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IN JEDES HAUS GEHÖRT DIESES WERK das ist das überzeugende Urteil von Presse und Rundfunk über die große, spannend geschriebene Weltgeschichte „Bild der Jahrhunderte* des Münchner Historikers Otto Zierer. Von ungeheurer Dramatik sind die Bände dieses neuartigen, erregenden Geschichtswerkes erfüllt. Hier sind nicht, wie in Lehrbüchern alter Art, die historischen Ereignisse mit trockener Sachlichkeit aneinandergereiht: die Vergangenheit wird vor dem Auge des Lesers in kulturgeschichtlichen Bildern zu neuem Leben erweckt. Menschen wie Du und ich schreiten über die wechselnde Bühne der Geschichte und lassen den Ablauf der Jahrhunderte, das Schauspiel vom Schicksal der Menschheit, ergriffen miterleben. Zierers »Bild der Jahrhunderte" ist ein Werk für die Menschen unserer Zeit, für die Erwachsenen wie für die Jugend.
DER
KAUF
LEICHT
G E M A C H T . . .
»Schüler, deren Eltern das Bild der Jahrhunderte zu Hause haben, sind die besten Geschichtskenner in meinen Klassen", schreibt ein bekannter Erzieher. Der Verlag hat die Beschaffung der Bücherreihe leicht gemacht. Um jeder Familie den Kauf dieses prächtig ausgestatteten Standardwerkes zu ermöglichen, werden günstige Zahlungserleichterungen eingeräumt. Das .Bild der Jahrhunderte* kann auf Wunsch bei sofortiger Lieferung ohne Anzahlung gegen zwanzig Monatsraten erworben werden: DM 10,90 für die RotleinenAusgabe, DM 13,75 für die Lux-Luxus-Ausgabe. Das Werk besteht aus zwanzig Doppelbänden, dem Band 41/44 und dem Historischen Lexikon; es umfaßt rund 8000 Seiten. 189 ausgewählte Kunstdrucktafeln, 500 Lexikonbilder und 124 historische Karten ergänzen den Text. Jeder Band enthält Anmerkungen, ausführliche Begriffserklärungen und Zeittafeln.
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VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÖNCHEN • INNSBRUCK • ÖLTEN (SCHWEIZ)
K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U LT U R K U N D LI C H E H E F T E
H A N S R. PURSCHKE
KASPERL Die Märchenwelt der Puppe
VERLAG SEBASTIAN LUX M U R N A U • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Das Himmelreich £Ls gab eine Zeit, da nannte man das Puppenspiel „Himmelreich". Wie es zu diesem Namen kam, wird man wohl nie ergründen können. Ist aber so ein Puppentheater nicht wahrhaftig ein kleines Himmelreich? Wenn der Vorhang aufgeht und sich uns eine herrlich bunte und phantastisdte Welt auftut, eine Welt der Märchen und der Wunder, in der jeder Wunsch in Erfüllung geht und immer das Recht über das Unrechte den Sieg davonträgt, dann ist es, als guckten wir geradewegs in den Himmel hinein. Nichts erscheint uns schöner zu sein als diese kleine ' Zauberwelt, Aber ist es nicht auch ein Himmelreich für den Puppenspieler, wenn er nicht nur Hunderten von Kindern Freude bereiten kann, sondern auch Erwachsene so mitzureißen vermag, daß sie sich wie die Kinder mit den' Puppen unterhalten, als ob es lebendige Wesen wären, und ganz vergessen können, daß es nur hölzerne Puppen sind? Wie heißt es doch? „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder . . . " — und wir werden es im Puppenspiel. Ist so ein Puppenspieler aber nicht auch in seiner kleinen von ihm geschaffenen Welt selbst ein kleiner Herrgott, der einem Stück Holz eine See/e, totem Stoff Leben geben kann? Aus Holz, Papier und Stoff formt er Wesen, gibt ihnen ein Antlitz, erschafft die Welt rings um sie — Bäume, Häuser, den Himmel und selbst das Sonnenlicht —, kurz eine ganze Welt, in der er die von ihm geschaffenen kleinen Geschöpfe leben, lachen und weinen läßt und ihre Schicksale bestimmt. Wer kann sich mit ihm vergleichen? Wie man nun selbst so ein Puppenspieler werden kann, wie man sich so eine kleine Welt, so ein Himmelreich sckafft, davon, und ein weniges vom Wesen, von Geschickte und Aufgaben des Puppenspiels will dies Bücklein erzählen.
I. TEIL
Kasperl als Erzieher Die ursprünglidiste Kunst, der Anfang aller Künste ist ja das Puppenspiel. HansThoma D as Puppenspiel ist wohl der liebenswerteste Zweig der dramatischen Kunst, ursprünglich, frisch und natürlich, und gehört vor allem der Jugend, wobei unter „Jugend" auch die Menschen zu verstehen sind, die sich noch bis ins Alter ein junges Herz bewahrt haben. Das Puppenspiel ist nicht nur eine fröhliche Unterhaltung für Kinder und ein launiges Spiel für Erwachsene, das Zuschauern und Spielern gleichviel Spaß macht und sie Sorgen und Alltag vergessen läßt; hinter dem heiteren Gewand verbirgt sich viel mehr. Kasperl, die bewegende Kraft des Puppenspiels, ist nämlich nicht nur ein Spaß- und Faxenmacher. Man merkt ihm auf den ersten Blick gar nicht an, daß er auch ein geschickter Erzieher ist, dessen pädagogische Methoden allerdings recht seltsame Wege gehen. Kasperl ist für die Kinder der Inbegriff des Bewunderungswürdigen, dem sie unbeschränkt und restlos Vertrauen schenken. Er ist das leuchtende Vorbild. Was er sagt, was er tut, ist richtig und gut, ist das Evangelium und wird mit gläubiger Seele aufgenommen. Es wäre aber grundfalsch, ihn sagen zu lassen: „Das dürft ihr nicht!" O nein, er predigt nicht, er handelt — handelt gut und richtig —, er lebt vor. Er ist der Held, der gegen das Böse kämpft und es lachend überwindet. Er zeigt, daß alle Widerwärtigkeiten des Lebens mit heiterem Lebensmut zu meistern sind. Keinem Lehrer, keinem Vater gelingt das, was Kasperl unter Spaßen zustande bringt. In seinen Händen werden die Kinder zu Wachs, und darum hat der Puppenspieler die heilige Verpflichtung, in die kleinen Seelen nur gute Samenkörner zu legen und nicht giftiges Unkraut zu säen.
* Immer siegt das Gute über das Böse, die Wahrheit über die Lüge und Recht über Unrecht. Und weil Kasperl ein Vorbild ist, darf er selbst nie Unrechtes tun. Wenn man ihn lügen, grob, frech sein und Schimpfworte gebrauchen läßt, kann man gewiß sein, daß es die Kinder nachmachen werden. Wenn er ein Nichtstuer ist, der sich vor der Arbeit drückt, nur trinkt und sich den Bauch vollstopft, darf man sich nicht wundern, daß das Puppenspiel bei manchen in Verruf kommt. Kasperl darf schlau und pfiffig sein und die Schwächen des Bösen ausnützen, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Aber nicht durch Lüge und Hinterlist. List ist nur im äußersten Notfall gegen „übergewaltige Gewalten" erlaubt. 3
Ebenso verhält es sich, wenn Kasperl seine Gegner mürbe prügelt. Die Pritsche gehört nun einmal zur Handpuppenbühne, aber die Prügel dürfen nicht verabfolgt werden, nur um die Begeisterung der Kinder zu entfesseln. Sie sind nur dann am Platz, wenn es ohne sie eben einfach nicht mehr geht. Mit einem solch äußersten Mittel muß aber sparsam umgegangen werden. Kasperl behält die Oberhand über das Böse, weil er ihm moralisch überlegen ist, auch weil er klüger und wissender ist, d. h. mehr gelernt hat. Wenn er lesen kann, die Hexe aber nicht, so muß sie eben den kürzeren ziehen. Der kleine Kasperl hat aber auch den Großen noch manches zu sagen. Wie kein zweiter ist er berufen, den lieben Mitmenschen einen Spiegel vor die Augen zu halten und ihre Schwächen und Untugenden in netter, lustiger Form ans Licht zu ziehen. Dem Kasperl, der ja unpersönlich ist, wird auch der Erwachsene niemals böse sein.
* Im Puppenspiel erlebt das Kind die erste Berührung mit der dramatischen Kunst, gewinnt es die ersten Eindrücke vom Theater; hier keimt die erste Liebe und das erste Verständnis für die Welt der Bühne auf. Deshalb gilt hier besonders das alte Wort, daß für das Kind das Beste gerade gut genug ist. Für jede Puppenbühne, die öffentlich spielen will, ist sprachlich und szenisch einwandfreie Darstellung Vorbedingung. Puppenspiel ist zwar keine erhabene Kunst, aber es ist unbedingt Kunst — oder vorsichtiger ausgedrückt: es sollte, es müßte Kunst sein. Gerade da wird noch viel gesündigt. Noch sehr wenige Bühnen erfüllen die künstlerischen Forderungen, die man heute an das Puppentheater stellen muß. Armselige ausdruckslose Puppen, ein kitschiges farbloses Bühnenbild, ein ideenarmer platter Text, eine unkultivierte Sprache — das wird oft den Kindern vorgesetzt und den Erwachsenen zugemutet. Darf es da wundernehmen, wenn dem Puppentheater oft so wenig Verständnis und Interesse entgegengebracht wird? Dabei eröffnet sich im Puppenspiel doch ein unermeßlich großes Wirkungsfeld für künstlerisch gestaltende Betätigung. Hier können sich die Talente austoben. Nicht nur Puppen müssen geschaffen werden, auch Dekorationen, Kostüme und Texte. Ein Puppenspieler muß ein wahrer Hexenmeister sein und alles können: zeichnen, malen, modellieren, dichten, sprechen, singen, schneidern, tischlern und basteln. Das künstlerische Gestalten vor dem Spiel macht ebensoviel Freude wie die handwerkliche Betätigung und, wenn die kleine Welt erschaffen ist, wie das Spiel selber. Was in uns gereift und geworden ist, wird nun auf der Bühne Wirklichkeit, bekommt Leben. Es ist ein herrliches Gefühl!
Die Märchenwelt der Puppe Dem Schauspieler aus Fleisch und Blut ziehe ich den hölzernen vor. G. B. Shaw Zweifellos ist das Puppenspiel Theater, denn es ist dargestellte Wirklichkeit und nicht die Wirklichkeit selbst. Es ist eine Welt des Scheins. Wie auf der großen Bühne wird auch auf der Puppenbühne Wirklichkeit vorgetäuscht: Kulissen aus Pappe und Leinwand ersetzen Bäume, Häuser und Räume, blaue Leinwand das Firmament und Lampen das Sonnenlicht. Während aber zwischen diesem Rahmen des Nichtwirklichen und dem Schauspieler aus Fleisch und Blut eine Diskrepanz besteht, fügt sich die Puppe diesem Rahmen organisch ein, denn auch sie ist vorgetäuschte Wirklichkeit, ist toter Stoff. Man könnte deshalb im Puppenspiel reinstes Theater, absolutes Theater sehen. Mit dem großen Theater hat aber das Puppenspiel wenig gemein, denn es ist eine andere Welt, eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen. Es herrscht das Gesetz der Puppe. Nie darf darum das Puppenspiel eine Nachahmung der großen Bühne sein. Nur das darf es bringen in Stoff und Handlung, was der Puppe als solcher entspricht und was das große Theater überhaupt nicht oder nur schwer und unglaubwürdig darstellen kann — was also außerhalb der natürlichen Möglichkeiten der Menschenbühne liegt. Und das ist die Welt des Märchens, das Reich der Zauberei und Hexerei, wo Tiere sprechen und tote Dinge leben, wo über- und unterirdische Gestalten ihr Wesen treiben — kurz, wo das Unwirkliche zu Hause ist. Puppen können das Unwirkliche viel echter und wahrer darstellen als der Schauspieler. Nur sie können es überhaupt überzeugend darstellen, weil sie selbst unwirklich und keine natürlichen und menschlichen Geschöpfe sind. Jede Puppe stellt ein lebendiges Wesen dar. Weil sie aber selbst nicht lebendig, sondern tote Materie ist, hat sie auch kein bewegtes Mienenspiel, sondern immer nur denselben ihr einmal gegebenen Gesichtsausdruck — eine starre Maske. Darum muß diese Maske auch so charakteristisch sein, daß man von ihr den Charakter der Puppe direkt ablesen kann. Die Puppe hat aber nicht nur eine Maske, sie ist selbst im ganzen gesehen eine Maske. Nur spricht der Spieler nicht aus ihr heraus, sondern steht außerhalb von ihr bzw. hat nur die Hand in ihr und spricht aus der Distanz durch sie hindurch. Wesensnahe Zusammenhänge ergeben sieh zum griechischen Drama, wo die Schauspieler Masken trugen, damit man nicht bestimmte Personen, sondern Charaktere in ihnen sah. 5
Wenn auch der Puppe das Mienenspiel des Schauspielers fehlt, so läßt wiederum ihre Maske — vorausgesetzt, daß deren Ausdruck genügend Deutungen zuläßt und sich durch das Spiel der Schatten beim Bewegen der Puppe verändert — der Phantasie freies Spiel und regt den Zuschauer zu schöpferischem Mitschaffen an. Seine Phantasie ergänzt, und er sieht in die Puppe Dinge hinein, die gar nicht da sind. Er sieht sie weinen und lachen. Sie lebt für ihn. Und je mehr er hineinsieht in die Puppe und das Spiel, desto vollkommener wird die Illusion. Es ist eine Besonderheit des Handpuppenspiels, daß der Zuschauer ins Spiel hineingezogen wird, hineinspricht und es dadurch selbst mitgestalten kann. Es gibt hier keinen strengen Unterschied zwischen Spieler und Zuschauer, sondern nur eine spielende, das Stück gemeinsam forttreibende Einheit. Dieses Mitspielen ist ein Hauptreiz für das Publikum. An den Spieler aber stellt es hohe Anforderungen, denn er muß schlagfertig sein in seinen Antworten und geschickt und bremsend die Richtung beibehalten können, in der das Spiel weiterzugehen hat. Reißt das Publikum das Spiel an sich, dann gerät es leicht ins Uferlose. Ist der Spieler durch einen Zwischenruf nur für Sekunden verblüfft und findet die passende Antwort nicht, werden die Zuschauer aus der Illusion gerissen und erblicken die Puppen in nüchterner Wirklichkeit.
