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Lonvellin befindet sich auf einer Reise zwischen den Sternen. Er ist ein von reinem Altruismus motiviertes, hochzivilisiertes Wesen – und als er die verheerenden gesundheitlichen Zustände auf Etla entdeckt, einem Planeten, dessen humanoide Bewohner zu einem fremden Sternenreich gehören, das noch keinerlei Verbindung zu dem Zentralgalaktischen Rat hat, ruft er die Weltraum-Mediziner und das Monitor-Korps des Rates um Hilfe. Damit beginnt der erregende KAMPF DER WELTRAUM-MEDIZINER, denn der Herrscher des fremden Sternenreiches betrachtet aus politischen Gründen die Hilfe für Etla als einen feindseligen Akt. Er macht seine Raumflotten mobil und befiehlt den Angriff auf das Weltraumhospital ...
Vom selben Autor in der Reihe der Ullstein Bücher: Die Weltraum-Mediziner (3331)
Ullstein Buch Nr. 3396 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der Originalausgabe: STAR SURGEON Aus dem Englischen übersetzt Umschlagillustration: Schlück Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1963 by James White Printed in Germany 1978 Gesamtherstellung: Ebner, Ulm ISBN 3 548 03396 2
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek White, James Kampf der Weltraum-Mediziner: Science-fiction-Roman / hrsg. von Walter Spiegl. – Frankfurt/M, Berlin, Wien: Ullstein, 1978. ([Ullstein-Bücher] Ullstein-Buch; Nr. 3396: Ullstein 2000) Einheitssacht.: Star surgeon
ISBN 3-548-03396-2
James White
Kampf der WeltraumMediziner SCIENCE-FICTION-Roman Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
1 Weit draußen, am Rande der Galaxis, wo es kaum noch irgendwelche Sternsysteme gab und wo fast absolutes Dunkel herrschte, befand sich das Weltraumkrankenhaus mit dem typischen Namen »Sector Twelve General Hospital«. In diesem Bau von dreihundertvierundachtzig Stockwerken war man auf die Behandlung sämtlicher in der Galaxis vorkommenden Lebewesen eingerichtet. Die einzelnen Fenster dieses riesigen Hospitals waren stets hell erleuchtet, so daß es den Mannschaften aller sich nähernden Raumschiffe das Bild eines gigantischen, strahlend illuminierten Weihnachtsbaumes bot. In bezug auf Konstruktion und psychologische Erkenntnisse stellte das Weltraumkrankenhaus ein doppeltes Wunder dar. Nachschub, Unterhalt und Verwaltung wurden vom Zentralgalaktischen Rat durchgeführt, ohne daß es hier zu den sonst üblichen Reibereien zwischen Angehörigen der Armee und Zivilangestellten kam. Auch zwischen den zehntausend Mitgliedern des Ärzte- und Pflegepersonals, das sich ebenfalls aus den verschiedensten Lebensformen zusammensetzte, kam es kaum zu nennenswerten Streitigkeiten. Es kam nicht auf das Aussehen und die Form des einzelnen Individuums an, sondern auf das gemeinsame Ziel.
Das Personal bestand aus Intelligenzen, die sich ihrer Aufgabe mit Haut und Haar verschrieben hatten und jede einzelne Lebensform der Galaxis anerkannten – andernfalls wären sie zu dieser Aufgabe gar nicht erst berufen worden. Sie befolgten das Motto, daß es für sie keinen Fall gab, der zu groß, zu klein oder gar zu hoffnungslos wäre. Ihr Rat und ihre Unterstützung wurden von der gesamten Galaxis anerkannt und angefordert. Sie führten einen ständigen Krieg gegen Krankheit und Leid – ob es sich nun um ein einzelnes Wesen handelte oder um einen ganzen Planeten. Es gab jedoch Augenblicke, in denen die Maßnahmen der Ärzte, mochten sie auch noch so sehr im Interesse des Patienten liegen, zu Spannungen führten, deren Folgen unübersehbar waren. Der Patient, der in den Beobachtungsraum geschafft wurde, hatte nach Conways Ansicht ein Gewicht von mindestens fünfhundert Kilo; fünf Greif- und Fangarme entsprossen dem verhältnismäßig kleinen Kopfteil, und der Unterteil des Körpers bestand aus einer muskelartigen Masse. Die Haut dieses Wesens sah merkwürdig rauh und aufgeschürft aus, als hätte jemand versucht, sie mit einer Drahtbürste zu bearbeiten. Conway, der sich bereits seit sechs Jahren in die-
sem Krankenhaus befand, maß dem Zustand dieses Patienten keine besondere Bedeutung bei, denn er hatte schon viel merkwürdigere Dinge im Laufe seiner Dienstzeit gesehen. Als er sich zu einer genauen Untersuchung über den Patienten beugte, trat auch der Leutnant heran, der ein Streifenschiff der Raumflotte befehligte und mit diesem Wesen in den Raum gekommen war. Unter dem Ansatz eines jeder der fünf Greifarme befand sich eine Mundöffnung; vier dieser Öffnungen waren mit Zähnen versehen, während sich in der fünften die Stimmbänder befanden. Drei der Fangarme dienten zur reinen Manipulation, im vierten Fangarm waren die Sehorgane des Wesens untergebracht, und der fünfte hatte die Form eines spitzen Horns. Im Kopf war augenscheinlich nur das Gehirn untergebracht. Mehr war bei dieser ersten, oberflächlichen Untersuchung nicht festzustellen. Conway wandte sich um; er wollte seine Sonde holen, und dabei trat er dem dicht hinter ihm stehenden, uniformierten Mann auf den Fuß. »Haben Sie eigentlich schon mal ernsthaft über die medizinische Wissenschaft nachgedacht, Leutnant?« fragte er gereizt. Dem Leutnant schoß das Blut in die Wangen. »Dieser Patient ist ein Verbrecher! Er wurde unter
Umständen aufgegriffen, die andeuten, daß er seinen Begleiter im Raumschiff getötet und aufgefressen hat. Auf dem Weg hierher ist er zwar bewußtlos gewesen – aber ich habe den Befehl erhalten, ihn auf alle Fälle zu bewachen. Ich will versuchen, Ihnen nicht weiter im Weg zu stehen, Doktor.« Conway schluckte, und sein Blick streifte die hornartige Spitze eines Greifarmes des Patienten. »Geben Sie sich dabei keine allzu große Mühe, Leutnant«, brummte er sarkastisch. Er durchleuchtete seinen Patienten und schickte dann ein Muster der beschädigten Haut mit seinem Bericht an die Pathologische Abteilung. Schließlich trat er zurück und kratzte sich den Hinterkopf. Der Patient atmete Sauerstoff, hatte warmes Blut und etwa normale Gravitation; somit gehörte er zur Gruppe der EPLH. Normalerweise hätte er, Conway, ohne Befragung der pathologischen Abteilung mit der Behandlung beginnen können – aber ein Patient mit einer normalen Hauterkrankung war üblicherweise kaum bewußtlos. Diese Tatsache deutete auf psychologische Schwierigkeiten hin, und somit war die Hilfe von Spezialisten erforderlich. In bezug auf Telepathie kam da in erster Linie sein Freund Dr. Prilicla, der GNLO, in Frage. Der Leutnant räusperte sich verhalten.
»Nach Beendigung der Untersuchung möchte O'Mara Sie sprechen, Doktor«, sagte er. Conway nickte. »Ich werde jemanden herschicken, der den Patienten ein bißchen im Auge behält«, erwiderte er grinsend. »So, wie Sie mich im Auge behalten haben.« Er verließ das Beobachtungszimmer und schickte eine Krankenschwester – eine außerordentlich gut aussehende Schwester. Er sagte sich, daß er dem Leutnant wegen seines schlechten Benehmens etwas schuldete. Nachdem Conway verschiedene Luftschleusen und sonstige Sicherungseinrichtungen hinter sich hatte, betrat er das Büro von Major O'Mara. Als Chefpsychologe war dieser für das Wohlergehen seines Personals von zehntausend Wesen aus vierundachtzig verschiedenen Sternsystemen verantwortlich. O'Mara war in diesem Krankenhaus am Rande der Galaxis wirklich ein außerordentlich wichtiger Mann. Seiner eigenen Ansicht nach war er auch ein Mann, der für alle Sorgen seines Personals ein Herz hatte – aber wenn er von jemandem mit kleinen, unwichtigen Dingen belästigt wurde, dann konnte er sehr unangenehm werden. Heute schien er jedoch recht aufgeräumt zu sein. »Diese Sache wird mehr als fünf Minuten in An-
spruch nehmen, und deshalb sollten Sie sich lieber setzen, Doktor«, begann er knapp, als Conway vor seinem Schreibtisch trat. »Vermutlich haben Sie sich unseren Kannibalen schon ein wenig angesehen, nicht wahr?« Conway nickte und setzte sich. In kurzen Worten berichtete er über den bisherigen Verlauf seiner Untersuchung des EPLH-Patienten und deutete das Vorhandensein von psychologischen Komplikationen an. »Haben Sie außer der Tatsache des Kannibalismus noch weitere Informationen über die Geschichte des Patienten?« fragte er. »Nur sehr wenig«, erwiderte O'Mara. »Der Patient wurde in einem kleinen Raumschiff gefunden, von dem Hilferufe kamen, obgleich es äußerlich vollkommen unbeschädigt war. Augenscheinlich war der Patient zu schwach, um das Raumschiff weiterhin lenken zu können. Die Besatzung des Streifenschiffes unserer Raumflotte nahm eine genaue Untersuchung vor und stellte dabei fest, daß sich ein weiteres Wesen an Bord dieses Schiffes befinden müßte. Das ging einwandfrei aus den Eintragungen des Bordbuches hervor – außerdem aus verschiedenen weiteren Einzelheiten, die jedoch im Augenblick keine Rolle spielen. Zweifellos hat das andere Wesen, das sich an Bord befand, sein Ende in den Armen – und Zähnen – Ihres augenblicklichen Patienten gefunden.«
O'Mara schob Conway eine kleine Mappe mit einer Anzahl von Schreibmaschinenseiten zu, und dieser sah, daß es sich augenscheinlich um Auszüge des Bordbuches handelte, und daß das fragliche Opfer der Arzt des Raumschiffes gewesen war. »Wir wissen nichts über den Planeten, von dem dieses Raumschiff gekommen ist«, fuhr O'Mara mürrisch fort. »Wenn man jedoch bedenkt, daß wir erst den vierten Teil der Galaxis erforscht haben, ist das nicht weiter verwunderlich.« »Wie steht es denn mit den Ians?« fragte Conway. »Vielleicht könnten sie uns weiterhelfen?« Die Ians stammten von einem der seltenen Planeten, die sich hier in den Außenbezirken der Galaxis befanden. Sie gehörten zur Gruppe der GKNM und verfügten über außergewöhnliche Fähigkeiten. Conway hatte einige von ihnen behandelt und kannte sich deshalb ein wenig aus. »Die Galaxis ist schier unendlich«, murmelte O'Mara nicht gerade begeistert, »aber Sie können es ja mal versuchen. Um jedoch auf Ihren Patienten zurückzukommen, so taucht das größte Problem erst auf, wenn Sie ihn geheilt haben.« Er hielt inne und schaute Conway nachdenklich an. »Sehen Sie, Doktor, dieses Wesen hat eine Tat begangen, die in den Augen aller intelligenten Lebensformen ein Verbrechen darstellt. Nach den Richtlini-
en des Zentralgalaktischen Rates müssen die Vertreter des Gesetzes gegen einen solchen Verbrecher einschreiten. Er wird dann entweder rehabilitiert oder entsprechend bestraft. Wie sollen wir aber mit diesem Wesen verfahren, wo uns nicht das geringste von ihm bekannt ist? Natürlich können wir es nicht einfach auf freien Fuß setzen ...« »Warum denn nicht?« fragte Conway. »Warum senden wir es nicht einfach in die Richtung, aus der es ursprünglich gekommen ist?« »Oder warum lassen wir diesen Patienten nicht einfach sterben«, gab O'Mara lächelnd zurück, »um auf diese Weise allen weiteren Komplikationen aus dem Weg zu gehen?« Conway schwieg. Beide Männer wußten nur zu gut, daß diese Möglichkeit ausgeschlossen war. »Jedenfalls möchte ich«, fuhr O'Mara fort, »daß Sie während der Untersuchung und Behandlung dieses Patienten möglichst viel über ihn erfahren. Da ich Ihre Gutmütigkeit und Ihren weichherzigen Charakter kenne, vermute ich, daß Sie sich während der Behandlung dieses Patienten in die Rolle seines Verteidigers hineinsteigern werden. Nun, dagegen habe ich an sich nichts einzuwenden, sofern es Ihnen dabei gelingt, das, was wichtig ist, zu ermitteln, so daß wir zur Verhandlung das Wesen seiner eigenen Art als Geschworene bestimmen können. Alles verstanden?«
Conway nickte schweigend. Er verließ den Raum; er setzte sich mit der Pathologischen Abteilung in Verbindung und verlangte ihren Bericht noch vor dem Mittagessen. Dann lud er zwei Ians zum Essen ein, unterhielt sich kurz mit Prilicla und führte schließlich die Visite in seiner Abteilung durch. Während der folgenden beiden Stunden blieb ihm keine Zeit, über seinen neuesten Patienten nachzudenken. Dreiundfünfzig Patienten der verschiedensten Rassen und Lebensformen befanden sich in seiner Obhut, und bei seinem Rundgang durch die einzelnen Räume mußte er seinen Ärztekollegen, die ebenfalls aus den verschiedensten Welten stammten, die erforderlichen Anweisungen geben. Einen Großteil dieser ermüdenden Aufgaben hätte er ohne weiteres seinen Untergebenen überlassen können – aber er war erst seit kurzer Zeit Stationsarzt und bildete sich ein, selbst nach allem sehen zu müssen. Erst nach diesem Rundgang fand er wieder Zeit und Muße, an seinen neuen Patienten zu denken, der allem Anschein nach dem Kannibalismus frönte.
2 Eine halbe Stunde später saß Conway mit zwei Ärztekollegen aus der Gruppe der Ians an einem Tisch des großen Speisesaals. Bei den Ians konnte man kaum von Sitzen sprechen, denn diese Wesen hatten einen insektenartigen Körper mit vier kräftigen Flügelpaaren, so daß sie eigentlich nicht am Tisch saßen, sondern während der Mahlzeit schwebten. Das schien für ihre Verdauung erforderlich zu sein. Conway legte den Bericht der Pathologischen Abteilung auf den Tisch und beschwerte ihn mit der Zuckerdose, um zu verhindern, daß die Blätter durch den Flügelschlag der beiden Ians fortflogen. »Nach allem was ich Ihnen vorgelesen habe, scheint es sich um einen einfachen Fall zu handeln«, sagte er. »Der ständige Zustand der Bewußtlosigkeit des Patienten bereitet uns jedoch einige Sorgen. Da er aus Ihrer Nachbarschaft der Galaxis zu stammen scheint, wäre es doch möglich, daß Sie mir etwas über seine Geschichte verraten könnten, nicht wahr?« Der GKNM zur Rechten von Conway schwebte ein paar Zentimeter zurück. »Ich fürchte, ich habe Ihre Ausführungen über die psychologischen Momente dieses Patienten noch nicht recht verarbeitet, Doktor. Wie sieht er denn eigentlich aus?«
»Ich bitte um Entschuldigung für diesen Unterlassungsfehler«, sagte Conway. Er versuchte, das Aussehen seines Patienten zu beschreiben – aber dann nahm er einfach ein Blatt Papier zur Hand und machte eine entsprechende Zeichnung. »So ungefähr ist sein Aussehen.« Beide Ians schwebten zum Boden hinunter. Conway, der es nie erlebt hatte, daß die Ians ihre Mahlzeit unterbrachen oder gar aufhörten, zu schweben, war von dieser Tatsache sehr beeindruckt. »Sie kennen also die Rasse dieses Patienten?« fragte er hoffnungsvoll. Wieder war es der GKNM zur rechten Seite des Tisches, der die Beantwortung übernahm. »Wir haben schon verschiedentlich von dieser Rasse gehört, Doktor, aber wir haben ihren Heimatplaneten noch nicht entdecken können. Diese Wesen sind ... sind Götter, Doktor!« Conway fuhr auf seinem Stuhl zurück. »Mein Kollege läßt sich ein wenig zu sehr von Gefühl hinreißen«, sagte der andere GKNM. »Vielleicht darf ich Ihnen die wenigen Tatsachen und Mutmaßungen anführen, die über diese Rasse bekannt sind ...« Der Patient gehörte in der Tat zu einer außerordentlich seltenen Rasse, deren Einfluß sich auch auf weitab gelegenen Planeten erstreckte. Die Wesen
standen auf einer außerordentlich hohen Entwicklungsstufe und verfügten über enorme geistige und körperliche Fähigkeiten. Im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte hatten sie verschiedene Planeten erobert und sich die einzelnen Rassen untertan gemacht. Stets waren sie jedoch gutmütig und wohlwollend vorgegangen und hatten sich bemüht, die einzelnen Individuen dieser Rassen allmählich zu ihrem eigenen Entwicklungsstand emporzuziehen. »Nach allem, was bekannt ist, landet ein einzelnes Wesen dieser Rasse auf einem Planeten und kümmert sich um die Belange der dortigen Bewohner. In kurzer Zeit überwinden diese alle Vorurteile. Bei der eigentlichen Erziehungsarbeit lassen sich die Wesen dann viel Zeit. Das können sie sich leisten, denn sie sind unsterblich.« Wie durch einen dichten Nebel hörte Conway seine Gabel zu Boden fallen, und es dauerte ein paar Minuten, bis er sich wieder in der Gewalt hatte. In der Galaxis gab es einige Rassen, deren Angehörige über ein langes Leben verfügten, und besonders bei jenen Rassen, die, wie die Terraner, fortgeschrittene medizinische Kenntnisse besaßen, standen Verjüngungskuren auf dem Plan, die von Zeit zu Zeit durchgeführt wurden und die Lebenserwartung erheblich heraufsetzten. Unsterblichkeit jedoch hatten die Terraner noch nicht erreichen können, und sie
hatten auch niemals Gelegenheit gefunden, ein mit Unsterblichkeit ausgestattetes Wesen zu studieren. Nun aber hatte Conway einen solchen Patienten, der in seine Pflege gegeben war. Es sei denn ... Aber der GKNM war ein Arzt, und ein Arzt würde nicht von Unsterblichkeit sprechen, wenn er lediglich ein hohes Lebensalter meinte. »Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher?« fragte Conway. Die Antwort des Ian nahm eine ganze Weile in Anspruch, denn er zählte ausführlich eine Reihe von Tatsachen, Theorien und Legenden auf. Sie alle betrafen diese merkwürdigen Wesen, von denen ein einzelnes einen ganzen Planeten zu beherrschen vermochte. Zum Schluß war Conway zwar noch immer nicht von der Unsterblichkeit seines Patienten überzeugt, aber er mußte einräumen, daß alle Anzeichen darauf hindeuteten. »Nach allem, was ich gerade gehört habe, sollte ich diese Frage vielleicht nicht stellen«, sagt er zögernd. »Aber sind Ihrer Ansicht nach Wesen dieser Art fähig, einen Mord und Kannibalismus zu begehen?« »Nein!« antwortete der eine Ian bestimmt. »Niemals!« rief auch der andere nachdrücklich. Wenige Minuten später war Conway allein. Die Ians hatten um Erlaubnis gebeten, sich diesen Patienten ansehen zu dürfen, und als Conway sie ihnen gegeben hatte, waren sie hastig aus dem Raum ge-
schwirrt. Ians waren eigentlich recht nette Wesen, dachte Conway, wenn sie nur nicht diese schreckliche Vorliebe für Rohkost hätten! Angewidert schob er seine volle Salatschüssel zurück und bestellte sich hastig ein großes Steak. Allem Anschein nach hatte er noch einen langen, anstrengenden Tag vor sich. Als Conway zum Beobachtungszimmer zurückkehrte, waren die Ians bereits verschwunden, und der Zustand des Patienten war unverändert. Der Leutnant hatte anscheinend nur noch Augen für die Krankenschwester, und bei Conways Eintritt errötete er aus irgendeinem Grund ein wenig. Conway nickte ernst, entließ die Krankenschwester und las gerade den Bericht der Pathologischen Abteilung, als Dr. Prilicla eintraf. Prilicla war ein spinnenartiges, zerbrechlich wirkendes Wesen mit einer sehr niedrigen Gravitationsquote, so daß er seine Füße mit Gewichten belasten mußte, um sich hier bewegen zu können. Prilicla war das beliebteste Wesen im ganzen Hospital, denn es konnte niemandem böse sein. Obgleich der GNLO mit Flügeln versehen war, setzte er sich im Speisesaal an den Tisch und aß Spaghetti mit der Gabel. Conway hatte dieses Wesen ins Herz geschlossen. Conway beschrieb in kurzen Worten den gegenwärtigen Zustand des Patienten.
»Ich weiß, daß Sie mit einem bewußtlosen Patienten nicht viel anfangen können, aber es würde mir schon helfen, wenn sie ...« »Hier scheint ein Mißverständnis vorzuliegen, Doktor«, fiel Prilicla ihm ins Wort, »der Patient ist bei Bewußtsein ...« »Treten Sie zurück!« Prilicla wich hastig zurück, um seine zarte Gestalt in Sicherheit zu bringen. Der Leutnant schob sich ein bißchen näher heran und richtete den Blick unverwandt auf den Greifarm, dessen hornartiges Ende wie ein gefährlicher Totschläger aussah. Einige Sekunden lang verharrte alles bewegungslos im Raum, während der Patient äußerlich noch immer bewußtlos wirkte. Endlich richtete Conway den Blick auf Prilicla – und er brauchte gar nicht erst zu sprechen. »Ich spüre gefühlsmäßige Ausstrahlungen, die nur von einem Wesen kommen können, das bei Bewußtsein ist. Die Vorgänge im Gehirn des Patienten sind in Anbetracht seiner körperlichen Größe recht langsam und schwach. Die Strahlungen drücken Gefahr, Hilflosigkeit und Verwirrung aus. Vor allem jedoch ist in der Ausstrahlung irgendein Vorhaben zu erkennen.« Conway seufzte. »Er stellt sich also nur so«, murmelte der Leutnant vor sich hin.
Die Tatsache, daß der Patient Bewußtlosigkeit vortäuschte, beeindruckte Conway weniger als den Leutnant. Trotz all seiner hochentwickelten Geräte vertrat Conway den Standpunkt, daß die besten Heilaussichten nur dann bestanden, wenn der betreffende Patient von sich aus zur Mitarbeit bereit war. Wie aber sollte er eine Unterhaltung mit einem solchen Wesen beginnen? »Wir wollen dir helfen«, sagte er zögernd. »Verstehst du meine Worte?« Der Patient verharrte vollkommen bewegungslos. »Es spricht kein Anzeichen dafür, daß der Patient Sie gehört hat, Doktor«, sagte Prilicla. »Aber wenn er doch bei Bewußtsein ist ...«, begann Conway, dann brach er achselzuckend ab. Er nahm seine Instrumente wieder zur Hand und führte mit Priliclas Unterstützung eine neuerliche Untersuchung durch. Dabei richtete er sein Augenmerk hauptsächlich auf die Seh- und Hörorgane des Patienten. Er stieß hier und da mit der Sonde zu, aber es war weder eine gefühlsmäßige noch eine physische Reaktion zu verzeichnen. Conway konnte keinerlei Schaden an den Sinnesorganen feststellen, und dennoch schien der Patient nichts von den Vorgängen in seiner Umgebung wahrzunehmen. In physischer Beziehung war er vollkommen bewußtlos – aber Prilicla behauptete das Gegenteil.
Was für ein verrückter Halbgott! dachte Conway. O'Mara mußte ihm doch immer die merkwürdigsten Fälle schicken. »Die einzige Erklärung, die ich für diesen seltsamen Stand der Dinge finde, ist die, daß die von Ihnen empfangenen Strahlungen von einem Teil des Gehirns stammen, der von den Sinnesorganen vollkommen abgeschnitten ist. Meiner Ansicht nach bedarf der Patient der Hilfe eines Psychiaters. Allerdings können die Psychiater nur mit einem vollkommen gesunden Patienten etwas anfangen, und deshalb sollten wir uns in erster Linie der Hautkrankheit annehmen ...« Die Pathologische Abteilung hatte bereits erklärt, daß die Anwendung einer Narkose dem Patienten keinen Schaden bringen könnte. Conway füllte seine Injektionsspritze mit einer Normaldosis des Mittels zur Wiedererlangung des Bewußtseins und spritzte es ein. Prilicla kam an seine Seite, um die Wirkung abzuwarten. Sie wußten beide, daß dieses Mittel augenblicklich wirken mußte, denn er war eines der letzten Wunder der medizinischen Wissenschaft. Nach Ablauf von zehn langen Minuten war der Zustand des Patienten unverändert. »Ein zäher Bursche«, brummte Conway und spritzte die Maximaldosis ein. Sofort nahm die betreffende Hautstelle eine dunk-
lere Färbung an und verlor das trockene, aufgeplatzte Aussehen. Einer der Greifarme zuckte leicht. »Was macht sein Gehirn?« fragte Conway. »Es verhält sich ungefähr so wie zuvor«, antwortete Prilicla. »Nur sind die Ausstrahlungen jetzt stärker geworden – besonders seit der letzten Injektion. Er scheint zu versuchen, irgendeinen Entschluß zu fassen, einen Entschluß ...« Prilicla begann sichtlich zu zittern, und das war ein sicheres Zeichen dafür, daß die Gedanken des Patienten jetzt wesentlich intensiver waren. Conway setzte gerade zu einer Frage an, als ein scharfes, reißendes Geräusch seine Aufmerksamkeit wieder auf den Patienten lenkte. Der EPLH kämpfte mit aller Kraft gegen die Fesseln der Zwangsjacke an, die man ihm angelegt hatte. Zwei der Hauptriemen waren bereits geplatzt, und zwei seiner Greifarme waren jetzt frei – darunter der mit dem hornartigen Schlagende. Es gelang Conway, sich gerade noch im letzten Bruchteil einer Sekunde zu ducken und somit dieser keulenartigen Waffe zu entgehen, die nur sein Haar streifte. Der Leutnant hatte entschieden weniger Glück, denn diese unheimliche Waffe traf seine Schulter mit einer solchen Wucht, daß er rücklings gegen die Wand geschleudert wurde.
Prilicla, dessen hervorstechendste Charaktereigenschaft die Feigheit war, hing mit den Saugnäpfen seiner winzigen Füße an der einzig sicheren Stelle des ganzen Raumes – nämlich an der Decke. Conway lag ausgestreckt am Boden; er hörte weitere Riemen platzen und sah, daß der Patient wiederum zwei seiner Fangarme befreit hatte. Der Arzt wußte, daß es jetzt nur noch eine Frage von Sekunden war, bis der Patient sich vollkommen aus der Zwangsjacke befreit hatte, um dann nach seinem Willen schalten und walten zu können. Conway rappelte sich ein wenig hoch, duckte sich am Boden und sprang dann den tobenden EPLH an. Während er unterhalb der Stelle, an der die Fangarme aus dem Körper sprossen, den Leib des Patienten umklammerte, hörte er ein hartes, bellendes Geräusch aus dem Sprechorgan kommen. Das Transistorgerät übersetzte diese Rufe: »Helft mir! Helft mir!« Zur gleichen Zeit sah Conway den Greifarm mit der hornartigen Waffe durch die Luft sausen und mit vollem Schwung auf dem Fußboden landen. Ein etwa zehn Zentimeter tiefes Loch klaffte im Boden. Es mochte nach einem verhängnisvollen Fehler aussehen, daß Conway den Patienten auf diese tollkühne Weise angegriffen hatte, aber er hatte in dieser Situation durchaus den Kopf behalten. Mit festem Griff umklammerte er den Leib und war somit außerhalb der Reichweite dieser schrecklichen Fangarme.
Dann sah er den Leutnant. Er lag mit dem Rücken an die Wand gelehnt in der Ecke. Ein Arm baumelte kraftlos herab, während die andere Hand einen Revolver umspannte. Conway rief dem Leutnant verzweifelt zu, noch abzuwarten, aber seine Worte gingen in dem Bellen des Patienten unter. Conway erwartete jeden Augenblick die Explosion von Schüssen und das Aufprallen der Kugeln. Er konnte sich nur noch fester an den Patienten klammern. Dann war plötzlich alles vorüber. Der Patient fiel kraftlos auf die Seite; er zuckte noch einmal kurz und blieb dann reglos liegen. Der Leutnant schob seinen unbenutzten Revolver in das Halfter zurück und stand schwerfällig auf. Conway ließ den Patienten los, und Prilicla kam von der Decke auf den Boden geschwebt. »Hmmm«, brummte Conway. »Vermutlich konnten Sie nicht schießen, weil ich an dem Patienten hing, wie?« Der Leutnant schüttelte den Kopf. »Ich bin ein guter Schütze, Doktor, und ich hätte ihn ohne weiteres treffen können, ohne Ihnen auch nur ein Haar zu krümmen, aber er schrie ununterbrochen um Hilfe, und so etwas geht einem schließlich an die Nerven.«
3 Nachdem Prilicla den Leutnant zur Behandlung seines gebrochenen Schlüsselbeins weggeschickt hatte, war er Conway beim Anlegen einer neuen, wesentlich stärkeren Zwangsjacke behilflich. Dabei stellten sie verdutzt fest, daß die dunkler gefärbte Hautstelle vollkommen verschwunden war. Der Patient befand sich in genau dem gleichen Zustand wie vor der Behandlung. Die starke Dosis der Injektion hatte augenscheinlich nur eine vorübergehende Wirkung gehabt, und das war nach medizinischen Erkenntnissen einfach unmöglich. Seit Prilicla die erstaunliche Eröffnung gemacht hatte, daß der Patient bei Bewußtsein war, hatte Conway gewußt, daß in diesem Fall die Wurzel der Krankheit im Psychologischen lag. Er wußte weiterhin, daß ein solcher Geisteszustand auch dem Körper schweren Schaden zufügen konnte. Aber diese Krankheit des Patienten war rein physischer Natur, und die entsprechende Heilmethode hatte sich in unzähligen Fällen bewährt. Es war unbegreiflich, daß dieser Körper überhaupt nicht auf eine solche Maßnahme reagierte. Schließlich unterlag alles im Universum gewissen unveränderlichen Gesetzen. Soweit Conway die Sache überschaute, kamen nur
zwei Erklärungen in Betracht. Entweder besaß das Wesen die Macht, diese Gesetze nach Belieben zu verändern, oder es handelte sich um irgendeinen Trick. Conway klammerte sich an die zweite Möglichkeit, denn die erste war so niederschmetternd, daß er sich weigerte, sie ernsthaft in Betracht zu ziehen. Er wollte in dem EPLH nichts anderes als einen normalen Patienten sehen. Conway verließ seine Station und suchte Captain Bryson auf, den Kaplan des Krankenhauses. Er unterhielt sich längere Zeit mit ihm, denn Conway war ein Mann, der seiner Sache stets ganz sicher sein wollte. Dann ging er zu Colonel Skempton, dem die Abteilung für das Nachrichtenwesen und den Nachschub unterstand. Hier forderte er Abschriften des Bordbuches und alle weiteren vorhandenen Informationen über die Geschichte seines Patienten an. Hierauf begab er sich in den AUGL-Saal, um einen Vortrag über die Operationstechnik an Unterwasserwesen zu halten, und die beiden letzten Stunden vor der Mahlzeit verbrachte er in der Pathologischen Abteilung, wo er einiges über die Unsterblichkeit seines Patienten in Erfahrung brachte. Als er in sein Zimmer zurückkehrte, fand er dort
eine dicke Mappe mit Schreibmaschinenseiten vor. Seufzend dachte er an seine sechs Stunden Freizeit und die Art, wie er diese verbringen würde. Dabei fiel ihm ein, wie er diese Freizeit eigentlich zu verbringen geplant hatte, und vor seinem geistigen Auge tauchte das Bild der außerordentlich hübschen und tüchtigen Krankenschwester Murchison auf, mit der er sich in letzter Zeit recht häufig verabredet hatte. Aber Schwester Murchison arbeitete zur Zeit in der FGLI-Wöchnerinnenabteilung, und ihre gemeinsame Freizeit traf erst in zwei Wochen wieder zusammen. Bei der augenblicklichen Lage der Dinge war es ja gleich, dachte Conway, und dann begann er, den langen Bericht sorgfältig zu studieren. Der Besatzung des Streifenschiffes der Raumflotte war es nicht gelungen, die EPLH-Eintragungen in Zeiteinklang mit denen der Erde zu bringen – aber ihr Bericht ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß diese Eintragungen Hunderte von Jahren alt waren – ja, einige mußten sogar schon etwa zweitausend Jahre alt sein. Conway begann mit der ältesten Eintragung und arbeitete sich langsam bis zur letzten durch. Er stellte von Anfang fest, daß diese Eintragung kaum irgendwelche persönlichen Bemerkungen enthielten und in
erster Linie von hochentwickelter, technischer Natur waren. Die letzten Sätze des Bordbuches klangen ausgesprochen dramatisch. »Mein Arzt macht mich krank – er tötet mich. Ich muß irgend etwas unternehmen. Er ist ein schlechter Arzt, wenn er es zuläßt, daß ich krank werde. Irgendwie muß ich ihn loswerden ...« Mit einem tiefen Seufzer legte Conway das letzte Blatt aus der Hand, kippte seinen Stuhl ein wenig zurück und legte die Beine auf den Schreibtisch. Was für ein wüstes Durcheinander! dachte er. Die einzelnen Teile des Gesamtbildes lagen jetzt vor ihm, und es war seine Aufgabe, sie richtig zusammenzusetzen. Zunächst war da der Zustand des Patienten, der an sich nach den Maßgaben dieses Hospitals kaum als ernst zu bezeichnen war, der jedoch ernsthafte Auswirkungen haben konnte, wenn er nicht auskuriert wurde. Dann waren da die Aussagen der beiden Ians über die gottähnliche Natur des Patienten, der einer Rasse angehörte, die stets gewissen Begleiter aus anderen Rassen hatte. Diese Begleiter wurden immer wieder durch andere ersetzt, denn sie wurden im Laufe der Zeit alt und starben, was bei den EPLHs nicht der Fall war. Dann waren da noch die beiden Berichte der Pathologischen Abteilung. Den ersten hatte er ja bereits vor dem Mittagessen
studiert, und bei dem zweiten handelte es sich um einen mündlichen Bericht von Thornnastor, dem FGLIDiagnostiker der Pathologischen Abteilung. Thornnastor vertrat nachdrücklich die Ansicht, daß der EPLH-Patient nicht tatsächlich unsterblich sei – und die nachdrückliche Ansicht eines Chefdiagnostikers der Pathologischen Abteilung war über jeden Zweifel erhaben. Während also die Frage der Unsterblichkeit geklärt zu sein schien, waren da noch die Ergebnisse der Untersuchungen, und diese zeigten nur zu deutlich, daß der Patient in der Tat über ein sehr langes Leben verfügen mußte, wobei er sich von Zeit zu Zeit Verjüngungsmaßnahmen unterzogen hatte. Schließlich war da noch Priliclas Aussage, der mit seinen telepathischen Fähigkeiten den Geisteszustand des Patienten ermittelt hatte. Vor und während der versuchten Behandlung hatte Prilicla Gedankenimpulse empfangen, die Verwirrung, Angst und Hilflosigkeit ausdrückten. Nach der zweiten, kräftigeren Injektionsdosis war der Patient plötzlich zu einem Berserker geworden, und seine Impulse waren so stark, daß Prilicla von ihnen schier erdrückt worden war und mit ihnen nichts mehr anzufangen wußte, zumal er sich ja inzwischen auf die entschieden leiseren Impulse des Patienten eingestellt hatte. Immerhin konnte er berichten, daß der Geistes- und Gemütszustand des Patienten als durchaus schizoid zu bezeichnen war.
Conway sank noch tiefer in seinen Sessel zurück; er schloß die Augen und ließ die einzelnen Bruchstücke des Gesamtbildes an ihren eigentlichen Platz gleiten. Alles hatte seinen Anfang auf dem Planeten genommen, den sich dieser EPLH für seine Lehr- und Erziehungstätigkeit ausgesucht hatte. Im Laufe der Zeit hatten diese Wesen eine Entwicklungsstufe erreicht, auf der interplanetarische Raumflüge und die letzten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft eine Selbstverständlichkeit waren. Ihre von Natur aus sehr lange Lebensspanne wurde auf künstliche Weise noch verlängert, so daß es kein Wunder war, wenn die Ians, die ja nur eine verhältnismäßig kurze Lebenserwartung hatten, sie als unsterblich bezeichneten. Immerhin mußten diese Wesen einen hohen Preis für ihre lange Lebensspanne zahlen: die Erzeugung von Nachkommen, die bei allen sterblichen Rassen im Vordergrund stand, war bei ihnen so gut wie ausgeschaltet, und ihre Zivilisation hatte sich in Einzelwesen aufgelöst, die auf eigene Faust andere Planeten eroberten. Da konnten psychologische Auswirkungen natürlich nicht ausbleiben. Eine arme Rasse von Halbgöttern, dachte Conway. Geflissentlich gingen sie sich gegenseitig aus dem Weg, denn sie hatten bereits zuviel voneinander: durch lange Jahrhunderte kannten sie das Verhalten ihres jeweiligen Partners, seine besonderen Gewohn-
heiten, seine Sprache und Meinung – und damit mußte zwangsläufig die Langeweile einsetzen. Sie hatten sich große Ziele gesetzt und es sich zur Aufgabe gemacht, die Rassen anderer Planeten auf die Höhe ihres eigenen Lebensstandards emporzuziehen. Diese Aufgaben unternahmen sie gewissermaßen zum Zeitvertreib, um ihre außerordentlichen Fähigkeiten auszunützen, ihre ständige Langeweile zu besiegen, und weil sie einfach von Natur aus eine liebenswerte Rasse waren. Da ihre Langlebigkeit ihnen eine immer größer werdende Furcht vor dem Tode einflößen mußte, hatten sie stets einen persönlichen Arzt bei sich, und zweifellos war dieser betreffende Arzt von ihnen zunächst auf all seine Fähigkeiten geprüft worden. Nur ein einziger Punkt schien in das Gesamtbild nicht recht zu passen, und das war die Tatsache, daß der EPLH auf die erforderlichen Behandlungsmethoden nicht angesprochen hatte, aber Conway war überzeugt, daß es sich hierbei um eine rein psychologische Reaktion handelte, die im weiteren Verlauf der Behandlung durchaus zu überwinden war. Es kam nur darauf an, daß er im Augenblick wußte, was er überhaupt vorzunehmen hatte. Nicht jeder Patient wurde durch eine Sofortmaßnahme geheilt, obgleich diese Ansicht von Thornnastor in seiner Eigenschaft als Chefdiagnostiker vertre-
ten wurde. In diesem Fall des EPLH-Patienten wußte Conway, daß es in entscheidender Weise darauf ankam, wer und was dieser Patient darstellte, und wo seine Möglichkeiten erschöpft waren. Außerdem handelte es sich noch um die Frage, was er eigentlich unternommen hatte, um gegen das Gesetz zu verstoßen. Die Tatsache, daß dieser Patient ein Wesen war, das einen Mord begangen hatte, sollte ihn als Arzt eigentlich wenig interessieren. Mit einem tiefen Seufzer nahm Conway die Beine vom Schreibtisch. Er war jetzt in einer Stimmung, in der er sich selbst als Arzt vorschrieb, auf der Stelle zu Bett zu gehen. Es dauerte tatsächlich auch gar nicht lange, bis er eingeschlafen war. Am nächsten Morgen bereitete Conway unmittelbar nach dem Frühstück alles zur Operation des Patienten vor. Er ließ die entsprechenden Instrumente zum Beobachtungszimmer seiner Station bringen. Außerdem traf er die erforderlichen Maßnahmen zur Betäubung, wobei er die Tatsache nicht außer acht ließ, daß dieser Patient allem Anschein nach bereits einen Arzt getötet hatte. Weiterhin forderte er die Unterstützung eines Tralthaners an, denn er wußte, daß die Vertreter dieser Rasse unübertroffene Chirurgen waren. Im Anschluß daran setzte er sich mit O'Mara in Verbindung.
Der Chefpsychologe lauschte seinen Worten und Erklärungen, ohne irgendeine Erwiderung zu machen. »Wissen Sie eigentlich, was diese Angelegenheit für unser Hospital bedeutet, Conway?« fragte er dann. »Dabei meine ich nicht nur die physische Seite. Nach Ihrer Darstellung kommen auch psychologische Punkte in Frage. Im Augenblick ist der Patient bewußtlos, aber wenn er wieder zu sich kommt, dann müßten wir ihm allem Anschein nach aus der Hand essen. Ich möchte nur wissen, was geschieht, wenn er wieder zu Bewußtsein kommt.« Es war das erstemal, daß Conway einen besorgten Ausdruck in der Stimme seines Vorgesetzten vernahm. Als vor einigen Jahren ein Raumschiff mit voller Fahrt in diesen Bau gerammt war und dabei sechzehn Stockwerke beschädigt hatte, hatte Major O'Mara kaum mit der Wimper gezuckt. »Darüber versuche ich gar nicht erst nachzudenken«, erwiderte Conway. »Es wäre doch im Grunde genommen nur ein Ablenkungsmanöver.« O'Mara atmete tief ein, dann ließ er die aufgestaute Luft schnaubend entweichen. »Jemand sollte sich darüber Gedanken machen, Doktor«, sagte er eiskalt. »Sie werden wohl nichts dagegen einzuwenden haben, daß ich bei der bevorstehenden Operation zugegen bin, nicht wahr?« Gegen diese höflich gefaßten Worte, die einem Be-
fehl gleichkamen, war natürlich nichts einzuwenden. »Es freut mich, daß Sie dabei sein wollen, Sir«, erwiderte Conway. Als sie in der Beobachtungsstation eintrafen, war alles vorbereitet, so daß einer unverzüglichen Operation nichts mehr im Wege stand. Die Betäubung entsprach den Vorschriften der Pathologischen Abteilung, und während sie angesetzt wurde, beschäftigten sich Conways Gedanken mit den Fähigkeiten seines Assistenten von der Rasse der Tralthaner. Chirurgen dieser Rasse bestanden an sich aus zwei verschiedenen Wesen: einem FGLI und einem OTSB. Im Nacken der lederartigen Haut des elefantenhaft wirkenden Tralthaners hockte ein Wesen von unscheinbarer Art, das allem Anschein nach nur im Zusammenwirken mit diesem großen Monstrum leben konnte und kaum einen eigenen Verstand besaß. Im ersten Augenblick sah dieses Wesen mit seiner fellartigen Haut recht ungeschickt aus – aber es hatte einen mit vielen Sehorganen ausgestatteten Arm, dessen Wahrnehmungen in ihrer Genauigkeit nicht zu übertreffen waren. Wegen dieser unvergleichlichen Zusammenarbeit war die Kombination der FGLI und der OTSB in der gesamten Galaxis unschlagbar. Unvermittelt gab das auf dem Rücken des OTSB hockende Wesen durch ein Klopfzeichen das Signal,
daß es sich nun entsprechend auf die vorliegende Operation vorbereitet hätte. »Es wird festgestellt, daß diese Operation lediglich eine äußere Hautkrankheit betrifft«, sagte Conway, um in erster Linie der Aufnahme des Tonbandgerätes gerecht zu werden. »Die Haut des Patienten macht einen vollkommen ausgetrockneten und aufgerauhten Eindruck und es sieht aus, als wollte sie sich in jedem Augenblick vom Körper des Patienten lösen. Bei der ersten Behandlung zeigte es sich, daß diese Hautkrankheit eine gewisse Tiefe erreicht hat, und der eigentliche Herd ist mit dem bloßen Auge kaum wahrzunehmen. Damit scheint es klar zu sein, daß diese Krankheit in eine neue Phase eintritt. Sie scheint nunmehr auf die inneren Organe überzugehen – und je eher wir die Gegenmaßnahmen ergreifen, desto besser.« Conway führte an dieser Stelle die Berichtsnummer der Pathologischen Abteilung und seine eigenen Untersuchungsergebnisse an. »Da der Patient auf eine medizinische Behandlung nicht anspricht, und zwar aus Gründen, die im Augenblick noch nicht ganz geklärt sind, werden wir jetzt einen operativen Eingriff vornehmen, die kranke Haut entfernen und durch eine neue ersetzen. Die Operation selbst dürfte keine besonderen Komplikationen bringen – nur dürfte es sich um eine recht langwierige Aufgabe handeln ...«
»Ich bitte um Entschuldigung, Doktor«, unterbrach Prilicla, »aber der Patient ist noch bei vollem Bewußtsein!« Ein heftiger Wortwechsel brach zwischen Prilicla und dem Tralthaner aus. Prilicla behauptete nachdrücklich, daß er nach wie vor Impulse vom Patienten empfangen könne, während der Tralthaner die Ansicht vertrat, der Patient hätte eine solche Menge des Betäubungsmittels eingespritzt bekommen, daß er zumindest auf sechs Stunden bewußtlos sein müsse. Als sich diese Auseinandersetzung zuspitzte, schaltete sich Conway wieder ein. »All das haben wir bereits einmal erlebt und durchgesprochen«, sagte er gereizt. »Der Patient ist – mit Ausnahme von wenigen Minuten am gestrigen Tage – seit seiner Einlieferung in dieses Hospital in physischer Beziehung bewußtlos gewesen, und dennoch gab Dr. Prilicla an, Ausstrahlungen des Gemüts und des Verstandes vernehmen zu können. Die gleichen Umstände liegen jetzt vor, da der Patient unter dem Einfluß der Betäubungsinjektion steht. Ich kann diese Tatsache nicht erklären, denn dazu müßte man einen chirurgischen Eingriff in das Gehirn des Patienten vornehmen, um die Zellenstruktur zu erforschen, und ein solcher Eingriff muß zunächst zurückgestellt werden. Im Augenblick kommt es nur darauf an, daß der Patient sich in einem Zustand befindet, in dem er
keiner physischen Bewegung fähig ist und somit auch keinen Schmerz empfinden kann. Können wir nun endlich anfangen?« Er wandte sich an Prilicla. »Achten Sie auf alle Fälle auf weitere Ausstrahlungen von ihm«, flüsterte Conway ihm zu.
4 Während der nächsten zwanzig Minuten wurde schweigend gearbeitet, obwohl die ganze Sache eigentlich keine besondere Konzentration erforderte. Conway entfernte die kranken Hautteile und bereitete sich auf die längste und ermüdendste Operation seiner ganzen Karriere vor. »Ich spüre Ausstrahlungen von Angst und von einem gewissen Vorhaben«, meldete Prilicla. »Das Gefühl der Angst wird immer stärker ...« Conway brummte vor sich hin, denn ihm fiel keine Antwort auf diese Meldung ein. Weitere Minuten verstrichen. »Wir müssen jetzt etwas langsamer vorgehen, Doktor«, bemerkte der Tralthaner. »Wir haben hier eine Stelle erreicht, an der die Hautwurzeln wesentlich tiefer sitzen ...« »Ich kann die Wurzelzellen sehen«, erwiderte Conway ein wenig später. »Wie tief sitzen sie denn?« »Etwa zehn Zentimeter«, antwortete der Tralthaner. »Während wir daran arbeiten, werden sie immer länger, Doktor.« »Aber das ist doch unmöglich!« rief Conway. »Wir werden uns gleich mal eine andere Stelle vornehmen.«
Er spürte, daß ihm große Schweißperlen auf die Stirn traten, und dann merkte er auch, daß der neben ihm stehende Prilicla am ganzen Körper zitterte. Obgleich Conway sein Glück an verschiedenen anderen Hautstellen des Patienten versuchte, blieb das Ergebnis stets das gleiche: die Wurzelzellen wurden zusehends länger. »Aufhören!« befahl Conway hart. »Was ist los, Doktor?« frage O'Mara leise. Conway schüttelte gereizt den Kopf. »Das weiß ich nicht. Gestern hat der Patient nicht auf medizinische Behandlung angesprochen, und heute spricht er auch auf diesen operativen Eingriff nicht an. Seine Reaktionen auf all unseren Hilfsmaßnahmen sind ausgesprochen verrückt! Wenn er sich weiterhin gegen diesen Eingriff auflehnt und seine Hautwurzeln wachsen läßt, werden sie bald die inneren Organe erreichen, und Sie wissen ja selbst, was das zu bedeuten hat ...« »Die Ausstrahlungen der Angst lassen nach«, meldete Prilicla. »Dafür werden die eines gewissen Vorhabens stärker.« Jetzt schaltete sich auch der Tralthaner ein. »Ich habe eine merkwürdige Entdeckung zu berichten, die dieses unwahrscheinliche Wachsen der Wurzelzellen des Patienten betreffen. Das auf meinem Rücken hockende und mit mir verbundene We-
sen hat, wie Sie wissen, eine ungewöhnliche Sehschärfe, und es meldet, daß sich der Körper des Patienten dem augenblicklichen Wachsen der Hautwurzeln anpaßt.« Conway schüttelte den Kopf. Dieser Fall war voller unerklärlicher Widersprüche und in jeder Beziehung vollkommen unmöglich! Immerhin hatte es bei der Einlieferung des Patienten ganz so ausgesehen, als handelte es sich um einen vollkommen normalen und alltäglichen Fall. Conway hatte sich zunächst für die Geschichte dieses Wesens interessiert, denn seine medizinische Behandlung schien ihn vor keinerlei Probleme zu stellen und eine reine Routineangelegenheit zu sein. Aber irgendwie war dann alles ganz anders gekommen, und vielleicht war ihm irgendein wichtiger Punkt entgangen. Wegen dieser Unterlassungssünde sah der Patient nun seinem Ende entgegen. Conway fragte sich, ob er seiner Sache vielleicht nicht zu sicher gewesen war und somit eine gewisse Schuld auf sich geladen hatte. Es war immer ein schreckliches Gefühl, wenn ein Arzt einen Patienten verlor – und in diesem Raumhospital kam das kaum je vor. Aber einen Patienten zu haben, dessen Zustand in keinem Krankenhaus der Welt als ernst bezeichnet werden konnte, und ihn dennoch zu verlieren, das war eine Sache die einem Arzt wirklich an die Nerven ging.
Conway fand einfach keine Worte, und er fluchte verhalten vor sich hin. »Nehmen Sie es nicht so tragisch, mein Junge!« Es war O'Mara, der wie ein Vater auf ihn einsprach. Conway wußte nur zu gut, daß sich der Chefpsychologe Gedanken darüber machte, daß es sich hier um einen Patienten handelte, der über große und bislang noch unbekannte Kräfte verfügte, und er mochte sich die besorgte Frage stellen, was diesem Hospital wohl blühte, wenn sich ein solcher Patient aus seiner Zwangsjacke befreite. »Wir wollen noch einmal versuchen, die oberen Schichten der erkrankten Haut abzunehmen«, sagte O'Mara, indem er Conways Gedanken unterbrach. »Haben Sie in der Vergangenheit des Patienten irgendeine Tatsache entdeckt, die den Schluß zuläßt, daß er sich selbst vernichten will!« »Nein«, antwortete Conway nachdrücklich. »Ganz im Gegenteil! Dieser Patient hat den verzweifelten Wunsch, am Leben zu bleiben. Er hat sich von Zeit zu Zeit Verjüngungsmaßnahmen unterzogen, und das bedeutet, daß seine Zellenkonstruktionen immer wieder erneuert wurden. Diese Verjüngungsmaßnahmen haben sich natürlich auch auf das Gehirn erstreckt, so daß hier das Erinnerungsvermögen ausgeschaltet wurde ...«
»Aha, und deswegen hat das Bordbuch auch fast nur technische Daten enthalten«, murmelte O'Mara. »Immerhin würde ich unsere eigenen Verjüngungsmethoden vorziehen, wenn sie auch nicht ein so langes Leben garantieren. Bei uns werden nur die Organe behandelt und, falls erforderlich, ausgewechselt, aber das Gehirn bleibt davon unberührt.« »Ja, ich weiß«, erwiderte Conway, und er fragte sich unwillkürlich, warum der sonst so schweigsame Chefpsychologe auf einmal so gesprächig geworden war. »Nun, Sie wissen ja selbst«, fuhr er fort, »daß eine solche, wiederholt angewandte Verjüngungsmethode die Angst vor dem Tod beim Patienten jedesmal verstärkt. Trotz all seiner Einsamkeit, Langeweile und seiner unnatürlichen Existenz nimmt diese Angst im Laufe der Zeit immer mehr zu. Deshalb ist der Patient auch immer in Begleitung seines eigenen Arztes gereist. Er fürchtete sich einfach vor dem Ausbruch irgendeiner Krankheit oder vor einem möglichen Unfall. Aus diesem Grund kann ich den Patienten vollkommen verstehen, und ich kann mir auch vorstellen, wie ihm zumute sein mußte, als sein persönlicher Arzt es zuließ, daß er unvermittelt krank wurde. Was allerdings die Tatsache betrifft, daß er seinen Arzt verschlungen haben soll ...« »Sie stehen also auf seiner Seite«, brummte Major O'Mara.
