SCIENCE-FICTION in deutscher Sprache Sie lesen im Band 1:
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SCIENCE-FICTION in deutscher Sprache Sie lesen im Band 1:
Invasion aus dem Weltraum von Kellar Im Jahr 2115 stehen die Menschen der Erde einer neuen, tödlichen Gefahr gegenüber. Ein geheimnisvoller Strahl radioaktiver Energie aus den Tiefen des Alls bedroht das Leben der Bevölkerung. Eine feindliche Flotte erscheint aus dem Weltraum und überschüttet die Städte der Erde mit Tod und Verderben. Die Invasoren sind in vielen Dingen den Menschen überlegen und scheinen unbesiegbar. Die Erde scheint dem Untergang geweiht. Nach dem Abschuß einzelner Feindschiffe stehen die Menschen der Erde plötzlich einer neuen, noch viel furchtbareren Gefahr gegenüber. Schließlich startet eine heimlich gebaute irdische Raumflotte zur Fahrt in das Unbekannte, um die Gegner schon an deren Ausgangspunkt zu bekämpfen. In 18 Lichtjahren Entfernung muß der unheilvolle Feindplanet stehen. Aber es kommt anders, als die Mitglieder dieser Expedition vermutet haben.
Was Captain Roc French auf dieser Fahrt durch das All erlebt und wie er die Erde rettet, das lesen Sie am besten selbst in diesem UTOPIA-Großband.
UTOPIA-GROSSBÄNDE DIE BESTEN SCIENCE-FICTION-ROMANE DER WELT
Invasion aus dem Weltraum VON KELLAR
ERICH PABEL VERLAG IN RASTATT (BADEN)
Invasion aus dem Weltraum von Kellar 1. Kapitel: Der unbekannte Tod 2. Kapitel: Planet im Untergang 3. Kapitel: Die Flotte aus dem Weltall 4. Kapitel: Captain Thomsons letzte Schlacht 5. Kapitel: Der Angriff 6. Kapitel: Begegnung mit dem Tod 7. Kapitel: Der Kampf gegen die Riesenspinnen 8. Kapitel: Die Konferenz 9. Kapitel: Zement statt Atombomben 10. Kapitel: Der erste Erfolg 11. Kapitel: French gewinnt eine schwere Schlacht 12. Kapitel: Havarie im Weltraum 13. Kapitel: Auf dem Merkur 14. Kapitel: Ein weißes Stückchen Gummi 15. Kapitel: Vanid spielt gefährlich 16. Kapitel: In der Hand des Todfeindes 17. Kapitel: Rückkehr
UTOPIA-Großband – SCIENCE FICTION in deutscher Sprache. Copyright by Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden). Druck: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Aus dem Englischen übersetzt von Walter Ernsting.
Invasion aus dem Weltraum von Kellar
DER UNBEKANNTE TOD Die Entscheidung, die Erde sofort zu evakuieren, wurde am 12. Juni 2115, Punkt 11 Uhr, gefällt. Diesen Entschluß zu fassen, war den Verantwortlichen gewiß nicht leicht gefallen; aber es blieb keine andere Möglichkeit. Entweder Evakuierung – oder Tod für alle Menschen. Weltpräsident van Koff gab die Neuigkeit über alle Sender bekannt. Seine Stimme hatte einen dramatischen Unterton und wurde somit dem Ernst der Stunde vollauf gerecht. Er machte kein Hehl daraus, daß die Lage ziemlich hoffnungslos war. Es hatte vor sechs Monaten ganz harmlos begonnen. Ein Arzt in Ostchina – er arbeitete auf einer Außenstation – stellte bei einigen Leuten einen bisher unbekannten Hautausschlag fest. Die Erkrankten gaben an, keine Schmerzen zu verspüren. Untersuchungen ergaben, daß die Haut eine grünliche Färbung annahm. Bei fortschreitendem Stadium bildete sich ein wenig Eiter, der ebenfalls grün war. Jener Arzt machte einen Bericht und leitete ihn an seine vorgesetzte Dienststelle weiter. Mehr konnte er nicht tun. Bei dieser Dienststelle lag bereits ein ähnlicher Bericht aus Delhi vor. 5
Bald schon erhielt der Arzt die Antwort, der Ausschlag sei in der Geschichte der Medizin bisher noch nicht bekannt. Die Haut sei radioaktiv geworden. Diese letzte Feststellung erregte in verschiedenen Kreisen erhebliches Aufsehen, die Öffentlichkeit jedoch blieb uninteressiert. Wahrscheinlich waren die Erkrankten mit radioaktiven Stoffen in Berührung gekommen. Vielleicht hatten Veränderungen im Erdinnern solche Stoffe an die Oberfläche verlagert. Man fand noch andere Erklärungen; aber die Erkrankungsfälle waren ja nur in einigen Orten in Asien zu verzeichnen, so daß man ihnen keine besondere Bedeutung beimaß. Eine Sonderkommission reiste in die betreffenden Gebiete ab: zwei bekannte Geologen, zwei namhafte Mediziner und ein Mineraloge. Die Krankheit wurde „X-Ausschlag“ genannt. Doch dann ereignete sich ein solcher Fall in New York. Eine Frau meldete sich in einem dortigen Krankenhaus und gab an, Schulter, Rücken und Beine zeigten grüne Flecken. Bei genauer Befragung stellte sich heraus, daß sie an einem warmen Tage des Jahres auf dem Dachgarten ihres Hauses ein Sonnenbad genommen hatte. Dabei habe sie auf dem Bauch gelegen, entsann sie sich. Die Ärzte hätten sich nicht soviel Gedanken gemacht, wäre ihnen nicht bekannt gewesen, daß auch in China der grüne Ausschlag nur an solchen Stellen des Körpers aufgetreten war, die der Sonne ausgesetzt worden waren. Man fand keine Erklärung. Die Frau hatte keine Verbindung zu Chinesen und war auch noch nie in China gewesen. Die Theorie der Geologen wurde gegenstandslos. Das konnte nicht mit einer Verschiebung des Erdreiches in China zusammenhängen. Dann fragte eine amerikanische Zeitung:
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„X-Ausschlag bringt Experten in größte Verlegenheit Kommt der Krankheitserreger – aus der Luft???“ Aus der Luft? Nicht wenig Augen waren es damals, die in den Himmel schauten, als suchten sie dort die Antwort auf diese Frage. Bakterien, die durch den Wind übertragen wurden, hatte es schon einmal gegeben. War dies ein ähnlicher Fall? Am nächsten Tag wurden hundert Erkrankungen an XAusschlag aus Paris gemeldet. Jene Menschen hatten morgens im Spiegel ihr fahlgrünes Gesicht erblickt, oder Fremde hatten sie auf der Straße angehalten und darauf aufmerksam gemacht, daß ihr Teint ein wenig sonderbar sei. Was sollte das bedeuten? Was würde als nächstes geschehen? Sie erfuhren es sehr schnell – am anderen Tage schon. Einer der erkrankten Chinesen war über Nacht gestorben! Das Fleisch war zusehends verfallen, und kurz vor seinem Tode hatte er zu rasen begonnen. Kaum hatte man ihn halten können. Insgeheim war sofort eine Abteilung der Weltpolizei nach dort geflogen worden. Sie sperrte das Gebiet ab. Es waren alles ausgesuchte Leute, die unter dem direkten Kommando ihres Chefs, des Captains Roc French, standen. Die Weltpolizei war die einzige militärische Macht der Erde, nachdem vor 30 Jahren alle ähnlichen Einrichtungen verboten worden waren. French saß in seinem Hauptquartier in London vor der Radarkarte. Blaue Flecken zeigten ihm, wo sich seine Streitkräfte befanden, und zwei bewegliche Punkte in der Nähe von Peking und Paris stellten die Raketenschiffe dar, die die Verstärkung nach diesen Orten brachten. Schon hatte sich eine gewisse Panikstimmung unter der Bevölkerung bemerkbar gemacht. Die Menschen schlossen sich in 7
ihre Wohnungen ein und weigerten sich, ihrer Arbeit nachzugehen. Die Krankheitsfälle verdoppelten und vervierfachten sich, der Verbrauch alkoholischer Getränke stieg genau so an wie die Zahl der Selbstmorde. Innerhalb einer Woche waren in Paris 48 Menschen an XAusschlag gestorben. Sämtliche Opfer wurden vor ihrem Tode wahnsinnig. So wurde in Paris eine Krankenschwester aus dem Fenster gestürzt und getötet. In Peking rannten zwei mit Messern bewaffnete Männer durch die Straßen und stachen alles nieder, was ihnen begegnete. Erst die Polizei konnte sie stellen und erschießen. In New York wurden 15 neue Erkrankungsfälle registriert. Ein russischer Arzt meldete den ersten Fall aus Moskau. In London fand man einen Mann von 80 Jahren tot in seinem Bett auf. Sein Gesicht war grün. Stündlich trafen neue Berichte aus allen Teilen der Welt ein. In allen Versuchslaboratorien wurde fieberhaft gearbeitet; aber die Mediziner blieben machtloser, als es im Mittelalter die Ärzte im Kampf gegen die Pest gewesen waren. Es gab einfach kein Heilmittel. Innerhalb einer weiteren Woche war die Zahl der Todesopfer auf 400 gestiegen. French saß da, tief in Gedanken versunken. Seine Blicke ruhten auf dem naturgetreuen Modell der Erdkugel, das mitten im Raum hing. Grüne Flecken kennzeichneten die Orte, wo X-Ausschlag aufgetreten war, blaue dagegen bedeuteten die Polizeikräfte. Schon gewannen die grünen Stellen sichtlich die Oberhand, besonders im Westen. Er drückte auf einen der Knöpfe an der Tischplatte, und auf einer Wandfläche erschien das Bild eines Offiziers. Lebend schien dieser vor ihm zu sitzen – und doch war er mehr als 3000 Meilen entfernt. „Yes, Sir?“ „Kaplan, wie ist die Lage?“ 8
„Die Lage? Schlecht, Captain! 88 neue Fälle, 7 Tote! Zwei Frauen mußten wir erschießen. Sie hatten sich in einem Haus verschanzt und bedrohten alles mit alten Armeestrahlpistolen. Schlimm ist, daß viele Menschen sich nicht mehr melden, weil die Ärzte doch nicht helfen können. Sie bleiben zu Hause, und man weiß dann nie, wann sie mit Amoklaufen anfangen. Wir sitzen wie auf einem Pulverfaß, das jeden Moment in die Luft gehen kann.“ French drückte auf einen anderen Knopf und schaltete um. Eine junge Frau erschien auf der Wandfläche. „Ja – Roc? – Hier sieht es böse aus. Vor einer Stunde war im Südteil der Stadt ein Aufstand. Wir mußten 8 Menschen töten. Ach, wie ich das hasse! Sie waren noch gar nicht krank, nur von einer Panik ergriffen. – Roc, ich weiß nicht, ob ich das hier noch lange aushalte!“ French schob sein Kinn ein wenig vor. „Du mußt! Es ist überall das gleiche. Ich weiß, daß es grausam ist; aber du mußt noch grausamer sein! Wenn eine Massenhysterie ausbricht, sind wir alle verloren. Sei brutal, wenn es sein muß! Lieber heute 100 erschießen, als morgen 1000 abschlachten lassen!“ Sie nickte zögernd, aufmerksam sein Gesicht betrachtend. „Ich will es versuchen. Gibt es sonst etwas Neues?“ „Nein, leider nicht. In wenigen Minuten werde ich mit der Weltregierung Verbindung aufnehmen. Vielleicht erfahre ich da etwas. Wenn es wichtig ist, hörst du bald von mir. Viel Glück jetzt, Vanid!“ „Auf Wiedersehen, Roc; ebenfalls viel Glück!“ Dann erschien ein Negerleutnant auf der Wandfläche. „Schlechte Neuigkeiten, Captain! Gestern 6, heute 2 eigene Verluste. Ungefähr 10 000 Aufständische griffen uns an. Wir haben etliche Hundert erschießen müssen. In allen Städten sind Zusammenrottungen.“ 9
„Seid ihr noch Herren der Lage dort, Sam?“ „Noch, Captain! Aber wir benötigen Verstärkung. Was wird die Regierung unternehmen?“ „Ich werde versuchen, euch noch 12 Mann zu schicken. Das ist alles, was ich im Moment für euch tun kann.“ „Länger als zwei, drei Tage können wir es wohl kaum noch aushalten, Captain. Wir werden aber unsere Pflicht tun.“ French schaltete ab und starrte nachdenklich und mit zusammengezogenen Augenbrauen an die Decke. Das Problem schien unlösbar zu sein. Wenn die Wissenschaftler kein wirksames Mittel gegen den tödlichen XAusschlag fanden oder dessen Ursachen nicht von selbst verschwänden, würde die Polizei gewaltigen Aufständen und Plünderungen bald machtlos gegenüberstehen. Das Verhältnis Polizei zu Kranken war 1 : 100. Die Zahl der hysterischen Panikmacher jedoch ging in die Millionen. Hilflos zuckte French mit den Schultern und drückte einen Knopf. „Karl? Geben Sie mir bitte den Sekretär des Präsidenten. – Ja –? Ah, Jörg! Hier French. Was Neues?“ Die Antwort kam nicht sofort, als aber dann die Worte durch den Äther drangen, waren sie mit einer grauenhaften Ungewißheit belastet. Die Neuigkeit war noch inoffiziell und vorerst geheim. „Ich wollte Sie gerade anrufen, French. Es gibt etwas Neues. Ziemlich böse Sache. Nehmen Sie es bitte auf. Fertig?“ „Fertig; fangen Sie an!“ „Vor zwei Stunden sollte das Raumschiff G 19, vom Merkur kommend, hier landen. Man hatte das Schiff während der ganzen 18-stündigen Fahrt hier im Radarschirm; Funkverbindung auch. Aber auf einmal war es aus, kein Wort mehr. Das Schiff näherte sich der Erde. Vom Boden aus nahmen sie es dann in Fernsteuerung und brachten es vor einer halben Stunde herunter. 10
An der Hülle keine Beschädigungen, Raketen in Ordnung – aber es stieg keiner aus! Man ließ das Flugfeld bis auf einige Techniker und ein paar Polizisten räumen, nahm einen Atombrenner und schweißte eine Öffnung –“ Er machte eine kurze Pause und schien nach Worten zu suchen. „French, es war furchtbar! Na, vielleicht können Sie es sich vorstellen: Alle 20 Mann der Besatzung waren tot. Sie lagen im Kontrollraum, und – glauben Sie es mir – ihr Ende war nicht leicht gewesen. Grünes, zersetztes Fleisch – wahnsinnig müssen sie geworden sein! Stellen Sie sich vor: 20 Wahnsinnige allein in einem Raumschiff!“ Seine Stimme brach ab. Als French sprach, klangen seine Worte nüchtern und sachlich. „Es ist also auch dort draußen, im Weltraum –?“ „Wie gesagt – ich habe noch keine offiziellen Berichte darüber. Aber es wird schon so sein.“ „War der Ausschlag genau so schlimm wie der uns bekannte?“ „Schlimmer! Alles grün, selbst die Haare. Furchtbar!“ French knurrte etwas vor sich hin, seine Gedanken rasten. „Vielen Dank, Jörg! Gehen Sie jetzt bitte aus der Leitung. Ich möchte sofort dringend mit der Astronavigation sprechen.“ Der andere schien jedoch nicht zu hören. „Die Erde ist verloren. Wissen Sie das?“ Seine Worte peitschten wie Schüsse durch Frenchs Zimmer. „Ich sage Ihnen, daß wir alle sterben müssen!“
PLANET IM UNTERGANG Innerhalb weniger Sekunden hatte French die Verbindung unterbrochen und bekam dann den Chef der Astronavigation. Das Büro war in Paris. „Haddon? Hier ist French, London. Haben Sie einen guten Mann da? Ja? Gut, ich bin in zehn Minuten bei Ihnen. Bereiten 11
Sie alles vor, um eine Strahlung, die von der Milchstraße her kommt, zu bestimmen. Nein, ich bin nicht verrückt! Schluß!“ French sprach einige Worte in ein Mikrophon auf dem Tisch, dann erhob er sich, verließ das Büro und verschloß die Tür. Ein uniformierter Mann grüßte. „Der „Vakuum“ ist bereit, Sir.“ French fuhr mit einem Lift in den Keller hinab, passierte eine Luftdruckkammer und saß bald in einer kleinen, dichten Kabine, die genau in die unterirdische Röhre paßte. Ein Licht glühte auf, und hundert Meilen entfernt wurde die Luft aus dieser Röhre gepumpt. French betätigte einen roten Hebel. Hinter ihm drückten etliche Hundert Atmosphären die glatte Kabine mit einer Geschwindigkeit von fast 600 Meilen je Stunde nach vorn, und kurz vor dem Ziel bremste die zusammengepreßte Restluft ab. Die Kabine hielt an. Ein Helikopter wartete bereits, und genau 9 Minuten nach ihrem Gespräch reichten sich French und Haddon die Hände. Vor ihnen hing eine große beleuchtete Karte, daneben stand ein kleiner, bleicher Mann. Ganz kurz erklärte French ihnen seine Theorie: „Das ist ganz inoffiziell; verstehen Sie? Völlige Geheimhaltung ist wichtig. Mir ist eben bekanntgeworden, daß die XStrahlung – denn nur eine Strahlung kann der Ursprung des Ausschlages sein – nicht auf der Erde allein, sondern auch im Weltraum vorhanden ist.“ Haddon zog die Augenbrauen zusammen, und seine Pupillen verengten sich. „Guter Gott!“ „Ja, es sieht schlecht aus. Mir geht es nun um folgendes: Können Sie mir sagen, ob Venus, Mars oder Merkur von Strahlen bombardiert werden? Außer den bisher bekannten, natürlich. Haben Sie ein Instrument, mit dem Sie das feststellen können?“ 12
„Sicher, auf Mars und Venus befinden sich Versuchsstationen, die aber ein derartiges Ereignis bestimmt gemeldet hätten. Das neue Radioskop würde eine Veränderung auf dem Merkur ebenfalls sofort anzeigen.“ „Sind Sie sicher, daß die Mars- oder Venusstationen es nicht übersehen haben? Wir haben es auch zu spät bemerkt.“ Der Wissenschaftler lächelte schwach. „Wenn es hart auf hart geht, beweise ich Ihnen und der Weltregierung, daß sie selbst schuld an allem hat. Wir haben immer noch keinen künstlichen Satelliten, weil er zu kostspielig ist. Er hätte uns aber bei der Suche nach dem Ursprung der Strahlen gute Dienste geleistet.“ French nickte ungeduldig. „Wollen Sie, bitte, Venus und Mars noch einmal überprüfen? Hören Sie – das ist jetzt lebenswichtig!“ Der Astronavigator zuckte die Schultern und sprach in das Mikrophon auf dem Tisch. „Venus, Merkur und Mars auf Kanal A, B und C. Wünsche Radioaktivitätshöhe bei Grund und 1000 Meilen Höhe. Vergleich normal auf D.“ Er zeigte auf die Wand. Dort leuchteten drei Diagramme auf, und dann ein viertes, das den normalen Stand anzeigte. Haddon nickte. „Sehen Sie! Alles in Ordnung dort.“ „Richtig! Alle vier Diagramme zeigten den gleichen Wert an. Hm! – Was werden Sie aber sagen, wenn ich Ihnen nun mitteile, daß gestern ein Raumschiff, das vom Merkur kam und 18 Stunden für die Reise benötigte, unterwegs derart in den konzentrierten X-Strahlen-Bereich kam, daß die Mannschaft innerhalb von Minuten ein furchtbares Ende gefunden hat?“ „Sie meinen, daß – nur die Erde angestrahlt wird? Wir liegen genau in einem Strom von X-Strahlen, deren Ursprung außerhalb unseres Sonnensystems liegen muß?“ „Ganz recht! Könnten Sie den Strahlenwinkel herausfinden? 13
Es ist doch klar, daß der Strahl sehr schmal sein muß, wenn er die Erde trifft, aber keinen der anderen Planeten.“ Seine Augen wurden plötzlich ganz groß und starr. „Donnerwetter! Haben Sie eine Weltkarte hier?“ Man brachte sie. French faltete sie auseinander, und sein Finger zog langsam eine Linie; sie war gerade. „So – ja –! Dies sind die Plätze, die am schwersten heimgesucht wurden. Wenn man die Stellung der Erde im Raum berücksichtigt, auch die Rotation, und außerdem annimmt, daß der Strahl schmal ist, dann kommt er von irgendeinem Punkt links hinter der Sonne. Na, stimmt es?“ „Ein schmaler Strahl? So wie ein Scheinwerfer? Hm – ich denke eher, daß es eine Stauung der einfallenden kosmischen Partikelchen ist; denn Sie werden doch wohl nicht im Ernst annehmen wollen, daß ausgerechnet die Erde das Ziel eines aus dem Raum kommenden radioaktiven Strahles sei? Der Gedanke wäre doch wohl zu phantastisch!“ „Das ist er allerdings! Aber wenn Sie mir erklären können, warum auf einmal, nach Millionen von Jahren, die Weltraumstrahlung derart gefährlich und zudem wie durch eine Linse auf die Erde geworfen wird, dann will ich Ihnen gerne zuhören. Inzwischen errechnen wir den Winkel, ja?“ Der Chef zuckte abermals die Schultern. „Machen Sie das, Jones!“ Der kleine, bleiche Mann beugte sich über die Karten und begann mit seiner Arbeit. Nach geraumer Zeit sah er auf. „Wenn wir annehmen, die Theorie des Captains sei richtig, dann käme solch ein Strahl von Beta Capella oder einem seiner Planeten. Der Winkel würde genau stimmen.“ French zog die Augenbrauen in die Höhe. „Beta Capella? Was ist das für ein Stern?“ Der Chefastronavigator gab Auskunft. „Ein roter Riese, wurde vor 20 Jahren von Brett entdeckt. 10 Millionen Meilen Durch14
messer und überraschend geringe Dichte. Nur mit Radar sichtbar. Viel mehr wissen wir nicht.“ „10 Millionen Meilen? Das ist ziemlich groß, was?“ „Noch nicht so groß wie Betelgeuse oder Cantor.“ French streckte seine Hand aus. „Vielen Dank für alles! Vergessen Sie nicht: Streng geheim!“ Haddon nickte und lächelte ein wenig überlegen: „Sie werden noch an meine Worte denken, Captain! Es sind die Weltraumstrahlen – wenigstens müßten sie es sein!“ Diesmal zuckte French mit der Schulter. * Weltpräsident van Koff beobachtete Frenchs Gesicht auf der Bildscheibe des Gerätes. Seine Finger trommelten auf der Tischplatte. Weiße Haare bedeckten seinen mächtigen Kopf. Er saß ein wenig nach vorn gebeugt. Endlich nickte er langsam. „Ihre Theorie klingt zwar furchtbar, aber auch sehr wahrscheinlich. Thor Gunnarsen hat inzwischen das Schiff untersucht und nimmt an, daß die normale kosmische Strahlung aus noch unbekanntem Grunde plötzlich intensiver geworden sei. Ich persönlich halte Ihre Theorie für besser. Aber warum gerade Beta Capella?“ French zögerte. „Die Berechnungen! Ich weiß es natürlich selbst nicht genau. Vielleicht ist es nur ein Naturereignis. Atomare Umwandlung mit Entwicklung von Gammaradioaktivität. Ist es das aber nicht –“ Seine Stimme klang mit einem Male drohend. „– dann ist es eine Strahlung mit dem Ziel, die Erde und die Menschen zu vernichten!“ Van Koff sah ihn überrascht an. „Halten Sie das für möglich?“ 15
„Ja! Der Strahl ist schmal, seine Energie konzentriert. Kein anderer Planet wird betroffen. Ich weiß – die Theorie klingt verrückt; aber sagen Sie mir, warum es nicht so sein sollte.“ Van Koffs Entscheidungen waren immer sehr schnell getroffen. Auch diesmal. „Ich werde alles überprüfen lassen. Wenn Sie recht haben, wenn es nur Beta Capella sein kann, dann dürfen wir annehmen, daß die Strahlung auch zu verhindern ist.“ „Und dann?“ „Dann werden wir sie verhindern, und zwar mit Gewalt!“ * Unmittelbar darauf wurden die ersten hierauf bezüglichen Schritte unternommen. Van Koff befahl den Bau einer Flotte von sechs Raumkreuzern für je 60 Mann Besatzung. Sie sollten mit den neuesten Thetastrahlern ausgerüstet sein und eine Vorrichtung zum Abwurf von Solarbomben an Bord haben. Diese Solarbomben übertrafen die alten H-Bomben um ein Vielfaches und konnten einen kleineren Planeten, von der Größe des Mondes etwa, mit einem Schlage vernichten. Deuteriumreaktoren sollten die Schiffe innerhalb 9 Wochen an ihr Ziel bringen. Der genaue Schlachtplan wurde einige Tage später auf einer Konferenz in Washington erörtert und folgendes beschlossen: Da die Strahlung von Beta Capella kam – aber sicherlich nicht von dem Stern selbst, sondern von einem seiner Planeten –, sollte die Flotte sich bis in den Schwerebereich des Systems vorwagen, dann die Bomben auslösen und so schnell wie möglich umkehren. Einige Stunden würde es dauern, bis die Bomben landeten; aber 6 dieser Bomben würden eine atomare Flammenhölle von Millionen von Kilometern Weite hervorrufen. In der Zwischenzeit müsse alles Menschenmögliche getan werden, um die Zahl der Todesopfer durch X-Ausschlag nicht weiter ansteigen zu lassen. 16
Vitamin B 6 verlangsamte den Zerfallsprozeß, und 15 Zentimeter Blei oder 20 Zentimeter „Keelanplastik“ ließen die Strahlen nicht mehr durch. Entsprechende Schutzräume wurden für alle Arbeiter und Ingenieure angelegt, die mit dem Bau der Raumschiffe beschäftigt waren. Van Koffs Antrag, das Kriegsrecht zu proklamieren, wurde einstimmig angenommen. Danach wurde der Führer der Expedition gewählt; die Abstimmung ergab eine Mehrheit für John Carr, der damals als erster die Sonne umflogen hatte und jetzt noch den absoluten Geschwindigkeitsrekord für die Strecke Mars – Merkur hielt. Er nahm die Wahl an, obwohl dies sein letzter Flug werden konnte. Am anderen Tage verstärkte sich plötzlich die Strahlung. Moskau mußte aus irgendeinem Grunde sehr lange genau im Brennpunkt des tödlichen Strahls gelegen haben, denn French erhielt von Carsen, seinem russischen Agenten, einen erschreckenden Bericht. Die Stimme des Mannes war voller Grauen. „Wir sind fertig hier; die Stadt ist tot! Kein Transport, keine Verpflegung und kein Wasser! 10 000 Fälle in der vergangenen Nacht gemeldet, davon 1700 Tote! In der vergangenen Woche sind 18 000 Menschen gestorben! Von meinen 40 Mann habe ich 16 verloren!“ „Irgendwelche Aufstände?“ „Und ob! – Gestern war es furchtbar. Vielleicht 40 000 Menschen, von Angst und Verzweiflung getrieben, zertrümmerten die restlichen Geschäfte und plünderten. Dann marschierten sie; hier und da sanken etliche um, die sich dann nicht mehr erhoben. Sie wissen das, und deshalb marschieren sie immer weiter. Sie sehen aus wie Leichen.“ Ähnliche Meldungen bekam French aus allen Teilen der Welt. In Chikago stießen zwei Gruppen Aufständischer zusammen, zwischen denen sich ein erbitterter Kampf um einige zerstörte Kaufhäuser entspann. Ehe die Polizei eingreifen konnte, hatte 17
es schon 200 Tote gegeben. In Melbourne war ein Sechstel der Bevölkerung gestorben, in Berlin ein Viertel. Auf der ganzen Welt waren es bisher insgesamt eine Million Tote! Dann hatte van Koff die phantastische Entscheidung getroffen, die Erde zu evakuieren, ohne vorher den Rat um Einwilligung zu fragen. Er war kein Wissenschaftler oder Techniker; aber sein Wort war Gesetz! Der Mars war schon seit vielen Jahren mit einer künstlichen Atmosphäre versehen; und alle Schiffe, die noch vorhanden waren, wurden raumtüchtig gemacht. Behelfsmäßige Plastikschiffe wurden gebaut, die aber nur eine Reise aushielten. Die Produktion begann auf Hochtouren zu laufen. Bleidächer und -wände schützten die Arbeiter. Sie schliefen in den Fabriken. Außer Verpflegung, Brennstoff und Medikamenten wurde nichts mehr produziert, nur eben Raumschiffe, Raumschiffe und nochmals Raumschiffe! Tausend Schiffe würde man täglich herstellen können, wenn die Produktion erst mal angelaufen war. Schon 6 Stunden nach der Entscheidung verließ das erste Schiff die Erde. 50 Menschen befanden sich an Bord der veralteten V-170-Rakete. Uranium war der Treibstoff. Auf dem Mars wurden alle Vorbereitungen getroffen, die Bevölkerung der Erde in Empfang zu nehmen. Außer van Koff wußten allerdings nur noch 6 Menschen, daß mehr als 500 Millionen Menschen auf dem Mars keinen Platz hatten. Die Erde aber trug das Zehnfache an Bevölkerung! Zudem könnten, selbst bei größtmöglicher Beschleunigung der Aktion, nur etwa 20 Millionen Menschen gerettet werden; denn die Zahl der Toten stieg täglich. Es war ein Wettrennen mit dem Tode, und alles hing nun von John Carr und seinen 6 Schiffen ab. In Carrs Händen lag das Schicksal der Erde!
