Karl Held/Theo Ebel Krieg und Frieden vPolitische" Ökonomie des Weltfriedens | ]11 edition suhrkamff. j-, SV”
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Karl Held/Theo Ebel Krieg und Frieden vPolitische" Ökonomie des Weltfriedens | ]11 edition suhrkamff. j-, SV”
Warum entdeckt weder der gesunde noch der gelehrte Menschenverstand am Ost-West-Gegensatz, an der »Kriegsgefahr« (die alle Politiker hüben wie drüben bannen möchten, so daß man sich fragt, wer sie eigentlich her aufbeschwört!), am Gegensatz von arm und reich im Weltmaßstab, an Gastarbeitern und Ölstaaten, an der New Yorker Börse und an der Welthungerhilfe jenes Geschäft, das einmal bürgerliche wie sozialistische Theo retiker Imperialismus nannten? Um die Beantwortung solcher Fragen, um die Analyse und Zurückweisung also gewisser ideologischer Gewohnhei ten einer aufgeklärten Öffentlichkeit in Sachen Weltpolitik geht es in Kapi tel I dieses Buches - und damit um alles andere als bloße Ideologiekritik. Es sind also keine differenziert konstruierten Probleme, deren Lösungsmög lichkeiten angesichts unerbittlicher Sachzwänge das vorliegende Buch ausloten will, schon gar nicht solche der »Konfliktvermeidung«. Es sind vielmehr ziemlich allgemein bekannte Tatsachen, deren Erklärung die verschiedenen Kapitel gewidmet sind: Wie abhängig die bundesdeutsche Wirtschaft von weltwirtschaftlichen Bedingungen ist - vom Export, aber auch vom Import, von der Stärke ihrer Mark, die aber auch nicht zu stark sein darf, von amerikanischen Zinssätzen und japanischer Konkurrenz; wie sich mit kleinen grünen Schuldzetteln ein ganzes gesellschaftliches Produktionsverhältnis in alle Welt exponieren läßt, vorausgesetzt, alle »Machtfragen« sind klar und eindeutig beantwortet, von denen der »fried liche Austausch zum wechselseitigen Vorteil« in der modernen Welt noch allemal seinen Ausgang nimmt und die er folgerichtig auch immer wieder auf die Tagesordnung setzt, und wie die Armut ganzer Nationen beschaf fen ist, die der weltweite Einsatz des überschüssigen Reichtums der Ge schäftswelt einiger weniger Nationen in all seiner Wucht erzeugt. Karl Held, geb. 1944, und Theo Ebel, geb. 1942, leben in München.
Karl (Held/Theo Ebel Krieg und Frieden Politische Ökonomie des Weltfriedens
Suhrkamp
edition suhrkamp 1149 Neue Folge Band 149 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1983 Erstausgabe. Alle Rechte Vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Satz: Janß, Pfungstadt Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden UmschJagentwurf: WiJly Fleckhaus Printed in Germany 1 2 3 4 f ^ ~ 88 87 86 8y 84 83
Inhalt
Einleitung
7
I Von den Leistungen des weltpolitischen Sachverstandes und seinen Grundlagen 1. »Unsere Interessen« 2. »Wir«
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3. Moderner Nationalismus
24
4. Vom Imperialismus der Bundesrepublik
35
5. Die theoretische Überwindung des Imperialismus
41
6. Lenins Imperialismusschrift: Ein aktueller, aber falscher Klassiker 48 I I D er Frieden einer Weltwirtschaftsordnung 1. Der »freie Westen«
66
2. »Handel und Wandel« weltweit 3. Die Welt als Kapitalmarkt
74
91
4. Das »europäische Einigungswerk«
115
5. Die »Entwicklungsländer«: Geschöpfe und Partner des Imperialismus 130 I I I D ie Weltmächte und ihre unverbrüchliche Feindschaft 1. Die N A T O : Friedensgarantie durch die Vorbereitung des Dritten Weltkriegs 188 2. Die Sowjetunion: »Archipel Gulag«, »Sozial imperialismus« oder »Weltfriedensmacht«? 213 3. Die »Entspannungsära«: Von Vietnam zu Afghanistan 240
4- Der Osthandel: Zersetzende Geschäfte mit dem Feind 2 $8 5. Polen: Eine Fallstudie über die Segnungen von Osthandel und »Entspannung« 277 6. Zwei Kriege des Sommers 1982
290
IV Die BRD: Entwicklungen eines Frontstaats
304
E i n le it u n g
i. Warum leuchtet es eigentlich sämtlichen meinungsbildenden Instanzen in unseren Breiten ein, daß die U SA in Angelegenheiten, die sich in den Staaten dieser Welt und zwischen ihnen so abspie len, »Verantwortung« tragen? Warum geht jedermann einfach da von aus, daß jede weltpolitische Entwicklung die U SA etwas angehO. Was läßt eigentlich die deutsche Zuständigkeit - für die »Siche rung des Friedens«, für die politische Herrschaftsform in entlege nen Erdenwinkeln, für Konflikte zwischen kommunistischen Par teien verschiedener Ostblockstaaten usw. - so selbstverständlich erscheinen? Mit welchem »Recht« beschließen politische Repräsentanten der Bundesrepublik zusammen mit befreundeten Regierungen über bevorzugte und zu verhindernde Regelungen einer »Weltwirt schaftsordnung« ? Unter welchen Gesichtspunkten wird aus der selbstbewußten Be teiligung der Bundesrepublik an der Konkurrenz der Waffen eine Verteidigung der Freiheit, welche sich als unausweichliche »Reak tion« auf einen Arbeiteraufstand in Polen aufdrängt? Warum entdeckt weder der gesunde noch der gelehrte Menschen verstand am Ost-West-Gegensatz, an der »Kriegsgefahr« (die alle Politiker hüben wie drüben bannen möchten, so daß man sich fragt, wer sie eigentlich heraufbeschwört!), am Gegensatz von arm und reich im Weltmaßstab, an Gastarbeitern und Ölstaaten, an der N ew Yorker Börse und an der Welthungerhilfe jenes Geschäft, das einmal bürgerliche wie sozialistische Theoretiker Imperialismus nannten? Um die Beantwortung solcher Fragen, um die Analyse und Zu rückweisung also gewisser ideologischer Gewohnheiten einer auf geklärten Öffentlichkeit in Sachen Weltpolitik, geht es in Kapitel I dieses Buches - und damit um alles andere als bloße Ideologiekri tik. Als praktisch gültig gemachte, in die Tat umgesetzte Welt anschauungen sind die ideologischen Botschaften, mit denen die Akteure des weltpolitischen Geschehens ihre Entscheidungen be kanntgeben und kommentieren lassen, nicht einfach nur Unwahr heiten, an denen ein maßgebliches Interesse besteht. Sie sind nach 7
der einen Seite hin die Methode, nach der die wirklichen Subjekte der Weltpolitik sich ihre Vorhaben als Aufgaben definieren und entsprechend zu W'erk gehen. Nach der anderen Seite hin stellen sie die Methode dar, nach der jene maßgeblich engagierten Stati sten, ohne deren gehorsamen Einsatz die Macher des Weltgesche hens aufgeschmissen wären, die nützlichen Staatsbürger der tonangebenden Demokratien, mitmachen, was immer ihre frei ge wählten Regenten von ihnen verlangen. So sind die Ideologien der Weltpolitik untrügliches Indiz und Gebrauchsanweisung der selbstherrlichen Freiheit derer, die für diese Welt so gern »die Ver antwortung tragen«. Wer daher die Selbstdarstellung der interna tionalen Politik begreift, der verfügt zugleich über eine Diagnose der bedeutenden Fortschritte eben dieser Freiheit seit den Tagen, die heute im historischen Rückblick »Imperialismus« heißen, aus gerechnet weil die weltweite Zuständigkeit eines knappen Dutzend demokratischer Regierungen damals noch keineswegs eine ausge machte Sache war: dafür gab es noch eine Arbeiterbewegung, der und deren Theoretikern die außenpolitischen Manöver ihrer Na tion genauso verdächtig waren wie die der anderen. Sein Material entnimmt das Kapitel I der modernen bundesdeut schen Ideologie, wie sie von den angesehenen Politikern der N a tion als die maßgebliche Interpretation ihrer Taten verkündet, von einer kritischen Öffentlichkeit verantwortungsbewußt variiert und »vertieft« wird. Zu »entlarven« gibt es hier nämlich genauso wenig wie »Hintergründe aufzudecken«. Nicht, was sich an nationalisti scher Geheimbündelei, verdeckten Querverbindungen zwischen gewissen politischen Lagern, Geheimdiensteinflüssen usw. um das Geschäft und die selbstbewußten Methoden demokratischer Weltpolitik herumrankt, gibt die nötigen Aufschlüsse über deren Zwecke und Prinzipien, sondern das, was täglich in Zeitungen und Nachrichten als unskandalöser NormaJfall des Weltgeschehens bekanntgemacht wird. Tatsächlich wird ja auch von den paar Skandalen, in deren Aufdeckung findige Journalisten ihren Ehr geiz und Memoirenschreiber ihren Stolz als »Aufklärer« setzen, kein Mensch wirklich überrascht, weil sowieso ein jeder in dieser Sphäre mit allem rechnet und sich an nichts stört. Nicht an Infor mationen über das Weltgeschehen fehlt es dem betroffenen Staats bürger von heute - das Nötige bekommt sogar der berüchtigte Bild-Zeitungsleser allemal m it-, sondern an der Bereitschaft, dar aus andere als die öffentlich beliebten Schlußfolgerungen zu ziehen.
Abwechslung oder gar Abhilfe bietet hier auch die akademische Befassung mit den »Phänomenen« der Weltpolitik nicht. Beliebt und üblich sind hier auf der einen Seite die S childeru ng von Wohl fahrt und Elend auf der Welt, d ie D o ku m en ta tio n von wirtschaftli chen Wachstumsraten und terms of trade, die Anfertigung von Statistiken über den weltweiten Hunger und seine Zu- oder Abnah me, die Sammlung von M a teria lien über den globalen Waffenhan del usw. —gerade so, als fehlte immerzu und gerade noch eine letzte, noch exaktere, noch besser belegte In fo rm a tio n für ein sachgerech tes Urteil über den Lauf der Welt. Dieser falschen Ehrfurcht vor den »Fakten«, deren Vielfalt und Veränderlichkeit kein politischer Wissenschaftler heute noch mit einer Erklärung zu nahe treten möchte, entspricht auf der anderen Seite die Ausarbeitung wissen schaftstheoretischer Bedenklichkeiten, des keiner weiteren Be gründung bedürftigen abstrakten Zweifels an der Möglichkeit stichhaltiger Erklärungen der Weltlage, zu »hochdifferenzierten Forschungsansätzen«, die nur mehr einem Bedürfnis Genüge tun: dem nach der Demonstration eines unschlagbaren P ro b lem b ew u ß tseins. Inwiefern diese theoretische Stellung zur Weltpolitik allein dazu angetan ist, deren harte Banalitäten nach den Kriterien eines modernen wissenschaftlichen Geschmacks in lauter überaus komplizierte, theoretisch kaum und praktisch schon gleich gar nicht zu bewältigende »Sachzwänge« umzudichten, zeigt der Ab schnitt 5 des Kapitels I mit der exemplarischen Klarlegung gewis ser in dieser Sphäre gepflogener Denkweisen. Der dort begründete Vorwurf einer die wissenschaftlichen Methoden bestimmenden Parteilichkeit für die Verhältnisse, die da einer wohlwollenden Umdeutung in lauter P ro b le m e unterzogen w erden- so als wäre al les Unerfreuliche auf dieser Welt ein Beweis für lauter gute Absich ten, denen es leider im Wege steht-, ist durchaus als Absichtserklä rung zu verstehen: Die Autoren dieses Buches haben nicht vor, ausgerechnet an den harten Praktiken der Weltpolitik für einen besonderen, originellen Gesichtspunkt Komplimente für die Erfüllung solch lieblicher methodischer Kriterien wie »Diffe renziertheit«, »Seriosität«, »Kenntnisreichtum«, »Durchblick«, »fortgeschrittenes Methodenbewußtsein«, »Problemsicht« usw. einzufangen. Der das Kapitel I abschließende Exkurs zu dem Klassiker der marxistischen Imperialismustheorie, zu Lenins berühmter, kaum gelesener Schrift, rechnet dieser daher auch nicht die Verfehlung 9
gewisser wissenschaftstheoretischer Vorschriften vor, sondern kritisiert die falschen Argumente, mit denen dieser revisionistische Revolutionär gegen die Friedensbewegung innerhalb der damali gen Sozialistischen Internationale zu Felde gezogen ist. Damit wird zugleich umgekehrt klargestellt, inwiefern der Idealismus des Friedens das letzte und härteste Argument gegen jede Erklärung des Imperialismus hergibt, also auch, warum die wieder aktuell gewordene »Friedenssehnsucht« so gründlich staatsbürgerlich-un tertänig ist. 2. Es sind also keine differenziert konstruierten Probleme, deren Lösungsmöglichkeiten angesichts unerbittlicher Sachzwänge das vorliegende Buch ausloten will, schon gar nicht solche der »Kon fliktvermeidung«, jenes ganz und gar fiktiven Zwecks, an den Poli tiker ihre Untertanen und Politologen ihre Leser und Hörer so gern als Grundprinzip von Weltpolitik glauben machen möchten. Es sind ziemlich allgemein bekannte, jedenfalls zur Genüge be kanntgemachte Tatsachen, deren Erklärung die Kapitel II, III und IV sich widmen. Wit abhängig die bundesdeutsche Wirtschaft sei von lauter welt wirtschaftlichen Bedingungen - vom Export, aber auch vom Im port, von der Stärke ihrerMark, die aber auch nicht zu stark sein darf, von amerikanischen Zinssätzen und japanischer Konkurrenz bekommt ein Zeitungsleser und Fernsehzuschauer beliebig oft mitgeteilt. Dabei könnte ihm zwar schon bisweilen aufgehen, was für eine schillernde Angelegenheit diese in wechselndem Tenor be schworene »Abhängigkeit« des Erfolgs der Nation ist: Ist eine »starke D-Mark« denn nun gut oder schlecht? Wenn US-Zinsen und Japanerfleiß sich auf bundesdeutsche Wachstumsraten aus wirken: setzt das nicht bundesdeutsche Geschäftsleute voraus, die sich des Dollar und fernöstlicher Mikroelektronik für ihren, also doch wohl auch für irgendeinen nationalen Geschäftsvorteil be dienen? Hängt Kenia vom bundesdeutschen Kaffeeimport ab, oder der deutsche Kaffeetrinker von der kenianischen Kaffee-Ernte, oder ist dieses Verhältnis womöglich mit der methodischen Voka bel »Wechselwirkung« auf den Begriff gebracht? Ist es nicht ein Unterschied, ob ein Land ö l verkauft oder ein Großunternehmen Raffinerien? Selbst mit der »Erkenntnis«, daß die »Abhängigkeit« der nationa len Ökonomien voneinander sich bisweÜen sehr einseitig gestaltet, ist allerdings noch nicht viel gewonnen; schon gar nicht, solange io
man sich jenes ominöse Ding namens »Weltmarkt« nach Analogie eines Kaufhauses zu erklären sucht. Wie sich mit kleinen grünen Schuldzetteln ein ganzes gesellschaftliches Produktionsverhältnis in alle Welt exportieren läßt - Abschnitt3 - , vorausgesetzt, alle »Machtfragen« sind klar und eindeutig beantwortet—Abschnitt 1 —, von denen der »friedliche Austausch zum wechselseitigen Vor teil« in der modernen Welt noch allemal seinen Ausgang nimmt und die er folgerichtig auch immer wieder auf die Tagesordnung setzt —Abschnitt 2 —, und zwar gerade dort, wo es den Nationen verboten ist, die »Machtfrage« untereinander überhaupt mit letzter Konsequenz aufzuwerfen -Abschnitt 4 und wie die Armut gan zer Nationen beschaffen ist, die der weltweite Einsatz des über schüssigen Reichtums der Geschäftswelt einiger weniger Nationen in all seiner Wucht nie aufhebt, sondern zu immer neuen Blüten treibt-Abschnitt 5 das sind die Themen des Kapitels II. Freunde und Skeptiker des »Europagedankens« werden da ebenso mit eini gen Klarstellungen konfrontiert wie Kritiker einer »Weltwirt schaftsordnung«, an der sie den Goldstandard oder dessen Preis gabe, feste Wechselkurse oder flexible, die Multis oder auch einen zu geringen »Kapitaltransfer«, einen »ungerechten Tausch« oder »strukturelle Ungleichgewichte« in den Sachgesetzen der terms of trade, das »laissez-faire« oder eine »Vermachtung der Märkte« als Mangel oder Dilemma ausgemacht haben wollen. Daß imperialistische Politik den Geschäftsinteressen tatkräftiger Kapitale einer Nation dient, heißt alles andere, als daß sie und ihre Macher Knechte des kapitalistischen Schachers wären. Ihrer Ge sellschaft nützlich ist eine bürgerliche Staatsgewalt gerade kraft der Souveränität, mit der sie nach außen agiert, ganz jenseits aller Ren tabilitätskriterien der Geschäftswelt, der sie damit den Weg bahnt. Damit die Welt zum Markt wird und einer bleibt, haben die Hauptakteure des Weltgeschehens nach dem vorigen Weltkrieg unter der Oberhoheit des großen Siegers nicht zufällig ein schon in Friedenszeiten sehr tatkräftiges Bündnis für den »Verteidigungs fall« geschlossen und mit Leben erfüllt. Sie rüsten für einen Krieg, der sich ganz bestimmt nie bezahlt macht - dessen Vorbereitung sich aber dennoch lohnt, weü so dafür gesorgt ist, daß die soziali stische Ausnahme von der zum Markt gestalteten und kontrollier ten Welt eine unerfreuliche Ausnahme bleibt. Das Kapitel I I I erklärt in Abschnitt 1 die Logik des imperialistischen Gewalt apparats, den die U SA und ihre Verbündeten sich für diesen Zweck
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zugelegt haben, und in dem Zusammenhang auch, weshalb die seit Beginn der achtziger Jahre offiziell und öffentlich widerrufene trostreiche Illusion, ein Atomkrieg wäre »nicht führbar«, auch schon vor der Erfindung von Neutronenbombe und cruise missile nichts als eine trostreiche Illusion war. In Abschnitt 2 dieses Kapitels wird endgültig jeder fündig werden, der die republikanische Gesinnungstreue des Buches nach dem hierzulande so beliebten seriösen und hochdifferenzierten Krite rium einer unmißverständlichen Verurteilung der Sowjetunion überprüfen möchte. Denn dort wird weder die weltpolitische Schuldfrage so gerecht aufgerollt, daß per saldo ein Dank an die westlichen Staatsgewalten für den Schutz - trotz allem! - vor östli chem Unmenschentum herausschaut, noch jene zunehmend be liebte Form antisowjetischer Hetze gepflegt, die dem gegnerischen »System« seine hoffnungslose Ineffizienz vorrechnet und so den Beweis führt, daß es gar nichts anderes mehr als seinen alsbaldigen Untergang verdient. Statt dessen wird die »Systemfrage« einmal theoretisch ernst genommen und die unerhörte Behauptung be gründet, daß der sowjetische Staat in seinem Bemühen um Aner kennung durch die maßgeblichen Mächte, die ihn zum Hauptfeind erklärt haben, nichts als einen falschen defensiven Antiimperialis mus praktiziert. Die - alten oder nachträglichen - Freunde der Entspannungspoli tik wird vielleicht noch mehr der in Abschnitt3 geführte Nachweis ärgern, inwiefern der amerikanische Beschluß, dieses goldene Zeitalter zu beenden, die für imperialistische Politiker unabweis bare Konsequenz aus der Tatsache darstellt, daß sie sich in dieser Ära so erfolgreich um eine für sie günstige Korrektur des weltwei ten Kräfteverhältnisses bemüht haben. Schließlich hat der Westen in dem besagten Jahrzehnt nicht bloß neue Maßstäbe für eine mo derne Waffentechnik gesetzt. Er hat auch eine der Sowjetunion al lenthalben feindliche Sortierung und Ordnung der gesamten Staa tenwelt durchgesetzt und zementiert; daß dieser Sachverhalt mit der Aufzählung von »imperialistischen Eroberungen«, durch die sich die Sowjetunion von Afghanistan bis nach Jemen ausgedehnt haben soll, aufs heftigste dementiert wird, kann nur die Zweifel an der »Friedensliebe« derer bestärken, denen der freie Westen immer noch zu klein ist, weil nicht alles zu ihm gehört. Zur selben Zeit ist außerdem die friedliche Benutzung slawischer Wirtschaftskraft, um die vor allem die bundesdeutsche Friedenspolitik sich so ver12
dient gemacht hat, fortgediehen bis zur »naturwüchsigen« Zerset zung der Produktionsweise, mit der die revisionistischen Staaten sich einst aus dem kapitalistischen Weltmarkt ausgegliedert haben. Dem imperialistischen Erpressungsgeschäft der freien Welt hat so der Osthandel, der in Abschnitt 4 behandelt wird, ein zusätzliches Arsenal politischer Waffen verschafft, von dem die kalten Krieger ehedem nicht einmal zu träumen wagten. Damit steht, so oder so, die »Befreiung« des Ostblocks auf der Tagesordnung-für die be troffenen Völker, wie am »Fall Polen« in Abschnitt y des Kapitels III gezeigt wird, kein Glück, sondern ausnahmslos und in jeder Hinsicht ein entschiedenes Pech! Kapitel IV schließlich widmet sich der Erklärung einiger Tatsa chen, die das unmittelbar betroffene Publikum besser nicht wie Selbstverständlichkeiten hinnehmen sollte - z. B. der folgenden: Entgegen allen Regeln diplomatischer Höflichkeit wird die Good-will-Tour des sowjetischen Staatschefs an den Rhein von der besuchten bundesdeutschen Führungsmannschaft zu einer einzigen Demonstration westlicher Intransigenz ausgestaltet; einer Unnachgiebigkeit, an der der Sowjetmensch sogar mit seinem An gebot eines ziemlich einseitigen Rüstungsmoratoriums voll auf läuft. Sein Nachfolger hat es mit einem deutschen Kanzler zu tun, der die von ihm abgelöste Regierung Schmidt bezichtigt, sich als »Vermittler« zwischen den Weltmächten aufgespielt zu haben und dabei von den unverzichtbaren Prinzipien westdeutscher Außen politik abgerückt zu sein. Die Regierung Kohl sieht die Bedingun gen für die »Nachrüstung« allemal für erfüllt an, sie duldet nicht einmal den modisch gewordenen Schein eines Vorbehalts und das heuchlerische »leider« der Opposition. Vielmehr besteht sie ohne Umschweife auf den Maßnahmen, auf deren öffentliche »Begrün dung« die sozial-liberale Koalition so viel Mühe verwandt hatte. Die Vorhaben der Bundesregierung in Sachen Militär werden von allen Parteien als unausweichliche »Reaktion« auf Afghanistan, Polen und die Existenz sowjetischer Waffen gehandelt. Die SS 20-Raketen, die die bundesdeutschen Politiker angeblich um ihre Souveränität fürchten lassen, gelten als erstklassige Argu mente für die ohnehin längst beschlossene Herstellung eines stra tegischen »Gleichgewichts« ganz speziell zwischen Westeuropa und dem Ostblock. Rüstungsdiplomatie findet nur noch in ultima tiver Form statt; der Klartext der »Null-Lösung« wird offiziell mit »einseitiger Abrüstung der Sowjetunion« angegeben; die Befür*3
wortung von Verhandlungen, die das und sonst nichts zum Inhalt haben, läuft als diplomatischer Restposten des sozial-liberalen »Entspannungswillens« - uncf selbst dieses einst so schöne Etikett unterliegt innenpolitisch wie diplomatisch einem rasanten Kurs verfall. Die Kosten der bundesdeutschen Teilnahme am NATO -Programm der achtziger Jahre, für die die Reagan-Regierung mit ih rem i joo-Milliarden-Dollar-Rüstungsvorhaben gewisse Maßstäbe setzt, werden unter dem Titel »Sparhaushalt« rücksichtslos einge trieben. Den entsprechend verschärften Ansprüchen an Lei stungskraft und Erfolg des bundesdeutschen Unternehmertums kommt dieses so energisch nach, daß die überflüssig gemachten Arbeitskräfte nach Millionen zählen. Die Konsequenzen, die für auf »Verantwortung« abonnierte Politiker unter solch mißlichen »Umständen« - als Vorgefundene und zu bewältigende »Lage«, als eine einzige Ansammlung von »Krisen« definiert ein Staatsmann noch stets das Resultat seiner eigenen Werke - unausweichlich sind, hat zunächst noch die Sozialdemokratie ziehen dürfen. Vom »Problem Nr. i«, der Arbeitslosigkeit, in ihrer sozialstaatlichen Verantwortung gefordert, hat sie Steuererhöhungen und -erleichterungen, Zuwendungen an die einen und Ersparnisse an den ande ren verfügt und die Opfer, die sie den »sozial Schwachen« auferlegt hat, mit dem Titel »Beschäftigungsprogramm« versehen. Ihre Politik wird inzwischen fortgeführt von einer neuen Regierung, deren »geistige Führung« schon immer auf die Anwendung des Glaubensgrundsatzes bedacht war, daß den von »der Wirtschaft« Abhängigen auch die Rettung der Wirtschaft obliege. Seit dem Machtantritt der christlichen Retter der Nation weiß nun jeder, der es wissen will, daß die alte Regierungspartei und neue Opposition keinen einzigen Einwand gegen den nun schonungslos praktizier ten Nationalismus und seine Maßstäbe hat, sondern höchstens Be denken der Art vorbringt, ob denn die »Wende« auch den allseits verehrten Zielen der Nation so effektiv zur Durchsetzung verhelfe, wie es ihre Protagonisten behaupten. Der prinzipiellen Einigkeit aller Demokraten eingedenk, hat sich die professionelle Öffentlichkeit auch gleich heftig auf Methoden fragen des Machtwechsels verlegt und den Sturz der sozial-libera len Koalition nicht so sehr mit lästiger Kritik am Inhalt der Politik konfrontiert. Wie selbstverständlich rangierten Siz/fragen vor der Beurteilung ihrer Vorhaben, die - ausnahmslos dieselben wie die
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der Vorgänger - nun endgültig als unwidersprechliche Essentials deutschen Strebens an der Seite der U S A , und als lauter schwere Aufgaben dazu, anerkannt sind. Immerhin ist bei der Veranstaltung namens »Wende« eine Wahr heit unter die Leute gebracht worden. M it dem Beschluß, N eu wahlen abzuhalten, und den höchstamtlichen Kommentaren zu Sieg und Niederlage ist nämlich der Nutzen von Wahlen klarge stellt w orden: sie machen eine Regierung »stabil«, weil mit der A b gabe der Stimmen die neuen Amtsträger zu ungestörtem Regieren, zur gewissenhaft-rücksichtslosen »Handlungsfreiheit« ermächtigt sind. Und diese Freiheit wird auch kom prom ißlos genutzt, für eine »Politik der Wende«, der es offenbar nicht schwerfällt, auf den in nen- und außenpolitischen Errungenschaften von »13 Jahren So zialismus« aufzubauen. M it ökonomischen und militärischen M it teln ausgestattet, die weltweit ihre W irkung tun und alles andere verraten als die »Erblast« eines Verrats an der Sicherheit, den F i nanzen und dem Zutrauen der Bürger zur Nation, widmet sich die neue Regierung der Aufstellung von Raketen, hält - ganz im Ver trauen auf im Rahmen der N A T O erreichte Weltgeltung - die »deutsche Frage nicht nur theoretisch offen«, benützt die Arbeits losen als Rechtstitel auf jedes weitere O pfer, das ihr einfällt, und sie erinnert in ihren Anstrengungen zur »politischen Willensbildung« an die Leistungen, die während der Nachkriegszeit ihren Unterta nen das Leben so Opfer-, also sinnvoll und den C-Regierungen das »Wirtschaftswunder« so erfolgreich gestaltet haben. D as alles hält die offiziell geachtete Vertretung der O pfer - so wohl des »Wirtschaftswunders« wie des »Modell Deutschland« - , die westdeutsche Einheitsgewerkschaft, für notwendig, so daß sie in Tarifrunden die Löhne der Lohnabhängigen der »Wirtschaft« und dem Fiskus zur Disposition stellt und Verständnis für sämt liche sicherheitspolitischen Ziele von Polen bis Südafrika pflegt. Das alles hat sogar dahin geführt, daß eine Friedensbewegung, die in militärischen und »Umwelt«dingen vom Mißtrauen gegen die Regierenden ausgegangen ist, als einzig nennenswerter Repräsen tant von Kritik geführt wurde. Nach ihrem Wahlerfolg haben die Grünen den Weg zur konstruktiv-parlamentarischen Sorge um das Wohl der Nation zwar auch der Form nach gefunden, gelten aber anhand der akribisch registrierten Verstöße gegen politische Sitten immer noch als die einzige Störung im ansonsten stabilen Betrieb
der NATO-Macht BRD, in dem einige Sicherheitsdienste mit der Überwachung und Unterwanderung der wenig zahlreichen Lin ken betraut sind. Das alles ist zwar nicht ohne seine Logik, aber keineswegs »nicht anders möglich«! Und gut, wahr und schön, gar einem histori schen »Schicksal« geschuldet ist das Zusammenspiel von Machern und Mitmachern schon gleich gar nicht. 3. Gegen den so verbindlich gestalteten Glauben an verordnete und gebilligte »Notwendigkeiten« findet sich im vorliegenden Buch mancher Einwand. Es führt Überlegungen fort, die in ande rer Form in der Reihe RESULTATE publiziert sind, auf die hier verwiesen sei. Insbesondere auf: Nr. i (Neufassung): Die Bundesrepublik Deutschland 1980 - und was Marxisten in den 80er Jahren an ihr zu ändern haben, München 1980. Nr. 4: Imperialismus I: Ableitung mit einem Anhang zur Kritik antiimpe rialistischer Illusionen über Staat und Revolution, München 1979. Nr. y. Imperialismus II: Die USA - Weltmacht Nr. 1, München 1979 (mit Beiträgen zu den Themen »Die Weltmacht Nr. 1«, »IMF, GATT und die Weltwirtschaftsordnung«, »Die Militärmacht USA - Kriegslogik im Atomzeitalter«, »Klarstellungen zum Vietnamkrieg«, »Die amerikanische Kultur«). Nr. 6: Imperialismus III: Europa - Osthandel-Afrika - Das ö l-Ira n Brasilien, München 1981. Der vorliegende Text wurde im Frühjahr 1983 fertiggestellt. Die aktuellen Fortschritte der »Weltlage«, deren Prinzipien hier analy siert werden, sind Gegenstand des von den Autoren mitbetreuten Politischen Magazins MSZ (Marxistische Studenten-Zeitung) so wie der Reihe »Abweichende Meinungen«, von der bisher erschie nen sind: K. Held, Abweichende Meinungen zu Polen. München 1982. Th. Ebel, Abweichende Meinungen zum Falkland-Krieg. München 1982. H. L. Fertl, Abweichende Meinungen zu Israel. München 1982.
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V o n den Leistungen des weltpolitischen Sachverstandes und seinen Grundlagen
In Staaten, die dem okratisch mit ihren Untertanen verfahren, ge hört es zur guten Sitte, daß die Regierungen den Regierten zu den Taten, die sie ihnen bescheren, auch noch eine plausible Deutung liefern und daß die so am politischen Geschäft beteiligten Bürger sich das Ihre dazu vordenken lassen und nachdenken. D as Einver ständnis zwischen Staatsmännern und V o lk , das sich in ordentli chen D em okratien auf diese Weise einstellt, ist deswegen sehr sta bil, w eil es nicht von der Ü berzeugungskraft, geschweige denn von der Wahrheit der von oben nach unten vermittelten Einschätzun gen und Lagebeurteilungen abhängt. Es beruht auf der beiden Sei ten sehr geläufigen M ethode, die A bh ängigkeit der Bürger von ihrem Staat als guten G rund fü r eine Parteinahm e fü r ihn zu behandeln.
i.
» U n s e r e Interessen «
Politiker sind ständig damit beschäftigt, sie zu wahren und durchzusetzen. Sie machen sie militärisch aus an Stützpunkten von Freund und Feind, an erhaltenen, in Frage gestellten und zu schaf fenden, definieren ihre Unverzichtbarkeit nach Breitengraden und messen den gesamten G lobus aus, um nur das eine klarzustellen: w o ist die Präsenz eigener Soldaten samt Gerät unverzichtbar, wo darf die Präsenz von Truppen des anderen Lagers nicht hinge nommen werden. Während ein Flugzeugträger mit Sowjetstern am Bug eine »Gefahr« darstellt, dient das entsprechende Gefährt mit amerikanischem Heimathafen allemal der Verteidigung »unserer Interessen«. U nd die reichen nicht nur um die ganze Welt - sie rei chen auch als moralischer Ausw eis für die Zweckmäßigkeit und Notw endigkeit der Anhäufung von Rüstungspotential, dessen Wucht so gerne in Vergleichen mit Dresden und Hiroshima vor stellig gemacht w ird. D azu ist nicht einmal die leiseste Andeutung bezüglich der Beschaffenheit jener Interessen vonnöten: das Argui7
ment liegt im »unsere« und der nachdrücklichen Behauptung, daß es sie gibt. Und daß das, was in jeder Weltgegend zu verteidigen ist, einem russischen Interesse jede moralische Würde abspricht - daß dergleichen also andere zu nichts berechtigt ist eben damit auch schon gesagt. Die Ausschließlichkeit ist beschlossene Sache, und als solche wird sie mitgeteilt. Wenn das, was es zu schützen gilt, nicht existent und wichtig und auch für andere von - natürlich zweifel haftem - Interesse wäre, hätte ja auch die Drohung mit militäri scher Gewalt keinen Sinn, oder? - so zumindest lautet die Logik des Strategen. Und er ist auch in dem Punkt skrupellos ehrlich: Wer mehr zu verteidigen hat, braucht auch viel mehr Waffen. In ihren politisch-diplomatischen Entdeckungsreisen wird die selbe Logik genauso fündig. »Unser Interesse« führt da ohne große Umstände zur Anerkennung einer Regierung in fernen Landen, oder auch zur Ächtung eines Regimes. Und »Anerkennung« ist in der Diplomatie keine theoretische Kategorie - das moralische Ver dikt steht da allemal für die Aufnahme von »Beziehungen«, aus de nen eine fremde Regierung wie auch immer geartete Vorteile und Nachteile bei der Abwicklung ihrer Herrschaft erfährt. Mit der Aberkennung der Vtnrzgswürdigkeit geht einher, daß auch keine Verträge geschlossen und erfüllt werden - und ein entsprechend geächteter Staat kann weder auf Maschinengewehre rechnen noch auf Kredite oder auf die geregelte Erledigung des Heringsfangs vor seiner Küste. Und weil in der praktischen Beurteilung auswärtiger Herrschaftsgestaltung der Anspruch geltend gemacht wird, das Regieren dortzulande möge entweder »unserem Interesse« gemäß ablaufen oder es habe mit Schwierigkeiten zu rechnen, pflegt diese Sorte »Einflußnahme« damit begründet zu werden, daß es sich keineswegs um die Techniken der Erpressung handelt, sondern um die Wahrung des Einflusses, auf den die eigene Nation angewiesen ist. So erscheint die Respektierung eines auswärtigen Souveräns als Folge der Nützlichkeit, die man von ihm aber erwarten darf, weil ■ man von brauchbaren Staaten in der Weh abhängig ist: So ist »Ab hängigkeit« schließlich dasselbe wie ein unverzichtbarer Nutzen, auf dessen Erstattung ein Staat unter Anwendung der ihm zu G e bote stehenden Mittel besteht. Nie käme ein demokratischer Staatsmann der Bundesrepublik darauf, seine Reisen zu gewählten wie ungewählten Staatsoberhäuptern mit dem Verdikt der »Einmi schung« zu belegen, auch wenn er die erwünschten Beziehungen an noch so viele Bedingungen außen- und innenpolitischen Wohl-
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knüpft. Einer »Einmischung« aber machen sich diejeni gen schuldig, die nicht einmal den Beweis dafür erbringen können, daß bestehende Interessen vorhanden sind; die also auch zu Recht keine Verletzung derselben monieren können, so daß ihnen gegen über der Grundsatz der »Nicht-Einmischung« hochgehalten wird und zur Anwendung gelangt, auf den alle Souveräne dieser Welt ein Recht besitzen. Die Logik der internationalen Diplomatie steht somit der von Strategen in nichts nach. »Unsere Interessen« gebieten und rechtfertigen Gewalt, ebensolches gilt für vor-militärische Einfluß nahme - überall dort, wo es sich um eine »Einflußsphäre« handelt. Die ökonomische Besichtigung der Welt, die aller Herren Länder dem Maßstab unterwirft, ob sie über Import und Export zum Partner der heimischen Wirtschaft taugen, ob sie zu einer weiter gehenden Zusammenarbeit fähig oder willens sind, die sich lohnt, vervollständigt diese Logik. Auf diesem Gebiet, wo der Materia lismus der Nation in Geld beziffert wird, will allerdings die platte Gewinn- und Verlustrechnung noch weniger auf ihre höhere und tiefere Bedeutung verzichten: das internationale Geschäft ist nicht nur nützlich, sondern auch gut. Der eigene Vorteil wird von den Repräsentanten des nationalen Wirtschaftswachstums um so mehr in den gemeinsamen Nutzen der »Partner« übersetzt, als das Inter esse der fremden Nation die Höhe jener Ziffern beschränkt, auf die es ankommt. So steht gerade beim Schacher um Zölle, Lieferbe dingungen, Zahlungsweisen, Kredite und Investitionen immer wieder die Klage über die Abhängigkeit an, in der man sich vom »Partner« befindet; da erscheint »unser Interesse« umstandslos als »Ohnmacht«, die durch die mächtige Position eines Konkurrenten - der etwas zu verkaufen, zu verzollen, zu importieren und zu in vestieren hat - schamlos ausgenützt wird. Und die Staatenwelt wird gemäß den Konditionen, die sie sich aufherrschen läßt, sor tiert. Ihr Umgang mit Geld, Ware und Kapital im grenzüberschrei tenden Verkehr gewinnt da noch allemal die Qualität eines guten Willens zur Zusammenarbeit, einer Störung der üblichen Gepflo genheiten auf dem Weltmarkt oder - eines untragbaren Verstoßes gegen die Freiheit des internationalen Geschäfts, auf das »wir alle« angewiesen sind. Und auch solche Beurteilungen sind keine Mei nung von Beobachtern des modernen Weltgetriebes, sondern die praktizierte Vernunft von Staatenlenkern, die den Weltmarkt durch ihre Entscheidungen gestalten. V erh alten s
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Die Methode, nach der moderne Staatsmänner ihre weltpoliti„ sehen Aktionen »begründen« und durchführen, verrät nicht wenig über das Ausmaß an Freiheit, das sie als Souveräne genießen. Hie, mandem sonst ist es im bürgerlichen Leben gestattet, sein Interesse als Argument für die Anwendung von Gewalt geltend zu machen den Repräsentanten eines Staates ist dergleichen selbstverständ lich. Auch die Drohung mit Gewalt im Namen des Eigennutzes gegenüber anderen, die sich der »Einmischung« in die eigene »Ein flußsphäre« schuldig machen, ist eine Gepflogenheit, in deren Ge nuß nur Volksvertreter kommen, ohne in den Verdacht zu geraten, den freien Willen und die Menschenwürde zu mißachten. Was im gesellschaftlichen Leben innerhalb ihres Staates jedem Individuum versagt ist - der Gebrauch von Gewalt zur Erreichung eines Vorteils - und von der öffentlichen Gewalt als Verbrechen verfolgt wird, gilt im Verkehr zwischen Staaten als gute politische Sitte. Und daß sie in der Verfolgung ihres nationalen Interesses, in der Mehrung des Reichtums, pflichtgemäß handeln, also die morali sche Legitimation besitzen, die gesamte Staatenwelt samt ihren Völkern in ihre Berechnungen einzubeziehen, unterscheidet sie auch gewaltig von gewöhnlichen Bürgern des 20. Jahrhunderts. Staatsmänner, die jede außenpolitische Maßnahme als R eaktion auf Geschehnisse in der Welt, auf ihnen passende oder unliebsame Werke anderer darstellen, handeln in der Gewißheit, daß sie alles angeht: ihrer Zuständigkeit sind keine Grenzen gesetzt, weil die Welt das Material ihrer Souveränität ist. Deswegen sind sie auch von allem, was andere tun und lassen, betroffen.
2. »W ir«
Das alles hat mit privatem Eigennutz nichts zu tun. Wenn die Re präsentanten einer Nation von »politischem Gewicht« wie Erpres ser zu Werke gehen und Gewalt als das ihnen zustehende Mittel handhaben, dann erstreckt sich ihre Zuständigkeit auf den politi schen und ökonomischen Erfolg des Staates, dem sie vorstehen; und dasselbe gilt für ihre Betroffenheit im Falle von Mißerfolgen, auch wenn es zur guten Sitte gehört, das persönliche »Schicksal« mit dem Gelingen auch der außenpolitischen Amtsgeschäfte zu »verknüpfen«. Die Demokratien des freien Westens - und von ih rem Gebaren in der Weltpolitik ist bisher die Rede - haben nun 20
einmal mit den in Diktaturen noch üblichen Bräuchen aufgeräumt, ihre erfolglosen Führer nicht nur aus dem Amt, sondern auch aus dem Leben zu befördern. Wenn ein deutscher Kanzler von Gipfel treffen aller Art mit unliebsamen Maßnahmen des mehr oder min der befreundeten Auslands zurückkehrt, dann mag schon das demokratische Verlangen nach einem Regierungswechsel laut wer den; er wird sich aber bei der Bekanntgabe seiner »Reaktion« hü ten, sein persönliches Wohlergehen zum Maßstab der »Lage« und der »fälligen Entscheidungen« zu erheben. Mit dem Plural maiestatis hat es schon eine eigene Bewandtnis. Angenommen, der führende Mann einer führenden demokrati schen Nation beschließt wegen »unserer Interessen« samt seinem Kabinett, daß w ir im Verein mit unseren amerikanischen Freunden aufrüsten müssen, so macht er gar kein großes Geheimnis daraus, daß nach der Verkündung des Beschlusses seine Zuständigkeit er ledigt ist und seine Betroffenheit durch die gefährliche Weltlage, die tiefe Sorge, die ihn erfüllt, eine Frage der Selbstdarstellung wird. Er verbreitet sogar öffentlich nicht nur die Gründe für seine Entscheidung, sondern auch deren Konsequenzen: Das Kriegsge rät will erstens bezahlt sein und zweitens bedient. Und damit hat auch das Volk, von dem alle Macht ausgeht, seine Rolle in der Mili tärpolitik zugewiesen bekommen. Für die Bezahlung steht es im Rahmen eines »Sparhaushalts« gerade, durch den sich die Regie rung einerseits Auslagen in dem Bereich erspart, in dem sie unter dem Titel »Sozialstaat« die Lohnabhängigen Woche für Woche zum Sparen für die Wechselfälle der Lohnarbeit verpflichtet. An dererseits setzt derselbe »Haushalt« neue Bedingungen fest, was das Wachstum »der Wirtschaft« betrifft. Auch hier, bei den wirt schaftspolitischen Richtlinien, ist auf seiten der Staatsverantwort lichen nirgends ein Anflug von privater Gewinnsucht zu bemer ken. Sie bemühen sich lediglich und ganz besonders wegen ihrer außenpolitischen Aufgaben um den Geschäftsgang innerhalb ihrer Nation. Die Argumente, welche die Herren Minister stündlich in den Medien vorzubringen Gelegenheit bekommen, sind sehr sach lich: sie bekräftigen nämlich im Namen der Betroffenen das natio nale »w ir«! D er erste Betroffene ist der Staat selbst - und von des sen Wohlergehen sind gerade und vor allem Rentner, Arbeitslose und Inflationsgeschädigte, die »sozial Schwachen« eben, abhän gig. Beweis: Stünde es um die Staatsfinanzen besser, müßte die R e gierung die »sozialen Leistungen« nicht kürzen. Schöner und de21
mokratischer lassen sich die Interessen der Geschädigten nicht mit den Bedürfnissen der Instanz zusammenschließen, die gerade die Schädigung ins Werk setzt! Der zweite Betroffene ist »die deutsche Wirtschaft«, von deren Leistungskraft der Staat wiederum abhängig ist. Aber nicht nur das: seine Anstrengungen, der in seinem Hoheitsgebiet kalkulie renden privaten Geschäftswelt zum Erfolg zu verhelfen - und da für/rat der Staat durchaus etwas Geld übrig sind im Grunde ge nommen eine einzige Unterstützung der Bürger, die von ihrer A r beit in der »deutschen Stahl- und Automobilindustrie« leben. Die Auswirkungen des »Sparprogramms« - seit i983gibt es an die drei Millionen Arbeitslose und auch sonst einiges an statistisch erfaßter Armut mehr - läßt niemand als Dementi dieser Botschaft gelten. Im Gegenteil: sie erfreuen sich der öffentlichen Kenntnisnahme als weiteres Problem, dessen der Staat mit seinem Finanzgebaren Herr zu werden hat. Er führt es also fort; und die Erhöhung der Mineral ölsteuer, der Mehrwertsteuer, neue Freiheiten für Grundbesitzer, die dem Volk eine neue Heimat vermieten, all das läuft seit 1982 unter dem Titel »Beschäftigungsprogramm«. Ganz gleich, ob die einschlägigen Meldungen über aus dem Ausland kommende G e schäftsschädigung noch erwähnt werden oder nicht - die bundes republikanische Liste ist in ihrer Eintönigkeit jedem Bild-Leser genauso vertraut wie den Kennern seriöser Wirtschaftsteile »wir« müssen alles in unserer Macht Stehende tun, damit die K al kulationen deutscher Unternehmen wieder aufgehen. Mit dieser Sorte Logik lassen sich aus »Sachzwängen«, die den Widrigkeiten des Weltmarktes locker zu entnehmen sind, die Opfer ableiten, die »wir alle« im eigenen Interesse auf uns nehmen müssen. Der dritte Betroffene ist die arbeitende Mehrheit der Nation. Sie ist unter dem Titel »Lohnabhängige« ebenso zuständig für die Weltpolitik wie als »Verbraucher«, »Sparer«, »Sozialpartner«, »Nutznießer des sozialen Netzes« und als Soldat. Wenn »uns« die Russen zu verstärkten Verteidigungsanstrengungen herausfordem, wenn »uns« die Japaner den Automobilmarkt streitig ma chen, die Franzosen das Stahlgeschäft verhindern, die Scheichs das ö l verteuern oder die US-Regierung die Zinsen hochhält - es gibt nichts im internationalen Hin und Her, was nicht durch die Lei stungen des gewöhnlichen Volkes und seine Bereitschaft zur Min derung seiner Ansprüche geregelt werden könnte und müßte. In seiner ganzen Ohnmacht gegenüber den Machenschaften des Aus 22
lands verfällt deswegen ein regierender Anhänger der Demokratie auf den einzig vernünftigen Gebrauch seiner Macht: er hält sein Volk zum Arbeiten und Sparen an, verleiht seinem Appell die Kraft eines gültigen Gesetzes, dem sich niemand entziehen kann und pflegt öffentlich seine Betroffenheit über die Entwicklungen in der Weltpolitik wie auf dem Weltmarkt. Er benennt Schuldige und wirft sich in die Pose eines Kenners der weltpolitischen Szenerie, an deren Verhängnissen er nie mitwirkt, wiewohl er an ihren Re sultaten laboriert... An der Offenheit, mit der Politiker das außenpolitische »wir« nach innen durchsetzen - die vorstehenden Zeilen sind schließlich fast wörtlich in jeder Stellungnahme und in jedem Kommentar auf zufinden - , ist freilich nicht die Weisheit interessant, die in einer funktionierenden Demokratie des freien Westens als Inbegriff der Kritik gefeiert wird. Daß der »kleine Mann« alles ausbaden müsse, ist eine wohlfeile Ideologie, die dem Verhältnis von Staat und Volk in der Bundesrepublik ebensowenig seine Wahrheit vorrechnet wie in einer anderen »Wirtschaftsmacht« diesseits und jenseits des At lantik. Die Differenzierungen, die das nationale »wir« erfährt, sooft eine Regierung nach innen auf ihm besteht und die Weltlage, also das Vorgehen anderer Nationen, als unwidersprochenen Grund heranzieht, zeugen von etwas ganz anderem. Im internationalen politischen Gewerbe spielt das gewöhnliche Volk daheim nie eine andere Rolle als die eines Mittels, auf das ein Staatsmann schon beim Antritt seiner Reisen in ferne Länder setzt, weil es verfügbar ist und ihm seine diplomatische Handlungsfreiheit im Umgang mit Freund und Feind verschafft hat. Eine politische Herrschaft, die sich ihrer Basis nicht sicher ist, die keine »leistungsfähige Wirt schaft« hinter sich weiß, die im Innern ihrer Nation die Abhängig keit von Millionen von ihrem Arbeitsplatz nicht so effizient geregelt hat, daß sich das in ökonomischem, politischem und militärischem Gewicht niederschlägt - eine solche politische Führung würde sich jedenfalls mit ihrem Nationalismus auf jedem Wirtschaftsgipfel blamieren. Und schon gar nicht könnte sie den Zweck ihrer welt weiten Erpressungskunststücke hinterher als gemeinschaftliches Interesse der Nation verkaufen, indem sie dem Volk seine Opfer in Fabrik und Kaserne als traurige Wirkung ausländischer Machen schaften verschreibt. Denn die Argumente, mit denen ein deut scher Kanzler die Notwendigkeit vom sparsamen Umgang mit Löhnen, von mehr Leistung (»Die Deutschen sind verwöhnt!«)
und vom abzustellenden Mißbrauch eingezahlter Versicherung*., gelder mehr ein- als ableitet, taugen nicht zur Überzeugung - ge^ glaubt werden sie nur dann, wenn die Abhängigkeit vom Staat und von denen, die »die Wirtschaft« heißen, praktisch akzeptiert ist Nur wenn der diesbezügliche Dienst eines Volkes unabhängig davon, ob er sich für die Betroffenen lohnt, in der schönsten Regel mäßigkeit abgewickelt wird und die politischen Vertreter des Vol kes mit dem Reichtum als Verhandlungsmasse ausstattet, der ihnen die Freiheit gibt, auf die Brauchbarkeit jeder erdenklichen Sorte Ausland zu dringen; nur wenn die Zuständigkeit einer Regierung für alle Regungen auf dem Erdball in einer heimatlichen Manövriermasse gründet, kann sich ein Politiker die Unverschämtheit zu legen, die Schädigung der deutschen Interessen - »Export- und Öl abhängigkeit«, »Polen«, »Afghanistan«, »amerikanische Zinsen«, »französische Stahlsubventionen« usw. usw. - als guten Grund für die Schädigung seiner Untertanen zu propagieren, und letztere umstandslos als Weg des nationalen Erfolgs per »wir« mit politi schem Sachverstand ins Werk setzen. Es ist die Gewohnheit der Souveränität, die Politiker so ehrlich werden läßt, den Gegensatz zwischen dem außenpolitischen E r folg der Nation und dem Interesse der ihr untergeordneten Mehrheit von Leuten, die eine leichtere Arbeit und ein besseres Leben durchaus brauchen können, auszusprechen - als schönsten Beweis für ihre Fähigkeit in der Kunst des Regierens.
3. Moderner Nationalismus
Das nationale »wir« ist klassenlos. Es vereint Staat und Volk, in dem es die schiere Tatsache, daß sämtliche Bürger einer Nation ih rem Staat unterworfen sind und dieser sie seinen Erfolgskriterien gemäß behandelt, sie also auch den Konjunkturen seiner außenpo litischen Bewährung aussetzt, in einer unausweichlichen Identität der Interessen von Staat und Bürgern geltend macht. Dabei werden die Unterschiede und Gegensätze innerhalb der Nation keines wegs geleugnet, sondern immerzu hervorgehoben - allerdings • nicht in der Form kritischer Stellungnahmen zur modernen Klas sengesellschaft. Vielmehr in lauter affirmativen »Folgerungen« be züglich der speziellen Dienste und Leistungen, welche die Nation wegen des Gelingens ihrer außenpolitischen Vorhaben den einen 24
erweist und den anderen mit Recht abverlangen kann. Für die Ge schäftswelt gehört sich eine Investitionsneigung und das dafür pas sende Klima, andere sind fürs Arbeiten, Kaufen und Sparen da. Dieser Standpunkt des nationalen Interesses stützt sich weniger auf die Logik denn auf die Praxis der staatlichen Souveränität. Der ihm eigentümliche Zynismus erfüllt die demokratische Diskus sion, in der sich die Parteien mit Unterstützung der ihnen zu- bzw. abgeneigten Medien um die Macht streiten, mit Leben. So streiten sich die Konkurrenten um die Staatsführung nicht nur zu Wahl kampfzeiten darum, wer mehr »politische Stärke« an den Tag legt. Der Vorwurf der »Führungsschwäche« wird erhoben, und damit ist gemeint, ein tauglicher Staatsmann dürfe sich von niemandem in der Welt etwas gefallen lassen und müsse seinem Volk alle Unan nehmlichkeiten zeitig ins Gesicht sagen, die er ihm bereitet. Und der prinzipielle Gesichtspunkt, daß gut ist, was uns nützt, wird auf alle Regierungen und Völker dieser Welt ohne den leisesten Anflug moralischer Bedenken angewandt. i. Aus der schlichten Tatsache, daß die nationale Währung an den Devisenbörsen hoch gehandelt wurde, ist in einem Jahr des Wahlkampfs für den seinerzeit regierenden Kanzler ein Argument für seine Wiederwahl verfertigt worden. In der »Härte der D-Mark« durfte die gesamte Nation das anschauliche Verdienst ei nes Mannes bestaunen, der »unser« Geld etwas wert sein läßt. Der Nachweis, daß diese Tüchtigkeit in Währungsangelegenheiten den Nutzen des gemeinen Volkes mehre, wurde über den Auslandsur laub geführt, ganz als ob mit den fünf Pfennigen »Gewinn« beim Umtausch einer Mark in Lire die Ferien im Süden in Saus und Braus abliefen und keiner die Preissteigerungen bemerken würde. Nachdem nun aber der währungspolitische Sachverstand für das nationale Eigenlob zuständig ist, eröffnete derselbe Kanzler mit H ilfe einer verantwortungsbewußten Öffentlichkeit auch noch eine solide Kampagne der Kritik an anderen Nationen. Das Argu ment hieß »unsere Wirtschaft«: diese ist extrem »exportabhängig«, und gerade eine teure D -M ark mache »unseren« ausländischen Kunden das Kaufen schwer. Also schritt der Kanzler im Namen al ler Deutschen, auch derer, die ganz bestimmt nicht vom Außen handel leben, aber eben von ihm abhängig sind, zur Besichtigung der Versager in Währungsdingen. Urplötzlich war die harte Wäh rung eine Gefahr, freilich in Gestalt der weichen ausländischen Gelder. Die amerikanischen Freunde wurden fachmännisch er25
mahnt, ihre Freiheitswährung nicht verfallen zu lassen. Den Kollegen in England wurde mitgeteiJt, daß sie sich die schlechte Wirt, schaftslage samt Verfall des Pfundes selbst zuzuschreiben hatten; Kein Investitionsklima würden sie schaffen, solange sie den soziaJen Frieden nicht in den Griff bekämen; weder die »disziplinlosen« Gewerkschaften noch die englischen Arbeiter mit ihren maßlosen Teepausen kamen an der deutschen Schelte vorbei. Den italieni schen Proleten, ansonsten als Vergleichsmaßstab für deutsche Bedürfnisse sehr willkommen - »wie gut es uns geht!« wurden ihre Streiktage vorgerechnet. Und niemand hat in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit die Unverschämtheit angegriffen, mit der da im Namen der deutschen Wirtschaft eine stattliche Liste ihrer Schädlinge erstellt wurde und sich der nationale Standpunkt gleich noch zum Richter über die Bedürfnisse und das Wohlverhalten an derer Arbeitsvölker aufschwang. Als die »Folgerungen« des offi ziellen Deutschland präsentiert wurden, die aus den »Gefahren« für unsere Wirtschaft wohl fällig wären - niedrige Lohnabschlüsse als vernünftige Reaktion auf die von Dollar, zerrütteten Partnern und steigenden ölpreisen hervorgerufene Arbeitslosigkeit wollte dieser »Notwendigkeit« auch niemand widersprechen. Und schon gleich gar nicht ist einem Kenner der Wirtschaft angesichts der Ungereimtheiten in der wirtschaftspolitischen Diagnose der Zuständigen aufgefallen, was sich ein von seinem Volk anerkannter und bedienter Souverän leisten kann: einerseits den kommunis musverdächtigen Hinweis darauf, daß das Gedeihen »unserer Wirtschaft« im Gegensatz steht zum Wohlergehen derer, die mit ihrer Hände Arbeit alles in Gang halten - andererseits die Propa ganda der Konkurrenz zu anderen Nationen, in der das gewöhnli che Volk sich bewähren darf. 2. Noch selbstverständlicher wird das Recht des Staates, den auswärtige Souveräne behindern, auf die Opfer seines Volkes in Sachen »öl« vorgetragen. Jahrelang floriert nun schon die Hetze gegen die Ölscheichs, die »unsere« Energiekosten ins Unermeßli che steigern. Zwar weiß längst jeder Zeitungsleser, daß sich der Benzinpreis an der Zapfsäule unter heftiger Anteilnahme seines Fiskus erhöht; aber der eigenen Nation blieb der V orw urf bisher erspart, aus den Lohntüten der deutschen Autofahrer einen Selbst bedienungsladen gemacht zu haben. Schließlich gesteht kein an ständiger Deutscher einem arabischen Souverän das zu, worauf sonst eine am Welthandel beteüigte Nation ein unverbrüchliches 26
Recht hat: für das, was man zu verkaufen hat, zu verlangen, was man kriegt. Zusätzlich lassen sich auch noch die »Multis« als Schuldige benennen, und das sind - wie der Name schon sagt - we niger Kapitalisten als keine einheimischen Geschäftsleute. Daß die ölexportierenden Länder mit ihren gestiegenen Anteilen am Ver kaufspreis von Rohöl ihr Geschäft machen, ist aber seit einiger Zeit nicht mehr der Skandal: so widersprüchlich der Nationalismus in der Verurteilung anderer Teilnehmer am Weltmarkt vorgeht, so frei ist er auch in seinen Konjunkturen. Erstens haben die USA auf ihre Weise auf »unseren« Kanzler reagiert und »ihren« Dollar wie der teurer gemacht, so daß eine Zeitlang beim steigenden Dollar der Grund lag für die Benzinpreise (umgekehrt hat zuvor das A r gument nichts hergegeben!). Zweitens ist im Zuge der weltpoliti schen Konfrontation die Aufrüstung aller befreundeten Nationen modern geworden - und ausgerechnet Saudi-Arabien, wo »unser ö l« lagert, gehört zu den Freunden, die mit Waffen beliefert wer den müssen. Also gebietet der weltwirtschaftliche Sachverstand, die Verurteilung der in bezug auf den ölpreis längst vernünftig gewordenen Saudis zu relativieren, Rüstungsexporte für Arbeits plätze zu erklären, zumal dasselbe auch schon längst für die Atom kraftwerke gilt, um die wir aus energiepolitischen Gründen - » ö l knapp« - nicht herumkommen. Ganz gleich, wie die Unterabtei lungen der nationalen Begutachtung in Sachen ö l ausfallen - im mer rechtfertigt die Anklage nach außen den Anspruch auf Dienste und Zumutungen daheim. 3. In einer Demokratie gehört es sich, daß das Volk, welches für die Wünsche des eigenen Staates und seiner Wirtschaft gegenüber dem Ausland geradezustehen hat, auch eine wesentliche Freiheit genießt: Es darf sich in den Machenschaften fremder Staaten lauter Gründe dafür zusammensuchen, daß es in der Gefolgschaft da heim richtig liegt. Die diesbezüglichen Angebote derer, die die Meinungsbildung zu ihrer vornehmen Pflicht erkoren haben, sind frei von Skrupeln aller A rt; in der Kritik am Ausland, insbesondere an dem, mit dem solide und rentierliche Beziehungen unterhalten werden, sind Töne an der Tagesordnung, die man auf »uns« nie und nimmer anwenden lassen möchte. So sind im Falle Japans U r teile eingebürgert worden, in denen Verachtung und Respekt in ebenbürtiger Weise für das deutsche »wir« tauglich sind. Die Ein wände gegen »die Japaner« richten sich sowohl gegen ihre Durch schlagskraft auf diversen Märkten, die »uns« genauso wichtig sind, *7
als auch gegen die schlechte Behandlung, die sie ihrem Volk ange, deihen lassen - viel mehr Arbeitstage als hierzulande, kein DGB und viel weniger Lohn. Das Kompliment an dieselbe Nation uncJ dieselben Untertanen liest sich in deutschen Landen haargenauso; Bewundernswert das japanische Wirtschaftswunder, zumal die dahinten auch sehr viel fürs ö l ausgeben müssen, und noch be wundernswerter die Leistungs- und Verzichtsbereitschaft dieses Volkes, an dem sich - ginge es nach dem Grafen Lambsdorff - die »verwöhnten« Deutschen auf der Stelle ein Beispiel nehmen sollten. Inzwischen haben verschiedene Regierungen in trauter Ein tracht mit dem D GB dafür gesorgt, daß sich gewisse Annäherun gen an japanische Standards vollziehen: faktische Null-Tarifrunden, Preise und Abgaben jeder Art senken den deutschen Lohn, während die Umgestaltung von Arbeitsplätzen die Leistung hebt. VW investiert dazu noch ein wenig in Jap an ... 4. Als Deutscher weiß man selbstverständlich auch, was den Po len gefällt und gut für sie ist. Der Kommunismus auf alle Fälle nicht, wenngleich sich im zwischenstaatlichen Verkehr durchaus gute Geschäfte mit Leuten abschließen lassen, die ihrem Volk we der einen Lebensstandard gönnen, der hierzulande als reine »Ver wöhnung« angeprangert werden muß, noch eine Freiheit. Wäh rend bei uns das Zusammenfallen von Interessen des Volkes mit dem seiner Führer eine ausgemachte Sache ist, insbesondere dann, wenn Opfer anstehen, sieht es auswärts, östlich vor allem, oft sehr anders aus. Zunächst einmal unterliegt eine polnische Regierung der Klassifizierung »Unrechtsstaat« ohne »Selbstbestimmungs recht« des Volkes; und ein anständiger Deutscher wird an den Fak ten der bundesrepublikanischen Staatsgründung ebensowenig irre in seinem Antikommunismus, den er aus dem Schatzkästlein des vorangegangenen Nationalismus bewahren durfte, wie er jedem Kritiker hierzulande die Methoden des Gehorsams und seiner Er zeugung ans Herz legt, die drüben üblich sind. Wenn dann eine Bundesregierung samt der westdeutschen Geschäftswelt eine re gelrechte Polen-Politik zuwege bringt, wenn dadurch die Grenzen für Waren und Kapital geöffnet werden, so dient dies allemal einer guten Sache. Mißtrauen ist nicht der Zusammenarbeit mit diesem »Regime« entgegenzubringen, sondern ihrer Wirkung: Wird auch genug verlangt, wenn »wir« mit denen handeln? Und dürfen auch genug ausreisen in die Freiheit? Die feste Überzeugung, daß die Schädigung eines kommunisti28
sehen Staates in der entgegenkommenden Berücksichtigung seiner Außenhandelswünsche inbegriffen zu sein hat, duldet keine Er schütterung. Schon gleich gar nicht dadurch, daß das polnische Volk vom Ost-West-Handel überhaupt nichts hat. Das bekannte Ergebnis, das die von der polnischen Regierung vollzogene Unter ordnung ihrer gesamten Volkswirtschaft unter die Notwendigkei ten des Westhandels zeitigte: die zehntgrößte Wirtschaftsmacht ist pleite, das Volk leidet Not jeder Größenordnung und veranstaltet einen christlich-gewerkschaftlichen Aufstand, mit dem die Staats macht vorübergehend in Frage gestellt wurde und auch durch ein Jahr Kriegsrecht nicht fertig geworden ist - dieses Ergebnis wird mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Es zeigt sich für einen deutschen Beobachter nur eines: Wir sind auf dem richtigen Weg und müssen Polen die »Chance« geben, sich ganz und gar dem We sten anzuschließen, sich den Kreditlinien des IWF (Internationaler Währungsfonds) anzuvertrauen - denn das wäre der leichteste Weg zur »Hilfe«, die bis dahin der caritativen Gesinnung der westdeut schen Bevölkerung überlassen bleibt. Mitleid mit den Opfern, die die eigene Regierung auswärts schafft, ist hier genauso wie im Falle der »Entwicklungsländer« erlaubt. Der Außenminister ergänzt die Hungermeldungen mit diplomatischen Kampfansagen gegen die Sowjetunion, deren Bemühungen, Polen im eigenen Block zu be halten, einerseits eine »rasche Hilfe« erschweren, andererseits den »Weltfrieden« gefährden. Die vorläufige »Rettung Polens« durch den Einsatz des Militärs kann - da sie dem nicht stattgefundenen russischen Einmarsch gleichzusetzen ist - nicht hingenommen werden. Schließlich heißen die Rechtsanwälte des polnischen Vol kes Genscher und Reagan, und ihre Kanzlei führt den Streit um die Rechte der östlichen Mandanten konsequent mit einem Aufrü stungsprogramm, das ganz gut auch ohne den Schein auskommt, es gehe um so labile und heikle Dinge wie das »Gleichgewicht«. Das Recht fordert seine Rechtsm/iie/, Belehrungen über deren G e brauch gehen unterdessen täglich an die Adresse Moskaus. Wo der national beseelte Blick über die Grenzen den Gegensatz zwischen Herrschaft und Untertanen ausmacht, geht es also kei neswegs um die Beurteilung des Zwecks, den so ein Staat verfolgtund schon gar nicht um die Gründe für den dortigen Modus der Benützung eines Volkes und um deren Verlaufsformen, zu denen die Kooperation mit dem eigenen Staat zählt. Dem bedingungslo sen Bekenntnis zu den Interessen »der« Deutschen ist nur eine 29
Sorte von Kritik zuträglich - die zweifelnde Frage nach ihrer or dentlichen Durchsetzung. So ist ausgerechnet in Sachen Polen der erfolgreiche Umgang mit einem Ostblockstaat, der den Ruin eines Volkes schneller hervorbrachte, als das die »Regimes« drüben, auf sich selbst gestellt und nicht in den menschenfreundlichen Außen handel des Westens einbezogen, je vermocht hätten, auch unter die Rubrik »Verrat an deutschen Ansprüchen« eingeordnet worden. Und damit waren auch nicht die Ansprüche jener Mehrheit ge meint, die Woche für Woche ihre Lohntüte einteilen darf und als »Entschädigung« für ihre wenig lohnende Brauchbarkeit theore tisch über die weltpolitischen Vorzüge des Vaterlandes mitbefin den, dem sie zufällig angehört. Das Verdienst, ein Deutscher zu sein und ideell an der Geltung der Nation in der Welt zu partizipie ren, scheint viel wichtiger zu sein als der Verdienst, den man für ein Leben in Freiheit - für die meisten ein Arbeitstag nach dem ande ren, nebst den dazugehörigen Risiken und kompensatorischen An strengungen und Abgaben für einen Sozialstaat, der das Geld auch besser verwenden kann - so erhält. Dabei sind die in Umlauf ge setzten Unverschämtheiten des heutigen Nationalbewußtseins, die kosmopolitischen Begutachtungen aller Herren Länder nie um die Auskunft verlegen, daß die universale Zuständigkeit der Nation für die gewöhnlichen Bürger-sobald sie über die theoretische und wohlfeile Anmaßung hinausgeht -im m er im Dienst besteht. Denn die Praxis des Vergleichs, der da ständig zugunsten der eigenen Na« tionatität ausfällt, besteht in der Durchsetzung des einen Staates gegen den anderen. Und an diesem Geschäft ist die Mehrheit so be teiligt, daß sie in der Bereitstellung des Reichtums ihre erste und in der Relativierung ihrer Genüsse, dessen, »was man vom Leben hat«, ihre zweite Pflicht erfüllt. Und wenn im Konkurrenzkampf der Nationen, die sich und ihre Manövriermasse an Land und Leu ten gegenseitig ausnutzen wollen, für die eine Seite die Bedin gungen der anderen unerträglich sind - und wer entscheidet das wohl? -, dann steht die Erledigung der letzten Pflicht an. 5. Aus den Verlautbarungen der deutschen Politiker und ihrer öffentlichen Interpreten, denen am Erfolg der ersteren sehr viel liegt - »Schaffen Sie denn das auch, Herr Minister?« ist die kritisch ste Frage-, geht hervor, daß es herzlich gleichgültig ist, ob jemand daran glaubt, daß in Afghanistan und Polen »unsere Freiheit« auf dem Spiel steht. Und angesichts des höchstoffiziellen Gerüchts, daß Lang- und Mittelstreckenraketen nebst Neutronenbombe den Frie-
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den sichern und auch tatsächlich zu keinem anderen Zweck je benö tigt werden, ist die Frage, wer daran glaubt, schon längst lächerlich. Schließlich wird ständig mit strategischen Argumenten für das Zeug votiert; und daß strategische Überlegungen den Sieg im Auge haben, also die Überlegenheit im Krieg - den man sich also als »Fall« denken darf-, weiß ein jeder. Er kann sich freilich den Vorkriegstest auf die Nachgiebigkeit des Gegners, der sich, weil unterlegen, der Unterle genheit anbequemt, auch in »Friedenssicherung« übersetzen: Der Feind braucht in diesem Gedankenexperiment ja nur nachzugeben. In der Versorgung einer Nation mit strategischen »Informatio nen«, mit Zahlenmaterial über Panzer, U-Boote und Raketen, die Freund und Feind zur Verfügung stehen, kommt zum Vorschein, wozu der Standpunkt »unseres Interesses« taugt, wenn er zur Selbstverständlichkeit geworden ist. In der westdeutschen Rü stungsdebatte, wo Argumente über die militärischen Mittel zur Si cherung besagter nationaler Interessen fallen, hat man sich längst von der Notwendigkeit emanzipiert anzugeben, was denn eigentlich geschützt wird durch Bundeswehr und NATO-Sprengköpfe. Daß dergleichen notwendig ist, will niemand bezweifeln - und wer im Verdacht steht, es zu tun, wird konsequent als Staatsfeind oder »Gegner der Freiheit« geführt. Auf der Grundlage eines allgemeinen Konsensus über das Militär als das unverzichtbare Mittel der Au ßenpolitik spielen sich jene demokratischen Gefechte um das Wann, Wieviel und Wozu der Aufrüstungsmaßnahmen ab, in denen sich eine Nation daran gewöhnt, »ihre Interessen« allein unter dem Ge sichtspunkt deren gewaltsamer Durchsetzung ständig neu definieren zu lassen. Die Beiträge zur Diskussion sehen entsprechend aus. Als durchaus sachlich gilt in der Bundesrepublik die Feststellung, daß »wir fest an der Seite der USA« und »im Bündnis« stehen; als zeitlos gültiger Kommentar paßt diese Mitteilung auf jedes neu eingeführte Waffen system. Mit der Erinnerung daran, daß es diesen »unseren« Staat nur gibt, weil er den maßgeblichen Männern der U SA nach dem zweiten Weltkrieg so recht war, entledigen sich deutsche Politiker ihrer na tionalen Pflicht, sich gute Gründe für ihre Beteiligung an der politi schen Linie der befreundeten Großmacht auszudenken. Anderen eröffnen sie damit die großartige Alternative eines besseren Nationa lismus, der »zwar« auch die Zusammenarbeit mit Amerika für einen »Grundpfeiler unserer Sicherheit« hält, aber »unsere speziellen Si cherheitsinteressen« zur Geltung bringen möchte. Für »amerika31
feindlich« und »unrealistisch« erachten die beiden für den demokra tischen Konkurrenzkampf wirkungsvoll inszenierten Bonner P 0 s j tionen den moralischen Nationalismus kritischer Demokraten, die zu einer Friedensbewegung angetreten sind. Diese Bewegung hat sich das Verdienst erworben, die Empörung der Betroffenen (»Wir haben Angst!«) gegen die Zuständigen der deutschen Politik zu riehten; sie hat die Beteiligung der BRD an der europäischen Abteilung der NATO-Aufrüstung für einen Fehler deutscher Politik erklärt den sie mit dem Stichwort vom »Kriegsschauplatz Deutschland« kennzeichnen wollte. Und ihr Anliegen, deutsche Weltpolitik ohne die absehbaren Härten militärischen Engagements, also echte Frie. denspolitik zu verlangen, ist den linken Kritikern der SPD ausge rechnet an Polen suspekt geworden. Ihr Anspruch auf mehr Unab hängigkeit deutscher Politik, das Beklagen der beschränkten deut schen Souveränität ist der Befürwortung konsequenter Einmischung gewichen. Die vielbeschworene Angst der »Menschen« um den »Frieden« hat sich in die ganz banale Angst der »Deutschen« vor den Russen aufgelöst; die »alternative Sicherheitspolitik« lehnt die letzte Konsequenz des nationalen »wir« nur noch bedingt ab-nämlich mit dem Verdacht, das in Bonn verwaltete »wir« wäre nicht autonom genug für die freie Entscheidung über den »Ernstfall«. Der Entschluß der US-Regierung, die Konkurrenz der Waffen vor ihrer Abwicklung schon weitgehend zu entscheiden und den Osten »totzurüsten«, erfreut sich hierzulande heftiger Zustimmung. »Die Moskauer Funktionäre spüren, daß im Umgang mit Reagan die Dinge ihren Preis haben« - frohlockt eine angesehene Tageszeitung und bemüht zum hundertsten Male die Theorie von Gleichgewicht und Abschreckung. Ganz nebenbei wird die »ständige Produktion papiemer Abrüstungsappelle« seitens der Sowjetunion verhöhnt und »der freie Westen« dazu aufgefordert, erst einmal »nach« zurü sten statt zu verhandeln, also die russischen Angebote zu Makula tur zu erklären. Das wiederum gibt anderen, die ebenso genau wis sen, wo »unsere Interessen« liegen, und daß die Nachrüstung sein muß, Gelegenheit, auf anschließenden Verhandlungen zu beste hen. Diese Abteilung wertet prinzipiell jeden Panzer und jede Rakete bis hin zur Neutronenbombe erst einmal als »Verhand lungsposition« statt als Kriegsgerät. Rüstungsdiplomatie in erpres serischer Absicht wird da ohne weiteres als Kritik an den USA verkauft, und auf alle Fälle bestehen westdeutsche Fachleute der Po litik auf einer geschmackvollen Präsentation der letzten Entschei32
düngen von jenseits des Teiches. Den ganzen August 1981 hin durch erwies sich die Neutronenbombe als glanzvoller Anlaß, diese »Gefechtsfeldwaffe« für den Kriegsschauplatz Europa in tiefstem Ernst vor allem in folgender Hinsicht bedenklich zu finden: 1. Sind »wir« konsultiert worden? 2. H at es für die Bekanntgabe des Pro duktionsbeschlusses denn kein besseres Datum gegeben als den Jahrestag der H iroshim a-Bom be? 3. Könnte dieser Beschluß jetzt nicht den Anti-Am erikanism us in der B R D verstärken und die of fizielle Verkaufsstrategie der »Friedenspolitik« unglaubwürdig machen? Das alles geht als »kritische Diskussion« durch und wird in einem wochenlangen H in und H er »geklärt«. N ein, w ir sind nicht kon sultiert w orden; dies ist aber auch gar nicht nötig gewesen, da es eine interne Angelegenheit der U S A i s t ... Im übrigen weiß doch ein jeder von uns, daß die Produktion der Neutronenwaffe, was eine bessere Bezeichnung als »-bombe« wäre, längst betrieben w ird. D arüber hinaus w ird sie jetzt nicht herübergeschafft - im Ernstfall dauert es aber nur wenige Stunden. D er 6. August war in der Tat ein unglückliches Datum , jedoch dem Anti-Amerikanis mus ist nur durch sachliche Information beizukom men. . . Aus ei nem Schritt der Kriegsvorbereitung, der sich bereits auf Details der Gefechtsplanung positiv bezieht, wird so eine muntere Übung in M ethodenfragen nationaler Politik. Eher werfen sich die um die Macht konkurrierenden und koalierenden Parteien vor, »die deutsch-amerikanischen Beziehungen« zu verschlechtern oder »die Finanzierung des Verteidigungsbeitrags der B R D « zu gefähr den, als daß einer der hohen Herren einen einzigen wahren Satz über den Zw eck der Neutronenbombe und die Vorhaben des Bündnisses verlauten ließe. U nd doch geben sie in ihren nationalistischen Interpretationen ständig von den Fortschritten Rechenschaft, die sie in ihrer Hand lungsfreiheit erzielt haben. Von der »tiefen Sorge« um die »Ver schlechterung der Ost-West-Beziehungen« über die kundig errechneten Gleichgewichte der Waffenarsenale gelangen sie - im Streit darüber, wer die »nötigen Schritte« konsequenter vertritt und deswegen zum Regieren befugt sei - zu immer eindeutigeren Bekenntnissen. Was immer auch die Sowjetunion unternimmt, es gilt mittlerweile als Beleg dafür, daß »Entspannung« und »Sicher heit«, »Frieden« und »Freiheit« letztlich nur durch militärische Überlegenheit zu haben sind. Das bekam Leonid Breschnew bei 33
seinem Besuch in Bonn im November 1981 zu spüren. Es nützte ihm gar nichts, daß er die Bereitschaft zum teilweisen Abbau der vermeintlich im Mittelpunkt westlicher Sorgen stehenden SS 20 mitbrachte. Er mußte erfahren, daß es seinen Gastgebern so ernst mit der Furcht vor dieser »Bedrohung« gar nicht ist. Als diplomati sche Botschaft durfte er die MitteÜung mit nach Hause nehmen, daß die westliche Aufrüstung sich unabhängig von den vorhande nen wie unterlassenen Fortschritten Östlicher Rüstung abspielt. Um dieselbe Botschaft erneut klarzustellen, hat 15 Monate darauf der amerikanische Präsident seinen Vize auf eine Werbetournee durch Europa geschickt. Dieser hat die Zurückweisung jedes so wjetischen Versuchs, mit den USA in ein diplomatisches (Ab-)Rüstungsgeschäft zu kommen, einfach als prinzipielle »Verhandlungsbereitschaju verkauft und sie als erfreuliche »Beweglichkeit« ins Europäische übersetzen lassen. Reagan selbst kommentierte vom Weißen Haus aus die aufgeregten Anfragen nach etwaigen Kursänderungen damit, daß es sich bei den »Vorschlägen« um eine längst fälligePropagandakampagne handle und sonst nichts. Sämt liche deutschen Zeitungen haben dies tags darauf korrekt und ohne jede Empörung vermeldet. Offenbar lag den Medien der demokra tischen Öffentlichkeit sehr viel daran, im Gefolge der staatlichen Beschlußfassung Abschied zu nehmen von dem so »emotional« ausgetragenen Streit um die »Nachrüstung« - um die Bürger künf tig nur noch mit der Frage zu traktieren, ob in Genf »ernsthaft ver handelt« würde. In ihrer Gleichgültigkeit gegen die verhandelten Positionen ist diese Frage geeignet, jeden Fortschritt in Sachen R ü stung in ein Problem des unstreitigen guten Willens der Politiker zu übersetzen, die inzwischen das eine oder andere Gerät dislozie ren und ein »Weltraumprogramm« in Aussicht stellen, natürlich zur Friedenssicherung. Die nach innen notwendige Rücksichtslosigkeit, wie sie in den USA seit Reagan offizielles Programm ist, gilt deshalb auch als das Ideal der Politik in den »schwierigen achtziger Jahren«, vor dem sich jedermann blamiert, der ein gutes Leben dem Nationalismus mit seinen Pflichten vorzieht. Wo die Anwendung staatlicher Ge walt zur unerläßlichen Grundlage all dessen deklariert wird, was sich die Bürger leisten dürfen, zählen das gute Leben und derglei chen Ansprüche nicht mehr - da geht es ums »Überleben«, und zwar nicht um das des Volkes mit seinen kleinlichen Sorgen, son dern um das des Staates. Dessen Repräsentanten und Liebhaber er34
zählen zweifelnden Christen inzwischen, daß die Bergpredigt zw ar für Gehorsam und Opfersinn von Untertanen tauge, keines wegs aber eine zweckmäßige Gesinnung für antisowjetische Stra tegie vermitteln könne. Pazifisten erfahren von allerhöchster Stel le, daß ihresgleichen den zweiten W eltkrieg provoziert hätten H itler hätte sich durch die Friedensliebe auswärtiger V ölker hin reißen lassen. U nd auch angesichts der täglich aus Übersee eintref fenden Meldungen über M X , Trident und B I nähern sich die dem deutschen Nationalism us verpflichteten Übersetzungen der west lichen Aufrüstung, an der man sich beteiligt, immer mehr dem Klartext, den man so lange wie möglich zu vermeiden suchte: Die Kriegsvorbereitung ist eine ausgemachte Sache, also wird bereits jetzt von allen Bürgern die Konsequenz des Nationalismus einge klagt, die in allen vormilitärischen Form en der Auseinanderset zung mit dem Ausland angelegt ist. Daß die weltpolitischen U n ternehmungen »der Russen« fü r uns untragbar sind, rechtfertigt inzwischen auch die westdeutsche Innenpolitik, von einer Wirt schaftspolitik neuen T yps - alle »sparen« fürs Militär - bis zu Ver eidigungen von Rekruten im Fackelschein. U ber den Fortschritt der »weltpolitischen Konfrontation«, auf die w ir nur reagieren, unterrichten währenddessen die regelmäßig von Kanzleramt und Außenministerium in der >Tagesschau< verlautbarten Rundblicke auf alle Konflikte in der Welt, die immer dasselbe beweisen: daß deutsche Friedenspolitik eine immer ernstere Sache wird und - nach und nach - wegen der anderen zum Scheitern verurteÜt sei, was dann die vorweggenommene Klärung der Schuldfrage für den Dritten Weltkrieg darstellt. Auch die noch wird sich von der ame rikanischen Lesart unterscheiden: w ir können den Wunsch der »Amerikaner« nach Überlegenheit verstehen, angesichts der Wei gerung der Sowjetunion, wesentliche Positionen kampflos zu räumen. D ie Interessen des deutschen Volkes lieg en ...
