Unternehmensgruppe mehr als 1.500 Mitarbeiter. Der aus Fellbach bei Stuttgart stammende Maschinenbauingenieur ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Ausgangssituation Die Anforderungen an Werkstück- sowie Werkzeugspannsysteme wachsen ständig. Um dennoch hochwertig und wirtschaftlich produzieren zu können, werden hochpräzise und gleichzeitig kostengünstige Lösungen vom Markt gefordert. Mehr und mehr werden auch Zusatzanforderungen wie Energieeffizienz oder zusätzliche Überwachungsanforderungen gewünscht.
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Michael Fried
Die Haupteinflussfaktoren auf die Produktqualität sind durch die Maschine, die eingesetzten Werkzeuge, die Werkstück- und Werkzeugspannsysteme in Verbindung mit den verwendeten Fertigungsparametern bestimmt. Gerade für das Themenfeld der Werkstück- und Werkzeugspannsysteme gibt es nur wenige Spezialisten am internationalen Markt, die als Komplettanbieter auftreten.
Abb. 1 Arbeitsgebiete der Röhm GmbH in der Drehbearbeitung
Abb. 2 Arbeitsgebiete der Röhm GmbH in der Fräsbearbeitung
Die Röhm GmbH ist seit über 100 Jahren auf diesem Gebiet führend tätig. Sie deckt das komplette Produktportfolio - vom kleinsten Bohrfutter über Drehfutter bis zu 5,5 m Durchmesser, Kompakt-Spannern bis hin zur HightechSpanneinrichtung sowie einem großen Potenzial an Sonderkonstruktionen - ab. Zur Veranschaulichung der Vielfalt der entwickelten und produzierten Produkte werden diese beispielhaft in Dreh- und Fräsmaschinen (siehe Abb.1 und Abb. 2) dargestellt.
Innovative Spanntechnik
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Intelligente Spanntechnik aus Sicht der Fa. Röhm Intelligente Spanntechnik ist aus Sicht der Fa. Röhm GmbH eine technisch robuste, dem Anwendungsfall angepasste Lösung, die einen Mehrwert für den Kunden darstellt. Dabei können der „intelligente Einsatz“ von einfacheren Systemen ebenso pfiffig sein, wie technisch sehr ausgereifte und an den Anwendungsfall angepasste Futter und Vorrichtungen. Auf einige Beispiele für intelligente und innovative Systeme wird im Folgenden eingegangen. Schwenk- und Taktfutter Gerade der Einsatz von Schwenk- und Taktfuttern beinhaltet ein erhebliches Einsparpotential für den Endanwender. Der Einsatz führt zu einer höheren Funktionsdichte und damit zu der Möglichkeit mehrere Operationen ohne aufwendiges Umspannen und erneutes Ausrichten auf einer Maschine durchzuführen. Dies führt neben der Reduktion der Maschineninvestition vor allem auch zu einer Optimierung der Durchlaufzeit sowie der Verbesserung der Produktqualität.
Abb. 3 Hydraulisch betätigtes Doppeltaktfutter
Gerade bei der Bearbeitung von Kurbelwellen haben sich hydraulisch betätigte Taktfutter durchgesetzt. Diese integrieren Spann- und Richtfunktionen sowie die Zentrierung des Werkstückes über eine meist einfahrbare Spitze. Das hier dargestellt Futter ist stufenlos einstellbar von zentrischer Spannung bis hin zu einer exzentrischen Spannung von 50 mm. Es wird zur Bearbeitung von Mehrzylinder- und Kurbelwellenlagern in einer Aufspannung eingesetzt. Mit Hilfe des Futters können die Haupt- und Hublager sowie die Endenbearbeitung auf einer Maschine in einer Aufspannung komplett durchgeführt werden.
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Michael Fried
Abb. 4 Hydraulisch betätigtes Schwenkfutter zum Spannen von Ventilgehäusen
Bei den Schwenkfuttern steht weniger die Funktionsintegration im Vordergrund als die Mehrseitenbearbeitung verschiedenster Werkstücke. Dabei wird der Schwenkwinkel einmal hochgenau eingestellt. Der Vorteil dieser Bearbeitung liegt darin, dass das Schwenkfutter quasi eine Zusatzachse darstellt, deren Schwenkwinkel einmalig hochgenau abgestimmt wird. Dies führt zu einer sehr hohen Winkelgüte auf dem Werkstück. Röhm Super Lock für HSK Vor allem bei extrem hohen Drehzahlen oder in der Schwerzerspanung, wenn enorme Wuchtqualitäten und besondere statische und dynamische Steifigkeiten am Werkzeug gefragt sind, muss die Verriegelung zwischen dem Hohlschaftkegel und der Werkzeugmaschine extremen Anforderungen gerecht werden. Unter härtesten Zerspanungsbedingungen sind daher zuverlässige Spannelemente von höchster Priorität um einen sicheren Prozessablauf zu gewähren. Eine neue innovative Spanntechnik bietet Röhm mit der selbsthemmenden, federlosen Verriegelungseinheit für Hohlschaftkegel in Werkzeugmaschinen. Das zukunftsweisende Prinzip verbessert nicht nur den Arbeitsprozess, sondern es ermöglicht deutlich platzsparendere Bauformen. Das Verriegelungssystem (siehe Abb. 5) Super Lock dient als revolutionäres Verbindungsglied zwischen dem HSK-Spannsatz und der Betätigungsstange. Sogar bei großen HSK-Toleranzen überträgt die Einheit die Betätigungskraft sicher und garantiert die Verbindung
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über mechanische Selbsthemmung. Mit einer symmetrischen Spannzange kommt RÖHM Super Lock dabei erstmals komplett ohne Federn und zusätzlicher Haltekraft aus. Der angekoppelte HSK-Spannsatz wird in die Spannposition bewegt und verriegelt sich dort selbsthaltend an den flachen Kegeln der Zugbolzen und Spannhülse. Beim Lösen entriegelt eine Betätigungskraft von weniger als 2000 N (beispielsweise beim HSK-A 63) den Zugbolzen und drückt die Zugstange und damit das Druckstück des HSK-Spannsatzes nach vorn. Da zum Lösen keine ansteigende Federkraft überwunden werden muss, wird das HSK- Werkzeug mit geringeren Kräften wie bei herkömmlichen Federsystemen ausgestoßen.
Abb. 5 Super Lock
Energieeffiziente, Sensitive und adaptive Spanntechnik – die Zukunft hat schon begonnen Wurden in den letzen Jahren vor allem die Funktion sowie die Qualität der Spannsysteme weiter vorangetrieben, sind die augenblicklichen Tendenzen eher im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Systeme sowie der Feinfühligkeit und Einstellbarkeit der Systeme ausgerichtet. Exemplarisch für die laufenden Entwicklungs- und Forschungsarbeiten gehen wir hier auf das System Clamp by Wire sowie den Elektrospannzylinder ein. Zusammen mit Industriepartnern wurden die in Abb. 5 beschriebene innovative Verriegelungseinheit Super Lock mit dem neuartigen Betätigungssystem zu dem Produkt „Clamp by Wire“ (Abb. 6) vereint. Die Hauptmerkmale des Systems sind das selbstverriegelnde Werkzeugspannsystem und der Linearmotor sowie die Ansteuerelektronik. Dadurch werden die bisher notwendigen Federpakete und Hydraulikeinheiten überflüssig.
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Abb. 6 Clamp by Wire
Durch die Analyse des Kraftverlaufes beim Spannen der Werkzeugaufnahme in der HSK-Schnittstelle werden Verschmutzungen und Späne im μ-Bereich sowie die Toleranzen von Werkzeugaufnahmen und auch Schwergängigkeiten z. B. durch Schmierung im Spannsystem erkannt. Damit können Ungenauigkeiten schon vor der Beabreitung erkannt und vermieden werden. Mit einer nahezu unerreichten Geschwindigkeit des Linearmotors können die Werkzeuge innerhalb von nur 50 Millisekunden gespannt und gelöst werden. Durch den Entfall der Federpakete erhöht sich die Lebensdauer des Systems und wird durch die stufenlos einstellbare Spann- und Einzugskraft noch flexibler. Die selbsthemmende Verriegelungseinheit Super Lock arbeitet mit einer rotationssymmetrischen Zange und funktioniert komplett ohne Federn. Es ist wesentlich kompakter aufgebaut als die herkömmlichen, klassisch „federgespannten“ HSK-Spannsysteme und dies bei höchster Wuchtqualität, hoher statischer und dynamischer Steifigkeit.
Elektro-Hohlspannzylinder Die Forderung nach umweltfreundlicher Technologie mit geringem Energieverbrauch bedingt auch neue Wege der axialen Bewegung zum erzeugen der Betätigungskraft für Spannmittel an Arbeitsspindeln. Dabei ist als höchste Priorität die Zuverlässigkeit unter härtesten Einsatzbedingungen für einen sicheren Prozessablauf zu gewährleisten. Der neue innovative Elektro-Hohlspannzylinder setzt mit seiner flexiblen und stabilen Konstruktion erfolgreiche Akzente in Ökologie und Ökonomie.
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Abb. 7 Elektro-Hohlspannzylinder
Der Elektro-Hohlspannzylinder wurde zum Anbau an rotierende Spindeln in Dreh- und Schleifmaschinen entwickelt. Die Realisierung einer elektrischen Betätigung der axialen Bewegung und zur Erzeugung und Regelung der Betätigungskraft wurde für Spannmittel an Arbeitsspindeln erfolgreich umgesetzt. Durch den selbsthemmenden Aufbau des Antriebes bleibt die eingeleitete Kraft des Motors auch nach dessen Abschalten erhalten. Die eingebauten Energiespeicher gewährleisten eine zusätzliche Erhöhung der Spannsicherheit bei einem Stromausfall und/oder bei einem Ausfall einer anderen Komponente des Elektro-Hohlspannzylinders. Auch die wegabhängige Steuerung zum Erreichen der Betätigungskraft ist in die Funktion der Energiespeicher integriert. Die analoge HubSensorik des Elektro-Hohlspannzylinders erfasst die Stellungen von Zugstange und Energiespeicher. Die angeschlossene Steuerung regelt über diese Werte die eingestellte Betätigungskraft im vorgegebenen Spannbereich. Ergibt sich eine Änderung dieser Situation, wird über einen Automatismus auch bei rotierender Spindel die Spannkraft reguliert. Auch eine Fehlspannung oder eine Schwergängigkeit des Spannsystems kann sofort erkannt werden. Der Einzug der Elektronik sowie die immer steigenden Kundenwünsche im Hinblick auf Ökologie und Ökonomie führen dazu, dass die Entwicklungszyklen in der Werkstück- und Werkzeugspanntechnik immer kürzer werden, was das Themenfeld zu einem sehr interessanten und vor allem zukunftsfähigen Bereich macht.
KomTronic® - Aktorische Werkzeugsysteme für die Einsatzerweiterung von StandardBearbeitungszentren Dr.-Ing. Jürgen Fronius Leiter Geschäftsbereich Mechatronik KOMET Group GmbH Besigheim
Dr. Jürgen Fronius Dr.-Ing Jürgen Fronius wurde am 07. Februar 1968 in Kronstadt geboren. Von 1987 bis 1990 studierte er Maschinenbau an der Hochschule im Geburtsort und beendete sein Studium 1997 an der Universität Stuttgart. Anschließend hatte er eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter bis 2002 am Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart, unter der Leitung von Prof.-Dr. Dr. h. c. mult U. Heisel, inne. Ab 2003 begann seine Tätigkeit bei der KOMET Group GmbH in Besigheim. Seine Laufbahn begann 2003 in der Entwicklung und führte über die Leitung des TechCenters und der Entwicklung zu seiner jetzigen Position als Leiter des Geschäftbereiches Mechatronik seit Anfang 2009.
Einleitung Die Entwickler spanender Fertigungssysteme stehen seit geraumer Zeit unter erhöhtem Innovationsdruck. Neben dem entscheidenden Aspekt der Stückkosten spielt das gesteigerte Umweltbewusstsein eine zunehmende Rolle. Die aktuelle Krise des Kreditwesens tut ein Übriges um den Forderungen nach geringen Investitionskosten und damit geringem Kreditbedarf oder erhöhter Flexibilität zur Kosteneinsparung bei Serienumstellung, geringem Energiebedarf und ressourcenschonendem Betrieb neuen Nachdruck zu verschaffen. Auf genau diesen Forderungskatalog wurde die KomTronic® - Produktpalette zugeschnitten. Ausgangspunkt war die Flexibilität die besonders bei komplexen, asymmetrischen Bauteilen eine Herausforderung darstellt. Quaderförmige Bauteile wie Hydraulikventilblöcke oder Zylinderköpfe von Verbrennungsmotoren stellen in ihrer Kombination aus Fräs- Drehbearbeitungen die „Königsklasse“ der spanenden Fertigung dar. Die Lösungen, besonders für die Drehkonturen sind im Allgemeinen großserientauglich ausgelegt. Die Konsequenz sind bauteilbezogen ausgelegte Transferstrassen oder Rundtaktmaschinen, eine Kombination dieser Bearbeitungen auf ei-
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nem flexiblen BAZ waren bislang nicht möglich. Die Drehkonturen werden gewöhnlich an einer eigenen Bearbeitungsstation, bestehend aus der Bauteilspannvorrichtung und einem fest mit der Spindel verschraubten Planschieber, die jeweils auf Schlitten mit der benötigten Anzahl an Freiheitsgraden montiert sind, realisiert. Der Grundgedanke bei den KomTronic® – Systemen besteht darin die Planschiebersysteme, welche die geregelte Radialzustellung der Schneide zur Rotationsachse sicherstellen, automatisch auswechselbar zu gestalten. Um dies zu ermöglichen mussten für „Zerspaner“ ungewöhnliche Aufgaben gelöst werden. Zuerst die berührungslose Energie- und Datenübertragung um einerseits Verschleißfreiheit sicherzustellen und andererseits das Werkzeugsystem als Achse an die NC einbinden zu können. Eine weitere, nicht minder herausfordernde Aufgabe bestand darin die üblichen Komponenten einer NC-Achse so zu miniaturisieren, dass sie in ein Werkzeug passen, dass kompatibel mit genormten Werkzeugmagazinen bzw. Werkzeugwechslern ist. D.h. begrenzte Störkontur und Massen bis je nach Maschinentyp zwischen 8 und 18 kg. Die Entstehungsgeschichte dieser Produktpalette geht einher mit dem Fortschritt in der Mikroelektronik. Chronologie der KomTronic® Ausgangspunkt des KomTronic® Produktprogrammes war die Idee, die Radiallage des Werkzeughalters in Feinspindelköpfen zu messen und zu visualisieren. Dieser Gedanke führte zur Geburtsstunde des M040 im Jahr 1990 (Abb. 1). In diesen Feinspindelkopf ist ein Wegmesssystem, dass mittels einer Batterie gespeist wird integriert und der Lagewert wird digital in einem Display visualisiert. Der Lagewert kann μm-genau dargestellt werden wobei die Auflösung des Messsystems 0,5 μm beträgt. Die Anzeige in metrischen Maßeinheiten oder in USMaßeinheiten, absolut oder relativ kann per Knopfdruck umgeschaltet werden. Die Verbindung zum Werkzeug bzw. der Spindel wird durch gängige Schnittstellen wie ABS oder HSK sichergestellt.
Abb. 1 Feinverstellkopf M040 und Feinbohrsystem M042
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Mit dem steigenden Erfolg diese Systems wuchsen auch die Ansprüche. Der Erfolg des M040 führte zu dem Wunsch, die Schneidenlage „per Fernsteuerung“ korrigieren zu können. Dies ging allerdings nicht mehr ganz so kompakt wie beim Feinbohrkopf, wurde doch für die Werkzeugverstellung ein aktorisches Element, ein Motor, benötigt, dieser wiederum benötigt eine Energieversorgung, die Versorgung wiederum Verschleißfreiheit usw. Einige technische Hürden mussten genommen werden bis ein System mit erweiterter Funktionalität entstand der M042 (Abb. 1). Über ein induktives, berührungsloses System wird der Motor mit Strom versorgt, der wiederum eine anspruchsvolle, weil sehr genaue Stellkinematik antreibt. Der Datenaustausch wird über Infrarot, kompatibel zu den gängigen Messsystemen wie Blum und Marposs, sichergestellt. Hierbei wurde die Möglichkeit realisiert, aus einer bestimmten Position der Schneide heraus die Lage in sehr kleinen Schritten annähernd μm genau zu verstellen. Die Kompatibilität zu den Meßsystemen ist daher naheliegend, insofern das Bearbeitungsergebnis in der Vorrichtung gemessen werden kann und damit die Schneidenlage sehr zeitnah korrigiert werden konnte. Nachdem die Verstellung der Werkzeugschneide meist nicht in der Bearbeitung stattfindet ist die Maschinenintegration solcher Systeme verglichen mit aktuellen Systemen noch recht einfach, aber ohne Kommunikation mit der Werkzeugmaschine ist der Betrieb des M042 nicht mehr möglich. Die Zustandsüberwachung wird mittels SPS Integration und die Umrechnung von Messwerten in Lagekorrekturwerte wird durch einen externen PC umgesetzt, der auch die Kommandos zum Fahren bzw. zur Schneidenlage realisiert. Für Feinstbearbeitung in 6-er Genauigkeit ist der M042 etabliert. Der logische Ausbau dieser Systeme zur einwechselbaren Achse war ab da nur noch ein einzelner, zugegebenermaßen komplexer Schritt. Lagegeregelte Planschieber für die Bohrungsbearbeitung Die wesentliche Funktion von Planschiebern besteht darin rotierenden Werkzeugen einen zusätzlichen Freiheitsgrad radial zu der Rotationsachse zu verleihen, analog zu den vorher beschriebenen Systemen. Der wesentliche Unterschied besteht in der Größenordnung der Bewegung, M040 und M042 verfügen über einen Hub im Bereich 2 mm während gängige Planschieber bis 50 mm innerhalb des KOMET Produktportfolios angeboten werden. Mit solchen Systemen können Konturen wie sie in Abbildung 2 dargestellt sind generiert werden. Dies macht es einerseits notwendig eine mitrotierende Kinematik zu integrieren die es ermöglicht den Werkzeugträger in dieser Größenordnung sehr genau zu bewegen, andererseits aber auch diese Bewegung vom ortsfesten Gehäuse in die rotierende Spindel zu übertragen. Die gängigste Antriebsart des Planschiebers besteht in der Bewegungseinleitung durch eine Zug-Druckstange die durch die als Hohlwelle ausgelegte Spindel in den Planschieber eingreift. Hier ist die Einleitung einer Axialbewegung von der stationären Seite der Spindel mittels eines Servomotors in den rotierenden Bereich technisch kostengünstig zu lösen, hat aber den Nachteil
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der Ungenauigkeit bzw. externer Einflussgrößen, im wesentlichen die Wärme. Der Wärmegang der Zug- Druckstange macht einen Einsatz bei genaueren Anwendung relativ aufwendig und hat andere Lösungen hervorgebracht, im Wesentlichen den Ersatz der Zugdruckstange mit einer Rotationswelle. Die Rotationsbewegung entkoppelt die Spindellänge, durch welche die Antriebselemente des Planschiebers durchreichen müssen von den thermischen Einflüssen.
Abb. 2 Bearbeitungsbeispiele von Konturen mittels lagegeregelter Werkzeugsysteme (Quelle: KOMET® )
Summa summarum sind die Planschiebersysteme sehr aufwendig und, besonderer Nachteil, sie belegen eine Spindel permanent ohne Raum für Flexibilität zu lassen. Aus dieser Ausgangslage in Verbindung mit den Erfahrungen mit den Feinverstellsystemen hat sich das Herzstück des KomTronic® Produktprogrammes ergeben, die U-Achse als einwechselbare, analoge NC-Achse. Diese Werkzeugsysteme bestehen aus einem geregelten Antrieb, der in einen einwechselbaren Kopf integriert, berührungslos mit Energie und Daten versorgt wird und in der Lage ist, den Schieber, auf den ein Werkzeug montiert ist, radial zur Rotationsachse zu verstellen. Nachdem auch ein Datenaustausch mit der Steuerung stattfindet, kann diese Radialbewegung zur Rotationsachse mit der Vorschubbewegung des gesamten Kopfes interpoliert werden. Die Konsequenz ist die Möglichkeit, ebenfalls die in Abbildung 2 dargestellten Konturen mit rotierendem Werkzeug zu bearbeiten. Wie ein solcher Werkzeugkopf aufgebaut ist, ist in Abb. 3 zu sehen. Gehäuse Schnittstelle zwischen Antrieb und Planschieber
Grundkörper mit HSK100
Motorwelle Kühlmittelzufuhr
Mutter Gewindespindel KSS Austritt
Energie- und Datenübertragung Rotor Motor Stator Blechpaket Verzahnter Schieber Werkzeugträger
Wickelköpfe Platine
Planschieber Umrichter
Abb. 3 Querschnitt durch eine U-Achse
Resolver
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Der Grundkörper weist eine Standard-Spindel-Schnittstelle auf, mittels der er in die Spindel eingewechselt werden kann. Elektronische Hauptkomponenten sind die berührungslose Energie- und Datenübertragung, der Elektromotor mit der entsprechenden Antriebselektronik und der Lageencoder, der auch ein Resolver sein kann. Mechanisch ist das System ein Planschieber der durch eine rotative Bewegung angetrieben wird welche durch den einwechselbaren Werkzeugkopf erzeugt wird (Abb. 5). Da diese Systeme als einwechselbare, vollwertige Achsen ausgelegt sind, ist die Einbindung derselben in die Werkzeugmaschine komplex. Die Zustandsüberwachung und diverse Kommandos werden über 11 SPS-Eingänge und 3 Ausgänge realisiert. Nachdem die Lageregelung in der NC-Steuerung angesiedelt ist übergibt diese die Sollgeschwindigkeit an den Werkzeugkopf. Hier wird gemäß dem Stand der Technik eine analoge Schnittstelle benötigt, Anbindungen an frei zugängliche Datenbussysteme, wie Profibus, sind in Arbeit, aber noch nicht implementiert. Der Lageistwert wird im Kopf mittels eines digitalen Protokolls über den Luftspalt zwischen Stator und Rotor übermittelt und an die NC-Anpassung (NCA) weitergeleitet. Von hier wird der Wert als Inkrementalsignal an die Steuerung weitergegeben, wo dieser Wert zur Lageinterpolation benutzt wird (Abb. 4). Nachdem diese Werkzeugsysteme eine hohe Komplexität aufweisen, ist es unabdingbar, die Einsatzmöglichkeiten so divers wie möglich zu halten. Dies wird durch eine konsequente modulare Auslegung erzielt (Abb. 5).
Abb. 4 Einbindung einer U-Achse in die Werkzeugmaschine
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Die am Markt gängigen Bearbeitungszentren werden unter anderem anhand ihrer Spindelschnittstelle klassifiziert. Gängig sind für schwere Bearbeitung und große Werkstücke BAZ mit Spindelschnittstellen HSK100, SK50, C8. Für kleinere Anwendungen sind HSK63, SK40, C6 gängige Schnittstellen. Nachdem diese Werkzeugmaschinen unterschiedliche technische Spezifikationen an den Werkzeugwechslern, der Werkzeugmagazinen usw. aufweisen, sind dies die wesentlichen Kriterien anhand derer die mechatronischen Systeme ausgelegt wurden. Die Antriebsmodule sind jedenfalls für diese Maschinengrößen ausgelegt und es ist möglich, auf ihnen unterschiedliche Planschiebersysteme über eine einheitliche Schnittstelle anzubringen. Das hat den Vorteil, dass die Planschieber auch rein mechanisch angetrieben werden können (Abb. 5).
Abb. 5 Antrieb-Plandrehkopf Kombinationen (Quelle: KOMET® )
Anwendungsbeispiel Abgeschlossen wird dieser Abschnitt mit einem Anwendungsbeispiel. In Abbildung 6 ist ein HSK63 System dargestellt. Der Werkzeugkopf verfügt über 22 mm (± 11 mm) Hub, wobei auf den verzahnten Schieber ein KOMET ABS® 40 Adapter mit einem bifunktionalen Werkzeug aufgespannt ist. Mit der einen Werkzeugseite kann gespindelt werden, auf der anderen Werkzeugseite ist ein Glättdiamant angebracht, mit dem die Oberflächenstruktur des bearbeiteten Formelements geglättet werden kann.
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Abb. 6 Einsatzbereite U-Achse mit 22 mm Hub, 6,4 kg Eigenmasse
Klassischer Einsatzfall solcher Systeme sind Konturen wie in Abbildung 7 dargestellt. Hierbei handelt es sich um das Oberteil eines Umformwerkzeuges. Zusätzlich konnte bei diesem Werkstück, das aus Wuchtgründen nicht in eine Drehspindel passt und stehend, in der gleichen Aufspannung wie der Rest der Bearbeitungsstufen eine stark verbesserte Lagetoleranz des Formelements zu der Lagereferenzen erzielt werden.
geglättete Kontur gespindelte Kontur Abb. 7 Bearbeitungskontur des Systems aus Abb. 6, Formwerkzeug, Werkstoff X20, Ra= 0,3
Sorb Tech - ein neuer Konstruktionswerkstoff für den Holzbearbeitungsmaschinenbau Dipl.-Ing. Martin Gringel Leiter Entwicklung Stationärmaschinen HOMAG Group AG Schopfloch
Martin Gringel Dipl.-Ing. Martin Gringel wurde am 03. Januar 1963 in Albstadt-Ebingen geboren. Nach Abschluss der Studiengangs Maschinenwesen an der Universität Stuttgart im Jahr 1990 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart. 1996 wechselte er als Geschäftsführer zum Zentrum Fertigungstechnik Stuttgart, wo er 1998 zum Sprecher der Geschäftsführung ernannt wurde. Seit 1999 ist Herr Gringel Leiter der Entwicklung Stationärmaschinen der Fa. Homag Holzbearbeitungssysteme AG in Schopfloch.
Innovationen im Maschinenbau und insbesondere bei Holzbearbeitungsmaschinen werden in erster Linie durch neue Produkte unserer Kunden, neue Herstellungsund Bearbeitungsverfahren sowie neue hochproduktive Maschinenkonzepte vorangetrieben. Beste Beispiele hierfür sind Leichtbaukonstruktionen bei Möbeln, das Laserfügen bei Kantenanleimmaschinen, Technologien zur Oberflächengestaltung von Möbelteilen sowie die Entwicklung von Automatisierungslösungen für die gesamte Möbelproduktion. Neben diesen Highlights stellt sich im Konstruktionsalltag einer Entwicklungsabteilung immer wieder die Frage, welcher Konstruktionswerkstoff ist für welche Aufgabenstellung bei einer MaschinenNeuentwicklung die optimale Wahl? Die Funktion des Bauteiles einer Maschine ist hierbei meist hinreichend bekannt, ebenso die für dessen Auslegung relevanten Belastungen. Betrachtet man die mit bemerkenswerter Gründlichkeit und Regelmäßigkeit durchgeführten Marktuntersuchungen von CNC-Maschinen für die Holzbearbeitung (Oberfräsen, BAZ's), so fällt auf, dass beispielsweise bei Maschinengestellen Stahl-Schweißkonstruktionen absolut vorherrschen und im Bereich der Schlittenbaugruppen typischerweise Leichtmetall-Legierungen eingesetzt werden, da deren bewegte Massen minimal gehalten werden sollten.
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Jeder Konstruktionswerkstoff hat aufgrund seiner Eigenschaften, der innerbetrieblichen Ver- bzw. Bearbeitungsmöglichkeiten sowie aufgrund der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung seine Berechtigung bzw. schlechtestenfalls gilt das Motto: "seit jeher so gemacht und funktioniert". Dem anhaltenden Trend nach Leistungserhöhung bei gleichzeitiger Steigerung der Bearbeitungsqualität sowie den hohen Erwartungen an die Verfügbarkeit einer Produktionseinrichtung muss die Entwicklungsabteilung für derartige Maschinen stetig Rechnung tragen. Dies schließt ein, dass auch im Bereich der Konstruktionswerkstoffe nach "besseren" Lösungen gesucht wird. Beispielhaft sei an dieser Stelle der Werkzeugmaschinenbau genannt. Anfang der 90er-Jahre wurden für Fräs- und Bohrzentren unter anderem aufgrund gestiegener Anforderungen an die Maschinendynamik und -genauigkeit, verbunden mit der Entwicklung von Direktantrieben und der HSC-Frästechnologie Maschinengestelle aus Polymerbeton hergestellt. Die damit verbundene Substitution von Guss- und Stahl-Schweißkonstruktionen hält bis heute an. Der Kundennutzen dieses Werkstoffes liegt vor allem in einer schwingungsarmen und stabilen Maschinenkonstruktion mit guten Bearbeitungsergebnissen. Im Bereich von Holzbearbeitungsmaschinen werden ebenfalls schwingungsarme und stabile Maschinenkonstruktionen angestrebt, da die erzielbare Oberflächenqualität im Holzbereich eine wichtige Rolle spielt. Dies geht einher mit höheren Standwegen der Werkzeuge und der Möglichkeit, die erhöhte dynamische Stabilität der Maschine durch wiederum erhöhte Vorschübe nutzen zu können. Die Basis hierfür bildet das Maschinengestell, welches als "tragender Körper" weitere Baugruppen wie Vorschubachsen, Aufspanntische usw. aufnimmt. Dieses "Fundament" der Maschine ist oftmals auch das gewichtigste Bauteil, welches in aller Regel "ruht". Aufbauend auf den Erkenntnissen der Polymerbetontechnik in Verbindung mit den jüngsten Entwicklungen im Bereich der hydraulisch gebundenen Ultrahochleistungsbetone wurde innerhalb der Homag-Gruppe ein Entwicklungsprojekt gestartet. Die Zielsetzung war, in enger Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen einen neuartigen Werkstoff zu "designen", dessen vornehmlichste Eigenschaft ein hohes Dämpfungsvermögen ist. Weiterhin musste der Vielfalt an notwendigen Gestaltungsmöglichkeiten für Bauteile von CNC-Maschinen, Durchlaufmaschinen bis hin zu Teilen für Schleifmaschinen Rechnung getragen werden. Der "Mineralguss" ist hierbei hocheffektiv und leistungsfähig, vorausgesetzt, es stehen geeignete Gießformen zur Verfügung. Auch im Hinblick auf die Energieund Ressourceneffizienz sollte eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum Stahlwerkstoff erreicht werden und, wenn möglich, zumindest langfristig auch ein Kostenvorteil gegenüber einer Stahlschweißkonstruktion erzielbar sein. Bei unvermeidbaren Temperaturschwankungen in den Fertigungsbetrieben bringt das große Beharrungsvermögen von Mineralguss zusätzliche Vorteile hinsichtlich des thermischen Verhaltens der Bauteile. Das Ergebnis dieser Forschungsarbeit ist der neue Mineralguss-Werkstoff Sorb Tech, dessen dichtes Gefüge ein Grund für die herausragenden Eigenschaften ist.
Sorb Tech - ein neuer Konstruktionswerkstoff
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Erste Anwendung findet SorbTech in der neuen CNC-Maschinenbaureihe BMG, eine Gemeinschaftsentwicklung der Häuser Homag und Weeke (siehe Abbildung 2). Die Vorstellung dieser neuen Maschinenbaureihe und des Werkstoffes "Sorb Tech" erfolgte erstmals auf der Ligna09, nachdem umfangreiche Grundlagenuntersuchungen erfolgreich abgeschlossen werden konnten, flankiert durch entsprechende Schutzrechtsanmeldungen.
Abb. 1 Gefüge von SorbTech
Die Basis von Sorb Tech bildet ein ursprünglich für den Hochhausbau entwickelter ultrahochfester Mineralguss, welcher dann für die speziellen Bedingungen im Maschinenbau angepasst wurde. Als „ultrahochfest“ wird ein Mineralguss bezeichnet, dessen Druckfestigkeit oberhalb der in DIN EN 206-1 definierten Festigkeitsklasse C 100/115 liegt. Durch Beimischen entsprechender Bestandteile werden die Eigenschaften positiv beeinflusst. Dies führt zum Werkstoff "Sorb Tech", bei dem neben den alt bekannten Komponenten mit Zusatzmitteln und Zusatzstoffen eine effektivere Gestaltung der Parameter möglich ist. Bei optimierter Zusammensetzung und unter Einhaltung spezieller Verfahrensschritte und Qualitätssicherungsmaßnahmen werden Druckfestigkeiten weit über 200 N/mm² erreicht. Durch eine neuartige Bewehrungstechnik ist der Werkstoff auch im Zugbereich für einen Mineralguss extrem belastbar. Weiterhin sind dadurch auch "dünnwandige Strukturen" problemlos realisierbar. Eine technologische Besonderheit von Sorb Tech ist die extrem hohe Gefügedichte, die bei optimaler Herstellung und Nachbehandlung annähernd keine Poren und Mikrorisse aufweist. Dies ist auch ein Grund für die bereits erwähnte herausragende Werkstoffeigenschaft der Schwingungsabsorption durch Dämpfung.
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Abb. 2 BGM 511/12/40/F/K
Unter dem Begriff "Dämpfung" versteht man hierbei mehrere Mechanismen, mittels welcher einem schwingenden System Energie entzogen wird. Hierbei ist die Werkstoffdämpfung eine hochwirksame Maßnahme, bei welcher die durch die Schwingungsbeanspruchung hineingesteckte Formänderungsenergie durch nicht reversible Vorgänge in eine andere, für das Bauteil nicht mehr relevante Energieform, wie zum Beispiel Wärme, umwandelt wird. Zahlreiche experimentelle Untersuchungen haben übereinstimmend gezeigt, dass die dissipierte Energie je Belastungszyklus hierbei nahezu frequenzunabhängig ist. Beim Arbeiten einer Maschine entstehen zwangsläufig Schwingungsanregungen, zum Beispiel durch die Beschleunigungen der Vorschubachsen und/oder durch den Bearbeitungsprozess selbst. Diese führen zu den unerwünschten Schwingbewegungen und werden insbesondere im Resonanzfall sehr groß. Zur Ermittlung der Werkstoffdämpfung werden in aller Regel Ausschwingversuche von Werkstoffproben durchgeführt. Die nachfolgende Untersuchung zeigt das Abklingverhalten zweier annähernd frei schwingender Maschinengestelle einer CNC-Oberfräse in Stahl und SorbTech. Hierbei wird das Abklingen der Schwingung bei Impulsanregung im Bereich der Führungsebene der Fahrportalachse (x-Achse) gemessen und dargestellt. Während bei der Stahl-Schweißkonstruktion ein ausgeprägtes Ausschwingverhalten an der Messstelle innerhalb von mehr als 200ms zu beobachten ist, zeigt das SorbTech-Maschinengestell ein rasches Abklingen der Schwingung innerhalb von ca. 40ms, wobei die Schwingamplitude bereits nach 20ms keine signifikanten Werte mehr annimmt. Durch die hohe Dämpfung von SorbTech und somit die reduzierten Schwingbewegungen wird gleichzeitig auch der Verschleiß des Werkzeugs verringert sowie die Oberflächengüte des Werkstücks erhöht.
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Abb. 3 Abklingverhalten zweier vergleichbarer, frei schwingender Maschinengestelle einer CNC-Oberfräse in Stahl und SorbTech bei Impulsanregung
Die hohen Festigkeitswerte von Sorb Tech sind die Voraussetzung, erstmals auch durch Kleben Funktions- und tragende Sorb Tech-Teile miteinander zu verbinden bzw. Krafteinleitungsstellen wie beispielsweise Stahlleisten zur Aufnahme von Führungsschienen oder Zahnstangen eines Antriebssystems in die Maschinenkörper weitgehend spannungsfrei "einzubetten".
Abb. 4 Maschinengestell einer BGM 511/40/12/F/K
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Dadurch ergeben sich neue Ansätze bei der Gestaltung der Bauteile. Neben der beschriebenen Definition der Krafteinleitungsstellen erschließen sich auch neue Möglichkeiten in der optischen Gestaltung der Bauteile. Als Nebenprodukt dieser Mineralguss-Technik können Designelemente in Form von Firmenlogos u.ä. als Reliefe am Gusskörper mit abgeformt werden, welche die Wertigkeit dieser Technologie besonders hervorheben.
Abb. 5 Mineralguss mit Designelementen
Die Herstellung von Sorb Tech-Bauteilen kann insbesondere dann rationell erfolgen, wenn geeignete Gießformen zur Verfügung stehen. Die Qualität des "Abgusses" wird maßgeblich von der Qualität/Präzision der Gießform mitbestimmt. Die Bauart und Ausführung der Gießformen bestimmt -insbesondere bei einer großen Teilevarianz- maßgeblich die Produktivität und somit die Kosten des SorbTechBauteils.
Abb. 6 SorbTech-Maschinengestell-Rohteil der BMG-Baureihe
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Abb. 7 SorbTech-Maschinengestell-Fertigteil der BMG-Baureihe
Parallel zur Konstruktion der Varianten der BMG-Maschinenbaureihe wurden umfangreiche Untersuchungen und Dauertests an einem eigens hierfür aufgebauten Prototyp durchgeführt, wobei bezogen auf die rechnerische Lebensdauer der Maschine ein entsprechendes Lastkollektiv im Dauerbetrieb sowie Notaussituationen abgefahren wurden. Die zuvor mittels FEM berechnete Struktur des Maschinengestells sowie die sich hieraus ergebenden Verlagerungen und Verformungen an den "kritischen" Bauteilquerschnitten wurden am Prototyp messtechnisch verifiziert, so dass ein Abgleich der Berechnungsparameter im FEM erfolgen konnte. Dadurch sind genaue Berechungsergebnisse nun gegeben, so dass die Strukturoptimierung mit hoher Präzision erfolgen kann.
Abb. 8 FEM-optimierte Struktur der Grundmaschine
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Abb. 9 Verlagerungs- und Dehnungsmessungen am Bauteilquerschnitt unter Lasteinwirkung
Fazit Der neu entwickelte Gestellwerkstoff SorbTech besitzt durch seine schwingungsabsorbierenden Eigenschaften ausgezeichnete technische und durch seine gusstechnische Verarbeitbarkeit darüber hinaus produktionsbedingte Vorteile zu herkömmlichen Gestellwerkstoffen. Zusammengefasst sind die Vorteile: – – – – –
hohe Werkstoffdämpfung, großes Beharrungsvermögen bei Temperaturschwankungen, hohe Formstabilität, auch im Langzeitverhalten, vielseitige Gestaltungsmöglichkeiten der Gussteile, hohe Energie- und Ressourceneffizienz, insbesondere gegenüber Stahl.
SorbTech als Konstruktionswerkstoff wird überall dort seinen Einsatz finden, wo Schwingungen für die Bearbeitung schädlich sind und wo höchste Bearbeitungsqualität bei einer hohen Dynamik der Maschine in Form von hohen Vorschubgeschwindigkeiten und Achsbeschleunigungen bei gleichzeitig hohen Werkzeugstandwegen gewünscht sind. All diese Merkmale finden sich schon heute in der neuen BMG500-Baureihe wieder.
Hochleistungswerkzeuge für die Bohrungsbearbeitung mit MMS: Entwicklungen zur Steigerung der Prozesssicherheit Dr.-Ing. M.Sc. Peter Hänle Geschäftsführer Fa. Guhring Inc. Brookfield, WI, USA
Dr. Peter Hänle Dr.-Ing. M.Sc. Peter Hänle wurde am 4. April 1968 in Aalen/Württemberg geboren. 1987 erlangte er das Abitur am Technischen Gymnasium in Aalen. Nach Ableistung des Wehrdienstes absolvierte er eine Berufsausbildung zum Zerspanungsmechaniker bei der Fa. MAPAL Dr. Kress KG in Aalen. Von 1990 bis 1996 studierte er Maschinenbau an der Universität Stuttgart. Während eines integrierten Auslandsstudiums an der University of Wales / Swansea in den Jahren 1993 und 1994 erlangte er den Titel Master of Science. Von 1996 bis 2001 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Fertigungstechnik, Stuttgart (ZFS). Im Jahre 2002 erfolgte die Promotion an der Universität Stuttgart, Institut für Werkzeugmaschinen. Seine berufliche Laufbahn außerhalb der Hochschule begann er im Jahre 2001 als Leiter des Forschungs- und Entwicklungszentrums bei der Fa. Gühring oHG, Albstadt. Im Jahr 2005 wurde ihm der Geschäftsbereich Vertrieb Inland und Key Accounts der Fa. Gühring oHG anvertraut. Seit 2009 ist Dr.-Ing. M.Sc. Peter Hänle Geschäftsführer der Fa. Guhring Inc. in Brookfield, WI, USA.
Um die rasch fortschreitenden Ansprüche der spanenden Industrie nach Reduzierung der Hauptzeiten zu erfüllen, bieten moderne HPC-Werkzeuge die ideale Ausgangsbasis. Um dieser Forderung nach Leistungserhöhung von Zerspanungswerkzeugen gerecht zu werden, wird bei der GÜHRING OHG, Albstadt umfangreiche Grundlagenforschung betrieben, welche direkt bei der Auslegung von Serien- und Sonderbohrwerkzeugen Berücksichtigung findet. Hierbei wird nicht nur das Werkzeug in seinen leistungsbestimmenden Parametern Schneidstoff, Schicht und Geometrie betrachtet, sondern auch das Umfeld, wie z.B. die Wärmeausbreitung in Werkstücken und die damit verbundenen Bearbeitungsstrategien, um den
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thermischen Verzug von Werkstücken während der Bearbeitung in Grenzen zu halten. Von übergeordneter Wichtigkeit ist dabei die Betrachtung der Prozesssicherheit. Der vorliegende Fachaufsatz soll die Notwendigkeit einer solchen ganzheitlichen Betrachtungsweise unter besonderer Berücksichtigung der Prozesssicherheit verdeutlichen. Bei der Trockenbearbeitung oder der Bearbeitung mit Minimalmengenschmierung (MMS) ist die Betrachtung der thermischen Verhältnisse in Werkzeug und Werkstück besonders wichtig. Da die generierte Zerspanungswärme nicht wie bei der konventionellen Nassbearbeitung durch die Emulsion oder das Öl abgeführt werden kann, werden die MMS-Werkzeuge so gestaltet, dass
x beim Zerspanungprozess weniger Wärme entsteht (z.B. durch scharfe Schneiden mit positivem Spanwinkel bei gleichzeitig gesteigerten Schnittparametern) x die Reibung minimiert wird (z.B. durch geringere Breite der Führungsfasen im Vergleich zum „Nass-Werkzeug“, einer größeren Verjüngung des Werkzeuges und durch Verwendung von MMS) x der Wärmeübergang Span/Werkzeug (z.B. durch thermisch isolierende Hartstoffschichten und polierte Werkzeugoberflächen zur Reduzierung der Reibung zwischen Span und Spanfläche) minimiert und x der Wärmeübergang Span/Werkstück (z.B. durch rasche Spanabfuhr aus der Bohrung bzw. von der Werkstückoberfläche weg) weitgehend unterbunden wird. Einfluss des Spanwinkels auf die entstehende Temperatur Zur Untersuchung dieser Frage wurden drei Versuchs-Bohrwerkzeuge des Durchmessers 10,0 mm für eine Bohrtiefe von 100 mm hergestellt. Die Werkzeuge waren geometrisch gleich gestaltet, sie unterschieden sich lediglich in ihrem Drall- und demzufolge in ihrem Spanwinkel. Die hergestellten Versuchswerkzeuge wiesen Spanwinkel von 0° (also geradegenutet), 15° sowie 30° auf. Der Durchmesser der inneren Kühlkanäle war bei allen Werkzeugen identisch. Mittels einer Thermografiekamera wurde die generierte Wärme bei der Bohrungsbearbeitung einer Aluminiumlegierung AlSi7 in Echtzeit aufgenommen und dokumentiert. Die dazu verwendeten Versuchsplatten hatten eine Dicke von 14mm und wurden stirnseitig gebohrt, sodass die verbleibende Restwandung zwischen Bohrung und der thermografisch untersuchten Plattenoberfläche 2 mm betrug. Somit war es möglich, die während des Bohrprozesses generierte Wärme in Abhängigkeit vom verwendeten Versuchswerkzeug qualitativ zu vergleichen. Zusätzlich wurde der Spanfluss durch eine Hochgeschwindigkeitskamera aufgezeichnet. Bei den gewählten Schnittwerten von vc = 300 m/min und f = 0,35 mm/U waren deutliche Unterschiede bezüglich der Spanentsorgung und der generierten Zerspanungswärme zu erkennen. Die Spanentsorgung, d.h die kontinuierliche Förderung der Späne aus der Bohrung, wurde mit zunehmender Spiralsteigung des Werkzeuges besser. Dies liegt vornehmlich an der positiven Geometrie und dem damit ver-
Hochleistungswerkzeuge für die Bohrungsbearbeitung mit MMS
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bundenen besseren Spanbruch (kürzere Scherspäne). Diese kürzeren Scherspäne können von der MMS-Strömung leichter aus der Bohrung gefördert werden, da sie aufgrund ihres besseren Oberflächen/Volumen-Verhältnisses leichter durch die Luftströmung gefördert werden können und weniger zum Verklemmen in der Spannut neigen.
Abb. 1 Werkstück-Erwärmung in Abhängigkeit vom Spanwinkel
Bei der thermografischen Betrachtung der Werkzeugspitze (Abbildung 1) zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Spanwinkel und der entstehenden Temperatur. Ein positiver Spanwinkel führt dazu, dass in der in der Scherzone des Spanes eine deutlich geringere Temperatur generiert wird, da der Span bei einem 30°-verdrallten Werkzeug lediglich um 60° umgelenkt (geringe Scherung) werden muss, wohingegen die Spanumlenkung bei einem geradegenuteten Werkzeug 90° (große Scherung) beträgt. Die in der Scherzone generierte Wärme geht direkt als Zerspanwärme in den Prozess ein. Ein kürzerer Span überträgt - durch seine kürzere Kontaktlänge auf der Spanfläche - eine geringere Reibungswärme auf das Werkzeug, was ferner zu günstigeren Temperaturverhältnissen beiträgt. Zusammenfassend ist hier zu sagen, dass spiralisierte Werkzeuge aufgrund ihrer deutlich besseren Spanentsorgung und der vergleichsweise geringeren Prozesstemperatur wesentlich zur Erhöhung der Prozesssicherheit bei der Bohrungsbearbeitung mit MMS beitragen. Geradegenutete Werkzeuge können dennoch für die Bohrungsbearbeitung von Aluminium- und Eisengusswerkstoffen vorteilhaft dort eingesetzt werden, wo gesteigerte Anforderungen an die Bohrungsqualität (verbesserte Rundheit und geringerer Bohrungsverlauf) gefordert werden. Dies liegt daran, dass geradegenutete Werkzeuge in der Regel vier Führungsfasen aufweisen. Das Temperaturniveau geradegenuteter Bohrwerkzeuge kann durch eine optimierte geometrische Gestaltung der Kühlkanäle jedoch so weit reduziert werden, dass dieser thermische Nachteil gegenüber verdrallten Bohrwerkzeugen weitgehend ausgeglichen werden kann. Auf diese optimierte geometrische Gestaltung wird später detailliert eingegangen.
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Einfluss der Reibung auf die Prozesstemperatur Die nachfolgend beschriebene Untersuchung zeigt, wie effizient das Temperaturniveau gesenkt und wie stark die Prozesssicherheit bei der MMS-Bearbeitung erhöht werden kann, wenn das Gesamtsystem Spannfutter/Werkzeug optimal abgestimmt ist. Eine prozesssichere Erzeugung und Führung des MMS-Stromes wird selbstverständlich vorausgesetzt. In einem Versuch wurden Bohrungen in Sphäroguss GGG40 eingebracht, wobei der Versuch sich in drei Teilversuche unterteilte. Mit einem für jeden Versuch identischen Werkzeug wurde eine komplett trockene Bearbeitung, eine Bearbeitung mit Luftströmung und eine Bearbeitung mit MMS durchgeführt. Beim verwendeten Versuchswerkzeug handelte es sich um ein für die MMS-Bearbeitung optimiertes Bohrwerkzeug des Durchmessers 8,5 mm, die Bohrtiefe betrug 42mm. Die Schnittwerte betrugen vc = 130 m/min und f = 0,26 mm/U. Durch eine Thermografie-Kamera wurde die beim Rückhub aus der Bohrung an der Bohrerspitze vorliegende Temperatur erfasst. Dazu wurde eine Bearbeitungssequenz von sieben aufeinanderfolgenden Bohrungen aufgenommen. Von der ersten bis zur fünften Bohrung war ein Anstieg der Temperatur an der Bohrerspitze von Bohrung zu Bohrung festzustellen, nach der fünften Bohrung jedoch änderte sich die Maximaltemperatur der Bohrerspitze beim Verlassen der Bohrung nicht mehr (quasistationärer Zustand). Aus diesem Grund wurde die Temperatur des Bohrwerkzeuges jeweils nach der siebten Bohrung erfasst. Das vollkommen trocken laufende Bohrwerkzeug (ohne Luft bzw. MMS) erreichte an seiner Spitze eine Maximaltemperatur von 431°C. Diese Temperatur ist konsequenterweise geringer als die während der Zerspanung an der Wirkstelle (Bohrerspitze) auftretende. Messungen mit Thermoelementen unterhalb der Spanfläche und kurz hinter der Hauptschneide haben ergeben, dass an der Wirkstelle Temperaturen von bis zu 900°C auftreten können. Der innerhalb dieses Versuches durchgeführte Temperaturvergleich bei der Verwendung von Luftkühlung bzw. MMS ist jedoch zulässig, da stets zum gleichen Zeitpunkt an der Bohrerspitze gemessen wurde. Diese Temperatur stellt für moderne Schneidstoffe und Hartstoffschichten kein sonderlich großes Problem dar, die Bohrungsbearbeitung kann auch ganz trocken prozesssicher durchgeführt werden. Jedoch laufen die durch Diffusion und Adhäsion begünstigten Verschleißmechanismen auf einem höheren Temperaturniveau beschleunigt ab, was wiederum zu kürzeren Werkzeugstandzeiten führt. Der erhöhte Wärmeeintrag ins Werkstück kann ferner zu thermischen Ausdehnungen desselben führen, welche ihrerseits bei Nichtbeachtung der geeigneten Bearbeitungsstrategie eng tolerierte Stichmaße gefährden können. Ferner kann es bei der Stahlbearbeitung zu Randzonenaufhärtungen (Neumartensitbildung) der Bohrungswand kommen wodurch nachfolgende Operationen wie Gewinden oder Reiben erschwert werden können.
Hochleistungswerkzeuge für die Bohrungsbearbeitung mit MMS
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Das im zweiten Abschnitt mit innerer Luftzufuhr untersuchte Werkzeug erhitzte sich an der Bohrerspitze auf 196°C, was darauf schließen lässt, dass ein erheblicher Anteil der entstehenden Wärme durch den Luftstrom abgeführt wird. Ferner war die Spanabfuhr deutlich verbessert, was im Vergleich zur ganz trockenen Bearbeitung außerdem belegt, dass die spiralisierte Nut eines Bohrwerkzeuges für die Spanabfuhr alleine nicht ausreichend ist. In der HochleistungsBohrungsbearbeitung ergibt sich eine prozesssichere Bearbeitung stets aus einem optimalem Werkzeug verbunden mit einer optimalen Schmiermittelversorgung.
