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Seewölfe 239 1
John Roscoe Craig 1.
Es war, als hätte der Teufel selbst seine Hand im Spiel. Im selben Augenblick, als Dan O’Flynns Ruf aus dem Fockmars schallte, daß sich das Schiff, dessen Masten er vor einer Stunde über der Kimm hatte auftauchen sehen, schnurstracks der Mündung des breiten Flusses näherte, indem sie vor Anker gegangen waren, drehte der Wind schlagartig und begann, das ablaufende Wasser zu peitschen. Ben Brighton trat unruhig von einem Bein aufs andere. Er sah, daß Pete Ballie im Ruderhaus auf seine Anweisungen wartete, genau wie die anderen unten in der Kuhl, die voller Spannung zum Achterdeck hinaufstarrten. Bens Blick glitt zwischen dem Ufer der breiten Flußmündung und Hasard hin und her. Der Seewolf stand am Backbordschanzkleid des Achterdecks neben der Drehbasse. Er ließ die Bresche des Trockenwaldes, in dem seine Männer vor mehr als eineinhalb Stunden verschwunden waren, um den Frischfleischvorrat der „Isabella VIII.“ aufzufüllen, nicht aus den Augen. Verdammt, warum ließen sich die Kerle so lange Zeit? Hasard drehte den Kopf und hob das Spektiv. Er kniff das linke Auge zusammen. Das Schiff, das sich der Insel näherte, war schon deutlich zu erkennen. Es war eine Karacke, die vor dem Wind mit Steuerbordhalsen segelte. Die Fock war teilweise abgedeckt. Es stand außer Zweifel, daß es sich um Piraten handelte, und Hasard wußte, was das bedeutete. Er fluchte leise auf den Wind, der sich so plötzlich gedreht hatte. Er war es, der die Piraten so schnell heranführte. Vom Kutscher, Matt Davies, Batuti, Blacky und Stenmark war immer noch nichts zu sehen. Ebenso wenig wie von den Zwillingen, die ihn, Hasard, so lange gelöchert hatten, bis er ihnen die Erlaubnis gegeben hatte, mit den fünf Männern an Land zu gehen. Hasard nahm das Spektiv vom Auge und drehte sich ruckartig zu Ben Brighton herum. Seine Stimme war leise, aber fest, als er sagte: „Los, Ben, raus hier! Wenn
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wir länger warten, schießen sie uns in aller Ruhe zusammen und setzen uns auf Grund.“ Ben Brighton reagierte sofort. Seine laute Stimme hallte über Deck und brachte die Männer in Bewegung. Der Anker wurde gelichtet, Carberry scheuchte die Männer in die Wanten, und nur wenig später waren beide Marssegel gesetzt, die sich knatternd mit Wind füllten. Die „Isabella“ drehte sich in der Strömung des ablaufenden Wassers, und mit Fahrt voraus trieb sie die Flußmündung hinunter. „Braßt die Großmarsrah back!“ brüllte Carberry, nachdem er Ben Brightons Zeichen gesehen hatte. Die Großmarsrah schwang herum, das Großmarssegel wurde vom immer mehr auffrischenden Wind gegen den Mast gedrückt, und die „Isabella“ trieb dwars weiter stromab. Ben Brighton ließ eine Minute später auch die Vormarsrah backbrassen, und mit Fahrt achteraus nahm die „Isabella“ den Bogen der Flußmündung, quer zwischen den Ufern stehend. Hasard wußte, daß er sich nicht um seine Mannschaft zu kümmern brauchte. Ben Brighton würde die „Isabella“ heil aus der Flußmündung manövrieren. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Al Conroy und Ferris Tucker schon dabei waren, das Schiff gefechtsbereit zu machen. Hasards Blick klebte an der Bresche, die in den dichten Wald führte. Noch immer war niemand zu sehen. Er hoffte inständig, daß dieses kleine Eiland von den Jungferninseln unbewohnt war, so daß die Männer und die Zwillinge nichts von kriegerischen Eingeborenen zu befürchten hatten. Wenn sie den Piraten aus dem Weg gegangen waren oder sie im Kampf bezwungen hatten, würden sie in die Flußmündung zurückkehren, um die Männer und die Zwillinge wieder an Bord zu nehmen. Er schaute nach oben, als das Knattern der Segel in seinen Ohren dröhnte. Ben Brighton hatte die Rahen lebendbrassen lassen. Die „Isabella“ verlor an Fahrt und trieb mit dem Strom.
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„Braßt die Vormarsrah!“ brüllte Carberry. Das Vormarssegel füllte sich und zog die „Isabella“ voraus. Nach dem Brassen der Großmarsrah vermehrte sich die Fahrt. Nachdem Ben Brighton das Schiff hatte abfallen lassen, weitere Segel gesetzt hatte und die Rahen am Wind getrimmt wurden, waren sie klar von der Flußmündung und liefen mit Steuerbordhalsen unter Vollzeug seewärts. Ben Brighton trat neben Hasard ans Schanzkleid und blickte der Karacke entgegen, die keinen Zweifel daran ließ, welche Absichten ihr Kapitän hatte. Eine schwarze Flagge mit einem hellen Punkt in der Mitte flatterte am Topp. Sowohl Hasard als auch Ben Brighton konnten schon bald mit bloßem Auge erkennen, daß der weiße Fleck nichts anderes als ein Totenkopf war. Hasard sah an Ben Brightons bedenklichem Gesichtsausdruck, daß er die Situation für genauso kritisch hielt wie er selbst. Die Piraten hatten alle Vorteile auf ihrer Hand. Sie hatten die Luvseite, und wenn ihr Kapitän nicht ein ausgemachter Trottel war, sah es schlecht aus um die „Isabella“. Hasard preßte die Lippen aufeinander. Er war sich bewußt, daß es sein Fehler war, wenn sie hier von Piraten zusammengeschossen wurden. Er hatte mit seiner Entscheidung, aus der Flußmündung auszulaufen, zu lange gezögert. Die „Isabella“ nahm langsam mehr Fahrt auf, aber es war fraglich, ob sie weit genug vom Land klarkam, um weiträumig manövrieren zu können. Der Pirat ging härter an den Wind. Wie ein Pfeil schoß die Karacke auf die „Isabella“ zu und schob eine weiße, gischtende Bugwelle vor sich her. „Schiff ist klar zum Gefecht!“ Ferris Tuckers dröhnende Stimme brachte Hasard in die Wirklichkeit zurück. Auf einmal dachte er nicht mehr an die Zwillinge, die er auf der kleinen Jungferninsel hatte zurücklassen müssen. Der alte Kampfgeist erwachte in ihm. Waren es nicht diese aussichtslos erscheinenden Situationen, die
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ein Mann brauchte, um sich immer wieder beweisen zu können? Seine Stimme war klar und fest, als er seine Befehle gab. Sie alle wußten, was ihnen bevorstand. Sie hatten schon immer unter der geringen Anzahl der Mannschaft gelitten, und nun fehlten ihnen obendrein noch fünf Männer, die sonst das Schiff fast allein manövrieren konnten. „Ferris und Al“, rief er hinunter zur Kuhl, „konzentriert euch auf je zwei Culverinen an Steuerbord und Backbord! Smoky und Sam unterstützen euch! Alle anderen braucht Ben!“ Er warf einen kurzen Blick zur Karacke hinüber, aber die hatte, wie nicht anders erwartet, den Kurs auf die „Isabella“ beibehalten. „Wir werden im letzten Augenblick halsen“, sagte er zu Ben Brighton, der den Mund zu einer Erwiderung öffnete. Hasard ließ ihn gar nicht erst reden. „Fahr sie, so eng es geht.“ „Aye, aye“, erwiderte Ben trocken, „aber sie werden uns in den Grund bohren, bevor Ferris auch nur eine Culverine abgefeuert hat.“ „Das ist Ferris’ Sache“, sagte Hasard kalt. Sie konnten schon einzelne Männer an Bord der Karacke erkennen. Hasard sah, wie sie sich schon darauf vorbereiteten, die „Isabella“ zu entern. Entermesser und Säbelklingen blitzten in den Strahlen der Sonne, die sich noch einmal einen Weg zwischen zwei dunklen Wolkengebilden gesucht hatte. Hasard gab Ben Brighton ein Zeichen, dann lief er zur Balustrade des Achterdecks und schwang sich mit einem Satz zur Kuhl hinunter. Federnd landete er auf den Planken und war mit wenigen Schritten bei Ferris Tucker, der die beiden Culverinen auf der Backbordseite mit Sam Roskill bedienen sollte. Hasard schickte Roskill zur Steuerbordseite. „Lade vier Culverinen, Al!“ rief er hinüber. „Feuere aber nur zwei ab, wenn es Ben gelingen sollte, die Luvposition zu gewinnen!“ Sie wußten alle, daß es unmöglich war, aber Hasard Wollte alle Eventualitäten in
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seine Berechnungen einbeziehen. Zusammen mit Ferris Tucker bereitete er auch zwei weitere Culverinen auf der Backbordseite zum Feuern vor. „Es muß blitzschnell gehen“, stieß er hervor. „Nimm ganz kurze Lunten. Der Pirat wird wie ein Seevogel an uns vorbeifliegen. Wir müssen feuern, wenn er uns noch nicht ganz erreicht hat. Ich zuerst, dann du, klar?“ „Aye, aye.“ Ferris Tucker tat, als sei das nahende Gefecht eine alltägliche Angelegenheit, aber Hasard wußte, daß der Schiffszimmermann genauso angespannt war wie er selbst. Der Pirat war fast schon auf Musketenschußweite heran. Hasard hob die Hand, und keine Sekunde später schallten Ben Brightons Befehle über Deck. „Klar zum Halsen!“ Jeff Bowie und Sam Roskill bargen den Besan, Pete Ballie im Ruderhaus wirbelte das Rad nach Backbord, und Carberry ließ die Großrahen vierkant brassen. Die „Isabella“ fiel sofort ab und lief plötzlich vor dem Wind. Aber bevor sie Fahrt aufnehmen konnte, befahl Carberry, die Vorrahen anzubrassen und kurz hinterher die Großrahen. Jeff Bowie und Sam Roskill setzten den Besan schon, bevor Carberry seinen Befehl gebrüllt hatte. Die „Isabella“ lag jetzt mit Backbordhalsen hart am Wind. Hasard hätte Ben Brighton am liebsten beglückwünscht. Für einen Moment glaubte er, daß sie die Piraten übertölpelt hätten, doch dann sah er, daß der Kapitän auf der Karacke im letzten Moment reagierte und noch härter an den Wind ging, um die Luvposition nicht zu verlieren. Sie konnten es nicht schaffen. Wie ein Albatros jagte die Karacke auf sie zu. Fast schien es, als wolle sie die „Isabella“ mit ihrem Bugspriet aufspießen. „Tief halten!“ brüllte Hasard Ferris Tucker zu, obwohl er wußte, daß Ferris wahrscheinlich besser mit der Culverine umgehen würde als er. Er jagte den Richtkeil zwischen Geschütz und Stellbock mit ein paar Schlägen tiefer, und die
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Mündung der Culverine neigte sich. Das Gebrüll der Piraten drang an seine Ohren. Er wartete noch, bis der Bugspriet der Karacke fast auf gleicher Höhe mit dem Bugspriet der „Isabella“ war, dann hielt er die Pechfackel an die kurze Lunte der Culverine. Er sah, wie weiße Rauchwolken an Steuerbord der Karacke aufwölkten, und für einen kurzen Moment glaubte er, daß es diesmal nicht gut gehen könne; dann brüllte seine Culverine auf, schoß polternd auf den hölzernen Lafettenrädern zurück und wurde von ächzenden Brooktauen aufgefangen. Nur einen Sekundenbruchteil später jagte Ferris Tuckers Culverine ihre Kugel den Piraten entgegen. Hasard wollte jubeln, als er sah, wie der Großmast und wenig später der Besan der Karacke wie ein Kienspan knickte, aber da ließ ein dumpfer, mächtiger Schlag die „Isabella“ erzittern. Die Piraten hatten mindestens ein Dutzend Kanonen abgefeuert, aber an den Fontänen, die zwischen beiden Schiffen aufgestiegen waren, hatte Hasard gesehen, daß sie fast alle zu kurz gelegen hatten. Eine von ihnen hatte jedoch offensichtlich den Rumpf der „Isabella“ getroffen. Hasard jagte Ferris Tucker los, er selbst lief zum Achterdeck, nahm den schmalen Niedergang hinauf und starrte zur Karacke hinüber, die voll aus dem Ruder gelaufen war. Der Großmast war aufs Deck geschmettert. Die Piraten waren damit beschäftigt, Wanten, Stage und Taue zu kappen. Es herrschte Zustand, das war sogar auf diese Entfernung zu erkennen. Ben Brighton schaute Hasard fragend an. Hasard wußte, was Ben wollte. Sicher, die Gelegenheit, den Piraten den Rest zu verpassen, war günstig, aber erst mußte er wissen, wie schwer der eigene Schaden war. Ferris Tuckers Gesicht war bedenklich verzogen, als er auf dem Achterdeck erschien. „Ich kann das Leck nicht während der Fahrt abdichten“, sagte er zerknirscht. „Wir müssen so schnell wie möglich an Land, wenn wir nicht absaufen wollen.“
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Hasard verlor ein wenig Farbe aus dem Gesicht. Er wußte, was das bedeutete. Sie konnten die kleine Insel, auf der sie fünf Männer und die Zwillinge hatten zurücklassen müssen, nicht anlaufen. Wahrscheinlich würden die Piraten mit ihrer Karacke dort vor Anker gehen, um ihren Schaden in der Takelage auszubessern. Hasard hatte die Mannschaftsstärke der Karacke nur grob überschlagen, aber er war davon überzeugt, daß sie über hundert betrug. Gegen hundert Piraten konnten sie nicht kämpfen. Das würde ihrer aller Tod bedeuten. Hasard gab Befehl, Kurs auf die größere Insel zu nehmen, die sie am vorigen Tag passiert hatten. Dort würde es wahrscheinlich Eingeborene geben, aber auch verschwiegene Buchten, in denen sie das Leck der „Isabella“ ausbessern und die sie gut gegen alle Angriffe von Land aus verteidigen konnten. Hasard sah an Ben Brightons Gesicht, daß auch dieser an die Männer und die Zwillinge dachte. Sie konnten nur hoffen, daß Matt Davies, der Kutscher, Stenmark; Blacky und Batuti klug genug waren, sich vor den Piraten zu verbergen. Hasard konnte sich eines unguten Gefühles trotzdem nicht erwehren. Er schalt sich einen Narren, weil er wieder einmal den beiden Quälgeistern nachgegeben hatte. Er kannte seine beiden Söhne zur Genüge. Wenn die Männer die Geduld auf brachten, sich ein paar Tage vor den Piraten zu verbergen, Hasard und Philip würden vor Neugierde fast platzen. Der Seewolf hoffte nur, daß Matt Davies und die anderen Manns genug waren, die beiden Bengel im Zaum zu halten. „Wie lange wirst du brauchen, das Leck abzudichten?“ fragte Hasard den Schiffszimmermann. Ferris Tucker druckste ein wenig herum. „Mindestens drei Tage“, murmelte er. „Also eineinhalb“, erwiderte Hasard. Er wandte sich an Ben Brighton. „Nimm Kurs auf Anegada“, sagte er. „Ich möchte die Insel möglichst erreicht haben, bevor wir abgesoffen sind.“
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„Aye, aye“, sagte Ben Brighton und dachte still bei sich: Da bist du nicht der einzige, der sich das wünscht, Sir. 2. Sie brüllten sich die Seele aus dem Leib, aber die Entfernung von der kleinen Lichtung auf der Anhöhe, von der sie zum Fluß hinunterblicken konnten, bis zum Schiff war zu groß. Matt Davies und die anderen konnten es nicht begreifen, was sie sahen, bis der Kutscher auf die See deutete und sagte: „Deshalb also.“ Jetzt sahen auch die anderen die schnelle Karacke, die vierkant vor dem Wind segelte, genau auf die Flußmündung zu, in der die „Isabella“ Anker geworfen hatte. Sie wußten plötzlich, daß dem Seewolf keine andere Wahl geblieben war, als ankerauf zu gehen und die See zu gewinnen, wenn er nicht ein Opfer von beutehungrigen Piraten werden wollte, von denen es zwischen den Inseln über dem Winde zur Zeit nur so zu wimmeln schien. „Sie werden die Hunde zu den Fischen schicken und zurückkehren, um uns zu holen“, sagte Blacky grimmig. „Laßt uns schon mal zum Fluß runtermarschieren, damit wir rechtzeitig beim Boot sind, wenn die ‚Isabella’ wieder auftaucht.“ Die anderen nickten. Der Kutscher, der den Zwilling Hasard am Schlafittchen hielt und immer noch zur „Isabella“ hinunterschaute, wie sie den Fluß hinunter trieb und schließlich mit Steuerbordhalsen seewärts lief, schüttelte den Kopf. „Vom Ufer aus können wir nicht sehen, was die Piraten vorhaben“, sagte er. „Wir bleiben hier oben und warten ab, was passiert.“ „Seit wann hast du zu bestimmen, was geschieht?“ Blacky war rot angelaufen vor Zorn. Er konnte es von anderen schon schlecht vertragen, wenn seine Vorschläge nicht akzeptiert wurden, vom Kutscher aber ganz und gar nicht. „Hier gibt’s weder einen Kapitän noch einen Bootsmann oder einen Profos“,
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erwiderte der Kutscher mit erhobenem Kopf. „Also hat der zu bestimmen, der am meisten Grips im Kopf hat.“ „Dann bestimme ich“, sagte Hasard junior und versuchte, sich mit einer geschickten Körperdrehung aus dem Griff des Kutschers zu befreien. Der Stoff seines Kalikohemdes knirschte, hielt aber dem festen Griff des Kutschers stand. „Du hältst die Klappe, du kleiner Stint“, sagte Blacky. Er starrte den Kutscher wütend an. „Ich ...“ Der Schwede Stenmark unterbrach ihn. Seine Hand wies hinaus auf See. „Sie wollen die ‚Isabella’ angreifen“, stieß er hervor. „Mann, seht ihr, wie viele Kerle an Bord der Karacke sind? Das sind mehr als hundert Piraten! Wenn die die ‚Isabella’ entern, dann gute Nacht.“ Selbst Blacky vergaß seinen Streit mit dem Kutscher. Gebannt starrte er mit den anderen auf die See hinaus, wo sich für ihr Schiff eine Katastrophe anzubahnen schien. Der Kutscher hatte Hasard losgelassen, der sich sofort mit ein paar Schritten in Sicherheit brachte, dann aber neben seinem Bruder stehenblieb und wie die anderen gespannt das Geschehen beobachtete. Batuti, der große, breitschultrige Neger aus Gambia, stöhnte auf, als er sah, wie die „Isabella“ zu halsen begann und plötzlich auf die Karacke der Piraten zuhielt. Keiner der Männer sagte ein Wort. Sie wußten, daß die Entscheidung dicht bevorstand. Sie alle glaubten daran, daß der Seewolf wie immer ein Loch finden würde, durch das er noch schlüpfen konnte, aber diesmal sah es verdammt trübe aus. Der Kanonendonner hallte über das Meer und erreichte die Ohren der Männer erst, nachdem sie gesehen hatten, wie die Kugeln, die von der „Isabella“ abgefeuert worden waren, in die Takelage der Karacke einschlugen und den Großmast und Besanmast knickten. Die Männer auf der Lichtung begannen vor Begeisterung zu brüllen. Sie hieben sich auf die Schultern, als die Karacke aus dem
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Ruder lief und manövrierunfähig in der aufgewühlten See lag. „Dad hat’s geschafft!“ rief Philip mit heller Stimme. „Jetzt wird er sie zur Hölle schicken!“ Er hatte ausgesprochen, was alle dachten. Doch die „Isabella“ wendete nicht. Sie lief ihren Kurs, den sie nach der Halse eingeschlagen hatte, unbeirrt weiter. „Verfluchtes Scheiße!“ sagte Batuti inbrünstig. „Die Piraten haben geschossen Loch in ,Isabella`!“. Jetzt sahen es auch die anderen. Die Krängung der Galeone konnte nicht nur daher rühren, daß sie hart am Wind lief. Eine oder mehrere Kugeln, die von der Karacke aus abgefeuert worden waren, mußten den Rumpf der „Isabella“ getroffen haben. Nur so war es zu erklären, daß der Seewolf abdrehte. Wenn sein Schiff voll Wasser lief, war es bald manövrierunfähiger als die Karacke, wenn die Piraten sich von den abgeknickten Masten befreit hatten. „Und wir?“ fragte Philip. „Sie können uns doch nicht einfach hier zurücklassen!“ „Das hat uns noch gefehlt“, murmelte Matt Davies und wies mit seinem Haken an der rechten Hand zur Karacke hinunter, die vom Wind genau auf die Flußmündung zugetrieben wurde, in der vor einer halben Stunde noch die „Isabella“ vor Anker gelegen hatte. „Wenn die hier vor Anker gehen, reißen wir uns das Schiff unter den Nagel und segeln. hinter Dad her“, sagte Hasard grimmig. Die Männer starrten ihn wütend an. Nur Batuti fragte grinsend: „Willst du ganz allein entern, oder soll Batuti dir helfen?“ „Pfff“, äußerte sich Hasard, als er die grimmigen Gesichter vom Kutscher, Stenmark, Matt Davies und Blacky sah. „Und ihr wollt Männer sein.“ Der Kutscher war mit einem Satz wieder bei ihm, und ehe Hasard sich bücken konnte, hatte die Faust des Kochs ihn wieder am Wickel. Er versuchte, sich aus dem Griff des Kutschers herauszuwinden, kassierte dafür aber eine Ohrfeige, die ihn ruhig werden ließ.
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„Jetzt hör mal zu,. mein Junge“, sagte der Kutscher mit einer scharfen Stimme, die auch die anderen aufhorchen ließ. „Bis jetzt war für dich alles nur Spaß. Daß du vorhin durch deine vorlaute Klappe das Bergschaf verscheucht hast, das unseren Speisezettel mal wieder ein bißchen abwechslungsreicher hätte aussehen lassen, habe ich noch hingenommen, aber hier und jetzt ist Schluß mit deinen Mätzchen, verstanden? Jetzt geht es um mehr, Freundchen. Du hast gesehen, daß die anderen uns nicht mehr an Bord nehmen konnten. Dein Vater erwartet von uns, daß wir noch am Leben. sind, wenn er zurückkehrt, um uns hier abzuholen. Wenn die Piraten hier an Land gehen,, werden sie mindestens zwei Tage bleiben, um ihre beiden Masten wieder in Ordnung zu bringen. Das heißt, sie werden die Insel durchstreifen. Wenn sie uns sehen, werden sie uns gefangen nehmen, und wenn sie kapieren, daß wir zur ,Isabella` gehören, was wohl nicht schwer zu merken ist, werden sie uns die Hälse durchschneiden, bevor wir einen Ton über die Lippen bringen. Ab sofort haltet ihr beide die Klappe, verstanden? Jetzt reden nur noch die Erwachsenen. Jedesmal, wenn du deine Luke aufreißt, fängst du eine, Hasard, ist das klar?“ In jeder anderen Situation hätte Hasard die richtige Antwort auf so viele Belehrungen gewußt, aber er spürte, daß es dem Kutscher und auch den anderen Männern ernst war. Wahrscheinlich meinten sie alle, sie müßten auf ihn und Philip aufpassen. Verdammt, wann würden die Kerle endlich begreifen, daß sie keine Kinder mehr waren? * Ausgepumpt und keuchend lagen sie in Deckung und starrten auf die Karacke, die nur noch die Fock gesetzt hatte und vom .stürmischen Wind in die Flußmündung gedrückt wurde. Sie hatten es gerade noch geschafft, das Boot stromaufwärts zu schleppen und zu pullen und es zwischen dichten Büschen zu
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verstecken, nachdem sie es über das sandige Flußufer gezerrt hatten. Es war ihnen nur unvollständig gelungen, die Spuren im Sand zu verwischen. Sie .konnten nur hoffen, daß die bald eintretende Flut das Ufer überspülte und alle Zeichen auslöschte, die den Piraten verraten konnten, daß sich jemand auf der Insel aufhielt. Von ihrem Versteck aus konnten sie deutlich die finsteren Burschen an Bord der Karacke erkennen. Es mußten tatsächlich über hundert Mann sein. Auch der kleine Hasard war ein bißchen blaß um die Nase geworden. Er sah ein, daß gegen diese Übermacht selbst Tollkühnheit und Mut nichts ausrichten konnten. Laute Stimmen wehten zu ihnen herüber. Auf dem Achterdeck der Karacke stand ein Mann, der alle anderen überragte. Sein Haar hatte er mit einem roten Kopftuch zusammengehalten, das im Nacken verknotet war. Sein Oberkörper war bloß. Nur ein Bandelier, in dem mehrere Messer und eine Pistole hingen, schlang sich von der rechten Schulter zur linken Hüfte um den Brustkasten. Dicke Muskelstränge spielten unter der bronzefarbenen Haut. Er fuchtelte mit der rechten Hand herum, in der er einen Krummsäbel hielt, und brüllte seine Männer an, die sich in der Kuhl darum bemühten, das Deck aufzuklaren. „Wie redet der denn?“ fragte Hasard den neben ihm liegenden Matt Davies leise. „Das ist ein Schneckenfresser“, erwiderte Matt Davies grollend. „Das hat uns gerade noch gefehlt. Mit den Kerlen ist nicht gut Kirschen essen.“ „Warum nicht?“ fragte Philip, der auf der anderen Seite von Matt Davies lag. „Die meisten von ihnen mögen uns Engländer nicht“, sagte Matt. „Sie haben uns den Hundertjährigen Krieg noch nicht vergessen.“ „Mann, hundert Jahre?“ Hasard pfiff durch die Zähne. „Bist du auch noch dabei gewesen?“ „Nee, der ist schon über hundert Jahre aus“, sagte Matt.
