Vampire 15
Jagd auf den Verräter von D. C. Kenner Katrina Stein war wütend. Wie kann er es wagen, mich warten zu lasse...
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Vampire 15
Jagd auf den Verräter von D. C. Kenner Katrina Stein war wütend. Wie kann er es wagen, mich warten zu lassen?, fragte sie sich und sah sich um. Was glaubte der Kerl, mit wem er es zu tun hat? Die Vampirin verengte die Augen zu Schlitzen. Nervös befeuchtete sie ihre vollen, blutroten Lippen mit der Zunge. Ihr erwarteter Gesprächspartner war sehr alt und mächtig, verfügte über schier unvorstellbare Kräfte. Aber das war es nicht, was Katrina beunruhigte. Sein Name war Ryder Jackson. Er hatte Baron von Kradoc, den Herrscher der New Yorker Vampire, herausgefordert, und war dafür von diesem als vogelfrei erklärt worden. Sie dürfte eigentlich nicht mal mit ihm sprechen. Doch Jackson und sie hatten einen gemeinsamen Feind. Bruce Darkness! * Sie war die diplomatische Beraterin des Barons, und man ließ sie nicht warten. Schließlich war sie selbst schon absichtlich 15 Minuten zu spät gekommen, damit das nicht passierte. Wie kann er ..., überlegte sie, doch da vernahm sie plötzlich ein leises Rascheln hoch über sich in der Luft. Erschrocken wirbelte Katrina herum. Von oben sah sie einen Schatten, der rasch tiefer sank, und schließlich stand vor ihr ein alter Mann in lächerlicher Altherrenkleidung. Unter anderen Umständen hätte Katrina wegen dieser modischen Inkompetenz nur angewidert die Nase gerümpft, doch an diesem Mann war etwas, das sie zaudern ließ. In seinen Augen lag etwas, das die Stellvertreterin des Barons nur allzu gut kannte Machtgier! Katrina lächelte charmant. »Mr. Jackson?« Trotz ihres Unmuts über sein Zuspätkommen und seinen theatralischen Auftritt, hatte sie sich perfekt unter Kontrolle. Ihr Ton war liebenswürdig, so als würde sie mit einem hübschen jungen Mann flirten. Ein winziges Lächeln spielte um die verhärmten Lippen des Alten. »Genau der bin ich.« Er ergriff Katrinas ausgestreckte Hand und hauchte ihr einen KUSS auf den Handrücken. »Es ist mir ein wahres Vergnügen, Sie endlich einmal persönlich kennen zu lernen, Miss Stein!« Katrina mochte Jackson nicht. Trotz seiner Macht war er weit unter ihrem Niveau. Dieser Kerl hatte absolut keinen Stil. »Oh, Mr. Jackson, wie freundlich von Ihnen«, flötete sie trotzdem. »Auch ich habe mich schon seit langem auf unsere Begegnung gefreut.« Die Vampirin entzog ihre Hand seinem Griff. »Aber dennoch«, fuhr sie leise fort, »wäre ich in Anbetracht Ihres derzeitigen Status erfreut, wenn wir gleich zur Sache kämen ...« *
Mit einem Zischen schlossen sich die hydraulischen Türen des Hochgeschwindigkeitsaufzugs hinter Bruce Darkness. Ohne das geringste Ruckeln setzte sich die Kabine in Bewegung, um nicht einmal sechzig Sekunden später wieder zum Stehen zu kommen. Bruce stieg aus. Der dicke Teppich schluckte die Geräusche seine Schritte, als er in die nur schwach beleuchtete Eingangshalle trat. Kaum einer von den vielen Millionen Menschen die in New York lebten und Tag für Tag an diesem Gebäude vorbeiliefen wusste, wessen Hauptquartier sich in den obersten Etagen des Empire State Buildings befand. Und selbst wenn jemand den Namen des Besitzers hörte, wusste er nicht viel damit anzufangen. Dabei war Boris Baron von Kradoc der wirkliche Herrscher der Stadt! Es gab kaum ein Unternehmen, keinen Wirtschaftszweig, bei dem er nicht seine Finger im Spiel hatte. Alles, was für das Leben in New York von Bedeutung war, trug seinen Stempel. Keine Entscheidung - und sei sie noch so bedeutungslos - wurde getroffen, ohne dass er davon erfuhr. Doch gab es nur eine Handvoll Menschen, die überhaupt von seiner Existenz wussten, und selbst jenen blieb sein wahres Wesen verborgen. Der Baron hatte mehr Macht, als man sich vorstellen konnte. Selbst Bruce, sein Stellvertreter und die rechte Hand Kradocs, wusste nicht über alle Aktivitäten seines Chefs Bescheid. Und er wollte es auch nicht wissen. Der Baron arbeitete ständig daran, seine Macht zu erhalten und auszubauen. Bruce glaubte nicht, dass man dann noch Spaß haben konnte. In dieser Nacht suchte er den Baron nicht grundlos auf. Es ging um Ryder Jackson. Der alte, sehr mächtige Vampir hatte es gewagt, die Allmacht des Barons in Frage zu stellen. Und das gleich zweimal. Einmal, als er den Vampir Nick Marvey erst auf Bruce gehetzt und ihn dann vernichtet hatte. Und das nächste Mal, als er sich in einen Kampf zwischen Celestine Draven, der Vampirjägerin, und Bruce eingemischt hatte. Er hatte es ihr so ermöglicht, zu entkommen. Kradoc hatte dies nicht länger hinnehmen können. Er beherrschte die Stadt, weil er der Mächtigste war, nicht weil er seinen Untertanen so sympathisch war. Er konnte nicht dulden, dass irgendjemand seinen Herrschaftsanspruch in Frage stellte. Darum hatte er Ryder Jackson für vogelfrei erklärt, was bedeutete, dass er von wirklich jedem erwartete, den alten Vampir zu jagen und zu töten. Nun war Bruce hier, um seinen Herrn auf dem Laufenden zu halten. Nur leider gab es da nicht viel, das er dem Baron berichten konnte. Eigentlich gar nichts . . . Zielstrebig lenkte der Vampir seine Schritte durch das geräumige Foyer und trat in einen breiten Flur, welcher zum Vorzimmer des Büros seines Chefs führte. Der Vorraum lag verlassen da. Manchmal ging es hier zu wie in einem Taubenschlag, obwohl nur die wenigsten zum Baron vorgelassen wurden. Bruce war ganz froh darüber, dass es heute so ruhig war. Dann musste er sich wenigstens nicht mit Katrina Steins dummen Kommentaren herumschlagen. Sie hatte den vollendeten Körper und das Antlitz eines Engels, aber in ihrem Inneren war sie ein verbittertes, machtgieriges Biest. Wenn sie einmal richtig in Fahrt war, konnte sie Bruce mit ihren Sticheleien zum Wahnsinn treiben. Doch er wollte sich jetzt die Nacht nicht mit dem Gedanken an Katrina versauen. Es gab wirklich Wichtigeres zu tun! Kradocs Büro war voll von Gegensätzen. Altes gemischt mit Modernem. So standen
auf seinem schweren, mit exquisiten Schnitzarbeiten versehenen Mahagonischreibtisch ein ultramodernes Telefon, Fax, Computer und Drucker. Der Baron von Kradoc, der einen blutroten hochgeschnittenen Gehrock mit Stehkragen und spitzem Revers trug, saß hinter seinem Schreibtisch und studierte gerade aufmerksam eine Datei auf seinem Monitor, als Bruce das Büro betrat. Als er die Anwesenheit seines Stellvertreters bemerkt, blickte er auf und nickte diesem knapp zu. Bruce war sich sicher, dass der Baron schon gewusst hatte, dass er da war, als er den Fahrstuhl verlassen hatte. Aber wenn sein Chef ihn erst mal ignorierte, dann war das wohl sein Recht. »Gut, dass du da bist«, sagte Kradoc. »Gibt es Neuigkeiten bezüglich Jackson?« Er kam direkt zur Sache, so wie Bruce ihn kannte. Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Nein, Herr. Seit unserem letzten Zusammentreffen habe ich nichts mehr von ihm gehört. Scheint untergetaucht zu sein. « »Daran glaube ich nicht.« Kradoc legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Dafür ist er zu arrogant. Er plant etwas, und ich bin mir sicher, dass mir das nicht gefällt. Jackson ist gefährlich. Außerdem schadet es meinem Ruf, wenn er, nachdem ich die Jagd auf ihn ausgerufen habe, noch lange weiterexistiert. Ich erwarte, dass du diese Angelegenheit schnell erledigst.« »Ja, Herr!«, antwortete Bruce. »Mir ist sehr wohl bewusst, dass du dich lieber auf die Suche nach Celestine Draven begeben würdest, Bruce. Zumal sie bereits wieder zugeschlagen hat, wie du sicher gehört hast.« »Nein . . . äh, ja.« Bruce stockte einen Moment. »Ich meine, natürlich würde ich Draven gerne endlich zur Strecke bringen, aber ich sehe ein, dass Jackson Vorrang hat. Und natürlich habe ich gehört, dass sie wieder zugeschlagen hat. Curt Wheeler hats erwischt. Bin gespannt, wer sich jetzt um die illegalen Wetten kümmern wird.« »Gut«, sagte Kradoc. »Dann will ich dich nicht länger aufhalten. Finde Ryder Jackson!« »Okay!« Bruce erhob sich und verließ das Büro seines Chefs. Draußen auf dem Flur hielt er kurz inne. Also erst Jackson, dann Draven, dachte er. Zuerst die Bedrohung für das Ansehen des Barons beseitigen, und dann die Bedrohung für die Existenz irgendwelcher nicht so mächtigere Vampire. Bruce grinste. Das war ja klar ... * Celestine Draven stand der jungen, äußerst hübschen Frau gegenüber und sah ihr tief in die Augen. Draven würde das Girl töten, es vernichten, denn es war kein Mensch, der ihr da gegenüberstand - sondern ein Vampir! So schön die junge Frau auch war, innerlich hatte sie nichts von dieser Schönheit, sondern war nur eine Blut saugende Bestie ... In Dravens rechter Hand steckte eine Machete, doch noch benutzte sie die Waffe nicht. Sie wollte sich noch einen Augenblick an der Angst ergötzen, die dem Girl im Gesicht geschrieben stand. »Bitte«, sagte die Vampirin, »lass mich gehen, ja?« Draven lachte heiser. Gehen lassen! Wovon träumte die Kleine tagsüber? Vampire
waren doch einfach zu dumm! Manche dachten nur mit ihren Fäusten, andere waren hochintelligent, dafür körperlich schwach. Ob die Kleine hier intelligent war, wusste Draven nicht, aber sie war schwach und ganz sicher keine Kämpferin. Gut so!, dachte Draven. Das macht mir die ganze Sache sehr leicht. Mit diesem Gedanken hob sie die Machete, verengte die Augen zu Schlitzen und ließ gleich darauf ihren Arm von rechts nach links sausen. Die Vampirin schrie noch einmal auf, doch dann erstickte ihr Schrei. Die Klinge hatte ihr zischend den Kopf vom Rumpf getrennt. Der Schädel purzelte dumpf auf den Boden und der kopflose Körper sackte in sich zusammen. Wenn es doch immer so einfach wäre ... Draven wischte das Blut von der Klinge und ließ die Waffe anschließend in ihrem Kampfrucksack verschwinden. Dann wandte sie sich von der langsam verrottenden Frauenleiche ab und ging fort. Sie hatte kein besonderes Ziel, streifte einfach nur durch die Nacht. Dabei sog sie immer wieder gierig die frische Luft in sich ein. Nach einer Weile spürte sie die Veränderung. Zuerst wusste sie nicht, ob sie es sich nicht bloß einbildete, doch dann war sie sicher, dass sich der Dämon in ihr zurückzog. Für kurze Zeit war sie nun frei. Frei von dem Dämon, der die Macht über sie gewonnen hatte. Dies war eine der seltenen Gelegenheiten, über all das nachzudenken, was ihr in der letzten Zeit widerfahren war. Meistens war die menschliche Seite tief in ihr verborgen und schlummerte sozusagen, während der Dämon, der in ihr hauste, ihr Handeln bestimmte. Wenn sie hin und wieder noch einmal Mensch war und an vergangene Zeiten dachte, wurde sie traurig. Unendlich traurig. Sie hatte alles verloren, das ihr früher einmal etwas bedeutet hatte. Ihre Eltern waren schon vor langer Zeit gestorben, sie war damals noch ein Kind gewesen. Erst Jahre später hatte sie herausgefunden, dass es Vampire gewesen waren, die das Ehepaar auf dem Gewissen hatten. Zunächst hatte sich alles in ihr gesträubt, auch nur an die Möglichkeit zu glauben, dass es Wesen wie Vampire überhaupt geben konnte. Doch dann war ihr Steward Carter begegnet und hatte ihr gezeigt, dass Vampire tatsächlich existierten. Steward war ein Vampirjäger ... Von ihm hatte sie gelernt, wie sie diese elenden Blutsauger aufspüren und vernichten konnte. Er hatte ihr die Möglichkeit gegeben, ihrem Hass Luft zu machen. Als Steward Carter starb, nahm er ihr das Versprechen ab, sein Lebenswerk fortzuführen. Wenig später tauchte die Mutter des alten Mannes auf. Durch ihre Hilfe gelangte eine Waffe in Celestines Hände, mit der sie die Möglichkeit erhielt, es wirklich mit den Kreaturen der Nacht aufzunehmen. Sie verbündete sich mit einem Dämon! Von da an konnte sie niemand mehr aufhalten - bis sie eines Tages auf den Vampir Bruce Darkness traf. Draven wusste nicht, wie das möglich war, aber er war ihr bislang gefährlichster Gegner. Sie hatte schon viele Vampire vernichtet. Ältere. Mächtigere. Klügere. Doch diesen Darkness hatte sie nicht besiegen können. Dazu kam seine nervenaufreibende Art. Er schien ihren Kampf als ein Spiel zu betrachten. Er nahm die Vampirjägerin nicht ernst! In einem ihrer Kämpfe mit Bruce war Celestines Schwester Jessica gestorben. Es war ein schrecklicher Unfall, trotzdem war sie - Celestine - dafür verantwortlich.
Zwar hatte sie unter der Kontrolle des Dämons in ihr gestanden, doch das war für sie keine Entschuldigung. Darum hatte sie auch das Angebot von Edith Carter, Stewards Mutter, angenommen, den Dämon wieder zu vertreiben. Doch die alte Frau hatte Celestine verraten. Sie war selbst ein Dämon und hatte sich nun ebenfalls in Dravens Innerem eingenistet. Seither war Celestine nicht mehr Herrin über ihren eigenen Körper. Der Dämon hatte nahezu komplett die Kontrolle übernommen und es gab nur noch wenige Gelegenheiten, wie diese heute Nacht, in denen Celestine einmal ganz sie selbst sein konnte. Noch immer wurde sie von dem Gedanken beherrscht, Bruce Darkness zu vernichten. Dies war es, was sie Tag für Tag und Nacht für Nacht antrieb. Sie hatte sich mit dem gefallenen Engel Babriel verbündet, der ihr noch mehr Kraft gegeben hatte. Und diese Kraft würde sie nutzen. Wenn Bruce Darkness nicht gewesen wäre, wäre ihre Schwester nicht gestorben. Sie würde Bruce Darkness für Jessicas Tod büßen lassen, denn sonst gab es nichts mehr in ihrem Leben, das lebenswert war. Und sie würde ihre Rache bekommen! Sie sollte ihre Seele nicht umsonst dem Teufel verschrieben haben . . . * Kyle stand vor seinem Opfer. Die Obdachlose kauerte auf der schmutzigen Erde und wimmerte. Dabei hatte der vor ihr aufragende Mann noch gar nichts getan. Der rollte die Schultern, ließ die Knöchel knacken. Kyle Manners, gekleidet in Jeans, Fransenhemd, Cowboystiefel und Cowboyhut, blickte auf die am Boden Liegende herab. »Okay«, sagte der Cowboy, »hast du was gesehen, oder nicht?« »B ... bitte, Sir, ich sage Ihnen ja die Wahrheit, aber die werden Sie mir kaum glauben!« »Versuchs!« »Also ... Ja, ich habe Ihre Freundin gesehen. Sie ist zusammengeschlagen worden.« Kyle zog die rechte Augenbraue hoch. »Von wem?« »Eine Frau, rote, verfilzte Haare, enge Klamotten. ..« Der Cowboy fluchte. »Weiter!«, befahl er, als er sich wieder gefasst hatte. Die Frau, die vor ihm auf der Erde saß - Kyle konnte ihr Alter nicht einmal schätzen - gehorchte. »Die Rothaarige hatte plötzlich ein riesiges Messer in der Hand, dann hat sie dem Mädchen den Kopf abgeschlagen. Einfach so. Es . ..« Die Obdachlose zögerte. »Als die Rothaarige gegangen war, hab ich mich hingetraut. Aber da war keine Leiche, nur ihre Klamotten.« Kyle nickte langsam. Die Frau blickte ihn ängstlich an. Würde er ihr glauben? Der Cowboy griff in die linke Gesäßtasche und zog einen zerknüllten 10-DollarSchein hervor. Den warf er ihr zu. »Danke«, murmelte er. Dann wandte er sich ab und stapfte die Straße hinab. Verdammt, dachte Kyle, warum Sandy. Sie hatte doch keinem was getan. Warum musste diese elende Vampirjägerin Draven ausgerechnet meine Freundin umbringen! Kyle weinte nicht. Vampire, wie er einer war, weinten ohnehin so gut wie nie.