G o e t h e , Graf P o c c i u n d P a p a S c h m i d Es scheint einfach, sie zu spielen, es ist sehr schwer, sie wirklich zum „Spielen" zu bringen, Gaston Baty Im Mittelalter hatte die Puppe vielerlei Namen, den Kasperl kannte man noch nicht. Die Puppe hieß Kobolt, Tattermann oder Tocke, das Puppenspiel selber nannte man Tockenspil, zuweilen auch „Hymelrych" (Himmelreich). Wie kam nun der lustige Allerweltskerl Kasperl überhaupt in das Puppentheater? Er hat eine ansehnliche Ahnenreihe. Auf dem großen Theater gingen ihm viele komische Figuren als Vorläufer voran. Schon bei den Griechen und Römern gab es in lustigen Possen solche Spaßmacher, die man „Mimus" nannte. In der italienischen Stegreifkomödie, der sogenannten commedia dell arte, hieß diese komische Figur „Harlekin", im geistlichen Spiel wurde sie Knecht Rubin genannt, im Fastnachtsspiel war es der Narr, in den Lustspielen der englischen Komödianten trug sie den Namen Pickelhäring und hatte als Ansager die Handlung des Spiels ins Deutsche zu übersetzen und für Heiterkeit zu 1
sorgen. Als später eigene deutsche Komödiantentruppen entstanden, blieb der beliebte Pickelhäring als komische Figur bestehen. Er wurde immer mehr zum Mittelpunkt des Spiels, und aus ihm entstand der Hanswurst, der im 17. und 18. Jahrhundert in keinem Theaterstück fehlte. Grober unflätiger Humor und zweideutiger Witz waren seine Welt. In Deutschland wurde er deshalb von den Brettern verwiesen. In Österreich jedoch, wo sich bis ins 19. Jahrhundert die Überlieferung der barocken Schauspielkunst erhielt, konnte sich Hanswurst im Wiener Volkstheater behaupten. Hier war es J. A. Stranitzky, der als ausgezeichneter, von den Wienern umjubelter und geliebter Hanswurst die Hanswurstkomödie zur Blüte gebracht hatte. Er spielte in Salzburger Tracht und im Salzburger Dialekt. Stranitzky selbst hatte früher mit Puppen gespielt und gehörte zur Schauspieltruppe des Peter Hilverting in Salzburg, der zugleich der älteste Salzburger Puppenspieler ist. Seine Rolle übergab Stranitzky dann seinem Freund Prehauser, dem letzten Wiener Hanswurst. Der Schauspieler Johann La Roche verwandelte schließlich den Hanswurst zum „Casperle". Von La Roche und aus Wien stammt also der Name des Helden unserer Puppenbühne. Die Zusammenhänge zwischen dem alten Puppenspiel vom Doktor Faust und dem „Faust" Goethes sind bekannt. Goethe hatte als Junge um 1755 in Frankfurt den Puppenfaust gesehen. Er selbst erzählt in seinem Roman „Wilhelm Meisters theatralische Sendung" von diesem Erlebnis, in dem er die Großmutter sagen läßt: „Ich habe ihnen (Goethe meint hier sich und seine Schwester Cornelia) Puppen geputzt und eine Komödie zurechtgemacht. Kinder müssen Komödien haben und Puppen. Es war auch in eurer Jugend so, ihr habt mich um manchen Batzen gebracht, um den Doktor Faust und das Mohrenballett zu sehen." Damals und in der Folgezeit lag das Marionetten- und Handpuppenspiel in den Händen einfacher Menschen, die von Ort zu Ort zogen und rührselige oder schaurigschöne Ritter- und Räuberstücke bzw. primitive Kasperliaden spielten. Die Puppenspieler wurden zwar geliebt, aber als „Fahrendes Volk" verachtet. Zwei Männern ist es zu danken, daß das Puppenspiel "zu Ansehen kam, dem Grafen Pocci und dem Papa Schmid; sie legten den Grundstein für unser heutiges künstlerisches Puppenspiel. Franz Graf Pocci, 1830 mit 23 Jahren bereits Zeremonienmeister, später kgl. Hofmusikintendant und Obersthofkämmerer, also höchster Beamter am bayerischen Hofe, war ein Universalgenie: er war Zeichner, Maler, Komponist, Schriftsteller und Puppentheater-Textdichter. Als großer Kinderfreund veranstaltete er schon 1846 auf seinem Schloß Ammerland Puppenaufführungen und schrieb kleine Stücke im Handpuppenstil. Er wurde in der Folge der Hausdichter des Münchener Puppentheaters von 7
Papa Schmid und sollte der Klassiker des Puppenspiels werden. Wer aber war Papa Schmid? Joseph Leonhard Schmid war aus Amberg, wo sein Vetter ein öffentliches Marionettentheater unterhielt, nach München gekommen. Hier wollte er ein eigenes Marionettentheater errichten, das für die Öffentlichkeit spielen sollte. Dazu brauchte er Bewilligungen, Puppen und Stücke. In seiner Not wandte er sich an den leutseligen Grafen Pocci, der auch zur Hilfe bereit war. Pocci ging selbst zum Kultusminister und erreichte die Genehmigung für das Theater, Pocci dichtete einen Text zur Eröffnung, Pocci wußte, daß der kgl. Kämmerer von Heideck ein Puppentheater besitze, das nicht mehr in Gebrauch war. Für 300 Gulden konnte Schmid das ganze Theater erwerben. Am 5. Dezember 1856 fand die Premiere statt. Auf dem Eröffnungsprogramm stand „Prinz Rosenrot und Prinzessin Lilienweiß" von Pocci. Für heutige Begriffe sind die meisten der im romantischen Märchenstil gehaltenen und stark mit Zeitsatire überwucherten Stücke Poccis veraltet. Sie haben keine gleichbleibenden Typen, die Dialoge sind zu lang und Kasperl ist nicht immer erzieherisches Vorbild. Poccis Verdienste bleiben I* aber unbestritten. Durch ihn wurde Kasperl im Puppenspiel erst heimisch. I Er verschmolz die komische Figur des Handpuppenspiels, die Trägerin K der Handlung in komischen Szenenfolgen war, mit der komischen Figur W des Marionettentheaters, die nur eine komische Rolle am Rande hatte, zur realistischen Gestalt des Kasperl Larifari, der in den Mittelpunkt des Stückes rückte und als Vertreter der Wirklichkeit und des Allzumenschlichen der unwirklichen Märchenwelt gegenübergestellt wurde. Pocci verhalf dem Puppentheater zu seiner künstlerischen Entwicklung. Ohne ihn hätte es in der überlieferten Art weitergespielt, das Märchen wäre nicht als ureigenstes Gebiet der Puppe erkannt worden und das Puppentheater wäre nicht zum Theater des Kindes geworden. Pocci und Schmid waren ein Anfang. Um die Jahrhundertwende trat dann eine grundlegende Erneuerung des Puppenspiels ein. Bildende Künstler, Schauspieler und Lehrer erkannten seine Bedeutung und nahmen sich seiner aus innerster künstlerischen Berufung mit Hingabe an. Es entstand eine Reihe von künstlerischen Bühnen, die das alte Kulturgut seinem Wesen und Stil entsprechend zu neuem Leben brachten. Vor allem das Handpuppenspiel, das nach dem ersten Weltkrieg von Bahnbrechern, wie Carl Iwowski, Werner Perrey und Max Jacob, stilmäßig und künstlerisch ein völlig neues Gesicht erhielt, erlebte eine anhaltende Blüte. Das altüberlieferte Volkspuppenspiel jedoch konnte sich aus den veralteten Formen nicht befreien — die Marionetten nicht von der Nachahmung des großen Theaters und seiner Stücke, die Handpuppen nicht 8
von der primitiven Spaßmacherei und Prügelei. Es lag in den Händen des fahrenden Volkes, dem es an künstlerischer Begabung und Können fehlte. Wo es sich der neuen Zeit entsprechend umstellen wollte, verkitschte es meist. Die heute seltenen, nach alter Tradition spielenden Wanderbühnen sind aber wertvollste Reste ursprünglicher Volkskunst, kostbares Volksgut, das der Nachwelt erhalten bleiben muß.
Von der Kartoffelkomödie bis zum Schattentheater Ich gestehe es ein, ich liebe die Marionetten. Anatole France Wir haben bis jetzt so viel von „Puppenspiel" gesprochen, daß es an der Zeit ist, nun auch seine verschiedenen Arten kennenzulernen. Die Puppe, mit der die Kinder spielen, ist ein Spielzeug und daher Gegenstand, Objekt des Spieles. Anders ist es beim Puppenspiel. Hier spielen die Puppen selber, hier sind sie Subjekt des Spiels. Was sie tun, richtet sich nach der vom Spieler entworfenen und seiner Willkür unterliegenden Handlung. Diese Handlung besteht im a l t e n traditionellen Handpuppenspiel aus kurzen Szenen ohne inneren Zusammenhang, da der Spieler ja nur zwei Puppen auf einmal auftreten lassen kann. Der witzige Dialog ist wichtiger als das Geschehen. Bei den üblichen Prügeleien türmen sich die von Kasperl erschlagenen Gegner zu Bergen. Die Puppen spielen nur an der Spielleiste, ja reiten meist auf ihr. Das m o d e r n e Handpuppenspiel, bei dem mehr als zwei Puppen gleichzeitig auftreten können, und bei dem auch in der Tiefe des Bühnenraumes gespielt wird, hat dagegen eine wohldurchdachte, meist märchenhafte Handlung mit dramatischem Aufbau. Eine Abart ist die lustige Kartoffelkomödie oder das Gemüsetheater. Die Puppen sind Kartoffel, Sellerie, Kohlrabi, Gurken und Rüben aller Art, in die ein Loch für die Finger und Einschnitte für Mund und Augen gemacht werden; in die letzteren werden Schuhzwecken oder Knöpfe gesteckt. Das Kleidchen ist ein Tuch. Einen Tuchzipfel zieht man über den Zeigefinger nach vorn, die beiden seitlichen Zipfel werden einerseits um den Daumen, andererseits um den Ring- und kleinen Finger geschlungen; Ringfinger und kleiner Finger halten dann alle drei Zipfel in der Handfläche fest. Daumen und Mittelfinger sind „nackt" und bilden die Puppenhände. Der Kopf sitzt auf dem Zeigefinger. M a r i o n e t t e n sind Gliederpuppen, die an Fäden hängen (früher auch an Drähten). Ihre Glieder werden mit Hilfe von Fäden bewegt, die an einem sog. Spielkreuz befestigt sind. Am gebräuchlichsten sind Puppen9
großen von 50—60 cm. In kleinen Heimtheatern spielt man mit 15—30 cm großen Figuren. Es gibt Puppen von der einfachsten bis zur ausgeklügeltsten Konstruktion mit 30 und mehr Fäden. Einzel(Solo)marionetten für Varietenummern nennt man Fantoches. S t a b p u p p e n sind auch Gliederpuppen. Sie werden aber von unten her an einem Stab geführt, haben Armdrähte zur Ausführung der Gesten und eine Mechanik für die Kopfbewegungen. Manchmal ist auch ein Mechanismus für Beinbewegungen vorhanden. Es wird wie bei der Handpuppe ohne Bühnenboden gespielt. Die Stabpuppe ist also ein Mittelding zwischen Marionette und Handpuppe. Ihr Vorbild sind die mit Stäben von unten bewegten plastischen Puppen von Java und China, die auch Prof. Richard Teschner in Wien als Muster dienten. Dessen Theater mit seinen traumhaft schönen Puppen nimmt eine Sonderstellung ein. S t o c k p u p p e n sind ähnlich. Sie stecken aber auf einer dünnen Eisenstange und diese in einem dicken, bis zum Boden reichenden Stock. Nur eine Hand der Puppe wird durch einen Draht bewegt, die Beine schlenkern immer. Der Stockpuppe kommt nur landschaftliche Bedeutung zu. Sie ist im Rheinland zu Hause. Das von Christoph Winters im Jahre 1802 gegründete „Hännesche-Theater" war das erste dieser Art. Das F i g u r e n t h e a t e r , auch Papiertheater genannt, ist mit dem Marionettentheater nahe verwandt und findet meist als Kinderspielzeug oder Modellbühne Verwendung. Flache Figuren, die auch beweglich sein j können, werden hier an Drähten oder Stäbchen von oben, von unten durch Schlitze im Boden oder von der Seite her in die Bühne geschoben. ' Das S c h a t t e n t h e a t e r , mit der poetischen Stimmung einer irrealen Traumwelt, gehört eigentlich nicht direkt zum Puppenspiel. Es ist kein Spiel von Puppen, sondern ein Spiel der Schatten, die von flachen, beweglichen oder steifen Figuren schwarz oder farbig auf einen hellen Schirm geworfen werden.
