Kurt Brand
Staff Caine Heft Nr.: 95
Kosmischer Abgrund V1.0 scanned by: ichnein kleser: JohnFurrer
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Kurt Brand
Staff Caine Heft Nr.: 95
Kosmischer Abgrund V1.0 scanned by: ichnein kleser: JohnFurrer
Personenverzeichnis Colonel Huxley Colonel Clark Major Crook Charaua Tantal
Raumerkommandant der TF und Mitglied des Rates des nogkschen Imperiums Kommandant des Tofiritringraumers EUROPA Kommandant der FO l Herrscher der Nogks ein mutierter Nogk
Kosmischer Abgrund Staff Caine Mit seiner gewaltsamen Landung auf dem Planeten Cut-Out hat Ren Dhark ungewollt die Sicherung für ein planetarisches Abwehrsystem der Mysterious herausspringen lassen. An 182 Orten der Galaxis beziehen riesige Anlagen Energien von ihrer Sonne. Doppelkugelraumer der schwarzen Weißen, die dieses Phänomen ergründen wollen, werden im Feuer der Abwehrbatterien zerstrahlt. Dro Cimc, der schwarze Weiße, der sich an Bord der POINT OF befindet, befürchtet einen Vernichtungsangriff der Tel'schen Flotte auf Terra. Der Commander will das um jeden Preis verhindern und verlangt von Dro Cimc die Koordinaten seines Heimatplaneten, um mit dem Vank der Tels zu verhandeln. Dro Cimc gibt nach, gleichzeitig warnt er aber vor der Uneinsichtigkeit des Rechengehirns Kluis, das die endgültigen Entscheidungen trifft. Als die POINT OF auf Cromar, der Heimatwelt der schwarzen Weißen, landet, scheinen sich die Befürchtungen Dro Cimc' zu bewahrheiten. Ren Dhark und seine Leute werden vom Kluis zum Tode verurteilt. Doch den Terranern gelingt es, sich zu befreien und den Kluis in ihre Hand zu bekommen, so daß sie die schwarzen Weißen zu Verhandlungen zwingen können, nachdem auch die Terranische Flotte über Cromar steht.
Seit die Nogks den Planeten verlassen hatten, war Nogk II eine Welt des Schweigens. Tag für Tag wanderte die blaugrüne Feuerkugel der Sonne Tantal über die hitzeflimmernden Wüsten. Unbarmherzig sengten ihre heißen Strahlen auf die Ruinen der einstigen Nogkstädte herab. Ihre wie grünliches Glas wirkenden, viele hundert Meter hohen Mauern funkelten. Und wenn sich nach einem langen Tag endlich die gewaltigen, tiefschwarzen Schatten der Ringmauern in der hereinbrechenden Dunkelheit verloren, wenn die Nacht über den hitzeflimmernden Planeten kroch, dann glühten die Ringstädte immer noch. Wie phosphoreszierende Mammutkrater standen sie in der Dunkelheit unter den funkelnden Sternen. Erst mit der Kühle der letzten Stunden vor Sonnenaufgang, wenn sich das Schwarz des Himmels wieder in ein blasses Grün verwandelte, erloschen auch sie. Zwischen den Ringstädten, halb verdeckt und verweht von rotbraunem Flugsand, lagen die stummen Zeugen eines unbarmherzigen Kampfes gegen jene schattenhaften Invasoren, denen die Nogks schließlich weichen mußten: die Wrack., völlig zerstörter und deformierter eiförmiger Raumer. Manche der Schiffe über sechshundert Meter lang und an der stärksten Stelle ihres Druckkörpers für vierhundert Meter stark. Einige der Wüsten waren mit Trümmern übersät, zerfetzten, grauenhaft verdrehten und verbogenen Metallteilen und Aggregaten. Nogk II war eine Welt des Schweigens geworden und eine Welt des Todes. Jedenfalls schien es so, denn nichts regte sich auf seiner Oberfläche in den langen Stunden des Tages und in den gespenstisch von den Torsos der Ringstädte durchglühten Nächten.
Als die blaugrüne Sonne ihre funkelnde, gleißende Scheibe über den Horizont des neuen Tages erhob, durchlief die braungelb gepunktete Puppe das erste heftige Zucken. Ihr lederartiger, gut zwei Meter langer Raupenkörper stemmte sich gegen die Wände ihrer gläsernen Zelle. Die zwei kurzen Stummelfühler an ihrem einen Ende begannen sekundenlang zu zittern. Dann krümmte sich die Puppe erneut zusammen. Mit aller Gewalt stemmte sich ihr Körper gegen die beiden kreisrunden deckelartigen Verschlüsse ihres Gefängnisses, während es unter den Ringgliedern ihrer Haut zu arbeiten begann. Mit hellem, berstendem Geräusch sprang der Deckel mit solcher Gewalt über ihren Stummelfühlern ab, daß er gut zwanzig Meter durch die Luft flog. Genau der Sonne entgegen, die jetzt ihre ersten Strahlen auf die gewaltigen Ringmauern der einstigen Hauptstadt der Nogks warf, vor der die Puppe in ihrer Zelle Monat um Monat gelegen hatte. Vergessen von den Nogks, übersehen von den Meegs, den Bewahren des Lebens jener Rasse. Die Puppe streckte sich. Dann, nachdem ein Teil ihres Körpers sich aus der Zelle hervorgeschoben hatte, lag sie still. Es war, als müsse sie sich von der gewaltigen Kraftanstrengung erholen, die sie eben vollbracht hatte. Nach einer Weile, als die blaugrüne Sonne Tantal schon hoch über dem Horizont der rotbraunen Wüste stand, begann es erneut in ihr zu arbeiten. Wieder krümmte sich ihr raupenförmiger Körper zusammen. Mit kräftigen, schiebenden und stoßenden Bewegungen glitt sie endgültig aus ihrer Zelle hervor und kroch einige Meter in die Wüste hinaus. Abermals blieb sie scheinbar erschöpft liegen, während es unter den Ringgliedern ihres Körpers zu pulsieren begann. Nach einer knappen Viertelstunde bildete sich dicht hinter ihren Stummelfühlern eine wulstartige Verdickung. Und dann, von einer Sekunde zur ändern, platzte die Puppenhülle auf. Ein metallisch glänzender, kobaltblau leuchtender Kopf schob sich aus der Hülle hervor. Wo sie nicht nachgab, halfen seine scharfen Beißzangen augenblicklich nach. Der Kopf besaß Ähnlichkeit mit dem einer überdimensionalen Libelle, nur daß er ebenfalls an ein schönes, schillerndes Reptil erinnerte. Dies um so stärker, je weiter sich der Körper des Nogks aus der Puppe befreite. Eine halbe Stunde später lag die leere und jetzt völlig leblose Hülle neben dem kobaltblauen, schillernden Wesen, das eine seltsame Mischung aus Insekt, Reptil und humanoider Entität war. Etwas über zwei Meter groß, langbeinig, schlank, mit kräftigen Armen, an deren Enden sich vierfingerige Hände in den langsam heißer werdenden Sand krallten. Seine äußeren Formen wiesen das Wesen ohne jeden Zweifel als einen Nachkommen der Nogks aus. Nur daß es nicht wie seine Erzeuger eine lederartige, braune Haut mit gelben Punkten besaß, sondern einen geschmeidigen, kobaltblauen Körper, der im gleißenden Licht der Sonne Tantal metallisch schimmerte. Abermals einige Minuten später entrollten sich auf dem Kopf des eben geschlüpften Nogks zwei Paar lange Fühler, die sich sofort aufrichteten und unruhig zu pendeln begannen. Dann, übergangslos, erhob sich der Nogk. Seine schwarzen Facettenaugen starrten in die grünblaue Sonne, erfaßten die im Sonnenlicht leuchtenden Ringmauern der zerstörten Stadt, glitten über die Raumerwracks, die die ganze Wüste übersäten, und starrten schließlich in den grünlichen Himmel. Der Nogk erfaßte bereits in der ersten Stunde seiner Geburt, daß er sich allein auf diesem
Planeten befand. Mit den raschen, eigentümlich gleitenden Bewegungen seiner Rasse ging er ein paar Schritte in die Wüste hinein. Im Gegensatz zu einem neugeborenen Menschen war sein Gehirn nach der Verpuppungszeit sofort voll ausgebildet. Außerdem verfügte es über etliche Informationen, die jetzt nach und nach in sein Bewußtsein drangen und sich zu scharfen, unmißverständlichen Anweisungen formten. In seinem überaus präzise arbeitenden Gehirn lief eine Mentalprojektion von einer Schärfe und Präzision ab, zu der kein menschliches Gehirn je fähig gewesen wäre. Die beiden Fühlerpaare des Nogks begannen unruhig zu spielen. Noch war er zu kurze Zeit auf dieser Welt, um alle eingespeicherten Informationen zu kennen, aber in ihm formte sich ein Bild, das irgendwie mit den Realitäten im Widerspruch stand. Der Nogk begriff, daß er sich auf einer Welt befand, für die das über Hypnodetektoren eingespeicherte Wissen nur sehr bedingt galt. Der Nogk gab sich in diesem Augenblick den Namen jener Sonne, deren lebensspendende Strahlen seine lange Entwicklung vom Ei über die Larve bis zum erwachsenen Nogk abgeschlossen hatten. Tantal lauschte mit seinen scharfen Sinnen in die Stille des hitzeflimmernden Planeten hinein. Anfangs verworrene Bilder formten sich rasch zu einem Mosaik, das ihm sehr schnell die Vergangenheit seiner Rasse enthüllte. Tantal wußte, daß er unter einer fremden Sonne, von seiner Rasse Charr genannt, von einem Nogk gezeugt worden war, den die übrigen Charaua nannten, und der eine wichtige Rolle im nogkschen Imperium spielte. Aber Tantal wußte auch, daß er unter den Strahlen der vielen Sonnen, unter deren Strahlen er während der Flucht seiner Rasse die verschiedenen Entwicklungsstadien durchlaufen hatte, abermals mutiert war. Zu etwas anderem. Zu etwas, das vom bisherigen Bild seiner Rasse abwich, nicht nur in der äußeren Erscheinungsform. Tantal wußte noch nicht, welche Fähigkeiten seine Mutation ihm tatsächlich gegeben und aktiviert hatte. Er sollte es jedoch erfahren und mit ihm viele andere ... Tantal verlor keine Zeit. Mit der seiner Rasse eigenen Schnelligkeit und Energie begann er, sich auf die funkelnden Ringmauern der vor ihm liegenden Stadt zuzubewegen. Irgendwie spürte er, daß sie trotz ihrer Zerstörungen in ihren Tiefen noch Dinge verborgen hielt, die für ihn von äußerster Wichtigkeit sein würden, wenn er überleben wollte. Und dazu war Tantal fest entschlossen. Noch während er sich schneller und schneller fortbewegte, ergriff ein unbezähmbarer Lebenswille von ihm Besitz, der sich mit noch etwas anderem, Dunklem vermischte, was Tantal trotz aller Bemühungen nicht zu erkennen oder zu deuten vermochte. Er verschwand im tiefschwarzen Schlagschatten der Ringmauern. Nur die leblose Hülle jener Puppe blieb unter den sengenden Strahlen der Sonne Tantal zurück. Ihre Haut streckte sich, während das grelle Licht sie mehr und mehr erhitzte. Und jenes leise, trockene Knistern war das erste Geräusch seit vielen Monaten, welches die Totenstille des Planeten durchbrach ... * Marschall Bulton, Colonel Huxley und Colonel Clark starrten dem Pyramidenraumer nach, der von der Piste Cent Fields, des größten Raumhafens Terra, abhob und dann unter starker Beschleunigung der dünnen Wolkendecke entgegenjagte. »Gehen wir!« sagte Marschall Bulton schließlich und zog unbehaglich die Schultern
hoch. Über den Raumhafen pfiff von Norden her ein eiskalter Wind. Zu kalt selbst für die fortgeschrittene Jahreszeit. Normalerweise schien auch Ende Oktober noch eine warme, helle Sonne über Cent Field und der ganz in der Nähe des Raumhafens gelegenen Stadt Alamo Gordo. Huxley warf einen Blick zu den Silhouetten Alamo Gordos hinüber. Ein Loch in der Wolkendecke ließ gerade eine der vielen riesigen Wohnkugeln erkennen, die auf ihren schlanken Stielbauten weit über tausend Meter hoch in den Himmel emporragten. Seinem Begleiter, einem untersetzten, bulligen Mann, entging der Blick nicht. Colonel Clark kannte die Schwäche Huxleys für jene komfortablen Wohnkugeln in luftiger Höhe, die langsam auf ihren achtzig Meter dicken Türmen rotierten und durch die Fenster der hübschen und außerordentlich behaglich eingerichteten Panorama-Views einen herrlichen Ausblick über die umliegende Landschaft ermöglichten. Clark wußte, daß der sonst so eisenharte Huxley eine romantische Ader besaß. Vielleicht war das ein Grund mit, warum er ein so ausdauernder, begeisterter Raumfahrer war, der ohne das große Abenteuer zwischen den Sternen nicht mehr zu leben vermochte. Ganz gleich, welche Gefahren und Strapazen es ihm auferlegte. Huxley besaß ein Apartment in einer jener Wohnkugeln. Dort wohnte und lebte er stets, sobald er sich auf der Erde aufhielt und nicht mit seinen Männern irgendwo in den Tiefen des Alls steckte. »Nehmen wir heute Abend einen Schluck da drüben, Huxley?« fragte Clark daher lächelnd. »Wenn Sie Lust haben, herzlich gern, Clark! Ich lade Sie ein!« nickte Huxley zurück. »Aber es wird spät werden heute. Ich habe noch einige Dinge mit dem Marschall zu besprechen und muß dann anschließend noch an Bord meines Schilfes. Hoffe ich jedenfalls. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich jetzt begleiten würden, Clark!« Der bullige Cononel stutzte. Es kam nur äußerst selten vor, daß Huxley jemanden um Schützenhilfe bat. Wenn es aber geschah, dann hatte er auch einen gewichtigen Grund dafür. »Wegen der Weisheit der Utaren?« fragte er daher zögernd und legte unwillkürlich den Kopf in den Nacken, um dem Pyramidenraumer noch einen Blick nachzuwerfen. Huxley schüttelte den Kopf. »Nein, Clark!« erwiderte er. »Daß bei dieser Beratung trotz des guten Willens der Utaren nicht viel herauskommen konnte, lag auf der Hand. Man kann keinen Schlachtplan zur Vernichtung eines Gegners schmieden, von dem man nichts weiter weiß, als daß er unsichtbare Kugelstationen besitzt, die sich jeder Ortung zu entziehen vermögen, den man einfach ,die Schatten' nennt, weil man nicht einmal die äußeren Formen genau zu erkennen vermag, und von deren Herkunft und Absichten man absolut nichts weiß!« Huxley sah seinen Begleiter an. »Natürlich werden uns die Utaren unter Umständen eine große Hilfe sein, aber eben nur unter Umständen. Und darauf, ob es sich nun so ergibt oder nicht, darauf können wir nicht warten. Ich habe etwas anderes vor! Und genau das will ich jetzt gleich dem Marschall plausibel machen. Das ganze Gerede am grünen Tisch, die ganzen Debatten ins Leere haben keinen Sinn!« Clark sah den grauhaarigen Kampfgefährten der letzten Schlachten gegen die Schatten an. Seine Augen zogen sich unwillkürlich zusammen. »Wenn ich Sie richtig verstehe, Huxley, dann wollen Sie zu den Nogks! In jenes System in der grauen Zone zwischen unserer Milchstraße und der Andromeda-Galaxis!« Huxley nickte. »Genau das habe ich vor. Reet, der neue Wohnplanet der Nogks, hat in
meiner Abwesenheit an die CHARR, meinen Ellipsenraumer, die Nachricht abgesetzt, daß drei dieser hochmodernen und durch ihre ultimativen Waffen selbst für die Schatten nahezu unangreifbaren Raumer spurlos verschwunden sind. Mir schwant Böses, Clark! Ich will und muß wissen, was bei den Nogks los ist!« Während ihres Gespräches hatten die beiden Männer den Marschall eingeholt. Zusammen mit Bulton fuhren sie im Lift zu seinem Arbeitszimmer hinauf. Marschall Bulton ließ sich in den bequemen Sessel hinter seinem Schreibtisch fallen. Seine Brauen zogen sich nachdenklich und gereizt zusammen. »Und jetzt?« fragte er schließlich. »Ich gebe zu, meine Herren, daß ich mit meinem Latein ziemlich am Ende bin!« Huxley erhob sich und trat an den schweren Schreibtisch heran. »Sie haben recht, Marschall, so kommen wir nicht weiter. Die Utaren sind guten Willens, aber sie können uns weder helfen, noch uns einen Weg zeigen. Wir sollten zwar zu ihrem Schutz eine Ringraumergruppe in Marsch setzen, aber das ist auch schon alles. Ich hingegen«, er sah den Marschall, der sich unwillkürlich aus seinem Sessel aufgerichtet hatte, aus seinen grauen, scharfen Augen an, »ich hingegen möchte mit Clark zu den Nogks starten. Sie haben drei ihrer besten Schiffe verloren. Drei Ellipsenraumer, größer noch als meine CHARR, sind spurlos verschwunden, mit ihren Besatzungen! Ich muß wissen, was mit ihnen geschehen ist, wo sie geblieben sind. Deswegen will ich hin.« Marschall Bulton fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er war sich von vornherein klar darüber, daß er Huxley den Flug nicht verbieten durfte. Denn Huxley zählte zu den Mitgliedern des Rates des nogkschen Imperiums. Er nahm in dieser seltsamen Freundschaft zwischen jenen Libellenwesen – wie sie oft von den Terranern völlig zu unrecht genannt wurden, weil ihre Köpfe eine gewisse Ähnlichkeit mit denen riesiger Libellen aufwiesen – eine überhaupt nicht zu überschätzende Schlüsselposition ein. Huxley besaß sogar ein eigenes Schiff, die CHARR. Ein Geschenk der Nogks an ihn und seine Besatzung. Ein Raumer, der von den Nogks völlig unentgeltlich für Huxley unterhalten und gewartet wurde. Ein Schiff, dessen technische Einrichtungen dem allerletzten Stand nogkscher Technik entsprach«, und es zu einem gefährlichen Gegner für jeden Angreifer machten. »Mit Ihrer CHARR, vermutlich. Und der FO I, oder?« Huxley sah den Marschall abermals an. »Das ist der wunde Punkt bei der Geschichte, Marschall!« erwiderte er schließlich. »Sie wissen, die FO I ist sozusagen ein Beischiff meiner CHARR, sie liegt während des Fluges ständig einsatzbereit in ihrem Hangar unter dem Druckkörper der CHARR. Die FO I hat uns auf Grund ihrer ultimativen Ausrüstung, die sie von den Nogks erhielt, und auf Grund ihrer außerordentlichen Stabilität schon viele gute Dienste geleistet. Es wäre wichtig, dieses Schiff ständig wirklich einsatzbereit zu haben. Dazu aber benötige ich eine Ersatzmannschaft für den Ellipsenraumer, Marschall. Und zwar eine vollständige Mannschaft, eine hundertprozentig aufeinander eingespielte Crew, die den Leistungsquotienten eins besitzt!« Marschall Bulton fuhr aus seinem Sessel hoch. Seine Brauen zogen sich noch mehr zusammen. »Leistungsquotient eins! Wie denken Sie sich das, Huxley? Was glauben Sie wohl, wie viele Mannschaften es in der TF gibt, die diese Forderung erfüllen, als Kollektiv, versteht sich!« Bulton fuchtelte erregt mit den Armen herum. Dann stutzte er und sah Colonel Clark an. Gleich darauf wieder Huxley,
»Clark können Sie nicht haben. Er muß auf der EUROPA bleiben. Keiner außer ihm und seiner Mannschaft kann dieses Schiff so handhaben, wie es erforderlich ist!« Der Marschall kam um seinen Schreibtisch herum. Er fixierte Huxley argwöhnisch, als die auf seine Feststellung hin erwartete Reaktion ausblieb. »Wenn nicht Clark und seine Männer, dann haben Sie doch eine ganz bestimmte Mannschaft und auch einen ganz bestimmten Kommandanten im Auge, Huxley! Raus mit der Sprache, wer ist es?« »Major Crook, Sir! Und ein Teil seiner JAPETUS-Crew!« antwortete der grauhaarige Colonel, ohne mit der Wimper zu zucken. Er ließ dem Marschall auch gar keine Zeit für weitere Entgegnungen. »Crook ist neben Szardak der einzige, den ich von der Kallisto-Akademie her genau kenne. Er hat mein vollstes Vertrauen, er versteht sein Handwerk! Und deshalb brauche ich ihn und keinen andern. Clark und seine EUROPA müssen mich ohnehin zu den Nogks begleiten. Sie wissen, daß die Ellipsenraumer neben ihren Stärken leider auch einige Schwächen haben. Besonders ihre außerordentliche Anfälligkeit gegen Deformationen ihres Druckkörpers jeder Art! Die EUROPA wäre da der ideale Partner, denn etwas Stabileres, Widerstandsfähigeres als unsere TO-Raumer gibt es im ganzen Universum wahrscheinlich nicht!« Marschall Bulton starrte den grauhaarigen Colonel an. »Ausgeschlossen, Huxley!« murmelte er dann. »So gerne ich Ihnen sonst jeden Wunsch erfülle, aber ausgerechnet Crook! Und obendrein noch die EUROPA mit Mann und Maus. Auf eine Aktion unbestimmter Dauer und unbestimmten Risikos. Sie kennen die Lage in der TF mindestens so gut wie ich. Uns fehlen ausgebildete Mannschaften und Spezialisten an allen Ecken und Kanten. Crook mit seiner JAPETUS ist unser bester und erfahrenster Bergungsspezialist, Sie wissen das, Huxley! Schließlich hat er Sie aus den Höllen der Mira Ceti herausgeholt! Nein, ausgeschlossen!« Der Marschall begann in seinem Arbeitszimmer auf und ab zu marschieren. Clark und Huxley sahen sich an. Clark gab Huxley, der sich gerade in Richtung auf Marschall Bulton in Bewegung setzte, verstohlen einen Wink. »Marschall!« schaltete er sich sodann in die Diskussion ein. »Huxley hat recht. Er braucht für sein Schiff eine zweite Besatzung. Die CHARR ist mit der FO I-Crew, so erstklassig auch jeder einzelne der Männer ist, ohnehin zu schwach bemannt. Immerhin hat die CHARR eine Länge von 500 Metern und ein entsprechendes Volumen. Ich kenne die Bewaffnung und die Möglichkeiten dieses Schiffes. Der Einsatz der FO I müßte die CHARR im Kampf gefährden, anstatt ihr Hilfe zu bringen. Crook ist genau der richtige Mann. Ich kenne ihn. Die JAPETUS kann vorübergehend von seinem I. O. übernommen werden. Er ist ein ungewöhnlich fähiger und umsichtiger Offizier. Die Crew füllen Sie aus der Besatzung der zur Überholung in die Werft gebrachten TITAN auf.« Er trat dicht an den Marschall heran. »Wir müssen gegen die ,Schatten' etwas unternehmen, Marschall! Massierte Aktionen haben vorläufig noch keinen Sinn. Wie damals im Raum Tantal lassen sie sich nicht wieder stellen oder überrumpeln. Aber Aktionen kleinerer Verbände, möglicherweise durch Einheiten der im Kampf gegen die Invasoren immerhin nicht unerfahrenen Nogks unterstützt, das wäre unter Umständen erfolgversprechend. Zudem scheinen die Nogks unsere Hilfe zu brauchen. Sie können gar nicht anders, Marschall, als Huxleys Plan zuzustimmen!« Clark, der für gewöhnlich keine langen Reden hielt, verstummte. Marschall Bulton sah konsterniert von einem der beiden Colonels zum andern.
»Das ist hier ja das reinste Komplott!« knurrte er schließlich und starrte Huxley und Clark aus schmalen Augen an. »Also gut!« entschied er dann. »Aber nur, wenn Crook auch Ihrer Meinung ist! Ich überlasse ihm selbst die endgültige Entscheidung. Denn er muß mir dafür geradestehen, daß seine JAPETUS voll einsatzfähig zur Verfügung bleibt! Wir haben sie in letzter Zeit ziemlich oft benötigt!« Der Marschall ließ über Vipho eine Verbindung zur JAPETUS herstellen. Crook erschien Sekunden später auf dem Bildschirm. In seinen hageren asketischen Zügen zuckte kein Muskel. Er hörte sich ohne jede Zwischenfrage an, was Marschall Bulton ihm zu sagen hatte. »Selbstverständlich, Sir!« erwiderte er anschließend. »Das läßt sich machen, ohne weiteres sogar. Ich werde sogleich die erforderlichen Männer aus meiner Besatzung heraussuchen und die Ersatzleute von der TITAN anfordern. Ich wollte die Nogks schon lange einmal kennenlernen, Sir. Diese Rasse interessiert mich brennend, Huxley hat mir schon so viel über sie erzählt, daß ich einfach viel zu neugierig bin, um eine solche Gelegenheit auszulassen!« Der Marschall winkte ab. »Dachte ich mir doch gleich. Huxley, Crook, Szardak, Clark – einer wie der andere, alles eine Wichse ...« Er schaltete ab und wandte sich abermals den beiden Colonels zu, die ihn jetzt unverhohlen angrinsten. Sie gehörten zu den wenigen, die sich das dem bulligen, äußerst cholerischen Marschall gegenüber erlauben konnten. Und der Marschall grinste zurück. Doch dann wurde er unvermittelt wieder ernst. »Wenn Sie schon zu den Nogks fliegen, dann habe ich noch einen Auftrag für Sie!« fuhr er zu ihnen gewendet fort. »Die Nogks haben uns das System Tantal mit seinen Werften und den dort konservierten Schiffen und sämtlichen technischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Wir haben es noch nicht übernehmen können, weil wir keine Leute dazu freihaben. Ehe Sie also mit Ihren Schiffen zur Sonne Corr transistieren, sehen Sie dort bitte nach dem Rechten. Sofort Bericht an mich, ich will wissen, ob dort alles in Ordnung ist. Wenn auch die Eiraumer der Nogks inzwischen veraltet erscheinen, so stellen sie mit den dort vorhandenen Werften und Hangars doch immerhin noch eine Kampfkraft und ein Potential dar, das wir nicht unterschätzen sollten!« Huxley nickte. »Ich bin ganz Ihrer Meinung, Marschall. Als Mitglied des Rates des nogkschen Imperiums hätte ich die Gelegenheit ohnehin zu einer Kontrolle von Nogk I und Nogk II benutzt! Dieser Stützpunkt könnte tatsächlich eines Tages für uns von größter Wichtigkeit sein!« Der Marschall nickte nachdrücklich. »Wann starten Sie?« fragte er eine Weile später. »Morgen früh, bei Sonnenaufgang!« »Viel Glück, und halten Sie Verbindung! Ich werde dafür sorgen, daß die FO I-Frequenz ständig frei und besetzt bleibt.« Er drückte Huxley und Clark die Hand. Gleich darauf verließen die beiden Männer das Arbeitszimmer des Marschalls.
