Außenseiter im Weltraum „Außenseiter im All“ – oft genug liest man in der Presse und in volkstümlich-wissenschaftlichen...
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Außenseiter im Weltraum „Außenseiter im All“ – oft genug liest man in der Presse und in volkstümlich-wissenschaftlichen Büchern von Himmelskörpern, die scheinbar aus der Reihe tanzen, die sich nicht in den festen Reigen einfügen, in dem die Planeten nach unwandelbaren Gesetzen um die Sonne kreisen. Die Kometen gehören hierher, die aus den Tiefen des Raumes auftauchen und – unter der Massenanziehung der großen Planeten – nur allzu oft ihre Bahnverhältnisse ändern, und auch gewisse Planetoiden, die über die üblichen Bereiche hinaus vorstoßen – bis in die Merkurbahn hinein oder über die Bahn des fernen Saturn hinaus. Doch im neuen UTOPIA-Abenteuer ist von Außenseitern ganz anderer Art die Rede: von menschlichen Außenseitern im Weltraum! In einer Zeit, in der die Reisen von Planet zu Planet Wirklichkeit geworden sind, in der mächtige Weltraumschiffe nach haargenau abgestimmtem Fahrplan das Sonnensystem durcheilen, wird es nicht allein drauf ankommen, die Gefahren zu meistern, die aus dem leeren Raum selbst erwachsen. Schlimmer können jene Gefahren werden, die der Mensch dem Menschen bereitet, sei es auf Grund von Konkurrenzneid oder in Gestalt von gewissenloser Freibeuterei. Diese Frage ist immerhin wichtig genug, um schon in unseren Tagen namhafte Experten der UNO zu beschäftigen. Zwei Feststellungen sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Erstens muß der Weltraum „Niemandsland“ bleiben, und außerirdische Himmelskörper dürfen keiner einzelnen Nation allein, sondern nur der gesamten Menschheit gehören. Und zweitens trägt jeder Staat die volle Verantwortung für diejenigen Raumschiffe, die unter seiner Flagge fahren. Ein Raumfahrzeug ohne nationale Flagge jedoch ist mit der gleichen Rücksichtslosigkeit zu bekämpfen, wie jedes gewöhnliche Piratenschiff in den Gewässern der Erde.
Von Alf Tjörnsen
„Melden Sie mich bitte bei Oberst Mortimer!“ Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn Harry Walm seine spitze Nase aus dieser Sache herausgehalten hätte, aber es half nun alles nichts – er stand vor dem mißtrauischen Uniformierten in der Anmeldung und kniff prüfend das rechte Auge zu. „Na – muß man hier seine Wünsche dreimal wiederholen, oder wäre es angebracht, zuvor meinen Lebenslauf schriftlich einzureichen?“ „Weder – noch“, grinste der andere und legte langsam die Hand um den Telefonhörer. Hinter ihm sah sein Kamerad neugierig von der Schreibmaschine auf. Sonst war alles unwahrscheinlich ruhig in der repräsentativen Anmeldung des S.A.T.Sicherheitsdienstes. Draußen brütete die Mittagsstunde über der weißen Atomstadt in Utah, und die Grelle der Sonnenstrahlung wurde von den grünen Jalousien zu einem sanften Dämmerlicht zerfiltert. „Weder – noch“, wiederholte der Uniformierte bedächtig. 3
„Aber der Oberst ist ein vielbeschäftigter Mann, und ich kann ihm nicht mit jedem …“ „Ich komme von der ‚Cross-Film’, mein Lieber, und nun …“ „Cross’ 3-D-Wochenschau?“ „Richtig geraten!“ Freundschaftlich knallte der Reporter dem Uniformierten die Rechte auf die besternte Schulter. „Harry Walm ist mein werter Name, und wenn Sie das Ihrem hochangesehenen Chef mal ins Ohr flüstern würden, wäre ich Ihnen verflucht dankbar.“ „Von mir aus.“ Er nahm den Hörer von der Gabel, drückte den berühmten blauen Knopf und nahm unwillkürlich Haltung an, als er den Filmmann anmeldete. Der insgeheim noch erwartete Anpfiff blieb aus. Mortimer knurrte nur kurz sein Einverständnis. Der Hörer klirrte wieder zurück. „Sir – der Oberst erwartet Sie. Melden Sie sich bitte in seinem Sekretariat.“ „Verdammt vornehmer Laden bei euch“, zwinkerte Walm und schnippte salutierend mit den Fingern. Dann schlenderte er – leise vor sich hinpfeifend, die mageren Arme in die ausgebeulten Hosentaschen gestemmt und den Geierkopf immer etwas voraus – durch zwei. drei Diensträume, sauste im Fahrstuhl in den ersten Stock und stand gleich darauf dem gefürchteten Sicherheitshäuptling gegenüber. Oberst Mortimer saß hinter seinem pompösen Schreibtisch zwischen Sternenbanner und S.A.T.-Flagge und begrüßte ihn mit wohlwollender Ironie. „Hallo, Harry – unwiderstehliches Bedürfnis gespürt, sich nach meinem Befinden zu erkundigen?“ Der Reporter schüttelte ihm lässig die Hand, während seine immer aufmerksamen Blicke rasch einmal über die mächtigen Karten an den Wänden wanderten. „Kam gerade vorbei, Mortimer, und wollte nur mal hören, ob es was Neues bei euch gibt.“ „Das wollt ihr alle, ihr scheinheiligen Schnüffler“, grinste 4
der baumlange Oberst mißvergnügt und zeigte auf einen Sessel. „Aber bei uns ist noch kein Geschäft zu machen – wir haben diesen Ivor Mexass immer noch nicht.“ Harry Walm bediente sich aus einem Tabakkasten, den Mortimer ihm hinschob. Vorsichtig verteilte er den Feinschnitt auf dem weißen Blättchen. „Dauert ein bißchen lange, Mortimer – schon fast ein halbes Jahr.“ „Schon fast ein halbes Jahr?“ schnappte der Sicherheitsexperte gereizt auf. „Sie bilden sich wohl ein, die Venus liegt gleich um die nächste Ecke, Sie harmloser Drehorgelspieler? Verfolgen Sie mal einen Verbrecher, von dem Sie nicht wissen, in welcher Gegend des Weltalls er sich aufhält.“ Der Wochenschaumann war von einer entwaffnenden Überlegenheit. Vorsichtig klebte er das zigarettenartige Gebilde zusammen. „Wenn schon, Mortimer – bei der Kontrolle, die von den internationalen Organen durchgeführt wird, hätte schon längst etwas herausspringen müssen.“ Als er den Oberst bleich werden sah, fragte er besorgt: „Ist Ihnen nicht gut, Mortimer?“ „No, mir ist gar nicht gut“, kaute der Oberst wütend, um dann mit der Faust auf den Tisch zu knallen. „Ich hätte nicht übel Lust, Sie jetzt eigenhändig zum Fenster rauszuwerfen, verdammt nochmal. Glauben Sie denn, wir wären Hottentotten? Jim Parker jagt Tag und Nacht zwischen Venus und Erde herum, um diesem Burschen das Genick zu brechen, und Sie sitzen hier …“ Was er dann noch sagen wollte, verschluckte er, mußte fürchterlich husten und sprang auf. „Was wollen Sie überhaupt, Sie – Sie …“ „Keine Beleidigung, bitte!“ winkte Harry Walm friedfertig ab und langte sich nun noch das Feuerzeug vom Tisch. „Ich lege Wert darauf, mit dem nächsten Kurierschiff zur Venus zu fliegen.“ Der Oberst ließ sich verzweifelt wieder fallen und wischte sich über die Augen. „Nehmen Sie es mir nicht übel, Harry – aber haben Sie solche Bewußtseinsstörungen öfter?“ 5
Der Reporter hielt das Feuerzeug in der Hand, ohne es anzuklicken. Die Augen der Männer ruhten prüfend ineinander. „Ernst, Mortimer!“ „Sie sind verrückt, Harry!“ „Treffe ich Jim Parker auf der Venus?“ „Wenn Sie Glück haben“, nickte der Sicherheitshäuptling unwillkürlich, besann sich dann aber darauf, daß das schon so etwas wie ein Einverständnis war und meinte resignierend: „Ich hätte Sie gar nicht reinlassen dürfen, Harry – einer wie Sie bringt nur noch mehr Unruhe in mein freudloses Dasein. Wollen Sie Saurier jagen?“ Mit einem Jubelschrei warf der Reporter das Feuerzeug auf die Schreibtischplatte zurück. Alle Überheblichkeit wich von ihm, und wie Fieber legte es sich heiß über sein hageres Gesicht. Sensationen – jetzt würde er Sensationen liefern können – Sensationen … „Wo Jim Parker ist, jagt man doch heute keine Venusbestien, Mortimer!“ Mortimer seufzte tief auf – jetzt begriff er alles. Harry Walm hatte es auf den geheimnisvollen Raumschiffpiraten abgesehen! * Ivor Mexass! Wie ein Alpdruck geisterte der Name dieses hinterlistigen Raumfliegers in den Hirnen und Herzen aller, die für eine friedliche und geordnete Weltraumfahrt verantwortlich waren. Er war der erste Außenseiter im Weltall – man würde keine Gnade mit ihm haben. Ivor Mexass! Auch die beiden „Eierschalen“, die tief über den „Silbernen Strom“ des Venuslandes dahinsausten, hatten ihn gesucht. 6
Stundenlang waren sie über dem Saurier-Sumpf gekreist. In einem der beiden federleichten Flugkörper saßen der Kommodore und sein Steuermann, der sich mit der Zunge über die trockenen Lippen fuhr. „Dein andauerndes Karussellfahren wird mein baldiges Ende herbeiführen“, prophezeite er düster, während er aufmerksam die Buntlichter anpeilte, die vor ihnen aus der dunstigen Dämmerung der hereinbrechenden Venusnacht auftauchten. Silverfield war in Sicht! „Nun gibt es gleich die übliche Lagebesprechung, und morgen machen wir den Zirkus wieder …“ „Du kannst unbesorgt sein“, unterbrach Jim Parker ihn ruhig. „Das war heute unsere letzte Suchaktion auf der Venus.“ Wernicke schielte seinen berühmten Freund verwundert an. „Ich meinte ja nur so“, stotterte er kleinlaut. „Es ist doch klar, daß wir suchen müssen, bis wir den Burschen haben.“ Jim winkte ab. Sein scharfgeschnittenes Gesicht war gezeichnet von nächtelangem Grübeln. „Ich glaube nicht, daß wir ihn hier noch finden.“ „Warum nicht?“ fragte der Steuermann rasch. „Später, Fritz – paß auf, daß du gut runterkommst.“ Unter ihnen schob sich das große Flugfeld der Venussiedlung heran, die sich einige Meilen weiter nordwärts in die tiefe, warme Talmulde mit ihren fruchtbaren Landstrichen schmiegte. Ein Lichtzeichen schwenkte aus. Sicher setzten die Eierschalen auf. Als erster sprang Jim Parker heraus. „Guten Abend, Kommodore!“ Einige Männer traten auf sie zu und salutierten. Unter ihnen Captain Brown von der Raumfahrtabtei hing der Weltpolizei. Jim gab ihnen kurz die Hand. „Guten Abend, meine Herren! Mexass ist schlauer als wir! Neue Meldungen von den Schiffen?“ „Die Raumschiffe ‚Star of the S.A.T.’, ‚Kosmos IV’ und 7
‚Luna’ melden, in ihren Überwachungsbereichen nichts Verdächtiges gesichtet zu haben.“ „Also das Übliche, Captain“, lachte Jim bitter und nahm seine Kappe ab. Der Abend war so eigenartig mild und weich, wie es nur selten in dieser nebeldurchdunsteten Welt vorkam. Von den aufkeimenden Weizenfeldern kam ein herber Duft, der an Sommertage auf der fernen Erde erinnerte. Aber Jim hatte jetzt andere Gedanken. „Ich muß Sie noch einige Stunden in Anspruch nehmen. Wir fahren am besten in die Verwaltung.“ Ohne sich um die vielsagenden Blicke seiner Unterführer zu kümmern, ging er bereits auf einen der schnittigen Schnellwagen zu, die mit strahlenden Bugscheinwerfern vor der Einfahrt zur Siedlungsstraße warteten. Einige Halbwüchsige standen daneben und sahen neugierig zu, wie der Kommodore mit raschen entschlossenen Bewegungen den Schlag aufriß. Dann schossen die Wagen davon. „Das geht wieder die Nacht durch“, meinte drinnen einer der Herren und blinzelte mit entzündeten Augen in die vorbeigleitende Venuslandschaft Captain Brown, der neben Wernicke saß, grinste unternehmungslustig. „Wernicke macht nachher seinen Saurier-Schnaps – dann geht schon alles klar.“ „Wenn ich dabei bin, immer“, sagte der Steuermann großspurig. * „Wo Bob nur bleibt?“ Wenn die altertümliche, rührend-brave Kirschbaum-Uhr über dem kleinen Atomherd auf 8 zeigte – was soviel bedeutete, als daß es hier bereits gut 9 Uhr war – bekam Mrs. Ellington es regelmäßig mit der Angst zu tun. Siedler Ellington, der in seiner 8
„Werkstattecke“ stand und an einer neuen Lichtanlage bastelte, grunzte nur verächtlich, aber das half ihm nicht viel. Seine Frau seufzte weiter. „Wie leicht kann er in den Fluß laufen!“ „Nächstens bau ich dir einen Kinderwagen für Sechzehnjährige.“ „Er ist immer mit Freddy Petersen zusammen – sie haben nichts als Dummheiten im Kopf.“ „Das sagst du jeden Abend – und nun laß mich mal in Ruhe.“ Er legte die Pfeife weg und nahm einen kleinen Elektromotor vom Regal. Obwohl hier fast alles auf Atomenergie eingerichtet war, hatte er seine kleinen Liebhabereien in ihre neue Venusheimat herübergerettet. Leise vor sich hinsummend löste er die Verschlußklappe, um den Anker neu zu wickeln. Mrs. Ellington wußte, daß man ihn bei einer solchen Beschäftigung nicht ungestraft stören durfte, und verzichtete auf weitere Stoßseufzer ihres mütterlichen Herzens. Als die Kunststofftür aufging, atmete sie auf – es war aber nur Martin Abel. Der junge Venussiedler zog ein so mürrisches Gesicht, daß sie unwillkürlich ihre Unruhe vergaß. „Aber, Mister Abel – haben Sie Ärger gehabt?“ Martin Abel war eine Seele von Mensch, und nur das Abenteurerblut, das ihn vor Jahren zur Venus getrieben hatte, machte ihm wieder zu schaffen. „Ärger?“ Mit kaum unterdrücktem Widerwillen sah er sich in dem ziemlich nüchtern eingerichteten Wohnraum um, der sich mit seinen Standardmöbeln kaum von seinem eigenen unterschied. „Ach, wissen Sie, Mother – auf die Dauer ist die Venus doch nichts für mich.“ „Nanu?“ Sie sah von ihrem Gemüsekorb auf. Aus der Werkstattecke erklang wieder ein verächtliches Grunzen. „Was ist denn mit Ihnen, Mann – Sehnsucht nach der Erde?“ 9
„Das nicht – aber ich möchte mal raus hier.“ „Was sagt denn Ihre Frau dazu?“ „Der darf ich damit nicht kommen.“ Der junge, hünenhafte Kerl sah richtig bekümmert aus. Mrs. Ellington konnte ihn sogar verstehen: die Landschaft der Venus war so schwer wie die feuchte Wärme ihrer Luft, und das Leben bot wenig Abwechslung. Aber man konnte doch seine Felder nicht im Stich lassen. „Man kann nicht auf halbem Wege stehenbleiben, Mister Abel. Wir müssen uns hier durchbeißen.“ Abel lachte unfroh auf und trat hinter den eifrig bastelnden Ellington. „Drüben in der Verwaltung ist noch alles erleuchtet – dort sitzen sie wieder und beraten, wie sie Ivor Mexass fangen können, der uns die ‚Unsichtbaren’ auf den Hals hetzte.“ Ellington legte vorsichtig den Zirkel an. „Ihre Sorgen – meine Elektromotoren sind mir lieber.“ Gedankenlos sah Abel zu. „Ich möchte schon mal mit dem Kommodore zusammen auf Jagd nach diesem Verbrecher gehen – mal raus hier – endlich mal raus hier …“ „Das schlag dir mal aus dem Kopf“, knurrte Ellington gemächlich. „Jim Parker kann ganz andere kriegen als dich.“ Ohne besondere Betonung sagte er es, aber Martin Abel fuhr zusammen, stand noch einen Augenblick still und ging dann plötzlich grußlos davon. Das leise Bummsen der zuschlagenden Tür ließ Ellington verwundert aufsehen. „Was hatte er denn?“ Seine Frau trocknete sich die Hände ab. „Deine Worte haben ihn getroffen, Vater. Er ist doch ein sehr empfindlicher und unruhiger Mensch; so ganz anders als die meisten von uns. Und nun will ich Bob suchen – sieh mal auf die Uhr!“ Es ging auf zehn. *
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„Was – schon zehn?“ „Es wird Zeit, daß Sie uns eine Erfrischung bringen, Wernicke“, rieb sich der unverwüstliche Captain Brown die Hände und beugte sich wieder über die großen Karten, die Jim Parker vor sich ausgebreitet hatte. „Ich stimme Ihnen zu, Kommodore – Mexass ist nicht mehr auf unserem schönen Stern.“ Jim kreuzte einige Punkte an und wandte dann langsam den Kopf. Ihre Blicke trafen sich, ruhten sekundenlang ineinander. Mit einem Ruck stand der Kommodore auf und reckte sich in den Schultern. „Wir können es nicht beweisen, Brown, aber ich glaube, wir verstehen uns.“ Er stemmte die Hände in die Hosentaschen und begann, auf und ab zu gehen. „Daß wir die uns bekannten Gebiete der Venus abgekämmt haben bis zum Überdruß, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen …“ „Aber nur die bekannten Gebiete“, warf einer der Offiziere ein, die erschöpft, aber mit überwachen Augen auf ihren Stühlen hingen. Es war schon gut, daß Fritz Wernicke sich leise davonmachte, um die nötigen Gegengifte auffahren zu lassen. Grell zirkelten die tiefstehenden Tischlampen einen weißen Kreis aus dem Halbdunkel des großen Raumes ab. Jim blieb vor dem Mann stehen. Ein eigenartiges Lächeln spielte um seinen Mund. „Diesmal legen Sie mich nicht rein, Weißenburg!“ Der Captain kam neugierig heran. „Wenn es zum Merkur geht, Parker, nehmen Sie mich aber mit.“ „Ich sehe schon, Brown“, meinte Jim trocken, „wir verstehen uns.“ Wie eine Atombombe schlugen diese Worte ein. Die Offiziere sprangen auf, begriffen noch nichts, erfaßten nur, daß der junge Kommodore der Suche nach Ivor Mexass eine neue Richtung geben wollte. Jim wehrte sich mit erhobenen Armen gegen den Ansturm der Überraschung, den er ausgelöst hatte. 11