D i e zwei K i n d e r d e s g r o ß e n Theaters Die Illusion wird vollkommen, weil die Handpuppe kein Automat ist, weil idi selbst es bin, ein lebendiges Wesen und keine Puppe. George Sand Handpuppenspiel und Marionettentheater müssen, weil sie im Wesen grundverschieden sind, scharf auseinander gehalten werden. Die grundsätzlichsten Unterschiede sind: Die Handpuppe sitzt auf der Hand des Spielers, ist also selbst seine quicklebendige, blutdurchpulste Hand und dadurch mit ihm unmittelbar 10
verbunden. Sie ist ein Teil von ihm, seine Seele ist in ihr und strömt aus ihr heraus. Er ist während des Spiels selbst Puppe, er ist selbst der Kasperl oder die Hexe. Die Handpuppe ist aktiv, denn sie kann zupacken, schlagen, stoßen und festhalten. Die Marionette hängt wie ein Pendel an Fäden. Wir führen sie von oben, aus der Entfernung also, und übertragen die Bewegungen erst mittelbar durch Fäden, die Nervensträngen gleichen, körperlich und seelisch auf sie. Sie ist den Gesetzen der Schwerkraft unterworfen. Zieht man an den Fäden, so hebt sie ihre Glieder, läßt man los, so fallen sie durch ihr Eigengewicht in die Ruhestellung zurück. Die Marionette ist also passiv und zu aktiven Bewegungen unfähig. Das Handpuppenspiel ist ein Spiel des Spielers d u r c h die Puppe. Handpuppe und Spieler sind eins, seine Bewegungen sind auch die ihren, ihr künstlerischer Ausdruck ist sein eigener. Er spielt in der Puppe sich selbst und wie e r es will. Marionettentheater ist ein Spiel d e r Puppe. Sie ist etwas Selbständiges, ein Ding mit eigenem Körper, ein Instrument. Der Spieler kann ihr nicht selbst seine eigenen Bewegungen geben, nicht selbst in ihr zum Ausdruck kommen und sie beseelen. Sie hat eine eigene Seele. Er kann nur von außen, mittelbar also, die in ihrem toten Körper schlummernden Bewegungen wecken und ihr aufzwingen, muß aber ihren eigenen künstlerischen Ausdruck, indem er sich ganz in sie hineinfühlt, finden und auslösen. Er kann nur sie spielen und wie s i e will, das heißt, zuläßt, denn sie diktiert ihm ihre künstlerischen Gesetze. Die Handpuppe ist nicht wie die Marionette eine ganze Figur, bei der also die ganze Puppe wirken kann, sondern nur eine Teilfigur. Wir sehen nur ihre obere Hälfte. Trotzdem stört es nicht, daß sie sozusagen unvollständig ist. Man bemerkt es gar nicht. Da sie gehende Bewegungen macht, glaubt der Zuschauer, die untere Hälfte sei da, sei nur von der Spielleiste verdeckt, und er denkt sie sich förmlich hinzu. Die ganze Aufmerksamkeit ziehen also der Kopf und die Gesten der kleinen Hände auf sich. Um so ausdrucksvoller müssen diese darum sein. Die Marionette wird von oben geführt und steht auf dem Boden der' Bühne, die im ganzen ein Abbild des großen Theaters ist. Nach oben ist die Marionette frei, kann schweben und fliegen, ist schwerelos. Teufel und Geister kommen von oben. Der Marionette gehören die Regionen, der Luft und deren übernatürliche Wesen. Sie ist ätherisch. Es zieht sie himmelwärts. Die Handpuppe wird von unten bewegt, da sie ja nichts anderes als die Hand des Spielers ist, die er emporhält. Deshalb gibt es im Handpuppenspiel keinen Bühnenboden und somit keine eigentliche Bühne. Die 11
Handpuppe spielt hinter einer Bühnenwand. Sie braucht auch keine Dekoration, ohne die sie in einem Bühnenrahmen sogar mehr zur Geltung kommt. Flache Dekorationen beeinträchtigen nur ihren lebendigen Reiz, stören oft die Einheit des Stils und behindern die Spieler. (Auf Schirmbühnen sind aber einige plastische Dekorationsstücke recht nötig.) Die Handpuppe ist nach unten frei, sie kann in die Erde hinein. Teufel und Geister tauchen von unten auf. Der Handpuppe gehören deshalb die Reiche der Erde und des Wassers und deren Märchengestalten. Sie ist erdgebunden. Ebenso kompliziert wie die Marionette selbst ist auch der technische Apparat des Marionettentheaters. Bei der Handpuppe ist er genauso einfach wie sie selbst. Man braucht für sie keine Bühnenkonstruktion, keine Dekorationen und Beleuchtungsanlagen. Es genügt die Wand, die den Spieler verdeckt. Jeder Spieler kann gleichzeitig auf jeder Hand eine Puppe führen, während man zur Führung einer Marionette zwei Hände benötigt. Meist sind auf der Marionettenbühne auch noch Spieler und Sprecher getrennt, so daß eine Marionette zwei Personen erfordert. Dadurch wird ein Stegreifspiel fast unmöglich, während der stets gleichzeitig führende und sprechende Handpuppenspieler plötzlichen Einfällen folgen, auf jeden unerwarteten Zuruf blitzschnell antworten und mit der richtigen Geste reagieren kann. Das Handpuppenspie] ist deshalb auch nicht wie die Marionettenbühne voll und ganz von einem vorgeschriebenen Text abhängig. Bei den Marionetten ist eine komische Figur nicht unbedingt nötig. Aus dem Handpuppentheater aber ist der Kasperl gar nicht wegzudenken. Er ist die Hauptperson, ohne die es gar nicht geht. Er steht im Mittelpunkt des ganzen Spiels. Weil sich alles um Kasperl drehte, hat auch die frühere Handpuppenbühne, bei der er die einzelnen selbständigen und lose aneinander gefügten Szenen verband und zusammenhielt und dadurch die fehlende dramatische Einheit ersetzte, den Namen „Kasperltheater" bekommen. Marionettenspiel ist mehr Bild, ist mystisch-märchenhaft, zart und feinsinnig, mehr auf das Heiter-Besinnliche abgestellt. Die Puppen sind graziöse, drolligschöne Personellen, Jenseitswesen wie aus einem Traun heraus. Hier schwingt und schwebt, verschmilzt und gleitet alles. Das Geschehen wirkt hier wie hinter Glas, und man vermeint durch eine Zauberbrille einen Blick in eine phantastische, fremde Welt zu tun. Bei Kasperl dagegen herrscht eine robustere Atmosphäre. Hier geht alles ruck-zuck-schlag-bum-artig, oft in toller, ausgelassener Bewegung zu. Der Märchenhaftigkeit tut dies keinen Abbruch. Die Märchenfiguren werden vielmehr in diesen ganzen Trubel mit hineingezogen. Wollte man 12
im großen Theater die Mutter des Puppenspiels sehen, so könnte man Marionetten und Handpuppen als ihre zwei aus der Art geschlagenen, recht verschiedenen Kinder bezeichnen. Das Handpuppenspiel ist der unbändige, spitzbübische, lustig-übermütige und pausbäckige Junge, tatkräftig, abenteuerlich und nicht sehr empfindsam — das Sinnbild des Aktiven und Kraftvollen. Die Marionette hingegen ist das zarte Töchterchen, etwas blasser, mit nicht so viel pulsierendem Leben, aber inniger, verträumter, schönheitssuchend, still und innerlich — das Symbol des Passiven und Zarten. Beide Kinder sind in ihrer Art schön, beide haben ihren Wert, ihre Bedeutung und ihre Berechtigung, beide haben ihre eigene Wirkung und ihren eigenen Reiz — aber ein jedes ist eben anders.
Aufs Gesicht geschrieben Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreiclien, und siegt Natur, so muß die Kunst entweichen. Friedrich Schiller Das große Geheimnis einer guten Puppe ist „Bühnenwirksamkeit" und „Puppenhaftigkeit". Sie braucht, in der Nähe betrachtet, gar nicht sonderlich zu gefallen, aber auf die Entfernung muß sie wirken. Ein noch so schön geschnitzter und in der Hand noch so bestechend aussehender Puppenkopf wirkt auf der Bühne nicht, wenn er in allen Maßstäben und Verhältnissen dem menschlichen Antlitz entspricht. Je naturgetreuer er ein Abbild des Menschen ist, um so ausdrucksloser, nichtssagender, flacher und verschwommener sieht er auf der Bühne aus. Man muß deshalb in Form und Ausdruck übertreiben — aber maßvoll —, muß c h a r a k t e r i s i e r e n und s t i l i s i e r e n . Die Puppe kann nicht, wie der Schauspieler, die dargestellten Personen durch ihr Mienenspiel und das Spiel ihrer Bewegungen charakterisieren. Der Puppenkopf ist eine starre Maske und der ihr einmal gegebene Ausdruck ein für allemal feststehend und unveränderlich. Darum müssen den Puppen ihre Charaktereigenschaften aufs Gesicht geschrieben werden. Damit man nun sofort erkennt, mit wem man es zu tun hat, muß man die wesentlichsten und hervorstechendsten Merkmale, die diese Eigenschaften am besten und treffendsten kennzeichnen, betonen und übertreiben. Das Puppentheater ist das Theater charakteristischer Typen. Hier gibt es nur konkretes äußeres Geschehen, keine Seelenkämpfe und inneren Konflikte (wenn sie vorkommen, dann werden sie äußerlich, körperlich dargestellt), keine verwickelten seelischen Vorgänge, und darum auch keine schwankenden, veränderlichen und mehrdeutigen Charaktere, son13
dem nur gleichbleibende und eindeutige Typen. Die guten sind absolut jf gut, die bösen absolut böse, wobei es unwesentlich ist, aus welchen*' Gründen heraus sie bös sind. Gut und Böse ist streng getrennt. Das Kind hat auch nur Liebe und Abscheu zu verschenken und reiht in Gut und Böse ein. Deshalb ist ihm die Märchenwelt der Puppe, in der es I nur gute oder böse Gestalten gibt, so leicht verständlich. Die Hexe als Verkörperung des Bösen ist schlechthin und unwandelbar böse. Eine gute und schöne Hexe ist undenkbar. Dann wäre sie eben keine Hexe mehr. Und da man, seit die Welt besteht, das Gute schön und hell, das Böse aber häßlich und dunkel sieht, so stellt man es auch im Puppentheater so dar. Doch darf das Böse nicht fratzenhaft, abstoßend grausig sein, sondern lustig-häßlich, ganz puppenhaft. Jede Steigerung und Übertreibung des Charakteristischen führt zwangsläufig ins lustig Verzerrte, ins Groteske. Das Groteske ist aber immer phantastisch und wirklichkeitsfern. Die Wirklichkeitsferne ist jedoch, wie wir gesehen haben, gerade die Eigenwelt der Puppe und ihr Zauber. Es ist eben eine „andere Welt", fern dem Alltag, eine Welt, die gleichzeitig Wunder und Wirklichkeit ist, eine Märchenwelt, in der die Sonne anders scheint, alles bunter ist, in der Übernatürliches natürlich. Unwirkliches wirklich ist. In diese Welt gehört keine menschenähnliche Puppe, nur eine wirklichkeitsferne, eine puppenhafte Puppe wie aus einem Mär- I chenbuch heraus. Mit der Betonung und Steigerung des Charakteristischen geht die } Stilisierung Hand in Hand. Den wirklichkeitsfernen, puppenhaften Aus- i diuck erreichen wir nämlich nicht nur durch Steigerung des Charakteristischerj, sondern auch durch Stilisierung, also Vereinfachung auf das Wesentlichste und Hervorstechendste in den Zügen, durch Fortlassen aller überflüssigen Details, die auf die Entfernung gar nicht wahrgenommen werden, durch große, klare Formen und Verteilung von Licht und Schatten auf Flächen und Vertiefungen. Je stilisierter, desto puppenhafter, wirklichkeitsferner und dadurch märchenhaft echter ist die Puppe.
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II. TEIL
Die Zauberwerkstatt des Puppenspielers D as also waren die Grundgesetze der zaubervollen kleinen Welt des Puppenspiels, und wir wollen sie uns vor Augen halten, wenn wir nun einen Blick in die Zauberwerkstatt eines Puppenspielers tun, ihm auf die Finger gucken und in die praktische Schule für Himmelreichprinzipale gehen. Einen Handpuppenspieler werden wir belauschen, weil seine Puppen und seine Bühne einfacher und darum leichter, billiger und müheloser hergestellt werden können. Was braucht man alles zum Spiel? Vor allem einmal die Puppen, dann einen Bühnenrahmen oder Bühnenschirm, einiges Zubehör (Requisiten), Spieltexte, Kenntnis der Spieltechnik und nicht zuletzt — das Publikum. Kasperl — seine Freunde und Feinde Sie sind nur eine kleine Gesellschaft, die hölzernen Schauspieler der Handpuppenbühne. Es sind fast immer dieselben, die zum „eisernen" Bestand gehören und man kommt mit wenigen von ihnen aus. Der unumschränkte Held der Bühne, Abgott der Kinder, ist natürlich der Kasperl. Er ist ein stets vergnügter, lebendiger, fröhlich-frecher und immer zu Streichen aufgelegter Kerl, der mit einem Lachen das Leben meistert und es nur durch die rosarote Brille sieht. Er glaubt an das Leben, vertraut auf sein Glück, ist sorglos und ohne Probleme — er ist der lachende Lebensphilosoph, das Sinnbild unbedingter Lebensbejahung. — Er ist aber auch ein Strick und ein Schelm, der es faustdick hinter den Ohren hat, pfiffig und schlau, hat Mutterwitz und gesunden Menschenverstand. Er läßt sich nicht überlisten und wird mit jedem fertig. Wenn er noch so sehr in der Klemme sitzt, er weiß einen Ausweg und bleibt Sieger. Er ist ein Draufgänger, furchtlos und mutig, er kämpft für das Gute, für Recht und Wahrheit. Für ihn gibt es keine Hindernisse, und er lacht Gefahren und bösen Mächten ins Gesicht und ist durch sein Lachen immer überlegen. Er ist ehrlich, gerade und offen, nie boshaft oder hinterlistig, er kämpft auch immer nur mit rechten Mitteln. Wenn es aber gar nicht mehr anders geht, dann hilft er mit der Pritsche nach. Er ist nicht auf den Mund gefallen, ist schlagfertig und nie verlegen. Er nimmt sich auch kein Blatt vor den Mund und sagt jedem die Wahrheit ins Gesicht. Für ihn gibt es keine Unterschiede, auch dem König sagt er seine Meinung. 15
Er macht sich über alle lustig, ob arm, ob reich, verulkt die Menschen, schüttelt und zaust sie und lacht über ihre Schwächen. Aber es ist keine Schadenfreude. Er spottet nicht um des Spottes willen, er hält ihnen nur den Spiegel vor die Nase und wäscht ihnen den Kopf. Er ist der einfache Mann aus dem Volke, ist naiv, aber nicht dumm, ist derb und urwüchsig, aber nicht grob. Er hat Verständnis für die Nöte und Schwächen der Menschen, weil er einer der ihren ist. Er ist Materialist, nüchtern und praktisch, und er weiß auch, daß man mit leerem Bauch nicht weit kommt, aber er ist kein Säufer, Fresser und Tagedieb. Das ist Kasperl! Hierbei ist es gleichgültig, ob man ihn nun Kasper! nennt oder anders. Hauptsache ist, er ist dem Spieler auf den Leib geschnitten, ist echt empfunden und gut gespielt. Er hat ein goldenes Herz, ist hilfsbereit und hat auch tiefsittliches Empfinden. Er schulmeistert nicht, sondern lebt vor. Dieser Kasperl also ist die Visitenkarte des Spielers. Wie er aussieht und spielt, danach wird die Bühne beurteilt. Alle Liebe und alles Können steckt man in den kleinen Burschen. Vorschriften für sein Aussehen gibt es nicht. Jeder empfindet ihn anders. Die große häßliche Hakennase des Volkspuppenkasperls, die er mit seinem englischen Vetter Punch gemeinsam hat, wollen wir ihm nicht geben. Dazu haben wir ihn zu lieb. Sein Alter ist schwer zu bestimmen. Er ist jung, kein Kind mehr, aber auch noch kein Mann. Er ist noch nicht ausgewachsen, deshalb kommt er auch den Kindern so nahe. Sein Kleid ist bunt — meist herrscht Rot vor — er trägt eine Zipfelmütze mit einer Kugel oder Quaste, die er lustig herumwirbeln kann. Schellen geben wir ihm nicht, denn er ist kein Narr. — Vater, Mutter oder Geschwister hat er nicht, dafür aber eine gute Großmutter, die er liebt und für die er alles tut. Sie hat ihre liebe Not mit dem Schlingel, der ihr ans Herz gewachsen ist. Immer lebt sie in Sorge um ihn, denn sie kennt ihn und fürchtet, daß er sich in zu große Gefahren begeben könnte. Sie erteilt ihm darum stes gute Lehren, und Kasperl holt sich auch Rat bei ihr, denn sie kennt sich wie alle Großmütter im Märchen gut aus. Verheiratet ist Kasperl meist nicht. Dafür wäre er ja zu jung. Aber er hat seine Grete1 gern, die ihm bei allem tapfer hilft. Er ist für sie alles; was er sagt und tut, ist gut und recht. Wenn es aber nötig ist, so putzt sie ihn auch gehörig zusammen. Sie ist fleißig und hat alle Tugenden einer guten Hausfrau. Oft bekommen die beiden sich auch am Schluß eines Spiels, oder Gretel 16