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DIE FLOTTE AUS DEM WELTALL Im Laufe der nächsten Woche geschahen viele Dinge. Täglich wurden 80 000 Menschen zum Mars geflogen. Außer den neuen Plastikschiffen waren dazu ältere Typen und alle verfügbaren Patrouillenkreuzer eingesetzt worden. Die Strahlung hatte sich noch mehr verstärkt, und auf der ganzen Welt betrug die tägliche Zahl der Toten etwa eine Million. Vitamin B 6 ließ diese Zahl vorerst nicht weiter ansteigen. Flugzeuge rieselten Desinfektionsmittel auf die unbegrabenen Leichen herab, damit keine Seuchen entstehen konnten. Es sah fast so aus, als werde die Erde das Rennen mit dem Tode gewinnen: denn die 6 Raumschiffe John Carrs und die Mannschaften standen bereit, um in einigen Stunden zu starten. Doch dann kam eine Neuigkeit, die die Menschen aufhorchen ließ: Drei Frachtschiffe älterer Type hatten vor einigen Tagen Mailand verlassen, um die einwöchige Reise zum Mars anzutreten. Am fünften Tage sandten sie folgenden Funkspruch, der in Genua von der Patrouille aufgenommen wurde: „Hier ist F 6. Auf Radarkanal 6 unerklärliche Echos. Erbitten Nachricht, ob wir Richtung ändern müssen.“ Die Geräte der Erde überprüften den angegebenen Sektor und stellten fest, daß F 6 sich nicht geirrt hatte. Man fragte in Washington an, und auch dort stellte man das gleiche fest. Die Entfernung der etwa hundert Körper, die sich der Erde näherten, betrug 50 Millionen Meilen. Man funkte dem Schiff: „Achtung, F 6! Wahrscheinlich Meteoritenschwarm auf Ihrem Weg. Ändern Sie den Kurs um 5 Grad! Weitere Anweisungen abwarten!“ Aus New York traf eine weitere Beobachtung ein. Sie bestätigte die vorangegangenen und fügte die Anweisung der Astronavigation hinzu, die wahrscheinliche Flugbahn des Schwarmes vom Raumverkehr auszuschließen. 19
An sich waren Meteoritenschwärme zwischen Mars und Erde nicht üblich; aber noch machte sich keiner besondere Gedanken. Dann aber kam eine neue Sensation hinzu. „Hier ist F 6. Der Schwarm hat Richtung gewechselt; ist wieder genau in unserer Flugbahn. Erbitten sofort neuen Kurs!“ Der Kommandant der Kontrollstation schüttelte sich vor Lachen. „Sie wechseln die Flugrichtung? Hat man jemals gehört, daß Meteore die Richtung wechseln, zumal so plötzlich?“ Ach ja, diese verfluchten Amateure dort oben! – Er stellte die Verbindung mit New York wieder her. „Tom, ich habe eine neue Meldung von F 6 bekommen. Höre dir das nur an: Sie behaupten, der Schwarm habe die Flugrichtung gewechselt! Prüfe es doch bitte nach, damit wir was zum Lachen haben. Auf 18/4.“ In weniger als einer Minute hatte er die Antwort. „Sam, da stimmt irgend etwas nicht! Sie haben tatsächlich die Richtung geändert und tun es laufend; und zwar mit einer unwahrscheinlichen Schnelligkeit. Es sieht so aus, als seien es Raumschiffe, die von der anderen Seite der Sonne kämen und nun in großen Schleifen die Geschwindigkeiten herabdrücken wollten. Von uns sind keine Schiffe nach hier unterwegs. Von euch?“ „Auch nicht. – Vielleicht ist ein Defekt in den Geräten. Aber bei allen Geräten gleichzeitig? Prüft doch noch mal mit euerem Supersuchgerät nach. Komische Angelegenheit!“ Das Resultat blieb das gleiche. Von New York aus wurde van Koff von dem merkwürdigen Ereignis in Kenntnis gesetzt. Ohne zu zögern, befahl dieser, daß sämtliche Luftfahrzeuge der Erde sofort zu ihren Stützpunkten zurückkehren sollten. Genua funkte das Schiff F 6 an: „F 6, sofort umkehren! Informiert die anderen Schiffe, daß sie sofort umkehren sollen. Befehl van Koffs!“ 20
Nach einigen Minuten des Schweigens, das nur durch die üblichen Störgeräusche des Kosmos unterbrochen wurde, kam die Antwort: „Wir werden angegriffen! F 5 in Flammen! Der Feind –“ Der Empfänger schwieg. Alle Versuche, mit einem der Schiffe wieder Verbindung aufzunehmen, mißlangen. Was war geschehen? Keiner der Kontrolloffiziere wußte es zu sagen. Stumm standen sie vor ihren Radarschirmen. Van Koff wurde unterrichtet. Der Schwarm war noch vier Millionen Meilen von der Erde entfernt. * Innerhalb 30 Sekunden stand van Koff mit French in Verbindung. „French, ich möchte, daß Sie sofort nach New York kommen. Ihre Theorie scheint zu stimmen. Beeilen Sie sich aber, bitte!“ Eine geräuschlose Scheibe brachte French nach New York, und schon eine halbe Stunde später saß er dem Präsidenten gegenüber. Beide Männer kannten sich schon seit Jahren, und sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, verloren sie ihre förmliche Haltung. Van Koff fiel in einen bequemen Sessel und lud French ein, sich ihm gegenüberzusetzen. Einige Minuten lang sprachen sie kein Wort, sondern saßen beide in Gedanken versunken da. Die Augen hielten sie geschlossen. „Ahhhh! Jetzt fühle ich mich wohler.“ Van Koff atmete tief auf. „Jetzt können wir uns konzentrieren, French. Und, bei Gott, wir haben das verflucht nötig!“ 21
Er unterrichtete den Chef der Weltpolizei von dem, was sich an diesem Nachmittag ereignet hatte. Dann sah er auf seine Uhr: „Es ist 19.20 Uhr. Wenn sie die Erde angreifen wollen, werden sie morgen früh hier sein. Wenn wir dem Radarecho trauen wollen – und das müssen wir schon –, dann handelt es sich todsicher um gelenkte Objekte, und zwar um solche mit Besatzung; denn sie reagieren augenblicklich. Andererseits ist es allerdings auch möglich, daß jene Frachtschiffe verunglückt sind, daher die Notmeldung. Aber alle drei? Nein, damit wäre das Rätsel der Echos nicht gelöst. Was meinen Sie?“ French zuckte die Schultern. „Denken ist Zeit Verschwendung! Wir müssen das Schlimmste annehmen, um Schlimmes abwehren zu können. Alle verfügbaren Waffen müssen bereitgestellt werden, und alle Schiffe haben auf ihren Startbasen zu verbleiben. Eine Verteidigungsflotte muß ausgesandt werden – und dann können wir nur hoffen, daß es wirklich nur „verrückt gewordene“ Meteore sind.“ „Warum eine Verteidigungsflotte? Was wollen Sie damit bezwecken?“ „Wenn es tatsächlich feindliche Raumschiffe sind, können wir sie nur im Raum selbst angreifen. Sobald diese Flotte einmal innerhalb unserer Atmosphäre ist, wird jede Gegenwehr sinnlos. Erinnern Sie sich an den Krieg im Jahre 2070? – Die Deutschen gewannen ihn damals, weil sie überraschend in die Lufthülle der Venus eindringen konnten. Die Gegner waren geschlagen, bevor sie es bemerkt hatten. Ich möchte ganz sichergehen, daß es diesmal nicht uns so geht.“ „French, wenn ich Sie zum Kriegsminister machte: Was würden Sie als nächstes unternehmen?“ „Kriegsminister? Wir haben seit 50 Jahren keinen mehr gehabt.“ Er atmete tief auf und verdaute so die Ungeheuerlichkeit dieses Gedankens. 22
„Ich würde jeden unterirdischen Raum sofort in einen Bunker verwandeln und Krankenhäuser, Unfallstellen, Feuerwehr und Polizei in äußerste Bereitschaft versetzen. Jedes Raumschiff, das sich noch einigermaßen bewegen kann, würde sofort mit Strahlkanonen ausgerüstet und müßte sich bereitstellen. Bombenabwurfvorrichtungen würden natürlich angebracht. Ja, das wäre das erste.“ Etwas unsicher wiegte er seinen Kopf hin und her, ehe er fortfuhr: „Die Menschen sind demoralisiert genug: Ich fürchte, viel können wir nicht mehr von ihnen verlangen. Wenn zu dem tödlichen X-Ausschlag nun auch noch der Angriff einer feindlichen Invasionsflotte kommt, wird es sehr schwer sein, eine Abwehr zu organisieren.“ Van Koff nickte schwer: „Das weiß ich!“ French fuhr fort: „Zuerst müssen wir dem Gegner etwas entgegenschicken; das ist wichtig! Ich würde vorschlagen, John Carr damit zu beauftragen, Fühlung mit ihm aufzunehmen. Wann können seine Schiffe startklar sein? Bis zum Morgen aber, sonst ist es zu spät.“ Van Koff sprach einige Worte in seinen Tischapparat. Dann sagte er: „In zwei Stunden sind sie fertig. Die Waffen werden gerade eingebaut.“ „Noch eines: Bin ich Kriegsminister?“ Der Präsident zögerte eine Sekunde, dann lächelte er: „Sie sind es!“ „Dann sorgen Sie, bitte, dafür, daß keines der Schiffe eine Solarbombe an Bord hat; denn falls jenes Schiff getroffen würde, bliebe uns keine Erde mehr, die wir verteidigen sollten!“ * Der Weltverteidigungsplan Frenchs wurde unverzüglich in die Tat umgesetzt. 23
Punkt 20.15 Uhr standen die 6 Raumkreuzer von John Carr startbereit auf dem Wright-Field in New York. Ungewöhnlich ernst und bleich standen die Männer der Besatzung in dem kühlen Abendnebel und lauschten den Worten des Weltpräsidenten. Sie sollten den sich nähernden Gegenständen entgegenfliegen und, sobald sie Fühlung mit diesen bekämen, die Fernsehstation einschalten, die ein naturgetreues Bild zur Erde übermitteln werde. Sollte man sie angreifen, müßten sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zurückschlagen, Falls der Gegner in der Übermacht sein sollte und sie in Gefahr kämen, sollten sie sofort zurückkehren. Die 500 Männer dankten van Koff mit einem kräftigen Hurra; dann sprach John Carr. Er versicherte dem Präsidenten und damit auch allen Zuschauern an den Fernsehempfängern, daß sie nur als Sieger zurückkehren wollten. Es werde aber kein leichter Sieg werden, denn die Zahl der sich nähernden Schiffe – falls es wirklich solche sein sollten – sei unheimlich groß. Dann stieg er als erster in sein bereitstehendes Schiff, und die Leute folgten ihm. Wenige Minuten später erfüllte der Donner der Strahlturbinen die Luft, und die Schiffe rasten in den dämmernden Himmel hinauf und waren schnell den Blicken der Zurückgebliebenen entschwunden. Vier Stunden lang blieben die Schirme schwarz, und die gelegentlichen Radiomeldungen besagten nur, daß man sich ständig mehr den „Echos“ näherte. Die kontrollierbare Kernspaltung hatte es ermöglicht, daß die Geschwindigkeit der modernen Raumschiffe ständig beschleunigt werden konnte, so daß sie – bei interstellaren Flügen – in wenigen Tagen einen fast unfaßbaren Grad erreichte. Um 10 Uhr meldete Carr, die Geschwindigkeit betrage 2000 Meilen je Sekunde. Bald danach gab er bekannt, daß sie die 24
Bremsdüsen in Tätigkeit gesetzt hätten. Eine weitere Erklärung fehlte. Im Flugkontrollraum in New York saßen van Koff und French vor dem riesigen Bildschirm, der eine ganze Wandfläche einnahm. Vorerst sahen sie nur einen kleinen glänzenden Punkt auf der schwarzen Fläche: den Mars. Die feindlichen Schiffe – was sollte es wohl anders sein? – waren noch zu weit entfernt, um sichtbar zu werden. Der Operateur stand hinter ihnen und kontrollierte das Gerät. Von draußen kam kein Laut. Die Welt schien zu warten, auf irgendein Ereignis. Die Straßen waren wie leergefegt. French brach plötzlich das Schweigen. Sein Finger zeigte auf den Schirm: „Dort! In Abschnitt M 20 – –!“ Van Koff richtete sich in seinem Stuhl auf, seine Augen weiteten sich. „Ja –!“ Ein wilder Schwarm silbern glänzender Gegenstände erschien in der Mitte der schwarzen Fläche; wie Bienen kamen sie näher und wurden größer. Dann kam John Carrs Stimme, die leicht vibrierte: „In Sichtweite gekommen. Wir bilden Schlachtformation.“ Den Beobachtern noch nicht erkennbar, verschob sich die Linie der Erdschiffe, ihre Strahlkanonen zeigten auf den Feind. Nur ein gelegentliches Flimmern verriet ihnen, daß jene Schiffe dort ihre Bremsraketen abfeuerten. French hatte das Gefühl, vor einem großen Fenster zu sitzen und direkt in den Weltraum zu blicken. Das Bild war farbig und dreidimensional. Fast wurde ihm ein wenig schlecht; denn er vermeinte, jeden Moment in die Tiefe des Alls stürzen zu können. Die Minuten vergingen. Der sich nähernde Schwarm war immer noch nicht in seinen Einzelheiten zu erkennen. Van 25
Koff klopfte nervös mit den Fingern einen Takt auf der Sessellehne. Auch French beobachtete ungeduldig den Schirm. Der Flugkommandant versuchte, das Bild ein wenig klarer zu bekommen; aber van Koff verbat ihm derlei Versuche. Nie zuvor hatte jemand den Präsidenten so nervös und ungehalten gesehen. Plötzlich erkannten sie die sich nähernden Objekte. Van Koff murmelte etwas Unverständliches. French spannte seine Muskeln und wäre fast aufgesprungen. Der Flugkommandant jedoch schrie es heraus: „Raumschiffe!“ Sie waren rund und hatten kleine, stumpfe Flügel. Stur hielten sie ihren Kurs, als sie den 6 Erdschiffen entgegenjagten. Es waren wenigstens 100 Schiffe. Die drei Mann sprangen von ihren Sitzen hoch. Sie sahen etwas, was bisher noch nie eines Menschen Auge geschaut hatte: organisches Leben außerhalb des Sonnensystems! Woher sollten sie sonst kommen? John Carrs Schiff, nun ganz links auf dem Bildschirm sichtbar, eröffnete das Feuer, dessen Strahlen durch den Raum rasten, genau auf die Mitte des anstürmenden Pulks zu. Eine kurze Explosion – aber schon waren die Feinde weiter. Einige zerfetzte Trümmer trieben im Raum; der Angreifer war also gegen Thetastrahlen nicht immun. Über den Sprechfunk hörten sie den Befehl Carrs, von neuem anzugreifen. Wie Sternschnuppen zischte und blitzte es über den schwarzen Schirm. Die Beobachter schlossen geblendet die Augen, als die Kamera ein wenig herumschwenkte und sie die Sonne ins Blickfeld bekamen. Eine weiße Flammenhölle – doch schon war sie wieder verschwunden. Dann sahen sie den die mattglühende Erde begleitenden Mond. Die Angreifer näherten sich von neuem. Ohne sich stören zu lassen, glitten sie schnell und unbeirrt auf die Erdkugel zu, um ihre Mission zu erfüllen. Wieder flammte mitten unter ihnen ein 26
greller Blitz auf, dem noch mehrere andere folgten. Alle 6 Erdschiffe hatten das Feuer eröffnet. „4!“ John Carrs Stimme war voller Triumph. Frenchs Augen jedoch verengten sich plötzlich, und ganz leicht schüttelte er den Kopf. Irgend etwas gefiel ihm nicht. Erneut drückten die 6 Kapitäne der Kreuzer auf die Feuerknöpfe, wieder flammte es auf und erlosch dann, und abermals gab es Trümmer und Bruchstücke, die einsam hinter der weitereilenden Armada herschwebten. French konnte jedoch feststellen, daß nur ein einziger Feind Carrs Angriff zum Opfer gefallen war. Zwar trugen einige der angreifenden Schiffe sichtbare Zeichen der Zerstörung, aber stur blieben sie auf ihrem Kurs. Beim nächsten Strahlenstoß schien eines von ihnen genau im Antriebszentrum getroffen worden zu sein; einer der stumpfen Flügel brach ab und wirbelte fort, eine Flüssigkeit floß in den leeren Weltraum und verwandelte sich sogleich in farblosen Nebel. John Carr hatte inzwischen gewendet und sandte erneut einen Strahlenstoß in das Wrack. Diesmal traf er genau. Mit einem grellen Aufblitzen beendete das feindliche Fahrzeug seine Reise aus der unbekannten Weite des Alls. Doch John Carrs Triumphruf verstummte jäh. Die Angreifer hatten plötzlich aus dem wilden Schwarm eine geordnete Formation gebildet und waren dann verschwunden. French begriff sofort, was geschehen war. Seine Befürchtung war eingetroffen. Im Plutonischen Krieg hatte er ja auch 4 Jahre lang praktische Raumkriegserfahrungen sammeln können. Diese jungen Männer, die die Expeditionsflotte führten, konnten diese Erfahrungen natürlich nicht haben. Selbst Carr, der schon an die Fünfzig herankam, konnte die Tricks nicht alle kennen. Die Angreifer wandten einen uralten, aber immer wieder erfolgreichen Trick an. „Carr, ändern Sie den Kurs!“ 27
Van Koff fragte erstaunt: „Was ist denn los?“ French ballte in hilfloser Wut die Fäuste. „Dieser dreimal verfluchte Narr!“ Er zeigte auf den Schirm. „Seht selbst!“ Viel war für die Beobachter nicht zu sehen. In einer Ecke des Bildes war ein ständig wachsendes Glühen; die ganze Fläche schien zu zittern und zu schwanken, die Sterne tanzten auf und ab. – Dann hörten sie Stimmen, Rufe voller Schrecken und Furcht. French stieß erneut einen Fluch aus. Der Schirm wurde schwarz. Nur wenige Sekunden noch schrie ein Mann aus dem Lautsprecher, dann brach auch diese Stimme ab; es blieb ein lastendes Schweigen. Van Koff war bleich geworden. French stand auf, seine Schultern hoben und senkten sich. „Das ist vorbei! – Ich werde versuchen, die Bodenabwehr so schnell wie möglich zu mobilisieren. Wir brauchen ferner Leute, um die Schiffe zu bemannen. Es muß etwas in die Luft, ehe sie die Erde erreichen!“ Er war schon halb aus dem Raum, als van Koff ihn zurückrief: „French! Wo sind unsere Schiffe? Kommen sie zurück?“ Der Polizeichef blieb stehen, er mied den Blick des Präsidenten. „Sie sind alle vernichtet worden! Im vergangenen interplanetaren Krieg wandten wir den gleichen Trick an, wenn wir es mit Greenhorns zu tun hatten. Man kann es aber nur mit solchen machen. Sie hatten keine Chance, die armen Burschen. Die Angreifer bildeten eine gewisse Formation, unsere Schiffe kamen von hinten. Dann bremsten die Feinde plötzlich ab. John Carr sauste mit seiner kleinen Flotte natürlich zwischen ihnen hindurch und war vor ihrer Nase, völlig ohne Deckung. – Ja, er wird nicht mehr viel davon gespürt haben.“ Van Koff nickte langsam. „Wo kennen die Burschen den Trick nur her? – Ja, wir haben keinen einzigen Schlachtkreuzer mehr, nur alte Frachter, die 28
man mit Kanonen bestückt hat. Der Feind aber – wissen wir, welche Ausrüstung er hat? – French, ich glaube, vor uns liegt eine böse Zeit!“ * Nach Frenchs Schätzung mußte der feindliche Schwarm in ungefähr 6 Stunden die äußeren Schichten der irdischen Stratosphäre erreichen. Mindestens einmal müßten sie dann die Erde umkreisen, um die Geschwindigkeit zu vermindern. Es blieb ihm nur noch wenig Zeit, eine Verteidigungsmacht aufzubauen. Wo aber würde der Feind eine Landung versuchen? Nur eine einzige Tatsache gab ihm ein wenig Kraft und Zuversicht: Die Strahlung hatte aufgehört! Ein Anruf aus Paris hatte ihn davon unterrichtet, daß in den höheren Luftschichten zwar immer noch eine verstärkte Radioaktivität festzustellen sei, was jedoch wohl auf die Reflexion von der Erdoberfläche zurückgeführt werden müsse. Die XStrahlung selbst habe völlig aufgehört. French verlor keine Zeit. Er hatte sich zwei Männer und eine Frau herangezogen, die ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen sollten. French hatte unbeschränkte Vollmachten für alle Entscheidungen, soweit sie die Verteidigung betrafen. Er hatte seine Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt. Rechts von ihm saß Paul Clay, der Mathematiker. Er war für alle Rationierungsmaßnahmen verantwortlich, und von seinen Berechnungen hing das Schicksal von Millionen Menschen ab. French gegenüber saß Chan Wen. Bis zu dieser Stunde war er Produktionsleiter für Japan-China gewesen, jetzt war er der Chef der Weltproduktion, die sich momentan fast nur mit der 29
Herstellung von Waffen beschäftigte. Hinter seinem nie lachenden Gesicht verbargen sich geniales Wissen und ein lückenloses Gedächtnis für alle Dinge, die er einmal gehört oder gesehen hatte. Man sagte, es sei die Tragödie seines Lebens, daß er 200 Jahre zu spät geboren worden sei, denn damals wäre er sicher Millionär oder Staatspräsident geworden. Das jetzige Leben war jedoch anders. In dieser Welt der Übervölkerung und Nahrungsmittelknappheit gab es keine Kapitalisten, Kommunisten oder „kalten Kriege“ mehr, sondern nur noch – Menschen. Die Einigkeit der Weltbevölkerung aber war ein großer Vorteil bei der augenblicklichen Lage. French und sein Rat, sprachen und handelten im Namen der ganzen Welt, und nicht nur in dem einer einzigen Nation. Vor 100 Jahren noch, als die Menschen sich untereinander bekriegten und jeder nur das Land zu lieben glaubte, in dem er geboren wurde, war ein Angriff von einem anderen Planeten aus auf nur unorganisierten Widerstand gestoßen. Doch schon bevor der Krieg zu Ende war, wurde die Weltregierung ausgerufen. Der Feind wurde nunmehr geschlagen, und fortan kannte man nur noch eines: die Erde als Planet! Erst die Bedrohung der gesamten Menschheit der Erde aus dem Weltall hatte das vollbracht, wofür fortschrittlich denkende Politiker jahrhundertelang gekämpft hatten. Chan Wen war der typische Vertreter des neuen Weltbürgers: Obwohl Mandarin, betrachtete er das Gelb seiner Hautfarbe nur als belanglosen Unterschied zu Schwarz oder Weiß; er sprach nur die Weltsprache, und zwar ohne jeden Akzent. Wenn er jemals über das Schicksal von Negern, Weißen oder Chinesen zu entscheiden hätte, würde er sich dabei nur von kosmopolitischen Gesichtspunkten leiten lassen. Das dritte Mitglied des Rates war eine Frau, Helen Conde, groß, schlank und sehr hübsch. Sie sollte das Gesundheitswesen 30
übernehmen: Rotes Kreuz, Unfall- und Krankenstationen sowie die großen Krankenanstalten. In ihr war das vage Gefühl, einer unlösbaren Aufgabe gegenüberzustehen. French zeigte auf die Wanduhr. „Es bleiben nur noch 6 Stunden! Es ist also keine Zeit mehr für irgendwelche Diskussionen. Jeder von euch kennt seine Aufgabe. Ich werde über die Art der Durchführung entscheiden, ihr seid mir für die Ausführung verantwortlich. Alles klar?“ Sie nickten und sahen ihn erwartungsvoll an. „Chan, jede Fabrik baut nur noch Flugzeuge, Raumschiffe, Strahlpistolen und -kanonen und stellt Atombrennstoff her. Wollen wir ruhig annehmen, daß die sich der Erde nähernde Flotte lediglich das Vorkommando ist und die anderen in verschiedenen Wellen nachfolgen werden. Produktion von Lebensmitteln erhöhen, Luxus restlos einstellen. Ich wünsche, daß alle Luftfahrzeuge von hier aus eingesetzt werden können; aber verteilen Sie die Herstellung über die ganze Welt. Helen, wir werden versuchen, ob wir sie dazu verleiten können, ihren Angriff auf Amerika zu konzentrieren. Die Bevölkerung wird nach Kanada und Europa gebracht. Es wird wohl teilweise gelingen, aber nicht vollständig. Versuche es, Helen! Errichte die Unfallstationen, suche dir Helfer und Personal. Paul, du arbeitest mit den beiden zusammen. Mache die Pläne und Berechnungen für sie: Transport, Arbeitszeit, Verpflegungsmengen und das andere alles. Wenn du denkst, es sei unmöglich, dann behalte es für dich. Wir müssen es schaffen!“ Er sah sie an, seine Blicke senkten sich der Reihe nach in die ihren. „Chan, haben Sie noch Fragen?“ „Welche Typen von Kampfschiffen brauchen Sie? Geben Sie mir einen Anhaltspunkt; Hurd Calor wird sie danach entwerfen. Eine Woche werden wir brauchen, um 50 herzustellen, aber Riesendinger!“ 31
„Ich brauche bis Freitag 100! Jedes mit 2 Extrakanonen. Und vergessen Sie nicht, daß sie auch dicht über der Oberfläche werden operieren müssen.“ French betätigte seinen Tischapparat. „Sergei? Hier French! Ich ernenne dich hiermit zum Flugkommandeur für die westliche Hemisphäre. Chan Wen wird Verbindung mit dir aufnehmen. Sage ihm, welche Type du brauchst; Calor wird die Pläne machen. Ich habe Chan meine Ideen schon mitgeteilt; überlege du dir inzwischen, wie du die Schiffe haben willst.“ Er wandte sich an die Frau. „Helen?“ „Keine Fragen, Roc“, lächelte sie. „Ich werde sehen, wie die Transportlage ist. Nur – sollte dir inzwischen einfallen, wie man in 6 Stunden 200 Millionen Menschen umsiedeln kann, dann lasse es mich, bitte, wissen! Im allgemeinen aber ist mir dies lieber als jene X-Strahlen; man weiß jetzt wenigstens, was man zu bekämpfen hat.“ French nickte. „Stimmt! Bringe zuerst die Jüngsten und Ältesten weg, die anderen später. Sie können sich eher selbst helfen. – Paul?“ „Es scheint zwar unmöglich, aber ich werde es versuchen.“ Als French allein war, stellte er erneut die Verbindung mit Sergei Pawlow her. Alle Frachter sollten sofort startbereit gemacht werden. Alle alten „Saucers“, die sogenannten Fliegenden Untertassen, sollten zur Verteidigung bereitgestellt werden. Weltpräsident van Koff hatte über den Rundfunk die Menschen aufgefordert, Schutzräume aufzusuchen. Die Fernsehstationen würden Verbindung mit dem näher kommenden Feind aufnehmen, sobald er in Reichweite geriete. Inzwischen konnte nichts anderes getan werden, als Flugzeuge, Abwehrstrahler und Raumschiffe zu bauen. Punkt 5.55 Uhr fiel der erste Schuß!
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CAPTAIN THOMSONS LETZTE SCHLACHT Wie French befohlen hatte, starteten bereits um 4 Uhr zwanzig Frachter, mit schnell eingebauten Strahlern bestückt, und stiegen bis in 10 000 Meilen, also 16 000 Kilometer Höhe. Hier umkreisten sie die Erde und warteten auf weitere Instruktionen. Es waren plumpe, langsame Schiffe, und die Kanonen waren an sich Erdabwehrgeschütze, die – ihrer großen Streuung wegen – im Weltraum nicht besonders vorteilhaft waren. Die Einrichtung war nur notdürftig und einige Motoren fehlerhaft. Eines der Schiffe erreichte nicht die nötige Geschwindigkeit, um dem Schwerebereich der Erde zu entfliehen; es stürzte ab und fiel wie ein Stein zur Oberfläche zurück. Eine 70 Jahre alte Flüssigkeitsrakete war versehentlich mit unter die startenden Schiffe geraten. Der enthusiastische Ortskommandant hatte sie auffüllen und mit einsetzen lassen. Ohne ein Wort zu sagen, waren die dazu bestimmten Leute eingestiegen und mit dem Museumsstück in den Weltraum gejagt. 5 Frachtkreuzer waren neuerer Konstruktion und führten das „Geschwader“ an. Um 5.15 Uhr war die Bodenabwehr einsatzbereit. Um 5.30 Uhr starteten Düsenflugzeuge, den Luftraum über Amerika zu überwachen. French glaubte sicher, daß der Feind zuerst dort angreifen werde, wo die Verteidigung am stärksten sei. Damit hatte er dann die Chance, die ganze Erde an einer Stelle konzentriert verteidigen zu können. Außerdem verhinderte er damit eine ausgedehnte Verwüstung, und die Umgesiedelten waren in Sicherheit. – Diese Strategie war zwar für Amerika ein harter Schlag, aber sie war nun mal notwendig. Um 5.40 Uhr wurde die feindliche Streitmacht von der Fernsehstation eines der Mondschiffe erfaßt, und die Übertragung zur Erde begann. Nach wie vor beobachteten van Koff, French und diesmal 33
auch Sergel Pawlow im Hauptquartier des Flugkommandos in New York den großen Wandbildschirm. Die eigene Flotte von 20 Frachtschiffen wurde von Captain Thomson befehligt, einem alten Veteranen, der sich vorgenommen hatte, nicht auf so dumme Tricks hereinzufallen, wie es seinem Vorgänger passiert war. Gegen 5.44 Uhr erschienen die Angreifer auf dem Schirm. Captain Thomson schaltete sein Mikrophon ein und gab laufend Berichte durch. Sergei Pawlow stand mit ihm in direkter Verbindung und konnte ihm unverzüglich Anweisungen geben, falls das nötig sein sollte. Man hatte von hier aus einen besseren Überblick. Die Erde hatte eine winzige Chance, aber die Waagschale des wahrscheinlichen Erfolges senkte sich zu Gunsten der geheimnisvollen Angreifer. Captain Thomsons ruhige Stimme, monoton und tief, gab die ersten Berichte durch: „Feind in Sicht – in 050 – Grün. Fliege mit 15 Einheiten genau auf ihn zu. Fünf andere Einheiten nach Punkt zwo – 100 Meilen über Feind.“ Die Strategie war logisch und klar. Sergei nickte kurz. Neben ihm saß ein Offizier und machte schnell Berechnungen auf einer Maschine. „Captain, hier Pawlow! Sie sind in günstigster Schußposition in genau 27 Sekunden, von – – – jetzt an!“ Schweigend starrten die Männer auf den Schirm. Die Rechenmaschine tickte leise, und schon kamen auf der schwarzen Wand silberne Punkte in Sicht, wurden größer. Die zigarrenförmigen Umrisse waren deutlich zu erkennen. Das war Thomson mit seinen Leuten. „–5 – 4 – 3 – 2 – 1 – jetzt!“ Als Pawlow das letzte Wort ausstieß, begannen die 15 Raumschiffe aus allen Rohren zu schießen. Eine tödliche Strahlenhölle voll vernichtender Hitze eilte ihnen voraus und traf, 34
dank der genauen Arbeit der Rechenmaschine, mitten in den dichten Schwarm der Angreifer. Zwei von ihnen explodierten mit einer grellen Flammenentwicklung sofort und stürzten in einer großen Spirale der Erde zu; zersplitterte Metallreste und glühende Trümmer folgten nach. Einer der Frachter hatte eine Raketenbombe abgefeuert. Automatisch gesteuert, trieb sie auf den feindlichen Pulk zu. Doch – von unsichtbaren Strahlen getroffen, detonierte sie plötzlich in tausend Stücke. Auf dem Bildschirm schaukelte es hin und her, das Fernsehschiff war in den Bereich der Druckwelle gekommen. Dann ereignete sich alles mit unfaßbarer Geschwindigkeit. Captain Thomsons Stimme brach mitten in einem Befehl ab. Die verbliebenen 90 Feindschiffe hatten sich plötzlich, ohne ihren Kurs auf die Erde zu ändern, um ihre eigene Achse gedreht. Aus ihren nun der irdischen Flotte zugewandten Bügen kam zwar kein sichtbarer Strahl; aber als Thomson den Befehl zur Kursänderung gab, traf sie die furchtbare Wucht einer Energiebarriere. Auf dem Bildschirm sah es so aus, als habe sie ein gigantischer Blitz getroffen. Das erste Schiff splitterte in zwei Teile, glühte auf und war verschwunden. Ein anderes wurde wie von einer mächtigen Faust getroffen, sprang förmlich zur Seite und rammte ein drittes. Eine blendendhelle Stichflamme vernichtete beide Schiffe. Zwei andere glichen plötzlich grellen Miniatursonnen, ehe ihre verdampfenden Trümmer seitlich in den Raum schossen. Ein alter Frachter, von einem langen Strahl getroffen, raste mit phantastischer Geschwindigkeit ins All, genau auf die Sonne zu. Thomson fluchte furchtbar, ohne jedoch seine Stimme zu heben. „Los, neu formieren! Auf 20 – Rot! Erdgeschwader selbstän35
dig handeln; Mondgeschwader angreifen! – – Sofort angreifen!!“ Die fünf Schiffe stürzten sich von oben auf den Feind. Dieser schien sie nicht gesehen zu haben; denn die Strahlen und zwei ferngelenkte Bomben trafen mitten in den Schwarm. Die Feinde lockerten ihre Formation und stoben in alle Richtungen davon. Vier jedoch flogen in der alten Richtung weiter; sie waren nicht mehr manövrierfähig und würden auf der Erde zerschellen. Zwei andere ließen einen Flammenstrom hinter sich und brachen langsam auseinander. Der ganze Schirm wurde zu einem wirbelnden Durcheinander sich schnell bewegender Silberschatten. Drei der Feindschiffe griffen an. Thomson stieß eine gellende Warnung aus; dann wurde er selbst von verschiedenen Seiten angeflogen. Ein Schiff der Mondstation mußte genau in den Schnittpunkt zweier Strahlen geraten sein. Die Hülle bog sich nach außen, und es zerfiel in zwei Teile. Es wurden vier menschliche Gestalten in Raumanzügen sichtbar, die langsam auf die Erde zuzutreiben begannen. Hilflos ruderten sie mit Armen und Beinen. Die fünf Kreuzer bewährten sich gut. An Beweglichkeit standen sie den Feinden nur um ein weniges nach. Fünfmal wurden sie angegriffen, und jedesmal gelang es ihnen – ohne eigene Verluste –, einen der Angreifer zu vernichten. Die Rakete, die die Fernsehstation trug, versuchte verzweifelt, zwei der feindlichen Schiffe abzuwehren, die sich an ihren Schwanz gehängt hatten. Die Männer der Besatzung – und auch die Beobachter auf der fernen Erde – hörten plötzlich einen heftigen Donner; eine gewaltige Kraft ließ die komplette Innenausstattung und die Menschen unsichtbar werden, und alles, was übrigblieb, war wie ein schwarzer, leerer Sarg. Ein letzter, furchtbarer elektrischer Schlag ließ auch diesen in einem einzigen Blitz verschwinden. 36
Aber das sahen die Beobachter schon nicht mehr. Im New Yorker Kontrollraum, 5000 Meilen entfernt, war der Bildschirm schwarz geworden. Nur Captain Thomson stellte mit seiner immer noch ruhigen Stimme die letzte Verbindung dar. „Wir haben noch sechs Frachtschiffe, drei Kreuzer und eine Flüssigkeitsrakete. Die Kreuzer werden pausenlos angegriffen. – Die alte Rakete werden sie schnell bekommen, sie ist zu langsam. – Ein Angreifer hat gerade einen Volltreffer erhalten und fällt auseinander. Rote Flammen schlagen aus der Hülle. – Oh, eines der Frachtschiffe ist schwer getroffen; es rast, außer Kontrolle wahrscheinlich, hinaus in den Weltraum! – So, jetzt habe ich aber einen erwischt! Er stürzt erdwärts. – Die Kreuzer sind schwer in Druck. – Wir sind zu nahe dran; die Gravitation zieht uns herab. – Die alte Flüssigkeitsrakete brennt. – Ein anderer Frachter stürzt –!“ French sprang auf die Füße. „Thomson! Hier Captain French. Kehren Sie zu Ihrem Stützpunkt zurück! Sie können doch nichts mehr ausrichten! Kehren Sie sofort zurück!“ Die sechs verbliebenen Erdschiffe schalteten die Triebwerke auf vollste Kraft und rasten in Richtung Sonne davon. Die Verfolger wurden geblendet und verloren sie aus den Augen. Schnell sammelten sie sich jedoch wieder und setzten den unterbrochenen Flug zur Erde fort. Thomson funkte eine eilige Warnung: „In wenigen Minuten werden die Angreifer bei euch sein. Höhe jetzt 3000 Meilen. Ich gehe erneut zum Angriff vor!“ Das war die letzte heroische Tat des Captains Thomson! Die vier Frachter und die beiden Kreuzer kamen aus Richtung Sonne und stießen mit höchster Geschwindigkeit, die Schwerkraft ausnutzend, senkrecht auf die Feinde herab. Bei diesem Tempo war ein Auffangen unmöglich. 37
Die Feindflotte war langsamer geworden und glitt in die äußersten Schichten der Stratosphäre. Dann waren die Erdschiffe über ihnen. Für fünf Sekunden spien ihre Strahler Tod und Verderben in die Reihen der Angreifer aus dem All. Einer explodierte, zwei kollidierten und fielen senkrecht in die Tiefe. Einer der großen Kreuzer brach durch drei feindliche Schiffe, ehe er sich selbst in einer glühenden Atomwolke auflöste. Ein Frachter stieß gleichzeitig mit vier Schiffen zusammen, und ein einziger Blitz vernichtete alle. Captain Thomson lenkte sein Schiff ruhig und sicher auf das größte der feindlichen Fahrzeuge zu. Mit etwa 300 Meilen Geschwindigkeit je Sekunde raste er los und durchbrach dessen Hülle. Dann detonierten beide. Es sah aus, als krepiere eine HBombe. Der ganze Himmel war eine einzige Flamme. Als die Fragmente des letzten Erdschiffes zischend in der nahen See versunken waren, bestand die feindliche Invasionsflotte nur noch aus 61 Schiffen. Die Erde hatte ihre gesamte Raumflotte verloren. Im Augenblick existierte keine Maschine, die in der Lage gewesen wäre, die irdische Atmosphäre zu verlassen. Und der Mars war weit!