Er ging zu seinem alten Ford Mustang und setzte sich hinters Steuer. Eine Weile saß er regungslos da, dachte nach. Schließlich fasste er einen Entschluss. Er öffnete das Handschuhfach und holte seinen Revolver hervor. Es war natürlich nicht sein alter Colt Peacemaker, der war schon lange hinüber. Es war ein nagelneuer 45er, den Kyle erst einmal benutzt hatte. Damals hatte er einem Zuhälter eine Kugel in den Bauch gejagt, der tatsächlich meinte, eines seiner Mädchen würde ihm gehören. Aber Sandy war niemand, den man besitzen konnte. Das hatte Kyle ihm damals ziemlich deutlich erklärt. Jetzt würde er die Waffe wieder benutzten ... Wieder würde er mit ihr einen Menschen töten . . . Aus Rache für Sandy! Sandy... Jetzt rann doch eine einzelne blutige Träne seine Wange herab ... * »Na, na, Bruce, willst du dich nicht ein wenig freundlicher und ausgiebiger von mir verabschieden?« Katrina Stein lächelte spöttisch und sah Bruce Darkness erwartungsvoll an. Der seufzte innerlich. Er war auf dem Weg zum Aufzug, um das Empire State Building zu verlassen, aber natürlich kam er mal wieder nicht davon, ohne Katrina über den Weg zu laufen. Da stand sie jetzt also wieder in all ihrer Pracht vor ihm und bedachte ihn wie meistens eines ziemlich herablassenden Blickes. Katrina Stein, wie ich sie kenne und liebe!, dachte Bruce. Gleich muss ich kotzen. Er verdrehte nun genervt die Augen. »Du weißt doch, Katrina, solange ich der Stellvertreter des Barons bin, und du nicht, habe ich wenig Zeit für Small-talk. Also kann ich mich leider nicht um dich kümmern, auch auf die Gefahr hin, dass ich dir damit das Herz breche.« »Ach, Brucie, du weißt doch, dass ich die Erste wäre, die vor Freude tanzen würde, wenn du auf ewig verschwinden würdest.« Bruce wandte sich ab. »Nerv nicht!« Er ging auf den Fahrstuhl zu. »Leb wohl, Bruce. Obwohl. . .« Sie machte eine genau kalkulierte Pause. »Obwohl ich etwas weiß, was dich vielleicht interessieren könnte.« Bruce drehte sich um. »Und was soll das sein?«, fragte er in einem ungeduldigen Tonfall. Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu, schwieg aber. Misstrauisch blickte der Stellvertreter des Barons sie an. Er traute Katrina nicht über den Weg, daraus machte er keinen Hehl, aber er besaß auch eine gesunde Neugier. » Also?« Katrina lächelte. »Nun«, sagte sie gedehnt, »es geht um einen alten Freund von dir. Die Betonung liegt auf alt.« »Jackson!« »Ganz recht. Was bekomme ich denn, wenn ich dir sage, wo er ist?« Bruce zuckte mit den Schultern. »Nichts.« »Dann werde ich auch nichts sagen.« »Auch gut. Dann willst du ihn also selbst erledigen, ja? Denn du weißt ja - Jackson ist vogelfrei. Also möchtest du mir entweder helfen, ihn zu erwischen, oder ihn selbst vernichten.« Bruce lächelte jetzt, doch seine Stimme wurde zu einem Knurren. »Also spucks aus.« »He, sei doch nicht so grob!« »Katrina, Mäuschen, ich habe die Erlaubnis vom Baron, jeden
zusammenzufalten, der bei meiner Suche nach Jackson nicht mit mir zusammenarbeitet.« Bruce ballte die Fäuste in seinen Nietenhandschuhen. »Bitte, sag, dass du mir nicht helfen möchtest.« Er grinste bösartig. Und Katrina redete ... * Ryder Jackson wusste, dass er gesucht wurde. Gesucht von Bruce Darkness! Im Auftrag des Barons von Kradoc war der junge Vampir hinter ihm her, um ihn zu vernichten. Vieles war anders gelaufen, als Jackson es sich gewünscht hatte. Eigentlich, ganz zu Anfang, hatte er mit dem Gedanken gespielt, Darkness auf seine Seite zu bringen. Doch Bruce war seinem Herrn treu ergeben. Außerdem hatte sich einiges geändert, so dass Jackson nun lieber im Alleingang weiter vorgehen wollte. Sollte Darkness ruhig kommen, Jackson würde ihn vernichten, kaum dass der Stellvertreter des Barons bemerkt hatte, wem er gegenüberstand. Und dann würde er sich Kradoc vorknöpfen. Er würde noch bereuen, dass er einen seiner Schergen losgeschickt hatte, um ihn - Jackson - zu vernichten! Die Zeit, in der er sich aus allem heraushalten wollte, war vorbei. Endgültig! Kradoc hatte den größten Fehler seines Lebens gemacht, indem er seinem Stellvertreter den Auftrag gegeben hatte, ihn - Jackson - zu vernichten. Jetzt würde er den Spieß umdrehen. Er würde Kradoc vernichten! Und sobald der Baron erledigt war, würde sich im Leben der New Yorker Vampire einiges grundlegend verändern. Denn von da an würden sie einen neuen Herrn haben, und dieser neue Herr würde er sein. Ryder Jackson! Der alte, mächtige Vampir schloss für einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, lag ein triumphierender Glanz in den schmalen, schwarzen Pupillen. Bald würde er der mächtigste Vampir New Yorks sein ... Es war ein glücklicher Zufall gewesen, dass Katrina Stein, die politische Beraterin des Barons von Kradoc, ihn um ein Treffen gebeten hatte. Kradoc ist so arrogant!, dachte Jackson. Natürlich hatte sie längst gewusst, dass er vogelfrei war. Aber die Vampirin hasste Bruce Darkness, und deshalb hatte sie Jackson gewarnt. Sie wollte, dass er vorbereitet war, damit er den jungen Vampir vernichten konnte. Sie glaubte, dann die rechte Hand, die wichtigste Mitarbeiterin des Barons zu werden. Diese Frau ist dumm! Jackson grinste hässlich. Für einige Zeit würde sich ihr Wunsch auch sicher erfüllen, aber sie hatte ja keine Ahnung, dass bald auch Kradoc dran glauben musste. Und wenn Jackson erst einmal der neue Herrscher der New Yorker Vampire war, dann würde sich Katrina Stein wünschen, niemals mit ihm, Jackson, gegen Bruce Darkness intrigiert zu haben, denn er mochte keine Verräter. Ryder Jackson war zuversichtlich, dass alles, so funktionierte, wie er es plante. Er warf einen kurzen Blick auf seine goldene Taschenuhr. Nicht mehr lange, und Darkness würde hier in der Absicht aufkreuzen, Jackson zu überrumpeln und zu vernichten. Der Kerl war ja so naiv ... Fast, aber nur fast hatte Jackson ein kleines bisschen Mitleid mit Bruce, denn der junge Vampir war ihm einmal recht sympathisch gewesen. Aber das zählte jetzt nicht mehr. Das war Vergangenheit und jetzt galt es, diese
hinter sich zu lassen und nur noch in die Zukunft zu blicken. Und was die Zukunft bringen würde, war für Ryder Jackson klar: Bruce Darkness würde sterben. Noch in dieser Nacht. . . * Kaum dass Katrina Stein ihm den Aufenthaltsort von Ryder Jackson genannt hatte war Bruce Darkness losgejagt! Nun saß er auf seiner Harley und brauste durch die nächtlichen Straßen New Yorks. Die Sicht war schlecht, feiner Nieselregen fiel vom Himmel, Wolken verdeckten den Mond und sogar ein wenig Nebel hatte sich gebildet, dessen Schwaden sich wie knöcherne Finger um alles legten, was ihnen in den Weg kam. Bruces Ziel war ein altes Industriegelände. Wenn er Katrina wirklich Glauben schenken konnte, hatte sich Jackson dort verschanzt. Bruce sauste eine breite Hauptstraße entlang und jagte über eine rote Ampel. Drei Motorradfahrer kamen von rechts. Da sie grün hatten, hatten sie natürlich geglaubt, freie Fahrt zu haben. Im letzten Moment sahen sie Bruce, gingen scharf in die Eisen und wichen aus. Sie gerieten auf der nassen Fahrbahn in Schleudern, konnte ihre Maschinen nicht mehr halten. Krachend kippten sie um. Bruce hörte ihr Fluchen noch von weitem. Doch nicht nur das. Er hörte auch, wie sie ihre Maschinen wieder in Gang brachten und kurze Zeit später sah er im Rückspiegel, wie sie hinter ihm her heizten. »Scheiße, jetzt hab ich die auch noch am Hals!«, fluchte der Vampir. Erst wollte er noch mehr auf die Tube drücken, um die Verfolger abzuhängen, dann aber überlegte er es sich anders. Wenn ich mich kurz mit ihnen auseinander setze, bin ich sie vermutlich schneller los, als wenn ich versuche, sie abzuhängen, dachte der Stellvertreter des Barons und drosselte das Tempo. Er bog in eine Seitenstraße ein, erblickte nach kurzer Zeit eine Hofeinfahrt und fuhr hinein. Dann stoppte er die Maschine und stieg ab. Kurz sah er sich um. Es war ein kleiner, schwach beleuchteter Garagenhof. Hier und da standen überlaufende Mülltonnen und auch sonst lag eine ganze Menge Dreck und Schrott herum. Da kamen auch schon die drei Typen angerast. Sie fuhren auf Bruce zu, stoppten dann mit quietschenden Reifen dicht vor ihm und stiegen von ihrem Maschinen. Die Kerle waren ebenso wie Bruce ganz in Leder gekleidet. Als sie nun ihre Helme abnahmen, erkannte der Vampir, dass sie allesamt ziemlich ungepflegte Gesichter hatten. Vom Rasieren hielten sie ganz offensichtlich gar nichts. Zwar trugen sie keine Vollbärte, aber es kam dem schon ziemlich nahe. Wasser und Seife ließen sie anscheinend auch nicht allzu häufig an ihre Haut. »Ende der Fahrt, Rambo!«, sagte nun einer der Drei und kam auf Bruce zu. Der Typ war ziemlich bullig und hatte eine auffällige Hakennase. Noch auffälliger war aber der dicke silberne Ring, der durch die Nase gezogen war. »Jetzt haben wir dich!« Bruce musste sich ein Grinsen verkneifen. Die Kerle glaubten wirklich, ihn eingeholt zu haben! Waren die so doof oder taten sie nur so? »Ach, tatsächlich?«, gab Bruce unbeeindruckt zurück. Der Nasenringträger schielte ihn schlitzäugig an. »Na, das siehste doch wohl, oder
nicht?« »Hau dem mal 'n paar an die Birne, Jock. Dann weiß er, was Sache ist!«, schrie nun der Typ neben ihm. Er war etwas kleiner als Jock, trug auch keinen Nasenring, dafür aber entdeckte Bruce, dass seine Zunge gespalten war. »Genau, Jock! Hau ihn wech!« Dieser Ausruf kam vom Dritten. Überall hatte er Pusteln im Gesicht und Ringe unter den Augen so schwarz wie die Nacht. Außerdem hatte er lange Hasenzähne. »Wenn ihr mich umhauen wollt, solltet ihr euch schon mal ein Plätzchen auf dem Friedhof reservieren, Jungs«, meinte Bruce kalt. Als sie registriert hatten, was er sagte, rissen die drei Männer ungläubig die Augen auf und sahen ihn irritiert an. »Was hat der Spinner gesagt, Rick?«, fragte Jock seinen Kumpel. Beide hoben die Schultern. »Ich hab da irgendwas von 'nem Friedhof oder so gehört«, brummelte der mit der gespaltenen Zunge. »Ja, so was hab ich auch verstanden«, nickte Hasenzahn. Drohenden Schrittes kam Jock, der sich wohl als Anführer der Drei verstand, nun auf Bruce zu. Als der nicht zurückwich, machte er vor Überraschung große Augen. »Kommst dir wohl verdammt stark vor, was?«, fragte er Jock lauernd und ballte die rechte Hand zur Faust. Bruce blieb gelassen. »Klar, warum auch nicht?« In dem Moment holte Jock bereits aus. Seine Faust schnellte auf Bruce zu. Der Vampir duckte sich ab, der Schlag ging ins Leere. In dem Moment, in dem die Faust über seinem Kopf hinwegschoss, stieß Bruce seinen Kopf leicht in die Magengrube des Angreifers und rammte den Kerl nach hinten. Der Typ flog einige Yards zurück, verlor das Gleichgewicht und landete mit dem Rücken im Dreck. Er schrie vor Wut. Bruce registrierte, dass seine Kumpane eingreifen wollten, doch Jock pfiff sie zurück. »Der gehört mir!«, brüllte er zornig und brachte sich wieder auf die Beine. »Wenn ich mit dem fertig bin, wird er sich wünschen, uns nie über den Weg gelaufen zu sein! « Mit einem Satz war der Kerl wieder bei Bruce. Wieder ließ er seine Faust vorschnellen. Doch Bruce fing den Schlag gelassen ab. Jocks Faust landete direkt in der offenen Linken des Vampirs. Knochen knackten, als Bruce zudrückte. Laut jaulte sein Gegner vor Schmerz auf. »Oh, Shit, der Dreckskerl bricht mir die Hand!« »Ich brech dir gleich noch was anderes«, murmelte Bruce. Mit diesen Worten packte er Jock mit der Rechten an der Kehle und hob ihn hoch. Der Kerl strampelte nach Atem ringend, röchelnd mit den Beinen. Endlich kamen seine beiden Kumpane auf die Idee, ihrem Freund zu helfen. Doch für den war es bereits zu spät. Beiläufig wurde er von dem Vampir in eine Ecke geschleudert, sein Kehlkopf war zerquetscht. Schlangenzunge hatte irgendwoher ein großes Messer herbeigezaubert, stieß damit auf Bruce ein, während Hasenzahn eine großkalibrige Pistole unter seiner Jacke hervorriss und anlegte - doch sein Messer schwingender Freund stand im Weg. Schlangenzunge versuchte, dem Vampir die Klinge in den Bauch zu rammen. Doch Bruce packte den Klingenarm mit beiden Händen, brach ihn, drehte ihn
mitsamt der Waffe herum und rammte dem Kerl sein eigenes Messer in den Wanst. Schlangenzunges Augen weiteten sich entsetzt, als er registrierte, was geschehen war. Doch er kam nicht zum Schreien. Der Vampir riss die Klinge hoch und bohrte sie in das Herz seines Opfers. Wortlos brach der Kerl zusammen. Da ertönte ein Schuss. Bruce wurde voll in die Brust getroffen und taumelte einen Schritt zurück. Wieder und wieder krachte die Automatik, die der Hasenzähnige in den verschwitzten Händen hielt. Bruce wurde zurückgetrieben, prallte gegen die Wand und sank daran herab. Es klickte. Das Magazin war leer. Der Letzte der drei Biker starrte auf die Szenerie. Da lagen seine Freunde. Beide waren offensichtlich tot. Und dort... Der Hasenzähnige glaubte seinen Augen nicht zu trauen - der Fremde erhob sich. Er wankte zwar, aber er stemmte sich an der Wand hoch. Kaum war er auf den Beinen, befühlte er seinen Oberkörper. Sechzehn Kugeln!, dachte Hasenzahn entsetzt. Ich habe ihn sechzehnmal getroffen . .. Ich habe das Blut spritzen sehen! Der Fremde kam auf ihn zu. Der Hasenzähnige wollte sich umdrehen, wollte weglaufen, fliehen ... Doch es war zu spät. . . * Kyle schlug zu. »Rede!«, rief er. Der Geschlagene, ein kleines Männchen mit auffällig spitzen Ohren und langen Schneidezähnen, krümmte sich japsend zusammen. »Ich weiß doch nichts!«, stöhnte er. Der Cowboy schüttelte den Kopf. »Falsche Antwort.« Trotzdem hielt er im Schlag inne. Es tat ihm sowieso Leid, dass es so weit gekommen war, aber Binx, so nannte sich der Kleine, war von Anfang an nicht zur Zusammenarbeit bereit gewesen. »Wer weiß dann was?«, fragte Kyle. »Es ... es gibt da jemanden, der was wissen könnte, aber . . .« »Gut, gehen wir«, unterbrach der Cowboy seinen Gegenüber. »Das ist vielleicht keine so gute Idee. Er...« »Los jetzt!« Und Binx fügte sich. Er führte den Cowboy durch einige enge Gassen, schließlich blieb er bei einem Gully stehen und wuchtete den Deckel zur Seite. Kyle rümpfte die Nase, als er den ihm entgegenschlagenden Gestank bemerkte, sagte jedoch nichts. Schweigend folgte er Binx in die Kanalisation. In der Dunkelheit leuchteten die Augen des Vampirs blassgelb. Er konnte im Dunkeln hervorragend sehen. Daher sah er auch sofort die drei muskelbepackten Gestalten, hinter denen sich das kleine Männlein gerade verkroch. »Oh, Binx«, stöhnte Kyle. »Ich wollte doch nur eine Information.« »Ich arbeite nicht für Vampire. Ich dachte, das wüsstest du!« Der Kleine kicherte hässlich. Der Cowboy sprang den letzten Meter von der Leiter zu Boden. Noch bevor er auf
den Boden aufkam, hatte er seinen 45er hervorgerissen und hielt ihn in Hüfthöhe auf die drei Gestalten. Erst jetzt betrachtete er sie genauer. Orks!, war das erste, was ihm in den Sinn kam. Seit er »Herr der Ringe« im Kino gesehen hatte, verglich er unwillkürlich alle Bodybuilder-Typen mit fliehender Stirn und blutgierigen Augen mit diesen Viechern. Sie alle trugen nur zerfetzte Jeans unbestimmbarer Farbe und sonst nichts. »Ist das hier ein Barbarentreff?«, höhnte Kyle. Passend zu dieser Einschätzung knurrte der Kerl in der Mitte und sprang vor. Kyle schoß, laut hallte der Knall durch den Tunnel. Der Schläger wurde zurückgeworfen, alle viere von sich gestreckt, klatschte er rückwärts ins brackige Wasser. Zu Kyles Pech waren die beiden Kumpane des Angeschossenen ihrem Anführer sofort hinterher gestürmt. Schon hatten sie den Cowboy erreicht. Der Linke schlug den Revolver zur Seite, während der Rechte seine Faust in Kyles Magen pflanzte. Der klappte zusammen, wurde nun ebenfalls nach hinten geschleudert. Er taumelte, stürzte aber nicht. Als der Cowboy sich wieder gefangen hatte, ballte er die Hände zu Fäusten. Seine Waffe lag irgendwo im Wasser. »Dafür wirst du büßen, Binx!«, zischte er. »Dazu wird es nicht kommen!«, rief das Männlein triumphierend. »Du bist schon so gut wie tot.« »Ich bin tot!« Mit diesen Worten sprang Kyle vor, rammte dem einen der Schläger die Faust auf die Nase, während er nach dem anderen trat. Sein Hieb traf voll. Blut spritzte hervor, der Getroffene verdrehte die Augen und ging jaulend zu Boden. Kyles Tritt war nicht so erfolgreich. Der Letzte der drei Schläger hatte es geschafft, den Knöchel des Cowboys zu packen. Jetzt riss er ihn herum, verdrehte ihn. Kyle schrie vor Schmerz auf, hatte keine andere Wahl, als sich mit herumzuwerfen. Klatschend landete er im Wasser. Der Schläger hatte seinen Fuß noch nicht losgelassen, sondern drehte und riss weiter daran herum. Um sich schlagend zappelte der Cowboy im Wasser. Zwar konnte er nicht ertrinken, doch das ständige herumwirbeln raubte ihm die Orientierung. Plötzlich berührte seine Rechte etwas Metallisches, instinktiv griff er zu. Es war sein 45er! Kyle richtete ihn irgendwo in Richtung seiner Füße, hoffte dass er sich nicht selbst anschoss, dass die Waffe überhaupt funktionierte - und dass sie ihm nicht in der Hand explodierte. Er drückte ab. Schlagartig kam sein Fuß frei. Strampelnd kam der Cowboy auf die Beine, wischte sich das Wasser aus den Augen. An der Tunnelwand kauerte sein Gegner und starrte ihn aus großen Augen an, seine Hände fest auf seinen Bauch gepresst. Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch. Kyle hörte sich entfernende, hektische Schritte, die durchs Wasser platschten. Binx!, durchfuhr es ihn. Sofort sprintete er hinterher. Es war kein Problem für ihn, den Flüchtigen einzuholen. Schon bald sah er ihn den dunklen Tunnel entlang hetzen. Kyles gelb glimmende Augen durchdrangen mühelos die Dunkelheit.
»Bleib stehen, Binx!«, rief er. Doch der kleine Mann reagierte nicht, rannte einfach weiter. Augenblicke später hatte Kyle ihn eingeholt und stieß ihm die flache Hand in den Rücken. Binx kam aus den Tritt, stolperte und stürzte zu Boden. Der Cowboy starrte wütend auf ihn hinab. »Redest du jetzt?« Seine Augen glühten unheilvoll. Seine Rechte umklammerte noch immer den Revolver, die Linke war zur Faust geballt. Und Binx redete . . . * Celestine Draven war wieder auf der Jagd. Auf der Jagd nach Bruce Darkness! Der letzte Rest Menschlichkeit in ihr hatte sich wieder zurückgezogen, und nun war sie nur noch von einem einzigen Gedanken beherrscht - sie würde diesen elenden Blutsauger ein für allemal zur Hölle zu schicken! Sie hatte keine Ahnung, wo der Vampir stecken konnte, doch es gab einige Orte in der Stadt, wo man relativ häufig Vampire antraf. Einer dieser Orte war der Club Daemonique. Hier suchten sie nach Opfern, hier saugten sie diesen Opfern das Blut aus den Adern, um ihre unbändige Gier zu stillen. Auch Darkness war oft hier, das wusste sie, und obwohl sie nicht daran glaubte, wirklich so viel Glück zu haben, ihn ausgerechnet jetzt hier zu finden, versuchte sie ihr Glück. In dem Szeneclub war eine Menge los. Zahllose Gothics hielten sich hier auf. Es war ein Meer aus schwarzer Kleidung, Samt und Seide. Punks oder »Normales« waren hier eher seltener zu sehen, so dass Draven mit ihrem feuerroten Haar, den zerrissenen Blue Jeans und dem knappen Top ziemlich auffiel. »He, Puppe, Bock auf 'ne geile Nummer?«, hörte sie die Frage eines großen Typs in schwarzem Umhang, als sie sich durch die Tanzfläche gewühlt hatte und nun auf den Hinterausgang zusteuerte. »Ich hab ganz schön was zu bieten, wirst schon sehen . . .« Sie beachtete ihn nicht weiter. Mit solchen Subjekten verschwendete sie doch nicht ihre Zeit! Minuten später trat die Vampirjägerin durch den Hinterausgang ins Freie. Drinnen hatte sie Darkness nirgends entdecken können, aber vielleicht hatte sie ja Glück und er war hier draußen. Konnte schließlich möglich sein, dass er ein Opfer mit auf den Hinterhof geschleppt hatte, um ungestört seine »Mahlzeit« einzunehmen ... Sie klammerte sich an einen dünnen Strohhalm, das war ihr klar. Aber sie hatte schon viel erlebt und sie wusste, dass es manchmal Zufälle im Leben gab, von denen man nicht einmal zu träumen wagte. Kühler Nachtwind schlug Celestine entgegen. Forschend sah sie sich um. Der fahle Schein des Mondes erhellte schwach den schmuddeligen Hinterhof. Überall überlaufende Mülltonnen und massenweise herumliegende Müllsäcke. Es stank bestialisch. Nicht nur nach Müll, sondern auch nach Urin, Erbrochenem und auch nach Hunde- und Katzenkot. Ekelerregend ... Draven ging etwas weiter vor. Nichts war zu sehen. Wie es schien, hielt sich niemand hier auf . . . Alles war still. Totenstill.