sagt, daß sie Kasperls Frau werden will. Kasperls unzertrennlicher Freund ist der S e p p e r 1. Er ist der unentwegte Helfer und macht bei allen Streichen und Kämpfen immer begeistert mit. Besonders gern spielt er Ziehharmonika. Er flunkert gern und geht oft auch auf eigene Faust aus, gerät dann aber stets in die Patsche und muß von Kasperl herausgeholt werden. Das ist sozusagen Kasperls Familie, zu der oft auch noch, als laut kläffendes Anhängsel, der H u n d gehört. — Die Gegenspieler und Vertreter des Bösen im Spiel entstammen fast alle dem Märchenreich. Ein ausgesucht scheußliches Exemplar ist die Hexe. Sie ist voll Falschheit, Heimtücke, Niedertracht und Habgier. Sie sinnt nur Böses und sucht mit heuchlerischer Liebenswürdigkeit jeden in die Falle zu locken. Zeigt sie ihr wahres Gesicht, dann ist sie das grüne Gift selbst. Kasperl aber kommt immer hinter ihre Schliche, wobei ihm oft ihre Eitelkeit hilft. Wenn er ihr sagt, wie schön sie sei, läßt sie sich um den Finger wickeln. Im allgemeinen aber macht er keine langen Geschichten und vermöbelt sie so, daß sie ganz zahm wird und auf Nimmerwiedersehen verschwindet. — Ein recht „lieber" Bursche ist auch der Zauberer, der mit ihr auf bestem Fuße steht und um kein Jota besser ist als sie. Er kann wie sie zaubern und sich verwandeln. Während aber die Hexe aus Giftkräutern geheimnisvolle Tränke braut, arbeitet er mehr mit Zauberbuch und Zauberstab, an die der schlaue Kasperl heranzukommen weiß. Es gibt zuweilen aber auch gute, hilfsbereite Zauberer. Der Teufel ist die Versuchung zum Bösen, der Abgesandte der Hölle, der allen auflauert, um sie mitzunehmen, wenn sie für die Hölle reif sind. Ewig ist er hinter Kasperl her, muß aber stets mit leeren Händen abziehen, oder er irrt sich auch mal und nimmt versehentlich statt des Kasperls die Hexe mit. Er ist rot oder schwarz, soll aber nicht furchterregend aussehen, eher komisch, wie ein Zwetschgenkrampus, und dumm, denn er wird ja stets hereingelegt und bezieht seine Prügel. Er ist nicht bösartig, nur hartnäckig. Er kann ja nichts dafür, daß er ein Teufel ist. Er ist als Teufel geboren. — Braucht man einmal für irgendein Stück des T e u f e l s G r o ß m u t t e r , so nimmt man die Hexe und setzt ihr Hörner auf. 17
Der Räuber kann einem trotz seines Gröhlens und Drohens keine Angst einjagen. Er sieht komisch und fürchterlich aus. Es ist aber halb so schlimm mit dem Wüterich. Er stiehlt zwar unverschämt und erbarmungslos und ist ein Bösewicht durch und durch, aber er ist nicht blutgierig, nicht brutal-grausam, sondern spricht nur immer von seinen furchtbaren Absichten. Hinter seinen prahlerischen Worten verbirgt sich die Angst; er kommt auch nie mit heiler Haut davon und nimmt meist ein böses Ende. Das g r u s e l i g - s c h a u r i g e G e s p e n s t , der Geist, ist auch mehr Spatzenschreck als dämonische Gewalt, trotz seiner Grimasse, fahlen Farbe, Körperlosigkeit oder gar seiner leuchtenden Augen. Wenn Kasperl vom Leder zieht, wird es ein wimmerndes bescheidenes Etwas und gibt klein bei. — Ein wichtiges und unentbehrliches Stück ist das U n g e h e u e r , das Krokodil, das im Märchenbereich sein Unwesen treibt, Schätze , bewacht oder sich die Prinzessin oder den Sepperl zum Frühstück holt. Diese werden dann, wenn Kasperl das Ungeheuer erledigt hat, aus seinem Innern wieder herausbefördert. Andere Märchen- und Fabelwesen, ob J gut oder böse, kommen im Handpuppenspiel seltener vor. Die übrigen H e r r s c h a f t e n . Wesentlich einfacher, aber ebenso bunt ist die andere Welt: der gutmutige, runde P a p a K ö n i g ; die schöne, zarte P r i n z e s s i n , der Liebling der kleinen Mädchen, die gerettet und erlöst wird und am Schluß den Kasperl oder einen P r i n z e n heiratet; der hochmütige, selbstsüchtige und unehrliche M i n i s t e r oder Hofmarschall, nach oben unterwürfig, nach unten rücksichtslos, ein echter Ränkeschmied, der Kasperl nicht „schmecken" kann, von ihm aber entlarvt und zum Teufel gejagt wird; der überhebliche und herablassende D i e n e r J o h a n n , der aber eigentlich eine brave, gute Seele ist; die rundliche, gutherzige, eifrige und um Kasperls leibliches Wohl besorgte K ö c h i n ; der biedere S c h u t z m a n n mit dem Riesenschnauzbart, mit polternder Stimme, aber gutem Herzen. Er ist der Hüter des Gesetzes, der für Ordnung sorgt, dem aber Kasperl die Arbeit abnimmt, so daß er die Bösewichte nur abzuführen braucht. Er kann in anderer Kleidung den N a c h t W ä c h t e r oder K u l i s s e n s c h i e b e r darstellen, so wie der W i r t , ein guter, wohlgenährter, onkelhafter Typ, die Rolle des B ü r g e r m e i s t e r s , R i c h t e r s , D o k t o r s usw. spielen kann. 18
1 1 j I i I . j f i i c I
Wie die Puppe entsteht Wenn wir einen Kopf herstellen, woraus und nach welchem Rezept auch immer, so müssen wir wissen, was wir wollen. Damit wir nicht ins Blaue hineinarbeiten, zeichnen wir uns den Kopf von vorn und von der Seite im richtigen Maße auf, oder noch besser, wir modellieren ihn in Ton oder Plastilin und formen so lange, bis er dem vorgestellten Typ entspricht. Oberster Grundsatz ist, nicht naturalistische, kleine Menschen herzustellen, sondern Charaktere, bühnenwirksam und stilisiert. Wie macht man das nun in der Praxis? 1. Die beste Größe ist 8—10 cm Kopfhöhe ohne Hals. Über 12 cm geht man nicht hinaus. Weibliche Köpfe sind kleiner als männliche. Am größten sind Hexe, Teufel, Räuber und Geist. 2. Alle Feinheiten werden weggelassen. Nur auf das Wesentliche beschränken wir uns, auf einfache, klare und große Linien, Flächen und Formen. 3. Das Profil wird übertrieben, vor allem die Nase. Je schärfer der Puppenkopf in der Seitenansicht herauskommt, desto bühnenwirksamer ist er. 4. Die charakteristischen Merkmale werden betont und übertrieben. Es lassen sich nicht alle Charaktereigenschaften und die typischen Merkmale, an denen sie im Gesichtsausdruck der Puppe zu erkennen sind, im einzelnen aufzählen. Darum nur die wichtigsten in Schlagworten. Man vergleiche damit die Zeichnung: A) Kleine Stirn — wenig Hirn; Stirn hoch und breit — gescheit. B) Vorstehendes Kinn — willensstarker, energischer Tatmensch; zurücktretendes Kinn — Gemütsmensch bis zum Extrem des hilflos Dummen; großes, breites Kinn — rücksichtslos brutal; spitzes Kinn — ranke- und streitsüchtig (intrigant, „böse Sieben"). C) Bei den Nasen gibt es unerschöpfliche Möglichkeiten, vom neugierigen Stupsnäschen bis zum jammervollen Riesenrüssel. D) Mundwinkel hinauf — gutgelaunt; herunter — schlecht gelaunt. Beim Lächeln bilden sich runde Backen, deshalb wird bei hinaufgezogenen Mundwinkeln die Wangenlinie rund nach innen durchgebogen sein. Bei heruntergezogenen Mundwinkeln hingegen ist die Wangenlinie gerade oder nach außen gedrückt und verrät Gram, Grimm, hämischen, verächtlichen, anmaßenden Charakter. Offener Mund hinaufgezogen — lacht; herunter — fletscht die Zähne. E) Lippen schmal — hart, kalt, streng; hohe Oberlippe — hochmütig. F) Augenbrauen hinauf und nach oben geschwungen — froh; nach unten durchgebogen — böse, wild; Augenbrauen dachartig herunter — traurig; hochstehend — erstaunt; tiefsitzend — mißtrauisch, grüblerisch. 19
Die charakteristische?! Merkmale eines Gesichts
v
G) Die Augen sind der Spiegel der Seele und das wichtigste Ausdrucksmittel. — Gemalte Augen sind starr, darum nehmen wir halbrunde Tapeziernägel oder glatte Knöpfe, die wir lackieren, und ummalen sie. A u g e r j a c h s e hinauf — böser, herunter — guter Charakter. Die F o r m kann verschieden sein: rund, halbrund, oval, halboval, tropfenförmig usw. Wenn die Augenbrauen zusammengezogen sind (V-Form), wird das Auge oben gerade oder durchgebogen sein: hinauf — böse, grimmig; herunter — schmerzlich. Ist das Auge, durch die Backen bedingt, unten gerade oder hinaufgewölbt, — so erscheint es freundlich, lachend. Je größer die Augen, desto offener und ehrlicher, auch erstaunter ist der Blick; je kleiner und schmäler, desto verschlossener, mißtrauischer, hinterhältiger, herzloser, aber auch verschmitzter ist der Ausdruck. Das kann bis zu bloßen Schlitzen gehen.
5. Das menschliche Gesicht besteht aus drei gleichgroßen Partien: 1. Stirn, 2. Nase, 3. Kinn mit Oberlippe. Das gilt aber nicht immer, weil oft eine Partie auf Kosten der anderen besonders betont wird. Herrscht der Geist vor, ist die Stirnpartie überbetont, hat das Materielle das Übergewicht, wird die Kinnpartie vorherrschen. 6. Gute Charaktere haben weichere, rundere, oft fettere Formen und die Gesichtshälften sind immer spiegelgleich; schlechte Charaktere haben schärfere, kantigere, spitzere Formen, sind meist hager und um Augen und Mund unsymmetrisch. Nie darf man Köpfe aus verschiedenem Material oder von verschiedener Stilart im gleichen Stück verwenden. 20
Geschnitzte
Holzköpfe:
Fernunterricht im Schnitzen zu erteilen, ist nicht möglich, dem Laien ist das Schnitzen auch nicht zu empfehlen. Darum nur in Kürze das Wichtigste, was man davon wissen soll: Auf einen Linden- oder Pappelholzldotz zeichnen wir die Seitenansicht des Kopfes, das Profil, und stemmen oder sägen sie mit schmaler Säge aus. Von der Nasenspitze aus nehmen wir zu beiden Seiten die überflüssigen Teile schräg bis zu den Backen weg, zeichnen dann von vorn die Umrisse auf, sägen Hals und Ohren ein und stemmen die Enface-Linie, also die Kopfumrisse, wie sie sich von vorn bieten, frei. Dann runden wir Hals, Kopf und Kinn und arbeiten Augenhöhlen, Mund- und Wangenpartien heraus. Immer vom Groben zum Feinen arbeiten! Während man den Kopf für die grobe Bearbeitung zwischen den Bankhaken der Hobelbank fest eingespannt hat und mit einem Holzhammer auf die Schnitzeisen schlägt, macht man die feinere Arbeit in der Hand und mit der Hand. Dabei muß der Kopf immer gedreht werden, weil er sonst flach wird. Also nicht lange an der gleichen Stelle arbeiten! Zum Schluß wird das Loch für den Finger mit einem 1,5-cm-Bohrer eingebohrt und die Rille am Hals zur Befestigung der Kleider eingeschnitten. Man verwendet verschieden profilierte Bildhauereisen, Hohleisen, Flacheisen und Geißfüße, die man auf Ölsteinen abzieht. Wichtig ist, daß immer in Richtung der Faserung geschnitten wird. Gedrechselte
Holzköpfe:
Wir zeichnen uns den Kopf im Umriß auf und versuchen aus diesem, indem wir die Nase und alles Überflüssige wegdenken, die große rohe Grundform zu erfassen. Sie muß sowohl den seitlichen wie den vorderen Umrissen entsprechen. Diese runden, ei-, birnen- oder walzenförmigen Grundformen lassen wir uns drehen; der Hals kann entweder gleich mit in der. Längsachse angedrechselt werden, wir können ihn aber auch
SKIZZE
ROHE HOLZFORM
FERTIGER PUPPENKOPF
Gedrechselter und dann handgescbnitzter Kasperlkopf
21
im spitzen Winkel dazu versenkt ansetzen lassen. Dann leimen wir die passende gedrehte oder geschnitzte Nase an, wobei die Ansatzfläche recht breit und der Kopfrundung angepaßt sein muß, oder wir leimen sie senkrecht ein. Nun schneiden und feilen wir den Kopf erst zurecht, indem wir die Augenhöhlen andeuten, den Mund und die ausdruckgebendsten Züge einschneiden. Dann glätten wir alles mit Glaspapier. Als Augen schlagen wir schwarzlackierte Tapeziernägel ein. Zu Lippen eignet sich vorzüglich Lackleder oder Glanzpapier. Für die Ohren wird Filz verwendet, sie können aber auch aus Damenstrümpfen genäht und ausgestopft werden. Der Ausdruck wird hauptsächlich durch Bemalung erreicht. Verwendet werden Wasser-, Tempera- oder Plakatfarben. Damit die Köpfe durch das Spiel und Anfassen nicht so leicht schmutzen, überziehen wir sie mit nichtglänzendem Lack: Zaponlack unverdünnt oder Spirituslack verdünnt (2/s Spiritus, Vs Lack). Das Fingerloch wird gleich beim Drehen eingebohrt und die Rille oder auch ein Wulst für das Kleidchen eingedreht. Kö p f e
aus
Stoff:
Aus fleischfarbenen Strümpfen, Trikot und anderen Stoffen lassen sich gute und vor allem leichte Köpfe herstellen, die mit Watte, Stoffresten u. dgl. ausgestopft werden. Nasen aus Stoff werden ausgestopft und aufgenäht. Als Augen dienen lackierte Knöpfe, die auf entsprechend zugeschnittene Filzscheibchen und -plättchen aufgenäht werden. Für Mund und Lippen nimmt man an Stelle von Lackleder ebenfalls Filz, der sich auch für die Ohren eignet, wenn sie nicht aus Strumpfstoff genäht und ausgestopft werden. Die Gesichtszüge werden mit farbigen Wollfäden aufgenäht. Auch aus dünnem Filz oder aus Handschuhleder lassen sich prächtige Köpfe pressen oder nähen, die ausgestopft werden. Eine entsprechende Pappröhre wird bei beiden Arten in den Hals eingesetzt, und die Kleidchen an den Hals genäht. Kaschierte
Köpfe
(hohl)
a) K a s c h i e r e n auf dem M o d e l l Beim Kaschieren klebt man Papierschichten so auf oder in ein Modell, daß seine Form erhalten bleibt. Zuerst machen wir uns also ein Modell und formen aus Modellierton oder Plastilin einen Kopf. Wählen wir 22