Abb. 2 Vergleich der Prozesstemperaturen
Für das mit MMS, also Luftstrom unter Beimischung von Öltröpfchen, versorgte Werkzeug wurde unter sonst gleichen Versuchsbedingungen lediglich 145°C an der Bohrerspitze gemessen. Da die geringe verwendete Ölmenge (30ml/h) nicht nennenswert zur Kühlung des Bearbeitungsprozesses beitragen kann, ist davon auszugehen, dass durch die dem Luftstrom beigemengten Öltröpfchen eine deutliche Reibungsverminderung bewirkt wurde. Dies wird durch eine – gegenüber der reinen Luftkühlung - nochmals gesteigerte Spanabfuhrgeschwindigkeit belegt. Durch eine - im Vergleich zur reinen Luftkühlung - nochmals geringere Spänetemperatur wird außerdem deutlich, dass Öl an die Wirkstelle gelangt, welches wiederum den Ablauf des Spanes auf der Spanfläche durch bessere Reibungsverhältnisse begünstigt.
Qualität und Kundenorientierung Dr.-Ing. Christof Hartmann Mitglied der Geschäftsleitung Licht und Leiter, Corporate Quality, Hella KGaA
Dr. Christof Hartmann
Dr.-Ing. Christof Hartmann wurde am 23. Juni 1963 in Aachen geboren. Nach seiner Schulausbildung und dem Wehrdienst absolvierte er das Studium des Maschinenbau mit den Schwerpunkten Fertigungstechnik und Steuerungstechnik an der Universität Stuttgart. Begleitend zu seiner Tätigkeit bei der Heidelberger Druckmaschinen AG promovierte Herr Dr. Hartmann 1992 bei Herrn Professor Heisel mit einer Arbeit über die „Einsatzkriterien für die Planung von praxisnahen wirtschaftlich begründbaren Automatisierungsstufen bei der Bohr- und Fräsbearbeitung“, erschienen als VDI Fortschrittsbericht Reihe 2, Fertigungstechnik Nr. 272. Herr Professor Warnecke übernahm als Leiter der Fraunhofer Gesellschaft den Mitbericht seiner Arbeit. Nach fünf Jahren Berufstätigkeit trat Herr Dr. Hartmann in die Dienste der General Motors Europe GmbH. Dort wurden ihm leitende Aufgaben in der Fertigungsplanung, Produktentwicklung, Programm Management, Einkauf, Lieferantenqualität und nach 13 Jahren zuletzt der Aufbau und die Leitung des Bereichs Produktqualität Fahrzeuge Europa übertragen. Begleitend war Herr Dr. Hartmann in den Beirat der Freunde des Instituts für Werkzeugmaschinen berufen. 2008 wechselte Herr Dr. Hartmann in die Firma Hella KGaA, in welcher er heute als Mitglied der Geschäftsleitung im Geschäftsbereich Licht und Leiter Corporate Quality tätig ist. Herr Dr. Hartmann ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Qualität und Kundenorientierung sind neben einer guten Ertragslage wohl die wichtigsten Ziele für uns alle. Sie stehen so einträchtig nebeneinander und dennoch müssen wir im Alltag ständig um das Erreichen dieser Ziele ringen. Sie sind umso wichtiger, je höher die Schwelle für Kunden ist, ein Produkt zu kaufen. Da wir mit Produkten, die das Automobil prägen, gleich nach den Immobilien die hochpreisigsten Konsumgüter mitgestalten, sind Qualität und Kundennähe unsere ganz zentrale Geschäftsgrundlage. Die beiden Begriffe Qualität und Kundenorientierung sollten für jedes unserer Unternehmen so selbstverständlich zusammengehören wie Schraube und Mutter, wie Werkzeug und Werkzeugmaschine, oder wie
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man bei uns sagen würde Licht und Dunkelheit. Wie wir uns in der täglichen Arbeit an diese schwierigen Themen annähern, welche Hintergründe und auch welche Lösungen es geben kann, das möchte ich in dem folgenden Beitrag darstellen. Qualität wird heute in Industrieunternehmen zwangsläufig sehr technisch, sehr produktorientiert verstanden. Das ist mehr als verständlich, denn neben der Innovation, der Emotion und dem Design ist es die Qualität eines Produktes, welches die Menschen zum Kaufen, Behalten oder Wiederverkaufen veranlasst - oder eben auch nicht. Produktqualität ist in einer so reifen Industrie wie der Automobilindustrie weniger ein starkes Differenzierungsmerkmal als vielmehr ein Hygienefaktor. Produktqualität ist für uns eine so selbstverständliche Basis wie eine saubere Küche für ein Gourmetrestaurant. Deswegen sind die automobilen Qualitätsstandards so hoch entwickelt und deswegen sind sie auch so häufig Gegenstand der Diskussion, dann nämlich, wenn dieser grundlegende Faktor an irgendeiner Stelle fehlt oder auch nur in Zweifel gezogen wird. Qualität ist dabei natürlich nicht auf hochwertiges Design und überzeugende technische Lösungen beschränkt. Gerade bei diesen beiden Punkten haben wir bei Hella einen anerkannt hohen Standard gesetzt. Qualität heißt auch Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit. Und gerade diese Verlässlichkeit bei dem extrem komplexen Konsumgut Auto aufrecht zu halten, ist ein Gewicht, das nur mit besonderer Anstrengung gestemmt werden kann. Das Zusammenspiel von mechanischen, elektrischen und vor allem elektronischen Komponenten kann mittlerweile Millionen von denkbaren Fehlern erzeugen. Und trotzdem werden moderne Autos immer zuverlässiger. Dies ist der Verdienst von systematischer Arbeit, die umso effizienter ist, je früher sie im Entstehungsprozess anfängt. Qualität muss bei Herstellern und bei Lieferanten konstruiert, und nicht herbeigeprüft werden. Sie entsteht in enger Zusammenarbeit und Abstimmung. Die Qualitätssicherung hat sich in den vergangenen Jahren entscheidend verändert: früher ging es um das Freigeben von Teilen und Werkstoffen. Heute geht es um den ganzheitlichen Blick auf den Prozess von Produktentstehung, Produktion und Produktbewährung.
Abb. 1 Fahrzeugbeleuchtung mit adaptiver Hell-Dunkel-Grenze
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Bei Hella arbeiten wir heute mit Methoden wie Fehlerbildanalyse, internen Produkt- und Prozessaudits und Qualitätsroutinen. Das sind geschäftsübergreifende Gesprächskreise mit Besetzung aus der Geschäftsleitung. Dort werden Fehlerbilder von Schadensteilen aus der Erprobung während des Entwicklungsprozesses, bis hin zu Rückmeldungen vom Kunden diskutiert und Maßnahmen vereinbart. Bereits bei der Entstehung neuer Geräte oder Teilen in der funktionsübergreifenden Teamarbeit achten die Mitarbeiter des Qualitätsmanagements auf strukturierte und zielführende Prozesse. Sowohl bei der Hardware als auch bei der Erstellung von Software wenden wir frühzeitig Qualitätsanalysen an. Dieses ProzessControlling bewährt sich auch in unserer Produktion und ist eine Kernfunktion des strategischen Qualitätsmanagement bei Hella. Auch im Vertrieb und Produktmanagement haben wir wirksame Qualitätsmethoden, wie beispielsweise die Lenkung von Kundenforderungsdokumenten, verankert. Die Qualitätsaufgabe ist auf möglichst vielen Schultern verteilt, und unser Ziel ist es, sie auch in allen Köpfen fest zu installieren. Es geht uns darum, unternehmensweit Qualitätsbewusstsein zu stärken. Entsprechend dem eben beschriebenen Funktions- und Aufgabenwandel hat das Qualitätsmanagement bei Hella an allen Stellen des Wertschöpfungsprozesses seine Synapsen. Nur wer interdisziplinär vernetzt ist, kann überhaupt wissen, was Qualität bedeutet. Entwickler und Produktionsmitarbeiter haben von Hause aus sehr verschiedene Vorstellungen von Qualität. Die Vernetzung hilft, die Aspekte von Qualität zu verbreiten. Deswegen ist einer unserer Ansatzpunkte, Qualitätsarbeit in allen ihren Aspekten für möglichst alle Mitarbeiter transparent und verstehbar zu machen. Mit unternehmensweit angelegten Schulungs- und Veränderungsmaßnahmen legen wir bei Hella die Grundlagen dafür, dass das Gedankengut von Qualität und Zuverlässigkeit bei jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter weltweit auch wirklich ankommt. Unter dem „Corporate Management System“ haben sich Management und Mitarbeiter auf die Optimierung der Kernprozesse Produktentstehung, Produktherstellung und unterstützende Prozesse konzentriert. Wichtig ist uns dabei, dass der Gestalter und die den Prozess „lebende“ Organisation dieselbe ist. Unternehmerisches Handeln und effektive Zusammenarbeit sind Grundpfeiler der Hella Unternehmensphilosophie. Warum betone ich das Verhalten des Einzelnen und die möglichst weite Verbreitung des Gedankenguts Qualitätsmanagement so sehr? Es steckt eine ganz einfache Beobachtung dahinter: Wenn wir Kunden sind, unterscheiden wir nicht zwischen Qualität des Produkts, das wir gekauft haben und der Qualität der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters mit dem wir zusammenarbeiten. Fragen wir uns selbst einmal: Wenn wir zum Beispiel eine hochwertige Uhr kaufen wollen, legen wir nicht auch hohen Wert darauf, dass der Mensch, der uns da im Geschäft berät, kompetent ist, unaufdringlich, freundlich aber nicht aufgesetzt?
Qualität und Kundenorientierung
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Als Kunden denken wir berechtigterweise: überall wo Hella draufsteht ist auch Hella drin. Vom Scheinwerfer, dem intelligenten Batteriesensor, von der Geschäftsleitung über die Damen und Herren am Empfang bis hin zum Praktikanten. Kunden sind nicht nur unsere Vertragspartner, unsere externen Kunden. Es sind auch wir, die alle in einem internen Kunden-Lieferanten-Verhältnis leben. Qualität stellt ebenso wie die Kundenorientierung eine Haltung dar, eine Lebenseinstellung. Es gibt Menschen, welche diese Haltung, egal ob bewusst oder unbewusst, verinnerlicht haben. Und es gibt, wie wir wissen, auch Menschen, bei denen das nicht so ist. Ich kann nicht sagen, wie das Zahlenverhältnis zwischen diesen beiden Typen ist. Aber eines steht fest, es sind wenige Menschen, die schon mit dem idealen Qualitätsverständnis auf die Welt kommen. Der große Rest der Menschen muss Kundenorientierung erst erwerben. Aber nichts ist so schwer zu beeinflussen wie Einstellungen, Haltungen und damit Verhalten. Die Psychologen sagen, eine Einstellungsänderung kann nur funktionieren, wenn sie mit einer persönlichen Betroffenheit einher geht. Unsere Erfahrung mit den erwähnten Schulungen in der Entwicklung und den Werken als auch mit der Rückkopplung zwischen Kunden und Entwicklern lautet: es funktioniert. Es ist Zeit und Muße erforderlich, die Menschen funktional und auch regional übergreifend miteinander ins Gespräch kommen zu lassen. Es geht uns darum, eine Art positiver Betroffenheit zu erzeugen. Die wirkt nachhaltiger und gründlicher als die negative. Und es gibt viele Möglichkeiten, dieses angenehme Betroffensein herbeizuführen. Unser wichtigstes Stichwort heißt: Begeisterung. Wir können unsere Mitarbeiter nicht in kühlen, abgezirkelten Worten davon in Kenntnis setzen, dass ihre Kundenorientierung unzureichend ist. Das ist ebenso sinn- wie folgenlos. Wir können unsere Mitarbeiter aber die eigene Begeisterung für unsere Produkte spüren lassen, wir können sie mitreißen, wir können ihnen positive Beispiele vor Augen führen. Wir können sie mit Kolleginnen und Kollegen zusammenbringen, die vor ganz ähnlichen Aufgaben und Herausforderungen stehen. Wir können sie in Situationen bringen, in denen sie ganz unbewusst erspüren, wie ein Kunde sich fühlt, wenn der Verkäufer nicht auf ihn eingeht. Der Weg zur internen wie auch der externen Kundenorientierung führt also ganz klar, wie beim Autokauf, nicht über den Kopf, sondern über den Bauch. Eines sollten wir dabei bedenken, dieser Weg fordert von uns Führungskräften große Konsequenz. Wer nicht ständig die Dinge vorlebt und vormacht, die er fordert, verliert schnell und dauerhaft die Glaubwürdigkeit. Und auch wenn wir hier über ganz subjektive Dinge wie erlebtes Verhalten sprechen, können und müssen wir einen hohen, messbaren Qualitätsanspruch daran stellen. Wer aus der Qualitätsarbeit kommt, der weiß, dass der größte Feind der Qualität der sogenannte innere Schweinehund ist. In zu bekämpfen, erfordert viel Energie. Aber es gibt gute Ansätze. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie positiv ansteckend die durchgängige Qualitätsorientierung eines Menschen, eines Kollegen, eines Vorgesetzten sein kann. Diese Mitarbeiter wirken wie Kondensatoren für
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hohe Qualitätsansprüche. Die Aufgabe wird unternehmensintern nicht dadurch gelöst, indem man die Qualitätssicherung immer weiter aufstockt. Vielmehr verbreiten wir die Botschaft von Qualität und Kundenorientierung glaubhaft. Es ist stetige Überzeugungskraft, die hier abverlangt wird. Nach außen hin ist es naturgemäß schwieriger, Menschen von einer Qualitätsmentalität zu überzeugen. In jedem Fall aber möchten wir positive Beispiele und systematische Analyse zusammen wirken lassen. In diesem Sinn ist das Führen einer Abteilung, eines Bereichs oder das Lenken eines Unternehmens nichts anderes als Qualitätsarbeit. Eine Qualitätsarbeit, die alle Unternehmensprozesse berücksichtigt und die vermeidet, dass eigene Glaubenssätze, Sicht- und Erklärungsweisen unsere Sicht zu unserem Kunden, intern wie extern, überdecken. Dazu gehören Geduld, Ideenreichtum, Entschlossenheit und Fachkenntnis. Der entscheidende Faktor ist aber eine tiefe innere Überzeugung, vielleicht sogar ein wenig Besessenheit. Denn nur wer selbst brennt, kann andere entflammen!
Neue Methode zur Ermittlung des thermischen Verhaltens von Vorschubsachsen Dr.-Ing. Géza Koscsák Entwicklungsingenieur INDEX-Werke GmbH & Co. KG Esslingen a. N.
Dr. Géza Koscsák Géza Koscsák wurde am 20.11.1973 in Debrecen, Ungarn geboren. Er studierte von 1992 bis 1998 Maschinenbau an der Universität Miskolc. Seinen beruflichen Werdegang begann er bei Thyssen Production Systems Kft. (heute MAG Hungary) in Kecskemét, Ungarn, zuerst als Konstrukteur, später als Projektingenieur. 2002 wechselte er zum IfW (Institut für Werkzeugmaschinen) der Universität Stuttgart, wo er bis Mitte 2007 in der Gruppe Maschinenkonstruktion tätig war. Seitdem arbeitet er in der Abteilung Technologieentwicklung bei der INDEX-Werke GmbH & Co. KG in Esslingen.
Einleitung Die thermisch bedingten Deformationen der Maschinenstruktur führen zu Positions- und Orientierungsabweichungen zwischen Werkzeug und Werkstück bzw. Werkstückhalter. Diese Abweichungen ergeben sich aus den Deformationen der in der thermischen Wirkungskette liegenden Komponenten [1]. Einige dieser Komponenten haben tragende Funktionen (Maschinenbett, Ständer, Portal, Tisch, usw.) und andere nehmen in der Erzeugung der zu der spanenden Bearbeitung notwendigen Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werkstück aktiv teil. Zu diesen aktiven Komponenten zählen neben den Hauptantrieben die für die rotierende Hauptbewegung des Werkstückes oder des Werkzeuges verantwortlich sind, die Antriebsachsen bzw. Vorschubsysteme und bei einer direkten Wegmessung das Messsystem selbst. Detaillierte Informationen über das thermische Verhalten der einzelnen Maschinenkomponenten sind absolut notwendig, um die thermisch bedingten Abweichungen einer Maschine wirksam minimieren bzw. kompensieren zu können.
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Die bislang durchgeführten Untersuchungen zum Thema beruhen auf punktuell, an ausgewählten Stellen der Maschinenstruktur, überwiegen mit Hilfe berührender Temperaturmesstechnik durchgeführten Temperaturdaten. Ein Nachteil dieser Messtechnik liegt u.a. darin, dass rotierende (z.B. Gewindespindel eines Kugelgewindetriebs) bzw. sich bewegende Komponenten nicht oder nur bedingt mit einem vertretbaren Aufwand erfasst werden können. Die IR-Thermografie ist mittlerweile eine weit verbreitete Messmethode, die zur berührungslosen Erfassung und bildhaften Darstellung des auf der Oberfläche des untersuchten Objektes herrschenden Temperaturfeldes verwendet wird. In mehreren Arbeiten z.B. [2-4] wurde diese Messtechnik zur qualitativen Untersuchung des Temperaturfeldes und Lokalisierung von Wärmequellen in kompletten Maschinenstrukturen verwendet. Die Auswertung der Thermobilder beschränkte sich aber bislang nur auf die Identifikation und subjektive Bewertung der wärmeren Bereiche. In anderen Bereichen der Natur- und Ingenieurwissenschaften wurde und wird die Thermografie bereits zu detaillierten und genauen Temperaturmessungen verwendet. Unter Berücksichtigung der dabei vorhandenen Voreile, bietet es sich an, die Thermografieaufnahmen auf geeigneter Art und Weise zur Bestimmung des thermischen Verhaltens von Werkzeugmaschinen bzw. deren Komponenten zu verwenden. Die erhofften Vorteile dieser Vorgehensweise ergeben sich aus der hohen Informationsdichte, da in einem Thermobild neben den Temperaturdaten auch geometrische Informationen vorhanden sind. Verarbeitung der Thermobilder zur Bestimmung des thermischen Verhaltens am Beispiel eines Kugelgewindetriebs Um die positionsabhängigen thermisch bedingten Verlagerungen über eine Antriebsachse bestimmen zu können, muss der Temperaturverlauf der betrachteten Bauteile bei einer indirekten Wegmessung entlang der Antriebsachse und bei einer direkten Wegmessung entlang des Wegmesssystems erfasst werden. Für die Ausnutzung der in den Thermografiedaten vorhandenen Informationen müssen sie sowohl als Digitalbilder als auch als Temperaturdaten der aufgezeichneten Bildszenen verarbeitet werden. Der schematische Aufbau des entwickelten Verarbeitungsvorganges ist in Abb. 1 dargestellt. Die Berechnung der Verlagerungen erfolgt anhand eines geometrischkinematischen Modells. Das Modell beinhaltet alle für die Berechnung notwendigen Randbedingungen sowie Lage und Orientierung des untersuchten Objektes im Weltkoordinatensystem, Freiheitsgrade, usw. In diesem Modell werden zusätzlich die Temperaturmessstellen festgelegt, die bei der Berechnung der Verlagerungen berücksichtigt werden. Dieses Modell hat neben dem untersuchten Objekt selbst einen entscheidenden Einfluss auf die Anzahl der für die weiteren Berechnungen verwendeten Bildszenen. Entsprechend des Modells werden die für die Erfassung der Temperaturverteilung notwendigen Bildszenen aufgezeichnet.
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Die Sichtbarkeit der bei der Berechnung betrachteten Komponenten kann mehrere und unterschiedliche Ausrichtungen und Orientierungen der Aufnahmen erfordern. In solchen Fällen müssen die aus den einzelnen Bildern gewonnenen Temperaturinformationen miteinander gekoppelt werden.
Abb. 1 Schematischer Aufbau der Verarbeitung der Thermografiedaten
Die Verarbeitung der in Form von Thermobildern vorliegenden Messdaten und die Berechnung der Verlagerungen erfolgen in drei wesentlichen Schritten. Schritt 1: Die bei der Berechnung der Verlagerungen entlang der Vorschubachse betrachteten Strukturpunkte müssen im Thermobild identifiziert werden. Hierzu ist die Modellierung der Bildentstehung in der Thermokamera notwendig. Ausgehend von einem Kameramodell können die Zusammenhänge zwischen dem untersuchten Objekt und dessen Thermobild ermittelt werden. Dabei ist die genaue Bestimmung der Lage und Orientierung der Kamera zum untersuchten Objekt unverzichtbar. Das verwendete Kameramodell (Abb. 2) kann mit Hilfe der zentralprojektiven Abbildung mathematisch beschrieben werden [5].
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Für die Beschreibung sind in der Regel neun Parameter ausreichend:
x drei Parameter beschreiben die kamerainternen geometrischen Verhältnisse, x sechs Parameter beschreiben die räumliche Lage und Ausrichtung der Kamera im globalen Bezugssystem.
Abb. 2 Modell der zentralprojektiven Abbildung (Kameramodell)
Die Ermittlung der kamerainternen Parameter erfolgt anhand Herstellerangaben oder mittels geometrischer Kalibrierung der Kameraoptik. Zur Bestimmung der Ausrichtung der Kamera müssen einige Referenzpunkte im Thermobild wieder gefunden werden. Dies erfolgt mit einer entsprechend angepassten Bildverarbeitungskette. Mit Hilfe der Raum- und Bildkoordinaten der o.g. Referenzpunkte kann die Lage und Ausrichtung, die sog. äußere Orientierung der Kamera eindeutig bestimmt werden. Hierfür wurde ein genauer und robuster Berechnungsvorgang aufgebaut, der anhand bloß eines Bildes die Parameter der Transformation zwischen Objekt- und Bildraum errechnet. Nach der Ermittlung aller Parameter der Abbildung können die Bildkoordinaten der relevanten Strukturpunkte anhand ihrer Raumkoordinaten bestimmt werden. Schritt 2: Die Ermittlung der Temperatur des untersuchten Objektes in den einzelnen Bildpunkten des Thermogramms erfolgt mit Hilfe der radiometrischen Grundgleichung der Messanordnung (Abb. 3). Anhand dieser Gleichung werden die bei der Temperaturmessung zu berücksichtigenden Faktoren sowie Umgebungseinflüssen kompensiert. In diesem Verarbeitungsschritt können auch weitere Einflüsse, wie Reflexionen, Richtungsabhängigkeit des Emissionsgrades oder unterschiedliche Emissionseigenschaften der untersuchten Oberflächen kompensiert werden [6].
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Abb. 3 Thermografische Messanordnung
Schritt 3: Um die thermische Deformationen ermitteln zu können, müssen die Temperaturmessstellen mit Hilfe der im Schritt 1 ermittelten Transformation zwischen Objekt- und Bildraum im Thermobild wieder gefunden werden. Aus diesen Bildpunkten werden die Temperaturwerte ausgelesen und mit Hilfe der im Schritt 2 Beschriebenen kompensiert. Nach einer eventuellen Bündelung der Daten mehrerer Bildszenen können die gesuchten Verlagerungen ermittelt werden. Versuchsergebnisse Um die Eignung der entwickelten Vorgehensweise testen zu können, wurden Untersuchungen an einem Antriebsprüfstand durchgeführt. Dabei wurde die Oberflächentemperatur der Spindel eines Kugelgewindetriebs mit indirekter Wegmessung in unterschiedlichen Betriebszuständen erfasst (Abb. 4a und 4b).
Abb. 4a Thermogramme mit den identifizierten Referenzpunkten (gelbe Rhomben) sowie den Temperaturmessstellen (rote Kreuze) entlang der Gewindespindel im kalten Zustand.
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Abb. 4b Thermogramme mit den identifizierten Referenzpunkten (gelbe Rhomben) sowie den Temperaturmessstellen (rote Kreuze) entlang der Gewindespindel im warmen Zustand
Um die aus den Thermobildern ermittelten thermisch bedingten Positionierfehler der Gewindespindel validieren zu können, wurden gleichzeitig zu den Temperaturmessungen auch Positionsmessungen durchgeführt. Anhand dieser Vergleichsmessungen konnte die gute Anwendbarkeit der entwickelten Vorgehensweise bewiesen werden (Abb. 5).
Abb. 5 Vergleich der aus den Thermobildern ermittelten und anhand der Vergleichsmessungen bestimmten Verlagerungen
Zusammenfassung Im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen wurden die Grundlagen zur Anwendung der Thermografie bei der Untersuchung des thermischen Verhaltens von Werkzeugmaschinen und deren Komponenten erarbeiten. Die dabei entwickelte neuartige Vorgehensweise unterscheidet sich von den bekannten belastungsorientierten Berechnungsmodellen darin, dass die detaillierte Ermittlung der Temperaturverteilung in der Struktur ohne eine aufwändige thermodynamische Modellie-
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rung erfolgt. Auf diese Weise sind die bei der Modellierung aufgrund der Vernachlässigungen und Vereinfachungen auftretenden Abweichungen des Models von den realen Vorgängen ausgeschlossen. Obwohl der erarbeitete Berechnungsvorgang auf Temperaturmessungen basiert, unterscheidet er sich auch von den verlagerungsorientierten Modellen. Der Unterschied besteht darin, dass die Verlagerungen nicht mit Hilfe der Korrelation zwischen den punktuell an der Struktur gemessenen Temperaturen und den parallel dazu gemessenen Verlagerungen ermittelt werden, sondern mit Hilfe der detaillierten Erfassung des entlang der wichtigsten Bauteilen herrschenden Temperaturfeldes und eines Modells der Struktur. So kann der Einfluss einer unglücklichen Auswahl der Temperaturmessstellen auf die Genauigkeit ausgeschlossen und die aufwändige Messstellenauswahl und Probemessungen zur Ermittlung der Zusammenhänge zwischen den Temperaturverläufen und den zu kompensierenden Verlagerungen eingespart werden. Weitere Einzelheiten zur vorgestellten Methode zur Ermittlung des thermischen Verhaltens von Vorschubsachsen sind in [7] beschrieben.
Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7]
Stehle, T.: Berechnung thermischer Verformungen und Verlagerungen an Werkzeugmaschinen und Möglichkeiten zur Kompensation, Dissertation, Universität Stuttgart, 1998 Weck, M.: Werkzeugmaschinen und Fertigungssysteme - Band 5: Messtechnische Untersuchung und Beurteilung, 6. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 2001 Schäfer, W.: Steuerungstechnische Korrektur thermoelastischer Verformungen an Werkzeugmaschinen, Dissertation, RWTH Aachen, 1994 Michos, G.: Mechatronische Ansätze zur Optimierung von Vorschubachsen, Dissertation, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 2005 Sárközy, F.: Térinformatika (Rauminformatik, auf ungarisch), online im Internet: http://gisfigyelo.geocentrum.hu/sarkozy_terinfo/tbev.htm#tartalom Gaussorgues, G.: Infrared Thermography, Chapman & Hall, 1994 Koscsák, G.: Ermittlung des instationären thermischen Verhaltens von Vorschubachsen mit Kugelgewindetrieb mit Hilfe der Verarbeitung thermografischer Messdaten, Dissertation, Universität Stuttgart, 2007.
Intelligent produzieren – Prozesse verstehen und mit innovativen Werkzeugen verbessern Dr.-Ing. Dieter Kress Geschäftsführender Gesellschafter MAPAL Fabrik für Präzisionswerkzeuge Dr. Kress KG
Dr. Dieter Kress Dieter Kress wurde am 18. Mai 1942 in Stuttgart geboren. Nach Schule und Abitur in Aalen hat er von 1961 – 1965 Maschinenbau in Stuttgart studiert, anschließend von 1965 – 1968 Betriebswirtschaft in München. Er trat dann in die von seinem Vater gegründete Firma MAPAL ein und hat nebenberuflich am Institut für Werkzeugmaschinen der TU Stuttgart bei Prof. Karl Tuffentsammer promoviert, auf dem für die Firma MAPAL einschlägigen Gebiet „Reiben bei hohen Schnittgeschwindigkeiten“. Die Firma MAPAL beschäftigt sich mit der Feinbearbeitung von Bohrungen. Der Beginn war die Einführung der Einmesser-Reibahle, die heute ein weltweit eingesetztes Werkzeug zur Feinbearbeitung von Bohrungen ist. Heute ist das Unternehmen ein weltweit tätiger Anbieter zur Komplettbearbeitung kubischer Teile. Es beschäftigt über 3.000 Mitarbeiter und stellt ein komplettes Programm an Präzisionswerkzeugen für den genannten Bereich her. Die Firma hat über 20 Tochterfirmen, in denen neben Service und Beratung für die Kunden im Wesentlichen diese Werkzeuge produziert werden. MAPAL ist sehr innovativ und intensiv in Forschung und Entwicklung tätig.
Intelligente Werkzeugkonzepte Im Umfeld der stetig fortschreitenden Globalisierung und der damit verbundenen Verlagerung von Produktionsstätten und dem Transfer bekannter Technologien ist eine stetige Weiterentwicklung der Fertigungstechnik unumgänglich, um auch zukünftig am Standort Deutschland einen Technologievorsprung zu halten und Produkte zu fertigen, die weltweit konkurrenzfähig sind. Die Notwendigkeit zur permanenten Innovation ist unbestritten. Das Ziel muss es dabei sein, die Produktivität zu erhöhen, die Qualität der Produkte auf stets hohem Niveau zu halten bzw. die Qualität noch weiter zu steigern und gleichzeitig die Kosten stetig zu senken. Dies erfordert intelligente und innovative Werkzeugkonzepte für die Hochleistungsfertigung.
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Wodurch zeichnen sich nun intelligente Werkzeugkonzepte aus? Für eine Antwort auf diese Frage muss sicherlich zunächst die Definition von Intelligenz herangezogen werden. In der Psychologie ist Intelligenz ein Sammelbegriff für die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen, also die Fähigkeit, zu verstehen, zu abstrahieren, Probleme zu lösen und Wissen anzuwenden. Übertragen auf Werkzeugkonzepte kommt man so zu dem Schluss, dass wohl eher der Entwickler Intelligenz besitzt, also der gedankliche Vater des Werkzeugs, der sein Wissen und seine Erfahrung einbringt. Intelligent produzieren heißt darüber hinaus, den Gesamtprozess zu betrachten und zu verstehen, um so die Einflussgrößen zu kennen und darauf basierend Probleme zu lösen und Verbesserungen herbeizuführen. Interaktives System aus Werkzeug und Maschine In der engen Verknüpfung und dem intensiven Zusammenspiel von Maschine und Werkzeug, liegen vielerlei Ansatzpunkte für die Verbesserung von Produktionsprozessen. Es ist klar, dass wechselseitig starke Einflüsse vorhanden sind. Die Maschine benötigt leistungsfähige und gute Werkzeuge, die die Möglichkeiten der Maschinen in hochqualitative Werkstücke umsetzen. Umgekehrt benötigt das Werkzeug eine Maschine, die genau ist, eine entsprechende Leistung und hohe Stabilität hat und Wechselgenauigkeiten ermöglicht, die dann garantieren, dass die Potentiale der Werkzeuge voll ausgeschöpft und auch tatsächlich in sehr gute Ergebnisse umgesetzt werden. Ein sehr gutes Ergebnis bedeutet in diesem Zusammenhang natürlich nicht allein die erzeugte Qualität, sondern insbesondere auch die benötigte Zeit, denn Zeit ist Geld! Der Zerspanungsprozess setzt sich im Prinzip zusammen aus Hauptzeiten, also die Zeit, in der das Werkzeug das Bauteil effektiv bearbeitet, und Nebenzeiten. Diese sind beispielsweise Werkzeugwechselzeiten sowie Zeiten für das Messen, Einstellen oder Rüsten. Bei Bauteilen mit einer gewissen Komplexität liegen die Nebenzeiten bei 70% der gesamten Prozesszeit. Hauptzeiten reduzieren Für die Reduzierung der Hauptzeit wurden im wesentlichen Maschinen- und Werkzeugsysteme entwickelt, durch die eine erhöhte Schnittgeschwindigkeit erreicht wird, teilweise auch erhöhte Vorschübe. Die Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit wurde möglich durch sehr gute Antriebe und Spindeln in der Maschine, insbesondere aber auch durch eine entsprechende Anbindung des Werkzeugs an die Maschine, wie dem HSK Hohlschaftkegel, der sehr genau ist und eine sehr hohe Stabilität bringt. Ebenso wichtig war die Entwicklung und der Einsatz neuer Schneidstoffe, wie etwa die naturharten polykristallinen Schneidstoffe PKD (Diamant) und PKB (Kubisches Bornitrid). Darüber hinaus hat sich auch auf dem Gebiet der Hartmetall- und Cermetsorten einiges getan und es wurden zum Beispiel neue Ultrafeinkornsorten eingeführt und zusätzlich auch neue Verschleißschutzschichten entwickelt. Insgesamt wurden auf dem Gebiet der Schneidstoffe in den letzten Jahren sehr große Fortschritte erzielt.
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Nebenzeiten optimieren Auch zur Optimierung der Nebenzeiten wurden neue Maschinenkonzepte entwickelt, die zum Teil drastische Reduzierungen ermöglichen. Dabei ist naheliegend, die Eilganggeschwindigkeiten zu erhöhen oder auch mehrspindlige Bearbeitungskonzepte einzusetzen. Es sind aber auch völlig neue Maschinenkonzepte entstanden, bei denen die Span-zu-Span-Zeiten extrem verkürzt werden konnten, indem das Werkstück zu den Werkzeugen innerhalb des Arbeitsraumes verfahren wird und nicht wie üblich umgekehrt. Ressourceneffizienz Letztendlich müssen für moderne, intelligente Bearbeitungskonzepte auch die Aspekte der Ressourcenschonung und der Ressourceneffizienz berücksichtigt werden. Für Werkzeuge bedeutet das zum Beispiel, den Einsatz von teuren Schneidstoffen so zu optimieren, dass die maximale Ausnutzung gegeben ist. Weiterhin kann mit Präzisionswerkzeugen der Prozess so verändert werden, dass die Verlagerung oder gar die Substitution von ganzen Verfahrensschritten möglich wird. Eine Möglichkeit ist beispielsweise, bereits bei großen Schnitttiefen eine sehr hohe Genauigkeit zu erzielen oder auch verschiedenartige Bearbeitungen in der gleichen Maschine zu machen, d.h. zu vermeiden, dass das Werkstück von einer Maschine zur anderen gewechselt werden muss. Dies kann dadurch geschehen, dass Arbeitsgänge entfallen, indem mit der Feinbearbeitung schon eine so hohe Genauigkeit erreicht wird, dass etwa ein nachfolgendes Spezialverfahren wie Honen auf einer separaten Honmaschine überflüssig wird. Ebenso können Prozessschritte im Sinne der Komplettbearbeitung durch entsprechende Werkzeugkonzepte auf Bearbeitungszentren ausgeführt werden, die bislang auf separaten Drehmaschinen erfolgen mussten. Anhand der nachfolgenden Beispiele soll erläutert werden, wie bei intelligenten Werkzeugkonzepten die aufgeführten Aspekte berücksichtigt werden und so innovative Werkzeuge zu einer intelligenten Produktion beitragen.
TOOLTRONIC® - Neue Möglichkeiten durch Mechatronik bei aktorischen Werkzeugen Im Zusammenhang mit intelligenten Werkzeugen werden sehr häufig aktorische Werkzeuge genannt. Diese Werkzeugsysteme sind teilweise sehr komplex aufgebaut und bieten interessante Möglichkeiten zur rationellen Bearbeitung von Bauteilen. Die klassischen aktorischen Werkzeuge, die basierend auf mechanischen Wirkprinzipien axiale oder radiale Schneidenbewegung ausführen, sind bereits seit vielen Jahren bekannt. Neu sind die Möglichkeiten der Elektronik im Bereich der aktorischen Werkzeuge. Im Gegensatz zu den bisherigen Werkzeugen, die im wesentlichen durch Schubstangen speziell auf Transferanlagen mit Spezialspindeln sowie durch Kühlmitteldruck gesteuert wurden oder auch durch Fliehkraft in
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ihrem Durchmesser veränderbar sind, ermöglichen die neuen Werkzeuge, die mit elektronischen Bausteinen arbeiten, die sehr exakte Verstellung der Schneiden auf Bearbeitungszentren. Die MAPAL TOOLTRONIC® Werkzeuge können ein- und ausgewechselt werden, da die Energie und auch die Daten berührungslos von der Maschine zum Werkzeug übertragen werden (Abb. 1). Das Werkzeugsystem ist als zusätzliche vollwertige Achse in die bestehende Steuerung der Maschine integriert und die Funktionen, wie Interpolation der Achsen, Schneidenradius- oder auch Maßkorrekturen sind voll nutzbar. Es können dadurch Bohrungen in μGenauigkeit bearbeitet werden oder auch sehr einfach Fasen, Einstiche, Konturen und Übergänge (Abb. 2). Für diese Bearbeitungen musste man bisher oft auf eine weitere Maschine ausweichen was nun durch mechatronische Werkzeuge nicht mehr nötig ist und echte Komplettbearbeitung jetzt unkompliziert auf Bearbeitungszentren möglich wird.
Abb. 1 MAPAL TOOLTRONIC®
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Abb. 2 Bearbeitungsmöglichkeiten mit der TOOLTRONIC®
Bearbeitungsmöglichkeiten der TOOLTRONIC® Ein Beispiel ist die Komplettbearbeitung eines Turboladergehäuses auf einem BAZ mit TOOLTRONIC®. Turbolader kommen bei den modernen Motorenentwicklungen verstärkt zum Einsatz. Sie helfen dabei, die Herausforderung zu meistern, aus kleineren, sparsamen Motoren hohe Leistung zu generieren und so zukunftsweisende, ressourcenschonende Mobilität zu ermöglichen. Durch die motornahe Platzierung des Turboladers und die extrem hohen Betriebsdrehzahlen sind die thermischen als auch mechanischen Belastungen entsprechend hoch und erfordern sehr genau gefertigte Komponenten für eine zuverlässige Funktion des Laders.
Abb. 3 Bearbeitung Turbolader Turbinengehäuse
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Beim bisherigen Fertigungsablauf musste beim Turbinen- und Verdichtergehäuse die Fertigbearbeitung der Innenkontur weg vom BAZ auf einer zusätzlichen Drehmaschine gemacht werden. Dieser zeit- und kostenintensive Fertigungsschritt kann nun mit TOOLTRONIC® eingespart werden und ebenfalls auf dem Bearbeitungszentrum erfolgen (Abbildung 3 und 4). So wird einerseits die Drehmaschine eingespart. Darüber hinaus verkürzt sich die Taktzeit des Prozesses und die Qualität wird verbessert, weil das Bauteil nicht umgespannt werden muss.
Abb. 4 Bearbeitung Turbolader Verdichtergehäuse
Interpolationsdrehen als neue Alternative zum Zirkularfräsen Zum Herstellen von Einstichen oder Konturen an Außen- und Innendurchmessern ist das Zirkularfräsen ein bekanntes und etabliertes Verfahren. Es stößt allerdings an seine Grenzen, wenn die Geometrien sehr genau sein müssen und gute Oberflächen gefordert sind. Außerdem sind die Bearbeitungszeiten relativ hoch und die Standzeiten der Werkzeuge, insbesondere in festeren Materialien, gering. Eine Alternative bietet hier das sogenannte Interpolationsdrehen. Bei diesem Verfahren steckt die Intelligenz nicht so sehr im Werkzeug selbst, sondern vielmehr in den Verfahrwegen und der Programmierung der Werkzeugmaschine. Beim Interpolationsdrehen bleibt die Schneide während der gesamten Bearbeitungszeit im Eingriff. Das bedeutet, dass die X- und Y-Achse der Maschine mit jeder Spindelumdrehung einen Interpolationszyklus abfahren muss. Dabei erfolgt, ähnlich einer archimedischen Spirale, sowohl eine Drehung um 360° als auch eine Linearbewegung weg vom Ursprung, die dem Vorschub f beim Drehen entspricht. Grundvoraussetzung zur Anwendung dieses Verfahrens ist die Weiterentwicklung
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der Maschinen und Steuerungen in den letzten Jahren. Die Möglichkeit, die Maschinenspindel als synchrone C-Achse anzusprechen und sie programmieren zu können, machte den Weg zum Einsatz frei. Der kontinuierliche Eingriff der Schneide ist letztendlich der Grund für die Vorteile des Interpolationsdrehens gegenüber dem Zirkularfräsen. Während das Interpolationsdrehen aufgrund des stetigen Werkzeugeingriffs kaum hörbare Geräusche verursacht, entstehen beim Zirkularfräsen hochfrequente Bearbeitungsgeräusche, die eine höhere Belastung des Werkzeugs mit gleichzeitiger Beeinträchtigung der Werkstückqualität bedeuten.
Abb. 5 Interpolationsdrehen
Bei dem zuvor bereits angesprochenen Beispiel der Komplettbearbeitung eines Turboladers, kommt auch das Interpolationsdrehen zum Einsatz. Die Einstichkontur des sogenannten V-Band Anschlusses ist eine typische Bearbeitungsaufgabe bei nahezu allen Turbinengehäusen von Turboladern. Konventionell wird diese Kontur mit mehrschneidigen Glockenfräsern durch Zirkularfräsen bearbeitet, mit den erwähnten Nachteilen von langen Bearbeitungszeiten und kurzen Standzeiten der Werkzeuge. Durch das Umstellen auf Interpolationsdrehwerkzeuge mit Formplatten, wurde diese Bearbeitung besonders wirtschaftlich (Abbildung 6). Die Taktzeit konnte von 55 auf 35 Sekunden verkürzt werden und die Standzeit stieg um bis zu 40%.
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Abb. 6 Bearbeitung Turbolader Turbinengehäuse mittels Interpolationsdrehen
Wechselkopf Systeme Der Forderung nach einem möglichst effektiven Ressourcen beziehungsweise Schneidstoffeinsatz tragen insbesondere Wechselkopfsysteme Rechnung. Ähnlich wie bei auswechselbaren, standardisierten Wendeschneidplatten, wird auch bei Wechselkopfsystemen für Reibahlen, Bohrer oder Fräser nur das Verschleißteil schnell, einfach und genau gewechselt. Je nach Anwendung liegt der Schwerpunkt bei der Schnittstelle zwischen Wechselkopf und Aufnahme auf höchster Präzision und Wechselgenauigkeiten oder verstärkt auf einer hohen Drehmomentübertragung. Für beide Anforderungsprofile hat MAPAL die jeweiligen standardisierten Schnittstellen entwickelt.
Abb. 7 Systemaufbau
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HFS® – Head Fitting System Als Präzisionsschnittstelle wurde das sogenannte HFS® - Head Fitting System geschaffen, bei dem größter Wert darauf gelegt wurde, dass diese Trenn- bzw. Schnittstelle die höchstmögliche Genauigkeit hat. Abbildung 7 zeigt, wie die Schnittstelle aufgebaut ist. Sie ist hochgenau, stabil, einfach zu spannen und ermöglicht eine sehr exakte Kühlmittelzuführung. Die HFS®-Schnittstelle wurde zwar zunächst für Reibahlen entwickelt, es wird aber schnell deutlich, dass sie eine sehr interessante und wichtige Plattform für weitere Werkzeugarten ist (Abb. 8). Die hohe Präzision und einfache Handhabung der Schnittstelle ermöglicht natürlich auch den Aufbau von modularen Kombinationswerkzeugen, wo Vor- und Fertigbearbeitungsstufen kombiniert werden oder auch verschiedene Durchmesser von Stufenbohrungen.
Abb. 8 Plattform HFS®
High-Performance-Reibahlen Die standardisierten Baureihen der mehrschneidigen HPR-Reibahlen bestechen durch hohe Präzision bei gleichzeitig hohen Schnittwerten. Die Vorteile dieser Lösung sind offensichtlich: Der Kunde bekommt ein sofort einsatzbereites Werkzeug, das nicht mehr einzustellen ist und das sehr einfach befestigt und gewechselt werden kann. Die Genauigkeit liegt im Werkzeug und wird quasi ab Fabrik geliefert, so dass beim Kunden keine besonderen Aufwendungen mehr anfallen.
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Um die Präzision und die Standzeiten noch weiter zu steigern, wurden neue HPRReibahlen entwickelt, die einstell- bzw. nachstellbar sind (Abb. 9). Der Durchmesser kann über ein Justiersystem mit einer schwimmend gelagerten Einstellhülse exakt justiert werden und noch genauere Toleranzen werden z.B. auch bei beschichteten Köpfen erreicht. Die Schneiden liegen auch nach dem Justieren exakt auf dem gleichen Flugkreis, was gegenüber herkömmlichen, bekannten Dehnreibahlen Vorteile bezüglich Genauigkeit und Verschleißverhalten bringt. Durch das Nachstellen kann die Standzeit und damit die Wirtschaftlichkeit erhöht werden. Dies ist besonders interessant bei teuren Schneidstoffen wie PKD- oder PcBN.
Abb. 9 HPR Dehnreibahle
Das jüngste Mitglied der MAPAL HPR-High Performance Reibahlen ist die Baureihe HPR 300 für Bohrungen im Durchmesserbereich von ø 65 – 300 mm (Abb. 10). Wie alle HPR-Werkzeuge bringen auch die HPR 300 Reibahlen durch die Mehrschneidigkeit erhebliche Vorteile bei der Bearbeitungszeit und bestechen durch einfache Handhabung und höchste Präzision. Bohrungen mit großen Durchmessern werden sehr häufig noch mit Bohrstangen oder Brückenwerkzeugen ein- oder zweischneidig ausgespindelt. Im Vergleich zur bisherigen Bearbeitungsweise kann mit HPR 300 Reibahlen der Vorschub um das achtfache oder gar mehr gesteigert werden. So können die Bauteile in einem Bruchteil der ursprünglichen Bearbeitungszeit zerspant werden.
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Abb. 10 HPR300 für große Durchmesser
Doch damit nicht genug! Die Neuentwicklung von MAPAL bietet weitere Kostenvorteile. Neben der höchsten Leistungsfähigkeit werden mit der neuen HPR 300 Serie auch bezüglich der Werkzeugaufbereitung neue Wege beschritten. Die Schneiden werden als Rohling im Werkzeugkörper geklemmt und dabei mit Spannpratzen sicher und fest gehalten. Anschließend werden Durchmesser und Anschnittgeometrie hochgenau geschliffen. Bei einer Wiederaufbereitung nach Erreichen des Standzeitendes können die verschlissenen Schneiden sehr leicht und schnell durch neue Schneidenrohlinge ersetzt und wieder in der ursprünglichen Qualität geschliffen werden. Ein weiterer entscheidender Vorteil liegt dabei darin, dass der Werkzeugkörper und insbesondere der Spannschaft seine ursprüngliche hohe Genauigkeit beibehält. Beim Austausch der Schneidkörper unterliegt der Werkzeugkörper keinerlei thermischer Belastung und auch aufwändige Reinigungsprozesse sind nicht nötig. Bei herkömmlichen Reibahlen sind die Schneiden üblicherweise eingelötet oder teilweise auch geklebt, wodurch bei einer Wiederaufbereitung der Werkzeugkörper belastet wird und öfter erneuert werden muss. Durchschnittlich können gelötete Werkzeuge maximal viermal wiederaufbereitet werden, während die neuen HPR 300 Reibahlen mindestens zehnmal neu bestückt werden können.
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Abb. 11 Reihenbohrstange mit HFS® für Kurbelwellenlagerbohrung
HFS® als Plattform für neuartige Werkzeugkonzepte ermöglicht neue Lösungen nicht nur beim Verbinden von Aufnahmen und Schneidköpfen. Welche weiteren Vorteile sich aus dieser Plattformlösung ergeben, wird an einer Reihenbohrstange mit neuartiger Befestigung mit HFS® deutlich (Abb. 11). Aufgrund der HFS®Schnittstelle ist das Einstellen der Bohrstange in der Maschine überflüssig geworden. Radial eingebaute Einsätze mit HFS® können außerhalb der Maschine justiert und bei einem nötigen Schneidenwechsel μ-genau eingewechselt werden, so dass sich die Stillstandszeiten und damit Nebenzeiten drastisch verkürzt haben.
TTD – Torque Transfer System Neben HFS® als Präzisionsschnittstelle wurde hauptsächlich für Wechselkopfbohrer die MAPAL TTS-Schnittstelle (Torque Transfer System) entwickelt. Bei den Wechselkopf-Bohrern der TTD-Serie verbindet diese Schnittstelle einen Vollhartmetall-Wechselkopf über eine Verzahnung, die den Kopf automatisch gegenüber dem Halter zentriert und bezüglich der Kühlmittelübergabe orientiert (Abb. 12). Die Bohrer sind für größere Bohrungsdurchmesser ab ø12mm konzipiert, wo Vollhartmetallbohrer sehr teuer sind. Beim TTD-Wechselkopf-Bohrer ist der Hartmetallanteil auf die hochbelastete Schnittzone konzentriert, wo die Späne vom Werkstück abgetragen und geformt werden. Der Stahlhalter transportiert nur noch die Späne aus der Bohrung und unterliegt keinem wesentlichen Verschleiß. Es werden also nur die verschlissenen Bohrköpfe ausgetauscht und so der Hartmetalleinsatz auf ein Minimum reduziert, wobei gleichzeitig gegenüber Vollhartmetallbohrern keine Abstriche in der Leistungsfähigkeit bezüglich Schnittwerten oder Qualitäten gemacht werden müssen.
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Abb. 12 Wechselkopf-Bohrer TTD - Systemaufbau
Quantensprung in der Schnittgeschwindigkeit bei Vollhartmetallbohrern Die Schnittgeschwindigkeiten von Vollhartmetallbohrern waren bisher meist niedrig, verglichen mit Dreh- und Fräswerkzeugen. Unzureichende Stabilität der häufig schlanken Werkzeuge, Probleme mit der Späne- und Wärmeabfuhr aus der Bohrung und hohe Genauigkeitsanforderungen begrenzen meist die Schnittwerte. Diese Grenzen sind jedoch keinesfalls unumstößlich, sondern lassen sich bei gezielter Optimierung von Makro- und Mikrogeometrie deutlich nach oben verschieben. Der neue MAPAL MEGA-Speed-Drill bedeutet hier einen echten Quantensprung und erlaubt in der Stahlbearbeitung Schnittgeschwindigkeiten von ca. 200 m/min ohne Einbußen beim Standweg und der Bohrungsqualität. Gleichzeitig kann auch der Vorschub um ca. 25% gesteigert werden. Die Hauptzeit beim Bohren lässt sich damit also um 60 – 70% reduzieren. Trotz dieser extrem hohen Schnittwerte erreicht der Bohrer in vergütetem 42CrMo4 prozesssicher einen Standweg von 60 – 70 m. Die Herstellkosten je Bohrung lassen sich so um bis zu 50% reduzieren. Bei der Entwicklung des MEGA-SPEED Drills hat man sich die grundsätzliche Frage gestellt, welche Parameter bzw. Randbedingungen gerade beim Bohren die Schnittgeschwindigkeiten begrenzen gegenüber dem Drehen oder Fräsen, obwohl die verwendeten Schneidstoffe und Beschichtungen teilweise identisch sind. Bei herkömmlichen zweischneidigen Bohrern sind die Schneiden auf 180° gegenüberliegend angeordnet. Beim Bohren ist das Werkzeug vom Werkstück umschlossen,
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wodurch insbesondere die Rundschlifffasen sehr stark belastet werden, je höher die Schnittgeschwindigkeit ist. Die Schneidecken der Bohrergeometrie beginnen zu verschleißen und der Bohrer fängt an zu klemmen. Dadurch steigt der Druck auf die Fasen, die Reibung erhöht sich, der Bohrer wird zusätzlich erwärmt und dehnt sich aus, wodurch der Druck auf die Fasen noch zusätzlich steigt. Ein Versagenskreislauf kommt in Gang, der sehr schnell zum Bruch des Werkzeugs führen kann oder zumindest die Schnittgeschwindigkeit stark einschränkt, wenn vernünftige Standwege erreicht werden sollen.
