OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 19 EINZEL- UND 11 DOPPELBÄNDEN
DIE A D L E R V ...
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OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 19 EINZEL- UND 11 DOPPELBÄNDEN
DIE A D L E R V O N ROM ist der Titel des soeben erschienenen fünften Bandes dieser neuartigen Weltgeschichte. Der Leser erlebt hier den Aufstieg Roms zur Weltmacht.
Zu Beginn dieses Jahrhunderts schlägt Rom einen Angriff des Griechentums auf die italische Welt ab und t r i f f t dabei auf die große Seemacht des Westens: das afrikanische Karthago. Die Frage, ob Afrika oder Europa der Zukunft den Stempel aufdrücken soll, muß in den Kämpfen mit Hannibal entschieden werden. Kühn nimmt das römische Bauernvolk den Kampf an.Es geht aufsMeer, überschreitet dieGrenzen seines Lebensraumes und wird Herrin des westlichen Mittelmeeres.
Auch dieser Band ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der gleichen gediegenen Ausstattung wie Band 1—4 in der kartonierten Ausgabe mit zweifarbigem, lackiertem Überzug DM 2.95 und in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM 3.60. Frühere Bände können nachbestellt wer den. Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU/MÜNCHEN
KLEINE B I B L I O T H E K DES W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE HEFTE
VITALIS
PANTENBURG
INSEL ZWISCHEN EIS UND FEUER
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU/MÜNCHEN
Doppelkrater mit heißen Quellen
Naddodd d e r X o r d l a n d f a h r e r tobt der grüngraue Nordatlantik im Aufruhr der Elemente. Ein einzelnes, hochsteviges Langboot tanzt auf den Wogenkämmen und schießt in das nächste Wellental. Segel und Stengen schlagen den erschöpften Männern gegen die Leiher, wenn für eine Weile der Wind wegbleibt. Schon steht das Schiff wieder auf dem Rücken einer neuen mächtigen Welle, und die harte Sturmbö bläht nun die Leinwand für eine Weile bauchig nach außen. Tage um Tage schon hält das Meer den Nordmann Naddodd in seinem Griff. Sie sind schon Stürme gewohnt, diese Wikinger! Nicht zum erstenmal kreuzen sie in ihren hochseetüchtigen Drachen das Nordmeer zwischen der norwegischen Küste und den felsigen Inseln, die auf dem Wege nach Schottland und England liegen und die Fahrtrichtung weisen. Das Schlimmste ist: die Männer wissen nicht mehr, wo sie sich befinden, wohin das tückische Meer sie versetzt hat. Wie lange schon sahen sie weder die Sonne noch die Sternbilder, nach denen sie ihren Kurs hätten bestimmen können! Nun gehen die Vorräte und das Trinkwasser zur Neige . . . ^
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In solcher Lage nutzt eigene Tüchtigkeit nicht viel; man muß den Sturm „abreiten", wie es in der Sprache der Seeleute heißt, und im übrigen den Göttern vertrauen. Sie haben mit dem Wiking Naddodd noch Großes vor. Als schon Verzweiflung die rauhen Nordmänner packt, taucht gegen Westen Land auf. Nebel und Rauch hängen wie eine ungeheure Glocke über fernen Gebirgen. Keiner kann sieh entsinnen, je zuvor diese Küste gesehen zu haben. Die Nordleute begrüßen das unbekannte Land mit weithin hallenden Rufen. Naddodd steuert seinen Drachen geschickt durch die Klippen und durch die brüllende Rrandung in eine ruhige Bucht. Kaum hat der Kiel den Sand berührt, springen die Seefahrer erlöst an Land und vertäuen ihr Boot. An frischem Wasser ist fürwahr hier kein Mangel, stellen sie fest. E i n F l u ß l ä ß t seine grünblauen, kristallklaren Wasser, die eiskalt sind und von irgendeinem Gletscher herkommen müssen, ins Meer verströmen. Lachse und andere Fische gibt es in Mengen. Doch — merkwürdig: nirgends eine Spur menschlicher Besiedlung, weit und breit kein Zeichen dafür, daß hier einmal Menschen an Land gegangen sein könnten gleich ihnen. Groß scheint dieses Land zu sein! Wie mag es heißen, wie zur norwegischen Heimat liegen, wie zu den Inselgruppen der Färöer, der Shetlands und Orkneys, auf denen lange schon Landsleute sitzen und die ihnen vertraut sind aus abenteuerlichen Heerfahrten nach Schottland, Irland und England? Während sie um ein Feuer aus Birkenreisern lagern und fette Fische schmoren, beginnt plötzlich die Erde zu zittern. Die Männer sind aufgesprungen, ein gewaltiges Grollen erfüllt mit einem Male die Luft. Über einem mächtigen, eisglitzernden Bergriesen fern im Innern des Landes erhebt sich Brandschein; darüber wächst ein riesiger Pilz wallender Dampfwolken und qualmender Rauchschwaden und steht lange Zeit drohend am Himmel. Schreckerstarrt schauen die Männer sich an. Es mag etliche Tagereisen weit sein bis dorthin, wo der Eisvulkan seine Gluten emporschleudert. Wer aber kann wissen, ob nicht im nächsten Augenblick auch unter ihnen der Boden klafft, um Schiff und Menschen zu verschlingen? Da dünkt ihnen doch die See, mag sie noch so wild sein, sicherer, so lange man nur ein gutes Boot unter den Füßen hat. Hastig machen sie ihren Drachen seeklar, schöpfen in Eile frisches Wasser in die Fässer, raffen an Fischen, was sie gestapelt haben, und steuern ins freie Meer. Der Wind ist mit ihnen, der Abstand vom Land wild zusehends größer, sie gewinnen östlichen Kurs. Irgendwo gegen Sonnenaufgang muß die Küste ihrer norwegischen Heimat zu finden sein. Tagelang segeln sie vor gutem westlichem Wind und er3
reichen in schneller Fahrt wohlbehalten die kleine Siedlung am norwegischen Fjord, in der sie zu Hause sind. Es ist ein denkwürdiges Jahr, das Jahr 861, in dem Naddodd, der Seefahrer, das große namenlose und unbesiedelte Land weit im Westen gesichtet hat. Unter den Nordmännern, denen die Heimgekehrten von der feuerspeienden Insel im Eismeer berichten, ist mancher, dem das Abenteuer zu Kopfe steigt. So sind viele bereit, Naddodds Reise zum namenlosen Eiland zu wiederholen. DerFernendrang ist groß damals unter den Schiffern und Händlern der norwegischen Schären und Fjorde. An allen Küsten des Abendlandes sind die Drachenboote der Wikinger unterwegs. Aber sie sind nicht überall gern gesehen; denn sie scheuen Streit und Totschlag nicht, wo sieh Plündern und Rauben lohnt.
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Naddodd war der erste, der genauere Kunde von der Insel herüberbrachte, aber er war nicht der erste, der sie betreten hat. Schon im Jahre 545 — so berichtet eine handschriftliche Chronik von den Färbern, die jüngst erst entdeckt worden ist — segelte der irische Mönch Rrandan auf einer Nordfahrt zu jener Insel. Das Schiff, das Rrandan und seine Regleiter so weit nach Norden trug, war aus starken Weidenruten gefügt und mit eichengegerbten Rinderhäuten überzogen. Auch Rrandan sah die Rerge, die Feuer und Rauch hervorstießen. Und da er von dem Anblick der ungeheuren Vulkangipfel nicht weniger erschreckt war als dreihundert Jahre später Naddodd und seine Gefährten, so verließ auch er das „Tor der Hölle" nach kurzem Aufenthalt. Zweihundertfünfzig Jahre ist es dann still um die Eismeerinsel. Soweit wir wissen, segelten erst im Jahre 795 wieder irische oder schottische Seeleute auf ihren Jagdfahrten im meerwildreichen Treibeissaum die Küste der Feuerinsel an. Weder sie, noch Mönche ihrer Heimat, die im Jahre 835 den ersten Versuch machten, auf der Insel eine feste Siedlung zu gründen, blieben. Als der kurze schöne Nordlandsommer vorbei war, begaben sich die unternehmungsfreudigen frommen Männer wieder auf ihre Schiffe und fuhren nach Irland zurück.