DER ANGRIFF Die volle Wucht des ersten Angriffes traf Europa. Berlin lag unter einem prächtigen Sommerhimmel, als plötzlich, ohne jede vorherige Warnung, eine rotglühende Masse, die an Lava erinnerte, vom Firmament herabfloß. Augenblicklich verwandelte sich die ganze Stadt in ein wahres Inferno, und die alten Feuergötter der Mythologie schienen das Jüngste Gericht abhalten zu wollen. Ehe sich’s die Menschen versahen, begann 38
der Asphalt der Straßen zu kochen, und die Gebäude schmolzen zusammen, wie Zinnsoldaten auf einer glühenden Herdplatte. Nur drei Minuten lang kreisten die feindlichen Raumschiffe über Berlin; aber nach diesen drei Minuten war Berlin keine Stadt mehr. Bis zu 100 Meilen im Umkreis wurde der Himmel grau und dunkel vor Rauch; über der vernichteten Stadt selbst stand ein Rauchpilz von unvorstellbarer Dichte und Höhe. 3000 Meilen entfernt lauschte French dem Bericht. „Sie kamen wie die Teufel, sich immer in einer Höhe von 7000 bis 8000 Meter haltend. Man konnte sie nicht sehen, nur ihre Schatten. Ich sah als erstes, wie ein Gebäude, mir gegenüber, plötzlich weißglühend wurde. Man konnte hören, wie es zu kochen begann. Die Menschen schrien. Es war furchtbar. Ein Flugzeug versuchte zu entfliehen, kam aber nicht weit. Es begann ebenfalls zu glühen, stürzte ab und tötete viele. Alles brannte – alles! Wir konnten nichts mehr tun; wir haben keine Krankenhäuser mehr, keine Dächer, kein Essen und kein Wasser. – Schickt uns Hilfe!“ French stellte die Verbindung mit Sergei Pawlow her. „Berlin wurde angegriffen. Warne alle europäischen Verteidigungsstellen! Keine Flugzeuge dürfen starten – sie haben keine Chancen. Die Erdabwehrstrahler sollen eingesetzt werden. Wollen den Erfolg abwarten.“ Dann rief er Helen Conde. „Berlin wurde angegriffen. Kannst du ihnen helfen? Tue es; aber vergiß nicht, daß das erst der Anfang war! Wir dürfen keine Position schwächen.“ Dann kam ein Funkspruch aus Paris, von Haddon: „Echos auf 7 – 9 – 6 – Rot. Anzunehmen, daß zweite Angriffsflotte nach hier unterwegs ist. Entfernung: 50 Millionen Meilen.“ London war das nächste Ziel. 39
Das erste, was sie sahen, war eine kleine schwarze Wolke hoch oben in dem blauen Himmel – dann aber fiel auch schon der Hagel der Hölle über sie her, und ganze Gebäudekomplexe sanken in sich zusammen. Dennoch war London ein wenig glücklicher daran, als Berlin es gewesen war. In Lambeth stand eine Fabrik, die Strahlwaffen für die Polizei hergestellt hatte und nun völlig auf Kriegsproduktion umgestellt worden war. Sie hatten gearbeitet wie wild – und London war vorbereitet. Als die massierte Streitkraft über der Stadtmitte hing, langsam dem Lauf der Themse folgend, schossen plötzlich Dutzende von schmalen Thetastrahlen in die Höhe, und wenige Sekunden später kam einer der Angreifer herabgestürzt; wie ein Stein fiel er auf das Dach des Zentralkrankenhauses. Sechs „Saucers“ stiegen – trotz des Verbotes – auf und griffen die Feinde an. Aber einer nach dem anderen wurde vernichtet, ohne selbst Schaden angerichtet zu haben. Die Feindflotte formierte sich über Southend neu und kam wieder, diesmal konzentrierter und offenbar ein wenig erbost über die Gegenwehr. Das historische Denkmal, die St.-Pauls-Kathedrale, lag direkt im Zentrum des ersten Angriffs. Das hohe, gewölbte Dach begann zu glühen, schien sich aufrollen zu wollen, begann zu schmelzen. Ein Abwehrstrahler auf einem Haus erwischte die kleine Tragfläche eines Feindschiffes. Es trudelte herab, sauste durch einige Häuser hindurch und explodierte endlich, als es vor die starken Mauern eines Hochhauses in der Regentstreet prallte. In der gleichen Sekunde stürzte ein anderes Schiff in den Fluß und brachte das Wasser für einige Minuten zum Kochen. Ein drittes wurde von zwei Strahlen getroffen, raste mit einem geradezu phantastischen Looping gen Himmel und kehrte mit Überschallgeschwindigkeit wieder zur Erde zurück. Monate später erst grub man es aus; 70 Meter tief hatte es sich eingebohrt. 40
Genau so schnell, wie der Angriff gestartet worden war, wurde er beendet. Alle Fernsehstationen, die an der Flugstrecke lagen, berichteten laufend über den ständig wechselnden Kurs der Feindschiffe. Manchester war das nächste Ziel der Invasionsflotte. Ohne jede Verteidigungsmöglichkeit, war diese Stadt zum Untergang verurteilt. Sie kamen in weniger als 500 Meter Höhe an und ließen eine derartige Verwüstung zurück, wie sie in der Geschichte der Menschheit noch nie verzeichnet werden konnte. Die Häuser sanken in sich zusammen, Flammen und Rauch kennzeichneten den Weg der Angreifer. Eine Brücke war zu einer einzigen Metallmasse zusammengeschmolzen und staute so den Fluß. Dessen Wasser traten über die Ufer, und die ganze Stadt wurde überflutet. In den glühenden Straßen bedeutete dies in doppelter Hinsicht Todesgefahr. Unter gewaltigem Zischen stiegen ungeheuere Mengen Wasserdampfes in die Luft. Wie zuvor in Berlin, stand auch hier kurz danach eine grauschwarze Rauchwolke über der Stelle, an der einst eine blühende Handelsmetropole gelegen hatte. Die Angreifer setzten ihren Weg fort; sie flogen über den Atlantik in Richtung Amerika. Ungefähr auf halbem Wege durchschnitt ein Düsenschiff die See. Reisende aus allen Ländern waren an Bord und betrachteten erstaunt, ja erschreckt die näher kommenden unbekannten Flugzeuge. Eine einzige grellweiße Stichflamme verwandelte das Schiff in einen sinkenden Trümmerhaufen, inmitten einer vom auslaufenden Öl brennenden See. Nur eine kurze Funkmeldung, schon nach den ersten Worten abbrechend, warnte New York vor der sich nähernden Gefahr. 1000 Strahlkanonen, 160 bestückte Saucers und 50 andere Luftfahrzeuge standen bereit, den Feind zu empfangen. 41
Punkt 9 Uhr kam er in Sicht, dicht über dem Ozean fliegend. Die Sonne war schon hinter dem Horizont versunken. French hatte den Oberbefehl über die direkte Abwehr übernommen. Trotz van Koffs Warnung und der entschiedenen Mißbilligung des Rates hatte er die Absicht, in einer Saucer die ganze Aktion von der Luft aus zu leiten. Die Maschine war mit einem Infrarotsucher und einem starken Sender ausgerüstet; er konnte somit jederzeit mit allen Stellen in Verbindung bleiben. Als die ersten zigarrenförmigen Silberschatten den Küstenstrich überquerten, hing er in 5 Meilen Höhe und beobachtete auf dem Bildschirm die Geschehnisse. Sie kamen in Wellen! Die erste Welle war schon 5 Meilen landeinwärts gedrungen, als sich aus den Wolken herab ein Rudel Saucers auf den Feind stürzte, wie wild aus allen Rohren feuernd. Fast bis zur Erde schossen sie hinab und verschwanden dann mit einem schrillen Pfeifen wieder im Himmel. Wie French vorausgesehen hatte, war der unbekannte Feind verwirrt und überrascht. Das war der Hauptzweck der Aktion. French wollte sie unsicher machen, und die Piloten der Saucers taten alles, um dieses Ziel zu erreichen. Wie Akrobaten brachen sie in Zickzacklinien durch die feindlichen Reihen und schossen, was das Zeug hielt. Die Angreifer gerieten sichtlich durcheinander. Dann – die Saucers waren plötzlich verschwunden – wurde vom Boden aus das Feuer eröffnet; konzentrierte Strahlenbündel trafen mitten in den Pulk hinein, und der erwartete Erfolg blieb nicht aus. 13 Feindschiffe kamen herunter, viele von ihnen verbrannten vollständig, ehe sie den Boden berührten. Eines jedoch – es hatte nur ein Loch in der Hülle – schwankte wie ein Blatt zur Erde herab, ging dann in einen Gleitflug über und landete glatt am Ende der 49. Straße. 42
French sah es landen. Alles andere vergessend, funkte er Leo Baun an, den Polizeiagenten von New York. „Leo? Hier French. Ein feindliches Schiff ist soeben gelandet. Ecke 49. und 16. Straße. Nimm dir einige Leute und sieh nach. Wenn du Schwierigkeiten hast, dann schieß! Ich gehe inzwischen hinunter und beobachte es.“ Die Saucer glitt schräg nach unten, Frenchs Blicke hingen gespannt auf dem Bildschirm. Bis jetzt hatte sich bei dem langen Zylinder, der quer über der Straße lag, noch nichts gerührt. Bei 3000 Meter glaubte er, eine Bewegung bemerkt zu haben; bei 1000 war er sicher: eine Luke hatte sich zurückgeschoben. French ließ sich wie ein Stein senkrecht herabfallen. Nur 100 Meter von dem unheimlichen Raumschiff entfernt setzte er schweigend auf, kletterte heraus und hielt den schweren Polizeistrahler schußbereit. Gerade als er auf die Straße herabsprang, schwebte dort etwas aus dem Metallzylinder heraus. Es war ein rundes Ding, wie ein Ballon, anscheinend leicht wie Luft; lange Röhren kamen aus der Kugel heraus und – klar, das waren die Beine! Das Ding sah aus wie eine riesige Spinne! Irgendwelche Organe waren nicht zu sehen. French kam es nicht sofort zu Bewußtsein, daß das Ding ja wahrscheinlich lebte. Es schwebte sanft herab, landete auf der Straße und begann dann, sich langsam und unbeholfen auf ihn zuzubewegen. Die langen, dünnen Beine – oder Arme? – wedelten in der Luft herum, als suchten sie nach einem Halt. – Es sah aus wie ein aufgetauchtes Tiefseeungeheuer, häßlich, unwirklich und grauenhaft. French fühlte seine Waffe, kalt und schwer. Sie schien momentan das einzig Wirkliche, alles andere dagegen nur ein Alptraum zu sein. Er hörte seine eigene Stimme das Kommando zum Stehen43
bleiben geben. Unbeirrt glitt die Kreatur auf ihn zu, wie blind. Vielleicht war sie blind – und fühlte ihn nur irgendwie! Die große weiße Kugel, lederartig – oder auch wie Gummi – leicht leuchtend, kam näher; die etwa 7 bis 8 Meter langen Gliedmaßen tasteten suchend, wie Fühler, vor ihr her. French machte keine Bewegung, er war wie gelähmt. Es war alles so unwirklich und unglaublich. Die Raumschiffe selbst waren wenigstens irgendwie etwas Gewohntes, Bekanntes, dies Lebewesen war es absolut nicht, es war furchtbar und unnatürlich. Er bemerkte kaum, daß er auf den Feuerknopf gedrückt hatte. Er sah nur, daß das Ding 20 Meter zurückgeschleudert wurde, hart gegen das Schiff prallte, langsam wieder auf den Boden fiel und auf den Füßen landete. Dann begann es erneut, langsam auf ihn zuzukriechen. Ein furchtbarer Schrecken ließ Frenchs Herz für einen Moment stocken. Er hatte noch nie gehört, daß es etwas gäbe, was einem Thetastrahl widerstehen könnte. Es war wissenschaftlich unmöglich, daß irgendeine Wasser-Kohlenstoff-Verbindung davon nicht vernichtet, zersetzt würde! Er feuerte erneut – und wieder – und wieder! Jedesmal warf die Wucht der konzentrierten Energie das Untier zwar zurück, aber immer wieder schwebte es sanft zur Erde nieder, landete richtig und begann seinen Vormarsch auf French. Dieser stieß einen gräßlichen Fluch aus und ging vorsichtig zurück, eine neue Batterie in das Magazin seiner Waffe schiebend. Plötzlich stieß das Ding einen schrillen Schrei aus, hoch und hell, wie ein Tier in Todesfurcht. French stockte vor Grauen das Blut. Er zog sich weiter zurück. Die Kreatur war zwischen ihm und seiner Saucer. Schon begann es zu dämmern, die Straße lag tot und leer. 44
Er fühlte sein Blut bis zum Halse pochen, und eine nie gekannte Furcht beschlich ihn. Nur sein starker Wille hinderte ihn daran, sich umzudrehen und davonzulaufen. Das Ding konnte kein Tier sein! Lebewesen mit solchen Raumschiffen mußten doch Intelligenz besitzen! Er starrte das Ding an. Was sollte er tun? Schritt für Schritt kam es auf ihn zu – Schritt für Schritt wich er zurück. Wie ein Mensch, der, ohne Waffe, einem wilden Tier begegnet und nun versucht, es mit der Macht seines Blickes zu bannen. Aber dies hier war kein wildes Tier! Es war überhaupt kein Tier! Plötzlich stieß sein Rücken gegen eine harte Wand. Den Rücken hatte er frei – gut so! Doch dann verwandelte sich diese Beruhigung in eine maßlose Bestürzung. Die Straße war zu Ende! French hob seine Waffe. Das Ding kam näher – er feuerte. Es erhob sich in die Luft, und ein erneuter Energiestrom trieb es weit weg. Wie eine Schlange legte sich ein heißer, gummiartiger Arm von hinten um seinen Hals und zwang ihn in die Knie. Sein letzter Gedanke war: Sie haben mich geblufft! Man hatte ihn geschickt in eine Falle getrieben.
BEGEGNUNG MIT DEM TOD Als Leo Baun Frenchs Meldung erhielt, befand sich gerade Vanid Leroux in seinem Büro. „Was ist, Leo? War das Roc French?“ Leo nickte grimmig. „Das war er! Er sagt, daß eines der feindlichen Raumschiffe in der 49. Straße, Ecke der 16. Straße, gelandet sei. Man kann nie wissen! Er will, daß ich sogleich mit einigen Leuten hingehe. 45
Ich habe aber jetzt keine Leute; also bleiben nur wir beide übrig.“ Sie stiegen in seinen Wagen, der an Stelle der früher üblichen vier Räder nur eine einzige Kugel in der Mitte hatte, und rasten durch die stillen, leeren Straßen. Über ihnen blitzte es am Himmel; die Luftschlacht tobte noch immer. Durch das Transparentdach konnte Vanid eine Gruppe von Saucers sehen, die dicht über ihnen dahinflog. Jetzt stoben die Apparate auseinander, als plötzlich eines der feindlichen Schiffe aus den Wolken auf sie herabstieß. Nur eine konnte nicht mehr entkommen. Sie verlor an Höhe, stürzte ab und krachte auf das Dach eines nahen Wolkenkratzers. Der Angreifer flog eine Schleife und kehrte zurück, einen Strahl auf das Wrack abschießend. Vor dem Wagen begann die Straße zu brennen, und jener Wolkenkratzer glühte auf. Eine Luftdruckwelle traf das Fahrzeug, und Vanid wurde in die Ecke geschleudert. Aber Baun fing den Wagen wieder auf, umfuhr vorsichtig die Unfallstelle und raste weiter. Bald zeigte der Tachometer eine Geschwindigkeit von 150 Meilen je Stunde an. Bauns Gesicht war finster. „Vor uns scheint es zu brennen. Wir müssen den Umweg über den Broadway machen. Versuche, ob du den Captain erreichen kannst. Er wird sich besonders freuen, wenn er zu hören bekommt, daß auch du in der Stadt bist.“ Vanid wurde ein wenig rot, als Baun den letzten Satz grinsend hinzugefügt hatte, und warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. Baun jedoch starrte angestrengt auf die Strecke vor sich. Sie griff nach dem Sender. „Hallo! Captain French! Hier sind Leutnant Leroux und Leutnant Baun! Es ist schwer, an die Stelle heranzukommen. Was ist inzwischen geschehen?“ 46
Aber nur schwache Pfeifsignale waren die Antwort, Frenchs Welle war tot. Baun zog die Augenbrauen in die Höhe. „Versuch’ es mal im Hauptquartier! Vielleicht ist er dort.“ Es war genau so ergebnislos; man wußte nichts von ihm. „Captain Frenchs Maschine muß gelandet sein. Die Nachricht kam vor 5 Minuten. Seitdem keine Meldung mehr. Tut uns leid, aber –“ Vanid schaltete ab. „Das gefällt mir nicht, Leo! Da ist etwas geschehen! Beeile dich, bitte!“ Der Wagen rutschte um die Kurve und raste weiter. Die Tachometernadel stand auf 90 und verharrte auch vorerst dort. Vor ihnen flogen einige der feindlichen Raumschiffe tief über der Stadt; ihre Strahlen brachten Feuer und Tod. Ein hoher Wolkenkratzer fiel der Länge nach auf seinen Nachbarn, und beide brachen in der Mitte auseinander. Die Trümmer lagen haushoch auf der Straße und versperrten sie. Irgendeine Alarmanlage neben ihnen begann zu schrillen, ein Kind schrie, und ein Mann rief um Hilfe. Die Angreifer schossen über sie hinweg. Von einem in der Ferne schimmernden Dach suchte ein Strahl nach einem Ziel; man konnte ihn in dem Halbdunkel deutlich erkennen. Dann traf er die Schwinge eines Schiffes. Ein grelles Aufleuchten, und schräg stürzte es in die Tiefe, entschwand den Blicken der beiden Menschen. In der Ferne ertönte eine Detonation. Vanid ergriff plötzlich Bauns Arm. „Leo! Welcher Art Feinde sind es eigentlich? Sind es Menschen? Ich meine, wenn Roc –?“ Baun versuchte ein schwaches Grinsen. „Nun fange nur nicht an zu spinnen! Wenn sie Raumschiffe bauen können, werden es schon Menschen sein. Und wenn sie Kriege entfesseln, dann sind sie auch zivilisiert. Das ist doch ein klarer Fall! – French hat einen schweren Strahler bei sich 47
und wird sich schon wehren. Er ist kein Narr! Übrigens werden sie bei der Landung wahrscheinlich umgekommen sein. Er wird dort warten, bis wir kommen. Selbst wenn sie noch leben sollten, werden sie sich ergeben müssen. Was denn sonst?“ Das Mädchen nickte langsam. „Vielleicht hast du recht! Aber es ist alles so merkwürdig, dieser ganze Krieg. Was ist der Grund? Warum wollen sie uns töten? Was haben sie vor? Was wissen sie überhaupt von uns?“ Baun zuckte die Achseln und nahm eine Kurve. „Das ist es ja! Das möchten wir alle wissen. Im Augenblick können wir nur zurückschlagen, auch wenn wir den Sinn ihres Angriffes noch nicht voll begreifen. Vielleicht kamen sie nur aus einer Laune heraus oder aus purem Zufall. Aber ich glaube das nicht. Denke an die X-Strahlung!“ Vanid sah ihn an und nahm eine Zigarette. „Danke! – Aber nun mal ernstlich, Leo: Was denkst du? Wie wird es ausgehen?“ Baun gab keine Antwort. Dann aber hob er die Schulter, und in seinem Gesicht war ein zynischer Ausdruck. „Wir müssen alle einmal sterben! Aber um die Wahrheit zu sagen: In diesem Kampf haben wir gar keine Chance mehr, und ich persönlich sehe keine andere Möglichkeit, als sie so lange zu bekriegen, bis wir tot umfallen. Das ist alles, was ich denke!“ Er grinste sie an, bereute aber dann sofort seine rauhen Worte. „Vielleicht bin ich ein Pessimist, Vanid. Wir müssen natürlich versuchen, einen Ausweg aus dieser Lage zu finden. Und Roc French wird einen finden! Das ist meine feste Überzeugung – und Hoffnung.“ Das Mädchen rief das Hauptquartier und biß sich auf die Lippen, als immer noch keine Nachricht von French vorlag. Leo trat hart auf die Bremse; vor ihnen türmten sich unübersehbare Trümmerhaufen zu einer Barrikade. Sie suchten nach einem Schild. 48
„Aha, 43. Straße! Kann nicht mehr weit sein.“ Im Scheine eines brennenden Hauses warf er einen Blick auf seine Uhr. „Wir müssen über Laburnham.“ Sie wendeten und bogen in die erste Seitenstraße ein. Eine Menschenmenge begegnete ihnen; die Leute trugen Koffer, Pakete und Kleiderbündel. Vanid krampfte die Fäuste zusammen, ihr Atem ging schwer und keuchend. „Ich habe solche Angst, Leo. Mach schneller!“ Endlich bogen sie in die 49. Straße ein, automatisch traten die Bremsen in Tätigkeit, als die immer noch funktionierende Ampel rotes Licht zeigte. Nach etwa einer Minute rasten sie weiter, in eine dunkle Allee hinein. Baun schaltete den Nachtscheinwerfer ein, und das Schwarz vor ihm wurde hell und weiß. Und dann sahen sie es! Hundert Meter vor ihnen blockierte das abgestürzte Raumschiff die Straße, dahinter lag im Dunkel und halb verdeckt die Saucer. In demselben Moment, da sie anhielten, hörten sie einen schrillen, hohen Schrei. Irgend etwas Weißes mit schlangenförmigen Armen kroch aus einer Seitenstraße von links auf sie zu. Mit einem Fluch auf den Lippen trat Baun auf den Beschleunigungshebel, und das Fahrzeug schoß mit einem wilden Satz davon. Doch da war noch ein anderes Ding vor ihnen, auch wieder eine dicke Kugel mit langen, dünnen Armen und Beinen. Die hin und her tanzenden Gliedmaßen spielten förmlich über einem Körper, der bewegungslos mitten auf der Straße lag. Mit einem Schauder des Schreckens stellte Baun fest, daß der Körper ein Mensch war. Nun erkannte er ihn: Roc French! Baun ließ seinen Wagen weiterrasen, lenkte ihn über den 49
Bürgersteig, an einem Hindernis vorbei, kam wieder auf die Straße und prallte genau auf den runden Gummiball, schleifte ihn mit und krachte vor eine Häuserwand, das Ding als Puffer benutzend. Dann wendete er den Wagen und hielt neben French. Als er die Tür aufgleiten ließ und heraussprang, näherte sich ihnen das zweite der milchweißen Fabelwesen. „Den Strahler! Schieße auf das Biest, Vanid!“ Dann bückte er sich, hob French hoch und schob ihn in den Wagen. Vanid feuerte und trieb das unheimliche Wesen an den Häusern entlang, etwa 50 Meter zurück. Doch dann schrie sie entsetzt auf. Von hinten kam ein langer weißer Arm und griff nach ihr. Die Riesenspinne, die sie an die Wand gequetscht hatten, lebte noch! Baun packte das Mädchen, warf es in den Wagen zu dem bewegungslosen French, glitt selbst auf den Sitz, und schon rasten sie davon, mitten zwischen den suchenden Armen hindurch. Mit Mühe fand er zwischen Raumschiff und Hausecke einen Fahrweg, dann lag die freie Straße vor ihm. Der Zeiger kletterte auf 150. Während der ganzen Fahrt zum Krankenhaus sprach keiner von ihnen ein Wort.
DER KAMPF GEGEN DIE RIESENSPINNEN Als sie hielten, kam French wieder zu sich. Er richtete sich auf, sah sich verdutzt um und griff an seinen Hals, um den eine rote Stranguliernarbe lief. Baun drehte sich in seinem Sitz um und blickte ihn an. „Geht es wieder, Captain?“ French nickte. 50
„Schönen Dank, Baun! Verdammt Glück gehabt!“ Vanid gab ihm eine Zigarette; ihre Hand zitterte leicht. „Bist du sicher, daß dir nichts geschehen ist?“ Er nickte nochmals und nahm Feuer. Nach einem tiefen Zug sagte er nachdenklich: „Diese – Dinger müssen unschädlich gemacht werden! Eine Strahlpistole macht ihnen nichts aus; wir müssen es mit Bomben versuchen.“ Er blickte aus dem Wagen. „Was ist das für ein Gebäude, hier?“ Baun mußte über den Tonfall grinsen. „Das Krankenhaus. Die Wunde sah so aus, als ob –“ French fluchte und unterbrach ihn: „Krankenhaus! Zum Hauptquartier! Aber schnell!“ Baun grinste noch immer; der Wagen flitzte davon. „Geht in Ordnung, Captain! – Was werden wir tun?“ „Hängt davon ab, wieviel Verluste die Angreifer hatten und wann die nächste Flotte ankommt. Schätze, daß wir sie morgen erwarten können. Im Augenblick scheint ja Ruhe zu sein. Das Wichtigste wird sein, diese – Spinnen zu erledigen!“ „Was sind das für Lebewesen, Roc?“ fragte Vanid. „Tiere – oder mehr? Warum hat man sie hierhergebracht?“ „Gebracht? Man hat sie nicht gebracht; sie kamen von selbst! Es sind intelligente Wesen, vielleicht intelligenter als wir.“ Er betrachtete seine Zigarette und überlegte. „Vielleicht irre ich mich; aber ich glaube, daß ich recht haben werde und wir in dem Schiff nichts anderes mehr finden werden. Sie sind eben eine Art der vielen Millionen Arten von Lebewesen, die die Natur im Universum hervorgebracht hat. Ich weiß nur, daß mir gerade diese Art überhaupt nicht gefällt!“ Baun nickte beifällig: „Ja, mir imponieren diese Biester auch nicht! Zum Teufel mit ihnen!“ 51
Vanid konnte das nicht so schnell verdauen. „Aber warum sehen sie denn wie – nun, wie Tintenfische oder Kraken aus? Ich kann mir nicht vorstellen, daß es keine Tiere sein sollen.“ „Wir sehen so aus, wie wir sind, weil wir uns auf der Erde entwickelt haben. Die Natur hat uns mit dem ausgestattet, was wir benötigen, um unsere Nahrung zu erlangen. Früher mußten die Menschen um ihre Nahrung kämpfen, so wie es jetzt noch zahlreiche Tiere tun müssen. Der lange Hals der Giraffe, der Rüssel des Elefanten, die Krallen des Tigers, der Verstand des Menschen, oder seine Hände – das sind alles Instrumente zur Nahrungssuche und zum Lebenskampf. Vielleicht essen sie auf Beta Capella andere Dinge als wir, und in einer anderen Art: Dinge, die sie nur mit ihren langen Armen greifen können und für deren Verdauung sie die runden Körper benötigen. Vielleicht ist bei ihnen die Sonne so hell, daß sie keine Augen brauchen. – Die Schwerkraft mag so gewaltig sein, daß sie nur auf einem Dutzend Beine von der Stelle kommen. Als sie auf die Erde gelangten, schwebten sie zuerst hilflos in der Luft herum. Nein, Vanid, lasse dich nicht von ihrem Äußeren irre machen! Sie sind schlau, vielleicht zu schlau! Wir werden es noch früh genug erfahren.“ Vor dem Hauptquartier hielt der Wagen; sie sprangen heraus. Baun und das Mädchen folgten French in dessen Büro. Er fiel in einen Sessel und forderte sie auf, sich ebenfalls zu setzen. Aber bald richtete er sich wieder hoch und griff zum Apparat. „Calhoun? Wieviel Leute können Sie entbehren? – Gut! – Nehmen Sie 20 Mann, und begeben Sie sich mit ihnen zur Ecke der 49. und 16. Straße. Handgranaten mitnehmen! – Nein. – Ja. – Zwei sind dort, ihr werdet sie schon finden. Schnell! Riegelt das Viertel ab; die Sache ist gefährlich.“ „Jankowski, nehmen Sie drei gute Piloten mit zur Ecke der 52
49. und 16. Straße! Auch Strahler und Bomben mitnehmen! Sucht nach zwei Besatzungsmitgliedern des abgestürzten Feindschiffes. Sie sehen nicht so aus wie wir, sondern eher wie – wie große Spinnen. – Doch nun schnell!“ „Sankey? Einen großen Flammenwerfer sofort zur Ecke der 49. und 16. Straße! Augen aufhalten! Gefährlicher Kram!“ French drückte einen roten Knopf. „Präsident? – Ich möchte den Präsidenten, es ist wichtig! – Ah, Chef? Hier French. – Einer der Angreifer ist notgelandet, an der Ecke der 49. und 16. Straße. Vor 20 Minuten etwa. Zwei Lebewesen sind herausgekommen, sehen aus wie Riesenspinnen oder wie Tintenfische. – Richtig! – Ja, ich weiß. – Jedenfalls haben sie eine weiße Farbe, der Körper ist rund und hat einen Durchmesser von ungefähr 2 Metern. Zwölf Gliedmaßen, 8 Meter lang. Besonders wohl fühlen sie sich bei uns nicht; sie werden lediglich von der Schwerkraft so einigermaßen gehalten – wie ein Mensch unter Wasser. – Das habe ich auch schon angenommen. Sie sind mit Todesstrahlern nicht zu vernichten und auch gegen Druck unempfindlich. Baun quetschte einen von ihnen mit dem Wagen an die Wand – ein Elefant hätte das kaum überlebt –, dies Ding jedoch tat, als sei gar nichts geschehen. – Ja, gut. Sofort, Chef!“ „Hauptzentrale! – Hier Captain French. – Senden Sie auf allen Kanälen stündlich eine allgemeine Warnung: Es ist bei Strafe verboten, abgestürzte Feindschiffe zu berühren oder gar zu öffnen! – Das ist ein Befehl des Präsidenten. – – Stündlich, verstanden?“ Ein anderer Knopf wurde gedrückt. „Kelly! Machen Sie mir einen Hubschrauber klar. – Ja, sofort. – Natürlich, bewaffnet!“ „Heissen? Hier French, Verteidigung. Ihre Spezialität ist doch die Erforschung des Lebens auf den Planeten und im Universum? Schön; wir haben ein prachtvolles Exemplar für Sie. 53