Abb. 13 MEGA SPEED DRILL
Anders beim MEGA-Speed Drill (Abb. 13). Die Schneiden liegen hier nicht exakt gegenüber sondern weichen von der 180° Teilung ab. Dies allein ist aber noch nicht ausreichend. Eine der Schneiden ist als sogenannte Freischneide ausgeführt, hat also praktisch keine Rundschlifffase, wodurch der Bohrer nicht klemmen kann. Um trotzdem genügend Führung in der Bohrung zu haben, ist eine zusätzliche Stützfase angebracht, wobei auf die Fasen durch den Freischneide-Effekt keine hohen Drücke kommen und somit sehr hohe Schnittgeschwindigkeiten gefahren werden können. Die resultierende Kraftkomponente der auftretenden Schnittkräfte wird durch die Geometrie so gerichtet, dass die Führungsfasen an der Bohrungswand anliegen und so Vibrationen sicher vermieden werden, so dass auch die Bohrungsqualität bezüglich der Rundheit verbessert wird.
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Mit Bohrreibahlen zwei Schritte in einem Arbeitsgang erledigen Die MEGA Bohrreibahle ist im Prinzip ein Kombinationswerkzeug, das zum Beispiel Stiftlochbohrungen in einem Arbeitsgang ins volle Material herstellen kann (Abb. 14). Die Bohrung wird gebohrt und unmittelbar danach gerieben. Die Bohrreibahle hat an der Spitze eine vollwertig ausgebildete Bohrergeometrie, der axial nacheilend und radial vorstehend Reibschneiden nachfolgen. Diese Reibschneiden übernehmen die Finish-Bearbeitung der Bohrung. So werden durch ein Werkzeug zwei Prozessschritte ausgeführt mit positiver Wirkung auf Haupt- und Nebenzeit.
Abb. 14 MEGA-Bohrreibahle sorgt für weniger Arbeitsgänge
Komplettbearbeitung und universelle Werkzeuge Ein wichtiger Baustein zur Reduzierung der Nebenzeiten ist das universelle Werkzeug, d.h. möglichst ein Werkzeug, das für mehrere Arbeitsgänge ausgelegt ist. Diese Art von Werkzeugen können sequenziell z.B. Flächen fräsen, Durchmesser vorbearbeiten und auch Durchmesser fertig bearbeiten (Abb. 15). Interessante Werkzeuge mit diesen Fähigkeiten sind sogenannte Zirkularfräswerkzeuge. Mit diesem Werkzeug ist es möglich, z.B. bei der Fertigung von Getriebegehäusen, nicht nur die Flächen, sondern auch die Bohrungen zu bearbeiten. Durch eine entsprechende Ausgestaltung ist es auch möglich, komplette Konturen mit diesem Werkzeug herzustellen, d.h. Bohrungsdurchmesser mit Fasen, Übergängen, Planflächen, etc.
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Abb. 15 Bearbeitung von Getriebegehäusen
Komplettbearbeitungswerkzeuge Komplettbearbeitungswerkzeuge ermöglichen eine große Zeitersparnis. Diese Werkzeuge bearbeiten nicht nur einen oder zwei Durchmesser, sondern durch eine entsprechende Ausgestaltung und Anordnung der Schneiden können komplette Bohrungen mit Planflächen, Übergängen, Stufen, Innen- und Außenbearbeitungen in einem Arbeitsgang erledigt werden (Abb. 16). Ganz besonders ist hier darauf zu achten, dass bei solch komplizierten Werkzeugen für einen gesicherten Spanabfluss gesorgt ist. Dies verkürzt natürlich erheblich die Bearbeitungszeiten. Aber nicht nur das – auch die Messzeiten werden minimiert. Wenn die erste Bohrung mit allen Abständen, Durchmessern, etc. gemessen ist, reicht bei den nachfolgenden Werkstücken das Überprüfen eines Maßes vollkommen aus, da die Abstände zu den anderen Maßen durch das Komplettwerkzeug immer gleich bleiben. Würden diese Bohrungen mit mehreren Werkzeugen nacheinander gefertigt werden, so könnten immer wieder Abweichungen dadurch entstehen, dass Ungenauigkeiten durch die Werkzeugwechsel auftreten und einmal ein Werkzeug mehr oder weniger tief in die Bohrung fährt, so dass in diesem Fall jeweils in gewissen Abständen nachgemessen werden muss.
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Abb. 16 Komplettbearbeitungswerkzeug
Diese Beispiele zeigen nur eine kleine Auswahl an Möglichkeiten, wie durch innovative Werkzeugtechnologie Produktionsprozesse nachhaltig verbessert werden können. Sie zeigen auch deutlich, dass die Bandbreite von komplex aufgebauten Aussteuerwerkzeugen bis hin zu einfachen Vollhartmetallwerkzeugen sehr groß ist und die Intelligenz jeweils in anderen, spezifischen Merkmalen steckt. Dabei gilt keinesfalls, je komplexer desto intelligenter, denn es ist durchaus sehr anspruchsvoll, ein vermeintlich ausgereiftes, einfaches Produkt oder Verfahren zu hinterfragen und zu verbessern. Die Entwicklungen von innovativen Werkzeugen haben gemeinsam, dass die bestehenden Prozesse ganzheitlich betrachtet und stetig kritisch hinterfragt werden müssen, ob es bessere Lösungen und auch ganz neue Wege zum Ziel gibt, die es mit Intelligenz und Phantasie zu finden und zu beschreiten gilt. Denn eines ist klar: Stillstand im internationalen Wettbewerbsumfeld bedeutet Rückschritt.
Neue Methoden zur Ermittlung der volumetrischen Genauigkeit von Werkzeugmaschinen Dr.-Ing. Rainer Krug Technischer Leiter Renishaw GmbH Pliezhausen
Dr. Rainer Krug
Dr.-Ing. Rainer Krug wurde 1961 in Ravensburg geboren. Nach dem Abitur am Technischen Gymnasium studierte er von 1983 bis 1988 Maschinenbau an der Universität Stuttgart. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er bis 1992 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen. Als einer der ersten Mitarbeiter bei Prof. Heisel promovierte Rainer Krug zum Doktor-Ingenieur. Seit 1992 arbeitet Dr. Krug bei Renishaw als Technischer Leiter, er ist derzeit zuständig für die Produktbereiche „Systeme zur Maschinenüberwachung“ und „Health Care“.
Einleitung Bei Werkzeugmaschinen und hier insbesondere bei der spanenden Bearbeitung ist neben Kriterien wie Antriebsleistung, Arbeitsraumgröße oder Werkzeugwechselzeiten die Genauigkeit bei der Teilebearbeitung ein zentrales Thema, da die Genauigkeit einer Maschine direkt in der Genauigkeit der gefertigten Werkstücke wiederzufinden ist. Um eine hohe Genauigkeit einer Maschine zu erreichen, ist es erforderlich, dass die mechanischen Komponenten mit einer hohen Genauigkeit hergestellt werden und mit einer hohen Präzision montiert werden. Mechanische Elemente können nur mit einer endlichen Genauigkeit gefertigt werden, wobei der wirtschaftliche Aufwand bei höheren Genauigkeitsanforderungen überproportional steigt. Um das Ziel einer hohen Genauigkeit mit vertretbaren Kosten zu erreichen, ist es schon seit vielen Jahren üblich, die Genauigkeit von Werkzeugmaschinen mit verschiedenen Messmitteln zu erfassen und die ermittelten Abweichungen über die Werkzeugmaschinensteuerung zu kompensieren, um die
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trotz genauer Fertigung immer noch vorhandenen mechanischen Fehler elektronisch zu kompensieren. Bei kartesischen Achsanordnungen gibt es insgesamt 21, die kompensiert werden könnten. Bislang war es jedoch üblich, die eindimensionalen Maßfehler der jeweiligen Achse und gegebenenfalls auch noch die Durchhänge der Achsen, d.h. die zugehörige laterale Abweichung zu kompensieren. Aufgrund der gestiegenen Anforderungen, die auch auf heute verfügbare hochgenaue Messgeräte zurückgeführt werden können, stößt man mit den bis dato begrenzten Möglichkeiten der geometrischen Kompensation an Grenzen, so dass der Ruf nach neuen Messmethoden und nach neuen Kompensationsmethoden laut wurde. Volumetrische Kompensation der Maschinenfehler In einer Werkzeugmaschine mit einer kartesischen Anordnung der Vorschubachsen hat jede Achse 6 Freiheitsgrade, die auf den Tool Center Point hinsichtlich der Positioniergenauigkeit einwirken. Von den 6 Freiheitsgraden sind 3 Freiheitsgrade translatorisch, nämlich die Positioniergenauigkeit XTX und die beiden zugehörigen lateralen Abweichungen XTY und XTZ, und 3 Freiheitsgrade rotatorisch, diese werden üblicherweise als Rollen (XRX), Nicken (XRY) und Gieren (XRZ) bezeichnet. Zwischen den 3 Achsen werden durch die Orthogonalität drei weitere Freiheitsgrade XWY, XWZ und YWZ definiert, so dass bei einer vollständigen 3achsigen Maschine 21 Freiheitsgrade vorhanden sind.
Abb. 1 Laserinterferometer XL-80 zur Erfassung der Maschinengenauigkeit
Bei einer Genauigkeitsbetrachtung spielen insbesondere die rotatorischen und orthognalen Abweichungen, hervorgerufen durch den Abbe’schen Effekt eine dominante Rolle. Genau diese Fehler konnten in der Vergangenheit bei einer üblichen Kompensation „Cross Error Compensation“ (CEC) der Maschinengenauigkeit
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nicht berücksichtig werden. Aktuelle Entwicklungen in der Steuerungstechnik von Werkzeugmaschinen bieten heute die Möglichkeit, über die „Volumetric Compensation Software“ (VCS) an einer Maschine alle 21 Freiheitsgrade zu kompensieren, um so eine deutliche Steigerung der Genauigkeit der Maschine herbeizuführen. Diese neuen Möglichkeiten der Kompensation erfordern neue Verfahren und Methoden, um zunächst die geometrischen Abweichungen zu ermitteln und für die Kompensationsberechnung bereitzustellen, aber auch Verfahren, um wirtschaftlich regelmäßige Überprüfungen zu Verifizierung der vorhandenen Genauigkeit durchführen zu können. Für eine volumetrische Kompensation sind zunächst alle Abweichungen in den 21 Freiheitsgrade zu ermitteln, dies geschieht mit Hilfe eines Laserinterferometersystems XL-80, das mit verschiedenen Optikanordnungen die einzelnen Abweichungen erfassen kann. Die ermittelten Werte werden dann in ein spezifisches Datenformat konvertiert und an die Steuerung übertragen und dort für die Kompensation der Abweichungen aktiviert. Die Wirksamkeit der volumetrischen Kompensation lässt sich durch Kreisformmessungen mit einem Ballbar-System in eindrucksvoller Weise darstellen.
Abb. 2 Verifikation der volumetrischen Kompensation über eine Kreisformmessung.. Darstellung links: unkompensiert, Darstellung mitte: kompensiert mit CEC, Darstellung rechts kompensiert mit VCS
Es ist deutlich erkennbar, dass die Kreisform der unkompensierten Maschine (links), durch die CEC sichtbar verbessert wird (mitte), es verbleibt aber immer noch die ovale Form, die auf Kippen der Maschine zurückzuführen ist. Erst die VCS führt zu einer kreisrunden Form. Kreisformtest als wichtiges Diagnosetool Der Ballbar Kreisformtest bietet eine effektive Methode, um geometrische Fehler sowie Regelungsfehler der Steuerung oder der Servoantriebe der Werkzeugmaschinen zu ermitteln. Die Messung wird durchgeführt, in dem an der Maschine über ein NC-Programm ein Kreis oder ein Kreisbogen beschrieben wird. Die Bewegungsabweichungen von der idealen Kreisform werden mit dem BallbarSystem erfasst. Die Art der unterschiedlichen Maschinenfehler kann anhand typi-
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scher Abweichung von der Kreis analysiert werden. Das in der Software integrierte Diagnosetool unterstützt hierbei den Anwender mit gezielten Hinweisen hinsichtlich der ermittelten Fehlerursachen. Einige Beispiele typischer Kreisformfehler sollen das Grundprinzip dieser Messmethode verdeutlichen. So führt ein Maßfehler, verursacht durch unterschiedlich lange Verfahrwege in den beiden Achsen zu der bereits oben beschriebenen ovalen Kreisform (Abb. 3) mit den Hauptachsen bei 0° und bei 90°.
Abb. 3 Typische Kreisform bei vorhandenen Maßfehlern, verursacht durch nicht kompensierte Rotationsfehler.
Vorhandene Orthogonalfehler zwischen den kartesischen Achsen führen ebenfalls zu einer ovalen Kreisform, hier liegen jedoch in Unterschied zum vorherigen Beispiel die Hauptachsen bei 45° und bei 135° (siehe Abbildung 4a). Abweichungen in der Geradheit der Achsführungen erscheinen bei der Auswertung der Kreisformmessung in einer typischen Kreisform mit drei Ausbuchtungen. Diese Form wird dadurch hervorgerufen, dass sich aufgrund der Geradheitsabweichung (im Beispiel in Abbildung 4b in der x-Achse) die Hauptachse axial nach oben schiebt und dadurch die typische Form bildet.
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(a)
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(b)
Abb. 4 Typische Kreisform bei vorhandenen Orthogonalfehlern (a) und typische Kreisform bei einem Geradheitsfehler (b), hier in der x-Achse.
Volumetrische Kreisformmessung Die steuerungstechnische Entwicklung hinsichtlich der Kompensationsmöglichkeiten aller 21 Freiheitsgrade hat an den Hersteller der Messtechnik vor die Herausforderung gestellt, ein Messmittel zur Überprüfung der volumetrischen Genauigkeit bereitzustellen, das analog zu den oben beschriebenen Beispielen die Diagnose der vorhandenen Maschinenfehler für den 3-dimensionalen Raum zur Verfügung stellt. Als weitere Anforderung stand im Pflichtenheft, dass das Messsystem konform zur neuen Maschinenrichtlinie eingesetzt werden kann, so dass die Messung zum Schutz des Anwenders bei geschlossenen Arbeitsraumtüren erfolgen kann. Die vorgestellte Neuentwicklung (Abb. 5) erfüllt die Bedingungen durch eine neuartige Messmethodik kombiniert mit einer Bluetooth gestützten Datenübertragung, so dass die Messung vollständig ohne manuellen Bedienereingriff in allen 3 Messebenen bei geschlossenen Arbeitsraumtüren erfolgen kann.
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Abb. 5 Ballbar System mit drahtloser Übertragung der Messdaten
Der Algorithmus der automatisierten Fehlerdiagnose wurde dahingehend erweitert, dass es nicht mehr erforderlich ist, einen Kreis über 360° zu erfassen, um eine Diagnoseberechnung durchführen zu können. Als Datengrundlage für das neue Softwaretool ist eine Messung über einen Winkel von 220° bereits ausreichend. Dies ermöglicht die Erfassung einer Sphäre aus einem einzigen Messaufbau, um daraus die volumetrische Genauigkeit mit hinreichender Sicherheit ermitteln zu können.
Abb. 6 Verfahren zur Ermittlung der volumetrischen Genauigkeit
Da für die Auswertung der volumetrischen Genauigkeit noch keine Normen oder Richtlinien bestehen, wurden eigene Kriterien zu Berechnung der Kennwerte erstellt. Um den Anwender nicht mit einer Datenflut zu überfordern, wurde versucht, für die volumetrische Genauigkeit einen aussagekräftigen Kennwert zu ermitteln, um die Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Maschinen herzustellen.
Neue Methoden zur Ermittlung der volumetrischen Genauigkeit
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Die Darstellung der volumetrischen Genauigkeit beinhaltet die Kreisformabweichungen der einzelnen Hauptebenen, gebildet durch jeweils zwei orthogonale Maschinenachsen. Für jede Ebene werden die ermittelten Abweichungen wie Maßfehler, Rechtwinkligkeitsfehler, Geradheitsfehler, Schleppfehler, Umkehrlose, Kippen explizit dargestellt. Zu jedem ermittelten Fehler bietet die Software eine kontextbezogene Unterstützung hinsichtlich der Fehlerursachen in Verbindung mit Hinweisen und Vorschlägen zu Maßnahmen, die zur Verbesserung der Genauigkeit führen können. Zusätzlich wird die Sphärizität als wichtiger Kennwert der volumetrischen Genauigkeit ermittelt. Die Sphärizität gibt an, wie die Maschine die Gestalt einer Kugel approximieren kann.
Abb. 7 Auswertung der volumetrischen Genauigkeit
Mit dem neuen drahtlosen Ballbar Messsystem steht ein Messmittel zur Verfügen, das in der Lage ist, binnen weniger die volumetrische Genauigkeit einer Werkzeugmaschine zu erfassen. Damit kann einerseits die Wirksamkeit und korrekte Durchführung eine volumetrischen Kompensation schnell und wirkungsvoll verifiziert werden, andererseits steht ein Messgerät zur Verfügung mit dem regelmäßig die Genauigkeit nachgeprüft werden kann. Die ermittelten Ergebnisse sind auch im zeitlichen Verlauf darstellbar, so dass eine Trendabschätzung im Rahmen der vorbeugenden Instandhaltung erfolgen kann.
Hochproduktive Werkzeugbeschichtungen Dipl.-Ing. Jacek Kruszynski, Dr. Arno Köpf, Dipl.-Ing. Reinhard Pitonak Boehlerit GmbH & Co. KG Kapfenberg, Österreich
Jacek Kruszynski Dipl.-Ing. Jacek Kruszynski wurde am 21. April 1962 in Dzialdowo / Polen geboren. Von 1985 bis 1993 studierte er Maschinenbau an der Universität Stuttgart mit Fachrichtung Feinwerktechnik. Im Anschluss arbeitete er als Ingenieur am Institut für Werkzeugmaschinen an der Universität Stuttgart in der Gruppe Maschinendynamik bei Professor Dr.-Ing. U. Heisel. Von 1995 bis 2007 arbeitete er als Entwicklungsingenieur, später als Bereichsleiter Technologie und Entwicklung bei der Komet Group GmbH in Besigheim. Seit 2007 ist er Geschäftsführer bei Boehlerit GmbH Co. KG in Kapfenberg / Österreich. Dr. Arno Köpf wurde am 06. Oktober 1964 in Wien / Österreich geboren. Er studierte Chemie / Verfahrenstechnik an der Universität Wien und absolvierte dort zwischen 1997 und 2000 das Doktoratsstudium Technische Chemie. Seine Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Dünnschichttechnik setzte er als freier Mitarbeiter des Kplus Kompetenzzentrums ECHEM in Wiener Neustadt zwischen 2000 und 2001 fort. Seit Juli 2001 ist er im Bereich Produkt- und Prozessentwicklung bei Boehlerit GmbH & Co. KG in Kapfenberg tätig. Dipl.-Ing. Reinhard Pitonak wurde am 24.April 1954 in Kapfenberg /Österreich geboren. Von 1972 bis 1980 absolvierte er das Diplom-Studium der Technischen Chemie an der Technischen Universität in Graz. Er war von 1981 bis 1985 als Chemiker für Kaltrunderneuerungen und Polyurethanhartschäume tätig. Seit September 1985 ist er im Bereich der Produkt- und Prozessentwicklung bei Boehlerit GmbH & Co. KG in Kapfenberg beschäftigt.
Trotz vielfältiger Bemühungen, die Near Net Shape Technologie in weiten Produktionsbereichen zu etablieren, ist die spanabhebende Bearbeitung nach wie vor ein wesentlicher Faktor im Produktionsprozess und kann als solcher die Produktivität entscheidend beeinflussen. Allerdings haben sich die Anforderungen an den Zerspanungsprozess im Laufe der letzten Jahre stark gewandelt. Die Reduktion von Taktzeiten und die Erhöhung der Schnittgeschwindigkeiten bedeuten eine verstärkte mechanische und thermische Belastung für die Schneidstoffe. Hinzu kommt die Forderung nach Einengung der Toleranzen und Einsparung von Ar-
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beitsgängen. Diese neuen Rahmenbedingungen führen dazu, dass eine stetige Anpassung der Werkzeuge sowohl hinsichtlich der Schneidengeometrie als auch im Bereich der Schneidstoffe selbst notwendig ist. In diesem Zusammenhang kommt der Werkzeugbeschichtung eine stetig wachsende Bedeutung zu. Bedingt durch die Tatsache, dass das Beschichtungsmaterial den eigentlichen Kontakt zum Werkstück darstellt, wird der Vorgang der Spanbildung und des Abtransports der Späne entscheidend durch die Wahl des Schichtwerkstoffs bzw. dessen Herstellung beeinflusst. Es ist daher wenig überraschend, dass die Anzahl der Beschichtungspatente in der letzten Dekade rasant angestiegen ist und nunmehr eine zweite große Gruppe (neben den Spanformergeometrien) im Bereich der Werkzeugentwicklung bildet. Für eine Verbesserung der Gebrauchseigenschaften von Beschichtungen ist es eine Voraussetzung, die Herstellprozesse einer kontinuierlichen Weiterentwicklung zu unterwerfen. Sowohl im Bereich der klassischen Hochtemperatur-CVD (chemical vapor deposition) Verfahren als auch in der PVD (physical vapor deposition) Beschichtung hat die Abkehr von eingefahrenen Denkweisen neue Prozesstechnologien und in Folge neue Schichtsysteme hervorgebracht, die zuvor als nicht herstellbar abgetan wurden. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass eine zielgerichtete Anpassung der Schichteigenschaften über die Zusammensetzung des Schichtmaterials bzw. die Prozessparameter während der Abscheidung möglich ist. Wesentliche Schichteigenschaften wie Verschleißwiderstand, Warmhärte, Temperaturleitfähigkeit aber auch Haftneigung und Schichtrauheit können gezielt beeinflusst werden und ermöglichen so das Design von Schichtsystemen für die Herstellung von „High Performance Coatings“. Im Gegensatz zu den früheren einfach legierten Schichtwerkstoffen, die bestenfalls in einem Multilayeraufbau miteinander kombiniert wurden, liegen bei den neuen Hochleistungsschichten drei oder mehr Legierungselemente bzw. Phasen vor, die nicht selten in einer Nanostruktur miteinander verbunden sind. Die sich daraus ergebende Vielzahl von Schichtvarianten ermöglicht zunehmend ein Design von Werkzeugbeschichtungen entsprechend den jeweiligen Anforderungen. Aus diesem Grund wird es notwendig, ein genaues Anforderungsprofil für die jeweilige Zerspanungsaufgabe zu erstellen um danach die Auswahl bzw. die Anpassung der Beschichtung vorzunehmen. In den nachfolgenden Kapiteln kann daher auch keine allgemeingültige Schichtempfehlung für einzelne Anwendungen gegeben werden, vielmehr wird versucht, eine Standortbestimmung in der Entwicklung von Verschleißschutzschichten vorzunehmen und die wesentlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet aufzuzeigen.
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Entwicklungen auf dem Gebiet der PVD Beschichtung Aluminiumtitannitrid Schichten Wenn man von einem Klassiker unter den PVD Werkzeugbeschichtungen sprechen kann, so ist dies das System Ti–Al–N. Aufgrund der hohen Härte (3500 kp/mm²) und Verschleißbeständigkeit des kubischen TiAlN Mischkristalls, die auch bei höheren Temperaturen (bis 850°C) noch weitgehend erhalten bleibt, hat diese Beschichtung eine weite Verbreitung gefunden. Im Wesentlichen können die im Einsatz befindlichen AlTiN Schichttypen in drei Untergruppen gegliedert werden, die sich durch die chemische Zusammensetzung unterscheiden. Am längsten bekannt sind Schichten mit einem gleichen Anteil von Ti und Al (Ti50Al50N). Diese Schicht zeichnet sich durch das von allen Varianten günstigste Verhältnis von Härte und Zähigkeit aus, weshalb sie beim Gewindefräsen, Bohren und bei Fräswerkzeugen, deren Geometrie Zonen mit vU = 0 m/min vorsieht, gute Dienste liefert. Die zurzeit weiteste Verbreitung haben AlTiN Schichten mit einer Zusammensetzung zwischen 60 und 65% Al gefunden. Durch den erhöhten AlAnteil wurden gegenüber der 50:50-Schicht vor allem die Warmhärte und Temperaturstabilität deutlich verbessert, was zu guten Zerspanergebnissen beim Fräsen von Stahl und Gusswerkstoffen geführt hat. Die Weiterentwicklung in der PVD Target Produktion hat mittlerweile dazu geführt, dass auch Schichten mit einem Ti:Al - Verhältnis 30:70 standardmäßig hergestellt werden können. Die weitere Steigerung der Warmhärte und Oxidationsstabilität führt dazu, dass die Al70Ti30N Schichten besonders für die Bearbeitung schwerzerspanbarer Werkstoffe wie rostfreie Stähle und Ni-Basis Legierungen geeignet sind. In Inconel 625 konnten die Werkzeugstandzeiten um 50 – 100% gesteigert werden, wobei die besten Ergebnisse bei Schnittgeschwindigkeiten im Bereich von vc = 35 - 70 m/min, Vorschüben von rund f = 0,2 mm und Zustellungen von ap= 0,5 - 1,5 mm erhalten wurden. Anwendungen mit niedrig legierten Stählen zeigen, dass mit AlTiN Schichten auch die Hochgeschwindigkeitszerspanung möglich ist. In diesem Zusammenhang ist es eine weit verbreitete Ansicht, dass die AlTiN Kristalle bei den hohen Temperaturen während der Bearbeitung oxidiert werden, wodurch eine dünne Oxidhaut entsteht, die das Werkzeug vor weiterer thermischer Schädigung schützt [1]. AlTiN mittels HPPMS HPPMS (High Power Pulse Magnetron Sputtering) ist eine Weiterentwicklung des gepulsten Magnetron Sputter Prozesses mit der Besonderheit, dass sehr hohe Pulsströme für sehr kurze Zeit (0,1 Millisekunden) angelegt werden. Die starken Energieimpulse im MW-Bereich führen zu sehr hohen Ionisationsraten (bis 100-fach verglichen mit dem herkömmlichen Prozess), wobei aber die mittlere Geräteleistung bedingt durch die geringe Pulsdauer relativ niedrig bleibt. Die Belastung für Kathoden und Substrate kann gering gehalten werden, wobei dennoch höhere Schichtabscheideraten, eine exzellente Schichthaftung und vergleichsweise fein-
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kristalline und dichte Schichten erhalten werden. Bedingt durch die hohe Ionisationsrate ist eine hohe Anzahl von Wachstumsspezies im elektrischen Feld vorhanden, sodass das Kristallwachstum der AlTiN Mischkristalle durch verstärkte Sekundärnukleation behindert wird, und die einzelnen Kristalle sehr klein (~10 nm) bleiben (Abb. 1). Der Vorteil dieser feinkristallinen Schichten für die Zerspanung ist, dass die Bruchanfälligkeit deutlich reduziert und mechanische Wechselbelastungen besser verkraftet werden.
Abb. 1 Bruchfläche einer Aluminiumtinannitrid Schicht, a) mit herkömmlichem; b) mit HPPMS Verfahren hergestellt
Aluminiumchromnitrid Schichten Neben dem System Al–Ti–N gewinnen Beschichtungen mit den Komponenten Al–Cr–N zunehmend an Bedeutung. Die Entscheidung anstelle von Titan Chrom als Schichtbestandteil einzusetzen, war getragen von dem Wunsch, eine weitere Erhöhung der Warmfestigkeit für die Werkzeugbeschichtungen zu erreichen. Der kubische AlCrN Mischkristall ist thermisch stabiler (bis 1100°C) als sein Gegenstück mit Ti. Zudem ist die Umwandlung vom kubischen in das hexagonale Kristallgitter im Vergleich zu AlTiN zu etwas höheren Al-Gehalten (maximal 77%) verschoben [2]. Die Mikrohärte beider Systeme differiert bei gleicher Zusammensetzung (70% Al) nur geringfügig (AlCrN 3100 kp/mm²) [3], [4]. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil der AlCrN Schichten ist, dass ihre Wärmeleitfähigkeit mit steigender Temperatur leicht sinkt [5]. Dieser Effekt führt zur Verzögerung des tribochemischen und in Folge auch des abrasiven Verschleißes und ist sonst nur von CVD-Al2O3 bekannt. Als nachteilig muss die relativ geringe Elastizität und hohe Bruchneigung der AlCrN Schichten eingestuft werden, weshalb sich bisher nur sehr dünne Beschichtungen (~2μm) in Fräsanwendungen durchgesetzt haben. Allerdings wurden z.B. beim Fräsen von gehärtetem Stahl und Gusseisen sehr gute Ergebnisse erzielt. Um den Nachteil der hohen Sprödigkeit von AlCrN auszugleichen und größere Schichtdicken zu realisieren, werden heute zumeist Kombinationen einer zäheren TiAlN (50:50) Basisschicht mit einer AlCrN Decklage (Abb. 2a) eingesetzt.
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Nanostrukturiertes AlCrN Eine weitere Möglichkeit die Sprödigkeit der reinen AlCrN Schichten etwas zu reduzieren und so weitere Anwendungen im Fräsbereich zu realisieren, ist die Herstellung von Nanolayer AlCrN Schichten. Die Gesamtschicht entsteht in diesem Fall durch einen periodischen Wechsel dünner Einzelschichten (Abb. 2b) in Abständen von 5 – 10 nm, wobei das Schichtmaterial AlCrN erhalten bleibt und sich innerhalb der einzelnen Nanolayer nur das Verhältnis von Al zu Cr ändert. Der Übergang zwischen den einzelnen Schichten erfolgt fließend, was nur durch die Anwendung von rotierenden Kathoden mit einer entsprechend aufwändigen Prozesssteuerung möglich wird [6]. In der erhaltenen Schicht wechseln dünne Lagen von hartem, verschleißfestem Material mit elastischeren, bruchresistenten Zonen ab. Das Gesamtsystem behält seine Warmhärte und Verschleißfestigkeit, wird aber unempfindlicher gegen Schlagbeanspruchung. Diese nanostrukturierte AlCrN Schicht hat sich mittlerweile im Bereich Wälzfräsen als überlegen (durchschnittlich +30% Standzeit) gegenüber den bisherigen Standardbeschichtungen erwiesen.
Abb. 2 TiAlN/AlCrN Kombischicht (a), [7]; Nanostrukturierte AlCrN Schicht (b)
Nanokomposit-Schichten mit Siliziumnitrid Matrix Seit etwa zehn Jahren können mittels PVD Technologie Multilayer-Schichtsysteme hergestellt werden, deren einzelne Lagen Dicken im Bereich von wenigen Nanometern aufweisen. Werden zwei Schichtmaterialien in so dünnen Einzellagen kombiniert, löst sich die Kristallstruktur der einzelnen Schichten auf und es entsteht ein übergeordnetes Kristallgitter („Superlattice“) [8], in dem wegen der erzwungenen Kristallordnung sehr hohe Eigenspannungen vorherrschen. Diese Spannungen bewirken die hohe Härte und Verschleißbeständigkeit der Gesamtschicht. Nachteilig wirkt sich aus, dass die Eigenspannungen bei Temperaturerhöhung relaxieren und somit die Härte stark nachlässt. Um das Manko der fehlenden Warmhärte auszugleichen, wurden weitere Schichtsysteme entwickelt, die eine echte Nanokomposit-Struktur aufweisen [9]. Dabei handelt es sich um zweiphasi-
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ge Schichten, bei denen eine Hartstoffphase z.B. TiN, AlTiN oder AlCrN gleichzeitig mit Siliziumnitrid abgeschieden wird. Da beispielsweise ein AlTiSiN Mischkristall nicht die thermodynamisch stabile Form darstellt, kommt es zu einer spontanen Entmischung, wobei wenige Nanometer große AlTiN Kristalle entstehen, die in einer amorphen Si3N4 Matrix eingebettet sind (Abb. 3). Diese Schichten weisen im Allgemeinen eine sehr gute Warmhärte auf und bieten wegen der Kombination von Nanokristalliten und amorpher Matrix einen hohen Widerstand gegen Rissausbreitung und eine akzeptable Bruchzähigkeit. Zusammengenommen stellen diese Schichteigenschaften die optimale Basis für Anwendungen bei schwerzerspanbaren Materialien (Ni-Basis Legierungen, Randzonengehärtete Stähle etc.) dar. Zum Beispiel wurde bei der Anwendung Bohren von Inconel 718 (Werkzeugdurchmesser 6,8 mm, vc = 25 m/min, fz = 0,045 mm/Zahn) mit einer AlTiSiN Schicht eine Verdopplung der Werkzeugstandzeit im Vergleich zu einer TiAlCN Beschichtung erreicht. Partiell wurde auch über sehr gute Resultate in der Schruppbearbeitung von Titanlegierungen berichtet [10]. Andere Ergebnisse weisen auf die Eignung dieser Schichten für HSC Anwendungen hin. Mit der Entwicklung der Nanokomposit-Schichten ist ein wesentlicher Schritt in Richtung High Performance Coatings gelungen.
Abb. 3 TEM-Aufnahme einer TiAlN-Si3N4 Nanokomposit-Schicht nach S. Veprek [9]
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Oxid-Schichten mittels PVD Die Herstellung von Oxidschichten war lange Zeit eine Domäne der Hochtemperatur CVD. Besonders das D-Aluminiumoxid (Korund) konnte nur bei Temperaturen jenseits von 1000°C abgeschieden werden, da im niedrigeren Temperaturbereich eher die J oder NKristallmodifikation gebildet werden, die zwar für die meisten Fräsaufgaben eine ausreichende Warmfestigkeit aufweisen, deren thermische Isolierwirkung jedoch deutlich hinter D-Al2O3 Beschichtungen zurück bleibt. Die ersten mittels PVD hergestellten Oxidschichten wiesen allesamt eine J Struktur auf, die einerseits eine wesentlich geringere Härte besitzt und unter Temperaturbelastung auch noch eine Umordnung der Kristallstruktur erfährt. Dieser Umstand bewirkt ein zusätzliches Auftreten von Eigenspannungen während des Zerspanvorgangs und kann in Folge zum Schichtversagen führen. Erst mit der Entwicklung von doppelt gepulsten (Kathoden- und Biasstrom) PVD-Prozessen konnte im Jahr 2006 die erste oxidische Beschichtung mit Korundstruktur vorgestellt werden [11]. Es handelt sich dabei um ein AluminiumChrom Mischoxid, wobei ein Chrom-Anteil von zumindest 15% notwendig ist, um die gewünschte Kristallstruktur zu stabilisieren. Erste Zerspanungsversuche zeigten das hohe Potential dieser PVD-Aluminiumoxid Schichten. Sowohl im Fräsen als auch - mit dickeren Schichtvarianten - im Drehen von 42CrMo4 Stahl wurden die Ergebnisse von Standard CVD Schichten egalisiert. Besonders bei Zerspanungsaufgaben mit hohen thermischen Wechselbelastungen (z.B. Kurbelwellenfräsen) zeigen die (Al,Cr)O Schichten eine deutlich geringere Neigung zur Ausbildung von thermischen Rissen (Abb. 4), was sich direkt auf die Werkzeugstandzeit auswirkt.
Abb. 4 Unterschiede in der Ausbildung thermischer Risse bei CVD-Al2O3 (a) und PVD(Al,Cr)O Schichten (b)
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Abb. 5 Querschnitt einer Kombinationsschicht aus AlTiN mit einer (Al,Cr)-Oxid Decklage
Kubisches Bornitrid mittels PVD Als zweithärtester bekannter Stoff, der im Gegensatz zu Diamant auch für die Stahlzerspanung geeignet ist, hat das kubische Bornitrid eine immense Bedeutung in der Zerspanungsindustrie gewonnen. Als Nachteil wurde bisher empfunden, dass c-BN nur in Form von auf Trägerwerkzeuge gelöteten Inserts aus polykristallinem Material (PCBN) erhältlich war. Die durch die Insertgeometrie gegebenen Beschränkungen in der Werkzeugform stellten gleichzeitig eine Limitierung der Anwendungsbereiche dar. Jahrzehnte lang wurde versucht, c-BN auch in Form von Werkzeugbeschichtungen herzustellen, was aber nur bedingt gelang. Für die Ausbildung der superharten, kubischen Phase während des Schichtwachstums ist Ionenbeschuss eine unabdingbare Voraussetzung, weshalb nur PVD oder PACVD Verfahren für die Herstellung in Frage kommen. Durch den Ionenbeschuss entstehen aber als negativer Begleiteffekt so hohe Eigenspannungen, dass die Schichten ab einer bestimmten Dicke - je nach Bedingung typischerweise zwischen 50 nm und 300 nm - versagen, d.h. vom Substrat abplatzen. Die ersten viel versprechenden Ergebnisse zur Herstellung von dickeren (1-2μm) c-BN Schichten mittels PVD Prozessen wurden 2001 von K. Bewilogua veröffentlicht [12]. In weiteren Entwicklungsschritten wurde von dieser Arbeitsgruppe ein Zwischenschichtsystem Mit B4C und BCN Teilschichten [13] entdeckt, mit dessen Hilfe der große Sprung in den Eigenspannungen zwischen Unterlage und c-BN Schicht reduziert werden und die Kombination mit herkömmlichen Werkzeugbeschichtungen ermöglicht werden konnte. Damit wurde das Tor für eine industrielle Anwendung geöffnet.
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Abb. 6 Mit c-BN beschichtete Wendeschneidplatte [14]
Entwicklungen auf dem Gebiet der CVD Beschichtung Nanostrukturierte TiCN Schichten Titancarbonitridschichten mit unterschiedlichem C:N-Verhältnis werden seit über 40 Jahren mittels CVD-Verfahren bei rund 950-1000°C hergestellt. Seit rund 15 Jahren hat sich für die wirtschaftliche Beschichtung von Wendeschneidplatten aus Hartmetall aber überwiegend die MT-TiCN Beschichtung durchgesetzt, welche unter Verwendung von Acetonitril (CH3CN) als Ausgangssubstanz mit einem konstenten C:N-Verhältnis von etwa 65:35 in einem Temperaturbereich von rund 800-900°C hergestellt wird. Generell liegt bei CVD-TiCN Schichten, unabhängig vom C- und N-Gehalt, immer eine homogene Elementverteilung vor und die Schichteigenschaften sind vorwiegend von der Größe des C- bzw. N-Anteils in der Schicht abhängig, wobei ein hoher C-Anteil die Schichthärte bzw. den Verschleißwiderstand erhöht, während Schichten mit überwiegendem N-Anteil eine gute Zähigkeit und hohen Oxidationswiderstand aufweisen. Im Hinblick auf ein ideales Schneidstoffverhalten wäre eine Kombination dieser beiden gegenläufigen Eigenschaften wünschenswert. Ein wesentlicher Schritt in dieser Hinsicht ist mit der Entwicklung einer nanokristallinen Ti(C,N)-Schicht gelungen. Diese Schicht wird analog zum alten Hochtemperatur TiCN wieder direkt aus Methan und Stickstoff hergestellt, wobei durch die Prozessführung eine homogene Elementverteilung vermieden wird und es stattdessen zur Ausbildung einer NanokompositStruktur kommt. Diese spezielle CVD Ti(C,N)-Schicht weist eine durchschnittliche Kristallitgröße von nur ~20-40 nm auf und wie TEM-Untersuchungen ergaben, zeigen die einzelnen Kristallite hinsichtlich ihrer Elementverteilung eine sog. „Kern-Mantel“-Struktur (Abb. 7). Während der Kern eine TiN-Anreicherung (hoher N-Gehalt, hell) aufweist, zeigt der Rand eine TiC-Anreicherung (hoher CGehalt, dunkel) [15].
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Auf Grund Ihrer ungewöhnlichen Struktur und der inhomogenen Elementverteilung zeigt diese Schicht auch außergewöhnliche, von den klassischen TiCNSchichten abweichende Eigenschaften. Trotz einer relativ niedrigen Härte, bedingt durch einen hohen TiN-Anteil von rund 80%, zeichnet sich die Schicht durch eine ausgezeichnete Verschleißbeständigkeit, bei gleichzeitig deutlich höherer Oxidationsstabilität und Schlagfestigkeit aus. Ein weiterer Vorteil ergibt sich durch die Ausbildung einer feinstkristallinen, nadelförmigen Struktur an der Oberfläche dieser TiC/TiN Schicht (Abb. 8), weil durch den mechanischen Verzahnungseffekt eine ausgezeichnete Anbindung speziell zu Aluminiumoxid erzielt wird, was sich im Endeffekt durch späteres Schichtversagen deutlich bemerkbar macht. Durch ihre Ausgewogenheit bezüglich Verschleißbeständigkeit und Elastizität hat sich diese Schicht bereits in vielen Anwendungsfällen als Bereicherung erwiesen. Beim Drehen unterstützt sie die Wirkung der Aluminiumoxid Deckschicht und wirkt Kolkbildung entgegen, während beim Fräsen die geringere Bruchneigung gefragt ist. Leistungssteigerungen im Bereich von 30-50% sind mit dieser Beschichtung keine Seltenheit.
Abb. 7 TEM Strukturvergleich zwischen MT-CVD-TiCN (a) und nanostrukturiertem HT-CVDTiCN (b)
Abb. 8 Oberflächenstruktur einer nanostrukturierten HT-CVD-TiCN-Schicht
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Aluminiumtitannitrid Schichten mittels CVD Während die nach dem PVD-Verfahren abgeschiedenen AlTiN-Schichten einen maximalen Al-Gehalt von rund 70% aufweisen, ist es in ersten Laborversuchen gelungen, Aluminiumtitannitridschichten mit einem AlN-Gehalt bis zu 95% mittels CVD-Verfahren herzustellen [16]. Dabei konnte eine Co-Abscheidung der hexagonalen Phase durch geeignete Wahl der Prozesstemperatur (< 800°C), sowie des AlCl3/TiCl4 Verhältnisses vermieden werden. Die gemessenen Härten dieser AlTiN-CVD Schichten liegen im Bereich von 3.100 bis 3.300 HV0,01 und liegen damit leicht über den Härten der AlTiN-PVD Schichten. Ihr Potential zeigten diese mit ~100 nm Kristallitgröße sehr feinkristallinen Schichten bereits in Oxidationsversuchen, in deren Verlauf ab 850°C erste Phasenentmischungen in h-AlN und TiN erfolgten und erst bei rund 1000°C eine Phasenumwandlung in Korund (Al2O3) und Rutil (TiO2) stattfand. Erwartungsgemäß ergaben die ersten Zerspanungstests mit diesen Schichten auch deutlich verbesserte Verschleißeigenschaften im Vergleich mit PVD-AlTiN Schichten, wobei sich bisher ein AlN-Gehalt im Bereich von rund 85-95% als optimal erwiesen hat. Sowohl beim Reiben (Ck45, GG25), als auch Fräsen und Drehen von Stahl, zeigten diese aluminiumreichen CVD-AlTiN Schichten ein ausgezeichnetes Verschleißverhalten. Als nachteilig hat sich bisher die hohe Sprödigkeit dieser Schichten erwiesen, wodurch eine Marktreife zur Zeit noch nicht gegeben ist. Durch eine Optimierung der Schichtstärke bzw. durch Kombination mit zäheren Zwischenschichten (Abb. 9) ist jedoch zu erwarten, dass die AlTiN-CVD Schichten in Zukunft einen fixen Platz im Bereich der Werkzeugbeschichtungen einnehmen werden.
Abb. 9 CVD Kombinationsschicht mit AlTiN-Deckschicht
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Oxid-Schichten mittels CVD Vor allem wegen ihrer hohen Wärmeisolierwirkung, Warmhärte und chemischen Beständigkeit, sind Al2O3 Schichten seit Jahrzehnten nicht mehr aus dem Bereich der Metallzerspanung wegzudenken. Dabei sind es vor allem zwei Al2O3 -Phasen, die mittels CVD-Verfahren bevorzugt auf Wendeschneidplatten aus Hartmetall abgeschieden werden, nämlich die thermodynamisch stabile D-Phase, besser bekannt als Korund, und die metastabile N-Phase. Für Anwendungen mit sehr hoher thermischer Belastung, z.B. Drehen mit hoher Schnittgeschwindigkeit und ohne Kühlschmiermittel, wird die stabile D-Phase bevorzugt. Der Grund dafür ist das Auftreten von Temperaturen von über 1000°C, bei welchen sich die N in die stabile D-Phase umzuwandeln beginnt, was zu Schichtabplatzungen in Folge von Volumenänderungen beim N-Al2O3 führen kann. Die metastabile N- Phase, die eine geringere Härte als die D- Phase aufweist, zeigt hingegen ihre Vorteile bei Fräsanwendungen, bei denen die thermische Belastung weniger hoch ist und eher Schichtelastizität gegen die Schlagbeanspruchung gefordert ist. Die gezielte Abscheidung der beiden beschriebenen Phasen des Al2O3 mittels CVD ist heute Stand der Technik und wird „epitaktisch“ gesteuert, d.h. man macht sich das Phänomen zu Nutze, dass sich Kristallwachstum am Gitter des davor abgeschiedenen Hartstoffs orientiert. Da NAl2O3 epitaktisches Wachstum auf (111) fcc-Oberflächen zeigt, wächst auf dem kubischen Kristallgitter der klassischen CVD-Hartstoffschichten TiN, TiCN und TiC bevorzugt Al2O3 in der metastabilen NPhase auf. Um gezielt die bevorzugte DPhase des Al2O3 abscheiden zu können, muss daher die Oberfläche vor Beginn der Aluminiumoxidabscheidung entsprechen „konditioniert“ werden. Dazu muss die dem DAl2O3 isomorphe Gitterstruktur des Rutils (TiO2) geschaffen werden. Dies lässt sich durch gezielte Oxidation einer der oben erwähnten Anbindungs- und Stützschichten TiN, TiCN oder TiC erreichen, wobei TiN sehr schwer, TiC hingegen sehr leicht oxidierbar ist. Doch werden die heutzutage erzielten Leistungssteigerungen der Al2O3 Schichten nicht allein durch die kontrollierte Abscheidung der D bzw. NPhasen erzielt. Dazu ist auch die Kontrolle der Kristallorientierung der Aluminiumoxidschicht erforderlich, da sich gezeigt hat, dass die Werte für Härte, Wärmeleitfähigkeit und Verschleißbeständigkeit sowohl von der Textur, als auch von der Kristallitgröße stark beeinflusst werden, wobei z.B. Mischtexturen und sehr feinkristalline Aluminiumoxidschichten meist höhere Schichthärten aufweisen. Die gezielte Abscheidung von texturierten Schichten kann nur mit einer peinlich genauen Kontrolle und Steuerung der Prozessparameter (Druck, Temperatur, Gasströme) realisiert werden. Auch hinsichtlich der, beim Al2O3 bereits ausgezeichneten, thermischen Isolierwirkung können noch Verbesserungen erzielt werden. So weist z.B. ZrO2 eine, um den Faktor 10 bessere thermische Isolierwirkung als Al2O3 auf, besitzt jedoch
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leider nur geringe Härte. Um die bessere Isolierwirkung des ZrO2 dennoch nutzen zu können, scheidet man mittels CVD eine Al2O3/ZrO2/TiO2 –„Mischkeramik“ Schicht ab, wobei bereits bei einem ZrO2/TiO2 Gehalt von <20% im Al2O3 eine messbar erhöhte der thermische Isolierwirkung gegenüber reinem Al2O3 erreicht wird [17].
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Positive Werkzeuge mit hohem IQ Dr.-Ing. Matthias Luik Leitung Forschung und Entwicklung Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH
Dr. Matthias Luik Dr.-Ing. Matthias Luik wurde am 1. September 1970 in Reutlingen geboren. Er studierte an der Universität Stuttgart Maschinenbau mit den Kernfächern Konstruktion und Werkzeugmaschinen Schwerpunkt Metallzerspanung. Für seine Arbeiten zur Erforschung der Gratbildung beim Kurzlochbohren wurde er 1997 mit dem VDW Studienpreis für herausragende Leistungen ausgezeichnet. Nach Beendigung des Studiums 1998 arbeitet er bei Professor Dr.-Ing Dr. h.c. mult U. Heisel als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) der Universität Stuttgart in der Abteilung Zerspanungstechnologie. Er promovierte 2006 zum Doktor Ingenieur. Seit 2004 arbeitet er bei der Hartmetall-Werkzeugfabrik Paul Horn GmbH in Tübingen und übernahm 2010 die Leitung Forschung und Entwicklung.
Einleitung Fräsen ist ein Verfahren, auf welches im modernen Produktionsprozess nicht verzichtet werden kann. Dabei stellt die zunehmende Komplexität der zu fertigenden Bauteile ganz neue Herausforderungen an ein Werkzeug. Konnten früher Bauteile nur mit hohem Aufwand durch Erodieren oder Außenräumen hergestellt werden, müssen heute bereits Fräswerkzeuge für solche Bearbeitungsaufgaben aus Zeitund Kostengründen eingesetzt werden. Dies führt dazu, dass viele Bauteile heute in einer Aufspannung bearbeitbar sind, welche früher nur durch mehrmaliges Umspannen erzeugt werden konnten. Um Bearbeitungszeiten und –kosten dabei gering zu halten, müssen aber dennoch universelle Werkzeuge eingesetzt werden, welche für verschiedenste Bearbeitungsaufgaben ausgelegt sind. Vor allem der Einsatz von Wendeschneidplattenwerkzeugen, bei welchen die Kombination von Hartmetallsubstrat, Beschichtung und Schneidgeometrie angepasst werden kann, bieten hier passende Problemlösungen an. Die mittlerweile immer schwieriger zu bearbeitenden Werkstoffe und der gleichzeitige Einsatz von universellen Werkzeugen erfordern daher intelligente Lösungskonzepte.