Sie wollte sich umdrehen und wieder in den Club gehen. Doch . . . Was war das? Sie hatte etwas gehört. Es hatte geklungen wie ein leises Stöhnen - oder auch ein unterdrückter Schrei? So ganz hatte sie es nicht identifizieren können, aber sie war sicher, dass das Geräusch von weiter vorn gekommen war. Rasch ging Draven um einige Mülltonnen herum und erreichte einen Teil des Hofes, den sie vorhin nicht hatte einsehen können. Und da sah sie die zwei Personen! Sie standen in einer Ecke. Ein Pärchen. Der Mann beugte sich gerade über die Frau. Draven konnte ihn nur von der Seite her sehen, aber was sie sah, ließ sie zusammenzucken. Der Kerl war etwa l Meter 80 groß, durchtrainiert und trug schwarze Lederklamotten. Sein Haar war kurz und ebenfalls schwarz. Darkness!, schoss es ihr durch den Kopf. Der Bastard macht sich gerade über ein neues Opfer her! Noch im selben Augenblick stürmte sie los ... * Jason Storm kam bei den Frauen verdammt gut an! Kein Wunder, denn er war groß, muskulös und sah ziemlich gut aus. Es half natürlich auch, dass er ein Vampir war, dessen übernatürlichen Fähigkeiten keine Frau widerstehen konnte. Storm bevorzugte junges, frisches Blut. Und die Hülle sollte natürlich auch recht anziehend sein, schließlich isst das Auge ja mit. . . Jetzt hatte er wieder so ein Opfer am Haken. Die Kleine hieß Sheila und sie sah wirklich gut aus! Zierlich gebaut, hübsche kleine Brüste und ein knackiger Po. Und wie willig sie war .. . Storm hatte sie, gleich nachdem er sie auf der Tanzfläche des Club Daemonique erspäht hatte, angesprochen, und sie schien auch sofort sehr angetan von ihm gewesen zu sein. Kein Wunder bei seinen Fähigkeiten. Seit er untot war, brauchte er das Ziel seiner Begierde nur anzulächeln, und immer war sie ihm danach verfallen. Ihre Augen waren ganz groß geworden, als sie ihn so unauffällig wie möglich gemustert hatte und es war nicht zu übersehen gewesen, dass sie in Storm den Mann ihrer Träume sah. Nun, das war nichts Neues für den Vampir. Als Storm die süße Sheila gefragt hatte, ob sie Lust hätte, sich mit ihm in eine ruhige Ecke zurückzuziehen, hatte sie nicht lange gezögert, sondern war sofort mit ihm gegangen. Nun befanden sie sich in dem schmuddeligen Hinterhof des Clubs. Keine schöne Umgebung, sicher. Aber hier waren sie zumindest ungestört und konnten machen was sie wollten, ohne beobachtet zu werden. Was Sheila wollte, machte die Kleine auch sofort deutlich. Wild öffnete sie Storms Mantel und bekam erneut große Augen, als sie sah, dass der darunter gar nichts trug, nicht einmal ein T-Shirt. Ihr Blick klebte förmlich an seinem gut gebauten Oberkörper fest. Hingebungsvoll küsste sie seine Brust, und so merkte sie gar nicht, wie Storms spitze, lange Eckzähne im fahlen Schein des Mondes blitzten. Gerade wollte der Vampir seine Fänge in den Hals des Girls schlagen, als er
plötzlich eine Stimme hinter sich vernahm. Es war die hasserfüllte Stimme einer Frau. »Darkness!«, schrie sie. »Jetzt hab ich dich!« Storm wirbelte herum . . . Während Draven, die Vampirjägerin, auf den vermeintlichen Bruce Darkness zustürmte, ließ der von seinem Opfer ab und wirbelte herum. Draven verharrte. Jetzt erst, als sie sein Gesicht sehen konnte, erkannte sie, dass sie an den Falschen geraten war. Es war nicht Darkness, sondern ein anderer Vampir! Dass es ein Vampir war, daran bestand keinen Zweifel. Das deutlichste Zeichen waren die langen, spitzen Fänge, die er ganz offensichtlich gerade in den Hals seines Opfers schlagen wollte. »Scheiße!«, murmelte sie. Aber egal! Ob Darkness oder nicht - Draven würde mit dem Kerl abrechnen. Vampir war Vampir, und sie hasste Vampire! Aber der Moment der Irritation war lang genug gewesen, dass der Vampir sich auf die neue Situation einstellen konnte. Draven starrte ihm in die Augen. Ihr Gegner lächelte zurück, sah sie erwartungsvoll an. Celestine warf sich auf ihn. »Dir wird das Grinsen noch vergehen!« Der Vampir schien verwirrt. Irgendetwas schien hier nicht so zu laufen, wie er es erwartet hatte. Dann hatte Draven ihn erreicht. Sie stieß den Vampir von sich. So hart, dass er zwei, drei Meter nach hinten flog. Er klatschte mit dem Rücken auf den Asphalt, und gleich darauf war Draven auch schon über ihm. Zwei, dreimal ließ sie ihre zur Faust geballte Rechte in sein Gesicht krachen. Die Nasen- und Wangenknochen brachen knirschend. Der Vampir schrie. Aus den Augenwinkeln beobachtete Draven, dass das Girl, das sich dieser elende Blutsauger als Opfer ausgesucht hatte, völlig eingeschüchtert und verängstigt in eine Ecke verkrochen hatte. Mit der rechten Hand griff Draven nun über ihre Schulter hinweg in den Rucksack, den sie sich auf den Rücken geschnallt hatte. Als ihre Hand wieder vorkam, hielt sie eine Machete in der Faust. Sie zögerte keine Sekunde, holte aus... Da schoss plötzlich die Faust des Vampirs vor, grub sich brutal in Dravens Gesicht. Draven flog zurück. Und noch ehe sie wieder auf die Beine kommen konnte, stand der Vampir auch schon vor ihr, wollte sich gerade auf sie stürzen. Doch dann überlegte er es sich anders. In seinen Augen stand Furcht geschrieben, Furcht vor Draven. Hier war er nicht der Jäger ... Er war die Beute! Er kreiselte herum und rannte los, auf die Hintertür des Clubs zu. Draven jagte ihm hinterher. Sie hatte noch nie einen Vampir entkommen lassen! Außer Bruce Darkness!, wisperte eine kleine, gemeine Stimme in ihrem Inneren. Draven ignorierte die Worte, und im Nu war die Distanz zwischen ihr und dem Vampir nicht größer als ein, höchstens zwei Meter. Die Vampirjägerin machte einen Satz nach vorn und rammte ihrer Beute beide Fäuste ins Kreuz. Das erhoffte berstende Geräusch der Wirbelsäule blieb aus, doch es
reichte auch so. Der Blutsauger wurde vorwärts geschleudert. Wild ruderte er mit den Armen, während er stürzte. Verzweifelt versuchte er, doch noch das Gleichgewicht zu halten. Es gelang ihm nicht. Doch kaum hatte er den Boden berührt, wirbelte er herum, lag nun auf dem Rücken . .. Er blickte auf, sah sein Verderben kommen. Dravens Stiefel krachte auf sein Gesicht nieder, zerschmetterte Knochen. Sie hob den Fuß an, nur um ihn erneut niedersausen zu lassen. Doch das war gar nicht nötig. Der Vampir war bereits nicht mehr in der Lage, sich zu wehren. Die Vampirjägerin holte mit der Machete aus. Zischend zerschnitt die Klinge der Waffe die Luft. Und einen Augenblick später rollte der Kopf des am Boden liegenden Vampirs abgetrennt zur Seite. Draven atmete auf. Zwar war es leider nicht Darkness, dieser Hurenbock, dachte sie, aber immerhin gibt es nun wieder einen dieser elenden Blutsaugenden Bestien weniger ... Dann verließ sie, ohne sich um das weinende, völlig fassungslose Girl zu kümmern, den Hinterhof . . . Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte Celestine Draven ein junges Mädchen, das gerade Zeuge so schrecklicher Ereignisse geworden war, niemals einfach so zurückgelassen. Es war die Zeit gewesen, als der Mensch in ihr noch die Überhand hatte. Sie konnte sich kaum noch daran erinnern . . . Es war, als ob es eine Ewigkeit her wäre. Damals war der Dämon in ihr nur aufgetaucht, wenn sie es wollte, wenn sie ihn und seine Kräfte brauchte. Damals hatte sie IHN steuern können. Heute war es umgekehrt. . . An das Mädchen, das sie eben zurückgelassen hatte, verschwendete Draven keinen Gedanken mehr. Für die Jägerin war nur wichtig, dass sie den Vampir vernichtet hatte. Das war das Einzige, an das sie dachte. Jedoch ärgerte sie die Tatsache, dass es sich bei diesem Blutsauger nicht um Bruce Darkness gehandelt hatte. Dieser Mistkerl musste endlich sterben! Wenn sie ihn nur finden könnte . . . Draven hatte den Club Daemonique inzwischen verlassen und steifte nun durch die nächtlichen Straßen New Yorks. Der Dämon in ihr gab ihr keinen Hinweis. Immer wieder horchte sie in sich hinein, doch da war nichts. Oft genug schon hatte sie durch den Dämon einen entscheidenden Hinweis bekommen, jetzt aber schien er ihr nicht helfen zu können. Sie dachte an Babriel, diesen schleimigen Ex-Engel. Warum half er ihr nicht? Sie hatte sich mit ihm verbündet. Er wollte ebenso wie sie, dass Darkness starb. Sie hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, als aus dem Nichts heraus plötzlich eine weiß gekleidete Person direkt vor ihr erschien. Und hinter dieser Person materialisierte sich - ebenfalls wie aus dem Nichts heraus - eine zweieinhalb Meter große Dämonin, deren Fledermausschwingen weit ausgebreitet waren. »Guten Abend, Miss Draven«, sagte der weiß gekleidete Mann lächelnd. Babriel!, schoss es Draven durch den Kopf. Und bei dem Dämon hinter Babriel handelte es sich um Tyria, seine Partnerin.
Laut sagte Draven nun, nachdem der erste Moment der Überraschung überwunden war: »Ich habe gerade an Sie gedacht. Schön zu wissen, dass Sie zu Stelle sind, wenn man Sie braucht!« »Nun, wir sind immerhin Verbündete, und es liegt ja auch in meinem Interesse, dass Sie Ihr Vorhaben so bald wie möglich ausführen.« Babriel verzog keine Miene, und in seiner Stimme lag etwas Weiches, Sanftes. »Nachdem Sie beim letzten Aufeinandertreffen mit Bruce Darkness schon jämmerlich versagten. . .« Die Vampirjägerin verengte die Augen zu Schlitzen. »Das war nicht meine Schuld«, sagte sie. »Ich konnte nichts dafür, es ist. . .« »Was Sie gezeigt haben, lag deutlich unter Ihrem Niveau, Miss Draven«, unterbrach er sie. Seine Stimme war noch immer ruhig und sanft, doch sein Gesichtsausdruck strafte seinen Tonfall Lügen. »Langsam beginne ich mich zu fragen, ob Sie wirklich eine geeignete Bündnispartnerin für mich sind.« Ein grausames Lächeln huschte über seine engelsgleichen Züge. »Sie müssen wissen - ich hasse Verlierer!« Celestine Draven protestierte schwach. »Eine solche Schlappe wird nie wieder vorkommen. Das nächste Mal ist Darkness dran, das schwöre ich Ihnen. . .« »Ich bin es aber nicht gewohnt, mich vertrösten zu lassen, Miss Draven. Ich erwarte Erfolge und keine Misserfolge. Bisher verhielt ich mich zuvorkommend Ihnen gegenüber. Aber fordern Sie meine Geduld bitte nicht heraus. Ich würde es hassen, wenn ich meine Pläne ändern müsste. Und dafür wollen Sie doch nicht verantwortlich sein, nicht wahr?« Sein Tonfall machte aus den scheinbar harmlosen Worten eine Drohung. Draven blickte betreten zu Boden. Es war nicht ihre Art, sich einschüchtern zu lassen, aber die Aura, die Babriel ausstrahlte, ließ sie jeden weiteren Protest unterdrücken. »Ich sehe meine Schuld ein«, sagte sie stattdessen. »Aber ich kann es nun mal nicht rückgängig machen. Geschehenes ist geschehen, nur die Zukunft zählt, und ich werde Bruce Darkness vernichten und Sie zufrieden stellen!« Babriel legte nachdenklich zwei Finger an die rechte Schläfe. Dann schien er sich zu einem Entschluss durchgerungen zu haben. »Nichts anderes erwarte ich von Ihnen«, verkündete er. »Ich habe nur ein Problem«, sagte Draven da. »Und das wäre?« »Ich weiß nicht, wo ich diesen verdammten Blutsauger finden kann.« Jetzt lächelte Babriel wieder. »Ihnen das zu sagen, bin ich hier.« Erstaunt sah sie ihn an. »Dann wissen Sie also, wo dieser verdammte Bastard steckt? « Er lächelte. »Zweifeln Sie etwa daran?« »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Keineswegs. Es ist nur - ich dachte, Sie seien nur hergekommen, um ...« »Ihnen die Leviten zu lesen? Aber Miss Draven, dafür hätte ich mich nicht extra herbemüht. Sie wissen ja - man trifft sich immer wieder . ..« Nach diesen Worten verriet Babriel der Vampirjägerin, wo sie Bruce Darkness finden konnte. Finden und vernichten. Und sie verlor keine Zeit... * Kyle sah sich um. Wenn Binx nicht gelogen hatte, dann hatte sich diese verdammte Vampirjägerin in diesem Haus eingenistet.
Er sah an der Fassade hoch. »Shit! Das sind mindestens dreißig Wohnungen«, murmelte er. Kyle befand sich in einer Gegend, in der man froh war, dem Nachbarn nicht aufzufallen, und in der man deshalb auch nicht auf seine Nachbarn achtete, solange diese einen nicht bedrohten. Na ja, dachte er. Mit ihren roten Dreadlocks wird sie ja irgendjemanden aufgefallen sein. Er klingelte an einer der Wohnungen. Namensschilder gab es keine. Keine Reaktion .. . Er versuchte es weiter. Immer noch nichts . . . Schließlich drückte er so viele Knöpfe, wie er konnte. Vergeblich.. . Wahrscheinlich ist einfach die Klingel kaputt, dachte er. Was solls. Kurzerhand trat er die Tür ein und ging ins Haus. Er stiefelte zu einer Wohnung im Erdgeschoss und klopfte an. Diesmal meldete sich sofort jemand. »Wer ist da?« Eine weibliche Stimme. »Hallo«, rief Kyle durch die geschlossene Tür. »Ich suche eine junge Frau mit auffälligen roten Haaren.« »Kenne ich nicht«, kam die Antwort. Kyle verdrehte die Augen. »Bitte, es ist wichtig.« »Kenne ich nicht.« Das klingt irgendwie nicht überzeugend, dachte der Cowboy. »Bitte gehen Sie von der Tür weg!«, rief er dann. Er wartete einen Moment, um ihr Gelegenheit zu geben, sich in Sicherheit zu bringen, dann trat er gegen den Türknauf. Das Schloss brach aus dem Rahmen, die Tür schwang auf und krachte gegen die Wand. Schnell trat Kyle ein. Vor ihm stand eine junge Frau mit glasigem Blick und schien durch ihn hindurchzugucken. Langsam fokussierte sich ihr Blick auf den Eindringling, doch noch immer zeigte sie keine Angst. »Was wollen Sie?«, fragte sie. Jetzt wusste Kyle auch, was ihn so stutzig gemacht hatte. Sie sprach absolut monoton, abwesend. Ich möchte nicht wissen, was die genommen hat, dachte der Cowboy. »Ich suche eine junge Frau mit roten Haaren.« »Ich weiß nicht«, kam zögernd die Antwort. »Sie ... sie ist auf keinen Fall in Wohnung 23. Nein, da kann sie ja nicht sein, weil. ..« Sie verstummte. »Ich weiß nicht«, fuhr sie dann fort. »Du weißt nicht, wo sie ist, aber sie ist auf keinen Fall in Wohnung 23?«, vergewisserte sich Kyle. »Ja, auf keinen Fall. . .« »Danke.« Kyle wandte sich ab und verließ die Wohnung, wobei er die Tür, so gut es mit dem zerstörten Schloss ging, zuzog. Dann stapfte er in die zweite Etage und suchte Wohnung Nummer drei. Als er vor ihr stand, zog er seinen 45er. Es würde schnell gehen müssen, wollte er überhaupt eine Chance haben. Er musterte die Tür, dann den Türknauf. Langsam bekomme ich darin Übung, dachte er.
Er hob den Fuß und ließ ihn gegen das Schloss krachen .. . * Bruce Darkness erreichte das alte Industriegelände und war bereit. Katrina hatte ihm genau beschrieben, in welchem der vielen Gebäude sich Jackson verschanzt hielt. Es war eine leer stehende Halle ziemlich am Rande des Geländes und abseits der anderen Gebäude. Direkt hinter der Halle verlief eine breite Straße, die zu dieser Zeit jedoch kaum befahren wurde. Ohnehin war gerade nicht viel los. Zwar herrschte keine Totenstille, denn manche der Hallen waren beleuchtet und es wurde gearbeitet, aber es war ganz sicher kein Vergleich zu dem, was hier tagsüber los war. Das Gelände an sich war nicht beleuchtet. Und würde nicht ein wenig Licht von den entfernten Nachbargebäuden herüberdringen, wäre es stockfinster gewesen. Mittlerweile hatte der Regen aufgehört. Zielstrebig steuerte der Vampir auf die Stelle des Geländes zu, die Katrina ihm so genau beschrieben hatte. Er hoffte, dass es wirklich stimmte, was sie ihm erzählt hatte. Denn wenn es stimmte, gehörte Jackson schon bald der Vergangenheit an und sein Name war nur noch Geschichte ... Der Stellvertreter des Barons hatte keine Zweifel, dass es so kommen würde. Schnellen Schrittes näherte er sich der Halle. Hier musste es sein. Bald schon konnte er auch schon das alte verrostete Blechschild erkennen, das noch über dem Zugangstor hing: SB CARGO, stand darauf zu lesen. Das passte. Diesen Namen hatte Katrina ihm genannt. Bruce ging noch etwas schneller . . . * Ryder Jackson zog seine antike Taschenuhr hervor und warf einen raschen Blick auf das Zifferblatt. Nicht mehr lang, und Darkness würde hier auftauchen . . . Ein zufriedenes Lächeln huschte über die Lippen des Alten. Er war vorbereitet und erwartete den Vampir, der vorhatte, ihn zu vernichten. Besonders amüsant fand Jackson die Tatsache, dass Darkness keine Ahnung hatte, was ihn erwartete. Er konnte sich vorstellen, wie motiviert der junge Vampir in diesen Augenblicken war. Er kannte ihn gut. Darkness war auch nicht sonderlich clever, wie er fand. Er dachte mit den Fäusten, nicht mit dem Kopf. Und genau das würde ihm in dieser Nacht zum Verhängnis werden, da war sich Ryder Jackson sicher . . . * Vorsichtig schlich Bruce Darkness um die große Halle herum. Hinter einigen Fenstern an der Rückseite brannte Licht, und genau dort vermutete er Ryder Jackson. Bruce spähte durch eines der Fenster. Er sah in eine kleine Kammer, die anscheinend früher einmal als Umkleideraum gedient hatte, denn bis auf einige Metallspinde und Bänke befand sich nichts darin. Und auch Jackson war nicht zu entdecken. Bruce stiefelte weiter zum nächsten Fenster. Der Raum, in den er nur blickte, war früher einmal ein Büro gewesen. Hier gab es völlig verstaubte Regale, einen großen
Schreibtisch und eine Art Chefsessel. Und in diesem Chefsessel saß - Jackson! Bruce konnte nicht viel von ihm sehen, denn der Kerl saß mit dem Rücken zu ihm, und über die Lehne des Sessels hinweg war nur der Hinterkopf des Alten zu erkennen. Doch so wenig das auch war - Bruce hatte keinen Zweifel, dass es sich um Jackson handelte. Das hätte er sogar erkannt, wenn er nur seinen kleinen Zeh zu Gesicht bekommen hätte! Bruce verlor keine Sekunde! Besessen von dem Gedanken, Jackson zu vernichten, sprang er mit dem Kopf voran waghalsig durch das Fenster. Klirrend zersplitterte das Glas. Bruce schlug auf dem Boden auf. Katzengewandt rollte er sich ab, schnellte wieder auf die Beine und stürmte auf den Sessel zu. Die Fledermaus, die nun hinter ihm auf das Fenster zuflatterte, bemerkte er nicht. . . Jackson saß noch immer auf dem Sessel, hatte sich nicht einmal gerührt. So, als ob er den Lärm gar nicht wahrgenommen hatte. Bruce stutzte, riss den Stuhl herum - und verharrte. Der Chefsessel war leer, Jackson verschwunden . . .! Bruces Gedanken rasten. Verdammt, er hatte ja gewusst, dass Jackson sich teleportieren konnte, oder sowas. Der jüngere Vampir hatte nur nicht damit gerechnet, dass der Alte so schnell reagieren würde. Ich habe ihn doch überrascht, überlegte Bruce, oder? In dem Moment hörte Bruce das Flattern! Sofort war er alarmiert. Der Vampir wirbelte herum und sah die Fledermaus, die soeben durch das Fenster in den Raum flog. Noch im selben Moment trat die Verwandlung ein. Blitzartig nahm die Fledermaus menschliche Form an - Jackson! Bruce zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen... »Dachtest du wirklich, du könntest mich überraschen, junger Darkness?« Ryder Jackson blickte Bruce lächelnd an. Die zwei Vampire standen sich gegenüber, zwischen ihnen lagen nur etwa eineinhalb Meter. »Jetzt habe ich dich wohl überrascht, wie?«, fragte der Alte hämisch. Bruce antwortete nicht. Er steppte vor, schlug zu. Mit Knochen zerschmetternder Wucht krachte seine Faust auf Jacksons Nase. Der taumelte zurück, wurde erst von der Wand gebremst. Bruce schrie schmerzerfüllt auf. Er hatte sich die Hand geprellt, wenn nicht sogar gebrochen. Jackson hatte sich an der Wand gefangen. Ruhig blickte er den jungen Vampir an. Sein Gesicht schien unverletzt. Bruce dehnte einmal kurz die Hand, indem er die Finger spreizte, dann wollte er sich wieder auf seinen Gegner stürzen. In dessen leeren Händen erschien innerhalb eines Sekundenbruchteils ein Messer nach dem anderen. Sie schossen aus den Händen hervor, genau auf Bruce zu. Gedankenschnell wich der junge Vampir den Klingen aus. Kurz fragte er sich, woher die Dinger überhaupt kamen. Die Stichwaffen schossen zischend an dem jungen Vampir vorbei. Er spürte die Luftzüge dicht neben sich und eine Klinge hätte sich in sein Gesicht gebohrt, wenn er nicht im letzten Moment auf Tauchstation gegangen wäre. Aber dieses Messer, das ihn um ein Haar getroffen hätte, war das Letzte gewesen.
