Fred McMason
Keine Schonzeit
für Ratten
21. Juni 1598 - Atlantik. Seit vier Nächten hatte Barry Wister immer den g...
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Fred McMason
Keine Schonzeit
für Ratten
21. Juni 1598 - Atlantik. Seit vier Nächten hatte Barry Wister immer den gleichen Traum. Er fürchtete sich schon vor dem Schlafengehen, denn er wußte mit absoluter Sicherheit, daß alles Schreckliche wieder von vorne beginnen würde. Es würde nie ein Ende nehmen, es begann immer wieder neu. Manche sagten von ihm, daß er das Zweite Gesicht habe, aber daran glaubte der bärtige Zimmermann nicht, denn viele seiner schrecklichen Träume hatten sich zum Glück nicht bewahrheitet. Von diesem Traum aber wußte er, daß er unabänderliche Wahrheit werden würde. Dabei fing er meist harmlos an. Die Dreimast-Galeone „Discoverer" wiegte sich sanft in einem Meer von eigentümlicher Farbe. Das Wasser war lilafarben mit blutroten Streifen darin, die in die Tiefe zu gleiten schienen. Auch der Himmel hatte diese eigentümliche Farbe, wo er am Horizont mit dem Wasser verschmolz. Die Gestalten an Deck hatten keine Gesichter. Es waren Schemen, die sich kaum bewegten, gesichtslose Phantome...
Die Hauptpersonen des Romans: Jimmy Wister - der Dreizehnjährige hat eine gute Idee, um dem Hunger zu Leibe zu rücken, doch dafür wird er verprügelt. Kelvin Bascott - der glatzköpfige Widerling von Koch auf der „Discoverer" fängt Ratten und verkauft sie gegen klingende Münze an die verhungerten Aus wanderer. Wintrop - weil er gewagt hat, über Kapitän Granville die Wahrheit zu sagen, wird er barbarisch bestraft. Robert Granville - die Gier nach Geld ist bei dem Kapitän der „Discoverer" grenzenlos - und bricht ¡hm letztlich das Genick. Philip Hasard Killigrew - es stört den Seewolf nicht, unterschätzt zu werden, aber wer ihm auf der Nase herumtanzt, der erlebt sein blaues Wunder.
1. Um Barry Wister herum herrschte gespenstische Stille. Er glaubte, die Zeit fein wie gemahlenen Sand knir schen zu hören. Alles war so unwirk lich fremd und irgendwie gegen standslos, als befände er sich in einer anderen Welt. An diesem Punkt seiner Träume angelangt, begann sein Herz wild in der Brust zu hämmern. Der Schweiß brach ihm aus und bedeckte seinen ganzen Körper, denn jetzt kam das Unabänderliche. An der Kimm, wo die Farben zu ab strakten Mustern verwischten und eine Phantasiewelt vorgaukelten, er hob sich plötzlich das Meer. Über gangslos wuchs eine gigantische Walze aus dem Ozean. Sie türm te sich immer höher auf, bis der Horizont hinter ihr völlig ver schwand. Diese Riesenwalze begann jetzt lautlos zu rollen wie eine gläserne Mauer. Die Galeone bewegte sich und begann zu ächzen und in allen Ver bänden zu knarren. Das Schiff lebte, das wußte Barry Wister in diesem Augenblick sehr genau. Es lebte und
hatte Angst vor dieser Riesenfaust, die es gleich zertrümmern würde. Er warf einen hilfesuchenden Blick nach achtern, wo der gesichtslose Ka pitän und seine Offiziere standen. „Tut doch etwas!" schrie er in wil der panischer Angst. Sein Schrei erreichte die Schemen nicht, oder sie schienen ihn nicht zu hören. Unbewegt standen sie auf dem Achterdeck, ohne sich der Gefahr be wußt zu sein. Aus dem Holz des Schiffes drangen Schreie der Angst. Es schüttelte sich in namenlosen Entsetzen. Überall kreischte es in höchster Not. Als Barry Wister entsetzt herum fuhr, sah er die Riesenwoge direkt auf sich zurasen. Jetzt glaubte er auch ein fernes urweltliches Tosen und Brausen zu hören. Die Luft schien zu kochen. Die riesige Woge überrannte das Schiff, das jetzt wie ein hilfloses Tier schrie. Ein gewaltiger Schlag fuhr schmetternd über die Galeone hin weg. Ein Wasserwirbel unbeschreibli chen Ausmaßes überschüttete alles. Sofort danach versank alles in un heimlicher Stille. Wister fand sich in einer anderen
5 Welt wieder, die von geisterhafter Stille geprägt war. Sie wirkte absolut lautlos. Er spürte, daß er in einem großen Wasserwirbel in die Tiefe des Atlantik gerissen wurde, daß es im mer tiefer dem Meeresboden entge genging. Das Schiff befand sich auf einer irrsinnigen Talfahrt zum Mit telpunkt der Erde. Deutlich sichtbar tauchten zerklüf tete, mit Moosen und Algen behan gene Bergrücken vor ihm auf. Das Wasser war seltsam klar, wie er er kennen konnte. Dann erfolgte das jähe und abrupte Ende. Die Galeone zerbarst in einer lautlosen Explosion und riß ausein ander. Wister verspürte nur einen entsetzlichen Schmerz, der seinen Körper zu zerreißen drohte. Dann er wachte er schweißgebadet.
Keuchend und nach Luft ringend lag er da und spürte eine kleine, schmale Hand in der seinen. Die Fin ger drückten beruhigend zu. Er ver nahm die leise Stimme seiner Frau Ann. „Hast du wieder diese schreckli chen Träume, Barry?" „Ja, ich habe wieder geträumt. Es war schrecklich. Jede Nacht träume ich das gleiche." „Was war es für ein Traum?" flü sterte sie. „Ich weiß es nicht mehr genau." Er log bewußt, um sie nicht zu beunruhi gen. Er hatte Angst, daß dieser fürch terliche Alptraum bald Wirklichkeit werden könne, denn er wiederholte sich zu oft und zu eindringlich, als sollte er bewußt gewarnt werden. „Beruhige dich", sagte sie leise. „Vielleicht hast du nur auf der fal
schen Seite gelegen. Dann drückt es aufs Herz." „Ja, vielleicht, Ann." Eine grobe Stimme irgendwo aus dem muffigen und überbelegten Raum durchschnitt ihr leises Ge spräch. „Könnt ihr nicht eure Mäuler hal ten, verdammt noch mal? Ich will meine Ruhe haben." Der Kerl brüllte so laut und grob, daß ein paar andere Schläfer ebenfalls erwachten. Sie gingen sich seit langem in der bedrückenden und beklemmenden Enge gegenseitig auf die Nerven, bei dem geringsten Anlaß wurde gestritten. Sogar wegen der Schnarcherei einiger hatte es bereits einmal Prügel gesetzt. Der Schnar cher war so kräftig verdroschen wor den, daß er sich kaum noch traute ein zuschlafen. Barry Wister gab keine Antwort. Er tastete über seine Frau hinweg nach dem anderen kleinen Körper, der un ter einer klammen Decke lag. Sein dreizehnjähriger Sohn Jimmy schlief tief und fest. Er atmete in ruhigen und langsamen Zügen. Sie hatten zum Glück noch eine Koje erwischt, weil sie als erste auf die „Discoverer" gekommen waren. Die Koje war wie eine Nische in die wuchtige Wand eingelassen und ge rade so groß, daß sie zu Dritt unbe quem darin schlafen konnten. Eine durchlöcherte Pferdedecke schützte sie vor den Blicken der anderen, die sich ebenfalls in ihren Kojen fast ver barrikadiert hatten. Barry Wister lugte durch eins der Löcher in der zerschlissenen Decke. Es gab nicht viel zu sehen. Er blickte in einen Raum, der fast ausschließ lich aus in den Wänden eingelassenen Kojen bestand. In der Mitte der Kam mer war gerade so viel Platz, daß da
6 noch ein grober Tisch mit einer nur die Andeutung von Land zu er ebensolchen Bank stehen konnte. kennen. Herrgott, dachte er, wie entsetzlieh Von einem Decksbalken baumelte eine schwach blakende Laterne. Sie groß und riesig ist denn dieser unvor schwang im ewigen Rhythmus der stellbare Ozean nur? Schiffsbewegungen hin und her und Dieser eine Monat auf See hatte be verbreitete trübes Licht. reits entscheidend ihrer aller Leben Die Luft war abgestanden, muffig geprägt. Man hatte die ersten Freund und feucht. Alles auf diesem Schiff schaften geschlossen, sich aber auch war feucht, angefangen von der Feinde und Neider zugelegt, und man Wäsche bis zu den Kojen. Gelüftet hatte die anfangs zurückhaltend wir wurde nur, wenn der Seegang es zu kenden Leute der Besatzung näher ließ. Heute ließ er es nicht zu, denn kennengelernt. Unter ihnen gab es er immer wieder kam Spritzwasser bärmliche Kreaturen, Halunken und über. Daher waren die Grätings zu Schlagetots. Auf der „Discoverer" schien es sätzlich mit Luken verschlossen wor den, und es fand kein Luftaustausch ganz besonders schlimm zu sein. Hier hatten drei Halunken und ein un statt. Der bärtige Zimmermann mit dem menschlicher Kapitän das Sagen, schmalen Gesicht seufzte leise und und sie nutzten ihre Vormachtstel drehte sich auf die andere Seite. An lung gründlich aus. Schikanen wech den gleichmäßigen Atemzügen neben selten mit Prügeln ab. Die hygieni sich merkte er, daß Ann wieder einge schen Zustände, die am Anfang der Reise schon zu wünschen übrig lie schlafen war. ßen, wurden mit der Zeit unerträg Er selbst konnte nicht einschlafen. lich. Auf der Galeone „Explorer" war Der entsetzliche Traum hatte ihn zu bereits die Cholera ausgebrochen. tiefst aufgewühlt und ließ ihn nicht Das alles ließ sich noch einigerma ruhen. Immer wieder sah er die „Dis ßen ertragen, wenn nicht ein weiterer coverer" auf dem Meeresgrund zer Faktor an Bord das Leben verschlim schellen. mert hätte. Es war der Hunger, und Er hatte sich diese Reise über den das war eins der mächtigsten Ge Atlantik in die Neue Welt anders vor fühle, das man nicht einfach unter gestellt. Es war ihnen zwar gesagt drücken oder ignorieren konnte. worden, daß es eine sehr beschwerli Zuerst hatte in dieser Hinsicht auch che Fahrt werden würde, aber keiner alles bestens geklappt, aber dann war der Siedler hatte geglaubt, daß ein es immer schlechter geworden. Die Meer wie der Atlantische Ozean so paar Stücke Großvieh, die sie an unheimlich groß und riesig sein Bord hatten, waren längst geschlach würde. Es war ein Meer ohne Ende, tet und verzehrt worden, und auch wie es schien, und auf der ganzen das Kleinvieh war gefolgt. Was sich Welt gab es nur noch dieses große jetzt noch an Kleinvieh an Bord be Wasser. fand, gehörte sozusagen zur Stan Im Mai vor etwa einem Monat wa dardausrüstung und zum lebenden ren sie aufgebrochen und hatten tag Inventar. Es war Ungeziefer, Kaker täglich etliche Meilen zurückgelegt. laken - und Ratten. Und doch war immer noch nicht auch Der Zimmermann wälzte sich wie
7 der auf die andere Seite. In der Kam mer war mittlerweile Ruhe einge kehrt, bis auf ein paar Schnarcher, die unentwegt in ihren Kojen sägten. Räusperte sich jemand, so brachen die Schnarchtöne abrupt ab und setz ten nach einer Weile erneut ein. Er versuchte einzuschlafen, doch die Angst vor dem Alptraum, der sich mit Sicherheit wieder fortsetzen würde, hielt ihn wach. Da half alles Herumwälzen nicht. Nach einer Weile stand er leise auf, verließ die Koje und setzte sich an den fest verbolzten Tisch in der Kam mer. Eine Weile sah er den Schwin gungen der Laterne zu, dann stützte er das Gesicht in beide Hände und dachte nach. Was würde sie in der Neuen Welt erwarten? Das Paradies, von dem alle redeten, oder ein unbekanntes abwei sendes Land? Ob es alles wirklich so war, wie man ihnen versprochen hat te? Er hörte seinen Magen knurren und blickte zwischen den Fingern hin durch auf eine huschende Bewegung, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Ganz ruhig blieb er sitzen. Am unteren Rand einer Koje schob sich der Körper einer Ratte hoch. Sie hatte sich offenbar durch die Boden bretter gefressen, die sich über der Bilge befanden. Ganz langsam stand Barry Wister auf und näherte sich dem Tier, das anscheinend auf Nahrungssuche war. Er wußte aus eigener Erfahrung, daß Ratten nicht davor zurückschreckten, auch hilflose kleine Kinder anzugrei fen, wenn sie Hunger hatten. Und in jener Koje dort drüben lag ein kleines Kind mit seinen Eltern. Obwohl er sich vorsichtig bewegte, gelangte er nur zwei Schritte weit. Dann hatten ihn die Knopfaugen er
späht. In einer fließenden Bewegung huschte die Ratte nach unten und ver schwand in einer Ritze. Wister stopfte ein paar Lumpen in den Spalt, obwohl er wußte, daß das nicht viel half. Wenn die Biester erst einmal Hunger hatten, dann gaben sie keine Ruhe mehr. Die Ratte ließ sich jedoch vorerst nicht mehr blicken. Wister fiel auf, daß sie doch ganz gut genährt war. Sie stand gut im Futter und schien eine Quelle zu haben, wo etwas zu ho len war, ohne daß man sie bemerkte. Vielleicht hatte sie nur nach einer zu sätzlichen Nahrungsquelle Ausschau gehalten. Sein Magen knurrte wieder über laut und zog sich zusammen. Das Hungergefühl ließ ihn nicht mehr los. Um es einigermaßen zu unterdrücken ging er zu dem festgelaschten Was serfaß hinüber, ergriff die hölzerne Kelle und trank einen langen Schluck. Das Wasser war einen Monat alt und wies den entsprechenden Ge schmack auf. Er hatte das Gefühl, aus einer abgestandenen Gipsquelle ge trunken zu haben, und er mußte sich beherrschen, damit das Zeug auch unten blieb. In Gedanken beschäftigte er sich lange Zeit mit der verschwundenen Ratte. Dabei fragte er sich immer wieder, wie ihr Fleisch wohl schmek ken würde, wenn es gebraten oder ge kocht wurde. Sein ewig hungriger Sohn Jimmy wäre vermutlich mit Freuden über das Fleisch hergefallen. Die Kinder taten dem Zimmermann am meisten leid, denn sie litten noch entsetzlicher unter dem Hunger und begriffen nicht, warum es kaum et was zu essen gab, da man in London doch so viel Proviant an Bord genom men hatte.
8 Er selbst wußte, wer an der ganzen Misere schuld war. Das waren drei Halunken an Bord, abgefeimte nie derträchtige und ausgekochte Schlitzohren, die zudem von ihrem Kapitän bei ihrem schändlichen Tun gedeckt oder unterstützt wurden. Der Bootsmann Bruce Watts, ein stiernak kiger übler Schläger, der Decksälte ste Gordon Tibbs, der Kerl mit den langen Affenarmen und der zerdro schenen Plattnase, und schließlich der Koch selbst, ein vollgefressener feister Glatzkopf mit dem Gang einer watschelnden Ente. Kelvin Bascott hieß der Bastard. Er war tückisch, verschlagen und ausgebufft und konnte Kinder auf den Tod nicht aus stehen. Barry Wister hielt es unter Deck nicht mehr aus. Schlafen konnte er ohnehin nicht mehr, und so wollte er wenigstens ein bißchen frische Nachtluft schöpfen. Um die anderen nicht zu stören, zog er lautlos das Schott hinter sich zu, als er an Deck stand. Für ein paar Au genblicke ließen sich in der frischen Luft die Sorgen vielleicht vergessen. Am nächtlichen Himmel blinkten ein paar ferne Sterne. Vom Mond war nur eine schmale Sichel zu sehen. Eine frische Brise wehte ihm ins Ge sicht. Er sah, wie sich die Galeone leicht zur Seite neigte, über einen an schwellenden Berg aus Wasser stieg und sanft in das nächste Wellental hinunterglitt. Dort wiederholte sich das ewige Spiel von Wind und Wo gen. Er ging ein paar Schritte zur Kuhl weiter und fand sich unversehens vor der Kombüse wieder. Vielleicht hatte ihn der Hunger ganz automatisch dort hingeführt, obwohl er wußte, daß das Schott besonders nachts im mer verrammelt war.
Eine hämische Stimme hinter sei nem Rücken ließ ihn zusammenfah ren. Er sah nur einen vagen Schatten. „Na, Mister, du hast wohl die Ab sicht, ein bißchen zu klauen, was? Aber daraus wird nichts. Wenn du noch einen Schritt weitergehst, dann geht der Kracher in meiner Hand los, und du kriegst ein erbärmliches Be gräbnis." „Ich habe nicht die Absicht, etwas zu stehlen", sagte Wister tonlos. „Mich plagen schwere Träume, Sir, und da wollte ich mir einen klaren Kopf verschaffen." „Schwere Träume, was?" höhnte der Schatten. „Du träumst davon, ein bißchen zu räubern. Ich kenne euch Bastarde doch. Ihr seid mit nichts zu frieden. Ihr klaut wie die Raben und seid unberechenbar. Willst du wieder freiwillig unter Deck gehen, oder soll ich dich dem Kapitän melden, Mi ster?" Wister war noch nie ein Held gewe sen. Er war ein friedlicher Handwer ker, der jedem Streit aus dem Wege ging. Er wollte auch nicht unnötig auffallen und im Mittelpunkt stehen. „Es ging mir wirklich nur um ein bißchen frische Luft, Mister", sagte er friedlich. „Die Enge da unten ist bedrückend, die Luft abgestanden und schlecht. Lassen Sie mich noch ein paar Augenblicke hier stehen, dann gehe ich wieder." „Vorhin hast du noch ,Sir' zu mir gesagt", erklärte die hämische Stimme. „Jetzt nennst du mich ,Mi ster'. Das ist ein bißchen abwertend gemeint, ich höre das genau heraus. Du willst nicht nur klauen, du suchst auch noch Streit." Barry Wister zuckte zusammen. Dieser Kerl wollte ihn ganz offen sichtlich provozieren und ein bißchen herumstänkern. Möglicherweise
9 hatte er Langeweile oder war ge nauso ein hinterhältiger Bastard wie die meisten anderen auf diesem, Schiff. „Ich will niemandem etwas zuleide tun, Sir", versicherte er. „Wir haben genug Leid zu ertragen. Aber mit Gottes Hilfe werden wir auch das überstehen." „Dann mußt du dich bei deinem Gott beschweren und solltest hier nicht herumstänkern", sagte der Mann höhnisch. „Ihr seid doch alle so gottesfürchtig." „Der Herr erlegt uns nur eine Prü fung auf, Sir." „Irrtum", sagte der Kerl kalt. „Der Herr bestraft euch dafür, daß ihr lau sige, verklaute Bastarde seid, sonst wäre er gut zu euch." Wister verzichtete darauf, sich mit dem Mann anzulegen. Er hatte ihn jetzt trotz der Dunkelheit erkannt. Es war ein Decksmann namens Barlow, ein rücksichtsloser und liederlicher Kerl, der etlichen Siedlern schon Geld beim Spielen abgeknöpft hatte und keineswegs ehrlich spielte, son dern genauso betrog wie sein Kapitän Granville. „Womöglich haben Sie recht, Sir", sagte er ausdruckslos. „Die Wege des Herrn sind für uns Sterbliche uner findlich." „Du hättest Prediger werden sol len", meinte Barlow verächtlich. „Du quasselst genauso dämliches Zeug wie die Kerle auf der ,Explorer', die sich gegenseitig die Ohren vollabern. Und jetzt verschwinde unter Deck, du Bastard, sonst ziehe ich dir eins über den Schädel." Der Zimmermann fraß die Demüti gungen in sich hinein und gab keine Antwort. Er schluckte und wandte sich ab. Stumm und mit gebeugten Schultern ging er in die muffige Kam
mer zurück. Dort betete er stumm, daß dieser höllische Törn bald ein Ende haben möge und endlich das heißersehnte Land zu sehen sei. Darauf mußte er allerdings noch sehr lange warten. 2. Der nächste Tag begann ähnlich wie alle anderen. Zum Glück war der Atlantik ruhig, nachdem er schon ein paarmal seine Krallen gezeigt hatte. Der Verband aus drei Pilgerschif fen und der Schebecke der Seewölfe bewegte sich auf einer ruhigen lang gezogenen Dünung. Ein paar weit ent fernte Wolkenbänke hatten sich in das Himmelsblau geschoben. Ganz achtern, nur als winziger Punkt an der östlichen Kimm zu erkennen, se gelte die Karavelle, die dem Verband unbeirrbar folgte. Niemand küm merte sich mehr um sie. Die Leute hatten mit sich selbst und ihren Sor gen genug zu tun. Wie immer jeden Morgen lungerten auch diesmal wieder ein paar Kinder in der Nähe der Kombüse herum, wo der feiste Glatzkopf Kelvin Bascott den mitunter ekelerregenden Fraß kochte. Er nannte das großzügig Por ridge, obwohl es mit dem Haferbrei kaum noch etwas gemeinsam hatte. In die sechs Kessel wurde wahllos alles hineingefeuert, was Bascott für richtig hielt. Es gab auch keine Ab fälle mehr an Bord, denn die wurden mitverwendet, selbst wenn sie noch so matschig waren. Ein paar der Kinder und Jugendli chen versuchten immer wieder, sich mit dem gemeinen und tückischen Kerl anzufreunden. Natürlich nur zum Selbstzweck und von der Hoff nung beseelt, daß denn ein Brocken
10 extra für sie abfallen würde. Sie hat ten hündische Angst vor ihm, aber sie ließen es sich nicht anmerken, denn ihr Hunger überwog jedes andere Ge fühl. Aber sich mit Bascott anzufreun den, war weitaus schwieriger, als ei nen Menschenhai zum Bundesgenos sen zu haben. Der Glatzkopf war ge mein und tückisch, und für Kinder hatte er nichts übrig als bestenfalls ein abfälliges Grinsen oder einen kräftigen Tritt in die Kehrseite. Hin und wieder hatte es auch von ihm schon kräftige Maulschellen gesetzt. Alles das hielt die Kinder jedoch nicht davon ab, weiterhin in Kombü sennähe herumzulungern und mit hungrigen Augen in den finsteren und verrußten Raum zu starren. Der nagende Hunger ließ ihnen die Ge rüche lieblich erscheinen. Ein zehnjähriges, ausgebufftes Bürschchen hatte bei Bascott Glück gehabt und durfte sich in der Kom büse vollfuttern. Das hatte eine Sil bermünze gekostet, die das Bürsch chen seinen Eltern stibitzt hatte. Als der Kleine heute morgen wie der mit hungrigen Blicken auf tauchte, jagte Bascott ihn mit derben Flüchen fort und drohte ihm an, ihn zu schlachten und zu Wurst zu verar beiten. Der Kleine zog heulend und zähneklappernd ab. Auch Jimmy Wister hatte der na gende Hunger heute zu jener Stelle getrieben, wo gekocht wurde. Der Sohn des Zimmermanns war ein ha geres Bürschchen mit ernsten Augen. Er war dreizehn Jahre alt und hatte längst das Lachen verlernt, denn sein Leben war bisher sehr entbehrungs reich verlaufen. Seine Eltern waren arm, der Vater arbeitslos gewesen, und so hatten sie sich in der größten Not entschlossen,
ihre letzte Habe zu verkaufen und vom dem Geld die Passage zu bezah len. In der Neuen Welt hofften sie, ein besseres Leben führen zu können. Jimmy trug eine knielange, mehr fach geflickte Leinenhose und ein Hemd, das ebenfalls viele Flicken aufwies. Schuhe hatte er nicht, wie die meisten anderen auch, die barfü ßig herumliefen. Von März bis Okto ber brauche man keine Schuhe, wurde ihm erklärt, und im Winter konnte man zu Hause bleiben, wenn es bitterkalt wurde. Und da brauchte man natürlich erst recht keine Schuhe, weil es in der Stube einiger maßen warm war. Jimmy starrte an dem Koch vorbei auf den Herd, wo der Dampf aus den Töpfen stieg und sich zum Plafond kräuselte. Jetzt meldete sich der Hun ger noch schlimmer bei ihm. Er hielt eine hölzerne Kumme in der Hand und wartete auf seinen Schlag. Mittlerweile waren auch die Er wachsenen angetreten, um sich ihr Essen abzuholen. Sie blickten scheu auf den Bootsmann Bruce Watts, der wie ein Schießhund darüber wachte, daß sich niemand einen zweiten Schlag abholte oder sich erneut heim lich unter die Leute mischte und sich ein zweites Mal anstellte. Der Bootsmann war ebenfalls ein rüder Kerl mit einem gewaltigen Stiernacken, einer groben Holzhak kervisage und riesigen Händen. Wenn er das Maul aufriß, sah er noch schlimmer und gewalttätiger aus, denn oben fehlten ihm die beiden Schneidezähne. Eine gewaltige Faust schien ihn da einmal erwischt zu ha ben. Er betrachtete die Leute finster und bösartig. Nur wenn sein Blick mal auf eine junge Frau fiel, verän derte sich sein Gesichtsausdruck.