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Dies ist deshalb notwendig, da mit bisher üblichen Bearbeitungswerkzeugen schnell an die Grenzen des technisch Machbaren gestoßen wird. Vor allem wenn filigrane Wandstärken oder schwer zu zerspanende Materialien mit möglichst einem Werkzeug zu bearbeiten sind. Dabei darf es auf keinen Fall zu einer Beschädigung des zu fertigenden Produktes kommen, denn je nach Fertigungszustand könnte dies mit einem hohen wirtschaftlichen Schaden verbunden sein. Gerade hier sind daher noch große Potentiale in der Wertschöpfungskette vorhanden, die es nutzbar zu machen gilt. Intelligente und innovative Lösungskonzepte zu bisherigen Werkzeugen sind daher dringend notwendig. Werkzeugherstellern ist dies durchaus bewusst, wie die Vielzahl an neuen Werkzeugen verdeutlicht, welche alljährlich präsentiert werden. Notwendig sind vor allem Werkzeuge, welche durch eine geschickte Aufteilung der Zerspankräfte die Belastungen auf das Bauteil gering halten. Die Vorteile sind die Herstellbarkeit von dünnwandigen Bauteilen, reduzierte Schwingungen und werkzeugseitig dadurch eine höhere Lebensdauer. Solch ein Werkzeug wird von der Paul Horn GmbH in Tübingen unter dem Namen „System DA“ hergestellt (siehe Abbildung 1).
Abb. 1 Werkzeugsystem DA mit hochpositiven Schneiden
Anforderungen Um Belastungen zu vermeiden bzw. Standzeiten zu erhöhen ist es gängige Praxis, den Zahnvorschub zu reduzieren. Nachteilig wirkt sich dabei die um ein vielfaches verlängerte Bearbeitungszeit aus. Eine weitaus bessere Möglichkeit Belastungen zu reduzieren ist der Einsatz von Werkzeugen mit geometrisch hoch positiven Werkzeugschneiden. Hierbei wird die Radialschneide gekippt und schräg angestellt wodurch sich zum einen eine Verteilung der Kräfte und zum anderen ein ziehender Schnitt ergibt. Bei Vollhartmetallwerkzeugen wird dies durch einen entsprechenden Drallwinkel der Schneiden erreicht. Allerdings sind diesen Werkzeugen bezüglich der Größe Grenzen gesetzt. So kommen ab Werkzeugdurchmesser
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16 mm vermehrt Wendeschneidplattenwerkzeuge zum Einsatz. Bei solchen Werkzeugen wird versucht, über eine Anstellung der Platte eine Aufteilung der Zerspankräfte zu erreichen. Kann die Schnittkraft entsprechend aufgeteilt werden, ergibt sich eine geringere radiale Belastung des Werkzeuges und somit weniger Biegebelastungen. Die Vorteile wären eine höhere Stabilität und bessere Maßhaltigkeit der zu fertigenden Bauteile. Die daraus ebenfalls resultierenden Zugbelastungen würden den Druckbelastungen beim Fräsen entgegenwirken und somit auch hier die Belastung reduzieren. Abbildung 2 zeigt einen schematischen Überblick, wie sich der Anstellwinkel der Schneide auf die entsprechenden Kräfte auswirkt.
Abb. 2 Auswirkungen des Schneidenanstellwinkels auf die Werkzeugbelastung
Um die Stabilität der Platte zu gewährleisten, sind Anstellwinkel von 45° und mehr momentan nicht praktikabel. So liegen die derzeitigen Zielvorstellungen bei einem Anstellwinkel von 20°. Dabei ergibt sich eine Verringerungen der Biegebelastung von ca. 10%. Die Mehrbelastung in Achsrichtung wird teilweise durch einen ziehenden Schnitt kompensiert. Ebenso könnte man bei einer angepassten Platte durch Wahl eines entsprechenden Spanwinkels weitere Verbesserungen erreichen. Bei momentan eingesetzten Platten sind allerdings durch die Verkippung der Schneiden teilweise große Freiwinkel erforderlich, was sich dann wiederum direkt auf die Lebenszeit der Werkzeuge auswirkt. Ebenso ergeben sich zum Beispiel beim Eckfräsen geometrische Abweichungen von der Sollkontur. Daher sind die Kippwinkel der Platten dann doch meist relativ klein und somit ergibt sich als Folge nur eine relativ kleine Verringerung der Belastung. Für den wirtschaftlichen Einsatz wäre daher eine Wendeschneidplatte mit folgenden Kriterien notwendig:
x Hochpositive Geometrie (20° Anstellwinkel) bereits in der Platte eingesintert, daher kein Verkippen notwendig x Platten für den Durchmesser angepasst, daher höchstmögliche Stabilität x Mehr als handelsübliche 2 Schneiden pro Platte Aus diesen Anforderungen ergeben sich erhebliche Herausforderungen an den Herstellprozess der Wendeschneidplatten.
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Wendeschneidplatte der neusten Generation Neue Techniken erlauben mittlerweile durch spezielle Press- und Spritztechniken im Mehrachsverfahren Topographien herzustellen, welche bis vor 10 Jahren undenkbar waren. Dabei gilt es während des Urformungsprozesses konstante Bedingungen herzustellen, welche ein homogenes Hartmetallgefüge erzielen. Dies ist die Grundvoraussetzung für den späteren langlebigen Einsatz. Abgestimmte auf das passende Substrat können so Geometrien erzeugt werden, welche durch den nachfolgenden Schleifprozess einfach in die jeweilige Endform gebracht werden können. Werden diese Techniken konsequent angewandt, ist es zudem möglich, die Anzahl der Schneiden pro Wendeschneidplatte von 2 auf 3 zu erhöhen. So wurde es möglich, die in Abbildung 3 dargestellte dreischneidige und hoch positive Wendeschneidplatte zu entwickeln und herzustellen.
Abb. 3 Wendeschneidplatte Typ DA
Die Geometrie sorgt für eine hervorragende Aufteilung der Zerspankräfte, wodurch Belastungen auf das Bauteil gering gehalten werden. Zudem ergibt sich durch die geringere Belastung eine deutlich höhere Standzeit. Die Aufteilung der Bearbeitungskräfte macht sich zudem in einer geringeren Geräuschbildung und Leistungsaufnahme bemerkbar. Die optisch recht einfach aussehende Wendeschneidplatte wartet mit einigen technischen Raffinessen auf. Allen Platten gemeinsam ist der radialseitig angepasste exzentrische Bogenschliff. Dieser ist für jeden Durchmesser extra angepasst. Auf diese Art und Weise ergibt sich eine höchste Genauigkeit und größt-
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möglichste Stabilität der Schneidkante. Gleichzeitig sorgt eine axialseitige WiperGeometrie für eine bestmögliche Oberfläche. Durch die unterschiedlichen Spanwinkel für die radiale und axiale Bearbeitung ist die Platte der jeweiligen Bearbeitung bestens angepasst. Wenn man zudem weiter betrachtet, dass viele eingesetzte Wendeschneidplatten mit 2 Schneiden ausgelegt sind, diese Wendeschneidplatte aber 3 Schneiden besitzt, ergibt sich hier bereits ein wirtschaftliche Vorteil um rund 30%. Die Axial- und Radialschneiden der in zwei Größen lieferbaren Platte erzeugen eine exakte 90° Schulter. Verschiedene Eckenradien bieten ausreichende Anpassungsmöglichkeiten an Fertigungsaufgaben wie Plan-, Eck-, Nut-, Taschen- und Tauchfräsen sowie Aufbohren in Stählen, NE-Metallen und Kunststoffen. Beide Plattengrößen sind in zwei Hartmetallsorten, unterschiedlichen Schneidgeometrien und verschiedenen Beschichtungen lieferbar. Somit ergibt sich bei jeglicher Bearbeitung eine optimale Kombination von Geometrie, Hartmetall und Beschichtung.
Messergebnisse Erste Analysen beim Einsatz bestätigen die dargestellten Überlegungen. So konnte mittels Hochgeschwindigkeitskamera ein ziehender Schnitt und ein sauberes Abrollen des Spanes auf der Hauptschneide beobachtet werden (Abbildung 4). Ein einfacher Vergleich des Werkzeuges gegenüber einem am Markt erhältlichen Fräswerkzeuges, bestückt mit APKT-Wendeschneidplatten, zeigt eine Verringerung der gemittelten Kräfte in Z-Richtung (Spindelachse) um 50% und eine Verringerung der radial wirkenden Kräfte um bis zu 40% (siehe Abbildung 5, nächste Seite).
Abb. 4 Spanverhalten hochpositive Wendeschneidplatte
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Abb. 5 gemittelte Kräfte beim Frässystem DA von Horn im Vergleich zu herkömmlichem Frässystem
Die geringeren Kräfte wirken sich direkt auf die Standzeit aus, wie ein Standzeitversuch bestätigte. Als Versuchswerkstoff diente 1.7225 (42CrMo4) mit den Abmessungen 150x38x38mm. Die Versuchsteile wurden auf einem Schraubstock gespannt. Kühlung erfolgte von außen (Emulsion). Es wurde Eckfräsen (Gleichlauf) durchgeführt. Die Versuchsdaten im Einzelnen waren:
x x x x x x
Schneidkreisdurchmesser D =32mm Anzahl Zähne z = 3 Schnittgeschwindigkeit vc = 220m/min Vorschub pro Zahn fz = 0,25mm Schnitttiefe ap = 3mm Seitliche Zustellung ae = 2mm
Beim Versuch kamen 2 handelsübliche Frässysteme, bestückt mit APKT-Platten (2 Schneiden pro Platte) und das Frässystem DA zum Einsatz. Der Versuch wurde 3-mal durchgeführt. Die erzielten Standwege dargestellt in zurückgelegten Fräsmetern pro Wendeschneidplatte sind in Abbildung 6 dargestellt. Das Ergebnis bestätigt den deutlichen Vorteil der hochpositiven Werkzeuge.
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Abb. 6 Standweg pro Wendeschneidplatte beim Fräsen mit hochpositiven Wendeschneidplatten (System DA von Horn) im Vergleich zu herkömmlichen Frässystemen
Praxistauglichkeit Das Frässystem DA ist dabei sich am Markt zu etablieren. Daher sollen 2 Beispiele aufgezeigt werden, welche die wirtschaftliche Umsetzung des Systems darstellen. Aufgrund der universellen Anpassungsfähigkeit durch die optimale Kombination von Hartmetall, Geometrie und Beschichtung ist das DA System für nahezu alle Werkstoffe einsetzbar. Im ersten Beispiel wird der Fräser beim Bearbeiten einer siliziumhaltigen Aluminiumlegierung (AlMgSi1) eingesetzt. Dabei muss eine 17mm tiefe Gehäusewanne hergestellt werden. Zum Einsatz kam ein Fräser Durchmesser 32mm bestückt mit 3 Wendeschneidplatten. Gefräst wurde ins Volle. Die Schnittdaten betrugen:
x Schnittgeschwindigkeit vc = 1500m/min x Vorschub pro Zahn fz = 0,15mm x Schnitttiefe ap = 4,25mm Obwohl die Zustellung mit diesem Werkzeug geringer war als mit dem bisher eingesetzten Werkzeug, konnte die Bearbeitungszeit um 4 Minuten pro Werkstück verringert werden. Dies lag an den nun höher möglichen Schnittparametern und der guten Aufteilung der Zerspankräfte. Als weitere Folge ergaben sich zudem eine größere Laufruhe und eine weit aus bessere Oberflächengüte. Beim zweiten Beispiel wurden Komponenten im Werkzeug und Formenbau gefräst. Dabei kam der Werkstoff 1.2436 (X210CrW12) zum Einsatz. Eingesetzt wurde ein Fräser mit dem Durchmesser 25mm, bestückt mit 3 Wendeschneidplat-
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ten (Abbildung 7). Obwohl das Werkzeug mit nur 3 Wendeschneidplatten gegenüber dem Wettbewerbswerkzeug mit 4 Wendeschneidplatten bestückt war, konnte bei gleicher Vorschubgeschwindigkeit ein höherer Standweg erreicht werden. Die 3-schneidige Wendeschneidplatte hatte zudem wirtschaftliche Vorteile gegenüber der 2-schneidigen APKT Platte des bisher eingesetzten Werkzeuges. Zudem ergab sich auch hier eine bessere Oberflächengüte.
Abb. 7 Frässystem DA von Horn im Einsatz in X210CrW12
Zusammenfassung Fräsen stellt im heutigen Produktionsprozess eine der wichtigsten Bearbeitungsaufgaben dar. Aufgrund der Komplettbearbeitung in einer Aufspannung müssen auf der einen Seite universelle Werkzeuge eingesetzt und auf der anderen Seite komplexe Bearbeitungen durchgeführt werden. Dies spart Zeit und Kosten. Mit Wendeschneidplatten bestückte hochpositive Werkzeuge zeigen hier entscheidende Vorteile gegenüber konventionellen Werkzeugen. Durch ideale Aufteilung der Zerspankräfte werden Belastungen auf Bauteile und Werkzeug gering gehalten und Schwingungen vermieden. Als Resultat ergeben sich kurze Bearbeitungszyklen bei höherer Lebensdauer. Somit wird durch die intelligente Kombination von Schneidengeometrie, Hartmetallsubstrat und Beschichtung ein Höchstmaß an Wirtschaftlichkeit erreicht. Das hier dargestellte Frässytem DA der Paul Horn GmbH zeigt solche Eigenschaften. Es ist sehr vielfältig einsetzbar. Nicht nur im Werkzeug- und Formenbau, sondern auch im allgemeinen Maschinenbau, der Medizintechnik oder Luft- und Raumfahrt finden sich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Vor allem die hochpositiven Schneiden finden breites Interesse bei verschiedensten Anwendungsfällen. Messungen und letztendlich der Einsatz in der industriellen Fertigung zeigen die zukunftsweisende Technologie beim Einsatz positiver Werkzeuge mit hohem Intelligenzquotient.
Effizienzsteigerung durch intelligente Planung Agentenbasierte Fertigungssystemplanung von rekonfigurierbaren Transferzentren Dipl.-Ing. Walther Maier, Dipl.-Ing. Alexander Bader Institut für Werkzeugmaschinen, Universität Stuttgart
Walther Maier
Alexander Bader
Walther Maier, geboren 1962 in Heidenheim, studierte Maschinenbau an der Universität Karlsruhe mit den Schwerpunkten Automatisierte Fertigungssysteme, Steuerungstechnik und Betriebsorganisation. Nach Tätigkeiten bei einem Automobilzulieferer und als Dozent an der Fachschule für Technik am Berufsförderungswerk Schömberg kam er 1998 als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart von Professor Heisel. Dort bearbeitete er unterschiedliche Forschungsprojekte. Seit einigen Jahren leitet er nun das Forschungsteam Maschinenkonstruktion mit den Schwerpunktthemen rekonfigurierbare und instandhaltungsgerechte Werkzeugmaschinen und -module, neue Kinematiken, Leichtbau-Konstruktionen und Entwicklungs-Simulationen. In den HauptfachVorlesungsreihen „Verhalten und Beurteilung von Werkzeugmaschinen“ und „Konstruktion und Berechnung von Werkzeugmaschinen“ hat er sowohl konzeptionelle Aufgaben als auch seit Jahren die Lehre für unterschiedliche Themen übernommen. Neben der Teamleitung beschäftigt er sich seit Kurzem mit dem Thema Reduktion von thermischen FEMSimulationsmodellen. Dipl.-Ing. Alexander Bader, geb. 1980, studierte an der Universität Stuttgart Maschinenwesen und schloss 2007 den Studiengang mit den Vertiefungsrichtungen Werkzeugmaschinen und Konstruktionstechnik ab. Nach einjähriger Industrietätigkeit als Praktikant und Diplomand bei einem großen deutschen Werkzeugmaschinenbauer und Abschluss seines Studiums nahm er die Tätigkeit eines akademischen Mitarbeiters am Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) der Universität Stuttgart bei Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Uwe Heisel auf. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Entwicklung rekonfigurierbarer Fertigungssysteme.
Das Umfeld der produzierenden Unternehmen hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Dieser Wandel ist geprägt durch die Folgen der Globalisierung und deren Folgeerscheinungen. Produzierende Unternehmen versuchen auf diese geänderten Rahmenbedingungen durch Steigerung ihrer Produktivität und Flexibilität zu reagieren.
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In der Großserienproduktion der Automobil- und Kfz-Zulieferindustrie haben die verschärften Rahmenbedingen zum Aufkommen der Transferzentren als neue flexible und äußerst produktive Fertigungseinrichtung geführt. Transferzentren sind Bearbeitungsmaschinen, innerhalb derer die Werkstückträgereinheit verfahren wird, wodurch die darauf eingespannten Werkstücke zu den einzelnen ortsfesten Mehrspindelköpfen und Baueinheiten geführt werden. Ein Transferzentrum ermöglicht die Integration und Austauschbarkeit eines oder mehrerer Baueinheiten wie Mehrspindelköpfe, Frässpindeln, Mess- oder Handhabungseinheiten. Durch die Integration unterschiedlichster Baueinheiten in ein Transferzentrum sind kurze Taktzeiten mit kurzen Verfahrwegen möglich. Da keine Werkzeugwechsel durchgeführt werden müssen gelingt es, den Hauptzeitanteil an der Bearbeitungszeit gegenüber den auf Grund der Flexibilitätsvorteile vornehmlich eingesetzten Bearbeitungszentren deutlich zu steigern. Die stetig erhöhte Varianz der Werkstücke treibt die Bemühungen voran, die grundsätzlich durch das Kinematikkonzept der Transferzentren mögliche Flexibilität durch die Integration unterschiedlichster Baueinheiten und Mehrspindelköpfe zu verwirklichen. Die Flexibilisierung kann dabei durch die Rekonfigurierbarkeit dieser Baueinheiten gelingen. Mit dem Einsatz der Transferzentren in Großserienbranchen wie der Automobil- und Kfz-Zulieferindustrie rückt diese Bemühung in den Fokus der Weiterentwicklungsarbeiten der Maschinenhersteller. Ein Beweis für das große Interesse der Anwender aus der Großserienfertigung für die Flexibilitätsmöglichkeiten der Transferzentren sind die Normungsbemühungen der Anwender, aber auch der Maschinen- und Spindelhersteller im Normenausschuss Werkzeugmaschinen. Gemeinsames Ziel der Beteiligten ist die Standardisierung der Schnittstelle zwischen Mehrspindelkopfgehäuse und Maschinengestell, sodass ein Transferzentrum durch Austausch beliebiger Mehrspindelköpfe des Anwenders umgebaut werden kann [1]. Die Standardisierung von Schnittstellen gilt seit Jahren als eine wesentliche Voraussetzung zur Entwicklung von rekonfigurierbaren Werkzeugmaschinen [2], [3] und rekonfigurierbaren Fertigungssystemen [4], [5]. Fertigungsplanung mit Transferzentren Unter der allgemeinen Bezeichnung „Fertigungsmodul“ hat die Firma ELHA Maschinenbau bereits auf der EMO 1997 ein Maschinenkonzept vorgestellt, welches alle Achsbewegungen durch den Werkstückträger durchführt und alle Werkzeuge in einer stationären, optimal auf das Werkzeug ausgelegten Spindel ortsfest fixiert (siehe Abb. 1 links oben). Dieses Konzept wurde für größere Werkstücke durch die Werkzeugmaschine FM 4+X umgesetzt, die auf der Messe Metav 2006 vorgestellt wurde [6], [7]. Weitere Werkzeugmaschinenhersteller haben die Vorteile dieses Bearbeitungskonzepts erkannt, so bietet auch die Firma SW-EMAG mit der BM1250 ein modular skalierbares Maschinenkonzept an. Auch die Firma Anger bietet seit 2006 mit der HCX 2000 ein Maschinenkonzept mit inverser Maschinenkinematik an, ebenso die Firma Alfing mit der AP 200 und die Firma MAG
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mit der Transfercenter XT 525. Die Firma Mauser-Werke hat auf der EMO 2007 das Hybrid-Modul PS Invers3 vorgestellt, mit dem ein einfacher Austausch der Mehrspindelköpfe, die an bis zu drei Seiten des Bearbeitungsraumes angeordnet werden können, und der großzügig gestaltete Arbeitsraum die Bearbeitung eines breiten Werkstückspektrums möglich wird (Abb. 1 unten Mitte). Die Effizienz derartiger Transferzentren in der Großserienproduktion wurde zum Beispiel von Brecher et. al. 2007 untersucht [8].
Abb. 1 Maschinenkonzepte der Firmen ELHA-MASCHINENBAU Liemke KG, ANGER GmbH, MAG Powertrain GmbH, Alfing Kessler Sondermaschinen GmbH, MAUSER-WERKE Oberndorf Maschinenbau GmbH und Schwäbische Werkzeugmaschinen GmbH (von links oben)
Ein einzelnes Transferzentrum stellt durch die Integration unterschiedlicher Bearbeitungsverfahren in die jeweiligen Bearbeitungseinheiten eine Fertigungslinie dar und muss mit den Methoden der Fabrikplanung als auch mit Methoden der Konstruktion und Auslegung einer einzelnen Werkzeugmaschine konzipiert und realisiert werden. Die Fabrikplanung ist das übergeordnete Instrument der Planung von Produktionssystemen. Hier wird ausgehend von einer Zielplanung und einer anschließenden Betriebsanalyse die eigentliche Systemplanung des Fertigungssystems mit seiner Struktur durchgeführt. Die Ausführungen zur Fertigungssystemplanung in der Fabrikplanungsliteratur sind sehr global ausgerichtet und werden der hohen Komplexität moderner Fertigungseinrichten, wie hier den Transferzentren, nicht gerecht. Die operative Technologieplanung dagegen zielt darauf ab, die in der strategischen Technologieplanung gefassten Ziele umzusetzen. Der Fokus liegt dabei auf dem möglichst effizienten Einsatz der gewählten Technologien. Die Technologieplanung erstreckt sich von der Bearbeitungsaufgabe über den Arbeitsplan zum Operationsplan. Die weitere strukturelle Gestaltung eines Fertigungssystem und der darin enthaltenen Fertigungsprozesse wird als Fertigungssystemplanung beschrieben.
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Bestehende Methoden zur Planung von Fertigungssystemen sind nicht mit Technologieplanungssystemen vernetzt. Wechselwirkungen zwischen Prozessgestaltung und Konfiguration der Maschine werden gegenwärtig nicht berücksichtigt. Rückflüsse aus der Rekonfiguration einer rekonfigurierbaren Werkzeugmaschine auf die Gestaltung der Planung der Fertigungsoperationen finden bisher nicht statt. Agentenbasiertes Assistenzsystem Erklärtes Ziel eines aktuellen Forschungsprojekts, welches das Institut für Werkzeugmaschinen gemeinsam mit dem Institut für Automatisierungs- und Softwaretechnik der Universität Stuttgart (IAS) von Prof. Göhner durchführt, ist eine Komplexitätsreduzierung des Lösungsraums für die Fertigungssystemplanung von Transferzentren. Diese Komplexitätsreduzierung wird nicht durch beliebige Streichungen von Dimensionen des Lösungsraumes erreicht, sondern durch die Entwicklung eines unterstützenden, wissensbasierten Agentensystems. Das Agentensystem dient als Assistenzsystems zur Unterstützung des Fertigungssystemplaners bei der Projektierung eines Fertigungssystems und soll komplexitätsreduzierend wirken. Ein wirkungsvolles Hilfsmittel für die Entwicklung von flexiblen SoftwareSystemen ist das Paradigma der agentenorientierten Softwareentwicklung (AOSE). Dabei wird ein System als eine Menge von autonomen Agenten betrachtet, die selbstständig innerhalb ihres Entscheidungsrahmens handeln und dabei vorgegebene Ziele verfolgen. Agenten können miteinander interagieren und durch Verhandlungen kooperieren, um ihre individuellen Ziele zu erreichen. Das Gesamtverhalten des Agentensystems ergibt sich zur Laufzeit aus dem dynamischen Zusammenspiel der einzelnen Agenten, die aktiv die ihnen übertragenen Ziele verfolgen und situationsabhängig verschiedene Rollen einnehmen können. Die systematische Verteilung von Funktionalitäten und Entscheidungsprozessen in autonome Softwareeinheiten führt zu einer geringen strukturellen Kopplung zwischen den einzelnen Systemelementen und somit zu mehr Flexibilität sowie einer einfacheren Handhabung der Komplexität bei der Entwicklung der Systeme. Die Konzepte, Methoden, Vorgehensweisen und Realisierungsmöglichkeiten der agentenorientierten Softwareentwicklung werden in [9-11] vorgestellt und anhand eines technischen Beispiels veranschaulicht. Agentenansätze eignen sich vor allem um komplexe Probleme mit vielen Randbedingungen zu lösen und flexibel auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren. Einen guter Überblick über Softwareagenten und Agentensysteme in der Produktionstechnik gibt Monostori et al. [12]. Die Autoren sehen für die Zukunft eine enge und synchrone Entwicklung der Agenten- und Produktionstechnik. Zur Veranschaulichung der Zielsetzung „Komplexitätsreduzierung durch ein agentenbasiertes Assistenzsystem“ bei der Fertigungssystemplanung mit Transferzentren dient Abb. 2 und die folgende Beschreibung an Hand eines Beispielwerkstücks. Ausgangpunkt der Planung einer Fertigungsaufgabe ist die Fertigungszeichnung und zusätzlich das dreidimensionale CAD-Modell des zu fertigenden
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Werkstücks. Aus der Konstruktion des Werkstücks muss der Fertigungssystemplaner geometrische, technologische und organisatorische Informationen entnehmen, wie zum Beispiel:
x Absolute geometrische Abmaße und Topologie (Form und Lage der Formelemente) x Funktionale Geometrien, z. B. Bohrungen, Fasen, Gewinde, Radien x Werkstoff, Härte, Zerspanbarkeit x Form- und Lage- sowie Oberflächentoleranzen x Varianten x Stückzahlen x Produktionszyklus x Losgröße Der Fertigungssystemplaner stellt auf Basis dieser Informationen und seines Erfahrungswissens eine Abfolge von Operationsschritten auf (Tabelle 1). Diese werden tabellarisch dargestellt z. B. in EXCEL, und durch weitere Spalten mit Angaben zum Werkzeug und den üblichen Fertigungsparametern, wie z. B. der Vorschub- vf und der Schnittgeschwindigkeit vc, ergänzt.
Abb. 2 Beispielwerkstück Lagergehäuse mit Bearbeitungsmerkmalen OP-ID 10 20 30 40 50 60 70 80 90
Operation Vorfräsen Flansch Vorfräsen Stirnfläche im Flansch Vorfräsen Lagerdeckel Fertigfräsen Flansch Fertigfräsen Stirnfläche Fertigfräsen Lagerdeckel Vorbohren / Fasen 10 x M8 Gewinden 10 x M8 Vorbohren / Fasen Stiftloch 1
OP-ID 100 110 120 130 140 150 160 170 180
Tabelle 1 Operationen zur Fertigung des Beispielwerkstücks
Operation Vorbohren / Fasen Stiftloch 2 Reiben Stiftloch 1 Reiben Stiftloch 2 Vorbohren / Fasen 14 x M8 Gewinden 14 x M8 Vorbohren / Fasen D 100 Vorbohren / Fasen D 55 Reiben D100 H6 Reiben D55 H6
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Identifizierung von Expertenwissen Die wichtigste Fragestellung für die Projektierung der Fertigungslösung ist nach Auswahl der verwendeten Werkzeuge und der Schnittstrategiebestimmung die Festlegung der Reihenfolge der Operationsschritte. Die Einflussfaktoren auf die optimale Reihenfolge der Operationsschritte haben sich durch das Aufkommen der Transferzentren und durch den flexiblen Einbau von Bearbeitungseinheiten, allerdings innerhalb eines begrenzten Maschinenraums, drastisch erhöht. Daraus leiten sich folgende Einflussfaktoren für die Projektierung eines Transferzentrums und der aus diesen Transferzentren aufgebauten Transferlinie ab:
x x x x
Werkstückfixierung, wie z.B. Spannlage und Aufspannposition Kalkulationen von geometrischen Aufmaßen und Prozessfenstern Verteilung der Operationsschritte auf mögliche Bearbeitungseinheiten Verteilung der Bearbeitungseinheiten auf mögliche Transferzentren in der Fertigungslinie
Eine deutliche Komplexitätssteigerung bei der Fertigungsprojektierung entsteht durch die Einbeziehung der konstruktiven und typspezifischen Rahmenbedingung der Transferzentren. Die Werkzeuge und damit die Fertigungsoperationsschritte sind äußerst flexibel um den Arbeitraum positionierbar und gruppierbar. Einflussfaktoren auf die Position der Bearbeitungseinheiten am Arbeitsraum sind z. B. Genauigkeitsanforderungen an Prozesse wie das Reiben und Hohnen. Konstruktive Anforderungen bedingen hingegen die Gruppierbarkeit von Bohrungen in einem Mehrspindelkopf, so können z.B. Stichmaßabstände von Bohrbildern nicht kleiner sein als die minimalen Abstände der Kurzspindeln in Bohrköpfen, bedingt durch die leistungsabhängige Durchmessergröße inklusive der Gehäusewandstärke. Engere Lochbilder müssen folglich durch zwei und mehrere Bearbeitungsschritte bzw. durch den Einsatz mehrerer Mehrspindelköpfe gefertigt werden. Für die Auslegung einer Fertigungslinie aus Transferzentren sind ähnliche Einflussfaktoren anzuführen wie bei der Gruppierung innerhalb eines Transferzentrums. Wichtigster Aspekt hierbei ist die Aufteilung der Operationsschritte auf mehrere Transferzentren bedingt durch die größere und vielfältigere Anzahl an Operationsschritten, da der Bauraum innerhalb einer Maschine typischerweise begrenzt ist. Üblicherweise wird beim Wechsel zwischen den Maschinen ein Wechsel der Spannlage integriert. In der Praxis wird der Komplexität der Projektierungsaufgabe oft dadurch begegnet, dass die Planung der Bearbeitungsaufgabe nur aus dem Blickwinkel der Konstruktion gesehen wird. Ausgehend von einer konstruktiven Auslegung der Spindeln um den Arbeitsraum ergibt sich eine räumliche Anordnung der Bearbeitungsspindeln, die dem optimalen Operationsplan widerspricht. Eine Reduzierung der Nebenzeiten, wie sie das Maschinenkonzept der Transferzentren ermöglicht, kann dadurch oft nicht gelingen, da aufeinanderfolgende Operationsschritte nicht räumlich zusammengefasst werden können.
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Komplexitätsreduzierung durch agentenbasierten Ansatz Die beschriebene Fertigungssystemplanung eines Transferzentrums soll durch das agentenbasiertes Assistenzsystem vereinfacht und optimiert werden. Die durch viele Abhängigkeiten hervorgerufene Komplexität kann mit Hilfe von Agenten beherrscht werden. Die Grundidee ist, ein zu fertigendes Werkstück innerhalb des Systems durch einen Agenten zu vertreten. Dieser Werkstück-Agent wird zunächst die Geometrie des Werkstücks untersuchen und die geometrischen Änderungen vom Rohteil bis zum Fertigteil analysieren. Mit diesen Informationen wendet er sich an eine Gruppe von Agenten, die die verschiedenen Bearbeitungsverfahren vertreten. Diese Bearbeitungs-Agenten sind Experten für jeweils ein Bearbeitungsverfahren, wie beispielsweise Bohren, Fräsen oder Reiben, beispielhaft dargestellt in Abb. 3. Der Werkstück-Agent holt nun Fertigungsaufträge für die von ihm identifizierten geometrischen Veränderungen zwischen Roh- und Fertigteil ein. Je nach Feature kommen verschiedene Bearbeitungsmethoden in Frage und die jeweiligen Bearbeitungs-Agenten machen ein entsprechendes Angebot. Andere Agenten, deren Bearbeitungsverfahren nicht geeignet ist, werden die Anfrage ablehnen. Manche Bearbeitungsmethoden setzen jedoch eine Vorbearbeitung voraus. Diese sind in den Angeboten der Bearbeitungs-Agenten gekennzeichnet. Der Werkstück-Agent muss diese Voraussetzungen beachten und weitere Angebote für diese Vorarbeiten einholen. Am Ende dieser Phase besitzt der Werkstück-Agent eine Liste mit den zur Fertigung notwendigen Operationen und deren zeitliche Abhängigkeiten. Die zugehörigen Fertigungsparameter, wie Drehzahlen n oder Schnittgeschwindigkeiten vc, sind ebenfalls in der Liste enthalten und werden mit den Angeboten von den Bearbeitungs-Agenten übermittelt.
Abb. 3 Agenten der Projektierungsaufgaben Bearbeitungsverfahren und Spannmöglichkeiten
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In einer weiteren Phase werden die Spannmöglichkeiten des Werkstücks untersucht. Dazu existiert ein Spann-Agent, der Fachwissen zur Fixierung von Werkstücken besitzt. Dieser ermittelt an Hand der durchzuführenden Bearbeitungsoperationen und in Zusammenarbeit mit den Bearbeitungs-Agenten geeignete Spannflächen für das Werkstück. Zur Planung des eigentlichen Bearbeitungsprozesses wendet sich der Werkstück-Agent an eine weitere Gruppe von Agenten, die jeweils eine Bearbeitungsspindel vertreten. Die Spindel-Agenten besitzen Informationen wie Drehzahl n, Leistung P oder Spindelgröße da und wissen, welche Werkzeuge durch den Spindelkopf aufgenommen werden können. Außerdem können sich die SpindelAgenten untereinander abstimmen und ihre jeweiligen Bearbeitungsspindeln zu Mehrspindelköpfen zusammenfassen. Hierbei müssen die Agenten jedoch die zeitlichen Abhängigkeiten der Bearbeitungsoperationen berücksichtigen, die der Werkstück-Agent beisteuert, ebenso wie konstruktive Restriktionen, die der Mehrspindelkopf-Agent bereithält. Eine beispielhafte Übersicht ist in Abb. 4 dargestellt. Am Ende der Verhandlungen ist der zeitliche Ablauf der Bearbeitungsoperationen festgelegt und die Spindeln sind zu technisch realisierbaren Mehrspindelköpfen zusammengefasst.
Abb. 4 Agenten der Projektierungsaufgaben Prozessplanung mit Spindelaufteilung und Anordnung der Bearbeitungsschritte
Schließlich wird in einer letzten Phase die räumliche Anordnung der einzelnen Bearbeitungsschritte innerhalb der Transfermaschine festgelegt. Dazu wird die Transfermaschine ebenfalls durch einen Agenten vertreten, der mit Hilfe des Werkstück-Agenten und den Spindel-Agenten den Aufbau der Maschine bestimmt. Dabei werden nicht nur frühere Konfigurationen zur Wiederverwendung
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berücksichtigt, sondern auch die aktuelle Maschinenkonfiguration berücksichtigt, um bei der Rekonfiguration Zeit und damit Kosten zu sparen. Die in den letzten Phasen beteiligten Agenten sind in Abb. 4 beispielhaft dargestellt. Durch die große Zahl an Abhängigkeiten ist zur Optimierung der Konfiguration ein Springen zwischen den einzelnen Projektierungsaufgaben notwendig, um beispielsweise unterschiedliche Lösungen auszuprobieren. Mit Hilfe der Agenten im System ist es sogar möglich, diese Phasen parallel durchzuführen, lediglich die geometrische Analyse des Werkstücks muss vor Beginn der Agenteninteraktion stattfinden, da deren Ergebnisse als Verhandlungsgrundlage dienen. Die geometrische Analyse kann in das Agentensystem integriert werden. Fazit Grundvoraussetzung für eine Effizienzsteigerung der Produktion durch den Einsatz der Transferzentren ist eine bedarfsgerechte Planung der gebotenen Flexibilitäten bezüglich der einsetzbaren Bearbeitungsverfahren und Maschinenkonfigurationen. Die Konfiguration der Transferzentren ist bestimmt durch das zu bearbeitende Werkstück und beeinflusst von zahlreichen Einflüssen durch Konstruktionsbedingungen der Bearbeitungsmodule und den fertigungstechnischen Einflüssen durch die zur Fertigung notwendigen Bearbeitungsschritte. Hierbei wirken die von einander abhängigen Fertigungs- und die Konstruktionsbedingungen gleichzeitig auf das Ergebnis der Auslegung des Fertigungssystems. Zur Unterstützung des Fertigungssystemplaners wird daher ein komplexitätsreduzierendes agentenbasiertes Assistenzsystem zur Planung eines Fertigungssystems entwickelt. Durch den Ansatz der agentenbasierten Fertigungssystemplanung soll eine erhebliche Effizienzsteigerung in der Produktion werden. Dieses Ziel kann zum einen durch eine optimale prozesstechnische Planung des Fertigungssystems von Herstellerseite erreicht werden. Zum anderen kann diese Effizienzsteigerung durch die Einbeziehung von Rekonfigurationsvorgängen in die Auslegungsplanung des Assistenzsystems auf Kundenseite realisiert werden. Damit gelingt es auch dem Anwender selbst ein optimal ausgelegtes Fertigungssystem dem turbulenten Umfeld durch sicher planbare und validierte Rekonfigurationen stetig anzupassen. Der vermehrte Einsatz dieser Maschinentypen verspricht eine deutliche energie- und ressourceneffizientere und damit kostenbewusstere Produktion in der von der Automobilproduktion geprägten deutschen Wirtschaftslandschaft.
Literatur [1] [2] [3]
Transferzentren - Schnittstelle Maschinengestell - Mehrspindelköpfe und andere Baueinheiten - Baugrößen und Maße, DIN 69010 in Vorbereitung, 2010. Michaelis, M.: Flexibilitätssteigerung in der Fertigung durch rekonfigurierbare Bearbeitungssysteme. 2002. Dissertation, IfW, Universität Stuttgart. Stanik, M. et al, 2008, Rekonfigurierung von Werkzeugmaschinen - Ein wichtiger Schritt in die Zukunft. In: Werkstatt und Betrieb (3) 2008, S. 30-35.
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Heisel, U.; Koren, Y.; Jovane, F.; Moriwaki, T.; Pritschow, G.; Ulsoy, G.; Van Brussel, H.: Reconfigurable Manufacturing Systems. In: Annals of the CIRP (1999) Vol. 48/2. [5] Heisel, U.; Maier, W.; Bader, A.: Linking Modules for Reconfigurable Manufacturing Systems. In: Manufacturing Systems and Technologies for the New Frontier - The 41st CIRP Conference on Manufacturing Systems, May 26-28, 2008, Tokyo, Japan, Springer-Verlag London, pp. 329 – 332 [6] Fili, W.: Unproduktive Nebenzeiten werden einfach übersprungen. Fertigungsmodul FM3+X. In: Industrie Anzeiger, Heft 29, 2002. [7] Heisel, U.; Maier, W.; Braun, S.; Stehle, T. et al: Innovationen und Trends im Werkzeugmaschinenbau. In: FtK 2006 Stuttgarter Impulse - Fertigungstechnik der Zukunft. Tagungsband zum Fertigungstechnischen Kolloquium 20. und 21.09.2006, Gesellschaft für Fertigungstechnik Stuttgart 2006, ISBN-10: 3-00-019764-8. S. 1 - 26. [9] Brecher, C.; Zeidler, D.: Effiziente Großserienfertigung von Aggregatebauteilen für die Automobilindustrie. In: ZWF. Heft 10. 2007. [9] Wagner, T.; Göhner, P.; und De A. Urbano, P.: Softwareagenten - Einführung und Überblick über eine alternative Art der Softwareentwicklung. Teil I: Agentenorientierte Softwareentwicklung. atp - Automatisierungstechnische Praxis 45 (2003), Heft 10. [10] De A. Urbano, P.; Wagner, T. und Göhner, P.: Softwareagenten - Einführung und Überblick über eine alternative Art der Softwareentwicklung. Teil II: Agentensysteme in der Automatisierungstechnik: Modellierung eines Anwendungsbeispiels. atp - Automatisierungstechnische Praxis 45 (2003), Heft 11. [11] Göhner, P.; De A. Urbano, P. und Wagner, T.: Softwareagenten - Einführung und Überblick über eine alternative Art der Softwareentwicklung. Teil III: Agentensysteme in der Automatisierungstechnik: Aufbau, Struktur und Implementierung an einem Anwendungsbeispiel. atp - Automatisierungstechnische Praxis 46 (2004), Heft 02. [12] Monostori, L.; Váncza, J.; Kumara, S. R. T.: Agent Based Systems for Manufacturing. In: Annals of the CIRP. Vol. 55/2, 2006
Intelligente Aufteiltechnik für die flexible Fertigung Dr.-Ing. Sergey Martynenko Leiter Forschung und Entwicklung Aufteiltechnik Holzma Plattenaufteiltechnik GmbH Holzbronn
Dr. Sergey Martynenko
Dr.-Ing. Sergey Martynenko, geboren 1975 in Gulkewitschi / Russland, studierte 1992-1997 die Fachrichtung Maschinenbau/Holzbearbeitung an der staatlichen Technischen Universität Mari (Russland) und schloss das Studium als Diplomingenieur ab. Danach folgte eine zweijährige Assistententätigkeit am Lehrstuhl für Hydraulik an derselben Universität. Im Jahr 1999 fing er als Stipendiat eine Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Holzbearbeitung am Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart an, wo er ab dem Jahr 2002 bis zu seiner Promotion im Jahr 2007 als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitete. Seit August 2007 ist er als Leiter Forschung und Entwicklung der Aufteiltechnik bei der Firma HOLZMA tätig.
Einleitung Um im verschärften internationalen Wettbewerb in der Möbelbranche bestehen und dem daraus resultierenden Kostendruck standhalten zu können, muss der Möbelproduzent heute mehr denn je seine Kosten senken. Ein erhebliches Potenzial für die Reduzierung der gesamten Fertigungskosten bietet der Einsatz neuer, hocheffektiver Produktionsverfahren und innovativer Fertigungstechnologien. Dies führt seit Jahren zur kontinuierlichen Leistungssteigerung der Holzbearbeitungsmaschinen und Anlagen. Zugleich werden heute in der Möbelindustrie vermehrt auftragsbezogene Kleinserien und Einzelstücke gefertigt, so dass die zugehörigen Maschinen zu immer flexibleren, weitgehend automatisierten und verketteten Anlagen ausgebaut werden müssen. Dieser Entwicklung Rechnung tragend hat die Firma Holzma ein neues Anlagenkonzept entwickelt.
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Verfahren Als erster Verfahrensschritt in der technologischen Kette der industriellen Möbelfertigung wird die Aufteiltechnik eingesetzt. Hierbei erfolgt der Zuschnitt von großformatigen Holzwerkstoffplatten. Die Platten werden auf Aufteilanlagen in rechtwinklige Rohwerkstücke und Halbzeuge zugeschnitten. Die zugesägten Werkstücke werden dann meist auf weiteren Bearbeitungseinheiten, wie Bearbeitungszentren oder Durchlaufmaschinen gefräst, gebohrt und bekantet. Für den Zuschnitt werden traditionell Plattenaufteilsägen eingesetzt, die bei geringem Verschnitt und geringen Werkzeugskosten eine hohe Energieeffizienz, einen hohen Durchsatz sowie eine sehr gute Schnittqualität bieten. Deswegen hat bei der industriellen Möbelfertigung die Aufteilung auf horizontalen Druckbalkensägen derzeit einen hohen Stellenwert. Da es sich beim Plattenzuschnitt ausschließlich um rechtwinklige Werkstücke handelt, ist das Fertigungsverfahren Sägen dank schmaler Schnittfugen und hoher Vorschubgeschwindigkeiten, sowie der Möglichkeit zur Aufteilung ganzer Plattenstapel hocheffizient im Vergleich zu andern Fertigungsverfahren, wie Fräsen. Technologie der Druckbalkensäge Auf horizontalen Druckbalkensägen (Abb. 1), auch Plattenaufteilsägen genannt, werden rechtwinklige Werkstücke hergestellt, die auf horizontaler Ebene befördert und aufgeteilt werden - im Gegensatz zu vertikalen Aufteilsägen. Die großformatige Rohplatte oder mehrere gestapelte Platten im Paket werden mittels einer Vorschubeinheit an einer Schnittlinie positioniert und durch einen vertikalbeweglichen Druckbalken auf dem Maschinentisch fixiert. Die Aufteilung der Rohplatte erfolgt entlang der Schnittlinie durch ein unter dem Tisch verfahrbares Kreissägeaggregat. Diese Aufteilung erfolgt auf Grund der eindimensionalen Bewegungsrichtung der Säge streifenorientiert.
Abb. 1 Horizontale Plattenaufteilsäge HPL 380
Intelligente Aufteiltechnik für die flexible Fertigung
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Ausgehend von der Produktionsplanung werden bei der Datenaufbereitung die Schnittpläne für die Säge erstellt. Die einzelnen Werkstücke mit gleicher Breite werden zuerst in Streifen für den ersten Bearbeitungsschritt "Längsschnitt" zusammengefasst. Beim Einsatz von Einzelsägen werden die beim Längsschnitt entstandenen Paketstreifen manuell auf einem Luftkissentisch gepuffert, bis die gesamte Rohplatte oder der Plattenstapel in Streifen aufgeteilt ist. Beim nachfolgenden Querschnitt werden die Streifen wiederum manuell gedreht und einzeln oder zusammen der Queraufteilung zugeführt. Auch die Entsorgung von Plattenresten und Abschnitten erfolgt von Hand durch den Bediener. Ein Beispiel eines Schnittplans zeigt Abbildung 2.
Abb. 2 Schnittplan zur Plattenaufteilung
In dem in Abbildung 2 dargestellten Schnittplan werden zuerst die Streifen A bis E "längs " geschnitten und dann quer aufgeteilt. Bei der Queraufteilung können die Streifen C, D und E aufeinander gestapelt und gleichzeitig zugeschnitten werden. Eine Automatisierung des beschriebenen Vorgangs kann durch den Einsatz einer Winkelanlage erreicht werden, wie sie in Abbildung 3 dargestellt ist. Hier verläuft die Platteaufteilung ohne das manuelle Drehen und Puffern der Streifen zwischen dem Längs- und Querschnitt. Die Winkelanlage besteht aus zwei rechtwinklig angeordneten Einzelsägen, die durch ein automatisches Transport- und Handlingsystem (sog. Querübergabe) miteinander verkettet sind. Als erste Station der automatisierten Verkettung dient die Längssäge, die die großformatigen Platten in Streifen auftrennt. Diese werden bei der Querübergabe zusammengefasst, ausgerichtet und anschließend der zweiten Säge, der sog. Quersäge
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zugeführt und dort aufgeteilt. Nach der Aufteilung kann die Entfernung von Plattenresten und Verschnitten automatisiert erfolgen. Durch eine von Holzma entwickelte Streifenoptimierung werden die Steifen so in den berechneten Schnittplan gelegt, dass die Aggregate der Winkelanlage optimal ausgenutzt werden. Zum Beispiel kann der Bereich der Querübergabe bei bestimmten Schnittplänen als Puffer im Materialfluss verwendet werden. So werden die in der Längssäge geschnittenen Streifen gesammelt, um anschließend mehrere Streifen gleichzeitig in der Quersäge bearbeiten zu können. Eine weitere Steigerung der Wirtschaftlichkeit wurde erreicht, indem die ersten beiden nebeneinander liegenden Streifen (z.B. A und B in Abbildung 2) von zwei getrennten Vorschubeinheiten so in der Schnittlinie positioniert werden, dass bei dem Querschnitt pro Schnittbewegung gleichzeitig unterschiedlich lange Werkstücke produziert werden können. Durch die Verkettung und die unabhängigen Arbeitsgänge in der Längs- und der Quersäge wird eine erheblich höhere Anlagenleistung erzielt.
Abb. 3 Winkelanlage HKL 380
Problematik der Nachschnitte Je nach Maschinentyp und Aufteiltechnologie werden die Schnittpläne von der Zuschnittoptimierung unterschiedlich zusammengefasst, um den Verschnitt zu minimieren. Bei der Bearbeitung in Losgröße 1 und bei der Fertigung von kleinen Serien kommt es vor, dass Werkstücke mit ungünstiger Maßkonstellation nicht in einem Streifen oder in einem Streifen mit anderen Werkstücken angeordnet werden können. Statt diese Teil in den nächsten Schnittplan zu integrieren, wodurch ein deutlich höherer Verschnitt verursacht wird, werden die Teile in einem Streifen mit der nächst größeren Breite angeordnet. Ein solcher Schnittplan ist in Abb. 4 dargestellt. Die schmalen Werkstücke 4, 5 und 6 wurden dem breiteren Streifen B zugeordnet. Dieser Streifen wird zuerst im Längsschnitt abgetrennt. Anschließend erfolgt der Querschnitt, wobei die Breite der Werkstücke noch nicht dem Sollmaß entspricht. In einem zusätzlichen Arbeitsschritt muss nun nochmals längs manuell nachgeschnitten werden. Diese zusätzlichen Schnitte (Nachschnitte oder
Intelligente Aufteiltechnik für die flexible Fertigung
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auch Drittschnitte genannt) wurden bei der Schnittplanoptimierung im Kauf genommen, um das Rohmaterial bei kleinen Losgrößen optimal auszunutzen.
Abb. 4 Schnittplan mit Nachschnitten
Im Gegensatz zu Aufteilsägen sind auf der Frästechnologie basierende Zuschnittanlagen nicht zwingend auf die Bildung von Streifen angewiesen. Dementsprechend besitzen sie nicht die Problematik der Nachschnitte, da dank der zweidimensionalen Aufteilung der Rohplatte die Werkstücke in dem Schnittplan nahezu beliebig angeordnet werden können. Dennoch weisen die fräsenden Verfahren einige verfahrenspezifische Restriktionen auf, wie minimale Werkstückabmessungen, begrenzte Vorschubgeschwindigkeiten bei der Aufteilung sowie im Vergleich mit der Sägetechnologie höhere Werkzeug-, Energie- und Investitionskosten. Ein weiterer Nachteil der fräsenden Verfahren ist die energieintensive Vakuumaufspanntechnik, die nicht für alle Werkstückmaterialien und Oberflächen geeignet ist. Bei vielen fräsenden Aufteilanlagen sind zwischen Werkstück und Maschinentisch Opferplatten notwendig, um ein Durchschneiden des Fräsers zu gewährleisten. Nachteilig ist ebenfalls, dass die Vakuumspanntechnik dieser Anlagen nicht geeignet ist, um mehrere Platten in einem Stapel gleichzeitig zu spannen.
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Neuentwicklung einer Säge-Fräskombination Durch eine Kombination der Fertigungsverfahren Sägen und Fräsen in einer Plattenaufteilsäge kann die Leistungsfähigkeit der Anlage erhöht, eine gesteigerte Energieeffizienz erreicht und die Säge der Flexibilität der Fräsaufteilung ergänzt werden. Ausgehend von marktbedingten Anforderungen wurden die unterschiedlichen Konzepte der Aufteilanlagen mit einem Fräsaggregat bezüglich Flexibilität, Automatisierbarkeit, Produktivität unter der genauen Betrachtung der Life-CycleKosten untersucht sowie die Abläufe des jeweiligen Maschinenkonzepts technologisch bewertet. Simulationen und experimentelle Untersuchungen ergaben die Basis zur Neukonzeption der Winkelanlage für die Losgröße-1-Bearbeitung mit einem in die Längssäge integrierten Fräsaggregat.