Bruce richtete sich auf, sah, wie Jackson mit leeren Händen dastand. Wie ein wütendes Ungeheuer sprang er brüllend vor und stürzte sich auf den Alten. Er riss ihn mit sich. Gemeinsam krachten sie zu Boden, Bruce oben auf. Er richtete sich auf und donnerte die geballte Faust zweimal hintereinander mit voller Wucht in das Gesicht des Gegners. Bruce war, als schlüge er auf Granit. Und dem Alten schienen die Schläge nichts, aber auch gar nichts auszumachen. Bruce holte gerade zum dritten Schlag aus . . . Plötzlich flog er einige Meter nach hinten durch die Luft und krachte mit dem Rücken gegen die Wand. Risse zogen sich durch den Beton, die letzten Reste des Putzes fielen zu Boden. Bruce rutschte an der Mauer herab, blieb einen Augenblick reglos liegen. Dann rappelte er sich auf und blickte den Alten voller Überraschung an. Was war das, verdammte Scheiße?, fragte er sich. Der Kerl hat mich doch nicht mal angefasst. . . Für weitere Überlegungen blieb ihm keine Zeit! Aus Jacksons Händen schossen lange Flammenzungen auf Bruce zu. Der junge Vampir warf sich herum, doch er war zu langsam. Eine der Flammen erwischte ihn am linken Arm, brannte sich durch die dicke Lederjacke direkt ins Fleisch. Bruce schrie auf. Mit einem gewaltigen Satz ging er hinter dem Schreibtisch in Deckung. Weitere Flammenzungen schossen auf ihn zu, verfehlten ihr Ziel jedoch. Bruce packte den Chefsessel und warf ihn mit voller Wucht auf Jackson. Der Alte versuchte auszuweichen, trotzdem rammte ihn noch die Lehne vor die Brust. Er war zu langsam. Ist ja auch kein Wunder, dachte Bruce bissig. In dem Alter. . . Jackson wurde durch die Wucht des Stuhls nach hinten geschleudert und stürzte rücklings zu Boden, während Bruce bereits hinter seinem Wurfgeschoss herstürmte. Jackson richtete sich halb auf, sah Bruce bereits vor sich stehen. Der hob den Fuß, wollte Jacksons Kopf darunter zermalmen. »Das wars, du Arsch!« Der Alte schnipste mit den Fingern. Es krachte, ein greller Blitz blendete Bruce, dann schleuderte ihn eine enorme Druckwelle zurück. Hart prallte er abermals gegen die Wand. Die Mauer bekam noch mehr Risse, kleine Brocken brachen daraus hervor. Und plötzlich war da Feuer. Es war einfach überall. Der ganze Raum war erfüllt von Flammen. Ich muss hier raus!, schoss es Bruce durch den Sinn. So schnell wie möglich, sonst ist bald nichts weiter als Asche von mir übrig . . . Mit einem halsbrecherischen Satz sprang er durch die Flammen. Unsagbare Hitze hüllte ihn ein, ihm war, als schmore er in den tiefsten Abgründen der Hölle. Dann hatte er es geschafft! Er sah das Fenster direkt vor sich, blickte sich kurz um, doch Jackson war nirgends zu entdecken. Ein erneuter Hechtsprung beförderte ihn durch das Fenster aus der Halle. Hart prallte er draußen auf dem matschigen Boden auf. Hinter sich hörte er ein Grollen. Doch eigentlich spürte er es mehr, die ganze Welt schien zu beben. Bruce warf sich herum, lag auf dem Rücken und starrte die Halle an. Sie schien sich auszudehnen. Die Wände wölbten sich wie unter großem Druck nach außen. Der Vampir machte große Augen. »Scheiße!«
Dann sprang er auf die Beine und rannte los. Er hatte die große Straße, die hinter dem Haus verlief, noch nicht erreicht, da explodierte die Halle hinter ihm. Die Erde bebte, beinahe wäre der Vampir gestolpert. Da wurde Bruce von der Druckwelle erfasst und nach vorn geschleudert. Meterweit wirbelte er durch die Luft, bis er schließlich mitten auf der Straße auf den Boden prallte. Überall an seinem Körper schürfte und platzte die Haut auf. Bruce stemmte sich auf alle viere hoch und schüttelte den Kopf. Ihm war, als sei kein Einziger seiner Knochen mehr heil. Er benötigte einen Moment, ehe er sich aufrappeln konnte, sah sich dann um. Von dem Alten war nichts zu sehen. »Verdammt!«, presste er zwischen den Zähnen durch. Dieser verdammte Mistkerl ist mir entwischt!, dachte er und verengte die Augen zu Schlitzen. Doch da war sie wieder - die Fledermaus! Sie flatterte über dem Asphalt und verwandelte sich schneller als Bruce gucken konnte in Jackson. Erneut standen sich die zwei Vampire, die so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht, gegenüber. Bruce - jung, ganz in schwarzes Motorradleder gekleidet, die Fäuste mit den Nietenhandschuhen geballt. Und Jackson - uralt, ein Anzug tragender Vampir-Opa, der nicht mit Fäusten kämpfte, sondern mit Kräften, die nur wenige Vampire besaßen. »Das wars, alter Mann!«, rief Bruce und stürmte mit blitzenden Reißzähnen auf Jackson zu. Der alte Vampir hielt etwas in der Hand, das aussah wie ein Drahtseil, etwa so dick wie der Griff eines Tennisschlägers. Das Seil wuchs, wurde länger und länger, bis zwischen Bruces Gesicht und dem Seil nur noch etwa eine Armlänge Abstand lag und dann bildete sich am Ende des Seils der Schädel eines Monsters. Nicht sehr groß, er hatte etwa den Umfang eines Tennisballes. Der Kopf hatte hervorstehende Augen, eine krumme Nase und einen ziemlich breiten Mund. Das Maul war weit geöffnet und offenbarte lange und verdammt spitze Zähne. Wild schnappte es nach dem jungen Vampir. Bruce stoppte aus vollem Lauf. Nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht schlugen die Zähne klackend zusammen. Die rechte Hand des jungen Vampirs schoss vor, versuchte, den Körper des kleinen Monsters zu packen, doch er war viel zu langsam. Bruce war so schnell wie eine zustoßende Kobra, doch dieses Ding wich seiner zugreifenden Hand mühelos aus, zuckte vor und versenkte seine Zähne tief in Bruces Hand. Der schrie auf. Es war wie tausend Nadelstiche. Das Biest hatte sich verbissen, wollte die Kiefer einfach nicht mehr auseinander bringen. Jackson zog einmal ruckend an dem Ende, das er in der Hand hielt. Wieder schrie Bruce auf. Fluchend riss er sein Hiebmesser unter der Jacke hervor. Kaum hatte er den Griff des Messers in der Faust, holte er auch schon aus und ließ das Messer von oben nach unten sausen. Die Klinge zerschnitt zischend den Drahtseil-Körper des Monsters.
In dem Moment öffnete das Monster das Maul, und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Es klang wie ein kleines Kind. Bruce beobachtete, wie der Kopf des Monsters zusammen mit dem Stück Körper, an dem er noch hing, zu Boden viel und in einem grellen, grünlichen Blitz verging. Schließlich war nichts mehr von ihm übrig. »Super!«, murmelte Bruce. »Ich habe es geschafft, eine Waffe zu besiegen, und Jackson hat noch nicht einen Kratzer.« Zügig ging er auf seinen Gegner zu, das Hiebmesser in der rechten Faust. Dann stutzte er. Jacksons rechter Arm wurde länger und länger, wuchs auf Bruce zu. Der jüngere Vampir ging in Kampfposition. Jackson schnippste mit den Fingern der Linken. Es blitzte. Bruce wich geblendet zurück. Und noch bevor er wieder etwas sehen konnte, spürte er eine Berührung an seinem rechten Unterarm. Dann wurde er in die Höhe gerissen. Verzweifelt versuchte Bruce sich aus diesem stahlharten Griff zu befreien, doch er konnte machen, was er wollte - all seine Bemühungen blieben erfolglos. Dann schrie er auf. Jackson hatte ihm den Unterarm, den er umfasst hielt, gebrochen. Bruce ließ das Hiebmesser vor Schmerz fallen. Hastig griff er mit der Linken nach der Klinge - vergeblich. Klirrend fiel sie zwei Meter unter ihm zu Boden. Während Jackson ihn nun weiter in Schach hielt, sah Bruce, dass in der linken Faust des Alten plötzlich ein Säbel steckte. Und dann verlängerte sich auch dieser Arm! Bruce sah die Hand mit dem Säbel, sah, wie die lange Klinge von der Seite her auf seinen Hals zuraste . . . * Draven, die Vampirjägerin, war Bruce Darkness auf den Fersen! Sofort nachdem Babriel ihr die Info gegeben hatte, war er auch schon wieder verschwunden, ebenso wie Tyria, die Dämonin mit den Fledermausschwingen. Das war jetzt vielleicht eine halbe Minute her. Draven war sofort losgestürmt. Sie wollte sich ein Auto schnappen, doch nun geschah etwas mit ihr, das sie nicht begriff. Zunächst spürte sie, wie irgend etwas in ihr zu grollen begann. Nein, nicht irgendetwas, sondern der Dämon. Er tat etwas, doch Celestine wusste nicht, was das war. So etwas hatte sie bisher noch nicht erlebt. Plötzlich begann es überall an ihrem Körper zu kribbeln, und als sie an sich hinabblickte, sah sie ihre Beine nicht mehr! Sie waren noch nicht ganz verschwunden, aber sie wurden irgendwie durchsichtig, immer mehr und mehr... Angst ergriff von Celestine Draven Besitz, Panik umkrallte ihr Herz. Was geschieht hier?, schrie sie innerlich. Was machst DU mit mir? Ruhig, Celestine!, kam die Antwort. Es ist alles in Ordnung. Du musst keine Angst haben. Es wird nichts Schlimmes geschehen. Die Stimme kicherte. Zumindest nichts Schlimmeres, als dir bereits zugestoßen ist. Alles um Draven herum begann, sich zu drehen. Vor den Augen der Vampirjägerin verschwamm die Umgebung, ihr Bewusstsein trübte sich. Ich werde ohnmächtig, dachte Draven verwundert. Dann wurde es schwarz um sie herum.
Celestine Draven hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und in ein tiefes, finsteres Loch zu fallen. . . Sie wusste nicht, was mit ihr geschah. Es war, als jagte sie durch einen dunklen Tunnel, als flog sie durch ihn hindurch. Doch warum? Was war das? Was passierte hier mit ihr? Dann war alles vorbei. . . Sie stürzte hart, spürte Asphalt unter sich. Ihre Knochen schmerzten. Benommen richtete sie sich auf und sah sich um. Noch konnte sie nicht viel erkennen, denn vor ihren Augen verschwamm alles. Dann aber kehrten ihre Kräfte zurück. Die Schmerzen schwanden, sie fühlte sich mit einem Mal nicht mehr benommen - und ihr Blick wurde klar. Sie stand auf einer breiten Straße, hinter ihr war ein Industriegelände mit vielen Hallen. Die Überreste einer davon stand lichterloh in Flammen - aber das bemerkte sie nur am Rande ihrer Wahrnehmung. Sie war dort, wo sie hinwollte. Von diesem Ort hatte Babriel gesprochen. Hier würde sie Bruce Darkness finden. Wie kann das sein?, fragte sie sich. Was . .. In diesem Moment vernahm Draven einen Schrei. Dann Kampfgeräusche. Sie kamen nicht vom Industriegelände her, sondern von weiter die Straße entlang. Der Mensch Celestine Draven wurde in eine winzige Ecke ihres Bewusstseins gedrängt. Stattdessen übernahm etwas anderes die Kontrolle über ihren Körper. Der Dämon! Draven rannte los! Es war nicht weit, und die Vampirjägerin war schnell - viel schneller als jeder Mensch. Vor sich erkannte sie zwei Gestalten. Die eine war Bruce Darkness. Endlich!, zuckte es ihr durch den Sinn. Bei dem zweiten Schatten war sie sich erst nicht sicher, was oder wer es war. Es schien ein Mensch zu sein, oder zumindest etwas Ähnliches. Aber das, was die Arme sein mussten, war völlig verzerrt, war viel zu lang. Sie kam näher. Jetzt konnte sie das Gesicht erkennen. Sie kannte dieses Wesen. Jackson! Sie hatte von ihm auf den Straßen gehört. Es war ein alter, mächtiger Vampir. Als sie sich dann begegnet waren, hatte er ihr das Leben gerettet. Bruce Darkness war kurz davor gewesen, sie zu erwürgen, und Jackson hatte ihn aufgehalten. Mit der rechten Hand hatte er Darkness am Unterarm gepackt, und in der Linken hielt er einen Säbel. Darkness wand sich verzweifelt in dem Griff des alten Vampirs, doch es war vergeblich. Er hatte keine Chance. Jackson schwang den linken Arm nach hinten, holte mit dem Säbel aus. Er gehört mir!, dröhnte es in Dravens Schädel. Zum ersten Mal waren sich der Dämon und der Mensch Celestine Draven einig. Niemand würde Darkness vernichten außer ihr. Mit einem Kampfschrei stürmte sie auf Jackson zu und zog gleichzeitig die Machete aus ihrem Rucksack. Jackson wandte ihr das Gesicht zu und sie spürte seinen Blick. Er war kalt wie Eis. »Er gehört mir!«, brüllte Draven. »Wag es nicht!« *
Jackson stutzte. Was soll das denn?, fragte er sich. Draven verlangsamte ihre Schritte, bis sie nur noch wachsam weiterschritt. Der Alte blickte sie verwirrt an. Dann begann sein linker Arm wieder auf die normale Größe zurückzuschrumpfen, sein rechter Arm dagegen wurde noch länger. Länger und länger. So lang, dass Bruce Darkness, der ja im Griff der Hand dieses Arms steckte, schon bald aus Dravens Blickfeld verschwunden war. Draven war stehen geblieben, starrte gebannt auf dieses absurde Schauspiel. Das konnte es doch nicht geben. Plötzlich ließ Jackson den Säbel vorschießen. Die Vampirjägerin war noch immer abgelenkt, konnte nicht mehr richtig ausweichen. Sie steppte vor und zur Seite. Die Klinge verfehlte sie, doch Jacksons Faust, die den Griff umfasste, traf voll. Celestine Draven flog zurück und kam auf dem Rücken zum Liegen. Ein dünnes Blutrinnsal rann aus ihrer Nase, verebbte jedoch sofort wieder. Sie schnellte wieder auf die Beine. Die Machete steckte noch immer in ihrer Faust. Ihr Gesicht war zu einer hasserfüllten Fratze verzerrt. Sie sprang vor. Jackson schlug noch einmal nach ihr. Doch jetzt, da sie nicht mehr abgelenkt war, wich sie dem Hieb mit fast spielerischer Leichtigkeit aus, steppte zur Seite. Ihre Machete sauste herab. Der Vampir versuchte noch, sich zurückzuwerfen, doch er war wieder zu langsam. Mit grausamer Wucht hackte die breite Klinge in seinen rechten Arm, schlug ihn ab. Sofort explodierte das abgetrennte Körperteil in eine Wolke aus Staub. Jackson schrie auf. Es war ein seltsamer Schrei, wie Draven fand. Kein richtiger Schmerzensschrei, auch kein Wutschrei, irgendwie war dieser Schrei anders, jedoch war sie selbst nicht in der Lage zu sagen, warum. Die Vampirjägerin wollte erneut ausholen, doch diesmal war sie es, die zu langsam war. Jacksons verbliebene Hand zuckte vor und schlug ihr die Waffe aus der Faust. Die Machete wirbelte durch die Luft und landete irgendwo meterweit entfernt auf dem Boden. Hastig griff Draven in ihren Rucksack, suchte eine andere Waffe. Doch wieder wurde sie abgelenkt. Jacksons linker Unterarm verwandelte sich. Doch diesmal wurde er nicht nur Länger. Erst begann er rot zu glühen, dann wurde er breiter und nahm eine gänzlich andere Form an. Die Form einer Hellebarde! Draven schluckte. Sie wusste, dass Jackson ein Vampir war, ein sehr mächtiger Vampir. Doch sie hatte noch nie davon gehört, dass Vampire zu derartigen Fähigkeiten Zugang hatten. Der Alte musste eine Art Gott der Vampire sein!, dachte sie. Jacksons Arm - die Hellebarde - schoss auf sie zu. Celestine setzte zurück. Doch sie war zu langsam. Das breite Axtblatt erwischte sie an der rechten Seite. Es zerschnitt die Haut und fraß sich ein ganzes Stück hinein. Schreiend sprang Draven weg. Katzengewandt rollte sie sich am Boden ab. Sie kam gerade wieder auf die Beine, als sie einen Schlag gegen die Knie erhielt.
Jackson hatte ihr den langen Stiel der Hellebarde dagegen gerammt. Wieder stürzte Draven zu Boden. Jackson stand sofort über ihr. Die Hellebardenstange hatte er auf etwa einen Meter verkürzt. Sein Mund verzog sich zu einem kalten, humorlosen Grinsen. Die Vampirjägerin wollte aufspringen. Die Hellebarde sauste von oben nach unten erneut auf sie zu. Hätte sich Draven nicht im letzten Augenblick zur Seite gerollt, hätte die Axt ihr den Schädel gespalten. Aber die Vampirjägerin schaffte es, wich aus und schnellte auf die Beine. Kaum dass sie wieder stand, verpasste sie Jackson einen Tritt. Der alte Vampir geriet nicht einmal ins Wanken. Im Gegenteil, Draven taumelte, von ihrem eigenen Bein geschleudert, zurück. Das war ihr Glück . . . Jacksons Axthand war im gleichen Moment wieder vorgeschnellt. Er hätte sie in der Höhe ihres Bauchnabels in zwei Teile geteilt. So schlitzte ihr die Spitze lediglich die Bauchdecke auf. Die Schmerzen waren unbeschreiblich. Draven schrie und schrie und schrie. Blut strömte aus der Wunde. Warum heilt es nicht? In Celestines Kopf schrillten alle Alarmsirenen. Es sollte doch längst heilen! Es tut so weh! Und da schlug Jackson erneut zu. Sie sah, wie die Axt auf ihren Kopf zuraste . . . * Rückwärts wurde Bruce durch die Gegend geschleudert, und er konnte nichts, rein gar nichts dagegen tun. Jacksons Arm wurde ruckartig immer länger und länger und stieß den jungen Vampir zurück. Bruce hing in der Hand des Alten wie eine Maus in der Falle, der Griff war so stahlhart, dass Bruce keine Chance hatte, ihn irgendwie zu lockern. Wenn nicht die Möglichkeit bestünde, dass das ganze schlecht ausgeht, dachte Bruce, dann würde es wahrscheinlich Spaß machen. Wie Achterbahn ... Inzwischen hing der junge Vampir in vier Meter Höhe über dem Boden und bewegte sich mit vielleicht zwanzig Stundenkilometern rückwärts an den einzelnen Hallen vorbei. Bruce fluchte. Ist hier bald mal Schlu... In diesem Moment stürzte er ab. Jacksons Griff hatte sich plötzlich gelöst. Was ...? Bruce krachte auf den Boden, rollte noch ein paar Meter über den Boden, bevor er auf dem Rücken liegen blieb. »Wow!« Er richtete sich halb auf. »Warum hat der mich denn losgelassen?« Er bemerkte den Staub, der sanft zu Boden schwebte. Es sah aus wie der Kondensstreifen eines Flugzeugs. Dann kam eine Windböe und verwirbelte alles. Bruce stand auf. Er bemerkte, dass der Staub in die Richtung führte, aus der er gekommen war. »Draven!«, erinnerte sich der Vampir. »Sie hat den alten Sack erledigt. Klasse! Es ist doch immer wieder nett, wenn einem jemand die Arbeit abnimmt.« Bruces gebrochener Arm war inzwischen verheilt. »Na, dann muss ich jetzt nur noch zusehen, dass sie mir nicht entkommt, und die Nacht ist gerettet.«
Er rannte los.
Seine Gedanken wanderten zu der Vampirjägerin Celestine Draven.