Kommen Sie schnell zu mir. In 5 Minuten fliege ich los. – Keine Fragen jetzt; erkläre Ihnen alles später.“ „Sergeant Vayle? Geben Sie mir den letzten Lagebericht! – Ja, verstehe. – Wo sind sie jetzt? – Um welche Zeit? – Ja, tun Sie das! – Sie können mich auf Kanal 2 jederzeit erreichen.“ French sah auf und warf einen Blick auf die Wanduhr. „Die Angreifer umkreisen die Erde in einer Höhe von 10 000 Meilen. Sie werden auf das Tageslicht warten. Es sind nur noch ungefähr 20. Die neugemeldete Flotte kann nicht vor morgen nachmittag, 16 Uhr, hier sein. Die Stadt ist zu 15% total zerstört, die Brände konnten unter Kontrolle gebracht werden. – Willst du mitkommen, Baun, und zusehen, wie sie die Spinnen einkreisen? – Vanid, es ist spät. Du siehst so aus, als hättest du einigen Schlaf nötig.“ Das Mädchen zog eine Grimasse. „Du hast recht; ich sehe euch dann morgen früh. Viel Glück denn!“ Baun sprang auf die Füße und gähnte wie ein Flußpferd. Der Biologe Heissen erwartete sie bereits auf dem Dach; die Flügel des Düsenhelikopters drehten sich leicht. Daneben stand eine andere Maschine, in deren Kabine bestimmt 4 Mann Platz hatten. Heissen streckte seine Hand aus. „Captain French, welche Ehre! – Aber erzählen Sie mir von jenen Musterexemplaren, die Sie erwähnten. Von wo kommen sie?“ „Das sollen Sie mir ja dann erzählen!“ Sanft stiegen sie schräg in den dunklen Himmel hinauf. Irgendwo dort unten brannte ein Stadtteil, blutigrot reflektierten die Wolken den Feuerschein. Ein kühler Wind blies, der Vollmond blickte ab und zu durch eine Lücke in der Wolkendecke. Die Nacht war still und wirkte irgendwie drohend. French ging immer tiefer hinab und schwebte fast zwischen 54
den Wolkenkratzern. Er überflog die leeren Straßen, und nur manchmal sahen sie dort eine Bewegung, einen Krankenwagen oder ähnliches. Plötzlich drangen die Schreie der weißen Riesenspinnen von irgendwoher an ihr Ohr, eigenartig schrill und gräßlich. Heissen lehnte sich in seinem Sitz vor, und eine tiefe Falte bildete sich quer auf seiner Stirn. „Haben Sie das gehört?“ French gab keine Antwort, ließ aber den Helikopter senkrecht nach unten fallen, bis dicht über die Oberfläche. Keine zehn Meter unter ihnen lag jenes Raumschiff. Eine Katze miaute und sprang in den Schatten. Sonst bewegte sich nichts. Heissen erschauerte. „Welch ein unheimlicher Platz!“ French ließ die Tür ein wenig aufgleiten, hielt eine Stablampe heraus und leuchtete in die Dunkelheit der unter ihnen liegenden Straße. Langsam wanderte der Strahl hin und her. Es war nichts zu sehen. Der Helikopter flog ein wenig mehr auf das Wrack zu. Wieder ertönte der gräßliche Schrei, diesmal näher. „Sie sind immer noch in der Allee“, flüsterte Baun. „Möglich.“ Das Flugzeug fiel noch mehr ab, hing nur noch vier, fünf Meter über dem Boden. – Die Spinnen können uns so gerade noch greifen, dachte Baun unwillkürlich. Heissen versuchte krampfhaft, zu grinsen. „Warum sind wir eigentlich hier? Wo sind denn Ihre Musterexemplare?“ Innerlich tat er Baun leid; man hatte ihm ja gar nicht erklärt, worum es sich überhaupt handelte. „Sie kamen aus jenem Raumschiff. Ja – wie soll man sie bezeichnen? Sie wüßten es sicher selbst nicht. So eine Art –“ Er brach ab. 55
Das Gesicht des Biologen war plötzlich weiß geworden und schimmerte geisterhaft durch das Halbdunkel der Kabine. Mit Augen, in denen der Wahnsinn zu flackern schien, starrte er auf einen Punkt hinter Bauns Rücken. Dieser wandte sich langsam um, und auf der Haut seines Nackens begann es zu prickeln. Um die Ecke einer Seitenstraße bogen zwei Riesenspinnen in die Allee ein. French glitt ihnen langsam entgegen. „Passen Sie genau auf, Heissen!“ Baun krallte seine Finger in den Sitz, als der Hubschrauber langsam auf die Kreaturen zuschwebte. Der Schweiß tropfte von seiner Stirn. Dieser French hatte ja Nerven! Die Spinnen mußten sie bemerkt haben; denn sie schrien und segelten dann förmlich auf sie zu. Sie mußten fast so leicht wie Luft sein. Heissen griff nach Bauns Arm, seine knochigen Finger drangen in dessen Fleisch. „Was – ist das? – Um Gottes willen! – Was ist das?“ Wispernd antwortete ihm Baun, der seine Blicke nicht von den unheimlichen Geschöpfen zu nehmen wagte, die sich nicht ganz sicher zu sein schienen, ob sie näher kommen sollten oder nicht. „Ich habe es Ihnen doch schon gesagt; sie kamen aus dem Raumschiff. Zwei sind es. Haben Sie keine Ahnung, was das für Kreaturen sein könnten?“ Heissens Augen quollen fast aus den Höhlen. „Das ist ja phantastisch! Das ist geradezu unglaublich!“ Ganz langsam überwand die berufliche Neugier den verständlichen Schrecken und das Grauen des Gelehrten. „Sehen Sie diese langen Arme? An ihren Enden die gallertartigen, durchsichtigen Kügelchen? Das könnten die Sehorgane sein. Beobachten Sie mal die Art und Weise, wie sie sie vor sich herbewegen!“ 56
French ließ das Flugzeug ein wenig zurückgleiten. Das eine der Geschöpfe hatte seine Vorwärtsbewegungen fortgesetzt. „Wie ein Schlafwandler“, meinte Baun. „Aber wo, zum Teufel, hat das Ding denn seinen Mund?“ Der Biologe beobachtete scharf und dachte nach. „Dieses Geschöpf unterliegt nicht den gleichen Naturgesetzen wie wir. Schon die Haut sagt mir das. Ich glaube, daß es überhaupt keine Nahrung braucht. Aber das ist nur eine Vermutung von mir. Bringen Sie mir ein Exemplar, das ich untersuchen kann; dann sage ich Ihnen mehr.“ French öffnete die vordere Windschutzscheibe. „Passen Sie jetzt genau auf!“ Er drückte auf einen Knopf, und aus der Thetakanone des Helikopters schoß ein alles verbrennender, sogar Atome zersplitternder Strahl. Die in der Nähe stehenden Häuser schimmerten von der enormen Hitze. Das Ungeheuer wurde zurückgeschleudert, halb fliegend und gleitend schleifte es über die Straßenoberfläche, prallte vor eine Verkehrsampel und verlor sich dann im Dunkel einer Seitenstraße. Aber dort schrie es auf, und bald danach zeichneten sich seine Konturen in der Finsternis ab, und es begann von neuem, sich den Menschen zu nähern. French legte einen Hebel herum, und das Flugzeug stieg bis in zehn oder zwölf Meter Höhe, wo es bewegungslos hängenblieb. Baun stieß einen erleichterten Seufzer aus. Der Biologe nahm eine flache Schachtel aus seiner Tasche und schluckte eine Tablette. Die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück. Das Ding dort unten hatte ihm einen ordentlichen Schock 57
versetzt. Baun konnte das verstehen. Ein gewöhnlicher Sterblicher würde ebenfalls Schrecken und Furcht empfinden, aber der Biologe war Wissenschaftler und erkannte sofort, daß dieses Wesen allen bekannten Naturgesetzen widersprach. Zu seinem Erschrecken gesellte sich also noch das grenzenlose Erstaunen. Am erstaunlichsten war die Unverletzlichkeit gegenüber den sonst alles vernichtenden Thetastrahlen; dann aber auch die seltsame Farbe und das Fehlen der Organe. Womit hatte es überhaupt geschrien, wenn es keinen Mund hatte? Heissen hatte sich langsam wieder erholt. „Hm! – Es gibt an sich nur eine Erklärung für die Hitzebeständigkeit dieses Wesens. Ich nehme an, daß seine Zellenstruktur nicht aus Wasserstoff, sondern aus Fluorine besteht. Aber das ist an sich ein flüssig-gasförmiges Element.“ „Davon verstehe ich nicht allzuviel, Heissen; ich kann das also nicht beurteilen. Ich will nur eines von Ihnen wissen: Wie, um alles in der Welt, kann ich dieses Biest umbringen?“ Seine Stimme war ärgerlich, als er fortfuhr: „Aber schnell jetzt! Wie denken Sie darüber?“ „Sie lassen mir wirklich nicht viel Zeit … Ich meine –“ „Wir haben auch nicht viel Zeit zur Verfügung! Deshalb haben wir Sie ja gleich mitgenommen, und nicht etwa zum Vergnügen. Sie haben gesehen, daß selbst der schmale und konzentrierte Strahl das merkwürdige Wesen nicht verletzen kann. Was kann es denn nun verletzen, wenn kein Thetastrahl?“ Langsam flogen sie über der Allee dahin, der Scheinwerfer suchte die leere Straße ab. „Es ist leicht möglich, daß ein Dutzend dieser Spinnen in New York herumläuft. Daher ist es unbedingt notwendig, einen schwachen Punkt an ihnen zu entdecken; und zwar, ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren! Sie sind der Experte! Denken Sie, um Gottes willen, mal scharf nach!“ 58
Baun sagte sich, daß die Lage sehr, sehr ernst sein mußte, wenn schon der Chef nervös zu werden begann. Heissen nickte verstört. „Ja, Captain, ich werde es versuchen. Aber“ – Seine an sich schon hohe Stimme wurde fast schrill – „ich benötige unbedingt ein Exemplar, das ich untersuchen kann!“ French ließ die Maschine plötzlich nach unten sinken. „Da kommt Sankey mit dem Flammenwerfer. Vielleicht können sie direkte Hitze weniger gut vertragen. Aber ich bezweifle das.“ Das schwergebaute Fahrzeug mit dem zylinderförmigen Aufbau hielt an. French schaltete das Funkgerät ein. „Hören Sie, Sankey: Das Ziel ist ein Lebewesen auf der anderen Seite des Wracks vor Ihnen. Es sieht zwar etwas seltsam aus, Sankey, aber lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Starten Sie Ihre Maschine, und fahren Sie langsam vor. Ich werde Ihnen Bescheid sagen, wenn Sie das Feuer eröffnen sollen. Stellen Sie die Düsen auf nahe Entfernung und konzentrierte Energie ein. Dann vollste Kraft und Maximalhitze. – Alles begriffen? Dann also los!“ Das Fahrzeug unter ihnen bewegte sich auf das Raumschiff zu und quetschte sich durch das freie Stück zwischen Haus und Wrack. French schaltete seine Landescheinwerfer ein und tauchte die Straße in eine orangefarbige Flut hellen Lichtes. Das Fahrzeug hing schräg auf den Trümmern und rutschte nun auf der anderen Seite herab. Dann aber blieb es mit einem Ruck stehen. Wenige Meter vor ihm stand die Riesenspinne, unheimlich groß und geisterhaft. Baun hörte, daß der Fahrer sinnlose Flüche ausstieß und mit dem Fluchen anscheinend gar nicht mehr aufhören wollte. „Zielen Sie, Sankey, und dann – Feuer!“ 59
Heissen hatte wahrscheinlich noch nie Gelegenheit gehabt, einen dieser modernen Flammenwerfer arbeiten zu sehen. Sie waren für Eisschmelzung und -verdampfung in der Arktis vorgesehen. Die Hitze des konzentrierten Feuerstrahls war derart groß, daß die Straße vor dem Fahrzeug aufplatzte und schmolz. Die Fensterscheiben des gegenüber gelegenen Wolkenkratzers zersprangen, und feiner Pulverstaub rieselte auf die Straße herab. Die erhitzte Luft stieg in die Höhe und nahm den Helikopter mit, als sei er eine leichte Feder im Wind. Die Nacht wurde zu einer feurigen Hölle, und Baun dachte unwillkürlich an Dantes „Inferno“. Heissen rieb sich die schmerzenden Augen. „Mein Gott! Diese Hitze würde sogar Karbon verdampfen lassen!“ French ließ das Fahrzeug wieder hinabsinken, und sie sahen, daß Sankey sich mit einem Flammenwerfer eiligst in Sicherheit brachte. Etwas weiter entfernt entdeckten sie das Ungeheuer. Es war rotglühend und tanzte wie wild auf und ab, sich dabei zurückziehend. Es hinterließ eine schwarze Spur. Baun fühlte, wie ihm schlecht wurde. „Kannst du eine Bombe darauf werfen?“ French schüttelte den Kopf, das Ding da unten mit geradezu wissenschaftlichem Interesse betrachtend. „Wir würden dabei zuviel unnötig zerstören. Warum auch? Meinst du, das Biest wäre nicht auch so erledigt?“ Baun gab keine Antwort; er hatte seine Frage aus einem anderen Grunde gestellt. Vielleicht hatte das Lebewesen Schmerzen? Aber dann gab er sich einen Ruck. Es war Krieg. Wie konnte er da weich werden! Etwas weiter zurück entstand eine Bewegung. French ließ den Helikopter herumwirbeln, um besser sehen zu können. 60
Einige Fahrzeuge hielten, und 20 Polizisten sprangen heraus. Sie formierten sich vorschriftsmäßig und gingen dann vor. Baun erkannte die lange, hohe Gestalt Calhouns, der ein transportables Funkgerät trug. „Captain French? Hier ist Calhoun mit 20 Mann. Fertig zum Angriff.“ French gab keine Antwort; er beobachtete immer noch die krampfartigen Zuckungen der flammenden Spinne in der Nebenstraße. „Baun“, sagte er dann endlich, „du hast recht! Das verfluchte Ding lebt immer noch. Was sollen wir denn nur noch versuchen? Zur Hölle mit dem ganzen Kram!“ Baun beugte sich aus dem offenen Seitenfenster. „Ja, es lebt! Es versucht die Flammen zu löschen, indem es sich gegen die Hauswand drückt. Wenn das Luder nicht feuerfest wäre, würde es schon längst verbrannt sein.“ Heissen fiel aufgeregt ein: „Das ist ja erstaunlich! Wissen Sie das? Ich hätte nie geglaubt, so etwas mal selbst erleben zu können. Wir haben ja immer geahnt, daß es auf anderen Planeten Formen des Lebens geben könnte, die mit den unserigen und unseren Naturgesetzen nichts zu tun haben. Aber so etwas tatsächlich selbst einmal sehen –“ Er wandte sich ab und murmelte vor sich hin: „Unglaublich! Wenn man Darwins Theorie der Entwicklung verfolgt –“ French fiel ein, ohne sich um Heissens Gerede zu kümmern: „Baun, haben Sie keine Idee?“ „Doch, Chef; ich möchte immer noch gerne sehen, was so eine nette kleine Bombe ausrichten kann. Eine Deuteronsprengbombe könnte vielleicht –“ French dachte nach und nickte dann. „Möglich, daß die Sprengstücke eindringen. Wir haben derartiges bisher noch nicht versucht.“ 61
Er hantierte am Funkgerät. „Calhoun, das ist eine gefährliche Geschichte, hier! Auf der anderen Seite ist ein Tier –“ Weiter kam er nicht. Bauns Stimme unterbrach ihn mit einem schrillen Kreischen: „Chef – dort! Hinter uns, auf der Straße, unten! Zwei andere –!“ French ließ den Helikopter auf der Stelle drehen; aber es war schon zu spät, um die Leute warnen zu können. Zwei der riesigen Spinnenungeheuer hatten sich auf die noch ahnungslosen Polizisten gestürzt. Woher die Bestien gekommen waren, das blieb den Männern in dem Flugzeug ein Rätsel. Aber es beschlich sie das unheimliche Gefühl, als ob diese Lebewesen sich allmählich zu organisieren begännen. Während Baun dieser Gedanke kam, hing dort unten bereits einer der Leute in den Schlingarmen des einen Untiers. Die anderen standen einen Moment wie erstarrt; dann rasten sie alle in einer Richtung davon, offensichtlich von einer panischen Furcht erfüllt. Doch sechs von ihnen gelang diese Flucht nicht. Zappelnd wehrten sie sich verzweifelt in den Fängen ihrer unmenschlichen Gegner. Schon bald lagen zwei Mann bewegungslos am Boden; das Blut lief ihnen aus verschiedenen Wunden. Aber French war hart und unnachgiebig. Mit seiner Stentorstimme brüllte er aus dem geöffneten Fenster nach unten: „Halt!“ Das Flugzeug ruckte nach unten und stand fast auf der Erde. „Halt! Seid ihr verrückt geworden? Das sind doch bloß Tiere! Tötet sie! – Ihr laßt einfach eure Kameraden im Stich? Zurück mit euch! Gebraucht eure Strahler vorsichtig. Wenn die Männer frei sind, werden D-Bomben eingesetzt. – Also los, schickt sie zur Hölle, ihr Feiglinge!“ 62
Langsam und zögernd wandten sich die Männer um; ihre Hände tasteten nach den Waffen. Noch ein Wort des Captains – und sie hatten ihre Fassung wiedergewonnen. Sie zogen die Pistolen heraus und liefen den Weg zurück, auf dem sie soeben, halb besinnungslos vor Furcht, davongestürzt waren. Die Spinnen hatten inzwischen furchtbare Rache genommen. Calhoun und zwei seiner Leute waren tot, ihre Körper waren zerquetscht und auseinandergezerrt. Ein anderer Mann wehrte sich noch schwach gegen die rhythmischen Druckbewegungen des Armes, der ihn umschlungen hielt. Und dort stand noch jemand, mit dem Rücken an der Wand, und schlug verzweifelt mit einem schweren Knüppel auf die tastenden Gliedmaßen einer der Spinnen ein. Irgendwer feuerte einen Strahler ab und traf. Eines der Ungeheuer wurde weggeschleudert, obwohl es mit Armen und Beinen hilflos nach einem Halt suchte. Sodann konzentrierten sich gleich drei Strahlen auf das andere, das daraufhin etwa 50 Meter durch die Luft wirbelte, ehe. es wieder zu Boden sank. Der Mann allerdings, den es dabei losließ, würde sich nie mehr erheben können. Er war tot. Heissen schrie entsetzt auf, als der Strahl von Frenchs Scheinwerfer auf den reglosen Körper fiel. An der Kehle war ein weiter, klaffender Schnitt, die Haut war unnatürlich weiß und schlaff, die Knochen schimmerten bläulich durch. „Vampire!“ brüllte Baun heraus. „Vampire! Sie trinken das Blut!“ Heissen hatte das Gefühl, zu träumen. Die immer noch rauchende Straße, die blutlosen Körper der Getöteten, die unheimlichen Fabelwesen – all das konnte doch nur ein gräßlicher Traum sein! Könnte er doch aufwachen! Bauns plötzlicher Warnungsschrei riß ihn aus seinen Betrachtungen. Dies war alles andere als ein Traum! 63
„Hinter euch!“ Die Männer auf der Straße sprangen herum und drückten, ohne zu überlegen, auf die Feuerknöpfe ihrer Waffen. Die immer noch brennende Spinne und eine andere kamen auf sie zu, schrille Schreie ausstoßend und wütend mit den Armen fuchtelnd. Einen der Männer bekamen sie zu fassen; seine Stimme kreischte auf, wie die eines zu Tode Gemarterten. Aber sie verstummte genau so schnell wieder. Ein Thetastrahl traf ihn; einer der Polizisten hatte ihn absichtlich auf den Verlorenen abgeschossen. Die anderen zogen sich bis an das Raumschiff zurück und suchten dort nach Deckung. Die vier Spinnen schwebten und glitten hin und her, als seien sie sich nicht schlüssig, was sie als nächstes unternehmen sollten. Fern am Horizont erblickte Baun eine Gruppe von Saucers, die auf sie zukam. Ein brillanter Feuerschweif zog hinter ihnen her. Wütend grunzte French: „Reichlich spät!“ Heissen stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, der sich aber gleich darauf in einen Schreckensruf verwandelte. Eine der Spinnen ging erneut zum Angriff über. Sie hatte wahrscheinlich die Menschen innerhalb des Wracks bemerkt und glitt nun mit erstaunlicher Geschicklichkeit in dieses hinein. Zusammengeballt in einer Ecke, befanden sich die Männer in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Ihre Strahler waren nutzlos, denn die kreuz und quer durcheinander hängenden Metallstreben hätten jeden Schuß zu einem tödlichen Bumerang gemacht. Die Strahlen wären unweigerlich reflektiert worden. Sie konnten nichts anderes tun, als voller Furcht und wie hypnotisiert auf das herankriechende Untier zu starren. 64
French handelte blitzschnell. Ohne ein Wort der Warnung ließ er das Flugzeug wie eine Bombe hinabfallen. Baun und Heissen suchten verzweifelt nach einem Halt, während die Maschine heulend durch die Luft stürzte, die Düsen auf volle Kraft. Es gab einen nervenzerreißenden Krach, Metall und Plastik zersplitterten wie Holz, ein Schmerz durchraste die Glieder der Männer – und der Helikopter war durch die bereits beschädigte Hülle des Wracks gebrochen und mitten in den Lederkörper des Ungeheuers geschmettert. Vor Bauns Augen flimmerte es rot; aber Frenchs Stimme riß ihn aus seiner halben Betäubung. „Baun, hilf mir! Heissen ist eingeschlafen!“ Die beiden Männer fielen förmlich aus der zerfetzten Maschine heraus, den Biologen mit sich ziehend. Dieser war besinnungslos, schien aber sonst unverletzt. French hatte eine blutige Narbe über der Stirn, Baun eine steife Schulter. Er hatte die düstere Ahnung, daß sie nur einem unerklärlichen Wunder ihre Rettung verdankten. Der Helikopter war völlig zerstört; man konnte ihn nicht mehr von den Trümmern des Raumschiffes unterscheiden. Das Ungeheuer lag nicht weit entfernt auf dem Bürgersteig und versuchte krampfhaft, wieder auf die „Beine“ zu kommen. Das zweite umkreiste sie zögernd, kam aber nicht näher. Dann glitt mit einem schrillen Pfeifen die erste Saucer auf die Straße herab. Die Polizisten liefen auf sie zu und kletterten, sich dabei stoßend und drängend, hastig hinein. French und Baun folgten ihnen, zwischen sich den bewußtlosen Heissen schleppend. Der Pilot half ihnen, den Biologen in die Kabine zu heben. „Leutnant Jankowski kommt auch gleich. Wollen Sie mit ihm fliegen?“ French nickte: 65
„Ja, starten Sie! Bringen Sie die Leute hier zum Hauptquartier, und kommen Sie zurück; wir werden Sie nötig haben. Der Verletzte“ – Er zeigte dabei auf Heissen – „wird ins Krankenhaus gebracht. Die anderen Männer“ – seine Blicke überflogen die zusammengedrängten Polizisten – „sind in sicheren Gewahrsam zu bringen – wegen Feigheit vor dem Feinde!“ fügte er hinzu. Der Pilot schloß die Transparenttür und zündete die Düsen. Wie ein Aufzug stieg die Saucer in die Höhe und brauste davon. Gleich darauf setzte eine andere dicht neben French und Baun auf. Jankowskis breiter Kopf beugte sich aus dem Fenster. „Was ist denn hier los? Was ist das dort?“ Sein Daumen zeigte auf das sie immer noch unschlüssig umkreisende Ungetüm, und in seinem Gesicht stand ein fassungsloses Erstaunen. Baun zuckte die Schulter. Die beiden Männer kletterten in das Flugzeug und ließen sich aufatmend in die gepolsterten Sitze hinter dem Piloten sinken. „Hauptquartier!“ grunzte French dabei vor sich hin. Der Pole hob die Saucer an, warf dabei kaum einen Blick auf die Mauern an seiner Seite und sauste senkrecht nach oben. Bald schon lagen die Häuser unter ihnen. „Kamen sie aus den Raumschiffen?“ fragte er dann. Baun bestätigte das und teilte ihm weitere Einzelheiten mit. „Aber ich glaube kaum“, schloß er seine Ausführungen, „daß sie eine unüberwindliche Gefahr bedeuten, auch wenn wir bisher noch kein Mittel gefunden haben, um sie restlos zu vernichten. – Wir wissen allerdings nicht, wie viele von ihnen sich schon in der Stadt umhertreiben. Solange sie jedoch keinen organisierten Massenangriff unternehmen – und dazu sind sie wahrscheinlich nicht in der Lage –, sind wir kaum in Lebensgefahr.“ 66
Der Pole schüttelte den Kopf. „Ich verstehe zwar nicht viel von einem massierten Angriff, aber sie scheinen mir verteufelt – hm – intelligent zu sein.“ Baun und French folgten der Richtung seines ausgestreckten Armes. „Seht dort!“ sagte der Pilot. Hinter sich, im Tiefrückspiegel, erblickten sie die vier Riesenspinnen, die sich gesammelt hatten und nun langsam und unsicher nach Norden vordrangen. Ihre langen Gliedmaßen fuchtelten in der Luft herum und tasteten an den Häusern entlang. Zum ersten Male kam es den Männern zum Bewußtsein, daß diese Kreaturen nach einem bestimmten Plane handelten. Inzwischen waren zwei andere Saucers hinzugekommen. Hundert Meter über den vier Spinnen verharrten die drei Flugzeuge in der Luft und beobachteten das Treiben der Ungeheuer. Schon waren sie in der 42. Straße. Die geisterhaft weißen Gebilde schaukelten ruhig weiter über die toten Straßen, und French dankte dem Schicksal, daß ihnen kein Mensch in die Quere kam. Eine leise Ahnung drohenden Unheils dämmerte ihm jedoch, als er plötzlich statt der vier Spinnen sechs dieser Untiere bemerkte. Baun machte diese Entdeckung in derselben Sekunde. „Da sind zwei hinzugekommen!“ schrie er erstaunt und voller Schrecken. Schweigend starrten sie auf die sich langsam vorarbeitenden Spinnentiere. Die zwei hinzugekommenen mußten aus einer Seitenstraße aufgetaucht sein. Drüben am Fluß lagen nämlich noch mehr abgestürzte Raumschiffe. Die Spinnen überquerten nun den Central-Park, wo sie auf dem kurzen Gras ziemlich gut vorankamen. „Jetzt –?“ Bauns Stimme verriet drängende Ungeduld. 67
French nickte. „Ja, wir wollen es versuchen.“ Er wandte sich an den Polen. „Sie haben doch die Bomben bei sich, von denen ich sprach?“ Jankowskis Gesicht überzog sich mit einem breiten Grinsen. „Natürlich, Captain. Sollen wir sie anwenden?“ Frenchs Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Sage den beiden anderen Piloten, sie sollen uns dicht auf den Fersen bleiben. Zünder auf Streuung stellen – und dann genau vor ihre Nase.“ Die drei Saucers stießen gleichzeitig in die Tiefe. Jankowski starrte auf die heranrasenden Tiere, seine Hand lag an einem gelben Hebel. Als die Maschinen den niedrigsten Punkt ihres Sturzfluges erreicht hatten – keine 15 Meter über dem Rasen –, drückte Jankowski den Hebel. Baun wurde tief in seinen Sitz gepreßt, als sie wieder in die Höhe schnellten, um der furchtbaren Explosion zu entkommen. Ein Blitz hüllte plötzlich die Kabine ein, eine Druckwelle riß die Saucer in die Höhe, und sie wurden alle heftig durcheinandergewirbelt. Trotz der schalldichten Hülle drang ein grollender Donner von unten herauf an ihre Ohren. French wandte sich um und blickte in den Spiegel. In der großen Rasenfläche klaffte ein Trichter von etwa 100 Meter Durchmesser. In einem Umkreis von einer halben Meile stand kein Baum und kein Strauch mehr. Die Spinnen jedoch waren – unverletzt. Sie hatten schon das Ausgangstor erreicht und waren durch die Explosion nur noch schneller vorangekommen. Die Kreaturen aus dem Weltraum waren also mit den normalen Mitteln der Erde nicht zu bekämpfen. Sie waren unempfindlich gegen Energiestrahlen und Atombomben, so unglaublich und unmöglich das auch zu sein schien. 68
Inzwischen hatte eine der Saucers kehrtgemacht und ebenfalls eine Bombe geworfen. Ein greller Blitz, die Spinnen wirbelten durch die Luft, landeten wieder auf der Erde und setzten ihren Vormarsch fort. French befahl der dritten Maschine, ihren Angriff zu unterlassen. Es hatte doch keinen Sinn und wäre nur Zeitverlust gewesen. „Zum Hauptquartier! – Aber schnell jetzt!“ Nachdenklich lehnte er sich zurück und schloß die Augen.