*
Mitten in der Nacht wachte Huxley auf, nachdem er sich schon eine ganze Weile unruhig in seinem Bett hin und her geworfen hatte. Mit einem Ruck setzte er sich auf und – erstarrte mitten in der Bewegung. Auf seiner Brust erschien ein helleuchtendes Emblem. Eine scharf umrissene Ellipse, in deren Brennpunkten zwei winzige, schillernde Kugeln rotierten. Seinen übrigen, völlig unbekleideten Körper umfloß eine langsam pulsierende, rötliche Helligkeit, die gut mit dem harten Violett des Emblems über seinem Herzen harmonierte. Huxley erinnerte sich schlagartig. Als er von den Nogks in den Rat ihres Imperiums aufgenommen worden war, hatten die Meegs ihn mit diesem Kontaktfeld versehen. Sie hatten es in seinen Körper einoperiert. Eine Art Ausweis, der es jedem Fremden unmöglich machte, sich in den Rat einzuschleichen. Zugleich war dieses Emblem aber auch eine Art Sender und Empfänger. Huxley verhielt sich ganz still. Es mußte etwas Schwerwiegendes zu bedeuten haben, daß das Kontaktfeld gerade jetzt aufleuchtet... Er hatte es bisher erst einmal erlebt, damals, als er zusammen mit Tanja und Clint Derek auf Perm jenen schwerbeschädigten Nogkraumer fand ... Und dann kam es. Ganz plötzlich. In seinem Bewußtsein entstand das Bild von sechs gläsernen Kegeln. Sie leuchteten ebenfalls in hartem Violett. In ihnen, eingeschlossen und konserviert von jener eigentümlichen Substanz, die selbst dem Intervallum der Mysterious trotzte, standen sechs Nogks. Sie bewegten sich. Sie schienen ihre Totenkegel verlassen zu wollen. Irgend etwas hinderte sie jedoch daran. Was es war, vermochte Huxley trotz aller Anstrengung nicht zu erkennen. Blitzartig erinnerte sich der Colonel an die damaligen seltsamen Worte seines Freundes Charaua, der nach dem tragischen Tode des Herrschers der Nogks auf dem Wege zur Sonne Corr selbst zum Herrscher seiner Rasse gewählt worden war: ... Wenn es Euch recht ist, dann möchte ich die Toten an dieser Stelle lassen, Huxley. Es ist ein schöner Ort. Eure Sonne wird sie jeden Tag grüßen, bis sich ihre Kegel eines fernen Tages auflösen und sie wieder freigeben ... Die Toten? Er hatte Charaua damals nicht verstanden, und der Nogk hatte keine weiteren Erklärungen gegeben. Sollte am Ende etwa jetzt...? Huxley verlor keine Zeit mit überflüssigen Überlegungen. Er sprang mit einem Satz aus dem Bett. Innerhalb weniger Sekunden war er in seine Uniform geschlüpft. Dann griff er zum Vipho. Über die Zentrale der Wohnkugel ließ er sich mit Cent Field und von dort mit dem Leitstand der CHARR verbinden. Sein Zweiter Offizier, der einstige Sergeant Maxwell, erschien auf dem Bildschirm. Erstaunt und fragend zugleich richtete er seinen Blick auf Huxely, dessen Körper immer noch von jenem rötlichen, langsam pulsierenden Licht umflossen wurde. »Keine Fragen jetzt, Maxwell! Machen Sie die CHARR sofort startklar. Mir schicken Sie eines der Beiboote. Am besten eins aus der FO I, es kann mich hier am leichtesten aufnehmen, die Boote der CHARR sind zu groß. Dann rufen Sie Colonel Clark in der EUROPA an. Teilen Sie ihm mit, daß wir in die Kordilleren zum Illampu-Massiv fliegen. Er soll in Cent Field auf unsere Rückkehr warten. Ist Prewitt bereits an Bord?« »Nein, Sir, morgen früh, eine Stunde vor Sonnenaufgang.« »Hinterlassen Sie auch für ihn eine Botschaft. Was ist mit der übrigen Mannschaft?« »Etwa die Hälfte befindet sich an Bord, Sir!«
»Gut, das reicht! Beeilen Sie sich, Maxwell, es geht möglicherweise um Minuten!« »Aye, aye Sir! Ihr Beiboot ist in fünf Minuten zur Stelle. Ich starte bereits und komme Ihnen mit der CHARR entgegen.« Huxley nickte. Er sah noch, wie der II. O. Alarm gab, dann verlosch der Schirm. Huxley verließ sein Apartment. Durch eine der Plus-Sphären ließ er sich in den JetHangar der Wohnkugel tragen. Als er in den Hangar trat, sah er bereits, wie die bisher geschlossene Außenhaut dieses obersten Stockwerks der Wohnkugel langsam zurückglitt und eine Öffnung freigab, die groß genug war, auch einen schweren Transport-Jet durchzulassen. Wenige Sekunden später erblickte er den gleißenden Strahl des Scheinwerfers, der sich durch die Nacht fraß und gleich darauf auch das Innere des Hangars in seine blendende Helligkeit tauchte. Sofort schaltete der Pilot des tropfenförmigen Beibootes den Diffusor vor. Huxley pfiff nach einem raschen Blick auf sein Chrono anerkennend durch die Zähne. Knapp vier Minuten waren vergangen, seitdem er sein Apartment verlassen hatte. Das ständige Training, dem er jeden einzelnen seiner Crew ohne Rücksicht auf Rang, Stellung oder Alter unterwarf – Wissenschaftler und Techniker eingeschlossen –, hatte sich wieder einmal bewährt. Huxley brauchte knapp zehn Sekunden, um das Beiboot zu erreichen. Er verschwand blitzartig im bereits offenen Schott. Als er wenig später in der Kanzel des Bootes neben dem Sergeanten auftauchte, lag der Hangar der Wohnkugel bereits tief unter ihnen. Über ihnen jedoch, selbst im Dunkel der Nacht noch weithin leuchtend, stand der riesige goldfarbene Druckkörper der CHARR. Ein Druckkörper, der von oben und von unten eine mathematisch genaue Ellipse war, deren Achse eine Länge von 500 Metern besaß. Von allen anderen Seiten, technisch gesehen eine glatte Unmöglichkeit, glich das riesige Schiff ebenfalls einer – wenn auch leicht abgeplatteten – Ellipse. Huxley wurde immer wieder von der Vorstellung befallen, daß sich zwischen den Formen dieser Ellipsenraumer noch eine weitere ihnen unbekannte Dimension verberge. Erst sehr viel später sollte er erfahren, daß sein Gefühl, sein überaus feiner Spürsinn ihn nicht getäuscht hatte. Das Beiboot beschleunigte und jagte der bewegungslos in etwa drei Kilometer Höhe wartenden CHARR entgegen. Noch ehe es heran war, erkannte Huxley, daß die riesige, über zweihundert Meter lange Schleuse des Hangars, in dem seine FO I auf ihren Bettungen lag, offen war. Auch eine der Schleusen zum Bootsdeck der FO I war geöffnet. Huxley warf dem Sergeanten einen fragenden Blick zu. Aber der grinste nur. »Keine Sorge, Sir, ich bringe Sie heil in das Bootsdeck unserer FO I. Maxwell und der I. O. haben uns auf dieses Manöver während Ihrer Abwesenheit trainiert. Sie haben sich gedacht, daß manchmal die Beiboote unseres alten Forschungsraumers günstiger wären als die der CHARR. Die Einsatzbereitschaft der FO I würde aber zwangsläufig leiden, wenn aus diesen oder ähnlichen Gründen stets einige ihrer Beiboote im Großhangar der CHARR bereitliegen müßten. Und vielleicht kommt auch mal ein Tag, wo wir bei einem Einsatz jedes einzelne Boot unserer Old Lady brauchen, Sir, auch wenn wir das im Moment nicht hoffen!« Huxley fand nur noch die Zeit zu nicken, denn der Sergeant bremste das Beiboot jetzt hart ab. Dann flog er seitwärts in den Großhangar der CHARR hinein und war gleich darauf im Bootsdeck der FO I. Huxley spürte nur noch den leichten Stoß, mit dem das
Beiboot in seine Bettungen sank. »Alle Achtung, Masterson!« sagte er, während er bereits zur Schleuse eilte. Huxley wußte, wie schwierig das mit so spielerischer Leichtigkeit und Eleganz durchgeführte Manöver in Wirklichkeit war. Er mußte sich sogar innerlich eingestehen, daß er wahrscheinlich trotz seines eminenten Könnens nicht in der Lage sein würde, dem Sergeanten das Bravourstück nachzumachen. Denn so geräumig der Großhangar der CHARR auch war, der Platz, der neben der FO I blieb, war doch sehr begrenzt. Das spindelförmige, 200 Meter lange Schiff füllte den Hangar nahezu vollständig aus. Gleich darauf schloß sich über den beiden Männern der Druckkörper der CHARR, und das riesige Schiff begann zu beschleunigen. Als Huxley von den grünlich leuchtenden Gleitfeldern durch die Transportschächte zur Zentrale im Bug des Ellipsenraumers getragen wurde, überflog die CHARR bereits den Golf von Mexiko ...
*
Die beiden Männer im Leitstand der CHARR brauchten nicht lange zu suchen. Als sie sich in knapp 7000 Metern Höhe den Kordilleren näherten, schlugen die Anzeigen der Detektoren aus. Mit wenigen Griffen schaltete Huxley die Steuerung des Raumers auf die nogksche Tasterautomatik um. Die CHARR glitt dem 6000 Meter hohen Illampu-Massiv entgegen, dessen Gipfel vom ewigen Schnee bedeckt waren. Maxwell und Huxley konnten sich auf die Ortungen des Schiffes konzentrieren. Zusätzlich schaltete Maxwell nach einem kurzen Blick auf den Colonel den Allsichtschirm des Leitstandes ein. Die schattenlose Helligkeit im Raum erlosch innerhalb weniger Sekunden. Lediglich die Skalenbeleuchtungen glommen noch durch die Dunkelheit. Der Colonel und sein Zweiter Offizier schienen sich irgendwo außerhalb ihres Schiffes zu befinden, denn Wände, Decke und Boden des Leitstandes waren verschwunden. Statt dessen umgab ein grünlich schimmerndes Netz hauchdünner Koordinaten die beiden Männer wie eine Sphäre, in der sich fast zum Greifen nahe die mächtigen Gipfel der Kordilleren, die funkelnden Sterne und das leuchtende Band der Milchstraße abhoben. Die Konturensitze Huxleys und Maxwells schienen irgendwo über den langsam dahinziehenden Wolken zu schweben. Eine Eigenart des Allsichtschirms der Nogks, die besonders in den Tiefen des Alls schon manchen alten Raumfahrer, der unvorbereitet eine solche Zentrale während des Fluges betreten hatte, an den Rand der Raumpanik gebracht hatte. Alle Bilder zwischen den Koordinaten waren dreidimensional und von einer Schärfe, die ein normales menschliches Gehirn nur nach und nach in allen ihren Details zu verarbeiten vermochte. Das Schiff hielt jetzt in direktem Kurs auf den Gipfel des Illampu-Massivs zu, auf dem Huxley die sechs Totenkegel wußte. »Scheinwerfer, Maxwell, rasch!« Der Colonel hockte mit zusammengekniffenen Augen in seinem Sitz. Den Oberkörper hatte er weit vornübergebeugt, als könne er so die Entfernung zu jenem Gipfel verkürzen. Die gewaltigen Lichtwerfer der CHARR flammten auf. Und dann sahen die beiden Männer es. Die Totenkegel waren bis auf einen verschwunden. Wo sie gestanden hatten,
befanden sich im Felsen des Berges kreisrunde, kraterähnliche Löcher. Huxley starrte auf das Feld zwischen den Koordinaten der Allsichtsphäre. »Stärkere Vergrößerung, Maxwell!« stieß er gepreßt zwischen den Zähnen hervor. Maxwell regulierte die Kontrollen ein. Der Gipfel schien förmlich auf sie zuzurasen. Aber es blieb dabei: Die Kegel waren verschwunden und mit ihnen jede Spur von den Nogks, deren sterbliche Hülle sich in ihnen befunden hatte. Eingegossen in jene Masse, deren Prallfeld bisher mit keinem Mittel zu durchbrechen gewesen war. »Beiboot aussetzen, Maxwell. Sergeant Masterson und ich werden uns die Sache aus der Nähe ansehen. Behalten Sie uns und unsere Umgebung im Auge!« Der Colonel sprang aus seinem Konturensitz, während sein II. O. bereits die notwendigen Befehle an den Sergeanten durchgab. Minuten später verließ eines der ellipsenförmigen Beiboote die CHARR. Sergeant Masterson steuerte das Boot zum Gipfelplateau hinüber, das sich geisterhaft grell und weiß im Licht der starken Scheinwerfer des Raumers aus der Nacht heraushob. Huxley starrte mit schmalen Augen auf die Krater. Er erkannte ohne viel Mühe, daß dort einfach nichts mehr zu finden war. Jedenfalls nicht ohne die erforderlichen Instrumente. Auch die Taster der CHARR hatten keinerlei energetische Emissionen angezeigt. »Zum Kegel an Backbord, Masterson!« befahl er schließlich und schlüpfte gleich darauf in einen der leichten Raumanzüge, die in jedem der Beiboote grundsätzlich bereitlagen. Die Höhe von 6000 Metern und der damit verbundene Sauerstoffmangel machten das erforderlich. Ebenfalls die Jahreszeit, denn auf dem Illampu-Massiv herrschten Temperaturen von rund vierzig Grad Minus. Das Beiboot setzte mit leichtem Knirschen im tiefen Schnee auf, der sich hinter den Felsen im Windschatten angesammelt hatte. »Richten Sie die Scheinwerfer des Bootes ebenfalls auf den Totenkegel, Sergeant!« knurrte Huxley, ehe er seinen schweren Blaster umschnallte und sich auf den Weg zur Schleuse machte. Er spürte den eisigen Wind, der über das Gipfelplateau fegte, sofort, als er den Schutz der Felsen verließ und die wenigen Meter bis zum Kegel emporzusteigen begann. Schleunigst schaltete er die Heizung seines Raumanzuges ein. Dann zog er sich an den vereisten Felsen empor. Er brauchte etwa fünf Minuten, bis er schließlich vor dem letzten der ehemals sechs Totenkegel stand. Vorsichtig ging er Schritt für Schritt auf die funkelnde, gläserne Masse zu, die den Körper des toten Nogk umschloß. Bis auf knapp fünf Meter kam er heran, dann warf ihn die energetische Sperre zurück. Huxley taumelte unter dem plötzlichen Stoß, den er von jenem unbekannten, mit keinem Mittel zu durchbrechenden Prallfeld erhielt. Gleichzeitig bemerkte er, wie das Feld violett aufzüchtete und sich ein farbiger, nach und nach in allen Farben des Spektrums erglühender Vorhang vor den Totenkegel legte, Huxley wartete und überlegte. »By Gosh!« murmelte er. »Ich möchte doch zu gerne wissen, wohin die anderen Kegel verschwunden sind und warum nur der Kommandant jenes Nogkraumers in dieser gottverlassenen Einöde zurückbleiben mußte. Ich ...« Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick geschah etwas völlig Unerwartetes und völlig Unbegreifliches. Ein dunkler Schatten erschien über dem Massiv. Lautlos, gespenstisch und riesenhaft.
Eine silberne, rasendschnell um sich selbst rotierende Kugel stand plötzlich über dem Plateau. Huxley wußte nicht, um was es sich bei dieser seltsamen Erscheinung handelte, er war aber nicht dumm genug, kostbare Sekunden mit umständlichen Überlegungen zu verlieren. Mit einem Satz hechtete er vom Kegel in den tiefen Schnee. Mit einer gekonnten Rolle, zu der ihm der leichte Raumanzug genügend Bewegungsfreiheit ließ, fing er seinen Körper ab und kam blitzartig wieder auf die Füße. Einige weitere Sprünge brachten ihn etliche Meter über dem Beiboot der CHARR hinter einer dicken Felsnase in Deckung. Gerade noch rechtzeitig, denn in diesem Augenblick geschah etwas Entsetzliches. Huxley glaubte zu sehen, wie der Nogk sich in seinem Totenkegel bewegte. Gleich darauf griffen ein paar grelle, unerträglich helle Energiebahnen aus dem Dunkel nach dem Kegel. Huxley hörte über die hochempfindlichen Außenmikrophone seines Raumhelmes, wie die Silberstrahlen sich zischend durch den Felsen fraßen. In Sekundenschnelle hatten sie den Totenkegel aus seinem Fundament herausgeschnitten und rissen ihn mit einem gewaltigen Ruck empor. Es sah aus, als zögen sich stark gedehnte Gummibänder blitzartig zusammen. Der Kegel verschwand mit einem hohlen, pfeifenden Geräusch, dem kurz danach ein eigentümliches Singen folgte. Huxley hatte plötzlich das Gefühl, als begänne der Fels unter ihm zu vibrieren. Seine Hände verkrampften sich, in seinem Schädel hämmerte das Blut, das gesamte IllampuMassiv begann sich vor seinen Augen in seinem Bewußtsein zu drehen. Mit letzter Kraft, in einem Anflug von Panik, sprang er auf. Er sah noch, wie die CHARR auf einen unsichtbaren Gegner zustieß, dann spürte er die harten Fäuste des Sergeanten, die ihn packten und die wenigen Meter bis zur Schleuse des Beibootes hinabzerrten. Es dauerte einige Momente, bis Huxley wieder halbwegs klar denken konnte. »Heavens, Masterson, was zum Teufel war das?« fragte er noch immer etwas benommen. Der Sergeant antwortete nicht gleich, sondern manövrierte das Beiboot über die Stelle, an der sich eben noch der letzte der Totenkegel befunden hatte. Er wies mit der Linken in die Tiefe. »Ein Krater, Sir, nichts als ein Krater, wenn auch wesentlich größer als die der anderen Kegel! Es muß ein unbekannter Raumer ganz in der Nähe von uns gestanden haben. Er hat wahrscheinlich auch die anderen Kegel an Bord genommen. Aber unsere Ortungen sprachen nicht an und ...« Der Sergeant unterbrach sich und starrte Huxley aus weit geöffneten Augen an. Erst jetzt bemerkte der grauhaarige Colonel, daß Masterson der Schweiß in Strömen über das Gesicht lief. »Und, Sergeant? Und was?« fragte er schließlich, als Masterson ihn immer noch anstarrte, aber kein Wort herausbrachte. »Eine Nachricht von Maxwell, Sir. Sie kam als Sie gerade vor dem Totenkegel standen. Er hatte für einen winzigen Moment den fremden Raumer ausgemacht, gab sofort Befehl, die Waffensteuerung zu aktivieren. Aber die ...« Wieder unterbrach sich der Sergeant. Doch dann gab er sich einen Ruck. »Es war einfach unmöglich, auch nur eine der Waffen auszulösen. Sofort nach dem Aktivieren der Ultimativ-Felder sprangen die Kontrollen in die Rote Zone. Auslösen hätte sofortige Feldsperre, wenn nicht Schlimmeres bedeutet. Der fremde Raumer hat diese Panne genutzt und ist mit seiner Beute verschwunden ...« Huxley fuhr aus seinem Sitz empor.
»Warum haben Sie mich nicht sofort verständigt, Masterson? Ich war die ganze Zeit auf Empfang!« Der Sergeant zuckte die Achseln. »War einfach nicht möglich, Sir. Nur Rauschen und Knattern, so, als ob Störentladungen erfolgten.« Huxley starrte durch die Direktsichtscheiben der Kanzel. »Zur CHARR, Masterson, sofort!« Er sah den Sergeanten an, der schon auf der FO I vor der Invasion Dienst getan hatte und zu seinen alten Leuten gehörte. »Sie sprachen im Zusammenhang mit dem Versagen der Ultimativ-Felder unserer Schiffes von einer Panne, Masterson. Ich hoffe, daß Sie selbst nicht daran glauben. Das war keine Panne, der fremde Raumer hat uns blockiert!« »Sie meinen, der fremde ...« Der Sergeant erblaßte. Huxley nickte. »Ja, genau das meine ich, Masterson. Und wenn Sie noch etwas weiterdenken, dann müssen Sie sich zwangsläufig auch die Frage stellen, wie es möglich ist, daß dieser fremde Raumer den globalen Schutzschirm Terras, den die Nogks zusammen mit uns installiert haben, einfach durchdringen konnte, ohne die Abwehrautomatik auszulösen! Sie müssen sich fragen, wie es denn möglich sein kann, daß jener Fremdraumer mit einer uns unbekannten Energie, die bis dahin sogar für das Intervallum der Flash undurchdringlichen Schutzfelder der Totenkegel neutralisieren oder auf sonst irgendeine Weise ausschalten konnte!« Huxley beugte sich plötzlich vor und starrte den Sergeanten aus seinen grauen Augen an. »Hören Sie mir jetzt gut zu, Masterson: Ich fürchte, dieser fremde Raumer war ein Schiff der Nogks! Eine andere Erklärung gibt es einfach nicht! Wir müssen sofort zurück nach Cent Field und dann auf dem schnellsten Wege zu Charaua ...« Der Colonel unterbrach sich und überlegte angestrengt. »Nein, erst noch ins System der Sonne Tantal. Mir schwant Böses, Masterson, außerordentlich Böses!« Der gewaltige Ellipsenraumer der CHARR erschien über ihnen. Noch während das Beiboot im Lamellenschott verschwand und im Bootsdeck auf seine Bettungen sank, nahm Huxley über Vipho Maxwells Bericht entgegen. Es war auch seinem II. O. nicht gelungen, den fremden Raumer ein zweites Mal zu orten. Alle anderen Einzelheiten seines Berichtes deckten sich haargenau mit dem, was Sergeant Masterson Huxley bereits berichtet hatte. Der Colonel sprang aus der Schleuse des Beibootes. »Masterson, kümmern Sie sich sofort darum, daß die FO I ständig einsatzbereit ist. Sie muß zu jeder Sekunde in der Lage sein, im Blitzstart ihren Hangar zu verlassen. Sprechen Sie sofort mit Chief Erkinsson.« »Aye, Sir.« Der Sergeant verschwand nach der entgegengesetzten Richtung wie Huxley, während die CHARR bereits mit Kurs Nordnordost in Richtung auf Cent Field davonraste. Ihre Speicher hatten vollautomatisch das ganze Geschehen auf dem IllampuMassiv über die Aufnahmetaster festgehalten...