Bruce hatte keine Ahnung, wie sie hergekommen war und wie sie die beiden
Vampire gefunden hatte. Aber viel wichtiger war auch eine ganz andere Frage. »Wie sorge ich dafür, dass sie nicht wieder abhaut?«, sagte er laut. Endlich erreichte Bruce wieder den Schauplatz des Geschehens. Jackson stand breitbeinig über Draven. Sein verbliebener Arm sah aus wie eine lange Axt. Gerade holte er damit aus, um der Vampirjägerin den Rest zu geben. Bruce sprintete weiter. Es ging ihm nicht darum, Draven zu retten. Er wäre ja schön blöd. Schließlich wollte sie ihn umbringen. Aber sobald Jackson sie niedergemacht hatte, wollte Bruce zur Stelle sein, um seinerseits den Alten zu vernichten. Er war nur noch zwei Meter hinter Jackson. Die Axthand sauste hinab. Draven wollte sich zur Seite werfen, doch es war abzusehen, dass sie es nicht schaffen würde. Da blitzte es blau auf. Die Axt wurde zurückgeschleudert, als sie auf den leuchtenden Schutzschild prallte. Bruce fluchte. Das war ja klar!, ging es ihm durch den Kopf. Jacksons Kopf ruckte herum. Erst jetzt registrierte er den anderen Vampir. Wenn ich doch nur meine Klappe halten könnte, durchzuckte es Bruce. Er schlug zu. Jackson wich aus. Doch es war nur eine Finte gewesen. Bruce packte mit beiden Händen die Axthand des Alten und rammte sie tief in den Asphalt. Jackson stutzte einen Moment, was Bruce gnadenlos ausnutzte. Zweimal schlug er seinem Gegner hart ins Gesicht - und schrie auf. Das Gesicht des alten Vampirs war immer noch härter als seine Faust. Die Axt verschwand. Stattdessen war dort wieder die Hand eines alten Mannes. Und Jackson schlug zu! Er traf den jungen Vampir mit einer solchen Wucht, dass er abhob und meterweit nach hinten durch die Luft flog. Hart prallte Bruce auf und hörte seine eigenen Knochen krachen. Wieder hatte er sich den rechten Arm gebrochen. »Scheiße!«, knurrte er und hielt sich den Arm. Jackson kam langsam auf ihn zu. Ein siegesgewisses Grinsen lag auf seinen Lippen. Bruce ballte die Rechte zur Faust. Sie war fast wieder einsetzbar. Auch er grinste, doch bei ihm war es ein jungenhaftes, breites Grinsen, als würde er gerade beim Basketball gewinnen. »Hey!«, rief er. »Alter Mann! War das etwa alles? Du hättest dich zur Ruhe setzen sollen, als es noch ging!« Bruce war sich seines Sieges noch genau so sicher wie vor Beginn des Kampfes. Besonders deshalb, weil Draven, die Vampirjägerin, wie aus dem Nichts hinter dem Alten erschienen war und einen Pflock in der Hand hielt. Sofort stieß sie zu. Doch Jackson musste irgendetwas gespürt haben. Er wirbelte herum, wich zur Seite aus. Der Holzpflock bohrte sich in seine Schulter. Bruce glaubte, so etwas wie einen unterdrückten Schrei zu hören. Er riss seine Schrotpistole hervor und sprintete los. Draven riss den Pflock aus der Wunde, um noch einmal, diesmal ins Herz,
zuzustechen. Jackson flimmerte, wurde durchscheinend. Bruce zögerte nicht einmal einen Sekundenbruchteil und feuerte beide Läufe ab. Die Schüsse gingen genau ins Ziel, drangen durch den alten Vampir durch... Und trafen Celestine Draven voll - wie geplant. Bruce dachte nicht mehr länger an Jackson, um den konnte er sich später noch kümmern. Jetzt sah er eine andere Chance. Draven war angeschlagen. Jackson hatte sie ziemlich schwer verletzt, wusste der Teufel, warum sie diese Wunde noch nicht regeneriert hatte. Und Bruce hatte ihr auch noch zwei große Löcher in den Pelz gebrannt! Die Vampirjägerin taumelte zurück, starrte Bruce verwirrt an. Der ließ die Schrotpistole fallen und stürmte auf sie zu. Noch vier Schritte ... Noch drei. Bruce sprang sie an ... Und rauschte durch sie hindurch. Der Vampir stolperte noch zwei Schritte weiter, kam dann zum stehen und wirbelte herum. Celestine Draven war nur noch ein Schimmern. Dann war sie ganz verschwunden. Entgeistert starrte Bruce auf die Stelle, an der sie eben noch gewesen war. »Seit wann kann die das denn?«, flüsterte er verwirrt. Er sah sich um, doch sie schien nicht wieder aufzutauchen. Kopfschüttelnd sammelte er seine Waffen ein und machte sich zu seinem Motorrad auf. »Hoffentlich hat es die Explosion überstanden«, sagte er. »Sonst habe ich einen langen Fußmarsch vor mir. Hier finde ich bestimmt keinen Ersatz.« * Celestine Draven war schwer angeschlagen. Aber nur ein Teil von ihr. Ihr Körper, nicht aber ihr Inneres. Doch sie - der Dämon in ihr - hatte gespürt, dass es besser war, sich zurückzuziehen, und so hatte der Dämon den Ortswechsel erneut vollzogen. Draven hatte sich aufgelöst und war in ihrer vorübergehenden Bleibe wieder erschienen. Ihre Wohnung war eine heruntergekommene Bruchbude. Anders konnte man es nicht ausdrücken, aber Celestine genügte es. Wie viel Zeit verbrachte sie schon üblicherweise hier? Nicht viel, denn schließlich war sie beinahe ständig auf der Jagd. Und in den paar Stunden, in denen sie am Tage hier war, schlief sie und bemerkte ihre traurige Umgebung gar nicht. Die junge, rothaarige Frau schleppte sich ins Badezimmer. Ihr war so schrecklich übel, dass sie glaubte, jeden Moment das Bewußtsein zu verlieren. Die Schmerzen waren beinahe unerträglich. Warum heilt diese verdammte Wunde nicht?, fragte sie sich verwirrt. Kaum hatte sie das Badezimmer erreicht, musste sie sich übergeben. Doch es waren nicht nur die Überreste ihrer Pizza, die sie da erbrach. Blut!, dachte sie verängstigt. Scheiße! Ich muss zu einem Arzt, sonst krepiere ich hier! Aber zu welchem Arzt? Sie konnte doch nicht einfach zu irgendeinem Arzt gehen. Wenn der ihre Wunden sah, würde er Fragen stellen. Viele Fragen. Und er würde sicher auch die Polizei verständigen. Und bei allem, was Celestine tat, musste sie auch stets daran denken, dass sie immer
noch von der Polizei gesucht wurde. Nach ihr wurde gefahndet, sie musste achtsam sein. Was mache ich jetzt bloß?, fragte sie sich nachdenklich. Doch da hörte sie die Stimme. Sie war nicht wirklich zu vernehmen, sie schlich sich in ihre Gedanken und kam auch aus ihrem Inneren. Derjenige, der da zu ihr sprach, war der Dämon in ihr. Du brauchst keinen Arzt, Celestine, sagte er. Sei gewiss, du wirst nicht sterben! »Aber ich bin verletzt«, schrie die junge Frau hysterisch. »Ich bin schwer verletzt, ich verblute. Es heilt nicht! Ich brauche einen Arzt, verdammt noch mal!« Tränen schossen aus ihren blauen Augen hervor. Tränen ... Ein deutliches Zeichen dafür, dass die menschliche Seite in ihr wieder die Überhand gewonnen hatte. Celestine hatte Angst. Wenn sie nichts unternahm, würde sie hier elendig verrecken. Und das wollte sie nicht - trotz allem, was mit ihr geschehen war, trotz des Dämons in ihr, trotz ihrer unmöglich zu bewältigen Aufgabe . . . Sie wollte leben! Celestine war drauf und dran, nach draußen zu stürmen. Doch der Dämon in ihr hielt sie davon ab. Sie spürte, dass er wieder die Kontrolle über sie gewinnen wollte. Normalerweise konnte sie nichts dagegen tun, denn Draven, der Dämon, war stärker - viel stärker - als Celestine, der Mensch. Doch dieses Mal gab sich der Mensch in ihr nicht so schnell geschlagen. Er wehrte sich. Celestine war darüber selbst überrascht. Vielleicht war es die Todesangst, die in diesem Moment in ihr hauste. Vielleicht waren es die starken Schmerzen, die sie in den Wahnsinn trieben. Vielleicht war es, weil sie wollte, dass diese Schmerzen endlich weggingen. Sie wusste nicht, woran es wirklich lag, und ihr blieb auch keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, denn plötzlich spürte sie, wie sich alles um sie herum zu drehen begann. Die Wände, die Decke, der Boden - alles drehte sich. Celestine taumelte. Sie versuchte, sich irgendwo festzuhalten, doch es gelang ihr nicht. Sie fiel hin, spürte noch, wie sie mit dem Kopf auf den Boden schlug. Dann wurde es schwarz um sie herum . . . * Die Tür flog auf. Kyle sprang vor, noch bevor sie gegen die Wand schlug, den 45er im Anschlag. Er verharrte. Nichts. Keine Reaktion. Niemand kam ihm wütend entgegengestürmt. Vorsichtig machte er einen Schritt weiter in die Wohnung hinein. Er stand in einem dreckigen Flur. Die Tapete schimmelte an den Wänden, der Boden war von rissigem Linoleum bedeckt. Nirgendwo war ein Bild oder ein persönlicher Gegenstand zu sehen. »Ob ich hier wirklich richtig bin?«, murmelte der Cowboy. Da sah er vor einer Tür feucht glänzende, dunkle Flecken. Seine Nasenlöcher blähten sich auf wie die Nüstern eines Pferdes. Blut!, schoss es ihm durch den Sinn. Seit er Vampir war, konnte er Blut auf über zehn Meter Entfernung riechen. Das war normalerweise ziemlich nutzlos, aber nun . .. Hastig ging er zu der Tür, stieß sie auf, den Revolver nach vorn gestreckt. Er war jederzeit bereit abzudrücken. Es war das Badezimmer. Auf dem Boden lag eine junge Frau mit verfilzten roten Haaren.
Das muss sie sein!, dachte er. Verdammte Mörderin! Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung. Er wirbelte herum. Doch da war nichts. Konzentriert starrte er den kurzen Flur entlang, war sich sicher, etwas bemerkt zu haben. Was ist das?, überlegte er. Es war, als hätten sich die Schatten verschoben. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Plötzlich sah er ein gigantisches Monstrum, ein Ungeheuer mit auf dem Rücken zusammengefalteten Fledermausschwingen. Es musste sich ducken, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Kyle schrie auf, schwenkte seine Waffe herum und schoss. Zwei Kugeln brachen aus dem 45er hervor und rissen blutige Wunden in das Ungetüm. Es brüllte vor Schmerz und Wut. Mit einer Schnelligkeit, die Kyle dem massigen Koloss in dem engen Flur gar nicht zugetraut hätte, stürmte das Monster auf den Cowboy zu. Er schoss noch einmal, traf - doch das Vieh wurde nicht einmal langsamer. Dann hatte es ihn erreicht, schlug mit seiner klauenbewehrten Pranke zu. Kyle duckte sich ab, schoss aus nächster Nähe, traf natürlich. Aber das einzige Ergebnis war, dass die Bestie - wenn überhaupt möglich - noch wütender wurde. Wieder fuhren die mörderischen Krallen auf ihn nieder. Der Cowboy warf sich zurück, stolperte. Doch er konnte sich wieder fangen und richtete sofort wieder seine Waffe auf das Ungeheuer. »Verreck endlich!«, schrie er. Die Pranke der Bestie schnellte vor und schlug ihm den Revolver aus der Hand. Waffenlos stand der Vampir vor ihr. Doch das Monster stürzte sich nicht auf ihn, wie er erwartet hatte, sondern verharrte auf der Stelle. »Ich bin Tyria«, grollte es, »und du bist tot.« Dann kam eine Reihe von seltsam abgehackten Lauten aus ihrem Maul. Es lacht!, durchfuhr es Kyle. Und es kann sprechen. »Wer bist du?«, rief er. »Was bist du?« »Ich bin Tyria.« Das Monster stutzte einen Moment. »Und du bist tot.« Wieder dieses Lachen. Mann, ist das Vieh doof, überlegte der Cowboy. Vielleicht kann ich es austricksen. . . Aber in diesem Moment stürzte sich die Dämonin Tyria schon auf ihn. Kyle hatte keine Chance. Er wurde gegen die Wand geschleudert, schrie auf, als knirschend sein linker Arm brach. Dann wurde er von dem Monster gepackt, hochgehoben und gegen die Decke geklatscht. Sterne blitzten vor seinen Augen. Dann wurde er zu Boden geschmettert. Stöhnend blieb er vor der Badezimmertür liegen. Sein Brustkasten war zerschmettert, er würde ein paar Sekunden benötigen, um das zu heilen, und er bezweifelte, dass er diese Sekunden bekommen würde. Er öffnete die Augen. Direkt vor seinen Augen lag sein 45er. Kyle lebte immer noch und er würde nicht aufgeben. Seine Rechte zuckte vor, packte den Kolben der Waffe. Doch er richtete sie nicht auf Tyria. Der Dämonin machte es offensichtlich nicht viel aus. Stattdessen legte er auf die rothaarige Vampirjägerin an, die nicht einmal zwei Meter von ihm entfernt noch immer bewusstlos auf dem Boden lag. Seine Hand mit der Waffe rutschte über den Linoleumboden, bis er Draven im Visier hatte. »Für Sandy!«, keuchte er.
Tyrias mächtiger Fuß senkte sich auf seine Hand, zerquetschte sie, noch bevor er abdrücken konnte. Kyle schrie gellend auf. Doch nicht lange, denn im nächsten Moment setzte Tyria ihren anderen Fuß auf seinen Kopf und stellte sich drauf . . . * Bruce fuhr auf seiner Harley durch die Nacht. Das gute Stück hatte die ganze Angelegenheit tatsächlich weitgehend heil überstanden. Die Druckwelle der Explosion hatte es nur umgekippt und der Lack an der Seite war verkratzt, das war aber auch schon alles. Was war da eigentlich los?, überlegte der junge Vampir. Jackson hätte doch überrascht sein sollen. Also das war er eindeutig nicht. Bruce musste unwillkürlich grinsen. Dafür, dachte er, habe ich mich doch sehr gut geschlagen. Trotzdem war es ärgerlich, dass er Jackson nicht hatte erledigen können. Aber als Draven dann aufgetaucht war, hatte er sich entscheiden müssen Vampirjägerin oder Vampir. Bruce hatte sich für die Jägerin entschieden, und wenn sie nicht diesen neuen Trick draufgehabt hätte, hätte er sie dieses Mal auch erledigt. Aber Jackson war entkommen! Was mich wieder dazu bringt, überlegte Bruce, wie er davon erfahren hatte, dass ich komme. Na ja, Jackson war schon immer hervorragend informiert gewesen. Es war nicht so verwunderlich, dass er irgendwo hatte läuten hören, dass sich Bruce ihn holen wollte. Aber ich bin sofort losgefahren, dachte Bruce, sobald Katrina mir von seinem Aufenthaltsort erzählt hatte. So schnell konnte nicht einmal Ryder Jackson davon erfahren, oder? ... sobald Katrina mir ... Bruce verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Diese Schlampe!, durchzuckte es ihn. Sie hat mich verpfiffen! Der junge Vampir gab Gas. Er würde sich einmal mit ihr unterhalten müssen. . . Als Celestine Draven wieder erwachte, war alles anders. Ihre Tränen waren versiegt, der Mensch in ihr hatte sich zurückgezogen - nur die Schmerzen waren noch da. Mühsam versuchte sie, sich aufzurichten, doch sie war zu schwach. Sie konnte nicht aufstehen, kroch über den schmutzigen Boden zu ihrem Bett. Dort angekommen kletterte sie mühselig hoch. Sie schwitzte aus allen Poren. Aus ihrer Kehle drangen krächzende, stöhnende Laute. Dann hatte sie es geschafft. Verkrümmt lag sie auf dem Bett. Doch so schlimm die Schmerzen auch waren. An die mögliche Hilfe eines Arztes verschwendete Celestine keinen Gedanken mehr. Mit dem Versiegen ihrer Tränen hatte sich auch der Mensch in ihr wieder zurückgezogen, und jetzt war sie wieder Draven, der Dämon. Und dieser Dämon brauchte keinen Arzt! Die Wunde, die Jacksons Axthand ihr geschlagen hatte, klaffte noch immer weit auf. Man konnte das rohe, pulsierende Fleisch sehen. Doch es floss kein Blut mehr aus der Wunde. Die Schmerzen waren noch da, doch der Körper schwebte nicht mehr in Lebensgefahr. Die Verletzung würde heilen. Nicht sofort, es würde einige Zeit dauern. Wie lang,
wusste sie nicht. Stunden, Tage - Monate? Sie wusste nicht, warum die Wunde nur so langsam heilte, doch der Dämon in ihr war zuversichtlich. Draven war sich sicher, dass sie irgendwann wieder ganz die Alte sein würde. Es sei denn .. . Ein beunruhigender Gedanke keimte in Draven auf. Sie dachte an Babriel. In diesem Moment klopfte es an die Tür. Sie wurde geöffnet und Babriel - wie immer in einen weißen Anzug gekleidet - trat ein. Wenn man vom Teufel spricht, dachte Draven. »Seien Sie gegrüßt, Miss Draven«, begann der gefallene Engel kalt lächelnd. Hinter ihm versuchte Tyria, sich durch die Tür zu quetschen. »Hallo Babriel«, entgegnete die Vampirjägerin. Das Sprechen tat ihr weh. »Was wollen Sie?« »Eigentlich wollte ich mich nach Ihren Fortschritten erkundigen. Aber wenn ich Sie so betrachte, hat sich das wohl erledigt. Nicht wahr?« »Hören Sie, ich . ..« Doch Babriel ließ Draven nicht aussprechen. »Wie ich meiner Partnerin Tyria bereits dargelegt habe, sind Sie für uns nicht mehr von Interesse.« Er lächelte noch immer. Ein berstendes Krachen ertönte hinter ihm, doch der gefallene Engel zuckte nicht einmal zusammen. Er schien zu wissen, dass es nur Tyria war, die jetzt in den Raum gelangt war, indem sie den Türrahmen aus der Wand gebrochen hatte. »Du hast gesagt, dass die kleine Menschin unser Partner ist. Darum hab ich sie beschützt.« Babriels Lächeln schwand nicht. »Ja, Tyria, das ist richtig. Es wäre ja auch zu viel von dir verlangt gewesen, wenn du aus ihrem«, er deutete beiläufig auf Draven, » Zustand erkennen würdest, dass sie keine große Hilfe ist.« »Ja, aber . . .«, setzte Tyria an. »Nein, schon gut.« Babriel wandte sich wieder an die Vampirjägerin, die hilflos auf ihrem Bett lag. »Miss Draven«, sagte er noch immer kalt lächelnd. »Ich bin eigentlich nur hier, um Ihnen mitzuteilen, dass ich unsere Partnerschaft als beendet betrachte.« Er schritt auf sie zu, bis er direkt vor dem Bett stand. Seine toten schwarzen Augen starrten sie an. Celestine, der Mensch, wurde plötzlich nach vorne geschoben, die Herrschaft über ihren Körper wurde ihr geradezu aufgezwungen. Mit einem Mal fühlte sie sich schrecklich allein. »Ich erlaube mir nun, die Macht, mit der ich Sie unterstützt habe, zurückzurufen.« Babriel beugte sich zu ihr hinab, presste in der Verhöhnung eines Kusses seine Lippen auf ihre. Celestine bäumte sich auf, versuchte zu schreien, doch ihr Mund war versiegelt. Sie spürte, wie sich etwas in ihr löste und durch ihren Mund in den gefallenen Engel überging. Es tat eigentlich nicht weh, doch hatte sie das Gefühl, als würde sie einen Teil ihrer Seele verlieren - was durchaus stimmen konnte. Endlich ließ Babriel von ihr ab. Er richtete sich auf, blickte auf sie hinab und befeuchtete seine Lippen mit der Zunge. Dann lächelte er wieder. Draven stöhnte. »Was hast du getan?« »Wie schon gesagt, habe ich meine Bezahlung abgeholt - plus Zinsen, versteht sich. « Er wandte sich ab. »Tyria, wir verschwinden hier.« Und ohne sich zu ihr umzublicken sagte er zu Draven: »Wenn Sie tatsächlich überleben sollten, und es Ihnen gelingt, Bruce doch noch zu vernichten, werde ich mich wieder an Sie wenden.