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„Meinst du, daß das Bukaniere von Espanola sind, von denen Dad uns erzählte?“ fragte Hasard. Matt schüttelte den Kopf. „Die Bukaniere jagen die wilden Rinder und Schweine auf Espanola“, erwiderte er. „Aber es können Flibustier sein, die wildesten unter den Korsaren und Piraten. Es heißt, daß sie eines Tages ganz Westindien beherrschen und die Spanier zum Teufel jagen werden.“ „Erzähl den Bengels nicht so ‘n Quatsch“, sagte Blacky. „Sie können den Dons vielleicht mal die eine oder andere Galeone abknöpfen oder mal eine Siedlung überfallen, aber gegen die großen Flotten müssen sie den Schwanz einkneifen.“ „Still!“ zischte der Kutscher. Die anderen hatten es ebenfalls gesehen. Der Anker der Karacke schlug platschend aufs Wasser und versank. Gleichzeitig wurde an Steuerbord ein Boot zu Wasser gelassen, und eine Gruppe von wild aussehenden Piraten pullte wenig später ans Ufer. Wahrscheinlich sollten sie die Umgebung absuchen, damit sie vor unliebsamen Überraschungen sicher waren. „Hoffentlich gehen sie nicht am Ufer entlang flußaufwärts“, flüsterte der Kutscher. Es war, als hätten die Piraten die Worte gehört. Ein halbes Dutzend von ihnen stampfte durch den Ufersand auf die Stelle zu, an der sie ihr Boot in die Büsche gezogen hatten. Die anderen Piraten verschwanden in der Bresche des Trockenwaldes, durch die auch Matt Davies und die anderen auf der Suche nach etwas Eßbarem die Erkundung der Insel in Angriff genommen hatten. „Wenn sie unser Boot finden, sind wir geliefert“, sagte Blacky grimmig. „Sie werden die Insel durchkämmen, und ich hab bisher keinen Ort gesehen, an dem wir uns vor ihnen verstecken könnten.“ Niemand gab ihm darauf eine Antwort. Sie starrten den Piraten entgegen, die sich immer weiter der Stelle näherten, an der die Schleifspuren des Bootes noch zu erkennen waren. Die Flut ließ den Fluß zwar schon wieder ansteigen, aber noch
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lange nicht genug, um die verräterischen Spuren zu löschen. „Wir müssen was unternehmen!“ stieß Stenmark hervor. Der Kutscher richtete sich plötzlich auf. „Los!“ sagte er hastig. „Wir laufen ihnen entgegen. Wir dürfen nicht warten, bis sie anfangen, nach uns zu suchen. Wir müssen uns freiwillig zeigen!“ „Bist du verrückt?“ Blacky packte die Schulter des Kutschers und wollte ihn wieder zu Boden zerren. Aber der Kutscher befreite sich von dem harten Griff. „Ich hab eine Idee“, sagte er. „Ich glaube, es müßte hinhauen.“ „Und wenn nicht, werden wir in ein paar Stunden von den Aasvögeln gefressen, wie?“ knurrte Blacky. „Verdammt, sie haben gleich die Spuren erreicht!“ Die Stimme des Kutschers überschlug sich fast vor Erregung. Er nahm jetzt keine Rücksicht mehr auf die anderen. Mit ein paar schnellen Schritten hatte er die Deckung der Uferbüsche verlassen und trat aufs freie Ufer hinaus. Die Piraten, die nur noch fünfzig Yards von den Schleifspuren entfernt waren, blieben abrupt stehen und griffen nach ihren Waffen. Sie starrten dem Kutscher entgegen, als sei er ein Geist. Sie mußten wohl erst ihre Überraschung überwinden, daß sich auf dieser Insel Menschen aufhielten. Matt Davies hatte inzwischen begriffen, welchen Plan der Kutscher ausgeheckt hatte. Er scheuchte die beiden Jungen hoch und sagte zischend zu den anderen: „Hinterher, Jungs! Der Kutscher hat recht. Wenn wir uns ihnen freiwillig zeigen, können wir ihnen eine Geschichte erzählen, die sie uns glauben.“ Sie liefen hinter dem Kutscher her, und Matt schärfte Blacky, Stenmark und Batuti ein, die Hände von den Waffen zu lassen. Der Kutscher kümmerte sich nicht um die ihm entgegen gestreckten Entermesser und Säbel. Sein Gesicht war ein einziges Strahlen. „Willkommen, Freunde!“ rief er begeistert. „Wir hätten nie daran geglaubt, daß wir
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von dieser verdammten Insel so schnell wieder befreit würden!“ ,Assez!“ brüllte einer der Piraten und wollte sich mit blitzender Klinge auf den Kutscher werfen. Einer seiner Kumpane hielt ihn am Arm zurück. Er sagte etwas zu ihm, dass der Kutscher nicht verstand. „Bist du Engländer?“ fragte er dann, und an seiner gedehnten Sprechweise und dem rollenden R hörte der Kutscher, daß der Mann ein Schotte war. Der Kutscher atmete auf. Wenigstens war einer unter den Piraten, der ihre Sprache sprach und mit dem sie sich verständigen konnten. „Ich und zwei weitere meiner Kameraden sind Engländer“, sagte er. „Einer ist Schwede und der letzte ein Schwarzer aus Gambia.“ Der Schotte starrte am Kutscher vorbei auf die restlichen Männer, die sich den Piraten zögernd näherten. „Kinder habt ihr auch dabei?“ fragte er verwundert. „Es sind meine Söhne“, sagte der Kutscher ein bißchen zu hastig. „Zwillinge. Ihre Namen sind Hasard und Philip.“ Der Franzose, ein schmächtiger Mann mit einem Sichelbart und einem Zinken im Gesicht, der bestimmt die Hälfte des ganzen Kopfes wog, redete zornig auf den Schotten ein, aber der winkte nur ab. „Wir wollen wissen, was ihr hier auf der Insel zu suchen habt“, sagte er. „Habt ihr was mit der verdammten Galeone zu tun, die uns die Masten weggeschossen hat?“ „Wir hatten“, erwiderte der Kutscher. „Der Kapitän dieser Teufelsgaleone ist der übelste Leuteschinder und Betrüger, unter dem wir je gefahren sind. Er wollte uns hier an Land bei lebendigem Leib rösten, weil wir unseren gerechten Anteil an einer Beute gefordert hatten. Zum Glück tauchtet ihr auf, und Bloody James mußte ankerauf gehen. Aber er wollte zurückkehren, um seine Strafe an uns zu vollziehen, wenn er euch auf den Grund des Meeres geschickt hätte.“ Der Schotte begann zu grinsen. „Dann sind wir also eure Lebensretter, wie?“ Er
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wandte sich an den kleinen Franzosen, dessen schwarze Augen rollten, als würde er sich von niemandem davon abhalten lassen, mindestens einen der Engländer zu massakrieren. Sie sprachen eine Weile miteinander, und der Kutscher hörte ein paarmal den Namen „Bloody James“. Anscheinend kannten sie ihn nicht. Was Wunder, dachte der Kutscher. „Sind sonst noch Menschen auf der Insel?“ fragte der Schotte. Der Kutscher zuckte mit den Schultern. „Wir haben noch nicht viel Zeit gehabt, uns umzusehen“, sagte er. „Aber Bloody James kannte die Insel und sagte, sie sei unbewohnt.“ „Wer ist dieser ,Bloody James`?“ fragte der Schotte. „Wir haben noch nie von ihm gehört.“ „Sei froh“, antwortete der Kutscher, „das ist der übelste Höllenhund, unter dem ich je gefahren bin. Es heißt, daß er nach jeder erfolgreichen Beute die Hälfte seiner Mannschaft umbringt, damit sein Anteil größer wird.“ Der Schotte starrte den Kutscher mit schiefgelegtem Kopf mißtrauisch an. So ganz schien er die Geschichte von Bloody James nicht zu glauben. Der kleine Franzose mit dem riesigen Riechkolben redete wieder auf ihn ein und vollführte mit seinem Entermesser die Bewegung des Halsabschneidens. „Euer Freund mit dem niedlichen Gesichtserker würde sehr gut in die Crew von Bloody James passen“, sagte der Kutscher zum Schotten, dessen Gesicht sich zu einem Grinsen verzog. „Ich kann den Kerl auf den Tod nicht ausstehen“, sagte er, ohne die Stimme zu senken. „Beim nächsten Gefecht werde ich ihm eine Kugel in den Rücken verpassen, das habe ich mir fest vorgenommen.“ Er grinste den kleinen Franzosen an, als hätte er ihm ein Kompliment gesagt. Die anderen Piraten schienen tatsächlich kein Wort Englisch zu verstehen. Sie grinsten zurück. Nur der kleine Franzose drehte wütend ab und marschierte zur Karacke zurück.
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Matt Davies atmete auf. Er tauschte einen kurzen Blick mit Stenmark und Blacky. Sie wußten, was sie nun erwartete. Der Schotte würde sie mit aufs Piratenschiff nehmen, und der Kapitän der Karacke würde entscheiden, ob sie an einer Rah aufgebaumelt oder in die Crew aufgenommen wurden. 3. Wenn die grimmig blickenden Gesichter der wilden Gestalten an Bord der Karacke es noch nicht getan hatten, so verriet ihnen der Name des Schiffes, den der Kutscher am Heckspiegel entzifferte, deutlich, was sie erwartete. „L’Executeur“, stand dort in großen, verschnörkelten Buchstaben. „Das heißt ,Der. Henker“, sagte Hasard zu seinem Bruder. „Woher weißt du das?“ fragte Philip zurück. „Hast du die Galionsfigur nicht gesehen?“ flüsterte Hasard. Seine Augen funkelten vor Abenteuerlust. „Ein Mann mit einer roten Kapuze über dem Kopf und einem Henkersbeil in der Hand.“ Philip nickte. Ihm war die ganze Geschichte so unangenehm wie den anderen Männern. Er konnte Hasards Begeisterung nicht teilen. Ihm wäre es lieber gewesen, Dad hätte es geschafft, die Karacke zu versenken. Kräftige Arme streckten sich ihnen entgegen, als sie über das Schanzkleid kletterten. Der Kutscher betrat als erster das Deck, dann folgten die Zwillinge und die anderen Männer. Der Blick des Kutschers glitt sofort zum Achterdeck hinauf. Der Riese mit dem mächtigen Brustkasten, über den das messerbestückte Bandelier lief, lehnte lässig an der Balustrade, die das Quarterdeck zur Kuhl hin abgrenzte. Hasard stellte sich neben den Kutscher und ließ seinen Blick über das ziemlich verwüstete Deck der Karacke gleiten. Die Großstenge war voll in die Kuhl geschlagen und hatte ein Boot, das auf der
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Gräting festgezurrt gewesen war, in Kleinholz verwandelt. Hasard zuckte zusammen, als ein Mann auf ihn und den Kutscher zutrat. Der Kerl war untersetzt und muskulös, wie Hasard noch keinen Mann gesehen hatte. Auf seinen Schultern saß fast ohne Hals ein kahler Kopf. Das Gesicht und auch die Glatze waren mit Pockennarben übersät. Die Haut hatte eine undefinierbare Farbe so zwischen Gelbrot und Graugrün. So ungefähr hatte Hasard sich immer die von den Toten auferstandenen Geister vorgestellt, von denen ihnen Batuti des öfteren berichtet hatte. Der Unheimliche redete mit gequetschter Stimme auf den Schotten ein, der sich in aller Ruhe anhörte, was der Mann zu sagen hatte. Ehe er antworten konnte, ertönte eine dröhnende Stimme vom Quarterdeck. „Ecossais!“ Der Schotte wandte den Kopf und starrte den Riesen mit dem roten Kopftuch an. „Euer Kapitän?“ fragte der Kutscher flüsternd. Fast ebenso leise gab der Schotte zurück: „Unser Bootsmann. Aber er führt das Schiff.“ Es schien, als ob er noch mehr sagen wollte, doch der Glatzkopf gab ihm einen Stoß in den Rücken, der ihn aufs Quarterdeck zutrieb. Wütend wandte der Schotte den Kopf und zischte ein paar Worte auf französisch. Der Glatzkopf trat einen Schritt zurück. Seine Hand legte sich auf den Griff eines Entermessers, das in einer Schärpe steckte, die er sich um seinen Wanst geschlungen hatte. Der Schotte winkte dem Kutscher und den anderen, ihm zum Quarterdeck zu folgen. Der Riese war von der Balustrade verschwunden. Sie sahen ihn erst wieder, nachdem sie den schmalen Niedergang hinaufgestiegen waren. Er stand unterhalb der Poop vor einem großen hölzernen Bottich, den ein paar Männer mit heißem Wasser füllten, das sie von der Kuhl heraufschleppten. Der Riese streifte sein Bandelier ab und reichte es einem Mann. Dann entkleidete er sich ganz und stieg in den Bottich. Sein
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braungebrannter Körper war mit Narben übersät. Hasard riß die Augen auf. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Ein Mann, der so viele Narben hatte und immer noch lebte, mußte die sieben Leben einer Katze haben. Der Schotte wandte sich an die Männer von der „Isabella“ und wies auf den Riesen im Bottich, der sich von einem Mulatten den Rücken einseifen ließ. „Das ist Le Requin, unser Bootsmann“, sagte er. „Er ist der Herrscher auf diesem Schiff, wenn unser Kapitän nicht mehr geradestehen kann –was meistens der Fall ist“, fügte er leicht grinsend hinzu. . Der Riese grinste ebenfalls. Der Schotte begann zu erzählen, wo er die Männer aufgelesen hatte. Als er mit seinem Bericht zu Ende war, schwieg der Riese eine Weile. Erst als er sich aus dem Bottich erhob und der Mulatte ihm ein großes Tuch um die Schultern legte, begann er zu sprechen. „Willkommen an Bord der ,L’Executeur`“, sagte er in einem akzentfreien Englisch. „Ich kann gute, kräftige Männer gebrauchen. Wenn ihr den Tod nicht scheut, einen heißen Kampf liebt und eine Menge Geld gebrauchen könnt, seid ihr bei mir an der richtigen Adresse. Ecossais wird euch zeigen, wo ihr schlafen könnt.“ Er nickte zu den Zwillingen hin. „Die beiden werden dem Koch helfen.“ Hasard lief rot an. „Ich geh nicht in die Kombüse!“ stieß er hervor. „Ich kann mit einer Kanone ...“ „Wer auf diesem Schiff Widerreden hat, wird ausgepeitscht, gehängt, geköpft und den Fischen zum Fraß vorgeworfen“, sagte der Riese. Er stieg in seine gestreifte Tuchhose und kümmerte sich nicht mehr um die Männer. Hasard hätte sich fast verschluckt. Sein Gesicht war rot angelaufen. Philip sah, daß sein Bruder fast vor Wut platzte. Er zog ihn schnell hinter den Kutscher zurück. Sie folgten dem Schotten hinunter in die Kuhl. Die anderen Piraten musterten sie mißtrauisch. Wahrscheinlich hatten sie erwartet, daß Le Requin die Männer töten lassen würde, nachdem er aus ihnen
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herausgequetscht hatte, was das für ein Schiff gewesen war, das ihnen die Masten zerfetzt hatte. Der Kutscher konnte ihr Mißtrauen verstehen. Er selbst hatte keine Antwort auf die vielen Fragen, die ihn bestürmten, und er wollte sie auch nicht dem Schotten stellen, auch wenn er das Gefühl hatte, diesem Mann trauen zu können. Die Karacke war mit den über hundert Mann hoffnungslos überbelegt. Die Männer hatten kaum Platz, sich irgendwo einmal lang auszustrecken. Dennoch hatte der Bootsmann sie aufgenommen. Aus Menschlichkeit? Der Kutscher schüttelte den Kopf. Unter den Flibustiern gab es alles, nur keine Menschlichkeit. Hier galt es, seinen eigenen Vorteil zu wahren und ihn mit allen Mitteln zu verteidigen. Der Schotte wies ihnen einen Platz im Vorschiff auf dem Hauptdeck an. Überall lag Zeug herum, das irgendeinem der Piraten gehörte. Der Platz war knapp, aber sie begnügten sich damit, weil sie wußten, daß sie Ärger mit der Mannschaft kriegen würden, wenn sie sich ausbreiteten. Mit zusammengepreßten Lippen starrten sie dem Schotten nach, der die Zwillinge zurück zum Quarterdeck führte, unter dem sich offensichtlich die Kombüse befand. „Verdammte Scheiße!“ murmelte Matt Davies. „Das kannst du laut sagen.” Blacky donnerte seine Faust auf die Planken. „Wir hätten uns doch lieber auf der Insel verstecken sollen. Hasard hätte uns schon wieder herausgehauen.“ „Sie hätten uns erwischt“, erwiderte der Kutscher böse. „Und du kannst sicher sein, daß sie unsere Hälse in die Länge gestreckt hätten.“ „Hört auf“, sagte Stenmark. „Es hilft nichts, wenn wir darüber reden, was gewesen wäre, wenn. Wir müssen das Beste aus der Situation herausholen. Dazu müssen wir zuerst wissen, was auf diesem Kahn eigentlich los ist. Der Bootsmann spielt den Kapitän, und dieser kann nie gerade auf den Beinen stehen. Ich frage mich, warum sich der Bootsmann noch nicht zum Kapitän aufgeschwungen hat.
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Die Piraten sind doch sonst nicht so zimperlich.“ „Wir müssen vor allem sehen, daß wir die Kleinen im Auge behalten“, warf Matt Davies ein. „Wenn ihnen was passiert, können wir uns auf der ‚Isabella’ nicht wieder blicken lassen.“ Sie nickten alle. Die Tatsache, daß man die Zwillinge von ihnen getrennt hatte, war das schlimmste für sie. Wer konnte wissen, wie die Piraten auf Hasards Streiche reagierten? Und daß der Knabe die Puppen tanzen lassen würde, nachdem er nicht mehr unter Aufsicht war, davon waren sie alle überzeugt. „Dieser Schotte hat irgendetwas mit uns vor“, murmelte Stenmark. „Ich hab von Anfang an das Gefühl gehabt, daß wir in sein Spiel passen. Warum sonst hat er den kleinen Giftzwerg mit der Riesennase davon abgehalten, den Kutscher zu massakrieren?“ „Was soll das heißen?“ fuhr der Kutscher auf. „Reg dich ab“, sagte Blacky. „Stenmark hat recht. Dieser Schotte hat nicht aus Menschlichkeit so gehandelt. Der will was von uns. Ecossais hat der Riese ihn genannt.“ „Ecossais heißt nichts anderes als Schotte“, sagte der Kutscher beleidigt. „Ihr hättet ruhig zuhören können, als Ribault euch ein bißchen Französisch beibringen wollte.“ Matt Davies winkte ab. „Blackys Vermutung stimmt“, sagte er.. „Und ich glaube, daß wir nicht lange zu warten brauchen, dann erzählt der Schotte uns von selbst, was er von uns will.“ „Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelte der Kutscher. „Hoffentlich beeilt er sich und spricht mit uns, bevor Hasard die Karacke in die Luft gejagt hat.“ * Hasard spürte zum erstenmal, seit er sich an Bord der Karacke befand, so etwas wie Bedenken in sich aufsteigen. Die Gestalt des Koches, zu dem der Schotte sie in die Kombüse geschoben hatte, weckte in ihm und Philip die Erinnerung an Trolle und
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Gnomen, von denen ihnen Stenmark erzählt hatte. Der Koch war nur wenig größer als die Zwillinge. Durch den Höcker, der auf seinen Schultern saß, sah es aus, als rage der Hals von vorn aus dem Oberkörper. Der fleckige Kopf war mit spärlichem, brandrotem Haar bewachsen, das schiefe Gesicht war eine Kraterlandschaft von Falten, Narben und Warzen. „Sein Name ist Ratatouille“, hatte der Schotte zu ihnen gesagt, bevor er das Schott hinter ihnen zugeschlagen hatte. Der zwergenhafte Koch hatte hastige Worte hervorgestoßen, und Hasard hatte begriffen, obwohl er kein Wort Französisch verstand, daß es Flüche gewesen waren. Der verunstaltete Zwerg hatte sich jetzt vor den Zwillingen aufgebaut und betrachtete sie mißtrauisch. Er sagte etwas und zeigte dabei, daß er sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer keine Schneidezähne mehr hatte. Hasard schüttelte den Kopf. „Nix wuhlewuh“, erwiderte er. „Wir sprechen nur Englisch.“ Der Koch legte den Kopf schief. Philip hatte den Eindruck, als würde er von einem hungrigen Geier angestarrt, und verkroch sich hinter seinem Bruder. „Keine Angst haben“, sagte der Koch, wobei er das h nicht mitsprach. „Wenn ihr immer fleißig und gehorchen, ich gut zu euch.“ Hasard nickte. Er wußte auch nicht, warum er es tat, aber auf einmal hatte er die Hand ausgestreckt und reichte sie dem häßlichen Gnomen. „Ich heiße Hasard und mein Zwillingsbruder Philip“, sagte er. Der Gnom starrte einen Moment auf die ihm dargebotene Hand, dann griff er danach, schüttelte sie kräftig und zeigte so etwas wie ein Grinsen. „Mein Name Jean-Luc“, sagte er. „Aber der Schotte sagte doch, daß du Ratatü heißt“, sagte Hasard. „Ratatouille heißen Fraß“, stieß der Koch wütend hervor. „Verdammte Verbrecher an
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Bord nix mögen mein Essen. Sie sagen, ich nix können kochen.“ Hasard dachte sich seinen Teil. Wenn er sich in der Kombüse umsah, konnte er sich denken, daß der Zwerg tatsächlich nichts anderes als Fraß zusammenbraute. Der kleine Verschlag, der ihm zur Verfügung stand, strotzte vor Dreck. Er begann in Gedanken, dem Kutscher Abbitte zu leisten. Gegen den Schweinestall hier sah es bei ihm wie im Boudoir einer Prinzessin aus. Der Zwerg hatte eine Schachtel von einem Bord genommen und streckte sie Hasard entgegen. „Das sein Gift“, sagte er grinsend. „Wenn Scheißkerle mich noch lange ärgern, werden sie Fraß hiermit kriegen. Dann sie schlafen drei Tage, und wenn aufwachen, ist Jean-Luc für immer verschwunden, und sie können sich Fraß selber kochen.“ Er drehte sich um und stellte die Schachtel aufs Bord zurück. Hasard war seiner Bewegung mit den Augen gefolgt. Er konnte den Blick nicht von der Schachtel wenden und zuckte regelrecht zusammen, als der Gnom zu ihm sagte: „Los, an Arbeit. Mannschaft warten auf Fraß.“ Philip mußte sich ums Feuer kümmern, während Hasard die Töpfe heranschleppen mußte, die sicher mehr als zehn Liter faßten. Hasard wunderte sich, daß JeanLuc keine Hilfe hatte. Immerhin war es nicht einfach, über hundert Kerle mit Essen zu versorgen. Als Hasard den Zwerg fragte, ob dem Kapitän denn sein Essen schmecke, schüttelte Ratatouille den Kopf. „Kapitän und Männer von Pont supérieur haben eigenes Koch“, sagte er und schüttelte sich vor Zorn. „Er kriegen bestes Fleisch und alle guten Sachen.“ Hasard erwiderte nichts. Ihm wurde fast schlecht, als er den Dreck in den Töpfen sah, die nur oberflächlich gereinigt worden waren. Als Ratatouille für einen Moment aus der Kombüse verschwand, hatten die Zwillinge zum erstenmal Gelegenheit, miteinander zu sprechen.