„Meine Herren, wir sind uns vorhin klar geworden, daß sich unser großer Gegner Ivor Mexass nicht mehr in Gebieten der Venus, der Erde, des Erdmondes oder auch des Weltalls zwischen diesen Gestirnen aufhalten kann, die von Menschen kontrolliert werden. Wir müssen daher unsere Großfahndung nach diesem Verbrecher in Räume jenseits dieser Gebiete verlegen. Das war mir schon seit langem klar, aber leider sind auch wir Raumflieger an eine Polizeibürokratie gebunden.“ „Und nun hat man sich endlich bequemt, Ihren Forderungen zu entsprechen?“ drängte Captain Brown. „Das Raumschiff ‚Venus III’ steht mir für einen Merkurflug zur Verfügung“, nickte Jim Parker. „Weißenburg!“ Der Offizier nahm Haltung an. „Sie erhalten in den nächsten Tagen Verstärkungen und übernehmen die Venus. Ich stelle es Ihrem eigenen Ermessen anheim, mit Ihren Kräften in unerforschte Räume dieses Planeten vorzudringen.“ „Jawohl, Kommodore – das ist selbstverständlich.“ „Wernicke, Brown und ich fliegen zum Merkur.“ „Aber Sie können doch nicht mit drei Mann einen Weltkörper durchforschen.“ „Vielleicht nehme ich ein paar Leute mehr mit. Stückwerk muß unsere Suche immer bleiben, dazu sind die Räume zwischen Merkur und Erde zu gewaltig. Vieles wird von einem glücklichen Zufall abhängen.“ „Und wenn Sie auf dem Merkur kein Glück haben?“ „Dann werden wir weitersuchen. Wir müssen Ivor Mexass fangen!“ * „Wir müssen Ivor Mexass fangen!“ Klar und voller Entschlossenheit sagte es Jim Parker, und 12
seine Stimme klang durch das leichtgeöffnete Fenster. Auch Martin Abel hörte es. Sein dröhnendes Blut schmerzte immer heftiger in den Schläfen. „Übermorgen starten wir. Gehen wir die Lage noch einmal durch.“ Das kurze Aufscharren der Männerschritte zum Kartentisch hin verschluckte einige halblaute Bemerkungen. Noch fester drückte sich der junge Siedler gegen die Mauer des Verwaltungshauses. Mit atemloser Bewunderung nahm er alles in sich auf: sachliche Befehle, die Welten einschlossen – Wagemut – verhaltenes Gläserklirren … Jim Parker! Wer so sein könnte wie du! Sterne warten auf dich – die Geheimnisse des Merkur werden sich vor dir öffnen. Und ich kann weiter auf meinem Kartoffeltransporter hocken und durch den feuchtwarmen Dunst der Felder zuckeln, die genau so gut auf der Erde liegen könnten wie hier. „Zwei oder drei Freiwillige brauche ich also.“ Sollst du haben! Mit dem jähen Gefühl eines lange nicht gekannten Selbstbewußtseins wollte Abel sich aufrichten und einfach reingehen zum Kommodore. Aber in diesem Augenblick war der Laufschritt junger Burschen neben ihm. Sie riefen ihn an: „Mensch, Martin – wenn deine Frau dich hier als verhindertes Weltraumgespenst an der Wand kleben sieht …“ Er fuhr herum. Natürlich – Bob Ellington mit seinem Gefolge! Drei, vier, fünf. Alles Halbstarke. Grinsend und mit geröteten Gesichtern. Und lästern würden sie auch ganz schön. „Was treibt ihr euch hier im Dunkeln herum?“ fauchte er sie verlegen an. „Wißt ihr denn nicht, daß Jugendliche nach zehn von der Siedlungsstraße zu verschwinden haben?“ „Streng dich nicht an“, winkte der mittelgroße, kräftige Junge lässig ab, der von dem Elektromotoren bastelnden Vater stammte 13
und so etwas wie der geistige Führer seiner Clique war. „Wir kriegen höchstens ’ne Verwarnung, aber wenn sich das herumspricht, was du hier anstellst, kannst du dich getrost nach der Erde verfrachten lassen.“ Martin fühlte sich scheußlich beschämt, aber er steckte die Hände in die Taschen und tat so, als wenn nichts Besonderes los wäre. „Bob, öde hier keine Spaziergänger an.“ Schallendes Gelächter. „Spaziergänger! Horcher! Meisterdetektiv! Sag wenigstens mal, ob es da drinnen was Neues gibt.“ Martin Abel machte gute Miene zu seiner Entlarvung. Das war auch das Beste, was er tun konnte, denn immerhin war er keine zehn Jahre älter als diese Athleten und gehörte noch so halb und halb zu ihnen. „Jim Parker will zum Merkur“, berichtete er sachlich. Bob Ellington pfiff leise durch die Zähne und schlich sich auf Zehenspitzen an das Fenster heran. Kam wieder zurück und pfiff abermals. „Tolle Sache – kann man da nicht mitkommen?“ „Zum Merkur?“ zwinkerte Martin. Bobs Augen wurden groß und blank. Auch die anderen wurden still und sehnsüchtig. Sie wußten noch von früher, wie schön die weiten, klaren Sternenräume waren. Der junge Siedler winkte traurig ab. „Gebt euch keinen Illusionen hin, Jungens.“ Bob Ellington hielt ein Stück schmutziges Papier hoch. „Auch nicht, wenn man dem Kommodore einen wertvollen Wink gibt?“ „Was ist das?“ „Haben wir gefunden.“ Abel griff danach. Ein Zettel, wie aus einem Notizbuch herausgerissen. Mit flüchtig hingeworfenen Bleistiftnotizen. Martin Abel mußte schlucken, als er die Worte las. Einen Augenblick sah es aus, als wollte er in das Haus stürzen. Dann aber besann er sich. 14
„Wir sprechen noch darüber, Bob“, sagte er kurz. Sie standen noch einige Minuten unschlüssig herum. Von drinnen kamen halblaut gesprochene Worte. Einmal mußte einer einen Witz gerissen haben, denn sie lachten auf und ließen den Merkur hochleben und den Gangster Mexass, den sie jagten. So waren diese Raumflieger! Langsam und mit dem merkwürdigen Gefühl ihrer eigenen Unwichtigkeit gingen die Jungen davon. In die Venusnacht, mit den fernen Gewittern über dem Strom und den kreisenden Scheinwerferarmen der Wachttürme. Nur in Abels Hand brannte dieses kleine Stück Papier. „Jetzt weiß ich mehr als du, Jim Parker!“ * „Good evening, Henderson – komisches Gefühl hat man bei euch!“ Chefastronom Professor Henderson von der irdischen Außenstation „Luna nova“ unterdrückte höflich ein amüsiertes Lächeln, als er Oberst Mortimer im Observatorium begrüßte. Wie ein winziger Kreisel umschwebte die kosmische Station in 1730 Kilometer Höhe den Erdball. In ihren Abteilungen aber schwirrte es in allen Sprachen durcheinander. „Ich hoffe, Sie werden sich an diesen Zustand gewöhnen, Oberst. Nehmen Sie bitte Platz und betrachten Sie sich das artigste Kind der Sonne.“ Mortimer sah sich mißtrauisch um. „Kann man sich auf das Ding setzen?“ Aber als der Astronom es ihm schmunzelnd vormachte, indem er sich in einem der gefederten Beobachtungssitze niederließ, nahm er gottergeben Platz. Vorsichtig streckte er seine langen Beine unter die leicht gewölbte, über 10 Meter hohe All-Sicht-Tafel, die schräg vor ihm aufragte und den Beobachter einen tiefen Blick in die sternenübersäte Un15
endlichkeit des Weltalls tun ließ. Beeindruckt schluckte er eine schnoddrige Bemerkung herunter. „Phantastisch, Henderson – das menschliche Auge hat die Unendlichkeit vorläufig noch besser bezwungen als unsere Raumschiffe. Wo aber ist denn nun der Merkur?“ „Augenblick, Oberst!“ Auf einen Wink des Professors setzte sein Assistent einen Mechanismus in Bewegung, den es nur in diesem modernsten und bedeutendsten Observatorium der Erde gab. Mit gespenstischer Lautlosigkeit verschob sich die Sternenlandschaft auf der Sichttafel, und ein Weltkörper rückte bis kurz an den Mittelstrich. „Setzen Sie Ihre Brille auf, Mortimer, vielleicht finden Sie bereits Ihren Super-Raketen-Gangster.“ „Sie haben gut lachen“, knurrte der Sicherheitshäuptling und beugte sich vor, als mache es was aus, wenn er ein Zentimeter näher an den in feierlicher Gelassenheit und in unfaßbarer Entfernung schwebenden Weltkörper herankam. Das war er also – den flinke kleine Begleiter der Sonne, der den Astronomen von einst so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte! Dieses wahre Wundergerät aber holte den Planeten in plastischer Schärfe heran. „Eine öde Welt, Mortimer!“ „Ich sehe es schon“, nickte der Oberst atemlos. Öde – ja, das war die richtige Bezeichnung für diese tote „Mondlandschaft“, die ihm entgegengrinste. In gleißendes Sonnenlicht getaucht, in sich selbst verschwimmend unter der bestialischen Kraft einer Hitze, in der alles organische Leben eigentlich verbrennen müßte. In einem eigenartigen Graugrün erkannte man viele hundert Meilen lange, wenn auch relativ niedrige Gebirgszüge, die in fast geometrischer Gleichmäßigkeit riesige Ebenen einschlossen. Der Professor beugte sich über Mortimers Schulter und er16
klärte ihm Einzelheiten. Dabei stellte er eine Frage, die ihm schon lange auf der Seele lag. „Wer ist eigentlich dieser Ivor Mexass?“ „Wirklich eine wüste Gegend“, stellte Mortimer erschauernd fest, unterbrach sich aber und wandte ruckartig den Kopf. In seinen Augen wetterte ein großes Erstaunen. „Wieso – Sie leben hier doch nicht hinter dem Mond?“ „Nicht ganz“, lachte der Astronom. „Aber ihr hüllt euch immer in dreiviertelsdunkle Andeutungen, wenn einer von euch etwas erfahren will. Wenn Mexass nur ein harmloser Außenseiter ist, warum setzt ihr dann seinetwegen eine ganze Mammutorganisation in Bewegung?“ „Harmlos?“ murrte Mortimer. „Es ist erwiesen, daß er auf unser Schiff ‚Atlantis’ einen Überfall versucht hat. Es ist ferner …“ Das Summen des BS-Empfängers verhinderte, daß der Sicherheitschef dem Professor gegenüber unhöflich wurde. Der Assistent schaltete ein. Aus dem Sicherheitshauptquartier in der Atomstadt wurde Mortimer verlangt. Ahnungsschwer nahm er den kleinen Kasten in die Hand. „Oberst – Raumschiffleitstelle A meldet soeben, daß von dem Raumschiff ‚Meteor’ Schiffsführer Walmond, seit zehn Stunden keine Nachricht vorliegt. Das Schiff antwortet auch nicht auf Anruf.“ Der Oberst wurde bleich. Lautlos traten Henderson und der Assistent näher. „Letzter Standort?“ „Venus – Westauspeilung 115 – Quadrat VE 2945 – Erdkurs …“ „Ladung?“ „Venusuran.“ „Verdreifachen Sie die Kontrolle auf der Strecke und setzen Sie ein WP-Schiff auf die Position an. Ich bin in vier Stunden wieder in der City.“ 17
„Okay, Oberst!“ Mit einem leisen Klicken erstarb die Verbindung. Nachdenklich sah Mortimer den kleinen Kasten an und gab ihn dann dem Assistenten zurück. Unwirklich gloste neben ihm auf der AllSicht-Tafel der Merkur. Henderson spürte, wie sein Herz in einer unsinnigen Erregung aufjagte. „Glauben Sie, daß – daß – man den ‚Meteor’ überfallen hat?“ „Vielleicht haben die lieben Englein den Kahn geholt?“ antwortete Mortimer böse. Vorsichtig hangelte er sich von seinem Sitz hoch. „Es wird Zeit, daß ich euren Brummkreisel wieder verlasse.“ Das war genau um 14.02 Uhr. * „Raumschiff ‚Meteor’ spurlos verschwunden!“ Als Oberst Mortimer nach gut vier Stunden vor seinem Amt aus dem Buick stieg, war es um ihn geschehen. Mit Kameras und Kugelschreibern stürzte sich eine ganze Pressemeute auf ihn. „How do you do, Oberst! Wo ist Walmond?“ „Hat Mexass den ‚Meteor’ gekapert?“ „Wo ist Jim Parker?“ „Warum stellt er nicht den Gangster?“ Das war mehr, als ein normaler Mensch in drei Atemzügen verdauen konnte. Dazu knallte vom flimmernden Himmel eine gleißende Hitze auf die Köpfe herab. Mortimer hatte gerade Sorgen genug, man konnte es ihm kaum verdenken, daß er die hemdsärmeligen Jünglinge nur kurz anknurrte. „Pressekonferenz um 21 Uhr, Gentlemen!“ Der arme Mortimer! Sie nahmen ihm das Zögern übel und faßten ihre ersten Berichte entsprechend ab. Der Sicherheits18
häuptling konnte sich selber auf den Titelseiten mit mürrischem Gesicht und abweisenden Handbewegungen bewundern. Auch die Pressekonferenz wurde keine reine Freude für ihn. Die Journalisten waren jedoch sachlich genug, der Weltpolizei und dem S.A.T.-Sicherheitsdienst einigermaßen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die amerikanische Spätabendpresse gab dazu noch ihrer Hoffnung Ausdruck, daß es gelingen möge, die Hintermänner dieses interplanetarischen Wegelagerers und Gangsters, die sich zweifellos in den USA aufhielten, zu fassen. – James T. Collins allerdings hoffte das genaue Gegenteil. * James T. Collins war Versicherungsagent in Los Angeles. In der Versicherungsbranche bestand seine Haupttätigkeit darin, täglich sein Firmenschild abzustauben. Und dieses Firmenschild wiederum verschwieg, daß sich in seinem Büro eine geheime Kartei befand. „Die ‚New York Times’ hat eine gute Spürnase, Fee.“ Er legte die Beine auf den Schreibtisch und drückte seinen Rücken noch tiefer in das Sesselpolster. Sein blondes Glück stand neben ihm und zog vorsichtig die schön-geschwungenen Augenbrauen nach. Er konnte im Spiegel ihrer kleinen Tasche sehen, wie sie erschrak. „Mein Gott, James – ist man uns auf der Spur?“ „Um mein ehrenwertes Unternehmen kümmert sich höchstens das Finanzamt, und das auch nur mit leisem Mitgefühl“, grinste er. „Mach weiter, Fee – wir wollen gleich gehen.“ Zögernd wandte sie sich wieder ihrer Kriegsbemalung zu. Aber der Schreck saß ihr so in den reizenden Knien, daß sie mit einer raschen Bewegung ihre Tasche zuklappte und sich auf den nächsten Stuhl fallen ließ. Verwundert kam er hoch. „Was hast du denn?“ 19
Mit großen Kinderaugen sah sie ihn an. „Ob es schlimm wird, wenn man herausbekommt, daß wir mit – mit – Ivor Mexass in Verbindung stehen?“ „Psst!!“ Erregt legte er die Zeitung, weg. „Wie oft soll ich dich noch warnen, den Namen Mexass auszusprechen? Unter keinen Umständen – verstehst du?“ „Deine Vorsicht steht im Widerspruch zu deiner gespielten Gleichgültigkeit.“ Theatralisch hob er die Arme. „Oh, weibliche Unlogik! Du hast wohl noch nie etwas von Prinzipien gehört, wie? Außerdem irrst du dich – ich kenne Mexass gar nicht persönlich.“ „Aber wir arbeiten für ihn!“ „Für seine Auftraggeber“, verbesserte er sie geduldig. „Für Leute, die wissen, was Venusuran wert ist, und die noch auf ganz andere ‚Wunder des Weltalls’ warten. Hoffentlich hat der ‚Meteor’ allerhand von dem Zeug an Bord gehabt. Und nun mach dich endlich fertig. Ich habe keine Lust, hier zu verhungern.“ „Wann werden wir es erfahren?“ Gehorsam stand sie wieder auf, und auch er schnellte in den Stand. Während er ihr in den Mantel half, zeigte er wieder sein überlegenes Lächeln. „Im günstigsten Falle in vier bis sechs Wochen. Ich nehme aber an, daß er nicht sogleich die Erde anfliegt. Wahrscheinlich wird er sich erst einmal auf dem Merkur verstecken.“ „Warum denn da?“ Er verzichtete darauf, eine so naive Frage zu beantworten, und begann, die Lampen auszuknipsen. Mitten in dieser letzten Beschäftigung des Arbeitstages rasselte noch einmal der Fernsprecher. Fee schrie auf, und auch der Versicherungsagent zuckte unwillkürlich zusammen. Schrill und drohend stand dieses Rasseln im kahlen, unpersönlichen Büro. „Geh nicht ran, James – Polizei …“ „Quatsch“, sagte er wegwerfend und nahm den Hörer ab. 20
Eine dürre Männerstimme knarrte ihm entgegen. Collins’ schwammiges Gesicht wurde härter. „Haben Sie diese Beobachtungen auch in unserer Stadt gemacht?“ Die dürre Stimme hüstelte warnend. „Diese Tendenz wird auch bei uns vermerkt, Collins – besonders, was die Lebensversicherungen anbelangt.“ Collins spürte ein Würgen im Hals und wagte nicht, sein blondes Glück anzusehen. „Dann gelten also die Sonderbestimmungen?“ „Ab sofort, Collins. Evening.“ „Evening, Sir.“ Zögernd legte er wieder auf. Mit angehaltenem Atem und die Hand auf das Herz gepreßt, stand Fee noch immer regungslos da. Er schüttelte den Kopf und begann, den Raum zu untersuchen. Nach 10 Minuten war er damit fertig. Aufatmend legte er seine Hand auf ihre Schulter. „Glück gehabt – wir werden noch nicht abgehört. Komm!“ Schweigend folgte sie ihm. Vor dem Building verschluckte sie der spätabendliche Passantenstrom. Sie kämpften sich zu ihrem Wagen durch. Erst als sie den pulsierenden Union Boulevard entlangrollten, wagte sie, zu fragen: „Sind Sie uns doch auf der Spur?“ „Für uns beide interessieren sie sich vorläufig nicht“, lächelte er beruhigend und bemühte sich, seiner Stimme einen sicheren Klang zu geben. „Die Weltpolizei hat nur ihre allgemeine Kontrolle verschärft. Das hat noch gar nichts zu bedeuten, Fee.“ Er verschwieg ihr, daß sich die Fühler der Weltpolizei in eine ganz bestimmte Richtung vorzutasten begannen. Und daß diese Richtung auf Los Angeles wies. Sie kamen näher. Aber er wußte noch mehr: Ivor Mexass hatte eine „Überraschung“ für die ganze Menschheit bereit. Es kam nur darauf an, wer zuerst seinen vernichtenden Schlag anbringen konnte.