DIE KONFERENZ Die Zusammenkunft im Hauptquartier trug den Stempel der ernsten Lage. Nachdem der Präsident Frenchs Bericht angehört hatte, befahl er das sofortige Erscheinen aller Mitglieder des Weltrates. Sie kamen; aber man sah ihnen an, daß sie aus den Betten geholt worden waren. Die ganze verzweifelte Situation mit all ihren Schrecken stand auf ihren Gesichtern geschrieben. Als aber dann French seinen Bericht gab, bemerkte er, daß sich unter ihnen gewisse Zeichen einer beginnenden Panik bemerkbar zu machen schienen. „Die Lage ist sehr ernst!“ beendete er seine Ausführungen. „Über uns werden bald 150 feindliche Schiffe kreisen, und überall in der Stadt bewegen sich diese unheimlichen Spinnen und marschieren auf ein bestimmtes Ziel zu. Man kann sie weder bekriegen, noch kann man mit ihnen Frieden schließen. Soweit ich bisher feststellen konnte, sind sie unzerstörbar. Wir befinden uns in der Situation eines Mannes, der nach zwei Seiten gleichzeitig kämpfen muß, aber nicht die nötigen Waffen besitzt. Ehrlich gesagt: Ich mache mir große Sorgen. Noch bevor der Morgen anbricht, müssen wir ein Mittel haben, womit wir diese 69
Spinnen vernichten können, oder eine Massenpanik wird das Land und die Erde ins Verderben stürzen.“ Weltpräsident van Koff stand aufrecht neben French und betrachtete die unruhigen Gesichter der Männer vor sich. Er blickte hinüber zu den Wissenschaftlern und Experten, zu den Technikern und bekannten Ingenieuren; aber keiner rührte sich. „Ich schaffe das nicht allein!“ fuhr French fort. „Ich benötige eine wissenschaftliche Hilfe und technische Ratschläge.“ „Es muß eine Lösung geben!“ sagte Van Koff langsam. Sven Jörgen, der Zoologe, erhob sich. „Nein, Präsident, es gibt keine Lösung! Diese Dinge liegen außerhalb unserer Sphäre. Wir kennen keine Einzelheiten und haben nichts, womit wir experimentieren könnten. Ich habe diese Spinnen auf dem Bildschirm gesehen und versucht, eine Analyse zu machen. Es ist unmöglich; sie lassen sich auf diese Art nicht definieren. Sie sind nicht von dieser Erde, und folglich kann man sie nicht mit irdischen Maßstäben messen oder mit unseren Instrumenten analysieren. Wenn wir wenigstens die Verhältnisse des Planeten kennen würden, von dem sie kommen, dann gelänge es uns wahrscheinlich, nach einem gründlichen Studium dieser Verhältnisse festzustellen, woraus diese Lebewesen bestehen. Aber dies alles würde natürlich einige Zeit in Anspruch nehmen, viel mehr Zeit, als Sie uns geben können.“ Er setzte sich wieder, immer noch seinen Kopf schüttelnd. „Nein, es ist wirklich unmöglich!“ French atmete tief auf und zuckte die Achseln. „Ich wünschte keinen so ins einzelne gehenden Bericht über die Möglichkeiten einer chemischen Analyse, sondern nur einen guten Gedanken eines gesunden Gehirnes. Was wir nicht herausfinden können, müssen wir uns eben denken. Es gehört selbstverständlich ein wenig Phantasie dazu. Ich habe Ihnen geschildert, wie diese Spinnen sich benehmen. – Kann denn nun 70
keiner von Ihnen in einer logischen Gedankenfolge erklären, was man unternehmen könnte? Sie, beispielsweise, Professor Kern: Können Sie mir nicht sagen, ob diese Wesen aus eigener Intelligenz handeln, oder ob Sie mehr den Eindruck haben, daß sie aus der Ferne kontrolliert und geleitet werden? Glauben Sie, daß sie auf ihrem Heimatplaneten die höchste Form des Lebens sind, oder meinen Sie eher, daß man sie nur vorgeschickt hat, um das Risiko eines Kampfes gegen uns auf sich zu nehmen?“ Er beugte sich über den Tisch und starrte in die Gesichter vor sich. „Ich frage dies, weil ich einen besonderen Grund dazu habe. Ich bezweifle nämlich ernsthaft, daß diese Spinnen die geistigen Urheber des Überfalls auf die Erde sind. Ich bin mir fast sicher, daß sie es nicht sind!“ Kern sprang auf, eine steile Falte zwischen den Brauen. „Captain, das ist wenigstens schon mal eine Idee! Auch ohne wissenschaftliche Untersuchungen können wir zu brauchbaren Resultaten kommen. Wir benötigen nicht unbedingt Tatsachen, um eine Theorie aufzustellen! Auf alle Fälle wissen wir bereits, daß es Vampire sind.“ Einige Zuhörer schauderten sichtlich zusammen. „Das beweist uns schon, daß Heissen mit seiner Theorie bezüglich der Zellenstruktur nicht recht hatte. Wenn sie Blut saugen, dann haben sie auch irgendwelche Hydrocarbonverbindungen –“ French unterbrach Kern; vergeblich versuchte er, seine Ungeduld zu verbergen. „Ja, ja, Professor! Aber kommen Sie zur Sache, zur Praxis. Wir haben keine Zeit zu langen Erörterungen.“ Kern war sichtlich beleidigt. „Ich rede ja nur von der Praxis! Durch die geschilderte Tatsache scheint es nämlich durchaus möglich, daß wir diese Wesen vergiften können.“ 71
„Vergiften?“ staunte French. „Aber wie denn?“ „Nun, ich habe ja nicht gesagt, daß es möglich ist, sondern daß es möglich sein könnte! Wenigstens meine ich das. Vergessen Sie nicht, daß nur eines der Tiere Blut gesaugt hat. Vielleicht war das eine Ausnahme. Das weiß ich natürlich nicht. Jedenfalls glaube ich sicher, daß die durchsichtigen Verdickungen an den Enden der Gliedmaßen eine Art Mundöffnungen sind.“ Als nächster sprach Paul Clay, der Mathematiker. „Mir ist auch etwas aufgefallen, und zwar folgendes: Als die Tiere landeten – wir konnten es ja am Fernsehgerät beobachten –, bewegten sie sich sehr unbeholfen und ungeschickt, ungefähr wie ein Mensch, den man urplötzlich auf einen fremden Planeten versetzt, dessen Atmosphäre zwar nicht giftig, aber unangenehm für ihn ist und dessen Schwerkraft viel geringer ist als die gewohnte. Mit einem Male jedoch, schon nach kurzer Zeit, begannen sie gemeinsam zu handeln, wie auf einen Befehl hin. Eben noch habe ich durch den Rundfunk erfahren, daß sich bereits zehn dieser Spinnen gesammelt haben und auf dem Wege nach – hier befinden!“ Aufmerksam sah er in die schweigenden Gesichter. „Folgende Frage stelle ich Ihnen: Verständigen sie sich durch eine Sprache, deren Schallwellen so klein sind, daß wir sie nicht zu hören vermögen, oder gehorchen sie den Befehlen eines anderen, von dessen Existenz wir noch keine Ahnung haben? Stehen sie vielleicht unter der Kontrolle eines Wesens, das sich – auch jetzt noch – auf ihrem Heimatplaneten befindet?“ French nickte unmerklich vor sich hin. Dies war genau der gleiche Gedanke, der ihm schon längst gekommen war. Ein Astronavigator sprang erregt auf. „Aber, Mann! Verflucht noch mal! Beta Capella ist 18 Lichtjahre von uns entfernt! Wie könnte man über eine derartige Distanz eine Kontrolle ausüben? Wissenschaftlich völlig unmöglich und daher kompletter Unsinn!“ 72
Clay musterte ihn und hob die Schulter. „Ihre Ansichten sind prähistorisch. Ich will keine Zeit mit unnötigen Argumenten verlieren, sondern Ihnen allen nur sagen, daß wir uns erst am Anfang einer ungeahnten Entwicklung befinden. Wir denken immer noch in den alten drei Dimensionen. Nehmen wir nun die vierte noch hinzu, die Zeit, dann werden die Entfernungen im All keine Rolle mehr spielen. Es ist kein dringender Grund für die Annahme vorhanden, daß die Bewohner anderer Planeten das nicht schon längst können. Ich jedenfalls habe mich auf die Entdeckung vorbereitet, daß diese Spinnen – oder was immer es auch für Wesen sind – von ihrem Heimatplaneten aus dirigiert werden, und zwar über Gedankenwellen oder auf irgendeinem anderen Weg.“ Sven Jörgen stand langsam auf und nickte zögernd. „Ja – das ist durchaus möglich. Ich wage zwar nicht, so weit mit meinen Vermutungen zu gehen, aber immerhin möchte ich folgendes feststellen: Diese Lebewesen, so merkwürdig und offenbar unverletzlich sie uns auch erscheinen, sind uns in biologischer Hinsicht absolut nicht voraus. Ich glaube auch nicht, daß sie imstande sind, die Raumschiffe, mit denen sie kamen, selbst zu bauen. Sehen Sie sich die Wesen an, und Sie müssen mir recht geben! Wie übergroße Spinnen, wie Tintenfische oder Kraken, wie Sternfische oder irgendein Tier, das man sich in einem Traume vorstellen kann. Sie sind alles, nur keine Menschen oder vernünftige Wesen!“ Seine Stimme sank, wurde tief und ernst. „Meine Herren, Sie können mir glauben; ich weiß auch ohne Daten und Beweise, daß diese Ungeheuer keine Wesen sind, die wir mit uns vergleichen könnten. Sie sind auch keine gefährlichen Gegner. – Denken Sie nur mal nach: Könnten diese häßlichen, abschreckenden Tiere ein Gehirn haben? Würden sie überhaupt eines benötigen? – Nein, glauben Sie mir ruhig – sie sind nur die willigen Sklaven einer höheren Intelligenz!“ 73
Er machte eine kleine Pause, um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen; dann fuhr er fort: „Ich gehe sogar noch weiter, meine Herren. Ich bin noch nicht mal so sicher, daß sie überhaupt Geschöpfe der – Natur sind! Ich glaube vielmehr, daß man sie künstlich hergestellt hat, nur zu einem bestimmten Zweck gebaut und nur fähig, ein Raumschiff zu lenken. – Verstehen Sie, wie ich das meine? Es sind lebende Roboter, gebaut von den wirklichen Herren und Angreifern, die sich in der Sicherheit ihres Planeten befinden und abwarten, welchen Erfolg ihre gelenkten Sklaven auf der Erde haben!“ Ein eisiges Schweigen lag über den Menschen; aber keiner wagte es, diese Theorie anzuzweifeln. Van Koff warf French einen Blick zu. „Denken Sie auch so?“ French zögerte, dann nickte er langsam. „Ja! So könnte es sehr gut sein. Aber damit wissen wir immer noch nicht, wie wir sie bekämpfen können. Wir müssen eine Waffe finden, unter allen Umständen! Ob Lebewesen oder Roboter – sie bilden eine ungeheuere Gefahr für uns. Ich bin mir nämlich noch nicht so ganz sicher, ob es wirklich nur Zufall ist, daß sie in unserer Richtung vordringen. Bisher jedenfalls haben sie ihre Marschrichtung noch nicht geändert!“ Die Anwesenden fühlten einen leichten Schauder über den Rücken rieseln. Nicht wenige Blicke waren auf den Wandbildschirm gerichtet, auf dem die zehn gleitenden und sich stetig nähernden Riesenspinnen zu sehen waren. Die Fernsehstation befand sich in einer Saucer, und daher sah man die Wesen von oben. Obwohl die schwankenden Bewegungen ein wenig komisch wirkten, spürte keiner der Anwesenden irgendeine Belustigung darüber. Eine kurze Meldung besagte, daß die Spinnen keine Meile mehr vom Hauptquartier entfernt waren. Von einem anderen Stadtteil her näherten sich weitere sechs Tiere, deren Ziel eben74
falls das Hauptquartier war. Man konnte sich gut vorstellen, daß sich möglicherweise 100 dieser Geisterwesen aus einer anderen Welt auf das Gebäude zubewegten, noch verborgen in der dunklen Nacht und nicht entdeckt durch die Suchflugzeuge. Schweigend beobachtete der Rat den Bildschirm und hörte die Warnung, die viertelstündlich durchgegeben wurde: „Alle Bürger haben sich in ihrem Hause aufzuhalten. Macht die Lichter aus, und verhaltet euch ruhig. Der Feind ist auf der Straße!“ Ein oder zwei Männer des Rates erhoben sich zögernd und traten verlegen von einem Fuß auf den anderen. Angst war in ihren Gesichtern zu lesen. French griente sie an und fing einen amüsierten Blick van Koffs auf. „Das ist erst der Anfang!“ meinte er dann zu ihnen. „Wenn morgen ein neuer Angriff erfolgt – Sie können sich darauf verlassen, daß er erfolgen wird! –, dann müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, daß sich morgen abend einige Hundert mehr in der Stadt umhertreiben. Vergessen Sie nicht, daß am heutigen Tage die meisten der feindlichen Raumschiffe über dem Atlantik abgeschossen wurden, auf dessen Grund sich die Spinnenbiester wohl befinden werden. Morgen jedoch wird die Schlacht über unseren Köpfen entbrennen – falls wir dann noch Köpfe haben sollten. – Wir müssen also zu einer Lösung kommen!“ Er wandte sich an Paul Clay. „Paul, können wir bis zur Morgendämmerung wenigstens einen Raumkreuzer fertig haben?“ Clay wölbte überlegend seine Lippen. „Es wäre durchaus möglich, bis dahin einen fertig zu haben. Es fehlt nur noch die Radareinrichtung. Ich glaube, wir werden es schaffen. Ab übermorgen geht es dann wieder schneller!“ French winkte ab. „Es geht um morgen! Einer gegen 150! Zudem ein Feind, den wir am Boden nicht vernichten können!“ 75
Vom anderen Ende des Raumes kam eine Bewegung von Leo Baun, der als persönliche Wache für French fungierte. Es schien so, als wolle er etwas sagen. Die Gesichter der Herren wandten sich ihm in fragendem Erstaunen zu. „Ja, was gibt es, Leo?“ fragte French nur kurz. „Captain“, sprach Baun ohne besondere Betonung, „haben Sie schon mal an Leim gedacht?“ Man starrte ihn verständnislos an. „Leim?“ fragte van Koff, die Augenbrauen in die Höhe ziehend. „Ja, Leim! Bombardieren Sie sie mit Leim!“ French begann zu lächeln; seine Züge wurden hell und freundlich. „Wahrhaftig, Baun; ich glaube, du hast die Lösung gefunden!“ Er drehte sich zu den anderen Männern um. „Wißt ihr, was er meint? Leim oder sehr schnell härtender Zement oder Amylazetat, das man als Nagellack gebraucht, würde die Viecher wie Fliegen auf der Leimrute festkleben. Ich glaube, da haben sogar die unverletzlichen Spinnen kein Gegenmittel.“ Seinen Stuhl zurückschiebend, wandte er sich an Paul Clay. „Der Kreuzer steht morgen früh, eine Stunde vor Sonnenaufgang, auf dem Wright-Field, verstanden? Gute Nacht, meine Herren!“
ZEMENT STATT ATOMBOMBEN Draußen war es noch dunkel. Im Schatten der Häuser standen einige Polizisten, bewaffnet mit Strahlern und Handbomben. Einer kam herüber und grüßte, als er French erkannte. „Wir wollten Sie gerade benachrichtigen. Sie sind sogleich hier, die Spinnen. Auf kürzestem Wege sind sie hierhergekom76
men. Dort – Sie können die Saucers sehen, die über ihnen schweben.“ Er zeigte die Straße hinunter, und French sah die beiden Feuerströme der Düsen. Die zwei Saucers waren keine 300 Meter mehr entfernt. French kletterte in das bereitstehende Scheibenflugzeug und wandte sich an den Mann. „Ich werde in einer Stunde zurück sein. Wenn das Schlimmste eintreten sollte, dann zieht euch in das Gebäude des Hauptquartiers zurück, verbarrikadiert die Eingänge und laßt keinen mehr hinaus oder herein!“ Er half Baun beim Einsteigen und fragte ihn: „Irgend etwas Neues eingetreten, inzwischen?“ Der Leutnant nickte düster. „Ich sprach mit dem Sergeanten. Vier Leute sind getötet worden, und acht weitere Untiere wurden gemeldet. Sie befinden sich alle auf dem Wege nach hier. Ein älterer Mann, wahrscheinlich konnte er nicht schlafen, rannte den Spinnen direkt in die Arme. Sie haben ihn regelrecht in Stücke gerissen. Ein Polizist versuchte, auf das Biest zu schießen; aber auch er fiel ihnen zum Opfer. Ähnlich erging es zwei anderen Passanten.“ French setzte sich in den Pilotensitz und hatte die Hand am Hebel. „Halte dich fest, Baun! Wir haben eine gewaltige Strecke vor uns!“ Wie eine Rakete stieg die runde Scheibe in die Luft und sauste davon. Wenige Minuten später war sie schon über dem Atlantik. * Die See rollte in langen, gleichmäßigen Wogen. Im Osten dämmerte es schon. Baun zündete eine Zigarette an und lehnte sich zurück. 77
„Was wird nun?“ French schaltete das Radio ein. „Harper dort? Hier French! Setzen Sie sich sofort mit Brüssel in Verbindung. Es gibt dort eine Fiberzementfabrik; bereiten Sie die Leute auf meinen alsbaldigen Besuch vor. Es ist wichtig; sonst würde ich nicht selbst kommen. Dann informieren Sie Jankowski in New York davon, daß ich einen SaucerSchnelldienst zwischen New York und Brüssel eingerichtet haben möchte, aber sofort! Halten Sie mich auf dem laufenden!“ Er schaltete ab und ließ sich zurücksinken. „So, an uns soll es nicht mehr liegen. In einer Stunde können wir wieder in New York sein. Was mag inzwischen dort alles geschehen?“ „Sie glauben also wirklich, daß zwischen diesen Spinnen und den Raumschiffen dort oben eine Verbindung besteht?“ „Aber sicher! Etwas ganz Großes tut sich da, und nur eines kann ihren Erfolg verhindern: Wir beide und 12 Fässer schnell trocknenden Zellulosezementes. – Wenn unser Flugzeug jetzt zufällig erwischt und vernichtet wird, dann kannst du dich darauf verlassen, daß der nächste Weltpräsident einen dicken, runden Leib und zwölf Spinnenarme hat!“ Baun schüttelte sich entsetzt. „Mein Gott, welch ein Gedanke!“ Er sah auf seine Uhr. „In 40 Minuten beginnt in New York die Dämmerung. Ob sie dann angreifen werden?“ „Vielleicht; aber das können wir nicht wissen. Wenn ich ihre Absichten genauer kennte, dann könnten wir sie vielleicht erfolgreicher bekämpfen. Im Augenblick können wir nichts anderes tun, als die Invasion abzustoppen oder wenigstens zu verlangsamen, bis wir genügend Raumschiffe haben, um meinen zweiten Plan ausführen zu können. Das aber kann nicht vor morgen geschehen, wenn die Produktion klappt und nicht gestört wird.“ 78
Baun sah ihn überrascht an. „Also haben Sie einen Plan?“ French lächelte. „Wir haben noch eine einzige Chance, mein Lieber! Wenn wir lange genug aushalten und meine Theorie richtig ist, dann haben wir diese eine Chance. Ist meine Theorie falsch, dann bedeutet das das Ende der Welt – aber wir persönlich würden davon nichts mehr spüren.“ „Ich werde doch auch mitmachen, nicht wahr?“ „Ja, du und Vanid. Ich will sie nicht der Gnade oder Ungnade der Spinnen überlassen. Bei uns hat sie vielleicht noch die Möglichkeit, einen schnelleren Tod zu sterben als bei ihnen.“ Eine halbe Stunde später setzte die Maschine neben einem riesigen weißen Häuserblock auf; es war die Zementfabrik in Brüssel. Die erleuchteten Fenster des Verwaltungsgebäudes zeigten den beiden Männern, daß man von ihrem Kommen bereits unterrichtet war und sie erwartete. Als French aus der Saucer sprang, kam ihnen schon eine Gestalt entgegengelaufen. „Guten Tag, meine Herren! Wir haben alles bereit. Der Zement ist fertig zum Einladen. Soll ich den Männern Bescheid geben?“ French wunderte sich im stillen über die Rührigkeit der Leute. „Das ist fein. – Ja.“ Der Belgier gab einige Anweisungen, und schon begann die Arbeit. „Das ist ein guter Zement, Sir. Er trocknet in wenigen Minuten und wird so hart wie Metall. Sie können ihn für alles gebrauchen!“ French grinste. „Das will ich auch hoffen. Ich will damit nämlich diese Spinnen aus dem Weltraum einzementieren. Sie haben doch wohl schon von den Dingern gehört?“ Die Augen des Mannes weiteten sich. 79
„Welch eine Idee! – Oh, das wird unser Spezialzement schon schaffen! Natürlich habe ich auch von diesen Spinnen gehört. 40 Menschen sollen in London von ihnen getötet worden sein, und in Manchester noch mehr!“ Jetzt war es an French, erstaunt zu sein. Das war das Neueste, was er hörte: Auch in England waren diese unheimlichen Fabelwesen aufgetaucht? – Schnell kletterte er in die Saucer, stellte Verbindung mit London her und empfahl seinem Agenten, sich sofort in Brüssel eine Ladung Zement abzuholen. Kurz erläuterte er ihm seinen Plan. Wenige Minuten später waren sie fertig. Baun stieg ebenfalls ein, und wie der Blitz stieg das Flugzeug in den dämmerigen Himmel. Eine rote Lampe leuchtete auf, und eine Stimme kam aus dem Lautsprecher. „Hallo French! Bitte melden!“ „Hier French! Was ist los?“ „Hier Harper. Sitzen schwer in der Klemme, Captain. Befinden uns im Hauptquartier und haben den Eingang gesperrt. Die Spinnen haben uns geschlagen. Drei Mann habe ich dabei verloren, sie liegen auf der Straße. Zwei andere sind schwer verwundet. In dem Gebäude befindet sich außer uns kein Mensch mehr. Können Sie uns hier herausholen?“ French fluchte still vor sich hin, dann sagte er: „Ihr bleibt unter allen Umständen da, wo ihr jetzt seid! Ihr müßt doch begreifen, daß der Krieg zu Ende ist, sobald sie in das Hauptquartier eingedrungen sind.“ Er versuchte, den Beschleunigungshebel noch mehr hinunterzudrücken, um noch einige Meilen „herauszuholen“. „Es sieht so aus, als ob diese Spinnen selbst durch die Voltsperre nicht abzuhalten sind, in das Gebäude einzudringen. Ich glaube kaum, daß Harper noch lange genug aushalten kann.“ Die Meeresoberfläche hatte sich in ein formloses Blau ver80
wandelt, als die Maschine mit 5000 Meilen Geschwindigkeit dahinjagte. Hinter ihnen stieg der blutrote Sonnenball aus dem Ozean empor.
DER ERSTE ERFOLG Im Hauptquartier fochten die 12 Polizisten einen verzweifelten Kampf aus. Der große Eingang war mit einer Maximal-VoltSperre abgeriegelt worden. Diese unsichtbare Barriere würde alles Eindringende bis zu mehreren Tonnen Gewicht zurückschleudern, sobald es in unmittelbare Nähe käme. Der Kampf in der Straße war furchtbar gewesen. French war kaum fünf Minuten mit der Saucer verschwunden gewesen, als das erste Untier aufgetaucht war. Wie ein Geist aus grauer Vorzeit eilte es, unsicher hastend, auf die Gruppe der abwehrbereiten Männer zu. In ihrem Innern wurden diese von Furcht und Schrecken geschüttelt. Zu viel hatten sie gehört von der Unverletzlichkeit der Ungeheuer und deren unstillbarem Blutdurst. – Dann hatte plötzlich einer seine Pistole weggeworfen und war schreiend davongelaufen. Ein Schuß aus Harpers Waffe verwandelte ihn in einen Blitz, und er war tot, ehe er in Asche zerfiel, die vom Winde verweht wurde. Die anderen Männer zogen sich zurück und stiegen die Treppenstufen des Eingangs hoch; denn von der anderen Seite her waren ebenfalls zwei Spinnen erschienen, die ihnen den Weg abzuschneiden drohten. Die Saucers kreisten über der Szene, unfähig, wirksam zu helfen. Zwar schossen sie; aber die Strahlen wirbelten die Tiere nur einige Meter hinweg; sie kamen immer wieder auf die Füße, schnell und unverletzt. Die Männer eröffneten das Feuer, vor Aufregung kaum fähig, 81
richtig zu zielen. In der ganzen Weltgeschichte waren Menschen noch nie in einer so hoffnungslosen Situation gewesen. Harper feuerte sie immer wieder an, nicht den Mut zu verlieren. So kam es, daß sie nur langsam zurückwichen und keine erneute Panik sie in das Verderben einer kopflosen Flucht stürzte. Es war eine gefährliche und erfolglose Aufgabe. Als dann endlich 20 der widerlichen, furchtbaren Untiere beisammen waren und gegen die kleine Schar Polizisten vorgingen, da drehten sich diese wie auf Kommando um und flohen in das Gebäude. Aber es gab ja keine festen Türen, die einzige Sperre war die Voltbarriere. Jedes Tier, das zu nahe herankam, wurde beschossen. Aber auch mit Strahlpistolen konnte man nicht ewig feuern. Alle zehn Sekunden ein Schuß, alles andere war Selbstmord. Wenn eine solche Waffe überhitzt wurde, konnte sie zu einer detonierenden Sprengbombe werden. Auch die Batterien mußten erneuert werden, und schon mehr als einmal hatten die Saucers ganze Kisten mit Ersatzmagazinen abgeworfen. Harper warf einen schnellen Blick um sich. Von links kamen acht und von rechts zwölf der Riesenspinnen. Sie erreichten die untersten Stufen und kletterten dann unsicher über die glatte Oberfläche nach oben, ihm entgegen. Harpers Leutnant sicherte nach rechts, schoß zweihändig in die weiße Masse der Angreifer und fegte sie immer wieder von neuem die Stufen hinab. Genau so beharrlich kehrten die Ungeheuer zurück. Plötzlich war es doch einem der Tiere gelungen, unbemerkt bis zu ihnen vorzudringen. Harper schoß, wich den wedelnden Armen aus und fiel der Länge nach auf den Boden. Wie eine Schlange wand sich einer der Arme um seinen Nacken, und er fühlte einen gräßlichen Schmerz. Ein lauter Schrei entrang sich seinen Lippen; zwei seiner Männer sprangen hinzu. Der eine feuerte auf die Körpermasse 82
der Spinne, mußte aber sehr vorsichtig sein, um seinen Vorgesetzten nicht zu treffen. Der andere stach wie wild mit seinem großen Messer auf den Harper umschlingenden Arm los; aber die scharfe Schneide drang auch nicht einen Millimeter in die gummiartige Haut ein. Dann wurde er selbst von einem anderen Arm umfaßt, während Harper unvermittelt frei wurde. Er brüllte den Leuten zu, sich in das Gebäude zurückzuziehen. Aber seine beiden Retter waren verloren. Ihre Schreie gellten ihm noch lange in den Ohren. Die anderen rannten, ohne zu zögern, auf den Eingang zu. Ein Pilot riskierte einen Angriff; sein Strahl, mitten auf die Spinnen gerichtet, beleuchtete die blutigen Körper einiger Polizisten. Als der letzte Mann die Eingangsschwelle überschritten hatte, stellte Harper die Elektrosperre ein. Noch während er damit beschäftigt war, glitt ein Arm suchend durch die Öffnung. Als der Strom einsetzte, wurde er blitzartig zurückgezogen; die Spinne selbst wich nur ein wenig zurück. Dann jedoch ging sie erneut vor, und einige andere folgten. Diesmal hielten sie den elektrischen Schlag ein wenig länger aus, ehe sie mit ärgerlichen Schreien wieder zurückwichen. Wutentbrannt richtete Harper seine Waffe auf die Feinde und drückte ab. Zu spät entsann er sich, daß der Thetastrahl durch die Volt-Barriere restlos neutralisiert wurde. In ihm stieg eine fürchterliche Ahnung auf: Wenn die Biester nun doch durch die Sperre dringen konnten?! Schon war ein Arm bis in den Vorraum gekommen, wedelte hin und her, etwa wie bei einem Kinde, das sich verbrannt hatte. Die Spinnen zögerten. Doch dann, mit einem plötzlichen Ruck, glitt die erste in den Raum hinein, schrill aufschreiend, als sie mitten im Stromkreis war. Harper brüllte einen Befehl, und ein Dutzend Strahler traten in Tätigkeit. Aber der Schutzschirm war nun ein großer Nachteil. 83
Die Strahlen wuchteten das Tier zurück, es traf auf die Barriere, die es wiederum zurückschleuderte. Wild mit den Armen um sich tastend, schwebte es auf die Männer zu, die sich umwandten und halb besinnungslos davonrannten. Harper lief mit ihnen, aus seinen Augen sprach eine grauenvolle Angst und die Gewißheit, daß alles verloren sei. Der Mann neben ihm schrie plötzlich auf; einer der weißen Gummiarme hatte sich um dessen Bein gelegt; er fiel hin. Harper sah sich nicht mal um. Seine Ohren waren taub, er hörte nicht mehr die entsetzten Schreie der gemarterten Menschen, er dachte nur noch an Flucht. Am Ende des Flurs war ein Aufzug. Sie rasten hinein, und schon hatte jemand auf den Knopf gedrückt. Sie stiegen nach oben. Aber zu langsam. Ein langer Arm hatte die unter dem Aufzug befindliche Stange umklammert und zog diese aus dem Schacht heraus. Die Plattform fiel wie ein Stein zurück, und die durcheinandergeschüttelten Männer rollten in die Arme der sie erwartenden Feinde. Der Kampf war kurz, hoffnungslos, aber heroisch. Jetzt, da ihre Lage aussichtslos war, kam der Mut zurück. Schulter an Schulter starben sie, schweigend und kämpfend. In wenigen Minuten war alles vorbei. Das Hauptquartier der Weltregierung war in der Hand der Feinde. Als French und Baun acht Minuten später vor dem Gebäude landeten, war alles leer und still. Im Strahl der Lampen sahen sie formlose Körper umherliegen, und nur mit Mühe erkannten sie die Leichen. In Bauns Kopf begann das Blut zu klopfen, ein unwiderstehlicher Drang zur furchtbaren Rache wegen dieses Massenmordes bildete sich in seiner Seele. Schmerzhaft preßten sich seine Nägel in die Handballen. Vor dem Volt-Schirm zögerte French. 84
„Die Spinnen sind in einem oberen Stockwerk. Weiß Gott, wie sie eindringen konnten! Das gestaltet unsere Aufgabe ein wenig schwieriger.“ Baun warf einen Blick zurück auf die Saucer. „Soll ich Verstärkung rufen?“ French grunzte eine Verneinung. „Laß nur! Die können uns auch nicht helfen. Es liegt jetzt nur an uns!“ Er trat einen Schritt zurück und starrte an dem Gebäude hoch. „Leo, es liegt bei dir! Die Sperre ist eingestellt; hier kommen wir nicht durch. Selbst wenn wir durchkämen, wäre es Selbstmord. Um es kurz zu machen – ich werde mit der Saucer durch das Dach brechen! Wenn du nicht mitkommen willst, so gebe ich dir mein Wort, daß ich es dir nicht übelnehmen werde. Nun – ja oder nein? Kommst du mit?“ Baun zündete sich die Zigarette an, die er schon einige Sekunden in der Hand gehalten hatte. „Du kannst ja mal versuchen, mich davon abzuhalten, Captain!“ French grinste. „Du“ und „Captain“! Wie gut das zusammenpaßte! Baun stieß eine Wolke Tabaksrauch aus und sah French an. „Du kannst mich das auch allein machen lassen. Ich bin nicht so wichtig – aber du! Das hat nichts mit Heldentum zu tun, sondern ist lediglich eine Sache der Überlegung. – Nun, ich meine das ernst!“ French grinste noch immer, als mache ihm die Sache Spaß. „Machen wir es besser gemeinsam. Klettere hinein und – halte dich fest!“ French folgte ihm, warf einen Blick in die Höhe und stellte den Sender ein. Über ihnen kreiste eine Saucer; es war Jankowski. 85
„Hallo, Jankowski! Hören Sie jetzt gut zu: In dem Gebäude hier befinden sich 20 Spinnen, wahrscheinlich alle, die bisher in New York gelandet waren. Baun und ich werden versuchen, durch das Dach hineinzukommen. Wir nehmen etliche Fässer Zementleim mit uns. – Wenn wir in einer Stunde nicht wieder draußen sind, dann will ich, daß die Volt-Barriere irgendwie verrammelt wird. Am besten laßt ein schweres Fahrzeug in den Eingang rasen, so daß ein Lebewesen weder hinein noch heraus kann. Benachrichtigt den Präsidenten, was geschehen ist, und gebt eine Warnung heraus, daß sich alle Menschen ab Sonnenaufgang in Deckung zu begeben haben. Ich nehme stark an, daß sie dann wieder angreifen werden. Verstanden?“ „Jawohl, Captain! Viel Glück!“ „Können wir auch verdammt gebrauchen!“ French ergriff den Hebel, und die Saucer stieg langsam in die Höhe. Über ihnen zersplitterte irgendein Fenster, Glasscherben und Staub rieselten an der Mauer hinab. Sie stiegen weiter und waren dann endlich in einer Höhe mit dem flachen Dach, 40 Meter über der Straße. French legte einen Hebel um, und die Außenhülle der Saucer rotierte schneller. Dadurch wurde sie stabiler. Dann ließ French die Maschine wieder ein wenig sinken, bis sie genau vor den großen Sonnenfenstern des obersten Stockwerkes schwebten. Ein Blick zurück – Baun hielt sich fest und nickte. Mit heulenden Düsen rasten sie vor, brachen krachend durch die splitternden Scheiben und – obwohl French gleich abstoppte – prallten noch vor die andere Wand und drangen halb in den nächsten Raum ein. Mauerstücke und Glastrümmer prasselten auf sie herab; dann senkte sich weißer Staub über sie; und endlich war nur noch – Schweigen. Baun rappelte sich hoch. Er hatte auf dem Boden der Kabine gelegen, und sein rechtes Bein schmerzte empfindlich. 86
„Alles in Ordnung?“ fragte French kurz. „Ach ja, es geht so.“ Sie schoben mühsam die verklemmte Tür auf und zwängten sich hinaus. Ein langer Metalltisch stand an der Wand, daneben lag ein umgeworfener Garderobeständer. Die Saucer füllte fast den ganzen Baum aus. Von der Decke regnete es immer noch sanft auf sie herab, Kalkreste und Staub bedeckten die Maschine wie eine Schneedecke. Baun grinste. „Tadellose Landung!“ Er sprang auf den Fußboden herab. French folgte; er hielt eine der kleinen Zementtonnen unter dem Arm. „Komm, laden wir das Zeug erst mal aus!“ Gemeinsam schafften sie zwölf Hundertliterfäßchen gebrauchsfertigen Azetylzement aus dem Flugzeugwrack und stellten sie in eine freie Ecke des Raumes. Die Stromanlage funktionierte noch, und die teilweise zerstörte Decke strahlte ein sanftes Licht aus. Von außen kam kein Geräusch; aber das hatte nichts zu bedeuten. Die gigantischen Spinnen machten keinen Lärm. French zog seine Strahlpistole aus dem Gürtel, ging leise zur Tür und öffnete sie. Vorsichtig warf er einen Blick hinaus, die Waffe schußbereit. Baun stand hinter ihm. „Kannst du etwas sehen?“ fragte er. „Nein. Anscheinend sind sie noch nicht bis nach hier oben gekommen.“ Er zögerte unmerklich. „Wir lassen den Zement hier und versuchen erst mal herauszubekommen, wo sie sich befinden. Ich weiß – nebenbei bemerkt – selbst noch nicht, wie wir das Zeug überhaupt anwenden sollen.“ 87
Sie schlüpften in das Halbdunkel des langen Korridors, jedes Geräusch vorsichtig vermeidend. Der Boden war aus Hartgummi. Zu beiden Seiten waren die Türen zu den einzelnen Büros, und am Ende des Ganges befanden sich der Aufzug und die Feuerleiter. Links zweigte ein Nebenkorridor ab, und etwas weiter rechts führten breite Stufen in die unteren Stockwerke. Sie gingen darauf zu, Augen und Ohren bis zum äußersten anstrengend, damit ihnen auch das kleinste Geräusch nicht entgehen konnte. Wenn die Ungeheuer sie erst entdeckt hatten, gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr. Sie würden mit ihren Körpern und Fangarmen den ganzen Gang einnehmen, und man könnte nicht mehr an ihnen vorbei. Baun warf ab und zu vorsichtige Blicke über seine Schulter zurück. Er wurde das Gefühl nicht los, schon verfolgt zu werden. French hatte die Stufen erreicht und glitt diese langsam hinab, mit einer Hand sich an der Wand stützend, um auch das leiseste Knacken zu vermeiden. Baun folgte ihm mit äußerst unangenehmen Vorstellungen. Am ersten Absatz verharrte French und lauschte. Nichts zu hören! Langsam gingen sie weiter, um die Ecke herum. Ihre Waffen lagen fest in den Händen. Sie kamen auf der letzten Stufe an und warfen vorsichtig Blicke nach rechts und links in den Gang. Merkwürdig, wie schweigend so ein Riesenbau sein konnte! Sie standen einige Minuten und horchten. Nichts! „Wohin würden sie wohl zuerst gehen?“ wisperte French. Baun überlegte schnell. „Zentrale! Wenn sie wirklich mit Verstand handeln oder gelenkt werden, würde ich das zum mindesten stark annehmen. In der Zentrale ist der Hauptbildschirm, mit dessen Hilfe man jeden Punkt der Erde beobachten kann; dort befinden sich alle 88
direkten Linien zu sämtlichen Agentenstellen und Befehlsplätzen, auch zu den Nachrichtenzentralen. Die Zentrale ist der Schlüsselraum zur Macht über die Welt.“ „Wo befindet sie sich?“ „Zwei Stockwerke tiefer. Sieht aus wie ein großes, rundes Theater. Galerien und Balkone befinden sich in mehreren Etagen rings an den Wänden. Wir können sogar von hier aus noch unbemerkt hineinkommen.“ Baun führte jetzt. Langsam und vorsichtig gingen sie nach rechts in den Gang hinein, immer wieder Blicke nach hinten werfend, wo sich die Treppe befand. Dann hielt Baun vor einer Tür an. Er öffnete sie, und sie traten ein. Es war, wie Baun gesagt hatte. Sie standen auf einem Balkon, und vor ihnen lag ein riesiger, runder Saal. Und dort war eine große weiße Bildfläche. Vorsichtig machten sie noch einige Schritte und lugten über die Brüstung nach unten. Zehn Meter tiefer befand sich eine kreisrunde Fläche voller Tische und Pulte. Radarschirme, Suchkarten, große Rechenmaschinen und Fernsehleitungen waren irgendwie miteinander verbunden und bildeten ein scheinbar unentwirrbares Durcheinander. French aber konnte sich wohl vorstellen, daß man von hier aus eine gute und erschöpfende Übersicht über den ganzen Erdball hatte. Dies war der wichtigste Raum des Hauptquartiers! Aber noch waren keine Eindringlinge hier. Alles stand noch so, wie man es in aller Hast verlassen hatte. Die Luft war noch rein und klar und noch nicht vom Gestank der Tiere verpestet. French sah ein letztes Mal hinab. „Schade, hier können wir unseren Zement kaum anbringen! Komm, wir wollen uns weiter unten nach den Spinnchen umsehen!“ Vorsichtig vergewisserten sie sich, ob der Gang noch leer sei, ehe sie den Balkon verließen und der Treppe zueilten. 89
Auch der Korridor im Stockwerk darunter war leer und still. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich die Männer. Wo waren die Invasoren aus dem All? Sie würden sich doch leicht auf den Gängen bewegen können, und auch die Benutzung der Treppen bot keine Schwierigkeiten. In den unteren Stockwerken waren doch nur kleinere und unwichtige Büros, zu klein fast, um die Riesentiere aufnehmen zu können. Dann, zwei Stockwerke tiefer, erstarrten plötzlich Frenchs Bewegungen. „Hörst du?“ flüsterte er. Baun hielt den Atem an. Dann hörte er es: ein leises, schleifendes Geräusch und ein gelegentliches Auftapsen. Das konnte nur eine der Spinnen sein! Die beiden Männer zogen sich bis zu dem Treppenabsatz zurück und warteten gespannt. Die Läufe der Waffen waren auf die Ecke gerichtet. French schob seinen Kopf ein wenig vor, zog ihn aber schnell wieder zurück. „Sie kommen!“ flüsterte er, ein wenig bleich. Baun stand ganz still. Ihm war gerade etwas eingefallen, ein toller Plan. Aber er wußte, daß er ihn ausführen mußte – egal, wie. Es war ein guter, aber sehr gefährlicher Plan! „Sie kommen nicht hier hoch?“ fragte er. „Nein, anscheinend untersuchen sie erst mal dieses Stockwerk. Warum?“ „Nun, wir möchten sie doch alle in der Zentrale versammelt haben – oder etwa nicht?“ „Ja, schon. Aber …?“ „Ich habe sie garantiert in zwei Minuten alle im großen Saal. Geh’ du nach oben und bring’ den Zement auf den Balkon, auf dem wir eben noch gestanden haben.“ Frenchs Augen zogen sich eng zusammen. 90
„Ich möchte dich lebend wiedersehen, Baun!“ „Ich dich auch! Aber wir müssen etwas wagen; anders geht es nicht.“ French nickte bedächtig. „Stimmt! Was hast du also vor?“ „Ich kenne dieses Gebäude wie meine Hosentasche. Ich werde die Biester also in die Zentrale locken. Du wirst inzwischen den Zement fertig haben. – Abgemacht?“ French starrte ihn einen Moment schweigend an, dann nickte er und wandte sich um. Leicht und schnell sprang er die Stufen hoch und war bald verschwunden. Baun war allein! Er wartete zwei Minuten, dann stieg er die Treppe hinab und ging um die Ecke herum, als machte er einen Spaziergang. Er war darauf gefaßt, einem der Ungeheuer gerade in die Arme zu laufen. Aber wie der Zufall es wollte: Das letzte kroch soeben ein ganzes Stück vor ihm den Gang entlang. Baun beobachtete die grausige Prozession: 20 runde Körper und mehrere Hundert suchende und umhertastende Arme. Er stieß einen lauten Fluch aus; seine Stimme war gellend und schrill. Die Gliedmaßen wirbelten herum und wedelten in seiner Richtung. Er hörte, wie sie ärgerliche Schreie von sich gaben. Mit unerwarteter Schnelligkeit kamen sie auf ihn zu, schneller, als ein Mann laufen konnte. Mit einem Satz sprang Baun die Treppe hinauf, vier Stufen auf einmal nehmend. Gerade als er um die Ecke des Absatzes wollte, streifte das Ende eines Armes sein rechtes Bein. Baun war von der Wucht des Schlages gestürzt, raffte sich aber wieder auf, rollte mit einem Salto durch die tastenden Fühler wieder hinab auf den Gang und raste diesen dann rechts hinein, auf die Haupteingangstür der Zentrale zu. Der Lärm war unvorstellbar. Die Wände zitterten, Fenster zersprangen, der Boden dröhnte. Die Kreaturen waren dicht 91
hinter ihm. Ein neuer Schlag traf ihn in den Rücken, aber er gewann dadurch nur an Geschwindigkeit. Er glaubte jeden Moment, einen greifenden Arm um seinen Hals zu spüren. Ein gräßlicher Schrei hinter ihm ließ seine Haare zu Berge stehen. Er rannte und rannte; aber plötzlich kam ihm ein furchtbarer Gedanke: Bei diesem Tempo war es ihm unmöglich, an der Eingangstür rechtzeitig abzubremsen und einzubiegen. Sie würden ihn dann fassen können! Er mußte weiterrennen. Er raste bei diesem Gedanken schon an der Tür vorbei und näherte sich der Feuerleiter. Das war eine schmale Treppe, vielleicht zu schmal für die riesigen Spinnen. Doch dann – schon war er beinahe in Sicherheit – griff ein Arm um seinen Hals und ließ ihn die Balance verlieren. Er stolperte, streifte mit der Schulter die Wand, und als ein anderer Arm sich um eines seiner Beine wickelte, verlor er ganz den Halt. Er fiel der Länge nach hin. Krampfhaft hielt er seine Waffe fest und fummelte in wilder Panik an ihr herum. Vor seinen Augen schwamm roter Nebel, und ein stechender Schmerz zuckte durch sein Gehirn. Er hielt den Lauf des Strahlers mitten zwischen die Feinde und drückte auf den Knopf. Der Reflex schoß haarscharf an seinem Kopf vorbei, die Wand hinter ihm glühte auf. Die Spinne selbst rollte den Gang zurück, instinktiv die Arme eingezogen, und prallte auf die nachfolgenden Artgenossen. Für einen Augenblick war der Weg blockiert; dann jedoch war auch die getroffene Spinne wieder auf den „Beinen“, und die ganze Meute stürzte sich auf den einzelnen Mann. Baun sprang, den Kopf voraus, die Treppe hoch. Ein suchender Arm riß ihm fast die Kleidung vom Leib, aber mit unmenschlicher Anstrengung kam er nochmals frei. Verzweifelt und halb wahnsinnig vor Schreck stolperte er die Stufen hoch. 92
Sein Plan, die Spinnen in die Zentrale zu locken, war fehlgeschlagen. Herrgott, konnte man denn nichts mehr machen? War die Welt nun wirklich verloren, und gab es auch für sie selbst keine Rettung mehr? Diese Ungeheuer waren wirklich unbezwinglich! Oben angekommen, verharrte er eine Sekunde. Welchen Weg sollte er wählen? Zu French, der mit dem Zement auf dem Balkon wartete – oder weiter, hier die schmale Treppe hoch? Beides hatte nicht viel Sinn. Er fiel halb gegen die Wand, hielt sich mit einer Hand fest und schoß mit der anderen seine Waffe nach unten ab. Eine der Spinnen war ihm schon dicht auf den Fersen gewesen, die Enge des Stufenganges hielt sie nicht ab. Sie wurde zurückgeschleudert und fiel auf die nachdringenden Tiere. Wenn er zu French hochliefe, wäre auch der gleich mit erledigt. In den Korridor? Das wäre der sichere Tod! Aber vielleicht fänden sie dann eher den Weg zur Zentrale? Das war die letzte Chance für die Erde! Er zwang seinen zerschlagenen Körper in den Gang und begann zu laufen. Es war ihm schon gleichgültig, was mit ihm geschehen würde; nur noch ein winziger Funke Hoffnung glühte tief in seiner Seele. Seine Beine erschienen ihm schwer wie Blei. Er kam nur langsam voran. Schon hatte er die Hälfte des Weges zurückgelegt – links führte die Treppe nach oben und unten –, als sich der erste stinkende Arm um seinen Hals wand. Er fiel zu Boden, und dann hatten sie ihn. Mehrere Arme griffen nach ihm und zogen ihn zur Treppe. Nur wenige Zentimeter vor ihm schwebte der weiße Gummikörper einer Spinne, in einem gleichmäßigen Rhythmus zuckend. Er hörte sich selbst schwach und kaum wahrnehmbar aufschreien. Dann erst begann der furchtbare Schmerz! 93
* Als er aufwachte, vermeinte er, Frenchs Stimme gehört zu haben. Um Himmels willen, sie hatten ihn auch bekommen! Sicherlich waren sie jetzt tot. Er öffnete die Augen und wunderte sich, daß er überhaupt noch Augen hatte. Doch dann schloß er sie wieder. Er lag immer noch auf dem Boden des Ganges im Hauptquartier. French kniete neben ihm und bestrich sein Bein mit einer Flüssigkeit. „Was ist das?“ fragte er ziemlich dumm und noch benommen. French sah auf. „Aha! Du bist also wieder da? Gut so.“ Baun nickte schwach. „Ich nehme an. Aber wie kommt das? Ich habe geglaubt, ich sei schon lange tot.“ French nahm noch mehr von der Flüssigkeit aus der Flasche und ließ sie auf Bauns Bein träufeln. „Ich stieß eine Kanne von dem flüssigen Zement um. Also, das Zeug ist viel schlimmer als Leim. Das Tönnchen rollte die ganze Treppe hinab und fiel mitten zwischen euch. Mensch, hast du ein Glück gehabt! Es platzte nämlich auf, und die ganze Flüssigkeit lief aus.“ Baun starrte ihn an. „Wie – das war nur Zufall?“ „Natürlich! Auf die einfachsten Ideen kommt man ja nie!“ Baun wollte sich erheben, mußte aber feststellen, daß seine Kleidung solide mit dem Boden verbunden und – steif wie Zement war. Er schüttelte sich; ein abgerissener Saugarm lag dicht neben ihm. Vor sich, im Korridor, sah er die bewegungslosen, einzementierten Ungeheuer. Reglos klebten sie an den Wänden und am Boden, still und schweigend, wie tot. 94
„Sind sie tot?“ fragte Baun. „Weiß der Himmel! Die Hauptsache ist, daß sie ungefährlich sind.“ Endlich löste sich Bauns Bein vom Boden. „Als ich herunterkam, bewegten sie sich noch und schrien. Du lagst besinnungslos am Boden. Die Spinnen versuchten fortzukommen, wanden sich verzweifelt, wie – Fliegen auf dem Leim. Ich habe noch nie etwas Derartiges gesehen.“ Baun erhob sich und atmete tief auf. „Wieviel Uhr ist es?“ „Es ist 7 Uhr. Die Angreifer sind noch nicht erschienen. Ich glaube, wir legen uns einfach hier ein wenig schlafen, oben bei der Maschine. Wir haben es nämlich verdammt nötig.“ Sie gingen nach oben. Bauns Arm lag um Frenchs Schulter.