11 Dann trat ein unmerkliches Funkeln in seine braunen Augen und ein lü sternes Grinsen erschien auf seiner narbigen Visage. Bis zur Essensausgabe dauerte es noch eine halbe Stunde. Der feiste Koch ließ sich absichtlich Zeit und trödelte herum, wohl wissend, daß er eine Vormachtstellung hatte, die er auch gründlich ausnutzte. Sie waren ihm ausgeliefert, auf Gedeih und Ver derb, und dementsprechend benahm er sich. Sein Helfer, ein verschlagener Bursche mit einem kleinen Buckel, schnippelte Pastinaken in den Fraß. Die Wurzeln waren matschig, ver drückt und rochen faulig. Er schnitt auch keine schlechten Stellen heraus. Er zerschnippelte sie mit einem gro ßen Messer auf einer schmierigen Bohle, raffte sie dann zusammen und feuerte sie abwechselnd in die großen Töpfe, aus denen es jedesmal auf spritzte. „Ob die Herren auf dem Achter deck das Zeug auch essen?" fragte ein untersetzter Mann mit Backenbart seinen Nachbarn. „Ganz sicher", erwiderte der höh nisch. „Und dazu trinken sie fauliges Wasser, weil es so bekömmlich ist." „So sieht der Kapitän auch gerade aus", sagte der Backenbärtige. „Für ihn wird extra gekocht, und nur vom Besten und Feinsten. Möchte wissen, was der sich an Vorräten heimlich beiseite geschafft hat, während wir hier vor Hunger fast krepieren. Aber damit läßt der feine Herr es ja nicht bewenden. Er betrügt auch noch die Leute beim Würfelspiel und belästigt die Frauen." Der andere drehte sich hastig und ziemlich verlegen um. Durch ein Blin zeln gab er dem Backenbärtigen noch schnell ein Zeichen, doch der be
merkte nichts. Er wollte noch etwa hinzufügen, doch dann sah er den Bootsmann Bruce Watts und biß sich auf die Lippen. Der Kerl sah ihm in die Augen und grinste hinterhältig. Er war sich nicht sicher, ob der Bootsmann seine Äußerung gehört hatte. Er trat vor einen der dampfenden Kübel und hielt seine Kumme hin. Eine schwielige Faust griff nach seinem Handgelenk und hielt es mit eisernem Griff fest. „Kein Essen für diesen Kerl", sagte der Bootsmann zu dem Backschafter, der die Kelle in den Brei tauchte. Ein paar Leute wichen angstvoll zurück und gingen auf die Seite. Sie wollten damit nichts zu tun haben. In ihren Gesichtern stand Angst. „Kein Essen, aye, aye", wiederholte der Backschafter gleichmütig. „Wie Sie meinen, Mister Watts." Der Backenbärtige hieß Wintrop und schrumpfte jetzt merklich zu sammen. Hart schluckend starrte er auf die Pranke des Bootsmannes, die immer noch sein Handgelenk um klammerte. „Ich - ich habe Hunger, Sir", sagte er kleinlaut. „Aber sicher doch, natürlich hast du Hunger. Aber du wirst heute beim Kapitän speisen, Mister. Ich bin si cher, daß er dich einladen wird, weil du doch so freundlich über ihn ge sprochen hast." Er riß Wintrop die Kumme aus der Hand, warf sie an Deck und stieß sie mit dem Fuß über die Planken. „Sir, hier muß ein Mißverständnis vorliegen", jammerte Wintrop, des sen Angst immer größer wurde. „Das wird sich gleich herausstellen. Los, ab nach achtern!" Einige der anderen taten so, als sähen sie nichts. Die Angst, ebenfalls
12 vom Essen ausgeschlossen zu wer lasse, Mister? Wie war doch gleich Ihr ehrenwerter Name?" den, ließ sie so handeln. „Wintrop, Sir", erwiderte der Wintrop ging mit schlotternden Knien nach achtern. Der Bootsmann Mann, an allen Gliedern zitternd. half ein bißchen nach, wenn der „Nein, natürlich nicht, Sir, ich wollte das auch gar nicht sagen. Es war nur Mann zögerte. Auf dem Achterdeck stand Gran so dahingeredet." Granville sah, daß der Mann hün ville, der Kapitän, ein dicklicher, fin sterer Mann, der Wintrop verächtlich dische Angst vor einer Bestrafung musterte. Er lehnte an der Balu hatte und immer mehr in sich zusam strade, die das Achterdeck vom Quar menkroch wie ein Hund, der Prügel zu erwarten hatte. Sein Grinsen terdeck trennte. wurde impertinent. „Was gibt es?" fragte er scharf. „Aber, mein Bester", sagte er jo „Der Kerl hier hat sich sehr lobend über Sie ausgelassen, Sir", berichtete vial. „Man kann doch nicht einfach so der Bootsmann. „Natürlich so, daß es daherreden und andere verleumden. auch die anderen alle hören konnten. Sie untergraben nicht nur meine Au Er hetzt ein bißchen herum. Dachte, torität, sondern beleidigen mich auf ich sollte das zur Meldung bringen, unverschämteste Art und Weise. In Ihren Augen bin ich ein Betrüger, ein Sir." „Recht so, Mister Watts. Ich höre." Sittenstrolch und Dieb. Halten Sie Auf dem Achterdeck befanden sich diese Anschuldigungen auch weiter außer Granville noch der Erste Offi hin aufrecht?" zier Harris, der mit unbeweglichem Wintrop schüttelte schnell den Gesicht über das Wasser blickte, und Kopf. der Rudergänger, der so tat, als höre „Nein, Sir, ganz gewiß nicht. Es ist er nichts. mir so herausgerutscht. Ich bitte um „Dieser Kerl hier", sagte Watts mit Verzeihung, Sir." hämischer Schadenfreude, „behaup „Sie stehen also nicht zu Ihrem tete ganz unverfroren, Sie, Sir, wür Wort, Mister. Was sind Sie nur für ein den nur das Beste vom Besten zu es erbärmlicher Knecht! Erst behaup sen kriegen, und Sie schafften sich ten Sie von mir alles Mögliche, und heimlich Vorräte zur Seite, während dann ziehen Sie alles wieder zurück. die anderen vor Hunger krepieren. Sie werden doch hoffentlich verste Außerdem würden Sie die Leute hen, daß ich das nicht so einfach hin beim Würfelspielen betrügen und die nehmen kann. Da nutzt auch Ihre Frauen belästigen." Entschuldigung nichts. Ein anderer Auf Granvilles Gesicht erschien ein Kapitän, der kein Verständnis für dünnes, gefährliches Grinsen. Die Ihre nicht gerade einfache Situation Augen blieben kalt und ausdruckslos. hat, der hätte Sie jetzt nach einer kur Er trat von der Balustrade weg und zen Anhörung an die Rah gehängt." ging zwei Schritte nach vorn. Granville ließ die Worte erst ein „Schwere Anschuldigungen, sehr mal wirken. Sie wirkten auch, denn schwere Anschuldigungen, die natür Wintrop zitterte noch heftiger, und lich an der Wahrheit vorbeigehen. Schweiß stand in dicken Perlen auf Haben Sie Beweise dafür, daß ich seiner Stirn. Seine Blicke irrten un Vorräte heimlich beiseite schaffen stet hin und her.
13 „Aber ich will Ihnen noch einmal vergeben, Mister. Daß die Anschuldi gungen völlig haltlos sind, das weiß hier jeder. Sie stehen jedoch nicht zu Ihrem Wort und sind ein Feigling." Wintrop wußte nicht, was er erwi dern sollte. Er blickte scheu aus den Augenwinkeln zur Kuhl, als erwarte er dort Rettung für sich. Die Leute waren jedoch mit dem Essen beschäf tigt und schenkten den Vorfällen auf dem Achterdeck keinen Blick. „Darf ich vorschlagen, Sir, ihn mit einem Dutzend Hieben zu bestra fen?" fragte der Bootsmann grinsend. „Schläge läutern bekanntlich einen verstockten Kerl und lockern sein Hirn." Granville hätte Wintrop nicht nur ein Dutzend Hiebe, sondern am lieb sten gleich hundert Schläge aufge brummt. Noch lieber hätte er den Kerl über Bord werfen lassen, wie es seiner Mentalität entsprach. Aber mit dem Auspeitschen mußte er vor sichtig sein, denn der Seewolf auf der Schebecke hatte verdammt scharfe Augen, denen nichts entging. Er hatte ihn, Granville, ganz besonders im Vi sier und wartete nur auf eine Gele genheit ihm an den Kragen zu gehen. Sie waren schon mehrmals ziemlich aneinandergeraten. „Zwölf Hiebe sind zu hart, Boots mann", erklärte Granville. „Der Mann weiß nicht, was er sagt. Viel leicht ist er sogar ein bißchen ver rückt oder ganz einfach ein Hitzkopf. Einem Hitzkopf sollte man etwas Ab kühlung verschaffen. Sie sind doch ein bißchen hitzig, nicht wahr?" er kundigte er sich leutselig. Wintrop sah wieder einen Hoff nungsschimmer und nickte bereitwil lig. „Manchmal schon, Sir. Ich bitte
noch einmal um Vergebung und möchte nicht gepeitscht werden, Sir." „Nein, nein, Sie werden nicht ge peitscht, Mister. Ich werde Ihnen le diglich ein wenig Zeit zum Nachden ken geben. Sie können dabei ins Was ser blicken und in aller Ruhe überle gen." „Vielen Dank, Sir." „Sie brauchen sich nicht zu bedan ken, Mister. Vielleicht teilen Sie mir später das Ergebnis Ihrer Überlegun gen freundlicherweise mit. Ich bin si cher, daß Sie Ihre Meinung bald än dern." „Ja, Sir, ganz sicher." „Wie schön", höhnte Granville. „Mister Watts, zeigen Sie dem Mann sein ruhiges Plätzchen unter der Ga lionsfigur, wo es am gemütlichsten ist. Mister Tibbs wird Ihnen dabei be hilflich sein. Das wäre alles." Der Bootsmann zog mit seinem Opfer grinsend ab. Wintrop hatte nicht die geringste Ahnung von dem, was ihm bevorstand. 3. Philip Hasard Killigrew unter nahm an diesem Tag mit der Sche becke eine der üblichen routinemäßi gen Kontrollen, um seine „Schäf chen" zu überwachen und zusam menzuhalten. Nicht alle waren brave Schäfchen oder Lämmer. Hinter eini gen verbargen sich reißende Wölfe, Bestien in Menschengestalt, die sich den Schafspelz nur umgehängt hat ten. Das traf ganz besonders auf Ka pitän Robert Granville zu, der Ha sard wegen seiner Eigenwilligkeit und Unmenschlichkeit nicht gerade ans Herz gewachsen war. Der Seewolf hätte sich die „Disco verer" an diesem Tag zuletzt vorneh
14 men sollen, doch er hatte von der cherweise hat sich bei ihm doch ein Sache mit Wintrop keine Ahnung, Sinneswandel vollzogen." „Ja, wie bei einem Wolf, der plötz und so war Robert Granville der erste lich entdeckt, daß Schafe gar nicht in der Reihe der Inspektionen. Es hatte die morgendlichen Ratio schmecken, und der deshalb Gras nen gegeben, und die meisten Aus frißt, weil das saftiger ist", entgeg wanderer befanden sich nach kurzem nete Hasard spöttisch. „Ich glaube Aufenthalt an der frischen Luft wie das nicht. Der Kerl gibt nur schein bar Ruhe. Außerdem weiß er mit der unter Deck. Der Verband klüste auf West-Nord ziemlicher Sicherheit, daß wir ihn west-Kurs und lag bei fast nördli heute mit einem Besuch beehren. chem Wind mit Steuerbordhalsen auf Dann ist er immer friedfertig, gotter Backbordbug. Der Wind hatte ein we geben und scheinheilig." „Gehen wir längsseits, Sir?" fragte nig aufgebrist. Der Atlantik zeigte sich noch von seiner gnädigen Seite, Stenmark, der Ruderwache ging. aber die Dünung wurde unmerklich „Nein, wir segeln nur ein paar höher. Yards nebenher, damit wir einen Die „Discoverer" segelte mit fast ei Überblick haben." Für die Schebecke war es kein Pro ner halben Meile dem Verband vor an, gefolgt von der „Pilgrim" und der blem, innerhalb kürzester Zeit zu ei „Explorer". An der achterlichen, öst nem voraussegelnden Schiff aufzu lichen Kimm tanzte als winziger schließen, noch dazu bei einer Ga Punkt die Karavelle der Rabauken leone, die viel behäbiger segelte. auf der Dünung. Sie hatte zwei Segel Stenmark legte Ruder, und etwas im Gei hängen und hielt sich bewußt später befanden sich die Arwenacks zurück wie ein Fühlungshalter, der auf gleicher Höhe mit der „Discove den Kontakt nicht verlieren wollte. rer". Hasard hatte schon einmal erwo Granville stand auf dem Achter gen, das Schiff mit den abenteuerli deck und hatte wieder dieses freund chen Kerlen abzudrängen und sich liche Grinsen im Gesicht, das Hasard selbst zu überlassen, denn die Kerle gar nicht mochte. Dieses Grinsen war gefielen ihm ganz und gar nicht. Sie lauernd, verächtlich und anmaßend hatten keinen fähigen Navigator an zugleich. Granville gab sich wieder Bord, das stand fest, und so hatten sie einmal leutselig, als er den Seewolf sich an das Geleit gehängt, um die sah - und auch recht unbekümmert, Neue Welt zu erreichen und dort das als könne er kein Wässerchen trüben. Gold zu finden, das sie sich erhofften. „Irgendwelche Vorkommnisse?" Mittlerweile hatte er den Gedanken rief Hasard hinüber. Mit schnellen wieder aufgegeben. Sollten die Kerle Blicken musterte er die einzelnen hinsegeln, wohin sie wollten. Die See Decks der Galeone. gehörte schließlich nicht den Arwe „Alles in Ordnung, Sir - wie im nacks allein. mer", tönte Granville. „Na ja, mit „Scheint ausnahmsweise mal alles dem Proviant hapert es etwas, aber ruhig bei Granville zu verlaufen", das ist Ihnen ja bekannt und auf den sagte der Spanier Don Juan de Alca anderen Schiffen nicht viel anders." zar, nachdem er einen Blick durch „Das wußten Sie bereits vor Antritt den Kieker geworfen hatte. „Mögli der Reise", erwiderte Hasard kühl.
15 „Sie hatten Gelegenheit, sich mit ge nügend Proviant einzudecken." „Ja, ich weiß, Sir, und ich habe mich ja auch daran gehalten. Aber leider ist eine Menge verdorben und ungenießbar geworden. Aber, so Gott will, werden wir die Neue Welt unbe schadet erreichen." Auf der Kuhl, wo es zum Nieder gang des Quarterdecks ging und sich die Kombüse befand, sah Hasard seine drei „Lieblinge", nämlich den feisten, niederträchtigen Koch, den Bootsmann mit der Holzhackervi sage und den Decksältesten, den Kerl mit den langen Affenarmen und dem stupiden Grinsen in der zerdrosche nen Visage. Neben ihnen stand ein ziemlich blaß wirkender Mann mit ei nem dunklen Backenbart, der völlig eingeschüchtert wirkte. „Was ist mit dem Mann?" fragte Hasard. „Seekrank, Sir!" rief der Koch. „Er wird immer seekrank, wenn der Kahn nicht ruhig liegt. Stimmt's Mi ster Wintrop?" Der Angesprochende nickte kläg lich inmitten der freundlich grinsen den Fleischerhunde. Hasard fiel weiter nichts auf. Ein paar Pilger waren noch an Deck, doch die starrten auf das Wasser oder un terhielten sich leise miteinander. Hasard nickte den Kerlen widerwil lig zu, ließ dann abfallen und zur „Pil grim" segeln. „Verdammte Kerle", meinte er. „Ich bin froh, wenn ich diese Visagen nicht mehr ertragen muß." „Damit werden wir wohl oder übel noch einen Monat lang leben müs sen", meinte Dan O'Flynn trocken. „Wenn wir Pech haben und den Wind vor den Bug kriegen, noch länger." „Mal bloß den Teufel nicht an die Wand", sagte Hasard. „Mit dem Ver
band möchte ich nicht gern lange Kreuzschläge segeln. Was dann mit den Leuten geschieht, wage ich gar nicht zu überdenken. Dann gibt es Krieg, und zwar einen erbarmungslo sen. Sie prügeln sich ja jetzt schon um den Proviant und das Wasser." Etwas später segelten sie neben der Galeone „Pilgrim" her. Kapitän James Drinkwater nickte den Arwenacks freundlich zu. „Alles zufriedenstellend, Sir. Wir hatten eine kleine Leckage, aber die ist mittlerweile behoben worden." „Kranke an Bord?" fragte der See wolf. „Irgendwelche Ausfälle?" „Zur Zeit nicht, Sir." „Brauchen Sie etwas, Kapitän?" Drinkwater richtete den Blick sei ner grauen Augen auf Hasard und schüttelte dann den Kopf. „Nein, Sir. Noch haben wir alles. Wir sind genügsam und strecken uns nach der Decke. Ich hoffe, daß sich bis zu unserer Ankunft daran auch nichts ändern wird. Ich habe das Trinkwasser mit etwas Rum ge streckt. Es bleibt dann länger frisch und schmeckt besser." „Sehr gut, Kapitän. Damit werden Sie einigen Leuten allerdings keine große Freude bereiten." James Drinkwater lächelte verhal ten. Auf den anderen Galeonen sof fen sie den Rum lieber pur, aber er hatte sich für den anderen Weg ent schieden. „Das ist möglich, Sir. Aber die ein sichtigen Leute werden es mir später vielleicht danken. Mit gutem Wasser kann man länger leben als mit gutem Rum." „Das ist was dran", sagte Hasard. „Eine gute Überlegung." Der Profos runzelte ein wenig die Stirn, wollte etwas sagen, fand dann aber, daß es unangebracht war und
16 „Der Herr sei mit euch", begrüßte schwieg lieber, nachdem er noch ein sie Toolan. Aus seinen runden Äug mal gründlich nachgedacht hatte. Sie segelten zur „Explorer" hin lein sah er zu wie die Schebecke unter über, die den Abschluß bildete. Der vollem Preß anlegte. Das Manöver frömmelnde Kapitän Amos Toolan war so geschickt und gekonnt, daß war ebenfalls ein „Sorgenkind". Auf nicht mal ein sanfter Ruck zu spüren seiner Galeone war erst kürzlich die war. Die beiden Schiffe schienen Cholera ausgebrochen. Es hatte Tote buchstäblich zusammenzuschmelzen. an Bord gegeben, Panik, Unruhe, Är Er war vom Achterdeck zur Kuhl ger. gewatschelt und stand jetzt vor der Die „Explorer" war Hasards größ Kuhlgräting. Die dicken Hände hatte tes Sorgenkind. Zwar gab es dort er wieder einmal vor dem feisten keine verbrecherischen Elemente wie Bauch gefaltet. Er erweckte auf den bei Granville, doch die frommen Pu ersten Blick stets den Eindruck lie ritaner hatten es in sich und waren benswerter Bescheidenheit. Hasard wußte jedoch, daß der Puritaner auch von einem ganz besonderen Schlag. Toolan selbst hatte beim Ausbruch schlitzohrig und verschlagen war. der Cholera die Lage nicht in den Selbst der Profos hatte Amos Toolan Griff gekriegt und alles mit frommen stets als freundliches puritanisches Sprüchen und eiskalten Entschlüssen Rübenschwein bezeichnet, allerdings übertüncht. Geholfen hatte es nicht, nicht öffentlich. die Lage hatte sich bis zum Exzeß zu Von Toolan und seinen mehr oder gespitzt. Schließlich waren die barm minder fanatischen Anhängern war herzigen Brüder dazu übergegangen, Hasard schon einiges gewohnt. Jetzt vorzuschlagen, die Infizierten ein stutzte er allerdings doch, als er fach über Bord zu werfen, damit die Amos Toolan näher in Augenschein Gesunden verschont blieben. Er nahm. Der Dicke mit den rosigen schwerend kam dabei noch hinzu, Wangen eines älteren Posaunenen daß die Galeonen sich zu der Zeit in gels hatte sich offenbar in ein Büßer einer Nebelzone völliger Windstille gewand gehüllt, wenn der Seewolf befanden. das richtig deutete. Erst das Eingreifen der Arwenacks Er trug statt seiner üblichen Uni und ganz besonders des Kutschers, form einen kuttenförmigen braunen Batutis und Bob Greys hatte die Überwurf, der Hasard lebhaft an ei Situation gebessert. nen groben Jutesack erinnerte. Ein Daran mußte Hasard denken, als breiter Lederriemen hielt die Kutte sie jetzt zur „Explorer" hinübersegel über seinem vorgewölbten Bauch zu ten. Arnos Toolan hatte versagt, er sammen. An den Füßen trug Kapitän war nicht der richtige Mann, der ex Toolan ausgelatschte Sandalen. Er treme Situationen zu meistern ver sah aus, als wolle er zu einem Buß stand. Er verlegte sich lieber aufs Be gang aufbrechen. ten und verließ sich auf die Hilfe des Etliche andere hatte Toolan offen Großen Kapitäns. bar dazu überredet, seinem Beispiel „Wir gehen längsseits und legen zu folgen. Auch sie trugen die gleiche an", sagte der Seewolf. „Bei Toolan eigenartige Kluft - braune Kutten scheint es mir angebracht, das Schiff und Sandalen oder Latschen. etwas genauer zu inspizieren." „Haben Sie eine neue Kleiderord
17 nung eingeführt?" fragte Hasard. Er konnte sich die Frage nicht verknei fen, denn die Leute wirkten alle reich lich weltfremd in ihren Gewändern. Sie wanderten von einem Deck zum anderen. Einige beteten laut. Toolan schüttelte lächelnd den Kopf. „Es ist unsere Bereitschaft zur Bu ße, Sir. Der Herr hat die schwere Krankheit von uns genommen, und da habe ich gelobt, daß wir uns ein fach kleiden und der Völlerei entsa gen." „Nun, von Völlerei kann wohl nicht die Rede sein", meinte Hasard. „Es sen und trinken muß der Mensch schließlich. Aber das ist Ihre Sache, Kapitän. Ich wollte mich nur einmal nach der allgemeinen Lage erkundi gen. Wie geht es den Leuten?" „Die Sünder hat es am meisten ge troffen", versicherte der Dicke. „Eini ge von ihnen sind noch nicht genesen. Der Herr wird vielleicht ein Einsehen mit ihnen haben und ihnen verge ben." „Das mag sein", erwiderte Hasard. „Aber ein wenig sollten Sie auch dazu tun. Der Herr liebt es nicht, wenn man sich ausschließlich auf ihn ver läßt. Haben Sie unsere Anordnungen befolgt?" „Da darf ich mit einem Bibelzitat widersprechen, Sir. Jeremia sieb zehn, Vers vierzehn: ,Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.' Jeremia sagt aber auch noch: ,Gesegnet ist der Mann, der sich auf den Herrn verläßt und des Zuversicht der Herr ist.' So steht es nun einmal geschrieben, Sir." Der schlitzohrige Puritaner grinste wieder einmal selbstgefällig. „Ich will nicht mit anderen Zitaten kontern", sagte Hasard. „Das würde zu nichts führen. Ich empfehle Ihnen