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„Wir müssen uns mit dem Kerl gut stellen“, flüsterte Hasard. „Warum?“ fragte Philip. „Wenn ich mir das alles hier anschaue, dann glaube ich, daß die Mannschaft recht hat, wenn sie ihn ‚Fraß’ nennt.“ „Klar hat die Mannschaft recht“, erwiderte Hasard ungeduldig, weil sein Bruder nicht merkte, auf was er hinauswollte. „Aber solche Typen, die von niemandem ein gutes Wort hören, fressen dir aus der Hand, wenn du nett zu ihnen bist.“ „Woher weißt du denn das?“ fragte Philip. „Das hat Carberry mir erzählt”, sagte Hasard. „Und ich glaube, er hat recht. Dieser Ratatü ist bestimmt kein schlechter Kerl, wenn er auch aussieht wie die Ausgeburt der Hölle. Wahrscheinlich kann er mit dem Zeug, das er erhält, gar nichts anderes kochen als Fraß.“ „Und was erhoffst du dir von ihm?“ fragte Philip. „Informationen“, erwiderte Hasard wichtig. Er drehte den Kopf und nickte zum Bord hoch. „Hast du gehört, was er gesagt hat? Gift, nach dem die Mannschaft drei Tage schlafen würde. Wenn wir es schaffen, das Zeug unter das Essen zu mischen, können wir die Karacke im Handstreich nehmen, ohne zu kämpfen!“ „Du vergißt, daß die Männer auf dem Quarterdeck und auf der Poop sein Zeug nicht essen müssen“, warf Philip ein. „Das stimmt“, sagte Hasard. „Aber da wird uns schon noch was einfallen. Vor allem müssen wir Verbindung mit den anderen aufnehmen, damit die über unsere Pläne Bescheid wissen.“ „Sie würden ganz schön wütend sein, wenn sie wüßten, was du hier schon wieder ausheckst.“ „Pah“, sagte Hasard, „wenn die Lust haben, ein paar Monate auf diesem vergammelten Kahn zu verbringen, ist das ihre Sache. Ich will zurück auf die ‚Isabella’. Sobald ich nur den Flaggentopp von Dads Galeone sehe, werde ich entweder die Piraten ausschalten oder die Karacke in die Luft sprengen.“ Philip schüttelte den Kopf. Sein Bruder war ihm in solchen Augenblicken immer
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ein bißchen unheimlich. Aber er hatte recht. Auch er, Philip, wollte so schnell wie möglich auf die „Isabella“ zurück. 4. Stenmark und Matt Davies hatten sich nicht getäuscht. Sie hatten nicht lange warten müssen. Gleich am nächsten Morgen war der Schotte bei ihnen aufgetaucht und hatte sie aufgefordert, mit ihm an Land zu gehen, um - wie er sagte die nähere Umgebung des Ankerplatzes der Karacke zu erforschen. Sie hatten sofort gewußt, daß der Schotte alles andere vorhatte, nur nicht. die Erforschung der Insel. Zu ihrer Überraschung hatte der Schotte verlangt, daß der Kutscher an Bord der „L’Executeur“ bleiben solle. Der Kutscher hatte protestiert, aber der Griff eines riesigen, dunkelhäutigen Mannes mit einem martialischen Schnurrbart nach dem Krummdolch hatte ihn verstummen lassen. Sie hatten verstanden, daß der Kutscher und die Zwillinge praktisch Geiseln der Piraten waren, und die Spannung in ihnen wuchs, was der Schotte mit ihnen vorhatte. Der Schotte ging nicht allein mit ihnen an Land. Sechs Kerle begleiteten ihn, und jeder von ihnen war ein Baum von einem Mann. Es schien, als hätte sich der Schotte für sein Unter-. nehmen die stärksten Männer ausgesucht. Nun lagen sie schon seit einer Stunde in der Deckung einer Felswand und starrten hinunter in die kleine Mulde, in der ein Dutzend Piraten ein Bergschaf an einem Spieß über einem offenen Feuer briet. Wahrscheinlich hatten die Männer den Fraß ihres Koches satt und die Gelegenheit wahrgenommen, endlich mal etwas Handfestes zwischen die Zähne zu kriegen. Stenmark, Matt Davies, Batuti und Blacky wußten, was ihnen bevorstand. Der Schotte hatte es ihnen gesagt, als sie diese Deckung hier bezogen hatten. Die zwölf Piraten, die dort unten das Bergschaf brieten, sollten nicht lebend zum Piratenschiff zurückkehren. Den Grund
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dafür kannten die Männer von der „Isabella“ nicht. Der Schotte hatte keine Antwort auf eine dementsprechende Frage von Matt Davies gegeben. Es schien, als wäre heimlich eine Meuterei des Riesen mit dem roten Kopftuch gegen den Kapitän im Gange, und es sah so aus, als hätten dieser und sein Vertrauter, der Schotte, nicht genügend Männer zur Verfügung, die Meuterei auch durchzuführen. Der Schotte hatte jeden Widerspruch der nach seiner Meinung „Ausgesetzten“ im Keim erstickt. Er hatte unmißverständlich erklärt, daß der Kutscher und die Zwillinge nicht mehr lange am Leben bleiben würden, wenn sie sich weigerten, an dem Überfall teilzunehmen. „Wir werden uns trennen und von zwei Seiten angreifen“, sagte der Schotte in diesem Augenblick grinsend. „Es sieht so aus, als sei das Bergschaf bald soweit. Wir sollten uns beeilen, damit das Fleisch nicht verkohlt.“ Die Piraten nickten, und eine Gruppe, der sich Matt Davies und Blacky anschließen mußten, verschwand hinter dornigen Büschen. „Los jetzt“, sagte der Schotte. Wütend schlug er einem seiner Männer auf die Hand, als dieser seine Pistole aus dem Gürtel zog. „Bist du verrückt?“ zischte er. „Willst du, daß die Männer auf der ,L’Executeur` uns hören? Dann schieß dir lieber gleich selbst eine Kugel in den Kopf, du Idiot!“ Der Mann zog den Kopf zwischen die Schultern und steckte die Pistole wieder weg. Stenmark und Batuti hielten sich dicht nebeneinander. Ihnen gefiel nicht, was hier geschah, aber wie es aussah, hatten sie keine Möglichkeit, den Plan des Schotten zu durchkreuzen. Und warum sollten sie auch? Es konnte nur gut für den Seewolf und die anderen Männer auf der „Isabella“ sein, wenn sich die Piraten gegenseitig bekämpften. Die Piraten in der Mulde fühlten sich sicher. Bisher hatten sie kein Anzeichen von menschlichem Leben auf der Insel entdeckt, also brauchten sie auch nicht zu
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befürchten, überfallen zu werden. Sie lachten und unterhielten sich laut, so daß der Schotte und seine Männer bis fast auf wenige Schritte an sie heranschleichen konnten, bis der erste merkte, daß sie nicht mehr allein waren. Es war ein hagerer Mann mit einer schiefen Nase, der sich umdrehte und den Schotten als erster entdeckte. „Hola, Ecossais !“ rief er grinsend, aber Stenmark, der schräg hinter einem der anderen Piraten stand, sah, daß dieses Grinsen alles andere als herzlich war. Die anderen Piraten, die um das Feuer saßen, das fast rauchlos brannte, zuckten herum und erhoben sich. Sie schienen alle zu wissen, daß das Auftauchen des Schotten für sie nichts Gutes bedeuten konnte. Wahrscheinlich sahen sie es auch an den Gesichtern der weiteren Piraten, die jetzt neben den Schotten traten. Ihre Hände tasteten nach den Waffen, die sie in Gürteln oder Bandelieren stecken hatten. Der Schotte sagte etwas auf französisch, was Stenmark nicht verstehen konnte. Die anderen Piraten zögerten für einen Moment, aber als sich einer von ihnen kurz umdrehte, die heranschleichenden Männer entdeckte, die ihnen in den Rücken fallen sollten, und laut seine Warnung herausschrie, war von einem Augenblick zum anderen die Hölle los. Der Schotte und seine Leute stürzten sich wie die Berserker auf ihre Kumpane. Messer blitzten in der Sonne, und Entermesser und Beile zischten durch die Luft. Die kleine Mulde war vom Keuchen der Kämpfenden und dem Klirren der Waffen erfüllt. Stenmark, der sah, wie einer der Piraten am Feuer seine Pistole zog und auf den Schotten anlegte, warf sich mit einem Hechtsprung vor und riß den Mann mit sich zu Boden. Eine Faust traf ihn im Gesicht. Er spürte, wie ihm Blut aus der Nase lief, aber er kümmerte sich nicht darum. Er wußte, daß es jetzt auch um sein und das Leben seiner Kameraden ging. Schlug dieser Überfall fehl, dann würden
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er, Batuti, Matt Davies und Blacky genauso an einer Rahnock hängen wie der Schotte. Stenmark mußte noch ein paar Schläge hinnehmen, bevor es ihm endlich gelang, sich auf den Piraten zu wälzen und ihn mit dem Knauf seines Messers zu betäuben. Hastig sprang er auf und schaute wild um sich. Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung bei den Büschen, von denen aus sie den Piraten am Feuer entgegengetreten waren. „Batuti!“ brüllte er. Der Gambia-Neger drehte den Kopf und starrte zu Stenmark herüber. Die rechte Hand des Schweden wies auf die Büsche, hinter denen einer der angegriffenen Piraten verschwunden war. „Einer will abhauen!“ schrie er. Batuti begann sofort zu laufen. Auch er begriff offensichtlich, daß niemand an Bord der „L’Executeur“ erfahren durfte, was hier geschah. Mit langen Sätzen hetzte er hinter dem Mann her, der sich von den anderen hatte absetzen können. Hinter den Büschen verharrte er einen Moment. Von dem Geflüchteten war nichts zu sehen. Batuti senkte den Blick, um nach Spuren zu suchen. Er sah Abdrücke von Sandalen, die auf die Felswand zuführten, unter denen sie mit dem Schotten gelegen und die Piraten am Feuer beobachtet hatten. Batuti lief los und folgte den Spuren. Sie kreuzten die breite Fährte, die der Schotte und seine Männer hinterlassen hatten.. Dicht unterhalb der Felswand, wo der Boden fest und steinig wurde, waren die Spuren plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Batuti blieb. stehen und schaute sich um. Er befand sich hier in einer weiträumigen Kaverne, die von Felsen begrenzt wurde. Es war eine Art Sackgasse. Der Pirat war in die Falle gelaufen. Batuti zögerte. Wenn er nicht vorsichtig zu Werke ging, konnte die Kaverne für ihn selbst zur Falle werden. Er überlegte, ob er vielleicht auf. die anderen warten solle, als er für den Bruchteil einer Sekunde auf der Felswand über sich einen Schatten sah.
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Er wirbelte herum und warf sich gleichzeitig zur Seite. Ein Messer zischte haarscharf an ihm vorbei und prallte mit einem hellen Klirren gegen die Felswand. Batuti hielt sein eigenes Messer in der Hand, als sich der Pirat von dem Felsvorsprung schwang, auf dem er sich verborgen hatte. Der Mann, ein sehniger, breitschultriger Pirat mit schweißglänzendem bloßen Oberkörper, konnte sich gerade noch im letzten Moment im Sprung herumwerfen, so daß er Batutis Klinge entging. Batuti warf sich sofort wieder herum und versuchte, auf die Beine zu gelangen, aber der Pirat war schneller. Mit einer wischenden Bewegung seines linken Beines brachte er den Neger zu Fall. Batuti stöhnte vor Schmerzen laut auf. Er war mit der Seite auf einen spitzen Stein geprallt. Er kriegte für einen Augenblick keine Luft mehr. Sterne wirbelten vor seinen Augen: Instinktiv riß er seinen rechten Arm zur Abwehr hoch. Der Pirat hatte im Gefühl des sicheren Sieges nicht damit gerechnet. Er brüllte, als er sah, daß er dem Messer des Schwarzen nicht mehr ausweichen konnte. Verzweifelt versuchte er seinerseits, den Gegner mit dem Messer zu treffen, aber seine Klinge ratschte nur über den felsigen Boden. Noch einmal hob er die Hand, doch die Finger hatten nicht mehr die Kraft, den Knauf fest zu umschließen. Das Messer fiel klirrend auf den Felsboden, und der tödlich verwundete Mann sackte über seinem Bezwinger zusammen. Batuti schob den regungslos auf ihm liegenden Körper des Piraten schnaufend von sich weg und erhob sich. An den gebrochenen Augen des Mannes sah er, daß die Klinge seines Messers tödlich getroffen hatte. Batuti wollte sich den Toten auf die Schultern packen, als zwei der Piraten, die beim Schotten gewesen waren, auftauchten. Sie grinsten, und einer von ihnen schlug ihm auf die Schulter.
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Der Schweiß auf dem Gesicht des Negers und sein keuchender Atem ließen sie glauben, daß Batuti am Ende seiner Kraft sei. Batuti ließ sie in dem Glauben, denn sonst hätten sie sicher von ihm erwartet, daß er selbst den Toten zu den anderen geschleppt hätte. Am Feuer war alles entschieden. Batuti ging zu Stenmark, Matt Davies und Blacky hinüber, die ein paar Schritte von den anderen entfernt im Sand hockten. Blacky hatte eine stark blutende Wunde am linken Unterarm, die von der Schneide eines Enterbeiles herrührte. Stenmark versuchte, die Blutung mit einem Stück Stoff aufzuhalten, aber er schaffte es nicht. Batuti schob den Schweden zur Seite und kümmerte sich um Blackys Arm, während er unauffällig in die Runde blickte und zwischen den Zähnen hindurch fragte: „Was Schotte nun vorhaben?“ Matt Davies zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung“, gab er leise zurück. „Sie haben gekämpft wie die Wilden, und sie haben alle getötet, obwohl es gar nicht notwendig gewesen wäre.“ „Halt die Klappe!“ zischte Stenmark. Matt schwieg. Auch er sah jetzt, daß der Schotte auf sie zutrat. Die anderen waren dabei, die Toten wegzuschleppen. Wahrscheinlich würden sie ihre Kumpane in irgendeinen Felsspalt werfen, wo niemand sie wiederfinden konnte. Der Schotte grinste sie an. „Ihr habt gut gekämpft“, sagte er. „Ohne den Neger wäre Trugeot wahrscheinlich entwischt und hätte die anderen warnen können. Damit habt ihr unser, aber auch euer Leben gerettet.“ „Es wäre langsam an der Zeit, daß du uns erklärst, was du vorhast“, sagte Matt Davies und erhob sich. Der Schotte hob die Hand, als er sah, daß Matt noch mehr sagen wollte. „Deshalb will ich mit euch sprechen“, erklärte er. „Es geht um die Führung der ,L’Executeur`. Wir haben einen Kapitän, der nicht in der Lage ist, ein Schiff zu führen, aber ein Viertel der Beute, die wir uns mit unserem Blut erkämpfen, für sich beansprucht.“
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„Warum jagt ihr ihn nicht einfach zum Teufel?“ fragte Stenmark grollend. „Warum schlachtet ihr eure Kameraden ab?“ „Die meisten Männer auf der ,L’Executeur` glauben, daß sie ihn brauchen“, erwiderte der Schotte. „Er soll einen Freund bei den Spaniern haben, der seine Hand schützend über ihn und seine kleine Festung im Süden von Espanola hält. Tatsächlich sind die anderen bekannten Piratenstützpunkte auf Espanola schon häufiger von den Spaniern angegriffen worden, die von Comte de Fauvenoir aber bisher noch nie.“ „Das ist auch was wert“, sagte Blacky. „Bisher haben wir das auch gedacht“, erwiderte der Schotte. „Wer ist eigentlich wir?“ fragte Matt Davies lauernd. Der Schotte starrte ihn mißtrauisch an. Aber dann sagte er sich wohl, daß sie mit dem Überfall auf die Leute des Comte zu Kumpanen geworden waren, die entweder zusammen siegten oder untergingen. „Unser Anführer ist Le Requin -das heißt auf englisch der Hai“, sagte er. „Le Requin ist der Mann, der die ,L’Executeur` führt. Seine Leistungen entscheiden über den Erfolg oder Mißerfolg der Mannschaft. Bisher hat Le Requin aus dem gleichen Grund wie die anderen immer zum Comte gehalten, aber in letzter Zeit hat er herausgefunden, warum seine Festung von den Spaniern nie angegriffen wird.“ „Arbeitet der Comte mit den Spaniern zusammen?“ fragte Stenmark. Der Schotte nickte. „Genau. Wir haben von allen Seiten Gerüchte gehört, und Le Requin hat herausgefunden, daß diese Gerüchte stimmen. Die große Beute haben immer die anderen erworben. Der Comte hat jedesmal, wenn uns ein dicker Fisch vor die Kanonen lief, zum Rückzug geblasen. Er behauptete dann immer, wir würden uns die Spanier auf den Hals hetzen, wenn wir ihnen zu große Brocken wegnähmen.“ „Und warum schlagt ihr gerade jetzt zu?“ fragte Stenmark wieder.
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Der Schotte beugte sich vor. Er sprach leise, als hätte er Angst, irgendjemand könnte sie belauschen. „Diesmal will sich Le Requin an einen ganz großen Brocken wagen“, sagte er. „Wir sind nicht allein hier zwischen den Inseln der Heiligen Ursula und ihrer zehntausend Jungfrauen. Mehr als ein Dutzend Schiffe wollen sich hier treffen und gemeinsam einen Konvoi der Silberflotte abfangen.“ Matt Davies pfiff durch die Zähne. Er wußte, was es bedeutete, die Silberflotte der Spanier anzugreifen. Die Schiffe, die das Silber, das Gold und die sonstigen Schätze Amerikas nach Spanien brachten, wurden von schwerbestückten Kriegsgaleonen begleitet. Bisher waren die Angriffe auf diesen Konvoi fast ausnahmslos gescheitert. Nur wenn der Sturm das eine oder andere Schiff aus diesem Konvoi gesprengt hatte, war es mal einem Piraten in die Hände gefallen. „Und ihr erwartet, daß die Flotte den Kurs nördlich der Jungferninseln nimmt?“ fragte er skeptisch. Der Schotte schüttelte den Kopf. „Sie wird die Passage südlich der Muchoir-carreUntiefen nehmen“, erwiderte er. „Dort läßt sich aber zur Zeit kein Pirat sehen, um die Spanier nicht zu warnen.“ „Ich nehme an, dieser Le Requin vermutet, daß euer Kapitän das Unternehmen an die Spanier verraten wird“, sagte Stenmark. Der Schotte begann zu grinsen. Er schaute die anderen an und sagte: „Euer blonder Freund ist ein ganz schlaues Bürschchen, wie?“ „Wir sind alle schlau - bis auf den da“, Matt Davies wies auf Blacky, „aber dafür kann er besser hauen als wir.“ Blacky wollte Aufbrausen, doch der Schotte winkte lachend ab. „Euer Freund hat recht“, sagte er. „Der Comte wird die Spanier warnen, wenn wir nicht etwas dagegen unternehmen. Vielleicht hat er schon etwas in die Wege geleitet. Deshalb auch das Treffen hier unten bei den Jungferninseln. Der Comte glaubt, daß wir die Silberflotte hier erwarten. Die Kapitäne der anderen Schiffe haben Le Requin ein Ultimatum gestellt.
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Wenn er nicht Kapitän der ,L’Executeur` ist, wenn sie eintreffen, werden sie unser Schiff in Fetzen schießen und uns alle töten, um einen Verrat zu verhindern.“ „Verdammt, warum stellt sich dein Hai nicht vor die Mannschaft und erzählt ihr das, was du uns jetzt erzählst?“ fragte Matt. „Sie würden den Comte sicher in Stücke reißen, wenn sie hören, daß er ein Verräter ist.“ Der Schotte wiegte den Kopf. „Das Risiko ist Le Requin zu groß“, erwiderte er. „Der Comte hat die wichtigsten Posten an Bord der ,L’Executeur` mit seinen Vertrauensleuten besetzt. Le Requin hat er bisher nicht angetastet, weil keiner das Schiff so führen kann wie er, aber er traut ihm nicht über den Weg. Er läßt ihn immer überwachen. Habt ihr an Bord den Glatzkopf gesehen?“ „Den mit der grünen Haut und den Pockennarben?“ fragte Stenmark angeekelt. „Genau den. Er heißt Vert-de-gris, das heißt Grünspan. Er ist Le Requins Schatten. Wir müssen höllisch aufpassen, daß er uns nicht mal belauscht.“ „Wie ist das Verhältnis von den Leuten des Comte zu euren?“ fragte Matt. Er wies auf die Piraten, die zurückgekehrt waren und über das fertiggebratene Bergschaf herfielen. „Sind das die einzigen Männer, auf die ihr euch verlassen könnt?“ Der Schotte schüttelte grinsend den Kopf. „Nicht ganz“, sagte er, „aber viel mehr als dreißig sind wir nicht. Wenn die Unternehmen, die an diesem Tag gestartet worden sind, alle reibungslos klappen, werden die anderen auch nicht mehr sein als wir, so daß wir eine offene Auseinandersetzung wagen können.“ Matt Davies lief ein kalter Schauer über den Rücken. Was der Schotte da eben gesagt hatte, bedeutete nichts anderes, als daß an diesem Tag an die vierzig Piraten ermordet werden sollten. Er preßte die Lippen aufeinander und sagte nichts mehr. An den Gesichtern seiner Kameraden sah er, daß auch sie die Worte des Schotten begriffen hatten. Der Schotte sah es ebenfalls.
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„Wir sind keine skrupellosen Mörder“, sagte er leise. „Aber wir hatten nur die Wahl, die Männer des Comte zu töten oder selbst mit ihm zusammen vernichtet zu werden.“ Matt Davies und die anderen sagten nichts darauf. Sie wußten, daß sie Glück gehabt hatten, auf der richtigen Seite zu stehen. Wenn ein anderer als der Schotte ihnen am Ufer des Flusses gegenübergetreten wäre, lägen sie wahrscheinlich schon alle entseelt im Ufergebüsch oder schwammen hinaus in die See. Als der Schotte sich umdrehte und zu seinen Männern am Feuer hinüberging, dachte Matt Davies an den Kutscher und die Zwillinge. Er konnte nur hoffen, daß sie in diesem Intrigenspiel keine Rolle spielten und noch am Leben waren, wenn sie an Bord zurückkehrten. 5. Der Kutscher fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Die lauernden Blicke der Piraten, die ihr Lager in seiner Nähe hatten, gingen ihm an die Nieren. Er fragte sich immer wieder, warum der Schotte gerade ihn zurückgelassen hatte, zumal er doch annehmen mußte, daß er, der Kutscher, der Wortführer der Ausgesetzten war. Es machte ihn krank, nicht zu wissen, was los war. Immer wieder hatte er über die Kuhl gestarrt, um vielleicht einen der Zwillinge zu entdecken, aber bisher hatte sich keiner von ihnen an Deck blicken lassen. Er war überzeugt, daß Hasard und Philip sich durchsetzen würden, aber die Frage war, ob die Piraten genügend Humor hatten, die Streiche der Zwillinge zu ertragen. Zwei Piraten, die nur etwa fünf Yards von ihm entfernt am Fockmast lehnten, tuschelten auf französisch. Immer wieder warfen sie kurze Blicke zu dem Engländer hinüber. Dem Kutscher wurde die ganze Sache zu bunt. Er hatte keine Lust, sich hier wie ein seltenes Tier anstarren zu lassen.
