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Jäger und Gejagte Fred McMason 1. Kanonendonner rollte pausenlos über die See. Es war die Nacht vom 13. auf den 14. Juni 1594. Immer wieder stachen gewaltige Feuerlanzen durch die Nacht und zerhackten die Finsternis. Der brüllende und grollende Donner folgte sofort danach. An der Kimm waberte es blutrot auf. Der Bund der Korsaren rupfte einen spanischen Geleitzug, der von Havanna ausgelaufen war, und hier ereilte ihn sein Schicksal. Ein Teil des Geleitzuges war schon kräftig gerupft. Den Mannschaften war nichts geschehen. Der Bund der Korsaren hatte es nur auf die Gold-, Silber- und Perlenladungen abgesehen. Die „Isabella" unter Philip Hasard Killigrew nahm an dem Gefecht nicht mehr teil. Hasard hatte eine spanische Galeone geentert und zu seinem Entsetzen entdeckt, daß die Dons menschliche „Fracht" an Bord hatten, Männer und Frauen aus dem Stamm der Mixteken. Diese etwa siebzig Indianer sollten zur „Schau und Belustigung" nach Spanien verschleppt und dort dem königlichen Hof vorgeführt werden. Seitdem hatten die Arwenacks sich zurückgezogen und überlegten, ob sie die bedauernswerten Indianer auf einer Insel oder an der Küste Floridas absetzen sollten. Jetzt sägten noch vier Schiffe Brocken aus dem Geleitzug heraus. Thorfin Njals „Eiliger Drache über den Wassern", die „Le Vengeur", die „Caribean Queen" unter Siri-Tong und die „Tortuga" nahmen einen Don nach dem andern aus und erleichterten ihn um seine Schätze. Old O'Flynn war die Aufgabe zugefallen, „Fühlungshaltermelder" zu spielen und die Schiffe, die in alle Himmelsrichtungen verstreut waren, aufzuspüren und sie durch drei Böllerschüsse den Galeonen des Korsarenbundes zu melden. Jetzt standen Jäger und Gejagte etwa sechzig Meilen nordöstlich des Ausgangs der Florida-Straße.
Einige Dons hatten entnervt die nächtliche Szene verlassen und waren in wilder Panik davongesegelt, nachdem sie um ihre Ladungen erleichtert worden waren. Wenn es die Zeit zuließ, dann hetzte Old O'Flynn sie mit seinem kleinen Dreimaster „Empress of Sea" noch ein bißchen und verscheuchte sie damit endgültig. Der aus achtzehn Handels-Galeonen und zwölf HandelsKaravellen bestehende Geleitzug war bis jetzt um neun volle Ladungen erleichtert worden. Auf den vier Schiffen waren die Ladekapazitäten fast erschöpft. Unter Deck stapelten sich Eisentruhen mit Gold- und Silberbarren, Perlen, indianischem Goldschmuck und Edelsteinen. Der Wert war nicht einmal annähernd abzuschätzen. Der Wikinger war mit seinen Mannen gerade beim „Hühnchenrupfen", wie er das nannte. Sie trieben langsam vor dem Wind, Seite an Seite mit einer spanischen Galeone, die geentert worden war. Die verängstigten Spanier schufteten bis zum Umfallen, schleppten das Zeug kistenweise aus ihren Laderäumen und brachten es auf den Schwarzen Segler. Dort verstauten es andere Dons, die der Wikinger zur unbezahlten Arbeit herangezogen hatte. Thorfin Njal humpelte noch etwas. Sein linker, vor einigen Wochen gebrochener Knöchel war straff bandagiert. Wenn die schwitzenden Dons ihn sahen, zuckten sie jedesmal verstört zusammen, denn der Riese, der aus grauer Vorzeit zu stammen schien, flößte ihnen Furcht ein. Sie hatten Angst, nach getaner Arbeit an die Rahen gehängt zu werden. Thorfin befahl dem Stör, eine der Eisenkisten zu öffnen, sozusagen zur Stichprobe. Während er sich darüberbeugte und der Stör mit einer Laterne leuchtete, krachte es weiter östlich bestialisch laut. Siri-Tong hatte einem Don den Großmast weggeschossen, und der zerschlug jetzt im Fallen fast das ganze Deck und die Schanzkleider. Weitere Blitze zuckten durch die Nacht. Thorfin störte sich an dem Donnern und Rumpeln nicht. Er fischte in der Eisenkiste und hob einen Gegenstand hoch. Sehr andächtig betrachtete er ihn. „Hm, eine Platte zum Gemüseschneiden", sagte der Stör, „oder eine Art Teller aus Metall."
„Du abgelaichter Stint!" grollte Thorfin. „Soviel habe ich davon auch schon verstanden. Das ist ein goldener Kalender, den die Indianer gefertigt haben, um die sich der Seewolf kümmert. Gemüseplatte! Du spinnst ja. Das Ding ist ganz aus Gold und zeigt die Gestirne des Himmels." Vorsichtig legte er die dicke goldene Platte wieder zurück. Die letzten Kisten und Truhen stapelten sich an Deck. „Unten ist alles voll", sagte der Stör, „da geht nicht mal mehr ein goldener Ring in die Laderäume. Wir müssen das an Deck festzurren." „Ich weiß, wir sind fast überladen. Schade, dabei laufen noch ein paar ungerupfte Hühnerchen herum, und alles ließ sich so gut an, seit wir die Kriegs-Galeonen erledigt hatten. Die Dons haben uns wirklich einmalig gut beschenkt." „Gut beschenkt", echote der Stör, „einmalig gut beschenkt. Wie zu Weihnachten", setzte er schnell hinzu, als er den drohenden Blick des Wikingers sah, der es auf den Tod nicht ausstehen konnte, wenn der Stör ihm immer alles nachquasselte. „Eiliger Drache" lag sehr tief im Wasser. Thorfin sah ein, daß er beim besten Willen nichts mehr an Bord nehmen konnte, ohne bei ruppiger See sein Schiff zu riskieren. Er blickte die Spanier an, die schwitzend und verängstigt an Deck standen und nicht wußten, was dieser unheimliche Kerl jetzt mit ihnen vorhatte. „Ihr habt das alles zusammengeklaut!" rief er mit seiner Donnerstimme. „Und ihr habt dabei Unschuldige getötet, Männer, Frauen und Kinder. Jetzt klauen wir euch das Zeug, und ihr habt nur ein bißchen arbeiten müssen. Verzieht euch jetzt, schießt in den Wind oder Thors Hammer wird euch ins Kreuz fahren. Bei Odin und seinen Raben Hugin und Munin haut bloß ab!" Die verdatterten Spanier verstanden nichts. So obskure Dinge wie Thors Hammer oder Odins Raben waren ihnen kein Begriff. Sie kapierten erst, als der in Felle gehüllte Riese brüllend auf sie losging und so laut mit seiner Donnerstimme schrie, daß er mühelos das Donnern der Kanonen übertönte. Da rissen sie aus und sprangen auf ihre Galeone, total verunsichert, was jetzt wohl folgen würde. „Löst die Enterhaken und laßt den Torfkahn treiben, wohin er will", befahl der nordische Gigant. Er klopfte nachdrücklich mit
der Faust auf seinen Helm, was die Dons wiederum vor Schreck zusammenzucken ließ. Eike und Arne lösten die Haken und grinsten die Dons an. Die Galeone war beschädigt. Ihr Backbordschanzkleid eingedrückt, ein Mast zersplittert, und dicht über der Wasserlinie wies sie drei große Löcher auf, die Thorfins Eisenkugeln hineingeschlagen hatten. Im Rigg sah es auch ein bißchen wüst aus. Der Takelmeister brauchte sich während der nächsten Zeit keineswegs um Arbeit sorgen. Die ausgenommene Galeone trieb langsam davon. Die Spanier ließen sie treiben. Sie trauten sich nicht einmal, die Segel zu setzen und blieben untätig und hilflos an Deck stehen. Allerdings hatten sie auch nicht mehr viel Tuch an den Rahen, das noch gesetzt werden konnte. Thorfin schenkte den Kerlen keinen Blick mehr. Er drehte sich um und starrte in die Nacht, aus der immer noch lange Flammenblitze stachen. Die „Tortuga" hatte sich in eine Galeone verbissen und räumte sie aus. Siri-Tong übernahm die Ladung einer anderen Schatzgaleone, während die „Le Vengeur" gar nichts mehr unternahm, denn ihre Laderäume waren ebenfalls zum Bersten voll. An der Kimm waren undeutlich die Silhouetten flüchtender Galeonen zu erkennen. Nach allen Himmelsrichtungen flüchteten sie voller Panik in die schützende Nacht. Der Wikinger lachte dröhnend. Er war guter Stimmung, denn dieses Unternehmen war das reinste Zuckerlecken gewesen. Aber auch an Bord der anderen Schiffe herrschte Prachtstimmung. Was sie diesmal an Beute auf die Schlangen-Insel einbrachten, übertraf alle ihre Erwartungen. Durch diesen Raid war den Spaniern ein unermeßlicher Schaden entstanden. Old O'Flynn kurvte mit der „Empress" in einer Kabellänge Entfernung vorbei und wollte nach Süden laufen. Der Wikinger pfiff grell auf den Fingern. Das alte Rauhbein O'Flynn drehte bei und hielt auf „Eiliger Drache" zu. „Im Nordosten segelt ein dicker Brocken!" schrie er zum Schwarzen Segler hinüber. „Soll ich dich hinlotsen, Thorfin?" „Mann, mir säuft der Kahn gleich unter dem Hintern ab. Wir sind bis obenhin beladen. Wenn nur noch ein Mann mehr bei mir an Deck steht, dann blubbern wir ab."
„Schade!" rief Old O'Flynn. „Dann müssen wir die Kerle abzittern lassen. Das tut mir in der Seele weh." „Mir auch. Aber mir bleibt nichts anderes übrig, ich muß die Heimreise antreten." „Bei den anderen sieht es ähnlich aus", versicherte der Alte, der mit seiner „Empress" dicht neben dem Schwarzen Segler dümpelte. „Soll ich zum großen Sammeln blasen, Thorfin?" Der Wikinger blickte auf die Schaluppe, hob ganz langsam den rechten Zeigefinger und kratzte seinen Helm. Das tat er meist, wenn er über etwas nachdachte. Old O'Flynn nervte das sichtlich, denn er preite Thorfin ungeduldig an: „Was nun, verdammt! Deinen Nachttopf kannst du später kratzen." „Ja, wir sammeln, wenn die anderen auch soweit sind, und gehen dann auf Südkurs." „Daß der immer an seinem lausigen Helm kratzen muß", sagte Old O'Flynn, „das ist nicht zum Aushalten. Da steckt doch etwas dahinter. Vielleicht hat er wieder diese nordischen Riesenläuse." Er zeigte verstanden und lief ab. Sein nächstes Ziel war der düstere Zweidecker der Roten Korsarin. Auch bei Siri-Tong waren die Spanier am Arbeiten und wurden noch durch den Boston-Mann angetrieben. „Eine halbe Stunde noch", rief die Rote Korsarin, „dann ist die Beute verstaut!" Old O'Flynn segelte zur „Tortuga" und überzeugte sich auch dort von dem Fortgang des Umstauens. Nichts ging mehr in die Laderäume hinein, wie er erfuhr. Sie mußten die letzte Galeone noch ausräumen, dann war auch ein Teil der Decks beladen. Das Donnern war verstummt. Es zuckten auch keine Blitze mehr auf, als die „Empress" zur „Le Vengeur" segelte. In ihrer unmittelbaren Nähe trieb eine Galeone, die beim Entern heftigen Widerstand geleistet hatte. Dementsprechend sah sie auch aus.; Jean Ribault hatte ihr die Masten weggeschossen. An Deck standen nur noch drei armselige Stümpfe, und die Dons wußten nicht, was sie tun sollten. Also ließen sie sich einfach treiben. Ribault war in Hochstimmung. Im Widerschein der Laternen blitzten seine weißen Zähne, als er lachte. „Das war der letzte!" rief er Old O'Flynn zu. „Meinetwegen können wir die Heimreise antreten. Der Wind steht gut aus Nordnordost. Sage den anderen Bescheid, Donegal!"
„Hab ich schon. Alles klar. Achteraus liegt Thorfin, er wartet, daß wir sammeln." Ribault zeigte ebenfalls verstanden. Ganz langsam nahm die „Le Vengeur" Kurs auf den Schwarzen Segler. Auch sie lag tief im Wasser und bewegte sich nur schwerfällig. Nach insgesamt einer weiteren Stunde formierte sich der Verband. Was er zurückgelassen hatte, sah schrecklich aus. In der See trieben entmastete, zerschossene und gerupfte Galeonen. Auf einer großen Fläche bewegten sich Holztrümmer in der Dünung, Fässer und Kisten. Auf einer der Galeonen brannte das Achterdeck. Die verstörten Dons hatten schon Boote ausgebracht und enterten ab, weil der Brand sich auszuweiten begann und nicht mehr zu löschen war. Langsam und tief in der See liegend, gingen die vier Schiffe des Korsarenbundes auf Südkurs. Ihr Ziel war die Schlangen-Insel, wo die ungeheuren Schätze in den unterirdischen Kavernen verschwinden würden. Die „Empress of Sea", die wesentlich schneller lief als die vier schwer beladenen Schiffe, spielte Aufklärer und umkreiste die kleine Flotte. Ein reicher Beutezug war beendet. An Bord gab es überall zufriedene Gesichter, und dem Raid würde ein großes Fest folgen. 2. Nacht, Dunkelheit und Entfernung hatten die zweimastige Schaluppe Don Juans verschluckt. Aber der heimliche Beobachter der Enterkämpfe war noch da und keinesfalls verschwunden. Hasard hatte ihn bereits am Vortag als kleinen Strich an der Kimm gesehen und war mißtrauisch geworden, als die Schaluppe jeden Kreuzschlag der „Isabella" nachvollzog. Er hatte den alten O'Flynn gebeten, auch die anderen Kapitäne zu warnen, weil ihm die Schaluppe nicht geheuer erschien. Als er einmal auf sie zusegelte, zog sie sich schnell zurück und verschwand achteraus an der Kimm. Don Juan de Alcazar hatte am Vortag bereits beobachten können, wie die fünf Kriegs-Galeonen, die den Geleitzug zum Schutz begleiteten, in einem heftigen Gefecht vernichtet wurden. Er war immer eisern auf Tuchfühlung geblieben.
Als er dann die „Isabella" erkannt hatte, wußte er, daß er sich wieder auf der Spur Philip Hasard Killigrews befand. Seine Kalkulation war damit aufgegangen und seine Ahnung zur Gewißheit geworden, daß die Engländer bei den nördlichen Bahamas ihr Unwesen trieben. In diesen Gewässern war ihnen auch die Perlen-Galeone „Santa Clara" in die Hände gefallen. Was Don Juan bis in die Tiefen seiner Seele erschütterte, war die unglaublich scheinende Tatsache, daß außer der „Isabella" vier weitere schwer armierte Galeonen die fünf spanischen Kriegsschiffe so mir nichts, dir nichts von der See gefegt hatten. Eine kleine dreimastige Karavelle hatte ebenfalls eingegriffen. Don Juans schiefergraue Augen durchbohrten die Dunkelheit. Alles in ihm kochte und brodelte vor Wut, als er den pausenlosen Kanonendonner hörte und die Blitze sah, die scheinbar aus der See stachen. Mitunter war das berstende Krachen von Schiffsplanken oder Masten bis hierhin zu hören. Jetzt wurden die spanischen Galeonen kräftig ausgenommen und gerupft wie fette Weihnachtsgänse. Die Weltmacht Spanien verlor unermeßliche Reichtümer an die englischen Piraten. Don Juan ballte die Hände zu Fäusten und starrte mit brennenden Blicken in das Chaos an der Kimm. Da flogen nur so die Fetzen, da wurde ein Schatzschiff nach dem anderen geentert, und die Reichtümer aus der Neuen Welt verschwanden in den Bäuchen der englischen Galeonen, statt am spanischen Hof zu landen. Natürlich mußte Don Juan hilflos zusehen, was sich da abspielte. Er konnte nichts ausrichten noch nicht. Aber daß er hier ungestört den Beobachter spielen konnte, war Gold wert. Er würde herausfinden, wohin dieser schwarze Satan segelte. War sein Versteck erst einmal bekannt, war alles andere ein Kinderspiel. Eine ganze Armada würde aufkreuzen und das Piratenversteck ausräuchern. Dem konnte auch Philip Hasard Killigrew nichts entgegensetzen. In dieser Nacht gingen Don Juan die Augen über, denn wie dort gekämpft wurde, war einfach unglaublich. Einerseits ärgerte er sich grün und blau, andererseits faszinierte ihn die Taktik, die Strategie und der unglaubliche Angriffsgeist dieser englischen Höllenhunde. Er haderte mit sich. Er konnte schließlich diese Kerle, die sein Land gehörig rupften, schlecht bewundern, oder? Auch wenn der
Killigrew ihm das Leben gerettet hatte. Das ging dann doch wohl etwas zu weit. Schon einmal war er diesem Seewolf mit widerstreitenden Gefühlen gegenübergetreten und hatte sich anhören müssen, was der von der „sehr fragwürdigen" spanischen Krone hielt. Er hatte ihm eine Art Spiegel vorgehalten und ihn mit Worten fast gedemütigt. „Näher dranbleiben!" fuhr er den Bootsmann plötzlich an. Ramón Vigil, ein sechs Fuß großer Riese mit kantigem Gesicht, ausgeprägtem Kinn und blauen Augen, war Katalonier. Seinem Aussehen nach war der Bootsmann der Nachfahre eines Gotenstammes. Er zuckte leicht zusammen. Mit Don Juan war in dieser Nacht nicht gut Kirschen essen, der hatte eine recht miese Laune. Das hatte auch die übrige Mannschaft schon zu spüren gekriegt. „Näher heran", forderte Don Juan mit harter Stimme. „Die Galeonen sind so weit auseinandergezogen, daß man sie nicht mehr unterscheiden kann. Wir dürfen aber diese englischen Piraten nicht aus den Augen verlieren, sonst war alles umsonst." „Si, Don Juan", sagte Ramón mit tiefer Stimme. Sie segelten etwas näher auf, aber so, daß sie selbst kaum gesehen werden konnten. Don Juan konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Flammenzungen, die durch die Nacht stachen. Am Aufblitzen wußte er, daß es die Engländer waren. „Die schießen einen nach dem anderen zusammen", sagte der Bootsmann knurrend. „Das sehe ich selbst." Daraufhin zog Ramón Vigil es vor, zu schweigen. Don Juan mußte mit seiner schlechten Laune selbst fertig werden. Fünf Schiffe hat der Killigrew, überlegte Don Juan. Dazu kam noch die dreimastige schnelle Schaluppe. Das war zwar eine kleine, aber unglaublich schlagkräftige Flotte, die einen Geleitzug von dreißig Schiffen und fünf Kriegs-Galeonen knackte, sich in ihn verbiß und einen Brocken nach dem anderen heraussägte. Dieser Mann mußte zur Strecke gebracht werden, der war für die Spanier gefährlicher als alle Haie der Karibik zusammen. Das, was er alle aufbrachte, waren beileibe keine Nadelstiche gegen die spanische Krone, es waren ganz empfindsame Schläge, die an allen Ecken und Enden schmerzten.
Eine Galeone brannte. Sie trieb in der See von den übrigen ab. Boote wurden ausgesetzt, die Männer verließen das Schiff. Wieder blitzte es auf, und der Donner rollte heran. Das könnte die „Isabella" gewesen sein, dachte Don Juan. Er versuchte, durch das Spektiv zu blicken, doch das gab auch nicht viel mehr her bei den Flammenblitzen. Die Schiffe ließen sich dadurch nicht besser unterscheiden. Stunde um Stunde ging das so, und er mußte hilflos mit ansehen, wie seine Landsleute ausgenommen wurden, wie Gold, Silber und Edelsteine in den Laderäumen der englischen Piraten verschwanden. Dann hatten sie offenbar genug, weil sie jetzt selbst bis an die Halskrause beladen waren. Die spanischen Schatzschiffe waren nach allen Seiten auseinandergedriftet. Manche waren zum Wrack geschossen, ein paar hatten sich verholt, und der Rest war schwer angeschlagen. Fürwahr, eine blamable Niederlage! Er sah, wie sich die Schiffe formierten, erkannte sie aber nur als undeutliche Schatten, die in Kiellinie schwerfällig lossegelten. „Jetzt bleiben wir ihnen auf den Fersen, Ramón", sägte er. „Sorgen Sie dafür, daß wir die Kerle nicht aus den Augen verlieren. Können Sie erkennen, wie viele es sind?" „Leider nein, Don Juan. Dem Aufblitzen nach waren es fünf. Jetzt bilden sie eine langgezogene Linie. Die kleine Silhouette ist die dreimastige Karavelle." Die Verfolgung Wurde aufgenommen. Es ging immer weiter nach Süden, ganz wie der Schnapphahn Cariba das gegen seinen Willen ausgeplaudert hatte, denn dort, im Bereich der Caicos oder Turks-Inseln, sollte sich der Schlupfwinkel der Piraten auf einer legendären Insel befinden. So hatte es Cariba jedenfalls ausgeplaudert, und jetzt schien sich das zu bewahrheiten. So langsam wechselte Don Juans Stimmung. Das Jagdfieber schlug ihn in Bann. Noch nie hatte es jemand geschafft, den Schlupfwinkel genau auf den Punkt zu beschreiben. Aber er würde jetzt feststellen, wo dieser Killigrew hauste. Zwischendurch dachte er öfter an ihn. Er sah sich fiebernd und verletzt im Boot liegen, verfolgt von Schnapphähnen, und Killigrew rettete ihm bedenkenlos das Leben. Diese Gedanken waren hier und jetzt völlig fehl am Platz. Er versuchte, sie mit aller Gewalt zu verdrängen. Und doch tauchte
immer wieder das Bild des schwarzhaarigen Mannes auf, der ihn mit blitzenden blauen Augen ansah und spöttischüberlegen lächelte. Er übte sich darin, sich dieses Gesicht als abscheuliche Piratenfratze vorzustellen und den Mann dazu als blutrünstigen, gnadenlosen Schlagetot und Mörder. Doch dieses Bild zerbröselte immer wieder und fiel in sich zusammen. Sein Feindbild war schon ein paar Male ins Wanken geraten, jetzt schwankte es wieder ganz beträchtlich, immer dann, wenn er sich stark darauf konzentrierte. Zum Teufel mit dem Killigrew! Er würde seinen Auftrag künftig emotionslos erfüllen und den Mann der spanischen Krone überstellen. Als die erste Morgendämmerung über den Horizont kroch und alles grau in grau war, griff Don Juan fast genüßlich zum Spektiv und begann, die stur nach Süden ablaufenden Schiffe genauer aufs Korn zu nehmen. Er warf sogar dem Bootsmann einen freundlichen und ermunternden Blick zu. Ein Mann aus der achtköpfigen Mannschaft brachte ihm etwas zu essen und zu trinken. Aha, jetzt waren sie schon deutlicher zu erkennen. Achtern segelte ein düster wirkender Zweidecker, vor ihr lief ein riesiges schwarzes Schiff, ein gewaltiger Viermaster, dessen Segel schwarz waren, und auf denen ein gewaltiger Drache zu sehen war. Jedenfalls sah das ganz so aus. Dann stutzte er. Sein Gesicht wurde etwas länger, denn statt der erhofften fünf Schiffe segelten da nur vier, wenn man von der Schaluppe absah. Don Juan blieb die zart gebratene Fleischschnitte im Hals stecken, als er die betrübliche Erfahrung machen mußte, daß ausgerechnet die „Isabella" in dem Verband fehlte. Er kannte das Schiff ganz genau seit dem Gefecht bei Lobos Cay. „Verdammt noch mal", sagte er klar und deutlich. „Das sind ja nur noch vier Schiffe. Die „Isabella" des Killigrew fehlt." Ausgerechnet der Mann mußte ihm wieder entwischen, hinter dem er mit aller Gewalt her war. Jetzt hatte er sich verdrückt. Aber warum nur? Er konnte doch nicht wissen, daß er, Don Juan, alles beobachtete? Das ging ja fast mit dem Teufel zu, und er wollte es einfach nicht glauben.