Abb. 5 Schaftfräser in der Schnittlinie der Längssäge
Durch den Einsatz von Schaftfräsern in der Schnittlinie der Längssäge (Abb.5) können die Nachschnitte ohne Unterbrechung des Materialsflusses in der sog. direkten Aufteilung ohne zusätzliche Arbeitschritte durchgeführt werden. An der so ausgerüsteten Winkelanlage „CombiLine“ werden die Schnittpläne weiterhin nach der Sägelogik erstellt und überwiegend durch das Sägen aufgeteilt. Die bei der Optimierung entstehenden Werkstücke mit Nachschnitten werden in einem stufenförmigen Streifen zusammengefasst (wie Streifen B in Abb. 4). Die von den unterschiedlich breiten Werkstücken bedingten Stufen werden in der Längssäge der neu entwickelten Anlage mit einem Schaftfräser ausgefräst.
Intelligente Aufteiltechnik für die flexible Fertigung
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Beim Ausfräsen der stufenförmigen Streifen erfolgt das Fräsen in zwei Richtungen: längs und quer zur Schnittlinie. Das Fräsen in Querrichtung erfolgt durch eine Vorschubbewegung des Werkstücks. Der Fräser steht dabei fest in der Schnittlinie der Säge. Hierzu muss der Druckbalken, der beim Sägen die Werkstücke fest auf dem Maschinentisch fixiert, in einer schwebenden Vorposition gehalten werden, da sonst kein Vorschub des Werkstücks möglich ist. Ist das Querfräsen abgeschlossen, wird das Werkstück durch Absenken des Druckbalkens wieder fixiert. Beim Längsfräsen bewegt sich das Fräsaggregat, das sich auf der gleichen Führung wie der Sägewagen befindet, entlang der Schnittlinie und teilt das fest eingespannte Werkstück längs auf. Damit wird die hervorragende Schnittgenauigkeit und Parallelität zwischen den gesägten und gefrästen Werkstückseiten erzielt. Ist die stufenförmige Abbildung der Nachschnitten ausgefräst, wird dieser Streifen von der Platten mittels der Säge abgetrennt und der Quersäge übergeben. In der Quersäge werden die bei der Querfräsung entstehenden Kanten sowie ein Werkstückrest (bedingt durch den Radius des Fräswerkzeugs) taktzeitneutral zerspant. Die Einführung der Frästechnologie bedingte weitere Anpassungen der Anlage an das neue Konzept. Die neu auf das Fräsen und Sägen abgestimmte Absaugvorrichtung, die synchron mit dem Säge-Fräs-Aggregat verfährt, sorgt für eine ausgezeichnete Späneerfassung bei dieser Kombibearbeitung. Neben dem Fräsaggregat und einer mit dem Sägewagen synchron verfahrbaren Absaughaube am Druckbalken wurde die neuentwickelte Anlage mit einem verfahrbaren Gegenträger ausgerüstet. Dadurch wird die Breite des Sägespaltes, der beim Einsatz des Fräswerkzeugs verbreitert werden muss, je nach Bearbeitungsverfahren passend eingestellt. So wird vor dem Fräsen der Sägespalt taktzeitneutral durch eine Bewegung des Gegenträgers vergrößert und vor dem Sägen wieder verkleinert. Neben der optimalen Späneerfassung wird durch die automatisierte Spalteinstellung für beide Bearbeitungsverfahren eine optimale Auflage der Werkstücke auf dem Maschinentisch erreicht, um selbst bei dünnen Materialien eine erstklassige Schnittqualität gewährleisten zu können. Eine mit diesen technischen Neuerungen ausgerüstete Anlage bietet die intelligente Kombination der beiden Bearbeitungsverfahren Sägen und Fräsen. Die Schnittpläne ohne Naschschnitte werden weiterhin mit der Säge im Paket aufgeteilt, da die Sägetechnologie wesentlich wirtschaftlicher als das Fräsen ist. Das Fräsen wird nur auf Nachschnitte angewendet. Durch die beschriebenen Maßnahmen wurden der Automatisierungsgrad und die Flexibilität der Säge deutlich erhöht, so dass auch bei komplizierten Schnittplänen eine vollautomatische Fertigung ermöglicht wird. Insgesamt wurden die betrieblichen Prozesse deutlich vereinfacht, denn die Aufteillogik bleibt jetzt vollständig der Optimierungssoftware der Sägeanlage überlassen und ist nicht vom Eingreifen des Bedieners abhängig. Die bisher zeitraubenden Nachschnitte und die damit verbundenen Handlingaufgaben des Werkers werden eingespart. Ein zusätzlicher Vorteil ergibt sich dadurch, dass auch beim Fräsen mehrere Platten gleichzeitig bearbeitet werden können. Dies erhöht nochmals die Wirtschaftlichkeit des neuen Verfahrens.
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Fazit Eine intelligente Aufteiltechnik für die flexibilisierte Fertigung mit einem höheren Automatisierungsgrad, einer geringeren Personeinbindung und einem geringen Handhabungsbedarf der Werkstücke wird vom heutigen Markt gefordert. Die technische Entwicklung von kombinierten Aufteilsägen, die die energetischen, wirtschaftlichen und technologischen Vorteile von Fräs- und Sägeverfahren auf intelligente Weise miteinander vereint, stellt für den Betreiber einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil dar. Gleichzeitig stärkt der Maschinenhersteller seine technologische Führerschaft und festigt durch innovative Technologien den Entwicklung- und Produktionsstandort Deutschland.
Qualität auf dem Prüfstand Dr.-Ing. Michael Michaelis Leiter Versuch Knorr-Bremse München
Dr. Michael Michaelis Michael Michaelis, geboren 1970 in Freising bei München, studierte in München Maschinenbau und begann 1997 als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Arbeit am IfW in Stuttgart. Nach seiner Promotion 2001 wechselte er zur Knorr-Bremse nach München, dem weltweit führenden Hersteller von Bremssystemen für Schienen- und Nutzfahrzeuge. Dort leitete er im Center of Competence Drehgestellausrüstung den Bereich Reibungsversuche und seit 2009 den Gesamtversuch mit den internationalen Außenstellen.
380 km/h schnelle Züge An einem Wochenende im Dezember 2009 beendete der chinesische EisenbahnVizeminister Hu Yadong in Begleitung einer hochrangigen Delegation aus Experten des Department of Safety seines Ministeriums eine mehrtägige Europareise mit einem Besuch in der Konzernzentrale des weltweit führenden Herstellers von Bremssystemen für Schienen- und Nutzfahrzeuge in München. Schon in wenigen Jahren wird China über die weltweit größte Flotte an Hochgeschwindigkeitszügen verfügen und dabei sind Sicherheit und Qualität vorrangige Anforderungen. Knorr-Bremse liefert 100% der Bremsanlagen dieser Züge und hat vor kurzem mit rund 500 Millionen Euro den größten Auftrag in der Firmengeschichte erhalten. Das Unternehmen wird zusammen mit seinen chinesischen Partnern insgesamt 2.720 neue Wagen des chinesischen Hochgeschwindigkeitszuges CRH3 mit Brems- und Türsystemen ausrüsten. Zur Demonstration des hohen Qualitätsstandards und der Leistungsfähigkeit der Produkte zeigt man den Gästen aus China die Simulation einer Notbremsung eines geplanten chinesischen Hochgeschwindigkeitszuges im Gefälle aus einer Geschwindigkeit von 380 km/h – der Reisegeschwindigkeit, wie sie in China geplant ist. Sie wird die höchste der Welt sein.
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Abb. 1 Bremsscheibe auf dem Bremsenprüfstand bei Knorr-Bremse, München
Simulation des Zusammenspiels der Bremssysteme eines ganzen Zuges Derartige Demonstrationen erfolgen auf dem modernsten Schwungmassenreibungsprüfstand, der bei Knorr-Bremse seit Anfang 2009 in Betrieb ist (Abbildung 2). Er ist elf Meter lang, drei Meter breit und wiegt 60 Tonnen. Angetrieben wird der Prüfstand von einem über 700 kW starken Asynchronmotor, der bei Bedarf über 7.000 Nm Antriebsmoment zur Verfügung stellt. Das maximal zulässige Bremsmoment liegt bei 30.000 Nm. Dies würde ausreichen, um einen PKW in weniger als einer Sekunde aus 250 km/h bis zum Stillstand abzubremsen, was etwa einem Unfall entsprechen könnte.
Qualität auf dem Prüfstand
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Abb. 2 Schwungmassenreibungsprüfstand bei Knorr-Bremse in München
Neben den Demonstrationen der Leistungsfähigkeit der Bremsausrüstungen werden auf diesen Maschinen auch entsprechend der hohen Qualitätsstandards neu entwickelte Produkte auf Herz und Nieren geprüft, bevor sie zum ersten Mal in einem Fahrzeug zum Einsatz kommen können. Darüber hinaus werden Bremssysteme für Schienenfahrzeuge projektspezifisch ausgelegt und unter den am Fahrzeug zu erwartenden Bedingungen im Detail getestet. Es werden Notbremsszenarien unter Sicherheitsaspekten ebenso geprüft wie das komplexe Zusammenspiel geschwindigkeitsabhängiger Zusatzbremssysteme oder der Ausfall der Zusatzbremsen auf den jeweiligen Strecken unter Berücksichtigung des Streckenverlaufes mit Haltestellen, zusteigenden Passagieren und Höhenprofilen des Geländes (Abbildung 3).
Abb. 3 Zu simulierender Streckenabschnitt mit Steigung und Gefälle
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Betreibergesellschaften haben neben den Sicherheitsaspekten aus ökonomischen und ökologischen Gründen großes Interesse an Verschleißwerten unter normalen wie auch unter verschärften Betriebsbedingungen. Kontinuierlich an Bedeutung gewinnen auch komfortrelevante Größen. Hier ist die Schallemission bei hoher Fahrtgeschwindigkeit und das bekannte Quietschen metallischer Sinterbeläge während des Bremsvorgangs zu nennen. Die Gleichmäßigkeit des Verzögerungsverhaltens, insbesondere gegen Ende der Bremsung, charakterisiert den Anhalteruck, und ist besonders für stehende Fahrgäste relevant. Neben den Untersuchungen, wie sich die Bremse in der Fahrzeugumgebung verhält, ist auch von Interesse, wie die teilweise extrem hohen Belastungen auf die Bauteile wirken. Um dies zu untersuchen, werden z.B. Dehnmessstreifen an relevanten, zuvor mit FEM-Berechnungen ermittelten Stellen angebracht. Mit Beschleunigungsaufnehmern werden die Beschleunigungen an unterschiedlichen Positionen aufgezeichnet und mit Messungen an Fahrzeugen verglichen. Temperaturverteilungen an der Bauteiloberfläche (vgl. Abbildung 5a und 5b), aufgezeichnet über den instationären Bremsprozess, geben Aufschluss darüber, ob die Bremsscheibe – oder bei Klotzbremsen das Rad – die Verschleißlebensdauer erreichen werden, oder ob die Gefahr besteht, dass die Bauteile vorher durch Rissbildung ausfallen. Hier kann mit der Auswahl der richtigen Reibpaarung entscheidend Einfluss genommen werden.
Abb. 4 Beispielmessungen bei einer Gefällefahrt mit anschließender Notbremsung im Gefälle bei einer Geschwindigkeit von 320 km/h, gefahren an einem Reibungsprüfstand in München.
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(a)
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(b)
Abb. 4 Temperaturverteilung auf der Bremsscheibenoberfläche während einer Bremsung mit einem geeigneten Belag (a) und einem ungeeigneten Belag (b). Die lokalen Temperaturunterschiede sind bei (a) gering, bei (b) hingegen sehr hoch.
Auch Behörden haben Interesse an den Versuchen Wesentlicher Bestandteil vieler Projekte ist der Abnahmeversuch. Zu dieser Demonstration der Funktion der Bremsausrüstung reisen die Zulassungsbehörden, Fahrzeugbauer und Endbetreiber aus Italien, China, Australien, oder dem Rest der Welt extra an. Erst nach dieser Prüfung gehen die Ausrüstungen auf den ersten Zügen in den Testbetrieb. Nahezu alle Hochgeschwindigkeitszüge dieser Welt laufen über die Prüfstände in München. Dabei können Geschwindigkeiten bis über 520 km/h gefahren werden. Für jedes neue Projekt werden rund 10 neue Lastfälle und Streckenfahrten unter den unterschiedlichsten Bedingungen untersucht. Trotz der Vielfältigkeit der Versuche wird im Schnitt alle 1,5 Wochen ein neues Projekt (originales Rad, Scheibe, Bremszange oder Klotzbremseinheit) je Prüfstand aufgebaut. Je Tag wird pro Prüfstand eine reine Laufzeit von mehr als 18 Stunden im Einschichtbetrieb erreicht. Dazu kommen die Rüstzeiten, die zum Auf- und Abbau der Versuche erforderlich sind. Hohe Anforderungen an die Qualität erfordern aber nicht nur eine entsprechende Durchführung der Versuche sondern auch eine detaillierte Dokumentation. Die Versuchsberichte beinhalten entsprechende Detailinformationen und umfassen je Projekt ca. 300 Seiten. Nach Abschluss der Prüfungen folgt der Einsatz im Fahrzeug Haben die Bremssysteme die Fahrten auf dem Prüfstand erfolgreich hinter sich gebracht, werden sie beispielsweise die nächste Shinkansen-Generation E5 im Serienbetrieb aus einer Höchstgeschwindigkeit von bis zu 320 km/h zum Stehen bringen (Abbildung 5). Dann beginnt für Japan ein neues Stück Bahngeschichte: Die pneumatische Scheibenbremsausrüstung für Hochleistungsanforderungen löst die hydraulische Bremsausrüstung im Shinkansen ab. Normalerweise werden sol-
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che Aufträge ausschließlich an japanische Unternehmen vergeben. Beim E5 konnte der Betreiber nicht anders: Niemand außer dem Scheibenbremsenspezialisten aus München war in der Lage, die hohen Leistungsanforderungen der Betreibergesellschaft JR-East zu erfüllen.
Abb. 5 Shinkansen Testzug
Eingesetzt wird der Zug auf dem Streckennetz von JR-East im Ostteil der Hauptinsel Honshu. Später soll eine Alternativtrasse zwischen Tokio und Osaka bedient werden. Obwohl in der Rushhour Shinkansen-Züge beinahe im Fünf-MinutenTakt auf die gut 500 Kilometer lange Strecke an der Küste starten, soll eine zweite Hochgeschwindigkeitstrasse über die Berge eine weitere Frequenzerhöhung ermöglichen. Knackpunkt ist allerdings die bisherige Reisegeschwindigkeit der Züge von 270 km/h. Da die neue Strecke etwas länger ist, reicht das nicht. JR East strebt an, die Fahrzeit nicht zu erhöhen, sonst leidet die Konkurrenzfähigkeit zum Flugzeug. Die Leistungsanforderungen an die Shinkansen-Bremsen sind deshalb enorm: Bei einer Notbremsung aus 320 km/h in starkem Gefälle muss jede einzelne Bremsscheibe mit ihren Belägen eine Bremsenergie von fünfzig Megajoule in Wärme umwandeln. Das entspricht etwa der Energie von fünfzehn Sportwagen, die gleichzeitig aus 250 km/h bis zum Stillstand gebremst werden – diese besitzen zusammen aber 60 Bremsscheiben. Auch die Krafterzeuger spielen eine entscheidende Rolle Herausforderung für die Knorr-Bremse-Entwickler war bei der Konstruktion nicht nur das perfekte Zusammenspiel der Komponenten. Wegen strenger Platzvorgaben gestaltete sich vor allem der Einbau einer ultrakompakten Bremszange zu Beginn schwierig.
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Die Entwickler konnten auf bewährte Module zurückgreifen: Bei der Zange haben sie ein besonders gewichtssparendes Derivat einer Wellenscheibenbremszange entwickelt, die Bremsscheiben sowie die flexiblen ISOBAR-Sinter-Beläge sind speziell auf die extremen Anforderungen ausgerichtet. Selbst das Design der Kühlrippen der Bremsscheiben haben die Ingenieure speziell optimiert. Weniger für die Kühlung – sondern für die Einhaltung der in Japan besonders strengen Schallemissionswerte bei Höchstgeschwindigkeit. Es geht weiter nach oben Ein weiterer neuer Schwungmassenreibungsprüfstand wird im Sommer 2010 in München in Betrieb gehen. Dieser ist auch dafür vorbereitet, in Zukunft eine perfekte Umweltsimulation einschließlich tiefer Temperaturen sowie Schnee und Eis zu realisieren. Damit ist Knorr-Bremse dann in der Lage, die Bremssysteme unter allen erdenklichen Umweltbedingungen zu prüfen ohne auf Versuchsstrecken gehen und auf das richtige Wetter warten zu müssen.
Das AL-Konzept: Ein Konzept für Bearbeitungszentren zur Großserienfertigung Dipl.-Ing. Ralf Müllner Leiter Vorfeldentwicklung Alfing Kessler Sondermaschinen GmbH Aalen-Wasseralfingen
Ralf Müllner Ralf Müllner war nach seinem Studium der Fachrichtung Maschinenbau an der Universität Stuttgart von 1990 bis 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen in den Arbeitsgruppen Maschinendynamik und Holzbearbeitung. Er ist derzeit bei der Fa. Alfing Kessler Sondermaschinen GmbH zuständig für die Vorfeldentwicklung.
In der Großserienfertigung hält der Trend weg von Transferstraßen und Rundtaktmaschinen nun schon mehrere Jahre ungebrochen an. Vielfach wurden diese klassischen Einrichtungen zur Produktion hoher Stückzahlen inzwischen durch Fertigungsanlagen, wie z.B. Fertigungsmodule oder mehrspindlige Bearbeitungszentren ersetzt. Die Motivation hierzu ist vielschichtig. Eine ständig zunehmende Variantenanzahl der zu fertigenden Teile neben einem oft sehr unterschiedlichen Stückzahlbedarf begründet den Wunsch nach kleineren flexiblen Einheiten für die Fertigung. Um während der Produktionsphase eines Bauteils auf Stückzahlschwankungen reagieren zu können wird zudem eine bessere Skalierbarkeit gefordert, als es Transferstraßen und Rundtaktmaschinen ermöglichen. Dieser Trend lässt sich bei der Alfing Kessler Sondermaschinen GmbH seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts anhand der kontinuierlichen Entwicklungsgeschichte der Bearbeitungszentren dokumentieren. Ausgehend von einspindligen Bearbeitungseinheiten, deren Grundkonzept auf den damals gebräuchlichen Sondermaschineneinheiten basierte, wurden im weiteren Zeitverlauf zwei-, drei- und schließlich vierspindlige Zentren für den Großserieneinsatz auf dem Markt vorgestellt.
Das AL-Konzept: Ein Konzept für Bearbeitungszentren
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Abb. 1 ALFING AK303: 3-spindliges Zentrum für Stahl- und Gussbearbeitung
Dieses nun zur Verfügung stehende Maschinenprogramm erlaubt es für ein breites Werkstückspektrum, angefangen bei Pleuel über Radträger und Achsstreben bis hin zu Ventilschieberplatten und Getriebegehäusen jeweils ein geeignetes Produktionsmittel als Alternative zur Sondermaschine anbieten zu können. Konzeptmotivation Ständiger Rationalisierungsdruck in den Produktionsstandorten der Kunden und motiviert durch aktuelle Entwicklungen in der Achs- und Spindelantriebstechnik, wie Direktantriebe für Vorschubachsen und Synchronmotoren für Hauptspindeln, wurde zunehmend die Forderung nach einem vierspindligen Bearbeitungszentrum mit hoher Dynamik und damit höchster Produktivität für die Bearbeitung von Aluminium und Gusswerkstoffen laut. In ersten Gesprächen mit Kunden, Vertrieb und Projektabteilung zur Festlegung der gewünschten Leistungsdaten wurde sehr schnell klar, dass ein solcher Vierspindler völlig neue Maßstäbe in der Produktivität setzt und auf eine sehr gute Resonanz beim Kunden stoßen würde. Auch sollte die Maschine auf Kundenwunsch über vier unabhängig ansteuerbare Z-Achsen verfügen. Dies würde für den ersten direkt angetriebenen Vierspindler auf dem Markt ein weiteres markantes Alleinstellungsmerkmal darstellen. Vertrieb und Projektabteilung gaben in weiteren Diskussionen zu bedenken, dass aufgrund der zu erwartenden hohen Produktivität der Maschine die Skalierbarkeit wieder mit der Größenordnung älterer Sondermaschinen durchaus vergleichbar werden könnte und sich somit bei der Planung die optimale Auslegung der Maschinenanzahl als problematisch erweisen kann. D.h. werden für die geforderte Jahresstückzahl eines Projektes z.B. 3,2 Maschinen benötigt, müssen entweder vier baugleiche Maschinen mit der entsprechenden unwirtschaftlichen Überkapazität geliefert werden oder es werden drei Vierspindler und z.B. ein
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Einspindler, also zwei unterschiedliche Maschinen, zur optimalen Abdeckung der Produktionszahlen vorgesehen. Eine Skalierbarkeit des Produktionsvolumens nur über die Anzahl der Maschinen ist daher als nicht zufriedenstellend anzusehen, eine Möglichkeit zur feineren Abstimmung der Produktivität zur optimalen Prozessauslegung war daher eine der weiteren Hauptforderungen an die neue Maschine. Auch wurde bei Markteinführung erwartet, dass sehr schnell Anfragen nach einer solchen Maschine für größere Bauteile eingehen werden. Dies würde eine Überarbeitung des bestehenden Maschinenprogramms mit größerem Spindelabstand erfordern.
Abb. 2 Pro Hauptspindel eine Z-Achse: ALFING AL204
Maschinenkonzept Anstatt zu prüfen welche der oben genannten Anforderungen auf einer vierspindligen Maschine wirtschaftlich und technisch sinnvoll abgebildet werden können, um dann die umfangreichen Wünsche auf die unbedingt erforderlichen Kernpunkte zu reduzieren und damit enge technologische Grenzen zu ziehen, wurde nach Wegen gesucht, die Flexibilität eines solchen Maschinenkonzeptes zu erweitern. Eine Analyse des bestehenden Maschinenprogramms zeigte, dass zwar für viele Aufgaben ein geeignetes Maschinenkonzept zur Verfügung stand, dieses aber aufgrund der oben beschriebenen Entwicklungsgeschichte im Zentrenbereich vom Ein- zum Mehrspindler außer der Spindelanzahl auch Unterschiede sowohl in der Ausrüstung als auch in der Bedienung aufwiesen. Als Beispiel kann hier die Spindelschnittstelle angeführt werden. Obwohl alle Maschinen u. a. mit einer HSK63A-Schnittstelle ausgerüstet waren, kamen doch verschiedene Hauptspindelbauarten mit ähnlichen Leistungsdaten zum Einsatz. Ursache war neben dem mit zunehmender Spindelanzahl begrenzten Bauraum die kontinuierliche technologische Weiterentwicklung der Spindeln. Der Einsatz der neusten Technologie war bei jedem Entwicklungsschritt selbstverständlich.
Das AL-Konzept: Ein Konzept für Bearbeitungszentren
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Eine ähnliche Fortentwicklung erfolgte im Bereich der Werkzeugmagazine. Mit zunehmender Spindelanzahl erweiterte sich die Kapazität und damit die Bauart dieser Baugruppe. Dies wiederum führt zu Unterschieden in der Bedienung der Maschine. Während ein oben liegendes Scheibenmagazin mit einer Kapazität von 20 Werkzeugen an einem Einspindler problemlos über die Hauptspindel beladen werden kann, ist dies bei einem vergleichbaren Vierspindler mit einem Magazin von 20 Werkzeugen je Spindel, also zusammen 80 Werkzeugen, nur eingeschränkt möglich. Zwingend notwendig für ein neues Maschinenkonzept erschien daher neben der Flexibilität in der Anpassung an die gestellte Aufgabe auch die Möglichkeit der Standardisierung von Bedienung und Ausrüstung. Zum Entwurf eines solchen Konzeptes wurde zunächst nach bereits ähnlichen Sachverhalten aus dem Bereich der Technik Ausschau gehalten. Ein Beispiel bietet hier die Luftfahrttechnik. Verkehrsflugzeuge können in der Regel sehr schnell durch geänderte Bestuhlung wechselnden Marktanforderungen angepasst werden. So kann mit dieser Maßnahme bei einem Flugzeug des Typs Boing 747-400 die Transportkapazität im Bereich von 384 bis 496 Passagiere variiert werden. Ein weitergehendes Beispiel zeigt die Baureihe Airbus A319-A320-A321 von Airbus Industries. Es handelt sich hier um Flugzeugtypen, die weitgehend auf einer gemeinsamen Basis aufgebaut sind. Schon die Nutzung eines identischen Cockpits ermöglicht es, dass wahlweise alle Typen dieser Baureihe von einer Crew mit nur einem „Typ Rating“ geflogen werden können. Airbus Industrie bezeichnet dieses Verfahren als „Cross Crew Qualification – CCQ“. Ähnlich wie im Cockpit kommen in dieser Baureihe weitgehend gleiche Baugruppen zum Einsatz. Für den Laien sind die Maschinen dieser Typenreihe äußerlich daher nur schwer zu unterscheiden. Die wesentlichen Unterschiede wie z.B. die Kabinenlänge werden durch wenige entsprechend angepasste Baugruppen erreicht. Überträgt man dies auf das Konzept einer Werkzeugmaschine, so kann durchaus die Flugzeugzelle mit dem Maschinengestell und die Bestuhlung mit der Spindelausrüstung verglichen werden. D. h. konzipiert man ein Maschinengestell, das in der Lage ist, ohne Veränderung mehrere verschiedene Spindelausrüstungen aufzunehmen, müssen diese aus möglichst standardisierten Bauteilen realisiert werden können. Der Wunsch nach unabhängigen Pinolenachsen der einzelnen Hauptspindeln kommt hier der Lösung entgegen. Zunächst wird also eine Baugruppe, bestehend aus einer Standardpinole zusammen mit einer ebenfalls standardisierten Hauptspindel entworfen, die die Forderung nach dem minimal geforderten Spindelabstand von 200mm erfüllt. Zusammen mit einem Werkzeugmagazin mit einem Abstand von Werkzeug zu Werkzeug von 100mm können nun problemlos verschiedene Spindelabstände auf Grundlage dieses Basisrasters abgebildet werden.
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Abb. 3 Spindelanordnung im Basisraster
Für eine vierspindlige Maschine mit 200mm Spindelabstand wird ein Verfahrweg in der X-Achse von 200mm benötigt. Mit 3 x 200mm Spindelabstand zusammen mit 200mm Verfahrweg in der X-Achse ergibt sich ein „Planungsmaß“ von 800mm. Darauf aufbauend sind auch andere Varianten realisierbar. Wählt man bei einer zweispindligen Einheit den Abstand der beiden Spindeln zu 400mm ergibt dies mit der zugehörigen Länge der X-Achse von 400mm in der Summe wieder das Planungsmaß 800mm. Einer einspindligen Variante stehen dann die vollen 800mm in der X-Achse zur Verfügung. Bietet das Gestell von vornherein noch 100mm mehr Weg, so wird auch ein dreispindliges Modell mit einem Spindelabstand von 300mm mit passender X-Achse möglich. Eine Übersicht über die beschriebenen Möglichkeiten dieser Gestellvariante bzw. Ständerbaugröße „1“ zeigt Abbildung 4:
Das AL-Konzept: Ein Konzept für Bearbeitungszentren
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Abb. 4 Varianten der Ständerbaugröße „1“
Um nun diese auf einem Gestell und identischen Pinolen mit Hauptspindeln basierenden Varianten wirtschaftlich umsetzen zu können, müssen die beiden Rahmenbaugruppen für die X- und Y-Richtung, die die Pinolen über die Z-Achse mit dem Gestell verbinden, ebenfalls ein auf möglichst vielen Gleichteilen basierendes Konzept aufweisen. Abbildung 5 stellt die Anbindung der Pinolen über den innen liegenden Rahmen der Y-Achse und den äußeren Rahmen der X-Achse am Beispiel der Umsetzung einer zwei-, drei- und vierspindligen Variante dar.
Abb. 5 Vier, drei und zweispindlige Einheit in flexibler Rahmenbauweise
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Alle Varianten verfügen neben den Pinolen und Hauptspindeln ausnahmslos über die gleichen Bauteile in vertikaler Richtung. Hierbei können wiederum z.B. die Seitenteile des inneren Rahmens sowohl auf der linken, als auch auf der rechten Seite verbaut werden. Auch horizontal sind meist oberes und unteres Rahmenteil identisch. Dies wird in der Abbildung durch gleiche Farbgebung verdeutlicht. Darüber hinaus ist die gemeinsame Nutzung verschiedener horizontaler Bauteile auch zwischen einzelnen Varianten möglich. Diese Modularität wurde ebenfalls in allen weiteren benötigten Baugruppen über den Kabelschlepp bis hin zur elektrischen Ausrüstung konsequent umgesetzt. Dem aufgrund der Bauteilanzahl für die Montage erforderlichen höheren Aufwand, der gut ausgebildetes Montagepersonal mit entsprechendem Know-How erfordert, stehen folgende Vorteile gegenüber: Das Rahmenkonzept ermöglicht eine sehr gute Abstimmbarkeit und Ausrichtbarkeit der Baugruppen. Im Falle einer schweren Kollision besteht eine hohe Erfolgsaussicht, eine dann evtl. verschobene Rahmenstruktur neu einzurichten. Bei Einsatz komplexer Blechstrukturen in direktangetriebenen Maschinen ist dagegen bei entsprechender Schwere des Schadens durchaus der Austausch ganzer Baugruppen oder Schlitteneinheiten zur Wiederherstellung der korrekten Maschinengeometrie erforderlich. Einen weiteren positiven Aspekt stellen die überwiegend flachen und daher günstig zu fertigenden Einzelbauteile zusammen mit den entstehenden größeren Teilezahlen dar. So können in allen Maschinentypen vorhandene Gleichteile in größeren Stückzahlen, auch ohne konkrete Aufträge, gefertigt bzw. beschafft werden. Nach Vorlage der Bestellung können dann die wenigen spezifischen Teile in kurzer Zeit gefertigt und damit die Durchlaufzeiten der Maschinen wesentlich verkürzt werden. Wie beschrieben können alle vertikal verlaufenden Bauteile gemeinsam mit der gewünschten Anzahl an Spindeln und Pinolen grundsätzlich in jeder Maschinenvariante bei gleichbleibendem Maschinenständer eingesetzt werden. Weitere umfangreiche Varianten unter Beibehaltung dieser Bauweise und damit derselben Bauteile in vertikaler Richtung ergeben sich bereits bei Einsatz eines zweiten, 300mm verbreiterten, Maschinenständers. Wie aus Abbildung 6 ersichtlich wird, erlaubt es diese Option, den Verfahrweg in X-Richtung zu verlängern, den Spindelabstand zu vergrößern oder auch die Spindelanzahl zu erhöhen.
Das AL-Konzept: Ein Konzept für Bearbeitungszentren
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Abb. 6 Möglichkeiten der Ständerbaugröße „2“
Weitere Flexibilität neben der beschriebenen Modularität der Gestell-Spindeleinheit bietet die Verbindung dieser Einheit über eine Schnittstelle zum Vorsatzbett. Dieses eigentlich noch aus der Sondermaschinenzeit stammende Detail ermöglicht es nicht nur, die Maschine in einer Standardausführung mit zwei AAchsen zur hauptzeitparallelen Beladung in einer vierachsigen Ausstattung mit optionalem fünfachsigem Ausbau anzubieten. Alternativ kann mittels eines maßgeschneiderten Vorbaues flexibel auf Kundenwünsche und Anforderungen eingegangen werden
Abb. 7 Spindeleinheit mit 6 Spindeln
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Bei der Konzepterarbeitung wurde zudem der alternative Einsatz von Kugelgewindetrieben berücksichtigt. Abgerundet wird das Konzept durch selbstverständlich ebenfalls modular aufgebaute Peripherie- und Zubehörkonzepte. Da es sich bei allen Varianten im übertragenen Sinn immer um die gleiche Maschine handelt, ist nun auch die Bedienung vereinheitlicht. Sind bei einem Kunden mehrere Maschinen verschiedener Varianten eingesetzt, können diese auf Basis der gleichen Schulung betrieben werden. Nicht zuletzt profitiert auch die Ersatzteilhaltung durch die verwendete Gleichteilstrategie. Ausblick Unter Verwendung des beschriebenen Konzeptes kann für einen Großteil der in der Groß- und Mittelserienfertigung auftretenden Bearbeitungsaufgaben für Bauteile aus Aluminium- oder Gusswerkstoff eine geeignete, quasi maßgeschneiderte Fertigungseinrichtung generiert werden. Inzwischen sind auf diesem Konzept basierende Anlagen vielfach in unterschiedlichen Varianten im Praxiseinsatz. Das Werkstückspektrum reicht dabei von kleinen Turboladerteilen aus einem warmfesten Stahlwerkstoff über Werkstücke der Bremshydraulik bis hin zu Zylinderköpfen. Die umgesetzten Fertigungskonzepte spiegeln dabei die Vielseitigkeit des Maschinenprinzips wider. Diese bewegen sich in einem weiten Feld von der handbeladenen, einzeln stehenden mehrspindligen Maschine mit Komplettbearbeitung bis hin zum automatisierten flexiblen Fertigungssystem mit einem auf unterschiedliche Arbeitsfolgen aufgeteilten Fertigungsprozess.
Werkzeugverschleißdetektion beim Fräsen mittels Infrarotmesstechnik Dr.-Ing. Walter Pittner INDEX-Werke GmbH & Co. KG, Hahn & Tessky Abt. Technologieentwicklung Esslingen a. N.
Dr. Walter Pittner
Dr.-Ing. Walter Pittner, geboren in Neustadt/Rumänien, hat in Bukarest und Stuttgart Maschinenbau studiert. Nach seinem Abschluss im Jahre 2001 entschied er sich, eine Forschungstätigkeit mit starkem Anwendungsbezug aufzunehmen. Er war von 2001 bis 2007 im Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart als wissenschaftlicher Angestellter beschäftigt. Diese Tätigkeit brachte wichtige Erkenntnisse für seine Forschungsarbeit. Für diese wurde er im Jahre 2008 in Stuttgart zum Dr.-Ing. promoviert. Dr. Pittner ist seit 2008 bei INDEX-Werke GmbH & Co. KG Hahn & Tessky in der Technologieentwicklung beschäftigt. Dort ist er mit Fragen der Konstruktion und Zerspannungstechnologien betraut.
Einleitung Heute ist es praxisüblich, bei der spanenden Bearbeitung mittels definierter Schneide die Werkzeuge aus Gründen der Qualitätssicherung vorzeitig, im Allgemeinen nach Ermessen des Maschinenbedieners, zu wechseln. Dadurch entstehen zwangsläufig höhere Werkzeugkosten als notwendig, die dann an den Verbraucher weitergegeben werden. Wird jedoch ein rechtzeitiger Werkzeugwechsel verpasst, so entstehen insbesondere bei Hochleistungsbearbeitungsprozessen hohe Ausschussraten. Daher sollte die Entscheidung zum Werkzeugwechsel nicht mehr dem Maschinenbediener allein überlassen werden [1, 2]. Bei Zerspanversuchen wurde festgestellt, dass zwischen der Temperatur der bearbeiteten Werkstückoberfläche und dem Werkzeugverschleiß reproduzierbare Zusammenhänge bestehen müssen. Die entstehenden Temperaturen, sowie die
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Oberflächenqualität des bearbeiteten Werkstücks hängen im Wesentlichen von den Eigenschaften des Werkzeugs, des bearbeiteten Werkstoffs, den zerspanungstechnologischen Einstellgrößen und der Maschinenumgebung ab. Für die Messung der Oberflächentemperatur des kurz zuvor bearbeiteten Werkstücks bieten sich thermografische Verfahren an, da sie ein großes Entwicklungspotenzial als Diagnosewerkzeug zur Prozesskontrolle, zur schnellen Qualitätssicherung in der Fertigung, sowie zur Qualifizierung von Werkstoffen beinhalten. Die berührungslose Messung der Temperatur bietet weiterhin den Vorteil, auch bewegte Messobjekte untersuchen zu können, obwohl in der Vergangenheit weitaus mehr feststehende als bewegte Objekte thermographisch untersucht wurden. Ziel der Untersuchungen Das Hauptziel der Untersuchungen bestand in der Entwicklung eines OnlineMessverfahrens (Abb. 1) zur Bestimmung des Verschleißzustandes von Werkzeugen, basierend auf der durch die Bearbeitung beruhenden Erwärmung des Werkstücks, das heißt im Nachweis der Wirkung der zerspanungstechnischen Einstellgrößen, der Werkzeug- und Werkstoffeigenschaften, der messtechnischen Randbedingungen, der Auswahl geeigneter IR-Sensoren sowie der Ermittlung der Temperatur, bei der ein Werkzeugwechsel notwendigerweise vorzunehmen ist. Für die Ermittlung der für einen Werkzeugwechsel relevanten Temperatur wurde in Form eines Online-Messverfahrens ein Künstliches Neuronales Netz (KNN)Modell entwickelt.
Abb. 1 Schema des Online-Messverfahren
Die bei den Untersuchungen eingesetzten Temperaturmessverfahren (Thermokamera und Pyrometer) können den Verschleiß der Schneide anhand der Temperatur der Werkstückoberfläche gut detektieren. Hierbei ergeben sich zwar quantitative Differenzen, dennoch lässt sich eine reproduzierbare qualitative Aussage über den Verschleiß der Werkzeugschneide treffen.
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Experimentelle Untersuchungen Im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen konnten deutliche Zusammenhänge zwischen der Temperaturzunahme - der Werkstückoberfläche und der Verschleißfasenbreite VFB sowie der Oberflächengüte (Kernrautiefe Rk) nachgewiesen werden. Untersucht wurden die Holzarten Buche, Fichte, Meranti Light Red sowie drei Holzwerkstoffe MDF, OSB und Spanplatte [3, 4, 5, 6, 7]. Zum Nachweis der Wirkung des Schneidkeilverschleißes wurden Schneiden mit drei unterschiedlichen Verschleißfasen versehen. Dabei handelte es sich je um eine scharfe, eine arbeitsscharfe (Verschleißfasenbreite VFB = 0,04 mm) und um eine stumpfe Schneide (VFB = 0,08 mm). Dabei wurde nachgewiesen, dass sich die unterschiedlichen Verschleißfasenbreiten der Schneiden anhand der Temperaturzunahme - der Werkstückoberfläche voneinander unterscheiden, ebenso das Fräsen im Gleichund Gegenlauf, der Einfluss des Zahnvorschubes fz, der Eingriffsgröße ae und des Neigungswinkels O. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde ermittelt, dass eine automatisierte Werkzeugverschleißdetektion grundsätzlich möglich ist. Ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen Verschleiß und Werkstücktemperatur gilt quantitativ nur für konstante Randbedingungen. Werden beispielsweise die Prozessbedingungen geändert, ist der Zusammenhang zwischen Verschleiß und Temperaturzunahme - neu zu bestimmen. Dazu wurde ein KNN-Modell (siehe weiter unten im Abschnitt „Künstliche Neuronaler Netze“) erstellt.
Die graphische Benutzeroberfläche Eine graphische Benutzeroberfläche GUI (Graphical User Interface) ist die Schnittstelle zwischen Bediener und KNN-Modell (Abb. 2). Die Entscheidung bei der Auswahl der Software für die Realisierung des Modells fiel auf Matlab®, da damit gleichzeitig auch die Erstellung der GUI realisiert werden könnte. Dies hatte zwei Vorteile, erstens konnte auch das KNN-Modell mit Matlab® erstellt und somit Probleme in der Übergabe von Werten, Schnittstellen und Ansprechbarkeit vermieden werden. Zweitens konnte aus der GUI und dem KNN eine „stand alone“ Lösung kompiliert werden. Die „stand alone“ Lösung hat den Vorteil, dass der Benutzer das Matlab®-Programm nicht mehr erwerben muss, sondern lediglich eine Matlab®-Umgebung installiert zu werden braucht, die mit dem KNN-Modell mitgeliefert wird. Um die in dem Programm aufzurufende Datenbank zu verwenden, ist MS-Access® (Office-Anwendung) erforderlich.
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Abb. 2 Die graphische Benutzeroberfläche des Programms
Modellbildung mittels Künstlicher Neuronaler Netze (KNN) Eine Modellbildung ist deshalb zweckmäßig, weil damit einerseits die Messergebnisse besser interpretiert werden können, andererseits besteht die Möglichkeit, die Werkzeugwechseltemperatur bei Kenntnis der Wirkung der Randbedingungen vorauszuberechnen. Der Vorteil dieser Netze ist, dass mit ihnen auch Modelle erstellt werden können, wenn eine mathematische Formulierung nur schwer oder gar nicht möglich ist, z.B. bei komplexen, nicht exakt begrenzten oder nichtlinearen Systemen (Abbildung 3).
Abb. 3 KNN als Black-Box zur Modellierung des Fräsprozesses
Im Rahmen dieser Arbeit wurde das sogenannte Feed-Forward-Netz (etwa Vorwärtskoppelung) angewendet. Bei diesen Feed-Forward-Netzen existiert kein Pfad, der von einem Neuron direkt oder über zwischengeschaltete Neuronen wieder zu dem Neuron zurückführt. Es gibt nur Verbindungen von einer Schicht zur nächsten. Zum Training der Netze steht eine große Zahl an Lernalgorithmen zur Verfügung. Das hier angewendete Trainingsverfahren für vorwärtsgerichtete Net-
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ze ist das Gradientenabstiegsverfahren Backpropagation [8, 9, 10, 11, 12]. Diese Art der Anpassung von Ausgabedaten an vorgegebene experimentelle Wertepaare gehört in den Bereich der statistischen Methoden. Der BackpropagationAlgorithmus ist deswegen streng genommen eine statistische Methode der Funktionsanpassung. Insgesamt wurden sieben Netze trainiert, d.h. für jedes gesuchte Zielkriterium (Kernrautiefe, drei Temperaturen und drei Kräfte) ein eigenes Netz. Der Versuch, ein Netz zu gestalten, in dem alle Zielkriterien gleichzeitig in einem KNN modelliert wurden, war nicht erfolgreich. Zunächst wurde getestet, inwieweit das KNN den gewünschten Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsdaten erlernt hat. Als Beurteilungsgröße der Netzqualität wird der quadratische Mittelwert der Abweichung der Istwerte von den Sollwerten angegeben (Abb. 4). Hierzu wurden als erstes die Antworten des Netzes auf die trainierten Werte getestet und hohe Werte für die Korrelationskoeffizienten gefunden (> 0,95).
Abb. 4 Gegenüberstellung der Modellierungs- und der Messergebnisse für die Oberflächenrauheit Rk, Korrelationskoeffizient r = 0,992
Abbildung 5 zeigt die Reaktion des Netzes auf Parameteränderungen. Bei gleich bleibenden Prozessparametern wurden die Schneidenzahl z und die Schnittgeschwindigkeit vc (Drehzahl n) aufsteigend variiert. Dadurch wird die Interpolationsfähigkeit des Netzes beurteilt, also die Ausgabe des KNN für Einstellungen, die nicht trainiert wurden. Das KNN kann also gelernte Zusammenhänge auch auf andere Datenbereiche, über die nur wenige Informationen vorliegen, übertragen. Hiermit konnte die Aussagefähigkeit des Modells bestätigt werden. Für ein Werkzeug mit einem Durchmesser von 125 mm, Schnittrichtung B und einer Holz-
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feuchte von 9,1% wurde die Schneidenzahl (in Schritten von 1, 2 … 6) und die Drehzahl (von 1.000 bis 6.000 min-1 in 200er Schritten) variiert (Abb. 5). Die wirkliche Leistungsfähigkeit der künstlichen neuronalen Netze offenbart sich allerdings erst bei der Anwendung des gebildeten Modells auf gänzlich unbekannte Daten. Holzart
D
E
Grad
Grad Grad Grad Grad mm mm
Fichte 15
55
J
20
O
15
N
90
ae
1
fz
1
z
1-6
vc
vf
m/s
m/min min-1
0-40 6-36
n
0-6000
Kinematik Gleich lauf
Tabelle 1 Prozessparameter
Abb. 5 Mit KNN berechnete Werte für die Kernrautiefe bei Variation der Schnittgeschwindigkeit und Schneidenzahl
Online-Messverfahren Das Hauptziel des Vorhabens bestand in der Entwicklung eines OnlineMessverfahrens zur Bestimmung des Verschleißzustandes des Werkzeugs, basierend auf der mit ansteigendem Werkzeugverschleiß zunehmenden Erwärmung des Werkstücks. Aufgrund der geringen Abmessungen und der niedrigen Kosten sind MID-Sensoren ideal für Mehrfachinstallationen in Produktionsprozessen geeignet. Somit stellen MID-Sensoren für berührungslose Temperaturmessungen eine wirtschaftliche Alternative zu einer Thermografiekamera dar. Alle vier hier verwendeten MID-Sensoren bestehen aus einem Miniatur-Messkopf und einer separaten Elektronik. Die Sensoren sind so klein, dass sie praktisch überall installiert werden können. Die Auswerteelektronik ermöglicht Signalverarbeitungsfunktionen. Dazu zählen u.a. Emissionsgradeinstellung, Maximal- und Minimalwerthaltung und Mittelwertbildung, die alle über das 5-stellige LCD-Bedienfeld oder über eine PCSoftware programmierbar sind.
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Die Pyrometer können während des Fräsprozesses die Oberflächentemperatur des Werkstückes berührungsfrei überwachen. Sobald ein vorher eingestellter Schwellwert überschritten wird, wird eine Warnung bzw. ein Alarm ausgelöst. So kann frühzeitig erkannt werden, ob die Oberflächeneigenschaften genauer überprüft oder die Maschine sogar ganz abgestellt und die Werkzeuge gewechselt werden müssen. Die benötigten Temperatur-Schwellwerte können mit Hilfe des KNN-Modells durch Eingabe der Prozessparameter ermittelt werden. Auf dem Temperaturüberwachungsmonitor können die gemessenen Temperaturen aller Sensoren auf einen Blick erfasst werden. Wenn ein Sensor eine Temperatur oberhalb des ersten Schwellwertes erfasst, erscheint eine optische Warnung, die Anzeige wird Gelb. Wird nun auch der zweite Schwellwert überschritten, wird ein weiterer optischer Alarm ausgelöst, die Anzeige wird Rot.
Abb. 6 Temperaturüberwachungsmonitor
Zusammenfassung und Ausblick Im Rahmen der vorgestellten Untersuchungen wurde ein Online-Messverfahren zur Bestimmung des Verschleißzustandes von Werkzeugen entwickelt. Basierend auf der durch die Bearbeitung beruhenden Erwärmung des Werkstücks unter Berücksichtigung der Wirkung der zerspanungsstechnischen Einstellgrößen, der Werkzeug- und Werkstoffeigenschaften, der messtechnischen Randbedingungen sowie der Auswahl geeigneter IR-Sensoren wurde die Werkzeugwechseltemperatur ermittelt, wofür ein Künstliches Neuronales Netz (KNN) Modell entwickelt wurde. Der Einsatz von KNN zur Modellierung des Fräsprozesses bietet die Möglichkeit, virtuelle Fräsprozesse durchzuführen. Diese Netze können alle trainierten Zusammenhänge nachbilden, wobei Inter- und Extrapolationsvorgänge möglich sind, wenn sich die Zusammenhänge und Tendenzen für den neuen Bereich nicht grundlegend ändern.
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Ausgehend von dem ermittelten reproduzierbaren Zusammenhang zwischen der Temperatur der unmittelbar zuvor bearbeiteten Oberfläche und dem Verschleißzustand des Schneidekeils bei konstanten Randbedingungen können prozessabhängige Verfahren für die Industrie zur Detektierung des Verschleißzustandes unter Berücksichtigung der Störeinflüsse prinzipiell für alle möglichen spanenden Bearbeitungsverfahren entwickelt werden. Das Online-Messverfahren ist vor allem in der Großserienfertigung geeignet, wo das Zusammenspiel zwischen Maschine und Künstlichem Neuronalen Netz die Fertigungsmittel „intelligenter“ macht.
Bibliografie [1]
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Diamantkugeln verbessern Produktivität von 3D-Koordinatenmessgeräten Dr.-Ing. Frank Richter Geschäftsführender Gesellschafter Carl Zeiss 3D Automation GmbH Essingen bei Aalen
Dr. Frank Richter Dr.- Ing. Frank Richter wurde am 21. Januar 1964 in Heidenheim-Schnaitheim geboren. Von 1983 bis 1987 studierte er Maschinenbau, Fachrichtung Feinwerktechnik, an der Universität Stuttgart. Im Rahmen eines Austauschprogramms von Professor Karl Tuffentsammer studierte er von 1987 bis 1989 an der University of Wisconsin, Madison, USA. Dort wurde er 1989 Master of Science in Mechanical Engineering. 1991 schloss er sein Studium an der Universität Stuttgart als Diplom-Ingenieur Maschinenbau in den Hauptfächern Feinwerktechnik und Steuerungstechnik ab. 1991 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Automatisierungstechnik bei Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. mult. Uwe Heisel am Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart. Dort promovierte er 1997 zum Doktor-Ingenieur. Seit 1997 ist er geschäftsführender Gesellschafter der Carl Zeiss 3D Automation GmbH in Essingen bei Aalen. Die Firma produziert und vertreibt mit ca. 40 Mitarbeitern Zubehör für Koordinatenmessgeräte von Carl Zeiss. Das Produkt-spektrum reicht dabei von Taststiften bis zu kompletten automatisierten Roboter-beschickungen.
Die taktile Fertigungsmesstechnik unter Einsatz von modernen 3DKoordinatenmessgeräten trägt einen erheblichen Anteil zu der Produktivität einer flexiblen Fertigungsanlage bei. In der Medizintechnik, in der Automobiltechnik oder bei der Anfertigung von Komponenten für Flugzeugtriebwerke – überall sind heute technische Lösungen gefragt, die extreme Anforderungen an die eingesetzte Koordinatenmesstechnik stellen. Im Folgenden wird ein innovatives Produkt dargestellt, das Produktivität von Koordinatenmessgeräten verbessert: Diamond!Scan® ist ein neuartiger Diamanttaster zum Antasten von extrem weichen und extrem harten Werkstückmaterialien ohne Verschleiß und ohne Materialaufbau auf der Tastkugel.