4. V o m Im perialism us der B un d esrep ub lik
Wie eine Nation die Einordnung aller Herren Länder vollzieht, wie sie das gesamte Ausland in eine Skala zwischen den Extremen Freund und Feind, in bequeme, verläßliche und mißliebige Partner sortiert, verrät einiges über die Stellung dieses Staates in der Welt. Das Verfahren besteht nämlich darin, daß sämtliche Beziehungen, 35
die mit dem Ausland unterhalten werden, eine P rüfung erfahren., und deren unerschütterlicher Maßstab ist ein sehr praktischer: ökonomische, politische und militärische Interesse wird je nac^ dem, wie ihm auswärtige Souveräne und Völker entsprechen, in deren gute und schlechte Eigenart übersetzt. Insofern gibt das bundesrepublikanische Weltbild, das alle außenpolitischen Aktionen der Regierung begleitet, sehr zuverlässig Auskunft über den Erfolg des Bemühens, andere Nationen brauchbar machen. i. ökonomisch zählt sich die BRD zu den »Wirtschafts-« oder »Industrienationen«, die sich erstens ihresgleichen, zweitens »un* terentwickelten Ländern« gegenübersehen; mit den anderen Indu strienationen verbindet sie ein reger Handel, der sich auf Waren aller A n erstreckt, also auch auf die Ware Kapital. Deutsche Ge* schäftsleute und Banken kalkulieren mit Produkten und ihren Preisen, die andere Nationalökonomien offerieren, und ziehen umgekehrt mit der größten Selbstverständlichkeit andere Länder als Käufer wie als Anlagesphäre in Betracht. Deutsche Politiker lei ten daraus seit längerem das Recht ab, unter dem Titel »Europa* auf die Entscheidungen einiger Souveräne »Einfluß zu nehmen« und in Konfliktfällen, wo diese Einflußnahme nicht reibungslos klappt, warten sie mit dem Fingerzeig auf, daß ihnen in der Ablehnung gewisser finanzieller Verpflichtungen und auch sonst Mittel zu Gebote stehen, deren Einsatz den Partnern nicht recht sein kann. Kein Monat verstreicht, ohne daß im Namen Europas ir gendeiner befreundeten Nation die Rechnung aufgemacht wird darüber, was »für uns« tragbar ist und was nicht. Kaum zu überse hen, worin das flotte Auftreten der Repräsentanten dieser Repu blik gründet: Da ergreifen die Vertreter eines begehrten Handels partners, eines potenten Kreditgebers und Anlegers das Wort, die wissen, daß sie Abhängigkeiten mit dem Ausland geschaffen ha ben, über die sich kaum ein Partner ohne Schaden hinwegsetzen kann. Stets wird in der Kundgabe all dessen, wovon »wir« abhän gig sind - vom Export, von der europäischen Währungspolitik, von der Einhaltung der zu produzierenden Stahlkontingente etc. die banale Wahrheit offenbar, daß der unter Verwaltung bundes deutscher Regierungen geschaffene Reichtum ein sehr wirksames Mittel darstellt, um Bedingungen für andere zu setzen. So schämt man sich auch nicht, in »Informationen zur Entwicklungspolitik« sowie in der täglich den Globus besichtigenden freien Presse den 36
Ländern der »Dritten Welt« eine Diagnose auszustellen, die es in sich hat: Weil ein Volk in seiner Mehrheit arm ist, kann niemand sparen. Dadurch ist kein Kapital für Investitionen vorhanden. Die Folge: Es gibt zu wenig Produktionsstätten, die Produktivität ist zu gering. Dadurch gibt es zu we nig Arbeitsplätze, zu wenig Verdienstmöglichkeiten. Wo nicht verdient wird, kann der Staat keine Steuern erheben. Leere Staatskassen bedeuten: keine staatlichen Angebote an Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, mangelhafte Gesundheitsfürsorge... Solches meinen selbstbewußte Wortführer einer »Industrienation« allen Ernstes in den Elendsgegenden des Weltmarktes vorzufinden. Aus der nützlichen Armut hierzulande, die zur fest einkalku lierten Grundlage für das Prosperieren von Kapital und Staat ge macht worden ist, entnehmen sie die Entstehung von Kapital durch das Sparen — und das Nicht-Vorhandensein dieser Mär scheint ihnen der Grund für das Fehlen all der menschenfreund lichen Entwicklungen, auf die sie ihrem Land soviel zugute halten. Mit der Logik des Vergleichs von »entwickelt«-»unterentwikkelt«, der sie zu der Einsicht führt, daß die Armut der Entwick lungsländer eine schlechte Geschäftsgrundlage für die dortige Staatskasse darstellt, so daß aus dieser auch nicht die nötigen Vor kehrungen zur Beseitigung des Elends getroffen werden können, beschwören sie den »Teufelskreis der Armut«, der »uns« zur Ent wicklungshilfe verpflichtet. Ganz, als ob je eine Mark Entwick lungshilfe an die notleidenden Völker adressiert worden wäre! Bei der Darlegung dieses Zweiges »unseres« weltweiten Wirkens wird dann aber schnell offenbar, daß auch Neigung mit im Spiel ist. Die Entwicklungshilfe liegt nämlich auch im Interesse der Industriena tionen, nicht nur wirtschaftlich, weil ein Viertel unserer Exporte in Entwicklungs länder geht und wir einen Großteil unserer Rohstoffe von dort beziehen. Ein Ausgleich der politischen und wirtschaftlichen Interessen mit allen Entwicklungsländern dient vor allem der Sicherung des Friedens. Auch hier gibt die Ideologie durchaus darüber Aufschluß, was an »Beziehungen« so stattfindet. Erstens wird die Sache mit dem »Teufelskreis der Armut« dahingehend korrigiert, daß der Schein entfällt, mit einem V olk, das »in seiner Mehrheit arm ist«, sei kein Geschäft zu machen. Die betreffenden Länder sind sehr wohl in den Weltmarkt einhezogen, und das nicht erst seit gestern: wie 37
sollten »wir« sonst auf einen Großteil »unserer Rohstoffe« von dort angewiesen sein? Mit diesem Hinweis, der sicher nicht als Verdacht bezüglich des Grundes für die Armut gemeint ist, wird zugleich der »Ausgleich« als Zweck der »Zusammenarbeit« sehr offenherzig dementiert, immerhin bleibt »unser Interesse« als gu ter Grund für die Entwicklungshilfe stehen: als zuständig für die Betreuung von »Entwicklungsländern« dürfen sich »Industriena tionen« allemal ausweisen, und wer wollte ihnen angesichts ihrer Abhängigkeit von Rohstoffen, welche die armen Völker partout nicht selbst anwenden können, die Entscheidungsbefugnis abspre chen über alle Modalitäten des Welthandels, die sie auf ihren Wirt schaftsgipfeln aushandeln. Da gibt es in Währungsdingen und Kreditvergabe an Regierungen der »Dritten Welt« - die es ja ohne die »erste« gar nicht gäbe - manches festzulegen und zu erstreiten; der Frieden, der bei solchen Geschäftspraktiken gesichert werden soll, hat nämlich einen Inhalt, d. h. er erschöpft sich keineswegs in der Abwesenheit von Krieg. Die universale Nutznießung sämtli cher Weltgegenden bedarf einer entsprechend gelungenen H err schaft vor Ort; und sowenig der »Frieden« durch die Unbotmä ßigkeit darbender Analphabeten gefährdet ist, so »heikel« wird für die Veranstalter eines »Nord-Süd-Dialogs« die Lage, wenn sich in den politischen Garantien etwas ändert. Während »wir« unsere bisweiligen »lebenswichtigen Interessen« dort haben, stellt die »Einmischung« anderer Nationen ganz leicht eine »Gefährdung des Weltfriedens« dar- und dabei kommt es noch nicht einmal dar auf an, was andere »Industrienationen« dort wollen. Kein Wunder, daß sich der Ostblock sowohl ökonomisch wie po litisch einer besonderen Betrachtungs- und Behandlungsweise er freut. Aus der Sicht einer »Industrienation«, die bei ihren Produk tionen so »exportabhängig« ist, die andererseits selbst so arm an Rohstoffen dasteht wie die BRD, daß sie ohne diesbezügliche gesi cherte Importe nicht leben kann, gerät die Sowjetunion samt real sozialistischem Anhang in ein schiefes Licht: Keiner der üblichen Verkehrsformen der »Weltwirtschaft« gegenüber zeigt sie sich aufgeschlossen; in ihrem staatlichen Außenhandelsmonopol behält sie sich alle erdenklichen Handelshindernisse vor, an der K onver tibilität ihrer Währung lag ihr seit den ersten Tagen des G A T T nichts mehr - und wenn sie - aus welchen Gründen auch immer doch einmal ein Geschäft mit sich machen läßt, so nur unter ganz speziellen Bedingungen, die vermuten lassen, daß es nur ihrem ein38
seitigen Vorteil gilt. Zwar sind diese Geschäfte inzwischen in Mil liardenhöhe üblich und als »Osthandel« in die Geschichte der Ent spannungspolitik eingegangen —diejenigen, die die dafür notwen digen Kredite vergeben, entscheiden sogar recht handfest über die Geschicke der polnischen und anderer Volkswirtschaften mit doch leiden sie allesamt an einem Mangel. Weder handelt es sich bei den abgewickelten Geschäften um Zugeständnisse von gefügigen Staatswesen, die ihren äußeren Abhängigkeiten entsprechend Dienste verrichten, wie bei den Abkommen von »armen Ländern« mit »uns«, in denen eine souveräne Staatsmacht ihre Grenzen »er kennt«, sich mit dem Ausland arrangiert und dies im Umgang mit den eigenen Untertanen beweist - am besten durch die stete Ver kündigung nationalen Aufbaus und der Demokratie als Endziel. Noch bewährt sich der Osten als gleichgesinnter und den gleichen Maximen gehorchender »Partner«, der »berechenbar« - das ist die Chiffre für »ein mit seinen eigenen Kalkulationen zu überzeu gender und zu erpressender Souverän« - bleibt in seinen Aktionen. Nicht einmal im Angewiesensein auf regelmäßige Devisenein künfte aus dem Westen will sich eine Sowjetunion zu ihrer »Ab hängigkeit« bekennen; im Gegenteil, sie beharrt darauf, daß in ih rem Fall geschäftliche Kalkulation und nationales Interesse nicht in eins fallen, daß sie auch in ihren außenpolitischen Entscheidungen einem anderen Kriterium verpflichtet sei als dem Erfolg des priva ten Reichtums von Bürgern, in dem jeder bürgerliche, also ordent liche Staat seine Existenzgrundlage besitzt. Kurz: die Systemfrage wird von diesen Störenfrieden eines geregelten internationalen Verkehrs ständig aufgeworfen - und wenn sie per Diplomatie und militärischem Engagement auch noch um Unterstützung durch in stabile Staaten werben, also Fuß fassen wollen in der Weltpolitik, dann kann ihnen gemäß H . D . Genscher, Außenminister der B R D , ein »maßvolles weltpolitisches Verhalten« keinesfalls atte stiert werden. Also ist vom Boykott der olympischen Spiele über die Aufkündigung von Handelsbeziehungen bis zur Demonstra tion und Herstellung militärischer Überlegenheit alles geboten, um die Zuständigkeit des Systems zu wahren, dessen Interessen in jeder Hinsicht ein Faktum sind. 2. E in politisch er Zwerg ist die Bundesrepublik schon lange nicht mehr. Mag sein, daß dieser selbstverliehene Titel in den Grün dungstagen des westdeutschen Staates etwas von Wahrheit an sich gehabt hat - aber schon die ersten Tage der Adenauer-Diplomatie 39
bestanden in sehr speziellen Kampfansagen an den Osten (»AJJein Vertretungsanspruch«, Wiedervereinigung, Hailstein-Doktrin) die sich für eine »kleine Nation«, die einer Front von Siegermäch' ten gegenübersteht, ziemlich seltsam ausnehmen. Aber zu dej^ Zeitpunkt, an dem die »politisch Verantwortlichen« den Scheiß bundesdeutscher Ohnmacht in die innenpolitische Selbstbespiege. Iungsdebatte warfen, ging es schon längst um die Bemäntelung a|j dessen, was diese Nation in der Welt anrichtet und wozu sie die rückhaltlose Unterstützung ihres Volkes reklamiert. Die inzwischen erreichte Stellung der Bundesrepublik auf dem Weltmarkt, ihr faktischer Umgang mit allen Staaten, die Nützliches und Preiswertes zu verkaufen haben oder umgekehrt erstehen wollen, läßt in einer Hinsicht keinen Zweifel offen: aus der Ent scheidung der USA, diesen Staat zu errichten und seine Geschäfte florieren zu lassen, haben die politischen Veranstalter einiges zu machen verstanden. Unter dem tatkräftigen Einsatz des arbeiten den Teils ihres Volkes haben sie aus dem Schutz ihrer Souveränität durch die westliche Weltmacht das >Kapital geschlagen« - und zwar im wahren Sinne des Wortes - , das heute als Basis für einen schlagkräftigen politischen Überbau fungiert. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihren ökonomischen In teressen eine weltweit anerkannte Macht, so daß es niemand für anstößig befindet, wenn sie auf Wirtschaftsgipfeln die Konditio nen künftigen Welthandels mitbestimmt. Daran, daß sie als NATO-Frontstaat tatkräftig an der jeweils aktuellen Variante der Feindschaftserklärung gegen die östliche Weltmacht mitwirkt, hat sich die übrige Staatenwelt längst gewöhnt - ebenso wie daran, daß befreundete Staaten der BRD mit westdeutschem Kriegsgerät - na türlich nach im Bundestag demokratisch beschlossenen Kriterien und unter gleichzeitiger Kritik an den armen Ländern, sie würden zuviel für Waffen ausgeben - versorgt werden. Und dennoch: in der öffentlichen wie gelehrten Beurteilung dieser Nation, die den gesamten Globus als brauchbares Betätigungsfeld für »unsere Interessen« behandelt, die sogar in der Benützung des anderen Systems erhebliche Erfolge verbuchen konnte und jetzt ein extra militärisches Gleichgewicht zwischen »Europa« und der UdSSR reklamiert, will niemand vom Charakter dieser universalen Zu ständigkeit auch terminologisch Notiz nehmen. 3. Imperialismus also soll man das alles nicht nennen, was da un ter der gar nicht bescheidenen Parole »Verantwortung für den 40
Weltfrieden« seit Jahrzehnten vollzogen wird. Denn soviel will auch heute noch jedermann mit diesem Terminus verbinden: Stre ben nach Herrschaft in aller Welt, Ausbeutung fremder Völker» Anwendung von Gewalt gegen andere Souveräne - also lauter Ver stöße gegen den moralischen Kodex menschenrechtlich wie völ kerrechtlich informierter Demokraten. Also kann nicht sein, was nicht sein darf. Wer schlicht darauf verweist, - daß der BRD-Staat im Innern eine Klassengesellschaft unterhält, in der keine Leistung und kein Opfer der arbeitenden Mehrheit groß genug ist, um die Mehrung privaten Reichtums zu beför dern, - daß der Staat diesen Reichtum auswärts als Hebel einsetzt, um seiner Vermehrung auch die außerhalb seines Hoheitsgebietes verfügbaren Quellen zu erschließen, - daß diese Nation auch über die dazu nötigen Gewaltmittel ver fügt und - für den Fall, daß sie als politische Drohung oder in ih rer amerikanischen Anwendung den Erfolg nicht gewährleisten m it Krieg kalkuliert sieht sich mit entschuldigenden Dementis konfrontiert, die die Tatsachen des Imperialismus für dessen Überwindung erachten und die aufgeteilte und benützte Welt zum Zeugen fü r die Harm lo sigkeit ihres Nutznießers anrufen.
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5. D ie theoretische Ü b erw in d u n g des Imperialismus
Aufgeklärten Weltbürgern sind die Tatsachen der Weltpolitik sehr gut bekannt. Sie haben sich längst daran gewöhnt, daß jede Erdge gend mit ihren Naturschätzen erschlossen ist, daß jeder Staat mit seinem Volk einen Gegenstand geschäftlicher Kalkulation dar stellt. Auch wissen sie, daß ihre demokratischen Regierungen - die der Bundesrepublik hält sich da im Rahmen des Bündnisses kei neswegs vornehm zurück - mit einem weltweiten Einsatz von Ge w alt Sorge für das Gelingen dieser Kalkulation tragen, daß die po litischen Garanten des Geschäfts also ständig mit dem Krieg rech nen. Vertraut sind ihnen auch die Opfer, welche politische und ökonomische Interessen in der großen Politik des 20. Jahrhunderts fordern. Die einschlägigen Klagen sind fester Bestandteil der öf fentlichen Meinungsbildung, die Produktion von Leichen entzieht 41
sich - in welchen Ecken der Welt sie auch gerade wieder auf einen Höhepunkt zusteuert - nur selten den TV-Kameras und den stil vollen Schilderungen der Kommentatoren. Und doch ist es mit den Kampfansagen gegen den Imperialismus, die einmal von links seine Durchsetzung begleiteten, vorbei. Der bürgerliche Wissenschaftsbetrieb liefert zwar meterweise Statisti ken und Studien über die Ordnung in der Welt und ihre Krisen aber von den Notwendigkeiten, d. h. den ehernen Gesetzen einer durch staatliche Gewalt weltweit inszenierten Kapitalverwertung wollen Theoretiker heute bei aller wohlwollenden, klagenden und kritischen Beschäftigung mit ihren Verlaufsformen nichts wissen. Wer heute wie weiland Lenin bei der Abfassung seines Klassikers das von Brotgelehrten verfaßte Schrifttum heranzieht, findet sich bei dem Bemühen, Klarheit über den Zusammenhang von arm und reich, Krieg und Frieden im Weltmaßstab zu gewinnen, mit wis senschaftlichen Meinungen konfrontiert, die kaum mehr als Ideo logie zu bezeichnen sind. Wenn in einem Lehrbuch der Volkswirt schaft zu lesen ist: Internationaler Handel wird getrieben, wenn ein Land durch Außenhandel eine größere Güterversorgung erreichen kann als ohne Handel so handelt es sich längst nicht mehr um eine Formulierung der »Theorie der komparativen Kosten«, als die dergleichen verkauft wird. Weder von Kosten und Gewinn, und schon gar nicht von Kapital und Staat ist da die Rede, wenn die von Ricardo vertretene Lehre - derzufolge im internationalen Tausch, für den sich ver schiedene Nationen spezialisieren, beide Nationen (!) gewinnen können - an modernen Universitäten verballhornt wird, und zwar zu Lügen. Denn soviel geht tatsächlich aus der bloßen Anschauung der Realität von Armut und Elend in armen wie reichen Nationen, die alle flott am Weltmarkt partizipieren, hervor: daß die Güter versorgung ganz sicher nicht den Grund und Zweck des Welt markts abgibt. In der Erfindung von nicht existenten Zwecken sind die sich sehr sachkundig gebenden Nationalökonomen bei ihrer Betrachtung des Weltmarkts wirklich nicht faul. Getrennt von allen wirklichen Bewegungen, die Gold und Dollar, Mark und Kreuzer durchma chen, diskutieren sie die fiktive Alternative zwischen festen und flexiblen Wechselkursen, um dann - bisweilen aus dem sehr kon junkturbedingten Anlaß eines nationalen Geschäftsrückgangs, eines 42
Nachteils in Exportdingen etc. - der einen Möglichkeit die Lei stung zuzusprechen, auf die es doch wohl ankäme: die Versorgung mit Liquidität. Und in ihrer expertenhaften Besichtigung von Zah lungsströmen und Wechselkursen, Zinsniveaus und Auslandsan lagen daraufhin, ob die beobachteten Bewegungen eine ausgegli chene Handels-, Zahlungs- oder Leistungsbilanz zuwege bringen oder irgendein unerträgliches, folgenreiches und »gefährliches« Ungleichgewicht, gestehen sie ihre Methode ein. Unabhängig da von, daß keine der auf dem Weltmarkt maßgeblichen Instanzen eine wie immer geartete Bilanz und ihren Ausgleich zum Ziel hat, unbeschadet der banalen Einsicht, daß die diversen Gleichge wichte nicht einmal miteinander vereinbar wären, ginge es jeman dem um sie, ergreifen sie Partei für das Funktionieren der Welt wirtschaft. Alle Ideologien, mit denen Staatsmänner gerne ihre gelungenen oder gescheiterten Geschäfte rechtfertigen und verdol metschen, nehmen sie bitter ernst, machen sich das konstruierte Problem zum theoretischen Anliegen, um zur Suche nach Faktoren überzugehen, die seiner Lösung entgegenstehen. Dieses Verfahren allein bürgt für das Zustandekommen von ökonomischen Diagno- , sen, die in konsequenter Demonstration der Sorge um den rei- ( bungslosen Ablauf des Waren-, Geld- und Kapitalverkehrs in der ) medizinischen Metaphorik den für die Nationalökonomie passen den Jargon gefunden haben. Aus den Konkurrenzkämpfen um den ölpreis, den OPEC-Staaten, Ölkonzerne, die Regierungen der westlichen Länder und die Verkäufer der Endprodukte vom Ben zin bis zum Plastiktütchen im Supermarkt zu ihrem Geschäftsmit tel zu machen streben, ist bei allem Erfolg der beteiligten Hauptak teure in der wissenschaftlichen wie populären Publizistik eine veritable »Energiekrise« geworden. Sooft sich in Fragen des Dollarkur ses eine oder mehrere europäische Zentralbanken über Nachteile der von ihnen repräsentierten Geschäftsinteressen beklagen, sind die Fachleute zur Stelle und beschwören eine »Weltwährungskrise« selbstverständlich nicht ohne (leider nicht zu realisierende) Vor schläge zur Wiederherstellung der »Funktionsfähigkeit« des dar niederliegenden IW F mit seinem empfindlichen System von Son derziehungsrechten. V or dem Idealismus des Gelingens schlecht hin, den die beteiligten Staaten, Banken und Börsenjobber in wohlkalkulierter bis erpresserischer Absicht in die Welt setzen, ge raten einem Ökonomen die Konkurrenzinteressen samt den Mit teln ihrer Durchsetzung - also das, worum es geht - zu einer einzi43
gen Ansammlung von unvernünftigen Entscheidungen» die den liebgewonnenen »subtilen Mechanismus« in all seiner »Komplexi tät« außer Betrieb setzen und die »Selbstheilungskräfte« des Mark tes nicht zum Zuge kommen lassen. Mit all ihrer prätendierten Kennerschaft meldet die heutige Nationalökonomie lieber ein theoretisches Sorgerecht auf den internationalen Kapitalmarkt an als ihn zu erklären; das Bewußtsein von der »Komplexität« der Sa che und den Schwierigkeiten mit Begriffen und Definitionen läßt sie als einzige sachliche und sachkundige Art und Weise gelten, über die staatlich vermittelten Geschäftspraktiken, den Umgang mit Geld, Ware, Kredit, Kapital und Menschenmaterial zu reden. Was den Ökonomen recht ist, erachten Fachleute der internatio nalen Politik nur für billig. Auch ihnen ist die Verwandlung von Vorgefundenen Ideologien in wissenschaftliche »Ansätze« geläufig - so sehr, daß sie aus der offiziellen Bezeichnung gewisser Kreditpraktiken als *Entwicklungshilfe« den Zweck der Hilfe und das Ziel der »Entwicklung« als gesicherte Grundlage für allerlei Räsonnements über effektivere Hilfe und Alternativen der Entwick lung akzeptieren, Modelle entwerfen und die Realität des politi schen Verkehrs zwischen »Industrienationen« und »Dritter Welt« keines Blickes mehr würdigen. Nach allen Regeln der Kunst, die moderne Sozialwissenschaften zur Perfektion gebracht haben - die Rede ist von der Kunst, etwas zu behaupten, den getroffenen Aus sagen hypothetischen Charakter zuzusprechen und sich zu fragen, ob sich in der Realität etwas findet, das den Hypothesen entspricht-, wird da »Imperialismustheorie« betrieben. In dem Aufsatz Eine strukturelle Theorie des Imperialismus (Imperialismus und struk turelle Gewalt, hg. v. D. Senghaas, Frankfurt 1972, es 563, S. 29-104) zeigt J. Galtung in nicht endenwollenden »Reflexio nen« auf, »daß zwischen der Zentralnation als ganzer und der Peri pherienation als ganzer Disharmonie der Interessen besteht« (S. 38). Aber nicht etwa, um die Gegensätze zwischen den ökono mischen Bedürfnissen einer schwarzafrikanischen Regierung und bundesdeutschen Krediten auszumachen; auch nicht, um den Wi derspruch zwischen den Waffenlieferungen und den Uberlebensnotwendigkeiten des Volkes zu kennzeichnen, dessen Staat das Tötungsgerät in Empfang nimmt! Hier gibt sich ein engagierter Wissenschaftler seriös, indem ersieh die Frage vorlegt, ob er denn nun etwas Brauchbares aufgezeigt habe. So schreitet er zu einem Dementi: 44
A b er diese A rt von Feststellung, auf die häufig rekurriert w ird, ist äußerst irreführend, weil sie die Interessenharmonie zw ischen den beiden Zentren verschleiert. . .
E r zerm artert sich sein H irn m it einer »kom plexen D efin ition « des Im p erialism us: In unserer Z w e i-N a tio n e n -W e lt kann (!) Imperialismus jetzt bestimmt w erden als eine M öglichkeit (!) der M achtausübung der N atio n im Z e n trum über die N a tio n an der P eripherie. . .
und bemerkt keineswegs, daß er nur noch über lauter Abstraktio nen von der Welt verhandelt und das wirkliche Geschehen zu einem Gefüge von »Interaktionsstrukturen« und »Interaktionsbe ziehungen« verfabelt, die in ihrer Inhaltslosigkeit nur das Bedürf nis nach der Erstellung eines Modells befriedigen, das schließlich mit Pfeilen und Kästchen vor dem Leser ersteht. Es ist eben etwas anderes, die Weltwirtschaft zur Kenntnis zu nehmen und die Gründe zu erschließen, die ihre maßgeblichen Subjekte dazu brin gen, ein fröhliches Nebeneinander von Armut und Reichtum zu erzeugen, als die ökonomischen und politischen Benutzungs- und Erpressungspraktiken in die Idee einer Struktur zu übersetzen. Nur wer letzteres mit Wissenschaft verwechselt, ist in der Lage, über Beobachtungen im Irrealis Belege für die Existenz des Impe rialismus finden zu wollen und sich wegen des absehbaren Scheiterns dieses Bemühens einen Auftrag f ü r S t u d i e n zu erteilen: Angenommen, wir gingen nun vom entgegengesetzten Ende aus und ent deckten, daß manche Nationen im Laufe der Zeit ihre Lebensbedingungen stärker verbessern als andere und daß dieser Prozeß eine bestimmte Struk tur hat, eine bestimmte Invarianz. Wie gesagt, ist das an sich noch kein Be weis für die Existenz von Imperialismus; es sollte aber den Forscher dazu veranlassen, in dieser Richtung nach Faktenmaterial zu suchen.
Die Ergänzung einer Welt, die aus »Strukturen«, »Prozessen« und »Beziehungen« besteht (denen immerzu das Attribut »bestimmt« beigelegt wird, ganz als ob dadurch die Bestimmungslosigkeit der soziologischen Worthülsen getilgt wäre!), um Statistiken des Pro-Kopf-Einkommens aller Weltgegenden ist allerdings keine Hinwendung zur Realität, sondern deren Vortäuschung. Denn den Dollarbetrag, der da ideell einem Pakistani oder Schwarz afrikaner zum Verzehr in die Hand gedrückt wird, sieht der gute Mann sein Leben lang nicht. Und der verschämte Hinweis darauf, 45
den moderne Theoretiker der »Unterentwicklung« stets zur Hand haben, daß die Verteilung des Bruttosozialprodukts eben eine äu ßerst ungleiche wäre, nimmt ihrem Konstrukt nichts von seiner Absurdität. Man muß eben erst einmal das Ziel einer Versorgung der Welt mit Lebensmitteln und -chancen als existent unterstellen, um seine Nicht-Realisierung zu beklagen und diese Klage dann als Erklärung des Imperialismus auszugeben - die wohlmeinenden Korrekturvorschläge in Sachen »Veränderung der Strukturen« er weisen sich dann ausgerechnet deshalb als undurchführbar, weil die »Realität« sie nicht zuläßt. Diejenigen Forscher, die sich als Imperialismustheoretiker an den modernen Universitäten einen Namen machen, haben im übrigen längst die »Schwierigkeit« der Veränderung mit ihren theoretischen Drangsalen und Unzuläng lichkeiten zusammengebracht: auch eine Weise, die Macher des Imperialismus zu entschuldigen, indem man die eigenen, auf »Überwindung« von Ungerechtigkeiten aller Art zielenden Analy sen zwar nicht der Falschheit, wohl aber der Vorläufigkeit und Unausgegorenheit bezichtigt. Darauf versteht sich D. Senghaas, der als langjähriger Leiter der Hessischen Stiftung für Friedens und Konfliktforschung mit der Rede von »struktureller Gewalt« und »organisierter Friedlosigkeit« die imperialistischen Praktiken und ihre Wirkungen in soziologischen Mechanismen, die walten, verankert hat, sehr gut: [ ...] doch gilt es, zuerst einmal das Fundament für die analytische Erfas sung gegebener Tatbestände zu legen, ehe Veränderungsstrategien entwikkelt werden, die, wenn sie auf unzulänglichen Analysen beruhen, sich kaum in praktisches Handeln übersetzen lassen. (Editorisches Vorwort zu Imperialismus und strukturelle Gewalt, S. 25)
So mag sich mancher verhungernde oder in einen mit europäischen und amerikanischen Waffen angezettelten Bürgerkrieg verwickelte Afrikaner damit abfinden, daß sein Schicksal sich nicht den Taten und Leistungen gewisser Außenpolitiker verdankt, sondern dem bislang noch fehlenden »Konzept« für »symmetrisch strukturierte Hilfeleistung«! Nie wird modernen Wissenschaftlern, die in der Befassung mit den verheerenden Wirkungen des »Weltmarkts« und der »Entwicklungspolitik« ihre Karriere machen, die offiziell angegebene Zielsetzung verdächtig. Lautet sie »Hilfe«, warnen sie vor falscher H ilfe und ersinnen Hilfsmodelle; lautet sie »Frieden«, so eröffnen sie sich das weite Feld der Friedensforschung und unterstellen den 46
berufsmäßigen Rüstungsdiplomaten den ungebrochenen Willen zur Vermeidung von Kriegen, freilich mit gewissen Erkenntnislücken in Sachen »Kriegsgefahr«, die sie dann schließen. T)emstra tegischen Zynismus, der die Waffen des Feindes als Beleg für die schlechten Aussichten auf einen Sieg und damit schon auch einmal für die Uberholtheit des Krieges wertet, verschaffen die Männer der Friedensforscherzunft wissenschaftliche Reputierlichkeit, in dem sie die Mittel des Krieges als Grund für seine Unbrauchbarkeit ebenso in Druck geben wie als Gefahr für sein Zustandekommen. Was soll man eigentlich von Intellektuellen wie Senghaas halten, die sich fragen, »ob das Atomzeitalter das Zustandekommen einer (!) Beziehung zwischen Politik und Gewalt zuläßt«, die aber auch Gewalt »strukturell« und »den Unfrieden institutioneil verankert« wissen wollen? Kann man ihnen wirklich ihren Idealismus des Friedens, an dem sie so unermüdlich herumschriftstellern, zugute halten? Oder darf man ihnen ganz ungeniert bescheinigen, daß sie mit großkalibrigen und geschichtsträchtigen Sätzen wie: Der Krieg als Fortsetzung der Politik ist weithin (!) sinnlos (!) geworden... Das Größenwachstum seiner Mittel führte den Ruin (!) des Krieges nach rein militärischen Begriffen schon vor Jahrzehnten herbei. auf ihre Weise den Politikern zur Seite stehen, die immerzu aus der Tatsache, daß Kriege nicht Zweck, wohl aber kalkuliertes Mit tel sind, ihre Friedenspolitik begründen? Die zielt nämlich auf die Nachgiebigkeit des Gegners, den heutzutage jeder kennt, beruht auf seiner Erpressung mit den militärischen Mitteln, die den Sieg garantieren - und rechtfertigt sich gerne mit den furchtbaren Wir kungen, die ein Krieg »heute« habe! Vielleicht darf man einem Friedensforscher gegenüber auch einmal klarstellen, daß er im merzu die Subjekte von Krieg und Frieden entschuldigt und als Opfer ihrer eigenen Taten hinstellt, wenn er ihnen mit wissen schaftlichem Gestus die enormen Schwierigkeiten nachempfindet, die ihrem geheuchelten Abrüstungswillen entgegenstehen: Rüstungskontrollpolitik mit dem Ziel einer Verminderung von Rüstungs anstrengungen kann in einem Gebilde, das konfigurativ (!) verursacht ist, nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf eine Kombination von einer Vielfalt geplanter Maßnahmen und einer Vielzahl praktischer Schritte angelegt ist. (D. Senghaas) Aber auch auf die alles klärende Frage an Theoretiker, was denn ei ner von ihnen sämtlichen freien Regierungen unterstellten Absicht 47
entgegenstehe, Frieden zu halten und der darbenden Bevölkerung der »Dritten Welt« zu helfen, die polnischen Arbeiter eingeschlos sen; welche Sachzwänge und vertrackten Tücken des Objekts denn eigentlich dem guten Willen, der ansonsten das Kommando zur Mondfahrt, zum Bau von Atomkraftwerken und zu den kompli zierten Techniken weltweiter Ausbeutung zuwege bringt, im Wege seien - auch auf solche banalen Erinnerungen an den wirklichen Lauf der Welt hat die moderne Wissenschaft schon ihre auswei chenden Antworten und tiefsinnigen, weltanschaulichen Spekula tionen parat. Wenn sie einmal nicht den offiziellen Ideologien des Imperialismus die Würde eines Problems zuspricht, das in vielen »Ansätzen« einer »Lösung« zugeführt werden muß, so gibt sich die Zunft der heutigen Dichter und Denker ganz »realistisch« und verweist aut Naturnotwendigkeiten der Geschichte - auch ein schönes Subjekt! - und des Menschen. Von Augstein und einem Psychologen der ersten Garnitur können sich bundesdeutsche Zei tungsleser gehobenen Anspruchs mitteilen lassen, daß »Aggres sion« und »Todestrieb« den 3. Weltkrieg langsam aber sicher heraufbeschwören. Selbst auf diese Weise ist Zustimmung zu »problematischen« Entscheidungen erlaubt und gefragt. Philoso phisch-anthropologisch läßt sich der Imperialismus eben auch leugnen. Statt seiner gibt es wieder einmal ein Schicksal, und in der Ökologie die Philosophie des Überlebens. Kriegsspielzeug gehört verboten!
6. Lenins Imperialismusschrift: Ein aktueller, aber falscher Klassiker Ganz anders als die akademische Wirtschaftswissenschaft und Lehre von der internationalen Politik verfährt Lenin in seiner Schrift Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. (Ausgewählte Werke, Bd. I, S. 763 ff.) Weder macht er sich zum Anwalt der Probleme, der wirklichen wie denkbaren, die den in ternationalen Handel und die immerzu auf Friedenserhaltung ab zielende Weltpolitik heimsuchen, noch entschuldigt er die Sub jekte der weltweiten Symbiose von Geschäft und Gewalt damit, daß er ihnen Unkenntnis und Versäumnisse zur Last legt bei der Bewältigung ihrer seriösen Vorhaben, für »Entwicklung« und »Frieden« zu sorgen. Er tritt von vornherein als Ankläger auf, der 48
von guten Zw ecken nichts bemerkt haben w ill, deren Scheitern ein Anlaß wäre zur Erfindung besserer Alternativen. Kom prom ißlos verurteilt er die Geschäftspraktiken, die den W eltmarkt bestim men - u n d er läßt an der Vorstellung, daß die ökonomischen Sitten der M arktwirtschaft ohne K rieg zu haben seien, kein gutes Haar. O b sich diese Kom prom ißlosigkeit freilich auf richtige Einsichten stützt, muß bezweifelt werden - auch wenn der russische R evo lu tionär nicht auf den Fehler verfallen ist, mit allen Instanzen der Weltpolitik in einen D ialog über die Erhaltung des Friedens einzu treten. Lenin hat seine am weitesten verbreitete Schrift mitten im Ersten Weltkrieg verfaßt. Angesichts dieser Tatsache mutet sein Bew eis ziel einigermaßen seltsam an. E r wollte zeigen, daß auf einer solchen wirtschaftlichen Grundlage, solange das Privateigen tum an Produktionsmitteln besteht, imperialistische Kriege absolut un vermeidlich sind. (S. 770) Zu einem Zeitpunkt, als das Völkerschlachten in vollem Gange war, die N otw endigkeit des Krieges in einer theoretischen Kam pf schrift darzutun, die imperialistische Gewaltanwendung mit H ilfe und auf Kosten von M illionen national- und pflichtbewußter Men schen aus dem Privateigentum zu begründen - das ist für einen R e volutionär ein gar nicht selbstverständliches Unternehmen. Denn ein solcher Nachweis wendet sich auf keinen Fall an die Betroffe nen, die sich gerade sehr praktisch mit dem Töten und Sterben be fassen. E r ist keine Agitation, die den Opfern des Imperialismus zeigt, was sie an verkehrtem Zeug denken und was sie zu ihrem ei genen Schaden treiben, also keine theoretische Mitteilung, die auf die Veränderung der praktischen Stellung der Klasse zielte, deren Interessen die Kommunisten durchsetzen wollen. Wie sollten auch Erörterungen darüber, wie enorm sich unter der Herrschaft des Finanzkapitals die Widersprüche des Imperialismus verschärfen, zur praktischen Anleitung eines Aufstands bei denen taugen, die jene Widersprüche gerade ausbaden? Lenins Imperialismustheorie ist eine Streitschrift anderer Art. Sie sollte eine begründete Abrechnung mit der Politik von Parteien sein, die als Organisationen der Arbeiterbew egung ihren Frieden mit dem Klassenstaat geschlossen haben und zur Durchsetzung von dessen außenpolitischen Anliegen selbst für den Krieg einge treten sind. Sozialdemokratische Politiker, die noch den Baseler 49
Beschlüssen zugestimmt hatten, erwiesen sich als eifrige Verfe^ ter der Vorhaben ihrer Nation, so daß Lenin »mit dem Gefühl tief ster Bitterkeit« 1914 schrieb: Die einflußreichsten sozialistischen Führer und die einflußreichsten so zialistischen Presseorgane im heutigen Europa vertreten den chauvi^ scisch-bürgerlichen und liberalen, keineswegs aber den sozialistischen Standpunkt. (S. 747) Mit seiner Analyse, die »das Gesamtbild der kapitalistischen Weltwirtschaft in ihren internationalen Wechselbeziehungen« dar. ’ stellen sollte, hat er sich gegen die offensichtliche Entwicklung von ehemals kommunistischen Parteien hin zu den heute üblichen So. zialdemokratien gewandt, zu Parteien, die mit Reformalternativen um die Regierung des Klassenstaats konkurrieren. Nachdem maß. gebliche Theoretiker der II. Internationale ebenso wie Wissen* schaftler aus dem bürgerlichen Lager die Ideologien für den linken Nationalismus bereitgestellt hatten, kam es Lenin auf die grund sätzliche Widerlegung dieser Parteigänger des Klassenstaats und seines außenpolitischen Wirkens an. Mit einer richtigen Theorie des Imperialismus wollte er klarstellen, womit es sozialistische Parteien da zu tun, was sie zu vertreten hatten und welche illusio nären Zielsetzungen sie korrigieren mußten: Ohne die ökonomischen Wurzeln dieser Erscheinung begriffen zu haben, ohne ihre politische und soziale Bedeutung abgewogen zu haben, ist es unmöglich, auch nur einen Schritt zur Lösung der politischen Aufgaben der kommunistischen Bewegung und der kommenden sozialen Revolution zu machen. (S. 774) In solchen methodischen Bemerkungen, die sich nicht nur in den Vorworten häufen, besteht Lenin immerhin darauf, daß Kommu nisten schon wissen müssen, wogegen sie antreten; daß politische Entscheidungen aus der Einsicht in die Gründe und Zwecke des imperialistischen Treibens zu folgen haben und nicht aus Hoff nungen und Friedensidealen. So polemisiert er gegen das Kautskysche Kompliment an die Politik kapitalistischer Nationen, sie berge die Möglichkeit friedlichen Umgangs mit dem Rest der Welt in sich; er geißelt den Abschied vom Klassenkampf und die Sorge um die bessere politische Alternative in der Außenpolitik, die für eine Partei nur konsequent ist, wenn sie die Sicherung des Friedens für einen staatlichen Auftrag hält: 50
Wesentlich ist, daß Kautsky die Politik des Imperialismus von seiner Ökonomie trennt, indem er von Annexionen als einer vom Finanzkapital »bevorzugtem Politik spricht und ihr eine angeblich mögliche andere bür gerliche Politik auf derselben Basis des Finanzkapitals gegenüberstellt. (S. 842)
Darüber hinaus spricht hier Lenin auch den inhaltlichen Beweis an, den er für die Notwendigkeit gewaltsamer Übergriffe kapitalisti scher Staaten führen will. Sie liegt für ihn in den ökonomischen Bewegungsgesetzen, den entscheidenden Geschäftsinteressen des »Finanzkapitals«. Diese Interessen und ihre Verlaufsformen be stimmen den Gang der internationalen Auseinandersetzungen das Finanzkapital wirft »im buchstäblichen Sinne des Wortes seine Netze über alle Länder der Welt aus«, und es »führte auch zur di rekten Aufteilung der Welt«. Lenins Einwand gegen die Theoretiker des Opportunismus in der II. Internationale, sie würden die Politik von ihrer ökonomischen Grundlage trennen, ist der Auftakt für die Analyse des Kapitals und seines Geschäftsgebarens, in der die Politik mit ihren Zwecken erst einmal gar nicht vorkommt. Lenin verzichtet großzügig auf die Unterscheidung zwischen Ökonomie und Politik, und das aus der »orthodoxen« Sicherheit heraus, daß letztere ohnehin in nichts anderem besteht als in der Exekution der Geschäftsinteressen des Kapitals. Insofern gehört seine Schrift zu jener Abteilung marxisti scher Theorie, die mit dem Bekenntnis zur »ökonomischen Basis«, welche alles übrige »bestimmt«, dem speziellen Gegenstand sehr konsequent aus dem Weg geht und eine verkehrte »Bestimmung« der Politik vornimmt. Wie der Zusammenhang von Profitinteresse von Kapitalisten und Außenpolitik des ideellen Gesamtkapitali sten für Lenin aussieht, geht aus den wenigen Bemerkungen über das Verhältnis von Staat und Kapital im Imperialismus hervor: Die Rettung liegt im Monopol - sagten die Kapitalisten und gründeten Kartelle, Syndikate und Trusts; die Rettung liegt im Monopol - sekundier ten [!] die politischen Führer der Bourgeoisie und beeilten sich, die noch unverteilten Gebiete der Welt an sich zu reißen. (S. 830) Und auf dieser Grundlage ist das selbstkritische Bedauern im Vorwort ziemlich überflüssig - »Auf die nichtökonomische Seite der Frage werden wir nicht so eingehen können, wie sie es verdie nen würde« - , denn mit der Deduktion des Imperialismus aus M o nopol- und Finanzkapital ist Lenin der große Wurf gelungen, die 51
Notwendigkeit von Annexionen und Kriegen zwischen imperialj stischen Staaten als Abwicklung des Geschäfts darzustellen - ^ umgekehrt das internationale Geschäft für die jenseits aller staatli eben Aktionen und Mittel vollzogene Fortführung kapitalistischer Bereicherung auszugeben. Lenin behandelt den Weltmarkt sarnt den Verlaufsformen auswärtiger Politik auch gar nicht als Konsequenzen des kapitalistischen Privateigentums und seiner Beförde rung durch den Klassenstaat, sondern als Veränderung des Kapit^ lismus; und der unbestreitbare Dienst des Klassenstaats für den na tionalen Reichtum, den es nun einmal als Kapital gibt, erledigt sich für ihn - entsprechend dem Titel: der Imperialismus als Stadium mit den Neuerungen, die er dem Kapital zuschreibt. Ironischer, weise mündet das methodische Credo zum Marxismus - »die Öko nomischen Wurzeln« hätte man zu begreifen, die »Trennung« des politischen Überbaus von der ökonomischen Grundlage sei der Fehler irriger Auffassungen - in eine handfeste Revision gerade der Mantschen Erklärung der Ökonomie. Diese Revision beginnt bei Lenin mit der Entdeckung der Monopole. Das sind ökonomi sche Gebilde, die sich der Konkurrenz entziehen, was ihnen durch ihr gewaltiges Ausmaß gestattet wird. Lenin beruft sich zum Zwecke der Demonstration seiner Entdeckung, daß sich der Kapi talismus grundsätzlich geändert habe - »Die Konkurrenz wandelt sich zum Monopol« - , einerseits auf Äußerungen von Marx über Konzentration und Zentralisation, andererseits zieht er durchaus ungewöhnliche Schlüsse aus der Feststellung, daß die Größe des Kapitals ein Mittel des Geschäfts darstellt. Die Bewährung in der Konkurrenz ist nämlich etwas ganz anderes als ihre A bschaffung und daß das Monopol zum Ideal eines jeden Unternehmers wird, heißt noch lange nicht, daß dieses Ideal mit Preis- und Marktab sprachen erreicht wäre. Oder, um Lenin selbst dementieren zu las sen: die Konkurrenz (für andere, die es immerhin auch noch gibt!) wird erschwert und »das Monopol« ist eine Tendenz: Fast die Hälfte der Gesamtproduktion aller Betriebe des Landes liegt in den Händen eines Hundertstels der Gesamtzahl der Betriebe! Und diese drei tausend Riesenbetriebe umfassen 258 Industriezweige. Daraus erhellt, daß die Konzentration auf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung sozusa gen [!J von selbst dicht [!] an das Monopol heranführt. Denn einigen Dut zend Riesenbetrieben fällt es leicht, sich untereinander zu verständigen, während andererseits gerade durch das Riesenausmaß der Betriebe die Konkurrenz erschwert (!) und die Tendenz [!] zum Monopol erzeugt wird. 52
Diese Verw andlun g der Konkurrenz in das M onopol ist eine der w ichtig sten Erscheinungen - wenn nicht die wichtigste - in der Ö konom ik des modernen Kapitalism us [ . . . ] (S. 77 7 )
Weder die Statistiken über die Größe von Unternehmen noch die über die Anzahl von an der Konkurrenz beteiligten Firmen bewei sen den Übergang zu ihrer Abwesenheit; und noch viel weniger ist dieser Beweis mit Absprachen zwischen Konkurrenten zu führen, die sie als zeitweiliges Mittel für ihren Gewinn benützen. Das scheint auch Lenin zu wissen, weshalb er den Gegensatz von »vor übergehend« und »Grundlage« aufmacht: »Statt einer vorüberge henden Erscheinung werden die Kartelle eine der Grundlagen des gesamten Wirtschaftslebens.« (S. 780) Aber auch noch so viele, gezählte und beim Namen genannte »monopolistische Unternehmensverbände [?], Kartelle, Syndika te« belegen die »Ablösung der kapitalistisch freien Konkurrenz durch die kapitalistischen Monopole« nicht, und wenn einmal die Industrieschutzzölle, das andere Mal der Freihandel als Motor der Kartellbildung herhalten müssen (S. 778), so ist explizit von einem Mittel der Konkurrenz die Rede, dem Lenin freilich wieder die »monopolistische Tendenz« entlockt. Eisern hält er an dieser Ten denz fest, und daß ihn nicht die Logik dazu beflügelt, das Zeitalter j des Monopols - »der direkte Gegensatz zur freien Konkurrenz« (S. 838) - für angebrochen zu erklären, sondern eine eigenartige Sorte Moral, zeigen die Leistungen, die er den Monopolen nach sagt: »Riesengewinne« erzielen sie, und wenn dann doch lästige Konkurrenten das »direkte Gegenteil« hintertreiben, bedient das Monopol sich sogar des Verzichts auf Gewinn, geht zum Dumping über, durch das es »alle diejenigen ab würgt, die sich dem Mono pol, seiner Willkür [!] nicht unterwerfen.« (S. 785) Immer wieder gelingt es Lenin, aus Daten der Konkurrenz die Wucht der von keinerlei zahlungsfähiger Nachfrage, von keinerlei Marktschran ken behinderten Monster vor Augen zu führen: Willkür und A ll macht sind schließlich die recht unökonomischen Charakteristika der Monopole, ihre Rücksichtslosigkeit kennt keine Grenzen, Gewalt heißt ihr Motto - ganz als ob der liebe, auf »freier Konkur renz« beruhende »Frühkapitalismus« mit seiner alten Ökonomie eine Ansammlung von Respektbezeugungen für die Menschheit gewesen wäre: Das Flerrschaftsverhältnis und die damit verbundene Gewalt - das ist das Typische für die jüngste Entwicklung des Kapitalismus, das ist es, was aus 53
der Bildung allmächtiger [!] wirtschaftlicher Monopole unvermeidlich her vorgehen mußte und hervorgegangen ist. (S. 786) Dabei rühmt Lenin einen sehr bürgerlichen Menschen für den Terminus »Herrschaftsverhältnis«, den er ihm abnimmt, obgleich der zitierte Mann von Herrschaft einer Industrie (!) über eine an dere spricht. Und diese Manier, andauernd bürgerliche Kronzeu gen für seine Entdeckung des tiefgreifenden Wandels zum Mono. pol heranzuziehen, entspricht durchaus dem bürgerlichen und gar nicht revolutionären Gerede von den Großen, die machen, was sie wollen, dem sich ein Marxist besser nicht anschließt. Doch Lenin versteht es sehr gut, die moralische Verurteilung auf »marxistisch« vorzutragen. Nachdem er noch einmal die Konkurrenz bemüht hat, um die Gemeinheit der Monopole zu geißeln - »Um die Kon kurrenz aus einer derart einträglichen Industrie auszuschalten, wenden die Monopolinhaber sogar allerlei Tricks an [ ...] « (S. 786) schreitet er zum Schaden, den die Monopole anrichten, und zwar für die ganze Gesellschaft. Er nimmt die Ideologie der »Ausschaltung der Krisen durch die Kartelle« zum Anlaß, um den »chaotischen Charakter« des Kapitalismus zu verurteilen und den Hauptfeind Monopol verschärfend wirken zu lassen: Im Gegenteil, das Monopol, das in einigen [!] Industriezweigen entsteht, verstärkt und verschärft den chaotischen Charakter, der der ganzen kapita listischen Produktion in ihrer Gesamtheit eigen ist. (S. 787) Und wer hat von diesem Schaden den Nutzen? Die Monopole selbstverständlich, zumindest wenn Konzentration dasselbe ist wie Zentralisation und die wiederum dasselbe wie Monopol: »Die Krisen - jeder A n, am häufigsten ökonomische Krisen, aber nicht diese allein - verstärken aber ihrerseits in ungeheurem Maße die Tendenz zur Konzentration und zum Monopol.« (S. 787) So richtig verkommen deucht einen Marxisten freilich der Kapita lismus der Monopole erst dann, wenn er die historischen Plus punkte des Kapitalismus mehn, aber schließlich doch scheitert. Die Folge des Monopols ist ein gigantischer Fortschritt in der Vergesellschaftung der Produktion. Im besonderen wird auch der Prozeß der technischen Erfindungen und Ver vollkommnungen vergesellschaftet. Das ist schon etwas ganz anderes als die alte freie Konkurrenz zersplitterter Unternehmer, die nichts voneinan der wissen [...] annähernde Berechnung der Größe des Marktes [...] Die 54
q u alifizie rten
Arbeitskräfte
w erden monopolisiert, die besten Ingenieure
angestellt [ . . . ] ( S . 7 8 4 )
Aber so richtig in den Genuß der Vergesellschaftungsfortschritte Kommt die Menschheit dennoch nicht, trotz der Überwindung der Konkurrenz, die Lenin für einen Mangel ¿es Kapitals hält und nicht fiir den Motor der Akkumulation und die Klage von Kapitalisten, die gerade rationalisieren! Schließlich wird zwar die Produktion v e r g e s e lls c h a fte t, d i e Aneignung jedoch b le ib t privat (S. 784)-und so stehen dem »gigantischen technischen Fortschritt« durchaus „Stagnation und Fäulnis« gegenüber: lndemMaße, wie Monopolpreise, sei es auch nur vorübergehend [!l ein geführt werden, verschwindet bis zu einem gewissen Grade [\] der Antrieb zu technischem Fortschritt, [...] entsteht die ökonomische Möglichkeit [Ü], den technischen Fortschritt künstlich [!!!] aufzuhalten. (S. 848) So vollbringen die Monopole die Kunst, den Fortschritt, den sie selber organisieren, doch noch zu bremsen, laden auf die »übrige Bevölkerung« jede Menge Druck ab (S. 784), und die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus ist für die Epigonen schon zur Hälfte fertig. Jetzt ist nur noch der Vorwurf nötig, der Staat wurde sich für die M onopole stark machen - statt, wie es für einen echten Klassenstaat ziemlich wäre, für die Geschundenen, sprich »Unterprivilegierten« - , und schon geht die »soziale Revolution« imNamen der »Mehrheit« als Weg zur »antimonopolitistischen Demokratie« über die Ideenbühne. So ist zwar der Imperialismus noch gar nicht vorgekommen, aber dafür wurde eine neue Kapitalismuskritik im Namen von Marx aus der Taufe gehoben. Hilfestellung leistete die seit Engels immer wieder gerne aufgelegte Platte vom gesellschaftlichen Produzieren (gut!) und vom privaten Aneignen (schlecht!). Dieser beliebte Wi derspruch, der mit dem in der Warenanalyse bezeichneten Gegen satz von privater und gesellschaftlicher Arbeit herzlich wenig zu tunhat, beruht schon in seiner Urfassung auf einer hohen Meinung vomgesellschaftlichen Charakter der Produktion, für den der Ka pitalismus ein dickes Plus erntet, obwohl er diese Qualität mit jeder Produktionsweise teilt. Seine gesellschaftliche Form der Pro duktion, die Sache mit dem Privateigentum, das den Reichtum sei nenProduzenten als Kapital gegenüberstellt und sie für sich arbei ten läßt, gerät dann zur schlechten Seite des Kapitalismus, der ja wie alles vergänglich D ing zwei Seiten braucht. Bei Lenin wächst 55
sich diese Dialektik - die parteilich umgedreht übrigens Soziologie heißt: »Der Kapitalismus ist eine Gesellschaft«, lautet da Lehrsat* Nr. i , »Alles ist gesellschaftlich«, der Lehrsatz Nr. 2, und die fortschrittlichen Soziologen wähnen sich mit dem Anliegen, alles »ge. sellschaftlich betrachten zu wollen«, auch noch auf Marx’ Spuren zu einem neuen Stadium aus. Das Monopol, das angestrebt wird, um privaten Reichtum ausschließend gegen andere zu vermehren, macht alles gesellschaftlicher - schließlich findet immer mehr Ei gentum auch noch anderer für die gemeinsamen Zwecke Verwen dung - , so daß die private Aneignung erst richtig zum Himmel schreit. So ähnlich sieht es auch im Verhältnis von Unternehmer und Bankier aus. Jeder für sich ist ja schon nicht übermäßig schön; wenn sie aber verschmelzen und der eine des anderen Knecht wird - zumindest in der Ansicht eines Marxisten tritt der Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium. Zumindest gemäß Lenins be rühmtem zweiten Merkmal, dem Finanzkapital. Im bürgerlichen Kreditwesen entdeckt der Imperialismustheore tiker Lenin zwar auch nicht den Imperialismus, dafür aber Gele genheiten genug, der kapitalistischen Produktionsweise eine wei tere Tendenz zum Verwerflichen nachzusagen. Wie in der Abtei lung »Monopol« taugen die richtigen und bisweilen explizit dem Marxschen »Kapital« entnommenen Aussagen über ökonomische Vorgänge dazu nicht: So wenig, wie sich mit Bestimmungen über Konzentration und Zentralisation die Ablösung der Konkur renz und die neue Qualität des monopolistischen Kapitalismus dartun lassen, so schwer fällt es, mit Mitteln der Logik aus den Erklä rungen des Verhältnisses von Industrie- und Geldkapital eme Epo che des Finanzkapitals anbrechen zu lassen. Deshalb kommt der Fonschritt in der moralischen Verurteilung des Kapitalismus auch über andere, eben die bekannten Beweismittel zustande: Die Trennung des Kapitaleigentums von der Anwendung des Kapitals in der Produktion, die Trennung des Geldkapitals vom industriellen oder produktiven Kapital, die Trennung des Rentners, der ausschließlich vom Ertrag des Geldkapitals lebt, vom Unternehmer und allen Personen, die an der Verfügung über das Kapital unmittelbar teilnehmen, ist dem Kapita lismus überhaupt eigen. Der Imperialismus oder die Herrschaft des Fi nanzkapitals ist jene höchste Stufe des Kapitalismus, wo diese Trennung gewaltige Ausdehnung erreicht. (S. 813) Für eine neue Rolle des Bankkapitalisten und seiner »parasitären« 5*
Existenz sowie der von »Couponschneidern« gibt eine Wiedergabe von Bemerkungen zur Trennung von Geld- und Industriekapital nichts her; bei Marx ist in diesem Zusammenhang im übrigen von der Notwendigkeit der Trennung die Rede, deswegen auch von ih rer ökonomischen Funktion: durch den Kreditüberbau, der eben im Aktienkapital die Größe des Kapitals als Konkurrenzmittel erst so richtig zum Einsatz kommen läßt, erhält das Kapital die Frei heit, sich von seiner Anlage in einer besonderen Sphäre unabhängig zu machen, womit auch seine Bindung an besondere Personen und seine Verwurzelung in einem speziellen Gewerbe abgestreift ist. Daß Bankiers und Aktionäre von ihrem Geldkapital leben, war dagegen Marx ziemlich gleichgültig; eher schon schien ihm interes sant, daß sie dies auf Kosten der Arbeiterklasse tun - und sich darin von ihren industriellen Kollegen keineswegs unterscheiden. Den moralischen Maßstab guter, weil nützlicher, »die Produktion« be sorgender Kapitalisten anzulegen und damit den neuesten Stand der Ausbeutung zu kritisieren, ist nur dem Theoretiker geläufig, der den Fortschritt des Kapitalismus am »Niedergang« seiner herr schenden Klasse belegen will! Dabei besteht die »Neuerung«, wie gesagt, erst einmal im Aus maß einer für den Kapitalismus üblichen Sache. Lenin, der immer wieder mit dem »tiefen« und »tiefsten« Wesen des Imperialismus daherkommt, entdeckt selbiges in Statistiken und Schaubildern, die dem Leser angesichts gewaltiger Bankaktiva und der Unmen gen von zirkulierenden Wertpapieren die neue Ära vor Augen füh ren. Das fehlende Argument für eine Bestimmung des Imperialis mus gibt er, seinem Anspruch als Marxist treu, in einer dialekti schen Lesehilfe: Wir haben ausführlich statistische Daten angeführt, die zeigen, bis zu welchem Grade das Bankkapital angewachsen ist usw. und worin eben das Umschlagen von Quantität in Qualität, das Umschlagen des hochentwickelten Kapitalismus in Imperialismus seinen Ausdruck gefunden hat. (S. 839) Den dritten Schlag landet er mit Stellungnahmen bürgerlicher Ökonomen, die sich die Sorgen eines Teils der Geschäftswelt zu eigen machen und ungesunde Entwicklungen beklagen - wodurch er sich mit seinen »Schlußfolgerungen« in den Besitz unumstößli cher Tatsachen gesetzt haben möchte: Um dem Leser eine möglichst gut fundierte Vorstellung vom Imperialis mus zu geben, waren wir absichtlich bestrebt, möglichst viele Äußerungen 57
bürgerlicher Ökonomen zu zitieren, die sich gezwungen sehen, besonders unstreitbar feststehende Tatsachen aus der neuesten Ökonomik des Kap^ talismus anzuerkennen. (S. 839) Unter Anwendung dieser Hilfsmittel gelangt man freilich zu er staunlichen Einsichten über Herren und Knechte innerhalb der herrschenden Klasse. Banken sind etwas anderes, als sie scheinen* und zwar sind sie das, was sie sind, recht überdimensional, woran sich ihre Macht ablesen läßt: Die Bank, die das Kontokorrent für bestimmte Kapitalisten führt, übt scheinbar eine rein technische, eine bloße Hilfsoperation aus (...) [NUn kommt nicht etwa, wie bei Marx, der Begriff der Bank, nein:] Sobald aber diese Operation Riesendimensionen annimmt, zeigt sich, daß eine Hand voll Monopolisten sich die Handels- und Industrieoperationen der ganzen kapitalistischen Gesellschaft unterwirft, indem sie - durch die Bankverbin dungen, Kontokorrente und andere Finanzoperationen - die Möglichkeit erhält, sich zunächst über die Geschäftslage der einzelnen Kapitalisten genau zu informieren, dann sie zu kontrollieren, sie durch Erweiterung oder Schmälerung, Erleichterung oder Erschwerung der Kredite zu beeinflussen und schließlich ihr Schicksal restlos zu bestimmen. (S. 792) Ohne den geringsten Hinweis darauf, worum es zwischen Bank und industriellem Kapital geht, wenn Kapital verliehen und mit Wertpapieren gehandelt wird, kommt die Suche nach dem Subjekt, das alles beherrscht und in seiner Allmacht für den Imperialismus verantwortlich ist, ans Ziel. Fast kriegt man Mitleid mit den netten Herren Industriellen angesichts des Molochs Finanzkapital. Die armen Burschen müssen ihre Bücher herzeigen, wenn sie ihre Kre ditwürdigkeit unter Beweis stellen wollen - und nicht ihr Ge schäftsgang wird mit Hilfe des Kredits befördert, sondern ihr Schicksal wird restlos bestimmt! Nicht einmal der simple Gedan ke, daß auch die Bank von der Nachfrage nach Kredit »abhängig« ist und diese vom Geschäftsgang der Industrie, daß in der Konkur renz zwischen Geld- und Industriekapital also zwei Abteilungen der herrschenden Klasse ihren ökonomischen Erfolg bewirken und um den Anteil des produzierten Gewinns streiten, kommt da auf! Der anständigen industriellen Ausbeutung von einst stehen »dunkle und schmutzige« Machenschaften der Banken von heute gegenüber, statt eines ehrbaren Zinses gibt es wieder »Wucher«, womit die ökonomische Rolle des Kredits für die kapitalistische Produktion in seine moralische Niedertracht aufgelöst wäre. Zeitweise fragt man sich bei der Lektüre der Schrift, ob es über58
haupt noch Industrielle gibt - denn die Konkurrenz zwischen Geld- und produktivem Kapital, die beiden recht gut bekommt, existiert für Lenin eigentlich gar nicht: »Verschmelzung des Bank kapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzolig archie auf der Basis dieses Finanzkapitals« (S. 839). Womöglich würde er die Personalidentität von Banker und Industriellen auch als Beleg dafür nehmen, daß es die neueste Ökonomie zum Ver schwinden von Kredit und Fabrik gebracht hat, und wie seine Epi gonen darauf bestehen, daß sogar der arme Klassenstaat »unter der Fuchtel« des Finanzkapitals steht und sich verschulden »muß«! Aber die Beschwörung einer herrschenden Instanz, die mit ihrer Allmacht dem Rest der Gesellschaft einen fürchterlichen Tribut auferlegt, erfordert auch die Existenz von Opfern. Also gibt es ein »Übergewicht des Finanzkapitals über alle übrigen Formen des Kapitals«, eine »Vorherrschaft des Rentners und der Finanzoligar chie« - ein kleiner Hinweis darauf, daß noch die häßlichsten Schmarotzer auf Opfer angewiesen sind, ebenso wie die betrügeri schen Spekulanten etwas brauchen, worauf sie spekulieren kön nen. Womit auch die Albernheit des Lehrsatzes bestätigt wäre, der den Kapitalismus nicht durch seine Produktionsweise kennzeich net: »Für den Imperialismus ist ja gerade nicht das Industrie-, son dern das Finanzkapital charakteristisch.« Imperialismus ist für Lenin das Geschäft der Monopole. Finanz kapitalisten haben alles unter Kontrolle, im Innern der Nation »Deutschland wird von 300 Kapitalmagnaten regiert« - ebenso wie auswärts, wo sie sich allerdings begegnen und einen »imperialisti schen Kampf zwischen den größten Monopolen um die Teilung der Welt« (S. 825) veranstalten. Also gilt der Lehrsatz, daß jedes Phänomen internationalen Handels, jeder Vertrag zwischen Staa ten, jeder Krieg nur tm Beispiel für die Machenschaften der Mono pole, nur ein »Kettenglied« der »Operationen des Weltfinanzkapi tals« ist. Nachdem Lenin die Subjekte des Imperialismus gefunden hat, gibt er sich betont sachlich und nennt Zwecke und Mittel ihrer Taten: Die Kapitalisten teilen die Welt nicht etwa aus besonderer Bosheit unter sich auf, sondern weil die erreichte Stufe der Konzentration sie zwingt, die sen Weg zu beschreiten, um Profite zu erzielen; dabei wird die Teilung >nach dem Kapitals »nach der Macht< vorgenommen - eine andere Methode der Teilung kann es im System der Warenproduktion und des Kapitalismus nicht geben. (S. 827)
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Auf dieses Weise stellt der Imperialismus-Theoretiker klar, daß er zwar ständig mit ökonomischen und politischen Prozeduren eigner Art zu tun hat - »Kapital« und »Macht« jedoch die Klärung des Verhältnisses von Ökonomie und Politik angesichts der für ihn offenkundigen Sachlage für pure Haarspalterei er. achtet: Die Macht aber wechselt mit der ökonomischen und politischen Entwich lung (eine feine Entdeckung!); um zu begreifen, was vor sich geht, müg man wissen, welche Fragen durch Machtverschiebungen entschieden wer den; ob diese Verschiebungen nun »rein« ökonomischer Natur oder außerökonomischer (z. B. militärischer) Art sind, ist eine nebensächliche Frage, die an den grundlegenden Anschauungen über die jüngste Epoche des Kapitalismus nichts zu ändern vermag. Die Frage nach dem Inhalt des Kampfes und der Vereinbarungen zwischen den Kapitalistenverbänden durch die Frage nach der Form des Kampfes und der Vereinbarungen [heute friedlich, morgen nicht friedlich, übermorgen wieder nicht fried lich) ersetzen, heißt zum Sophisten herabsinken. (S. 827) Zwar verhalten sich Geschäft, Ausbeutung und Krieg keineswegs zueinander wie Inhalt und Form, zwar sind beim Profitmachen und Kriegführen ganz andere Subjekte am Werk - doch was inter essiert das schon! Dabei taugen noch nicht einmal die kolonialisti* sehen Belege für die Gleichung Politik = Geschäft der Monopole; wenn sich Frankreich und England um die Besetzung der südlichen Sahara streiten und Deutschland die namibische Wüste als Deutsch-Südwest ergattert, wenn der englische Staat mit dem por tugiesischen gute Beziehungen hat, wenn England mit Argentinien oder Ägypten Handelsbeziehungen unterhält, wenn Frankreich an Serbien Kriegsmaterial liefert - »letztlich« ist alles ein und dassel be. Lenin läßt die Monopole nach außen ihre Geschäfte noch mit ten im Krieg machen, ganz als ob ein Finanzkapital eine Eroberung »eventuell noch zu erschließender Rohstoffquellen« als Investi tionsgelegenheit betrachtet und nicht der Staat die Mobilmachung verordnet! Weshalb aufrechten Verfechtern Lenins immer dann, wenn die Gleichung Krieg = Profit angegriffen wird, auch immer die Spekulation auf die fiktive Akkumulation einfällt, die ein auf Waffengänge bedachter Staat ins Werk setzt- wenn nicht gleich die Rüstungsindustrie. Was zeigt also »die Epoche des jüngsten Kapitalismus« einem, der das Finanzkapital am Werke weiß und die politischen Führer als Sekundanten entlarvt hat? Eben dies, 60
»daß sich unter den Kapitalistenverbänden bestimmte Beziehungen her ausbilden [das ist sehr bestimmt!] auf dem Boden der ökonomischen Auf teilung der Welt, daß sich aber (!] daneben [!!] und im Zusammenhang [welchem denn?] damit zwischen den politischen Verbänden, den Staaten, bestimmte Beziehungen [schon wieder!] herausbilden auf dem Boden der territorialen Aufteilung der Welt, des Kampfes um Kolonien, des Kampfes um das Wirtschaftsgebiet.« (S. 827)
Wer so viel Bestimmtheit als Witz des Imperialismus akzeptiert und sich die Aufteilung der Welt gleich zweimal und im Zusam menhang vorstellen kann, dem leuchten auch die historischen Vergleiche ein, die Lenin für sein Stadium anstellt: »Für den alten Kapitalismus, mit der vollen Herrschaft der freien Konkur renz, war der Export von 'Waren kennzeichnend. Für den neuesten Kapita lismus [. . .] der Export von Kapital [. . .]« (S. 845)
An dieser gewichtigen historischen Entwicklung interessiert der Export, also die Tatsache, daß Waren und Kapital die Gren zen überschreiten zwischen Staaten, die sich um das Geschäft kümmern, es durch ihre Gewalt eröffnen, fördern oder behindern, am allerwenigsten. Die englische Kolonialgeschichte, die nun wirklich kein Tausch von Fertigfabrikaten gegen Rohstoffe war (wer hat mit welchen Mitteln diese Rohstoffe ab- und anbauen las sen; wie hießen denn die indischen Investoren, womit wurde be zahlt!), passiert da lässig als Handel, und für die Herrschaft der Monopole erfindet Lenin Anlagekriterien, die aus »rückständigen Ländern« kapitalistische Märkte mit niedrigen Preisen werden las sen: In diesen rückständigen Ländern ist der Profit gewöhnlich hoch, denn es gibt dort wenig Kapital, die Bodenpreise sind verhältnismäßig nicht hoch, die Löhne niedrig und die Rohstoffe billig. (S. 816)
Unerfindlich bei dieser Ökonomie auf dem Weltmarkt, wieso es zu sogenannten »unterentwickelten Ländern« gekommen ist, warum Kapitalisten ihre Mutterländer mit Industrie vollstellen und die billigen Arbeitskräfte Afrikas, die für 20 Pfennig pro Wo che zu haben sind, noch heute nicht benützen wollen und lieber verrecken lassen! Daß die erwähnten Länder es wegen der politi schen und ökonomischen Benützung durch kapitalistische Natio nen gar nicht zu einem »Markt« bringen, daß mit der Zerstörung der überkommenen Produktionsweise aus einem südamerikani61
sehen oder asiatischen Volk noch lange keine Ansammlung brauchbarer Arbeitskräfte wird, daß der Export von Kapital auch nicht »bis zu einem gewissen Grade die Entwicklung in den expor tierenden [!] Ländern zu hemmen geeignet ist« (S. 818) - das alles hätte Lenin auch merken können, ohne zu erleben, wie die Kon kurrenz der Monopole um die herrlichen Anlageplätze um die Konkurrenz von -zig Nationen ergänzt wird, die um Kapital- und Entwicklungshilfe nachsuchen. Nur hätte die simple Analyse der Gepflogenheiten, die den Weltmarkt, auf dem die Nationen für die Konkurrenz des Kapitals Sorge tragen, auszeichnen, die Perspektive ziemlich vermasselt. Lenins Einfall, die auswärtigen Geschäfte des Kapitals erstens für dasselbe wie Anlagen daheim vorstellig zu machen, und zweitens für besondersgwW/g in der Kalkulation auszugeben, ist ja nur die Fortsetzung seiner Lieblingsidee, daß der Monopolkapitalismus längst in Widerspruch zu seinen eigenen Prinzipien geraten ist. Ei nige seiner Grundeigenschaften schlagen längst in ihr Gegenteil um, so daß man nur noch von einem »parasitären«, »faulenden und sterbenden« Kapitalismus reden kann usw. - in jedem Kapitel be müht sich Lenin, die Verkommenheit und Uberfälligkeit des Im perialismus glaubhaft zu machen. Hier, beim Kapitalexport, schafft er es, die Freiheit der imperialistischen Nationen, aufgrund dev gelungenen Akkumulation von Reichtum - die auch den Staat mit den nötigen Mitteln ausstattet! - die ganze Welt auf ihre öko nomische, politische und militärische Benützbarkeit hin abzu klopfen, in pure Not zu verwandeln: Die Notwendigkeit der Kapitalausfuhr wird dadurch geschaffen, daß in einigen Ländern der Kapitalismus »überreif< geworden ist und dem Kapital (unter der Voraussetzung der Unterentwickeltheit der Landwirtschaft und der Armut der Massen) ein Spielraum für >rentable< Betätigung fehlt. (S. 816) Ausgerechnet die Phase des Kolonialismus, die Lenin erlebte, soll auf die Hilflosigkeit, auf einen Engpaß in der Akkumulation ver weisen. Der »Drang nach Gewalt und Reaktion«, der definitions gemäß dem Finanzkapital eigen ist, soll Zeichen des Niedergangs sein - und jede Eroberung ein neuer Ausdruck der Widersprüche, die sich verschärfen und verstärken. Wie alt doch die Theorie vom Papiertiger schon ist! In der Streitfrage der Arbeiterbewegung, in der Sache »Krieg & Frieden< wird Lenin auch nicht wegen seiner * tiefen« Einsichten in die politische Ökonomie des Imperialismus 6z