Erneut nahm er den träge dahinsegelnden Verband aufs Korn. Die „Isabella" war nicht mehr dabei. Das bestätigte auch der Bootsmann. „Sie hat sich irgendwann im Lauf der Nacht abgesetzt, Don Juan." „Und welche Beweggründe mag Killigrew gehabt haben?" fragte der hochgewachsene Spanier enttäuscht und verärgert. „Das entzieht sich leider meiner Kenntnis. Möglicherweise hat er uns als Fühlungshalter durchschaut." „Zuzutrauen ist ihm alles", sagte Don Juan ärgerlich. „Was jetzt? Sollen wir die Beschattung des Verbandes aufgeben und nach der „Isabella" suchen? Mir geht es in erster Linie um den Mann, den ich unbedingt nach Spanien bringen will." „Wir könnten nach dem Schiff suchen", erwiderte der Bootsmann. „Aber wo sollen wir suchen? In welcher Richtung?" Trotz des ärgerlichen und enttäuschenden Fehlschlages begann Don Juan hintergründig zu lächeln. „Natürlich werden wir nicht nach ihr suchen", sagte er leise, „wir bleiben an dem schwerfälligen Konvoi an der Piratenflotte. Killigrew mag seine Gründe gehabt haben, als er sich absetzte. Vielleicht war sein Schiff auch schon überladen oder was immer. Diese Kerle, das steht mit Sicherheit fest, segeln jetzt auf dem kürzesten Kurs zu ihrem Schlupfwinkel, um ihre Beute abzuladen und zu verstecken. Was wird Killigrew also tun?" „Er wird sich ebenfalls bei dem Schlupfwinkel einfinden, wenn er nicht schon längst dort ist." „Sehr richtig. Genau das wird er tun. Und die anderen Kerle werden uns dahin führen." „Was geschieht dann, Don Juan?" „Zunächst einmal nehmen wir in unmittelbarer Nähe eine genaue Positionsbestimmung, um den Standort der Insel festzustellen. Wenn das geschehen ist, verschwinden wir wieder von der Bildfläche und segeln nach Havanna zurück. Erst dann und dort kann ich endgültig planen und festsetzen, wie ich vorgehen werde. Die Angelegenheit mit Killigrew hat wider Erwarten ziemliche Dimensionen angenommen, denn er kämpft nicht mit einem Schiff allein gegen die spanische Krone. Er hat Bundesgenossen, die genauso ernst zu nehmen und gefährlich sind." „Ja, es sind verdammt harte Kämpfer und gefährliche Gegner."
„Geraten Sie mal nicht ins Schwärmen!" fuhr ihn Don Juan an. „Die Kerle handeln nach der Strategie und Taktik von Piraten. Und sie sind ja auch selbstverständlich Piraten." Jedenfalls versuche ich, mir das ständig einzureden, setzte er in Gedanken hinzu und irrte schon wieder ab. Er würde fraglos Verstärkung brauchen, denn im Alleingang war das „Einfangen" dieses Killigrew nicht mehr zu bewerkstelligen. Don Juan sah das durchaus realistisch. Die Dimensionen hatten sich entscheidend verändert. Er mußte das unbedingt der Casa melden, falls sich eine Möglichkeit dazu bot. Wieder sah er sich in dem Boot liegen, beschützt und gepflegt von Killigrew, abgeschirmt von den Schnapphähnen durch Killigrew, ärztlich versorgt durch Killigrew. Immer wieder Killigrew, dachte er fast verzweifelt. Verdammt, Killigrew hatte ihm zweifellos das Leben gerettet, das entsprach durchaus den Tatsachen. Aber sollte er deshalb gleich sentimental werden, und die Jagd nach dem Feind der spanischen Krone aufgeben? Das konnte selbst Killigrew nicht erwarten, denn das waren zwei Paar Stiefel. Trotzdem fand er es auch weiterhin recht seltsam, daß ihn der englische Pirat nicht einfach über Bord gekippt hatte, als er hilflos und fiebernd im Boot lag. Da wollte er wohl bloß beweisen, was für ein guter Kerl er war. Jetzt zeigte sich ja sein wahres Gesicht. Er überfiel einen Geleitzug, schoß alles zusammen und plünderte ihn rigoros aus. Wenn das kein Piratenstück war! „Bleiben Sie so weit zurück, daß wir das letzte Piratenschiff nur noch als Strich an der Kimm sehen, Ramón. Daß sie weiter nach Süden segeln, deutet auf die Caicos oder Turks-Inseln hin. Und ich möchte nicht, daß die Kerle mißtrauisch werden und etwas merken." „Zu Befehl, Don Juan." Langsam fiel die Schaluppe wieder zurück, bis der Konvoi kaum noch zu sehen war. 3. Aber da war noch Old Donegal Daniel O'Flynn, dessen Gesicht so faltig und zerknittert war, daß das Altern darin überhaupt kei-
nen Platz mehr hatte. So fühlte sich das alte Rauhbein an diesem Morgen auch taufrisch und munter. Händereibend über die reiche Beute, umkurvte er mit der „Empress", dem originalgetreuen Nachbau seiner legendären „Empress of Sea", auf der er die tollsten Dinge erlebt hatte, immer wieder den Verband und paßte auf wie eine Glucke auf ihre Küken, damit sich ja niemand näherte. Er sah auch nichts Beunruhigendes, obwohl er scharfe Augen hatte. Aber an Bord waren zwei, die noch schärfere Augen hatten, und das waren die Zwillingssöhne des Seewolfs. Hasard junior starrte schon eine ganze Weile zur dämmerigen Kimm, die dunstig und verwaschen wirkte. „Siehst du etwas, Philip?" fragte er seinen Bruder. „Sieh mal Steuerbord achteraus an." Das tat Philip ausgiebig und nickte. „Ein ganz feiner Strich ist da zu erkennen." „Zwei ganz feine Striche sind das", sagte Hasard. „Das werden wir gleich mal dem Admiral melden." So nannten sie ihren Großvater manchmal, weil der einmal im Suff behauptet hatte, ihm stünde der Titel Admiral durchaus zu, zumal er sich auf seinem Schiff ohne weiteres selbst dazu befördern könne. Martin Correa stand an der Ruderpinne. Sven Nyberg und sein Freund Nils Larsen unterhielten sich über die Beute, während die Wölfshündin Plymmie ihr Schläfchen hielt. „Steuerbord achteraus sind zwei feine Striche an der Kimm zu sehen, Granddad", sagte Hasard junior. „Die hängen schon eine ganze Weile da herum." Old O'Flynn hustete ein bißchen und ließ sich das Spektiv geben. Kurz darauf entdeckte er die beiden senkrechten Striche. „Teufel auch", grummelte er, „das ist ganz sicher der Schlorren, vor dem Hasard uns noch gewarnt hat. Ein Fühlungshalter ist das vermutlich. Ich dachte, der hätte uns längst aus den Augen verloren. Du hast gut aufgepaßt, Söhnchen, dafür gibt's später auch einen Besanschot an." Ein kleines Gluckerchen aus der Pulle war für die Zwillinge bei Vater Hasard verpönt. Beim „Admiral" durfte man schon hin und wieder in Maßen einen kleinen lenzen, da verfuhr der Alte großzügig, denn er dachte an seine eigene Jugend. Als er fast vier-
zehn Jahre alt war, da hatte er auch öfter mal einen ganz heimlich gegluckert und dafür Prügel bezogen. Der Statur und ihrem Kampfgeist nach waren die beiden in seinen Augen sowieso schon fast achtzehn Jahre alt. Er starrte noch einmal durch den Kieker und nickte dann. Beim zweiten Angriff auf den Geleitzug hatte Hasard den an der Kimm klebenden Spion gesichtet und davor gewarnt. „Kein Zweifel, das ist er", sagte Old O'Flynn, „oder mein Holzbein soll Wurzeln schlagen." Er blickte auch auf sein Holzbein, und als das nicht gleich Wurzeln schlug, war die Sache für ihn klar: Es konnte sich nur um den Fühlungshalter handeln, und der hatte nichts anderes im Sinn, als zu erfahren, wohin die vielen Klunkerchen denn wohl segelten. „Diesem Hühnerpuster werden wir mal auf den Zahn fühlen", sagte er dann entschlossen. Die „Empress" segelte zur Zeit achteraus der anderen Schiffe, lag also genau hinter dem großen Zweidecker „Caribian Queen". Old O'Flynn ließ aufsegeln, bis er das Achterdeck des düsteren Schiffes erreichte und die Rote Korsarin auf dem Deck sah. Er legte die Hände trichterförmig an den Mund und preite SiriTong mit lauter Stimme an. „Steuerbord achteraus hängt ein Fühlungshalter. Das ist der Bursche, vor dem Hasard uns gewarnt hat." Siri-Tong war sichtlich betroffen, denn sie wußte sofort, was ein Fühlungshalter in diesem Fall bedeutete, vor allem, wie gefährlich er für sie alle war. Wenn der weiter Fühlung hielt, kriegte er früher oder später heraus, welches Ziel sie anliefen und würde den Standort der Schlangen Insel kennen. Das Geheimnis aber mußte ein Geheimnis bleiben, sonst stand die Existenz vieler Menschen auf dem Spiel. „Ich schlage vor", brüllte Old O'Flynn, „daß ich dem Kerl mal den Puls fühle! Vielleicht kann ich ihn ablenken oder abwimmeln. Die anderen Schiffe können ja doch nichts unternehmen. Ihr seid zu schwer beladen und zu schwerfällig. Ihr würdet ihm nie auf segeln können." „Sehr gut!" rief die Rote Korsarin zurück. „Versucht, ihn abzuwimmeln. Warnt auch die anderen und sagt ihnen, daß ich einen radikalen Kurswechsel vorschlage, um das Schiff noch mehr in die Irre zu führen."
„Welcher Kurs soll das sein?" „Von Süd auf Ost, direkt in den Atlantik hinein." „Verstanden!" brüllte O'Flynn. Anschließend verklarte er dem Wikinger Siri-Tongs Vorschlag und warnte auch ihn vor dem Fühlungshalter. „Gib ihm was auf die Nase, Donegal!" rief der Wikinger, der nicht unbedingt ein sanfter Mann war. Das fiel beim alten O'Flynn natürlich auch gleich auf fruchtbaren Boden. Auch er sprang mit seinen Gegnern nicht gerade zimperlich um und drosch zur Sicherheit lieber einmal mehr drauf. Auf der „Tortuga" stand Albert auf dem Achterdeck, Albert, der ehemals Bucklige von Quimper, den der Profos Carberry nicht leiden konnte und immer als Albert Affenarsch bezeichnete. Old O'Flynn hatte diese Anrede ganz unbewußt übernommen und dachte sich auch nichts mehr dabei. „He, Albert Affenarsch!" preite er ihn an. „Hol deinen Kapitän an Deck und beeil dich." Der kleinwüchsige Albert liebte diese Anrede nicht sonderlich und hob drohend die Fäuste hoch. Mit galligem Blick sah er auf die Schaluppe und auf Old O'Flynn. Aber er bequemte sich doch, Jerry Reeves zu holen, der ein paar Augenblicke später an Deck war und erstaunt zuhörte, was der Alte herüberbrüllte. „Verstanden, Kurs Ost! Alles klar, Donegal!" Als auch der Franzose Jean Ribault gewahrschaut war, fiel die „Empress" wieder zurück und ließ den Verband an sich vorbei. Gleich darauf wurde der Kurswechsel auf Ost vollzogen. Auf allen vier Schiffen gingen die Männer an Fallen und Schoten, um die Segel zu trimmen. Etwas später lag Ostkurs an. Scheinbar ging die Fahrt jetzt hinaus in den Antiantik. Dieser Eindruck mußte jedenfalls bei dem Fühlungshalter entstehen. „Wir luven jetzt an", sagte O'Flynn, „und dann..." „... wenden wir, gehen hart an den Wind über Backbordbug und segeln dem Hühnerpuster entgegen", sagte Hasard junior grinsend. „Ist das richtig?" „Völlig richtig. Ich weiß, daß ich euch beim Segeln nichts mehr beibringen kann. Ihr seid verteufelt ausgefuchste Kerle." „Und ausgefuchste Kerle brauchen hin und wieder mal einen kleinen Schluck. Hattest du das vorhin nicht erwähnt, Granddad?" fragte Philip junior mit Unschuldsmiene.
Die beiden Dänen und Martin Correa grinsten sich eins. „Erst das Schiff auf Kurs und dann die Buddel", sagte der Alte, „immer alles der Reihe nach." Die „Empress" luvte an und wendete, blieb dann hart am Wind und segelte über Backbordbug mit Schräglage den zwei feinen Strichen an der Kimm entgegen. Sie lag noch nicht richtig auf Kurs, als Hasard auch schon mit der Buddel erschien. Der Admiral kriegte immer den ersten Schluck, weil ihm das alters- und rangmäßig zustand. Er trank auch sehr ausgiebig und reichte die Rumbuddel weiter. Schließlich nahmen auch die Zwillinge eine kräftige Daumenbreite. Da sie aber noch nicht so dicke Daumen wie die anderen hatten, durften sie noch einen nuckeln. Old O'Flynn war da ein gerechter Mann. „Ha, nach so einem Schlückchen hat man immer sein starkes Hemd an", sagte Hasard junior zufrieden. „Ich könnte eine ganze Culverine allein schleppen." „Brauchst du gar nicht", sagte Old O'Flynn trocken, „es genügt, wenn du eine Drehbasse schleppst. Wir gehen gefechtsklar. Holt die Drehbassen an Deck und befestigt sie in den Halterungen. Bin mal gespannt, was das für Kerle sind." Die „Empress" ging gefechtsklar. Zwei Drehbassen wurden im Bug in die Halterungen gesteckt, dann vier auf der Backbord und weitere vier auf der Steuerbordseite. Pulver und Kugeln wurden an Deck gemannt und alles, was dazugehörte. Dann wurden die schwenkbaren Waffen geladen. Old O'Flynn stellte sich an die Ruderpinne und schob sein Holzbein in ein dafür vorgesehenes Loch in den Planken, das ihm festen Halt verlieh. Hartschädelig und stur hielt er Kurs auf die beiden Striche, die langsam größer wurden und sich bald als zweimastige Schaluppe entpuppten. Auf seinem Granitgesicht lag ein fast überirdischer Glanz. Er strahlte richtig wie immer, wenn es zur Sache ging. Genau denselben Gesichtsausdruck hatte er auch drauf gehabt, als er zum ersten Male seiner geliebten Mary Snugglemouse in Diegos Kneipe begegnet war, die ihm dann einen Bierhumpen über den Dickschädel geschlagen hatte. Immer mehr verkleinerte sich die Distanz.
4. Don Juan sah dem englischen Konvoi nach, der stur mit Südkurs weiterlief. Die Schiffe waren nur winzige Linien oder kleine Rechtecke. Wenn er diese großen Galeonen nur noch ganz schwach sah, dann konnten sie seine kleine Schaluppe ganz bestimmt nicht sehen. Er war aufgeregt, das gestand er sich selbst ein, denn die Jagd weckte Leidenschaften in ihm, und er war neugierig, wo dieser sagenhafte Schlupfwinkel lag. Auf einer Karte sah er sich das Seegebiet an. Nicht alle Inseln waren in dem Roteiro verzeichnet, aber das waren nur winzige Eilande, die als Stützpunkte für mehrere Schiffe ohnehin ausschieden. Ebenso waren auch Korallenatolle oder aus dem Meer ragende Kliffs nicht eingezeichnet. Dann, als Don Juan wieder zum Spektiv griff, sah er übergangslos seine ganzen Hoffnungen zusammenstürzen. Verblüfft registrierte er, daß der Konvoi überraschend seinen Kurs änderte. Er wanderte immer weiter aus. Auch der Bootsmann Ramón Vigil bemerkte das. „Der Konvoi geht vermutlich auf einen anderen Kurs. Don Juan. Die Schiffe sind um fast zwei Strich nach Osten gelaufen. Sie ändern weiter ihren Kurs." „Folgen", sagte Don Juan knapp. Etwas später war der Schwenk des Konvois vollzogen. Don Juan blickte überrascht auf den Kompaß. „Acht Strich", murmelte er, „sie liegen jetzt genau auf Ost und laufen direkt in den Atlantik. Wieso verlassen sie übergangslos ihren Generalkurs Süd und drehen dann auf Ost? Verstehen Sie das?" „Nein, ich begreife das nicht. Wenn sie in den Atlantik laufen wollen, hätten sie den Kurs schon vorher und allmählicher ändern können." „Sehr seltsam", murmelte Don Juan.
Etwas später fand er den Kurswechsel gar nicht mehr so seltsam, als er den kleinen Dreimaster sah. Das Schiff hielt unverkennbar Kurs auf sie. Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Die Kerle drüben hatten ihn entdeckt. Sie schienen Adleraugen zu haben. Der Dreimaster hatte sich aus dem Verband gelöst und rückte rasch näher. Er wurde hart gesegelt, wie Don Juan durch das Spektiv erkannte. Was nun? Er sah, daß auch der Bootsmann und ein paar Männer aus der Crew gespannt zu dem kleinen Dreimaster blickten und sich fragend ansahen. An der östlichen Kimm verschwanden gerade die Mastspitzen der vier anderen Schiffe. Don Juan biß sich verärgert auf die Lippen. Er fluchte innerlich, doch kein ärgerliches Wort kam über seine Lippen. Die anderen Schiffe konnte er vorerst abschreiben. Weiß der Teufel, was die untereinander abgesprochen hatten. Also blieb ihm nur noch der kleine Dreimaster, an den er sich halten konnte. Vermutlich wollten die Kerle auf dem Dreimaster ihn abdrängen oder weglocken. Nun, das konnten sie haben, das eine oder das andere. Jedenfalls mußte er sich an diesen Dreimaster halten und durfte ihn nicht aus den Augen verlieren, sonst war alles umsonst und verpatzt. Das Schiffchen segelte hart auf sie zu und näherte sich erstaunlich rasch. „Klarhalten zur Wende", sagte de Alcazar, „wir gehen auf Westkurs, damit der Eindruck entsteht, wir würden ausreißen. Die Männer sollen sich bereit halten, Ramón." „Wende auf West", wiederholte der Bootsmann. Don Juans Gedanken rasten. Wenn er wieder Kurs West steuerte und scheinbar zurücksegelte, konnte er den Dreimaster vielleicht abschütteln, sich ihm später aber wieder an die Fersen heften. Das Spiel würde sich beträchtlich in die Länge ziehen. Wichtig dabei war nur, daß sie den Dreimaster immer in Sichtweite hielten und ihn nie aus den Augen verloren. Einmal würde er aufgeben, und dann konnte weiterhin Fühlung gehalten werden. Die Wende wurde gefahren. Der kleine Dreimaster segelte nach Westen zurück.
Don Juan staunte über das Manöver des Verfolgers. Der segelte sofort auf und verkürzte die Distanz erneut. Er war auf diesem Kurs sogar schneller. „Er holt auf, Don Juan", sagte Ramón. „Die segeln wie der Satan persönlich." „Kursänderung!" befahl Don Juan. „Hart am Wind. Wollen doch mal sehen, wer dann schneller ist. Gehen Sie so hoch wie möglich an den Wind. Vermutlich kann der Dreimaster nicht mithalten." Der Winkel wurde immer spitzer, den Don Juan zur Windrichtung segeln ließ. Auch das half nicht und brachte keinen Nutzen. Hoch am Wind segelte der merkwürdige Dreimaster immer noch schneller. Langsam verlor der Spanier die Geduld, als sich die Entfernung noch weiter verkürzte. „Da scheint der Satan persönlich zu segeln", knurrte Ramón. „So schaffen wir es nicht." „Dann segeln wir jetzt vor dem Wind." Don Juan schrie die Worte fast, denn es war einfach unglaublich, wie schnell der andere reagierte. Erneut wurde der Kurs geändert. Da der Wind immer noch aus Nordnordost blies, ging die Schaluppe auf Südsüdwest, und segelte jetzt vorm Wind, der genau von achtern einfiel. Die Fahrt nahm rasch zu. Don Juan brauste mit der Schaluppe regelrecht durch die See. Bei dem Kurs vorm Wind würde sich ja zeigen, welches Schiff die besseren Segeleigenschaften hatte. Die Himmelhunde folgten unverdrossen. Sie schienen jedes Manöver schon im voraus zu ahnen und richteten sich augenblicklich darauf ein. Nur ein paar Lidschläge später segelten sie den Kurs nach. Don Juan wollte es nicht wahrhaben, und erneut mußte er sich belehren lassen, daß der Dreimaster auch vorm Wind noch schneller lief als sie. „Sollen wir auf Gegenkurs gehen und kreuzen?" fragte der fassungslose Bootsmann. „Nein, das bringt uns nichts. Das Schiff kann zu hoch am Wind segeln, das hat es ja bewiesen. Es wäre auch beim Kreuzen immer noch schneller. Versuchen wir es raumschots, andere Möglichkeiten haben wir ja nicht mehr." Die Hetzjagd ging erbarmungslos weiter. Jetzt segelte die Schaluppe raumschots, und der Wind fiel schräg von achtern ein.
Als auch das nichts half, war Don Juan mit seiner Weisheit am Ende. Der andere war in jeder Lage schneller. Dem blies der Teufel selbst noch zusätzlichen Wind in die Segel. Direkt unheimlich war das. Jetzt waren sie bis auf etwas mehr als eine Kabellänge heran. Don Juan griff zum Kieker und starrte das schnelle Schiff nachdenklich an, das auf jedem Kurs besser und schneller lief. Oho das ist aber wirklich ein merkwürdiges Schiffchen, dachte der Spanier. Der Kieker zeigte ihm eine sehr eigenartige Galionsfigur, wie er noch nie eine gesehen hatte. Da prangte ein vollbusiges Weib, am Bug, deren einer Arm stolz und herrisch in die See deutete. Ein Prachtweib, gewiß. Aber was hatte sich der verrückte Baumeister bloß bei dem Gesicht gedacht! Das war die bösartige Visage einer ganz üblen Xanthippe, die wie eine gereizte Furie in die See stierte. Ein fieser Zankapfel war das, und eine Warze schien sie auch noch im Gesicht zu haben. Fast wäre Don Juan der Kieker aus den Händen geglitten, als er diesen krassen Gegensatz sah. Den körperlichen Rundungen nach erwartete man fast automatisch ein hübsches Gesicht. Aber das war doch wohl der Gipfel an Geschmacklosigkeit. Diese Furie hätte er nie an einem Bug geduldet. Er setzte den Kieker ab, schüttelte über das merkwürdige Schiff fassungslos den Kopf und nahm den Kieker erneut auf. Das paßt alles überhaupt nicht zusammen, überlegte er. Die Kerle waren englische Piraten, und dieser Dreimaster war so eine Art Aufklärer und Beschützer der Flotte. Es war ein schnelles, wendiges und starkes Schiff, und es wurde von Kerlen gesegelt, die ihr Handwerk ausgezeichnet verstanden. Aber warum dann dieses fürchterliche Gesicht der Galionsfigur? Der Blick seiner schiefergrauen Augen wanderte weiter und unterzog den Dreimaster einer genauen Betrachtung. Dann entdeckte er die zwei Drehbassen im Bug und war erstaunt, vier weitere auf jeder Seite zu sehen. Ganz leise pfiff er durch die Zähne. Erstaunlich die Kerle waren ja bis an die Zähne bewaffnet! Zehn Drehbassen hatten die an Bord. „Jetzt ist es genug", sagte er hart. „Ich lasse nicht mehr länger mit mir Katz und Maus spielen. Wir gehen gefechtsklar. Alle Mann auf die Stationen."