»Er könnte unter Umständen auf Notwehr plädieren«, entgegnete Conway. »Ich habe bereits angeführt, daß er sich vor dem Tod fürchtete, und deshalb war er ständig auf der Suche nach einem besseren und tüchtigeren Arzt, dem er sein Leben anvertrauen könnte. – Oh!« »Was, oh?« fragte O'Mara. Prilicla mit der sensitiven Empfangseinrichtung für mentale Ausstrahlungen aller Art, schaltete sich ein. »Dr. Conway hatte gerade eine Idee.« »Was für eine, junger Freund? Halten Sie doch nicht so damit hinter dem Berg!« O'Maras Stimme hatte jetzt den gütigen, väterlichen Tonfall verloren. »Was ist mit dem Patienten los?« Conway durchmaß den Raum und wandte sich dem kombinierten Nachrichtengerät zu, um eine ganze Anzahl vollkommen ungewöhnlicher Instrumente zu bestellen. Dann überzeugte er sich vorsorglich noch einmal, daß der Patient vollkommen fest angebunden und unfähig war, auch nur einen Muskel zu bewegen. »Meiner Ansicht nach ist der Patient in Wirklichkeit vollkommen gesund, und wir haben uns von psychologischen und sonstigen Mutmaßungen auf den Holzweg führen lassen«, sagte er. »Sein Zustand wird von irgend etwas verursacht, das er gegessen hat.«
»Ich hatte bereits eine Wette mit mir selbst abgeschlossen, daß Sie so etwas im Laufe der Zeit anführen würden«, brummte O'Mara. Die angeforderten Instrumente trafen ein; in erster Linie bestanden sie aus einem langen Holzstab, der an einem Mechanismus befestigt war, so daß er nach Belieben geschwenkt werden konnte. Mit Unterstützung des Tralthaners brachte Conway das Instrument in die erforderliche Lage. Er setzte es an der Stelle an, wo sich die lebenswichtigen Organe des Patienten befanden, schaltete dann eine Geschwindigkeit ein, die den Holzstab etwa fünf Zentimeter pro Stunde vortreiben würde. »Was zum Teufel, hat das zu bedeuten?« rief O'Mara. »Halten Sie den Patienten etwa für einen Vampir oder dergleichen?« »Natürlich nicht«, gab Conway zurück. »Ich benutze einen Holzstab, um dem Patienten die Möglichkeit zur Verteidigung zu geben. Schließlich könnte er sich gegen einen Stahlstab kaum zur Wehr setzen, nicht wahr?« Er gab dem Tralthaner ein Zeichen, und sie beugten sich gemeinsam über die Stelle, an der der Stab in den Körper des EPLH eindrang. Prilicla erstattete jede Minute Bericht über die Ausstrahlungen des Patienten, während O'Mara vor sich hinbrummend im Raum auf und ab schritt.
Die Spitze des Holzstabes hatte die Haut etwa in Fingerstärke durchdrungen, als Conway die Veränderung der Hautschichten feststellte. Unter der Haut bildete sich eine weiche Masse in der Art von Gelantine, und innerhalb von etwa zehn Minuten wurde aus dieser Masse eine harte, knochenartige Platte. Der Holzstab begann sich unter dem Druck des Widerstandes zu biegen. »Ich würde sagen, die gesamte Gegenwehr hat sich nunmehr auf diesen einzigen Punkt konzentriert«, murmelte Conway. »Deshalb wollen wir ihn gleich entfernen.« Wieder mit Unterstützung des Tralthaners setzte Conway das Skalpell an und schnitt die harte Platte aus, um sie sofort in eine sterile Schüssel zu legen. Dann brachte Conway sofort eine Injektion an, deren Dosis nicht so stark wie die vorhergehende war und half dem Tralthaner bei der Versorgung der Wunde des Patienten. Das war eine reine Routineangelegenheit und dauerte knapp fünfzehn Minuten. Es konnte nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß der Patient auf diese Behandlung vollkommen ansprach. Chefpsychologe O'Mara drängte auf eine sofortige Erklärung, und der Tralthaner gratulierte Conway zu dem Erfolg seiner Behandlungsmethode. »Sie haben eine volle Heilung erzielt, Doktor«, sagte Prilicla. »Aber die Angst des Patienten hat sich in-
zwischen verstärkt und ist mittlerweile geradezu panisch geworden.« Conway schüttelte lächelnd den Kopf. »Der Patient steht unter dem Einfluß einer schweren Narkose und kann somit nichts fühlen. Immerhin will ich gern einräumen«, fügte er mit einer Kopfbewegung auf den sterilisierten Behälter zu, »daß sich sein persönlicher Arzt in einem nicht gerade beneidenswerten Zustand befindet.« Die in dem Behälter liegende harte Platte war inzwischen ein wenig aufgeweicht, und an der Seite floß eine schwachrötliche Flüssigkeit hinab. Diese Flüssigkeit bewegte sich am Boden des Behälters, als würde sie den Befehlen eines eigenen Geistes folgen. In der Tat verhielt es sich auch so. Conway befand sich in O'Maras Büro und beendete seinen mündlichen Bericht über den EPLH-Patienten, und der Major stellte ihm eine ganze Reihe von harten Fragen. Aber das war nun mal die Art des Chefpsychologen. Er strahlte nur dann gütiges Verständnis aus, wenn es wirklich um das Leben eines Patienten ging. »Eine intelligente Lebensform von Zellenkonstruktionen mit mikroskopischer Größe stellt natürlich den besten Arzt dar, den man sich überhaupt vorstellen kann«, sagte Conway. »Ein solches Wesen lebt im Körper des Patienten und kann von hier aus alle etwa
auftretenden Krankheiten oder organischen Funktionsstörungen kontrollieren. Einem Lebewesen, das in ständiger, pathologischer Angst vor dem Tode schwebt, muß ein solcher Zustand geradezu ideal erscheinen. Das war er auch in der Tat, denn die plötzliche Schwierigkeit des Patienten war eigentlich kein Fehler dieses inneren Arztes, sondern beruhte auf der psychologischen Verfassung des Patienten. Meiner Ansicht nach hat sich der Patient im zu frühen Entwicklungsstadium bereits den Verjüngungsmethoden unterzogen, anstatt damit bis zum mittleren oder hohen Lebensalter zu warten. Bei der nunmehrigen Gelegenheit jedoch vergaß er die erforderlichen Maßnahmen, vielleicht aus Sorglosigkeit oder weil er durch irgendein dringendes Problem abgelenkt war. Jedenfalls setzte unvermittelt der Altersprozeß ein und rief die Krankheitserscheinungen auf seiner Haut hervor. Nach Aussage unserer pathologischen Abteilung handelt es sich dabei um eine Erkrankung, die wahrscheinlich bei dieser betreffenden Rasse vollkommen normal ist. Somit müßte nach Entfernung der betreffenden Hautstellen alles wieder in Ordnung sein. Durch die vorgenommenen Verjüngungsmaßnahmen, die natürlich auch das Erinnerungsvermögen beeinflussen, wußte unser Patient jedoch nichts von dieser Tatsache, und somit konnte auch sein persönlicher Arzt nichts davon ahnen.
Dieser persönliche, im Körper seines Patienten wohnende Arzt wußte natürlich nur sehr wenig über dessen medizinische Lebensgeschichte, und er mußte seine Hauptaufgabe darin sehen, den Status quo seines Patienten unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Wenn sich vom Körper des Patienten Teile oder Partikel zu lösen drohten, versuchte er mit aller Kraft, diese zu halten, da er ja nicht ahnte, daß es sich dabei um einen vollkommen normalen Vorgang handelte. Und so muß ein gewisser Kampf zwischen Arzt und Patient eingetreten sein, wobei schließlich dem Arzt keine andere Wahl blieb, als das Bewußtsein des Patienten auszuschalten. Als wir die Injektionen vornahmen, wurden diese von dem Arzt sofort neutralisiert, denn es war ja eine fremdartige Substanz, die da in den Körper des Patienten eingeführt wurde. Sie wissen selbst, Major, was geschah, als wir die Hautstellen chirurgisch entfernen wollten. Erst als wir mit Hilfe des Holzstabes die lebenswichtigen Organe des Patienten bedrohten, zwangen wir den Arzt, an dieser betreffenden Stelle in Erscheinung zu treten. Ich schlage vor, daß der EPLH seinen persönlichen Arzt zurück erhält. In pathologischer Beziehung ist alles aufgeklärt, und der EPLH möchte seinen Arzt gewiß auch nicht missen.« O'Mara lächelte. »Dabei habe ich mir Sorgen gemacht, was dieser
Patient wohl alles anstellen könnte, wenn er erst wieder zu Bewußtsein kommt. Nun, er ist tatsächlich ein freundlicher und liebenswürdiger Typ – geradezu charmant.« Conway stand auf und wandte sich der Tür zu. »Das kommt daher, weil er ein so guter Psychologe ist. Er behandelt alle Leute jederzeit äußerst liebenswürdig ...« Es gelang ihm gerade noch, die Tür ins Schloß zu ziehen, bevor O'Mara losschimpfen konnte.
5 Nach einiger Zeit wurde der EPLH-Patient, dessen Name Lonvellin lautete, aus dem Weltraumkrankenhaus entlassen, und bei Conway, der sich um eine Vielzahl der verschiedenartigsten Lebewesen zu kümmern hatte, verblaßte langsam die Erinnerung an ihn. Er wußte nicht, ob der EPLH in seine eigene Welt zurückgekehrt war oder ob er sich noch immer auf der Suche nach irgendeinem Planeten befand, auf dem er eine gute Tat verrichten könnte. Es stellte sich bald heraus, daß das Kapitel zwischen Conway und dem EPLH noch nicht abgeschlossen war. »Wie würde es Ihnen gefallen, Doktor, unser Hospital auf ein paar Monate zu verlassen?« fragte O'Mara, der Conway in sein Büro bestellt hatte. »Es handelt sich dabei eigentlich mehr um eine Art Urlaub.« Conway spürte seine innere Unsicherheit wachsen, bis sie fast das Stadium eines panischen Entsetzens erreicht hatte. Aus zwingenden, persönlichen Gründen lag ihm im Augenblick gar nichts daran; das Hospital zu verlassen. Der Chefpsychologe hob den Kopf und musterte Conway mit einem Blick seiner grauen Augen, die so durchdringend waren, daß sie die fast telepathische Fähigkeit zu besitzen schienen, jeden einzelnen Ge-
danken genau analysieren zu können. »Sie brauchen sich nicht besonders bei mir zu bedanken«, sagte er trocken. »Schließlich ist es Ihr eigener Fehler, wenn Sie solche mächtigen und einflußreichen Patienten heilen.« Er legte eine kurze Pause ein. »Es handelt sich um eine große Aufgabe, Doktor, aber sie wird wohl in erster Linie aus verwaltungstechnischen Punkten bestehen. Unter normalen Umständen wäre sie deshalb einem Arzt übertragen worden, der kaum das Examen hinter sich hat. Der EPLH Lonvellin beschäftigt sich gerade mit einem Patienten, der dringend ärztlicher Hilfe bedarf. Lonvellin hat die Hilfe des Hospitals angefordert, und er hat ausdrücklich ersucht, daß Sie die Leitung der Hilfsmaßnahmen übernehmen. Offensichtlich ist für die Durchführung dieser Aufgabe keine besondere Intelligenz erforderlich ...« »Zu freundlich, Sir«, brummte Conway. O'Mara grinste herausfordernd. »Ich habe Ihnen doch schon wiederholt erklärt, daß meine Aufgabe in diesem Hospital darin besteht, die Fähigkeiten eines jeden Mitarbeiters richtig abzuschätzen. Damit kommen wir also zu dem Bericht über die vorhandene Situation ...« Er schob Conway über den Schreibtisch hinweg ein Aktenbündel zu und stand auf.
»Sie können die entsprechenden Einzelheiten des Berichts an Bord des Raumschiffes studieren. Um 21.30 Uhr haben Sie sich jedenfalls an Luftschleuse 16 einzufinden, um das Raumschiff Vespanian zu besteigen, und ich kann mir vorstellen, daß Sie in der Zwischenzeit noch ein paar Vorbereitungen zu treffen haben. Sehen Sie mich, um Himmels willen, nicht so an, als wären plötzlich alle Ihre teuren Verwandten gestorben, Conway. Höchstwahrscheinlich wird sie auf Sie warten. Sollte das jedoch nicht der Fall sein, nun, dann bleiben Ihnen noch immer zweihundertsiebzehn andere weibliche DBGDs, denen Sie nachlaufen können. Leben Sie wohl und viel Glück, Doktor!« Auf dem Korridor überlegte Conway, wie er seine Zeit am besten einteilen könnte. In zehn Minuten mußte er einer frisch eingetroffenen Gruppe von Studenten eine Einführung geben, und es war entschieden zu spät, diese Aufgabe auf einen anderen Stationsarzt abzuwälzen. Damit waren drei der sechs ihm verbleibenden Stunden ausgefüllt. Dann hatte er noch die entsprechenden Anweisungen bezüglich der Patienten in seiner Station zu treffen. Kopfschüttelnd eilte er auf Luftschleuse 7 im 108. Stockwerk des Hospitals zu. Vor der Tür des großen Vortragssaales blieb er stehen und betrachtete die heranströmenden Studenten.
Zunächst kamen zwei kelgianische DBLFs, die wie riesige, mit einem Silberpelz überzogene Raupen aussahen. Dann folgte ein PVSJ von Illensa, dessen zerbrechliche Gestalt in eine Chlorwolke gehüllt war. Weiter folgte ein im Wasser lebendes achtfüßiges Wesen von Creppelian von der Klassifizierung AMSL, aus dessen mit Wasser gefülltem Raumanzug blubbernde Geräusche kamen. Hierauf kamen fünf AACPs, deren weit zurückliegende Vorfahren zu einer Art beweglicher Pflanzenwesen gehört hatten. Sie bewegten sich im Schneckentempo und schienen keines anderen Schutzes zu bedürfen als des CO-Tanks, den sie bei sich trugen. Den Schluß bildete ein weiterer Kelgianer. Als sie allesamt den Vortragssaal betreten hatten und die Luftschleuse hinter ihnen geschlossen war, trat Conway ans Pult. Er stellte sich zunächst vor und hieß seine neuen Kollegen hier willkommen. Dann schob er eine Bemerkung ein, die sich auf die einzelnen Übersetzergeräte bezog, und er riet allen Studenten im Interesse einer reibungslosen Verständigung, daß immer nur ein einziger sich zu Wort meldete, um die Geräte in ihrer Kapazität nicht zu überlasten. »Zunächst werden wir die Aufnahmeräume für neu eingetroffene Patienten besuchen«, fuhr Conway fort. »Dann werden wir eine Besichtigung der einzel-
nen Stationen vornehmen, soweit sich das mit den Gegebenheiten vereinbaren läßt. Es steht Ihnen natürlich jederzeit frei, irgendwelche Fragen zu stellen. Auf den Korridoren werden wir vielen eigenartigen Lebewesen begegnen. In unserem Hospital herrscht ein gewisses System bezüglich des Verhaltens zwischen jüngeren und älteren Mitgliedern unseres Stabes, und im Laufe der Zeit werden Sie sich an dieses System gewöhnen. Im Augenblick genügt es jedoch vollkommen, wenn Sie eine einzige Regel beherzigen: falls das Ihnen entgegenkommende Wesen größer ist als Sie, dann müssen Sie ihm Platz machen.« Daraufhin schlug Conway den Weg zu den Aufnahmeräumen für neu eingetroffene Patienten ein. Die Gruppe folgte ihm. Sie erreichten zunächst die Aufnahmestation für Lebewesen mit Wasseratmung. Im danebenliegenden Umkleideraum überwachte Conway die beiden Kelgianer beim Anlegen der entsprechenden Schutzanzüge, und dann schlüpfte er selbst in die erforderliche Ausrüstung. Die AACPs erklärten, daß sie infolge ihres pflanzlichen Ursprungs längere Zeit unter Wasser verbringen könnten, ohne dabei den geringsten Schaden zu nehmen. Für den Illensaner bedeutete es keinen Unterschied, ob er seinen erforderlichen Sauerstoff aus der Luft oder aus dem Wasser bezog. Der Creppelianer jedoch
war ein typisches Wasserwesen, und er bat um Erlaubnis, seinen Schutzanzug abzunehmen. Er erwähnte dabei, daß er letzten Endes acht Füße hätte, die bislang in dem Raumanzug eingezwängt gewesen waren und nun endlich mal gestreckt werden müßten. Conway lehnte jedoch ab, indem er erklärte, daß sie sich höchstens fünfzehn Minuten im Wasser befinden würden. Die Schleuse zu der großen AUGL-Station öffnete sich. Es war ein riesiges Bassin von zweihundert Meter Tiefe und fünfhundert Meter Länge, das bis zum Rand mit grünlich schimmerndem Wasser gefüllt war. Conway trieb seine Zöglinge durch die Schleuse ins Bassin. Unvermittelt kam ein AUGL-Patient auf sie zu; es war ein mit vierzig Füßen ausgestattetes, fischartiges Wesen. Unmittelbar vor der Gruppe hielt es an. »Studenten!« rief dieses von Chalderescol II stammende Wesen verächtlich und schwamm wieder davon. Derartige Wesen waren besonders im Genesungszustand recht niederträchtig. Conway wußte das – aber der Zwischenfall trug nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben. Es schienen viel mehr als fünfzehn Minuten vergangen zu sein, als sich die Gruppe endlich wieder auf dem Korridor versammelte.
»Etwa dreihundert Meter weiter hinten liegt auf diesem Korridor der Eingang zu einer weiteren Zugangsstation, und die Anzüge für Wasserschutz sind abzulegen.«
6 Durch die dicke Glaswand war die große, weiträumige Aufnahmestation zu sehen, in der sich drei große, mit Kontrollinstrumenten versehene Tische befanden; im Augenblick war jedoch nur einer dieser Tische besetzt. Dahinter hockte ein Nidianer, ein kleines, menschenähnliches Wesen mit sieben Fingern an den Händen und einer rötlichen, fellartigen Haut. Das Licht des Kontrolltisches zeigte an, daß sich ein näherkommendes Raumschiff gemeldet hatte. »Zuhören!« befahl Conway seinen Zöglingen. »Ich bitte um Identifikation«, sagte der rötliche Teddybär mit seiner harten Stakkato-Stimme in einer Sprache, die durch die Translatoranlagen sofort übersetzt wurde. »Sind Sie Patient, Besucher, oder gehören Sie zum Stab?« »Pilot mit einem Passagier an Bord«, kam die Antwort. »Beides Erdenmenschen.« Eine kurze Pause trat ein. »Geben Sie bitte Ihre physiologische Klassifikation an oder schalten Sie das kombinierte Fernsehgerät ein, damit Sie zu erkennen sind«, sagte der Nidianer, indem er den Studenten hinter der Glaswand zuzwinkerte. »Alle intelligenten Rassen bezeichnen sich selbst als Menschen und die Angehörigen anderer
Rassen als minderwertige Wesen. Schließlich müssen wir die Vorbereitungen zur Aufnahme des Patienten treffen ...« Conway schaltete den Lautsprecher aus. »Es ist wohl an der Zeit, Ihnen das System unserer physiologischen Klassifikation zu erklären. Im Augenblick will ich nur kurz darauf eingehen, denn die erforderlichen Einzelheiten lernen Sie später noch kennen.« Er hielt inne und räusperte sich. »Die Einteilung erfolgt, wie Ihnen ja bereits bekannt ist, durch vier große Buchstaben, von denen der erste die physiologische Entwicklungsstufe angibt. Der zweite bezieht sich auf die Art und Verteilung der einzelnen Körperglieder und Sinnesorgane. Die beiden letzten Buchstaben entsprechen den vorhandenen Gravitationsverhältnissen und geben somit einen wichtigen Hinweis auf die erforderlichen Schutzmaßnahmen. In diesem Zusammenhang muß ich jedoch erwähnen, daß niemand von Ihnen einen etwaigen Minderwertigkeitskomplex zu bekommen braucht, denn diese Einteilung nach rein physiologischen Gesichtspunkten hat nichts mit der vorhandenen Höhe der Intelligenz zu tun.« Alle Wesen mit den ersten drei Buchstaben des Alphabets, erklärte er, waren Wasserwesen. In den meisten solaren Systemen der Galaxis waren die Lebewe-
sen aus dem Wasser hervorgegangen, und sie hatten eine beachtlich hohe Entwicklungsstufe erreicht, ohne ihr eigentliches Element je zu verlassen. D und F war die Bezeichnung für warmblütige Wesen, die Sauerstoff atmeten; G und K gehörten zur Gruppe der Insekten, während L und M mit Flügeln ausgestattete Wesen von niederer Gravitationsquote waren. Die Gruppe der O und P bestand aus Wesen, die Chlordämpfe atmeten, und danach kamen alle jene Typen von exotischer Art und kaltem Blut, die die Fähigkeit besaßen, ihr Aussehen je nach Wunsch zu verändern. Ein V erhielten alle jene, die weder Füße noch Flügel brauchten, um sich zu bewegen. Im Verlauf seiner Erklärungen räumte Conway ein, daß die einzelnen Bezeichnungen vielleicht nicht in jedem Fall gerechtfertigt waren, aber das lag eben an der beschränkten Vorstellungskraft jener, die dieses System der Einteilung erfunden hatten. Ein typisches Beispiel dafür waren die anwesenden AACPs, die ihrer Herkunft nach zu der Gruppe der Pflanzenwesen gehörten. Pflanzen rangierten jedoch vor Fische, und somit traf die erfolgte Bezeichnung den Nagel ganz und gar nicht auf den Kopf. »Größter Wert wird auf die sofortige und genaue Klassifikation eines eintreffenden Patienten gelegt, denn oftmals ist dieser infolge der Umstände nicht in der Lage, von sich aus eine solche Klassifikation an-
zugeben«, fuhr Conway fort. »Somit ist anzustreben, daß Sie die entsprechende Klassifikation eines frisch eintreffenden Patienten innerhalb von wenigen Sekunden vornehmen können. Aber genug davon, denn jetzt wollen wir unsere Aufmerksamkeit wieder der Zugangsstation zuwenden.« Über dem Schalttisch waren drei große Bildschirme erleuchtet. Einer davon zeigte das Innere der Luftschleuse 3, in der zwei Krankenwärter der Erde mit einer langen Tragbahre zu sehen waren. Diese Krankenwärter waren mit breiten Gürteln ausgerüstet, die es ihnen ermöglichten, sich durch eine einfache Schaltung den jeweils erforderlichen Verhältnissen der Gravitation anzupassen. Auf dem zweiten Bildschirm war die Außenseite der Luftschleuse mit ihrem Mechanismus zu sehen, und der dritte schließlich übertrug die Innenansicht des eintreffenden Raumschiffes mit dem zu erwartenden Patienten. »Sie sehen, daß es sich um ein recht schwerfälliges Lebewesen mit sechs Gliedmaßen handelt, die gleichzeitig als Arme oder Füße zu gebrauchen sind. Die Haut ist ziemlich dick, sehr zäh und stellenweise von brauner Färbung, woraus zu entnehmen ist, daß sie sich mitunter von selbst ablöst. Achten Sie besonders auf die Tatsache, daß es sich um ein Wesen handelt, das mit warmem Blut ausgestattet ist und Sauerstoff
atmet. Möchte jemand von Ihnen den Versuch unternehmen, dieses Wesen nach der angeführten physiologischen Klassifikation in die betreffende Gruppe einzureihen?« Langes Schweigen folgte seinen Worten. Schließlich zuckte der Creppelianer mit einem seiner Greifarme. »FROL, Sir«, sagte er. »Recht gut getroffen«, lobte Conway. »Allerdings ist mir die Tatsache bekannt, daß dieses Wesen in einer suppenartigen Atmosphäre lebt, aus der es auch seine Nahrung bezieht. Anscheinend ist es Ihnen entgangen, daß ihm Eßorgane fehlen und es somit die Nahrung unmittelbar durch die Hautöffnungen und Poren aufnimmt. Wenn sich dieses Wesen jedoch auf einer Fahrt durch den Weltraum befindet, muß es gewissermaßen künstlich ernährt werden, und dabei wird ihm eine bräunliche Flüssigkeit auf die Haut gestrichen ...« »FROB, Sir«, sagte der Creppelianer schnell. »Richtig.« Conway fragte sich unwillkürlich, ob der AMSL nun eigentlich intelligenter oder nur vorlauter war als seine Kollegen. Er nahm sich vor, dieses Wesen besonders im Auge zu behalten, denn er brauchte einen guten Assistenten für seine eigene Station. Er winkte dem rötlichen Teddybären zum Ab-
schied zu, versammelte seine Schäfchen wieder um sich und schlug den Weg zur fünf Stockwerke tiefer gelegenen FGLI-Aufnahmestation ein. Danach besuchte die Gruppe fünf weitere Zugangsstationen, und hierauf folgte eine allgemeine Besichtigung des Weltraumkrankenhauses, in dem sowohl als Pflegepersonal wie auch als Patienten die mannigfaltigsten Lebewesen zu finden waren. Schließlich meldete sich bei Conway der Hunger, und er führte seine Schützlinge in die entsprechenden Speiseräume. AACPs nahmen ihre Nahrung nicht auf normale Weise zu sich, sondern legten sich auf dem besonders dazu vorbereiteten Fußboden zur Ruhe und nahmen dabei unbewußt die Nahrung auf. Anschließend brachte Conway die PVSJs in die von trübem Licht erfüllte Halle, in der alle Chlordämpfe atmenden Wesen aßen, und damit verblieben ihm nur noch die DBLFs und der AMSL. Nachdem auch die beiden Kelgianer an einem Tisch ihrer eigenen Artgenossen untergebracht waren, warf Conway einen sehnsüchtigen Blick auf die Abteilung für Erdenmenschen, dann nahm er sich des Creppelianers an. Um die Spezialabteilung der Wasserwesen zu erreichen, bedurfte es eines fünfzehn Minuten langen Weges über die am meisten bevölkerten Korridore
des Hospitals. Hier begegneten sie einer Vielzahl fremdartiger Wesen, die manchmal an ihnen vorüberflogen, schwirrten oder auch gingen. Conway war den Anblick all dieser mannigfaltigen Lebensformen in all ihren Größen und Absonderlichkeiten gewöhnt – aber der achtfüßige Creppelianer blieb hin und wieder unvermittelt stehen, weil er augenscheinlich Furcht hatte, eine weitere Bewegung zu machen. Dabei verstärkte sich auch das aus seinem Raumanzug kommende blubbernde Geräusch. Conway bemühte sich, den AMSL zu beruhigen, indem er sich nach seinen medizinischen Erfahrungen erkundigte, aber er hatte damit wenig Erfolg. Als sie in einen anderen Korridor einbogen, erblickte er plötzlich seinen alten Freund Prilicla, der aus einer Station kam. Der AMSL stieß einen schrillen Schrei aus, und seine acht Füße schalteten urplötzlich den Rückwärtsgang ein. Einer dieser Füße traf Conways Rücken, und die Wucht des Schlages drückte ihn zu Boden. Das achtfüßige Wesen krabbelte weiter schreiend den Korridor hinunter. »Was, zum Kuckuck ...«, brummte Conway. »Es ist einzig und allein mein Fehler, denn ich habe dieses Wesen erschreckt«, sagte Prilicla. »Haben Sie sich etwa verletzt, Doktor?« »Sie haben es erschreckt?«
Die zarte, spinnenartige Kreatur aus dem CinrossSystem entschuldigte sich weiterhin. »Ja, das befürchte ich. Das Zusammentreffen eines Momentes der Überraschung und der von Natur aus üblichen Angst vor Wesen meiner Art haben zu dieser Katastrophe geführt. Der AMSL ist sehr verängstigt, aber seine Empfindungen liegen gerade noch im Bereich der Vernunftausstrahlungen. Sind Sie verletzt, Doktor?« »Nur in psychologischer Hinsicht«, brummte Conway, indem er sich hochrappelte und die Verfolgung des Creppelianers aufnahm, von dem nichts mehr zu sehen und zu hören war. Es stellte sich einwandfrei heraus, daß man sich auf zwei Füßen schneller bewegen konnte als auf acht, denn im Zeitraum von wenigen Sekunden hatte Conway den AMSL eingeholt. Als er ihn jedoch erreichte, flüchtete dieser im letzten Augenblick durch die offene Tür in einen Vorratsraum. Conway blieb unvermittelt stehen und trat dann ebenfalls über die Schwelle. »Warum sind Sie eigentlich geflüchtet?« fragte er so ruhig wie möglich. Der AMSL sprudelte einen Wortschwall hervor. Das Gerät der Übersetzungsanlage konnte die in der Stimme und im Tonfall liegenden Empfindungen natürlich nicht wiedergeben, aber Conway erkannte an
allen Anzeichen, daß sich der Creppelianer in einem hysterischen Zustand befand, und daß Prilicla seine Empfindungen richtig gedeutet hatte. Unwillkürlich mußte er daran denken, wie O'Mara wohl auf einen solchen Zwischenfall reagieren würde. Ganz bestimmt würde der Chefpsychologe nicht verstehen können, daß ein immerhin recht kräftiges Wesen wie dieser achtfüßige Creppelianer vor einer so zerbrechlich wirkenden Gestalt wie Prilicla die Flucht ergriff. Nachdem der Wortschwall des AMSL verklungen war, hob Conway die Hand. »Ich merke schon«, sagte er, »daß Dr. Priliclas äußere Erscheinung Sie an irgendein Tier erinnert, das Ihnen vielleicht in Ihrer Jugend mal einen Schreck eingejagt hat, und dadurch ist in Ihnen eine tief verwurzelte Abneigung gegen alle derartigen Wesen entstanden, aber Dr. Prilicla ist nun mal kein Tier, und die Ähnlichkeit ist rein äußerlicher Natur. Außerdem dürfte ein solches Wesen kaum eine Bedrohung für Sie darstellen, denn Sie könnten es ja mit Ihrer überlegenen Kraft jederzeit vernichten. Würden Sie nun, nachdem ich Ihnen das alles erklärt habe, bei einer erneuten Begegnung mit Dr. Prilicla noch einmal die Flucht ergreifen?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte der Creppelianer. »Es könnte jedenfalls sein.«
»Ich glaube, Sie brauchen wohl psychiatrische Unterstützung, Doktor«, sagte er behutsam zu dem Creppelianer. »In dieser Beziehung dürfen Sie in jedem Fall mit der Hilfe unseres Chefpsychologen rechnen. Allerdings möchte ich Ihnen raten, ihn nicht sofort aufzusuchen. Verbringen Sie erst einmal eine Woche in unserem Hospital und versuchen Sie sich ein bißchen einzugewöhnen, ehe Sie sich an ihn wenden.« Nachdem Conway dem achtfüßigen Wesen erklärt hatte, daß Dr. Prilicla zur Zeit der einzige GLNO im Hospital war und daß sie sich in Zukunft wahrscheinlich kaum noch begegnen würden, war es bereit, den Vorratsraum zu verlassen. Zehn Minuten später war der Creppelianer zum Essen in seinem Tank untergebracht, und Conway eilte in den Speisesaal.
7 Ein glücklicher Zufall fügte es, daß Conway im Speisesaal einen freien Platz an Dr. Mannens Tisch fand. Dr. Mannen war als irdischer Arzt einst Conways Lehrer und Vorgesetzter gewesen, und nun ging er bereits dem Ende seiner Karriere entgegen. Wegen seiner unbestreitbaren Verdienste hatte er sich schon eine stattliche Anzahl von Auszeichnungen und Orden verdient, aber im Grunde genommen gab er auf diese Äußerlichkeiten nicht viel. Im Augenblick stocherte er in seinem Salat herum, und seine Augen waren gegen die Decke des Speisesaals gerichtet. Conway setzte sich an den Tisch und schnalzte verständnisvoll mit der Zunge. »Ich hatte heute nachmittag zwei langwierige Aufgaben mit einem Tralthaner und einem LSVO«, brummte Dr. Mannen unwirsch. »Sie wissen ja selbst, wie das so geht. Ich habe zu lange und stark in ihrer Art zu denken versucht. Wenn diese verwünschten Tralthaner nur keine Vegetarier wären und die LSVOs auch mal etwas anderes als ihr verdammtes Vogelfutter äßen, dann wäre ja alles halb so schlimm. Sind Sie heute in Ihren Gedankengängen auch ein anderes Wesen?«
Conway schüttelte den Kopf. »Nein. Haben Sie etwas dagegen einzuwenden, daß ich mir ein saftiges Steak bestelle?« »Nein, aber sprechen Sie möglichst wenig darüber.« »Einverstanden.« Conway kannte die psychologischen Probleme eines Arztes, der sich in die Gedanken eines fremdartigen Wesens versetzen mußte, nur zu gut. Er erinnerte sich lebhaft daran, wie er sich vor etwa drei Monaten hoffnungslos in ein weibliches Wesen von Melf-IV verliebt hatte. Die Melfaner waren ELNTs mit sechs Füßen und hatten viel Ähnlichkeit mit Krabben. Obgleich Conways kühler Verstand die ganze Angelegenheit als lächerlich bezeichnete, sah er in diesem Wesen eine Art Weltwunder, und er kam sich vor wie ein Hund, der nachts den Mond anbellte. Mit der Physiologie war es natürlich immer so eine Sache – aber in einem Weltraumkrankenhaus mit seinen vielen verschiedenartigen Wesen konnte man auf diese Wissenschaft nicht verzichten. Als Unterlage waren eine Vielzahl von Erinnerungsbändern vorhanden, auf denen die Erkenntnisse und Erfolge berühmter Wissenschaftler verzeichnet waren. Diese Bänder wurden sorgfältig aufbewahrt und immer wieder herangezogen, sobald sie als erforderlich erschienen.
Conway brach seine Überlegungen ab und kehrte in die Gegenwart zurück. »Es ist schon eine merkwürdige Sache mit diesem Salat«, sagte Dr. Mannen, dessen Blick nach wie vor gegen die Decke des Raumes gerichtet war. »Das Zeug wirkte auf das Auge recht gut – aber der Geschmack ist einfach scheußlich. Es gibt wirklich nur wenige Wesen der Galaxis, die eine besondere Leidenschaft dafür entwickeln. Da wir gerade über das Thema Leidenschaft sprechen ... wie steht es eigentlich zwischen Ihnen und Schwester Murchison?« »Wenn es meine Zeit gestattet, werde ich sie heute abend noch sehen«, antwortete Conway zurückhaltend. »Im Grunde genommen sind wir ja nur gute Freunde.« »Haha!« meckerte Dr. Mannen. Conway wechselte ebenso abrupt das Thema, wie es sein Tischpartner zuvor getan hatte, und er sprach von seiner neuesten Aufgabe. Dr. Mannen war ein ausgezeichneter Arzt, aber zuweilen konnte er einem wirklich auf die Nerven gehen. Immerhin gelang es Conway, für die restliche Dauer der Mahlzeit das Thema »Schwester Murchison« zu vermeiden. Unmittelbar nach dem Verlassen des Speisesaals ging Conway zum Ärztezimmer der Station, um seine aus vielen Rassen bestehenden Kollegen über den Ausbildungsstand der Studentengruppe zu informie-
ren, und dann warf er einen Blick auf die Uhr. Bis zum Besteigen der Vespanian blieb ihm nicht mehr viel Zeit, und er schlug beim Durchqueren der Korridore ein Tempo an, das eines Arztes seiner Dienstjahre eigentlich unwürdig war. »Erholungszentrum für Klassifikationen DBDG, DBLF, ELNT, GKNM und FGLI« stand auf dem großen Schild über dem Eingang. Conway betrat den Umkleideraum, legte die Arztkleidung ab, streifte eine kurze Badehose über und begab sich auf die Suche nach Schwester Murchison. Versteckt angebrachte Lichtquellen machten diesen Raum wesentlich größer als er in Wirklichkeit war. Der Blick fiel auf einen von zwei Felsenklippen eingerahmten Meeresstrand, und das blaue Wasser verschwand im weiten Hintergrund des Horizontes, der in dichten Nebel gehüllt war. Ein klarer, blauer Himmel spannte sich über dieser Szene, und die Temperatur entsprach etwa den Verhältnissen an einem irdischen Strand. In leichten Wellen plätscherte das Wasser gegen den Strand, und nur das Licht der künstlichen Sonne, das nach Conways Geschmack ein wenig zu rötlich war, überstrahlte dieses anmutig wirkende Panorama. Immerhin war die Galaxis ein großes und weitverzweigtes Ding, und die Wesen, die hier in enger Zusammenarbeit lebten, sollten auch an eine gemeinsam zu verbringende Freizeit gewöhnt werden.
Die wirksamste Maßnahme war, wenn auch unsichtbar für das Auge, die Tatsache, daß an diesem künstlich geschaffenen Meeresstrand nur die Hälfte der Gravitation der Erde herrschte. Das bedeutet, daß Menschen, die oftmals ermüdet herkamen, hier sofort wieder lebendig wurden – und jene, die von Natur aus lebendig waren, schäumten hier geradezu über. Conway setzte sich auf den weichen, gelben Sand, und im nächsten Augenblick umspielte eine heranbrausende Welle seine Knie. Hier herrschte zu allen Zeiten ein recht turbulentes Treiben. Nach wenigen Minuten erklomm Conway eine der beiden Felsenklippen und versuchte von hier aus die weibliche Gestalt eines DBDG in einem weißen Badeanzug zu entdecken. Schwester Murchison war weder im Restaurant der Klippe, am langgestreckten Strand noch in den Fluten zu erspähen. Die Suche nach ihr bereitete Conway aber keine besonderen Schwierigkeiten. Unvermittelt fiel sein Blick auf etwas Weißes, das zum Teil von gelben und grünlichen Farbtönen verdeckt war, und er wußte sogleich, daß dies Schwester Murchison sein mußte. Als Conway auf die betreffende Stelle zukam, zogen sich zwei Angehörige des Monitor-Korps und ein Stationsarzt vom siebenundachtzigsten Stockwerk nur widerwillig zurück.
»Es tut mir leid, daß ich mich ein wenig verspätet habe«, sagte Conway, indem er sich krampfhaft bemühte, den erregten Tonfall seiner Stimme zu dämpfen. Schwester Murchison schirmte die Augen mit der Hand ab und schaute zu ihm auf. »Ich bin auch eben erst gekommen«, erwiderte sie lächelnd. »Warum legen Sie sich eigentlich nicht neben mich?« Conway streckte sich aus; er stützte sich auf den Ellbogen und schaute das Mädchen an. Durch die ultravioletten Strahlen der künstlichen Sonne hatte ihre Haut eine gesunde, braune Färbung angenommen, die durch den weißen Badeanzug noch betont wurde. Ihr kastanienbraunes Haar wehte in der künstlich erzeugten Brise; sie hielt die Augen geschlossen und die Lippen leicht geöffnet. Sie atmete in tiefen, ruhigen Zügen. »Sie sehen aus«, sagte sie, indem sie langsam die Augen aufschlug, »wie ein Wesen, das tief in der Kehle knurren und sich die Hand auf die frischrasierte Männerbrust schlagen möchte.« »Sie ist nicht frischrasiert«, entgegnete Conway. »Sie ist einfach von Natur aus nicht behaart. Jetzt möchte ich aber mal ein paar Minuten ernst mit Ihnen reden – und zwar allein.« »Es ist mir im Grunde genommen ganz gleich, ob
eine Männerbrust nun frischrasiert ist oder nicht«, sagte sie einlenkend. »Sie brauchen sich also deswegen keine Gedanken zu machen.« »Das tue ich auch gar nicht«, gab er zurück. »Könnten wir uns nicht wirklich aus dieser Menagerie entfernen, und ... oh, hoppla! Eine Stampede!« Er legte ihr mit einer hastigen Bewegung die Hand über die Augen und schloß die eigenen. Zwei große, elefantenhaft wirkende Tralthaner kamen vorbeigetrottet, und ihre Füße wirbelten eine hohe Staubwolke auf. Als Conway sicher war, daß sich die Wolke vollkommen verteilt hatte, nahm er behutsam seine Hand von ihren Augen. »Wir werden später allein sein«, sagte Schwester Murchison jetzt lachend. »Wenn Sie mich heimbegleiten.« »Und was kommt dann?« brummte Conway finster. »Wir schleichen uns auf Zehenspitzen an Ihre Tür, um die Zimmerkollegin nicht aufzuwecken, und dann taucht dieser verwünschte Servo wieder auf.« Wütend begann Conway den mechanischen Tonfall des Roboters nachzuahmen: »Ich stelle fest, daß Sie Wesen der Klassifikation DBGD sind, und zwar verschiedenen Geschlechts. Weiterhin stelle ich fest, daß Sie während eines Zeitraumes von zwei Minuten und achtundvierzig Sekunden eine vertrauliche Haltung
eingenommen haben. In diesem Zusammenhang muß ich Sie bei allem nötigen Respekt auf Vorschrift 21, Absatz 3 hinweisen, in dem das Verhalten von männlichen Besuchern in den Quartieren von DBGDKrankenschwestern festgelegt ist ...« Schwester Murchison erstickte fast vor Lachen. »Es tut mir wirklich leid; das alles muß Sie ziemlich verwirrt haben.« Behutsam legte er die Hand um ihre Schulter. »Ja, es war verwirrend«, sagte er. »Ich habe mit Ihnen zu reden, und heute abend wird mir keine Zeit bleiben, Sie nach Hause zu begleiten. Ich möchte Ihnen ein paar ernste Fragen stellen. Unsere Freundschaft bringt mich langsam aber sicher um ...« Schwester Murchison schüttelte den Kopf. Sie nahm seine Hand von ihrer Schulter und drückte sie. »Gehen wir lieber schwimmen.« Als sie ein paar Sekunden später in die Fluten sprangen, fragte Conway sich unwillkürlich, ob dieses Mädchen nicht doch ein wenig telepathisch veranlagt war. Bei ihrem Tempo konnte man das fast annehmen. Bei diesen Gravitationsverhältnissen machte das Baden besonderen Spaß. Die Wellen stiegen hoch empor, und die einzelnen Wassertropfen schillerten rot und gelb in den Strahlen der künstlichen Sonne. Conway glitt gerade über einen hohen Wellen-
kamm, um Schwester Murchison einzuholen, als am Strand ein Lautsprecher eingeschaltet wurde. »Doktor Conway!« schallte die Stimme. »Doktor Conway möchte sich bitte bei Luftschleuse sechzehn zur Abreise einfinden!« Sie wandten sich rasch dem Strand zu. »Ich hatte keine Ahnung, daß Sie abreisen müssen«, sagte Schwester Murchison ungewöhnlich ernst. »Ich werde mich rasch umziehen und Sie begleiten.« Im Vorzimmer der Luftschleuse wartete ein Offizier der Mannschaft. »Doktor Conway?« fragte er mit einem Blick auf seine Begleiterin. »Wir starten in fünfzehn Minuten, Sir.« Mit diesen Worten zog er sich taktvoll zurück, und Conway wandte sich wieder an Schwester Murchison. Er sprach von der vor ihm liegenden wichtigen Aufgabe, obwohl er eigentlich gar nicht davon sprechen wollte. Er redete hastig und zerfahren, und als er den Offizier im Hintergrund auftauchen sah, zog er das Mädchen fest in die Arme und verabschiedete sich mit einem langen, leidenschaftlichen Kuß. Er vermochte nicht zu sagen, ob sie seinen Kuß erwiderte; vielleicht war er ein wenig zu hastig vorgegangen ... »Ich werde drei Monate ausbleiben«, sagte er mit
einem Unterton der Entschuldigung. Dann zwang er sich zu einer letzten, leichten Bemerkung: »Und morgen früh werde ich es kein bißchen bereuen!«
8 Conway wurde von einem Offizier empfangen und in seine Kabine geleitet; seine Rangabzeichen wiesen ihn als Arzt aus, und er stellte sich als Major Stillman vor. Sein Benehmen war ruhig und zuvorkommend, aber es war ihm anzumerken, daß er sich nicht so leicht von jemandem ins Bockshorn jagen ließ. Er richtete Conway aus, der Kapitän würde sich nach dem Start auf seinen Besuch im Kontrollraum freuen, um ihn persönlich an Bord willkommen zu heißen. Einige Zeit später traf er Colonel Williamson, den Kapitän des Raumschiffes, der ihm sogleich die ausdrückliche Genehmigung gab, sich ganz nach Belieben im Schiff zu bewegen. In einem Raumkreuzer der Regierung kam so etwas nur ganz selten vor, und Conway war sehr davon beeindruckt. Allerdings mußte er bald genug feststellen, daß er hier nur allen im Wege war, obgleich das natürlich niemand offen sagte. Der Kreuzer Vespanian war entschieden größer, als Conway ursprünglich angenommen hatte, und als ihn ein Mitglied der Mannschaft höflich zu seiner Kabine geleitet hatte, nahm er sich vor, den Großteil der Fahrt in seiner Kabine zu verbringen und die Unterlagen für die bevorstehende Aufgabe zu studieren.
Colonel Williamson hatte ihm die letzten Mitteilungen der Funksprüche übergeben, aber zunächst zog Conway den Aktenband von O'Mara hervor. Das Wesen Lonvellin hatte sich auf dem Weg zu einer Welt befunden, über die ein paar recht schlimme Gerüchte kreisten; der betreffende Planet gehörte zu einem noch recht unerforschten Gebiet der Kleinen Magellanischen Wolke. Auf dieser Reise war Lonvellin erkrankt und zum Weltraumhospital transportiert worden. Unmittelbar nach seiner Genesung hatte das Wesen die unterbrochene Reise wieder aufgenommen, und einige Wochen später hatte es sich mit dem Monitor-Korps in Verbindung gesetzt. Seinem Bericht war zu entnehmen, daß auf dem betreffenden Planeten soziologische und medizinische Verhältnisse herrschten, die an Barbarei grenzten. In erster Linie galt es, auf medizinischem Gebiet Abhilfe zu schaffen, um sich dann den soziologischen Problemen widmen zu können. Lonvellin hatte aus diesem Grunde die Unterstützung eines DBGD-Arztes angefordert, weil die auf diesem Planeten lebenden Wesen zur gleichen Klassifikation gehörten und allen andersgearteten Wesen gegenüber sehr feindselig waren. Diese Tatsache schien Lonvellin am meisten gegen den Strich gegangen zu sein. Die Tatsache, daß Lonvellin überhaupt Unterstüt-
zung brauchte, war eine Überraschung, denn bei seiner enormen Intelligenz und Erfahrung war damit zu rechnen, daß er jedes soziologische Problem allein zu lösen vermochte. Im vorliegenden Fall war augenscheinlich etwas schiefgegangen. Lonvellins Bericht zufolge, hatte er den Planeten zunächst einmal genau beobachtet und ihn viele Male umkreist, wobei er alle verfügbaren Meßinstrumente einsetzte. Er stellte einwandfrei fest, daß es auf dem Planeten kaum eine nennenswerte Industrialisierung gab, und diese Tatsache stand in krassem Widerspruch zu dem vorhandenen und offensichtlich noch benutzbaren Raumhafen. Nachdem alle vorhandenen Informationen genau ausgewertet worden waren, suchte Lonvellin sich einen zur Landung geeigneten Platz aus. Alle Anzeichen deuteten an, daß es sich bei diesem Planeten, den die hier lebenden Wesen Etla nannten, um eine Welt handelte, auf der zu früheren Zeiten ein gewisser Wohlstand geherrscht haben mußte, bis dann zu einem gewissen Zeitpunkt die Verbindung zur Außenwelt aus irgendeinem Grund abgebrochen worden war. Immerhin mußte noch ein gewisser Kontakt mit der Außenwelt bestehen, und dadurch wurde Lonvellins erste und meist auch schwierigste Aufgabe ein wenig erleichtert. Er brauchte die auf diesem Planeten lebenden Wesen nicht erst auf einen
Besucher aus dem Weltraum besonders hinzuweisen, und aller Voraussicht nach waren sie auch an den Anblick fremdartig aussehender Wesen gewöhnt. Lonvellin spielte also einfach die Rolle eines armen, furchtsamen und etwas dummen Wesens einer fernen Welt, das hier zur Landung gezwungen wurde, um Reparaturen am Raumschiff vornehmen zu können. Zu diesem Zweck brauchte er nur ein paar Metallstücke einzusammeln, die natürlich vollkommen wertlos sein konnten. Im Austauschverfahren würde es ihnen dann ein paar wesentlich wertvollere Stücke geben und auf diese Weise langsam das Vertrauen der Etlaner gewinnen. Natürlich würde man seine Großzügigkeit dabei ausbeuten – aber das spielte für ihn keine wesentliche Rolle. Allmählich würde sich das Bild ändern. Nach einer gewissen Zeit dieses Austausches brauchte er dann nur noch zu erklären, daß der Schaden an seinem Raumschiff nicht zu beheben war, und auf diese Art mußte man sich auf Etla bald an ihn gewöhnen. Alles weitere war nur noch eine Frage der Zeit – und der Zeitfaktor spielte für Lonvellin wiederum keine Rolle, denn davon hatte er ja am meisten. Er landete unmittelbar neben einer Straße zwischen zwei kleinen Ortschaften, und bald fand er Gelegenheit, einem Wesen dieses Planeten zu begegnen. Obwohl er dabei sehr vorsichtig zu Werke ging und
auch seine Übersetzungsanlage benutzte, ergriff das Wesen bei seinem Anblick in panischem Entsetzen die Flucht. Wenige Stunden später kamen kleine, mit chemischen Mitteln angetriebene Geschosse durch die Luft geschwirrt. Sie landeten in unmittelbarer Umgebung des Raumschiffes und setzten Büsche und Unterholz in Brand. In dieser Lage hatte Lonvellin nichts weiter unternehmen können, denn er konnte sich die unverhohlene Feindschaft von Wesen nicht erklären, denen Raumfahrt offensichtlich ein Begriff war. Sofort hatte er Verbindung mit dem Monitor-Korps aufgenommen, und wenige Stunden später war ein Kreuzer aufgetaucht. Der Grund für das Verhalten der Etlaner war bald gefunden: sie fürchteten, daß aus dem Weltraum kommende Schiffe Träger von Bazillen und Krankheitserregern wären. Noch merkwürdiger war die Tatsache, daß sie die Übertragung derartiger Bazillen nicht durch Mitglieder ihrer eigenen Rasse fürchteten, obgleich sich diese ebenfalls durch den Weltraum bewegten. Dabei war es eine medizinisch nachgewiesene Tatsache, daß sich solche Krankheitserreger nie auf Wesen anderer Rassen und Weltraumsysteme übertragen ließen. Diese medizinischen Faktoren sollten einer Rasse
mit Erfahrung im Weltraum eigentlich bekannt sein, sagte sich Conway, denn das gehörte zu den ersten Erfahrungen der Weltraumfahrt. Er versuchte sich diesen offensichtlichen Widerspruch zu erklären und wälzte in schweren Nachschlagbüchern herum, als Major Stillman in seine Kabine kam und eine willkommene Unterbrechung bot. »Wir werden unser Ziel in drei Tagen erreichen, Doktor«, begann der Major, »und ich glaube, es dürfte wohl an der Zeit sein, Sie mit einigen Gewohnheiten der Etlaner vertraut zu machen. In erster Linie ist da ihre besondere Kleidung. Es sind eigentlich recht hübsche Kostüme; allerdings sind meine Knie wohl nicht besonders gut für einen Kilt geeignet ...« Major Stillman erklärte weiterhin, daß der Planet Etla von den Mitgliedern des Monitor-Korps auf zwei verschiedene Weisen aufgesucht worden war. Zunächst war ein Kreuzer geheim und unauffällig gelandet; die Besatzungsmitglieder brauchten lediglich die Sprache der Etlaner zu beherrschen und ihre Kleidung nachzuahmen, denn äußerlich war in der Physiologie kaum ein Unterschied vorhanden. Auf diese Weise hatte man die meisten Informationen über die Etlaner sammeln können, ohne daß auch nur einer der Agenten entlarvt worden wäre. Ein anderer Kreuzer war ganz offen gelandet, und die Mitglieder hatten sich zur Verständigung ihrer
Translatorgeräte bedient. Dabei hatten sie den Etlanern erklärt, daß sie von den Schwierigkeiten dieser Rasse erfahren hätten und gekommen wären, um ihnen medizinische Unterstützung zu bringen. Die Etlaner hatten diese Darstellung ohne weiteres akzeptiert, denn derartige Unterstützungsangebote waren sie gewohnt. Alle zehn Jahre kam vom Imperium ein Raumschiff mit den neuesten medizinischen Errungenschaften – aber trotz dieser Maßnahme hatte sich der Gesundheitszustand immer weiter verschlechtert. Sie hatten nichts gegen die angebotene Hilfe einzuwenden, aber augenscheinlich versprachen sie sich nichts davon. Major Stillman erklärte Conway, daß es sich hier um eine außerordentlich komplizierte Situation handelte, die nach den letzten Berichten der Agenten immer verworrener wurde. Immerhin hatte Lonvellin einen sehr schönen Plan, um die ganze Sache in Ordnung zu bringen. Als Conway diesen Plan erfuhr, wünschte er plötzlich, er hätte dieses Wesen Lonvellin nicht so sehr mit seinen ärztlichen Fähigkeiten beeindruckt. Im Augenblick hätte er sich auf seiner Station des Weltraumhospitals entschieden wohler gefühlt. Zu dem auf Etla herrschenden Leid der Krankheit kam noch ein starker Aberglaube, der die Etlaner veranlaßte, Lonvellin von vornherein abzulehnen, da er sich allein im Aussehen so kraß von ihnen unter-
schied. All diese Tatsachen waren natürlich nicht dazu angetan, die Situation in irgendeiner Form zu verbessern. Lonvellin hoffte, diesen Teufelskreis durchbrechen zu können, indem er den Gesundheitszustand der Etlaner so augenscheinlich hob, daß dies auch dem letzten von ihnen auffallen mußte. Dann wollte er die Angehörigen des Monitor-Korps veranlassen, in aller Öffentlichkeit zu erklären, daß die Hilfsmaßnahmen von ihm selbst durchgeführt worden waren. Auf diese Weise sollten die Etlaner dazu gebracht werden, sich ihrer ursprünglichen Abneigung gegen alle fremdartigen Wesen aus dem Weltraum zu schämen. In der darauf folgenden Zeitspanne wollte Lonvellin versuchen, endgültig das Vertrauen der Etlaner zu gewinnen, um dann seinen ursprünglichen Plan zur Wiederherstellung glücklicher, geordneter Verhältnisse auf diesem Planeten durchzuführen. Conway sagte Major Stillman, daß er selbst zwar kein Experte in solchen Dingen wäre, aber daß sich der Plan recht gut anhörte. »Ich denke, ich bin Experte, und der Plan ist ausgezeichnet – falls er sich verwirklichen läßt«, erwiderte Stillman. Am letzten Tag vor der Ankunft auf dem Planeten Etla bat der Kapitän Conway zu einer kurzen Unterredung in den Kontrollraum. Auf der letzten Wegstrecke
waren sie in die Bahn eines gefährlichen Kometenschwarms gekommen, dessen Richtung sich dauernd veränderte. Conway sagte sich betroffen, daß dies einer jener langen Augenblicke wäre, in denen sich der Mensch ganz schwach und klein vorkam, und wo man sich zusammendrängte, um in der Gemeinschaft Hilfe zu finden. Alle konventionellen Schranken waren gebrochen, und plötzlich war Colonel Williamson auch nur noch ein Mensch mit durchaus irdischen Empfindungen, der jetzt das Verlangen spürte, sich einem anderen anzuvertrauen. »Ähem, Doktor Conway«, begann er, und es klang wie eine Entschuldigung, »ich möchte natürlich keinerlei Kritik an diesem Wesen Lonvellin üben, zumal er ja Ihr Patient und vielleicht auch Ihr Freund war. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß er einen Teil der Monitor-Kräfte für seine eigenen Belange einsetzt und daß wir ihm gewissermaßen Botendienste leisten. Nein, durchaus nicht ...« Colonel Williamson nahm seine Uniformmütze ab und wischte mit dem Daumen ein Staubkörnchen vom Schweißband. Conway warf einen Blick auf das schüttere, ergraute Haar und die tiefen Sorgenfalten auf der Stirn des Kapitäns, die zuvor vom Mützenschirm verborgen gewesen waren.