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Vieles ist dunkel um diese frühen Ausfahrten. Erst Naddodds Reise im Jahre 861 steht im helleren Licht. In ihrem Kielwasser ziehen viele Wagemutige hinaus, das Eiland zu suchen. Der erste, der 4
Naddodd folgt, ist ein schwedischer Wiking, Gardar Svavarsson. Zwei Jahre nach Naddodds unfreiwilligem Besuch landet er an der Küste des unbekannten großen Insellandes. Wohl nicht aus freien Stücken bleibt er hier bis zum nächsten Sommer. Wahrscheinlich ist Gardar also der erste gewesen, der auf „Thule", wie die Vulkaninsel zunächst wohl benannt worden ist, einen Winter verbringt. Naddodds und Gardars Berichte über das neu gefundene Land finden durch fahrende Sänger und Geschichtenerzähler ihren Weg von Mund zu Mund bis zu den verstreuten Höfen und Siedlungen der Wikinger an den norwegischen Fjorden. Es ist nicht nur Ungünstiges, was da an den offenen Herdstellen während der langen Winterabende erzählt wird. Ungeheuer reich an Fischen und Seesäugetieren ist das Meer vor den nebelverhangenen Küsten des neuen Landes. Große Herden von Walen verschiedener Arten pflügen die stets bewegte See um die Insel. Speckglänzende Seehunde sonnen sich in dichten Scharen auf den zahllosen Eilanden und überspülten Felsklippen und erfreuen sich, noch unbehelligt von Jägern, ihres Lebens. Starke Schwärme von Wildenten und Gänsen, Lummen und Möwen vieler Arten bevölkern die zerklüfteten Felsküsten, nisten und brüten hier. In unvorstellbaren Mengen ziehen fette Lachse und köstliche Forellen landein und meerzu in den breit dahinströmenden, eisblauen Flüssen . . . Im Innern finden sich ausgedehnte Graslande, natürliche Weiden mit saftigem Futter für viele Tausend Stück Vieh. Richtigen Wald hat freilich noch keiner gesehen. Nur niedrige Busehwälder aus Birken ducken sich hier und dort vor den orgelnden Winterstürmen in den Schutz der Täler. Das ist natürlich ein sehr großer Mangel für die Nordleute, von denen jeder mehr Wald sein eigen nennt, als er für seinen eigenen Bedarf benötigt. Woraus sollte man in jenem Lande Höfe und Schiffe bauen, wie sollte man die Feuer in den offenen Herdstellen den langen Winter über unterhalten? Aber haben die Männer nicht hier und da auf vorspringenden Landzungen den Strand mit vielen Stämmen wie übersät gefunden — wertvollem Holz aus fernen Wäldern, vielleicht von irgendwoher weit im Westen, Treibholz, das die See seit undenklichen Zeiten herangespült haben mochte? Sehr wahrscheinlich wären die Ausfahrten, die auf Naddodds und Gardars Reise folgten, vereinzelte Abenteurerfahrten geblieben wie alle Reisen vor ihrer Zeit; vielleicht hätte sich unter den wagnisfrohen Seebauern Norwegens noch lange keiner gefunden, der seiner Heimat den Rücken kehrte, wäre nicht der Drang, um jeden Preis die
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eigene Freiheit zu bewahren, starker gewesen als alle Bedenken. Und darin liegt der unmittelbare Anlaß für die Landnahme durch norwegische Wikinger auf jener Nordinsel „Thule". In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts beginnt für die freien Bauern in Norwegen eine verhängnisvolle Zeit, da sich einer ihrer Sippenhäuptlinge zum Alleinherrscher über die anderen aufschwingt und in seiner Machtgier vor Gewalttaten nicht zurückschreckt. Harald Haarfagre — Harald Schönhaar — nennen sie ihn. Als er beginnt, seine Landsleute zu Untertanen zu machen und Tribut von ihnen zu fordern, erheben sich die Freiheitsliebenden und tun sich zusammen. In den anschließenden schweren Kämpfen erliegen sie. Nun gibt es nur noch die Wahl: entweder Knechte zu sein und die Zehnten vom Fischfang, vom Jagd- und Holzertrag zu entrichten oder — die Schiffe mit allem Hab und Gut zu beladen und dem Land der Väter für immer den Rücken zu kehren. Doch — wohin? Da kommt ihnen die große Insel in Erinnerung, die westwärts im Meere liegt. Man entsinnt sich zwar der Berichte über die Kargheit des Landes, über Erdbeben und Vulkanfeuer und andere unheilbringende Dinge, aber auch, daß das Meer hier mehr als genug Nahrung vorrätig hält. Diese eine Tatsache wiegt alle Unbilden auf, wenn es gilt, wieder als freier Mensch auf freier Scholle zu leben. Nur nicht Knecht sein! Lieber im neuen Land ein neues Leben beginnen! Floki Vilgerdarsson macht den Anfang; er wird der Pionier der norwegischen Siedler. Floki lädt zu Hause die Seinen, all sein Vieh, seine Vorräte und viel Bauholz in seine schmalen, ranken Seeboote und wendet den Steven der untergehenden Sonne zu. Als die Auswanderer glauben, in der Nähe der brandungumsäumten Insel zu sein, löst Floki einem der drei Raben, die er als Kundschafter und Landsucher mitgeführt hat, die Fessel. Aber der Vogel schwingt sich ostwärts und kehrt dorthin zurück, woher sie gekommen sind. Der zweite kreist eine Zeitlang suchend über dem Schiff und flattert enttäuscht wieder an Bord. Er§t der letzte der Schwarzröcke fliegt westwärts und weist den Schiffsleuten die Richtung. Wo er sich niederläßt, geht auch Floki Vilgerdarsson an Land. Wenn nicht alles trügt, hat der Vogel einen guten Platz ausgewählt; denn die Bucht wimmelt hier von nahrhaften Fischen und fetten Robben. So brauchen sie den Sommer über nicht Not zu leiden. Das macht die Ansiedler leichtsinnig; sie vergessen über dem reichen Fang, Vorräte an Heu für das Vieh zu sammeln. Der Winter aber bringt ungewöhnlich viel Schnee, Eis und Kälte von den Bergen und Feuchtigkeit vom 7
Meer her, durch das der warme Golfstrom polwärts zieht. So gelingt es ihnen zwar, gerade noch das Leben zu fristen und notdürftig aus den Reisern der Birken und andere Kriechstraucher und aus Torf ihre halb in die Erde gebaute Blockhütte warm zu halten, aber das Vieh geht elend zugrunde. Die erste Überwinterung muß für die Neusiedler nicht gerade ermutigend gewesen sein. Doch der Nordmann Floki gibt so leicht nicht nach. Er wird noch einmal beginnen; denn auch ihm dünkt die Freiheit wertvoller als alles andere. Floki Vilgerdarsson segelt zurück in die norwegische Heimat, um neues Vieh zu holen. Um die bittere Erfahrung des ersten grausamen Winters reicher, trifft er seine Vorbereitungen nun umsichtig und vorausschauend. Es genügt ihm nicht mehr, drüben zu darben und armselig zu leben; er hegt die Hoffnung, daß er auf der Vulkaninsel im Eismeer zu Buhm und Wohlstand gelangen wird. Unter den Männern der Besatzung von Flokis Boot ist einer, Thorolf, der den Mund sehr voll nimmt. Den Leuten im guten alten Norge, die ihn mit vielen Fragen bestürmen, erzählt er die dreistesten Lügen. D a s sei ein Land, sagt er, da lasse sich leben, von jedem Grashalm tropfe die Butter. — Thorolfs Aufschneidereien sind aufgezeichnet worden, und so weiß man heute, daß die Nordleute ihm nicht glaubten, ihn mit Spott bedachten und ihm den Schimpfnamen „Thorolfbutter" zulegten. Unter diesem Namen ist Thorolf „berühmt" geworden und eingegangen in die Chronik der Nordländer. Floki, Thorolfs Kapitän, der sich an die ungeschminkte Wahrheit hielt, war es, der dem neuen Land einen Namen gab. Er war ihm eingefallen, als er eines Tages im Winter einmal in der Nähe seiner SiedlungeinenhohenBergerstiegenhatte, umAusschau zuhalten. Von hier aus sah er eine Meeresbucht, die ganz mit treibendem Eis angefüllt war. I s - Land, E i s - Land, nannte er von da an seine neue Heimat. Diesen Namen hat das Inselland bis in unsere Tage behalten. Im Kielwasser ihres Landsmannes Floki Vilgerdarsson folgen Ingolfur Arnarsson und Hjörleifur Hrodmarsson mit all ihren Angehörigen. Die Habe, die sie mitbringen, ist nur gering. Der Spruch des Königs, dem sie trotzen, hat ihnen fast alles genommen. Sie gründen ihre eigenen Siedlungen auf Island, das noch vielen Baum bietet und keinen hungern l ä ß t . . . Mehr und mehr Norwegersippen verlassen nun ihren unfrei gewordenen Besitz auf dem skandinavischen Festland und schließen sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten den ersten Landnehmern an. Es sind Tausende und Abertausende, die zwischen 870
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und 930 nach Island auswandern. Die Bevölkerung der Insel zählt nach dieser großen Siedlungswelle bereits an die sechzigtausend Frauen, Männer, Kinder und Hörige, fast die Hälfte der Einwohnerschaft, die heute Island bewohnt. Zunächst wählen die Sippen Wohnplätze an der Küste und an den geschützten Buchten und Fjorden. Allmählich erst dringen einzelne in die breiten, von mächtigen Gletscherströmen durchfurchten grünen Talauen ein und ergreifen schließlich auch Besitz von den grasüberwachsenen Hochflächen im Innern. Hier können die mitgebrachten Rinder, die viel genügsameren Schafe und Ziegen und die zähen Ponys den ganzen herrlichen Sommer über ein Leben in kaum beschränkter Freiheit führen. Durch die bald aufgenommenen Schiffsverbindungen von Island zu den anderen Küsten, die den Nordatlantik säumen, gewinnt man auch außer Landes allmählich eine wichtige Vorstellung vom fernen Eis-Land und seinen Bewohnern. Bezeichnend ist der Bericht des Chronisten Giraldus Cambrensis, der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts lebte. In seiner Beschreibung, die uns erhalten blieb, sagt der Verfasser mancherlei, was auch heute noch Gültigkeit hat, obwohl es vor 800 Jahren geschrieben wurde: „YSLAND ist die größte der nördlichen Inseln, um drei Tage Seefahrt nördlich von Irland gelegen. Die Bevölkerung ist wortkarg und wahrheitsliebend. Denn sie redet wenig und kurz, und gebraucht den Eid nicht, da sie nicht zu lügen weiß. Denn nichts verabscheut sie so sehr wie die Lüge. Bei diesem Volk ist der König zugleich Priester, der Fürst zugleich Oberhirt. — Dieses Land nährt und entsendet große und edle Falken und Weihen . . . Blitz und Donner sind daselbst äußerst selten. Alljährlich oder alle zwei Jahre bricht aus irgendeinem Teil der Insel Feuer hervor, braust mit Sturmesgewalt dahin und brennt alles zusammen, was ihm begegnet; woher aber dieses Feuer stammt, aus der Höhe oder aus der Tiefe, ist ungewiß." Schon im Jahre 930, als die erste Wanderwelle vorüber war, schlössen sich die isländischen Landnehmergemeinschaften zu einerLandesversammlung zusammen und bildeten eine Art Freistaat. Seitdem trafen sich die Vertreter aller Sippen einmal im Jahre auf dem „Thingplatz" in der Ebene Thingvellir, mitten in dem kurzen schönen Islandsommer mit seinen lichten Nächten. Das Volkstreffen fand im Freien statt, östlich der jetzigen Landeshauptstadt Reykjavik und nicht weit von ihr. (s. Karte Seite 5). 9
Thingvellir — Islands Herz Gunnar Thorolfsson, der vor Jahren einmal mein Studienkamerad War, und den ich bei einem meiner letzten Islandbesuche wiedersah, lädt mich an einem der unwahrscheinlich hellen Mittsommerabende zu einer Ausfahrt in seinen knatternden, fauchenden Ford . . . In Europa stände das uralte Vehikel schon längst im Museum. Als ich das merkwürdige Fahrzeug mit Mißtrauen betrachte, versichert mir sein Besitzer hoch und heilig, die Klappermühle habe ihn auch im tollsten Gelände noch nie im Stich gelassen. „Laß mich nur machen!", sagt Thorolfsson. „Das ist die beste Zeit, um Thingvellir in der richtigen Stimmung zu erleben." Wir jagen los, aus der Hauptstadt heraus. Allzu schnell haben wir die gute, feste Straße hinter uns und rumpeln und poltern ohne eigentlichen Weg über das gewellte, steinübersäte Land in Richtung Thingvellir. Eine Erholung ist es, wenn wir für eine Weile einmal über Grasland dahinschaukeln. Am Eingang einer Schlucht lassen wir das Fahrzeug stehen und treten zwischen die Basaltwände. Beklommen setzt man Schritt vor Schritt. Der Anblick ist von einer wilden Schönheit. Zur Linken ragt dunkel, drohend und kirchturmhoch eine jäh zerklüftete Felsmauer auf. Unter uns schäumt rechter Hand ein Flüßchen, das seine kristallklaren Wasser in die weite Ebene trägt, die sich südwärts hinter den Lavamauern öffnet. Dort donnert ein Wasserfall von steiler Felshöhe zur Talsohle.