FRENCH GEWINNT EINE SCHWERE SCHLACHT Es blieb ihnen nicht viel Zeit, sich auszuruhen. Schon um 9 Uhr bedeckte sich der Himmel über New York mit Wolken von feindlichen Raumschiffen. Mehrere Wellen mußten inzwischen aus dem Weltraum neu angekommen sein. Zwei Tage lang griffen sie die Stadt an; nur die Nachtstunden brachten eine kurze Ruhepause. In der Dunkelheit umkreisten die Angreifer in großer Höhe die Erde oder stürzten sich auf andere Kontinente, die gerade auf der Tagseite waren. Jeden Morgen erschienen sie in immer größer werdenden Scharen über der Welthauptstadt. Bis zum dritten Tage hatte man 450 feindliche Schiffe abschießen können, aber immer noch schwirrten mehr als 1000 von ihnen am Himmel umher. New York war eine Ruinenstadt geworden. Mitten aus den Trümmern ragte nur noch das alte Empire State Building heraus und zeigte wie ein drohender Finger gegen den Feind. Die 95
Straßen – soweit man sie noch als solche bezeichnen konnte – waren mit Trümmern übersät und kaum noch von den Ruinenresten zu unterscheiden. Der Broadway lag unter einer dichten Schicht von etwa 30 Metern Höhe begraben, und die Fifth Avenue war eine Schlucht zwischen riesigen Schutthaufen. Aber New York – obwohl zerstört – war noch nicht besiegt. Die tödlichen Thetastrahlen griffen hier und da immer noch in die Luft und ließen manch ein Feindschiff aufblitzen und in die Tiefe stürzen. Mutige Piloten fochten einen aussichtslosen Kampf gegen einen überlegenen Gegner, und selten nur gelang ihnen ein Abschuß. Die Menschen warteten auf ein Wunder; aber das Ende kam immer näher. Die Spinnen selbst bildeten keine tödliche Bedrohung mehr. Bauns Idee war zu einer allgemeinen Abwehrmethode geworden, und überall da, wo eines der Raumschiffe abstürzte, waren sofort die fahrbaren Zementspritzen zur Stelle. Ein Schuß aus dieser Spritze, und schon nach einer Minute wurde es still und schweigsam um die feindlichen Wracks. Der gesamte Verkehr allerdings war zum Erliegen gekommen, die Nahrungsmittel wurden knapp und waren ebenso rationiert wie das Wasser. Im Ostteil der Stadt brach die Cholera aus. Immerhin, menschlicher Geist und Mut hatten einen unbesiegbar erscheinenden Gegner geschlagen – wenigstens schon mal auf der Erde. Gegen die Bedrohung aus der Luft gab es jedoch noch kein Mittel. Der Verteidigungsrat des Weltrates trat in dem unzerstörten Gebäude des Hauptquartiers zu einer Sondersitzung zusammen. Weltpräsident van Koff, grauer und älter erscheinend, hörte sich schweigend die Vorwürfe an, die man in feurigen Reden gegen ihn erhob. 96
Er sei unfähig, die jetzige Situation zu meistern. Sein größter Fehler sei es, einen Polizisten an Stelle eines Politikers zum Kriegsminister gemacht zu haben. French erhob sich mit ausdruckslosem Gesicht und antwortete auf die Anklagen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Er erklärte, warum die Erde noch warte, auch wenn sie dabei in Trümmer fiel, und warum kein Flugzeug oder gar Raumschiff starten könne, obwohl – Gerüchten nach – ein ganzes Geschwader, fast fertiggestellt, in der Nähe von Detroit bereitstände. Aber nur feindlich verzerrte Gesichter starrten ihn böse an. „Meine Herren“, fuhr er fort, „Sie müssen mir Ihr Vertrauen schenken. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß es nicht meine Absicht ist, die Erde vernichten zu lassen. Und vergessen Sie eines nicht: 90 Prozent aller Angriffe haben sich auf New York gerichtet, so wie ich es erwartet hatte.“ Ein hoher Offizier sprang auf und trat einen Schritt vor. „French, du verfluchter Mörder! Zum Teufel mit dem sauberen Plan, unsere Stadt vernichten zu wollen! 1000 Menschen kamen täglich in New York um. Ich behaupte, French, daß Sie verrückt sind!“ French drehte den Kopf ein wenig herum und sah sich interessiert den Mann an. „Sie müssen die Sache vom Standpunkt der ganzen Welt aus betrachten, und nicht als Lokalpolitiker. Aber dazu benötigten Sie ein wenig mehr Verstand. New York ist zerstört – ja, das stimmt. Aber es ging unter, damit alle anderen Städte der Welt erhalten werden. Denken Sie ein wenig darüber nach. – Außerdem ist hier kein Treffen von übereifrigen Lokalpatrioten.“ Ein anderer Delegierter erhob sich. „Was beabsichtigen Sie eigentlich mit alledem, French? Wer soll Nutznießer Ihrer famosen Ideen sein? Unsere Leichen etwa?“ 97
„Vielleicht! Aber falls hier jemand eine bessere Idee hat, so mag er sie getrost bekanntgeben. Ansonsten verschwende ich hier meine kostbare Zeit.“ Carton Chase, der australische Raumfahrtexperte, sprang auf. „Ich schlage vor, alles in den Kampf zu werfen, bevor es zu spät ist. Ich habe es aus erster Hand, daß in Detroit vier fertige Raumkreuzer bereitstehen. In die Luft mit ihnen, und zwar sofort!“ „Und wie lange, glauben Sie, werden sie da bleiben?“ „Das weiß der Teufel! Wir wollen ja auch nur kämpfen und uns wehren; ihnen Schaden zufügen, ehe wir ganz fertig sind.“ Aus den Reihen der Zuschauer kam ein Gemurmel der Zustimmung. Der Meinungsanzeiger, am Fernsehschirm angeschlossen, deutete auf die gleiche Anschauung aller Menschen hin, die nun den grünen Knopf an ihrem Gerät gedrückt hatten. Eine Volksbefragung war kein Problem mehr. Rot bedeutete stets nein, grün immer ja. French lächelte still vor sich hin. „Und –? Was hätte das für einen Sinn? Finden Sie nicht auch, daß Ihr Gedanke reichlich stupide ist?“ Der Australier lief rot an, wie eine Tomate. „Stupide? Sie sind es, der stupide ist! Sie führen uns ins Verderben! Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann fragen Sie die Menschen der Erde. Sehen Sie selbst, was sie meinen!“ Er wandte sich den Fernsehkameras zu und hob mit theatralischer Gebärde seine Arme. „Wollt ihr kämpfen – oder wollt ihr warten?“ Die Antwort war unmißverständlich. Mit 1000:1 stimmte die Welt für den sofortigen Kampf. Chase wartete, bis der aufbrandende Lärm des Hauses sich gelegt hatte. „Nun, French? Was sagen Sie jetzt?“ Der zuckte mit der Schulter. „Tut mir leid!“ 98
Weltpräsident van Koff, bisher Frenchs beste Stütze, sah ihn fragend an. „Nun, French, was wollen Sie machen? Die öffentliche Meinung ist gegen Ihren Plan.“ „Den sie gar nicht kennt!“ warf French ein. „Ich werde ihn trotzdem zur Ausführung bringen!“ „French, das geht doch nicht! Die Verfassung besagt, daß nur die Meinung der Völker entscheidend ist. Wir sind keine mittelalterliche Diktatur mehr, bedenken Sie das!“ „Sie selbst haben mich zum Kriegsminister gemacht; ich werde es so lange bleiben, bis ich das Amt von mir aus niederlege. Diese Absicht habe ich vorerst noch nicht! In der Verfassung ist nämlich auch enthalten, daß ein Kriegsminister nur dann abgesetzt werden kann, wenn eine Zweidrittelmehrheit es verlangt – gemeinsam mit dem Präsidenten. Und das wird nie geschehen!“ Van Koff starrte ihn wütend an. French erwiderte seinen Blick ruhig. „Bisher habe ich richtig gehandelt, Präsident. Ich weiß genau, was ich will. Die öffentliche Meinung spielt diesmal keine Rolle! Verlassen Sie sich darauf: Wenn ich mein Amt niederlege, sind wir alle verloren!“ In den Augen van Koffs flackerte kaum merklich eine Unsicherheit. „Ihr Plan! Was ist überhaupt Ihr Plan? Sie haben bisher nur in Andeutungen geredet; erzählen Sie uns wenigstens die Einzelheiten!“ „Es gibt keine Einzelheiten. Der Plan ist einfach und klar. Ich warte, bis 6 Raumkreuzer fertiggestellt sind; dann werde ich selbst mit ihnen nach Beta Capella fliegen und den entsprechenden Planeten vernichten.“ Ein eisiges Schweigen hing eine Sekunde über der Welt. Chase starrte ihn an, als sei er verrückt geworden. 99
„Aber warum denn das? Was hat das mit uns hier zu tun? Wenn es wirklich verhindern könnte, daß noch mehr Angreifer hierherkämen: Was machen wir inzwischen mit den Tausend über uns? Sollen wir warten und zusehen, wie sie Kontinent für Kontinent vernichten? Ihr dagegen befindet euch indessen schön sicher im tiefen Weltraum, was?“ Das Gesicht des Australiers platzte bald vor Wut; sein Blutdruck schien enorm zu sein. Man applaudierte von allen Seiten, und auch der Meinungsanzeiger schlug lebhaft aus. Die Welt zollte den Ausführungen Chases vollen Beifall. Brogan, Minister im „Amt für Verbindung mit der Öffentlichkeit“, zog seine Stirn in Falten, ängstlich darauf bedacht, daß sein markantes Profil den Fernsehkameras zugewandt war. „Das ist Selbstmord, French! Die Welt ist gegen Sie und Ihren Plan. Es ist unmöglich, daß wir zu Totengräbern der Demokratie werden.“ Nagimoto, der japanische Arbeiterführer, stand auf, und sein Gesicht zeigte unverhüllten Ärger. „Das ist ein typisch westliches Gespräch! Ich verlange die Einbeziehung eines Japaners in den Verteidigungsrat!“ Van Koff sah ihn erstaunt an, sein Gesicht war fragend. „Japaner?! Mensch, was soll denn das Gerede jetzt?“ French stand schweigend und wartete auf eine Entscheidung van Koffs. Er schien seiner Sache sehr sicher zu sein. Van Koff war es aber auch. „French, Sie hörten die Meinung der Völker und die der Experten. Entweder – Sie geben die 4 Raumschiffe sofort frei, oder Sie treten zurück! Es bleibt keine andere Möglichkeit, so leid es mir auch tut.“ French erbleichte; die Knöchel seiner Hände waren schneeweiß, als er sich an der Tischkante festhielt. „Mit diesen 4 Kreuzern können wir nur einen aussichtslosen Kampf führen, mehr aber nicht. Sie würden keine Entscheidung 100
herbeiführen. Selbst wenn wir alle 1000 Angreifer abschießen würden – der Gedanke ist natürlich absurd –, kämen morgen 1000 andere. Und wenn ihnen das auch nichts nützen würde, so könnten sie jederzeit wieder ihren X-Strahl auf die Erde richten. Nein, wir müssen sie an ihrem Ausgangspunkt vernichten; eine andere Möglichkeit gibt es nicht! Wenn diese Spinnen nur Roboter sind und wir ihre Herren und Meister vernichten, dann sind auch sie verloren. Falls meine Theorie richtig ist, werden wir siegen; wenn nicht – dann kann es auch nicht schlechter werden, als es jetzt ist.“ Chase rief ihm zu: „Unsinn! Welch eine Chance! Wer sagt denn, daß es Roboter sind? Wer sagt, daß sie von Beta Capella kommen? Wer sagt, daß eine Bombe einen ganzen Planeten zerstören kann, obwohl man sie noch nie praktisch erprobt hat? Welch ein Unsinn und Quatsch das alles ist; viel zuviel für einen Irren allein!“ French sah ihn an und zuckte die Schultern. „Wenn sich außer Ihnen keiner mehr findet, allerdings. Aber wenn Sie schon so viel zu reden haben, dann machen Sie doch endlich einen vernünftigen Vorschlag!“ „Schicken Sie die Raumschiffe hoch, und lassen Sie uns den Kampf sehen, anstatt dieses untätige Herumsitzen und Warten.“ Seine Stimme wurde schrill und gellte durch den weiten Saal: „Lassen Sie uns wie Männer kämpfen und sterben, aber nicht wie Ratten in ihren Löchern verrecken! Lieber als Helden sterben denn als Feiglinge leben!“ French wartete, bis sich der Beifallssturm gelegt hatte. „Das ist eine Politik, die man früher gerne anwandte. Sie verschwenden wirklich nur meine Zeit!“ Wütende Stimmen brandeten gegen ihn an. „French, du sollst zurücktreten!“ Van Koff gebot Schweigen. 101
„French, Sie haben meine volle Sympathie; ich pflichte sogar Ihrem Plane bei. Aber der Wille des Volkes ist entscheidend.“ Ein lastendes Schweigen lag über der Versammlung. French starrte auf den Tisch; in seinem Innern tobte ein Kampf; schwer hob und senkte sich seine Brust. Dann hob er seinen Kopf und blickte in die Augen seiner Gegner. „Ich werde weder zurücktreten noch meinen Plan aufgeben! Ich weiß genau, daß ich auf dem einzig richtigen Wege bin.“ Er wandte sich um, als wollte er die Halle verlassen; dann aber setzte er sich hin, und sein Blick war starr geradeaus gerichtet. Immer noch war es still. Jeder im Saal sah auf van Koff, auch die Milliarden Menschen an den Fernsehgeräten. Was würde er tun? Der Präsident der Welt stand da, sein Gesicht war ruhig und ernst. „Es gibt nur noch eine Lösung: Ich werde sofort eine Versammlung des Obersten Rates einberufen. Der Erfolg wird der sein, daß Sie, French, einfach entlassen werden.“ French erhob sich langsam, seine Blicke gingen von dem Präsidenten zu den versammelten Männern. „Also soll die Welt durch die Dummheit der Menschen vernichtet werden?“ Keine Antwort. Er lehnte sich vor und sah van Koff an. „Ich werde das verhindern! – Als Kriegsminister gebe ich folgende Erklärung ab: Alle Versammlungen, die von mir nicht genehmigt worden sind, werden aufgelöst – auch die Versammlung des Obersten Rates!“ Er gab Baun einen Wink, der mit einigen bewaffneten Polizisten am Eingang stand. „Leutnant, räumen Sie den Saal!“ Ein ungeheuerer Aufruhr entstand. Schreie, wie „Diktator!“ und „Wahnsinniger!“, gellten auf, zwei Mann wollten French mit 102
Stühlen angreifen; aber der wutgeladene Baun fand in ihnen eine einmalige Gelegenheit, gewissen Regierungsvertretern einmal persönlich seine Meinung zu sagen. Die beiden kamen erst einige Stunden später wieder zu sich. Nach 10 Minuten war der Saal leer. Nur noch einige zerbrochene Möbelstücke zeugten von der Lebhaftigkeit der Debatte. Van Koff wartete, bis sich der Saal geleert hatte; dann schüttelte er den Kopf. „French, Sie tragen für alle Folgen die Verantwortung. Ich fürchte, dies war Ihre letzte Entscheidung. Die Menschen wollen keine gewalttätigen Politiker. Man wird versuchen, Sie zu beseitigen.“ Er nahm seine Aktentasche und ging hinaus, gefolgt von Helen Conde, die dem Massenhinauswurf wie durch ein Wunder entgangen war. French bemerkte, daß sie ihm keinen Blick mehr zugeworfen hatte. Ohne ein Wort oder eine Geste ging sie, ihn einfach ignorierend. Er wartete, bis sie verschwunden waren, dann schritt auch er gemächlich zur Tür, wo Baun schweigend stand, ohne eine Miene zu verziehen. Gemeinsam begaben sie sich zu ihrem Fahrzeug. Baun startete, und langsam glitten sie auf die mit Trümmern bedeckte Straße. French lehnte sich zurück und rauchte eine Zigarette an. „Was hättest du an meiner Stelle gemacht?“ Baun grinste ihn von der Seite her an. „Keine Ahnung. Ich weiß noch nicht mal, ob das, was du vorhast, richtig ist oder nicht.“ Er suchte eine Zigarette. „Ich weiß nur eines: Du mußt dich deiner Theorie sehr sicher fühlen, sonst hättest du nicht so handeln können!“ French hob seine Augenbrauen und schüttelte den Kopf. „Du wirst lachen, Leo: Ich bin mir absolut nicht sicher!“ 103
* Der nächste Tag war der schlimmste, den New York bisher erlebt hatte. Von der Morgendämmerung an pulverisierten 1000 Feindschiffe systematisch die Stadt, und am Nachmittag überfielen 500 von ihnen Detroit und Chikago. Sie hatten leichtes Spiel; denn von einer Abwehr konnte hier nicht mehr die Rede sein. French saß allein in seinem Büro und überwachte mit innerlicher Wut das Voranschreiten des Baues seiner Raumflotte. Gegen Abend waren fünf Schiffe fertig, nur das sechste fehlte noch. Mittlerweile tobte immer noch die Empörung über Frenchs unerhörte Haltung über den Erdball. Es mag seltsam erscheinen, daß zu einem Zeitpunkt, da die Existenz der Welt auf dem Spiele stand, ein einziger Mann der Mittelpunkt sämtlicher Gespräche sein konnte. Aber es war wiederum auch irgendwie verständlich; denn nun hatte man doch endlich einen Sündenbock gefunden, dem man die Schuld an der ganzen Lage in die Schuhe schieben konnte. Aus einem beliebten Helden wurde über Nacht ein Geächteter. Baun persönlich übernahm die Leibwache, die er zum Schutze Frenchs aufgestellt hatte. Trotz allem – oder vielleicht gerade deswegen: French bekam seine Schiffe! – Zwei Tage später. An einem grauen Nebelmorgen in der Nähe von Detroit. Oben am Himmel kreuzten die Angreifer, kamen oft tief herab und schossen auf alles, was sie entdecken konnten. Draußen vor der Raumschiffwerft standen die Zementkommandos, jederzeit einsatzbereit. Frenchs Leibwache, 12 Mann mit schußbereiter 104
Strahlpistole, achteten darauf, daß das Leben des Captains von keinem Menschen bedroht werden konnte. French hatte alle Fernsehkameraleute, Radioreporter und Zaungäste davonjagen lassen. Dies hier war streng geheim! Außerdem wollte er die Aufmerksamkeit des Feindes nicht auf diesen an sich einsamen Platz lenken, weil sonst alles verloren gewesen wäre. Der Chef der Werft führte French in die riesige Halle. „Da sind sie, Captain! 6 Raumschiffe, wie sie in dieser Art noch nie gebaut wurden. Sie sind gut, schnell und hervorragend bestückt, nichts wird sie aufhalten können.“ French betrachtete sie kritisch. „Sie müssen auch gut sein, wenn sie eine Reise von 18 Lichtjahren in 9 Wochen bewältigen wollen. Verdammt gut sogar!“ Er zuckte die Schultern. „Gut! Machen Sie sie für heute abend, 22 Uhr, startbereit. Sobald die Angreifer außerhalb der Stratosphäre sind, fliege ich los.“ Der Chef sah ihn überrascht an. „Heute abend? Wo?“ „Hier, in der Halle! Der Feind darf sie nicht sehen können, sonst wäre alles vergeblich gewesen. Keine Sorge, es ist alles genau berechnet worden!“ „Hier – in der Halle? – Das verstehe ich nicht, Captain. Man kann das Dach nicht abnehmen.“ „Das weiß ich auch. Wir werden durch das Dach brechen. Sie sind so gebaut, daß sie meteoritensicher sind – da macht ihnen das Dach auch nichts aus.“ Er grinste leicht, als er das verstörte Gesicht des Mannes sah. „Sie werden für den Verlust schon genügend entschädigt werden.“ *
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Seine letzte Besprechung mit van Koff fand über den Bildschirm statt. „Hier French. Ich melde Ihnen die Fertigstellung der Schiffe. Heute abend werde ich starten.“ „Gut, French! Ob wir Erfolg haben oder nicht, wird sich ja erweisen.“ „Ob ich Erfolg habe oder nicht, ob ich zurückkehre oder nicht – das ist alles gleich. Ich werde meine Handlungsweise nie bereuen; denn es ist der einzige Ausweg in dieser Lage.“ „Ich habe dazu nichts mehr zu sagen. Sie sind sich doch im klaren, French, daß in 9 Wochen von uns hier auf der Erde nichts mehr übriggeblieben sein wird?“ „Auf Wiedersehen, Präsident! – Es tut mir leid, daß es keinen anderen Weg mehr gibt.“ „Auf Wiedersehen, French!“ Dann, nach einer kurzen Pause: „Und – viel Glück!“
HAVARIE IM WELTRAUM Der Start fand zur festgesetzten Zeit statt. French hatte die ganze Mannschaft noch einmal versammelt, 400 Mann, pro Schiff 65. Die sechs Kapitäne waren Leute mit langjähriger Raumfahrterfahrung. Frenchs Kommandoschiff wurde von Voigt, einem alten Raumfahrtpionier, geführt. Die Mannschaft bestand zum größten Teil aus Polizisten der Weltregierung, ausgesucht unter Berücksichtigung ihrer bisherigen Führung und ihrer technischen Befähigung. Der Rest bestand aus Freiwilligen, die von einem geheimen Komitee ausgewählt worden waren. Die versammelten Männer sahen schweigend auf French, der auf der dritten Stufe der Einsteigleiter seines Schiffes stand. Fast 150 Meter über ihm war das Dach der riesigen Montage106
halle, und nur wenige Meter darunter befanden sich die Büge der wartenden Schiffe. French sah auf seine Uhr. „In fünf Minuten werden wir durch jenes Dach brechen und in den Weltraum schießen. Wir reisen mit ständiger Beschleunigung zu einem unbekannten Planeten, um diesen mit noch nie erprobten Bomben zu zerstören. Gelingt das nicht, ist unsere Mission mißglückt – gelingt es jedoch, besteht die Möglichkeit, daß wir alle in Atome aufgelöst werden.“ Er machte eine Pause, um seine Worte besser wirken zu lassen. „Ich möchte, daß ihr alle das Risiko kennt, das ihr auf euch nehmt. Ich wünsche keine Bedenken in letzter Sekunde; dann wird es nämlich zu spät sein. Wenn jemand jetzt noch zurücktreten möchte – bitte, es ist die letzte Chance. Kein Mensch wird es euch übelnehmen. Aber entscheidet euch schnell – wir haben keine Zeit mehr.“ Keiner gab eine Antwort, keiner trat vor. Ein leichtes Gemurmel lief durch die Reihen der Leute, erstarb aber wieder, als der Kapitän der E 4, ein mächtiger Riese mit roten Haaren, sich vordrängte und seine rauhe Stimme erschallen ließ. „Captain French, wir alle kennen Sie! Was Sie ausknobeln, ist in Ordnung. Wenn unsere Mission fehlschlägt – hier wird kein Mensch sein, der Sie dafür verantwortlich machen wird. Wenn sie jedoch glückt, dann wird die Welt nur das wissen, was uns schon lange bekannt ist: daß Sie ein feiner Kerl sind! Geben Sie also schon das Zeichen zum Start!“ Gedämpfte Hochrufe bewiesen die Zustimmung der Männer. French wurde ein wenig rot; er hatte eine Falte auf der Stirn „Also gut! Dann – alle Mann an Bord!“ *
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Das erste, was den Massenstart verkündete, war ein plötzliches Donner ein unheimliches Krachen und das Heulen von Düsen. Mit fast unerträglichem Pfeifen rasten 6 große, langgestreckte Torpedos in den schwarzen Nachthimmel, von denen man aber nur die grellen Feuerzungen sehen konnte. Ein leiser werdendes Heulen und Summen – und dann wieder Ruhe. Zehn Minuten später raste die Nachricht um die Welt, daß Captain French mit 400 Mann die Erde verlassen habe, um den Planeten Beta Capella zu vernichten. Diese Meldung löste nur Ärger und sarkastische Zweifel aus. Rundfunksprecher bezweifelten die Möglichkeit, einen so entfernten Stern überhaupt jemals erreichen zu können. Die Völker der Erde begleiteten Frenchs Expedition nicht gerade mit den besten Wünschen, obwohl er ihnen die Rettung bringen wollte. Schon nach zwei Tagen hatte man ihn vergessen; die Welt hatte wichtigere Probleme. * Bereits 15 Stunden nach ihrem Start befanden sich die sechs Schiffe weit draußen im schwerelosen Weltall. Die Methode der dauernden Beschleunigung war neu und hatte einen ungeheueren Vorteil. Die früheren Raumschiffe stellten im Raum ihre Strahltriebwerke ab und glitten mit gleichbleibender Geschwindigkeit auf ihr Ziel zu. Bei der neuen Methode jedoch war es anders. Die Raketen trieben das Schiff mit stetig steigender Geschwindigkeit voran, bis drei Viertel des Weges zurückgelegt waren; dann traten die Bremsdüsen in Tätigkeit. Man konnte also bei großen Strecken nicht mehr nach Meilen je Stunde rechnen, sondern mußte neue Werte finden. Aber diese hohen Geschwindigkeiten erreichte man nur bei langen, außersolaren Reisen. 108
Die sechs Schiffe rasten dahin, die Raketen arbeiteten fast mit voller Kraft. Die Relativgeschwindigkeit betrug 700 000 Meilen je Stunde, aber in jeder Sekunde nahm sie um mehrere hundert Meilen zu. Baun stand neben Voigt im Kontrollraum und betrachtete interessiert die riesige Schalttafel mit den vielen Knöpfen und Hebeln in allen Farben. Seine größte Aufmerksamkeit galt jedoch der Radarsternkarte. Voigt sah seinen Blick und zeigte auf einen glänzenden Punkt. „Das ist Venus! In fünf Stunden kreuzen wir ihre Bahn.“ Baun nickte. „Früher haben wir 5 Wochen dazu benötigt. Wo ist übrigens Merkur? Wann kreuzen wir dessen Bahn?“ „In etwa 9½ Stunden. Wir steigern jenseits Venus die Geschwindigkeit noch mehr, natürlich.“ Baun ging nach hinten und passierte den Kartenraum, wo Calthorpe, der Astronavigator, an seinem Suchgerät saß. „Alles in Ordnung, Calthorpe?“ „Jawohl, alles in Ordnung! Es geht ja heutzutage mehr oder weniger alles automatisch. Viel kann da nicht mehr schiefgehen.“ Baun ging um den Tisch herum und betrachtete aufmerksam die Radartafel, prüfte die vielen Hundert Echopünktchen, die die Position von Meteoriten, Asteroiden und Planetoiden bezeichneten. Es war natürlich unmöglich, bei dieser Geschwindigkeit unvermittelt die Richtung ändern zu wollen; schon eine Wendung von einem Grad hätte einen jeden an Bord getötet. Der Kurs konnte auf einer Strecke von vielen tausend Meilen nur um ein winziges geändert werden. Daher war es notwendig, daß man gefährliche Hindernisse schon auf weite Entfernung hin erkannte. Man mußte etwaige Zusammenstöße voraussehen und vermeiden können. All diese Probleme wurden natürlich noch schwieriger, 109
sobald die Lichtgeschwindigkeit überschritten wurde. 12 Mathematiker waren immer vollauf beschäftigt. Baun warf einen Blick durch die Astroluke – dickes, schweres Quarzglas – in den Weltraum hinaus. Auf der anderen Seite des Kartenraumes war die gleiche Luke; aber sie war verschlossen. Ein Blick in die Sonne hätte die Augen für ewig geblendet. Die fünf anderen Schiffe schwebten parallel zu dem ihrigen in mehreren Meilen Entfernung. Sie sahen aus wie glänzende Miniatursterne, und aus ihren Hecken schossen grelle Flammen. Viele Millionen Meilen vor ihnen stand ein leuchtender Stern: die Venus. So wohlbekannt Baun der Anblick des Weltraums war, erfaßte ihn doch immer wieder das gleiche erregende Gefühl, wenn er sich in ihm befand. Frei von aller Erdgebundenheit und nur von der geringen Schwerkraft des künstlichen Gravitationsfeldes gehalten, raste der Mensch von Planet zu Planet und von Sonnensystem zu Sonnensystem. Eines Tages würde er auch unsere Milchstraße verlassen können – in 1000 oder 2000 Jahren vielleicht! Trotz des technischen Fortschrittes war es für die Raumfahrer immer wieder das gleiche Erlebnis, wie für die Pioniere damals. Der Bedeutung und den Rätseln der Schöpfung allerdings war man deswegen doch noch keinen Schritt näher gekommen. Ganz weit hinter den Schiffen sah Baun die Erde. Sie war nur ein Stern unter vielen anderen, und das Licht benötigte schon Minuten, um ihn zu erreichen. In 9 Wochen, wenn sie Beta Capella umkreisen würden, könnten sie – sofern die dafür nötigen Instrumente an Bord wären – die Welt erblicken, wie sie vor 18 Jahren aussah. Aber noch andere Überlegungen kamen Baun. Auf der Erde war man mit dem Bau eines neuen Elektronenteleskops beschäftigt, das Planeten von 2000 Lichtjahren Entfernung so nahe heranbringen sollte, daß man die dort etwa 110
vorhandenen größeren Städte sehen könnte. Dieses Teleskop, nach Alpha Jason gebracht, würde die Erde zur Zeit Cäsars zeigen. Noch ein wenig verbessert, daß man die Menschen erkennen könnte – und der erste Schritt zur Reise in die Vergangenheit wäre getan. Die Stimme des Astronavigators unterbrach Bauns Gedankengänge. „Leutnant, wollen Sie mal für einen Moment herkommen? Ich möchte gerne wissen, was Sie davon halten.“ Baun drückte sich von der Wand ab und segelte mit einem einzigen Satz zu dem Manne hinüber, erschreckt über das Rebellieren seines Magens. „Was ist denn los?“ „Es wäre jetzt an sich der unrechte Zeitpunkt, irgendwelchen Schwierigkeiten ausgesetzt zu werden. Unser Schiff – verglichen mit dem Radarecho vom Merkur – muß ein wenig vom Kurs abgewichen sein.“ Baun beugte sich über den Tisch. „Ich bin allerdings kein Mathematiker –“ Der Astronautiker nahm ein Lineal und zog einige Linien. Zwei seiner Assistenten sahen stirnrunzelnd zu. „So können Sie es besser begreifen“, meinte er dann. „Die Schwerkraft der Venus würde uns 1 Grad vom Kurs abweichen lassen; das ist natürlich einberechnet worden. Wir weichen aber jetzt um 2 Grad ab; das ergibt einen Unterschied zur Normalroute von 3 Grad. Das sieht sehr unwichtig aus, diese paar Meilen – bei einer Strecke von Billionen Meilen. Im Weltraum spielt jedoch gerade wegen dieser großen Entfernungen ein tausendstel Grad eine erhebliche Rolle. Nein, da stimmt etwas nicht! Aber was nur?“ Baun warf einen Blick auf die Linien und Zeichnungen. Zwei Linien waren zu erkennen, beide bei der Erde beginnend. Allmählich und gleichmäßig entfernten sie sich aber von111
einander, und schon in der Nähe des Merkur verliefen sie eine größere Strecke auseinander, wobei die eine sich der Venus und dann der Sonne näherte. „Könnte eines Ihrer Instrumente defekt sein?“ „Kaum! Eher ist es ein Rechenfehler. Ich werde mit Pat Sloane auf E 3 vergleichen. Wenn seine Kalkulationen die gleichen sind, muß ich Kapitän Voigt Meldung machen.“ Baun wartete geduldig, bis die Radioverbindung wieder abbrach. Calthorpe blickte auf; sein Gesichtsausdruck verriet Bestürzung. „Sloane hat das gleiche Ergebnis. Wir sind abgetrieben worden. Irgend etwas ist nicht in Ordnung.“ Baun preßte die Lippen aufeinander. Wenn sie jetzt zurückkehren müßten, wäre French erledigt. Er sah auf die Uhr. Vor genau 15 Stunden waren sie gestartet. Mit Calthorpe zusammen ging er in den Kontrollraum. Voigt nahm die Meldung mit viel mehr Aufregung entgegen, als es so ein kleiner Rechenfehler erwarten ließ. Baun hoffte wenigstens, daß es nur ein solcher sei. „Sagen Sie es Captain French, Baun! Und überprüfen Sie die Kursberechnungen mit der Raumfahrtkontrolle in Genua.“ Er biß sich auf die Lippen und zog die Stirn in Falten. „Nehmen Sie es nicht so leicht; die Sache ist viel ernster, als Sie vielleicht annehmen mögen.“ * French schien von der schlechten Neuigkeit nicht besonders beeindruckt zu sein. „Diese Brüder machen sich viel zuviel Gedanken“, grinste er zu Baun hinüber, richtete sich von der Couch hoch, auf der er 112