Williamson setzte die Mütze wieder auf, und seine Stimme hatte jetzt wieder den ruhigen Klang eines tüchtigen und erfahrenen Offiziers. »Um es frei heraus zu sagen«, fuhr er fort, »ich halte Lonvellin für einen durchaus talentierten Amateur. Wesen dieser Art bereiten uns Profis oftmals eine ganze Reihe von Schwierigkeiten, indem sie alle unsere Pläne und Termine über den Haufen stoßen. In diesem Fall stört mich das jedoch nicht, denn die hier von Lonvellin entdeckte Situation bedarf tatsächlich dringender Abhilfe. Ich möchte damit sagen, daß wir neben unseren Aufgaben der Überwachung, Kolonisation und Aufrechterhaltung der Ordnung auch unsere Erfahrungen bei derartigen Situationen haben, obwohl ich einräumen muß, daß wir natürlich keinen Mann mit den Fähigkeiten eines Lonvellin besitzen. Auch könnten wir zur Zeit keinen Plan vorschlagen, der besser wäre als seiner.« Conway fragte sich unwillkürlich, ob der Kapitän nun eigentlich auf ein bestimmtes Ziel zusteuerte oder ob er sich nur mal etwas vom Herzen reden wollte. Colonel Williamson gehörte seiner Ansicht nach nicht zu jener Gruppe von Männern, die stets und an allem etwas auszusetzen haben. »Da Sie nach Lonvellin die meiste Verantwortung an diesem ganzen Projekt tragen«, fuhr Williamson fort, »haben Sie ein Recht darauf, nicht nur unsere
Handlungen und Maßnahmen, sondern auch unsere Gedanken zu erfahren. Zur Zeit arbeiten etwa doppelt so viele unserer Leute auf Etla, als Lonvellin annimmt, und es sind noch weitere unterwegs. Ich persönlich habe die größte Achtung vor unserem langlebigen Freund, aber ich fürchte, daß die Komplikationen dieser verfahrenen Situation doch wesentlich größer sind, als er zu vermuten scheint.« Conway dachte eine Weile schweigend nach. »Ich habe mich schon gefragt«, erwiderte er dann, »warum zu einem solchen Studienunternehmen ein Kreuzer wie die Vespanian eingesetzt wird. Neigen Sie zu der Ansicht, daß die Situation, die uns dort erwartet, auch – ähem – gefährlich ist?« »Ja«, antwortete der Kapitän. In diesem Augenblick verschwand der riesige Kometenschwarm von den Fernsehschirmen des Kontrollraumes, und die Sicht wurde wieder vollkommen normal. Am fernen Horizont zeichnete sich die schmale Sichel des Planeten Etla ab. Ehe Conway eine der vielen Fragen stellen konnte, die sich plötzlich auf seine Lippen drängten, erklärte der Kapitän, daß nunmehr die Phase ihres Fluges gekommen wäre, in der er alle Hände voll zu tun hätte. Er schloß mit dem guten Rat, Conway möge sich bis zur Landung noch ein wenig ausschlafen, und damit verabschiedete er ihn.
In seiner Kabine kleidete Conway sich aus, und dachte über die letzten Bemerkungen des Kapitäns nach. Williamson hielt also die Situation auf dem Planeten Etla für so gefährlich, daß sogar der Einsatz eines so großen Raumkreuzers gerechtfertigt war. Warum? Wo lag diese Gefahr? Es konnte sich doch gewiß nicht um eine Bedrohung militärischer Art handeln. Die Etlaner hatten ihre schwersten Waffen gegen Lonvellins Raumschiff eingesetzt, und das war das reinste Kinderspiel gewesen. Folglich mußte die Gefahr von einer anderen Seite kommen. Unvermittelt kam Conway ein Gedanke, der die Besorgnis des Kapitäns erklären könnte. Das Imperium ... In einigen der vorliegenden Berichte war das Imperium erwähnt worden. Es war bislang der große unbekannte Faktor. Die Raumflotte des Monitor-Korps hatte noch keinen Kontakt mit dem Imperium hergestellt, und das war durchaus verständlich, denn dieses weitab gelegene Gebiet der Galaxis hätte eigentlich erst in etwa fünfzig Jahren erforscht werden sollen. Lediglich Lonvellins Hilferuf hatte die Schiffe in diese Gegend gebracht. Man wußte nur, daß der Planet Etla ein Teil dieses Imperiums war und daß er in längeren Zeitabständen eine Lieferung von Medikamenten erhielt.
Conway machte sich seine eigenen Gedanken über die Qualität der Medikamente und den langen Zwischenraum der einzelnen Sendungen. Die Phase des Imperiums konnte in medizinischer Hinsicht noch nicht weit entwickelt sein, denn sonst hätten diese Medikamente der auf Etla herrschenden Epidemie längst Einhalt gebieten müssen. Außerdem dürfte es sich auch um eine recht arme Rasse handeln, denn sonst wären die Lieferungen in wesentlich kürzeren Zeitabständen erfolgt. Es wäre keine Überraschung für Conway, wenn es sich herausstellte, daß das Imperium aus einem Mutterplaneten und ein paar kleineren, recht unentwickelten Kolonien bestand. Der wichtigste Faktor in Conways Überlegungen war jedenfalls die Tatsache, daß ein Imperium, gleichgültig ob es nun groß, mittelmäßig oder klein war, das seine Kolonien mit Medikamenten belieferte, keine besondere Gefahr oder Bedrohung darstellen konnte. Ein solches Imperium schien ihm im Gegenteil recht gut zu sein. Während er sich ins Bett legte, sagte er sich, daß Colonel Williamson sich anscheinend zuviel Sorgen machte.
9 Der Raumkreuzer Vespanian landete. Auf dem Hauptschirm der Kontrollanlage erblickte Conway den langen, grauen Betonstreifen der Startbahn, der sich bis zum Horizont zu dehnen schien. Eine Vielzahl von Schlaglöchern durchsetzte die Startbahn. Staub und trockenes Laub wurde aufgewirbelt, und der an die Erde erinnernde Himmel war stellenweise von weißen Wolken verhangen. Vor dem Kontroll- und Verwaltungsgebäude dieses Raumhafens stand ein Kurierschiff des Polizeikorps. Weitere Raumschiffe waren nicht zu sehen. »Sie müssen wissen, Doktor«, sagte der hinter Conway stehende Kapitän, »daß Lonvellin zur Zeit sein Raumschiff nicht verlassen kann und daß ein Besuch nicht ratsam wäre, weil wir unsere Beziehungen zu den Etlanern nicht gefährden wollen. Immerhin haben wir hier ja einen recht großen Bildschirm. Entschuldigen Sie bitte einen Augenblick ...« Ein Schalter klickte, und Conway blickte in den Kontrollraum von Lonvellins Raumschiff. Das Bild des EPLH war in Lebensgröße auf dem Schirm zu sehen. »Willkommen, Freund Conway«, klang Lonvellins
Stimme aus dem Lautsprecher. »Es ist mir ein großes Vergnügen, Sie wiederzusehen.« »Das Vergnügen ist ganz meinerseits«, erwiderte Conway. »Ich hoffe, Sie erfreuen sich bester Gesundheit?« Es war nicht nur eine rein formelle Frage der Höflichkeit. Conway wollte wissen, ob es weitere Mißverständnisse zwischen Lonvellin und seinem persönlichen Arzt gegeben hatte, der aus einer Virenkolonie bestand und im Körper seines Patienten wohnte. Lonvellins persönlicher Arzt hatte das ganze Weltraumhospital in Aufruhr versetzt, und man stritt sich dort immer noch, ob dieses Wesen nun eigentlich als Arzt oder als Krankheit bezeichnet und eingestuft werden sollte. »Meine Gesundheit ist ausgezeichnet, Doktor«, erwiderte Lonvellin, und dann kam er ohne lange Umschweife zur Sache. Conway riß seine Gedanken hastig in die Gegenwart zurück und konzentrierte sie auf Lonvellins Worte. Conways eigene Instruktionen waren ganz allgemeiner Natur. Er sollte hier auf Etla die von den Ärzten des Monitor-Korps eingehenden Berichte überprüfen und bearbeiten, da die medizinischen und soziologischen Aspekte des Problems eng miteinander verknüpft waren. Den letzten Berichten zufolge hatte sich die soziologische Lage weiterhin verwirrt, und
Lonvellin hoffte, daß Conway mit seinen Erfahrungen als Stationsarzt des Weltraumhospitals die vorliegenden Widersprüche aufklären könnte. Dr. Conway würde doch zweifellos die Dringlichkeit der Angelegenheit erkennen und sogleich mit der Arbeit beginnen ... »Und außerdem brauche ich Unterlagen über den Menschen Clarke, der in Distrikt fünfunddreißig eingesetzt ist«, fuhr Lonvellin in seinen Ausführungen fort, ohne auch nur eine Sekunde innezuhalten. »Damit ich die entsprechenden Daten sofort auswerten kann ...« Während Colonel Williamson die entsprechenden Informationen durchgab, legte Major Stillman die Hand auf Conways Arm und bedeutete ihm, mit ihm den Raum zu verlassen. Zwanzig Minuten später saßen sie auf der Ladefläche eines Lastwagens und fuhren der Ortschaft zu. Conways Kopf steckte in einem breiten Verband, und der Doktor kam sich ein bißchen dumm vor. »Wir werden uns hier verborgenhalten, bis wir den Raumhafen hinter uns haben«, sagte Major Stillman. »Dann können wir uns vorn zum Fahrer setzen. Heutzutage reisen zwar viele Etlaner mit unseren Leuten zusammen, aber es könnte Verdacht erregen, wenn man uns vom Raumschiff kommen sieht. Wir werden auch gleich zur Ortschaft fahren, ohne am
Verwaltungsgebäude zu halten. Ich denke, Sie sollten einige Ihrer Patienten ohne Verzug aufsuchen.« »Ich weiß, daß es sich um rein psychosomatische Symptome handelt«, erwiderte Conway ernst, »aber meine Füße scheinen vollkommen abgestorben zu sein ...« Stillman lachte. »Machen Sie sich keine Sorgen, Doktor«, sagte er unbekümmert. »Der an Ihrem Ohr befestigte Übersetzer hält Sie stets auf dem laufenden. Sie brauchen auch zunächst nicht zu sprechen, denn ich werde erklären, daß Ihre Stimmbänder durch die Kopfverletzung vorübergehend gelähmt sind. Wenn Sie später erst mal ein paar Brocken der hiesigen Sprache aufgeschnappt haben, dann rate ich Ihnen, zu stottern. Auf diese Weise fällt es kaum auf, daß Sie die Sprache und den erforderlichen Dialekt nicht genau beherrschen. Nicht alle unserer Agenten haben die notwendige Sprachenausbildung, und deshalb muß man mitunter zu solchen kleinen Listen greifen. Die Hauptsache ist, daß man sich nicht zu lange an der gleichen Stelle aufhält. Unser bester Schutz jedoch liegt wohl in der Tatsache, daß wir gekommen sind, um diesen Leuten zu helfen und daß wir durchaus ehrbare Absichten haben. Wenn wir feindlich gesinnte Agenten oder Saboteure wären, die hier etwas auskundschaften wollten, was möglicherweise zum
Ausbruch eines Krieges führen könnte, dann würden wir wahrscheinlich recht bald geschnappt werden. In dem Fall würden wir durch unser Benehmen und durch begangene Fehler viel eher auffallen.« »Das alles hört sich recht einfach an«, brummte Conway, jetzt hatte er sein Selbstvertrauen wiedergewonnen. Der Lastwagen lud sie etwa im Mittelpunkt der Ortschaft ab, und sie sahen sich ein wenig um. Es fiel Conway sogleich auf, daß es hier nur sehr wenige neue oder große Gebäude gab; immerhin machten die Häuser einen recht gepflegten Eindruck, und die Etlaner hatten die einzelnen Fassaden recht dekorativ mit Blumen geschmückt. Er sah die Männer und Frauen bei der Arbeit, beim Einkaufen oder bei der Betreibung von Geschäften, von denen er sich im Augenblick noch nicht die geringste Vorstellung machen konnte. Er bemerkte die kranken Körperglieder, die Krükken, die vernarbten Gesichter; sein analytisch geschultes Auge erkannte Krankheiten, die es im ihm bekannten Teil der Galaxis seit Jahrhunderten nicht mehr gab. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er sich hier ja nicht in einer Krankenstation befand, sondern mitten auf der Straße einer Ortschaft – und er blieb unvermittelt stehen.
»Was mir am meisten an die Nerven geht«, sagte er nach einer langen Pause, »ist die Tatsache, daß all diese Symptome vollkommen heilbar sind. Wir haben seit mehr als hundertfünfzig Jahren nichts von einem epileptischen Anfall gehört.« »Und in Ihnen regt sich sofort der Drang«, versetzte Major Stillman grimmig, »eine Batterie von Injektionsspritzen zur Hand zu nehmen, um die sofortige Heilung in Angriff zu nehmen. Aber Sie müssen dabei bedenken, daß hier auf dem ganzen Planeten überall das gleiche Bild ist, und mit der Heilung von einigen wenigen ist schließlich nicht viel erreicht. Sie haben eine riesige Station übernommen, Doktor.« »Ich habe die Berichte studiert«, entgegnete Conway kurz. »Es ist nur die Tatsache, daß es eben einen großen Unterschied zwischen gedruckten Zahlenreihen und der Wirklichkeit gibt, und ...« Er brach mitten im Satz ab. Sie hatten eine verkehrsreiche Kreuzung erreicht, und es fiel Conway auf, daß hier plötzlich alles zum Stillstand kam – sämtliche Verkehrsmittel und Fußgänger. Dann sah er den Grund. Ein großer Wagen kam die Seitenstraße herunter. Er war ganz und gar in roter Farbe gehalten und hatte offensichtlich keinen Motor. An jeder Seite waren einige Handgriffe angebracht, und an jedem dieser Griffe ging ein Etlaner, der, so gut er konnte, den
Wagen antrieb. Stillman nahm sein Barett ab, und Conway folgte seinem Beispiel: er hatte bereits erkannt, daß es sich hier um einen Begräbniszug handelte. »Wir werden jetzt das Ortshospital aufsuchen«, sagte Stillman, nachdem der Zug vorüber war. »Wenn ich gefragt werde, gebe ich dort an, wir wollen einen Verwandten namens Mennomer aufsuchen, der dort in der vergangenen Woche eingeliefert worden ist. Auf Etla ist dieser Name ebenso häufig wie auf der Erde Smith. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß wir überhaupt befragt werden, denn hier widmet sich fast jeder irgendwelchen Aufgaben im Hospital, und die Ärzte, Schwestern und Pfleger sind es gewohnt, daß häufig ein paar Helfer kommen und gehen. Sollten wir dabei einem unserer eigenen Ärzte begegnen, was durchaus im Bereich der Möglichkeit liegt, dann nehmen Sie gar keine Notiz von ihm.« Er überlegte einen Augenblick. »Falls Sie sich darüber Sorgen machen sollten, daß einer Ihrer etlanischen Kollegen vielleicht die Absicht äußert, einen Blick unter Ihren Verband zu werfen, dann können Sie beruhigt sein«, fuhr er dann fort, als hätte er Conways Gedanken lesen können. »Die Leute sind viel zu beschäftigt, um sich um eine Verletzung zu kümmern, die augenscheinlich bereits behandelt worden ist.«
Sie verbrachten zwei Stunden im Hospital, ohne daß es ein einziges Mal erforderlich gewesen wäre, ihre Geschichte von dem kranken Mennomer zu erzählen. Es war von Anfang an zu erkennen, daß Stillman sich hier genau auskannte und daß er wahrscheinlich früher hier gearbeitet hatte. Es waren jedoch stets so viele Etlaner in der Nähe, daß Conway ihn nicht fragen konnte, ob er hier als medizinischer Sachverständiger oder als getarnter Pfleger gearbeitet hatte. Bei einer Gelegenheit fiel Conways Blick auf einen Arzt des Korps, der einen etlanischen Kollegen bei einer Operation überwachte. Dabei zuckte es Conway in den Gliedern, und am liebsten hätte er sich die Ärmel aufgekrempelt und die Arbeit selbst übernommen. Die Chirurgen trugen gelbe Kittel statt weiße; die Operationsmaßnahmen grenzten an Barbarei. Aber in Anbetracht der begrenzten Möglichkeiten und des gigantischen Problems, das hier zu bewältigen war, schien es ein recht gutes Hospital zu sein. Auch am Personal hatte Conway nichts auszusetzen. »Dies sind wirklich nette Leute«, sagte er unvermittelt aus seinen Gedanken heraus. »Ich kann es gar nicht verstehen, daß sie Lonvellin auf die beschriebene Weise angegriffen haben; das scheint gar nicht recht zu ihnen zu passen.«
»Dennoch haben sie es getan«, antwortete Stillman grimmig. »Alles, was nicht zwei Augen, zwei Ohren, zwei Arme und zwei Beine hat – oder auch nur an den falschen Stellen – wird hier angegriffen. Das wird ihnen bereits in frühester Jugend eingehämmert, gewissermaßen zusammen mit dem Abc. Ich möchte nur den Grund dafür erfahren.« Conway schwieg. Er dachte daran, daß er hergeschickt worden war, um die medizinische Hilfe für den ganzen Planeten zu organisieren und daß er nicht damit weiterkam, wenn er sich hier in irgendeiner mummenhaften Verkleidung umsah. Damit war das Problem nicht zu lösen, und es wurde wirklich höchste Zeit, daß er seine eigentliche Aufgabe in Angriff nahm. »Ich denke, wir sollten jetzt den Rückweg antreten«, sagte Major Stillman, und es schien Conway wieder einmal, als ob der Mann seine Gedanken lesen könnte. »Möchten Sie im Verwaltungsblock oder lieber an Bord des Raumschiffes arbeiten, Doktor?« Conway sagte sich, daß Stillman sich eigentlich zu einem recht guten Adjutanten entwickelte. »Ich ziehe den Verwaltungsblock vor«, erwiderte er, »denn in dem riesigen Schiff verirre ich mich zu leicht.« Er bezog also einen Büroraum im Verwaltungsblock am Rande des Raumhafens.
Nur die erste Mahlzeit nahm er im großen Offizierskasino ein, alle anderen ließ er in sein Büro bringen, wo er in Gesellschaft von Major Stillman speiste. Die Tage verstrichen, und seine Augen brannten bald vom vielen Lesen der Berichte. Unablässig trafen neue ein, dafür sorgte schon Major Stillman. Conway reorganisierte die einzelnen Berichtformulare; er führte längere, ausführliche Besprechungen mit den einzelnen Ärzten des Korps, und er flog zu jenen hinaus, die an ihrer jeweiligen Arbeitsstelle unabkömmlich waren. Ein Großteil dieser Berichte hatte mit seiner eigentlichen Aufgabe nichts zu tun, denn sie befaßten sich in erster Linie mit soziologischen Problemen. Er las sie dennoch – in der Hoffnung, einen Fingerzeig darin zu finden, der ihm bei seiner eigenen Arbeit dienlich sein könnte. Die Sache wurde immer verworrener. Blutproben und sonstige Proben trafen ein. Sie wurden sofort in eines der schnellen Raumschiffe verladen, die das Korps Conway zur Verfügung gestellt hatte, und zum Weltraumhospital geschickt, um dort genau untersucht zu werden. Die einzelnen Ergebnisse trafen jeweils wenige Tage später ein und wurden prompt auf Conways Schreibtisch gelegt. Ganz allmählich zeichnete sich ein gewisses Schema ab, das sich aus den Ergebnissen der einzelnen
Untersuchungen ergab. Aber niemand vermochte einen Sinn in diesem Schema zu entdecken – und Conway am allerwenigsten. Er befand sich nun bereits seit fünf Wochen auf dem Planeten Etla, und noch immer konnte er Lonvellin kaum einen Erfolg berichten. Aber Lonvellin drängte weder auf Resultate noch auf sofortige Erfolge. Er war ja ein Wesen, das alle Zeit der Welt zur Verfügung hatte. Zuweilen fragte sich Conway, ob Schwester Murchison wohl auch soviel Geduld aufbringen würde wie Lonvellin.
10 Conway drückte auf einen bestimmten Knopf seines großen Schreibtisches, und prompt kam Major Stillman herein. Er hatte rotumränderte Augen, und seine sonst makellose Uniform war ein wenig zerknittert. Er setzte sich, und die beiden Männer gähnten sich erst ausgiebig an. »In wenigen Tagen werde ich die erforderlichen Unterlagen über die Vorratsmengen und Verteilung bekommen, um die Heilmaßnahmen einleiten zu können«, sagte Conway. »Jede einzelne Krankheit ist inzwischen auf der Liste eingetragen worden, die außerdem Angaben über Alter, Geschlecht und Wohnort des betreffenden Patienten enthält, sowie auch über die erforderliche Menge der entsprechenden Medikamente. Aber bevor ich das Startzeichen gebe, hätte ich gern gewußt, wie diese Situation hier hat überhaupt entstehen können.« Er hielt inne und überlegte einen Augenblick. Warum waren auf diesem merkwürdigen Planeten die Ziffern der Kinder- und Säuglingssterblichkeit sowie auch Geburtskomplikationen mit Todesfolge so niedrig? Warum waren Kinder stets gesund, während die Erwachsenen an chronischen Krankheiten litten? Gewiß, ein Teil der Kinder war blind geboren wor-
den, und ein anderer Teil hatte Krankheiten von den Eltern geerbt – aber in den jüngeren Jahrgängen gab es verhältnismäßig wenige Todesfälle. Nach allen statistischen Unterlagen lebten sie mit ihren Krankheiten bis zum mittleren Alter. Die Statistik zeigte weiterhin, daß die Etlaner der seltsamen Gewohnheit frönten, ihre Verunstaltungen und Krankheiten öffentlich zu zeigen. Mitunter kam es Conway vor, als freuten sie sich, ihre Gebrechen zur Schau zu stellen. Conway merkte plötzlich, daß er laut gedacht hatte, denn jetzt schaltete sich Major Stillman ein. »Sie irren sich, Doktor«, sagte er ungewöhnlich scharf. »Diese Leute sind keine Masochisten. Was immer der Ursprung dieser Krankheiten auch sein mag, die Etlaner haben jedenfalls versucht, mit aller Kraft dagegen anzukämpfen. Über ein Jahrhundert lang haben sie sich ohne wesentliche Hilfe von außen dagegen gestemmt und dennoch verloren. Es ist erstaunlich, daß sie trotzdem noch immer über eine Art Zivilisation verfügen. Sie tragen ihre merkwürdig kurze Kleidung, weil sie der Ansicht sind, Luft und Sonne würden den Verlauf ihrer Krankheiten günstig beeinflussen, und in den meisten Fällen haben sie auch tatsächlich recht.« Stillman hielt inne, und als er nach einer Weile fortfuhr, wurde seine Stimme ruhiger.
»Dieser Glaube wird ihnen von Anfang an eingepaukt, genau wie der Haß auf alle fremdartig aussehenden Wesen und die Überzeugung, daß anstekkende Krankheiten nicht isoliert zu werden brauchen. Ihrer Ansicht nach wäre eine solche Isolation geradezu gefährlich, denn sie meinen, die Erreger der einen Krankheit würden die der anderen bekämpfen, so daß sie sich gegenseitig schwächen ...« Stillman brach ab und räusperte sich. »Ich hatte nicht die Absicht, unsere Patienten in irgendeiner Form zu erniedrigen, Major«, erwiderte Conway. »Da ich die richtige Antwort zu diesem Problem nicht finden kann, habe ich mich eben falsch ausgedrückt. Sie erwähnten gerade, daß die Etlaner kaum irgendwelche Hilfe vom Imperium bekommen haben. Ich hätte gern ein paar weitere Einzelheiten darüber gewußt. Noch besser wäre es natürlich, den Vertreter des Imperiums hier auf Etla zu sprechen. Haben Sie ihn schon finden können?« Stillman schüttelte den Kopf, dann fuhr er in seinen Erklärungen fort. »Alle zehn Jahre kam ein Raumschiff des Imperiums zum Planeten Etla und wurde hier vom Vertreter des Imperiums empfangen. Innerhalb weniger Stunden war die Ladung gelöscht, und das Raumschiff trat sofort den Rückweg an. Augenscheinlich wollte die Besatzung des Raumschiffes keine Sekunde länger auf Etla verweilen als unbe-
dingt erforderlich, und das war nach Lage der Dinge durchaus verständlich. Dann übernahm der Vertreter des Imperiums, ein Wesen namens Teltrenn, die Verteilung der Medikamente. Statt jedoch eine Massenverteilung vorzunehmen und die Ärzte des Planeten über die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Medizin zu unterrichten, hielt er alles zurück, bis er Gelegenheit zu einem persönlichen Besuch fand. Dann erst übergab er alles als eine Art persönliches Geschenk des glorreichen Imperators, und da er, Teltrenn, als Mittelsmann auftrat, sonnte er sich natürlich selbst auch in dem Licht des Ruhms. Seine Informationen, deren Weitergabe höchstens drei Monate dauern dürfte, kamen auf diese Weise mitunter erst nach sechs Jahren in den Besitz des einzelnen Arztes. Soweit wir bisher feststellen konnten, ist dieser Teltrenn nicht gerade mit Energie geladen. Die ganze Sache wird noch durch die Tatsache verschlimmert, daß es hier auf Etla keine medizinischen Forschungen gibt, und die Erklärung dafür ist recht einfach: es existiert hier kein einziges Mikroskop, und gerade das ist ja das wichtigste Instrument für einen Forscher. Offensichtlich ist es noch keinem Raumschiff des Imperiums eingefallen, ein Mikroskop herzubringen. All diese Tatsachen führen zu dem Schluß«, endete Stillman grimmig, »daß sämtliche medizinischen Maßnahmen für Etla
vom Imperium selbst durchgeführt werden, und das Resultat zeigt ja, daß diese Maßnahmen recht dürftig sein müssen.« »Ich möchte die Relation zwischen dem Eintreffen der Medikamente und dem darauf folgenden Krankenstand in die Hand bekommen. Können Sie mir in dieser Beziehung helfen?« »Wir haben soeben einen Bericht erhalten, der vielleicht nützlich ist«, erwiderte Stillman. »Er stammt von einem im Norden des Kontinents gelegenen Hospital und reicht zurück bis zu Teltrenns letztem Besuch, wobei er den Ärzten unter anderem auch ein Spezialmittel gegen die Krankheit B-achtzehn brachte. Während der folgenden Wochen sank die Quote dieser Krankheit sehr schnell herab, aber die Gesamtsumme blieb auf der gleichen Höhe, denn etwa zur gleichen Zeit brach F-einundzwanzig aus.« B-achtzehn war eine schwere Influenza, die bei Kindern und Jugendlichen in vier von zehn Fällen tödlich verlief. Bei F-einundzwanzig handelte es sich um eine leichtere Fieberkrankheit, die etwa drei bis vier Wochen dauerte. Während dieser Zeitspanne bildeten sich, über den ganzen Körper verteilt, kleine, runde Knötchen, die nach dem Abklingen des Fiebers eine rötliche Färbung annahmen und den Patienten für den Rest des Lebens zeichneten. Conway schüttelte gereizt den Kopf.
»Die Wurzel allen Übels hier auf Etla liegt in dem Vertreter des Imperiums!« »Wir haben ihm schon seit langer Zeit ein paar Fragen stellen wollen«, entgegnete Stillman, indem er aufstand. »Diese Absicht haben wir durch Radio, Presse und alle anderen Nachrichtenmittel veröffentlicht. Da sich nichts daraufhin rührte, sind wir überzeugt, daß Teltrenn sich bewußt vor uns verborgenhält. Wahrscheinlich fühlt er sich schuldig an der hiesigen Misere. Alles, was uns über den Mann bekannt ist, werden wir zu einem Bericht zusammenstellen und Lonvellin übergeben. Ich werde auf dem Kreuzer veranlassen, daß Sie eine Durchschrift bekommen.« »Danke sehr«, brummte Conway. Stillman nickte ihm zu und verließ den Raum. Conway schaltete sein kombiniertes Gerät ein, stellte die Verbindung zum Kreuzer Vespanian her und ließ sich mit dem fünfzig Meilen entfernten Lonvellin verbinden, um sich einmal alles vom Herzen zu reden. »Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet, Freund Conway«, sagte Lonvellin, nachdem Conway seinen Bericht beendet hatte. »Ich freue mich wirklich über den Eifer und die Fähigkeiten meiner Assistenten. Es ist uns jetzt gelungen, das volle Vertrauen der etlanischen Ärzte fast auf dem gesamten Planeten zu gewinnen. Damit ist der Weg zur Übermittlung aller er-
forderlichen Informationen frei. Aus diesem Grund können Sie in wenigen Tagen zu Ihrem Weltraumhospital zurückkehren, und Sie dürfen uns auf keinen Fall mit dem Gefühl verlassen, daß Sie die Ihnen zugeteilte Aufgabe etwa nicht zur vollen Zufriedenheit durchgeführt hätten. Derartige Befürchtungen sind völlig grundlos.« Lonvellin überlegte. »Ihr Vorschlag, dieses Wesen Teltrenn aus seinem Amt zu entfernen oder durch einen Nachfolger zu ersetzen, ist sehr vernünftig, und ich hatte bereits den gleichen Gedanken. Außer seinem offensichtlichen Versagen trägt er auch die Schuld an dem Haß der Etlaner auf alle anderen Wesen der Galaxis. Ihre Andeutung, daß der Grund für diesen Haß nicht in der Person von Teltrenn, sondern im Imperium zu suchen ist, mag richtig sein oder auch nicht. Immerhin erscheint es mir nach Lage der Dinge nicht erforderlich, eine sofortige Suchaktion nach dem Imperium einzuleiten.« Lonvellins Tonfall war durch die Übersetzungsanlage natürlich nicht zu hören, aber Conway hatte das Gefühl, daß seine Stimme einige Grade schärfer wurde, als er fortfuhr. »Ich betrachte den Planeten Etla als eine isolierte Welt in Zustand der Quarantäne. Somit kann das Problem gelöst werden, ohne auf die Frage einzuge-
hen, ob das Imperium einen gewissen Einfluß ausübt oder nicht. Damit erübrigen sich auch unsere gemeinsamen Sorgen über diese Frage. Das wird sich alles klären, wenn es uns erst einmal gelungen ist, das auf diesem Planeten herrschende Leid abzuschaffen, denn das ist unser Hauptziel, und erst dann kommt alles andere. Ihre Ansicht, daß dieses alle zehn Jahre vom Imperium kommende Raumschiff, das nur wenige Stunden auf Etla verweilt, ein wesentlicher Anhaltspunkt zur Lösung des Problems wäre, ist falsch. Sie messen diesem Umstand, vielleicht ganz unbewußt, zu viel Bedeutung bei, und das liegt vielleicht an Ihrem Verlangen, mehr über dieses Imperium zu erfahren.« In diesem Punkt mußte Conway dem EPLH vollkommen recht geben. »Ich möchte Etla als ein isoliertes Problem betrachten. Wenn wir jetzt noch das Imperium in die Sache verwickeln, das möglicherweise selbst medizinische Unterstützung braucht, dann wächst uns die Aufgabe vollkommen über den Kopf. Um Ihre Befürchtungen jedoch zu zerstreuen, können Sie Colonel Williamson ausrichten, daß er von mir aus eine Suchaktion nach dem Imperium durchführen kann, um einen Bericht über die dort herrschenden Verhältnisse durchzugeben. Unsere Anwesenheit auf Etla darf jedoch mit keinem Wort erwähnt werden, solange unsere Aktion hier nicht vollkommen abgeschlossen ist.«
»Ich verstehe, Sir«, sagte Conway und trennte die Verbindung. Es kam ihm irgendwie sonderbar vor, daß Lonvellin ihn wegen seiner Neugier tadelte, nur um ihm im gleichen Atemzug die Möglichkeit in die Hand zu geben, diese Neugier zu befriedigen. Machte er sich vielleicht doch mehr Sorgen über den Einfluß des Imperiums, als er einräumen wollte, oder wurde er auf seine alten Tage weichherzig? Conway setzte sich mit Colonel Williamson in Verbindung. Nachdem Conway seine Ausführungen beendet hatte, räusperte sich der Kapitän des Raumkreuzers ein paarmal, und in seiner Stimme schwang eine leise Verlegenheit mit. »Während der vergangenen zwei Monate haben sich einige unserer Kontaktoffiziere und Ärzte auf der Suche nach dem Imperium befunden, Doktor. Eines unserer kleinen Raumschiffe hat dabei Erfolg gehabt und uns einen ersten Bericht zugeschickt. Der betreffende Arzt hat nichts von den Vorgängen auf Etla gewußt, und deshalb wird Ihnen sein Bericht wahrscheinlich nicht das sagen, was Sie sich davon versprechen. Ich schicke Ihnen eine Abschrift zusammen mit dem Bericht über Teltrenn.« Colonel Williamson ließ eine kurze Pause eintreten und hüstelte.
»Lonvellin muß natürlich darüber informiert werden«, fügte er dann hinzu, »aber ich überlasse es Ihrer Diskretion, den dazu geeigneten Zeitpunkt zu wählen.« Unvermittelt lachte Conway schallend auf. »Machen Sie sich keine Sorgen, Colonel; ich werde die Information eine Weile für mich behalten. Sollten Sie jedoch zur Rede gestellt werden, dann können Sie noch immer sagen, es wäre die Aufgabe eines guten Dieners, die Wünsche seines Herrn im voraus zu ahnen.« Auch nachdem die Verbindung getrennt war, lachte Conway weiter. Seit seiner Ankunft auf dem Planeten Etla war er kaum zum Lachen gekommen, und auch seinen Patienten gegenüber war er ungewöhnlich ernst gewesen. Das lag zweifellos an der Tatsache, daß niemand auf Etla lachte. Die ganze, hier herrschende Atmosphäre tiefer Hoffnungslosigkeit schien mit jedem verstreichenden Tag intensiver zu werden. Conway begann sich nach seiner Station im Weltraumkrankenhaus zu sehnen. Er war froh, daß er in einigen Tagen den Heimweg antreten konnte, und es störte ihn dabei nur wenig, daß seine Aufgabe hier auf Etla seiner Ansicht nach nicht voll gelöst war. Er sehnte sich auch nach Schwester Murchison. In den vergangenen Wochen hatte er kaum Zeit ge-
funden, an sie zu denken. Mit den einzelnen Sendungen von Etla hatte er ihr zweimal eine Nachricht zukommen lassen. Er wußte, daß er sich auf Thornnastor von der pathologischen Abteilung verlassen konnte und daß dieser ihr die Nachrichten aushändigen würde. Schwester Murchison hatte ihm jedoch nicht geantwortet. Vielleicht fürchtete sie, ihm zu viel Hoffnungen zu machen, wenn sie sich der Mühe unterzog, ihm einen Brief zuzuschmuggeln, oder vielleicht hatte sie ihm auch den Abschiedskuß an der Luftschleuse übelgenommen und war noch immer nicht gut auf ihn zu sprechen. Sie war ein sonderbares Mädchen; sehr ernst und dabei voll und ganz ihrer Aufgabe hingegeben. Nein, sie hatte wirklich keine Zeit für Männer. Erst an jenem Tage, als er eine schwere, erfolgreiche Operation hinter sich hatte und den Erfolg feiern wollte, war sie zu einer Verabredung bereit gewesen, zumal sie zuvor gemeinsam an einem Fall gearbeitet hatten, bei dem er taktvoll jeden Annäherungsversuch unterlassen hatte. Seit diesem Tage hatten sie sich in regelmäßigen Abständen getroffen, und Conway wurde von allen männlichen DBGDs des Hospitals beneidet. Seine Gedanken wurden durch das Eintreten eines Sergeanten unterbrochen, der einen Aktenband auf den Schreibtisch legte.
»Das Material über Teltrenn, Doktor«, sagte er. »Der andere Bericht von Colonel Williamson ist vertraulich. Er muß erst abgeschrieben werden und folgt in etwa fünfzehn Minuten, Sir.« »Danke sehr.« Nachdem der Sergeant den Raum verlassen hatte, begann Conway zu lesen. Etla war eine Kolonie, und als solche hatte sie keine Möglichkeit zu einer natürlichen Entfaltung gehabt. Es gab hier keine nationalen Grenzen oder dazugehörige bewaffnete Streitmächte, und in technischer Beziehung unterstand die gesamte Polizei dem Imperator, der hier durch Teltrenn verkörpert wurde. Mitglieder dieser Polizeimacht hatten den Angriff auf Lonvellins Raumschiff durchgeführt, das auch jetzt noch von ihnen bewacht wurde. Es ging deutlich aus dem Bericht hervor, daß es sich bei Teltrenn um ein Wesen mit großem Stolz und ausgesprochenem Machthunger handelte. Allerdings fehlte bei ihm der grausame Zug, der in solchen Wesen gewöhnlich anzutreffen ist. Der Vertreter des Imperiums war nicht auf Etla geboren worden, und im Umgang mit Etlanern war er anständig und rücksichtsvoll. Es stand fest, daß er auf sie hinabschaute, als wären sie minderwertige Wesen, aber er schien sie wenigstens in der Öffentlichkeit nicht zu verachten, und er hatte sie niemals grausam behandelt.
Conway schleuderte den Bericht auf den Schreibtisch. Die verwünschte Nachricht verwirrte die ohnehin schon reichlich komplizierte Sache noch mehr! Er stand auf, verließ das Büro und schlug die Tür wütend hinter sich zu. Zusammen mit Stillman verließ er den Verwaltungsblock und trat in die angenehm kühle Nacht hinaus. Ein paar Wolkenfetzen hingen am dunklen Sternenhimmel. Es war eine sehr ruhige Nacht, aber Conway konnte seine Besorgnis nicht abschütteln. Er war überzeugt, daß ihm irgendein Punkt entgangen war. Plötzlich spürte er das unbezähmbare Verlangen, den Bericht über das Imperium so schnell wie möglich zu lesen. »Haben Sie manchmal auch solche Gedanken, über die man sich einfach schämen sollte?« fragte er Stillman. Der Major brummte nur und tat die Frage als rein rhetorisch ab. Sie setzten den Weg zum Raumkreuzer fort. Unvermittelt blieben sie stehen. Am südlichen Horizont schien die Sonne aufzugehen. Ein silberner Streifen tauchte dort auf, und die Wolken nahmen eine rötliche Färbung an. Ehe sie noch auf diesen glorreichen, wenn auch in der Richtung vollkommen falschen Sonnenaufgang reagieren
konnten, bildete sich dort ein strahlend roter Punkt. Eine leichte Erschütterung lief wie eine Welle durch den Boden, und kurz darauf vernahmen sie wie aus weiter Ferne ein leichtes Donnergrollen. »Lonvellins Raumschiff!« rief Stillman. Sie begannen zu laufen.
11 Im Kontrollraum des Kreuzers Vespanian schwirrte es wie in einem Bienenhaus. Der ruhende und unerschütterliche Pol war der Kapitän, Colonel Williamson. Als Conway und Stillman in den Raum eilten, gab er gerade Anweisung an seine Kurierschiffe und Hubschrauber, sofort mit allen erforderlichen Gerätschaften zum Explosionsort aufzubrechen und dort erste Hilfe zu leisten. Für die in der Nähe von Lonvellins Raumschiff befindlichen Wachmannschaften gab es natürlich keine Hoffnung mehr, aber in der Nähe lagen ein paar Dörfer und vereinzelte Bauerngehöfte. Die Hilfstruppen mußten mit einer Panik unter den Etlanern rechnen, die sich zweifellos einer Evakuierung heftig widersetzen würden, da eine solche Maßnahme ihr Begriffsvermögen weit überstieg. Als Conway da draußen unter dem freien Himmel die Explosion von Lonvellins Raumschiff gesehen hatte, war ihm übel geworden. Während er nun Colonel Williamsons knappe und präzise Anweisungen hörte, spürte er, wie ihm der Schweiß ausbrach, und ein eiskalter Schauer jagte seinen Rücken hinunter. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die ausgedörrten Lippen.
»Ich hätte einen dringenden Vorschlag zu machen, Colonel ...«, keuchte er. Williamson wirbelte herum. »Nach diesem Unfall von Lonvellin liegt die Leitung dieses Projektes in Ihren Händen, Doktor«, erwiderte er ungeduldig. »Sie brauchen sich nicht erst lange mit irgendwelchen Formalitäten aufzuhalten.« »In dem Fall«, sagte Conway noch immer sehr leise, »habe ich ein paar neue Anweisungen für Sie. Lassen Sie sofort alle Maßnahmen für eine Rettungsaktion einstellen und die Leute an Bord zurückkehren. Starten Sie, so schnell es geht, bevor wir auch in die Luft fliegen.« Conway sah alle Augenpaare auf sein kreideweißes, schweißbedecktes Gesicht gerichtet, und er spürte, daß sie ganz falsche Schlußfolgerungen zogen. Colonel Williamson stand ein paar Sekunden lang wie erstarrt vor Ärger, Verlegenheit und Unsicherheit, und dann wurde sein Gesicht mit einemmal hart. Er wandte sich an den neben ihm stehenden Offizier, bellte ihm einen Befehl zu und richtete den Blick dann wieder auf Conway. »Ich habe gerade unseren zweiten Meteorschutzschirm einschalten lassen, Doktor«, sagte er steif. »Jeder feste Gegenstand, der sich aus einer beliebigen Richtung unserem Kreuzer nähert, bleibt in einer Entfernung von hundert Meilen in diesem Schutzschirm
hängen und wird dort automatisch vernichtet. Ich kann Ihnen also die absolute Gewißheit geben, Doktor, daß für uns keinerlei Gefahr besteht, von irgendwelchen atomaren Geschossen getroffen zu werden. Außerdem wäre es geradezu lächerlich, hier auf Etla überhaupt mit einer solchen Möglichkeit zu rechnen. Die Etlaner kennen das Atomverfahren überhaupt noch nicht. Sie wissen doch, daß wir über die entsprechenden Meßinstrumente verfügen.« Er hielt inne, und seine Stimme nahm den Tonfall an, den er gewöhnlich benutzte, wenn er dem Offizier an der Steuerung eine Kursänderung auftrug. »Mein Vorschlag geht dahin, alle verfügbaren Mannschaften zur Unfallstelle zu schicken, um die erforderlichen Rettungsmaßnahmen durchzuführen. Der Unfall selbst kann nur durch einen Fehler in der Anlage von Lonvellins Raumschiff entstanden sein, und ...« »Lonvellins Raumschiff hatte keine fehlerhafte Anlage!« sagte Conway mit Nachdruck. »Er hatte die gleiche Furcht vor dem Tode wie alle anderen langlebigen Wesen, und diese Angst steigerte sich mit zunehmendem Alter. Er hatte ständig einen persönlichen Arzt zu seiner Verfügung, um jede auftretende Krankheit im Keim ersticken zu können, und schon daraus geht hervor, daß er niemals ein Raumschiff mit einer defekten Anlage benutzt hätte. Nein, nein,
Lonvellin ist getötet worden«, fuhr Conway grimmig fort, »und der Grund, aus dem sie sein Raumschiff als erstes aufs Korn genommen haben, ist wahrscheinlich darin zu suchen, daß sie fremdartig aussehende Wesen nun einmal so stark hassen. Es ist gut zu wissen, daß Sie unseren Kreuzer so gut schützen und gegen Angriffe abschirmen können, aber wenn wir jetzt starten, dann werden sie keine weitere Bombe anwenden, und wir retten das Leben unserer Leute da draußen sowie auch das von vielen Etlanern.« Conway mußte einsehen, daß alles zwecklos war. Williamson behielt seine Haltung bei; wütend, weil er anscheinend sinnlose Befehle ausführen sollte, verlegen, weil es aussah, als würde sich Conway wie ein altes Waschweib fürchten, und hartnäckig, weil er sich selbst im Recht glaubte. Innerlich verwünschte Conway diese Haltung des Kapitäns, aber er sah ein, daß er ihn hier nicht vor allen, anderen Offizieren erniedrigen und mit einem Wortschwall überschütten durfte. Immerhin hatte er sich noch immer als durchaus fähiger Kapitän erwiesen, der bislang noch jede Situation zu meistern vermocht hatte. Ihm fehlte lediglich die Übersicht, um alle vorhandenen Tatsachen und Faktoren richtig zusammensetzen zu können. Er hatte auch nicht die analytische Fähigkeit eines Arztes – ganz zu schweigen von dem häßlichen Verdacht, der an Conway nagte.
»Sie haben doch einen Bericht über das Imperium für mich«, sagte er. »Kann ich ihn lesen?« Williamsons Blick ging zu den einzelnen Bildschirmen des Kontrollraumes, auf denen die fieberhafte Tätigkeit der Besatzungsmitglieder zu sehen war. Die einzelnen Hubschrauber stiegen auf, und das Kurierschiff wurde in aller Eile mit Gerätschaften beladen. Überall schwirrten die Männer durcheinander. »Sie wollen den Bericht jetzt lesen?« fragte er. »Ja«, antwortete Conway. Aber dann kam ihm ein anderer Gedanke, und er schüttelte den Kopf. Er hatte verzweifelt versucht, den Kapitän zu einem sofortigen Start zu bewegen, um die eigentliche Aufgabe zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Jetzt mußte er jedoch einsehen, daß es entschieden notwendig war, zunächst ein paar Erklärungen abzugeben – und zwar sehr schnell. »Ich habe eine Theorie«, sagte er, »nach der die Vorgänge auf diesem Planeten zu erklären sind, und der Bericht dürfte diese Theorie rechtfertigen. Wenn ich Ihnen also jetzt schon, ohne den Bericht gelesen zu haben, alles erklären kann, werden Sie meiner Theorie dann Glauben schenken und sogleich an den Start gehen?« Draußen stiegen zwei Hubschrauber zum dunklen Nachthimmel hinauf; die Luftschleuse des kleinen,
schnellen Raumschiffes wurde geschlossen, und eine mit Menschen und Etlanern besetzte Lastwagenkolonne setzte sich in Bewegung. Über die Hälfte der Besatzungsmitglieder dieses Kreuzers waren da draußen, und mit jeder Sekunde entfernten sie sich weiter, denn ihr Ziel war ja der Unfallort. Conway wartete Colonel Williamsons Antwort gar nicht erst ab. »Nach meiner Theorie handelt es sich bei dem Imperium um ein Reich im wahrsten Sinne des Wortes – nicht um einen Staatenbund wie bei uns. Das bedeutet, daß sie eine große Streitmacht unterhalten, um die Anordnungen des Imperators durchsetzen zu können und die Regierung intakt zu halten. Die Lebewesen sind DBGDs wie die Etlaner und wir selbst; es sind ganz normal veranlagte Wesen – mit der Ausnahme, daß sie alle fremdartig aussehenden Rassen hassen, weil sie bisher recht wenig Gelegenheit hatten, sie näher kennenzulernen.« Conway hielt inne und atmete tief ein. »Die Lebensbedingungen und auch die technische Entwicklung dürften etwa den unseren entsprechen. Wahrscheinlich liegen die Steuern recht hoch, und ich schätze, daß dieses Imperium aus etwa vierzig bis fünfzig bewohnten Planeten besteht.« »Dreiundvierzig«, warf Colonel Williamson verdutzt ein.
»Und ich glaube weiterhin, daß sie alle über das Schicksal des Planeten Etla unterrichtet sind. Sie betrachten ihn als eine unter ständiger Quarantäne stehende Welt, aber sie tun alles nach besten Kräften, um ihm zu helfen ...« »Das tun sie bestimmt!« fiel Williamson ihm ins Wort. »Unser Mann befand sich nur zwei Tage auf einem der etwas entfernteren Planeten des Imperiums, bevor er zum Hauptplaneten und zum Großen Chef gebracht wurde. In diesen zwei Tagen konnte er sich eine Meinung darüber bilden, was die Leute dort von Etla hielten. Überall begegnete er Bildern mit Darstellungen über das Leid der Etlaner. Es werden große, von der Regierung geförderte Sammelaktionen durchgeführt, um die Leiden der Etlaner zu mildern. Es scheint eine recht nette Rasse zu sein, Doktor.« »Davon bin ich überzeugt«, knurrte Conway. »Aber halten Sie es nicht auch für verdammt merkwürdig, daß diese Sammlungen auf dreiundvierzig bewohnten Planeten nur dazu ausreichen, alle zehn Jahre einmal ein Raumschiff zum Planeten Etla zu schicken?« Colonel Williamson öffnete den Mund; er schloß ihn wieder und starrte nachdenklich vor sich hin. Nur das leise Ticken der Nachrichtengeräte durchbrach die tiefe Stille im Raum. Major Stillman stieß einen Fluch aus.