« »Scher dich zur Hölle!« Die Vampirjägerin wollte schreien, doch es war nur ein heiseres Flüstern. »Genau dorthin bin ich unterwegs«, kam noch eine Entgegnung des inzwischen durchscheinenden Babriel, bevor er endgültig verschwunden war. Draven schloss verzweifelt die Augen. Sie würde überleben, da war sie sich sicher. Aber würde sich dieses Leben noch lohnen. . .? * Bruce Darkness erreichte das Empire State Building. Kurz darauf beförderte ihn der Hochgeschwindigkeitsaufzug in die 85. Etage des Gebäudes. Die Türen des Lifts öffneten sich wieder, Bruce trat hinaus - und lief geradewegs Katrina Stein in die Arme. Die Vampirin hatte offensichtlich gerade den Aufzug betreten wollen. Als sie Bruce erblickte, wurden ihre Augen immer größer. Dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. »Bruce«, sagte sie in einem ruhigen Tonfall, »hattest du Erfolg?« »Als wenn du das nicht wüsstest!«, knurrte der Vampir. »Aber Brucie.«Sie lächelte ihn an, wie sie ein kleines Kind anlächeln würde und tätschelte ihn sachte am Oberarm. »Woher sollte ich das denn wissen?« »Du hast mich verpfiffen!« Die Stimme des Vampirs grollte noch immer. Er ist beängstigend ruhig, dachte Katrina. Laut sagte sie: »Aber Bruce, dass stimmt doch gar nicht. Ryder Jackson ist vogelfrei. Ich bin doch nicht so dumm, mich mit dem zu verbünden.« Sie machte eine kurze Pause. »Außerdem - selbst wenn es so wäre - du könntest nichts beweisen . . .« Bruces Faust schoss vor, krachte in ihr Gesicht. Katrinas Nase wurde zertrümmert, der linke Wangenknochen splitterte. Blut spritzte hervor. Die Vampirin wurde mehrere Meter zurückgeworfen. Erst als sie gegen eine Wand krachte, endete ihr Flug. Bruce war stehen geblieben und funkelte sie böse an. Katrina stöhnte. Langsam und vorsichtig versuchte sie, sich aufzurichten. »Jetzt hör mal zu, du Miststück!«, zischte der Vampir in der Biker-Montur. »Du hast dich mit einem Vogelfreien zusammengetan. Dafür mache ich dich fertig.« Er ballte die Fäuste in den Nietenhandschuhen und stapfte auf sein Opfer zu. Katrina hatte es inzwischen geschafft, sich auf die Beine zu stemmen. Noch immer troff Blut aus ihrer Nase, die Knochen hatten sich noch nicht gerichtet, ihr linkes Auge war fast ganz zugeschwollen. »Du hast ja keine Ahnung!«, presste sie hervor und richtete sich auf. Bruce starrte sie an. Er hatte sie geschlagen! Er hatte es gewagt, dieses wundervolle Wesen zu schlagen! Was war nur in ihn gefahren? Die Vampirin lächelte hochmütig. Sie war sich ihrer Macht wohl bewusst. Inzwischen hatte das Bluten ihrer Nase aufgehört, und die Knochen begannen, wieder zusammenzuwachsen. »Bruce!«, sagte sie, und ihre Stimme schien das ganze Empire State Building zu erfüllen. »Ja«, erwiderte der Angesprochene demütig. »Geh auf die Knie!« »Ja.« Die Beine des Vampirs knickten ein, wollten einknicken.
Was tue ich hier?, fragte sich Bruce. Sie hat versucht, mich auszuschalten! Sie wollte, dass ich sterbe! Unter Aufbietung aller seiner Kräfte blieb er auf den Beinen. Er wollte sich auf sie stürzen . .. Doch dafür reichte seine Willenskraft nicht mehr aus. So standen sie sich gegenüber. Bruce - breitbeinig, mit zitternden Knien, die Fäuste geballt, die Zähne gebleckt. Und Katrina - ihre Bluse von ihrem eigenen Blut rot, das Gesicht noch leicht verunstaltet, doch in der Haltung einer griechischen Statue, ein göttergleiches Wesen. Es war ein klassisches Unentschieden. Bruce kam nicht an die Vampirin heran, und Katrina benötigte ihre gesamte Aufmerksamkeit zur Aufrechterhaltung ihrer gottähnlichen Aura. Sie konnten so stehen, bis die Sonne aufging. »SCHLUSS« Boris Baron von Kradoc, der Herrscher aller New Yorker Vampire, stand in der Tür zu seinem Arbeitszimmer. Sofort sackte Katrina in sich zusammen. Bruce taumelte noch einen Schritt auf sie zu, dann hatte auch er sich gefangen und blieb mit gesenktem Kopf stehen. »Bruce, in mein Büro!« sagte der Baron in einem ruhigen aber bestimmten Tonfall. »Katrina, du hast bestimmt noch zu tun.« Die Vampirin eilte sofort in ihr Büro, während Bruce abwartend vor seinem Boss stand, da der ja die Tür blockierte. »Hast du dich beruhigt?«, verlangte der Baron von Bruce zu wissen. »Ja, Herr!« Der jüngere Vampir war noch immer etwas kleinlaut. Er saß auf einem Stuhl vor den Schreibtisch seines Chefs. Der hatte dahinter Platz genommen und sich bis eben seinem Computer gewidmet. »In Ordnung. Dann berichte mir, warum ihr beiden euch dermaßen aufgeführt habt! « Und Bruce erzählte seinem Boss, was vorgefallen war. Als er dann zu seinem Verdacht kam, dass Katrina ihn verraten hatte und mit Jackson gemeinsame Sache machte, wirkte Kradoc nachdenklich. »Kannst du deinen Verdacht beweisen?«, fragte der Baron. Bruce schüttelte den Kopf. »Jackson ist alt und mächtig. Er hat zahlreiche Informationsquellen. Ich erwarte, dass du in dieser Angelegenheit nichts unternimmst, bevor du keine Beweise hast, dass Katrina eine Verräterin ist. Und dann kommst du zu mir, verstanden?« »Ja, Herr.« »In Ordnung, reden wir nicht mehr darüber. Was hast du mir zu berichten?« »Ich hatte, wie gesagt, eine heiße Spur, die mich zu Jackson führte, Herr«, erklärte Bruce. »Aber er ist mir schwer angeschlagen entkommen.« Der Baron verzog keine Miene. Wie so oft hatte Bruce Probleme damit, aus seinen Zügen zu lesen, was in ihm vorging. Es war schier unmöglich. Nur sehr selten ließ er sich anmerken, wenn er wütend, enttäuscht oder auch zufrieden war. »Außerdem«, fügte Bruce noch an, »ist auch Celestine Draven am Tatort aufgetaucht. Sie kam ganz plötzlich, wie aus dem Nichts.« »Und was ist dann passiert?«, wollte Kradoc wissen. Bruce machte eine alles umfassende Handbewegung. »Ich hatte es nun mit zwei Gegnern zu tun. Aber Draven kämpfte nicht nur gegen mich, sondern auch gegen Jackson.« Er verzog das Gesicht. »Genau genommen hat sie mir sogar geholfen, als ich etwas in Bedrängnis geraten war. Und Jackson wurde schwer verwundet. Er hat nur noch einen Arm.«
»Tatsächlich?« Kradoc blickte auf. »Sehr gut, Bruce. Das ist immerhin schon mal ein Anfang.« »Äh, ja«, sagte Bruce. »Draven wurde ebenfalls verwundet. Ziemlich schwer, würde ich sagen.« Nachdenklich starrte der Baron ins Leere. Nach einer Weile sagte er: »Jackson wird sich heilen, das ist klar. Bei der Schwere seiner Verletzung wird es auch bei ihm eine Weile dauern, bis sein Arm wieder ganz nachgewachsen ist, aber er wird sich heilen. Nur frage ich mich, wie es mit Draven aussieht.« »Ich bin sicher, dass sie nicht stirbt«, antwortete Bruce. »Sie konnte sich schon immer selbst regenerieren. Und sie ist kein Mensch, Herr, da bin ich mir sicher wie nie zuvor. Sie hat starke dämonische Kräfte in sich, und diese Kräfte werden immer stärker. So schwer sie auch verletzt ist...« Er seufzte. »Sie wird es überstehen.« »In Ordnung«, sagte der Baron nun und erhob sich. »Lassen wir Draven erst einmal außen vor. Wichtig ist jetzt Jackson. Wir beide wissen, wie mächtig er ist. Aber solange er angeschlagen ist, hast du gute Chancen, ihn zu besiegen. Also verschwende keine Zeit. Suche und finde ihn, Bruce. Und wenn du ihn gefunden hast, weißt du, was zu tun ist.« Er blickte seinen Stellvertreter an, und für einen Augenblick glaubte Bruce, dass sich ein feines Lächeln auf die Lippen seines Herrn legte. Allerdings vermochte der junge Vampir schon eine Sekunde später nicht mehr zu sagen, ob er sich das nicht doch nur eingebildet hatte. Bruce grinste. Wie es schien, war der Baron zufrieden. Der junge Vampir stand auf, verabschiedete sich und verließ das Büro ... Boris Baron von Kradoc blickte einen Moment auf die geschlossene Tür, durch die sein Stellvertreter gerade sein Büro verlassen hatte. Bruce überrascht mich immer wieder, dachte der alte Vampir. Ich frage mich, ob irgend etwas in der Lage ist, seine Zuversicht zu stoppen. Wenn er eines Tages Ehrgeiz entwickeln sollte, der darüber hinausgeht, jede Nacht Spaß zu haben, sollte ich vorbereitet sein. Doch wirkliche Sorgen machte der Baron sich nicht. Bruce war ihm treu, da war er sich sicher. Bei einer gewissen anderen Person war er nicht ganz so zuversichtlich. Es war wieder einmal an der Zeit, sie in ihre Grenzen zu verweisen. Er drückte einen Knopf der Gegensprechanlage. »Katrina, in fünf Minuten in meinem Büro!« »Ja, Herr.« Nach genau fünf Minuten klopfte es an der Tür und Katrina trat ein. »Setzt dich, Katrina!«, begrüßte der Baron die Vampirin. Sie nahm schweigend Platz und schlug die Beine übereinander. Sie hatte die Kleidung gewechselt und sah wieder perfekt wie immer aus. »Katrina«, begann Kradoc, »du kanntest meinen Willen in Bezug auf Ryder Jackson?« »Ja, Herr, aber ich . . .« Sie verstummte, als sie seinen Blick bemerkte. »Ich bin nicht bereit, diese Unterhaltung noch öfter zu führen. Erst recht nicht bei so brisanten Angelegenheiten. Einsatz und Ehrgeiz sind durchaus lohnende Tugenden.« Katrina wollte bereits aufatmen, als der Baron fortfuhr. »Doch wenn dein kleinlicher Ehrgeiz mein Imperium bedroht, dann bedrohst du mich.« Die Fortsetzung dieses Gedankens sprach er nicht aus - Katrina würde nicht wollen, dass Kradoc sich von ihr bedroht fühlte.
»Herr, ich habe immer nur das Beste für Ihre Herrschaft im Sinn gehabt«, behauptete die Vampirin. »Was das Beste ist, entscheide ich. Und dazu gehört, dass Bruce in Ruhe seine Aufgaben erledigen kann. Ich denke, wir haben uns verstanden.« »Ja, Herr.« Der Baron schwieg und wandte sich seinem Computer zu. Das Gespräch war beendet. * Ryder Jackson hatte sich zurückgezogen. Er war schwer verwundet, brauchte jetzt Ruhe. Nichts war so gelaufen, wie es geplant gewesen war. Und schuld daran war einzig und allein diese Vampirjägerin gewesen. Wäre Draven nicht so überraschend aufgetaucht, wäre alles erwartungsgemäß über die Bühne gegangen, da war Jackson sicher. Bruce Darkness war ja eigentlich schon so gut wie tot gewesen ... Selten in den vielen, vielen Jahren seines untoten Lebens war Ryder Jackson einmal so zornig gewesen. So wütend, dass er am liebsten getobt hätte. Nicht nur, weil diese Draven ihm alles vermasselt hatte. Es war auch, weil es ihr gelungen war, ihn so schwer zu verletzen. Der alte Mann sah an die Stelle seines Körpers, an der sich normalerweise sein rechter Arm befand. Nichts . . . Diese Vampirkillerin hatte ihm den rechten Arm abgehackt. Abgesehen von den Schmerzen, war dies natürlich eine enorme Beeinträchtigung, weshalb er auch vorhin beschlossen hatte, sich zurückzuziehen. Er hatte sich nicht die Blöße geben wollen, sich womöglich noch stärkere Wunden zuzuziehen. Sicher, Vampire konnten sich heilen, und natürlich war auch Jackson dazu in der Lage. Kleine Wunden wie Schuss- oder Stichwunden stellten überhaupt kein Problem dar. Das war eine Sache von Sekunden, meistens jedenfalls. Aber dem alten Vampir fehlte nun ein ganzer Arm, und bis dieser komplett nachgewachsen war, würde wahrscheinlich eine ganze Weile ins Land gehen. So etwas brauchte Zeit, und zwar nicht zu knapp. Jackson blieb also nichts anderes übrig als abzuwarten. Er musste jetzt geduldig sein und seine Pläne erst mal aufschieben. Das war ärgerlich. Er war schließlich schon beinahe am Ziel gewesen. Der Alte schloss für einen Moment die Augen. Bruce hatte Glück gehabt, dachte er. Wenn Draven ihn anschließend nicht noch vernichtet hatte, dann hatte er wirklich Glück gehabt, noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein. Vorerst. Genieße die Zeit, die dir noch bleibt, Bruce Darkness!, sinnierte Jackson und beruhigte sich langsam wieder. Aber glaube nicht, du hast gewonnen. Wenn ich wieder geheilt bin, werde ich dich vernichten ... * Eine Nacht später Bruce Darkness war zuversichtlich. Er hatte zwei große Gegner.
Zum einen Celestine Draven, die er nach all der Zeit endlich stoppen musste - und zum anderen Ryder Jackson, den er im Auftrag des Barons Boris von Kradoc vernichten sollte. Das war doch mal eine echte Herausforderung. Außerdem waren beide Gegner schwer verletzt. Alles, was er tun musste, war, Draven und Jackson zu finden. Bruce verzog das Gesicht. Genau da lag das Problem - er hatte keine Ahnung, wo er sie suchen sollte. Und da er davon ausging, dass keiner der beiden in ihrem derzeitigen Zustand Bruce angreifen würde, sah es wirklich schlecht aus. Sie hielten sich verschanzt, und New York war groß, verdammt groß. Wie sollte er sie da finden? Der Stellvertreter des Herrschers von New York stoppte seine Harley vor dem Eingang des großen Fun-Centers. Ich brauche jetzt einfach etwas Ablenkung, dachte er. Vielleicht kam ihm ja eine heiße Idee, wenn er nicht zu verbissen darüber nachdachte. Das »Fun-Land« erstreckte sich über insgesamt sechs Etagen. Als Bruce eintrat, schlug ihm Tabakrauch entgegen. Aus den Lautsprechern an der Decke drang Musik und überall waren die elektronischen Laute der unzähligen Spielautomaten zu hören. Um diese Automaten herum hatten sich zahlreiche Menschen versammelt, die allesamt ihren Spaß haben wollten und auch hatten. Sie redeten, lachten, tranken Bier - und spielten natürlich. Hier unten waren vorwiegend Automaten aufgestellt, an denen man Geld gewinnen konnten. Die interessierten Bruce nicht. Ihm war jetzt nach einem spannenden Actionspiel. Deshalb zog es ihn auch in eine der oberen Etagen. In der dritten angekommen, sah er sich kurz um, doch hier waren alle Geräte belegt, also ab in die vierte. Hier gab es Billard- und Air-Hockey-Tische, eine Bowlingbahn und eben jene Spielgeräte, die Bruce interessierten. Sein Blick fiel auf ein Cyber-Space-Game. »Alien-Fight« hieß es und Bruce entschied sich für eine Runde. Er setzte eine Cyberspacebrille auf und zog einen entsprechenden Handschuh an. Sobald das Spiel losging, sah er durch die Brille das, was man bei einem normalen Computerspiel auf dem Bildschirm sah. Der Vorteil beim Cyberspace war, dass die Technik einen glauben ließ, mitten im Spiel zu sein. Bruce musste zugeben, dass alles ziemlich beeindruckend wirkte. Wohin er sich auch drehte und wendete, er sah um sich herum eine virtuelle, aber doch ziemlich realistisch wirkende Welt. In dieser Welt befand er sich auf dem Dach eines riesigen Wolkenkratzers. Es war dunkel. Wenn er zum Himmel blickte, sah er den vollen Mond, der seinen silbrigen Schein auf die Erde warf. Bewegte er sich an den Rand des Daches, überkam ihn wirklich ein Gefühl der Vorsicht, ja nicht zu weit zu gehen. In Wahrheit lief er ohnehin auf der Stelle, und Bruce wollte gar nicht wissen, wie dumm er für die anderen Besucher des Fun-Centers in diesem Augenblick wirken musste. Als er schließlich am Rand des virtuellen Wolkenkratzers stand und hinabblickte, sah er weit, weit unter sich die nächtlichen Straßen New Yorks. Lichter. Autos, die wie Spielzeug wirkten, Menschen die so groß waren wie Ameisen, vielleicht ein bisschen größer. Dann kam das UFO!
Aus dem Mond heraus kam ein riesiges, rundes Raumschiff. Es kam immer tiefer,
bis es dicht über dem Wolkenkratzer hing. Obwohl Bruce natürlich wusste, dass alles nicht echt war, zog er dennoch instinktiv den Kopf ein. Verrücktes Spiel!, dachte er. Nun sprangen aus dem UFO eine große Zahl Aliens. Sobald sie auf dem Boden des Daches landeten, stürmten sie auf Bruce zu. Der hob seine rechte, in dem Cyber-Handschuh steckende Hand. Von dem Handschuh sah Bruce nichts, denn er hatte ja die Computerbrille auf, und in dem Spiel trug er keinen Handschuh, sondern eine wuchtige Laserpistole! Bruce zielte - und zog durch! Der rote Laserstrahl zuckte aus der Waffe hervor. Daneben ... Scheiße!, dachte Bruce. Das ist ja wie im wirklichen Leben. Er schoss wieder und diesmal fraß sich der Strahl in den ersten Alien, der gleich darauf in einem Feuerball verging. Von nun an schoss Bruce einen Alien nach dem anderen über den Haufen. Nicht, dass jeder Schuss ein Treffer wäre. Der Vampir war schon mit jedem zweiten zufrieden. Aber die Außerirdischen kamen langsam genug heran, dass er sie alle erwischte. Doch mit jedem, den er traf, kam ein neuer aus dem UFO. Und die Aliens wurden schneller! Durch seine überragende Geschwindigkeit hielt sich Bruce ganz gut. Zwar verfehlte er immer wieder sein Ziel, aber letztendlich traf er dann doch. Dann wurde urplötzlich alles schwarz um ihn herum, und vor seinem Auge sah er den Schriftzug »GAME OVER«, Bruce zog den Handschuh aus und nahm dann die Brille ab. Seine Augen mussten sich erst wieder an die andere Umgebung gewöhnen. Stand er eben noch auf einem Hochhaus, fand er sich jetzt im »Fun-Land« wieder. Um ihn herum standen neugierige Zuschauer, die sich anscheinend bestens amüsiert hatten. Die Mitarbeiterin des Fun-Centers, die ihm vorhin die Computerbrille gegeben hatte, nahm sie ihm nun wieder ab. »Nicht schlecht«, sagte sie lächelnd. »So viele hat selten einer abgeknallt. Du bist sehr schnell.« Bruce lächelte breit, zwinkerte ihr zu und machte sich auf, um sich etwas Neues zu suchen. Das Spiel war nett gewesen, wirklich, aber jetzt war ihm nach etwas Realistischerem, einer Autorennfahrt oder so etwas. Suchend sah er sich um. Da legte sich ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter. »Hey, Bruce, das is' ja stark, dass man dich auch mal wieder sieht!«, vernahm er eine männliche Stimme. Bruce drehte sich um und blickte in das bleiche Gesicht von Lennie »The Panther« Conklin. Lennie war ein Vampir in Bruces Alter. Er war groß und ziemlich dürr. Kein durchtrainierter Körper wie Bruce ihn besaß. Aber er war schnell. Sogar schneller als Bruce. Deshalb wurde Lennie auch »The Panther« genannt. Er war eben schnell wie ein Panther. Die zwei Vampire reichten sich die Hände. Bruce kannte Lennie schon einige Jahre. Die zwei waren keine dicken Freunde, aber sie verstanden sich gut. Lennie spielte leidenschaftlich gern Pool, und Bruce hatte schon so manche Partie gegen ihn verloren. Im Billard war Lennie wirklich ein As. »Und wie ergehts dir so, Lennie?«, erkundigte sich Bruce. Er musste recht laut sprechen, denn bei dem Lärm hier verstand er sonst nicht einmal sein eigenes Wort. Lennie machte eine alles umfassende Handbewegung. »Och, alles in Butter, würde
ich mal sagen. Man schlägt sich halt so durch, oder? Gestern hab ich echt Glück gehabt. Hab 'ne verdammt coole Braut erwischt. Mann, die hat geschmeckt, kann ich dir sagen. Ein echter Leckerbissen. Aber von dir hört man ja mal wieder die ganz dollen Sachen, Alter. Echt abgefahren, was du da geleistet hast!« Bruce blickte ihn verwundert an. »Was meinst du denn?« »Ach, Alter, tu doch nicht so scheinheilig!« Lachend schlug Lennie ihm auf die Schulter. Völlig kraftlos, so dass Bruce eher das Gefühl hatte, dass eine Fliege sich auf seiner Schulter niedergelassen hatte. »Brauchst doch nicht so bescheiden zu sein. Mensch, du hast Jackson beinahe ins Jenseits befördert. Bruce Darkness bezwingt den mächtigen Ryder Jackson und verletzt ihn schwer. Beinahe hättest du ihn auch noch umgelegt, Mann. Ist ja echt abgefahren!« »Ja, klar«, meinte Bruce, jetzt noch mehr verwundert. »Aber sag mal: Woher weißt du denn davon?« »Na, du weißt doch, wie schnell sich solche Sachen rumsprechen. Das geht doch schneller, als man gucken kann.« »Aber ich hab doch mit gar. ..« Bruce winkte ab. Vermutlich hatte der Baron damit zu tun. Schließlich hatte Jackson eine Niederlage erlitten, und schon würde es ihm schwerer fallen, Unterstützung zu finden, wenn er New Yorks Herrscher werden wollte. Klasse! Bruce grinste. Ich bin ein echter Held. Die meisten Vampire in New York hatten großen Respekt vor Jackson. Aber nicht etwa, weil sie ihn verehrten, sondern weil sie ihn fürchteten. Jeder normale Vampir hatte Angst vor Jackson, denn der Altvampir war bekannt dafür, dass er sich seinen Respekt notfalls mit Gewalt einforderte. Wenn irgend jemand etwas machte, das ihm nicht passte, konnte es unbequem werden. Deshalb hielten sich die meisten auch von ihm fern. Bruce grinste noch breiter. Er hatte eine Idee. Er hatte noch keine Ahnung, ob die Idee gut war und ob sie etwas bringen würde, aber einen Versuch war es allemal wert. »Sag mal, Lennie«, sagte der Stellvertreter des Barons, »hättest du Lust, mir einen kleinen Gefallen zu tun?« Lennie hob die Schultern. »Aber klar doch, Mann. Wir sind doch Kumpels. Worum gehts denn?« »Das erzähle ich dir bei einer Partie Billard . . .« Bruce Darkness ging davon aus, dass sein Plan funktionierte. Er hatte Lennie aufgetragen, mit einigen seiner Kumpels innerhalb der VampirSzene kräftig über Jackson herzuziehen. Er nahm an, dass die Kerle mitmachten. Zwar hatten sie grundsätzlich ziemlichen Respekt vor Jackson. Andererseits war es Bruce gelungen, den alten Vampir schwer zu verletzten. Und hinter Bruce stand der Baron. Lennie und seine Kumpels würden nun, wenn alles glatt lief, für noch mehr Gerede sorgen. Bruce strahlte. Wenn sein Instinkt ihn nicht täuschte, würde dieses Gerede Jackson ziemlich zu schaffen machen. Der Alte hatte einen Ruf zu verlieren, und wenn die Vampire untereinander über ihn - den mächtigen Ryder Jackson - lästerten, würde ihm das ganz sicher nicht in den Kram passen. Und darauf baute Bruce. Er hoffte, dass Jackson das Ganze so sehr zu schaffen machte, dass er aus seinem Versteck kam, noch bevor sein Arm wieder nachgewachsen war, um mit Bruce abzurechnen.