aber trotzdem dringend, die Quar tiere öfter gut zu durchlüften und die Räume mit Essigwasser auszuwa schen. Sie dürfen nicht erwarten, daß der Allmächtige Ihnen diese Arbeit auch noch abnimmt. Außerdem soll ten Sie die kränklichen Leute täglich ein paar Stunden der frischen Luft aussetzen. Das tut ihnen gut. Der Herr sorgt zwar für den Wind, der die Schiffe vorantreibt, aber ich bin si cher, daß er von Ihnen erwartet, die Segel selbst zu setzen." „Und auch die Schoten und Fallen zu klarieren", sagte der Profos mit ernstem Gesicht. „Sonst hat der Herr zuviel zu tun und kann sich nicht um seine anderen Schäfchen kümmern." Die Arwenacks grinsten versteckt. Die Puritaner hingegen fanden das gar nicht lustig und sahen Carberry strafend an. Aber den Profos hatten Blicke noch nie gejuckt, solange sie nicht provozierend waren. „Wenn Sie nichts dagegen haben, werden wir einmal nach den Leuten sehen", sagte Hasard. Er sah den Feldscher der Galeone an, aber der hatte ebenfalls die Hände gefaltet und überließ alles dem Herrn. „Aber gern, Sir. Wir haben das Schlimmste überwunden, und so der Herr will, wird er uns nicht noch ein mal auf die Probe stellen." Hasard entgegnete nichts. Zusam men mit dem Kutscher ging er in die Räume, in denen die Leute hausten. Auch hier war alles eng zusam mengepfercht und die Luft zum Schneiden dick. Toolan mochte zwar vorgeben, ein frommer Mann zu sein, doch von der Sauberkeit auf seinem Schiff war er noch weit entfernt. Der Seewolf zog angewidert die Nase hoch. Die Quartiere waren nicht belüftet, über die Grätings hatte man
18 Luken gedeckt. Kein einziger Son nenstrahl fiel herein. Sie gingen zu den Leuten, die teils apathisch und teils gleichgültig in den Kojen lagen. Ein paar von ihnen hatten noch Fieber. „Nicht mehr so schlimm", stellte der Kutscher fest. „Sie werden bald wieder bei Kräften sein. Es sind nor male Schwächeanfälle, wie sie nach einer schweren Krankheit durchaus üblich sind." Der Feldscher, der sie begleitete, nickte dazu. „Ich habe ihnen Theriak verab reicht", sagte er, „und es mit Blut wurz und Senf gemischt. Das Mittel wirkt ganz sicher." Der Kutscher wußte von Doc Free mont, daß das Mittel ganz sicher nicht wirkte. Der Doc hatte es immer als Quacksalbermedizin bezeichnet und wollte von der Anwendung nichts wissen. „Es ist besser, wenn Sie den Leuten mehr zu trinken geben", sagte der Kutscher. „Sie haben bei ihrer Krankheit viel Körperflüssigkeit ver loren. Sie müssen trinken, soviel sie können." „Das Trinkwasser ist knapp", mur melte der Feldscher. „Dann werden die anderen in ihrer großen Barmherzigkeit eben auf ei nen kleinen Schluck mehr verzichten müssen", sagte Hasard. „Es ist ja auch nicht für lange, nur für eine kurze Übergangszeit, bis die Leute sich wieder erholt haben. Ihr betont doch immer wieder, daß ihr alle Brü der und Schwestern seid. Und dann noch etwas mein lieber Freund", fügte der Seewolf hinzu und ergriff den Feldscher am Arm. „Hier unten duftet es wie in einem Saustall, ge linde gesagt. Ich habe Ihren Kapitän schon einmal gebeten, hier für mehr
Sauberkeit zu sorgen. Aber offenbar muß ich erst meinen Erzengel Car berry mit dem Flammenschwert schicken, damit hier ausgemistet wird. Ich wiederhole es daher nicht noch einmal. Hier wird gelüftet, und zwar ab sofort. Dann werden die Kranken an die frische Luft ge bracht, und während sie an Deck sind, wird hier unten alles ausgewa schen. Erst mit Seifenlauge und dann mit Essigwasser. Morgen mittag werde ich das persönlich kontrollie ren." „Aye, aye, Sir, wenn Sie meinen, Sir. Ich werde das Bruder Amos na helegen." „Unnötig", wehrte Hasard ab. „Ich werde es dem lieben Bruder Amos selbst in aller Deutlichkeit verklaren. Hier müssen wieder einwandfreie Zu stände herrschen. Ist das klar?" Der Feldscher nickte eingeschüch tert. Er schien großen Respekt vor dem Seewolf und seinem Begleiter zu haben. Sie sahen sich noch ein paar Leute an. Es gab keine schlimmen Fälle mehr. Der Kutscher hatte mit seiner langjährigen Erfahrung dafür ge sorgt, daß die Krankheit nicht mehr weiter um sich griff. Wieder an Deck, nahm sich Hasard den dicken Amos noch einmal persön lich vor. Sein Tonfall war nicht ge rade als sanft zu bezeichnen. Es fielen ein paar harte Worte, die Amos Too lan hart schlucken ließen. Aber er gab klein bei und sah es schließlich auch ein. Er nickte ihnen mehrmals zu, als sie die Schebecke bestiegen und wieder nach achtern segelten, um einen besseren Überblick über den Konvoi zu haben. „Ein harter und unbeugsamer Mann, auch ein bißchen unbequem", sagte Toolan. „Man fügt sich wohl
19 besser seinen Anweisungen. Hat er bauken hatten sie auch noch keine wirklich gesagt, daß er sonst seinen Probleme. Jedenfalls bis jetzt noch nicht. Erzengel schicken will?" Der Feldscher nickte beklommen. „Seinen Erzengel Carberry mit 4. dem Flammenschwert, so sagte er wortwörtlich. Damit hier ausgemistet Als die Schebecke zurücksegelte, wird." begannen die Kerle breit zu grinsen. „Wer immer das auch sein mag", Der Seewolf konnte aus seiner achter murmelte Toolan. „Der Mann ist für Überraschungen gut. Sorgen Sie also lichen Position nicht mehr sehen, was dafür, daß alles genauso befolgt wird, hier an Deck vorging. Die vollen Se wie er es befohlen hat. Ich möchte mit gel versperrten ihm die Sicht. „So, jetzt wollen wir mal", sagte diesem Seewolf keinen unnötigen Är Bruce Watts. „Du kannst dich um die ger haben." Das wollte der Feldscher auch Kombüse kümmern, Kelvin. Gordon nicht. Es war vielleicht besser, das und ich erledigen das, damit der gleich zu erledigen, als es wieder dem ehrenwerte Mister Wintrop endlich Herrn zu überlassen. Und so ging er sein Plätzchen kriegt." Wintrop wußte zwar um die Hinter unverzüglich an die Arbeit. hältigkeit dieser drei Halunken, die Schon eine halbe Stunde später an Bord den Terror ausübten, aber er wimmelte es auf der „Explorer" von war naiv genug zu glauben, ihm Menschen, die das Schiff buchstäb würde nichts geschehen, nachdem lich auf den Kopf stellten. der Kapitän die Auspeitschung abge „Ohne harte Worte geht nichts lehnt hatte. Er gab sich ziemlich ge mehr", sagte Hasard. „Da soll man lassen. noch seine gute Laune behalten. Je Gordon Tibbs holte ein weitmaschi der kleckert vor sich hin, aber nie ges Netz aus der Last und knotete es mand greift mal energisch etwas an. an verschiedenen Stellen zusammen, Die einzige Ausnahme ist bisher bis es einem durchlöcherten großen Drinkwater. Wenn die beiden ande Sack ähnelte. Als sie dabei immer ren Kapitäne auch so wären, gäbe es niederträchtiger grinsten, begann er überhaupt keine Probleme." etwas zu ahnen. Er schluckte hart. „Und das noch einen Monat lang „Muß ich jetzt hier stehen blei oder noch länger", sagte Ben Brigh ben?" fragte er zaghaft. ton seufzend. „Wenn wir wieder ei Die beiden Kerle wollten sich aus nen Siedler-Konvoi begleiten müs schütten vor Lachen. sen, dann werde ich eine mehrmona „Aber nicht doch", sagte Tibbs pru tige Pause einlegen und wieder auf stend. „Beim Nachdenken muß man der Themse fischen gehen." eine bequeme Stellung einnehmen. „Dann nimm aber einen großen Da liegt man." Kahn, falls du noch Leute brauchst. Er griff zu und packte Wintrop hart Ich bin mit dabei", meinte Hasard. am Arm. In seinen Augen war ein Er blickte durch das Spektiv ach boshaftes, sadistisches Funkeln. teraus. Dort tanzte dicht unter der „Hinein mit dir! Aber schnell!" Ein Kimm die Karavelle. Mit den Ra weiterer derber Griff begleitete seine
20 Worte. Watts gab ihm noch einen har ten Tritt. Sie zwängten Wintrop in das grob maschige Netz und stauchten ihn so zusammen, bis er verkrümmt darin lag. Mit einer Leine verschnürten sie das Ding zu einem großen Paket, aus dem es kein Entrinnen gab. Dann hievten sie ihn grinsend hoch und schleppten ihn nach vorn zum Bugspriet. „Ah, die See wird gerade richtig", ließ sich Watts vernehmen. „Da kann er sich ja prächtig mit dem heiligen Antonius unterhalten." Sankt Antonius hatten sie als Ga lionsfigur unter dem Bugspriet hän gen. Er galt als der Nothelfer bei Wind und Wetter und war schon reichlich demoliert und abgeblättert, denn kei nem der Kerle fiel es ein, die Galions figur mal auszubessern oder zu strei chen. Der Heilige konnte für sich selbst sorgen. Als Wintrop für etliche Augen blicke frei über der schäumenden Bugwelle hing, begann er in dem Netz wie ein Fisch zu zappeln. „Ihr könnt mich doch nicht über Bord werfen!" schrie er angstvoll. Seine Worte wurden von hohlem Brausen überlagert. Gischt donnerte am Bug hoch und spritzte aufs Vor deck. Eine brausende Woge raste her an und brandete kraftvoll gegen den Bug. Ein Schauer von kaltem Salz wasser überschüttete Wintrop. Er begann jetzt zu kreischen, als sie weitere Tampen befestigten und ver knoteten. Als er wieder zappelte, schlug Watts mit der Faust auf ihn ein. „Maul halten!" schrie er durch den Lärm des brodelnden Wassers. „Wenn du brüllst, lassen wir dich fal len, und dann säufst du ab!"
Voller Entsetzen sah Wintrop, wie sie die Leinen immer tiefer abfierten, bis er freischwebend über der Was seroberfläche hing, die sich in wilder Bewegung befand. Das Donnern und Brausen wurde zu einem unerträgli chen Geräusch. Noch schlimmer aber war es, als die Galeone an einer Woge hochkletterte und dann ins nächste Wellental schoß. Sie donnerte mit ei ner Höllenfahrt hinein. Wintrop sah nur das schäumende Salzwasser, und dann sah er für eine Weile gar nichts mehr, denn die Galeone nahm ihn mit auf Tiefe. Er erstickte fast, obwohl er krampf haft die Luft anhielt. Das Wasser brannte in seinen Augen, durchnäßte ihn innerhalb weniger Augenblicke bis auf die Haut und drang in sei nen Mund. Als er in Todesangst schluckte, hatte er den Hals voll Was ser. Dann troff der Gischt von ihm ab, und das grausame Spiel wiederholte sich. Er sah nicht die höhnischen Gesich ter und spürte nicht, daß sie die Tam pen durchholten und belegten. Er kämpfte von jetzt nur noch gegen die See, die ihm viel wilder und bösarti ger erschien als an Deck. Jeder Brecher wurde zu einem Mar tyrium ohnegleichen. Schon nach kurzer Zeit fühlte er seinen Körper steif, kalt und starr werden. Auf und nieder ging es im gnadenlosen Rhyth mus der Wellen, die pausenlos gegen die Galeone anrannten. Dem heiligen Antonius machte das nichts aus, der war an rauhe See und hohe Wellen ge wöhnt, aber mit dem konnte er sich nicht vergleichen. Anfangs schrie und brüllte er noch. Dann merkte er, daß er dadurch nur Kraft vergeudete und das Seewasser ihm bei jedem Brüllen noch mehr in den Hals drang.
21 Die Kerle schauten ihm mindestens eine halbe Stunde lang zu und lach ten sich krank, wenn er krampfhaft und voller Angst die Augen schloß und die Luft anhielt. Dann hatten sie ihren Spaß an der Sache verloren und kehrten auf die Kuhl zurück. Jetzt war er ganz allein mit dem fürchterlichen Element. Er wußte nicht, wie lange sie ihn dieser furchtbaren Marter aussetzen würden. Vielleicht ein oder zwei Stunden, vielleicht aber noch länger. Da wären ihm ein Dutzend Peitschen hiebe lieber gewesen. Die Stöße, mit denen die Wellen ihn trafen, wurden immer härter und ge waltiger. Nach kurzer Zeit brannte sein Körper wie Feuer. Die groben Maschen des Netzes rissen seine Haut auf, das Hemd scheuerte bei jeder kleinen Bewegung, und es wurde im mer schlimmer. Schon nach zwei Stunden war er nur noch ein Wrack. Er verfluchte den Tag, als er an Bord gegangen war, und er bereute zutiefst seine un überlegten Worte. Er brüllte laut, als die See noch rup piger wurde, doch sein Schreien ver hallte ungehört. Niemand kümmerte sich um ihn. Auch von den Siedlern ließ sich keiner in seiner Nähe blik ken. Sie hatten Angst vor den drei Kerlen und dem Kapitän, die hier den Ton angaben, und keiner wollte das gleiche Schicksal erleiden wie er. Es vergingen Ewigkeiten, als er, halb bewußtlos, die Gesichter der bei den Halunken erkannte. Er nahm sich vor, Abbitte zu leisten und zu Kreuze zu kriechen und war den Ker len fast noch dankbar, daß sie ihn endlich aus seinem Martyrium befrei ten. Doch die prüften nur die Tampen, die das Netz hielten und kümmerten
sich nicht weiter um ihn. Sie zurrten sie ein bißchen fester, grinsten ihn an und verschwanden wieder. Etwas später hatten Bruce Watts, Gordon Tibbs und Kelvin Bascott eine Unterredung mit dem Kapitän, die in der achteren Kammer statt fand. Sie waren sich längst einig, es wur den nur noch ein paar Einzelheiten besprochen. Von diesem Zeitpunkt an änderte sich einiges auf der „Discoverer".
Am späten Nachmittag lungerte Jimmy Wister in der Nähe der Kom büse herum, in der falschen Hoff nung, daß ihm der fiese Koch mal ei nen Brocken zuwarf. Auf dem Herd dampfte es wieder, doch es roch ab scheulich. Außerdem bemerkte Jimmy, daß statt der üblichen sechs Kessel diesmal nur drei auf dem Herd standen, in denen der Bucklige ziemlich lustlos herumrührte. Bascott trat aus der Kombüse an Deck und wischte sich mit der Hand über die spiegelblanke Glatze. Übel gelaunt gab er einer Kiste, die dem Schiffszimmermann gehörte, einen Tritt. Die Kiste fiel um. Nägel, Werk zeug und andere Utensilien verstreu ten sich über die Planken. Der Koch trat das Zeug ärgerlich beiseite und fluchte auf den Zimmermann, der ge rade nach achtern gegangen war. Als der Zimmermann zurück kehrte, stritten sich die beiden laut stark herum. Danach verschwand der Koch wieder in der Kombüse. Jimmy half dem Zimmermann beim Einsammeln. Der Mann war we der freundlich noch bösartig. Er war ein gleichgültiger Mensch, der seine
22 Arbeit verrichtete und sich sonst um nichts kümmerte. Er nickte Jimmy zu, als das Zeug eingesammelt war. Der Junge hielt zwei blinkende kleine Messingstücke in der Hand, die hell funkelten. „Die kannst du behalten", sagte der Zimmermann. „Ich brauche sie nicht mehr. „Vielen Dank, Sir", Jimmy schob die blinkenden Dinger in die Hosen tasche und sah furchtsam zu dem Koch, der wieder an Deck erschien. Der Kerl spie über Bord und blickte finster drein. „Guten Tag, Sir", sagte Jimmy. „Brauchen Sie vielleicht noch einen Helfer, Sir? Ich frage nur, weil ich ja doch nichts zu tun habe, und da dachte i c h . . . " Er hatte allen Mut zusammenge nommen, doch als er jetzt in die bern steinfarbenen Augen des Glatzkopfes sah, wich er unwillkürlich einen Schritt zurück. In den Augen glomm ein tückisches Licht. Der Kerl mu sterte ihn mit finster zusammengezo genen Augenbrauen von oben bis un ten. „Helfen, was?" sagte er. „Das könnte dir so passen, du mieser klei ner Bastard. Du willst doch nur was zu essen klauen, genau wie die ande ren kleinen Ratten auch. Du und ein paar andere, ihr lungert von morgens bis abends vor der Kombüse herum. Aber du kannst mir tatsächlich hel fen, du Köter."' Jimmy hatte die irrsinnige Hoff nung, sich mit dem Kerl vielleicht doch noch anzufreunden, auch wenn der ihn alles mögliche nannte. Er würde ihm gern helfen, denn dann fiel ganz sicher etwas dabei für ihn ab, möglicherweise ein Stückchen Brot. „Was soll ich tun, Sir?" fragte Jimmy eifrig.
„Du kennst doch den kleinen dicken Jungen, der auch immer hier herum lungert?" fragte der Koch verschwö rerisch. „Ja, Sir, das ist Frank. Ich kenne ihn gut." „Na fein. Den lockst du nachher in die Kombüse, aber ganz unauffällig. Ich habe schon das Messer gewetzt. Wenn er unten ist, steche ich ihn ab und zieh ihm die Haut von seinem dik ken Wanst. Dann koche ich ihn in dem großen Kessel, und wir beide fressen ihn auf. Der Dicke schmeckt be stimmt ganz saftig." Jimmy hörte mit steigendem Ent setzen und immer größer werdender Angst zu. Ihm wurde fast schlecht, als er den Koch ansah. Der grinste jetzt so boshaft wie der Satan persönlich, und seine schmut ziggelben Augen funkelten noch mehr. Er griff in den Gürtel und zog ein langes dünnes Messer hervor, das er Jimmy zeigte. „Hier, mit dem Messer. Es ist ganz scharf. Willst du den Dicken lieber ge braten oder gekocht?" Den Jungen würgte es, als er sich das vorstellte. Er drehte sich um und rannte in panischer Angst nach vorn. Sein Herz klopfte laut in seiner Brust, denn er glaubte tatsächlich das, was der Koch gesagt hatte. Der sah ganz so aus, als würde er Menschen töten. Aus dem Logis drang Geschrei. Harte Worte fielen, als Jimmy dort ankam. Er sah den Bootsmann und den Decksältesten und ein paar an dere Kerle, die zur Mannschaft gehör ten. Sein Vater redete gerade auf den Bootsmann ein. „... doch nicht tun, uns das Trink wasser wegnehmen", sagte er erregt. Bruce Watts schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
23 „Beschwere dich beim Kapitän, Mi ster, aber mecker mir nicht die Ohren voll. Das Trinkwasserfaß wird an Deck gebracht und damit basta. Wenn ihr Durst habt, dann geht ihr an Deck. Dort fragt ihr erst den Po sten, ob ihr trinken dürft. Es ist ab heute rationiert. Jeder erhält nur noch die Hälfte." „Aber warum denn? Wir haben doch in London genug Trinkwasser für alle mitgenommen. Es müßte noch lange reichen." „Eben deshalb", sagte Watts höh nisch. „Damit es lange reicht, wird es auch rationiert. Ihr sauft ohnehin zu viel." „Das ist, weil wir Hunger haben. Da wird mehr getrunken." „Ich will nichts mehr hören!" brüllte der Schläger. „Wer noch ein mal das Maul aufreißt, kriegt ein paar Tage lang gar nichts zu saufen. Bringt das Faß jetzt an Deck." „Oder er kriegt gleich was aufs Maul", drohte Gordon Tibbs. Vier Kerle lösten das Faß aus der Halterung. Es war noch etwa zu ei nem Drittel gefüllt. Fluchend schleppten sie es an Deck. Unter dem Protest der Siedler wurde es am Fockmast festgezurrt. Ein Kerl mit einer umgegürteten Pistole bezog da vor Posten. Er nahm auch die höl zerne Kelle in Verwahrung. „Morgens, mittags und abends eine Kelle Wasser", verkündete der Boots mann hämisch. „Mehr gibt es nicht." Murren wurde laut, das sich unter den Siedlern fortsetzte. Einer der Siedler nahm allen Mut zusammen und beschwerte sich beim Kapitän. Granville winkte jedoch gelangweilt ab, als der Mann sich empörte. „Die Anordnungen meiner Leute werden befolgt. Ihr braucht euch nicht bei mir zu beschweren. Wir han
deln im Interesse aller. Wer noch wei ter aufmuckt, den lasse ich bestra fen." Die Leute kuschten, als die harte Stimme erklang. Das Murren setzte sich noch eine Weile fort, ehe es erstarb. „Ist das nötig, Sir?" fragte der Erste Offizier Harris auf dem Achter deck. „Soviel mir bekannt ist, wird auf den anderen Schiffen das Wasser nicht rationiert, auch das Essen nicht. Es ist lediglich eine Frage der Eintei lung." „Genau das ist es, mein Lieber", sagte Granville. „Eine Frage der Ein teilung. Ich teile das so ein, daß wir mit Proviant und Wasser haushalten und noch eine Reserve für alle Fälle übrig haben. Uns können noch schlechte Zeiten bevorstehen." „Die Leute leiden Hunger und Durst, Sir." „Bisher ist noch keiner verhungert oder verdurstet, Mister Harris. Im üb rigen möchte ich Sie darauf hinwei sen, daß ich das Kommando habe. Sie kümmern sich gefälligst um Ihre Auf gaben, die die Navigation betreffen, und den Rest erledige ich. Ich bin nicht gewillt, mir Ihre Meckereien und Bevormundungen noch länger anzuhören." Der Erste war ein unbequemer Of fizier, jedenfalls für Granville. Sie hatten Harris schon einmal bei Nacht über Bord gehen lassen, doch ein glücklicher Zufall und ein scharfes Augenpaar hatten ihn vorm Ertrin ken bewahrt. Die Arwenacks hatten ihn aus dem Wasser gefischt und ge rettet. „Ich weiß, wer hier das Sagen an Bord hat, Sir", entgegnete er mit ei nem spöttischen Unterton in der Stimme. „Das sind außer Ihnen die drei Helden Bascott, Watts und
24 Tibbs. Das fiel mir schon bei der Ab fahrt aus London auf. Die drei schika nieren die Siedler." „Halten Sie den Mund!" zischte Granville wütend. „Das sind aufrüh rerische Reden, die Sie da halten, Mi ster Harris. Sie könnten sich dabei um Kopf und Kragen reden." „Sie mögen hier das Kommando haben, Sir, aber der Kommandant dieses Verbandes ist immer noch Ka pitän Killigrew. Ich will Sie davor be wahren, sich weiteren Ärger einzu handeln. Mit Sir Hasard ist nicht zu spaßen." „Ach! Sie wollen mich wohl bei ihm anschwärzen, was? Sie sind ja ein fei nes Früchtchen." „Die Absicht habe ich nicht. Ich will nur, daß alles gerecht zugeht und jeder das erhält, was ihm zusteht. Schließlich haben die Leute eine hohe Passage bezahlt und ein Recht darauf..." „Noch ein Wort, und Sie landen in der Piek!" brüllte Granville. „Ich habe die Nase voll von Ihnen. Meinet wegen können Sie bei diesem Killi grew anheuern. Ihre Bewunderung für den Mann scheint ja grenzenlos zu sein." „Ich bewundere seinen Gerechtig keitssinn, seine Aufrichtigkeit und nicht zuletzt die harte Konsequenz, mit der er durchgreift, wenn es erfor derlich ist." In Granvilles Gesicht arbeitete es. Sein Blick wurde noch finsterer. „Passen Sie auf, was Sie sagen", zischte er drohend. „Sie könnten etli chen Leuten sehr unbequem wer den." „Dann werde ich demnächst wohl wieder ein Bad im Atlantik nehmen", höhnte der Erste. „Bei Nacht und Ne bel, wie es schon einmal der Fall war."