gelegen hatte, und gähnte wie ein Flußpferd. „Noch nicht mal zwischen den Sternen kann man schlafen.“ Sie gingen zum Kontrollraum, wo ihnen Voigt schon entgegenkam. „Captain French, es tut mir leid, aber es ist meine Pflicht, Ihnen zu melden, daß mit den Generatoren anscheinend etwas nicht in Ordnung ist.“ Er warf dem Radarberechner einen Blick zu und runzelte die Stirn. „Wir werden zurückkehren müssen!“ Frenchs Gesichtsausdruck wechselte. „Zurück? Es gibt kein Zurück!“ „Ich kann die Verantwortung für eine Fortsetzung des Fluges nicht mehr übernehmen. Sehen Sie hier, Captain –“ Er gab eine technische Erklärung, gespickt mit Fachausdrücken und Formeln. French nickte leicht; die Muskeln seines Unterkiefers bewegten sich zuckend hin und her. Seine Blicke überflogen die Instrumente, als könne er dort eine Erklärung für den verhängnisvollen Fehler finden. Voigt fuhr fort: „Es bleibt also nur noch eine einzige Erklärung: Der Hauptgenerator erzeugt weniger Energie, als er anzeigt. Wahrscheinlich eine schwache Stelle im Beatrongehäuse. Das bedeutet, daß wir nach und nach immer weniger Energie erhalten, bis sie endlich ganz versiegt. Das Risiko ist zu groß; es wäre unverantwortlich!“ „Aber wir könnten Beta Capella erreichen –“ „Nein! Wie ich schon sagte, werden wir –“ „Wenn wir den Generator abstellen, sobald wir die höchste Geschwindigkeit erreicht haben, ihn nur zur Kursänderung benutzen, dann würden wir doch zu unserem Ziel gelangen. Oder etwa nicht?“ „Calthorpe könnte das genau ausrechnen; aber ich glaube, 113
daß Sie sich irren. Sehr wahrscheinlich würde allein die Hinfahrt schon einige Jahre in Anspruch nehmen. Die Rückfahrt – Na, Sie können sich das ja denken.“ Calthorpe nickte; die Kalkulationen waren in wenigen Sekunden gemacht. „Tut mir leid, Captain, aber in 15 Tagen wäre die Energie des Generators erschöpft. Wenn wir sie also in 15 Tagen abstellen, um ein wenig Kraft für die Steuerung zu behalten, benötigten wir statt 9 Wochen volle 12 Jahre für die Reise. Also völlig unmöglich, wie Sie ja wohl einsehen werden.“ Tief in Gedanken versunken schritt French auf und ab. Immer noch zeigte er keine Enttäuschung; er schien sich tadellos beherrschen zu können. Nur einige Muskeln in seinem Gesicht zuckten kaum merklich. Endlich blieb er stehen und starrte durch die Astroluke in den Weltraum mit seinen silbernen Sternen hinaus. „Wir werden auf Merkur zwischenlanden. Möglich, daß sie uns die nötigen Materialien leihen, damit wir den Generator reparieren können. Wenn nicht, dann werden wir die Astronavigation auf eines der anderen Schiffe umbauen und E 1 mit der Mehrzahl der Mannschaft auf Merkur zurücklassen. Kant, der Feuerwerker, hat mir zwar gesagt, daß mindestens 6 Bomben nötig sein werden, um einen Planeten zu vernichten, aber 5 werden wohl auch genügen. Stellen Sie Verbindung mit Merkur her, und erbitten Sie die Erlaubnis zur Landung.“ Er zögerte; sein Mund war wie eine schmale Linie. „Benachrichtigen Sie auch die Erde von dem, was sich ereignet hat.“ Voigt neigte seinen Kopf um einen Zentimeter. „Sie sind der Kommandant der Expedition!“ French hob eine Augenbraue. Der Ton des Kapitäns war kurz und scharf gewesen. „Was wollen Sie damit sagen, Voigt? Was wollen Sie denn 114
noch? Ich tue doch genau das, was Sie wollen. Oder etwa nicht?“ Voigt wurde rot. „Gar nichts. Ich habe nur gesagt, daß Sie der Kommandant sind, sonst nichts. Aber ich möchte Sie daran erinnern, daß ich den Vorschlag machte, zur Erde zurückzukehren. Von Merkur war nicht die Rede.“ French zuckte die Schultern und gab keine Antwort. Dann wandte er sich mit ausdruckslosem Gesicht um und ging in seine Kabine. Baun begab sich zum Beobachtungsraum; er hatte das dringende Bedürfnis, eine Zigarette zu rauchen. Vanid Leroux saß unter dem großen Sonnenfilterdach und trank Kaffee. Als er eintrat, sah sie auf und lächelte ihn an. „Hallo, Leo! Seit dem Start habe ich dich kaum gesehen. Du hast keinen besonders glücklichen Gesichtsausdruck. Ist etwas geschehen?“ Baun sank vorsichtig in einen Sessel und bot ihr eine Zigarette an. „Eine ganze Menge, mein Kind. Die Motoren wollen nicht. Wir müssen auf Merkur landen, um sie zu reparieren. French ist ziemlich wütend darüber.“ Vanids Gesicht überzog sich mit einem Schatten. „Wird das lange dauern – auf Merkur?“ „Keine Ahnung! Tage vielleicht, oder auch Wochen. Das Schlimme ist, daß wir noch gar nicht wissen, ob wir überhaupt auf Merkur landen können. Das sind nämlich merkwürdige Leute dort. Es würde mich gar nicht wundern, wenn sie uns nicht hülfen.“ Vanids kleine Stirn war von einer Falte durchzogen. „Weißt du, Leo – du wirst ja denken, ich sei furchtbar dumm; aber ich – mir ist über Merkur so wenig bekannt. – Mars und Venus; – ja, das geht in Ordnung. Aber Merkur? – Ich war da115
mals noch jung, als der Krieg zwischen Erde und Merkur beendet wurde. Warum sollten sie uns nicht landen lassen? Es ist doch alles vorbei, und – soviel ich weiß – es landen doch gelegentlich auch Schiffe von uns dort.“ Baun nickte und stieß eine mächtige Rauchwolke aus, die von dem Luftreiniger augenblicklich absorbiert wurde. „Ja, stimmt alles; aber nur, weil die Merkurianer sich nicht getrauen, es uns zu verbieten. Siehst du, Vanid, die Situation ist doch so: Vor 30 Jahren entbrannte der Krieg zwischen den beiden Planeten. Es ging um den Besitz der Venus. Wir hatten als erste dort eine wissenschaftliche Kolonie eingerichtet. Dann erschien ein Raumschiff – und mit einer Bombe war alles vorbei. Die Merkurianer landeten nun ihrerseits eine starke Abordnung. Wir revanchierten uns und vernichteten sie.“ Er drückte seine Zigarette aus und lehnte sich zurück. „So ging das ein oder zwei Jahre hin und her. Die diplomatischen Proteste wechselten wie in alten Zeiten. Endlich, ob richtig oder nicht, warfen wir eine Heliumbombe auf Kaan, die Hauptstadt des Merkur. Zehn Wochen später bombardierten sie Paris, London und Adelaide mit einer Art von Elektrogeschossen. Eine Woche später wurde dann der Krieg erklärt.“ Baun grinste vor sich hin. „Das war ein höllischer Krieg! Für jede taktische Handlung benötigte man Wochen, um sie ausführen zu können. Selbst der schnellste Bombenkreuzer brauchte für die Fahrt zur Venus 5 und zum Merkur 9 Wochen. Und ihre Schiffe waren auch nicht schneller. So dauerte der Krieg 5 Jahre.“ Vanid nickte. „Das weiß ich. Ich glaube, es muß furchtbar gewesen sein. Mein Vater erzählte, daß er gesehen habe, wie ein Schiff der Merkurianer abgestürzt sei, ganz in der Nähe unseres Hauses. 116
Alle fünfzig Mann der Besatzung seien tot gewesen, durch den Aufprall – und erstickt.“ „Ja, erstickt. Sie atmen nämlich Kohlendioxyd ein und Sauerstoff aus. Es ist genau umgekehrt wie bei uns. Auf der Erde gibt es zu wenig CO2 für sie. Uns würde es auf Merkur auch schlecht ergehen, wenn wir unsere Sauerstoffmaske verlören. Ja, und so ging damals der Krieg hin und her, bis wir endlich eine starke Flotte beisammen hatten und einen großen Schlag führten. Dabei warfen wir erneut eine Heliumbombe; aber eine größere. Es war gräßlich! Wir glaubten der ganze Planet platze auseinander. Es war eine furchtbare Waffe!“ Ein leichtes Zittern durchlief das Schiff. Durch die Astroluke blickend, sah Baun, daß die Flammenzungen der Raketen nicht mehr aus dem Heck, sondern aus dem Bug der Schiffe kamen. Man begann also bereits, die Geschwindigkeit zu drosseln. Baun sprach weiter. „Die Merkurianer merkten, daß wir mächtiger waren. Ein Waffenstillstand wurde geschlossen. Wir stellten die Bedingungen. Wir bekamen die Kontrolle über die Venus, das Landungsrecht für ein Überwachungsschiff je Monat auf Merkur selbst, 20 ihrer besten Raumschiffe und jährlich 100 Tonnen Molybdenium, ein Element, das es bei uns nicht gibt. Außerdem verlangten wir die Garantie, daß sie ohne unsere Erlaubnis keinerlei Waffen mehr produzierten. Das waren harte Bedingungen, und der damalige Weltpräsident, Balkowski, hat die Merkurianer auf der Friedenskonferenz ziemlich stark gedemütigt. Das Verhältnis hat sich bis heute noch nicht gebessert. Sie hassen uns.“ Vanid nickte. „Hat van Koff sie denn nicht besser behandelt, seitdem er Präsident ist?“ „Doch, aber es war zu spät. Die inzwischen erwachsenen Kinder auf dem Merkur waren mit dem Haß geboren worden. Wenn wir dort landen, muß French sehr vorsichtig sein. Soweit 117
mir bekannt ist, sind einige Leute unserer Beobachtungsschiffe aus bisher ungeklärten Gründen gestorben. Man konnte nichts beweisen, aber es genügte, um dem Merkur einen sehr schlechten Ruf zu geben. Es ist kein Ferienaufenthalt.“ Er nahm eine neue Zigarette. „Wir werden nach 30 Jahren die ersten Menschen sein, die auf Merkur landen, abgesehen von den paar Wissenschaftlern, die sich allmonatlich dort nur einen Tag aufhalten – und das auch noch an einem Platz, der 100 Meilen von der Hauptstadt entfernt ist.“ Er lächelte sie an. „Jetzt bist du aber gespannt, was?“ Vanid sah nicht besonders begeistert aus. „Gar nicht mal so sehr. Gehen wir lieber mal nach vorne und sehen nach, was sich da tut.“ Sie begaben sich in den Kontrollraum. Voigt stand an den Bedienungsinstrumenten des Hauptgenerators und regulierte die Raketensätze in den Bug des Schiffes. Es war gar nicht so einfach, eine Rakete so plötzlich abzubremsen, die fast höchste Geschwindigkeit erreicht hatte. Nur ein wenig zuviel Energie auf einen der Treibsätze, und schon wich man gewaltig vom Kurs ab. Baun wartete geduldig, bis der Kapitän endlich die Arbeit einem seiner Offiziere überließ. „Landen wir also doch auf Merkur, Kapitän?“ „Sieht so aus, was? Sie weigerten sich zuerst, überhaupt zu antworten, obwohl sie uns hören mußten. Aber French macht ja immer kurzen Prozeß, so auch diesmal. Wir dürfen also landen.“ „Wie hat er das gemacht?“ fragte Vanid interessiert. Der Kapitän lachte vergnügt vor sich hin. „Er hat ihnen gesagt, daß wir sechs Solarbomben an Bord hätten; und wenn seine Schiffe nicht landen könnten, dann aber 118
sicherlich doch seine Bomben.“ Er grinste schwach und schüttelte den Kopf. „Viele Freunde werden wir auf dem Planeten wohl nicht finden!“
AUF DEM MERKUR Um 8 Uhr, Erdzeit natürlich, landeten sie auf dem Merkur. Hier gab es keinen Morgen, Mittag oder Abend. Der Planet hatte keine Rotation – oder nur eine im Jahr –, und der Wechsel von Tag und Nacht entfiel. Es gab auch keine Jahreszeiten; es blieb alles ewig gleich. Kaan, in deren Nähe sie landen durften, lag in der gemäßigten Zone, im Gürtel des ewigen Zwielichtes. Die Sonnenseite des Planeten hatte eine Temperatur, in der Metall schmolz, die andere Seite dagegen ließ alles gefrieren. Die Stadt Kaan war klein und eng gebaut, soweit man dies aus der Entfernung erkennen konnte. Das Land selbst war meist flach und unfruchtbar. Nur die Schönheit des bunten Himmels überstrahlte die einsame, trostlose Leere. Die große Sonne hing ewig am Horizont; die Schatten der Häuser dort drüben waren lang und würden sich niemals ändern. Es gab einige Berge, die sich jedoch nicht mehr als 100 Meter über die Ebene erhoben. Die Vegetation war dürftig, und es sah merkwürdig aus, daß alle Sträucher und Gräser sich in einer Richtung beugten: der Sonne entgegen – als hätte sie ein ständiger Wind, den man nicht spüren konnte, gebogen. Als sie aus dem Schiff auf die Oberfläche herabgeklettert waren, schauderte Vanid zusammen und griff nach Bauns Arm. „Ich habe Furcht – bin aber auch gespannt, was geschehen wird.“ Baun grinste sie durch die Gesichtsmaske an. „Das sind wir wohl alle.“ 119
Die sechs Schiffe bildeten – wie gigantische Bleistifte, im Abstand von einer Meile stehend – einen Kreis. French sammelte die aussteigende Besatzung und ließ Strahlpistolen verteilen. Von den Merkurianern war noch nichts zu sehen. „Wir sind 400 Mann!“ sprach er zu seinen Leuten. „Jeder ist mit einer wirksamen Waffe versehen. Außerdem haben wir noch sechs Bomben, die durchaus imstande sind, diesen Planeten in einen einzigen Atomblitz zu verwandeln. Wir befinden uns also in keiner unmittelbaren Gefahr. Ihr braucht auch nicht das Gefühl zu haben, daß wir nach hier gekommen seien, Hilfe zu erbetteln. Das haben wir nicht nötig. Wir sind als Freunde gekommen, aber man soll uns auch als solche behandeln. Trotzdem möchte ich nicht, daß ihr nun mit geschlossenen Augen spazierengeht. Sie kämen dann zu leicht in Versuchung, uns zu überrumpeln. Also wachsam sein! Bleibt immer zusammen, wendet keinem Merkurianer den Rücken zu, achtet auf euere Sauerstoffgeräte und gehorcht unbedingt allen Befehlen! Sämtliche Mannschaften unterstehen auch weiterhin dem Kommando ihrer Kapitäne. – Also – vertretet euch die Beine, bis etwas aufkreuzt.“ Sie brauchten nicht lange zu warten. Schon nach zehn Minuten näherten sich einige dunkle Schatten aus der Richtung der Stadt, die 10 Meilen entfernt sein mochte. Als sie näher kamen, sahen die Männer, daß es kleine Flugzeuge waren, ähnlich wie ihre Saucers. Sie verursachten ein pfeifendes Geräusch, zeigten aber keine Spur eines Raketenantriebs. In geringer Höhe kamen sie heran, umkreisten die Versammlung der erwartungsvoll nach oben blickenden Männer und landeten schließlich einige hundert Meter vom nächsten Schiff entfernt. 120
French machte keine Bewegung, ihnen entgegenzugehen, aber seine Miene war freundlich, als die fünf Merkurianer aus ihren Maschinen kletterten und auf ihn zukamen. Sie waren den Erdmenschen nicht unbekannt, weder bezüglich des Aussehens noch in ihren Sitten und Gebräuchen. Jedes Schulkind hatte sie in Filmen oder auf Bildern gesehen, und die Kenntnis ihrer Lebensweise gehörte mit zur Allgemeinbildung der Erdbewohner; ihre Sprache war sogar Pflichtfach für Raumpiloten. Aber dies waren die ersten Merkurianer, die die meisten Männer nun wirklich vor sich stehen sahen, und ein leichtes Murmeln lief durch ihre Reihen. French hob grüßend die Hand. „Wir wünschen euch alles Gute! Wir kommen als Freunde und benötigen eure Hilfe.“ Die Merkurianer hielten an, etwa acht Meter vor French, und die Blicke aus ihren großen Augen musterten ihn. Der erste von ihnen hob ebenfalls die Hand, ähnlich wie es French getan hatte. „Willkommen!“ Seine Stimme klang ein wenig blechern und fast zwitschernd; man merkte, daß ihm die Vokale Schwierigkeiten bereiteten. „Wir benötigen eure Hilfe“, wiederholte French. „Ausrüstung, Werkzeug und vielleicht Materialien.“ „Ja?“ „Wir werden euch natürlich alles bezahlen – egal, was ihr fordert. Wir haben zwar kein Geld bei uns; aber ich bin ein Beauftragter der Weltregierung. Wenn ich den Menschen Bescheid sage, werden sie das Geld hierhersenden. Vielleicht gibt es einen Ort, wo ich mit euren Verantwortlichen sprechen kann.“ Der Merkurianer wandte sich an seine Begleiter und redete mit ihnen. Die Töne waren hoch und schrill. Es hörte sich an, als seien Spatzen beim Streiten. 121
Endlich drehte er sich wieder um und sah French an. Seinem Gesichtsausdruck war nichts zu entnehmen; dazu war der Anblick der Gesichtszüge zu ungewohnt: ein großes Auge in der Mitte der Stirn, ein Mund wie ein Vogelschnabel – und, an Stelle der Ohren, ein netzartiges Gewebe. „Nein, wir haben keine passenden Ausrüstungsgegenstände. Ihr müßt unseren Planeten unverzüglich wieder verlassen.“ French zuckte nicht einmal mit den Wimpern. „Wir werden gehen, sobald das Schiff repariert ist. So lange bleiben wir!“ „Ihr könnt uns nicht zwingen, euch zu helfen. Der Große Vertrag spricht nur von Beobachtungsschiffen.“ French nickte und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. „Richtig! Aber wir bieten euch ja auch Material und Chemikalien als Dank für eure Hilfe.“ „Wir wollen nichts von euch Erdmenschen. Wenn ihr nicht so geht, dann – werdet ihr es bereuen!“ Frenchs Lächeln verschwand. „Ich habe 400 Mann bei mir; jeder hat einen Strahler, der mit einem einzigen Schuß zehn Menschen töten kann. Außerdem haben wir sechs Bomben bei uns, mit denen man diesen Planeten restlos vernichten kann.“ Er machte eine Pause, um ihnen Zeit zum Nachdenken zu geben. „Ich frage euch nochmals: Wollt ihr uns helfen?“ Der Merkurianer trat wieder zu seinen Begleitern, und sie unterhielten sich leise. Endlich antwortete er, blieb aber dort stehen, wo er gerade stand. „Wir müssen dich zu Ka Tak bringen; er nur kann entscheiden. Du mußt aber allein mitkommen!“ French schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde einen Mann mitnehmen.“ Er zeigte auf Baun. „Die anderen werden hier warten. Wenn ich in –“ Er sah sich um, konnte aber nichts finden, womit er ihnen den Zeitbe122
griff hätte klarmachen können. „Wenn ich nicht bald, wir nennen es „eine Stunde“, zurück bin, werden meine Männer eure Stadt zerstören. In Ordnung?“ Die anderen veranstalteten erneut eine kurze Konferenz. „Ja.“ French und Baun kletterten in eine der Maschinen. Sie war so klein, daß sie sich auf den Boden hocken mußten, damit das Dach zugleiten konnte. Es war dunkel wie in einem Sarg. Irgendwo vor ihnen saß mit gekreuzten Beinen der Pilot. Ohne sich zu bewegen, knieten sie so einige Minuten. French fluchte still vor sich hin. Draußen war ein feines Pfeifen und Summen, dann Ruhe. Das Verdeck glitt zurück. Sie befanden sich auf dem flachen Dach eines Gebäudes, hoch über der Stadt. French zog die Augenbrauen hoch, als sie ausstiegen. Baun pfiff leise vor sich hin. Diese Merkurianer schienen doch nicht so rückständig zu sein, wie man im allgemeinen annahm. Der Pilot führte sie quer über die glatte Fläche zu einer quadratischen Metallplatte, die im Boden eingelassen war. Von den vier anderen Maschinen war nichts zu sehen. Das beunruhigte French ein wenig. Die Metallplatte war ein Lift. Langsam sanken sie in einen dunklen Schacht. Es dauerte ziemlich lange, bis sie endlich sanft anhielten. Die Tür glitt auf, und sie schritten in einen kleinen Raum von nur wenigen Metern Länge und Breite. „Ihr müßt hier warten!“ sagte ihr Pilot und Führer, einen unsichtbaren Knopf drückend. Eine Tür öffnete sich, und er verschwand. Leise schloß sie sich wieder. Auch der Aufzug war nicht mehr da. Von irgendwoher kam ein rhythmisches Klopfen, wie von einer großen Maschine; sonst war völlige Stille. Ungeduldig blickte French auf seine Uhr. 123
„Wenn die sich nicht so stur anstellten, könnten wir schon in 24 Stunden wieder starten. So eine Zeitverschwendung!“ Baun konnte sich nicht helfen, er mußte grinsen. Dieser French hatte nichts anderes im Kopf, als jenem Planeten von Beta Capella zu Leibe zu gehen – eine Mission, die er, Baun, schon fast vergessen hatte. Merkur mit seinen Geheimnissen hatte ihn in seinen Bann gezogen. Er dachte an nichts anderes, als diesen Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Hätte er doch auch ein wenig von Frenchs Phantasielosigkeit gehabt! Fast zehn Minuten warteten sie, French vor Zorn bebend, Baun besorgt. Könnte er doch eine Zigarette rauchen! Endlich glitt die Tür wieder auf, und der Pilot erschien. „Ka Tak will euch sehen. Folgt mir!“ French schritt hinter ihm her, und Baun machte den Schluß. Sie kamen in eine große, offene Halle; die Decke war hoch über ihnen. Auf der anderen Seite war eine Glaswand mit einer geöffneten Tür. Sie schritten hindurch und erblickten eine Plattform, auf der sechs Merkurianer standen, mit einer Pistole unbekannter Art bewaffnet. Sie machten eine Wendung, als die Erdmenschen eintraten, und marschierten auf einen Torgang zu, der nach links weiterführte. „Folgt ihnen!“ sagte der Pilot. „Sie werden euch zu Ka Tak bringen.“ French grunzte ungeduldig und murmelte Baun etwas zu, was dieser jedoch nicht verstand. In kurzem Abstand folgten sie der Wache, sich mehrmals umblickend. Aber weder die sechs vor ihnen noch sonst jemand schenkte ihnen irgendeine Beachtung. Der Gang schien endlos lang zu sein. Die Wände hatten einen orangefarbigen Schimmer, und der Boden war uneben, als sei er gepflastert. Als sie aber einen Blick nach unten warfen, konnten sie feststellen, daß er völlig glatt war. 124
Es war ganz still, kein Geräusch war zu hören. Sie gingen ziemlich schnell. Da sie beide das Laufen nicht mehr gewohnt waren, wurde ihnen bald die Luft knapp. Baun keuchte wie ein altes Roß und fluchte innerlich über den keineswegs freundlichen Empfang. Ohne jede Warnung blieb die Wache plötzlich stehen. Jetzt erst bemerkten die beiden Männer, daß der Gang zu Ende war. Vor ihnen erhoben sich drei mächtige Holztüren mit eingeschnitzten Figuren und eingelassenen Metalleisten, wahrscheinlich Kupfer. Die mittlere Tür öffnete sich, zwei Wachtposten zogen sie von innen her auf. Der Raum dahinter war hoch, geräumig und hell, die Wände waren bunt bemalt und mit allerlei unverständlichen Zeichen bedeckt. Das Ganze machte einen reichlich eigenartigen Eindruck und erinnerte an einen primitiven, aber prunksüchtigen Herrscher aus dem Altertum. Die Wächter marschierten bis zum Ende des Saales, wo auf einer terrassenförmigen Erhöhung ein Thron stand. Die beiden Männer folgten, ein wenig langsamer als bisher. „Wußtest du, daß es hier so aussieht?“ fragte Baun neugierig. „Nein. – Die Wissenschaftler der Beobachtungsschiffe sind noch nie nach hier eingeladen worden, und es ist schon lange her, daß ein Erdbewohner in Kaan war. Ein merkwürdiges Volk: in einer Hinsicht sehr fortschrittlich, in der anderen so rückständig.“ Die Wache hielt vor dem Thron an und bildete ein Spalier, durch das die Männer schritten. Auf dem Thron saß ein Merkurianer, der etwas kleiner als die anderen war. Er trug eine lange Robe aus Metallfaser, die mit Steinen unbekannter Art verziert war. French blieb vor der erhöhten Plattform stehen und fragte, ohne das geringste Zeichen eines Grußes von sich zu geben: „Bist du Ka Tak?“ 125
„Der bin ich! Und ihr seid die Erdmenschen, die mich um Hilfe bitten?“ „Ja. Wir benötigen Material, Werkzeuge und Leute, die damit umgehen können. Wir sind sehr in Eile und haben wenig Zeit zu Gesprächen. Als Freunde kamen wir hierher, begegneten aber bisher nur Ablehnung und Mißtrauen. Es tut mir leid, daß die Bewohner des Merkur ihren Haß nicht vergessen wollen. Der Krieg ist doch nun schon seit vielen Jahren vorbei.“ Der Merkurianer gab nicht sofort Antwort. Endlich sagte er: „Welche Aufgabe hat eure Raumflotte? Warum ist eure Mission so eilig?“ French zögerte, Baun einen Blick zuwerfend. Diesem kam plötzlich zu Bewußtsein, daß man auf dem Merkur wahrscheinlich noch nichts von dem Angriff auf die Erde wußte. Die Radiowellen der Welt waren gegen das Ausstrahlen ins All geschützt, Nachrichten von Raumschiffen gingen nur verschlüsselt und auf Richtstrahlen. Diese Vorsichtsmaßnahmen stammten noch aus dem großen Interplanetaren Krieg, und man hatte sie bisher noch nicht aufgehoben. French überlegte blitzschnell, seine Gedanken rasten. Was durfte er den Merkurianern erzählen? „Wir befinden uns in einem Krieg. Die Erde wurde von einem Planeten außerhalb unseres Sonnensystems angegriffen. Einige unserer Städte wurden bombardiert. Wir haben den Auftrag, diesen feindlichen Planeten mit Bomben allergrößter Sprengkraft zu vernichten.“ Das Gesicht des Merkurianers zeigte keinerlei Bewegung. „Die Erde ist schwer getroffen? Sind eure Städte zerstört worden?“ Frenchs Augen zogen sich eng zusammen. Er witterte Gefahr. „Das habe ich nicht gesagt. Wir erlitten nur hier und dort einige geringe Schäden; das ist alles. Von Zerstörungen kann keine Rede sein.“ 126
Er lächelte plötzlich. „Wir sind immer noch stark genug, um es wertvoll erscheinen zu lassen, daß man sich freundlich mit uns stellt. – Nun, Ka Tak?“ „Gut, wir werden euch helfen. Ich werde veranlassen, daß euch sofort die nötigen Leute zur Verfügung gestellt werden. Aber – sagt mir doch: Welcher Planet ist es denn, der die Erde anzugreifen wagt?“ „Er ist weit von hier entfernt. Beta Capella nennen wir den Stern, zu dem er gehört.“ Ein kaum wahrnehmbares Aufatmen kam aus Ka Taks schnabelähnlichem Mund. „Das Gespräch ist beendet. Wollt ihr mit mir essen, Erdmenschen?“ Wieder zögerte French. „Danke, Ka Tak! Meine Leute warten auf mich. Wenn ich nicht schnell zurückkehre, werden sie ungeduldig. Ich muß gehen.“ „Wie du wünschst. Lebe wohl!“ „Lebe wohl, Ka Tak! Mein Volk wird dir dankbar sein.“ Sie kehrten auf demselben Wege zurück, den sie gekommen waren. Zehn Minuten später waren sie wieder bei ihren Leuten. Sie kletterten die Einstiegleiter hoch und begaben sich in den Kontrollraum der E 1, erleichtert die Gesichtsmasken abnehmend. Ohne diese lästige Einrichtung zu atmen, war geradezu ein Vergnügen. Baun hatte die ganze Zeit daran denken müssen, wie leicht sie mit ihren Sauerstoffgeräten einen Unfall hätten erleiden können. Er konnte sich auf einmal sehr gut das Gefühl eines auf Land geratenen Fisches vorstellen. French gab inzwischen einige Anweisungen über die Bordsprechanlage, und kurz danach konnte man schon die Auswirkungen seiner Befehle bemerken. Das Beatrongehäuse war freigelegt, die Mannschaft in Wachen und in Arbeiter eingeteilt worden. Jeder einzelne hatte 127
Anweisung, sich nicht weiter als 200 Meter von den Schiffen zu entfernen. Die Radaroperateure versuchten, die Verbindung mit der Erde herzustellen. Mehrere Kisten mit Batteriemagazinen für die Strahlpistolen waren geöffnet worden und standen in den Kontrollräumen bereit. Zehn Doppelstreifen kontrollierten von außen den Stützpunkt. French hatte keineswegs die Absicht, sich irgendwie überraschen zu lassen. Eine Stunde später erschienen die versprochenen Techniker. Sie hatten keinerlei Geräte bei sich. French wurde das dumpfe Gefühl nicht los, daß sie sich mehr für die Verteidigungsbereitschaft der E 1 als für die Beatronkammer interessierten. Ihre Blicke aus den großen Augen schweiften überall umher, sahen alles und schienen alles zu analysieren. French stand dabei, als das gigantische, konische Formen aufweisende Gehäuse Stück für Stück freigelegt wurde. Erst nach sechs Stunden war es soweit. Es war nicht leicht, den Fehler zu finden. Für zwei weitere Stunden krabbelten die Merkurianer und die eigenen Techniker in dem großen Zylinder umher, prüften mit Lampen und Spezialgeräten Zentimeter für Zentimeter und untersuchten jeden Draht und jeden elektrischen Anschluß. Erst die Ablösungsmannschaft fand den Fehler. Wie Kapitän Voigt schon angenommen hatte, war ein winziges Stück der schweren Sulfaton-Isolierung abgebröckelt. Das Material war in winzige Teilchen zerstäubt worden, dem bloßen Auge unsichtbar. Jede Stunde des Weiterfluges hätte den Schaden nur vergrößert, bis die Millionenspannung ausgebrochen wäre und das ganze Schiff mit ungeheuerer Energieentladung vernichtet hätte. French atmete erleichtert auf. Es hätte auch schlimmer sein können! Sicher, die geschwächte Isolierung zu ersetzen, war nicht einfach. Man mußte Material finden, das der hohen Spannung, Hitze und Erschütterung widerstand. Bis dahin konnte 128
das große Gehäuse vollständig abkühlen; denn das war Vorbedingung für die Instandsetzung. Er gab den Merkurianern eine kleine Probe der Isolation mit und trug ihnen auf, einen gleichwertigen Ersatz dafür zu beschaffen. Dann legte er sich schlafen. Obwohl die Sonne immer noch am selben Punkt des Horizontes stand, waren viele Stunden vergangen. Die Sonne ging ja hier nie unter. In den langen Schatten der tiefen Sonne lag die Stadt Kaan. Nichts regte sich.