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Knapp zwei Stunden später rief Colonel Huxley die unheimlichen Geschehnisse aus den Speichern der CHARR ab. Marschall Bulton, Colonel Clark und der inzwischen ebenfalls eingetroffene Major Crook saßen stocksteif in ihren Konturensitzen. Keiner von ihnen sagte auch nur ein einziges Wort. Sie starrten wie gebannt auf das Geschehen, das vor ihren Augen zwischen den grünlich schimmernden Koordinaten der Allsichtsphäre der CHARR ablief. Als der zur Projektion benutzte Sektor endlich erlosch, herrschte noch eine ganze Weile Schweigen im Leitstand des Ellipsenraumers. Denn auch Huxley hatte noch einige Dinge gesehen, die er vorher nicht wußte. Marschall Bulton unterbrach als erster das Schweigen. »Sie sind also der Meinung, Huxley, daß es sich bei diesem nur schemenhaft zu erkennenden Schiff, das die Totenkegel aus dem Fels des Illampu-Massivs herausgetrennt und an Bord genommen hat, um einen Raumer der Nogks handelt?« Huxley zögerte mit der Antwort, während ihn die anderen Männer wie gebannt ansahen. »Ich habe jedenfalls im Moment keine andere Erklärung, Sir« sagte er förmlicher, als es sonst seine Art war. Colonel Clark schaltete sich ein. »Halten Sie es für gänzlich ausgeschlossen, daß es sich um einen Raumer der Schatten gehandelt haben könnte? Jener Invasoren, die in immer größerer Zahl in unser Universum, in unsere Galaxis eindringen?« Huxley wechselte einen raschen Blick mit seinem Ersten und Zweiten Offizier, die sich ebenfalls beide im Leitstand der CHARR befanden. Doch sowohl Prewitt als auch Maxwell schüttelten den Kopf. Huxley nickte. »Nein«, erwiderte er schließlich, »ich glaube nicht, daß es sich bei dem fraglichen Raumer um ein Schiff der Schatten gehandelt haben kann. Es gibt dafür einen Grund ...« Einem plötzlichen Entschluß folgend öffnete er seine schmucklose, hellgraue Bordkombination über der Brust und trat auf Bulton und die beiden anderen Männer zu. Er deutete auf die haarfeine, metallisch schimmernde Linie einer Ellipse, deren Brennpunkte durch zwei nadelfeine Punkte markiert waren. »Ich habe darüber nie gesprochen, Marschall«, sagte er langsam. »Als ich von den Nogks in den Rat ihres Imperiums aufgenommen wurde, operierten mir die Meegs, die etwa mit den Wissenschaftlern Terras zu vergleichen sind, dieses Kontaktfeld ein. Es stellt eine Art Ausweis dar. Jedesmal, wenn eine Sitzung des Rates stattfindet, wird anhand dieses Kontaktfeldes von dem Überwachungszentrum meine Identität überprüft. Es ist für einen Fremden oder sonst irgendwie ungebetenen Gast völlig unmöglich, sich gegen den Willen der Nogks in eine dieser Ratssitzungen einzuschleichen. Eine verständliche Vorsichtsmaßnahme ...« Huxley unterbrach sich für einen Moment, während Bulton und die anderen interessiert das wie eine Intarsie in die Haut eingelassene Emblem betrachteten. »Wenn aber außerordentliche Dinge geschehen, wenn die Nogks mich aus einem dringenden Anlaß rufen oder mich von einer drohenden Gefahr verständigen wollen, dann leuchtet dieses Kontaktfeld auf, und eine langsam pulsierende, rötliche Energie umfließt meinen Körper. Genau das ist letzte Nacht geschehen. Außerdem entstand in meinem Bewußtsein das Bild der sechs Totenkegel. Nur deshalb wußte ich auch sofort, daß dort etwas...«
Marschall Bulton war aufgesprungen. Er packte Huxley an den Schultern. »Wollen Sie sagen, Huxley, daß möglicherweise die Toten in den Kegeln Sie gerufen hätten...?« Huxley nickte. »So verrückt es klingen mag, aber genau das wollte ich sagen. Und darüber hinaus bin ich auch der Ansicht, daß es lediglich ihrer Kontaktnahme mit mir zu verdanken ist, daß der fremde Raumer sich darauf beschränkt hat, meine CHARR nur zu blockieren, anstatt sie anzugreifen und möglicherweise sogar zu vernichten!« Der Marschall war ein paar Schritte zurückgefahren und starrte Huxley an, als sei er ein Gespenst. »Aber das... das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Huxley! Überlegen Sie doch mal: Das würde doch schließlich bedeuten, daß jener Raumer Ihrer CHARR, die eines der modernsten Schiffe der Nogks ist, haushoch überlegen wäre. Daß jener Raumer völlig unbemerkt in unsere Sicherheitssphäre eindringen könnte ...« Der Marschall fuhr sich mit heftigen Bewegungen über seine schweißnasse Stirn. Dabei fixierte er den grauhaarigen Colonel mit unverhohlener Sorge im Blick. »Das würde bedeuten, Huxley, daß schon seit einiger Zeit mehrere dieser Schiffe irgendwo auf Terra versteckt liegen könnten ...« Huxley schüttelte den Kopf. »Charaua hat mir einmal eine Andeutung gemacht, Marschall. Es gibt da in der Vergangenheit seiner Rasse ein Geheimnis, das irgendwie mit den Totenkegeln zusammenhängt. Es gibt bei den Nogks überhaupt einige Dinge, die auch ich nicht weiß, die vielleicht nicht einmal Charaua weiß. Die Nogks sind strahlungsabhängige Mutanten, Marschall. Sie haben aber in letzter Zeit möglicherweise zu oft ihre Heimatsonnen gewechselt. Als wir ihnen zum erstenmal begegneten, lebten sie auf den Planeten der roten Riesensonne CHARR, dann kam die Katastrophe. Charr wurde zu einer gefährlichen, unberechenbaren Variablen, die Nogks mußten aus ihrem System fliehen. Sie machten für eine Weile Zwischenstation auf GINOK, einem für ihre Verhältnisse lebensfeindlichen Planeten. Erst unter der blaugrünen Sonne TANTAL fanden sie eine neue Heimat. Unter einer Sonne, deren Spektrum völlig anders war als das ihrer alten Sonne. Deren Zusammensetzung auch für unsere Wissenschaftler noch immer ein Rätsel ist, weil TANTAL ein Sonnentyp ist, den es sonst in dem uns bekannten Universum einfach nicht gibt. Dann ihr Kampf gegen die Schatten, ihre Übersiedlung auf Nogk I, der die Sonne TANTAL in so geringem Abstand umläuft, daß jeder Aufenthalt auf seiner Oberfläche so gut wie unmöglich ist. Und schließlich ihre abermalige Flucht vor den ständigen Magnetstürmen und vor den Schatten zur Sonne CORR, die obendrein auch noch außerhalb des Halos unserer Galaxis liegt!« Huxley schwieg für einige Sekunden. Aus seinen grauen Augen sah er die fünf Männer an, die sich außer ihm zu dieser Stunde im Leitstand der CHARR befanden. Dann, jedes einzelne Wort betonend, fuhr er fort: »Und während dieser ganzen Zeit hatten die Nogks ihre Brut, ihre langsam heranreifende Nachkommenschaft bei sich. Eine Nachkommenschaft, die auf die verschiedenartigen Strahlungen der einzelnen Sonnen wahrscheinlich wesentlich empfindlicher reagiert haben wird als die Nogks selbst!« Huxley sah Marschall Bulton aus schmalen Augen an. »Meine Meinung ist, daß wir so wenig Zeit wie irgend möglich verlieren sollten,
Marschall!« Er wandte sich an seinen inzwischen an Bord zurückgekehrten Ersten Offizier Lee Prewitt. »Ist unsere Mannschaft vollständig?« »Bis auf drei Mann, sie treffen wie befohlen morgen früh eine Stunde vor Sonnenaufgang ein!« Huxley wandte sich an Major Crook. Die hagere, sehnige Gestalt dieses nicht mehr jungen Offiziers, der schon lange vor der Invasion der Giants Dienst in der solaren Flotte getan hatte, straffte sich. Über seine strengen, fast asketisch zu nennenden Züge flog ein Lächeln, als er antwortete, ohne abzuwarten, bis Huxley ihm seine Frage stellte. »Meine Leute sind in einer halben Stunde hier. Außerdem habe ich angeordnet, einige der Beiboote der JAPETUS mit allem erforderlichen Zubehör hierherzufliegen. Ich hoffe, an Bord der CHARR oder der EUROPA ist noch Platz für sie. Eine Maßnahme für alle Fälle!« Huxley pfiff leise durch die Zähne. Die Idee Major Crooks, einige seiner hochspezialisierten Beiboote mitzunehmen, war einfach famos und durchaus dieses erfahrenen, grundsätzlich mit allen Möglichkeiten rechnenden Mannes würdig. Denn jedes der verhältnismäßig großen Beiboote der JAPETUS war eine Miniaturausgabe des Mutterschiffes und somit eine komplette Bergungseinheit für sich. »Wieviel, Crook?« »Sechs!« Zu Clark gewendet fuhr der Major fort: »Ich schlage vor, daß wir drei der Beiboote auf die EUROPA und drei auf die CHARR oder an Bord der FO I nehmen! Ist das zu machen?« Clark schüttelte jedoch den Kopf. »Geht nicht, Crook, meine Schleusen sind für die Kugelboote Ihrer JAPETUS zu klein. Ich schlage vor, Sie verteilen drei Boote auf die FO I samt Besatzungen, drei auf die CHARR, ich denke, das wird gehen, oder?« Huxley nickte, »Also dann, Sir«, wandte er sich an den Marschall, »starten wir morgen bei Sonnenaufgang, wenn Sie keine weiteren Einwände haben!« Der Marschall räusperte sich. »Keine weiteren Einwände!« knurrte er aufgebracht. »Haben Sie sich eigentlich mal überlegt, wie ich das anschließend Trawisheim beibringen soll? Und damit hier keinerlei Unklarheiten entstehen: Ich werde Trawisheim erst nach Ihrem Start von allem unterrichten, denn ich fürchte, er hätte allerhand Einwände gegen dieses Unternehmen. Vergessen Sie nicht, daß Trawisheim bei all seiner geistigen Kapazität und in seiner Eigenschaft als Stellvertreter Ren Dharks die Dinge dennoch aus einer etwas anderen Perspektive sehen dürfte als wir!« Der Marschall machte ein unbehagliches, verkniffenes Gesicht. »Ich kann diese Sache auch nur deshalb auf meine Kappe nehmen, Huxley, weil Sie nun einmal Terra und damit auch Trawisheim sozusagen nur noch so halb und halb unterstellt sind. Der andere Teil von Ihnen gehört zum Imperium der Nogks, befindet sich also in einer Position, die meine eigene bei weitem übersteigt. Eine verdammt komische Sache, Huxley, mit der man sich erst langsam vertraut machen muß!« Huxley trat auf den Marschall zu. Seine grauen Augen richteten sich fest auf Bulton.
»Nicht nur für Sie ist dieses Zwitterdasein eine merkwürdige Sache, Marschall! Für mich in mindestens dem gleichen Maße, auch Ren Dhark gegenüber, denn ich vertrete immer zwei Interessen. Auf Terra die Nogks, auf Reet im Rat der Nogks und auch sonst die Terraner. Und zwar auf völlig undiplomatische Weise, denn die Nogks halten von irgendwelchen diplomatischen Winkelzügen absolut nichts. Ich habe in der vergangenen Zeit lernen müssen, völlig umzudenken. Und manchmal weiß ich kaum noch, ob ich geistig nun mehr Nogk oder Terraner bin!« Bis zum Sonnenaufgang herrschte an Bord der EUROPA, der CHARR und der in ihrem Hangar liegenden FO I eine fieberhafte Tätigkeit. Die sechs Beiboote der JAPETUS wurden mit Bettungen versehen. Dabei fiel es Major Crook auf, daß die Männer Huxleys mit der nogkschen Technik auch einen Teil jener atemberaubenden Schnelligkeit der Nogks übernommen hatten, mit der jene ihre Vorhaben zu verwirklichen pflegten. Als die Sonne aufging, hoben die beiden so verschiedenen Schiffe von der Piste Cent Fields ab. Die EUROPA bot einen imposanten Anblick. Ihr gewaltiger Ringkörper von 450 Metern Durchmesser und einer Stärke von 90 Metern, funkelte glutrot in den Strahlen der eben über den Horizont emporsteigenden Sonne. Die EUROPA sah in diesem ersten Tageslicht aus wie ein gewaltiger Ring aus loderndem Feuer. Die CHARR hingegen wirkte wie ein goldglänzendes Phantom, das erst langsam, dann jedoch schneller und schneller werdend in den kühlen Oktoberhimmel über Cent Field emporstieg. Marschall Bulton sah den beiden Schiffen nach, bis sie für seine Augen zu nicht mehr wahrnehmbaren Punkten zusammengeschmolzen waren. Anschließend drehte er sich seufzend um und wandte sich seiner Arbeit zu. Möglicherweise hatte Huxley mit seinen Vermutungen über den fremden Raumer recht, sicher war das jedoch nicht, und der Marschall mußte infolgedessen alle nur denkbaren Sicherheitsvorkehrungen treffen. Dazu gehörte, daß er die einzelnen Stationen des globalen terranischen Schutzschirms anrufen und informieren ließ. Des weiteren mußten ab sofort die im Raum Terra stehenden Patrouilleneinheiten verständigt werden. Und dann, ja dann mußte er auch noch Henner Trawisheim einen Besuch abstatten. Und das war genau das, was Marschall Bulton am wenigsten gern tat. Denn Trawisheim war ein geistiger Cyborg, und Bulton hatte etwas gegen Cyborgs. Sie waren ihm noch immer so unheimlich wie am ersten Tage. Der Marschall seufzte abermals. Dann ging er an seinen Schreibtisch und angelte nach einer Dose Energietabletten. Die wievielte Nacht ohne Schlaf das nun eigentlich war, seit er in Abwesenheit Dan Rikers die terranische Raumflotte befehligte, das wußte er schon lange nicht mehr. Er hatte an diesem Morgen auch nicht die geringste Lust, darüber nachzudenken ...
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Während die beiden ungleichen Raumer das Sonnensystem hinter sich ließen, wies Huxley Major Crook und seine Männer in den Aufbau seines Ellipsenraumers ein. Die CHARR unterschied sich von den terranischen Schiffen beträchtlich. Ihr Druckkörper barg genau in seiner Mitte einen Hohlraum, der eine mathematisch genaue Ellipse dar-
stellte, in deren beiden Brennpunkten sich das Wunderwerk der nogkschen Technik befand: zwei künstliche, sowohl in bezug auf ihr Spektrum als auch auf die Zusammensetzung ihrer Strahlung voneinander getrennt regelbare Sonnen. Die Regelung erfolgte auf den Schiffen der Nogks von einer eigens dafür geschaffenen Zentrale, die von den Geegs aufs sorgfältigste überwacht wurde. Auf der CHARR Huxleys war der Regelbereich durch eine jederzeit abschaltbare Automatik genau für die Bedürfnisse der Terraner eingestellt. Der Sonnenhangar, wie die Terraner dieses hundert Meter lange ellipsenförmige Gewölbe im Innern des Raumers genannt hatten, konnte durch eine energetische Barriere, die absolut strahlungsundurchlässig war, in zwei Halbgewölbe unterteilt werden, in denen die beiden Sonnen dann völlig voneinander verschiedene Aufgaben zu erfüllen vermochten. Für die Nogks wegen der unerläßlichen Schlafperiode auf langen Reisen eine geradezu lebenswichtige Forderung, für Huxley und seine Männer eine äußerst nützliche Einrichtung. Denn es hatte sich längst gezeigt, daß auch die Terraner bei einem bestimmten Spektrum und einer bestimmten Zusammensetzung der von den Sonnen ausgehenden Strahlung in eine Art Tiefschlaf verfielen, der ungleich erholsamer und kräftigender war als der normale. Innerhalb einer einzigen Stunde vermochten die Männer Huxleys den normalen Schlafbedarf eines ganzen Bordtages nachzuholen, wenn es sein mußte. An den kurzen Bögen der Ellipse befanden sich die Behandlungsräume für erkrankte Nogks. Auch sie waren wie alle anderen Räume des Schiffes auf terranische Bedürfnisse abgestimmt. Über ein System von Filtern und Konvertern konnte in jede einzelne Kabine jede nur gewünschte und erforderliche Strahlung einer der beiden Sonnen abgesondert werden. Ein weiteres Meisterwerk stellten jedoch kreisförmig angeordnete Detektorgruppen dar, die aufgrund von Einspeicherungen der Mentalmuster jedes einzelnen Besatzungsmitgliedes den Gesundheitszustand der Männer automatisch überwachten und jede irgendwie krankhafte Veränderung sofort an die Speicher der CHARR weitergaben, die ihrerseits dann unverzüglich die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen einleiteten. Außerdem waren diese Detektorgruppen in der Lage, über Sonderschaltung jede nur gewünschte Hypnoschulung vorzunehmen. Colonel Huxley blieb mit Major Crook vor einer dieser Kabinen stehen. »Verteilen Sie Ihre Männer jetzt auf die vorhandenen Kabinen, Crook. Dort werden sie von den Detektoren überprüft, analysiert, ihre Mentalmuster eingespeichert. Anschließend beginnt dann sofort die notwendige Hypnoschulung. Wenn wir im System der blaugrünen Sonne Tantal aus der Transition in den Normalraum zurückkehren, dann wird Ihnen und Ihren Männern jedes Detail dieses Schiffes so vertraut sein wie mir. Einschließlich aller zur Verfügung stehenden Waffensysteme. Darüber hinaus werden Sie in der Lage sein, die nogkschen Symbole zu lesen und der Schnelligkeit ihrer Gedankenbilder zu folgen. Chief Erkinsson wird sich um die notwendigen technischen Dinge kümmern. Kommen Sie, Crook, Sie bleiben gleich in dieser Kabine hier!« Major Crook hatte auf dem Rundgang durch den Ellipsenraumer genau wie seine Männer den Erklärungen Huxleys zugehört, ohne den Colonel auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Jetzt musterten seine eigentümlich durchdringenden Augen den Sonnenhangar. »Ausgezeichnete Arbeit, dieses Schiff, Huxley!« sagte er. »Und wie ich weiß, hat sich dieser Typ inzwischen auch bewährt, sogar im Kampf gegen die Schatten!« Crooks Züge wirkten in diesem Moment noch starrer, noch strenger als sonst. Trotzdem
erkannte Huxley, daß seine Ausführungen in diesem kompromißlosen, wenn auch in dienstlichen Obliegenheiten zur Pedanterie neigenden Mann einen tiefen Eindruck hinterlassen haben mußten, denn genau wie er war Major Crook eine jener Naturen, für die ein Leben ohne Raumfahrt, ohne diese durch nichts zu ersetzende Abenteuer zwischen den Sternen einfach nicht denkbar war. Huxley schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Mir ist es nicht besser ergangen als Ihnen, Crook, als ich dieses Schiff zum erstenmal sah. Aber, eines will ich Ihnen jetzt schon prophezeien: Lassen Sie uns nur erst nach Reet zu den Nogks kommen, da werden Sie und Ihre Männer noch ganz andere Dinge zu sehen bekommen! Sogar der alte Janos Szardak war vor einiger Zeit noch fassungslos, und das will bei diesem Haudegen wirklich etwas heißen!« Huxley drehte sich um. Er gab Chief Erkinsson noch einige letzte Anweisungen. »Ich schicke Ihnen den Doc, Erkinsson! Bereiten Sie inzwischen hier alles vor. Die Detektorschulung muß beendet sein, bevor wir das System Tantal erreichen!« Erkinsson nickte. Dann winkte er einigen seiner Techniker und machte sich mit ihnen an die Arbeit, Crook und seine Männer auf die einzelnen Kabinen zu verteilen und die notwendigen Schaltungen für die Detektorgruppen in der eigens dafür vorgesehenen Zentrale vorzunehmen. Huxley verließ das Ellipsengewölbe erst, als die beiden künstlichen Sonnen sich verdunkelten. Ihr eben noch goldgelbes, weiches Licht verdunkelte sich zu einem düsteren Violett, das auf die Männer Crooks sofort eine wohltuende, entspannende Wirkung hatte. Sie spürten nur noch, wie ihre Glieder bleischwer wurden und sie in irgendeine unbekannte Tiefe zogen. Gleichzeitig drangen die ersten Bilder nogkscher Symbole und Zeichen in ihre Gehirne. Huxley kannte diesen Vorgang nur zu gut. Er wußte, daß er sich auf Reet wahrscheinlich wiederum einer neuen Schulung unterziehen würde, um sein Wissen immer auf dem neuesten Stand zu halten. Aber er hatte jetzt keine Zeit, daran zu denken. Die grünlichen, langsam pulsierenden Energiefelder trugen ihn durch einen der Transportschächte zum Leitstand des Ellipsenraumers ganz vorn im Bug. Dort warteten bereits Prewitt und Maxwell auf ihn, »Alles klar?« fragte Huxley und ließ sich in seinen Konturensitz zwischen den beiden Offizieren gleiten, nachdem er mit einem raschen Blick die Instrumente und Skalen überflogen hatte, die vor den drei Sitzen der Männer gut überschaubar in Bogenform angeordnet waren. Und darin wich die CHARR ebenfalls von ihren nogkschen Schwesterschiffen ab: Bedienungsorgane und Instrumente waren wie alles andere auf terranische Bedürfnisse ausgerichtet, wenn sie auch nach wie vor die nogkschen Symbole und Zeichen verwendeten. »Hat Clark die Kopplungsdaten für die Transition zur nochmaligen Überprüfung bereits an unsere Speicher überstellt?« Maxwell, der II. O., nickte. Zusammen mit Prewitt, dem I. O. der CHARR, hatte er die Einspeicherung überwacht. Die beiden Männer wußten, daß von der Richtigkeit dieser Daten alles abhing. Denn eine Schwierigkeit – bedingt durch die völlig verschieden gearteten Antriebe der beiden Schiffe – behinderte gemeinsame Aktionen wie diese: Die EUROPA mußte erst über die einfache Lichtgeschwindigkeit hinaus beschleunigen, ehe sie das Normalkontinuum verlassen und damit in Transition gehen konnte. Bei der CHARR hingegen wurde der Sprung durch den Pararaum oder die sogenannte graue
Zone zwischen den Sternen durch gewaltige, von den Speicherzentren des Schiffes gesteuerte Konverterbänke eingeleitet, die das Schiff mit einer Antisphäre umgaben, die aus dem Normalkontinuum sofort als Fremdkörper ausgeschleudert wurde, mit allem, was sie enthielt. Erst durch abermaligen Wechsel der Polarität dieses Transitionsfeldes konnte die CHARR in das Einstein- oder auch Normalkontinuum zurückkehren. Beide Systeme hatten Vor- und Nachteile. Fest stand jedoch, daß die CHARR und die EUROPA zur gleichen Zeit in Transition gehen mußten, wollten sie gleichzeitig und auch im ursprünglichen Abstand voneinander wieder in das Normalkontinuum zurückkehren. Das Problem war nicht leicht zu lösen gewesen. Erst bei der Auswanderung der Nogks in das zwischen der Milchstraße und der Andromeda-Galaxis gelegene System der roten Riesensonne Corr hatten die Wissenschaftler beider Rassen ein Verfahren entwickelt, nach dem zwischen Ring- und Ellipsenraumern sogenannte Kopplungskoordinaten ermittelt werden konnten. Schon die ersten Versuche hatten einwandfreie Ergebnisse erzielt. Die Speicher der CHARR hatten ihre abermalige Überprüfung der Kopplungskoordinaten beendet. Die Kontrollen leuchteten auf. Colonel Huxley wartete, bis das letzte der nogkschen Zeichen erlosch. Dann stellte er die Verbindung zur EUROPA Clarks her. Sekunden später erschien das breite, kräftige Gesicht des Colonels auf dem Schirm. »Die Daten sind okay, Clark«, sagte Huxley. »Zeitvergleich: 00,2. In genau drei Minuten beschleunigen Sie. Bei Erreichung von Einfachlicht Kontrollfrequenz über To-Funk an mich. Halten Sie unterdessen den Tasterkanal frei, ich lasse die Transition Ihrer EUROPA über die Speicher meines Schiffes ansteuern, das ist exakter. Und noch etwas, Clark: Sollte dennoch irgend etwas schiefgehen, dann landen Sie zunächst auf dem dritten Planeten von Tantal. Er ist eine Pantalassa, eine Wasserwelt, für menschliches Leben bedingt geeignet. Ist der ehemalige Versorgungsplanet der Nogks, Algenkulturen und Ähnliches. Im Norden finden Sie eine Insel, etwa unter 56 Grad nördlicher Breite. Vermeiden Sie auf alle Fälle, mit Ihrem Schiff ohne weiteres ins System Tantal weiter einzufliegen als bis zum dritten Planeten!« Clark sah Huxley einen Augenblick lang fragend an. Seine Stirn furchte sich. »Haben Sie einen besonderen Grund für diese Instruktionen, Huxley?« fragte er dann zögernd. Huxley schwieg einen Augenblick. Doch dann gab er sich einen Ruck. »Unsere Berechnungen in puncto Kopplungskoordinaten galten für die normalen Ringraumer, Clark!« erwiderte er dann. »Ihr Schiff verfügt über drei MysteriousTriebwerke, Clark, das kann unsere Werte verändern, kann eine Fehlerquelle sein. Da ich mich mit dem Beginn meiner Transition nach Ihrem Schiff richte, mich also praktisch an Ihre EUROPA ankopple, könnte es sein, daß ich woanders in das Normalkontinuum zurückkehre als Sie. Für diesen Fall empfehle ich Ihnen auf mich zu warten. Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser ganzen Sache. Denn wenn ein Nogkraumer Terra besucht und die Totenkegel vom Illampu-Massiv verschleppt, dann war es bestimmt kein Schiff aus Charauas Flotte, kein Raumer aus dem System Corr!« Clark überlegte. Schließlich nickte er. »Okay, Huxley, akzeptiert. Nur noch eine Frage: Wieso sollte es denn ein Schiff aus dem System Tantal sein? Ich denke, dort halten sich gar keine Nogks mehr auf? Sie haben doch ihre gesamte Kampfflotte der früheren Eiraumer in Hangars unter der
Planetenoberfläche von Nogk I und Nogk II eingemottet, konserviert?« Huxley zuckte die Achseln. »Jedenfalls dachte ich das bisher. Und ich bin ganz sicher, daß auch Charaua und das gesamte Nogksche Imperium zur Zeit ebenfalls noch dieser Überzeugung sind. Deshalb, Clark, nur deshalb mache ich den Umweg über Tantal!« »Habe verstanden, Huxley. Ich warte genau achtundvierzig Stunden auf Sie, falls überhaupt etwas dazwischen kommt. Sind Sie dann immer noch nicht aufgetaucht, handle ich nach eigenem Ermessen!« Huxley nickte bestätigend und schaltete ab. Gleich darauf beschleunigte die EUROPA. Sie erreichte dabei mit ihren drei Mysterious-Triebwerken Werte die der CHARR niemals möglich waren. Innerhalb kürzester Frist schon befand sie sich außerhalb des Bereiches der hochempfindlichen Taster des Ellipsenraumers. Huxley und seine beiden Offiziere sahen, wie ihr Ringkörper zwischen den Koordinaten der Allsichtsphäre verschwamm und dann plötzlich nicht mehr zu sehen war. Abermals eine halbe Stunde später kam das Kontrollsignal von der EUROPA. Sekunden darauf verloschen die Sonnen auf den Sektoren des Allsichtschirms. Der eben noch im Licht der unzähligen Sonnen schimmernde goldene Druckkörper der CHARR verwischte sich zu einem weißlichen Fleck, stand für einen winzigen Moment wie ein ferner Nebel in der samtschwarzen Unendlichkeit des Universums und war dann ebenfalls verschwunden... *
Huxleys geheime Befürchtungen hatten leider nicht zu Unrecht bestanden. Aber die Wirklichkeit übertraf dennoch alles, was selbst der erfahrene Colonel sich jemals in seiner Phantasie hätte vorstellen können. Während die EUROPA einige Lichtmeilen vor dem System der Sonne Tantal ins Normalkontinuum zurückkehrte und dann wie besprochen sofort Kurs auf den dritten Planeten des Systems nahm, rematerialisierte die CHARR erst weit draußen im Raum. Huxley starrte ungläubig auf die Bugfelder der Allsichtsphäre. Genau in Zielrichtung vor seinem Schiff tobte mitten in der Unendlichkeit ein erbarmungsloser Kampf. Huxley, Prewitt und Maxwell fuhren zugleich aus ihren Sitzen. »Verdammt, eine Station der Schatten! Und Nogkraumer! Was zum Teufel ...« Weiter kam Huxley nicht. Denn in diesem Augenblick erschien in der Szenerie ein gespenstisches, eiförmiges Schiff, das in einem pulsierenden Silberfeld zwischen den Sternen dahinschoß. Es war umgeben von einer Gruppe gleichgroßer, ebenfalls eiförmiger Raumer, die in diesem Augenblick ihre Geschwindigkeit jedoch noch steigerten. Sie lösten sich von dem silbernen, nur undeutlich zu erkennenden Raumer und rasten wie riesige, zwischen 600 und 700 Meter lange Geschosse auf die kugelförmige Station der Schatten zu. Huxley und seine beiden Offiziere saßen wie erstarrt in ihren Sitzen, während in der CHARR die Alarmsignale schrillten. Major Crook stürzte in den Leitstand, einige seiner Männer folgten ihm. »Was...« Aber dem Major blieben seine Worte genau wie den anderen förmlich im Hals stecken.