„Sie könnten auch mit des Seilers hänfener Tochter Hochzeit halten", sagte Granville mit einem brutalen Grinsen. „Was Sie mir unterstellen, ist einfach lächerlich. Weiß der Sa tan, wie Sie über Bord gegangen sind." „Jedenfalls nicht ohne tatkräftige Hilfe, Sir." „Sie werden Ihre verdammte Auf sässigkeit noch bereuen, das ver spreche ich Ihnen", sagte Granville voller verhaltener Wut. „Irgendwann einmal rechnen wir ab." Der Erste grinste dünn. Er wußte, daß er sich vorsehen mußte, denn Granville und seinen drei willigen Kumpanen war alles zuzutrauen. Sie hatten es ja bereits einmal bewiesen. Gedankenverloren sah er zu, wie Granville davonging, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Breit und wuchtig marschierte der Kapitän mit finsteren Blicken zur Kuhl, denn da tat sich wieder einmal etwas, und es sah nach Streit aus. 5. Die Siedler standen wieder Schlange wie immer, wenn das Essen ausgeteilt wurde. Diesmal erlebten sie eine herbe Enttäuschung, als die undefinierbare und übelriechende Suppe ausge schenkt wurde. Die Kelle, aus der das Zeug verteilt wurde, war merklich kleiner gewor den. Genau betrachtet, war sie nur noch halb so groß. Daher wurden auch die hölzernen Kummen nur halb gefüllt. Barry Wister blickte erstaunt auf den Brei, der auf die Hälfte ge schrumpft war. „Ist das alles?" fragte er erstaunt.
25 Der Kerl mit dem Buckel, ein Hel fer von Bascott, grinste dünn. „Seh'n Sie doch, Mister. Klar ist das alles. Die Rationen müssen ge streckt werden." „Das ist eine Unverschämtheit", be gehrte Wister auf. „Erst wird das Wasser gekürzt und jetzt das Essen. Von was sollen eigentlich die ewig hungrigen Kinder satt werden?" „Von dem, was es gibt", sagte der Bucklige. Ein paar Frauen schimpften auf den Koch, etliche Männer murrten, doch die meisten schluckten ihren Zorn hinunter, denn da waren wieder die Kerle, die nur auf ein Wort lauer ten. Und da war auch der Kapitän selbst, der das Achterdeck verlassen hatte und sich jetzt unter die Leute mischte. Der einzige, der laut aufmuckte, war Georg Deever, ein ehemaliger Lehrer von schmächtiger Gestalt und mit wehmütigen Augen. Er hielt seine Kumme in der Hand und starrte den Koch mißmutig an. „Das müssen wir uns nicht gefallen lassen", sagte er so laut, daß alle es hören konnten. „Wir haben ein Recht auf Verpflegung, und zwar auf volle Rationen, die wir schließlich auch zu einem horrenden Preis bezahlt ha ben. Das Gesetz schreibt Mindestra tionen vor, aber diese Rationen liegen noch weit unter den vorgeschriebe nen. Es reicht gerade aus, um nicht zu verhungern, aber nicht, um davon le ben und gedeihen zu können." Granville, der jedes Wort gehört hatte, tippte dem schmächtigen Mann auf die Schulter. „Sieh an, ein ganz Schlauer", höhnte er. „Was schreibt denn das Gesetz genau vor?" Der Schmächtige ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er kniff die Augen
zusammen und musterte Granville verächtlich. „Das kann ich Ihnen genau sagen, Sir: Wöchentlich stehen jedem Passa gier zweieinviertel Pfund Schiffs zwieback, ein Pfund Weizenmehl, vier Pfund Hafermehl, ein halbes Pfund Zucker und ein halbes Pfund Zuckersirup zu. Dazu sind noch wei tere Leistungen fällig." „Sieh mal an", sagte Granville hä misch. „Von Fleisch und Gemüse steht also nichts in diesem Gesetz?" „Nein, Sir", sagte Deever etwas kleinlauter. „Und trotzdem haben Sie zu Be ginn der Reise Fleisch und Gemüse erhalten, oder wollen Sie das abstrei ten?" „Das stimmt, Sir." Der Schmäch tige sackte etwas in sich zusammen. „Sie haben also Sachen erhalten, die Ihnen laut Ihrem obskuren Gesetz gar nicht zustehen. Damit habe ich wohl das Gesetz übertreten, was? Antworten Sie, verdammt noch mal!" „Ich habe mich nur über die kleinen Portionen beschwert. Ich glaube nicht, daß sie so streng rationiert wer den müssen." „Sie hetzen die Leute auf, Sie arm seliges Würstchen. Was Sie glauben oder nicht, ist mir egal. Sie wissen überhaupt nichts, und auch Ihr ver dammtes Gesetz ist noch gar nicht er lassen worden. Ich sollte Sie in Eisen legen lassen, Mister, oder Ihnen zu mindest ein paar Hiebe verabreichen. Vielleicht werden Sie dann einsichti ger. Aber ich begnüge mich damit, Sie für heute und morgen von den Ra tionen auszuschließen. Das gilt auch für das Trinkwasser. Dann werden Sie endlich begreifen, was Hunger und Durst sind. Kein Essen heute und morgen für diesen Mann, ebenso kein Wasser!" rief er wütend, ehe er sich
26 umdrehte und wieder auf das Achter deck zurückkehrte. Georg Deever wurde bleich. Er schluckte hart. Aber auch die Wut stieg in ihm hoch. „Ich werde mich bei Kapitän Killi grew beschweren!" rief er Granville laut nach. Granville blieb am Niedergang ste hen und drehte sich langsam um. In seinen Augen lag ein gefährliches Funkeln. Dann verzog er die Lippen zu einem hämischen Grinsen, das nichts Gutes verhieß. „Halten Sie den Mund", raunte Wi ster. „Der Kerl wartet doch nur auf ein falsches Wort. Er wird Sie aus peitschen lassen." Seltsamerweise schien Granville ihm das jedoch nicht zu verübeln. Er lächelte nur dünn. „Das steht Ihnen natürlich frei, Mi ster", sagte er mit einer kleinen spöt tischen Verbeugung. Dann traf den glatzköpfigen Koch Bascott noch ein flüchtiger Blick. Der Kerl begann daraufhin, über die ganze feiste Vi sage zu grinsen. Seit dem Tag wurde Georg Deever nicht mehr gesehen. Er war einfach verschwunden und schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Auch alle Nachforschungen verliefen ergebnis los. Die offizielle Version besagte le diglich, er müsse wohl nachts unbe merkt über Bord gefallen und ertrun ken sein. Nur Granville und Bascott wußten es besser.
Am anderen Morgen wurde Win trop aus seiner mißlichen Lage be freit. Sie mußten ihn tragen, er konnte keinen Schritt mehr gehen. Sein Gesicht war aufgequollen, die Haut sah wie die einer Wasserleiche
aus, und seine Augen waren dickver quollen und knallrot. Es schien nicht mehr viel Leben in ihm zu sein. Bei derartigen Vorfällen hielten es die Pilger immer für ratsam, nach un ten zu gehen, denn es kam leicht zu Konflikten, die blitzschnell ausarten konnten. Damit wollten sie jedoch nichts zu tun haben. Man geriet selbst zu schnell in eine mißliche Lage, und mit den Kerlen der Besatzung war ohnehin nicht zu spaßen. Lieber ver schlossen sie in einem solchen Fall Augen und Ohren. Granville betrachtete das nasse und triefende Häufchen Elend, das kaum noch Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte. Sie hatten Wintrop auf die Gräting an Deck gelegt. Dort lag er und atmete mühsam und unter Qualen. „Nun - hat er seine Ansicht geän dert?" fragte Granville. „Ich hoffe doch, die See hat ihm die Flausen aus dem Schädel gewaschen. Wenn das nicht der Fall ist, müssen wir ihn eben noch ein bißchen tunken." Wintrop hörte verzerrte Stimmen, aber er sah kaum etwas. Er spürte un deutlich, daß ihm eine Hand ins Ge nick klatschte und sein Kopf von ei ner Seite zur anderen flog. „Antworte gefälligst, Mister!" herrschte ihn der Kapitän an. Er versuchte, die Augen zu öffnen. Es ging nicht. Er versuchte zu spre chen, doch es wurde nur ein heiseres Krächzen. Das Salzwasser hatte seine Kehle verbrannt, er war nur noch ein Bündel rohen Fleisches. Wieder fuhr ihm die Hand schmerzhaft ins Gesicht. Explo sionsartig breitete sich der Schmerz in seinem Körper aus. „Du sollst antworten, du Bastard!" Es dauerte endlos lange, bis er ein paar undeutliche Worte hervorwür
27 gen konnte. Dennoch war seine Stimme kaum zu hören. „Ich - ich nehme alles zurück, Sir." „Dann ist also alles erstunken und erlogen, was du behauptet hast?" „Ja, Sir, ich bitte um Vergebung." „So schnell kann man einen schlechten Ruf kriegen", meinte Granville. „Da taucht so ein erbärmli cher Bastard auf und behauptet, ich schaffte Vorräte beiseite. Weiter be hauptet dieser Bastard, ich betröge die Leute und belästige die Frauen. Und alles hat er sich ausgedacht, um meine Autorität zu untergraben und meinen Ruf zu schädigen." Er schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, holte aus und schlug Wintrop noch einmal die Hand ins Gesicht. Anschließend riß er ihn hoch. „Morgen wirst du diese Anschuldi gungen öffentlich zurücknehmen, wenn alle Pilger an Deck sind", sagte er hart. „Ich erwarte eine reumütige Selbstbezichtigung. Du wirst ihnen erklären, daß du ein notorischer Lüg ner und Nörgler seist, ein Kerl, der immer herumstänkere. Das wirst du doch tun, oder nicht?" Der geschundene und gedemütigte Mann öffnete die salzverkrusteten Lippen, die an den Mundwinkeln ein gerissen waren und bluteten. „Ich werde alles tun, was Sie sagen, Sir", stammelte er mühsam. „Das ist gut, das ist sehr gut", lobte Granville, „denn beim nächsten Mal wirst du nicht gemütlich in einem Netz hängen, sondern an einer langen Leine hinter dem Schiff herschwim men. Das ist noch viel schlimmer. Bringt diese miese Figur jetzt nach unten", befahl er. „Aber ohne viel Aufhebens." „Er scheint ein neuer Mensch ge worden zu sein", sagte Watts höh nisch. „Was ein bißchen Wasser doch
alles bewirkt. Nur Mister Harris scheint das nicht zu gefallen, Sir." „Das interessiert mich einen Dreck." Harris Gesicht war ganz kantig, seine Augen schmal, und um seinen Mund hatte sich ein herber Zug einge graben. „Es ist eine Schande", sagte er klar und deutlich, „so mit einem Men schen umzuspringen. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen sehr feinkörnig." „Wenn Sie salbadern wollen, Mi ster Harris, dann sollten Sie zu Amos Toolan an Bord gehen!" rief Gran ville. „Da können Sie Ihre Litanei von morgens bis abends herunterbeten." Watts und Tibbs schleppten Win trop nach vorn. Der Mann sah zum Erbarmen aus. Seine Füße schleiften über die Planken, sein Kopf pendelte haltlos von einer Seite zur anderen. Der Koch, der nur schmierigen Fraß kochte, sah ihnen grinsend nach. Im Quartier, wo man die Luft mit einem Messer schneiden konnte, war fen sie Wintrop in eine leere Bunk und kümmerten sich nicht weiter um ihn. Dann gingen sie wieder an Deck. Die anderen Pilger warteten, bis die beiden brutalen Schläger oben waren, erst dann traten sie furchtsam und zögernd näher. Ann Wister strich dem wimmern den Bündel über das nasse Haar. „Es ist furchtbar, wie sie mit den Menschen umspringen", sagte sie leise. „Sie haben keinen Respekt vor dem Leben. Ein Mensch wird von ih nen noch schlimmer behandelt als ein Stück Vieh." „Halten Sie sich da lieber raus, Mis sis Wister", riet ein hochgewachsener Mann namens Alan Prox. Er hatte eingefallene Wangen und durchdrin gend blickende Augen. Die anderen
28 wußten, daß er abends einige Zeit beim Kapitän verbrachte, um dort zu spielen und zu würfeln. Er und sein Freund Timothy Johnson waren be güterter als die anderen und genos sen eine Art Vorzugsbehandlung. Es hieß auch, daß der Koch ihnen besse res Essen zukommen ließ - gegen ent sprechende Bezahlung natürlich. Keiner schenkte ihm Beachtung. Sie mochten die beiden Männer nicht sonderlich, die sich auf diese Art Vor teile verschafften. Ann Wister tupfte mit einem Lap pen das entsetzlich entstellte Gesicht vorsichtig ab. Wintrop wimmerte leise bei jeder Berührung. Sein Leib war durch das Salzwasser auf fast doppelte Größe angeschwollen. Auch seine Hände und Füße waren unna türlich dick. Viel konnten sie jedoch für ihn nicht tun. Sie hatten keine Salbe, kein Verbandszeug und nicht einmal Öl, um seine Schmerzen zu lindern. Ih nen blieb nur die hilflose Fürsorge, die sich darauf beschränkte, ihm gut zuzureden und sein Gesicht abzutup fen. Sie zogen ihn aus und packten ihn in die löcherigen Decken, damit er nicht fror. Etwas später kriegte er Fieber, und sie riefen nach dem Feldscher. Der ließ durch einen anderen Kerl erklä ren, das alles sei nicht weiter schlimm und ganz natürlich. Er sah sich den Mann nicht einmal an. Danach begann Wintrop zu phanta sieren und klagte, daß er ein schlech ter Mensch sei, der den ehrenwerten Kapitän beleidigt habe. Aber nie mand nahm seine Worte ernst. Die Leute wußten es schließlich besser. Sie konnten ihm jedoch eine Kelle Wasser besorgen, ihm ein paar Trop fen einflößen und sein aufgedunsenes
Gesicht säubern. Das war das einzige Zugeständnis. Am anderen Morgen zeigte Jimmy seinem Vater die beiden blinkenden Messingstücke, die er vom Zimmer mann erhalten hatte. Jimmys Augen leuchteten dabei begehrlich. „Damit kannst du nicht viel anfan gen, mein Junge", sagte Barry Wister. „Doch, Dad, ich habe eine Idee. Wir werden nicht mehr soviel Hunger ha ben. Ich habe nämlich auch Kabel garn, und damit werde ich versuchen, Fische zu fangen." Barry Wister sah seinen Sohn un gläubig an. „Fische fangen?" fragte er und leckte sich unbewußt über die Lip pen. Der Geruch von gebackenem oder gebratenem Fisch drang sekun denlang in seine Nase und ließ ihn hart schlucken. Aber so schnell der Duft gekommen war, so schnell war er auch wieder vorbei. „Wie willst du damit Fische fangen, Jimmy? Dazu brauchst man Köder und Haken, aber das sind alles Dinge, die wir nicht ha ben." „Es geht auch anders, Dad. Ich habe schon in der Themse Fische gebun kert, und meist haben sie auch ange bissen. Die Fische sehen etwas auf blitzen, und weil sie hungrig und neu gierig sind, schnappen sie zu und hän gen fest. Man muß nur einen kleinen Haken an den Blinkern befestigen, wie ich es schon getan habe." Der Zimmermann lächelte nach sichtig. Er wollte seinem Sohn die Freude nicht nehmen. Jimmy hatte zwar in London schon Fische mitge bracht, von denen er behauptete, sie nur mit blinkendem Metall gefangen zu haben, doch so recht wollte Wister nicht daran glauben. Es hörte sich recht unwahrscheinlich an. Er legte seinem Sohn die Hand auf
29 die Schulter und sah in den Augen des Jungen Hunger. Ja, Hunger hat ten sie alle, ganz besonders die Kin der, die noch wachsen mußten. Für die war es am schlimmsten. „Ich weiß, daß ich welche fangen werde, Dad. Ich kann es ja einmal versuchen. Oder ist das verboten?" „Nein, Jimmy, es ist natürlich nicht verboten. Das Meer gehört allen. Kei ner hat einen alleinigen Anspruch darauf." „Dann kann ich es also versuchen?" „Versuche es nur", sagte Wister und lächelte milde. „Ich wünsche dir, daß du recht viele Fische fängst. Aber sei vorsichtig dabei." Jimmy ging mit Feuereifer an die Arbeit. Er befestigte das Kabelgarn an dem zurechtgebogenen Blinkerha ken, verknotete es und überprüfte al les sehr sorgfältig. Sorgfältiges Ar beiten war er von seinem Vater ge wohnt. Niemand schenkte ihm Beachtung, als er weiter nach vorn ging. Seine Wangen glühten vor Eifer, als er in das Meer blickte, das ihnen mit gleichmäßiger Dünung entgegen rollte. Fische waren zwar keine zu sehen, aber Jimmy wußte, daß sie in der Tiefe unter ihm auf Beute lauerten. In der Themse sah man sie manch mal, aber da war das Wasser auch flach und nicht so unglaublich tief wie hier. Bevor er die Angelschnur ins Was ser abfierte, vergewisserte er sich noch einmal sehr sorgfältig, ob alles auch gut verknotet war, damit der Blinker nicht abgerissen wurde. Alles saß fest, als er probehalber ein paar mal daran zog. Im Geist sah er die Fische schon vor sich, wie sie aus der Tiefe empor schnellten und nach dem blinkenden
Köder schnappten. Es waren un glaublich schwere Burschen darun ter. Hier waren sie sicher größer und schwerer als in der Themse. Jimmy, dem vor Hunger wieder mal der Magen knurrte, sah ein reich haltiges Fischgericht vor sich, und weil er es kaum noch aushielt, fierte er die Schnur schnell ins Wasser ab. Vorsichtshalber belegte er den Rest der Angelschnur an einer Klampe, denn wenn ein kräftiger Bursche an biß, gab es sicher einen harten Ruck. Dabei mußte er auch noch bedenken, daß das Wasser nicht ruhig war und die Galeone bei diesem Wind gute Fahrt lief. Langsam verschwand die Schnur mit dem Blinker im Wasser. Er blitzte ein paarmal auf, dann sah Jimmy den Blinker unter Wasser nur noch als einen kleinen entfernten Schimmer. Er lehnte sich an das Schanzkleid und wartete. Dabei blickte er ange strengt ins Wasser. Eine Minute nach der anderen ver ging, aber kein Fisch war zu sehen, der dem blinkenden Gebilde nach schwamm oder nach ihm schnappte. Nach einer Viertelstunde war er ein wenig enttäuscht und sein im Geist vorgestellter Riesenfisch wurde merklich kleiner. Aber beim Angeln mußte man Geduld haben, das wußte er auch. Es war nur so, daß sein Ma gen bei der Vorstellung immer lauter knurrte. Vielleicht biß ja wenigstens ein etwas kleinerer Fisch an. Als nochmals fast eine Viertel stunde vergangen war, holte er den Blinker wieder herauf, überprüfte ihn und warf ihn dann schwungvoll ins Wasser zurück. Erneut wartete er fast fiebernd auf Fische. In seinem Eifer merkte er nicht, daß er unauffällig von zwei Kerlen
30 beobachtet wurde, denen auf dem Schiff nichts entging. Bruce Watts und Gordon Tibbs lehnten faul auf der Backbordseite am Schanzkleid. Sie sahen zu, wie der feiste Koch Drahtstücke zurechtbog und an Holzstücken herumschnip pelte. In der Nähe der Kombüse sah es wieder mal wie auf einem Misthau fen aus. Kam ihm einer der Siedler oder eins der Kinder zu nahe, dann ver scheuchte er sie mit groben Worten und drohte damit, sie abzustechen, wobei er jedes Mal drohend das Mes ser hob. Etliche Heranwachsende wa ren von dem finsteren Kerl schon ge flohen. „Was heckt der Glatzkopf denn wieder aus?" fragte der Bootsmann den Decksältesten. „Wird wohl irgend so'n blödes Spiel sein", meint Tibbs achselzuk kend. „Man sollte von vornherein ver bieten, daß Kinder auf einem Schiff herumtollen, brüllen und kreischen oder Verstecken spielen. Ich habe dem dicken Bengel vorhin mal kräf tig in den Hintern getreten, als er über die Decks raste wie ein wildge wordener Affe. Beim nächsten Mal sperre ich ihn ein paar Stunden in der Piek ein." Watts beugte sich über das Schanz kleid und entdeckte die Schnur, die dicht neben der Bordwand im Wasser hing. Der Junge saß weiter vorn auf einem Poller und blickte voraus ins Wasser. Er schien vor sich hinzudö sen. Die beiden grinsten sich an. Watts legte den Zeigefinger auf die Lippen seiner Holzhackervisage, wandte sich um und schnappte sich vom Koch eine Schnur mit einem Haken. Vor sichtig ließ er sie langsam und unauf fällig über Bord, bis sich der Haken
unter die Schnur schob. Dann holte er den Haken ganz langsam ein. Der Junge merkte nichts. Während Watts den Jungen im Blickfeld behielt, zog Tibbs sein Mes ser aus dem Gürtel. Watts hatte in zwischen den Blinker an Bord geholt und betrachtete ihn verwundert. Es War ein gebogenes Stück Messing mit einem Widerhaken daran. Tibbs schnitt den Blinker ab und ließ die Schnur aus Kabelgarn wieder ins Wasser gleiten. Der Blinker ver schwand in seiner Handfläche. Dann lehnten sich beide zurück und grin sten über den „Streich", den sie dem Jungen gespielt hatten. Auch der Koch grinste mit, als er sah, was die beiden getan hatten. Der Junge reckte nach einer Weile die schmalen Schultern und drehte sich um. Die beiden Kerle sah er nicht, die hatten sich ein wenig zu rückgezogen, konnten ihn aber genau beobachten. In dem schmalen Gesicht malte sich Enttäuschung. Jimmy schluckte und blickte auf die Schnur, die jetzt auf dem Wasser tanzte. Mit schnellen Griffen holte er sie ein und betrach tete das Ende. Der Blinker war verschwunden, wie er enttäuscht feststellte. Offen bar hatte ihn ein großer Fisch ver schluckt und das Kabelgarn einfach durchgebissen. Daß jemand so nie derträchtig war und ihm den Blinker abgeschnitten hatte, konnte Jimmy sich nicht vorstellen. Er vermutete so was nicht einmal. „Er greint", sagte Tibbs feixend. „Sieh mal, er greint tatsächlich, nur weil das Mistding nicht mehr an der Schnur ist. Nicht zu fassen, daß der Rotzbengel deswegen das Maul ver zieht." „Damit ist sein Spiel beendet",
31 sagte Watts und lachte leise. „So was bringt richtig Spaß. Jetzt überlegt der Bastard natürlich, was da vorge fallen ist. Vielleicht glaubt er, ein Wassermann habe das blinkende Ding gefressen." Die beiden hockten sich zum Koch und wollten sich ausschütten vor La chen. Bascott fand das natürlich ebenfalls sehr spaßig und lachte kräf tig mit, zumal der Junge völlig ratlos schien. Damit war der Vorfall für sie ver gessen. Jetzt interessierte es sie, was der Koch tat, denn der gab sich mit seinem Tun und seiner merkwürdi gen Schnippelei sehr geheimnisvoll. 6. Für Jimmy brach zwar keine Welt zusammen, denn er hatte zum Glück noch einen zweiten Blinker. Aber tief enttäuscht war er doch, weil er ganz andere Vorstellungen vom Fischfang hatte. Er hatte sich darauf gefreut, seine Eltern mit einem oder mehre ren Fischen zu beglücken. Das hätte den nagenden Hunger ein wenig ge mildert. Jetzt betrachtete er die Angel schnur. Der Knoten hatte gehalten, das stand fest. Das Kabelgarn war von einem scharfen Gebiß sauber durchtrennt worden, oberhalb der beiden Knoten. Es schien ein sehr großer Fisch gewesen zu sein. Viel leicht hätte er für ein paar Tage ge reicht. Jimmy gab aber nicht auf und wie derholte seinen Versuch. Diesmal band er das Kabelgarn noch fester und sorgfältiger an den Blinker, und er nahm sich vor, nicht wieder einzu dösen, sondern die Angelschnur in der Hand zu behalten. Einen Teil da
von band er allerdings wieder am Poller fest und beobachtete das Was ser, als er sie über Bord warf. Wenn dieser Blinker auch noch ab gebissen wurde, war es mit seiner An gelei vorbei, denn der Zimmermann würde ihm sicher keine weiteren Mes singstücke mehr geben. Jimmy betete inbrünstig, daß bald ein Fisch anbei ßen möge. Eine Minute nach der anderen ver ging. Jimmy hielt die Schnur in der Faust und wartete sehnsüchtig auf ei nen Ruck an der Leine. Als der dann etwas später wirklich erfolgte, unterdrückte er nur müh sam einen Freudenschrei. Er packte die Schnur fester und gab ihr gleich zeitig einen Ruck, damit der Fisch sich festbiß. Dann sah er es unter Wasser auch schon zappeln. Jimmy war so aufgeregt wie noch nie in seinem Leben. Er stemmte die Beine gegen die Planken und hielt die Schnur fest. Ganz langsam holte er sie ein. Mann, ist das ein Bursche, dachte er triumphierend. Es war ein großer Dorsch, der sich in den Blinker ver bissen hatte. Er war so lang wie ein Arm und dementsprechend dick. Der Fisch zappelte wie wild, als er aus sei nem Element geholt wurde. Jimmy hatte einen knallroten Kopf vor Aufregung. Angestrengt ver folgte er jede Bewegung des großen Dorsches. Hoffentlich riß ausgerech net jetzt die Schnur nicht. Seine Wan gen glühten, als er das zappelnde Un getüm endlich an Bord hatte. Er stellte sich die Gesichter seiner Mom und seines Vaters vor, wenn sie die Beute sahen. In Gedanken wurde der Dorsch schon gierig verschlungen. Es war ein Prachtexemplar, das ihm der liebe Gott beschert hatte. Jimmys Hände zitterten vor Aufre
32 gung, als er den Blinker entfernte. Liebevoll betrachtete er seinen Fang, der ihm soviel Aufregung beschert hatte. Natürlich würden sie ihn nicht al lein essen, denn da waren noch mehr hungrige Menschen, mit denen man in christlicher Nächstenliebe teilen mußte. Aber vielleicht gelang es ihm ja, noch einmal einen so kapitalen Burschen aus dem Wasser zu ziehen. Während er den Fisch mit glänzen den Augen betrachtete, gab er die An gelschnur wieder über Bord. Den Dorsch hatte er dabei zwischen die Beine geklemmt und hielt ihn fest. Jimmy hatte unwahrscheinliches Glück. Der zuerst gefangene Dorsch zappelte noch, als erneut ein Ruck an der Leine spürbar wurde. Wieder hätte er am liebsten seine Freude laut hinausgebrüllt. Diesmal zog er die Schnur überha stet und viel zu schnell ein. Aber er befand sich wie in einem Rausch und sah in Gedanken immer mehr Fische auf den Planken liegen. Die Schnur hielt, und auch der Fisch, der daran hing. Er schwang in einem großen Bogen hin und her und schlug wild mit dem Schwanz um sich. Wieder ein Dorsch, ein herrliches Exemplar von fast genau der glei chen Größe wie der andere. Jetzt mußte er seinen Fund unbedingt sei nen Eltern zeigen. Es hatte sich erwie sen, daß die Fische auch ohne auf wendige Köder zu angeln waren, so wie er es auf der Themse schon ein paarmal versucht hatte. Zwei kapitale Burschen lagen jetzt an Deck. Jimmy rieb sich die Hände und spürte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Der Hunger meldete sich erneut und wurde übermächtig in ihm. Er
hatte in den letzten Tagen nur sehr wenig von dem schmierigen Fraß zu essen gekriegt. In seiner Freude und Aufregung sah er nicht den Schatten, der über die beiden Fische fiel. Erst als es zwei Schatten wurden, blickte er irritiert hoch. Er starrte in die brutalen Gesichter von Watts und Gordon Tibbs. Alle beide grinsten, aber sie grinsten nicht aus Freude über seinen Fang. Ihr Grinsen war boshaft und heimtük kisch. Jimmy kniete an Deck und hielt die beiden Fische mit den Hän den fest. Die Angelschnur mit dem Blinker lag direkt neben ihm. „Was treibst du denn hier?" Es war Bruce Watts, der das fragte und bei seinem häßlichen Grinsen die Zahnlücke entblößte. Neben ihm stand Gordon Tibbs mit tückischen Blicken. Seine überlangen Affen arme pendelten an den Seiten wie zwei Dreschflegel. Jimmy schluckte erst einmal krampfhaft. „Du sollst antworten, du lausiger Bastard!" schrie Watts. „Oder soll ich dir erst die Löffel langziehen?" „Ich - ich habe gebunkert", sagte Jimmy leise. „Gebunkert - was soll das heißen? Wo hast du die Fische her?" Jimmy blickte auf seine beiden Prachtexemplare und schluckte noch heftiger. In seiner Kehle hing plötz lich ein riesiger Kloß, der ihm das Wasser in die Augen trieb. „Die Fische habe ich gefangen", sagte er trotzig und nahm allen Mut zusammen. „Sie gehören mir." „Ein Scheiß gehört dir", sagte Tibbs grinsend. „Dir gehört über haupt nichts, nicht mal der Mist aus der Bilge." „Womit hast du die Fische gefan
Viel Glück im Neuen Jahr wünschte uns
R S , 5 , 5430 Monta
baur. Und dafür bedanken wir uns sehr
herzlich, zumal er auch schrieb: Macht wei
ter so! Das sind nur drei Worte, aber sie
drücken Anerkennung aus und bestätigen
unseren Kurs.