Ton, dann muß er feucht sein, aber nicht zu naß, sonst klebt er an den Fingern. Durch Kneten und Wasserzugabe geben wir ihm die richtige Steife. Wenn nicht gearbeitet wird, bedeckt man den Ton mit einem feuchten Tuch, damit er nicht austrocknet. Man modelliert mit den Fingern. Für feinere Details verwendet man ein Modellierholz. Zunächst geben wir dem Kopf die Grundform, drücken dann mit dem Daumen die Augenhöhlen ein, gleichen die Ränder nach Stirn und Wangen aus, setzen die Nase KASCHIEREN:BEKLEBEN DESTONMODELLES an, die wir mit einem eingelegten Holz versteifen, ziehen mit dem Modellierstab die Mundlinie, arbeiten Wangen und Kinn heraus und setzen die Ohren an. Von den rohen groben Formen gehen wir dann zu den feineren über, glätten, verbinden und prägen die Züge, verlieren uns aber nicht in Kleinigkeiten. Der Hals bekommt einen Kleiderrand. Ist der Kopf fertig, wird er am Ofen oder auf der Heizung einige Tage getrocknet. Nicht zu rasch, sonst springt er! Dann kann man ihn auch mit Schellack überziehen. Ist der Kopf gut trocken, dann beginnt das Kaschieren. Wir reißen Seidenpapier in 3—5 cm große Stückchen und Streifen, tauchen sie in Wasser und legen sie, indem wir sie schuppenartig sich überdecken lassen, eins nach dem anderen auf den Kopf, bis er ganz belegt ist. Dann bestreichen wir Stückchen für Stückchen mit Kleister oder tunken sie darin ein und bekleben den Kopf wieder schuppenartig mit der zweiten Schicht, überstreichen diese nochmals mit Kleister, drücken die Stückchen mit den Fingern glatt an, damit keine Falten entstehen, und mit dem Stäbchen in alle Vertiefungen hinein, damit diese gut ausgefüllt sind. Auf große Flächen kommen größere, auf kleinere und auf Spalten kommen kleinere Stückchen, vor allem bei den Augenpartien und Mundwinkeln. So kleben wir Schicht auf Schicht, wobei es gut ist, verschieden gefärbtes Papier zu nehmen — am besten weiß und rosa oder gelb —, damit man eine Kontrolle darüber hat, ob das ganze Modell auch gleichmäßig beklebt wurde. Es genügen etwa 20 Schichten. Die letzte Schicht darf nicht mit eingetunkten, sondern nur mit einseitig bestrichenen Papierchen beklebt werden. Wir können den Kopf nach der ersten Seidenpapierschicht auch mit 21
Zeitungspapierstückchen oder ungeleimtem und ungekreidetem Papier bekleben. Der Vorgang ist derselbe, nur muß das stärkere Papier besonders gut in Vertiefungen eingedrückt werden, und die letzte Schicht muß aus unbedrucktem Papier bestehen. Hier genügen 6—8 Schichten. Nach der 4. bzw. bei Seidenpapier nach der 10. Sdiicht machen wir eine Pause und lassen das Ganze trocknen. Nach völligem Trockenwerden — etwa nach 24—48 Stunden — sägt man mit der Laubsäge oder einem Fuchsschwanz den Kopf von oben nach unten hinter den Ohren in zwei Teile und klopft den Ton heraus. Die leeren Schalen streicht man dick mit Tischlerleim aus und klebt Leinen- oder Gazestreifen ein, die den Kopf widerstandsfähiger machen. Dann kleben wir mit Leim einen Gazestreifen von innen der Länge nach an den Rand der einen Hälfte, drücken ihn an, bestreichen den anderen, für die zweite Schale bestimmten Teil des Streifens und die Ränder beider Hälften mit Leim, pasEinkleben des Gazestreifens sen sie genau aneinander, pressen sie aufeinbeim Zusammensetzen der ander und drücken mit einem Stäbchen den kaschierten Kopfh'dljten. Gazestreifen von innen gut an. Er soll etwas über den Halsrand hinausreichen und wird nach außen umgeschlagen und angedrückt. Zur Sicherheit wird der Kopf nun mit einer Schnur umwickelt, und trocknen gelassen. Ist der Leim hart, wird die Naht mit Feile und Glaspapier gereinigt, außen ein Gaze- oder Papierstreifen mit Kleister über die Naht geklebt und 2—3 Schichten Seidenpapier darüberkaschiert. Nach dem Trocknen schleifen wir Unebenheiten der Nahtstelle mit Glaspapier ab und glätten auch den übrigen Kopf. Die Halsöffnung wird mit Zeitungs- oder Packpapier aus- und zukaschiert, bis eine Öffnung bleibt, in die eine konische Pappröhre paßt, die auf den ersten zwei Gliedern des Zeigefingers gut sitzen muß. Sie wird, wenn der kaschierte Ring trocken ist, eingeleimt. Den Rand kann man mit Stoff überkleben. Vor dem Bemalen bekommt der Kopf einen Kreidegrund. Ein p a a r R e z e p t e für die K a s c h i e r a r b e i t S t ä r k e k l e i s t e r : In kaltem Wasser wird Weizenstärkemehl aufgelöst, bis eine Stärkemilch, dick wie Sahne, entsteht. Wir gießen sie unter ständigem Rühren in etwa fünfmal soviel kochendes Wasser, bis der Kleister aufkocht und dick wird. Ist er zu dick, geben wir kaltes Wasser zu. Auf einen Liter Wasser kommt etwa Vi Liter Stärke. (Kleister wird durch einige Tropfen Nelkenöl haltbar gemacht.) 24
B u c h b i n d e r k l e i s t e r : Tafelleim 1—2 Tage in Wasser einweichen (Perlleim nur V2 Stunde) und im Einsatzleimtopf kochen. In den kochenden Kleister gießt man nun den Leim, bis zu Vs Leim auf 2/3 Kleister. Die Köpfe werden durch Leimzugabe härter. K r e i d e g r u n d : Aus Schlemmkreide und Wasser wird ein glatter Brei gerührt, dem wir heißen, verdünnten Leim mit einigen Tropfen Leinöl, Terpentin oder Firnis zusetzen. Diese Masse streichen wir über den Kopf und schleifen sie nach dem Trocknen mit Glaspapier glatt. Das wiederholen wir einige Male, verschmieren aber nicht alle notwen1, digen Falten und Vertiefungen. Erkaltete Masse wird im Wasserbad erI hitzt. b) Das K a s c h i e r e n in der Form geht schneller als das Kaschieren auf dem Modell. Auch können wir in einer einzigen Form so viele gleiche Köpfe herstellen, wie wir wollen. I . Den Modellkopf aus Plastilin oder Ton, der noch weich sein muß, zerschneiden wir mit einem gespannten Draht quer durch die Ohren und legen beide Hälften mit den Schnittflächen auf geöltes Glas, Marmor, Linoleum 0. ä. Wir ölen die Hälften und legen um jede einen . Ring aus Plastilin. In 1 diesen drücken wir einen zweimal herumgelegten Streifen starkes Papier 1 ein und binden diese Papierwand, die höher sein muß als der höchste 1 Punkt des Modells, mit einer Schnur zusammen. Zuerst gießen wir nun I mit einem Löffel dünnen Gips in die Vertiefungen, bis alle Stellen ausgeI füllt sind. Wird der Gips starr, dann bedecken wir das Modell mit einer i'i Gipsschicht von einigen Zentimetern. Nach dem Trocknen heben wir die Form von der Unterlage, lösen das Modell heraus, lassen die Form richtig austrocknen und streichen sie mit Firnis, Vaseline oder Öl ein. Das Modell darf keine überhängenden Stellen haben, sonst bekommen wir die' kaschierten Köpfe nicht mehr aus der Form heraus. Wie auf den Kopf kaschiert wurde (s. Seite 23), so kaschieren wir nun in die Form: Die erste Schicht wieder aus nassen Papierstückchen, die in alle Falten und Vertiefungen gut eingedrückt werden. Die nächsten Streifen und Stückchen aus Zeitungs- oder anderem porösen Papier werden
(
25
beiderseitig mit Kleister bestrichen und die Form damit ausgelegt. Alle Vertiefungen ausfüllen und andrücken, Schicht auf Schicht! Gegen Ende kleben wir Gazestreifen ein. Gut arbeitet es sich mit 2 cm breiten und 7—g cm langen gerissenen Papierstreifen, deren über die Form hinausragende Enden über den Rand gebogen werden, damit sich eine scharfe Kante bildet. Wenn die Hälften genügend trocken sind (die Gesichtshälfte bleibt länger feucht), herausnehmen, austrocknen lassen, Ränder abschneiden und zusammenleimen. Köpfe
aus
Papiermasse
(massiv)
Papierbrei mit einem Bindemittel ergibt eine gute modellierfähige Masse, die nach dem Trocknen steinhart und unverwüstlich wird. Es gibt mehrere Möglichkeiten der Herstellung, je nach dem Bindemittel; immer aber wird Papier, am besten Zeitungspapier, in kleine Stücke gerissen und zwei Tage eingeweicht. Dann kochen wir das Ganze auf kleinem Feuer unter dauerndem Rühren, Quirlen und Stampfen, bis sich die Fasern lösen und ein dicker Brei entsteht. Das eingeweichte Papier kann (ohne Kochen) auch auf einer Reibe zerfasert werden. Das Wasser wird abgegossen, der Brei fest ausgedrückt und gut durchgeknetet. Es ist eine lockere, faserige, feuchte Masse, die gebunden werden muß. Das Binden kann auf folgende Weise geschehen: 1. Wir mischen 1U des Volumens Schlemmkreide zur Papiermasse, kneten das Ganze, gießen dünnen Leim hinzu und arbeiten es fest durch. Die Masse muß genügend steif sein. Unverbrauchte Reste werden mit einem feuchten Tuch umwickelt. 2. Oder wir mischen feingesiebte Kaolinerde und überbrühtes Roggenmehl oder auch nur Roggenmehl in die Papiermasse und kneten durch, bis eine geschmeidige Masse entsteht. 3. Oder wir bröckeln die Papierfasern unter Rühren in kochenden Stärkekleister und verkneten das Ganze zu einer modellierfähigen Masse. Ein gutes Verhältnis: 2 Tassen Fasern, 1 Tasse Kleister. 4. Oder wir mischen und verkneten die Papiermasse mit dünnem Leim, j Modelliert wird wie mit Ton oder Plastilin, die Nase wird durch Holz versteift, am Halsrand wird eine Rille eingedrückt und in den Hals ein i Fingerloch gebohrt. Besser ist es aber, wenn man gleich auf einem umge- j drehten Trichter oder auf einem fingerdicken Stab modelliert, den man in ' j eine sandgefüllte Flasche steckt. Man kann die Köpfe hohl machen durch ] Aushöhlen mit einem Teelöffelstiel, solange sie noch weich sind, durch 1 einen Kern, den man nach dem Trocknen herausholt (z. B. Knüllpapier, i ein Säckchen mit Sägespänen, ein auf den Arbeitsstab gewickelter Bindfaden) oder durch Zusammenkleben zweier in Gipsformen (s. S. 25) abge26
/ drückter Massehälften. Auch die massiven Papierköpfe werden, da sie sehr verrunzelte Oberflächen haben, mit Feile und Glaspapier geglättet, dann bekommen sie einen Kreidegrund. Das Schrumpfen der Köpfe verringert ein Zusatz zur Masse von 2 Eßlöffel Zement pro Kopf. Köpfe
aus
anderem
Material
Die ganze mühevolle Gewinnung der Zellfasern entfällt, wenn man Pufas-Zell-Makulatur (G. Jordan, Volkmarshausen über Hann. Münden) kauft. K n e t h o 1 z , das in Büchsen verkauft wird, (M. Schmid, Laboratorium, Spiegelberg Kr. Backnang), trocknet schnell; man muß rasch arbeiten. Am besten, man drückt es in Formen ab. Auch „ M o d e l l i n " , ebenfalls in Büchsen (L. Kuhlmann, Hamburg 24, Lessingstr. 15), hat sich gut bewährt. Gegossene
Papierköpfe
Z u m A b g u ß in F o r m e n eignet sich für kleinere Köpfe folgende Masse, die aber verhältnismäßig schwer ist: 5 Gewichtsteile Leim über Nacht in 20 Teilen Wasser einweichen. Am Tag darauf 2V2 Teile zerrissenes Papier dazu, erhitzen, bis der Leim zergeht und unter ständigem Rühren ein feiner Brei entsteht. Dazu kommen unter weiterem Rühren 10 Teile gesiebte Sägespäne und 20 Teile Schlemmkreide. Ordentlich durcharbeiten! Die Köpfe werden bemalt D a s M a l e n der Köpfe geschieht bei künstlichem Licht, da bei Tageslicht gemalte Köpfe im gelben Kunstlicht fahl und dunkel sind. Wir malen mit Plakat-, Tempera- oder Wasserfarben, und zwar theatermäßig, d. h. wir malen greller und farbenfroher und betonen die Formen. Die Vertiefungen heben wir durch blaue oder Neutraltinte-Schatten hervor. Farbe charakterisiert: Die Märchenwesen werden in groteskeren Farben gehalten, Frauen bekommen lichte Töne, der Räuber ist braungebrannt, der Minister gelblich usw. Zweckmäßig ist es, die Köpfe nach dem Malen mit farblosem Lack, der nicht glänzt, zu überstreichen, am besten mit mattem Zaponlack. D i e H a a r e fertigen wir nicht etwa aus echten Haaren an, sondern aus Material, das dem Stil der Puppe entspricht. Wir verwenden auch keine Pelzstückchen, sondern z. B. glatte oder noppige Wolle, Lanzettebändchen, Seidengarn, Perlgarn, Bast, Zellophan, Spagat usw. Bei anliegenden Haaren streichen wir Leim auf den Kopf und legen Büschel neben Büschel zu Locken und Frisuren. Bei lockerem Haar nehmen wir mehrere Fäden gebüschelt in die Hand, stecken es mit dem gerade ge27
schnittenen Ende in den auf den Kopf getupften dicken Leim und halten es fest, bis der Leim erstarrt. So setzen wir Büschel an Büschel, bis die Mähne fertig ist, der wir dann Fasson schneiden. Auch Haare charakterisieren durch Material, Farbe und Form. Wie werden die Puppen bekleidet? D a s K l e i d der Handpuppe ist eine lange Stoff röhre mit Ärmeln, die an den Kopf festgebunden wird. In sie schlüpft die Hand des Spielers, j die ja den Körper der Puppe bildet. Das Kleid hat darum zwei Aufgaben: erstens zu kleiden, also Kostüm zu sein, und zweitens die Hand zu verdecken. Damit auf keinen Fall der Arm des Spielers zu sehen ist, was unweigerlich jede Illusion sofort zerstören würde, reicht das Kleid bis zum Ellenbogen. Handpuppen haben mit Ausnahme Kasperls keine Beine. Sie brauchen sie nicht, denn man sieht sie nicht, es sei denn, daß wir sie über die Spielleiste hängen. Dann aber ist die Puppe an den Ort gebunden und kann nur sitzen oder rutschen. Frei bewegen kann sie sich nur hinter der Spielleiste, und da ist die Illusion so stark, daß sie für den Zuschauer, der ihre Gehbewegungen sieht, eben Beine hat. Er sieht sie förmlich hinter der Leiste. Männlein und Weiblein haben also nur Röcke, aber mit dem Unterschied, daß bei den Männern die Hose durch einen anderen Stoff angedeutet ist, wenn sie nicht, wie z. B. König, Zauberer und Teufel, ganze Kleider tragen. Der Grundschnitt für das Puppenkleid bleibt immer gleich. Der Taillenschluß ist bei Frauen höher als bei Männern. Bis zum Schluß reicht bei den Frauen die Bluse oder das Leibchen, dann fängt der Rock an, der meist faltig und weit gemacht wird. Bei den Männern beginnt beim Taillenschluß die Hose. Oberhalb ist das Hemd, über das die Jacke oder Weste kommt. Man nimmt möglichst dauerhafte Stoffe, die etwas aushalten, und stärkere Stoffe, die um die Hand nicht zu sehr einfallen und eine richtige, schöne Körperform ergeben. Gut eignen sich Rips, Leinen, Kalmuck, Samt usw. Puppen, die, wie die Prinzessin, zarte, duftige, dünne Stoffe, z. B. Seide, brauchen, müssen ein Unterkleid haben, sonst fällt das Kleid zu sehr ein, schmiegt sich allzusehr der Hand an und wickelt sich unschön herum. Für Unterkleider nimmt man Leinen, Nessel o. a. Durch Veränderung des Grundschnittes, durch andere Ärmel, Kragen, Gürtel usw. lassen sich die Kleidchen variieren. Man hängt Mäntel und Schleppen an und kann nach dem Grundschnitt Jacken und Westen schneidern. Dicke Personen wird man ausstopfen. Der König bekommt z. B. ein kleines mit Watte gefülltes Polster vor den Bauch genäht, die 28
Rechts:
Kleid-Grundschnitt
ohne Nahtzugabe. — des Kleides am Hals.