zum Gegner des Reformismus und der bürgerlichen Friedensillu sionen. Im Gegenteil: Seine Überzeugung, daß Finanz- und Mo nopolkapital einerseits den Niedergang des Kapitalismus repräsen^ tieren, andererseits deshalb aggressiv, eroberungssüchtig und weltherrschaftlich auftreten, um sich alles unter den Nagel zu rei ßen, bringt ihn auf seine Theorie von der Notwendigkeit des Krie ges. Seine Fehler in der Erklärung des Weltmarkts machen für dieziemlich blöde-Frage: »Ist Frieden möglich?« sogar jede Kenntnis der Gründe für Kriege, der Verlaufsformen des internationalen Geschäfts mit seinem spezifischen Dienst der Staaten fürs Kapital überflüssig. Krieg und Frieden gelten ihm beide als Mittel für die selbe Strategie der Eroberung, der Gier nach Beute; ja er geht sogar soweit, dabei den Frieden für den uneigentlichen Modus der Kon kurrenz zu halten und die Konkurrenz der Waffen als den der mo nopolistischen Profitmacherei angemessenen Weg zu bestimmen, zu dessen Charakterisierung er nicht einmal das Verhältnis von Staat und Kapital bemüht. Auch die Besetzung irgendwelcher Wü steneien rangiert unter der Rubrik des Extraprofits, im Zweifelsfall eines »möglichen« - und diese Irrtümer sind keineswegs mit den Fakten der kolonialen Eroberung zu entschuldigen. Der i. Welt krieg jedenfalls drehte sich nicht um die Eroberung neuer Lände reien . . . Daß ein moderner Krieg zwischen imperialistischen Staaten-und die bestreiten sich gegenseitig zunächst die Mittel ihrer Souveräni tät und dann, in der Konkurrenz der Waffen, wo nur noch militä risch »kalkuliert« wird und nicht kaufmännisch, die Souveränität selbst - materiellen Zugewinn bringen oder wenigstens verheißen müsse, ist die revisionistische Manier, den ökonomischen Grund der staatlichen Gewalttätigkeit zu behaupten. Daß ein Klassenstaat bei seinen Diensten fürs Kapital, bei denen das Militär auch in Friedenszeiten eine gewichtige Waffe der Konkurrenz darstellt, auf die Schranke eines anderen Souveräns trifft, der sich eine wech selseitige >Abhängigkeit< und >Benützung< nicht mehr leisten kann und will - diese schlichte Wahrheit, die den Frieden bisweilen so aufrüstungsträchtig macht, wollen Anhänger der Leninschen Im perialismustheorie auch heute noch nicht wahrhaben. In genauer Umkehrung des Dogmas, ausgerechnet der Krieg müsse die K on ten von Geschäftsleuten bereinigen, vermißt ein solchermaßen aufgeklärter Mensch mit seinem Dogma gleich jeden Nutzen des Kriegs, leugnet den Materialismus des Staates und weist den
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Der Frieden einer Weltwirtschaftsordnung i. D er »freie Westen« Der »freie Westen« ist alles andere als eine Fiktion. Wie offen* kundig ideologisch auch immer der in dieser Bezeichnung behaup tete Idealismus einer ganzen Hemisphäre verwendet wird und wie ehrenrührig so manches Zerwürfnis zwischen ihren maßgeblichen Führern ausgetragen werden mag: was da als kollektives Subjekt der Freiheit in der Staatenwelt verstanden sein will, ist ein Staaten bündnis von bemerkenswerter Wucht und Stabilität. i. Bekanntlich handelt es sich dabei auf der einen Seite um ein Kriegsbündnis, das seine Anstrengungen, weltweit jeden erdenkli chen Waffengang siegreich bestehen zu können, auf die Annahme einer permanenten Angriffsdrohung der Sowjetunion und ihrer Verbündeten gegen alle anderen wichtigen Staaten, insbesondere eben die des »freien Westens«, gründet. Laut NATO-Vertrag, dem wichtigsten Gründungsdokument des »freien Westens«, rela tiviert sich der eigens betonte »Wunsch« der beteiligten Staaten, »mit allen Völkern und allen Regierungen in Frieden zu leben«, an ihrer >Entschlossenheit<, »die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demo kratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts be ruhen, zu gewährleisten«; in deren Namen sagen sie sich wech selseitig nicht bloß Unterstützung im Ernstfall, sondern auch gemeinschaftliche Vorbereitung des Ernstfalls zu. Es ist also erklär termaßen eine »Systemfrage«, politische Herrschaft nämlich ge mäß den rechtlichen Formen und den Prinzipien der Demokratie, um derentwillen die Bündnisstaaten sich verpflichten, gemein schaftlich Krieg zu führen. Klargestellt ist damit quasi nebenher, daß es sich bei den ominösen demokratischen Prinzipien westli cher Zivilisation und der hier gemeinten »Freiheit der Person« um staatliche Anliegen von solchem Rang handelt, daß dafür durchaus das Leben der Bürger ins Kalkül zu ziehen und in die Pflicht zu nehmen ist - also nur sehr bedingt um freudenerregende Begleit umstände des Erdendaseins. Bemerkenswerter ist hier allerdings der Umstand, daß der Vertrag nicht die nationale Souveränität der 66
Partnerstaaten als solche zu dem höchsten Zweck erklärt, zu des sen Verteidigung die Bündnispartner einander beistehen wollen wie in »normalen«, »klassischen« Defensivallianzen, die daher auch im Unterschied zur N A TO den Streit um die Definition des Bündnisfalls sowie um Garantien für die Hilfe der Partner im merzu zum Inhalt haben. Als der Kriegsgrund schlechthin und damit als höchster und letzter nationaler Zweck der Partner gelten vielmehr Abstraktionen, die scheinbar bloß die Form und die inne ren Ideale einer nationalen Staatsgewalt betreffen - dem Anschein nach ein offener Widerspruch zu der allgemein bekannten, in Not standsgesetzen jedenfalls bekanntgemachten und kodifizierten Selbstverständlichkeit, mit der eine nationale Staatsgewalt späte stens im Ernstfall die Prinzipien von Recht, Demokratie und »Freiheit der Person« ihrer Selbstbehauptung und -durchsetzung unterordnet. (Von den für die Zwecke der N A TO brauchbaren und ihr befreundeten Diktaturen soll hier bewußt nicht die Rede sein!) Bei allem offensichtlichen Idealismus der diplomatischen Redeweise stellt der Bündnisvertrag damit doch eines klar: die Verpflichtung der Kriegspartner auf einen Supranationalismus, der sich keineswegs erst nach Eintritt des Ernstfalls, bedingt also, gel tend machen soll, sondern schon vorher den beteiligten Souve ränen als Richtschnur ihrer äußeren wie sogar ihrer inneren Politik gelten will. In diesem Sinne nimmt der Artikel 2 ausdrücklich von den nationalen Sonderinteressen und der fortdauernden Konkur renz der Partnerstaaten Notiz, um deren Belanglosigkeit zu dekre tieren: »Sie [sc. die Vertragspartner] werden bestrebt sein, Gegen sätze in ihrer nationalen Wirtschaftspolitik zu beseitigen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen einzelnen oder allen Vertragspartnern zu fördern.« In Artikel 3 räumen die Beteiligten einander explizit die Freiheit ein, sich im Interesse des Bündnis zwecks in die inneren Angelegenheiten der anderen einzumischen: »Um die Ziele dieses Vertrages besser zu verwirklichen, werden die Parteien einzeln und gemeinsam durch ständige und wirksame Selbsthilfe und gegenseitige Unterstützung die eigene und die ge meinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe erhalten und fortentwickeln.« Und Artikel 8 erklärt das NATO -Bündnis zum verpflichtenden Kriterium für alle anderweitigen außenpoliti schen Aktivitäten der Partner: »Jeder vertragschließende Staat er klärt, daß keine der internationalen Verpflichtungen, die gegen wärtig zwischen ihm und einem anderen Vertragsstaat oder einem
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dritten Staat bestehen, den Bestimmungen dieses Vertrags wider, sprechen, und verpflichtet sich, keine diesem Vertrag widerspre. chende internationale Verpflichtungen einzugehen.« Mit der wechselseitigen Zusage, im Ernstfall gemeinsam gegen die Sowjet, union anzutreten, erlegen die Staaten des »freien Westens« sich in diesem Vertrag also wechselseitig die Pflicht auf, schon vorweg und überhaupt, nicht bloß militärisch, sondern auch wirtschafts. politisch zu kooperieren und den Gebrauch ihrer nationalen Sou. veränität einem supranationalen Kriterium unterzuordnen: dem weltweiten Erfolg der westlichen Demokratie. 2. Welcher nationale Materialismus sich mit diesem militanten Supranationalismus im Namen der Freiheit verbindet, darauf gibt schon der zitierte Artikel 2 des NATO-Vertrags einen Hinweis^ und erst recht das rege »politische Leben«, mit dem der »freie Westen« dessen Intentionen erfüllt hat. Die westliche Staatenge, meinde stellt sich nämlich - zweitens - dar als eine internationale Wirtschaftsgemeinschaft. Die Staats- bzw. Regierungschefs der sechs wichtigsten NATO-Partner sowie des fernöstlichen Vorpo stens des »freien Westens«, der Ministerpräsident von Japan, ha ben jedenfalls ihre periodischen Zusammenkünfte unter dem Titel »Weltwirtschaftsgipfel« institutionalisiert und über die Aufgabe, deren Bew'ältigung sie sich dort widmen, nach ihrem Treffen vom Juli 1981 in Ottawa folgende grundsätzliche Auskunft gegeben: 1. Wir sind in einer Zeit tiefgreifenden Wandels und großer Herausforde rungen für den wirtschaftlichen Fortschritt und den Frieden in der Welt zu sammengetroffen... Wir wissen, daß Wirtschaftsfragen die politischen Zielsetzungen, die wir teilen, sowohl widerspiegeln als auch beeinflussen. In einer Welt gegenseitiger Abhängigkeit bekräftigen wir erneut unsere gemeinsamen Ziele und die Anerkennung der Notwendigkeit, dabei die Auswirkungen der von uns verfolgten Politik auf andere zu berücksichti gen. Wir vertrauen in unsere gemeinsame Entschlossenheit und Fähigkeit, unsere Probleme im Geiste gemeinsamer Verantwortung sowohl zwischen uns als auch mit unseren Partnern in aller Welt in Angriff zu nehmen. 2. Die Hauptaufgabe, der wir uns auf diesem Treffen zuwandten, war die Not wendigkeit, die Volkswirtschaften der Demokratien unter den Industrie ländern wieder zu beleben, um die Bedürfnisse unserer eigenen Völker zu befriedigen und den Wohlstand in der Welt zu festigen. Was immer man sich sonst noch als außenpolitischen Zweck eines Staates denken mag: sei es »Völkerfreundschaft« oder »Macht«, z. B. über einen Nachbarn, sei es die Sicherung spezieller Handels-
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Privilegien oder die Vergrößerung des nationalen Territoriums, sei es schließlich sogar die Ölversorgung oder »die Weltrevolution« das alles sieht ziemlich provinziell oder reichlich idealistisch aus neben dem Materialismus jener weltweiten »Verantwortung«, zu der die Teilnehmer des »Gipfels von Ottawa« sich da bekennen. »Die Weltwirtschaft« ist tatsächlich eine Frage ihrer Entscheidun gen, und sie setzen die maßgeblichen Bedingungen für den »Wohl stand in der Welt«; die wirtschaftspolitischen Maßnahmen eines jeden der versammelten Souveräne betreffen die Volkswirtschaften der anderen wie überhaupt die »Partner in aller Welt« wesentlich, weil von den Erfolgen ihrer nationalen Ökonomien »die Weltwirt schaft« ihrerseits abhängt; füreinander wie für den Rest der Welt haben ihre Beschlüsse folglich die Wucht und Unwidersprechlichkeit Ökonomischer »Sachzwänge«: das sind die Tatbestände, um deren Durchsetzung die politischen Führer der sieben wichtigsten »Demokratien unter den Industrieländern« sich nicht etwa erst kümmern müßten, von denen sie vielmehr als völlig selbstver ständlichen Gegebenheiten ausgehen. Daß sie dabei immerzu weltwirtschaftlichen Behinderungen oder gar Gefährdungen ihrer nationalen Ökonomien entgegenzutreten hätten, wie es insbesondere von deutscher Seite für den demokrati schen Hausgebrauch dargestellt zu werden pflegt, kann nicht die Wahrheit über die weitreichende »Verantwortung« der Gipfelteil nehmer sein. Denn schließlich setzt die Behinderung oder Gefähr dung einer nationalen Ökonomie durch die Wirtschaft anderer Länder ja allemal Aktivisten dieses Verhältnisses voraus, die ein re ges positives Interesse an den Produkten und Produktionsprozes sen auswärtiger Volkswirtschaften haben und auf deren Benutzung abonniert sind. Und darüber, daß dieser weltweit ausgreifende »Unternehmungsgeist« in ihren Ländern zu Hause ist, lassen die Führungsfiguren der »freien Welt« keinen Zweifel. Uber deren heimische Ökonomien ist damit auch schon klargestellt, daß sie als Basis ihres weltweiten Engagements auch die Mittel für eine schrankenlose Benutzung der ökonomischen Potenzen anderer Staaten und Ökonomien hervorbringen und reproduzieren. Um mit dem eigenen Interesse an ihr der ganzen Welt ihre ökonomi schen Bedingungen zu setzen, um sie nicht bloß ideell, sondern praktisch in die »Welt gegenseitiger Abhängigkeit« einzubeziehen, bedarf es eines nicht bloß zeitweilig überschüssigen Reichtums, ei nes dauerhaften Erfolgs bei der zunehmenden Ansammlung von 69
nationaler »Wirtschaftskraft«. Es können also auch nicht - wie ausgerechnet linke Imperialismustheorien gern vermuten Schwierigkeiten, gar zunehmende, mit dem einheimischen Wirt. schaftskreislauf der großen, maßgeblichen Demokratien oder so gar dessen Krisen sein, durch die ein nationales Unternehmertum auf die Benutzung der Ökonomien fremder Staaten verwiesen würde. Wenn es denn schon ein »Problem« sein soll, aus dem das praktizierte Interesse an aJJem erwächst, was sich ökonomisch auf dem Giobus tut, so handelt es sich um das süße Problem einer fort dauernden Akkumulation wachsenden produktiven Reichtums, dem die Schranken der eigenen Nation zu eng werden und der die Freiheit des Vergleichs eröffnet-und damit, wenn man so will, er zwingt ob seine Verwendung im Verkehr mit einem Ausland nicht viel mehr lohnen könnte als daheim. Die Sorge um das loh nende Wachstum des produktiv verwendbaren Reichtums ihrer Volkswirtschaften ist der materielle Inhalt jener weltweiten öko nomischen »Verantwortung«, aus der die Führungsmächte der »freien Welt« ihre selbstverständliche politische Zuständigkeit für die Geschicke der gesamten Staatenwelt ableiten. 3. Die Freiheit der politischen Souveräne hinsichtlich der mate riellen Grundlage und Zwecksetzung ihrer Weltpolitik ist also nicht zu übersehen. Schließlich sind Regierungschefs oder Staats präsidenten keine Geschäftsleute; auf ihren Weltwirtschaftsgipfeln wird weder Handel getrieben noch über Produktion und Vertei lung nützlicher Güter befunden, geschweige denn der materielle * Wohlstand der Welt« in die Wege geleitet. Sie kehren nicht mit ei nem weltumfassenden Produktionsplan heim, sondern mit Ab sprachen über die Beeinflussung von Zinssätzen und Inflation, über die »Erholung des Arbeitsmarkts« und die Perspektiven des Wirtschaftswachstums, über die staatlichen Haushaltsdefizite und das internationale Bankensystem; Absprachen, die durchaus auch geschäftsschädigende Elemente enthalten. Nicht als einfache Ge schäftsleute, sondern als Repräsentanten jener höchsten Gewalt, mit der sie wirtschaftspolitische Bedingungen setzen, treten sie ge geneinander an und verhandeln um die Freiheiten, die sie dem Un ternehmungsgeist ihrer einschlägig interessierten und engagierten Bürger verschaffen wollen bzw. dem der auswärtigen Geschäfts leute einräumen sollen, sowie um die vor- und nachteiligen Konse quenzen, die sich daraus für die nationalen wie internationalen Aktivitäten ihrer Geschäftsleute ergeben. Gerade wo sie ganz sou 70
verän über die Bedingungen allen Wirtschaften in der Welt befin den, beziehen die Chefs der westlichen Demokratien sich auf die Interessen und Forderungen des nationalen Wirtschaftslebens und. seiner Macher wie auf ein Ensemble von Aufträgen und Sachgesetzen, an denen sie sich orientieren müssen; und umgekehrt: gerade wo sie als bloße Exekutoren gewisser ökonomischer Erfordernisse auftreten, wahren und praktizieren sie die souveräne Freiheit der höchsten politischen Gewalt, die der heimischen und auswärtigen Geschäftswelt ihre »Orientierungsdaten« setzt. Mit diesem Begriff eines freien Materialismus der demokratischen Staatsgewalt, auch in ihrem weltpolitischen Agieren, löst sich auf der einen Seite in einer ersten Hinsicht die in Punkt i angemerkte Paradoxie auf, daß diese Staaten in den Gründungsurkunden ihrer Bündnisse die Prinzipien ihres Regierungssystems zum obersten Zweck ihrer Weltpolitik deklarieren. Mit »Recht«, »Freiheit der Person« usw. ist eben insoweit kein bloßer diplomatischer Idea lismus ausgedrückt, sondern die Eigenart des souveränen Materia lismus dieser Staatsgewalten angedeutet, wie diese Abstraktionen die tatsächliche Anerkennung der volkswirtschaftlich maßgebli chen Interessen einer nationalen Gesellschaft durch ihre politi schen Gewalthaber oder umgekehrt: den Status der staatlichen Herrschaft als politischer Sachwalter und damit als ideelles Subjekt der Summe der ökonomischen Unternehmungen ihrer Bürger meinen und darin ihren materiellen Inhalt haben. Indem sie sich selbst voreinander und sich wechselseitig auf die »Prinzipien der Demokratie« verpflichten, bekennen die Souveräne der westlichen Welt sich zu einem Staatsmaterialismus, der seine Grundlage im weltweiten Erfolg derjenigen unter ihren Bürgern hat, von denen ihre Volkswirtschaft unmittelbar praktisch abhängt; und zwar auch in ihren Beziehungen untereinander und zum Rest der Staa tenwelt. Eben damit ist auf der anderen Seite klargestellt, daß der Standpunkt der staatlichen Souveränität mit dem jener Geschäfte, auf die ihr Materialismus sich gründet, nicht zusammenfällt. Wenn es ihr um die Grundlagen auswärtiger Geschäftemacherei geht, dann muß sie sich eben nicht um die praktische Benutzung der fremden Volkswirtschaft kümmern, sondern um die Zustimmung der auswärtigen souveränen Gewalt dazu; ihr »Geschäft« ist die Si cherstellung der »KooperationsWilligkeit« fremder Souveräne, die prinzipielle Garantie der Benutzbarkeit ihrer hoheitlichen Gewalt im eigenen Interesse. Und dieser Zweck, die Willensbildung einer 7i
fremden Staatsgewalt entscheidend »beeinflussen« zu können macht den praktischen Idealismus demokratischer Außenpolitik und Diplomatie aus, einen Idealismus, der eine sehr materielle Rücksichtslosigkeit gegen den ökonomischen Inhalt und Zweck des so hergestellten Weltzusammenhangs einschließt. Vom Stand, punkt des staatlichen Souveräns aus geht die demokratische »Dienstbarkeit« der politischen Gewalt für ihre ökonomische ßa. sis einher mit ihrer selbstverständlichen Freiheit, die hergestellten ökonomischen Beziehungen in dieser »Welt gegenseitiger Abhän gigkeit« für die Gewinnung und diplomatische Erpressung auswärtiger Souveräne zu benutzen, auch wenn das auf Kosten der hergestellten Geschäftsbeziehungen geht. 4. In hier noch sehr allgemeiner Form zeigt sich damit die weit, politische Logik, kraft derer die beiden Aktionsbereiche des »freien Westens«, die Regelung der militärischen und der ökonomi schen Beziehungen der beteiligten Staaten untereinander und zum Rest der Welt, zusammengehören. Es erscheint paradox, daß die Bündnispartner dieser Hemisphäre ihre Sorgen um die »Freiheit der Person« etc. offiziell und verbindlich zum gemeinsamen Kriegsgrund erklären; und zwar nicht bloß vom Standpunkt der Il lusion, diese Freiheit als Beitrag zum wirklichen individuellen Wohlergehen aufzufassen - so betrachtet wäre diesbezügliche Kriegsbereitschaft ein Paradox! -, sondern auch unter dem Ge sichtspunkt des dazugehörigen Materialismus des weltweiten Geschäfts. Dessen Unterordnung unter die gewaltsame Gewährlei. stung seiner Freiheit ist aber erstens eine Notwendigkeit des öko nomischen Internationalismus: Wo fremde Gewalt die Schranken losigkeit nationaler Reichtumsvermehrung beschränkt, muß die politische Gewalt die Freiheit besitzen, die eigene Gesellschaft und deren Reichtum für ihre Durchsetzung gegen die fremde Gewalt zu benutzen. Und wo der Nutzen einer erfolgreichen Volkswirtschaft somit immer auch eine Gewaltfrage ist, da ist die Freiheit der Staatsgewalt nicht bloß ein notwendiges Erfordernis, sondern zweitens - die Wahrheit des weltweit ausgreifenden Geschäfts gangs: Eben weil die souveräne Gewalt die Stärkung ihrer materiel len Basis durch den nützlichen Zugriff der eigenen Volkswirtschaft auf alle auswärtigen Ökonomien als ihren bestimmenden Zweck verfolgt, deswegen hat das nationale Wirtschaftswachstum sein maßgebliches letztes Kriterium in der weltweiten Durchschlags kraft der politischen Herrschaft, die darauf beruht. Es ist also kein 72
Zufall, daß der Verein von Staaten, der mit seinen Entscheidungen die W eltwirtschaft regelt, sich auf der Grundlage eines Weltkrieges mit eindeutigem Ausgang als ein von der Hauptsiegermacht ge gründetes Kriegsbündnis konstituiert hat, das bereits in Friedens zeiten intern immerzu den Bündnisfall praktiziert: Weltwirtschaft in einer Welt von Staaten ist ohne eindeutige Antworten auf die täglich fälligen Gewalt»fragen« nun einmal nicht zu haben. Sozial demokratische Idylliker des friedlichen und harmlosen Handels und Wandels liegen da ebenso schief wie alle Hoffnungen auf die Unmöglichkeit bedeutender Kriege wegen deren unverantwortbarer Kosten: w ofür hätten die maßgeblichen Souveräne dieser Welt denn »Verantwortung« zu tragen, worum sich zu sorgen und zu streiten, wenn ihr nationaler Materialismus eine selbstgenügsame Angele genheit wäre? Ebenso irren sich »Stamokap«-Theoretiker, die den außenpolitisch agierenden Staat als Gefangenen seines nationalen H andels-, Finanz-, Rüstungs- oder sonstigen Kapitals und der ein schlägigen Lobbies vorstellen: wie könnte eine demokratische Staatsgewalt ihrer weltweit engagierten Ökonomie den politischen »Dienst« leisten, mit dem sie ihren Eigennutz befördert, ohne Souveränität, und zwar bis hin zur zeitweiligen Rücksichtslosig keit auch gegenüber den herrschenden Interessen in ihrer Gesell schaft? Um gekehrt ist es auch kein Zufall, daß die Demokratien des We stens, die sich zur Verteidigung der »Freiheit der Person« etc. zu einem schon im Frieden aktiven Kriegsführungs- und -vorbereitungsbündnis zusammengetan haben, die Kontrolle der Weltwirt schaft zum erstklassigen Gegenstand ihrer weltweiten »Verant wortung«, nämlich zu ihrem Hauptziel neben dem Weltfrieden er klärt und gemacht haben: Politische Maßgeblichkeit in der ganzen - Welt wäre auch für die kräftigste Militärallianz ein leerer Zweck und daher auch nicht wirklich zu haben, bliebe vielmehr ein bloßer gewalttätiger Idealismus, wenn die maßgeblichen Demokratien nicht ein materielles Interesse an der Benutzung fremder Länder zu vollstrecken hätten und wenn sie nicht auf dieser Grundlage dem ökonomischen Materialismus der restlichen Souveräne seine »sachgesetzlichen« Bedingungen setzen könnten. Falsch ist daher auch der übliche, in populären Länderkunden wie in politologischen Lageanalysen beliebte »Pluralismus« in Sachen internationa ler Politik, der in der »komplexen Vielfalt« weltpolitisch relevanter »Bedingungs-« und »Einflußfaktoren« sowie des »Ringens« der 73
Staaten um »Macht«, »Einfluß« und die große Völkerfamilie den Materialismus demokratischer Außenpolitik nicht mehr will ausmachen können.
2. »Handel und Wandel« weltweit Die Verfahrensweisen der Benutzung, die die weltwirtschaftlich »verantwortlichen« Nationen des »freien Westens« einander und dem Rest der Welt angedeihen lassen, sind weltweit praktizierte »freie Marktwirtschaft« - und erscheinen nur deswegen manchem Beobachter so »komplex« bis zur Unverständlichkeit, weil sie be sonders wenig Raum lassen für die so beliebten ideologischen Ein bildungen über die menschenfreundlichen Zwecke dieser Wirt schaftsweise. i . »Der Mensch« ist nämlich überhaupt nicht das zwecksetzende Subjekt einer modernen Volkswirtschaft - und des dazugehörigen Außenhandels schon gar nicht. Zwar ist es ihm durchaus erlaubt, ja es wird ihm sogar täglich durch die demokratische Weltöffentlich keit angetragen, die ganze Welt in der Kategorie des »wir« aufzu fassen, also von »unseren« Erdölquellen in Nahost, »unseren« Handelsbeziehungen mit den USA, »unserer« Konkurrenz mit den Japanern und »unseren« Interessen in Ungarn, Madagaskar und Peru zu reden. Und auch praktisch bekommt er mit allen die sen Weltregionen zu tun - bloß eben: wie? Ein zivilisierter Arbeitnehmer von heute darf sich unbesehen sicher sein, daß seine Firma auch für seinen Arbeitsplatz das Hantie ren mit exotischen Rohstoffen, mit Halbfabrikaten aus »Billig lohnländern«, an Maschinen von auswärtigen Anbietern genaue stem durchkalkuliert hat und ihn so ganz ungefragt nach Bedarf zum praktizierenden Kosmopoliten macht. Mit den Importerfol gen ausländischer Konkurrenz ebenso wie mit den E x p o r t v e r pflichtungen« des eigenen Betriebs wird er sehr wirksam in seiner doppelten Eigenschaft als kaum noch zu verantwortender Kosten faktor und als viel zu schonend behandelter Leistungsträger seines Betriebs bekannt gemacht. Seinen Lohn bekommt er nur in inlän dischen Kreuzern, nie in ausländischen Gulden ausgezahlt; wenn aber der Wechselkurs schwankt, dann ist das für die Firma Anlaß genug, ihm für mehr Leistung weniger Lohn zu zahlen - sei es, weil sie »sparen« muß, sei es, weil sie sich Rationalisierungen leisten 74
kann. Die Erfolge, zu denen er mit preiswerter Arbeit seinen Ar beitgebern in deren ständigem »Existenzkampf« um weltweite Einkaufsgelegenheiten und Absatzchancen verhilft, schaffen die sen die Freiheit, seine Ersetzung durch »arbeitssparende«, nämlich lohnkostensenkende Maschinerie oder durch die ebenso lohnkostensenkende »Schaffung von Arbeitsplätzen« in südlicheren Re gionen ins Kalkül zu ziehen - seine Gewerkschaft beschwert sich dann über »die Japaner«, weil die damit angefangen haben, und über »die Taiwanesen«, weil die es so billig machen. Immerhin helfen andere Abteilungen der nationalen Außenwirt s c h a ft dem »kleinen Mann« beim Sparen; heutzutage entgeht keine tropische Frucht mehr so leicht ihrer Überprüfung durch einen gewitzten Importeur daraufhin, ob sie nicht als preiswerter Vita minspender gegen die zunehmend unerschwinglichen Produkte des Obstanbaus in den gemäßigten Zonen eine Marktchance hat. Daß die Veranstalter dieses Geschäftszweiges es allerdings über haupt nicht auf die Schonung seines Geldbeutels abgesehen haben, macht die Großzügigkeit klar, mit der sie bei ihrer Preisgestaltung die Spanne zwischen dem Gestehungspreis ihres Artikels und dem Marktpreis möglicher Alternativprodukte nutzen - speziell wenn es, wie im Falle des Benzins, solche Alternativen nicht gibt und der Konsum des fraglichen Saftes dank einer zielstrebigen Verkehrspo litik für den sparwilligen Menschen zur ökonomischen Notwen digkeit geworden ist. Unter derartigen - vom Importeurstand punkt viel zu - selten günstigen Bedingungen wird dann sogar der Fiskus zum Teilhaber am Monopolpreis und trägt so auf seine Weise zu der Klarstellung bei, daß die »Kaufkraft« des »kleinen Mannes« nicht dazu da ist, auf Grund von Vorteilen eines weltwei ten Einkaufs von Konsumartikeln zu wachsen - solches bleibt der »Investitionsbereitschaft« derjenigen »Wirtschaftssubjekte« Vor behalten, deren Erdölverbrauch unter dem Titel »Energiekosten unserer Wirtschaft« so viel Einfluß auf die Konkurrenzfähigkeit des nationalen Unternehmertums hat! »Massenkaufkraft« gibt es, damit die maßgeblichen Subjekte der nationalen Ökonomie sie für ihr Geschäft benutzen können. Dasselbe gilt, sobald der massen hafte Verbrauch billigerer ausländischer Radios und Fotoapparate, erst recht von Autos die einschlägigen Heimatindustrien in ih rem Absatz beeinträchtigt: dann soll der Mensch national denken beim Einkäufen; kommt es doch zu einem Defizit in der Handels bilanz, weil der Preis für die Masse der Konsumenten nun einmal 75
das ausschlaggebende Einkaufsargument ist, dann haben ausge. rechnet »wir alle« »über unsere Verhältnisse gelebt«! Deswegen sollte am besten gleich der Staat durch Zölle, Importkontingente und dergleichen den Menschen Patriotismus lehren - etwas ande res ist es natürlich, wenn ein heimischer Fabrikant Produktionsabteilungen ins rentablere Hinterindien verlagert und der Import eine Art weiträumigen Werksverkehr darstellt. Kurzum: wie überhaupt die gesamte Marktwirtschaft, so dreht sich auch die gesamte Außenwirtschaft einer weltweit aktiven Na-» tion um »den Menschen«: um die lohnende Benutzung seiner Arbeitskraft ebenso wie seiner »Kaufkraft«. Für die Abwicklung die ser Geschäfte braucht er daher auch gar nicht weiter gefragt zu werden. Er steht ja sowieso »im Mittelpunkt«. 2. Vom maßgeblichen Zweck einer kapitalistischen »Binnen wirtschaft« unterscheidet der ihrer äußeren Abteilung sich also überhaupt nicht - wie auch! Es geht um Geld, genauer: um die Vermehrung des in den außenwirtschafdichen Operationen einge setzten Kapitals. Die ideologisch deklarierten »eigentlichen« Zwecke: »Schaffung von Arbeitsplätzen« durch Export, »Versor gung der Bevölkerung« durch Import, blamieren sich an der klei nen Fußnote, der so uninteressanten, banalen und doch völlig un erläßlichen »Bedingung«, daß ein Geschäft dabei natürlich schon herausschauen muß. Die Vorstellung, es wäre der glückliche Kun de, der als versorgter Endverbraucher das Geschäft macht, oder der »Arbeitsplatzbesitzer«, der mit diesem »Besitz« seinen Ge schäftserfolg bewerkstelligte, ist in Import- und Exportangelegen heiten allenfalls noch offenkundiger albern als beim inneren Han del und Wandel. Wie sonst auch sind Nutznießer und Benutzte die beiden verschiedenen Parteien des Geschäfts; und dieses erfüllt sich - eine so offenkundige und doch so gern als allzu »vorder gründig« oder »eindimensional« geleugnete Trivialität des öko nomischen Alltagslebens im »freien Westen« - in einer vergrößer ten Geldsumme, die Ausgangspunkt für die erneuerte Mehrung des in Geld nicht nur gemessenen, sondern »rein« vorliegenden Reichtums ist. Zahlung, und zwar in hinreichender Höhe, ist also die erste Be dingung jeglichen Ex- und Imports. Ihr verdankt die Menschheit das zur Gewohnheit gewordene Nebeneinander erlesener Formen der Armut und des Überflusses in Gestalt der »Schweine-« und »Butterberge«, der »Autohalden« und »überfüllten Farbfernseher 7*
lager« und der »weltweit unausgelasteten« Stahlerzeugungs- wie Transport-»Kapazitäten«. Man sollte vielleicht einmal die Einsicht nicht für zu banal befinden, daß, seit für Geld alles zu haben ist, al les auch eben nur für Geld zu haben ist. Das gibt über die Emanzi pation einer übers Geld abgewickelten Ökonomie von den Schranken, die die Natur einer noch unentwickelten Produk tionsweise gesetzt hat, ebenso Auskunft wie über deren gesell schaftlichen Zweck und die durch diesen errichteten gesellschaftli chen Schranken für die Nutznießung der produktionstechnisch bewältigten Natur. Das unmittelbare Kriterium, nach dem das in tensiv genutzte Arbeitermaterial nördlicher Zonen mit preiswer tem Kraftfutter aus aller Herren Länder »versorgt« wird, ist das selbe wie dasjenige, nach dem in einer »Welt wechselseitiger Ab hängigkeit« das Hungern und Verhungern vor sich geht, nämlich das der funktional beschränkten Zahlungsfähigkeit; die funktio nale Beschränkung entscheidet sich ihrerseits nach dem Nutzen, den ein weltweit agierendes Kapital aus der Zahlung von Löhnen und Gehältern zieht; und dieser Nutzen realisiert sich weder in vie len nützlichen »Versorgungsgütern« noch in der Errichtung ent sprechender Produktionsstätten, sondern in der Summe Geldes, die darüber entscheidet, ob und inwieweit Produktion und Ge brauchswert sich lohnen - dies ist der entscheidende Zweck. Eben weil es einer freiheitlichen Nationalökonomie ums Geschäft und folglich um universell verfügbaren Reichtum: um Geld als des sen End- und Ausgangspunkt, geht, findet ihr Außenhandel aller dings eine spezielle Schranke an dem Mittel, das eine moderne frei heitliche Staatsgewalt ihren Bürgern eigens zur möglichst ökono mischen Abwicklung ihres Geschäftslebens zur Verfügung stellt: am staatlichen Kreditgeld. Bekanntlich gehört die Behandlung von Schuldscheinen als Zahlungsmittel zu den notwendigen Gepflo genheiten, das Schuldenmachen zu den unabdingbaren Ge schäftsmitteln des freien demokratischen Unternehmergeistes; und ebenso, daß ein verantwortungsbewußter Staat es seinen Ge schäftsleuten durch die Ausgabe gesetzlicher Schuldscheine seiner Zentralbank als garantiertes Zahlungsmittel erspart, den allgemei nen, für alles verfügbaren Reichtum, um dessen Wachstum es in al lem Geschäftemachen geht, noch neben seinem beständigen Fun gieren im Geschäftsleben als realen Goldschatz Gestalt annehmen zu lassen - ein Bankkonto, das auf einen hinreichenden Betrag von Nationalbanknoten lautet, tut da dieselben Dienste. Das G e 77
schäftswesen, dem es um den »abstrakten Reichtum«: den Wert schlechthin und sein Wachstum, geht, emanzipiert sich so einer, seits von der vorhandenen Masse eines in Goldschätzen material sierten »abstrakten Reichtums«, andererseits von der lästigen Form des privaten Handelskredits, der im Falle einer verzögerten Rückzahlung gleich einen anderen Geschäftsmann direkt schädigt und die Fortsetzung seines Geschäfts in Frage stellt, - womit die Mehrung eben dieses Reichtums einen ungeahnten Aufschwung nimmt. Die Förderung des Geschäftslebens, die der Staat mit sei. nem Kreditwesen zustande bringt, läßt dessen Nutznießer gern und leicht darüber hinwegsehen, daß damit die Staatsgewalt natiirlieh auch für sich ein Mittel geschaffen hat: durch die Emission von Banknoten zu eigener Verfügung - in normalen Zeiten fein säuberlieh geregelt als Geschäftsverkehr zwischen dem Staat als Schuld verschreibungen ausgebendem Finanzminister und dem Staat als diese kaufender Zentralbank - verschafft sie sich ihrerseits »Kre dit«, nämlich einen durch bloße Zahlungsversprechen (nicht) »gedeckten« Zugriff auf die gegenständlichen Reichtümer ihrer Gesellschaft. Die notwendige Konsequenz dieser Funktion des Nationalkredits: die beständige Entwertung der staatlichen Zah lungsversprechen wird zwar als Inflation bedauert, und ihre Ab schaffung gehört so fest zum Repertoire wirtschaftspolitischer Versprechungen wie das Sündenbekenntnis zur Beichte; schlagen der läßt deren begrenzte Ernsthaftigkeit sich allerdings kaum de monstrieren. Ein aufgeklärter Geschäftsmann hat sich in seinem Kreditgebaren auf die Entwertung des Staatskredits eingerichtet; keine Inflation wäre eine Katastrophe für sämtliche soliden Fi nanzmärkte. Erst recht fällt natürlich keinem Aktivisten der mit Schulden bewerkstelligten Kapitalakkumulation die Gleichung von Kredit und Gewalt auf, die die politische Obrigkeit praktiziert und auf die er sich verläßt, wenn die staatlichen Zahlungsmittel nicht mehr als einlösbare Anweisung auf die wirkliche Materie des »abstrakten Reichtums« gelten, sondern selber als die letztinstanz liche Erfüllung jeden Zahlungsversprechens, also wie wirklicher Wert zu akzeptieren sind. In ihrer Garantie des Nationalkredits führt die Staatsgewalt die ökonomische Kategorie des Werts und deren praktische Existenz im Geld ja tatsächlich ganz praktisch auf ihren nackten Grundbegriff zurück: Eigentum in seiner reinen ne gativen Bedeutung des durch eine »höhere« Gewalt bewerkstellig ten Ausschlusses aller anderen vom Gebrauch nützlicher Dinge. ?S
Beides: daß allein die politische Gewalt der Nation den nationalen Kreditzetteln zur Gültigkeit verhilft und daß sie mit ihrer Benut zung dieses Kredits den Wert ihrer gesetzlichen Zahlungsmittel flexibel macht, fällt nun allerdings sogleich auf, sobald ausländi scher Reichtum, sei es in Form von Ware zu günstigem Preis oder als interessante Zahlungsfähigkeit, ins nationale Geschäftsleben einbezogen werden soll: - Als Kauf- und Zahlungsmittel taugen die staatlichen Zentral banknoten eben bloß im Zuständigkeitsbereich der Staatsgewalt, die sie zwangsweise gültig macht. Grenzüberschreitender Kauf und Verkauf setzen daher eine wechselseitige Anerkennung der jeweiligen ausländischen Währung, also der Kreditgarantie der einen Staatsgewalt durch die andere voraus: ein notwendiges po litisches Begehren, das allerdings nicht für jede Regierung von gleicher Dringlichkeit ist - die Freiheiten wachsen hier mit dem eingesetzten Reichtum! - und deswegen so manchem Staat sein erstes wirtschaftspolitisches Druckmittel gegen seine Nachbarn in die Hand gibt. Diese prinzipielle wechselseitige Anerkennung des ausländischen Nationalkredits vorausgesetzt, ist damit aber noch gar nichts über das quantitative Verhältnis entschieden, in j dem die Währungen einander gleichgelten. < - Als Maß der Werte und Maßstab der Preise wird die nationale Währung an den Staatsgrenzen hinfällig. Ein Maßstab ist gefor dert, damit die Rentabilität von Einkäufen im wie von Verkäu fen ins Ausland sich überhaupt kalkulieren läßt. Nun ist ein sol cher Wertmaßstab zwar einerseits von Anfang an darin gegeben, daß jede staatliche Notenbank ihre Ausgabe von Zahlungsmit teln auch auf ihre Bestände an der Materie hin veranstaltet, die für jedes kapitalistische Geschäft, also weltweit den »abstrakten Reichtum« nicht bloß symbolisiert, sondern Wert in reiner Form - Geldware -is t: noch jedes nationale Kreditgeld behaup tet von sich eine bestimmte Parität zu Gold. N ur hat eben immer schon - von den Modifikationen durch den Außenhandel noch ganz abgesehen - die staatliche Benutzung des offiziellen Kre ditgeldes dessen Funktion als Wertmaß von seiner ideellen Goldparität »emanzipiert«, den offiziellen »Goldpreis«, zu dem eine Notenbank ihren Goldschatz als Aktivum kalkuliert, zu ei ner Größe gemacht, die eine besondere Kalkulation erfordert. Dem praktischen Vergleich der Währungen fehlt wegen der per staatlicher Setzung vollzogenen Unabhängigkeit des Zahlungs
mittels von der Goldware das notwendige verbindliche allge meine Maß. - Damit steht nun aber nichts Geringeres als die Tauglichkeit des ausländischen Reichtums als M ittel der Bereicherung in Frage. Denn wie wohl verwendbar auch immer die fremdländischen Produkte wären: ihre Verwendung soll ja nicht praktisch sein, sondern sich lohnen; und ebenso will der Export ja nicht die Be schäftigten aller Länder mit den Hervorbringungen nationalen Fleißes »versorgen«, sondern die auswärtige Zahlungsfähigkeit als Mittel zur lohnenden »Verwandlung« produzierter Waren in universell verwendbaren, allgemeinen Reichtum benutzen: »realisiert« ist der Geschäftserfolg erst in der wirklich gewachse nen Geldsumme. 3. Nun gibt die »Blüte« des Welthandels die klarste Auskunft darüber, daß die Geschäftswelt mit dieser nationalen Beschränkt heit ihres Geschäftsmittels Nr. 1, des nationalen Kreditgeldes, offenbar glänzend fertig wird; und die Devisenbörsen in den Zentren des weltweit agierenden Kapitals sind der praktische Beleg dafür, zu was für einem Geschäft sich die Bewältigung dieser Schranken des Geschäftemachens ihrerseits ausgewachsen hat. Tatsächlich ist das Prinzip der »Lösung« ja im gestellten »Problem« bereits gege ben. Auf Reichtum in universell verwendbarer Form kommt es im kapitalistischen Wirtschaftsleben ja nicht deshalb an, damit der Er folgreiche gewaltige Goldschätze horten kann. Ein Erfolg ist die »realisierte« Geldsumme vielmehr gerade darin, daß sie zum Aus gangspunkt erneuerter und vergrößerter Geschäfte wird. Das ist daher auch das wirklich maßgebliche Kriterium für die Tauglich keit eines ausländischen Kreditgelds: ob auf den einmal in dieser Form ergatterten Wert Verlaß ist, ist nur insofern entscheidend, als er sich erneut lohnend verwerten lassen muß. Genau und allein nach diesem Kriterium bestimmt sich daher auch tatsächlich das Wertverhältnis zwischen verschiedenen nationalen Währungen: es hängt (zunächst) ausschließlich von dem relativen U m fang ab, in dem ein für Importzwecke hingegebenes Kreditgeld wieder für die Auslandsgeschäfte der Kapitalisten des Empfängerlandes Verwen dung findet- oder umgekehrt: in dem eine in Zahlung genommene ausländische Währung sich wieder für lohnende Auslandseinkäufe benutzen läßt. Die Devisenhändler ermitteln täglich neu aus Stand und Umfang der gerade abgewickelten Geschäfte die aktuellen Wechselkurse, indem sie deren Unterschiede im Raum und in der
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Zeit durch Termingeschäfte und globale Umbuchungen zu ihrem V orteila u sn u tze n - und dadurch selber m itherstellen helfen. Denn im Falle ihrer »W are«: der Kreditgelder aller Nationen, wird end lich einmal das alberne Ideal der Volkswirtschaftslehre von der Preisbestimmung allein durch Angebot und Nachfrage auf der Ba sis »subjektiver Wertschätzung« in all seiner Brutalität wahr: die beständige »Schätzung«, wann und w o in welcher Währung wel ches Geschäft sich endlich oder nicht mehr lohnt, macht die D evi senmärkte zu Schlachtfeldern für Profis. Das scheinbar paradoxe Ergebnis: der internationale W ert einer Währung, ihre Bewertung als Wertm aß sta b im Verhältnis zum Kreditgeld anderer Denom i nation, ist G rundlage fü r ihre tatsächliche V erw endung als interna tionales Geschäftsm ittel, richtet sich aber gleichzeitig nach dieser Verwendung. Das elementare »Gesetz« dieser Wertbestimmung geht dabei aus dem U m fang der Verwendung einer Währung als K a u f- u n d Z a h lungsm ittel hervor: D er Wechselkurs zeigt sinkende Tendenz in dem Maße, wie der Import den Export überschreitet, und stei gende mit den relativen Ausfuhrerfolgen einer Nation. Dieses »Gesetz« gibt stets von neuem zu dem idyllischen Irrglauben A n laß, der Welthandel würde letztinstanzlich durch ein »selbstregu lierendes Gleichgewicht« gelenkt, so nämlich, daß mit sinkendem Außenwert einer Währung die verteuerten Importe automatisch ab-, die verbilligten Exporte ebenso unvermeidlich zunähmen, beides umgekehrt bei Höherbewertung einer Währung. Tatsäch lich ist in der wirklichen Welt von einer solchen lieblichen Tendenz zum immerwährenden Ausgleich noch nichts bekanntgeworden, und von einem ökonomischen »Naturgesetz« in dieser Richtung, hin zum Ausgleich aller Handelsbilanzen, kann auch gar nicht die Rede sein. Wenn mangelnde Exporterfolge einer nationalen Ökonomie bei gleichzeitigen Verkaufserfolgen der Außenhändler fremder Staa ten in diesem Land den Wert seiner Währung sinken lassen, so kommt es sehr darauf an, ob damit der Anfang vom Ende oder von der Wiedergewinnung der internationalen Zahlungsfähigkeit die ser Nation gemacht ist. D arauf nämlich, ob dort ein genügend gro ßer, frei anlegbarer, also überschüssiger Reichtum vorhanden ist, um nun, produktiv eingesetzt, dank der neuen Kurskonditionen im Außenhandel der ausländischen Konkurrenz auf dem nationa len Markt wie im Export Marktanteile abzujagen; dies ungeachtet 81
der erschwerenden Bedingung verteuerter Importe, womögli^ auch steigender Preise einheimischer Zulieferer, die sich überdies womöglich als erste eine besser zahlende ausländische Kundschaft erschließen; von hinreichender Größe auch noch nachdem die Währungsabwertung ja immerhin den für einheimischen Reichtum geltenden Maßstab international verkleinert und damit die weit, weite Durchsetzungsfähigkeit der schon fungierenden wie der neu anzulegenden Kapitale beschränkt hat. Ist solcher Reichtum gege. ben - und sei es als fiktiver dank eines leistungsfähigen Kreditwesens - , so ist eine Abwertung in der Tat eine Chance für die natio nale Ökonomie. Klar ist allerdings auch, daß dieser Fall allemal die Ausnahme darstellt. Denn zu so durchschlagenden Erfolgen der ausländischen Konkurrenz, daß deswegen eine Abwertung an steht, kann es ja kaum anders gekommen sein als dadurch, daß das Kapital der Nation sich insgesamt (am internationalen Maßstab gemessen) als zu ineffektiv im Hervorbringen lohnend anwendba ren Überschusses, sein Wachstum also als zu schwächlich erwiesen hat. Der Normalfall unter konkurrierenden Volkswirtschaften ist folglich eher der, daß durch eine Abwertung die Importe teurer werden, dabei aber unentbehrlich bleiben; umgekehrt die eigenen Waren im Ausland billiger, damit aber noch längst nicht lohnend, geschweige denn in größeren Massen mit vergrößertem Gewinn loszuschlagen sind; und zwar eben weil es an Kapital fehlt, das die sen Erfolg zustande bringen könnte. Ausgeglichen wird eine Han delsbilanz auf diese Weise keineswegs, statt dessen die internatio nale Zahlungsfähigkeit der Nation geschmälert und zusätzlich da durch gefährdet, daß die Verfügung über Geld in der entwerteten Währung für jeden denkenden Geschäftsmann, sei er In- oder Ausländer, zu den tunlichst zu vermeidenden Geschäftsrisiken ge hört. 4. Keine Regierung sieht denn auch der Entwertung ihres Nationalkreditgeldes an den internationalen Devisenbörsen im Ver trauen auf die »Selbstheilungskräfte des Marktes« gelassen zu Gelassenheit in Währungsfragen ist das Privileg von Regierungen, die über einen weltweit gefragten Nationalkredit verfügen, weil das Exportkapital ihrer Nation weltweit erfolgreich ist: solche Ge schäftstüchtigkeit berechtigt allemal zu der Berechnung, daß die Exporteure auch mit der verschärften Konkurrenzbedingung eines höheren Außenwerts des nationalen Wertmaßstabs fertig werden und die Erfolglosen es auch nicht besser verdient haben zumal 82
sie ja, wie die gesamte Wirtschaft, ab sofort in den Genuß billigerer Importe, z. B. so gewichtiger Rohstoffe wie Erdöl, gelangen. Staa ten, deren auswärtige Zahlungsfähigkeit auf Grund der Erfolge ausländischer Konkurrenten des einheimischen Kapitals schwin det, pflegen daher einiges an Gegenmaßnahmen ins Werk zu set zen; auch das allerdings mit keineswegs gewissen Erfolgsaussich ten. Als erstes Zwangsmittel bieten sich an - und werden von den rui nierten Kaufleuten der Nation gefordert - die klassischen Zwangsmittel des Schutzzolls und der Kontingentierung ge schäftsschädigender Importware. Dank der segensreichen Ent wicklung des Welthandels gibt es heutzutage aber kein Land mehr, und schon gar kein demokratisches »Industrieland«, das nicht ebensosehr auf die andere Seite seines Außenhandels zu achten hät te. Schließlich wollen inländische Produzenten ihrerseits auf aus wärtigen Märkten genau die Erfolge erringen oder verteidigen, die, von auswärtigen Geschäftsleuten im eigenen Land erzielt, so über aus bedenklich sind. Bei Zwangsmaßnahmen zur Verbesserung der Handelsbilanz und zum Schutz einheimischer Produktionszweige ist daher wohl zu unterscheiden, gegen wen sie sich richten. Wenn gegen Staaten, die als Kunden der eigenen Ökonomie entweder auf Grund besonderer Umstände ohnehin sicher oder uninteressant sind, dann ist vom Standpunkt des nationalen Interesses aus alles erlaubt und alles Erlaubte geboten. Würden dagegen Nachbarn be troffen, die ihrerseits über interessante Absatzmärkte, auf diesen allerdings auch über Konkurrenten verfügen, ist bei Schutzmaß nahmen für nationale Industriezweige mit einem entsprechenden Ausschluß der eigenen Exporteure von der Benutzung der auslän dischen Kaufkraft zu rechnen, was zu verhindern schon einige Er pressungskunststücke, also Mittel zum »Einfluß« erfordert. Und nicht nur das: auch einseitige Handelshemmnisse können nicht verhindern, daß die billigere Auslandsware den eigenen Exportar tikeln in dritten Ländern erfolgreich Konkurrenz macht. Schutz zölle ziehen so fast mit Notwendigkeit als ergänzende Maßnahme Exportsubventionen nach sich, mit denen aber auch kein Staat auf Dauer glücklich wird: Da wird von Amts wegen nationaler Reich tum verausgabt, nicht um dessen ^ach stum zu beschleunigen, sondern um eine eigentlich konkurrenzunfähige Branche zu ret ten; und spätestens wenn sich dank subventionierter Preise ein E r folg einstellt, werden bei den konkurrierenden Nationen gleichar»3
tige Gegenmanöver fällig. Eine verantwortungsbewußte Regierung entsinnt sich daher an gesichts schwindender internationaler Zahlungsfähigkeit ihrer Ge schäftswelt zweitens der eigenen Hoheit über ihr Kreditgeld sowie des Umstands, daß zu jedem Kursverfall der einen Währung der Kursanstieg mindestens einer anderen gehört: Sie legt den Außenwert ihres gesetzlichen Zahlungsmittels zwangsweise fest und sucht Verbündete, um die Nation oder die Nationen, die durch ihre Exporterfolge den Welthandel »in Unordnung« gebracht ha ben, zu einer Aufwertung zu drängen. In einem solchen Fall wäre immerhin die Stärkung der eigenen Exporteure im Vergleich mit dem gefährlichen Konkurrenten nicht mit einer Pauschalverteue rung aller Importe erkauft - ein Unterschied, um den schon man che internationale Erpressungs-»Gesprächsrunde« gelaufen ist. Bleibt dieser Erfolg aus, so bereichert die staatliche Fixierung der Wechselkurse nur die Welt des internationalen Handels und Wan dels um eine neue Erscheinung: überbewertete und daher »schwa che« Währungen, ebenso wie die unterbewerteten und daher »starken«, bringen professionelle Devisenspekulanten erst richtig in Schwung. Der Zahlungsfähigkeit eines »Weich Währungslandes« tut das gar nicht gut! Es zeigt sich in der Wertbestimmung einer nationalen Währung also ziemlich unerbittlich, daß das Kreditgeld einer Nation als in ternationales Kauf- und Zahlungsmittel taugt, weil, solange und in dem Maße, wie das darin sich umtreibende Kapital Geschäfte zu stande bringt, die sich im Weltmaßstab lohnen. Zur durchgreifen den »Sanierung« ihrer Zahlungsfähigkeit bleibt einer »Volkswirt schaft« und ihrer Regierung also nur der eine Weg, die Basis für lohnende Geschäfte im eigenen Land: die Produktivität der natio nalen Kapitale, wieder auf Weltniveau zu bringen. Daran entschei det sich nämlich in letzter Instanz, ob ein Auslandsgeschäft erstens überhaupt zustande kommt, die eigene Ware also für den auswär tigen Kunden hinreichend billig ist und der für Importe gezahlte Preis hoch genug, daß es sich für den auswärtigen Partner lohnt, und ob zweitens gleichzeitig die ganze Operation sich auszahlt, der Auslandseinkauf also für den inländischen Kunden billig, der Ex ponerlos hoch genug ist, um sich zu lohnen; das Ganze bei gege benem Wechselkurs so, daß die »geschwächte« Währung sich »wieder erholt«. Uber die Mittel, deren zielstrebiger Einsatz über den Erfolg solcher nationalen »Sanierungs«-Kampagnen entschei
det, geben ironischerweise die Propagandafeldzüge klarste Aus kunft, die zu einer demokratischen Wirtschaftspolitik nun einmal dazugehören: Am Konkurrenten, der der Nation ihre Defizite und diversen Branchen ihre Schwierigkeiten eingebrockt hat oder ha ben soll, entdecken die Lobbyisten des Kapitals - und als solche tun sich an dieser Stelle in mancher westlichen Musterdemokratie professionelle Gewerkschafter ganz besonders hervor! - regelmä ßig sämtliche Techniken der Ausbeutung, die im eigenen Land noch keiner gesichtet haben will, schon gleich nicht, solange noch alles gut ging mit dem Auslandsgeschäft, die Notenbank an einer positiven Handelsbilanz ihre Freude hatte und die Japaner sich an deutscher Wertarbeit ein Beispiel nehmen sollten: Arbeitshetze, niedrige Löhne, spärliche Sozialleistungen, extremste Perfektio nierung der Arbeitsplätze... Schwindet trotz allem die Erfolgstüchtigkeit der nationalen Pro duktion und die Zahlungsfähigkeit der nationalen Kaufleute im Ausland weiter - die Konkurrenz schläft ja auch nicht! wird also die internationale Kaufkraft eines Nationalkredits zunehmend hinfällig, so kommt im praktischen Geschäftsverkehr auf einmal eine längst totgeglaubte Wahrheit über das Geld zum Vorschein. Plötzlich ist nichts so wichtig wie die »Eigenschaft«, von der das staatlich garantierte Kreditgeld sich gerade emanzipiert hat und vor der es sich mit dieser seiner Freiheit jetzt so tödlich blamiert: die »Eigenschaft« des Geldes, wirklicher Wert zu sein. Die Zahlungs fähigkeit der Nation schrumpft zusammen auf den Goldschatz, den - bei aller Perfektionierung des internationalen Kreditüber baus, dessen Prinzipien im nächsten Abschnitt dieses Kapitels be handelt werden - noch jede Nationalbank sich als wichtigen Posten unter ihren Aktiva, als die Grundlage ihrer »ungedeckten« Noten emission, leistet. Im internationalen Geschäftsverkehr ist, allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz, der Verlaß und im Ernst fall der praktische Rückgriff auf Barzahlung in Goldbarren über haupt nicht ausgestorben. 5. Allerdings ist dieser Zahlungsmodus, wenn er als wiederholter Ausweg gewählt wird, im heutigen internationalen Handel gleich bedeutend mit einem Offenbarungseid und der Beendigung jeder aktiven Teilhabe am weltweiten Handelsgeschäft; und deswegen entnimmt eine aufgeklärte Regierung dieser Zwangslage den A uf trag, neue »Sachzwänge« in ihrem Land und - soweit (noch) vor handen - in ihre Ökonomie einzuführen. Was im Land an Kapital
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fehlt, um am Geschäft der Benutzung auswärtiger Volkswirtschaf ten und ihres Reichtums teilzunehmen, das »ersetzt« sie durch den Zwang gegen ihre Untertanen, das Unmögliche möglich zu ma chen und - koste es, was es wolle - weltweit gültige Zahlungsmittel beizuschaffen. In ihrer Bevölkerung verfügt nämlich noch jede politische Obrigkeit über das Mittel für den Versuch, die eigene Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Der Einsatz der nationalen Ar. beitskraft muß dann mehr erbringen, auch ohne daß für die Ver besserung der Arbeitsmittel kostbare Devisen verausgabt werden. Zwar verabschiedet ein Staat sich mit der Streichung solcher Im porte endgültig aus dem Kreis der konkurrierenden Macher der »Weltwirtschaft«: er ruiniert ja - von seinem Volk mal ganz abgesehen - die produktive Basis seiner Ökonomie, um seine Zahlungs fähigkeit zu retten. Dafür konkurriert er an einer ganz neuen Front, nämlich mit gleichartigen Staaten um das optimale Mi schungsverhältnis zwischen Herabminderung des Existenzmini mums und dennoch aufrechterhaltener Leistungsfähigkeit seiner arbeitenden Untertanen. Im Außenhandel auf einer solchen Grundlage haben linke Impe rialismustheoretiker mit Hilfe eines Mißverständnisses der Marx* sehen »Arbeitswertlehre« einen Beleg für schreiende Ungerechtig keiten im internationalen Geschäftsverkehr entdeckt. Wie späte Schüler der geldtheoretischen Fehler, die Marx an Proudhon kriti siert hat, stellen sie in ihren Berechnungen der internationalen Austauschrelationen die Arbeitsstunden gegenüber, die jeweils auf im Welthandel wertmäßig gleichgesetzte Waren aus den »Indu strie-« und aus den anderen Ländern verwandt worden sind, und stoßen so natürlich auf eklatante Ungleichheiten: da mag die Ar beitsstunde eines BMW-Arbeiters hundert Arbeitsstunden eines senegalesischen Erdnußpflückers »kaufen«. Was den behaupteten »Marxismus« dieser Vorstellung betrifft, so wird da zugunsten des Ideals weltweiter Gerechtigkeit die von Marx entdeckte und be tonte Bestimmung des Tauschwerts »übersehen«, daß er gerade nicht als die Messung seiner »Substanz«, der verausgabten Ar beitsmenge, existiert, sondern in deren Gleichsetzung mit einem Quantum Geld; in einer formellen Differenz also zu seiner eigenen Grundlage, mit der eine quantitative Deckungsgleichheit von Tauschwert einer bestimmten Ware und zu ihrer Produktion ange wandter Arbeitszeit prinzipiell ausgeschlossen und zum Zufall herabgesetzt ist. Der Wert einer Ware ist eben von Anfang an nicht
eine Frage der tatsächlich in ihr steckenden Arbeitszeit, sondern des mit dieser Arbeitszeit bewerkstelligten Geschäfts, oder anders: ihren Z w eck und damit ihre praktische Wahrheit besitzt die Wa renproduktion für den Handel nicht in der idealen Gleichgeltung unterschiedlicher Arbeiten, sondern im G ew in n , der durch die entsprechende Benutzung dieser qualitativen Gleichgültigkeit un terschiedlicher Arbeiten erzielt wird. Wenn sich daher im interna tionalen Geschäftsleben der Maßstab der Preise selbst als sehr ver änderlich erweist, und zw ar je nach dem Gelingen des in der jewei ligen Währung bewerkstelligten Kapitalwachstums, so ist das kein Verstoß gegen das »Wertgesetz«, sondern dessen höchst sachge rechte Konsequenz. Denn über die gesellschaftliche N otw endig keit der verausgabten Arbeit, damit über den tatsächlichen Wert, entscheidet - wie M arx auch schon gemerkt und mitgeteilt hat nicht das gesellschaftliche Bedürfnis, sondern das zahlungsfähige Bedürfnis, und das heißt: es sind die Geschäftsbedürfnisse der wirklichen ökonomischen Subjekte einer nationalen Ökonomie, ihrer K apitale, die über die »gesellschaftliche Notwendigkeit« ei ner jeden Arbeit und damit über den tatsächlichen Wert einer jeden Ware befinden. Wenn folglich eine Regierung durch die direkte Verelendung ihres Volkes aus dessen Arbeit zwangsweise ein G e schäft macht, das auf Basis einer auch nur annähernden Gleichgel tung der Arbeitsstunden in ihrem Land und bei ihrem erfolgreiche ren Geschäftspartner nie und nimmer zu machen wäre, dann ist das Wertgesetz weder »widerlegt«, noch liegt ein »Verstoß« dagegen vor, so als handelte es sich bei diesem ökonomischen Zwangszu sammenhang um ein löbliches moralisches Gebot. »Modifiziert« wird das Wertgesetz auf diese Weise nur in einer Hinsicht, indem nämlich die politische Gewalt ihr Volk den praktischen Nachweis führen läßt, wie billig Arbeit zu haben, wie gering im Land also mit der Effektivität auch der Wert der nationalen Arbeitskraft ist: so kommen eben doch noch Geschäfte zustande, wo die entscheiden den Geschäfte des erfolgreichen Kapitals längst auf ganz andere Weise, nämlich durch die fortschreitend effektivere Ausnutzung von Arbeitskräften vonstatten gehen. Diese »Modifikation des Wertgesetzes« ist also gar nichts anderes als der M odus seiner praktischen Durchsetzung in Ländern, die der Gang der weltweiten Konkurrenz für das »normale« Geschäftsle ben untauglich gemacht hat oder nie hat tauglich werden lassen. Es ist ein und dieselbe Gesetzmäßigkeit des kapitalistischen Ä quiva*7
lententauschs, die in den Nationen mit international erfolgreicheni Kapital eine produktivere Ausnutzung der Arbeit und ein Steigen des Wechselkurses der nationalen Währung, in den Nationen ohne florierendes Geschäft ein zunehmend unproduktiveres Elend und für den volkswirtschaftlichen Verstand das scheinbare Rätsel her vorbringt, weshalb denn wohl die »terms of trade« sich für die »Entwicklungsländer« laufend verschlechtern - wie denn sonst sollte die Gerechtigkeit des internationalen Handels bei ihnen wir ken? Manchem Staat kommt dabei in seinem Bemühen, im internatio nalen Handelsgeschäft mitzuhalten und dessen harten Kriterien gerecht zu werden, die natürliche Beschaffenheit seines Herr schaftsgebietes zustatten. Schon die ersten Apologeten des Kapita lismus und seines weltweiten Ausgreifens haben es für eine unge mein sinnreiche Einrichtung der »unsichtbaren Hand«, die be kanntlich alles Marktgeschehen zum Besten lenkt, gehalten, daß sie in Portugal Portwein, in England dagegen hochmechanisierte Tuchfabriken wachsen ließ, so daß britische Spediteure zu »wech selseitigem Vorteil« den Süd wein nach Norden und billige Texti lien an die Portugiesen verhökerten. In Vorstellung und Terminus einer »weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung« lebt dieser Idealismus noch heute ungebrochen weiter; in der »Theorie der komparativen Kosten« hat er sich sogar eine volkswirtschaftliche Ideologie zuge legt, derzufolge der Welthandel und der darüber bewerkstelligte praktische Vergleich nationaler Gewinnspannen automatisch da für sorgt, daß jedes Land zum großen »Weltmarkt« das »beisteu ert«, was in ihm mit dem geringsten Kostenaufwand herzustellen ist. Die fromme Albernheit dieser »Theorie« könnte allerdings schon an dem Umstand auffallen, daß es zwar regelrechte Bana nenrepubliken gibt, aber keine westeuropäische Erdbeerdemokratie; ebensowenig verschrottet eine »Industrienation« ihre Hoch öfen und Raffinerien, bloß weil in Nigeria Erdöl und Eisenerz ne beneinander lagern: eher exportiert dieses Land beide Rohstoffe in roher Form. Tatsächlich ist es allemal - schon beim Tauschhandel von britischem Tuch gegen Portwein - eine harte Konsequenz der internationalen Konkurrenz, wenn ein Staat für die Aufrechterhal tung seiner Ökonomie auf die speziellen Vorzüge der N a tu r seines Landes zurückgeworfen ist. Das bedeutet nämlich, daß die maß geblichen, d. h. für die Schaffung und Mehrung des nationalen Reichtums ausschlaggebenden Geschäftszweige, in denen es auf
die effektive, daher industrielle Nutzung der Arbeitskräfte an kommt, der auswärtigen Konkurrenz unterlegen oder ihretwegen gar nicht erst zustande gekommen sind. Geschäftlich geltend ma chen kann ein solcher Staat nurmehr sein politisches Monopol über Naturschätze, deren ökonomischer Wert, ob und in welchem Um fang also daraus frei verfügbarer Reichtum zu machen ist, sich ganz anders entscheidet. Mit der Anstrengung, seinen Naturvorteil aus zunutzen, untergräbt ein solcher Staat zudem sein einziges eigenes Geschäftsmittel, das in der matten politischen Drohung liegt, sein Monopol in der einzigen Weise geltend zu machen, in er es öko nomisch überhaupt geltend zu machen ist, negativ nämlich, als Verbot des Exports: Er wird ja nur immer ausschließlicher von ei ner Benutzung seines Naturstoffs, die er selbst gerade nicht zu stande bringt, durch auswärtige »Kundschaft« abhängig. So macht ein Souverän seine Naturschätze und sich als deren politischen Verwalter zum Anhängsel eines weltweiten Handelsgeschäfts, des sen Subjekte ganz woanders sitzen, ganz einfach weil Zahlungsfä higkeit, also das erfolgreiche Fungieren konkurrenzfähiger Kapi tale dessen ökonomischer Inhalt ist. Die geschäftliche Ausnutzung natürlicher »Vorzüge« einer Re gion, soweit ein Staat sie als Mittel seiner Zahlungsfähigkeit be- / nutzt, läuft in letzter Instanz auf den zwangsweisen Entzug und I den Ausverkauf der Subsistenzmittel einer Bevölkerung hinaus, V die selbst gegen einen absoluten Minimallohn für eine lohnende H Produktion nicht einzusetzen ist. Die nackte Tatsache, daß er noch eine Bevölkerung hat, gibt einem solchen Staat seine Sicherheit, daß da noch etwas zu holen ist: das Schweinefleisch, das bislang auf einem nationalen Speisezettel stand, läßt sich in Dosen verpacken und in westeuropäischen Billigmärkten unterbringen; und wenn gleiches mit dem Volksnahrungsmittel Hirsebrei nicht gelingt, dann vielleicht mit Erdnüssen, die sich statt dessen auf denselben Feldern ziehen lassen. Ist der Verfall der nationalen Zahlungsfä higkeit auch durch eine solche Ruinierung von Land und Leuten nicht mehr abzuwenden, dann - und erst und nur dann - meldet die zuständige Regierung bei ihren Handelspartnern den Standpunkt an, den die Ideologien des weltwirtschaftlichen Erfolgs als Prinzip und maßgeblichen Endzweck allen Im- und Exportierens behaup ten: den Standpunkt der Versorgung der Bevölkerung. Mit dem Geltendmachen dieses Standpunkts hört die Teilhabe am Welt handel einstweilen auf - die Linderung oder gar Beseitigung der 89
Not der Massen fängt damit allerdings noch lange nicht an. Es war ja nie und ist auch jetzt nicht die Not ihres Volkes, die der zustän digen politischen Obrigkeit zu schaffen gemacht hat - sie hat sie ja herbeiführen helfen sondern dessen zunehmende, in Hungerka tastrophen schließlich vollendete Untauglichkeit für ihre Erhal tung. Und dieser Hilferuf« findet bei den erfolgreichen Nationen durchaus Gehör: Ihre Macher tragen ja die »Verantwortung« für das ökonomische Geschehen auf dem Globus - und lassen ihr Volk daran durchaus moralisch teilhaben! 6. Die Wahrheit, die an Staaten ohne konkurrenzfähige National ökonomie vollstreckt wird, heißt lapidar: ökonomischer Mangel ist eine denkbar schlechte Bedingung die Beschaffung von Devi sen, um als Nation überhaupt zahlungsfähig zu bleiben, ein denk bar schlechter Zweck für eine aktive Teilhabe am »Weltmarkt«, geschweige denn für dessen gedeihliche Benutzung; »Volkswirt schaften«, die so zum Welthandel antreten, werden benutzt, und zwar nach allen Regeln des gerechten Handels bis zum vollständi gen Ruin. Für den Umkehrsatz dieser Wahrheit führen die Aktivi sten des Welthandels den praktischen Beweis. Ein erfolgreich ak kumulierendes nationales Kapital, das für die Bewältigung seiner Auslandsgeschäfte stets über die nötigen Finanzmittel verfügt, be sitzt eben damit die Freiheit, seine Teilhabe am Welthandel in jeder Hinsicht nach dem Kriterium seines Wachstums auszurichten. Deshalb entfällt auch manche mögliche Transaktion, weil sie sich zu wenig lohnt - während von einer Ökonomie, die vom Stand punkt des Mangels aus operiert, allemal ein O pfer an Reichtum verlangt ist, um überhaupt im Ausland verkaufen und einkaufen zu können. Hohe Importe sind dann nicht die Folge von Verschwen dung oder von lauter Niederlagen heimischer Geschäftsleute, son dern von deren Freiheit, zum Nutzen ihres Kapitals Lieferbedin gungen weltweit zu vergleichen. Hohe Exporte und womöglich sogar eine positive Handelsbilanz haben hier nichts mit einem na tionalen Ausverkauf zu tun, sondern stellen den Erfolg des ein heimischen Geschäftsgangs dar, sich von den Schranken der natio nalen Zahlungsfähigkeit frei zu machen und die einer auswärtigen Kundschaft für seinen Fortgang, d. h. für seine kontinuierliche Expansion zu benutzen. Das Kreditgeld einer solchen Nation ist als Kaufmittel in aller Welt gefragt, weil auf die Konkurrenzfähig keit ihrer Exportindustrie Verlaß ist; an ihm messen sich daher die Wertmaßstäbe, nämlich die Währungen anderer Staaten. Die
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Goldschätze der weniger glücklichen Nationen nehmen Kurs in Richtung auf die Kellergewölbe der Zentralbanken dieser »Hartwährungsländer« - aber nicht, um dort als stille Reserve zu ruhen: Ökonomisch tun sie in Ländern mit akkumulierendem Kapital ei nen Dienst, den sie andernorts nicht zustande gebracht haben, ga rantieren nämlich dem expandierenden Geschäft die nötige Expan sion seiner Zahlungsmittel. Für die anderen Nationen, deren Ökonomie stets mit dem Problem der internationalen Zahlungsfä higkeit zu kämpfen hat, sind solche Zahlungsmittel, obwohl auch bloße Kreditgutscheine, so gut wie Gold wert: in ihnen ist ja das Kapital zu Hause, in dessen Geschäfte sie einbezogen werden oder bleiben wollen. Dummerweise ist an derartige »harte Devisen« eben deswegen schwer heranzukommen, weil sie so »hart« sind; so stellt sich im mehr oder minder erfolgreichen Konkurrenzkampf um die Devisen einer prosperierenden Nation die Zahlungsunfä higkeit der anderen heraus. Kein Wunder, daß der »Weltmarkt« beständig der Aufsicht ge wisser eindeutiger Führungsmächte bedarf, die dafür sorgen, daß kein Staat sich eine Alternative zu dieser segensreichen Veranstal tung erfindet und jeder auf seine Weise dafür tauglich bleibt - auch über die Grenzen seiner Zahlungsfähigkeit hinaus. Denn da kann das Kapital seine imperialistischen Qualitäten erst so richtig frei entfalten.