»Jetzt merke ich, worauf er anspielt, Sir! Wir müssen sofort starten!« rief er. Williamson streifte ihn mit einem kurzen Seitenblick, und dann sah er Conway wieder an. »Ich könnte mir vorstellen, daß ein Mensch plötzlich vorübergehend den Verstand verliert, aber wenn es jetzt schon zwei sind ...«, murmelte er. Drei Sekunden später gingen neue Anweisungen an die einzelnen Mannschaften hinaus, und dazu heulte die Alarmsirene des großen Raumkreuzers. Die vor wenigen Minuten erteilten Befehle wurden widerrufen. Williamson verließ die Kontrollgeräte und wandte sich wieder an Conway. »Fahren Sie fort, Doktor«, sagte er grimmig. »Ich glaube, ich fange auch schon an, ein wenig klarer zu sehen.« Conway seufzte erleichtert und begann mit seinen Ausführungen. Etla war eine Kolonie des Imperiums mit einem einzigen Raumhafen, der ursprünglich dazu diente, daß die eintreffenden Pioniere mit ihrer Ausrüstung landen konnten. Im Laufe der Zeit wurden Städte und Ortschaften gebaut, und die Bevölkerungszahl stieg immer weiter an. Zu einem bestimmten Zeitpunkt mußte der Planet dann von einer Welle von Krankheiten heimgesucht worden sein, und die Be-
völkerung drohte ausgelöscht zu werden. Die Bewohner der anderen Planeten des Imperiums hörten von ihrem schweren Schicksal und starteten eine spontane Sammelaktion, um ihnen zu helfen. Es hatte recht klein angefangen, aber im Laufe der Zeit wurden diese Sammelaktionen immer stärker. Dennoch bekamen die Etlaner nur wenig Hilfe zu spüren. Wenn die individuellen Spendenbeiträge vielleicht auch gering sein mochten, so summierten sie sich durch die Vielzahl der einzelnen Welten doch zu einem Gesamtbetrag, dessen Höhe weder der Regierung noch dem Imperator selbst entgehen konnte. Zu dieser Zeit war das Imperium bereits zu groß geworden, und der unvermeidliche Verfall begann einzusetzen. Mehr und mehr Geld wurde zur Verwaltung des Imperiums und zur Erhaltung des Imperators mitsamt seinem Hofstaat gebraucht, der sich für berechtigt hielt, sich jeden Luxus leisten zu können. Auf diese Weise wurde ein Großteil der Spenden einfach einbehalten und vollkommen zweckentfremdet verbraucht. Allmählich bildeten diese für den Planeten Etla gedachten Spenden einen festen Posten in den Einnahmen der Regierung. So hatte das alles begonnen. Etla wurde unter Dauerquarantäne gestellt, obwohl ohnehin kein vernünftiger Mensch auf den Gedanken
gekommen wäre, den Planeten etwa zu besuchen. Dann gelang es den Etlanern durch eigene Anstrengungen, aller Krankheiten und Epidemien Herr zu werden. Damit war die lukrative Einkommensquelle des Imperators bedroht, und er mußte schnelle Gegenmaßnahmen treffen. Auf diese Weise kam der teuflische Plan zustande, den Planeten Etla von Zeit zu Zeit durch eingeschmuggelte Bakterien und Krankheitserreger zu verseuchen. Um das Mitleid der Bevölkerung des Imperiums zu erregen und zu bewahren, mußte es sich stets um fotogene Krankheiten handeln, wie Verkrüppelung und dergleichen. Dabei wurde streng darauf geachtet, daß es zu keiner Zeit an genügender Nachkommenschaft fehlte, um die Spendenquelle nicht versiegen zu lassen. Schon zu einem frühen Zeitpunkt wurde ein offizieller Vertreter des Imperiums zum Planeten Etla geschickt. Er war psychologisch geschult, und seine Hauptaufgabe bestand darin, den Krankheitsgrad der Etlaner stets auf der gleichen Höhe zu halten. Irgendwie wurden die Etlaner jetzt nicht mehr als menschliche Lebewesen betrachtet, sondern eher als einträgliche, kranke Tiere. Das paßte haargenau in die Pläne des glorreichen Imperators. An diesem Punkt legte Conway eine Pause ein. Colonel Williamson und Major Stillman sahen leichen-
blaß aus, und ihre Gefühle mußten etwa die gleichen sein, wie er, Conway, sie nach der Explosion von Lonvellins Raumschiff empfunden hatte. »Teltrenn hat stets eine Polizeitruppe zur Verfügung, die ausreicht, alle etwa durch Zufall aufkreuzenden Besucher zu vernichten. Wegen der bestehenden Quarantäne kann es sich bei solchen Besuchern ohnehin nur um fremdartige Wesen handeln, und den Etlanern wird der Haß gegen diese schon im Kindesalter eingeimpft ...« »Aber wie können sie denn so kaltblütig sein?« fragte Williamson entgeistert. »Wahrscheinlich hat es nur mit der Unterschlagung der Spenden begonnen«, erwiderte Conway müde. »Dann wuchs ihnen die Sache allmählich über den Kopf, und nun sind wir hier aufgetaucht, um ihre nette Einnahmequelle zu verstopfen. Da hat das Imperium beschlossen, uns zu vernichten.« Ehe Williamson zu einer Erwiderung ansetzen konnte, gab der Nachrichtenoffizier bekannt, daß die beiden Hubschrauber und das Personal des Raumhafens an Bord wären. Da die anderen Männer des Korps Stunden gebraucht hätten, um den großen Raumkreuzer zu erreichen, waren sie angewiesen worden, sich bis zum späteren Eintreffen eines Kurierschiffes verborgenzuhalten. Noch bevor der Nachrichtenoffizier seine Meldung
beendete, gab Colonel Williamson den Befehl zum Start. Conway wurde es ein wenig schwarz vor den Augen, als der Kreuzer Vespanian den Sprung in den Weltraum unternahm, während das Kurierschiff ihm unmittelbar folgte. »Sie müssen mich vorhin für ziemlich dumm und begriffsstutzig gehalten haben ...«, begann der Kapitän, aber er wurde sogleich von den Berichten der zum Kreuzer zurückgekehrten Mannschaften unterbrochen. Einer der beiden Hubschrauber war beschossen worden, und die in der Stadt und am Raumhafen weilenden Männer hatten den strikten Befehl zum Bleiben erhalten. Die Polizeiorgane hatten diese Anweisung direkt vom Vertreter des Imperiums bekommen, und er hatte ihnen ausdrücklich aufgetragen, jeden zu erschießen, der die Flucht ergreifen wollte. Die Polizisten und die Männer des Korps hatten sich inzwischen jedoch recht gut angefreundet, so daß die Etlaner jetzt einfach in die Luft geschossen hatten. »Die Sache wird immer schlimmer«, knurrte Major Stillman. »Ich glaube, jetzt wird alles uns in die Schuhe geschoben: die Vernichtung von Lonvellins Raumschiff und all die toten Etlaner, die es dabei gegeben hat, und damit sind wir die Verbrecher. Ich halte jede
Wette, daß sofort neue Krankheitserreger eingesetzt werden, und auch die ausbrechenden Krankheiten wird man auf unser Konto setzen!« Major Stillman stieß eine Reihe von Verwünschungen aus. »Sie wissen ja, was dieser Planet den Bewohnern des Imperiums bedeutet. Etla und seine arme, verkrüppelte und von Krankheiten heimgesuchte Bevölkerung liegt ihnen sehr am Herzen, und nun sind wir die Schurken, die diesen bedauernswerten Planeten angegriffen haben.« Während der Ausführungen des Majors war Conway wieder der Schweiß ausgebrochen. Er hatte sich in erster Linie mit den medizinischen Berichten und Faktoren befaßt und daraus seine Schlußfolgerungen gezogen, denn das war ja sein eigentliches Interessengebiet. Der große, hinter allem stehende Zusammenhang kam ihm erst jetzt zu Bewußtsein. »Aber das könnte doch den Ausbruch eines Krieges bedeuten!« rief er atemlos. »Gewiß«, pflichtete Major Stillman ihm grimmig bei, »und das ist auch das vom Imperium angestrebte Ziel. Nach allem, was wir jetzt über dieses Imperium wissen, ist es groß und faul geworden, so daß die üblichen Verfallserscheinungen eingesetzt haben. Innerhalb der nächsten Jahrzehnte würde es wahrscheinlich von selbst auseinanderbrechen, und das
wäre nur begrüßenswert. Aber das beste Mittel, den absoluten Verfall eines solchen Imperiums zu verhindern, ist nun mal ein Krieg, denn so etwas knüpft die gelockerte Bande wieder fester. Wenn die Trümpfe richtig ausgespielt werden, kann sich das Imperium durch einen Krieg noch mindestens ein weiteres Jahrhundert am Leben erhalten.« Conway schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich hätte das alles viel früher erkennen müssen«, murmelte er. »Wenn uns Zeit geblieben wäre, den Etlanern die Wahrheit beizubringen ...« »Immerhin haben Sie es früher erkannt als wir«, unterbrach ihn Williamson. »Außerdem hätte es wenig Sinn, den Etlanern die Wahrheit zu eröffnen, wenn wir sie nicht auch den einzelnen Völkern des Imperiums sagen können. Sie, Doktor Conway, haben nicht die geringste Veranlassung, sich selbst etwas vorzuwerfen.« »Ordonnanzoffizier«, tönte eine Stimme aus den Lautsprecherbatterien. »Wir haben im Sektor Grün Zwölf Einunddreißig ein Raumschiff entdeckt, das sich in einen Schutzschirm zur Abwehr von Geschossen gehüllt hat. An Größe ist es uns weit unterlegen. Irgendwelche Anweisungen, Sir?« Williamson warf einen Blick auf den Fernsehschirm. »Unternehmen Sie vorerst noch gar nichts!« befahl
er, und dann wandte er sich wieder an Conway und Major Stillman. Jetzt war er ausschließlich der Kapitän dieses Raumkreuzers, dessen ruhige Haltung allen Personen an Bord Vertrauen einflößen mußte; er zeigte deutlich, daß sich niemand irgendwelche Sorgen zu machen brauchte. »Schauen Sie doch nicht so besorgt drein, meine Herren«, sagte er gelassen. »Diese Situation, diese Drohung vom Ausbruch eines interstellaren Krieges mußte ja schließlich einmal kommen, und wir haben längst die entsprechenden Pläne geschmiedet, diesem Problem zu begegnen. Zum Glück bleibt uns reichlich Zeit, diese Pläne in die Tat umzusetzen. Das Imperium besteht aus vielen, eng beieinander liegenden Planeten, denn sonst hätten wir es nicht in so kurzer Zeit entdecken können. Unsere eigenen Systeme dagegen liegen weit auseinander über die halbe Galaxis verstreut. Nur eine von fünf Sonnen hat bei uns einen bewohnten Planeten. Das Problem des Imperiums ist nicht so einfach. Mit sehr viel Glück könnte man uns vielleicht in drei Jahren aufspüren, aber ich persönlich schätze, daß es mindestens zwanzig Jahre dauern wird. Sie sehen also selbst, daß wir sehr viel Zeit zur Verfügung haben.« Conway war nicht recht überzeugt, und das konnte man ihm vom Gesicht ablesen, denn der Kapitän kam seinen etwaigen Einwendungen prompt zuvor.
»Der Agent, der uns den Bericht schickte, könnte dem Imperium möglicherweise helfen«, fuhr er fort. »Und zwar aus freien Stücken, denn er kennt ja noch nicht die Wahrheit. Vielleicht macht er einige Angaben über unsere Verhältnisse und Organisationen, aber da er ein Arzt ist, wird er darüber kaum viel zu berichten haben, und außerdem würden diese Angaben dem Imperium nur dann weiterhelfen, wenn sie wüßten, wo sie uns finden können. Das werden sie indessen nur erfahren, wenn es ihnen gelingt, eines unserer Raumschiffe zu kapern, an dessen Bord sich die genauen Karten der stellaren Systeme befinden, und gegen eine solche Möglichkeit werden wir sogleich alle erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen treffen. Solche Agenten sind in jedem Fall Spezialisten: Sprachwissenschaftler, Ärzte oder Soziologen. Von der interstellaren Navigation haben sie nicht die geringste Ahnung. Das jeweilige Raumschiff, das sie zum Bestimmungsort bringt, kehrt stets sofort zurück, denn das ist eine feste Anweisung, an der niemand rütteln darf. Sie sehen also, daß wir zwar vor einem ernsten Problem stehen, aber es droht keine unmittelbare Gefahr.« »Nein?« fragte Conway. Colonel Williamson und Major Stillman starrten ihn an. Conway fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und versuchte, ihnen alles so behutsam wie möglich beizubringen.
»Ich persönlich«, begann er ruhig, »habe nicht die geringste Ahnung von den Koordinaten von Traltha, Illensa oder auch von der Erde – ja, nicht einmal von dem irdischen Planeten, auf dem ich geboren wurde. Aber es gibt eine Zahlenkombination, die ich auswendig kenne, und meines Wissens ist sie auch jedem anderen Arzt dieses Sektors der Galaxis bekannt. Es sind die Koordinaten des Weltraumhospitals. Ich glaube nicht, daß uns überhaupt noch eine Zeitspanne bleibt.«
12 Die einzige konstruktive Arbeit, die Conway auf dem Rückweg zum Weltraumhospital leistete, war das Nachholen des so lange versäumten Schlafes – aber auch im Schlaf fand er keine Entspannung, denn er wurde von wilden Alpträumen gequält. Die meiste Zeit verbrachte er im Gespräch mit Colonel Williamson, Major Stillman und den anderen höheren Offizieren des Kreuzers Vespanian. Da er während der letzten halben Stunde ihres Aufenthaltes auf dem Planeten Etla die Lage genau richtig erkannt und durchschaut hatte, schien Colonel Williamson jetzt in jeder Beziehung auf seinen Rat zu hören, obgleich Probleme wie Spionage, Raumflottenmanöver und dergleichen kaum im eigentlichen Bereich eines Stationsarztes des Weltraumhospitals lagen. Diese Unterredungen waren zwar recht interessant und lehrreich, aber sie waren ebenso bedrückend wie die Alpträume seines Schlafes. Colonel Williamson vertrat die Ansicht, daß ein interstellarer Eroberungskrieg logischerweise unmöglich war; er räumte jedoch die Möglichkeit eines einfachen Vernichtungskrieges ein, vorausgesetzt, der Angreifer verfügte über die erforderlichen Streitkräf-
te. Das Imperium hatte zweifellos genügend Streitkräfte. Ob es ihm jedoch etwas ausmachen würde, die intelligenten Lebewesen eines ganzen Planeten einfach auszurotten, mußte erst noch festgestellt werden, denn darüber gab es bislang keinerlei Unterlagen. Bei genügender Zeit hätten sich die Agenten des Korps im Imperium einnisten können. Die Lage von zumindest einem der Planeten des Imperiums war bereits bekannt, und da es dort interplanetarische Raumfahrt gab, mußten auch die anderen Planeten bald zu entdecken sein. Dann kam es nur noch darauf an, alle erforderlichen Informationen einzusammeln und durchzugeben, um dann ... Nun ja, die Agenten des Korps waren keine schlechten Propagandisten, und in einer Situation wie dieser, wo beim Feind alle Feldzugspläne auf einer großen Lüge basierten, brauchte man nur eine Methode anzuwenden, die diesen schwachen Punkt traf. Das Monitor-Korps war an sich ein Polizeiorgan, eine Streitmacht, die aufgestellt worden war und unterhalten wurde, um in erster Linie den Frieden zu bewahren, nicht aber um Krieg zu führen. Wie bei jedem anderen Polizeiorgan waren die Aktionen des Korps darauf abgestellt, unschuldige Zuschauer nach Möglichkeit zu verschonen, und in diesem Fall waren die Bevölkerungen des Imperiums und der anderen Systeme die unschuldigen Zuschauer.
Aus diesem Grund wurde der Plan entworfen, das Imperium von innen heraus zu unterminieren; allerdings konnte dieser Plan erst nach dem ersten Zusammenstoß der Gegner in die Tat umgesetzt werden. Williamsons Gedanken beschäftigten sich sehr viel mit dem zur Zeit im Imperium befindlichen Agenten des Korps. Er hoffte von ganzem Herzen, daß dieser die Koordinaten des Weltraumhospitals nicht kannte und sie somit auch nicht unbewußt verraten konnte. Der Colonel war ein ausgesprochener Realist und wußte nur zu gut, daß der Feind jede Möglichkeit hatte, alles aus dem Agenten herauszuholen, was dieser wußte. Wenn diese ideale Lösung des Problems versagte, dann mußte das Weltraumkrankenhaus auf eine Weise verteidigt werden, daß der Feind nichts von den Positionen der anderen Systeme erfuhr, es sei denn, sie wandten zeitraubende Mittel und den Großteil ihrer Streitkräfte auf, um die gesamte Galaxis zu durchforschen. Genau das entsprach den Plänen des Korps. Conway versuchte, nicht daran zu denken, was sich im Weltraumkrankenhaus abspielen würde, wenn dieses dem konzentrierten Angriff der feindlichen Streitkräfte ausgesetzt war. Einige Stunden vor Erreichen des Ziels traf ein weiterer Bericht des Agenten ein, der sich nunmehr auf
dem Hauptplaneten des Imperiums befand. Der erste, zum Planeten Etla gehende Bericht, war neun Tage unterwegs gewesen, während diese mit Vorrang behandelte Meldung nur achtzehn Stunden gebraucht hatte. Der Bericht des Agenten besagte, daß die Bevölkerung des Hauptplaneten fremdartigen Wesen gegenüber nicht so feindlich gesonnen zu sein schien wie das auf Etla und den anderen Planeten des Imperiums der Fall war. Die Leute schienen in kosmopolitischer Hinsicht viel aufgeschlossener zu sein, und gelegentlich sah man in den Straßen der Hauptstadt sogar Wesen aus anderen Welten der Galaxis. Allerdings handelte es sich bei diesen Wesen um diplomatische Vertreter anderer Systeme, mit denen das Imperium Handelsverträge abgeschlossen hatte. Vermutlich bestand die Absicht, diese Systeme zu einem späteren Zeitpunkt zu liquidieren. Der Agent selbst war sehr freundlich und liebenswürdig behandelt worden, so daß er sich in keiner Weise beklagen konnte. In einigen Tagen war eine Audienz beim Imperator vorgesehen. Trotz allem war er langsam ein wenig unruhig geworden. Er konnte keine näheren Angaben darüber machen, was ihn eigentlich beunruhigte; schließlich war er bislang Stationsarzt im Krankenhaus gewesen und kannte sich in solchen Dingen, denen er jetzt gegenüberstand, noch nicht recht aus. Er hatte den Eindruck, daß
er bei verschiedenen Gelegenheiten offiziell daran gehindert wurde, über das System zu reden, aus dem er kam, während man ihn bei anderen Gelegenheiten, besonders wenn er nur mit wenigen Menschen beisammen war, geradezu aufforderte, über solche Dinge zu sprechen. Außerdem beunruhigte ihn die Tatsache, daß sein Eintreffen weder im Radio noch in der Presse mit einem einzigen Wort erwähnt worden war. Manchmal wünschte er sich, neben seiner Sendeanlage auch ein Empfangsgerät zu besitzen, so daß er sich gegebenenfalls Instruktionen einholen könnte. Das war das letzte, was von diesem betreffenden Agenten gehört wurde. Conways Rückkehr zum Weltraumhospital verlief keineswegs so angenehm, wie er sich das noch vor einer Woche ausgemalt hatte. Damals hatte er sich vorgestellt, dort wie ein strahlender Held aufzutauchen, der soeben die größte Aufgabe seiner ganzen Karriere bewältigt hatte; er wollte von seinen Kollegen mit Beifall überschüttet und von Schwester Murchison mit offenen Armen empfangen werden. Das letztere war ohnehin von Anfang an höchst unwahrscheinlich gewesen – aber Conway liebte es nun einmal, von Zeit zu Zeit in romantischen Träumen zu schwelgen. Statt dessen kehrte er nun zurück, ohne irgendwelche Erfolge melden zu können; er konnte nur hoffen, daß seine Kollegen ihn nicht mit einer
Flut von Fragen überfielen und Schwester Murchison ihn an der Luftschleuse des Weltraumkrankenhauses mit einem Lächeln empfing, während ihre Arme in vollkommen korrekter Weise an der Seite hingen. Er dachte mürrisch daran, daß sie ihn vielleicht wie einen alten Freund empfangen könnte, der von einer längeren Reise zurückkehrte. Es stellte sich dann heraus, daß sie ihn tatsächlich wie einen guten, alten Freund empfing. Sie sagte, wie nett es wäre, daß er nun zurückgekehrt war, und er erwiderte darauf, daß er sich ebenfalls freue, wieder hier zu sein. Als sie dann begann, ihm eine Reihe von Fragen zu stellen, erklärte er kurz, daß er im Augenblick ein paar dringende Sachen zu erledigen hätte, und daß er sie später anrufen würde, um eine Verabredung auszumachen. Sein Lächeln war nicht mehr so strahlend wie früher, denn er hatte ja in den vergangenen Wochen wenig Gelegenheit gehabt, es anzuwenden, und sie mußte wohl irgendwie spüren, daß er nicht recht bei der Sache war, denn sie nahm sogleich eine Haltung an, die das Verhältnis zwischen Arzt und Krankenschwester ausdrückte. Sie sagte, daß sie natürlich Verständnis hätte, wenn er jetzt dringendere Sachen erledigen müsse und schritt dann mit schnellen Schritten davon. Schwester Murchison war so schön und begehrenswert wie immer, und zweifellos hatte er sie auf
irgendeine Weise verletzt – aber darauf kam es Conway im Augenblick nicht an. Er mußte sich auf die bevorstehende Unterredung mit O'Mara konzentrieren. Als er sich kurz darauf im Büro des Chefpsychologen meldete, schienen sich seine schlimmsten Befürchtungen zu verwirklichen. »Setzen Sie sich, Doktor«, begann O'Mara knapp. »Es ist Ihnen also gelungen, uns in einen interstellaren Krieg zu verwickeln?« »Es ist alles gar nicht so komisch«, murmelte Conway. O'Mara musterte ihn mit einem langen Blick. »Ich stimme Ihnen zu, daß alles gar nicht so komisch ist«, sagte er dann ruhig. »Aber Sie wissen ja ebensogut wie ich, daß man immer mit der Möglichkeit rechnen muß, daß selbst die besten Absichten eines Arztes in einem Fall wie diesem eine schwierige Situation schaffen können. Wir haben es oft genug erlebt, daß hier plötzlich ein Wesen einer uns bislang vollkommen unbekannten Rasse auftaucht und sofortige Behandlung verlangt. In den meisten Fällen bleibt uns dann keine Zeit, uns erst mit seinen Freunden in Verbindung zu setzen, um herauszufinden, ob die von uns angeregte Behandlung auch die richtige ist. Ein solcher Fall war beispielsweise der Ian, den Sie vor einigen Monaten behandelten. Das war vor der Zeit unseres offiziellen Kontakts mit den Ians,
und wenn Sie damals nicht die vollkommen richtige Diagnose bei dem Patienten gestellt hätten, die logischerweise auch zur richtigen Behandlung führte, dann wären wir mit den Ians bestimmt in ganz verteufelte Schwierigkeiten gekommen.« »Ja, Sir«, murmelte Conway. »Meine Bemerkung«, fuhr O'Mara fort, »war mehr oder weniger als Scherz gedacht und bezog sich auf die Sache mit den Ians. Jetzt berichten Sie mir mal über den Planeten Etla. Und«, fügte er hastig hinzu, ehe Conway das Wort ergreifen konnte, »bedenken Sie, daß mein Schreibtisch und auch mein Papierkorb voller Berichte über die Zusammenhänge und möglichen Folgen der Angelegenheit sind. Ich möchte von Ihnen wissen, was Sie zur Lösung der Ihnen übertragenen Aufgabe unternommen haben.« So kurz wie möglich beschrieb Conway alles, was er auf dem Planeten Etla durchgeführt hatte. Während seines Vortrags wurde er immer ruhiger. In seinem Unterbewußtsein stand noch immer das schreckliche Bild eines möglichen Krieges, der Millionen Lebewesen das Leben kosten konnte, und auch das Schicksal dieses Weltraumhospitals lag ihm sehr am Herzen – aber er spürte mehr und mehr, daß er für den eventuellen Ausbruch eines solchen Krieges nicht verantwortlich gemacht werden konnte. O'Mara hatte diese Unterredung mit der Bemer-
kung begonnen, Conway wäre schuld an der gegenwärtigen Situation – aber dann hatte er ihm in der für ihn typischen Art zu verstehen gegeben, daß das nur ein Scherz gewesen wäre. O'Mara hatte ihm erklärt, wie lächerlich es für Conway wäre, sich in dieser Sache schuldig zu fühlen. Als Conway berichtete, wie Lonvellins Raumschiff vernichtet wurde, kehrte sein Schuldbewußtsein zurück. Wenn er alles, was sich auf Etla abspielte, früher durchschaut hätte, wäre dieses Verbrechen nicht passiert. O'Mara mußte gespürt haben, was in Conway vorging, aber er ließ ihn seinen Bericht beenden. »Es überrascht mich, daß Lonvellin nicht vor Ihnen die Wahrheit entdeckt hat, denn letztlich war er doch der Leiter dieses ganzen Unternehmens«, sagte O'Mara schließlich. »Ich hoffe, daß Ihr Verstand keineswegs unter der ganzen Sache gelitten hat, so daß Sie nach wie vor fähig sind, die richtigen Diagnosen bei den einzelnen fremdartigen Wesen zu stellen. Ich habe eine neue Aufgabe für Sie. Sie ist kleiner als die Angelegenheit mit dem Planeten Etla; Sie brauchen das Hospital zur Durchführung dieser Aufgabe nicht zu verlassen, und mit ein bißchen Glück wird sich die Sache recht einfach durchführen lassen. Ich möchte, daß Sie die Organisation zur Evakuierung des Weltraumhospitals in die Hand nehmen.«
Conway schluckte ein paarmal. »Schauen Sie mich nicht länger so an, als hätten Sie einen Schlag mit dem Sandsack auf den Kopf bekommen«, fuhr O'Mara gereizt fort. »Sie müssen doch die ganze Angelegenheit gründlich durchdacht haben und zu der Schlußfolgerung gekommen sein, daß wir es uns nicht leisten können, die hier anwesenden Patienten einem Angriff der Streitkräfte des Imperiums auszusetzen. Oder die Mitglieder unseres Stabes, die nicht aus freien Stücken hierbleiben wollen. Oder irgendeine Person, der die genauen Positionen unserer Systeme bekannt sind. Außerdem dürfte es Ihnen auch keine besonderen Schwierigkeiten machen, jenen Wesen, die rangmäßig über Ihnen stehen, die entsprechenden Anweisungen zu geben, nachdem Sie sich ja daran gewöhnt haben, einem Colonel des Korps Befehle zu erteilen ...« Conway spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. »Ich dachte, wir würden das Weltraumhospital einfach aufgeben und leer lassen«, sagte er. »Nein«, erwiderte O'Mara trocken. »Es hat für uns nicht nur einen gefühlsmäßigen, sondern auch einen wirtschaftlichen und strategischen Wert. Wir hoffen wenigstens, ein paar Stationen in Betrieb halten zu können, um etwaige Verletzte des bevorstehenden Kampfes aufnehmen und behandeln zu können. Colonel Skempton beschäftigt sich bereits mit dem Pro-
blem der Evakuierung, und er wird Sie bei Ihrer Aufgabe nach besten Kräften unterstützen. Wie spät ist es denn bei Ihnen, Doktor?« Conway erwiderte, daß er nach seiner Zeitrechnung den Kreuzer Vespanian zwei Stunden nach dem Frühstück verlassen hatte. »Gut«, sagte O'Mara. »Sie können sich gleich mit Colonel Skempton in Verbindung setzen und Ihre Arbeit aufnehmen. Nach meiner Zeitrechnung ist es längst nach Mitternacht, aber ich werde hier im Büro schlafen, damit Sie oder Colonel Skempton mich jederzeit erreichen können, falls Sie irgend etwas brauchen sollten. Gute Nacht, Doktor.« Bei den letzten Worten streifte er die Jacke ab, zog die Schuhe aus und legte sich auf die Couch. Innerhalb weniger Sekunden wurden seine Atemzüge tiefer und länger. Conway begann zu lachen. »Den Chefpsychologen auf seiner eigenen Couch ausgestreckt liegen zu sehen ist ein geradezu traumatischer Umstand«, prustete er. »Ich wage es zu bezweifeln, Sir, ob unser gegenseitiges Verhältnis nach diesem Anblick je das alte sein wird!« Er wandte sich der Tür zu. »Das freut mich«, murmelte O'Mara schläfrig. »Vorhin fürchtete ich schon, Sie würden plötzlich melancholisch werden.«
13 Sieben Stunden später ließ Conway den Blick ein bißchen müde aber doch mit einem gewissen Triumph über seinen mit vielen Papieren und Dokumenten übersäten Schreibtisch gleiten. Er rieb sich die Augen und schaute zum anderen Schreibtisch hinüber. Fast fühlte er sich auf den Planeten Etla zurückversetzt und erwartete den Blick aus den rotgeränderten Augen von Major Stillman. Statt dessen schaute er in die rotgeränderten Augen von Colonel Skempton. »Die Liste über alle zu evakuierenden Patienten ist komplett«, sagte Conway erschöpft. »Sie sind nach ihrer jeweiligen Eigenart auf die einzelnen Raumschiffe verteilt, in denen sie die gewohnten Lebensbedingungen finden werden. Bei einigen dieser Raumschiffe müssen noch ein paar Veränderungen vorgenommen werden, und das wird einige Zeit dauern. Schließlich ist auch der Zustand eines jeden einzelnen Patienten genau berücksichtigt worden, und daraus ergibt sich die Reihenfolge des jeweiligen Abtransports ...« Conway dachte mürrisch daran, daß es eine ganze Anzahl von Patienten gab, deren Leben durch einen solchen Transport gefährdet war. Diese kamen nicht als erste, sondern als letzte an die Reihe, damit sie noch so lange wie möglich medizinisch behandelt
werden konnten. Das bedeutete natürlich, daß auch die entsprechenden Spezialärzte im Hospital bleiben mußten, um die erforderliche Behandlung durchzuführen. Damit wiederum liefen sie Gefahr, den Geschossen einer etwa plötzlich auftauchenden Streitmacht des Imperiums ausgesetzt zu werden. Die Situation war wirklich außerordentlich verworren. »Major O'Mara wird auch ein paar Tage brauchen, um die nötigen Vorkehrungen für seinen neugebildeten Stab und das Pflegepersonal zu treffen«, fuhr Conway fort. »Bei meiner Ankunft hatte ich eigentlich bereits mit einem Angriff auf das Hospital gerechnet. Im Augenblick weiß ich nicht recht, ob ich nun Vorbereitungen für eine sofortige Evakuierung treffen soll, die ohnehin mindestens achtundvierzig Stunden in Anspruch nehmen und sehr wahrscheinlich mehr Patienten töten als retten würde, oder ob ich mir mehr Zeit dafür lassen soll.« »Ich kann die zum Transport erforderlichen Raumschiffe nicht innerhalb von achtundvierzig Stunden bereitstellen«, erwiderte Colonel Skempton knapp. Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Er war der verantwortliche Offizier des Monitor-Korps und hatte alle Hände voll zu tun. »Ich wollte damit nur sagen«, bohrte Conway weiter, »daß ich gern gewußt hätte, wieviel Zeit uns Ihrer Ansicht nach bleibt.«
Der Colonel blickte wieder von seinem Schreibtisch auf. »Entschuldigen Sie, Doktor«, murmelte er. »Ich habe vorhin einen entsprechenden Bericht bekommen ...« Er kramte auf seinem Schreibtisch herum und nahm dann einen Bogen Papier zur Hand. Unter Berücksichtigung aller bekannten Faktoren mußte sich eine gewisse Zeitspanne ergeben, die zwischen der Positionsentdeckung des Weltraumhospitals und einem etwaigen Angriff lag. Zunächst war nur damit zu rechnen, daß die Streitmacht des Imperiums einen aus einem einzelnen oder mehreren Raumschiffen bestehenden Stoßtrupp losschicken würde, um die Lage auszukundschaften. Die um das Hospital verteilten Kräfte des Korps hatten Anweisung, einen solchen Stoßtrupp auf der Stelle zu vernichten. Als nächstes mußte das Imperium dann mit voller Streitmacht anrücken, und es würde wahrscheinlich eine Weile dauern, bis diese aufgestellt und organisiert war. In der Zwischenzeit waren die Verstärkungen des Korps bereits fällig. »Ich würde sagen, wir haben etwa acht Tage Zeit«, schloß Colonel Skempton, »oder mit ein bißchen Glück auch drei Wochen – aber auf das Glück kann man sich ja nicht verlassen.« »Danke sehr«, murmelte Conway und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Er bereitete einen Lagebericht vor, der an alle Stationen zu verteilen war. Darin forderte er die jeweiligen Stationsärzte auf, rasch und umsichtig zu handeln, ohne jedoch eine Panik auszulösen. Er regte an, daß die Ärzte ihre Patienten persönlich über die bevorstehenden Maßnahmen zur Evakuierung des Weltraumhospitals unterrichteten, um auch auf diese Weise die Gefahr einer Panik auszuschließen. In ernsten und komplizierten Fällen blieb es dem jeweiligen Stationsarzt überlassen, ob er seinen Patienten über diese Maßnahmen aufklären oder einfach ein Betäubungsmittel anwenden wollte. Er fügte hinzu, daß die Patienten von einigen Ärzten begleitet werden würden, so daß sich jeder auf eine möglichst rasche Abreise vorbereiten sollte. Diesen Lagebericht schickte er zur Nachrichtenabteilung, wo er gedruckt und auf Tonband aufgenommen wurde, so daß alle betreffenden Ärzte etwa zur gleichen Zeit unterrichtet werden konnten. Wenn er sich in den Gepflogenheiten seines Hospitals richtig auskannte, dann würde dieser Bericht bereits zehn Minuten nach dem Verlassen seines Schreibtisches an alle Abteilungen und Stationen verteilt werden. Dann beschäftigte er sich mit ausführlichen Instruktionen für die Patienten. Die warmblütigen, Sauerstoff atmenden Lebewesen konnten das Hospi-
tal an verschiedenen Luftschleusen verlassen; die gravitationsmäßig schwereren Wesen stellten schon größere Probleme dar. Noch schwieriger war es mit den gravitationsmäßig leichteren Formen wie den MSVKs und LSVOs, den gigantischen, Wasser atmenden AUGLs, den ultrakalten Typen und den Wesen der Station im achtunddreißigsten Stockwerk, die heißen Dampf atmeten. Conway rechnete für die Evakuierung der Patienten mit einer Gesamtzeit von fünf Tagen, für die des Pflegepersonals mit zwei weiteren Tagen. Um die einzelnen Wesen zu ihren jeweiligen Schleusen zu bringen, mußten sie verschiedene, ihnen fremde Stockwerke durchqueren, wo natürlich wieder ganz andere Lebensverhältnisse herrschten, und dabei konnte es durchaus vorkommen, daß plötzlich eine ganze Station unter Wasser gesetzt wurde, obgleich die hier lebenden Wesen gar kein Wasser brauchten. Ja, es würde wohl ein höllisches Durcheinander geben. Auf allen Gebieten mußte ganz besondere Vorsicht angewandt werden, und es würde in jedem Fall zu einer Überlastung der Aggregate kommen, die die jeweils erforderlichen Lebensbedingungen schufen. Außerdem mußten Ärzte und Pfleger eingeteilt werden, die sich ihrer Patienten bis zur Verladung in die einzelnen Raumschiffe annahmen und alles überwachten.
Unvermittelt begann Conways Verstand zu streiken. Er schloß die Augen, stützte den Kopf in die Hände und schaltete zunächst alle weiteren Gedanken ab. Er hatte den ganzen Papierkram endgültig satt. Seit seinem Einsatz auf dem Planeten Etla hatte sein ganzes Leben nur noch aus dem Lesen und Studieren von Berichten, Tabellen und Instruktionen bestanden. Das war nicht die Aufgabe eines Arztes, sondern die eines Verwaltungsangestellten und Organisators. Letzten Endes hatte er ja nicht sein halbes Leben lang studiert und Erfahrungen gesammelt, um nun als Organisator zu fungieren. Er stand auf, entschuldigte sich mit ein paar heiseren Worten bei Colonel Skempton und verließ den Raum. Unbewußt schlug er den Weg zu seiner Station ein. Zu diesem Zeitpunkt kam gerade eine neue Schicht des Personals zum Dienst, und für die Patienten war es eine halbe Stunde vor der ersten Mahlzeit dieses Tages. Das war wirklich eine ungewöhnliche Zeit für einen Stationsarzt, seine Visite zu machen. Unter normalen Umständen hätte ihn die leise Panik der Patienten bei seinem Auftauchen belustigt. Er begrüßte den diensttuenden Arzt, stellte zu seiner Überraschung fest, daß dies der achtfüßige Creppelianer war, den er vor knapp zwei Monaten als Studenten empfangen hatte, und mußte gereizt feststellen, daß dieser sich unablässig während des
Rundganges an seine Fersen heftete. Das war natürlich das vorgeschriebene Verhalten für einen Internisten, der kaum seinen Dienst in diesem Hospital begonnen hatte, aber es ging Conway entschieden auf die Nerven. Im Augenblick wollte er mit seinen Patienten und seinen Gedanken allein sein. Er wollte sich mit all diesen fremdartigen Wesen unterhalten, denn seine Patienten, die er vor seiner Abreise zum Planeten Etla behandelt hatte, waren zum größten Teil bereits entlassen worden. Er warf jedoch keinen Blick auf die über die Betten hängenden Fieberkurven, denn im Augenblick war er allergisch gegen jedes geschriebene oder gedruckte Wort. Statt dessen befragte er seine Patienten eingehend nach den vorhandenen Symptomen, nach ihrem derzeitigen Zustand und auch nach ihrer Vergangenheit. Einige der Patienten waren wirklich überrascht von dieser um eine solche Zeit völlig unerwarteten Visite des Stationsarztes, und manchen anderen schien das gar nicht recht zu sein. Aber Conway konnte sein Verlangen einfach nicht bezähmen. Solange ihm hier noch Patienten blieben, wollte er Arzt sein. Ein Arzt für fremdartige Wesen der Galaxis. Das Weltraumhospital stand vor dem Zusammenbruch – diese großartige Schöpfung, die sich der Aufgabe gewidmet hatte, das in der Galaxis herrschende Leid zu mildern! Morgen oder übermorgen würden
sich alle Stationen zu leeren beginnen. Die Patienten mit ihrem fremdartigen Aussehen würden verschwinden. Alle diese Betten würden leerstehen. Alle Einrichtungen und Apparate, ja, sogar die Translatoranlagen würden dann überflüssig sein, genauso wie die vielen Tonbänder, auf denen wertvolle Informationen festgehalten waren. Aber das größte Krankenhaus der Galaxis würde noch nicht vollkommen sterben – wenigstens nicht während der nächsten Tage und Wochen. Das Korps verfügte über keinerlei Erfahrungen im interstellaren Krieg, denn einen solchen hatte es noch nie zu führen gebraucht – aber seine einzelnen Mitglieder wußten, was sie erwartete. Unter den Besatzungen der einzelnen Raumschiffe mußte es eine ganze Anzahl von Toten und Verletzten geben, und es würde sich um die verschiedensten Arten von Verletzungen handeln. Zwei oder drei Stationen dieses gigantischen Gebäudes würden zur Aufnahme der Verletzten ausreichen, denn es war zu erwarten, daß es sich in erster Linie um radioaktive Schäden handelte. Conway war kein militärischer Taktiker, aber er konnte sich nicht recht vorstellen, wie dieses große und fast leere Gebilde beschützt und verteidigt werden sollte. Es war zum Untergang verurteilt! Unvermittelt wurde Conway von einer Welle verschiedenartiger Empfindungen übermannt: Bitterkeit,
Traurigkeit und eine wilde, unbezähmbare Wut stritten in ihm, und er wußte nicht, wie er sich weiterhin in der Hand behalten konnte. Als er zur Station hinausstürmte, hatte er keine Ahnung, ob er nun schreien, fluchen oder jemanden niederschlagen sollte. Die Entscheidung darüber wurde ihm jedoch aus der Hand genommen, denn als er mit schnellen Schritten um die Ecke des Korridors eilte, prallte er unverhofft mit Schwester Murchison zusammen. Durch diesen Zusammenstoß kehrten seine Gedanken auf eine sehr angenehme Weise in die Gegenwart und auf den Boden der Tatsachen zurück. Plötzlich hatte er das unbezähmbare Verlangen, sich mit diesem Mädchen zu unterhalten und es dabei immer wieder anzuschauen. Es war durchaus möglich, daß er sie jetzt zum letztenmal sah. »Ich ... es tut mir leid«, stammelte er, und dann erinnerte er sich an ihr letztes Beisammensein. »Ich war heute früh in großer Eile und konnte nicht viel reden. Sind Sie zur Zeit im Dienst?« »Nein, ich komme gerade vom Dienst«, erwiderte Schwester Murchison. »Oh!« rief Conway. »Könnten wir nicht ... ich meine, hätten Sie etwas dagegen ...« »Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, zum Schwimmbad zu gehen.« »Ausgezeichnet.«
Sie gingen zum Stockwerk für Freizeitgestaltung, kleideten sich um und trafen sich am künstlichen Strand. »Oh, Doktor«, sagte Schwester Murchison unvermittelt, als sie nebeneinander zum Wasser schritten, »haben Sie, als Sie mir diese Briefe vom Planeten Etla schickten, eigentlich daran gedacht, sie in einen Umschlag zu stecken und mit meinem Namen sowie meiner Zimmernummer zu versehen?« »Um damit alle Welt wissen zu lassen, daß ich Ihnen geschrieben habe?« fragte Conway verdutzt. »Ich glaube kaum, daß Sie es so gewollt hätten.« Schwester Murchison zog ihre Nase kraus. »Nun, die von Ihnen angewandte Methode war wirklich nicht sehr diskret«, sagte sie ein wenig spitz. »Thornnastor von der pathologischen Abteilung hat drei Mundwerke und kann keines davon geschlossen halten. Es waren recht hübsche Briefe, aber war es notwendig, sie auf der Rückseite von Blutprobenaufnahmen zu schreiben?« »Es tut mir leid«, murmelte Conway. »Das soll nicht wieder vorkommen.« Bei diesen Worten kehrte die düstere Stimmung wieder zurück, die vorhin beim Anblick von Schwester Murchison auf Anhieb verflogen war. Nein, dachte er finster, es wird gewiß nicht wieder vorkommen – nie mehr. Die künstliche Sonne schien nicht die frühere
wundervolle Wärme zu spenden, und das Wasser war nicht so kühl und erfrischend. Das Schwimmen machte selbst bei den zur Hälfte reduzierten Gravitationsbedingungen keinen Spaß. Nach wenigen Minuten verließ Conway das Wasser und kehrte zum Strand zurück. Schwester Murchison folgte ihm und sah ihn besorgt an. »Sie sind schmaler geworden«, sagte sie. In der ersten Aufwallung wollte Conway erwidern, daß man das von ihr nicht sagen könne – aber sie hätte dieses Kompliment falsch auslegen können; er war ohnehin schon ein schlechter Gesellschafter und durfte auf keinen Fall das Risiko eingehen, das Mädchen obendrein zu beleidigen. Da kam ihm eine Idee. »Ich habe ganz vergessen, daß Sie gerade vom Dienst kommen und noch nicht gegessen haben. Wollen wir zum Restaurant hinüber gehen?« »Ja, bitte«, antwortete Schwester Murchison. Das Restaurant lag auf einer hohen Klippe, und die langgestreckte Terrasse bot einen wundervollen Ausblick auf den Strand. Eine dicke Glasplatte schirmte den Lärm ab, so daß man diese Aussicht in aller Ruhe genießen konnte. Es war der einzige Ort dieses ganzen Stockwerks, an dem man sich ungestört unterhalten konnte. Sie setzten sich an einen Tisch und wechselten zunächst kaum ein Wort.
»Sie essen ja kaum«, sagte Schwester Murchison, als sie bereits die Hälfte der Mahlzeit verspeist hatte. »Haben Sie schon mal ein Raumschiff besessen oder auch nur bedient?« fragte Conway. »Ich? Nein, natürlich nicht.« »Oder wenn Sie nun an Bord eines Raumschiffes wären, dessen Astrogator verletzt und bewußtlos ist«, fuhr Conway nachdrücklich fort, »und die Antriebsaggregate wären repariert worden, können Sie dann die Koordinaten zum Erreichen des nächsten besten Planeten unseres Systems angeben?« »Nein«, erwiderte Schwester Murchison ungeduldig. »Ich müßte in dem Fall ganz einfach abwarten, bis der Astrogator wieder zu sich kommt. Was haben diese sonderbaren Fragen zu bedeuten?« »Es sind genau die Fragen, die ich all meinen Freunden stellen werde«, entgegnete Conway grimmig. »Wenn Sie eine dieser Fragen bejaht hätten, dann wäre mir jetzt wesentlich leichter ums Herz.« Schwester Murchison legte Messer und Gabel aus der Hand, und auf ihrer glatten Stirn bildeten sich zwischen den hochgewölbten Augenbrauen zwei steile Falten. »Irgend etwas bereitet Ihnen Kummer«, sagte sie. Sie zögerte einen Augenblick und fügte dann hinzu: »Wenn Sie eine weiche Schulter brauchen, dann stelle ich mich zur Verfügung. Denken Sie aber daran, daß
sie nur dazu da ist, um das Herz auszuschütten – und zu nichts anderem.« »Zu was anderem sollte ich sie denn gebrauchen?« fragte Conway. »Das weiß ich nicht«, erwiderte sie lächelnd. Conway ging nicht darauf ein. Statt dessen begann er von den Dingen zu reden, über die er sich Sorgen machte, und auch von den Menschen, die ihm nahestanden, und dazu gehörte ja auch sie. Als er schloß, schwieg sie eine ganze Weile. Traurig betrachtete Conway diese junge, schöne Frau in dem wundervollen weißen Badeanzug; sie mußte sich jetzt zu einem Entschluß durchringen, der sie aller Voraussicht nach das Leben kosten würde. »Ich denke, ich werde hierbleiben«, sagte sie endlich, und Conway hatte es nicht anders erwartet. »Sie bleiben doch natürlich ebenfalls hier, nicht wahr?« »Mein Entschluß steht noch nicht fest«, antwortete er vorsichtig. »Bis zum Abschluß der Evakuierung muß ich ohnehin hierbleiben, und vielleicht gibt es dann hier nichts mehr, für das sich das Bleiben lohnt.« Er unternahm einen letzten Versuch, sie umzustimmen. »Ihre ganze Ausbildung wäre hier vollkommen fehl am Platz. Es gibt doch so viele andere Krankenhäuser, die Sie gern nehmen würden ...« Schwester Murchison richtete sich steil auf. Ihre Stimme hatte plötzlich wieder den kühlen und ge-
schäftsmäßigen Tonfall der Krankenschwester. »Nach allem, was Sie mir erzählt haben, steht Ihnen morgen ein schwerer Tag bevor«, sagte sie. »Sie sollten sich deshalb gründlich ausschlafen. Am besten wäre es, Sie gingen sogleich auf Ihr Zimmer.« In einem völlig veränderten Tonfall fügte sie dann hinzu: »Aber wenn Sie mich zuerst heimbegleiten möchten ...«
14 Nachdem alle Instruktionen zur Evakuierung des Weltraumhospitals erteilt worden waren, ging alles glatt. Mit den Patienten gab es nicht die geringsten Schwierigkeiten, denn es lag ja in der Natur der Dinge, daß ein Patient eines Tages aus dem Krankenhaus entlassen wird. Die Entlassung war in diesem Fall nur etwas dramatischer als gewöhnlich. Entlassung des Personals und des medizinischen Stabes war jedoch eine höchst ungewöhnliche Angelegenheit. Für einen Patienten war der Aufenthalt in einem Krankenhaus nichts weiter als eine vielleicht schmerzhafte und irgendwie unangenehme Episode seines Lebens. Am ersten Tag ging auch mit dem medizinischen Stab alles glatt. Jeder tat genau das, was ihm aufgetragen wurde; wahrscheinlich war ihnen der Schock in die Glieder gefahren, und sie fügten sich ohne Zögern. Am zweiten Tag jedoch war der Schock bereits überwunden, und nun begannen sie zu murren. In jedem Fall wandten sie sich an Dr. Conway. Am dritten Tag mußte Conway Major O'Mara anrufen. »Wo die Schwierigkeiten liegen?« knurrte er in Beantwortung von O'Maras Frage. »Die Schwierigkeit liegt darin, daß diese anscheinend so genialen Ärzte keine Vernunft annehmen wollen. Jeder hält sich für
besonders schlau und verhält sich dafür um so dümmer. Nehmen Sie beispielsweise nur mal Prilicla. Dieses zarte und zerbrechliche Wesen muß jedem Luftzug aus dem Weg gehen, um nicht fortgetragen zu werden – und dennoch will es hierbleiben. Nehmen Sie Dr. Mannen, einen der besten Spezialisten, die es überhaupt gibt. Er sagt ganz einfach, es wäre für ihn wie ein schöner Urlaub, wenn er hier die verwundeten Menschen behandeln könnte. Auch die anderen führen die phantastischsten Gründe an. Sie müssen diese Leute einfach zur Vernunft bringen, Sir. Schließlich sind Sie der Chefpsychologe ...« Alle drei Kontrolltische in der Aufnahmestation waren besetzt: zwei durch Nidianer und der dritte durch einen Leutnant des Korps. Conway stellte sich so auf, daß er alle Bildschirme im Auge behalten konnte. Er hoffte von ganzem Herzen, daß es ihm gelingen möge, aller auftauchenden Schwierigkeiten Herr zu werden und die Situation zu meistern. Das Raumschiff der Kelgianer, ein interstellarer Kreuzer der modernsten Bauart, lag bereits an Luftschleuse fünf. Es war in aller Eile als Hospitalschiff eingerichtet und ausgerüstet worden. Die Ausrüstung war noch nicht ganz vollkommen und bestand zum Teil aus Roboteranlagen.
Die Patienten wurden auf einer Reihe von kleinen, sehr beweglichen Wagen zur Luftschleuse gefahren und in das Raumschiff verladen. Die zur Behandlung erforderlichen Geräte wurden von den Wänden gerissen und ebenfalls zum Schiff transportiert. Die ganze Sache sah im Grunde genommen recht einfach aus. Atmosphäre, Druck und Gravitation stimmten genau mit den im Raumschiff herrschenden Bedingungen überein, so daß keine zusätzliche Ausrüstung erforderlich war. Außerdem war das Schiff selbst so geräumig, daß die Patienten spielend darin untergebracht werden konnten. Somit konnte Conway noch die DBLFs und einige der tralthanischen FGLIs unterbringen. Falls nicht noch irgendwelche Komplikationen eintraten, mußte das Raumschiff innerhalb von sechs Stunden beladen sein. Conway wandte sich dem anderen Kontrolltisch zu. Hier war das Bild ganz ähnlich. Das Frachtschiff der Illensaner entsprach genau ihren Erfordernissen, aber es war recht klein und hatte auch nur eine kleine Besatzung. Deshalb ging das Verladen der Patienten hier nicht so zügig und reibungslos vonstatten. Conway schickte eine Anzahl von Pflegern zu der betreffenden Station, um den Gang der Dinge zu beschleunigen. Dabei sagte er sich, daß sie wohl zufrie-
den sein könnten, wenn es ihnen gelang, etwa sechzig PVSJs zu verladen, während bei der anderen Schleuse im gleichen Zeitraum drei ganze Stockwerke untergebracht wurden. Er überlegte noch immer, wie er die Sache beschleunigen könnte, als plötzlich der Bildschirm am Kontrolltisch des Leutnants aufleuchtete. »Ein Hospitalschiff der Tralthaner, Doktor«, verkündete der Leutnant. »Es ist einwandfrei ausgerüstet und in der Lage, sechs FROBs, einen Chaldor und zwanzig ihrer eigenen Wesen aufzunehmen. Ihrerseits sind keine weiteren Vorbereitungen erforderlich, und die Übernahme der Patienten kann jederzeit erfolgen.« Die AUGL-Wesen vom Chalderescol hatten einen etwa zehn Meter langen Körper mit einer gepanzerten Fischhaut und vermochten nur wenige Sekunden außerhalb des Wassers zu leben. Die FROBs dagegen waren kleine, runde, schwere Wesen, die an den Druck und die Gravitation von Hudlar gewöhnt waren. Die Hudlarianer atmeten, streng genommen, überhaupt nicht, und sie konnten sich allen jeweiligen Bedingungen anpassen. »Schleuse achtundzwanzig für den Chaldor!« befahl Conway rasch. »Während er verladen wird, sollen die FROBs über die ELNT-Station zum Haupttank der AUGLs gebracht und zur gleichen Schleuse gelei-
tet werden. Dann soll das Raumschiff an Schleuse fünf anlegen, um weitere Patienten aufzunehmen.« Allmählich spielten sich die Maßnahmen der Evakuierung des Weltraumhospitals ein. Die PVSJs wurden an Bord des Raumschiffes der Illensaner transportiert, und auf dem anderen Kontrollschirm war die lange Schlange der Kelgianer zu sehen, die zu ihrem eigenen Raumschiff unterwegs waren. »Zwei weitere Raumschiffe der Illensaner, Doktor«, verkündete der Leutnant unvermittelt. »Jedes der beiden kann etwa zwanzig Wesen aufnehmen.« »Schleuse siebzehn ist noch besetzt«, erwiderte Conway. »Lassen Sie die beiden Schiffe warten.« Als nächstes traf ein Passagierschiff des von Erdenmenschen bewohnten Planeten Gregory ein, und zur gleichen Zeit wurde im Kontrollraum das Abendessen aufgetragen. Im Weltraumhospital befanden sich nur wenige irdische Patienten, aber das gregorianische Raumschiff konnte weitere warmblütige und Sauerstoff atmende Wesen aufnehmen, falls sie nicht gerade die Größe und das Gewicht eines Tralthaners hatten. Conway arbeitete ununterbrochen weiter, und auch während der hastig eingenommenen Mahlzeit gab er die entsprechenden Anweisungen durch. Plötzlich tauchte das Gesicht von Colonel Skempton auf einem der Bildschirme auf.