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Scanning-Koordinatenmessgeräte in der Fertigung In allen Bereiche der produzierenden Industrie werden Koordinatenmessgeräte (KMG) eingesetzt, um die geometrischen Abmessungen der gefertigten Werkstücke zu überprüfen. Ein taktiles KMG besteht prinzipiell aus einem Tisch, auf dem die Werkstücke aufgespannt werden, drei motorisierten Achsen und einem Messkopf (Abbildung 1). Der Messkopf eines taktilen KMG trägt einen oder mehrere Taststifte, die jeweils aus einem Gewindeadapter, einem Schaft und einer Kugel (oder Scheibe in gewissen Anwendungen) bestehen. Die Tastkugel ist während des Messprozesses als einziges Teil des KMG in direktem Kontakt mit dem zu messenden Werkstück. Die Erfassung der Messpunkte geschieht entweder in Einzelpunkten oder in einem kontinuierlichen Scanning-Prozess. Einzelpunkte werden in der Regel mit schaltenden Messköpfen aufgenommen, wohingegen messende Tastköpfe zum sogenannten Scanning eingesetzt werden. Der Vorteil beim Scannen liegt darin, dass eine sehr große Anzahl an Messpunkten in kurzer Zeit aufgenommen werden kann und so eine realistische Aussage über die wahren Eigenschaften (Abmessungen und Form) des Werkstücks gemacht werden kann. Deshalb gewinnt das Scanning mit Koordinatenmessgeräten in Massenproduktionsprozessen, bei denen die Fertigungsqualität durch Messergebnisse direkt geregelt wird, signifikant an Bedeutung (Abbildung 2) [1, 2].
Abb. 1 Koordinatenmessgeräte in Portalbauweise. Linke Seite: KMG für Messraumeinsatz. Rechte Seite: KMG für In-line Einsatz in der Fertigungsumgebung [3].
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Abb. 2 Taktile Messung eines Zylinderkopfs eines PKW Motors mit einem Koordinatenmessgerät.
Beim Scanning-Prozess ist die Tastkugel in kontinuierlichem Kontakt mit dem Werkstück. Dabei gibt es zwei wesentliche Bereiche an denen der Taststift mit dem Werkstück in Kontakt kommt: (a) der Pol der Tastkugel ist im Einsatz, wenn Ebenen angetastet werden, (b) der Äquator berührt das Werkstück bei seitlichen Antastungen, z. B. beim Scannen von Innen- oder Aussendurchmessern (Abbildung 3).
Abb. 3 Schematische Darstellung eines Messkopfes beim Scannen einer ebenen Fläche (links) und beim Scannen einer zylindrischen Bohrung (rechts).
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Scanning auf extremen Materialien Um genaue Messergebnisse zu erzielen muss die Tastkugel eine möglichst ideale Kugelform aufweisen. Da diese während des gesamten Einsatzes gleich bleiben soll, muss ein sehr hartes und verschleißfestes Kugelmaterial verwendet werden. Typisch für den Einsatz auf KMG sind industriell gefertigte Rubinkugeln, die verfügbar sind und mit Formabweichungen von 0,08 bis 0,13 μm weit verbreitet Verwendung finden [4]. Die Position und der Durchmesser des Taststifts werden beim Einmessen des Tasters vor Beginn der Messung ermittelt. Die Kugelform wird dabei als ideal angenommen. Jede Änderung der Kugelform während des Prozesses kann nicht rechnerisch kompensiert werden und beeinflusst dadurch direkt die Messergebnisse [1]. Beim Scannen von extreme weichen Materialien, wie bestimmten Aluminiumlegierungen, oder extrem harten Materialien, wie Keramiken, können Änderungen der Kugelform beim Messprozess durch Materialauftrag oder durch Verschleiß entstehen (Abbildung 4) [5].
Abb. 4 Aufbau von Aluminium am Äquator einer Rubinkugel (links) und starker Verschleiß am Pol eines Rubintaststifts (rechts)
Wenn sich die Kugelform während der Messung ändert, muss der Taststift regelmäßig gereinigt oder ausgetauscht werden, um ungenaue Messergebnisse zu vermeiden. Das heißt, der Zustand des Tasters muss kontinuierlich überwacht werden. Bei Verschleiß oder Materialaufbau muss der Taster ausgebaut, gereinigt oder getauscht werden. Nach Einbau des neuen Tasters muss das Tastsystem neu eingemessen werden. Dieser Zeitaufwand erhöht die Produktionskosten des gesamten Fertigungsprozesses erheblich. Diamond!Scan® In den letzten Jahren wurde deshalb untersucht, inwieweit verschiedene Kugelmaterialien, Beschichtungen und Schmierstoffe diese Effekte verringern können. Im vorliegenden Bericht wird Augenmerk auf den Einfluss des Kugelmaterials auf die
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Produktivität beim Messen gelegt. Gängige Kugelmaterialien sind: Rubin, Saphir, Siliziumnitrid und Zirkonoxid. Diese Kugeln sind allgemein verfügbar. Im Rahmen von Produktentwicklungen entstand bei Carl Zeiss 3D Automation GmbH in Verbindung mit der Firma Dutch Diamond Technologies BV eine neuartige Diamantkugel unter der Markenbezeichnung Diamond!Scan® [6, 7], deren hervorragende Leistung beim Scannen von extremen Werkstückmaterialien im Folgenden dargestellt wird.
Versuchsanordnung Um die Abweichungen der Kugelform bei Verschleiß und Materialaufbau zu erfassen, wurde ein Koorindatenmessgerät mit Scanning-Technologie unter typischen Bedingungen (Geschwindigkeit, Messkraft) eingesetzt. Es wurden zwei Einsatzfälle untersucht: (a) äquatorialer Versuch beim Scannen von weichen Materilaien, (b) polarer Versuch beim Scannen von harten Materialien. (a) Äquatorialer Versuch Hierbei wird mit dem Taststift in regelmäßigen Intervallen ein Einstellring aus Stahl mit einem genau bekannten Durchmesser und einer genau bekannten Form gemessen. Zwischen diesen Überwachungsmessungen wird an einem Versuchswerkstück ein Aussendurchmesser kontinuierlich spiralförmig gescannt. So wird sichergestellt, dass die Tastkugel sich nicht auf einer bereits gescannten Spur bewegt. Jede Spur wird demnach nur einmal befahren. Nach einer bestimmten Anzahl von Durchmesser-Messungen ergibt sich eine zurückgelegte Scanning Strecke (scanning distance), die in den folgenden Diagrammen in der Abszisse aufgetragen ist. Nach einer bestimmten ScanningStrecke wird erneut der Einstellring gemessen und das Messergebnis festgehalten. Sobald sich am Äquator der Kugel Material ablagert, ändert sich der gemessene Durchmesser des Einstellrings. Bei Materialaufbau bewegt sich die Kugel bei der Überprüfungsmessung also in Richtung der Mitte des Einstellrings und ein kleinerer Durchmesser wird angezeigt. (b) Polarer Versuch Beim polaren Versuch wird nur mit dem Pol der Tastkugel gescannt, z. B. auf einer ebenen Fläche. Nach einer gewissen Scanning-Strecke wird die Position der Kugel (tip position) auf einem fest stehenden Endmaß gemessen. Wenn der Pol durch Verschleiß abplattet wird sich die Messposition nach unten verschieben.
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Ergebnisse - Materialaufbau Es wurden Versuche mit unterschiedlichen Werkstückmaterialien durchgeführt. Als Vergleichswert für die Leistungsfähigkeit eines Kugelmaterials wurde Rubin herangezogen, da es im Einsatz auf Koordinatenmessgeräten als Tastkugelmaterial am weitesten verbreitet ist. Abbildung 5 zeigt die Durchmesseränderung beim Scanning mit einer Rubinund Diamantkugel im direkten Vergleich. Das gescannte Werkstück war ein Aluminium Teil mit einer Bohrung mit 26 mm Durchmesser. Bei diesem äquatorialen Test sieht man, dass die Rubinkugel bereits innerhalb der ersten Meter (scanning distance) Material aufnimmt. Das Messergebnis verändert sich konstant um bis zu 6 μm. D. h. der Durchmesser der Bohrung im Werkstück wird aufgrund des Materialaufbaus auf der Rubinkugel mit einer Abweichung von 6 μm gemessen! Nach einer bestimmten Zeit wird die Abweichung wieder kleiner, da das aufgenommene Aluminium beim Scannen auch wieder glatt gerieben oder abgetragen wird.
Abb. 5 Änderung des gemessenen Durchmessers eines Einstellrings. Messungen eines Aluminium Werkstücks mit Diamanttaster und Rubintaster.
Der gesamte Prozess des Materialauftrags kann auch am Verlauf der Formänderung nachgewiesen werden, die in Abbildung 6 gezeigt ist. Hier wird ersichtlich, dass sich auf der Rubinkugel Material zufällig und unregelmäßig anlagert. Würde sich das Material gleichmäßig anlagern, dann wäre keine Änderung der Rundheit zu beobachten. Im Gegensatz zum Rubin sieht man in Abbildung 5 und 6 beim Diamant absolute keine signifikante Veränderung der Messergebnisse, was darauf schließen lässt, dass Diamant kein Aluminium an der Kugeloberfläche aufbaut.
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Abb. 6 Änderung der gemessenen Rundheit eines Einstellrings. Messungen eines Aluminium Werkstücks mit Diamanttaster und Rubintaster.
Ergebnisse - Verschleiß Um das Verschleißverhalten von Kugelmaterialien beim Scanning darzustellen sind in Abbildung 7 beispielhaft die Ergebnisse eines polaren Versuchs gezeigt. Bei dem Versuch wurde ein sehr hartes C/SiC Werkstück gemessen. C/SiC ist ein sehr abrasives Material, da in einer Kohlenstoffmatrix Siliziumkarbid und Silizium eingebettet ist. Es wird unter Anderem in der Automobilindustrie für hoch effiziente und thermisch stabile Bremsscheiben bei Sportwagen eingesetzt. In Abbildung 7 wird deutlich, dass alle eingesetzten Kugelmaterialien erhöhtem Verschleiß unterliegen, mit Ausnahme der Diamantkugel. Der höchste Verschleiß tritt bei Rubin und Saphir auf, beides sind Aluminiumoxid Einkristalle [4]. Saphir ist ein reines Al2O3 Kristall. Rubin ist zu 99% Al2O3 und zu 1% Cr2O3 Einkristall. Ihre Härte beträgt ca. 2300 HV. Siliziumnitrid besteht zu 90% aus polykristallinem Si3N4, Zirkonoxid aus 95% ZrO2 und 5% Y2O3 polykristallin. Beide werden mit einer Härte von ca. 1200-1600 HV angegeben. Trotz geringerer Härte zeigen Siliziumnitrid und Zirkonoxid in diesem Versuch ein robusteres Verschleißverhalten als Rubin und Saphir. Die Gründe hierfür wurden in dieser Arbeit nicht untersucht. Extrem auffällig ist jedoch, dass der Diamanttaster während der Versuchsdauer keinen messbaren Verschleiß aufweist.
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Abb. 7 Abplattung der Tasterkugel beim Scannen einer ebenen Fläche auf einem extreme abrasiven C/SiC Werkstück.
Um die Dauerstandfestigkeit von Diamond!Scan® Diamantkugeln beim Scannen zu zeigen ist in Abbildung 8 das Ergebnis eines Dauertests dargestellt. Dabei wurde eine Bohrung mit 220 mm Durchmesser in einem Pumpengehäuse aus Siliziumnitrid mehrfach gemessen. Die aufgetragene Scanning-Strecke von 100 m entspricht dabei 144 Messungen des Durchmessers. Sogar nach dieser Anzahl Messungen ist kein Verschleiß am Äquator der Diamantkugel messbar. Die Messergebnisse für den Durchmesser (Abbildung 8) bewegen sich reproduzierbar in einem Bereich von nur 0,1 μm.
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Abb. 8 Veränderung eines gemessenen Durchmessers bei Scannen einen Siliziumnitrid Werkstücks. Eine Diamantkugel mit 2 mm Durchmesser wurde verwendet, um eine Bohrung mit 220 mm Durchmesser mehrfach zu scannen.
Vorteile beim Einsatz von Taststiften aus Diamant Aufgrund der oben aufgezeigten Eigenschaften ergeben sich drei wesentliche Vorteile durch den Einsatz von Diamond!Scan® Diamanttaststiften bei Koordinatenmessgeräten: (a) Materialeinsparung: Die Anzahl der verbrauchten Taststifte wird verringert. (b) Zeiteinsparung: Die Zeit für Überwachung, Wechseln, Reinigen und Einmessen von Tastern kann verkürzt werden. (c) Prozessstabilität: Keine Verringerung der Messunsicherheit durch Veränderung der Tastkugelform, dadurch stabiler Produktionsprozess. Im Einzelnen ist Vorteil (a) am offensichtlichsten. Bei Messaufgaben auf harten keramischen Werkstoffen müssen Rubintaster regelmäßig ausgetauscht werden [8, 9]. Dies kann mit Diamanttastern weitgehend behoben werden. Der Punkt, ab wann sich ein Diamanttaster nur aufgrund der eingesparten Rubintaster wirtschaftlich einsetzen lässt, ist dabei einfach zu berechnen. Aufgrund der hohen Kosten eines Diamanttasters (ca. 30-mal teurer als ein Rubintaster) wird dieser Punkt jedoch erst bei einem großen Tasterverschleiß erreicht. Zeiteinsparungen (b) haben einen wesentlich größeren Einfluss auf die Entscheidung, ob man mit Diamanttastern produktiver arbeiten kann. Erstens muss ein Rubintaster, der zu Materialaufbau oder Verschleiß neigt, kontinuierlich überwacht werden. Das heißt es muss entweder eine Messung durchgeführt werden, oder der Taststift muss unter einem Mikroskop begutachtet werden, um Verschleiß oder Materialauftrag zu erkennen. Zweitens müssen beim Auswechseln ei-
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nes Taststifts mehrere zeitintensive Tätigkeiten durchgeführt werden: Taster aus KMG entnehmen, Taststift aus Tastersystem ausbauen, neuen Taststift einbauen, Tastersystem zurück ins KMG setzen, Tastsystem neu einmessen. Dieser Zeitaufwand beträgt je nach Tastersystem 15-30 Minuten. Während dieser Zeit kann das Koordinatenmessgerät nicht für Messungen in der Produktion benutzt werden. Mit Diamanttastern wird diese Zeit minimiert und die Produktivität des KMG verbessert sich signifikant. Schließlich wird die Prozessstabilität (c) des gesamten Produktionsprozesses durch den Einsatz von Diamanttastern erhöht. Da die Diamantkugel ihre ursprüngliche, nahezu ideale Kugelform beibehält, bleibt die Messunsicherheit konstant und die Fertigung kann die verfügbare Toleranz eines Merkmals ausnutzen. Verändert sich die Kugelform wie bei Rubintastern auf weichen Materialien, dann erhöht sich die Messunsicherheit und das Koordinatenmessgerät „verbraucht“ einen größeren Anteil der vorgegebenen, verfügbaren Fertigungstoleranz. Das heißt aber in der Praxis, dass mehr Ausschuss gemessen wird, als tatsächlich produziert wurde. Fasst man alle drei Vorteile zusammen, dann kann man schnell entscheiden, ob sich der Einsatz eines Diamond!Scan® Diamanttasters in einer bestimmten Anwendung rechnet.
Abb. 9 Typische Scanning Anwendung auf KMG mit Diamanttaster.
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Zusammenfassung Diamanttaster für die industrielle Koordinatenmesstechnik eröffnen neue Bereiche der Produktivität beim Messen von extremen Materialien. Sie weisen wesentlich weniger Verschleiß beim Scannen von harten Werkstücken auf und nahezu keinen Materialaufbau bei sehr weichen Werkstücken, z. B. aus Aluminiumlegierungen usw., auf. Es wurde aufgezeigt, dass mit Diamanttaststiften die Produktivität eines Koordinatenmessgeräts deutlich erhöht werden kann, durch geringere Tasterkosten, weniger Nebenzeiten und höhere Prozessstabilität. Aufgrund der höheren Kosten eines Diamanttasters sind sie sicher nicht für alle Anwendungen in der Koordinatenmesstechnik geeignet. Bei kritischen Messungen auf den bereits oben genannten extremen Materialien, ist es durch den Einsatz von Diamanttastern jedoch oft erst jetzt möglich, sämtliche Vorteile der ScanningTechnologie auf Koordinatenmessgeräten zu nutzen.
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Kosteneffiziente Honbearbeitung durch intelligente und flexible Verknüpfung von autarken Honzentren Dr.-Ing. Günther Roth Leiter der Konstruktionsabteilung, Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Stephan Schaible Prokurist, Vertriebsleitung Honmaschinen Nagel Maschinen und Werkzeugfabrik GmbH Dr. Günther Roth
Stephan Schaible
Herr Dr. Günther Roth erblickte in Jahre 1957 in Sigmaringen das Licht der Welt. Dort fand auch seine Schulausbildung statt, die über das Abitur am Technischen Gymnasium und den Wehrdienst schließlich an die Universität Stuttgart zum Studium des Maschinenwesens führte. Nach dem Abschluss des Studiums im Jahre 1984, begann Herr Dr. Roth seine berufliche Laufbahn am Institut für Werkzeugmaschinen der Uni Stuttgart. Dort war er 6 Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig, um dann - bereits mit Prof. Dr. Heisel als Institutsleiter - die Nachfolge von Herrn Dr. Lang als Oberingenieur am Institut für Werkzeugmaschinen anzutreten. Im Jahre 1992 wechselte Herr Dr. Roth dann in die Industrie zu der NAGEL GmbH in Nürtingen. Im Jahre 1993 konnte er auch seine Promotion zu dem Thema „Flexibel automatisierte Montage genormter Welle-Nabe-Verbindungen“ abschliessen. Die Nagel Maschinen- und Werkzeugfabrik GmbH ist Hersteller von Hon- und Finishmaschinen, vorwiegend für den Bereich Automotive und ist weltweit tätig. Herr Dr. Roth ist bei der Nagel GmbH Leiter der Konstruktionsabteilung und damit verantwortlich für die Entwicklung und Konstruktion der Hon- und Finishmaschinen. Nach Berufs- und Technikerausbildung sowie Studium zum Wirtschaftingenieur an der Hochschule Esslingen a.N. folgte für Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Stephan Schaible die beruflichen Stationen zunächst als Projektverantwortlicher bei der Kern und Liebers GmbH, Schramberg und eine 11-jährige Tätigkeit als Vertriebs- und Marketingleiter bei der HIRSCHMANN GmbH, Fluorn-Winzeln, Hersteller von Spann-, Palettier- und Handlingssystemen für Bearbeitungsmaschinen sowie Gelenklagern. Seit 2003 verantwortet Herr Schaible bei der NAGEL Maschinen- und Werkzeugfabrik GmbH, Nürtingen, als Prokurist den Vertriebsbereich Honmaschinen, insbesondere den Marktsektor Automotive Europa sowie die Märkte Nord- und Osteuropas.
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Einleitung Die Planungsabteilungen in der Automobilindustrie werden vor immer größere Herausforderungen gestellt. Der zur Verfügung stehende Zeitraum zu einer seriensicheren Umsetzung der entwicklungs- und produktionstechnischen Forderungen wird von Projekt zu Projekt kürzer. Aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks und daraus resultierenden erforderlichen Kostenoptimierungen, die schnelleren Timeto-market- und Innovationszyklen und die vermeintlich zur Kundenbindung erforderlichen, kaum mehr überschaubaren Diversifizierungen in den Modellpaletten lassen den Planungshorizont immer kürzer werden. Die zu beschaffenden Fertigungsanlagen sollen aber in den nächsten 8-12 Jahren all die Varianten produzieren können, die heute nur teilweise oder noch gar nicht bekannt sind. Eine vermeintlich unlösbare Aufgabe. Wie kann unter diesen Gesichtspunkten die Investitionssicherheit gewährleistet oder sogar noch weiter maximiert werden? Wie muss eine Honanlage konzipiert sein, damit sie den Forderungen nach Flexibilität hinsichtlich Werkstückvielfalt, Werkstoffvarianten, schwankenden Ausbringungsmengen, unterschiedlichen und zukünftigen Honprozessen (Abb. 1) und auch einem optimalen Kapitaleinsatz gerecht werden kann?
Einflussgrössen auf den Honprozess Innovative Werkstoffe
Oberfläche
Tribologie / Verschleiß Ölverbrauch Emission Kraftstoffverbrauch Kaltstart- / Notlaufeigenschaft
Honprozess
Verschleißreduktion Gewichtsreduktion
Werkstück Design Geringere Abmaße Motor Gewichtsreduktion Anstieg der Motorenleistung
Herstellkosten Prozesssicherheit
Abb. 1 Einflussgrößen auf den flexiblen Honprozess
Modular zusammengestellte Honzentren, die seriell, parallel oder hybrid verkettbar sind ermöglichen jetzt diese große, erforderliche Flexibilität und hohe Produktivität in der Serien-Honbearbeitung. Eine Honanlage (VARIOLINE) lässt sich für die geforderte Aufgabenstellung individuell flexibel konfigurieren. Vielfältige Verkettungsmöglichkeiten – intelligente Steuerung. Hohe Flexibilität und gleichzeitig hohe Produktivität miteinander zu verbinden ist bei einer mittels Schritthubtransfer starr verketteten Hon-Transferstraße nicht möglich. Ähnlich den Bearbeitungszentren im vorgelagerten Bereich der Vor- und
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Feinstbearbeitung, ist es auch im Bereich Honen gelungen, von den reinen, auf das Werkstück zugeschnittenen Sondermaschinen zu einer modularen, auf Standardkomponenten basierenden Lösung zu gelangen. Mit der flexibel konfigurierbaren Honanlage VARIOLINE (Abb. 2), die mit Portalladern, Rollenbändern oder Robotersystemen in unterschiedlichster Zusammenstellung bedient wird, werden beide, bisher als unvereinbar geltenden Vorteile der hohen Flexibilität und Produktivität miteinander kombiniert. Die Steuerung der Honanlage ermittelt automatisch, welches Honcenter welche Bearbeitungsleistung bietet und lässt das Werkstück genau dorthin transportieren. Da die Zentren und das Verkettungssystem voneinander entkoppelt sind, können die Honcenter den Zeitpunkt der Zuführung selbst bestimmen. Somit werden Zeitverluste durch langwierige Transporte vermieden, jedes Honcenter arbeitet konstant durch. Und ein weiterer Vorteil ist mit dieser VARIOLINE-Honanlage verknüpft: eine gesteigerte Verfügbarkeit.
Abb. 2 Flexibel konfigurierbare, modular aufgebaute Honanlage VARIOLINE
Die Möglichkeiten der VARIOLINE (Abb. 2) ergeben sich aus drei grundlegenden Ansätzen zur Flexibilität:
x Flexibilität des Honcenters bezüglich der Bearbeitungsaufgabe x Flexible Aufteilung von Prozessstufen auf mehrere Honcenter x Flexibler Auf- und Abbau von Fertigungskapazität und Einsatz unterschiedlicher Honprozesse Flexibilität des Honcenters bezüglich der Bearbeitungsaufgabe Grundzelle der flexiblen Honanlage ist ein den Aufgaben entsprechend konfigurierbares Honcenter (Abb. 3, links). Dieses Honcenter ist als Einzelmaschine mit 1 oder 2 unabhängigen oder verknüpfbaren Honstationen und mit bis zu 4 Honspindeln in der Lage, typische Operationsfolgen der Honbearbeitung darzustellen. Die vertikal angeordneten Honspindeln verfügen grundsätzlich über leistungseffiziente, servomotorische Hub- und Drehantriebe (Abb. 3, rechts), die zu höheren Bearbeitungs- und Verfahrensgeschwindigkeiten als bisher bekannt führen und
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somit erheblich zu einer deutlich höheren Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Gesamtanlage beitragen. Die dabei integrierte Möglichkeit der Drehzahlnachregelung setzt hinsichtlich der bei den Werkstücken (Laufflächen der Zylinderkurbelgehäuse) geforderten, spezifischen Oberfläche, die sich durch besonders gute tribologische Eigenschaften auszeichnen muss, neue Maßstäbe. Die erforderliche Struktur der Honriefen, ihre Breite und Tiefe, aber ganz besonders ihr Winkel zur Bohrungsachse spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Dieser charakteristische Wert wird im Allgemeinen als Kreuzungswinkel bezeichnet und beschreibt den Winkel, unter dem sich die Honriefen während des Auf- und Abhubes schneiden. Bestimmt wird er durch das Verhältnis von Drehzahl und Hubgeschwindigkeit des Honwerkzeuges.
Abb. 3 Modular aufgebautes Honcenter VARIOHONE für die flexible Honanlage
Um diesen Kreuzungswinkel (Abb. 4 links)möglichst über den ganzen Bereich der Bohrung ohne "Umsteuerbögen" einzuhalten, waren die Honspindeln bisher mit extrem dynamisch ausgelegten, hydraulischen Hubantrieben ausgestattet. Ziel dabei war es, die Dauer der Hubumkehr möglichst kurz zu halten, da sich während des Richtungswechsels des Hubes das Verhältnis von Hub und Drehzahl und damit der Kreuzungswinkel drastisch verändert.
Abb. 4 Der Kreuzungswinkel der Honriefen beträgt beim Spiralgleithonen ca. 140 Grad (links), Moderne, intuitive Honsteuerung MSU 4 mit integrierter Drehzahlnachregelung (rechts)
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Trotz aller Bemühungen war es bis heute nicht möglich, die Kreuzungswinkel über den gesamten Bereich einzuhalten. Mit der patentierten Drehzahlnachregelung konnte das Problem gelöst werden. Der Ansatz hierbei ist, die Drehzahl proportional zum Hub abzusenken. Genaugenommen werden Geraden erzeugt die interpolierend abgefahren werden. Dadurch muss der Hub auch nicht mehr stark beschleunigen, im Gegenteil, er wird moderat beschleunigt, um die Drehzahl sauber synchronisieren zu können. Insgesamt können aber höhere Hubgeschwindigkeiten erreicht werden, da die Antriebe nicht mehr auf Beschleunigung ausgelegt werden müssen. Ein hervorragendes Honbild, komplett ohne Umsteuerriefen, geht einher mit sehr guten Abtragswerten. Die optimierte Ansteuerung der Antriebe in der Honsteuerung MSU 4 (Bild 4 rechts ) mit integrierter Ruckbegrenzung des Hubes und optimaler Synchronisierung der beiden Bewegungen, insbesondere während der Umkehrbewegung, sind dabei integraler Bestandteil des Gesamtkonzeptes. Neben der Optimierung der Kreuzstruktur (gleich bleibender Honwinkel über die gesamte Honoberfläche) hat die servomotorische Spindeleinheit aber noch eine Reihe weiterer Vorteile:
x die weichen Bewegungen sind wesentlich leiser als bei den hart umsteuernden Hydraulikspindeln x die Belastungen an die Mechanik der Maschinen fallen wesentlich erträglicher aus x keine Übertragung von Schwingungen auf benachbarte Maschinen/ Feinbearbeitungsmaschinen x verlängerte Standzeit der Honleisten x die Hublage selbst wird unabhängig von der Hubgeschwindigkeit und anderen Parametern immer exakt angefahren, was z.B. bei Sacklochbohrungen entscheidende Vorteile bringt x stark verbesserte Energieeffizienz der Maschinen x reduzierte Lärmbelastung x längere Lebenszyklen der Spindeln/Maschinen x besserer Wirkungsgrad x geringerer Platzbedarf der Anlage durch Entfall der großen Hydrauliktanks x Reduktion der Instandhaltungskosten
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Abb. 5 Dreifach-Werkzeugwechsler
Unter diesen Gesichtspunkten ist die Drehzahlnachregelung zwar die Voraussetzung für die Verwendung von servomotorischen Spindeln in der Leistungsklasse von Zylinderbohrungsmaschinen, die Vorteile der Spindeltype gehen aber weit über die optimierte Laufflächenstruktur (Kreuzstruktur) hinaus. Mit den autarken Honcenternkönnen verschiedenste Werkstoffe mit unterschiedlichen Bohrungsgeometrien komplett fertigbearbeitet werden. Ausgestattet mit Werkzeugwechslern bis zu 12 Werkzeugplätzen/Spindel, wobei der Standard bei 3 bzw. 6 Plätzen/Spindel liegt (Abb. 5) ist das Honcenter in der Lage unterschiedlichste Werkstücke in verschiedenen Werkstoffzusammensetzungenund Geometrien bis hin zur Losgröße 1 zu bearbeiten. Flexible Aufteilung von Prozessstufen auf mehrere Honcenter Die freie Wahl bezüglich den Bearbeitungsprozessen Leistungshonen, Positionshonen, Plateauhonen, Gleithonen, Kombinationen Honen/Laser, Spiralgleithonen, Strukturhonen und das der Arbeitsaufgabe optimal angepasste Layout der Honanlage lässt einerseits die komplette Honbearbeitung in einem Honcenter bzw. einer Honstation eines mehrspindligen Honcenters (Bild 7) zu, wobei die Bearbeitung der Kurbelwellenlagerbohrung und das Messen und Kennzeichnen der Bohrungen ebenfalls in autarken Zentren erfolgen kann. Andererseits ist die Aufteilung der Honprozesse auf die einzelnen Honcenter möglich.
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Abb. 6 HPH - Erhöhter Abtrag durch Leistungshonen, PATH-Honing - Honen mit Korrektur der Bohrungslage und Winkligkeit, Spiralgleithonen – Vorteile durch Weiterentwicklung des Diamanthonens
Durch eine Kombination mehrerer flexibler Honcenter zu einer Bearbeitungslinie lässt sich die Prozesskette Honen auf mehrere Maschinen verteilen. Diese Kombination ermöglicht es, im Vergleich zur Durchführung aller Operationen auf einer Maschine, die Nebenzeiten noch weiter zu vermindern und die Hauptzeiten unter dem Gesichtspunkt einer maximalen Ausbringung auf mehrere Maschinen zu verteilen. Damit kann, über die Anzahl miteinander verbundener Honcenter, die vom Kunden gewünschte Taktzeit eingestellt und die geforderte Ausbringung erreicht werden. Hierbei muss die Anordnung der Honcenter nicht linear sein (Abb. 10). Ein Zentrum kann für einen oder auch für mehrere Arbeitsschritte eingerichtet werden. Mehrere Honcenterkönnen sich die Durchführung von hauptzeitintensiven Einzeloperationen teilen.
Abb. 7 Honcenter mit 2 Bearbeitungsstationen und 4 Spindeln (links), Layout einer in der Serienproduktion eingesetzten flexiblen Honlage (rechts)
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Darüber hinaus kann eine hybride Form der Anlagenkonfiguration in Betracht kommen (Abb. 11), indem redundante Prozesse, z.B. bei der Zylinderbohrungshonbearbeitung parallel auf mehreren Honcentern abgearbeitet werden und mit der seriellen Bearbeitung der Kurbelwellenbearbeitung und des darauf folgenden Messens in einer Transfermaschine kombiniert werden.
Abb. 8 Hybride Honanlagenkonfiguration – Zentrum und Transfermaschine
Flexibler Auf- und Abbau von Fertigungskapazität und Einsatz unterschiedlicher Honprozesse Die Kombination der flexiblen Honcenter zu einer flexiblen Linie ist variabel. Da alle Honcenter eine gleiche technische Ausstattung besitzen, kann die Verkettung im Verlauf der Nutzungsdauer der Honanlage bei Bedarf neu konfiguriert werden. Der Kunde kann damit auf veränderte Stückzahlforderungen reagieren, indem er die Linie um weitere Honcenter ergänzt (Abb. 9) oder aber Maschinen aus der Verkettung herausnimmt und anderweitig einsetzt. Damit lassen sich Fertigungssysteme realisieren, die ein hohes Maß an Flexibilität mit optimalen Stückkosten verbindet. Auch veränderte Abläufe innerhalb der Prozesskette Honen aufgrund von z.B. der Umstellung des Werkstoffes oder der Erkenntnisse zur Veränderung des Honprozesses können flexibel abgebildet werden. So ist es ohne weiteres möglich, beispielsweise auf den Prozess „Spiralgleithonen“ (Abb. 10) umzustellen, der aufgrund der positiven Ergebnisse intensiver Testreihen und Feldversuche bei immer mehr Motorenherstellern im LKW- und PKW-Motorenbereich zum Einsatz kommt und mittlerweile in der Serienproduktion eingesetzt wird. Die signifikanten Vorteile dieses Verfahrens liegen für die Produzenten neben der kostengünstigen Herstellung optimierter Zylinderlaufflächen vor allem in dem Beitrag des Spiralgleithonens zur Verminderung der CO2 Emissionen, des Ölverbrauches, der inneren Reibung, des Verschleißes der Zylinderlaufbahn, des Kraftstoffverbrauches und in der erheblichen Verlängerung der Lebensdauer des Katalysators.
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Abb. 9 Layout einer erweiterbaren Honanlage
Bei der Umstellung einer vorhandenen flexiblen Honanlage auf neue Werkstücke müssen lediglich die das Werkstück berührenden Bauteile angepasst werden. Hier werden die Werkstückaufnahmen auf den nebenzeitoptimalen Rundtischen oder Einfahrschlitten einfach und schnell ausgetauscht oder die Bauteilaufnahmen automatisch zu- oder weggesteuert.
Abb. 10 Honprozess Spiralgleithonen in der Serienproduktion
Auch bei der Auslegung des Honprozesses sind bei der VARIOLINE keine Grenzen gesetzt. Beispielsweise können zwei Zentren je nach Anforderung die Aufgabe des Leistungs- oder des Positions- oder des Vorhonens gemeinsam übernehmen. Zwei weitere teilen sich dann die Aufgabe des Basishonens und weitere zwei Zentren übernehmen das Fertighonen und das Nachmessen. Dieses flexible Verteilen der Aufgaben beseitigt die so genannten „Flaschenhälse“ eines Arbeitsprozesses: Die Taktrate wird nicht mehr vom langsamsten Arbeitsschritt bestimmt; vielmehr können unabhängig voneinander sowohl Prozesstempo als auch Herstellungsqualität optimiert werden. Wird beispielsweise für das Vorhonen mehr Zeit benötigt als für das anschließende Fertighonen, kann der Vorhonschritt auf mehr Zentren verteilt werden. Den Kombinationsmöglichkeiten
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sind hier kaum Grenzen gesetzt um das wichtigste Ziel zu erreichen: Für jede Produktionsaufgabe die maximale Ausbringung. Oder bei der Neukonfiguration für eine neue Bauteilreihe stellt sich heraus, dass die Komplettbearbeitung auf einem Honcenter in diesem Fall die optimalere Lösung ist als das Aufteilen der Prozesse. Alle Honcenter können dann aufgrund der identischen Ausstattung den Gesamthonprozeß abbilden. Eine Entscheidungsfreiheit, die die Planungs- und Produktionsverantwortlichen mittlerweile sehr zu schätzen wissen. Erhöhte Verfügbarkeit Ebenso kann ein Zentrum, das beispielsweise gerade gewartet wird, seine Aufgabe an andere Zentren abgeben. In diesem Fall wird der Materialfluss an diesem Zentrum vorbeigeleitet. So führt der zeitlich begrenzte Ausfall dieser Maschine lediglich zur Absenkung der Taktrate und nicht wie üblich zur Unterbrechung des gesamten Produktionsprozesses. Da jedes Zentrum autark ist, kann es auch unabhängig von den anderen arbeiten. Der besondere Vorteil dieses modularen Aufbaus liegt in der schnellen Reaktionszeit bei veränderten Aufgabenstellungen. Bei starren Transferstraßen müssen zeitaufwändige Umbau- und Umrüstzeiten in Kauf genommen werden. Durch den modularen Aufbau der genügt die Neukonfiguration des Zusammenspiels beziehungsweise der Wechsel der Programme, mit denen das Zusammenspiel der Zentren gesteuert wird. Da sich die Zentren gegenseitig ersetzen, kann die Umrüstung sogar ohne Unterbrechung des Produktionsprozesses erfolgen. Auch die Verwendung eines Honcenters der gesamten Honanlage zur Durchführung von Versuchen oder Testreihen während der laufenden Serienproduktion wird in der Praxis umgesetzt. Flexibel auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht Der modulare Aufbau bietet einerseits erhebliche Kostenvorteile und andererseits eine große Planungssicherheit. Eine starre Fertigungsstraße muss von der Hochlaufphase an, in der noch geringe Stückzahlen produziert werden, die später benötigten Kapazitäten vorhalten. Eine modular aufgebaute Linie entwickelt sich jedoch mit den wachsenden Leistungsanforderungen mit. Investitionen sind durch das modulare Konzept erst nötig, wenn der Bedarf tatsächlich vorhanden . Durch diese Möglichkeit der sukzessiven Kapazitätserhöhung ist somit keine Kapitalbindung im Moment gegeben und die Bilanz wir lediglich mit dem tatsächlichen, aktuellen Invest belastet. Zusammenfassung und Ausblick Die Zukunftssicherheit ist bei einer flexiblen Honanlage dadurch gewährleistet, dass bei neuen Motorenkonzepten, Werkstoffen und geforderten Oberflächen die Konfiguration des Systems so verändert wird dass neue Anforderungen ohne auf-
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wändige Umbauten oder die Neuanschaffung einer Honmaschine erfüllt werden können. Die produktions- und kosteneffiziente Flexibilisierung der Honbearbeitung lässt sich an den folgenden Flexibilitätsmerkmalen festmachen:
x x x x x
Flexibilität hinsichtlich der Ausbringung (Volumen) Flexibilität hinsichtlich der Bearbeitungsprozesse Flexibilität hinsichtlich Layout und Konfiguration Flexibilität hinsichtlich der Entscheidungsfreiheit Flexibilität hinsichtlich Kapitaleinsatz und Bilanzierung
Fazit: Das vorgestellte System zur flexiblen Honbearbeitung, das mittlerweile in der Serienfertigung erfolgreich im Einsatz ist, bietet eine bislang nicht verfügbare Kombination aus Flexibilität, Wirtschaftlichkeit und Zukunftssicherheit.
Literatur Weigmann, Dr., Uwe-Peter und Schaible, Stephan: Erfolgreich im Zusammenspiel mit der VARIOLINE, 2006 Roth, Dr., Günter: Servomotorische Honspindeln mit Drehzahlnachregelung, 2007 Schmid, Josef: Optimierte Honverfahren für Zylinderlaufflächen, 2007
Flexibles Vorrichtungssystem Dipl.-Ing. Stefan Schwock Technischer Leiter Kostyrka GmbH Stuttgart
Stefan Schwock Stefan Schwock, Jahrgang 1963, hat sein Studium des allgemeinen Maschinenbaus an der Universität Stuttgart 1991 abgeschlossen. Danach war er am Institut für Werkzeugmaschinen als Wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt. Mit der während seiner Tätigkeit am Institut entstandenen Erfindung, hat er im Jahre 1997 die „Matrix GmbH Spannsystemen und Produktionsautomatisierung“ gegründet. 2003 verkaufte er seine Anteile an der Matrix GmbH und wechselte zur Kostyrka GmbH in Stuttgart als Technischer Leiter. Seit 2009 ist er nun Prokurist der Kostyrka GmbH.
Einleitung In der Fertigung von größeren Freiformteilen kommen in den meisten Fällen werkstückgebundene Vorrichtungen zum Einsatz, d. h. Vorrichtungen, die für eine Werkstückgeometrie ausgelegt sind. Dies gilt ebenso für die Bearbeitung großer dünnwandiger oder instabiler Werkstücke und Bauteile. Bei einem Werkstückwechsel muss dann jeweils die komplette Vorrichtung in der Maschine getauscht werden. Die Folge ist eine immer größer werdende Anzahl an Vorrichtungen. Nachteilig dabei sind neben dem Aufwand und den Kosten für die Konstruktion und Fertigung auch die damit verbundenen Lager- und Logistikosten dieser werkstückgebundene Vorrichtungen. Um diese Nachteile der werkstückgebundenen Vorrichtungen zu umgehen, können Universalvorrichtungen eingesetzt werden, die in der Regel in der Bearbeitungsmaschine bleiben. Erfolgt hier ein Werkstückwechsel, so werden diese Vorrichtungen durch Neupositionierung der Stütz- und Spannelemente auf das neue Bauteil eingestellt. Solche Spannvorrichtungen können je nach Größe und Struktur des Werkstücks mehrere hundert anpassbare Werkstückauflagen aufweisen (vgl. Abb. 1).
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Abb. 1 Flexible Spannvorrichtung (passive Elemente) mit aufgespanntem Flügelholm
Die typischen Einsatzbereiche dieser Universal-Aufspannvorrichtungen sind die Luft- und Raumfahrtindustrie, der Wagonbau bei Schienenfahrzeugen, die Schiffsindustrie, der Prototypenbau der Automobilindustrie, sowie bei Bauteilen, die mit konventionellen Spannmethoden nur schwer zu spannen sind. Hinzu kommen zusätzlich die Bereiche der Mess- und Montagetechnik. UHF-Vorrichtung Die Elemente einer KOSTYRKA UHF-Vorrichtung (Universal Holding Fixture) bestehen prinzipiell aus einer in einem Gehäuse axial verstellbaren Kolbenstange, die über eine KOSTYRKA Klemmbuchse in jeder Position geklemmt werden kann. Hub und Durchmesser dieser Kolbenstange wird entsprechend den kundenspezifischen Randbedingungen festgelegt. Je nach Antriebskonzept zur Bewegung der Kolbenstange werden die UHF-Elemente dabei in passive und aktive Elemente unterschieden (siehe unten). Die Schnittstelle zum Werkstück wird meistens über Vakuumsauger und/oder mechanischen Spannelementen realisiert. Hierbei haben sich aufgrund ihrer definierten Kontaktstelle zum Werkstück Kugelauflagen mit einem entsprechend gestalteten Sauger bewährt. Andere Auflage- oder Spannelemente ebenso wie Indexierelemente sind ebenfalls realisierbar. Weiterhin besitzt jedes Element eine integrierte Druckerzeugung für die hydraulischen Klemmhülsen, sämtliche Elektronik für die Aktorik und Ventiltechnik für die Steuerung der Pneumatik und gegebenenfalls des Vakuums. Aktive UHF-Elemente Aktive Elemente UHF-Elemente besitzen immer einen geregelten Antrieb. Dieser kann sowohl ein busfähiger Servo- als auch ein entsprechender Schrittmotor sein. In Verbindung mit einer Kugelumlaufspindel stellen aktiv Elemente vom Prinzip her eine NC-Achse dar und erlauben somit die programmgesteuerte Positionierung
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der Kolbenstange. Damit lässt sich innerhalb kürzester Zeit die UHF-Vorrichtung programmgesteuert auf die Form des aufzuspannenden Werkstücks einstellen. Die notwendigen Steuerdaten für die erforderliche Position werden dabei im Idealfall direkt aus den CAD-Daten des jeweiligen Werkstücks generiert. Aktive Elemente werden sowohl als Positionier- wie auch als Stützelemente eingesetzt. Durch die Verwendung einer separaten Klemmung für die Kolbenstange in der Sollposition kann der Antriebsstrang kompakt und klein gehalten werden. Er muss lediglich die Masse der Kolbenstange bewegen. Das Halten der Last sowie die Aufnahme der Bearbeitungskräfte geschehen im geklemmten Zustand durch Einleitung über die Klemmhülse direkt in das Gehäuse. Während der Bearbeitung ist der Antriebsstrang somit lastfrei. Prinzipiell kann nach dem Klemmen der Kolbenstange der Antrieb abgeschaltet werden. Dadurch wird die thermische Belastung minimiert und damit die Lebensdauer des Antriebs heraufgesetzt. Passive UHF-Elemente Passive Elemente besitzen keinen oder keinen geregelten Antrieb. Sie übernehmen im Wesentlichen Stützfunktionen des Werkstücks in der Vorrichtung. Sie lassen sich in 3 unterschiedlichen Varianten unterscheiden. In der einfachsten Ausführung wird die Kolbenstange durch eine Handhabungseinrichtung oder durch eine Werkzeugmaschine positioniert. Dabei wird die Stange durch die Maschine auf die jeweilige Position gezogen und anschließend geklemmt (Abb. 2). In dieser Variante kann das Passive Element auch zur Positionierung eingesetzt werden. Weiterhin kann die Kolbenstange ähnlich eines Pneumatikzylinders durch Druckluft bewegt werden. Durch die besondere Luftführung kann dabei der Kolben sehr feinfühlig an die Werkstückkontur angefahren werden. Nach Anliegen am Werkstück wird die Kolbenstange wiederum geklemmt. Diese Varianten dienen im Wesentlichen dazu, das bereits positionierte Werkstück je nach Erfordernissen an unterschiedlichen Stellen zu unterstützen. Bei der dritten Variante ist der Kolben durch Federwirkung ausgefahren und das Werkstück drückt beim Auflegen auf die Vorrichtung die Kolbenstange in die entsprechende Position, in der sie dann geklemmt wird. Wenn federangestellte oder durch Druckluft aktivierte Elemente eingesetzt werden, sind mindestens 3 Punkte zur Referenzierung des Bauteils erforderlich. Diese können z. B. auch durch aktive Elemente realisiert werden. Im Falle eines federangestellten Elements ist der Kolben im ungeklemmten und unbelasteten Zustand komplett ausgefahren. Wenn nun das Werkstück auf die festen Referenzpunkte gelegt wird, wird gleichzeitig der Kolben entsprechend weit eingedrückt. Das Werkstück wird in diesem Fall als Masterteil zur Einstellung der Vorrichtung eingesetzt.
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Das Selbe gilt für luftangestellt Elemente. Hier müssen ebenfalls mindestens 3 Referenzpunkte vorhanden sein. Nachdem das zu bearbeitende Werkstück auf diesen Referenzpunkten aufliegt, können die Kolben durch Druckluft gegen das positionierte Werkstück gefahren und anschließend geklemmt werden.
Abb. 2 Ankopplung der Werkzeugmaschine an die Kolbenstange des UHF-Elements mit Hilfe des Kopplungselements
Gestaltung einer UHF-Vorrichtung Aktive und passive Elemente können in einer hybriden Vorrichtung beliebig kombiniert werden. Hier können dann z. B. die aktiven Elemente die Referenzierung des Bauteils übernehmen, während passive Elemente die Stützfunktion ausüben. Aktive und passive Elemente werden über dieselbe mechanische Schnittstelle in das Grundgestell der Vorrichtung eingesetzt, d. h. aktive und passive Elemente können beliebig getauscht werden. Der Austausch der Elemente kann sowohl manuell als auch mit Hilfe eines Handhabungsgerätes oder der Werkzeugmaschine selbst erfolgen. Sollten sich die Anforderungen an die Vorrichtung ändern, so lässt sie sich durch ihren modularen Aufbau jederzeit erweitern bzw. einzelne Elemente tauschen. Durch diesen Zugang zu den einzelnen Elementen wird auch die Wartung deutlich vereinfacht. Die Verwendung von federangestellten Druckerzeugern für die hydraulische Klemmung der Kolbenstange in den UHF-Elementen ermöglicht es, die Antriebe abzustellen, ohne dass die Sollposition der Kolbenstange verloren geht. Damit können äußerst mobile Vorrichtungen realisiert werden. Dies ist insbesondere in den Bereichen Messtechnik und Montage vorteilhaft. Hier kann das Werkstück mitsamt der Vorrichtung dem jeweiligen Messplatz oder Montagebereich zugeführt werden. Hierbei sind zusätzliche mechanische Spannelemente notwendig, die das Werkstück bei Wegnahme des Vakuums auf der Vorrichtung halten. Aufgrund des besonderen Funktionskonzeptes und der daraus resultierenden Kompaktheit der einzelnen Elemente können auch flexible Vorrichtungen für
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kleine Teile realisiert werden. Durch den kleinsten Elementabstand von 60mm können somit auch Vorrichtungen mit dicht angeordneten Elementen konzipiert werden. Diese können beispielsweise in einem Messraum stationär zum Einsatz kommen. UHF-Vorrichtung im Einsatz Mit einer UHF-Vorrichtung konnte ein führendes Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie seine Kosten zur Fertigung von Tragflügelholmen drastisch senken. Gleichzeitig wurde die Genauigkeit und Qualität der Werkstücke auf ein bisher unerreicht hohes Niveau angehoben. Die konventionelle Fertigung benötigte je Flugzeugtyp vier unterschiedliche, speziell zugeschnittene Vorrichtungen, während jetzt die Flügelholme aller Baureihen mit erheblicher Reduzierung der Fix- und Nebenkosten bearbeitet werden können. Mit der gezeigten Universal-Aufspannvorrichtung kann das gesamte Spektrum aller bestehenden und zukünftig neu zu konzipierenden Werkstücke aufgenommen werden. Dies stellt im Gegensatz zu konventionellen und werkstückgebundenen Vorrichtungen, die nicht an neue Geometrien anpassbar sind, einen außerordentlichen Vorteil dar. Die UHF-Vorrichtung bildet die wichtigste Komponente einer weitgehend automatisierten Fertigungszelle. Insgesamt 58 passive Elemente, aufgeteilt in 25 Gruppen, sind waagrecht angeordnet.
Abb. 3 Gesamtansicht der UHF-Vorrichtung; im Hintergrund ist das Bearbeitungszentrum zu sehen
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Die einzelnen Gruppen bestehen aus jeweils 2 oder 3 Einheiten, welche in sogenannten „Türmen“ übereinander angebracht sind. Die Kolbenstange jedes UHFElements lässt sich ohne großen Kraftaufwand entlang ihrer Achse verschieben. Auch lassen sich die gesamten UHF-Elemente vertikal leicht bewegen. Durch eine Luftlagerung können die Türme, trotz ihres hohen Gewichtes, ebenfalls in Längsrichtung sehr einfach verfahren werden. Diese Beweglichkeit in allen drei Achsen gestattet das freie Positionieren der jeweiligen Werkstückaufnahmen an jeden Punkt innerhalb des Verstellbereichs, wodurch eine außerordentliche Flexibilität dieser UHF-Vorrichtung erreicht wird. Die gesamte Vorrichtung ist etwa 60 Meter lang. Das Positionieren der Einzelelemente geschieht über einen besonderen Adapter an der Spindelnase des mobilen Bearbeitungszentrums. Der Adapter befindet sich zusammen mit den Werkzeugen in einem Magazin und wird bei Bedarf automatisch eingewechselt. Nach dem Positionieren der UHF-Elemente werden alle Achsen geklemmt, wobei die Klemmkraft auch bei Strom- oder Druckluftausfall aufrecht erhalten bleibt. Eine derartige UHF-Vorrichtung gestattet auch parallel ablaufende Arbeitsgänge, wobei Teile der Vorrichtung mit Werkstücken beschickt werden können, während an anderer Stelle ein Bearbeitungs- oder Kontrollvorgang stattfindet. Das vorgestellte Bearbeitungskonzept wird vom Kunden als „grundlegende Technologie für die Fertigung von Tragflügelholmen“ bezeichnet. Zusammenfassung UHF-Aufspannvorrichtungen ermöglichen es, unterschiedlichste Bauteile auf einer Vorrichtung durch definiertes Verstellen der Spann- und Stützelemente in kürzester Zeit aufzunehmen. Zudem erlaubt es diese Flexibilität, jederzeit Änderungen sowohl an den Stütz- als auch an den Spannelementen vorzunehmen. UHFVorrichtungen können somit einen Großteil werkstückgebundener Vorrichtungen ersetzen. Durch den damit verbundenen Wegfall an Konstruktions-, Fertigungsund Lagerungsaufwand sowie den drastisch verkürzten Rüstzeiten und dadurch reduzierten Rüstkosten dieser Vorrichtungen stellt eine UHF-Vorrichtung mehr als eine wirtschaftliche Alternative dar.