3. D ie W elt als Kapitalmarkt
Zur Freiheit der Kalkulation, die Geschäftsleute brauchen, um die Perspektive nicht lohnender Investitionen, unverkäuflicher oder nicht gewinnbringender Produkte abzuwenden, gehört die Mobi lität des Kapitals - der Zugang des eigenen Vermögens zu allen er folgversprechenden Gewerben und die Beendigung des Kapital einsatzes in schlechtgehenden Zweigen. Der Kredit-Überbau, der Handel mit Geld und Schulden, die als Kapital wirken, wo immer es möglich ist, gewährleistet diese Mobilität und damit die Unab hängigkeit des Privateigentums von besonderen Anlagesphären und Produkten. Mit dem organisierten Verleih von Kapital, in dem Geldsummen einen Preis erzielen, wenn sie anderen zur Investi tion überlassen werden; im Zusammenschluß von mehreren Geld gebern zu Aktiengesellschaften, wo das Kapital von vornherein als
Kredit auftritt, emanzipiert sich das Privatvermögen zugleich von den Schranken seiner Anwendbarkeit, die ihm aus seiner Größe erwachsen. In den staatlich geregelten und beeinflußten Bedingtgen des Kredits, die dessen Preis wie Menge betreffen, sieht sich >die Wirtschaft< also einem entscheidenden Mittel für ihre Bewährung in der Konkurrenz gegenüber. Und da sich mit der staatlichen Inanspruchnahme von Kredit die Leistungen einer Geldsumme über die einer verfügt, erheblich verändern, verwundert es gar nicht, daß die Klagen über Inflation zur kapitalistischen Produkt tionsweise seit ihren ersten Tagen gehören - im selben Maße, wie die Spekulation auf die Geldentwertung zu einem lohnenden Ge* schäftszw'eig geworden ist. Die schöne Erfindung eines staatlich geregelten Kreditüberbaus, der die Konkurrenz erst so richtig frei macht, gerät dem Geschäft allerdings zur Schranke, sobald es sich über-national betätigt. Freilich ist auch dieses Problem längst ge löst - und zwar durch die Staaten selbst, die schließlich das Ge* schäft im Innern nicht befördern, um es nach außen zu unterbin den. i. Kapitalistische Konkurrenz, die auf dem Austausch von Waren beruht, bewirkt auch international kein harmonisches Mit einander der Geschäftsleute; der Erfolg des einen führt wie im staatlich geordneten inneren Markt durchaus zur Schädigung des anderen, und das Hin und Her zwischen protektionistischen und freihändlerischen Avancen der Staaten offenbart, daß sie als ideelle Gesamtkapitalisten - als eine Instanz also, der es darauf ankommt, den Erfolg ihrer nationalen Wirtschaft im Ganzen sicherzustellen, wobei sie sich auch einmal über die Interessen einzelner im interna tionalen Handel tätiger Privatleute hinwegsetzt - einen beständi gen Kampf um die Durchsetzung auf auswärtigen Märkten und um den Schutz einheimischer Gewinne führen. Dabei sind die außen politischen Unterhändler jeder Nation im Verein mit den Wirt schaftspolitikern sehr fürsorglich eingestellt. Sie bilanzieren kon tinuierlich Export wie Import, legen Währungsreserven an, durch die sich der Staat als Garant für das Gelingen außenhändlerischer Kalkulation stark macht - der Mangel an international gefragten Zahlungsmitteln soll Geschäfte weder verhindern noch plötzlich verteuern und unrentabel machen und in fristgemäß vorgenom menen Ein- und Verkäufen der wichtigsten Währungen nehmen sie Einfluß auf Kursveränderungen. Und doch mündet diese Zu ständigkeit im Falle von Mißerfolgen (negative Handels- und Zah9*
lungsbilanzen) nicht in das staatliche Bekenntnis, die einheimi schen Teilnehmer am Weltmarkt seien nicht mehr willens oder in der Lage, sich am internationalen Handel zu beteiligen. Umge kehrt erfährt eine positive Bilanz keineswegs die freudige Würdi gung eines Erfolgs der nationalen Wirtschaft. So wenig die lädierte Zahlungsfähigkeit einer Nation den Bankrott nach sich zieht, so unüblich ist es, die Schädigung einer anderen umstandslos zu feiern und den »Ruin« eines Konkurrenten mit dem preiswerten Aufkauf der Konkursmasse sicherzustellen. Die Maßstäbe, die von Staats männern im innenpolitischen Werben so gerne angeführt werden, wenn sie ihre Tüchtigkeit für die Regierungsgeschäfte unter Be weis stellen wollen - »unsere Währung ist gesund!«, »wir haben keine Schulden im Ausland!«, »die Probleme des Exports gemei stert« . . . —, zeugen zwar von der Zuständigkeit der Regierung für die Bewährung der Nation im internationalen Handel, gel ten aber nur sehr bedingt als Index für die gesicherten Dienste auswärtiger Partner. Der Grund dafür ist nicht schwer auszumachen: man hat es schließlich nicht nur mit potenten oder insolventen Wirtschaftssubjekten zu tun, sondern auch mit einem politischen Souverän, der die unter seiner Herrschaft abgewickelte Ökonomie als seine Existenzgrundlage beansprucht. Mit diesem Anspruch und den Gewaltmitteln, die ihn so »real« machen, sieht sich noch das er folgreichste kommerzielle Interesse konfrontiert - es hat sich ja zu seiner Betätigung selbst stets auf die eigene Staatsgewalt und ihr Einvernehmen mit anderen Regierungen stützen müssen und kön nen. Daß Handels- und Zahlungsbilanzen, die sich erheblich vom als Ideal betrachteten Gleichgewicht entfernt haben, nicht diesel ben Folgen auf dem Weltmarkt haben, wie sie im Geschäftsleben innerhalb einer Nation üblich sind, sobald die einen Gewinne und die anderen Verluste verbuchen-Konkurse, Wechsel der Branche, Aufkäufe und Fusionen bedeutet allerdings nicht, daß der inter nationale Handel erlahmt. Gerade weil sich auf dem Weltmarkt Staaten des materiellen Reichtums bedienen, weil die »Verant wortlichen« sich in ihrem Dienst am privaten Geschäft so unent behrlich wissen, ist ihnen die Erhaltung der Nation oberstes Ziel und dieses duldet unter keinen Umständen wegen gewisser Widrigkeiten in Sachen Zahlungsfähigkeit, daheim oder auswärts, seine Preisgabe. Noch vor dem Eintreten irgendwelcher ökonomi scher Mißerfolge leistet sich jeder moderne Souverän einen mehr 93
oder minder ansehnlichen Gewaltapparat, der sich schon allein dadurch lohnt, daß er ihn handlungsfähig macht, nämlich in seinen Entscheidungen erst einmal unabhängig von den Konjunkturen und ihren kleinkrämerischen Rechnungen mit Mark und Pfennig, Und auf dieser Grundlage haben sich die Veranstalter des Welt* markts auch stets von den beschränkten Verkehrsformen des Aus tausches von Waren und Geld emanzipiert und ihre damit eingegangenen »Abhängigkeiten« schöpferisch überwunden - indem sie sich auf grundsätzlichere Formen der wechselseitigen Benützung verlegt haben. Wenn die allenthalben erwünschte gewinnbrin gende Produktion von und der internationale Handel mit Waren an den Interessen anderer Nationen seine Schranke findet, so muß eben zu ihrer gedeihlichen Abwicklung das Interesse be rücksichtigt werden, das die Souveräne dieser Welt so unbedingt in bezug auf ihre Existenz anmelden. Die Geschichte des Kolonialis mus, der gewaltsamen Einbeziehung aller Weltgegenden in den Handel, hat nicht nur - wie die fortschrittsbewanderten Ge schichtsbücher vermelden - zu Erhebungen und Befreiungskämp fen mit dem schönen Ergebnis lauter freier und selbstbestimmter Nationen geführt. Ihr Resultat ist viel banaler. Es heißt weltweiter Kapitalmarkt, und es ist durchaus zureichend mit den beiden Wor ten Geschäft und Gewalt umschrieben: Die Souveräne des 20. Jahrhunderts, die sich so viel auf ihre wechselseitige Respektie rung, auf das anerkannte Monopol der Gewaltanwendung in ihrem Herrschaftsbereich, zugute halten, »arbeiten« tatsächlich zusam men. Sie begnügen sich keineswegs mit dem Austausch von Ware und Geld über ihre Grenzen hinweg: dergleichen würde den einen zu dem zweifelhaften Vorteil verhelfen, ein Plus an auswärtigen Zahlungsmitteln zu verbuchen, die immer mehr an Wert einbüßen, eine zahlungsfähige Kundschaft nach der anderen zu verlieren, also ihre eigene Geschäftsgrundlage zu ruinieren; den anderen würde mit ihrer Zahlungsunfähigkeit der Kauf all der schönen Dinge ver sagt bleiben, die der Weltmarkt so bereithält. Sit sichern vielmehr das Geschäft, indem sie Land und Leute mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln i m Anlagesphäre von Kapital machen. Moderne politische Herrschaft - ganz gleich, ob sie als Monarchie, Diktatur oder Demokratie daherkommt - hat ihre Existenz gesichert, wenn sie aus der Brauchbarkeit ihres Territoriums und ihres Volkes ein Geschäft zu machen versteht, durch das sie sich Anerkennung bei anderen Staaten verschafft. In diesem Nationalismus verfährt sie 94
sehr internationalistisch - auf die Landesfarbe der über ihre souve räne Entscheidung vereinten »Produktionsfaktoren« jedenfalls kommt es ihr nicht an. Die einen exportieren Arbeitskräfte, andere Naturschätze, wieder andere hauptsächlich Geld und Kredit, und auf Kritik grundsätzlicher Art können nur Souveräne rechnen, die sich an dieser Sorte »internationaler Abhängigkeit« nicht beteiligen oder sich ihr entziehen möchten. Ansonsten reduziert sich der Streit der Nationen um die Größe des nationalen Ertrags auf die Modalitäten in der Durchführung des gemeinsamen Anliegens. Dabei unterscheidet sich der Ertrag einer Nation durchaus vom Kriterium des Geschäftserfolgs, welches das internationalisierte Kapital an seine Unternehmungen anlegt. Ein Staat interessiert sich an gelungenen Geschäften unter dem zusätzlichen Gesichts punkt, ob sich der erzielte Gewinn in der Stärkung des von ihm verwalteten Nationalkredits niederschlägt. Er will mehr interna tional verfügbares Kaufmittel zur Disposition haben, vergleicht deswegen die Wirkung von Kapitalanlagen a u f den relativen Wert seiner Währung, deren Brauchbarkeit/wr künftige Unternehmun gen - die in der prinzipiellen Sicherheit einer Kapitalsumme in der jeweiligen Nationaluniform und in ihrer jeweiligen Stärke ihrer in ternationalen Kaufkraft verglichen mit anderen nationalen Kredite Zeichen hegt - seinen Kredit zum attraktiven Geschäftsmittel in aller Welt werden läßt. 2. Die Freiheit der K onkurrenz, die im Innern eines kapitalisti schen Gemeinwesens zivil- und strafrechtlich vom Staat beaufsich tigt, wirtschafts- und sozialpolitisch betreut und durch den Kre ditüberbau ökonomisch in Gang gesetzt wird, kommt also auch auf dem Weltmarkt zu Ehren. Hier allerdings über das Interesse der Staaten, aus ihrer ökonomischen Abhängigkeit untereinander das Beste zu machen, also ihre Souveränität so zu gebrauchen, daß die ihr zur Verfügung stehenden ökonomischen Potenzen zur Er haltung und Sicherung der jeweiligen Herrschaft und ihres Einflus ses in der Welt taugen. Politik wird im modernen Imperialismus eben zur methodischen Handhabung des Geschäfts, indem sie die ökonomische Grundlage der staatlichen Macht mobilisiert, um sie als Mittel für Kapitalanlagen jeglicher Herkunft für andere Souve räne interessant zu machen - oder umgekehrt: die auswärtigen Sou veräne mit dem »Angebot« zu beglücken, durch die Anwendung von Kapital ihre natürlichen und menschlichen Ressourcen zu ei ner Reichtumsquelle werden zu lassen. Und beides zugleich 95
kommt natürlich auch vor - nämlich bei den Staaten, deren Wirtschaft einerseits an gewinnbringend einsetzbaren Überschüssen an Geld, deshalb aber auch nur an exquisiten Schranken ihrer An wendung »leidet«: an der erforderlichen Größe des investierten Kapitals, der Größe, die es im Konkurrenzkampf wieder rentabel einzusetzen erlaubt, sowie an Material, das diesem Kapital seine produktive Anwendung gestattet. Erstens ist die unter politische Herrschaften aufgeteilte Welt tat sächlich als Überwindung des Kolonialismus zu würdigen. Jene nach demokratischer Geschichtsschreibung letzte Phase des »Im. perialismus« mit ihren Eroberungen ist durch das Eden des Völ kerrechts abgelöst worden. Heutzutage pflegen sich Staaten durch ihre wechselseitige Anerkennung ihrer Brauchbarkeit zu versi chern. Zweitens kommt mit dem Recht einer jeden souveränen Nation auf die Herstellung ihr genehmer Außenwirtschaftsbeziehungen nicht nur der mehr oder minder gute Wille zum Zug, sich durch nützliche Angebote ans Ausland die Verfügung über kontinuier lich sprudelnde Quellen von Reichtum zu verschaffen, ohne den nirgends ein Staat zu machen ist. Vor dem Maßstab, den alle Staa ten in gleicher Weise aneinander anlegen, machen sich auch die Unterschiede zwischen ihren ökonomischen P otenzen als hand greifliche Grundlage jenes Willens bemerkbar - die kolonialistische Erzeugung des Weltmarkts, zweihundert Jahre Welthandel sowie zwei ansehnliche Weltkriege haben da einiges bewirkt. Die »internationale Abhängigkeit« spielt sich deshalb zwischen gleichen Nationen mit sehr verschiedener »Entwicklung« ab, und der Euphemismus der »Kooperation« ist nicht einmal im Falle der Beziehungen angebracht, die jene Nationen miteinander pflegen, die sich stolz »Industrieländer« nennen. Es kommt nämlich sehr darauf an, ob eine Nation ihre innere wie äußere Zirkulation dem Umgang einer anderen mit ihrem Nationalkredit unterwirft - also von jeder einschlägigen Entscheidung jenes befreundeten Staates in ihrer wirtschaftspolitischen Souveränität eingeschränkt wird -, oder ob sie über ein weltweit nachgefragtes, »hartes« Zahlungsmit tel verfügt und die gelegentliche Inflation ihrer Währung noch als Waffe einzusetzen vermag. Es ist auch nicht unbedeutend, ob ein Land aufgrund seiner internen Branchenverteilung und/oder der Auslandskundschaft wie -konkurrenz der einheimischen Ge schäftswelt Subventionen an die Industrie verabreicht, oder ob es 96
staatliche Kredite für die »Sanierung« ganzer Zweige vergibt - in der Gewißheit, daß sich das rationalisierungsbereinigte Verhältnis von Kosten und Marktpreis der Waren allemal in sicheren Export gewinnen niederschlägt. Ganz erheblich fallen auch die Freiheiten ins Gewicht, die sich eine Nation gegenüber ihrem Ausbeutungs material in Sachen politische Ökonomisierung der Lohnkosten verschaffen konnte; die Größe schließlich des bereits akkumulier ten anwendbaren Kapitals tut ebenfalls ihre Wirkung, wenn im in ternationalen Vergleich nicht nur Waren, sondern auch Investitio nen angeboten und nachgefragt werden. So muß manche Nation konstatieren, daß ihre Bedürfnisse bezüglich der von ihr verwalte ten Anlagesphäre den Tatbestand des dringlichen Bedarfs erfüllen, den sie sich einiges an Zugeständnissen kosten lassen muß - wäh rend andere in ihren Bedürfnissen die Freiheit gewahren, jeder mann ihre lohnenden Geschäfte als Partnerschaft aufzudrängen. Im Falle der »Entwicklungsländer« ist diese Art von Partner schaft so geläufig, daß sie besten Gewissens unter dem Titel »Kapi talhilfe« abgewickelt wird. Und vom Standpunkt der politischen Führer jener kolonialgeschädigten und in die »Unabhängigkeit« geschossenen und entlassenen Staaten nimmt sich tatsächlich jede Investition, die aus »natürlichen« Reichtümern wirkliche und aus einem Teil der Bevölkerung Arbeitskräfte werden läßt, wie eine Hilfe aus. Zwar stellt der Einsatz von Kapital die Subsistenz der in Entwicklungsländern lebenden Menschen gründlich in Frage, da für sichert er aber der Regierung ein Einkommen, das sie zur Be streitung ihres Unterhalts im befreundeten Ausland ausgeben kann. Daß die Gelder für ein herrschaftliches Leben und den Ge waltapparat in vielen Fällen nicht reichen, also Kredite notwendig werden, die zu ansehnlichen Staatsschulden anwachsen, tut dem Geschäft keinen Abbruch. Dergleichen befördert den Bedarf an Kapital, das allein imstande ist, den »Aufbau« und die »Entwick lung« des armen Landes zu bewerkstelligen - und der »kaufmänni sche« Gesichtspunkt, der das viele Geld für verloren erklärt, bla miert sich an dem Maß, in dem sich die Subventionierung einer Herrschaft lohnt, die nichts anderes zu tun weiß, als mit ihrer Ge walt die ihr unterstellte Erde samt Volk der Anwendung durchs Kapital zu erschließen. Wo Nationen wie Brasilien die Gegeben heiten ihres Landes und das Interesse ausländischen Kapitals aus nützen, um eine produktive Industrie in Gang zu bringen - also nicht nur den Ausverkauf von Bodenschätzen zu ihrer Geschäfts97
grundlage erheben erweist sich die staatlich inszenierte Dauerin flation sogar als vom internationalen Kapital vorzüglich kalkulierbarer brasilianischer Beitrag an den Investitionskosten. Auch in solchen Fällen verrichtet die weltweite Scheidung von verwendba rem, überschüssigem Reichtum und anwendbarem, für sich aber nicht geschäftsfähigem Material an Menschen und Natur ihr Werk Auf den Willen der internationalen Geschäftswelt angewiesen nach ihren Maßstäben den Gebrauch von brasilianischer Natur und Arbeitskraft für lohnende Gewerbe in Betracht zu ziehen, be fleißigt sich die souveräne Republik nach Kräften, Land und Leute zu Mitteln dieser Kalkulation zu »entwickeln« - eine Methode, die noch jede Regierung über den Mangel an eigenen Mitteln hinweg getröstet hat. Der Nationalismus der Politiker kommt eben auch als abhängiger, mit konzessionierten ökonomischen Fortschritten, auf seine Kosten - eine Wahrheit, die selbst für »Bananenstaaten«
gilt. Noch mehr trifft dies auf die politische Ökonomie der reichen Entwicklungsländerzu, die ihren Titel gleich aus einem Naturstoff ableiten, den es bei ihnen gibt und der in den Industrieländern ge braucht wird. Die Ölstaaten sind als Anlagesphäre berühmter Firmen in den Besitz erheblicher Konten gelangt, weshalb im freien Westen die Lüge kursiert, sie wären Produzenten und Verkäufer jenes Stoffes und der Preis könne doch unmöglich hinge nommen werden. Dabei zeugt die geldgeberische Manier, in der souveräne Scheichs ihre Petro-Dollars westlichen Aktiengesell schaften zur Verfügung stellen, sehr eindeutig von der speziellen ökonomischen Beschränktheit ihres Regierens. Zw ar im Besitz von Geld, aber ohne ihnen offene Anlagemöglichkeiten, verwan deln sie ihren abstrakten Reichtum in Aktienkapital, was zwar ein Geschäft ist, aber ein sehr privates, welches die Wucht ihrer Staa ten um keinen Deut verstärkt. In diesen Genuß gelangen sie höch stens auf einem ganz anderen Weg: in ihrer Rolle als Ölstaaten werden sie eines ganz dringlichen Schutzes für würdig befunden, sind also als militärische Partner des Westens gefragt. Und falls sie sich in dieser Hinsicht nicht zahlungs- und verteidigungs willig er weisen (was die meisten im eigenen Interesse tun), fällt ihre öko nomische Vorzugsstellung einer Spezialkampftruppe der USA zur Last, wenn sie nicht - wie die iranische Islamrepublik ~ die Ober flüssigkeit ihrer Angebote und den kriegerischen Haß von Bruder-ölstaaten demonstriert bekommen. 98
Drittens ist das Eden des Völkerrechts also auch nicht ganz frei von Gegensätzen. Die diplomatischen Umgangsformen mögen noch so sehr darauf abgestellt sein, die Gemeinsamkeit der diver sen Partner zu unterstreichen und damit die prinzipielle Achtung von kontrahierenden Souveränen untereinander - im Inhalt der ge schäftlichen Vereinbarungen wird gestritten. Immerhin will jeder Staat dem speziellen Interesse des anderen die Botschaft entneh men, die andere Seite brauche ihn. Die Konditionen, unter denen der eine Souverän Arbeiter ausreisen läßt, der andere Kapital einreisen, die steuerlichen Bedingungen für das Wirken fremder Gel der usw. - eben alle Modalitäten des Geschäfts werden zum Anlaß kleiner und großer Erpressungsmanöver. Die Überzeugungskraft der ausgetauschten »Argumente« variiert - und das widerspricht nicht der Tatsache, daß die »Abhängigkeit« eine wechselseitige ist: Staaten, die sich nicht umeinander kümmern, hätten tatsächlich keinen Grund zu streiten - entsprechend den Voraussetzungen, die die Partner in die Gespräche mitbringen. Der Unterschied von Freiheit und Bedarf macht den Grad der Erpreßbarkeit aus, so daß sich manche Souveräne quasi Diktaten beugen müssen, die ihre ge samte Wirtschaftspolitik auf auswärtige Interessen verpflichten; dafür gibt es andererseits Industriemächte, die ihre Kapitalexport programme noch den meistbietenden Staaten zur Konkurrenz vor legen. Mit ihren Vereinbarungen schließlich legen sich die kontrahie renden Regierungen darauf fest, sich des gewünschten Vorteils durch pflichtgemäße Erfüllung zu versichern. Und da Vertrags treue bei eintretenden Verlusten einerseits eine Frage des Willens, andererseits eine Frage des Vermögens ist, bleiben »Störungen« selten aus. Sie zu korrigieren und durch zusätzlich angedrohte Schädigung oder Beistand abzustellen, fühlen sich wiederum die Staaten berufen, denen ihre »Abhängigkeit« ohnehin zu einer be quemen Art der Einmischung gerät. Ihre Außenpolitik, die sich herzlich wenig um die einheimischen und auswärtigen Opfer kümmert, die ihre Durchsetzung fordert, rechnet ständig mit dem »Aufbegehren« des Souveräns, der in seinem Herrschaftsbereich durch gelungene Ausbeutung für das Gelingen des Geschäfts Sorge tragen soll. Insofern lauert hinter allen Staatsaktionen dieser Welt durch Kriege in Staaten aufgeteilt, die nun den Kapitalmarkt ge stalten - die Gewalt. Viertens gibt es auf dem Weltmarkt viel zu verteidigen - und zwar 99
um so mehr, je durchschlagender der Erfolg einer Nation, ihre In teressen im Ausland zu verankern, ausgefallen ist. Eroberungen stehen nicht mehr an, dafür aber die weltweite »Sicherung unserer Rechte« - zumindest für die Staaten, die so viel »Einfluß« besitzen daß kaum eine Nation sich eine Alternative herausnehmen kann ohne daß sie betroffen sind. 3. Mit dem angelsächsisch-sowjetischen Sieg über Deutschland und Japan ist über Botmäßigkeit und Dienstbarkeit der Souveräne auf dem ganzen Globus militärisch und daher politisch zugunsten der USA entschieden worden - mit der einen entscheidenden Aus nahme des »sozialistischen Lagers« und einer daher rührenden Un sicherheit der prinzipiell gültigen »Weltanschauung«, Und als ein zige Macht auf der Welt verfügten die USA auch über die ökono mischen Mittel, um die weltweiten Machtverhältnisse zu einem ebenso umfassenden System lohnender Benutzung der Welt aus zubauen. Alle ehemals konkurrierenden kapitalistischen National ökonomien waren ruiniert: der verlorene Weltkrieg im Falle der Gegner, aber auch der schließliche Sieg der europäischen Alliierten der USA hatten die Zahlungsfähigkeit der einen wie der anderen überstrapaziert, dabei den akkumulationsfähigen Reichtum der Nationen dezimiert, somit Währung wie Produktionsapparat für die Restauration eines konkurrenzfähigen nationalen Geschäfts lebens einigermaßen untauglich gemacht. Umgekehrt hatten die USA noch ihre Kriegsökonomie »marktwirtschaftlich« abgewikkelt: als Geschäft, das mit einem Anteil vom Uberschuß des natio nalen Geschäftslebens bestritten wurde und daher den Staatskredit nicht in Mitleidenschaft zog, in dem es sich bezahlt machte; über dies ohne Einbußen an nationaler Produktionskapazität. Eine schlagkräftigere Garantie für ein nationales Kreditgeld und somit für das darüber bewerkstelligte Geschäftemachen mit Eigentum als die Gewähr der US-Regierung für Dollarguthaben war nirgends auf der Welt zu kriegen; und keine Regierung auf der Welt hatte eine auch nur annähernd so erfolgreiche nationale Geschäftstätig keit vorzuweisen wie die der USA. Als einzige kapitalistische »Volkswirtschaft« hatte die amerikanische Nationalökonomie nach Kriegsende keine Notsituation zu bewältigen, sondern besaß die Freiheit, sich den Mangel an potenten Handels- und Geschäfts partnern, das Verhältnis zwischen eigenem nationalem Uberschuß und Mangel an akkumulationsfähigem Reichtum auswärts, zum »Problem« und Anliegen zu machen.
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Dieses freie Interesse der US-Wirtschaft und ihrer politischen Manager am kriegszerstörten Rest der Welt bedeutete nie, daß es dieser Ökonomie an billigen fremdländischen Lieferanten und ih ren Exporteuren an zahlungskräftiger Kundschaft mangelte. In diesem Sinne ist der Kapitalismus der USA nie auf Handelspartner angewiesen gewesen. Das nationale Kapital findet im eigenen Land alles Nötige für seine schrankenlose Expansion - seit erst einmal der in der Phase der »ursprünglichen Akkumulation« in der »Neuen Welt« fühlbare Mangel an so gut wie umsonst vernutzbarer Arbeitskraft durch Sklavenimporte behoben war! und es hat diese Voraussetzung seit jeher dazu genutzt, seine Akkumulation so konkurrenzlos zu gestalten. Auch nach dem Krieg waren und wußten die U SA sich frei vom Zwang zum Konkurrenzerfolg im Außenhandel; und wo sie darauf Wert legten, waren sie sich dieses Erfolges dank der schlagkräftigen Größe, der Produktivität und der technologischen Konkurrenzlosigkeit ihres Kapitals allemal si cher - eine Freiheit und Sicherheit, an denen sich bis heute nichts wirklich Entscheidendes geändert hat: ein Kapital, das auf Außen handelserfolge nicht angewiesen ist, bringt schon damit di# beste Voraussetzung dafür mit. Auf dieser Grundlage haben die USA angesichts der Kriegsfolgen den Beschluß gefaßt, ihre ehemaligen Feinde und Partner für ökonomisch zu schwächlich zu befinden, um der eigenen Ökonomie gehörig von Nutzen zu sein, und auf Abhilfe gesonnen. Ihren Staats- und Fachleuten war dabei offenkundig eine Wahr heit praktisch geläufig, mit der man sich im Reich der volkswirt schaftlichen Bildung damals wie heute nur blamieren kann: für die Neuinszenierung einer kapitalistischen Nationalökonomie kommt es auf nichts so sehr an wie auf ein wohlfunktionierendes Kredit geld. Reste von produktiv einsetzbarem Reichtum einschließlich einer »Infrastruktur«, wie der Krieg sie in allen einst konkurrenz fähigen europäischen Ländern noch übriggelassen hatte; brauch bare Völker, die im Krieg nicht zu Revolutionären geworden waren, sondern sich so oder so an nationalistischen Gehorsam ge wöhnt hatten und bereit waren, im Vergleich zum Kriegselend eine geordnete Ausbeutung als Glück zu betrachten; eine Trümmerwü ste, die von ihren Bewohnern als Herausforderung an ihren Fleiß und Familiensinn genommen wurde: das alles reicht zwar nicht hin, um privates Eigentum in großem Stil geschäftlich agieren und akkumulieren zu lassen; es ist aber durchaus keine schlechte VorI OI
aussetzung dafür. Es bedarf nur mehr einer schlagkräftigen Garan tie, daß Eigentum und benutzbare Armut auch erhalten bleiben; es braucht privates Eigentum in hinreichender Masse, um Menschen und Material auch wirklich nutzbringend Zusammenwirken zu las sen; und es ist jenes Geschäftsmittel vonnöten, in dem das enga gierte Eigentum sein Wachstum als obersten, in aller Abstraktheit maßgeblichen Zweck des Ganzen realisiert und mißt: eben tinverläßliches Geld. In allen drei »Fragen« haben die USA ohne Zögern weltweit die »Verantwortung« übernommen - daß es ihnen im »Ostblock« verwehrt blieb, war und ist nicht ihre Schuld: sie tun auch da ihr Möglichstes. Die Rettung, Stützung oder auch Einrichtung sou veräner Regierungen, denen die Unantastbarkeit des Privateigen tums genauso selbstverständlich war wie der Grundsatz, daß das Volk sich nützlich zu machen hat und seine Armut das befördert, war den USA buchstäblich eine Ehrensache, die sie mit der be rühmten Truman-Doktrin zu ihrer nationalen Pflicht erklärten. Wo ihre zunächst noch kolonialistisch operierenden Hauptver bündeten mit ihren Nachkriegsordnungsprogrammen nicht zum Ziel kamen - wie in Griechenland, der Türkei, Persien, in Hinterk*ndien usw. - , da ließen sie sich diese Aufgabe einiges an Militärilfe kosten; die ganz neu eingerichtete BRD , »Frontstaat« in jeder Hinsicht, gedieh zum weltpolitischen Schlager ersten Ranges. Den politisch im rechten Sinne stabilisierten Gemeinwesen finan zierten die USA zweitens eine intakte Währung: mit Milliarden krediten stellten sie die »Glaubwürdigkeit« von Pfund und Franc wieder her; mit deutlich weniger Milliarden ermöglichten sie der »Bank deutscher Länder« ihre Ausgabe einer Deutschen Mark, in der Geschäfte zu machen sich lohnen mußte. Die Kosten dieses Beistandsunternehmens waren nicht so arg hoch. Es war ja kein gegenständlicher Reichtum, der da als Währungskredit über den Atlantik floß, schon gar kein Gold: Es waren Schulden, amerikani sche Zohlxingsversprechen, die im Sinne der fiktiven DollarGold-Parität, schon vor Kriegsende in dem amerikanischen Pro vinznest Bretton Woods zwischen den Managern des weitsichtig vorausgeplanten internationalen Nachkriegsgeschäfts vereinbart, wie Gold, eben als Weltgeld behandelt wurden. Denn es gab jakei nen kapitalistischen Staat, der die Mittel gehabt hätte, diese ameri kanische Gleichung in Zweifel zu ziehen; umgekehrt besaßen die USA unwiderstehliche »Argumente« dafür: ihre funktionierende 102
nationale Kapitalakkumulation und ihr Fort Knox, in dem sich die wirklich goldenen Währungsreserven aller früheren Konkurrenten dank des großen Krieges versammelt hatten. Ein wohlfeiler Kredit also, der nie zurückgezahlt, nie verzinst wurde - und sich um so mehr gelohnt hat. Denn eins war mit der großzügigen Überlassung eigener »harter« Währung an kaum mehr oder noch nicht wieder geschäftsfähige Verbündete im Rahmen des European Recovery Program ja ent schieden: Die dadurch restaurierte nationale Geldzirkulation der europäischen Partner konnte nur dadurch zu einem Erfolg wer den, daß geschäftstüchtige Kapitale sie zu ihrem Geschäftsmittel machten; und dieser Aufgabe stellte die amerikanische Geschäfts welt sich ohne jeden Anflug von Selbstlosigkeit. Sie nahm sich der zukunftsreichsten Branchen der wiederaufgebauten »Volkswirt schaften« an und ließ so ihren eigenen geschäfteheckenden Uber schuß sich in Europa als Geschäftspartner gegenübertreten. Die Zahlungsfähigkeit der alten Nationen wurde zu guten Teilen als eine Abteilung im konzerninternen Verrechnungswesen amerika nischer Kapitale wiederhergestellt - was keineswegs immer so un verschämt auszusehen braucht wie der Geschäftsverkehr west deutscher Mineralölfirmen mit ihren Konzernmüttem im Heimat land des Ölgeschäfts. 4. Der Beschluß der U SA , ihre Macht und ihr Geld zur Neuord nung der Welt zu verwenden, hat bei aller Kalkulation von Vortei len für die Weltmacht N r. 1 mit kolonialistischen Bestrebungen nichts zu schaffen. Und dies nicht so sehr wegen der Großzügig keit, lauter souveräne Staaten mit »eigenen« Repräsentanten, Flagge und Hymne ins Leben zu rufen bzw. zuzulassen (die Kriege um die Erhaltung der verbliebenen Kolonialgebiete durften die al ten Reiche selbst führen, und das Augenmerk der USA galt dabei der für sie allein bedeutenden Frage, ob die Entkolonialisierung in die Entstehung »östlicher Satelliten« mündete); vielmehr wegen des »Auftrags« an die Souveräne in allen Breiten, ihre politische Herrschaft zur Teilnahme an der Weltwirtschaft einzusetzen. Dem Supra-Nationalismus der N A T O stellte die Führungsmacht des freien Westens den Imperativ zur Seite, daß die von ihresglei chen höchstförmlich respektierten Nationen in ihrer wechselseiti gen Benutzung, in ihren außenwirtschaftlichen Beziehungen auf die Praktiken der Konkurrenz verzichten, welche eine Kontinuität des Welthandels in Frage stellen. Vertraut mit der Tatsache, daß 103
die Anwälte des nationalen Wachstums je nach Erfolg im grenz überschreitenden Verkehr von Waren und Geld, Arbeitskräften und Investitionen zu Maßnahmen greifen die das Wachstum im Ausland stören, sind die Manager der Nachkriegswelt auf das Kunstwerk einer Weltwirtschaftsordnung verfallen. Diese »Ord nung« zielt auf die Sicherstellung des Anliegens, das kapitalistische Staaten dazu drängt jedes fremde Hoheitsgebiet daraufhin zu in spizieren, was es an Reichtumsquellen aufweist: ihre Urheber er griffen nicht nur Partei für die Internationalisierung des Kapitals, für die Freiheit, jede lohnende Kombination von »Produktions faktoren« in Anspruch zu nehmen; sie waren sich auch im klaren darüber, daß die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, die staatli chen Maßstäbe des ökonomischen Erfolgs, diese Freiheit stets auch relativieren. Bei seinen Anstrengungen, von der internationalen Konkurrenz des Kapitals zu profitieren, ist es nämlich einem Staat nicht gleich gültig, ob das erzielte Wachstum die Mittel seiner Macht erweitert oder die eines »Partners«. Was er sich aufgrund erfolgter Geschäfte leisten kann, interessiert ihn, wenn er die Resultate von Waren-, Geld- und Kapitalströmen bilanziert und überprüft, ob seine Ver fügung über Geld wächst oder nicht. Dabei kommt es ihm freilich nur bedingt auf das unmittelbare Plus und Minus auf den Konten seiner Nationalbank an; schließlich handelt es sich bei den Geld summen, die da zu verzeichnen sind, um Kreditzeicheny deren Kaufkraft und Tauglichkeit auf dem Weltmarkt davon abhängt, was die Nationen mit dem von ihnen geschaffenen und garantier ten Kredit anstellen. Insofern ist nicht jede nominelle Aufbesse rung einer Bilanz auch automatisch ein Beleg für einen Zuwachs an Zahlungsfähigkeit; ganz gleich, ob sich die Mittel einer National bank aus Gold und Kreditzetteln des eigenen Staats oder auch noch aus Währungsreserven anderer Herren Länder zusammensetzenwas sie wert sind, ergibt sich erst aus dem Vergleich ihres Aus tauschverhältnisses untereinander. Ob sich Import oder Export von Waren und Kapital lohnen, stellt sich nur durch kundige Be rechnung der Devisenkurse heraus und gebietet den bankgeschäft lichen und staatlichen Einfluß auf sie, mit dem Ziel, über möglichst viele Zettel der A n zu verfügen, die auf dem internationalen Markt der Geschäftsmittel viel Kaufkraft und sichere Anlagen darstellen. Und nur Nationen, denen die Beteiligung am Weltmarkt zu diesem Erfolg verhilft, bei denen also auch die Vermehrung der als Geld
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fungierenden Staatsschulden - die berüchtigte Inflation - der Ver mehrung internationaler Zahlungsfähigkeit keinen Abbruch tut, bleiben Nutznießer und Parteigänger des Weltmarkts. Wo sich dieser Erfolg nicht einstellt, werden Staaten zu Kritikern der welt weiten Konkurrenz: sei es, daß sie nicht mehr willens sind, zu den bestehenden Konditionen in Währungsdingen ihren auswärtigen Handel fortzuführen, und Zuflucht zum Recht ihrer hoheitlichen Befugnisse nehmen, um Korrekturen an Wechselkursen, auswär tiger Freiheit des Handels und Anlegens bei sich durchzuführen; sei es, daß sie über die gelaufenen Geschäfte nicht mehr fähig sind, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, und sich außer mit Schulden und Zinstilgungsforderungen mit der Perspektive konfrontiert sehen, daß sämtliche lohnenden Geschäfte in ihrem Machtbereich - und die von kapitalkräftigen Untertanen auswärts dazu - nicht ihnen, sondern fremden Souveränen ihre ökonomi schen Machtmittel vermehren. Die einschlägigen Verlaufsformen des Entzugs von Nationen aus einmal eingegangenen »Abhängigkeiten«, welche andere Staaten in ihrem Interesse beanspruchen, sind Gegenstand der weltwirt schaftlichen Regelungen, die im Namen eines dauerhaften Wachs tums »des« Welthandels mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschlossen wurden. Und zwar so, daß unter offenkundiger An leitung der U SA und unter Berufung auf die »schlechten Erfahrun gen« der Weltwirtschaftskrise international gültige Gebote verein bart wurden, die jede Auslösung von Stockungen auf dem Welt markt unterbinden sollen, die aus »nationalem Egoismus« erzeugt werden. Daß der Internationale Währungsfonds (IWF) der Form nach ein Bündnis darstellt, obgleich die von seinen Mitgliedern eingegangenen Verpflichtungen den Verzicht auf manches Mo ment ihrer wirtschaftspolitischen Souveränität darstellen, hat den bereits erwähnten - einfachen Grund. Der Unterwerfung ihrer na tionalen Währungspolitik unter supranationale Kriterien stimmen Staatenlenker eben dann zu, wenn sie über das Mittel eines taug lichen Nationalkredits nicht verfügen und auf die Konzession des selben angewiesen sind. Der Verwirklichung des Ideals einer ein vernehmlichen Regelung von Zahlungsbilanzdefiziten und einer Ausstattung der Welt mit »Liquidität« verschreiben sie sich, weil sie zunächst einmal mit dem Problem konfrontiert sind, über eine zum weltweiten »Wirtschaften« erforderliche Währungsreserve gar nicht zu verfügen. Solchen Souveränen gegenüber konnten die 105
USA »überzeugend« auftreten: immerhin verschaffte denen die Verpflichtung, künftig an der Kreditierung zahlungsunfähiger Na tionen mitzuwirken und in der Regelung ihres außenwirtschaft lichen Zahlungsverkehrs »kooperativ« zu verfahren, den Einstieg in den Weltmarkt. Unter dem Titel »Bereitstellung von Währungsreserven« wurde mit der Gründung des IWF das »Liquiditätsproblem« - die vor handene und mit Gewißheit eintretende Zahlungsunfähigkeit von Nationen - wie eine bloß technische Schranke behandelt. Freilich war von Anfang an nicht zu übersehen, daß die kollektive Schaf fung von Zahlungsfähigkeit für Fälle, wo sie gerade nicht vorhan den ist, einen ökonomischen Standpunkt exekutiert, der gewisser Hirten nicht entbehrt. Entgegen dem Konkurrenzinteresse, das sich bei Nationen einstellt, die auf dem Weltmarkt verlieren und von sich aus zu »Interventionen« schreiten würden, ist da die all gemein verbindliche Verpflichtung eröffnet worden, sich weiter hin der - nachteiligen - Konkurrenz zu stellen. Das Programm heißt »Wachstum durch Weltmarkt« absolut: es soll weitergekauft werden, auch wenn es mancher Nation Abzug von ihrem Reich tum besehen; weiterverkauft auch dann, wenn der Export den NationaJkredit ruiniert; und Kapitalanlagen aller Art sollen fort geführt werden, obgleich sie die Phrase vom »wechselseitigen Nutzen« zwischen den Ländern Lügen strafen. Und für dieses Programm bildet das Konstrukt namens IWF die verläßliche Hand habe, einen internationalen Kreditüberbau, der den Zuwachs an national verfügbarem und international anwendbarem Geld auf der einen Seite, seine Verminderung auf der anderen nicht nur korrekt bilanziert. Wenn Nationen dem IWF gemäß dem vereinbarten Quotensystem kaufkräftige Teile ihrer Konten »zur Verfügung stellen«, werden sie nämlich nicht ärmer - das bleibt den anderen Vorbehalten, die Kredite in Anspruch nehmen müssen und in den respektablen Summen ihrer Auslandsschulden - den »normalen« wie den zusätzlichen im Verhältnis zum Fonds eingegangenen nur eines verbuchen: daß ihr Import wie Export, von Waren und Kapital, zur Vermehrung auswärtigen Reichtums beigetragen hat. In ihren monströsen Inflationsraten dokumentieren diese Länder, daß ihr Kreditgeld auf dem Weltmarkt nichts taugt, weder nachge fragt wird noch der Nachfrage fähig ist, daß siefü r sich weder Kre dit schaffen noch über ihn frei verfügen. In den bisweilen auch einmal öffentlich addierten Auslandsschulden der an der »Welt106
Wirtschaft« beteiligten Staaten saldieren sich Kredite, an deren Rückzahlung niemand denkt—sie sind ja durch die förmliche Absi cherung des IWF, durch die Verdopplung nationaler Kreditgut haben (in sich und eine zusätzliche wter-nationale Verfügbarkeit) erst entstanden, weil bleibende Zahlungsunfähigkeit unterstellt war. Und da der Bedarf an Kredit für fehlenden Kredit die »Fazili täten« des Fonds ständig überstieg, ist es nicht bei mehrmaligen Quotenerhöhungen geblieben; mit der Schaffung von Reserven für fehlende Reserven, dem Beschluß zur Einführung von Sonderzie hungsrechten (SZR), haben die maßgeblichen Mitglieder des Weltwährungsvereins eine weitere »Technik« ersonnen, die garantiert, daß der Kredit ihrer Nationen das Zugriffsmittel und Recht auf auswärtigen Reichtum bleibt. Dieses Ergebnis der Konvertibilität aller dem IWF angeschlosse nen Währungen, des Gebots, sich durch Verschuldung auch dann als Partner auf dem Weltmarkt zu betätigen, wenn die Partner schaft nur darin besteht, die souverän verwaltete »eigene« Öko nomie dem Zugriff für weltweit brauchbaren Nationalkredit zu öffnen, ist der Zweck des IWF. Mit seiner Gründung wujde der bedingungslose Konkurrenzkampf zwischen den Nationen fest geschrieben - mit einer Bedingung eben: die Aufkündigung der Geschäftsgepflogenheiten aus Gründen des nationalen Mißerfolgs ist nicht genehmigt. Korrekturen an der Hierarchie zwischen den Nationen, die über eine »Sicherung« des Nationalkredits und damit über eine »Störung« des internationalen Geschäfts erfolgen, haben hinter der »gemeinschaftlichen« Sorge um die »Weltwirtschaft« zurückzustehen. Und nicht einmal die Staaten, die sich in den Jahrzehnten beflissenen Ausbaus des internationalen Kreditsy stems selbst zu Machern der Weltwirtschaft entwickelt haben - die Rede ist von »Europa« und Japan - , wollen und können sich für die »alte« Form der Konkurrenz entscheiden: mehr als die innerhalb des G A T T zugelassenen Techniken im Umgang mit Zöllen und Kontingentierung wollen sie nicht in Anspruch nehmen. Auch sie haben gute Gründe, ihre Ansprüche als politischen Streit um den Beitrag zu und den Nutzen von der »Weltwirtschaftsordnung«, der sie sich verpflichtet wissen, auszutragen und das Beste aus der »Leistungskraft« ihrer heimischen Produktion zu machen. Gute Gründe, die aus der Schaffung jener Ordnung herrühren. Schließlich wurde die weltweite Sorge um die »optimale Versor gung« mit »Liquidität«, die fehlte, mit der Ernennung des Dollars 10 7
zum ersten weltweit gültigen Geschäftsmittel eingeleitet. Unab hängig vom säuberlich verzeichneten »Zahlungsbilanzdefizit«, da« sich die USA über die Jahre, in denen sie die »Leitwährung« von der internationalen Geschäftswelt anwenden ließen, leisteten stand die weltweite Funktionstüchtigkeit des Dollars als verbindli cher Wertträger jenseits aller Diskussion. Er garantierte ja auch die Gültigkeit der Währungen, die sich zunehmender »Härte« erfreuten also selbst dauerhafte Geschäfte gewährleisteten, die ihnen den Ruf und die Qualität einbrachten, ebenfalls als »Reservewährung« taugen. Den Dollar anzuzweifeln, hieße für jeden damit ausgestat teten Souverän, den Hauptposten unter den Aktiva seiner Noten bank zu streichen und damit das eigene gesetzliche Zahlungsmittel, wie glänzend es sich auch immer auf Basis des Dollars als weltweit gern besessene Devise bewährt hat, für jedes über den nationalen Rahmen hinaus kalkulierte, und das heißt für jedes seriöse kapitali stische Geschäft untauglich zu machen und der Weltwirtschaft den Rücken zu kehren. Klar ist damit aber auch, daß die »Wertbesdmmung« dieser Währung erst einmal den Gesetzen des Wechsel kurses entzogen war. Ein- und Verkauf im Ausland sind ja bloß noch eine Unterabteilung der auswärtigen Geschäfte, in denen es auf den Dollar ankommt und ein Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot entsteht, das seinen »relativen Wert« beeinflussen kann. Seine viel wesentlichere Funktion ist die als Mittel der Kredi tierung anderer Notenbanken sowie des Exports amerikanischen Kapitals. Hier treten aber überhaupt nicht mehr Angebot und Nachfrage als aus der internationalen Warenzirkulation erwach sende Größen einander gegenüber. US-Regierung und amerikani sches Kapital befinden ganz allein darüber, in welchem Umfang sie ihre Dollars im Ausland fungieren lassen wollen. Und damit ist auch die Festsetzung des Kurses, zu dem fremde Währungen sich am Dollar bemessen, eine durchaus einseitige Angelegenheit. Von amerikanischer Seite wurde eine Parität bestimmt - nichts beweist die Freiheit der Kursfestsetzung schlagender als deren rein fiktiver Bezug aufs Gold! und zwar im Hinblick auf die Geschäfte, die dadurch ihren Maßstab erhalten sollten: der wohlfeile Einkauf in eine auf fremde Währungen lautende Kapitalakkumulation in er ster Linie, billiger Import und ein auswärtiger Konkurrenz weithin enthobener Export in zweiter und dritter. Vom Standpunkt einer »optimalen« Versorgung der internationa len Geschäftswelt mit den benötigten »liquiden Mitteln« hat das al108
les nie gepaßt, weder Quantum noch Kurswert der weltweit ver fügbaren Dollars. Gemessen an den Kreditwünschen der Partner, also an den Ansprüchen der verbündeten Regierungen an ihren wiederhergestellten Nationalkredit und an den Geschäftsvorhaben ihrer Wirtschaftsaktivisten, waren die grünen Zettel jahrzehnte lang zu knapp und zu teuer - ein einziger praktischer Beweis, daß dafür ihr Export auch gar nicht veranstaltet worden war. Die Aus stattung der Welt mit Dollars war eine Sache der Rücksichtslosig keit, mit der die amerikanische Geschäftswelt ihr Kreditgeld in Kapital verwandelte, wo immer sich das lohnte. Und dabei blieb es, als dank solcher Rücksichtslosigkeit die einst begehrte Wäh rung sich in auswärtigen Banken häufte und die Dollarklemme der Nachkriegszeit längst in eine zunehmende Dollarschwemme über gegangen war. Wieder blamierte sich, diesmal umgekehrt an der Gelassenheit der U SA dem wachsenden Defizit ihrer Zahlungsbi lanz gegenüber, der egoistische Idealismus der europäischen Part ner, die von den U SA mehr Verantwortung für die hohe Aufgabe verlangten, die Weltwirtschaft immer in passender Proportion und zu passenden Kursen mit international zirkulationsfähigen Fi nanzmitteln zu versorgen. Das Quantum der zirkulierenden Dol lars blieb, was es gewesen war: eine höchst einseitige Angelegen heit des amerikanischen Geschäftsbedürfnisses. Und daß mit ihrer / anschwellenden Masse - Folge insbesondere der Skrupellosigkeit, 1 mit der die US-Regierung ihren Nationalkredit für ihre kriegeri- ^ sehen Unternehmungen in Indochina strapazierte - erstmals ein ins Gewicht fallendes Interesse aufkam, sich der süßen Billette auch wieder mal zu entledigen, und dies ihren Wechselkurs im Vergleich zur Mark und anderen Schillingen sinken ließ, erklärten die ameri kanischen »Währungshüter« mit derselben Gelassenheit und Ein seitigkeit zum Problem der Besitzer aufgewerteter Währungen, mit der sie einst die Tauschrelation 1 14 zwischen Dollar und D-M ark festgesetzt hatten. Und das ganz zu Recht. Denn verlieren kann der Dollar seine Funktion als Weltgeld ohnehin nicht mehr, aus bereits genanntem Grund. Ein Sinken seines Außenwerts be einträchtigt daher nicht im geringsten die amerikanische Zahlungs fähigkeit - höchstens die der amerikanischen Touristen; aber für die ist der Dollar sowieso genausowenig erfunden worden wie die »harte Mark« für die deutschen! wohl aber, ausgerechnet, die ih rer einst kreditierten Schuldner, die den Hauptposten ihres natio nalen Schatzes, der leibhaftigen Seriosität ihres Nationalkredits, in
Dollarbeständen halten. Deren Sache ist es daher, durch Aufkauf der Dollars, die auf dem freien Devisenmarkt den Wert ihrer Wäh rung nach oben treiben, den Wert ihrer »Reservewährung« und damit die Finanzbasis ihrer eigenen nationalen Zirkulation zu »verteidigen« und, soweit sie es für nötig halten, die Schädigung ihres Exportgeschäfts abzuwenden. Ein schönes Paradox: ständige und sogar wachsende Zahlungsbilanzdefizite sind kein Argument gegen USA und Dollar, sondern gegen alle anderen; die Abhängig, keit der D-Mark, des Franc, des Pfund usw. vom Dollar, der die weltweite Tauglichkeit dieser Kreditzeichen als seriöses Zahlungs mittel garantiert, macht bisweilen die Ausweitung, Verausgabung und gezielte Entwertung des deutschen, französischen, britischen usw. Nationalkredits erforderlich, damit der Dollar als Grundlage der darin abgewickelten Geschäfte seinen Wert nach Möglichkeit be hält. Sache der Partnerländer war und blieb es auch, sich auf inter nationalen Währungskonferenzen - die schönste und längste aus gerechnet im sozialistischen Belgrad - unter wohlwollendem Des interesse der USA den Kopf über Möglichkeiten zu zerbrechen, wie der Dollar als Weltgeld zu ersetzen und die fröhlich auf eine Billion zumarschierende »freie Liquidität« am Eurodollarmarkt wirksam »abzuschöpfen« oder »einzudämmen« sei. Komischer weise fiel ihnen nichts ein, was auf mehr als auf eine Umtaufung ei niger Dollarmilliarden hinausgelaufen wäre. Es blieb dabei, daß die Partner der USA, und zwar um so mehr, je stärker sie sich zu partiellen Konkurrenten ihrer Führungsmacht aufgeschwungen haben, mit ihren Stützungskäufen die Folgen der skrupellosen Ausnutzung des amerikanischen Nationalkredits und seiner welt weiten Unanfechtbarkeit durch seine Macher: die Entwertung des Dollar, buchstäblich auf ihre Dollarkonten nehmen, den Kredit ih res alten Gläubigers, von dem nicht loszukommen war und ist, ih rerseits kreditieren - und sich so erst recht und noch enger an ihn binden. Auch eine Art, die Währungskredite von einst zu verzin sen und einmal mehr europäischen Dank für die großzügige Wie deraufbauhilfe nach dem Krieg abzustatten. . . 5. Die Lektion ist eigentlich sehr eindeutig: Seit die U SA ihren weltwirtschaftlichen Standpunkt der Währungskredite und des Kapitalexports gegen ihre zahlungsunfähigen Konkurrenten durchgesetzt und sie auf dieser Grundlage als bedingte Konkurren ten wiederhergestellt haben, sind die Zeiten einer Weltwirtschafts krise vorüber, in der der Zusammenbruch des amerikanischen 110
Kreditgeschäfts sich ausgerechnet dadurch auf alle konkurrieren den Partnerländer ausweitete, daß die amerikanischen Banken von ihren auswärtigen Schuldnern bare Zahlung verlangten, um im In land ihre Zahlungsfähigkeit zu retten. Das amerikanische Kredit geld und die darin abgewickelten Geschäfte können nicht mehr ge nerell kaputtgehen, ohne daß vorher alle anderen Nationalökono mien mit ihrer Währung auf geflogen sind; selbst die Schädigung der Akkumulation amerikanischen Kapitals und die Entwertung des Kreditgelds, in dem es sich realisiert, schlägt zuerst auf die Zir kulation der Partnerländer durch, ehe sie das Kapital und den Kre dit der U SA ernsthaft beeinträchtigt. Der praktische Vergleich zwischen »Leitwährung« und kreditierten, »geleiteten« Währun gen ist und bleibt eben unter allen Umständen eine sehr einseitige Sache. Deswegen hätte es auch niemanden zu wundern brauchen, daß nach einer Phase der Dollarabwertung auch mal wieder der entgegengesetzte Trend fällig geworden ist: Die Verteilung von Nutzen und Schaden aus der »weltweiten Inflation« ist für die Geldbesitzer in aller Welt eben eine hinreichend deutliche Erinne rung daran, wo das Geschäft mit der Inflation immer noch das si cherste ist. Und wer es an den nationalen Unterschieden bei der Abwicklung der letzten ökonomischen Krisen nicht gemerkt haben sollte, der hatte und hat schließlich genügend Gelegenheit, sich J daran erinnern zu lassen, daß die Sicherung der »Freiheit der Per- I son«, jener schönen Metapher für die Scheidung zwischen nützli- ' eher Armut und privatem Eigentum, ein Kriegsgrund ist, dessen Konjunkturen mit der Sicherheit des Geschäftemachens auch eini ges, und zwar national unterschiedlich viel, zu tun haben. Wie in den siebziger Jahren das Zahlungsbilanzdefizit, so läßt in den Achtzigern der hohe Zinssatz der U SA deren Macher kalt und macht dafür den regierenden Kollegen Sorgen, die sich dann über »vagabundierende Dollarmilliarden« beschweren: nun werden sie mit dem Kapitalabfluß in die U SA und den dadurch zusätzlich hochgetriebenen nationalen Zinssätzen umgekehrt darüber aufge klärt, daß das Mutterland der pax americana eben nach wie vor die Konditionen für die unter deren Schutz abgewickelten Geschäfte setzt, und zwar auch mit Maßnahmen, die anderen Nationen als Störung der »Prinzipien des Freihandels« verwehrt sind. Den Ärger über solche Klarstellungen und das gepflegte Selbst mitleid der betroffenen Souveräne sollte ein normaler Mensch al lerdings der Idiotie des Patriotismus überlassen. Denn erstens
blamiert die Vorstellung geknechteter westeuropäischer Nationen sich vor der Berechnung der amtierenden Führer dieser Staaten denen seit jeher an einer möglichst effektiven und rentablen Benut zung von Land und Leuten für kapitalistische Reichtumsproduk tion mehr gelegen ist als daran, daß sie dit alleinigen Verantwortli chen und die Benutzung des Volkes das Werk ihrer eigenen Bürger bleiben. Zweitens macht es für das Volk» wenn es sich denn schon für den Erfolg kapitalistischer Geschäfte, also eines für den »klei nen Mann« weder gedachten noch gemachten Reichtums benützen läßt, keinen so prinzipiellen materiellen Unterschied, ob er den Er folg oder die Krise dieses Geschäfts auszubaden hat. Ein prinzi pieller Unterschied ist das einzig und allein für seine souveränen nationalen Führer; und die haben (siehe erstens) über allem Ge jammer, daß die Vorteile des Dollar so schreckliche Nachteile für ihre wirtschaftspolidsche Souveränität mitbrächten, nie die Wahr heit ihrer USA-Hörigkeit vergessen: daß alle Nachteile des Dollars ihnen den unschätzbaren Vorteil gebracht haben, ein Land mit funktionierender Ausbeutung und entsprechend großer und wohl fundierter Macht, die auch international zählt, zu regieren. Ein Land, das sich unter den Geboten des IWF und des G A T T , der an deren Charta des Freihandels für alle, die ihn zu nutzen wissen, glänzend bewährt. Daß die europäischen Mächte »bloß« die Mitmacher des weltwirtschaftlichen Standpunkts der U SA sind, nimmt nicht das Geringste davon weg, daß sie die Mit macher sind, die ihre restaurierten ökonomischen und politischen Potenzen längst ihrerseits per Kapitalexport und Währungskredit aneinan der und am Rest der Welt praktizieren. 6. Vom Standpunkt der Weltwirtschaft, so wie die U S A ihn per Dollar, IWF, GATT und einem halben Dutzend erstklassiger »Freunde« etabliert haben, ergeben sich nämlich für alle Nationen, die über genügend überschüssiges Kapital verfügen, ganz neue Möglichkeiten: erstens einander zu benutzen - »Europa« ist das Exerzierfeld dieser neuen Sorte Konkurrenz und wird in Abschnitt 4 dieses Kapitels gebührend gewürdigt; zweitens auch solche Län der zu benutzen, die für eine funktionierende innere Zirkulation und eine darüber bewerkstelligte Kapitalakkumulation weder die hinreichenden Voraussetzungen mitbringen noch dafür vorgese hen sind. Denn selbst wenn ein Staat es aus eigenen Mitteln nicht mehr oder gar nicht erst zu irgendwelchen exportierbaren Früch ten bringt: so armselig ist kaum ein Land, daß ein hinreichend gro112
ßes Kapital mit seiner Bevölkerung und seiner Naturausstattungund sei es nur die touristisch verwertbare Oberfläche von Land schaft und Elend! - nicht doch etwas anfangen könnte. So braucht auch in Gegenden, wo Industriearbeit noch nie hei misch war, geschweige denn die Bevölkerung danach verlangt hat, und ein Absatzmarkt weit und breit nicht zu entdecken ist, die Gründung einer modernen Firma nicht zu scheitern. Schließlich hat jenes ominöse Subjekt der Weltgeschichte namens »technischer Fortschritt« so viel an handwerklichem Können des benötigten Arbeitermaterials überflüssig gemacht, daß man auch Menschen ohne jede Ahnung und Ausbildung an modernste Maschinerie stel len kann. Die barbarischen Leistungsstandards zivilisierter Öko nomien lassen sich da zwar schwerer oder gar nicht durchsetzen. Wenn aber die zuständige Regierung tut, was in ihrer Macht steht für Zufriedenheit mit absoluten Hungerlöhnen sorgt, großräumige Verwüstungen gestattet, sich mit spärlichen Abgaben bescheidet und den sachverständigen Machern jede Freiheit läßt—, dann ist so mancher deutsche, amerikanische oder französische »Multi« durchaus bereit, »Standortnachteile« zu vergessen und sein ohne hin weltweites Beschaffungs- und Vertriebssystem für das Gelin gen eines Geschäfts einzusetzen, das außer ihm niemand für loh nend gehalten - und auch nicht zustande gebracht hätte. Für fi nanzkräftige Unternehmer bieten aber vor allem günstige Klimate und Bodenschätze in noch so unwirtlichen Regionen einen unwi derstehlichen Anreiz, gleich ein ganzes gesellschaftliches Produk tionsverhältnis zu exportieren - sachgerecht modifiziert natürlich. Da wird dann mit schwerstem und teuerstem Gerät zugeschlagen, eine funktionierende Werkseisenbahn über iooo Kilometer durch Busch oder Wüste zur nächsten Hafenstadt gelegt und allerlei Nützliches dorthin verfrachtet, wo es dann unter wirklich produk tiven gesellschaftlichen Verhältnissen für die Schaffung von zähl barem und in Geld gemessenem Reichtum und lohnenden Über schüssen benützt wird. Seiner Integration in die vom »freien Westen« inszenierte Welt wirtschaft entgeht auf diese Weise kein Land. Es bleibt ja gar nicht mehr seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit überlassen, ob, mit welchem Erfolg und daher in welchem Umfang es sich dem inter nationalen Geschäftswesen erschließt. In jedem Land werden Wirtschaftsaktivitäten in Gang gebracht - und wenn eben nicht durch einheimische Geschäftsleute, sei es, weil es die nicht gibt, sei IX3
es, weiJ diese ihre Besitztümer schleunigst in harter Währung auf sichere Schweizer Nummernkonten bringen, dann um so radikaler durch auswärtige »Entwicklungs«~Angebote! — die dem Krite rium des lohnenden Geschäfts folgen und den Erfolg zur Existenz bedingung der Eingeborenen machen, auf die das Kapital dum merweise noch in den abgelegensten Gegenden trifft. Deren An strengungen, ihre Subsistenz zu erhalten, scheitern ab sofort nicht mehr an der »Feindlichkeit« ihrer »Umwelt«, sondern an der Großzügigkeit, mit der diese auf einmal benutzt wird: die paar lohnend zu betreibenden Fabriken, Minen und Farmen, die ihnen den überlebensnotwendigen Raum nehmen, haben regelmäßig nur für einen Bruchteil der verdrängten Leute eine Verwendung - und die sieht entsprechend brutal aus. Wo also eine heimische Bevölke rung sich allenfalls noch, vielleicht trotz aller Maßnahmen ihrer Regierung, Exportierbares herbeizuschaffen, hat erhalten können, da vollenden großzügige Kapitalanlagen die Zerstörung der vorfindlichen Produktionsweise, die der Außenhandel bereits eingelei tet hatte. Die zuständigen politischen Herrschaften hat die internationale Geschäftswelt dabei allemal auf ihrer Seite. Die eigene sowieso, es sei denn, die hielte gerade aus übergeordneten strategischen Erwä gungen eine Erpressung in Form eines Boykotts für angezeigt; da darf der frusrrierte Anleger sich damit trösten, daß die Konditio nen seines Geschäfts auf diese Weise »langfristig« nur noch besser werden. Die der benutzten Länder auch; denn in der Welt von heute ist Zahlungsfähigkeit nun einmal die Bedingung auch für eine Regierung, eine wie auch immer geartete Souveränität aufrechtzu erhalten; zahlungsfähig wird sie aber allein durch die m it ihrem Land und ihren Untertanen inszenierten Geschäfte, wie ruinös auch immer diese für Land und Leute sein mögen. D er Welthandel nimmt so auf die erfreulichste Weise zu, und die Sortierung der Länder des Globus nach Art und Umfang der lohnenden Benut zung ihrer Ökonomie, ihrer Naturschätze und ihrer Einwohner schaft durch die tatsächlichen Macher der »Weltwirtschaft« wird perfekt. Die drei maßgeblichen Parteien des großen Deals können zufrieden sein: Die einen haben ihr Geschäft, die zweiten einen Er folg für ihre »nationale Wohlfahrt« gesichert, und die dritten kommen in den Genuß einer zwar nicht ganz autonom verfügba ren, dafür aber materiellen Grundlage ihrer Herrschaft - auch der »afrikanische Sozialismus« fällt weder vom Himmel, noch wächst
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er im Busch. Das logisch dazugehörige schlechte christliche G e wissen bezüglich der O pfer einer funktionierenden Weltwirtschaft bleibt der anderen unmaßgeblichen Fraktion: den demokratischen Untertanen der aktiven und verantwortlichen Staatenlenker, über lassen: philanthropische oder - inzwischen bloß noch! - ökologi sche Bedenken und die M ark für Caritas und Serengeti s in d e r A n teil an der weltweiten Verantwortung ihrer Regierenden und V er laufsformen ihrer demokratischen Illusion, am Ende würde das Ganze doch irgendwie z u ihren G unsten veranstaltet. Zw eck und Ergebnis sind in Wahrheit etwas anders beschaffen: A ls »K a p ita lm a rkt« vollendet sich die Staatenw elt m it ihren i j o Souveränen zu einem w eltw eiten ökonom ischen Im perium .