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Entschlossen erhob er sich. Er würde jetzt über die Kuhl gehen und den Verschlag aufsuchen, in dem die Zwillinge verschwunden waren. Schließlich konnte ihm niemand verwehren, seine Söhne zu besuchen, oder? Die beiden Piraten am Fockmast traten einen Schritt vor, die Hände an den Messern, die sie in ihren Gürteln stecken hatten. Der Kutscher zögerte einen Moment, ging dann aber weiter. Er wollte herausfinden, wie die Piraten sich verhielten, wenn er begann, sich auf dem Schiff umzusehen. Er hatte geglaubt, daß die beiden Piraten ihm den Weg verstellen würden, aber sie blieben stehen und ließen ihn passieren. In der Kuhl wurde hart gearbeitet. Die Trümmer, die die herab gekrachten Großund Großbramstenge verursacht hatten, waren inzwischen beseitigt. Ein paar Männer waren dabei, die gekappten Pardunen zu spleißen. An Steuerbord wurde gerade eine grob zusammengehauene Bramstenge an Bord gefiert. Niemand von den Piraten schien den Kutscher zu beachten. Er warf einen kurzen Blick zurück aufs Vordeck. Auch dort waren die Ausbesserungsarbeiten voll im Gange. Eine neue Vorstenge war schon wieder montiert, und fünf Piraten befestigten eine neue Blinderah am Bugspriet. Als der Kutscher sich umdrehte und seinen Weg unter das Vordeck fortsetzen wollte, stand er plötzlich im Schatten eines bulligen Mannes. Er wurde ein wenig blaß, obwohl. er den Kerl nicht zum erstenmal sah. Er war der muskelbepackte Glatzkopf, der ihnen entgegengetreten war, als der Schotte sie an Bord gebracht hatte. Die mit Pockennarben übersäte grünliche Haut im Gesicht und auf der Glatze des Mannes sah zum Fürchten aus. Der Muskelprotz hielt eine verkürzte Pike in der rechten Hand und wies zum Vorschiff hinüber. Mit ruckartigen Bewegungen der Pike versuchte er, dem
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Kutscher zu erklären, daß er zurück an seinen Platz gehen solle. Der Kutscher tat, als begriffe er nicht. Er grinste den Piraten an und wollte weitergehen. Der Glatzkopf stieß ein paar französische Laute hervor. Sein grünliches Gesicht färbte sich gelblichrot. „Merci beaucoup“, sagte der Kutscher und ging an dem Muskelprotz vorbei. Im nächsten Augenblick glaubte er, sein Rückgrat wäre von einer Axt in zwei Teile geschlagen worden. Mit einem dumpfen Schrei ging er zu Boden und fiel auf die Seite. Sein Blick war verschwommen. Wie durch einen Schleier sah er den Glatzkopf mit erhobener Pike über sich stehen und irgendetwas schreien, was er nicht verstand. Der Kutscher wollte die Beine anziehen, um sich wieder zu erheben, aber er hatte das Gefühl, als sei er gelähmt. Die Schleier vor seinen Augen verschwanden nur langsam, dafür wurde der Schmerz in seinem Rücken immer schlimmer. Der Glatzkopf schien verrückt vor Wut zu sein. Sein pockennarbiges Gesicht war jetzt knallrot angelaufen. Sein rechter Arm bewegte sich, und die Pike sauste auf den Kutscher zu, der die Augen verdrehte und wußte, daß er mit dem Leben abschließen mußte. Er hörte durch das Rauschen in seinen Ohren, wie Holz auf Holz schlug. Einen Moment wartete er noch, aber als er keinen weiteren Schmerz spürte, öffnete er die Augen wieder und starrte nach oben. Ein zweiter Schatten stand jetzt neben dem Muskelprotz. Der Kutscher erkannte den Riesen vom Quarterdeck, den der Schotte Le Requin genannt hatte. Der Bootsmann hielt einen Belegnagel in der linken Hand, mit dem er offensichtlich die Pike des Glatzkopfes aufgehalten hatte, als diese auf den am Boden liegenden Kutscher hinuntergesaust war. Le Requin sagte ein paar scharfe Worte. Der Glatzkopf preßte die dünnen Lippen hart aufeinander und wandte sich ab. Es war ihm anzusehen, daß er vor Wut kochte,
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aber er wagte offensichtlich nicht, dem Riesen zu widersprechen. Auf Befehl des Bootsmannes wurde der Kutscher von zwei Piraten auf die Beine gestellt. Der Kutscher stöhnte. Es war ihm, als bohre ein Messer in seinem Rückgrat. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor den Augen. Die beiden Piraten führten ihn zum Schanzkleid, damit er sich daran festhalten konnte. Er brauchte eine ganze Weile, bis er wieder tief Luft holen konnte, ohne vor Schmerzen umzukippen. Unter halbgesenkten Lidern sah er, wie der Glatzkopf einen anderen Piraten mit seiner Pike mißhandelte, weil er offensichtlich einen Befehl nicht schnell genug befolgt hatte. So ein Scheißkerl war das also. Er ließ seine Wut an Unschuldigen aus. „Nimm dich vor ihm in acht“, sagte eine zischende Stimme neben ihm. Der Kutscher wandte mühsam den Kopf. Der Riese vom Achterdeck war schon wieder verschwunden. Ein Mann mit einer Augenbinde und einem gestreiften Hemd, der zu seinen Füßen ein Tau aufschoß, hatte zu ihm gesprochen. „Vor Le Requin?“ fragte der Kutscher gequält zurück. „Quatsch“, erwiderte der andere leise. „Ich meine Vert-de-gris. Der Glatzkopf wird dich töten, wenn er sich unbeobachtet glaubt. Du hast ihn herausgefordert, und das hat bisher noch niemand überlebt.“ „Warum hat der Bootsmann ihn daran gehindert, mich totzuschlagen?“ fragte der Kutscher flüsternd. Der Pirat mit der Augenklappe antwortete nicht. Er zuckte nur leicht mit den Schultern, erhob sich und ging davon. Wahrscheinlich hatte er Angst, daß der glatzköpfige Muskelprotz auch auf ihn ein Auge warf, wenn er sich zu lange in der Nähe des Engländers aufhielt. Der Kutscher fand nur langsam wieder zu sich. Sein Kreuz schmerzte immer noch höllisch, und er bedauerte, daß er seine Salben nicht dabei hatte, mit denen er sonst
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die Prellungen seiner Kameraden behandelte. Er wußte nicht, woran er war. Bedeutete das Einschreiten des Bootsmannes, daß er sich frei auf dem Schiff bewegen konnte? Oder hatte Le Requin nur einen Mord verhindern wollen? Der Kutscher ahnte, daß irgendetwas hinter allem steckte. Auf diesem Schiff stimmte etwas nicht. Es schien, als belauere ein Teil der Mannschaft den anderen. Aber an wen sollte er sich halten? Der Schotte stand offensichtlich auf der Seite des Bootsmannes. Weshalb war dieser mit Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti an Land gegangen und hatte ihn, den Kutscher, als einzigen an Bord zurückgelassen? War er etwa eine Geisel? Er wußte, daß er hier an Deck keine Antwort auf seine Fragen erhalten würde. Mit vorsichtigen Schritten bewegte er sich zurück unter das Vordeck. Er wollte den Muskelprotz nicht. noch mehr provozieren. Irgendwann würde sich schon eine Gelegenheit ergeben, mit einem der Zwillinge zu sprechen. Wahrscheinlich dann, wenn das Essen ausgeteilt wurde. Vielleicht kehrten die anderen auch inzwischen an Bord zurück. Sie würden dann schlauer sein als er. Er war überzeugt, daß der Schotte nur einen Weg gesucht hatte, ungestört mit seinen Kameraden zu sprechen. Hoffentlich klärt sich alles auf, bevor der Glatzkopf mich zu Mus geschlagen hat, dachte der Kutscher, als er sich stöhnend auf sein Lager sinken ließ. * Hasard sah am gespannten Gesichtsausdruck Ratatouilles, daß der Augenblick der Entscheidung da war. Langsam nahm er die Holzkelle auf und tauchte sie in das Stew, das der verrunzelte Kerl in fünf großen Töpfen über dem offenen Feuer gekocht hatte. Hasard hatte sich den Topf ausgesucht, den er vor dem Kochen blankgeputzt hatte. Er hoffte außerdem, daß er nicht ausgerechnet einen der Knochensplitter erwischte, die
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noch am Hammelfleisch gehangen hatten, als Ratatouille es in den schmuddeligen Kohl, der kurz vor der Verwesung gewesen war, geworfen hatte-. Mit Todesverachtung führte er eine volle Kelle an seine Lippen. Kein Muskel verzog sich in seinem Gesicht, als er, vorsichtig den heißen Fraß probierte. Seine Augen weiteten sich, und als er die Kelle absetzte, trat ein Strahlen in seine Augen. „Ich weiß gar nicht, was die Kerle haben“, sagte. er im Brustton der Überzeugung. „Das Stew schmeckt verdammt gut. Ich wäre froh gewesen, wenn wir an Bord unseres alten Schiffes so etwas zu essen gekriegt hätten.“ Ratatouilles Gesicht blieb noch einen Moment skeptisch. Er konnte es anscheinend nicht fassen, daß es jemanden gab, der sein Essen mochte Besonders gut hatte es ihm auch nie geschmeckt, aber er hielt es auch nicht für so schlecht, wie die anderen immer behaupteten. „Du nicht lügen?“ fragte der Zwerg zweifelnd. Hasard schüttelte heftig den Kopf. „Keine Spur“, sagte er und wandte sich an seinen Bruder. „Hier, Philip, probier du mal.“ Philip zögerte keinen Moment. Er nahm die Kelle entgegen, spitzte genießerisch die Lippen und schlürfte das etwas zu flüssige Stew. „Hmm“, äußerte er sich, „das Stew ist hervorragend.“ Er holte sich mit den Zähnen ein Stück Hammelfleisch und kaute darauf. Dabei sah er Ratatouille aus treuherzigen Augen an. „Ich meine, wir sollten es noch zehn Minuten auf dem Feuer lassen, dann zergeht das Fleisch auf der Zunge.“ Der runzlige Zwerg strahlte. Seine letzten Zweifel waren verflogen. Er entwickelte eine hektische Betriebsamkeit. Sein Gesicht glühte vor Eifer, und jedesmal, wenn Hasard oder Philip ihm zur Hand gingen, murmelte er: „Merci.“ Hasard war mit sich zufrieden. Ihr erstes Ziel hatten sie erreicht. Von nun an war der kleine Koch sicher Wachs in ihren Händen. Außerdem war es mit dem Probieren gar
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nicht so schlimm gewesen. Das Stew war zwar kein Leckerbissen, aber zum Ausspucken war es zu schade. Als sie gemeinsam die Töpfe vom Feuer gehoben hatten, fragte Hasard: „Sollen wir es hinausbringen und die Mannschaft zusammenrufen?“ Ratatouille schüttelte erschrocken den Kopf. „Nix.“, sagte er hastig. „Wir stellen Töpfe vor Tür und warten hier, bis Männer fertig mit Essen.“ Der muß eine höllische Angst vor den Kerlen haben, dachte Hasard. „Ich bringe es für dich raus“, sagte er. „Das Essen ist in Ordnung, und wer darüber meckert, soll sich selbst was kochen.“ Ratatouille leckte sich über die Lippen. Sein Oberkörper wand sich, und es sah für Hasard aus, als bewege sich sein Buckel. „Sie werden schlagen dich und Bruder“, warf er ein. „Das werden wir ja sehen“, erwiderte Hasard. „Los, Philip, faß mit an.“ Gemeinsam schafften Hasard und Philip den ersten Topf vor den Verschlag, den Ratatouille großspurig Kombüse nannte. Zwischen den Knechten mit den Scheibengatts und dem Großmast stand eine breite Bank. An den fettigen Kreisen darauf war zu erkennen, daß Ratatouille darauf seine Töpfe abstellte. Der Koch streckte immer nur seinen vogelartigen Kopf durch die Brettertür, wenn Hasard und Philip einen Topf auf das Brett stellten, als hätte er Angst, ihm könne jeden Augenblick ein Belegnagel an den Kopf fliegen. Als alle fünf Töpfe auf dem Brett standen, streckte Ratatouille seine dünnen Arme aus seinem Verschlag hervor. In den Händen hielt er einen Triangel. „Ihr lieber verschwinden“, sagte er mit väterlich besorgter Stimme. Hasard und Philip schüttelten fest den Kopf. „Mit dem Essen brauchen wir uns nicht zu verstecken“, sagte Hasard. Der kleine Koch wartete noch einen Moment, dann schlug er entschlossen den
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Triangel. Der letzte Ton war noch nicht verklungen, als er die Brettertür zuknallte. Hasard hörte an dem schabenden Geräusch, daß er den Balken in die Halterung zog, damit ihm die wütenden Männer nicht die Bude einrannten. Wahrscheinlich versuchten sie es jeden Mittag von neuem. „Halt die Ohren steif, Bruderherz“, flüsterte Hasard, und Philip nickte und schluckte, als die ersten Gestalten aus der Kuhl auftauchten. Sie hatten grimmige Gesichter, denn sie wußten was sie erwartete. Der Glatzkopf mit der grünlichen Gesichtsfarbe führte die Männer an. Hasard wurde es wieder flau im Magen, als er den vergammelten Kopf vor sich sah. Der muskulöse, braungebrannte Oberkörper stand zu seinem Gesicht in krassem Gegensatz, war aber nicht weniger erschreckend für die Zwillinge. „Wo ist Ratatouille?“ fragte er mit seiner seltsam gequetschten Stimme. Hasard wies mit dem Daumen über die Schulter und sagte: „Wir geben heute das Essen aus. Es gibt Stew.“ Der Glatzkopf blickte einen hageren Piraten an, der rechts neben ihm stand, und fragte ihn, was der Bengel gesagt hätte. Der Hagere übersetzte und starrte dann Hasard an. „Der Schweinehund schickt also euch halben Portionen vor, damit wir uns an euch halten, wenn sein Fraß wieder mal nicht genießbar ist“, sagte er mit breitem irischen Akzent. Hasard streckte seine Linke aus, nahm dem Hageren den Holzteller ab und begann, ihn mit dem Stew zu füllen. Der Geruch war noch schlimmer als der Geschmack, und Hasard dachte, daß die umgekehrte Reihenfolge wohl noch schlechter gewesen wäre. Er hoffte, daß die Kerle ein wenig versöhnt wurden, wenn das Ergebnis von Ratatouilles Kochkunst nicht ganz so mies ausgefallen war wie sonst. Der Hagere kostete. Hasard sah, daß die Blicke der anderen wie gebannt an seinen Lippen hingen. Ihre Gesichter verzogen sich zu einem ungläubigen Staunen, als der
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Hagere das Stew nicht gleich wieder ausspuckte. Er schob ein Stück Hammelfleisch ein paarmal vorsichtig im Mund hin und her, begann dann zu kauen und schluckte es schließlich hinunter. Hasard sah es am Auf- und Abhüpfen seines hervortretenden Adamsapfels. Ein Raunen ging durch die Piraten. Der Glatzkopf schob den Hageren zur Seite und stieß Hasard seinen Holzteller vor den Bauch, daß dieser nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken konnte. Der Muskelprotz quetschte etwas hervor, was Hasard nicht verstand, und dieser knallte dem Grüngesicht eine Kelle Stew auf den Teller, daß ein Drittel davon über den Rand spritzte. Der Glatzkopf schien auf gute Tischmanieren keinen Wert zu legen. Wahrscheinlich führten sich die Piraten sonst genauso auf, wie Hasard es eben getan hatte. Noch warteten die anderen auf das Urteil des Muskelprotzes. Dieser verzog zwar etwas angewidert das Gesicht, spuckte das Stew aber ebenfalls nicht aus. Ein begeistertes Brüllen stieg in den blaßblauen Mittagshimmel. Hasard und Philip waren plötzlich von den Piraten umringt und konnten kaum so schnell auffüllen, wie ihnen die Teller und Schüsseln entgegengehalten wurden. Mann, muß Ratatü den Kerlen immer einen Fraß vorgesetzt haben, wenn sie sich schon mit Heißhunger auf dieses vergammelte Stew stürzen, dachte Hasard. Er blickte kurz zu seinem Bruder hinüber und kniff ein Auge zu. Philip war die Erleichterung deutlich vom Gesicht abzulesen. Er begriff die Begeisterung der Mannschaft auch nicht. Als er einen Augenblick Zeit hatte, probierte er noch einmal, aber es schmeckte nicht besser als zuvor in der Kombüse. Allerdings war das Hammelfleisch tatsächlich etwas weicher als vorher. Sie hörten das Knarren von Holz und drehten die Köpfe. Jean-Luc, der verwachsene Koch, schob sein verrunzeltes
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Gesicht durch den Türspalt. Wahrscheinlich wollte er mit eigenen Augen sehen, welches Wunder sich vor seinem Verschlag abspielte. Der Glatzkopf, der an der Bretterwand des Verschlages gelehnt hatte, packte die Tür und riß sie mit einem Ruck auf. Ratatouilie, der sich an der Balkenhalterung festgehalten und nicht damit gerechnet hatte, wurde herausgeschleudert und stolperte bis zu dem Brett vor, auf dem die nun schon fast leeren Töpfe standen. Gehetzt blickte sich der bucklige Zwerg um. Er begann wie am Spieß zu schreien, als der Glatzkopf ihn im Genick packte und ihn vom Boden abhob, als wiege er nicht mehr als eine Feder. Auf dem Gesicht des Glatzkopfes breitete sich plötzlich ein Grinsen aus. Die Pockennarben darin schienen hin und her zu hüpfen. Er sagte etwas, und der Zwerg hörte abrupt zu zappeln auf. Langsam ließ der Glatzkopf ihn herunter und schlug ihm die Pranke auf den Buckel, daß er zu Boden ging. Mühsam rappelte sich der Koch hoch und ging Sekunden später unter der schaufelartigen Hand eines anderen Piraten wieder in die Knie. Philip war blaß geworden, aber Hasard zischte ihm zu: „Laß uns die Töpfe wegbringen. Sie werden Ratatü in ihrer Begeisterung schon nicht gleich umbringen.“ Sie schleppten die leeren Töpfe in die verdreckte Kombüse zurück und begannen sofort damit, sie zu säubern. Obwohl sie sich nicht sonderlich Mühe damit gaben, wurden sie doch sauberer, als sie es vor dem Kochen gewesen waren. Der Lärm vor dem Verschlag wollte kein Ende nehmen, bis eine harte Stimme, an der Hasard den Riesen vom Quarterdeck erkannte, die Männer an die Arbeit zurückrief. Wenig später taumelte der Zwerg herein. Sein Atem ging keuchend, sein runzliges Gesicht war schweißüberströmt und gerötet. Dennoch lag ein seliger Glanz in seinen kleinen dunklen Augen.
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Als er den Mund öffnete und zahnlos grinste, sagte Hasard: „Siehst du, JeanLuc, ich habe recht gehabt.“ „Du nix mehr sagen Jean-Luc zu mir“, erwiderte der Zwerg mit freudetrunkener Stimme. „Du jetzt zu mir sagen Ratatouille. Das sein Ehrenname für mich.“ Als Ratatouille sah, daß die Töpfe schon geputzt waren, kannte sein Wohlwollen den Zwillingen gegenüber keine Grenzen mehr. Er setzte sich vor die beiden Jungen hin und begann, ihnen seine Lebensgeschichte zu erzählen, die mit dem Martyrium auf der „L’Executeur“ ihr vorläufiges Ende gefunden und heute eine entscheidende Wende erfahren hatte. Der bucklige Zwerg hatte sich laut seiner eigenen Aussagen an diesem Mittag zum erstenmal nach mehr als zehn Tagen wieder an die frische Luft gewagt, aus Furcht, von den anderen wegen seiner miserablen Kochkunst zu Tode geprügelt zu werden. „Heute nachmittag und morgen früh ich werde Spaziergang über Schiff machen“, sagte er strahlend, „und niemand werden mich schlagen!“ Hasard und Philip hatten schweigend zugehört. Am Ende wußten sie, daß sie genau das erreicht hatten, was von ihnen geplant worden war. Sie hatten Glück gehabt, daß Ratatouille gerade heute einmal nicht so verheerend schlecht gekocht hatte wie sonst, und daß es morgen so blieb, dafür würde er, Hasard, sorgen. 6. Seit Batuti die Flucht des einen Piraten vereitelt hatte, stand er in der Gunst des Schotten ganz oben. Sein Vertrauen in den Gambia-Neger war so groß, daß er ihn allein auf Erkundung geschickt hatte, den nicht bewachsenen Hügel zu durchstreifen, der ihnen wahrscheinlich den Blick auf die südliche Hälfte der Insel verwehrte. Sie waren inzwischen fast zwei Dutzend Männer. Zwei Gruppen von je fünf Mann waren zu ihnen gestoßen. Aus den Gesten
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hatten Matt Davies und die anderen entnehmen können, daß auch diese ihren Auftrag bereits erledigt hatten. Wie viele der anderen Piraten dabei ihr Leben hatten lassen müssen, danach hatte Matt vorsichtshalber erst gar nicht gefragt. Batuti dachte daran, daß dem Schotten, seinen Männern und auch ihnen von der „Isabella“ der härteste Brocken noch bevorstand. Das war die Gruppe, die unter der Leitung des kleinen Franzosen mit dem Sichelbart und der Riesennase eine neue Großstenge heranschaffen sollte. Der Schotte hatte gesagt, daß Le Nez, wie der Giftzwerg hieß, mindestens zwanzig Mann bei sich habe. Batuti bahnte sich seinen Weg durch das dichte Unterholz mit dem Entermesser. Er hielt immer wieder Ausschau nach Schlangen oder Raubtieren, aber anscheinend gab es so was auf dieser Insel nicht. Die Bäume begannen etwas lichter zu stehen, und Batuti hoffte, daß er bald die Spitze des Hügels erreicht hatte, von der aus er die Insel nach allen Seiten überblicken konnte. Doch plötzlich stand er vor einer steil aufragenden Felskante. Er blickte an ihr hinauf und sah einen großen Fleck vom blaß blauen Mittagshimmel. Er überlegte, ob er es wagen könne, die Felskante zu erklettern, aber dann sagte er sich, daß es auch einen leichteren Weg geben müsse. Er ging etwa hundert Yards am Fuß der Felskante entlang und entdeckte schließlich einen Abriß in der Felskante, den er leicht erklettern konnte. Nach einer weiteren Viertelstunde befand er sich am oberen Rand der Felskante und sah sich um. Er hatte einen herrlichen Ausblick nach allen Himmelsrichtungen. Nach Süden war die Sicht nicht sonderlich klar. Batuti meinte, irgendwo an der Kimm den schmalen Streifen eines Landstrichs zu erkennen, aber er war sich nicht sicher. Er drehte sich um und blickte zur Flußmündung hinunter, wo er das Piratenschiff entdeckte, das von hier oben wie eine Nußschale wirkte.
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Er wollte die nähere Umgebung des Hügels, auf dem er sich befand, in Augenschein nehmen, um vielleicht etwas von den Piraten zu sichten, als ein paar Punkte in nordwestlicher Richtung an der Kimm seine Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Dan würde jetzt genau sagen können, was das ist, dachte er. Daß es die Masten von Schiffen waren, sah er nach ein paar Minuten auch, aber ihm war nicht klar, um wie viele Schiffe und um welche Typen es sich handelte. Wahrscheinlich waren das die anderen Piraten von Espanola, die es auf die Silberflotte der Spanier abgesehen hatten. Batuti ahnte, daß die Zeit für den Schotten knapp werden würde. Er ließ seinen Blick über die dichten Wälder nördlich des Hügels schweifen und starrte dann auf eine Stelle, an der eine graue Rauchspirale in den blassen Himmel stieg. Er merkte sich die Stelle anhand von ein paar markanten Punkten und der Richtung, die er von der Spitze des Hügels aus einschlagen mußte. In fünf Minuten hatte er den Fuß der Felskante wieder erreicht. Ein paar hundert Yards lief er in der Schneise zurück, die sein Entermesser geschlagen hatte, dann bog er nach Osten ab und schlug sich wieder durch das Dickicht. Der Schotte hatte ihm die ungefähre Richtung angegeben, in der er sich weiterbewegen wollte. Batuti hatte Glück, daß er die Spuren der anderen Männer kreuzte. Er brauchte ihnen nur zu folgen, und nach einer halben Stunde hatte er sie eingeholt. Der Schotte kniff die Lippen zusammen, als er sich den Bericht des Schwarzen angehört hatte. Viel mehr als drei Stunden blieben ihnen also nicht, die „L’Excuteur“ in ihre Gewalt zu bringen. „Und wo hast du den Rauch gesehen?“ fragte der Schotte heiser. Batuti wies mit der Hand die Richtung und marschierte voraus. Er wußte, daß sie nicht mehr weit von der Stelle entfernt sein konnten, und nach einer halben Stunde
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hallte ihnen das Schlagen von Äxten entgegen. Der Schotte teilte seine Männer in drei Gruppen auf. Diesmal behielt er alle Männer der „Isabella“ bei sich. Er hatte offensichtlich erkannt, daß ihr Kampfwert noch höher einzuschätzen war als der seiner eigenen Männer. Sie schlichen sich immer näher heran. Batuti wies auf eine breite Schleifspur, die von einem frischen Baumstumpf auf eine Lichtung zuführte. Hier hatten die Piraten einen Baum gefällt, und bearbeiteten ihn auf der Lichtung, wo sie Platz genug hatten. Der Schotte wollte erst einmal allein die Lage sondieren und befahl den anderen, zurückzubleiben. Er war noch nicht einmal fünf Minuten verschwunden, als Matt Davies Stimmen hörte und hastig flüsterte: „Los, weg hier!“ Sie wußten nicht, was die Piraten hier noch zu suchen hatten, aber vielleicht ergab sich eine Möglichkeit, ein paar von ihnen ohne großen Kampf auszuschalten. Es waren vier Mann. Matt Davies hatte noch keinen von ihnen gesehen. Sie unterhielten sich lachend. Nebeneinander gingen sie auf der Schneise, die sie mit dem gefällten Baumstamm gezogen hatten, auf den frischen Baumstumpf zu. Matt sah aus seiner Deckung hervor, daß einer von ihnen eine Axt aufhob, die im Gras gelegen hatte, und sich auf den Baumstumpf setzte. Einer der anderen hatte offensichtlich einen Witz erzählt, denn sie begannen alle auf einmal zu lachen. Mit Handbewegungen scheuchte Matt Batuti, Stenmark und Blacky weg, damit sie die vier Piraten in die Zange nehmen konnten. Dann wartete er, bis er das leise Pfeifen hörte, das wie der Schrei eines Vogels klang. Die Piraten kümmerten sich nicht darum. Der Mann mit der Axt hatte sich wieder erhoben, und gemeinsam wollten sie die Schneise zur Lichtung zurückgehen. Matt gab dem Piraten, den der Schotte bei seiner Gruppe behalten hatte, ein paar Zeichen mit der Hand. Der Mann verstand.