»Vor dem Hospital hängen zwei Raumschiffe der Illensaner, Doktor«, sagte er scharf. »Haben Sie keine Verwendung für sie, Doktor?« »Doch«, entgegnete Conway, ein wenig gereizt über den scharfen Ton des Colonels. »Im Augenblick wird jedoch an Schleuse siebzehn bereits ein Raumschiff beladen, und eine andere Schleuse können wir für die Illensaner nicht verwenden. Sie müssen noch ein wenig warten.« »So geht das nicht!« rief Colonel Skempton. »Wenn die Raumschiffe da draußen das Hospital umkreisen, sind sie unter Umständen einem plötzlichen Angriff des Feindes ausgesetzt. Entweder Sie beladen sie auf der Stelle oder wir schicken sie zurück, damit sie später wiederkommen. Es tut mir leid.« Conway öffnete den Mund zu einer scharfen Erwiderung, aber dann beherrschte er sich und dachte über die Situation nach. Er wußte, daß die Verteidigungsflotte seit Tagen zusammengestellt wurde und daß die Astrogationsoffiziere der Hospitalschiffe Anweisung hatten, das Weltraumhospital sofort nach der Übernahme von Patienten wieder zu verlassen. Niemand, der in die Hände des Feindes fallen konnte, durfte Informationen über die Positionen der einzelnen Systeme besitzen. Die Verteidigungsflotte des Korps hatte die Aufgabe übernommen, das Weltraumhospital und die
dort angelegten Raumschiffe gegen jeden Angriff abzuschirmen. Die Tatsache, daß da zwei Raumschiffe mit wertvollen Informationen an Bord das Hospital umkreisten, stellte eine Gefahr dar, die dem Kommandeur des Korps entschieden gegen den Strich gehen mußte. »Gut, Colonel«, lenkte Conway schließlich ein. »Wir lassen die beiden Raumschiffe an Schleusen fünfzehn und einundzwanzig anlegen. Das zwingt uns zwar zu ganz neuen Dispositionen, aber wenn es irgend geht, werden wir die Schiffe innerhalb von drei Stunden beladen haben.« Diese verdammten Komplikationen! dachte Conway grimmig, während er die neuen Anweisungen durchgab. Zum Glück waren die entsprechenden Schleusen zur Zeit gerade frei, und die Patienten mußten eben über andere Stationen umgeleitet werden. Dazu waren wieder neue Schutzmaßnahmen erforderlich, denn Atmosphäre, Druck und Gravitation stimmten nicht mehr überein. Conway stellte plötzlich zu seiner Bestürzung fest, daß die im Kontrollraum vorhandenen Bildschirme bei weitem nicht ausreichten, um alle Vorgänge überwachen zu können. Er hatte das unangenehme Gefühl, daß da irgendwo etwas schiefgehen konnte, wenn er nicht äußerst vorsichtig zu Werke ging. Wie aber konnte er vorsichtig sein, wenn er über-
haupt nicht sah, was sich an den einzelnen Schleusen und in den Stationen abspielte? Ihm blieb gar keine andere Wahl, als zu den betreffenden Stellen zu gehen und persönlich dafür zu sorgen, daß alles glatt und reibungslos vonstatten ging. Er rief Major O'Mara an, erklärte ihm die Situation und bat ihn, einen Mann in den Kontrollraum zu schicken, der hier seinen Platz einnehmen konnte.
15 Dr. Mannen kam in den Kontrollraum, stöhnte beim Anblick der vielen Bildschirme und Kontrollichter und übernahm dann die Leitung der Maßnahmen zur Evakuierung des Weltraumhospitals. Conway hätte sich keinen besseren Ersatzmann für seine Aufgabe wünschen können. Er schickte sich gerade an, den Raum zu verlassen, als Mannen ganz dicht an einen der Schirme herantrat und vernehmlich brummte. Conway wirbelte herum. »Was ist denn los?« »Nichts, nichts«, erwiderte Mannen ohne sich vom Schirm abzuwenden. »Jetzt weiß ich plötzlich, weshalb Sie sich persönlich an die betreffenden Stellen begeben wollen.« »Aber das habe ich Ihnen doch bereits gesagt«, knurrte Conway ungeduldig. Er stampfte hinaus und murmelte vor sich hin, daß Mannen geradezu ein Verbrechen beging, wenn er die Zeit jetzt mit nutzlosen Bemerkungen verplemperte, wo es doch auf jede einzelne Minute ankam. Unwillkürlich fragte er sich, ob der alte Dr. Mannen vielleicht übermüdet war, oder ob er möglicherweise eine anstrengende Arbeit hinter sich hatte. Plötzlich schämte
er sich. Es war ihm nicht besonders schwergefallen, Colonel Skempton und den Leuten der Aufnahmestation gegenüber einen scharfen Ton anzuschlagen – aber schließlich wollte er doch die Gefühle seiner Freunde nicht verletzen, auch wenn man ihm eine Aufgabe übertragen hatte, die schier undurchführbar zu sein schien. Es sah ganz danach aus, als sollte dieses Hospital mit allem Drum und Dran zum Teufel gehen. Bald war er jedoch wieder so stark beschäftigt, daß ihm keine Zeit zu Nebengedanken blieb. Drei Stunden später schien sich das um ihn herum herrschende Durcheinander verdoppelt zu haben; in Wirklichkeit kam das jedoch daher, daß jetzt in der gleichen Zeitspanne die doppelte Arbeit geleistet werden mußte. Conway befand sich an der Schleuse eines der oberen Stockwerke, und von hier aus konnte er den AUGL-Tank gut übersehen, an dessen Boden sich eine lange Reihe von ELNTs bewegten. Es waren kleine, runde, krabbenartige Wesen mit sechs Füßen, die aus dem System Melf-IV stammten. Überwacht wurde dieser Transport von einigen dickfelligen Kelgianern, die als sauerstoffatmende Lebewesen hier im Tank Schutzanzüge tragen mußten, in denen eine barbarische Hitze herrschte. Durch die Anlage für Simultanübersetzungen hörte Conway das unterdrückte Fluchen der Kelgianer. Immerhin wurde die
Arbeit aber getan – und zwar wesentlich schneller, als Conway zu hoffen gewagt hatte. Hinter ihm tauchte eine Prozession von Illensanern auf; einige von ihnen waren lediglich in Schutzanzüge gehüllt, während die Betten der schwereren Fälle von Druckzelten umgeben waren. Die Gruppe wurde von einigen irdischen und kelgianischen Krankenschwestern und Pflegern begleitet. Der Transport ging jetzt vollkommen reibungslos vonstatten. Als die großen Druckzelte in den gigantischen AUGL-Tank kamen, wurden sie direkt an die Oberfläche getragen und gegen die Decke gedrückt. Sie konnten nicht an der Decke entlanggezogen werden, weil hier überall Wasserrohre den Weg versperrten, und die dünnen Zeltdecken würden beim geringsten Anprall platzen. Conway hatte dieses Problem zunächst durch den Einsatz von kleinen, elektrischen Krankenwagen lösen wollen. Diese waren natürlich nicht für Fahrten unter Wasser konstruiert worden, aber zunächst ging alles gut. Dann explodierte jedoch die Batterie eines dieser Wagen, und im Nu herrschte ein wildes Durcheinander im Tank, und das Wasser nahm eine trübe Färbung an. Auch dieses Problem hatte Conway schließlich gemeistert, und zwar auf eine Art, die, wie er sich mürrisch sagte, ihm schon früher hätte einfallen müs-
sen. Er hatte die Gravitationsanlage auf Null geschaltet und damit die künstlich erzeugte Schwerkraft aufgehoben. Auf diese Weise wurden die Druckzelte der Betten nicht mehr hochgetragen. Bei diesem Transport der PVSJs erkannte Conway, warum Dr. Mannen vorhin vor einem der Schirme des Kontrollraumes vor sich hin gebrummt hatte: Schwester Murchison war unter dem Pflegepersonal des Transportes! Die weiteren Transporte gingen glatt und ohne besondere Komplikationen vonstatten. Das Hospitalschiff der Kelgianer an Schleuse fünf war zum Start bereit; es wartete nur noch auf einige Ärzte des Hospitals, die den Transport leiten sollten, und auf die Begleitung eines Raumkreuzers des Korps. Conway erinnerte sich, daß unter den zur Begleitung eingeteilten Ärzten ein paar seiner Freunde waren, und er entschloß sich, die gegenwärtige Pause dazu auszunutzen, sich von ihnen kurz zu verabschieden. Er setzte sich mit Mannen in Verbindung, unterrichtete ihn über sein Vorhaben und schlug dann den Weg zur Schleuse fünf ein. Als er dort eintraf, war das Raumschiff indessen bereits verschwunden. Auf einem der großen Bildschirme sah er es in Begleitung eines Kreuzers des Korps schweben, und dahinter war ein Teil der Verteidigungsflotte zu erkennen, die den Schutz des Welt-
raumhospitals übernommen hatte. Die Flotte war in den vergangenen Tagen wesentlich verstärkt worden. Mit dem Gefühl neuer Sicherheit schlug Conway den Rückweg zur AUGL-Station ein. Der gesamte Korridor der Station stand buchstäblich unter Eis. Das gregorianische Raumschiff enthielt eine spezielle Gefrierkammer für Lebewesen der Klassifikation SLNU. Das waren zerbrechliche, methanatmende Wesen, die bei einer Temperatur von über minus einundzwanzig Grad sofort verbrennen würden. Im Hospital befanden sich zur Zeit sieben dieser überaus empfindlichen Kreaturen, und jede einzelne befand sich in einem kleinen Eiskasten, um die natürlichen Lebensbedingungen zu garantieren. Wegen der zu erwartenden Transportschwierigkeiten wurden sie als letzte an Bord des gregorianischen Raumschiffes gebracht. In der Methanstation gab es keine direkte Öffnung zum Weltraum, denn sonst wäre die Verladung dieser Patienten höchst einfach gewesen. So aber mußten sie von ihrer Station zur vierzehn Stockwerke tiefer liegenden Schleuse sechzehn gebracht werden. Die Stationen waren dadurch nicht betroffen worden, aber hier unten in der AUGL-Station hatte sich sofort Eis gebildet. Conway hatte diese Entwicklung vorausgesehen, aber er hatte den Punkt für unerheblich gehalten,
denn bei einer normalen Abwicklung des Transportes konnte eigentlich nichts passieren. Nun aber war eine der Zugleinen gerissen, und dabei hatte sich im Nu ein fester Eisblock gebildet, der den Korridor zu versperren drohte. »Lassen Sie sofort Schweißbrenner herschaffen!« rief Conway Dr. Mannen über die Signalanlage zu. »Aber schnell!« Die Leute vom Korps trafen im letzten Augenblick ein, ehe der Korridor vollkommen versperrt war. Die großen Flammen der Schweißbrenner fraßen sich in das Hindernis, und bald war der Weg wieder frei. Durch den Einsatz der Schweißbrenner herrschte im Gang bald eine recht hohe Temperatur, und da ihre Schutzanzüge keine Kühlanlagen hatten, kam sich Conway bald wie gebraten vor. Außerdem bestand hier im Wasser die Gefahr, daß man unversehens zu nahe an die Flammen herangetragen und dadurch verbrannt wurde. Schließlich war auch dieser Teil der Aufgabe bewältigt. Die Eisbehälter der SLNUs konnten weitergezogen werden und kamen nun wieder in eine mit Sauerstoff gefüllte Station. Conway fuhr sich mit einer unbewußten Geste über den Schutzhelm, als wollte er sich den Schweiß von der Stirn wischen, und dann fragte er sich, was nun wohl als nächstes schiefgehen könnte.
Die Antwort auf diese Frage kam von Dr. Mannen aus dem Kontrollraum, der ihm nachdrücklich erklärte, daß jetzt alles in Ordnung sei. Dr. Mannen fügte begeistert hinzu, daß die drei Stationen der DBLFs bereits vollkommen geräumt wären und daß sich nur noch ein paar Wesen dieser Art im Hospital befänden, weil sie zum Personal gehörten. Die drei Raumfrachter der Illensaner hatten die Stationen der PVSJs geräumt, bis auf ein paar Nachzügler, die in wenigen Minuten verladen sein würden. Von den wasseratmenden Wesen waren die AUGLs und die BLNTs bereits verladen, und die SLNUs wurden gerade mit ihren Miniatureisbergen an Bord geschafft. Insgesamt waren jetzt vierzehn Stationen ausgeräumt worden, und das war gewiß keine schlechte Tagesleistung. Dr. Mannen regte an, daß Conway nunmehr den Kopf auf ein Kissen legen und sich gründlich ausschlafen möge, um für den morgigen schweren Tag gerüstet zu sein. Conway schwamm auf die Tankschleuse zu und beschäftigte sich in Gedanken gerade mit dem saftigen Steak, das ihn erwartete, als es passierte. Aus irgendeiner Richtung wurde er von einem furchtbaren Schlag getroffen. Ein stechender Schmerz jagte durch seinen Körper, und Conway glaubte, das Bewußtsein zu verlieren.
Allmählich jedoch ließ der Schmerz ein wenig nach und wurde erträglicher, und Conway begann langsam seine Umwelt wieder wahrzunehmen. Er hörte laute, gurgelnde Geräusche und sah die äußerst ungewöhnliche Erscheinung eines im Wasser treibenden Kelgianers ohne Schutzanzug. Als er genauer hinschaute, erkannte er, daß der Kelgianer zwar in einem Schutzanzug steckte, daß dieser jedoch zerrissen und voller Wasser war. Tiefer unten im AUGL-Tank trieben zwei weitere Kelgianer im Wasser. Durch einen rötlichen Nebel waren ihre fellartigen Körper genau zu erkennen. An der gegenüberliegenden Glaswand des Tanks wirbelte das Wasser vor einem gähnenden Loch und schien dort auszuströmen. Conway fluchte; er glaubte sich die Sache erklären zu können. Was immer dieses Loch in der Glaswand des Tanks verursacht haben mochte, die gleiche Kraft hatte sich auf das Innere des Tanks übertragen, denn Wasser ließ sich ja nicht zusammenpressen. Da der andere Kelgianer und er selbst sich hier im oberen Teil des Tanks befunden hatten, waren sie dem Schlimmsten entgangen. Vielleicht aber war nur er allein dem Schlimmsten entgangen? Er brauchte drei Minuten, um den Kelgianer bis zu der zehn Meter entfernten Tankschleuse zu ziehen.
Auf dem Korridor öffnete er sogleich die Abflußanlage und das Luftventil. Während das Wasser gurgelnd abfloß, zerrte Conway den leblosen Körper weiter und legte ihn seitlich gegen die Wand. Das silberne Fell des Kelgianers hatte jetzt eine schmutziggraue Färbung, und Conway konnte weder einen Pulsschlag noch eine Atmung feststellen. Conway legte sich neben das Wesen, schob den dritten und vierten Fuß beiseite, damit er die Schulter ansetzen konnte, stemmte seine Füße gegen die Wand und begann in regelmäßigen Abständen zu drücken. Er wußte, daß er bei dem massigen Körperbau dieses DBLF nicht die übliche Art der künstlichen Atmung anwenden konnte, indem man sich auf die Brust kniete und dort rhythmisch drückte. Nach wenigen Sekunden kam Wasser aus dem Mund des Kelgianers gesickert. Conway hielt plötzlich inne, denn er hörte, daß jemand versuchte, von außen in den Korridor zu kommen. Er begann sein Funkgerät einzuschalten, konnte jedoch keine Verbindung herstellen. Hastig nahm er den Schutzhelm ab, kniete vor der Schleusentür nieder und legte den Mund ans Schloß. »Hier drinnen befindet sich ein sauerstoffatmendes Wesen ohne Schutzanzug!« rief er verzweifelt. »Wenn diese Schleusentür geöffnet wird, müssen wir ertrinken! Kommen Sie von der anderen Seite herein!«
Ein paar Minuten später wurde die andere Schleusentür geöffnet, und dann schaute Schwester Murchison bestürzt auf Conway herunter. »Doktor Conway!« rief sie mit seltsam klingender Stimme. Conway stemmte die Füße wieder gegen die Wand und legte die Schulter an die Körperstelle des Kelgianers, die der Lunge am nächsten lag. »Was?« fragte er. »Ich ... Sie ... die Explosion ...«, begann Schwester Murchison. Dann aber faßte sie sich wieder, und ihre Stimme wurde ruhiger. »Es hat eine Explosion gegeben, Doktor. Eine der DBLF-Schwestern hat sich durch ein herumschwirrendes Stück Stahl sieben Schnittwunden zugezogen. Wir haben natürlich sofort einen Notverband angelegt, aber ich glaube nicht, daß das viel nützen wird. Der Korridor, auf dem sie liegt, wird langsam unter Wasser gesetzt. Die Explosion muß in die Verbindungswand zum AUGL-Tank ein Loch geschlagen haben. Der Luftdruck läßt ebenfalls nach, und das bedeutet, daß die Außenwand zum Weltraum ebenfalls durchgeschlagen worden sein muß. Außerdem tritt da so ein merkwürdiger Geruch auf ...« Conway hielt stöhnend in seinen Bemühungen um den Kelgianer inne, aber Schwester Murchison ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Alle kelgianischen Ärzte sind bereits evakuiert
worden«, fuhr sie hastig fort. »Nur dieser hier und ein paar andere, die ebenfalls in der Nähe sein müssen, sind noch vorhanden. Sie gehören zum Pflegepersonal.« Conway rappelte sich langsam hoch; er dachte daran, daß sie jetzt wirklich in einer Klemme steckten. Das verwundete Wesen mußte unbedingt auf der Stelle fortgeschafft werden, denn wenn der Druck weiter nachließ, war zu befürchten, daß es unter der einstürzenden Tür begraben werden würde. Die Abwesenheit aller DBLF-Ärzte bedeutete, daß er die Sache selbst in die Hand nehmen mußte, und dazu brauche er das entsprechende physiologische Band. Das wiederum bedeutete, daß er Major O'Mara aufsuchen mußte. Zunächst wollte er sich den Patienten jedoch einmal ansehen. »Kümmern Sie sich doch bitte um diesen Patienten, Schwester«, sagte er, indem er auf die am Boden liegende Gestalt deutete. »Ich glaube, er beginnt schon wieder zu atmen, aber behandeln Sie ihn mit meiner Methode ruhig noch zehn Minuten weiter.« Er schaute zu, wie Schwester Murchison sich auf die Seite legte, die Knie anzog und die Füße gegen die Wand stemmte. »Zwischen dem dritten und vierten Fuß – und nicht zwischen dem fünften und sechsten!« sagte er rauh, indem er sich hastig abwandte.
16 Aus irgendeinem Grund hatte sich Conway in Gedanken zunächst mit dem Schaden der Explosion, nicht aber mit ihrer Ursache beschäftigt. Vielleicht hatte er sich auch zu der Überzeugung gezwungen, die Explosion wäre auf irgendeinen Unfall im Hospital zurückzuführen, um nicht auf den Gedanken zu kommen, daß das Hospital in Wirklichkeit vom Feind angegriffen worden war. Er wurde jedoch auf dem Korridor an die grimmige Wahrheit erinnert, und auf dem Weg zu Major O'Maras Büro sah er, daß sich auf den Gängen alle doppelt so schnell bewegten wie sonst, und alle stürmten genau in die Richtung, aus der er kam. Unwillkürlich fragte er sich, ob sie alle wohl genauso eingeschüchtert wie er selbst jeden Augenblick eine zweite Explosion erwarteten, die den Boden unter ihren Füßen zerbersten lassen würde. Dennoch war es im Grunde genommen dumm von ihm, sich so zu beeilen, denn es war ja nicht vorauszusehen, an welcher Stelle die nächste Explosion erfolgen könnte, und vielleicht tappte er auf diese Weise genau in das Unglück hinein. – Es kostete ihn viel Mühe, äußerlich ruhig in O'Maras Büro zu treten. Er bat um die erforderliche Ausrüstung und fragte, was eigentlich geschehen sei.
»Sieben Raumschiffe«, antwortete O'Mara, indem er Conway deutete, sich auf die Couch zu legen, und den Bandhelm zur Hand nahm. »Allem Anschein nach hat es sich um kleinere Schiffe ohne besondere Bewaffnung gehandelt. Es war ein ziemliches Scharmützel. Drei der sieben Schiffe konnten entkommen, und eines der vier vernichteten konnte im allerletzten Augenblick noch einen Schuß auf das Hospital abfeuern. Es war ein verhältnismäßig kleines Geschoß mit einem chemischen Sprengkopf.« O'Mara hielt inne und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Das ist wirklich merkwürdig«, fuhr er dann fort. »Wenn es nämlich ein Atomsprengkopf gewesen wäre, dann würde unser geliebtes Hospital jetzt nicht mehr existieren. Wir hatten sie eigentlich nicht so schnell erwartet und sind dadurch ein bißchen überrascht worden. Muß Ihr Patient behandelt werden?« »Wie? Oh, ja«, erwiderte Conway. »Sie kennen ja die DBLFs. Jede Schnittwunde ist für sie außerordentlich gefährlich. Bis ein anderer Arzt ihn untersucht und sich hier das entsprechende Band holt, könnte es leicht zu spät sein.« Major O'Mara brummte; mit geschickten Bewegungen befestigte er den Bandhelm auf Conways Kopf. »Sie haben sich mit allen Kräften bemüht, den An-
griff mit einem Erfolg abzuschließen. Es war eine verdammt heimtückische Sache, die uns genau zeigt, was wir von ihnen zu erwarten haben. Dennoch haben sie sich auf ein Geschoß mit einem chemischen Kopf beschränkt, während sie doch Gelegenheit hatten, uns vollkommen zu vernichten. Sehr seltsam! Immerhin haben sie damit erreicht, daß sich alle noch im Hospital verbliebenen Personen und Wesen endgültig zu einer Entscheidung durchringen müssen: wer jetzt noch bleibt, der tut das wirklich aus Überzeugung, und wer nicht bleiben will, der muß sich nun beeilen. In Dermods Augen ist das sehr vorteilhaft.« Dermod war der Kommandeur der Raumflotte. »Jetzt schalten Sie Ihren Verstand aus«, schloß O'Mara mürrisch. »Mehr als sonst.« Conway brauchte sich nicht besonders zu bemühen, um seine Gedanken vollkommen abzuschalten; das half beim Empfang eines physiologischen Bandes für fremdartige Wesen. O'Maras Couch war herrlich weich und komfortabel. Das war ihm bislang nie so recht aufgefallen, und er schien förmlich in der weichen Unterlage zu versinken. Ein scharfer Druck an der Schulter ließ ihn zusammenzucken. »Schlafen Sie nicht ein!« knurrte O'Mara. »Wenn Sie mit Ihrem Patienten fertig sind, gehen Sie sofort
zu Bett. Mannen ist der richtige Mann für die Aufgabe im Kontrollraum, und das Hospital wird ohne Sie nicht gleich in Stücke gehen, falls wir nicht von einer Atombombe getroffen werden ...« Beim Verlassen des Büros begann Conway bereits die ersten Wirkungen des physiologischen Bandes zu spüren. Im Grunde genommen enthielt dieses Band die Gehirnwellen eines Spezialisten der gleichen Art von Lebewesen wie der zu behandelnde Patient. Der Arzt, der ein solches Band anlegte, mußte seine eigene Persönlichkeit buchstäblich mit der eines fremden Wesens teilen. Die Gehirnwellen des Spezialisten beschränkten sich bei diesem Band nicht nur auf medizinische Faktoren und Daten, sondern enthielten auch seine Empfindungen und Erinnerungen, die natürlich ebenfalls übertragen wurden. Physiologische Bänder lagen deshalb stets in Major O'Maras Büro unter striktem Verschluß. Immerhin waren die DBLFs keine so fremdartigen Wesen wie eine Anzahl jener, deren Persönlichkeit Conway während seiner langen Dienstzeit im Weltraumhospital hatte teilen müssen. Obgleich sie sich mit ihrem silbernen Fell rein äußerlich stark von Erdenmenschen unterschieden, hatten sie innerlich doch manchen gemeinsamen Zug. Ihre Gefühlsreaktionen gegenüber Musik, dem Anblick einer schönen Landschaft oder eines hübschen DBLF vom anderen
Geschlecht waren denen der Erdenmenschen sehr ähnlich. Das Wesen, das Conway jetzt teilweise verkörperte, hatte sogar eine Vorliebe für Fleisch, und somit brauchte er sich nicht auf Salat zu beschränken, falls er das Band längere Zeit tragen mußte. Was spielte es schon für eine große Rolle, daß er jetzt auf zwei Beinen ein wenig unsicher war und daß er beim Gehen rhythmisch mit dem verlängerten Rücken wackelte. Als er die DBFL-Station und den kleinen Operationsraum erreichte, zu dem sein Patient inzwischen geschafft worden war, spielte es auch keine wesentliche Rolle, daß dieser fremde Teil seiner Persönlichkeit Schwester Murchison als eines jener spindeldürren Wesen der Erde betrachtete. Obgleich Schwester Murchison alles sorgfältig vorbereitet hatte, fing Conway nicht sofort an. Da die Gehirnwellen des großen kelgianischen Arztes jetzt in seine eigene Persönlichkeit eindrangen, war er in der Lage, tatsächlich mit seiner Patientin zu empfinden. Er erkannte den Grad der Verletzungen und wußte, daß ihm eine schwierige komplizierte Arbeit bevorstand. Gleichzeitig spürte er, daß er sehr müde und erschöpft war, so daß er kaum die Augen aufzuhalten vermochte. Nur mühsam konnte er sich auf den Beinen halten und als seine Finger über die einzelnen Instrumente tasteten, kamen sie ihm vor wie dicke Würste. Wenn er nicht Gefahr laufen wollte, seine Pa-
tientin zu töten, durfte er in diesem Zustand nicht arbeiten. »Richten Sie mir bitte eine Injektion zum Aufpulvern her«, bat er gähnend. Es sah im ersten Augenblick aus, als wollte Schwester Murchison ihm widersprechen. Derartige Injektionen waren in diesem Hospital verpönt, und ihr Gebrauch war aus guten Gründen auf äußerste Notfälle beschränkt. Aber dann traf sie schweigend die erforderlichen Vorbereitungen. Beim Einspritzen benutzte sie eine stumpfe Nadel und stieß stärker zu als unbedingt erforderlich. Obwohl Conway jetzt nur noch zur Hälfte seine eigene Persönlichkeit besaß, konnte er deutlich erkennen, daß Schwester Murchison im Augenblick gar nicht gut auf ihn zu sprechen war. Die Wirkung der Injektion trat sofort ein. Mit Ausnahme eines leichten unsicheren Gefühls in den Beinen fühlte sich Conway so klar und erfrischt, als hätte er soeben nach zehnstündigem Schlaf das Duschbad verlassen. »Wie geht es eigentlich dem anderen Kelgianer?« fragte er unvermittelt. Er war so müde gewesen, daß ihm der andere Kelgianer, den er in Schwester Murchisons Obhut an der Luftschleuse zurückgelassen hatte, vollkommen aus dem Sinn geraten war.
»Die künstliche Atmung hat schließlich gewirkt«, erwiderte sie, und dann fügte sie etwas lebhafter hinzu: »Aber der Patient hatte einen bösen Schock erlitten, und ich habe ihn in die Station der Tralthaner geschafft, wo noch ein paar Ärzte vorhanden sind.« »Gut«, sagte Conway warm. Er wollte noch ein paar persönliche Bemerkungen hinzufügen, aber er wußte nur zu gut, daß die Zeit zu sehr drängte, um hier lange zu stehen und zu schwatzen. »Dann wollen wir mal anfangen, wie?« Abgesehen von dem kleinen, kastenförmigen Gebilde, in dem das Gehirn der DBLFs untergebracht war, hatten diese Wesen keine eigentliche Knochenstruktur. Ihre Körper waren von einer zylindrischen Muskelschicht umgeben, die einerseits zum Schutz der inneren Organe diente. In den Augen von Lebewesen, die mit einem harten Knochengerüst ausgestattet waren, schien ein solcher Schutz der Organe höchst unvollkommen zu sein. Ein weiterer schwerer Nachteil war der leicht verwundbare Blutkreislauf, denn die einzelnen Adern verliefen ganz dicht unter der Haut. Das dicke Fell bot zwar einigen Schutz – aber nicht gegen herumschwirrende, scharfe Stahlstücke. Eine Verletzung, die bei den meisten anderen Lebewesen recht harmloser und rein äußerlicher Natur war, konnte bei einem DBLF unmittelbar zum Verbluten führen.
Conway ging langsam und sorgfältig vor. Zunächst entfernte er den blutgetränkten Notverband, den Schwester Murchison angelegt hatte, um die Blutung zu stillen und den Kreislauf nicht zu unterbrechen. Die Hauptadern bereiteten ihm keine wesentlichen Schwierigkeiten, aber für die feineren Blutgefäße waren selbst seine Instrumente zu plump, so daß er die Blutgefäße nur von außen versiegeln konnte. Dieser Teil der Operation bereitete ihm die größten Sorgen – nicht weil das Leben des Patienten dabei bedroht war, sondern weil er genau wußte, daß das herrliche Silberfell an diesen Stellen nie wieder den gleichen, silbrigen Schimmer haben würde wie zuvor. Sollte es überhaupt nachwachsen, dann würde es an diesen Stellen eine schmutziggelbe Färbung haben, deren Anblick einen männlichen Kelgianer zurückstoßen mußte. Bei der Patientin handelte es sich um eine junge, hübsche Krankenschwester der Kelgianer, und ein verunstaltetes Silberfell mochte in ihrem Fall eine regelrechte Tragödie darstellen. Conway konnte nur hoffen, daß sie nicht zu stolz sein würde, die betreffenden Stellen durch künstliches Fell zu ersetzen. Allerdings konnte dieses niemals dem seidigen Schimmer eines lebenden Fells gerecht werden und würde auch sofort auffallen, aber andrerseits war eine solche Lösung immer noch die beste.
Noch vor einer Stunde hätte sich Conway über das Aussehen seiner DBLF-Patientin nicht die geringsten Sorgen gemacht und in ihm lediglich ein neutrales Wesen gesehen. Jetzt war er bereits an dem Punkt angelangt, sich Sorgen über die Heiratsaussichten seines weiblichen Patienten zu machen. Ein Physiologisches Band erweckte in einem Arzt tiefes Mitleid für seine betreffenden Patienten. Nachdem Conway die Operation beendet hatte, setzte er sich mit dem Kontrollraum in Verbindung und gab den dringenden Rat, die Patientin so schnell wie irgend möglich zu evakuieren. Dr. Mannen erwiderte, daß zur Zeit ein halbes Dutzend kleinerer Hospitalschiffe beladen wurde, die fast ausschließlich zur Aufnahme von sauerstoffatmenden Lebewesen bestimmt und geeignet waren. Er gab ihm die beiden am nächsten gelegenen Schleusen durch. Mannen fügte hinzu, daß mit Ausnahme einiger sehr kritischer Fälle die Evakuierung aller Wesen der Gruppen A bis G entweder bereits abgeschlossen war oder unmittelbar vor dem endgültigen Abschluß stand. Sie wurden von dem von O'Mara aus Sicherheitsgründen eingeteilten Pflegepersonal begleitet. Einige Ärzte, Pfleger und Schwestern waren nur sehr schwer zum Verlassen des Hospitals zu bewegen gewesen. Im Falle eines alten, widerspenstigen tralthanischen Arztes war es ganz besonders schlimm
gewesen. Zu seinem Unglück besaß er eine kleine Raumjacht, eine Tatsache, die unter normalen Umständen kaum als Unglück zu bezeichnen gewesen wäre. Er mußte erst formell des versuchten Verrats und der Anstiftung zur Meuterei bezichtigt und verhaftet werden, ehe man ihn an Bord bringen konnte. Als Conway die Verbindung trennte, dachte er flüchtig daran, daß man es bei ihm gewiß nicht so schwer haben würde, ihn zum Verlassen des Hospitals zu bewegen. Verärgert über sich selbst und auch ein bißchen von Scham ergriffen, schüttelte er den Kopf und gab Schwester Murchison die Anweisung, die Patientin zum Raumschiff zu transportieren. Der verletzte Kelgianer mußte in ein Druckzelt gehüllt werden, um durch die leere AUGL-Station geschafft werden zu können, denn hier klaffte nun ein Loch zum Weltall. Im Tank selbst befand sich jetzt weder Wasser noch irgendwelche wasseratmenden Wesen, und es hatte wenig Sinn, die kostbare Zeit damit zu vergeuden, eine Station zu reparieren, die ohnehin kaum noch Verwendung finden würde. Der Anblick des leeren Tanks mit den getrockneten Glaswänden und dem mit allerlei Meerespflanzen bedeckten Boden, die hier installiert worden waren, um den Patienten ein heimisches Gefühl zu geben und die nun verwelkt auf dem Grund lagen, erfüllte Conway mit tiefem Entsetzen. Diese Depression hielt
an, bis sie endlich wieder zu einer Station gelangten, die mit sauerstoffatmenden Wesen angefüllt war. Hier mußten sie warten, um eine Prozession von TLTUs vorbeizulassen. Conway war froh über diese kleine Pause; er selbst fühlte sich zwar unter der Einwirkung der Injektion noch immer recht frisch und kräftig, aber er sah, daß Schwester Murchison sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er nahm sich vor, sie sofort ins Bett zu schicken, sobald sie ihre Patientin sicher an Bord des Hospitalschiffes gebracht hatte. Sieben TLTUs kamen langsam vorüber; ihre Schutzsphären waren an den fahrbaren Bahren befestigt, die von schwitzenden Pflegern geschoben wurden. Die Lebenssphären dieser Wesen verbreiteten keinen Frost wie die der methanatmenden Wesen. Diese hier benötigten eine Temperatur von über hundert Grad Hitze, und aus ihren jeweiligen Sphären stiegen milchigweiße Dämpfe auf, während die Generatoren hämmerten und zischten. Conway konnte die Hitze dieser Sphären auf eine Entfernung von sechs Metern spüren. Wenn in diesem Augenblick ein feindliches Geschoß eine dieser Sphären treffen und zerreißen würde ... Conway konnte sich keinen schlimmeren Tod vorstellen, als in einem solchen Superdampf zu schmoren. Als sie ihren Patienten endlich an der Schleuse dem
zuständigen Offizier übergeben hatten, konnte Conway kaum noch aus den Augen schauen, und seine Beine und Knie fühlten sich an als wären sie aus Gummi. Entweder mußte er auf der Stelle ins Bett – oder er brauchte eine weitere Injektion zur Aufpulverung. Er hatte sich gerade fürs Bett entschieden, als ein Offizier des Korps respektvoll auf ihn zukam; sein Raumanzug strahlte noch die Kälte des Weltraums aus. »Die Verwundeten sind eingetroffen, Sir«, meldete er nachdrücklich. »Wir haben sie in einem kleinen Raumschiff hereingebracht, weil die Aufnahmestation zur Zeit durch die Evakuierung blockiert ist. Vorher haben wir sie zur DBLF-Station gebracht, aber dort ist alles leer, und Sie sind der erste Arzt, dem ich hier begegne. Werden Sie sich der Verwundeten annehmen, Sir?« Conway stand schon im Begriff zu fragen, um was für Verwundete es sich handelte, aber er hielt die Frage gerade noch rechtzeitig zurück. Er erinnerte sich plötzlich, daß hier ein Angriff des Feindes abgeschlagen worden war, und dieser Offizier hatte die Aufgabe übernommen, die Verwundeten zu versorgen, gleichgültig, ob es sich nun um leichte oder schwerere Fälle handelte. Wenn er nur gewußt hätte, daß Conway viel zu beschäftigt gewesen war, um an den Kampf und die etwaigen Verwundeten zu denken!
»Wo haben Sie die Verwundeten untergebracht?« fragte Conway. »Sie sind noch in dem kleinen Schiff«, antwortete der Offizier, der jetzt ein wenig beruhigt zu sein schien. »Wir haben es für besser gehalten, sie zunächst dort zu belassen, um sie untersuchen zu können. Ein paar von ihnen – ich meine – ähem – wollen Sie mir bitte folgen, Sir?« Es waren insgesamt achtzehn Mann, die Überlebenden eines zerstörten Raumschiffes; sie waren aufgegriffen worden und steckten noch in ihren Raumanzügen. Nur die Helme hatte man ihnen genommen, um festzustellen, ob sie überhaupt noch lebten. Conway zählte drei Fälle von Unterdruck, und bei den anderen handelte es sich um mehr oder weniger komplizierte Frakturen; in einem Fall bestand die Gefahr eines Schädelbasisbruchs. Es gab keinen einzigen Fall von Strahlenbeeinflussung. Bislang war es immer noch ein sauberer Krieg – falls man einen Krieg überhaupt als sauber bezeichnen konnte. Conway spürte eine wilde Wut in sich aufsteigen, aber er drängte sie zurück. Schließlich kam es jetzt nicht darauf an, in Gegenwart dieser leidenden Patienten an die Ursache zu denken, aus der dieses Leid erwachsen war. Er richtete sich auf und wandte sich an Schwester Murchison.
»Ich brauche eine weitere Injektion zur Aufpulverung«, sagte er knapp. »Eine lange Aufgabe liegt vor mir. Zunächst will ich jedoch das DBLF-Band löschen lassen und versuchen, einen Assistenten aufzutreiben. In der Zwischenzeit könnten Sie diesen Männern vielleicht beim Ablegen der Raumanzüge behilflich sein und sie zum Operationssaal bringen. Dann können Sie zu Bett gehen.« Er wandte sich ab. »Und vielen Dank«, fügte er ein bißchen verlegen hinzu; er wollte nicht zu persönlich werden, denn der Offizier des Korps stand noch immer neben ihm. Wenn er der Schwester jetzt die Dinge gesagt hätte, die er ihr sagen wollte, während hier achtzehn Verwundete auf Hilfe warteten, dann hätte ihn der Offizier höchstwahrscheinlich für verrückt gehalten, und Conway hätte es ihm nicht einmal verübeln können. Aber, verwünscht noch mal, der Offizier hatte schließlich nicht während der vergangenen drei Stunden mit Schwester Murchison zusammengearbeitet und dabei unter der Wirkung eines Stimulanzmittels gestanden, das alle Empfindungen intensivierte. »Wenn es Ihnen recht ist«, sagte Schwester Murchison unvermittelt, »könnte ich ebenfalls eine Injektion zur Aufpulverung nehmen, Doktor.« »Sie sind zwar ein recht dummes Mädchen«, erwi-
derte Conway dankbar, »aber irgendwie hatte ich gehofft, daß Sie diesen Vorschlag machen würden.«
17 Bis zum achten Tag waren alle fremdrassigen Wesen evakuiert, und mit den Patienten waren auch etwa vier Fünftel des medizinischen Stabes abgezogen. Die Generatoren zur Herstellung von extremen atmosphärischen Gravitationsverhältnissen wurden abgeschaltet, und die leeren Stationen boten einen trostlosen Anblick. Im weiteren Verlauf der Tage trafen mehr und mehr Mannschaften des Korps ein, die die ehemaligen Krankenstationen in eine Art Kaserne verwandelten. Pioniere schufen neue Plattformen an der Außenwand des riesigen Gebildes. Dermod vertrat jetzt die Ansicht, daß das Hospital selbst verteidigt werden müsse und nicht unbedingt von der Hilfe der Flotte abhängig sein solle, denn es hatte sich ja ohnehin bereits gezeigt, daß es dem Feind gelingen konnte, die Kette der Flotte zu durchbrechen. Am fünfundzwanzigsten Tage war aus dem ehemaligen Weltraumhospital eine Art Festung geworden, die durchaus in der Lage war, sich mit ihren Waffen zu verteidigen. Das Hospital besaß mächtige Generatoren und Kraftanlagen, die denen der Raumflotte weit überle-
gen waren. Somit war dieses Bollwerk nur durch massierte Angriffe zu bezwingen. Am neunundzwanzigsten Tag erfolgte der erste Großangriff des Feindes, und die Besatzung der Festung hatte die erste Bewährungsprobe zu bestehen. Der Angriff dauerte drei Tage. Conway wußte, daß die leitenden Offiziere des Korps vollkommen logisch und richtig handelten, wenn sie aus dem ehemaligen Weltraumkrankenhaus eine Art Bollwerk gemacht hatten, aber es gefiel ihm ganz und gar nicht. Auch nach dem drei Tage währenden Angriff des Feindes, in dessen Verlauf das Hospital viermal getroffen wurde, zum Glück auch diesmal nur mit chemischen Geschossen, kam ihm die ganze Sache irgendwie falsch vor. Immer wieder mußte er daran denken, daß dieser gigantische Bau von Haus aus den höchsten menschlichen Idealen dienen sollte, und aus diesem Zentrum medizinischer Erkenntnisse war nun eine bösartige Vernichtungsmaschine geworden, in deren Innern die eigenen Verwundeten versorgt wurden. Die ganze scheußliche Sache ging ihm sehr an die Nerven, und manchmal konnte er nicht umhin, seine Meinung frei zum Ausdruck zu bringen. Es war fünf Wochen nach Beginn der Evakuierung, und Conway saß beim Mittagessen mit Dr. Mannen
und Dr. Prilicla am Tisch. Der Speisesaal war jetzt bei den Mahlzeiten nicht mehr überfüllt, und die grünen Uniformen der Mannschaften des Korps herrschten vor. Im ganzen Gebäude gab es noch etwa zweihundert Wesen fremder Rassen, und gegen diese Tatsache brachte Conway gerade seinen Einwand vor. »Ich behaupte nach wie vor, daß es eine vollkommene Vergeudung ist«, sagte er ärgerlich. »Eine Vergeudung von Leben, medizinischen Talenten und allem anderen! Wir haben hier auch in Zukunft nichts anderes zu erwarten, als die Versorgung von Mitgliedern des Monitor-Korps, und das sind alles Erdenmenschen. Es sind also keine Fälle fremdartiger Wesen, und deshalb sollten alle Angehörigen fremder Rassen sofort entfernt werden.« Er streifte Prilicla mit einem durchdringenden Blick. »Anwesende sind nicht ausgenommen!« Dr. Mannen schnitt sich ein Stück von dem saftigen Steak ab, spießte es auf die Gabel und schob es in den Mund. Seit alle seine Patienten der leichteren Gravitationsverhältnisse das Hospital verlassen hatten, war er darangegangen, seine LSVO- und MSVK-Bänder zu löschen, und somit hatte er auch keinerlei Diätbegrenzungen mehr. In den vergangenen fünf Wochen hatte er merklich zugenommen. »In den Augen der fremdartigen Rassen«, sagte er gelassen, »sind wir ebenfalls fremdartige Wesen.«
»Sie reden um den Brei herum«, brummte Conway. »Ich wollte doch nur ausdrücken, daß ich etwas gegen sinnloses Heldentum habe.« Mannen hob die Augenbrauen. »Aber Heldentum ist fast immer sinnlos«, entgegnete er trocken. »Außerdem ist es sehr ansteckend. In diesem Fall würde ich sagen, daß es der Entschluß des Korps war, dieses Gebäude zu verteidigen, und aus dem gleichen Grund fühlten wir uns zum Bleiben verpflichtet, um die Verwundeten zu versorgen. Wenigstens ein paar von uns denken so – oder sie bilden sich zumindest ein, so zu denken.« Mannen hielt inne und ließ den Blick durch den Speisesaal gleiten. »Es wäre nur vernünftig und logisch gewesen, das Hospital zu verlassen, solange sich dazu Gelegenheit bot«, fuhr er fort. »Niemand hätte ein Wort über diejenigen verloren, die zu diesem Zeitpunkt abgereist wären. Aber diese gesunden und logischen Wesen hatten hier Kollegen und – ähem – Freunde, die ihrer Ansicht nach zu der Gruppe der Helden gehörten, und sie blieben hier, weil sie in den Augen ihrer Freunde nicht als Feiglinge gelten wollten. Sie würden lieber sterben, als vor ihren Freunden herabgesetzt zu werden.« Conway spürte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg, aber er sagte nichts. Mannen lächelte ein wenig.
»Aber das ist auch eine Form von Heldentum«, fuhr er fort. »Ein Fall von ›lieber Tod als Schande‹ möchte ich sagen. Ehe man sich's versieht, sind alle irgendeine Art Helden. Zweifellos gilt das gleiche für die Angehörigen fremder Rassen.« Er streifte Prilicla mit einem Seitenblick. »Sie bleiben aus dem gleichen Grund hier. Ich fürchte, sie wollen uns auf diese Weise zeigen, daß die DBGD-Menschen nicht das alleinige Monopol für Heldentum gepachtet haben.« »Ich verstehe«, brummte Conway. Er wußte, daß sein Gesicht jetzt flammend rot war. Augenscheinlich ahnte Mannen, daß er nur im Hospital geblieben war, weil er fürchtete, Schwester Murchison, Major O'Mara und Dr. Mannen schwer zu enttäuschen, wenn er die Flucht ergriff. Der ebenfalls am Tisch sitzende Prilicla mußte mit seiner sensitiven Empfangsanalge in seinen Gedanken wie in einem offenen Buch lesen können. Conway sagte sich, daß er noch nie im Leben in einer so scheußlichen Lage gesteckt hatte. »Sie haben vollkommen recht«, sagte Prilicla unvermittelt, indem er die Gabel in einen Haufen Spaghetti stieß und sie mit zwei zerbrechlichen Gliedern umdrehte. »Wenn ihr DBGDs uns nicht jenes heroische Beispiel gegeben hättet, dann wäre ich an Bord des zweiten Schiffes gegangen.« »Des zweiten?« fragte Mannen verdutzt.
»Nun«, erwiderte Prilicla, indem er seine Worte mit einer Bewegung der Gabel unterstrich, »schließlich habe ich ja auch meinen Stolz.« Conway hörte nur mit halbem Ohr zu; er dachte daran, daß er wohl richtig gehandelt hätte, wenn er ihnen seine Feigheit eingestand – aber er wußte nur zu gut, daß er sie damit alle in Verlegenheit bringen würde. Es war klar, daß sie ihn alle beide durchschaut hatten, und jeder wollte ihm auf seine Weise beibringen, daß das eigentlich gar keine Rolle spielte. Wenn man die ganze Lage objektiv betrachtete, dann spielte es auch tatsächlich keine Rolle, denn jetzt würde kein Raumschiff mehr das Hospital verlassen, und das hier verbliebene Personal bestand automatisch aus lauter Helden – ob sie es nun wollten oder nicht. Dennoch ging es Conway irgendwie gegen den Strich, daß er hier für einen tapferen, selbstlosen und unermüdlichen Arzt gehalten wurde, obwohl das alles gar nicht zutraf. Ehe er jedoch zu einer Erwiderung ansetzen konnte, wechselte Mannen unvermittelt das Thema und wünschte zu wissen, wo Dr. Conway und Schwester Murchison sich am vierten, fünften und sechsten Tag der Evakuierung befunden hätten. Er sagte, es wäre doch außerordentlich aufschlußreich, daß beide zur gleichen und während der gleichen Zeit von der Bildfläche verschwunden wären.
Bald schaltete sich auch Prilicla ein, und er schlug in die gleiche Kerbe. Immerhin erklärte er, daß er als geschlechtsloser GLNO lediglich ein rein akademisches Interesse an den Beziehungen zwischen menschlichen DBGDs haben könnte. Conway mußte sich nach beiden Seiten verteidigen. Prilicla und Mannen wußten natürlich, daß Dr. Conway und Schwester Murchison sowie vierzig andere Mitglieder des medizinischen Stabes unter Anwendung von Injektionen zur Aufpulverung sechzig Stunden hindurch pausenlos gearbeitet hatten. Solche Injektionen verlangten natürlich ihren Tribut, und so war es gekommen, daß Conway und alle anderen nach dieser Arbeit in einen Zustand höchster Erschöpfung gefallen waren und drei Tage lang das Bett hüten mußten. Einige von ihnen waren buchstäblich zusammengebrochen, so daß die Geräte zur Herzmassage und künstlichen Ernährung eingesetzt werden mußten. Diese Patienten waren in die entsprechenden Abteilungen gebracht worden. Immerhin sah es natürlich ein bißchen verdächtig aus, daß weder Conway noch Schwester Murchison während eines Zeitraums von drei ganzen Tagen zu sehen gewesen waren. Die Alarmsirene rettete Conway gerade in dem Augenblick, als seine beiden Tischnachbarn zum letzten Schlag ausholten. Er sprang auf und wandte sich
der Tür zu, während er hinter sich Mannens schwere Schritte hörte; Prilicla schwirrte vor ihnen her. Hölle, Pech, Schwefel oder ein interstellarer Krieg, dachte Conway grimmig, während er den Weg zu seiner Station einschlug, dieser Mannen war doch immer über die neuesten Skandale seiner Umgebung unterrichtet, und er verstand es wie kein anderer, sein Opfer zu necken und in die Enge zu treiben, bis diesem der Schweiß ausbrach. Unter den gegenwärtigen Umständen hatte Mannens Verhalten ihn zunächst gereizt – aber dann hatte er doch einzusehen begonnen, daß Mannen eigentlich nichts anderes damit erreichen wollte, als ihm zu zeigen, daß die Welt noch lange nicht zum Stillstand gekommen war und daß es noch immer ein Weltraumhospital gab. Dieses Hospital würde bis zum letzten Atemzug des Personals und des medizinischen Stabes existieren – ganz gleich, was kommen mochte. Als er seine Station erreichte, brach der heulende Ton der Sirene ab. Dieses Heulen erinnerte stets an den Ernst der Lage. Über jedem der achtundzwanzig Betten hing ein Druckzelt mit den erforderlichen Einrichtungen, um der Gefahr zu begegnen, die ein plötzliches Aufreißen der Außenwand verursacht hätte. Die Krankenschwestern, ein Tralthaner, ein Nidianer und vier irdische Wesen schlüpften in ihre Raumanzüge. Conway folgte ihrem Beispiel und verschloß seinen
Raumanzug bis auf die Glasplatte vor dem Gesicht. Er stattete jedem einzelnen seiner Patienten einen kurzen Besuch ab, fand ein paar Worte des Lobes für die Krankenschwestern und schaltete die Gravitationsanlage aus. Wenn die Sicherheitsanlage um das Gebäude eingeschaltet war oder die Waffen angewandt wurden, kam es oft zu Schwankungen in den Kraftanlagen und Generatoren, und dadurch veränderten sich meistens auch die Gravitationsverhältnisse. Um diesen für die Patienten sehr unangenehmen Schwankungen vorzubeugen, war es in jedem Falle besser, die künstlich erzeugte Schwerkraft ganz aufzuheben. Nachdem sowohl die Patienten als auch das Personal alle möglichen Schutzmaßnahmen durchgeführt hatten, konnten sie nur noch die weitere Entwicklung der Dinge abwarten. Um seine Gedanken von den Vorgängen außerhalb des Hospitals abzulenken, schaltete sich Conway in einen Wortwechsel zwischen einer tralthanischen und einer nidianischen Krankenschwester ein. Es drehte sich um das Versagen der Übersetzungsanlage. Diese Anlage bestand aus einem gigantischen Elektronengehirn, das die jeweilige Simultanübersetzung aller bekannten Sprachen vornahm, so daß jeder zur Verständigung nur den entsprechenden Schalter zu betätigen brauchte.
Seit Beginn der Evakuierung arbeitete diese Anlage nur noch mit einem Bruchteil ihrer eigentlichen Kraft. Die auf diese Weise eingesparte Kraft wurde auf Dermods Anweisung für taktische Maßnahmen verwendet, die zur Verteidigung des Gebäudes erforderlich waren. Trotz Dermods Versicherungen, die Anlage jederzeit in Betrieb zu halten, kam es gelegentlich vor, daß sie, wenn auch nur für kurze Zeit, vollkommen ausfiel. Dabei gaben sich dann schier unüberbrückbare Schwierigkeiten der Verständigung mit und zwischen fremdartigen Wesen und Rassen. Conway wollte den beiden sich streitenden Krankenschwestern erklären, daß es im Augenblick um wichtigere Dinge als diese Anlage ging, aber ihm fiel kein Weg ein, ihnen das auf taktvolle Weise beizubringen. Eine Stunde verstrich, ohne daß etwas geschah. Das Hospital wurde weder beschossen, noch wurden seine schweren Waffen eingesetzt. Die Krankenschwestern wurden durch die nächste Schicht abgelöst: drei Tralthaner und drei irdische Schwestern, die unter Leitung von Schwester Murchison standen. Conway setzte sich gerade zu einer gemütlichen Unterhaltung mit Schwester Murchison zusammen, als die Sirene das langgezogene Signal der Entwarnung gab. Der Angriff auf das Hospital war vorüber.