Einen etwas „verzweifelten" Brief erhielten
wir von R B , straße , 8711 Greuth. Er schrieb:
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich schrei
be Ihnen nun schon zum fünften Male (!) mit
der Bitte, eine Suchmeldung zu veröffentli
chen. Zunächst möchte ich mich an dieser
Stelle bei Ihnen recht herzlich bedanken,
daß Sie bisher alle meine Anzeigen veröf
fentlicht haben.
Diesmal ist es mein letzter verzweifelter Ver
such, die Seewölfe-Romane Nummer 14 und
15 zu erstehen. Ich suche diese beiden Hefte
nun schon seit zwei Jahren (!) ohne Erfolg.
In meiner Verzweiflung habe ich mir über
legt, ob es vielleicht einen freundlichen Le
ser dieser Serie gibt, der mir diese Nummern
einige Tage überläßt, um mir eine Kopie zu
erstellen.
Ich hoffe, daß ich so oder so doch noch zu den
langgesuchten Nummern komme. Ich danke
Ihnen bereits im voraus für Ihre Mühe: Mit
freundlichen Grüßen -R B
Zwei Jahre Suche mit bisher fünf Suchan zeigen für die beiden SW-Nummern 14 und 15! Das ist schon starker Tobak - und nie mand hat Herrn B bisher helfen können? Da entsteht der Verdacht, daß je mand vielleicht meint, es lohne sich nicht, per Post zwei Romane zu versenden, das sei zuviel Aufwand mit Porto und Verpackung für „nur" zwei Hefte. Dabei lohnt es trotz dem, weil sich's immer „lohnt", jemandem eine Freude zu bereiten. Na, wie ist es, Freunde? Da haben wir zum Beispiel N H , Straße ,4972 Löhne 3, der uns folgende Zeilen zusandte:
Als begeisterter Leser Ihrer Serie muß ich nun aus Platzgründen leider meine Roma ne verkaufen. Die Hefte sind in sehr gutem Zustand. Der Preis DM 1,40 pro Roman. Es sind die Nummern 1-6OO. Es fehlen zwischen Nr. 1-80 zirka 20 Hefte. Mit freundlichen Grüßen-N H Wenn zwischen den Nummern 1-80 die
Nummern 14 und 15 nicht fehlen, lieber Herr H , dann würden wir uns freuen, wenn Sie diese Herrn B schicken könnten. Das wär doch was, oder? Und Herr B brauchte nicht mehr ver zweifelt zu sein und könnte einen Luft sprung tun. So einfach ist das! Die folgende Karte erhielten wir von H D Amelung, Postfach , 4934 Horn Bad Meinberg 2: Hiermit übersende ich Ihnen ein Angebot von Seewölfe-Heften der Nrn. 323-421 und 423-589, Preis pro Heft DM 0,50. Ich möchte die Hefte nur komplett abgeben. Ich finde die SW-Serie hervorragend und spannend. Dieses ist bis zum letzten Heft so geblieben. Mit freundlichen Grüßen - H D Amelung. Ein älteres Verkaufsangebot haben wir von FrauR K , weg ,5000 Köln 60, und wir hoffen, es besteht noch in dieser Form. Verkauft werden sollen die SW-Nummern 310-524 (mit Ausnahme der Nr. 314) sowie die Sammelbände 20-24 mit den Nummern 268, 269, 270, 272, 273, 278, 279, 280, 284, 287, 288, 302, 304, 306 und 309. Ferner einige „Flohmarkt-Exemplare" mit den Nummern 15,24,34,57,79,98,112,123, 148,151,153,181,183-187,263, 274,281,283 und 301. In vielen Nummern fehle das For um, schreibt Frau K , aber sonst seien die Hefte in gutem Zustand. Für alle zusam men möchte sie DM 350,- haben. Mit herzlichen Grüßen Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren
In der letzten Seemannskiste stellten wir unseren Lesern verschiedene Ankertypen vor. Auf den beiden vorigen Seiten zeigen wir nun Teile des Ankergeschirrs, nämlich A die Ankerkette, B die Ankerboje mit dem Bojenreep (C) und D den Ankerkettenstopper mit dem Hebel (E). Von jeher war die Ankertrosse das Verbindungsstück zwischen Anker und Schiff, und sie entsprach von ihrer Stärke her der Größe des Schif fes; eine Galeone brauchte eine dicke schwere Trosse, ein Einmastsegler eine entsprechend dünnere. Was die Länge der Trosse betraf (und das gilt auch heute für die Ankerkette), so brauchte man beim Ankern unter normalen Wind- und Strömungsbedingungen etwas das Dreifache der jeweiligen^Wassertiefe, die man natürlich vorher ausloten mußte, um zu wissen, wieviel Trosse (oder Kette) man stecken mußte. Trosse oder Kette stecken ist der seemännische Ausdruck für das Ausfahren oder Lose geben. Die Ankertrosse selbst wurde um 1835 von der Ankerkette abgelöst und ist heute allenfalls noch bei Sportsegelbooten in Gebrauch, vornehmlich bei Jollen. Ankerketten bestehen aus Kettenlängen von je 25 m, die Kettenlängen wiederum aus Kettengliedern oder Kettenschaken (4 = Schaken, 5 = Kettensteg). Die Schaken (4) haben ovale Form und in ihrer Mitte einen Steg (5), der die Festigkeit der Schaken erhöht. Zwi schen den Kettenlängen befinden sich sogenannte Kenterschäkel (1) oder Wirbel, die ein Vertörnen der Ankerkette verhindern sollen. Das eine Ende der Ankerkette wird mit dem Ankerschäkel (2) und seinem Schäkelbolzen (3) am Roring des Ankers angeschäkelt. Größere Schiffe haben meist zwei Bugankerketten zu je 9 Kettenlängen sowie 3 Längen als Reserve. Die Ankerboje (B) mit ihrer Bojenleine oder Bojenreep (C) wird am Anker selbst angeschlagen und hat den Zweck, die Stelle, an welcher der Anker liegt, zu kennzeichnen bzw. zu markieren. Falls die Kette bricht oder der Anker geslippt werden muß, kann er durch die über ihm stehende Ankerboje wiedergefunden werden, und für andere Schiffe ist die Ankerboje ein Signalzeichen, dort nicht zu ankern oder zu manövrie ren. Mit dem Kettenstopper (D) und seinem Hebel (E) schließlich wird eine ausgefahrene Kette blockiert bzw. fixiert.
37 Er bückte sich und hob einen der gen?" fragte Watts. „Mit Ködern, was? Die hast du Bastard dem Koch beiden Dorsche auf. Der Fisch be geklaut. Hast dich in die Kombüse ge gann sofort zu zappeln. „Das sind meine Fische!" schrie schlichen und Speck oder Fleisch ge stohlen." Jimmy mit Tränen der hilflosen Wut „Das ist nicht wahr!" schrie Jimmy. in den Augen. „Ich habe sie ehrlich „Ich habe zwei Messingblinker vom erworben, und sie gehören mir und Zimmermann gekriegt. Einen haben meinen Eltern. Ich habe nichts Un die Fische abgebissen, weil ich nicht rechtes getan." aufgepaßt habe. Aber an den anderen „Halt dein Maul!" brüllte Watts. Er sind sie gegangen." packte Jimmy am Kragen und schüt Die beiden Kerle lachten verhalten telte ihn wild hin und her. „Ich habe und sahen sich an. Jimmy entging dir schon einmal gesagt, daß du hier nicht mal soviel wert bist wie eine nicht, daß sie sich zuzwinkerten. „Du willst uns also verklaren, daß Bilgenratte. Dir gehört nichts, gar du mit einem Stück Messing diese nichts, auch die Fische gehören dir nicht und die Angel erst recht nicht." beiden Fische gefangen hast, was?" Gordon Tibbs hob grinsend die bei „Das habe ich auch. Und es hat ge den Fische auf. Weil sie noch ein biß klappt." „Ha-ha-ha", sagte Watts grollend. chen zappelten, schlug er ihnen mit „Wenn du Bastard uns verarschen seiner großen Faust auf die Köpfe willst, mußt du früher aufstehen." und zermatschte sie fast. Danach wa Er holte aus und gab Jimmy einen ren die Dorsche tot. Schlag mit der Hand auf den Hinter In diesem Augenblick sah Jimmy kopf. Dazu grinste er tückisch. rot. Er spürte die Ungerechtigkeit Jimmy stolperte über die Fische diese beiden Halunken, die ihn um und schrie auf. Zorn und Wut stiegen den Fang betrügen wollten, um den er in ihm hoch, weil die beiden Kerle sich so bemüht hatte. Er wehrte sich ihm etwas unterstellten, was nicht verbissen im Griff des Bootsmannes der Wahrheit entsprach. Er hatte und trat ihm vors Schienbein. jämmerliche Angst, daß sie ihm die Bruce Watts klebte ihm eine und Fische abnehmen würden. gab ihm auf die andere Seite gleich „Wer hat dir das erlaubt?" fragte noch eine Maulschelle. Tibbs warf die Tibbs. Fische an Deck und schnappte sich „Das Meer gehört allen, hat mein das Bürschchen ebenfalls. Dann ha Vater gesagt, und die Fische darin gelte es von zwei Seiten saftige Ohr auch. Jeder darf angeln, wenn er feigen. Hunger hat." Der Kleine hatte Mut. Die Ohrfei „So, hat dein Alter gesagt, was? Als gen brannten wie Feuer und rissen ob der hier etwas zu sagen hätte. Du ihm fast den Schädel ab, aber er trat verdammte Ratte hast uns belogen, weiter um sich, riß sich wieder los du hast die Köder geklaut und willst und schlug mit seinen kleinen Fäu uns noch verarschen. Du bist ja ein sten auf seine Peiniger ein. Dabei feines Früchtchen, das muß ich schon schrie, er gleichzeitig laut nach sei sagen. Aber mit solchen kleinen Ba nem Vater. starden wie dir ärgern wir uns nicht Barry Wister erschien schon Au lange herum." genblicke später, nachdem er seinen
38 Sohn brüllen gehört hatte. Mit ein paar schnellen Schritten war er auf der Back, wo Jimmy weitere Ohrfei gen kassierte. Wister übersah die Lage mit einem Blick. Da lagen die Fische an Deck, die Angel mit dem Blinker daneben, und die beiden Kerle bearbeiteten seinen Sohn und grinsten sadistisch. „Was geht hier vor?" rief er scharf. „Lassen Sie sofort meinen Sohn los. Er ist noch ein Kind." „Sie wollen mir meine Fische weg nehmen, Dad!" schrie Jimmy. „Sie sagten, ich hätte Köder geklaut und geangelt." „Mein Sohn hat nichts gestohlen", sagte Wister erregt. „Er hat die Fische mit dem Blinker gefangen und..." „Halt's Maul, Mister!" brüllte Watts ihn an. „Du bist uns schon ein paarmal unangenehm aufgefallen. Wird Zeit, daß man dir deine große Schnauze stopft. Die Fische sind be schlagnahmt, die Angel auch. Hier hat keiner ohne Erlaubnis zu fischen, ist das klar?" „Hier ist überhaupt nichts klar", sagte Wister voller Zorn. „Das Fi schen ist nirgendwo auf einem gro ßen Meer verboten, und daß Sie mei nem Sohn unterstellen, er habe ge stohlen, ist einfach lächerlich. Und jetzt lassen Sie ihn los!" Jimmy war es zweimal gelungen, sich loszureißen, aber jetzt hatte Tibbs ihn wieder geschnappt und hielt ihn fest. Er drehte ihm das Hemd am Kragen zusammen, bis das Bürschchen im Gesicht rot anlief. Für Barry Wister war das zuviel. Er wußte, daß die beiden abgefeimte Ha lunken und Strolche waren, die die Leute terrorisierten. Aber daß sie sei nen unschuldigen Sohn schlugen, ließ das Maß voll werden.
Er trat zwischen sie und ergriff das Handgelenk von Tibbs, um Jimmy aus dem Griff zu befreien. Die beiden Schläger hatten darauf offenbar nur gewartet, denn jetzt lie ßen sie Jimmy ganz überraschend los, nachdem Tibbs ihm noch schnell einen Tritt verpaßt hatte. „Jetzt sucht der Alte Streit!" rief Bruce Watts höhnisch. „Der Kerl wagt es, uns anzugreifen, nur weil wir unsere Pflicht tun. Erst der Rotzben gel und jetzt er!" Die beiden taten sehr empört, als seien sie die Unschuldigen, die ange griffen wurden. „Das stimmt doch alles nicht", sagte Wister erregt und mit rotem Kopf. „Ich will nur meinen Jungen haben - und die Fische. Hier sucht niemand Streit außer Ihnen." Er wollte nach Jimmy greifen, doch Watts versperrte ihm den Weg, packte ihn seitlich am Hals und drückte seine Pranken zusammen. Tibbs nahm das zum Anlaß, Wister die Faust ins Gesicht zu schlagen. Diesmal ging Jimmy kreischend da zwischen, als er sah, daß sich die Kerle auf seinen Vater stürzten. Jim mys Mutter war inzwischen auch er schienen und stand mit rotem Gesicht hilflos neben dem Mast. Jimmy kriegte wieder eine Maul schelle, die so heftig war, daß er auf die Planken fiel und benommen lie genblieb. Dann war sein Vater an der Reihe, der gegen die beiden Schläger nicht die geringste Chance hatte. Er hätte nicht mal einen der beiden Kerle ge schafft, denn die hatten sich ihr Le ben lang geprügelt und verstanden es, mit den Fäusten umzugehen. Sie droschen Barry Wister erbar mungslos zusammen. Selbst als er blutend und stöhnend auf den Plan
39 „Aye, aye, Sir!" rief er. „Hier ken lag, rissen sie ihn wieder hoch herrscht Ordnung, und so soll es auch und schlugen weiter auf ihn ein. Niemand half. Die wenigen Zu bleiben!" Sie zwinkerten sich zu. Die beiden schauer verschwanden sofort, nach dem die Prügelei angefangen hatte. Schläger nahmen ihre Beute und gin Sie wußten, daß es ihnen ebenso erge gen zu Kelvin Bascott, dem tücki hen würde, wenn sie sich einmischten. schen Koch, der die beiden an Boshaf Als sie von Wister abließen, lag er tigkeit noch übertraf. bewußtlos auf den Planken. Seine Frau hatte sich über ihn geworfen 7. und schluchzte laut. Jimmy war auch wieder etwas wacklig auf den Beinen Bascott hockte immer vor der Kom und beugte sich über seinen Vater, der langsam zu sich kam. Blut rann büse. ihm aus Nase und Mund, und er „Ah, habt ihr Fische gefangen?" konnte kaum aufstehen. fragte er. „Na, das gibt ja ein feines Die Fische und die Angel waren Essen. Ihr seid wirklich sehr tüchtig. fort. Die beiden Halunken hatten sie Ich denke, wir werden sie mit dem Ka mitgenommen. Jimmy hatte von sei pitän teilen. Was meint ihr?" nem Fang nichts mehr. Im Gegenteil „Aber sicher doch", sagten beide die beiden Fische hatten ihm und sei eifrig. „Dem Kapitän gehört ein An nem Vater nur Prügel eingebracht. teil. Er ist schließlich ein gerechter „Was ist denn passiert?" fragte Mann." Diesmal grinsten alle drei hämisch, Granville vom Achterdeck aus die beiden Schläger. „Hat es Ärger gege als Bascott dem Buckligen die beiden Dorsche gab, der damit in der Kom ben?" „Ja, Sir, wir wurden angegriffen büse verschwand. und haben uns nur verteidigt. Ein „Was gibt das eigentlich?" wollte Kerl wurde frech, sein Sohn hat in der Watts wissen. Er deutete auf den Kombüse geklaut," Krempel, der sich vor der Kombüse „Diebstahl?" fragte Granville lang auf den Planken türmte. gezogen und hob die finsteren Augen „Rattenfallen", sagte Bascott grin brauen hoch. „Das wird hart be send. „Ganz normale Rattenfallen. straft." Als Köder gibt es ein bißchen ranzi „Wir haben es ihm schon besorgt, gen Speck." Sir!" rief Tibbs. „Wir haben ihm und „Willst du die Ratten abrichten?" seinem Früchtchen das Klauen ausge erkundigte sich Watts. trieben," Bascott drehte einen Haken in das „Dann belassen wir es dabei", sagte Holz, spannte die Falle mit dem Dau Granville hämisch. „Aber beim näch men und ließ sie probehalber zu sten Mal wird hart und erbarmungs schnappen. Es klappte, wie er zufrie los durchgegriffen. Wo kommen wir den feststellte. Die Ratten, die in diese denn hin, wenn jeder auf dem Schiff Fallen gingen, würden zwar nicht zer das tut, was ihm gerade einfällt, Hier quetscht werden, aber das sollten sie auch nicht. Das Genick konnte er ih herrscht Ordnung an Bord." Watts und Tibbs grinsten wieder. nen später immer noch umdrehen. Watts rieb sich die Handknöchel. „Abrichten nicht direkt", sagte Bas
40 cott. „Ich will sie nur fangen und da mit ein Geschäft eröffnen." Watts und Tibbs sahen sich ratlos an. „Kannst du das etwas deutlicher verklaren?" Der Koch griente und beschäftigte sich weiter mit den Fallen. Ein halbes Dutzend hatte er bereits vor der Kombüse liegen. „Aber klar doch. Die Leute haben doch so erbärmlichen Hunger, nicht wahr? Wenn man richtigen Hunger hat, dann frißt man alles, was man nur erwischen kann, und wenn es ge röstete Kakerlaken sind. Es gab Leute, die haben schon das Leder ih rer Stiefel gefressen. Es herrscht also wegen der gekürzten Rationen Not stand und eine entsprechend große Nachfrage nach Eßbarem. Ratten sind eßbar und haben mehr Fleisch als Kakerlaken. Stimmt's?" „Stimmt", sagte Tibbs verblüfft und nickte dazu. „Jetzt kapiere ich. Du willst die Ratten verkaufen." „Erraten, mein Freund. Den Ge winn teilen wir uns." „Wenn die Leute das spitzkriegen, werden sie selbst Ratten fangen", sagte Watts, „und dann ist dein Ge schäft im Eimer. Eines Tages haben wir keine Ratten mehr an Bord." „Das sehe ich anders", widersprach der Koch. „Die Leute haben selbst nichts zu beißen, und erst recht keine Köder. Außerdem halten sich die Rat ten dort auf, wo es was zu holen gibt. Also vornehmlich in der Proviantlast und ähnlichen Räumen. Ich habe vier Nester entdeckt und streue den Vie chern immer etwas Mehl hin, damit sie nicht krepieren. Wir füttern sie also und verkaufen sie dann." „Ratten fressen ist ja wohl das Letzte", sagte Tibbs angewidert. „Ich würde so was nicht runterkriegen."