Die Raumstation der Schatten versuchte krampfhaft, eine Art Unsichtbarkeitsschirm um sich herum aufzubauen. Gleichzeitig stieß die Station nach allen Seiten seltsam bizarr geformte Schiffe aus. Verschwommene, pechschwarze Gitterkonstruktionen, so abstoßend häßlich, so drohend, wie weder Crook noch seine Männer je etwas gesehen hatten. Huxley drehte sich für einen winzigen Moment zu Crook herum. »Die Schatten! Sie sind wieder da! Also muß im System Tantal etwas geschehen sein! Sehen Sie genau hin, Crook: Das Schwarz, was sie sehen, ist Energie. Das eigentliche Schiff sehen wir wahrscheinlich gar nicht. Eine – so verrückt das auch klingt – schwarz leuchtende Energie!« Doch dann traf Huxley seine Entscheidung blitzschnell. »Crook, Sie übernehmen die CHARR. Durch die Detektorschulung wissen Sie Bescheid. Meine Männer und ich gehen an Bord der FO I. Warten Sie aber auf meine Anweisungen, ehe Sie die ultimativen Waffen dieses Schiffes einsetzen. Und setzen Sie einen Spruch an die EUROPA ab, Clark soll sofort starten und herkommen. Senden Sie über To-Funk Peilfrequenzen aus, falls seine Masse- oder Distanzortung nicht ansprechen sollte!« Crook nickte, und Huxley gab Maxwell ein Zeichen. Zu Prewitt gewandt blieb er, einem plötzlichen Impuls folgend, noch einmal stehen. »Prewitt, Sie bleiben für alle Fälle an Bord der CHARR. Sie halten ständige Verbindung zur FO I, und zwar mit Chief Erkinsson. Klar, Prewitt?« Der I. O. nickte. Er erkannte Huxleys Absicht und bewunderte im stillen seine Umsicht. »Aye, Sir!« erwiderte er daher nur kurz. Huxley sah Crook an. »Viel Glück, Crook!« Dann verließ er mit Maxwell den Leitstand. Als die beiden kurz darauf durch den Hangar der CHARR stürmten, in dem der spindelförmige, gut 200 Meter lange Druckkörper der FO I auf seinen Bettungen ruhte, kamen seine Männer ebenfalls einer nach dem andern aus den übrigen Schächten. Im Laufschritt verschwanden sie in der Schleuse des Spindelraumers, der von den Nogks seit ihrer Freundschaft mit Huxley immer wieder auf den neuesten Stand der Technik gebracht worden war und allein schon aus diesem Grund ein Schiff von ungeheurer Kampfkraft und technischer Perfektion darstellte. Auf einen von Huxley abgegebenen Impuls hin öffnete sich der Druckkörper der CHARR über der FO I. Die nadelfeinen, grelleuchtenden Punkte der fernen Sonnen der Milchstraße standen vor dem samtschwarzen Hintergrund des Universums. Unterdessen raste die CHARR auf den Stützpunkt der Schatten zu. Minuten später, als der Hangar sich vollends geöffnet hatte, hob die FO I von ihren Bettungen ab. Einige Sekunden stand sie noch unbeweglich im Hangar, dann, den spitzen Bug langsam gegen die Sterne richtend, glitt sie hinaus. Gleichzeitig schaltete der Chief die Triebwerke auf volle Leistung und baute den Unsichtbarkeitsschirm auf, der die CHARR ebenfalls umgab. Huxley erfaßte mit einem Blick, was da in diesem Augenblick vor seinen Augen geschah. Das Silberschiff war hinter den anderen Eiraumern, die sich aus ihrer Kopplung von ihm gelöst hatten und mit ständig steigender Geschwindigkeit auf die Schatten zurasten, weit zurückgeblieben. Huxley erkannte das Schiff auf den Schirmen seines Spindelraumers deutlich. Es gehörte ebenfalls zu jenem Typ, wie er von den Nogks benutzt worden war,
ehe sie für ihre Auswanderung die Ellipsenraumer entwickelten. Die nogkschen Bildschirme zeigten die eigenen Schiffe auch dann, wenn um sie herum der Unsichtbarkeitsschirm aufgebaut war. Und daran erkannte Huxley in diesem Moment mit aller Deutlichkeit, daß es sich um Nogkraumer handeln mußte. Zu weiteren Überlegungen, kam er jedoch nicht mehr. Denn in diesem Augenblick durchdrang seine Zentrale der unmißverständliche, wenn auch fremdartige Impuls, sofort abzudrehen. Blitzartig huschte das Bild eines kobaltblauen Wesens durch sein Bewußtsein, das zwar wie ein Nogk aussah, aber dennoch keiner sein konnte. Huxley zögerte jedoch keine Sekunde. Mit einem Griff stellte er eine Konferenzschaltung zwischen der FO I und der CHARR her. Denn jener Vision eines kobaltblauen Wesens war noch eine andere gefolgt. Eine Warnung, deren Inhalt Huxley zwar verständlich war, die er aber trotzdem nicht zu übersetzen wußte. »Crook, sofort um 180 Grad abdrehen, mit allem was drin ist!« schrie er. Gleichzeitig riß er die FO I herum und – starrte entgeistert auf die Koordinaten seiner Allsichtsphäre. Der Pulk der grauen Eiraumer hatte die Schattenstation erreicht. Schwarze, trotz ihrer Schwärze irgendwie auf entsetzliche Weise leuchtende Strahlen griffen aus dem immer wieder zusammenbrechenden Unsichtbarkeitsschirm nach ihnen. Ganze Teile ihrer Druckkörper wurden erfaßt und herausgerissen. Aber die Eiraumer hielten ihren Kurs unbeirrbar bei. Wie Geschosse, die der Gegner zwar treffen, aber nicht mehr aufhalten konnte. Huxley spürte, wie sich ihm die Haare sträubten. »Verdammt, Maxwell!« fluchte er. »Solange dieser Pulk von Wahnwitzigen die Station angreift, kann ich den Nogks oder wer immer sie sein mögen, nicht helfen. Ich kann unsere Antipshäre nicht einsetzen, ohne zugleich auch die Eiraumer zu vernichten!« Maxwell nickte verbissen, sah Huxley an und wollte etwas sagen, fuhr jedoch im gleichen Augenblick abermals herum und starrte entgeistert auf den 180-Grad-Sektor ihrer Allsichtsphäre. Von dem silbernen Raumer schossen haarfeine Strahlen auf den Pulk der angreifenden Eiraumer zu. Jedes der Schiffe, die trotz des immer stärker werdenden Abwehrfeuers der Schatten die Raumstation fast erreicht hatten, auch wenn ihre Druckkörper mit jeder Sekunde mehr und mehr zerfielen, wurde von einem solchen Strahl getroffen. Und dann schlossen Huxley und Maxwell geblendet die Augen. In einem einzigen Zucken, so schnell, so unfaßbar schlagartig, zerriß eine gewaltige Explosion den Pulk von Eiraumern. Eine flammende, unbeschreibliche Helligkeit griff nach der Station der Schatten, sprang an ihr hoch, umfloß sie in einem einzigen, entsetzlichen Schlag, dessen Ungeheuerlichkeit Huxley auf der FO I und Crook im Leitstand der CHARR nur an der Reaktion ihrer Instrumente ablesen konnten. Huxley schrie seinen Männern über die Bordsprechanlage etwas zu, dann warf er seinen Kopf nach vorn und barg ihn in den Armen. Ohne zu fragen folgte Maxwell seinem Beispiel. Was da draußen im All um sie herum geschah, das würden sie sich später von den Speichern ihrer Schiffe abrufen, denn alles, auch die geringste Kleinigkeit wurde von den Tastern registriert, gefiltert und eingespeichert. Selbsttätig würden die Speicherbänke die Vorgänge auswerten, kommentieren und schließlich projektionsfertig bis zum Abruf konservieren. Huxley und seine Männer sahen nicht den Blitz, die gewaltige Entladung, die viele
Lichtmeilen von ihnen entfernt das Universum aufriß, die Station der Schatten und ihre Schiffe verschlang und anschließend silbrig schimmernde Partikelwolken durch das All jagte. Feine Gespinste, die sich innerhalb weniger Minuten in den unermeßlichen Tiefen des Raumes verloren ... Colonel Clark hatte den Spruch der CHARR empfangen, noch ehe er zur Landung auf dem dritten Planeten der blaugrünen Sonne Tantal ansetzte. Er wirbelte herum. »Neuer Kurs, Koordinate: Grün 18.02,66. brüllte er. »Huxley muß in Gefahr sein, Standort seines Schiffes bestimmen, schnell!« Dann kamen die ersten Peilzeichen des hyperstarken To-Funk-Senders. Sofort schwenkte die EUROPA auf den ihr angewiesenen Kurs ein. Und jetzt zeigte sich, wie stark die drei Triebwerke dieses einzigartigen Schiffes waren. Der rote, im Licht der Sonne Tantal violett aufleuchtende Ringkörper schoß davon. Er erreichte Beschleunigungswerte, die selbst Clark nicht für möglich gehalten hätte. Doch so schnell die EUROPA auch war, sie schaffte es nur noch, Zeuge einer weithin sichtbaren, große Teile des vor ihr liegenden Universums überziehenden Explosion zu werden. Clark erstarrte mitten in seiner Bewegung, mit der er eben eine weitere Kurskorrektur seines Ringraumers vornehmen wollte. Ein Blick auf die Instrumente genügte ihm. Die Masse-Ortung gab ihm überdeutlich Auskunft darüber, welche Energien in dem vor ihm liegenden Raumsektor freigeworden sein mußten. Plötzlich stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Mit einer fahrigen Bewegung fuhr er sich mit der Hand über den Nacken. Auch der war plötzlich schweißnaß. »Aus!« sagte er nur und warf seinem I. O., einem noch jungen Offizier, der unter Clark seinen ersten großen Einsatz m dieser Funktion flog, einen unmißverständlichen Blick zu. Daß er bereits die Position eines I. O. an Bord der EUROPA innehatte, verdankte er seinen ausgezeichneten Beurteilungen und der Tatsache, daß Clark genau wie seine Kollegen Szardak und Larsen die Ansicht vertrat, daß Nachwuchs sich nur an Bord der Schiffe während der Einsätze so heranbilden ließ, wie er sein mußte, wenn er schließlich fähige Kommandanten für die sich ständig vergrößernde terranische Raumflotte hervorbringen sollte. »Los, Kenny!« krächzte Clark mit vor Erregung heiserer Stimme, »versuchen Sie, Verbindung zu Huxley zu bekommen!« Erst versuchte es der I. O. Dann schaltete sich Clark in seine Bemühungen ein. Sie versuchten es über eine halbe Stunde, ohne Ergebnis. Nur der To-Funk-Sender der CHARR arbeitete noch. Auf seinen Frequenzen jagte die EUROPA dem Ort der Katastrophe entgegen, bis die Schirme endlich etwas erfaßten, was Clark jäh aus seinem Sitz fahren ließ. Schon während der letzten Minuten hatte er bemerkt, wie seine EUROPA in einer langen Schleife, immer den Signalen des Peilsenders folgend, fast an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt war, an dem sie der erste Ruf der CHARR erreicht hatte. Als Huxley seine FO I herumriß und Crook seinem Manöver sofort folgte, ahnten die beiden Männer nicht, daß ihnen und ihren Besatzungen dadurch das Leben gerettet wurde. Die Schiffe liefen beide unter höchster Beschleunigung von der Stelle weg, an der die silberne Energie die Raumstation der Schatten vernichtete. Die Energie holte die CHARR und die FO I mit ihren Ausläufern und Partikelwolken ein. Aber die
gleichzeitige Fluchtbewegung der beiden Raumer veränderte nach dem Dopplereffekt ihre Frequenz. Nicht viel, dazu bewegten sich die schimmernden Wolken und Schleier viel zu schnell, während sie ständig an Intensität und Dichte verloren, aber eben doch gerade noch genug. Huxley schreckte im Leitstand seiner FO I hoch, als die silbrige Helligkeit in das Schiff eindrang. Mühelos überwand sie alle Schutzschirme, durchfloß alle Wände und Schotts. Gleichzeitig bemerkte er, wie sein Körper eine rötliche, langsam pulsierende Energie zu umfließen begann. Auf seiner Brust, scheinbar in seiner Uniform, brannte in hartem Violett das Emblem der Nogks. Die Ellipse mit den beiden in ihren Brennpunkten rotierenden Sphären. Sein Zweiter Offizier starrte ihn aus schreckgeweiteten Augen an. Huxley sah, wie er den Mund aufriß, um etwas zu sagen. Aber Maxwell brachte kein Wort heraus, ein gurgelnder Laut brach aus seiner Kehle hervor. Maxwell taumelte aus seinem Sitz. Er tat ein paar Schritte auf Huxley zu. Um seinen Körper flimmerte die silbrige Helligkeit jener unheimlichen Energie. Dann warf Maxwell plötzlich, noch ehe Huxley ihn zu packen vermochte, die Arme hoch und stürzte zu Boden. Aus der Zentrale meldete sich Chief Erkinsson. Sein Gesicht starrte dem herumwirbelnden Huxley unsagbar verzerrt entgegen. »Sir, wir, meine Männer und ich ...«, würgte der Chief hervor, dann fiel er in sich zusammen. Von einer Sekunde zur anderen. Huxley wollte an die Bordsprechanlage springen, aber auch er kam nicht mehr dazu. Eine plötzliche Übelkeit, der auf der Stelle ein stechender, selbst für diesen harten Mann unerträglicher Kopfschmerz folgte, der sich blitzartig auf den ganzen Körper ausdehnte, ließ ihn aufstöhnen. Seine zuckenden Hände erwischten die Lehne seines Konturensitzes. Aus den vor Schmerz halbblinden Augen starrte Huxley um sich, unfähig, sich zu rühren. Wie eine Vision erschien in seinem Bewußtsein abermals jenes kobaltblaue Wesen, das aussah wie ein Nogk und doch keiner sein konnte. Aber das dachte Huxley schon nicht mehr. Seine Beine knickten ein, die verkrampften Hände lösten sich von der Lehne des Konturensitzes. Huxley glitt mit einem entsetzlichen Schrei zu Boden. Aber auch den Schrei hörte er bereits nicht mehr. Im Druckkörper der FO I herrschte die Stille des Todes. Nur das Singen der schweren Konverter und Aggregate, die unverändert weiterliefen, durchbrach das Schweigen. Auf der CHARR, die dicht neben der FO I mit gleicher Geschwindigkeit durch den Raum jagte, sah es nicht besser aus. Major Crook lag verkrümmt vor einem der Steuerpulte, Sein Körper schien irgendwo zwischen den Koordinaten der Allsichtsphäre des Ellipsenraumers zu schweben. Unweit von ihm hing der Erste Offizier, Lee Prewitt, in seinem Sitz. Und genauso sah es auch in allen anderen Abteilungen des Schiffes aus. Überall lagen die Männer auf ihren Stationen, bleich, ohne die geringsten Anzeichen von irgendwelchem Leben in ihren Körpern.
* Tantal, der kobaltblaue Nogk, saß regungslos unter den glühenden Koordinaten des Allsichtschirms seines Schiffes. Zu seiner Rechten und zu seiner Linken saßen andere
Nogks. Ihre Haut war nicht kobaltblau, sie war lederartig, braun und mit gelben Punkten versehen. Wahrend Tantals kobaltblauer, im spärlichen Licht glänzender Körper von einer schimmernden silbernen Uniform umschlossen wurde, trugen sie die gelben Uniformen der Meegs. Gemeinsam starrten sie auf das violett strahlende Emblem, das zwischen den Koordinaten der Allsichtsphäre stand und langsam mit den dahinziehenden Schiffen weiterwanderte. »Es war die CHARR! Deine Waffe hat Huxley vielleicht tödlich getroffen, Tantal! Wir müssen etwas unternehmen. Huxley ist zwar Terraner, aber er gehört dem Rat unseres Imperiums an, Tantal. Er ist unser Freund, wie die Terraner unsere Freunde sind!« Tantals Fühler spielten unruhig hin und her. »Warum kannte ich die CHARR nicht? Warum kenne ich Huxley nicht? Warum weiß ich vieles, was selbst euch, den Meegs unserer Rasse, unbekannt ist, aber warum weiß ich nur so wenig von dem, was unsere jüngste Vergangenheit betrifft?« teilte er sich fragend den Meegs mit. Die Fühler der Meegs begannen ebenfalls zu pendeln. »Wir wissen es nicht, Tantal. Wir wissen auch nicht, warum du anders bist als wir. Wir können es nur vermuten. Wenn aber unsere Vermutungen stimmen, dann droht unserem Imperium eine neue Gefahr, schlimmer, als alle anderen vorher, schlimmer auch als jene Feinde, die du mit der Waffe aus unserer Vergangenheit vernichtet hast!« Der Meeg, der Tantal am nächsten saß, richtete sich ruckartig auf. »Wir müssen versuchen, Huxley zu retten! Wir werden ihn brauchen, Tantal. Er hat unsere Rasse schon einmal vor dem Untergang bewahrt. Aber wir haben nicht mehr viel Zeit, wir müssen uns beeilen!« Tantal zuckte bei den letzten Impulsen des Meeg zusammen. »Was willst du damit sagen, wir haben keine Zeit? Warum ...« Der Meeg machte eine abwehrende Armbewegung, die Tantal zum Schweigen brachte. »Keine Fragen, Tantal, nicht jetzt. Wir Meegs werden versuchen, den Antrieb der beiden Schiffe auszuschalten. Von hier aus. Wenn es geglückt ist, dann kümmern wir uns um Huxley und seine Terraner!« Der eiförmige Druckkörper des Nogk-Kampfschiffes schob sich über die dicht nebeneinander dahinjagenden beiden Raumer. Aus seinem Rumpf wuchsen zwei grünliche, leicht pulsierende Kegel, die ihre Spitzen behutsam weiter und weiter gegen die CHARR und die FO I vorschoben. In der Zentrale des Nogk-Kampfschiffes saßen die Meegs. ihre Fühler vibrierten vor Konzentration. Jeder der Meegs wußte, wie gefährlich ihr Unternehmen war. Wenn sie auch nur ein einziges Mal die Energie der beiden Kegel, in deren Zentrum der Impulsstrahl die Speicherbänke der CHARR und des Spindelraumers abzutasten und zu analysieren begann, falsch dosierten, würden die beiden Raumer sich in glühende Sonnen verwandeln. In unkontrollierbare Energie, die zwischen den Sternen verpuffte. Den Meegs war dieses Verfahren aus der Zeit ihrer großen Kriege bekannt. Schon oft hatten sie derartige Rettungsaktionen durchführen müssen, aber an Eiraumern, an Schiffen, die dem ihrigen in allen Teilen völlig glichen, deren Daten, Aufbau und Steuerungen sie genauer kannten als die der CHARR oder der FO I. Als die Spitzen der Kegel schließlich zur gleichen Zeit die Druckkörper der beiden Schiffe berührten, als der Impulsstrahl gedankenschnell die Druckkörper durchzuckte, in die Speicherbänke eindrang, saßen die Meegs steif und steil aufgerichtet in ihren Sitzen.
Als die Kurven auf ihren Detektorschirmen dann plötzlich nach einem heftigen Ausschlag in sich zusammensanken, sanken auch die Meegs zusammen. Ihre Fühler zuckten noch einige Male, dann lagen sie still und völlig erschöpft in ihren Sitzen. Aber nicht lange. Mit zitternden Gliedern, langsam ihre völlige Erschöpfung überwindend, erhoben sie sich. »Komm, Tantal. Wir brauchen dich jetzt, unsere Kräfte reichen nicht mehr aus, um das zu tun, was noch getan werden muß ...« In den grünlichen Kegeln glitten sie auf die Druckkörper der beiden Schiffe hinab. Tantal und jener Meeg, der sich um den noch unerfahrenen, jungen Nogk kümmerte, bewegten sich über den Druckkörper der FO I. Der Meeg, der von Huxleys verschiedenen Besuchen her den Spindelraumer kannte, fand die Backbordschleuse ziemlich rasch. Vorsichtig probierte er mit dem Aktivator, ob der Mechanismus auf die abgestrahlten Impulse ansprach. Er hatte Glück, Huxley hatte das Schiff nicht über den Sperrcode verriegelt. Ungeduldig wartete er mit Tantal, bis sich auch das Innenschott öffnete. Dann lief der Meeg auf dem stillstehenden Transportband des Zentralschachtes entlang, der eine Art röhrenförmige Mittelachse des Raumers bildete und von dem aus die Besatzung jede andere Abteilung, jedes andere Deck erreichen konnte. Tantals dunkle Facettenaugen musterten das fremde Schiff. Seine Fühler begannen voller Erregung zu pendeln. »Solche Schiffe gab es schon einmal in der Vergangenheit unserer Rasse!« teilte er sich dann dem voraneilenden Meeg in der lautlosen, bildhaften Art der Nogks mit. Vor dem geistigen Auge des Meeg entstand eine junge, fast noch weißglühende Sonne. Ein Planet, dessen Meere und Gebirgszüge unter einem fast wolkenlosen Himmel lagen. Schlanke Pyramiden erhoben sich in die klare Luft. Große bronzehäutige Wesen eilten über ihre breiten, auf schimmernden Pfeilern gebaute Straßen, die in Bogen zwischen den Pyramiden hindurchführten und die Pyramiden selbst in flachen Rampen umliefen. Der Meeg blieb unwillkürlich unter der Wucht dieser Bilder stehen. »Was weißt du über jene Welt, Tantal?« richtete er seine fragenden Impulse an seinen Gefährten. Tantals Fühler zuckten. »Ich weiß es nicht. Aber in der Vergangenheit unserer Rasse gibt es dieses Bild, gibt es jene Wesen, sonst würde ich sie nicht sehen! Und sie sehen jenen ähnlich, die ihr unsere terranischen Freunde nennt!« Der Meeg setzte seinen Weg fort. Nach einigen weiteren Minuten erreichten sie den Leitstand der FO I. Als sie den Leitstand der FO I betraten, starrte ihnen Huxley aus schmalen Augen entgegen. Mit beiden Händen umklammerte er die Lehne seines Konturensitzes. Seine Züge waren noch immer von der tiefen Ohnmacht, von dem ungeheuren Schmerz gezeichnet, der ihn überfallen hatte, kurz bevor er das Bewußtsein verloren hatte. Der Meeg blieb wie gebannt unter dem Schott zum Leitstand stehen. »Huxley!« teilte er sich mit. »Du lebst! Ich dachte schon, wir würden zu spät kommen. Unsere Waffe ist tödlich für alle denkenden Wesen, die von ihr getroffen werden, die sie durchdringt!« Huxley nickte müde, noch immer nicht fähig, seine Gedanken zu konzentrieren. Doch
dann, als er den kobaltblauen Nogk in der silbernen Uniform erblickte, zuckte er zusammen. Und mit diesem Zuammenzucken überwand er auch zugleich seine Schwäche. Jedenfalls dachte er das. Er wußte nicht, daß der Meeg ihm in diesem Augenblick etwas gab, was er selbst niemals mehr zurückerhalten konnte. »Wer ist das?« Durch einige Impulse klärte ihn der Meeg auf. Doch dann kam plötzlich Leben in Huxley. »Das hat alles Zeit, ich muß mich um meine Männer kümmern; helft mir!« Er bückte sich zunächst zu Maxwell, und auch der Meeg folgte ihm, wenn auch mit langsamen, beinahe etwas schwerfälligen Bewegungen. Aber darauf achtete Huxley in diesem Moment nicht. Gemeinsam untersuchten sie Maxwell. Schließlich richtete sich der Meeg auf. ,»Ihr habt großes Glück gehabt, Terraner. Wahrscheinlich, weil ihr Tantals Anweisung sofort befolgtet und eure Schiffe in Fluchtrichtung gedreht habt. Unsere Todeswolken brauchten einige Zeit, ehe sie eure Schiffe erreichten. Und die Geschwindigkeit, mit der ihr euch durch den Raum vor ihnen herbewegt habt, verminderte die Impulse pro Zeiteinheit, die eure Körper trafen. Eure Wissenschaftler bezeichnen diese Erscheinung mit Dopplereffekt...« Huxley begriff schlagartig. Wenn man einen Stein ins Wasser warf, so bildeten sich kreisförmige Wellen, die sich vom Einschlagspunkt mit gleichbleibender Geschwindigkeit ausbreiteten. Bewegte sich ein Schwimmer nun auf den Ausgangspunkt jener kreisförmigen Wellen zu, so schnitt er innerhalb einer bestimmten Zeiteinheit wesentlich mehr der ihm entgegenlaufenden Wellen, als wenn er sich vom Einschlagspunkt des Steines aus gemeinsam mit ihnen nach außen bewegte. Denn die Relativgeschwindigkeit der Wellen in bezug auf seinen Körper war dann wesentlich geringer... Huxley begriff auch mit einemmal die letzte, ihm nur noch bildhaft zuteilgewordene Warnung. Doch er hatte in diesem Augenblick keine Zeit, um sich weiterhin damit zu beschäftigen. Zumal ohnehin tausend Fragen zugleich durch sein Bewußtsein stürzten. Gewaltsam riß er sich los. Er sah abermals zu dem immer noch bewußtlos daliegenden Maxwell hinüber. »Werden alle meine Männer es so überstanden haben wie Maxwell?« wandte er sich an den Meeg. Der Meeg bejahte. »Auf der CHARR sehen die Meegs in diesem Moment schon nach und kümmern sich um deine Gefährten, Huxley. Dich hat das Kontaktfeld geschützt. Die Männer dieses Schiffes müssen jedoch sofort in den Sonnenhangar deiner CHARR gebracht werden, dort erst können wir ihnen helfen ...« Huxley warf rein zufällig einen Blick auf den Schirm der Allsichtsphäre. Dann sprang er mit einem einzigen gewaltigen Satz ans Vipho. Denn zwischen den Koordinaten stand weithin sichtbar und durch das grünliche Licht der Sonne Tantal nicht glutrot sondern violett leuchtend der Tofirit-Druck-Körper der EUROPA. »Huxley an EUROPA!« brüllte der grauhaarige Colonel. »Clark, melden Sie sich!« Sekunden später flammte der Vipho-Schirm auf. Noch immer starrte Huxley wie gebannt auf den riesigen Ringkörper der EUROPA. Sie bot einen geradezu furchterregenden Anblick. Clarks kantiges Gesicht erschien auf dem Schirm.
»Was zum Teufel ist bei Ihnen los, Huxley?« meldete er sich und stutzte im gleichen Moment, als er den Meeg und Tantal erblickte. Der kobaltblaue Kopf des jungen Nogk leuchtete im Strahl der eben aufflammenden Lichtwerfer der EUROPA auf. »Warum haben Sie sich nicht gemeldet, Huxley? Wir sahen die Explosion dieser Silberwolke, dann kamen nur noch die Frequenzen Ihres Peilsenders. Was war los?« Huxley klärte ihn in aller Kürze auf. »Schicken Sie Boote mit Leuten, Clark! Rasch! Ich fliege die FO I jetzt zur CHARR hinüber. Ich weiß aber nicht, ob ich auch in den Hangar hineinkomme. Jedenfalls müssen meine Männer sofort zur Behandlung in den Sonnenhangar meines Schiffes!« Clark nickte und gab sofort die notwendigen Anweisungen. »Und was sind das für grüne Kegel, die den Eiraumer und ihre beiden Schiffe miteinander verbinden?« Huxley zuckte zusammen. »Grüne Kegel?« Er fuhr herum und starrte die beiden Nogks fassungslos an. »Ihr habt unsere Antriebe von eurem Schiff aus ...« Der Nogk nickte Huxley zu. Eine Geste, die er im Laufe der Zeit von den Terranern übernommen hatte. Huxley wurde noch nachträglich kreidebleich. Er spürte, wie sein Herz plötzlich unter seinen Rippen zu hämmern begann. »Wir hatten keine andere Möglichkeit, Huxley. Dein Schiff«, er deutete auf die FO I, in der sie sich befanden, »beschleunigte voll. Sie hätte sich von der CHARR getrennt, dann wäre jede Hilfe für uns unmöglich geworden. Von dem anderen Schiff deiner Gefährten wußten wir nichts ...« Der Nogk unterbrach sich. Dann sahen seine dunklen Facetten Huxley an. »Wir müssen uns beeilen, Huxley! Ich muß dir noch einiges mitteilen, ehe ich ...« Huxley horchte auf. »Ehe du ...«, forschte er sofort. Aber der Meeg winkte ab. »Später, Huxley! Erst deine Männer, dann teile ich dir alles mit, was du wissen mußt. Anschließend mußt du sofort in unser Imperium aufbrechen. Ich fürchte, Charaua wird deine Hilfe dort dringend benötigen! Und Tantal wird dich begleiten!« »Und du? Was wird mit dir?« Huxley Stirn furchte sich. Der Meeg winkte jedoch abermals ab. »Später!« erwiderte er nur. Dann verließ er den Leitstand der FO 1. Unter dem Schott blieb er jedoch noch einmal stehen. »Ich löse jetzt die Kegel von deinem Schiff. Meine Meegs werden den Hangar der CHARR öffnen. Fliege die FO l sofort ein, wir treffen uns dann im Sonnenhangar wieder!« Huxley hob Maxwell empor und legte ihn in seinen Konturensitz. Behutsam prüfte er den Puls seines II. O. Dann wartete er darauf, daß der Meeg ihm ein Zeichen geben würde. Gleichzeitig musterte er Tantal. »Du wurdest in diesem System, unter dieser Sonne geboren?« fragte er schließlich. »Ich allein, Terraner. Ich wurde aus Versehen von meiner Rasse vergessen, als sie dieses System mit euch verließ.« »Und was meinte der Meeg damit, daß Charaua unsere Hilfe benötigen würde?« Tantal schwieg eine Weile.