Acht Männer nahmen ihre Positionen ein und warteten. „Schießt ihn manövrierunfähig!" befahl Don Juan. „Zerschießt ihm das Rigg und paßt auf, daß keiner getötet wird. Ich brauche diese Kerle lebendig. Dann sind sie für uns mehr als Gold wert. Mit ein paar Toten können wir nichts anfangen." Der Befehl wurde bestätigt. Die Männer warteten noch, bis die Gelegenheit günstiger war und der Dreimaster weiter auf segelte. 5. Auch Nils Larsen hatte den Kieker am Auge, und zwar sehr lange. Hin und wieder setzte er ihn ab und rieb sich das Auge. „Von wegen Hühnerpuster", sagte er verblüfft. „Weißt du, wer das ist, Donegal, der die Schaluppe führt?" „Bin ich Jesus?" brummte Old O'Flynn. „Ich bin auch nicht zum Rätselraten hier. Spuck's schon aus!" „Ich kenne ihn von Lobos Cay her", sagte Nils. „Dort hat er sich am Strand mit Hasard ein Degenduell geliefert. Dabei sind sie von Pilars Schnapphähnen bewußtlos geschlagen worden. Der Schaluppenführer ist kein anderer als Hasards Jäger, nämlich Don Juan de Alcazar." In Old O'Flynns Granitgesicht zuckte es einmal. Dann schoß er hoch, als sei eine Flaschenbombe unter seinem Hemd explodiert. Sein übliches Tänzchen folgte, denn diese Nachricht zog ihm fast die Stiefel aus. „Waaas?" schrie er, außer sich. „Dieser Hundesohn krebst immer noch durch die Gegend und lauert uns auf? Der hat wohl noch nicht die Schnauze voll? Na, der kann was erleben! Wenn er bei mir auf Verständnis oder Gnade hofft, dann ist er aber schief mit Kabelgarn gewickelt. Dem werd' ich's zeigen, dem häng' ich das Kreuz aus. Der geht bei mir nicht so billig ab wie bei Hasard. Dieser lausige Bastard soll mich kennenlernen. Los, ran an die Drehbassen! Gebt ihm Zunder! Blast ihn direkt zur Hölle, wo er hingehört!" Der Alte war so außer sich, wie sie ihn lange nicht mehr erlebt hatten. Er sah nur noch rot und wollte jetzt wieder mal mit dem Schädel durch die Wand. Ganze Welten hätte er in seinem ersten Zorn eingerannt.
Zum Glück gab es aber noch besonnene Männer an Bord, die nicht immer gleich „drauf-und-dagegen" gingen, sondern vorher nüchtern überlegten und einige Punkte bedachten. „Langsam, langsam, Donegal", sagte Nils Larsen besänftigend. „Das kann nicht so einfach mal übers Knie gebrochen werden." „Ich bin der Kapitän!" brüllte O'Flynn. „Und ich entscheide, was zu tun ist. Wenn ich sage..." „Jaja, du bist ja auch der Kapitän, Reeder, Eigner und Admiral der „Empress". Niemand will dir den Gehorsam verweigern. Aber du mußt erst taktieren", beschwor ihn Nils. „Was heißt hier taktieren? Gefeuert wird, weiter gar nichts! Dem Hundesohn zieh ich das Fell über die Ohren!" „Nun hör mal zu, du sturer Bock!" brüllte Nils. „Wir scheuen ja keinen Kampf, aber geht das nicht in deinen Schädel, daß wir nur vier Mann sind?" „Und Hasard und Philip", maulte der Alte, „sind die etwa nichts?" „Natürlich sind sie Kerle. Aber wir sind nicht die geeignete Mannschaft gegen die da drüben. Don Juan ist ein erstklassiger Kämpfer, fast so wie Hasard, und dann hat er noch acht Männer an Bord." „Aber wir sind schneller", widersprach O'Flynn hartnäckig, „wir können ihm auflaufen, eine Breitseite verpassen und, unsere Geschwindigkeit ausnutzend, uns wieder absetzen." Jetzt mischte sich auch Martin Correa ein, um dem Alten die Unsinnigkeit seines Handelns zu verklaren. „Nils hat ganz recht, Donegal. Don Juan ist ein erstklassiger Mann, das haben wir alle schon gehört. Und die werden nicht warten, bis wir heransegeln, feuern und wieder abdrehen. Die feuern auch. Sieh dir doch die Drehbassen an. Willst du das Leben der Zwillinge riskieren?" Den letzten Satz sprach er etwas leiser, aber eindringlich, und damit hatte er Old O'Flynn an seinem wunden Punkt. „Hm", maulte der, „natürlich will ich das nicht. Ich kann aber nicht hinter dem Kerl hersegeln und ihm freundlich zugrinsen. Etwas muß geschehen." „Das soll ja auch", sagte Nils und war froh, daß der hartnäckige alte Bursche wieder etwas aufgeschlossener wurde. „Dieser Kerl will doch nur herauskriegen, wo sich die Insel befindet. Wenn er das weiß, dreht er wieder ab und segelt nach Havanna zurück.
Etwas später tauchen dann die Dons auf und schießen alles zusammen." „Weiß ich alles", sagte O'Flynn. „Verklar das deiner Bohnenstange auf Bornholm. Klar will der Kerl das wissen, deshalb..." „Deshalb müssen wir ihn an der Nase herumführen und abblitzen lassen", sagte Nils, der über die „Bohnenstange in Bornholm" nicht im geringsten beleidigt war. „Wir spielen unsere eigene Geschwindigkeit aus und locken ihn immer weiter weg. Den Konvoi sieht er jetzt schon nicht mehr, er hat nur noch uns. Wenn wir ihn in Richtung Südwesten locken, brauchen wir nur die Nacht abzuwarten und segeln ihm davon. Das ist die elegante Lösung ohne jegliches Risiko. Irgendwo im Südwesten hängt er dann rum und wird merken, daß wir ihn geleimt haben. Inzwischen sind wir längst über alle Berge." „Über alle Wellen", verbesserte Old O'Flynn. „Meinetwegen. Aber den Jäger sind wir los. In diesem Fall ist Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit." „Das ist ein guter Vorschlag, Donegal", sagte Sven Nyberg. „Und dabei haben wir noch unseren Spaß und können uns später über ihn kranklachen." Jetzt grinste der Alte verzerrt. Die Aussicht, den Gegner zu foppen, fand er gut. Für derartige Späßchen war er immer zu haben. Schließlich nickte er, als Martin Correa den Vorschlag ebenfalls begrüßte. „Nun gut", sagte er, „ihr habt mich überzeugt. Ich bin manchmal ein bißchen hitzig." „Aber wirklich nur ein bißchen", sagte Nils. „Das ist doch nicht der Rede wert. Du braust nur gern ein bißchen auf." „Aber wirklich nur sehr selten", sagte auch Sven. Sie schmierten dem Alten noch eine Handvoll Honig um den Bart, bis er selbst glaubte, ein ausgesprochen ruhiger Mensch zu sein. Der neue Old O'Flynn, ruhig und ausgeglichen bis auf die Knochen, sah Correa an und brummte: „Auf was wartest du noch? Habe ich dir nicht gesagt, daß du auf Südwestkurs gehen sollst?" Dann drehte er sich zu den Zwillingen um. „Holt mal die Buddel. Mir kribbelt's nämlich im Magen." „Die Buddel ist leider leer gesoffen", sagte Hasard junior bedauernd.
„Dann holt eine andere, oder glaubt ihr etwa, ich breche mit nur einer Buddel zum großen Raid auf? Im Schapp sind noch welche, unter der Matratze auch." Old O'Flynn trank wieder eine Daumenbreite als erster und reichte die Flasche weiter. So ein Schlückchen wärme allen den Magen, versicherte er, obwohl in der Karibik kaum jemand an Unterkühlung litt. Aber Argumente hatte der Alte schon immer zur Hand gehabt. Sie liefen nach Südwesten ab. * Dieser Dreimaster war Don Juan überhaupt nicht mehr geheuer und die Kerle, die auf ihm fuhren, ebenfalls nicht. Er wollte gerade feuern lassen, da änderten die Kerle urplötzlich ihren Kurs, stellten sich an Deck und gluckerten einen weg, als sei überhaupt nichts geschehen. Unbegreiflich war das. Die Reaktionen dieser Kerle ließen sich nie voraussagen. Sie handelten immer ganz anders und unerwartet. Die Distanz vergrößerte sich schnell. Für Schüsse aus den Drehbassen war es jetzt zu spät. Das Spiel, das diese Kerle mit ihm trieben, war sehr listenreich eingefädelt und durchdacht. Denn jetzt war Don Juan unversehens der Verfolger, ob er wollte oder nicht. Sie zwangen ihm die Rolle des Verfolgers einfach auf und lachten sich eins. Voller Wut blickte er nach Osten. Da war natürlich längst nichts mehr zu sehen, nicht mal mehr eine Linie an der Kimm. Auch mit dem Spektiv war nichts mehr zu erkennen. Natürlich hatten die Galeonen längst wieder den Kurs gewechselt. Sie zu suchen, war absolut sinnlos geworden, er konnte sie abschreiben. Blieb noch dieser verdammte Kahn, der ihn foppte und narrte, und bei dessen Anblick seine Wut sich immer mehr steigerte. „Diese verdammten Kerle", sagte er laut, „die halten uns absichtlich zum Narren und treiben ihr idiotisches Spiel mit uns. Hinterher, Ramón, aber sofort. Wir dürfen den Dreimaster nie aus den Augen verlieren, er ist alles, woran wir uns halten können."
„Si, Don Juan. Ich fürchte nur, wenn ich das bemerken darf, daß die Kerle irgendwann ihre überlegene Geschwindigkeit ausspielen werden und uns hängen lassen." „Leider befürchte ich das auch", entgegnete der hochgewachsene Spanier gereizt. Seine Stimmung näherte sich wieder einem kritischen Punkt. „Heute nacht vielleicht", deutete Ramón an. „Ah, sie ändern schon wieder den Kurs." Der Dreimaster, der mit achterlichem Wind lief, drehte ein wenig in den Wind, als wolle er anluven. Als Ramón Vigil schon etwas entnervt dem Manöver folgte, ging das verdammte Schiff wieder auf den alten Kurs zurück. Die Kerle hatten nur dafür gesorgt, daß die Schaluppe wieder etwas auflaufen konnte. Die Mannschaft war total verbiestert, denn dauernd würden sie umhergescheucht, wenn der Dreimaster Manöver segelte. Einige fluchten bereits und wünschten den Kahn lautstark zur Hölle. Zum Schießen kamen sie auch nicht, denn der jetzt Gejagte schien ein unwahrscheinliches Gespür dafür zu haben, ob die Entfernung reichte oder nicht. Das trieb Don Juans Mannen fast zur Raserei. „Feuert einen Schuß aufs Heck des Dreimasters", befahl Don Juan. „Versucht, zu treffen. Die Kerle müssen merken, daß wir es ernst meinen, sonst lachen die sich noch tot." Die vordere Drehbasse wurde gezündet. Pulverqualm wallte auf, wurde jedoch sofort vom Wind zerblasen. Die Eisenkugel flog pfeifend hinaus. Don Juan konnte ihren Lauf mit dem bloßen Auge verfolgen. Der silberhaarige Alte auf dem Achterdeck drehte sich um und starrte herüber. Die Kugel schlug ins Kielwasser des Dreimasters. Eine Fontäne sprang hoch, es rauschte einmal, dann senkte sich der Vorhang aus Wasser in sein Element zurück. Der silberhaarige Alte drehte sich wieder um, als ginge ihn das alles nichts an. Aber Don Juan glaubte, ein lautes meckerndes Lachen zu hören. Nein, er täuschte sich nicht. Jemand meckerte wie ein Ziegenbock an Bord des Dreimasters, und das konnte nur der merkwürdige Alte sein. Auch das noch, lachten ihn noch aus, die Halunken! Don Juan fühlte, daß er vor Wut und Ärger rot anlief.
„Die Entfernung ist selbst für einen Weitschuß noch zu groß", meinte der Bootsmann verärgert. „Wir kriegen die Kerle nicht zu fassen." „Das wird sich noch herausstellen. Aber was wir nicht schaffen, das schaffen auch sie nicht. Sie können uns ebenfalls nicht treffen." Wieder griff er zum Spektiv und beobachtete das Schiff. Ein silberhaariger Alter befand sich an Bord, der selbst an der Ruderpinne stand, dann gab es zwei weitere Männer mit hellen Haaren und zwei Halbwüchsige, drahtige Jungen, die ungefähr vierzehn Jahre alt sein mochten, wie er schätzte. Die beiden Halbwüchsigen waren gerade damit beschäftigt, eine Drehbasse nach achtern zu schleppen. Sie handhabten das schwere Ding fast spielerisch und schienen über ziemliche Kräfte zu verfügen. Sie steckten die Drehbasse in die Halterung, gingen wieder nach unten und brachten eine weitere herauf. Jetzt war der Dreimaster mit zwölf Drehbassen bestückt. Auch die zweite wurde in die Halterung geschoben und geladen. Don Juan lächelte spöttisch. Feuert nur, auf diese Distanz werdet ihr genauso danebenschießen wie wir auch. Er wollte gerade den Kieker absetzen, um Ramón vor dem Feuer des Dreimasters und einem eventuellen Trick zu warnen, da sah er im Spektiv deutlich die Gesichter der beiden Jungen. Es waren ziemlich harte Gesichter, gar nicht so kindlich-weich, und sie hatten wilde schwarze Haare, die der Wind zerzauste. Verdammt! Woher kannte er die nur? Sie hatten mit jemandem eine so verblüffende Ähnlichkeit, daß ihm fast der Atem stockte. Die beiden ließen sich nicht voneinander unterscheiden. Sie waren völlig identisch, zwei gleiche Gesichter, gewitzt und erfahren, wie es den Anschein hatte. Dann fiel es ihm siedendheiß ein. Sie hatten das Gesicht von Philip Hasard Killigrew und auch das Gesicht des Arne von Manteuffel. Don Juan schüttelte fassungslos den Kopf. Fasziniert starrte er auf die Jungen und war total verwirrt. Das mußten Söhne von einem der beiden sein, wahrscheinlich die des Killigrew, denn auch sie hatten schwarze Haare. Sehr seltsame Zufälle waren das alles. Hier lief ein Verwirrspiel, das Don Juan beim besten Willen nicht durchschaute.
Er schwenkte den Kieker weiter, als die beiden Jungen sich umdrehten, und sah den knorzigen Alten an einer der Drehbassen hantieren. „Er wird gleich feuern", sagte Don Juan. „Geben Sie gut acht, falls er einen Haken schlägt. Dem Alten traue ich alles zu. Vielleicht kann der sein Schiff bei voller Fahrt stoppen und bedient sich einer Bremse wie bei einer Droschke." Das war halb im Scherz dahingesprochen, aber ein Körnchen Wahrheit steckte auch dahinter. Sie hatten ja selbst erlebt, welch ausgefuchster Tricks sich der Alte bediente, wie er sie immer wieder verblüffte und überraschte. Ramón lächelte bei der Vorstellung. Aber Don Juan wollte damit nur ausdrücken, wie gefährlich der Mann war. „Fünfzig Yards vor dem Bug geht die Kugel ins Wasser", prophezeite er zuversichtlich. Aber diesmal irrte er sich gründlich, und auch der hochgewachsene Spanier wurde eines Besseren belehrt. Beide konnten natürlich nicht wissen, daß Old O'Flynn grinsend die Pulverladung verstärkt hatte. Er konnte es wieder mal nicht lassen und wollte es den Kerlen zeigen. Auf dem Dreimaster blitzte es grell auf. Der Alte schoß steil, und noch während Ramón spöttisch lächelte und sich vornahm, ebenfalls gellend zu lachen, sahen sie die Eisenkugel einen gewaltigen Halbbogen beschreiben. Sie schien glühend zu sein von der Pulverladung. Wie ein Adler im Sturzflug stieß sie hinunter, und es gab keinen Zweifel mehr daran, daß sie treffen würde. Ein Ausweichen war unmöglich. Die Männer in der Schaluppe warfen sich auf die Planken, obwohl das auch nichts nutzte. Don Juan zog ebenfalls das Genick ein. Ramón Vigil stand wie zur Salzsäule erstarrt an der Ruderpinne. Dann folgte ein lautes Bersten und Krachen. Die Eisenkugel donnerte kraftvoll vier Handbreiten von dem Fockmast entfernt auf die Planken, durchschlug sie und hinterließ ein großes Loch. Ramón verging das gellende Gelächter. Statt dessen lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Das das darf doch nicht wahr sein", murmelte er bestürzt. „Die Entfernung hat sich nicht verändert."
„Ich neige auch bald zu der Annahme, daß der Leibhaftige bei denen mit an Bord ist und der Alte ihm seine Seele verschachert hat", sagte Don Juan verwirrt. „Das muß ich mir ansehen." Er ging nach vorn, wo sich die anderen Männer erhoben, und blickte auf das gezackte Loch in den Planken. Kopfschüttelnd wollte er sich wieder umdrehen, als er ein ganz schwaches zartes Rauchwölkchen aus dem gezackten Loch aufsteigen sah. Einer der Hands stierte ebenfalls auf den Rauch. Es roch nach angesengtem Seegras. Der Decksmann allerdings glaubte auch, daß der Satan seine Hand im Spiel hatte, jetzt da unten im Logis hockte und eine Wolke Schwefel ausspie. Und weil er ein gläubiger Katholik war, bekreuzigte er sich erst einmal. Das Rauchwölkchen wurde stärker, gleich darauf flammte es unter dem gezackten Loch gelblich auf. „Der Satan!" schrie einer der Decksmänner, dem der Aberglauben noch tiefer in den Knochen steckte als dem alten O'Flynn. „Dummkopf", sagte Don Juan unbeherrscht und stieß den Mann schnell zur Seite. Mit ein paar Sätzen war er in der Kammer. Da unten hockte keinesfalls der Satan, sondern es gab eine ganz natürliche Erklärung. Das an der Kugel haftende Pulver war verbrannt, hatte aber eine glühende Kruste hinterlassen. Die Kugel hatte das Deck durchschlagen, war in eine Koje gefallen und setzte das knochentrockene Seegras der Matratze in Brand. Jetzt kokelte es, eine kleine Flamme war mit dem Luftzug entstanden. Don Juan raste wieder zurück an Deck und pfiff die Kerle an, gefälligst sofort zu löschen, falls sie noch weiter mitzusegeln gedächten und ihr Ziel nicht schwimmend erreichen wollten. Der harte Anpfiff wirkte Wunder. Auch die Abergläubischen fanden es jetzt richtig, den Satan mit Meerwasser auszurotten, bis er nicht mehr qualmte. Wasser aus Kübel und Pützen wurde hinuntergegossen. Es zischte ein paarmal, dann war der Brand gelöscht. Dafür stank es noch eine ganze Weile entsetzlich. Im umgekehrten Sinne stank den anderen Männern der Alte, vor allem sein schadenfrohes heiseres Meckern. Das hörte sich so an, als würde auf dem Dreimaster ein Ziegenbock erwürgt. Don Juan hörte es ganz deutlich. Es klang ihm hohnvoll in den Ohren, doch ihm blieb nichts anderes übrig, als mit den Zähnen zu knirschen und sich weiter zum Narren halten zu lassen. Er hatte noch kein Patentrezept gegen diese Höllenhunde gefunden.
Fast sah es so aus, als wäre gegen die überhaupt kein Kraut gewachsen. „Wir müssen noch froh sein, daß das Feuer nicht schneller um sich gegriffen hat", sagte er zähneknirschend, „diese eine verdammte Eisenkugel wäre uns fast zum Verhängnis geworden. Halten Sie jetzt etwas größeren Abstand zu den Halunken, damit sie nicht noch ein zweites Mal treffen." Das tat Ramón Vigil, der Bootsmann der Schaluppe, auch, doch der silberhaarige meckernde Ziegenbock hatte noch andere Varianten auf Lager und trieb die Männer fast zum Wahnsinn. 6. Gegen Mittag wurde es ausgesprochen heiß. Trotz des Windes war es schwül und drückend. Unverdrossen krebste Old O'Flynn vor der Schaluppe her, ließ sie bis fast auf Schußweite heran und preschte dann wieder los, als er sah, daß Don Juans Männer an die Drehbassen eilten. „Setzt ihm mal wieder einen Schuß vor den Bug", sagte er zu den Zwillingen. „Das nervt ihn mächtig, wie ich festgestellt habe. Auch wenn wir nicht treffen, Hauptsache, es knallt ordentlich." Für das Knallen waren Hasards Söhne immer zu haben, und so gingen sie an eine der achteren Drehbassen. Old O'Flynn wies sie ein, und rieb sich immer wieder grinsend die Hände. „Schön steil schießen", murmelte er, „so ist es recht. Und jetzt jagt ihm eine rüber." Das Zündkraut knisterte, fraß sich zum Pulver vor, bis sich die Drehbasse donnernd entlud. Wieder quoll beizender Pulverqualm aus dem Rohr, und wieder sauste die Eisenkugel hinaus. „Er dreht schon wieder ab", sagte der Alte kichernd. „So ganz wohl ist ihm dabei doch nicht. Wir haben ihm ja schon mal eine übergebraten und getroffen." Tatsächlich ging die Schaluppe sofort wieder aus dem Kurs, als auf dem Dreimaster achtern an den Drehbassen hantiert wurde. Don Juan ließ ein wenig abfallen. Old O'Flynn grinste immer noch. Die Kugel zog ihre Bahn und klatschte ins Wasser. Dicht vor dem Bug der Schaluppe stieg eine mächtige Wassersäule aus der See.
„Der ist echt am Spinnen", sagte Sven Nyberg zu Nils. „Den hat es wieder mal erwischt. Wie ein Kobold tanzt er achtern hin und her." „Und dann sein Gemecker", sagte Nils. „Hoffentlich übernimmt sich der alte Bursche nicht wieder. Der weiß nie genau, wo seine Grenzen abgesteckt sind. Trotzdem handelt er zum Wohle aller richtig." Kaum war die Wassersäule aus der See gestiegen, da begann Old O'Flynn wieder sein hohnvolles Meckerlachen anzustimmen. Schadenfroh, daß er dem Hundesohn wieder mal eingeheizt hatte, hüpfte er auf seinem Holzbein hin und her. Meist griff er dann anschließend zum Kieker, um die betroffenen Gesichter der Dons zu studieren. „Wo sind wir jetzt überhaupt?", fragte Nils. Er deutete vage voraus zur Kimm, wo in weiter Ferne ein dunstiger Strich auftauchte. „Keine Ahnung, aber ich glaube, das ist die gefürchtete Ecke bei den Bahamas und Little Abaco, wenn mich nicht alles täuscht. Frag mal Martin, der kennt sich hier besser aus." Nils ging nach achtern, als Donegal gerade einmal kurz unter Deck verschwunden war. Wahrscheinlich hatte er wieder Bauchgrimmen und nahm einen Schluck aus der Buddel, um seinen Magen aufzuwärmen. „Weißt du, in welcher Ecke wir hier sind?" fragte Nils den Bootsmann des Alten. „Wir laufen auf die Südspitze von Great Abaco zu", sagte Correa, „nicht Little Abaco, wie du dachtest. Das liegt weiter oben. Ich fürchte fast, Old Donegal will zwischen den Korallengewässern weiter nach Norden hoch. Gesagt hat er das noch nicht. Das ist eine ganz verteufelte Ecke. Ich kenne mich da zwar aus, aber da wachsen dir garantiert graue Haare, denn alle paar Handbreiten liegen da Korallenbänke und Riffs, die sich dicht unter der Wasseroberfläche befinden. Jeder, der da durchsegelt, kriegt das große Flattern. Es ist ein verdammt tückisches Gewässer." „Na, dann Mahlzeit. Hoffentlich überlegt er es sich noch anders." „Hoffentlich", sagte Martin Correa inbrünstig, „ich verzichte gern auf den höllischen Törn." Etwas später war der Alte wieder an Deck und musterte die Umgebung aus schmalen Augen.