Blick auf die Eismassen des Langjökull-Gletschers
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„Die Allmännerschlucht", erklärt mir mein Gefährte, „einer der großartigsten Einfälle der Natur. Aus allen Weltteilen reisen die Menschen her, um sie zu sehen. Komm", fügt er hinzu, „klettern wir einmal hinauf!" Dann hocken wir auf dem gezackten Rand dieser Mauer, hoch über dem Land, und atmen die freie Luft, die uns aus der Ebene anweht. Sie trägt den herben, bitteren Ruch von Gras und Heide, über der tagsüber die heiße Sonne stand, zu uns herüber. „Dort unten liegt Thingvellir, die Thingstätte Altislands! Ist er nicht herrlich dieser Platz, wie geschaffen für das große Treffen der lslendinger! Genau um diese Zeit sind sie in jedem Jahr auf ihren Pferden herangeritten, aus den Hochländern, den Küstenstädten, von den Inseln und Schären. Tage- und nächtelang waren sie nicht aus dem Sattel gekommen. Aber keiner der Männer wollte fehlen, denn jede Stimme war gleich gewichtig beim Allthing, und jeder durfte sprechen im Rate Aller, jeder mit gleichen Rechten." Wir lassen unseren Blick ins weite Land schweifen. Drüben, im Süden begrenzt der Thingsee, das Dingvatn, die Ebene (vatn = Wasser, See). Sie schimmert grüngraugelb von Gras,Flechten und Moosen, die längst die erkalteten Lavaströme übersponnen haben. Der Thingsee nimmt das Wildwasser aus der Allmännerschlucht auf. Er ist Islands größter See, seine Fläche erstreckt sich über hundertfünfzehn Quadratkilometer. Dort, am Südufer, wallen immerzu weiße Dämpfe aus der Erde — heiße Geiser, an denen das Land so reich ist. Gegen Osten und Nordosten gleißt weißgrünblau die Firnschneehaube der Skladbreit, eines weit hingelagerten Kraterkegels. Daneben ragen als dunkle Kulisse die Rabenklippen. Nordwärts schließen sich die düstern Hänge des Armannsberges an. Einen geeigneteren Ort für den Thingplatz hätte damals, vor mehr als tausend Jahren, der Islending Grimur, den sie Geitskor, Geisschuh, nannten, auf der ganzen Insel nicht finden können. Es war tatsächlich der würdigste Platz zum großen Treffen der Islandmänner. Fast tausend Jahre lang, Sommer um Sommer, bevor der Grasschnitt begann, sah diese Ebene die freien Bauern Islands versammelt. Erst um das Jahr 1800 wurde aus vielen Gründen das einzigartige Volkstreffen in die Hauptstadt Reykjavik verlegt, wo es auch heute noch tagt. Wir haben unsern Hochsitz auf dem Felsen verlassen und streifen umher. Thorolfsson ist Sohn einer Sippe, deren Vorvorväter zu den Landnehmern der ersten Besiedlung gehörten. Er zeigt mir den „Gesetzesfelsen". Von dort konnte der Sprecher die ganze Thing11
vellirebene überblicken, von dort verkündete er auch nach dem AbSchluß der Beratung die beschlossenen Gesetze. Hier wurde auch, als um das Jahr 1000 das Christentum Einzug hielt, durch die Zustimmung der Mehrheit über seine Annahme entschieden. Rechteckige Steinsetzungen fallen auf. Thorolfsson erklärt mir ihren Zweck: „Das sind die uralten Einfriedigungen der Zeltplätze, die jede einzelne Familie alljährlich in Anspruch nahm, um darauf ihr Zelt für die Dauer der Thingrersamrnlung zu bauen." Südwärts dunkelt ein Kessel aus düsteren Felswänden. Geheimnisvoll unergründlich steht das Wasser in dem finsteren Schlund. Ein Ort des Grauens. „Das ist die Richtstätte für Diebe", sagt mein Begleiter. „In dieser Grabe hat mancher Dieb seinen Frevel am Eigentum des Nächsten gebüßt. Auf Island, der Insel der ,offenen Türen', sind seit frühesten Zeiten die Strafen für Eigentumsvergehen sehr hart gewesen. Das entspricht ganz der Auffassung unseres Volkes. Stehlen war hierzulande immer ein weit schlimmeres Vergehen als zum Beispiel ein Totschlag im Zorn oder, wie es früher nicht selten vorkam, in einem Fehdekampf der Sippen untereinander." Nicht weit von der Richtstätte öffnet sich eine zweite wassergefüllte Felskluft; das Wasser darin ist so klar, daß man zu einer helleren Stunde als jetzt die Kiesel am Grunde erkennen könnte. „Der Boden dieses Wasserloches ist mit Geldstücken bedeckt", sagt Thorolfsson. „Paß auf!" Er läßt ein großes silbernes Kronenstück vom Zeigefinger abschnippen. Langsam schaukelt es, lange noch aufschimmernd, in die Tiefe. Die Münze muß längst unten angekommen sein, aber von oben ist sie nicht mehr zu sehen. Doch das mag daran liegen, daß die Sonne auf ihrem Tagesbogen nun in der Mittnachtzeit nur noch mit ihrem dunkelrot glühenden Rand über den Horizont lugt und eine sanfte Dämmerung herrscht. Wenn es Tag wäre, würde man am Grunde die unzähligen Geldstücke blinken sehen. Freund Thorolfsson liest mir meine erstaunte Frage vom Munde. „Wer hier sein Geld hineinwirft, entgeht allem Umglück". Mein Begleiter sieht so ernst dabei aus, daß man meint, er glaube selbst fest daran. „Das erinnert an die alten Römer, die beim Gang über eine Brücke dem Flußgott ihren Obolus entrichteten", entgegne ich. „In meiner Heimat hat man zentnerweise die Römermünzen, die vor zweitausend Jahren ins Wasser geworfen wurden, aus dem Strombett geborgen. 12
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Hier braucht einer nicht einmal ein guter Taucher zu sein, um sich einen Sack voll Geld aus dem Wasserloch zu holen." „Neij —•", sagt Thorolfsson, „so was wird nicht einmal der ärmste oder geizigste Islending tun. Er weiß, daß schon bald ein ganz schlimmes Unheil über ihn kommen würde. So ist es allen ergangen, die es versucht haben."