Er half Schwester Murchison aus dem Raumanzug, und in diesem Augenblick erwachte der Lautsprecher an der Wand zum Leben. »Achtung! Achtung! Doktor Conway möchte bitte sofort zur Schleuse fünf kommen!« Wahrscheinlich, dachte Conway, handelt es sich um einen Verwundeten, von dem sie nicht wissen, wie sie ihn transportieren können, aber dann kam sofort eine weitere Durchsage des Lautsprechers. »Achtung! Achtung! Major O'Mara und Doktor Mannen möchten bitte sofort zur Schleuse fünf kommen!« Conway fragte sich, was wohl an Schleuse fünf die Anwesenheit von zwei Stationsärzten und des Chefpsychologen erforderlich machen könnte. Er machte sich hastig auf den Weg. O'Mara und Mannen hatten einen kürzeren Weg zur Schleuse fünf, und sie waren bei Conways Eintreffen bereits dort. Im Vorzimmer der Schleuse befand sich eine dritte Person in einem schweren Raumanzug, dessen Helm zurückgeklappt war. Das Haar dieses Mannes war an den Schläfen bereits ergraut; er hatte ein schmales, von tiefen Furchen gezeichnetes Gesicht und einen Mund, der aus einem grauen Strich zu bestehen schien. Die Härte seiner Erscheinung wurde durch die Augen gemildert; diese Augen waren so braun und weich, wie
Conway sie nie zuvor an einem Menschen gesehen hatte. Auch die Rangabzeichen am Kragen der Uniform hatte er noch nie zu Gesicht bekommen, denn bislang war ihm nie ein höherer Offizier als ein Colonel begegnet. Conway spürte instinktiv, daß dies Dermod war, der Kommandeur der Raumflotte. Dermod und Major O'Mara salutierten, und dann schüttelte der Kommandeur Conway und Mannen die Hand. Er kam ohne lange Umschweife zur Sache. »Ich bin nicht für strikte Geheimhaltung, wenn kein besonderer Grund dafür besteht«, begann er knapp. »Sie haben sich entschlossen, hierzubleiben und unsere Verwundeten zu versorgen, und damit haben Sie auch das Recht, über alles unterrichtet zu werden, was hier vorgeht, ganz gleich, ob diese Nachrichten nun gut oder schlecht sind. Sie sind die höchsten Vertreter des medizinischen Hospitalstabes, und Sie kennen Ihre Untergebenen. Deshalb überlasse ich es Ihnen, ob Sie die von mir erhaltenen Informationen an den Stab weitergeben wollen oder nicht.« Er hatte sich bei diesen Worten O'Mara angesehen. Jetzt streifte er Conway und Mannen mit einem kurzen Seitenblick und schaute dann wieder O'Mara an. »Wir haben soeben einen Angriff hinter uns, der überraschenderweise dem Feind zum Verhängnis wurde. Wir haben nicht einen einzigen Mann verlo-
ren, während der Gegner vollkommen vernichtet wurde. Die Leute scheinen nicht die geringste Ahnung von taktischer Kriegsführung gehabt zu haben. Wir hatten eigentlich mit einem jener Angriffe gerechnet, wie wir sie bereits hinter uns haben und bei denen es uns nur unter Aufbietung aller Kräfte gelang, den Feind überhaupt zurückschlagen zu können. Bislang hat der Gegner seine Angriffe ohne Rücksicht auf etwaige Verluste vorgetragen – aber dies hier war das reinste Selbstmordunternehmen.« Conway sah in Dermods braunen Augen keine Freude über den errungenen Sieg. »Es war uns möglich, die zerstörten Raumschiffe sofort nach etwaigen Überlebenden zu durchsuchen. Normalerweise sind wir nach einem solchen Scharmützel vollauf damit beschäftigt, unsere eigenen Verluste festzustellen, so daß wir uns nicht weiter um den Feind kümmern können. Wir haben auch in diesem Fall keine Überlebenden gefunden, aber ...« Er brach ab, denn in diesem Augenblick kamen zwei Männer des Korps mit einer Tragbahre durch die Schleuse herein. Dermod richtete den Blick fest auf Conway, als er in seinen Ausführungen fortfuhr. »Sie waren auf dem Planeten Etla, Doktor, und deshalb werden Sie die Zusammenhänge besser verstehen als jeder andere. Denken Sie bitte stets daran,
daß wir es hier mit einem unerbittlichen Feind zu tun haben, der zu keinerlei Verhandlungen bereit ist. Es hat den Anschein, als würde uns dieser Feind mit einem fanatischen Haß verfolgen, der vor nichts zurückschreckt – und dennoch wendet er im Kampf gegen uns nur begrenzte Waffen an. Aber jetzt sollten Sie sich erst mal dies hier ansehen.« Als die Decke von der Tragbahre gezogen wurde, herrschte lange Zeit tiefes Schweigen im Raum. Hier lagen die zerschmetterten Überreste eines Wesens, das noch vor kurzer Zeit hatte denken und fühlen können. Eine Klassifikation dieses Wesens war nicht mehr möglich. Immerhin stand einwandfrei fest, daß es nie ein Mensch oder auch nur ein menschenähnliches Wesen hatte sein können. Der Krieg breitet sich immer weiter aus, dachte Conway traurig.
18 »Seit der Kreuzer Vespanian den Planeten Etla verlassen mußte, haben wir uns bemüht, Agenten ins Imperium einzuschmuggeln«, fuhr Dermod ruhig fort. »Dabei ist es uns gelungen, acht solcher Gruppen zu landen, und eine davon befindet sich auf dem Zentralplaneten des Imperiums. Auf unsere Agenten und ihre Propagandamaßnahmen können wir uns unbedingt verlassen. Wir wissen jetzt, daß man uns im Imperium die Etla-Sache schwer ankreidet – oder besser gesagt das, was wir angeblich auf dem Planeten Etla verbrochen haben sollen, aber darauf werde ich später noch näher eingehen. Die letzte Entwicklung der Dinge wird unsere Lage noch verschlimmern ...« Dermod führte weiter aus, daß nach Angaben des Imperiums das Korps auf dem Planeten Etla eine Invasion vorgenommen habe. Unter der Vorgabe von medizinischer Unterstützung sollen wir die Etlaner angeblich als Versuchskaninchen benutzt haben, um an ihnen die Wirkung neuer, bakteriologischer Waffen auszuprobieren. Als Beweis diente die Tatsache, daß die Etlaner sofort nach Abzug des Korps von allen möglichen Krankheiten heimgesucht worden sind. Ein solches barbarisches Vorgehen durfte natür-
lich auf keinen Fall unbestraft bleiben, und der Imperator war überzeugt, das ganze Volk bei seiner Entscheidung hinter sich zu haben. Das Imperium gab dann weiterhin bekannt, daß es den Streitkräften gelungen wäre, einen Gefangenen des Korps zu machen, und dieser sagte aus, daß es sich bei der Invasion des Planeten Etla nicht um eine Einzelaktion des Korps gehandelt hätte. Zunächst wäre dort ein an sich völlig harmloses, fremdartiges Wesen aus einer anderen Welt gelandet, um die Verteidigungsmöglichkeiten des Planeten zu erkunden. Als die Mitglieder des Korps dann später landeten, erklärten sie, keinerlei Verbindung mit einem solchen Wesen zu haben, und sie setzten sich prompt mit den Behörden des Planeten in Verbindung. Damit stand einwandfrei fest, daß sich das Korps auch Wesen anderer Systeme für seine Zwecke bediente. Es benutzte diese Wesen zu Experimentalzwecken und sogar als Kanonenfutter. Nach der Invasion des Planeten Etla errichtete das Korps dort eine Art Kombination aus militärischem Stützpunkt und Laboratorium, und das Vorgehen war von besonderer Grausamkeit gekennzeichnet. Der festgenommene Agent des Korps hatte alles gestanden, was ihm über die Maßnahmen des Korps auf Etla bekannt war. Allem Anschein nach herrschte das Korps über eine Vielzahl fremdartiger Rassen,
und auf Etla wurde es offenbar, mit welchen Waffen und Methoden diese fremden Rassen unter Druck gehalten wurden. Der Imperator gab weiterhin offiziell bekannt, daß er es als seine Pflicht betrachte, diese brutalen und rücksichtslosen Tyrannen von seinen Streitkräften vernichten zu lassen. Er sagte außerdem, daß er nur die Streitkräfte des Imperiums einsetzen könne, denn er mußte eingestehen, daß die Beziehungen zwischen dem Imperium und den anderen Systemen in der Vergangenheit nicht immer so freundschaftlich gewesen wären, wie das eigentlich hätte sein sollen. Wenn ihm jedoch von irgendeinem dieser Systeme Hilfe angeboten werden würde, dann wäre er selbstverständlich bereit, diese anzunehmen. »Das gibt uns die Erklärung für die rätselhaften Angriffe des Feindes«, fuhr Dermod in seinen Ausführungen fort. »Sie beschränken sich auf die Anwendung von konventionellen und chemischen Waffen, wobei wir ihnen nach den Regeln des galaktischen Rates folgen müssen, weil sie diese gigantische Station nicht vernichten, sondern erobern wollen. Der Imperator muß unter allen Umständen die Positionen unserer anderen Systeme in die Hand bekommen, um den Krieg ausdehnen und fortsetzen zu können. Sie tragen ihre Angriffe mit einem so überaus fanatischen Todesmut und ohne Rücksicht auf Verluste vor, weil
sie die Gefangennahme fürchten. In ihren Augen ist dieses Hospital nichts anderes als eine große, im Weltall hängende Folterkammer.« Dermod räusperte sich und legte eine kurze Pause ein. »Der vollkommen wirkungslose Angriff von vorhin muß wohl von einer mit dem Imperium befreundeten Rasse durchgeführt worden sein; diese Wesen hatten weder die erforderliche Ausbildung noch genügende Kenntnis über unsere Verteidigungsmaßnahmen. Ihre prompte und vollkommene Vernichtung wird die anderen fremden Rassen zu einer Entscheidung zwingen – und diese kann nur zugunsten des Imperators ausgehen«, schloß er. Nachdem der Kommandeur der Raumflotte des Korps geendet hatte, schwieg Conway eine ganze Weile. Er hatte die Berichte gelesen, die Colonel Williamson über das Imperium erhalten hatte, und somit wußte er, daß Dermod die Lage keineswegs übertrieb. O'Mara waren diese und ähnliche Berichte ebenfalls bekannt, und auch er verharrte in grimmigem Schweigen. Dr. Mannen gehörte jedoch nicht zu der Gruppe schweigsamer Menschen. »Aber das ist doch lächerlich!« stieß er hervor. »Sie drehen ja alles um! Wir befinden uns hier in einem
Hospital und nicht in einer Folterkammer. Und sie klagen uns genau der Dinge an, die sie selbst tun.« Dermod ignorierte diesen Ausbruch, aber auf eine Art, die keinen Anstoß erregen konnte. »Das Imperium lebt in politischer Unsicherheit«, erklärte er dann. »Wenn wir genügend Zeit zur Verfügung hätten, dann wäre es sehr einfach, ihr gegenwärtiges Regierungssystem abzuschaffen und durch ein wesentlich besseres zu ersetzen. Das würden die Bürger des Imperiums sogar selbst machen. Aber das erfordert nun einmal Zeit. Außerdem müssen wir eine weitere Ausbreitung dieses Krieges unter allen Umständen verhindern. Wenn sich zu viele fremde Rassen in diesen Krieg einschalten und dem Imperium zu Hilfe kommen, dann wird die ganze Lage so kompliziert und undurchsichtig, daß es zum Schluß gar keine Rolle mehr spielt, wer und was diesen Krieg eigentlich vom Zaun gebrochen hat. Damit wird auch jede Schuldfrage gegenstandslos.« Er hielt inne. »Wir können Zeit gewinnen, indem wir diese Station so lange wie irgend möglich verteidigen«, fügte er grimmig hinzu. Er klappte den Helm seines Raumanzuges über den Kopf, ließ jedoch die dicke Glasplatte vor dem Gesicht offen, um die Unterhaltung fortsetzen zu können.
In diesem Augenblick stellte Dr. Mannen die Frage, die Conway schon seit langer Zeit am Herzen lag. Er hatte sie nur deshalb nicht zu stellen gewagt, weil er nicht für einen Feigling gehalten werden wollte. »Haben wir tatsächlich eine Chance, das alles durchstehen zu können?« Dermod zögerte eine Weile mit der Antwort; augenscheinlich war er sich nicht recht klar darüber, ob er ihnen Mut einflößen oder die nackte Wahrheit sagen sollte. »Eine gut organisierte und mit ausreichendem Nachschub versehene Verteidigungsmacht hat eine geradezu ideale taktische Position. Sie kann jedoch, falls der Feind mit vielfach überlegenen Kräften angreift, auch zu einer perfekten Falle werden.« Nachdem Dermod den Raum verlassen hatte, tauchte Dr. Thornnastor auf, der Tralthaner aus der Pathologischen Abteilung. Er holte die Überreste des fremdartigen Wesens ab, und zweifellos stellte die Untersuchung eine Aufgabe dar, die ihn tagelang beschäftigen würde. Major O'Mara begab sich wieder in sein Büro, und Dr. Mannen und Conway kehrten zu ihren jeweiligen Stationen zurück. Die Reaktion des medizinischen Stabes mußte völlig verschiedenartig sein. Einerseits fürchteten sie natürlich ebenfalls die Ausbreitung des Krieges, aber
andererseits warteten sie wohl gespannt auf das Eintreffen von Verwundeten dieser fremdartigen und dem Imperium befreundeten Rassen, denn diese stellten ja ganz andere Lebensformen dar und waren somit interessante Studienobjekte. Die nächsten zwei Wochen verstrichen, ohne daß der erwartete Angriff stattfand. Immer weitere Raumkreuzer des Korps trafen ein und wurden in ihre taktischen Positionen zur Verteidigung eingewiesen. Bei einem Blick aus den dicken Bullaugen des Hospitals schienen sie den ganzen Horizont zu bedecken, als wäre dieses Hospital der Mittelpunkt eines neuen, galaktischen Systems, dessen Trabanten aus lauter Kriegskreuzern bestanden. Es war ein sehr eindrucksvolles Bild, das jedem, der es sah, ein unermeßliches Gefühl der Sicherheit geben mußte; Conway trat mindestens einmal täglich an eines dieser Bullaugen. Als er eines Tages von solch einem Ausflug zurückkam, stieß er auf eine Gruppe von Kelgianern. Im ersten Augenblick konnte er kaum seinen Augen trauen. Alle kelgianischen DBLFs waren evakuiert worden, und er hatte den Abtransport der letzten Kelgianer persönlich überwacht. Dennoch stand hier vor seinen Augen eine Reihe von über zwanzig Kelgianern. Als er sie etwas genauer betrachtete, sah er, daß sie nicht die üblichen Abzeichen des medizini-
schen Stabes trugen; statt dessen waren auf ihren silbern schimmernden Fellen kreisrunde Kokarden von rot-blau-schwarzer Farbe zu erkennen. Das waren die militärischen Hoheitsabzeichen der Kelgianer. Conway stürmte sofort in Major O'Maras Büro. »Ich war gerade im Begriff, Ihnen die gleiche Frage zu stellen, Doktor«, brummte O'Mara mürrisch, indem er auf den Bildschirm deutete, »wenn auch mit wesentlich respektvolleren Worten. Ich bin eben dabei, eine Verbindung zum Kommandeur der Flotte herzustellen. Verhalten Sie sich also ruhig und setzen Sie sich hin!« Wenige Minuten später tauchte Dermods Gesicht auf dem Bildschirm auf. Sein Tonfall war höflich, aber außerordentlich hastig, als hätte er nur wenig Zeit. »Wir befinden uns hier nicht im Imperium, meine Herren«, begann er. »Wir sind verpflichtet, den Galaktischen Rat und damit auch die Regierungen der anderen mit uns verbündeten Systeme über den Stand der Dinge zu unterrichten. Allerdings haben wir noch nichts über die Tatsache verlauten lassen, daß wir hier von einer Gruppe fremdartiger Rassen angegriffen worden sind. Auf alle Fälle war ja irgendwie damit zu rechnen, daß unsere Verbündeten die Dinge genauso sehen würden wie wir selbst. In unserem Weltraumhospital sind einige Wesen der uns befreundeten
fremden Rassen zurückgeblieben, und nun halten es ihre Freunde in den verschiedenen Welten für ihre Pflicht, herzukommen, um ihnen zu helfen. Im Grunde genommen ist das alles recht einfach.« »Aber Sie haben doch selbst erklärt, daß Sie eine Ausbreitung des Krieges verhindern wollen«, protestierte Conway. »Ich habe diese Wesen schließlich nicht gebeten, herzukommen, Doktor«, entgegnete Dermod scharf. »Da sie nun aber einmal hier sind, kann ich sie natürlich gut verwenden. Den letzten Berichten unserer Agentengruppen ist zu entnehmen, daß der nächste Angriff von entscheidender Bedeutung sein dürfte.« Als sie später im Speisesaal beim Mittagessen saßen, nahm Dr. Mannen diese neue Nachricht durchaus nicht erfreut auf. Traurig erklärte er Conway, daß er sich jetzt endlich als Mensch fühlen und sein Steak genießen könne. Wenn nun jedoch mit dem Eintreffen von Verwundeten fremder Rassen zu rechnen war, dann mußten sie alle wieder die verwünschten physiologischen Bänder anlegen, womit sie teilweise in fremde Persönlichkeiten verwandelt wurden. Prilicla aß wieder einmal Spaghetti und bemerkte beiläufig, daß es doch eigentlich ein glücklicher Umstand wäre, im Hospital noch erfahrene Ärzte fremdartiger Rassen zu haben. Bei dieser Bemerkung vermied er es jedoch geflissentlich, Conway anzusehen.
Conway war ohnehin nicht in gesprächiger Stimmung. Der nächste Angriff dürfte von entscheidender Bedeutung sein, hatte der Flottenkommandeur gesagt. Er erfolgte drei Wochen später, nach einer Periode, in der nicht viel geschehen war. Eine Gruppe von tralthanischen Freiwilligen war im Weltraumhospital aufgetaucht, um an der Verteidigung teilzunehmen. Außerdem war noch ein einzelnes Raumschiff angekommen, dessen Mannschaft und Heimatplanet Conway vollkommen unbekannt war. Diese Wesen wurden als QCQL klassifiziert. Er erfuhr, daß das Weltraumhospital nie Gelegenheit gefunden hatte, mit diesen Wesen in Berührung zu kommen, weil sie zu einer neuen, erst kürzlich entdeckten Rasse gehörten, die sich mit allen Zeichen der Begeisterung dem Galaktischen Rat angeschlossen hatte. Conway bereitete eine kleine Station für diese Wesen vor, um etwaige Verwundete aufnehmen und versorgen zu können. Er mußte diese kleine Station mit dem scheußlichen, gelben Nebel ausstatten, den die QCQLs zum Atmen brauchten, und weiterhin mußte er jenes bläulich schimmernde, arktische Licht installieren, das für die Augen dieser Wesen erforderlich war. Der Angriff begann recht verhalten, so schien es Conway an seinem dicken Bullauge. Es sah so aus, als
bereitete es der Verteidigungsflotte kaum irgendwelche Schwierigkeiten, diesem kleinen, an drei verschiedenen Stellen gleichzeitig erfolgten Angriff zu begegnen. Nur an diesen drei Stellen waren irgendwelche Aktionen zu erkennen; die einzelnen Lichtstrahlen deuteten an, daß es sich hier um kleinere Raumschiffe und durch den Weltraum flitzende Geschosse handelte. Alles spielte sich jedoch viel zu langsam ab, um gefährlich sein zu können. Dieses langsame Vorgehen war nur dadurch zu erklären, daß die einzelnen Raumschiffe die Mindestgeschwindigkeit einhielten, um auf diese Weise besser und schneller manövrieren zu können. Allem Anschein nach sollten diese Vorhuten des Feindes zunächst einmal das Verteidigungssystem und die Taktik des Hospitals auskundschaften. Sie waren gewissermaßen diejenigen, die den Vorhang lüfteten, damit der eigentliche Tanz beginnen konnte. Conway wandte sich vom Bullauge ab und schlug den Weg zu seinem Posten ein. Selbst bei dem kleinsten Scharmützel war mit Verwundeten zu rechnen, und schließlich war es ja nicht seine Aufgabe, hier am Bullauge zu stehen und ein für das Auge herrliches und buntes Bild zu genießen. Außerdem mußte sich in seiner Station ein viel genaueres Bild der ganzen Situation ergeben.
Während der nächsten zwölf Stunden kamen die Verwundeten in einem gleichmäßigen Strom ins Hospital. Dann wurde der Angriff etwas stärker, und damit wuchs auch die Zahl der eintreffenden Verwundeten, und schließlich schlug der Feind mit voller Wucht zu, so daß die Zahl der Verwundeten blitzartig hochschnellte. Conway vermochte kaum noch an die verstreichende Zeit, an seine Assistenten und an die Vielzahl der Verwundeten zu denken, die er zu behandeln hatte. Immer wieder tauchte die Notwendigkeit einer Injektion zur Aufpulverung auf, um die bleierne Müdigkeit zu überwinden, aber die Anwendung derartiger Injektionen war jetzt nach Lage der Dinge strikt verboten. Ärzte, Krankenschwestern und Pflegepersonal waren ohnehin schon überlastet, und man konnte es sich einfach nicht leisten, daß aus diesem Personal auch noch Patienten wurden. Conway mußte also trotz seiner Erschöpfung weiterarbeiten, und dabei wußte er nur zu gut, daß er in dieser Verfassung einfach nicht in der Lage war, seinen Patienten die beste Pflege angedeihen zu lassen. Er legte nur kurze Pausen zum Essen und Schlafen ein, wenn er die Instrumente kaum noch in den Händen halten konnte. Manchmal befand sich ein massiger Tralthaner an seiner Seite, manchmal waren es Mitglieder vom Sa-
nitätspersonal des Monitor-Korps, und manchmal war es auch Schwester Murchison. Er merkte im Laufe der Zeit, daß es sogar meistens Schwester Murchison war, die ihm assistierte. Entweder brauchte sie überhaupt keinen Schlaf, oder sie stahl sich ein paar Minuten zur gleichen Zeit wie er selbst. Vielleicht lag es auch daran, daß sie ihm, selbst in einer so hektischen Zeit wie der augenblicklichen, besonders auffiel. Gewöhnlich war es Schwester Murchison, die ihm ein Tablett mit einer Mahlzeit zuschob oder ihn drängte, sich endlich mal ein paar Stunden aufs Ohr zu legen. Auch am vierten Tag war kein Nachlassen in der Wucht des Angriffs zu erkennen. Immer wieder erbebte das riesige Gebilde des Weltraumhospitals unter neuen Erschütterungen, und das Licht begann zu flackern, weil die Kraftquellen momentan unterbrochen waren. Das Prinzip der künstlich erzeugten Schwerkraft diente den Raumflotten gleichzeitig als Waffe und wurde in allen möglichen Kombinationen angewandt. Diese Gravitationsverhältnisse konnten auf die verschiedensten Weisen durchbrochen werden, und solche Maßnahmen waren außerordentlich wirkungsvoll. Da sich die einzelnen Raumschiffe in dauernder Bewegung befanden und die Geschwindigkeit
des Gegners nur schätzen konnten, war das Ziel natürlich nicht in allen Fällen genau, aber wenn ein kleineres Schiff von solchen Strahlungen getroffen wurde, dann war die Erschütterung stark genug, um die Mannschaft kampfunfähig zu machen. Zur Zeit war die Wucht des Angriffs der Streitmächte des Imperiums so stark, daß die Verteidigungsflotte des Korps immer weiter gegen das Hospital zurückgedrängt wurde. Hunderte von Geschossen wurden auf die Station abgefeuert, und einige von ihnen erreichten ihr Ziel. Mindestens fünfmal spürte Conway im Operationssaal die verhängnisvolle Erschütterung eines Treffers. Die Behandlung der Wunden, die aus Veränderungen der Gravitationsverhältnisse stammten, erforderte keine besondere chirurgische Geschicklichkeit. Es lag auf der Hand, daß diese Männer eine Vielzahl von Frakturen erlitten hatten – und in manchen besonders schwierigen und komplizierten Fällen war fast jeder Knochen im Körper eines solchen Patienten gebrochen. Wenn man Conway ein solches, beklagenswertes Opfer in die Station brachte, das er förmlich aus seinem Raumanzug herausschneiden mußte, stand er oft im Begriff, die Leute des Sanitätspersonals anzuschreien. »Was soll ich denn damit anfangen?«
Aber letzten Endes handelte es sich um lebendige Wesen, und als Arzt hatte er die Pflicht, alles zu tun, um diese Wesen am Leben zu erhalten. Conway hatte gerade einen dieser besonders komplizierten Fälle behandelt, und als er den Blick auf seine beiden Assistenten, Schwester Murchison und einen Tralthaner richtete, bemerkte er die Anwesenheit eines DBLF im Raum. Conway hatte sich in der Zwischenzeit längst mit den militärischen Rangabzeichen der Kelgianer vertraut gemacht und sah, daß es sich in diesem Fall um einen Stabsarzt handelte. »Ich habe den Auftrag, Sie abzulösen, Doktor«, sagte der DBLF schnell über die Übersetzungsanlage. »Ich habe bereits Erfahrungen in der Behandlung von Wesen Ihrer Rasse. Major O'Mara läßt Ihnen ausrichten, daß Sie sofort zur Schleuse zwölf kommen möchten.« Conway stellte dem Arzt Schwester Murchison und den Tralthaner vor. Er hatte nicht viel Zeit, denn in diesem Augenblick wurde bereits ein neuer Verwundeter, der sofort behandelt werden mußte, in den Operationssaal gebracht. »Warum?« fragte er kurz. »Doktor Thornnastor ist ausgefallen, als das letzte Geschoß das Hospital traf«, erwiderte der Kelgianer, indem er die Plastikhülle überstreifte, die Angehörige seiner Rasse als Handschuhe verwendeten. »Jemand
mit Erfahrungen in der Behandlung fremdrassiger Wesen muß Thornnastors Patienten übernehmen und sich um die ständig eintreffenden verwundeten FGLIs kümmern. Sie kommen durch Schleuse zwölf ins Hospital, und Major O'Mara möchte, daß Sie eine sofortige Untersuchung vornehmen, damit Sie sich vergewissern können, welche physiologischen Bänder Sie brauchen. Nehmen Sie lieber Ihren Raumanzug mit, Doktor«, fügte der Kelgianer hinzu, als Conway sich der Tür zuwandte. »Die Station da oben verliert ständig an Druck.« Seit Beginn der Evakuierung war nur wenig Arbeit für die pathologische Abteilung angefallen, dachte Conway, während er über den Korridor schwebte und Kurs auf Schleuse zwölf nahm. Thornnastor hatte sich aus diesem Grund bereit erklärt, die größte Zahl der Verwundeten zu übernehmen, und er hatte seine Station mit den erforderlichen Einrichtungen versehen. Die Patienten der DBGD- und DBLFGruppen, die hier untergebracht wurden, konnten sich wirklich glücklich preisen, in der Behandlung dieses hervorragenden und unglaublich geschickten Arztes zu stehen. Conway fragte sich besorgt, wie es wohl um Thornnastor stehen mochte; der Kelgianer hatte ihm darüber keine Auskunft geben können. Er kam an einem Bullauge vorüber und blieb ste-
hen, um einen Blick nach draußen zu werfen. Der Anblick erinnerte ihn an eine Menge wild gewordener Leuchtkäfer. Die unter dem Bullauge befestigte Eisenstange, die er mit den Händen umklammert hielt, erbebte unter seinem Griff, und das zeigte ihm, daß die Außenwand des Hospitals irgendwo in der Nähe von einem Geschoß getroffen worden sein mußte. Im Vorraum der Schleuse begegnete er einem Tralthaner, einem Nidianer, einem in einem Raumanzug steckenden QCQL und einigen Sanitätern des Korps. Der Nidianer berichtete ihm, daß ein Raumschiff der Tralthaner unter einem Geschoßhagel förmlich zerborsten wäre, und daß man zum Glück fast die gesamte Mannschaft habe retten können. Das beschädigte Raumschiff war mit letzter Kraft zur Schleuse zwölf gekommen, und ... Der Nidianer begann plötzlich ihn anzubellen. »Hören Sie auf mit dem Unfug!« knurrte Conway gereizt. Der Nidianer starrte ihn verdutzt an, und dann begann er wieder zu bellen. Gleichzeitig kam der Tralthaner heran, und das aus seinem Mund kommende Geräusch war etwa mit dem Nebelhorn eines Ozeanriesen zu vergleichen. Um das Maß vollzumachen, begann auch der QCQL noch zu zirpen.
Die Sanitäter, die alle Hände voll zu tun hatten, um die Verwundeten hereinzubringen, starrten die fremden Wesen verblüfft an. Unvermittelt jagte ein eiskalter Schauer über Conways Rücken. Das Gebäude war wieder getroffen worden, und er hatte es nur deswegen nicht gemerkt, weil er frei schwebte, ohne die Wand oder den Boden zu berühren. Er wußte jedoch genau, wo es sie diesmal erwischt hatte. Er hantierte an seinem Empfangsgerät der Übersetzungsanlage herum, aber das hatte gar keinen Zweck. Dann schwebte er auf die Schalttafel zu. Auf jeder einzelnen Leitung dröhnten die verschiedenartigsten Geräusche an sein Ohr, die förmlich an seinen Nerven zerrten. Er dachte flüchtig an den Operationssaal, den er eben erst verlassen hatte. Dort führten der kelgianische Arzt, Schwester Murchison und der Tralthaner die Behandlung des eben eingelieferten Verwundeten durch – und dabei konnte keiner verstehen, was der andere sagte! Alle Anweisungen, Instruktionen, Anfragen über den Zustand des Patienten – all das konnte nur in einem unverständlichen, fremdartigen Ton erfolgen, und dieser Umstand mußte die Wesen dort zur Verzweiflung treiben. Er konnte sich lebhaft vorstellen, daß ähnliche Situationen im ganzen Hospital herrschten. Nur Wesen
der gleichen Rasse konnten sich miteinander verständigen – und selbst das traf nicht in allen Fällen zu. Es gab eine ganze Anzahl von Menschen, die die Universalsprache nicht beherrschten und nur den Dialekt kannten, der in dem Heimatland ihres Ursprungsplaneten gesprochen wurde; sie waren auch bei der Verständigung mit anderen Menschen ihrer Rasse auf die Übersetzungsanlage angewiesen. In dem babylonischen Stimmengewirr der Anlage vermochte Conway schließlich eine Stimme zu hören, die er verstehen konnte. Die Stimme durchdrang das Stakkato der fremdartigen, schaurigen Geräusche, und als Conway sich darauf konzentrierte, konnte er schließlich die einzelnen Worte verstehen. »Diese Geschosse sind in regelmäßigen Abständen gekommen, Sir. Sie haben die Abwehrketten und Sperrgürtel durchbrochen. Wir können die Übersetzungsanlage nicht reparieren, denn davon ist kaum noch etwas übrig geblieben. Das letzte Geschoß hat den Generatorraum getroffen.« Im Vorraum der Schleuse zirpten und bellten die Krankenschwestern und Pfleger, und er sollte jetzt Anweisungen zur Unterbringung der eintreffenden und bereits eingetroffenen Verwundeten geben; er sollte Vorbereitungen für die betreffende Station treffen, und er sollte sich überzeugen, ob der Operationssaal der FGLI-Station in Ordnung war. Das alles
konnte er jedoch nicht tun, weil die Wesen des ihm zur Verfügung stehenden Personals nicht ein einziges Wort seiner Anweisungen verstehen konnten.
19 Lange Zeit, obwohl es in Wirklichkeit vielleicht nur ein paar Sekunden sein mochten, konnte Conway sich nicht vom Schaltbrett der Anlage abwenden, und der Chefpsychologe hätte bestimmt ein klinisches Interesse an den Gedanken genommen, die jetzt in ihm durcheinanderwirbelten. Am liebsten wäre er jetzt losgelaufen, um sich irgendwo zu verstecken, aber er bezwang diese Regung, indem er sich eiskalt sagte, daß er sich hier ohnehin nirgends verbergen konnte. Allmählich beruhigte er sich und zwang sich, den Blick auf die FGLIs zu richten, die buchstäblich den ganzen Raum füllten. Conway selbst kannte nur die physische Beschaffenheit der Tralthaner, aber das war jetzt seine geringste Sorge, denn er brauchte ja nur ein physiologisches Band anzulegen, um sich in ihre Persönlichkeit vertiefen zu können. Im Augenblick kam es in erster Linie darauf an, die ganze Sache in Schwung zu bringen, aber das war leichter gesagt als getan. Viele der Verwundeten waren bei vollem Bewußtsein und ihr Stöhnen und Jammern wurde selbst durch die Schutzanzüge nur wenig gedämpft. »Sergeant!« rief Conway unvermittelt dem verantwortlichen Sanitäter zu, indem er auf die Verwunde-
ten deutete. »Station Vier-B, im zweihundertsiebzehnten Stockwerk. Wissen Sie, wo das ist?« Der Sanitäter nickte kurz, und Conway wandte sich den Krankenschwestern zu. Trotz aller Bemühungen in der Anwendung einer Zeichensprache konnte er bei dem Nidianer und dem QCQL nichts erreichen, und er mußte erst an den Vordergliedern des FGLI zerren und seine Augen mit Gewalt in die gewünschte Richtung drehen, ehe er ihm klarmachen konnte, was er eigentlich von ihm wollte. Er hoffte wenigstens, daß der Tralthaner nunmehr begriff, worum es ging: die Verwundeten sollten zu der betreffenden Station begleitet und dort zur Behandlung vorbereitet werden. Station Vier-B war zur Aufnahme der FGLIPatienten vorbereitet worden, und hier gab es eine ganze Reihe von tralthanischen Schwestern, und somit konnte sich das Personal wenigstens mit den Patienten in ihrer eigenen Sprache verständigen. Conway zwang sich, nicht an die anderen Verwundeten zu denken, bei denen das nicht der Fall war. Ihm war Thornnastors Abteilung übertragen worden und er konnte schließlich nicht alles zur gleichen Zeit bewältigen. Als er O'Maras Büro betrat, traf er den Chefpsychologen dort nicht an. Carrington, einer von O'Maras Assistenten, erklärte ihm, daß Major O'Mara im Au-
genblick vollauf damit beschäftigt wäre, Patienten so unterzubringen und zu verteilen, daß ihr Pflegepersonal möglichst von der gleichen Rasse war, um die Verständigung zu erleichtern. Er ließ Conway ausrichten, daß er ihn sofort sprechen möchte, sobald Conway die verwundeten Tralthaner versorgt hätte. Carrington fügte hinzu, daß Conway bei den augenblicklich herrschenden Verständigungsschwierigkeiten nach Beendigung seiner Arbeit entweder hierher zurückkommen oder aber in seiner Station bleiben möge, damit Major O'Mara ihn finden könne. Wenige Minuten später hatte Conway das erforderliche physiologische Band aufgenommen und war schon wieder auf dem Rückweg zur neu eingerichteten Station. Er hatte diese FGLI-Bänder schon zuvor benutzt, und sie waren im Grunde genommen gar nicht so schlimm. Es lag im Sinn der Sache und war nur zu verständlich, wenn er sich jetzt auf zwei Beinen nicht so sicher fühlte wie auf sechs, und wenn er den Hang hatte, nach jedem einzelnen Objekt den Kopf zu drehen, statt nur die Augen zu benutzen. Immerhin spürte er erst beim Erreichen der Station, daß die fremde Persönlichkeit zu einem großen Teil Besitz von ihm ergriffen hatte. Die wartende Reihe der tralthanischen Patienten war jetzt seine erste Sorge, und nur ganz nebenbei beschäftigte er sich mit
dem Problem der tralthanischen Krankenschwestern und Pfleger, die sich augenscheinlich in einer Art von Panik befanden und deren Worte er aus irgendwelchen Gründen gar nicht verstehen konnte. Die irdischen Krankenschwestern waren in seinen Augen jetzt nichts als merkwürdig formlose Wesen, für die er nur eine brennende Ungeduld empfand. Conway wandte sich dieser Gruppe von formlosen Wesen zu, von denen einige allerdings in den Augen seiner verbliebenen irdischen Persönlichkeit einen recht akzeptablen Eindruck machten, und nickte ihnen kurz zu. »Schenken Sie mir bitte ein paar Minuten Ihre Aufmerksamkeit«, sagte er. »Ich habe ein physiologisches Band der Tralthaner aufgenommen, das mir die Behandlung dieser Patienten ermöglicht, aber nach dem Ausfall der Übersetzungsanlage kann ich mich weder mit den Patienten noch mit dem tralthanischen Personal verständigen. Somit muß ich mich bei der Voruntersuchung und auch später im Operationssaal ausschließlich auf Ihre Mithilfe verlassen.« Sie starrten ihn an, und augenscheinlich waren sie froh, daß hier endlich jemand aufgetaucht war, der die Dinge fest in die Hand nahm, obwohl er schier Unmögliches von ihnen verlangte. In der Station befanden sich insgesamt siebenundvierzig FGLIPatienten und acht von ihnen waren komplizierte Fäl-
le. Dabei waren jedoch nur drei irdische Krankenschwestern zugegen. »Das FGLI-Personal kann sich zur Zeit nicht mit Ihnen verständigen«, fuhr Conway nach kurzem Zögern fort. »Aber Sie kennen ja die allgemeinen Vorschriften über die Behandlung der Patienten. Wir werden schon irgendeine Art von Verständigungsmöglichkeit finden. Das wird natürlich nur langsam und recht schwierig gehen, aber irgendwie müssen wir dem Personal klarmachen, was wir tun, damit sie uns helfen können.« Er hielt inne und überlegte kurz. »Arbeiten Sie mit Armen und Händen«, schloß er. »Fertigen Sie kleine Zeichnungen an – und benutzen Sie vor allen Dingen den Verstand in Ihren hübschen Köpfen!« Er schämte sich ein wenig, daß er in einem solchen Augenblick zu billigen Komplimenten griff, aber schließlich war er ja kein Psychologe vom Schlage eines O'Mara. Er hatte die vier dringendsten Fälle hinter sich, als Dr. Mannen mit einem weiteren auf einer Bahre liegenden FGLI eintraf. Dieser Patient war Dr. Thornnastor, und schon die erste Untersuchung zeigte, daß er zweifellos geraume Zeit bis zur Genesung brauchen würde. Dr. Mannen beschrieb Conway die Art von Thorn-
nastors Verletzungen und seine ersten Hilfsmaßnahmen. »Da ich sehe, daß Sie jetzt das Monopol für Tralthaner haben, brauche ich Ihnen ja nichts weiter zu sagen«, fügte er hinzu. »Verdammt – dies hier ist wirklich die am besten organisierte Station im ganzen Hospital! Wie machen Sie das nur? Wenden Sie Ihren jungenhaften Charme an, oder haben Sie vielleicht irgendwo ein geheimes Übersetzungsgerät untergebracht?« Conway versuchte ihm zu erklären, was er unternommen hatte. »Normalerweise halte ich gar nichts davon, daß Ärzte und Schwestern sich während einer Operation Zettel schreiben und zuschieben«, brummte Dr. Mannen. Sein Gesicht hatte vor Müdigkeit eine aschfahle Färbung, und es war wohl nur ein reiner Reflex, daß er sich an seinen Galgenhumor klammerte. »Immerhin scheint dieses System in Ihrem Fall recht gut zu klappen, und ich werde diese Maßnahmen zur Nachahmung weiterempfehlen.« Gemeinsam manövrierten sie Thornnastors Körper in eines jener gepolsterten Gestelle, die den FGLIs im schwerelosen Zustand als Bett dienten. »Ich habe ebenfalls ein FGLI-Band angelegt«, fuhr Dr. Mannen dann fort. »Ich habe es für unseren Freund Thornnastor gebraucht. Jetzt sind mir zwei
QCQLs zugeteilt worden. Diese Art von Wesen habe ich überhaupt noch nicht gekannt – aber O'Mara hatte doch tatsächlich das erforderliche Band auf Lager. Das verwünschte Zeug, das sie atmen, könnte jedes Lebewesen vernichten, ob es nun geht, kriecht oder fliegt. Beide Patienten sind bei vollem Bewußtsein, und ich kann mich nicht mit ihnen unterhalten. Na, allem Anschein nach wird das ein Heidenspaß werden.« Unvermittelt sanken seine Schultern herab, und seine Mundwinkel begannen zu zucken. »Ich wünschte, Ihnen würde etwas einfallen, Conway«, sagte er mit schleppender Stimme. »In Stationen wie dieser hier, wo Patienten und Pflegepersonal wenigstens teilweise der gleichen Klassifikation angehören, ist es ja noch gar nicht so schlimm mit der Verständigung. Aber in jenen Stationen, wo zwischen Patienten und Ärzten sowie auch Pflegepersonal keine Möglichkeit zur Verständigung besteht und dennoch dringende Arbeit vorliegt, da ist wirklich der Teufel los!« Conway hatte den Aufprall weiterer feindlicher Geschosse gehört; es klang jedesmal, als würde ein Klöppel den völlig verstimmten Gong treffen, wenn eines dieser Geschosse den Metallrahmen der gigantischen Station traf. Er hatte diese harten Geräusche zur Kenntnis ge-
nommen und versucht, sie zu ignorieren, denn er wußte nur zu gut, welche Bedeutung ihnen zukam: das Pflegepersonal des Hospitals wurde verletzt, und das wiederum bedeutete, daß die ohnehin schon viel zu hohe Zahl der Patienten weiterhin anwachsen mußte, während auf der anderen Seite die Zahl der Pfleger mehr und mehr zusammenschrumpfte. »Das kann ich mir lebhaft vorstellen«, erwiderte er grimmig. »Aber ich bin vollkommen damit ausgelastet, mich um Thornnastors ehemalige Station zu kümmern.« »Jeder ist zur Zeit mit seinen Aufgaben vollkommen ausgelastet«, gab Dr. Mannen in scharfem Ton zurück. »Aber irgend jemandem muß möglichst bald ein guter Gedanke kommen!« Was soll ich denn dabei machen, fragte sich Conway gereizt, indem er sich von Dr. Mannen abwandte und den nächsten Patienten ins Auge faßte. In den vergangenen Stunden hatte sich etwas außerordentlich Merkwürdiges in Conways Persönlichkeit abgespielt. Es hatte damit begonnen, daß er das sichere Gefühl bekam, alles, was die tralthanischen Schwestern sagten, verstehen zu können. Das schrieb er der Tatsache zu, daß die in dem physiologischen Band enthaltenen Gehirnwellen eines tralthanischen Spezialisten ihm die Kenntnis der tralthanischen Haltung und ihrer Aus-
drucksweise sowie ihres Tonfalls vermittelten. Diese Wirkung hatte er nie zuvor empfunden, und er sagte sich, daß das vermutlich daran lag, daß er bislang noch nie so viele tralthanische Fälle in so kurzer Zeit hatte behandeln müssen – und außerdem hatte er sich ja auch stets der Übersetzungsanlage bedienen können. Nachdem er sich jetzt fast ausschließlich mit tralthanischen Patienten zu beschäftigen hatte, war seine irdische Persönlichkeit durch die lange Zeitdauer des physiologischen Bandes fast vollkommen verdrängt worden. Es gab weder einen Kampf noch einen Konflikt in der Ausfüllung seiner Persönlichkeit. Alles spielte sich vollkommen natürlich ab, weil er eine längere Zeitperiode hindurch wie ein FGLI denken mußte. Wenn er sich dabei mit einer irdischen Krankenschwester oder mit einem solchen Patienten zu unterhalten hatte, dann mußte er sich schwer zusammennehmen, damit seine ersten Worte nicht wie ein unverständliches Gebrabbel in ihren Ohren klang. Langsam schritt dieser Prozeß soweit vor, daß er die Tralthaner mehr und mehr verstehen konnte. Natürlich bekam er keine perfekte Kenntnis der tralthanischen Sprache. Diese elefantenhaften Töne, die sehr stark an eine Trompete erinnerten, wurden bei den FGLIs zunächst gefiltert, und die entsprechende Vorrichtung war bei Conway ja nicht vorhan-
den. Er vermochte lediglich die Höhe, Tiefe und die einzelnen Schwingungen dieser Töne und Geräusche zu unterscheiden. Die einzelnen Worte klangen irgendwie gedämpft und unterdrückt – aber er konnte immerhin einige verstehen. Die Verständigung war natürlich vollkommen einseitig – oder nicht? Als der nächste Fall in den Operationssaal gebracht wurde, entschloß er sich, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Seine angenommene FGLI-Persönlichkeit wußte genau, wie die betreffenden Worte klingen mußten; er selbst wußte, wie er seine Stimmbänder zu gebrauchen hatte, und es galt als feststehende Tatsache, daß die Stimme der Erdenmenschen das wandlungsfähigste Instrument in der gesamten Galaxis war. Conway atmete tief ein, und es ging los. Der erste Versuch endete mit einer Katastrophe. Er beschloß ihn mit einem schweren Hustenanfall, und im ganzen Operationssaal herrschte plötzlich Bestürzung. Aber schon sein dritter Versuch wurde von Erfolg gekrönt; eine der tralthanischen Krankenschwestern antwortete ihm! Danach war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er die wesentlichsten Begriffe verstand, und das diente zur Beschleunigung der Operationsmaßnahmen und trug gleichzeitig zur Beruhigung der einzelnen Patienten bei.
Die irdischen Krankenschwestern waren von diesen merkwürdigen, aus Conways überlasteter Kehle kommenden Geräuschen sehr beeindruckt. Gleichzeitig schien diese Situation sie ein wenig zu belustigen. »Soso«, sagte eine bekannte, durchdringende Stimme hinter ihm, »ein ganzer Operationssaal voller glücklicher Patienten und einem guten Doktor, der die Stimmung hochhält, indem er tierische Geräusche von sich gibt! Was, zum Teufel, denken Sie sich eigentlich dabei?« Conway sah, daß O'Mara diesmal nicht nur wie üblich gereizt, sondern tatsächlich wütend war. Er beschränkte sich auf die Beantwortung der gestellten Frage. »Außer den ständig neu eintreffenden Verwundeten muß ich mich hier auch noch um Thornnastors Patienten kümmern«, erwiderte Conway ruhig. »Die Männer des Korps und die FGLI-Patienten sind bereits versorgt worden, und ich stand gerade im Begriff, mir von Ihnen ein DBLF-Band für die Kelgianer zu holen, die eben eingetroffen sind.« O'Mara schnaubte verächtlich. »Ich werde einen kelgianischen Arzt herschicken, der sich darum kümmern kann«, sagte er verstimmt. »Um die anderen Patienten brauchen Sie sich keine weiteren Sorgen zu machen, denn die Schwestern können sich ihrer annehmen. Sie scheinen sich gar
nicht darüber klar zu sein, daß dies hier nur ein Stockwerk von dreihundertvierundachtzig ist, Doktor Conway; daß es hier eine ganze Anzahl von Patienten gibt, die der dringenden Hilfe eines Arztes bedürfen und diese Hilfe nicht bekommen, weil die betreffenden Ärzte vollauf damit beschäftigt sind, sich als Komiker aufzuführen; daß die Verwundeten an den Schleusen immer mehr werden, wobei einige von ihnen auf Korridoren liegen, deren Außenwand teilweise zum offenen Weltraum führt. Die vorhandenen Luftvorräte halten schließlich nicht unendlich an, und ich kann mir vorstellen, daß die Verwundeten in ihren Raumanzügen gar nicht besonders glücklich sind.« »Welche Aufgabe teilen Sie mir zu?« fragte Conway. Diese Frage schien O'Maras Gereiztheit aus irgendeinem Grund noch zu steigern. »Das weiß ich nicht, Doktor Conway«, entgegnete er bitter. »Ich bin Psychologe, und ich kann jetzt keine wirkungsvolle Arbeit mehr leisten, weil die meisten meiner Patienten meine Sprache nicht verstehen. Denjenigen, mit denen ich mich noch verständigen kann, habe ich den guten Rat gegeben, sich mal zu überlegen, wie wir uns aus dieser scheußlichen Klemme befreien können. Jeder scheint so sehr mit sich selbst und seinen eigenen Problemen beschäftigt
zu sein, daß er einfach keine Zeit findet, an das Schicksal dieses Hospitals zu denken. Diese Sorgen wollen sie ganz einfach ihren Vorgesetzten überlassen.« »Unter diesen Umständen«, warf Conway ein, »müßte es doch eigentlich die Aufgabe eines Psychologen sein, die Lösung dieses Problems zu finden.« Jetzt konnte er sich O'Maras Gereiztheit erklären. Es mußte für einen Psychologen furchtbar sein, wenn er sich mit seinen Patienten nicht unterhalten konnte. Immerhin aber schien O'Mara sich über ihn, Conway, persönlich zu ärgern, als hätte er O'Mara in irgendeiner Weise enttäuscht. »Thornnastor ist ausgefallen«, sagte O'Mara etwas leiser. »Wahrscheinlich waren Sie zu beschäftigt, um wahrzunehmen, daß zwei weitere Ärzte im Laufe des heutigen Vormittags gefallen sind. Von den Stationsärzten sind Harkness, Irkultis, Mannen ...« »Mannen! Ist er ...« »Ich dachte, das wäre Ihnen bereits bekannt«, erwiderte O'Mara noch leiser. »Er war ja nur zwei Stockwerke unter Ihnen. Er behandelte gerade zwei QCQLs, als der Operationsaal getroffen wurde. Sein Raumanzug wurde von einem Stahlsplitter getroffen und aufgerissen. Dabei hat er das scheußliche Zeug einatmen müssen, das jene Wesen zum Atmen brauchen. Aber er wird das überstehen.«
Conway hatte während dieser Ausführungen des Chefpsychologen unwillkürlich den Atem angehalten. »Das freut mich«, sagte er erleichtert. »Mich auch«, brummte O'Mara. »Aber ich wollte Ihnen damit nur vor Augen halten, daß wir außer Ihnen keinen weiteren Stationsarzt mehr im Hospital haben, und Sie wissen ja selbst, wie hier alles drunter und drüber geht. Was gedenken Sie nun zu unternehmen?« Er schaute Conway durchdringend an und wartete.