„Ich habe noch mal die Seekarten nachgesehen", sagte er fröhlich, „und dann hatte ich eine gute Idee." Correa schluckte etwas. Nils und Sven sahen sich stumm an. Die guten Ideen Old O'Flynns kannten sie zur Genüge. Meist hatten sie nach deren Verwirklichung ein paar graue Haare mehr. „Und die wäre?" fragte Sven. Old O'Flynns knochiger Finger deutete nach vorn, wo der dunstige Strich langsam größer wurde. Er war in mehrere Striche unterteilt, die sich undeutlich in der See voneinander abhoben. „Das sind die Abacos", erklärte er, „wir segeln die Südspitze der Küste an, luven dort hoch, gehen nach Norden und preschen in die Korallengewässer. Dann segeln wir zwischen der BahamaInsel und Little Abaco hindurch, um den Hundesohn ein bißchen zu ärgern. Wenn er dort hinter uns hersegelt, zieht es ihm glatt die Stiefel aus." „Uns vermutlich auch", sagte Nils trocken. „Ach was, uns kann gar nichts passieren", erklärte Old O'Flynn großspurig. „Ich übernehme selbst die Pinne, und dann werden wir dem Hundesohn das Fürchten beibringen." „Das ist eine äußerst gefährliche Ecke", warnte Martin Correa eindringlich und besorgt. „Weiß ich", sagte der Alte unbekümmert. „Da wachsen die Korallenbänke wie Pilze aus dem Meer. Und wenn der Hundesohn dann aufschrammt, lach ich mich krank." „Und wenn wir aufschrammen?" fragte Nils beklommen. „Dann wird uns das Lachen vergehen." „Wir haben ein Schiff aus Eisen", versicherte Old O'Flynn, „da kann gar nichts passieren." „Muß das unbedingt sein, daß wir durch die verdammten Korallenbänke segeln?" fragte Sven. Aber da kam er schlecht an, denn Old O'Flynn wurde schon wieder wild. „Klar muß das sein. Wir sollen ihn doch ärgern und an der Nase herumführen. Das Gewässer bietet sich geradezu an. Der steht auf Stelzen, wenn er uns folgt." Mit dem Alten war nicht zu reden. Er hatte sich nun einmal das tückische Korallengewässer in den Schädel gesetzt und würde es durchsegeln, und wenn auf jeder Korallenbank der Teufel persönlich hockte. Solche Kleinigkeiten kümmerten ihn nicht im geringsten.
„Setz ihm mal noch einen Schuß vor den Bug, damit ihm das Mittagessen vergeht", ordnete er an. Diesmal schwenkte Philip junior die Drehbasse und zog ab. Wieder ging die Schaluppe etwas aus dem Kurs. Doch das nutzte nichts, denn die Wassersäule stieg genau vor ihrem Bug auf, und das Vorschiff verschwand für Augenblicke hinter einer Wand von aufgischtendem Salzwasser, was den Alten ungemein erfreute. Die Südspitze der Insel wurde größer. Ganz schwach war in weiter Ferne ein Palmenwald zu erkennen, der hinter bläulichem Dunst lag. Nils Larsen wurde angemosert, etwas zum Essen beizutragen, denn jetzt knurre ihm mächtig der Magen, wie Old O'Flynn versicherte. Ziemlich lustlos haute der Däne ein paar Fleischstücke in die Pfanne und briet sie scharf an. Zusammen mit Hasard junior brachte er das Essen dann an Deck. Sie alle waren nicht besonders hungrig, denn wenn sie an das Korallengewässer dachten, verging ihnen der Appetit. Nur der Alte haute kräftig rein und aß mit einer Unbekümmertheit, daß den anderen angst und bange wurde. „War ein bißchen stinkig, das Fleisch", sagte er, „wir haben es schon zwei Tage an Bord. Künftig mußt du es noch etwas schärfer anbraten, Nils." „Ich werde es von beiden Seiten mit Schießpulver panieren", versprach Nils biestig. „Dann schmeckt es würziger." „Gute Idee", lobte Old O'Flynn, „vielleicht hat das noch niemand versucht." Er nagte an dem Knochen herum, feuerte ihn dann achteraus in die See, wischte sich die Hände an der Hose ab und stand auf. Humpelnd ging er zur Ruderpinne. „Ich übernehme", verkündete er. Probehalber steckte er sein Holzbein in das kleine Loch bei der Ruderpinne und nickte zufrieden. Er schien sich richtig wohl zu fühlen, warf einen grinsenden Blick achteraus und lehnte sich lässig an die Ruderpinne. „Jetzt werden wir es diesem Hundesohn zeigen. Wenn wir da erst einmal durch sind, hat er so graue Haare wie ich." Ein schallendes Gelächter folgte seinen Worten, das nicht nur den achteraus segelnden Dons durch Mark und Bein ging, sondern auch der eigenen Crew.
Hasard und Philip sahen ihren kauzigen Großvater verdattert an. Der hatte wieder diesen mörderischen Blick drauf, als wollte er. die ganze Welt umkrempeln. „Ich sag lieber nichts", meinte Philip. „Ich denke mir meinen Teil." „Beim Admirallist jedenfalls immer was los. Ich mag ihn, wenn er auch manchmal seine Mucken hat." „Ich mag ihn auch, aber hin und wieder spinnt er wirklich." Die Südspitze der Insel war jetzt klar und deutlich zu erkennen. Die Sonne knallte heiß vom Himmel, das Meer dünte flaschengrün und an' manchen Stellen tiefblau, und die vielen Palmen am Strand nahmen Gestalt an und beugten ihre Wedel wie zur Begrüßung. Die Kerle auf der Schaluppe folgten der durch die See donnernden „Empress" mit sehr gemischten Gefühlen, denn auch Ramón Vigil kannte diese verteufelte Ecke. Don Juan merkte, daß der granitharte Alte ihm jetzt den letzten Zahn ziehen wollte, indem er sie in die tückischen Gewässer lockte. Aber er konnte und wollte nicht aufgeben. Der Alte führte ihn lange genug an der Nase herum, und einmal würde dieses nervtötende Spielchen mit Gewißheit irgendwo enden, so dachte er jedenfalls. Die „Empress" luvte an und ging auf Nordkurs. Von hier aus war schon das Rauschen des Windes in den Palmen zu hören. Einsam und verlassen lag der Strand langgestreckt vor ihnen. Dann wanderte er aus. Es ging nach Norden. An Steuerbord hörte der Strand abrupt auf. Die Palmen standen direkt am Wasser. Manche wuchsen fast waagrecht. Nur ihre Wedel mit den vielen Kokosnüssen daran waren stolz in die Höhe gereckt. Das Bild wirkte sehr malerisch, doch darauf achtete keiner, denn auf dem jetzigen Kurs begann sich einiges haarsträubend zu ändern. In der See tauchten Flecken auf, die aussahen wie die Palette eines Malers. Farbtupfer und Kleckse, von sattem Blau über Gelborange bis zu allen Schattierungen von Grün. Dazwischen gab es fast pechschwarze Flecken. Da fielen die Korallenwälder senkrecht in unauslotbare Tiefen ab. Es war ein prächtiger Anblick, aber das Gewässer war auch überaus gefährlich in seiner malerischen Pracht.
Inseln, große und kleine, lagen vor ihnen, nur von Krebsen und Vögeln bewohnt. Weit voraus gab es einen langgezogenen Streifen im Wasser, um den weißliche Wirbel kreisten. Direkt hinter dem Schaumstreifen war das Meer tintenblau. Ohne Rücksicht segelte Old O'Flynn mit verzücktem Gesicht und hinterhältigem Grinsen durch die Korallen. Noch sah man sie auf weite Entfernungen, doch auch das änderte sich bald, als das Meer an etlichen Stellen dunkler wurde, weil weiße Wolkenbahnen es schattierten. Der Alte rief die Zwillinge nach achtern. „Ihr stellt euch jetzt am Bug auf", befahl er. „Einer Steuerbord, der andere Backbord. Ihr gebt mir immer Kommandos und weist mich genau ein, wenn auf Kurs so ein Misthaufen auftaucht. Ihr müßt dann sofort mit dem Arm die Richtung anzeigen, in die ich segeln soll, damit wir nicht aufbrummen. Meinetwegen könnt ihr auch Steuerbord oder Backbord brüllen. Aber ja rechtzeitig! Nun verschwindet und paßt gut auf. Wenn wir da durch sind, hat der Hundesohn graue Haare, oder er hat gar keine mehr." Die Zwillinge sahen sich und nickten verdattert über die „Misthaufen", die da ständig auftauchten. Leicht erschüttert gingen sie nach vorn zum Bug, nahmen Aufstellung und starrten voraus in die See, durch die der Alte so unbekümmert preschte, als befänden sie sich alle auf einer harmlosen Spazierfahrt. „Jetzt spinnt er wirklich", sagte Hasard junior rigoros. „Jetzt hat bei ihm wieder was ausgehakt." Sven, Nils und Martin suchten ebenfalls mit besorgten Blicken die See ab, in der immer mehr „Misthaufen" wuchsen, die man erst dann sah, wenn es fast schon zu spät war. „Hier kann nur ein Verrückter bei diesem Tempo durchsegeln", sagte Sven respektlos. „Das dauert nicht mehr lange, und wir haben die erste Korallenbank über den Haufen gerannt. Haltet euch bloß gut fest", warnte er die Zwillinge, „verschafft euch einen Halt, sonst fliegt ihr wie Kanonenkugeln über Bord, wenn wir aufbrummen." Old O'Flynn segelte dem Teufel ein Ohr ab. Er stand an der Ruderpinne und strahlte. Dabei vergaß er nicht, immer wieder einen Blick achteraus zu werfen, wo Don Juan in weiterem Abstand mit der Schaluppe folgte. „Steuerbord!" brüllte Hasard laut.
Old O'Flynn legte die Pinne hart nach Backbord. Die „Empress" drosch an einem Ding vorbei, das tückisch aus dem Meer wuchs, und sich höchstens zwei Fuß unter Wasser befand. Haarscharf schor sie daran vorbei. Old O'Flynn riskierte einen Blick und pfiff durch die Zähne. Da wuchsen Sägen und Zacken aus dem Wasser, daß jedem anderen himmelangst geworden wäre. Den Alten juckte das nicht. Er freute sich über die schönen bunten Korallen. Was sollte auch passieren, wenn er vorn zwei gute „Koralleneinweiser" hatte! Hinterhältig kichernd drehte er sich um und grinste erwartungsvoll, ob die Dons das schöne Korallenstöckchen vielleicht zu spät sahen und es über den Haufen fuhren. Die Dons sahen es rechtzeitig und wichen aus. Sie orientierten sich jedoch nicht genau an seinem Kurs, denn sie rechneten damit, daß der Alte mit List und Tücke absichtlich so segelte, daß sie glauben sollten, da befände sich etwas unter Wasser. Sein Gesicht überschattete sich leicht, als die Dons das Hindernis umkurvten und weiter an ihm kleben blieben. „Martin!" brüllte er. „Wir gehen ein bißchen in den Wind, damit der Torfkahn aufholen kann." Correa wunderte sich schon lange nicht mehr über die Schrullen und Marotten des Alten. Er nahm sie gelassen hin. Er wußte aber auch, daß Old O'Flynn den Spanier auflaufen lassen wollte, um ihn zu den Fischen zu schicken. Allerdings war das sehr riskant, wenn sie jetzt aus dem Kurs liefen, denn auf der Steuerbordseite wimmelte es von winzigen Riffs. „Wir nehmen die Besangaffel vorübergehend weg", sagte Correa, „wenn wir höher an den Wind gehen, wird das zu riskant." „Tu, was du meinst", brummte Donegal. Don Juan holte wieder etwas auf, und als er nahe genug dran war, begann Old O'Flynn wieder zu kichern. „Hoch mit dem Ding, Martin, und setz ihm wieder einen Schuß vor den Bug." „Backbord!" brüllte Hasard laut. Es war zum Haareausraufen. Der Alte unterhielt sich ungerührt mit dem Bootsmann, und hier vorn standen sie auf Stützen. Er blickte sich auch alle Augenblicke nach der Schaluppe um, ob die nicht bald aufbrummte und eine Korallenbank abräumte.
„Wir haben jetzt doch, weiß Gott, andere Sorgen, als dem Kerl einen Schuß vor den Bug zu setzen", sagte Nils. „Sieh lieber zu, daß wir hier heil durchgelangen." „Das überlaß nur dem Kapitän. Los, einen Schuß vor den Bug." Martin Correa sagte nichts. Er ließ wieder die Drehbasse sprechen und zuckte zusammen, als der Alte losmeckerte. Nils ging kopfschüttelnd' nach vorn. Die Anweisungen an den Alten erfolgten jetzt immer häufiger. Manche Korallen waren wirklich erst dann zu sehen, wenn die „Empress" sich dicht vor ihnen befand. Den Zwillingen und den beiden Dänen lief jedes Mal ein kühler Schauer über den Rücken, wenn sie haarscharf neben einer Korallenbank vorbeisegelten. Da stachen Spitzen nach oben, die wie Kirchtürme unter Wasser standen und so scharf waren, daß sie den Rumpf innerhalb von Sekunden der Länge nach aufschlitzen konnten. „Stellt euch nur vor, einer dieser Zacken bohrt sich bei dem Tempo in den Rumpf", sagte Nils schaudernd. „Achtung, da vorn!" „Steuerbord!" brüllte Philip aus voller Lunge. Ein gefährlicher Garten tauchte auf. Scharfkantige Grate wechselten mit fast schneeweißen Speerspitzen ab. Dann folgten rote Korallen, die wie riesige lange Zähne mit spitzen Zacken aussahen. So langsam ging es ihnen allen auf die Nerven bis auf den Alten, denn der hatte offenbar keine. Er tat einen Hüpfer, legte die Ruderpinne hart nach Backbord und drückte dagegen, als wolle er Berge einrennen. „Immer schön aufpassen!" brüllte er nach vorn. „Dann kann gar nichts passieren!" „Wenn ich so ein sonniges Gemüt hätte wie der, wäre ich längst ein Heiliger", sagte Nils erschüttert. „Und dauernd dreht er sich um", fluchte Sven. „Ständig peilt er, ob die anderen bald aufbrummen. Die sind doch auch längst mit ihren Nerven am Ende." Es kam jedoch, wie es kommen mußte. Es war einfach unausbleiblich. Die Korallenbänke waren Irrgärten und Labyrinthe, in denen man von einer Falle in die andere lief. *
Die Einweiser taten ihr Bestes und wahrschauten auch immer noch rechtzeitig. Old O'Flynn reagierte mit Schnelligkeit und blieb kalt und gelassen. Er hatte nur die verdammte Angewohnheit, alle Augenblicke nach der Schaluppe zu sehen, weil er sich zu sehr auf die Männer am Bug verließ. Sie umkurvten gerade in höllischer Fahrt einen spitz zulaufenden Kegel, als unvermittelt ein neuer auftauchte. Der war etwas stumpfer, und etwas weiter voraus befanden sich wieder undefinierbare Flecken im Wasser, von denen man noch nicht sagen konnte, wie tief sie sich unter der Oberfläche befanden. „Steuerbord!" schrie Sven diesmal. „Weiter Steuerbord!" Old O'Flynn hing an der Pinne und legte Hartruder. „Backbord jetzt!" wurde wieder gebrüllt. Das war Old O'Flynns Augenblick, in dem er wieder hämisch grinsend achteraus bückte, ob Don Juan das Hindernis ebenfalls bemerkte. Mit allergrößter Genugtuung stellte er fest, daß die Schaluppe nicht aus dem Kurs lief, sondern haargenau auf die Korallenbank zusteuerte. Die „Empress" war ihr gerade noch rechtzeitig ausgewichen, Don Juan schien das nicht mehr zu schaffen. Das veranlaßte den Alten zu einem kleinen Freudensprung, und so reagierte er etwas zu spät. „Backbord, Backbord!" schrien sie vorn aufgeregt. Er sah schon, daß sich alle einen festen Halt verschafften. „Verdammt, tu ich doch!", schrie er. Es gab einen heftigen Ruck, ein lautes Knirschen. Von einem Augenblick zum anderen wurde der Dreimaster hart gestoppt. Die anderen hielten sich eisern fest. Old O'Flynn hing an der Pinne und war auf den heftigen Anprall nicht vorbereitet. Als das Schiffchen hart umdonnerte, half ihm auch das Loch in den Planken nicht, in dem sein Holzbein steckte. Der Alte blieb für den Bruchteil einer Sekunde stocksteif stehen. Er grinste immer noch, so schnell ging alles. Dann wurde er von unsichtbaren Fäusten angehoben und sauste davon, schurrte das kurze Stück über das Achterdeck und landete mit einem wilden Fluch auf dem Hauptdeck. Er schaffte es bis in die Nähe des Fockmastes, etwa zwei Yards von dem Beiboot entfernt. Dort war seine Reise zu Ende, und er rappelte sich fluchend auf.
„Wir sitzen fest", sagte er dann mit verblüffender Logik, als ob die anderen das noch nicht selbst bemerkt hätten. „So'n verdammter Scheiß", setzte er fluchend hinzu. Dann aber riß er die Arme hoch und brüllte laut, denn der Schaluppe widerfuhr genau das gleiche Schicksal. Ihr Bug hob sich etwas aus dem Wasser, und unter dem höhnischen Beifallsgeschrei des alten O'Flynn donnerte sie in die Korallen, daß es nur so eine Pracht war. Der Alte stand da und lachte, bis ihm die Tränen über die runzeligen Wangen liefen. Er lachte nicht mehr, er schrie fast, schlug sich auf die Oberschenkel und lachte so schrecklich, daß er sich gar nicht mehr beruhigen konnte. Durch den Schlag auf seine Oberschenkel vergaß er im ersten Augenblick der Freude, daß er ein Holzbein hatte, das über die Planken kratzte und dem Schlag nicht standhielt. Old O'Flynn setzte sich mit lautem Krach auf den Hosenboden. Doch das hielt ihn nicht davon ab, weiter zu lachen und zu grölen. Er stand auf und wischte sich die Tränen aus den Augen. So köstlich hatte er sich schon lange nicht mehr amüsiert, denn auf der Schaluppe waren ebenfalls drei Kerle zu Boden gegangen, die immer noch verdattert auf den Planken hockten. „Das ist ein Spaß, was?" schrie der Alte. „Stellt euch nur vor die Blödmänner sind aufgebrummt!" Sven, Nils, Martin und die Zwillinge fanden das längst nicht so komisch wie der erheiterte Admiral. Gut, die anderen waren aufgebrummt, das hatte Donegal ja auch bezwecken wollen. Nur vergaß er in seiner lauten Freude offenbar, daß sie ebenfalls aufgebrummt waren und genauso festsaßen wie die Schaluppe. Über solche nebensächlichen Kleinigkeiten war der Alte jedoch erhaben. Hauptsache, die anderen saßen erst einmal fest. Er zeigte mit dem Zeigefinger auf die total entnervten Spanier, krümmte sich und begann wieder meckernd zu lachen, bis Nils Larsens Gesicht immer länger und verdrossener wurde. „Den erstbesten Misthaufen haben sie umgerannt", sagte Old O'Flynn, nach Luft schnappend vor Gelächter, „da rennen die glatt hinein, obwohl ich ihn genau gesehen habe." „Dafür bist du in den zweiten Misthaufen gerannt, du glorreicher Admiral", sagte Nils. „Jetzt laß dir mal was einfallen!"
„Haben wir unser Ziel etwa nicht erreicht?" fragte der Alte empört. „Der sitzt doch fest bis in alle Ewigkeit. Er hat das Duell verloren, oder will das jemand abstreiten?" „Bei dem Duell haben sich alle beide gegenseitig totgeschossen", sagte Nils. „Die Position der Schaluppe ist genauso beschissen wie unsere. Keiner hat einen Vorteil, oder geht das wieder mal nicht in deinen Schädel hinein?" Neben Old O'Flynn killte das Focksegel. Er ließ es killen und fragte: „Wo ist Martin, ist er über Bord gefallen?" „Er ist unten und sieht nach, ob wir ein Leck haben. Du hast ja nichts anderes zu tun, als zu lachen." „Hab' auch allen Grund dazu!" schrie Old O'Flynn. „Ihr habt ja keinen Humor, ihr Strohsäcke. Solche Spielchen haben wir früher auf der alten „Empress" auch immer getrieben, und ich vollziehe das nur nach, damit mich die Erinnerung jung erhält. So, das war's. Jetzt kümmern wir uns um das Schiffchen." Martin erschien wieder an Deck. Sein Gesicht sah erleichtert aus. „Kein Leck, keinen Wassereinbruch", meldete er. „Wir haben unverschämtes Glück gehabt." „Überhaupt nichts?" fragte Old O'Flynn verwundert. „Nein, nichts." „Da lob ich mir den alten Hesekiel Ramsgate. Ich hab' doch gleich gesagt, wir haben ein Schiffchen aus Eisen. Lassen wir den alten Burschen hochleben, er hat es verdient. Hol mal die Buddel", sagte er grinsend zu Hasard. „Jetzt?" fragte Sven erstaunt. Der Alte war nicht umzubringen. Der mußte jedes Desaster erst einmal herzhaft begießen. „Jetzt gleich." „Mann, wird hier gesoffen", murmelte Philip. „Granddad läßt aber auch nichts aus. Ist das eigentlich ein Grund zum Feiern?" „Klar", versicherte Hasard großspurig. „Nach seiner Logik schon. Er hat ja einen Gegner erledigt." „Dann müßten die da drüben auch einen gluckern." „Die haben ja nicht unseren Granddad als Kapitän. Die gluckern bestimmt keinen." Gleich darauf wurde die Buddel herumgereicht. Die Zwillinge grinsten sich verstohlen an. „Wenn die gelenzt ist", sagte Old O'Flynn, „was wir uns ja redlich verdient haben, geht es an die Arbeit. Hoch soll der alte
Ramsgate leben, weil er so ein feines Schiff gebaut hat das mir gehört, wohlgemerkt", setzte er voller Besitzerstolz hinzu. Auf der fernen Schlangen-Insel mußten Hesekiel Ramsgate jetzt gehörig die Ohren klingeln, denn Old O'Flynn brachte ein „Arwenack" auf ihn aus und ließ ihn hochleben. Auf der Schaluppe glaubte Don Juan, seinen Augen nicht zu trauen, als er das Bild der stillen Eintracht und Harmonie sah. Jetzt verstand er überhaupt nichts mehr. Nicht, daß der Alte ein Spinner war, keinesfalls, einem Spinner hätte er das noch verziehen. Der Alte war schlicht und einfach verrückt, jawohl, der hatte nicht mehr alle, Mucks im Schapp hängen. Fassungslos stand er an Deck und sah zu, wie die Kerle einen tranken, als ob es keine wichtigeren Sachen auf der Welt gäbe. Nein, sie standen da, brüllten etwas durch die Gegend, das sich wie „Affensack" oder so ähnlich anhörte, und schluckten wie durstige Spechte. Er wünschte sich tausend Meilen fort, denn diese merkwürdige Crew strapazierte seine Nerven auf eine so impertinente Art und Weise, daß man dabei durchdrehen und verzweifeln konnte. Und zu dem freudigen Gelächter bellte noch ein wild aussehender Köter seine schaurige Melodie dazu. Old O'Flynn sah, daß die Buddel beim ersten Durchgang noch Flüssigkeit enthielt, und ordnete einen zweiten Durchgang an, weil sie nachher unbedingt leere Flaschen brauchen würden, wie er andeutete. Nach dem zweiten Durchgang hatten sie dann endlich die gewünschte leere Flasche, die so dringend benötigt wurde. „So, jetzt haben wir uns von dem kleinen Schreck erholt", sagte der Alte, „jetzt werden wir es den Kerlen da drüben mal zeigen. Die sollen mich noch kennenlernen. Wie weit schätzt ihr die Entfernung zu dem Hundesohn?" „Knapp eine Kabellänge", sagte Sven, „mehr auf keinen Fall." „Eher noch etwas weniger", schätzte der Alte fachmännisch. „Den werden wir schon kriegen. Ihr holt jetzt Musketen, Pistolen und Blunderbusse an Deck und sammelt alles an leeren Flaschen ein, was sich findet. Wir stellen ein paar Flaschenbomben her." „Flaschenbomben?" fragte Nils. „Darf ich höflich anfragen, womit wir die füllen sollen? Wir sind nicht auf der „Isabella" und haben weder Schrot noch Nägel, noch Eisenspäne. Sollen wir da vielleicht Seegras hineinstopfen?"