4. D a s »europ äische E in ig u n g sw e rk «
Die kapitalistischen Demokratien Europas haben es seit jeher ver standen, aus ihrer Einordnung in die von den U SA nach dem gro ßen Krieg restaurierte Weltwirtschaft für sich das Beste zu machen und mit den ihnen gesetzten Konditionen glänzend zurechtzu kommen. Daß das Mitmachen unter Bedingungen, die sie selber keineswegs frei und gleichberechtigt ausgehandelt haben, ihre ein zige Chance war und ist, nimmt nicht das Geringste davon weg, daß sie darin sehr souverän ihre Chance zur aktiven Teilhabe am weltweiten Imperium des freien Kapitalverkehrs gesehen und mit dem bedingungslosen Willen zum Erfolg bedingungslos und er folgreich ergriffen haben. Lächerlich sind daher alle Töne des na tionalen Selbstmitleids, die unter freien Westlern immer wieder laut werden und immer wieder zu imperialistischen Phantasien ei nes alternativen Patriotismus Anlaß geben, sobald Regierung und Wirtschaft eines Partnerstaates anders wollen müssen, als sie sonst vielleicht eigentlich gewollt hätten. Lächerlich vor allem im Falle der B R D . Denn dieser Staat - von seinen Bewohnern ist hier nicht die Rede! - war von Anfang an der Hauptnutznießer einer amerikanischen Politik, die Sieger und Be siegte des Zweiten Weltkriegs gleichermaßen zu N A T O - und Handelspartnern gemacht hat. Frankreich und Großbritannien, sogar Holland und Belgien hatten ihren Kolonialbesitz, auf den ihre Großmacht sich gegründet hatte, erst noch zu liquidieren: für derartige Zonen exklusiven Zugriffs einer bestimmten politischen
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Herrschaft und ihrer nationalen Nutznießer war im Rahmen von IWF und G A TT kein Platz mehr. Die Wahrheit der neuen »Welt wirtschaftsordnung« hatten die alten Kolonialmächte gegen sich, nicht bloß blutige Aufstände in ihren liebsten, weil fortgeschritten sten »Überseeprovinzen« und »Dominions«, mit denen sie im Falle nachdrücklicher amerikanischer Hilfe allemal noch fertig ge worden wären - immerhin war ihnen so viel amerikanisches Wohlwollen sicher, daß der Fortschritt vom Kolonialismus zum modernen Wirtschaftsimperium der »freien Welt« sich ausgiebig gestaltete und die eine Seite einigen Reichtum und etliche Soldaten, die andere Seite die Überlebensmittel der Armut und einige Volksmassen kostete. Umgekehrt erwies die »Stunde Null« des besiegten Deutschland sich für die demokratisch erneuerte Bundesnation als erstklassige Startchance: die alten Staatsschulden waren mit der Währungsre form so gut wie gestrichen; sogar Kriegszerstörungen und Demon tagen kamen dem kapitalistischen Neuanfang insofern zugute, als das anlagewillige Kapital, sei es amerikanischen oder nationalen Ursprungs, auch dank rasch wachsender Kredite gleich mit den modernsten Methoden der Arbeitskräftenutzung zu Werke ging; die Ansprüche des Proletariats hatten Krieg und Niederlage aufs Überleben reduziert, somit den Wert ihrer Arbeitskraft drastisch herabgedrückt; der Wegfall der militärischen faux frais demokrati scher Herrschaft lohnte sich noch dazu politisch als Beweis der na tionalen Bescheidenheit - und innenpolitisch für den der totalen Niederlage angemessenen neuen Nationalismus der Bescheiden heit; und unter diesen Auspizien ließ das durch amerikanisches und einheimisches Kapital wieder engagierte Volk sich ausgiebig benutzen und die Akkumulationserfolge, für die es sich hergab, vertrauensvoll zum kaum verdienten »Wirtschaftswunder« verklä ren. Dem westdeutschen Kapital war dank seiner »Abhängigkeit« von amerikanischem Kredit von vornherein das Mitmischen im Welthandel, eben ganz jenseits der heimischen Armut, als Weg zu schleunigster Akkumulation eröffnet und als effektivste Methode »vorgeschrieben«; der Erfolg, mit dem es sich auf diesen süßen »Zwang« eingelassen hat, ist in der Rede vom »ökonomischen Rie sen« - der inzwischen schon längst kein »politischer Zwerg« mehr bleiben »darf«! - geradezu sprichwörtlich geworden. Dabei hatten ebenfalls die USA bereits mit den Institutionen zur Abwicklung ihres ER P, der Europäischen Zahlungsunion und der O E E C , ihre
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europäischen Verbündeten auf den besonderen regionalen Interna tionalismus verwiesen, über den speziell die neue westdeutsche Republik sich zu nie geahnter neuer Weltmacht und zum selbstver ständlichen Mitglied des Weltwirtschaftsgipfels hochgearbeitet hat: auf Europa. i . Mit dem ökonomischen und militärischen Patronat der USA über die souveränen Staaten Westeuropas war und ist diesen zu mindest für ihren Umgang miteinander die Freiheit genommen, ihre Gewalt nach Gutdünken für die Durchsetzung ihrer Interes sen an anderen Souveränen und deren Ländern geltend zu machen. Ihre bewaffnete Macht gegeneinander einzusetzen, das kommt für NATO-Partner nicht in Frage - oder doch nur sehr eingeschränkt: auf die Vertreibung feindlicher Fischerboote in eigenen Fischerei gewässern etwa oder auf eine sachgerechte Grenzziehung in der Ägäis und auf dem letzten Überbleibsel des britischen Kolonialis mus im östlichen Mittelmeer, auf Cypern. Die »glaubwürdige« Drohung mit Waffengewalt und ähnlichen »Repressalien« ist als Mittel der Außenpolitik zwischen den Schützlingen Amerikas je denfalls nicht mehr üblich bzw. nurmehr indirekt unter den Auspi zien der Bündnisdisziplin: als Drohung mit dem Entzug von mi- / litärischer Kooperation, welche bedingungslos zu wünschen jeder NATO -Partner sich doch festgelegt hat. In gleicher Weise stößt \ der Gebrauch der wirtschaftspolitischen Souveränität der europäi schen Staaten in der unerläßlichen Bedingung für die Benutzung fremder Ökonomien: im internationalen Zirkulationsmittel Dol lar, auf eine Schranke, nämlich auf den sehr praktischen amerikani schen Imperativ, der Konkurrenz der Ökonomien keine hoheit lichen Hindernisse in den Weg zu legen. Die Institution der »Handelskriege« ist damit zwar keineswegs abgeschafft; unter den Bedingungen von IW F und G A TT fehlt solchen Aktionen von euro päischem Boden aus allerdings die letzte Härte: die Drohung mit dem Abbruch der ökonomischen Beziehungen zu einem gleichfalls dem »freien Westen« zugehörigen Konkurrenten entbehrt der Glaubwürdigkeit. Damit beschert die pax americana den befriede ten Nationen Westeuropas allerdings keineswegs das Ende des na tionalen Egoismus, sondern dessen paradoxe Neueröffnung. Die Beschränkung der Freiheit, mit allen Mitteln der Souveränität um die Vorteile wechselseitiger Benutzung zu konkurrieren, ist der Zwang, um diese Vorteile mit allen zugelassenen Mitteln zu kon kurrieren. Mehr denn je sieht sich der Materialismus der westeuro-
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päischen Souveräne seither auf das fortschrittlich-imperialistische Ziel festgelegt, aus der Ökonomie der verbündeten Auslande größtmöglichen nationalen Nutzen zu ziehen, und für dieses Ziel auf die Waffe der Produktivität des Kapitals als das einzig unbe schränkt gestattete Mittel verwiesen. In beiden Hinsichten war und ist es die amerikanische Konkurrenz, die die Maßstäbe setzte und noch immer vorgibt: in Sachen Produktivität ebenso wie in der Freiheit, auswärtige Staatsgrenzen als mehr oder minder zuträgli che Bedingungen für die erfolgreiche Verwandlung ihrer überlege nen Produktivität in eine überlegene Profitrate zu kalkulieren. Dieser praktische Zwang, sich mit dem weltweit rechnenden und agierenden US-Kapital zu vergleichen, nötigte den europäischen Geschäftsleuten von Anfang an die »Einsicht« auf, daß nationale Wirtschaftsgrenzen kaum mehr einen Schutz vor unliebsamer Konkurrenz bedeuten, dafür aber ein um so größeres Hindernis für den eigenen Geschäftserfolg. Dieser »Einsicht« mochten denn auch die politischen Macher der nationalen Ökonomien des »alten Kontinents« sich nicht verschließen, weil ihnen auch ohne Kennt nis des Wertgesetzes klar wurde, daß der alte Protektionismus ge gen die innereuropäische Konkurrenz nur die Überlegenheit der USA verewigen und vergrößern mußte: für den Krisenfall stand so ja von vornherein fest, auf welches Kapital die Last der Entwertung fiel und welches das zum Ausgangspunkt für neue Akkumula tionserfolge würde nehmen können. So setzten sie das »Jahrhun dertwerk« der »europäischen Einigung« in Gang. 2. Daß die an der EG beteiligten Staaten aus ihrer inneren und äu ßeren Wirtschaftspolitik den Nationalismus verabschiedet hätten und dazu übergegangen wären, Außenhandel und Kapitalverkehr, Kreditwesen und Klassenkampf, Investitionsförderung und Steu erlasten nur noch gemeinschaftlich zu regeln, ist in den Jahrzehn ten der europäischen Einigung nicht eingetreten - und lag auch gar nicht in der Absicht der Gemeinschaftsstaaten: die zuständigen hauptberuflichen Patrioten haben zwischen ihrem EinigungsiW&ilismus und ihrem Konkurrenzzweck praktisch noch allemal unter scheiden können. Schließlich war Einigung für sie nie ein Selbst zweck, sondern das Mittel zur Sicherung und Förderung des Mate rialismus ihrer jeweiligen Nation; klar, daß das Gemeinschaftsle ben sich entsprechend strittig gestaltet. Enttäuschte Europa-Fans, die das Gemeinschaftsunternehmen für farcenhaft und gescheitert erklären, treffen die Sachlage allerdings erst recht nicht. Sicher, ii8
Importbeschränkungen und Exporthilfen sind auch auf dem Ge meinsamen Markt nicht ausgestorben. Zölle sind zwar abgeschafft, sogar schneller als vorgesehen, aber nicht die Zöllner; denn weil je der Souverän seine eigenen Vorstellungen darüber hat und prakti ziert, wie er sich für seinen Finanzbedarf bei seinen Untertanen bedient, müssen an den Grenzen gerechtigkeitshalber die unter schiedlichen Steuerlasten ausgeglichen werden. Die Freizügigkeit der Waren scheitert immer wieder mal an irgendeiner Generalklau sel, dann wieder an kleinlichsten Normvorschriften, die just die Exportschlager des Nachbarn normwidrig ausfallen lassen; ebenso die der Arbeitnehmer teils am Vorbehalt eines Arbeitsplatznach weises, teils an den Reservaten, die ein Kulturstaat per Ausbil dungsvorschriften u. ä. seinen Kulturträgern einrichtet. Nicht einmal Kapitalimport und -export sind von national unterschiedli chen Reglementierungen frei, und über den Außenwert ihrer Wäh rung will jede Regierung das letzte Wort haben. Gerade die von EG-Idealisten beklagte rasante Vervielfältigung derartiger »natio naler Sonderregelungen«, deren Einführung, Kritik, Revision, Neuaushandlung usw. Heerscharen von Staatsbediensteten ins Brot setzt, ist aber der schlagende Beweis dafür, wie sehr die grenzüberschreitende Konkurrenz für die Gemeinschaftsstaaten j bereits zur Prämisse ihrer Wirtschaftspolitik geworden ist. Mit ih- ' rem Streit um nationale Sonderregelungen reagieren sie auf die Freiheiten, die ihr jeweiliges nationales Kapital und das der ande ren sich längst nimmt und im Prinzip ja auch nehmen darf und soll - speziell in so geheiligten nationalen Intimbereichen wie dem der Geschäftemacherei mit Schulden. Der Eurodollarmarkt trägt sei nen Vornamen schließlich deswegen zu Recht, weil die EG-Staaten sich nicht etwa prinzipiell die Benutzung all der schönen Dollar milliarden versagen, die dank jahrzehntelanger amerikanischer Zahlungsbilanzdefizite den Rest der Welt beglücken und auf »frei en« Finanzmärkten außerhalb der Zuständigkeit der Nationalban ken Europas ihr Wesen treiben: mit allen möglichen Restriktionen erlauben, regeln und fördern sie sogar deren Verwandlung in na tionales Kapital. Überhaupt ist die Zahl der nationalistischen »Ver stöße gegen Gemeinschaftsregelungen« bloß deswegen so uferlos, weil der »westeuropäische Wirtschaftsraum« als Kalkulations grundlage die Ökonomie der beteiligten Staaten immer umfassen der und intensiver betrifft. Tatsächlich ist an den ökonomischen Sitten und Gebräuchen der 119
westeuropäischen Partner denn auch deutlich abzulesen, wie der Supranationalismus der von den USA arrangierten, von amerikani schen wie europäischen Geschäftsleuten exekutierten Konkurrenz der Nationen deren Ökonomie umkrempelt. Hinsichtlich der Ef fektivität der Produktion wie der Modernität und Ausdehnung des Vertriebswesens eines Kapitals, in Sachen Krisenfestigkeit und da her auch Konzentrations- und Zentralisierungsgrad des nationalen Kapitals sind in allen EG-Staaten ganz ohne Kommissionsrichtli nie neue Standards durchgesetzt, denen national unterschiedliche Fraktionen des gesellschaftlichen »Mittelstandes« ziemlich unter schiedslos zum Opfer gefallen sind. Ganz zu schweigen von den Einwohnern des vielgepriesenen »Europa der Arbeitnehmer«, die sich - ebenfalls unterschiedslos und deswegen national sehr diffe renziert - inzwischen Jahr für Jahr an umgekrempelte, neue oder gar keine Arbeitsplätze gewöhnen dürfen, weil über einen halben Kontinent hinweg das eine Kapital allen anderen den jeweils fort geschrittensten Stand in Sachen Ausbeutung zur Überlebensbedingung macht. In demselben Zug entstehen unter dem Druck weiträumiger Konkurrenz und der Obhut der Regierungen neue nationale Wirtschaftszentren - und logischerweise auf der anderen Seite *strukturschwache« Regionen oder gar »Notstandsgebiete«, die bei einer weniger weltmaßstäblichen Akkumulation, Konzen tration und Zentralisation der europäischen Geschäftemacherei kaum in die für sie ruinöse kontinentale Konkurrenz einbezogen worden wären. Die »Gemeinschaft« hat in ihrer praktischen Weis heit diesen Fall längst vorgesehen und unterhält für Kompensa tionsmaßnahmen einen »Regionalfonds«, dessen Verteilung aller dings keineswegs eine Frage der Bedürftigkeit ist: Zwischen den Empfängerländern geht es ziemlich proporzmäßig zu, und diese handhaben die empfangenen Mittel in der Regel ökonomisch - also nicht zur fruchtlosen Linderung von Mangel, sondern zur lohnen den Förderung des Reichtums, wo er bereits in überzeugender Weise zustandekommt (was im Mezzogiorno nun ein für allemal nicht der Fall ist). Dasselbe gilt für die diversen Wirtschaftsbran chen: da stehen Industriezweige, die einmal der Stolz der Nation gewesen sein mögen, vor der Alternative, sich gesund- oder totzu schrumpfen. Daneben bauen die Partnerstaaten, durch die Wucht amerikanischer Überlegenheit zu ebenso wuchtiger internationaler Solidarität gezwungen, mit vielen Subventionen und entsprechend proportionierten nationalen Anteilen eine kontinentale Luft- und 120
Raum fahrtindustrie auf - oder kündigen auch wieder die G em ein
samkeit, wenn und soweit sie beispielsweise auf dem Sektor der Atomkraftnutzung in der Konkurrenz der nationalen Unterneh mungen gegeneinander besser zu fahren hoffen. Ein Feld besonde rer Einigungen und daher auch Streitigkeiten ist dabei die Stahl branche, die - wenn auch aus ganz anderen Gründen: Frankreich wollte sich so die Kontrolle über die deutsche Schwerindustrie si chern - zusammen mit der Kohleförderung Gegenstand des ersten großen europäischen Gemeinschaftswerks, der Montan-Union, wurde. Bei aller »guten Nachbarschaft« und Bereitschaft zum Konkurrieren will auf diesen Industriezweig kein Souverän ver zichten: nicht ohne Grund gilt der Stahl als politischer Rohstoff erster Güte, sofern an seiner Produktion praktisch die gesamte Wirt schaft einer modernen Gesellschaft hängt, einschließlich der »Ver sorgung« der Staatsgewalt mit ihren wichtigsten Instrumenten und an seinem Preis zu einem Gutteil die Konkurrenzfähigkeit des nationalen Kapitals. Lohnend soll die Stahlproduktion nach Mög lichkeit schließlich auch noch sein; und diese drei Zielsetzungen sind nicht so einfach zu vereinbaren. Vom Standpunkt der jedem Konjunkturboom gewachsenen nationalen Stahlversorgung ist der Unterhalt von nicht ausgenutzten Kapazitäten erforderlich, der sich nur zu Preisen lohnen kann, die wiederum das weltweite Ge schäft aller anderen Kapitale beeinträchtigen. Also subventioniert jeder Staat die Überkapazitäten seiner nationalen Stahlproduzen ten - und wird damit zum bedingungslosen Parteigänger deren Konkurrenzkampfes um Marktanteile im Ausland: besserer Aus lastungsgrad senkt ja die Subventionsbedürfnisse. Hier wird also einmal die Schlacht um Absatzmärkte unmittelbar zum staatlichen Anliegen und dementsprechend abgewickelt: als politischer Streit um die Zuteilung von Produktionsakten, mit denen dann wie derum kein Kapital zufrieden ist. Streit und nationale Unzufrie denheit sind hier die Alternative zur Nationalisierung des Stahl markts, also die notwendige Verlaufsform des »Swpranationalismus« eines gemeinsamen Stahlmarkts, mit dem jeder Staat seinen Partnern die Unkosten dieser Branche aufzuhängen versucht. Da bei wird die Kapitalproduktivität als Konkurrenzmittel keines wegs hinfällig, sondern ebenfalls zum direkten Staatsanliegen; denn nach ihr bemißt sich ja ebenfalls der Bedarf an Staatszu schüssen, und zwar nicht bloß im eigenen Land. Die französische, belgische und britische Stahlindustrie wird für die zuständigen Re121
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gierungen in dem Maße zu einer dauerhaften und zunehmend drückenden Last, in dem die italienische und bundesdeutsche Konkurrenz erfolgreich und geschäftstüchtig genug ist, um die ihr zufließenden Subventionen zur Senkung ihrer Produktionspreise, aiso lohnend zu nutzen: um so höher steigt der Zuschußbedarf der anderen, ohne daß doch zur Produktivitätserhöhung etwas übrig bliebe. So verfügen gerade vermittels des gemeinsamen Stahl markts die einen Nationen über Hüttenwerke modernsten Kali bers, die mit Niedrigpreisen Gewinn machen und überall Marktanteile erobern, während die anderen nationalen Reichtum vergeuden, um sich eine zunehmend unrentable nationale Stahl herstellung überhaupt zu erhalten. Ähnliche Neuerungen macht im Rahmen und dank der EG die Lohnarbeit in den verschiedenen Partnerstaaten durch. Für die deutschen Arbeiter hatte die totale Niederlage den gültigen Maß stab für den Preis der Arbeit gesetzt, nämlich das knappe Existenzminimum; von dem aus war jeder Erpressung in Sachen Mehrleistung ein Erfolg beschieden, und noch die kleinste Verbes serung des »Lebensstandards« schrieben Gewerkschaft, Kapital und Staat, insgesamt also »das marktwirtschaftliche System«, sich auf ihr Wirtschaftswunderkonto. Diese in Lohn und Leistung gleich doppelt zu Buche schlagende Nachkriegserrungenschaft mußten und müssen andere EG-Partner, die ihrem Proletariat nach gewonnenem Krieg nicht gleich jede historische Errungen schaft aus seiner Entlohnung gestrichen hatten und mit anderen Gewerkschaftsforderungen als der nach verantwortungsbeladenen Gremiensitzen in Untemehmensvorständen konfrontiert waren, erst nachholen. Der Wert der Ware Arbeitskraft - oder volkswirt schaftlich ausgedrückt: die Frage der »für unsere Wirtschaft zu verkraftenden Lohnkosten« - zählt in den europäischen Demokra tien zu den Dauerbrennern der öffentlichen Diskussion. Und als Größe, an deren Reduktion sich noch jede wirtschaftspolitische Großtat bewährt, ist der Preis der Arbeit, die Lohntüte eben, der Selbstbedienungsladen der konkurrierenden Partnerländer. Bis in den letzten Winkel - des Landes, der Branche, der Arbeits plätze, der Lebenshaltung - hinein macht die europäische Konkur renz unter EG-Bedingungen für das Kapital und gegen die Arbeit denselben banalen Maßstab maximaler Effektivität geltend (der methodisch geschulte Leser hat hier wieder ein Stichwort, um die Plattheit und Brutalität kapitalistischer Erfolgskriterien für eine 122
Eindimensionalität unserer »Betrachtungsweise« zu halten) - und führt mit solcher Gleichmacherei keineswegs zur Gleichheit der nationalen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Am deutlichsten wird das in der Sphäre sichtbar, in der die Gemeinschaftsstaaten die ruinösen Konsequenzen einer internationalisierten Konkurrenz zum Gegenstand ihrer besonderen Aufmerksamkeit machen: in der Landwirtschaft. Bei ihrer Betrachtung kann man sich im übri gen auch die letzten Illusionen der Art abgewöhnen, der europäi sche »Gemeinsame Markt« hätte auch nur entfernt etwas mit ei nem großen Wochenmarkt zu tun, auf dem die besten Sachen am einfachsten an »den Verbraucher« gelangen. Das berüchtigte Sy stem der europaweit gültigen Mindestpreise für die meisten land wirtschaftlichen Produkte macht den »Warenkorb« eines Haus halts nicht billiger, eröffnet dafür aber im Agrarbereich auf ganz neuer Stufenleiter die Chance, mit spezialisierten, durchrationali sierten Großbetrieben lohnende Geschäfte zu machen. Umgekehrt erfährt eben dadurch die Masse der Bauern ganz praktisch, daß ihre angestammte Produktionsweise sich auf einmal nicht mehr lohnt selbst dann kaum, wenn sie sich verschulden, um zu modernisie ren, und die Arbeitskraft ihrer Familien intensiv ausbeuten. Die Wucht dieser Klarstellung trifft diesen Teil der Gesellschaft zwar nur in abgemilderter Form, da etliche Gemeinschaftsstaaten sich die sanfte Liquidierung ihres bislang abgetrennt vom kapitalisti schen Getriebe werkelnden Nährstandes etwas kosten lassen und ihre Preisgarantien soweit hinaufmanipulieren, daß mancher un ternehmungslustige Kleinbauer sich noch eine Existenzchance er hofft. Um so gründlicher geht eine - sehr nationenspezifische Sortierung dieses antiquierten Standes vonstatten: in eine kleine Minderheit radikaler Agrarunternehmer, die mit den staatlichen Subventionen als erstklassiger Geschäftsgrundlage kalkulieren und mit ihrem entsprechenden Erfolg einen Agrar-»Berg« nach dem anderen aufwerfen helfen - ein blühender Geschäftszweig in Län dern mit schon länger kapitalisierter, exportorientierter Landwirt schaft wie Dänemark, Holland, aber auch Frankreich; in eine ab nehmende Anzahl kleiner Selbständiger, die mit ihren Versuchen, in einen endlich einmal wirklich lohnenden Boom einzusteigen, immer um die entscheidende Saison zu spät kommen - und deren Ärger sich in Anwandlungen eines bodenständigen Anarchismus gegen die Produkte der Konkurrenz entlädt: da ist schon viel ge panschter Rotwein ins Mittelmeer abgelassen worden; und in die I23
Mehrzahl geschäftsunfähiger Ex-Landwirte, die, je nach dem, ihren Abgang ins industrielle Proletariat oder in die industrielle Re servearmee absolvieren oder aber mit ihren Anstrengungen, sich doch noch aus ihrer angestammten Heimaterde zu ernähren, das Lokalkolorit der notorischen »Armenhäuser Europas« so interes sant gestalten. Die Reihen der letztgenannten Fraktion werden mit jeder Siiderweiterung der EG bedeutenden Zuzug erhalten. Bei der Effektivierung des Landvolks in den rückständigen Mitgliedsstaa ten, deren »Bruttosozialprodukt« zu einem entscheidenden Teil durch die wenig rentablen Strapazen ihrer kleinen Landwirte zu standekommt, wird die »Gemeinschaft« nicht noch neue Milliar den in eine Überproduktion stecken, die dortzulande und bei der bekannten »mediterranen Mentalität« - die ist nämlich schuld, wenn Kleinbauern ohne Job-Aussichten lieber ihrer mageren, ver trockneten Scholle treu bleiben! - noch nicht einmal die ange strebte kapitalistische »Umstrukturierung« dieses Sektors garan tiert; das zumindest ist durch das Brüsseler Agrar-»Sparpro gramm« klargesteilt. Insgesamt bleibt so unter den Konditionen des westeuropäischen »gemeinsamen Marktes« keine nationale Besonderheit mehr, was sie war. »Naturwüchsige« Eigentümlichkeiten eines Menschen schlages, Überreste naturabhängiger Produktionsweisen, die be rühmten »geschichtlich gewachsenen Strukturen«, in denen frü here Herrschaft sich ihre gewalttätigen Denkmäler geschaffen hat, sogar die Klassenkampf-»Erfahrenheit« einer nationalen Arbeiter klasse: all das erfährt eine praktische »Würdigung« als mehr oder minder taugliche Bedingung für immer dasselbe, den nationalen Erfolg in einer ökonomischen Konkurrenz von radikaler Rück sichtslosigkeit, und wird so entweder als überholte Marotte elimi niert oder in seine eigene Karikatur verwandelt. In manchen euro päischen Regionen befinden proletarische Aktivisten den Kampf um mehr Lohn für uninteressant und bejammern lieber die »germanizzazione« ihres Vaterlandes, so als hätten die westdeutschen Touristen ihnen höchstpersönlich die neuen Standards für das nö tige Verhältnis von Lohn und Leistung mitgebracht. Bürgermei ster zwischen Nordkap und Sizilien entdecken nicht mehr unter den Auspizien faschistischer Ideologie, sondern unter denen der Tourismusförderung, also der geschäftlichen Nutzung einer Land schaft, die außer ihrem Erscheinungsbild nichts für die Konkur renz zu bieten hat, jede halbvergessene oder ausgestorbene Bor 124
niertheit neu und bringen erwachsene Menschen dazu, sich rein methodisch für jeden Firlefanz zu begeistern, der die Idiotie der Heimatliebe für sich geltend machen kann. Eine Arbeiterschaft, der durch die Fortschritte des nationalen Kapitals in seinem Bemü hen, sich von der Geschicklichkeit seines Menschenmaterials zu emanzipieren, jeder Berufsstolz bestritten wird, hält sich um so fa natischer an die rein ideologische Verachtung ihrer fremdländi schen Kollegen, die schon seit längerem ohne Qualitätsverlust gute deutsche Wertarbeit verrichten. Kurzum: Indem das große euro päische Einigungswerk die Patrioten aller Länder zwangsweise zu praktischen Kosmopoliten macht, was für jede Völkerschaft spe zielle Härten mit sich bringt, treibt es deren Nationalismus zu neuen Verrücktheiten. Was soll auch anderes dabei herauskom men, wenn loyalen Staatsbürgern das paradoxe Ideal der »Völker freundschaft« nahegelegt wird? Da soll der Mensch sein Selbstbe wußtsein einerseits ganz in den bunt ausgemalten, deswegen aber nicht erfreulicheren Umstand legen, daß er mit vielen seinesglei chen derselben Herrschaft gehorcht, sich also als Volk fühlen; ein Gefühl, das überhaupt nur geht, indem Ausländer genauso unter die höchst abstrakte, prinzipielle, beliebig auszumalende und auf alle Fälle äußerst verdächtige Bestimmung subsumiert werden, eben ein anderes Volk zu sein; und in demselben Atemzug soll er die Ausländer aus eben diesem Grund insgesamt ziemlich sympa thisch finden? 3. Daß in dem bedingt supranationalen Zusammenschluß der EG-Staaten deren nationaler Egoismus sich betätigt und gerade in seiner offiziellen Relativierung so anspruchsvoll wird, ist das Prin zip dieses Bündnisses, das noch expliziter als in dessen ökonomi schen Ergebnissen in seiner M ethode: den organisatorischen Me chanismen und Verlaufsformen der Einigung, greifbar wird. Der ganze Kunstgriff dieser Konstruktion liegt darin, den nationalen Willen zur möglichst durchschlagenden Benutzung der Ökonomie der Nachbarländer und der diese regelnden politischen Gewalt in zwei Momente zu zerlegen: Die Notwendigkeit, für dieses Ziel den Partnern Zugeständnisse zu machen, wird als Gemeinschafts organ institutioneil verselbständigt - die Kommission mit ihrem bürokratischen Apparat und ihrem gerichtlichen Überbau; die von diesem Organ vorgeschlagenen Gemeinschaftsregelungen werden von den als M inisterrat versammelten Staaten auf ihren jeweiligen nationalen Sonderstandpunkt hin reflektiert, in wechselseitiger
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Erpressung modifiziert und nur verabschiedet, wenn jedes Mit. glied sich von seinem Zugeständnis einen größeren Vorteil ver spricht. Diese Konstruktion bringt den Anschein hervor, als ginge es immerzu um die Austragung von Gegensätzen zwischen euro päischem Gemeinschafts- und nationalem Sonderinteresse - die Wahrheit dieses verkehrten Scheins ist, um es nochmals zu sagen, der ganz und gar nationale und am Nationalinteresse orientierte Wille der beteiligten Staaten, ihre Konkurrenz unter den durch die pax americana gesetzten Bedingungen, ohne bestimmte nationale Vorbehalte der öffentlichen Gewalt gegen diese Konkurrenz, aus zutragen. Der Anschein einer selbständigen Existenz des Gemein schaftsinteresses als solchen ist dennoch mehr als der Spleen von Idealisten eines autonomen europäischen Imperiums und als die Berufskrankheit manches Brüsseler Bürokraten, der sich als Be weisstück für einen real existierenden europäischen Supranationa lismus Vorkommen mag. Er liefert die moralische Sprachregelung für das Feilschen der amtierenden Nationalisten: Ansprüche wer den allemal im Namen der Gemeinschaft erhoben und bestritten. Und das ist in mehreren Hinsichten von Gewicht. So ist die Berufung auf »Europa« speziell für die B R D seit Ade nauers Zeiten die Art und Weise, innen- wie außenpolitisch die Ansprüche des deutschen Nationalismus, der sich mit dem in jeder Hinsicht verlorenen Krieg bis auf weiteres disqualifiziert hatte, in garantiert unverdächtigem Gewand geltend zu machen. Das ging und geht deswegen, weil die BRD tatsächlich seit jeher am meisten von der EG profitiert - nicht bloß ökonomisch, sondern auch poli tisch, sofern ihr eben unter diesem Gesichtspunkt ein Auftreten als weltweit interessierte und agierende Macht wieder zugestanden worden ist; die Heuchelei der europäisch supranationalen Morali tät ihres Nationalinteresses blamiert sich so noch am seltensten. Andere Staaten, die ihre Rolle innerhalb der E G noch immer mit ihrer früheren Großmacht vergleichen, haben da zumindest in nenpolitisch eher das umgekehrte Problem: »Europa« als fort schrittliches Äquivalent ihrer früheren nationalen Grandeur dar zustellen; fast scheint es hier manchmal, als müßte da die eine oder andere Regierung ihrem Volk Vorteile der E G vormachen, wo es tatsächlich bloß darum geht, weitere Konkurrenznachteile zu vermeiden. Für alle beteiligten Staaten gleichermaßen ist »Europa« immerhin der diplomatische Freibrief, sich beständig in die »inne ren Angelegenheiten« ihrer Nachbarn bedenkenlos und offensiv 1 16
»einzumischen«. Beständig und bis in die Details überprüfen die Politiker jeder EG-Nation die Wirtschafts- und Sozialpolitik ihrer Nachbarn nach Vor- und Nachteilen für die eigenen Interessen, sparen nicht mit Ratschlägen und haben sich im Europaparlament und seinen Fraktionen, so absurd die Fiktion einer parlamentari schen Super-Souveränität über den Nationen auch sein mag, im merhin ein Instrument geschaffen, um schon über die Programma tik ihrer jeweiligen »Schwesterparteien« eine »gemeinschaftsdien liche« Politik größerer Zugeständnisse bei ihren Nachbarn zu fördern. So ergänzt der diplomatische Europa-Moralismus die ökonomische Benutzung und die politische Erpressung um ein demokratisches Element zu einem System imperialistischer Kon trolle der verbündeten Nationen übereinander, und zwar rein nach Maßgabe ihres ökonomischen Gewichts; einem regionalen Impe rialismus, wie es ihn ohne beständigen Einsatz der bewaffneten Macht auf der Welt noch nicht gegeben hat. 4, Während im Inneren der EG Vorteil und Schädigung der Part nerstaaten durch einander stets sorgfältig gegeneinander aufge rechnet sein wollen und immer wieder zu nächtlichen Erpres sungsmanövern mit angehaltenen Uhren und demonstrativ leer ge lassenen Stühlen führen, steht im Verhältnis der Partner zum Rest der Welt der Nutzen ihres absonderlichen Bündnisses außer Frage; j ganz folgerichtig, daß in diesem Bereich die Kommission denn ' auch die relativ weitestreichenden Befugnisse besitzt. Zwar ver zichtet kein Staat, sei es unter Bruch oder Beachtung des G A TT und der Römischen Verträge, auf Sonderbeziehungen zu speziel len Freunden in aller Welt, auch in Kompetenzbereichen der Ge meinschaft; daß beispielsweise der westdeutsche Ost- großenteils als »innerdeutscher Handel« läuft, ist einer der handfestesten letz ten Vorteile des verlorenen Krieges, den die BRD sich bei aller Eu ropafreudigkeit nicht als ihre große Sonderregel nehmen läßt! D a neben ist es aber durchaus immer wieder von Vorteil - nicht zuletzt für die »Kleinen« im Bündnis, die sich dafür auch wieder allerlei gefallen lassen auswärtigen Konkurrenten oder Objekten ihres weltweiten Nationalinteresses nicht als einzelner Staat, sondern gleich als halber Kontinent entgegenzutreten. Nutznießer N r. 1 war und ist hier zweifellos wieder die B R D , die sich in diesem Rahmen den ökonomischen Zugriff auf die Ex-K olonien ihrer Partnerländer gesichert und auch eine politische Posi tion erobert hat, die es ihr erlaubt, sehr souverän in fernen Weltge ld
genden hemmzuschiedsrichtern. In demselben Rahmen haben aber auch die alten Großmächte die Liquidierung ihrer alten Kolo nialreiche letztlich vorteilhaft für sich ausgestalten können. Die verlorenen Zuschüsse, die für die Aufrechterhaltung eines sachge recht benutzbaren Staatsapparats in den europäischen Domänen auf der Erdkugel nun einmal nötig sind, finanzieren die anderen Partner mit. Gemeinsam mit ihnen läßt sich überdies sehr bequem und wirksam Vorsorge treffen, daß die verselbständigten Kolonien ihre Souveränität nicht für den Versuch mißbrauchen, die Konkur renz kapitalistischer Interessenten an ihren paar Naturschätzen für sich auszunutzen. »Stabex« und »Minex«, die Kernstücke der bei den Abkommen von Lomé zwischen der EG und den AKP-Staaten - die in der westeuropäischen Öffentlichkeit mit einer Unver frorenheit ohnegleichen als Akt europäischer Großzügigkeit ausgegeben werden! - sind da Meisterstücke demokratischer Diplo matie: Sie stabilisieren den Preis landwirtschaftlicher und minerali scher Rohstoffe aus den Vertragsstaaten Afrikas, der Karibik und des pazifischen Raumes - ohne ihn zu erhöhen! - aus einem sehr sparsam durch die EG dotierten Fonds, den die Empfängerstaaten im Falle von überdurchschnittlichen Erlösen wieder mit auffüllen dürfen. Auch das geschieht nur unter der Bedingung, daß die »be günstigten« Länder sich erstens auf die Produktion eben dieser Rohstoffe festlegen: schon nach wenigen Verarbeitungsschritten, und ebenso wenn ihr Anteil am Export des Landes unter eine recht hohe Quote sinkt, fallen die »begünstigten« Produkte aus den Ab kommen heraus - so sieht der EG-Beitrag zur »Diversifizierung« und »Weiterentwicklung« der Ökonomie der »Entwicklungslän der« aus! Zweitens muß der Abtransport so gut wie ausschließlich in die EG-Staaten erfolgen, sonst entfällt die »Finanzhilfe« gleich vollständig. Und dieses »Zugeständnis« lassen die europäischen Wohltäter sich noch dazu »entgelten« mit der Pauschalgarantie al ler Freiheiten ihres Kapitals, die exotischen Partnerländer zu be nutzen - und nach Gebrauch auch wieder zu verlassen. Die Beant wortung der Gewalt»frage«, die in derartigen Ländern schon allein deswegen immer wieder akut wird, weil sie ihrer »Elite« außer dem unmittelbaren Besitz der politischen Gewalt nichts zu bieten ha ben, nehmen wiederum die alten Kolonialmächte auf die Kappe ih rer besonderen »traditionellen Freundschaft« mit bewährten Po tentaten, die sich ihrerseits keineswegs bloß mit gelegentlichen Diamantengeschenken des kaiserlichen Knechts an seinen demo 128
kratischen H errn erkenntlich erweisen. So bleibt der E G offiziell die Abw icklung der notwendigen Brutalitäten ihres gemeinschaft lichen Zugriffs auf ein gutes Drittel der modernen Staatenwelt er spart. N och weitaus überzeugender als in diesen exotischen Regionen bewährt die »Gemeinschaft« der kapitalistischen Demokratien Eu ropas sich in ihrem engeren Umkreis als imperialistische O rd nungsmacht unter und innerhalb der pax americana. In ihrer E i genschaft als EG -Partner machen die europäischen Säulen der »freien Welt« sich bislang ganz ohne von ihnen eingesetzte Waffen gewalt und ohne speziell europäische Drohung damit zum einen um die ökonomische und politische Stabilisierung von Nachbar staaten verdient, die sie in ihrer Eigenschaft als N A TO -Partner aus der übergeordneten strategischen Räson der »freien Welt« heraus für richtig befinden. Ihren »Freunden« an der Mittelmeerflanke: Griechenland, Spanien und Portugal, nötigt die E G sich als Alter native zu deren Faschismus auf - und das nicht aus bornierter Be geisterung für demokratische Verhältnisse: wieviel Verständnis ein Dem okrat für deren zweckdienliche Abschaffung hat, wird im merhin gleichzeitig an der Unterstützung des türkischen Militärs in seinem Vorhaben klargestellt, das eigene Volk endlich für die Demokratie reif zu machen. Für ein Land, das der »freie Westen« sich als aktiven Bündnispartner ausersehen hat, taugt eine Politik nicht, die aus dem Ungenügen der rückständigen, konkurrenzun fähigen nationalen Ökonomie vor den durchaus modernen, weit reichenden Ansprüchen der darauf sich gründenden Staatsgewalt den reaktionären Schluß zieht, der Nation wäre durch eine härtere Ordnung und die gewaltsame Restauration alter und unrentabler Ausbeutungsformen zu helfen. Unter Brüsseler Obhut dürfen die interessierten Staaten jetzt statt dessen mit der schrankenlosen Zu lassung europäischer Konkurrenz und europäischen Kapitals, mit einer beschränkten Zulassung des Klassenkampfes und mit demo kratischen Formen seiner politischen Bewältigung ihr Volk den Beweis antreten lassen, daß dem Land doch einiges mehr an Reich tum und stabiler Macht abzuringen ist; wer dabei auf der Strecke bleibt, darf sich damit trösten, daß er das als freier Bürger Europas tut, der vielleicht sogar einmal einen Abgeordneten ins Europapar lament hat wählen dürfen. Eine ökonomische und politische »Stabilisierung« auf der Grund lage freien Kapitalverkehrs und demokratischer Rücksichtslosig-
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keit bei der Nutzbarmachung des nationalen Menschenpotentials bieten die Führungsmächte Europas in ihrer friedlichen Eigen schaft als EG zum anderen in aller Unschuld ihren osteuropäischen Nachbarn an: als Alternative oder zumindest als Ergänzung zu je nem »realen Sozialismus«, dessen ökonomische Erträge die auf eine respektable nationale Macht bedachten Regierungen des »Ostblocks« schon lange nicht mehr befriedigen. Daß logischer weise Destabilisierung der sozialistischen Herrschaft die Folge, ihre Transformation in eine demokratische allerdings mit größeren Risiken behaftet ist als die des griechischen, portugiesischen und spanischen Faschismus, das ist dabei eine bloß einerseits unliebsa me, weil geschäftsschädigende praktische Folge der florierenden Partnerschaft der EG mit ihrem Östlichen Vorfeld. Denn anderer seits ist man als Frontstaat des demokratischen Freihandels ja schließlich auch NATO-Partner und hat als solcher wieder ein sehr freies strategisches Urteil über Wirkungen und Perspektiven kapi talistischen Geschäfts mit dem und gegen den realen Sozialismus.
5. D ie »Entwicklungsländer«: Geschöpfe und Partner des Imperialismus
1. Die obersten Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft waren von ihren großen Denkern gerade ins Unreine formuliert, da de monstrierten die ersten großen praktischen Vertreter bereits, wel che Härte in der Freiheit von Person und Eigentum steckt. Welt männisch gestimmte Geschäftsleute machten sehr unbefangen deudich, wie die Auffassung von der Konkurrenz denjenigen bei zubringen war, die noch nicht bemerkt hatten, daß im europäi schen Kapitalismus die der Menschennatur angemessene Lebens art zum Durchbruch gelangt war. Rücksichtslos exekutierten sie ihre Freiheit an fremden Völkerscharen und unterwarfen deren Lebensmittel den Maßstäben ihres Reichtums. Die Goldschätze der Azteken waren nicht geschaffen worden, um Europa als Welt geld und nationaler Schatz zu dienen. Um sie dazu zu machen, be durfte es der Gewalt. Die Gewächse Indiens hatten nicht wachsen dürfen, um als Handelsartikel für holländische und englische Kompanien die Geschäfte und die europäische Küche zu verfei nern. Auch dazu bedurfte es des tatkräftigen Einsatzes freier Eu ropäer, die ihren bereits angeeigneten Reichtum zu einem Teil in 130
lohnende Mittel der Gewalt verwandelten und ihre Eroberungen ohne Umschweife als Recht zu deuten wußten. Und was den Skla venhandel mit afrikanischen Negern betrifft, an dem im Nachhin ein die verletzten Menschenrechte bedauert werden, so darf man sich durchaus mit der Einsicht begnügen, daß es der Menschenna tur der Schwarzen ebensowenig wie der von europäischen Opfern der ursprünglichen Akkumulation entspricht, sich als Arbeitskraft zu verdingen. Deswegen wurden sie zuerst einmal ge- und ver kauft, und vor dem Wiegen und Zahlen bahnten Waffen dem Tausch den Weg. Dabei waren sich die Eroberer von Menschenvieh und Natur noch nicht einmal klar darüber, welchen höheren historischen Zwecken ihr Wirken zugute kam - ebensowenig wie die christli chen Missionare wußten, daß sie in der Unterweisung wildfremder Leute zu gläubigen Gotteskindern einen historisch bedeutsamen Beitrag zur weltweiten Ausbildung des abstrakt freien Willens lie ferten. Während letztere den kolonial beglückten Völkern einen Herrn präsentierten, zu dem sie sich bekennen konnten, machten die beutehungrigen Seefahrer sie mit einem Herrn bekannt, dem sie sich unterwerfen mußten. Denn sie sorgten mit der Verwandlung ihrer natürlichen Gebrauchsgegenstände in Eigentum dafür, daß ganze Völker nicht mehr so leben konnten wie bisher und nur noch überleben durften, wenn sie sich und ihre Produktion als brauch bar erwiesen für das Geschäft, aus dessen Erträgen die Waffen, seine Vorboten, bezahlt worden waren. So wurde aller Welt und allen Rassen der Maßstab des Geldes vertraut gemacht. Ihre Ent eignung hat sie zu Knechten fremden Reichtums gestempelt, und ihr Dienst ist zur Bedingung ihrer Existenz geworden - wobei die Nützlichkeit folgerichtig nicht von ihnen zu beurteilen war. Die G ew alt, die diese segensreiche Entwicklung eröffnet hatte, war nun auch keine Frage des Zufalls und der Abenteuerlust mehr. Die kontinuierliche Abwicklung des Handels, in den sie nun ein bezogen waren, die »Sachzwänge« des Geschäfts, an denen man chen Leuten in den europäischen Hauptstädten so merkwürdig viel liegt, erforderten die regelmäßige und berechnete, also die politische Herrschaft. Wegen der N ot der gepeinigten Völkerscharen aller dings wurde dies nicht zur Notwendigkeit. Die Konkurrenz um die weltweiten Quellen von Reichtum ließ die »Idee« vom starken Staat reifen, der über die Mittel und die Freiheit verfügt, vorhan dene Interessen zu schützen und dafür vorsorglich immer neue an
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zumeiden. Politiker und Militärs fingen an zu begreifen, daß sie mit ihrem Gewaltapparat das Mittel in der Hand hielten, welches das Gelingen allen ökonomischen Lebens in ihren Gesellschaften sichert und fördert; daß also jede Erweiterung ihrer Macht in und außerhalb der Nation nur Schutz und Fortschritt für alle Anliegen des Geschäfts sein konnte - eines Geschäfts, dem die verschiede nen Klassen, jede auf ihre Weise, ohnehin verpflichtet waren. Die »politische Phase« des Kolonialismus, die endgültig jeden Erdenwinkel mit politischer Herrschaft - einem Grundbedürfnis der Menschen, wie Gelehrte versichern - versah, stand bereits un ter dem Gebot strategischer Kalkulation, die jeden Flecken Erde samt lebendem Inventar für wichtig befand, insofern er in der Hand eines Konkurrenten die eigene Stärke beeinträchtigen könn te. Kein Souverän Europas wollte sich die Freiheit nehmen lassen, über möglichst viele Quadratkilometer, Personal und natürliches Inventar zu verfügen: dafür durften Kostengesichtspunkte keine Rolle spielen, alle befanden es für lohnend, noch im tiefsten Afrika um die Festlegung regulärer Grenzen zu streiten - und vom künfti gen ökonomischen Nutzen ihrer Reservate hatten die Kolonial mächte genauso wenig Ahnung wie einst die Abenteurer bei der Ausfahrt ihrer Galeeren. Es ging eben um das Recht auf jedweden Gebrauch, der sich von einem Stück Erde machen läßt; auch in der Weltpolitik geht die gewaltsame rechtsetzende Besitzergreifung, der Ausschluß aller anderen, der ökonomischen Benutzung des Eigentums voraus. Eigentlich müßte es die Fans der besten aller Staatsformen ver wundern, daß die Ära der großen Eroberungen mit der »Heraus bildung« der großen Demokratien zusammenfällt. Wenn die eifri gen Befürworter demokratisch vollzogener Herrschaft keinen Wi derspruch zwischen ihrem Ideal und dem weltweiten Aufmarsch entdecken, so liegen sie allerdings und ausnahmsweise richtig. Im Innern wie nach außen handelt es sich nämlich um den entschei denden Schritt hin zu jener freien Betätigung staatlicher Souveräni tät, die dem Dienst der politischen Herrschaft an der Klassenge sellschaft angemessen ist. Nach innen emanzipiert sich der Staat von jeder privaten Beschlagnahme und jedem partikularen Um gang mit seiner Gewalt: er legt die Bürger aller Klassen auf den Konsens bezüglich seiner Prinzipien fest und bedankt sich mit der Erlaubnis, in der Frage der geeigneten Repräsentanten und Exekutoren der Staatsgewalt einen heftigen Dissens zu organisieren. Zu 132
den Prinzipien gehören außer Einigkeit, Recht und Freiheit auch noch Eigentum und Menschenwürde, womit der Staat die Unter schiede der Klassen und die Gegensätze zwischen ihnen nicht nur anerkennt, sondern ihre Aufrechterhaltung und ihr effektives Funktionieren erzwingt. Grundbesitzerund Industrielle brauchen deshalb bei Wahlen auch nur eine Stimme - das Recht dieser Min derheiten auf Eigentum wird vom Souverän ebenso versichert wie die Freiheit seines Gebrauchs. Die Gespräche zwischen Regierung und »Wirtschaft«, die sich um die Schranken des Wachstums und seine Beförderung durch den Staat drehen, sind das genaue Gegen teil eines Beweises für den Mangel an echter demokratischer Sou veränität. Die Charaktermasken der politischen Macht befinden sich damit noch lange nicht »in den Klauen der Monopole« - sie be raten sich lediglich mit den unmittelbaren Interessenten am Wachstum, deren Erfolg sie als den ihrer Herrschaft verbuchen. Deshalb gibt es auch Gespräche über dasselbe Thema mit Gewerk schaftsvertretern, die denselben Erfolg für wünschenswert erach ten, weil sie als gute Demokraten nur den Mißerfolg von Staat und Kapital als Grund für die Arbeitslosenziffern akzeptieren. Ebensowenig berechtigen gemeinsame Reisen von politischen Lotsen und Industriekapitänen ins Ausland zu Zweifeln an der Handlungsfreiheit der Figuren, die im Namen der Nation handeln. Abgesehen davon, daß in einer funktionierenden Demokratie auch die Arbeitervertreter mitfahren, weil ihnen die Maßstäbe der N a tion als die der Betroffenen geläufig sind, verlaufen nicht einmal erst im 20. Jahrhundert die außenpolitischen Manöver nicht nach den kleinkrämerischen Rechnungen, wie sie einem Geschäftsmann ■gut zu Gesicht stehen. Davon emanzipiert sich jeder imperialisti sche Staat in der Gewißheit, daß die Geltung der Nation in der Welt, ihr Einfluß auf andere Länder und ihre militärische Durch schlagskraft noch allemal das Beste auch für den Kommerz sind. Im Umgang mit konkurrierenden Staaten haben die Politiker der Moderne bemerkt, daß die Staatsgewalt nicht nur nach innen die unverzichtbare Voraussetzung für das Gedeihen des Privateigen tums ist; sie kann auch nach außen gar nicht stark genug sein, um als diese Bedingung tauglich zu bleiben. Und diesem Bedürfnis von gewissen Staaten, Weltpolitik zu ma chen, konnte sich endgültig keine Abteilung des Globus mehr ent ziehen. Ihm verdankt sich auch der seltsame Umstand, daß Mil liarden von Erdenbürgern - sei ihre Heimat nun ökonomischen, 133
politischen oder auch beiden Berechnungen unterworfen - damit zu kämpfen haben, daß sie am Leben bleiben. Denn dafür sind sie nicht mehr da. Als weltpolitische Manövriermasse sind sie gefragt, und das heißt nicht einmal in jedem Fall als brauchbare, also erhal tene Arbeitskräfte. Sie sind erwünscht und werden behandelt als treu dienende, nicht störende Untertanen einer Herrschaft, die an ihnen kein Anliegen entdeckt, dem sie sich verpflichten könnte. Das Anliegen, dem die Herrschaft verpflichtet ist, haben umge kehrt ein paar tausend gelehrige einheimische Schüler der demo kratischen Weltherrschaft für ihre Chance gehalten. Das nachhal tige Interesse an Ordnung in ihrer Heimat, das dieser gar nicht gut bekommen ist, haben sie verworfen, weil es als fremdes den ein heimischen Interessen gar nicht entsprechen könnte. In getreuer Kopie demokratischer Gesinnung ist ihnen ein Programm der nationalen Befreiung eingefallen, das die Frage, ob sie denn lieber nichts hätten tun sollen, ad absurdum führt. Die Grundsätze anti kolonialer Erhebung lauteten nämlich so: - ein Volk braucht einen Staat, und zwar einen eigenen; - ein volkseigener Staat ist einer, der von echten Volksgenossen gemacht wird; - volkseigene Staatsmänner vertreten automatisch das Interesse des Volkes in der Welt; - in der Welt vertretene volkseigene Interessen bedeuten zu Hause ein immerwährendes Unabhängigkeitsfest. Zur Durchsetzung dieses Programms, das auf der demokrati schen Ideologie beruht, daß Herrschaft als Nutzen der Untertanen zu machen sei, haben sich die Führer kolonialisierter Völker mangels eigener Mittel - unter den konkurrierenden Großmächten Freunde beschafft. Diese sind vor allem in Sachen Bewaffnung sehr hilfsbereit gewesen und haben gezeigt, daß auch ein fremdes Inter esse der nationalen Perspektive gute Seiten abgewinnen kann. So wenig die Kalkulation eines befreundeten Auslands, das sich für Unabhängigkeit stark macht, prinzipiell anderer Natur ist als die der Eroberer von früher, so geringfügig nimmt sich der Unter schied in der Lebensgestaltung einst und heute in diesen Ländern aus. Die Wahrheit der nationalen Befreiung ist eine weltbekannte Banalität: Heute darbt und stirbt die Manövriermasse der Weltpo litik nicht mehr in der Kolonie eines Mutterlandes, sondern im ei genen Entwicklungs- und Vaterland. 2. Die Gewinnung der Souveränität durch Befreiungskämpfe, die *34
Erringung der nationalen Unabhängigkeit ist in ihrem Verlauf von Konzessionen auswärtiger Nationen abhängig: ohne ein auch mit den notwendigen Mitteln ausgestattetes Interesse kommt keine aufständische Armee oder Guerilla-Truppe zustande, und biswei len arten die »Emanzipationsbestrebungen« in veritable Stellver treterkriege verschiedener Abteilungen ein und desselben »Vol kes« aus. Diejenigen, die von ihren künftigen Repräsentanten als die erwachten Subjekte der Befreiung gefeiert werden, entscheiden zwar mit dem Einsatz ihres Lebens über die Fortschritte des Krie ges; dessen Ausgang jedoch ist eine Angelegenheit der Mächte, die sich der aktiven Beobachtung der Kämpfe verschrieben haben. So bald dann aus dem »Konfliktherd«, auf dem nicht nur West und Ost prinzipiell, sondern auch noch rivalisierende Staaten des freien Westens ihre Suppe kochen, eine freie Nation mit Fahne und Hymne geworden ist, kommt die Kunst der Politik zum Zuge, die sich um Stabilität müht. Denn die ist ständig in Gefahr. Vom Standpunkt der an die Macht gelangten Elite werden zunächst die Konkurrenten aus den Tagen des Befreiungskampfes als ziemlich störend empfunden; wenn die sich gar noch mit auswärtiger Unterstützung und einheimischem Anhang über die letzten Gemetzel haben retten können, ist die in nere Ordnung - die ja für den neuen Souverän die Bedingung ist, frei als Repräsentant seiner Nation in der Welt auftreten zu können - noch Jahre nach der Unabhängigkeitsfeier nicht zu haben. In den Fällen, wo sich die etablierte Regierungsmannschaft zu einem anti-imperialistischen Aufbauprogramm bekennt, das mit Hilfe guter Beziehungen zu Moskau realisiert werden soll, ist sie sogar mit dem wuchtigen westlichen Interesse an Instabilität konfron tiert. Und ganz unabhängig von den bleibenden Ansprüchen auf Nicht-Einmischung, die dem Land gegenüber angemeldet werden, haben die Regenten befreiter Nationen immer erhebliche Schwie rigkeiten mit ihrem Volk. Denn mit den Untertanen läßt sich trotz der Ideale von Demokratie und Sozialismus so einfach gar kein Staat machen - das Interesse an einer funktionierenden Staatsge walt, die durch ihre ordnungsstiftenden Werke als irgendeine posi tive Bedingung der Reproduktion erscheinen könnte, existiert ein fach nicht. D er Wille, Staatsbürger zu spielen, kommt ja in den Heimatländern der Demokratie nur zustande, weil die ökonomi sche Benutzung der Leute, ihre Unterwerfung unter die Konkur renz und die damit verbundenen Beschränkungen von ihnen als 135
msux/t/tuigKcu atv^cpucri weruen, rnu uci m an h u i auigrund der zusätzlichen Notwendigkeit der ordnenden Hand des Staates zu. rechtkommt. Wo hingegen keine Produktionsverhältnisse existie ren, deren gewaltsame Absicherung von den Betroffenen zumin dest als die Möglichkeit ihrer Reproduktion, als die Regelung ihrer abhängigen Arbeit anerkannt und gewollt wird, bleibt die Politi, sierung der Massen aus. Gerade an dieser ist aber den Herren be freiter Landstriche enorm viel gelegen; schließlich wollen sie durch die gelungene Unterwerfung ihrer Landsleute aus ihrer Nation et was machen, über den Gehorsam und die Vollführung staatlicher Diktate auch ökonomische Brauchbarkeit herstellen. Der Umgang der politischen Herrschaft mit Untertanen, die das falsche »Bedürfnis«, regiert zu werden, gar nicht kennen, gestaltet sich bei aller Pflege echt demokratischer und sozialistischer Ideale einigermaßen brutal, so daß den interessierten Beobachtern der freien Presse immer hinreichend Stoff zur Verfügung steht, die »Unreife« anderer Völker und die mehr oder minder hergestellte Funktionalität des staatlichen Umgangs mit ihnen zu besprechen. Die wüsten Manieren bei der demonstrativen Herstellung einer Einheit von Staat und Volk, der extensive Gebrauch von Gewalt in der Konkurrenz um die Macht und in ihrer Ausübung sind überall auf dem Globus entsprechend den aus Kolonial- und Befreiungs geschichte überkommenen Verhältnissen sehr differenziert ent wickelt worden. Da gibt es im tiefsten Indien, das von seinen Ko lonialherren noch eine Verwaltung geerbt hatte, tatsächlich auch ein System parlamentarischer Umgangsformen. Allerdings ohne die staatsbürgerliche Illusion, mit der Wahlstimme über das Wohl der Nation und damit über das eigene Wohlergehen zu entscheiden - die Wähler der »größten Demokratie« machen ihr Kreuzchen für die angereisten Sahibs wegen einer Mahlzeit, die auf der Wahlver sammlung verabreicht wird; bisweilen müssen sie auch die Stimme für einen oppositionellen Bewerber um die Teilhabe an der Regie rungsgewalt unterlassen, weil ihnen sonst eine angeheuerte Bande der im Amt befindlichen Mannschaft das Slumviertel anzündet. Jahraus jahrein gefallen sich die mit Politik befaßten Cliquen darin, sich doch nicht ganz von den Zufällen demokratischer Mehrheits bildung abhängig zu machen. Sie ziehen einfach die politischen Ri valen aus dem Verkehr - eine Technik, die auch in anderen Erdtei len beliebt ist. Lateinamerika, eine Gegend, in der jeder zweite Staat hauptsächlich mit der »Rückkehr zur Demokratie« beschäf 13 6
tigt ist - so jedenfalls die Lesart der großen demokratischen Zei tungen der freien Welt - , zieht den Militärputsch den umständli chen Formen der politischen Willensbildung vor; und mit den störenden Elementen des Volkes, das seine zumindest partielle Benützung mit Rechtsansprüchen verbindet, wird ständig nach den Regeln des Bürgerkrieges verfahren. Auch für die einschlägigen Praktiken - ein Fußballstadion, in dem die Massen sich sonst zur Feier nationaler Größe auf dem Gebiet sportlicher Repräsentation versammeln, dient da schon einmal als K Z - hat man im Namen der unerläßlichen Stabilität hierzulande Verständnis; die Menschen rechte sind einige Bedenken wert, die gelungene Ordnung einen Staatsbesuch. Dieser bietet der lokalen Junta eine vorzügliche Ge legenheit für die Ankündigung des Vorhabens, sich demnächst auch noch oder schon wieder wählen zu lassen - und daß diese Wahlen zu sorgfältig inszenierten Akklamationen ausarten, weiß jedermann: die Loyalität wird mit dem Schein der Wahl erzwun gen. Mit diesem Programm, das die Untertanen prinzipiell als Stö rung behandelt und doch die Sicherung der Herrschaft immer dem bürgerlichen Ideal einer unverbrüchlichen Einheit zwischen Füh rung und V olk entsprechend vornehmen will, warten auch die autochthonen Nationalstaaten des schwarzen Kontinents auf. Ihre höchste Aufgabe sehen die christlich, demokratisch und soziali stisch inspirierten Führer darin, aus ihren Untertanen ein Volk zu machen, den Willen zum Staat in ihnen zu erzeugen. Und dafür er scheint ihnen das Instrumentarium faschistischer Politik gerade passend. Vom politischen Volksfest, das auf ebenso inhalts- wie bedingungsloses Einverständnis mit den jeweiligen Machthabern zielt, bis zur Einheitspartei, die den Nationalstolz zum wichtigsten Programmpunkt erhebt - und der in Zaire der Einfachheit halber jeder neugeborene Untertan per se als Mitglied angehört - , von per Dekret aus der Taufe gehobenen Massenverbänden für Frauen und Kinder, aber auch für Arbeiter, die dann als Staatsgewerkschaften weder auf Löhne noch auf staatliche Leistungen achten, bis zum Führerkult ist für alles gesorgt, was den Zusammenhalt jenseits al ler ökonomischen Grundlagen zu demonstrieren erlaubt. Die kon kurrierenden Eliten, die meist die Parole »one man - one vote« ge gen die alte auswärtige und weiße Herrschaft zu handhaben wuß ten, fälschen Wahlen, nach denen niemand außer ihnen verlangt hat. Und für die härteren Auseinandersetzungen bedienen sie sich hemmungslos der atavistischen Form, in der die Bevölkerung »po*37
litische« Interessen überhaupt als die ihren kennt. Sie benützen die kollektive Willensäußerung, in der sich die ganze Wucht der Un freiheit zusammenfaßt, die Menschen eigen ist, die noch nicht aus dem Naturzustand herausgetreten sind: dit Stammeszugehörigkeit ihrer »Bürger«, um sie zu Kämpfen um eine Sache antreten zu las sen, für die ihnen nicht einmal ein Wort geläufig ist. Um der Politik eines Staates willen, den nur die Macher wollen, den sie auch nur für sich inszenieren, entfachen die Diplomaten des Negerrechts den beschränkten und lokalen Rassismus ihrer Untertanen - und der Welt bieten sie eine Negerphilosophie, in der die »Arbeit aus der Erde« die edelste und zur »Erweiterung des Seins« (Senghor) passendste ist. Mit diesem an westlichen Universitäten erlernten Geistesüberbau beweihräuchern die Anwälte echt schwarzer Sou veränität die schlichte und brutale Tatsache, daß da Menschen, die sich in der Produktion ihres Lebens noch nicht vom Naturzusam menhang gelöst haben, mit den Mitteln moderner Kriegsführung ausgerüstet und zum unwissenden Instrument des politischen Konkurrenzkampfes gemacht werden, dessen Zwecke nur ihre al ten und neuen Herren kennen. Die ganze Vielfalt westlicher Staatenwelt, die unter zielstrebiger Ruinierung ihrer Völker eben diesen den vorzüglichen Genuß von Autonomie verabreicht, beruft sich in ihren Anstrengungen, eine eigene und somit gute Herrschaft zu veranstalten, nicht ganz zu Unrecht auf das Vorbild der großen erfolgreichen Demokratien. Denn diese, allen voran die USA, haben ihnen den rechten Ge brauch staatlicher Souveränität nach innen wie nach außen vor exerziert: Gewalt als Hebel fürs Geschäft, und das Geschäft als stetige Quelle von Reichtum, dessen Sicherung sich die reüssierte Nation dann angelegen sein läßt. Allerdings hat das Vertrauen darauf, als unabhängiger Staat in der Welt des Imperialismus zu Reichtum und Macht zu gelangen, ei nen entscheidenden Haken: die Emanzipation nationaler Politik von der Ökonomie, die freie Pflege souveräner Gewalt bedarf zu ihrem Erfolg nämlich einer ökonomischen Grundlage, eines kon tinuierlich erzeugten Überschusses an Reichtum, aus dem die Staatsgewalt finanziert wird und dem sie mit ihrem Einsatz daheim wie in der Welt eine lohnende Verwendung garantiert. Wo dies nicht der Fall ist, lohnt sich auch die schönste Kopie staatlicher Re präsentation und Diplomatie nicht, bleibtauch die perfekteste Un terdrückung die funktionellen Dienste schuldig, die sie sich als 138
Perspektive zugutehält. So gewahren die auf ihre Unabhängigkeit so stolzen Führer der Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika die Härten des Erbes, von dem sie sich zu befreien wähnen: Ihre Herrschaft beruht politisch wie ökonomisch auf einem Interesse an ihrer Existenz, das auch über die Mittel verfügt, sie mit dem Inven tar ihrer Selbsterhaltung auszustatten. Weil im Bereich ihrer Zu ständigkeit diese Mittel nicht vorhanden sind, existieren diese mehr oder minder exotischen Souveräne nur, weil sich andere Staa ten aus guten Gründen entschlossen haben, sie sich zu leisten. Diese Entdeckung, die keinem der in anti-kolonialistischer Tradi tion regierenden Obristen, Bischöfe oder moslemischen Patrioten versagt bleibt, gerät freilich bei kundiger Beobachtung der Maß stäbe, die den imperialistischen Vorbildern abgelauscht sind, zu einer ganz anderen Weisheit. Im Vergleich zu jener Handvoll Na tionen, die Geschichte machten und Weltwirtschaftsgipfel veran stalten, sind sehr viele Länder ziemlich »unterentwickelt«. 3. Im Wunsch nach »Entwicklung« wird von seiten der maßgebli chen Männer/w den »Entwicklungsländern« die Unterwerfung un ter die Prinzipien vorgetragen, die der Kolonialismus einst mit sei nen Waffen exportiert hatte. Auch wenn höchstoffiziell die Sorge um das Brot der Bevölkerung ertönt - der Weg hin zur Perspektive des Überlebens läßt keinen Zweifel, daß es sich um den kleinen Umweg handeln soll, der den national verfügbaren Reichtum mehrt, welcher nirgends auf der Welt zur Verteilung gelangt. Und noch weniger Zweifel über den Gang der »Entwicklung«, die in ih rem bisherigen Verlauf die schiere Ernährung unmöglich gemacht hat, gestattet die Art der internationalen Beziehungen, die von den Anwälten der Armen eingegangen werden. Diese Regierungen, stolz darauf, den Verdammten dieser Erde das erste Bedürfnis nach »Selbstverwaltung« erfüllt zu haben, sehen sich in ihrer neuen Rolle als Partner der »Industrieländer« erst einmal darauf verwie sen, durch Importe die sachlichen Mittel ihrer Herrschaft zu er werben - und sich durch Exporte die finanziellen Mittel dafür zu verschaffen. Daß sie damit wenig »Entwicklung«, aber einiges an Schulden zustandebringen, liegt daran, daß die landwirtschaftli chen Produkte ebenso wie die Bodenschätze - und darin erschöpft sich zuerst einmal der »Bestand« an Verkäuflichem - gar nicht als Geschäftsartikel produziert werden, die aufgrund des ihrer Erzeu gung entspringenden Verhältnisses von Kosten und Marktpreis einen Uberschuß garantieren; zum Geschäftsmittel werden die 139
aufgrund besonderer klimatischer und geologischer Umstände vorhandenen Güter erst und nur, wenn sie vom Handels- und In dustriekapital auswärtiger Mächte zu einem solchen gemacht wer den. Sicher - in den Zahlungsbilanzen, die afrikanische und latein amerikanische Staaten wie alle anderen führen, tauchen die Er zeugnisse des Landes als Handelsgüter mit regulären Preisen auf; doch heißt das keineswegs, daß sie einer gewinnbringenden Pro duktion für ein zunächst im Lande erzeugtes zahlungsfähiges Be dürfnis entspringen, darüber das nationale Wachstum befördern und zur Steigerung desselben im Überschuß über die einheimische Nachfrage hinaus produziert werden. Andererseits stellen sie auch keinen (in einem nicht-kapitalistischen Sinn) hervorgebrachten Überschuß über wirklichen einheimischen B ed arf dar - diesem sollen sie ja erst durch die erzielten Erlöse dienen. Insofern treten die souveränen »Entwicklungsländer« mit ihren Exportartikeln das Erbe der kolonialen Behandlung ihrer »natürlichen Reichtümer« an. Ihre Erschließung und Förderung bzw. Kultivierung und Ernte geschieht ausschließlich für - und ist daher auch in Gang gekom men durch - das Interesse einer ausländischen Ökonomie, die darin Mittel für ihren Fortgang und Fortschritt entdeckt hat und nutzen will. Auch sie stellen gewissermaßen, ihre Ausfuhr beweist es, einen »nationalen Überschuß« dar: aber eben nicht einen wirk lichen Uberschuß, der aus einer nationalen Mehrwertproduktion entspringt, sondern einen »Überfluß«, den man nur in Anfüh rungszeichen als solchen bezeichnen kann, weil er neben - und dieses >neben< heißt stets: auf Kosten - jeglicher Produktion für die Bedürfnisse des einheimischen Wirtschaften zustandekommt. Folglich haben sie auch keinen einheimischen Wert: keinen Pro duktionspreis, mit dem ihre Produzenten auf dem Weltmarkt auftreten könnten und über den ihre Produktivität sich mit der ihrer Konkurrenten vergleichen würde; die Exportschlager der afrikani schen Staaten sind nicht Ware. Sie werden zur Ware und nehmen die Preisform an erst dann und nur dadurch, daß sie und wenn sie ihr Ursprungsland verlassen. Ihre Warenform verdankt sich dem Willen des zuständigen Souveräns, sich die Zulassung des Abtrans ports dieser Güter bezahlen zu lassen, und der Bereitschaft auslän discher Inhaber von wirklichem Reichtum, dafür zu zahlen. So schreibt der Souverän eines rohstoffexportierenden Landes, um an seine Revenue heranzukommen, Listenpreise für seine Ex-
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portgüter vor, die entweder direkt seinem Handelskontor, also der Staatskasse zufließen oder als Berechnungsgrundlage für eine vom Käufer zu entrichtende Ausfuhrabgabe dienen; er verpachtet sein Land sowie Explorations- und Schürfrechte an ausländische Inter essenten; er beteiligt sich an deren Investitionen, und zwar nicht mit wirklichem Reichtum, sondern mit der Verpflichtung seines ausländischen Geschäftspartners, die Fiktion einer staatlichen Ka pitalbeteiligung zu akzeptieren und mit Gewinnanteilen zu hono rieren; und wenn er die Dependancen einer ausländischen Firma verstaatlicht, dann findet weder Enteignung statt noch eine seriöse Finanztransaktion; vielmehr bekommt die Teilhabe des Fiskus an dem Reichtum, der anderswo aus den Schätzen des Landes ge macht wird, eine Rechtsform, mit der die Regierung sich explizit zu ihrer Verantwortung dafür bekennt, daß das Geschäft des aus ländischen Investors kontinuierlich weiterläuft. In allen derartigen Staatsaktionen, einschließlich sämtlicher politischer Bemühungen um Absatz- und Erlösstabilisierungsabkommen mit den Käufer ländern, betätigt sich der politische Wille, nicht: sich am Außen handel einer nationalen Ökonomie auch noch fiskalisch mitzube reichern, sondern: die Verfügungsgewalt über das Land zu Geld zu / machen. Und damit beweisen alle ökonomischen Aktivitäten der \ afrikanischen Staaten in Sachen Außenhandel, daß sie das ökono mische Subjekt ihres Exports überhaupt nicht sind. Denn die tatsächliche ökonomische Nutzung der bereitgestellten Naturschätze: ihr Gebrauch als Mittel für die Produktion wirkli chen Reichtums, und damit die Voraussetzung dafür, daß ihre De klaration als Ware nicht bloß ein frommer Wunsch der exportwil ligen Staatsgewalt bleibt, fällt ganz auf die Seite der ausländischen Nachfrage. N ur dort findet die Akkumulation von Wert statt, die es erlaubt, ihre aus Afrika importierten stofflichen Voraussetzun gen überhaupt unter die Wertform zu subsumieren; und allein ge mäß der Kalkulation mit dem Kostpreis der Produktion, die die konkurrierenden nationalen Kapitale dort einander aufherrschen, setzt das Interesse an afrikanischen Rohstoffen sich in Zahlungs^ereitschaft um. Die mit Hilfe sämtlicher Ideale des Freihandels vor gebrachte Bettelei der afrikanischen Staaten um die Erlaubnis, mit ihren Gütern auf dem westeuropäischen Markt auftreten zu dürfen, bezeugt schlagend, daß hier keine Konkurrenz um ein zah lungsfähiges Bedürfnis stattfindet, sondern das Bemühen, den ei genen Artikeln überhaupt einen Preis zu verschaffen - ein Bemü-
hen, dessen Erfolg völlig von der Bereitschaft der kapitalistischen Nationen abhängt, die angebotenen Güter als Bestandteil der Ko~ sten ihrer nationalen Akkumulation in K au f zu nehmen. Praktischer Ausdruck und Verlaufsform dieser prinzipiell gege benen Bereitschaft sind die Warenbörsen für Mineralien und Na turprodukte, die nicht zufällig in New York, London und anderen kapitalistischen Metropolen zu Hause sind. Sie sind das Mittel nicht der Rohstoffexporteure, ihre Vorstellungen über einen hin reichenden Preis ihrer Angebote zu realisieren, sondern der kapita listischen Käufer, das Zugeständnis eines Preises für Rohstoffe gleich so zu gestalten, daß dessen Höhe sich genau nach der tat sächlichen Profitträchtigkeit ihrer Verwendung, nämlich nach dem aktuellen Stand der Konjunkturen kapitalistischer Akkumulation bemißt. In der Tat sind diese Börsen der einzige Ort in der kapitalistischen Welt, wo wirklich Ernst gemacht wird mit der bürgerli chen Ideologie, Gebrauchsgüter bekämen ihren Preis durch das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage: Wo die Anbieter keine Kalkulation mit Produktivität und Profit in die Waagschale zu werfen haben, sondern bloß ihren Wunsch nach Geld, ent scheidet wirklich die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager dar über, was daraus wird. An die Stelle des Wertes, den kapitalistisch produzierte Waren in ihrem Produktionspreis haben, tritt da die freie Bewertung durch die Kundschaft - eine A n der »Wertbil dung«, die die normalen Gesetze der Warenzirkulation auf den Kopf stellt, eben deswegen der Spekulation ein weites Betätigungs feld eröffnet, und allen Vorstellungen über Tauschgerechtigkeit mitsamt der daraus abgeleiteten Kritik an »strukturellen Unge rechtigkeiten« des Weltmarktes Hohn spricht. Für die Finanz- und Wirtschaftspolitik der afrikanischen Staaten oder genauer: für ihre der Finanz- und Wirtschaftspolitik bürgerli cher Staaten analogen Aktivitäten folgen aus dieser Art von Au ßenhandel lauter Paradoxien. Die Staatsgewalt bringt es so fertig, ihren Bestand zu finanzieren, ohne in ihrem Herrschaftsbereich über Quellen wirklich universal verwendbaren Reichtums zu ver fügen, also ohne die dafür eigentlich unerläßliche Akkumulation. Ohne ein nationalen Überschuß repräsentierendes, also profit trächtiges Warenangebot betätigt sie sich als Außenhändler, indem sie die in ihrem Bereich vorfindlichen sachlichen Voraussetzungen einer möglichen, aber eben nicht existierenden nationalen Produk tion zur Ware deklariert - selbstverständlich ohne ihnen damit 142
doch die Eigenschaft eines mehrwertträchtigen Warenkapitals ver leihen zu können. Sein Geschäft macht ein solcher Souverän somit durch die bloße Veräußerung seiner natürlichen Reichtümer, ohne durch diese Transaktion die Bedingungen für eigenen Reichtum zu schaffen und ihn zu vermehren. Wo die kapitalistischen Staaten den welthistorischen »Kunstgriff« praktizieren, ihre eigenen Un kosten zum Mittel der Akkumulation zu machen, bestreiten die politischen Souveräne Afrikas ihren Finanzbedarf mit einem »Ge schäft«, das die vorhandenen stofflichen Voraussetzungen sowohl für den Aufbau einer nationalen Produktion - die deswegen auch nicht zustandekommt —als auch für die Fortführung dieser trostlo sen Sorte von »Geschäft« nur mindert. Und schließlich: Eben weil ihr Export grundsätzlich nichts mit Gewinn zu tun hat, sondern mit dem Ausverkauf der »Reichtümer« des Landes zur Finanzie rung des existierenden Fierrschaftsapparates dient, haben die als Verkäufer auf tretenden Souveräne mit der Flöhe des Preises für ihre als Mittel fremden Reichtums freigegebenen Rohstoffe öko nomisch nichts zu schaffen. Dieser zuletzt genannte Zusammenhang wird gewöhnlich genau umgekehrt aufgefaßt: Daß die afrikanischen Länder es nicht zu ei ner eigenen funktionierenden Volkswirtschaft bringen, soll seinen Grund darin haben, daß sie an der Festsetzung des Preises ihrer Exportgüter zu wenig beteiligt seien. Dieser Auffassung - die nicht nur von den betroffenen Staaten in ihren entsprechenden Be schwerden, sondern heuchlerisch auch von ihren »Gesprächspart nern« in den westlichen Außen- und Entwicklungshilfeministerien und der dazugehörigen Weltöffentlichkeit vertreten wird - liegt ein reiner Idealismus der Souveränität zugrunde: die fromme Vorstel lung, auf den Verkauf ihrer Naturschätze angewiesene Souveräne, dürften nicht einfach als besonders ohnmächtige Sorte von Ver käufern behandelt, sondern sollten als wirkliche Souveräne respek tiert werden. Wahr ist an diesem Idealismus nur eins: Das, was sie anzubieten haben, ist eben tatsächlich keine Ware, sondern ihre politische Gewalt über die »Reichtümer« ihres Landes; und des wegen haben sie in die Preisgestaltung auch wirklich nichts anderes einzubringen als das politische Monopol über ihr Land. Daß sie nichts anderes geltend machen können, heißt allerdings alles ande re, als daß die verehrte Kundschaft sich deswegen von Gesichts punkten der nationalen Ehre und der internationalen Gerechtig keit in ihrer Zahlungsbereitschaft leiten ließe. Und damit erwächst *43
der Wirtschaftspolitik dieser Staaten ihr eigentümlicher Gegen stand. Sie findet erstens auf dem Feld internationaler Konferenzen statt, auf denen die afrikanischen im Verein mit ähnlich beschaffenen Staaten ihren kapitalistischen Abnehmerländern höhere Preise ab zuhandeln suchen. Das Druckmittel, das sie dafür zum Einsatz bringen können, ist nicht ökonomischer Natur, sondern die Dro hung mit verschlechterten politischen Beziehungen - eine Dro hung, die die imperialistischen Adressaten ziemlich kalt lassen kann, weil jeder Versuch, damit Ernst zu machen, den Ruin des be treffenden Landes zur Folge hätte. Die Ergebnisse derartiger Kon ferenzen sehen entsprechend aus. Entweder bleibt es bei Papieren, die das »Scheitern« der angestrengten »Einigungsbemühungen« bedauern und neue Konferenzen in Aussicht stellen. Oder es ent stehen seltsame Ausgleichskonten bei der Weltbank, die mit der Verheißung, extreme Preisschwankungen nach unten »abzufe dern«, zwar nie den »Preismechanismus« der so vortrefflich funk tionierenden Warenbörsen außer Kraft setzen, immerhin aber neben diesem den guten Willen der kapitalistischen Staaten zu politischer Rücksichtnahme demonstrieren - gelegentlich sind sie sogar für Investitionen gut, die den Abtransport der nützlichen Dinge aus Afrika beschleunigen helfen. Die afrikanische Wirtschaftsdiplomatie gelangt also immer nur zu dem Ergebnis - wenn auch nicht zu der Einsicht - , daß sich mit ei nem Staat, der nur mit auswärtigen Finanzen zu machen ist, wenig Erpressung und noch weniger gutes Geld machen läßt. Die afrika nischen Souveräne orientieren sich daher - zweitens - in ihrer Wirtschaftspolitik an dem Ideal, ihr politisches Monopol über ihre nationalen Naturschätze zu einem Ökonomischen Monopol auf ein für den Weltmarkt unentbehrliches Gut auszubauen, auf daß eine Konkurrenz der Käufer einsetzen möge, die ganz von allein die Preise in die Höhe treiben müßte. Auch hier bringen sie es aller dings über den frommen Wunsch nicht hinaus. Denn zum einen liegt es gar nicht in ihrer Macht, mit ihrem Güterangebot über haupt wichtig oder sogar unentbehrlich zu werden: Darüber ent scheiden allemal allein die Bedürfnisse der Kapitalakkumulation in den reichtumproduzierenden Nationen. Weniger oder womöglich nicht zu verkaufen, um so künstlich eine Konkurrenz um ihr spe zielles Exportgut zu erzeugen, liegt ebenfalls nicht in ihrer Macht; denn damit würden sie unmittelbar ihre einzige Revenuequelle
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schmälern, die doch sowieso ihren Finanzbedarf nicht deckt (des wegen soll sie ja einträglicher gemacht werden!). Alle immerhin denkbaren und bisweilen auch unternommenen Anstrengungen schließlich, ihren Rohstoffexport zu steigern, garantieren ebenfalls keine höheren Exporterlöse. Im Gegensatz nämlich zu einem kapi talistischen Produzenten, der mit der Produktivität seines Kapitals gegen andere konkurriert und daher sein Geschäft voranbringt, wenn es ihm gelingt, seine Konkurrenten mit einem günstigeren Produktionspreis aus dem Felde zu schlagen, kann ein Rohstoff exporteur von einem größeren Marktanteil bei verringertem Preis nie den erhofften Vorteil haben. Umgekehrt freilich ist er bei ge sunkenem Preis gezwungen, wenn er sich seine Einkünfte erhalten will, mehr zu verkaufen, was wiederum seinem Abnehmer alle Freiheit läßt, den Preis zu drücken - dies alles nach dem ökono misch ganz unsinnigen Prinzip, auf dem sein Geschäft beruht, nämlich daß es bei ihm nicht um Rentabilität, sondern um die Dekkung eines Finanzbedarfs geht. Das letzte Mittel afrikanischer Wirtschaftspolitik ist die Lizenzierung oder sogar Initiierung von Versuchen, in die Exportdomänen anderer rohstoffexportierender Länder einzubrechen - aller Kaffeeanbau in Afrika ist beispiels weise ein allerdings noch zu Kolonialzeiten eingeleiteter Angriff auf das brasilianische Kaffeemonopol, und derzeit finden Ghanas klassische Kakaopflanzungen Nachahmer im halben Kontinent. Das Ergebnis ist auch hier absehbar: Statt die Stellung des Expor teurs zu stärken, eröffnet sich so den Abnehmern die erfreuliche Perspektive einer härteren Konkurrenz der Anbieter. Die Position eines wirklichen Monopolisten - der als ausschließ licher Verkäufer einer gefragten Ware aus der Konkurrenz der Nachfrager den Vorteil zieht, soviel verlangen zu können, wie die Zahlungsfähigkeit hergibt - ist und bleibt für die afrikanischen Staaten also ein Ideal. Das einzige Monopol, über das sie tatsäch lich verfügen, ist das ihnen zugestandene auf politische Gewalt über ihr Land, ökonom isch ist dieses Monopol aber etwas rein Negatives. An sich selbst ist es nämlich überhaupt kein ökonomi sches Mittel: es w ird dazu erst durch ein ausländisches Interesse, dem es also nicht störend in die Quere kommen darf, ökonom i sches Mittel des Souveräns ist sein politisches Monopol nur darin, daß dieser es sich abkaufen läßt - womit auch schon klar ist, daß es gar nicht sein Mittel ist: Es hat ja nur dadurch überhaupt Bestand, daß es sich gar nicht als wirkliche Schranke für das auswärtige In 145
teresse an der Nutzung des fraglichen Herrschaftsgebietes betätigt. Die Geschäftsgrundlage ist somitgewissermaßen nach dem Muster politischer Korruption organisiert: als Geldzuwendung an die Staatsgewalt mit dem Zweck und dem Resultat, daß der ausländi sche Geldgeber sich der Schätze im Lande des »gekauften« Souve räns bedienen darf. Korruption ist aber nicht die tatsächliche Grundlage dieses Verhältnisses: sie ist nur der souveränitätsideali stische Schein, der die gesamte Wirtschaftspolitik dieser Staaten bestimmt - und deswegen auch bei jedem Regierungswechsel als Vorwurf gegen die gestürzten Vorgänger aufpoliert wird. Denn ohne derartige Geldzuwendungen wäre eine zum Vorteil ausländi scher Interessenten zu beeinflussende Staatsgewalt über einen afri kanischen Landstrich überhaupt nicht existent. Von ihrer materiel len Grundlage her ist die afrikanische Exportökonomie daher zu fassen als dieAlimentierung einer souveränen Gewalt durch die eu ropäischen Staaten, deren Volkswirtschaften die Naturschätze des dieser Gewalt unterworfenen Landes nutzen. Als Ökonomische Ba sis afrikanischer Souveränität erweist sich damit der politische Wille ihrer imperialistischen Handelspartner, in Afrika Staatswesen zu unterhalten und deren Herrschaftsapparate wie Souveräne zu re spektieren: nur dadurch kommen dort respektable Verhandlungs partner für bestimmte kapitalistische Geschäftsinteressen über haupt zustande. Konsequenterweise unterliegt jeder afrikanische Souverän einer kritischen Einschätzung nicht nur durch die interessierten Kapita le, sondern zuallererst und in letzter Instanz durch die imperialisti schen Regierungen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, ob und inwieweit gerade seine Souveränität durch die Zulassung eines po litischen Preises für seine Exportgüter erhalten werden soll. Aus gestattet mit sämtlichen Idealen internationaler Gleichberechti gung und Nicht-Einmischung, aber ohne je auf sie hereinzufallen, haben die westlichen Staaten dabei Großzügigkeit gelernt: Im Fall diplomatischer Extravaganzen eines Hintersassen bewährt sich auf Dauer noch allemal das Faktum, daß das politische Wohlwollen der kapitalistischen Mächte die Bedingung jeglichen Exportge schäftes ist. Und wenn die afrikanischen Souveräne sich diesen Zu sammenhang um so konsequenter zu Herzen nehmen, je irrelevan ter ihr spezielles Rohstoff-»Monopol« ist - mit seiner »Herr schaft« über den westeuropäischen Erdnußkonsum steht Senegal z. B. nicht besonders glanzvoll da und hat einen entsprechend ge-