20 Als vor wenigen Stunden die Übersetzungsanlage ausgefallen war, hatte Conway gedacht, daß es jetzt nicht mehr schlimmer kommen könnte. Er sehnte sich nicht nach dieser Verantwortung, die O'Mara ihm nun auf die Schultern geladen hatte – der bloße Gedanke daran erschreckte ihn zu Tode. Dennoch hatte er mitunter davon geträumt, der medizinische Leiter und Direktor dieses gigantischen Weltraumhospitals zu werden und diese gewaltige Organisation zu führen. Aber bei diesen Träumen hatte es sich nicht um ein sterbendes, vom Krieg zerschmettertes Hospital gehandelt, dessen Verbindungen zwischen den lebenswichtigen Organen zerstört waren; sein Hospital hatte auch nicht unter dem Beschuß tödlicher Waffen gestanden; es hatte nicht zu wenig Personal, und es war nicht auf schreckliche Weise überfüllt von Verwundeten. Conway sagte sich traurig, daß er wahrscheinlich nur unter den gegenwärtigen Umständen Direktor dieses Hospitals hatte werden können. Er war nicht ausgewählt worden, weil er der beste, sondern weil er der einzige noch vorhandene Stationsarzt war. Die Tatsache selbst weckte vollkommen unbeschreibliche Gefühle in ihm – Gefühle, die aus einer Mischung
von Furcht, Ärger und ein wenig Stolz bestanden, daß es ihm in die Hand gegeben war, die Geschicke dieses Hospitals während der noch verbleibenden Tage oder Wochen zu leiten. Er überflog die Station mit einem schnellen Blick, der die lange Reihe von Betten umfaßte, in denen sich menschliche und tralthanische Patienten befanden. Er beobachtete die geschickte Arbeit des Pflegepersonals. Das alles war seine Arbeit. Aber er begann einzusehen, daß er hier irgendwie vor seiner Verantwortung geflohen war. »Ich habe eine Idee«, sagte Conway unvermittelt zu O'Mara. »Es ist nicht gerade eine gute Idee, und ich denke, wir sollten die Sache lieber in Ihrem Büro besprechen, denn Sie werden wahrscheinlich laute Einwendungen erheben, und wir wollen die Patienten nicht unnötig beunruhigen.« O'Mara schaute ihn noch immer durchdringend an. Als er jetzt zu einer Erwiderung ansetzte, war sein Ärger bereits verraucht und in seiner Stimme lag jetzt nur noch der übliche Sarkasmus. »Gegen Ihre Ideen habe ich immer irgendwelche Einwendungen, Doktor. Das liegt an der Ordnung, die in meinen Gedanken herrscht.« Auf dem Weg zu O'Maras Büro begegneten sie einer Gruppe höherer Offiziere des Korps und der Major erklärte Conway, daß es sich um Offiziere aus
Dermods Stab handelte, die jetzt die taktischen Kommandostellen in das Hospital selbst verlegten und die erforderlichen Vorbereitungen trafen. Im Augenblick befand sich Dermod noch an Bord des Raumkreuzers Vespanian. Selbst dieser gewaltige Kreuzer stand bereits unter Beschuß, und dabei hatte sich Dermod noch vor kurzer Zeit an Bord des Kreuzers Domitian befunden, der bei einem Angriff vernichtet worden war. »Meine Idee war ohnehin nicht besonders brillant«, sagte Conway, nachdem sie Major O'Maras Büro erreicht hatten, »und als wir vorhin den hohen Offizieren vom Korps begegneten, ist mir eine bessere gekommen. Wie wäre es denn, wenn wir Dermod bitten würden, uns die Übersetzungsanlagen seiner Raumschiffe zur Verfügung zu stellen?« O'Mara schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, erwiderte er. »An diese Möglichkeit habe ich auch schon gedacht. Die einzigen Übersetzungsanlagen, die für uns von Wert wären, befinden sich in den großen Raumkreuzern, und sie sind von einer solchen Struktur, daß es das ganze Schiff beschädigen würde, wollte man sie ausbauen. Außerdem brauchten wir zu einer einwandfreien Verständigung mindestens zwanzig solcher Schiffsanlagen mit den dazugehörigen Generatoren. Uns sind gar keine zwanzig großen Raumkreuzer verblieben,
und außerdem sagte Dermod, daß er diese Anlagen dringender braucht als wir. Was war denn nun Ihre andere, nicht so besonders brillante Idee?« Conway sagte es ihm. Als er endete, schaute ihn O'Mara eine ganze Minute lang schweigend an. »Betrachten Sie Ihre Idee als abgelehnt – und zwar endgültig. Nehmen Sie an, ich würde hier auf- und abspringen und mit der Faust auf die Schreibtischplatte schlagen, denn das ist genau das, was ich tun würde, wenn ich nicht so verdammt müde wäre. Sehen Sie denn gar nicht, worauf Sie sich da einlassen wollen?« Irgendwo unter ihnen krachte es, und es klang wie ein verstimmter Gongschlag. Conway zuckte unwillkürlich zusammen. »Ich glaube, ich verstehe«, entgegnete er. »Es wird zweifellos eine gewisse geistige Verwirrung geben, aber das läßt sich vielleicht teilweise dadurch vermeiden, daß ich die volle Wirkung des betreffenden physiologischen Bandes abwarte, bis der Zeitpunkt gekommen ist, an dem ich die erforderlichen Übersetzungen durchführen kann. Genauso ist es mir mit dem tralthanischen Band gegangen, und ich sehe nicht ein, warum es nicht auch mit den DBLF- und anderen Bändern klappen sollte. Die Sprache der DBLFs dürfte ohnehin wesentlich leichter sein als die der Tralthaner.«
Conway hoffte, es würde für ihn nicht erforderlich sein, sich längere Zeit in einer einzigen Station aufzuhalten, um das Problem der Verständigung zu lösen. Einige der Geräusche, die den fremdartigen Wesen und Rassen dienten, waren wahrscheinlich nur sehr schwer nachzuahmen, aber in diesen Fällen konnte er vielleicht durch die Anwendung verschiedener Musikinstrumente weiterkommen. Außerdem brauchte er nicht als einziger Übersetzer von Station zu Station zu eilen, denn es gab noch immer einige irdische Ärzte im Hospital, die zumindest eines dieser physiologischen Bänder anlegen konnten. Möglicherweise hatte dieser oder jener bereits mit einem solchen Band gearbeitet, nur war er nicht auf den Gedanken gekommen, es zur Übersetzung zu verwenden. Es fiel Conway schwer, seine sich überstürzenden Gedanken in Worte zu kleiden. »Einen Augenblick!« rief Major O'Mara. »Sie reden ununterbrochen davon, daß Sie eine Persönlichkeit entwickeln wollen, um sie dann wieder auszulöschen; anschließend wollen Sie gleichzeitig zwei Persönlichkeiten entwickeln und immer so weiter. Dabei könnten Sie leicht die Kontrolle verlieren. Die Anwendung physiologischer Bänder birgt eine Vielzahl von Gefahren, und Sie haben noch nie mehr als zwei zuvor angewandt. Bedenken Sie bitte, daß ich alle Unterlagen darüber besitze.«
O'Mara zögerte eine Weile, und er wurde jetzt sehr ernst. »Das physiologische Band vermittelt Ihnen die Gehirnwellen eines fremdartigen Arztes, der auf seinem Heimatplaneten als besonders qualifiziert galt. Diese fremdartige Persönlichkeit hat nicht die Absicht, Ihre eigene zu verdrängen – aber nachdem sie von Ihnen mehr und mehr Besitz ergreift, fürchten Sie in panischem Entsetzen, diesem Einfluß zu unterliegen. Sie müssen dabei bedenken, daß einige dieser Bänder von recht aggressiven Wesen aufgenommen wurden.« O'Mara hielt inne, um seine Worte wirken zu lassen. »Die sonderbarsten Dinge passieren einem Arzt, der zum erstenmal ein solches Band anwendet«, fuhr er dann fort. »Mitunter ergeben sich dabei Schmerzen, Hautveränderungen und sogar Störungen der Organe. Das alles beruht natürlich nur auf einer rein psychosomatischen Basis, aber für die betreffende Person sind die Schmerzen so, als würde es sich um eine tatsächliche Erkrankung handeln. Diese Störungen können von einer starken Persönlichkeit kontrolliert und in manchen Fällen sogar vollkommen ausgeschaltet werden. Die starke Persönlichkeit allein nützt jedoch gar nichts, denn außer dieser ist noch ein gewisses Einfühlungsvermögen erforderlich. Man braucht irgend etwas, an dem man seine eigene Per-
sönlichkeit verankern kann – etwas, das Sie selbst ausfindig machen müssen.« O'Mara legte wieder eine kurze Pause ein. »Angenommen, ich lasse mich auf Ihren Vorschlag ein«, sagte er unvermittelt, »wieviele Bänder wollen Sie denn Verwenden?« Conway dachte hastig nach. Tralthaner, Kelgianer, Melfaner, Nidianer und die ambulanten Pflanzen, die er schon vor seiner Abreise zum Planeten Etla getroffen hatte und die ebenfalls im Hospital zurückgeblieben waren; außerdem alle jene fremden Rassen, die Dr. Mannen bis zu seiner Verletzung behandelt hatte. »FGLI, DBLF, ELNT, Nidian-DBGD, AACF und QCQL – insgesamt also sechs«, antwortete er. Major O'Mara kniff die Lippen zusammen. »Ich hätte an sich nichts dagegen einzuwenden, wenn ein alter, erfahrener Stationsarzt eine solche Aufgabe übernehmen würde«, brummte er. »So ein Mann hätte die erforderliche Erfahrung, um sechs verschiedene physiologische Bänder anzuwenden, aber Sie ...« »Ich bin zur Zeit der dienstälteste Arzt dieses Hospitals«, sagte Conway mit einem leisen Lächeln. »Hmmmm«, machte O'Mara. Die eintretende Stille wurde durch den Klang menschlicher Stimmen und fremdartiger Wesen unterbrochen, die vom Korridor kamen. Wer immer
diese Geräusche verursachte, mußte sehr laut sein, denn Wände und Türen von O'Maras Büro waren angeblich schalldicht. »Also gut«, sagte Major O'Mara unvermittelt. »Sie können es versuchen. Aber ich möchte Sie nicht in meiner Eigenschaft als Psychologe zu behandeln haben und diese Möglichkeit ist wesentlich stärker, als Sie einzusehen scheinen. Wir leiden ohnehin schon Mangel an qualifizierten Ärzten, ohne daß Sie auch noch in eine Zwangsjacke gesteckt werden müssen. Deshalb werde ich Ihnen eine Art Wachhund zuteilen und Ihnen zusätzlich noch ein GLNO-Band verpassen.« »Prilicla?« »Ja; da er ein Wesen von außerordentlicher Sensibilität ist, habe ich ihm bei den augenblicklichen Verhältnissen der verschiedenartigsten Gemütsstrahlungen eine Injektion zur Beruhigung geben müssen. Immerhin dürfte er durchaus in der Lage sein, Sie ein bißchen im Auge zu behalten, und vielleicht kann er Ihnen sogar auf seine Art helfen. Legen Sie sich jetzt auf die Couch!« Conway streckte sich aus, und Major O'Mara legte ihm den Helm an. Dann begann er mit leiser Stimme auf Conway einzureden; mitunter stellte er ein paar kurze Fragen, aber die meiste Zeit sprach er nur. Er erklärte Conway, daß er sein Bewußtsein voll-
kommen ausschalten müsse, um die gewünschte Wirkung der einzelnen physiologischen Bänder zu erreichen, und er schlug ihm vor, zunächst mal vier Stunden zu schlafen, denn einerseits brauchte er den Schlaf ohnehin, und andererseits würde das die Wirkung der Bänder erhöhen. Wahrscheinlich, sagte O'Mara sarkastisch, hatte er sich diesen haarsträubenden Plan ohnehin nur ausgedacht, um mal gründlich ausschlafen zu können. Er hatte eine außerordentlich schwierige Aufgabe vor sich, denn er mußte jetzt sieben verschiedene Persönlichkeiten annehmen und sich mit sieben verschiedenen fremdartigen Rassen befassen. Deshalb war ihm ein kurzer Schlaf dringend anzuraten. »Es wird gar nicht so schlimm werden«, entgegnete Conway, indem er sich krampfhaft bemühte, die Augen offenzuhalten. »Ich werde mich in jeder einzelnen Station nur so lange aufhalten, bis ich die wesentlichsten Ausdrücke und Sätze gelernt habe, um sie dem betreffenden Pflegepersonal mitteilen zu können. Im Grunde genommen brauche ich ja nur die wichtigsten Dinge; ein Chirurg könnte vielleicht sagen: ›Skalpell!‹ oder ›Tupfer!‹ oder auch nur ›Hören Sie endlich auf, mir Ihren Atem in den Nacken zu blasen, Schwester!‹« Conway vermochte nicht länger gegen die eintretende Müdigkeit anzukämpfen.
»Behalten Sie Ihren Sinn für Humor, mein Junge. Sie werden ihn bitter notwendig brauchen.« Das waren die letzten Worte, die er von O'Mara hören konnte. Er erwachte später in einem Raum, der ihm einerseits zu groß, andererseits zu klein und im Grunde genommen vollkommen vertraut vorkam. Er fühlte sich keineswegs ausgeruht und erfrischt. An der Decke hing ein sechsfüßiges, winziges, zerbrechliches und insektenartiges Wesen, das ihn an seine schlimmsten Alpträume erinnerte; dennoch wußte er, daß es sich um ein Wesen der Klassifikation GLNO handelte. Dieses Wesen begann verhalten zu beben, als es Conways mentale Ausstrahlungen wahrnahm, eine Fähigkeit, die alle vom CinrossSystem stammenden Wesen besaßen. Conway bemühte sich, den Einfluß der fremdartigen Persönlichkeiten momentan zu überwinden, um endlich seine Arbeit in Angriff nehmen zu können. Hier stand ihm Prilicla für einen ersten Versuch zur Verwirklichung seines Planes zur Verfügung. Er versuchte, die Erinnerungen und Erfahrungen eines GLNO an die Oberfläche zu bringen; dabei mußte er zunächst die Schichten der anderen Persönlichkeiten durchdringen, um auf diese Weise an die Sprache heranzukommen, die im Cinross-System üblich war.
Nein, dachte er unvermittelt, nicht die Sprache des Cinross-Systems, sondern seine eigene. Er mußte wie ein GLNO empfinden und hören. Ganz allmählich stellte er sich darauf ein. Es war ganz und gar nicht angenehm. Er verwandelte sich in ein Wesen des CinrossSystems – in ein zerbrechliches, insektenartiges Wesen, das gedankliche Ausstrahlungen wahrnehmen konnte. Prilicla erschien ihm plötzlich wie ein jugendlich strahlendes Wesen, und erst jetzt konnte er das exotische Aussehen seiner durchsichtig schimmernden Flügel und Fühler richtig würdigen; gleichzeitig spürte er Priliclas besorgtes Beben, das zweifellos seiner eigenen Person galt. Conway war jetzt das Mitglied einer telepathisch veranlagten Rasse; alle Erinnerungen und Erfahrungen dieser an sich recht glücklichen Rasse der GLNOs waren in ihm vorhanden. Er konnte Prilicla zwar sehen, aber ihm fehlte das herrlich berauschende Gefühl, das ein Wesen des Cinross-Systems beim Anblick eines gleichartigen Wesens empfand. Er spürte die Erinnerung an die Möglichkeit, Ausstrahlungen aufzunehmen – und dennoch kam er sich jetzt wie taub vor. Seinem irdischen Verstand war die telepathische Fähigkeit versagt und die in seiner anderen Persönlichkeit vorhandenen Erinnerungen daran halfen ihm auch nicht weiter.
Prilicla stieß eine Reihe klickender und schwirrender Geräusche hervor. Conway hatte seinen alten Freund Prilicla immer nur über die Übersetzungsanlage reden hören, und bei diesem Prozeß waren natürlich alle in der Stimme enthaltenen Empfindungen ausgeschaltet worden. Zum erstenmal hörte er jetzt die eigentliche Stimme dieses Wesens. »Es tut mir leid«, sagte sie, und es klang gleichzeitig besorgt und verständnisvoll. Er versuchte, die zirpenden Geräusche hervorzubringen, die Priliclas Namen bildeten, denn der irdische Name »Prilicla« war ja nur eine grobe Nachahmung des wirklichen Namens. Beim fünften Versuch gelang es ihm, ein Geräusch zu erzeugen, das dem von ihm erwünschten recht nahekam. »Es geht ausgezeichnet, Freund Conway«, entgegnete Prilicla herzlich. »Ich hatte die Verwirklichung Ihres Planes nicht für möglich gehalten. Können Sie mich einwandfrei verstehen?« Conway suchte nach den passenden Ausdrücken, und er formte seine Worte überaus langsam und vorsichtig. »Danke sehr – und Sie?« Allmählich wagten sie sich an schwerere Ausdrükke heran und versuchten es in erster Linie mit technischen und medizinischen Begriffen, wie sie im Opera-
tionssaal und auf den Krankenstationen erforderlich waren. Manchmal gelang es Conway, die entsprechenden Ausdrücke zu finden – und manchmal gelang es ihm nicht. Er konnte sich nur auf die Erfahrungen der fremdartigen Persönlichkeit verlassen, die jetzt langsam von ihm Besitz ergriffen hatte. Immerhin war er ein Mann, der einen einmal gefaßten Plan nicht so schnell aufgab. Plötzlich trat eine Unterbrechung ein. »Hier spricht O'Mara«, kam eine Stimme aus dem an der Wand hängenden Lautsprecher. »Sie dürften inzwischen erwacht sein und sollten alle Einzelheiten über unsere Position erfahren, Doktor. Der Angriff des Feindes hält zwar noch immer an, aber seine Wucht hat ziemlich nachgelassen, weil wir inzwischen weitere Verstärkung bekommen haben. Es handelt sich dabei um Melfaner, Tralthaner und eine Streitmacht von Illensanern. Sie werden sich also auch der PVSJs annehmen müssen. Innerhalb des Hospitals ...« Es folgte eine genaue Beschreibung der einzelnen Stationen mit dem vorhandenen Personal, den dort befindlichen Patienten und allen anderen dringenden Erfordernissen. »Die Entscheidung, wo Sie mit Ihrer Arbeit beginnen wollen, liegt ausschließlich bei Ihnen selbst«, sag-
te O'Mara abschließend. »Je früher Sie anfangen, desto besser. Falls Sie jedoch noch nicht ganz aufnahmebereit sein sollten, will ich noch einmal wiederholen ...« »Nicht nötig«, entgegnete Conway kurz. »Ich habe alles genau mitbekommen.« »Fein; wie fühlen Sie sich denn?« »Gräßlich – und auch sehr sonderbar.« »Das«, brummte O'Mara, »ist in jeder Beziehung eine vollkommen normale Reaktion. Ende.« Conway löste die Lederriemen, die ihn an die Couch fesselten und schwang die Beine über die Kante. Sofort hielt er wieder inne. Die meisten der Wesen, deren Persönlichkeit jetzt durch die betreffenden physiologischen Bänder in ihm lebten, fürchten sich vor dem Zustand der Schwerelosigkeit, und diese Reaktion war rein instinktiv. Auf diese Weise fiel ihm jede einzelne Bewegung außerordentlich schwer, und er spürte eine gewisse Panik, als er feststellen mußte, daß seine Füße nicht wie die von Prilicla an der Dekke des Raumes haften blieben. Er löste seinen Griff am Kopfende der Couch, und dabei kam ihm seine eigene Hand als ein vollkommen fremdartiges Werkzeug vor. Irgendwie gelang es ihm schließlich, den Raum zu durchqueren, und er schwebte den langen Gang hinunter.
Dort wurde er plötzlich aufgehalten. Ein uniformierter Sanitäter des Korps fragte ihn, warum er nicht im Bett sei und aus welcher Station er gekommen wäre. Die Ausdrucksweise des Sanitäters war keineswegs respektvoll. Erst jetzt fiel Conways Blick auf seinen eigenen Körper. Es war ein recht guter Körper – vielleicht ein wenig zu mager. An der Stelle, wo die beiden länglichen Gehwerkzeuge den Körper verließen, befand sich ein lächerliches Gebilde aus weißem Stoff, das augenscheinlich gar keinem besonderen Zweck zu dienen hatte. Dieser Körper kam ihm gleichzeitig vertraut und fremdartig vor. Oh, verwünscht! dachte Conway, indem er sich bemühte, etwas Klarheit in seine wirren Gedanken zu bringen. Ich habe ja ganz und gar vergessen, mich anzukleiden!
21 Conways erste Handlung bestand darin, je ein Wesen aller im Hospital vorhandenen Rassen zum Kontrollraum kommen zu lassen. Inzwischen war wieder eine gewisse Ordnung im Hospital erzielt worden; an jedem kombinierten Nachrichtenaggregat stand jetzt ein Soldat des Korps auf Posten, um eine einwandfreie Verständigung zu garantieren. Wesen fremder Rassen durften diese Geräte jetzt nicht benutzen, damit das Sprachengewirr ausgeschaltet und eine einwandfreie Verständigung der irdischen Menschen ermöglicht wurde. Im Vermittlungsraum waren auch fremdartige Wesen tätig, so daß in dringenden Fällen auch hier eine Verständigungsmöglichkeit bestand. Conway verbrachte zwei Stunden im Kontrollraum, und das war entschieden länger, als er sich je in einem einzelnen Raum aufgehalten hatte. Er brachte den fremden Rassen ein paar höchst einfache Begriffe und Ausdrücke bei, so daß sie sich wenigstens in ganz beschränktem Rahmen miteinander verständigen konnten. Seine beiden Assistenten, sprachbegabte Soldaten des Korps, schlugen ihm vor, ein Tonband mit den erforderlichen Ausdrücken herzustellen, so daß man im Notfall darauf zurückkommen
konnte, wenn er, Conway, seine Runden durch die einzelnen Stationen machte. Auf sämtlichen Wegen folgten ihm jetzt Prilicla, die sprachbegabten Männer vom Korps und ein Tontechniker, der die einzelnen Aufnahmen machte; hinzu kam noch das jeweilige Pflegepersonal der einzelnen Stationen, um seine Anweisungen bezüglich der Patienten entgegenzunehmen. Das Personal bestand jetzt zur guten Hälfte aus Erdenmenschen, und dagegen stand das Verhältnis der irdischen Verwundeten des Korps etwa dreißig zu eins gegen die fremden Rassen. In einigen Stationen gab es nur eine einzige irdische Krankenschwester, die mit der Hilfe einiger Tralthaner oder Kelgianer nicht viel anzufangen wußte. In diesen Fällen konnte Conway sich darauf beschränken, eine einfache Methode zur Verständigung zwischen dem Personal herzustellen. Es gab jedoch auch eine Anzahl von Stationen, in denen das Personal aus ELNTs und FGLIs bestand, während die Patienten zu den Klassifikationen DBLF, QCQL und der irdischen Menschen gehörten oder irdisches Personal für ELNT-Patienten; außerdem waren da noch die pflanzenähnlichen AACPs in allen möglichen Variationen. Die einfachste Lösung all dieser Probleme wäre es natürlich gewesen, die betreffenden Patienten in jene Stationen zu bringen, wo sie sich in der
Obhut des Pflegepersonals ihrer eignen Rassen befanden. Aber es gab dabei eine ganze Reihe von Komplikationen: zum Teil konnten die Patienten auf Grund ihres Zustandes nicht transportiert werden; teilweise war auch das zum Transport erforderliche Personal nicht vorhanden, und mitunter gab es auch weder Schwestern noch Pfleger der betreffenden Rasse. Solche Fälle machten Conway schwer zu schaffen. Es herrschte überhaupt ein chronischer Mangel an Krankenschwestern und Pflegern, und der Mangel an Ärzten war geradezu katastrophal. Conway setzte sich mit Major O'Mara in Verbindung. »Wir haben nicht genügend Ärzte«, sagte er. »Ich glaube, wir sollten den Schwestern und Pflegern in bezug auf Diagnose und Behandlung der einzelnen Patienten freiere Hand lassen. Sie sollten ihre medizinischen Erfahrungen auswerten und jeden Fall auf eigene Faust entscheiden, statt auf einen Arzt zu warten, der in einer anderen Station gebunden ist. Es kommen immer weitere Verwundete, und ich sehe keinen anderen Ausweg.« »Tun Sie, was Sie für richtig halten«, erwiderte O'Mara heiser. »Sie sind jetzt der Boß.« »Gut«, sagte Conway kurz. »Und noch etwas! Ein paar der Ärzte haben sich erboten, zu ihrem gegenwärtigen physiologischen Band noch zwei oder drei
weitere zu übernehmen, um die Übersetzungen durchführen zu können. Einige unserer Mädchen haben den gleichen Vorschlag gemacht ...« »Nein!« rief O'Mara scharf. »Ein paar dieser Freiwilligen sind schon zu mir gekommen, und ich habe festgestellt, daß sie für eine solche Aufgabe nicht geeignet sind. Bei den Ärzten handelt es sich ausschließlich um junge, unerfahrene Leute oder um Militärärzte des Korps, wenn man mal von den Angehörigen der fremden Rassen absieht. Keiner von ihnen hat auch nur die geringste Ahnung von der Anwendung eines physiologischen Bandes – und schon gar nicht von mehreren gleichzeitig. Sie würden schon in der ersten Stunde den Verstand verlieren.« Er hielt inne, dann sagte er mit zynischer Stimme: »Was die Mädchen betrifft, so dürfte Ihnen wohl selbst bekannt sein, daß diese irdischen weiblichen Wesen der DBGD-Klassifikation eine recht komplizierte Persönlichkeit haben. Eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften ist die auf ihrem Geschlecht beruhende Eigenwilligkeit. Was immer sie sagen mögen, sie werden es unter gar keinen – aber auch unter gar keinen Umständen zulassen, daß eine fremde Persönlichkeit, wenn auch nur zum Teil, von ihnen Besitz ergreift. Der mögliche Schaden wäre unabsehbar. Nein, in dieser Beziehung ist nichts zu machen. Ende.« Conway nahm seinen Rundgang wieder auf. Lang-
sam ging ihm die Sache auf die Nerven. Auch bei Anwendung aller technischen Einrichtungen war die Übersetzung eine mühselige Angelegenheit. In den kurzen Pausen zwischen den einzelnen Übersetzungen hämmerte es in seinem Kopf und sieben verschiedene Sprachen rangen jeweils um die Oberherrschaft – dabei kam seine eigene noch meist zu kurz. Seine Kehle kam ihm wie ein Reibeisen vor, denn sie mußte Geräusche produzieren, für die sie einfach nicht geschaffen war. Außerdem war er sehr hungrig. Jede der sieben in ihm vorhandenen Persönlichkeiten hatte eine andere Vorstellung, wie dieser Hunger zu stillen wäre. Infolge der Schäden durch die wiederholten feindlichen Angriffe konnte er sich jetzt keine neutrale Nahrung verschaffen, die unter Umständen allen sieben Persönlichkeiten gerecht geworden wäre. Er mußte sich darauf beschränken, ein paar Sandwiches zu essen und dabei die Augen geschlossen zu halten. Dazu trank er Wasser mit einem Stärkungsmittel. Keine der sieben Persönlichkeiten schien etwas gegen Wasser einzuwenden zu haben. Endlich war es im Laufe der Zeit gelungen, alle erforderlichen Maßnahmen durchzuführen, um Verwundete aufzunehmen und behandeln zu können – es ging zwar alles den Umständen entsprechend langsam, aber es ging wenigstens.
Nunmehr war es Conways nächste Aufgabe, die ständig eintreffenden Verwundeten aus den einzelnen, überfüllten Schleusenräumen in die betreffenden Stationen zu transportieren. Er hatte erfahren, daß man nun auch schon an den Außenwänden der Schleusen Vorbereitungen zur Aufnahme der Patienten eingerichtet hatte. Prilicla hatte sogleich Einwände vorzubringen. Conway versuchte zunächst einmal, den Grund dieser Einwendungen zu erkennen. Prilicla erklärte spontan, daß er, Conway zu übermüdet wäre, und er begegnete diesem Einwurf, indem er Prilicla wiederum klarmachte, daß zur Zeit alle im Hospital übermüdet wären – er selbst eingeschlossen. Die anderen Einwände waren für die vorhandenen Verständigungsmöglichkeiten entweder zu schwach oder zu kompliziert. Conway nahm keine weitere Notiz davon und wandte sich der nächsten Schleuse zu. Hier lagen ähnliche Probleme vor wie im Innern des Hospitals, und durch die erforderlichen Raumanzüge wurde die Verständigung noch weiter erschwert. Allerdings konnte er sich hier wesentlich schneller bewegen. Die Leute an den Strahlanlagen konnten sich innerhalb weniger Sekunden der beschädigten Raumschiffe und auch der am Gebäude selbst verursachten Schäden annehmen.
Conway spürte, daß sich die in ihm vorhandene Persönlichkeit des Melfaners, die sich bereits gegen den schwerelosen Zustand im Hospital aufgelehnt hatte, hier im freien Weltraum in ein geradezu panisches Entsetzen steigerte. Der melfanische ELNT, der dieses physiologische Band produziert hatte, war ein amphibisches, krabbenartiges Wesen, das hauptsächlich unter Wasser lebte und keinerlei Erfahrungen im freien Weltraum hatte. Beim Anblick der Kampfhandlungen mußte Conway alle sieben in ihm lebenden Persönlichkeiten beruhigen. Major O'Mara hatte ihm erklärt, der Angriff hätte an Wucht verloren, aber Conway konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen als das, was er hier zu sehen bekam. Zwischen den einzelnen Raumschiffen wurden keine Schüsse gewechselt, denn sowohl Angreifer als auch Verteidiger waren zu dicht beieinander. Sie zeichneten sich wie kleine Spielzeugmodelle ab und schienen zum Greifen nahe zu sein; dabei führten sie einen wilden, chaotischen Tanz auf. Einzeln und in kleinen Gruppen jagten sie aufeinander los, wichen aus und fanden sich anschließend zu einer neuen Formation zusammen, um einen erneuten Angriff vorzunehmen. Es war ein endloses und fast hypnotisch wirkendes Bild.
Es war natürlich nicht das geringste Geräusch zu vernehmen, und wenn tatsächlich mal Schüsse abgefeuert wurden, dann waren sie auf das Gebäude gezielt, und der Aufprall konnte mehr gespürt als gehört werden. Zwischen den Schiffen wurden verschiedene Strahlen angewandt, die wie unsichtbare Finger nach dem Gegner tasteten. Gelegentlich stürzte sich eine Gruppe von drei bis vier Raumschiffen auf ein einzelnes Schiff des Gegners, das in diesem Falle von den Strahlanlagen förmlich zerrissen wurde. Das dauerte meistens nur Bruchteile von Sekunden. Manchmal gelang es auch, die Anlage zur künstlich erzeugten Gravitation des Gegners zu treffen, wodurch das Schiff hilflos durch den Raum zu taumeln begann. Hierbei schalteten sich dann die Rettungsmannschaften an der Außenseite des Hospitals ein, um das betreffende Schiff mit ihren Strahlanlagen heranzuziehen und es nach etwaigen Überlebenden zu durchsuchen. Das Wrack eines solchen Raumschiffes konnte in jedem Fall verwendet werden, ob es nun Verwundete an Bord hatte oder nicht. Die ehemals glatte Außenwand der gigantischen Station war jetzt von einer Vielzahl von Kratern und Einbuchtungen gezeichnet. Es kam zuweilen vor, daß die feindlichen Geschosse zwei- oder auch dreimal an
der gleichen Stelle einschlugen, und auf diese Weise war auch die Generatoranlage zur Übersetzung vernichtet worden. Derartige Krater wurden durch die Schiffswracks abgedeckt, um das Eindringen weiterer Geschosse an dieser Stelle zu verhindern. Jede Art Wrack fand seine Verwendung. In dieser Beziehung waren die Mannschaften ganz und gar nicht wählerisch. Conway befand sich auf der Plattform einer Strahlanlage der Rettungsmannschaften, als ein Schiffswrack herangezogen wurde. Er sah, wie die Männer vorsichtig, um das Wrack schwebten, um es schließlich zu besteigen. Etwa zehn Minuten später kamen sie wieder heraus und zogen irgend etwas hinter sich her. »Doktor«, sagte der Sergeant, der den Trupp anführte, »ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht. Meine Leute berichten, sie hätten da ein Wesen herausgezogen, das ihnen vollkommen unbekannt ist, und sie möchten es Ihnen mal zeigen. Das tut mir leid, aber schließlich ist ein Wrack soviel wert wie das andere. Ich glaube nicht, daß dieses hier zu unserer Flotte gehört.« Sechs der sieben in Conway vorhandenen Persönlichkeiten hatten keine Ahnung vom vorgehenden Krieg – und er spielte in ihren Augen auch gar keine Rolle. In seiner, Conways, Meinung war ein Krieg eine
vollkommen sinnlose Sache, aber schließlich hatte er jetzt keine Zeit, sich mit dem Sergeanten über den ethischen Wert oder Unwert eines Krieges zu unterhalten. Er musterte das fragliche Wesen mit einem kurzen Blick. »Schaffen Sie es in das zweihundertvierzigste Stockwerk, Schleuse sieben.« Seit Conway die verschiedenen physiologischen Bänder angelegt hatte, mußte er immer zusehen, wie einzelne dringende Fälle von jungen, müden Ärzten behandelt wurden, denen einfach noch die erforderlichen Erfahrungen und teilweise auch die notwendige Geschicklichkeit im Umgang mit dem Skalpell fehlten, obwohl sie sich die größte Mühe gaben. Die ernsten Fälle hätten eigentlich in die Hand eines erfahrenen Chirurgen gehört. Die jungen Ärzte taten, was in ihrer Macht stand, weil eben kein anderer da war. Conway wollte oftmals eingreifen, aber dann hatte er immer wieder Abstand davon genommen, weil Prilicla und der Rest seines Gefolges ihn ständig daran erinnerten, daß er an das große Gesamtbild denken müßte. Die Reorganisation des Hospitals war entschieden wichtiger als die Behandlung eines einzelnen Patienten. Jetzt endlich spürte er, daß er nun nicht länger ein Organisator zu sein brauchte und seine Tätigkeit als Arzt wieder aufnehmen konnte.
Im vorliegenden Fall handelte es sich um ein Wesen, das dem Hospital noch nicht bekannt war. O'Mara konnte deswegen das erforderliche Physiologische Band nicht zur Verfügung haben und selbst wenn das Wesen das Bewußtsein wiedererlangte, war nicht viel anzufangen, denn die Übersetzungsanlage war ja zerstört. Diesen Fall mußte Conway selbst übernehmen, und niemand würde ihm das ausreden können. Station sieben lag unmittelbar neben derjenigen, in der ein kelgianischer Militärarzt mit Unterstützung von Schwester Murchison bei den verschiedenen Patienten der Klassifikationen FGLI, QCQL und der irdischen wahre Wunder vollbracht hatte. Conway ließ die beiden zu seiner Unterstützung kommen. Dem neuen, bislang unbekannten Wesen erteilte er die Klassifikation TRLH, und dabei kam ihm die Tatsache zu Hilfe, daß der Raumanzug dieses Patienten durchsichtig und gummiartig war. Wäre es ein fester, starrer Raumanzug gewesen, dann wären die Verletzungen vielleicht nicht so schwer, aber in dem Fall wäre der Anzug zweifellos unter der Wucht des Stoßes zersprungen. Conway bohrte ein kleines Loch in den Anzug, entnahm eine Probe der Atmosphäre und schloß das Loch wieder. Dann legte er die Probe in den Analysator.
»Dabei habe ich immer gedacht, die Atmosphäre der QCQLs wäre schon schlimm«, sagte Schwester Murchison, als er ihr das Resultat zeigte. »Immerhin können wir diese produzieren. Ich werde mich gleich an die Arbeit machen, ja?« »Bitte sehr«, erwiderte Conway knapp. Sie kletterten in ihre bereitstehenden Raumanzüge und streiften die Gummihandschuhe über. Als die für den Patienten erforderliche Atmosphäre im Raum herrschte, begannen sie, ihn aus dem Anzug zu schneiden. Der TRLH hatte eine schalenartige Rückenplatte, die sich bis unter den Bauch zog, um die inneren Organe zu schützen. Vier Glieder entsprossen dem ungeschützten Teil des Körpers; der Kopf zeigte nur eine schwache Knochenplatte, zwei bewegliche Augen und zwei Mundöffnungen; aus einer dieser Öffnungen sickerte Blut. Das Wesen mußte gegen verschiedene Metallkanten geschleudert worden sein. Die Schalenplatte war an sechs Stellen gebrochen und an einer dieser Stellen vollkommen zerschmettert worden, so daß sich die einzelnen Splitter in den Körper gebohrt hatten. Aus diesen Wunden floß unaufhörlich Blut. Conway durchleuchtete den Patienten, um das Ausmaß der inneren Verletzungen festzustellen, und kurz darauf gab er das Zeichen, daß er bereit wäre.
Er war zwar noch nicht bereit – aber der Patient stand unmittelbar vor dem Verbluten. Die innere Anordnung der Organe unterschied sich von allem, was er bisher kennengelernt hatte, und auch seine sieben anderen Persönlichkeiten hatten eine solche Anordnung noch nie gesehen. Immerhin bekam er von ihnen ein paar kleine Einzelheiten als Anhaltspunkte: jede der sieben verschiedenen Persönlichkeiten trug mit ihren Erfahrungen dazu bei, die richtige Behandlungsmethode auszuwählen und anzuwenden. Allerdings waren die aus solchen Erfahrungen resultierenden Ratschläge mitunter so widersprechend, daß Conway instinktiv innehielt, um sich über den nächsten Schritt klarzuwerden. Bislang hatte er sich nur oberflächlich mit den einzelnen Persönlichkeiten beschäftigt, weil es ihm ja in erster Linie um die entsprechenden Sprachen ging – aber jetzt ließ er sie viel tiefer auf sich einwirken. Dabei kam mehr und mehr an die Oberfläche. Das Durcheinander der fremdartigen Persönlichkeiten verstärkte sich in seinem Kopf. Diese Wesen, deren Gehirnwellen sich auf den physiologischen Bändern eingeprägt hatten, waren im Umgang mit fremdartigen Wesen vollkommen unerfahren, und ihnen fehlte auch die Kenntnis eines Weltraumhospitals. Sie kannten nicht den Standpunkt fremdrassiger Wesen.
Conway sagte sich, daß er den ganzen Komplex nicht in sieben verschiedene Persönlichkeiten aufteilen mußte, sondern nur die entsprechenden Informationen zu verwenden brauchte. Er war so unermeßlich müde, daß er kaum noch wußte, was eigentlich in seinem Kopf vorging, und er verlor jegliche Kontrolle. Doch immer weiter drangen die aufgespeicherten Erinnerungen dieser fremdartigen Persönlichkeiten auf ihn ein. Plötzlich mußte er feststellen, daß große Schweißtropfen auf seiner Stirn perlten, er stand nach vorn gebeugt, als läge eine schwere Last auf seinem Rücken. Er spürte, wie Schwester Murchison seinen Arm umklammerte. »Was ist denn los, Doktor?« fragte sie eindringlich. »Kann ich Ihnen behilflich sein?« Er schüttelte den Kopf, denn im Augenblick war er nicht in der Lage, selbst in seiner Muttersprache ein Wort zu bilden; er schaute das Mädchen eine ganze Weile schweigend an. Als er sich abwandte, blieb ihr Bild vor seinen Augen – so, wie er sie sah, und nicht, wie ein Melfaner oder Kelgianer sie sehen mochte. Die Anteilnahme in ihren Augen hatte ihm ganz allein gegolten. Zuweilen hatte Conway seine eigenen, geheimen Gedanken über Schwester Murchison gehabt – aber das waren vollkommen normale, irdische Gedanken gewesen.
Er riß sich noch einmal zusammen, und unter Aufbietung der letzten Kraftreserven gelang es ihm die Operation zu Ende zu führen. Unvermittelt schien sich sein Verstand in verschiedene Teile zu zersplittern, und er sank in das tiefste und dunkelste Loch von sieben verschiedenen Höllen. Er spürte es nicht mehr, daß sich seine einzelnen Glieder ruckartig bewegten, als lägen sie in der Gewalt fremdartiger Lebewesen. Er spürte es auch nicht, daß Schwester Murchison ihn aus dem Raum zerrte und daß der zerbrechliche Prilicla ihm eine Injektion gab.
22 Das Läuten des kombinierten Nachrichtengerätes weckte Conway; sein Kopf war vollkommen klar und er fühlte sich so recht auf dem Posten. Er war frisch und ausgeruht und sehnte sich nach dem Frühstück. Er schob die Bettdecke zurück, und seine Hand mit den fünf Fingern hatte genau die richtige Form und Färbung. Da kam ihm eine merkwürdige Tatsache zu Bewußtsein und er zögerte einen Augenblick. Es war alles so ungewöhnlich ruhig! »Um Ihnen das übliche Fragespiel zu ersparen«, kam O'Maras müde Stimme aus dem Lautsprecher, »möchte ich Ihnen gleich sagen, daß Sie zwei Tage lang geschlafen haben. In dieser Zeitspanne, genauer gesagt, gestern früh, ist der Angriff eingestellt worden, und ich hatte einige Arbeit mit Ihnen. Zu Ihrem eigenen Wohl sind Sie einer hypnotischen Behandlung unterzogen worden, damit Sie alles vergessen können und mir nicht bis in alle Ewigkeit dankbar zu sein brauchen – für alles, was ich für Sie bisher getan habe. Wie fühlen Sie sich denn jetzt?« »Ausgezeichnet«, erwiderte Conway. »Ich kann nicht ... ich meine, es scheint in meinem Kopf viel Platz zu geben ...« Major O'Mara brummte.
»Es wäre eine augenscheinliche Feststellung zu sagen, daß Ihr Kopf leer ist, aber ich will davon Abstand nehmen.« Die Stimme des Chefpsychologen ließ eine verzweifelte Müdigkeit erkennen, obwohl er sich alle Mühe gab, den üblichen, trockenen und sardonischen Tonfall beizubehalten. Conway wußte nur zu gut, daß O'Mara nicht zu jenen Menschen gehörte, die müde wurden; nach einer langen Zeitspanne höchster Anspannung konnte es bei ihm höchstens eine gewisse geistige Ermüdung geben. »Der Flottenkommandeur hat in vier Stunden eine Zusammenkunft anberaumt«, fuhr der Major fort. »Lassen Sie sich also in der Zwischenzeit nicht auf irgendwelche neuen Fälle ein. Zur Zeit ist alles ohnehin recht gut eingespielt, und Sie können sich ein paar freie Stunden leisten. Was mich anbetrifft, so lege ich mich ein bißchen aufs Ohr. Ende.« Conway mußte feststellen, daß es recht schwierig war, vier freie Stunden zu verbringen. Der große Speisesaal war voller Offiziere und Soldaten des Korps; nur selten war ein Zivilist unter den Gruppen zu sehen. Die Unterhaltung war laut und drehte sich um die Vergangenheit und die möglichen Zukunftsaussichten. Eine nervöse Spannung war unverkennbar; sie herrschte an jedem einzelnen Tisch.
Anscheinend war die Verteidigungsflotte bereits bis an die Außenwand des gigantischen Hospitalgebäudes zurückgedrängt worden, als urplötzlich eine Streitmacht der verbündeten Illensaner auftauchte. Die Raumschiffe der Illensaner waren groß und klobig; sie sahen wie riesige Raumkreuzer aus und hatten doch nur die Feuerkraft kleiner Schiffe. Der Anblick dieser unvermittelt auftauchenden Flotte hatten den Feind vorübergehend in die Flucht geschlagen. Die geringe Zahl der noch vorhandenen eigenen Raumschiffe hatte keine neue Formation notwendig gemacht. Sie schwebten jetzt in unmittelbarer Nähe des Hospitals, das jetzt mit seinen Verteidigungsanlagen mehr und mehr einem Bollwerk glich. Conway erkannte die Lage genauso wie jeder andere im Raum, aber er beteiligte sich nicht an der Unterhaltung, denn diese Art von Galgenhumor lag ihm absolut nicht. Da Major O'Mara im Verlauf seiner Behandlung die Wirkung der verschiedenen physiologischen Bänder gelöscht hatte, bestand für Conway auch keine Möglichkeit, sich mit den im Speisesaal vorhandenen Wesen fremder Rassen zu unterhalten. Die anwesenden irdischen Krankenschwestern wurden von den Offizieren und Soldaten des Korps belagert; auf eine einzige Schwester kamen dabei zehn bis zwölf Männer.
Conway beeilte sich mit der Mahlzeit, dann verließ er den Speisesaal. Dabei fragte er sich unvermittelt, ob Schwester Murchison wohl zur Zeit im Dienst wäre oder ob sie vielleicht schliefe. Wenn sie im Dienst war, dann dürfte es nicht schwerfallen, eine Möglichkeit zu finden, um sie abzulösen, und wenn sie zur Zeit ohnehin dienstfrei hatte ... Seltsamerweise wurde sein Gewissen kaum durch die Tatsache belastet, daß er im Begriff stand, die ihm übertragene Autorität in schamloser Weise für seine egoistischen Motive auszunutzen. In Kriegszeiten, dachte er, hängen die Menschen nicht zu sehr an ihrem üblichen Moralkodex. In ethischer Beziehung schien er allmählich vor die Hunde zu gehen. Aber als er die betreffende Station erreichte, stellte es sich heraus, daß Schwester Murchisons Dienstzeit gerade abgelaufen war, und somit brauchte er das Verbrechen, das zu begehen er im Begriff stand, gar nicht zu verüben. In dem gleichen überlauten und so gekünstelt wirkenden Tonfall, den er im Speisesaal gehört hatte, fragte er sie, ob sie vielleicht schon irgendeine Verabredung hätte, und dann murmelte er ein paar banale Worte über den ständigen Dienst, der so gar keine Erholung und Entspannung zuließ. »Verabredung – Erholung – Entspannung? Aber ich muß jetzt schlafen!« protestierte sie und dann fuhr
sie etwas ruhiger fort: »Sie können doch nicht ... ich meine, wohin könnten wir denn gehen, und was könnten wir machen? Das ganze Hospital ist nur noch ein großes Wrack. Müßte ich mich umkleiden?« »Das Stockwerk mit dem Erholungszentrum ist noch intakt«, erwiderte Conway, »und so, wie Sie sind, sehen Sie sehr gut aus.« Die normale Tracht der Krankenschwestern bestand aus einer blauen, eng anliegenden Bluse und knapper, langer Hose, die nicht beim Anlegen der verschiedenen Schutzanzüge hinderte. Diese Tracht stand Schwester Murchison ganz ausgezeichnet. Nur im Moment machte die Schwester einen ein wenig abgespannten Eindruck. Als sie den breiten, weißen Instrumentengürtel und die kleine Haube abnahm, um das volle Haar ein wenig zu schütteln, gab Conway einen undefinierbaren Laut von sich. Dabei erlitt er jedoch prompt einen Hustenanfall, denn seine Kehle war von der Erzeugung der vielen fremdartigen Geräusche noch immer ziemlich rauh. Schwester Murchison lachte; sie strich sich das Haar glatt und rieb sich dann die Wangen, um ihnen ein wenig Farbe zu geben. »Versprechen Sie auch, daß Sie mich nicht so lange ausführen werden?« fragte sie strahlend. Auf dem Weg zum Erholungszentrum fiel es ihnen
schwer, nicht von berufsmäßigen Dingen zu reden. Viele Stationen und Abteilungen des Hospitals waren jetzt ohne die erforderliche Atmosphäre, so daß die intakten Stationen hoffnungslos überfüllt waren. Selbst auf den mit Druck versehenen Korridoren häuften sich die Patienten. Das war eine Situation, die von niemandem vorausgesehen worden war. Die Verteidiger hatten nicht damit gerechnet, daß der Feind nur konventionelle Waffen anwenden würde. Bei Anwendung von atomaren Waffen würde es eine solche Überfüllung nicht geben – und in dem Fall würde das Hospital selbst wahrscheinlich schon lange nicht mehr bestehen. Die meiste Zeit hörte Conway gar nicht auf Schwester Murchisons Worte, aber das schien ihr nichts auszumachen. Vielleicht hörte sie auch nicht auf seine. Das Erholungszentrum war noch so, wie sie es in Erinnerung hatten, aber die Einzelheiten hatten sich auf eine dramatische Weise verändert. Da sich das Gravitationszentrum des Hospitals weiter oben befand, wurde alles von der noch vorhandenen Schwerkraft nach oben gezogen. Alles Material, das normalerweise am Boden lag, hing nunmehr an der Decke, wo es ein durchsichtiges Chaos von Sand und Wasser bildete. Die künstliche Sonne hatte eine tiefe, dunkelrote Färbung, und ihre Strahlen vermochten das mit Sand durchsetzte Wasser kaum zu durchdringen.
»Oh, ein herrlicher Anblick!« rief Schwester Murchison begeistert. Das Licht verlieh ihrer Haut einen warmen, wunderbaren Ton und Conway bemerkte, daß Schwester Murchison wirklich hinreißend aussah. Ihre dunkelroten Lippen waren leicht geöffnet; die weißen Zähne strahlten einen unirdischen Glanz aus und ihre großen Augen leuchteten. »Ja, es ist sehr romantisch«, pflichtete Conway ihr bei. Mit langsamen Bewegungen schwebten sie durch den Raum und schlugen die Richtung zum Restaurant ein. Vereinzelte Baumwipfel blieben unter ihnen zurück, und sie kamen in nebelhafte Wolken, die aus dem Wasserdampf der verborgenen Sonne bestanden. Im Nu waren Kopf, Gesicht, Arme und Hände mit kleinen Tropfen übersät. Conway ergriff ihre Hand und hielt sie fest, aber da ihre Geschwindigkeit verschieden war, begannen sie im Kreis zu schweben. Er beugte den Arm und zog das Mädchen dicht zu sich heran. Schwester Murchison setzte zu einem Protest an – aber plötzlich schlang sie ihre Arme um ihn, schmiegte sich dicht an seinen Körper und küßte Conway. Bei diesem Kuß drehten sich der leere Strand, die Klippen und die dunkle, von Wasserwolken verhangene Sonne vor seinen Augen.
Schließlich schwebten die beiden auf die andere Seite der Klippe zu und ließen lachend voneinander ab. Unter Ausnutzung der vorhandenen Gravitation gelangten sie in das ehemalige Restaurant. An der Unterseite des durchsichtigen Glasdaches hatten sich dichte Wasserwolken gebildet, und unter den Sonnenschirmen der einzelnen Tische hingen ebenfalls Wolken. Wenn sie eine dieser Wolken berührten, schwirrte sie wie ein zartes, zerbrechliches Gebilde davon, oder sie platzte auf und übergoß sie mit einem sprühenden Schauer von winzigen Regentropfen. Bei der herrschenden Dunkelheit stießen sie immer wieder an einen dieser Schirme, und bald waren sie ganz von den kleinen Wolken eingehüllt. Es war wie in einer phantastischen Traumwelt, dachte Conway, in einer Traumwelt, die alle Wünsche erfüllte. Die neben ihm schwebende Gestalt von Schwester Murchison ließ in Conway keinen Zweifel daran aufkommen. Sie setzten sich vorsichtig an einen der Tische und achteten darauf, nicht den Schirm zu berühren. Conway ergriff Schwester Murchisons Hand und sagte: »Ich habe mit Ihnen zu reden.« Sie lächelte nur. Conway versuchte zu sprechen. Er versuchte ihr die Dinge zu sagen, die er sich selbst schon viele Male vorgesprochen hatte, aber es wurde nur ein wirres
Gestammel daraus. Er sagte ihr, wie schön sie wäre und daß sie wirklich eine kleine dumme Närrin sei, weil sie im Hospital zurückgeblieben war. Er liebe sie, aber jetzt könne er ihr nicht all das sagen, was er gern möchte. Er gestand ihr, daß er unablässig an sie denken müsse, und während der schwierigen Operation an dem TRLH-Wesen hätte nur der Gedanke an sie ihm die Kraft vermittelt, die Sache zu einem guten Ende zu führen. Und bei jedem einzelnen Geschoßeinschlag hätte er sich Sorgen gemacht, daß ... »Ich habe mir ebenfalls über Sie Sorgen gemacht«, sagte Schwester Murchison mit weicher Stimme. »Sie waren überall im ganzen Gebäude, und jedesmal wenn so ein Einschlag zu spüren war ... und Sie wußten immer genau, was zu tun war ... und ... und ich hatte solche Angst, daß Sie von einem der Geschosse getroffen werden könnten ...« Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Conway schluckte; seine Kehle war wie ausgedörrt. »Sie waren wundervoll bei der TRLH-Operation«, fuhr sie herzlich fort. »Ich habe die Arbeit eines ausgezeichneten Chirurgen zu sehen bekommen. Sieben physiologische Bänder, sagte O'Mara. Ich habe ihn gebeten, mir auch eins zu geben, damit ich Ihnen besser helfen könnte. Aber er lehnte ab, weil ...« Sie hielt zögernd inne und wandte den Blick ab. »Weil die Mädchen und jungen Frauen, wie er sagte, sehr wähle-
risch sind, wenn jemand von ihnen Besitz ergreifen will. In ihrer Persönlichkeit, meine ich ...« »Wie wählerisch?« fragte Conway mit erstickter Stimme. »Hat ein Freund auch eine ... eine Chance?« Bei seinen Worten beugte er sich unwillkürlich ein bißchen vor, schwebte nach oben und stieß mit der Stirn an den mit Wasser gefüllten Sonnenschirm des Tisches. Im Nu war sein Gesicht in Wasser gebadet. Prustend schob er die kleine Wolke zur Seite, und dann sah er es! In einer dunklen Ecke des Raumes lag ein großer Stapel von entschärften Granaten. Sie waren am Boden festgeklammert, und als doppelte Sicherung diente ein großes, gespanntes Netz. Conway, sah, daß das Netz an verschiedenen Stellen sehr schlaff hing. Er schwebte hinüber, entdeckte die Zugleine und stellte die erforderliche Spannung wieder her. »Wir kommen zu keiner richtigen Unterhaltung, wenn wir hier dauernd herumschweben«, sagte er ruhig. »Kommen Sie mit zu meinem Zimmer.« Plötzlich zitterte ihre Hand in der seinen. »Ich weiß, wie Sie empfinden«, erwiderte sie hastig, ohne ihn anzusehen. »Ich habe Sie ebenfalls gern – vielleicht sogar mehr als das. Aber irgendwie ist das nicht richtig. Ich weiß, daß uns nicht viel Zeit bleibt, aber wir dürfen nicht egoistisch sein. Ich muß unab-
lässig an die vielen Männer denken, die da auf den Korridoren liegen, und auch an die anderen Verwundeten, die noch kommen werden. Ich weiß auch, daß es vielleicht altmodisch klingt, aber schließlich ist es unsere Aufgabe, zuerst an die anderen zu denken. Deshalb ...« »Vielen Dank«, sagte Conway gereizt. »Vielen Dank, daß Sie mich an meine Pflicht erinnern.« »Oh, bitte!« rief sie verzweifelt, und plötzlich schlang sie wieder die Arme um seinen Hals und legte den Kopf an seine Brust. »Ich möchte Ihnen doch nicht weh tun. Ich hätte nie gedacht, daß der Krieg so schrecklich ist. Ich habe solche Angst! Ich möchte nicht, daß Ihnen irgend etwas zustößt und daß ich hier ganz allein bleibe. Oh, bitte, halten Sie mich ganz fest, und sagen Sie mir, was zu tun ist ...« Ihre Augen glitzerten, und als ein dünner Lichtstrahl der verhangenen, künstlichen Sonne durch die nassen Wolken drang, sah Conway, daß Schwester Murchison leise weinte. Irgendwie war er nie auf den Gedanken gekommen, daß Schwester Murchison weinen könnte. Er hielt sie eine ganze Weile fest umschlungen, und dann schob er sie behutsam von sich. Mit rauher Stimme sagte er: »Kommen Sie, ich werde Sie zu Ihrem Zimmer bringen.« Dazu kam er jedoch nicht mehr. Wenige Minuten später heulte die Alarmsirene und
als ihr schriller Ton endlich abbrach, wurde Conway über den Lautsprecher gebeten, sofort zum Kontrollraum zu kommen.