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* Das war das Allthing, wie es ähnlich auch in anderen germanischen Volksteilen lange Zeit der Brauch war. Hier konnte jeder vor der Gesamtheit des Islandvolkes seine Klagen vorbringen, Recht fordern für seine Sache und auch die Anliegen seiner Freunde und Verwandten vertreten. Das alljährliche Thing bot aber auch Gelegenheit, Neuigkeiten aus den entlegensten Teilen des Landes, die man nur auf wochenlangen, beschwerlichen und oft lebensgefährlichen Ritten erreichen konnte, zu erfahren. In Wettkämpfen zu Fuß und zu Pferde erprobten die Männer ihre Kräfte, und mancher Streitfall, der nicht durch einen Thingspruch bereinigt werden konnte, wurde hier im Zweikampf zur Entscheidung gebracht. Hier trafen sich auch die jungen Burschen und Mädchen, lernten einander kennen und lieben. Allthing heißt auch in unseren Tagen noch der Landtag, zu dem heute nicht mehr das ganze Volk, sondern nur noch die gewählten Vertreter der einzelnen Landschaften in der Hauptstadt Reykjavik zusammenkommen. Er ist der unmittelbare Nachfolger der uralten Thingtage und damit die älteste noch bestehende demokratische Einrichtung der ganzen Welt. Oben auf der Felswand der Allmännerschlucht begreift auch der Fremde, der dieses Land und seine prächtigen Menschen kennenlernen will, was Thingvellir, diese ehrwürdigste Gedenkstätte der Insel, für den Isländer bedeutet. 1930 beging ganz Island hier, wie eh und je unter freiem Himmel, festlich das tausendste Geburtsjahr des Allthings und zugleich des isländischen Freistaates. Denn in jenem bedeutsamen Jahr 930 hatten die norwegischen Landnehmer nicht nur Grimur Geitskor beauftragt, den Thingplatz zu suchen, sondern auch dessen Bruder Ulfljotur mit der Aufgabe betraut, die ersten Gesetze zu entwerfen, die das Zusammenleben der Siedlergemeinschaften regeln sollten. Woher man das alles so genau weiß? Das Buch der Geschichte dieses kleinen Nordvolkes ist uns bis heute aufbewahrt, seine Chronik ist mit vielen Einzelheiten fast ohne Lücken bis in unsere Zeit erhalten geblieben. 13
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Island und sein stolzes, freiheitsgewohntes Volk lagen am Rande der unruhvollen Welt des Abendlandes, in der sich Herrscher und Völker immerzu mit Krieg überzogen. In diesem Nordland lockten keine Reichtümer wie in der Neuen Welt, in Indien oder im Schwarzen Erdteil. Das wenige, was an Besitz auf der Insel zu holen war, lohnte nicht den Einsatz. So wurde den Isländern v^el von dem Leid erspart, das sonst auf der Welt in der Vergangenheit die Völker geplagt hat. Gewiß, auch die Isländer wurden im Laufe langer Jahrhunderte manchmal in Krieg und Kampf verwickelt, wenn Landfremde sie zum Handel zwingen oder die reichen Fischgründe in ihren Gewässern für sich beanspruchen wollten. Die großen verheerenden Kriege aber berührten die Insel kaum, sie blieb von Verwüstungen verschont. So konnte auf den weltfernen Gehöften Islands all das, was sich zugetragen hatte, sorgsam aufgezeichnet werden, wurde Generationen hindurch aufbewahrt und bietet heute eine der reichsten Fundgruben für die Erforschung der nordischen Geschichte. Seit die ersten Ansiedler sich in den siebziger Jahren des 9. Jahrhunderts in der „Reykja-vik", der „Rauchbucht" (vom Dampf, der aus den heißen Quellen in der Nähe aufsteigt), niederließen, sind die Namen der Landnehmer, der Sippen und der ihnen folgenden Geschlechter genau aufgezeichnet worden. Man kann verstehen, wenn Gudmundur Finnbogason, ein isländischer Schriftsteller, stolz auf die große Geschichte seines Volkes, in seinem Buch „Islendinger" schreibt: „Kein Volk in der Welt weiß über seine Herkunft und seinen Ursprung so viel wie wir Isländer. Kein anderes Volk besitzt ein Werk wie unser Besiedlungsbuch („Landnamubok"). Es berichtet über alle hervorragenden Männer und Frauen, die unser Land zuerst bebaut haben, woher sie kamen, zu welchem Geschlecht sie gehörten und wo sie sich ansiedelten. Kein anderes Volk besitzt solche Darstellungen seiner ältesten Vorfahren im eigenen Land, wie sie in den Isländergeschichten erhalten sind,und kein anderes Volk kann in so vielen Fällen wie wir die Stammbäume der jetzt lebenden Geschlechter bis auf die ältesten Besiedler des Heimathodens zurückführen." Am bekanntesten unter den alten Schriftdenkmälern Islands sind jene beiden Sammelwerke, die unter dem Namen „Edda" hochberühmt geworden sind: Die Prosa-Edda, ein Lehrbuch, das den altisländischen Sängern, den Skalden, Anleitungen für ihre Dichtungen gab, für die richtige Sprache und Versart und auch Beispiele für Lob14
uqd Liebesgedichte und Spottverse; und dann die Lieder-Edda mit ihren herrlichen Götter- und Heldenliedern aus altgermanischer Zeit. Inlihr finden sich auch die ersten Aufzeichnungen der Sage von Siegfried, Kriemhild, Brunhild und Etzel, die dann viel später im Nibelungenlied zu einer großen epischen Dichtung erweitert worden sind. Da sind die „Sagas", keine Sagen in unserem Sinne, nichts Erdichtetes oder Erfundenes, sondern geschichtliche Aufzeichnungen in romanhafter Form. Sechsunddreißig dieser einzigartigen Sagas Islands sind ganz erhalten. Darin sind die historischen Ereignisse aus dem Leben der Familienverbände und des Volkes in Prosa mit eingestreuten Versen verzeichnet. Sie berichten vom Leben auf den Höfen, auf Fang- und Jagdexpeditionen, auf Heerzügen und Seefahrten in ferne Lander, beim Allthing und beim Handel. Menschen von Fleisch und Blut werden in diesen Geschichten mit ihren Vorzügen und Fehlern, mit Freundschaften und Feindschaften, mit ihren Geschicken und unglückseligen Verstrickungen lebendig. Gewissenhafte Männer haben die Sagas und Chroniken in wundervoll schlichter Sprache in der Stille und Einsamkeit ihrer Gehöfte geschrieben. Und seltsam! Die Sprache dieser alten Bücher — es ist das Altnorwegische, das die Mundart der ersten Siedler war — kann jeder Isländer heute noch lesen; denn das Isländische hat seine alte Sprachform bis heute erhalten, während das naheverwandte Norwegische und noch mehr das Dänische und Schwedische sich weit von der gemeinsamen Ursprache aller Nordländer entfernt haben. Es gibt wohl keinen Isländer, der nicht immer wieder in diesen Büchern liest und stolz ist auf die Taten der fernen Vorfahren . . .
I>as große Treiben Arnarhaug ist eine der uralten, erdverwachsenen Hofsiedlungen, auf der die Sigurdssons seit vielen Generationen ansässig sind. Sie liegt im Südosten Islands, zwischen Vatnajökull, dem größten Gletschermassiv, dessen gewaltige Kraterspitze fast 2000 Meter hoch aufragt, und dem Myrdalsjökull (jökull, isländisch = der Gletscher). Wie überall im Lande wurde auch auf Arnarhaug den Sommer über fleißig geschafft. Viele Lasten Heu brachten die Männer von den fernen Weiden im Hochland herein. Ganze Karawanen von aneinandergebundenen Saumpferden waren tagelang unterwegs, um die Ernte zu bergen. Oder man war im Moor gewesen, hatte Torf für den Winter gestochen und den kostbaren Brennstoff dann auf dem Rücken der Ponys auf den Hof gebracht. 15
Typisches Island-Gehöft, links der Winterstall für das Großvieh Nun ist der Herbst da mit seinen bunten Farben und den rasch kürzer werdenden Tagen; das Wetter über dem Land ist oft noch von wundervoller Klarheit. Bauer Sigurdsson sah schon mehrmals Wildgänse in ihren keilförmigen Formationen dem wärmeren Süden zustreben. Das ist die Zeit, um die Schafe, die sommerüber frei auf den Hochweiden und den Hängen der Berge schweiften, in die Hürden zu treiben. Für die Bergreiter, wie man die Treiber hierzulande nennt, ist dieser Treibfang das große Abenteuer, von dem sie das ganze Jahr über reden. Sigurdsson ruft an einem zauberhaft schönen Morgen seinen Altknecht zu sich, der schon seit Tagen mit den Vorbereitungen zum großen Treiben beschäftigt ist. „Oddur", sagt der Bauer, „habt Ihr alles bereit, daß Ihr so bald wie möglich, am besten heute noch, losreiten könnt?" „Jouh", bestätigt der Alte. Oddur gehört seit seiner Jugend zum Hof. Wie viele Treiben mag er schon hinter sich haben? Man weiß, daß schon der Elfjährige ein kräftiger Bursch war und wie ein Großer im Sattel saß. Auf ihn kann sich der Anarhaugbauer verlassen. Von den Nachbarhöfen haben sich inzwischen die jungen Burschen eingefunden, die mitmachen wollen. Auf Arnarhaug werden auf den Saumpferden die Packlasten festgezurrt und die Reittiere gesattelt. Die Zeltplachen werden verschnürt, Holzpflöcke, Schnüre und Taue verstaut. Sigga, die Bäuerin, und die Tochter Kristin haben die Proviantsäcke mit kräftiger Nahrung gefüllt, mit Dauerspeck und 16