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bildeten Präsidenten vorzuweisen so erfreuen sich umgekehrt die Souveräne über die wichtigeren unter »unseren« Rohstoffquel len um so intensiverer diplomatischer Aufmerksamkeit (und mili tärischer Unterstützung), was auf dasselbe hinausläuft. In allen Fallen basiert die afrikanische Staatsgewalt ökonomisch nicht bloß auf dem realen Überfluß, sondern zuallererst auf dem politischen Urteil der kapitalistischen Staaten, daß es sie als nützliche »Part ner« geben soll. Die Bezahlung afrikanischer Exportgüter ist folglich nicht mehr als ein politischer Kredit an die zuständigen Herrscher; ein Kredit allerdings, dessen Höhe sich nicht nach dem wirklichen Finanzbe darf dieser Herrscher richtet, sondern eben nach dem Stand der kapitalistischen Konjunkturen. Der Wille der imperialistischen Staaten, Afrika mit souveränen Herrschern auszustatten, hat des wegen seine eigene explizite ökonomische Gestalt neben der Reve nue, die diesen aus dem Rohstoffabtransport zufließt: in direkten Zuschüssen, Finanzkrediten und »Entwicklungshilfen«. Hier sind Transaktionen an der Tagesordnung, die nur der Form nach den Regeln des internationalen Zahlungsverkehrs genügen, weil es darin überhaupt nicht ums Geschäftemachen geht, sondern um die Erhaltung von Souveränen, bei denen die pure Existenz: die Ge walt über ihr Gebiet und die damit sichergestellte politische Ver fügbarkeit der dort lagernden sachlichen Grundlagen des imperia listischen Reichtums, die ökonomische Zurechnungsfähigkeit nach kapitalistischen Maßstäben ersetzt. Da werden »Sonderkre dite« zur Finanzierung notorischer Zahlungsbilanzdefizite verge ben, bei denen die Sicherheit, nichts davon je wiederzusehen, nie mandem zweifelhaft ist und auf Zinszahlung schon gleich verzich tet wird - was dann, als wäre es doch irgendwie ein Geschäft, bei den Geberländern als »Zinssubvention« verbucht wird. Gespräche über Schuldenstreichungen finden statt nicht in der Erwartung, eventuell ginge es am Ende doch ans Zurückzahlen, sondern um des politischen Demonstrationseffekts willen: gibt der »Gläubi gerstaat« sich großzügig oder spart er sich das noch auf? Staatsbank rott gibt es deswegen nicht, weil die Staaten Afrikas den entspre chenden Maßstäben einer regelrechten Haushaltsführung gar nicht erst unterworfen werden; wenn der Fiskus es irgendwo gar zu bunt treibt, nimmt sich der IWF mit eigenen Beamten der Finanzver waltung an - so in Zaire. Der Haushalt einiger frankophoner Staa ten wie Tschad, Obervolta oder Zentralafrika wird gleich von der 147
Republik Frankreich als UnterabteiJungihres eigenen abgewickelt, ohne Einschaltung des Währungsfonds; und die »Franc-Zone« existiert nach wie vor - mit dem einzigen Unterschied zu den ver flossenen Zeiten der »Communauté«, daß das spezifizierende Kürzel »C.F. A.« hinter dem Geldnamen »Franc« nicht mehr »Co lonie Française d’Afrique«, sondern, ein schönes Zeichen für die politische Qualität des Französischen, »Communauté Financière Africaine« bedeuten will. Und in einem Punkt gehen die imperiali stischen Mächte in ihrer Fürsorglichkeit überhaupt kein Risiko ein: Waffenlieferungen werden gleich so gehandhabt, wie sie ge meint sind, nämlich nicht einmal der Form nach als Handelsge schäft (es sei denn, es hätten sich auch einmal in Afrika »überhöhte Rohstoffentgelte« angesammelt, deren »Rücktransfer« energisch in Angriff zu nehmen wäre), sondern ohne große Umstände als milde Gäbe und Ausbilder gleich inklusive. Die Staatsgewalt in den afrikanischen Staaten beruht also auf ei nem politischen Kredit, den die kapitalistischen Staaten vor allem Westeuropas gewähren, weil ihnen an politischer Herrschaft dort zulande liegt; er befördert zwar die schönsten Geschäfte, wird aber selbst nicht mit geschäftlichen Maßstäben gemessen. Vom Stand punkt der imperialistischen Staaten aus, die das wirkliche Subjekt dieser Verhältnisse sind, erweist sich daher selbst der Rohstoffex port, so sehr er wie der Außenhandel eines regulären Souveräns or ganisiert ist, als etwas höchst Seltsames: als die teilweise Vergütung der vom Westen gezahlten faux frais der politischen Herrschaft dortzulande in landesspezifischen Naturalien, deren Bewertung ganz in den Zuständigkeitsbereich der großen Warenbörsen fällt — womit der ökonomische Vorteil des gesamten Unternehmens klar gestellt wäre. Unter diesem praktisch maßgeblichen Gesichts punkt unterscheidet der Außenhandel der afrikanischen Staaten sich also gar nicht groß von der zur Zeit wieder mehr in Übung kommenden Methode, die Herrschaft über einen Fleck des Globus dadurch in Geld zu verwandeln, daß dieser Fleck interessierten Weltmächten zu militärstrategischer Nutzung überlassen wird seitdem die USA ihre »neue Linie« klargestellt haben, will so man ches Land der »Dritten Welt« zur »Stabilität« seiner Region beitra gen. Hier ganz genauso wie bei der Zurschaustellung nationaler Naturschönheiten für den internationalen Tourismus geht es in Afrika nirgends darum, einem heimischen Unternehmertum in Sa chen Bau- und Dienstleistungsgewerbe neue VerdienstmÖglichkei
ten zu erschließen, sondern um Formen, die faux frais nationaler politischer Herrschaft ökonomisch funktional zu machen. Es ist daher auch kein Zufall, daß Aktivitäten dieser und sonstiger A r tRosen und Paprika für den europäischen Winter, Safaris für Omas - sich weniger den Anstrengungen der einheimischen politischen Elite verdanken, ihrem Land zu einer potenten eigenständigen Volkswirtschaft zu verhelfen, als vielmehr dem Erfindungsreich tum von auswärtigem kapitalistischem Geschäftssinn bzw. ideali stischen Entwicklungshelfern: ökonomisch geschieht dies alles unter der kritischen Forderung des Imperialismus, daß die Alimentierung politischer Herrschaft in Afrika sich immer mehr und möglichst auch noch dort, wo es sich bislang um ein reines Zu schußgeschäft handelt, irgendwie lohnen soll. Dazu steht keineswegs die Tatsache im Widerspruch, daß auch Staatsapparate ausgehalten werden, deren beherrschtes Staatsge biet samt Volk und Geziefer keinerlei profitliche Transaktion er laubt. Einerseits ist der politische Einfluß auf eine vor Ort bestim mende Führung die unabdingbare Voraussetzung für eventuell sich noch ergebende Geschäfte, andererseits sind gerade in Afrika die politisch-militärischen Kräfteverhältnisse und die sie ausma chenden Koalitionen ziemlich bedeutsam für alle Sorten er wünschter Stabilität und Unruhe in den Gebieten und um sie herum, in denen auch ökonomisch etwas zu holen ist. Daß jeder Quadratkilometer von einem zumindest halbwegs kalkulierbaren, immer aber auch erpreßbaren Souverän beherrscht wird, liegt in sofern stets im Interesse der imperialistischen Nationen, und die bunte Vielfalt tolerierter und verköstigter Regierungsmannschaf ten mit Sitz und Stimme in der U N O legt beredtes Zeugnis davon ab, daß der aufgeklärte Westen auch mit mancher Kuriosität zu le ben und zu rechnen versteht, wenn sie sich als Ordnungsfaktor in einer von ihm prinzipiell benützten Welt bewährt. In dieser Rech nung, die im übrigen einen flotten Konkurrenzkampf der freien westlichen Nationen untereinander und mit dem Osten prägt, zäh len rein politische Gesichtspunkte ohne Rücksicht auf den Profit den ohnehin Kapitalisten und nicht Staaten machen. 4. So ist es gar nicht verwunderlich, daß in einem guten Teil der »Dritten Welt« die »Entwicklung« etwas anders stattfindet, als sich das die Idealisten der weltweiten Segnungen von Handel und Wandel erträumen. In den souveränen Anhängseln der »Ersten Welt« stellt die Staatsgewalt in ihrem Wirken prinzipiell einen ein*49
zigen Angriff auf die naturwüchsige Produktionsweise ihrer Be völkerung dar; einen Angriff, der diese Produktionsweise nicht umwälzt, sondern gleichzeitig aufrechterhält und ihrer materiellen Grundlage beraubt. Die vielsagenden Kurzstatistiken der UNOund sonstigen Weltalmanache weisen aus, daß in den afrikanischen Staaten in der Regel zwei Drittel bis drei Viertel der Bevölkerung von »traditioneller« Subsistenzlandwirtschaft leben, zwischen 80 und 90 % der »Erwerbstätigen« in diesem Bereich »beschäftigt« sind und die Verstädterung auch dortzulande zunimmt. Für ihre Selbsterhaltung kraft eigener Arbeit bleiben die Massen der afrika nischen Völker also darauf angewiesen, sich mit so kümmerlichen Techniken wie dem Brandrodungsfeldbau im tropischen Regen wald (der bei aller Kärglichkeit der Erträge den mit der Hacke be arbeiteten Boden in wenigen Jahren erschöpft und zur nächsten Rodungsaktion zwingt), der Wechselfeldwirtschaft in »begünstigteren« Savannengebieten oder nomadischer Viehzucht in der Sahelzone und im ostafrikanischen Grabenbruch die nötigsten Le bensmittel zu beschaffen. Im Falle von Mißernten haben sie sich mit den Affen um jene »Wildfrüchte« zu streiten, derentwegen moderne »Entwicklungshilfe«-Statistiken gelegentliche Einbrüche etwa bei der zentralafrikanischen Hirseproduktion verschmerzbar finden. Gerade weil diese urtümlichen Formen landwirtschafdicher Produktion praktisch ohne Hilfsmittel auskommen, sind sie allerdings um so mehr auf eine Hauptbedingung ausgewiesen, nämlich auf stets neues Land; und genau diese Bedingung macht ihr politischer Souverän ihnen zunichte. In manchen Fällen genügt schon die bloße Deklarierung einer Staatsgrenze, irgendwo durch die Dreiviertelswüste gezogen und von ein paar Polizisten be wacht, um Katastrophen in der Reproduktion ganzer Stämme her- ' aufzubeschwören, die dann hierzulande mit dem Zynismus des »wissenschaftlichen« Durch- und Überblicks als ökologische be gutachtet werden: Allein weil die bewachte Grenze ein unkontrol liertes Herumstrolchen von Halb- oder Ganz-Nomaden durch verschiedene Staatsgebiete behindert, wird der Weideraum für die Herden unter das Existenzminimum gedrückt und so dafür ge sorgt, daß dieser verringerte Raum durch Uberbenutzung zusätz lich untauglich gemacht wird. Vor allem aber laufen praktisch alle wirtschaftlichen Projekte, die eine Regierung in ihrem Lande zu läßt oder inszeniert, darauf hinaus, der Subsistenzwirtschaft ihren notwendigen Raum zu nehmen, ohne ihrerseits für neue Subsiiso
Stenzgrundlagen zu sorgen. Plantagen und Musterfarmen nutzen den Boden zweifellos intensiver und ertragreicher als die Subsi stenzbauern, die sie verdrängen; aber sie nutzen ihn eben für die Ankurbelung des Exports, und zwar nicht durch die Erzeugung eines wirklichen Überschusses an Lebensmitteln, der dann ins Ausland geht - solche Überschüsse produziert von allen Staaten Afrikas allein die Republik Südafrika, die über ein Zehntel ihres Außenhandels mit Lebensmittellieferungen an ihre Nachbarländer bestreitet! sondern durch die möglichst ausschließliche Produk tion für den europäischen Markt. Forstwirtschaft sowie Minera lienabbau dienen von vornherein nicht der Mehrung von Eßbarem, sondern allein der Erschließung der Naturschätze, mit denen die Staatsgewalt sich für auswärtige Interessen interessant machen kann, und dergleichen ist stets mit der ersatzlosen Vernichtung der Reproduktionsgrundlagen einiger Eingeborener verbunden; das selbe gilt für all die vielfältigen »Projekte« wie Nationalparks, Raketenerprobungsgelände und dergleichen, die die zuständigen Souveräne in ihrem Bestreben, ihre politische Gewalt über viel Na tur in klingende Münze zu verwandeln, sich von Scharlatanen aller Art gerne aufschwatzen lassen: Für alles, was Geld bringt, sei es die Besichtigung von Elefanten durch europäische Tierfreunde oder das Schwindelgeschäft deutscher Abschreibungsfirmen mit flug untüchtigen Eigenbauraketen, wird beliebig viel Gelände rück sichtslos von seiner Einwohnerschaft »gesäubert«, die ja nun mal kein Geld mehr bringt, seit sie nach Unterbindung des Sklaven handels zumindest im Außenhandel nicht mehr als ein geschäftlich verwertbares Stück politisch monopolisierbarer Natur gilt. Selbstverständlich geht auch diese planmäßige Vernichtung der Subsistenzgrundlagen der vorhandenen Menschen nicht ohne politökonomische Ideale ab. Diese Ideale heißen »Schaffung produkti ver Arbeitsplätze< und »Integration der Subsistenzbauern in die Geldwirtschaft< und legen auf ihre Weise Zeugnis davon ab, daß die trostlos ineffektive und bornierte Arbeit der autochthonen Produzenten der politischen Führung insofern ein einziges Ärger nis ist, als nichts von ihren Früchten sich in ein Mittel staatlicher Revenue verwandelt. Die Realität, die diesen Idealen entspricht, ist der mit jeder öffentlichen Erschließungsmaßnahme den dadurch um ihre Subsistenzmöglichkeit gebrachten Einheimischen aufer legte Zwang, ihre Arbeitskraft für die erfolgreiche Nutzbarma chung der erschlossenen Naturschätze benutzen zu lassen: für
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einfache Landarbeit, einfache Minenarbeit und die beiden Produk tionszweigen unmittelbar nachgeordneten, ebenso einfachen Auf bereitungsarbeiten, die manchmal bis zur Verhüttung von Erzen reichen, sich viel öfter aber auf die bloße Verpackung und Verla dung auf Frachtschiffe beschränken. Dieser Zwang zur Arbeit nicht für das Mehrprodukt einer einheimischen Volkswirtschaft, sondern für das Funktionieren auswärtiger Reichtumsproduktion und eine daraus abgeleitete Revenue des eigenen Staates - macht aus dem seiner Subsistenzgrundlage beraubten Bauern keineswegs einen regulären Proletarier, sondern einen Lohnsklaven, dessen Lebensunterhalt sich nicht an einem in Geld ausgedrückten Wert seiner Arbeitskraft bemißt, sondern häufig in Form von Woh nung, Verköstigung und Taschengeld verabreicht wird, auf alle Fälle nicht einmal die Illusion freier Verfügung über die eigene Ar beitskraft aufkommen läßt und auch noch nicht einmal für die nackte Subsistenz zu reichen braucht, weil es allemal, und für die erforderte einfache Arbeit schon gleich, genügend Ersatzkräfte gibt. Denn das ist das ganze »Geheimnis« der zunehmenden Ver städterung und der Differenz zwischen dem Anteil der in der Sub sistenzproduktion Arbeitenden und dem - geringeren - Anteil der von ihr Lebenden: Die politische Vermarktung des Landes und seiner Natur setzt regelmäßig weit mehr Menschen von ihren Re produktionsbedingungen frei, als in den entsprechenden Projekten Arbeit finden, erzeugt also ein zunehmendes Heer absoluter Pau pers, die nicht wie die Arbeitslosen im Kapitalismus eine reguläre Abteilung unter den hauptberuflichen Opfern des Funktionierens dieser Produktionsweise darstellen, sondern den ökonomischen Abfall bei der Verwandlung afrikanischer Natur in eine Geschäfts grundlage des westeuropäischen Kapitals. Und für diese Paupers gibt es eine Uberlebenschance, wenn überhaupt, dann nur an den Hauptorten der ihre angestammte Subsistenzweise vernichtenden staatlichen Auslands Wirtschaft: an den Haupt#???5c/?/tfgsplätzen des Landes - meist den Hafenstädten deren größter regelmäßig auch die Hauptstadt ist. Dort bietet sich nämlich allenfalls die Möglichkeit, ein Stückchen des ins Land kommenden Reichtums an sich zu bringen und sich >in die Geld Wirtschaft zu integrieren: sei es durch Raub und Diebstahl - denn in den Metropolen gibt es immerhin überhaupt etwas zu stehlen und eine Infrastruktur von Hehlern; sei es durch Hilfs- und Tagelöhnerarbeiten oder Prosti tution; sei es durch Eintritt in die Armee, die ihre Soldaten zwar
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auch kaum bezahlt, aber immerhin halbwegs verköstigt; sei es durch die Tätigkeit als Stimmvieh, Jubeltruppe oder gar als Frei schärler im Dienst eines Politikers, sobald der es opportun findet, seinen Konkurrenzkampf um die Macht durch den Einsatz leicht nämlich oftmals schon für ein paar Mahlzeiten - käuflicher Massen zu entscheiden; sei es schließlich, Krönung einer derartigen Lauf bahn, durch noch so geringfügige Teilhabe an der Staatsgewalt, die ja noch dem letzten ihrer Polizisten die Gelegenheit eröffnet, sein Stückchen politischer Verfügungsgewalt zu (Bestechungs-)Geld zu machen. Diese letzteren, die Glückspilze unter den Paupers, ausgenom men, läßt der Staat seinen städtischen Massen im übrigen genauso wenig sozialstaatliche Fürsorge angedeihen wie den ländlichen: Wenn sie ihm nicht gleichgültig sind, so sind sie ihm hinderlich und werden entsprechend rücksichtslos beiseite geräumt. Fürsorge existiert demgemäß ausschließlich als das Ideal der praktizierten Rücksichtslosigkeit und wird überhaupt nur entweder von hart näckigen Idealisten des Sozialstaats und der Caritas - die logi scherweise allesamt aus dem demokratischen, christlichen oder so zialistischen Ausland kommen: Entwicklungshelfern und Missio naren samt Personal - oder von rivalisierenden Politikern im Zuge ihrer Konkurrenz als persönliches Gütesiegel in die Tat umgesetzt. Zu den Errungenschaften der letzteren Rubrik zählt der Einfall, angesichts der fortschreitenden Zerstörung der Subsistenzwirt schaft deren Restaurierung zum Heilmittel alles modernen Elends zu erklären und einige hundert Slumbewohner in idyllische U r waldweiler umzusiedeln bzw. die bestehenden Dörfer demonstra tiv zum Gegenstand höchsten staatlichen Wohlwollens zu erklä ren: so vor allem die Idee der »Ujamaa-Dörfer« in Tansania, wo unter dem Obertitel des »afrikanischen Sozialismus« die alte Produktionsweise nicht bloß zu einem naturwüchsigen Hort sämt licher modernen staatsbürgerlichen Tugenden, allen voran der Soli darität, idealisiert, sondern auch als Inbegriff afrikanischer Uber lebensweisheit praktiziert wird. Kaum anders sehen die modern sten Vorschläge und Pläne westlicher Entwicklungshilfe aus, den darbenden Afrikanern mit »angepaßter Technologie« unter die Arme zu greifen: Auch sie ergänzen das Ideal des Aufbaus einer geldwirtschaftlich funktionierenden Nationalökonomie um das Gegenideal einer Fortführung der alten Subsistenzwirtschaft unter den neuen Bedingungen. Weniger »Fehlschläge« als der Idealismus M3
derartiger »Entwicklungsprogramme« erleben die Kirchen mit ih ren Maßnahmen geistlich inspirierter geistiger und leiblicher Für sorge: Ihre Missionsschulen funktionieren noch immer am besten, sind abseits der Hauptstraße oft sogar nach wie vor die einzigen und setzen dort immer wieder zahlreiche Zöglinge instand, das ei gene ländliche Elend mit den immerhin vorhandenen Lebenschan cen in den Metropolen ihres Landes zu vergleichen und sich auf der Grundlage ihres geweiteten intellektuellen Horizonts dort für sich selber bessere Chancen als daheim auszurechnen. Die Folge ist, daß nicht nur die unmittelbar aus ihren Wohngebieten verdrängten oder um ihren ökonomischen Lebensraum gebrachten Subsistenz bauern die Slums der afrikanischen Städte kontinuierlich auswei ten; neben ihnen, vielleicht auch statt ihrer oder als ihre »Vorhut« landet dort auch ein Großteil derjenigen, denen eine regelrechte Soziaileistung zuteil wird - oft genug die einzige in ihrem Leben nämlich eine Ausbildung im englischen, französischen oder portu giesischen Alphabet und den für die Teilnahme an der Geldwirt schaft unabdingbaren Grundrechenarten der Mathematik und der Moral. Sie gehen, christlich gebildet, mit der Hoffnung in die Stadt, es den Großen ihrer Nation - fast durchweg selber Absol venten von Missionsschulen und bisweilen bis zum Bischofsamt avanciert! - nachzutun und sich einen Posten zu erobern. Die Bevölkerung der afrikanischen Staaten ist also nicht nur nach dem vorpolitischen Kriterium der Stammeszugehörigkeit sortiert, sondern kennt verschiedene Sorten von Bürgern exakt gemäß dem politökonomischen Prinzip, nach dem die Staatsgewalt sich erhält. Es gibt eine - alle Gebildeten umfassende - Minderheit, nie gleichmäßig, aber grundsätzlich allen nationalen Völkerschaften entstammend, die in individuell unterschiedlicher Weise und vor allem in höchst unterschiedlichem Maße an der Finanzierung der politischen Herrschaft durch das interessierte Ausland partizi piert; sie betrachtet und handhabt ihre Regierungs- und Verwal tungstätigkeit ganz »sachgerecht«, nämlich ganz entsprechend dem Fehlen eines inneren gesellschaftlichen Bedarfs an effektiver, dem Bürger irgendwie nützlicher staatlicher Verwaltung, als Aus nützung einer von oben oder von den jeweils Betroffenen finan zierten politischen Pfründe - eine A n von Revenue, die bei den un tersten Chargen in Straßenraub mit staatlicher Autorität und staat lichen Waffen übergeht. Es gibt eine große Mehrheit von Subsi stenzbauern, denen ihre ohnehin extrem kärgliche Subsistenz, von
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deren Überschüssen sich nach wie vor allenfalls ein Zauberer pro Dorf aushalten läßt, bestritten wird, weil sie jeder vom politischen Souverän lizenzierten Erschließung sämtlicher irgendwie interes sierenden Naturmerkmale des Staatsgebiets nur hinderlich sind. Und es gibt Lohnsklaven und ein wachsendes Heer städtischer Paupers, die sich ihr Leben lang in der verzweifelten Anstrengung aufreiben, sich aus der notwendigen Aufbereitung und dem Ab transport der Naturschätze des Landes sowie den dabei am Rande abfallenden halb- oder illegalen Verdienstmöglichkeiten einen Le bensunterhalt zu beschaffen; den Subsistenzbauern haben sie nicht mehr und nicht weniger als die Chance voraus, irgendwie in eine staatlich gesicherte Existenz hineinzugelangen, sei es auch nur als Hausdiener eines besseren Elitenegers oder in ein noch so schlecht, aber eben mit einem festen Gehalt dotiertes Angestelltenverhält nis: mit dem letzten Sekretär der staatlichen Gewerkschaft oder Einheitspartei fängt bereits die »Elite« an. Geben muß es schließlich auch noch eine gewisse Anzahl von Leuten, die den Umschlag des Geldes besorgen, das der politischen Elite aus dem staatlichen Auslandsgeschäft und dessen »flankieren den Maßnahmen Entwicklungshilfe und Bestechung zufließt und von ihr ja auch verausgabt wird, die also aus dem Konsum der Geldeinkommensbezieher für sich ein Geschäft machen: kleinka pitalistische Gewerbetreibende - denn für große Kapitalanlagen existiert nirgends ein hinreichendes zahlungsfähiges Bedürfnis - im Bereich zwischen Subsistenzwirtschaft und Außenwirtschaft; Agenten ausländischer Unternehmer der Konsumgüterbranche; Projektemacher kleineren Zuschnitts; Händler mit Beziehungen und Auslands Verbindungen usw. Piese Sorte ökonomisch aktiver »Mittelschichtler« kann es allerdings nur geben ganz abgetrennt neben den erwähnten Volksklassen: Vom Pauper und Lohnskla ven, geschweige denn vom Subsistenzbauern, gibt es höchstens ausnahmsweise einen Übergang in diese Sphäre des privaten Kommerzes; wer andererseits eine Pfründe im Staatsdienst erobert hat, macht allenfalls darin Karriere, verfolgt aber bestimmt nicht das Lebensziel ökonomischer Selbständigkeit - ein Zweck, der ja, um üblich zu werden, genau das umgekehrte Verhältnis zwischen Staat und Privaten voraussetzen würde als das tatsächlich herr schende. Die hier einschlägigen Tätigkeiten (von der funktionie renden modernen Werkstatt bis zum Transportunternehmen und vom Bierverlag bis zum Import gebrauchter Luxusautos) sind daM
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her nicht zu fällig eine Domäne von gescKiftstüchtigenAnsländern vieJen Griechen und Libanesen im Westen, Indern im Osten des Kontinents, die nicht selten eigens dazu ins Land gekommen sind, um die seltene Chance wahrzunehmen, praktisch ohne Kapital, nur mit technischem und geschäftlichem Geschick und einer gehö rigen Portion Scharlatanerie, schnell ein Vermögen zu machen. Beide Seiten, die Einheimischen wie die Auswärtigen, nähren aus dieser speziellen »Arbeitsteilung« ihren jeweiligen Rassismus: Die Geschäftemacher mit heller Hautfarbe verachten in den staatlichen Verwaltungsmenschen, für die Effektivität überhaupt kein sinnvol ler Zweck ist, wie in den arbeitenden oder arbeitslosen Paupers, für die Mehrleistung sich ökonomisch nie auszahlt, den untüchtigen Schwarzen; die eingeborenen Paupers lassen sich unter dem Ge sichtspunkt eines antikolonialistisch verallgemeinerten schwarzen Stammesstolzes gegen die geschäftstüchtigen Ausländer aufwie geln; und die führenden nationalen Politiker halten es immer wie der einmal für opportun, durch derartige Agitation des Volkes Unzufriedenheit für ihren Konkurrenzkampf auszunutzen - am bekanntesten die einschlägigen Einfälle des Idi Amin, sein Volk von den indischen Händlern zu >befreien<, ganz als wären diese die Urheber des ugandischen Elends, und sich zur rassistischen Freude seiner Untertanen von einer Staffel Engländer durch die Straßen Kampalas tragen zu lassen. j. Den Idealismus, die »Dritte Welt« müßte sich über gedeihliche Wirtschaftsbeziehungen mit den »Industrieländern« entwickeln, in gewissen Proportionen am Reichtum dieser Weltwirtschaft par tizipieren, wollte in einem Fall niemand so recht hochhalten. Die große Ausnahme sind die Ölstaaten - also ausgerechnet jene Sou veräne, deren Exportartikel tatsächlich die für sie angenehme Wir kung aufweist, ein paar Milliarden abzuwerfen. Und das Ausblei ben der Freude darüber, daß hier einmal statt Schulden ansehnliche Dollarkonten Zusammenkommen, verdankt sich keineswegs dem Mitleid mit den auch in Ölländern nicht verwöhnten Völkern - mit Demonstrationen gegen den Schah haben sich Studenten der BRD bei ihren Mitbürgern sehr unbeliebt gemacht. Vielmehr hat man sich der albernen Vorstellung bedient, ausgerechnet das Öl werde aus einer großen Kasse der Nation bezahlt, sei zu teuer und brächte »uns« in Schwierigkeiten - die letzte Nutzanwendung aus dieser Mär zog der damalige Kanzler anläßlich der Konferenz von Cancün, als er den »Sparhaushalt«, d. h. den bei erhöhten Staatsausga 156
ben ausgeübten Zwang zum privaten Einteilen, flugs als Krise deu tete und wieder einmal die ölpreise zur Ursache erklärte. Jahre lang galten die Ölscheichs als »Erpresser«, die unsere ölabhängigen Volkswirtschaften ins Ungemach stürzen; und die gelehrt klin gende Beschwerde über eine »Eskalation des wirtschaftlichen Drohpotentials der Förderländer« nahm sich noch moderat aus ge genüber dem Befund, die O PEC stelle »nach unserem Recht eine kriminelle Vereinigung« dar. Dem ökonomischen Unsinn gesellte sich der ökologische hinzu. Die Vorstellung, die Welt ginge aufgrund eines Energiemangels ei ner globalen Herausforderung nie dagewesenen Ausmaßes entge gen, wurde mitsamt der moralischen Lehre, ein anständiger Mensch hätte sparsam mit dem knappen Gut umzugehen, zu einer Popularität hinmoderiert, die gekonnt auf den kleinen Mann be rechnet war - der muß nämlich wegen des Preises tatsächlich mit Strom und Benzin haushalten. Die »Marktwirtschaft« wandte die liberalen Methoden der Kalkulation an, um das Volk zur Tugend der Sparsamkeit anzuhalten, so daß für die Endverbraucher tat sächlich Energie zu einem »kostbaren Gut« wurde. Da kam es auch nicht mehr weiter darauf an, daß die Knappheitsvisionen des »Club of Rome« im praktischen Geschäftsgebaren seiner Mitglie der und Förderer keine Rolle spielten - um so mehr Anklang fan den sie bei grünen und alternativen Anhängern des Umweltgedan kens. Wie es sich für anständige Ideologien gehört, lassen sich anstän dige M enschen durch Fakten ebensowenig von ihnen abbringen, wie sie sich bei ihrer Ü bernahm e von der Realität und irgendwel chen stim m igen A uskünften über diese leiten lassen. Wenn sich schon die Ö k o lo g ie zur Ö kon om ie verhält wie die Astrologie zur A stro n om ie, dann stö rt es einen Anhänger des »K nappheitsgedan kens« auch nicht, daß die Ö lförderung während der H och kon junktur dieser L ü gen gestiegen ist wie noch nie; und noch weniger fällt ihm au f, daß die »W irtschaft« am Energieerhaltungssatz nie irre gew orden ist, desw egen m it dem gestiegenen ö lp r e is auch an dere Tech niken, nützliche Formen der Energie zu erzeugen, für lohnend befunden h at. W as die politische H etze au f jene »N eu rei chen« aus der »D ritten W elt« angeht, so bleibt sie zw ar im Arsenal des W irtsch aftsjournalism us verfügbar, zugleich aber w ird sie zu nehm end abgelö st durch die R ede von »unseren Freunden« in Saudi-A rabien, die u nbedingt das Beste kriegen m üssen, w as europäi157
sehe und amerikanische Waffentechnik zu bieten hat. Doch auch dergleichen gab es schon zu den Zeiten, als keine imperialistische Karikatur die Erhöhung des Benzinpreises ohne einen diebischen und verschlagenen Scheich zu kommentieren wußte. Herzliche Staatsbesuche, groß dimensionierte »joint ventures« seriöser Kapi talisten mit den orientalischen »Wirtschaftsverbrechern« und unbefangene Belieferung mit Kriegsgerät aller Art - dieser Umgang der angeblichen Opfer mit ihren angeblichen Erpressern ist durch aus nichts Neues. Inzwischen hat man reichlich Gelegenheit, offi zielle Bastionen unserer Freiheit, Verbündete, Vernünftige und ei nige Unverbesserliche unter den Ölstaaten zu unterscheiden - eine der Konsequenzen jener von der NATO beschlossenen »weltpoli tischen Entwicklung«, die Zustände wie die im Folgenden be schriebenen immerzu überholt. a) Bis vor wenigen Jahren machten die Ölkonzerne ihr großes Ge schäft auf der Basis und mit Hilfe eines zeitweise geradezu exorbi tanten weltweiten Überangebots an Erdöl; mit Kapazitäten, die bisweilen um ein Mehrfaches über der tatsächlich abgesetzten För dermenge lagen. Die Entdeckung und Erschließung neuer Erdöl felder vor allem im Nahen und Mittleren Osten war dank der Kon kurrenz der »Großen Schwestern« um die restlose Aufteilung sämtlicher Petroleumpfützen des Erdballs so rasch vorangekom men, daß der Verbrauch gar nicht Schritt halten konnte. Garantien war das Geschäft nach der einen Seite hin durch die Ausschaltung jeder Preiskonkurrenz, nämlich durch einen zwi schen den Hauptkonkurrenten einvernehmlich festgelegten Min destpreis. Bis zur Mitte des Jahrhundens lautete dessen Formel »Golf plus Fracht«: nirgends sollte Rohöl billiger zu haben sein, als es dem Gestehungspreis an der Südküste des seinerzeitigen Hauptexportlandes, der USA, zuzüglich der von dort aus theoretisch an fallenden Frachtspesen entsprach. Mit dem Fortschritt der USA nach dem Zweiten Weltkrieg zum größten Ölimporteur der Welt änderte sich nicht das Preisdiktat der amerikanischen Ölkonzerne, sondern allein ihre Berechnungsformel: weltweit maßgeblich wurde für die fünfziger Jahre der New Yorker cif-Importpreis, also ein den Transport nach New York und die Versicherungsko sten einschließender Preis, der so berechnet war, daß das Geschäft der US-Gesellschaften mit ihrem einheimischen Ö l keiner Preis konkurrenz durch Zufuhren von auswärts ausgesetzt war. Gleich zeitig war damit sichergestellt, daß keine andere Nation sich durch 158
günstige ölpreise einen Konkurrenzvorteil gegenüber den USA verschaffen konnte; dafür durften sie die Gewinne der Ölkonzerne finanzieren. (Ein schönes Beispiel für die pax americana nach dem Zweiten Weltkrieg.) Und dieser Mindestpreis lag stets um ein Viel faches über den Unkosten auf den neuen Ölfeldern, die paar Cents an »royalties« und die paar tausend Dollar an Bohrlizenzen für die zuständige politische Herrschaft des jeweiligen Erdenwinkels schon mit eingerechnet. Die in den sechziger Jahren von einigen ölförderländern erstrittene Festlegung von fob-(free on board) Export preisen, dem »posted price«, auf den sich die Gewinnkalku lation der Ölkonzerne und damit die von den Förderländern durchgesetzte 50%ige Beteiligung ihres Fiskus am Verkaufsge winn beziehen mußte, bedeutete gegenüber dem vorherigen Zu stand für die Ölgesellschaften kaum mehr als eine Änderung ihrer Abrechnungsmodalitäten, die für jede gewünschte Manipulation Raum ließen. Daher sahen sich denn auch diejenigen Förderländer, die in diesem Jahrzehnt eigene nationale Ölgesellschaften gründe ten und mit einem Fördermonopol ausstatteten, mit einem Verfall ihrer Listenpreise konfrontiert, den die in die Rolle des Kunden gedrängten Ölgesellschaften diktierten - ohne daß dadurch deren USA-internes Geschäft in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Stets verdankte sich der Preis, zu dem die Verbraucher in den kapi talistischen Staaten an Ölprodukte kamen, einer freien monopoli stischen Festsetzung durch die Öl-Multis - den sieben »Großen Schwestern« schlossen die »Independents« sich da gerne an! - , die dabei immer die Bedingungen ihres Geschäfts mit dem im eigenen Land gepumpten Stoff aufrechterhielten. Bedingung für die problemlose Realisierung dieses Mindestprei ses war auf der anderen Seite, daß das Erdöl in den »Verbraucher ländern« in allen seinen Anwendungsgebieten im Vergleich mit anderen Rohstoffen oder »Energieträgern« konkurrenzlos billig war; so billig, daß die Zunahme des Ölverbrauchs zwar noch mit erheblichem Abstand, aber doch rasch und kontinuierlich der Vermehrfachung des Angebots hinterherwuchs und die Ölgesell schaften nicht in ihrem Petroleum, sondern in Geld schwammen. Kleinere nationale Ölanbieter, auch die mancherorts gegründeten staatlichen, existierten und existieren bis heute nicht in Konkur renz zu den von den Großen gesetzten Geschäftsbedingungen, sondern auf deren Grundlage. Meist handelte es sich sowieso um gänzlich abhängige Vertriebsgesellschaften, die mit dem Abnah159
me- praktisch auch ihren Abgabepreis diktiert bekamen. Und so weit sie an eigene Lieferverträge mit den Staatsgesellschaften ir, gendwelcher Förderländer gelangten, konnten sie ja zusehen, wie sie mit ihren paar Millionen Barrels in die Konkurrenz einstiegen und die Preise drückten - sie haben es denn auch gar nicht erst ver sucht. Schon gar nicht ist der »freie Spotmarkt« in Rotterdam dafür eingerichtet worden oder je dazu angetan gewesen, im Ölgeschäft Marktkonditionen nach den üblichen Regeln der Konkurrenz herzustellen oder als Börse nach dem Muster sonstiger Warenbörsen zu fungieren. Bis heute dient er im wesentlichen dem Ausgleich kurzfristiger, nicht schon vorab gemanagter Schwankungen im Verhältnis von Zufuhr und Verkauf innerhalb der konzerneigenen Vertriebswege: Da erklärt schon mal die eine große Ölgesellschaft angesichts ihrer ölbestände die Einschleusung einer Tankerladung in ihre Raffinerien für weniger lohnend und bietet sie feil; eine an dere Ölgesellschaft kommt aufgrund ihrer momentanen Ge schäftslage zum umgekehrten Schluß, läßt vielleicht auch einen Tanker etwas langsamer oder nach Japan statt nach Holland fahren und kauft ein; und die Nischen dieses Geschäfts sind immer noch groß genug, daß sogar noch ein Haufen Spekulanten und einige hundert oder tausend freie Tankstellen und Vertriebsstellen quasi als untergeordneter Puffer im großen Ölgeschäft davon existieren konnten und können. Auf der Grundlage eines überreichlichen Angebots, um dessen Aufteilung zwar gegeneinander, aber nie zugunsten des Förder landes konkurriert wurde (da wäre ja aus dessen politischem Mo nopol ein regelrechter Monopolpreis geworden!), und eines kon kurrenzlos niedrigen Abgabepreises, um den nicht konkurriert wurde, ist es den Öl-Multis somit gelungen, die Ölversorgung der freien Welt von der Exploration bis zur Tankstelle in den Griff zu bekommen. Den nationalen Fördergesellschaften gegenüber, wo es sie gab, traten sie als alleinige Aufkäufer und Repräsentanten ei ner hinter dem Angebot zurückbleibenden Nachfrage auf, ihrer ei genen Kundschaft gegenüber dagegen als echte Monopolisten. Auf diese Weise haben sie bis heute verhindert, daß aus ihrem Ver kaufsschlager eine »normale« Ware mit weltweiter Konkurrenz um den Produktionspreis wurde. b) Die Zeiten eines problemlos niedrigen Monopolpreises für Erdöl gingen im Jahr 1973 abrupt zu Ende, und zwar mit dem kurzfristigen Lieferboykott einiger arabischer Länder und der 160
Folge eines Unterangebots, das den in der O PEC kooperierenden Regierungen die Chance bot, den Abgabepreis ihrer nationalen Ölgesellschaften einseitig heraufzusetzen bzw. den Listenpreis der in ihrem Land tätigen Multis um einen entsprechenden Staatsanteil zu erhöhen. Schon an dieser Konstellation des Jahres 1973 ist abzulesen, daß — entgegen dem ersten Augenschein - der Grund für die seinerzeiti gen Preiserhöhungen, und für alle seitherigen gilt dasselbe, nicht in der politischen Absicht der Lieferländer liegt, sich höhere Ein nahmen aus dem Geschäft der Ölkonzerne mit ihrem Rohstoff zu sichern. Schließlich war die O PEC bereits dreizehn Jahre zuvor gegründet worden und hatte seitdem noch nicht einmal ihr anfäng liches bescheidenes Ziel verwirklichen können, dem Sinken ihrer Einnahmen entgegenzuwirken. Die politischen Maßnahmen eini ger Regierungen mit dem Ziel, sich zum ökonomischen Subjekt des Ölgeschäfts zu machen, nämlich die Gründung nationaler Öl gesellschaften, die Übertragung von Förderlizenzen auf diese und eben der Kampf um eine einigermaßen respektable Verhandlungs position gegenüber den Ölkonzernen, dem die Gründung der O PEC dienen sollte, hatten zwar manche rechtliche Formen der Abwicklung des Ölgeschäfts modifiziert, aber nicht das Geringste an den ökonomischen Prinzipien dieses Geschäfts geändert. Und die lauteten eben: niedriger Monopolpreis, deswegen dauernde Expansion der Absatzmenge, lückenlose einvernehmliche Auftei lung aller in Frage kommenden Fundstätten sowie gegen Null tendierende Gestehungspreise für den Rohstoff ab Quelle bzw. Grenze. E s w aren diese Prinzipien des weltweiten Ö lgeschäfts, die zu B e ginn der siebziger Jah re zu einer M odifikation ihrer eigenen V or aussetzun gen führten. A u f der Seite der N achfrage nach E rdöl hatte der niedrige ö lp r e is seine W irkung getan und den M arkt für E rd ö lp ro d u k te in dem von den Anbietern gewünschten U m fang »explod ieren« lassen. U m gekeh rt w ar die Aufteilung der F örd er gebiete, in denen die P rodu ktion su nkosten, d. h. die zugestande nen A b gabepreise in der gew ünschten Relation unter dem festste henden geringen M on op olpreis lagen, m it der Erschließung der Ö lquellen des nördlichen und m ittleren A frika zu einem gewissen A bschluß gekom m en, und erw eiterte Z ufuhr hätte zu gegebenem Preis nicht m ehr die gew ohnten G ew inne abgew orfen. D ie logi sche K o n seq u en z, von der die großen Ö lgesellschaften sicher zual1 61
ierletzt überrascht wurden, war die, daß in dem »Schicksalsjahr« 1973 erstmals die Nachfrage nach ö l das Angebot überstieg: nur deswegen konnte die Unterbrechung einiger arabischer Lieferun gen zu einer zeitweiligen Ölknappheit in der westlichen Welt fiih, ren - und auch das nur, weil die Ölgesellschaften, statt ihren auf den Weltmeeren dümpelnden Tankschiffen die Order zu schnelle rer Fahrt zu geben, ihrerseits beschlossen hatten, ihre Kundschaft das geänderte Verhältnis zwischen Nachfrage und Zufuhr spüren zu lassen und mit der Erhöhung ihrer Monopolpreise neue Konditionen für die lohnende Ausweitung des Nachschubs zu schaffen. Daß die Herrscher über die kostengünstigsten Fördergebiete auf dem Globus dabei mit der Vermehrfachung ihrer wahrlich minimalen Abgabepreise die Initiative ergriffen und mit ihrem kurzfri stigen Ölboykott den politischen Anlaß zur Heraufsetzung des Ölpreises schufen, ändert nichts an dem ökonomischen Sachver halt, daß sie damit keineswegs den Grund für eine veränderte Kal kulation im Ölgeschäft schufen - bei fortdauerndem Uberschuß an ö l zum alten Preis hätte ihr »politischer Kraftakt« sich sehr rasch als peinlicher Fehlversuch herausgestellt! Wie souverän sie sich po litisch auch immer vorgekommen sind und aufgeführt haben: öko nomisch haben sie nichts anderes zustande gebracht, als sich das Zugeständnis zu verschaffen, das die neue K alkulation der Ölge sellschaften bereithielt. Denn deren Kalkulation ging auf eine fort dauernde, wenn auch weniger rasche Erweiterung ihres Ölabsatzes zu einem höheren Monopolpreis bei wieder rascherer Expansion der Ölzufuhr zu einem höheren Gestehungspreis - beispielsweise durch das bereits entdeckte, aber schwieriger zu fördernde Nord seeöl. Und innerhalb dieser Marge der für die lohnende Auswei tung des Ölgeschäfts erforderlichen Erhöhung des Gestehungspreises bewegte sich die politische »Erpressung« der Verbraucher länder durch Schah, Ölscheichs und regierende Generäle in Afrika! Danach brachte es dann keine Ölgesellschaft mehr fertig, »rote Zahlen« auszuweisen. Die Gewinne waren durch keinerlei Tech niken der Abschreibung und auch nicht durch die werbewirksam ausgeschiachteten Mammutinvestitionen in aller Welt aus den Bü chern wegzubringen. Sämtliche nachfolgenden Ö lpreiserhöhungen bis zu denen der er sten achtziger Jahre sind nach dem selben P rin zip abgelaufen. Stets fand sich im Bereich des O rients ein politischer A n la ß , der die Sou veräne der ölexportierenden Länder zu P reis forderungen beflü-
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gelte. Und allemal war es eine Revision der von den großen Öl konzernen angestellten Berechnungen über die Unkosten einer erweiterten oder auch langfristig konstanten Erdölförderung, inzwi schen auch der Produktion von Energie in anderen Formen, die den ökonomischen Grund dafür abgab, daß die O PEC sich eine Zeitlang nicht blamiert hat - und heute weiß, daß die Ära der Kraft akte vorbei ist. Andernfalls nämlich wären die nachdrücklichsten Preisbeschlüsse an einer um zwei Knoten beschleunigten Fahrge schwindigkeit der konzerneigenen Großtanker gescheitert - statt dessen fuhren diese langsamer, außerdem seltsame Umwege und stützten so die neue Preisfestsetzung mit der gezielten Erzeugung eines Anscheins von ölmangel. Inzwischen weiß jeder - oder könnte jedenfalls jeder wissen - , daß es den großen Gesellschaften gelungen ist, zu ihrem neuen Monopolpreis wieder mehr ö l beizu schaffen, als nachgefragt wird. Das schwimmt dann, weil alle Tank lager voll sind, monatelang in der Karibik, in der Nordsee oder im Japanischen Meer herum und bietet die sichere Gewähr, daß die Regierungen der Ölländer nicht zur Unzeit, wenn nämlich für die großen Konzerne eine erneute Neukalkulation ihres Geschäfts noch gar nicht ansteht, auf die Idee kommen, sich als autonome Urheber der Exportpreise ihres Rohstoffs aufzuspielen. Sogar ein so glänzender Anlaß wie der Krieg zwischen Iran und Irak und der Ausfall der Lieferungen beider Länder, eigentlich Anlaß genug für jegliche Preiserhöhung seitens der einschlägigen Scheichs, wenn nur die Kostenkalkulation der Konzerne dafür Raum böte, ver streicht unter diesen neuen Bedingungen »ungenutzt« - nicht ein mal verhandelt wurde über einen kleinen Kriegszuschlag (den gab es nur bei den Schiffsversicherern)! Wie man sieht, geht sogar noch der vorübergehend in Mode ge kommene gerechte Zorn über die Extragewinne der großen Ö l konzerne, deren Lagerbestände mit jedem neuen OPEC-Preisbeschluß ganz ohne jeden Aufwand im Wert steigen, ökonomisch in die Irre. Daß die stolzen Besitzer von Ölvorräten oder auch sonsti gen, inzwischen ungemein preiswerten Ölquellen die schmarot zenden »Windfall«-Profiteure jener Preiserhöhungen wären, die ihnen aus Wien oder Riad unverhofft ins Haus schneien, ist tinpolitischer Schein, dem das genau umgekehrte Verhältnis als ökono mische Wahrheit zugrundeliegt. Die Potentaten, deren ö l fast umsonst aus dem Boden fließt, haben sich die seltene und abseh barerweise sehr vergängliche Chance erstritten, eben die Differenz 163
zwischen dem von den Konzernen neu angesetzten K ostpreis des Ö ls und ihren tatsächlichen U n k o ste n /¿’r sich auszunützen - also vom »W indfall« der Konzernkalkulationen zu »profitieren«.
Das stolze nationale Aufbegehren der ölsouveräne hat die Ölge sellschaften auf die neue Lage von Angebot und Nachfrage in ih rem eigenen Geschäftsbereich aufmerksam gemacht. Seitdem nüt zen die Ölkonzerne die segensreichen Wirkungen eines solchen Monopolpreises, der es ihnen erlaubt, schon heute ihr Geschäft auf Grundlage eines Kostpreises zu kalkulieren, der in Wirklichkeit erst in mittelfristiger Zukunft anfallen wird. Und aufgrund und im Rahmen dieser Kalkulation fallen dann sogar noch für die Öl scheichs und Gaddafis einige Milliarden ab: als begleitende Rand erscheinung! c) Das westliche Kapital, weit entfernt davon, seine »Ölkasse« ständig aufstocken zu müssen, geht mit den höheren ölpreisen wie mit den anderen Kosten um. Es handhabt sie als gestiegenen Vor schuß, der sich zu rentieren hat, so daß er im Preis der verkauften Ware seine Wirkung tut. Damit belastet die Kalkulation die allge meine Zahlungsfähigkeit, und die Realisierung in Geld kriegen zu nächst einmal nur die zu spüren, die die Kaufkraft ihres Lohnes schwinden sehen und mit den Anstrengungen ihrer »Arbeitgeber« konfrontiert werden, im Produktionsprozeß die Veränderungen vorzunehmen, die den Kampf um den Absatz der verteuerten Wa ren bzw. um die begrenzte Zahlungsfähigkeit erfolgreich gestalten. Von einer Krise - welche der wirtschaftliche Sachverstand immer bei veränderten Konkurrenzbedingungen ausmacht - kann freilich nicht die Rede sein. Denn für deren Zustandekommen bedarf es mehr als einer Verteuerung der Produktion. Daß zu gewinnträch tigen Investitionen ausersehenes Geld keine Anlage findet, also Waren unverkäuflich sind, Kredite nicht gegeben werden und die Produktion wegen mangelnder »Investitionsneigung«, wegen mangelnder lohnender Anwendung von Kapital unterlassen wirddazu muß das Geschäft schon gegangen sein. Und zwar bis zu dem Punkt, an dem die zahlungsfähige Nachfrage, auf die es zur Reali sierung seiner Ware angewiesen ist, sich als überstrapaziert er weist. Die »Begründung« der Krise mit dem gestiegenen ölpreis (wie etwa 1976) gehört in die ideologische Schatzkammer von Poli tikern und Unternehmerverbänden samt journalistischem Anhang und stellt eine bequeme Lösung der völlig uninteressanten »Schuldfrage« dar. Und wenn gar keine Krise eingetreten ist, ver164
folgt die Schuldzuweisung als Zweck die immergleichen Rezepte, mit den Schwierigkeiten der Konkurrenz in der Korrektur des Verhältnisses von Lohn und Leistung fertigzuwerden. Der Anlaß für die Beschwörung von Krisen im Zusammenhang mit der Veränderung der Preise für ö l und aus ihm gefertigter Pro dukte ist deshalb auch immer ein ziemlich nationaler: die unter schiedliche Betroffenheit der Nationalökonomien durch die neuen Kostpreise, ihre Mittel, mit der neuen Konkurrenzbedingung fer tigzuwerden - die Situation des Nationalkredits, die Währungsre serven, die Höhe der Mineralölsteuer, der Rückgriff auf eigene Ölvorkommen, deren Anteil an der Gesamtversorgung usw. - , schaffen auch »Probleme«; und wirtschaftspolitische Maßnahmen sind in den armen »abhängigen« Ländern entsprechend unter schiedlich ausgefallen. Während die USA Zahlungsbilanzdefizite schon aufgrund der glücklichen Fügung, daß ihre nationale zu gleich die Ölwährung ist, gelassen hinnehmen und die Regierung Carter im Frühjahr 1979 den Ölimport auch noch subventionierte, hatten manche Partner durchaus Sorgen um die »Zerrüttung« ihrer Währung und der ihrer lieben Nachbarn. Stützungskredite und Abwertungsdebatten waren da schon fällig - und eine Anleihe von ein paar Milliarden Dollars bei den Saudis ebenfalls. Daß diese zu derlei Transaktionen bereit sind und überdies noch Kredite für die neueröffnete Rubrik der »nicht ölproduzie renden Entwicklungsländer« zur Verfügung stellen, zeugt einer seits davon, in welchen Fällen das Gerede von der »Verarmung« der Verbraucherländer zutrifft: dort, wo der auswärtige Handel eben ohnehin nicht Mittel des nationalen Wachstums ist, stellt ein höherer Preis für Öllieferungen eben tatsächlich einen durch nichts kompensierbaren Abfluß von Geld, eine unmittelbare Minderung nationaler Zahlungsfähigkeit dar. Diese Länder, die ohnehin vom Kredit leben, gewahren dessen Reduktion - was in den imperiali stischen Ländern die scheinheilige Empörung über das Elend nährt, das mit den geldgierigen Ölscheichs in die Welt gekommen sein soll. Andererseits gibt die »Anlage« von »Petro-Dollars« bei den be sten Kunden und ihrem Staat einen Hinweis darauf, was selbst diese Ausnahmen unter den Ölstaaten in Sachen »Entwicklung« zustandebringen. Die Nutzung des politischen Monopols über ei nen ölhaltigen Flecken Erde erbringt zwar einige Dollarguthaben, einen unübersehbaren Aufwand an Repräsentation sowie ein leb165
haftes politisches Sicherheitsinteresse seitens der mächtigen »Ver braucherländer«; aber eine einheimische Reichtum sproduktion der Traum vom N ach-O l-Zeitalter, in dem ohne ö l die arabische Haibinsel eine Industriemacht ist, komm t ja bisweilen au f - ist nicht in Sicht: die paar fertigen Fabriken, die da in die Landschaft gestellt wurden, ermangeln der Bedienungsmannschaft ebenso wie eines M arktes. Westdeutsche W irtschaftsfachleute, vielleicht sogar dieselben, die als Berater bei der Erstellung eines petrochemischen Musterkomplexes fungiert haben, rechnen ihren Auftraggebern vor, daß ein lohnender Betrieb nicht abzusehen ist. Säm tliche Pro jekte erweisen sich als unproduktive Prestigeunternehm en, die nur in einer Richtung etwas bewirken: sie vervollständigen das Werk, das mit der Verwandlung des Staatsgebiets in eine Ö lpum pstation vollbracht ward - den endgültigen Ruin der Insassen, die von Landwirtschaft leben. Eine andere Art von R eprodu ktion als die, die über die Anteilnahme - zivil oder m ilitärisch - am Ölstaat or ganisiert ist, hat einfach keine Chance. Eingestanden haben die Scheichtümer das längst. D as Quantum A rbeitskraft, das sie für die Ö lförderung benötigen oder auch für besagte P rojekte, rekru tieren sie nicht bei ihren Beduinenstäm men, sondern in Taiwan und Korea; sogar ioooo Rotchinesen sollen gesichtet w orden sein. So wird aus dem akkumulierten G eld einer N atio n , die in der Veräußerung ihres Bodenschatzes das einzige M ittel ihrer ökono mischen Behauptung hat, auch kein K apital. D enn ihr ökonom i sches Mittel ist das ö l gar nicht - und das G eld fin det das Material für seine Verwandlung in Kapital folgerichtig nur a u f dem Weg über die Kreditlinien des Kapitalm arkts, dessen B edü rfn isse in den U SA und in Europa definiert werden. 6. Die Mehrzahl der Ö lstaaten sieht sich freilich w ie die anderen Nationen, die ihre »Entw icklung« im Rahm en der W eltwirtschaft zum Programm gemacht haben, vor P roblem en ganz anderer Art. D ie Einkünfte aus ihrem E xport reichen näm lich nicht z u r Bestrei tung der Ausgaben, die sie für das Funktionieren und die Reprä sentation ihres Ladens tätigen. Im N am en ihres V o lk es, das sie den Konjunkturen des W eltmarkts unterwerfen - so daß es fü r die Zah lungsbilanz seines Souveräns produziert und h u ngert - , melden Staatsmänner der »D ritten Welt« die Bitte um H ilfe an: ihre Kre dite werden gestundet, in konzertierten A k tion en d er den Welt markt bestimmenden N ationen in Schuldenkonten des IW F einge reiht; zugleich wird ein A bkom m en des T y p s L o m é getroffen , das 1 66
die Kontinuität der vom »Markt« erwünschten Ausfuhr mit einem Minimum an geldlichem Aufwand regelt. Ganz besondere Interes sen an einem bestimmten Entwicklungsland kommen auch zum Zug; da kreditiert schon einmal ein EG-Staat ein Aufbauprojekt bei seinen speziellen Partnern, für die Infrastruktur muß schließ lich gesorgt sein. Ohne das nötige Minimum an Straßen, Häfen und sonstigen Kommunikationsmitteln funktioniert eben nicht einmal der Abtransport der begehrten Güter. Doch hat diese Sorte Hilfe für die emanzipationsfreudigen Staaten den eindeutigen Mangel, daß sie die nachteiligen Beziehungen fortschreibt und au ßer den Bewohnern dieser Länder auch der Staatskasse jene Lasten aufbürdet, die das ganze Projekt namens »Entwicklung« zum dau erhaften Scheitern verurteilen. Einige Staaten haben daraus die Konsequenz gezogen, den öko nomischen Grundlagen ihrer Herrschaft auf die Sprünge zu helfen, und versucht, eine nationale Akkumulation einzuleiten. Eine im Lande selbst stattfindende Produktion soll teils für den einheimi schen, teils für den Weltmarkt liefern, so daß die Verschuldung ebenso ein Ende nimmt wie die »Abhängigkeit«. Das Ideal der In dustrialisierung bewegt vor allem lateinamerikanische Obristen, die in den von ihnen regierten Ländern alle Möglichkeiten lohnen der Produktion entdecken: auf der einen Seite einen ungeheuren »natürlichen Reichtum«, andererseits ein »Arbeitskräftepotenti al«, das lediglich darauf wartet, angewandt zu werden, und nicht einmal unverschämte Löhne verlangt. Und in der Tat handelt es sich bei diesen beiden Posten nur um Möglichkeiten, deren zweckmäßiger Verwandlung in wirklichen Reichtum, so wie er auf dem Weltmarkt gezählt wird, nur eine Kleinigkeit im Wege steht. Die Souveräne, die ihre Untertanen und ihr Hoheitsgebiet mit den Maßstäben des Kapitals beurteilen, verfügen über keines. Als ver schuldeten Nationen fehlt ihnen das Geldy um die Produktionsmit tel zu erwerben, die jene schier unbegrenzt vorhandenen Produk tionsfaktoren in Bewegung setzen - sie sind also auf das Interesse derjenigen angewiesen, die sich in der Geschichte der Zivilisation bereits bewährt haben: auf Nationen und Geschäftsleute, die über die Freiheit verfügen, alle sachlichen Materialien der Produktion zum Hebel ihrer Kapitalvermehrung zu erklären. Dieser - vom Standpunkt eines »Entwicklungslandes« gesehen mißliche Umstand verhindert seit geraumer Zeit nicht mehr die Entstehung von Industriebetrieben der verschiedensten Branchen 1 67
in Ländern, die nicht bloß Opfer der Zirkulation von Waren blei ben wollten, die Gewinne nur für ihre Partner abwerfen, sondern selbst den Status eines Verwalters des erfolgreichen Produktions verhältnisses anstrebten, an dem ihre Souveränität so lange ihre Schranke fand. Sie sind zu Mitmachern des weltweiten Kapital markts geworden, allerdings nicht mit dem anvisierten Resultat ei ner florierenden nationalen Akkumulation. Und das ist gar nicht verwunderlich. Denn um in den Genuß einer eigenen Industrie zu gelangen, mußten sie zuallererst ihren Anspruch in ein Angebot kleiden: es erging an die Staaten der ersten Welt und ihre finanz kräftigen Bürger, signalisierte »Kooperationsbereitschaft«, also die Bitte, doch die eigene Souveränität nicht als Hindernis für Inve stitionen zu betrachten. In Brasilien, dem Land, das exemplarisch alle Schritte dieser Art Entwicklungsprogramm vorgeführt hat, läßt sich studieren, was aus einer Nation wird, die den Übergang zur Anlagesphäre von Kapital »nachholt«, weil ihre Führer im An bau und Export von klimatisch begünstigten Agrarprodukten eine miserable Geschäftsgrundlage ausgemacht hatten. Die erste Konsequenz, die dem »Entwicklungsland« daraus er wächst, daß sein Angebot akzeptiert wird, ist eine Vermehrung der Schulden; wenn die moderne Maschinerie für den Bau von Kraft werken, Straßen und für eine eigene Industrie gekauft wird, dann auf Kredit - und um diesen zu bedienen, in Grenzen zu halten und die Kreditwürdigkeit zu erhalten, ist die Forcierung eben jener Ex porte vonnöten, von denen die Volkswirtschaft nicht mehr abhän gig sein will. Zum Geschäftsinteresse der Großgrundbesitzer ge sellt sich das Anliegen des Staates, der um der Industrialisierung willen Devisenbeschaffung in ganz neuen Größenordnungen be treibt, also durch Sonderkredite, Prämien und Preisgarantien die extensive Ausbeutung von Land und Leuten befördert. Der Staat, der seine agrarischen Expo ne für eine matte Quelle von Reichtum hält und von dieser Quelle loskommen will, setzt sie als Mittel für sein neues Programm ein und offerien den Exporteuren durch seine Verschuldung die Freiheit für Spekulationen und Geschäfts praktiken, die für sie alles lohnend machen und darüber ein Warenangebot für den Außenhandel sichern. Die zweite Konsequenz heißt Inflation. Denn die Handhabung des Nationalkredits zum Zwecke der Herstellung einer funktio nierenden Akkumulation ohne die Grundlage bereits lohnender Geschäfte ist eine sehr direkte Vermehrung des Kreditgeldes,
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weswegen auch die Prozente der Inflationsrate etwas andere Dimensionen annehmen, als sie aus dem in imperialistischen Län dern üblichen Umgang mit dem »Währungsproblem« bekannt sind. Ungeachtet der ständigen Beteuerungen aller Regierungen des modernen Brasilien, die Inflation bekämpfen zu wollen, ist man längst dazu übergegangen, die Verfallsrate der Währung in Gesetze und Verträge aller Art einzubeziehen - also einzugeste hen, daß sich dieser Staat bei der »Versorgung« des Geld- und Ka pitalkreislaufes nicht an der wirklich erfolgten Akkumulation orientiert. Was in manchen anderen Ländern die Fortführung der »Industrialisierung« vereitelt und sie als verfehlten Weg der »Ent wicklung« zum Abbruch bringt, wird da offensichtlich nicht zum Anlaß genommen, das »Projekt«, Industrienation zu werden, auf zugeben. Der Staat richtet sich offenbar im Verfall seiner Zah lungsmittel wohnlich ein - und er verliert darüber nicht einmal das Interesse des Auslands. Er geht davon aus, daß das von ihm in Um lauf gesetzte Geld untauglich ist als verläßliche Kalkulationsgrund lage, und garantiert durch die wohltaxierte Vermehrung des ✓„ Kredits doch wieder die Fortführung des Geschäfts. Eine solche / : Geldpolitik benützt die Finanzhoheit nicht zur Beförderung des | laufenden Geschäfts und zur »Steuerung« von dessen Konjunkturen, \ sondern setzt sich über die Maßstäbe des Erfolgs und Mißerfolgs > von Kapitalanlagen dauerhaft hinweg. Der Staat stiftet mit seiner inflationären Geldpolitik ständig Unternehmen und steht dafür ge rade, daß die Anleger an der Geldentwertung keinen Schaden nehmen; daran, daß die Landeswährung eine sehr unsolide Form des Reichtums ist, will er die Geschäfte in seinem Land nicht schei tern lassen, so daß durch die Ruinierung seiner Währung die Ren tabilität der Produktion sich herstellt. Die dritte Konsequenz liegt in der Spekulation, durch die die be sitzenden Klassen des In- und Auslandes den staatlichen Auftrag, durch ihre Geschäfte zur »Entwicklung« des Landes beizutragen, akzeptieren. D er Kredit fließt nicht nur reichlich, er honoriert den Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau auch im bequemen Schul dendienst; um den Anreiz zum »Einsteigen« zu erhalten, wird die Entwertung von Geld und Wertpapieren großzügig vorausberech net und von der Staatsbank kompensiert, so daß die Akteure des so mit »Liquidität« versorgten Marktes die einheimische Währung als Durchgangsstufe einer unfehlbaren Rechnung benützen können. Sie müssen lediglich darauf achten, ihr in Geldform befindliches
Kapital nicht dem Verfall preiszugeben, also ihre Guthaben in »harten« W ährungen zu sichern; den A nkauf von Produktionsm it teln und A rbeitskraft vollziehen sie unter Benutzung nationalen Frem dkapitals in Landesw ährung, die durch ihre staatlich vorangetriebene Inflation beim V erkauf die Freiheit der Preissteigerung genießen läßt - und das alles braucht noch nicht einmal wie in ge w issen lateinamerikanischen Gegenden als »M onetarism us« veran staltet zu w erden, der auf Anraten von Milton Friedm an und sei nen C hicago Boys zur wirtschaftlichen Leitlinie erhoben worden ist. D ie vierte K onsequenz einer derart unbeküm m erten Wirt schaftspolitik, die jeden Anleger kreditiert, wenn er nur ver spricht, ein Stück nationaler W irtschaftsmacht ins W erk zu setzen, führt der Staat aufgrund des Mißerfolgs seines projektierten Auf stiegs herbei. In der Akkum ulation von Staatsschulden gewahrt er, daß er es zu einem G rad der außenwirtschaftlichen Abhängigkeit gebracht hat, gegen den sich der alte und ungeliebte Status einer bloßen »H andelsnation« fast vorteilhaft ausnim m t. D ie Unterwer
fung des Industrialisierungsprogramms unter die Maßstäbe aus ländischer Investoren , die Einladung zur freien B enü tzun g der »M öglichkeiten« steht an, weil der chronische G eldm angel den Männern des jeweiligen Planungsm inisterium s einen Unterschied zu Bewußtsein bringt: den zwischen Anleihen, die sie bedienen und zurückzahlen m üssen, ohne es zu können, w as die Kredit w ürdigkeit in Frage stellt - und Investitionen ausw ärtiger Firmen und Banken. Während erstere die A uslan dsverschuldung vergrö ßern und dem nationalen Fortschritt soviel P roblem e bereiten, weisen wirkliche Investitionen diesen N achteil nicht auf. Allerdings gebieten sie einiges Zuvorkom m en gegenüber denje nigen, die das »R isiko« auf sich nehmen, in B ergbau und Chemie, in der A uto- und Elektrobranche oder in der V iehzucht Latein am erikas einzusteigen. D ie bloße Erlaubnis und die niedrigen Loh nkosten sind denen, die kalkulieren, nämlich zu w enig. Damit ein W eltunternehmen, dem der Z ugang zu vielen Anlagesphären offensteht, eine A uslandsfiliale für lohnend befindet, bedarf es schon einer gew issen V orzugsbehandlung au f dem jew eiligen Ka pitalm arkt - ein bißchen Steuerfreiheit, keine Um w eltauflagen, freie V erfügung über G ew inne; ein m öglichst niedriger Anteil an den Früchten des R isik os für den G astgeb er also ist schon fällig. »A uflagen« wie die, daß es an der Förderu ng und V erarbeitung der
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Rohstoffe im Gastgeberland mitzuwirken hat, läßt sich so ein M ulti andererseits schon gefallen - ebenso wie er gern der »Kondi tion« nachgibt, weitgehend für den Export aus dem gastlichen Entwicklungsland zu produzieren: dieses Bedürfnis, das chronisch verschuldete und auf Devisenbeschaffung erpichte »Entwick lungsländer« anmelden, wird erfüllt. Flotte Realisierung der G e winne auf dem gesamten Weltmarkt ist ebenso das Ergebnis wie die zoll- und abgabenfreie Einführung ganzer Fabrikanlagen die V or aussetzung. Die andere Abteilung des Versuchs, den Fortschritt vom »Entwicklungs-« zum »Industrieland« zu bewerkstelligen, trotz und nach der dabei erzielten Kombination von Auslandsver schuldung und Inflation, überlassen die kühlen Rechner in den Chefetagen von Weltfirmen dafür den mit ihrer Bilanz unzufriede nen Nationen. Wenn diese unbedingt dem ständig erneuerten Mißverhältnis zwischen Einnahmen und Zahlungen durch Import substitution begegnen wollen, so wissen Geschäftsleute Bescheid, daß dieser Entschluß sich vor jeder Gewinnrechnung blamiert. Mit der Erhebung von Zöllen auf die Waren, die im Inland produziert werden oder werden sollen, gesteht ein Land nämlich ein, daß diese Waren wegen ihrer hohen Kosten keinen Preisvergleich be stehen können; wenn zum Zwecke der Gewinngarantie Subven tionen für diejenigen Unternehmen gezahlt werden, die zu teure Importgüter im Lande selber fertigen, so besagt das eben nichts anderes, als daß nichts zu teuer ist, wenn es ohne Devisen finan ziert werden kann. In Brasilien, dem Musterland der hier skizzier ten »Entwicklung«, sind die Techniken zum Anheizen von Staatsausgaben damit gerechtfertigt worden, daß »die Auslagen in Cruzeiros anfielen und Ausgaben in US-Dollars für Importe verrin gerten« - so im Falle eines Werks zum Abbau und zur Verhüttung von Kupfer. Mit dem Gütesiegel mutiger und vorwärtsweisender Experimente wurde die Herstellung von Autotreibstoff aus Zucker und von Dieselersatz aus pflanzlichen ö le n versehen. Die Kosten für Charterschiffsraum, die zum Defizit in der Leistungsbilanz beitrugen, waren der Anlaß für den Aufbau einer nationalen Werft industrie, die nun bei der Feier ihres 25jährigen Bestehens über Nicht-Auslastung ihrer Kapazitäten klagt - denn inzwischen ist dem Wirtschaftsministerium klar geworden, daß solche Projekte das Importvolumen erheblich steigern. Sparprogramme sind an der Tagesordnung, das »Schwellenland« bekennt, sich übernom men zu haben. 171
D as Fazit des zum Regierungsprogramm gewordenen Wunsches nach »Entwicklung« ist im übrigen jedem Zeitungsleser bekannt. Aus dem brasilianischen »W irtschaftswunder« ist - nationalöko nomisch betrachtet - wie aus anderen Ländern derselben Bauart ein Konkursbetrieb geworden, der für die N ation nicht als Quelle von Gewinn, sondern nur zur Akkumulation von Verbindlichkei ten taugt. Daß dieser Betrieb weltweit anerkannt und kreditiert wird, die Nation also nicht von einem internationalen Gerichts vollzieher ihrer Auflösung zugeführt wird, liegt allerdings nicht am Idealismus ihrer Macher, sondern daran, daß er sich für die auswärtigen Gläubiger und ihren Materialism us lohnt. D enn deren Rechnungen gehen allesamt auf, vom A btransport der »natürli chen Reichtümer« bis zu den in die exotischen Landschaften ge stellten Fabrikhallen. Und auch die G astgeber, die Verwalter des fortschrittlichen »Entw icklungslandes«, fahren nicht schlecht, auch wenn sie nach Jahren der Unterwerfung ihres Landes unter die Kriterien des Weltmarkts ihre W irtschaft für »überfremdet« halten und mehr nationale Erträge wünschen, für die sich immer auch die politische Konkurrenz stark macht. Genau umgekehrt sehen es allerdings die engagierten Investoren und Kunden des imperialistischen A uslands, sob ald die Akkum u lation von Schulden in »Entw icklungsländern« das Funktionieren des weltweiten Kreditüberbaus zu beeinträchtigen droht. Ihnen erscheint angesichts der Zahlungsunfähigkeit, welche die Konten von Geschäfts- und Nationalbanken erschüttert - Ban ken , die mit einer Krise, also eingeschränkten A nlagem öglichkeiten des von ih nen gehandelten Kredits konfrontiert sind und m it V erlusten kal kulieren - , der national verwirtschaftete A n teü am G eschäft zu hoch. Zur Vermeidung des V ertrauensschw undes in den Kredit, der weiterhin als Kapital taugen soll, beschließen die Sachwalter kapitalisierter und kapitalisierbarer Schulden, daß die Zahlungsun fähigkeit auf keinen Fall festgestellt und exekutiert w erden darf. Unter ausgiebiger Verkündung von rührenden »H ilfsangeboten« an die insolventen Geschäftspartner verlängern und erw eitern die maßgeblichen Geldinstitute und ihre nationalen B eaufsich tiger die Kredite - und erbitten sich bei den K on ku rsn ation en die Bedin gungen für die Fortführung des geregelten V erhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner: und die \itx&tSenkung od er Tilgung des in den »Entw icklungsländern« verbleibenden E rtrag s. D am it wird zwar die Zahlungsfähigkeit nicht hergestellt noch gesteigert, statt *7*
dessen die Verfügung über Kredit und der Umgang mit ihm den Behörden und privaten Interessenten vor Ort untersagt. Wo diese über »Überfremdung« klagen, werden sie darauf hingewiesen, daß ihr Kapital nie etwas anderes war als ein konzessioniertes Geschäft, zu dessen Fortführung sie nun offensichtlich nicht mehr in der Lage sind. Den nationalistischen Projektemachern wird bedeutet, daß sowohl ihre wirtschaftspolitische Souveränität wie die Ge winne ihrer besitzenden Klasse überflüssig geworden sind - und einschneidende Maßnahmen der Expropriation anstehen: Um schuldungsverfahren und die Unterstützung ganzer nationaler Führungsmannschaften finden über den IWF oder durch bilaterale Abkommen statt - jedoch unter der Bedingung, daß das Geschäft seine Rentabilität ausschließlich im imperialistischen Ausland be weist. Als faux frais für dessen Interessen werden sämtliche natio nalen Ansprüche behandelt, also sehr sparsam, was die Teilhabe der mexikanischen, brasilianischen oder anderer Staatsgewalten am ökonomischen Ertrag der stattfindenden Produktion betrifft. Sie sollen regieren und ihr Volk beaufsichtigen, die jeweiligen Souveräne, aber ihre Träume von nationaler »Entwicklung« auf geben; ihre Exporterlöse sind, kaum gebucht, immer schon ver pfändet; und wie ihr nächster Haushalt aussieht, wird nicht mehr in ihrer Hauptstadt beschlossen. Die finanzielle Souveränität über Geschäfte in ihren Ländern wird ihnen genauso entzogen, wie sie den in der Phase der Entkolonialisierung geschaffenen Souveränen einst übertragen wurde, so daß sich die regierenden Nationalisten in eigenem Interesse mit der Kolonialisierung unter dem weltwei ten Kreditsystem abfinden müssen und in der Bedienung der Schulden beim engagierten Ausland die Prioritäten berücksichti gen dürfen, die mit der Hierarchie der »Industrienationen« und ih rer Gewalt feststehen. Etwas anders sieht es schon immer für die Manövriermasse der »Entwicklung« aus. Das Volk bekommt nämlich die Anstrengun gen seines Souveräns, durch die Beteiligung am internationalen Kapitalmarkt die Größe der Nation zu mehren, in aller Härte zu spüren. Daß es in Ländern mit diesem Programm ein »Privileg« darstellt, überhaupt zu den Lohnarbeitern von VW, Bosch oder Philip Morris zu gehören, sagt schon einiges über die Rücksichts losigkeit aus, mit der jeder Schritt der Modernisierung gegen die Bevölkerung durchgesetzt wird. Die Verhältnisse, unter denen ein Bauer weitgehend außerhalb des Zugriffs staatlicher Verwendung *73
seines Lebensbereiches, also ohne »in die Geldwirtschaft inte griert« zu sein, sich und seiner Familie ein Auskommen sichern konnte, sind gründlich überwunden. Wo neue Industriezentren entstehen, hört das Leben auf. Außer für die Minderheit, die als Bewerber um einen Arbeitsplatz erfolgreich ist, nachdem sie den Musterungstest bestanden hat, ist die Existenz, das schiere Über leben eine äußerst fragwürdige Angelegenheit. Hunderttausende »wohnen« in den obligatorischen Slums rund um das betreffende Industriegebiet und befleißigen sich der seltsamen Ernährungsgewohnheiten, die den politischen Wortführern der Weltwirt schaftskonferenzen und der Entwicklungsgipfel das Material liefern, wenn sie das »Welthungerproblem« angehen. Die Behand lung des übrigen Landes nach dem Kriterium, ob es für devisen trächtige Rinderzucht, als Nebenerwerb von VW zum Beispiel, taugt oder eher für großzügigen Sojabohnenanbau, führt zu nicht minder harten Resultaten. Unter diesen Gesichtspunkten, die der Staat im Verein mit den interessierten Politikern und Wirtschafts managern aus den USA und Europa zur Anwendung bringt, ist noch der letzte Flecken Erde im tiefsten Amazonien zu schade, um als Lebensmittel irgendwelchen Subsistenzbauern überlassen zu bleiben. Was dem politischen Souverän zugestanden wird - daß er sich und diejenigen, die für das Funktionieren der Ordnung zu ständig sind, erhält - , ist eben für das in die »Weltwirtschaft« ein bezogene Menschenmaterial keine Selbstverständlichkeit. Die Zerstörung der überkommenen Produktionsweisen führt nämlich sehr unmittelbar zur Verelendung, und nur sehr unbekümmerte Apologeten der »Entwicklung«, die in der Verwandlung von gan zen Kontinenten in Anlagesphären ihren Inhalt hat, vermögen die sem Prozeß die Schaffung von Arbeitsplätzen als Zweck zuzu schreiben, um dann Mißernten, ökologische Katastrophen oder gar die gestiegenen ölpreise für die »Schattenseiten« verantwort lich zu machen. Die Lüge, daß in den »Entwicklungsländern« Armut und Elend vorfmdlich und ein moralischer Auftrag für diejenigen seien, die »mit io DM einem Bauern eine Hacke stiften« (dieser schöne Vor schlag stammt von Bundespräsident Karl Carstens im Rahmen ei nes Aufrufs zur »Welthungerhilfe«), kontrastiert zwar offenkun dig mit der Tatsache, daß die Wirtschaftspolitik der »Industriena tionen« jene Armenhäuser als lohnende Anlagesphäre erst dahin gebracht hat, daß ihnen das »Hungerproblem« quasi als ihr Begriff 174
und die »Bevölkerungsexplosion« als ihr Fehler zugesprochen werden kann. Dennoch gelten eher die Aussagen dieses Buches als zynisch, als daß einem demokratischen Staatsmann einmal etwas Ehrenrühriges nachgesagt wird, wenn er die von seiner Wirt schaftspolitik für »Entwicklungsländer« angerichteten Schäden als leider noch unzureichende Hilfe bezeichnet und die Opfer der Ca ritas seiner Untertanen anheimstellt. Während die Vollstreckung des kapitalistischen Maßstabs der Nützlichkeit an Millionen Men schen, ihre Scheidung gemäß der Brauchbarkeit für die Vermeh rung fremden Reichtums von den Moralisten der Entwicklungs hilfe als Versäumnis und Unterlassung verharmlost wird, verfallen die Idealisten einer nützlichen und guten Herrschaft angesichts der Terrorisierung, in deren Genuß die hungernden Massen bei jeder oppositionellen oder bloß störenden Regung auch noch gelangen, auf eine andere Kritik: sie vermissen Demokratie in den »Entwick lungsländern« und fordern die Menschenrechte für die geschunde nen Kreaturen in fremden Kontinenten. Daß sie es bei den Zustän den, über die sie sich empören, mit einem genuinen Produkt der Demokratien zu tun haben, die Weltwirtschaftsgipfel veranstalten und deren Führer bei Gelegenheit - wie im Herbst 1 981 m Cancün - über eine »Welternährungsstrategie« diskutieren, sei an dieser Stelle nochmals vermerkt. 7. Ungeachtet dessen, was aus der Natur und den Menschen wird, sobald sie zum Material des Weltmarkts deklariert sind, vermehrt sich außer dem Reichtum der »Industrienationen« auch die Anzahl der Subjekte, die an der Weltpolitik mitwirken. Sowenig die dem Kolonialsystem entsprungenen Souveräne über eine ihren Ambi tionen entsprechende ökonomische Grundlage verfügen, so sehr wird ihnen mit der Anerkennung ihrer Zuständigkeit für die Ord nung in ihrem Herrschaftsbereich jene höchstförmliche Berechti gung zuteil, im Namen ihrer Nation, von Staat zu Staat, Beziehun gen zu unterhalten und Interessen zu verfechten. Die Quellen für ihre Anliegen und Beschwerden sind kein Geheimnis: geworben und gefeilscht wird zuallererst um die Behebung ihrer Armut, wo bei sich mühelos der Standpunkt der nationalen Zahlungsbilanz mit dem Elend der Massen verknüpfen läßt, deren politisches Mandat in der U N O so vielfältig vertreten wird. Entsprechend dem Vorbild der großen Demokratien, in denen schon längere Zeit der Grundsatz gilt, daß die Abhängigkeit der Untertanen von ih rem Staat dessen Erfolg zum Anliegen aller werden läßt, blüht un
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ter Berufung aufs Volk daheim der Nationalismus der »Dritten Welt« auf - und gerät zur offenkundigen Farce. Denn die an der diplomatischen Börse repräsentierten »Bürger« sind gewöhnlich nicht nur mit Nahrungsmitteln, sondern auch mit der Kenntnis des Alphabets kaum ausgerüstet, so daß der politische Wille ganz ge trennt in der Hand der Regierung liegt und als der des Volkes da heim in allerlei brutalen Techniken mobilgemacht werden muß wenn er nicht für überflüssig erachtet wird. Das Werben um besondere Berücksichtigung, das Staatsmänner der »Dritten Welt« in den hohen Zeiten der »Entwicklungspolitik« betrieben haben, hat von Anfang an darunter gelitten, daß ihnen außer speziellen Konditionen der Nutzbarmachung ihres Landes kein Mittel zu Gebote stand, die Aufmerksamkeit der »reichen Nationen« auf sich zu ziehen. Bei den einschlägigen Offerten ver fielen sie, als gelehrige Schüler diplomatischen Verkehrs, zwar auf die Möglichkeit, die Interessen gegeneinander auszuspielen und ihre Nation als Mittel für den Meistbietenden »auszuschreiben«; doch konnte ihnen die Wahrheit des Weltmarkts nicht lange ver borgen bleiben: die Wirklichkeit entpuppte sich als Konkurrenz der »Armen« um wohlwollende Rücksichtnahme auf ihre nationa len Ressourcen. So gibt jeder Almanach Auskunft darüber, wieviel Bodenschätze und verfügbare »Arbeitskräfte« von den Gestaltern des Weltmarkts bisher zumindest nicht für geschäftsfähig erachtet werden. Deshalb ist auch manchem Regime aus der »Dritten Welt« die Al ternative in den Sinn gekommen, die der prinzipielle Gegensatz zwischen dem freien Westen, d. h. den ihn bestimmenden Wirt schaftsmächten USA und Europa, und dem realen Sozialismus er öffnet. Ob sich die nationalen Anliegen nicht besser an der Seite der Sowjetunion realisieren lassen - mit dieser Überlegung hat die Volksrepublik China den ersten Abschnitt ihrer nationalen Ent wicklung bestritten. Mit dem Ideal des Sozialismus, der als offi zielles Ziel schon für den Befreiungskampf nach der Spaltung von der Kuomintang ins Auge gefaßt wurde, machte die Partei um Mao Tse-tung insofern ernst, als sie sich - einmal an der Macht - so gut wie gar nicht auf die Geschäftsbedingungen des Weltmarkts ein ließ. Was den »Aufbau des Sozialismus« in China anbetraf, setzte die KP auf russische Hilfe, und wenn Notwendigkeiten der ele mentarsten Versorgung etwa zu Getreidekäufen zwangen, so wurde die Integration in den internationalen Geld- und Kredit176
markt prinzipiell vermieden, statt dessen mit Gold bezahlt. Das »Bauen auf die eigene Kraft«, die Kalkulation mit der Arbeit von Millionen Chinesen als sicherer Reichtumsquelle sollte den Weg zur nationalen Größe bereiten, welche eine Zeitlang als unmittel bar identisch mit den Interessen des Volkes gelten konnte: schließ lich hatte der »Sieg im Volkskrieg« nach Jahrzehnten des Kampfes wieder die Perspektive des Lebens eröffnet! Der Bruch mit Mos kau gründete nicht in einer Gegnerschaft, die aus ökonomischer Benutzung zum Schaden der Chinesen resultierte, so daß sich die chinesische Führung im Namen ihres Volkes gegen die Ruinierung ihrer Wirtschaft durch sowjetische Bereicherungspraktiken zur Wehr setzen mußte. In der Auseinandersetzung zwischen den Re gierungen wurde auch nicht über den Nutzen sowjetischer Tech niker und Werkzeuge gestritten, oder um die Ausgleichung der chinesischen Handelsbilanz. Im Interesse des weltpolitischen Kur ses, den Kommunisten gegenüber dem imperialistischen Lager einzuschlagen haben, konfrontierte die KP Chinas den Kreml mit dem Vorwurf des »Großmachtchauvinismus«, ereiferte sich gegen die russische Strategie, über die Konkurrenz der Rüstung den Frieden sichern zu wollen - und bezichtigte die Sowjetunion nicht nur der Sabotage an nationalen Befreiungsbewegungen, sondern auch der »Zusammenarbeit« mit den U SA, des »Entgegenkom mens« in der »Atomerpressungspolitik«, um »das sozialistische China an der Schaffung seiner nuklearen Verteidigungsstreitmacht zu hindern.« (Die chinesische wie die sowjetische Position, auch in bezug auf die Politik des sozialistischen Aufbaus, ist der »Polemik über die Generallinie« zu entnehmen.) Seiner Stellung zur interna tionalen Politik nach verrät ein solcher Einwand gegenüber der Sowjetunion durchaus das nationale Anliegen, auch im sozialisti schen Lager möglichst schnell das gesammelte ökonomische und militärische Arsenal einer schlagkräftigen Souveränität zur Verfü gung zu haben. Selbst in den Punkten, wo die KP Chinas den so wjetischen Umgang mit Befreiungsbewegungen und potentiellen Partnern in Afrika geißeln und den sehr berechnenden, aber wenig revolutionären Kurs der Weltmacht N r. 2 treffen wollte, lag ihr sehr wenig an der Unterscheidung zwischen den betreffenden Poli tikern und den betroffenen Völkern, sehr viel jedoch an einem In ternationalismus, der nach guter Sitte proletarisch hieß und als Re spekt zwischen Staaten, »Nicht-Einmischung« und »eigener Weg« gemeint war.