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* „Wir müssen schneller sein als Mexass!“ Oberst Mortimer konnte man kaum einen Mangel an logischem Denken nachsagen. Er versetzte sich in die Person dieses Gangsters und kam nach einigen Überlegungen zu dem ziemlich atemberaubenden Schluß, daß noch böse Überraschungen bevorstanden. „So verrückt ist einfach kein Mensch, daß er sich solche Streiche leistet und dabei alle Unbilden des Weltalls auf sich nimmt, wenn er keine Aussichten hätte, einen ganz großen Coup zu landen.“ „Eine Schiffsladung Venusuran ist ein Vermögen wert“, bemerkte ein Polizeirat. „Schon – aber ob es nur um Venusuran geht?“ „Vielleicht will er die Erde ins Nichts jagen“, meinte ein anderer und reichte seinem Chef Feuer für eine selbstgedrehte Zigarette, die scheußlich stank. Mortimer nickte dankend. „Bei solchen Abenteurern ist alles möglich, aber ich nehme doch an, daß er etwas sehr Realistisches verfolgt.“ Mortimer verbohrte sich immer mehr in einen Gedanken, der ihn nicht wieder loslassen wollte. Ruhelos ging er im großen Arbeitszimmer hin und her. Eine wahre Pestwolke zeigte seine jeweilige Position an. Unermüdlich bedienten in dem nur durch eine Glaswand abgetrennten Nachrichtenraum gutaussehende junge Mädchen ihre Apparate und hielten die Verbindung zu fernen Raumschiffen und Planeten aufrecht. Eines von ihnen trat mit einer Meldung ein. „Raumschiff ‚Star of the S.A.T.’, Standort BPT – Venus – Nordauspeilung 187, hat unbekanntes Raumschiff gesichtet, das anscheinend Havarie hat.“ Mortimer blies seinen beizenden Rauch boshaft einem schneidigen Leutnant in die Augen, der sich mit konzentrierter 22
Aufmerksamkeit das Nachrichtengirl betrachtete, nahm der Schönen die Meldung ab und trat damit vor eine große Karte. Sein Gefolge gruppierte sich um ihn. „Wann ist Parker soweit?“ Ein Major trat vor. „Nach seiner letzten Durchgabe in zwei Stunden.“ „Dann kann er es schaffen!“ * Aber es sollte alles ganz anders laufen. Wohl hatte der Kapitän des Raumschiffes ‚Star of the S.A.T.’ sich nicht geirrt. In einem Abstand von etwa 1200 Meilen lief ein unbekanntes Schiff neben ihm her, dessen Schnitt und Bauart er mit seiner hochentwickelten Optik ausmachen konnte. Aber als er seinen eigenen Kurs geändert und sich dem Fremden auf etwa 900 Meilen genähert hatte, wischte er sich über die Augen. „Ich glaube, ich träume, Herklins!“ Sein Erster Offizier schnappte nach Luft. „Unmöglich, Käpten, der kann sich doch nicht einfach in Nichts auflösen.“ Der Schiffsführer atmete unwillkürlich auf. „Also geht es Ihnen auch so, und wir beide dürften kaum denselben Gehirnfehler haben, wie?“ Vor ihnen dehnte sich das unermeßliche Weltall. Von einem fremden Raumschiff war nichts mehr zu sehen. Ein Gespensterschiff? In Orion-City war man regelrecht eingeschnappt. Oberst Mortimer hatte bereits eine Direktverbindung zu Jim Parker aufgenommen, der mit seiner ‚Venus III’ vor dem Start zur großen Jagd stand. Und nun war der Bursche entkommen? 23
* „Nun hetzen sie uns Jim Parker auf den Hals.“ Ivor Mexass sah angespannt in das Okular, und seine Rechte lag auf dem M-Auslöser, mit dessen Hilfe er dem S.A.T.-Schiff entkommen war. Frank Paley hing neben ihm in den Haltegriffen der Führerkabine. Weit vor ihnen schwebte ein Weltkörper vor dem Firmament der stillen Sterne. „Dort müssen wir hin“, sagte der Mann hart, der glaubte, er könnte das Weltall unsicher machen wie einen einsamen Waldweg. Frank Paley wußte, daß dieser rötlich leuchtende Weltkörper der Merkur war, und er konnte sich ausrechnen, daß sie immerhin noch ihre zehn Tage brauchen würden, um in den Bannkreis dieses Planeten zu kommen. Er wußte es, und er bewunderte seinen „Boß“, der eiskalt das angeschlagene Schiff durch den Raum lenkte. „Wir hätten die ‚Meteor’-Leute an Bord nehmen sollen“, meinte er bedrückt. „Was wir getan haben, wird man uns als Mord auslegen.“ „Sei unbesorgt, du Kindskopf – es wird niemand erfahren.“ Unmenschlich war diese Stimme, und der schöne Frank, der bei dem „Überfall“ der „außerirdischen Intelligenzwesen“ auf die Venussiedlung eine so unrühmliche Rolle gespielt hatte * , hätte viel darum gegeben, wenn er nicht in ihrer unmittelbaren Nähe gewesen wäre. Er fürchtete sich vor Ivor Mexass, und der wußte es. Und er schwieg lieber, als der Gangster begann, seinen beißenden Hohn wie Vitriol über ihn auszugießen. „Hätte ich dich nur niemals mitgenommen, Paley!“ „Auf der Venus konntest du mich brauchen!“ *
Siehe UTOPIA, 25. Band: „Station ‚Olivia’“
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Ein verachtungsvoller Blick streifte den unglückseligen Jüngling. Dann wandte Mexass sich wieder der Steuerung zu. „Du hast Angst, daß Jim Parker uns verfolgen könnte, he? Paley, wenn wir erst auf dem Merkur sind, soll er sogar kommen. Aber das verstehst du doch nicht.“ „Du machst schlechte Witze, Mexass!“ „Abwarten!“ Aber der schöne Frank war wach geworden. Hellwach. Er hatte noch immer gehofft, Mexass würde eines Tages von seinen Abenteuern genug haben und Kurs auf die Erde nehmen, wo man dann irgendwo untertauchen könnte. „Du willst den Kampf mit Jim Parker?“ „Er ist der einzige Mann, den ich wirklich zu fürchten habe. Man kann sich nicht vor ihm verstecken.“ „Das ist Wahnsinn …“ . Ein herrischer Blick aus kalten Augen ließ ihn verstummen. Neben ihm saß nicht ein Kamerad, sondern ein skrupelloser Egoist, dem er verfallen war. Eines Tages würde er auch ihn abschießen. Todsicher. Und vorn schob sich unmerklich langsam der ferne Planet heran. In acht oder zehn Tagen würden sie ihn erreicht haben. * „Er kann nur den Merkur anfliegen.“ In der riesigen Halle der Raumschiffswerft auf der Venus pochte der Arbeitslärm der zwanzig Ingenieure und Mechaniker wie ein machtvolles Herz, das den schlanken Leib der „Venus III“ durch den Bannkreis des Planeten in das Weltall jagen sollte. Der Kommodore und sein Steuermann standen breitbeinig auf einem Stahlpodium, von wo aus sie die Startvorbereitungen überwachen konnten. Soeben hatte ein Läufer die Meldung des „Star of the S.A.T.“ überbracht. 25
„Menschenskind – Jim – wenn wir ihn noch einholen könnten, bevor er auf dem Merkur landet!“ Fritz Wernicke trommelte mit der Faust auf der Reling. Unten ging alles einexerziert wie bei einer Truppe vor sich. Nur, daß es eben einige Stunden dauerte, ein mächtiges Raumschiff startklar zu machen. Selbst bei größter Beschleunigung, Und sie konnten nicht schneller, die Jungen, die an den Katzen am Heck entlangglitten und mit eingeübten Griffen über die Düsenklappen gingen, und auch die nicht, die vorsichtig auf den Gummiwagen die torpedostarken Antriebspatronen heranfuhren. Doch nun blieben sie überrascht stehen. Vom Stahlpodium donnerte ihnen ein „Halt“ entgegen. Jim federte bereits auf sie zu. „Blanc!“ Der Ladeingenieur kam um den Wagen herum und wischte sich über die schweißtriefende Stirn. Es war verdammt heiß, und draußen ging gerade ein mittelschwerer Gewitterregen auf die nahen Farnkräuter nieder. „Reißen Sie alle Patronen wieder heraus!“ Der Ingenieur war sonst nicht schwer von Begriff, doch jetzt blinzelte er ziemlich dumm aus den Augen. „Verzeihung, Kommodore, aber ich verstehe nicht, was …“ „Raus mit den Patronen, Mann!“ Jim zog. den Verdutzten zum Heck und machte eine herrische Handbewegung. „Aufhören, Jungens – und runter!“ In das Aufklatschen von Männerschuhen sagte er leise zu Blanc: „Wir laden um auf TU-Patronen.“ Blanc schüttelte den Kopf. „Macht nichts, Blanc – ich steuere selber.“ Schweren Herzens, aber in größter Eile setzte Blanc seine Jungen in Bewegung. Schrill schrammten die Düsenringe unter den Spezialschlüsseln. Jim warf nur einen flüchtigen Blick darauf und winkte Wernicke, der sich mit einem anderen Ingenieur herumärgerte. „Ich lasse umladen auf TU-Patronen, mein Alter. 26
Wir wollen versuchen, Mexass noch vor seiner Landung abzufangen. Oder hast du Angst, daß dir dein Whiskyvorrat auseinanderspringt?“ „Möglich wäre das schon“, grinste Fritz. „Und dann säße man ohne Feuchtigkeit in der Hölle. Aber sag mal, sind TUPatronen schon freigegeben?“ „TU“ war die halboffizielle Bezeichnung eines neuen atomaren Antriebstoffes, der von den Fachleuten noch mit Samthandschuhen angefaßt wurde. Man wußte eigentlich nie, wann das Zeug in die Luft gehen konnte. Jim lächelte seinem Kameraden zu, während sie den glasüberdeckten Mittelhof der Venuswerft betraten. Hart knallte über ihnen der Regen auf das Glasdach. „Natürlich nicht. Nur für Experimentierzwecke lagern zwanzig Stück im Magazin. Aber ich brauche sie jetzt. Sie erhöhen unsere Geschwindigkeit um siebzig Prozent.“ „Ich weiß.“ „Also – du bist einverstanden?“ Er legte Fritz die Rechte auf die Schulter. „Vielleicht gehen wir dabei kopfüber, aber wenn wir Glück haben, fangen wir den Burschen noch rechtzeitig ab.“ „Klar! Gehen wir rüber?“ „Wir müssen ins Magazin, Fritz, um …“ Er unterbrach sich und sah verwundert auf zwei Gestalten, die eben den Mittelhof durch einen Seiteneingang betraten. Einer von ihnen hob doch tatsächlich eine Filmkamera und zielte auf die beiden Raumflieger. Fritz Wernicke machte unwillkürlich sein „Keep smiling“ und winkte freundlich. „Hallo – Filmaufnahme auf der Venus?“ Jim war weniger erbaut. „Was soll das?“ fragte er den Begleiter des Filmmannes, in dem er den Bordingenieur der „Venus III“, den leichtsinnigen Lorb, erkannte. Aber schon hatte der Filmmann – der übrigens eine ganz unpassende schneeweiße Kombination trug und ziemlich verwegen darin aussah – den Gruß Wernickes erwidert. 27
„Freut mich, zwei so berühmte Männer hier anzutreffen. How do you do, Gentlemen! Meine Verehrung, Kommodore! Meine tiefe Verehrung! Harry Walm ist mein Name – von der ‚Cross-Film’, falls Sie schon mal etwas läuten gehört haben sollten. Würden Sie bitte dieses Empfehlungsschreiben meines alten Freundes Oberst Mortimer zur Kenntnis nehmen?“ Jim fühlte sich leicht angegangen, nahm aber doch den Umschlag entgegen und riß ihn auf. Bordingenieur Lorb stand grinsend dabei. „Woher kommen Sie?“ „Mit dem fälligen Kurierschiff von der Erde, Kommodore!“ Der Kommodore verzog den Mund. „Wir sind natürlich sehr erfreut, Mister Walm.“ Mit einer ahnungsschweren Bewegung zog er den Bogen hervor, der nur wenige Zeilen enthielt. „Mister Harry Walm fliegt mit meiner Einwilligung zur Venus, und ich bitte Sie, ihn bei seinem Vorhaben, Aufnahmen zu machen, nach Möglichkeit zu unterstützen und auch seine Sonderwünsche zu erfüllen, soweit es zu verantworten ist. Mortimer.“ „Sonderwünsche?“ Mit gerunzelter Stirn sah Jim sich den rasenden Wochenschaumann an. „Was habe ich darunter zu verstehen, Sir?“ Ihre Blicke ruhten ineinander. Walm war zweifellos ein ziemlich verrücktes Haus, aber es steckte doch eine geradlinige Männlichkeit in ihm, die sympathisch berührte. 28
„Sie sind auf der Jagd nach Ivor Mexass, Kommodore?“ „Yes – und?“ „Mein Unternehmen hat mich beauftragt, von dieser Verbrecherjagd im Weltall einen Sonderstreifen für unsere Wochenschau zu drehen.“ „Nicht schlecht.“ Jim lächelte und steckte das Schreiben ein. „Und wie denken Sie, so etwas zu schaffen?“ „Indem Sie mich mitnehmen!“ „Schon schlechter!“ Jim begann der langaufgeschossene Bursche mit dem Geierkopf und den unternehmungslustigen, nur etwas zu aufmerksamen Augen Spaß zu machen. „Den Gefallen kann ich Ihnen nicht tun.“ Aber Harry Walm war so leicht nicht zu erschüttern. „Wann starten Sie zur großen Verfolgungsjagd?“ „Sobald ich auf den Knopf drücke“, grinste Jim, und Wernicke fügte ernst hinzu: „Wir warten noch auf eine Kiste ‚Old Chicagoer’, sonst wären wir bereits unterwegs.“ „Wird Ihr Schiff mit Alkohol angetrieben?“ zwinkerte Walm. „Einmal haben wir es mit Selterswasser versucht“, berichtete der Steuermann betrübt. „Aber leider blieb es leise weinend liegen.“ „Verständlich. Wie ist es also, Kommodore?“ „Ich bin kein kleines Mädchen, Walm. Tut mir leid.“ Jim sah auf die Armbanduhr. Der trübe Venustag ging ganz unmerklich in die erste Dämmerung über. „Sehen Sie sich auf diesem Waschküchenstern um, solange es Ihnen gefällt. Aber mehr kann ich leider nicht für Sie tun.“ Walm kaute auf der Unterlippe. Sollte es der blonde Sternenfahrer wirklich so meinen? „Schade – dann hätte ich nicht herzukommen brauchen.“ „So long, Walm!“ „So long, Gentlemen!“ Mit einem Achselzucken und den 29
Blick auf die Schiebetür zur großen Halle gerichtet, die nur halb geschlossen war, und durch die gerade das Kreischen der Laufkatzen und eine Serie erlesener Flüche drang, wollte er einfach weitergehen. Aber hier half sein alter Trick nichts. Wernicke hielt ihn fest. „Links von Ihnen ist der Ausgang, mein Lieber.“ „Ich wollte mich nur mal in der Halle umsehen“, murrte der Wochenschaumann. „Raumschiffshallen sind tabu“, sagte Jim eindringlich, „und ich würde es Ihnen sehr übelnehmen, wenn Sie es doch einmal versuchen sollten, dort Aufnahmen zu machen.“ Er nickte ihm noch einmal zu, dann gingen er und Wernicke endlich zum Magazin hinüber, das von hier aus durch einen abwärtsführenden Gang zu erreichen war. Einen Augenblick hörte man nur den Regen trommeln. Dann meinte Walm mißbilligend: „Ein energischer junger Mann. Gefällt mir, und auch wieder nicht. Ich bin schließlich nicht zu diesem blöden Planeten gereist, um Landschaftsaufnahmen für Tante Lucies Familienblättchen zu machen.“ Lorb war ein weicher Knabe, und der andere tat ihm leid. „Sie können sich ja ruhig mal in der Halle umsehen“, meinte er gutmütig. „Aber ohne Kamera.“ Walm schaltete sofort. Erst einmal an das Schiff herankommen! Ohne Widerrede reichte er seine Kamera hin. „Immerhin schon was, Lorb. Dann kann ich wenigstens einen Bericht für unsere Filmzeichner liefern.“ „Der aber durch die Zensur muß!“ „Selbstmurmelnd!“ Bordingenieur Lorb hängte sich die Kamera um. Nach wenigen Schritten waren sie in der Halle. Die Jungen hatten die Düsenringe wieder abgehoben. Andere zogen mit unendlicher Vorsicht die Patronen aus der Kammer. Ladeingenieur Blanc kam mit einem Gummiwagen vorbei. 30
„Tag, Lorb – wird ’ne schöne Rutschpartie werden für euch.“ „Habe schon gehört, Blanc“, nickte Walms freundlicher Begleiter und zeigte auf den schlanken Leib der „Venus III“, der sich im Gerüst weit in die Halle erstreckte. „Da haben Sie den neuesten Kahn der Venusflotte.“ Harry Walm nickte. „Verdammt heiß hier“, murmelte er. Wie gedankenlos holte er ein zusammengeknülltes Taschentuch hervor und tupfte sich die längliche Stirn. „Schwitzen auch schon, wie?“ lachte Lorb arglos. Walm nickte abermals. Unendlich vorsichtig drückte sein Zeigefinger eine kleine Erhöhung. Kaum merklich begann das Tuchknäuel zu vibrieren. Die kleine Geheimkamera lief. „Gehen wir einmal näher an das Schiff heran, Walm.“ Walm tat es mit tausend Freuden. * „Noch eine Stunde, dann machen wir Schluß für heute.“ Mißmutig richtete Martin Abel sich auf. Der Vorratsroder hatte eine Panne, aber es war ihm verflucht gleichgültig, ob er wieder funktionieren würde oder nicht. Die weiten Felder des Stromtales dampften in der Gewitterschwüle. Die dritte Kartoffelernte des Venusjahres war in vollem Gange. Alle paar hundert Meter ratterte eines der schweren Geräte heran. Nur Abels Kasten stand. „Von Feierabend können wir erst reden, wenn wir hier fertig sind“, murrte der alte Ellington, der mit Holzmüller und Jenkins ungeduldig neben ihm stand. „Streng dich mal ein bißchen an – schließlich bist du zuständig für den Roder.“ „Bin kein Fachmann.“ „Stell wenigstens erstmal fest, ob es wirklich so schlimm ist.“ „Es liegt am Getriebe.“ Abel wischte sich die verschmutzten 31
Hände in einem Lappen ab. „Das kriegen wir allein nicht wieder hin.“ „Dann schicke schnell einen der Jungen zum Maschinenhaus rüber.“ „Laß, Ellington – ich geh’ selber.“ Siedler Ellington klatschte seine flache Hand auf die Motorhaube; unter seinen buschigen Augenbrauen funkelte der Spott. „Ich bedaure ja auch außerordentlich, daß es regnet, junger Herr, aber wenn Sie nach Hause wollen, um sich einen Schirm zu holen, habe ich natürlich nichts dagegen.“ Wieder klatschte die Hand auf. „Du Schönwetterbauer – verdammich nochmal …“ Martin Abel schoß es rot ins Gesicht. „Was heißt das?“ fragte er scharf und trat vor. Doch Ellington hatte ihm bereits den Rücken zugekehrt und winkte Bob ab, der mit langen Schritten über die schon abgeernteten Felder herankam. „Brauchst dich nicht zu bemühen, Boy – Mister Abel fährt höchstpersönlich zum Maschinenhaus.“ Sie lachten alle laut auf, die Siedler und ihre Frauen. Es sah aus, als wollte Abel sich auf die stürzen, die in seiner Nähe standen. Seine Fäuste waren steinhart und sie würden zuschlagen! Aber dann warf er sich herum und ging davon. „Elender Miststern!“ „Hau bloß ab, du Miesmacher“, drohte ihm einer der Männer. Abel achtete nicht darauf. Mit jedem Schritt, der ihn von den erntenden Siedlern trennte, wurde ihm leichter. In seinem Gehirn wühlte ein Gedanke, der ihn schon lange quälte und lockte. Er sprang in seinen Schnellwagen, brauste den ausgefahrenen Feldweg hinunter bis zum Maschinenhaus, das am Ortseingang lag, sagte dem diensttuenden Meister kurz Bescheid und raste weiter. Vor der Verwaltung traf er seine Frau. „Hallo, Kathy!“ Kathy Abel war ihm vor einigen Jahren gefolgt, als er die 32