Links:
Das
Einbinden
Hexe ein Polster als Buckel auf den Rücken. Da muß beim Schnitt zugegeben werden. Das Kleid muß gut sitzen. Es darf nicht zu eng sein, man muß bequem hineinschlüpfen und die Finger frei bewegen können. Besonders bei den Ärmellöchern darf es nicht spannen. Die müssen weit und bequem sein, sonst verliert die Puppe die körperliche Form, und es gibt Krampf in der Hand. Es darf aber auch nicht zu weit sein, sonst hängt es wie ein Sack herunter, und man verliert die Puppenhände von den Fingern. Beim Einbinden des Kopfes stülpen wir das Kleidchen um, stecken den Kopf mit dem Hals von innen durch die Öffnung, binden ihn an der Rille fest und wenden das Kleid wieder um. Durch das oben zusammengezogene Kleid wirkt der Halsansatz recht unschön, und es ist eine Kunst, ihn zum Puppentyp passend zu verdecken. Der Räuber bekommt z. B. ein Halstuch, die Großmutter ein Spitzenjabot, der Kasperl eine Spitze oder Krause, der Sepperl einen weißen Kragen. Bei Jacken und Westen ist es einfach. Da näht man einen Hemdkragen evtl. gleich mit der Krawatte auf das Hemd, oder schließt, wie beim Polizisten oder Diener, den Rock beim Hals. Das Kleid muß auf die Entfernung wirken, es muß also bühnenwirksam sein. Wir lassen darum allen Kleinkram fort, machen es einfach in der Form, halten es in großen farbigen Flächen und überladen nicht. 29
Wir nähen ja auch nicht naturalistische Kostüme, sondern Puppenkleider. Sie müssen der Puppe in der Form und dem Handpuppentheater im Stil entsprechen. Sie müssen das Puppenhafte betonen, müssen charakterisieren und darum, wie der Kopf, übertrieben und nicht der Wirklichkeit nachgeahmt sein. Also auch das Kleid soll charakterisieren: wir wählen daher immer die Form und Farbe, die dem Charakter der Puppe entspricht und ihn betont. Lustig und froh für den Kasperl, fade für den Minister, majestätisch und großväterlich für den König, giftig für die Hexe, altmodisch für die Großmutter, jugendlich und frisch für die Gretel. Längsstreifen und Verzierungen in Längsrichtung machen schmal, Querstreifen, Gürtel usw., stark. Man wähle nur einfarbige und kleingemusterte Stoffe. Große Muster zerreißen die Form der Puppe. Das Puppenkleid ist bunt und farbenfroh wie im Märchen, wie aus einem Bilderbuch herausgeschnitten. Reine Märchenwesen vertragen grellere, schreiendere Farben. Vornehme Leute bekommen schönere Farben und reichere, glänzendere Stoffe. Immer aber müssen die Farben miteinander harmonieren und auch auf die der anderen Puppen und das Milieu, die Umgebung, abgestimmt sein. Hände und Füße der Puppen D i e H ä n d e kann man aus Holz herstellen. Das wirkt aber tot und klappert, und man kann mit ihnen auch schlecht zupacken. Setzt man sie noch, wie üblich, auf konische Pappröhrchen, in die man die Finger steckt, dann wirken sie steif ausgestreckt und hilflos. Praktischer sind Stoffhändchen. Die können festhalten, und man hat mehr Gefühl in der „Hand". Sie haben die Form von kleinen Fäustlingen und werden ans Hemd, ans Unterkleid oder auch in die Ärmel des Kleidchens angenäht. Man fertigt sie aus rosagefärbtem Leinen oder Nessel. Sie müssen festsitzen, sonst rutscht der Finger heraus (dann baumeln sie leer herum und man muß mit dem Ärmel greifen und halten). Man kann auch Gummi einziehen. — Teufel und Hexe bekommen phantastischere, krallenartige Formen. Besonders ausdrucksvoll sehen große Hände mit Fingern aus, die ausgestopft sind und biegsame Drahteinlage haben. Der Finger des Spielers sitzt dann in der Handfläche. Man macht drei Finger und Daumen. Aber nicht auf Pappröhrchen stecken! Die kurzen Ärmchen sind ja das Drollige an der Handpuppe und ein Stück ihrer Eigenart. F ü ß e hat meist nur Kasperl, manchmal noch Sepperl. Man näht Kniehosen (d. h. nur zwei Röhren) aus demselben Stoff wie der untere Teil des Kleides, näht das eine Ende am Taillenschluß an und bindet in das andere Ende die Beine ein. Diese sind Röhren aus weißem Trikot30
Stoff als Strümpfe, die mit Stoffresten oder Watte ausgestopft werden und in der Mitte ein ungefähr 10—12 cm langes Holz haben. Die Schuhe werden aus Stoff genäht. Die Stelle, an der die Hosenbeine am Kleid angenäht sind, wird durch den darüberreichenden Kittel verdeckt. Der gruselige Dracken D a s U n t i e r besteht aus einem Kopf, in dem sich die Hand des Spielers befindet, um den Riesenrachen aufzuklappen, und einem Schlauch als Körper, in dem der Arm des Spielers steckt. Der Oberkiefer ist eine etwa 25 cm lange, 20 cm breite, oben abgerundete Pappendeckel-
HOLZPLATTEN
MIT PAPPESTREIFEN UND STOFFWURST
GERÜST M I T STOFF ÜBERZOGEN
So entsteht das Untier
platte mit einem Ausschnitt für die Hand an der geraden, kürzeren Seite. Durch Stoff- oder Lederscharniere ist der Oberkiefer mit dem Unterkiefer, einer etwas kleineren Platte derselben Form, zu beiden Seiten des Ausschnittes verbunden. Die beiden Ausschnitte bilden beim Aufklappen ein Loch, durch das die verschlungenen Puppen heruntergezogen werden. Quer über die obere Platte wird am kürzeren, geraden Ende ein ungefähr 6—8 cm breiter Pappestreifen als Stirn befestigt. Nun näht man aus Stoff einen kleineren Schlauch, den man zu einer Wurst ausstopft. Sie wird als Nase der Länge nach in die Mitte der oberen Platte gelegt und wird bei der Nasenspitze, am runden Plattenende, und am Stirnstreifen befestigt. Über dieses Gerüst kommt nun ein Überzug aus grünem Stoff, der in einen weiten etwa 60 cm langen Schlauch für den ganzen Arm übergeht. Die Augen werden aus Stoff oder Filz ausgeschnitten und möglichst mit Flitter zu beiden Seiten der Nase an der Stirnwand aufgenäht. Am Rand der beiden Platten werden schmale Pappestreifen befestigt, von denen der obere beim Zuklappen über den 31
unteren geht. Diese Streifen werden mit rotem Stoff überzogen und weiße spitzige Stoffstückchen als Zähne aufgenäht. Der Rachen wird rot ausgeschlagen. Damit man beim Aufsperren nicht das Loch sieht, durch das man die verspeisten Puppen zieht, wird an die obere Rachenwand eine herunterhängende rote Zunge angenäht, die das Loch verdeckt. Man kann noch fledermausflügelartige Ohren anbringen und, wenn man will, auch noch einen zackigen Rückenkamm sowie eine ausgestopfte Schwanzspitze, an der Kasperl zieht. Die Bewegung des Drachen ist einfach: die vier Finger liegen auf der oberen Platte unter dem Überzug, der Daumen steckt im unteren Teil. Die „Requisiten" Zu jedem Stück braucht man immer andere Ausstattungsteile, Requisiten, aber einige gehören doch zum eisernen Bestand: z. B. Pritsche, Glocke, Donnerblech, Kasperls Bett, Einkaufskorb, der große und leere
Teufelssack, ein kleiner Sack mit Geld, der Hexenkessel, ein Schießprügel, Auto und Schiff, ein Galgen, eine Maus aus Stoff in natürlicher Größe. Viele Dinge werden nämlich in natürlicher Größe gehalten und wirken durch den Gegensatz zur Puppe komisch: eine Zeitung, ein Brief, ein Apfel usw. Anderes muß wieder in Puppengröße sein, wie z. B. die Ziehharmonika, der Rucksack, Mehlsäcke, Brille, Angel u. a. Manches ist sogar noch kleiner, z. B. Kasperls Bett, oder gar ein Zug oder ein Schiff, und auch hier wirkt der Gegensatz. Im allgemeinen aber sind die Requisiten etwas größer, als es der Größe der Puppe entsprechen würde, so z. B. Laterne, Ausklopfer, Korb, Kochlöffel usw. Die Pritsche sieht wie ein geschlossener Fächer aus und besteht aus 3 bis 4 schmalen, dünnen Holzplättchen. Zwischen die Holzplättchen sind im Griff kürzere Plättchen geleimt, damit sie voneinander einen kleinen Abstand haben. Kasperls Bett ist eigentlich nur die Vorderfront eines Bettes mit Zapfen zum Einstecken auf die Spielleiste und einem Querbrettchen für das Polster bzw. den Kopf. Schiff, Auto und Eisenbahn sind aus Sperrholz gesägt. 32
D i e B ü h n e u n d ihre Einrichtung; Der Spieler muß den Zuschauern verborgen bleiben. Darum ist eine Wand nötig, die ihn verdeckt. Man braucht aber keine komplizierte und raffiniert ausgestattete Bühne, sondern es genügt z. B. eine spanische Wand oder eine zwischen Bäumen gespannte Schnur mit einer darübergeworfenen Decke. Denn nicht die Bühne ist die Hauptsache — sie ist nur eine technische Notwendigkeit —, Hauptsache sind die Puppe und ein lebendiges Spiel. Ein Bühnenbild, in dem sich die Puppe bewegt, das ihr Milieu und „Atmosphäre" gibt und das das Spiel zugleich nach den Seiten hin abgrenzt, sowie die Beleuchtung steigern jedoch bestimmt die Wirkung der Puppen und des Spiels. Beim Handpuppenspiel besteht die Bühne nur aus einem Bühnenrahmen, d. h. einer Wand mit einem Spielausschnitt, oder, in neuerer Zeit, nur aus einem einfachen, gerundeten Spielschirm. Die einfachste Vorm der Bühne Es genügt ein Türrahmen. Man schlägt in jeden Türpfosten in gleicher Höhe einen Nagel, legt auf diese beiden Nagelstützen eine Leiste und hängt eine Decke oder ein Tuch darüber. Oder man schraubt seitlich an der Wand Ringschrauben in den Türrahmen und bindet die Latte fest. Das ist ein Notbehelf. Besser ist es, man bringt am Türrahmen an der Spielerseite auf Lattenstützen eine richtige Spielleiste an. Das ist ein ungefähr 5—10 cm breites Brett, das dazu dient, etwas daraufzulegen oder zu stellen und etwaige zum Spiel notwendige Kulissen daran zu befestigen oder aufzustecken. Die Spielkiste hat nämlich vierkantige Löcher, in die man die Zapfen der Kulissen oder die Zapfen von Requisiten, z. B. Kasperls Bett, einsteckt. Der Spieler muß beim Spiel stehen, um die Gehbewegungen der Puppe, die aus seinen eigenen kleinen Schritten auf die Puppe übertragen werden, überzeugend darstellen zu können. Darum hängt die Höhe der Spielleiste von seiner Größe ab; und zwar muß er nicht nur verdeckt sein, sondern die Leiste muß so hoch angebracht werden, daß die Puppen, wenn er mit erhobenen Armen spielt, in ihrem untersten Viertel noch verdeckt bleiben. Die Nachteile dieser Bühne sind, daß große Spieler die Arme nicht ausstrecken können, man muß auf Bühnenvorhang und Beleuchtung verzichten, weil sie sich schlecht anbringen lassen, und es muß meist auch ohne Hintergrund gespielt werden. Diesem Übel kann man jedoch dadurch abhelfen, daß man oben in die Türpfosten Ringschrauben einschraubt und 33
einen Drahtrahmen einhängt, an dem man einen Hintergrund aus Stoff oder Papier befestigt. Die gebräuMidiste Handpuppenbühne besteht aus einer breiten Vorderwand mit dem Spielausschnitt und zwei nach hinten trapezförmig auseinanderstehenden Seitenteilen, die mit Scharnieren (in die man Nägel steckt) oder mit Betthaken in die Stirnwand eingehängt und oben, an der äußersten Kante, durch eine Leiste festgehalten werden. Die Stimme darf nicht gedämpft werden und muß ungehindert durch die Wände hindurchdringen können; deshalb wird ein Rahmengestell aus etwa 1X2,5 Zoll starken Latten angefertigt, das man mit Papier, Rupfen oder am besten mit starkem Stoff bespannt. Die Bespannung soll möglichst lichtundurchlässig sein, damit man die Spieler nicht dahinter sehen kann. Man versieht sie mit kleinen Ringen, die man
Die Einrichtung der Puppenbühne (von innen gesehen)
an Häkchen im Rahmen einhängt, oder näht in Abständen Bänderpaare an und bindet die Bespannung daran fest. Man kann auch große Druckknöpfe verwenden. Zur Bespannung wählt man eine neutrale, ruhige Farbe, die nicht ablenkt. 34
Der S p i e l a u s s c h n i t t ist ungefähr 110X50 cm groß; zu beiden Seiten sollen noch mindestens 25 cm bis zum Rand der Vorderwand bleiben, damit die Puppen von der Seite auftreten können. Man kann hier auch ein kleines Fenster von etwa 15X20 cm ausschneiden, aus dem Kasperl herausguckt; dahinter wird eine Stoffklappe angebracht. Ein zweiteiliger B ü h n e n v o r h a n g aus starkem, lichtundurchlässigem Stoff in satter Farbe, die mit der Bespannung harmoniert, läuft an Ringen auf einer über dem Spielausschnitt angebrachten Metallstange bzw. einem Draht. Sind es 2 Stangen, schließt er besser. Er wird mit einer Zugvorrichtung wie ein Fenstervorhang auf- und zugezogen. Das Bühnenbild Die Puppe darf kein Abklatsch der Wirklichkeit sein. Das Bühnenbild darf es darum auch nicht sein, wenn es dem Stil der Puppe entsprechen soll. Man verwendet deshalb bei der Handpuppenbühne nie naturalistisch gemalte Dekorationen. Hintergrund und Kulissen sollen nur die Szene, den Schauplatz der Handlung, andeuten, sollen die Puppen hervorheben, das Puppenhafte betonen. Sie dürfen nicht von ihnen ablenken, dürfen sie in der Wirkung nicht drücken und dürfen auch nicht unruhig sein, sonst werden sich die Puppen nicht deutlich abheben. Sie müssen also immer einfach, klar, in großen Flächen und reinen Farbtönen gehalten, also stilisiert sein. Mit den einfachsten Mitteln erzielt man immer die größte Wirkung, und darum verwendet man am besten nur Vorhänge als Hintergrund: einen grünen für den Wald, eine leuchtende Farbe für das Königsschloß, ein helles Blau als Universalvorhang. Durch Farbe läßt sich gut charakterisieren, und durch die Kombination verschiedenfarbiger Vorhänge kann man wirkungsvolle Szenen erzielen. Diese Vorhanghintergründe müssen mindestens 40 cm vom Spielausschnitt entfernt sein. Sie hängen, die einzelnen Farben hintereinander, mit Ringen an Drähten oder Metallitzen, die zwischen den Seitenwänden der Bühne gespannt sind. Ihren oberen Rand darf man nicht sehen; deshalb hängt man zwischen Vorhänge und Ausschnitt eine sogenannte „Soffitte", d. h. einen schmalen Stoffstreifen, oder man spannt über die ganze Bühne oben einen hellen, dünnen Stoff, einen „Himmel", der durchhängt und zugleich verhindert, daß die Schatten der Spieler auf die Saaldecke geworfen werden. Sind D e k o r a t i o n s s t ü c k e unbedingt erforderlich, z. B. ein Haus oder ein Baum, so können sie an den Vorhangdrähten aufgehängt werden. Das hat aber den Nachteil, daß sie beim Anstoßen wackeln. Besser ist, man stellt sie auf die Spielkiste, befestigt sie mit Schraub35