»Ich weiß es nicht, obwohl Charaua mein Erzeuger ist. Ich ...« Huxley war aufgesprungen. »Charaua ist dein Erzeuger? Du bist also ...« »Vergiß nicht, Terraner, daß diese Dinge bei uns Nogks anders sind als bei euch! Trotzdem, ich werde dich nach Reet begleiten!« Der Meeg meldete sich. Huxley schaltete den Antrieb seiner FO I wieder ein. Es war besser, wenn er sich jetzt zunächst so rasch wie möglich darum kümmerte, daß seine Besatzungen versorgt wurden, die Männer der FO I und Crook und seine Leute. Alles andere hatte Zeit. Flüchtig schoß ihm in diesem Augenblick auch wieder jene unheimliche Szene auf dem Illampu-Massiv durch den Kopf. Aber er unterdrückte sein Verlangen, Tantal danach zu fragen, für den Augenblick. Minuten später sank die FO I auf ihre Bettungen im Innern der CHARR. Lautlos schloß sich über dem Spindelraumer der Druckkörper der CHARR, nachdem auch die Beiboote der EUROPA in den Hangar eingeflogen waren. Als die Kontrollen normale Atmosphäre innerhalb des Hangars anzeigten, öffnete Huxley die Schleusen der FO I, und Clarks Männer verließen ihre Boot. Der Colonel gab Tantal einen Wink. Zusammen packten sie den immer noch bewußtlosen Maxwell und trugen ihn bis zum Transportband des Zentralschachtes. Wenig später holten Clarks Männer auch die anderen Mitglieder der FO I-Crew aus ihren. Stationen. Alles weitere war dann eine Sache von einer halben Stunde. Und während die Meegs des Nogkraumers, der inzwischen von Tantal auf den zweiten Planeten der blaugrünen Sonne zurückgeflogen wurde, sich um seine Gefährten kümmerten, folgten Huxley und Clark mit ihren beiden Schiffen dem alten Nogk-Kampfraumer. Innerhalb der Mauern jener Ringstadt, vor deren Fragmenten Tantal zum erstenmal das Licht jener blaugrünen Sonne durch seine dunklen Facettenaugen erblickt hatte, gingen die drei Schiffe nieder. Der rotbraune Sand, der die ehemals so sauberen Quadern der gewaltigen Stadt längst bedeckt hatte, hereingetragen von den Sonnenstürmen dieses Planeten, an dessen Himmel nie eine einzige Wolke erschien, knirschte unter ihren Druckkörpern ...
*
Die blaugrüne Sonne stieg höher und höher am Himmel des Wüstenplaneten empor. Ihre heißen Strahlen ließen die Luft erflimmern, und selbst die riesigen Ringmauern verschwammen im Glas zu unruhig hin und her fließenden Gebilden. Huxley, Clark, die Meegs und Tantal saßen im Sonnenhangar der CHARR. Nach und nach begannen auch die Bewußtlosen sich wieder zu regen. Einer der Meegs stand auf und kontrollierte nacheinander die Kabinen an den kurzen Bögen des ellipsenförmigen Gewölbes. Als er zurückkam, spürte Huxley schon von weitem seine beruhigenden Impulse. »Wir haben Glück gehabt, Huxley!« teilte er sich mit. »Deine Gefährten werden bis Sonnenuntergang alle wieder wach und gesund sein. Aber bis dahin müssen sie liegenbleiben. Ich habe die beiden Sonnen entsprechend einreguliert. Wir sollten jetzt beginnen, alles Notwendige miteinander zu besprechen!«
Huxley und Clark nickten. Der grauhaarige Colonel straffte sich. Auch ihm hatten die Stunden unter den Strahlen der beiden künstlichen Sonnen gutgetan. »Warum habt Ihr von Terra die sechs Totenkegel geholt, ohne uns davon zu verständigen? Ihr müßt für solche Handlungsweise doch schwerwiegende Gründe gehabt haben?« Die Meegs zögerten. Huxley spürte es ganz deutlich an den unruhigen Impulsen, die ihre Fühlerpaare verließen. Tantal wandte sich schließlich Huxley und Clark zu. Seine dunklen Augen, die einen geradezu unheimlichen Kontrast zu seinem kobaltblauen Kopf und der helleuchtenden silbernen Uniform bildeten, sahen die beiden Terraner an. »Ich habe die Gabe von den Strahlen jener Sonne mitbekommen, in die Vergangenheit unserer Rasse zu blicken, Huxley!« Er erhob sich und stand nun vor den beiden Männern. Erst jetzt fiel es Huxley auf, daß er nicht nur wirklich anders als die anderen Nogks aussah, sondern auch kleiner, zierlicher war. Er mochte gut zwei Meter groß sein, aber sein Körper war gertenschlank und besaß jene Biegsamkeit, wie sie nur erstklassiger Stahl aufweist. »Jenes Schiff, das damals auf Terra notlandete, hatte einen Kommandanten, der noch aus einem der alten Reiche stammte. Er lebte bereits, als das Imperium noch in schwere Kriege gegen andere Rassen verwickelt war und dadurch darauf bedacht sein mußte, immer neue und immer furchtbarere Waffen zu entwickeln. Eine von diesen Waffen habt ihr kennengelernt. Charaua und die anderen Nogks kannten sie nicht mehr, weil sie nach Beendigung der Kriege vom Rat des Imperiums verboten und in der Erinnerung fast aller Nogks und den Überlieferungen unserer Rasse gelöscht worden war. Ich hingegen wußte um diese Waffe, warum, das vermag ich nicht zu sagen. Ich wußte auch, daß sich auf eurem Planeten, in einem der Totenkegel, jener Kommandant befand, der den Raumer geflogen und befehligt hatte, der auf seinem Flug zu euch von den Schatten überfallen und dessen Besatzung so schwer angeschlagen wurde, daß das Schiff schließlich auf Terra notlanden und die Besatzung, wollte sie überhaupt noch eine Überlebenschance haben, sofort in den Tiefschlaf mußte. Ihr Kommandant aber wurde, damit er nicht sofort zerfiel, zusammen mit anderen, gleich schwer Getroffenen in jenen Gebilden konserviert, die Ihr irrtümlich als Totenkegel bezeichnet. Nogks, die sich in solchen Kegeln befinden, sind nicht tot, sondern bedürfen der Regenerierung, die allerdings, nach euren Zeitbegriffen, viele Jahrhunderte dauern kann.« Tantal unterbrach sich für einen Moment und wechselte einige Impulse mit den Meegs, die aber auch Huxley nicht verstand. Dann richteten sich seine Facettenaugen erneut auf die beiden Terraner. »Das, was ihr Tod nennt, gibt es auch bei uns. Aber er sieht anders aus. Ihr werdet es kennenlernen, bald ...« Huxley richtete sich auf, aber Tantal wies ihn durch eine Handbewegung an, zu schweigen, ihn nicht zu unterbrechen. Mit gefurchter Stirn kam der grauhaarige Colonel der Weisung des kobaltblauen Nogks nach. Tantal hatte seine Reaktion jedoch bemerkt. »Nimm es nicht als Unhöflichkeit, Huxley. Aber es gibt noch wichtige Dinge zu besprechen, und uns bleibt nicht mehr viel Zeit! Höre mir also zu! In der ersten Nacht, die ich auf diesem Planeten verbrachte, sah ich viele Dinge, Huxley. Manche werde ich in mich verschließen, einige werde ich euch und meiner Rasse mitteilen. So wußte ich,
daß sich in den Hangars unter dieser Stadt eines der alten Schiffe befand, einer jener Kampfraumer, der noch über die lediglich blockierten Einrichtungen jener alten Waffe verfügte. Ich begann mich zu konzentrieren. Ich spürte, daß jene Feinde, jene Schatten kommen würden, und zwar sehr bald. Sie überwachen diese Welten, dieses System, weil sie hier einmal eine entscheidende, ihre erste wirkliche Niederlage erlitten haben. Durch dich, Huxley, durch den Mann, den ihr Janos Szardak nennt, und durch meine Rasse. Die Waffe jedoch, der ihr den Namen Antisphäre gabt, vermag nur ein geringes von dem zu leisten, was die alte Waffe vermochte. Ich wußte, daß der Gebrauch der alten Waffen den Schatten einen Schock versetzen würde. Einen Schock, der sie endgültig aus diesem System vertreiben würde. Das war für mich zu jenem Zeitpunkt lebenswichtig, denn ich wußte nicht, daß du mit deiner CHARR hierherkommen würdest. Denn nur mit diesem Schiff oder mit dem deines Gefährten vermag ich je zu meiner Rasse und nach Reet zu gelangen. Unsere alten Schiffe versagen in jenen Räumen!« Huxley nickte. Er hatte die vergeblichen Versuche der Nogks, mit ihren Eiraumern das Halo der Galaxis zu verlassen, miterlebt. Ihre Antriebe und ihre Einrichtungen waren dafür einfach nicht geschaffen. »Ich machte mich also auf die Suche nach dem Schiff, das mir meine Erinnerung an vergangene Zeiten gezeigt hatte. Ich fand es schon bald. Über die Detektoren in seinem Innern erfuhr ich alles, was ich wissen mußte, um das Schiff allein fliegen und bedienen zu können. Aber das Geheimnis der alten Waffe gaben auch die Detektoren nicht preis. Ich mußte also zu den sechs Totenkegeln auf euerm Planeten fliegen und jenen Kommandanten holen. Das tat ich, wurde dabei aber beinahe von euch überrascht. Ihr hattet Glück. An dem zwischen den Koordinaten stehenden Emblem meiner Rasse erkannte ich, daß ihr zumindest keine Feinde wart. Ich blockierte also die Waffen deiner CHARR mit einer Einrichtung, über die alle jene alten Kampfraumer verfügen. Du mußt wissen, daß es früher oft geschah, daß unsere Feinde Schiffe von uns kaperten, raubten. Unsere Feinde waren zum Teil noch viel kriegerischer, viel schneller in ihren Reaktionen als wir. Aber sie konnten unsere eigenen Schiffe nicht gegen uns verwenden, denn jene Sperre bewirkte, daß niemals ein Nogkraumer den anderen zu bekämpfen vermochte, weder versehentlich noch sonst irgendwie. Auch das war für die Raumschlachten in jener Zeit, als es euch als raumfahrende Rasse noch gar nicht gab im Universum, äußerst wichtig ...« »Und warum hast du dann auch die anderen fünf Kegel aus unseren Bergen fortgenommen?« konnte sich Huxley nun doch nicht mehr beherrschen. Die ganze Erzählung Tantals kam ihm derartig unwirklich vor, daß er einfach Zeit brauchte, um das Gehörte zu verkraften. »Ich hatte zur langen Suche keine Zeit. Ehe ich nicht soweit war, die alte Waffe auch wieder einsetzen zu können, hätten eure Schiffe mich vernichten können. Vergiß nicht, Huxley, von der Freundschaft deiner Rasse zu den Nogks verfügte ich nur über sehr spärliche Informationen! Als sich alle Kegel an Bord meines Schiffes befanden, fand ich den Kommandanten schnell. Aber ich wußte nicht, wie ich ihm sein Geheimnis entreißen konnte, denn er befand sich in jenem Zustand der Regenerierung, in das ich nicht einzugreifen wagte. Deshalb flog ich zum innersten Planeten dieser Sonne. Dort fand ich die Meegs, und sie halfen mir. Wir erfuhren das Geheimnis. Der Kommandant, den wir dazu gewaltsam wecken mußten, starb. Diesmal endgültig. Mit ihm auch die andern. Den Grund dafür
wissen wir nicht. Ihr Tod war der Preis, den wir entrichten mußten ...« Huxley tauschte einen gedankenschnellen Blick mit Colonel Clark. Dann sah er die Meegs fragend an. »Wieso wart Ihr überhaupt noch im System Tantal? Ich dachte, die Schiffe Charauas hätten damals alle noch hier verbliebenen Nogks abgeholt und nach Reet gebracht?« Derjenige der Meegs, der auch vorher schon die Fragen Huxleys beantwortet hatte, schüttelte seinen Kopf. Ebenfalls eine Geste, die er von den Terranern angenommen hatte. »So war es geplant, aber die Anlagen auf Nogk I erforderten doch mehr Arbeit und Zeit, bis sie endgültig in allen Einzelheiten konserviert und versorgt waren für die kommenden Jahrtausende. Deshalb blieb eine Gruppe von Meegs hier. Wir hatten unsere Arbeit fast vollendet, als etwas dazwischen kam ...« Er begann sekundenlang mit den Fühlern zu pendeln. Huxley spürte die Unruhe in seinen Impulsen, während seine dunklen Facettenaugen zu jener blaugrünen Sonnenscheibe emporstarrten, die gleißend zwischen den Koordinaten der Bildschirme des Ellipsengewölbes stand. »Was ist denn bloß, was sind das ständig für Andeutungen ...« Aber der Nogk schüttelte abermals den Kopf. »Warte bis zum Sonnenuntergang, dann wirst du sehen!« Sein großer Körper straffte sich. »Wir schafften es gerade noch, unsere Arbeiten abzuschließen, dann passierte die Sache mit Tantal. Und jetzt fürchten wir um die Zukunft des Imperiums. Du mußt nach Sonnenuntergang dieses System verlassen, Huxley. Fliege nach Reet und berichte dem Herrscher, deinem Freund Charaua, was du hier erlebt hast. Über die alte Waffe und darüber, ob sie wieder verwendet werden soll oder nicht, mag der Rat des Imperiums entscheiden. Solange werden wir dieses Schiff in eines der Depots von Nogk I bringen. Dort ist es sicher, auch vor dem Zugriff der Schatten!« Er gab den übrigen Meegs ein Zeichen. Sie erhoben sich sofort. »Was hier noch zu tun bleibt, erledigen Tantal und ich allein. Bringt jetzt das Schiff in eines der freien Depots und versorgt es. Ihr habt noch Zeit bis Sonnenuntergang. Wenn ihr euch beeilt, dann könnt ihr es schaffen! Und vergeßt nicht, die alte Waffe gegen jeden Zugriff zu blockieren. Nur Tantal wird die Sperre zu lösen vermögen, wenn der Rat des Imperiums es wünscht!« Gleich darauf wandte er sich an Huxley. »Du bist ein Mitglied des Rates, Huxley. Ich hätte also eigentlich gar nicht das Recht, in deiner Gegenwart ohne dich derartige Entscheidungen zu treffen. Aber jenes Schiff läßt sich nicht nach Reet transportieren, wir müssen also so handeln. Berichte Charaua und warte dann seine Entscheidung ab!« Huxley erhob sich zusammen mit Clark. »Gut, aber ich möchte genau wissen, wo dieses Schiff zu finden ist, falls wir es brauchen. Sag deinen Meegs, daß sie von Nogk I eine diesbezügliche Nachricht in die Speicher meiner CHARR absetzen!« Der Meeg nickte und gab die verlangten Anweisungen sofort weiter. Gleich darauf verließen außer ihm alle Meegs die CHARR. Huxley sah ihnen nach. »Neun Stück!« murmelte er. »Mit jenem, der an Bord der CHARR verbleibe, zehn!« Er schüttelte den Kopf. Irgend etwas an der Sache stimmte einfach nicht.
»Wieviel Meegs wart ihr, als ihr mit euren Arbeiten auf Nogk I begonnen habt, nachdem die Schiffe Reets die anderen abgeholt hatten?« fragte er einer plötzlichen Eingebung folgend. Der Meeg zögerte abermals mit der Antwort. »Nach euren Begriffen zweihundert, Huxley!« teilte er sich dann aber schließlich doch mit. Huxley fuhr herum. »Zweihundert? Und jetzt seid ihr nur noch zehn?« Der Meeg nickte. »Die anderen sind tot, Huxley. Heute mit Sonnenuntergang läuft auch unsere Zeit endgültig ab. Wir gehören einer Generation an, die jetzt weichen muß! Nur wußten wir es nicht mehr genau, wir konnten durch die verschiedenen Sonnen, unter denen wir in der letzten Zeit gelebt hatten, nicht mehr genau voraussagen, wann jener Zeitpunkt gekommen sein würde. Warte bis heute abend, dann werden wir wissen, ob ich mich getäuscht habe oder nicht!« Huxleys Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Deine Generation? Wie viele, ich meine auch auf Reet, gehören ihr an? Glaubst du, daß auf Reet inzwischen etwas Ähnliches passiert sein könnte?« Der Meeg nickte abermals. »Ja, Huxley, das fürchte ich. Nicht Charaua, und viele andere auch nicht, aber eine sehr große Zahl sind entweder schon tot oder sterben in den nächsten Wochen. Hoffentlich nicht eher, als bis die Jungen geschlüpft sind. Und hoffentlich sind die Jungen der neuen Generation nicht ebenfalls alle so anders wie Tantal. Das könnte unser Imperium gefährden. Wobei du bedenken solltest, daß Tantal noch als durchaus positiv zu werten ist. Wenn aber unsere Brut nicht zu korrigierende Schäden auf der Reist nach Reet erlitt, wenn sie negativ geworden sein sollte, was dann, Huxley? Deshalb mußt du so schnell wie möglich nach Reet. Vielleicht brauchen Charaua und die anderen eure Hilfe!« Huxley stand stocksteif da. Die ganze, nicht auszudenkende Gefahr wurde ihm und Colonel Clark, der die Impulse des Meegs genauso verstanden hatte, schlagartig klar. »Und wie ist... ist euer Sterben?« fragte er den Meeg nach einer Weile. »Warte den Sonnenuntergang ab, Huxley, dann wirst du es sehen! Denn ich werde dich bitten, mich auf meinem letzten Weg zu begleiten!«
* Als die Sonne Tantal hinter den Ringmauern der ehemaligen Stadt verschwand und lange, dunkle Schatten über den rotgelben Sand des Bodens zu kriechen begannen, lagen nur noch die CHARR und die EUROPA dort. Der Eiraumer hatte schon vor Stunden Nogk II verlassen und war in Richtung des Nachbarplaneten davongeflogen. Huxley, der durch die vorangegangenen Strapazen in seiner Kabine ebenfalls in einen unruhigen Halbschlaf gefallen war, schreckte durch eine Berührung an seiner Schulter hoch. Als er sich aufrichtete, stand der Meeg vor ihm. »Es ist Zeit, Huxley«, teilte er sich in seiner lautlosen Art mit. »In einer Stunde beginnt die Nacht auf diesem Planeten.«
Huxley fuhr sich mit beiden Händen durch sein seit vielen Jahren ergrautes Haar. Dann warf er einen Blick durch die Direktsichtscheiben, wie sie in alle Kabinen an Bord der CHARR auf seinen ganz speziellen Wunsch hin von den Nogks eingebaut worden waren. Er sah die langen Schatten, die die Ringmauern bereits warfen. Er sah den in den letzten Strahlen Tantals glutrot zu ihm herüberfunkelnden Ringkörper der EUROPA. Mit einem Ruck kam er von seinem Lager hoch und stand gleich darauf vor dem Meeg. »Ist es unabänderlich?« fragte er. »Können dir weder die künstlichen Sonnen noch sonst irgend etwas mehr helfen?« Der Meeg schüttelte den Kopf. »So wenig, wie dir irgendeines Tages noch irgend etwas helfen können wird. Auch deine Zeit wird einmal abgelaufen sein, Huxley. Das geht allen Leben so, und das wird sogar für euern Herrscher Ren Dhark so sein. So wenig Furcht du vor diesem Augenblick empfindest, so wenig Furcht habe ich selbst. Zumal wir Nogks den Tod, so wie er in eurer Vorstellung lebt, nicht kennen. Der Tod ist Verwandlung in etwas anderes, Terraner. Auch wir wissen nicht sicher in was, aber er ist eine Verwandlung.« Die Fühler des Meegs pendelten langsam hin und her. Auch sah er jetzt aus seinen dunklen Facettenaugen zu der dunklen Silhouette der Ringraumer hinüber. »Laß uns eines deiner Beiboote nehmen, Huxley. Ich möchte ganz nach oben auf die letzte Terrasse unserer Stadt.« Huxley nickte. Dann gab er über die Bordsprechanlage die notwendigen Anweisungen. Anschließend machten der Meeg und Huxley sich auf den Weg zum Bootsdeck. Huxley selbst übernahm die Steuerung des Beibootes und schickte den wartenden Sergeanten zurück. Er spürte, daß der Meeg mit ihm allein sein wollte. Schweigend wartete Huxley, bis sich die Schleuse im Ellipsenkörper der CHARR geöffnet hatte. Dann hob er das Boot aus seinen Bettungen und ließ es langsam nach draußen gleiten. Mit minimalem Schub stieg es im Rund der Ringmauer empor, bis es nur wenige Meter über der höchsten kreisförmig angelegten Terrasse stand. Der Meeg deutete auf eine ganz bestimmte Stelle. Huxley sah genauer hin. Es handelte sich um einen jener großen Quader, wie die Nogks sie benutzt hatten, um in ihren Städten besondere Punkte zu markieren. Schon im System .der Sonne CHARR waren Huxley diese Quader aufgefallen. Und immer lagen sie an Stellen, wo auch die letzten Strahlen der untergehenden Sonne sie noch erreichten. Huxley manövrierte das Boot, das in seinen äußeren Formen einer Miniaturausgabe des Ellipsenraumers entsprach, auf jenen Quader zu. Ungefähr zwanzig Meter von ihm entfernt landete er es auf der sonnenbeschienenen Terrasse. Der Meeg nickte ihm dankbar zu. Dann erhob er sich langsam und ging zum Ausstieg. Huxley folgte ihm. Als er die Terrasse betrat, wartete der Meeg bereits auf ihn. »Wir haben noch etwas Zeit, Huxley«, teilte er sich dem Colonel mit. »Ich habe dich gebeten, mich zu begleiten, um mit dir noch etwas zu besprechen. Wir wollen um setzen!« Huxley warf einen Blick auf die eigentümlich gefärbte Sonnenscheibe, die jetzt deutlich sichtbar dem Horizont entgegensank. Über rotgelbe, von Horizont zu Horizont reichende Wüstenformationen, in denen hier und da die Fragmente einstiger Ringstädte emporragten, spannte sich ein mit jeder Sekunde mehr dunkelnder grünlicher Himmel. »Du wirst nach Reet kommen, Huxley. Charaua wird deinen Bericht vernehmen. Aber dann wird er dir von Ellipsenraumern erzählen, die vor kurzer Zeit mit ihren Besatzungen
zwischen den Sternen verschollen sind. Die Schiffe sollten jene rätselhaften Erscheinungen des galaktischen Spannungsfeldes, des Exspects, untersuchen. Außerdem sollten sie in den Raum jenseits des Halos der Milchstraße vorstoßen und erkunden, ob es für unsere Rasse nicht doch einen Weg zur Andromeda gibt. Charaua denkt weiter, aber er und der Rat unseres Imperiums denken falsch. Die Nogks werden die AndromedaGalaxis nie erreichen, nicht lebend. Sie vermögen dank ihrer Technik vielleicht Schiffe zu bauen, die diese Entfernungen zu überwinden imstande sind, aber sie selbst werden jene Zusammenballung von Sonnen, Planeten und fremden Rassen nie erreichen. Das bleibt euch vorbehalten. Eurer Rasse gehört die Zukunft. Ihr seid von allen mir bekannten Rassen die einzige, die im Laufe der kommenden Jahrmillionen ihre Spur durch das Universum ziehen wird. Wenn – wenn ihr keine tödlichen Fehler begeht!« Der Meeg schwieg eine Weile. Dann sah er Huxley plötzlich voll an. »Meine Bitte an dich, Terraner: Schütze den Herrscher unseres Imperiums, bewahre deinen Freund Charaua vor dem drohenden Tod in jenen Räumen. Erlaube nicht, daß er an einer jener Expeditionen teilnimmt, die meine Rasse schon sehr bald nach deiner Ankunft ausrüsten wird! Und wenn du Charaua gewaltsam daran hindern müßtest!« Der Meeg warf einen Blick auf die Sonne Tantal, deren Scheibe eben den Horizont berührte. »Denke an meine Worte, Huxley, nur so kannst du dem Imperium und seinem Herrscher einen wirklichen Dienst erweisen! Und nun leb wohl, mein Freund, entbiete Charaua und dem Imperium meinen Gruß!« Der Meeg streckte Huxley seine braune von gelben Punkten übersäte Hand hin. Huxley ergriff sie und drückte sie heftig. »Ich werde Charaua beschützen, ich verspreche es!« sagte er dann. »Das ist gut, Huxley!« Der Meeg drehte sich um und ging auf jenen Quader zu, der in einer Entfernung von ungefähr zwanzig Schritten in den Umgang auf der Terrasse eingelassen war. Er drehte seinen Körper der nun immer schneller sinkenden Sonne entgegen. In seinen dunklen Facetten brach sich ihr letztes Licht, seine gelbe Uniform leuchtete. Und dann war es soweit. Tantal verschwand unter dem Horizont. Ein paar Strahlenbündel schossen noch in den Himmel empor. Es wurde rasch dunkel. Noch immer stand der Meeg bewegungslos wie eine Statue in der hereinbrechenden Dämmerung. Doch dann, von einer Sekunde zur ändern, ging eine Veränderung mit ihm vor. Sein großer, schlanker Körper schien plötzlich zusammenzuschrumpfen. Aber Huxley erkannte sofort, daß das eine Sinnestäuschung war. Was dort zusammenschrumpfte, war die Uniform des Nogks. Es ging alles so unfaßbar schnell, daß selbst Huxley nicht dazu kam, genaue, detaillierte Beobachtungen anzustellen. Er registrierte lediglich, wie die gelbe Uniform zu Boden sank. Der Meeg war verschwunden. Huxleys Herz begann heftig zu schlagen. Er wartete mehrere Minuten, ehe er schließlich langsam, Schritt für Schritt auf den Quader zuging. Der grauhaarige Colonel fand nur noch eine kleine kegelförmige Anhäufung von bräunlichem Staub, der neben der zu Boden geglittenen Uniform genau in der Mitte des Quaders lag.
Die ersten Sterne flammten am Himmel des Planeten auf, als Huxley endlich zu seinem Beiboot zurückkehrte. Das Boot hob Minuten später von der Terrasse ab, blieb nochmals einen Moment lang über jenem Quader stehen, auf dem Huxley aber nur noch schemenhaft die Uniform des Meegs erkannte. Gleich darauf tauchte es nach unten weg. Und wieder eine halbe Stunde später verließen die CHARR und die EUROPA mit ihren Besatzungen das System der Sonne Tantal ...