Erde verlassen hatte. Und nun saß sie hier mit ihm auf der Venus und verstand ihren ewig unzufriedenen großen Jungen einfach nicht mehr. Über ihr schönes, stilles Gesicht glitt ein leichtes Lächeln, als sie ihn sah. „Schon Feierabend, Martin?“ „Komme ich dir zu früh?“ lachte er ihr aus dem langsam fahrenden Wagen zu. Sie überquerte vor ihm die Straße und schloß die Tür zu ihrem behaglichen Bungalow auf. „Das nicht, Martin – aber es ist doch erst fünf.“ Er bremste und stieg aus. „Für mich ist jedenfalls Schluß.“ „Hast du was mit ihnen gehabt?“ fragte sie besorgt. Er winkte nur ab, wirkte überhaupt furchtbar abwesend und vergaß sogar, ihr höflich die Tür zu öffnen. Hier, mitten in Silverfield, lag etwas in der Luft! Schnellwagen rasten vorbei, kamen von der Verwaltung und bogen links zur Raumschiffswerft ab, deren schlanker Kommandoturm hinter dem Farnhügel hervorgrüßte. „Was haben die denn?“ „Auf der Werft machen sie die ‚Venus III’ klar“, sagte die Frau arglos. „Jim Parker will wohl hinter diesem Gangster her.“ Sein Blick saugte sich unruhig an dem fernen Kommandoturm fest. Ein Nachbar ging vorbei und grüßte. Martin sah ihn gar nicht. Kathy zog ihn in die Diele. Mit einer fast mütterlichen Geste legte sie ihre Hände auf seine Oberarme und fragte ganz leise: „Was ist nur mit dir, Martin?“ Ihre braunen weichen Augen, ihre tastenden Hände erfaßten die Unruhe des Mannes. Irgendwie fühlte er sich beschämt. „Ich halte es hier einfach nicht länger aus, Kathy.“ Tapfer schluckte sie ihre Tränen herunter. „Hier auf der Venus nicht mehr? Ach, Martin, dann laß uns doch wieder zurückkehren zur Erde. Wir werden schon durchkommen.“ „Ach was – zur Erde …“ 33
Zur Erde? Martin Abel zog sie an sich, und für Minuten war alles unwichtig. Während draußen das Tempo der beginnenden Jagd durchs Weltall immer aufpeitschender wurde, klammerten sich zwei Menschen aneinander, die plötzlich ahnten, daß ein auswegloses Schicksal ihrer harrte. „Ich habe Angst um dich, Martin!“ „Du mußt ruhig sein, Liebes, ich werde mir alles überlegen.“ Doch als er dann in sein kleines „Arbeitszimmer“ ging, das im Oberstock lag, mußte er lächeln. Was gab es da noch zu überlegen? Er wollte Raumflieger werden! Die Sterne riefen ihn, und er konnte sich nicht wehren gegen ihren Ruf. Draußen war die grenzenlose Weite unbekannter Welten, warteten Abenteuer, lockten Gefahren … Kathy, liebe Kathy, das mußt du einsehen! Sorgsam schloß er die Tür hinter sich und holte aus einem Buchumschlag einen kleinen, beschmutzten Zettel hervor. Bob Ellington hatte ihm den Fetzen gegeben, als sie sich vor der Verwaltung trafen. „Merkur vorgesehen – 38 N – –“, war mit Bleistift daraufgeworfen, und in einet Ecke, etwas kleiner: „… für Paley …“ Mehr nicht! Vielleicht war der Wisch wertlos – vielleicht aber … * „Wir laden um auf TU-Patronen!“ Bordingenieur Lorb durfte das natürlich zu dem neugierigen Allerweltsmann Harry Walm nicht sagen, aber er mochte sich gern wichtig tun. Und der Wochenschaureporter war ein aufmerksamer Zuhörer. Sein Taschentuch hielt er vor Spannung in der Hand. 34
„Toll, Lorb – hoffentlich geht die wilde Jagd gut!“ Die kleine Geheimkamera fraß unermüdlich die „Venus III“ von allen Seiten; denn langsam hatten sie das Schiff umkreist. Und Lorb war so arglos, daß man es ruhig riskieren konnte, das „Taschentuch“ in allen möglichen Höhen zu halten. „Mit Jim Parker immer“, lachte der Bordingenieur. „Sie sollen mal sehen, Walm, wie der Kahn nachher abrauscht.“ Sie waren an der Backbordseite, aber Walm wollte die Düsen noch genauer mithaben. Einem Mechaniker ausweichend, der einen neuen Düsenring herbeitrug, schlenderten sie weiter. „Ich muß mit, Lorb!“ sagte Walm leise und eindringlich. „Geben Sie sich keinen Illusionen hin.“ „Sie müssen mir helfen, Lorb!“ „Ausgeschlossen!“ Sie bogen um das Heck. Die Jungen hingen wieder an den Katzen und ließen sich hin und her gleiten. Die große Uhr über dem mächtigen Hallentor zeigte auf 17.05 Venus-Ortszeit. In einer Stunde sollte der Ladeingenieur „Startklar’“ melden. „Lorb!“ Da war Blanc schon. „Die TU-Patronen!“ „Augenblick, Walm!“ „Oh, bitte!“ Mit schlauem Grinsen sah Walm dem davoneilenden Bordingenieur nach. Eigentlich tat es ihm leid, daß er sein Vertrauen so mißbrauchen mußte, aber von ihm wurden nun einmal Sensationsreportagen erwartet. Er stöhnte vor Hitze und hob sein Taschentuch an die Stirn, um im günstigsten Augenblick zu seiner tollsten Aufnahme zu kommen, rieb aber eifrig weiter, als er sich beobachtet fühlte und eine ironische Stimme hinter ihm sagte: „Die Venus bekommt Ihnen nicht, Mister Walm!“ Das war der Kommodore, der mit seinem Steuermann die Halle wieder betreten hatte. Walm beherrschte sich eisern, aber seine Rechte zitterte etwas. 35
„Verfluchte Hitze auf diesem Planeten, Kommodore!“ „Kann man wohl sagen. Ihr Taschentuch dürfte durchnäßt sein!“ Walm sah harmlos genug aus und wollte das Tuch gleichmütig verschwinden lassen, aber der Kommodore kam ihm zuvor. Mit einem harten Judogriff packte er zu. Walm war klug genug, sich nicht erst lange zu wehren, sondern das Tuchknäuel einfach fallen zu lassen. Wernicke bückte sich danach. „Pech gehabt, Gentlemen!“ Das Hallenpersonal wurde aufmerksam und kam neugierig heran. Ein Spion? Dem guten Harry Walm war durchaus nicht wohl in seiner Haut, als er diesen Auflauf sah. Am ruhigsten blieb wohl noch Jim Parker. „Dieses ‚Pech’ dürfte ausreichen, um Sie nach einer gründlichen Untersuchung mit dem nächsten Kurierschiff zur Erde zurückzuschicken.“ „Und was wird aus unserer gemeinsamen Jagd auf Ivor Mexass?“ fragte der Wochenschaumann unverfroren. „Die haben Sie sich jetzt endgültig verscherzt, mein Lieber!“ Er legte Walm die Hand auf die Schulter und winkte einen inzwischen herbeigerufenen WP-Offizier heran. Dann wandte er sich energisch an die Mechaniker. „Macht weiter, Jungen – seht mal auf den Uhrzeiger!“ Es war 17.11 Uhr. * „Was gibt es Neues, Mister Jones?“ Der Versicherungsagent James T. Collins war zu dem alten, zerknitterten Herrn gerufen worden, der ihm vor einigen Tagen fernmündlich etwas über die schlechte Lage in der Versicherungsbranche erzählt hatte. Jetzt allerdings brauchte er solche Redewendungen nicht mehr. Mit einer einladenden Bewegung 36
wies er auf einen der pompösen Sessel, die die konservative Strenge des vornehmen Herrenzimmers noch unterstrichen. „Arbeit gibt es, Collins!“ „Und Nachrichten von Mexass, nehme ich an?“ „Das auch.“ Der alte Herr richtete sich etwas auf und langte zu dem fahrbaren Bartischchen herüber, das er spielend heranrollte. Im Schein der altchinesischen Tischlampe konnte man sein Gesicht erkennen. Eingefallen und von einer überscharfen Intelligenz war es, die unerträglich gewirkt hätte, wenn sie nicht von zwei teilnahmsvollen Augen eigenartig belebt worden wäre. „Sehr interessante und entscheidende Nachrichten sogar, um derentwillen ich Sie hergebeten habe. Whisky oder Manhattan?“ „Manhattan, bitte!“ Sehr wohl fühlte Collins sich nicht in der Gesellschaft dieses reichen Sonderlings. „Wo hält Mexass sich auf?“ „260 000 Meilen vor dem Merkur“, lächelte Jones freundlich und wies auf eine Karte, die in einen Edelholzrahmen gespannt war und das Planetensystem darstellte. Collins benahm es fast den Atem. Was würden wohl die Polizeiorgane darum gegeben haben, wenn sie diese Karte hätten sehen können? „Sie haben die Reiseroute von Mexass festgehalten?“ fragte er beklommen. „Wie Sie sehen – sie wird jeden Tag ergänzt.“ „Dann stehen Sie in dauernder Verbindung mit ihm?“ „Seit zwei Monaten wieder.“ Collins nahm mit stummen Dank das Glas aus Jones’ Hand entgegen. „Wie ist es nur möglich, daß Sie als Privatmann auf dem Funkwege mit einem Raumschiff verkehren können?“ „Es gehören nur die nötigen Apparate dazu“, lächelte der Alte wieder und hob sein Glas. „Auf Ihre Gesundheit, Mister Collins!“ „Und auf eine glückliche Heimkehr von Mexass!“ „Yes, darauf wollen wir trinken“, sagte Jones beinahe feierlich, und als sie getrunken hatten, fuhr er fort: „Seine glückliche 37
Heimkehr liegt mir persönlich sehr am Herzen, obwohl ich noch nicht weiß, wie ich sie den Behörden gegenüber vertreten soll.“ „Verzeihung, Sir.“ Collins beugte sich vor. „Sie sagten es, als hätten Sie rein gefühlsbedingte Gründe dafür?“ „Mexass ist mein Neffe!“ „Ach!“ Mehr konnte Collins zunächst nicht hervorbringen, und erst, als Jones sich umständlich eine Zigarette entzündet hatte, meinte er: „Das hatte ich nicht erwartet. Ich sah in Ihnen nur einen Mann mit rein geschäftlichen Interessen an Mexass.“ „Warum sollte ich sie als Onkel nicht haben? Noch ein Gläschen?“ „Gern.“ Leise kluckerte es aus der Flasche. „Ich bin eben so etwas wie der geschäftliche Vertreter meines Neffen auf der Erde. Er besorgt die lohnenden Mineralien, und ich bringe sie hier an den Mann.“ „Nicht übel“, lobte Collins beides, den Schnaps und die Ansichten des alten Herrn. „Aber das ist doch nicht alles?“ „So offen wie zu Ihnen, war ich noch zu keinem anderen“, schüttelte Jones mißbilligend den Kopf. „Zu verschweigen habe ich Ihnen nichts.“ Collins legte die Beine übereinander und faltete die Hände, was ihm ganz unberechtigt das Aussehen eines disponierenden Managers gab. „Mister Jones, ‚Ihr Vertrauen ehrt mich, aber ich glaube nicht, daß Sie meine Mitarbeit gebraucht hätten, wenn Sie nicht die Polizei fürchteten.“ Jones unterdrückte ein Lächeln. „Sie mögen recht haben.“ „Ich habe für Sie“, fuhr der Versicherungsagent fort, „Verbindungen aufgenommen, die nach allen Kontinenten gehen – aber wenn die Polizei dahinterkommt, bin ich schwer dran.“ „Der Privathandel mit außerirdischen Stoffen ist verboten – das ist es eben.“ „Und das ist alles – wirklich alles?“ 38
„Sie können sich darauf verlassen.“ „In jeder Zeitung steht auf der ersten Seite, daß Mexass das Raumschiff ‚Meteor’ gekapert haben soll. Man wird ihm dafür einen Strick um den Hals legen, Mister Jones!“ „Sie scheinen schwache Nerven zu haben, Collins?“ „Durchaus nicht. Nur erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, daß unser Abkommen sich auf die Umgehung gewisser Handelseinschränkungen bezieht und größere Risiken nicht einschließt.“ „Gewiß, und es besteht kein Grund, davon abzuweichen.“ Collins kaute mechanisch. „Ahem – Sie haben eine seltsame Art, Sir, an den Dingen vorbeizureden.“ Als er aber das gleichbleibende Lächeln in den hageren Gesichtszügen Jones’ sah, stutzte er. „Oder wollen Sie etwa im Ernst behaupten, Mexass sei am Verschwinden des ‚Meteor’ unschuldig?“ „Genau das, Mister Collins!“ Der Alte langte wieder auf den Bartisch, nahm diesmal aber eine Zeitung und seine eingerahmte Karte zur Hand und reckte beides seinem feinen Gast herüber. „Wollen Sie sich bitte überzeugen?: Der ‚Meteor’ ist seit dem 14. April verschwunden. Seine letzte Position war bekannt. Ich habe sie eingezeichnet – das kleine rote Dreieck …“ „Hm – ich sehe es.“ „Auch die Position meines Neffen am 14. April habe ich eingetragen. Sehen Sie …?“ „Natürlich.“ „Berechnen Sie bitte die Distanz zwischen beiden Schiffen.“ Collins zog einen Notizblock aus der Tasche und begann. Jones ließ ihm Zeit. Genußvoll rauchte er seine Zigarette weiter. Leise hechelte der Drehbleistift. Dann ein überraschter Ausruf. „Das ist doch nicht möglich – die Distanz betrug über 3000 Meilen!“ „Genau 3300, Mister Collins. Sie können sich also gegenseitig kaum etwas getan haben. Klar?“ 39
„Ich bin sprachlos!“ Jones drückte seine Zigarette in einer Porzellanschale aus und nahm Zeitung und Karte wieder an sich. „Noch Zweifel?“ „Positionsmeldungen aus dem Weltraum können leicht frisiert sein.“ „Diesen Einwand hatte ich erwartet.“ Mit betonter Liebenswürdigkeit schenkte er. seinem Gast abermals ein. „Ich kann die Richtigkeit dieser Positionsmeldung jedoch beweisen. Auch den Behörden gegenüber.“ „Das beruhigt mich ungemein.“ „Und darauf trinken wir noch einen.“ Sie hoben wieder ihre Gläser. „Es handelt sich heute darum, für eine Schiffsladung Venusuran möglichst rasch eine solide Absatzmöglichkeit zu schaffen.“ „Darf ich um Einzelheiten bitten?“ „Mein Neffe hat sich das Erz von der Venus geholt, und zwar aus einem von den augenblicklichen Machthabern jenes Planeten bisher unerforschten Gebiet. Sie brauchen mich nicht so ungläubig anzustarren.“ „Verzeihung, Sir, ich dachte nur daran, daß auch der ‚Meteor’ diesen Stoff an Bord gehabt haben soll.“ „Wir wollen nicht abschweifen. Das Venusuran befindet sich zur Stunde an Bord seines Schiffes, das jedoch leider eine so schwere Havarie erlitten hat, daß er versuchen muß, es zum Merkur zu manövrieren und es dort sozusagen auf Grund zu setzen.“ „Wo er dann festsitzen dürfte!“ „Mit einem Totalverlust seines Schiffes rechnet er sogar. Es wäre nun das Naheliegendste, die ‚Internationale WeltraumKontrolle’ zu Hilfe zu rufen, aber solange die einzelnen Staaten auf außerirdische Stoffe ein Monopol gelegt haben, muß man es mit einem Trick versuchen.“ „Nämlich?“ 40
Einen Augenblick ruhten die Blicke ineinander, forschend und verstehend zugleich. Dann strich Jones mit der Hand über die Tischplatte. „Es muß nun hart auf hart gehen, aber so, daß Mexass möglichst aus dem Spiel bleibt. Wir werden das Venusuran mit einem der registrierten Raumschiffe zur Erde befördern lassen und es hier übernehmen.“ Collins glaubte, nicht recht gehört zu haben, aber Mister Jones winkte überlegen ab. „Ich weiß genau, was ich sage. Collins. Nun hören Sie weiter zu. Um diese Komödie geschickt einzufädeln, müssen wir dafür sorgen, daß eines der suchenden Schiffe – nur möglichst nicht zu früh – von Mexass’ Begleiter Paley einen Hilferuf erhält, so als sei es zwischen beiden zu Auseinandersetzungen gekommen. Es kommt dann darauf an, dieses Schiff – möglichst auf dem Merkur – durch einen Handstreich zu nehmen.“ „Ein tollkühnes Unterfangen.“ „Sicher. Mit Feigheit gewinnt man keine Schlachten. Ihre Aufgabe ist es nun, durch einen Mittelsmann an den S.A.T.Sicherheitsdienst und die Weltpolizei die Nachricht zu lancieren, zwischen Mexass und Paley beständen ernste Spannungen. Verstanden?“ „Verstanden habe ich schon“, gab Collins immer noch etwas mitgenommen zu. „Aber das Ganze erscheint mir so absurd, daß sich alles in mir dagegen wehrt.“ „Wir haben keine andere Möglichkeit, wenn wir nicht auf das Uran verzichten wollen.“ „Sie glauben aber doch nicht im Ernst, daß das S.A.T. und die WP sich auf ein so neckisches Spielchen einlassen werden?“ „Auch diese Leute sind zu schlagen!“ Dabei blieb es, und James T. Collins verließ nach einer guten halben Stunde mit starken Kopfschmerzen die klotzige Villa des Alten. Er war nahe daran, sich von dem ganzen Unterneh41
men abzusetzen, aber eine Raumschiffsladung Venusuran konnte auch ihn zum Millionär machen. „Auch diese Leute sind zu schlagen!“ Ob eine solche Rechnung aufgehen konnte? Aber der Alte war gewiß kein Narr, und Mexass hatte bereits bewiesen, daß er etwas konnte – sogar Raumschiffe ausplündern, ohne in ihrer Nähe zu sein. Es wäre wohl doch eine unverzeihliche Dummheit, sich eine solche außergewöhnliche Chance entgehen zu lassen. Collins setzte seinen besten Mittelsmann in Bewegung. * So also stand das Spiel! Mexass – mit schwer angeschlagenem Schiff vor dem Merkur – wollte die wertvolle Uranladung nicht preisgeben und sah keine andere Möglichkeit mehr, als sie mit einem S.A.T.- oder WP-Schiff zur Erde zu befördern. Collins unterschätzte solche Möglichkeiten – so absurd war der Gedanke nicht einmal. Der Merkur war groß, und eine Raumschiffsbesatzung war auch von zwei Männern zu überwältigen, wenn man es richtig anfaßte. Dann kam es darauf an, mit dem Schiff zur Erde durchzubrechen. Das war schon schwieriger, aber Ivor Mexass kannte den Raum zwischen den Planeten, wie wohl sonst nur Kommodore Parker. Die Chancen standen jedenfalls 50:50. Sie stiegen sogar noch zu seinem Vorteil, als – wenige Augenblicke nach dieser ungewöhnlichen Unterhaltung in Los Angeles – fern auf der Venus unvorhergesehene Dinge geschahen und abenteuerliche junge Männer zu unheilvollem Wirken kamen. Einer von ihnen war Martin Abel. 42