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Seine Augen waren groß. Wahrscheinlich hatte er ein bißchen Angst, den vier Männern allein gegenüberzutreten, aber er riß sich zusammen und trat auf die Schneise hinaus. Die vier Piraten blieben stehen, als sie ihren Kumpan von der „L’Executeur“ plötzlich vor sich stehen sahen. Sie sprachen ein paar Worte miteinander, bis einer von ihnen zusammenzuckte und herumwirbelte. Er hatte das knackende Geräusch, das hinter ihnen aufgeklungen war, als einziger richtig gedeutet. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, doch in diesem Moment traf ihn Batutis Faust an der Stirn und schickte ihn besinnungslos zu Boden. Mit einem wilden Schrei warf sich der Mann mit der Axt nach vorn. Er hatte begriffen, daß der Mann, der ihnen in den Weg getreten war, mit den Angreifern unter einer Decke steckte. Er schwang seine Axt so schnell, daß der Pirat vor ihm nicht mehr ausweichen konnte. Die Schneide zischte durch die Luft und traf den Mann tödlich. Ohne einen Ton sackte er zusammen und rührte sich nicht mehr. Matt Davies hatte den Axtträger erreicht, der sofort herumgewirbelt war und schon sein schweres, breites Messer in der rechten Hand hielt. Die Klinge prallte gegen Matts Eisenhaken. Gleichzeitig zischte seine linke Hand vor. Das Messer darin verfehlte den Piraten nur knapp. Mit einer geschickten Drehung hatte der Mann dem Stoß die Wucht genommen. Die Spitze schlitzte nur seinen weiten Hemdsärmel auf. Matt hörte hinter und neben sich wilde Kampfgeräusche. Er dachte daran, daß der Lärm sicher auf der Lichtung zu hören war, und hoffte nur, daß die Männer des Schotten rechtzeitig zur Stelle waren, wenn die restlichen Piraten von der Lichtung hier auftauchten. Er hatte keine Zeit, sich nach den anderen umzudrehen. Der Pirat mit dem schweren Messer war ein geschmeidiger Bursche. Geschickt wich er immer wieder dem
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vorstoßenden Haken seines Gegners aus und ging fast gleichzeitig jedesmal zum Angriff über. Vielleicht wäre der Kampf schneller vorbei gewesen, wenn Matt Davies darauf ausgewesen wäre, den Mann zu töten, aber das war noch nie seine Art gewesen. Er stellte sich auf die Kampfweise des Mannes ein. Plötzlich bemerkte er, daß außer seinem scharfen Atem und dem Keuchen seines Gegners keine Geräusche mehr zu hören waren. Wieder wehrte er mit einer kurzen Bewegung aus dem Handgelenk das Messer des Piraten ab. Und diesmal schaffte er, was er schon die ganze Zeit vorgehabt hatte. Der Haken an seiner rechten Hand verfing sich hinter der gebogenen Parierstange. Mit einem kurzen Ruck riß Matt dem Piraten das schwere Messer aus der Hand. Der Pirat wich einen halben Schritt zurück, blieb dann aber abrupt stehen. Matt sah, wie sich seine Augen weit öffneten. Er drückte das Kreuz durch und ging langsam in die Knie. Aber erst als er nach vorn aufs Gesicht fiel, ohne den Versuch zu unternehmen, sich mit den Händen abzustützen, sah Matt den Grund für seinen Sturz. Aus dem Rücken des Piraten ragte der Griff eines Stiletts. Matt blickte auf. Er starrte dem Schotten entgegen, der hinter einem Baum hervortrat, auf den am Boden liegenden Piraten zuging und das Stilett wieder an sich nahm. Ein leichtes Grinsen zog das Gesicht des Schotten in die Breite. „Ihr seid komische Heilige“, sagte er. „Ihr wißt genau, daß die Kerle euch mit in den Tod reißen würden, und dennoch geht ihr sanfter mit ihnen um als mit einem Kerl, der euer Mädchen mal schief angeschaut hat.“ Matt Davies sagte nichts. Er wollte den Schotten nicht provozieren. Aber wer wußte schon, ob sie sich auf die richtige Seite gestellt hatten? Gab es überhaupt eine richtige Seite in diesem Kampf? Auch der Schotte und die Männer dieses Le Requin waren skrupellose Piraten, denen
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es um nichts anderes ging als um reiche Beute. Ein Menschenleben zählte da nichts, ob es sich um einen Feind handelte oder um einen Kumpan, dessen Beute man für sich beanspruchte. Matt wandte sich ab. Er sah, wie der Begleiter des Schotten den letzten Piraten tötete, den Stenmark nur verwundet hatte. Er preßte die Lippen aufeinander. Sie konnten nichts tun, wenn sie das Leben der Zwillinge und des Kutschers nicht gefährden wollten. Ein Schuß auf der Lichtung ließ sie alle zusammenfahren. Das Grinsen des Schotten war plötzlich wie weggewischt. „Vorwärts!“ zischte er seinen Kumpan an, der noch sein blutbeschmiertes Messer in der Hand hielt. Um Matt und die anderen kümmerte er sich nicht weiter, als er auf die Lichtung zustürmte, auf der ein fürchterlicher Kampf entbrannt war. Matt hörte es an den klirrenden Geräuschen aufeinandertreffender Klingen. Ein zweiter Schuß krachte, und ein Schrei riß auch die Männer von der „Isabella“ aus ihrer Erstarrung. Sie liefen hinter dem Schotten und seinem Kumpan her. Auf der Lichtung war ein Gemetzel im Gange, wie Matt Davies es sonst nur erlebt hatte, wenn Piraten ein Schiff enterten. Genauso wenig, wie sie Gnade mit ihren Opfern hatten, nahmen sie jetzt Rücksicht auf ihre ehemaligen Kameraden. Wahrscheinlich dachten sie nicht nur daran, daß die anderen sie mit in den Tod reißen würden, sondern kämpften auch dafür, daß die zu erwartende Beute nicht mehr in zu viele Anteile aufgeteilt werden mußte. Als Matt, Stenmark, Blacky und Batuti sahen, daß die Männer des Schotten das Überraschungsmoment voll genutzt und die anderen Piraten fest im Griff hatten, nahmen sie nicht mehr am Kampf teil. Sie sahen mit zusamtnengepreßten Lippen, wie die Piraten des Comte getötet wurden. Auch unter den Männern des Schotten hatte es diesmal Verluste gegeben. Drei Piraten waren tot, ein vierter so schwer
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verwundet, daß er den Weg zurück kaum mehr lebend überstehen würde... Laut hallte die Stimme des Schotten über die Lichtung. Er befahl seinen Männern, die Leichname der Piraten so liegen zu lassen, wie sie lagen. Zwölf Männer luden sich den fast fertig behauenen Baumstamm von der Stärke eines Oberschenkels auf die Schultern, und zwei Piraten wurden vorausgeschickt, um zu erkunden, was inzwischen beim Schiff vorgefallen war. Sie hatten nur noch knapp zwei Stunden Zeit, dann waren die Schiffe der anderen Piraten von Espanola da, und die Entscheidung an Bord der „L’Executeur“ mußte gefallen sein. Der Schotte wandte sich grinsend nach den auf dieser Insel Ausgesetzten um. „Der erste Teil unseres Planes hat ausgezeichnet geklappt“, sagte er. „Auch dank eurer Hilfe. Le Requin wird das zu würdigen wissen. Wenn wir unter seiner Führung beim Angriff auf die Silberflotte dabei sind, werdet ihr eine fette Prise einstecken.“ Matt Davies und die anderen nickten nur. Der Schotte brauchte nicht zu wissen, daß eine fette Prise sie einen Dreck interessierte. Viel lieber hätten sie gewußt, was mit der „Isabella“ geschehen war. Sie hätten viel darum gegeben, zu wissen, ob es dem Seewolf, Ben Brighton, Carberry und den anderen Kameraden gelungen war, die offensichtlich angeschlagene „Isabella“ sicher an Land zu segeln und wieder flottzumachen. 7. Der Kutscher hatte die Gelegenheit ausnutzen wollen, als der Triangel die Mannschaft zum Essenfassen gerufen hatte, aber diesmal waren ihm zwei andere Piraten in den Weg getreten und hatten ihm mit unmißverständlichen Gesten erklärt, was ihn erwartete, wenn er es wagte, auf der Kuhl zu erscheinen. Er hatte die beiden Zwillinge nur ab und zu in der Menge der Piraten auftauchen sehen, sie dagegen schienen ihn nicht mal bemerkt zu haben. Nach einem wüsten
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Gebrüll und dem anschließenden Essen waren die Zwillinge wieder in dem Verschlag verschwunden. Seitdem hatte er nichts mehr von ihnen gesehen. Er war froh, daß es ihnen gut ging. Anscheinend hatten sie jedoch genau wie er Anweisung, sich nicht auf dem Schiff herumzutreiben. Einer der beiden Piraten, die ihn lauernd bewachten, sprach Englisch. „He“, sagte der Kutscher zu ihm. Der Pirat drehte den Kopf und starrte ihn an. „Schnauze halten!“ erwiderte er grollend. Wut stieg im Kutscher hoch. Wenn sie ihm wenigstens erklären würden, warum er sich von seinem Lagerplatz nicht entfernen und die Schnauze nicht aufreißen durfte! Die ganze Situation kotzte ihn allmählich an. Wahrscheinlich bin ich verwöhnt, dachte er. Beim Seewolf auf der „Isabella“ durfte jeder seine Meinung sagen. Hier bei den Piraten war das Denken wahrscheinlich verboten. Er versuchte es noch einmal. „He, du Drecksack!“ Der Pirat erhob sich. Er überragte den Kutscher, der sich ebenfalls aufrichtete, um mehr als einen Kopf. Sein wild wuchernder Kinnbart, der in allen Farben schimmerte, sträubte sich. „Was willst du Laus?“ fragte er und hob die rechte Faust, die groß wie eine Wassermelone war, zum Schlag. „Ich will arbeiten“, sagte der Kutscher. „An Deck ist so viel zu tun, da ist es eine Schande, wenn drei Kerle nur herumsitzen. Ihr könnt mich doch auch im Auge behalten, wenn wir den anderen helfen, die neue Großbramstenge.. herzurichten.“ Der Pirat starrte ihn an, als hätte er sie nicht mehr alle. „Du bist verrückt!“ sagte er aus voller Überzeugung. „Sei froh, daß du hier im Schatten sitzen und dich erholen kannst. Wenn du noch ein Wort sagst, polier ich dir die Zähne, daß dir die Lust an der Arbeit vergeht, klar?“ „Klar“, erwiderte der Kutscher sarkastisch. „Dann laß mich wenigstens den Holzteiler, den mir einer deiner Kumpane gebracht hat, zur Kombüse zurückbringen.“
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„Mann!“ stieß der bärtige Riese hervor. „Hast du Flöhe im Arsch oder was? Setz dich, verdammt noch mal, hin, und halt endlich die Schnauze! Dein Teller bleibt, wo er ist. Das Zeug, das noch drauf klebt, wird morgen wahrscheinlich besser schmecken als der neue Fraß von Ratatouille. Heute ist ihm wohl was mißlungen. So genießbar wie vorhin war sein Gekochtes schon lange nicht mehr.“ „Warum schmeißt ihr ihn nicht über Bord?“ fragte der Kutscher. „Und wer soll dann für uns kochen, du Klugscheißer?“ „Ich“, sagte der Kutscher. „Ich bin gelernter Koch. Ich habe jahrelang in der Küche von Sir Freemont gestanden und ihm die besten Speisen bereitet.“ Der Pirat begann zu grinsen. „So“, sagte er, „und warum kochst du nicht mehr für deinen Sir?“ „Er ist an Herzverfettung gestorben“, sagte der Kutscher mit traurigem Hundeblick. „Meine Speisen haben ihm so sehr gemundet, daß er sich überfressen hat. Vor Gram und Kummer habe ich mich von einem Freund überreden lassen, meine Kochkünste für ihn und seine Kameraden auszuüben. Leider merkte ich erst zu. spät, daß mein Freund bei einem Piraten angeheuert hatte. Und so hat mich das Schicksal nach Westindien verschlagen und mich an Bord einer Karacke geweht, auf der es von Verrückten wimmelt, die sich über einen genießbaren Fraß, der einem den Magen nach außen kehrt, freuen, als würden sie an der Tafel eines Königs speisen.“ Der Kutscher war ein wenig freizügig mit seinem Lebenslauf umgegangen, aber er brauchte schließlich keine Befürchtungen zu haben, daß ihn jemand der Lüge bezichtigen könne. Der bärtige Riese war nachdenklich geworden. Die Aussicht, von einem Mann bekocht zu werden, der etwas von seinem Fach verstand, war zu verlockend, um so ohne weiteres darüber hinwegzugehen. Er drehte den Kopf und sprach kurz mit seinem Kumpan. Der Kutscher sah, wie sich der Mann über die Lippen leckte und heftig nickte. Der
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Riese wandte sich ihm wieder zu und sagte mit grollender Stimme: „Wenn du mich angelogen hast, wirst du deines Lebens nicht mehr froh werden, das schwöre ich dir. Ich werde jetzt zu Vert-de-gris gehen und ihm deine Geschichte erzählen. Ratatouilles Fraß hat uns allen bereits den Magen versaut. Vielleicht wirst du schon heute abend unser neuer Koch sein.“ „Wer ist Vert-de-gris?“ fragte der Kutscher mit besorgtem Blick. „Unser Profos“, erwiderte der Pirat. „Der Glatzkopf mit der Pockenfresse?“ fragte der Kutscher flüsternd. Der Riese drehte schnell den Kopf, bevor er sagte: „Laß ihn das nicht hören. Er ist verdammt empfindlich.“ „Vergiß es“, sagte der Kutscher. „Was soll ich vergessen?“ „Daß ich für euch koche.“ „Warum denn?“ „Der Glatzkopf kann mich nicht leiden“, sagte der Kutscher. „Ich glaube, der würde lieber den Fraß eures Koches essen, als mich in die Kombüse zu meinen Söhnen zu lassen.“ „Quatsch“, sagte der Riese. „Wenn. Vertde-gris dir einen übergebraten hat, dann nur, weil er es nicht leiden kann, wenn einer nicht gehorcht.“ „Ich denke, der Bootsmann gibt auf diesem Schiff die Befehle? Und der hat mir geholfen, als der Glatzkopf mich totschlagen wollte.“ „Verdammt, sag nicht immer ‚Glatzkopf’!“ zischte der bärtige Riese. „Ich denke, der Kerl versteht kein Englisch?“ „Das denkst du“, flüsterte der Pirat. „Der versteht alles. Der ist gerissener als alle Männer auf der ,L’Executeur` zusammen. Du könntest polnisch reden, und er würde dich verstehen.“ „Woher weißt du das?“ fragte der Kutscher. Der Riese zuckte richtig zusammen. „Ich weiß gar nichts, verdammt!“ sagte er heftig. „Ich glaube, du bist ein ganz gefährlicher Kerl. Ich hätte mich lieber nicht mit dir unterhalten sollen. Am Ende hänge ich noch neben dir an einer Rahnock oder schwimme mit dir zusammen mit
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einem Messer im Rücken den Fluß hinunter.“ Der Kutscher nickte grinsend. „Gut, daß du weißt, daß wir jetzt an einem Strang ziehen“, sagte er. „Ich glaube, es ist besser, wenn du dich gleich an den Bootsmann wendest.“ Der Riese schüttelte den Kopf. „Geht nicht“, erwiderte er. „Und warum nicht?“ „Weil Le Requin sich nicht darum kümmert, was auf der Kuhl vor sich geht. Er hat Vert-de-gris noch nie mit Vorschriften belämmert, er hat ihn höchstens mal daran gehindert, wenn er in seiner Wut einen Mann totschlagen wollte. Aber sonst kann der Profos hier unten schalten und walten, wie er will.“ „Verdammt, dann geh zu diesem Vert-degris“, sagte der Kutscher wütend. „Mehr als totschlagen kann er uns schließlich nicht.“ Er hatte absichtlich „uns“ gesagt, damit der Riese sich auch wirklich mächtig ins Zeug legte, ihn als Austausch für den buckligen Koch anzupreisen. Der Pirat nickte. Er drehte sich um und wollte sich entfernen, doch plötzlich blieb er stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Der Kutschen sah, wie er den Kopf zwischen die Schultern zog, als erwarte er Schläge. Plötzlich stand der Profos vor ihm. Die mit Pockennarben übersäte Glatze glänzte in der Sonne. Sein tückischer Blick glitt über den Riesen zu dem anderen Piraten und schließlich zum Kutscher. Er sagte etwas auf französisch zu dem Riesen, der eine hastige Antwort hervorsprudelte. Immer wieder hörte der Kutscher das Wort „cuisinier“ Der Glatzkopf unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung, sagte etwas, drehte sich um und ging davon. Der bärtige Riese blieb noch einen Augenblick stocksteif stehen, dann trat er hastig neben den Kutscher und packte ihn am Arm. „Mann, wer weiß, was das wieder bedeutet“, sagte er zischend. „Der Alte will dich sprechen. Vert-de-gris soll dich zu ihm bringen. Die speisen jetzt erst zu
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Mittag. Du bist eingeladen, mit Vert-degris und dem Bootsmann an der Kapitänstafel zu sitzen.“ „Ich soll den Fraß noch mal essen?“ fragte der Kutscher empört und versuchte, sich aus dem Griff des Riesen zu befreien. Der Pirat hielt ihn fest. „Los, komm endlich mit!“ stieß er hervor. „Oder glaubst du, ich will deinetwegen die Neunschwänzige verpaßt kriegen? Du brauchst keine Angst vor dem Essen zu haben. Die Herren vom Achterdeck haben ihren eigenen Koch.“ „Wenn das so ist.“ Der Kutscher folgte dem Riesen, bevor der ihm den Arm ausreißen konnte. Die anderen Piraten schienen inzwischen alle die Sensation vernommen zu haben. Sie starrten den Kutscher an, als sei er ein Fabeltier. Eben noch hatte ihn der Profos fast totgeschlagen, und jetzt sollte er mit dem Kapitän speisen. Der Kutscher begann zu grinsen. Wenn er allerdings gewußt hätte, was die Männer sonst noch dachten, hätte er sicher auf der Stelle umgedreht und hätte in Kauf genommen, von dem muskelbepackten Glatzkopf durch die Decksplanken geschlagen zu werden. * Er mußte sich Mühe geben, ein Grinsen zu verkneifen, als er den Riesen vom Achterdeck durch eine niedrige Tür treten sah. Der Mann sah aus wie ein Clown. Sein Oberkörper war bloß. Muskeln spielten unter der mit Narben übersäten Haut. Er trug eine gestreifte Hose, die von einer roten Schärpe an den Hüften gehalten wurde. Aber statt seines roten Kopftuches trug er eine grauweiße Perücke mit langen Locken, die ihm fast bis auf die Schultern fielen. Die Perücke war für seinen Kopf viel zu klein. Sie gab ihm das Aussehen eines Betrunkenen, zumal sie noch schief auf dem großen Kopf saß und an der linken Schläfe einen Teil seiner schwarzen Haare zeigte. Ein kleiner, spindeldürrer Mann tauchte hinter dem Bootsmann auf. Er hatte eine
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Schürze vor dem Bauch, die eine Wäsche vertragen konnte. Der Mann hielt in jeder Hand eine Perücke, und als er dem glatzköpfigen Profos eine von ihnen reichte und der sie sich mit einer lässigen Handbewegung über die Glatze streifte, wußte der Kutscher, was ihm blühte. Er dachte nicht mehr daran, über den Aufzug des Bootsmannes zu grinsen. Er nahm die Perücke aus der Hand des Schürzenträgers entgegen und drehte sie in den Händen. Er hatte offensichtlich die schmutzigste erhalten. Hoffentlich sind keine Würmer drin, dachte er voller Abscheu, als er sie sich gottergeben auf die Haare stülpte. Le Requin, der Bootsmann, nickte. „Der Kapitän liebt es nicht, wenn ihm ein Mann ohne Perücke gegenübertritt“, sagte er. „Er hält auf Etikette, die er seinem Adelsrang schuldig ist. Er möchte dich stellvertretend für deine Kameraden an Bord der ,L’Executeur` begrüßen. Ich hoffe, du weißt die Ehre zu schätzen, an seiner Tafel Platz nehmen zu dürfen.“ Der Kutscher nickte. Mein Gott, dachte er, sind sie denn auf diesem Schiff alle verrückt? Er folgte dem Bootsmann und Vert-de-gris durch eine niedrige Tür, die der Mann mit der Schürze hinter ihnen zuzog. Durch einen dunklen Gang gelangten sie in die Kapitänskammer, die von einem langen, schmalen Tisch fast völlig ausgefüllt wurde. An dem ihnen zugewandten Ende des Tisches waren drei Gedecke aufgetischt, dazu eine Schale mit Obst und ein Kerzenleuchter mit sechs Kerzen, die brannten. Am anderen Ende saß ein Mann. Außer ihm befand sich niemand mehr in der Kammer, also mußte das der Kapitän sein. „Der Comte Armand de Fauvenoir“, sagte der Bootsmann mit getragener Stimme. Er schob den Kutscher am schmalen Tisch entlang auf den Mann zu. Erst jetzt war der Mann deutlicher zu sehen. Im Schein der Kerzen sah das rötlich glänzende, verfallene Gesicht wie
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die Maske eines Teufels aus. Der Kerl hing schief in seinem Sessel, in der einen Hand ein großes Glas, das bis zur Hälfte mit Rotwein gefüllt war. Die schmalen Finger der anderen Hand trommelten auf der Tischplatte. Der Kutscher fühlte sich von den kleinen, stechenden Augen durchbohrt. Er dachte nicht daran, über die rosa Perücke, in die blaßblaue Schleifen gebunden waren, zu lächeln. Er hatte das Gefühl. einem Menschen gegenüberzustehen, dem es Freude bereitete, andere zu quälen. Instinktiv verbeugte sich der Kutscher und vollführte eine wedelnde Bewegung mit der rechten Hand, wie er es schon häufiger bei vornehmen Spaniern gesehen hatte. Der Comte schien davon sehr angetan. Er zog die Lippen in die Breite und zeigte ein paar braune Zahnstummel, die ihm sicherlich nicht allzu viel Freude bereiteten. „Ich sehe, Sie wissen sich zu benehmen, mein Freund“, sagte der Comte mit süffisanter Stimme, die hell wie eine gläserne Glocke klang. „Nehmen Sie Platz, meine Herren.“ Der Kutscher trat zurück und wartete, bis Le Requin ihm einen Platz anwies. Er setzte sich. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß die Kammer nur von Kerzen erleuchtet wurde. Die Fenster zum Heck waren mit schweren Brokatgardinen verhängt. Er dachte über den Namen des Comte nach. Sicher hatte er ihn sich nur zugelegt, denn so viele Kenntnisse hatte der Kutscher, daß er wußte, daß Fauvenoir „schwarzes Raubtier“ hieß. Offensichtlich war es unter den Piraten Mode, sich möglichst wüste Namen zuzulegen. Der Kutscher zuckte zusammen, als hinter ihm etwas hart auf den Boden gestampft wurde. Er wandte den Kopf und sah den kleinen, spindeldürren Aufklarer mit der Schürze, der einen langen Stab in der Hand hielt und ihn auf den Boden hämmerte. „Le hors d’oeuvre“, sagte er mit krächzender Stimme. „Mouette á l’executeur!“ Ein Schauer nach dem anderen rann dem Kutscher über den Rücken. Er schaute den
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Bootsmann von der Seite an, aber Le Requin und auch der Profos starrten unbewegt durch die Kerzen auf den Kapitän, der immer weiter zur Seite sackte, dann aber von einem herzhaften Rülpser wieder in die richtige Position zurückbefördert wurde. „Guten Appetit, meine Herren“, sagte er, als der spindeldürre Aufklarer die Teller vor sie hingestellt hatte. Der Kutscher sah einen gebratenen Vogel vor sich liegen. Er hatte bisher noch keine Möwe gegessen, aber wenigstens sah es einigermaßen genießbar aus. Le Requin wollte gerade seinen Vogel aufschneiden, als die helle Stimme des Kapitäns ihn innehalten ließ. „Lieber Le Requin“, sagte der Comte, rülpste und sprach dann weiter: „Würden Sie mir die Ehre erweisen und persönlich eine neue Flasche Wein für mich holen?“ Der Bootsmann legte Messer und Gabel mit ruhigen Bewegungen auf den Tisch und erhob sich. Der Kutscher hatte genau gespürt, wie ein kurzer Blick ihn streifte, dann nickte Le Requin, drehte sich um und verließ die Kapitänskammer. Es war offensichtlich, daß der Comte den Bootsmann los sein wollte. Die Karaffe, die vor ihm auf dem Tisch stand, war zu mehr als der Hälfte gefüllt. Dem Kutscher schlug das Herz plötzlich bis zum Hals hinauf. Er war weiß Gott kein Angsthase, aber die ganze Atmosphäre dieses Raumes, der ihn an eine Gruft erinnerte, trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Der Kapitän begann plötzlich zu stöhnen. Sein Gesicht verzerrte sich. Wütend stampfte er mit dem Fuß auf. Der kleine Mann mit der Schürze, der die Kammer wieder verlassen hatte, nachdem die Möwen serviert waren, wieselte durch die Tür, schenkte Wein nach und träufelte aus einer winzigen Flasche ein paar Tropfen in die dunkelrote Flüssigkeit. Wie ein Verdurstender schüttete der Comte den Wein in sich hinein. Sein Gesicht blieb noch für Minuten verkniffen, dann löste es sich, und in seine Augen trat ein tückisches, gemeines Glitzern.