Räucherlachs, mit Dörrfleisch und Fladenbrot. Auch die Blechdosen mit dem schwarzen Labetrank fehlen nicht, dem Kaffee, der dem Isländer wie allen Nordvölkern unentbehrlich geworden ist. Alles ist nun bereit zum Aufbruch; ungeduldig stampfen die hellmähnigen, stämmigen Ponys. Ihre Felle glänzen — so gut sind sie für den langen, beschwerlichen Ritt im Futter. Nur einer fehlt noch: der erste Treiber! Wer wird heute die Männer führen? Denn es ist seit alters Brauch, daß einer der „Bergkönig" sein muß, einer, zu dem die anderen Reiter Vertrauen haben, der in jeder Lage, besonders aber in Gefahren — und sie sind nicht selten — die Verantwortung für alle, Menschen und Tiere, übernimmt. Sie zögern etwas, die zumeist jungen Männer von den Nachbarhöfen, deren Schafe ebenfalls auf den Hochweiden sind. Sie schauen ein wenig verlegen drein. Sigurdsson, der Altbauer, der noch im vergangenen Herbst und viele Male vorher ihr Anführer war, reitet dieses Jahr nicht mit. Ihn plagt sein Rheuma, und da muß er wohl oder übel zu Hause bleiben. Recht ist ihm das natürlich nicht, das merken sie alle an seiner brummigen Stimmung. „Nooh — — ihr Männer", redet jetzt der Arnarhaugbauer die Versammelten an, „euren Bergkönig müßt ihr euch schon 6elbst wählen. So ist es doch seit je Brauch gewesen. Ich reite ja nicht mit, und daher habe ich selber nichts mehr zu sagen." • „Thorleif!", meint einer zaghaft. „Ja, Thorleif!" rufen nun auch die anderen. „Er ist der richtige Mann!" Thorleif Sigurdsson, Erstgeborener und Erbe des Arnarhaughofes, ziert sich etwas. Er mag denken, daß man dieses Amt lieber einem Älteren als ihm geben möge. Er weiß auch, daß es nicht ganz leicht ist, diesen rauhbauzigen Kameraden alles recht zu machen. Daher schlägt er jetzt Sigurgeir Thömasson vom Nachbarhof Hornagirdi vor, der älter und erfahrener ist. Aber erneut gelten die Rufe der Gefährten ihm, lebhafter noch als vorhin. „Thorleif — —", wendet sich bedächtig der alte Oddur an ihn, „sie alle wollen dich. Die Burschen wissen, daß du der beste Reiter bist, an den weit und breit keiner herankommt, daß du jedes verstiegene Tier aus den wildesten Klüften holst. Hast du nicht im letzten Herbst Pjetur, als alle anderen ihn aufgaben, aus dem Gletscherspalt geborgen? Wer sein Leben für einen anderen einsetzt, solch einen wollen sie. Da finden sie keinen Besseren. Schlag ein, Thorleif!" Wenn der Altknecht so spricht, kann er des guten Willens und der Zustimmung der Jüngeren sicher sein. Nicht ohne Rührung und Stolz 17
nimmt also Thorleif an. ..Gut denn — hört, was ich euch jetzt sage! Sigurgeir, du treibst von Norden her, acht Reiter nimm dir mit! Ich selbst treibe mit den anderen neun Reitern von Süden heraufj Am Blavatn, am Blausee, in der Hütte am großen Steinmal, treffeit wir uns mit den Herden, morgen in zehn Tagen. Goda ferd, glückliche Reise, ihr Reiter!" „Goda ferd!" rufen sie alle einander zu; dann sitzen sie auf und reiten in verschiedenen Richtungen davon — den Hochweiden zu, den Bergen und Halden am Fuß der gleißenden, himmelragenden Eisschlösser. Viele Reiter sind in diesen Herbsttagen im weiten Land unterwegs, um Tausende und Abertausende dickwolliger Schafe zu sammeln. Schafe sind ja das wichtigste Gut der Islandbauern, heute wie ehedem. Die Tiere aus der Freiheit des Umherschweifens zu reißen, kostet unsäglich viel Mühe und mancherlei Überlegung. Islandschafe sind sehr kluge Tiere; sie wittern wie das Wild der freien Mark. Nähert sich ihnen ein Berittener, so springen sie auf und davon, flink und sicher wie Gemsen in den Felsen. Aus steilen, schwer zugänglichen Klüften müssen die Männer die flüchtenden Tiere nicht selten mit Seilen Stück um Stück herausholen. Immer wieder bricht ein Rudel aus. Oft kommt selbst in die wimmelnden Scharen der schon zusammengedrängten Tiere plötzliche Unruhe. Dann heißt es höllisch aufpassen. Größer und immer größer wird die Herde, immer schwerer ist sie zusammenzuhalten. Dann sprengen die Treiber los, hetzen Pferde und Hunde. Da geht ihnen das Geschimpfe leichter über die Zunge als ein Scherz zum Gefährten hin. Doch es ist immer wieder ein großes Erlebnis für die rauhen Islandreiter, eines, nach dem die Jungen sich sehnen, kaum, daß sie sich im Sattel halten. Viele Tage reiten die Trupps über die Weidenflächen, in Wolken von Staub gehüllt, daß ihnen die Zähne knirschen, daß Mund und Nase brennen. Oft rinnt in dicken Strähnen der Regen; zuweilen lastet schwerer Nebel auf dem Land, und die Treiber tasten sich von Steinmal zu Steinmal, von Stange zu Stange weiter, die hier auf den Geröllflächen und Grasweiden oft die einzigen Wegzeichen sind. Oder der Schneesturm jagt vom Eisschloß des Vatnajökulls herunter und springt sie wütend an. Das sind schwere Wochen, in denen die wetterbrannen Gesichter der Reiter hart und kantig werden. Da gibt es nur wenig Schlaf — mal lagern sie im windknatternden Zelt, ein andermal in umtoster Steinhütte unter einer Berglehne, oder gar im Freien... . Thorleif und sein Trupp sind als erste am vereinbarten Treff-
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Abtrieb der Schafherden von den Gebirgsweiden punkt in der Erdhütte am Blavatn eingetroffen. Zwei Tage schon warten sie auf die Reiter, die Sigurgeir von Norden heranführt. Es ist ein Hundewetter draußen, und die Männer Thorleifs machen sich Sorgen um die Gefährten. Oddur, der sonst wenig sagt, beschwichtigt: „Seid unbesorgt, Jungens! Der kennt doch jeden Stein, der Sigurgeir, der bringt seinen ganzen Trieb auch im dicksten Schneesturm schon sicher nach hier!" Plötzlich kommen durch das Toben des Sturmes Rufe von draußen. Ein Stein fällt dem Bergkönig Thorleif vom Herzen. Da geht auch schon die Tür auf, Getrappel und Blöken vieler Schafe, Hundegebell, Pferdewiehern künden die Ankunft des Nordtriebs. Es ist alles gut abgelaufen für Sigurgeirs Truppe. Wenn der Sturm sie auch oft wüst anfiel und sie sich kilometerweit durch das Schneetreiben vorwärtstasten mußten und Mühe hatten, die Schafe zusammenzuhalten, so sind es doch viertausend Tiere, die Sigurgeir einfing. Mit denen vom Südtrupp unter Thorleif sind nun fast zehn19
tausend Schafe beisammen. Auf dem Heimweg werden noch viele hinzukommen. Bergkönig Thorleif hat einen Boten vorausgeschickt. Für die Leute auf den Höfen ist es ein großes Ereignis, wenn die Burschen mit den Schafen kommen. Seit Tagen schon wird auf Arnarhaug und den andern Höfen für dieses größte Fest im Jahresablauf des Islandbauern gerüstet. Sind erst einmal Schafe und Pferde von den Wildweiden nach Hause getrieben, so wird das Leben der Bauern eintönig. Die Schafe bleiben auch nach dem Abtrieb im Freien. Sie sind so abgehärtet, daß sie selbst winterüber in den Hürden und umzäunten Weiden verbringen. Nur das Rindvieh wird in die grasüberzogenen, halb in die Erde gesenkten Ställe gebracht. Als die wimmelnde, braun-graue Herde den Hof erreicht, bleibt keiner im Haus. Nun beginnt das erregendste Schauspiel. Wild hin und herjagend, treiben die Reiter die Tiere in die geräumigen, sternförmig aufgestellten Hürden. In festlichen Gewändern stehen die Hofleute und die Nachbarn dabei. Das ist ein Leben! Für den isländischen Bauern ist dieses Fest zugleich der Abschied vom Sommer. . . „Velkommen — velkommen!" ruft man den Burschen zu, als der letzte Wollknäuel hinter dem Gatter geborgen ist. „Saeilir og blessadur, Segen sei euch und Gruß!" bietet Thorleif seinem Vater. „Velkommen, mein Junge, velkommen! Wieviel habt ihr beisammen?", fragt der Bauer begierig. Denn auf den Schafen beruht der ganze Wohlstand Arnarhaugs, wie der fast aller sechstausend Bauernhöfe auf Island. „Glaub' schon, daß wir sie fast alle einfingen", gibt Thorleif zur Antwort. „Es mögen an die dreizehntausend sein, Vater; sie sind alle gut fett, und eine bessere Wolle hat's kaum einmal gegeben, mein ich." Die Hofherrin ist ungeduldig geworden. „Jungens, wie sieht euer Zeug aus!" ruft die Bäuerin. „Nun aber fix, zieht euch um, sattelt ab, macht euch fein! Habt das Fest wohlverdient!" Vergessen sind die Strapazen des Reitens und Hetzens. Es wird gesehmaust und gezecht. Sigurgeir hat das Schifferklavier zwischen den riesigen Fäusten und spielt auf. Die sehnigen Burschen, die tagelang die Zügel und Seile hielten, haben nun die Mädchen gefaßt und wirbeln sie über die groben Bretter des Tanzbodens. Langsam versinkt die gelbrot glühende Feuerscheibe der Herbstsonne hinter dem Eisriesen Myrdalsjökull. Hoch über dem Hofplatz segelt auf unbewegten Schwingen ein Falkenpaar. Es sind die Wappentiere Islands und Wahrzeichen für dieses Land zwischen Feuer 20
und Eis und für Anarhaug. Seit Hunderten von Jahren schon ist der Hof angestammter Besitz der Sigurdsson; ihr Dasein verläuft kaum anders als das ihrer Vorfahren und Nachbarn; die Gesetze von tausend Jahren bestimmen noch immer ihr Leben.
Flug über das Land Und doch ist die neue Zeit mit Flugzeugen und Motorengedröhn auch in das hochnordische Inselreich eingedrungen. Der letzte Krieg hat diese Entwicklung beschleunigt. Island, das auf einer der günstigsten und nächsten Luftrouten zwischen Nordost-Amerika und dem nördlichen Europa liegt, wurde „Flugzeugträger" und erhielt mehrere moderne Flugplätze. Noch vor dem Kriege dauerte eine Reise über See oder auf dem fast unmöglichen Autoweg nach Akureyri, der größten Stadt an der Nordküste, etliche Tage, ein Ritt dorthin aber viele Tage; eine neuzeitliche Passagiermaschine braucht für den Luftsprung über diese rund 300 Kilometer kaum mehr als eine gute Stunde. Der Flughafen Keflavik, nahe der Hauptstadt, der seine Entstehung den Erfordernissen des letzten Krieges verdankt, überrascht selbst den verwöhntesten Weltreisenden. Auch in Europa gibt es wenige Flugplätze, die sich mitKeflavik messenkönnen. Hierherrscht lebhafter Betrieb; Maschinen von Europa und Amerika kommen und gehen, andere befliegen die Routen über dem Lande selbst. Es ist ein strahlender Sommertag, gegenMittag; und keinWölkchen steht am Himmel. Die Maschine, die nach Akureyri bestimmt ist und heute auch wieder zurückfliegt, steht bereits am Start. Auf die Minute genau heulen die Motoren auf, rollt langsam, dann immer schneller der Silbervogel über die lange weiße Startbahn und hebt sich ab. Nach wenigen Minuten schon liegt Reykjavik unter uns mit seinem eigenartig rechteckigen Straßenbild und den weitverstreuten neuen Außenbezirken. Schön ist sie nicht, diese schnell gewachsene Hauptstadt Islands, auch nicht aus der Vogelschau. Aus der Höhe erst überschaut man die Weiträumigkeit des großartigen Naturhafens der Hauptstadt. Große und schöne Schiffe liegen an den modernen Kais. Deutlich erkennt man, daß Island hier sein Tor zur Welt weit geöffnet hält, selbst im Winter. Einem besonders günstigen Umstand verdankt das Land, daß seine Südküsten, obwohl am Rande der Arktis gelegen, nie vom Polareis blockiert sind: dieses Wunder bringt der Golfstrom zustande, der aus den Tiefen der Äquatorzone bis hierher seine warmen Fluten trägt.