zwingen oder steckt sie in die Löcher der Spielleiste. Sie müssen aber immer dem „puppenhaften Charakter der Puppe" entsprechen, müssen unwirklich und wunderlich märchenhaft übertrieben sein. Sie stellen ja nicht unsere Welt, sondern die Welt der Puppe dar, und die unwirkliche, groteske Puppe kann nur in einer ebenso grotesken, phantastischen Welt leben. Die Puppen können diese Kulissen auch selbst aufstellen, können auch die Vorhänge selbst vorziehen und die Szenerie mit entsprechenden Bemerkungen ändern. Das gibt dem Spiel einen eigenartigen Reiz. Die Beleuchtung Sie ist zwar nicht unbedingt nötig, aber sie hat große Vorteile, weil sie die Illusion fördert. Bei beleuchteter Bühne kann der Zuschauerraum verdunkelt werden, der Zuschauer wird durch nichts mehr abgelenkt, und alles konzentriert sich einzig und allein auf den beleuchteten Bühnenrahmen. Durch das Licht wird die Welt der Puppen und des Märchens bewußt aus unserer Welt herausgehoben, man sieht die Puppen und das Geschehene viel klarer und deutlicher, und die Masken der Puppen wirken durch das huschende Spiel der Schatten und Lichterreflexe lebendig. Besonders farbiges Licht kann die Wirkung des Spiels ungemein steigern. Die Einrichtung der elektrischen Anlage muß unbedingt dem Fachkundigen überlassen werden. Das Licht darf die Zuschauer nicht blenden, es muß möglichst von vorn kommen und nicht steil von oben, weil sonst zu starke, harte Schatten auf die Puppenköpfe fallen. Man bringt deshalb die gegen die Zuschauer abgeschirmte Lichtquelle mindestens 25—30 cm vor dem Bühnenrahmen an, und zwar in der Höhe der oberen Kante des Spielausschnittes. Diese nach außen und oben verlegte Rampe ist eine gekrümmte Blechwanne oder ein Holzkasten mit mattweißem inneren Anstrich und einer Latte, auf der die Fassungen der Glühbirnen angebracht sind. Weiße Glühbirnen färbt man durch Eintauchen in Lampen-Speziallack. Auf einer kleinen Schalttafel, die man griffbereit anbringt, wird von der Zuleitung (über Sicherungen und einen Schiebewiderstand) ein Stromkreis mit Steckern auf drei Steckdosen für die weißen, roten und blauen Lampen der Rampe verteilt. Ein eigener Stromkreis führt über denselben Widerstand zu einer weißen Lampe, die zum Aufhellen des Hintergrundes und zum Blitzen dient. Geblitzt wird mit einer direkt mit der Zuleitung verbundenen Klingeltaste. Eine kleine Lampe für das Innere des Bühnenkastens ist ebenfalls getrennt angeschlossen; die Spieler können dann auch bei verfinsterter Bühne arbeiten. Der Widerstand ermöglicht 36
Schema einer Bühnenbeleuchtung: a Zuleitung, b Sicherungen, c Schalter für Leselampe (j), d Steckdosen für Blitzlampen oder Reflektoren (k), e dreipolige Klingeltaste zum Blitzen, f g h Steckdosen für rote, weiße und blaue Rampenlampen (i), unten Widerstände.
langsames Abdunkeln und allmähliches Hellerwerden. Man verwendet Kurzschlußstecker und vermeidet Schalter, deren Knipsen stört. Auch Hebelschalter sind geräuschlos.
Der Spieler m u ß zur Puppe werden Zum Spielen wird der Kopf der Puppe auf den Zeigefinger gesteckt, Daumen und Mittelfinger kommen in die Händchen der Puppe. Bei dieser Führungsart bewegt sich aber der Arm der Puppe, in dem sich der Mittelfinger befindet, immer unnatürlich schief von oben herunter und kann auch nicht so tief wie der andere Arm gehalten werden. Die Puppe wirkt dadurch verwachsen. Körperlich richtiger und in der Bewegung natürlicher sieht die Puppe aus, wenn man statt des Mittelfingers den kleinen Finger nimmt. Man kann dann aber nicht so gut zupacken und festhalten (z.B. die Pritsche); Mittel- und Ringfinger müssen dann auch immer gut an der Handfläche anliegen, weil sonst z. B. die Prinzessin eine Fülle annimmt, die zu ihrem zarten Wesen nicht gut paßt. Die Jahrmarktspieler haben im rechten Puppenarm drei Finger. Bei der katalanischen Spielart 37
sitzen Zeige-, Mittel- und Ringfinger im Kopf, der Daumen und der kleine Finger in den Händen. Der Spieler steht während des Spiels mit erhobenen Armen und hält die Puppe über die .Spielleiste. Ist der Arm völlig gestreckt, ermüdet man nicht so schnell, bei leicht geknicktem Arm kann man aber das Spiel der Puppe viel besser kontrollieren. Wenn man zwei Puppen gleichzeitig führt, muß man sogar mit etwas gebeugten Armen spielen, um sie auftreten und abgehen lassen zu können.
* Die Puppe schreibt sich selbst vor, wie sie gespielt und gesprochen werden muß, denn jede Puppe verkörpert im Ausdruck, in Kleid und Farbe einen bestimmten typischen Charakter, der bestimmte Bewegungen und eine bestimmte Stimme verlangt. Man braucht sich die Puppe nur anzusehen, dann denkt man sich in sie hinein und findet von selbst die Geste und Sprechweise, die für sie einzig und allein in Frage kommt. Man kann einfach mit einer Prinzessin auf der Hand keine Hexe spielen und sprechen oder mit einem Teufel auf der Hand den Kasperl. Jede Puppe k a n n also nur und m u ß auch ihrem Typ entsprechend charakterisiert, d. h. gespielt und gesprochen werden. Ist sie jung, so ist sie lebhaft, ist sie älter, dann ist sie ruhiger; und ebenso müssen die Charaktereigenschaften, die sich in ihrem Aussehen widerspiegeln, Hochmut, Tücke, Würde usw., in Geste und Sprache zum Ausdruck kommen. Durch den Spieler wird die Puppe lebendig; denn e r ist es, der sie bewegt und spricht und der mit ihr — mit totem Holz und Stoff — den Zuschauern die Illusion der Wirklichkeit und Lebendigkeit vorgaukelt. Um das zu können, muß er sich nicht nur, wie der Schauspieler, in die Rolle, sondern völlig in das Eigenwesen „Puppe" hineinleben, er muß beim Spiel nicht nur die darzustellende Person, sondern im Augenblick tatsächlich die Puppe selbst sein und sich danach benehmen. Wenn die Puppe geht, dann muß der Spieler mit kleinen Schritten mitgehen, seine Schritte sind die Schritte der Puppe, darum müssen sie klein sein, und zwar in dem Tempo, wie eben die kleinen Füße einer so kleinen Puppe vorwärts kommen würden, wenn sie selbst laufen müßte, und in der Weise, die dem Charakter der Puppe entspricht. Der König schreitet langsam, der Kasperl flitzt, die Hexe humpelt, der Räuber stampft wuchtig einher usw. Wenn sich die Puppe wendet, dann wendet sich der Spieler mit, geht also mit der Puppe auch wieder in derselben • Richtung wie sie hinaus. Das ist wichtig! Darum nicht nur den Arm mit der Puppe 38
drehen und etwa mit verdrehtem Arm nach rückwärts gehen! Das ist leider unvermeidlich, wenn man zwei Puppen auf den Händen hat. Die Puppe muß auch immer mit der Nase vorwärts gehen und nicht etwa seitwärts wandern. Den Kopf kann die Puppe nur in zwei Richtungen bewegen: nach vorn, also nicken zum Zeichen der Zustimmung; zur Seite, also wackeln, um Bedenken und Zweifel auszudrücken. Sie kann den Kopf aber nicht drehen und darum den Kopf auch nicht schütteln. Verneinen kann sie nur durch Hin- und Herdrehen des ganzen Körpers. Der Zeigefinger darf nicht zu tief im Puppenkopf sitzen — nur bis zum zweiten Gelenk —, sonst wird das Nicken unmöglich. Wenn die Puppe den Arm bewegt, bewegt der Spieler nur den Finger. Durch die begrenzte Bewegungsmöglichkeit der Finger kann die Puppe nur bestimmte Armbewegungen und Gesten ausführen. Sie kann sehr viel, aber sie kann nicht alles. Die Gesten müssen immer mit Überlegung ausgeführt werden, und je sparsamer man mit den Bewegungen ist, je geringer sie sind, desto ausducksvoller und überzeugender sind die Gesten und desto lebendiger wirkt die Puppe. Also nicht zappeln und mit den Armen herumfuchteln, d. h. nicht mit den Fingern herumarbeiten! Die Hand mit der Puppe muß gerade gehalten werden, und zwar muß der Handrücken mit dem Arm eine gerade Linie bilden. Die Puppe darf nicht nach hinten hängen, das ist wohl der häufigste durch Ermüdung verursachte Fehler; sie darf sich aber auch nicht nach vorn oder zur Seite neigen. Die Puppe darf nicht kleiner werden; wenn der Arm ermüdet, sinkt sie langsam ab, und das ist der zweite bei Anfängern immer wieder vorkommende Fehler. Sie muß für das Publikum immer in derselben Höhe sichtbar sein, und zwar ragt sie mit drei Vierteln ihrer Größe über die Spielleiste. Ungefähr 10 cm des Puppenkleides bleiben darunter. Bemerkt man, daß die Puppe gesunken ist, stößt man sie nicht ruckartig zur vollen Größe hoch, sondern läßt sie wieder allmählich größer werden. Wie die Puppen auftreten Man spielt nicht nur an der Spielleiste, sondern in der ganzen Tiefe der Bühne. Je weiter man aber mit der Puppe nach hinten geht, desto höher.muß man sie halten, sonst sehen die Zuschauer nur ihren Köpf. Die Puppe tritt in voller Größe von der Seite auf oder kommt hinter den Kulissen bzw. Vorhängen hervor, und so geht sie auch wieder ab. Nie taucht sie, wie beim Jahrmarktkasperl, von unten auf. Das dürfen nur Teufel und Geister. Spielt man nur über einer Wand und ohne Bühnenrahmen, so daß, wenn keine plastischen Kulissen da sind, die Puppe 39
nicht von der Seite auftreten kann, dann läßt man sie von weit hinten, langsam größer werdend, nach vorn kommen oder läßt sie Stiegen heraufkommen, wobei man selbstverständlich selbst markierend Stiegen steigt. Puppen, die miteinander sprechen, müssen sich ansehen; keine von ihnen soll dabei dem Publikum den Rücken kehren oder sich so stellen, daß sie eine andere Puppe zum Publikum hin verdeckt. Die Puppe, die redet,' bewegt sich entsprechend, denn sie unterstreicht die Worte mit der Geste. Die anderen Puppen hören zu. Sie bewegen sich also weniger und machen nur Bewegungen des Erstaunens, der Neugier, des Ärgers, der Furcht, des Entsetzens usw. Es spricht immer nur eine Puppe nach der anderen. Redet die Puppe mit dem Publikum, sieht sie die Zuschauer an und guckt nicht irgendwohin in die Luft. Der Kasperl hat Beine; wenn er nun auf der Spielleiste sitzt und sich mit dem Publikum unterhält, läßt er die Beine nach vorn herunterbaumeln. Er wirft sie einfach herüber und wieder zurück. Wenn die Beine draußen sind, darf er sich nicht vom Fleck rühren, denn er „sitzt". Nett ist es, wenn er seine Beine mit den Händen nimmt, auf die Spielleiste hinaufholt und sich mit angezogenen Beinen in die Ecke setzt. Die Puppe wird immer von dem Spieler gesprochen, der sie auf der Hand hat, damit Wort und Geste vollkommen übereinstimmen. Meist wird ein Spieler mehrere Puppen führen müssen, wenn er nicht überhaupt allein spielt und alle Rollen spricht. Da ist es nötig, die Stimme zu verstellen; denn die Stimme der einzelnen Puppen müssen so verschieden sein, daß man sie genau voneinander unterscheiden kann. Das ist nicht jedem Menschen gegeben; nicht jeder hat eine so modulierfähige, also veränderungsfähige Stimme. Sie aber braucht ein Puppenspieler, und eine starke Stimme dazu. Man kann die Stimmlage verändern, also hoch und tief sprechen, man kann aber auch die Klangfarbe ändern, also hohl, dumpf, geschlossen oder hell und offen sprechen. Man kann sich durch Veränderung der Mundstellung helfen, — am besten, man ahmt übertrieben den Mund und Gesichtsausdruck der Puppe nach. Oder es helfen Kunstmittel, wie Näseln, Stottern, Zungeanstoßen, Überschlagen der Stimme, Dialekt usw. Textbuch und Stegreifspiel Man braucht die Rolle nicht auswendig zu lernen, man muß sie aber genau kennen. Auf keinen Fall darf man am Textbuch kleben, sonst kann man sich nicht auf die Puppe konzentrieren. Man muß frei sprechen können. Zweckmäßig ist es, den Text mit der Maschine abzuschreiben und, die Bogen aufeinander gelegt, mit einer Sicherheitsnadel unter der Spielleiste aufzuhängen. Nicht zum Ablesen, sondern zur Beruhigung 40
und zur Kontrolle. Hat man eine Seite abgespielt, reißt man das Blatt ab. Es genügt aber vollauf ein Zettel, auf dem Auftritte, der Spielverlauf und vielleicht auch Kasperls Dummheiten und Spaße in Schlagworten notiert sind. Hat man sich versprochen, vergaloppiert oder die Stimme zu wechseln oder zu verstellen vergessen, dann nur nicht ratlos stocken, schweigen oder sich verbessern wollen, indem man z. B. die verpatzte Stelle wiederholt, sondern glatt darüber hinweggehen, weiterspielen, weitersprechen! Nur nicht selbst darauf aufmerksam machen. Meist wird es gar nicht bemerkt. Hat man durch das eigene oder das Stegreifspiel des Partners den Zusammenhang verloren oder weiß nicht, wie man wieder an Text und Handlung anknüpfen soll, oder hat man den Text verloren und weiß nicht weiter, — dann nur keine Pause! Ruhe und weiterimprovisieren, bis man wieder den Faden bzw. den Anschluß gefunden hat! Beim Wechseln der Puppe, besonders wenn man allein spielt, läßt man die Puppen hinter der Bühne weitersprechen, damit keine Pause entsteht. Anders ist es, wenn man nur e i n e Puppe wechseln muß und mit der anderen weitergespielt wird. Damit der Wechsel rasch vor sich gehen kann, auch wenn niemand zur Hilfe da ist, wird an den Saum jedes Kleides ein Ring genäht. Damit wird die Puppe, kopfunter und mit dem Gesicht zum Spieler, an Haken gehängt, die in der Bühnenwand eingeschlagen sind. Man schlüpft aus ihr heraus und fährt in die nächste. Das Publikum spielt mit Ein Grundgesetz des Handpuppenspiels ist, daß das Publikum nicht nur Zuschauer sein darf, sondern Mitspieler sein muß. Wie wird es aber zum Mitspielen veranlaßt und ins Spiel gezogen? Bei Kindern ist der Kontakt leicht hergestellt. Wenn Kasperl erscheint und fragt: „Seid's alle da?" rufen sie ihm begeistert „Ja!" entgegen. Und so springt er während des ganzen Spiels immer wieder aus dem Spiel, aus der Handlung heraus und zu den Kindern auf die Spielleiste, fragt sie etwas, erzählt ihnen etwas und ist gleich darauf wieder mitten drin im Spiel und in seiner Welt. Er fragt sie, warum eben so ein Lärm war, ob die Hexe schon hier gewesen wäre, was der Teufel wollte, wie nur der Zauberspruch noch hieße, den er vergessen hat, ob man ihn sehe, wenn er sich versteckt. Er kann sie aber auch um Rat fragen, was er machen soll, wenn er vor entscheidenden Fragen steht, aber den richtigen Weg muß er dann doch selbst finden. Oder er bittet die Kinder, ihm zu 41
helfen, die Gretel herbeizurufen, ihn zu wecken, wenn das Untier kommt. Er trägt ihnen auf, den Sepperl zu warnen, und sagt ihnen, was sie dem Zauberer zur Antwort geben müssen, wenn er nach ihm fragen sollte. (Aber nicht zum Lügen auffordern!) Unerschöpflich sind die Möglichkeiten. Besondere Freude aber macht es erst, wenn Kasperl den Kleinen etwas zum Aufbewahren gibt oder wenn sie den Strick halten dürfen, an den der gefangene Räuber gebunden ist. Trotz größter Verlockungen durch den Räuber lassen sie ihn nicht los, geben sie das anvertraute Gut nicht her. Erwachsene aber haben Hemmungen. Da ist es schon schwieriger, sie zum Mitspielen zu bringen. Sie üben Zurückhaltung, aber im Innersten ihres Herzens möchten sie alle gerne mitmachen. Es gilt nur das Eis zu brechen. Kasperl erzählt, macht seine Witze und stellt so nebenbei einmal eine Frage, aber nur ja keine, auf die nur mit Ja oder Nein geantwortet werden kann. So lockt er die „Großen" allmählich aus ihrer Reserve. Er geht auf alles ein, was im Saal passiert; wenn einer zu spät kommt, wird er begrüßt, wenn einer niest, wünscht Kasperl Gesundheit. Ganz trocken! Nur so nebenbei! Er weiß auch über die örtlichen Verhältnisse genau Bescheid, und neben aktuellen Ereignissen werden Begebenheiten aus dem täglichen Leben der Zuschauer eingeflochten, die allen bekannt sind. Da kommen sie von selbst mit Zwischenrufen und Bemerkungen, die wie ein Ball zugeworfen, vom Spieler aufgefangen und beantwortet werden. Dieses Hin-, und Herwerfen muß Schlag auf Schlag gehen. Schlagferig und witzig muß der Spieler sein, sonst darf er sich auf ein solches Hin- und Herspiel nicht einlassen. Solches Stegreifspiel macht erst die richtige Freude und das Spiel zu einem Erlebnis, wie es eben nur die Handpuppenbühne geben kann. Der Spieler darf sich nur nicht den Fortgang der Handlung aus der Hand nehmen lassen, darf sich nicht zu taktlosen, verletzenden Anzüglichkeiten verleiten lassen und Anwesende bloßstellen.