„Du hast ja auch keinen Hunger, Gordon. Wenn du richtigen Hunger hättest, würdest du dich um die Rat ten prügeln." Bascott hatte das alles sorgfältig vorbereitet. Er kannte mittlerweile auch die Leute, die mehr Geld hatten als die anderen. Das waren immer jene, die Granville in seine Kammer einlud, um ihnen die Zeit zu vertrei ben, wie er das nannte. In Wahrheit nahm er sie beim Spielen aus und be trog sie nach Strich und Faden. Hier bahnte sich jetzt ein neues Ge schäft an, das ebenfalls vielverspre chend war und keinen Einsatz for derte. Bascott war sich sicher, daß die Leute ihm die Ratten aus der Hand reißen würden. Er hatte früher selbst einmal gehungert und wußte, wie es war, wenn einem das Knurren die Eingeweide zerfraß und kein anderer Gedanke mehr im Kopf Platz hatte, als den Hunger zu stillen. „Wollt ihr den Nachwuchs mal se hen?" fragte der Koch. „Er wird ge hegt und gepflegt. Selbst die Alte ist schon ganz zutraulich geworden." Die skrupellosen Halunken wollten das natürlich sehen und marschierten in die Kombüse, wo der Bucklige da mit beschäftigt war, die Dorsche zu zubereiten. Ein zarter Duft umwehte sie. Der Bucklige hatte die Fische in Stücke geschnitten und die Gräten entfernt. Köpfe, Flossen und Gräten hatte er in einen anderen Topf gewor fen, in dem bereits das Wasser kochte. „Die Suppe ist für Prox, Johnson und Bowmaster", sagte Bascott. „Die Kerle haben Geld und sind froh um jeden Bissen. Sie löhnen ziemlich großzügig. In spätestens einer halben Stunde kreuzen sie hier auf, und dann geht das Feilschen los." „Die kenne ich", sagte Watts. „Die
41 müssen wir noch, kräftig ausnehmen, denn die haben wirklich Geld. Wie steht es eigentlich mit unseren Antei len?" „Kriegt ihr nachher", versprach Bascott. „Das Geschäft ist noch nicht so richtig angelaufen. Es geht erst jetzt besser, nachdem die Rationen knapper geworden sind." Ein paar Siedler stritten sich mit dem Posten am Wasserfaß, der die Kelle unter Verschluß hielt. Der Kerl blieb eisern und rückte keinen Trop fen heraus. Er hatte die Hand am Griff seiner Pistole und sah die Leute drohend an. Daraufhin verzogen sie sich murrend. Bascott zeigte ihnen die Rattenne ster, die sich in einer winzigen ver deckten Kammer neben der Proviant last befanden. Teile der Kammer waren mit Kupferblech ausgeschla gen, damit die Ratten sich nicht durch das Holz zur Kombüse fressen konnten. Vier Nester befanden sich in dem finsteren Raum. Die alten Ratten konnten nur durch ein kleines Loch entwischen, das zur Bilge führte. Aber sie entwischten nicht. Sie waren fast handzahm, weil Bascott sie im mer mit Mehl, Kombüsenabfall und Brotrinden gefüttert hatte. Er hielt der Ratte ein Stück Brot hin, das sie ihm gierig aus den Fin gern riß. Nur eine Ratte verschwand pfeifend, blieb aber vor dem Loch und sah sie mit ihren Knopfaugen an. „Das ist Elly", sagte Bascott stolz. „Noch ein bißchen jung und scheu, aber das gibt sich bald." Dann zeigte er ihnen die Nester, wo sich der Nachwuchs tummelte. In jedem der Nester befanden sich min destens vier bis fünf junge Ratten. „In spätestens zwei Wochen sind sie rausgefüttert", erklärte der Koch.
„Aber bis dahin gibt es längst wieder Nachwuchs." „Eine tolle Idee", lobte Watts. „Das bringt viele blanke Talerchen. Die Leute werden zwar entsetzt sein, aber..." „Das gibt sich mit der Zeit", er klärte Bascott. „Hunger kennt keine Schranken. In London haben sie auch Katzen, Hunde und Ratten gefressen. In ein paar Tagen, wenn die Rationen noch schmaler werden, danken mir die Leute auf den Knien dafür. Ge naugenommen bin ich ein Wohltäter, denn nur durch mich werden einige die kritischen Tage überleben." „Ja, wenn man das so sieht", sagte Watts grinsend, „dann bist du wahr haftig ein Wohltäter." Die beiden Schläger ekelten sich zwar vor den Ratten, aber das Ge schäft schien vielversprechend zu werden. Skrupel hatten sie noch nie gehabt, und Angst hatten sie auch nicht. Es gibt keine Konsequenzen zu befürchten, denn Granville stand ei sern hinter ihnen. Schließlich war er an dem Geschäft ja mit dem Hauptan teil beschäftigt, und so versuchten sie alle, sich während der Überfahrt gol dene Nasen zu verdienen. „Paß nur auf, daß dir nicht die Rattenmütter in die Fallen gehen", warnte Tibbs besorgt, „sonst ist der Nachwuchs hin." „Keine Sorge, da achte ich schon drauf. Ich werde das Loch zur Bilge verkeilen, sobald die Fallen aufge stellt sind." „Wann willst du mit dem Verkauf anfangen?" „Gleich morgen. Dann sehen wir auch, wie das Geschäft läuft." Sie gingen wieder nach oben, um weiter zu schwatzen. Nur Bascott ging noch einmal zur Kombüse zu rück, um nach den Fischen zu sehen.
42 Die brutzelten in der großen Pfanne, waren aber gleich fertig. Mit seinen schmierigen Fingern griff er nach ei nem Stück und stopfte es sich in den Mund. „Sehr gut", lobte er, „es fehlt noch etwas Salz. Und daß du mir ja nicht an den Fisch gehst, du Bastard", warnte er den Buckligen mit erhobe nem Zeigefinger. Der Kerl nickte eingeschüchtert. Als die Fische fertig waren, durch zog der Duft das ganze Schiff und ließ den Siedlern das Wasser im Mund zu sammenlaufen. Mittlerweile hatte sich längst herumgesprochen, auf wessen Kosten sich die Kerle in der Kombüse mästeten. Es wurde wieder laut gemurrt, aber wenn sie den zusammengeschlagenen Zimmermann sahen, besannen sich die Leute schnell anders. Die Angst vor den Kerlen war noch größer als der nagende Hunger. „So, das teilen wir uns jetzt", sagte Bascott. „Das hier ist für den Kapi tän, das andere für uns. Du bringst das nach achtern, Hump! Aber die Schüssel so zudecken, daß niemand es sieht, verstanden?" Der Bucklige ging langsam nach achtern. Er ging stark gebeugt und grinste schiefmäulig, als ihn der Blick des Kapitäns traf. Granville verließ im selben Augenblick das Achterdeck und ging in seine Kammer, um sich dem Genuß des Fisches zu widmen. Die anderen schlugen sich unterdes sen in der Kombüse die Bäuche voll, und auch für den Buckligen fiel noch etwas ab. Dieser Fisch war ein beson derer Leckerbissen, deshalb dachte Bascott auch nicht im Traum daran, ihn mit den anderen Kerlen der Besat zung zu teilen. Die hatten ja schließ lich zu essen und litten keinen Hun ger.
Die Kerle mampften und tranken Rotwein dazu, während die anderen darben und ihnen die Mägen knurr ten. Ein paar Brocken blieben schließ lich noch übrig. Die warf Bascott in den großen Topf, wo noch immer die Suppe kochte. Die Einlage würde die Suppe natürlich verteuern. Es dauerte nicht mehr lange, und ei ner der Auswanderer erschien wie zu fällig vor der Kombüse, wie Bascott voraus gesagt hatte. Es war Jo Bow master, ein etwas dicklicher Mann mit einer Knollennase und schütteren Haaren. Er hatte in England seinen Landsitz verkauft, allerdings nicht aus Not. Das Land war ihm einfach zu eng geworden, und so segelte er mit völlig falschen Vorstellungen und Er wartungen in die Neue Welt. Der dickliche Mensch war verfres sen und litt ganz besonders unter dem Hunger und dem schlechten Fraß. Er schnüffelte erregt, als er den Duft der Fischsuppe spürte. Sein Magen knurrte hörbar laut. „Man wünscht den ehrenwerten Gents einen guten Tag", sagte er mit seiner fistelnden Stimme. Die ehrenwerten Gents wünschten ebenfalls einen guten Tag und ver steckten ihr erwartungsvolles Grin sen hinter gleichmütigen Visagen. „Fisch, hm?" fragte er gierig. „Aber sicher kein Stockfisch." „Kein Stockfisch", sagte Bascott, „Fischsuppe mit Brocken drin. Ganz delikat, aber auch nicht gerade bil lig." „Ja ja", seufzte der dicke Mensch entsagungsvoll. „Alles hat seinen Preis, nur das Geld wird langsam knapp." „Womit gleichzeitig der Hunger größer wird", meinte Bascott., „Ihre beiden Freunde werden sicher auch
43 bald erscheinen. Sehr viel Fischsuppe dürfte dann kaum noch übrigblei ben." „Wir haben schon darüber gespro chen", sagte Bowmaster, sich lang sam vortastend. „Man könnte doch Fische fangen und sie gegen ein klei nes Entgelt bei Ihnen in der Kombüse backen lassen." Bascott dachte an seine Ratten und grinste hähmisch. Die beiden ande ren dachten auch an den Rattenver kauf und daran, daß sie dann gewis sermaßen Konkurrenz hatten, unlieb same Konkurrenz. Wer Fisch hatte, der war nicht unbedingt auf Ratten angewiesen. Das schöne Geschäft chen wäre dann beim Teufel, noch be vor es geblüht hatte. „Wie sind Sie denn auf diese Idee verfallen?" fragte Bascott tückisch. „Nun, ein Junge hat doch auch ge fischt. Ich dachte..." „Haben Sie auch die Folgen gese hen, Mister Bowmaster?" fragte der Decksälteste sanft. „Zum Angeln braucht man Köder, und die hat der Lümmel in der Kombüse geklaut und dabei die anderen betrogen. Außer dem hat es der Kapitän streng verbo ten. Das würde zu weit führen. Wenn jeder hier an Deck angelt, ist die Si cherheit gefährdet. Leute könnten da bei über Bord fallen, sie würden sich um die Beute streiten. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Im Atlantik gibt es außerdem eine Menge harm los aussehender, aber sehr giftiger Fische. Nach dem ersten Bissen hät ten Sie nie wieder Hunger." „Giftige Fische?" fragte Bowma ster entsetzt. Die drei nickten. „Jede Menge", versicherte der Koch. „Hier ist fast alles giftig. Man muß sich da schon so genau ausken nen wie wir, sonst windet man sich in
entsetzlichen Krämpfen und stirbt kurz danach." Bowmaster schielte hungrig zu dem Kessel, aus dem Dampf stieg. Der Fischgeruch wurde noch intensiver. „Dann ist es also nichts mit der Fi scherei?" „Auf gar keinen Fall. Der Kapitän läßt jeden auspeitschen, der das wa gen würde." „Heute war das nur eine Aus nahme", fügte Tibbs hinzu. „Zufällig waren die Fische nicht giftig. Wollen Sie nun was, oder sollen wir es den anderen geben?" „Nein, nein, bloß nicht. Ich habe entsetzlichen Hunger. Was wollen Sie denn für die Kumme?" „Ein halbes Pfund", sagte Bascott gleichmütig. „Weil es eine Delika tesse ist, ist es ein bißchen teurer. Ich kann aber noch eine Gallone Wasser dazukippen, dann wird es billiger. Dann kosten zwei Kummen nur ein halbes Pfund." „Einverstanden", sagte Bowmaster gierig. „Aber einen Schluck Wasser gibt es gratis hinterher?" „Auch einverstanden", erwiderte Bascott. „Mein Geld schmilzt jeden Tag mehr zusammen", jammerte Bowma ster, als er die Kumme mit der heißen Suppe in Empfang nahm. „Geben Sie den Rest auch noch aus", riet der Koch. „Drüben können Sie ja doch nichts mit dem Zeug an fangen. Da gibt es keine Geschäfte, in denen Sie einkaufen können. Das Geld ist da absolut nichts mehr wert, weil ja alles aufgebaut wird." „Aber es ist mein Kapital, Sir." „Nutzt Ihnen nichts, nicht die Bohne. Drüben kriegen Sie für hun dert Pfund nicht mal 'ne warme Mahlzeit. So sieht das nämlich aus. Schlagen Sie sich für das Geld lieber
44 hier den Bauch voll. Ich habe die Ra tionen ja auch extra einkaufen müs sen. Ich kann mit dem Geld in Eng land wieder neues Zeug kaufen, Sie aber nicht. Mit dem Kapital können Sie hier bestens an Bord überleben." Bowmaster sah das wohl ein, denn er verlangte gleich darauf noch ein mal eine Kumme voll für ein halbes Pfund, was ihm auch großzügig ge währt wurde. Als er endlich verschwunden war, tauchten an Deck schon Alan Prox und Timothy Johnson auf, die ebenfalls wie zufällig ihren Weg zur Kombüse nahmen. Bascott überzeugte sich blitz schnell, ob die Suppe noch reichte. Die Kerle wollten bestimmt ebenfalls zwei Kummen voll haben. Es würde knapp werden. Daher goß er aus dem anderen Kübel schnell noch etwas in die „Fischsuppe". Es roch auch tat sächlich noch nach Fisch, und ein paar Bröckchen befanden sich ebenfalls darin. Den beiden Kerlen würde es egal sein, denn sie hatten Hunger, und Hunger war nun einmal der beste Koch, wie ein Sprichwort sagt. Die beiden zahlten selbstverständ lich nach kurzem Feilschen jeder ein Pfund, kriegten ihre Suppe und eine große Kelle Wasser. Danach verschwanden sie wieder. „So muß man die Füchse prellen", sagte Bascott und rieb sich zufrieden die Hände. „Jetzt haben wir prächti gen Fisch gegessen, den anderen den Abfall verhökert und einen guten Schnitt erzielt. Und was hat uns das alles selbst gekostet?" Er schnippte mit den Fingern. „Nicht soviel. Uns fliegen fast die gebratenen Tauben ins Maul. Man muß das Maul nur im mer weit aufsperren, damit sie auch schön hineinfliegen können. Aber
jetzt werden wir erst einmal teilen. Hump kriegt nichts, der hat vorhin heimlich von dem Fisch gefressen. Also geht es nur durch vier. Den Al ten zahle ich später selber aus." „Hat er nichts gegen den Rattenver kauf eingewendet?" fragte Tibbs. „Überhaupt nicht. Wir tun doch da mit ein gutes Werk. Genaugenommen war es ja seine Idee. Na ja", meinte er einschränkend, „wir haben uns das beide zusammen ausgedacht." „Hoffentlich merkt der verdammte Killigrew nichts", sagte Watts. „Die Kerle auf der Schebecke, beäugen uns jeden Tag zehnmal durch den Kieker. Die sind auf uns ganz besonders scharf." Bascott winkte verächtlich ab. „Ist es etwa verboten, Ratten zu verkaufen?" fragte er höhnisch. „Wüßte nicht, daß das irgendwo ge schrieben steht. Es wird ja niemand zum Kaufen gezwungen, oder sehe ich das falsch?" „Nein, wir zwingen keinen. Wer keine kaufen will, soll es eben bleiben lassen." „Dann fangen wir am besten gleich an", schlug Tibbs vor, der es kaum er warten konnte, Goldstücke klimpern zu hören. „Wir stellen die Fallen auf und kontrollieren sie alle halbe Stunde." „Nicht nötig. Die Biester werden erst abends munter", sagte der Koch. „Es genügt, wenn wir heute nacht nachsehen und dann morgen vor Son nenaufgang noch einmal." Sie schlugen sich gegenseitig auf die Schultern und beglückwünschten sich zu der Idee. Schon bald würden die Talerchen blinken. Auf den Spaß hin tranken sie einen Schnaps aus Bascotts Vorräten. Der Kerl hatte eine unglaubliche Menge gehortet.
46 8. Noch vor dem Morgengrauen hat ten Bascott, Tibbs und Watts zusam men mit dem buckligen Hilfskoch fast vierzig Ratten gefangen. Die Bie ster waren nur so in die aufgestellten Fallen geflitzt, als wollten sie mit al ler Gewalt Selbstmord begehen. Na türlich hatte der Hunger sie getrie ben, denn die Speckköder waren zu verlockend gewesen. „Sollen wir die Viecher abhäuten?" fragte Hump den Koch. Bascott tippte mit dem Finger ge gen die Stirn. „Du bist wohl verrückt! Ich werde mir doch nicht unnötige Arbeit auf halsen. Die bleiben wie sie sind. Für das Abhäuten müssen die Kunden selbst sorgen. Aber du solltest schon mal eine Leine quer über die Kuhl spannen, damit wir die Biester auf hängen können. Bis die ersten Siedler an Deck sind, muß alles fertig sein." Der Bucklige warf die Ratten in ei nen Korb und brachte sie an Deck, wo immer noch Dunkelheit herrschte. „Kriege ich auch etwas davon ab?" fragte er schüchtern am Kombüsen schott. „Drei Ratten gehören dir", sagte Bascott widerwillig. „Aber nur, wenn alle verkauft worden sind, sonst nicht." Der Bucklige war zufrieden. Im merhin hatte auch er seinen Teil der „Arbeit" geleistet. Bascott beteiligte ihn so gut wie nie an seinen Nebenein nahmen, aber schließlich hatte Hump mehr zu essen als die anderen, und wenn Bascott es nicht sah, dann be klaute er ihn ohnehin nach Strich und Faden. An Deck brannten nur eine trübe Laterne und die große Lampe, die das Achterkastell erhellte. Sie warf ge
rade so viel Licht, daß es zur Orientie rung ausreichte. Der Bucklige spannte die Leine quer über die Kuhl, wie Bascott be fohlen hatte. Dann nahm er die erste Ratte und hängte sie mit dem Schwanz an die Leine. Er fand, daß es sehr lustig aussah, wie sie da im Wind hin und her schwangen. Nach einer Weile erschien Bascott mit dem Korb an Deck, in dem sich die restlichen Ratten befanden. Er brummte zufrieden vor sich hin und ließ Hump die Arbeit weiter verrich ten. Nach einer Weile war er fertig. Fast vierzig Ratten waren jetzt mit ihren Schwänzen an der Leine aufgehängt. „Sieh nach, ob noch ein paar in den Fallen sind", befahl Bascott. „Und stell die Suppe gleich auf den Herd." Die Fallen waren wieder beködert und aufgestellt worden, denn Bascott konnte nicht genug kriegen. Tatsäch lich brachte Hump nach einer Weile noch einmal ein halbes Dutzend Rat ten, die ebenfalls an die Leine ge hängt wurden. Bruce Watts schlenderte heran und spie durch seine Zahnlücke über das Schanzkleid. „Nicht schlecht", sagte er anerken nend. „Sieht zwar nicht besonders ap petitlich aus, aber der Hunger treibt's rein. Was meinst du dazu, Gordon?" Der Kerl mit den Affenarmen und der zerdroschenen Plattnase grinste gemein. Seine Blicke wanderten von einer Ratte zur anderen. Die toten Viecher schaukelten leicht im Wind. „Wirklich nicht schlecht, aber ich weiß, wie man das noch besser an den Mann bringen könnte." „Wie denn?" fragte Bascott miß trauisch. „Ich an deiner Stelle würde eine Ratte abziehen und ausnehmen.
47 Dann würde ich sie über das Holzkoh lenfeuer hängen und garen lassen. So zusagen als Paradebeispiel. Mußt ihr natürlich Schwanz und Kopf ab schnippeln und sie ausbreiten wie ei nen kleinen Hasen. Schon der Duft würde verlockend wirken. Das sieht dann richtig lecker aus." „Verdammt - du hast recht, Gor don. Paradebeispiel, was?" „Genau. So sieht man nur eine ver dammte tote Ratte. Aber wenn sie ausgenommen und zubereitet ist, sieht das besser aus. Dann wird den Leuten das Wasser im Maul zusam menlaufen." Bascott wandte sich an den Buckli gen. „Du hast gehört, was Gordon ge sagt hat. Also los, zieh einer den Balg ab und bereite sie zu. Aber Beeilung und schön sauber, verstanden?" Der Bucklige nahm eine der Ratten ab und schlurfte zur Kombüse. Er brauchte nur eine Viertelstunde, dann war er fertig und präsentierte ihnen das Vieh, das jetzt wesentlich appetitlicher aussah. Es ließ sich auch nicht leugnen, daß ein Duft von gebratenem Fleisch über der Kuhl hing. „Da kriegt man selbst Appetit", sagte Watts. „Also, so schlecht sind die Viecher nun auch wieder nicht." Ein paar Kerle der Besatzung hat ten sich mittlerweile eingefunden Und bestaunten die Leine mit den Ratten daran. Das große Grinsen ging um. Mittlerweile war es hell geworden. Die See dünte langgezogen, und der Himmel begann sich rötlich zu fär ben. Die ersten Sonnenstrahlen taste ten sich wie Finger über die östliche Kimm und schickten kupferfarbene Strahlen über das Meer. Es dauerte nur noch eine Viertel
stunde, dann erschienen die ersten Siedler an Deck. Der Hunger trieb sie aus den Kojen. Obwohl der morgend liche Fraß noch nicht fertig war, stan den sie schon herum und warteten. Als die ersten auf der Kuhl erschie nen, blieben sie wie angewurzelt ste hen und trauten ihren Augen nicht. An einer langen Leine, die quer über die Kuhl gespannt war, hingen mindestens vierzig Ratten an ihren Schwänzen. Die leichte Morgenbrise ließ sie schaukeln wie in einem hölli schen Reigen. Auch Wister war mit seinem Sohn Jimmy und seiner Frau an Deck er schienen. Sein Gesicht schillerte in al len Farben. Blutergüsse bedeckten es. Die Haut war an einigen Stellen auf geplatzt und verkrustet. Der Zimmer mann bewegte sich langsam und vor sichtig, denn jede Bewegung tat ihm weh. Er warf erst einen Blick auf die Rat ten, dann sah er nach achtern, wo Granville stand. Der Kapitän gab sich völlig unbeteiligt, als ginge ihn das alles nichts an. Seinem Gesicht mit den finsteren Augenbrauen war keine Regung anzusehen. Wister hielt das anfangs für einen schlechten Scherz, den sich die Kerle der Besatzung geleistet hatten, aber er wurde schon bald eines Besseren belehrt. Es war beileibe kein Scherz. „Was sagen Sie dazu, Mister Flet cher?" fragte er entsetzt einen ande ren hochgewachsenen Mann, der stumm die Szene betrachtete, und dem der Ekel im Gesicht stand. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll", entgegnete Fletcher. „Ich halte das für einen schlechten Scherz. Aber normalerweise scherzen diese Leute nicht. Jedenfalls finde ich es wider lich." „Ja, es ist widerlich", sagte Ann Wi
48 ster leise. „Eine Schweinerei ist das. Man will uns auch noch das bißchen Essen verekeln." Einige der Siedler waren empört, andere entsetzt, etliche ekelten sich, und ein paar andere wußten nicht, was sie davon halten sollten. Nur zö gernd traten sie näher und sahen sich die Sauerei an. Die Kerle von der Besatzung stan den mit dem Rücken ans Schanzkleid gelehnt und grinsten bis zu den Ohren. Für sie war das ein köstlicher Spaß, und sie waren gespannt, wie die Leute reagierten. Auch Prox, Johnson und Bowma ster starrten überrascht zu der Rat tenleine. Aber es gab auch einige, die interes siert nähertraten. Sie warfen einen Blick auf den glatzköpfigen Koch, wunderten sich und betrachteten dann wieder die Ratten. An einer kleinen Leine hing eine ausgenommene Ratte. Sie sah ohne Kopf und Schwanz kaum noch nach einer Ratte aus. Ausgebreitet wie sie war, ähnelte sie eher einem federlo sen Vogel, der die Schwingen ausge breitet hat. Bascott grinste die teils entsetzten, teils neugierigen Leute freundlich an. Er gab sich ganz leutselig. Seine Au gen von der Farbe schmutzigen Bern steins blickten von einem zum ande ren. Er hatte sich sogar eine neue fast fleckenlose Schürze umgebunden und wirkte auf den ersten Blick wie ein Metzger, der gerade sein Hand werk ausgeübt hat. „Hallo, Leute!" tönte er. „Seht euch das an! Der Hunger hat endlich ein Ende. Es gibt sogar frisches Fleisch an Bord. Ihr wißt ja, daß Fleisch be sonders nahrhaft ist. Was spielt es da schon für eine Rolle, ob es eine Ratte oder ein Schwein ist! Das ist nur der
Größenunterschied. Schweine suhlen sich mehr im Dreck als Ratten, die wirklich saubere Tierchen sind und sich immer putzen. Leider ist ja an so einem Tierchen nicht viel dran, aber Fleisch ist Fleisch." Er knüpfte die ausgenommene Ratte ab und trat ein paar Schritte vor. Dann hielt er den Leuten das Vieh unter die Nase. Der Duft von gebratenem Fleisch wurde intensiver. Bascott registrierte zufrieden, daß einige der Leute bei dem Geruch ganz kribblig wurden. Das Fleisch übte eine fast hypno tische Wirkung auf sie aus. Sie hatten lange keins mehr gesehen und erst recht keins gegessen. „Wenn ihr es selbst schon nicht wollt, dann denkt wenigstens an eure Kinder, damit sie kräftig und stark werden!" tönte Bascott weiter. Und damit hatte er die empfindliche Seite der meisten getroffen. Barry Wister schluckte hart. Wenn er sich bewegte, tat ihm jeder Kno chen im Leib weh. „Diese Schweine", sagte er angewi dert zu Fletcher. „Sie treiben mit der Not und dem Elend der Menschen Schindluder. Meinem Sohn haben sie die gefangenen Fische abgenommen und ihn noch verdroschen. Mich ha ben sie auch verprügelt und jetzt wol len sie uns das letzte Geld abknöpfen, indem sie Ratten verkaufen. Ich glaube jedenfalls nicht, daß sie Tiere verschenken." „Ganz sicher nicht", entgegnete Fletcher. „Aber diese Kerle haben un seren empfindlichsten Nerv getrof fen. Mein jüngster Sohn ist schwer krank, der Feldscher hilft ihm nicht, und der Kapitän hat rigoros abge lehnt, ihm heißen Tee oder ein paar Decken geben zu lassen. Lachen Sie mich nicht aus, Wister, aber mir
49 bleibt nichts anderes übrig, wenn ich meinen Jüngsten durchbringen will. Eines Tages wird der Allmächtige es diesen gottlosen Halunken zurück zahlen." „Ich kann es Ihnen nicht verden ken", sagte Wister schluckend. „Das Leben unserer Kinder steht an höch ster Stelle. Ich glaube, ich werde es auch tun - wegen Jimmy", fügte er leise hinzu. „Ich will von diesem dreckigen Kerl nichts", sagte Jimmy entschie den. „Eines Tages greift der schwarz haarige Mann ein, den sie den See wolf nennen, und dann wird alles an ders. Ich weiß das ganz genau." „Ich wünschte, es wäre so, mein Sohn. Aber der Kapitän ist sehr vor sichtig geworden." Inzwischen fragten ein paar Siedler nach dem Preis für die Ratten. Bas cott nannte eine Summe, die unver schämt war und einige hart schluk ken ließ. Einige schüttelten entschie den die Köpfe. „Ich bin ja kein Unmensch", sagte Bascott, der einsah, daß er doch et was zu hoch gegriffen hatte. „Ich lasse mit mir reden." Bowmaster und Johnson waren am meisten interessiert. Bowmaster sagte: „In London wur den während der großen Hungersnot auch Ratten gegessen, und niemand ist daran gestorben oder krank ge worden. Ich nehme Ihnen ein paar ab, Sir." „Ich will auch welche!" rief John son spontan. „Die Hauptsache, man hat etwas zu beißen." Offenbar wirkte das ansteckend. Jetzt griffen auch ein paar andere zu. Bascott pries die Ratten weiter lautstark an. „Was wollt ihr drüben mit dem Geld?" fragte er. „Gebt es hier aus, es
rettet euer Leben. Auf den Gold- oder Silberstücken könnt ihr zwar herum knabbern, aber satt werdet ihr davon nicht. Hier, das Fleisch ist ganz zart." Er zeigte wieder die abgezogene Ratte herum und sah den entsetzli chen Hunger in den Gesichtern der Leute. Im Handumdrehen war er mehr als zwanzig Ratten los. Das Geschäft lief wie geschmiert. Einer der Kaufwilligen hatte eine Frage. „Wie sollen wir die zubereiten, Sir? Die Viecher haben ja noch ihr Fell und müssen erst gehäutet werden. Außerdem haben wir keine Gelegen heit, sie zu braten." „Das übernehme ich selbstver ständlich", erklärte Bascott mit un verkennbarem Hohn in der Stimme. „Wer sie gekauft hat, dem wird sie auch zubereitet. Natürlich nicht um sonst, denn Holzkohle ist teuer, wie ihr wißt. Wer also ein kleines Entgelt zahlt, der kriegt die Tierchen liebe voll und knusprig gebraten." Das war der Gipfel an Unver schämtheit und Frechheit, und das ließen sich auch nur Leute gefallen, wenn sie vor Hunger fast starben. Es gab aber auch etliche, die unzu frieden waren oder kein Geld hatten, um die Wucherpreise zu bezahlen. Die Leute murrten jetzt ganz offen. Es begann bei ihnen zu kochen und zu brodeln, und verhaltene Wut entlud sich, indem sie auf den feisten Koch schimpften. Doch Bascott juckte das nicht. Er nahm die Bestellungen entgegen und versprach den Leuten, ihren Kauf zu zubereiten. „Niemand wird zum Kauf gezwun gen", erklärte er höhnisch. „Ich tue euch etwas Gutes, indem ich was zu
50 essen verkaufe. Wer nicht will, der hat schon." Eine halbe Stunde nach der Anprei sung war der Glatzkopf alle Ratten los und konnte sich die Hände reiben. Ein unwahrscheinlich großer Batzen war ihm in die Hände gefallen. Granville grinste still vor sich hin. Er übersah Harris, der blaß und an geekelt auf dem Achterdeck stand und mit starren Blicken auf die Segel sah. Gegen Mittag zog ein Geruch durchs Schiff, den alle lange Zeit ent behrt hatten. Es roch nach gebrate nem Fleisch - zum erstenmal seit lan ger, langer Zeit. Dennoch wurde die Unruhe und Empörung an Bord der „Discoverer" immer größer. Nicht alle fanden sich klaglos damit ab.