* Kathy Abel hatte den Kaffeetisch gedeckt. Die elektrische Uhr an der Wand zeigte auf 17.16. Vor den Fenstern floß mit dem unermüdlichen Regen die dunkle Ahnung der Nacht um die einsame Venussiedlung. Die junge Frau ging rasch hinüber und ließ die Vorhänge herunter, und während sie noch überlegte, ob sie ein paar Schallplatten hervorholen sollte, trat Martin ein. „Ich muß noch einmal fort, Kathy.“ „Nun trinke doch erst eine Tasse Kaffee mit mir!“ Er lächelte verlegen, Unschlüssig hatte er den schmutzigen Zettel mit den Bleistiftnotizen hin und her gedreht. Nun wollte er damit zu Jim Parker. Aber er wollte sie nicht kränken und nickte. Sie schob ihm einen Stuhl hin und griff zur Kanne. In diesem Augenblick summte in der Ecke der Ortssprecher auf, der alle Häuser mit der Verwaltung verband. Ein gemütlicher, tiefer Baß meldete sich. „Hier spricht die Verwaltung! Ladies and Gentlemen, ich gebe eine Warnung an alle durch. Um 18.05 Uhr wird von der Werft aus ein Raumschiff zu einer Fernfahrt starten. Da der Start mit einem neuen Antrieb erfolgt, fordere ich alle Personen, die nicht zum Werftpersonal gehören, in ihrem eigenen Interesse auf, sich während dieser Zeit innerhalb der geschlossenen Siedlung aufzuhalten.“ „Los – mach zu!“ Kathy hatte noch der Warnung gelauscht. Nun fuhr sie zusammen, und zwei angstgeweitete Augen sahen auf Martin Abel. „Was hast du mit den Raumfliegern zu tun?“ „Ich habe eine Meldung zur Werft zu überbringen“, erwiderte er ausweichend. Ohne sich zu setzen, goß er den Kaffee hinunter, den Kathy ihm schweigend einschenkte. Sie suchte nach Worten, 43
gleich würde sie alles mögliche von ihm wissen wollen. Hart setzte er die Tasse zurück. Sie blieb am Tisch stehen, als er ging. „Martin!“ Er setzte seine Kappe auf. Mit wenigen nervösen Handgriffen. „Muß es sein, daß du jetzt gehst?“ „Es ist wichtig.“ „Wie lange bleibst du fort?“ „Ich kann es dir noch nicht sagen, Kathy.“ Er winkte ihr kurz zu. „So long!“ Als er die Tür öffnete, fiel der Schein der Zimmerlampe an ihm vorbei in die unruhige Dunkelheit. Dann war er allein mit seinen Gedanken und seinem schmutzigen Zettel. Mit weiten Schritten jagte er zur Verwaltung hinüber, die hell erleuchtet war und vor der ein Schnellwagen stand. „Hallo, Sergeant!“ Der Fahrer hatte gerade den Schlag zugeklappt, als Martin an ihn heranrannte. Im grellen Scheinwerferbalken tauchte sein erregtes Gesicht für Sekunden unheimlich scharf auf. „Fahren Sie zur Werft?“ „Yes – und?“ „Können Sie mich mitnehmen? Wichtige Meldung für Jim Parker!“ Der WP-Sergeant sah ihn schräg von unten an. Dann ein dröhnendes Gelächter. „Das kann jeder sagen! Wohl ein bißchen neugierig, wie?“ Mit aufheulendem Motor jagte der Wagen in dem strömenden Regen davon. Martin mußte zur Seite springen. „Verflucht und zugenäht!“ Hochnäsige Nation! Was sollte er jetzt machen? Die Werft lag immerhin gut zehn Meilen vor dem Ort. Wütend und unschlüssig ging er die Straße entlang, die fast unbelebt dalag. Nur eine lang aufgeschossene Gestalt war plötzlich neben ihm. 44
„Evening, Sir; Wollen zu Kommodore Parker, wie ich eben hörte?“ Martin blickte mißtrauisch. „Was geht Sie das an?“ „Eine ganze Menge. Mein Name ist Harry Walm, wenn Sie nichts dagegen haben.“ * Der Posten vor der Werftauffahrt tippte kurz gegen seine Kappe, als der Sergeant einfuhr, der Martin Abel so schnöde hatte stehen lassen. „Der Kommodore ist im Ingenieurbüro.“ Der Sergeant nahm eine verschlossene Ledermappe und zog seinen Rock gerade. „Alles startklar?“ „Die rauschen pünktlich ab. Möchtest du dabei sein?“ „Danke für Obst!“ Er ging energisch und etwas aufgeblasen über ein paar Stufen auf den großen Betonklotz zu, der zwischen den gigantischen Werfthallen lag. Gerade schoben sich die mächtigen Hallentore zurück. Hinter den langgestreckten Fenstern konnte man den Leib des Raumschiffes erkennen. Mit gleichmäßigem Brummen lief der Motor des Startwagens, der das Schiff gleich auf die Gleitbahn fahren sollte. Der Sergeant warf nur einen flüchtigen Blick darauf. Nach zwei, drei Kontrollen konnte er das Ingenieurbüro betreten. „Warten Sie, Sergeant!“ Ein Major vom S.A.T.-Sicherheitsdienst nahm ihm die Mappe ab. Der Sergeant blieb an der Tür stehen und spürte, wie die Erregung der Minuten vor dem Start auch ihn ergriff. Der Kommodore und sein Steuermann trugen bereits ihre Kombinationen. Sie standen mit Captain Brown und Bordingenieur Lorb in der Mitte des großen Raumes. Der Bordingenieur war sehr bleich und bewahrte nur mühsam seine Haltung. „Das dürfen Sie mir nicht antun, Kommodore!“ Jim Parker hob bedauernd die Schultern. „Hier ist auch meine 45
Macht zu Ende, Lorb! Sie haben es durch Ihr leichtfertiges Verhalten einem Reporter ermöglicht, verbotene Aufnahmen zu machen. Ich muß Sie der Weltpolizei übergeben!“ Lorb schluckte. „Dann nehme ich mir das Leben, Kommodore!“ Jim tat der arme Bursche leid, aber er konnte ihm nicht helfen. „Es wird wohl bei einer Bewährungsversetzung bleiben, Lorb. Nur – zum Merkur muß ich Müller mitnehmen.“ Der Ersatzmann stand schon bereit. Ruhig und zuverlässig. Lorb senkte den Kopf. * Sie reichten sich die Hände. „Freut mich, einmal ein neues Gesicht zu sehen“, lachte Martin Abel schon wesentlich freundlicher. „Und von der Werft hat man Sie runtergeworfen?“ „Meine eigene Schuld.“ Harry Walm sah auf das leuchtende Zifferblatt seiner Armbanduhr. 17.46 Uhr. „Aber wir Reporter müssen eben aufs Ganze gehen.“ Es wurde nun etwas belebter. Türen öffneten sich, und die Venusleute standen in kleinen Gruppen zusammen. Das war vor jedem Raumstart so. Auch Bob Ellington kam aufgeregt herbeigesegelt, druckste etwas bei den Männern herum und verschwand wieder. „Sie hätten mit zum Merkur wollen?“ „Ich wäre auch mitgekommen! Harry Walm schafft sonst alles, was er will! Nur diesmal stehe ich draußen.“ „Mir geht es ja nicht besser.“ „Was wollten Sie eigentlich auf der Werft? Sie gehören doch zu den Siedlern, wie?“ Walm fraß geradezu die Atmosphäre in sich hinein. Gierig nahmen seine Augen alles auf: die Menschen in ihren unge46
wohnten Trachten, die immer wieder auf die Uhr sahen und dann auf den Westhimmel, an dem der Kommandoturm mit weißen Lichtzeichen hochragte – das Spiel der wogenden Farnbüsche in den hellen Lichtern der Venushäuser. Abel spürte sein Herz pochen und rauchte hastig seine Zigarette. „Mich in empfehlende Erinnerung bringen.“ Die Reporteraugen gingen zu ihm über. „Sie wollen Raumflieger werden?“ Martin fühlte sich ertappt und wurde etwas verlegen. „Das auch – aber ich hatte etwas gefunden, was vielleicht wichtig sein könnte.“ Am Kommandoturm erlosch das weiße Licht, um gleich darauf in rot wieder aufzuflammen. Neben ihnen schwiegen die Gespräche. Die Spannung wuchs. Auf der Werft rollte nun das Schiff zum Start. Zwei Hände streckten sich aus, und Walm fragte leise: „Was haben Sie gefunden?“ „Nichts von Bedeutung“, wehrte Abel unsicher ab. „Nur einen Papierfetzen mit Paleys Namen drauf.“ Harry Walm wurde sehr aufmerksam. „Zeigen Sie doch mal her!“ Martin Abel wollte sich gegen so viel berufsmäßige Neugier verwahren, aber er war dem anderen einfach nicht gewachsen. Zögernd reichte er den Zettel hin. Lange und gründlich prüfte Walm im ungewissen Schein der erleuchteten Straße. Dann winkte er mit den Augen. Sie gingen etwas abseits. „Wissen Sie, was das ist?“ fragte der Reporter erregt und heiser. „Eine Ortsangabe über den Merkur, nehme ich an.“ „Genau das! Meiner Meinung nach kann es nur so sein, daß Mexass den Merkur schon einmal umkreist und dabei einen bestimmten Punkt der Oberfläche markiert hat. Paley hat das dann wohl verloren, als sie noch auf der Venus waren. Höh – was wollen Sie?“ 47
Aber Abel packte zu. „Geben Sie her“, keuchte er. „Es ist meine Pflicht …“ Walms Augen ließen ihn nicht mehr los. „Wieviele Raumschiffe hat die Werft?“ „Vier – aber verflucht nochmal …“ „Seien Sie vernünftig, Mann, die Leute werden schon aufmerksam.“ Er ließ Abel das Papier, hielt ihn aber fest. „Man wird sich bei Ihnen bedanken, und das wird alles sein. Das machen wir allein! Kann man an die Schiffe herankommen?“ Martin Abel stand wie in einem phantastischen Angsttraum. An die Schiffe herankommen? Das war Wahnwitz!! Am Kommandoturm erlosch nun auch das rote Licht und ging in rotweiß über. Gleich würden sie starten, und er stand hier mit seinem wichtigen Fund. Aber Walm ließ nicht locker. Der Mann raste innerlich vor Energie und Arbeitsbesessenheit. „Kann man an die Schiffe herankommen?“ „An die Raumschiffe? Sie sind ja verrückt!“ „Man müßte nur einen ausgebildeten Raumflieger haben.“ „So etwas gibt es ja gar nicht.“ „Wie wäre es mit Lorb?“ Martin Abel wollte sich umdrehen und weggehen. Aber er brachte es einfach nicht fertig. Wie in einem Alptraum stand er da, völlig beherrscht von der Stimme, den Augen und der ganzen Besessenheit des Filmreporters. „Warum gerade Lorb?“ „Weil er beim S.A.T. so ziemlich erledigt sein dürfte. Tut mir leid um den Jungen.“ * Bordingenieur Lorb saß geduckt neben dem WP-Sergeanten, der wieder von der Werft zur Siedlung zurückraste. Geduckt und zusammengeschmettert und innerlich fertig. 48
„Drehen Sie dem Filmmann das Genick um“, riet der Sergeant und hielt ihm kameradschaftlich die Zigarettenpackung hin. „Der ist doch schuld an Ihrem ganzen Dilemma.“ Aber Lorb schien seine eigene Meinung zu haben. Er biß auf die Zigarette und spuckte einen Tabakkrümel über Bord. „Walm kann man keinen Vorwurf machen. Nur dem Kommodore!“ Der Sergeant schnappte nach Luft. „Menschenskind! Komische Logik!“ „Wieso denn?“ murrte der Bordingenieur aufsässig. „Parker kennt mich nicht erst seit gestern. Und so ein kleiner, unwichtiger Schnitzer kann schon mal vorkommen.“ Die Werftstraße drehte sich langsam um den Farnhügel zur Siedlung hin, die mit ihrer Lichterkette in die Fahrtrichtung einschwenkte. „Darf aber nicht vorkommen, Lorb!“ „Darf nicht – darf nicht!“ machte Lorb gehässig und warf die angerauchte Zigarette weg. „Der große Kommodore will natürlich nicht einsehen, daß wir alle nur Menschen sind …“ „Wird nicht so schlimm werden für Sie.“ Der Bordingenieur ließ den Kopf in die aufgestützten Hände fallen und spürte jede Unebenheit des Bodens in seinen Schläfen. Vorbei war alles! Aus war es mit der stolzen, schneidigen Raumfliegerei! Man würde ihn zur Erde transportieren und ihn nie wieder ein Raumschiff betreten lassen. „Ich kann mich glatt erschießen.“ „Wenn Sie ein Feigling sind, sicher,“ In Lorbs Gedanken grollte es dumpf auf und sonderte ihn unmerklich von allem ab, was um ihn war. Aus der Verzweiflung entstand die Feindschaft. Geduckt blieb er sitzen, aber vor seinen Augen waren die mattbeschienenen Hände des Sergeanten, die leicht am Lenkrad lagen. „Wohin sollen Sie mich bringen?“ Der Sergeant konnte auf einmal den Bordingenieur nicht mehr riechen. „Zu meiner Dienststelle“, sagte er kalt. 49
Also Weltpolizei! Eiskalte Höflichkeit. Mißtrauische Bürooffiziere mit Intelligenzbrillen. WP-Vermerk im Dienstbuch. Das also würde die Erde ihm zu bieten haben! Mit letzter Kraft unterdrückte er ein Schluchzen. Und als der Sergeant vor der Ortseinfahrt Gas wegnahm, geschah es dann. Lorb warf sich in einem jähen Entschluß vor und trat die Bremse durch, daß der Wagen aufschrie und nach links wegrutschte. Das Lenkrad knallte dem Sergeanten gegen die Unterarme, und dann schnitt sich hinter ihm ein Farnbaum in den kreiselnden Wagen und klemmte ihn ein. Der Bordingenieur sprang aus dem Aufbäumen heraus, überschlug sich, haute mit der Schulter gegen einen Stein, war wieder hoch, rannte weiter, weiter … „Stehenbleiben!“ gurgelte hinter ihm eine wütende, hilflose Stimme. Aber er wollte frei sein, nur frei sein! Der Regen rauschte aus dem niedrigen Venushimmel, und die Schulter schmerzte warm und blutend. Fern stand der Kommandoturm rot-weiß gegen den Horizont. Ohne sich umzusehen, rannte und stolperte Lorb vorwärts. * Davon wußten sie im Kommandoturm nichts. Das flüchtige Gerede um den Bordingenieur, der so unüberlegt seine Laufbahn aufs Spiel gesetzt hatte, war längst untergegangen in der Anspannung der letzten Startminuten. Der Startassistent hob den Blick von seiner Schalttafel erst, als einer seiner Kollegen hereinstürmte. „In der Verstärkerkammer stimmt was nicht, das Hauptkabel zum Startwagen hält nicht durch.“ Ladeingenieur Blanc unterdrückte einen Fluch und sprang auf. Schöne Schweinerei! Es war 18.02, und vor zwei Minuten 50
hatte er „Startklar“ gemeldet. In der Verstärkerkammer vergaß er das Fluchen ganz, dafür wurde er blaß. „Verstärker C schmort!“ „Damned!“ „Wie konnte das nur geschehen?“ „Der Start muß verschoben werden?“ „Wenn es dabei bleibt!“ Aber ob es dabei blieb? In dem Verstärker konzentrierten sich ungeheure Hitzegrade, die unter ständiger Kontrolle gehalten werden mußten. Wenn es schiefging, konnte die ganze Werft gefährdet werden. Vorerst teilte man Orion-City nur die Startverlegung mit. Oberst Mortimer vergaß seine sprichwörtliche Schnoddrigkeit und bekam einen furchtbaren Wutanfall, als das Nachrichtengirl ihm die Meldung überbrachte. „Verstärker ausgefallen!“ schnappte er erbost und sah seinen Adjutanten anklagend an. „Und Mexass steht vielleicht dicht vor dem Merkur. Wenn er erst einmal gelandet ist, kann er uns die tollsten Streiche spielen.“ „Ein Verstärker läßt sich in zwanzig Minuten auswechseln“, bemerkte der Oberleutnant. Aber Mortimer hatte seinen schlechten Tag und winkte ungläubig ab. „Und das glauben Sie? Dieser Mexass hat uns glatt verhext.“ Mit dieser für einen S.A.T.-Sicherheitschef immerhin reichlich ungewöhnlichen Bemerkung schickte er den Oberleutnant hinaus und ließ seinen Erzfeind Hunsaker von der Weltpolizei eintreten, der sich seit einigen Wochen auf eine niederträchtig überhebliche Art in der Atomstadt breitmachte. Hunsaker trat mit der Miene eines heuchlerischen Begräbnisteilnehmers auf ihn zu. „Herzliches Beileid, Mortimer! Hoffentlich verzögern diese Zwischenfälle beim S.A.T. unsere Arbeit nicht zu sehr.“ „Ich muß doch bitten, Mister Hunsaker“, reckte sich der 51
Oberst steif. „Sie scheinen den Plural mit dem Singular zu verwechseln.“ „Durchaus nicht, mein Lieber“, näselte der andere herablassend. „Oder ist Ihnen tatsächlich nicht bekannt, daß der Bordingenieur Lorb von der Venusflotte wegen grober Fahrlässigkeit im Dienst meinen Behörden übergeben wurde, inzwischen aber fliehen konnte?“ Mortimer mußte sich ungeheuer zusammenreißen. „Bordingenieur Lorb von der ‚Venus III’?“ würgte er. „Ihr Nachrichtendienst Venus scheint gut zu arbeiten.“ Der WP-Beamte akzeptierte diesen ungegönnten Blumenstrauß mit schadenfrohem Lächeln. Dann besann er sich aber, reichte dem Oberst die Hand und meinte: „Wir wollen jetzt nicht in Rivalität machen, Mortimer. Dazu ist die Stunde zu ernst. Ich bin auch nicht nur deshalb gekommen.“ „Mein Bedarf ist für heute gedeckt.“ „Ich habe interessante Mitteilungen aus Los Angeles erhalten.“ „Schießen Sie los.“ Sie setzten sich an einen kleinen Tisch, und Hunsaker berichtete, daß Agenten ihrer gemeinsamen „Sonderkommission Mexass“ in Los Angeles den Versicherungsagenten James T. Collins beobachteten, seit dieser die Luxusvilla eines stadtbekannten Sonderlings verlassen habe. „So, so …“, sagte Mortimer, und es interessierte ihn nicht sehr, was in Los Angeles geschah. Seine Gedanken waren weit weg. Auf der Venus, wo sie mit fliegenden Händen und doch ungeheuer vorsichtig den Verstärker auswechselten. Und wo sie den leichtsinnigen Lorb jagten. Wie würde die nächste Nachricht von dem Nachbarplaneten lauten?
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* Lorb keuchte. Sie waren hinter ihm her. Die Sirene von Silverfield heulte sogar noch, und nur ein Wunder konnte ihn noch retten. Geduckt jagte er über wildes Hügelland. Stolperte. Fiel. Blieb liegen. War fertig. „Erde, Mars und Venus!“ Daß er dem armen Sergeanten noch so zusetzen mußte! Aber das war nicht mehr zu ändern. Rechts von ihm erstreckten sich die Anlagen der Raumschiffswerft. In einer flachen Mulde lag sie. Deutlich konnte er alles übersehen – die „Venus III“ auf der Gleitbahn, mit ihren leuchtenden Bullaugen, die durch den nachlassenden Regen herübergrüßten. Lorb würgte es im Halse. Da lag nun der stolze Bordingenieur und mußte sich bald abfangen lassen. Leb wohl, „Venus III“!