23 Ehemals war es die Aufnahmestation gewesen; drei Nidianer hatten sich hier mit den Problemen beschäftigt, die eintreffenden Hospitalschiffe zu entladen und die betreffenden Patienten auf die entsprechenden Stationen zu verteilen. Jetzt war es die Kommandostelle der Verteidigungskräfte. Zwanzig mit Kehlkopfmikrophonen ausgerüstete Offiziere des Korps gaben erforderliche Anweisungen durch, und ihre Augen waren unablässig auf die großen Kontrollschirme gerichtet. Auf zwei der riesigen Schirme waren Teile der feindlichen Raumflotte zu sehen. Dazwischen waren weiße Linien und geometrische Figuren zu erkennen, die von einem taktischen Offizier stammten. Er versuchte auf diese Weise die nächsten Bewegungen der feindlichen Flotte aufzuzeichnen, die zu erwarten waren. Ein weiterer großer Schirm gab einen Überblick von der Außenwand des Hospitals. Ein Geschoß kam wie eine Sternschnuppe auf die Station zu, und als es die Wand traf, spritzte dort ein weiter Funkenregen auf. Die Erschütterung, die durch das Hospital lief, stand in gar keinem Verhältnis zu dem Bild auf dem Schirm. »Sie haben sich so weit zurückgezogen«, sagte Flot-
tenkommandeur Dermod, »daß sie sich jetzt außerhalb der Reichweite unserer Geschosse befinden, und von dort aus halten sie das Hospital unter Beschuß. Mit dieser Maßnahme wollen sie uns zermürben und inzwischen ihren nächsten Angriff vorbereiten. Ein Gegenangriff scheidet aus, denn dazu sind unsere Kräfte rein zahlenmäßig zu weit unterlegen. Uns bleibt also gar keine andere Wahl, als die gegenwärtige Phase des Kampfes so gut zu überstehen wie irgend möglich, und unsere Kräfte ...« »Welche Kräfte?« fragte Conway gereizt. O'Mara schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge, und der Flottenkommandeur musterte Conway mit einem verdutzten Blick. Er ging jedoch nicht auf seine Frage ein. »Wir können auch mit dem Angriff von kleinen Stoßtrupps rechnen, die uns ebenfalls beunruhigen sollen«, fuhr er fort. »Ihre Verwundeten werden aus den Reihen der Mannschaften kommen, die die Außenwand des Gebäudes verteidigen, natürlich auch aus den Reihen der Schiffsbesatzungen – und vielleicht werden auch ein paar Verwundete des Feindes darunter sein. Damit komme ich zu einem Punkt, den ich ein für allemal klarstellen möchte. Sie scheinen bereits eine ganze Anzahl von feindlichen Verwundeten zu versorgen, Doktor, und dabei haben Sie mir erklärt, daß Ihre Aufnahmemöglichkeiten bereits erschöpft sind.«
»Wie, zum Kuckuck, können Sie so etwas sagen?« rief Conway. Dermods Ausdruck wurde noch ablehnender – aber diesmal ging er auf die Frage ein. »Weil ich verschiedene Berichte der Patienten erhalten habe; sie liegen nebeneinander, sehen sich in allen Einzelheiten ähnlich und können doch nicht miteinander reden. Welche Maßnahmen haben Sie eingeleitet, um ...« »Gar keine!« schnaubte Conway; er war jetzt plötzlich so wütend, daß er diesen kalten, gefühllosen Stabsoffizier am liebsten bei der Kehle gegriffen hätte, um ihn kräftig durchzurütteln. Im Anfang hatte Dermod ihm ganz gut gefallen. Er hatte ihn für einen pflichtbewußten, warmherzigen und durchaus fähigen Flottenkommandeur gehalten, aber in den vergangenen Tagen war er mit einer Härte und Kälte vorgegangen, die Conway und allen anderen im Hospital aufgefallen war. Seit dem letzten Angriff war ein tägliches Zusammenkommen der militärischen und medizinischen Führer anberaumt worden, und bei dieser Gelegenheiten war Conway auf irgendeine Weise mit dem Kommandeur aneinandergeraten. Wenn Conway gelegentlich die Nerven verlor, blieb Dermod vollkommen ruhig. Er schaute ihn wie aus weiter Ferne an, und Conway hatte zeitweilig das
Gefühl, daß der Flottenkommandeur ihn gar nicht sah. Es hatte auch wenig Zweck, daß O'Mara Conway laufend darauf hinwies, seine Zunge mehr im Zaum zu halten und nicht immer gleich loszupoltern, da Dermod schließlich einen Krieg zu führen hatte und wirklich alles tat, was in seinen Kräften stand. O'Mara gab Conway zu verstehen, daß seine Persönlichkeit viel von ihrem ursprünglichen Charme eingebüßt hätte. »Nun«, sagte Dermod kühl, während Conway sich einzureden versuchte, er müsse mehr Geduld für diesen kalten Militaristen aufbringen, »Sie werden die Verwundeten des Feindes doch nicht genauso behandeln wie unsere eigenen ...« »Es ist sehr schwer«, erwiderte Conway so ruhig, daß O'Mara ihn besorgt anschaute, »den Unterschied zwischen Freund und Feind festzustellen. Der Unterschied in Form und Aussehen der Raumanzüge spielt für den medizinischen Stab und auch für mich selbst keine Rolle. Außerdem kommt es recht häufig vor, daß wir nicht nur den Raumanzug eines Patienten aufschneiden müssen, sondern auch seine Uniform, und diese ist dann meist so mit Blut verschmiert, daß sie so gut wie unkenntlich ist. Nach Anwendung einer schmerzstillenden Injektion reden die Patienten im Fieber mitunter Worte, die fast in allen Fällen un-
verständlich sind, so daß auch in diesem Falle Freund und Feind nicht auseinanderzuhalten sind. All diese Dinge spielen für mich jedoch keine Rolle; ich bin Arzt und habe die Pflicht, zu helfen, wobei es völlig gleichgültig ist, ob es Freund oder Feind ist, der meiner Hilfe bedarf. Ich hoffe, daß ich mich klar genug ausgedrückt habe.« Er hatte in sehr ruhigem Ton begonnen, aber während der Ausführungen war seine Stimme immer lauter geworden. Und zum Schluß bekräftigte er noch einmal seine Worte: »Ich werde keinen Unterschied zwischen den Verwundeten machen – und mein Stab und Personal ebenfalls nicht! Dies hier ist immer noch ein Hospital!« »Immer mit der Ruhe, mein Junge. Natürlich ist es noch ein Hospital«, sagte O'Mara leise. »Es ist ebenfalls ein militärischer Stützpunkt«, bemerkte Dermod. »Was ich einfach nicht verstehen kann«, warf O'Mara hastig ein, »ist die verteufelte Tatsache, daß der Feind uns nicht einfach durch die Anwendung von atomaren Waffen vernichtet!« Wieder lief die Erschütterung eines Treffers durch das Gebäude. »Der Grund, weshalb sie keine Atombomben anwenden, Major«, entgegnete Dermod, ohne den Blick von Conway zu wenden, »liegt darin, daß sie hier eine
Eroberung machen wollen. Die politischen Hintergründe spielen eine Rolle. Das Imperium muß diesen Stützpunkt des verhaßten Feindes unter allen Umständen erobern; der General des Imperiums muß einen triumphalen Sieg erringen, und ein solcher ist in den Augen der Bürger des Imperiums nur dann erreicht, wenn es ihm gelingt, diese Station zu besetzen.« Der Flottenkommandeur hielt inne und räusperte sich. »Unsere eigenen Verluste sind beträchtlich«, fuhr er dann mit kühler Stimme fort. »In einem Krieg, der sich im Weltraum abspielt, haben nur etwa zehn Prozent der Überlebenden die Aussicht, in einem Hospital behandelt zu werden – und wir haben doppeltes Glück, da wir einerseits über das erforderliche medizinische Personal und andererseits auch über ein festes Bollwerk zur Verteidigung verfügen. Die Verluste des Feindes sind erheblich höher, und ich persönlich schätze sie auf etwa zwanzigmal so hoch wie unsere. Wenn sie uns also jetzt durch die Anwendung von Atombomben zur Strecke bringen würden, nachdem sie das nicht gleich zu Anfang getan haben, ohne einen einzigen Mann zu verlieren, dann werden ein paar höchst unangenehme Fragen auftauchen. Auf diese Weise könnte sich der glorreiche Imperator mit diesem von ihm selbst angezettelten Krieg selbst den Strick um den Hals legen.«
»Warum setzen Sie sich nicht mit ihnen in Verbindung?« fragte Conway hart. »Reden Sie doch mit ihnen über die wahre Situation und über die hier vorhandenen Verwundeten. Sie können doch nicht im Ernst damit rechnen, diesen Kampf zu gewinnen. Warum ergeben wir uns nicht?« »Wir können uns nicht mit ihnen in Verbindung setzen, Doktor«, antwortete der Flottenkommandeur mit beißender Stimme, »weil sie uns gar nicht anhören. Falls sie uns jedoch tatsächlich hören sollten, dann glauben sie uns einfach nicht. Sie wissen, oder die bilden sich zumindest ein zu wissen, was wir auf dem Planeten Etla angestellt haben, und was wir angeblich hier treiben. Es hat keinen Zweck, ihnen klarmachen zu wollen, daß wir den Leuten des Planeten Etla nur helfen wollten, und daß wir hier gezwungen sind, uns nach Kräften zu verteidigen. Unmittelbar nach unserem Verlassen des Planeten Etla sind dort ein paar Seuchen ausgebrochen, und dieses Gebäude hier sieht jetzt, wenigstens nach außen hin, kaum mehr wie ein Hospital aus. Nicht darauf kommt es jetzt an, was wir sagen, sondern was wir tun! Und wir tun genau das, was ihr glorreicher Imperator ihnen vorausgesagt hat.« Dermod steigerte sich in eine immer größere Erregung. »Wenn sie nur einmal sachlich und objektiv überlegen würden, dann müßte ihnen die Zahl der mit uns
verbündeten fremdrassigen Wesen auffallen. Ihrer Ansicht und Darstellung nach werden diese fremden Rassen von uns kaum besser als Sklaven behandelt. All die vielen Freiwilligen, die uns hier zu Hilfe geeilt sind, benehmen sich keineswegs wie Sklaven – aber das spielt bei dem augenblicklichen Stand der Dinge wohl kaum eine nennenswerte Rolle. Unsere Feinde denken gefühlsbetont und nicht nach logischen Gesetzen.« »Und ich denke ebenfalls gefühlsbetont«, knurrte Conway. »Ich denke an meine Patienten. Sie liegen in kalten Winkeln und auf den langen Korridoren, und sie haben keinerlei Schutz gegen den ständigen Druckverlust.« Wieder ertönte das Krachen eines irgendwo in der Nähe einschlagenden Treffers und das ganze Gebäude bebte. »Sie können einfach an nichts anderes mehr denken als an Ihre Patienten, Doktor!« fauchte Dermod. »Vielleicht überrascht es Sie, zu hören, daß ich ebenfalls an sie denke – aber ich versuche wenigstens, nicht ausschließlich an sie zu denken. Wenn mir das nicht gelänge, dann würde ich beginnen, den Feind zu hassen, und damit würde dann ein gewisser Rachedurst in mir entstehen.« Die Stimme des Flottenkommandeurs steigerte sich mehr und mehr. »Sie müssen sich vor Augen halten, daß unser
Korps die Polizeimacht für den größten Teil der bewohnten Galaxis darstellt; es ist unsere Aufgabe, den Frieden zu erhalten und alle bisherigen Errungenschaften zu schützen. Wir sind für alle Welten der uns befreundeten Rassen zuständig und verantwortlich. Nun haben wir es hier mit einer Situation zu tun, bei der sich die Angehörigen des Korps, und eine Handvoll tapferer Ärzte, Krankenschwestern und Pflegern gegen die wilden Angriffe eines zahlenmäßig weit überlegenen Feindes wehren müssen. Es würde zweifellos eine ganze Weile dauern, bis sich der Galaktische Rat zu dem Entschluß durchringt, eine allgemeine Mobilmachung vorzunehmen und in diese Auseinandersetzung einzugreifen. Das alles würde für uns persönlich viel zu spät kommen, aber denken Sie nur einmal einen Augenblick daran, wie wir gerächt würden, Doktor!« In seinem Gesicht spiegelte sich jetzt eine ungeheure Erregung, und seine Stimme bebte. »Bei einem interstellaren Krieg können die einzelnen Planeten nicht erobert werden, Doktor. Sie können nur durch die Anwendung atomarer Waffen vernichtet werden. Dieses kleine, lächerliche Imperium mit seinen vierzig bewohnten Planten würde vollkommen von der Bildfläche verschwinden und ausgelöscht werden!« Major O'Mara schwieg; Conway konnte den Blick
nicht von Dermods Gesicht wenden, um zu sehen, wie der Chefpsychologe auf diesen Ausbruch des Flottenkommandeurs reagieren mochte. Er hätte es nie für möglich gehalten, daß Dermod sich in eine solche Erregung steigern könnte. Conway hatte Dermod und O'Mara stets für die ruhenden Pole gehalten, an denen sich alle anderen aufrichten konnten, wenn der Mut sie zu verlassen drohte. »Aber das Korps ist eine Polizeimacht, verstehen Sie?« fuhr der Flottenkommandeur mit erregter Stimme fort. »Wir bemühen uns, die ganze Sache als ein verhältnismäßig kleines Scharmützel auf interstellarer Basis zu sehen – und in solchen Fällen sind die Verluste der Aufrührer und Angreifer stets wesentlich höher als die der Polizei. Ich persönlich vertrete die Ansicht, der Zeitpunkt, an dem sie zur Vernunft kommen und die Wahrheit einsehen können, ist längst vorüber, und somit ist auch die Ausbreitung eines interstellaren Krieges unvermeidlich. Dennoch nehme ich davon Abstand, den Feind zu hassen. Darin liegt der große Unterschied, Doktor, zwischen der Aufrechterhaltung der Ordnung und des Friedens und einem tobenden Krieg. Und dabei möchte ich nicht, daß irgendein engstirniger Doktor kommt, der sich ohnehin nur um seine Patienten zu kümmern braucht, um mir zu erklären, auf welch schreckliche Weise meine eigenen Männer sterben müssen. Auf
diese Weise verliere ich meine Perspektive und werde versucht, Menschen zu hassen, die sich nur deshalb von uns unterscheiden, weil man ihnen die falschen Informationen gibt.« Dermod gab sich offensichtlich Mühe, die Fassung wiederzugewinnen. »Es ist mir vollkommen gleichgültig, ob Sie in der Behandlung unserer Verwundeten und der des Feindes einen Unterschied machen oder nicht«, fuhr er fort, »aber wenn ich Ihnen irgendwelche Anweisungen zu geben habe, dann werden Sie sie auch befolgen. Wir befinden uns hier in einem militärischen Stützpunkt, und Feinde bleiben nun mal Feinde, auch wenn sie verwundet sind. Diejenigen, deren Zustand es erlaubt, sich frei zu bewegen, müssen besonders bewacht werden, denn sie könnten hier auf irgendeine Weise Sabotage verüben. Verstehen Sie jetzt, Doktor?« »Jawohl, Sir«, antwortete Conway leise. Als er ein paar Minuten später in O'Maras Begleitung den Raum verließ, kam er sich noch immer wie ein kleiner Schuljunge vor, dem man ordentlich die Leviten gelesen hatte. Er spürte jetzt ganz deutlich, daß er den Flottenkommandeur vollkommen falsch eingeschätzt hatte, und er nahm sich vor, sich bei der ersten besten Gelegenheit wegen seines Verhaltens zu entschuldigen. Im Grunde genommen war Dermod ein vorzüglicher Mann.
»Mir gefällt es«, sagte O'Mara unvermittelt, »wenn diese kalten und selbstbewußten Typen von Zeit zu Zeit den überflüssigen Dampf ablassen. In psychologischer Hinsicht ist das nur begrüßenswert, wenn man gedenkt, unter welchem Druck solche Leute bei den gegenwärtigen Verhältnissen stehen. Irgendwie freut es mich, daß es Ihnen doch noch gelungen ist, ihn wütend zu machen.« »Warum?« fragte Conway. »Sie haben sich selbst nicht fest genug in der Hand, Doktor«, erwiderte O'Mara streng. »Trotz Ihrer neuen Autorität, die Sie eigentlich zu einem toleranten und verständnisvollen Verhalten verpflichten sollte, lassen Sie sich mehr und mehr gehen. Seien Sie vorsichtig, Doktor!« Conway hatte eigentlich mehr Verständnis und Mitgefühl erwartet denn seine Lage war keineswegs beneidenswert; statt dessen wurde er nun auch von dieser Seite vollkommen unerwartet kritisiert. Als O'Mara sich kurz darauf abwandte und seinem Büro zustrebte, war Conway noch immer so wütend, daß er kein Wort der Erwiderung fand.
24 Am nächsten Tag fand Conway keine Gelegenheit, seine Entschuldigung beim Flottenkommandeur anzubringen, denn der Feind begann mit seinem bisher stärksten Angriff auf das Hospital, so daß alle Beteiligten viel zu beschäftigt waren, um sich zu einer ruhigen Konferenz zu setzen. Immerhin, sagte sich Conway zynisch, spielte es keine wesentliche Rolle, ob man nun von einem kleinen Aufruhr oder von einem Krieg sprach: die ernste Frage der Verwundeten wurde davon keineswegs betroffen. Immer weitere Verwundete von beiden Seiten trafen ein, und die Lage spitzte sich auf eine geradezu katastrophale Weise zu. Die feindlichen Streitkräfte drangen immer weiter auf das Hospital ein; der Geschoßregen verstärkte sich zu einem phantastischen Trommelfeuer und die einzelnen Raumkreuzer legten einen so dichten Ring um das Gebäude, daß sie stellenweise bis auf wenige hundert Meter an die Außenwand herankamen. Dermods Verteidigungskräfte bestanden jetzt nur noch aus dem Kreuzer Vespanian, einem tralthanischen Raumkreuzer und aus einigen weiteren kleineren Schiffen. Sie verankerten sich an der Außenwand des gigantischen Gebäudes, da sie keine Möglichkei-
ten zum Manövrieren mehr hatten. Mit ihren leichten Bordwaffen verstärkten sie den Verteidigungsgürtel und griffen in den Kampf ein, wo immer sich ihnen dazu eine Möglichkeit bot. Das waren genau die Maßnahmen, die der Kommandeur der angreifenden Raumflotte des Imperiums vorausgesehen und erwartet hatte. Mit der Geschwindigkeit, die nur von einem ausgezeichnet geplanten Manöver stammen konnte, lichteten sich die Reihen der angreifenden Flotte, um dann eine neue Formation einzunehmen und sich auf einen einzigen Punkt der Außenwand des Gebäudes zu konzentrieren. Ein wahrer Hagel von Geschossen prasselte an dieser Stelle gegen die Stahlplatten der Außenwand; sie zertrümmerten dabei das Schiffswrack, das die Mannschaften dort postiert hatten, um den bereits vorher an dieser Stelle angerichteten Schaden zu dekken, und sie drangen bis auf die Innenwand vor. Die Verteidiger versuchten, dieses Trommelfeuer zu erwidern, aber sie hatten nur wenig Erfolg damit. Trotz aller Bemühungen und Anstrengungen waren sie schließlich gezwungen, die betreffende Stelle der Außenwand vollkommen aufzugeben – und plötzlich wurde es augenscheinlich, daß es sich bei diesem Manöver nicht nur um einen erneuten Angriff, sondern um eine Invasion handelte. Unter dem vielfältigen Feuerschutz der angreifen-
den Flotte schoben sich drei große Raumschiffe auf die betreffende Stelle der Außenwand zu. Es waren zweifellos Transportschiffe. Unverzüglich schwebte der Kreuzer Vespanian auf die gefährdete Stelle zu. Er erreichte sie etwa gleichzeitig mit dem ersten Transportschiff des Feindes, und um den Geschoßhagel schien er sich gar nicht zu kümmern. Offensichtlich wollte er das Eindringen des Transporters unter allen Umständen verhindern. Für das, was dann geschah, gab es verschiedene Auslegungen. Vielleicht beging der Astrogator des Kreuzers in seiner Schätzung einen Fehler – oder vielleicht wurde der Kreuzer gerade in diesem verhängnisvollen Augenblick von einem feindlichen Geschoß getroffen, das seine Richtung beeinflußte. Jedenfalls tauchte später niemals die Frage auf, daß Kapitän Williamson den feindlichen Transporter etwa vorsätzlich gerammt haben könnte, denn der Colonel stand in dem über jeden Zweifel erhabenen Ruf, ein Offizier des Korps zu sein, der einen Zweikampf nur unter gleichen Bedingungen zuließ und somit niemals ein unbewaffnetes Raumschiff angegriffen hätte – ganz gleich, wie die augenblickliche Situation ausgehen mochte. Außerdem war es ohnehin ein vollkommen sinnloses Manöver, wenn man die taktische Überlegenheit des Feindes rein zahlenmäßig in Betracht zog.
Der Kreuzer Vespanian schien die Seite des Transportschiffes vollkommen zu durchdringen, ehe er seine Geschwindigkeit verringerte und schließlich anhielt. Im Innern des Transporters erfolgte eine Explosion, und dann züngelte das Feuer an der getroffenen Stelle empor, wo die Luft entwich, während die beiden Raumschiffe sich langsam an der Peripherie eines kleinen Kreises drehten. Im ersten Augenblick schien alles regungslos auf der Stelle zu verharren. Dann richteten sich die Waffen der Verteidiger gemeinsam auf den zweiten Transporter des Feindes, ohne sich um irgendwelche anderen Ziele zu kümmern. Er wurde förmlich wie ein Sieb durchlöchert, und als er den Rückzug antrat, entwich an vielen Stellen die Luft. Das dritte Transportschiff der Imperiumstruppen hatte inzwischen bereits den Rückweg angetreten. Jetzt befand sich die gesamte Raumflotte des Feindes auf dem Rückzug, aber in einiger Entfernung formierte sie sich neu, und der Geschoßhagel auf das Hospital hielt nach wie vor an. Selbst bei größtem Optimismus konnte nicht von einem Sieg des Korps gesprochen werden – nicht mal von einem Teilsieg. Der Feind hatte lediglich einen Fehler begangen und seinen Übereifer mit einigen Verlusten bezahlen müssen. Das gigantische Weltraumhospital war noch längst
nicht für einen Sturmangriff reif, und die Kampfmoral seiner Insassen mußte durch weiteren Beschuß untergraben werden. Strahlanlagen wurden eingeschaltet und zogen das sich immer noch langsam drehende Transportschiff des Feindes an die Außenwand des Gebäudes heran. Mannschaften des Korps durchsuchten das lädierte Raumschiff, und bald wurden die Überlebenden durch die Schleuse ins Hospital transportiert. Dabei mußten verschiedene Umwege eingeschlagen werden, denn die einzelnen Schleusen waren durch den Transport von Männern des Korps verstopft, die in diesem Kampf nun schon zum zweiten- oder drittenmal verwundet worden waren. Unter den Rettungsmannschaften befand sich auch Dr. Prilicla. Die Lebensform der Klassifikation GLNO war die in der gesamten bewohnten Galaxis anerkannt zarteste und zerbrechlichste – und es war allgemein bekannt, daß die Feigheit das hervorstechendste Merkmal dieser Rasse war, um die Erhaltung des Lebens zu garantieren. Dennoch fügte sich Prilicla den gegenwärtigen Erfordernissen und schwebte zwischen den Wrackteilen herum, um nach noch vorhandenem Leben zu forschen. Ohne sich auch nur ein einziges Mal zu irren, deutete der winzige Arzt mit absoluter Sicherheit auf
die noch lebenden Wesen und unterstützte damit vorbildlich die Rettungsmannschaften des Korps, die alles taten, um zu retten, was zu retten war. Seine ganz besondere Aufmerksamkeit richtet Prilicla auf lädierte Raumanzüge der Mannschaften, aus denen der für sie lebensnotwendige Druck entwich. Auf diese Weise rettete Prilicla manches Leben, aber für ein telepathisches Wesen, das jede einzelne Gefühlsströmung wahrnehmen konnte, war das die reinste Hölle im wahrsten Sinne des Wortes. Major O'Mara war überall zu finden. Unter normalen, also nicht schwerelosen Bedingungen, hätte er sich höchstwahrscheinlich von einer Stelle zur anderen geschleppt, aber zur Zeit war seine Erschöpfung nur daran zu erkennen, daß er sich immer wieder verschätzte und gegen irgendwelche Gegenstände prallte, die in seinem Weg lagen und denen er unter normalen Umständen ausgewichen wäre. Wenn er sich jedoch mit den Angehörigen des Korps, mit irdischen Patienten und mit dem Pflegepersonal des Hospitals unterhielt, dann war seiner Stimme nicht die geringste Ermüdung anzumerken. Das medizinische Personal, das jetzt aus den tralthanischen FGLIs, den krabbenartigen, melfanischen ELNTs und verschiedenen anderen Rassen bestand, war überall zu finden, wo es dringend benötigt
wurde. Es sorgte für die Aufnahme von Patienten aller Art, ob es nun irdische Angehörige des Korps oder andere Wesen waren. Alle waren müde und über ihre Kräfte angespannt, und oftmals konnten sie auch nicht verstehen, was die einzelnen Patienten ihnen zuriefen – und dennoch konnten sie auf ihre Weise das Leben vieler Patienten retten. Mit jedem weiteren Treffer des Feindes verloren sie innerhalb des Hospitals ein wenig mehr Boden. Dr. Conway hielt sich jetzt ausschließlich im großen Speisesaal auf. Er hatte Verbindung mit den meisten Stationen und Stockwerken des Gebäudes, aber ein paar der Korridore enthielten keine Luft, und andere waren durch eine Vielzahl von Verwundeten blockiert. Immerhin wurde im ganzen Hospital die Meinung vertreten, daß der letzte noch vorhandene Stationsarzt sich an einen sicheren Ort zurückziehen sollte, um von hier aus alle erforderlichen Einsätze zu leiten. Die kompliziertesten Fälle ließ er sich bringen, damit er sie selbst in die Hand nehmen und alles Erforderliche veranlassen konnte. In gewisser Beziehung hatte er somit die wichtigste Station des gesamten Hospitals übernommen. Da zur Zeit ohnehin niemand mehr Zeit fand, eine reguläre Mahlzeit einzunehmen, war die gesamte Einrichtung
dieses großen und weitläufigen Speisesaals verändert worden. In den vorhandenen Betten und anderen Vorrichtungen fanden die Patienten auch im schwerelosen Zustand die erforderliche Zuflucht. Sie fanden in jedem Fall die Gelegenheit, sich miteinander zu unterhalten. Conway hatte inzwischen ein Stadium der Müdigkeit erreicht, in dem er die vorhandene Erschöpfung gar nicht mehr spürte. Das laufende Einschlagen der Treffer feindlicher Geschosse war für ihn zu einer Art akustischem Hintergrund geworden. Er wußte nur zu gut, daß diese laufenden Geschosse bald nicht nur die Außen-, sondern auch die Innenwand des Gebäudes durchdringen mußten – dennoch zwang er sich, keine weitere Notiz von diesem Lärm zu nehmen. Beim Eintreffen neuer Verwundeter traf er alle erforderlichen Maßnahmen eines verantwortlichen Arztes, aber das geschah jetzt schon mehr oder weniger automatisch. Ihm fehlte vor allem Dingen jegliches Gefühl für die verstreichende Zeit. Er hatte sogar die Erinnerung an den letzten Fall eines verwundeten fremdartigen Wesens verloren, das er erst vor geraumer Zeit operiert hatte. Nun trafen die Verwundeten aus dem Zusammenstoß des Raumkreuzers Vespanian ein. Conway wußte allerdings nicht zu sagen, ob sich
dieser Zwischenfall vor drei Tagen oder gar vor drei Wochen ereignet hatte, und er wußte ebensowenig, um was für einen Zwischenfall es sich dabei handelte. Immerhin konnte er sich an den Kreuzer selbst erinnern. Mit geschickten Bewegungen öffnete er den demolierten Raumanzug von Major Stillman und schob die einzelnen Teile zur Seite, so daß er den Patienten ins Bett legen konnte. Major Stillman hatte zwei gebrochene Rippen, ein zerschmettertes Schlüsselbein und eine Druckverletzung, die im Augenblick seine Sicht verhinderte. Er rief ununterbrochen nach dem Kapitän des Kreuzers, bis endlich die Injektion ihre Wirkung tat. Colonel Williamsons Fragen galten in erster Linie seiner Mannschaft. Williamson steckte in einem Gipsverband, der seinen ganzen Körper umschloß – und er hatte sich auf Anhieb an Conway erinnert. Conway sagte sich, daß der Kapitän sich wahrscheinlich an jeden einzelnen Namen der Mitglieder seiner Mannschaft erinnern konnte. »Major Stillman liegt drei Betten weiter zu Ihrer rechten Seite«, sagte Conway. »Und die anderen Mitglieder Ihrer Mannschaft befinden sich ebenfalls ganz in der Nähe.« Williams Blick streifte die Patienten in seiner unmittelbaren Umgebung.
»Ein paar der Leute kenne ich überhaupt nicht«, murmelte er schwach. Conway verband die Gesichtsverletzungen des Colonels, die er sich beim Anprall gegen den Helm des Raumanzuges zugezogen hatte – und plötzlich konnte er ein breites Grinsen nicht unterdrücken. »Na, einige von Ihren Leuten werden Sie in dem augenblicklichen Zustand wohl auch kaum erkennen.« Plötzlich erinnerte er sich an den mit dem zweiten Schub eingetroffenen TRLH. Er war auf einer Bahre hereintransportiert worden, dessen Druckzelt so eingestellt war, daß es ihm die erforderlichen Lebensbedingungen vermittelte. Im strahlenden Licht der Operationslampe und durch den transparenten Raumanzug war der Grad der Verletzung unmittelbar zu erkennen: die Oberschale hatte sich in den Körper gebohrt und dabei einige Hauptarterien durchschnitten. Conway blieb keine Zeit zum Anlegen des erforderlichen physiologischen Bandes, denn dazu war der Blutverlust des Patienten bereits zu groß. Mit einer knappen Kopfbewegung gab Conway den Wärtern die Anweisung den Patienten in die Mitte des Raumes zu bringen, wo er wenigstens noch ein wenig Platz hatte. Dann streifte er seine dünnen Gummihandschuhe über, und er war sich bewußt,
daß ihm alle bei Bewußtsein befindlichen Patienten bei der Arbeit zuschauten. Mit neugierigen Blicken verfolgten sie jede einzelne seiner Bewegungen. Mit einer kurzen Bewegung drückte Conway seine Hände gegen die Außenseite des Druckzeltes. Das Material gab dem Druck sogleich nach, aber es verlor nichts von seiner Festigkeit. Mit außerordentlicher Vorsicht nahm Conway dem Wesen den Raumanzug ab und ersetzte ihn durch einen anderen, an dessen Innenseite alle erforderlichen Instrumente vorhanden waren und der den entsprechenden Druck enthielt. Durch diese Maßnahme ergaben sich für Conway die verschiedensten Möglichkeiten zu einer Operation. Auf diesem Gebiet hatte er bereits seine Erfahrungen mit den verschiedenartigsten Rassen gesammelt, und einige dieser Wesen lagen sogar in diesem Speisesaal, der jetzt zu einer Krankenstation ausgebaut worden war. Allerdings war die Anwendung solcher Maßnahmen bei einer Operation stets ein gewisses Risiko – aber was blieb ihm unter den gegebenen Umständen anderes übrig? Er hatte gerade die scharfen Schalenteile aus dem Körper entfernt, als der erneute Aufschlag einen feindlicher Granate den Boden unter seinen Füßen erbeben ließ.
Im nächsten Augenblick kamen Schwester Murchison und ein kelgianischer Militärarzt in den Raum gestürzt, um die Druckzelte der einzelnen Patienten zu regulieren, da die meisten Patienten selbst dazu nicht in der Lage waren. Der Druckverlust war nur gering und entstammte zweifellos einem kleineren Loch in der Außenwand, dessen Stahlplatte zertrümmert worden war. Immerhin konnte sich diese Druckveränderung auf Conways Patienten auswirken, obgleich er sofort mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln an die Arbeit gegangen war. Langsam begann das Druckzelt sich aufzublähen, und bei dem nun vorhandenen Gegendruck war es Conway unmöglich, die erforderlichen Handbewegungen durchzuführen. Es war, als stieße er mit seinen Händen gegen einen Felsblock. Der Druckunterschied zwischen der Station und der Innenseite des Raumanzugs war keineswegs beträchtlich, und dennoch konnte Conway in seiner Arbeit nicht fortfahren. Als die Bedingungen sich nach Ablauf einer halben Stunde verbesserten, hatte Conway sogleich einen weiteren Versuch unternommen, aber es stellte sich heraus, daß alles einfach zuviel für ihn gewesen und er stark überfordert war. Plötzlich verschwamm alles vor seinen Augen, und
eine schwere Schockwirkung wurde in ihm ausgelöst, als er merkte, daß er weinte. Als Arzt wußte er, daß es sich nicht um einen rein medizinischen Reflex handeln konnte; schließlich widersprach es allen Lebenserfahrungen, daß dem guten Onkel Doktor in Gegenwart eines Patienten Tränen in die Augen traten. Wahrscheinlich handelte es sich um eine reine Reaktion seiner überanstrengten Nerven, aber irgendwie erschütterte es ihn, daß er hier einen Patienten verlor, der aller Voraussicht nach hätte gerettet werden können. Als Conway dann den Ausdruck in den Mienen aller Patienten sah, die seine Arbeit mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt hatten, wurde er sehr verlegen. Alles schien jetzt in Bewegung zu geraten. Conway hielt die Augen geschlossen, und er wußte nicht, ob jetzt Sekunden oder Minuten verstrichen, denn er hatte jedes Gefühl für den Zeitablauf verloren. Endlich öffnete er die Augen wieder und schaute sich in dieser provisorischen Station um. Eine gewisse Anzahl der Patienten konnte sich frei bewegen, und sie waren wegen der vorhandenen Personalknappheit beauftragt worden, kleinere Aufgaben innerhalb der Station zu übernehmen und den schweren Fällen ein wenig zur Hand zu gehen.
Sie hielten sich jedoch stets in der Nähe ihrer eigenen Betten auf, um bei einem etwaigen Einschlag, der eine Druckveränderung bringen konnte, sofort in ihr Druckzelt schlüpfen zu können. Jetzt gingen sie von Bett zu Bett, um mit den anderen zu sprechen, und auch die Schwerverletzten unterhielten sich miteinander, soweit dies ihr Zustand zuließ. Conway mußte sich ständig der neu eintreffenden Verwundeten annehmen, und somit war er viel zu beschäftigt, um sich den Patienten widmen zu können, die bereits eine ganze Zeit in dieser Station lagen. Immer wieder glitt sein Blick zu Schwester Murchison und dem kelgianischen Arzt hinüber, die in der Nähe des Eingangs schliefen. Der Kelgianer hing unmittelbar neben der breiten Tür; er wirkte mit seiner fellartigen Haut wie ein großes Fragezeichen in der Luft; ab und zu waren von ihm die für einen schlafenden DBLF typischen Schnarchtöne zu hören. Schwester Murchison hing an einer etwa drei Meter langen Sicherheitsleine und sie drehte sich langsam um die eigene Achse. Es war wirklich rührend zu sehen, welche Lage ein Mensch beim Schlaf im schwerelosen Zustand einnahm, dachte Conway, während er die schlanke Gestalt des hübschen Mädchens betrachtete. Er hatte
selbst das dringende Bedürfnis nach Schlaf, und ihm fielen buchstäblich die Augen zu, aber er war jetzt der Arzt vom Dienst, und es würde noch eine Weile vergehen, bis er abgelöst wurde. Vielleicht dauerte es nur fünf Minuten, aber es konnten auch fünf Stunden sein – in jedem Fall würde es eine ganze Ewigkeit bedeuten, und er mußte danach trachten, die Zeitspanne durch irgendeine Tätigkeit auszufüllen. Ohne sich dessen eigentlich genau bewußt zu werden, schlug er den Weg zum nebenan gelegenen Vorratsraum des ehemaligen Speisesaals ein, in dem die hoffnungslosen Fälle untergebracht waren. Hier brauchte er nichts zu reden, denn hier hatte jedes Wort seinen Sinn verloren. Diesen sterbenden Wesen konnte er nur noch Trost spenden und in seinen Augen spiegelte sich unendliches Mitleid. Mit den fremdartigen Wesen hätte er sich ohnehin nicht verständigen können, und wenn sein Blick auf die blutverschmierten und zerschmetterten Gestalten der Melfaner, Tralthaner und der Angehörigen anderer Rassen fiel, dann konnte er nur hoffen, daß Prilicla sich mit seinen telepathischen Fähigkeiten mit diesen beklagenswerten Wesen ein letztes Mal in Verbindung setzte, um ihnen zu zeigen, daß es jemanden gab, der mit ihnen fühlte. Ganz allmählich kam ihm zu Bewußtsein, daß ihm alle leicht verwundeten Patienten aus dem Speisesaal
gefolgt waren, obwohl sie eigentlich in diesem Raum gar nichts verloren hatten. In ihrer Begleitung befanden sich sogar einige, die normalerweise im Bett liegen sollten. Langsam stellten sie sich in einem Halbkreis hinter ihm auf; auf ihren Gesichtern spiegelte sich nicht nur der Ausdruck eines tiefen Respekts für seine Person und Tätigkeit, sondern auch der einer grimmigen Entschlossenheit. Major Stillman schob sich ein wenig verlegen vor; in seiner unverletzten Hand lag ein Revolver. »Das Töten muß unbedingt ein Ende finden, Doktor«, sagte er ruhig. »Wir alle haben die Sache in allen Einzelheiten und ausführlich besprochen, und dabei sind wir zu diesem Entschluß gekommen. Das Töten muß ein Ende finden – und zwar auf der Stelle!« Er trat noch einen Schritt weiter vor und hielt Conway die Waffe entgegen. »Vielleicht brauchen Sie dieses Ding, um Dermod in Schach zu halten, während wir ihm mal klarmachen, was hier eigentlich vorgeht.« Unmittelbar hinter Major Stillman hing die bewegungslose Gestalt von Colonel Williamson, die an einer Leine befestigt war, deren Ende in der Hand eines anderen Patienten lag. Die beiden unterhielten sich in einer Sprache, die Conway fremd und dennoch irgendwie vertraut vorkam. Ehe er zu einer Erwiderung ansetzen konnte,
strömten die Patienten zur Tür hinaus, und erst jetzt konnte er abschätzen, wie viele es überhaupt waren – und plötzlich sah er auch, daß die meisten von ihnen bewaffnet waren. Diese Waffen hatten zur Ausrüstung ihrer Raumanzüge gehört und bei der ersten Behandlung hatte er sich natürlich nicht um derartige Probleme gekümmert. Conway sagte sich unwillkürlich, daß Flottenkommandeur Dermod mit seiner Nachlässigkeit in dieser Beziehung wahrscheinlich ganz und gar nicht einverstanden sein würde. Er folgte den Patienten durch den Speisesaal und zum Korridor, der zum Kommandoraum führte. Major Stillman redete den ganzen Weg über auf ihn ein, und er beschrieb ihm, wie es zu der gegenwärtigen Situation gekommen war. »Sie halten mich doch nicht etwa für einen Verräter, Doktor?« fragte er, als sie ihr Ziel fast erreicht hatten. Ein Chaos widerstreitender Gefühle und Empfindungen tobte in Conway. »Nein«, murmelte er, denn zu weiteren Ausführungen blieb ihm gar keine Zeit.
25 Conway kam sich irgendwie lächerlich vor, als er hier stand und den Revolver in seiner Hand auf den Flottenkommandeur gerichtet hielt, aber im Grunde genommen war ihm ja gar kein anderer Ausweg geblieben. Er war in den Kontrollraum gekommen, hatte sich einen Weg durch die von Offizieren besetzten Kontrolltische gebahnt, war vor Dermod stehengeblieben und hatte die Waffe auf ihn gerichtet, während die anderen Patienten in den Raum geströmt kamen. Er hatte weiterhin den Versuch unternommen, die ganze Situation zu erklären, aber es war bei dem Versuch geblieben. »Sie wollen mich also zwingen, daß wir uns ergeben, Doktor«, sagte Dermod resigniert, ohne einen Blick auf die Waffe in Conways Hand zu werfen. Er schaute auf die verwundeten Angehörigen des Korps, die noch immer in einer langen Schlange in den Raum drängten. Er sah irgendwie verletzt und enttäuscht aus, als hätte einer seiner Freunde etwas getan, dessen er sich schämen mußte. Conway setzte zu einer weiteren Erklärung an. »Wir wollen uns nicht ergeben, Sir«, erwiderte er, indem er auf den Mann deutete, der noch immer Colo-
nel Williamsons Leine in der Hand hielt. »Wir, ich meine, der Mann da drüben braucht ein Nachrichtengerät. Er möchte einen Waffenstillstand abschließen.« In seinem Übereifer, die ganze Situation zu erklären, stammelte Conway ein wenig, er begann damit, daß die Verwundeten zum Schluß in einem immer stärkeren Strom ins Hospital gekommen wären. Nach dem Zusammenstoß des Kreuzers Vespanian mit dem feindlichen Transportschiff sei es besonders schlimm geworden. Beide Schiffe wären schwer getroffen worden, und das knappe Personal des Hospitals hätte keine Zeit und Möglichkeit gefunden, die Verwundeten nach Freund und Feind zu trennen. Erst später, als die nur leichter Verwundeten die Möglichkeit fanden, sich innerhalb der Station frei zu bewegen und leichtere Aufgaben zu erfüllen, hätte es sich herausgestellt, daß annähernd die Hälfte der Verwundeten von der anderen Seite stammten. Seltsamerweise schien diese Tatsache den Patienten selbst wenig auszumachen, und das Personal war viel zu sehr beschäftigt, um sich darum kümmern zu können. Auf diese Weise halfen sich die Patienten gegenseitig, und sie übernahmen dabei auch die unangenehmen Pflichten, die nun mal in einer Krankenstation vorhanden waren – zumal bei der augenblicklichen Knappheit des Personals. Dabei kämen sie immer wieder miteinander ins Gespräch.
Diese Männer des Korps stammten von der Besatzung des Raumkreuzers Vespanian, und dieser Kreuzer hatte den Planeten Etla aufgesucht. Dabei hatten sich die Männer der Besatzung einige Kenntnisse der Sprache angeeignet, die auf dem Planeten Etla gesprochen wurde, und diese Sprache wiederum gehörte zu jener, die im ganzen Imperium verstanden wurde. Freund und Feind hatten sich also recht intensiv unterhalten, und nachdem das anfängliche Mißtrauen erst mal überwunden war, hatte es sich herausgestellt, daß das Transportschiff des Imperiums mit einer ganzen Reihe höhere Offiziere besetzt gewesen war. Einer dieser Offiziere war der dritte Kommandeur der feindlichen Streitkräfte, die um das Hospitalgebäude verteilt waren. »Und in der letzten Zeit ist unter meinen Patienten von nichts anderem als vom Frieden geredet worden«, schloß Conway atemlos. »Es mag sein, daß das alles vollkommen inoffiziell ist, aber meiner Meinung nach haben Colonel Williamson und der hier gegenwärtige Heraltmor genug Gewicht, um bindende Abmachungen treffen zu können.« Heraltmor, der Offizier des Imperiums, redete kurz und eindringlich auf Colonel Williamson ein, und er bediente sich dabei der Sprache des Planeten Etla. Dann drehte er die reglos in einem steifen Gipsverband ruhende Gestalt des Colonels ein wenig um, so
daß dieser dem Flottenkommandeur in die Augen blicken konnte. Heraltmors Blick war ebenfalls gespannt auf Dermod gerichtet. »Der Mann ist gewiß kein Dummkopf, Sir«, sagte Colonel Williamson mühsam. »Die Einschläge in diesem Gebäude und ein flüchtiger Blick auf unsere Kontrollschirme haben ihm die Hoffnungslosigkeit unserer Lage vor Augen geführt. Er sagte, seine Leute könnten bereits in diesem Augenblick eine Invasion durchführen, ohne daß wir zu irgendwelchen Gegenmaßnahmen in der Lage wären. Das stimmt, Sir, und wir beide wissen es wohl am besten. Er sagt weiterhin, sein Chef würde wohl in kurzer Zeit den Befehl zur Invasion geben und dennoch will er nur einen Waffenstillstand und keine Übergabe. Er will auch nicht, daß seine Seite gewinnt, Sir. Ihm liegt in erster Linie daran, daß dieser Kampf ein Ende findet. Er hat während der letzten Stunden allerlei über diesen Krieg und über uns erfahren, und das alles bedarf seiner Ansicht nach einer genauen Überprüfung.« »Nun, dann hat er eine ganze Menge gesagt«, knurrte Dermod gereizt. In seinem Gesicht spiegelte sich eine gewisse Unentschlossenheit, als würde er es nicht recht wagen, an eine aufdämmernde Hoffnung zu glauben. Er fuhr fort: »Und Ihre Leute haben ebenfalls viel gesprochen! Warum haben Sie mich von alledem nichts wissen lassen?«
»Es kommt nicht darauf an, was wir gesprochen haben«, entgegnete Major Stillman fest. »Nur das zählt, was wir getan haben! Zunächst wollten sie uns kein einziges Wort glauben. Aber dieses Gebäude war ganz und gar nicht das, was sie glaubten, darin vorzufinden. In ihren Augen war es jetzt ein Hospital und keine Folterkammer. Sie verhielten sich zunächst außerordentlich mißtrauisch und ließen sich nicht von dem äußeren Schein der Dinge beeinflussen, aber dann sahen sie, wie sowohl die irdischen als auch die fremdartigen Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger alles für die Patienten taten, was in ihren Kräften stand. Vor allen Dingen sahen sie ihn! Das Reden allein hätte wenig Wert – wenigstens am Anfang. Es kam darauf an, was wir taten, und wiederum vor allem, was er tat ...« Conway spürte das Blut in seine Wangen steigen, und er setzte zu einem spontanen Protest an. »Aber das war doch gar nichts anderes als das, was sich im ganzen Hospital und auf jeder einzelnen Station abspielte, und ...« »Halten Sie den Mund, Doktor«, sagte Major Stillman respektlos. Dann fuhr er fort: »Er schien überhaupt keinen Schlaf zu brauchen. Nach der dringendsten Behandlung wechselte er kaum ein Wort mit uns, aber die Patienten in der kleinen Nebenstation ließ er niemals außer acht, obwohl es lauter hoff-
nungslose Fälle waren. In zweien dieser Fälle gelang es ihm sogar, die betreffenden Patienten vor dem sicheren Tod zu retten, und er konnte sie nach einiger Zeit wieder in unseren Hauptraum bringen. Für ihn spielte es nicht die geringste Rolle, von welcher Seite der jeweilige Patient stammte – er schenkte ihnen allen seine ungeteilte Aufmerksamkeit.« »Stillman!« rief Conway scharf. »Sie dramatisieren die Dinge!« »Selbst dann waren unsere verwundeten Freunde von der anderen Seite noch nicht völlig überzeugt«, fuhr der Major fort, ohne von Conways Einwurf die geringste Notiz zu nehmen. »Aber dann kam der Fall mit dem TRLH – und damit war praktisch schon die Entscheidung gefallen. Die TRLHs sind Freiwillige einer mit dem Imperium verbündeten Rasse und da die Menschen des Imperiums im allgemeinen nicht viel von fremdartigen Rassen halten, vertraten sie die Ansicht, daß es bei uns kaum anders wäre, zumal es sich bei diesem fremdartigen Wesen ja auch noch um einen Feind handelte. Dennoch gab er sein Bestes für diese Wesen her, und als dann der plötzliche Druckverlust jede weitere Anstrengung unmöglich machte und die Operation nicht fortgesetzt werden konnte, so daß dieser betreffende Patient sterben mußte, da sahen sie seine Reaktion darauf.« »Stillman!« rief Conway wütend.
Der Major führte keine weiteren Einzelheiten an. Er schwieg jetzt und hielt den Blick gespannt auf Dermod gerichtet. Alle Blicke im Raum wandten sich jetzt dem Flottenkommandeur zu – nur Conway bildete eine Ausnahme, denn er schaute Heraltmor an. Der Offizier des Imperiums machte zu diesem Zeitpunkt nicht gerade einen besonders starken Eindruck, sagte sich Conway. Er sah aus wie ein gewöhnlicher, bereits an den Schläfen ergrauter Mann mittleren Alters, dessen Sorgenfalten sich tief in die Stirn gegraben hatten. In seiner weißen Hospitalkleidung konnte er natürlich nicht mit dem brillanten Aussehen von Dermods schmucker Uniform konkurrieren. Tiefe Stille herrschte jetzt im Raum, und Conway fragte sich unwillkürlich, ob sich die beiden Offiziere wohl mit einer militärischen Ehrenbezeigung oder nur durch einfaches Kopfnicken begrüßen würden. Sie übertrafen seine Erwartungen jedoch, denn sie tauschten einen Händedruck. Natürlich war ein gewisses gegenseitiges Mißtrauen unverkennbar, aber nach der gegenwärtigen Lage der Dinge war das nur zu verständlich. Zunächst glaubte der Kommandeur der Flotte des Imperiums, Heraltmor würde unter irgendeinem hypnotischen Einfluß stehen, aber als nach dem tat-
sächlichen Abschluß des Waffenstillstandes ein paar höhere Offiziere des Imperiums in das Hospital kamen, schmolz das Mißtrauen auf einen Schlag. Nunmehr lagen Conway in erster Linie jene Stationen am Herzen, deren Außenwände zertrümmert waren, wodurch der vorhandene Druck ständig entwich. Ihm selbst und dem gesamten Personal des Hospitals blieben noch zu viele Aufgaben, obwohl die nun eintreffenden Ärzte und Leute vom Imperium alles taten, um die Verhältnisse zu normalisieren. Während sich somit das medizinische Personal in erster Linie der Verwundeten annahm, trafen sich allmählich auch die zuvor evakuierten Kräfte des Hospitals wieder ein, und vor allem anderen wurden die Generatoren für die Übersetzungsanlage wieder in Betrieb gesetzt. Fünf Wochen und sechs Tage nach dem Waffenstillstand verließ die Raumflotte des Imperiums das Weltraumhospital. Dabei ließen sie ihre Verwundeten zurück, denn einerseits wußten sie jetzt, daß diese nirgendwo in der gesamten Galaxis eine bessere Behandlung bekommen konnten als hier, und andererseits mußten sie mit weiteren Kampfmaßnahmen rechnen. An einer der täglichen Besprechungen aller leitenden Persönlichkeiten des Weltraumhospitals nahm auch
Conway teil, denn noch immer war niemand eingetroffen, der seinen Platz hätte einnehmen können. Flottenkommandeur Dermod versuchte mit einfachen Worten die gegenwärtige Lage zu erklären. »Nachdem die Bevölkerung des Imperiums nunmehr die Wahrheit über die Angelegenheit auf dem Planeten Etla erfahren hat«, sagte er ernst, »ist die Regierung des ehemaligen Imperiums so gut wie ausgelöscht. Immerhin ist die gesamte Situation noch ein bißchen verworren, und somit bedarf es eines Beispiels unserer Stärke. Aus diesem Grund habe ich den Kommandeur der Flotte des Imperiums auch überredet, ein paar unserer kulturellen und soziologischen Errungenschaften mitzunehmen. Natürlich wollen wir den Imperator loswerden – aber nicht auf Kosten eines Krieges. In diesem Zusammenhang hat Heraltmor angeregt, daß Sie ihn begleiten sollten, Doktor Conway, und ich habe mich damit auch einverstanden erklärt ...« O'Mara stöhnte. »Außer der Errettung von vielen Menschenleben und auch dem Leben fremdartiger Rassen«, sagte der Chefpsychologe, »und außerdem der Verhinderung eines interstellaren Krieges auf weiter Ebene soll unser junger, Wunder vollbringende Doktor nun also auch noch ...« »Hören Sie endlich auf, ihm ständig auf die Zehen
zu treten, O'Mara«, entgegnete Dermod scharf. »All diese Dinge sind schließlich wahr, und wenn er sich nicht mit seiner ganzen Persönlichkeit eingesetzt hätte ...« »Alles nur Macht der Gewohnheit«, brummte Major O'Mara lakonisch. »Als erfahrener Psychologe betrachte ich es als meine Pflicht ...« In diesem Augenblick blitzte eines der Kontrollgeräte im Raum auf, die jetzt nicht mehr von Offizieren des Korps, sondern wieder von Nidianern bedient wurden. Der gesamte Schirm des Kontrollgerätes wurde von einem Kelgianer eingenommen. Offensichtlich handelte es sich um einen gerade eintreffenden, größeren Transport von Wesen der Klassifikationen FGLI und ELNT – abgesehen von den an Bord befindlichen achtzehn kelgianischen Ärzten des Begleitpersonals. In Anbetracht des noch immer unter den Kriegseinwirkungen leidenden Hospitals und der Tatsache, daß zur Zeit nur drei Luftschleusen zur Verfügung standen, erkundigte sich der Kapitän des Raumschiffes nach der besten Möglichkeit zum Anlegen. Außerdem sagte er, daß er gern ein paar Worte mit dem leitenden Arzt des Hospitals wechseln wolle, um auf die einzelnen Fälle einzugehen. »Thornnastor ist noch immer nicht auf den Beinen, und außerdem ...«, begann Conway.
Major O'Mara legte ihm die Hand auf den Arm. »Denken Sie an die sieben verschiedenen physiologischen Bänder, Doktor«, sagte er. »Über nebensächliche Kleinigkeiten wollen wir uns doch jetzt wirklich nicht unterhalten.« Conway musterte Major O'Mara mit einem langen, durchdringenden Blick; es war ein Blick, der mehr umfaßte, als sich dem Auge bot. Conway war im Grunde genommen kein Chefarzt, und er fühlte sich auch nicht als solcher. Was er in der vergangenen Zeit unternommen hatte, lag seiner Ansicht nach durchaus im Bereich der Möglichkeiten eines Arztes, ob er nun Chefarzt eines Hospitals war oder nicht. Conway war gewiß kein Chefdiagnostiker, und was er während der vergangenen Wochen vollbracht hatte, hätte seiner Ansicht nach jeder andere Arzt vollbringen können, der eine ähnliche Verantwortung übernahm. Dabei war er sich durchaus der Tatsache bewußt, daß alles nur eine Frage der Zeit war. Conway hatte einen fest umrissenen Weg vor sich – mochten alle anderen darüber denken, wie sie wollten, schließlich hatte er das Endziel vor Augen, und außerdem gab ihm der gerade eintreffende Transport des kelgianischen Raumschiffes die beste Möglichkeit, eine erforderliche Ausrede zu finden, um sich zurückziehen zu können. Letzten Endes standen ja
verschiedene Möglichkeiten zur Aufnahme der zu erwartenden Patienten zur Diskussion. Als Conway den Kontrollraum verließ, hörte er hinter seinem Rücken die Stimme von Major O'Mara. »Und ungeachtet der Tatsache, daß er vielen Milliarden von Wesen durch die Beendigung des Krieges das Leben gerettet hat, halte ich jede Wette, daß er auch noch das Mädchen seiner Herzenswahl kriegt!«