EIN WEISSES STÜCKCHEN GUMMI Frenchs Annahme, in 24 Stunden sei die Reparatur beendet, schien sich als zu optimistisch zu erweisen. Die Männer stießen auf große Schwierigkeiten beim Entfernen der beschädigten Isolierung, und die Merkurianer auf noch viel größere beim Beschaffen eines gleichwertigen Ersatzes. Es bestand gar kein Zweifel an der Tatsache, daß sie in ihren Laboratorien hart arbeiteten. Die Proben, die sie brachten, wurden zwar ständig besser, waren jedoch immer noch ungeeignet. Etwa 18 Stunden nach ihrer Landung – French war soeben erwacht – meldeten die Radiotechniker, daß es ihnen gelungen sei, Verbindung mit der Erde herzustellen. Der Empfang war sehr schwach, genügte aber, um kurze Nachrichten auszutauschen. Die Angriffe hatten sich verstärkt und auf China und Rußland übergegriffen. French hatte eine kurze Unterhaltung mit van Koff. Er erzählte ihm, was sich ereignet hatte, und versicherte, bald wieder zu starten. Van Koff berichtete nun, der Australier Carton Chase sei inzwischen auf Wunsch der Menschheit zum Kriegsminister ernannt worden und habe als erstes einen Haftbefehl gegen ihn, French, erlassen. 129
Bald unterbrachen stärkere Sonnenfleckeinflüsse die Verbindung. French grinste spöttisch vor sich hin. Die zuletzt empfangene Neuigkeit schien ihn zu amüsieren. Nicht viel später ereignete sich der erste bedenkliche Zwischenfall. Baun brachte zwei mürrisch dreinschauende Männer in Frenchs Kabine. Ungewöhnlich ärgerlich sagte er: „Captain, diese zwei Idioten versuchten in die Stadt zu gelangen. Ein Merkurianer beschoß sie mit einer Strahlpistole, und sie waren dämlich genug, zurückzuschießen. Glücklicherweise wurde keiner getroffen. Ich habe sie eben geschnappt, als sie sich unbemerkt wieder in unser Lager schleichen wollten.“ French brüllte sie zornerfüllt an: „Ihr Narren! Wenn jener Merkurianer verletzt worden wäre, hätte es ein Massenmorden geben können. Was – um Himmels willen – wolltet ihr denn in der Stadt?!“ Sie senkten die Köpfe und wagten nicht, ihm in die flammenden Augen zu sehen. Endlich murmelte der größere von ihnen: „Wir hatten Langeweile und wollten uns nur ein wenig umsehen; das ist alles. Wir hatten doch nichts Böses vor. Dieses einäugige Luder schoß auf uns, ohne Warnung oder Anruf. – Na, da haben wir ihm eben eine Salve vor die Füße gesetzt, um ihn das Tanzen zu lehren. Zum Donnerwetter, welches Recht haben diese –!“ „Ich verzichte auf eure verfluchten Ausreden!“ knurrte French, immer noch wütend. „Wenn so etwas noch einmal geschieht, werde ich die Betreffenden hierlassen, wenn wir starten. Ist das klar? Gut, dann ’raus!“ Sie waren schon fast an der Tür, als French weitersprach, gar nicht n‹ehr ärgerlich, sondern in normalem Tone: „Habt ihr etwas bemerken können?“ Der Große zögerte. 130
„Die Stadt ist sehr merkwürdig. Keine Seele scheint darin zu wohnen. Die Straßen sind leer und tot – eine richtige Geisterstadt. Wir hörten Geräusche, wie von Maschinen; aber man konnte nicht feststellen, aus welcher Richtung sie kamen. Ich hatte eine dicke Gänsehaut auf meinem Körper, so unheimlich war das alles.“ Baun fühlte sich erleichtert, weil es ihm also nicht allein so ergangen war. Als sie heraus waren, fluchte er los: „Diese verdammten Idioten! Die beiden hätten die schlimmsten Komplikationen auslösen können. Soll ich Ka Tak unser Bedauern über den Vorfall ausdrücken lassen?“ French grunzte eine Zustimmung vor sich hin, aber seine Gedanken schienen ganz woanders zu sein. Erst als Baun zur Tür ging, blickte er auf. In seinen Augen flimmerte es. „Baun, was würdest du davon halten, ein „verdammter Idiot“ zu sein?“ „Was meinst du damit? Ich verstehe kein Wort!“ „Ich habe mich so halb entschlossen, mir die Stadt ein wenig anzusehen.“ „Aber, zum Teufel, was hast du denn eben diesen beiden Jungen noch gesagt?! Wenn sie uns nun entdecken – was dann?“ French hatte sich umgewandt und starrte aus der Astroluke auf die in der Ferne gelegene Stadt hinaus. „Baun, erinnerst du dich an die letzte Probe, die sie uns brachten?“ „Ja. – Warum?“ „Wir untersuchten das Stück im Hitzeprüfer. Es schmolz bei einer Temperatur von 1000 Grad. Die Überreste waren wie Pech. Es war schwierig, das Gerät danach zu reinigen. Nun denke mal zurück! Erinnert dich das Zeug nicht an irgend etwas? Denke mal scharf nach, wenn’s auch schwerfällt.“ Baun starrte French an, der sich wieder umgewandt hatte. „Nein. Ich wüßte nicht. Worauf willst du hinaus?“ 131
French zuckte mit den Schultern. „Vielleicht irre ich mich auch. Bevor ich einschlief, kam mir so ein verrückter Gedanke. Immerhin – ich möchte mir zu gerne die Stadt ansehen.“ Baun drückte die Zigarette aus. „Ich hole nur eben die Masken.“ Eine halbe Stunde später verließen sie das Schiff, nachdem inzwischen die Merkurianer mit einer neuen Probe eingetroffen waren. Diesmal war man befriedigter. Der Stoff war der Originalisolierung im Wesen sehr ähnlich. Voller Enthusiasmus stürzte man sich auf die Untersuchung. French hatte eine kurze Unterredung mit Voigt; dann begaben sie sich in die Luftdruckkammer. „In acht Stunden wären wir startbereit. Diesmal haben sie den richtigen Stoff gebracht.“ Er drückte Baun ein Stück weißes, gummiartiges Zeug in die Hand. „Das ist er! Na, willst du nun mitkommen?“ Baun starrte auf das weiße Stück in seiner Hand. Seine Kehle wurde trocken, und in seine Augen trat plötzlich ein Schrecken. Dann aber, ohne ein einziges Wort zu sagen, öffnete er die Außenluke.
VANID SPIELT GEFÄHRLICH Vanid Leroux war ein Mädchen mit unheilbarer Neugierde – ein Mädchen also, das man als völlig normal bezeichnen konnte. Leo Bauns Geschichte von dem Merkurianischen Krieg hatte sie inspiriert, und ihre echt weibliche Eigenschaft verlangte, mehr über diese seltsamen, vogelähnlichen Geschöpfe zu erfahren. Warum haßten sie die Erde so? War es vielleicht möglich, ihre Gesinnung zu ändern? Mit ihren Versuchen hatte sie begonnen, als die ersten vier 132
Leute mit den Proben der Ersatzisolation eintrafen. Der Erfolg war negativ: Die Merkurianer waren zwar freundlich, aber zurückhaltend. Ihr Gesichtsausdruck blieb immer gleich und interesselos, egal, worüber sie sprachen. Es war etwa so, als ob man zu einer Antwortmaschine redete, die man noch in den Museen fand. Man stellte eine Frage und bekam die monotone, aber richtige Antwort, falls man das Schlüsselwort nicht vergessen hatte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, daß diese vier sie furchtbar haßten. Als French in seine Kabine gegangen war, hatte sie sich in den Aufenthaltsraum begeben, um Baun zu suchen. Sie konnte ihn aber nirgends finden. Die anderen Leute waren ihr zum größten Teil unbekannt. Nachdem sie sich eine Zigarette angezündet hatte, versuchte sie ein Buch zu lesen. Aber schon nach zehn Minuten war es ihr leid. Ungeduldig stand sie auf und ging zur Luftdruckkammer hinüber; möglich, daß sie Baun draußen bei den Wachen fand. Einige Gruppen von Männern wanderten im Freien auf und ab. Baun war nicht zu sehen. Vier Posten mit langen Strahlgewehren markierten die Grenze der erlaubten Zone. Zwei Leute der Patrouille lehnten am Heck des einen Schiffes und unterhielten sich. Sie schienen nicht sonderlich aufmerksam zu sein. Als sie so auf der Leiter stand, sah sie plötzlich zwei Männer, die mit eiligen Schritten die Zone verließen, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzublicken. Wenige Minuten später waren sie verschwunden; eine Mulde schien sie verschluckt zu haben. Es war ohne Zweifel, daß sie die Richtung zur Stadt eingeschlagen hatten. Als sie wieder auftauchten, waren sie schon ungefähr eine Meile entfernt; die stark reduzierte Schwerkraft des Merkur ließ sie Sätze von mehreren Metern machen. Vanid beobachtete die beiden Männer so lange, bis sie in 133
dem fernen Dunst verschwanden. Innerlich beneidete sie die beiden, daß sie in die Stadt durften. Roc French hatte es ihnen sicher erlaubt. Während sie in Richtung der Stadt starrte, kam ihr plötzlich ein, Gedanke: Warum sollte sie nicht mit den beiden Männern gehen? Wo zwei waren, da konnten auch drei sein! Wer sollte etwas dagegen einwenden? Einen Moment dachte sie daran, French um Erlaubnis zu fragen; aber dann fiel ihr ein, daß er seinen wohlverdienten Schlaf sehr nötig hatte. Leo Baun war nirgends aufzutreiben. Bis sie Kapitän Voigt gefragt hatte und zweimal durch die Luftdruckkammer geschleust worden war, waren die beiden Männer unmöglich noch einzuholen. Sie warf einen schnellen Blick auf die beiden Posten. Sie unterhielten sich immer noch arglos; ihre Stimmen klangen hohl und dumpf in der dichten Atmosphäre. In der nächsten Minute schon hatte sie sich auf den Weg gemacht. * Überraschenderweise nahm es eine lange Zeit in Anspruch, die beiden Männer einzuholen. Vanid atmete heftig und verlangsamte ihre Schritte. Die gleichmäßige Wärme hatte das Gas in den Sauerstoffflaschen erhitzt, und es war kein reines Vergnügen, es einzuatmen. Der anfängliche Reiz des so leicht Durch-die-Luft-Schwebens hatte sich verflüchtigt. Allmählich wurde sie besorgt, weil die Männer immer noch nicht in Sicht kamen. Die Stadt war jetzt keine Meile mehr entfernt. Sie lag dort wie eine Fata Morgana. Die Gebäude schimmerten in der aufsteigenden Hitze, und hinter ihren Konturen sah man die rote Riesensonne am Horizont. Nur die dicke Blauscheibe vor ihrer Gesichtsmaske erlaubte ihr, überhaupt etwas zu sehen. Eine 134
kleine Stelle ihrer Haut war durch das Verrutschen der Maske unbedeckt und brannte schmerzhaft, ihre Hände schwitzten in den schweren Schutzhandschuhen. Sie blieb stehen und blickte vorsichtig in alle Richtungen. Was sollte sie nun machen? Wohin sollte sie sich wenden? Sie fühlte sich so verlassen, und allmählich begann ihr eine gewisse Furcht durch die Glieder zu kriechen. In der Luft oder auf dem Boden war keine Bewegung zu verspüren, alles war völlig still. Ihr kam unwillkürlich der verrückte Gedanke, als warte der ganze Planet auf irgendein schreckliches Ereignis. Doch dann gab sie sich einen Ruck und nannte sich einen Feigling. Langsam schritt sie weiter auf die Stadt zu. Je näher sie ihr kam, um so deutlicher vernahm Vanid ein gleichmäßiges Klopfen, hart, kurz, maschinell. Bevor es ihr so recht zum Bewußtsein kam, war sie schon in der Stadt. Zwei Sätze hatten sie mitten in eine enge Straße gebracht. Rechts und links stiegen die Häuser hoch in den Himmel – Häuser, die keine Fenster hatten. In dem Schatten der schmalen Gasse war es dunkel. Nur zögernd bewegte sie sich weiter und wünschte schon beinahe, dies Wagnis nie unternommen zu haben. Die beiden Männer würde sie ja doch nicht finden können; das war nun fast unmöglich geworden. Nur die nagende Neugier bewog sie, jetzt nicht umzukehren. Wenn sie zum Schiff zurückkehrte, mußte sie doch wenigstens irgendeine interessante Geschichte erzählen können. Das Ende der Straße war nicht zu erkennen. Es schien so, als senke sie sich plötzlich in ein unsichtbares Tal hinab. Vorsichtig schritt sie weiter, ihre Muskeln nur wenig anstrengend, damit ihre Sprünge nicht allzu groß wurden. Das rhythmische Geräusch wurde lauter. Es war, als ob es nicht mit den Ohren, sondern direkt mit dem Gehirn wahrnehmbar sei. Schon war sie fast am Ende der Straße angelangt und gerade 135
dabei, den blauen Sonnenschutz ein wenig zurückzuschieben, als sie hinter sich ein leises, raschelndes Geräusch hörte. Bevor sie eine Bewegung machen oder auch nur einen Laut ausstoßen konnte, schlang sich irgend etwas Heißes, Weiches um ihren Nacken. Sie fiel zurück, entsetzt aufschreiend. Dann lag sie still und bewegungslos. Der Anblick des Wesens hinter ihr hatte ihr die Besinnung geraubt.
IN DER HAND DES TODFEINDES Baun und French erreichten die Stadt von einer anderen Richtung her. Sie halten einen Bogen geschlagen und sich ihr von der anderen Seite genähert. Es war unwahrscheinlich, daß die Merkurianer rund um sie herum Wachen aufgestellt hatten. Um in das Innere der Stadt zu gelangen, mußten sie durch eine kleine, schmale Gasse; denn es führten keine großen Straßen hinein. Wozu auch? Der gesamte Verkehr spielte sich in der Luft ab. French ging vor, und Baun folgte, sich ständig umblickend. Es war ihm unheimlich, daß sie keinen Merkurianer zu Gesicht bekamen. Er hatte zwar keine Ahnung, wieviel Einwohner die Stadt hatte; aber den Gebäuden nach zu urteilen, mochten es mehrere Hunderttausend sein. Die schweigende Stille wirkte unheimlich. Sie kamen schnell voran. Alle Sinne waren aufs äußerste gespannt, und bei der geringsten verdächtigen Bewegung hätten sie abwehrbereit gehandelt Das gleichmäßige Pumpgeräusch zerrte an ihren Nerven, obwohl es die lastende Stille kaum unterbrach. Es gehörte irgendwie dazu. Am Ende der Gasse hielt French an und blickte vorsichtig um die Ecke. Aber der große, freie Platz vor ihm war leer. Gegenüber, keine hundert Meter entfernt, war die glatte 136
Front der fensterlosen Häuserwände. Der Platz selbst lag zwei Meter tiefer als die Straße, Stufen führten zu ihm hinunter. In der Mitte stand ein hoher Metallmast, dessen Spitze ein goldener Ball zierte. Baun hatte eine steile Falte auf der Stirn. „Merkwürdig! Sieht eher nach einer Radarlaterne aus, nicht aber nach einem Radiomast. Was wollen sie bloß damit?“ French zuckte mit der Schulter; seine Blicke hefteten sich auf die Wände eines gegenüber gelegenen Hauses. „Städtische Funkverbindung vielleicht. Raumschiffe haben sie ja nicht.“ Baun schüttelte entschieden den Kopf. „Aber nicht das Ding dort! Das ist Ultra-Hochfrequenz. Wenigstens dem Anschein nach. Bei einem Planeten mit dieser Oberflächenkrümmung völlig sinnlos. Man könnte es nicht für Nachrichtenübermittlung verwenden.“ Wieder hob French die Schulter. Er lehnte sich gegen die Wand und kam endlich zu einem Entschluß. „Ich glaube, die vibrierenden Geräusche kommen von hier. Wir müssen herausfinden, was die Ursache – und der Zweck ist.“ Baun sah die Wände entlang. „Wo ist die Tür? Ich sehe keinen Eingang.“ French grinste. „Wir müssen eben einen machen. An sich liebe ich keine Gewaltanwendung. Ich muß jedoch wissen, was hier vor sich geht.“ Er bückte sich und zog dabei seine Strahlpistole; dann verstellte er etwas an der Linseneinstellung. Jetzt traten sie beide ein wenig zurück, während French die Waffe hob und auf eine Stelle an der Wand zielte. Ein bleistiftstarker Energiestrahl schnitt durch die Mauer, wie ein Messer durch Butter. Innerhalb 30 Sekunden hatten sie 137
eine Öffnung von einem halben Quadratmeter herausgeschmolzen, groß genug, um sie hindurchzulassen. Drinnen war es dunkel. French kletterte als erster hinein, die Waffe vor sich haltend. Zu seinem Erstaunen befand er sich in einer riesigen Maschinenhalle. Deutlich konnte er die mächtigen Transformatoren sehen, als sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Gigantische Dynamos summten neben ihm. Nachdem er den Sonnenschutz etwas verschoben hatte, stellte er fest, daß es gar nicht so dunkel war, wie er zuerst angenommen hatte. Sie befanden sich in einem Kraftwerk, das zweifellos eine ungeheure Menge Energie zu erzeugen imstande war. Baun war ebenfalls durch das Loch gekrabbelt und starrte sprachlos auf die imposante Anlage. „Donnerwetter!“ entfuhr es ihm endlich. „Hier ist mehr Energie vorhanden, als ganz New York je benötigen würde.“ Von Wachen oder Arbeitern war nichts zu bemerken. Der anschließende Raum schien ein Laboratorium zu sein. Eine runde, mächtige Metallplatte von zehn Meter Durchmesser lag in der Mitte der Halle, ringsum standen Tische und Regale. An den Wänden befanden sich Nischen, anscheinend Schmelzöfen oder Hitzeprüfstände. Die Retorten und Wolfsröhren glichen denen der Erde aufs Haar, andere Gegenstände jedoch wirkten neu und ungewohnt. Auf einer der Werkbänke lag ein Klumpen leuchtenden Stoffes. Über ihnen, unter der Decke, fanden dauernde elektrische Entladungen statt. Die Pole waren rund 3 Meter voneinander entfernt. Alle 5 Sekunden zuckte ein greller Blitz von Pol zu Pol, und es roch stark nach Ozon. Aber da war noch ein anderer Geruch in der Luft; sie rochen es trotz ihrer Gesichtsmasken. Vielleicht waren sie nicht ganz dicht, was bei dieser Atmosphäre nicht so schlimm war. Baun besann sich plötzlich, wann er diesen Gestank zum 138
letzten Male gerochen hatte. Er fühlte einen Schauder über seinen Körper rieseln. French schob ein neues Magazin in seine Pistole. „Also hier werden sie hergestellt!“ Wortlos nickte Baun. French kletterte eine kleine Leiter hoch und warf einen kurzen Blick über die Oberfläche der Metallplatte. Baun war ihm gefolgt und starrte wie fasziniert in den bisher verdeckt gelegenen Kessel, in dem eine dickflüssige Masse brodelte, die sich formte und dann wieder verging. So ähnlich mußte flüssiger Kautschuk aussehen. French sprang auf den Boden zurück. „Synthetisches Leben! – Sie haben uns überrundet!“ Baun hatte seine Waffe gezogen und hielt sie schußbereit; sein Herz klopfte wie wild gegen die Rippen. „Diese Halunken, diese verfluchten!“ Er machte eine Pause; seine Stirn runzelte sich. „Aber der X-Strahl? Wie haben sie das gemacht?“ French war schon wieder auf dem Wege zurück. „Daran habe ich schon gedacht. Der Strahl muß unheimlich schmal und stark gewesen sein. Beta Capella befindet sich genau halbwinklig zwischen uns und dem Merkur. Sie schickten den Strahl einfach zu Beta Capella und erwischten uns mit der Rückstrahlung. So waren sie völlig sicher vor einer Entdeckung. Die Idee war sehr gut – und ungemein schlau.“ „Wenn das Malheur mit dem defekten Generator nicht passiert wäre, dann wären wir nach Beta Capella geflogen und …“ Er unterbrach sich und pfiff leise vor sich hin. „Welch ein glücklicher Zufall!“ French konnte sich eines leichten Grinsens nicht erwehren. „Nicht ganz! Die Installation des fehlerhaften Stückes geschah auf meine Veranlassung.“ 139
Baun öffnete schon den Mund, um einen überraschten Ruf auszustoßen, ließ sich jedoch plötzlich blitzschnell auf den Boden fallen und riß French mit sich. Sie rollten unter einen Werktisch. Noch während sie fielen, öffnete sich hinter ihnen die Wand, und das helle Tageslicht strömte herein. Die Schatten verschiedener Gestalten tauchten auf, mit langen Strahlwaffen in den Händen. Vom Boden aus schoß Baun, aufs Geratewohl zielend. Einer der Merkurianer verschwand schreiend in einer Rauchwolke. Frenchs Schuß traf nicht die Gegner, sondern in die Apparaturen. Trümmer, Schmutz und Staub fielen herab und blendeten die Feinde. French sprang auf und raste auf die neue Wandöffnung zu, an den Merkurianern vorbei. Baun schoß, sich umwendend, zurück. Schon hatten sie das große Tor erreicht, als ein Energiestrahl von oben sie stoppte. Vor ihnen schmolz der Boden; sie warfen sich zurück. In diesem Moment begannen die Wände aufwärts zu gleiten und verschwanden in verborgenen Lagern. Sie befanden sich plötzlich in einem einzigen riesigen Fabrikgebäude; keine Räume unterteilten mehr die gigantische Halle, und es gab nun auch kein Versteck mehr. Von allen Seiten stürmten Gestalten auf sie zu. So weit das Auge blicken konnte, sahen sie – Raumschiffe: Raumschiffe in allen Stadien des Baues und in allen Größen; Stahlgerüste, Schmelzöfen, Pressen, Dynamos und tausend andere pochende und summende Maschinen. Hoch über ihnen hing ein Gerüstgang, der mit Seilen an der Decke befestigt war. Er wimmelte von Merkurianern, die ihre Strahlpistolen drohend auf die beiden Männer richteten. Ein Strahl zischte an ihnen vorbei und zersplitterte den Fußboden, der aufglühte und zu brennen begann. French fühlte die 140
Hitze durch den Anzug hindurch. Baun stand sechs, sieben Meter hinter French. Er sah, wie dieser in einer Rauchwolke verschwand und dann unter einem Metallgerüst Deckung suchte. Baun sandte einen langen Schuß zu der schwebenden Galerie hoch. Sie brach in der Mitte auseinander und fiel mit sämtlichen Merkurianern herab. Rund um ihn herum landeten sie und hatten ihn nun in ihrer Mitte. French war inzwischen aus seinem Loch herausgekommen und versuchte, sich zu Baun durchzuschlagen. Er schoß auf die hin und her laufenden Gestalten und räumte gewaltig unter ihnen auf. Baun hatte neu geladen und bemerkte eine ganze Gruppe, die hinter einem schweren Metallkessel hervor auf ihn zustürmte. Er zielte genau, und dann begrub der Behälter mit flüssigem Metall die Angreifer unter sich. Keiner kam mit dem Leben davon. French war nun neben ihm, und gemeinsam zogen sie sich in Richtung eines halbfertigen Schiffes zurück, in dessen Hülle sie Schutz zu finden hofften. Aber allzu schnell mußten sie diese Hoffnung aufgeben. Von irgendwoher traf ein Strahl die Hülle; sie zerbarst in tausend Stücke, die glühend durch die Halle zischten. Ein Splitter traf Bauns Schulter. Ein wahnsinniger Schmerz durchzuckte ihn; er brach mit einem Schrei zusammen. French kniete neben Baun und feuerte so lange auf die herankommenden Gegner, bis die Batterie leer war. Einer nach dem anderen wurde getroffen und vernichtet; aber es waren ihrer zuviel. Ihrer Toten nicht achtend, stürmten sie vor. French hielt Baun mit seinem einen Arm und griff mit der anderen Hand nach dessen Strahlpistole. Langsam schleppte er sich und seinen verwundeten Begleiter zurück, in der stillen Hoffnung, hinten einen zweiten Ausgang zu finden. 141
Die Gegner folgten nur zögernd; denn seine tödlichen Strahlen fanden sicher ihr Ziel, auch wenn er nur mit einer Hand schoß. Einige Meter vor der Wand wandte er sich um und richtete den letzten Strahl der alsdann geleerten Batterie auf sie. In einer grellen Stichflamme verschwand die Wand. Aber sie erblickten nur einen anderen Raum – und diesen Raum kannten sie. Vor ihnen stand auf einer Plattform der Thron. Auf diesem Thron aber saß Ka Tak und blickte zu einem Mädchen hernieder, das gefesselt vor seinem Sitz stand und von zwei Wächtern gehalten wurde. Er schien ihr zuzureden. Das Mädchen war Vanid Leroux. French versuchte gar nicht erst, zu entfliehen. Unbeweglich stand er da, in der herabhängenden Hand die wertlose Waffe, am Arm den schwerverwundeten Baun. Ka Tak sah auf. „Aha – die Erdmenschen! Welche Ehre, so viele Besucher auf einmal!“ Die Wachen ergriffen sie und führten sie vor den Thron. Ka Tak betrachtete sie. „So habt ihr unser Geheimnis entdeckt?“ French nickte gelassen. „Habt ihr das schon lange vorbereitet?“ fragte er dann. Die Antwort des Merkurianers kam leidenschaftlich und voller Haß. „Seit 30 Jahren, Erdmensch! Seit dem Tage, an dem euer Volk uns mit seiner ‚Menschlichkeit’ bestrafte. Dies ist unsere Rache.“ Baun stieß einen fürchterlichen Fluch aus, in dem aber nur seine ganze Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck kam. Frenchs Verhalten begann ihn allmählich zu ärgern; nichts schien ihn zu rühren. 142
„Du bist es doch gewesen, Captain French – ja, ich kenne eure Namen nur zu gut! –, der uns schon soviel Schaden zugefügt hat, nicht wahr? Dein Tod wird meine persönliche Angelegenheit sein. Nur unseren Kreaturen ist es vergönnt, die Erde sterben zu sehen. Sie werden zwar einen Bildbericht mitbringen; aber es ist doch viel schöner, die Wirklichkeit zu bewundern und zu genießen. Zuerst wird die Frau sterben.“ Vanid begann leise zu wimmern; Bauns Augen quollen aus den Höhlen. French aber schüttelte den Kopf. „Nein, Ka Tak! Du wirst nicht mehr töten!“ „Wie kannst du so etwas sagen!“ French sah auf seine Uhr. „In wenigen Minuten, Ka Tak, werden meine Freunde und ich auf dem Dache dieses Gebäudes stehen, du bei uns, als unser Gefangener – oder aber von diesem Planeten und deinem Volk wird nichts anderes übrigbleiben als im All langsam vergehender Atomstaub.“ „Wie sollte das möglich sein, Mensch?! – Du lügst!“ „Ich lüge nicht, Ka Tak. Ich kannte euer Geheimnis schon lange. Deswegen habe ich mit meinen Leuten ausgemacht, daß jene Bomben, von denen ich dir schon erzählte, diesen Planeten zerstören sollen, wenn ich nicht in einem Zeitraum, den wir ‚eine Stunde’ nennen, zurück sein sollte.“ Er sah auf seine Uhr. „Diese Stunde ist bald um. Wenn wir uns beeilen, können wir vielleicht noch verhindern, daß …“ French hob plötzlich den Arm. „Hört!“ Dann hörten sie es! Ein plötzliches Heulen und Donnern war zu vernehmen. Die Wände erzitterten, und die Atmosphäre füllte sich mit dem Brüllen der Raketenmotoren. Die Raumschiffe hatten den Merkur verlassen. French lächelte grimmig. 143
„Nun, Ka Tak – was ist? Verhandeln oder – Vernichtung?“ Die Stimme des Merkurianers zeigte keinerlei Bitternis über die furchtbare Enttäuschung, die in seinem Innern toben mochte. „Ihr habt gewonnen, Erdmenschen. – Ich kann mein Volk nicht opfern.“
RÜCKKEHR Sie waren nur noch wenige Millionen Meilen von der Erde entfernt. French, Baun und Vanid Leroux saßen in Voigts Kabine. Seit sie den Merkur verlassen hatten, war der Äther erfüllt von Radiomeldungen, Nachrichten und Grüßen. Die Erdbevölkerung befand sich in einer wilden Aufregung und konnte die Rückkehr der Expeditionsteilnehmer kaum erwarten. French erhob sein Glas. „Mein lieber Baun – ich gratuliere! Du hast verdammtes Glück!“ Dann grinste er Vanid an. „Du aber auch!“ Kapitän Voigt brachte einen kurzen Toast aus und meinte nun: „Das ist dann also wohl das einzige, was ihr beim Start noch nicht gewußt habt, Captain?“ Baun nahm seine Blicke für einen Moment von Vanids Gesicht und sah auf. „Wieso konntest du wissen, daß es der Merkur war – noch ehe wir dort eintrafen?“ French mixte sich ein neues Getränk. „Ich wußte es nicht; es war nur eine Annahme von mir. Ich konnte nie begreifen, daß die feindlichen Raumschiffe ihre Angriffe einstellten, sobald es dunkel wurde. Die Angreifer waren in der Nacht völlig hilflos, als seien sie die Dunkelheit nicht gewohnt. Auf dem Merkur aber kennt man nicht Tag und Nacht. Sie kennen dort nur das Licht, weil sie ja auf der dunklen Seite nicht leben können. Nun – und der Merkur war der letzte, der uns eine böse Niederlage nicht von Herzen ge144
wünscht hätte. Ich habe folglich 2 und 2 zusammengezählt und kam auf 5. Also, dachte ich mir, müßte man mal auf dem Merkur nach dem Rechten sehen. Ich mußte eine gute Ausrede finden, um dort landen zu können; denn wir befanden uns mit Merkur nicht im Kriegszustand. Außerdem durften wir keinen Verdacht erregen. Da verübte ich denn den kleinen Sabotageakt – zu Ihrem Schrecken, Voigt. Es blieb mir jedoch nichts anderes übrig. Es ging schließlich um eine gute Sache.“ Er leerte sein Glas. „Ich habe so das Gefühl, als hätten wir allerhand Glück dabei gehabt – und jene beiden auch. Sehen Sie, Voigt, die zwei wollen sich über die Anschaffung ihrer Möbel einig werden. – Kommen Sie, trinken wir endlich mal einen anständigen Schluck!“ Er zwinkerte mit den Augen. „Wir haben hier nämlich im Augenblick wirklich nichts zu suchen!“
– Ende –
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