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Wie die Sirene heulte – unheimlich, klagend, verlassen. Schauer erfaßten ihn. Kommt doch – kommt doch – ich will nur noch sehen, wie mein Schiff abbraust gegen diesen nassen, schmierigen Himmel, und dann mache ich Schluß. Hört ihr? Aber warum wohl noch nicht der Startmotor lief? Es war doch bereits 18.05 Uhr. Was war dort unten überhaupt los? Warum gingen die Gestalten alle in den Betonklotz des Mittelbaues? Ein Rascheln im nassen Gras ließ ihn auffahren. Seine Rechte fuhr in die Tasche, aber eine belegte Jungenstimme rief unterdrückt: „Nicht schießen, Mister Lorb!“ Durch die Dunkelheit robbte sich Bob Ellington heran. Verschmutzt im Gesicht, aber mit einem unsicheren Grinsen. Lorb blieb bewegungslos liegen. „Was willst du?“ „Ich weiß, daß man Sie verfolgt.“ Bob schob sich dicht an ihn heran; er war furchtbar aufgeregt und fiebernd faßte er das Lederzeug des Raumfliegers. „Wir wollen Ihnen helfen – Martin Abel, Mister Walm und ich! Sie müssen uns aber ein Raumschiff besorgen.“ „Kein schlechter Witz“, lächelte Lorb traurig. „Glaubst du, daß man uns eins vermieten wird?“ „No – aber einfach ranschleichen und – und so …“ Lorb beachtete das wirre Gerede kaum. Die Vorgänge auf der Werft forderten seine ganze Aufmerksamkeit. Irgend etwas stimmte dort nicht! Der „Asbesttrupp“ kam mit seinen Feuerlöschgeräten über den Hof. Und als er das Schilf eben passiert hatte, knallte es im Mittelbau auf. Kurz. Hart. Böse. Sie zuckten zusammen. „Was war das?“ stieß Bob erschreckt hervor. Ich muß hin, dachte Lorb, irgend etwas ist passiert. Aber dann fiel ihm ein, daß man nicht einmal mehr seine Hilfe annehmen würde, und er preßte sich wieder flach gegen den nas54
sen Boden. Um ihre Köpfe rauschte das hohe Venusgras. Lorb wandte keinen Blick von der Werft, die so ruhig dalag, als sei nichts geschehen. „Wo sind Walm und Abel?“ „Sie liegen weiter zurück in Holzmüllers Grenzfurche.“ „Ihr seid ja verrückt!“ Aber aus dem Rascheln des Grases stieg ein Grübeln auf, gefährlich und lockend wie der Wind, der über das Land der fernen Welten fuhr. Verrückt? Undurchführbar? Nein – für ihn, als alten Venus-Raumflieger, der dort unten jeden Quadratzentimeter kannte, jedenfalls nicht. „Hole sie her!“ Dann wurde es wieder lebendig auf dem Werfthof. Ein flacher, geschlossener Wagen kam herausgeschossen, kurvte auf die Werftstraße ein und raste davon. Deutlich hatte Lorb den Wagen gesehen. Die Ambulanz! * Schon zehn Minuten später hielt der Wagen vor dem kleinen Spital in Silverfield. Die beiden Ärzte und das Personal waren bereits informiert. Vorsichtig schoben sie eine Bahre heraus. Neben ihnen stand Fritz Wernicke – totenbleich und zitternd. „Sie müssen ihn wieder zusammenflicken, Doc!“ „An mir soll es nicht liegen“, brummte der Chefarzt und sah dem Verletzten in das eingefallene Gesicht. Es war Jim Parker. Leise fragte der Arzt den begleitenden Werftsanitäter. „Die rechte Hüfte“, gab der Mann erregt Auskunft. „Verbrennungen. Er bekam die Stichflamme in die Seite.“ „Das langt!“ Sie verfuhren nun sehr sachlich und umsichtig mit dem so böse zugerichteten Kommodore. Wernicke mußte in einem Nebenraum warten. Man reichte ihm mitleidig den besten Whisky, 55
den man auf der Venus auftreiben konnte, und die Ortsprominenz leistete ihm Gesellschaft. Aber er hob nur das gefüllte Glas zur Tür des Operationssaales hin. Schweigend trank er seinem alten Kameraden zu. Gegen 23.00 Uhr kam der Chefarzt herein und rieb sich die Hände. Doch Fritz konnte sein erstes Aufatmen nicht restlos genießen – aus weiter Ferne drang ein vertrautes Geräusch: ein Rollen, das immer höher stieg und gleichzeitig leiser wurde. „Thunderstorm – ein Raumschiff?“ „Es kam von der Werft herüber.“ * „Nun bist du endlich einmal noch unruhiger als ich.“ Auch sie hatten das Rollen eines startenden Raumschiffes gehört: der alte Ellington, seine Frau, die mit gefalteten Händen am Schrank lehnte, und Kathy Abel, die gedankenlos in einem Buch blätterte. Neben der Tür hing Ellingtons durchnäßter Regenmantel. Der Alte hatte über eine Stunde lang Silverfield und Umgebung nach seinem hoffnungsvollen Sprößling abgesucht Zwischen ernster Sorge und väterlicher Erbostheit schwankend, stopfte er sich eine Pfeife. „Der kann sich ja auf was gefaßt machen!“ „Natürlich – etwas anderes weißt du nicht zu sagen“, begehrte seine Frau auf. „Und wenn er nun nicht mehr auf unserer Venus ist?“ „Wo soll er denn sonst sein?“ knurrte der Siedler. Unvermittelt hob Kathy Abel ihren Kopf. Ellington erschrak, als sie ihn ansah. In ihren Augen stand ein grenzenloses, ahnungsschweres Entsetzen. „Und wenn es vorhin ein Raumschiff gewesen wäre?“ „Der Kommodore ist auf der Werft schwer verletzt worden“, wiederholte Ellington mißmutig seinen Bericht und paffte dich56
ten Qualm zu seiner geliebten und heute verlassenen Werkstattecke hinüber. „Die ‚Venus III’ soll heute nacht wieder in die Halle gefahren werden. Ein anderes Schiff ist im Augenblick nicht startklar.“ „Lachen Sie mich bitte nicht aus“, sagte Kathy Abel leise und traurig, „aber ich fürchte, es kann nur die ‚Venus III’ gewesen sein.“ Ellington nahm seine Pfeife aus dem Mund und wuchtete heran. „Junge Frau, wollen Sie etwa …?“ Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Als seine Frau aufgeregt öffnete, traten zwei uniformierte Angehörige des S.A.T.-Sicherheitsdienstes ein. Sie grüßten, stutzten aber, als sie Kathy Abel sahen, und einer der beiden verneigte sich leicht vor ihr. „Verzeihung, Mrs. Abel, aber ich hatte nicht erwartet, Sie hier anzutreffen.“ Unsicher stand sie auf. „Sie wollen zu mir?“ „Zu Ihnen auch noch“, nickte er und verwünschte innerlich, gerade jetzt Dienst machen zu müssen. „Ich habe Ihnen leider eine betrübliche Mitteilung zu machen. Wenn es Ihnen recht ist, fahre ich Sie zu Ihrem Haus.“ „Sie können mir hier alles sagen.“ „Vielleicht setzen Sie sich wieder“, meinte er bedrückt und sah sich hilflos um. Sein Kamerad deutete den beiden Ellingtons, die zitternd herbeidrängten, mit einer Handbewegung an, daß sie schweigen sollten. Kathy schüttelte den Kopf und blieb stehen. Es war scheußlich für ihn. „Ihr Mann hat eine große Dummheit gemacht“, begann er vorsichtig. „Und ich hoffe nur, daß wir ihm noch helfen können. Er, Bordingenieur Lorb und dieser Wochenschaucowboy sind mit der ‚Venus III’ ausgekniffen – regelrecht ausgekniffen. Sie haben die Wachen überwältigt, einen überhasteten Kurzschlußstart gemacht, und dann ab dafür. Purer Wahnsinn!“ Sie rührte sich nicht. 57
„Glauben Sie, daß noch große Aussichten bestehen?“ fragte sie leise. Er sah sie mitleidig an. Gewiß war er kein unhöflicher Bursche, doch nun tat er so, als habe er sie nicht verstanden und wandte sich mit einer abrupten Bewegung den Ellingtons zu. „Ihr Sohn war auch an dem Streich beteiligt. Man hat ihn aber noch zurückreißen können, bevor dieser Idiot von Lorb die Hermetikluken schloß. Sie können ihn sich abholen.“ Ellington warf mit einem furchtbaren Fluch die Pfeife auf den Tisch. „Der Teufel steckt in dem Burschen …“ Langsam ging Kathy Abel hinaus. Sie spürte gar nicht, daß Mrs. Ellington neben ihr war und sie am Arm hielt. Aber als sie sich dann sattgeweint hatte, zog eine große Zuversicht in ihr Herz ein; sie trat an das Fenster und sah in die Nacht, und in die Stille ihrer Einsamkeit hinein sagte sie laut und klar: „Beiß dich durch, Martin, beiß dich durch!“ Irgendwo heulte die „Venus III“. * „Geschafft, Abel! Wir kommen durch, Walm!!“ Bordingenieur Lorb war wieder ein freier Mann. Die „Venus III“ stemmte sich in rasender Fahrt durch die oberen Schichten der Venusatmosphäre. Schon ahnten die drei Männer auf ihren Liegepolstern die kommende Klarheit des Sternenhimmels. Martin Abel jauchzte in einem nie gekannten Glücksgefühl. „Fliegen wir wirklich, Lorb – oder betrügst du Hundesohn uns?“ Aber Lorb hatte das Schiff fest in der Hand. Er lachte mit verzerrtem Gesicht und freute sich über den Wochenschauhelden, der in seiner malerischen Kombination recht matt und angstvoll nach Luft rang. „Na, Walm, ein Fußballspiel ist leichter zu filmen als eine Weltraumfahrt, wie?“ 58
Walm stemmte trotz allem die schwergewordene Kamera hoch und ließ sie laufen. „Verdammt – ja …“, keuchte er, „bleibt das so?“ „Nur noch ein paar Minuten. Umkehren können wir leider nicht.“ Die Kamera gloste den Bordingenieur mit ihrem gläsernen Auge an. „Nicht umkehren! Vorwärts! Vorwärts zum Merkur!“ rief der Mann aus, der meinte, ihr Beherrscher zu sein, und der doch nur ihr Sklave war. Und die Kamera summte – sie war zufrieden – sie würde jetzt bekommen, was sie brauchte: Sensationen! Sensationen! „Und Abel – wie geht’s?“ Der junge Siedler antwortete nicht. In seiner Hand ballte er ein schmutziges Stück Papier. * „Arme Kerle!“ Jim Parker hatte die wildgewordene Verstärkerladung doch mehr mitgenommen, als man zuerst annahm, und zweimal war er bereits aus dem Dunkel tiefer Bewußtlosigkeit erwacht, aber erst jetzt berichtete ihm der Steuermann, was sich ereignet hatte. „Die haben uns regelrecht ein Raumschiff geklaut“, schüttelte Wernicke tieferschüttert den Kopf. „Wie wird der dicke Cunningham das nur überleben?“ „Seine Sorge, ob er es überlebt“, winkte Jim ab und versuchte, sich aufzurichten, aber der brennende Schmerz in der rechten Seite ließ ihn nicht übermütig werden. „Wie lange habe ich hier als Bettverzierung gelegen?“ „Elf Tage.“ „Umringt mich, all ihr guten Geister!“ Der Kommodore legte sich vorsichtig wieder zurück und sah seinen alten Kameraden aus halbgeschlossenen Augen an. „Heil dir, Mexass! Nun bist 59
du auf dem Merkur, und wir können dich suchen wie eine Stecknadel.“ „Heiße Partie drüben!“ „Der Bursche wird auch damit fertig.“ Er langte sich vom Tisch Wernickes Zigarettenpackung und betrachtete sie prüfend. Wernicke störte ihn nicht. Endlich zog Jim eine Zigarette hervor und schob sie sich zwischen die Lippen. Der Steuermann sah es mit Vergnügen. „Feuer?“ „Nett von dir. Paß auf, daß der Doc nichts merkt.“ „Den werf ich raus.“ Mit großem Behagen hielt Jim die Zigarette gegen die Flamme. Der Rauch kratzte etwas im Hals, aber sonst schmeckte das gute Kraut wieder. „Und nun kommst du, Fritz – wie ist die Lage?“ „Alles?“ „Und wenn es wie Lebertran schmeckt.“ „Viel besser nicht.“ Wernicke nahm seine Ledermappe hoch und ließ die Schlösser aufklicken. „In der ‚Sonderkommission Mexass’ herrschte nach dem Privatstart unserer Amateurraumfahrer zunächst eine ziemliche Verwirrung. Man stand plötzlich vor der zusätzlichen Aufgabe, ein Schiff zu schützen, das man zunächst einmal suchen mußte.“ Er zog einige Papiere hervor. „Man sucht es heute noch.“ „Kein Wunder – die ‚Venus III’ fliegt mit TU-Antrieb, und wer weiß, wo dieser unglückselige Lorb herumgeistert. Weiter!“ „Man läßt alle irgendwie abkömmlichen Schiffe zwischen Venus und Erde Sperrketten fliegen, um zu verhindern, daß Mexass zu unserem Planeten durchbricht. Mortimer glaubt nun auch, daß Mexass mit seinem angeschlagenen Kahn zum Merkur fliegt und versuchen wird, sein erbeutetes Venusuran von dort aus zur Erde zu schaffen.“ Als er sah, daß Jim das Gesicht verzog, beugte er sich erschreckt vor. 60
„Ist dir nicht gut – soll ich den Doc …“ „Ach was“, knurrte der Kommodore bitterböse. „Laß den ‚Himmelsblitz’ zum Start vorbereiten – mir ist jetzt alles klar …“ „Und wer soll ihn fliegen?“ „Wir beide.“ * „Jim Parker fällt also weiterhin aus!“ Der Versicherungsagent James T. Collins rieb sich zwei Tage später die Hände und dankte in seinem tiefsten Herzen dem Himmel dafür, daß er ihn davon zurückgehalten hatte, aus diesem Geschäft auszusteigen. Der alte Mister Jones war nicht so bereit zu hemmungsloser Freude. „Unsere Chancen sind durch die überraschende Flucht jener drei Männer im Venusschiff zwar um ein beträchtliches gestiegen“, meinte er bedächtig und legte vorsichtig die Fingerspitzen zusammen. „Aber wir wollen uns lieber nicht darauf verlassen, daß Parker brav in seinem Krankenbett bleibt.“ Collins hatte offenbar genaue Informationen aus der Atomstadt. „Es wird ihm nichts anderes übrigbleiben, nachdem er gestern versucht haben soll, aufzustehen, und das S.A.T. ihm solche Kunststücke verboten hat.“ Jones sah ihn sehr aufmerksam an. „Und Ihre Information ist zuverlässig?“ „Hundertprozentig.“ „Dann allerdings.“ Jones stand auf und trat ans Fenster. Der frühe Abend senkte sich still über dem ruhigen Parkviertel der Stadt der Engel. Draußen waren sie wieder, die beobachtenden Augen. Diesmal flankierte ein junges Pärchen auf und ab. Es würde wahrscheinlich den WP-Ausweis in der Tasche haben. Er gönnte ihnen den Spaß, denn beweisen konnte man ihm 61
nichts, solange man nicht ein Geständnis von Ivor Mexass vorliegen hatte. Und davon war man wirklich weltenweit entfernt. Aber Jones atmete nun doch auf. „Dann allerdings, Collins! Kommodore Parker wäre der einzige, der uns noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Ein Teufelskerl, und eigentlich tut es mir leid, daß es ihn so erwischt hat.“ Komischer Kauz, dieser Alte, dachte Collins und goß sich noch einen Schnaps ein. „Die ‚Venus III’ muß den Merkur doch bald erreicht haben?“ „Das Schiff steht noch gut 70 000 Meilen vor dem Planeten. Mexass beobachtet den Anflug bereits genau. Er selber umkreist bis zum Zusammentreffen den Merkur. Die ‚Venus III’ macht eine geradezu unwahrscheinlich hohe Fahrt – immer mit laufenden Motoren, versteht sich.“ Collins goß das scharfe Zeug herunter, das ihn fast schwindelig machte. Oder war es die Erregung? Der Gedanke, daß Millionen von Meilen entfernt in den nächsten Tagen ein mörderischer Kampf zwischen Menschen entbrennen könnte? „Und was wird Mexass tun, um die ‚Venus III’ in die Falle zu bekommen?“ Jones wandte sich mit einem amüsierten Auflachen um, das dem eifrigen Liebespaar unter den Parkbäumen galt. „Schenken Sie sich noch einen ein, Collins, Sie sind noch zu schwachnervig. Was Mexass tun wird? Nun, die ‚Venus III’ wird einen geheimnisvollen Hilferuf von Paley erhalten und annehmen, daß dieser in Gefahr sei. Sie können sich darauf verlassen, daß die ‚Venus III’ angerauscht kommt.“ „Und hinein ins Verderben!“ rief Collins und hob sein Glas. „Darauf will ich trinken.“ Jones schüttelte den Kopf. „Trinken Sie lieber darauf, daß Jim Parker noch einige erholsame Wochen in seinem Bett beschieden sein mögen.“ 62
Er war sehr bleich, als er das sagte, und in seinen Augen war nichts als Hohn. * Beinahe wäre sein frommer Wunsch in Erfüllung gegangen. Auf der Raumschiffswerft Venus machten sie das kleine Zwei-Mann-Schiff „Himmelsblitz“ startklar. Die Jungen pfiffen wieder, wie vor dem großen Zwischenfall, und Ladeingenieur Blanc ließ vorsichtshalber durch Wernicke anfragen: „Mit oder ohne TU?“ „Mit, ihr Schafsköpfe!“ war die Antwort gewesen, und dann hatte Jim sich zum zweitenmal hochgestemmt. Zentimeter um Zentimeter. Jim wollte, wollte – er biß sich die Unterlippe blutig, weil von dieser verfluchten Hüfte ein Schmerz ausging, der durch den ganzen Körper strahlte und alles vor seinen Augen verschwimmen ließ. Er schaffte es bis zur Mitte des Krankenzimmers, dann brach er in Wernickes Armen zusammen. Zwei entsetzte Ärzte kamen atemlos hereingestürzt und beschworen alle guten Geister auf das Haupt ihres berühmten Patienten. Drei Stunden später kam ein Raumtelegramm von Generaldirektor Cunningham, dem allmächtigen Gewaltigen des ganzen S.A.T. „Verbiete Ihnen solche Kunststücke und jegliche Raumfahrt bis zu Ihrer völligen Wiederherstellung. Alles Gute! Cunningham.“ So scheiterte sein zweiter Versuch, dem Bett zu entfliehen. Aber Jim tobte in tausend Schmerzen. Er meuterte! Stundenlang beriet er sich mit Wernicke. Dreimal jagte er die geplagten Ärzte hinaus, die mißtrauisch dazwischenfunken wollten. Auf der Werft mußten die Startvorbereitungen am „Himmelsblitz“ auf Weisung aus der fernen Erdenstadt Orion63
City eingestellt werden. Das Schiff war noch nicht wieder in den Schutzhüllen, als der Werksprecher Sturm raste. Jim war am Apparat. „Setzen Sie die Startvorbereitungen fort!“ Ladeingenieur Blanc überlegte keine Sekunde, obwohl er seine ganze Karriere dabei aufs Spiel setzte. „Wenn Sie mir eine entsprechende Anweisung geben, Kommodore, selbstverständlich!“ „Die haben Sie hiermit erhalten!“ So meuterte Jim Parker! * Orion-City. In der großen Funkstation, die sich vor der Stadt auf einer freien Anhöhe mit ihren mächtigen Sendetürmen erhob, saßen sie mit übermüdeten Augen unter den grünen Blendschirmen. Keine Pause in der Jagd nach Mexass. Keine Pause! Überstunden! „Orion-City an Raumschiff ‚Star of the S.A.T.’!“ „Raumschiff ‚Luna’ an Orion-City!“ „Weltpolizei London an Orion-City!“ „Orion-City an Verwaltung Venus!“ Der Funker, der diesen Spruch an die Venus absetzen sollte, warf zwischendurch rasch einmal einen Blick durch das geöffnete Fenster. Draußen webte eine warme Frühlingsnacht ihre dämmerigen Schleier. Klar und weit war der Sternenhimmel. Die Sternbilder schwangen im Rhythmus des großen Atems, der über die Welten ging. Irgendwo dort draußen standen nun die Raumschiffe in einem Ringen von unerbittlicher Feindschaft. Die hübsche Kollegin des Funkers sah den verträumten Blick des Jungen und wollte ihn mit einer scherzhaften Bemerkung wachrütteln, als hinter ihnen die Warnglocke schrillte. Sie sahen sich um. 64
„Bulwer“, stellte der Funker fest. Der Abteilungsleiter kam bereits mit langen Schritten auf den Funker Bulwer zu, der in angespannter Konzentration vor seinem Gerät saß. „Was haben Sie?“ Bulwer beugte den Kopf noch mehr vor und sah nicht auf. „Es scheinen mir SOS-Rufe zu sein. Ich kann sie aber nicht einfangen.“ „Ausschlag O?“ „Ausschlag O! Kommt von weit her. XT – r67 – Peilung N …“ „Könnte der Merkur sein^“ „Eben!“ Eine fast vollkommene Stille herrschte im weiten Saal. Der Abteilungsleiter setzte sich neben Bulwer. Ein unerträgliches Summen rauschte an seine Ohren. Dazwischen Zeichen – fern – fern. . „Es könnte ein SOS-Ruf sein!“ „Ich kann auch nichts Genaues ausmachen.“ * Unermüdlich waren diese Zeichen. Auch die „Venus III“ fing sie auf. Harry Walm hatte einmal einen harmlosen Funkerlehrgang mitgemacht und fühlte sich berufen, den „Funkverkehr“ des Schiffes zu übernehmen, der sowieso nur aus Abhören bestand. Als er die Zeichen hörte, ruckte er aus seiner gelangweilten Nachlässigkeit hoch. Was war das? „SOS – hier Frank Paley, Raumschiff Mexass, Merkur 33N – befinde mich in Lebensgefahr – rettet mich …“ Harry Walm sprang auf, durchquerte den Leitraum und riß rücksichtslos die Hermetiktür zur Führerkabine auf. Ingenieur Lorb, der das Schiff auf den Merkur zusteuerte, welcher sich rechts von ihnen mit seiner sonnenabgewandten Seite als dunkel drohende Halbkugel heranschob, sah mürrisch auf. 65