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Er beugte sich vor und fixierte den Kutscher. „Sag dem englischen Schwein, was ich von ihm wissen will“, sagte er. Es hörte sich an wie das Zischeln einer Schlange. Ehe der Kutscher den Kopf drehen konnte, weil er merkte, daß der Comte den Profos angesprochen hatte, spürte er etwas Kaltes an seinem Hals. Er erstarrte. Langsam senkte er den Blick und sah die Schneide eines Messers im Schein der Kerzen blitzen. „Was hat Le Requin mit euch vor?“ fragte der Muskelprotz mit gequetschter Stimme. Irgendetwas stimmte mit seinem Kehlkopf nicht. Dem Kutscher gingen noch andere Gedanken durch den Kopf, aber der Schmerz an seinem Hals brachte ihn wieder zur Besinnung. Er merkte, wie ihm Blut am Hals hinunter in den Kragen lief. „Ich - ich weiß es nicht!“ stieß er hervor. „Ich weiß nicht einmal, warum sie mich allein an Bord zurückgelassen haben.“ „Er weiß nichts. Vert-de-gris“, sagte der Comte lächelnd. „Was für ein Glück, daß er kein Schwätzer ist. Sonst hätte er uns um unser Vergnügen gebracht, nicht wahr?“ Der Glatzkopf grinste unter seiner Perücke, die ihm in die Stirn gerutscht war, und nickte. „Soll ich die Schaukel ...“ Der Comte winkte ab und verzog gelangweilt das Gesicht. „Das haben wir doch erst letzte Woche gehabt“, sagte er. „Vert-de-gris, du willst doch nicht anfangen, mich zu langweilen?“ Der Glatzkopf schüttelte so heftig den Kopf, daß ihm seine Perücke über die Ohren rutschte. Da er das Messer nicht vom Hals seines Opfers nehmen wollte, fiel die Perücke zu Boden. Hastig bückte sich der Profos danach. Es schien ihm in diesem Moment egal, daß er den Kutscher dabei aus den Augen lassen mußte. Im nächsten Augenblick wußte der Kutscher auch, warum. Das rötliche Gesicht des Comte verzerrte sich zu einer Maske des Wahnsinns. Seine rechte Hand zuckte zurück und schleuderte
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das Glas auf den Glatzkopf, der sich gerade wieder aufrichtete. „Du haarloses Schwein wagst es, mir ohne Perücke unter die Augen zu treten?“ kreischte der Comte mit sich überschlagender Stimme. „Ich werde dich vierteilen und zerschneiden lassen und deine einzelnen Stücke an den Rahen aufspießen!“ Der Profos hatte die Perücke wieder auf dem Kopf. Er hatte die Hände an die Hose gelegt und verbeugte sich ein paarmal. Er sagte kein Wort. Wahrscheinlich wußte er, wie er den Comte am schnellsten wieder beruhigen konnte. Der spindeldürre Mann tauchte wieder auf und fragte mit zitternder Stimme etwas auf französisch. Der Comte sackte in seinem Sessel zurück und schnaufte. Erst als der kleine Mann seine Frage wiederholt hatte, nickte er. Er zog ein Spitzentaschentuch aus dem Ärmelumschlag seines Rockes und fuhr sich damit über das Gesicht, das plötzlich in Schweiß gebadet war. Seine Hand war ruhig, als er das neue Glas entgegennahm und der kleine Mann es mit Wein aus der Karaffe füllte. Der Anfall des Comte schien von einem Augenblick zum anderen vorbei zu sein. Es war, als wäre nichts geschehen. Auch der Profos hatte sich gefangen. Er wußte offensichtlich, daß die Gefahr für ihn gebannt war. Er wollte wieder die Hand mit dem Messer heben, um die Spitze dem Kutscher gegen den Hals zu setzen, als dieser reagierte. Nichts war dem Kutscher widerwärtiger als Menschen, die sich Lust dadurch verschafften, daß sie andere Lebewesen quälten. Er hatte schon viel auf diesem Gebiet kennengelernt, aber der Comte übertraf sie offensichtlich alle. Als der Glatzkopf sich wieder aufrichtete und strammstand und der Comte sich wieder beruhigte, wußte der Kutscher, daß er handeln mußte, wollte er sich nicht als willenloses Opferlamm abschlachten lassen.
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Seine rechte Hand zuckte blitzschnell vor, schloß sich um den Kerzenleuchter und riß ihn hoch. Der Glatzkopf wollte sich zurückwerfen, als die Kerzenflammen auf ihn zuschossen, aber er war viel zu langsam. Der Kutscher traf das pockennarbige Gesicht und ließ den Leuchter sofort fallen. Er wußte, daß der Muskelprotz nur vor den Flammen zurückgezuckt war. Viel Schaden konnten sie sicher nicht anrichten. Er sah den Degen, der an der vertäfelten Wand der Kammer hing, und sprang darauf zu. Wie durch eine Wand hörte er den unterdrückten Schrei des Glatzkopfes. Er riß den Degen aus der Scheide und wirbelte herum. Der Glatzkopf stand immer noch an derselben Stelle und hatte beide Hände vor das Gesicht gepreßt. Offensichtlich hatte eine der Kerzen ihn geblendet. Der Kopf des Kutschers ruckte herum zu dem Kapitän und dem kleinen Mann, der mit weit aufgerissenen Augen neben dem Sessel stand. In den Augen des Comte war ein gieriges Glitzern. Vielleicht wartete er nur darauf, daß der Kutscher den Spieß umdrehte und den bärenstarken Profos vor seinen Augen tötete. Der Kutscher dachte nicht daran. Er wußte, daß niemand auf das Leben des Glatzkopfes Rücksicht nehmen würde. Anders würde es sich bei dem Comte verhalten. Es war klar, daß sein Leben verwirkt war. Der Kutscher konnte das Piratenschiff niemals lebend verlassen, wenn er nicht ein Faustpfand in der Hand hatte. Und selbst dieses Faustpfand würde ihm wahrscheinlich nicht einmal helfen. Mit wenigen Schritten war er beim Comte und hielt ihm die Spitze des Degens unters Kinn. Der kleine Mann mit der Schürze hob die Hand mit der Karaffe und schleuderte sie. Der Kutscher konnte sich im letzten Augenblick ducken. Das geschliffene Glas zischte dicht an seinem Kopf vorbei und zerklirrte an der Kante einer Truhe.
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Wein spritzte in den Raum. Der rosafarbene Rock des Comte war plötzlich mit kleinen roten Flecken übersät. Fauvenoir begann zu kreischen wie ein Schwein, das abgestochen wird. Er ruckte in seinem Sessel hoch. Die Degenspitze, die ihm der Kutscher gegen den Hals gedrückt hatte, ritzte seine Haut, und gurgelnd sackte er in seinen Sessel zurück. Der Kutscher hatte sein Messer gezogen und richtete es gegen den Mann mit der Schürze, der zu zittern begann und beide. Arme abwehrend vorstreckte. „Raus hier, du Hundesohn!“ schrie der Kutscher ihn an. „Oder ich schneide dir die Ohren ab!“ Der Mann drehte sich um, lief wie ein Wiesel an dem Muskelprotz vorbei und huschte durch die Tür aus der Kammer. Die Kerle verstehen alle verdammt gut Englisch, dachte der Kutscher wütend. Er vernahm einen gedämpften Ton, der sich anhörte, als blase jemand auf einer Fanfare. Ihm blieb keine Zeit, lange darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hatte. Der Comte kreischte immer noch, wagte sich aber nicht mehr zu rühren. Vert-de-gris hatte die Hände vom Gesicht genommen, das zu einer fürchterlichen Grimasse verzerrt war. Über dem linken Auge war ein schwarzer Fleck, den eine Kerzenflamme verursacht haben mußte. Er blinzelte mit dem rechten Auge, und ein tiefes Grollen drang aus seiner mächtigen Brust. Seine Hände, die groß wie Schaufeln waren, öffneten und schlossen sich. Er trat einen Schritt auf den Kutscher zu, blieb aber wieder stehen, als dieser den Druck der Degenspitze auf den Hals des Comte verstärkte und dieser in noch höheren Tönen zu quieken begann. „Bleib mir vom Leib, Glatzkopf!“ sagte der Kutscher mit erhobener Stimme. „Einen Schritt weiter, und dein Comte kann durch den Hals atmen!“ Der Glatzkopf zersprang fast vor Wut. Der Kutscher sah ihm an, daß er am liebsten keine Rücksicht auf den Comte genommen hätte, aber er war sich offensichtlich
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darüber im klaren, daß mit dem Tod des Kapitäns auch seine Zeit an Bord der „L’Executeur“ abgelaufen war. Der Kutscher ruckte mit dem Messer in der linken Hand. „Verschwinde, Glatzkopf!“ sagte er zischend. „Hol den Bootsmann. Ich will mit ihm sprechen.“ Er merkte erst im letzten Augenblick, daß ihm die schmuddelige Perücke übers Ohr rutschte. Die Hand mit dem Messer fuhr hoch, um sie zu halten, aber er schaffte es nicht. Die Perücke fiel auf den Tisch. Das Kreischen des Comte verstummte abrupt. Seine kleinen Augen quollen hervor und starrten auf die Perücke, die vor ihm auf dem Tisch lag. Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung zuckte seine Hand vor und hieb die Klinge des Degens zur Seite. Daß die Spitze ein bißchen Haut mitnahm, schien er nicht zu spüren. Der Kutscher wurde von der heftigen Bewegung überrascht. Er wollte den Degen wieder herumreißen, als er aus den Augenwinkeln sah, wie sich der Glatzkopf zum Sprung duckte. Gleichzeitig griff die Hand des Comte zur Perücke und schleuderte sie dem Kutscher entgegen, der nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Sie traf ihn im Gesicht und lenkte ihn für einen kurzen, aber entscheidenden Augenblick ab. Der Glatzkopf hatte seine Chance erkannt und nahm sie wahr. Mit einem wahren Panthersatz hechtete er dem Kutscher entgegen, stieß einen hochlehnigen Stuhl um und erwischte den zurückweichenden Kutscher an der Hüfte. Der Kutscher verlor den Halt und krachte zu Boden. Krampfhaft hielt er den Degen fest und hieb damit nach dem Muskelprotz, der neben ihm auf den blankgescheuerten Planken gelandet war. Der Glatzkopf schrie röhrend auf. Die Klinge des Degens hatte sein Hosenbein am rechten Oberschenkel aufgeschlitzt und eine blutige Schramme im Fleisch verursacht. Der Kutscher war sofort wieder auf den Beinen. Er hatte den Comte in diesem
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Augenblick vergessen. Er wußte, daß der Glatzkopf ihn umbringen wollte. Wenn er nicht schneller war als der Profos, war er in einigen Minuten ein toter Mann. Der Glatzkopf stemmte sich an einem Stuhl in die Höhe. Jedenfalls sah es für den Kutscher so aus. Daß es eine Finte war, merkte er fast zu spät. Der Stuhl flog ihm entgegen. Er ließ sich blitzschnell fallen, aber das hölzerne Geschoß traf ihn noch an der Schulter. Ein stechender Schmerz raste durch seinen Körper, als er versuchte, sich am Boden herumzudrehen und die Degenspitze auf den Glatzkopf zu richten, der sofort wieder angriff. Ein Fuß des Profos’ zuckte vor und traf den Parierkorb des Degens. Die Waffe flog durch die Luft, prallte gegen die Vertäfelung der Kapitänskammer und fiel klirrend zu Boden. Ein Grinsen zog das verunstaltete Gesicht des Glatzkopfes in die Breite. Er baute sich vor dem am Boden liegenden Kutscher auf und stemmte beide Fäuste in die Hüften. Das Messer in der linken Hand des Kutschers schien ihn nicht im mindesten zu beeindrucken. „Schneid ihm den Hals durch!“ kreischte der Comte, der wie ein Affe in seinem Sessel auf und ab sprang und nicht zu bemerken schien, daß aus der Wunde an seinem Hals immer noch Blut lief. Der Kutscher rührte sich nicht. Er wußte, daß er verloren hatte. Nichts konnte ihn jetzt noch retten. Er dachte an die Zwillinge, für die er sich verantwortlich fühlte, und er verfluchte die Sekunde, als ihm die Idee durchs Hirn gezuckt war, sich diesen Karibik-Haien freiwillig zu stellen. Übelkeit stieg in ihm hoch, als er daran dachte, was der Seewolf und die anderen Kameraden von der „Isabella“ sagen würden, wenn sie erfuhren, daß er es nicht geschafft hatte, auf die Zwillinge aufzupassen. „Jetzt bist du dran, du englischer Hurensohn!“ quetschte der Glatzkopf hervor. „Ich werde dir die Haut in Streifen ...“ Seine Worte gingen in ein Gurgeln über.
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Der Kutscher sah, wie die Augen des Glatzkopfes plötzlich nicht mehr klar waren und durch ihn hindurchstarrten. Dann sackte er langsam vornüber, und der Kutscher mußte sich zur Seite wälzen, damit der Muskelberg nicht auf ihn fiel. Über dem Profos stand wie aus dem Boden gewachsen der Bootsmann. Er hatte sein rotes Kopftuch umgebunden und hielt die gekürzte Pike in der rechten Hand, mit der der Glatzkopf den Kutscher fast in zwei Stücke gehauen hätte. Der Kopf des Kutschers ruckte zum Comte herum. Er war gespannt, wie der verrückte Kapitän auf die Provokation des Bootsmannes reagierte. Der Adamsapfel des Comte zuckte auf und ab und bewegte die blutige Strieme an seinem Hals, die dadurch wie eine lebendige Schlange wirkte. Der Kapitän stieß hohe Gickser aus. Für mehr reichte es ihm im Moment nicht. Er war außer sich vor Wut. Der Kutscher hatte erwartet, daß der Comte Angst zeigen würde, aber dazu war er wohl zu verrückt. Der dünne Zeigefinger seiner rechten Hand stach auf den Bootsmann zu. „Raus!“ kreischte der Comte. „Ich will niemanden in meiner Kammer ohne Perücke sehen! Ich lasse dich aufhängen, Le Requin! Moreau! Wo bleibst du verdammter Kerl? Ich lasse dich auspeitschen, wenn du dich nicht zeigst! Ich ...“ Der Comte verstummte und starrte auf den Bootsmann, der in aller Seelenruhe den Degen vom Boden aufgehoben hatte und langsam auf den Kapitän zuging. „Moreau!“ begann der Comte wieder zu kreischen. Aber kein Moreau erschien, um ihm zu helfen. Der Kutscher richtete sich an der Truhe auf und fluchte unterdrückt, als er sich an einer Glasscherbe die Hand ritzte. Sein Blick glitt zwischen dem Bootsmann, dem Kapitän und dem bewußtlosen Glatzkopf, dem die Perücke- beim Sturz wieder vom Kopf gerutscht war, hin und her.
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Das Kreischen des Comte ging in ein Wimmern über.. Jetzt war die Angst in seinen Augen. In seinem irren Hirn schien doch noch ein Teil die Wirklichkeit erkennen zu können. „Du - du willst mich töten?“ jammerte er. „Das werde ich tun, Verräter“, sagte Le Requin mit kalter Stimme, in der nicht eine Spur von Gefühl mitschwang. „Ich bin kein Verräter!“ kreischte der Comte. „Ich sorge für meine Leute! Noch nie haben uns die Spanier angegriffen!“ „Weil du ihnen andere Schiffe zum Fraß vorwirfst, indem du sie verrätst“, erwiderte Le Requin. „Sie wissen inzwischen alle, wer der Verräter ist. Zwölf Schiffe halten auf diese Insel zu, Comte. Und sie werden uns zusammenschießen, wenn du noch lebst. Nur dein Tod kann uns alle vor dem Untergang bewahren.“ „Nein!“ Die Stimme des Comte überschlug sich. „Ich habe niemanden verraten! Ich will nicht sterben. Ich will nicht ...“ Der Degen bohrte sich ihm in die Brust und riß ihm die letzten Worte von den Lippen. Der Bootsmann ließ den Degen los. Der Korb der Waffe wippte sanft auf und ab. Der Comte hatte den Mund weit geöffnet, aber er brachte kein Wort mehr über die Lippen. Er starrte ungläubig auf die Klinge, die in seiner Brust steckte, griff aber nicht danach, um sie herauszuziehen. Von einem Augenblick zum anderen verließ ihn das Leben. Er sackte nach vorn auf den Tisch. Dumpf prallte der Degenkorb auf die Platte. Le Requin wandte sich von ihm ab und blickte den Kutscher starr an, als überlege er, was er mit ihm tun solle. „Ich bin der neue Kapitän dieses Schiffes“, sagte er schließlich. „Ich hoffe, daß deine Kameraden sich so verhalten haben, wie Ecossais es sich erhoffte. Wenn das der Fall ist, seid ihr gleichberechtigte Mitglieder meiner Mannschaft. Wenn nicht, wirst auch du diesen Tag nicht überleben.“ Er ging auf die Tür zu und wies auf den am Boden liegenden Profos.
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„Er war der Vertraute des Comte“, sagte er. „Meine Männer sollen das Urteil über ihn sprechen. Binde und bewachte ihn. Du bleibst so lange in dieser Kammer, bis du einen anderslautenden Befehl erhältst.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ Le Requin die Kapitänskammer. Die Tür schlug hinter ihm zu. Der Kutscher wartete darauf, daß sich der Schlüssel im Schloß drehte, aber er hörte kein Geräusch. Hastig begann er, sich in der Kammer nach etwas umzusehen, mit dem er den Glatzkopf fesseln konnte. Er hatte keine Lust, sich mit dem Muskelberg noch einmal auseinandersetzen zu müssen. Er öffnete die Truhe, neben der er stand, konnte aber keinen Blick hineinwerfen, weil der Glatzkopf in diesem Augenblick zu stöhnen begann. Hastig lief der Kutscher um den Tisch herum, wo die gekürzte Pike lag, die der Bootsmann einfach fallen gelassen hatte, als der Profos reglos am Boden lag und nicht mehr in der Lage gewesen war, in das Geschehen einzugreifen. Der Glatzkopf hatte sich schon am Tisch hochgerappelt, als der Kutscher wieder neben ihm auftauchte und kurz mit der Pike zuschlug. Mit einem Röcheln ging der Profos wieder zu Boden. An der Stelle, wo der Bootsmann hingelangt hatte, blühte schon eine prächtige Beule auf der pockennarbigen Glatze. Der Kutscher beeilte sich mit der Suche nach etwas, mit dem er den Muskelberg binden konnte. Schließlich fand er in einem Wandschapp, in dem die Kleidung des Comte hing, auch ein paar Lederriemen, die sich gut dazu eigneten. Zusätzlich fesselte er den Profos an eines der armdicken Tischbeine, die auf den Planken befestigt waren. Der Kopf des Muskelberges war auf die Brust gesackt. Eine Art Schnarchen kündigte an, daß er bald wieder aus seiner Ohnmacht erwachen würde. Der Kutscher zog sich zurück zur Truhe. Die Augen gingen ihm über, als er es im Schein des zweiten Kerzenleuchters, der immer noch auf dem Tisch stand, funkeln und glitzern sah.
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Die Truhe mit ihrem Inhalt war ein Vermögen wert! Der Kutscher war versucht, nach den Smaragden, Rubinen und Perlen zu greifen, doch seine Hand zuckte zurück. Vielleicht wurde er durchsucht, wenn er diese Kammer wieder verlassen durfte, und dann hängte man ihn auf, weil er sich an dem Eigentum des neuen Kapitäns vergriffen hatte. Er klappte den Deckel der Truhe zu und entfernte sich hastig davon, als sei sie glühend. Mit einer heftigen Bewegung riß er die Brokatgardinen von den Fenstern zurück, so daß grelles Licht in die Kammer des Kapitäns fiel. Der Kutscher schloß für einen Moment geblendet die Augen. Dann starrte er hinaus, aber er konnte außer dem Fluß und dem einen Ufer nicht viel erkennen. Er dachte an Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti und hoffte inbrünstig, daß sie den Schotten nicht enttäuscht hatten. Vielleicht aber waren alle schon tot. Dann würde er noch an diesem Abend neben dem Profos an einer Rahnock hängen. Der .Kutscher schüttelte sich. In diesem Moment schwor er sich, ein Jahr lang keinen Fuß mehr von der „Isabella“ zu setzen, wenn er erst mal wieder ihre Planken unter seinen Fußsohlen spürte. Das Stöhnen des Glatzkopfes riß ihn aus seinen Gedanken. Er packte die gekürzte Pike fester und trat auf den Profos zu, der die Augen geöffnet hatte und allmählich wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte. Als er den Kutscher erkannte, begann er sofort, heftig an seinen Fesseln zu zerren. „Keine Bewegung!“ stieß der Kutscher alarmiert hervor. „Wenn du versuchst, die Fesseln abzustreifen, brate ich dir wieder was mit der Pike über!“ Zur Bestätigung seiner Worte hob er die Pike. Der Profos hielt in seinen Bemühungen knurrend inne. Sein malträtierter Kopf drehte sich, und als er den toten Comte auf der Tischplatte liegen sah, quollen ihm die Augen über. „Le Requin!“ quetschte er hervor. Der Kutscher nickte grimmig.