Den Arwenacks auf der Schebecke war nichts entgangen. Hasard hatte ganz besonders die „Discoverer" mit ihrem despotischen Kapitän und den anderen Halunken im Visier. Er ließ das Schiff fast pausenlos durch den Kieker beobachten. So war auch gesehen worden, daß ein schmächtiger Junge sein Glück mit Angeln versucht hatte. Man hatte auch noch beobachtet, daß der Junge einen Fisch an Bord geholt hatte und daß es deswegen einige Aufregung gab. Die weiteren Vorfälle waren ih nen allerdings entgangen, denn sie hatten zu dieser Zeit gerade den Kurs ein wenig geändert, und ihre Auf merksamkeit hatte sich dabei auf die anderen Schiffe konzentriert. An diesem Morgen reichte Dan O'Flynn seinem Kapitän wortlos das Spektiv und zeigte zur „Discoverer"
hinüber. Dan O'Flynn schüttelte nur stumm den Kopf. Hasard warf einen Blick hindurch und traute seinen Augen nicht. Quer über die Kuhl war eine Leine ge spannt, an der kleine Dinge baumel ten. Etliche Leute hatten sich drum herum versammelt und nahmen ihm vorübergehend die Sicht. Er konnte nicht erkennen, was an der Leine hing, denn immer mehr Siedler schar ten sich darum. Es sah aus, als würde dort ein Markt abgehalten. „Ich kann nichts mehr erkennen", sagte der Seewolf. „Was tun sie da? Was hängt dort an der Leine?" „Rattenmarkt", sagte Dan lako nisch. „Wie bitte?" Hasard glaubte sich verhört zu haben. „Sie verhökern Ratten, Sir. An der Leine hängen mindestens drei Dut zend Ratten, um die sich die Leute scharen... Hast du den Koch erken nen können, den feisten Glatzkopf?" „Ja, der war deutlich zu sehen. Aber Ratten verhökern - ich weiß nicht." „Sieht jedenfalls ganz danach aus, als würde der Kerl die Viecher an preisen. Ich kann mich auch täu schen, aber das sieht ganz und gar nicht nach einem Scherz aus." Ferris Tucker, der mit verschränk ten Armen auf dem Achterdeck stand, schüttelte sich angewidert. „Das sieht diesen Bastarden ähn lich, daß sie Ratten fangen und sie an die Hungrigen verkaufen. Die Zu stände auf dem alten Eimer werden immer schlimmer." „Der Hunger", sagte Hasard zäh neknirschend. „Der Hunger zwingt sie, alles zu essen, Was irgendwie eß bar ist. Wir haben uns auch schon in einer ähnlichen Lage befunden. Hun ger schmerzt, der Hunger und ein lee
51 rer Magen lassen die Leute charakter los werden. Das hat Pater David ein mal vor langer Zeit gesagt. Aber ge gen Bezahlung..." Er sprach nicht weiter und warf wieder einen Blick durch den Kieker. Die Leute rissen sich offenbar um die Ratten, wie er entsetzt feststellte. An der Leine hingen jetzt nur noch ein paar. Die anderen waren verschwun den. „Widerlich", sagte Don Juan de Al cazar. „Ich sehne den Tag herbei, an dem diese Halunken zur Hölle fahren, die so mit den Menschen umgehen." Hasard hatte ganz schmale Augen. Seine Lippen waren nur noch zwei dünne Striche. „Der Tag ist nicht mehr fern, Juan. So allmählich ist das Maß Granvilles voll. Er sorgt selbst dafür, denn jeden Tag verbuche ich ein Kreuz mehr auf seiner Liste. Und die Liste ist bald voll. Ich werde mich noch zurückhal ten, aber nur noch dieses Mal. Dann ist meine Geduld endgültig zu Ende. Schick mir mal den Kutscher, Fer ris", sagte er dann zu dem Schiffszim mermann. Der Kutscher erschien gleich dar auf auf dem Achterdeck. Bei den Ar wenacks hatte sich mittlerweile her umgesprochen, was wieder einmal auf dem Sorgenschiff „Discoverer" lief. „Was gibt es, Sir?" „Wir haben doch vorsorglich noch eine Menge Stockfisch in London ein gekauft. Notproviant - für alle Fälle." „Eine ganze Menge sogar, Sir", er widerte der Kutscher. „Du hattest ja so eine Ahnung, daß es Schwierigkei ten geben würde." „Die Ahnung hatte ich", mischte sich Old O'Flynn ein. „Ich sagte, daß es..."
„Ja ja, du warst der Katastro phenprophet", sagte der Kutscher. „Jetzt geht es um etwas anderes. Was ist mit dem Stockfisch, Sir?" „Laß einiges davon an Deck brin gen. Wir segeln zu Granville hinüber und verteilen es an die Leute. Die hauen sich die Mägen bereits mit Rat ten voll." „In Ordnung, Sir." Die Stockfische wurden an Deck ge bracht. Es waren ungesalzene Kabel jaus, die man an der Luft auf Stangen getrocknet hatte. Die Arwenacks hat ten sich in weiser Voraussicht damit eingedeckt. Für den Fall aller Fälle garantierte der Stockfisch das wei tere Überleben. Eine halbe Stunde später gingen sie längsseits, was Granville mit einem finsteren Blick zur Kenntnis nahm. Der Seewolf ging ihm wieder einmal mächtig auf die Nerven. Von den Siedlern wurde die Sche becke der Seewölfe mit lautem Hallo begrüßt. Die Leute wirkten erleich tert, als sie Hasard und seine Arwe nacks sahen. „Das Geschäft mit den Ratten scheint gut zu laufen", stellte der See wolf kühl fest. Granville zuckte verärgert mit den Schultern. „Besser, es gibt Ratten als gar nichts", entgegnete er. „Der Proviant wird immer knapper, ein Teil ist ver gammelt und ein anderer Teil durch Ratten verdorben. Da haben meine Leute die Biester gejagt, und dann schlug jemand vor, man könne sich an den Ratten schadlos halten." „Und sie verkaufen", sagte Hasard höhnisch, „sich an dem Dreck berei chern, der in der Bilge haust." „Das ist nicht meine Sache", sagte Granville abwehrend. „Ich habe das nur stillschweigend geduldet."
52 Der Profos sah sich inzwischen die drei Halunken an, die mit abgefeim ten Grinsen vor der Kombüse stan den. Beim Anblick dieser drei Kerle juckte es ihn jedesmal in den Fäu sten. „Nun gut", sagte Hasard. „Es ist das allerletzte Mal, daß ich Ihnen et was durchgehen lasse, Granville. Als Kapitän sind Sie für mich ohnehin untragbar. Ich halte von Ihnen abso lut nichts." „Ist mir bekannt", erwiderte Gran ville gleichmütig. „Das dürfte jedoch auf Gegenseitigkeit beruhen. Wir sind eben zwei verschiedene Charak tere." „Das haben Sie sehr treffend ge sagt. Vor Ihnen zittern die Leute, vor mir nicht." „Ich verstehe es eben, mich durch zusetzen", erwiderte Granville frech. „Dann bin ich gespannt, wer in den nächsten Tagen das größere Durch setzungsvermögen hat", sagte Ha sard. „Aber ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu diskutieren. Damit die Saue rei mit den Ratten aufhört, habe ich Stockfische mitgebracht. Die werden an die Leute verteilt. Sollten noch einmal Ratten angeboten werden, dann werde ich Sie zwingen, die Bie ster selbst zu essen." Hasard wandte sich ab und ließ die Stockfische an Deck bringen. Sogleich war Bascott zur Stelle. Er versuchte ein liebenswürdiges Grin sen auf seine Visage zu zaubern und gab, sich sehr freundlich, als der Pro fos ein großes Bündel Fisch auf die Planken legte. „Sehr rührend von euch", sagte er scheinheilig. „Ich werde das sofort in die Last bringen lassen und nachher verteilen. Die Leute werden sich be stimmt sehr freuen." Der Profos sah ihn freundlich an
und grinste ein bißchen. Er wußte ge nau, daß der Halunke in Gedanken schon überschlug, was er den Sied lern dafür abknöpfen konnte. Der Kerl gierte geradezu nach Geld. „Du wirst überhaupt nichts in die Last bringen lassen", erklärte er im mer noch sehr freundlich. „Du soll test dir höchstens eine Pütz Wasser bereitstellen, denn eines Tages brennt dein Kittel, du Rübenschwein, und dann stehst du in Flammen." Der Koch musterte ihn tückisch und feindselig. Die Freundlichkeit war aus seinen gelblichen Augen ver schwunden. Offener Haß war darin zu lesen. „Sieh dich lieber selbst vor, Nar bengesicht", zischte er. „Ich bin hier immer noch für den Proviant zustän dig." „Um ihn zu verhökern, was, wie?" höhnte Carberry. „Aber nicht mit uns. Der Fisch wird an die Leute selbst verteilt, wobei du natürlich da von ausgenommen bist. Du bist fett genug, und deine beiden Abbacker leiden auch keinen Hunger." „Wenn du uns damit meinst", sagte Watts, „dann kann es bald mal passie ren, daß noch mehr Narben deine Vi sage zieren." Carberry grinste auf seine sanfte Art. Die Kerle kannten dieses Grin sen noch nicht, und wußten auch die Bewegung nicht zu deuten, wenn der Profos die Arme in die Hüften stemmte. Genau das tat er jetzt. Gleichzeitig trat er einen Schritt vor und stieg dem feisten Koch mit sei nen gewaltigen Stiefeln auf die Lat schen. Dabei verlagerte er gleichzei tig sein Gewicht. Bascott schoß das Wasser über gangslos und sturzbachähnlich in die Augen. Er stieß vor Schmerz einen leisen Schrei aus.
54 „Kannst du deine Gräten nicht woanders hinstellen?" sagte Car berry. „Steh mir hier nicht im Weg herum, Fettwanst!" Ferris Tucker und Big Old Shane standen plötzlich neben den beiden anderen Kerlen und grinsten genauso freundlich wie der Profos. Die Sied ler registrierten das mit offener Freude. Carberry gab den Koch wieder frei. „War nur ein kleiner Vorge schmack", sagte er. „Beim nächsten Mal trete ich dir auf deinen Kürbis, bis dir die Socken platzen." Bascott trat fluchend zurück und hielt sich sein Bein. Er hatte das Ge fühl, ein ausgewachsener Elefant hätte daraufgetreten. Die beiden an deren drehten sich um, als Granville ihnen etwas zurief, und verschwan-. den mit verkniffenen Gesichtern. Hasard ließ die Stockfische direkt an die Siedler verteilen. Das paßte Granville nicht und erst recht nicht dem feisten Koch, dem der Haß jetzt ganz offen aus den Augen sprühte. „Wir sprechen uns noch", zischte Bascott voller Wut dem Profos zu. „Aber gern, Rübenschwein. Wenn du eine Audienz willst, mußt du dich nur vorher anmelden. Es gibt bei uns noch ein paar andere, die dich liebend gern verprügeln wollen." Bascott fluchte lästerlich. Gegen diesen Kerl mit den bloßen Fäusten anzukämpfen, war Wahnsinn. Dem mußte man anders beikommen, und das nahm er sich auch vor, sobald sich eine Gelegenheit ergab. Als er jetzt zur Kombüse schlich, ähnelte sein Gang noch mehr dem ei ner Watschelente. Er humpelte und bot ein lächerliches Bild. Unterdessen wachte Hasard dar über, daß jeder seine Ration erhielt. Eine Frau umarmte den Seewolf
dankbar, die Männer murmelten an erkennende Worte, doch in ihren Ge sichtern las Hasard, daß sie immer noch hündische Angst vor den Kerlen hatten. Er nahm sich vor, bei der nächsten Gelegenheit eisern durchzu greifen. Granvilles Maß war zum Überlaufen voll. Als sie ablegten, begannen die Sied ler laut zu klatschen. Granville sah ihnen hämisch und voller Heimtücke nach. Er spürte eine ohnmächtige Wut in sich aufsteigen. Wenn ich es diesen Bastarden nur heimzahlen könnte, überlegte er. 9. Robert Granville konnte es trotz dem nicht lassen. Schon am nächsten Tag gab es wieder - unbemerkt von den Arwenacks - Ärger, als er eine junge Frau belästigte. Ihr Mann wollte Granville zur Rede stellen, doch er erntete nur höhni sches Gelächter, und Granville drohte ihm Prügel an. Der Mann zog ziemlich kleinlaut ab, und als er später wieder an Deck war, prallte ihm ein Belegnagel auf den Kopf, den ein Kerl von der Mann schaft „versehentlich" hatte fallen lassen. Niemand fragte, was der Kerl da oben in den Wanten mit einem Be legnagel zu suchen hatte. Der Mann zog sich eine Gehirnerschütterung zu und konnte sich tagelang nur sehr mühsam bewegen. Auch eine andere Frau wurde von Granville mehrmals belästigt. Das heizte die Stimmung unter den Sied lern noch mehr an, denn es sprach sich schnell herum. An diesem Abend beschloß Gran ville, die ehrenwerten Gentlemen Prox, Bowmaster und Johnson nach
55 allen Regeln der Kunst auszuneh men. Wie Bascott ihm versichert hatte, besaßen diese drei Männer viel Geld und zahlten horrende Preise für zusätzliche Lebensmittel und andere Vergünstigungen. Sie hatten schon einmal den Vorzug gehabt, mit ihm spielen zu dürfen. Aber Granville war vorsichtig gewe sen und hatte die Gents nicht ausge nommen, damit sie nicht gleich die Lust am Würfeln verloren. So war die Partie ziemlich unentschieden ausge gangen, und keiner hatte Geld einge büßt. Die Kerle gierten darauf, wieder spielen zu können, denn das war die einzige Abwechslung, die sie an Bord hatten. Granville ließ sie jedoch be wußt schmoren, denn die Kerle wa ren ihm sicher. Er war auch immer bewußt freundlich und höflich zu ih nen. Die Gelegenheit ergab sich, als Prox und Johnson auf dem Quarter deck standen und sich mit einem Mann unterhielten. Granville winkte ihnen leutselig zu. „Na, noch einmal frische Luft schnappen, bevor es in die muffigen Räume zurückgeht?" fragte er. „Ich kann nichts daran ändern, Gents, aber das ist nun mal auf einem Schiff so. Und Abwechslung gibt es auch so gut wie keine. Es ist immer das gleiche." „Wir würden Sie gern zu einem kleinen Schluck einladen, Sir", sagte Alan Prox eifrig. „Natürlich auf un sere Kosten. Aber unsere Räume sind nicht gerade nach Ihrem Ge schmack." „Das läßt sich ändern", entgegnete Granville jovial. „Sie wissen ja, wo ich zu finden bin. Nach dem Essen bin ich in meiner Kammer. Ach ja, Mister Prox, bringen Sie doch Miß Ballou
mit. In Gesellschaft einer Lady plau dert es sich angenehmer. Ich habe noch einen vorzüglichen Rotwein da." Die beiden Gents nickten erwar tungsvoll. Sie versprachen, Miß Bal lou mitzubringen. Sie war zwar nicht das, was Granville als Lady bezeich nete, aber es hörte sich gut an. Lane Ballou war früher Tänzerin gewesen und mit einem reichlich obskuren Burschen aufgebrochen um die Neue Welt zu erobern. Genauer gesagt, war sie ein locke res Flittchen oder ein liederliches Frauenzimmer, das früher meist in zwielichtigen Kneipen verkehrte. Sie war an Bord auch die einzige Frau, die eine Einladung des Kapitäns nicht ausschlug. Sie war zwar nicht nach Granvilles Geschmack, doch sie verstand es, die Atmosphäre aufzu lockern, und wurde „sehr lustig", so bald sie angetrunken war. Andere nannten es allerdings ordinär. Nach dem Essen - es gab den übli chen matschigen Fraß, der zudem noch rationiert war - fanden sich Prox, Johnson und Bowmaster in der Kapitänskammer ein. In ihrer Beglei tung befand sich Lane Ballou, die braunhaarige Tänzerin. Sie hatte sich verwegen ge schminkt, mit überbetont roten Lip pen und stark nachgezogenen Brauen, die nur noch dünne Striche waren. Auch ein übertriebener Hauch von Rouge lag auf ihren Wangen. Die Augenlider hatte sie sich dunkelblau angemalt, was Prox zu der Frage ver anlaßte, ob ihr jemand die Klüsen dichtgehauen habe, vielleicht ihr ob skurer Verlobter. Granville gab sich hocherfreut und begrüßte seine Gäste mit ausgesuch ter Höflichkeit. Er stellte Zinnbecher auf den brei
56 ten Tisch, schenkte Rotwein ein und stieß mit seinen Gästen an. Lane Ballou nahm wie selbstverständlich an seiner Seite Platz und schenkte Granville einen verführerischen Blick. Eine halbe Stunde lang wurde er zählt, gelacht und gescherzt. Gran ville war aufgekratzt und tätschelte an der Tänzerin herum, die sich das kichernd gefallen ließ. „Wie wär's mit einem Spielchen?" schlug er nach einer Weile vor und goß wieder nach. „Würfeln?" Die Gents waren einverstanden. Alle drei packten ein ledernes Beutel chen auf den Tisch. Auch Granville stellte eins dazu. „Ich habe Silbertaler", sagte Prox, „wir müßten es gegen die anderen Gold- oder Silberstücke umrechnen.". Er griff in den Beutel und holte ein paar Münzen hervor. Granville verbarg seinen gierigen Blick nur mühsam. Was Prox da auf den Tisch legte, waren in Tirol ge prägte Silbermünzen, die dem Wert eines Guldens entsprachen. Sie wur den auch Guldengroschen genannt und waren ziemlich groß. Auf diese Taler war Granville ganz besonders scharf. Johnson hatte englisches Silber geld und ein paar Goldmünzen. Bow master konnte mit spanischen Reales aufwarten. Sie einigten sich schnell darauf, wie die Münzen in ihrem unterschiedlichen Wert umgerechnet wurden. Granville verteilte Würfel und gab jedem Spieler drei Stück mit den dazugehörenden Lederbechern. Dann ging es los. Alan Prox gewann die erste Runde, die zweite ging an Bowmaster und die dritte an Granville. Johnson hatte verloren und mußte berappen.
Eine halbe Stunde lang hatte Prox immer wieder Glück beim Würfeln. Auf seiner Seite häufte sich bereits ein ansehnlicher Betrag. „Wenn das so weitergeht, muß ich mein Schiff verkaufen, Mister Prox." „Dabei habe ich nur ganz selten gespielt", sagte Prox. Dann gingen vier Runden an Gran ville, der sich das „Glück" langsam, aber sicher zurückgewann. Granville ließ immer wieder nach schenken. Lane Ballou hatte das Amt übernommen und geizte nicht mit dem Einschenken. Sie selbst war schon angeheitert, erzählte zwischen durch ein paar deftige Witze und kraulte Granville das Kinn. Doch der hatte nur Augen für das Geld, für die Taler und Reales, die er alle in seinen Besitz zu bringen gedachte. Seiner Devise, erst die anderen gewinnen zu lassen oder ihnen nur einen Teil des Geldes abzuknöpfen, wurde er bald untreu, denn seine Gier nach den blanken Talern war uner sättlich. Immer mehr Geld lag auf seiner Seite und verschwand in dem Leder beutel. Prox zog ein langes Gesicht. John son war wütend und Bowmaster spielte verbissen weiter. Sie gewannen nicht mehr, es war wie verhext. Jede Runde ging an den Kapitän. Alan Prox hatte schon kräftig dem Wein zugesprochen. „Verdammt", murmelte er, „soviel Glück gibt es einfach nicht." „Was soll das heißen?" fragte Gran ville drohend. Auf seiner Stirn bil dete sich eine steile Falte des Unmu tes. „Nichts, Sir, aber nur Sie gewinnen noch. Wir kriegen kein Bein mehr auf die Planken."