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Neben mir sitzt in derKabine der Professor für Geologie und Gletscherkunde an der Landesuniversität Reykjavik. Diese Zweige der Wissenschaft haben ja in diesem Lande ein besonders lebendiges Arbeitsfeld. Mein Reisegefährte sieht, daß ich ein wenig enttäuscht bin über den Anblick der Hauptstadt, und wendet sich zu mir. „Es geht Ihnen wie uns", meint er. „Reykjavik hat es in den letzten Jahren ein wenig zu eilig. Immer mehr Menschen strömen in die Stadt, aber es gibt nicht genügend Wohnraum für die Vielen. Die jungen Leute vom Land wollen in die Städte, da haben sie es bequemer. Die Arbeit in den Geschäften, Fabriken und Büros ist bei weitem nicht so schwer wie auf den Höfen draußen im Land. Das sind die scharfen Gegensätze hier: Stadt undLand — sie liegen wieEis und Feuer, Gletscher und Vulkane hart nebeneinander. Bei uns leben die Menschen in der Stadt heute schon nicht mehr anders als in euren Großstädten; draußen aber, wo die wenigen Autostraßen zu Ende sind, sitzen die Bauern auf ihren alten Gehöften noch wie zu Zeiten der ersten Siedler. . ." Jedem, der heute Island betritt, fällt dieser Gegensatz auf. Im Innern die Einödhöfe, an der Küste die emporstrebenden Städte. Reykjavik hat seine Einwohnerzahl in den letzten zehn Jahren verdoppelt; die Stadt, die um die Jahrhundertwende kaum 4000 Einwohner zählte, verzeichnet heute mehr als 50000. Ich rechne schnell einmal aus und sage, zu meinem Nachbarn gewandt: „Wenn ich recht unterrichtet bin, muß heute fast jeder zweite Isländer Städter sein." „Die Rechnung stimmt nicht ganz!" berichtigt mich der Gelehrte, der mit seinen wetterharten Zügen gar nicht wie ein Professor, eher wie ein Bauer aussieht. „Wenn man die Bevölkerung der wenigen anderen, allerdings viel kleineren Städte hinzuzählt, kommt heute schon auf zwei Isländer, die in der Stadt leben, nur einer, der seinem Beruf als Viehzüchter und Bauer nachgeht. Mehr und mehr verschiebt sich das Hauptgewicht unserer Wirtschaft in Richtung auf die Fischerei und die Weiterverarbeitung der Fänge. Gut drei Viertel der Ausfuhr stammen heute in irgendeiner Form aus den nieversiegenden Erträgnissen des Meeres. Das andere Viertel verteilt sich auf die Erzeugnisse der Weidewirtschaft. Aus dem Erlös des Fischfangs müssen wir Isländer natürlich eine Menge der im Lande fehlenden Güter einführen. Das sind vor allem Kohle und Holz und unzählige andere Dinge. Die kargen Felder und Gärten liefern nur geringe Ernten. Da müssen Getreide und Kartoffeln importiert werden, Zukker und Kaffee, eben alles, was der Haushalt außer den wenigen einheimischen Erzeugnissen der Landwirtschaft braucht." 22
Wir fliegen auf einen See zu. Mit blinkendem Silberspiegel liegt er ganz flach in der weiten Hochebene. Dicht am Ufer entströmen der Erde weiße Dampfschwaden; Schwefelwolken, erfahre ich. Es ist ein wenig unheimlich, daß die Erde hier im Innern selbst unter dem dicken Eis immer noch kocht und brodelt. „Wir Islendinger", beruhigt mich lächelnd der Professor, „leben schon seit tausend Jahren auf einem einzigen Riesenvulkan, der völlig unberechenbar ist. Die ewig brennenden Berge haben schon vielen den Tod gebracht. Leider geht bei den großen Vulkanausbrüchen auch sehr viel gutes und kultiviertes Land zugrunde. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Die größten und entsetzlichsten Vulkanausbrüche, die unsere an Naturkatastrophen weiß Gott nicht arme Geschichte zu verzeichnen hat, ereigneten sich Mitte des 18. Jahrhunderts. 1755 war es der Katla, ein Gletschervulkan im Myrdalsjökullgebiet, der Island in Angst und Schrecken versetzte. Sandstürme und Wasserfluten, die aus dem Eis schmolzen, vernichteten mit einem Schlage fünfzig unserer Höfe. Zehn Jahre später fielen weitere Höfe, zahlreiche Menschen und ganze Schafherden dem 18. Ausbruch des Heklavulkaus zum Opfer. Die schlimmste Katastrophe kam im Jahre 1783 über das Land. Zwischen Myrdalsjökull und Vatnajökull brach unter gewaltigem Donnern die Erde auf, und Ströme flüssiger Feuerlava, Asehen-
Vergletscheite Landschaft über Vulkanhöhen 23
regen und tobende Wassermassen bedeckten die Umgebung. Die Bauern flüchteten mit ihrem Vieh verzweifelt in die Berge; aber auch hierhin verfolgten sie die Schwefelwolken und Gasnebel, die selbst das Gras vergifteten. Tage und Wochen lang bebte unaufhörlich die Erde. Jeder eintretenden Stille folgte ein umso erschreckenderer Ausbruch. Vom Pfingstsonntag bis spät in den September währte die furchtbare Zeit. Heute noch sind die Spuren dieser grauenvollen Katastrophe dem Lande eingeprägt, überall lagert die erkaltete Lava, überall klaffen Spalten und Klüfte. Das Schlimmste war jedoch nicht einmal die Vernichtung von rund 40 Quadratkilometer vorzüglichen Landes in dieser Gegend, weit furchtbarer lasteten die Folgen auf den unglücklichen Menschen. Die an Giftstoffen reiche Vulkanasche hatte sich in ungeheuren Wolken über das ganze Land verbreitet. Die Viehweiden und sogar das Vorratsheu für die Winterfütterung waren völlig verdorben. Hinzu kam, daß der Winter 1783/84 ungewöhnlich streng war. So hungerten die Menschen auf ihren Höfen, das Vieh hatte kein Futter. Fast 10.000 Isländer kamen elend um, 191.000 Schafe, 28.000 Pferde und 11.500 Rinder gingen ein. Jeder fünfte Isländer erlag dem Hunger. Die anderen waren aber so arm geworden, daß die dänische Regierung Pläne ausarbeiten ließ, um das ganze, einst so stolze Wikingervolk nach Jütland hinüberzuschaffen und ihm dort auf den weiten, ungenutzten Heide- und Moorflächen eine neue Heimat zu bieten." Unter uns breitet sich wie auf einer Karte das Land aus. Ein großer Fluß strebt mit schäumenden Wassern dem Meere zu. „Ließe sich aus diesem gewaltigen Fluß und den Wasserfällen, die ungenutzt verströmen, nicht genug elektrische Energie herausholen, Kräfte, die Island brauchen könnte?" frage ich. „Sie meinen den Hvita da unten, einen unserer größten Flüsse", antwortet der Professor. „Man müßte viel Geld haben, um ihn durch Wehre und Kraftwerke zu nutzen. Aber das fehlt uns leider! Daher lassen wir zunächst einmal unsere nie verlöschenden Erdöfen für uns arbeiten. Das ist viel billiger." „Erdöfen?" Der Professor klärt mich auf. „Ich denke da an die Glut unserer ewig brennenden Vulkane. Sehen Sie, diese feurige Urkraft hat auch ihre guten Seiten. Sie spendet uns Reykjavikern zum Beispiel schon alles, was wir brauchen: Wärme, Licht und Kraft. Das ist eine Menge — und erspart uns viel Geld für die Einfuhr von teurer Kohle, die wir aus England oder auch aus Deutschland beziehen müssen. Es 24
gibt sogar Bauernhofe im Land, die ihre eigene Dampfheizung haben — aus einer heißen Quelle, die in der Nähe liegt . . ." Seit wir die Küste hinter uns gelassen haben, ist noch keine halbe Stunde vergangen. Und doch sind wir bereits mitten im Lande. Der Pilot geht tief herunter und hält auf den großen See Hvitavatn zu, der das natürliche Wasserreservoir für den Fluß Hvita ist, dem wir nun eine ganze Weile gefolgt sind. Zackige weiße Klötze schwimmen auf dem See — Gletschereis vom Langjökullgletscher, einer mächtigen Bergmauer mit einer dicken, grün-blauen Eiskappe darauf. Dieser „Lange Gletscher" ist, wenn auch der zweitgrößte Islands, ein Zwerg gegen den sechsmal so großen Vatnajökull. Der liegt jetzt rechts von unserem Kurs, nach Osten zu. Er gleicht mit seinem fast 2000 Meter hohen, firnumkränzten Krater einem hingeduckten Riesen. Er kann jeden Augenblick aufspringen, immer liegt er auf der Lauer. Tiefer noch senkt sich unser dröhnender Silbervogel und überfliegt weites, steppenähnliches Grasland. Deutlich heben sich nun viele weiße, braune und fast schwarze Punkte vom Grüngelb der Weide ab. Die Punkte zerflattern, aufgeschreckt vom Toben unserer Motoren, in alle Winde. Genau erkenne ich sie jetzt: Pferde sind es — Islandponys. „Das da —", meint der Professor, „ist einer der schönsten Tummelplätze für unsere Pferde. Es gibt nichts Beglückenderes, als auf ihren Rücken durch das Land zu streifen, von einem Hof zum anderen. Aber", fügt er nachdenklich hinzu, „Zeit müßte man haben! Zeit scheint uns heute am meisten zu fehlen." Nach einer Weile fährt mein Nachbar fort: „Unsere Bauern bemessen ihr Vermögen hier noch immer nach der Kopfzahl ihrer Schafherden, aber die Pferde sind ihr ganzer Stolz. An ihnen hängen sie mit geradezu rührender Liebe. Was wäre der Islandbauer ohne seinen besten Arbeitskameraden, das Pony! Das gilt auch heute noch, trotz Flugzeug und Auto." Auf dem Weiterflug entdeckt man nur selten einmal eines der Gehöfte: „Hier scheint sich alles hart an die Erde zu ducken, ja unter die Erde zu verkriechen." Ganz unrecht hätte ich damit nicht, gibt mein Gewährsmann zu. „Aber schauen Sie jetzt einmal dorthin — nehmen Sie mein Glas, bitte!" Mir fällt, als ich durch den Feldstecher schaue, eine helle, genau abgezirkelte Fläche auf, neben ihr kleinere, dunkle Rechtecke. Eine Oase, so kommt es mir vor, mitten in der Grassteppe zwischen Sandwüsten und Geröllhalden. 25