W a s wird gespielt? Einen guten, einen richtigen Text für Handpuppen zu schreiben, ist schwer, und nur dem wird es gelingen, der das Wesen des Handpuppenspiels begriffen hat und seine Gesetze und Eigenart genau kennt. Es gehört viel Erfahrung dazu, Verständnis für das, was der Puppe liegt, und großes Einfühlungsvermögen; denn der Text muß der Puppe nicht nur auf den Leib, sondern er muß sozusagen aus der Puppenperspektive heraus geschrieben werden. Es gibt dafür keine Schablone. 42
Keine Schreibtischarbeit Nur aus dem Spiel selbst, mit der Puppe auf der Hand, kann der Text geschaffen werden, wenn er lebendig sein soll; da kommen die Einfälle, da ergibt sich alles ganz natürlich und notwendig aus der Situation von selbst. Seine endgültige Form wird der Text aber erst beim Spiel vor Zuschauern erhalten, die ihn durch ihr Mitspielen wandeln und gestalten. Eine am Schreibtisch entstandene „Uterarische Arbeit" wird darum immer blutleer bleiben, künstlich wirken und nie die richtige Lebendigkeit und Zündkraft erreichen können, weil sie nicht organisch aus sich selbst herausgewachsen ist und ihr ohne Mitarbeit der Zuschauer der sprühende Funke fehlt. Ganz verfehlt wäre es darum auch, ein Theaterstück, Laien- oder auch Marionettenspiel zu einem Kasperlstück umgestalten zu wollen. Kasperl ist immer Hauptperson und Träger der Handlung. Um seinetwillen wird gespielt, darum muß das Stück seinetwegen, für ihn und um ihn herum geschrieben werden. Man kann ihn also nicht einfach „einbauen", außer bei ernsten Erwachsenenstücken, z. B. im Puppen-Faust. Das Stück Das Stück muß einfach, zeitlos und irgendwie märchenhaft sein, muß in eine andere Welt, eine phantastische, in Licht und Farbe getauchte skurrile Puppenwelt führen. Für Kinder darf es nicht zu beängstigend sein. Es muß eine spannende, klargeführte Handlung haben, die geradlinig zu einem dramatischen Höhepunkt, der eine Überraschung bringt, ansteigt, es muß einen logischen Aufbau und Ablauf der Ereignisse haben, die sich notwendig entwickeln, — aber ohne innere Konflikte, seelische Probleme und möglichst ohne große Verwicklung. Das letzte gilt allerdings nicht unbedingt für Erwachsenenstücke, in denen sogar wandlungsfähige Charaktere möglich sind. Die ansteigende Handlung muß zu einer Lösung führen, wobei das Gute über das Böse siegt. Es muß um etwas Aufregendes gehen; etwas gerettet, erlöst, gefunden werden oder etwas verhindert, Anschläge vereitelt, das Böse an der Ausführung gehindert oder Hindernisse beseitigt werden. Aus der verwickeltsten Situation muß Kasperl die einfachste Lösung finden. Es muß Bewegung und Leben ins Spiel. Es muß etwas geschehen, passieren. Die Handlung, das, was geschieht, ist wichtiger als die Rede, als das, was gesprochen wird. Beim Handeln sind die Puppen lebendiger als beim Reden. Darum keine langen Monologe und auch keine langatmigen Dialoge! Rede und Gegenrede müssen kurz und klar sein und einander Schlag auf Schlag folgen. 43
Das Spielen Das Spiel muß lustig und witzig sein. Das wird einmal durch komische Situationen erzielt und durch ständiges Wiederholen eines Vorganges (der Teufel taucht immer wieder aus der Zauberkiste auf und kriegt immer wieder eins auf den Kopf), — andernteils durch das gesprochene Wort Kasperls, der ja auch Träger des Humors ist. Er verspricht sich absichtlich, er verdreht alles beim Wiederholen, er verwendet dauernd ein gleiches Wort, z. B. Schlapperdibix, und immer fällt er aus der Rolle. Das ist die absichtliche Illusionsstörung, wenn Kasperl aus der Wirklichkeit des Spiels in die Menschenwirklichkeit herauskommt, sich mit den Zuschauern unterhält — auch über das Spiel —, zu den Puppen Bemerkungen über die Zuschauer macht, und umgekehrt, oder selbst sagt, es sei ja nur Spiel und er aus Holz. Aber auch durch die Anspielungen und die Verulkung des Publikums, durch übertriebene komische Charakterisierung von Typen und durch Dialekt werden komische Wirkungen erzielt. Das Mitspielen der Zuschauer muß von vornherein in Rechnung gesetzt werden. Alle Möglichkeiten ihres Eingreifens müssen einkalkuliert sein. Dabei darf den Zuschauern, wenn es zur Fortführung der Handlung notwendig ist, durch geschickte Text- und Handlungsführung nur eine einzige Möglichkeit — und zwar die gewünschte — zur Antwort und zum Eingreifen gelassen werden. Beim Kinderspiel dürfen nicht zuviel Puppen verwendet werden. Kinder werden durch immer neue Gesichter verwirrt, verlieren die Übersicht und den Zusammenhang. Statisten gibt es nicht. Es sollen möglichst auch Tiere mitspielen, die ja von den Kindern besonders geliebt werden und die nur am Puppentheater überzeugend und ebenso echt wie Märchenwesen dargestellt werden können. Sprechende und handelnde Tiere und belebte Gegenstände sind besonders märchenhaft und puppenspielmäßig. Die Jungen genießen Kasperl und seine Abenteuer, aber auch die Mädchen müssen auf ihre Rechnung kommen. Wenn keine Prinzessin mitspielt, für deren Wohl und Wehe sie bangen können, gehen sie meist enttäuscht nach Hause. Die Sprache Die Sprache muß einfach und natürlich sein. Am Puppentheater geht alles sehr real und begreiflich zu, gar nicht problematisch und umständlich, und so muß auch die Sprache sein. Besonders Kasperl spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Er hat eine anschauliche Ausdrucksweise und treffende, Vergleiche. Für Kinder muß die Sprache verständlich sein, darum darf man den Text nicht reimen. Verse sind meist gedrechselt und ge44
künstelt und stehen vor allem dem Kasperl gar nicht an. Märchengestalten können aber gelegentlich in Versen sprechen. Kommen Lieder vor, dann sind sie am besten kurz und in der Art von Kinderreimen gehalten. Kasperl hat seine eigene Melodie, mit der er auftritt und in die Abenteuer zieht. Der leitende Gedanke Das Spiel muß einen inneren Wert und Gehalt besitzen, einen leitenden Gedanken, den das Kind nur zu erfühlen und nicht zu begreifen braucht, damit es einen praktischen Gewinn mit nach Hause nimmt. Mit dem Verstand können Kinder nicht begreifen, warum man gut sein soll — zu solchen Überlegungen sind sie noch nicht fähig —, darum haben Moralpredigten auch keinen Sinn, Kinder fühlen nur, daß das Böse böse ist, und ihr natürliches Empfinden sagt ihnen, daß es gefürchtet, gemieden und vernichtet werden muß. Auch bei Erwachsenen erreichen aufdringliche Tendenzen nur das Gegenteil. Sobald sie die Absicht spüren, schließen sie die Herzen zu. Das Handpuppenspiel ist eine Kunst für einen kleineren Kreis und verlangt einen entsprechenden Rahmen. Darum spiele man nie in einem zu großen Saal und vor zu vielen Zuschauern. Mehr als 150 bis 200 Besucher verursachen nur Unruhe, weil die hinten sitzenden nicht deutlich sehen und hören. Und dann: je kleiner der Kreis der Zuschauer, desto williger sind sie zum Mitspielen. Man fühlt sich ungenierter, mehr unter sich, und geht eher aus sich heraus. Je größer das Publikum, desto kühler bleibt die Stimmung, desto befangener und förmlicher ist es; man hält sich zurück. Die Zuschauer sollen auch nicht zu weit nach vorn gesetzt werden; die erste Reihe sei mindestens 3 Meter von der Bühne entfernt. Sitzt man näher, so muß man mit weit nach hinten geneigtem Kopf zusehen, das strengt an, man sieht von den Puppen, wenn sie tiefer in die Bühne hineingehen, nur die Köpfe oder sie verschwinden ganz. Von der Nähe wirken die Figuren auch nüchterner und hölzerner. Kleine Kinder setzt man nach vorn, größere nach hinten, die begleitenden Erwachsenen an die Seiten. Vorsicht, daß sich die Kinder nicht während des Spiels vor die Bühne stellen oder mit den Stühlen nach vorn rücken! Oft geraten Kinder außer Rand und Band, wenn das Böse die Oberhand zu gewinnen scheint, und lärmen, daß das Wort des Spielers untergeht. Dann nimmt man die Puppen von der Leiste. Bei leerer Bühne beruhigen sich die erregten Gemüter im Augenblick. 45
Kiisperl « a r t e t auf d i e J u g e n d Es ist bedauerlich, daß das Puppenspiel gerade in Deutschland, wo es seit Jahrhunderten zu Hause ist, noch wenig anerkannt wird und die ihm gebührende Geltung nicht erreichen konnte. Zwar spielen zur Zeit einige hundert Puppentheater öffentlich, darunter hochstehende und anerkannte Bühnen. Einige von ihnen errangen in früheren Jahren internationale goldene und silberne Medaillen. Max Jacob, Gründer und Leiter der „Hohnsteiner", wurde im September 1956 mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet. Meist aber lebt das Puppenspiel bei uns im Verborgenen, und es wird noch lange dauern, bis es sich das Herz des ganzen Volkes erobert haben wird. Aber die Jugend mit ihrer Begeisterung, ihrem Drang nach schöpferischer Betätigung und ihrem Suchen nach neuen Wegen und Formen der Kunst könnte mithelfen, daß es sich auch bei uns verbreite und künstlerisch entfalte. Viele unserer großen Männer haben sich zum Puppenspiel bekannt: Namen wie Goethe, Herder, Kleist, E.T.A. Hoffmann, Jean Paul, Tieck, Eidtendorff Kerner, Storm sind mit dem Puppenspiel so eng verknüpft wie im Ausland George Sand, Oscar Wilde, Byron, Anatole France, Ibsen, Andersen, G. B. Shaw, Chesterton, H. G. Wells, Perrault, Vrchlicky. Unter den Komponisten sind es Haydn, Wagner, Smetana, Gounod, de Falla, unter den Malern Hans Thoma, Wilhelm Busch, Kaulbach, Mikoläs, Ales, unter den Theatergrößen Gordon Craig, Gaston Baty, Eleonore Düse, Emma Destinne. Man braucht sich also wahrlich seiner Liebe zum Puppenspiel nicht zu schämen. Es wartet auf die Jugend, daß sie nach ihm greife. Kasperl freut sich schon darauf! Möge dieses kleine Heft ihm viele neue Freunde gewinnen!
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