„Seegras bringt nichts", erwiderte Old Donegal trocken. „Das weht den Kerlen nur um die Ohren und zerzaust ihnen nicht mal die Bärte. Aber ihr könnt mal hin und wieder tauchen und ein paar Korallen abklopfen, die erfüllen den gleichen Zweck." „Flaschenbomben mit Korallen?" fragte Nils erschüttert. „Natürlich. Man kann dämlich bis in die Knochen sein, man muß sich nur zu helfen wissen." Old O'Flynn drehte sich erneut um und peilte nach der Schaluppe, die genauso unverrückbar festsaß wie sie selber. Er genoß den Anblick sichtlich und rieb sich die Hände. Dabei grinste er fortwährend. „So lustig ist das jetzt auch nicht mehr", meinte Sven Nyberg. „O doch, das ist sogar sehr lustig", wurde er belehrt. „Daß wir selbst aufgebrummt sind, ist allein schon die Sache wert. Und solange der Hundesohn auf dem Riff hockt, kann er kein Unheil mehr stiften. Er findet weder die Schlangen-Insel noch Hasard. Ist das logisch oder nicht?" Mit dem Alten war es wirklich zum Haareausraufen, und seine Logik war schlicht umwerfend. „Sehr logisch", sagte Sven sauer. „Du bist ein großer Philosoph, Mister O'Flynn." „Ha, anfangs werde ich immer verkannt, später gestehen sich die Kerle dann verschämt ein, daß ich wieder mal recht hatte. Das war schon mit der Kneipe so, mit meiner Mary und dem Schiffchen hier. Und jetzt ist es nicht anders. Ihr jungen Spunde habt nur noch nicht den richtigen Weitblick." „Aber du hast ihn." „Das ist das Alter. In jeder Altersphase wird man immer weiser, bis einem die Weisheit zu den Ohren raushängt", verklarte der Alte den genervten Männern seine Ansichten. Sie gaben ihm recht, denn es war absolut zwecklos, zu mosern oder mit ihm zu diskutieren. Er hatte seine Ansichten und basta. Von denen rückte er keine Handbreite ab. Sven trollte sich. Ihm, Martin und Nils standen wirklich die Haare zu Berge, und sie fluchten verhalten, denn so malerisch diese Situation auch aussehen mochte, im Grunde war sie beschissen, da konnte der Alte hundertmal das Gegenteil behaupten. Old O'Flynn betrachtete genüßlich die aufgebrummte Schaluppe seines Gegners und sah interessiert den Manövern zu, die sie drüben vollführten.
Die gesamte Crew bemühte sich, den Zweimaster freizukriegen. Die Männer rannten auf ein Kommando von achtern nach vorn, um den Kahn zum Wippen zu bringen. Dann wieder rannten sie in umgekehrter Richtung los. Die Schaluppe rührte sich jedoch nicht. Sie saß unverrückbar fest. Dann versuchten sie es von Backbord nach Steuerbord. Der Zweimaster zitterte nur leicht. Ansonsten rührte er sich nicht. Etwas später sah Don Juan ein, daß er auf diese Art und Weise nicht flott wurde. Jetzt wurde der Großbaum ausgebaumt und quer zur Schiffsrichtung geholt. Dann kletterten Don Juans Männer wie die Affen an ihm entlang zur Nock und schaukelten, um dem Zweimaster Krängung zu verschaffen. Sie hingen wirklich wie die Affen an einem riesigen ausladenden Ast und schaukelten. Old O'Flynn amüsierte sich köstlich. Er grinste fortwährend. Der Baum schwang wild hin und her. Federnd bewegte er sich von oben nach unten. Einer der Männer verlor den Halt und sauste klatschend ins Wasser. Als er prustend wieder auftauchte, schickte Old O'Flynn wieder sein meckerndes Gelächter hinüber. „Köstlich ist das, einfach köstlich!" rief er. „Nun seht euch das mal an! Da hängt eine ganze Affenhorde am Großbaum und schaukelt. Vielleicht kriegen sie hinterher ein paar Bananen dafür." Wieder wollte er sich ausschütten vor Lachen. Schließlich gaben die Kerle erbittert auf. Auch das Schaukeln am Großbaum brachte nichts ein. Als kein Erfolg eintrat, beriet man drüben, was zu tun sei. Old O'Flynn nutzte die günstige Gelegenheit, eine der achteren Drehbassen zu laden. Als er mit der Schaufel Pulver einfüllte, sah ihm Sven Nyberg mißtrauisch zu. Den Alten störte das nicht. Verschmitzt grinsend griff er wieder zur Schaufel und donnerte eine zweite Ladung hinterher. „He!" sagte Sven entsetzt. „Das ist ja die doppelte Menge. Das sind fast zwei Pfund Pulver, mehr als die doppelte Menge sogar. Du willst uns wohl alle in die Luft blasen?" „Wenn das nur gutgeht", sagte auch Martin Correa erschüttert. Nils sagte überhaupt nichts, er blickte den Alten nur fassungslos an und schüttelte den Kopf.
„Na und!" fuhr ihn Old O'Flynn grob an. „Mit einer einfachen Pulverladung reichen wir nicht hinüber. Da muß man schon großzügig denken und was dazupacken." „Die fliegt uns um die Ohren", warnte Sven nachdrücklich. „Da fliegt gar nichts um die Ohren, höchstens wird den Hundesöhnen was um die Ohren fliegen." Old O'Flynn hatte wieder mal auf stur geschaltet. Sie sahen zu, wie er die Lunte an einen Bootshaken montierte, damit er die Drehbasse nicht aus nächster Nähe zünden mußte. Also war er sich seiner Sache doch nicht so ganz sicher. „Was soll die Lunte am Bootshaken?" fragte Nils mißtrauisch. „Ich denke, da kann nichts passieren." „Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Das haben wir früher auch immer so gehalten. Tradition ist das." „Soso, Tradition", höhnte Nils, „euch sind die Kanonen wohl auch immer aus Tradition um die Ohren geflogen, wie?" „Mecker hier nicht rum", schnauzte Old Donegal biestig. „Verschwindet lieber unter Deck. Ich weiß, was ich tue." „Dann bist du der einzige, der das weiß. Statt hier Experimente zu versuchen, sollten wir uns lieber eine Stunde aufs Ohr hauen. Wir haben seit langem nicht mehr geschlafen." Auf diesem Ohr war Donegal offensichtlich taub. „Verzieht euch jetzt, geht unter die Back. Gleich wird es hier mächtig rumsen." Ohne sich um die anderen zu kümmern, richtete er die Drehbasse noch einmal genau aus. Dann blies er auf die Lunte und grinste dabei wie ein Kobold. Die anderen fünf spurteten los und rannten unter die Back. „Ein höllisch sturer Bock ist das", sagte Nils Larsen wütend und erbittert. „Der weiß alles besser, und wenn ihm einer die Meinung geigt, dann hängt er den Kapitän raus, weil ihm keine anderen Ausreden mehr einfallen. Nimmt mehr als die doppelte Pulvermenge!" setzte er erbost hinzu. „Und dann redet er sich auf faule Traditionen raus", sagte Sven, „aber sicherheitshalber zündet er aus der Ferne, weil er nämlich auch annimmt, daß ihm das Ding um die Ohren fliegen wird." Old O'Flynn hörte nichts davon. Er streckte die Arme aus und brachte die verlängerte Lunte an das Zündloch. Eine Weile fummelte er hin und her, dann begann das Zündkraut zu knistern.
Von da ab hatte er es höllisch eilig. Er packte den Bootshaken und haute ab, so schnell er konnte. Er flitzte regelrecht unter die Back zu den anderen und erwartete angespannt das Donnern und Krachen, das auch nicht ausblieb. In lauernder, vorgebeugter Haltung stand er da. Doch dann zuckte auch er zusammen, denn der Krach, der an Deck ertönte, war ohrenbetäubend, ein bestialischer Knall, ein Krachen und Splittern. „Ha, das hat gesessen!" schrie er triumphierend. Sie alle stürmten an Deck und sahen sich um. Über dem Achterdeck lag noch Pulverqualm, der sich nur langsam verzog. Noch ehe der zähe Qualm sich auflöste, wußten bereits alle genau, daß es diesmal „gesessen" hatte, aber anders, als der Alte gemeint hatte. „Beim Barte des Propheten!" rief Hasard junior ungläubig. „Das Ding ist weg!" Es stimmte. Die Drehbasse existierte nicht mehr. Sie war durch die hohe Pulverladung buchstäblich zerrissen worden. Nach allen Seiten waren faustgroße Metallbrocken geflogen. Auch die zweite Drehbasse hatte es erwischt. Sie zeigte himmelwärts, ihre Gabel war total verbogen. Old O'Flynn blickte mit gerunzelter Stirn auf das achtere Schanzkleid. Das sah gar nicht mehr gut aus. Ein Teil davon war zertrümmert. Splitter ragten nach allen Seiten heraus. Hier waren mit unvorstellbarer! Wucht ein paar harte Brocken hindurchgeflogen. Der Alte beugte das Haupt und kratzte ziemlich verlegen seinen sturen Schädel. „Schöner Scheiß ist das", sagte Nils sauer, „wenn das auch zur Tradition gehört, kann ich nur noch lachen. Ich habe dich ausdrücklich gewarnt, Donegal, und Sven auch. Aber du mußt ja immer..." „Quatsch, die Ladung war nur ein bißchen zu stark", erklärte das salzwassergetränkte Rauhbein stur. Gleich darauf zuckte er zusammen, denn diesmal erklang von der Schaluppe her ein meckerndes schadenfrohes Gelächter. Da meckerten etliche im Chor und zahlten es Old O'Flynn zurück. Dessen faltiges Gesicht wurde noch faltiger und richtig grämlich. Er blickte so sauertöpfisch drein wie Mac Pellew in seinen miesesten Zeiten. Dabei starrte er auf das teilweise zertrümmerte
Schanzkleid, während er mit dem anderen Auge in Richtung der vor Schadenfreude meckernden Kerle linste. „So was passiert immer mal", tönte er herum. „Wenn wir dem Hundesohn jetzt den Mast weggeschossen oder ihm ein Loch in die Wasserlinie gestanzt hätten, dann würden alle grinsen, und ich würde in eurem scheinheiligen Lob ersaufen. Geht's aber mal in die Hose, dann wird gemeckert und gemotzt, so wie jetzt. Ein kleiner Rohrkrepierer war das, mehr nicht." „Die andere Drehbasse ist auch beim Teufel", sagte Sven. „Seh' ich selbst", maulte Old O'Flynn, „der Teufel kann sie sich ja abholen, wenn er will." „Verdammt, was tun wir jetzt, Donegal?" fragte Sven Nyberg erbittert. „Du hast uns in diese mistige Lage gebracht, und du bist der Kapitän. Dann laß dir mal zur Lage was einfallen. Sonst hast du ja auch immer so glorreiche Ideen." Der Bootsmann, der auch zugleich als Steuermann fungierte, wollte etwas sagen, doch der Alte winkte gleich ab. „Zunächst stellen wir mal Flaschenbomben her und klopfen ein paar Korallen ab. Alle Waffen werden geladen und überprüft. Und dann bin ich der Ansicht, daß die Hundesöhne sich mal was einfallen lassen sollen. Die sind jetzt nämlich an der Reihe." „Glaubst du etwa, daß sie herüberpullen und unser Schiffchen vom Misthaufen heben?" fragte Nils ärgerlich. „Das ist doch keine Argumentation, daß die Hundesöhne jetzt an der Reihe sind." „Sind sie aber", sagte der Alte bockig. „Wir haben gezogen, jetzt sind die anderen am Ziehen, ist doch ganz klar." Es war zum Verzweifeln mit Old O'Flynn. Er war keinem Argument zugänglich und blieb auf seinem sturen Kurs. Er fummelte an seinem Hemd herum und zog es ungerührt aus. Als er auch noch die Hosen auszog, starrten sich die anderen an. „Was gibt das denn jetzt wieder?" wollte Nils wissen. „Ist es dir nach der Beinahe-Versenkung unseres Schiffes zu warm geworden? Warum ziehst du dich aus?" Das mußte wieder eine seiner Flausen oder Marotten sein, die keiner begriff. Aber Old O'Flynn ließ sich herab, eine Erklärung abzugeben, wenn auch nur widerwillig. „Ich geh ins Wasser." „Er geht ins Wasser", wiederholte Nils. „Du willst wohl die Haie erschrecken, was!" Old O'Flynn sah den blonden Dänen naserümpfend an.
„Hör mal zu, Mister Larsen: Wenn ich ins Wasser gehe, dann hast du das überhaupt nicht zu kritisieren, zumal ich meine Gründe habe. Ich habe nämlich die Absicht, ins Wasser zu klettern, um zu untersuchen, wie die „Empress" aufsitzt. Das ist wichtig und vorrangig." „Aha", sagte Nils. „Können wir das nicht auf später verschieben? Wir sind alle hundemüde. Seit dem Angriff auf den Geleitzug haben wir kein Auge mehr zugetan." Er gähnte demonstrativ zu seinen Worten. Der Alte lachte leise. „Ich kann noch Bäume ausreißen", versicherte er, „wenn es bei euch nicht mal mehr zum Grasrupfen langt. Müde? Ha! Gepennt wird später." „Die Kerle da drüben sind auch sicher müde", schnappte Nils. „Die kreuzen sowieso nicht auf und werden die Ruhepause auch ganz sicher zum Schlafen benutzen." „Was die benutzen oder nicht, Mister Larsen, ist mir scheißegal. Ich gehe ins Wasser." „Dann renn dir deinen Dickschädel doch an den Korallen ein", sagte Nils und fluchte laut. „Dann brechen eher die Korallen." Danach ging der Disput aber erst richtig los. 7. Als Old O'Flynn auf das Schanzkleid zuging, um abzuentern, rief Nils Larsen beschwörend: „Laß es bleiben, Donegal! Das kann ein anderer übernehmen, Sven oder ich, meinetwegen auch Martin. Du bist dafür nicht geeignet." Der Alte lief knallrot an und wandte Nils das Gesicht zu. In seinen zeitlosen Augen tauchte ein böses Funkeln auf. „Wieso nicht?" brüllte er. „Weil du ein Holzbein hast", sagte Nils beruhigend. „Das ist doch für derartige Tauchgänge unter Wasser denkbar ungeeignet. Es behindert dich." O'Flynn konnte eins auf den Tod nicht ausstehen, und das war die Diskussion über sein Holzbein und die damit verbundene Behinderung. Entweder wurde er dann fuchtig, oder er schaltete auf stur um. Dann ging nichts mehr in seinen Schädel.
Diesmal wurde er biestig und redete jeden, der ihm etwas vorhielt, mit „Mister" an. „Ich bin der Kapitän, Mister Larsen, ich und kein anderer. Merk dir das gut, Mister Larsen. Mein Holzbein behindert mich überhaupt nicht, hat mich nie behindert und wird mich auch nie behindern. Wenn's drauf ankommt, renn' ich sogar einem Tiger davon. Ich will den Scheiß nicht mehr hören. Außerdem bin ich der Kapitän." „Sagtest du schon, Mister O'Flynn", erwiderte Nils sauer. Den Scheiß haben wir mindestens schon dreimal gehört. Sei vernünftig, ich will dir doch nur behilflich sein." „Behilflich sein?" Old O'Flynn stemmte empört die Fäuste in die Seite wie Carberry, wenn der dicht vor einer Explosion stand. „Bin ich vielleicht dein Windelkacker, dem du behilflich sein willst? Mir als Schiffsführer steht das Recht zu, das Malheur persönlich zu untersuchen und zu begutachten, um anschließend die richtige Entscheidung zu treffen, was zu geschehen hat. Und die richtigen Entscheidungen treffe immer noch ich, Mister Larsen." „Jaja, ist ja alles gut, klar, klar, treff du nur deine richtigen Entscheidungen. Du bist der Verantwortliche und der Kapitän und hast den Kasten ja auch schließlich auf den Dreck gesetzt, obwohl die Zwillinge und ich dich rechtzeitig gewarnt haben." „Stimmt genau", sagte Old O'Flynn schluckend, wobei er an den Worten herumkaute, „das ist ja auch die Wahrheit, und gerade deshalb gehe ich jetzt ins Wasser, um nachzusehen." Sie resignierten, denn der Alte ließ sich von einem einmal gefaßten Entschluß nur noch mit Gewalt abbringen. „Dann laß dich wenigstens anleinen", sagte Sven. „Hier gibt's nämlich angriffslustige Haie, und die scheren sich einen Dreck darum, ob du ein Holzbein hast oder nicht. Das fressen sie notfalls quer, ohne mit der Wimper zu zucken." „Haie haben keine Wimpern", knurrte der Alte, „folglich können sie damit auch nicht zucken. Hm, anleinen? Na, meinetwegen, damit es endlich Ruhe gibt." „Nicht deswegen", sagte Martin, „sondern um dich einer plötzlichen Gefahr schnell entziehen zu können. Darum geht es. Ich werde die Leine selbst überwachen, die anderen bewaffnen sich mit Musketen. Philip und Hasard werden unterdessen scharf Ausschau halten."
„Ich hab' noch keinen Hai gesehen", grummelte Old Donegal. Er mußte immer etwas zu meckern haben, sonst fühlte er sich nicht wohl. Das war sein vorerst letztes Argument, denn der Bootsmann Correa schnappte sich eine Leine und umgürtete Old O'Flynn. Sven und Nils griffen nach den bereitgelegten Musketen, während die Zwillinge scharf nach Haien Ausguck hielten. Daß sie noch keinen gesehen hatten, hieß jedoch noch lange nicht, daß es hier auch keine gab. Die konnten unterhalb der Korallenriffe lauern und nur darauf warten, daß es über ihnen zappelte dann waren sie da. Old O'Flynn enterte ab, sich ganz seiner Würde als Kapitän bewußt, der jetzt wieder die „richtigen Entscheidungen" treffen mußte. Das Wasser war klar und von blaugrüner Farbe. Direkt neben der „Empress" fiel die Korallenbank steil in die Tiefe ab. Danach wurde das Wasser auch sofort dunkler. Großvater Donegal kam allerdings nicht umhin, den anderen eine Warnung einzuschärfen. „Gebt gut auf die Hundesöhne acht, wenn ich unten bin", sagte er, „damit die sich nicht an uns heranpirschen." Nils und Sven verzogen gelangweilt die Gesichter. Nils gähnte laut und provozierend. Martin fierte die Leine nach und blicke ins Wasser. Old O'Flynn riß die Futterluke auf, als wolle er gähnen, pumpte Luft in seine Lungen und tauchte wie ein Walroß ab. Martin Correa führte Leine nach. Dicht neben der „Empress" war der Alte jetzt als bizarr verformter Schemen zu erkennen, der erst einmal zur Orientierung wild herumkrebste und dann unter dem Rumpf verschwand. Correa steckte weiter Leine nach, denn der Alte zog so kräftig wie ein Gaul. „Manchmal ist es mit dem beim besten Willen nicht zum Aushalten", sagte Sven. „Nichts gegen seine sonstigen Fähigkeiten, aber was der sich so leistet, das geht auf keine Kuhhaut. Wenn er nur nicht so verdammt dickschädelig wäre." „Wem sagst du das! Die O'Flynns sind eine eigene Sippe. Die ändern sich nie mehr im Leben und haben alle ihren eigenen Schädel und ihre ganz besonderen Vorstellungen."
Die Zwillinge hörten grinsend zu, blickten aber immer wieder gespannt das Wasser ab. Diesmal erschien zum Glück keins der gefräßigen Biester. An der Leine zuckte und zerrte es. Martin steckte weiter nach. „Wo will der bloß hin? Der taucht ja die ganze Korallenbank ab. Er ist immer sehr gründlich." „Sehr gründlich, in allem", bestätigte Nils, „er hat uns auch sehr gründlich auf die Korallenbank gesetzt. In solchen Sachen ist er einsame Spitze." „Großväterchen bleibt aber verdammt lange unten", sagte Hasard nach einer Weile. „Zappelt er überhaupt noch?" „Der zappelt noch", versicherte Martin, „man könnte meinen, ich hätte einen Hai an der Angel." Old O'Flynn krebste tief unter ihnen hin und her und das so lange, bis auch die anderen besorgte Gesichter zogen. Sein Holzbein schien ihn überhaupt nicht zu stören, obwohl es viel Auftrieb erzeugen mußte. „Zieh mal an der Leine, Martin", sagte Sven nervös. „So lange kann man doch nicht tauchen." Martin zog an der Leine, als wolle er den Alten gewaltsam wieder hochhieven. Zu seiner Verblüffung zog unten der Alte so stark an der Leine zurück, daß der Bootsmann fast über Bord gekippt wäre. Nach einer Ewigkeit, als alle schon glaubten, er habe sich in den Korallen verfangen, tauchte er auf. Er schoß wie ein Korken in die Höhe. Dort spie er einen Strahl Wasser aus und japste. Sagen konnte er noch nichts, aber er grinste zufrieden, als wäre es nur ein Klacks, den Dreimaster flottzukriegen. Sie hievten ihn vorsichtig an Bord. An Deck holte er immer noch Luft, als wolle er sich aufpumpen. „Na, was ist?" fragte Philip neugierig. Die Antwort war wieder mal typisch. „Ihr sollt nicht immer an der Leine ziehen", brummte Old O'Flynn, „ich war gerade so schön in Fahrt, da wolltet ihr mich wohl schon wieder auf hieven, was?" „Wir dachten, du hättest dich in den Korallen verfangen, weil du so lange unten bliebst." „Quatsch, ich habe mich noch nie in den Korallen verfangen. Weshalb sollte ich das auch tun?"