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Daß sich mit einer gegen den Imperialismus erkämpften Souve ränität nicht auch gleich die Wucht weltpolitischer Bedeutung einsteilt, welche die führenden Nationen des Westens über Kolo nialismus, Krieg und kapitalistische Akkumulation daheim, die Sowjetunion durch einigen staatlich akkumulierten Reichtum und dessen Einsatz für die Selbstbehauptung als Militärmacht erlangt hatten, blieb auch nach der Spaltung des kommunistischen Blocks das Problem chinesischer Staatsmänner. Während es ihnen nach innen stets gelang, den speziellen Patriotismus des Volkes über alle Konkurrenzkämpfe um die Führung hinweg zu mobilisieren und unter der Losung »Die Massen vermögen alles« die Perspektive ei nes großen China im Jahre 2000 zu entwerfen, gewahrten sie durchaus und trotz einiger Atomversuche und eines Satelliten, der die Internationale vom Himmel herunterspielte, die Beschränkt heit ihrer Rolle in der Welt. Daß nicht »nur« die Russen daran schuld waren, daß das »große China« nicht zustandekam, ist ihnen allerdings in eigenartiger Weise zu Bewußtsein gekommen. Nach einer Kulturrevolution, in der die politische Moral für eine Pro duktivkraft galt, die Wissenschaft und Technik ohne weiteres er setzt; in der die Erfahrung der einfachen Knochenarbeit gegen alle rationelle Produktion hochgehalten wurde, standen sie mit einigen Prestigeobjekten chinesischer Schöpferkraft und einer revolutio nären Operettenkultur, ansonsten aber mit einer Ökonomie da, die nicht einmal die kontinuierliche Subsistenz der Massen ge währleistete. Der Hauptfeind Sowjetunion erfreut sich mit seinem »kapitalistischen Weg« zwar weiterhin der chinesischen Feind schaft, die sich auch gelegentlich in der Unterstützung von antiso wjetischen Befreiungsbewegungen und Nationen der »Dritten Welt« äußert - die Mittel jedoch, die die KP Chinas so schmerzlich vermißt, um das Ihre zur Weltrevolution beizusteuern, hofft sie über den Wechsel ins Lager der »Entwicklungsländer« zu gewin nen. Die Wende der chinesischen Außenpolitik, die im übrigen während des Vietnamkrieges eingeleitet wurde, nimmt sich wie die Karikatur einer Selbstkritik aus: Eine nationale Führung, die mit Parolen wie »Der amerikanische Imperialismus ist von den Völ kern der Welt umzingelt«, » . . . sitzt auf einem Vulkan«, » . . . ist der bestialischste Feind der Völker der Welt« die Weltpolitik auf den Kopf stellen wollte, wirbt inzwischen um die ökonomische und politische Indienstnahme ihrer Gesellschaft - durch die USA und Europa. Ausgerechnet darüber soll im Verein mit der uner 178
bittlichen Gegnerschaft zur Sowjetunion aus China etwas werden! Die ersehnte »Unterstützung« wird China seither auch zuteil allerdings mit einer Maßgabe, deren Wucht offenbar sogar der »reformfreundlichen« Führung einen gewissen Eindruck gemacht hat: Sie geschieht, wenn überhaupt, zu den Konditionen der west lichen Polit- und Geschäftswelt, die es in sich haben. Beispiels weise als Export»chance«, für die die westlichen Abnehmer Gebrauchswert und Preis diktieren; als Güterlieferung, für die das selbe gilt; als Kredit, der dem Land mit jedem so finanzierten Fort schritt erweiterte Zins- und Tilgungsverpflichtungen, erweiterten Kreditbedarf und eine entsprechend erweiterte Geschäftemacherei mit der »Volkskraft« auferlegt, auf die die Führung dieser V olks republik ja seit jeher baut. Das politische Ideal, aus China eine re spektierte Macht werden zu lassen, wird auf diese Weise wahrge macht. A u f seinen Realismus reduziert, erlaubt es der souveränen Staatsgewalt in Peking, als bedingter Teilhaber des Nutzens aufzu treten, den die Führungsmächte von Weltwirtschaft und Weltfrie den aus der strategischen Bedeutung, den Bodenschätzen und einer beschränkten Benutzung des so umfänglichen Volkes ziehen. 8. Auch andere Länder haben den Irrtum, der Ost-West-Gegen satz ließe sich für ihre »Entwicklung« ausnützen, längst gebeich tet. Allerdings ist ihr »Lernprozeß« nicht so spektakulär verlaufen wie der chinesische. Nationen wie Ägypten haben keine welt kommunistische Strategie erfunden und sich deswegen mit der Sowjetunion zusammengetan und auseinandergesetzt. Dem Staatsmann Nasser erschien seine nationale Sache zunächst einmal, wie anderen Potentaten der arabischen Welt auch, durch den Staat Israel gefährdet. Von dem Bündnis mit der Weltmacht N r. 2 er wartete er sich die militärische Garantie der ägyptischen »Entwick lung«, und was dieser an ökonomischen Mitteln fehlte, sollte durch die Nationalisierung des produktiven Eigentums, Handel mit dem Westen und dem Osten sowie dessen Hilfe zur Herstel lung größerer Produktivität vor allem in der Landwirtschaft ge schaffen werden. Die Bekehrung, die Lösung der politischen »Bindung« an die U dSSR, die Sadat vornahm, ist das Ergebnis ver lorener Kriege, akkumulierter Schulden und der Sorge um ein Denkmal sowjetischer Entwicklungshilfe, den Assuan-Staudamm, über dessen Nutzen und Kosten die Gelehrten ökologisch-öko nomisch streiten. Daß man als Freund Amerikas besser fährt, ist inzwischen weltweit zum weitsichtigen Vermächtnis Sadats erklärt
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worden. Und dieser Erkenntnis schlossen sich auch Staaten an, die sich von den militärischen Zuwendungen der Sowjetunion Erfolge in der Bestreitung ihres lokalen Nationalinteresses versprachen, dabei aber auf keinen grünen Zweig kamen, sei es, daß sie der poli tischen Feindschaft der USA und ihrer Freunde nicht gewachsen waren, die ökonomische Grundlage ihres Gemeinwesens den Dienst versagte oder beides! Gerade die arabischen Staaten liefern für die sehr beschränkten Perspektiven, die ein in die außenpolitische Selbstbehauptung verwandelter Nationalismus, der Anspruch auf Erhaltung und »Entwicklung« nationaler Größe hat, die eindeutigsten Materialien: - Ihr panarabischer Internationalismus betätigt sich als negative Gemeinsamkeit gegen Israel, mit dem der freie Westen - sogar noch unter Zustimmung der Sowjetunion - eine militärisch-stra tegische Gründung gegen den Einspruch ihrer geballten Souve ränität vorgenommen hat; eine Gründung, gegen die mehrere Kriege, finanziert durch Öleinkünfte und mit Waffenhilfe der Sowjetunion, nichts ausrichten konnten. - Ihrempositiven Inhalt nach verweist diese Gemeinsamkeit nicht auf ein materielles Interesse einer nationalen Ökonomie, von der sich die Untertanen abhängig wissen und um dessentwillen sie zu Parteigängern ihres Staates werden. Im Idealismus des ge meinsamen Glaubens, des Islam, gründet die militante Bereit schaft, der »arabischen Sache« zum Recht zu verhelfen. - Dem Staat und dieser »Sache« zu dienen, wird zur einzig siche ren Erwerbsquelle, wo das ö l und sein Abtransport die ganze Ökonomie der Nation definiert: ein Ölstaat unterhält eine Mili tärgesellschaft, und seine auf die Kontinuität der Einkünfte ge richteten Interessen bringen die Solidarität der Moslem-Brüder verschiedener Nationalität bisweilen ins Wanken; - und zwar einerseits im Rahmen des anti-israelischen Pro gramms, bei dem die Ölpotentaten die Finanziers spielen, auf die »Weltwirtschaft« Rücksicht nehmen und sich von ihrer westlichen Kundschaft auch einmal zur Sanftmut überreden las sen - während die Habenichtse an der radikalen Verfolgung der »Sache« Gefallen finden; - andererseits im Rahmen der Konkurrenz um das Geschäft, das die Nutznießer des Öls zum institutionalisierten Streit in der O PEC , ihrem Bündnis, bewegt. So ist dafür gesorgt, daß aus der Kombination und Wechselwir180
kung dieser Gesichtspunkte des arabischen Nationalismus ein Konfliktherd entsteht, der durch die Konkurrenz um die Macht in den einzelnen Staaten ständig zusätzlich geschürt wird. Mit russi schen, europäischen und amerikanischen Waffen und mit islami schen Argumenten finden Rebellionen und Zerwürfnisse, Regie rungswechsel und Kriege statt. Während Israel mit den USA im Rücken darüber sein Territorium vergrößert hat, die UdSSR im mer mehr Abstand davon nimmt, die Verfechter des militanten Is lam zu kriegerischen Taten zu ermuntern-sie wollte Ägypten glatt von seinem letzten Waffengang mit Israel abhalten - , aber in Syrien und Libyen noch Gerät zur Verfügung stellt, während im Iran eine islamische Revolution über die Bühne ging, versuchen die in ihrem Nationalismus wenig erfolgreichen Akteure des Nahen Ostens, aus ihrer Lage das Beste zu machen. Manche mit einem ganz ihrer Souveränität gewidmeten Krieg, andere mit mehr oder minder re gelmäßigen Waffengängen gegen Israel, ein dritter (Gaddafi) ver teidigt seinen Luftraum gegen US-Manöver - und in gewissen Re gierungen reift die Einsicht, daß der eigenen Geltung am besten gedient ist, wenn man dem freien Westen im Interesse einer »Nahost-Lösung« behilflich ist, sich zum »Sicherheitsfaktor« ausrü sten läßt und den Anteil an den ölpreisen moderat beziffert. Als Zeichen ihrer Schwäche wollen Staatsmänner aus den »Ent wicklungsländern« ihre weltpolitischen Niederlagen und Rück schläge, ihre Kurskorrekturen und Frontwechsel allerdings nicht auffassen. Immerhin betätigen sie sich auf diese Weise als »politi scher Faktor« und erfreuen sich der Aufmerksamkeit an der di plomatischen Börse. Alles was sie tun oder lassen, wird ja nicht daran gemessen, ob es den jeweiligen Untertanen bekommt. Ob sie sich wieder einmal eine Maßnahme zur Stabilisierung ihrer Wäh rung oder eine zur Festigung der Ordnung im Lande einfallen las sen, ob sie einen Atomreaktor bauen oder eine Wahl ausschreiben - stets gewahren sie, daß mit dem weltweiten Interesse an ihren Ländern von ihnen das eine oder andere Vorgehen verlangt oder mißbilligt wird, also ihre Souveränität gefragt ist, wenn sie dem Sorgerecht der Großmächte anheimfallen und zu Urhebern oder Faktoren von allerlei Krisen ernannt werden. Vom Standpunkt der Schädigung, die ihrer Staatskasse bereitet wird, unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung, die ihre Handlungsfreiheit erfährt, entdecken sie deshalb nicht allein die härtesten Techniken der Konkurrenz - die bisweilen bis zur »Ge 1 81
fahr für den Weltfrieden« reifen - , sondern auch die Notwendig keit von Bündnissen. Die Ölländer, über deren Bedeutung in der Welt schon die Charakterisierung ihrer Wirtschaft durch einen Stoff alles sagt, haben sich zur O PEC zusammengetan, innerhalb derer sie nun ihren Streit um Preise und Förderquoten abwickeln. Afrikanische Führer haben den gleichartigen Umgang, der ihnen von seiten der Weltmächte und besonders durch Südafrika zuteil wird, in das gemeinsame Interesse aller Afrikaner umdefiniert. Und aus dem Vergleich mit dem Erfolg ihrer gewichtigen Handels partner, den sie bestehen wollen, sind gemeinsame Ansprüche in bezug auf die Behandlung im Kommerz erwachsen; so gibt es einen gemeinsamen Markt für Zentralamerika, AKP-Staaten (die sich als Unterzeichner des Lome-Abkommens definieren) und anderes mehr. Die Mitgliedschaft in einem Militärbündnis erscheint manchen Souveränen wie eine Oberlebensgarantie- und die Speku lation auf bessere Konditionen ihrer staatlichen Existenz in Abhän gigkeit vom Weltmarkt des Westens und auf die hilfreiche Funk tion des Ostens hat ganz viele Staaten zur Bewegung der Block freien zusammengeführt. Viel bewegt hat sich da freilich nicht; das Aufregendste war wohl die Wahl eines roten Vorstands. Denn um Forderungen vorzubringen und durchzusetzen, fehlen den ver sammelten Repräsentanten der »Entwicklungsländer« genauso die Mittel wie jedem einzelnen unter ihnen; zudem versagt die »Dro hung« mit der Orientierung am Osten - falls sie in Erwägung gezo gen wird - immer ihren Dienst. Der Ostblock ist weder willens noch in der Lage, den Bedürfnissen jener Herrschaften dauerhaft zu entsprechen; die einschlägigen Versuche jedenfalls, Ernst zu machen mit der alternativen Sorte weltpolitischer Zusammenar beit, scheitern regelmäßig daran, daß die Sowjetunion »zu wenig« zu bieten hat, wenn sie auf Freundschaft aus ist - und daß der freie Westen jedem Versuch mit ökonomischen und militärischen Ma növern ein Ende bereitet. Deshalb ist Kuba auch keine Bastion, die die USA in Verlegenheit bringt, sondern ein Zuschußbetrieb für die Sowjetunion. Wenn überhaupt eine Partnerschaft mit ihr Be stand hat, dann nicht durch Geschäft, sondern auf Grundlage von Kosten! Die Illusion, gemeinschaftlich politisch kalkulieren zu können, haben die »Blockfreien« einzeln und in Gruppen selbst begrabenzumindest was Kalkulationen anlangt, die auf eine wie immer gear tete Stärke gegenüber dem freien Westen abzielen, der ihnen ihre 182
Herrschaft konzessioniert. Denn wenn im Pentagon und im Ent wicklungshilfeministerium jede Million Auslandskapital, Kredit oder zusätzliche Spesen für die auswärtige Ordnung und ihr »Überleben« als »Kampf gegen den Kommunismus« firmiert, in dessen Hände der Hunger die Menschen treibt, so stimmt die Um kehrung dieser Ideologie noch lange nicht. Und schon gar nicht ge lingt der praktische Vorstoß, mit der Abwanderung ins andere La ger zu drohen - eine solche Politik erfreut sich noch allemal der herzlichsten Kriegserklärung durch die zuständige Weltmacht. 9. Was die Instanzen und Gremien der »Entwicklungsländer«, im Rahmen der U N O und außerhalb, zustandegebracht haben, be schränkt sich auf die Klage, dem Elend in ihren Breiten nicht steuern zu können und Opfer einer verkehrten und ungerechten »Weltwirtschaftsordnung« zu sein. Von dem Bemühen, sich an der Seite der Sowjetunion eine neue Geschäftsgrundlage zu verschaf fen, haben sie nicht viel gehalten - im Gegenteil. Anklagen gegen die Weltmacht N r. 2 sind vorgebracht worden. Als ob nicht das Tun der imperialistischen Partner, sondern die Unterlassungen des Ostens für die Ruinierung der Völker verantwortlich seien, haben die Herrschaften, die das Regieren ihrer verelendeten Landsleute über alles schätzen, den Protest angemeldet, dessen Herkunft eine ausgemachte Sache ist: Während die USA und Europa immerhin soundsoviel Prozent ihres Bruttosozialprodukts wohltätig in die »Dritte Welt« stecken, so die Botschaft, verlassen den Ostblock höchstens ziemlich kalorienarme Waffenlieferungen in Richtung Süden. Damit haben sie ihren Beitrag zur intensiven Führung des »Nord-Süd-Dialogs« geleistet, in dem ihnen Gelegenheit gegeben wird, sich als Geschöpfe der Weltpolitik und entsprechend ihrem Existenzgrund aufzuführen - und zwar im exklusiven Gespräch mit denen, die seit einigen Wirtschaftsgipfeln den Lauf der Dinge auch im »Süden« verantwortlich fortschreiben. Ein anderer Bei trag stammt aus den Kreisen jener kritischen Idealisten im freien Westen, die »Entwicklungspolitik« schon immer am hehren Zweck des Helfens messen, deswegen für sie eingetreten sind und seit geraumer Zeit bemerken, daß ihr Erfolg nicht in der Minde rung des Elends liegt. Ihre Anregung, daß es so wohl nichts nütze, Milliarden auszugeben, haben die offiziellen Entwicklungspoliti ker aufgenommen und befunden, daß Entwicklungshilfe »ein Faß ohne Boden« sei. Diese zunächst inoffiziellen Feststellungen gaben 183
dann auch die Diskussionsgrundlage für das Nord-Süd-Gipfeltreffen in Cancün ab, das zu dem großartigen Beschluß führte, »glo bale Verhandlungen« in Angriff zu nehmen. Während der west deutsche Außenminister mit einem Redebeitrag brillierte, der mit Hungerstatistiken und -prognosen nur so gespickt war und kundig als Erörterung einer »Welternährungsstrategie« dargeboten wurde - »arbeitsintensive Landwirtschaft in den Entwicklungsländern« hieß dann der »Bonner Vorschlag« wartete der Präsident der USA mit einer Empfehlung auf: »Reagan empfiehlt freie Wirt schaft«, und er wollte das als »Absage an die Wünsche der Dritten Welt« verstanden wissen. Willy Brandt »dämpfte die Erwartun gen«, und der Papst richtete dringende »Appelle zur Lösung des Hungerproblems« an die Welt: »Die Ernährung ist ein Grund recht« - so seine tiefergehende Einsicht. Frankreichs Mitterrand ließ alle »Verdammten dieser Erde« in einem Aufruf grüßen. Nur die Vertreter der anwesenden »unterentwickelten Länder« hielten unter der Wortführung Chinas an der Vorstellung fest, sie wären auf einer Versammlung, auf der ihnen Gehör geschenkt wird und sie in ihren Gesprächspartnern Leute vor sich haben, die ihre An sprüche würdigen. Daß die Modalitäten ihrer Herrschaft von den anwesenden Regierungschefs der freien Welt geklärt und bestimmt werden müssen, ist ihnen offenbar in den Wirren von 20 Jahren »Entwicklungshilfe« klar geworden - und diese Erfolgsmeldung in bezug auf die Leistung ihrer weltpolitischen Strategie nahmen die Führer des Westens entzückt zur Kenntnis. Ihr Blick richtete sich nach vorn, und Cancün wurde ein Erfolg. - Die Tatsache, daß die Sowjetunion in der »Dritten Welt« einfach nichts zu bestellen hat und auch kaum mehr Sympathien ge nießt, wurde wieder einmal gründlich gewürdigt mit der aufge regten Frage: »Warum sind die Russen nicht da?« Allerdings nicht ohne den Hinweis darauf, daß die weltpolitische Flurbe reinigung noch eine Handvoll Restposten aufweist; einer davon, Angola, erhielt Besuch aus Südafrika, einem treuen Partner, auf den sich der Westen noch immer verlassen durfte in heiklen Si tuationen auf dem schwarzen Kontinent. - Breiten Raum räumten die Repräsentanten der U SA und Euro pas der offiziellen Desillusionierung über die bisherigen Lei stungen der »Hilfe« ein. Aber nicht in dem Sinne, daß nun eine Welle von Care-Paketen über die hungerleidenden Völker her einbrechen sollte. In Cancün wurde ein »neuer Umgang« mit
den »Schwierigkeiten« der »Entwicklungsländer« in diplomati sche Formeln gepackt, ein Umgang, der Zweck und Mittel ohne große ideologische Umschweife ins Verhältnis setzt und seit ge raumer Zeit praktiziert wird. Der freie Westen hat aus dem »Mißerfolg« der Entwicklungshilfe - sie beseitigt nirgends die vielbeklagte Armut - den Schluß gezogen, daß man dann auch die einschlägigen Spesen sparsamer handhaben kann. Zumal die Bittsteller klar und deutlich zum Ausdruck gebracht haben, daß auch für die »Gewinnung« der »Dritten Welt«, für ihre reser vierte Haltung gegenüber Moskau keine Zuwendungen not wendig sind. Sie argumentierten allesamt wie Einflußsphären, die ihren Platz in der Weltpolitik »gefunden« haben, und sie distan zierten sich von jeder »Einmischung« in ihre Angelegenheiten. Der Grund für die so gerechtfertigte Sparsamkeit wird selbstver ständlich nicht nur den Bürgern in den »Industrieländern«, son dern auch den Partnern aus Ubersee erklärt. »Wir haben selbst Probleme«, heißt er, und unumwunden werden sie erläutert. Die »Weltlage« geht mit der »Kriegsgefahr« schwanger, die Si cherheit kostet Geld, darauf muß unsere Wirtschaft eingestellt werden, und kein Bürger bei uns hätte Verständnis für sein Op fer, wenn wir erwiesenermaßen unsinnige Entwicklungshilfe zum Fenster hinauswerfen würden. Die Praxis dieser Darlegun gen, die den Chinesen in Cancün sicher eingeleuchtet haben, besteht in der Streichung sämtlicher Zusatzkosten, die - ohne di rekt dem Geschäft zugutezukommen - bisher für die Funktions tüchtigkeit der »Entwicklungsländer« verausgabt wurden. Da entfällt nicht nur manches Projekt zum Aufbau einer »Infra struktur«, das sich erst in 20 Jahren lohnt, und die Kreditlinien im Rahmen des »Weltwährungssystems« gibt es auch nicht mehr. Die amerikanische Regierung, offen wie immer seit Rea gans Machtübernahme, sagt es unumwunden, daß sie zwar lau fende und damit lohnende Geschäfte aufrechterhalten will, aber es nicht nötig hat, den Aufbau neuer Rohstoffabkommen und dergleichen zu finanzieren. Eine schöne Gelegenheit für europäi sche Nutznießer des Weltmarkts, ihren Wunsch auszudrücken, daß ihnen durchaus an verstärkter Zusammenarbeit gelegen wäre. Politische, und zwar sehr generalstabsmäßige Gesichtspunkte spielen eben in Zeiten des »verschärften Ost-West-Gegensatzes« die wichtigste Rolle im Verkehr mit einer »Dritten Welt«, 185
deren ökonomische Dienste entweder gesichert oder zweitran gig sind. Nicht mehr die heuchlerische Rede von »ihren Proble men« ist an der Tagesordnung, nein: »Wir haben Probleme mit Euchl« Die Stabilität der Herrschaft in jenen Staaten steht zual lererst zur Debatte, und damit auch keinem verborgen bleibt, was Reagan damit meint, sieht er mit seinem Außenminister überall, wo sich Opposition regt, ob am G olf oder in Südameri ka, die Russen am Werk. Wo es um das Problem der Weltpolitik schlechthin geht, mag sich die Weltmacht Nr. i »vor ihrer Haus tür« keine Bürgerkriege mehr leisten und zusehen, wie sie mit der neuen Regierung ins alte Geschäft kommt. - Deswegen hört auch die Hilfe der großen USA nicht einfach auf: statt Hunger-, Entwicklungs- und Kapitalhilfe verstärkt die Staatenwelt der NATO nämlich ihre exquisite WaffenhWfe- und auf diesem Felde läßt sie sich auch nicht den Vorwurf machen, geizig zu sein. Der Leiter der amerikanischen Entwicklungsbe hörde überreicht herzlich lachend seinem nicht minder froh ge stimmten US-Präsidenten einen plakatgroßen symbolischen »Scheck an den amerikanischen Steuerzahler« über 28 Mill. Dol lar - sie sind bei Entwicklungsprojekten eingespart worden. Und der Präsident bedankt sich mit der Ankündigung bei den amerikanischen Bürgern, daß er Asien, Afrika und China mit Waffen vollstellt! Denn die Welt, auch die der »Entwicklungs länder« ist voller strategischer Lücken und Interessen, die ver teidigt werden müssen. Auf europäisch lautet der Kommentar von Willy Brandt: »Leider droht der Ost-West-Gegensatz den Nord-Süd-Dialog zu ersticken!« - Vom »Süden« her ist Protest kaum zu vernehmen. Die Ge schöpfe des Imperialismus haben die Lektion ’8i längst begrif fen. Wenn ihre Souveränität und das Wohlwollen derer, die sie garantieren, nun nicht mehr von der ökonomischen Brauchbar keit allein abhängen, wenn nur geregelte Handelsbeziehungen und bereits funktionierende Kapitalanlagen zählen, die Spekula tion auf künftige Erwerbsquellen in den Hintergrund tritt, so wissen sie, wie der Genuß achtbaren Mitmischens in der Welt politik zu erhalten ist. Man muß sich die Völkerfreundschaft eben über die politische Dienstbarkeit sichern! Statt mit einem weltweiten Aufbegehren der »Blockfreien« sieht sich die Füh rungsmannschaft der westlichen Freiheit mit Angeboten aller Nationalismen konfrontiert: Mexiko will Mittelamerika stabili-
sieren und dafür Waffen in jeder Menge borgen; Saudi-Arabien moderiert den Olpreis und will sich Ägypten bei der Lösung des Nahost-Konflikts anschließen, natürlich gegen Barzahlung und mit Blick auf die ständige Gefahr, daß Moskau ein strategisches Interesse an der Region hat. AWACS-Flugzeuge wären auch China recht, genauso wie Leopard-Panzer und ein paar Raketen - ein bloßer Horchposten ist für die Bezwingung des russischen Feindes zu wenig. Ägypten will es mit Libyen aufnehmen, und in Südamerika ist man hocherfreut, auch strategische Aufgaben übernehmen zu können . . - Solche Interessen - sie werden von Tag zu Tag mehr - erfahren seitens der westlichen Allianz ihre kalkulierte Befriedigung; kal kuliert deshalb, weil die Ausrüstung dieser Staaten zum Material der Offensive den beschränkten Charakter des jeweiligen Na tionalismus in Rechnung zu stellen hat. Untereinander sollen sie das umweltfreundliche Kriegsgerät nämlich nicht zur Anwen dung bringen —es sei denn gegen jene Ausnahmen, die es immer noch an »sowjethörigen« Regimes gibt. Das andere Interesse, das nur noch bei Idealisten christlichen oder humanistischen Denkens Fürsprecher findet - die Sache mit dem Hunger-, wird statistisch befriedigt. Präsidenten westlicher Demokratien über treffen sich, wie etwa in Cancün auch bei Sammlungen aus der Lohntüte ihrer Untertanen, im Verlesen der neuesten Vorhersa gen, wieviel »Menschen« in den nächsten Jahren auch ohne Krieg krepieren. Krieg und Hunger haben übrigens eines gemeinsam. Sie gehören zu den Tatsachen, auf die sich die NATO-Politik so gerne beruft, weil sie sie schafft.
III. Die Weltmächte und ihre unverbrüchliche Feindschaft
i . D ie N A T O : F rie d en sg aran tie d u rch die V o rb e re itu n g d es D ritte n W eltkriegs D er »freie Westen« hat sich als Militärbündnis konstituiert; von der N A T O bis zum A N Z U S-P akt und mit einer Vielzahl bilatera ler Bündnisverträge haben die U SA sich nach ihrem Sieg im Zwei ten Weltkrieg eine ganze Welt von Verbündeten geschaffen. Von diesen Bündnissen, speziell von der N A T O , hat ein anstän diger Bürger des freien Westens eine gute M einung, nämlich die, sie hätten »uns den Frieden gesichert«, insbesondere den West deutschen »die längste Friedenszeit ihrer G eschichte« beschert. So, wie sie genommen werden will, ist diese V orstellung deswegen albern, weil sie als Grund für den einstweiligen Frieden gleich zwei Kriegsgründe unterstellt, ohne von diesen auch nur das Geringste wissen zu wollen: vom Gegner Sow jetunion w ird angenom m en, er wolle, warum auch immer, den »freien W esten« überfallen; in die ser Gewißheit bereitet die N A T O ihrerseits den K rieg vor. D ie an gebliche Friedensgarantie durch die integrierte M ilitärm acht des »freien Westens« reduziert sich so der Sache nach au f die Banalität, daß beide Seiten den G rund für den K rieg, den sie unm ittelbar ge gen die andere Seite vorgesehen haben, bislang offen kun d ig noch nicht für eingetreten erachtet haben. D iesen U m stan d der eigenen Militärmacht als ihre Leistung zugute zu halten, ist nichts als die genauso banale Manier, in bezug au f den vorgesehenen K rieg die Reinheit des eigenen G ew issens kundzutun und die Schuldfrage zu Lasten des Gegners vorab für entschieden zu erklären: im Ernstfall hat der sich nicht mehr genug gefürchtet, um seinen A n g riff zu un terlassen. Kein W under, daß dieser begriffslose, ja zu r A hnungslo sigkeit bezüglich der wirklichen K riegsgrü nde fest entschlossene M oralism us der K riegsschuldfrage bei jedem loyalen O stbürger sein genaues Spiegelbild vorfindet: dort ist es der W arschauer Pakt, der drei Jahrzehnte lang und länger den Frieden m achtvoll gerettet hat. Wer hat nun recht? 1 88
i. In einer Hinsicht ist das Kompliment an die NATO , »Kriege verhindert« zu haben, allerdings nicht bloß töricht moralisch, son dern zugleich sehr verräterisch, dann nämlich, wenn es mit dem Glückwunsch an die betroffenen Völker des »freien Westens« ver bunden wird, sie hätten offenbar endlich so manche »Erbfeind schaft« begraben und sich zu friedfertigen Umgangsformen mit einander entschlossen. Die Doppelbödigkeit dieses Aufatmens liegt darin, daß es mit einem »eigentlich« rechnet: daß die Staaten des »freien Westens« offenkundig fest entschlossen sind, ihre mili tärischen Gewaltapparate grundsätzlich nicht gegeneinander ein zusetzen, wird da als erfreuliche Errungenschaft und insoweit als Ausnahme von der weltpolitischen Regel verbucht. Realitätsnähe laßt sich dieser Betrachtungsweise tatsächlich nicht absprechen. Kriege sind schließlich auch nach Beendigung des Weltkriegs in der modernen Staatenwelt an der Tagesordnung; Forschungsinstitute zählen die seit Mitte 1945 verflossenen Wochen ohne größere »be waffnete Auseinandersetzungen« und kommen stets auf recht ge ringe Zahlen. Und wo die Mächte des »freien Westens« nicht un mittelbar als Partei engagiert sind, da geben Firma und Versandort der eingesetzten Waffen, einschließlich der Lieferungen für einen zeitweiligen Spitzenbedarf an Munition, lauter liebevoll verschlei erte eindeutige Hinweise darauf, wie geläufig diesen Mächten Ge walt als Mittel der Politik ist. Im Ernst erwartet auch niemand et was anderes (selbst jene kindlich-idealistische Zutraulichkeit in eine ganz, ganz »eigentliche« Gewaltlosigkeit des politischen Ge schäfts, wie sie aus einschlägigen Appellen professioneller Vertre ter der Gutgläubigkeit an ihre politischen Oberen spricht, kommt ohne eine Portion Heuchelei nicht aus!), schon gar nicht die Ma cher aller weltpolitischen Verwicklungen, an denen immer nie mand schuld sein will, und »Problemlösungen«, für die sich alle zuständig erklären. Die wissen aus und bei ihrer Praxis ja am be sten, daß sie für einen Materialismus der Staatsgewalt einstehen und mit gleichgearteten Nationalisten zu tun haben - , der andere Zwecke verfolgt und daher auch noch ganz anders zu Werke geht als Geschäftsleute in ihren Erpressungsmanövern. Staaten treten einander gegenüber als höchste Gewalten, die über das Geschehen in ihrem Herrschaftsbereich verfügen, also jedem fremden Inter esse an diesem Geschehen entweder abschlägig oder genehmigend begegnen. Ihre Repräsentanten legen einigen Wert darauf, auswär tige Ansprüche auf nützliche Alternativen im eigenen Hoheitsge189
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biet abzulehnen; und umgekehrt liegt ihnen viel daran, selbst auf die Ausgestaltung von Politik und Ökonomie im Ausland Einfluß zu nehmen. Der formelle, ganz abstrakte Widerspruch einer Mehrzahl höchster Gewalten, die lebhaftes Interesse an allem ha ben, was die anderen verwalten, verfügt in der wechselseitigenyl^erkennung der Souveräne über seine diplomatische Verlaufsform. Sie eröffnet als offizieller Akt den Verkehr zwischen Staaten, die es auf wechselseitige Benutzung abgesehen haben und die dabei auf tretenden Gegensätze einvernehmlich ab wickeln wollen. In ge treuer Nachbildung des bürgerlichen Rechts im Innern eines mo dernen Staates - der Anerkennung von Person und Eigentum, durch die der bürgerliche Schacher und die gedeihliche Benutzung ganzer Klassen rechtsstaatlich geregelt wird - erklärt da eine Staatsgewalt, daß sie in all ihrer grundsätzlichen Betroffenheit durch die Entscheidungen einer anderen deren Souveränität nicht antasten will. Auf dieses negative Verhältnis, das ein Staat heutzu tage mit -zig anderen unterhält, gründet sich der Schein eines ge mütlichen Umgangs der grundsätzlich von gleich zu gleich mitein ander verkehrenden Nationen. Der Glaube an diesen Schein ist freilich nicht einmal in den UNO-Gebäuden verbreitet, also dort, wo ihm einige Pflege zuteil wird. Einerseits ist es kein Geheimnis, daß es nicht auf die ideelle Allzuständigkeit jeder Republik an kommt, die diese in der Unterhaltung diplomatischer Beziehungen mit allen Staaten dieser Welt prätendiert. Der materielle Inhalt und das entsprechende Gewicht der Interessen, die eine Nation an den Affären der anderen geltend zu machen hat, sind schon von einiger Bedeutung. Danach entscheidet sich schließlich, ob einem Staat an der Mitwirkung am diplomatischen Weltzusammenhang gelegen ist, weil er die Fähigkeit besitzt, auswärtige Regierungen für sich zu funktionalisieren - oder ob ein Souverän an der Börse politi schen Kredits nur mit dem einen ernstgenommenen Interesse be teiligt ist, sich überhaupt als alleinzuständige Obrigkeit zu Hause zu behaupten, und deshalb anderen zu Willen ist. Es ist eben ein gewaltiger Unterschied, ob eine Staatsgewalt zu den Machern der Weltpolitik gehört oder zu ihren Geschöpfen. Andererseits verläßt sich kein Staat auf die unwiderstehliche Wirkung der unter seiner Herrschaft entstandenen Geschäftsinteressen, von deren gelunge ner Durchsetzung er sich abhängig weiß. Diese Abhängigkeit faßt er als Aufgabe auf, die er im Umgang mit anderen Souveränen zu bewältigen hat, indem er sich Respekt durch seine Gewaltmittel 190
verschafft. Damit ein Staat überhaupt seiner nationalen Ge schäftswelt auswärtige Quellen zusätzlicher Bereicherung er schließen kann, muß er sich - ganz gemäß dem negativen Inhalt, der in seiner Anerkennung gegeben ist - von der kommerziellen Kalkulation seiner ökonomischen Basis unabhängig machen und einiges an Reichtum und Einsatz von Menschenmaterial »opfern«, um der Freiheit anderer Regenten auch unliebsame Bedingungen plausibel werden zu lassen. Was aus der Geschichte der Aufteilung des Erdballs unter politische Gewalten jedermann vertraut ist - die gewaltsame Eroberung fremder Ländereien und die Unterwerfung des vorfindlichen Personals schuf gedeihliche Geschäftsbeziehun gen - , gilt begrifflich erst recht für den Verkehr zwischen Nationen auf dem aufgeteilten Globus: Die Souveränität einer Staatsgewalt nach außen hat ihr unmittelbares Maß in ihrer militärischen Stärke; denn da Waffengewalt das letzte, also das Mittel ist, sich den Zu mutungen auswärtiger Machthaber zu widersetzen und seinerseits außenpolitische Zumutungen durchzusetzen, bemißt sich an ihr dit politische Freiheit einer Nation. Ihr Reichtum taugt in dieser Hinsicht grundsätzlich nur so viel wie die Militärmacht, die der Staat sich dank seiner leisten kann. Und dies ist nicht einmal ein Widerspruch: denn mit der Größe der wirtschaftlichen Potenz wachsen auch die staatlichen Mittel, die die Handlungsfreiheit im Umgang mit anderen Nationen sichern. Auf dieser Grundlage er fährt immerhin auch das auswärtige Geschäftsleben als solches seine Würdigung als Instrument staatlicher Durchsetzungsfähig keit: vom Standpunkt außenpolitischer Souveränität bewertet eine Staatsgewalt alle auswärtigen Geschäftsbeziehungen nicht mehr nach ihrem ökonomischen Nutzen, sondern als mögliches Ge waltmittel für sie - oder auch in den Händen eines Gegners und damit als zwar bedingte, aber je nach dem doch fühlbare Schranke ihrer Freiheit. Im Zeitalter des weltweiten Kapitalismus gibt es da her kein Geschäft, das nicht auch den strategischen Interessen der zuständigen Staatsgewalt untergeordnet, diplomatisch als Macht mittel verwendet, deswegen unter gewissen Umständen auch trotz noch so verlockender Profite preisgegeben würde - und das ist alles andere als ein Verstoß gegen die Interessen des Geschäfts. Ohne Staatsgewalt ist Kapitalismus nun einmal nicht zu machen; und daß diese in ihren weltpolitischen Kalkulationen die Geschäfte ihrer Lieblingsbürger mit Kanonenbooten und Fallschirmjägern auf eine Stufe stellt, beweist nur, daß kapitalistische Geschäftemache191
rei im Weltmaßstab schon gar nicht ohne ihre - als Sphäre der Poli tik abgetrennte - Gewaltsamkeit funktioniert. Wenn Politiker die weltwirtschaftlichen Beziehungen ihrer N ationalökonom ie als Auftrag an den von ihnen verwalteten Gew altapparat behandeln, so entsprechen sie ihrer ökonomischen Funktion als notwendige »faux frais«. Es ist daher tatsächlich bemerkenswert, wenn gerade die mächtig sten Staaten des »freien Westens« - die weniger maßgeblichen Randstaaten der N A T O nehmen sich zu Entspannungszeiten schon einmal eher die Freiheit zu einer kleinen Schlacht gegenein ander in Cypern oder der Ägäis - unter sich einen so stabilen Frie den etabliert haben. Denn damit ist ja nicht erst für den Fall eines eigentlich kriegsträchtigen Zerwürfnisses auf die A nw endung mili tärischer Gewalt gegen ihresgleichen Verzicht getan. Schon die Entstehung solcher Zerwürfnisse ist zwischen ihnen per Beschluß ausgeschlossen; denn ohne die ernstliche Bereitschaft, einen Kriegsgrund auch als solchen zu behandeln, sind ordentlich »ge spannte Beziehungen« nicht zu haben. N u r die glaubwürdige Androhung von Gewalt erhält friedliche Beziehungen zwischen Staaten bis zu einem solchen Grad w echselseitiger oder einseitiger Schädigung aufrecht, daß schließlich die eine o d er andere Seite Waffengewalt zur D urchsetzung ihrer A nsprüche anw endet. Und nicht nur das: im normalen außenpolitischen V erkehr gilt die An sicht eines Staates über jeden beliebigen G egen stand, auch über die geringfügigsten Streitigkeiten und deren R egelun g, genau so viel, wie der Staat an Machtmitteln einsetzen kann und will und an Ent schlossenheit zu jeder nötigen G ew alttätigkeit glaubh aft macht, um seiner Ansicht der Dinge praktische G ültigkeit zu verschaffen. D as genau macht ja das G eschäft der D iplom atie so lebhaft und in der bekannten Weise so doppelbödig: daß da im m erzu Gewalt»fragen* reinsten W assers zur D ebatte gestellt w erden, und zw ar in der passenden höflichen Form des Einigungsstrehens und wechselseitiger Bescheide der Staaten darüber, w as sie von den er zielten Resultaten halten. Zwischen den Bündnispartnern des »freien W estens« ist das alles nun keineswegs außer K raft gesetzt. Im G egen teil: bei ihnen han delt es sich ja in jeder H insicht um die Veranstalter des Weltzu sam m enhangs; ihre dezidierten m ateriellen In teressen, die Benut zung frem der Länder und Reichtüm er durch ihre N ation alöko nom ie und deren M acher betreffend, sind so universell, daß sie eine
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wirkliche Weltwirtschaft hervorbringen; und der Geltungsan spruch ihrer Souveränität reicht genauso um den ganzen Globus wie die Einsatzmöglichkeiten ihrer Machtmittel, mit denen sie die sem Anspruch Respekt verschaffen. Sie treffen daher nicht nur dort aufeinander, wo sie sich unmittelbar auf den jeweiligen Kon trahenten beziehen, sondern überall: in der ganzen Welt bekom men sie ständig miteinander als Konkurrenten um ökonomisch nützlichen politischen Einfluß zu schaffen. An allen diplomatischen Börsen sind sie die Hauptakteure, und feine Sitten herrschen zwi schen ihnen auch bloß im diplomatischen Sinn. Nur steht ihr Um gang miteinander tatsächlich unter dem einen großen Vorbehalt: Krieg, also auch die Drohung damit, kommt zwischen ihnen nicht in Frage. Die Anwendung von Gewalt gegeneinander ist auf das Repertoire ökonomischer Erpressung beschränkt; dem allerdings kann sich im Rahmen der Nachkriegsordnung des Welthandels und Kapitalverkehrs kein Souverän entziehen. Für den Urheber und Hauptnutznießer der modernen Weltwirtschaft, das Land mit der Leitwährung und exportiertem Kapital in allen in Frage komd menden Staaten, sind die Mechanismen des internationalen Han- l i dels und Finanzwesens durchaus taugliche Waffen gegen jeden f Staat, der seine Beteiligung daran nicht ziemlich grundsätzlich auf- V kündigt; mit diesem Problem hat noch kein Bündnispartner der \ »freien Welt« seine Führungsmacht konfrontiert. Die Souveräne des zweiten Glieds suchen sich ihrerseits über die Vorteile einer weitgehenden ökonomischen Einigung untereinander Erpres sungsmittel gegeneinander zu verschaffen; all die berühmten Ab sonderlichkeiten der innereuropäischen Diplomatie, die Mecha nismen und Errungenschaften des EG-»Einigungswerks«, geben Zeugnis von ihrem gemeinsamen Bemühen, einen Einigungs zwang zu konstruieren, der sich als ergänzendes Mittel zu den nach wie vor üblichen »Handelskriegen« nutzen läßt. Und doch fehlt all diesen Erpressungsmitteln die letzte Härte; in letzter Instanz tau gen sie nur so viel, wie die Konkurrenten sich an Voneil ausrech nen, sind also nur schlechte Äquivalente für das verbotene Mittel der militärischen Drohung. Kein Wunder, daß so mancher erfolg reiche Europäer sich nach richtigen »Vereinigten Staaten von Eu ropa« sehnt: eine gegen unbotmäßige Partner einsetzbare Bundes polizei wäre erst der vollgültige Ersatz für all die nicht durchführ baren patriotischen Scharmützel, für die das Gemeinschaftsleben eigentlich genügend Gründe schafft. 193
Der wirkliche Grund dafür, daß die kapitalistischen Demokratien des »freien Westens« dem Gebrauch ihrer Souveränität gegenein ander diese Schranke auferlegen, ist - jenseits aller idealistischen Faseleien über Völkerversöhnung und Friedensliebe - mit dem Verweis auf die friedenssichernde Funktion der NA TO zwar nicht gemeint, ironischerweise aber tatsächlich benannt. Die Teilhaber dieses Bündnisses wollen nur einen Gegner kennen, der den Ein satz ihrer vollen militärischen Gewalt verdient, und das ist die So wjetunion. D lese gemeinsame Feindschaft schließt die Freiheit der Verbündeten, ihre Konflikte untereinander zu regulären Kriegs gründen zu machen, prinzipiell aus; dieser einen Kriegskalkulation ordnen sie das letzte Mittel ihrer außenpolitischen Souveränität, den Gebrauch ihrer Nation als Kriegsmaschine, ein und unter; nur hier soll es sich um den Krieg handeln, den WWrkrieg, in dem die verbündeten Akteure des Weltgeschehens ihre Souveränität in Frage gestellt sehen und daher für einen Sieg aufs Spiel setzen wol len. Daß demokratische Souveräne derart prinzipiell sämtliche Kriegsgründe, die sie füreinander in die Welt setzen oderim schäd lichen Wirken ihrer Konkurrenten erblicken könnten, apriori für nichtig erachten, setzt natürlich mehr voraus als den Idealismus des (bereits zitierten) NATO-Vertragstextes, der die Unterzeichner darauf festlegt, die »Prinzipien« ihrer demokratisch-rechtlichen Staatsform zum obersten Zweck und Inhalt ihrer Staatsgewalt zu machen; und auch mit der Vision einer befriedeten Welt im Sinne des Kautskyschen »Ultra-Imperialismus« hat das Ganze herzlich wenig gemein. Praktisches Gewicht und tatsächliche Verbindlich keit für die Kalküle der beteiligten Souveräne bekommt der im »freien Westen« durchgesetzte einzigartige Supranationalismus na tionaler »Verteidigung« durch das Gewicht und die Geltung, die die anerkannte Führungsmacht des Bündnisses ihm v erle ih t: der »Ost-West-Gegensatz« ist ihr nationales Anliegen N r. i. Da der supranationale Charakter, den dieser Konflikt der U SA für deren europäische Verbündete besitzt, speziell in der B R D so selbstver ständlich ist, mag es nützlich sein, daran zu erinnern, daß er als die neue, alles beherrschende Richtlinie jeglicher Außenpolitik nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erst einmal durchgesetzt sein wollte. Die USA waren so frei, alles, was sich auf der Welt so tat und tun sollte, auf ihren Beschluß zu beziehen, die Sowjetunion in ihrem mit Kriegsende erreichten »Besitzstand« festzuhalten, ihr *94
jeden weiteren politischen Einfluß zu verwehren und ihren »Block« nach Möglichkeit zu schwächen. Nationale Zielsetzungen der alten Großmächte, speziell die Nachkriegsgestalt Europas be treffend, hatten sich - soweit sie nicht ohnehin auf der gleichen Li nie lagen - dieser maßgeblichen Front unterzuordnen, wollten sie sich nicht ihrerseits die USA zum Gegner machen; umgekehrt wurden ganze Staaten, allen voran die BRD, unter den Auspizien dieser Globalstrategie ins Leben gerufen und als souveräne Sach walter eines entsprechenden NATO-Auftrags in ein selbständiges Dasein entlassen. Zwischen der Entschlossenheit, die Konfronta tion mit der Sowjetunion mitzutragen, und der Erklärung der Feindschaft des Westens dulden die USA eine dritte Position um so weniger, je größer die Macht ist, die ein Staat in das Ungleichge wicht dieses Gegensatzes einzubringen hat. Die quasi ex officio neutrale alpine Sparkasse der kapitalistischen Welt und das eben falls schon im Zweiten Weltkrieg unmittelbar engagierte Schweden ausgenommen, gibt es keinen Staat von Gewicht, den die USA hier hätten abseits stehen lassen - und auch in diesen Fällen ist die Fiimmelsrichtung ihrer »Neutralität« ebensowenig eine Frage wie bei Österreich oder der Republik Südafrika. Die Probe auf die P Bündnistreue ihrer Partner haben die USA im übrigen nie zu ma- V chen brauchen. Daß die Sowjetunion sich ihrerseits der Feind- V schaftserklärung der U SA gestellt und eine Militärmacht aufgebaut hat, der keiner der kleineren Verbündeten des freien Westens allein für sich gewachsen wäre, hat diese nicht an der Weisheit ihres Ent schlusses irre werden lassen, sich als Parteigänger des amerikani schen Antisowjetismus zu bewähren. Im Gegenteil: Die Bedro hung durch die sowjetische Militärmacht, die sie sich als regionale Sachwalter des N ATO -Zwecks - in einigen Fällen auch als enga gierte Scharfmacher: die BRD möchte da immer noch ihre »natio nale Frage« gelöst haben, und klar ist, auf wessen Kosten! - einge handelt haben, interpretieren sie unerschütterlich als eine Gefahr, gegen die sie sich des Beistands der USA als Schutzmacht zu versi chern hätten. Zweifel an dieser höchst linientreuen Auffassung ihrer geopolitischen und -strategischen »Lage« lassen die europäi schen NATO-Staaten allesamt nicht zu; eher darf man an der Un eigennützigkeit des amerikanischen »Hilfsversprechens« zweifeln oder besser noch an dessen Glaubwürdigkeit: »Mehr Amis her!« ist die Parole des bündnisinternen .Antiamerikanismus, an dem bisweilen sogar ein regierungsamtlicher Nationalismus sich 195
wärmt. Der feste Wille, sich auf die von den USA gesetzte globale Alternative einzulassen und auf Seiten der USA zu deren Kondi tionen mitzumachen, wird durch nationalistische Nörgeleien die ser Art erst so richtig demokratisiert und zum nationalen Anliegen. Das »Geheimnis« der westlichen »Völkerfreundschaft«, der »völkerverbindenden Kraft« demokratischer und europäischer Ideale, ist also die »pax americana«, deren Prinzip wiederum eine Feindschaftserklärung an die Sowjetunion, neben der die USA keine ähnlich existenziellen nationalen Sonderinteressen kennen noch erst recht bei ihren Verbündeten dulden. Fragt sich bloß, was eigentlich die USA an der Sowjetunion so bis zur Unversöhnlich keit stört. 2. Glaubt man den seit Anfang 1980 mit zunehmendem Nach druck in die Weltöffentlichkeit gesetzten westlichen »Diagnosen«, so hat die Sowjetunion insbesondere und ganz unwidersprechlich mit dem Einmarsch der Roten Armee ins verbündete Afghanistan ihren bedingungslos aggressiven Charakter bewiesen, gegen den die mächtigen Demokratien des Westens sich nicht genug schützen können, auf daß es dem Ruhrgebiet nicht genauso ergehe wie den westlichen Ausläufern des Himalaya. Gegründet wurde die NATO allerdings bereits drei Jahrzehnte früher, und auch damals war der »freie Westen« um entsprechende Beweise nicht verlegen. Daß die Sowjetunion sich aus den von ihr besetzten Gebieten am Ende des Weltkriegs genauso wenig zurückzog wie die Westalliier ten aus ihren Zonen und daß sie ebenso bei der Etablierung neuer souveräner Staatsgewalten diesen die Übereinstimmung mit sowje tischen Interessen als Geschäftsgrundlage diktierte; daß die kom munistischen Partisanen in Griechenland sich nicht widerspruchs los in die Übereinkunft der Siegermächte schickten, ihr Land der westlichen Einflußsphäre zuzuschlagen; daß die sowjetische Re gierung ihr Mitspracherecht über die politische Zukunft ganz Deutschlands nach der ökonomischen Eingliederung der Westzo nen in die Dollarzone durch einen so hilflosen Erpressungsakt wie die Blockade Westberlins durchzusetzen suchte: das waren die damals hinreichenden Belege für die fraglose Notwendigkeit, sich vor der Sowjetunion zu Tode zu fürchten. In einer Phase, in der die Sowjetunion das Verbrechen beging, bei ihren Verbündeten ge waltsam Botmäßigkeit zu erzwingen, von Übergriffen über das ei gene »Lager« hinaus aber nirgends die Rede sein konnte - das »Containment« war eben tatsächlich gelungen! - , reichte der Hin196
weis, daß sie dazu immerhin doch in der Lage gewesen wäre, als Begründung für die Unentbehrlichkeit der NATO : Nur die auf ein gewaltiges Industriepotential und den Besitz der Atom waffe gegründete Macht Amerikas konnte das überwältigende Mißverhält nis der Kräfte ausgleichen. (NATO-Handbuch 1961)
Ein knappes Jahrzehnt später, zu Beginn der »Entspannungsära«, wurde der Sowjetunion ihre Militärmacht gleich als Gefahr für die Lösung des »Problems« zum Vorwurf gemacht, als welches die N A TO die »Spaltung Europas«, also die Erstreckung sowjetischer Macht auf ihr ost- und mitteleuropäisches Vorfeld definierte: Wir sind zutiefst davon überzeugt, daß das Bündnis bestehen bleiben wird, solange die Notwendigkeit gegeben ist, sich vor der militärischen Macht des Ostens zu schützen und Lösungen für die noch offenen politischen Probleme in Europa zu finden und zu garantieren. (NATO-Generalsekretär Brosio 1969)
Und seit der Aufkündigung der »Entspannungspolitik« lauten die diensthabenden NATO-»Argumente«: kubanische Truppen in Angola und Äthiopien; eine sowjetische Kampfbrigade auf Kuba; Afghanistan; Polen . . . Nähme man all diese Hinweise als Gründe für die bedingungslose Feindschaftserklärung des »freien Westens« an den »Ostblock« ernst, so müßte zumindest an den neuesten Sprachregelungen auf fallen, wie verräterisch und gleichzeitig wie absurd sie sind. Sollten denn wirklich bewaffnete, durch verbündete Hilfstruppen be werkstelligte Interventionen irgendwo in der Welt als solche eine Gegnerschaft begründen, wo sie doch allemal ohne Frage ins Re pertoire auch der westlichen Weltpolitik gehören? Blamiert sich nicht jedes »Argument«, das sich, um der Sowjetunion aggressive Absichten gegen die »freie Welt« und ihre mächtigen Demokratien nachsagen zu können, im zentralafrikanischen Busch und in der altweltlichen Wüstenzone auf die Suche begeben muß, um unter den gut 1 50 souveränen Staaten dieser Welt wenigstens drei bis fünf ausfindig zu machen, deren Regierungen sich ohne östliche Hilfe nicht an der Macht halten könnten - wo doch gleichzeitig jeder weiß, daß für die Regierungsgewalt praktisch im gesamten Rest der Welt die westliche Seite verantwortlich zeichnet, vom Frontwech sel Chinas ganz zu schweigen? Die Denker und Macher der N A TO selbst sind jedenfalls die letzten, die auf ihre eigenen Pro197
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pagandaparolen von der bedrohlichen Überm acht der aggressiven Sowjetunion und deren weltweiten Vormarsch hereinfielen. Ihre Lagebeurteilung lautet eher so:
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Im Unterschied zur N A T O , einem Bündnis von 1 5 mehr oder weniger großen und hochentwickelten Industriestaaten, die außerdem zu Bündnis sen oder Interessengemeinschaften mit Staaten im Westpazifik und sogar mit der VR China gefunden haben, besitzt die zum Teil noch unterentwikkelte Sowjetunion mit ihren 6 kleinen WP (Warschauer Pakt)-Bundesgenossen bzw. 9 COM ECON-Partnern keinen einzigen größeren und leistungsfähigen Verbündeten a u f der Welt. Die Sowjetunion ist ein größeres weltweites Engagement eingegangen, das, und zwar besonders in Afrika, auch eine Eigendynamik entwickeln dürfte. Da die Unternehmungen weit vom Heimadand und dem eigenen Hegemonialraum ohne eine gesicherte und leistungsfähige strategische Basis durch geführt werden, haben sie den Charakter riskanten Abenteurertums. Sie werden sich zunehmend als kräftebindend und -zehrend erweisen, da fast ausnahmslos alle sowjetfreundlichen Länder Notstandsgebiete ohne be sondere Leistungsfähigkeit für die Unterhaltung von modernen Streitkräf ten [das ist doch mal ein Kriterium!] sind. (G. Poser, Die N A TO , München 1979, S. 9 und 47, stellvertretend für viele; alle Hervorhebungen im Original)
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H offnungsfrohe N A TO -Schriftsteller versteigen sich bis zu Pro gnosen über einen alsbaldigen sow jetischen Zusam m enbruch und doch stört sich niemand an der gelegentlich unm ittelbar dane ben aufgestellten und jedenfalls als G run d dogm a der »freien Welt« unbezweifelten Behauptung, die Sow jetunion w äre seit Ende des Zweiten Weltkriegs eigentlich ununterbrochen in der Offensive und schädigte und bedrohte die Partnerstaaten des »freien We stens« weltweit aufs Schwerste. Gerade in ihrer unverfrorenen W eltfrem dheit ist diese Behaup tung in allen ihren Abw andlungen und m it jedem ihrer »empiri schen Belege« überaus verräterisch. Sie gibt klare A u sk u n ft nicht über die Weltlage, um so eindeutiger aber ü ber den Standpunkt , den die »freie Welt« unter Führung der U S A zu r W eltlage ein nimmt und auch praktisch geltend m acht. O ffen k u n d ig fühlen die paar verbündeten westlichen D em okratien sich grundsätzlich für nichts Geringeres als die M acht und ihren Gebrauch a u f der gan zen Welt zuständig , und zw ar so , daß sie diese Z u stän d igkeit mit niemandem zu teilen bereit sind. N ich ts ist ihnen selbstverständli cher, als daß noch der abgelegenste P otentat ihre Freundschaftsan198
geböte akzeptiert, sich nach ihren Ratschlägen und Direktiven richtet, ihnen nötigenfalls mit Stützpunkten behilflich ist, Coca Cola, Dollars und Gis im eigenen Land zirkulieren läßt. Umgekehrt ist nichts ihnen so unerträglich wie gleichartige Ansprüche der So wjetunion, selbst wenn diese unvergleichlich bescheidener dimen sioniert sind; russische Soldaten sind spätestens außerhalb ihrer Heimatgarnison schon ein einziger Übergriff, russische Stütz punkte in warmen Meeren eine einzige Provokation, russische In teressen an botmäßigen Verbündeten gleichbedeutend mit Aggres sion, Unterstützungsaktionen für befreundete Regierungen - um solche handelt es sich immerhin in Äthiopien, Angola und sogar Afghanistan — ein nicht hinnehmbares »schlechtes Benehmen«; und Kuba, die russische Basis »vor Amerikas Haustür«, stellt so wieso ein unerträgliches rotes Ärgernis in der ansonsten sauberen westlichen Hemisphäre dar. So selbstverständlich wissen die USA und ihre Verbündeten sich auf der Welt zu Hause, daß alles ihre Si cherheitsinteressen berührt, was sich in der weiten Welt abspielt. Tatsächlich sind sie auch längst überall so engagiert, daß jeder so wjetische Versuch, wo auch immer auswärts politisch Fuß zu fas sen, zum gegen sie gerichteten Vormarsch gerät und die westliche | Selbstverteidigung allen Ernstes an jeder Staatsgrenze und jeder Bürgerkriegsfront beginnt, wo auch immer sie verläuft. Vom Standpunkt der errungenen Weltherrschaft aus stellt der westliche Zugriff auf die Welt sich tatsächlich als Defensive dar - und jedes gleichartige östliche Bemühen eben mangels Erfolg als Aggression. Daß noch dazu der Westen seine politische Vormundschaft nicht bloß auf Waffen, sondern überdies auf die ökonomische Benut zung fremder Länder und ihrer Herrschaft gründet, macht seine Position erst recht nicht etwa anrüchig, sondern legitimiert erst vollständig jede bewaffnete Intervention - so wie umgekehrt so wjetische Eingriffe dadurch von vornherein besonders verdächtig sind, daß sie noch nicht einmal auf einen geschäftlichen Vorteil verweisen können, der dadurch gesichert wäre. Der erfolgreiche Materialismus desavouiert eben nicht den Moralismus, mit dem er sich schmückt - in der Weltpolitik noch weniger als im bürgerli chen Leben - , sondern hat ihn exklusiv »gepachtet«. Wer sich nicht blamiert, wenn er in seinen Beschwerden über die »gestörte Welt lage« sein nationales »wir« und »unser« ganz selbstverständlich bis in die fernste Region erstreckt, weil er dafür das wirkliche welt weite »Kräfteverhältnis« auf seiner Seite hat, der setzt eben damit 19 9
auch die Maßstäbe für das Weltgewissen; der agiert grundsätzlich für die Menschenrechte - und läßt seinerseits weniger handfeste moralische Instanzen wie Amnesty International oder sogar den Papst matt aussehen, wenn die sich mit Kritik an ihm vergreifen. Die Fakten sind für die herrschenden Ideen eben auch noch ein Argument l Der Grund dafür, daß der selbstsichere Standpunkt westlicher Dominanz sich so eindeutig und so massiv gegen die Sowjetunion richtet, ist denkbar einfach - und hat mit deren inneren politischen Verhältnissen denkbar wenig zu tun. Sie stört grundsätzlich, weil sie sich seit jeher und seit den Tagen der Beendigung des Zweiten Weltkriegs dem »Angebot« einer friedlich-freundschaftlichen Oberaufsicht der USA nicht fügt. Nicht die Grenzziehung zwi schen Ost und West, die Frage einer Provinz oder eines Staates hü ben oder drüben, hat USA und Sowjetunion so unversöhnlich ent zweit, sondern das russische Unterfangen, die eigene Frontlinie zur Schranke für die amerikanische Absicht einer Neueröffnung der internationalen Konkurrenz unter ihrer Obhut zu machen und nicht als Demarkationslinie innerhalb der schiedsrichterlichen Zu ständigkeit der USA zu behandeln. Was heutzutage rückblickend als Beweis für eine - tief bedauerte! - amerikanische Vertrauens seligkeit und naive Friedfertigkeit gedeutet wird, nämlich Roosevelts Demobilisierungsplan sowie Trumans »Verzicht«, die sowjetische Macht mit der Atombombe zu zerschlagen, solange die U SA noch das Monopol auf diese Waffengattung besaßen (ein imperialisti scher Wunschtraum, dessen Nicht-Verwirklichung, ärgerlich ge nug vom Standpunkt dieses Wunsches aus, dann wenigstens jeden Vorwurf des Imperialismus an die U SA entkräften soll!), das ge hört gerade umgekehrt zur Politik einer Weltmacht, die nach ih rem Sieg überhaupt nicht mehr Partei sein will, sondern Patron und oberste Instanz einer von ihr zugelassenen Welt der Staaten konkurrenz und des Parteienstreits. Mit ihrer praktischen Weige rung, sich dieser »pax americana« zu beugen, hat die Sowjetunion denn auch nicht mehr bloß die alte Konkurrenz der Großmächte mit neu verteilten Machtpositionen und -mitteln fortgesetzt, wie es ihre Vorstellung und Absicht gewesen sein mag, sondern sich der von den USA angestrebten »Weltordnung« widersetzt, am »Welt frieden« als solchem versündigt und außerhalb der »Völkerge meinschaft« gestellt - so jedenfalls sahen und sehen es die USA; und mit ihrem Erfolg beim Aufbau einer »westlichen Welt«, die in 200
der gewünschten Weise der amerikanischen Oberhoheit und dem Fungieren amerikanischen Reichtums funktional eingeordnet ist, hat ihre Sicht der Dinge sich als die praktisch maßgebliche durch gesetzt. Weltweit, oder jedenfalls unter fast allen Staaten der Welt, darunter allen, deren Macht und Reichtum zählen, haben die USA ihre politische und militärische Führerschaft als Bündnis-»Part nerschaft«, eine auf ihren Vorteil zugeschnittene Benutzung allen Reichtums und jeglicher Armut als »Wirtschaftsordnwwg« und »Weltmarkt« durchgesetzt; deswegen heißt der ideologisch wie praktisch gültige Vorwurf an die Sowjetunion: sie will nicht Part ner sein. Weil und in dem Maße, wie der moderne Imperialismus der USA die Souveränität der fremden Staatsgewalten prinzipiell relativiert und als relative konstituiert, das Ideal von Weltherr schaft also wahrgemacht ist, deswegen und insoweit ist die Politik der Sowjetunion nicht mehr das Konkurrenzgebaren einer Groß macht, sondern ein Aufstand gegen eine ordentliche Weltherr schaft, also Anti-Imperialismus in der ganzen negativen, abstrak ten Bedeutung des Wortes: Auf ihre Ziele kommt es überhaupt nicht an - nämlich nur insofern, als sie den durchgesetzten Prinzi pien widersprechen, nach denen die Souveräne dieser Welt sich ge fälligst ihre Zwecke zu setzen und um deren Realisierung zu küm mern haben. Die gemeinschaftliche Macht des Westens definiert sie praktisch als Störenfried - das ist der imperialistische Begriff der Sowjetunion. Dessen praktische Konsequenzen liegen auf der Hand; sie ma chen den Alltag des »Ost-West-Gegensatzes« aus. Erst angesichts der Unbotmäßigkeit der Sowjetunion, angesichts dieser aber um so härter und entschiedener, bekam die Einrichtung einer unter der Obhut der U SA und zu deren Nutzen und Vorteil konkurrieren den Staatenwelt ihre polemische Zweckbestimmung, der Sowjet union das Überleben möglichst schwer zu machen, vor allem sie von der Konkurrenz um politischen Einfluß fernzuhalten. Zur prakti schen Durchsetzung des Standpunkts, von dem aus die USA die »Vereinten Nationen« gegründet hatten und auszubauen gedach ten, wurde aufgrund sowjetischer Hartnäckigkeit die »Ergän zung« der U N O durch ein System von Paktorganisationen nötig: Die weltweite Einheit der Nationen unter amerikanischer Füh rung, das Ideal der U N O , war »zerbrochen«, die »freie« Staaten welt hatte sich als bedingungslos feindliche »Umwelt« gegen die Sowjetunion zu bewähren. Daß dies den U SA mißfiel, eine ideal 201
funktionierende U N O ihnen lieber gewesen wäre, gilt heute als weiterer Beleg für den nicht-imperialistischen Charakter der ame rikanischen Nachkriegspolitik - und beweist doch genau das Ge genteil: wie hätte den USA die Zurückweisung ihres Anspruchs auf weltweite Respektierung als Weltordnungsmacht recht sein kön nen! Auf der Grundlage weltumspannender Militärbündnisse haben die USA die zuerst als »Kalter Krieg« populär gewordene spezielle Diplomatie der Sowjetfeindschaft - amerikanisch: »Containment« durchgesetzt, deren Prinzipien durch die Reagan-Regierung so nachdrücklich in Erinnerung gebracht werden, als wären sie je außer Kraft getreten. Grundsätzlich werden die außenpolitischen Interessen und Angebote der Sowjetunion nicht in die Vorteilsbe rechnungen der anderen Souveräne einbezogen, sondern zurück gewiesen. Bündnisse mit ihr kommen nicht in Frage, schon gleich nicht für Staaten von Gewicht; entschließt ein weniger maßgebli cher Staat sich zu einem Freundschafts- oder gar Beistandspakt mit dem »Ostblock«, so kostet ihn das - bis zum Widerruf und tätiger Reue-jeden politischen Kredit im Westen. Verhandlungen mitder sowjetischen Regierung um Gott und die Welt sind nicht der di plomarische Normalfall, sondern finden, wenn überhaupt, unter gehörig geltend gemachten Vorbehalten gegen die prinzipielle \erhandhingswürdigkeit der anderen Seite statt. Selbst wo nicht mehr unbedingt die Maxime von der grundsätzlichen Vertragsun treue der »Soffjets« gilt, möchte doch jeder westliche Staàt und wollen vor allem die USA bereits ihre bloße Bereitschaft zu Ge sprächen als Zugeständnis gewürdigt und honoriert sehen. Bezüg lich der Sowjetunion steht eben - sogar in »entspannten« Zeiten immer wieder die Frage zur Debatte, ob sie die ihr zugestandene politische Anerkennung überhaupt verdient. Daß Staaten letztlich nur die »Sprache der Gewalt« verstehen, ist zwar auch sonst die grundlegende Lebensweisheit der Diplomatie; im Falle der Sowjet union soll dieser Spruch aber so unmetaphorisch gelten, daß das diplomatische Geschäft mit ihr sich immerzu schon als gefährliche Nachgiebigkeit verdächtig macht; von der »Détente« haben nach dem inzwischen gültigen Urteil - das in der Sache wirklich nicht das Geringste für sich hat - »nur die Russen profitiert«. Das Ver langen nach Koexistenz wird im Westen bereits als Aufforderung zur Kapitulation aufgefaßt - in der Tat hieße das ja auch, vom Ver dikt der Untragbarkeit dieses Staates abzurücken; es wurde daher 202
mit der Gründung der N A T O abschlägig beschieden, noch ehe die Sowjetunion es vorgebracht hatte. Inzwischen gelten bekanntlich schon sowjetische Angebote, die Aufnahme von »Rüstungskontrollverhandlungen« mit dem einstweiligen Stop ihrer Mittel streckenraketenrüstung zu honorieren bzw. im Rahmen dieser Verhandlungen mit einseitiger Abrüstung dem Westen etwas von seiner Waffengattung abzuhandeln, als ziemlich unverschämter Anschlag auf die Einigkeit und Entschlossenheit des westlichen Bündnisses. 3. Außer der Sowjetunion und ihren Bündnispartnern gibt es nur wenige Staaten, die die »freie Welt« ähnlich entschieden für un tragbar befunden hat; die betroffenen Regierungen haben diesen Befund meist nicht lange, die dazugehörigen Völker in manchen Fällen nur teilweise überlebt. Tatsächlich hat es in den letzten Jah ren auch nurmehr der militante Islam in Iran und Libyen zu einer Staatsgewalt gebracht, die, ebenso kompromißlos wie der Revisio nismus an der M acht, ihre Gefügigkeit gegenüber der imperialisti schen W eltordnung und den partnerschaftlichen Verlaufsformen der darin eingerichteten Benutzungsverhältnisse aufgekündigt hat und dafür vom Westen als nicht hinzunehmende Gefahr für die zi vilisierte Staatenwelt verurteilt worden ist. Gemeinsam mit der Sowjetunion dürfen solche Staaten sich als Vaterländer des »inter nationalen Terrorismus« beschimpfen lassen: mit dem Entzug westlicher Anerkennung bleibt, vom maßgeblichen Standpunkt aus gesehen, von ihrer Staatsgewalt eben bloß noch die Gewalt üb rig. Solche Verdikte, ebenso wie die Unbefangenheit, mit der ein und dieselbe fromme Idiotie in Afghanistan als unauslöschlicher Freiheitsdurst gelobt, nebenan als blutdürstiger »Rückfall ins M it telalter« verteufelt wird, zeigen übrigens schlagend, wie vollstän dig die imperialistische Schätzung eines Souveräns erhaben ist über jede Kenntnisnahme von seinen positiven politischen Zwecken und Vorhaben: die Feststellung seines Anti-Imperialismus liefert in allen Fällen die ausreichende Grundlage für die kompetente und maßgebliche Beurteilung und läßt sich für diplomatische Zwecke ebenso wie für den demokratischen Hausgebrauch allemal leicht in einen ganzen Katalog von Verbrechen gegen die »Menschenrech. te« übersetzen. Solchen »Unrechtsregimen« gegenüber führen die westlichen Führungsmächte sich mitnichten als gegnerische Partei auf, sondern nehmen »schweren Herzens« die »ungeliebte« Rolle des »Weltpolizisten« auf sich, der nie anders als im Namen der