„Sehen Sie — da haben Sie einen ganz typischen Islandhof. Das Wohngebäude und die Stalle und Scheunen liegen unter den niedrigen, dicht mit Rasen gedeckten Dächern. Die heben sich natürlich kaum von der Umgebung ab. Das lichte Rechteck, in dem der Hof liegt, ist die gemähte Wiese, hier das wertvollste Land, weil es gedüngt wird." Die Maschine ist inzwischen ganz tief hinunter und mitten auf das Gehöft zu gestoßen. Menschen stürzen aus dem Wohnhaus und winken. Nun kann ich auch die niedrigen Wände aus Holz und die dicken, grasbewachsenen Erdmauern erkennen . . . „Das ist wohl ein ungewöhnliches Ereignis für die Leute, solch ein Fliegerbesuch?" frage ich, als der Pilot das Flugzeug schon wieder hochzieht. „Ach nein, längst nicht mehr! Daß die Maschine so tief heruntergeht, hat etwas Besonderes zu bedeuten." Er lächelt. „Die da unten wissen nämlich, daß ich zu ihnen auf Besuch komme. Das Gehöft heißt Sandhaugholt. Da bin ich eigentlich zu Hause. Es ist der Hof meiner Väter, dort bin ich geboren, dort verbrachte ich meine Jugend. Jetzt ist mein ältester Bruder Bauer und verwaltet das Erbe der Vorfahren. Auch die gehörten zu den Landnehmern." Das sagt er mit einer gewissen Betonung, und es klingt verhaltener Stolz darin. Eine Weile fliegen wir noch über das in sanften Wellen sich hinziehende Land. Dann taucht voraus eine langgestreckte Meeresbucht auf und eine größere Siedlung: der Eya-Fjord und unser Ziel Akureyri, die kleine Hauptstadt des „Nord-Landes". Da ist auch schon der Flugplatz vor uns, die Maschine setzt sanft zur Landung an. Wir klettern aus der Maschine und verweilen noch einige Zeit im Gespräch. „Island wandelt sich", sagt mein Fluggefährte, als ich mich herzlich für die Unterhaltung bedanke. „In fast bestürzendem Tempo wird unser Land den neuen Errungenschaften erschlossen. Das ist freilich nicht immer gut, aber ändern läßt es sich nicht. Für diese dreihundert Kilometer von der Südküste bis zur Nordküste, quer über das ganze Land, brauchten wir nicht einmal so viel Zeit, wie ein Reiter nötig hat, einen Ritt über Land vorzubereiten." „Und doch wäre es schön und abenteuerlich", erwidere ich, „auf dem Rücken eines Pferdes Ihre Heimat kennenzulernen." „Da haben Sie recht, und daher setze ich mich auch nicht gern ans Steuer eines Kräftwagens, sondern nehme viel lieber die Zügel in die Hand. Sehen Sie, da steht schon einer von Sandhaugholt, da hinten 26
bei der Halle, und hat die Reitpferde bereit. Leben Sie wohl und gute Fahrt!" „Guten Ritt nach Sandhaugholt!" wünsche ich ihm, als wir uns mit kräftigem Handschlag trennen.
Silberner Segen des Bfordmeeres Der kleine Küstendampfer, der von Akureyri aus den Verkehr zwischen den Anlegestellen vermittelt, zieht zwischen den steilen Felswänden, die den Eya-Fjord säumen, nordwärts. Eine lange Dünung steht vom offenen Meer her in den breiten Trichter der Mündung; das Schifflein stampft ein wenig. Als wir eine vorspringende Landzunge umrunden, liegt Siglufjördur vor uns. Man merkt die Nähe des Städtchens aber schon lange vorher; der Wind trägt den durchdringenden Geruch von toten Fischen unverkennbar heran. Aus dem Hafen eilen eben in wogender Fahrt mehrere gedrungene Fischdampfer seewärts. Hier ist Fisch Trumpf! Die vielen kleinen und großen Fischerboote und Dampfer holen ihn vor der Nordküste in unvorstellbaren Mengen aus der Tiefe. So war es immer schon, doch haben auch hier die modernen Methoden des Fanges und der Verarbeitung Einzug gehalten. Aus den Schornsteinen der Fabriken quillt weißer Dampf und verweht mit den gelben Schwefelschwaden, die aus den Felsen kommen. Mit schroffen Flanken überragen kastenartige Berge den Ort. Zu Tausenden liegest Fässer an den Verladepiätzen gestapelt. Sie sind gepreßt voll mit Fisch, die meisten aber enthalten Öl, das man aus den in Massen eingebrachten Fettheringen herauszieht. Während unser Dampfer am Pier festmacht, dringt von See her das helle Dröhnen eines Motors. Ein Wasserflugzeug schwebt heran, kurvt ein und „wassert" mit langem Gischtstreif im ruhigen Hafenbecken. „Eine Verkehrsmaschine?" frage ich den Käpten, neben dem ich auf der Brücke stehe. „Neij", sagt der, „diesmal nicht! Das ist eines der Spürflugzeuge, die sie hier eingesetzt haben. Die sparen viel Mühe und Arbeit und . . . . Geld. Oh ja!" Gern erklärt mir der bärbeißig aussehende, aber freundliche Mann den Zusammenhang. Seit einigen Jahren verwenden die großen Fischereigesellschaften Flugzeuge, um die Heringsschwärme zu melden, die oft im Gefolge unzähliger Krabben erscheinen. Das geht auf 27
Heringsstation im Siglufjord in Nordisland eine recht einfache Weise vor sich. Ein paar hundert Meter hoch kreuzt die Maschine über der Wasserfläche. Aber nur bei ruhigem Meer verspricht der Spürflug Erfolg. Angestrengt spähen die Flieger über die Fluten, tasten sorgsam das Wasser ab, Stück um Stück, so gut es bei der äußerst gedrosselten Geschwindigkeit möglich ist. Plötzlich haben sie etwas entdeckt — dunkel zeichnet sich im klaren Wasser ein großer Schatten ab. Der Pilot reißt das Steuer herum; die Maschine umkreist den Fleck, fängt ihn auf diese Weise ein. Das Suchen hat sich gelohnt, einer der riesigen Heringsschwärme ist ausgemacht. Was heute ein Flugzeug in wenigen Stunden erreichen kann, dazu brauchten früher die Fischdampfer mindestens ebenso viele Tage, um meist viel weniger ausfindig zu machen. Der Beobachter in der Maschine, der zugleich den Funkapparat bedient, bestimmt auf seiner Karte den Standort des Schwarmes und seine Zugrichtung und gibt die Meldung mit der Ortsangabe an .die Hafenfunkstelle weiter. Schon wenige Minuten nach der Sichtung ist die verheißungsvolle Kunde in den Händen der Fangreeder von Siglufjördur, Isafjördur und den anderen Hauptfangorten der nächstgelegenen Küstenstriche. Kurze Zeit später sind die Fischdampfer unterwegs, in der Fangzeit liegen sie stets auslaufbereit in den Häfen. Die Angaben der fliegenden „Spürhunde" sind so genau, daß kein Heringsschwarm der Meute der herankommenden Dampfer entwischen kann. Am Fundort 2R
ist alles Weitere Sache der erfahrenen Fischdampferbesatzung. Tonne um Tonne der kostbaren Beute fängt sich in den schnell ausgeworfenen Schleppnetzen, kräftige Winden ziehen die bis zum Zerreißen gefüllten Netze an Bord. Ein Teil der Heringe, der als gesalzene Ware ins Ausland geht, wird zumeist auf den Fahrzeugen selbst bearbeitet. Ein einfaches, uraltes Verfahren: in die Fässer kommt abwechselnd immer eine Schicht Fisch und eine Lage Grobsalz, bis die Tonne voll ist und mit ihrem Deckel verschlossen wird. Viel weniger Arbeit macht man sich heute bei der Weiterverarbeitung der Heringsfänge in den Fabriken. Hier in Siglufjördur — nicht anders aber an den anderen Plätzen der zerklüfteten Küsten NordIslands — verwandelt sich der silberglänzende Heringssegen mit unvorstellbarer Fixigkeit in Öl und Fischmehl. Die ganze Fischmasse wird ausgenutzt, nur der freilich recht hohe Wassergehalt wird ausgeschieden. Er wird mit Hilfe hochgespannten Dampfes und gewaltiger Pressen herausgebracht. In manchen Fabriken werden nach diesem Verfahren während der Hauptfangzeiten Tag um Tag viele hundert Tonnen Heringe „umgesetzt". Das ergibt wieder viele Fässer dickflüssiges öl, das vor allem zu industriellen Zwecken Verwendung findet, und viele, vieleSack Fischmehl, das als Viehfutter und Düngemittel sehr wertvoll ist. Für Island ist der Dorsch oder Kabeljau, ein im Nordatlantik sehr stark vertretener Räuber, der bis zu 35 Kilo schwer werden kann, ein nicht minder wichtiger Nutzfisch als der Hering, der als „Weltnutzfisch Nr. 1" gilt. Der Dorsch wird unmittelbar nach dem Fang von flinken und geschickten Frauenhänden aufgeschnitten, ausgenommen und geköpft, dann in Wind und Sonne auf Felsen oder auf großen Gestellen bretthart getrocknet. Er geht als „Stockfisch" oder „Klippfisch" in Millionen Tonnen vor allem in die Mittelmeerländer, von denen Spanien früher stets der größte Abnehmer der isländischen Ernte war. Ein stickiger brauner Brodem quillt aus den Fabriken Siglufjördurs. Er ist so scharf, daß die Augen zu tränen beginnen, wenn der Wind den Qualm heranweht — von dem fürchterlichen Geruch ganz zu schweigen. Das ist die Kehrseite dieses längst zur Industrie gewordenen wichtigsten Teiles der Volkswirtschaft Islands. Aber Island wäre arm geblieben, böte ihm nicht das rauhe Nordmeer, das gegen seine Küsten brandet, einen Ausgleich für die Kargheit in seinem Landesinnern. Mit wehenden Rauchfahnen ziehen draußen die Fischdampfer über das tief atmende Meer dahin, ihrem Fangfeld zu, um den glitzern29
den Segen des Meeres zu bergen. Wie Silhouetten stehen sie gegen den flammendroten Feuerkreis der soeben noch über der Kimm sichtbaren Mitternachtssonne, die alles mit einem zauberhaft rosaroten Schimmer überhaucht.". .