Um allen zu beweisen, dass er der Stärkere war.
Um sich wieder Respekt zu verschaffen.
Wenn das klappte, brauchte Bruce ihn nicht länger zu suchen.
Jackson würde ihn finden, und dann würde Bruce ihn zur Hölle schicken und seinen
Auftrag erledigen ...
* Kirk Blackstone war ein alter, ein sehr alter Vampir. Und so sah er auch aus. Klein, untersetzt und schwach. Das graue Haar war licht und das schmale Gesicht von Falten überzogen. Viele Vampire in seinem Alter fühlten sich dennoch jung. Jung und stark. Vor allem, wenn sie Stärken besaßen, die andere, jüngere Vampire nicht hatten. Blackstone besaß keine großen Stärken. Er konnte alles ein bisschen. Er war stärker und schneller als ein normaler Mensch, doch ein durchtrainierter Sportler war ihm ebenbürtig. Er konnte nicht besonders willensstarke Personen unter seine Kontrolle zwingen, im Dunkeln sah er ganz gut, seine Sinne waren besser als die der Sterblichen, und so weiter. Er selbst sah sich als Allroundtalent, aber man konnte natürlich auch sagen, dass er nichts richtig konnte. Die jungen Vampire konnten noch nicht verstehen, dass es manchmal die Kombination der einzelnen Fähigkeiten war, die zur Überlegenheit führte. Kirk Blackstone war das egal. Er hielt sich bedeckt, trat nicht in den Vordergrund. Er war sozusagen ein Niemand. Nie war über ihn gesprochen worden, nie hatte er irgend etwas geleistet, das irgendwie in den Köpfen anderer Vampire hängen geblieben wäre. Es war ihm auch nie wichtig gewesen. Er brauchte keinen Ruhm und keine Macht. Wichtig war nur, dass er so leben - existieren - konnte, wie er wollte. Und was er wollte, war Ruhe. Und so lange er seine Ruhe hatte, war er mit sich und der Welt zufrieden. Es war nicht so, dass er sich die ganze Nacht über langweilte und nur noch dahinvegetierte - nein, ganz und gar nicht! Blackstone hatte seine Hobbys, und die pflegte er. Der alte Vampir war ein leidenschaftlicher Golfspieler - nachts war es so schön ruhig auf den Golfplätzen -, und außerdem hatte er sich schon vor Jahrhunderten der Zauberkunst verschrieben. Blackstone war ein Zauberer. Er hatte allerdings keine ausgeprägten magischen Fähigkeiten, sondern arbeitete wie menschliche Zauberer mit Tricks. Er zauberte Kaninchen aus seinem Zylinder, zersägte seine Assistentin, ließ Selbige verschwinden und allerlei mehr. Früher einmal hatte er sogar ein paar Jahre eine Bühnenshow in einem großen Theater gehabt, heute tingelte er nur noch durch Lokale und zauberte vor einem dementsprechend kleinen Publikum. In dieser Nacht hatte Blackstone einen Auftritt in einem ziemlich heruntergekommenen Schuppen. Es war eines jener Lokale, in die die Leute hauptsächlich kamen, um zu saufen. Um die Gäste bei Laune oder vor allem so lang wie möglich im Lokal zu halten, hatten die Betreiber eine kleine Bühne aufgebaut, wo jeden Abend andere unbekannte Künstler auftraten. Manchmal waren es Sänger, manchmal Ein-Mann-Unterhalter oder auch Jongleure, und manchmal - wie an diesem Abend - Zauberkünstler.
Blackstone hatte gerade ein paar Dutzend Karten nacheinander aus der Luft gezaubert und dafür angemessenen Applaus erhalten. Jetzt schenkte er sich aus einer Flasche Bier in ein Glas, ließ das Glas dabei jedoch los. Es schwebte frei in der Luft, was vor allem die Biertrinker grölen ließ. Das war diesmal kein Trick. Blackstone beherrschte tatsächlich ein wenig Telekinese. Nach diesem Kunststück führte der Zauberkünstler eine größere Illusion fuhr, zusammen mit seiner Assistentin Gloria. Gloria LaVelle war ebenfalls Vampirin, und schon Jahrzehnte lang zogen die beiden gemeinsam von Bühne zu Bühne, und bei jedem dieser Auftritte war die nun folgende Nummer immer ihr gemeinsames Lieblingskunststück gewesen: Gloria ließ sich von Blackstone zersägen. Sie führten diesen Trick in einer Art und Weise vor, die heute von anderen Künstlern so gut wie gar nicht mehr praktiziert wird, weil es inzwischen viel bessere, optisch ansprechendere Methoden gibt. Aber Blackstone weigerte sich beharrlich, mit der Zeit zu gehen. Er mochte keine neuen Tricks, er blieb den alten Geheimnissen und Vorführmethoden treu, und obwohl diese Geheimnisse weitestgehend bekannt waren, beobachtete er immer wieder, wie die Zuschauer bei diesem Trick verblüfft aufschauten. Gloria legte sich in eine lange, hohe Kiste, die auf einem Tisch stand, über dem eine breite Tischdecke lag, die an den Seiten bis auf den Boden hinabhing. Kopf und Füße schauten links und rechts aus der Kiste heraus. Nachdem er die Kiste geschlossen hatte, begann der Zauberer, sie in der Mitte zu zerteilen. Anschließend schob er die Kiste auseinander und erntete seinen Applaus. Es folgten noch einige kleinere Zaubereien und schließlich war sein Programm für diese Nacht beendet. Gemeinsam mit Gloria packte er hinter der Bühne die vielen Utensilien in große Kisten und verschloss diese. Später würden zwei Diener kommen, um die Sachen abzuholen und in seine Bleibe zu schaffen. Blackstone hatte die beiden mit viel Mühe so beeinflusst, dass sie ihm treu wie Hunde ergeben waren. Jetzt aber ging er erst einmal selbst ins Lokal. Nicht weil er etwas trinken wollte, sondern weil er nach Zuschauern suchte, die Lust hatten, sich mit ihm zu unterhalten. Es interessierte ihn immer sehr, was seine Zuschauer von seinen Kunststücken hielten, doch er bezweifelte ernsthaft, dass er in diesem Schuppen Leute fand, die sich mehr für seine Zauberei als für ihr Bierglas interessierten. Die Sitzgelegenheiten in dem großen Saal waren einfach. Die Gäste saßen auf langen Bänken, in der Art, wie es in einem Bierzelt der Fall ist. Als sich Blackstone nun durch die Reihen zwängte, erblickte er einige Meter vor sich einige junge Gäste, die er kannte. Es waren ebenfalls Vampire, und sobald er näher kam und hören konnte, worüber sie sprachen, blieb er interessiert stehen. »Und Darkness hat dem alten Jackson tatsächlich den Arm abgehackt?«, sagte Eddie Frewin, ein bulliger Typ, der nach menschlichem Ermessen - wohl gerade erst volljährig war. »Wenn ich es dir doch sage!«, erwiderte Brad Peters, der auch nicht viel älter war als Frewin. »Wenn Darkness gewollt hätte, hätte er Jackson zur Hölle geschickt. Jedenfalls hat er dem Alten ganz schön zugesetzt. Der hatte Darkness nichts entgegenzusetzen.« »Diese Pfeife!«, stieß nun ein anderer aus, dessen Namen Blackstone nicht kannte. » Ich habs ja immer gesagt - Jackson ist ein alter, schwacher Opa. Mag ja sein, dass er mal stark war, aber diese Zeiten sind längst vorbei. Es gibt überhaupt keinen Grund
mehr, Angst vor dem Irren zu haben!« Frewin nickte heftig. »Genau! Wir haben uns von dem Sack viel zu lange einschüchtern lassen. Aber damit ist jetzt Schluss! Die Schlappe, die der Kerl einstecken musste, hat sich eh schon überall herumgesprochen ...« Mehr wollte Blackstone nicht hören. Sein Interesse, mit einigen seiner Zuschauer zu sprechen, war verflogen. Stattdessen eilte er nun in den Vorraum des Lokals, wo es einen öffentlichen Münzfernsprecher gab. Rasch schob er einen Quarter in den Schlitz und wählte eine Nummer. Am anderen Ende der Leitung sprang nur der Anrufbeantworter an Blackstone fluchte leise und hängte wieder ein. Rasch machte er sich wieder auf den Weg in seine Garderobe. Aus seinem Koffer kramte er sein kleines Adressbuch. Die eigentliche Telefonnummer seines alten Freundes hatte er im Kopf, aber seine Handynummer konnte er einfach nicht behalten. Die hatte er sich notieren müssen. Sobald er die Nummer herausgesucht hatte, eilte er wieder zu dem Münzfernsprecher und wählte die lange Nummer. »Es ist mir egal, ob der Baron ihn für vogelfrei erklärt hat. ..«, murmelte er dabei. Am anderen Ende der Leitung wurde der Anruf entgegengenommen. »Ryder?«, sagte Blackstone. »Ich bin es, Kirk .. .« Ryder Jackson beendete das Telefongespräch mit seinem alten Freund Kirk Blackstone und zog nachdenklich die Stirn in Falten. Früher einmal war er sehr eng mit Blackstone befreundet gewesen, und obwohl die beiden Vampire so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht, hatten sie immer ein gutes Verhältnis zueinander gehabt, auch wenn sie sich nur noch sehr selten sahen. Aber wenn sie sich sahen, hatten sie sich stets eine Menge zu erzählen, und oft plauderten sie natürlich auch über längst vergangene Zeiten. Was Blackstone ihm aber eben gesagt hatte, gefiel Jackson gar nicht. Denn wie es schien, machten sich die Vampire New Yorks über ihn - Ryder Jackson - lustig! Sie lachten über ihn. Überall war er Gesprächsthema Nummer Eins. Es wurde erzählt, dass es Bruce Darkness gelungen war, ihn zu bezwingen. Dass Darkness ihm den rechten Arm abgehackt hatte! Ganz davon abgesehen, dass dies gelogen war, dass es in Wahrheit Draven gewesen war, die Jackson verwundet hatte, konnte und wollte der alte Vampir so etwas natürlich nicht hinnehmen. Niemand sollte über ihn lachen! Jackson war ein sehr stolzer Vampir. Und stets hatten die anderen Vampire großen Respekt vor ihm gehabt. Sie hatten ihn gefürchtet, wussten sie doch, was für große Kräfte er besaß. Und nun das! Jacksons Augen verengten sich zu Schlitzen, in den Pupillen begann es gefährlich zu funkeln und sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Er musste etwas unternehmen, das stand fest. Er musste das Gerede der Vampire stoppen, sie mussten ihn wieder respektieren und fürchten, sonst würde er nie Herrscher von New York werden. Und um das zu erreichen, gab es nur eine Möglichkeit: Er musste Bruce Darkness vernichten. Sofort! Wenn er zu viel Zeit verlor, konnte es für seinen Ruf zu spät sein. Er durfte nicht warten, bis sein Arm nachgewachsen war. Er musste beweisen, dass er auch verwundet noch stark war. Stärker als die anderen Vampire.
Stärker als Bruce Darkness . . . Die Stunden vergingen. Nicht mehr lange, und die Sonne ging auf. Bruce langweilte sich. Jackson war noch immer nicht aufgetaucht. Vielleicht ist er doch ein Feigling, dachte der junge Vampir. Aber wahrscheinlich war er einfach zu ungeduldig. Er konnte nicht erwarten, dass alles so schnell ging. Schließlich musste es sich erst mal alles herumsprechen, und das war am wichtigsten - das Gerede der Vampire musste Ryder Jackson erreichen. Wusste der Teufel, wo sich der Alte verschanzt hielt. Es konnte Ewigkeiten dauern, bis er von all dem etwas mitbekam. Trotzdem - der Stellvertreter des Barons langweilte sich. Jede Stunde, die verging, kam ihm vor wie eine ganze Nacht. Die Zeit dehnte sich wie Kaugummi. Bald würde die Sonne aufgehen. Als die Nacht zu Ende ging und Bruce seine Wohnung erreichte, musste er zugeben, dass er etwas enttäuscht war. Er hatte wirklich gehofft, dass er Jackson noch in dieser Nacht gegenüberstehen würde... Kaum war am nächsten Abend die Sonne wieder untergegangen, war Bruce Darkness auf den Beinen! Würde Jackson auftauchen? Oder interessierte den das Gerede gar nicht. Aber das konnte sich Bruce nicht vorstellen. Jackson war verdammt stolz und es ließ ihn ganz sicher nicht kalt, wenn über ihn gelacht und getuschelt wurde. Die Frage war nur, ob er in seinem Versteck überhaupt etwas davon mitbekam . . . Bruce war klar, dass er nichts erreichte, wenn er die ganze Nacht über nur darauf wartete, dass vielleicht etwas passierte. Er konnte nicht die ganze Zeit nur ziellos durch die Straßen laufen. Das würde mich nur in den Wahnsinn treiben, dachte er. Da fahre ich doch lieber irgendwohin, wo ich Spaß haben kann. Bald darauf erreichte er auch schon den Club Daemonique. Vor dem Eingang standen bereits einige Leute, doch noch war recht wenig los. Richtig voll würde es in dem Szeneclub wahrscheinlich erst in zwei, drei Stunden werden. Bruce dachte nach. Es war wahrscheinlich, dass Jackson trotz aller Wut, die das Gerede der Leute im Moment in ihm hochkochen ließ, nicht unüberlegt zuschlug. Er war viele Jahrhunderte alt. Er hatte viel erlebt und vor allem - er hatte immer überlebt. Gefahren für Vampir lauerten überall, das wusste Bruce aus eigener Erfahrung. Selbst er, der noch sehr jung war, hatte es schon mit vielen gefährlichen Gegnern zu tun gehabt - Vampirjäger, Dämonen oder auch gegnerische Vampire. Jackson war nicht nur stark, sondern auch clever, sonst wäre er nicht so alt geworden. Trotzdem baute Bruce weiterhin auf Jacksons verletzten Stolz. Der alte Vampir würde warten, bis er die Möglichkeit bekam, gegen Bruce an einem Ort zu kämpfen, an dem sich viele andere Vampire aufhielten. Er wollte schließlich, dass die anderen sahen, wie er Bruce vernichtete! Denn wenn er Zeugen hatte, wie Bruce von ihm getötet wurde, würde niemand mehr über ihn lachen. Dann hatten sie wieder Angst vor Jackson! Also, so beschloss Bruce, würde er sich einen Ort suchen, wo viele Vampire herumliefen. Er sah sich im Club Daemonique um.
Eigentlich bin ich da ja schon, dachte der Vampir.
Dann erinnerte er sich an die Anweisung des Barons, dass die Menschen nichts von
den Vampiren erfahren sollten.
»Verdammt!«, grummelte Bruce.
Doch er hatte ein Idee. Sofort machte sich der junge Vampir auf den Weg.
Dort konnte er Ryder Jackson in aller Ruhe auseinander nehmen .. .
* Ryder Jackson wartete. Nicht so lange, wie er es eigentlich vorgehabt hatte, denn bis zur endgültigen Wiederherstellung seines rechten Armes konnte es noch eine geraume Weile dauern. Die Hand war bereits wieder nachgewachsen, allerdings befand sie sich nun fast direkt an der Schulter, sodass sie eigentlich zu nichts zu gebrauchen war. Trotzdem wollte er so schnell wie möglich handeln. Er musste Bruce Darkness vernichten und sich dadurch wieder Respekt verschaffen. Den Respekt, der ihm seiner Meinung nach gebührte. Allerdings musste er den genauen Zeitpunkt abwarten. Er konnte Darkness nicht einfach killen. Es musste unter Zeugen geschehen. Andere Vampire sollten anwesend sein, sie sollten sehen, wie stark Ryder auch in angeschlagenem Zustand war. Sie sollten sehen, dass er der stärkste Vampir der ganzen Welt war! Nur so konnte er seinen Ruf wieder herstellen. Nur so würden ihn die anderen, schwächeren Vampire wieder fürchten. Vorhin hatte sich Darkness vor diesem Club aufgehalten, in dem er sich oft herumtrieb. Sich ihm dort gegenüberzustellen hätte Jackson nichts gebracht. Um diese Uhrzeit hielten sich dort noch zu wenige Vampire auf. Außerdem war es besser, wenn so wenig Menschen wie möglich etwas von all dem mitbekamen. Ryder Jackson schloss die Augen und konzentrierte erneut seine geistigen Kräfte darauf, Bruce Darkness Aufenthaltsort zu finden. Wenige Augenblicke später wusste er, wo sich der junge Vampir befand. Und dieses Mal war Jackson zufrieden. Höchst zufrieden. Ja, das ist der richtige Platz, um den Bastard zu vernichten!, dachte der alte Vampir, und ein feines Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. Abermals konzentrierte er sich. Er schimmerte, wurde durchsichtig und verschwand . . . * »Da ist ja unser Held! Mensch, Darkness, dem Dreckskerl Jackson hast du ja echt die Hammelbeine langgezogen. Reife Leistung, Alter!« Kaum, dass Bruce den Vorraum der Discothek Esquire betreten hatten, wurde er auch schon gefeiert. Das Esquire war eine Disco, die fast ausschließlich von Vampiren besucht wurde. Es war ein Treffpunkt, eine Anlaufstelle, hier war man weitestgehend unter sich. Hin und wieder verliefen sich auch mal ein paar Menschen hierher, sicher. Doch die wurden freundlich, aber bestimmt an der Tür von einem bulligen Rausschmeißer abgefangen. Und wenn doch einmal ein Sterblicher hineingelangte - dann hatte er Pech. Hier konnten die Vampire reden und sich verhalten, wie sie wollten, ohne dass die Gefahr bestand, dass Menschen auf sie aufmerksam wurden.