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„Er ist der neue Kapitän, Glatzkopf“, sagte er, „und du hast nichts mehr zu melden. Wenn mich nicht alles täuscht, wird er dich den Haien zum Fraß vorwerfen.“ Der Profos sah aus, als hätte er die Worte des Kutschers nicht verstanden. Er konnte seinen Blick nicht von dem toten Comte wenden. Ein Schluchzen stieg in seiner Kehle auf, und dann fing er tatsächlich zu weinen an. Dicke Tränen liefen ihm über die zerfurchten Wangen. Er war nur noch ein. Bündel Elend. Dem Kutscher war es nur recht, wenn der Muskelberg sich aufgab. Er wünschte sich alles andere, nur nicht, daß er noch einmal gegen diesen bärenstarken Mann kämpfen mußte. 8. Das Hämmern von Schritten auf dem Deck und laute Stimmen, die bis zu ihm in die Kapitänskammer dröhnten, zeigten dem Kutscher, daß die Übernahme des Schiffes durch Le Requin nicht so einfach vor sich ging, wie dieser sich vielleicht gewünscht hatte. Der Kutscher fragte sich immer noch, ob der Bootsmann in den Kampf hier unten eingegriffen hatte, um ihm zu helfen, oder ob sein Auftauchen mit dem Fanfarenton, den er kurz zuvor gehört hatte, zusammenhing. Er fluchte unterdrückt. Es war eine verdammte Situation, wenn man in einer Klemme steckte und nicht einmal wußte, was eigentlich los war. Er beugte sich vor und blickte aus dem Fenster. Am Ufer konnte er einige Piraten entdecken, die ein Boot ins Wasser schoben. Aber weder einer seiner Kameraden noch der Schotte waren unter ihnen. Ein Geräusch an der Tür ließ ihn herumfahren. Er erkannte nur einen kleinen Schatten, weil er noch vom grellen Sonnenlicht geblendet war, aber instinktiv wußte er, daß dieser Schatten nichts Gutes für ihn bedeutete. Er warf sich zur Seite. Im selben Moment blühte auf halber Höhe des Schattens eine
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Feuerblume auf, und ein schmetternder Knall erfüllte die Kammer. Die Kugel, die der Mann an der Tür abgefeuert hatte, schlug durch ein Fenster. Klirrend fiel das Glas in tausend Stücken zu Boden. Ein Splitter ratschte über die Wange des Kutschers, aber er spürte nichts davon. Er konnte die Umrisse des kleinen Schattens jetzt deutlich erkennen und wußte, daß es der spindeldürre Aufklarer mit der Schürze war, der den Comte bedient hatte. Der Mann hielt in jeder Hand eine Pistole und hob jetzt die Linke. Die daumengroße Mündung der Waffe zielte auf den am Boden liegenden Kutscher, der keine Möglichkeit mehr hatte, auszuweichen. Mit einer verzweifelten Bewegung schleuderte der Kutscher die Pike, die er immer noch in der Hand hielt. Sie war noch in der Luft, als der dürre Aufklarer des Comte die zweite Pistole abdrückte. Der Kutscher spürte einen heißen Luftzug an seinem linken Ohr. Gleichzeitig mit dem dumpfen Pochen, das die in das Holz schlagende Kugel verursachte, hörte er den Schrei des Aufklarers. Er sprang auf die Beine und zerrte sein Messer aus dem Gürtel, das ihm bisher niemand abgenommen hatte. Mit ein paar Schritten lief er auf die Tür zu, blieb aber stehen, als er sah, daß der Aufklarer, den der Comte Moreau genannt hatte, steif neben der Tür an der Wand lehnte und ihn mit großen Augen anstarrte. Seine Hände hatte der Mann um das Holz der verkürzten Pike verkrampft. Der Kutscher verlor die Farbe aus dem Gesicht. Blut begann, die Schürze des Aufklarers dunkel zu färben. Die eiserne Spitze der Pike hatte den dürren Mann unterhalb des Brustbeins getroffen und sich in seinen Körper gebohrt. Die Tür, die von allein wieder zurückgeschwungen war, wurde auf gerissen. Ein schwarzhaariger Mann mit einem Degen in der Hand tauchte auf. Er blieb in der Tür stehen und schaute sich in aller Ruhe in der Kapitänskammer um. Schließlich blieb sein Blick an dem
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Kutscher hängen, weil der für den Schwarzhaarigen der einzige Gesprächspartner in diesem Raum war. Der Kutscher hob die Hand mit dem Messer. Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Schwarzhaarigen. Er steckte den Degen in das Gehänge an seiner linken Hüfte und sagte: „Du siehst nicht wie ein Kämpfer aus, Engländer, aber das ist wohl ein Irrtum, den schon viele mit dem Leben bezahlt haben, wie?“ Der Kutscher war nicht in der Verfassung, Komplimente entgegenzunehmen. „Wer bist du?“ fragte er heiser. „Mein Name ist Nicolas Colter“, erwiderte der Schwarzhaarige. „Ich bin der neue Bootsmann auf der ,L’Executeur`.“ Der Kutscher spuckte aus, ohne Rücksicht auf die gescheuerten Planken der Kapitänskammer zu nehmen. „Ich hab langsam die Schnauze voll“, sagte er wütend. „Was ist auf diesem verdammten Kahn eigentlich los? Seid ihr nun Piraten oder nicht? Und warum habt ihr einen Verrückten wie den da“, er wies mit einer Kopfbewegung zum toten Comte hinüber, „so lange als Kapitän ertragen?“ „Du wirst schon noch jemanden finden, der dir Antworten auf deine Fragen gibt“, erwiderte Colter. „Schnapp dir Moreau, und bring ihn an Deck, damit wir ihn über Bord werfen können. Orbite wird dir dann dabei helfen, die Kammer aufzuklaren. Schafft ein bißchen Ordnung, aber den Comte laßt so liegen. Rührt ihn nicht an, bevor Le Requin euch einen Befehl dazu gibt, klar?“ Der Kutscher nickte seufzend und steckte sein Messer weg. Er würde wohl nie eine Antwort auf seine Fragen erhalten. Er hoffte, daß wenigstens Matt und die anderen Bescheid wußten, wenn sie mit dem Schotten von ihrem Landgang zurückkehrten. Der spindeldürre Mann lehnte immer noch an der Wand neben der Tür, aber der Kutscher sah, daß in seinen Augen kein Leben mehr war. Er faßte vorsichtig nach der Pike und zog daran. Die Hände des
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kleinen Aufklarers fielen herunter, und die kleine Gestalt sackte in sich zusammen. Der Kutscher legte die Pike beiseite und griff nach dem Kragen des Toten, um ihn hochzuwuchten. Der neue Bootsmann war verschwunden, aber dafür tauchte jetzt ein anderer Pirat auf, ein gedrungener, breitschultriger Kerl mit Lockenhaar und einer runden Augenklappe, die ihm ein wüstes Aussehen verlieh. „Orbite?“ fragte der Kutscher. Der Pirat nickte grinsend. „Und wie heißt du?“ Gott sei Dank sprach auch dieser Kerl Englisch. Fast schien es dem Kutscher, daß hier an Bord der „L’Executeur“ der Hundertjährige Krieg fortgesetzt wurde. Zu seinem Glück schienen die Piraten, die es mit den Engländern hielten, die Oberhand zu gewinnen. „Kutscher“, sagte der Kutscher. Der Pirat verzog fragend das Gesicht. „Das ist mein Name“, sagte der Kutscher willig. „Ich erklär es dir irgendwann später mal.“ Endlich mal was, was ich weiß und die anderen nicht, dachte er. Der Pirat zuckte mit den Schultern. Er wies auf den toten Moreau und sagte: „Soll ich dir helfen?“ „Mir ist es lieber, du paßt auf den Glatzkopf auf“, erwiderte der Kutscher. „Es sieht zwar so aus, als würde sich der Kerl vor Angst in die Hosen machen, aber man kann nie wissen.“ Orbite grinste, und seine beiden Zähne, die einsam aus seinem Oberkiefer ragten, blitzten im Licht der einfallenden Sonne. „Es ist mir ein Vergnügen“, sagte er knurrend. „Das Schwein hat mich sowieso mehr als nötig gequält, nur weil ich sein gequetschtes Französisch nicht immer gleich verstanden habe.“ Der Kutscher lud sich den toten Aufklarer auf die Schultern und verließ die Kapitänskammer. Ihm war es gleich, was der Pirat mit seinem ehemaligen Profos anstellte. Daß er den Comte nicht anrühren sollte, hatte ihm der neue Bootsmann hoffentlich gesagt. Die Stimmen an Deck waren lauter geworden. Französische Laute drangen an
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die Ohren des Kutschers, und er hörte die Wut und Enttäuschung aus den Stimmen heraus, obwohl er die einzelnen Worte nicht verstand. Vor dem Niedergang, der zum Quarterdeck hinaufführte, legte er den Leichnam des dürren Mannes mit der blutbesudelten Schürze ab. Er hielt es nicht für klug, in diesem Moment mit dem Toten an Deck zu erscheinen. Er entschloß sich, erst einmal das Terrain zu sondieren. Stufe für Stufe schob er sich hinauf und blieb stehen, als er mit den Planken des Quarterdecks auf Augenhöhe war. Zuerst sah er nur Beine. Eine Reihe von Piraten hatte sich hinter der Balustrade, die das Quarterdeck zur Kuhl abgrenzte, aufgebaut. Vor ihnen stand Le Requin, die Hände auf dem Handlauf der Balustrade, und sprach eindringlich zu den Leuten in der Kuhl hinunter, die der Kutscher nicht sehen konnte. Le Requin sprach französisch, und der Kutscher hörte ein paarmal das Wort „Ecossais“. War der Schotte mit Matt Davies und den anderen schon von seinem Landgang zurück? Wußten sie, was mit ihm, dem Kutscher, inzwischen geschehen war? Erregung stieg in dem Kutscher auf. Er wagte sich weiter den Niedergang hinauf und betrat das Quarterdeck. In der Kuhl schien es in diesem Moment einen Aufstand zu geben. Männer schrien durcheinander. Der Name des alten Profos’ wurde immer wieder gerufen. Einer der Männer, die sich hinter Le Requin aufgebaut hatten, drehte sich plötzlich um, als habe er ein Geräusch gehört. Der Kutscher blieb stocksteif stehen. Zwei kalte graue Augen musterten ihn mißtrauisch, doch dann schien der Pirat ihn zu erkennen und senkte das Krummesser wieder, das er bereits wie zum Wurf erhoben hatte. Der Kutscher nickte ihm zu und trat wieder vor, um auf die Kuhl sehen zu können. Seine Augen suchten Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti.
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Den Neger entdeckte er zuerst. Dicht unterhalb des Vordecks stand er am Schanzkleid und hatte „die rechte Hand um die Wanten des Fockmastes geschlungen, die bereits wieder hergerichtet waren. Dann sah er auch die anderen. Erleichterung erfaßte ihn. Sie lebten, und das bedeutete, daß für Le Requin und den Schotten alles nach Plan verlaufen war. Der Lärm auf der Kuhl nahm an Lautstärke zu. Der Kutscher sah besorgt, wie sich ein großer Haufen Piraten um einen hageren Kerl versammelte und drohend die Fäuste zum Quarterdeck hinauf schüttelte. Wieder stieg der Name „Vert-de-gris“ in den tiefblauen Nachmittagshimmel. Le Requin hatte eine Pistole gezogen und brüllte die Männer an. Es nutzte nicht viel. Die Anhänger des Comte und seines Profos’ hatten sich offensichtlich in Wut geschrien und schienen entschlossen, es auf einen Kampf ankommen zu lassen. Ein donnerndes Krachen übertönte für Sekunden das Brüllen der Männer. Auch der Kutscher war zusammengezuckt. Er wandte den Kopf nach rechts und sah eine graue Wolke vor der Mündung einer Drehbasse in den Himmel steigen. Einer der Piraten hatte eine Blindladung abgefeuert. In die entstandene Stille hinein schrie er: „Drei Pinassen nehmen Kurs auf uns!“ Im selben Augenblick erklang auch wieder die Fanfare, die der Kutscher schon in der Kapitänskammer gehört hatte, kurz nachdem er dem Glatzkopf den Kerzenleuchter ins Gesicht gedrückt hatte. Die Töne wehten von dem mit Bäumen bewachsenen Hügel herüber, den auch sie durch die Schneise erklettert hatten. Wahrscheinlich hatte Le Requin dort einen Ausguck postiert. Mit dem ersten Signal hatte der Ausguck wohl die Ankunft eines anderen Schiffes angekündigt. In der Kuhl wurden keine Stimmen mehr laut. Die Ankündigung des Mannes an der Drehbasse, daß drei Pinassen in die Flußmündung segelten, schien den Mut des hageren Piraten und seiner Anhänger gebrochen zu haben.
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Der Kutscher lief zur Steuerbordreling und starrte zur Flußmündung. Durch die Biegung, die der breite Fluß beschrieb, bevor sich seine Wasser ins Meer ergossen, konnte er nur einen kleinen Ausschnitt der offenen See erkennen. Drei Galeonen entdeckte er, dann schob sich ein viertes Schiff in sein Blickfeld. Weitere Mastspitzen bestätigten die Vermutung des Kutschers, daß eine Flotte vor der kleinen Insel aufgekreuzt war. Batuti hatte ihn erkannt und winkte zu ihm herauf. Er wäre zu gern zu seinen Kameraden auf die Kuhl hinuntergestiegen, aber er wußte, was es bedeutete, einen Befehl des Kapitäns nicht auszuführen. Er winkte kurz zurück und lief wieder zum Niedergang, um den Leichnam des dürren Kochs und Aufklarers an Deck zu bringen. Er brauchte den leichten Moreau nicht selbst über Bord zu befördern. Auf einen Wink Le Requins hin wurde ihm der Leichnam von zwei Männern abgenommen, und er konnte wieder nach unten verschwinden, um Orbite beim Aufklaren der Kapitänskammer zu helfen. Als er in der Kammer erschien, stand der Pirat mit der Augenklappe neben der Truhe und zuckte zusammen, als sei er bei irgendetwas erwischt worden. Vert-de-gris, der Exprofos, lehnte bewußtlos am Tischbein, an das der Kutscher ihn gefesselt hatte. Du Schweinehund hast in die Truhe gegriffen, dachte der Kutscher, äußerte sich aber nicht weiter. Er sah, wie sich der Hosensack des Einäugigen ausbeulte, und er sagte sich, daß es gut war, über die einzelnen Piraten Bescheid zu wissen. Er tat, als wäre ihm nichts aufgefallen, und ging sofort auf den gefesselten Profos zu. „Ist er frech geworden?“ fragte er. Der Einäugige nickte hastig. „Er begann an seinen Fesseln zu zerren, als sie draußen immer wieder seinen Namen riefen“, erwiderte er mit heiserer Stimme, der das schlechte Gewissen deutlich anzuhören war. „Wir müssen uns beeilen“, sagte der Kutscher. „Drei Pinassen halten auf die
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,L’Executeur` zu. Wahrscheinlich will unser neuer Kapitän den Besuch hier in der Kammer empfangen.“ Er gab dem Einäugigen ein paar Befehle. Der war immer noch so erschrocken darüber, von ihm beinahe beim Klauen erwischt worden zu sein, daß er sie widerspruchslos befolgte. Als die Scherben zusammengefegt, die Stühle aufgestellt und das Blut und der verschüttete Wein vom Boden aufgewischt waren, wies der Kutscher auf Vert-de-gris, der sein Bewußtsein noch nicht wiedererlangt hatte. Der Schlag, den ihm der Einäugige verpaßt hatte, mußte nicht von schlechten Eltern gewesen sein. „Binde ihn los, und schleif ihn raus“, sagte der Kutscher. „Ich werde den Kapitän fragen, wo wir ihn einsperren und in Ketten legen sollen.“ Orbite starrte ihn mißtrauisch an. Er war sich anscheinend nicht darüber im klaren, ob der Kutscher etwas wußte oder nicht, aber es paßte ihm nicht, daß er hier von dem Kerl Befehle entgegennahm. Der Kutscher grinste ihn an und hielt seine Hand hoch, die mit verkrustetem Blut bedeckt war. „Ich muß mich erst verbinden“, sagte er. „Es war schließlich keine Kleinigkeit, den Glatzkopf niederzukämpfen.“ Der Einäugige kriegte den Mund nicht wieder zu, und bevor er etwas sagen konnte, war der Kutscher verschwunden, um Le Requin zu melden, daß die Kapitänskammer aufgeklart war. 9. Sie waren gerade am Ufer der breiten Flußmündung angelangt, als der Mann mit der Fanfare von der Kuppe des Hügels aus sein Signal gegeben hatte. Der Mann mußte geschlafen haben. Nach den Berechnungen von Matt Davies hatten die Piratenschiffe die Insel schon erreicht, denn der Wind hatte seine Nordrichtung nicht geändert. Die Männer mit der neuen Großstenge waren weit hinter ihnen zurückgeblieben. Der Schotte hatte es ziemlich eilig gehabt,
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weil er glaubte, daß er gebraucht wurde, wenn die Auseinandersetzung an Bord der „L’Executeur“ mit den Anhängern des Comte begann. Die meisten Gefolgsleute Le Requins befanden sich schließlich an Land, um die Übermacht der anderen zu dezimieren. Sie erreichten die Boote, mit denen sie ans Ufer gepullt waren. Noch war alles ruhig an Bord der Karacke. Das Signal des Fanfarenbläsers hatte keine Unruhe ausgelöst, da jeder wußte, daß hier vor der ersten kleinen Insel südlich von Anegada ein Treffen stattfinden sollte. Der Schotte ließ seine sechzehn Leute die ausgesetzten Engländer, für die er Matt Davies und die anderen immer noch hielt, zur „L’Executeur“ hinüberpullen. Er kletterte als erster über das Schanzkleid an Bord, schaute sich unauffällig um und atmete auf, als er nirgends den Profos entdecken konnte. Aber er spürte die Unruhe, die sich unter den Leuten ausgebreitet hatte. Deutlich hatten sich zwei Gruppen gebildet, und der Schotte sah, daß es höchste Zeit gewesen war, mit seinen Männern zurückzukehren. Die knapp zwanzig Männer, die sich vor dem Vorkastell in der Kuhl aufhielten, hätten nur wenig Aussichten gehabt, einem Angriff der anderen Gruppe, die sich um den Großmast geschart hatte, standzuhalten. Brisac, der Hagere, schien in Abwesenheit von Vert-de-gris die Führung der Männer übernommen zu haben. Er löste sich aus der Gruppe und ging auf den Schotten zu, hinter dem sich immer mehr Piraten über das Schanzkleid schwangen. „Was ist hier los?“ fragte der Schotte. Er sprach kein Französisch, und Matt Davies, der neben Batuti eben das Deck betrat, wußte, daß es eine beabsichtigte Provokation war. „Das mußt du Le Requin fragen“, antwortete der Hagere auf französisch. „Irgendetwas ist auf dem Achterdeck passiert, aber niemand sagt uns, was. Vertde-gris war zum Essen beim Comte, und seitdem haben wir nichts mehr von ihm gesehen. Von Moreau weiß ich, daß der
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Comte den Engländer, den du an Bord zurückgelassen hast, ausquetschen wollte.“ „Und was sonst noch?“ fragte der Schotte grinsend. Brisac, der hagere Riese, erkannte, daß der Schotte genau wußte, was an Bord der „L’Executeur“ gespielt wurde. Seine Hand zuckte hinunter zur Pistole, die in seinem Leibgurt steckte, aber er schaffte es nicht, sie hervorzuziehen. Eine schwarze Hand hatte sich wie ein Schraubstock um seinen Unterarm gelegt. Überrascht blickte der Riese zur Seite. Sein Gesicht war rot angelaufen. Ein dumpfes Grollen stieg aus seiner Brust. „Ah“, stieß er zischend hervor, „so soll es also laufen. Die Falle für den Comte und uns war vorbereitet. Du arbeitest mit Spitzeln und Spionen unserer Widersacher zusammen und willst uns die Spanier auf den Hals hetzen!“ „So siehst du es“, sagte der Schotte grinsend. „Anders kann man es nicht sehen!“ brüllte der hagere Riese. „Das ist ein klarer Fall von Meuterei! Ich werde jeden einzelnen persönlich aufhängen, der sich daran beteiligt!“ Der Schotte grinste nicht mehr. Er sah, wie die anderen Piraten vom Großmast herandrängten. Einige hatten schon ihre Messer und Enterbeile in den Händen. Der Riese versuchte, Batutis Hand abzuschütteln, aber er schaffte es nicht. Voller Wut holte er mit der linken Hand aus, doch bevor er richtig zum Schlag ansetzen konnte, hatte Batuti ihm eine Maulschelle verpaßt. Das Klatschen war deutlich auf der ganzen Kuhl zu hören. Der Riese röhrte wie ein in die Enge getriebener Stier. Er senkte den Schädel und wollte ihn Batuti ins Gesicht rammen, doch der war auf der Hut, wich einen Schritt zur Seite, hob den rechten Fuß und säbelte dem hageren Piraten beide Beine unter dem Leib weg. Wie ein gefällter Baum stürzte Brisac auf die Planken. Da Batuti seinen rechten Arm erst im letzten Augenblick losließ, konnte er sich nur mit der linken Hand abstützen, aber das mißlang ihm. Er knallte mit dem
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Gesicht auf das Luksüll und verlor dadurch für fast eine Minute die Sprache. Der Schotte nutzte die Zeit. Mit raschen Bewegungen gab er seinen Leuten Befehle, und ehe die anderen begriffen, waren ein Dutzend Pistolen und Musketen auf sie angelegt. Irgendwo in den Räumen unter dem Achterdeck fielen zwei dumpfe Schüsse. Auch die Männer des Schotten zuckten zusammen. Jeder von ihnen wußte jetzt, daß die Entscheidung gefallen war und es kein Zurück mehr gab. Batuti war wieder zurückgetreten. Der Schotte nickte ihm grinsend zu. Er hielt jetzt eine doppelläufige Pistole in der Hand. Die Mündungen waren auf Brisac gerichtet, der sich schnaufend erhob und das Blut vom Mund wischte, das ihm aus der Nase lief. Ohne sich um die Pistole des Schotten zu kümmern, drehte er sich um und sagte etwas zu seinen Männern. Er hatte noch nicht ausgesprochen, als er von einer kalten Stimme unterbrochen wurde, die von der Höhe des Achterdecks zu ihm herunterschnitt wie der Riemen einer Peitsche. „Du hast auf diesem Schiff von jetzt an genauso wenig zu sagen wie der Comte, der tot ist, oder wie Vert-de-gris, der gefesselt unten in einer Kammer liegt und auf sein Urteil wartet, das die Männer der ,L’Executeur` über ihn sprechen werden“, sagte Le Requin. Hinter ihm standen acht Männer. Keiner von ihnen hielt eine Waffe in der Hand, aber jeder an Bord wußte, daß sie zu den gefürchtetsten Kämpfern der Mannschaft gehörten. Brisac zitterte vor Wut, als er sah, daß keiner von den Vertrauten des Comte mehr auf dem Quarterdeck stand. Es war offensichtlich, daß Le Requin ganze Arbeit geleistet hatte. Das Achterdeck war fest in seiner Hand. „Warum?“ stieß der hagere Riese hervor. „Das will ich dir und deinen Freunden sagen, Brisac“, erwiderte Le Requin mit ruhiger Stimme.
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Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti hatten sich bis zum Vordeck zurückgezogen. Sie konnten nicht verstehen, was der Bootsmann den Männern erzählte, denn er sprach wieder französisch. Aber sie wußten, was er ihnen erklärte, und wenn sie vernünftig waren, mußten sie einsehen, daß ihm keine andere Wahl geblieben war, als gegen den Kapitän, der ein Verräter war, zu meutern. Matt sah, daß die Kerle zu wütend über das Geschehene waren, als daß sie es so ohne weiteres hinnehmen würden. Rufe wurden unter ihnen laut. Der Name „Vert-de-gris“ war deutlich zu verstehen. Offensichtlich wollten die Kerle ihren Profos sehen und sprechen, bevor sie sich entschieden, ob sie auf Le Requins Seite überschwenken wollten. „Da!“ Matt blickte Batuti an, der ihn mit der Faust gegen den Oberarm geknufft hatte. Der Gambia-Neger winkte zum Achterdeck hinauf, und als Matt seinem Blick folgte, entdeckte auch er den Kutscher. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Wenn der Kutscher am Leben war, ging es sicher auch den Zwillingen gut. Der Lärm auf der Kuhl weitete sich zu einem Aufstand aus. Auch Le Requin, der seine Stimme erhoben hatte und auf die Piraten einschrie, schien zu wissen, was geschehen würde, und er hatte seine Pistole hervorgezerrt, die er auf den Hageren richtete, um ihn zur Vernunft zu bringen. Es nutzte alles nichts. Erst als auf dem Achterdeck eine Drehbasse losböllerte und ein Mann schrie: „Drei Pinassen nehmen Kurs auf uns!“, trat Stille ein. Die Fanfare vom Hügel erschallte, und der Hagere mußte einsehen, daß es jetzt zu spät war, den ursprünglichen Zustand an Bord der „L’Executeur“ wiederherzustellen. Matt Davies wäre gern hinüber zum Verschlag gegangen, hinter dem sich die Kombüse befinden mußte, aber er wollte vermeiden, die Piraten um den Hageren, die sich davor zusammendrängten, herauszufordern.
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Sie mußten abwarten, was das Gespräch Le Requins mit den anderen Piraten ergab. * Der Kutscher wollte sich zurückziehen, um endlich wieder mit seinen Kameraden von der „Isabella“ zusammenzusein, doch Nicolas Colter, der neue Bootsmann, schüttelte den Kopf. „Du bleibst hier auf dem Achterdeck“, sagte er. „Le Requin hat gehört, daß du kochen kannst. Du wirst den Posten als Aufklarer für den Kapitän übernehmen.“ Der Kutscher nickte ergeben. Er war nicht unzufrieden mit der Entwicklung, denn als Aufklarer hatte man einigen Einfluß und war über alles, was an Bord geschah, gut informiert. „Ich will nur mal mit meinen Leuten reden“, sagte er. „Es dauert nicht lange.“ Der Bootsmann schüttelte den Kopf. „Dazu ist keine Zeit. In einer halben Stunde sind die Kapitäne da, dann muß zu trinken und zu essen auf dem Tisch stehen.“ Der Kutscher seufzte. Fast wünschte er, er hätte dem bärtigen Riesen nichts davon erzählt, daß er Koch war. Er folgte dem Schwarzhaarigen in eine Kammer, die eben vor der Kapitänskammer lag. Der Raum war erstaunlich hell, da er ein Fenster hinaus auf die umlaufende Heckgalerie hatte. „Du wirst schon alles finden, was du brauchst“, sagte Nicolas Colter. „Beeil dich, und mach deine Sache ordentlich, wenn du nicht ausgepeitscht werden willst.“ Der Kutscher wollte noch etwas fragen, aber da war der Bootsmann schon draußen und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Er war allein und begann lautlos zu fluchen. Eine halbe Stunde, hatte der Bootsmann gesagt. Der hatte gut reden. Wo waren die Sachen, die er brauchte, um ein vernünftiges Essen auf den Tisch zu bringen? Er sah sich im Raum um. Sein Blick blieb an einer schwarzen Feuerstelle hängen, die von einer großen Kupferhaube überdeckt
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war. Der Abzug verlief in einem Bogen durch die Decke und von dort wahrscheinlich durch die Bordwand nach draußen. Der Kutscher nahm den Feuerhaken und rührte in der Asche herum. Sie war noch warm. Erst einmal ein ordentliches Feuer, dachte er, das andere wird sich schon finden. Er nahm eine Handvoll Späne und kleingehacktes Holz und schichtete es übereinander. Der spindeldürre Moreau war offensichtlich ein ordentlicher Mensch gewesen. Alles lag an seinem Platz. Der Kutscher fand einen Lederbeutel mit Schießpulver und Feuersteinen: Nach ein paar Minuten loderten die Flammen hell. Der Kutscher legte ein paar Scheite nach und begann dann, sich die Vorräte anzuschauen. Plötzlich war er wieder in seinem Element. Er dachte nicht mehr an Matt Davies und die anderen, sondern ging voll in seiner Aufgabe auf. Er brüllte nach dem Einäugigen, der tatsächlich“ umgehend in seiner Kammer auftauchte. „Ich brauche Wein“, sagte er. „Hol mir das Beste, was der Comte zu bieten hatte.“ „Ich bin nicht dein Laufbursche, Kutscher“, sagte Orbite grollend. „So? Was bist du denn?“ fragte der Kutscher kalt zurück. „Glaubst du vielleicht, daß du was Besseres bist, nur weil du einen Griff in die Truhe des Kapitäns getan hast?“ Der Einäugige wurde blaß. Seine rechte Hand tastete instinktiv zu dem Enterbeil, das an einer Schlaufe an seinem Gürtel hing. Der Kutscher winkte ab. „Ich hab kein Interesse daran, dich zu verpfeifen“, sagte er. „Aber du könntest mir ruhig helfen, alles ordentlich für die Zusammenkunft herzurichten, damit Le Requin mich nicht auspeitschen läßt.“ Der Blick des Einäugigen blieb mißtrauisch. Ihm gefiel es offensichtlich nicht, daß es einen Zeugen dafür gab, wie er den neuen Kapitän bestohlen hatte. Schließlich nickte er. „Ich weiß aber nicht, welches der beste Wein ist“, sagte er.