* Die Transition der beiden Schiffe verlief ohne Zwischenfälle. Sie legten die gigantische Entfernung von 300 000 Lichtjahren zurück, als hätte es sich darum gehandelt, in eines der der Sonne benachbarten Sternen-Systeme zu fliegen. Huxley und etliche andere Terraner kannten die Gefahren dieser Grenzräume am Rande des Halos der Milchstraße seit dem Zug der Nogks nur zu genau. Sie wußten, daß bei falsch gewählten Sprungdistanzen die Antriebsenergien der Schiffe im Moment des Wiedereintauchens in das Normalkontinuum nahezu vollständig absorbiert, aufgesaugt wurden. Das konnte bei der geringsten Unachtsamkeit sehr schnell zum vollständigen Zusammenbruch der Energieversorgung eines Raumers führen. Bei dem Zug der Nogks waren sie dieser entsetzlichen Gefahr nur mit knapper Not entgangen. Aber jene Kenntnisse, die Nogks wie Terraner über diese vorher niemals in Betracht gezogenen Erscheinungen jener Grenzzonen besaßen, beschränkten sich auf die Route, die von Terra nach Reet führte. Dorthin waren allerdings mittlerweile regelrechte Sprungrouten für die verschiedenen Raumertypen ausgearbeitet worden, auch wenn man eine solche Reise zur Zeit nur mit den stärksten und modernsten Schiffen überhaupt riskierte. Colonel Clark und Major Crook, die noch nie ins System der Nogks geflogen waren, starrten fasziniert auf die ihnen völlig fremdartigen Bilder, die sich ihren Blicken darboten. Hinter ihnen, auf den Hecksektoren der Sichtschirme ihrer Schiffe, schimmerte das Band der Milchstraße. Eine gigantische Ansammlung, Zusammenballung von Sternen, die aus dieser Entfernung bereits ihre Linsenform verriet. Weniger deutlich, wenn auch durchaus zu erkennen, konnten sie einzelne Spiralarme der Milchstraße unterscheiden. Das lag daran, weil sich das System der Riesensonne Corr am Rande des Halos der Milchstraße und in ihrer Rotationsebene bewegte. Sie sahen die Heimatgalaxis nicht von oben oder unten, falls solche Begriffe hier draußen im freien Raum überhaupt noch eine Bedeutung besaßen, sondern von der Seite. Auf der anderen Seite, in Flugrichtung ihrer Raumer, stand eine wahrhaft gigantische Sonne. Die Sonne Corr, ein roter Riese, genau wie Beteigeuze im Orion von dem nahezu unfaßbaren Durchmesser von 400 Millionen Kilometern. Daß sie trotz dieser kolossalen Größe dennoch nur die 8000 bis 9000fache Leuchtkraft der Sonne besaß, die gegen diesen Koloß zu einem völlig bedeutungslosen, winzigen Stern zusammenschrumpfte, lag an ihrer wesentlich geringeren Dichte. Corr war eine noch sehr junge Sonne. Einer jener Überriesen der Spektralklasse M, die sich im Laufe von Milliarden von Jahren weiter und weiter unter steigender Oberflächentemperatur verdichteten, bis sie sich zu einem hellstrahlenden, blauweißen Stern
entwickelt hatten und dann über Gelb und Orange abermals zum roten Riesen wurden. Ihr Ende fanden sie dann entweder a1s weißer Zwerg oder durch plötzlich auftretende Instabilität, die sie zur Nova oder sogar zur Supernova werden lassen konnte. Der Zeitpunkt, zu dem das jedoch dereinst geschehen würde, der lag noch in so weiter Ferne, daß keiner der Männer an Bord der beiden in ihr System einfliegenden Raumer an diese Möglichkeit dachte. Mehr noch: Es würde auch nie ein menschliches Auge geben, das dieses Schauspiel miterleben würde, denn zu diesem Zeitpunkt würde die Sonne und mit ihr viele andere Sterne der Milchstraße längst erloschen, ausgebrannt sein. Huxley warf einen Blick auf die Koordinaten, ehe er seine Erklärungen fortsetzte. Corr besaß fünfzehn Planeten. Möglichkeiten für organisches Leben boten nur die Planeten fünf bis zehn. Intelligentes Leben außer dem der Nogks trug jedoch zu diesem Zeitpunkt noch keine jener Welten. Die Planeten Corrs hatten mit ihrer Sonne zusammen noch einen langen Weg vor sich. Während dieser Zeit konnte sich noch vieles auf ihnen entwickeln. Die Nogks, die den sechsten Planeten des Systems zum neuen Zentrum ihres Imperiums gewählt hatten, wachten peinlich genau darüber, daß in keine von all jenen Entwicklungen durch störende Kräfte eingegriffen wurde. So blieben diese Welten, mit Ausnahme ihres eigenen Wohnplaneten und des siebten, des achten und des neunten unberührte, jungfräuliche Trabanten ihrer Sonne. Auch der siebte Planet, der wegen seiner äußerst günstigen klimatischen Bedingungen speziell für ihre Freunde, die Terraner, zum Gastplaneten ausgebaut werden sollte, der achte und neunte, die als Wasserwelten ihre Versorgung mit Nahrung aus riesigen, von den Nogks angelegten Algenplantagen sicherstellten, wurden nur so weit verändert, wie es für ihre Bestimmung unerläßlich war. Ihr Wohnplanet hingegen, eine heiße, von Wüstengürteln überzogene Welt, wies lediglich an den Polen überraschend tiefe Meere auf und Gebirge, die von dichten Pflanzendschungeln überwuchert wurden. Dort allerdings, in den Polregionen, tobten manchmal Gewitter von einer Heftigkeit, wie sie auf der Erde höchstens zur Zeit des Archaikums stattgefunden hatten, als die heiße Erde von sintflutartigen, niemals endenden Regengüssen abgekühlt wurde. Diese Regionen wurden von den Nogks gemieden und höchstens durch Patrouilleneinheiten kontrolliert. Hineinwagen konnten sie sich in diese Gebiete nicht, denn die Verhältnisse an den Polen ihrer Welt waren für die Nogks tödlich. Die einzige wirkliche Geißel auf Corr waren die durch gelegentliche Temperaturstürze ausgelösten Staubstürme, die wie die Gewitter an den Polen ihres Planeten an Heftigkeit alles überboten, was die Nogks bis dahin in dieser Beziehung kennengelernt hatten. Jene Staubstürme hatten die Nogks schon sehr bald gezwungen, von der bisherigen Bauweise ihrer Städte abzurücken. Statt der konzentrisch angeordneten Ringe hatten sie sich zu riesigen Pyramidenbauten entschließen müssen, die ebenfalls tausend und mehr Meter hoch in den meist violetten Himmel Reets emporragten. Sie boten weitaus besseren Schutz gegen jene entsetzlichen Staubstürme, die einige der ersten Ringstädte nahezu zugeschüttet hatten, weil der Flugsand sich zwischen ihren Wohnringen verfing, und sie unter seinen Massen begrub. Jede der Pyramiden, die mit mathematischer Genauigkeit zu je sechs Stück auf ein Areal von gigantischen Quadern verteilt waren, war durch gewaltige Tunnel mit der benachbarten verbunden. Auch die einzelnen Areale verfügten über derartige Verbindungstunnel, von denen dann je nach Lage der Städte Schnelltransportschächte zu den ebenfalls unter der Planetenoberfläche gelegenen Raumhäfen führten. Geschützt wurde Reet wie Terra durch einen globalen Schutzschirm,
der bei Invasionsgefahr durch fremde Rassen mit Antisphären reagierte, die jedoch von den einzelnen Abwehrzentren stets so dosiert wurden, daß sie niemals zur Gefahr für die eigenen Welten, für das eigene System zu werden vermochten. Starke Verbände von Patrouillenschiffen waren ständig über das gesamte System der Riesensonne Corr verteilt – das Imperium der Nogks existierte wieder. Stärker fast als je zuvor. Colonel Huxley unterbrach seine Erklärungen, die auch von den Besatzungen der CHARR und der EUROPA über Konferenzschaltung mitgehört worden waren, abermals. »Wir bekommen Besuch!« fuhr er zu Major Crook und Tantal gewendet fort, und wies auf die Bugsektoren der Allsichtsphäre. »Ein Patrouillengeschwader der Nogks!« Huxley behielt recht. Die Ellipsenraumer, deren Druckkörper in den roten Strahlen der Riesensonne wie Rotgold funkelten, näherten sich rasch den einfliegenden Schiffen. In einem gekonnten, eleganten Manöver nahmen sie die CHARR und die EUROPA in die Mitte ihrer Formation. »Willkommen, Terraner, in unserem System!« Ein Nogk in silberner Uniform, genau wie der neben Huxley sitzende Tantal, sah aus der Allsichtsphäre ins Riesenhafte vergrößert auf sie herab. Doch dann stutzte er. Seine Facettenaugen musterten überrascht den kobaltblauen Fremden neben Huxley. »Wer ist das, Huxley?« drangen Augenblicke später seine fragenden Impulse durch den Leitstand der CHARR. Huxley erklärte es dem Kommandanten des Patrouillengeschwaders in aller Kürze. Der Nogk benötigte trotzdem noch eine Weile, um seiner Überraschung Herr zu werden. Erst als auch Tantal sich ihm mitteilte und die Angaben Huxleys bestätigte, kamen seine Fühler zur Ruhe. Huxley schaltete sich ein: »Melde uns Charaua, dem Herrscher des nogkschen Imperiums, und entbiete ihm unsere und die Grüße Terras. Sage ihm aber auch, daß ich ihn sprechen muß, wenn irgend möglich, sofort!« In die starren Züge des Nogks schien sich ein Lächeln zu stehlen. »Unser Herrscher erwartet dich, Huxley. Dich und alle jene Terraner, die dich auf deinem Flug in unser System begleiteten. Es hat sich viel verändert auf Reet, seit du zuletzt unser Gast gewesen bist!« Huxley entging der Blick nicht, den er nun auf die EUROPA warf. »Was ist das für ein Schiff, Huxley? Unsere Tasterstationen haben es analysiert und sprechen von Triebwerken, wie sie keines der uns bisher bekannten Schiffe an Leistung je aufzuweisen hatte!« Huxley nickte. Er kannte das Interesse der Nogks an allem, was auch nur irgendwie mit der Raumfahrt zu tun hatte. »Es ist eine Weiterentwicklung jener Ringraumer, die wir von jenen Wesen übernommen haben, deren Rasse wir den Namen Mysterious gaben. Dieses Schiff stammt nicht von ihnen, sondern wurde von unseren Technikern auf unseren Werften gebaut. Sein Druckkörper besteht aus Tofirit, einem Metall, das noch härter, noch widerstandsfähiger ist, als jenes, aus dem die andern Ringraumer bestehen. Außerdem hat dieses Schiff statt eines Triebwerkes derer drei, die je nach Bedarf zusammengeschaltet werden können!« Der Nogk hatte während der Erklärungen kein Auge von der EUROPA gewandt. »Es wird mich interessieren, Huxley, wenn wir gelandet sind. Vielleicht bergen diese Schiffe die Lösung unserer Probleme in sich!
Aber darüber wird Charaua dir berichten, ich will unserm Herrscher nicht vorgreifen! Nochmals: Sei mit deinen Gefährten im Namen unseres Imperiums willkommen auf Reet!« Der Nogk verschwand von den Steuerbordsektoren der Allsichtsphäre. Major Crook hatte sowohl die Unterhaltung als auch die Manöver der zehn Ellipsenraumer, von denen jeder gut neunhundert Meter lang und damit erheblich größer war als die CHARR, beobachtet. Seinen geschulten Augen entging nicht, mit welcher geradezu unglaublichen Exaktheit die Nogks den bei solchen Schiffsgrößen bestimmt schwierigen Verbandsflug beherrschten. Er hatte zwar schon sehr viel von der Disziplin dieser seltsamen Rasse gehört. Aber der hier wie selbstverständlich gebotene Formationsflug hatte Crook ungeheuer beeindruckt. »Tolle Kerle, Ihre Nogks!« wandte er sich an Huxley, aber der grinste ihn nur an. »Warten Sie ab, Crook, bis wir nach Reet kommen! Dort werden Sie und Clark noch ganz andere Dinge zu sehen bekommen. Vor allen Dingen werden wir wahrscheinlich alle miteinander darüber staunen, was die Nogks in der verhältnismäßig kurzen Zeit aus ihrer Welt gemacht haben. Ihre Arbeitseinteilung, ihre Schnelligkeit sind mir selbst heute noch manchmal geradezu unheimlich!« Er warf einen kurzen Blick zu Tantal hinüber, der ihrem Gespräch gefolgt war. Er sah, daß Tantal seine letzten Worte zu schaffen machten, denn seine Fühler spielten unruhig hin und her. Deshalb glitt Huxley aus seinem Konturensitz und legte dem noch jungen Nogk die Rechte auf seine Schulter. »Auch für dich wird hier auf Reet eine harte Zeit der Ausbildung und des Lernens folgen, Tantal! Deine Rassegefährten werden nicht ruhen, ehe du nicht neben deinen anderen, besonderen Fähigkeiten in allen Dingen vollständig einer der ihren geworden bist. Trotz deiner kobaltblauen Haut!« Tantal richtete sich hoch auf und sah den grauhaarigen Colonel an. »Ich habe bereits in den vergangenen Tagen viel gelernt, Huxley! Ich bin ein Nogk, ich bin stolz darauf, einer zu sein. Gleich wie meine Hautfarbe ist und warum sie anders ist als die meiner Gefährten. Vielleicht hat mich meine Geburt, haben mich die Strahlen jener blaugrünen Sonne, unter denen ich heranwuchs, zu etwas Besonderem bestimmt. Aber ich werde nicht ruhen, bis in meinem Wissen um die Gegenwart meiner Rasse auch nicht die kleinste Lücke mehr klafft! Ich werde nicht ruhen, bis ich nicht alles mindestens so gut und so schnell zu tun vermag wie alle anderen, und ich werde ein Freund der Terraner sein, wie Charaua. mein Erzeuger, es ist!« Huxley bedachte den jungen Nogk mit einem langen Blick. Dann streckte er ihm impulsiv seine schlanken, sehnigen Hände entgegen. »Du kannst auf mich zählen, Tantal! Wann immer ich dir in irgendeiner Beziehung zu helfen vermag, werde ich es tun! Dieses Versprechen gebe ich dir im Namen Terras und aller Terraner!« Major Crook hatte sich ebenfalls erhoben und streckte Tantal ebenfalls seine Rechte entgegen. Der Nogk ergriff auch sie. Huxley konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß er soeben einen bedeutsamen Pakt geschlossen hatte, sehr zugunsten Terras ... *
Als Huxley die erste der neuen Pyramidenstädte erblickte, die auch er nur vom Hörensagen kannte, hielt er unwillkürlich den Atem an. Er war von den Nogks so mancherlei an Schnelligkeit gewöhnt, aber dies hier grenzte an Hexerei. Die Stadt setzte sich aus hundert Arealen zu je sechs Pyramiden zusammen. Sie gruppierten sich um eine kreisrunde Fläche, auf der ein Bauwerk stand, das auf den ersten Blick wie eine der Ringstädte der Nogks aussah. Huxley kniff die Augen zusammen, während seine CHARR langsam tiefer sank. Der kreisförmige Bau war keine Ringstadt, sondern wie er erst jetzt zu erkennen vermochte, der Zugang zu einem der Raumhäfen unter der Planetenoberfläche. Die Ringmauer, die die freie Fläche umschloß, war außen zylindrisch, nach innen hin jedoch trichterförmig gestaltet. Die Landefläche vermochte nach Huxleys Schätzung etwa zehn der großen Ellipsenraumer zur gleichen Zeit aufzunehmen. Die Höhe der Mauer schätzte Huxley im Gegensatz zu den gut tausend Meter hohen Pyramiden auf etwa fünfhundert Meter. Die Patrouillenschiffe der Nogks blieben zurück. Dafür meldete sich jedoch der Nogk, der vorher schon mit Huxley Verbindung aufgenommen hatte, abermals. »Landet eure Schiffe dort auf jener Kreisfläche. Sie wird sich mit Ihnen bis zum Raumhafen unter der Oberfläche Reets hinabsenken. Überlaßt die Schiffe dann unseren Technikern, sie werden sich um alles kümmern und sie an ihre Liegeplätze bringen. Deine FO I wird zusammen mit der CHARR von unseren Meegs wie bei jedem deiner Besuche einer gründlichen Überholung unterzogen werden. Um die Mannschaften der beiden Schiffe kümmern wir uns ebenfalls. Charaua wird dich, Tantal und deine Gefährten im Raumhafen erwarten!« Huxley nickte dem Nogk zu, dann klopfte er dem sprachlosen Crook auf die Schulter. Gleichzeitig zuckte er jedoch die Achseln, als er die steilen Falten auf Major Crooks Stirn bemerkte. »Ich kann Ihnen die Frage, die Ihnen vermutlich genauso auf der Seele brennt, auch nicht beantworten,. Crook. Ich hatte mir zwar einiges vorgestellt, weil ich die unglaubliche Schnelligkeit kenne, mit der die Nogks von ihnen in Angriff genommene Projekte vorantreiben und vollenden. Wie sie dies hier jedoch geschafft haben sollen, ist mir ebenso schleierhaft wie Ihnen, Crook! Nun, wir werden sehen. Zeitdilatation fällt jedenfalls als Erklärung aus!« Die CHARR und die EUROPA senkten sich der kreisförmigen Piste entgegen. Dann setzten die beiden Schiffe auf. Die CHARR zuerst, dann die EUROPA mit ihren mächtigen hydraulischen Stützbeinen, die kurz vor der Landung plötzlich aus ihrem TofiritDruckkörper hervorwuchsen. Huxley schaltete zur Zentrale durch. Sofort erschien das kantige Gesicht Chief Erkinssons. »Chief, setzen Sie alle Triebwerke still, nur die Bordversorgung läuft vorerst weiter. Sorgen Sie außerdem dafür, daß die Nogks ungehinderten Zugang zu allen Abteilungen sowohl der FO I als auch der CHARR haben. Beide Schiffe werden wie üblich überholt. Besondere Mängel über Detektorenspeicher direkt an die Meegs, alles klar? Im übrigen spannen Sie ein wenig aus, ich habe das Gefühl, daß ich Sie und die Männer erst kurz vor unserm Start zurück nach Terra wiedersehe!« Huxley schaltete ab. Dann wandte er sich an Prewitt und Maxwell, die sich außer ihm,
Crook und Tantal ebenfalls noch im Leitstand des Ellipsenraumers befanden. »Prewitt, Sie kümmern sich hier auf Reet um Major Crooks Männer, Sie, Maxwell, um unsere alte Crew. Zeigen Sie beide den Jungens alles, was hier sehenswert ist. Und das dürfte eine ganze Menge sein. Urlaub bis auf Widerruf. Sorgen Sie aber dafür, daß beide Besatzungen über die Zentrale dieses Raumhafens oder sonst irgendwie immer zu erreichen sind. Und spannen Sie aus, beide! Sie haben es sich redlich verdient!« »Aye, Sir!« Die beiden Offiziere salutierten und blickten Huxley nach, bis er zusammen mit Tantal und dem hageren Major in einem der Transportschächte des Raumers verschwunden war. »Ich nehme an, ich habe in Ihrem Sinne gehandelt, Crook? Ihre Leute kennen sich hier noch weniger aus als meine Crew!« Crook nickte nur flüchtig, während sie bereits die Steuerbordschleuse der CHARR verließen und auf die gleichmäßig und vollkommen schattenlos ausgeleuchtete Landepiste hinaustraten. Und erst jetzt bemerkten sie, daß sich die ,Ringraumer' inzwischen mitsamt der Piste in das Innere des Planeten hinabgesenkt hatte. Sie blickten in ein wahrhaft gigantisches Gewölbe, in dem nach einem ganz bestimmten Prinzip geordnet Ellipsenraumer lagen, soweit ihr Blick reichte. Charaua, der Herrscher der Nogks, kam ihnen entgegen. Seine Facetten sahen die Terraner und den kobaltblauen Nogk an, der sich vor ihm mit vor der Brust gekreuzten Armen tief verneigte. Charaua trat auf ihn zu und richtete ihn wieder auf. »Willkommen, Tantal, auf Reet! Das Imperium der Nogks entschuldigt sich bei dir dafür, daß du im System jener Sonne, deren Namen du trägst, vergessen wurdest. Aber vielleicht war es auch gut so. Du wirst verstehen, Tantal, daß ich dich jetzt zuerst unseren Meegs überantworten muß. Sie werden dich untersuchen, deine Mentalmuster einspeichern und dich in die Archive unseres Imperiums aufnehmen. Wenn das geschehen ist, werde ich dich rufen lassen. Dann wissen wir mehr, Tantal!« Charaua winkte einer Gruppe von Meegs, die im Hintergrund wartete. Sie verneigten sich und nahmen Tantal dann in ihre Mitte. Charaua sah Crook an, der das alles mit zusammengezogenen Brauen verfolgt hatte. »Keine Sorge, Terraner, es geschieht ihm nichts. Aber je eher wir das Geheimnis seiner Veränderung ergründen, desto besser!« Dann erst wandte Charaua sich Huxley und dem neben ihm stehenden Colonel Clark zu. Er nahm Huxleys Hände und hielt sie eine Weile in den seinen. Dann reichte er, terranischer Sitte folgend, auch Crook und Clark die Hand. »Du hast ein Schiff, das unter meinen Kriegern nicht unbeträchtliches Aufsehen erregt. Es interessiert mich ebenfalls. Es scheint, als hätten unsere terranischen Freunde uns im Raumschiffbau überflügelt!« Colonel Clark stellte verdutzt fest, in welch schneller Reihenfolge ihm während der Impulse Charauas gleichzeitig eine Menge gestochen scharfer und erstaunlich informativer Bilder durch das Bewußtsein schossen. Er sah die Werften der Nogks, auf denen sie weitere Ellipsenraumer herstellten, die sich jedoch von der CHARR unterschieden. Sie waren flacher und gedrungener als Huxleys Schiff. »Auch wir ruhen nicht, Terraner!« vernahm er erneut Charauas Impulse. »Es mag jedoch sein, daß der von uns eingeschlagene Weg ein falscher ist!« Er trat neben Huxley.
»Komm jetzt. Wir müssen viele Dinge miteinander besprechen. Reet hat Fortschritte gemacht, unser Imperium hat sich schneller von seinen Verlusten erholt, als ich zunächst gedacht hatte, denn ein Teil unserer Brut ist inzwischen geschlüpft und hat die Lücken aufgefüllt, die durch den Kampf gegen die Schatten und andere Invasoren entstanden waren ...« Er unterbrach sich und blieb unvermittelt stehen. Seine dunklen Facetten richteten sich prüfend auf Huxley. »Du bist unruhig, Huxley! Ich spüre in dir die Anzeichen der Sorge, der Furcht. Was bedrückt dich, sprich!« Huxley schilderte Charaua, was sich auf Nogk II und in der Nähe des Systems der Sonne Tantal ereignet hatte. Er schilderte auch den Tod des Meegs. Nur die letzte Bitte des Meegs, seinen Auftrag an den Terraner, verschwieg er Charaua vorläufig noch. Huxley benutzte keine Worte. Zu seinen Schilderungen benötigte er nur Sekunden, denn er teilte Charaua alles in blitzartig vor seiner Erinnerung ablaufenden Gedankenbildern mit. Charaua selbst hatte ihn diese Möglichkeit einer raschen Verständigung gelehrt, hatte Huxley darin geschult. Als Mitglied des Rates des Imperiums mußte Huxley diese Kunst beherrschen. Charaua schwieg. Er erkannte augenblicklich die Gefahr. Aber dann kamen seine für einen winzigen Moment hin und her zuckenden Fühler wieder zur Ruhe. »Jener Meeg war einer der Ältesten von uns. Ich kenne ihn sehr genau, Huxley. Wenn er mit seinen Befürchtungen recht haben sollte, so wird das Imperium der Nogks dennoch nicht in Gefahr geraten. Unsere gesamte Brut ist gerettet worden. Unsere Meegs haben jede einzelne Puppe untersucht. Die kommenden Generationen haben keinen Schaden erlitten. Und täglich schlüpfen Hunderte, und noch immer ist kein Ende abzusehen. Unsere Rasse wird sich nach einer Frist, die ihr auf Terra ein Vierteljahr nennt, um viele Zigtausende von Nogks vermehrt haben. In einer gesonderten Stadt aber reifen jene heran, die ihr Frauen oder Mädchen nennt, auch wenn sie mit jenen Wesen eurer Rasse nicht zu vergleichen sind, weil sie bei uns nur für eine Weile diese Rolle spielen und sich dann abermals verpuppen. Nach weiteren Monaten schlüpfen sie nochmals und gehören dann zu jener Gruppe von Nogks, die von uns zwar auch zu den Meegs gezählt, jedoch die Bewahrer des Lebens genannt werden! Der Fortbestand unserer Rasse ist gesichert, auch wenn viele von uns schon in allernächster Zeit sterben, zerfallen sollten!« Huxley war unwillkürlich stehengeblieben. Es war das erstemal, daß er erfuhr, auf welche Weise sich die Nogks überhaupt vermehrten. Doch Charaua zog ihn mit sich fort. »Mich bedrücken andere Sorgen, Huxley. Ich will mich mit dir und deinen beiden Gefährten darüber unterhalten. Drei unserer Schiffe sind verschwunden. Mit ihren Besatzungen. Und auch das vierte, das wir als Suchschiff aussandten, kehrte nicht zurück ...« Charaua hatte einen jener Schächte erreicht, wie es sie auch an Bord der Ellipsenraumer gab. Nur im Gegensatz zu ihnen waren sie viel größer, viel geräumiger. Außerdem überließ Charaua nicht einfach seinen Körper den grünlichen, langsam pulsierenden Gleitfeldern, sondern bedeutete Huxley und seinen Gefährten zu warten. Sekunden später stoppte eine golden schimmernde Metallkugel vor der Schachtmündung. Ihre Charaua zugewandte Seite öffnete sich wie die Lamellen einer Blende und gab einen Einstieg in eine Halbsphäre frei, die mit ihren bequemen Konturensitzen reichlich Platz für den Herrscher der Nogks und die drei Terraner bot.