Untersuchung der thermischen Wirkungen beim orthogonalen Zerspanen Dr. Sc. M. Storchak, Dr.-Ing. T. Stehle Institut für Werkzeugmaschinen, Universität Stuttgart
Dr. Michael Storchak
Dr. Thomas Stehle
Dr. Sc. Michael Storchak, geb. 1952, studierte bis 1974 Maschinenbau an der Technischen Universität Kirowograd/Ukraine. 1984 promovierte und 1994 habilitierte er während seiner Tätigkeit am Institut für Superharte Materialien der Nationalen Akademie der Ukraine in Kiew. Seit 1998 ist er akademischer Mitarbeiter des Instituts für Werkzeugmaschinen (IfW) der Universität Stuttgart. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich der Untersuchung, Auslegung, Modellbildung und Verifikation von Zerspanprozessen sowie der experimentellen und simulativen Untersuchung des statisch-dynamischen und thermischen Verhaltens von Werkzeugmaschinen. Dr.-Ing. Thomas Stehle, geb. am 01.02.1962, studierte bis 1989 Allgemeiner Maschinenbau an der Universität Stuttgart mit den Schwerpunkten Werkzeugmaschinen und Kunststoffkunde. Von 1989 bis 1992 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) der Universität Stuttgart im Bereich der Maschinenuntersuchung und seit 1992 nimmt er die Funktion des Oberingenieurs im selben Institut wahr. 1998 promovierte er auf dem Gebiet des thermischen Verhaltens von Werkzeugmaschinen. Neben seinen Aufgaben als Oberingenieur hinsichtlich der Projektakquisition sowohl im Bereich der Grundlagenforschung als auch in der angewandten Forschung sowie der fachlichen, finanziellen und personellen Verwaltung der laufenden Forschungsvorhaben ist Dr. Stehle auch intensiv in den Lehrtätigkeiten des Instituts eingebunden. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wechselwirkungen des thermischen und dynamischen Verhaltens von Werkzeugmaschinenstrukturen im Zusammenwirken mit dem zugrunde liegenden Zerspanprozess.
Der vorliegende Artikel behandelt Ergebnisse von theoretischen und experimentellen Untersuchungen über die thermischen Einflüsse auf das Verhalten der beteiligten Maschinenstruktur und der Zerspantemperatur in den primären, sekundären und tertiären Zerspanzonen beim orthogonalen Zerspanen. Die mit Hilfe der FEMethode des Programms „ANSYS“ gewonnenen Simulationsergebnisse werden
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mit den ermittelten experimentellen Daten verglichen und verifiziert. Die Ermittlung der Zerspantemperaturen erfolgte mittels halbkünstlicher Thermopaare, wobei entweder das Werkstück oder das Werkzeug einen Schenkel des Thermopaars bildet. Die Ergebnisse können sowohl als Hilfsmittel für das Konstruieren und Auslegen der Zerspanwerkzeuge als auch für die Untersuchung der Zerspanprozesse im Allgemeinen eingesetzt werden. Die beschriebenen Arbeiten wurden im Vorhaben „Entwicklung und experimentelle Verifikation eines Simulationstools für die Prognose und Beeinflussung der dynamischen und thermischen Wechselwirkungsprozesse beim Zerspanen“ durchgeführt, welches im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1180 Prognose und Beeinflussung der Wechselwirkungen von Strukturen und Prozessen (ProWeSP) von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG gefördert wird. Einführung In den bisher bekannt gewordenen Untersuchungen zur gekoppelten Simulation der Wechselwirkungen zwischen der mechanischen Struktur einer Werkzeugmaschine und dem zugrunde liegenden Bearbeitungsprozess wurden lediglich die statisch-dynamischen Wechselwirkungsprozesse berücksichtigt. Die thermischen Prozesse, die aber einen wesentlichen Einfluss sowohl auf die mechanische Struktur der Maschine als auch auf den Bearbeitungsprozess selbst ausüben, wurden dabei nicht berücksichtigt. Im vorliegenden Artikel werden experimentelle und simulative Untersuchungen zur Ermittlung bzw. Berücksichtigung der thermischen Einflüsse auf die Maschinenstruktur an einem exemplarischen Versuchsstand vorgestellt. Die Untersuchungen dienen als Basis für die anschließende gekoppelte Simulation zwischen dem dynamisch-thermischen Strukturverhalten der Werkzeugmaschine einerseits sowie dem Zerspanprozess andererseits. Aufgrund der plastischen Verformung des zu bearbeitenden Werkstoffs sowie durch Trenn- und Reibvorgänge in den jeweiligen Zerspanzonen kommt es bei Bearbeitungsprozessen zur Erwärmung des abgetrennten Spans, des Werkzeugs, des Bauteils und der Umgebung. Die Erwärmung stellt dabei einen Grenzwert dar, der die Produktivität des Bearbeitungsprozesses begrenzt und eine erhebliche Wirkung auf die Qualität und Genauigkeit der zu zerspanenden Bauteile ausübt. Dieser Einfluss macht sich insbesondere bei der Optimierung, d.h. meistens bei der Maximierung der Schnittparameter, sowie bei der Bearbeitung von Werkstoffen mit hohen mechanischen Eigenschaften bzw. hochlegierten Metallen bemerkbar. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit einer angepassten Steuerung bzw. Auslegung der thermischen Prozesse, die in den Zerspanzonen bei der Bearbeitung stattfinden, vor allem bei automatisierten Fertigungsabläufen, zur Aufrechterhaltung der Prozesssicherheit und zur Gewährleistung der geforderten Genauigkeit und Form der zu bearbeitenden Bauteile während des Prozessverlaufs. Derartige Anforderungen setzen jedoch die Bestimmung der Zerspantemperaturen voraus, was u. a. Gegenstand des vorliegenden Artikels ist.
Untersuchung der thermischen Wirkungen bei orthogonalen Zerspanen
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Stand der Technik Thermisches Verhalten von Werkzeugmaschinen Erste wissenschaftliche Untersuchungen zum thermischen Verhalten von Fertigungsmaschinen wurden bereits im Jahre 1920 durchgeführt. Mit den Arbeiten zu Beginn der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts gewann die Thematik bei Werkzeugmaschinen mehr an Bedeutung und ist bis heute Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher, aber auch anwendungsorientierter Untersuchungen. Ziel dieser Entwicklungen war es stets, die Auswirkungen der thermischen Randbedingungen zu minimieren und auf diesem Wege die Genauigkeit der Fertigungsmaschinen zu erhöhen. Eine umfassende Darstellung über die das thermische Verhalten von Werkzeugmaschinen bestimmenden Störgrößen, die herrschenden Wirkzusammenhänge und die Möglichkeiten zur Verringerung der Störgrößen [6], [22] sowie ein erster allgemeiner Überblick über Kompensationsmöglichkeiten [49], [50] wurde Mitte und Ende der 70er Jahre zusammengefasst. 1990 und 1995 wurden im Rahmen von CIRP-Konferenzen der internationale Forschungsstand auf dem Gebiet thermischer Untersuchungen [4], [35] veröffentlicht. Die meisten der genannten Arbeiten beziehen sich auf die Untersuchung des Einflusses innerer Wärmequellen auf das thermische Verhalten von Werkzeugmaschinen. Bei Maschinen kleinerer Baugröße sind als Ursache für eine thermische Belastung vor allem maschineninterne Wärmequellen anzusehen. Äußere Wärmequellen machen sich dagegen vor allem bei Großwerkzeugmaschinen bemerkbar, die aufgrund ihrer Baugröße bereits auf geringe Temperaturunterschiede mit zum Teil erheblichen Verformungen reagieren [17], [57]. Untersuchungen zum Einfluss von äußeren Wärmequellen auf das thermische Verhalten von Werkzeugmaschinen sind u.a. in [51], [56] dargestellt. Die Fortschritte im Bereich der Konstruktion stoßen jedoch oftmals an die Grenzen der Wirtschaftlichkeit und des technisch Machbaren. Aus diesen Gründen wurden in den vergangenen Jahren große Anstrengungen im Bereich der steuerungsbasierten Kompensation von thermisch bedingten Verformungen und Verlagerungen entwickelt, welche sich in korrelative, eigenschaftsbasierte und strukturbasierte Modelle unterteilen lassen, z.B. [15]. Die Korrekturwerte für Kompensationssteuerungen wurden hauptsächlich mit Hilfe von Regressionsmodellen unterschiedlicher Komplexität und durch experimentelle Untersuchungen bestimmt. Diese Werte gelten hierbei nur für den jeweils untersuchten Werkzeugmaschinentyp und die dem Versuchsablauf zugrundeliegenden Bedingungen. Die Varianten reichen von einer aus dem Vergleich gewonnenen, verlagerungsproportionalen Temperaturmessstelle [6], [28], der linearen Regression [26], bis hin zur multiplen Regression [1], [22], [42]. Die Darstellung durch Zusammenfassung der Messgrößen in Bezug auf die Relativverlagerung in Matrizenform wurde in [58], [54] untersucht. Durch Erweiterung um eine direkte Erfassung der Verlagerungen mit Hilfe eines Messtasters kann die
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Genauigkeit derartiger Systeme wesentlich verbessert werden [2], [24], [59]. In [8] wird eine Methode beschrieben, die Korrekturwerte mit Hilfe von online an der Maschinenstruktur gemessenen Temperaturwerten und eines FE-Modells strukturbasiert berechnen. [20] beschreibt eine Methode, den Wärmeeintrag von NC-Achsen objektorientiert an Hand der Stellung und Bewegung der einzelnen Achsen in einem Modell mit Hilfe der Simulationssoftware Dymola zu beschreiben, welches die berechneten Temperaturdaten anschließend mit einem FEModell koppelt. Die Simulation von thermischen Vorgängen hat stets die Berechnung von Verlagerungen und Verformungen der Maschinenstrukturen auf Basis von Wärmeübertragungsmechanismen zur Zielsetzung. In [29], [47], [52] wurden numerische Modelle entwickelt, die die Leistungsverluste, unterschiedliche Arten der Kühlung sowie die Art der Betriebssituation berücksichtigen. Ein weiterer Schritt in der Entwicklung von Simulationsmodellen stellen Knotenpunktmodelle dar [14], [16], [36]. Hierbei erfolgt eine Untergliederung der Maschinenstruktur in einzelne Teilabschnitte, deren spezifische Eigenschaften mit Hilfe von Parametern beschrieben werden können. Die Herausforderung hierbei liegt in der Ermittlung und Bestimmung geeigneter Parameter [23], [43], [47]. Vorteil dieser Simulationsmodelle ist die zeitliche Auflösung der Wärmevorgänge, da die entsprechenden Temperaturen instationär berechnet werden können. Auf Grund der gestiegenen Rechenleistungen heutiger Computer finden Simulationen auf Basis der Finiten-Elemente-Methode (FEM) immer weitere und umfangreichere Anwendungsmöglichkeiten. Thermische belastungsorientierte FEMModelle stehen jedoch nach wie vor am Anfang ihrer Entwicklung. Herausforderungen stellen hauptsächlich rotierende und bewegte Bauteile, Bauteilschnittstellen, die Ermittlung und Bestimmung der signifikanten Parameter sowie die Entwicklung geeigneter Bausteine und Vereinfachungsmaßnahmen für die unterschiedlichen thermischen Effekte dar. In [40] werden Modellreduktionen als weitere, notwendige Maßnahmen für die Entwicklung von thermischen FEMModellen dargestellt. [41], [60], [61] zeigen in diesem Zusammenhang eine mögliche Herangehensweise an die thermische Simulation von Werkzeugmaschinenkomponenten am Beispiel der bestehenden Potentiale im Bereich der Lager- und Führungstechnik. Besonderes Augenmerk wurde hier auf Methoden zur Simulation von internen Schnittstellen und die Ermittlung der hierfür nötigen Parameter gelegt. Inwiefern diese Methoden auf komplexe Maschinenkomponenten, bis hin zu einem Gesamtmaschinenkonzept anzuwenden sind, ist jedoch noch zu untersuchen. Im Gegensatz zu dynamischen Betrachtungen, bei denen durch die Anwendung von Sensitivitätsanalysen bereits Verbesserungen an z.B. Parallelkinematikmaschinen oder Kugelgewindetrieben erzielt wurden [11], sind Arbeiten zur thermischen Simulation von Wärmequellen und Schnittstellen innerhalb von komplexen Maschinenstrukturen mit Hilfe der Sensitivitätsanalyse und der Entwicklung von Simulationsbausteinen jedoch bisher noch nicht bekannt geworden.
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Instationäre Simulationen auf Basis von FEM sind bislang nur im Bereich der Modellierung von Temperatur- und Wärmevorgängen während eines Bohrprozesses und dessen Folgebearbeitungen innerhalb des Werkstückes in [9], [62] beschrieben. Im Unterschied hierzu befinden sich die Entwicklungen zu standardisierten Modulen für die Simulation von Vorschubachsen und deren Schnittstellen sowie die Optimierung der notwendigen Reduktion der Elementeanzahl und von Sensitivitätsanalysen hinsichtlich des Berechnungs- und Erstellungsaufwands erst am Anfang. In [3] wird hierzu eine Möglichkeit beschrieben, FEM-Modelle zur Simulation des Systems Werkzeugmaschine, Antriebe und Zerspanprozess, insbesondere die Schwingungssimulation einer Vorschubachse, durch eine Ordnungsreduktion der entstehenden FEM-Differentialgleichungssysteme zu vereinfachen. Untersuchung der Temperaturen beim Zerspanen Für die experimentelle Erfassung der Temperaturen beim Zerspanen werden die unterschiedlichsten Methoden und Techniken eingesetzt. Eine mögliche Methode besteht in der Nutzung von Temperaturmessfarben (auch thermochromatische Farben oder Thermochromfarben genannt) mit Hilfe spezieller Beschichtungswerkstoffe, die Temperaturveränderungen durch Farbumschlag beziehungsweise Farbtonveränderung anzeigen [46]. Eine derartige Temperaturmessung ist aber bei den derzeit üblichen Schnittgeschwindigkeiten nicht möglich, da die Zeit für das Erreichen eines für die Messung notwendigen thermisch stationären Zustandes länger ist als die Prozessdauer selbst. Die aktuell häufig angewendeten Methoden unterteilen sich in thermoelektrische und Strahlungsmessmethoden [39]. Den thermoelektrischen Messverfahren liegt der Seebeck-Effekt zugrunde [21]. Zu den weit verbreiteten thermoelektrischen Methoden gehören die in das Messobjekt zu integrierenden Thermoelemente, die sich in Form von gekapselten Thermopaaren, Mantelthermoelementen und Eindrahtthermoelementen unterscheiden [39], sowie die sogenannten Werkzeug-Werkstück-Thermoelemente [53]. Die erst genannte Messmethode besitzt eine relativ geringe zeitliche Auflösung, ist aber mit der Schwierigkeit der Einbringung des Thermoelements direkt in die Zerspanzone verbunden. Eine Ausnahme stellen die Eindrahtthermoelemente dar, die relativ leicht in der sekundären Zerspanzone angebracht werden können [31]. Das Hauptproblem bei diesem sowie beim Werkzeug-Werkstück-ThermoelementMessverfahren stellt die Kalibrierung der Messkette dar. Daher sind diese Messmethoden nicht so verbreitet. Auch soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass bei der Anwendung der Werkzeug-Werkstück-Thermoelement-Methode eine mittlere Zerspantemperatur in der Kontaktzone gemessen wird [39]. Die Messung der Zerspantemperaturen mit den Strahlungsmessmethoden Pyrometrie und Thermographie hat in der letzten Zeit enorm an Bedeutung gewonnen. Unter Pyrometrie versteht man eine berührungslose Bestimmung der absoluten Temperatur über die Messung der Körpereigenstrahlung ohne räumliche Abtastung des Objektfelds [7]. Im Gegensatz dazu wird bei der Thermographie ein Bild der Temperaturverteilung bestimmt. Hier geht es um die Messung relativer
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Temperaturunterschiede und nicht die absoluter Werte wie bei der Pyrometrie. Die Strahlungsmessmethoden besitzen grundsätzlich eine wesentlich höhere Zeitauflösung als die thermoelektrische Methode, wobei die Pyrometrie aufgrund ihres Prinzipaufbaus schneller als die Thermographie ist. Darüberhinaus handelt es sich hierbei um berührungslose Messmethoden, was eine wesentlich höhere Flexibilität der Messungen gewährleistet. Berührungslose Messmethoden weisen aber einen bestimmten Messfehler aufgrund einer sich in der freien Luft bildenden Schicht auf den zu messenden Oberflächen auf. Die Schicht verfälscht die Messergebnisse, eine Kalibrierung ist nur mit großem Aufwand möglich. Parallel mit der Entwicklung experimenteller Messmethoden zur Erfassung von Zerspantemperaturen werden aktuell auch umfangreiche Untersuchungen zur simulativen Bestimmung von Zerspantemperaturen durchgeführt. Die Entwicklung von unterschiedlichen Berechnungs- und Simulationsmethoden sowie ihrer Anwendungsprogramme, die in den achtziger und neunziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts ihren Anfang nahm, gab einen weiteren Anstoß für die Modellierung von Zerspanprozessen. Unterschiedliche Berechnungsverfahren wie z.B. FDM Finite Differenzen Methode, FEM - Finite Elemente Methode, BEM - Boundary Element Method und die DEM - Diskrete Elemente Methode sind das Ergebnis dieses Entwicklungsprozesses. Bei der Anwendung numerischer Berechnungsverfahren wird überwiegend die Methode der Finiten Elemente herangezogen [25], [48], [63]. Einer der Hauptvorteile dieser Methode ist die Möglichkeit, Deformations- und Geschwindigkeitsfelder sowie Temperaturverteilungen und andere Größen in einem beliebigen Schnitt durch die Zerspanzone bestimmen zu können. Eine ausführliche Analyse des Einsatzes der FEM für die Simulation von Zerspanprozessen wird in [33], [34] gegeben. Seit Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden auch thermomechanische bzw. thermo-elastisch-plastisch gekoppelte FEM-Zerspanmodelle entwickelt [5], [10], [18], [19], [30], [55], [64]. Die in dieser Zeit erarbeiteten Simulationsmodelle widmeten sich nicht nur dem elementaren orthogonalen Schnitt, sondern auch realen 3D-Bearbeitungsprozessen wie dem Bohren und Fräsen, siehe [11], [45]. Ermittlung der Wärmeflüsse in Zerspanprozessen Wie bereits zuvor im Stand der Technik erwähnt, besteht das Hauptziel thermischer Betrachtungen generell in der Entwicklung einer allgemeingültigen Vorgehensweise zur Untersuchung, Modellierung und Vorausbestimmung des thermischen Verhaltens einer Werkzeugmaschine in Abhängigkeit möglichst aller relevanten Wärmequellen mit Hilfe einer gekoppelten Simulation. Zu untersuchen (experimentell und/oder simulativ) sind dabei die qualitativen und quantitativen Zusammenhänge zwischen den einzelnen thermischen Belastungsarten in Form von Wärmeflüssen – sowohl innerhalb der Maschine im Zusammenwirken mit dem Zerspanprozess als auch mit der Umgebung – und den
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sich daraus einstellenden thermisch bedingten Verlagerungen und Verformungen. Abbildung 1 zeigt die auf Werkzeugmaschinen wirkenden inneren und äußeren Wärmequellen, die entsprechend ihrer Wirkungsweisen in Wirkungskomplexe aufgeteilt sind. Bei den Komplexen 1 bis 4 handelt es sich um innere Wärmequellen, die aufgrund des durch Energieumwandlung entstehenden Wärmestroms auf den thermischen Grundzustand der Maschine wirken. Die inneren Wärmequellen unterteilen sich in Maschinenverluste, bestehend aus eingeschalteter Maschine in Lageregelung (Komplex 1), Antriebsverluste (Komplex 2) und Verluste durch Zusatzaggregate für Kühlung bzw. Temperierung (Komplex 3). Der 4. Komplex der inneren Wärmequellen wird durch die bei einem Fertigungsprozess entstehenden Bearbeitungsverluste gebildet. Neben den inneren Wärmequellen üben auch äußere Wärmequellen durch einen Wärmestrom aus der Umgebung einen Einfluss auf den thermischen Grundzustand der Maschine aus. Die äußeren Wärmequellen werden unterteilt in Quellen mit Wärmeleitung durch molekulare Bewegung, bestehend aus der die Maschine umgebenden Luftströmungen (Komplex 5) und der Erwärmung bzw. Abkühlung des umgebenden Raums (Komplex 6), und in Quellen mit Wärmeleitung ohne Materie, d.h. Wärmestrahlung (Komplex 7).
Abb. 1 Einteilung der thermischen Störgrößen in Wirkungskomplexe
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Bei der Ermittlung von Wärmeflüssen in der Maschinenstruktur und Wärmeübergängen mit der Umgebung besteht das Problem, das allen thermischen Untersuchungen zugrunde liegt: der nicht möglichen eindeutigen Abgrenzung bzw. Unterscheidung zwischen den einzelnen Wärmewirkungskomplexen. Soll beispielsweise der umgebende Raum auf einer konstanten Temperatur (z.B. mit Klimakammer) gehalten werden, so wird zur Abfuhr der von der Maschine abgegebenen Wärmemenge ein bestimmter Luftdurchsatz benötigt, d.h. der wie in Abbildung 1 als Komplex 5 definierte Einfluss kann in seiner Wirkung auf die inneren Wärmequellen der Maschine nicht vernachlässigt werden. Dagegen würde das Nichtabführen der von der Maschine abgegebenen Wärmemenge unweigerlich zu einer Erwärmung der Umgebungstemperatur mit einer Wärmeflussrichtung von unten nach oben führen, was wiederum zu einer thermischen Beeinflussung der Maschine durch den umgebenden Raum führt. Erfolgt die Klimatisierung des umgebenden Raumes nicht über die kontinuierliche Zufuhr neuer Luft mit konstanter Temperatur, sondern über Wärme- bzw. Kältestrahler, so steigt der Einfluss des Komplexes 7 in gleichem Maße wie sich der Einfluss der Komplexe 5 und 6 reduziert. Daraus lässt sich folgern, dass sich bei der Durchführung thermischer Untersuchungen der Einfluss der äußeren Wärmequellen nie gänzlich ausschließen lässt, es besteht somit eine Art von thermischer makroskopischer Unschärfe. Zielsetzung Das Ziel thermischer Entwicklungen sind somit die Identifikation und mathematische Beschreibung der thermischen Wechselwirkungen zwischen dem Zerspanprozess, der beteiligten Maschinenstruktur, des Werkzeugs und dem Werkstück. Ein hierfür notwendiges Simulationstools setzt sich aus drei zu verbindenden Modulen (gekoppelte Simulation) zusammen: ein Modul zur Simulation des dreidimensionalen Zerspanprozesses (z.B. auf Basis der Finiten Elemente Methode FEM oder der Diskreten Elemente Methode DEM), ein Modul zur Simulation des thermischen Verhaltens der mechanischen Struktur der Werkzeugmaschine und letztendlich das Koppelmodul, in dem die zuvor genannten Module zu einer einheitlichen Simulationsumgebung verbunden bzw. gekoppelt werden. Versuchsaufbau und Versuchsdurchführung der experimentellen Untersuchungen Untersuchung des thermischen Verhaltens von Maschinenstrukturen Die durchgeführten experimentellen Untersuchungen an der Struktur des Versuchsstandes hatten das Ziel, die Wärmeflüsse in der vorliegenden Maschinenstruktur sowie die thermischen Verlagerungen der einzelnen Bauteile zu erfassen. Die Wärmeflüsse wurden durch die Ermittlung der Temperaturänderungen in den Bauteilen und -gruppen bestimmt. Für die experimentelle Untersuchung der Wirkung der Umgebungstemperatur auf die Wärmeflüsse in der Struktur wurde der Versuchsstand zusammen mit allen für die Untersuchungen benötigten Messmit-
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teln in einer regelbaren Klimakammer untergebracht. Die Umgebungstemperatur wurde im Verlauf der Untersuchungen in einem Bereich von +14°C bis +36°C reproduzierbar variiert. Abbildung 2 zeigt die untersuchten Temperaturmesspunkte, wobei hier die aus thermischer Sicht kritischen Stellen gewählt wurden.
Abb. 2 Gewählte Temperaturmessstellen an der Versuchsstandsstruktur
Ein Überblick über den gewählten Messaufbau zur experimentellen Untersuchung der Wärmeflüsse in der mechanischen Struktur ist in Abbildung 3 a gegeben. Die beispielhafte Applikation eines Thermoelements an der mechanischen Struktur zeigt Abbildung 3 b. Es wurden Thermoelemente des Typs K verwendet.
a)
b)
Abb. 3 Ansicht des Messaufbaus a) und eines applizierten Thermoelements b)
Die thermisch bedingten Verlagerungen und Verformungen der einzelnen Baugruppen und der Teile der Maschinenstruktur wurden sowohl absolut als auch relativ gemessen. Gemäß Abbildung 4 a erfolgte die absolute Messung an einer Stelle außerhalb des Versuchsaufbaus, Abbildung 4 b zeigt die Vorgehensweise der relativen Messung zwischen dem Werkzeug und dem Werkstückspannsystem.
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Um Messfehler zu minimieren, erfolgte die Erfassung der absoluten und relativen Verlagerungen mit Hilfe von Stativkomponenten, Ständern und Spannkomponenten aus Invarstahl. Dieser Werkstoff besitzt einen wesentlich kleineren Wärmeausdehnungskoeffizienten als andere metallische Werkstoffe. Die Messung der Verlagerungen erfolgte mit Wirbelstromaufnehmern.
a)
b)
Abb. 4 Aufbau zur Messung der absoluten a) und relativen b) thermisch bedingten Verlagerungen
Die Signalerfassung erfolgte mit einer im Messrechner eingebauten Multifunktionsmesskarte mit 32 Messkanälen des Typs „PCI-6071“ der Fa. National Instruments. Die softwareseitige Erfassung und Bearbeitung sowie die Steuerung und Auswertung der Signale wurde mittels eines unter der LabVIEW-Oberfläche 7.1 entwickelten Programmkomplexes realisiert, der aus zwei separat voneinander funktionierenden LabVIEW-Programmen besteht. Ein Programm dient der Erfassung und Visualisierung von Daten und das andere der statistischen Auswertung der Temperaturen und Verlagerungen. Zu den Hauptmerkmalen des Programms für die Erfassung und Visualisierung gehören die Wahlmöglichkeit der Triggerart, die Online-Beobachtung der gemessenen Signale und die Möglichkeit zum Speichern der erfassten Informationen im Textformat. Das Programm für die statistische Auswertung besteht aus einem Leitprogramm und vier Unterprogrammen, die die Funktionen der Berechnung von statistischen Signalcharakteristiken, der Verschiebung der Messkurven in einen Ausgangspunkt und die notwendige Matrizentransformation enthält. Die Ausgabe der Daten erfolgt organisiert in Tabellenform für jedes Signal sowie für die zu einer Gruppe gehörenden Signale. Die berechneten Daten werden in einer Textdatei gespeichert. Untersuchung der Temperatur in den Zerspanzonen Die experimentellen Untersuchungen zur Ermittlung der Temperaturen in den primären, sekundären und tertiären Zerspanzonen wurden mithilfe halbkünstlicher Thermopaare durchgeführt, welche auf dem Seebeck-Effekt [13], [32] beruhen und somit zu der Methode der Eindrahtthermoelemente nach der Klassifizierung von [39] gehören. Insgesamt wurden zwei Methoden angewendet.
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Mit der ersten Methode kann die Temperaturverteilung im Werkstück sowie im Span untersucht werden. Dabei bestand ein Schenkel des Thermopaars aus einem Konstantandraht, der andere Schenkel wurde durch den zu bearbeitenden Werkstoff gebildet. Somit entsteht ein Thermoelement vom Typ J. Vor den eigentlichen Messungen wurden Konstantandrähte mit unterschiedlichen Durchmessern von 0,02 mm bis 0,1 mm hinsichtlich ihrer Eignung geprüft. Die besten Ergebnisse bzgl. ihrer Auflösung und Stabilität haben Drähte mit dem Durchmesser von 0,03 mm erbracht. Diese wurden letztendlich für die Untersuchungen eingesetzt. Das prinzipielle Schema dieser Messmethode ist in Abbildung 5 a gezeigt. Gemäß des Schemas in Abbildung 5 a werden die Drähte mit Hilfe eines Kondensatorschweißgeräts mit der Probe bzw. dem Werkstück verschweißt, wobei jeder einzelne Konstantanschenkel auf eine vorher bestimmte Höhe hi sowie Länge relativ zur Probengrenze platziert wird. Sind der genaue Messstart, welcher mit Hilfe eines Triggers bestimmt wird, und die Schnittgeschwindigkeit bekannt, so können die Abstände li berechnet werden. Somit kann die genaue Position der einzelnen Konstantanschenkel relativ zu der Schneidkeilspitze und dementsprechend die genaue Position des zu messenden Punktes berechnet werden. Eine Probe mit den eingeschweißten Konstantandrähten ist in Abbildung 5 b dargestellt.
a)
b)
Abb. 5 Schema des Aufbaus zur Temperaturmessung a) und Werkstück mit geschweißten Thermopaaren b)
Mit der zweiten Methode kann die Temperaturverteilung an der Grenze zwischen Schneidkeil und Span untersucht werden. In diesem Fall wird ein Schenkel des Thermopaars durch eine Konstantanfolie gebildet, die zwischen zwei Hartmetallplatten 1 und 2 eingespannt wird, siehe Abbildung 6 a. Als zweiter Schenkel wird das Werkstück benutzt. Die Konstantanfolie und das ganze Werkzeug werden von den oberen und unteren Schneidplatten isoliert, siehe Abbildung 6 b. Je nach relativer Lage der oberen und unteren Schneidplatten zueinander sowie je nach Art des Werkzeug-Anschliffs kann die Position der Folie relativ zur Schneidkeilspitze verändert werden. Somit lassen sich die Kontakttemperaturen an unterschiedlichen Punkten messen, die überwiegend in der sekundären Zerspanzone liegen. Wie bei der ersten Methode liegt hier ein Thermoelement des Typs J vor.
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Die Erfassung und Bearbeitung der Signale erfolgte mit Hilfe einer in den Messrechner eingebauten Messkarte des Typs „PCI-6133“ der Fa. National Instruments mit 32 simultanen Messkanälen. Die softwareseitige Erfassung und Bearbeitung sowie die Steuerung und Auswertung der Signale erfolgte mittels eines unter der LabVIEW-Oberfläche 7.1 entwickelten Programms.
a)
b)
Abb. 6 Modell des Meissels a) und Ansicht des eingesetzten Werkzeugs b)
Temperaturfelder in der mechanischen Maschinenstruktur Parallel zu den dynamischen Wechselwirkungen besitzen auch die thermischen Wechselwirkungen einen wesentlichen Einfluss auf die Strukturstabilität der Werkzeugmaschine sowie auf die erreichbare Bearbeitungsgenauigkeit und Oberflächengüte am Werkstück. Um diese Wechselwirkungen zu berücksichtigen, sind thermische Modelle in das Simulationstool für die Modellierung der Wechselwirkungen (gekoppelte Simulation) zu integrieren. Bei der Integration müssen dabei die unterschiedlichen Zeitskalen des Zerspanprozesses sowie die des dynamischen und thermischen Maschinenverhaltens berücksichtigt werden. So beträgt die Zeitkonstante für das Zerspanen durchschnittlich etwa 10-5 s, der dynamische Schwingungsprozess einer Werkzeugmaschine äußert sich mit einer Zeitkonstanten von ca. 10-3 s und die Konstante für den thermischen Prozess bewegt sich im Bereich von mehreren Sekunden bis Minuten. Die Beschreibung des thermischen Verhaltens der mechanischen Maschinenstruktur am Beispiel eines Versuchsstands erfolgte mit einem hierzu erstellten FEModell. Für die Modellentwicklung wurden alle relevanten thermischen Quellen des Versuchsstands definiert – Abbildung 7. Die thermischen Wirkungen im Versuchsstand werden wie allgemein bekannt durch den Zerspanprozess selbst, die Hauptspindel, den Betrieb der Vorschubantriebe und durch Änderungen der Um-
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gebungstemperatur verursacht. Im betrachteten Beispiel des Versuchsstands ist der Einfluss des Zerspanprozesses aufgrund des gewählten geringen Zerspanvolumens vernachlässigbar. Der Einfluss des Lineardirektantriebs kann ebenfalls vernachlässigt werden, da die innere Temperatur des Antriebs nicht über 70°C ansteigt und sich nach außen an der Oberfläche mit Werten, die eine Größe von 30°C nicht übersteigen, äußert. Eine Hauptspindel ist im Versuchsstand nicht vorhanden. Lediglich die Umgebungstemperatur übt eine maßgebliche Wirkung auf das Versuchsstandsverhalten aus [23] und [52]. Dieser Einfluss ist im Simulationstool durch die Integration des Maschinenverhaltensmodells zu berücksichtigen.
Abb. 7 FE-Modell des Versuchsstandes mit den relevanten thermischen Wärmequellen
Das FE-Modell des thermischen Maschinenverhaltens wurde mit Hilfe der kommerziellen Software ANSYS in Form einer Temperatur-Struktur gekoppelten Aufgabe erstellt und gelöst [37], [38]. Bei der Lösung der thermischen Aufgabe wurden die aufgrund von Umgebungstemperaturänderungen entstehenden Wärmeflüsse entsprechend der festgelegten Temperaturquellen als Belastung angenommen. Dabei wurde festgelegt, dass die Umgebungstemperatur sich von +14°C bis +36°C ändert. Bei der Lösung der Aufgabe wurden die Wärmeflüsse sowie Temperaturfelder als thermische Aufgabe und anschließend die aufgrund der Umgebungstemperaturänderungen entstehenden Verlagerungen der Maschinenstruktur als eine gekoppelte Temperatur-Struktur Aufgabe berechnet. Für die Erstellung und Lösung des thermischen Teils wurde der Finite Elemente Typ Solid70 und für die Lösung des strukturellen Teils der Typ Solid185 eingesetzt. Abbildung 8 zeigt die Entwicklung der Temperaturverteilung in der Maschinenstruktur des Versuchsstands für eine variierte Dauer der Temperatureinwirkung von 10.000 s (a), 20.000 s (b), 30.000 s (c) und 40.000 s (d).
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a)
b)
c)
d)
Abb. 8 Entwicklung der Temperaturverteilung in der Maschinenstruktur über der Zeit
Aus der Bildanalyse kann wie erwartet festgestellt werden, dass sich Bauteile bzw. Baugruppen mit größeren Massen langsamer erwärmen, als solche mit kleineren Massen. Dies zeigt sich besonders bei der Betrachtung des Temperaturgradienten im Maschinenbett, welches aus Polymerbeton gefertigt ist. Bauteile bzw. Baugruppen wie die Streben, die Führungen, das Portal und das Werkzeug erwärmen sich, wie die Berechnungen zeigen, bis zu ihrem jeweiligen Beharrungszustand relativ schnell. Somit reagieren diese Bauteile bzw. Baugruppen relativ schnell auf eine Änderung der Umgebungstemperatur, siehe Abbildung 9 a sowie teilweise Abbildung 9 c und Abbildung 9 d. Dagegen dauert die Erwärmung des Tisches und insbesondere des Bettes bis zum Beharrungszustand mehrere Stunden, siehe Abbildung 9 b und teilweise Abbildung 9 c. Weiterhin ist eine längere Erwärmungsdauer bis zum Beharrungszustand bei denjenigen Bauteilen und -gruppen festzustellen, die einen ausgeprägten Kontakt zu massiven Komponenten haben, wie z.B. die auf dem Bett sitzende Grundplatte des Spannbocks. Dieser Unterschied ist bei der Einbindung bzw. der Integration der thermischen Einflüsse in die gekoppelte Simulation zu berücksichtigen. Auf den ersten Blick können die thermischen Prozesse in einigen Bauteilen und Baugruppen bei der gekoppelten Simulation aufgrund der Dauer ihrer Erwärmung vernachlässigt werden. Die Wärme-
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flüsse rufen aber eine entsprechende Änderung der Position der Bauteile und – gruppen relativ zueinander hervor. Dies wiederum führt zum Öffnen oder Schließen der betreffenden Füge- und Schnittstellen, wodurch sich die Steifigkeiten der Verbindungen und somit die dynamischen Eigenschaften der Maschinenstruktur mit der Zeit ändern. Dieser Effekt ist ebenfalls im Modell der Maschinenstruktur zu berücksichtigen.
a)
b)
c)
d)
Abb. 9 Simulierte Temperaturänderungen der Baugruppen bei Erwärmung
Die beispielhafte Darstellung des Temperaturverlaufs in der Umgebung und auf der Oberfläche des Versuchsstandstisches ist in Abbildung 10 zu sehen. Wie es bei solchen Signalverläufen üblich ist, können im Temperaturdiagramm drei Bereiche unterschieden werden: Erwärmungsphase - I, Beharrungszustand - II und Abkühlungsphase - III. Der Verlauf wiederholt sich an jedem Messpunkt des jeweiligen Bauteils, die absoluten Werte aber unterscheiden sich dabei. Für den Vergleich wurden der erste und zweite Bereich herangezogen, da der erste Bereich, d.h. die Erwärmungsphase, aufgrund ihres Gradienten immer kritischer ist als der dritte Bereich, die Abkühlungsphase. Die Verifizierung des ausgearbeiteten thermischen Modells erfolgte durch den Vergleich zwischen den berechneten und experimentell erfassten Temperaturen. In Abbildung 11 ist der Vergleich zwischen den simulierten und experimentell erfassten Temperaturen der einzelnen Bauteile sowie -gruppen dargestellt. Die simulierten Werte wurden mit unterschiedlichen Wärmeübergangskoeffizienten von 5 W/m2K bis 25 W/m2K berechnet.
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Abb. 10 Typischer Verlauf der Temperatur bei thermischen Untersuchungen
Abb. 11 Experimentelle und berechnete Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen
Für die Berechnung der Strukturaufgabe wurden die Ergebnisse der Wärmeübertragungsaufgabe benutzt. Der zweite Teil der gekoppelten Aufgabe ist für die Berechnung der Spannungen und Verlagerungen in der gesamten Struktur des Versuchsstands verantwortlich, welche durch die im ersten Teil der Aufgabe berechneten Temperaturen hervorgerufen werden. Eine exemplarische Lösung des zweiten Teils der Aufgabe ist in Abbildung 12 dargestellt. Hier sind sowohl die Verlagerungen der einzelnen Bauteile als auch die der gesamten Maschinenstruktur wiedergegeben.
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Die Verifikation des gesamten Modells des thermischen Verhaltens der mechanischen Struktur erfolgte durch den Vergleich der simulierten und der experimentell erfassten Werte der Verlagerungen, die durch die Änderung der Umgebungstemperatur hervorgerufen werden. Für den Vergleich wurden die maximalen Verlagerungen in den jeweiligen Richtungen herangezogen. In Abbildung 13 sind die typischen Verläufe der experimentell erfassten, absoluten thermischen Verlagerungen in den Richtungen X, Y, und Z dargestellt.
Abb. 12 FE-Berechnung der Verlagerungsverteilung in der Versuchsstandsstruktur
Abb. 13 Absolute thermisch bedingte Verlagerungen des Versuchsstands (experimentell bestimmt)
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Die größten Verlagerungen werden in Z-Richtung festgestellt. Dementsprechend „wächst“ das Portal des Versuchsstands in diese Richtung wesentlich stärker als in die anderen Richtungen, was auf den ausgeprägten axialen Aufbau der Säulen und Streben zurückzuführen ist. Dies erlaubt es, die thermischen Wirkungen im gekoppelten Simulationsmodell durch den Einbau der entsprechenden Verlagerungen zu berücksichtigen.
Abb. 14 Vergleich der Verlagerungen der Maschinenstruktur in X- a) und Z-Richtung b)
Der Vergleich zwischen simulierten und experimentell erfassten Verlagerungen, wie auch der Temperaturvergleich weist auf die gute Übereinstimmung zwischen Simulation und Experiment hin, siehe Abbildung 14.
Temperatur in den Zerspanzonen Es wurden die Temperaturen in den primären, sekundären und tertiären Zerspanzonen sowie im Grundwerkstoff experimentell erfasst. Als Versuchswerkstoff wurde C45 und als Schneidplatten die Standard-Hartmetallplatten P20 der Fa. Walter AG verwendet. Für den Spanwinkel wurde ein Wert von 5° und für den Freiwinkel ein Wert von 8° gewählt. Charakteristische Signale in der primären Zerspanzone sowie im Span sind in Abbildung 15 dargestellt. Ausgehend vom Startpunkt des Zerspanprozesses und der Schnittgeschwindigkeit kann das Temperatursignal bezüglich der Sensorposition im zu bearbeitenden Werkstoff identifiziert werden. Somit kann die Temperatur in den Zerspanzonen und im Grundwerkstoff bestimmt werden. Die Signalform sowie die Amplitude während der Zerspanung entsprechen der Lage des Temperatursensors bzw. des Konstantanschenkels in den unterschiedlichen Schichten des Werkstoffs (s. Abbildung 16).
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Abb. 15 Charakteristischer Signalverlauf in der primären Zerspanzone und im Span
In der Praxis kann die Methode mit dem geschweißten Konstantandraht, siehe Abbildung 5, nur bei vergleichsweise großen Schnitttiefen eingesetzt werden, um eine vernünftige Auflösung realisieren und die Position des Konstantanschenkels sicher bestimmen zu können. Diese Methode soll daher bei der experimentellen Untersuchung der Temperaturen in der primären und tertiären Zerspanzone sowie im Grundwerkstoff angewandt werden. Die Methode auf Basis der zwischen zwei Schneidplatten eingespannten Konstantanfolie, siehe Abbildung 6, weist eine solche Einschränkung nicht auf und wurde daher als Basismethode zur Erfassung der Zerspantemperaturen in der sekundären Zerspanzone eingesetzt.
Abb. 16 Charakteristischer Signalverlauf in den zu zerspanenden Werkstoffschichten
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Die Änderung der Temperatur in der sekundären Zerspanzone bzw. im Span in Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Schnittgeschwindigkeit und vom Abstand der Messstelle bzw. von der Position der Konstantanfolie relativ zur Schneidkante der Werkzeugplatte ist in Abbildung 17 dargestellt. Es zeigt sich, dass die Änderung der Temperatur bei der Schnittgeschwindigkeit 50 m/min einen extremalen Charakter hat. Das Maximum wird bei einem Abstand zwischen der Messstelle und der Schneidkante von 1 mm erreicht. Dies entspricht der bekannten Temperaturverteilung in der sekundären Zerspanzone. Bei den Schnittgeschwindigkeiten 100 m/min und 200 m/min wird ein Temperaturmaximum erst bei größeren Abständen zur Schneidkante erreicht.
Abb. 17 Temperaturänderung in der sekundären Zerspanzone
Zusammenfassung und Ausblick Thermische Prozesse üben einen erheblichen Einfluss sowohl auf die mechanische Struktur der zugrunde liegenden Werkzeugmaschine als auch auf das Bearbeitungsverfahren selbst aus. In früheren Untersuchungen wurden aber diese thermischen Prozesse bei der Untersuchung der Wechselwirkungsprozesse zwischen der mechanischen Struktur der Maschine und dem Bearbeitungsverfahren in den meisten Fällen nicht berücksichtigt. Um die Wirkung von Temperaturänderungen auf die Struktur der Werkzeugmaschine beurteilen zu können, wurde im Rahmen der hier vorgestellten Arbeiten ein thermisches FE-Modell auf Basis des zugrunde liegenden Versuchstandes erstellt. Dieses Modell beschreibt die dynamische Strukturantwort des Versuchstandes aufgrund des Einwirkens einer thermischen Last. Die Wärme wurde hierbei durch Änderung der Umgebungstemperatur in die Struktur eingebracht. Zur Verifikation der thermisch bedingten Verlagerungen sowie der Temperaturflüsse in der Struktur wurden experimentelle Untersuchungen sowohl zu den Temperaturen in der Struktur als auch zu den entsprechenden Verlagerungen ihrer einzelnen Bauteile und -gruppen durchgeführt und die Ergebnisse mit den Simulationen verglichen. Die gute Übereinstimmung der simulierten und experimentell erfassten Temperaturen und Verlagerungen verifizieren und bestätigen das erarbeitete Modell.
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Der Artikel behandelt weiter die Möglichkeiten der experimentellen Temperaturmessung in den primären, sekundären und tertiären Zerspanzonen. Für die Erfassung der Zerspantemperatur wurde die Methode der Eindrahtthermoelemente herangezogen. Diese Technik gewährleistet die Einbringung eines Thermoelementschenkels bzw. des Thermopaars in die gewünschte Position, wo die Temperatur in der entsprechenden Zerspanzone erfasst werden kann. Dies erlaubt auch die Bestimmung der genauen Position des Schenkels, was im Folgenden für den Vergleich mit den simulativ ermittelten Ergebnissen genutzt wird. Diese Methode besitzt auch eine für die Erfassung der Zerspantemperatur bei konventionellen Schnittparametern genügende Auflösung und kann somit für die durchzuführenden Messungen erfolgreich eingesetzt werden. Des Weiteren sind im Artikel die durchgeführten Untersuchungen zu den unterschiedlichen Arten von Thermopaaren (Konstantandrähte und –folien) sowie die Einbringung der Schenkel des Thermopaars in den unterschiedlichen Zerspanzonen dargestellt. Dabei wurde festgestellt, dass die Methode mit dem geschweißten Konstantandraht nur bei vergleichsweise großen Schnitttiefen eingesetzt werden kann. Diese Methode wurde daher bei den experimentellen Untersuchungen zur Ermittlung der Temperaturen in der primären und tertiären Zerspanzone sowie im Grundwerkstoff eingesetzt. Die Methode auf Basis der zwischen zwei Schneidplatten des Werkzeuges eingespannten Konstantanfolie wurde bei der Erfassung der Zerspantemperaturen in der sekundären Zerspanzone angewendet. Die mit den behandelten Methoden gewonnenen Ergebnisse werden im Folgenden für die Detaillierung und Verifikation eines derzeit in der Entwicklung befindlichen Simulationsmodells für den Zerspanprozess herangezogen. Die aktuellen Arbeiten beschäftigen sich mit der erweiterten Implementierung des thermischen FE-Modells der mechanischen Struktur in das Kopplungsmodell der Wechselwirkungsprozesse, um zeitgleich sowohl thermische als auch dynamische Wirkungen bzw. Auswirkungen beurteilen zu können.
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Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte als Matrix für Schüttdämmstoffe, für plattenförmige Dämmstoffe und leichte Spanplatten Prof. Dr.-Ing. habil. Johannes Tröger Dipl.-Ing. Lucia Groß Leiterin Forschungund Entwicklung Isofloc-Gruppe
Prof. Johannes Tröger
Lucia Groß
Johannes Tröger, Jahrgang 1941, erlernte nach dem Abitur den Beruf eines Metallflugzeugbauers, studierte 1961-1967 an der TU Dresden das Fachgebiet Holz- und Faserwerkstofftechnik, arbeitete danach als wiss. Assistent am Institut für Holz- und Faserwerkstofftechnik und promovierte 1971 zum Dr.-Ingenieur, 1981 zum Dr. sc. techn. und 1991 erfolgte die Verleihung des akademischen Grades "Dr.-Ing. habil.", ebenfalls durch die TU Dresden. 1997 verlieh ihm die Universität Stuttgart den akademischen Grad "Privatdozent" und der Senat der Universität Stuttgart ernannte ihn im Jahr 2000 nach langjähriger Lehr- und Forschungstätigkeit zum Professor. Berufliche Stationen: 1970 Leiter der Forschungsabteilung Zerspanung und Verfahrensentwicklung im VEB Rationalisierung der Möbelindustrie Jonsdorf, 1973 wurde seine Abteilung einschließlich der bearbeiteten Projekte vom Forschungsinstitut für Holztechnologie Dresden übernommen, in dem er bis Ende 1989 tätig war. Hier erarbeitete er sich den Ruf eines Fachmannes der Holzbearbeitung. Während dieser Zeit war er Mitberichter in 9 Promotionsverfahren, hielt verschiedene Vorlesungen an der TU Dresden, publizierte ca. 50 Fachaufsätze. 1990 folgte eine kurze Episode als technischer Leiter der Howema-GmbH in Frickenhausen. Von 1991 bis September 2008 leitete er den Bereich Holzbearbeitung im IfW der Universität Stuttgart. Seine Aufgaben bestanden neben der Erarbeitung der Vorlesung „Grundlagen der Holzbearbeitung“ und den damit verbundenen Praktika, in der Generierung von Forschungsideen, der Antragstellung und Betreuung von Projekten, Studien- und Diplomarbeiten, Dissertationen sowie Lösung von Forschungsaufträgen aus der Industrie. Prof. Tröger veröffentlichte 215 Fachartikel, meldete 30 Schutzrechte an und hielt diverse Vorträge auf Symposien und Fachveranstaltungen. Dipl.-Ing. Lucia C. Groß, geboren 1981 in Stuttgart, studierte nach dem mit dem Max-Bauer und dem Hans-Erich-Lindner-Preis ausgezeichneten Abitur die Fachrichtung Umweltschutztechnik und schloss 2005 das Studium als Diplomingenieurin mit zahlreichen Praktika im Inund Ausland sowie mehrjähriger studienbegleitender Tätigkeit im Bereich des Maschinen-
300
Johannes Tröger, Lucia Groß
wesens und der Wasserwirtschaft ab. Von 01/2006 bis 05/2009 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Werkzeugmaschinen in der Abteilung Maschinenuntersuchung tätig. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte bestanden in der Optimierung der Spaneigenschaften zur Erzeugung von Kompositdämmstoffen sowie Schallübertragungsmechanismen in der Maschinenakustik. Ihr Wissen konnte Sie auf zahlreichen internationalen Tagungen dem Fachpublikum vermitteln. Seit 06/2009 ist sie als Leiterin der Forschung und Entwicklung der isofloc Gruppe in Bütschwil (CH), Lohfelden (D), Berlin (D) und La Monnerie – Le Montel (F) tätig.