Übersicht I s l a n d in Z a h l e n : Größe; 103000 Quadratkilometer. Island ist dreimal so groß wie Holland, von der gleichen Größe wie Bulgarien — Anbaufläche: 230 Quadratkilometer — Einwohner: rund 130 000 — Bauernanwesen: 6 000 — Haustiere: mehr als 1 Million Schafe, 50 000 Pferde, 30 000 Rinder, 3 000 Ziegen — Gletscher: 13 400 Quadratkilometer (= V? des Landes). Alle Gletscher der Alpen, Norwegens und des Kaukasus sind zusammen nicht größer als der Vatnajökull mit 8 500 Quadratkilometer. L a n d d e r V u l k a n e : Auf Island lebt der Mensch in beständiger Erwartung eines Aufruhrs der Natur. Mehr als 100 mächtige Bergriesen, von denen öraefajökull mit 2119 m der höchste ist, sind noch tätige Vulkane. Zuweilen brechen sie g.anz plötzlich aus, speien Feuer, Asche und giftigen Rauch und überströmen weite Gebiete mit glühenden Lavamassen. 1947 öffnete sich der- Hekla (1447 m) —• „ständig brennender Berg" genannt — zum 19. Mal in geschichtlicher Zeit. Er blieb mehr als ein ganzes Jahr in Tätigkeit. Die Vulkanausbrüche können Tausende auf einen Schlag bettelarm machen oder vernichten. Dennoch hängt der Isländer an seiner kargen Heimat, die ihn zwingt, zur Sicherung seiner Existenz mehr Kraft aufzuwenden als der Mensch gesegneterer Breiten. Die vulkanische Urkraft des feuerflüssigen Innern Islands hat der Mensch neuerdings auszunutzen verstanden. Reykjavik wird seit 1943/44 aus den nahen Reykir-Quellen durch eine Fernheizung mit Wärme, Heißwasser und elektrischer Energie versorgt. Aus zahlreichen Bohrlöchern, die bis zu 720 m tief getrieben sind, strömt heißes Wasser (von 87° C bis 99° C) in die Leitungen. In einem Kraftwerk, in kleinsten und größeren Treibhäusern, in vielen Stadtbädern und als Warmwasser in den Haushaltungen findet dieser unversiegbare Vorrat an Wärme vielseitige Verwendung. Auch als technische Leistung steht die Reykjaviker Anlage in der Welt einmalig da. Riesige Wasserkraftenergien stecken überdies noch in den ungebändigten Wildflüssen und mächtigen Wasserfällen. V e r k e h r s w e g e d e r I n s e l : Island besitzt keine Eisenbahnj e s braucht sie auch nicht. Für den geringen Verkehr im Landesinnern genügen einige wenige Kraftwagenstraßen, deren Netz in der jüngsten Zeit erheblich erweitert und verbessert wurde. Das prächtige Islandpony wird man wohl niemals entbehren können, weil es für das anspruchslose Tier kein Hindernis gibt. Neben dem Reittier, dem Kraftwagen und Flugzeug ist der Dampfer entlang der am dichtesten besiedelten Küsten immer noch wichtiges Verkehrsmittel. B o d e n u n d K l i m a : Nicht nur Vulkaneruptionen und Erdbeben haben große Teile Islands vernichtet; es fehlen auf großen Strecken Humusboden und Wasser, oder ewiges Eis halt die Erde in Fesseln. Daher ist nur ein Fünftel Islands bewohnbar. Allein der im Südwesten gelegene Vatnajökull überspannt ein Gebiet, das größer als Hessen ist. Würde Island nicht in der Zugrichtung des Golfstromes liegen, so hätten nie so viele Menschen hier eine immerhin erträgliche Existenz finden können. Das Klima ist typisch ozeanisch: feucht-kühle Sommer, milde Winter. Die Jahresmitteltemperatur beträgt für Reykjavik: —4° C (München: + 8°C); Mittel im Januar: — 1.2° C, im Juli: +10.9° C (München: — 2.1° C, bzw. +18° C). Die dürf-
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tige Pflanzenwelt ähnelt der unserer Hochalpen. Islands „Bäume" sind die an wenigen Stellen höchstens 10—15 m erreichende Birke, die Polarbirke und die kaum halbmannshohe Kriechweide. I s l a n d s T i e r w e l t : Nur wenige Füchse, einige kleine Rentierherdon (im Norden) zahlen zum Landwild des Landes. Unerhört reich an Arten und Individuen ist dagegen das Flugwild. Da leben u. a. Wildgänse, Wildenten und Singschwäne an den zahllosen Gewässern des Innenlandes; da hecken und tummeln sich in unzählbaren Scharen und in über hundert Arten die Schwimmvögel der nordischen Küsten, Möwen, Seeschwalben, Lummen, Alken, Eissturmvögel, und Papageientaucher. W i r t s c h a f t s l e b e n : Im Lande finden sich die ausgedehnten Wildweiden (Tundren), auf denen zu Hunderttausenden genügsame Schafe, Zehntausende zäher Pferde, Tausende Rinder noch Nahrung finden. Sie gehören den 6000 Bauernanwesen, auf denen Kartoffeln und Rüben, neuerdings auch härtere Körnerfrüchte versuchsweise gezogen werden. Da ist der unerschöpfliche Fischreichtum, aus dem beträchtliche Fänge im Werte von 50 bis 80 Millionen isl. Kronen herausgeholt werden. Das führte in den letzten Jahrzehnten zu einer starken* Industrialisierung (Fischveredlung, Konservierung). Fischerei, Handel und Gewerbe locken daher die Menschen in die Städte. Reykjavik, die Hauptstadt, zählt heute weit über 50.000 Einwohner (zwölfmal mehr als 1900). In anderen größeren Orten leben weitere 20.000 Menschen, so daß weit mehr als die Hälfte aller Isländer heute in Städten wohnt. Mehr und mehr kommt das kleine Inselreich in das Gefüge des Weltluftverkehrs und des weltumspannenden Handels (Ausfuhr neuerdings auch wieder nach Deutschland). Die Fischerzeugnisse liefern neben Wolle, Lammfleisch und Pferden mehr als drei Viertel des Gesamtexports. A u s d e r C h r o n i k : 545 Brandan landet auf Island. — Ende 8. Jh. Irische (schottische?) Seefahrer auf der Insel. — 825 Irische Mönche verbringen einen Sommer auf Island. — 861 Wikinger Naddodd aus Norwegen wird durch Sturm an die isländische Küste verschlagen. — 863 Wiking Gardar Svavarsson (aus Schweden) überwintert, wahrscheinlich als erster, auf Island. — 870 Floki Vilgerdarsson siedelt als erster auf Island und gibt ifcm den Namen (IS — Eis). — 870 bis 930 Norwegische Wikinger wandern zu Tausenden nach Island aus, errichten Höfe, treiben Viehzucht (Rinder, Pferde, Schafe), nutzen die reichen Fischgründe vor den Küsten. — 930 Isländisches „Allthing" tritt zum ersten Male zusammen (ältester germanischer „Volkstag"). — 1262 Island kommt durch König Haakon unter die norwegische Krone. — 1380 Island kommt mitNorwegen unter das dänische Königtum. — 1918 Island wird wieder eigenes Staatswesen, doch .bleibt es mitDänemark verbunden. Der König von Dänemark ist zugleich isländischer König. — 1944 (17. Juni) Island wird durch freien Volksentscheid selbständige Republik (vollständige Lösung von Dänemark).
Umschlaggestaltung und Karte Seite 5: Karlheinz Dobsky
L u x - L e s e b o g e n 99 ( E r d k u n d e ) - H e f t p r e i s 25 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, MurnauMünchen — Druck: Buchdruckerei Mühlberger, Augsburg
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DU und das TIER wird auch von, vielen Schulbehörden zur Ergänzung des Unterrichts wärmstens empfohlen: „Du und das Tier kann vorbehaltlos empfohlen werden, da sie dem Lehrer wertvolle Anregungen für den Naturkundeunterricht gibt und für die Schüler einen gediegenen Lesestoff enthält." Regierung von Oberbayern „Ich werde in der nächsten Schulrätekonferenz auf die Zeitschrift empfehlend hinweisen." Der Regierungspräsident in Kassel „Ich wünsche Ihren Bemühungen um die Anbahnung einer veredelten Haltung des Menschen gegenüber den Tieren den besten Erfolg und würde mich freuen, wenn es gelänge, die Zeitschrift „Du und das Tier" möglichst vielen Jugendlichen zugänglich zu machen. Dr. Fingerle, Stadtschulrat München
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