Bereits Minuten später stoppte sie abermals, und entließ ihre Fahrgäste in die angenehme Helligkeit eines Raumes, von dem Huxley sofort wußte, daß er sich in einer der Pyramiden befand und wahrscheinlich auch Charauas Wohnung darstellte. Der Nogk bot seinen terranischen Freunden in den sich automatisch auf ihre Körpermaße einstellenden Sitzschalen Platz an. Anschließend ließ er über eine andere Geberautomatik einige Erfrischungen kommen, die Huxley schon kannte und deren Geschmack wie Wirkung der grauhaarige Colonel zu schätzen wußte. Huxley wußte, daß auch dies eine ganz spezielle Aufmerksamkeit der Nogks für ihre terranischen Freunde war, denn für die Nogks selbst waren Getränke dieser Art nicht nur unbrauchbar, sondern sogar gefährlich. Huxley hob sein Trinkgefäß, das aus demselben Material bestand wie die lichtdurchlässigen Wände der Pyramide. »Trinkt, Meshurs!« sagte er nur. »Ich bin sicher, daß euch das Zeug schmecken wird. Die Nogks haben sich auf diesem Gebiet zu wahren Künstlern entwickelt. Manchmal vermisse ich diese Getränke sogar auf Terra. « Er trank in langen Zügen und spürte, wie jede Müdigkeit fast schlagartig von ihm abfiel. Dann, nach einem abermaligen Blick auf Crook und Clark, wandte er sich an Charaua. »Berichte, Charaua, was mit euren Schiffen passiert ist, wohin und warum ihr sie auf die Reise geschickt habt!« Charaua begann seinen Bericht ohne alle Umschweife. Je länger er seine äußerst präzisen, wie ein plastischer Film in den Gehirnen der drei Männer ablaufenden Gedankenbilder in schneller Folge aneinanderreihte, desto ernster wurden die Männer. Als Charaua endlich schwieg, herrschte minutenlang Stille. Keiner der Männer sagte auch nur ein einziges Wort. Huxley durchbrach schließlich das Schweigen. Er beugte sich vor und legte Charaua seine Rechte auf den Unterarm. Dann sah er den Herrscher der Nogks fest an. »Ich habe dir bisher nichts vorgemacht, Charaua; Dich und deine Rasse nicht belogen. Ich werde es auch jetzt nicht tun. Eure Schiffe sind verloren, mit ihren Besatzungen. Vielleicht vermögen wir die Raumer zu finden, aber dann werden wir auf Tote stoßen. Falls wir von ihnen überhaupt noch mehr finden, als ein Häufchen Staub ...« Charaua hatte Huxley bis zum letzten Wort zugehört. Seine vier Fühler standen starr und steif empor, was bei ihm stets ein Zeichen höchster Erregung war. Doch jetzt sprang er auf. Seine dunklen Facetten sahen Huxley lange an. »Du hast mir einmal von deinem zweiten. Gesicht erzählt, Huxley. Damals glaubte ich dir nicht, aber du hattest recht, denn wir fanden jene Sonne, jenes System, das du mir prophezeit hattest. Ist es auch jetzt dieses zweite Gesicht, das dich zu mir sprechen läßt, Huxley?« Der grauhaarige Colonel schüttelte nach einem Moment der Überlegung den Kopf. Er spürte, daß er Charauas Frage nur zu bejahen brauchte, um den Nogk dazu zu bewegen, seinen Ratschlägen Folge zu leisten. Aber Huxley wollte es nicht. Nicht so. Nicht diesem Freund gegenüber, für den Lüge, Hinterhältigkeit und Verrat Vokabeln waren, die es weder in seinem Handeln noch in seinem Bewußtsein gab. »Nein, Charaua!« sagte er daher und sah den Nogk aus seinen grauen Augen fest an, »Nein, das ist es nicht, aber meine Vernunft, meine Überlegung sagt mir, daß es sich so
und nicht anders verhält!« »Woher willst du wissen, was wir vergeblich zu ergründen versuchten, Huxley?« Huxley erhob sich ebenfalls. Mit langsamen, nachdenklichen Schritten begann er, in dem riesigen quadratischen Raum hin und her zu wandern. Ab und zu blieb er an einem der in die Außenwände der Pyramide eingelassenen Fenster stehen, deren leichte Neigung und Trapezform sie für ihn besonders anziehend machten. Die Nogks hatten seit jeher beträchtlichen Sinn für architektonische Feinheiten, für Ästhetik bewiesen. Endlich drehte er sich entschlossen um. »Ich will es dir sagen, Charaua. Du selbst hast mir einmal mitgeteilt, daß eure Rasse – auch wenn es nicht immer so gewesen sein mag – zu strahlungsabhängigen Mutanten geworden ist. Ihr könnt ohne Halo, ohne die Energie- und Strahlungsfelder einer Galaxis, eines Sternensystems, nicht leben. Und in diesem Punkt vermögen euch auch die künstlichen Sonnen eurer Schiff nicht zu helfen. Und eure Ellipsenraumer – auch sie vermögen sich aufgrund der Eigenart ihrer Antriebe nicht in Räumen außerhalb eines Halos zu bewegen, denn jenes energetische Vakuum saugt ihre Energien auf, absorbiert sie. Unseren Schiffen ging es bisher nicht besser. Vielleicht sind hier die Grenzen, die die Natur gezogen hat: Wir können zwar unsere eigene Galaxis nach und nach als Lebensraum erforschen, uns die einzelnen und sehr verschiedenartigen Systeme ihrer Sonnen erschließen und uns dort auch behaupten. Jedenfalls, was die biologische Seite anbetrifft. Aber wir vermögen einfach nicht jenen Sprung von einer Galaxis zur anderen zu vollbringen. Vielleicht sind wir nicht dafür geschaffen, vielleicht müssen wir uns erst über viele Jahrtausende hinweg den neuen Lebensbedingungen anpassen, die die Raumfahrt uns aufzwingt. Ich weiß es nicht, Charaua. Fest steht jedenfalls, daß wir nicht imstande sein werden, die uns benachbarte Andromeda-Galaxis in absehbarer Zukunft zu erreichen. Vielleicht unsere Schiffe, als Zeugen einer seelenlosen Automatik. Unsere Körper nicht. Mit dieser Tatsache müßt auch ihr Nogks euch abfinden. Mehr noch als wir Terraner. Ich weiß, Charaua, daß du den alten Plan, zur Andromeda auszuwandern, euch neue, völlig unbekannte Lebensräume zu erschließen, noch nicht aufgegeben hast. Aber es ist Torheit, es ist Unverstand. Richtet euch ein, wo ihr jetzt seid. Vervollkommnet das System der Sonne Corr, baut euer Imperium hier wieder auf, in der Nähe jener Galaxis, die euch hervorgebracht hat!« Charaua stand stocksteif im Raum. Seine Fühler bewegten sich nicht. Nur seine dunklen Augen folgten jeder von Huxleys Bewegungen. Der Colonel trat auf den Herrscher der Nogks zu. Zum zweitenmal an diesem Tage legte er ihm seine Rechte auf den Unterarm. »Ich mache dir einen Vorschlag, Charaua. Du kannst ihn annehmen oder verwerfen: Meine Bedingung ist, daß du auf Reet bleibst. Bei deiner Rasse, bei deinem Imperium, das dich jetzt nötiger braucht als jemals zuvor!« Huxley spürte eine Bewegung des Unwillens, die Charaua durchzuckte. Doch er schüttelte den Kopf. »Oft warst du es, Charaua, der mir gute und richtige Ratschläge erteilte. Höre jetzt und hier auf mich, denn ich spreche als dein Freund zu dir, als einer von euch, dem das Schicksal eures Imperiums genauso viel bedeutet wie dir, wie jedem einzelnen Nogk. Wir verfügen über ein Schiff, über jenen neuen Ringraumer mit seinen schier unerschöpflichen Energiereserven und den drei hyperstarken Triebwerken. Wenn überhaupt ein Schiff das Halo unserer Milchstraße zu verlassen vermag, dann dies. Rüstet die
EUROPA mit allem aus, was eure Meegs bisher zur Erforschung des Exspects an Instrumenten entwickelt haben. Gebt uns einige eurer Meegs mit, die aber damit rechnen müssen, nicht mehr lebend hierher zurückzukommen. Laßt uns in der Handhabung eurer neuesten Instrumente durch eure Detektoren schulen. Dann wollen wir untersuchen, ob es für euch eine Chance gibt, außerhalb des Halos unserer Galaxis zu überleben. Außerdem werden wir versuchen, eure verschollenen Schiffe zu finden, die ganz sicher mit leeren Energiespeichern irgendwo in jenen Räumen treiben. Wir werden feststellen, was mit den Besatzungen dieser Schiffe geschehen ist, Charaua. Dann erst werden wir mehr wissen als bisher! Das, Charaua, ist mein Vorschlag!« Huxley kehrte zu seiner Sitzschale zurück. Charaua stand noch immer stocksteif im Raum, fast tausend Meter hoch über den gewaltigen Quadern, in die die Fundamente der Pyramide eingebettet waren. Er stand fast eine halbe Stunde so, ohne sich zu rühren. Und keiner störte ihn. Sie kannten diese Eigenart der Nogks. Huxley wußte, daß Charaua in dieser halben Stunde alles überdachte, nicht die geringste Kleinigkeit außer acht ließ. Schließlich drehte er sich langsam zu den drei Terranern um. Seine Augen wanderten von Huxley zu Clark und dann zu Crook. »Ich habe deine Worte einer genauen Prüfung unterzogen, Huxley. Und so sehr ich mich auch bemühte, eine Unrichtigkeit in ihnen zu entdecken, irgendeinen Grund zu finden, doch selbst und gegen deinen Willen an jener Expedition teilzunehmen, ich fand keinen. Manchmal hat ein Herrscher Pflichten zu erfüllen, die größer und zwingender sind als seine eigenen Wünsche!« Mit einigen schnellen Schritten war er bei den Terranern. »Es ist gut, Freunde zu haben, wie ihr welche seid. Ihr werdet alles erhalten. Für die Expedition werden sich mehr Meegs melden als ihr benötigt. Euer Schiff wird morgen bei Sonnenuntergang mit allem versehen sein, was ihr braucht! Aber was soll geschehen, wenn auch ihr nicht zurückkehrt? Hast du darüber auch schon nachgedacht, Huxley?« Huxley wechselte einen raschen Blick mit seinen beiden Gefährten, und sowohl Clark als auch Crook nickten. »Dann habt ihr Gewißheit, daß jene Räume tödlich sind, auch für uns, Charaua. In diesem Fall gebt Bericht an Terra. Dort wird man dann wissen, was zu tun ist!« Charaua starrte die drei Menschen an. »Und wir, die Nogks, eure Freunde, sollen wir tatenlos bleiben und uns feige damit zufriedengeben, daß ihr euch geopfert habt, für uns?« drangen seine Impulse in ihr Bewußtsein. Huxley erhob sich, Crook und Clark folgten seinem Beispiel. »Das ist unsere Bedingung, Charaua, die einzige, die wir als Gegenleistung von euch verlangen. Denn unnötige Opfer sind kein Beweis von Tapferkeit und Freundschaft, sondern von Unfähigkeit und mangelnder Selbstdisziplin!« Das waren harte Worte. Huxley wußte, daß sogar er mit ihnen eigentlich die Grenze des Erlaubten fast überschritten hatte. Er spürte die überaus heftige Reaktion Charauas. Doch Charaua fing sich wieder, wenn auch seine Fühler noch eine ganze Weile voller Erregung zuckten. Schließlich, nach langen Minuten absoluten Schweigens, vernahmen die drei Männer erneut seine Impulse. »Für einen Nogk ist es schwer, deine Forderung zu billigen, denn sie widerspricht unseren eigenen Empfindungen. Es ist für uns undenkbar, einen Freund einfach im Stich
zu lassen. Wir würden alles versuchen, dich und deine Gefährten zu retten, auch wenn es uns die Hälfte unserer Kampfschiffe kosten sollte. Trotzdem will ich über das, was du eben gesagt hast, nachdenken. Vielleicht begreife ich es dann. Denn ich spüre, daß du recht hast, ich fühle, daß wir Nogks von euch Terranern manches annehmen, manches lernen sollten. Auch wenn es uns noch so fremd ist!« Er unterbrach sich. Seine leuchtendrote Uniform, von deren Schultern goldene, eigentümlich schimmernde Streifen bis zu den Handwurzeln hinabliefen, ließen Charaua in diesem Augenblick selbst Huxley fremdartig und verschlossen erscheinen. Doch schon die nächsten Impulse lösten die Verkrampfung wieder. »Kommt jetzt, ich werde dafür sorgen, daß ihr bis zum Start eures Schiffes in einen erholsamen Schlaf verfallt. Denn ihr werdet eure Kräfte brauchen, ihr werdet ausgeruht sein müssen, um eure Aufgabe zu erfüllen und – um hierher zurückzukehren!« Charaua führte sie in ein Gewölbe unmittelbar neben seinem Wohnraum. Es besaß keine Fenster. Statt dessen glomm unter seiner sphärenhaften Decke eine jener künstlichen Sonnen, wie Huxley sie von der CHARR her kannte. Charaua deutete auf einige längliche Konturensitze, die sich wie von Geisterhand bewegt zu regelrechten Liegen umbildeten und sich dabei genau auf die Körpermaße der Terraner einstellte. »Legt euch dort nieder und wartet, bis meine Meegs bei euch sind. Ich werde euch abholen, sobald der Ringraumer mit allem Notwendigen für die Expedition versehen ist!« Charaua verließ das Sonnengewölbe. Huxley, Clark und Crook streckten sich auf den überaus bequemen, jede Kontur ihrer Körper sofort annehmenden Liegen aus. Und mit einemmal spürten sie, wie hundemüde und erschöpft sie im Grunde genommen waren ... Als Huxley und seine beiden Gefährten wieder erwachten, fühlten sie sich wie neugeboren. Die künstliche Sonne im Scheitelpunkt des Gewölbes verstrahlte ein weiches, gleichmäßiges Licht. Charaua stand vor ihnen und sah sie aus leinen dunklen Augen an. »Es ist Zeit, Terraner. Euer Schiff ist mit allem versehen, was ihr braucht. Sechs Meegs werden euch begleiten, sie wissen, was sie erwartet.« Huxley, Crook und Clark richteten sich ruckartig auf. Keiner von ihnen konnte sich erinnern, sich jemals so ausgeruht und so frisch gefühlt zu haben. Huxley dehnte seinen geschmeidigen Körper, der nach wie vor einem harten Konditionstraining unterworfen wurde, so oft das möglich war. Er ging zu Clark hinüber, während er seine Uniform in Ordnung brachte. »Da wäre noch ein Punkt, Clark!« sagte er. Der Colonel blickte auf. »Ja?« »Haben Sie schon darüber nachgedacht, wieviel Mann Besatzung wir für die EUROPA benötigen? Ich wäre dafür, auf keinen Fall mehr Leute mitzunehmen als wir unbedingt brauchen!« Clark nickte. »Entspricht genau meiner Vorstellung, Huxley. Es genügt, wenn wir die beiden Waffensteuerungen, die Funk-Z, die Ortungen und die Antriebsaggregate besetzen. Außerdem brauchen wir die verfügbaren Wissenschaftler und M-Antriebs-Spezialisten. Im übrigen läßt sich die EUROPA über Automatik auch von einem einzigen Mann fliegen. Den Leitstand übernehmen wir drei, Sie, Crook und ich. Das dürfte genügen und
sogar eine ideale Besetzung sein, wie man sie längst nicht immer zur Verfügung hat!« Clark grinste und schloß seine Bordkombination. Dann wandte er sich an Charaua, der ihre Unterhaltung schweigend verfolgt hatte. »Ich nehme an, daß meine Leute inzwischen informiert sind?« Der Nogk nickte. »Deine Männer warten bereits im Raumhafen. Du hast eine ausgezeichnete Besatzung, Terraner. Dein Erster Offizier hat bereits unter deinen Gefährten eine Auswahl getroffen, wie du sie eben vorgeschlagen hast!« Clark fuhr überrascht herum. »Kenny!« Er pfiff durch die Zähne. »So viel Umsicht hätte ich diesem jungen Burschen noch gar nicht zugetraut!« Er wandte sich Huxley zu und grinste. »Noch etwas, Huxley: Es könnte vielleicht nicht schaden, wenn wir Ihre Crew und die vom Major in Bereitschaft legen. Sollte etwas schiefgehen, könnten uns die CHARR und die FO I immer noch wesentlich eher zu Hilfe kommen als ein Schiff unserer Freunde! Wir haben das vorhin ja gründlich genug erörtert!« »Geht in Ordnung, Clark, Charaua wird alles Nötige veranlassen. Im übrigen werden wir von Ihrem Schiff aus ständig Verbindung mit den Tasterstationen Reets halten!«
* Als die EUROPA von der Piste des Raumhafens abhob und in den nachtschwarzen, nur von wenigen Sternen erhellten Himmel emporstieg, erwartete die Männer an Bord des Ringraumers noch eine Überraschung. Unter ihnen lag die Pyramidenstadt der Nogks in weichem, rötlichem Licht. Die transparenten, durchschnittlich gut tausend Meter hohen Pyramiden schienen zu glühen. Durch ihre Wandungen drang das Licht der künstlichen Sonnen, wie sie die Nogks auch an Bord ihrer ellipsenförmigen Raumer verwendeten. Die ganze Stadt war in eine milde, angenehme Helligkeit getaucht. Es gab keine Schatten, keine dunklen Winkel. Major Crook starrte mit zusammengezogenen Brauen auf das immer kleiner und kleiner werdende Bild der Stadt. »Sie hatten recht, Huxley!« bemerkte er dann in seiner wortkargen, kurzen Art. »Diese Nogks verfügen über technische Fähigkeiten, wie wir sie uns auf Terra noch nicht einmal träumen lassen können. Sie hatten keineswegs zuviel versprochen!« Er schüttelte den Kopf. Durch die Detektorschulung an Bord der CHARR war er inzwischen über die Lebensgewohnheiten der Nogks informiert. Er wußte, daß diese eigentümlichen Wesen außerhalb ihrer Schlaf-Perioden keinerlei Ruhe benötigen. Ging hinter dem Horizont ihres Wohnplaneten die rote Riesensonne Corr unter, erstrahlten die künstlichen Sonnen innerhalb der Pyramiden. »Das Prinzip jener künstlichen Sonnen sollten wir übernehmen!« brummte Colonel Clark, während er den Kurs seines Schiffes kontrollierte. »Sie sind stufenlos regelbar, haben eine nahezu unbegrenzte Brenndauer bei nur sehr geringem Energiebedarf und vermögen Licht in jeder nur denkbaren spektralen Zusammensetzung zu liefern. Ich schlage vor, Huxley, Sie kümmern sich nach unserer Rückkehr mal um dieses Problem. Ich glaube kaum, daß Charaua Ihnen eine diesbezügliche Bitte abschlagen wird!«
Huxley nickte, während seine grauen Augen zwischendurch immer wieder die Ortungen kontrollierten. »Ich werde dran denken, Clark!« erwiderte der. »Jene Sonnen müssen von den Nogks erst in allerletzter Zeit so weit entwickelt worden sein, daß sie sich auch innerhalb ihrer Wohnpyramiden installieren ließen. Im System Tantal waren sie noch an die mathematisch genau ausgeführten Gewölbe im Innern der Ellipsenraumer gebunden!« Danach verstummte die Unterhaltung bis auf die Anweisungen, die Clark den Männern seiner Besatzung hin und wieder gab. Die EUROPA beschleunigte. Innerhalb weniger Minuten schrumpfte Reet, später das ganze, fünfzehn Planeten umfassende System der Sonne Corr unter ihren Blicken zusammen. Clark schaltete die Bordsprechanlage ein. »Zentrale an Funk-Z, Verbindung mit Reet ständig halten. Reet soll uns über Leitimpulse genau in den Kurs einweisen, den die verschollenen Raumer der Nogks geflogen sind! Abweichungen müssen augenblicklich korrigiert werden!« »Aye, Sir, ich verständige Reet!« Der Funkoffizier verschwand vom Bildschirm. Doch Clark sprach schon weiter. »Zentrale an C-Deck! Alle Antriebsaggregate genau überwachen, geringste Veränderung sofort überprüfen, Ergebnis an Zentrale!« Der Chief, ein etwa vierzigjähriger Spezialist der M-Technik, der vom ersten bis zum letzten Tag den Bau des Ringraumers beaufsichtigt und maßgeblich an der späteren Installation und den Probeläufen der drei Mysterious-Triebwerke mitgewirkt hatte, nickte. Trotzdem schaltete sich Huxley nach einem fragenden Blick zu Clark ebenfalls in das Gespräch ein. »Denken Sie daran, Chief«, sagte er, »wir sind bereits über 300 000 Lichtjahre von unserer Milchstraße entfernt. Mit jeder Sekunde entfernen wir uns gegenwärtig um weitere 100 000 Kilometer. Wir müssen jeden Augenblick damit rechnen, daß wir den Einflußbereich des Halos endgültig verlassen und in das Exspect geraten. Sie erkennen das am sprungartig ansteigenden Energieverbrauch. Achten Sie bitte sorgfältig auf Ihre Instrumente, Chief. Denn mit dem Eintritt ins Exspect wird die Sache gefährlich!« Huxley warf einen Blick zu den sechs Meegs hinüber, die hinter ihren Instrumenten auf der Zentrale ringförmig umlaufenden Galerie saßen. Aber noch schienen sie unverändert, noch vermochten auch Huxleys scharfe Augen keine bedrohlichen Anzeichen an ihnen zu entdecken. Er nahm sich jedoch vor, höllisch aufzupassen, denn er vergaß keine Sekunde, daß er der einzige Mann an Bord dieses Schiffes war, der bereits Erfahrungen mit den Tücken und Gefahren des Exspects gesammelt hatte. Aber es geschah nichts. Die EUROPA beschleunigte weiter und erreichte kurz darauf Lichtgeschwindigkeit. Der Zeitpunkt der ersten Transition in den Leerraum zwischen zwei Galaxien war gekommen. Er verglich noch einmal die letzten Informationen der Tasterstation auf Reet mit ihrer eigenen Position. »Ohne jeden Zweifel sind die drei verschollenen Nogkraumer zumindest bis hierher gekommen!« knurrte er dann. Abermals warf er einen Blick auf eine Folie, die in diesem Moment vom Suprasensor ausgestoßen wurde.
»Auch das vierte Schiff hat sich aus diesem Raum noch einmal gemeldet! Kurz danach muß es dann in Transition gegangen sein, und zwar mit.genau den gleichen Daten wie die drei andern vor ihm!« Er schwang plötzlich in seinem Sitz herum. »Warten Sie noch mit der Transition, Clark! Ich werde bei Reet zurückfragen, ob die Nogks uns genaue Angaben über die Geschwindigkeit des Suchschiffes kurz vor seinem Sprung ins Exspect machen können. Danach könnte unser Suprasensor wenigstens die Koordinaten bestimmen!« Clark nickte und machte sich zusammen mit Crook daran, die EUROPA etwas abzubremsen. Die Antwort von Reet kam mit einer Verzögerung von nur wenigen Minuten. Anschließend übernahm Huxley die Arbeit, den Suprasensor mit den Angaben zu füttern. Huxley reichte das Resultat dem neben ihm sitzenden Clark. »Versuchen wir es, Clark!« brummte er, und der Kommandant der EUROPA nickte. Der Ringraumer beschleunigte abermals. Und dann, von einer Sekunde zur anderen, war es soweit. Schon daran merkten die Männer im Innern des Raumers, daß etwas nicht stimmte. Das erste, was Clark nach der Transition in die Augen sprang, war die Warnlampe im Instrumentenpult. Der Colonel wirbelte herum. Dann sah er nach den anderen Instrumenten. »Verdammt, Huxley, Crook! Unsere Sprungdistanz hat nicht gestimmt! Wir befinden uns tief im Exspect! Viel tiefer, als wir sein dürften.« Huxley glitt aus seinem Sessel und lief zu Clark hinüber. »Welche Distanz hatten sie in den Suprasensor gegeben, Clark?« »5 000 Lichtjahre, genau wie besprochen.« Der grauhaarige Colonel nickte. Etwas Ähnliches war ihm schon einmal passiert, damals auf dem Zug der Nogks. Sie konnten die Sprünge bemessen wie sie wollten, immer fielen die Distanzen anders aus. Huxley überlegte fieberhaft. Damals hatte sich die Sprungdistanz von Mal zu Mal verringert, gleichzeitig war der Energieverbrauch sprunghaft angestiegen. In diesem Moment meldete sich der Chief aus dem C-Deck. »Unsere Aggregate arbeiten mit höchster Last, obwohl ich an den Einstellungen gar nichts verändert habe. Es ist, als ob jemand die Energie förmlich aus ihnen heraussaugt.« Huxley nickte abermals. »Schalten Sie vorübergehend ab, Chief. Setzen Sie einfach alles still. Lassen Sie vorläufig nur die Aggregate für die Bordversorgung laufen. Wir müssen erst einmal herausbekommen, wo wir uns befinden, wie weit wir ins Exspect vorgestoßen sind. Denn daß wir drin sind, das ist uns ja wohl allen klar, oder?« Der Chief nickte. Dann verschwand sein schmales Intelligenzlergesicht vom Schirm. Gleich darauf verstummte das dumpfe Summen, das bisher den Leitstand der EUROPA erfüllt hatte. Huxley ging zu Crook hinüber. »Was machen die Ortungen, Crook? Irgendwelche Kontakte?« Er wollte sich schon abwenden, als der hagere Major ihn zurückhielt. »Warten Sie, Huxley! Die Materie-Ortung hat angesprochen.« Colonel Clark war mit einem Satz bei den beiden. Crook versuchte den Oszillo genauer
einzuregulieren. Er brauchte unverhältnismäßig lange, aber das lag nicht etwa daran, daß er sich ungeschickt anstellte. Irgend etwas stimmte nicht, die Blips kamen verzerrt, undeutlich. Eine Erscheinung, die Clark noch nie an den Ortungssystemen seines Schiffes beobachtet hatte. Doch dann, plötzlich, wurden sie klar. »Einer der verschollenen Nogkraumer!« Crook starrte ungläubig auf den Schirm und wandte sich dann Huxley und Clark zu, die unmittelbar hinter ihm standen und ihm über die Schulter blickten. Unwillkürlich sah Huxley zur Galerie empor, wo die sechs Nogks eben noch vor ihren Instrumenten gesessen hatten. Und dann blieb er stocksteif stehen, unfähig, auch nur eine einzige Bewegung, einen einzigen Schritt zu tun. Die Plätze der Meegs waren leer. Clark sah, wie der grauhaarige Colonel plötzlich seine gesunde braune Gesichtsfarbe verlor. Er wurde kreidebleich, während ihn eine entsetzliche Ahnung beschlich. Er riß sich aus seiner Erstarrung, während sein geschulter Verstand bereits begriff, was dort oben auf der Galerie geschehen war. Unwillkürlich schossen ihm bruchstückhaft die letzten Impulse des Meeg durch den Kopf, der auf der obersten Terrasse jener alten Ringstadt vor seinen Augen zerfallen war. Seine Mahnung, Charaua notfalls sogar mit Gewalt daran zu hindern, an der Expedition zur Erforschung des Expects teilzunehmen. »Die Meegs!« stieß er hervor, noch immer einen winzigen Hoffnungsschimmer in lieh, daß er sich vielleicht doch irrte, daß sie vielleicht nur bewußtlos neben ihren Instrumenten lagen. »Was ...« Clark unterbrach sich und warf nun ebenfalls einen Blick zur Galerie hinauf. Huxley jedoch hatte inzwischen seinen Schock endgültig überwunden. Mit einigen Sätzen durchmaß er die Strecke bis zu jener metallenen Treppe, die auf die Galerie führte. Dann flog er die Stufen förmlich hinauf. Bevor er jedoch oben war, erkannte er, daß hier jede Eile vergebens sein würde. Den sechs Meegs vermochte niemand mehr zu helfen. Ihre Uniformen lagen zusammengesunken in den Konturensitzen. Neben den Sitzen aber, wie herabgerieselt, sechs fast gleichgroße kegelförmige Anhäufungen des bräunlichen Staubes. Colonel Huxley, der Mann, den so leicht nichts umzuwerfen vermochte, drehte sich langsam zu seinen beiden Gefährten herum. »Sie sind tot!« sagte er. »Zerfallen zu Staub, genau wie jener Meeg auf Nogk II, von dem ich euch erzählt habe.« Ohne ein weiteres Wort setzte er sich auf die oberste Treppenstufe und starrte vor sich hin, während Clark und Crook langsam zu ihm heraufkamen. Huxley dachte voller Entsetzen daran, daß direkt neben seinem eigenen Sitz Charaua den gleichen Tod gefunden hätte, wäre er von jenem Meeg nicht so eindringlich gewarnt worden. Denn nie wäre es Huxley von selbst in den Sinn gekommen, Charaua praktisch zu zwingen, auf Reet zu bleiben, indem er ihn mit seinen eigenen Waffen schlug, ihn an seine Pflichten dem Imperium gegenüber erinnerte. Ausgerechnet Charaua, in dessen Leben es außer seiner Freundschaft zu ihm nie etwas Wichtigeres gegeben hatte als Pflichterfüllung dem Imperium, der Zukunft seiner Rasse gegenüber. Und dann, als Huxley schon dachte, er wäre über das schlimmste hinweg, fuhr er plötzlich so heftig in sich zusammen, daß sogar Major Crook ruckartig herumkam und Huxley aus seinen seltsam durchdringenden Augen fragend anstarrte.