„Himmel, ist das wieder eine Logik. Was ist denn jetzt?" fragte Sven ungeduldig. Old O'Flynn blickte erst ausgiebig zu den „Hundesöhnen" hinüber, ob die sich auch nicht heimlich angeschlichen hatten oder womöglich schon flott waren. Aber er konnte nichts dergleichen feststellen. „Halb so wild", sagte er und tat die Sache mit einer Handbewegung ab. „Wir sitzen auf der Spitze einer Korallenbank. Die Stelle, an der wir aufsitzen, ist nicht länger als mein Ellenbogen, leider aber an der Ecke, wo wir den größten Tiefgang haben. Ein Klacks ist das, ein Spaziergang wird das, mehr nicht." „Dann könnten wir uns ja freischaukeln, wenn das so einfach ist. Dein Ellenbogenlänge scheint mir aber doch kein Klacks zu sein." „Klar! Ist das ein Klacks!" rief Old O'Flynn ungehalten und stellte das alles wieder mal als Bagatelle hin. „Dort drüben, etwa vierzig Yards genau vor uns, ragt eine ziemlich große Korallenspitze aus dem Wasser. Wir fieren das Beiboot ab, fahren einen Anker hinüber und verhaken ihn hinter der Koralle. Dann nehmen wir die Trosse mit ein paar Taljen ums Spill und spucken kräftig in die Hände. Ruckzuck, und wir sind von dem Misthaufen runter. So einfach ist das." Bei Old O'Flynn ging alles immer sehr einfach, auch wenn sich manches später als sehr schwierig oder unmöglich herausstellte. Aber er war immer noch von einem direkt beängstigenden Tatendrang besessen und wollte alles auf einmal tun. „Aha, da drüben taucht auch einer", sagte er. „Klar, was wir ihnen vorexerzieren, das äffen sie uns nach. Allein wären sie ja nie auf die Idee verfallen", behauptete er steif und fest. Auf der Schaluppe sprang jemand über Bord und tauchte. Ob es Don Juan selbst war, ließ sich nicht erkennen. Die anderen standen am Schanzkleid und stierten neugierig ins Wasser. „Los, los, wir fangen gleich an, damit diese Hundesöhne nicht als erste vom Riff sind", sagte der Alte. „Wenn wir zuerst aufschwimmen, können wir ihnen eine lange Nase drehen, umgekehrt könnten sie versuchen, uns was überzubraten. Wir müssen die stärkere Position behalten." Wieder gähnte Nils Larsen laut und ungeniert.
„Klapp dein Maul zu", sagte Old O'Flynn. „Ich weiß, daß du müde bist. Aber wir können es uns einfach nicht leisten, jetzt in aller Ruhe unser Mittagsschläfchen zu halten. Daraus wird nichts." „Sehe ich ja auch ein, aber müde bin ich trotzdem." Der Alte wischte sich das Wasser aus den Haaren, humpelte ans Schanzkleid, ließ eine Pütz Wasser hinunter, hievte sie wieder hoch und goß sie dem verblüfften Dänen kurzerhand über den Schädel. „Das wirkt Wunder", grummelte er, „seit ich im Bach war, ist meine Müdigkeit wie weggeblasen. Ich fühle mich frisch und herrlich ausgeruht." „Das sind Roßkuren, Mister O'Flynn!" rief Nils empört. „Weiß ich, die helfen auch am besten. Und nun frisch ans Werk und in die Hände gespuckt. Was ein alter Knochen kann, das müßt ihr eigentlich dreimal schaffen. Das heißt, so alt bin ich nun auch wieder nicht", setzte er vorsorglich hinzu, damit ihn ja keiner als alten Knochen bezeichnete. Neben der Schaluppe tauchte jetzt wieder der Mann auf, wie Old O'Flynn grimmig feststellte. Die hatten jetzt auch entdeckt, wie und wo sie aufsaßen und würden alle Anstrengungen unternehmen, um dem Riff ade sagen zu können. Das trieb den Alten mächtig zur Eile an. „Beeilung, Leute!" fiert das Boot ab, sonst muß ich wieder das verdammte Meckern und Lachen dieser Hundesöhne über mich ergehen lassen. Das zieht einem ja den letzten Nerv." „Aber du hast mit dem meckernden Lachen angefangen, Granddad", sagte Hasard junior grinsend. „Ich habe noch nie gemeckert, wenn ich lache." „Doch, wie ein Ziegenbock, Sir." „Troll dich und scheiß hier nicht klug in der Gegend rum. Wenn wir vom Dreck sind, gibt's wieder ein Schlückchen, damit wir uns nicht erkälten." „Was ist, wenn der Korallenknüppel das Gewicht nicht hält und der Anker wieder ausbricht?" fragte Sven. „Die Trosse wird mächtigen Druck kriegen." Old O'Flynn schaute über das Wasser. „Da drüben sind noch zwei, eine davon nehmen wir, falls es nicht klappt. Die Gegend ist ja reich mit Korallen gesegnet." Das Beiboot der „Empress" wurde abgefiert und zu Wasser gelassen.
Sven Nyberg und Nils Larsen stiegen in das Boot und zogen sich an der Bordwand bis zum Bug vor, wo der Anker hing. Old O'Flynn und Hasard junior begannen damit, den Anker langsam abzufieren, während der Bootsmann die ersten schweren Taljen am Spill anschlug. Zur Hand ging ihm Philip, und so war jeder mit Arbeit ausgelastet. Vorsichtig setzte der Anker im Boot auf und mußte noch einmal umgestaut werden, weil die Schlagseite zu stark war. „Alles in Ordnung?" brüllte Old O'Flynn. „Alles klar, wir können lospullen." Ankerleine wurde nachgesteckt. Nils und Sven begannen zu pullen und trieben das Beiboot mit harten Schlägen voraus. Bis sie die Korallenspitze erreichten, taten ihnen schon die Arme weh. Die vierzig Yards Leine hatten auch Gewicht und hingen durch. An der Spitze stoppten sie und schlangen ein Tau darum. Sven stieß prüfend mit dem Stiefel dagegen. „Ganz schön hart, das Zeug. Ich glaube schon, daß der Anker halten wird." „Dann spuck mal in die Hände" Jetzt fängt der beste Teil der Arbeit an. Wird nicht einfach werden." Es wurde eine Knochenarbeit und Schinderei, den Anker aus dem Boot zu hieven und ihn auf dem kleinen Korallenriff so zu placieren, daß die Flunken den richtigen Halt fanden. Den beiden Dänen lief der Schweiß in Strömen über die Gesichter. „Verflucht noch mal, ist das eine Schinderei!" schimpfte Nils atemlos. Old O'Flynn nervte die beiden noch dadurch, daß er immer wieder herüberbrüllte, ob der verdammte Anker denn nun endlich hielte, und sie sollten das genau überprüfen. „Den erwürg ich noch mal", knurrte Sven. „Steht am Spill und meckert, während wir uns zu Tode schuften." Sie stiegen auf dem Korallenstück herum, traten auf die Ankerleine und zerrten aus Leibeskräften daran. Die Leine wurde durchgeholt, bis sie steif stand. In den Korallen knirschte es etwas, ein paar winzige Splitter wurden herausgerissen.
„Das muß halten", sagte Sven, „sonst kriege ich mich nicht mehr. Noch einmal das Manöver wiederholen, und ich bin total erledigt." „Zurück an Bord!" schrie Old O'Flynn. „Oder wollt ihr da drüben Wurzeln schlagen?" „Sag mir Bescheid, wenn du ihn erwürgst, Sven, ich helfe dir dann dabei." Sie kletterten ins Boot, wischten sich den Schweiß aus den Augen und fluchten die ganze Zeit über, bis sie wieder neben der „Empress" lagen. Inzwischen waren auch die letzten Taljen angeschlagen, und der weiteren Knochenarbeit stand nichts mehr im Wege. „Ordentlich in die Spillspaken legen!" Old O'Flynn heizte die Stimmung an. „Das gibt Muskeln!" „Halt dein Maul!" schrie Nils entnervt. „Ich bin jetzt schon halbtot, da kann ich auf deine dämlichen Sprüche verzichten!" „Hoffentlich motiviert euch das richtig", lästerte der Alte und grinste von einem Ohr zum anderen. Wie ein faltiger Kobold sah er jetzt aus, aber er erreichte genau das, was er wollte, denn Nils und Sven reagierten ihre Wut an den Spillspaken ab. Der Alte hielt jetzt lieber die Klappe, denn die beiden hatten einen Grenzwert erreicht, der nicht mehr überschritten werden durfte, sonst zogen sie vielleicht die Spaken aus dem Spill und droschen ihm eins über. Jetzt holte er das Zuckerbrot aus der Tasche. „Ha, ihr seid Kerle, jawohl, ihr schafft das! Auf euch kann man sich verlassen. Da werden die Hundesöhne aber gucken. Männer, ihr habt aber Kraft in den Armen!" Die Männer mit der Kraft in den Armen hätten den Alten am liebsten zusammengefaltet und achtmal ums Spill gewickelt. Sie trabten mit einer Gewalt an, daß dem Alten angst und bange wurde. Ihre Augen glühten richtig, und das Spill begann laut zu knarzen. Zum Glück konnte er ihre Gedanken nicht lesen, aber er ahnte auch so, was sie jetzt dachten. Sie stellten sich vor, sie müßten ihm das Kreuz aushängen oder ihn auswringen, deshalb legten sie sich auch so hart in die Spaken. In ihrer Vorstellung war er das Spill, das mit aller Wut malträtiert wurde.
Na wennschon, dachte Old O'Flynn, solange ich das nicht selbst bin, ist ja alles gut. Er trabte natürlich fleißig mit, doch sie trabten noch ziemlich auf der Stelle. Es knarrte noch lauter. Die Ankerleine sang, als wolle sie jeden Augenblick brechen. „Nicht loslassen", sagte Old O'Flynn, „ich glaube, das Schiffchen hat sich schon bewegt." „Kannst du nicht endlich mal mit deinem Palaver aufhören!" rief der gereizte Sven Nyberg. „Das geht einem ja immer mehr auf die Nerven." „Bitte, wenn ihr keine Unterhaltung wollt", sagte der Alte spitz. Das Schiffchen hatte sich nicht bewegt. Damit wollte Old O'Flynn nur frohe Stimmung schaffen und die letzten Kräfte mobilisieren. Für die frohe Stimmung langte es allerdings nicht, die fand bei den anderen kein Echo. Jetzt, am Nachmittag brannte die Sonne noch heißer herab. Die Männer standen mit offenen Mündern an den Spaken und schnappten nach Luft. Ihre Arme zitterten vor Anstrengung. Die Leine sang bereits in den höchsten Tönen, daß jeder glaubte, sie würde ihnen gleich um die Ohren fliegen. Dann gab es einen kaum spürbaren leichten Ruck. „Sie bewegt sich!" schrie Philip junior. „Diesmal hat sie sich wirklich bewegt!" Ein Knirschen war zu hören, das ihnen wie Musik in den Ohren klang. Abermals gab es einen kleinen Ruck. Das motivierte noch einmal und veranlaßte sie zu einer gewaltigen Kraftanstrengung. Der nächste Ruck war härter. Das Spill knarrte und ächzte laut. Die „Empress" glitt deutlich spürbar ein winziges Stück weiter. Ein Drittel der Ellenbogenlänge schienen sie schon geschafft zu haben. Old O'Flynn legte sich mächtig ins Zeug. Er schob und drückte in der Spake und hatte nicht einen einzigen Blick für die Hundesöhne achteraus übrig, die gespannt herübersahen. Der nächste Ruck. Stückchenweise glitt der Dreimaster über die Korallen. Old O'Flynn brüllte wie ein Wilder, als gelte es, eine ganze Horde morddürstiger Piraten anzugreifen. „Gleich sind wir frei!" schrie er. „Noch einmal volle Kraft! Recht so, recht so." Sie stolperten um das Spill herum. Die Ankerleine spannte sich plötzlich nicht mehr. Auch das Knirschen hatte aufgehört. Sie
konnten es noch gar nicht fassen und starrten sich verwundert und erstaunt an, als die „Empress" frei war und langsam in den immer noch aus Nordnordost wehenden Wind schwoite. Jetzt rissen auch Nils und Sven die Arme hoch und brüllten. Ja, sie waren tatsächlich frei. Und ihre Gegner hockten immer noch auf den Korallen. Das war ein herrliches Gefühl * Bei Old O'Flynn überwog wieder mal die Schadenfreude. Er rieb sich die Hände, blickte achteraus und schickte wieder sein meckerndes Lachen zu den Hundesöhnen hinüber. Er konnte es nicht lassen, die Spanier anzupflaumen. „So, wir haben es geschafft", sagte er fröhlich, wobei er das „wir" ganz besonders hervorhob und betonte. „Die anderen können jetzt auf dem Dreck sitzenbleiben, bis sie schwarz werden." Drüben hatten sie ebenfalls einen Anker ausgebracht, ihn an einer etwas weiter entfernten Korallenbank verwarpt und hingen jetzt am Spill. Acht Mann legten sich hart in die Spaken. Old O'Flynn sah das mit leichter Besorgnis. „Laß uns hier bloß verschwinden", sagte Martin Correa, „noch haben wir einen kleinen Vorsprung. Wenn die aber von der Bank rutschen, geht der ganze Ärger wieder von vorn los." Als Old O'Flynn sich umdrehte und nickte, krachte es achteraus. Augenblicklich fuhr er herum, in der Annahme, die Hundesöhne hätten mit einer Muskete geschossen. Aber das war nicht der Fall. Durch den harten Druck war die Ankerleine gebrochen, wie es bei ihnen auch fast der Fall gewesen wäre. „Hihi", sagte Old O'Flynn. „Nicht, daß es Schadenfreude ist, ganz bestimmt nicht. Aber das gönne ich den Kerlen. Das hält sie noch eine Weile auf." Als sein meckerndes Lachen übergangslos ertönte, zuckten nicht nur seine eigenen Leute erschreckt zusammen, sondern auch die Männer von Don Juan. „Damit haben wir die Zeit, die wir brauchen, um den Bastarden in aller Ruhe davonzusegeln." Hand über Hand wurde die „Empress" an die Korallenbank verholt.
Sven und Nils stiegen in das Beiboot und pullten die restliche Strecke bis zu dem Anker hinüber, während die anderen die „Empress" im Wind hielten. „Gott sei Dank", sagte Nils, als sie auf der Korallenbank standen, die wie ein kleiner Felsen aus dem Meer ragte, auf dem man spazieren gehen konnte. „Wenn wir das hinter uns haben, hau ich mich erst mal aufs Ohr. Ich könnte schon im Stehen schlafen." „Mir geht es genau so. Auf ein paar Stunden Schlaf freue ich mich mehr als auf einen Schluck aus der Buddel." Sie hievten mühsam den Anker aus den Korallen. Die Anstrengung der vergangenen Stunden war ihnen deutlich anzusehen. Sie waren erschöpft, ausgelaugt und erledigt. Ein paar Handvoll Korallenstücke brachen mit ab. Nils hob sie auf und warf sie ins Boot. „Die nehmen wir mit für die Füllung der Flaschenbomben, falls wir sie noch brauchen. Vorhin kamen wir ja nicht mehr dazu, unter Wasser welche abzuklopfen." Sven gab keine Antwort. Er war hundemüde, selbst das Sprechen fiel ihm schon schwer. Nach einer Weile war auch der Anker endlich im Boot. Beide Männer pullten schweißüberströmt zurück. Der Anker wurde an Bord genommen. „Jetzt das Boot", sagte Nils. Aber da winkte Old O'Flynn großzügig ab. „Das hält zu lange auf, ihr habt genug geschuftet. Hängt das Boot achtern an, dann verschwinden wir." „Manchmal hat er direkt Verständnis", murmelte Nils gähnend. Sie hängten das Boot achtern an und vertäuten es. Das Vorsegel wurde hoch- und backgehalten, und die „Empress" drehte langsam leewärts, in Richtung Westen. Martin und die Zwillinge setzten gleich darauf den Besan, während Sven und Nils das Deck aufklarten. Old O'Flynn hielt selbst die Ruderpinne in der Hand und grinste vergnügt vor sich hin. Müdigkeit war ihm immer noch nicht anzusehen. Unter vollen Segeln glitt die „Empress" jetzt dahin. Ein wunderbares Gefühl der Befreiung überfiel die Männer, gleichzeitig war da auch die Freude, den Gegner ausgetrickst zu haben, der immer noch auf der Korallenbank saß und jetzt eine zweite Leine ausbrachte.
Es fing bereits an zu dämmern. Old O'Flynn schätzte, daß die Hundesöhne sicher noch eine Stunde brauchen würden, bis auch sie frei waren. Es konnte natürlich auch länger dauern, aber sie würden mit Sicherheit erst in der Dunkelheit flott werden. Er griff in die Tasche und holte sein rotes Schnupftuch hervor. Dann hielt er es hoch und winkte Don Juan und seiner Crew zu. Wieder ließ er sein nervtötendes Meckern vom Stapel. Und dann brüllte er auch noch aus vollem Hals: „Ar-we-nack, Ar-we-nack!" Danach war er eitel Freude und Sonnenschein und verklarte seinen Mannen immer wieder, wie leicht das alles gewesen wäre. Und das bißchen Aufregung na und? Das gehörte nun mal dazu. „Jetzt wäre wieder einer aus der Buddel fällig", meinte er, „nach der Schinderei haben wir uns einen Gluckermann verdient." Seltsamerweise hatte jedoch keiner Lust, einen wegzugluckern, und so wurde der Siegesschluck auf später verschoben. „Jetzt segeln wir erst einmal nach Westen", sagte der Alte grinsend, „und sobald wir die Hundesöhne aus den Augen verloren haben, gehen wir an den Wind und kreuzen nach Norden auf." „Und wann schlafen wir?" fragte Nils gähnend. „Oder verschieben wir das auch auf die nächsten Tage?" „Keine Sorge, Nils. Südlich der Bahamas gehen wir bei einer der kleinen Inseln vor Anker. Wir haben uns unseren Schlaf wirklich ehrlich verdient. Wir werden nur nach einem geeigneten Plätzchen suchen, und dann ist Feierabend." „Wird auch verdammt Zeit, Donegal. Du mußt doch auch zum Umfallen müde sein." „Hm, wie man's nimmt. Eine Handvoll Schlaf könnte mir sicher auch nicht schaden, aber wenn es unbedingt sein muß, kann ich auch noch ein paar Stunden durchhalten." „Wie alt bist du jetzt?" fragte Nils erschüttert. „Ich bin zeitlos, bei mir zählen die Jahrzehnte nicht mehr. Auf ein paar mehr oder weniger kommt es auch nicht an. Als ich so alt war wie du, da bin ich mal auf einer alten „Empress" fünf Tage und Nächte lang hintereinander wach geblieben. Ich hab' einfach vergessen, zu schlafen. Stell dir das mal vor." „Ja, ich kenne die Geschichte. Ihr habt euch mit Kabelgarn die Augenlider hochgebunden und das Garn an den Ohren verknotet. Kein Wunder, daß man dann nicht schlafen kann."
Sie grinsten sich an. Old O'Flynn schaute zur Schaluppe, die jetzt nur noch ein ferner Schatten in der beginnenden Dämmerung war. Immer noch hievten sich die Kerle an den Anker heran. Ein Erfolg war jedoch nicht zu erkennen. „Da vorn ist eine Insel mit kleinen Buchten", sagte Hasard junior etwas später, „die können wir anlaufen." Granddad O'Flynn hatte jedoch an der ersten kleinen Bucht etwas auszusetzen und mäkelte herum, daß ihm der Platz nicht sicher genug sei. Die zweite Bucht gefiel ihm auch nicht. Erst als sie noch etwas weiter nach Norden segelten, fand sich ein ideales Plätzchen. Vor ihnen tauchte eine gut abgeschirmte Bucht auf, die zu einer Insel ohne Namen gehörte. Sie lag südlich der Bahama-Insel und bot ein ideales Versteck. Eine Landzunge, dicht mit hohen Palmen bewachsen, deckte die Bucht gegen Sicht von Süden hervorragend ab. „Das ist genau das, was wir suchen", sagte Old O'Flynn begeistert. „Hier laufen wir ein und gehen vor Anker. Dann kann jeder seinen ersehnten Schlaf nachholen." Es war noch nicht ganz dunkel. Der Nordnordost wehte immer noch gleichmäßig und stetig. Am Himmel zogen ein paar violettfarbene Wolken dahin. Die Palmen auf der Landzunge rauschten leise. Die „Empress" lief langsam in die Bucht ein. Fock und Besan wurden niedergeholt, und mit der restlichen Fahrt schwoite sie langsam dem feinsandigen Strand entgegen. „Fallen Anker!" rief Old O'Flynn. Ein leises Klatschen war zu hören. Trosse wurde nachgesteckt, und dann lagen sie endlich in relativer Sicherheit und gut geschützt vor Anker. Es war unwahrscheinlich, daß jemand sie hier sah. „Jetzt wird geschlafen", sagte Old O'Flynn feierlich. „Wer noch einen weggluckern will, der soll sich melden, sonst tue ich das für euch alle." Von Nils Larsen war nur noch ein schwaches Gähnen zu hören. Dann war er weg. Martin Correa hatte sich ebenfalls auf die Planken gelegt und schlief. Neben den Schläfern lagen griffbereit die geladenen Waffen.
Sven verzichtete auf den letzten Schluck. Er haute sich neben Nils auf die Planken, und weg war er. „Einen könnte man noch", raunte Hasard seinem Bruder zu. „Was meinst du?" „Du hast mich überredet, sonst ist Granddad so einsam." Die Zwillinge waren auch hundemüde zum Umfallen, aber die Gelegenheit wollten sie doch nicht auslassen. Außerdem, so fanden sie, sei es heroisch, noch einen zu gluckern und Granddad auch dadurch zu beweisen, daß sie durchaus stabile Kerle waren, die so schnell nichts umhaute. „Ein feiner Tag", sagte Old O'Flynn und reichte die Buddel weiter. „Ihr müßt doch auch total erledigt sein." Hasard gurgelte gerade mit Rum und konnte nicht antworten. Aber Philip sagte etwas großspurig:' „So schlimm ist das nun auch wieder nicht." Er nahm Hasard die Buddel ab und gluckerte ebenfalls. „Notfalls halten wir es noch eine Nacht durch", sagte Hasard trocken. „Wer geht denn nun Wache?" „Plymmie natürlich, auf die können wir uns verlassen. Die hat tagsüber gepennt, wir nicht. Jetzt drehen wir das Ding um. Unser Hundchen wird uns jedes verdächtige Geräusch melden. Und nun, gute Nacht, ihr Kerle." „Gute Nacht, Granddad!" riefen beide unisono. Dann legten auch sie sich auf die Planken neben den griffbereiten Waffen, genau wie Old O'Flynn. Das „Hundchen" meldete sich in dieser Nacht jedoch nicht, denn es hörte nur den Wind singen und die Palmen rauschen. Und daran war ja wirklich nichts Verdächtiges. 8. Es war längst dunkel, als durch die Schaluppe ein leichter Ruck ging. Don Juan lauschte mit angehaltenem Atem. Da war auch ein fast unhörbares Knirschen, das ihm sagte, sie müßten jetzt eine Daumenbreite weitergerutscht sein. Auf der Schaluppe brannten zwei Laternen, die das Deck schwach beleuchteten. Don Juan arbeitete verbissen am Spill mit, um die Schaluppe freizukriegen. Das erforderte Riesenkräfte, und so wurde jede
Hand ge braucht. Neben ihm stemmte sich der Bootsmann angestrengt in die Spillspake. Sein Atem ging keuchend. „Hau ruck!" Lautes Knarren, dann wieder ein Ruck. „Sieht aus, als schafften wir es", keuchte Ramón Vigil. „Hoffentlich", sagte Don Juan. In seiner Stimme schwang unverhohlener Ärger mit. „Zum Glück müssen wir uns nicht länger das verdammte Gemecker anhören." „Solange wir es hörten, wußten wir wenigstens, daß er noch da ist. Jetzt haben wir unser Ziel verfehlt." „Darüber reden wir später." Die Männer waren ebenfalls müde und ausgelaugt. Dazu kam die Enttäuschung über die gebrochene Trosse. Das alles hatte Zeit, Mühe und harte Arbeit gekostet. Aber jetzt schien der Erfolg wenigstens greifbar zu sein, denn es ruckte schon wieder. Nach einer knappen halben Stunde stolperten die Männer am Spill durcheinander, denn die Schaluppe löste sich mit einem fast eleganten Ruck von der Korallenbank und schwamm frei. Leises Jubelgeschrei erklang. Erleichterung war in den verschwitzten Gesichtern zu sehen. Endlich, so dachten sie, konnten sie jetzt ein paar Stunden ausruhen und schlafen, denn der Dreimaster war verschwunden, und die nächtliche Suche nach ihm würde nichts einbringen. Don Juan mußte seine Männer jedoch enttäuschen, denn er hatte ein paar Denkspiele betrieben, während er am Spül stand. „Wir gehen ankerauf", sagte er, „tut mir leid, aber wir müssen noch ein paar Stunden durchhalten. Es ist wichtig, daß wir heute nacht noch die Südspitze von Great Abaco erreichen. Dort werden wir über Nacht vor Anker gehen und ausruhen." Niemand murrte. Zumindest hatte die Schinderei ein Ende, und der silberhaarige Alte nervte sie nicht mehr mit seinen undurchschaubaren Manövern, seinem Meckern und den Schüssen vor den Bug. Seine grenzenlose Schadenfreude war ohnehin unerträglich geworden. Sie selbst hatten sich nur einmal freuen dürfen, als dem Alten die Drehbasse auseinandergeflogen war. „Gehen wir nach achtern", sagte Don Juan zu dem Bootsmann, „wir wollen etwas durchsprechen." Sie gingen nach achtern, wo auf dem Deck ausgebreitet eine Seekarte lag. Sie war mit einer Laterne beschwert, die gleichzeitig für Helligkeit sorgte. Don Juan zog schonungslos Fazit.