Die Vampire, die Bruce jetzt so überschwenglich begrüßten, kannte Bruce Darkness nur flüchtig. Manchmal traf er sie - vorwiegend in dieser Disco -, dann unterhielten sie sich ein bisschen und genossen die Nacht. »Ist ja schon gut, Leute«, winkte der Stellvertreter des Barons ab. Natürlich fand er es toll, ein Held zu sein, aber er hatte im Moment nun mal anderes im Kopf. Das Esquire wäre der ideale Ort für Jackson, um allen zu zeigen, dass er immer noch stärker war als Bruce. Noch war es zwar ziemlich ruhig hier, aber schon in kurzer Zeit würde hier die Hälfte der jungen, New Yorker Vampire herumschwirren, und dann hätte der Jackson wirklich mehr als genug Zuschauer. Die Frage war nur, ob er Bruce hier überhaupt finden würde? Aber eigentlich war Bruce da zuversichtlich. Wenn Jackson ihn finden wollte, fand er ihn auch. Es war nur eine Frage der Zeit... Die Zeit verging nur schleppend. Bruce Darkness kam beinahe jede Sekunde wie eine Ewigkeit vor. Der junge Vampir stand etwas abseits der Tanzfläche und beobachtete das Geschehen. Er hätte sich ja gerne in das Getümmel gestürzt und mitgemacht, aber das würde seine Aufmerksamkeit wohl zu sehr stören. Er hatte schließlich nicht vor, den Alten eine Chance zu geben, ihn wieder zu überraschen. Und dann hörte er die Stimme! Sie nahm nicht erst den Umweg über seine Ohren, sondern erklang direkt in seinem Kopf. Ryder Jackson! Mach dich bereit, Bruce Darkness. Gleich werde ich dich vernichten! * Kaum hatte Bruce Jacksons Stimme vernommen, brach in der Disco die Hölle los! Mitten auf der runden Tanzfläche schoss Nebel aus dem Boden hervor. Die Vampire, die eben noch ausgelassen getanzt hatten, wichen erschrocken zu Seite. Irgend etwas explodierte ... Und aus dem Rauch heraus materialisierten sich seltsame blaue Lichter, die sich verteilten und verformten. Sie schlängelten sich um den Rand der Tanzfläche herum, trieben alle Vampire noch weiter von der Fläche weg, sodass diese nun leer war. Dann verformten sie sich weiter, schossen nach oben, bis sie schließlich wie ein dichter, etwa zwei Meter hoher Gitterzaun die Tanzfläche umschlossen. Als Nebel und Feuer schließlich gänzlich verschwunden und nur noch die blauen Lichtgitter da waren, erklang ein lauter, donnernder Knall. Ryder Jackson erschien! Er stand in der Mitte der Tanzfläche. Wie aus dem Nichts war er erschienen. Bruce starrte ihn an - und lachte. »Mann, Jackson«, rief er, »starker Auftritt! Wirklich cool!« Er streckte die Rechte aus, die Handfläche nach oben. »Gib mir fünf!« Bruce Darkness war natürlich viel zu weit entfernt, als dass Jackson wirklich einschlagen konnte. Aber das war auch gar nicht beabsichtigt, denn Bruce zog seine Hand sofort wieder zurück. »Nein«, sagte er in einer Anspielung auf Jacksons Hand, die direkt aus der Schulter wuchs, »das wird wohl nicht gehen.« Er lachte wieder.
»Komm schon, Bruce«, forderte Jackson den Stellvertreter des Barons von Kradoc mit einem dünnen Lächeln auf. »Komm schon her. Du kannst sorglos durch das Lichtgitter hindurchgehen.« Gleich nach diesen Worten hob er mahnend die linke Hand. »Aber alle anderen, die den Drang verspüren, dies ebenfalls zu tun, seien gewarnt: Ihr würdet jämmerlich verbrennen!« Ein Raunen ging durch die Menge. Bruce sah sich noch einmal kurz um. Die anderen Vampire starrten wie gebannt auf ihn, waren gespannt, was jetzt passieren würde. Bruce setzte sich in Bewegung, schlenderte auf seinen Gegner zu. Jetzt hatte Jackson, was er wollte, das musste er ihm lassen. Er würde ungestört gegen Bruce kämpfen können und hatte doch Dutzende Zuschauer. Oder . . .? Den jungen Vampir überkam ein beunruhigender Gedanke. Was, wenn er in eine Falle lief? Jackson hatte ihm zwar gesagt, dass er sorglos durch das Lichtgitter laufen konnte. Aber woher sollte er wissen, dass das stimmte? Vertrauen konnte er Jackson jedenfalls nicht. Der Alte wollte Bruces Tod ebenso, wie der Jüngere dessen Vernichtung erreichen wollte. Und wenn er - Bruce - im Lichtgitter verglühte, hätte Jackson sein Ziel erreicht, noch bevor Bruce irgend etwas tun konnte . .. Der junge Vampir hatte das Gitter erreicht. Bruce spürte die Hitze, die von den blauen Strahlen ausging. Er blieb stehen, grinste Jackson breit an. Was solls, dachte er, und trat durch das Gitter. Gespannte Stille herrschte in der Disco. Wahrscheinlich war es hier noch nie so ruhig gewesen. Bruce berührte das Lichtgitter. Nichts geschah . . . Ein erleichtertes Aufatmen ging durch den Raum und übertönte Bruces leises »Uff!« Er befand sich jetzt auf der eingezäunten Tanzfläche. Jackson stand ihm gegenüber. Vier, vielleicht fünf Meter trennten sie voneinander. Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, blickte Bruce den Alten an. »Na«, sagte er, »du siehst schlecht aus, alter Mann. Wie lebt es sich denn so mit nur einem Arm?« Jackson verzog keine Miene, nichts war in seinem Gesicht zu lesen. »Ich denke, dir geht es im Moment erheblich schlechter als mir, Bruce. Oder willst du mir etwa weismachen, dass es dich nicht zu Tode ärgert, dass nicht du mir diese Verletzung zugefügt hast, sondern eine Vampirjägerin?« Erneut ging ein Raunen durch den Saal. Unglauben sprach aus den Gesichtern der meisten Anwesenden. »Ja, ihr hört richtig«, wandte sich Jackson an die zahlreichen Vampire. »Euer großer Held Bruce Darkness hat euch belogen. Er war es nicht, der mir den Arm abgetrennt hat!« Bruce kicherte. »Oh, Mann, Jackson, du bist stolz darauf, dass dir eine Sterbliche den Arm abgehackt hat?« Er sah den Alten ungläubig an. »Also das wäre mir peinlich. Im Übrigen habe ich nie erzählt, dass ich es war. Das müssen andere gewesen sein.« Er machte eine kurze Pause. »Aber das ist ja egal, denn du bist hier, wie geplant, und ich mache dich jetzt kalt.« »Oder ich dich!« Mit diesen Worten griff Ryder Jackson an. Plötzlich hielt er eine MP in der Linken. Und gleich darauf ratterte die Waffe los. Bruce hatte gerade noch Zeit, zur Seite zu hechten und sich hinzuwerfen.
Katzengewandt rollte er sich ab. Die Salven pfiffen über und neben ihn hinweg. Er spürte das heiße Blei ganz nah an seinem Körper. Doch getroffen hatte Jackson nicht. Die Kugeln schlugen nur ins Publikum. Bruce war wieder auf den Beinen, riss seine Schrotpistole hervor. Jackson feuerte erneut - und traf. Das Blei bohrte sich in Bruces linken Arm und die Seite. »Verdammt!«, schrie der jüngere Vampir, als er einen Schritt zurücktaumelte. Dann brachte er seine Waffe in Anschlag und feuerte sofort beide Läufe ab. Er stand etwa sechs Meter von Jackson entfernt, die Schrotladung würde den Alten vermutlich nur kitzeln. Was solls, dachte Bruce, wenn er vor Lachen die Waffe fallen lässt, reichts mir auch. Doch die Kugeln zeigten keine Wirkung. Wieder traf Bruce ein Feuerstoß, wieder taumelte er einen Schritt zurück. Dann war das Magazin leer. Fluchend warf Jackson die nutzlose Waffe zur Seite. Bruce stand ihm gegenüber, zog sein Hiebmesser. Seine Wunden heilten bereits. Jackson hob seinen einen Arm hoch in die Luft und Bruce war klar, dass es bis zur nächsten Teufelei nicht lange dauern würde. Brüllend stürmte der junge Vampir auf seinen Gegner zu. Er war schnell, schneller als Jackson. Mit einem waghalsigen Sprung stürzte er sich auf den Alten und riss ihn um. Beide gingen zu Boden, wälzten sich in enger Umklammerung über die Tanzfläche. Jeder versuchte, den anderen unter sich zu bringen. Plötzlich war Jackson über Bruce, richtete sich halb auf und holte mit der Faust aus. Bruce, der noch immer sein Messer umklammerte, ließ es durch die Luft sausen, traf Jacksons Hals. Der alte Vampir konnte gerade noch rechtzeitig zurückzucken. Der Stellvertreter des Barons schlitzte ihm die Kehle auf, schaffte es jedoch nicht, seinem Gegner den Kopf von den Schultern zu trennen. Mit einem Rückhandhieb wollte Bruce sein Werk vollenden. Jacksons Linke zuckte vor, erwischte Bruces Messerhand, und drückte zu. Knochen knirschten. Bruce schrie auf. Gleichzeitig ballte er seine linke Hand zur Faust und wollte sie Jackson ins Gesicht donnern, doch da sprang der Alte von ihm weg. Auch Bruce kam problemlos auf die Beine. »Hey, Jackson«, rief er, »sag mal was!« Der Alte wollte tatsächlich darauf eingehen, doch er brachte nur ein Röcheln hervor. Seine Stimmbänder waren durch Bruces Messerhieb zerfetzt. Wütend funkelte er den jüngeren Vampir an. Die Wunde heilte bereits wieder. Bruce zögerte nicht länger, setzte nach. Sein Messer hatte er hoch erhoben. Jackson sprang ihm entgegen. Seine Hand hatte sich zu einer Schwertklinge geformt. Klirrend prallten die Klingen gegeneinander. Bruce fintete nach links. Jackson fiel nicht darauf rein, ließ sein Schwert vorschnellen. Der jüngere Vampir wirbelte um die eigene Achse und die Klinge zerschlitzte nur seine Lederjacke. Er selbst hatte nicht einen Kratzer davongetragen. Bruce drehte sich weiter, sein Hiebmesser vorgestreckt. Es sauste auf Jacksons Hals zu.
Der duckte sich ab, schwang in der gleichen Bewegung erneut sein Schwert.
Diesmal traf er.
Bruce stöhnte gequält auf, als die breite Klinge sich in seinen rechten Oberschenkel
hackte. Sie drang bis zum Knochen vor, brach ihn. Der junge Vampir knickte ein, kniete einen Moment vor Jackson. Der holte bereits aus, um seinem Gegner den Kopf von den Schultern zu schlagen. Doch Bruce rollte einfach über sein verletztes Bein ab und wälzte sich aus der Gefahrenzone, verlor dabei aber sein Hiebmesser. Jackson sprang hinterher. »Los, steh doch auf!«, rief er höhnisch, während er wieder zuschlug. Bruce rollte sich wieder rechtzeitig zur Seite. »Klatsch doch mal in die Hände!«, entgegnete er. Der Alte brüllte wütend auf, stach auf den am Boden Liegenden ein. Er traf, schlitzte Bruce die Seite auf. Doch im gleichen Moment rammte der ihm mit aller Gewalt den linken Fuß vors Knie. Das hässliche Krachen wurde nur von Jacksons Schmerzensschrei übertönt. Der alte Vampir stolperte zurück, schaffte es aber irgendwie, auf den Beinen zu bleiben. Bruce sah sich um. Da, nur zwei Meter von ihm entfernt lag seine Schrotpistole. Sein Bein heilte bereits, doch noch konnte er nicht wieder aufstehen. Er krabbelte auf die Waffe zu. Jackson, vollauf damit beschäftigt, überhaupt stehen zu bleiben, konnte nur ohnmächtig zusehen. Bruce erreichte die Pistole, ergriff sie und setzte sich auf. Dann blickte er hoch, grinste Jackson an, während er zwei neue Patronen aus seiner Jacke fingerte und die Waffe lud. Der Alte versuchte vorsichtig, sein Knie zu belasten, doch er verzog schmerzerfüllt das Gesicht. Beinahe wäre er gestürzt. Auch Bruce testete sein rechtes Bein. Noch nicht, dachte er. Aber gleich. Die Zuschauer feuerten ihn an, als wäre er ein Gladiator im alten Rom. Endlich stand er und schritt mit vorsichtigen, humpelnden Schritten auf seinen Gegner zu. Da begann Jacksons Arm zu wachsen, wurde immer länger und bewegte sich mit der Schwerthand auf Bruce zu. Der lächelte nur. Jackson schlug zu. Bruce steppte zur Seite, verlor fast die Balance, doch er blieb auf den Beinen. Er schaffte es sogar, Jacksons Arm am Handgelenk zu Packen. Der alte Vampir riss die Augen auf, so als ahnte er, was Bruce vorhatte. Der grinste - und zog. Jackson machte ein, zwei unbeholfene Hüpfer auf einem Bein, dann musste er das verletzte Knie belasten. Schreiend stürzte er zu Boden. Bruce machte einige schnelle Schritte auf seinen liegenden Gegner zu und zielte aus nur einem halben Meter Entfernung mit der Schrotpistole auf dessen Kopf. Dieser Treffer würde dem Alten einfach den Schädel von den Schultern reißen. »Hasta la vista, Baby!« Das konnte Bruce sich einfach nicht verkneifen. Er hatte den Spruch schon immer mal sagen wollen. Sein Finger krümmte sich um den Abzug. »Stopp!!«, rief Jackson. Bruce erstarrte, war von der Macht in diesem einfachen Wort wie gebannt. Der alte Vampir robbte aus der Schussbahn der Schrotpistole. Jetzt schaffte er es
auch endlich, wieder auf die Beine zu kommen. »Sieh mich an!!«, befahl er. Bruce hob den Kopf, starrte Jackson in die kalten Augen. »Ziel mit der Pistole auf deine eigene Schläfe!!« Der Stellvertreter des Barons gehorchte. Langsam, so als würde er gegen einen großen Widerstand ankämpfen, bewegte er seinen Arm in die befohlene Richtung. Blutiger Schweiß trat ihm auf die Stirn, quoll aus allen Poren. Schnell war seine gesamte Kleidung blutdurchnässt. Die Waffe hatte schon die Hälfte des Wegs zu seiner Schläfe zurückgelegt. »Mach schon!!«, herrschte Jackson den Jüngeren an. Für einen Moment schien es, dass die Pistole stillstand, dann bewegte sie sich noch schneller auf Bruces Schädel zu. Noch zehn Zentimeter . . . Noch fünf . . . Noch . . . Bruce zog den Stecher durch. Mit einem ohrenbetäubenden Knall krachten beide Läufe los. Einige Kugeln fetzten in Bruces Gesicht, rissen die Haut auf, doch die Meisten von ihnen flogen knapp an seiner Nase vorbei. Als hätte der laute Schusslärm Bruce geweckt, erwachte er aus Jacksons hypnotischem Bann, löste er sich von dessen Kontrolle. Der Alte fluchte, während Bruce verwirrt die Pistole fallen ließ und einige Schritte zurückwankte. Jackson folgte ihm. Bruce kämpfte noch um seine Orientierung, da spürte der junge Vampir einen stechenden Schmerz in der Magengegend. Er schrie auf. Als er an sich hinabblickte sah er, dass Jackson ihm seine Schwerthand in den Magen gerammt hatte. Alles war so rasend schnell gegangen, dass Bruce nichts davon mitbekommen hatte. Brüllend schnellte Bruce ein paar Schritten nach hinten aus Jacksons Reichweite. Das Schwert glitt aus seinem Bauch. Die Klinge war blutverschmiert. Bruce wich im Kreis immer weiter zurück. Jackson folgte. Na, dachte der jüngere Vampir, dieses Spiel kann ich spielen, bis ich wieder völlig geheilt bin. Doch schließlich blieb Jackson stehen. Er lächelte. »Du bist so gut wie tot, Bruce«, drohte er. Kradocs Stellvertreter lachte auf. »Wohl kaum.« Und dann verschwand Jackson. Er flimmerte kurz, wurde durchscheinend und war verschwunden. Sofort wirbelte Bruce herum. Vergiss es, du alter Sack!, dachte er. Den Trick, sich hinter seinen Gegner zu teleportieren, kenne ich. Doch Jackson blieb verschwunden. Langsam drehte Bruce sich im Kreis. Keine Spur von dem Alten. Warum ist er abgehauen?, fragte sich Bruce. Na gut, er hätte verloren, aber das war ja von Anfang an klar. Er stapfte zu seinem Messer, hob es auf und schob es in die Scheide unter seiner Jacke. Inzwischen hatten auch die Zuschauer verstanden, was passiert war, und begannen, laut zu jubeln. Es bildete sich ein Sprechchor, der »Darkness« brüllte. Bruce erreichte seine Pistole. Er lud sie noch nach, bevor er sie ebenfalls in der
Jacke verstaute. Dann sah er sich um. Die blau leuchtenden Gitterstäbe waren immer noch da, was ihn misstrauisch machte. »Jackson ist nicht geflohen«, murmelte er leise. Sonst hätte der Alte kaum seinen magischen Käfig bestehen lassen. Oder will er mich hier gefangen halten, bis die Sonne aufgeht?, überlegte Bruce. Das ist lächerlich, hier kommt kein einziger Sonnenstrahl hin. Er zog sein Hiebmesser wieder hervor und blickte sich misstrauisch um. Seine neuen Fans bemerkten seine gespannte Wachsamkeit, sie wurden leiser, verstummten langsam. Jetzt oder nie, Jackson!, dachte Bruce. Gleich ist der Rummel zu Ende und die Ablenkung vorbei. Da kreischte eine junge Vampirin auf und deutete auf Bruce - oder an ihm vorbei! Bruce wirbelte herum, schraubte sich gleichzeitig nach unten. Über ihm schloss sich krachend eine riesige Krebsschere. Der junge Vampir hatte instinktiv nach der Bedrohung geschlagen. Sein Hiebmesser donnerte auf Jacksons erneut verwandelten Arm, prallte ab, und wurde Bruce aus der Hand geprellt. Bruce wich einen Schritt zurück. »Also das ist echt albern, Alterchen!«, rief er, und sprang sofort noch einen Schritt nach hinten. Keine Sekunde zu früh, denn in dem Moment schnellte der Scherenarm auch schon vor. Dicht vor Bruces Gesicht schnappten die Backen der Zange zusammen. Noch ein Schritt zurück. Wieder schnellte die Schere vor. Bruce warf sich zu Boden, bekam Jacksons Beine zu fassen und zog ihm die Füße weg. Der Altvampir stürzte zu Boden. Bruce wollte sich auf ihn werfen, aber Jackson war schneller, verpasste ihm einen Tritt, der Bruce zurückfliegen ließ. Mit dem Rücken knallte der jüngere Vampir auf den Boden. Und ehe er etwas tun konnte, war Jackson über ihm. Die Spitzen der riesigen Krebsschere kamen seinem Gesicht bedrohlich nahe. Mit beiden Händen packte Bruce die Zange und schaffte es, sie von seinem Hals fern zu halten. Jackson über ihm presste mit aller Kraft nach unten, doch es reichte nicht. Plötzlich verformte sich die Krebszange, wurde wieder zu einem Schwert. Sofort ließ Bruce los, zuckte zurück, um nicht auch noch einige Finger zu verlieren. Jackson stach zu. Bruce riss den Kopf zur Seite. Die Klinge schlitzte nur sein Ohr auf, prallte Funken sprühend auf den Boden. Bruce packte Jacksons Handgelenk, zerrte den Alten zu sich heran. Sein Gegner stürzte ihm entgegen. Der junge Vampir rollte sich herum, hielt die Klinge dabei von sich fern. Er kam auf Jacksons Arm zu liegen, ruckte einmal kräftig. Ein gemeines Knirschen erklang, als der Unterarm des alten Vampirs brach. Der schrie auf. Bruce brachte sich in Position, wuchtete die Schwertklinge herum. Dann presste er sie nach unten. Sie schnitt in den Hals des alten Vampirs wie in Butter. Aus Jacksons Schrei wurde ein Gurgeln. Natürlich verwandelte er die Klinge sofort in eine normale Hand, doch es war zu spät. Sie hatte seinen Hals bereits bis auf die Wirbelsäule aufgeschlitzt. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er Bruce an. Der packte den Kopf des Alten mit beiden Händen, brach Jackson das Genick und riss ihm den Schädel schließlich ganz ab. Sofort zerfiel der Körper des alten Vampirs zu Staub . . .
Am nächsten Abend stand Bruce wieder vor seinem Boss. Er hatte dem Baron in der vorherigen Nacht nur noch kurz eine Erfolgsmeldung per Handy mitgeteilt. Nun hatte er persönlich einen ausführlicheren Bericht abgegeben. »Das hast du gut gemacht«, sagte Kradoc anschließend. »Jackson bei seinem übertriebenen Geltungsbedürfnis zu packen, war eine hervorragende Idee.« »Danke.« Bruce hatte es sich auf einem der Sessel im Büro des Barons bequem gemacht. »Er ist auch voll drauf reingefallen.« Er hielt einen Moment inne. »Aber dieser Käfig war schon klasse. So müssen sich die Gladiatoren gefühlt haben, wenn ihnen die Zuschauer zugejubelt haben. Man fühlt sich ziemlich gut dabei.« Seine Augen glänzten bei der Erinnerung daran. Der Baron winkte ab. »Lass dir das nicht zu Kopf steigen. Der Ruhm eines Arenakämpfers hat nie lange angedauert.« Bruce zog eine Grimasse. »Des weiteren«, fuhr der Baron fort, »ist da immer noch diese Angelegenheit mit der Vampirjägerin Celestine Draven. Sie ist schwer verletzt, aber noch nicht besiegt.« »Keine Sorge, Herr, sobald die wieder auftaucht, werde ich mich um sie kümmern.« »Unterschätze sie nicht, Bruce.« »Ach!« Bruce machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die ist doch keine Herausforderung mehr. Draven hat nachgelassen, kein Feuer mehr.« Vielleicht hast du Recht, Bruce, dachte der Baron. Aber irgendwann wirst du auf einen Gegner stoßen, dem dein Selbstvertrauen nicht gewachsen ist. Hätte Kradoc diesen Gedanken laut ausgesprochen, Bruce hätte ihm nicht geglaubt. ENDE Blut ist das Einzige, von dem Vampire sich ernähren können. Doch was ist, wenn sie nicht einmal mehr den roten Lebenssaft vertragen?
Höllengift In 14 Tagen kannst du miterleben, wie das Blut von immer mehr New Yorkern ungenießbar für die Vampire wird.