57 Granville war ebenfalls etwas ange trunken. Er beließ es bei einem weite ren finsteren Blick auf die Gents, die das Gefühl nicht loswurden, ausge nommen zu werden, und zwar recht kräftig. Granville verlor die nächste Runde. Dann mußte er einmal hinaus und ließ den Würfelbecher auf der großen Back stehen. Als sie seine Schritte vor dem Schott hörten, griff Prox nach dem Würfelbecher des Kapitäns und ließ die Würfel über die Platte rollen. Alle drei zeigten eine Sechs. Die drei Gents sahen sich verblüfft an. Prox wiederholte den Wurf ein zweites und ein drittes Mal. Das Ergebnis war stets das gleiche. Dreimal eine Sechs bei allen Würfeln. „Dieser Hundesohn", knirschte Prox. „Der bescheißt uns nach Strich und Faden." Granville kehrte wieder zurück und sah die verkniffenen Gesichter. Er grinste bösartig und drehte seinen Becher schwungvoll um. „Drei Sechser", sagte Prox hä misch. „Irrtum." Granville hob den Be cher. „Zwei vierer, eine eins." Die Gents waren abermals ver blüfft und glaubten an einen Zufall, als Prox gewürfelt hatte. Diesmal hatte Granville verloren, aber trotz dem ging das nicht mit rechten Din gen zu. Bei der nächsten Runde gewann er zweimal hintereinander mit Sech sern. Alan Prox schwoll der Kamm, zu mal seine Talerchen auf einen lächer lichen Betrag geschrumpft waren. „Ich denke, wir tauschen einmal reihum die Würfelbecher", schlug er vor, „damit das Glück gleichmäßig verteilt wird. Wenn wir noch ein oder
zwei Stunden weiterspielen, sind wir blank und arm wie Kirchenmäuse." Granville stand abrupt auf und stieß einen Zinnbecher um. Die Ader auf seiner Stirn schwoll dick an. Die finsteren Augen lagen tief in den Höhlen, sein Mund war verkniffen. Eine rote Weinlache floß über den Tisch und tropfte zu Boden. „Wollen Sie etwa behaupten, daß ich betrüge?" brüllte er. „Ich habe gar nichts behauptet, Ka pitän", sagte Prox heiser. „Es war nur ein Vorschlag, und ich wundere mich, daß Sie damit nicht einverstanden sind. Sehen Sie, ich wollte nur einmal die Würfelbecher vertauschen, bei spielsweise so." Er griff nach Granvilles Becher und drehte ihn blitzschnell um. Drei Sechser zeigten die Würfel. Noch einmal wiederholte er den Wurf mit dem gleichen Ergebnis. „Das ist wirklich sehr seltsam und ein unglaublicher Zufall", höhnte Prox. „Versuchen Sie doch einmal, das gleiche Ergebnis zweimal hinter einander mit unseren Würfeln zu er zielen, Sir." Granville fegte mit einer wilden Bewegung Würfelbecher und Zinnbe cher vom Tisch. Rotwein spritzte durch die Kapitänskammer wie Blut. „Das ist eine Beleidigung, eine bo denlose Unverschämtheit!" brüllte Granville. „Ich lasse mir nicht von ei nem räudigen Bastard vorwerfen, daß ich falsch spiele. Das werden Sie bereuen, Freundchen, und ihr ande ren Kläffer ebenfalls." „Aber Kapitänchen", Lane Ballou kicherte, „nun reg dich doch nicht auf. Wir h a b e n . . . " Granville fegte sie mit dem Ellen bogen vom Stuhl. Die Lady ging krei schend zu Boden und fluchte ordinär. „Sie haben falsch gespielt!" schrie
58 Prox. „Sie vertauschen ständig die Würfel gegen andere, wenn man das auch kaum merkt." Er hatte einen knallroten Schädel wie die beiden anderen Gents auch, die sich lautstark empörten. In dem Tumult flog das Schott auf. Im Rahmen stand der Bootsmann Bruce Watts, hinter ihm der Decksäl teste Gordon Tibbs. Beide Kerle hat ten Belegnägel in den Fäusten und sa hen finster aus. „Haben Sie Ärger, Sir?" fragte Bruce Watts hämisch. „Und was für Ärger. Diese räudi gen Kreaturen behaupten, ich würde sie beim Spiel betrügen und falsch spielen. Das ist eine unerhörte Unter stellung. Verpaßt ihnen einen Denk zettel, damit sie in Zukunft wissen, welchen Respekt sie mir schulden." Für die beiden Schläger war das di rekt eine Freude. Man sah es ihren Vi sagen an. Prox, der Furchtloseste der drei, trat mit bleichem Gesicht einen Schritt vor. „Das stimmt!" rief er wild. „Bevor Sie unüberlegt handeln, prüfen Sie das einmal nach." Die beiden Kerle lachten roh. Mit zwei schnellen Sätzen waren sie am Tisch. Tibbs holte mit dem Belegnagel aus und drosch ihn Bowmaster hart über den Kopf. Mit der Faust schob er noch einmal nach. Bowmaster ging brüllend in die Knie und schlug mit dem Gesicht auf den Boden. Johnson erwischte eine knallharte Faust, die ihn quer über den Tisch fegte. Watts riß ihn hoch und verpaßte ihm weitere brutale Faustschläge, bis Johnson stöhnend zusammenbrach. Prox war entsetzt zurückgewichen und hob die Hände vors Gesicht.
Sie drangen tückisch von zwei Sei ten auf ihn ein und ließen die Fäuste fliegen. Prox hatte keine Chance ge gen sie. Die Kerle schlugen ihn erbar mungslos zusammen. „Das reicht", sagte Granville, als Alan Prox wimmernd am Boden lag. „Der Bastard hat vorerst genug. Schlagt ihn nicht tot. Schmeißt jetzt erst einmal das Flittchen raus!" Watts packte die kreischende und fluchende Ex-Tänzerin an den Haa ren und zerrte sie zum Schott. Dort gab er ihr einen harten Stoß ins Kreuz und kehrte grinsend zurück. „Jetzt zu denen da", sagte Granville verächtlich. „Natürlich haben die Ha lunken mich zu Unrecht beschuldigt." „Natürlich, Sir", tönten beide und grinsten breit. „Wer würde jemals daran zweifeln!" „Schmeißt die beiden Halunken an Deck und gebt ihnen für ihre Frech heit noch ordentlich was aufs Maul. Den da", er zeigte auf den stöhnenden und blutenden Prox, „sperrt ihr bis morgen früh ein. Bei Sonnenaufgang wird er auf der Kuhl festgebunden und erhält fünfzig Hiebe, damit er sich künftig überlegt, wen er beschul digt." „Aye, Sir", sagte Watts. „Aber die Bastarde auf der Schebecke werden das sehen und wieder die Mäuler auf reißen." „Hier bin ich Zuchtmeister und Ka pitän. Ihr werdet bestätigen - falls die Kerle sich darum kümmern -, daß Prox mich angefallen hat, in meine Kammer eingedrungen ist und klau en wollte." „Stimmt ja auch alles, Sir", tönte Tibbs. „Natürlich haben wir das gese hen. Wir konnten gerade noch recht zeitig eingreifen." „Dann ist ja alles in bester Ord nung."
59 Granville gab dem wimmernden Prox einen derben Tritt, stieg über ihn weg und sackte das Geld ein, das verstreut auf dem Tisch lag. Unterdessen warfen die beiden Schläger Johnson und Bowmaster wie nasse Lumpen an Deck und kehr ten händereibend zurück. „Hier, das ist für euch", sagte Gran ville und schob ihnen ein paar Silber stücke hinüber. „Und jetzt ab mit die sem Halunken in die Piek. Und ver geßt nicht: Fünfzig Hiebe morgen früh, noch bevor die Siedler an Deck sind. Ich brauche keine Zuschauer." „Nach fünfzig Hieben wird von dem Mickermann nicht mehr viel üb rig sein", gab Watts zu bedenken. „Dann sieht er wie ein alter Hund aus." „Na, wenn schon! Bei dem Bastard gibt es sowieso nichts mehr zu holen. Von mir aus kann ihn der Teufel ho len." Die beiden Schläger steckten das Geld ein und packten Prox am Kra gen. Dann schleiften sie ihn hinaus und brachten ihn in die Piek. Sie war fen ihn hinein und verrammelten das Schott. Inzwischen zählte Granville die Ta ler, Reales und anderen Silberstücke. Es war eine feine Summe, die er sich auf diese Weise ergaunert hatte, ein ansehnlicher Betrag. Als die beiden zurückkehrten, ließ er sie die Kammer aufklaren, und an schließend feierten sie noch ein biß chen. Alle drei waren mit dem Ver lauf des Abends vollauf zufrieden. 10. Der Tag versprach wieder sehr son nig zu werden. Der Atlantik hielt seine Krallen zurück und bescherte
schönes Wetter, das mit einem dunsti gen Sonnenaufgang begann. Hasard blickte nach Osten. Jeden Morgen galt sein erster Blick der öst lichen Kimm, wo sich die Sonnen strahlen auf dem Wasser brachen und so stark glitzerten, daß er die Au gen zusammenkneifen mußte. In die sem kupferfarbenen Strahlenbündel war wieder die Karavelle zu erken nen, ihr unermüdlicher Fühlungshal ter, der ihnen unbeirrbar folgte und immer in Sichtweite blieb. Heute war sie etwas dichter aufgesegelt und be fand sich etwa vier bis fünf Meilen achteraus. Kein Zweifel, daß die Kerle sie bis in die Neue Welt begleiten wollten und ihre angebliche Fahrt zu den Azoren eine Lüge war. Etwas später wurde seine Aufmerk samkeit durch die Vorgänge auf der „Discoverer" gefesselt. Dort banden sie auf der Kuhl gerade einen Mann ins Want, wie er erkennen konnte. Bei Granville stand wieder mal eine Aus peitschung bevor. „Er hat immer noch nichts gelernt", sagte der Seewolf hart. „Dieser sture Despot läßt schon wieder prügeln. Wir werden uns das ansehen. Wenn es ein Kerl aus seiner üblen Mann schaft ist, soll er ihn meinetwegen prügeln. Die haben es nicht besser verdient. Ist es aber einer von den Siedlern, dann erlebt Granville jetzt seine höllische Stunde. Ich bin von dem Kerl restlos bedient. Das ist kein Mensch mehr, das ist eine reißende Bestie." „Es wird langsam Zeit, daß wir ihn mal die Furcht Gottes lehren", meinte Don Juan de Alcazar. „Der Hunde sohn setzt sich frech und rigoros über alle Empfehlungen hinweg. Ich an deiner Stelle würde jetzt auch nicht mehr lange zusehen, Sir."
60 „Nein, das Maß ist endgültig voll. Ich sehe auch nicht mehr zu, wenn es sich so verhält, wie ich vermute." In den eisblauen Augen des See wolfs lag ein eigentümliches Glitzern, als er durch das Spektiv blickte und dann den Befehl gab, zur Galeone aufzuschließen. „Längsseits gehen", sagte Hasard, als ein unmenschlich lauter Schrei die morgendliche Stille durchbrach. Der Mann im Want zuckte zusam men, als ihn die Peitsche traf. Der Decksälteste mit den langen Affenar men konnte wohl besonders hart zu schlagen, das lag in der Natur der Sache, und er hieb mit aller Kraft auf den Wehrlosen ein. Als die Schebecke längsseits ging, ließ Tibbs die Affenarme sinken und sah unschlüssig zu seinem Kapitän, der ebenfalls auf der Kuhl stand und dem Schauspiel genüßlich zusah. Jetzt ließ er den zum Schlag erhobe nen Arm sinken, als Granville ein Zeichen gab. Hasard, der Profos, Tucker, Matt Davies, Batuti, Shane und Blacky wa ren mit einem schnellen Sprung an Deck. Granville wollte dem Seewolf gleich den Wind aus den Segeln neh men. „Sie werden sich wieder über mich beschweren wollen", erklärte er. „Aber hier findet nur eine gerechte Bestrafung statt. Der Kerl hat mich gestern abend überfallen und wollte mich beklauen, als er in meine Kam mer eindrang. Das ist es wohl nicht mehr als recht und billig, wenn ich ihn dafür bestrafe." „Wir sind Zeugen", meldete sich Watts. „Mister Tibbs war dabei und hat es ebenfalls gesehen." „Ich war auch dabei", sagte der tük kische Koch. „Wir wurden durch den
Krach alarmiert und kamen gerade noch rechtzeitig." Hasard gab überhaupt nichts auf die Zeugen. Er wandte sich an den Mann, der aus einer Rückenwunde blutete und dessen Gesicht demoliert war, als hätten ihn unzählige Faustschläge getroffen. „Schneidet ihn los!" befahl er sei nen Männern. Prox wurde losgeschnitten und krümmte sich. „Das können Sie nicht tun!" rief Granville. „Ich bin hier der Kapitän und dulde nicht, daß man meinen Be fehlen zuwiderhandelt. Ich werde mich über S i e . . . " „Halten Sie den Mund!" brüllte Ha sard den Kapitän an. Dann wandte er sich wieder an Prox. „Nein, Sir, das stimmt nicht. Zwei meiner Freunde und ich haben ge stern mit dem Kapitän gewürfelt. Er betrog uns mit falschen Würfeln und nahm uns aus. Als wir ihm das sag ten, ließ er uns zusammenschlagen." „Kein Wort wahr", versicherte Watts treuherzig. „Beim Leben mei ner Mutter, Mister Killigrew, der Kerl heuchelt." „Natürlich ist das wahr, was Prox sagt", ertönte eine Stimme von der Back. Dort stand ein ziemlich zerzau stes Frauenzimmer, neben dem zwei andere Männer aufgetaucht waren. Sie hatten all ihren Mut zusam mengenommen. „Ich war auch da bei", sagte die Frau. „Die Männer können es ebenfalls bezeugen. Er hat ihnen alles Geld abgeknöpft und falsch gespielt." „Stimmt das?" fragte Hasard die beiden Männer, deren Gesichter blut unterlaufen waren und die zuge schwollene Augen hatten. „Stimmt", sagte Johnson mühsam. „Die Kerle haben uns gemein verprü
61 gelt, Sir, als wir aufmuckten. Im Schapp der Kapitänskammer stehen die Würfelbecher mit den präparier ten Würfeln. Wir sind unser gesamtes Geld losgeworden." „Dann bringen Sie mir die Beweise, wenn Sie sich so gut auskennen", sagte Hasard. ,,In meiner Kammer hat niemand etwas zu suchen!" schrie Granville voller Zorn und lockte mit seinem Ge brüll immer mehr Leute an Deck. „Shane, begleite den Mann", sagte Hasard. „Und Sie hören mit Ihrem Geschrei auf, Granville." Die beiden Männer waren schnell wieder zurück. Hasard konnte sich von der Wahrheit überzeugen. Es fan den sich auch gleich noch mehr Sied ler, die bestätigten, von Granville ausgenommen worden zu sein. Im mer mehr wurden es, die jetzt scho nungslos seine Taten anprangerten. „Ihr spielt euch hier wie die edlen Ritter auf!" schrie Watts. „Ihr Klug scheißer wißt alles besser. Das lassen wir uns nicht gefallen." Bascott und Tibbs tönten ebenso empört herum und beleidigten die Arwenacks mit üblen Worten. „Reinschiff", sagte Hasard. „Es wird Zeit, daß hier einmal ausgemi stet wird. Der Dreck wird immer grö ßer." Der Profos war mit einem Satz bei Kelvin Bascott und packte ihn am Kragen. „Jetzt reden wir mal über deinen brennenden Kittel", sagte er liebens würdig. „Du bist schon lange reif, du Watschelente." Bascott versuchte, dem Profos in den Unterleib zu treten, und als ihm das nicht gelang, griff er in den Schaft seines Stiefels und holte ein langes spitzes Messer hervor. Mit der linken Hand stach er zu.
Er traf ins Leere, denn Carberry drehte sich blitzschnell zur Seite. Noch in der Drehung ließ er den be rüchtigten Profoshammer fliegen. Das war ein Ding aus dem Schulter gelenk, mit dem ganzen Körperge wicht geschlagen, und dieser Ham mer traf Bascott an seinem feisten Kinn und verschob ihm die ganze ge meine Visage. Der Schlag trieb ihn zurück, warf ihn an den Fockmast und ließ ihn aufstöhnend zusammenbrechen. Bas cott stützte sich mit den Händen auf den Planken ab. Er war erstaunlich zäh. Doch da packte ihn der Profos bereits und wischte mit ihm das Deck auf. Der Koch empfing die Dresche sei nes Lebens und streckte sich der Länge nach auf den Planken aus. Ferris Tucker wurde von Watts an gesprungen. Tibbs stürzte sich auf Matt Davies, aber der zog ihn mit seiner Hakenprothese heran und drosch ihn quer über die ganze Kuhl, bis Tibbs zusammenbrach. Tucker schlug dem Bootsmann die Faust auf den Schädel. Doch Watts war ein zäher Brocken und wehrte sich verbissen. Gegen den Zimmer mann hatte er jedoch nichts vorzu weisen. Ferris nahm ihn gnadenlos in die Mangel. Dicht neben dem röchelnden Koch schlug er ihm eine brettharte Rechte in die Visage. Der Bootsmann spuckte daraufhin zwei weitere Zähne aus. Auch er empfing so viel Prügel, wie er in seinem ganzen Le ben noch nicht eingesteckt hatte. Schließlich lagen die drei Kerle be wußtlos auf den Planken. Sie hatten endgültig genug. Granville sah mit steigendem Ent setzen zu, wie seine Schläger mir nichts, dir nichts getakelt wurden. Er
62 hatte die Hand am Degen und war schnell und geschmeidig, daß Gran ville kaum etwas sah. Der Degen des bleich im Gesicht. „Das war der Anfang", sagte Ha Seewolfs blitzte auf, die Klinge sau sard eisig. „Ihr Maß ist übervoll, Mi ste durch die Luft, es gab ein pfeifen ster. Kraft meines Amtes setze ich Sie des Geräusch. Mit einem blitzschnell als Kapitän der ,Discoverer' ab. Sie geführten Hieb durchtrennte die werden in Gewahrsam genommen Klinge den Gürtel von Granvilles und können sich als verhaftet be Hose. trachten. An Ihrer Stelle ernenne ich Die Hose rutschte und fiel bis auf den Navigationsoffizier, Mister Har die Knie. ris, zum neuen Kapitän über die ,Dis Granville stolperte, der Lächerlich coverer'." keit preisgegeben, über seine eigenen Granville wurde noch bleicher. Beine. Der Degen fiel ihm aus der Seine Augen funkelten wie die eines Hand, er selbst landete, mit dem Ge Wahnsinnigen. Er lachte grell und sicht voran, auf den Planken. höhnisch. Der Seewolf streckte die Degen „Sie setzen mich ab?" rief er. „Daß klinge erneut vor, schob sie unter den ich nicht lache. Ich lasse mich nicht Degen Granvilles, hob ihn an und schleuderte die Waffe mit einem kräf absetzen, ich bin der Kapitän!" „Sie sind der Kapitän gewesen", er tigen Schwung übers Schanzkleid ins widerte Hasard ruhig. „Ihre Verfeh Wasser. lungen sind kaum noch aufzuzählen. „Nehmt ihn fest", sagte er. „Bringt Sie übersteigen jedes vorstellbare ihn auf die Schebecke und sperrt ihn Maß. Und jetzt geben Sie mir Ihren in die Vorpiek ein. Bewacht ihn gut." Degen." Die Siedler klatschten begeistert Granville lachte schrill und mißtö Beifall und johlten laut. Shane und Carberry schnappten nend. „Meinen Degen können Sie kriegen, sich den tobenden Kerl, drehten ihm Sie verfluchter Bastard!" schrie er, die Arme auf den Rücken und brach „aber der wird in Ihrem Kadaver ten ihn zur Schebecke hinüber. Dort stecken. Ich lasse mich nicht abset verschwand er unter lautem und lä zen. Ich fordere Sie zum Duell, dann sterlichem Fluchen in der dunklen werden wir ja sehen..." Vorpiek. „Sie haben anscheinend noch gar Harris sah mit zuckendem Gesicht nichts begriffen, Mister. Ich duelliere auf den Seewolf, der ihm die Hand mich nicht mit einem schäbigen Ba gab. stard." „Sie scheinen mir der geeignete „Sie werden einem Duell nicht aus Mann zum Führen einer Galeone zu weichen können!" brüllte Granville. sein", sagte er. „Ich weiß, daß Sie mit „Sie Feigling werden es ohnehin den Machenschaften Ihres Kapitäns nicht überleben." nicht einverstanden sind. Aber man Hasard sah ihn kalt und gelassen hat Sie gewaltsam unterdrückt. Neh an. Der Kerl schien wie von Sinnen zu men Sie das Kommando an, Kapitän sein und schäumte vor Wut. Harris?" Dann ganz plötzlich, zog Granville „Danke, Sir, ich nehme an", sagte den Degen und stürmte vor. Harris bewegt. Hasards Gegenreaktion erfolgte so „Gut, dann werden Sie von jetzt an
63 die Galeone führen, Kapitän Harris. Schebecke zurück. Granville war Ich hoffe, daß es den Siedlern jetzt mittlerweile in der Vorpiek ver bessergehen wird." schwunden. Er war sehr still gewor „Darauf gebe ich Ihnen mein Wort, den, und er hatte jetzt auch eine lange Sir", versprach Harris. Zeit zum Nachdenken., „Behalten Sie außerdem die drei Als sie ablegten, von den besten Halunken gut im Auge", empfahl der Wünschen der Siedler begleitet, sah Seewolf und deutete auf die Kerle, Hasard, daß die drei Adelströpfe an die noch auf den Planken krochen. Deck standen, Sir William Godfrey, „Sollten sie auch nur die geringsten der Schnösel Alec Morris und Frank Schwierigkeiten bereiten, dann set Davenport. Alle drei hatten wütende zen Sie ein Flaggensignal. Ich werde Gesichter. mich künftig jeden Tag nach dem „Sir", sagte Frank Davenport er Stand der Dinge erkundigen, damit bost. „Sie können doch einen ehren es keine weiteren Schwierigkeiten gibt. Bei der geringsten Verfehlung werten Kapitän wie Granville nicht überstellen Sie die Halunken mir per einfach absetzen. Mister Morris und Sir William sind damit auch nicht sönlich oder sperren sie ein." einverstanden. Wir sind sehr empört „Es wird keinen Ärger mehr ge und befremdet." ben", versprach Harris, „vor allen Hasard sah die drei „Durchlauch Dingen wird die menschenunwürdige ten" kalt an. Behandlung ein Ende haben." Hasard wußte, daß er sich auf Har „Es bricht mir das Herz, daß Sie so ris verlassen konnte. Der Mann ver empört über die Absetzung Ihres lie stand sein Handwerk zehnmal besser ben Freundes und ehrenwerten Kapi als der üble Kapitän. täns sind. Ich unterbreite Ihnen da Unter dem lauten Beifall der Sied her einen Vorschlag: Um Ihre Empö ler kehrten die Arwenacks auf die rung ein bißchen abzukühlen, lasse
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Die drei „Adligen" zogen die ich Sie ebenfalls in die Vorpiek sper ren. Dort können Sie dann in aller Schwänze ein. Als Hasard sich noch einmal um Ruhe mit dem ehrenwerten Kapitän über Ihre Zukunft plaudern. Falls Sie drehte, sah er nur noch ihre Hacken, jedoch vorziehen, augenblicklich zu und die qualmten fast. verschwinden, sehe ich davon ab." Die höllische Reise ging weiter...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 626
Feuer auf der „Pilgrim"
von Sean Beaufort Ein dumpfes Krachen erschütterte die Planken der „Pilgrim". Gleichzeitig fuhr aus dem Luk eine fahle, von Rußflocken durchsetzte Feuerzunge und erlosch, noch ehe sie Segel und stehendes Gut erreicht hatte. Dann folgte wieder grauer Rauch. Riesige Lappen aus brennendem und schwelendem Material fielen wie tote Fledermäuse an Deck. Die Männer der Crew sprangen darauf zu, traten die Glut aus, kippten Wasser aus Pützen darüber und schlugen die Funken mit nassen Lappen aus. Die Alpträume eines jeden Seemanns waren zur schrecklichen Wirklichkeit geworden: Feuer im Schiff. Die Crew hielt sich her vorragend. Niemand brauchte ihnen zu erklären, wie groß die Gefahr war. Erschöpfte Seeleute wurden von ihren ausgeruhten Kameraden ersetzt. Die Freiwache befand sich an Deck, und die Männer kämpften sich von mehreren Stellen an den Laderaum heran, in dem es brannte und schwelte...
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010
März 1988