„Ich kann nicht abstreiten, daß mein Plan gescheitert ist, durch Fühlunghalten den Schlupfwinkel der englischen Piraten zu erfahren. Dieser Alte hat uns die Hölle heißgemacht, uns in die Irre gelockt und es schließlich geschafft, daß wir aufbrummten. Jetzt ist er hohnlachend in der Dunkelheit verschwunden. Die Suche nach ihm ist so ähnlich wie die Suche nach der Stecknadel in dem verdammten Heuhaufen." „Er ist von hier aus genau nach Westen gesegelt", wandte der Bootsmann ein. „Was absolut nichts besagt, im Gegenteil. Er ist nur zum Schein nach Westen gesegelt, weil er ein ganz ausgekochter Fuchs ist." Don Juan beugte sich über die Karte und fuhr mit dem Finger ein paar Linien nach. „Vielleicht ist er nach Westen gesegelt, in der Annahme, wir würden das als eine List auffassen", sagte Vigil. „Und sein Kurs ist gerade erst recht West." „So kann man jemanden natürlich auch an der Nase herumführen. Aber dagegen spricht eine andere Tatsache. Der Schlupfwinkel der englische Piraten befindet sich einwandfrei bei den Caicos oder den Turks-Inseln im südöstlichen Bereich der Bahama-Insel. Das haben die vier Schiffe bewiesen, die Richtung Süden segelten und dann auf Ostkurs scheinbar in den Atlantik liefen. Das war das erste Verwirrspiel, bevor der alte Kauz auftauchte und weitere Verwirrung stiftete." „Aber in dem Bereich gibt es unzählige Inseln, Don Juan. Das wird noch schlimmer als die Suche nach der Nadel im Heuhaufen." Don Juan schwieg eine Weile und blickte auf die Karte. Er dachte dabei scharf nach. „Ich versuche gedanklich den Kurs nachzuvollziehen, den der Alte wohl genommen haben mag, setze dabei aber immer voraus, daß sich der Schlupfwinkel südostwärts befindet. Wenn meine Rechnung nicht stimmt, dann kann ich ihn für alle Zeiten abschreiben, denn die Suche nach einer vagen Insel kann Jahre dauern." Ramón Vigil dachte ebenfalls nach, aber an die Denkweise und logische Schlußfolgerung Don Juans reichte er nicht heran. Der Blick der schiefergrauen Augen war immer noch wie hypnotisiert auf den Roteiro gerichtet. Dons Juans Lippen waren
schmal, über seiner Nasenwurzel stand eine scharfe Falte, die ihn bedrohlich erscheinen ließ. „Ich nehme an, daß der Alte Revierkenntnisse hat", sagte er leise, wie zu sich selbst. „Er hat das dadurch bewiesen, daß er unter vollem Preß in Gewässer einlief, die mit Korallen nur so gespickt sind." „Aber er ist aufgelaufen." „Kein Wunder. Er hat nicht aufgepaßt, sondern sich ständig nach uns umgedreht, bis wir ihm auf den Leim gegangen sind. Er könnte in Lee, also der Westseite der Bahamainseln südostwärts gesegelt sein." „Das ist schon bei Tag ein schwieriges Gewässer", wandte der Bootsmann ein. „Nachts würde ich mich dort kaum durchtrauen, obwohl ich die Ecke ein wenig kenne." „Das wollte ich nur hören. Logischer wäre also, er nimmt den freien Weg entlang der Ostküsten der Inseln. Dort hat er die freie See vor sich, und da weht der Nordost auch stärker als hier. Wenn wir ihm da auflauern, müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn wir ihn nicht abfingen." Ramón Vigil riß den Mund auf und gähnte. Dann hielt er sich schnell die Hand vor, bis sein Gähnen zu einer Grimasse erstarrte. „Verzeihung", sagte er. Ein paar Augenblicke sah Don Juan den Bootsmann sehr nachdenklich an. „Sie sind müde", stellte er fest, „ich bin ebenfalls müde. Glauben Sie, daß der Alte noch frisch und munter ist?" „Ganz sicher nicht." „Die Crew ist ebenfalls zum Umfallen müde, denn die Männer haben schwer geschuftet. Unseren ergeht es genauso. Das ist etwas, was ich anfangs nicht bedacht habe. Aber es ist wichtig." Der Bootsmann gähnte wieder verhalten, und das wirkte irgendwie auf Don Juan ansteckend. Wenn einer gähnt, dachte er, dann ist das wie eine Seuche, dann gähnen die anderen meistens mit. „Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen, Don Juan." Ramón Vigil versuchte den Gedankengängen des hochgewachsenen Mannes zu folgen, doch er schaffte das nicht. Dieser Mann war ihm in allen Dingen haushoch überlegen, vor allem, was sein scharfes und logisches Denken betraf. Der ließ nichts aus, der
vergaß nichts, der rechnete alle Fakten zusammen, überlegte und plante. Auch seine Kondition war mehr als erstaunlich. „Das ist doch ganz einfach. Der Alte wird noch ein oder zwei Stunden gesegelt sein. Dann hat er sich irgendeine Bucht gesucht, ist dort vor Anker gegangen und schläft sich in aller Ruhe aus. Der liegt mit Sicherheit ganz unbekümmert in einer geschützten Ecke." „Wollen wir ihn etwa jetzt in der Dunkelheit suchen?" fragte der Bootsmann fast entsetzt. Don Juan lächelte nachsichtig. „Das wäre totaler Unsinn. Nein, dazu gibt es viel zu viele Verstecke in diesem Bereich. Wir segeln jetzt zur Südspitze von Great Abaco und ankern dort, wie ich schon sagte. Dazu brauchen wir etwa eine Stunde." „Und morgen früh?" fragte der riesige Catalonier neugierig. Immer noch versuchte er den Gedanken Don Juans zu folgen, doch es lag wohl an seiner Müdigkeit, daß er kaum noch etwas begriff. „Ich denke, daß der Alte mit seinem Dreimaster morgen früh die Große Bahama-Insel rundet, oder zwischen dieser Insel und Little Abaco hindurchsegelt. Das ist jene Stelle hier", sagte er, auf die Karte deutend. „Dann wird er an den Luvseiten der Inseln entlang nach Südosten segeln. Und dort können wir ihn mit etwas Glück noch erwischen. Ein zweites Mal wird er uns dann nicht mehr abschütteln, denn ich weiß jetzt, welch ausgefuchster Kerl das ist." Das klang sehr zuversichtlich und war auch gut durchdacht. Aber der Bootsmann glaubte nicht mehr daran, daß sie den Dreimaster noch einmal sehen würde. Vielleicht war der tollkühne Alte doch noch in der Nacht weitergesegelt und längst verschwunden. Dann konnten sie bis zum St. Nimmerleinstag auf ihn warten. Inzwischen befand sich die Schaluppe dicht vor der Korallenbank. Der Anker wurde abgeborgen und ins Boot gebracht. Etwas später hievten sie ihn dann an Bord. „In einer guten Stunde sind wir da", sagte Don Juan zu den müden Männern. „Dann könnt ihr euch bis zum frühen Morgen in aller Ruhe ausschlafen. Setzt jetzt die Segel. Je schneller wir laufen, desto eher können wir uns ausruhen."
Die Aussicht, in einer guten Stunde endlich schlafen zu dürfen, riß die Männer noch einmal hoch. Manche gähnten, gingen dann aber doch flink und schnell an die Arbeit. Die Segel wurden gesetzt, das Beiboot nachgezogen. Das konnte man immer noch an Bord nehmen. Sie verfuhren genauso wie der Alte auf dem Dreimaster und segelten los. Don Juan aber grübelte weiter, zog alle Möglichkeiten ins Kalkül und überprüfte immer wieder eine Vermutung. Wenn der Alte sich genauso verhielt, wie er das in Gedanken durchspielte, dann würden sie ihn erwischen. Glück gehörte allerdings auch dazu. „Es wird Wache gegangen, wenn wir vor Anker liegen", ordnete Don Juan an. „Jeder eine Stunde. Dem alten Schlitzohr traue ich zu, daß der nach ein paar Stunden wieder wach ist und unbemerkt verschwindet. Die erste Stunde übernehme ich, sobald wir da sind." Die Kerle pennten schon fast im Stehen oder dösten schläfrig vor sich hin, während sie ihrem Ziel entgegensegelten. Eine gute Stunde später waren sie tatsächlich da. Alle atmeten erleichtert auf, als die Südspitze von Great Abaco als schattenhafter Umriß auftauchte. Don Juan ließ die Segel wegnehmen. Die Schaluppe lief auf den nahen Strand zu, bis sie vom fallenden Anker langsam gestoppt wurde. Die Männer legten sich an Ort und Stelle zum Schlafen nieder. Auch der riesenhafte Katalonier streckte sich der Länge nach auf den Planken aus und gab ein wohliges Seufzen von sich. „Die nächste Wache übernehme ich, Don Juan", murmelte er noch, dann schlief er schon, tief und fest wie die anderen. Nur Don Juan schlief nicht. Vorhin war er müde gewesen, jetzt hatte er eine Phase, in der er hellwach war. Er lehnte sich zurück, griff nach der Lampe und löschte sie. Unbewußt nahm er die leisen Geräusche um sich wahr, das Singen des Windes, das Gluckern des Wassers an den Bordwänden und das ferne Wispern der Palmenwedel am Strand. Er starrte aufs Wasser hinaus in die Dunkelheit. Der Mond war nur als schmale Sichel zu erkennen. Ein paar Wolkenschleier stoben in großer Höhe vorbei. Er war allein mit sich und seinen Gedanken, und er dachte sehr lange und sehr ausgiebig über gewisse Leute nach, die er immer noch nicht richtig einzuordnen vermochte.
Die erste Begegnung mit Killigrew fiel ihm ein. Dann dachte er über die Ähnlichkeit mit Arne von Manteuffel nach und stieß dabei auf viele Ungereimtheiten. Da waren die beiden drahtigen Burschen auf dem Dreimaster, die Killigrew wie aus dem Gesicht geschnitten waren. Da war dieser merkwürdige Alte, den er zuerst für einen Spinner gehalten hatte, dessen kämpferische und listenreiche Qualitäten er jedoch zähneknirschend anerkennen mußte. Er kriegte in dieser ersten Stunde der Wache einfach kein Bein auf die Planken, und wurde aus den Zusammenhängen immer noch nicht richtig schlau. Er grübelte über die englischen Piraten nach und versuchte verzweifelt, sich ihren Schlupfwinkel vorzustellen. Fünf Schiffe hatten sie, einschließlich der „Isabella". Killigrew mußte über eine Truppe verfügen, die mindestens hundertfünfzig Leute umfaßte. Und kämpfen konnten die wie die Teufel. Ausgefuchste Taktiker und Strategen waren das, auch in der Hinsicht belog er sich nicht selbst. Wenn er daran dachte, wie schnell und geschickt sie die Kriegs-Galeonen von der See gefegt hatten, dann lief ihm immer noch ein kühler Schauer über den Rücken. So oder so einbringen mußte er diesen Killigrew. Was anfangs kaum ein Problem für ihn dargestellt hatte, erwies sich jetzt jedoch als immer schwieriger werdendes Unternehmen, das ungeahnte Ausmaße annahm und ausuferte, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Er konnte nicht mehr hingehen, diesem Killigrew die Hand auf die Schulter legen und sagen: „So, mein Guter, Sie sind verhaftet. Ich bringe Sie nach Havanna und von dort aus nach Spanien, wo Sie abgeurteilt werden." Was dabei herauskam, hatte er am eigenen Leib zur Genüge erfahren. Dieser Killigrew war ein Phantom, ein geheimnisvoller Schatten der Nacht, der überraschend auftauchte, zuschlug und danach meist unsichtbar wurde. Er war einfach nicht zu greifen. Und wenn sich doch einmal die Gelegenheit bot, geriet etwas dazwischen. Killigrew rettete ihm das Leben, pflegte ihn gesund und tauchte dann wieder unter. Der im Range eines Generalkapitäns der spanischen Krone stehende Mann fluchte leise vor sich.
Blieb nur noch der Alte. Wenn ihm der diesmal auch wieder durch die Lappen ging, hatte die Jagd vorerst ein Ende, ein sehr unrühmliches allerdings für ihn. Don Juan kaute schwer an seiner Niederlage. Längst war mehr als eine Stunde vergangen, fast zwei, so sehr hatte ihn Killigrew und sein Anhang beschäftigt. Da erhob er sich, gähnte laut und weckte den Katalonier, der mit einem Satz auf die Beine sprang, als hätte ihn eine Natter gebissen. „Sie sind dran, Ramón. Wecken Sie nach einer Stunde den nächsten, und halten Sie die Augen offen, falls ein Schatten vorbeisegelt. Schärfen Sie das auch dem nächsten Mann ein und so weiter." Er ging hinüber zum Fockmast, setzte sich, lehnte sich dagegen und schlief nach einer Weile auch ein. Aber auch in seinen bunten Träumen ließ ihn der Engländer immer noch nicht los. Er sah Gesichter an sich vorbeiziehen. Arne von Manteuffel und Philip Hasard Killigrew standen nebeneinander, flankiert von den beiden drahtigen Burschen, und alle sahen gleich aus. Die gleichen harten Gesichter, die eisblauen Augen, die makellosen Zähne. Er starrte sie immer wieder an, sah, wie sich ihre Gesichter zu einem spöttischen Lächeln verzogen, und stellte mit Erschrecken fest, daß die blonden Haare des Arne von Manteuffel sich färbten und so schwarz wurden wie die des Killigrew. Alle beide lachten, und er konnte nicht mehr unterscheiden, wer nun wer war. Aber sie lachten ihn aus, spöttisch überlegen, und schienen sich diebisch zu freuen. „Na, jetzt staunst du, Spanier", hörte er eine spöttische Stimme laut und donnernd sagen. Hohnlachend verblaßten die beiden zu Schemen und lösten sich auf. Jetzt standen nur noch die beiden anderen da, die er ratlos anblickte, die auch über ihn grinsten, sich vor Lachen auf die Schenkel schlugen und sich in wabernde Nebel auflösten. „Zwillinge", sagte Don Juan laut, öffnete die Augen und sprang mit einem Satz auf die Beine. Aber da war nur die Nacht und der katatonische Bootsmann, der ihn verdattert fragte: „Ist etwas, Don Juan?" Der Spanier winkte müde ab. Er fühlte sich matt, zerschlagen und kaputt.
„Nein", sagte er verdrossen, „ich habe nur geträumt. Gute Nacht, Ramón." „Gute Nacht, Don Juan." Kurz darauf schlief Don Juan traumlos weiter. Aber aus weiter Ferne glaubte er, ein meckerndes Gelächter zu hören. 9. Die ersten Strahlen der Sonne blinzelten über die Kimm, befingerten das faltige und dennoch zeitlose Gesicht des alten O'Flynn und brachten es zum Zucken. Der Alte träumte von seiner Snugglemouse und seiner Kneipe auf der Schlangen-Insel. Der Lichtfinger kitzelte weiter und brachte ihn zum Niesen. Mit Donnergetöse löste sich seine Kneipe auf und platzte auseinander. Die Snugglemouse verging in einer Wolke aus Staub und wallendem Rauch. Ein zweiter Nieser folgte, der glatt die Buddel umwarf, die immer noch auf den Planken neben Old O'Flynn stand. Die explosionsartigen Geräusche rissen augenblicklich alle Männer hoch und brachten sie auf die Beine. Nur Old O'Flynn blieb noch mit blinzelnden Augen auf den Planken liegen. Sven Nyberg sah sich wild um und rannte an die nächste Drehbasse. Sein Freund Nils griff im ersten Schreck nach einer Muskete, und die Zwillinge sprangen wie Kistenteufelchen hoch. Martin Correa ließ sich etwas mehr Zeit. Er kannte die Geräuschentwicklungen, die Old O'Flynn beim Erwachen von sich gab, zur Genüge. Manchmal brüllte er los wie ein Wasserbüffel, manchmal nieste er so laut, als würde eine Ladung Grobschrot abgefeuert. Heute schien nur ein kleines Pulverfäßchen zu explodieren. Sven und Nils waren noch immer ganz verdattert, als sich Old O'Flynn grinsend von den Planken erhob und sein rotes Schnupftuch zückte. „Ich dachte schon, Don Juan hätte uns gefunden und eine Drehbasse abgefeuert", sagte Sven verwirrt. „Wenn man so wüst aus dem Schlaf gerissen wird, blickt man noch nicht ganz durch." „Das war ich", sagte Old O'Flynn freundlich. „Ich träumte gerade von meiner Kneipe."
„Deshalb hättest du sie nicht gleich in die Luft zu jagen brauchen", sagte Nils unwirsch. Old O'Flynn dehnte und reckte sich in der wohligen Wärme. „Was den Don Juan betrifft", sagte er lässig, „den könnt ihr für die nächste Zeit vergessen. Wenn der wirklich von der Korallenbank abgeschaukelt ist, dann blickt der überhaupt nicht mehr durch. Er wird durch die Gegend krebsen und uns suchen. Aber er wird uns nicht finden, denn wir segeln später den kürzeren, aber dafür auch etwas gefährlicheren Kurs zwischen der Großen Bahama-Insel und Little Abaco hindurch. An deren Ostküste laufen wir dann auf Südostkurs weiter. Dann kann der Mister Don Juan sich die Augen ausweinen", verkündete er großspurig, ohne zu ahnen, daß der „Mister Don Juan" sich haargenau auf denselben Kurs versteift hatte. „Wann gehen wir ankerauf?" fragte Correa. Old O'Flynn winkte großzügig ab. „Heute beginnen wir den Tag in aller Ruhe", verkündete er. „Wir haben alle Zeit der Welt und brauchen nichts zu überstürzen. Jetzt werden wir erst einmal kräftig frühstücken, dann folgt ein kleines Gluckerchen, und dann können wir immer noch lossegeln. Wir lassen es sachte anlaufen, nach den vorangegangenen Strapazen." Das fanden alle bestens, und sie ließen den Alten hochleben, der sie am Vortag so genervt hatte. Ja, den Don Juan waren sie auf elegante Art und Weise losgeworden. Sie hatten ihn sozusagen abserviert und konnten ihn vergessen dachten sie jedenfalls am Morgen dieses fünfzehnten Juni. Hasard und Philip putzten erst einmal Wasser, um die morgendliche Wäsche vorzunehmen. Das taten die anderen auch ausgiebig. Dann gingen Old O'Flynn und Hasard in die kleine Pantry und entzündeten im Herd das Holzkohlenfeuer. Hasard schnitt Zwiebeln und Speck und fischte aus der kleinen Holzpütz die Garnelen, die sie noch in Reserve hatten und gestern aus Zeitmangel nicht essen konnten. Ein paar Tomaten wurden noch in den Topf gepackt, dann alles mit Pfeffer, Salz und Knoblauch abgeschmeckt. Philip trug die Kummen an Deck und baute sie auf der Grätung des Laderaumes auf.
Gleich darauf wehte ein liebliches Düftchen aus der Pantry herauf, das den anderen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. „Hunger habe ich wie ein Bär", sagte Nils. „Ich kann es kaum erwarten. Mann, wie das riecht, fast so gut wie das Calaloo von Mary in Donegals Rutsche." Sie ließen sich Zeit zum Essen, hockten an Deck und langten kräftig zu. Ein paar Kokosnüsse wurden aufgeschlagen, die das morgendliche Erfrischungsgetränk lieferten. Die Zwillinge hauten rein, als hätten sie tagelang gehungert, aber auch die anderen ließen sich nicht lumpen. Um sie herum war friedliche Stille. Die Sonne schien, das Meer dünte leicht, und unter dem immer noch herrschenden Nordostwind beugten die Palmen am Strand der Bucht ihre Wipfel. Vom Ufer kroch schwerfällig eine große Schildkröte, die träge ins Wasser glitt und dann abtauchte. Die Zwillinge versahen den Backschafterdienst und räumten ab. Als sie wieder an Deck waren, genehmigte Old O'Flynn den Morgenschluck, und jeder gluckerte seine Daumenbreite weg. Der Alte hatte eine so glänzende Laune wie schon lange nicht mehr. Don Juan hatte er ein Schnippchen geschlagen, gut ausgeruht waren sie auch, und das Essen hatte prächtig geschmeckt. Der Heimreise zur Schlangen-Insel stand jetzt nichts mehr im Wege. Händereibend humpelte er über die Planken. „Dann hievt mal schön das Ankerchen", sagte er, „setzt die Segelchen und macht das Schiffchen klar. Das Hundesöhnchen wird inzwischen voller Kummer herumkrebsen, aber es wird eine große Pleite erleben." Der Anker wurde gehievt, dann Fock und Besan gesetzt, das Schiff nahm langsam Fahrt auf und verließ die geschützte Bucht, in der sie eine sorglose Nacht verbracht hatten. Weit voraus lagen wieder winzige Eilande in der See, Korallenbänke, Riffs und winzige Inseln. Auf manchen stand vereinzelt wie ein Solitär eine himmelhohe Palme. Old O'Flynn rundete die spitz zulaufende Westspitze von Little Abaco, ging auf Nordkurs bis die Spitze achteraus lag, und steuerte dann Südostkurs. Der Wind hatte seine Richtung noch nicht geändert. Frisch und stetig wehte er aus Nordost.