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Der Kutscher grinste. „Wir werden ihn vorher probieren“, sagte er. Zögernd grinste der Einäugige zurück und verschwand aus der Kammer. Wenig später tauchte er mit zwei anderen Piraten auf, die ein paar kleine Fässer in die Kammer schleppten. Orbite jagte sie wieder weg, als sie ihre Last abgestellt hatten. „Du mußt dich beeilen“, sagte er zu dem Kutscher. „Die Pinassen legen gleich an.“ Der Kutscher schwitzte. In der Kammer war es durch das offene Feuer brütend heiß. Er nahm das Essen vom Feuer und trug Orbite auf, das Geschirr für die Piratenkapitäne zusammenzusuchen. Der Einäugige schien Moreau häufiger zur Hand gegangen zu sein. Er kannte sich einigermaßen aus. Der Kutscher legte ein weißes Brokattischtuch auf den langen Tisch, an dessen einem Ende immer noch der tote Comte lag. Sie hoben ihn ein wenig hoch und zogen das Tischtuch darunter. In den Leuchter, den der Kutscher Vert-degris ins Gesicht gedrückt hatte, wurden neue Kerzen gesteckt und entzündet. Orbite, der immer wieder gierig zur Truhe hinüberstarrte, fand in einem Schapp silberne Teller, Schüsseln und Kannen. „Auf den Tisch damit“, sagte der Kutscher. „Die anderen sollen sehen, daß sich unser neuer Kapitän nicht lumpen läßt.“ Als sie fertig waren und die Brokatvorhänge wieder vor die Fenster gezogen hatten, sah der Kutscher sich noch einmal um. Es war ein makabrer Anblick, aber Le Requin hatte es so haben wollen. Wahrscheinlich waren die anderen davon genauso beeindruckt, wie der Kapitän es vermutete. Sie hörten laute Stimmen und verließen die Kapitänskammer. Nicolas Colters schwarzer Lockenkopf tauchte auf. Er scheuchte sie mit einer kurzen Handbewegung in ihre Kammer und öffnete die Tür zur Kapitänskammer. Der Kutscher und Orbite ließen die Tür ihrer Kammer einen Spalt offen. Sie konnten in dem schummrigen Licht des
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Ganges nicht viel erkennen, aber der Kutscher wurde schon von dem wenigen, was er sah, blaß. Das waren die wüstesten Gestalten, die er seit langem gesehen hatte. Er hörte keine französischen Laute. Sie sprachen alle englisch. „Wir haben den Wein noch nicht probiert“, sagte Orbite und leckte sich die Lippen. Der Kutscher nickte und wandte sich vom Türspalt ab. Hastig schlugen sie die Spünde aus den Fässern, probierten und entschieden sich dann für einen dunkelroten Madeira, von dem die Kerle am schnellsten betrunken wurden. Der Kutscher füllte den Wein in Karaffen ab, nahm in jede Hand eine und bedeutete dem Einäugigen, ihm die Kammertür zu öffnen. Er trat auf den dunklen Gang hinaus. In diesem Augenblick wurde die Tür der Kapitänskammer aufgerissen, und Le Requin brüllte: „Aufklarer!“ „Zur Stelle, Kapitän!“ erwiderte der Kutscher und marschierte durch die offene Tür in die Kapitänskammer. Noch hatte keiner der Piraten Platz genommen. Am Gesicht Le Requins erkannte der Kutscher, daß er äußerst zufrieden war. Der gedeckte Tisch mit dem toten Comte hatte die anderen Piraten offensichtlich mächtig beeindruckt. Sie standen noch immer in einer Traube um den Toten und schienen zu überlegen, ob sie dem Verräter auch noch ihre eigenen Messer in den Leib stoßen sollten. Einer von ihnen drehte sich um. Er hatte einen großen, quadratischen Schädel. Auf dem brandroten Haar saß eine gestreifte, spitze Mütze, an deren Ende eine Troddel baumelte. Das braungebrannte, narbige Gesicht war von rötlichen Bartstoppeln übersät. „Wir haben lange gedacht, daß du an dem Verrat des Comte beteiligt warst, Le Requin“, sagte er. „Es war gut, daß du einen Boten nach Puerto Plata geschickt hast.“ „Niemand wußte von dem Verrat“, erwiderte Le Requin. „Nicht einmal seine engsten Vertrauten, die bis in den Tod zu ihm hielten. Aber reden wir nicht mehr über die Vergangenheit. Die Zukunft ist
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wichtiger. Sie wird uns einiges an Opfern abverlangen, denn unser Vorhaben ist einmalig in der Geschichte Westindiens, und für die Spanier wird es nach dem Verlust der Armada der zweite große Schlag sein, der ihre Macht in den Grundfesten erschüttern wird. Die Tage sind nicht mehr fern, da werden wir Flibustier die Herrscher der westindischen Meere sein. Wir werden ein Reich aufbauen, das alles in den Schatten stellt, was es je an Vergleichbarem gegeben hat.“ Der Kutscher hatte inzwischen den Wein ausgeschenkt. Er hatte den letzten Piraten noch nicht bedient, da schrie der erste schon nach mehr. Die Kerle schütteten das Zeug hinunter, als ob es Wasser sei. Ich hätte besser den schlechteren genommen und den guten für mich aufbewahrt, dachte er. Die beiden Karaffen waren im Nu leer, und Le Requin befahl ihm, gleich ein paar Fässer hereinzuschaffen und das Essen auf den Tisch zu bringen. Dem Kutscher lief der Schweiß in Strömen von der Stirn. Er schuftete zusammen mit Orbite, um die versoffenen und verfressenen Piraten zufriedenzustellen. Der Kutscher hielt dabei die Ohren immer gespitzt. Nicht das kleinste Detail des Planes, den die Piratenkapitäne ausheckten, entging ihm. Jetzt, da der Verräter tot war, konnten sie planen. Alles, was vorher an Gerüchten im Umlauf gewesen war, wurde umgestoßen, da man nicht sicher sein konnte, ob der Comte die Spanier bereits gewarnt hatte. Die Verhandlung dauerte nicht lange. Die anderen Piratenkapitäne wollten zurück an Bord ihrer Schiffe und noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder auslaufen, um zurück nach Puerto Plata zu segeln. Von dort aus würden die einzelnen Schiffe dann auf abgesprochenem Kurs nach Norden zu den Turks-Inseln fahren, um dann wie die Haie von allen Seiten über ihre Opfer herzufallen. Le Requin hatte den anderen versprochen, am nächsten Abend zu folgen, wenn es der Mannschaft gelungen war, die neue Großstenge fertig zu stellen.
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Es herrschte Ruhe auf dem Schiff. Nur manchmal waren die dumpfen Schritte der Wachgänger zu hören. Der Kutscher lag auf der herabklappbaren Pritsche in der kleinen Kombüsenkammer und hatte die Hände unter dem Nacken verschränkt. Er konnte zufrieden mit sich sein. Für ihn, die Zwillinge und die anderen Männer der „Isabella“ bestand keine Lebensgefahr mehr. Durch einen glücklichen Zufall hatten sie bei der Meuterei auf der „L’Executeur“ auf der richtigen Seite gestanden und waren nun anerkannte Mitglieder der Mannschaft. Der Kutscher hatte inzwischen mit Matt Davies und den anderen gesprochen. So war er endlich über alles informiert, was geschehen war. Das meiste hatte er sich nach den Gesprächen der Piratenkapitäne schon selbst zusammengereimt, doch jetzt wußte er auch, warum plötzlich nur noch ungefähr sechzig Männer an Bord der Karacke waren. Von diesen sechzig sollten nach Aussage des Schotten noch etwa zwanzig Anhänger des Comte sein, aber der Schotte hoffte, daß sie sich mit ihrem Schicksal abfanden und auch für Le Requin, den Hai, weiterkämpfen würden. Ihren Stützpunkt im Süden von Espanola würden sie wahrscheinlich nicht halten können, wenn die Spanier angriffen, aber für ein Piratenschiff gab es viele Plätze, wo es vor Anker gehen konnte. Der Kutscher hatte Nicolas Colter, den neuen Bootsmann, gebeten, seine beiden Jungen zu sich holen zu dürfen, aber Colter hatte abgelehnt. „Ratatouille braucht dringender Hilfe als du“, hatte er gesagt. „Und wie ich gehört habe, passen die drei prächtig zueinander.“ Der Kutscher war nach diesen Wort alarmiert gewesen. Obwohl der hagere Brisac, um den sich die Anhänger des toten Comte scharten, nachdem ihr Profos in Ketten gelegt worden war, ihm den Zutritt zur Kombüse hatte verwehren wollen, hatte der Kutscher es mit Hilfe des Schotten, der der neue Profos in der Kuhl
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war, geschafft, mit den Zwillingen zu sprechen. Ratatouille, der bucklige Zwerg, war immer dabeigewesen, und so hatte sich der Kutscher nur davon überzeugen können, daß es den Zwillingen gut ging. Das Grinsen der beiden Bengel hatte ihn allerdings weniger beruhigt als gewarnt. Er war fest überzeugt, daß die beiden irgendetwas im Schilde führten. Die Gedanken des Kutschers flogen zur „Isabella“. Stenmark behauptete, daß der Seewolf morgen wieder vor der Insel aufkreuzen würde: „Ihr kennt doch Ferris Tucker“, hatte er gesagt. „Der braucht keine zwei Tage, um den Schaden im Rumpf zu beheben.“ Der Kutscher konnte nur hoffen, daß Stenmark recht behielt. Die Frage war allerdings, ob ihnen das etwas nutzte. Wie sollten sie den Seewolf benachrichtigen, daß sie sich an Bord der Karacke befanden? Vielleicht griff er an und versenkte die „L’Executeur“. Sie mußten es irgendwie schaffen, von Bord zu gehen, bevor die Karacke morgen auslief. Die Großstenge war fast fertig. Der Schotte hatte geschätzt, daß sie am morgigen Nachmittag würden auslaufen können. Bis dahin wird uns schon noch was einfallen, dachte der Kutscher. Er wollte sich umdrehen, als er das leise Schaben an der Bordwand vernahm. Sofort richtete er sich auf und lauschte. Das Geräusch wiederholte sich. Der Kutscher glitt von der Pritsche und war mit ein paar Schritten am Fenster, das er wegen der im Raum stehenden Hitze offen gelassen hatte. Er steckte den Kopf nach draußen und sah sofort den Schatten, der sich auf die Heckgalerie schwingen wollte. Er zog den Kopf blitzartig zurück. Mehr, als er sah, spürte er plötzlich, daß die Gefahr nicht von dem Schatten ausging. Er wollte sich in die Kammer zurückfallen lassen, doch im letzten Augenblick erwischte ihn ein harter Gegenstand an der rechten Schläfe dicht über dem Ohr.
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Er brach zusammen. Er wollte wegkriechen, zur Tür hinüber und hinaus auf den Gang, um Le Requin zu warnen, doch voller Panik erkannte er, daß er sich nicht bewegen konnte. Er sah, wie zwei Schatten in seine Kammer eindrangen. Einer beugte sich über ihn, erhob sich wieder und zischte dem anderen etwas auf französisch zu. Ein dritter Schatten stieg durch das Fenster und blieb neben der Tür stehen, als die beiden anderen Männer auf den Gang hinaustraten. Der Kutscher wußte nicht, was mit ihm los war. Er nahm die Bewegungen der Männer und die Geräusche, die sie verursachten, deutlich wahr, aber seinen eigenen Körper spürte er nicht. Es war ihm, als sei er hinausgeschlüpft, als schwebe sein Geist im Raum und sei losgelöst von allem Irdischen. Er wollte schreien, aber nicht einmal die Lippen konnte er öffnen. Sie werden Le Requin ermorden, dachte er, und die „L’Executeur“ übernehmen. Und dann werden sie uns töten, weil wir uns auf die falsche Seite geschlagen haben... * Batuti starrte in den sternenklaren Himmel. Er konnte nicht schlafen. Vielleicht waren die anderen abgebrühter, aber ihm war die Trennung von der „Isabella“ tief unter die Haut gegangen. Seit er vor Jahren vom Seewolf aufgenommen worden war, hatte er eine neue Heimat auf der „Isabella“ gefunden. Er hatte oft Gelegenheit gehabt, von Bord zu gehen und in das. Land zurückzukehren, in dem er geboren war, aber er wußte, daß er sich dort als Fremder fühlen würde. Er gehörte zum Seewolf wie dessen rechte Hand. Batuti kauerte im Schatten des Schanzkleides neben einer Achtpfünderkanone. Sein Blick glitt über die Kuhl. Dicht neben dem Aufgang zum Achterdeck sah er ein paar Piraten liegen. Einer von ihnen war der Schotte. Batuti mochte den schwarzhaarigen Mann, der nicht viel redete, sondern handelte. Matt
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Davies hatte ihn einen eiskalten Killer genannt, aber Batuti wußte, daß dem Piraten nichts anderes übriggeblieben war, als so zu handeln. Schließlich ging es um sein eigenes Leben. Batuti drehte den Kopf. Hinter dem Querstück des Luksülls hatte sich eine Gestalt erhoben und schlich geduckt auf den Verschlag zu, hinter dem sich die Kombüse verbarg, in der der bucklige Zwerg und die Zwillinge hausten. Der Mann schien erwartet worden zu sein, denn ein paar andere rückten zur Seite, um ihn durchzulassen. Batuti konnte nichts hören, aber er war sicher, daß die Männer miteinander tuschelten. Er beobachtete sie angestrengt, und als er sah, wie sich ein paar von ihnen plötzlich lautlos über das Schanzkleid schwangen, wußte er, daß dieser Brisac immer noch nicht aufgegeben hatte. Er wollte aufstehen, um Matt, Stenmark und Blacky zu wecken, als er sah, wie sich zwei weitere Schatten erhoben. Sie verharrten einen Moment neben dem Großmast. Batuti sah deutlich, wie ihre Blicke über die Kuhl glitten. Ein anderer gab ihnen ein Zeichen, daß der Wachgänger auf dem Achterdeck gerade nicht zu sehen sei. Batuti wußte, daß keine Zeit mehr blieb, Matt und die anderen zu wecken. Er sah, wie Stahl im Sternenlicht aufblitzte. Mit einem Satz war er auf den Beinen, riß sein Messer aus dem Gürtel, schrie laut und stürmte auf die beiden Schatten zu, die sich deutlich im Sternenlicht vor dem dunklen Hintergrund des Achterdecks abhoben. Die Männer auf der Kuhl schreckten hoch. Auch der Schotte hatte Batutis Schrei vernommen und richtete sich auf. Er erkannte die beiden Schatten, die auf ihn zuliefen, und griff nach der Pistole, die er neben sich auf die Planken gelegt hatte. Er hatte keine Chance gegen die beiden Angreifer. Der erste hatte schon sein Entermesser erhoben, um es auf den verhaßten Schotten niedersausen zu lassen. Batutis Messer log flirrend durch die Luft. Die Klinge traf den ersten Mann, als dieser zuschlagen wollte. Der Arm mit dem
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Entermesser blieb in der Luft stehen. Der Mann wankte. Einen Augenblick sah es so aus, als hätte ihn das heranfliegende Messer nur erschreckt, doch dann brach er wie vom Blitz getroffen zusammen. Der zweite Mann blieb verwirrt stehen. Sein Kopf ruckte herum, und als er den heranstürmenden riesigen Neger sah, verließ ihn der Mut. Er warf das Enterbeil, das er in der rechten Hand hielt, von sich und schrie ein paar französische Worte, die in einem Krachen untergingen. Der Schotte hatte geschossen. Die Kugel stieß den zweiten Mann zurück bis zum Großmast. Sein Fuß verfing sich in einem Tau, er taumelte und krachte dann der Länge nach auf die Planken. Sofort war die Hölle los auf der Kuhl. Jeder der Männer wußte sofort, was der Kampflärm zu bedeuten hatte. Niemand stellte Fragen. Wie eine Mauer rückten sie gegen die Ecke unter dem Achterdeck vor, wo sich die Anhänger des toten Comte niedergelassen hatten. Der Schotte brüllte einen Befehl auf französisch, und zögernd ließ einer der Männer seine Pistole fallen. Die anderen blickten den Schotten voller Trotz an. Sie ahnten, daß sie keine Gnade zu erwarten hatten. Schließlich hatte der Schotte auch ihren Kameraden an Land keine Chance gegeben. Sie waren mehr als ein Dutzend. Ihr ganzes Leben war bisher vom Kämpfen und Töten bestimmt worden. Sie kannten nichts anderes. Und sie handelten danach. Einer von ihnen stieß einen wilden Schrei aus, in den die anderen einfielen, und wie ein Mann gingen sie zum Angriff über. * Der Kutscher hatte Batutis Schrei und kurz darauf den Schuß auf der Kuhl gehört. Seine Hand krampfte sich zusammen, und aufatmend dachte er, daß auch Le Requin jetzt gewarnt war. Er öffnete die Hand wieder und erschrak. Er konnte sich bewegen! Der Schmerz in seiner Schläfe setzte ein, als hätte er einen zweiten Schlag erhalten.
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Dennoch hätte er schreien können vor Freude. Er spürte wieder etwas, also lebte er! Er glaubte, daß das Hämmern des Pulsschlages in .der Schläfe deutlich in der Kammer zu hören sein mußte, und sein Blick glitt zu dem Schatten an der Tür hinüber, der offensichtlich nervös geworden war. Der Mann trat von einem Bein aufs andere, dann zog er plötzlich die Tür auf und zischte etwas. Von einem Moment zum anderen war der Gang vor der Kammer erleuchtet. Der Kutscher hörte die überraschte Stimme Le Requins, dann zerriß die Detonation eines Schusses zum zweitenmal die nächtliche Stille auf der „L’Executeur“. Der Kutscher zog sich an der Pritsche hoch. Kreise drehten sich vor seinen Augen, und er brauchte Sekunden, bis das Schwindelgefühl wieder verschwand. Er tastete sich zu der Anrichte vor, auf der seine Pistole lag. Seine Hand schloß sich um den Griff. Mit zitternden Fingern zog er den Hahn mit dem Feuerstein zurück und hoffte, daß das Pulver auf der Pfanne in Ordnung war. Auch der Mann an der Tür hatte eine Pistole in der Hand. Der Kutscher sah, wie er die Waffe nach links in den Gang richtete, wo die Kammer des Kapitäns lag. Er zögerte nicht länger und schoß. Die Detonation war in dem kleinen Raum ohrenbetäubend. Der Arm des Piraten wurde von der Kugel aus der Richtung gerissen. Instinktiv hatte der Mann noch abgedrückt, aber das Geschoß klatschte irgendwo in Holz. Klingen prallten auf dem Gang aufeinander. Der Kutscher, der schon wieder sicher auf den Beinen stehen konnte, schnappte sich die gekürzte Pike des ehemaligen Profos’ und stürmte zur Tür. Das Rundholz schickte den verwundeten Piraten ins Reich der Träume. Im Gang drangen Brisac, der hagere Pirat, und Vert-de-gris auf Le Requin ein, der mit seinem Krummsäbel wie ein Berserker kämpfte und Brisac schon ein paar blutende Wunden an den Armen und der Brust beigebracht hatte.
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Der Glatzkopf hielt sich etwas im Hintergrund. Der Kutscher sah, wie der ehemalige Profos, der wohl selbst gern die Nachfolge des Comte angetreten hätte, an einer Pistole herumfummelte. Mit einem wilden Schrei sprang Le Requin plötzlich vor. Der hagere Brisac verlor die Balance, als er dem Krummsäbel ausweichen wollte. Er stolperte über die Füße des bewußtlosen Piraten, den der Kutscher niedergeschlagen hatte. Le Requin ließ sich die Chance nicht entgehen. Mit einem kurzen Schritt war er heran, und die scharfe Schneide des Krummsäbels tötete den hageren Piraten, der damit seine Treue zu Vert-de-gris teuer bezahlte. Le Requin zog den Säbel zurück und erstarrte. Der Glatzkopf hatte die Pistole nachgeladen und richtete sie jetzt auf den Hai. Ein Grinsen zog seine Lippen in die Breite. Im Schein der Kerzen; die den Gang durch die offene Tür der Kapitänskammer erleuchteten, sah sein mit Pockennarben übersäter Schädel wie das Haupt eines Mannes aus, der von den Toten auferstanden war. „Die ,L’Executeur` wird niemals dir gehören, Le Requin“, stieß er schnaubend hervor. Haß leuchtete in seinen Augen. „Auch wenn deine Männer auf der Kuhl siegen werden, dir wird es nichts mehr nützen. Fahr zur Hölle, Le Requin!“ Der Kutscher hatte ausgeholt und schleuderte die Pike. Im selben Augenblick warf sich Le Requin vor. Er wurde von der durch den Gang zischenden Pike genauso überrascht wie Vert-de-gris, der sofort abdrückte. Le Requins Säbel fauchte durch die Luft, verfehlte den ehemaligen Profos aber, da dieser von der Pike getroffen worden war und gegen die Wand des Ganges taumelte. Die Kugel aus der Pistole war Le Requin in die rechte Schulter gedrungen, doch der Riese ließ sich nicht aufhalten. Ehe Vertde-gris auch nur einen Arm zur Abwehr heben konnte, durchbohrte ihn die Klinge des Krummsäbels.
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Le Requin starrte den Kutscher, der in der Tür seiner Kammer stand, einen Augenblick an. Dann begann er zu grinsen und zeigte seine blitzenden Zähne. „Danke, Engländer“, sagte er. „Hörst du den Lärm an Deck? Ich glaube, unser Platz ist jetzt: dort oben.“ Der Kutscher nickte. Er brachte keinen Ton hervor. Seine Zunge fühlte sich an wie ein pelziger Ball. Er starrte einen Moment auf den bloßen Rücken Le Requins, als dieser zum Niedergang stürmte. Unter ihm regte sich der am Arm verwundete Pirat. Der Kutscher hob die Pike wieder auf und hielt sie dem Mann entgegen. „Los, spring aus dem Fenster!“ sagte er zischend. „Oder stirb, wenn du kämpfen willst!“ Der Mann schüttelte hastig den Kopf. Er rappelte sich auf, lief in die Kammer und hechtete mit einem gewaltigen Satz aus dem Fenster. Der Kutscher hörte das Klatschen seines Körpers auf dem Wasser und wandte sich grinsend um. Er hastete hinter Le Requin her, aber der Kapitän war schon nicht mehr auf dem Quarterdeck. An der Balustrade standen zwei Piraten, die mit Pistolen auf die Kämpfenden in der Kuhl schossen. Einer drehte sich um und legte auf den Kutscher an, drückte aber nicht ab. Der Kutscher kümmerte sich nicht um ihn. Er lief zur Balustrade und schwang sich hinüber. Er hatte nur einen Gedanken. Er mußte wissen, was mit den Zwillingen geschehen war. Hoffentlich hatte sich der Koch mit den Jungen in seinem Verschlag verbarrikadiert. Mit der Pike schaffte sich der Kutscher Platz. Er sah aus den Augenwinkeln, wie die Männer um den Schotten die restlichen Aufrührer umzingelt hatten. Sie drangen mit erhobenen Waffen auf die Verlorenen ein, bis Le Requins harte Stimme sie zurückriß. Der Kutscher kümmerte sich nicht darum. Mit wenigen Schritten war er bei dem Verschlag. Sein Atem stockte, als er sah, daß die Brettertür nur angelehnt war.
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Neben der Tür lagen zwei Gestalten, von denen sich eine gerade wieder regte. Eine kleine Hand mit einer Bratpfanne tauchte aus dem Spalt auf und sauste nieder. Es gab einen hohlen Ton, als das Gußeisen den Schädel des Piraten traf, der seufzend wieder zu Boden sackte. Die Hand des Kutschers zuckte vor und umklammerte das Handgelenk des dünnen Arms. Ein heller Schrei war die Antwort. „Laß los, du Affe!“ Eine andere Hand mit einer Pistole darin tauchte auf, und der Kutscher hatte Mühe, sie rechtzeitig zur Seite zu schlagen, bevor die Kugel in seinen Körper schlug. „Du verdammter Lausebengel!“ stieß er hervor. „Mußt du wieder deine Griffel dazwischen haben? Wenn ich das deinem Vater Er verstummte. Gerade rechtzeitig hatte er daran gedacht, daß er sich ja vor den Piraten als Vater der Zwillinge ausgegeben hatte. Das grinsende Gesicht von Hasard erschien in dem Türspalt. „Hallo, Papa“, sagte er. Der Kutscher holte aus, schlug aber nicht zu. Er war froh, daß den beiden nichts passiert war.
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Auf der Kuhl war nur die Stimme Le Requins zu hören. Er befahl, die letzten acht Aufrührer zu fesseln und abwechselnd zu bewachen. Sie sollten ihre Strafe am nächsten Tag erhalten. „Aufklarer!“ Der Kutscher zuckte zusammen. „Der Kapitän hat dich gerufen, Dad“, sagte Hasard grinsend. „Warte, Bürschchen“, zischte der Kutscher. „Laß uns erst wieder allein sein!“ Er ließ den Arm Hasards los und ging zum Aufgang hinüber, wo Le Requin auf ihn wartete. Der Schotte und die anderen Männer umstanden ihn. Unter ihnen waren auch Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti. Le Requin nickte dem Kutscher zu. „Hilf dem Bootsmann, wieder Ordnung im Achterschiff zu schaffen“, sagte er. „Morgen liegt ein harter Tag vor uns.“ Der Kutscher nickte. Und als er dem neuen Kapitän der „L’Executeur“ zum Quarterdeck hinauf folgte, dachte er: Das kannst du laut sagen, Le Requin. Aber der Tag wird anders verlaufen, als du ihn dir vorgestellt hast!
ENDE