„Was gibt’s?“ Das also war der leichtsinnige Lorb nach ganzen 14 Reisetagen. Aus dem lachenden Kameraden war ein mürrischer, kurzangebundener Mann geworden, der sich den anderen weit überlegen fühlte und es sie bei jedem Wort spüren ließ. Martin Abel, der gerade Freiwache hatte, litt furchtbar darunter. Walm war härter. „Wenn du Wert darauf legst, Lorb, daß es bei uns förmlich zugeht, mußt du erst einmal versuchen, dich zum Kapitän aufzuwerfen!“ „Der Kapitän bin ich!“ „Bedauerlicher Irrtum, mein Lieber“, sagte Walm kalt und langte den Zettel hin. „SOS! Wir werden sofort unseren Kurs ändern!“ Lorb ließ sich Zeit, viel Zeit. Walm hielt ihm die Meldung vor die Augen, aber es war zweifelhaft, ob der Ingenieur sie genau erfaßte. Als der Wochenschaumann schon ungeduldig wurde, wandte er endlich den Kopf und sagte leise, und in einem ganz anderen Ton als vorhin: „Sag mal, Walm – wie stellst du dir eigentlich unsere nächste Zukunft vor?“ „Das hier ist ein Notruf, Mensch, und …“ „Ich weiß, Walm, aber gib mir erst einmal eine Antwort.“ Verständnislos ließ Harry Walm seinen Zettel sinken. „Was soll ich viel dazu sagen? Man wird beim S.A.T. nicht gut auf uns zu sprechen sein, aber jeder von uns muß sich eben zu verantworten wissen, wenn wir zurückkehren …“ „Darin irrst du dich, Walm“, lächelte Lorb eigenartig. „Wir werden nicht zurückkehren.“ Und als er bemerkte, wie in Walms Augen ein gefährliches, eisiges Leuchten aufglomm, fügte er hinzu: „Jedenfalls ich nicht.“ „Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“ „Weil es für mich keine Rückkehrmöglichkeit mehr gibt.“ Er 66
stutzte, als Martin Abel nun auch dazukam und sich nach kurzem Nicken in den zweiten Führersitz klemmte. „Für mich gibt es keine Rückkehr mehr.“ „Was ist hier los?“ erkundigte sich Abel unbehaglich. In der niederdrückenden Stimmung der letzten Tage war der Schwung des großen Abenteuers schon von ihm gewichen. „Wer von euch will als Fliegender Holländer durchs Weltall geistern?“ „Hier – Freund Lorb!“ Ingenieur Lorb kümmerte sich wieder um die Steuerung und achtete nicht mehr auf seine Kameraden. Die würden ihn doch nicht verstehen. Sollte er sich auf der Erde ins Zuchthaus stecken lassen? Niemals! Er hatte tagelang mit sich gekämpft, aber nun sah er den Weg vor sich: Er ging zu Ivor Mexass, der einen Mann wie ihn gewiß brauchen konnte. Aber Walm war hellhörig geworden und er nahm sich vor, den anderen nicht mehr aus den Augen zu lassen. „Du willst uns etwas vorzaubern, Lorb, – ich warne dich!“ Lorb antwortete nicht. Walm ging nach hinten und untersuchte in seiner Kabine die Schußwaffen, die er hatte mitnehmen können. Dann nahm er mit einer entschlossenen Bewegung seine Kamera und schulterte sie. „Wir beide werden zur Erde zurückkehren“, sagte er leise zu ihr und strich über ihr gläsernes Auge. „Irgendwie! Und Martin Abel, der gute Junge, auch.“ Lorb aber würde er zur Vernunft bringen! * Es war gut, daß Walm soviel kaltblütige Entschlossenheit zeigte. Entscheidender aber war es doch, daß auf der Venus Ladeingenieur Blanc strahlend Jim Parker die Hand schütteln konnte. „Der ‚Himmelsblitz’ ist startklar, Kommodore!“ 67
Jim hatte es geschafft. Wernicke mußte ihn noch stützen, und er sah noch recht mitgenommen aus, aber was machte das? Er konnte wieder stehen und gehen, und weder das allerhöchste Verbot aus Orion-City noch das Beschwörungsgemurmel der Ärzte interessierten ihn. „Danke, Blanc, jetzt werden wir den Gauner jagen!“ „Wann geht es los, Kommodore?“ „Sobald Mexass im Anflug ist.“ Blane stutzte, und auch die Ärzte blickten verwundert. Jim freute sich über ihre entgeisterten Gesichter. „Mexas wird kommen, meine Herren! Er muß den Durchbruch zur Erde wagen, wenn er nicht auf das Venusuran verzichten will.“ „Aber sein Schiff soll defekt sein.“ „Sein Schiff wohl – die ‚Venus III’ aber nicht!“ * Die „Venus III“ stürmte in die Falle. Mit größter Gelassenheit nahm in Los Angeles der alte Mister Jones die Berichte entgegen, die laufend von Mexass eingingen. Kurze Meldungen waren es eigentlich nur, aber sie konnten einem den Atem nehmen. „Distanz noch 2000 Meilen. Gegenseitige Sichtung. Bereiten alles vor.“ „Bereiten alles vor“, wiederholte der Alte zufrieden und schenkte dem Versicherungsagenten Collins seinen guten „Manhattan“ ein. „Vergessen Sie Ihren Zug nicht, mein Lieber.“ Collins sah gedankenlos auf das prachtvolle Schachbrett, das zwischen ihnen stand. Der gelbliche Schein der altchinesischen Tischlampe zirkelte einen Kreis ab, der eine gewisse Behaglichkeit einschloß. Und doch brachte ein bleiches, junges Mädchen von intellektuellem Aussehen diese geheimnisvollen Meldungen herein. 68
„Sie vergessen sich.“ „Verzeihung, Sir.“ Collins versuchte, sich zu konzentrieren. Die Partie stand nicht schlecht für ihn, aber er zweifelte, ob er sie durchhalten würde. Ein unerklärliches Grauen steckte ihm in den Gliedern und ließ die Rechte zittern, die das Glas hob. Vielleicht träume ich nur, dachte er, vielleicht ist dies alles gar nicht wahr. Ohne viel zu überlegen, setzte er einen Springer in Bewegung. „Sie verlieren“, tadelte Jones bedauernd. „Sie verlieren, mein Lieber.“ „Wenn ich verliere, dann nur mit Ihnen.“ „Ach so.“ Ein leises, amüsiertes Auflachen und zwei überlegene Augen richteten sich auf ihn. „Ihnen kommt wieder alles unheimlich und unglaublich vor.“ „Allerdings“, gab Collins unumwunden zu. „Ich frage mich zum Beispiel noch immer, wie es möglich ist, daß Sie als Privatmann einen regelmäßigen Funkverkehr zu einem weitentfernten Raumschiff unterhalten können, während doch im allgemeinen riesige Funkstationen nötig sind, um so etwas durchzuführen.“ „Und welche Gedankengänge knüpfen Sie an diese Feststellung?“ „Ich könnte mir denken, daß Sie in einer der anerkannten Funkstationen einen – ahem – Mitarbeiter sitzen hätten.“ Die Augen ließen ihn nicht mehr los. „Sie haben zwar recht, mein lieber Collins, doch würde ich mich nicht lange bei diesem Gedanken aufhalten.“ „Ich bin nicht neugierig, Sir – vergessen Sie nun Ihren Zug nicht.“ „Kerne Sorge.“ Doch so selbstsicher schien auch Mister Jones sich nicht mehr zu fühlen, wie er es seinem „Geschäftsfreund“ gern vormachen wollte. Jedenfalls konnte Collins mit einer untergründigen Schadenfreude einige falsche Züge regist69
rieren. Sie spielten bis in den hellen Vormittag. Und erst gegen Mittag brachte die bleiche Intellektuelle eine neue Meldung, die kurz und bündig lautete: „Wie vorgesehen. Falle geschlossen. Brechen durch.“ Mit einem tiefen Aufatmen stützte der Alte seinen Kopf über der unvollendeten Schachpartie. „Gepriesen seien alle Götter.“ „Und die ‚Venus III’-Besatzung – tot?“ „Wo denken Sie hin. Collins? Für ein solches Unternehmen braucht man Geiseln’“ * „Kathy – Kathy!“ Eine junge Frau blieb wie angewurzelt in der Stille des kleinen Wohnraumes stehen und stellte die Blumenschale wieder auf das Fensterbrett. Einen Augenblick sah es aus, als wolle sie unter einer furchtbaren Erschütterung zusammensinken, dann aber raffte sie sich auf und rannte hinaus. Auf der Straße lief ihr Mrs. Ellington über den Weg, die sofort Zugriff. Kathy – Mädel – wie sehen Sie aus?“ Kathy klammerte sich an ihren breiten Schultern fest. „Er hat mich gerufen“, stieß sie hervor. „Ich habe deutlich seine Stimme gehört.“ „Martin?“ „O yes – und er ist in Gefahr.“ Sie sah nur noch das gute, mütterliche Gesicht der Siedlerfrau vor sich und achtete nicht darauf, daß ein Schnellwagen hielt und Jim Parker teilnahmsvoll herüberblickte. „Mrs. Abel – hallo – was ist denn?“ „Mein Mann hat mich gerufen“, wiederholte sie, und Mrs. Ellington führte sie vorsichtig an den Wagen heran. Als sie Jim erkannte, wurde sie verlegen und strich sich das Haar aus der geröteten Stirn. „Kommodore, ich phantasiere gewiß nicht – 70
Martin hat mich gerufen – er ist in Gefahr – er muß um sein Leben kämpfen …“ Jim lächelte nicht, er fragte auch nicht weiter, sondern reichte ihr nur die Hand und sagte warm: „Wenn er noch lebt, werde ich ihn heraushauen.“ „Bringen Sie ihn zurück, Kommodore!“ * „Da haben wir die Schweinerei!“ Oberst Mortimer konnte nicht umhin, diese lakonische Feststellung seinem Mitarbeiterstab bekanntzugeben, aber er lachte dabei und sah sich triumphierend im Befehlsraum der Außenstation „Luna nova“ um, die er zu seinem Hauptquartier gemacht hatte. „Soeben Nachricht erhalten, daß Jim Parker mit dem ‚Himmelsblitz’ von der Venus aus gestartet ist. Das nennt man Meuterei, wie?“ Die Offiziere grinsten, und ein Major meinte: „Legen Sie einen Löwen an die Kette – er wird sich losreißen. Will Kommodore Parker zum Merkur vorstoßen?“ „No, er wartet innerhalb unseres Sperrgürtels auf Mexass.“ „Kommen muß der Halunke ja, wenn er zur Erde will.“ Der Oberst erhob sich und ging mit dem Major auf die Beobachtungstribüne. Die Außenstation erwies sich bei dieser Gangsterjagd durch das Weltall als ein wichtiger strategischer Punkt in der Abschirmung der Erde. In den Landing Berths der Station lag eine Flottille von bewaffneten „Space-Taxis“. „Funker!“ „Oberst?“ „Nochmaliger Rundruf an alle Abwehrstellen!“ „Okay!“
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* „Rundruf von der Zentrale!“ Der Chef der „Raumschiffleitstelle A“ – ein alter, erfahrener Raumkapitän – war für den Einsatz und die Betreuung der Schiffe zwischen Erde und Venus verantwortlich. Die Leitstelle lag unweit des gigantischen Mondwerkes „Luna IV“, und es war gut, daß hier große Ventilatoren liefen, sonst wäre die trockene Hitze des hohen Mondtages wohl kaum zu ertragen gewesen. „Geben Sie schon her!“ Rundrufe hatten in diesen Tagen keinen Seltenheitswert. Selbstverständlich mußte sich Mortimer immer wieder einen Überblick über die einzelnen „Fahndungsgebiete“ verschaffen, aber man konnte es dem Verantwortlichen kaum übelnehmen, daß er mißmutig zum Mikrophon griff. Mit dürren Worten, mit dem Taschentuch immer wieder über das glühende Gesicht fahrend, gab er seinen Bericht. Die „Abschirmung“ der Erde hatte man in der Weise vorgenommen, daß in einem Umkreis von rund 15 000 000 Meilen 27 große, 8 mittlere und 2 kleine Raumschiffe aufmarschiert waren. Diese Schiffe liefen eine genau berechnete Geschwindigkeit, die sie immer in einem gleichen Abstand zur Erde und zu ihren Nachbarschiffen hielt. Dank ihrer hochentwickelten Optik waren sie in der Lage, die Bereiche zwischen den einzelnen Schiffen unter einer dauernden Kontrolle zu halten. Auf diese Weise waren regelrechte „Sperrketten“ um die Erde gelegt worden. Sollte es trotzdem einem fremden Raumschiff gelingen, unbemerkt zur Erde durchzubrechen – was nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen war –, so stieß es auf die „Innere Sperrkette“, die aus 37 kleinen Schiffen bestand und in 3000 Meilen um den Erdball lag. Unterstützt wurden diese Schiffe von den leichten „SpaceTaxis“-Einheiten der Außenstation. Das war Mortimers Armada, 72
und es war sicher nicht die schlechteste Kampfmacht, die von Menschen jemals zusammengebracht wurde. „Wenn ich Mexass wäre, würde ich lieber Selbstmord begehen, als mich in dieses Minenfeld begeben“, meinte der Leitstellenchef. Mortimer teilte diesen Optimismus nicht. „Mexass ist der tollkühnste und heimtückischste Gegner, den wir jemals gehabt haben. Unterschätzen Sie den Burschen nicht. Der ist imstande und fliegt als Weihnachtsengel verkleidet zurück. Da muß Jim Parker ran! Sorgen Sie bitte dafür, daß er mit seinem ‚Himmelsblitz’ eingebaut wird.“ „Selbstverständlich. Welche Rolle wird der Kommodore übernehmen?“ „Nur eine: Mexass stellen und unschädlich machen!“ * „Ich wiederhole: Raumschiff ‚Himmelsblitz’, TD-Zeichen CDO, Zahlenreihe 2, 4, 6 …“ Fritz Wernicke war froh, als er den „Parolenspruch“ der Leitstelle hinter sich hatte und wieder nach vorn gehen konnte. Im Kommandostand versuchte Jim Parker, die brennenden Schmerzen zu ignorieren, die noch immer in seiner rechten Hüfte wühlten. Wenn nur erst Mexass anfliegen würde. „Was Neues?“ „Leitstelle A hat uns aufgenommen.“ Wernicke nahm vom Kontrolltisch eine Pulle Saurier-Schnaps und hielt sie dem Kommodore hin. „Klein oder groß?“ Jims Augen blieben ernst, obwohl er lächelte. „Klein – wenn es sein muß.“ „Die beste Medizin!“ Jim goß das Glas hinunter und reichte es zurück. „Nochmal!“ Mißtrauisch prüfte Wernicke das eingefallene Gesicht seines Freundes. „Große Schmerzen?“ 73
„Ach was!“ Mit einer unwilligen Bewegung trank er wieder das höllenscharfe Zeug, das ihn sonst schaudern ließ. „Bleib am Empfänger, Fritz!“ „Ich wollte dich ablösen, wir fliegen schon seit sechs Stunden.“ „Es geht noch.“ Wernicke brachte es einfach nicht fertig, den Kommodore zu verlassen. Er zögerte. Hatte Jim etwas auf dem Herzen? „Jim – was ist?“ Die Augen Jim Parkers nahmen die Weite auf, die sich vor ihnen öffnete. Schwarz und sternenübersät war diese Weite, unheimlich und still in einem menschenfremden Verschwimmen zwischen Erhabenheit und Grausamkeit. Lange antwortete er nicht, aber dann wandte er sich mit einem prüfenden Blick dem Steuermann zu. „Zum erstenmal kann ich ein Versprechen nicht halten, mein Alter!“ Fritz reckte sich in einem jähen Erschrecken, das ihm eiskalt ins Herz fuhr. „Was – meinst du?“ Wie unruhig Jims Hände waren, die sich eben bei seinen Worten vom Steuerknüppel abhoben, um nun wieder zuzufassen.
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„Einer von uns muß aussteigen, wenn Mexass in Sicht ist.“ „Ich verstehe dich noch nicht.“ „Mexass hat die ‚Venus III’ gekapert, das steht so gut wie fest. Er wird Gefangene gemacht haben – Geiseln – das dürfte auch sicher sein …“ „Woher weißt du das?“ „Der rote Faden ist zu deutlich sichtbar. Mexass ist nicht der Mann, der sich eine solche Chance entgehen läßt. Er hat Venusuran an Bord, und es wäre am einfachsten, wir würden seinen Kahn mit Atomwerfern ausbrennen, falls er sich nicht ergeben sollte. Unter diesen Umständen geht es natürlich nicht.“ „Wie willst du aber sonst rankommen?“ „Mit dem Raumgleiter!“ „Ausgeschlossen!“ Wernicke wurde lebendig und legte dem Kommodore die Hand auf die Schulter. „Einmal würde ich es gar nicht zulassen, daß du jetzt ein solches Risiko auf dich nimmst, und dann – du kommst auch mit dem Gleiter nicht ran. Mexass knallt dich ab wie auf dem Schießstand.“ „Er wird mich nicht sehen.“ „Wenn wir in seiner Sicht sind, wird er alles beobachten, was hier vergeht – auch, daß einer aussteigt.“ „Wir werden nicht in seiner Sichtweite sein.“ Fritz beugte sich vor. „Ja, Mensch – dann muß einer von uns ja bereits auf einigen tausend Meilen Entfernung aussteigen und die ganze Strecke allein auf dem Brett zurücklegen, um an Mexass heranzukommen. Todeskommando, Jim!“ „Es geht nicht anders!“ „Gut, dann mache ich es, Mondrakete, und du …“ „Mortimer, Fritz!“ Der Empfänger brummte alarmierend auf. „Ich mache das, Jim – ich! – verstehst du?“ wiederholte er beschwörend und ging dann benommen in den Leitraum. Ich werde das nicht zulassen, dachte er verzweifelt und schaltete wütend ein. Die Zen75
trale meldete sich und teilte mit, daß das Raumschiff „Star of the S. A. T.“ im Sperrquadrat 4e ein fremdes Schiff gesichtet habe, das mit außerordentlich hoher Geschwindigkeit auf Erdkurs laufe. Obwohl Einzelheiten noch nicht auszumachen seien, könne es sich nur um die „Venus III“ handeln. Es war soweit. Mexass kam heran! * Ivor Mexass beobachtete den winzigen Raumschiffskörper genau, der in großer Entfernung vor dem Sternenfirmament scheinbar bewegungslos stand. Nun hatten sie ihn also bemerkt und würden Alarm schlagen, Alarm – Alarm … Mexass lächelte spöttisch, aber das war nur eine krampfhafte Maske, hinter der sich ein würgendes Grauen verbarg. Verbarg? Vor wem eigentlich? Vor seinen Gefangenen, die ihn doch nicht sehen konnten? Pah – die würde er mit einem nassen Fetzen ins Weltall jagen, wenn es sein mußte. Mit einer hämischen Schadenfreude wandte er sich dem Bordseher zu und schaltete ihn ein. Die große Mittschiffskabine wurde sichtbar. Auf den Kojen lagen zwei Männer, gebunden und bös zusammengeschlagen. „Hallo, Mister Walm“, rief der Gangster genußvoll. „Haben sich Ihre Kopfschmerzen inzwischen gelegt?“ Harry Walm wußte, daß der andere ihn jetzt beobachtete, und hob den schmerzenden Kopf etwas an. „Ersticken Sie an Ihrem Mitgefühl! Kümmern Sie sich lieber um den hier.“ Er machte eine Bewegung zu Martin Abel hin, der mit glasigen Augen um sich sah. „Laß ihn doch, Harry“, stöhnte er trocken. „Spuck den Burschen doch an.“ „Wenn ich es könnte. Hallo, Mexass, hören Sie noch?“ „Wort für Wort!“ 76
„Der Junge hier hat Fieber, Seine Beinwunde hat sich entzündet. Wollen Sie ihn umkommen lassen?“ „Ich habe leider keine medizinische Ausbildung genossen.“ „Dann lassen Sie Lorb kommen. Sie Schweinehund!“ „Ich muß abermals bedauern, Sie können nicht von mir verlangen, daß ich nochmals zum Merkur zurückfliege, um Lorb zu holen.“ Walm horchte dem Klang dieser dünnen, seelenlosen Stimme nach, die vom Kommandoraum in ihre Kabine drang. Wahrscheinlich hatte Mexass sich falsch ausgedrückt. Aber Abel, der das rechte Bein anzog und sich dabei krümmte, nickte nur. „Er hat recht, Walm – Lorb ist auf dem Merkur geblieben. Bei Paley. Der schöne Frank floh beim Umladen, und Lorb …“ „… benutzte ebenfalls die Gelegenheit, wie?“ „Sie werden romantische Abenteuer erleben“, höhnte Mexass dazwischen. „Ich wünsche weiterhin angenehme Unterhaltung.“ Walm ließ sich zurückfallen. Nun war er fertig. Völlig fertig. Lorb und der energielose Frank waren einem schrecklichen Ende ausgeliefert. Der Merkur war groß. Würde man sie jemals finden können? „Das ist alles meine Schuld, Abel – nur meine …“ „Quatsch!“ stöhnte Abel mit zusammengebissenen Zähnen. „Aber dieser Mexass ist ein Teufel, was?“ Walm schielte zu seiner Kamera hin, die in einer Ecke lag. „Hoffentlich kann ich noch seinen Gang zur Hinrichtungszelle aufnehmen.“ „Geben Sie sich keinen Hoffnungen hin!“ * Das Observatorium der Außenstation „Luna nova“ beobachtete den Merkur. Professor Henderson hatte plötzlich seine Vorliebe für diesen Planeten entdeckt. 77