Inseln wie Perlen tauchten vor der Ostküste Little Abacos auf. Die Insel war gespickt mit kleinen Ablegern. Unzählige Riffs und Bänke waren der Küste vorgelagert. „Da vorn schäumt das Wasser", sagte Hasard. Old O'Flynn nickte, pfiff sein Liedchen aber fröhlich weiter. Er legte etwas Ruder, um dem Schaumwirbel voraus rechtzeitig auszuweichen. Die Korallenriffs stellten hier keine große Gefahr mehr da, denn auf der Ostküste der Insel hoben sie sich klar und deutlich vom Wasser ab. Die Küste blieb immer in Sichtweite. Einsame Strände wechselten mit kleinen Buchten oder dichten Kokoshainen. Manche Stellen sahen so jungfräulich aus, als hätte sie noch nie eines Menschen Fuß betreten. Sven und Nils holten jetzt das nach, was sie gestern versäumt hatten. Sie stellten neue Flaschenbomben her, füllten sie mit Korallengestein und Schießpulver, verkorkten sie und steckten die Lunten zwischen Kork und Flaschenhals. Weit und breit war kein Schiff zu sehen. Es schien eine beschauliche Heimfahrt zu werden. Old O'Flynn faselte davon, daß in seiner Kneipe eigentlich längst wieder mal ein Fest fällig wäre, und das könnten sie ja bei ihrer Ankunft gleich nachholen, womit auch alle einverstanden waren. Der Tag schien wirklich harmonisch zu verlaufen. Nach dem Mittagessen waren sie immer noch weit und breit allein. Kein Schiff zeigte sich. Am Nachmittag änderte sich das. Sie hatten die Südspitze von Great Abaco passiert, als Philip junior die Augen zusammenkniff und seinen Bruder leicht mit dem Ellenbogen in die Seite knuffte. „Diesmal habe ich sie zuerst gesehen. Sieh mal da, direkt unter Land, da sind doch wieder diese Bastarde aufgekreuzt." Hasard schluckte hart. „Ja, das sind sie, ganz sicher. Los, melde das sofort." Philip rannte aufs Achterdeck, wo Old O'Flynn immer noch an der Ruderpinne stand und vergnügt dreinschaute. „Granddad", stieß Philip aufgeregt hervor, „da sind die Hundesöhne wieder! Da, die beiden Striche!" „Hundesöhne?" fragte der Alte entgeistert. „Du spinnst wohl, Söhnchen? Wo denn?"
„Genau da drüben." Die fröhliche Laune des Alten verging. Sein Gesicht wurde lang und länger. Er starrte auf die beiden kleinen Mastspitzen, sah undeutlich und etwas verschwommen die Umrisse der Schaluppe und fuhr vor Wut fast aus den Stiefeln. Seine Hände verkrampften sich um die Ruderpinne. Sein Gesicht wurde finster und hartkantig. Er war nahe daran, vor ohnmächtiger Wut umzukippen. „Das das gibt es nicht!" schrie er wild. Er ließ die eine Hand los, ballte sie zur Faust und schlug noch wilder auf die Ruderpinne. „Dieser Hundesohn!" tobte er. „Der hat uns eingeseift! Der ist auch noch gerissen, der Kerl! Verflucht und zugenäht, der hat haargenau unseren Kurs vorausberechnet!" „Nun reg dich doch nicht so auf, Granddad", versuchte Philip seinen Großvater zu beruhigen. „Ich will mich aber aufregen!" brüllte Old O'Flynn. „Das ist mein gutes Recht als Kapitän! Weißt du überhaupt, was das bedeutet?" „Daß er ein listenreicher Hundesohn ist", sagte Philip, „und daß er denken kann." „Genau. Das macht ihn so gefährlich. Er ist nicht irgendein dämlicher Schnapphahn, er ist ein logisch und Kühl berechnender Jäger, und das sind immer die Gefährlichsten, denn die stürmen nie blindlings drauflos, die denken und planen vorher." Ganz langsam wurde die Schaluppe größer, die von Old O'Flynn biestig aus schmalen Augen gemustert wurde. Die anderen hatten sie ebenfalls gesehen und wunderten sich über Don Juan und seine unglaubliche Hartnäckigkeit. „Was jetzt?" fragte Martin. „Es gibt keinen Zweifel, es sind die Kerle von gestern. Eine Verwechslung ist ausgeschlossen." „Jetzt laden wir erst einmal die Drehbassen", fauchte Old O'Flynn. „Und dann spielen wir unsere überlegene Geschwindigkeit aus. Den kriegen wir noch, den Hundesohn. Ehe der erfährt, wo die Schlangen-Insel ist, wächst mir ein drei Yards langer Bart. Na warte", polterte er aufgebracht. Das war so ganz nach seinem Geschmack, daß dieser Kerl hier wieder auftauchte. Dabei war sich Old O'Flynn völlig sicher gewesen, daß sie Don Juan abgehängt hatten. *
Achtern auf der Schaluppe stand der hochgewachsene, schlanke und sehnige Mann mit dem markanten Gesicht. Der Blick seiner schiefergrauen Augen war auf den Dreimaster gerichtet. Don Juan lächelte fast mokant und etwas überheblich. Der Triumph in seinen Zügen war nicht zu übersehen. „Die Denkspiele haben sich gelohnt", sagte er lächelnd und von guter Laune erfüllt. „Der Alte hat genau das getan, was ich an seiner Stelle auch getan hätte." „Damit habe ich nicht gerechnet, Don Juan", sagte der Bootsmann bewundernd. Don Juan verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging sehr zufrieden ein paar Schritte hin und her. „Wir müssen jetzt unbedingt Fühlung halten, Ramón. Der Mann wird wieder seine listenreichen Tricks versuchen, seine Geschwindigkeit ausspielen und uns zum Narren halten. Er luvt bereits an, und wird darauf spekulieren, daß wir ihm wieder folgen. Das soll er haben. Wir werden ihm auch folgen. Er wird auf nordöstlichen Kurs gehen." „Vielleicht geht er auch auf Ost und verschwindet auf dem gleichen Kurs wie die anderen Schiffe." „Das tut er nicht", sagte er Don Juan so bestimmt, als wüßte er es ganz genau. „Er weiß selbst, daß ihm das nichts nutzt und wir tagelang Fühlung halten können. Der Alte wird uns wieder in die Korallenriffs locken und alle möglichen Kurse segeln, nur den nicht, der auch nur andeutungsweise zu seinem Schlupfwinkel führt." „Womit bewiesen ist", folgerte der Bootsmann, „daß er doch bei den Türks- oder Caicos-Inseln liegen muß." „Ja, davon lasse ich mich nicht abbringen. Irgendwo in der Ecke hat die Bande ihren Schlupfwinkel. Bleiben Sie immer dran, Ramón. Ich werde zwei Mann als Ausgucks nach vorn schicken, damit uns das gleiche Mißgeschick nicht noch einmal widerfährt. Ich könnte ganz ehrlich sein schadenfrohes Gemecker nicht mehr ertragen." „Ostnordost liegt an", meldete der Bootsmann nach einem Blick auf den Kompaß. „Stellen Sie sich darauf ein, daß er gleich nach Norden segelt. Von da aus wird er uns vermutlich nach Westen locken, wenn ich mich nicht irre."
Don Juan stellte zwei Ausgucks auf, schärfte den Männern ein, ja genau aufzupassen, und kehrte wieder nach achtern zurück. Er lächelte überlegen, als sich bei dem Dreimaster erneut ein Kurswechsel ankündigte. * Old O'Flynn war nahe daran, aus der Haut zu fahren oder zu der Annahme zu tendieren, daß auf der Schaluppe doch wohl der Satan an Bord hockte, denn die Kerle brachten ihn schier zum Verzweifeln. Vielleicht hatten sie auch einen Propheten an Bord, der die Kursänderungen schon immer im voraus wußte. „Himmel und Hölle!" schrie er zeternd, hob die Faust und drohte zu der Schaluppe hinüber. Kaum waren sie auf Ostnordost gegangen, da folgte die Schaluppe, als würde sie an der Schleppleine hängen, oder als wären die Kurse untereinander abgesprochen worden. Old O'Flynn kreuzte voller Zorn nach Norden auf. Die „Empress" hatte sich noch nicht richtig bewegt, als drüben schon das gleiche Manöver folgte. Fast noch früher gingen sie auf Nordkurs. Das schmeckte Old O'Flynn, das war so ganz nach seinem Herzen, daß ihm einer die Kurse aufzwang, die er ihm eigentlich verordnen wollte. Hart schluckend sah er zu der Schaluppe, die achteraus beharrlich folgte. Diesmal wollte es der Hundesohn offenbar ganz genau wissen. Er verspürte jetzt auch keine sonderliche Lust mehr, ständig in der Gegend herumzukrebsen und eine Laus im Kielwasser zu haben, die sich mit penetranter Hartnäckigkeit an ihn klammerte. Dem Hundesohn mußte er eine scharfe Lektion erteilen, sonst wurde der zu lästig. Folglich hieß das, daß man ihm ein paar Löcher ins Schiff stanzen mußte, damit er ernsthaft behindert war. „Sind die Drehbassen alle geladen?" fragte er grimmig. „Alle geladen", erwiderte Nils Larsen. „Lunten liegen ebenfalls bereit", sagte Martin. „Sollen wir ihn jetzt angreifen?" „Noch nicht", blaffte Old O'Flynn. „Erst schleusen wir ihn noch einmal durch die Korallen und wieder zurück. Wenn wir ihn dann nicht los sind, hagelt's große Körner."
Er ging auf Westkurs, als die Insel ihren Knick beschrieb, und jagte die „Empress" wieder mitten durch das tückische Gewässer. Aber der Hundesohn folgte. Leider nicht so dicht unter Land, wie der Alte ihn haben wollte. Er hielt weiteren Abstand und ging den tückischen Riffs somit beharrlich aus dem Weg. Sie zogen die Schaluppe ein Stück hinter sich her. Old O'Flynns Augen verengten sich, er überlegte scharf. Gleich darauf fuhr die „Empress" eine Halse und segelte den Kurs auf Südost wieder zurück. Diesmal hielt Old O'Flynn etwas weiter auf die See hinaus, um den Wind besser zu nutzen. Dann konnte er auch seine Geschwindigkeit besser ausspielen. Zornig winkte er mit seinem roten Schnupftuch zu der Schaluppe hinüber, als die ebenfalls die Halse nachvollzog und der „Empress" auf ihrem Kurs folgte. Es war das gleiche Spielchen. Jetzt segelten alle beide unter vollem Preß wieder der Südspitze von Great Abaco entgegen, jener Ecke, wo Don Juan dem Alten aufgelauert hatte. „Das geht ja immer hin und her", sagte Martin Correa verwundert, „segeln wir etwa wieder den gleichen Törn zurück?" „Nein", sagte Old O'Flynn gallig, „wir tun nur so. Na klar segeln wir noch ein Stück zurück, aber dann kriegt der Hundesohn sein Fett. Wir werden ihm eine Überraschung bereiten. Diesmal wird der ehrenwerte Don Juan nicht voraussagen können, was ich vorhabe." „Und was hast du vor, Mister O'Flynn?" In das zerknitterte Gesicht des Alten stahl sich so etwas wie ein kleiner Sonnenstrahl, dazu kam ein fast spitzbübisches oder schlitzohriges Grinsen. „Ich habe mir die Südspitze genauer angesehen", raunte er Martin Correa zu. „Dahinter verschwinden wir, aber dann tauchen wir wieder auf und zeigen die Zähne. Der Augenblick muß nur sehr genau abgepaßt werden, sonst ist die Überraschung keine mehr. Ich wette, der Hundesohn wird nicht damit rechnen." Old O'Flynn verklarte Martin Correa weitere Einzelheiten seines „taktischen Überraschungsangriffs", wie er das nannte, bis dieser verblüfft nickte. „Das müßte klappen, Donegal." „Das klappt", versicherte der Alte im Brustton der Überzeugung. „Ich kann nicht ewig hier rumkrebsen."
Weit achteraus folgte die Schaluppe im Kielwasser, nachdem sie die Halse gefahren hatte. Die „Empress" lief schneller, außerdem drosch Old O'Flynn sie bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit durch die See. Dann erreichten sie die Südspitze der Insel, den palmenumsäumten Strand und die leicht vorspringende Landspitze, die ebenfalls dicht mit Palmen bewachsen war. Erneute Halse, dann ging es ein Stück auf westlichem Kurs weiter. Old O'Flynn hielt dichter unter Land, auf die langgeschwungene südliche Bucht zu und blickte achteraus. Die Schaluppe war nicht mehr zu sehen. Die palmenbewachsene Südspitze war eine vorzügliche Deckung. „An die Drehbassen an Steuerbord!" befahl er mit lauter Stimme. „Wir luven gleich an und wenden, und dann geht alles zackzack. Sobald der Hundesohn auftaucht, Feuer frei!" „Das wird eine wirkliche Überraschung", sagte Sven zu Martin, „wenn der hier reinklüst, nimmt er an, daß wir schon eine halbe Meile weiter sind. Und dann..." „Passiergefecht", sagte Correa trocken. „Ehe er sich's versieht, hat er die ersten Kugeln im Bauch." Sie rieben sich die Hände und verließen sich auf Old O'Flynn, der konzentriert ah der Pinne stand. Der Alte lachte laut, schlug sich auf den Oberschenkel und konnte sich kaum beruhigen. Hart luvte er dann an, wendete und segelte über Steuerbordbug die gleiche Strecke wieder zurück. Es klappte alles so, wie der Alte das in weiser Voraussicht geplant hatte. Sie erreichten wieder die Spitze und passierten sie in genau dem Augenblick, als auch die Schaluppe aufkreuzte. Sie begann gerade damit, die Südspitze zu runden, als sich die „Empress" zwischen Landspitze und Schaluppe schob. Die Überraschung war perfekt und gelungen. Old O'Flynn genoß den Augenblick aus vollem Herzen, denn der „Hundesohn" war total überrascht und perplex. Er hatte die „Empress" nicht gesehen und auch nicht damit gerechnet, daß sie jetzt auf Gegenkurs urplötzlich und wie aus dem Nichts wieder auftauchte. „Feuer frei!"
Old O'Flynns Stimme klang wie ein Trompetenstoß, als er die Worte hinausschmetterte. Die Distanz zwischen den beiden Schiffen betrug etwa fünfzig Yards. Da konnte man nicht mehr vorbeifeuern, selbst beim schnell ablaufenden Passiergefecht nicht. Die Drehbassen hämmerten ihr brüllendes Lied und spien Rauch, Feuer und Eisen aus. Der Krach war ohrenbetäubend. Drüben schlug es dreimal hintereinander ein. Der Mast wurde getroffen und zersplitterte. Die Gaffelrute krachte an Deck und riß das Segel mit sich, das sich wie ein riesiges Leinentuch über das Deck der Schaluppe senkte. In der Bordwand der Schaluppe erschienen direkt an der Wasserlinie zwei Löcher. Old O'Flynn fuhr das nächste Manöver mit der allergrößten Kaltblütigkeit und brüllte sich vor Aufregung die Kehle heiser. „Feuer frei. Voll drauf!" Martin, Nils und Sven sprangen an die anderen Drehbassen, hielten die Lunten an das Zündkraut und donnerten die nächste Salve zu den Spaniern hinüber. Wieder krachte es dreimal hintereinander ohrenbetäubend laut. Die Blitze waren noch nicht ganz verschwunden, die Männer hatten sie noch deutlich vor den Augen, als es bei der Schaluppe schon wieder einschlug. Alle drei Kugeln rasten in die Wasserlinie des Schiffes und rissen die Bordwand auf. Die Schaluppe geriet aus dem Kurs und schoß in den Wind. Sie konnten sich nicht einmal zur Wehr setzen, es war alles zu plötzlich und überraschend geschehen. Damit war die Entscheidung gefallen. Wassereinbruch! Das Schiff begann zu krängen. Immer schneller schoß das Wasser in seinen Rumpf. Es neigte sich härter zur Seite. Old O'Flynn stand auf dem Achterdeck und röhrte wie ein Hirsch. „Geschafft!" schrie er. „Die Bastarde sind wir los!" Drüben herrschte kein Chaos, als er sich mit der „Empress" neugierig heranpirschte. Don Juan sah ein, daß er die Schaluppe nicht mehr halten konnte. Die Kugeln hatten den Rumpf aufgerissen, das Wasser strömte brausend immer wilder hinein.
Er tat das einzig Vernünftige, was er noch tun konnte. Er gab die sinkende Schaluppe auf und fierte mit den Männern zusammen in aller Eile das Beiboot ab. Old O'Flynn rieb sich die Hände, als einer nach dem anderen die sinkende Schaluppe verließ und ins Boot kletterte. „Die sind wir endgültig los", wiederholte er. Er kurvte noch dichter an das sinkende Schiff heran, das sich immer mehr zur Seite neigte, und beäugte es. Inzwischen pullten die Dons dem nahen Land zu, geschlagen und gedemütigt von dem seltsamen Alten, der diesmal doch als Sieger hervorgegangen war. Jetzt stand er auf dem Achterdeck, riß beide Hände hoch und tanzte auf seinem Holzbein herum. Don Juan hörte sich entnervt das aufreizende und höhnische Gelächter an, das wirklich nach dem Gemecker eines alten Ziegenbockes klang. Er hielt sich die Ohren zu. „Ar-we-nack, Ar-we-nack!" schrien die Kerle da drüben laut. Dann sah er, wie die Schaluppe sich auf den Bug stellte und langsam unterging. Wieder einmal waren sie schiffbrüchig, es war zum Verzweifeln. Die „Empress" segelte davon. Wohin, das ahnte der Spanier. Irgendwo zu den Caicos- oder Turks-Inseln, wo sie ihren Schlupfwinkel hatten. Aber die Suche danach hatten sie ihm gründlich vermasselt... Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 404 Sklavenfracht für Spanien von Roy Palmer Pater David erhielt von den Zuständen an Bord der spanischen Fracht-Galeone einen ersten Eindruck, als er in den großen Laderaum hinunterstieg. Unwillkürlich blieb er auf den Stufen des Niedergangs stehen und preßte die rechte Hand vor den Mund. Ein infernalischer Gestank schlug ihm entgegen doch das war nichts im Vergleich zu dem erbarmungswürdigen Bild, das sich im nächsten Moment seinen Augen darbot. Da hockten sie im trüben Schein einer einzigen Ölfunzel: nackte und halbnackte Gestalten, deren fiebrig glänzende Augen sich auf den großen Mann richte-
ten. Abgezehrt und ausgemergelt waren sie, bis auf die Knochen abgemagert, verschmutzt und verwahrlost. Längst waren ihre Tränen versiegt wie ihre Hoffnung, jemals wieder frei zu sein... Diesen Roman mit einem neuen spannenden Abenteuer des Seewolfs und seiner Crew erhalten Sie bereits in der nächsten Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler sowie in allen Bahnhofsbuchhandlungen. Klabautermann Entdecker Diesmal war es die Antillen-Insel Haiti, der Columbus den Namen La Hispanola gab. Sie kreuzten weiter, entdeckten noch mehr Inseln. Doch dann passierte ein Unglück. Am 24. Dezember rannte die „Santa Maria" unter vollem Preß auf eine Korallenbank. Sie wurde so stark beschädigt, und saß auch so fest, daß an eine Reparatur nicht mehr zu denken war. Das Schiff mußte aufgegeben und verlassen werden. Jetzt hatte Columbus nur noch die „Nina", doch die war zu klein, um alle Leute aufzunehmen. Dem großen Entdecker blieb nichts anderes übrig, als vierzig Leute zurückzulassen. Damit war die erste Kolonie auf den Antillen gegründet. Aus Schiffsplanken der „Santa Maria" wurde ein Fort errichtet, das Fort Navidad genannt wurde, in Erinnerung an den Weihnachtstag, an dem das Unglück geschah. Anfang Januar trat Columbus die Heimreise an. Dabei traf er ein paar Tage später auf die „Pinta". Ihr Kapitän hatte tatsächlich Flußgold gefunden. Die Heimreise über den Atlantik verlief stürmisch und gefahrvoll, doch Mitte März 1493 landeten beide Schiffe wieder in Palos. Am Hofe wurde er von Isabella und Ferdinand empfangen und mit Ehrungen überhäuft. Staunend lauschte man seinen Berichten, und noch erstaunter war man bei Hofe über die Indianer, die Papageien, Goldsuter und seltenen Gewürze, die er vorzeigte.
Drei weitere Reisen folgten dieser Fahrt. Die nächste unternahm Columbus mit vierzehn Schiffen und 1500 Männern. Mit an Bord waren Pferde und auf den Mann abgerichtete scharfe Hunde. Auf dieser Reise wurde die Insel Jamaika entdeckt und ein Teil der kubanischen Südküste erforscht. Auch Ford Navidad wurde angelaufen, um die „Kolonisten" zu besuchen. Doch hier gab es eine Enttäuschung. Das Ford war verwüstet, alle vierzig Mann erschlagen worden. Die Totenschädel waren zum größten Teil zertrümmert. Eingeborene hatten die Männer getötet. Columbus ließ weitere Kolonien anlegen, doch die zerfielen bald, weil feste Führungskräfte fehlten. Dem spanischen Hof schickte er auch nicht das heiß begehrte Gold, denn er hatte keins gefunden, und weil er weitere Nachschubforderungen stellte, verschlechterte sich die Stimmung gegen ihn. Seine dritte Amerika-Reise verlief recht ungewöhnlich. Ein Statthalter der neuen Kolonien setzte den Admiral ab, ließ ihn in Ketten legen und schickte ihn nach Spanien zurück. Columbus hatte zu dieser Zeit gerade die Orinoco-Mündung und die Insel Trinidad entdeckt. In Spanien wurde er jedoch durch seine Gönnerin Isabella wieder voll rehabilitiert und lief 1502 zur nächsten Reise aus. Auf dieser Reise entdeckte er Costa Rica, Nicaragua, Honduras und Panama. Inzwischen hat er sehr seltsame Vorstellungen von der Welt entwikkelt. An die Kugelgestalt glaubt er nicht mehr. Die Erde ist für ihn vielmehr birnenförmig. Die Mündung des Orinoco setzt er mit dem Paradies gleich, und seine Vorstellung von Asien, das er entdeckt haben will, nimmt groteske Formen an. Einmal begegnete er einer Barke mit Eingeborenen, die einen wesentlich höheren Zivilisationsstand hatten als alle bisherigen anderen. Aber er dachte nicht daran, diesen Maya zu folgen. Als er weitere Hinweise über den Pazifischen Ozean erhielt, zeigte er nicht das geringste Interesse daran und ließ sie unbeachtet. Im Juni 1503 erlitt Columbus wieder Schiffbruch vor Jamaika. Ein volles Jahr lang blieb er auf der Insel, denn der spanische Hof hatte es nicht sonderlich eilig, ihm ein Schiff zu schicken. Erst im Juni 1504 kam eine Karavelle, und Columbus segelte nach Spanien zurück.
Im November desselben Jahres lief der Admiral in Cadiz ein. Es war eine seiner beschwerlichsten und gefährlichsten Reisen. Columbus war todkrank, gebrochen an Leib und Seele. Er hatte auch kein Gold vorzuweisen. Seine zahlreichen Expeditionen waren kostspielig und teuer, zu teuer für den spanischen Hof, der sich keine weiteren Experimente mehr leisten wollte. Seine Kräfte waren aufgezehrt, er war ein gebrochener Mann, und als seine Gönnerin Isabella starb, wollte man bei Hofe nichts mehr von ihm wissen, und er verfiel in Ungnade. Sein Ruhm verwehte rasch, er wurde verbittert. Die königliche Ungnade zehrte auch seine letzten Kräfte auf. Damit war sein Lebenswille erloschen. Als Entdecker hatte sich Columbus bewährt, als Administrator war er ein Versager. Im Mai des Jahres 1506 starb er, allein und unbeachtet. Fred McMason