Huxley stand auf. Er trat auf die beiden Gefährten zu. In dieser Sekunde erst war ihm klargeworden, wie nahe die ganze Rasse der Nogks damals ihrem Untergang gewesen war, als sie vom System Tantal mit ihren Schiffen zur Andromeda aufgebrochen war. Ein einziger falscher Sprung, eine falsche Kopplungskoordinate, die die Ellipsenraumer weit genug ins Exspect hineingeschleudert hätte, und von einer Sekunde zur andern hätte es im Innern der Schiffe nur noch jene kegelförmigen Anhäufungen eines bräunlichen Staubes gegeben. Im Universum hingegen eine Geisterflotte von vielen Tausenden von Schiffen. Leer, mit zuckenden, flackernden Kontrollen, mit Aggregaten, die in jeder weiteren Sekunde ihre Energie ins Vakuum abgegeben hätten. Bis dann auch damit Schluß gewesen wäre. In den Schiffen jener Geisterflotte wären die Lichter ausgegangen, nach und nach wären sogar die beiden künstlichen Sonnen in den Raumern erloschen, und die eisige Kälte des Weltraumes in jeden Winkel der Ellipsenraumer gekrochen. Und dann, dann wäre jene Flotte von Totenschiffen Äonen hindurch durch das Exspect getrieben. Vielleicht hätte sie die Gravitation im Laufe der Zeit zu einem golden schimmernden Klumpen vereint, bis eines fernen Tages eine andere Rasse sie gefunden und das ganze Ausmaß jener Tragödie erfaßt hätte, die sich irgendwann einmal im Raum zwischen zwei benachbarten Galaxien abgespielt haben mußte. Zwischen zwei Galaxien, die den Begriffen jener Rasse nach vielleicht nur einen Raumsprung voneinander entfernt waren, gemessen an jenen anderen Entfernungen, die das Universum in seiner Unendlichkeit noch bereithielt. Huxley starrte seine beiden Gefährten an. Dann aber ging ein Ruck durch seinen hageren Körper. Er erhob sich. »Clark«, krächzte er mit kaum verständlicher Stimme, »lassen Sie einen Doc kommen. Er soll die Überreste jener Unglücklichen in Gefäße füllen und diese dann fest verschließen. Wir werden sie mit nach Reet nehmen. Und jetzt will ich versuchen, ob ich mit Reet von hier aus Verbindung bekomme. Ich will Charaua berichten, was geschehen ist, ich will ihn und seine Nogks noch einmal warnen.« Huxley ging mit steifen, hölzernen Bewegungen die Treppe hinab. Gleich darauf versuchte er über den hyperstarken To-Funk-Sender der EUROPA Verbindung mit Reet zu bekommen. Zu seiner Überraschung kam sie auf Anhieb zustande. Klar und deutlich erklang die Stimme Maxwells, seines Zweiten Offiziers, der sich offenbar im Wechsel mit den anderen Männer seiner Crew die Wache an der Tasterstation teilte, deren Frequenzen für die Dauer der Expedition einzig und allein dem Ringraumer vorbehalten waren. Über die Tasterstation war es der EUROPA sogar möglich, Bildfunk von Reet zu empfangen und auch dorthin abzustrahlen. »Geben Sie mir Charaua, Maxwell, aber rasch.« Huxleys Stimme klang immer noch heiser. Es dauerte einige Sekunden, bis Charaua auf dem Schirm des Ringraumers sichtbar wurde. »Der Meeg hatte recht mit seiner Warnung, Charaua!« begann Huxley ohne alle Umschweife seinen Bericht. »Wir befinden uns im Exspect, wenn wir auch noch nicht ermitteln konnten, wo. Die sechs Meegs sind tot. Zu Staub zerfallen.« Huxley sah das Erschrecken nicht nur, das durch den Körper Charauas ging, er spürte auch den Impuls, der wie ein Schrei schmerzlich durch sein Bewußtsein brach. Doch gleich darauf hatte sich der Herrscher der Nogks wieder fest in der Gewalt. »Das war es also! Deshalb kehrte keines unserer Schiffe wieder zurück! Huxley, weißt du, was das für meine Rasse bedeutet?«
Huxley nickte langsam. »Ich weiß es, Charaua. Ihr könnt unsere Galaxis nicht verlassen. In Zukunft wird es für euch und eure Raumer eine Zone geben, hinter der für euch der Tod beginnt. Der vollständige und unabänderliche Tod.« Huxley spürte, wie es in Charaua arbeitete. Er würde viel Zeit brauchen, um diesen neuen Schlag wirklich zu überwinden. Diese Entscheidung für seine Rasse war endgültig. Doch Huxley ließ Charaua keine Zeit zu weiteren Überlegungen. Er warf einen Blick auf den Schirm der Materie-Ortung. »Eines eurer Expeditionsschiffe haben wir gefunden. Es treibt im Exspect. Ich nehme an, daß es sich um das vierte handelt, das ihr als Suchschiff den drei anderen vorher verschollenen hinterherschicktet. Wir werden versuchen, es zu erreichen und festzustellen. was dort geschehen ist.« Charaua nickte Huxley zu. Doch der Colonel war noch nicht fertig. »Schicke uns einen Verband Ellipsenraumer entgegen, aber nur so weit, wie der Halo reicht. Geht kein Risiko ein. Meine CHARR soll mit meinen Männern und der Besatzung Major Crooks unverzüglich starten. Wir werden versuchen, euren treibenden Raumer mittels Intervallschlepp dem Exspect zu entreißen. Wahrscheinlich ist die Energieversorgung unseres Ringraumers hinterher derartig erschöpft, daß auch wir Hilfe brauchen. Richte meinem Ersten und meinem Zweiten Offizier aus, daß die Männer Crooks die in der CHARR und der FO I deponierten Beiboote der JAPETUS sofort einsatzbereit machen sollen, wir werden sie brauchen, sobald wir dem Exspect entronnen sind. Wir melden uns wieder, sobald wir Näheres über euer Suchschiff in Erfahrung gebracht haben. Versuche du bitte, Charaua, unsere Position von Reet aus zu bestimmen. Ich bezweifle, daß es uns von hier aus exakt nicht möglich sein wird.« »Du kannst dich auf mich verlassen, Huxley. Du und deine Gefährten! Ich werde selbst an Bord der CHARR sein, Freund.« »Aber vergiß unsere Abmachung nicht, Charaua.« Der Nogk schüttelte den Kopf. So etwas wie Trauer lag sekundenlang in seinen großen, dunklen Facettenaugen. »Wenn alles vorbei ist, Huxley, wird der Rat des Imperiums zusammentreten. Er wird ein Verbot für unsere Raumer erlassen, jemals wieder in das Exspect einzudringen. Auch auf Reet hat es inzwischen Überraschungen gegeben. Es sind bisher fünfzig kobaltblaue Nogk geschlüpft. Sie haben Tantal zu ihrem Führer erwählt. Die Untersuchungen unserer Meegs sind noch nicht abgeschlossen. Tote haben wir bisher noch nicht zu beklagen, in diesem Punkt hat sich jener Meeg auf Nogk II hoffentlich geirrt. Aber über all diese Dinge werden wir später noch miteinander beraten, Huxley. Nach der Rückkehr eures Ringraumers werde ich dich nicht sofort nach Terra zurückkehren lassen, richte dich schon jetzt darauf ein. Denn es werden viele wichtige Entscheidungen für die Zukunft durch den Rat unseres Imperiums getroffen werden müssen, wir wollen dich dazu hören, Huxley.« Charaua nickte seinem terranischen Freund abermals zu, dann verwischte sich sein Bild. Der Arzt kam und erfüllte seine traurige Pflicht. Auch er wurde kreidebleich im Gesicht, als er den wahren Sachverhalt erfuhr. Unruhig fuhr er sich über sein blondes, dichtes Haar. Er sah die drei Offiziere an. »Vielleicht hat hier die Natur in ihrer Weisheit eine unüberwindliche Barriere errichtet!«
sagte er leise. »Haben Sie einmal darüber nachgedacht, daß wir, würden wir je in unsere Nachbargalaxis gelangen, möglicherweise für die dortigen Rassen absolut tödliche Mikroben einschleppen könnten? Oder auch umgekehrt? Wir müssen doch zugeben, wenn wir ehrlich bleiben, daß wir alle miteinander schon über die Andromeda-Galaxis nicht viel wissen! Aus dieser Entfernung läßt sich ja nicht einmal mit Sicherheit bestimmen, welcher Sterntyp das Gros ihrer Sonnen ausmacht! Nein, vielleicht später einmal, aber im Moment gebärden wir alle uns wirklich noch wie die Kinder, die, kaum daß sie eine Sache zwar in ihren Händen halten, jedoch noch gar nicht wissen, was alles sie damit anfangen können, bereits nach der nächsten greifen!« Ohne eine Erwiderung abzuwarten, verließ der Doc die Zentrale. Major Crook starrte ihm mit gefurchter Stirn hinterher. Das Verhalten des Arztes fand keinesfalls seine Billigung, auch wenn er ihm im stillen sogar recht geben mußte. Doch davon merkten Clark und Huxley nichts. Sie waren bereits damit beschäftigt, die ungefähre Entfernung des treibenden Nogkraumers zu bestimmen. Bei dem Schiff handelte es sich, wie sie nach und nach herausfanden, um einen Ellipsenraumer der 900Meter-Klasse. Clark rutschte in seinen Konturensitz. Dann stellte er die Verbindung zum C-Deck her, in dem die drei Antriebsaggregate der EUROPA untergebracht waren. Der, Chief meldete sich sofort. »Wie steht es, Chief, ist bei Ihnen alles in Ordnung?« Der Chefingenieur der EUROPA nickte. »Gut, dann geben Sie Energie auf die Antriebe. Aber seien Sie vorsichtig, wir müssen uns an einen treibenden Nogkraumer heranmanövrieren. Unsere Distanz-Ortungen versagen leider aus einem mir noch nicht erkennbaren Grund. Aber wir haben ungefähren Wert über die Materie-Ortung bekommen. Wenn wir das Schiff untersucht haben, dann versuchen wir, es durch Intervallschlepp aus dem Exspect ins Halo zurückzubringen. Treffen Sie bitte sofort alle Vorbereitungen. Sollten unsere Energiereserven dabei zum Teufel gehen, dann ist es auch nicht weiter schlimm, denn im Halo erwartet uns ein Verband von Ellipsenraumern und Huxleys FO I. Ende.« Der Chief nickte nur kurz. Gleich darauf erfüllte das leise Brummen der Antriebe wieder die Zentrale. Langsam beschleunigte der Ringraumer, aber er tat sich sehr schwer dabei. Das bemerkten die drei Männer in der Zentrale ganz deutlich. Clark fragte nach. »Der Energieverbrauch ist gewaltig, Sir!« bekam er vom Chief zu hören. »Er steht in überhaupt keinem Verhältnis mehr zur Leistung. Hoffentlich schaffen wir noch die Bergung des Nogk-Schiffes.« Sie erreichten den Nogkraumer in einer knappen Stunde Bordzeit. Huxley erhob sich aus seinem Konturensitz, nachdem er das Schiff kritisch gemustert hatte. Es wies keinerlei äußerlich erkennbaren Schäden auf. »Kommen Sie, Crook! Wir beide gehen hinüber.« Er wandte sich an Clark. »Gehen Sie mit der EUROPA so dicht wie möglich heran. Ich möchte mich in diesem teuflischen Exspect nicht gern auf einen Beibootantrieb verlassen müssen. Crook und ich leinen uns an der EUROPA an, fast wie in den Anfängen der Raumfahrt. Dann versuchen wir unser Glück mit einem kräftigen Schwung. «Wenn es nicht klappen sollte, versuchen wir es eben nochmals. Aber passieren kann wenigstens auf die Weise absolut nichts!
Nichts gegen die Technik, aber oft sind die primitiven Methoden die besseren.« Zusammen mit Crook verließ er die Zentrale und machte sich auf den Weg zur Hauptschleuse, Dort legten sie beide die Raumanzüge an, hakten die Sicherheitsleinen an ihren Gürteln und in den für sie vorgesehenen Ösen im Innern der Schleusenkammern fest und warteten, bis Clark die Kammer über Pumpen entleerte und dann das Außenschott öffnete. Huxley und Crook erkannten auf den ersten Blick, daß Clark inzwischen ein geradezu meisterhaftes Manöver mit seinem Ringraumer durchgeführt hatte. Vor sich erblickten sie den gewaltigen, goldschimmernden Rumpf des Ellipsenraumers. Zum Greifen nahe trieb er neben der EUROPA durch die Unendlichkeit. Weit hinten, fast vom Druckkörper des Ellipsenraumers verdeckt, erblickten die beiden Männer den hellen Fleck ihrer Heimatgalaxis, der Milchstraße. Auf ein Zeichen Huxleys sprangen sie beide zugleich. Ihre Körper trieben durch die Dunkelheit des Raumes, den keine Sonne mehr erhellte. Erst als die starken Scheinwerfer der EUROPA plötzlich aufflammten, wich der Druck, die Beklommenheit, die diese gähnende, schwarze Leere rings um sie herum in ihnen hatte aufkommen lassen. Huxley atmete auf. Er neigte zwar nicht dazu, jenen gefürchteten Raumkoller zu bekommen, aber ihm war angesichts des Riesenraumers, in dem es sicherlich keinerlei Leben mehr gab, gar nicht wohl in seiner Haut. Und Crook, diesem unerschrockenen Mann, der schon so manches Schiff samt Besatzung mit seiner JAPETUS in todesmutigem Einsatz gerettet hatte, erging es nicht um einen Deut besser. Als sie endlich gegen den Druckkörper des Ellipsenraumers trieben und Huxley seine Sicherheitsleine von seinem Gürtel loshakte und sie mittels eines Magnetankers an dem Nogkraumer befestigte, schüttelte er sich instinktiv. Crook sah es und wunderte sich keineswegs. »Wenn ich hier heil heraus bin, Crook«, sagte er in die Sprechanlage seines Raumhelmes hinein, »dann werde ich endlich einmal Urlaub machen. Ganz gleich, was passiert. Im Moment habe ich die Nase gestrichen voll, das können Sie mir ruhig glauben.« Er fing den dankbaren Blick auf, den der Major ihm zuwarf. Wenig später erreichten sie eines der Schotts an der Unterseite des Raumers. Huxley brauchte keine zwei Minuten, um den Öffnungscode aus seinem Aktivator abzustrahlen. Dann wartete er gespannt, ob überhaupt noch so viel Energie in den Speichern des Raumers vorhanden war, wie notwendig sein würde, um das Lamellenschott zu öffnen. Er hatte Glück. Die Detektoren sprachen an, und gleich darauf war Huxley auch schon in der Schleusenkammer des Nogkraumers verschwunden. Er wartete, bis Crook heran war, dann schloß er das Außenschott, um auch die innere Lamelle öffnen zu können. Ihre schlimmsten Erwartungen wurden noch übertreffen. Sie durchsuchten den Ellipsenraumer bis in jeden Winkel, und Huxley kannte sich in Schiffen dieser Bauart aus. Wenn er bisher noch gehofft hatte, daß vielleicht die künstlichen Sonnen wenigstens einige Nogks gerettet hätten, so sah er sich getäuscht. Von der gesamten Besatzung lebte kein einziger Nogk mehr. Ihre Uniformen lagen immer noch dort, wo ihre Träger sich im Moment ihres Todes befunden hatten. Schon daran erkannte Huxley, daß die Nogks vom Tod überrascht worden waren, genau wie die Meegs an Bord der EUROPA. Nur jene kleinen Anhäufungen von bräunlichem Staub verrieten noch den Hergang der Katastrophe.
Die Untersuchung der Speicherbänke ergab, daß auch sie so gut wie leer waren. Die Versorgung der Antriebe war schon lange zusammengebrochen. Die beiden künstlichen Sonnen glommen noch schwach, die Energieversorgung des Raumers stand kurz vor ihrem Zusammenbruch. »Gehen wir, Crook!« sagte Huxley nach über drei Stunden gründlicher Untersuchung. »Hier können wir nichts mehr tun. Bemühen wir uns, den Raumer in genau dem Zustand zu belassen, wie wir ihn vorgefunden haben. Vielleicht vermögen die Meegs noch etwas herauszufinden!« Auf demselben Weg, auf dem sie gekommen waren, verließen sie den Ellipsenraumer wieder. An Bord der EUROPA erwartete sie bereits Colonel Clark. Seine gefurchte Stirn verhieß nichts Gutes. Er streckte Huxley und Crook eine Folie hin. Es war die vor einigen Minuten eingetroffene Positionsbestimmung der Tasterstation auf Reet. Huxley und Crook warfen einen Blick darauf und starrten dann Clark wie auf Verabredung völlig entgeistert an. »Das ist nicht möglich, Clark!« ächzte Crook. Der Colonel nickte. »Das habe ich auch gesagt, aber Reet behauptet, daß die Angaben mehrfach überprüft seien und einfach stimmen müßten! Und demnach befinden wir uns von unserer Milchstraße 450 Millionen Lichtjahre entfernt. Kein Wunder, daß die Meegs sofort gestorben sind, kein Wunder, daß der Ellipsenraumer nur noch dahintreibt und daß sich auch dort kein lebendes Wesen mehr an Bord befindet!« Der Colonel nagte verbissen auf seiner Oberlippe herum. »Wir sollten schleunigst sehen, daß wir zurückkommen, versuchen wir, ob wir den Ellipsenraumer mitnehmen können!« Huxley hatte den letzten Worten Clarks schon kaum mehr zugehört. Er hatte eine Idee, ihn beschäftigte ein ganz besonderes Problem in diesem Augenblick. »Clark«, begann er schließlich, »wir haben doch Sonden an Bord, die mit von den Nogks entwickelten Meßgeräten für das Exspect ausgerüstet sind, oder?« »Ja, aber warum...« »450 Millionen Lichtjahre!« murmelte da Huxley statt einer Antwort. »Schicken Sie eine solche Sonde los, Clark, ich möchte sehen, was passiert! Jagen Sie sie noch tiefer in das Exspect hinein, ich habe eine ganz bestimmte Vermutung, Clark. Das Ergebnis wird, wenn ich recht habe, für uns von größter Wichtigkeit »ein,« Clark sah den grauhaarigen Colonel an. Doch dann zuckte er die Achseln. »Gut, wird gemacht, Huxley, aber dann nichts wie weg. Ist mir ein unerhört ungemütlicher Gedanke, so tief in diesem verdammten Exspect zu stecken! Ich möchte bloß wissen, wie das geschehen konnte! Der Suprasensor...« »Ist noch nicht den drei Triebwerken angepaßt, Clark! Wir werden das auf Reet untersuchen. Entweder ist das Schlamperei der Techniker, oder aber sogar wieder einer jener Sabotageakte, wie sie in der letzten Zeit oft vorgekommen sind. Zu oft für meinen Geschmack, denn auch ich wäre mit meinen Männern beinahe einmal das Opfer eines solchen Anschlags auf die GINOK geworden. Crook hat uns dem Tod im wahrsten Sinn des Wortes gerade noch von der Schippe geholt.« Colonel Clarks Augen hatten sich zu sehr schmalen Schlitzen verengt. »Verdammt, Huxley, Sie könnten recht haben! Kleinere Unregelmäßigkeiten und
Unstimmigkeiten sind mir schon des öfteren aufgefallen. Und hier draußen, an der Schwelle des Nichts, addieren sich derartige Fehler wahrscheinlich ins Riesenhafte.« Abermals nagte er an seiner Oberlippe herum. Doch dann gab er sich einen Ruck. »Also die Sonde.« Er gab die nötigen Anweisungen. Kurz darauf löste sich von der EUROPA ein länglicher Körper, der unter ungeheurer Beschleunigung davonjagte. Er kam jedoch nicht weit. Bereits nach fünf Minuten gab es auf den Skalen der Kontrollschirme einen heftigen Ausschlag. Sekunden später, nachdem über die Schirme der .Suprasensoren in blitzschneller Folge steile, tief ins Negativpotential ausschlagende Amplituden zuckten, stand plötzlich in der Schwärze des Exspects eine gleißende, winzige Sonne. Geblendet schlossen die Männer reflexartig ihre Augen, und ab sie sie wieder aufmachten, war alles vorbei. »Genau das hatte ich erwartet!« ließ Huxley sich gleich darauf vernehmen. »Und was der Sonde passiert ist, das passiert wahrscheinlich auch jedem Schiff, das sich zu weit ins Exspect vorwagt. Ich glaube, es gibt im Exspect eine kritische Schwelle, an der die Energie von diesem energetischen Vakuum weit schneller aufgesaugt wird, als die Aggregate sie liefern können. Die Folge ist dann eine Fehlsteuerung durch die Speicher, die blitzschnell zur Kettenreaktion wird und in einer Explosion, in einer plötzlichen Freisetzung aller vorhandenen Energien endet. Der Zeitpunkt, oder besser gesagt, die Entfernung, der Ort im Exspect, an dem sich jene Initialschwelle befindet, ist wahrscheinlich für die einzelnen Schiffe verschieden. Masse, die zur Verfügung stehenden Energiemengen und die Schnelligkeit, mit der sie von den Aggregaten abgegeben werden können, spielen wahrscheinlich in diesem Teufelskreis eine entscheidende Rolle.« Der grauhaarige Colonel sah seine beiden Gefährten an. »Ich glaube, wir haben ein ganz unverschämtes Glück gehabt, daß unser Suprasensor die EUROPA nicht noch tiefer in das Exspect hinausgeschleudert hat!«
*
Die Transition ins Halo zurück verlief weit besser, als die Männer im Innern des Ringraumers angenommen hatten. Im Gegenteil: Der Nogkraumer, den sie im Intervallschlepp mit sich nahmen, wirkte offenbar als ausgleichender Faktor. Zwar kam die EUROPA an einer ganz anderen Stelle, als es den Berechnungen nach hätte sein müssen, ins Normalkontinuum zurück, zwar hatten die Energiereserven nach dem Sprung aus dem Exspect einen bedenklichen Tiefstand erreicht, aber der Ringraumer hatte es geschafft. Der Verband der Nogkraumer spürte das Schiff bald auf. Und dann klappte alles wie am Schnürchen. Die großen Beiboote der JAPETUS schwärmten aus. Ihre Kugelkörper kamen aus dem Bootsdeck der CHARR und der FO I hervorgeschossen. Die Männer Crooks zeigten, was sie konnten. In Rekordzeit hatten sie den bewegungsunfähigen Ellipsenraumer an zwei Bergungseinheiten der Nogks gekoppelt, die sofort damit begannen, das Schiff abzuschleppen. Noch bevor die Riesensonne Corr an diesem Tag hinter der Pyramidenstadt versank,
setzte die EUROPA ihre Teleskopstützen auf die Landepiste des Raumhafens. Huxley, Clark und Crook verließen das Schiff und standen wenige Augenblicke später einer Abordnung von Meegs gegenüber, die sie sofort in ihre Behandlungsräume brachten, um sie einer genauen und vorsorglichen Untersuchung zu unterziehen. Dasselbe geschah mit den Männern der EUROPA. Erst später, als das rotgelbe, warme Licht der Sonne Corr durch die trapezförmigen Fenster seines Wohnraumes fiel, erfuhr Huxley, daß ihn die Meegs in einen vierzehntägigen Tiefschlaf versetzt hatten. Charaua, der vor ihm stand, schien zu lächeln, als Huxley bei dieser Nachricht erschrocken von seinem Konturenlager emporfuhr. »Es war notwendig für dich und deine Gefährten, Huxley! Das Exspect hatte seine Klauen auch nach euch schon ausgestreckt. Du wirst dich jetzt eine ganze Weile bei uns erholen, alles andere habe ich für dich bereits erledigt. Eine Gruppe von Kurierraumern ist unterwegs nach Terra. Sie haben ebenfalls jenen Ringraumer mitgenommen, ohne den ihr das Exspect niemals wieder hättet verlassen können. In seinen Speichern und in denen unserer Schiffe befinden sich alle Informationen, die deine Brüder auf Terra brauchen. Du hast also gar keinen Grund zur Unruhe. Ich bitte dich, Huxley, für eine Weile hierzubleiben und mein Gast zu sein! Später wird eine Delegation von Terranern hier eintreffen, dann wird der Rat des Imperiums zusammentreten, und wir werden gemeinsam beraten, was weiter geschehen soll. Für uns Nogks steht nun endgültig fest, daß wir hier in diesem System bleiben werden. Jedenfalls alle, die sind wie ich ...« Huxley sah Charaua aufmerksam an. »Was heißt das, Charaua, was willst du damit sagen: Jedenfalls alle, die sind wie ich.« Der Nogk zögerte eine Weile. Doch dann richteten sich seine Augen abermals auf Huxley und ließen ihn nicht mehr los. »Deswegen bitte ich dich, für eine Weile hierzubleiben. In den Tagen, an denen du im Tiefschlaf gelegen hast, wurden abermals hundert blaue Nogks geboren. Mit Tantal gibt es jetzt 150 ihrer Art. Und sie sind anders wie wir. Genau wissen wir es noch nicht, Huxley, aber es scheint, als wüchse mit ihnen eine Generation heran, die nicht mehr aus strahlungsabhängigen Mutanten besteht. Damit schließt sich ein großer, über Jahrmillionen währender Kreis in der Geschichte unserer Rasse: Nicht länger mehr werden Unschuldige für die Taten ihrer Erzeuger zu büßen haben. Aber darüber will ich später noch mit dir reden, Huxley.« Charaua wandte sich nach den letzten Impulsen um und glitt mit der seiner Rasse eigenen Schnelligkeit dem Ausgang zu. Dort blieb er jedoch noch einmal stehen, und sah seinen terranischen Freund an. »Es ist schade um jeden Tag, Huxley, an dem denkende Wesen einander bekämpfen. Wir, Terraner und Nogks, sind zusammen stark genug, um wenigstens einem Teil unserer Galaxis den Frieden zu garantieren. Es muß uns nur ernst damit sein!« Noch lange, nachdem Charaua gegangen war, stand Huxley an einem der trapezförmigen Fenster und blickte auf die Pyramidenstadt und den Raumhafen hinunter. »Es muß uns nur ernst damit sein!« vernahm er in sich immer noch die Impulse Charauas. Der Nogk hatte recht. Vielleicht mußte eine Rasse erst durchmachen, was die Nogks im Laufe ihrer langen Geschichte durchgemacht hatten, um trotz äußerer Macht und Stärke zu solcher Denkungsart zu gelangen!
Huxley trat langsam vom Fenster zurück. Er wußte plötzlich, daß er diesmal noch lange bei den Nogks und seinem Freund Charaua zu Gast sein würde ... –ENDE–
REN DHARK Ren Dhark ist es gelungen, einen vorläufigen Frieden mit den schwarzen Weißen zu erzwingen. Dadurch ist die Gefahr eines galaktischen Krieges zwischen den Terranern und den Tels gebannt, und Ren Dhark kann sich endlich einmal wieder ein paar Wochen auf Terra aufhalten. Doch bald erreicht ihn eine Nachricht vom Forschungsraumer FO VII, deren Männer auf dem Planeten Soradan einen weiteren Goldenen Menschen, eine Riesenplastik der Mysterious, gefunden haben. Außerdem seien noch andere Hinweise auf die Geheimnisvollen vorhanden. Soradan wird für die Besatzung der POINT OF zur Hölle, und als sie den gefundenen Spuren nachforschen will, läuft sie in eine grausame Falle der Mysterious. Lesen Sie in 14 Tagen den spannungsgeladenen Ren Dhark-Roman Nr. 96 Die Schranke hinter Soradan von Kurt Brand Sie erhalten ihn bei Ihrem Zeitschriften- oder Bahnhofsbuchhändler zum Preis von 80 Pf.
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