„Wir haben eine interessante Aussage von einem Siedlerjungen aus Silverfield of Venus“, berichtete er seinem Assistenten, während sie eine neue Einstellung vorbereiteten. „Dieser Junge – ein gewisser Bob Ellington – hat einen Zettel gefunden, der von dem Mexass stammen soll. Auf ihm ist eine Ortsbestimmung, die den Merkur betreffen könnte.“ Der Assistent blinzelte hinter dicken Brillengläsern. „Ich habe als Junge auch gern Detektiv gespielt, aber – haben Sie die Angaben hier, Sir?“ Henderson fischte sein Notizbuch aus der Kitteltasche. „Wir können es ja immerhin einmal versuchen. Hier habe ich Sie schon. 38 N.“ Der Assistent trat an ein kleines Regal und rollte eine Karte aus. Plötzlich richtete er sich betroffen auf. „Donnerwetter – weiß der aber Bescheid!“ „Gebirgszug auf der Nordhälfte, wenn ich mich nicht irre.“ „Allerdings, Sir.“ „Holen Sie ihn mal heran.“ Der Assistent machte sich nun wesentlich eifriger an die Arbeit, und das war gut so. Nach fünfzehn anstrengenden Stunden konnte er mit entzündeten Augen melden: „Am Rande des Gebirgszuges 38 N das Vorhandensein von Trümmern eines Raumschiffes wahrscheinlich.“ * „Damit hatte ich gerechnet.“ Jim Parker regte sich nicht sonderlich auf, als er davon erfuhr. Sie ließen das Schiff mit Automatiksteuerung laufen und saßen im Leitraum über den Karten. Jim trug eine schwarze, enganliegende Kombination, die Wernicke nicht behagte. „Ich lasse dich nicht raus, Jim“, murrte er. „Vorläufig denke ich auch noch nicht daran“, lächelte der 78
Kommodore und goß sich aus einer Spezialkanne herben Mokka ein, der wunderbar nach Erde und Sonnenlicht schmeckte. „Aber ich schätze, in vier Stunden muß ich aussteigen.“ „Jim – ich schlage dich lieber k. o., als daß ich das zulasse!“ „Weine bloß nicht.“ Wernicke nahm einfach einen Schluck aus der Flasche und stand auf. Mit brummendem Schädel ging er hin und her. Seine schweren Schritte wuchteten gleichmäßig. Alles mögliche hatte er schon versucht, um Jim von diesem verrückten Vorhaben abzubringen. Was konnte er nur noch tun? Plötzlich blieb er stehen. „Laß uns doch wenigstens würfeln.“ „Wer aussteigt? Völlig überflüssig, mein Alter.“ „Jedem die gleiche Chance.“ Er trat bereits mit dem Becher an den Kontrolltisch. „Wer die höchste Augenzahl wirft, steigt aus.“ Der Becher plumpste auf. „27 – nun kommst du.“ Jim sah seinen getreuen Fritz kopfschüttelnd an, griff dann aber doch zum Becher und würfelte. „28 – zufrieden?“ Zufrieden war der Steuermann nicht, aber er resignierte. Als Jim sich gestärkt hatte, ging er nach achtern, wo der Raumgleiter in einer rohrförmigen Kammer untergebracht war. Das Ding sah so harmlos aus wie ein zu groß geratenes Wasserspielzeug, ein torpedoförmiges Gebilde, in dem ein Mann ausgestreckt liegen konnte. Am Heck ein Satz winziger TU-Patronen. Unter dem halbkreisförmigen Bugschlitz eine kleine Armaturentafel. Ein Fluggerät zum Einsteigen – bitte, wer probiert es? Aber wer es eine Viertelstunde im leeren Raum probiert hatte, jauchzte nicht mehr. Und Jim hatte sich 2000 Meilen damit vorgenommen. Sorgfältig überprüfte er noch einmal die Einzelteile, war aber noch nicht weit gekommen, als Fritz ihn zurückrief. „Funkspruch!“ „Von wem?“ „Mexass!“ 79
„Was???“ Hart im Gesicht und auf alles gefaßt, setzte er sich selber vor das Gerät und gab den Gegenruf. * Martin Abel konnte nicht mehr. Das entzündete Bein pochte wie eine glühende Maschine. Aber das Scheusal vorn im Kommandostand band einen nicht einmal los. „Es wird Sie interessieren, Gentlemen, daß ich mit Jim Parker, dem großen Kommodore, gesprochen habe.“ Walm kam hoch und unterdrückte einen Jubelschrei. „Parker beteiligt sich an der Jagd auf uns …“ „Auf Sie!“ berichtigte Walm ihn voller Genugtuung. „Dann dürften doch berechtigte Aussichten bestehen, Sie noch einmal vor Ihrer Hinrichtung zu filmen.“ „Sie freuen sich zu früh. Ich habe den Kommodore und mit ihm alle gegen uns eingesetzten Raumschiffe darauf aufmerksam gemacht, daß ich Gäste an Bord habe, die unter einem Angriff auf unser Schiff leiden würden.“ „Wie gütig von Ihnen, Mexass, wie überaus gütig.“ Mexass Stimme antwortete nicht mehr. Wahrscheinlich hatte er sich wieder der Schiffssteuerung zugewandt. So ganz selbstsicher war der Wegelagerer nicht mehr! Martin Abel warf sich in einem Schmerzanfall hoch. Walm schüttelte den Kopf. „Armer Kerl, wenn ich dir nur helfen könnte!“ Wieder stemmte sich Abel gegen das Brennen in seinem Bein. Unter der Kraft seines schmerzgejagten Körpers riß der Riemen, der seine Arme hielt. Walm sah es und zischte sofort: „Leg dich zurück, Abel, tu so, als wenn nichts los wäre!“ Nun komm, Jim – nun komm! *
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Jim war bereits unterwegs! Weit hinter ihm versank der „Himmelsblitz“ in den gähnenden Tiefen, blieb Wernicke mit seinen tausend Ängsten zurück. Vor ihm nichts als sternendurchlostes Schweigen, das ohne Anfang und ohne Ende schien. Der Raumgleiter raste in den gähnenden Schlund der Zeitlosigkeit, so tapfer wie sein Beherrscher, der in ungeheurer Konzentration das Grauen der gnadenlosen Distanz zu überwinden suchte. Jim war unterwegs! Aber große Chancen gab man ihm nicht. * Auch Oberst Mortimer nicht. „Was mir Wernicke eben berichtete, ist Wahnsinn“, schrie er fassungslos und knallte den Meldestreifen auf den Tisch, „kompletter Wahnsinn, und wenn es zehnmal Jim Parker ist.“ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Stellen Sie sich vor, – der ‚Himmelsblitz’ steht zur Stunde hier, im Sperrquadrat 3f, und Mexass steht nach den neuesten Meldungen in 5b – die Distanz beträgt also …“ Ein übereifriger Leutnant hatte sie bereits ausgerechnet. „Genau 1967 Meilen, Sir.“ Wieder glitt das Taschentuch über die Stirn. „Und um ungesehen an das Schiff heranzukommen, ist Parker ausgestiegen und will versuchen, diese Strecke in einem Raumgleiter zurückzulegen. Nun kommen Sie!“ Schallendes Gelächter. Dann betroffene Gesichter. Und endlich die Feststellung: „Wenn es schiefgeht, können wir nichts für ihn tun. Unverantwortliches Unterfangen.“ Nur der junge Leutnant meinte ergriffen: „Ich hätte genau so gehandelt wie der Kommodore!“ Oberst Mortimer klopfte ihm auf die Schulter und wandte sich ab. Lange starrte er auf die Neonkarte, dann sagte er: 81
„Noch eines, meine Herren: der Polizeipräsident von Los Angeles hat die Verhaftung eines gewissen Mister Jones angeordnet.“ * „Ruhig liegen, Martin, gleich kommt er wieder.“ Es war scheußlich, immer das Gefühl haben zu müssen, von einem Menschen beobachtet zu werden, den man selber nicht sehen konnte. Aber Ivor Mexass hatte andere Sorgen. Drei Raumschiffe hatte er bisher am Firmament gezählt, und mit jedem Schiff war sein Selbstbewußtsein geringer geworden. Sie kamen nicht näher, diese fernen Schiffe, sie tauchten schemenhaft auf und blieben zurück. Aber diese schweigende Geisterjagd zerrte an den Nerven. Dazu kam noch eine bitterböse Überraschung: Als er Los Angeles anrief, erhielt er keine Antwort. Ivor Mexass begann, die Nerven zu verlieren. Das war für seine Gefangenen mindestens ebenso gefährlich wie für ihn, denn er war entschlossen, das Schiff auseinanderzusprengen, wenn sie da sein würden, oder auch dann, wenn er einfach nicht mehr konnte. Und Jim Parker war noch 1800 Meilen entfernt. * Gib auf, Kommodore! Aus den Tiefen des Alls flüsterte es ihm zu, im Rauschen seines übermüdeten Blutes lockte es, und seine Augen wollten gehorchen. Es war alles gar nicht so schlimm: die schweigende, erhabene Einsamkeit würde ihn in ihre Arme nehmen und festhalten, wie sie jeden Körper im Weltall hielt. 1700 zeigte die Armaturentafel, dann 1699, 1698 – und aus jeder leuchtenden Zahl klang es auf, wie vorwärtsrufender Trommelwirbel: Gib nicht auf, Kommodore! 82
Gab es denn nichts mehr auf der Welt als diese unfaßbar fernen Sterne, das schemenhafte Heranwachsen eines Planeten, der sich aus dem Sonnenlicht herausschälte? Nein, es gibt nichts anderes, lockte das große Schweigen. Aber dann waren die Zahlen da – 1680, 1679 –, und sie trommelten. Irgendwann mußte Mexass auftauchen. Jim Parker würde nicht aufgeben. * Ivor Mexass rief ein zweites Mal Los Angeles. Aber der alte Mister Jones konnte nicht mehr antworten. Er saß dem Polizeipräsidenten persönlich gegenüber und wies mit einem freundlichen Lächeln auf die Schachpartie, die noch immer unvollendet war. Der Präsident hatte nur schwerwiegende Verdachtsmomente vorzubringen, aber keine Beweise in der Tasche. Die Haussuchung war ein Schlag ins Wasser gewesen und hatte nichts an geheimnisvollen Apparaten zutage gefördert. Aber alleinlassen wollte er den alten Fuchs auch nicht mehr. „Eine unvollendete Schachpartie reizt mich, Sir.“ „Spielen Sie sie mit mir zu Ende, Präsident. Sie haben den nächsten Zug.“ „Gern.“ * Die leuchtenden Zahlen trommelten. 803, 802, 801. Und Mexass war da! Schon seit zwei Stunden hatte Jim ihn im Sichtfeld. Das Schiff machte hohe Fahrt, die stolze, silbergraue „Venus III“. Jim verminderte die Geschwindigkeit nur so weit, daß er sich dem Schiff in einem günstigen Winkel nähern konnte. Und doch hatte er Pech. Auf eine Distanz von 400 Meilen sah ihn der Gangster. 83
* Ivor Mexass prallte zurück! Die Maske des kalten Hohns fiel von seinem Gesicht, das grau wurde und in sich zerfiel, als seine Augen immer klarer erkannten, was sich dort seinem Schiff näherte. Das konnte nur Jim Parker sein! Regungslos vor Entsetzen stand er an dem seitlichen Bullauge der Führerkabine. Dann riß er sich zusammen. Er mußte die Backbordluke öffnen, dann konnte er ihn noch abknallen. Auf dem Mittelgang stieß er auf Harry Walm, der sich ihm entgegenwarf. „Zurück, Mexass!“ Sie prallten zusammen. Aber Walm war zu aufgeregt und konnte seine Schläge nicht recht anbringen. Ein furchtbarer Stoß in die Magengrube ließ ihn aufjammernd zusammensinken. Mexass sprang über ihn weg und raste weiter. Nicht in die Schleusenkammer. Das Auftauchen des Wochenschaumannes, der sich hinter ihm krümmte, hatte ihn ganz um Sinn und Verstand gebracht. Er wollte den Angreifer in die furchtbare Wirkung des TU-Antriebes bekommen und verbrennen. Er stürmte in den Leitraum, wieder in den Führerstand, warf den Kahn herum. Die Anzeiger tanzten am Anschlag. Mexass hatte die Augen geschlossen, aber als er sie wieder öffnete, war der Raum um das Schiff leer. Jim Parker war ausgelöscht. Aufatmend lehnte er sich gegen den Führersitz. Mochte das Schiff in den nächsten Minuten einen noch so verrückten Kurs laufen – die größte Gefahr war überwunden. Nun galt es, diesen Reporter wieder einzufangen. Aber als er den Führerstand verlassen wollte, waren plötzlich Schritte da. Zwei Männer rannten 84
auf ihn zu. Einer von ihnen trug eine schwarze, enganliegende Kombination, die nur ein schmales, erschöpftes Gesicht freiließ. Da hob der Gangster abwehrend und in unfaßbarer Angst die Arme. „The Commodore?“ * „The Commodore?“ Als zehn Tage später in einer Sondervorstellung der „CroßFilm“ in der Atomstadt Harry Walms größter Sensationsstreifen aufblendete, erlebten die geladenen Gäste diesen dramatischen Augenblick noch einmal. Deutlich konnte man sehen, wie Ivor Mexass zurücktaumelte unter der Wucht seiner Enttäuschung. Aber in diesem Taumeln war ein jähes, instinktives Begreifen. Die Linke faßte einen Hebel neben dem Führersitz. „Keinen Schritt weiter, Parker!“ „Ich weiß, Sie umfassen den Sprenghebel“, lächelte Jim, und seine Augen ließen den Verbrecher nicht los. „Aber Sie vergessen, daß zu einem Sprenghebel eine Sprengleitung gehört.“ Mit einer kurzen, harten Bewegung richtete er den Atombrenner, den er in der Hand hielt, steil nach oben zur Decke des Führerstandes. Mit einem Wutgeheul warf sich Mexass auf ihn. Jim rutschte unter der Wucht des Anpralles aus und versuchte, den Atombrenner wegzudrehen. „Vorsicht, Mann – Kopf weg!“ Aber es war schon zu spät. In einem gräßlichen, grellen Aufflammen endete Ivor Mexass. Der Film zeigte dann noch, wie sie Martin Abel notdürftig verarzteten und dann die Atomstadt anflogen. Es war ein Streifen, der den Verantwortlichen der „Croß-Film“ Freudentränen entlockt hatte. Nur eines hatte er nicht erfaßt: den tollkühnen Flug des Kommodore durch das Schweigen des Weltalls. 85
„Das war das Schlimmste, was ich bisher erlebt habe“, gestand Jim offen, als später die Lampen aufflammten. „Es ist wie ein Schweben zwischen Traum und Tod, man muß an sich halten, um nicht irgendeine furchtbare Dummheit zu begehen.“ „Sie haben gewagt, was kein anderer gewagt hätte“, sagte Oberst Mortimer warm und schüttelte seinem besten Kameraden die Hand. Und die Offiziere, die in der Außenstation furchtbar über Jim gelacht hatten, brüllten begeistert Beifall. Jim winkte ab und zündete sich eine seiner „Maza-Blend“ an. „Leider hat Mexass sein Geheimnis mit ins Grab genommen“, zog der Oberst die Schlußbilanz. „Und auch die Verhaftung Jones’ hat uns nicht weitergeholfen. Der Polizeipräsident hat ihn wohl am Schachtisch matt gesetzt, aber dann ist der Alte hinausgegangen und hat eine Tablette geschluckt. Er wußte wohl, daß er sich irgendwie verrechnet hatte. Collins ist ein uninteressanter Bursche, dem nur illegaler Handel mit Uran vorgeworfen werden kann. Was meinen Sie dazu, Jim?“ „Ich sehe klar“, sagte der Kommodore ruhig und nahm das Glas, das der wieder fröhlich dreinschauende Wernicke ihm vorsorglich eingeschenkt hatte. „Ivor Mexass, ein Außenseiter der menschlichen Gesellschaft, der zuviel Geld hatte, wurde aus reinem Sport Raumflieger. Geriet auf Abwege. Hatte das schockierende Abenteuer mit den ‚außerirdischen Intelligenzwesen’, deren Erscheinung wir bislang nicht deuten konnten. Wurde dadurch immer mehr zu einem modernen Wegelagerer, der vor nichts mehr zurückschreckte.“ „Und der von einem geschäftstüchtigen Onkel unterstützt wurde“, ergänzte der Oberst. „Schließen wir die Akten Ivor Mexass. Viel schlimmer ist, daß zwei arme Teufel verloren und hoffnungslos auf dem Merkur herumirren.“ Über Jim Parkers Gesicht flog ein Schatten. Seine Gedanken waren bei ihnen, bei dem leichtsinnigen Lorb, der durch eine dumme Fahrlässigkeit die Nerven verlor und ins Unglück rannte. 86
„Sie haben recht, Mortimer, es wird Zeit, daß wir den Merkur gründlich nach ihnen durchforschen.“ „Und ich bin dabei“, rief Harry Walm aus, „denn ich habe noch was gutzumachen an Lorb.“ * Auch Bob Ellington wollte dabei sein. Als er einige Wochen später auf der Venus seinem alten Freund und Nachbarn Martin Abel begegnete, der sich inzwischen gut erholt hatte, schoß er wie ein Raumschiff auf ihn zu. „Haben sie dich genommen?“ Martin Abel hatte sich beim S. A. T. als Raumflieger beworben, und man brauchte nur in sein glückliches Gesicht zu sehen, um zu wissen, welchen Bescheid er bekommen hatte. „In zwei Monaten kehren Kathy und ich zur Erde zurück“, berichtete er. „Ich soll in Orion-City ausgebildet werden.“ „Kannst du nicht ein gutes Wort für mich einlegen?“ „Ich will es versuchen“, lächelte Martin. Dann gingen sie zu Bobs Eltern, die den neugebackenen Raumflieger und seine Frau zum Kaffee eingeladen hatten. Als Bob jedoch vor der Tür auf seinen Haufen stieß, baute er sich vor den Jungen auf und warf sich in die Brust: „Hier seht ihr mich, Leute – Raumflieger Bob Ellington!“ Sie lästerten ihn fürchterlich aus, wurden aber ruhig, als er sagte: „Ich fliege mit zum Merkur und hole Lorb und den schönen Frank zurück.“ Seine Augen waren voller Gläubigkeit, sie sahen nicht den trüben milchigen Venushimmel, vor ihnen war das freie Weltall: Das Reich der Sterne. – Ende –
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Lesen Sie im nächsten (28.) UTOPIA-Band: Wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft in der Forschungsstadt Orion-City die alarmierende Nachricht ein, daß die Vorräte an Uran, jenem unentbehrlichen Grundstoff für die Gewinnung der Atomenergie, in aller Welt ihrem Ende entgegengehen. Die Zukunft der gesamten Menschheit erscheint bedroht. Überall machen sich Wissenschaftler und Projektoren auf, um neue Erzvorkommen zu suchen. Uranfieber ergreift die ganze Welt. In aufregenden Kämpfen auf Leben und Tod müssen sich Kommodore Parker und seine Kameraden im Weltraum und auf der Erde mit skrupellosen Abenteurern herumschlagen, die es auf die Urantransporte des Staatlichen Atom-Territoriums abgesehen haben. Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 26 bei Ihrem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden). Senden Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pfg.) auf das Postscheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht vergessen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geldbetrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.
Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 27) In doppelter Entfernung des Saturn … Mit Saturn hatten wir den fernsten unter jenen Planeten erreicht, die infolge ihrer Helligkeit mit bloßem Auge wahrnehmbar sind und den Menschen von jeher bekannt waren. Bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahm man allgemein an, daß die Saturnbahn die äußerste Grenze des Planetensystems sei. Doch diese Grenze schnellte unvermittelt auf mehr als das Doppelte der Entfernung Sonne–Saturn in den Raum hinaus, als dem großen Astronomen Friedrich Wilhelm Herschel am 13. März 1781 mit Hilfe seines selbstgebauten, starken Spiegelteleskops die Entdeckung eines weiteren großen Planeten gelang, der später den Namen Uranus erhielt. In 2871 Millionen Kilometer Abstand zieht Uranus seine Bahn um die Sonne und vollendet einen Umlauf im Zeitraum von 84 Erdenjahren. Unserer Erde kann dieser Planet im günstigsten Fall bis auf 2700 Millionen Kilometer nahekommen. Uranus dreht sich, ähnlich wie seine großen Brüder Jupiter und Saturn, in der kurzen Zeit von 10 Stunden, 45 Minuten einmal um seine Achse. Infolge dieser raschen Rotation ist auch er an den Polen stark abgeplattet. Vierundsiebzig Mal hätte die Erdkugel im Uranus Platz. Wie seine Oberfläche beschaffen ist, wissen wir nicht; denn auch diesen Planeten verhüllt eine undurchsichtige Atmosphäre, in der wiederum die Gase Methan und Ammoniak die Hauptrolle spielen. Es ist daher anzunehmen, daß auf Uranus ähnliche Verhältnisse herrschen, wie auf Jupiter und Saturn. Als Ziel einer künftigen Raumschiffexpedition käme also auch hier der Planet selbst weniger in Frage, als seine 5 Monde, von denen
die vier zuerst entdeckten von Ost nach West, d. h. entgegengesetzt zu der im Sonnensystem sonst vorherrschenden Bewegungsrichtung, um ihren Hauptkörper laufen. Die Durchmesser dieser vier Monde – der fünfte wurde erst 1948 entdeckt – liegen vermutlich zwischen 600 und 1600 km (zum Vergleich: Durchmesser des Erdmondes = 3476 km). (Fortsetzung folgt)
Verlag und Druck: Erich Pabel, Rastatt in Baden, 1954 (Mitglied des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger e. V.) Die Bände dieser Serie dürfen nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Scan by Brrazo 08/2010