Einleitung Klimaschutz und die ständig steigenden Energiekosten erfordern eine kontinuierliche Verbesserung der Dämmstoffe. Eine Alternative zur relativ kostenaufwändigen Wärmedämmung durch Platten bzw. Matten auf Basis von mineralischen Stoffen, ist der Einsatz von schütt- bzw. einblasbaren Dämmstoffpartikeln. Späne aus Holz und andere Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen waren schon vor dem ersten Weltkrieg die gebräuchlichsten Dämmstoffe überhaupt. Seit etwa fünfzehn Jahren werden u.a. für den Holzhausbau im zunehmenden Maße auch Fräs-, Säge und Hobelspäne für Wärmedämmzwecke eingesetzt [1], [2], [3]. Hervorzuheben ist der ökologische Aspekt dieser Dämmstoffe durch die Bindung von CO2 und den sinkenden Heizenergiebedarf. Die bisherige Philosophie bei der Gewinnung von Dämmstoffspänen beruhte darauf, anfallendes Spangut stofflich weiter zu nutzen. Die Recyclingspäne sollten dabei sowohl die Setzungssicherheit als auch eine möglichst gute Wärmedämmung gewährleisten. Diese beiden Zielstellungen widersprechen sich, wie neuere Untersuchungen zeigen. Spandämmstoffe zeigen einen besseren Wärmeleitwert, wenn sie besonders viele feine Partikeln enthalten. Hingegen führen größere federelastische Späne zu einem deutlich besseren Setzungsverhalten. Da derzeit die Preise von Holz tendenziell ansteigen und infolge der verstärkten Nutzung anfallender Späne zur Energiegewinnung bereits massive Versorgungsengpässe bei der Bereitstellung von Spänen für Holzwerkstoffe aufgetreten sind, ist mit einem starken Anstieg der Kosten des Spangutes zu rechnen. Infolge der zu erwartenden Preissteigerung könnten spezielle, für Dämmstoffzwecke optimierte Späne gesondert und wirtschaftlich erzeugt werden. Dies entspricht einer völlig neuen Betrachtungsweise und einer Abkehr von der bisherigen Nutzung von Recyclingspänen. Das zugrunde liegende DFG-Forschungsprojekt „Grundlagenuntersuchungen zur Bildung von Kompositdämmstoffen auf Basis von Frässpänen aus Holz“ (Forschungsvorhaben HE 1656/113-1) [4] ist Teil eines Gemeinschaftsprojektes des Instituts für Werkzeugmaschinen (IfW) der Universität Stuttgart und der Holzforschung München (HFM). Die Parameter zur Herstellung des speziellen federelastischen Spangutes wurden vom IfW untersucht, während an der HFM die stoffspezifischen Eigenschaften des erstellten Spangutes und daraus herstellbare Kompositdämmstoffe erforscht, worüber nach Abschluss des Vorhabens noch berichtet wird.
Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte
301
Kompositdämmstoffe Die Idee der Bildung von Kompositdämmstoffen basiert darauf, dass die federelastischen Holzspäne eine Matrix geringer Dichte bilden, in deren Hohlräume ein herkömmlicher, feiner Schüttdämmstoff eingelagert wird (Abb. 1). Das so gebildete Dämmstoffgemisch soll eine deutlich geringere Dichte als bislang aufweisen. Aus Gründen der Setzungssicherheit erfordern alle Schüttdämmstoffe eine materialabhängige Einbaudichte. In der Regel ist die Wärmeleitfähigkeit schüttbarer Dämmstoffe ebenfalls dichteabhängig. Oft kann die hinsichtlich der Wärmeleitfähigkeit optimale Dichte nicht eingebaut werden, weil die Setzungssicherheit eine höhere Dichte erfordert. Die Idee der Kompositdämmstoffe erwies sich prinzipiell als tragfähig, wobei herkömmliche anfallende Industriehobelspäne nicht geeignet sind, das Setzungsverhalten zu verbessern. Mögliche wirtschaftliche Effekte ergeben sich aus der Einsparung an Dämmstoff infolge der geringeren Dichte und der Substitution durch die deutlich preiswerteren Frässpäne aus Holz im Vergleich zu herkömmlichen Schüttdämmstoffen.
Abb. 1 Kompositdämmstoff (Prinzip und Mischungsbeispiel)
Das Gemeinschaftsprojekt von Institut für Werkzeugmaschinen und Holzforschung München (HFM) beinhaltet folgende wissenschaftliche Problemstellung:
x das Spangut für Wärmedämmstoffe wird nicht mehr aus anfallenden Spänen, sondern in einem gesonderten Zerspanungsprozess gewonnen, x ein speziell hergestelltes Spangut kann den Erfordernissen optimal angepasst werden, eine geringe Wärmeleitung und eine hohe Setzungssicherheit erfordern völlig unterschiedliche Partikel, x um Kompositdämmstoffe zu bilden, gibt es eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten von federelastischen Holzspänen und anderen Dämmstoffpartikeln, x der Zusammenhang von Wärmeleitung und Setzungssicherheit in Abhängigkeit von der Spanmorphologie und den Herstellungsbedingungen wird untersucht, x die Bildung einer Matrix aus setzungssicheren federelastischen Spänen, deren Hohlräume mit feinen Partikeln zur Verringerung der Luftdurchlässigkeit und damit zur Verringerung der Wärmeübertragung durch Konvektion verfüllt werden.
302
Johannes Tröger, Lucia Groß
Bildung von Dämmstoffspänen in einem gesonderten Prozess Basierend auf den Ergebnissen von Voruntersuchungen wurde ein Versuchswerkzeug mit einem Einstellwinkel von N = 15° realisiert, mit dem größere Spanmengen unter industrieähnlichen Bedingungen erzeugt werden können. Dieses Werkzeug wurde der Einfachheit halber zunächst in einer Durchlaufmaschine getestet. Mit dieser Versuchsanordnung wurde aus trockenem Holz ein überaus lockeres Spangut mit einer losen Schüttdichte von ca. 12 kg/m3 erzeugt. Das Ausgangsmaterial Schnittholz ist wirtschaftlich nicht geeignet. Hier bietet sich möglicherweise die Verwendung von Rundholz an. Inwieweit aus Rundholz ebensolche Späne erzeugt werden können, galt es nachzuweisen. Zur Klärung dieser Frage wurde ein Bearbeitungszentrum der Fa. Maka mit einem hierfür geeigneten Motor und einem Kegelstirnplanfräser ausgerüstet (siehe Abbildung 2). Je nach Zerspanungsbedigungen können sehr verschiedene Spanformen erzeugt werden. Dabei können Roll- und Flachspäne, leicht gerollte Späne sowie gefaltete Späne unter reproduzierbaren Bedingungen erzeugt werden. Zunächst wurde angenommen, die Faltstruktur verleihe den Spänen eine erhebliche Federelastizität. Einen Überblick über die im Kurzprüfverfahren bestimmten Schütt- und Setzungsdichten dieser federelastischen Holzspäne im Vergleich mit einem herkömmlichen Dämmstoff zeigt Abbildung 3 [5]. Abbildung 4 zeigt, dass eine Mischung eines herkömmlichen Dämmstoffs mit federelastischen Holzspänen (aus trockenem Holz) einen Kompositdämmstoff mit einer deutlich geringeren Setzungsdichte von 48 kg/m3 im Vergleich zu dem Kompositpartner, ein herkömmlicher Dämmstoff, von 70 kg/m3 ergibt. Dieser Lösungsansatz zur Bildung von Kompositdämmstoffen ist folglich gangbar.
Abb. 2 Versuchsmaschine zur Herstellung von federelastischen Stützspänen aus Rundholz
Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte
303
100 3 kg/m 90
federelastische Holzspäne herkömmlicher Dämmstoff
80 70 Dichte
60 50 40 30 20 10 0 lose Schüttdichte
Setzungsdichte
Abb. 3 Schütt- und Setzungsdichte von federelastischen Holzspänen und einem herkömmlichen Dämmstoff (Kurzprüfverfahren, Prüflast 4110 g)
Abb. 4 Setzungsprüfung eines Dämmstoffs und einer Dämmstoff-Holzspanmischung in einem realen Gefach (Prüfung mit einer Stoßlast von 50 und 90 m/s2), [6].
Über umfangreiche Untersuchungen zum Setzungsverhalten von losen Schüttdämmstoffen berichtete Vogel in [7]. Die für die Versuche (Abbildung 4) verwendete Prüfeinrichtung [5] besteht aus einem mit dem zu prüfenden Dämmstoff gefüllten Gefach, das mit einer definierbaren Beschleunigung gegen einen feststehenden Holzblock gestoßen wird. Der steile Anstieg nach ca. 250 bis 300 Stößen entstand infolge einer vorgenommenen Vergrößerung der Beschleunigung von 50 m/s2 auf 90 m/s2. Während sich die Dichte des herkömmlichen Dämmstoffs, ausgehend von verschiedener Einbaudichten einem gemeinsamen Wert von
304
Johannes Tröger, Lucia Groß
ca. 70 kg/m3 nähert, erreicht eine Mischung desselben Dämmstoffs mit Holzspänen im Verhältnis 1:1 einen Wert von ca. 48 kg/m3. Der hier untersuchte herkömmliche Dämmstoff würde bei einer Einbaudichte von 70 kg/m3 und bei einer Belastung von 90 m/s2 keine Setzungserscheinungen mehr zeigen. Bemerkenswert sind Mischungen mit unterschiedlichen Qualitäten des Dämmstoffs (Abbildung 5). Die Setzungsdichten werden mit Hilfe eines am IfW entwickelten Kurzprüfverfahrens [8] ermittelt. Werden nun qualitativ minderwertigere Dämmstoffe (A1 bzw. A2), die wegen der Setzungssicherheit sogar mit einer Dichte von 83 bzw. 91 kg/m3 eingebaut werden müssten, mit federelastischen Frässpänen aus Holz gemischt, so beträgt die erforderliche setzungssichere Einbaudichte der beiden Mischungen (hier im Verhältnis 1:1) ca. 50 kg/m3 bzw. 51,5 kg/m3 (Abbildung 5) [9].
Abb. 5 Ausgleich von Qualitätsunterschieden eines herkömmlichen Dämmstoffs durch Zumischen von federelastischen Holzspänen
Erzeugung von Dämmstoffspänen aus trockenem oder waldfrischem Holz Zu Beginn der Forschungen wurde vermutet, dass aus feuchtem Holz kein besonders gutes Spangut erzeugt werden kann, da die Oberfläche von Feuchtholz, gewissermaßen als Gegenstück des Spans, im Vergleich zu trockenem Holz nur mit minderer Qualität erzeugt werden kann. Um den Einfluss der Holzfeuchte auf die Qualität des Spangutes nachzuweisen, wurden experimentelle Untersuchungen durchgeführt. Aus einem Sägewerk wurde waldfrisches Rundholz beschafft und zerspant. Das erzeugte Spangut bei einer Stammfeuchte von u = 50 % zeigt Abbildung 6. Im Gegensatz zu unter gleichen Bedingungen erzeugten Spänen einer Ausgangsfeuchte von ca. 10 % zeigt dieses Spangut nahezu keine Faltstruktur
Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte
305
mehr. Abbildung 7 [9] zeigt Späne, die mit einer Ausgangsfeuchte von ca. 10 % erzeugt wurden und eine ausgesprochene Faltstruktur aufweisen. Zunächst wurde vermutet, dass gerade diese Faltstruktur das besondere federelastische Verhalten, verbunden mit einer gegenüber herkömmlichen Frässpänen deutlich geringeren Setzungsdichte, bewirke. Das Ergebnis der Setzungsprüfung beweist jedoch das Gegenteil. Mit zunehmender Ausgangsfeuchte des zu zerspanenden Holzes wird die setzungssichere Dichte der Dämmstoffspäne geringer, d.h. das Spangut wird besser. Ursache dieses unerwarteten Verhaltens könnte sein, dass das Spangut im trockenen Zustand möglicherweise durch die Faltstruktur vorgeschädigt wird, ein Vorgang, der im feuchten und noch weitgehend plastischen Zustand nicht erfolgt.
Abb. 6 Spangut, Ausgangsfeuchte 50 %; mittlere Spanungsdicke hm = 0,11 mm, Vorschubgeschwindigkeit vf = 9 m/min
Abb. 7 Frässpäne mit einer Faltstruktur, Ausgangsfeuchte 10 %
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Johannes Tröger, Lucia Groß
Der Rohstoff Holz sollte folglich hinsichtlich Spanqualität eine möglichst hohe Feuchte aufweisen. Somit ist es zweckmäßig, Dämmstoffspäne im Sägewerk herzustellen, da hier ein sehr schneller Durchlauf kaum Zeit zum Austrocknen der Stämme lässt und der Rohstoff feucht bearbeitet wird. Die Zerspanung trockenen Holzes zeigt deutlich schlechtere Späne. Der Dichteunterschied infolge der fünffachen Vergrößerung des Zeitspanungsvolumens beträgt bei feuchtem Holz gerade einmal 3 kg/m3 und 9 kg/m3 bei der Zerspanung von trockenem Holz. Auch hier verhält sich feuchtes Holz deutlich günstiger (Abbildung 8).
Abb. 8 Setzungsdichte von Spänen aus feuchtem (55 %) und trockenem Holz (10 %) bei unterschiedlichen Zeitspanungsvolumina (Prüflast 1300 g)
Mischungsversuche von federelastischen Holzspänen mit einem herkömmlichen Dämmstoff Mischungsversuche von Holzspänen und einem herkömmlichen Schüttdämmstoff zeigen, dass der erzielbare Wärmeleitwert von beiden Kompositpartnern bestimmt wird (Abbildung 9) [10]. Bei einer Mischung zu gleichen Anteilen wird der Kompositdämmstoff hinsichtlich seiner Wärmeleitfähigkeit um die Hälfte der Differenz der beiden O-Werte schlechter, bezogen auf den besseren Wärmeleitwert bzw. besser um den gleichen Betrag, bezogen auf den schlechteren Wärmeleitwert (Abbildung 9).
Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte
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Abb. 9 Wärmeleitwerte in Abhängigkeit vom Holzspananteil bei einer Mischung von Holzspänen und einem herkömmlichen Dämmstoff
Optimierung der Bedingungen zur Erzeugung von federelastischen Frässpänen aus Holz Während in den Arbeitsabschnitten 1 und 2 des Forschungsvorhabens über die prinzipielle Herstellbarkeit von Kompositdämmstoffen auf Basis von federelastischen Spänen aus Holz berichtete wurde, befasst sich der Arbeitsabschnitt 3 mit der Erzeugung dieses Spangutes, dessen setzungssichere Dichte möglichst klein sein sollte. Untersucht wurde der Einfluss der Werkzeugparameter und der verfahrenstechnischen Einstellgrößen. Versuchsmaschine Wie die durchgeführten Voruntersuchungen zeigten, kann ein besonders federelastisches Spangut geringer Dichte nur mit Kegelstirnplanfräsern [11] bei einem Schnitt in Faserrichtung erzeugt werden, wobei es zweckmäßig ist, das Spangut aus feuchtem, waldfrischen Holz herzustellen. Dies ist prognostisch im Sägewerk möglich, wobei ein Teil des Stammabschnittes, aus dem bislang Hackschnitzel erzeugt wurden, zur Herstellung dieses Spangutes genutzt werden könnte (Abbildung 10).
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Johannes Tröger, Lucia Groß
Abb. 10: Herstellung federelastischer Späne im Sägewerk (Prinzip)
Zum Einsatz kommt eine modifizierte CNC-Portalfräsmaschine des Typs KPF 552 der Firma MAKA (s. Abbildung 2). Die Werkstückeinspannung ist in der vom Maschinenhersteller vorgesehenen Weise nicht nutzbar und muss neu konzipiert werden. Freundlicherweise stellte die Fa. Martin/Ottobeuren einen geeigneten Motor zur Verfügung, der für das Hochlaufen des relativ großen Werkzeugs die erforderliche Motorleistung aufbringen kann. Versuchswerkzeuge und –messer Die untersuchten Werkzeuge sind Kegelstirnplanfräser, die mit 2 Schneidenreihen bestückt sind. Variiert werden der Schneidenradius R, der Spanwinkel J, der Neigungswinkel O und der Einstellwinkel N. Der Schneidenradius wird durch die Wahl unterschiedlicher Wendeschneidplatten verändert. Untersucht werden Schneiden mit einem Radius von 50 mm, 150 mm sowie gerade Schneiden. Um die sichere Verankerung der Wendeschneidplatte im Werkzeug (Beispiel eines Versuchswerkzeugs in Abbildung 11) zu gewährleisten, musste die Anlage dem Radius entsprechend angepasst werden.
Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte
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Abb. 11 Versuchswerkzeug (Bauart Oertli)
Versuchsergebnisse Einfluss der Holzart auf die Setzungsdichte Unterschiedliche Holzarten bezüglich ihrer setzungssicheren Dichte werden untersucht. Fichte und Tanne zeigen mit US = 23 kg/m3 und 25 kg/m3 gegenüber Kiefer (29 kg/m3), Kirsche (31 kg/m3), Bergahorn (30 kg/m3), Esche (30 kg/m3), Roteiche (32 kg/m3) und Birke (31,5 kg/m3) die geringsten Setzungsdichten. Die weiteren Untersuchungen werden mit Fichten- und Tannenholz durchgeführt, da diese beiden preiswerten Holzarten allgemein verfügbar sind und niedrige setzungssichere Dichten zeigen. Untersuchung der Wirkung der verfahrenstechnischen Einflussgrößen Das Spangut wird unter Variation der Parameter Bearbeitungszugabe, Vorschubgeschwindigkeit und Drehzahl aus feuchtem Holz hergestellt, danach bei ca. 105° C getrocknet und anschließend hinsichtlich seiner setzungssicheren Dichte im Kurztest bei einer Prüfmasse von 4110 g untersucht. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die werkzeugseitigen Parameter und maschinenseitigen Standardeinstellungen für die Variation der Maschineneinstellungen. Diese Parameter und Einstellungen werden bei allen Untersuchungen beibehalten und nur die zu untersuchende Einflussgröße variiert.
310
Johannes Tröger, Lucia Groß
Werkzeug
Parameter
Einheit
Wert
Schneidenzahl z
-
2
Schneidenbreite b
mm
15
Spanwinkel J
°
18
Neigungswinkelҏ O
°
8
Keilwinkel E
°
60
Freiwinkel D
°
30
Einstellwinkel N
°
15
Drehzahl n
1/min
3000
Bearbeitungszugabe
mm
2
Vorschubgeschw. vf
m/min
7,5
Maschineneinstellung
Tabelle 1 Werkzeugseitige Parameter und maschinenseitige Standardeinstellungen für die Variation der Maschineneinstellgrößen
Setzungsdichte in Abhängigkeit der Bearbeitungszugabe Jedem einzelnen Datenpunkt liegen drei Messungen zu Grunde. Aus diesen wird der Mittelwert gebildet. Dabei ergab sich, dass bei einer Bearbeitungszugabe von 2 mm die geringste Setzungsdichte entsteht. Wird die Bearbeitungszugabe verdoppelt, so erhöht sich die Setzungsdichte nur unbedeutend um ca. 1 kg/m3. Damit könnte die Mengenleistung verdoppelt werden, ohne die Setzungsdichte maßgeblich zu vergrößern. Angestrebt wird eine Bearbeitungszugabe von 5 mm, um eine hohe Mengenleistung zu erzielen, die für den angestrebten späteren industriellen Einsatz wünschenswert ist. Einfluss von Gleich- und Gegenlauf des Werkzeuges auf die Setzungsdichte Die Zerspanung kann sowohl im Gleichlauf als auch im Gegenlauf erfolgen. In Abbildung 12 ist die Dichte des Spangutes im Gleich- und Gegenlauf dargestellt. Deutlich ist zu erkennen, dass das Spangut, das im Gegenlauf erzeugt wird, niedrigere Dichten aufweist [9].
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Abb. 12 Dichte des Spangutes im Gleich- und Gegenlauf
Die lose Schüttdichte wird ermittelt, indem eine definierte Masse des Spangutes, beispielsweise 200 g, in einen Prüfzylinder mit einem Durchmesser von 190 mm gefüllt und danach über die Schütthöhe die Dichte berechnet wird. Die Dichte unter Last ergibt sich, wenn der Dämmstoff im Prüfzylinder über eine definierte Masse, hier 4110 g, statisch belastet wird. Die Setzungsdichte des Dämmstoffs im Prüfzylinder bildet sich nach einer Rüttelzeit von 30 Minuten im Intervallbetrieb im modifizierten Siebanalysator (Bauart Retsch) bei einer Schwingungsamplitude von 1,5 mm. Die Dichte nach der Rückstellung wird ermittelt, nachdem die Zusatzmasse entfernt wird. Die Rückstelldichte gibt eine Aussage darüber, wie elastisch das Spangut ist. Sie gibt ebenfalls Auskunft, wie weit das Material ohne Schädigungen verdichtet werden kann. Einfluss der Vorschubgeschwindigkeit Bei einer Prüfmasse von m = 4110 g ist praktisch kein Einfluss der Vorschubgeschwindigkeit auf die Setzungsdichte nachweisbar. Dies ist hinsichtlich einer angestrebten Erhöhung der Mengenleistung sehr günstig. Einfluss der Drehzahl Die Drehzahl n bestimmt neben der Schneidenzahl die erreichbare Vorschubgeschwindigkeit und ist somit hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Zerspanungsprozesses eine entscheidende Einflussgröße. Zu erwarten wäre ein Abfall der Setzungsdichte mit der Drehzahl. Die Versuche zeigen, dass sich Spangut, das aus einem feuchten Stamm gewonnen wird, tendenziell entgegen dem aus einem
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Johannes Tröger, Lucia Groß
trockenen Stamm hergestellten Material verhält. Das Spangut, das aus einem trocken zerspanten Stamm gewonnen wird, zeigt mit steigender Drehzahl höhere setzungssichere Dichten. Für die Drehzahl n = 3000 min-1 wird ein Minimum für trocken hergestelltes Spangut erzielt. Die setzungssicheren Dichten des aus einem feuchten Stamm gewonnenen Spangutes zeigen über der Drehzahl keine eindeutige Tendenz. Der prinzipielle Kurvenverlauf ist leicht fallend mit Zunahme der Drehzahl. Die Werte schwanken jedoch stark. Für große Drehzahlen von n = 5000 min-1 werden mit einem Mittelwert von 28,5 kg/m³ für feucht zerspantes Holz hohe setzungssichere Dichten gemessen. Das Optimum hinsichtlich des Rohstoffeinsatzes, der mit einer möglichst niedrigen setzungssicheren Dichte einhergeht, liegt bei mittleren Drehzahlen. Als Kompromiss zwischen dem Optimum für trocken zerspantes Holz und den stark schwankenden Werten für feuchtes Holz wird die Drehzahl n = 3000 min-1 definiert. Wahl geeigneter verfahrenstechnischer Einstellgrößen Entsprechend der zuvor beschriebenen Ergebnisse aus den durchgeführten experimentellen Untersuchungen zu den verfahrenstechnischen Einflussgrößen werden die in Tabelle 2 aufgelisteten Werte als Standardeinstellungen für die weiteren Untersuchungen gewählt. Parameter Bearbeitungszugabe Vorschubgeschwindigkeit Drehzahl Schneidenzahl im Eingriff
Wert Bz = 2 mm vf = 7,5 m/min n = 3000min-1 z=1
Tabelle 2: Standardeinstellungen
Untersuchungen zum Einfluss der Werkzeugparameter auf die Setzungsdichte Die zu untersuchenden Werkzeuge sind Kegelstirnplanfräser mit 12 Schneidenreihen. Von diesen sind jeweils 2 gegenüber liegende Schneidenreihen mit Wendeschneidplatten bestückt. In der Regel ist eine Schneidenreihe mit 7 nebeneinander liegenden Wendeschneidplatten versehen. Untersucht wurden der Einfluss der Messerbreite, mit der die Spanbreite einhergeht, des Neigungswinkels, des Spanwinkels und des Einstellwinkels. Einfluss der Schneidenbreite bzw. Spanbreite Die Spanbreite, ist durch die Wendeschneidplattenbreite des Kegelstirnplanfräsers vorgegeben. Durch Einbringen von Schlitzen in die Schneide der Wendeschneid-
Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte
313
platte wird die Spanbreite verringert. Die Spanbreite übt einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Setzungsdichte aus. Unabhängig von der Feuchte des Ausgangsmaterials werden mit größerer Schneidenbreite niedrigere setzungssichere Dichten erzielt. Große Schneidenbreiten scheinen sich folglich positiv auf die Wirtschaftlichkeit auszuwirken. Über den weiteren Verlauf der setzungssicheren Dichte mit noch größeren Spanbreiten als in den Versuchen untersucht, kann keine Aussage getroffen werden. Einfluss des Spanwinkels J Zur Variation des Spanwinkels wird ein entsprechendes Versuchswerkzeug realisiert. Der Spanwinkel Ȗ wird zwischen Ȗ = 10° und Ȗ = 27° variiert. Dabei ist eine leicht fallende Tendenz der Setzungsdichte mit größerem Spanwinkel unabhängig von der Feuchte des Ausgangsmaterials zu erkennen. Für feucht zerspantes Ausgangsmaterial scheint die Vergrößerung des Spanwinkels Ȗ eine deutlichere Verringerung der setzungssicheren Dichte, also eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit, zu bewirken als für trocken zerspantes Ausgangsmaterial. Besondere Beachtung gilt den hohen, gemessenen Setzungsdichten bei Ȗ = 22° für feuchtes Ausgangsmaterial sowie bei einem Spanwinkel von Ȗ = 24° für trocken zerspantes Tannenholz. Bemerkenswert ist, dass diese beiden Spanwinkel eine starke Streuung der gemessenen Werte aufzeigen, die im Rahmen der Versuche nur bei kleinen Spanwinkeln festgestellt werden. Aus den Messwerten könnte gefolgert werden, dass sich das lokal begrenzte Maximum der setzungssicheren Dichte mit zunehmender Feuchte zu niedrigeren Spanwinkeln verschiebt. Dies bedeutet für die Praxis, dass optimales Spangut hinsichtlich seiner Eigenschaft Setzungssicherheit nur schwer erreicht werden kann, da eine sichere Bestimmung der Feuchte des Ausgangsmaterials mit Handgeräten in den hier durchgeführten Versuchen nicht erreicht wird. Deshalb wird auf die zeitintensivere Methode, die Bestimmung über die Trockensubstanz, ausgewichen. Ein mittlerer Spanwinkel von Ȗ = 20° wird als Optimum ausgewählt, nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass dieser Spanwinkel erfahrungsgemäß die Erzeugung sehr guter Oberflächen und damit auch guter Späne ermöglicht [12]. Einfluss des Neigungswinkes O Der in einem Bereich zwischen 0° und 27° untersuchte Neigungswinkel wird mittels eines speziellen Versuchswerkzeugs variiert. Die Versuchsergebnisse zeigen wiederum Streuwerte der Setzungsdichte mit einer Streubreite von etwa 3 kg/m3. Da innerhalb eines Stammes Feuchteunterschiede vorliegen, ist dies mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ursache für die auftretenden Streuwerte der Ergebnisse. Die aus den drei untersuchten Stammabschnitten erzeugten Späne zeigen eine Setzungsdichte in Abhängigkeit vom Neigungswinkel, die trotz dieser Streuungen tendenziell eine geringfügig ansteigende Gerade ergibt. Deshalb wird ein Neigungswinkel von O = 0° gewählt, zumal die speziellen Werkzeuge sich mit diesem Neigungswinkel leichter fertigen lassen. Mit einem Werkzeug dieser Parameter
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Johannes Tröger, Lucia Groß
und unter den aufgeführten verfahrenstechnischen Einstellgrößen wird als letzter Untersuchungskomplex die Wirkung des Einstellwinkels auf die Setzungsdichte untersucht. Einfluss des Einstellwinkels N Nach den Versuchsergebnissen sinkt die Setzungsdichte mit größerem Einstellwinkel. Zusammenfassend kann im Ergebnis der durchgeführten Untersuchungen festgestellt werden, dass der optimale Einstellwinkel für feuchtes Holz bei N = 20° liegt. Zusammenfassung und Ausblick
Werkzeug
Ausgehend von den Ergebnissen, dass als Abfall aus Fräs-, Hobel- und Sägeprozessen anfallendes Spangut für die weitere stoffliche Nutzung als Dämmstoff nicht geeignet ist, wird federelastisches Spangut mit Hilfe von Kegelstirnplanfräsern erzeugt. Bereits durchgeführte Untersuchungen zeigten, dass Spangut nicht die Funktion von Setzungssicherheit und gleichzeitig guter Wärmedämmung übernehmen kann. Dämmstoffe besitzen eine niedrigere Wärmeleitfähigkeit, wenn sie einen größeren Anteil feiner Partikeln enthalten. Hingegen führen größere, federelastische Späne zu einer deutlich besseren Volumenstabilität. Dies führte zur Idee der Bildung von Kompositdämmstoffen. Zur Optimierung des federelastischen Spangutes wurden die werkzeugseitigen Parameter sowie die verfahrenstechnischen Einstellgrößen untersucht und in der nachstehenden Tabelle 3 mit ihren Optimalwerten zusammengefasst.
Messer Maschineneinstellung
Parameter Spanwinkel J NeigungswinkelO Keilwinkel E Freiwinkel D Einstellwinkel N Schneidenbreite b Radius R Drehzahl n Bearbeitungszugabe Bz Vorschub vf
Einheit ° ° ° ° ° mm mm 1/min mm m/min
Wert 20 0 60 30 20 15 150 4000 5 15
Tabelle 3: Optimalwerte der Werkzeug- und Verfahrensparameter für z = 2 zur Erzeugung von federelastischen Spänen
Am Institut für Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart wurden in vorhergehenden Untersuchungen setzungssichere Einbaudichten für herkömmliche Ho-
Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte
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belfrässpäne, die zuvor zwischen 80 und 90 kg/m3 lagen, auf ca. 60 kg/m³ verringert [12], [13], [14]. In dem hier beschriebenen Forschungsvorhaben [4] konnte die setzungssichere Dichte der federelastischen Späne durch Einsatz von Kegelstirnplanfräswerkzeugen und Optimierung der Werkzeug- und Maschinenparameter auf ca. 18 bis 22 kg/m³ (für Fichte) reduziert werden. Bei einer Drehzahl von n = 6.000 min-1 und einer Schneidenzahl von z = 12 kann theoretisch eine Vorschubgeschwindigkeit von vf = 90 m/min realisiert werden. Höhere Vorschubgeschwindigkeiten sind durch eine weitere Drehzahlvergrößerung bzw. eine Erhöhung der Schneidenzahl oder durch Akzeptanz einer geringfügigen Zunahme der Setzungsdichte erreichbar. Die Herstellung des Spangutes ist auf verschiedene Weise denkbar. So könnte beispielsweise im Sägewerk dafür ein Teil des Stammquerschnittes genutzt werden, der bislang der Hackschnitzelherstellung diente. Wie eine solche Maschine, die in die Spanerlinie einzubinden wäre, aussehen könnte, zeigt Abbildung 13 [15]. Der Einsatz federelastischer Späne beschränkt sich nicht nur auf Kompositdämmstoffe. Von verschiedenen Forschern (Wagenführ, Michanickl) wurden bereits besonders leichte Spanplatten hergestellt (Tabelle 4).
Abb. 13 Maschine zur Herstellung von federelastischen Spänen
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Bezeichnung
Johannes Tröger, Lucia Groß
Rohstoffe
DIN-EN 312 Spanplatte vom Typ P2 Leichte Span- Federplatte elastische Frässpäne Dämmende FederSpanplatte elastische Frässpäne Industrie„herkömmSpanplatte [9] liche“ Späne Industrie„herkömmSpanplatte [9] liche“ Späne Industrie„herkömmSpanplatte [9] liche“ Späne
Rohdichte kg/m³
Dicke mm >13 bis 20
Biegefestigkeit N/mm² 13
Biegemodul N/mm² 1600
Querzugfestigkeit N/mm² 0,35 0,31
435
16
16,3
1887
325
15
6,5
714
300
1,0
208
0,00
400
2,7
662
0,03
500
5,7
1172
0,07
Tabelle 4: Eigenschaften der Werkstoffe aus federelastischen Spänen im Vergleich mit herkömmlichen Spanplatten (Quelle: IHP, TU Dresden)
Aus federelastischen Spänen können auch prinzipiell bauschelastische plattenförmige Dämmstoffe (ähnlich dem Dämmfilz aus Gesteinswolle) hergestellt werden (Abbildung 14). Auch ist die Verwendung dieses Spangutes als ökologisches und preiswertes Verpackungsmaterial denkbar. Hierzu besteht allerdings noch erheblicher Forschungsbedarf.
Abb. 14 Struktur einer elastischen Platte aus federelastischen Spänen
Herstellung eines federelastischen Spangutes geringer Dichte
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Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6]
[7] [8] [9] [10] [11] [12]
[13]
Fritz, H.: Wandisolierung für Holzhäuser oder Holzhausteile und- Verfahren zu deren Herstellung. Deutsches Patent. Patentschrift DE 3625405 C2 (1989). Schwarz, B.: Practical experience with alternative insulating materials. In: Proceedings of 10th European Conference and Technology Exhibition, Biomass for Energy and Industry, 1998: Würzburg, S. 171-172. Schwarz, B.; Brunn, M. (1999): Das Rosenheimer Haus. Entwicklung neuer Konzepte für den Holzhausbau. Abschlußbericht Fachhochschule Rosenheim-Konstruktionszentrum Holz. Heisel, U.; Groß, L.: Grundlagenuntersuchungen zur Bildung von Kom-positdämmstoffen auf Basis von Frässpänen aus Holz. HE 1656/113-1, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn 2009 Heisel, U.; Tröger, J.; Groß, L.: Setzungsverhalten von Schüttdämmstoffen. In: Holztechnologie 49 (2008) 1, S. 39 – 45, 2008. Heisel, U.; Tröger, J.; Groß, L.; Treml, S.: Zur Bildung von Kompositdämmstoffen auf Basis von federelastischen Frässpänen aus Holz - Teil 1: Erste Untersuchungen – Frässpäne für Wärmeisolation. In: HOB Die Holzbearbeitung 6/2009, S. 72-75. AGT Verlag Thum GmbH, Ludwigsburg 2009 Vogel, K. (1999): Die Eignung von Holz als Wärmedämmstoff. Vergleichende Untersuchungen von Spänen und Fasern. Dissertation der Ludwig-Maximilians-Universität, München. Aachen: Shaker Verlag. Tröger, J.: Setzungsverhalten von Schütt-Dämmstoffen, Mikado 1/2001; S. 66 – 70. WEKA Media GmbH- Verlag. Groß L.: Einsatz von Kompositdämmstoffen in Bauwerken unter stoffstrom- und materialspezifischen Aspekten. Diplomarbeit, Universität Stuttgart, 2005. Tröger, J.; Tröger, F.; Groß, L.: Der richtige Mix. In: dds – das Magazin für Möbel und Ausbau, 10/2007, S. 70 – 71. Heisel, U.; Tröger, J.; Lang, M.: Untersuchung des Planfräsverfahrens am Beispiel beschichteter Möbelteile. 3 Teile, HOB Die Holzbearbeitung 44-3, S. 48 - 52; 4, S. 30 - 39 und 6, S. 39 – 44, 1991. Tröger, Pittner: Produktion loser Dämmstoffe aus Holzspänen und –fasern als höherwertige stoffliche Nutzung von Industrierestholz und Schwachholz“ Teilprojekt „Herstellung von Dämmstoffspänen aus industriellen Hobelfräsprozessen“. Vom BMBF gefördertes Verbundvorhaben Leitung: Forschungszentrum Jülich GmbH, PTJ-Berlin, Förderkennzeichen: 0330054 (Forschungspartner: Holzforschung München (HFM) - Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München; Institut für Werkzeugmaschinen, Universität Stuttgart; Fachhochschule Rosenheim, Konstruktionszentrum Holz; Fa. Baufritz, Erkheim, Fa. X-Floc GmbH, Renningen; Fa. Weimann Holzbausystemtechnik GmbH, St. JohannLonsingen; Deutsche Gesellschaft für Holzforschung e.V. (DGfH), München). Fritz H.; Eiber, M.: Produktion loser Dämmstoffe aus Holzspänen und –fasern als höherwertige stoffliche Nutzung von Industrierestholz und Schwachholz“ Teilvorhaben 3 „Entwicklung einer ökonomischen und ökologischen Aufbereitung von Holzspänen zu Dämmstoffen“ und Teilvorhaben 4: Entwicklung eines ökonomischen und ökologischen Logistiksystems für Dämmstoffe aus Holz“. Vom BMBF geförderten Verbundvorhaben Leitung: Forschungszentrum Jülich GmbH, PTJ-Berlin, Förderkennzeichen: 0330054 (Forschungspartner: Holzforschung München (HFM) – Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München; Institut für Werkzeugmaschinen, Universität Stuttgart; Fachhochschule Rosenheim, Konstruktionszentrum Holz; Fa. Baufritz, Erkheim, Fa. X-Floc GmbH, Renningen; Fa. Weimann Holzbausystemtechnik GmbH, St. Johann-Lonsingen; Deutsche Gesellschaft für Holzforschung e.V. (DGfH), München).
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[14] Greiner, A.: Produktion loser Dämmstoffe aus Holzspänen und –fasern als höherwertige stoffliche Nutzung von Industrierestholz und Schwachholz“ Teilvorhaben „Pneumatisches Verarbeitung von Holzspänen und Holzfasern als Dämmstoff“. Vom BMBF geförderten Verbundvorhaben Leitung: Forschungszentrum Jülich GmbH, PTJ-Berlin, Förderkennzeichen: 0330054 (Forschungspartner: Holzforschung München (HFM) - Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München; Institut für Werkzeugmaschinen, Universität Stuttgart; Fachhochschule Rosenheim, Konstruktionszentrum Holz; Fa. Baufritz, Erkheim, Fa. X-Floc GmbH, Renningen; Fa. Weimann Holzbausystemtechnik GmbH, St. JohannLonsingen; Deutsche Gesellschaft für Holzforschung e.V. (DGfH), München). [15] Frick, D.: Experimentelle Untersuchungen zur Vorbereitung eines Konstruktionsentwurfes einer Maschine zur Herstellung eines federelastischen Spangutes. Studienarbeit, Universität Stuttgart, 2008.
Weiterführende Literatur kann von den Autoren angefordert werden.
319
Index A Abklingverhalten 138, 139 Abkühlungsphase 289 Achswinkel 68, 69, 70, 74, 75 Adapterplatte 24, 25, 28, 29 Agentensystem 208, 213 Aktor 83, 85 Akustik 32 Akustische Strukturoptimierung 32, 37 Aluminiumchromnitrid 187 Antriebsmoment 224 Arbeitsschutzgesetz 43, 54 Aufteiltechnik 215, 216, 222 Automatisierung 217 Automatisierungsgrad 50, 221, 222 Automatisierungstechnik 6, 11, 214, 247 Axialkolbenpumpe 33, 34 Axialkraft 78 Axialkraftimpuls 85
B Baueinheiten 206, 213 BAZ 129, 133, 135, 164, 165 Bearbeitung 12, 21, 23, 24, 27, 31, 56, 57, 58, 60, 61, 65, 67, 68, 75, 78, 80, 82, 83, 90, 93, 107, 110, 111, 123, 124, 130, 133, 142, 144, 146, 147, 153, 162, 164, 165, 166, 167, 174, 175, 177, 184, 186, 201, 207, 218, 220, 231, 239, 240, 245, 246, 263, 265, 269, 271, 276, 284, 286 Bearbeitungsprozess 26, 138, 276 Bearbeitungszeit 109, 111, 165, 169, 198, 203, 206 Bearbeitungszentrum 22, 108, 165, 231, 273, 302 Beharrungszustand 288, 289 Berechnung 20, 41, 62, 97, 98, 99, 105, 154, 155, 159, 182, 205, 278, 284, 290, 291, 298 Berechnungsverfahren 37, 280 Beschichtung 185, 186, 189, 190, 192, 193, 197, 201, 203, 204 Betriebsschwingungsanalyse 37, 39, 41, 118 Bohren 172, 186, 189, 211, 280, 298 Bohrungsmittenverlauf 78, 84, 85 Bohrwerkzeug 146 Bremsscheibe 224, 226, 228
C CAD 17, 19, 208, 271, 298 CAE 17, 105 CNC 4, 21, 22, 23, 24, 27, 56, 58, 60, 67, 91, 93, 94, 135, 136, 137, 138, 139, 296, 297, 308 CVD 185, 187, 190, 192, 193, 194, 195, 196
D Dämmstoff 301, 302, 303, 304, 306, 307, 311, 314, 318 Dauerstandfestigkeit 254 Diamantkugel 251, 252, 253, 254, 255, 256 Diskrete Elemente Methode 280 Drehen 165, 172, 190, 193, 194, 195, 217 Drehzahlnachregelung 261, 262, 263, 268 Druckbalkensäge 216 Druckfestigkeit 137 Dynamik 31, 142, 231
E Effizienzsteigerung 205, 213 EG-Konformitätserklärung 43, 50 Eigenschwingform 119 Einlippenbohren 77, 78, 83, 87 Einschneiden 56, 57, 58 Energie- und Datenübertragung 129, 132 Energieeffizienz 121, 216, 220, 262 Energiekosten 300 Entwicklung 3, 4, 5, 13, 16, 17, 21, 34, 42, 48, 56, 65, 68, 94, 98, 99, 100, 105, 108, 109, 128, 135, 136, 151, 160, 161, 172, 181, 184, 185, 189, 190, 192, 197, 205, 206, 208, 215, 222, 240, 244, 258, 276, 278, 280, 287, 288, 295, 300, 317 Entwicklungsprozess 97, 99, 105 Entwurf 34, 86, 98, 233 e-Procurement 94 Erwärmungsphase 289
F Fehlerbildanalyse 150 Fehlerdiagnose 182 Feinbearbeitung 13, 77, 160, 162 Feinstbearbeitung 130, 260
320 FEM 19, 37, 99, 100, 105, 119, 141, 205, 226, 278, 279, 280, 282, 295, 296, 297, 298 FE-Modell 37, 97, 101, 278, 286, 287, 294 Fertigung - agile 21, 22, 29, 31 - flexible 215 - nachhaltige 106 - parallele 22 Fertigungs - kette 21 - kosten 88, 215 - messtechnik 7, 247 - modul 206, 214 - system 30, 207, 213, 238 - systemplanung 205, 207, 208, 211, 213 FE-Simulation 97, 100, 101, 119 Festigkeitswerte 139 Finite Elemente Methode 119, 280 Flexible Fertigungssysteme 2 Fräsen 172, 186, 187, 190, 193, 194, 197, 199, 203, 204, 211, 216, 220, 221, 239, 241, 246, 280 Frässpäne 301, 305, 316, 317 Frästechnologie 136, 219, 221 Fräswerkzeug 172, 174, 186, 197, 201, 221, 315 Freiformteil 269
G Genauigkeit 66, 67, 130, 159, 162, 163, 168, 169, 170, 177, 179, 181, 182, 183, 200, 273, 276, 277, 278, 296 Geräusch - emission 32, 34, 112 - entstehungsmechanismus 113 - minderung 41, 112, 117, 119, 120 - optimierung 32 - reduzierung 32, 33, 35, 36, 37, 39, 40, 41, 113 Gestell 135, 136 Gewindefräsen 186 Großserienfertigung 206, 214, 230, 246 Großserienproduktion 21, 206, 207
H Hartmetallsubstrat 197, 204 Hauptware 56, 57, 59, 62, 63, 64, 67 Hauptzeiten 17, 143, 161, 264 Hochgeschwindigkeitszerspanung 186
Hochgeschwindigkeitszug 223 Hochleistungsbearbeitungsprozess 239 Hochleistungsfertigung 160 Hochleistungswerkzeug 143 Hohlschaftkegel 124, 161 Hohlspannzylinder 126, 127 Holzbearbeitung 7, 20, 68, 135, 215, 230, 246, 299, 317 Holzbearbeitungsmaschinen 5, 19, 20, 56, 68, 135, 136, 215 Holzspäne 301, 302 Honbearbeitung 258, 259, 263 Honen 162, 263 Hörschall 78 HPC 143 Hydraulik 20, 27, 215 Hydraulikaggregat 107
I Impulse, winkellagesynchrone 78 Infrarotmesstechnik 239 Interpolationsdrehen 165, 166, 167
K Kegelstirnplanfräser 302, 308, 312 Keilwinkelreduktion 70 Kompensation, volumetrische 178 Kompensationssteuerung 277 Komplettbearbeitung 21, 163, 174, 175, 204, 238, 267 Komplexitätsreduzierung 208 Kompositdämmstoffe 300, 301 Konstruktionswerkstoff 135 Kontakttemperatur 285 Koordinatenmessgerät 247 Körperschall 33, 113, 115 Kreisformtest 179 Kreuzstruktur 262 Kubisches Bornitrid 161, 191 Kugelgewindetrieb 154, 278 Kundenorientierung 148, 151, 152
L Längsschnitt 217 Laserinterferometer 178 Leichtmetallbearbeitung 22
M Maschinendynamik 11, 20, 136, 184, 230 Maschinengenauigkeit 27, 105, 178 Maschinengestell 135, 138, 139, 140, 141, 206, 213, 233
321 Maschinenkonzept 135, 162, 206, 210, 220, 232, 233 Mechatronik 162 Mehrspindelbearbeitung 109, 110, 111 Mehrspindelkopf 206, 210 Messsystem 53, 129, 130 Mineralguss 136, 137, 140 Minimalmengenschmierung 144 Möbelfertigung 216
N Nachschnitt 61, 62 Nebenzeiten 22, 62, 107, 109, 161, 162, 171, 174, 210, 214, 257, 264 Nullpunktspannung 29
O Oberflächentemperatur 157, 240, 245, 246 Online-Messverfahren 240 Optimierung 33, 41, 57, 59, 60, 63, 78, 97, 98, 105, 123, 150, 159, 162, 172, 194, 213, 220, 246, 262, 276, 279, 296, 297, 300, 307, 314, 315 Oxid-Schichten 190
P Plattenzuschnitt 216 Präzisionswerkzeuge 13, 160 Produktentstehung 149, 150 Produktentwicklung 17, 97, 148 Produktion, effiziente 88 Produktionsprozess 161, 176, 184, 197 Profilieren 56 Prozesse, hybrid 83 Prozessparameter 185, 195, 244, 245 Prozesssicherheit 93, 143, 144, 145, 146, 276 Prozessstabilität 255, 256, 257 Prozesstemperatur 145, 146, 194 Prüfstand 157, 223 Pumpe, hydraulisch 5 PVD 185
Q Qualitätsmanagement 150
R Rahmenbauweise 235 Reibahlen 167, 168, 169, 170 Rekonfigurierbarkeit 206 Ressourceneffizienz 106, 136, 142, 162 Risikomanagement 53
Rotationsfehler 180 Rubintaster 252, 253, 255 Rundholz 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 65, 66, 67, 302, 304
S Säge 216 Sägewerk 56 Scanning-Koordinatenmessgerät 248 Schallemission 120, 226 Schallintensitätsmethode 120 Schallquellenlokalisierung 116 Schichteigenschaft 185, 189 Schneidengeometrie 185, 204 Schneidgeometrie 71, 197 Schneidkeil 70, 71, 241, 285 Schneidstoff 23, 75, 78, 143, 146, 161, 162, 172, 184 Schnitt - schräger 69 - ziehender 68 Schnittgeschwindigkeit 13, 70, 71, 75, 79, 161, 172, 173, 184, 195, 202, 203, 209, 243, 244, 285, 292, 294 Schnittstelle 28, 91, 126, 132f, 167f, 206, 232 Schüttdämmstoffe 299, 301 Schwingungsabsorption 137 Schwingungsmessung 118 Schwungmassenreibungsprüfstand 224, 225, 229 Seitenware 56, 57, 58, 59, 63, 64 Setzungsdichte 302, 303, 305, 306, 309, 310, 311, 313, 314, 315 Sicherheit 43, 44, 45, 46, 47, 50, 51, 52, 53, 54, 182, 223 Simulation 5, 32, 37, 56, 60, 65, 67, 68, 91, 92, 97, 99, 100, 101, 103, 104, 105, 118, 120, 223, 224, 246, 276, 278, 279, 280, 282, 286, 288, 292, 296, 297, 298 Spangut 300, 301, 302, 304, 305, 307, 309, 310, 311, 313, 314 Spanklemmer 80, 81 Spannfutter 146 Spanntechnik 28, 121, 123, 124, 125 Spannvorrichtung 270 Spanplatte 241, 316 Spindelanordnung 234 Spindelschnittstelle 133, 232 Standweg 136, 142, 172, 203, 204 Störgröße 85
322 Streifenoptimierung 218 Strukturmechanik 99, 100 Strukturstabilität 286 Strukturverhalten 37, 276 Stückkosten 24, 111, 128, 265 Systemverhalten 37
T Tastkugel 247ff Teileverfolgung 28 Temperatur - änderung 282, 287 - messtechnik 154 - verteilung 154, 158, 227, 279, 285, 287, 288, 294 Thermisches Verhalten 277, 295 Thermoelement 146, 279, 283, 285 Thermografie 144, 146, 154 Tiefbohren 77, 78, 84, 86, 87 Toolmanagement 88ff Transferzentrum 206, 207 Turbolader 164 TWIN-Bearbeitung 110, 111
U Ultraschall 78, 82, 83 Umgebungstemperatur 282, 287, 288, 291, 294 Umweltbewusstsein 106, 128 Universalvorrichtung 269 Untersuchung 38, 48, 79, 86, 99, 120, 138, 144, 146, 154, 158, 159, 246, 275, 276, 277, 279, 280, 282, 283, 284, 293, 294, 297, 298, 309, 317
V Verdrängereinheit 32 Verkettung 4, 21, 22, 28, 217, 218, 265 Verlagerung 141, 142, 154, 155, 157, 159 Verschleiß 28, 51, 82, 138, 171, 240, 241, 247, 250, 251, 253, 254, 255, 257 Verschleißzustand 246 Versteifung 36, 41
Vertikalachse 51 Vollhartmetallbohrer 171 Vorrichtung 27, 28, 78, 79, 111, 130, 269, 270, 271, 272, 273, 274 Vorrichtungssystem 269 Vorschubachse 155, 279 Vorschubgeschwindigkeit 59, 65, 70, 82, 204, 305, 311, 312, 315 Vorschubmodulation 77, 78, 79
W Wärmefluss 282 Wärmeleitfähigkeit 83, 187, 195, 301, 306, 314 Wärmequelle 154, 277 Wärmeübergangskoeffizient 289 Wechselkopf 167, 171 Wechselwirkung 48, 208, 276 Wendeschneidplatte 167, 192, 195, 197, 199, 200 Werkstoffdämpfung 138, 142 Werkstückspannsystem 283 Werkstückträger 24, 28, 206 Werkzeug- bedarfsplanung 89, 90 - beschichtung 185 - konzepte 160, 161, 162, 171 - kosten 23, 24, 88, 89, 239 - parameter 307, 312 - standzeit 146, 189, 190 - systeme 128, 131, 132, 161, 162 - verschleiß 239, 244 - verwaltung 91, 92 Wiederholgenauigkeit 28
Z Zerspanen 275, 279, 286 Zerspanmodell 280 Zerspanprozess 276 Zerspantemperatur 276, 293, 295 Zerspanungswärme 144 Zerspanzone 275, 276 Zirkularfräsen 165, 166 Zuschnittoptimierung 218 Zylinderkopf 23, 24, 25, 26, 28