Ideale und eines passend gewählten Prinzips wohlgeordneter in ternationaler Verhältnisse den Übeltäter »in die Schranken weist« die innere Abteilung erledigt derweil die C IA , so gut sie kann, und allemal in der unanfechtbaren moralischen Gewißheit, mit ihrem Terror dem Guten zum Durchbruch zu verhelfen. Das Realistische an der ideologischen Redeweise vom »Weltpolizisten« ist dabei der Umstand, daß die USA und ihre Verbündeten in solchen Fällen tatsächlich nicht ernstlich die reale Gefährdung ihrer weltpoliti schen Position abschätzen und abwehren - was hätte die geballte Macht dieser Nationen denn da zu fürchten! - , sondern schon den praktischen Zweifel an ihrer universellen und unwidersprechlichen Entscheidungsmacht und -kompetenz: die Unbotmäßigkeit einer fremden Staatsgewalt verfolgen. Es ist nicht die Abwägung einer Notlage, auch nicht immer die Berechnung eines geschäftlichen Nutzens und noch nicht einmal immer die Kalkulation eines strategischen Vorteils, die die US-Regierung zum Gebrauch von »Gewalt als Mittel der Politik« schrei ten lassen. Sie spielt die Frage der Interpretation einer sowjetischen Brigade auf Kuba als Kampf- oder Ausbildungseinheit zum Grund satzproblem der Weltpolitik hoch - und auch wieder herunter; sie bremst den Einsatzeifer der C IA und der Republik Südafrika gegen eine unliebsame, nicht anerkannte Regierung in Angola - um ein Jahr darauf beider Geschöpf und Kampftruppe gegen die MPLA, der Unita, Waffen zu versprechen und durch südafrikanische Sol daten gleich bis mitten nach Angola hinein liefern zu lassen; sie zö gert lange Zeit, einen am Ende erfolgreichen, bedingungslos verur teilten Aufstand in Nicaragua militärisch niederzuwalzen, duldet die neue Regierung unter explizitem Vorbehalt - und organisiert gleich drei Nachbarstaaten zur schlagkräftigen Militärmacht, die sich zuerst gegen Partisanen in Salvador bewährt; sie plaziert See manöver ihrer Mittelmeerflotte mitten in ein von Libyen bean spruchtes Gebiet, stimmt diese Aktion zeitlich mit ägyptischen Heeresmanövem an der libyschen Grenze ab, treibt den geplanten und planmäßigen »Test« auf Libyens Militanz mit dem Abschuß feindlicher Abfangjäger bis zur weltöffentlichen Blamage des isla mischen Anti-Imperialismus voran und tut dann ganz gelassen kund, man hätte einen Sieg ausgerechnet für das goldene Prinzip der »Freiheit der Meere« errungen; bis dieses Buch einem Leserin die Hände fällt, wird die Liste noch um etliche Positionen länger sein. Und stets beweisen die USA mit ihrem Eingreifen einerseits 204
die Freiheit, mit der sie über die Wichtigkeit von Ereignissen auf der Welt befinden, andererseits die Bedingungslosigkeit des Re spekts, auf dem sie als Weltmacht in sämtlichen Angelegenheiten bestehen. Der Materialismus der amerikanischen Weltpolitik: Fä higkeit und Wille zu freier geschäftlicher Benutzung der gesamten Staatenwelt, ist allemal der Ausgangspunkt, ln den Kalkulationen der zuständigen Regierung, und besonders deutlich eben, wenn diese eine - in der Regel blutige - Machtdemonstration für ange zeigt hält, übersetzt er sich aber in einen Idealismus der nationalen Ehre, der in seiner Abstraktheit und Empfindlichkeit lächerlich wäre - wo er von Machthabern minderen Ranges beansprucht wird, ist er das auch! entspräche er nicht so genau der Universali tät und der Wucht des weltpolitischen Materialismus, aus dem er sich ableitet und dem er dient und nützt. Die Freiheit, sich allem Weltgeschehen gegenüber den Standpunkt des verletzten Ehrge fühls leisten und alles daran messen zu können, macht die bemer kenswerte Bequemlichkeit der politischen Oberaufsicht der USA über die Staatenwelt aus. Nebenher klärt sich damit auf, weshalb ein amerikanischer Präsi- , dent schwerlich zu dumm oder ungeschickt und sein Bewußtsein j gar nicht falsch genug sein kann, um seinen so ungeheuer »schwe- \ ren«, »einsamen« usw. Job sachgerecht zu erledigen. Dafür genügt nämlich völlig die Gewißheit, daß er sich nichts gefallen zu lassen braucht, und der Wille, sich auch nichts gefallen zu lassen. Damit hat er zwar noch nicht jeden Erfolg in der Tasche-auch amerikani sche Präsidenten können politisch »scheitern«: wenn sie ihre Stärke nicht skrupellos genug nutzen! - , auf alle Fälle aber den ent scheidenden Punkt getroffen. Die Stärke der Nation, gegen deren Zwecke kein anderer Souverän mit seinen Anliegen Recht behält, macht die Gleichung von Erfolg und Eitelkeit in beiden Richtun gen gültig. Ein so wohl fundiertes Ehrgefühl wie das eines ameri kanischen Präsidenten ist eben nicht das unglückliche Bewußtsein der Schwäche, sondern die Selbstverständlichkeit des imperialisti schen Erfolgs und kann, als Spiegelbild der Freiheit amerikani schen Verfügens, auch deren adäquater Leitfaden sein. Von seinen Verbündeten, die diese Gleichung durchaus zu spüren kriegen-sie beschweren sich dann über »mangelnde amerikanische Sensibili tät« und kühlen ihren Ärger mit abschätzigen Kommentaren zum Bildungsstand ihrer Vorgesetzten Kollegen-, wird einem amerika nischen Präsidenten im Ernst auch gar nichts anderes abverlangt:
die Forderung Nummer eins an ihn heißt »Leadership«, und deren Brutalitäten werden regierungsamtlich noch allemal als die begrü ßenswerte Tugend der Klarheit und Entschiedenheit verdol metscht. Schon gar nicht braucht er sich, wenn er die Arroganz der Macht zur Regierungsmaxime auch im Innern macht, vor Wählern in acht zu nehmen, die »Number One« für den Begriff ihrer Na tion halten; die nichts lieber mögen als »the flag«; die keine Hem mungen haben, als Vergeltung für 50 in Teheran festgesetzte Volksgenossen »Nuke Iran« zu fordern, und vorsorglich selber demonstrierende Perser verprügeln; die keinen Vorbehalt kennen gegen die ihnen aufgeherrschte Gleichung von Erfolg und Recht, Erfolg und persönlicher Ehre, Erfolg und Frömmigkeit; für die der »pursuit of happiness« allen Ernstes erste patriotische Pflicht ist, die also ihren Nationalismus im Konkurrieren praktisch werden lassen. Auch der Imperialismus der USA hätte schließlich nicht die Freiheit zu jeder Rücksichtslosigkeit nach außen, wenn seine de mokratischen Untertanen sie ihm nicht verschaffen würden: durch bedingungslosen Fleiß und eine Loyalität, die die innenpolitischen Brutalitäten der Staatsgewalt unerschütterlich als Sorge um die ei gene Freiheit interpretiert. 4. Was der Sowjetunion die fortdauernde Feindschaftserklärung der USA und ihrer Verbündeten eingetragen hat, das war und ist ihre Weigerung, die eigene Macht in den Dienst der von den USA angestrebten demokratischen Neuordnung der Staatenwelt zu stel len; zum H aupthind, der mit seiner Unbotmäßigkeit den einzigen wirklichen WWikriegsgrund schafft und gegen den daher die ge samte übrige Staatenwelt zu mobilisieren ist, hat sie es durch den Aufbau einer Militärmacht gebracht, dank derer sie diese Feind schaftserklärung bis heute durchgestanden hat, ohne sich der »pax americana« zu beugen. Das härteste NATO-»Argument« für An griffswillen und Gefährlichkeit der Sowjetunion besteht bekannt lich in dem Hinweis, sie hätte schließlich - und wozu wohl? - weit mehr und größere Waffen, als zu bloßer Verteidigung notwendig em »Argument« von wahrhaft atemberaubender Dreistigkeit: man soll es ja akzeptieren neben der NATO -Ideologie von der unab dingbaren Verteidigungsnotwendigkeit eines »ungefähren militä rischen Gleichgewichts«. Die Weisheit, daß A ngriff die beste Ver teidigung sei, ist eben eine sehr moralische: sie gilt nach Bedarf. Auf alle Fälle gilt der Sowjetunion gegenüber allein schon der Hinweis auf ihren Waffenbesitz als schlagender V orw urf; und das 20 6
sagt alles über den Standpunkt des westlichen Urteils. Für zulässig erachtet die »freie Welt« die Bewaffnung fremder Souveräne bloß dann und in dem Maße, wenn und wie sie diese - »zur Erfüllung legi timer Verteidigungsbedürfnisse« - konzediert. Deutlicher als mit diesem Anspruch, über Umfang und Schlagkraft anderer Staats gewalten zu befinden, ist der Standpunkt schlechthin überlegener Weltmacht kaum geltend zu machen. Und genau mit diesem An spruch scheitern die USA an der Sowjetunion: sie nimmt sich hier jede Freiheit heraus. Sie scheitern damit im übrigen nur an der Sowjetunion. Alle übri gen Nationen, die sich eine auch nur näherungsweise vergleichbare Militärmacht überhaupt leisten könnten, haben die USA sich zu Verbündeten gemacht, und zwar zu so »verläßlichen«, daß deren Aufrüstung ihnen nie als mögliche Konkurrenz, sondern nur in ei ner Hinsicht bedenklich erscheint - das allerdings immerzu —: Im Verhältnis zum gemeinsam festgelegten einzigen Kriegsgrund, der Existenz der »Supermacht« Sowjetunion, ist sie allemal zu gering. Allen anderen Staaten gegenüber haben die USA sowieso das impe rialistische Ideal wahrgemacht, jederzeit an jedem beliebigen Ort / schlechterdings überlegen zu sein. Mit der Atombombe und ihrer ( Fähigkeit, diese im Bedarfsfall überall sofort zum Einsatz bringen \ zu können, haben die U SA sich tatsächlich das der Universalität x und Unbedingtheit ihres Machtanspruchs angemessene militäri sche Mittel geschaffen. Der Unsicherheit und Unberechenbarkeit des Erfolgs auf dem Schlachtfeld, wo trotz aller Fortschritte die Kategorie des »Kriegsglücks« noch zählt, sind sie mit dieser Waffe prinzipiell enthoben. Ihr Einsatz realisiert unmittelbar den Ein satzzweck eines modernen Militärs: durch Vernichtung gegneri scher Machtmittel, Reichtum und Volk eingeschlossen, den wider spenstigen Willen einer fremden Staatsgewalt zu brechen und be dingungslos gefügig zu machen. Allerdings hat der Besitz dieser Waffe die übrigen militärischen Machtmittel, die seither »konven tionell« heißen, und deren Perfektionierung keineswegs überflüs sig gemacht. Denn zwar entbindet der abstrakte Zweck moderner Kriege, die Freiheit feindlicher Souveräne zu vernichten, das dafür angewandte Mittel der Zerstörung von allen Schranken und Vor behalten bezüglich späterer Benutzung, erst recht von so kriegskrämerischen Gesichtspunkten wie dem einer zu machenden Beu te; schon der »konventionelle« und erst recht der in Japan bereits geführte atomare Bombenkrieg geben deutlichsten Aufschluß dar 207
über, daß das moderne KriegszieJ »bedingungslose Kapitulation« heißt und diesem Ziel das Rezept »verbrannte Erde« am besten angemessen ist. Andererseits sind damit die Gesichtspunkte der ma teriellen Benutzung der Welt doch keineswegs außer Kraft gesetzt. Gerade das bedingungslose Ehrgefühl einer Weltmacht erfüllt sich keineswegs in der Alternative von Botmäßigkeit oder totaler Aus löschung, sondern in der Freiheit zu jeder beliebigen Erpressung. Bedingungslose Kapitulation sieht eben in jedem Konfliktfall an ders aus, und es sind jeweils andere Mittel die dafür adäquaten. Dadurch, daß die bedingungslose Kapitulation als eigentlicher und auch durchsetzbarer Kriegszweck mit der Atomwaffe allemal si chergestellt ist, sind jedoch für alle »Kriegsszenarios« minderer Güte die Maßstäbe gesetzt: Wenn schon nicht durch atomare Ver nichtung, so muß um so mehr für die Gewißheit einer zweckent sprechend totalen »konventionellen« Niederlage des Gegners ge sorgt sein. Gerade weil sie im Grunde die ideale und totale Waffe ist, hebt die Atombombe militärische Gewalt in anderen Formen nicht auf, sondern schafft die Freiheit, jedes Mittel nach Belieben einsetzen zu können, nämlich ohne auf seinen Erfolg letztlich an gewiesen zu sein, und setzt genau damit die Gewalt in allen je er dachten Formen, vom Bajonett eines »Green Beret« bis zu den raf finiertesten Kampfgasen und den dicksten Schlachtkreuzern, erst richtig frei. Gerade der Vietnamkrieg war ein jahrelanges Beispiel dafür, daß für die atomare Weltmacht U SA ein »konventionelles« Schlachtfeld allemal ein Schlachtfeld »unter Vorbehalt« ist, näm lich ohne daß die amerikanische Militärmacht dort wirklich bedin gungslos gefordert wäre; es war insoweit daher geradezu ein Expe rimentierfeld für eine nahezu unendliche Vielfalt von Mitteln, den Grad der Zerstörung exakt nach dem jeweils aktuell gewünschten politischen Zweck einzurichten. Diese indirekte »Anwendung« der Atombombe hat die bekannten auserlesenen Brutalitäten die ses Krieges hervorgebracht - bis hin zu dem Höhepunkt, daß Unterhändler Kissinger während seiner Pariser »Friedensverhand lungen« quasi stündlich die für seinen momentanen Verhand lungszweck optimale Bombenmenge auf Hanoi und Haiphong »abrufen« konnte. Diese Freiheit der USA wäre schrankenlos - und vielleicht hätten sie auch noch den Vietnamkrieg ähnlich wie die Schlacht um Japan 1945 mit der »humanitären Geste« abgeschlossen, dem »endlosen Leid der Bevölkerung« durch zwei bis fünf Atombomben ein 208
schnelleres Ende zu bereiten und »amerikanisches Leben zu scho nen« (dies die gängige Rechtfertigung für Hiroshima und Nagasa ki) hätte das russische Militär sich nicht seinerseits diese Waffe und die entsprechenden Transportmittel besorgt. Es hat damit den USA genau die alte Kriegskalkulation, alle »Unwägbarkeiten« der »Entwicklung auf dem Schlachtfeld« eingeschlossen und die Exi stenz der eigenen Souveränität selber in Frage stellend, »aufge zwungen«, von der die USA sich gerade allen anderen Staaten ge genüber freigemacht hatten. Von der Position des überlegenen Schiedsrichters sahen die USA sich wieder zur Partei reduziert, im Gegensatz gegen die sowjetische Atommacht nämlich, und vor die »Notwendigkeit« gestellt, einen Krieg ohne vorentschiedenen Ausgang zu planen: den »Weltkrieg« - dessen Begriff eben nicht die Anzahl der Beteiligten ist, sondern die prinzipielle Infragestel lung der »Weltordnung«; und heute spielt sich eine solche Kon kurrenz der Waffen von vornherein auf dem Niveau des atomaren »Schlagabtauschs« ab. 5. In der amerikanischen Weltkriegskalkulation und -planung kommt das Kriterium der bedingungslosen Kapitulation, an dem die U SA den ihnen als Weltmacht »zustehenden« militärischen Er folg allein zu messen bereit sind, zu ganz neuen Ehren. Maßstab ih rer strategischen Überlegungen ist von vornherein nicht ein Begriff realer Gefährdung, der die geliebte amerikanische Heimat ausge setzt wäre. Sie beziehen sich erstens auf die mögliche Gefährdung, zweitens der von ihnen durchgesetzten und gehüteten Einrichtung der Welt - und sind entsprechend maßlos. Die Wahrheit, daß der amerikanische Reichtum praktisch alle Staaten der Welt außerhalb des »Ostblocks« zu seiner Heimat gemacht hat und die amerikani sche Macht alle Weltgegenden als ihre Machtmittel zu benutzen versteht, übersetzt sich in dieser Kalkulation in lauter Notwendig keiten eines globalen Krieges: Allen Ernstes verdolmetschen USStrategen sich die Weltmachtansprüche ihrer Nation mit der Vor stellung ihres Kontinents als einer »Weltinsel«, die als solche nur in Freiheit überleben könnte, wenn sie die »Herzlandmacht« Sowjet union von den als amerikanische »Gegenküste« definierten Rän dern der alten Kontinente Europa und Asien sowie aus dem fast als deren Anhängsel betrachteten afrikanischen Kontinent fernhält. Und diese sehr frei und souverän eingebildete geopolitische »Notlage« der U SA bemißt sich von diesem Standpunkt aus eben nicht an den tatsächlich ausmachbaren Vorhaben des vorgestellten 209
Gegners, sondern wird auf die nackte Tatsache bezogen, daß es die Sowjetunion als Widerpart überhaupt gibt, und dementsprechend als unbedingt und unermeßlich aufgefaßt. Für die amerikanische Weltkriegsplanung geht es um nichts Geringeres als darum , die mögliche Gefahr auszuschalten, die allein in der Existenz einer un botmäßigen, militärisch standhaltenden frem den Staatsmacht liegt: diese ganz abstrakte, prinzipielle »G efahr« ist für sie der Weltkriegsfall. * Verteidigung« bekommt so für die U S A ganz logi scherweise den höchst ungemütlichen Inhalt, die Sow jetunion als Kontrahenten auszuschalten und wieder zur nationalen Figur un ter anderen innerhalb der »pax americana« zu reduzieren; »Selbst schutz« heißt ganz selbstverständlich '.Negation der Ausnahme, die die Sowjetunion darstellt; Aufhebung der »zweiten Welt«, die das »sozialistische Lager« sein will. Für die Militärmacht des »freien W estens« folgt aus dieser Welt kriegsidee eine Aufgabe, die unter dem N A TO -Firm ennam en »Abschreckung« als Prinzip erst einmal schlicht d a s Ideal wieder gibt, die russische Militärgewalt bereits w ieder unter amerikani sche Oberhoheit gebeugt zu haben : jeder denkbaren Militäraktion des Gegners schlagartig so machtvoll entgegenzutreten, daß der realistische Schaden für den Gegner allemal höher ist als jeder von ihm allenfalls erhoffte Vorteil. D iese A n forderun g ans eigene Mili tär ist keineswegs aus der Vorstellung abgeleitet, der F eind würde seine Kriege um den Staatsschatz von Ö sterreich od er den Genuß freier Verfügung über den H am burger H afen anzetteln; sie rechnet im Gegenteil mit der Entschlossenheit der Sow jetu n ion , unter be stimmten Bedingungen alle ökonom ischen Vorteilsrechnungen aufzugeben - schließlich ist die Sow jetunion der letzte Staat, der durchs Kriegführen reicher würde! - und für die D u rch setzun g ih rer Souveränität die äußersten O p fer zu bringen. D eren Vernich tung soll also die westliche M ilitärm acht im E rn stfall garantieren können - wahrhaftig kein anspruchsloses Z iel, aber noch längst nicht das ganze. Man sollte der westlichen V erteidigungs»doktrin« nämlich auch nicht die Fahrlässigkeit unterstellen, sie nähm e ihrer seits für den »V orteil« einer erfolgreichen Z u rü ckw eisu n g jeden militärischen Durchsetzungsw illens der Sow jetu n ion eine Schädi gung in K auf, die die D urch setzun gsfähigkeit der alliierten Staats gewalten unmöglich oder auch nur zw eifelh aft m achen würde. Zum Ideal der »A bsch reckung«, auf das die N A T O sich festgelegt hat, gehört logischerw eise eine gew isse E in seitig k eit: dem Gegner
militärisch so entgegenzutreten, daß der dadurch realisierte eigene Vorteily der Erfolg über ihn, allemal größer ist als der allenfalls zu befürchtende Schaden. Das ganze Konzept der »Abschreckung« enthält so überhaupt nichts anderes als die triviale Maxime, die seit jeher für Kriegsvorbereitungen aller Art maßgeblich war, nämlich daß man ihn gewinnen will; jetzt allerdings mit einem Kriterium für den angestrebten Sieg, der den Zeiten des modernen Imperia lismus angepaßt ist: die Souveränität der feindlichen Staatsmacht als solche zu vernichten. Man hätte also wirklich nicht erst die von der Reagan-Regierung wieder in alter Frische in Umlauf gesetzten Klarstellungen abzu warten brauchen, um auf die ebenso banale wie brutale Wahrheit der NATO-»Abschreckungsdoktrin« zu stoßen. Zumal ja nicht bloß diese »Doktrin« jede wünschbare Auskunft über die Ernst haftigkeit des westlichen Siegeswillens gibt, sondern erst recht die Praxis der Kriegsplanung und -Vorbereitung zu keinerlei diesbe züglichen Zweifeln je Anlaß gegeben hat. Deren Kriterium jeden falls ist eindeutig: Nachdem der Feind sich die Kapazitäten für ei nen vernichtenden atomaren »Zweitschlag« zugelegt und damit den entscheidenden strategischen Vorteil eines westlichen Atom waffenmonopols zunichte gemacht hat - das Ideal nämlich, mit dem einseitigen Einsatz dieser Waffen den äußersten Kriegszweck unmittelbar zu realisieren - , steht die Inszenierung eines die A tom w affen m it umfassenden Kriegsschauplatzes an, auf dem sich nach klassischem Muster Sieg und Niederlage entscheiden. Sicher, ein Gefechtsfeld dieser Art hat seine Tücken; denn eigentlich sind Atomwaffen für die Logik einer regulären Schlacht zu wuchtig: sie waren ja gerade das verwirklichte Ideal der Emanzipation vom Kampf ums schließliche »Kriegsglück«. Das war und ist aber noch lange kein Grund für die - von Friedensforschern und Amateur strategen nach dem falschen Motto: »Die Waffe macht den Krieg!« gepflegte - törichte Hoffnung, mit Atomwaffen wäre ein regulärer Kampf um Sieg und Niederlage gar nicht mehr zu machen, weil im allgemeinen Inferno dieser Unterschied abhanden käme. In der zi vilisierten Welt von heute sind Probleme schließlich dazu da, ge löst zu werden; schon gleich, wenn die fünfzehn mächtigsten und reichsten Nationen der Welt dafür Zusammenwirken. Das strategi sche und taktische Ziel war ja von Anfang an klar: Wenn Atomwaf fen die Dimensionen des herkömmlichen Schlachtfeldes sprengen, dann muß man eben ein für sie geeignetes Schlachtfeld erfinden 211
und dem Gegner als Stätte der Entscheidung aufzwingen. Genau für dieses schöne Ziel ist, wie inzwischen jeder weiß oder wissen könnte, mit der Entwicklung der N eutronenbom be auf der einen Seite, von Pershing II und Cruise M issiles au f der anderen Wesentliches geleistet. Letztere sind die einstweilen - und von al len Geheimentwicklungen einmal abgesehen - fortschrittlichsten militärischen Instrumente, um die Idee einer atom aren Kriegfüh rung, die nicht unmittelbar die gesamte O berfläche und Bevölke rung des feindlichen Staates vernichtet, W irklichkeit werden zu lassen. Vermittels ihrer extremen Zielgenauigkeit können diese Apparate ein begrenztes atomares Schlachtfeld herauspräparieren und praktisch zurechtdefinieren, auf dem Sieg und Niederlage durchaus deutlich geschieden bleiben. In logischer Ergänzung dazu kommt gleichzeitig das Gefechtsfeld der alten, »klassischen« Machart, wo es eine Front und Abwehrstellungen gibt und zu dem noch regulär hinmarschiert oder -gefahren w ird, zu neuen Ehren. D as paradoxe Ideal, die Lo gik des mit Sieg und N iederlage enden den Gefechts »alter« Machart mit dem Vorteil der A tom w affe, die das Hin und H er der Schlacht überw indet und den Sieg garantiert, zu verbinden , wird hier mit sinnreich zu G esch ossen verkleinerten Atomwaffen seiner Verwirklichung nähergebracht. E ine andere »Perversion des Denkens« als dieses A tom kriegsideal ist an jener berüchtigten »atomaren Gefechtsfeldw affe m it verminderter Druck- und H itzew irkung« jedenfalls kaum auszum achen. Ausge rechnet die auch von Militärs und Politikern geteilte Abneigung gegen eine »atomare Selbstvernichtung der M enschheit«, im Klar text also: gegen einen Krieg ohne eindeutigeS/egeschancen, wird so zum M otor für die Konstruktion und praktische V orbereitung ei ner größtmöglichen Vielfalt von »K rieg ssze n ario s«, innerhalb de rer man den Feind zu einer letzten Entscheidung zw ingen können möchte. D ie Vielzahl von O ptionen für jeden erdenklichen »Ernstfall« wird damit zum entscheidenden Z w eck der Aufrü stung: von der Bundesw ehr bis zum letzten chinesischen Soldaten, der sich zum U ssuri in M arsch setzen läßt, und von entmotteten W eltkrieg-II-Schlachtschiffen der U S -N a v y bis hin zu den weni ger wissenschaftlichen G erätschaften, die »S p ace Sh uttle« in den Weltraum transportiert, geht es um die Freiheit, an der sich für die U SA ihre wirkliche m ilitärische W eltmacht entsch eidet: die Frei heit, den Gegner dort zu stellen, wo m an ihn haben will, ihm Kriege jeder Sorte und jeden Ausm aßes antragen und aufzwingen
zu können und selber nie in eine gleichartige Zwangslage zu gera ten. In dieser Freiheit liegt denn auch die strategische Wahrheit des über lange Zeit speziell in Europa liebevoll gepflegten Ideals eines »militärischen Gleichgewichts«: der Wille, der Sowjetunion in keiner Hinsicht unterlegen zu sein, macht militärisch bloß Sinn als die Kehrseite der festen Absicht, ihr Alternativen vorauszuhaben. Es ist daher kein »Mißbrauch« des »Gleichgewichtsprinzips«, sondern liegt in der Logik seines Erfinders, daß es gar nicht genü gend »Gleichgewichte« zur Sowjetunion geben kann: neben dem »strategischen« der U SA ein »eurostrategisches« bei den west europäischen NATO-Partnern, ein westpazifisches in Japan und Korea, am besten noch ein innerasiatisches zwischen Sowjetunion und China - gerade so, als wäre die sowjetische Militärmacht mehrfach, nämlich für jeden ihrer neu eröffneten »gleichgewichti gen« Kontrahenten erneut vorhanden. Erst so wird die »Ab schreckung« völlig »glaubwürdig«; freilich auf Kosten der für den internen Gebrauch damit verknüpften Ideologie der »Kriegsver hinderung« . An die haben die Praktiker der westlichen Militärpoli tik allerdings ohnehin nie geglaubt. Daß sie inzwischen mit der Produktion und Dislozierung von punktgenauen Mittelstrecken raketen und Neutronengranaten den Übergang vom Aufrüsten zur Gefechtsklarheit ihrer Militärmacht vollziehen - dies der militäri sche Inhalt des »Endes der Entspannung« - , zeigt deutlich genug, mit welchen Wirkungen ihrer »Gleichgewichts«-Politik sie rech nen.
2 . D ie Sow jetunion: »Archipel G ulag«, »Sozialim perialism us« oder »Weltfriedensmacht«?
i . Daß auch die sowjetische Politik auf einer strategischen Betrach tung der Welt gründet, läßt sich nicht bestreiten. Die Einschätzung des eigenen Landes, seiner natürlichen Ausstattung und der sowje tischen Völkerscharen im Hinblick auf einen Krieg ist sämtlichen Zentralkomitees im Kreml geläufig gewesen - und in der Erfah rung des Zweiten Weltkriegs können russische Staatsmänner sogar darauf verweisen, daß ihre militärischen Kalkulationen ihren de fensiven Charakter sowie ihre Bestimmung, nicht nur staatliche Interessen, sondern auch den Schutz des Volkes im Auge zu haben, 213
schon einmal unter Bew eis gestellt haben. Dennoch genießt die Sow jetunion als Militärmacht keineswegs die moralische Aner kennung, die sie als Bollw erk im K am pf gegen faschistische Er« oberungsabsichten für sich reklamiert. D ie N otw endigkeit dieses Staates, seit seiner G rün dun g mit W affengewalt seine Wiederab sch affun g zu verhindern, wollen westlich inspirierte Freunde einer friedlich geordneten Welt einfach nicht gelten lassen. Wer ihnen die außenpolitischen Zw ecke der Sowjetunion auch nur andeu tungsw eise klarm achen will, setzt sich sofort dem V erdacht aus, um Verständnis zu werben für einen Staat, dessen Anliegen nicht einm al in ihrer elementaren Form , der puren Selbstbehauptung, so etw as darstellen wie politische Interessen, denen ein politisch kun diger W eltbürger dieselbe »natürliche« Existenzberechtigung zu gesteht wie denen seiner politischen Führung. U n d dies hat mit den rationellen G ründen, die sich gegen die V erw endung des Militärs in der und für die Außenpolitik des Krem l ins Feld führen lassen, herzlich w enig zu tun. D a w ird ja keinesw egs der G ebrauch der außenpolitischen H andlungsfreiheit kritisiert, die sich die Sowjet union m it ihrer waffentechnischen A ufh oljagd verschafft hat: der V ersuch, sich sehr ungem ütliche politische H errsch aften zu Part nern zu machen und jeden ausw ärtigen N ation alism u s »Sozialis m us« zu taufen, wenn er nur der »W eltfriedensm acht« diploma tisch gew ogen ist. Ein solcher Einw and sch lösse näm lich die Geg nerschaft gegen die einschlägigen Praktiken des freien Westens nicht aus! D a s russische V orgehen erfährt allein dadurch seine VerurteÜung, daß es in Konkurrenz zur w estlichen A rt tritt, völ kerfreundschaftliche Ban de zu knüpfen. D aß der Einm arsch in A fghanistan das »G leichgew icht« störe, w elches sich durch die A llgegen w art w estlichen »E in flusses« definiert, geht d a lässig als A rgum ent durch, dem die Beschw örun g des G ü tesiegels freiheitli cher W eltpolitik au f dem Fuße fo lgt: D e r E x p o rt russischer Inter essen ist keiner, den eine Dem okratie veranstaltet! D iese dem N A T O -V e rtra g abgelauschte U n tersch eidu ng zw ischen guten , weil dem okratisch en N ation en zu verdankenden Ausw ärtsspielen von K o m m e rz und L u ftw affe und schlechten B esuchsreisen un dem okratisch entsandter Panzer könnte einen fast zu der dummen W iederh olung der bürgerlichen Spruch w eish eit veranlassen, mit der ansonsten m ißbilligte U m gan gsform en von Individuen wie Staaten m iteinander kom m en tiert w erden: »D e r Z w eck heiligt die M ittel«! D enn w as w ird m it dem M aß stab »D em o k ratie« eigent214
lieh schön und erträglich an einem Bom bardem ent in Vietnam , an einem Einm arsch in A n go la und einem L u ftan griff auf Bagdad?
Die Lüge des Arguments »Demokratie« ist freilich viel gründlicher inszeniert, als daß man ihr mit dem Hinweis begegnen könnte: das mag ja ein feiner Zweck sein, die Menschheit mit Demokratie zu beglücken, wenn ihm keine Gewalttat den Dienst als Mittel ver sagt! Die Generalabsolution, die jedem imperialistischen Siegeszug des Geldes und der Waffen mit dem Verweis erteilt wird, er werde immerhin im Namen einer freiheitlichen Grundordnung vollzo gen, beruft sich auf die demokratische Abwicklung von Herr schaft, als wäre sie ein Zweck, für den man schweren Herzens auch mit schwerem Gerät auffahren müsse. Daß dies nicht der Fall ist, läßt sich durch einfaches Nachzählen der Demokratien ermitteln, die sich in der Staatenwelt finden, welche sich des Einflusses der N A TO erfreut. Und wo frei, gleich und geheim gewählt werden darf, weil es das Gesetz so befiehlt und das Militär gewöhnlich nur für äußere Aufgaben und nicht für die innere Ruhe des Staates zu ständig ist - wo das Volk also nach einer erzdemokratischen Kenn zeichnung der Unterwerfungsbereitschaft »reif« ist-, umschreibt das Markenzeichen »Demokratie« keineswegs Verhältnisse, die durch Abwesenheit von Gewalt, Armut und Elend glänzen. Wenn das gemeint wäre, so würde sich die amerikanische Demokratie mit ihren Millionen Paupers, ihren Negern und mexikanischen Grenz gängern an der bescheidenen Solidität des Lebens in den Sowjet republiken noch allemal blamieren! Und ob die individuelle Unter drückung »des einzelnen« Russen, der seine fünfzig Jahre vor sich hinarbeitet, einen Krieg mitmacht und übersteht, um dann mit ky rillischen Buchstaben auf seinem Grabstein unter der Erde zu lan den, unerträglicher ist als ein amerikanischer Lebenswandel unter dem Schutz der Nationalgarde, die Studenten und Streikende zum sozialen Frieden auf amerikanisch überredet, ist auch nur für Leute ausgemacht, die in ihren Lobhudeleien auf die Freiheit ihre Frei heit erkennen und in katholischen Dissidenten ihre Gesinnungs genossen. Die obligatorische Würdigung der Sowjetunion in ihrer weltpoli tischen Rolle, die ihr mit dem Doppelbeschluß »undemokratisgh = gefährlich« jede Rüstungsmaßnahme als Aggression, jedes An gebot als diplomatisches Betrugsmanöver und ihre Präsenz im Ostblock und anderswo als imperialistische Knechtung echter Völker zur Last legt, zeugt in ihren armseligen und scheinheiligen 2 IS
Argumenten nur von einem: von der Bequemlichkeit im ideologi schen Um gang mit einer N ation, die man als Feind ausgemacht hat. Der Anti-Kommunismus ist eben die negative und inhaltslose Lehre von der unbezweifelbaren Verwerflichkeit einer Staats macht, die wegen ihrer Unbrauchbarkeit als »Partner« stört und deswegen sogar den tautologischen V orw urf der »Gewalt-Herr schaft« über sich ergehen lassen darf. Die Zielsetzungen der sowje tischen Politik brauchen keines Blickes gewürdigt zu werden, weil sie von den Parteigängern der Freiheit längst im Willen zur Unter drückung, in der Fesselung der Individualität und in der teuf lisch-bolschewistischen Sucht nach Macht geortet w orden sind. Zwar blüht dieser Unsinn in den ihm eigenen Sprachregelungen, in Reinkultur also, »nur« im ZD F-M agazin und den Kraftsprüchen hi storisch denkender Christen und amerikanischer Spitzenpolitiker so ungeniert vor sich hin, daß ihn bedächtigere Zeitgenossen als »zu plum p« ablehnen. D och »subtil«, nämlich als ständige Ver pflichtung dem okratisch-nationalistischer P olitik, hat er seine Gültigkeit in den Paradiesen der freien M einungsäußerung nie ver loren. Ohne eine vorsorglich abgelieferte Treueerklärung zu »unse rem« System, also ohne die Anerkennung des »A rg u m e n ts«: »Geh* doch rüber!«, ohne das Bekenntnis zur vergleichsw eisen Unerheb lichkeit des eigenen Einwands gegen die dem okratischen Herren hierzulande ist Kritik nicht opportun; bleibt die m it B lick auf die Sowjetunion geübte Selhstztnsnv aus, darf m an der m it vollem Recht nach östlichen Bräuchen durchgeführten Zensur sicher sein, die dann im N am en der Freiheit ad personam exekutiert wird. Der westdeutschen Linken ist zu bescheinigen, daß sie diese Lek tion nicht nur begriffen, sondern auch stets gründlich beherzigt hat. In ihren Versuchen, ihre sozialistischen »P erspektiven « popu lär zu machen - was das Gegenteil einer rationalen Ü berzeugung der O pfer von Staat und K apital darstellt, sich p er Klassenkam pf die lebenslange Erfahrung zu ersparen, als M ittel in F ab rik , Ka serne und schließlich im K rieg zu dienen und d am it unzufrieden sein zu dürfen - , haben sie immer betont, keine R u ssen zu sein. In der Annahm e, ihre A dressaten seien letztlich nur w egen des schlechten V orbilds drüben so schw er für den S o zialism u s zu ge winnen, war ihnen die K lage über den eigenen M iß erfolg durchaus als Argum ent geläufig, das - übersetzt in: W ir m öchten einen ech ten Sozialism us einführen, nicht den der östlich en Superm acht! den N ationalism us der in die N A T O -D e m o k ra tie befohlenen 116
»deutschen Arbeiter« auf seine Kosten kommen ließ. Inzwischen stellen die Reste dieser Linken» nicht einmal die wegen ihrer Sym pathie für die UdSSR einstmals »berüchtigte« DKP mag da noch eine Ausnahme machen, die Aktivisten einer »Friedensbewe gung«. Und die will in konsequentem Verständnis für den Vorge fundenen Nationalismus und Freiheitsdrang des Publikums vor der Arroganz der - ihrer Überlegenheit sehr sicheren - NATO Macht nur unter Vorbehalt erschrecken; brav betont sie, daß sie die SS 20 genauso wenig leiden kann wie jene amtierenden Experten, die damit die Unerläßlichkeit einer für die Sowjetunion ausrei chenden atomaren Vernichtungskapazität in Westeuropa rechtfer tigen. In der freien öffentlichen Meinung des Westens geht in Sachen Sowjetunion keine Auffassung durch, die nicht eine eindeu tige Parteinahme gegen sie erkennen läßt - mindestens unter dem Rechtstitel einer gleichmäßigen Verurteilung von Ost und West: solche Ausgewogenheit ist schon längst einvernehmlich auseinan derdividiert in die genehme und daher seriöse Abteilung, in der das kritische Urteil sich mit der offiziellen Sprachregelung deckt und seine ganze Wucht entfalten darf, und in die andere, die je nach Be darf als ehrlich gemeinte, aber naive »Schwarmgeisterei« oder als bedenklicher Erfolg einer »vom Kreml angezettelten demagogi schen Propagandakampagne« rubriziert wird. Traurig zu sehen, daß sich, was in der BRD »sozialistische Linke« heißt, da lückenlos einfügt, sogar mit besonderem Eifer. In diesen Kreisen hat man die möglichst energische Verurteilung des »realen Sozialismus« und seiner Streitkräfte sogar als willkommenes Beweismittel für die Se riosität des eigenen Anti-Kapitalismus entdeckt. Die so um Aner kennung angebettelte bürgerliche Öffentlichkeit notiert das gelas sen als ersten Schritt zurück in die demokratische Normalität: Wer wegen Kritik an auswärtiger Herrschaft Verständnis für das Mit machen im eigenen Land entwickelt, weiß schließlich, was sich ge hört. Und spätestens drei bis vier vom östlichen Feind verbrochene Untaten in den »Satellitenstaaten« lassen ihn, bei entsprechender Zubereitung durch die freie und demokratische Öffentlichkeit, zu der Überzeugung gelangen, daß »Sozialismus ohne Demokratie unmöglich« ist. Deswegen bescheidet er sich dann vorläufig, aber gerne mit der realen »Demokratie mit Kapitalismus« . . . Sachkundig will dieser perfekt durchgesetzte Kriegsmoralismus sich - sogar da, wo er NATO -kritisch auftritt - nur in einer Hin sicht machen, nämlich ausgerechnet in Angelegenheiten der militä 217
rischen Strategie. Dabei teilt er einerseits die berufsmäßige Bor niertheit des demokratischen Uniformträgers, der sich um Grund und Zweck staatlicher Gewaltaktionen nicht kümmert, sondern dem antizipierten Tötungsauftrag seiner Nation - zusammen mit seinem unverwüstlich guten Gewissen - als gehorsamer Beamter die Aufgabe entnimmt, alternative Schlachten mit einer möglichst günstigen Relation zwischen Vernichtungserfolgen und Verlust risiken vorzubereiten - wobei das meiste schon mit der vertrauten Maxime »Nicht kleckern: Klotzen!« erledigt ist - und auf Befehl durchzustehen, auch wenn das Kampfgeschehen sich weniger gün stig als vorgesehen entwickelt. Dem moralischen Urteil gerät die fachliche strategische Abwägung, wie dem Gegner optimal zu be gegnen, zuvorzukommen und der Sieg am sichersten zu erreichen sei, allerdings andererseits zu einer Spekulation über die heiße Fra ge, wer in Ansehung aller Ausstattungsmerkmale des »Kriegsthea ters« als der Hauptschuldige auszumachen sei - bzw., weil diese Frage ohnehin nicht zu entscheiden ist und bloß in fester Absicht überhaupt gestellt wird: inwiefern der feststehende Bösewicht auf grund des geplanten Schlachtablaufs als der Hauptschuldige ding fest gemacht werden kann. Die eine, bedingungslos kampfbereite Mehrheitsfraktion im zulässigen demokratischen Meinungsstreit ist mit ihrer prätendierten Sachkenntnis an nichts als an Belegen für eine »unerträgliche«, möglichst noch für eine rapide wachsende Überlegenheit der sowjetischen Militärmacht und ihre entspre chend unendliche Gefährlichkeit interessiert; daß ihre Schreckens gemälde oft genug die Frage provozieren müßten, weshalb die Rote Armee dann eigentlich noch nicht längst vor Brüssel steht, läßt sie kalt. Ebensowenig läßt diese Mehrheitsmeinung sich irri tieren, sieht sich vielmehr gleich doppelt bestätigt, wenn das fach kundig errechnete Mißverhältnis zwischen russischer Offensivund westlicher Defensivstreitmacht an einem Tag auf 1:4 und am nächsten auf 1:8 beziffert wird; und ungerührt hält sie an beiden Ideologien zur westlichen Aufrüstung fest, wie offensichtlich auch immer diese miteinander in Konflikt geraten: Das Versprechen des amerikanischen Präsidenten, zum Zwecke eines »Sicherheitsvorsprungs« die Sowjetunion »totzurüsten«, und das 1,5-BillionenDollar-Programm, mit dem dieses Versprechen wahrgemacht werden soll, verdolmetscht man sich da je nachdem als ein höchst defensives Ringen um die Abwendung westlicher Erpreßbarkeit gerade so, als ließen Genscher, Schmidt oder K ohl, Mitterrand und 218
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Thatcher auch nur die geringsten einschlägigen Symptome erken nen; oder aber man übernimmt die militärische Kalkulation, nach der dem Feind nur mit einem siegreich zu führenden Krieg wirk sam zu drohen ist, und verklärt den Kampf um Überlegenheit zur allerendgültigsten Friedenssicherung - vielleicht hat irgendein sprachgewaltiger Interpret dieser Ideologie bis zum Erscheinungs datum des vorliegenden Buches schon die Parole vom »Gleichgewichtsvorsprung« in Umlauf gesetzt: sie wäre der »Nachrüstung« kongenial. Die friedensbewegte Gegenseite, ob in oder außerhalb der SPD, sorgt sich angesichts jeder neuen waffentechnischen Er rungenschaft der USA darum, ob damit nicht »die Atomschwelle herabgesetzt« und »der Atomkrieg wieder führbar« gemacht werde - ein in jeder Hinsicht kurioses Bedenken. Wenn nämlich die offiziellen Strategen sich um die »Führbarkeit des Atomkriegs« gesorgt haben und noch Gedanken machen, dann meinen sie kei neswegs, der Einsatz ihrer Kernwaffen machte militärisch womög lich gar keinen Sinn, sondern beklagen die Schwierigkeiten, mit diesem Gerät einen gleichartig gerüsteten Gegner in eine so ausweg lose Lage zu bringen, daß ihm nur noch die bedingungslose Kapi tulation bleibt. Und wenn sie sich um die Überwindung dieser Schwierigkeiten kümmern, dann können sie nach derselben Logik des »Gleichgewichts des Schreckens«, die gegen sie ins Feld ge führt wird, darauf verweisen, daß zum gleichgewichtigen Schrekken noch allemal dessen Realismus gehört und fremdländische Militärs nur durch eigene Siegeschancen zu beeindrucken sind - ge nauso wie sie selbst. Gegen die Ideologie von einem »Näherrükken« des Atomkriegs, das durch Waffenentwicklungen bewerk stelligt würde, wird inzwischen sogar schon die Wahrheit ins Feld geführt, daß schließlich nicht die Waffen selbst oder ihre Bedie nungsmannschaften, schon gar nicht die Herstellerfirma und noch nicht einmal die militärischen Befehlshaber über deren Einsatz be finden, sondern die obersten demokratischen Politiker - das aber nicht im Sinne einer Hetze gegen eine Politik, die sich mit derarti gen Mitteln ausstattet, sondern als Entschuldigung jeglicher Rü stungsmaßnahmen, deren Harmlosigkeit damit für bewiesen gel ten soll. Und man muß schon sagen: Kriegskritiker, die sich für ihre Kritik auf das Kriegsgerät berufen und dessen Verwender vor ihm w arnen, haben es nicht besser verdient. Auf die Kriegsgründe der einen wie der anderen Seite und damit auf den wirklichen politischen Zw eck der Rüstung im Osten und im 219
Westen bezieht die Sachkunde, die heute jeder Meinung über die Sowjetunion und ihre Feindschaft zum »freien Westen« abverlangt ist, sich also nicht. Darüber Bescheid wissen zu wollen, würde sich auch schlecht vertragen mit dem moralischen Beschluß, entweder im Namen der »Bedrohung des Westens« einseitige oder im Na men der »drohenden Kriegsgefahr« ausgewogene Verurteilungen über die Kriegsvorbereitungen der Sowjetunion auszusprechen. Und das nicht einmal bloß aus dem allgemeinen Grund, daß der in strategische Debatten eingekleidete Moralismus einer vorwegge nommenen Kriegsschuldfrage allemal etwas anderes ist als die A na lyse weltpolitischer Zwecke eines Staates. Wie wenig erhellend erst recht im Falle der Sowjetunion die, sei es einseitige oder ausgewo gene, Überzeugung ist, sie sei mindestens genauso schlimm wie ihr westlicher Kontrahent, kann schon das bloße Gedankenexperi ment verdeutlichen, dieses »genauso« allein in der Vorstellung einmal wirklich Gestalt annehmen zu lassen. Was wäre auf der Welt wohl fällig, wenn eine den USA ebenbürtige und gleichgear tete Weltmacht ihrerseits den eigenen Rubel nicht bloß aus dem Diktat der Konvertibilität herausgehalten, sondern allen Handels pannern vermittels einer frei festgesetzten Rubel-Gold-Parität als Maßstab ihrer nationalen Währungen und Grundlage ihrer natio nalen Zirkulation auferlegt hätte? Wenn sie mit gleicher Wucht den Geschäftsvorteil ihres nationalen Kapitals zur Geschäftsgrundlage ganzer Staaten gemacht hätte? Wenn sie mit der gleichen Selbstver ständlichkeit, und weil sie es für das Gedeihen ihrer Nationalöko nomie zu benötigen beschlossen hat, die Bodenschätze in aller Welt, vom arabischen Erdöl bis zum katangischen Kupfer, als ihre angestammte Interessenssphäre reklamieren würde? Wenn sie, ge nauso wie die USA bezüglich Afghanistans, ihrerseits die »ord nungsstiftenden« Eingriffe der U SA in jedem mittelamerikani schen Land als beleidigenden Angriff gegen »uns« definiert hätte? Wenn sie für alle diese Unternehmungen ihrerseits alle anderen wichtigen und reichen Nationen auf Bündnistreue verpflichtet und mit einem weltweiten Netz von Bündnissystemen ein »Contain ment« ihres Gegners auf dem nordamerikanischen Subkontinent durch gesetzt hätte? Wenn sie sich weltweit als letzte quasi-polizei liche Instanz aufspielen würde? Usw. usw. Wahrlich, im Vergleich zur Konkurrenz zweier imperialistischer Weltmächte von ameri kanischem Kaliber nimmt sich der »Ost-West-Gegensatz« von heute matt aus. Da gibt es ja glatt noch Regierungen, deren Sturz 220
die USA offen betreiben und die gleichzeitig in den USA ihren wichtigsten Erdölkunden haben; kubanische Truppen stützen ein im Westen verteufeltes Regime, das sein Land nach Kräften in eine Tomatenplantage für den westeuropäischen Winter verwandelt; feindliche Staatshandelskaufleute betteln im Westen um günstige Handelsverträge, die Gewährung der Meistbegünstigungsklausel und die Stundung von Krediten. Solange derlei Kuriositäten zum Alltag des Imperialismus gehören, ist der große Krach immerhin noch eine Frage der Z eit-d er Zeit, die die USA noch brauchen, um mit einer Sowjetunion, die sich das alles nicht mehr leisten kann und will, aus einer »Position der Stärke« zu verhandeln. Die wohlfeilen ausgewogenen Analogieschlüsse auf einen »Impe rialismus« der Sowjetunion taugen für einen Begriff der Weltpoli tik dieser Nation und der Weltlage genausowenig wie der Glaube an die bedingunglose Eroberungswut des »roten Zarenreiches«. 2. Wenn sowjetische Politiker die ökonomischen Interessen ihrer Staatsmacht nach außen vertreten, dann repräsentieren sie - im Unterschied zu ihren westlichen Kollegen - nicht die nationale Zu sammenfassung privater Geschäftsanliegen. Der realsozialistische Staat verläßt sich nicht auf die wirtschaftliche Effizienz, die im We sten durch die Scheidung von Kapital und Arbeit zustandekommt und durch die wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen des Staates konjunkturgemäß befördert wird. Sein »System« hat schließlich die Zwänge und Erfordernisse der Kapitalakkumula tion außer Kraft gesetzt und duldet nicht das Geschäft von »Cha raktermasken«, die ihre Freiheit und »persönliche Initiative« auf die erfolgreiche Benützung der Lohnarbeit verwenden, welche sie zu Liebhabern des Marktes werden läßt. Daß dennoch weder ein idyllisches Arbeiterparadies noch die programmatisch anvisierte Beschämung des kapitalistischen Wachstums mit seinen als »Systemschwächen« verurteilten Krisen und Härten zustandegekommen ist, liegt an der Art und Weise, wie »drüben« von Staats wegen die gesellschaftliche Produktion und in ihrem Gefolge die Verteilung und Konsumtion - organisiert ist. Da »plant« der Staat, indem er den Betrieben einen Gewinn als Maß ihres Erfolgs vorschreibt, der im Unterschied zum gleichna migen Kriterium betriebswirtschaftlicher Rentabilität im Westen jedoch dem Staat zur Verfügung steht. Als Posten eines staatlich verwalteten abstrakten Reichtums soll er den Fortschritten der Produktivität wie dem Wohlstand der Massen zugutekommen, 221
was zum mit Marx- und Engelszungen beschworenen Wider spruch zwischen »Akkumulation und Konsumtion« auch im So zialismus führt. Neben Betrieben, die in Befolgung der staatlichen Auflagen Überschüsse in unzweckmäßiger Form produzieren, gibt es andere, die einen offenkundigen Mißerfolg in Sachen Ren tabilität vermelden - und der auf seine »Planung« stolze Staat schreibt den Mangel ebenso fort, wie er die »Leistungen« der in Recheneinheiten prächtig gedeihenden Betriebe honoriert. Mit seinem Prämienwesen führt er seinen Nutzen als Bedingung für alle Wohltaten in die Ökonomie seiner Gesellschaft ein und gebie tet Sparsamkeit auch dort, wo sie der Entwicklung der geliebten Produktivkräfte unmittelbar zuwiderläuft. Während im verhaßten und überwundenen Kapitalismus Kosten jeden Ausmaßes fällig sind, wenn sie nur die richtige Relation zum Überschuß ergeben, kennt der reale Sozialismus gesamtgesellschaftliche Sparsamkeit als Zweck, ganz als wären in ihm die bürgerlichen Ideologien Wahr heit geworden. Der Arbeitslohn erfreut sich auch in dieser alterna tiven Volkswirtschaft einer Kalkulation als Kostengröße, und die Erhaltung der Arbeitskraft - die ironischerweise als die Produktiv kraft gefeiert wird - findet unter der »Planung und Leitung« des idealen Arbeiter- und Bauernstaates zwar statt, nimmt aber recht kärgliche Züge an. Bisweilen scheitert ihre ordnungsgemäße Ab wicklung nicht einmal an der Zahlungsfähigkeit des Entlohnten, sondern am Mangel an Käuflichem. Die sozialistischen Errungen schaften beschränken sich auf das N otw en d ig e; Wohnung, Ge sundheitswesen und Ausbildung sind wie der Arbeitsplatz selbst fester Bestandteil staatlicher Fürsorge, doch liefert der Staat den Beweis, daß die Fährnisse kapitalistischer Konkurrenz und Krisen beseitigt sind, durchaus auf Kosten der geliebten Arbeiterklasse. Wie den Kredit setzt der Staat nämlich auch die Preise als »Hebel« für die Akkumulation des ihm disponiblen Reichtums ein, eröffnet nicht nur unter seinen Betrieben, sondern auch zwischen den »Werktätigen« einen sozialistischen W ettbew erb, in dem Pflicht erfüllung und Leistung die Tugend des sozialistischen Menschen ausmachen und der Lohn dieser Tugend eher in Anerkennung denn in Genüssen entgolten wird. Der herausragende Einsatz für den Sozialismus schlägt sich nicht einmal bei »Helden der Arbeit« in materiellem Vorteil nieder, zum Luxus der Bedürfnisbefriedi gung, des schönen Lebens zugelassen zu werden - dergleichen ist im Osten die Ausnahme, die eher über spezielle Einsätze in Staats 222
angelegenheiten zustandekommt. Freilich stört es schon seit geraumer Zeit die Parteivorstände der östlichen Arbeiterparteien, daß nicht nur die kompensatorischen Ideale eines gesicherten und guten Lebens der arbeitenden Klasse auf der Strecke bleiben, sondern auch die staatlich organisierte Armut nicht die Früchte zeitigt, die ihr »System« im ständig be sprochenen Vergleich mit dem Westen gut aussehen lassen. In re gelmäßigem Turnus inszenieren sie ökonomische Reformen, in denen sie mit einem erheblichen Aufwand an Moral und Gewalt die Fehler ihrer Untertanen - der leitenden wie der betroffenen zu korrigieren suchen. Auf der einen Seite bemängeln sie die Bi lanzierungsschwindel prämienbeflissener Betriebsführungen, die sich Techniken ersinnen, aus den staatlichen Normen- und Kenn ziffernvorschriften durch den Schein von Leistung ihr Geschäft zu machen. Andererseits ist den Sachwaltern der »volkswirtschaftlichen Effizienz« im Sozialismus die Anstachelung des Leistungswillens gerade der geliebten Arbeiterklasse ein staatliches Herzensanlie gen, wobei es ihnen keineswegs peinlich ist, in jeder Kampagne einzugestehen, daß sie sich im Gegensatz zu ihren »sozialisti schen Bürgern« befinden und genausowenig wie ihre westlichen Kollegen ohne moralische Verpflichtung aufs Allgemeinwohl, ohne Ökonomische Erpressung und Androhung von ordnungsstif tender Gewalt auskommen. In Stilblüten der folgenden Art: Das Planungssystem muß sichern, daß die als Gesamtwille der sozialisti schen Gesellschaft beschlossenen Planaufgaben zur optimalen Entwick lung der Volkswirtschaft jedes Teilsystem bis zum Betrieb zu sachkundi gem, ideenreichem, eigenverantwortlichem Handeln zwingen, das den volkswirtschaftlichen Aufgaben und Interessen entspricht und gleichzeitig mit ihren kollektiven und persönlichen und moralischen Interessen über einstimmt . . . unter schöpferischer, demokratischer Mitwirkung der Werktätigen und der Führungsorgane aller Ebenen. . . die Vorschläge des gesamten Volkes . . . in bewußter Unterordnung unter die Gesamtinter essen . . . faßt sich die politische Anstrengung der Regierenden im realen So zialismus zusammen, die letzten »Hebel« der sozialistischen Ak kumulation zur Anwendung zu bringen; und so sehr man sich hierzulande in albernen Witzen über die geringen Erträge der Aus beutung hinter dem »eisernen Vorhang« mokiert, so lässig man über den »sozialistischen Wettbewerb« als einen matten und in effektiven Versuch herzieht, das kapitalistische Geschäftsleben mit
samt den ihm eigentümlichen Brutalitäten zu kopieren, so wenig will man bemerken, daß eine solche Ökonomie des Imperialismus gar nicht fähig ist. Da kommt es nämlich zu keinen Überschüssen, die als Ware oder Kredit im Ausland profitable Verwendung zu er zielen imstande sind. Ein grenzüberschreitender Materialismus dieser Art ist den Nationalökonomien des an die Macht gelangten Revisionismus - so der Taufname dieser sozialstaatlich-volks wirtschaftlichen Uminterpretation des Kommunismus - fremd: Weder liegt er in den staatlich festgesetzten ökonomischen Zwekken dieses »Systems«, noch verfügen die Staatsbetriebe im realen Sozialismus über dermaßen expandierende Überschüsse, daß ih nen die ganze Welt als Betätigungssphäre gerade recht ist. Umge kehrt hat die Sowjetunion im Interesse des geplanten »sozialisti schen Aufbaus«, also zugunsten einer exklusiven Nutzung der na tionalen ökonomischen Potenzen durch die zur Volksbeglückung entschlossene Staatsgewalt, ihre Wirtschaft ausländischer Benut zung radikal entzogen; auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs hat sie dem amerikanischen Versuch widerstanden, in den von ihr be herrschten Staaten Osteuropas und möglichst auch bei ihr eine »normal« funktionierende Geld-, also eine Kapitalzirkulation in Gang zu setzen - wenn auch mit der verharmlosenden Denunzia tion der amerikanischen Währungs- und Wiederaufbaukredite als wenig handfester »Trugbilder« von Reichtum. Auch in dieser Richtung hat die Staatsgewalt ein Monopol auf außenwirtschaftli che Beziehungen und geht diese nur ein, soweit sie auf diesem Wege einen B edarf zu decken gedenkt, der nicht aus einer freien Wahl des besseren Geschäfts entspringt, sondern der Kompensa tion eingestandener Mängel dient. Dieser Charakter des auswärti gen Handels macht sich in Art, Umfang und Zahlungsmodus der Geschäfte recht deutlich bemerkbar. Die Sowjetunion hat die Schaffung und Benutzung ökonomischer Abhängigkeiten durch geschäftstüchtige Kapitale anfangs unterbunden, hält sie noch heute in Schranken und setzt sich deswegen seit jeher dem erbosten Vorwurf aus, sie würde entgegen allen friedfertigen Gepflogenhei ten des weltweiten Handels und Wandels das internationale Ge schäftsleben durch ihr Autarkiestreben - politisieren ! Als erstes ist also der negative Befund festzuhalten: Was die mate rielle Grundlage der Staatsgewalt angeht, so ist die Sowjetunion samt ihrem Staatenblock weder Subjekt eines konkurrierenden noch Geschöpf des herrschenden Imperialismus. 224
Ein weltpolitischer Idealismus, womöglich ein solcher der »Welt revolution«, bestimmt die Außenpolitik der Sowjetunion aller dings genausowenig - allen christdemokratischen Gerüchten zum Trotz, die die eigene Kreuzzugsgesinnung nicht für die Ideologie, sondern den Grund westlicher Sowjetfeindlichkeit halten wollen und dem Gegner gerne den gleichen Fanatismus mit umgekehrten Vorzeichen ankreiden möchten. Jede kommunistische Partei au ßerhalb der Sowjetunion und erst recht außerhalb des »Ostblocks« hat so ihre Erfahrungen mit der kaltschnäuzigen Manier ihrer herr schenden Genossen, die Solidarität mit der proletarischen Opposi tion andernorts dem Wunsch nach guten oder wenigstens mit An stand geregelten Beziehungen zu den politischen Herren der jewei ligen Länder unterzuordnen; nicht wenige haben daraus ja sogar schon den Schluß gezogen, sich ihrerseits, und nun durchaus auch gegen die regierungsamtlichen Anliegen der Sowjetunion, auf den Standpunkt der Sorgen ihrer nationalen Herrschaft zu stellen und den Patriotismus zum höchsten proletarischen Anliegen zu erklä re n - unter dem Präfix »Euro-« ist aus diesem Abgang des Revisio nismus in den Nationalismus inzwischen schon die herrschende Linie geworden. Statt durch die im Westen ideologisch herbeige fürchtete revolutionäre Subversion - nicht einmal der normale staatliche Geheimdienst kann der C IA das Wasser reichen, was das Schüren von Aufruhr und das Inszenieren von Umstürzen betrifft! - ist das sowjetische Auftreten nach außen durch den Konservatis mus einer revisionistischen Staatsgewalt bestimmt, die sich die re volutionäre Parole von der Abschaffung staatlicher Herrschaft durch die »Diktatur des Proletariats« längst zu dem Eigenlob zu rechtgelegt hat, als »Staat des ganzen Volkes« die gar nicht mehr vorläufige Endstation im »Entwicklungsgang« der »sozialistischen Ubergangsgesellschaft« zu sein. 3. Von einer nationalen Zwecksetzung, die der Staatenwelt einen entsprechenden zweckbestimmten Zusammenhang aufnötigen, ein weltweites Herrschaftssystem als notwendiges Mittel dafür hervorbringen würde, kann bei der Sowjetunion nicht die Rede sein. Ihre Politik gegenüber dem Rest der Welt ist von dem Anlie gen bestimmt, die Realisierung des ökonomischen und politischen Programms im eigenen Herrschaftsbereich durch keinerlei aus wärtige Verpflichtungen zu gefährden - und auch nicht durch aus ländische Interessen gefährden zu lassen. Der Grund für sie, über haupt Außenpolitik zu betreiben, liegt nicht in den Zwecken des
»realen Sozialismus«, sondern in dem Herrschaftszusammenhang der Staatenwelt, innerhalb derer er Gestalt annehmen soll. Weil die »völkerverbindenden« Machenschaften des florierenden westli chen Geschäftslebens »künstliche« Schranken nicht dulden, die dazugehörigen politischen Instanzen einer auswärtigen Herrschaft Souveränität nur bedingt, nämlich nach Maßgabe ihrer Zweck dienlichkeit für »die Weltwirtschaft« und deren Macher zuerken nen, ist dem Revisionismus an der Macht seine Selbstzufriedenheit verwehrt und die Notwendigkeit auferlegt, sich um die auswärtige Staatenwelt als das zu kümmern, was sie in bezug auf ihn ist: ein einziger Angriff auf seine praktische Weigerung, Land und Leute für den weltweiten Geschäftsverkehr des Kapitals bereitzustellen. Eben weÜ sie die Anerkennung ihrer Autonomie nicht mit ihrer Nützlichkeit für den Imperialismus erkauft, sondern im Gegenteil mit der Aufkündigung jeder Bereitschaft, sich benutzen zu lassen, aufs Spiel gesetzt hat, war die Sowjetunion von Beginn ihrer Exi stenz an gezwungen, die internationale Respektierung ihrer Existenz zu erzwingen: gegen die aus Westeuropa unterstützte »weiße« Konterrevolution, gegen Hitlers Überfall, gegen die Kriegs drohung, die die USA ihr mit dem Aufbau ihres weltweiten Sy stems von Militärbündnissen zugestellt hat. So dient der Auf- und Ausbau eines unter allen Umständen und gegen jede Bedrohung respekterheischenden militärischen Gewaltapparats der Sowjet union nicht der weltweiten »Defensive« wie den imperialistischen Mächten: der Absicherung ökonomischer Vorteile aus fremden Nationen; die Rote Armee ist selber die materielle Grundlage da für, überhaupt als souveränes Subjekt auftreten und außenpoliti sche Aktivitäten aufnehmen zu können. Auch diese sind ihrem Grunde und ihrer Substanz nach nichts anderes z\s Kriegsdiploma tie : sie gehorchen dem überaus abstrakten, bloß negativen Zweck der nationalen Selbstbehauptung. Und so sehr der »freie Westen« diesen Standpunkt ideologisch für sich reklamiert, wo immer er seine Interessen in Gefahr sieht, für so gefährlich, anmaßend, ja ausgerechnet! -egoistisch befindet er ihn, sobald die Sowjetunion ihn eben nicht bloß zur ideologischen Rechtfertigung respektabler imperialistischer Zwecke, sondern praktisch einnimmt. 4. Es ist geradezu von ironischer Folgerichtigkeit, daß ausgerech net die vom Faschismus angezettelte weltweite Konkurrenz der Waffen der Sowjetunion den ersten und einzigen bedeutenden Er folg ihrer Politik der Selbstbehauptung und -Sicherung ermöglicht 226
hat. Der globale Eroberungsfeldzug des einzigen alternativen Im perialismus des Jahrhunderts, eben der faschistischen . . . »Boden politik«, die eine deutsche Weltmacht durch eine Eroberung wirt schaftlicher Mittel erst und wieder herzustellen suchte, weil dem Reich durch die Siegermächte des ersten großen Waffenganges der imperialistische Erfolg verwehrt wurde, führte die Gegner in ein Militärbündnis, verschaffte so der Sowjetunion ihre zeitweilige Anerkennung als Mitkämpfer und mit dem Sieg die einmalige und rasch widerrufene Gelegenheit, als Befreiungs- und »legitime« Be satzungsmacht sich ein Vorfeld botmäßiger »Satelliten« zu schaf fen. Mit Revolution hatte die Einrichtung des »Ostblocks« genau sowenig zu tun wie mit Imperialismus; das rein negative Interesse der Sowjetunion, sich Sicherheiten gegen eine erneute Infragestel lung ihrer Existenz zu schaffen, ist an den »Schwächen« des östli chen Bündnisses nur zu deutlich abzulesen. Dem Materialismus der ihr verbündeten Staatsgewalten - und auf den kommt es im »realen Sozialismus« zwar in anderer Weise, aber genauso sehr an wie in den kapitalistischen Demokratien und den Geschöpfen ihres Imperialismus - hat die Sowjetunion eben deswegen so arg wenig zu bieten, weil ihre eigene Ökonomie weder darauf aus noch dazu geschaffen ist, deren Herrschaftssphäre geschäftlich auszunutzen; die Tauschgeschäfte im RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshil fe) vermitteln nicht die Akkumulation von Kapital, weder auf bei den noch auch nur auf einer Seite, sondern lassen die Abpressung knapper Güter mit verlorenen Zuschüssen abwechseln;Preise sind bei den im Ostblock getätigten Geschäften nie das selbstverständli che Mittel des Gewinns, sondern erfüllen stets die Funktion der Entschädigung - sie messen die Not statt den Uberschuß. Da kom pensieren verbündete Staaten die Mängel ihrer nationalen Wirt schaft, und nicht selten besteht diese Kompensation darin, daß um der Kontinuität der Produktion willen notwendige Güter außer Landes geschafft werden. Schon gar nicht ermächtigt das Bündnis mit der Sowjetunion deren Partner zu jenen weltweiten Machen schaften, in denen der Imperialismus der »Satelliten« der USA seine Geschäftsgrundlage, deren demokratischer Nationalismus seine Befriedigung findet. Zählen kann die Sowjetunion einzig auf den Umstand, daß der Selbstbehauptungswille der ihr verbunde nen revisionistischen Parteien im Innern wie nach außen materiell auf die »Hilfe« sowjetischer Machtmittel angewiesen ist - vergli chen mit dem Materialismus imperialistischer Abhängigkeit ein
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wenig überzeugendes »Argument«, dessen praktische Geltung, siehe Polen, rasch in Verfall gerät, wenn eine Regierung sich einmal auf Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen als die leistungsfähi gere ökonomische Basis ihrer Herrschaft eingelassen hat und dann vom westlichen Ausland die politische und ökonomische Rech nung präsentiert bekommt. Immerhin ist es der Sowjetunion mit der Bildung ihres sozialisti schen Lagers, vor allem aber mit dem zwar stets verspäteten, aber noch wirksamen Nachziehen in der atomaren Bewaffnung gelun gen, sich gegen den »Kalten Krieg« des Westens mit seinen keines wegs bloß theoretischen Kalkulationen auf einen ökonomischen Zusammenbruch, auf Volksaufstände und auf einen glatten Blitz sieg zu behaupten. Und aus diesem Erfolg hat die sowjetische Politik den fatalen Fehlschluß gezogen, auch ihr müsse es doch möglich sein, sich fortan zu ihrem Vorteil der innerhalb des impe rialistischen Machtbereichs geltenden Methoden nationaler Selbst behauptung zu bedienen. Der sowjetische Entschluß, von der »Theorie der Unvermeidbarkeit des Krieges« ab- und zu einer »Politik der friedlichen Koexistenz« überzugehen - eine Entschei dung, die immerhin das Zerwürfnis mit dem größten und einzigen eigenständigen Verbündeten, der Volksrepublik China, mit ausge löst hat! läßt sich nur mit viel böswilliger Parteilichkeit als groß angelegte taktische Finte und arglistiges Täuschungsmanöver in terpretieren. Was dieser bösartigen Deutung immer wieder als Be leg dient, ist ausgerechnet der Umstand, daß ein imperialistischer Zweck in dieser Wendung der sowjetischen Außenpolitik gerade nicht auszumachen ist - Grund genug für einen am Imperialismus geschulten Verstand, eine ganz besonders perfide Berechnung zu unterstellen. Tatsächlich verfolgt die Sowjetunion damit genau den inhaltslosen, defensiven Zweck, den die bürgerliche Politologie zum Inhalt jeglicher Weltpolitik erklärt: Sicherheitspolitik in der ganzen negativen Bedeutung des Wortes - die nichts zu tun hat mit dem moralischen Freispruch, den der bürgerliche Sachverstand unter diesem Titel jeder von ihm geschätzten Staatsgewalt zuge steht, der Sowjetunion aber konsequent vorenthält. Im Gegensatz zu den imperialistischen Staaten, denen nichts geläufiger ist als die Notwendigkeit, die Realisierung ihrer weltweiten Interessen mit genauso weltweit schlagkräftiger Waffengewalt zu sichern, weil sie jede Ausnahme als mögliche Gefahr und jede mögliche Gefahr als sichere Gegnerschaft kalkulieren, ist die Relativität von Frieden
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und Anerkennung der revisionistischen Staatsgewalt ein Ärgernis, das im Namen der Ideale dieses Zustandes: zugunsten der Idee vom Frieden als »höchstem Gut«, zu überwinden ist. Die mate rielle Berechnung, die auf sowjetischer Seite hinter ihren »Koexi stenz«-Angeboten und Aufforderungen zu einem gesicherten Frieden steht: der Wunsch, die Rüstungslasten loszuwerden, die die spärlichen Erfolge der »bewußten Anwendung des Wertgeset zes« stets zunichte machten —dieses Stück materieller Berechnung ist dementsprechend, recht ärmlich, verglichen mit der Wucht des Reichtums, die der Westen hinter den von ihm inszenierten Welt frieden unter immerwährendem Kriegsvorbehalt zu setzen vermag. Sowjetische Außenpolitik besteht seither in dem von einem in je der Hinsicht defensiven Egoismus diktierten Bemühen, mit der Feindschaft des imperialistischen Staatensystems erstens effektiver und zweitens billiger zu Rande zu kommen. Gegen den Inhalt aller zwischenstaatlichen Beziehungen ökonomischer, politischer und militärischer Benutzung und Erpressung ergreift sie mit aller Ent schiedenheit die Partei der geregelten, politische Anerkennung als Mittel einschließenden friedlichen Form dieser Beziehungen und bemüht sich beständig um methodische Bekenntnisse zur zweifels freien Vorteilhaftigkeit der »vielfältigen Formen friedlicher inter nationaler Zusammenarbeit«, wo diplomatische Anerkennung und die damit operierenden Weisen des zwischenstaatlichen Ver kehrs für dessen maßgebliche Subjekte in Wirklichkeit doch bloß als Mittel für ganz anders geartete Vorteile respektabel sind. Ohne vom Realismus ihrer militärischen Macht Abstriche zu machen, praktiziert sie in ihrer Diplomatie mit allem Eifer einen Idealismus der W eltordnung, um der ganz materialistischen Feindseligkeit des Westens beizukommen - wobei »Idealismus« hier nicht die Güte und Harmlosigkeit der sowjetischen Staatsgewalt meint, eine mo ralische Höherwertigkeit, den Verzicht auf unsaubere Mittel und dergleichen, sondern das spezielle Mißverhältnis zwischen dem Zweck und den Mitteln dieser Politik: ihren »Fehler«, sich mit den Verfahrensweisen der »pax americana« gegen deren Inhalt, eine imperialistisch geordnete Staatenwelt, behaupten zu wollen. Entsprechend widersprüchlich legt der regierende Revisionismus sich die Weltlage theoretisch zurecht: Den eigenen Erfahrungen, speziell mit dem Imperialismus des Dritten Reiches, entnimmt er einerseits die Überzeugung von der Aggressivität bürgerlicher Herrschaft, identifiziert diese allerdings mit den spezifischen Ver-
fahrensweisen jenes alternativen, eben faschistischen Imperialis mus, der seine weltherrschaftlichen Zwecke auf dem Wege der Er oberung, also der Vernichtung, nicht der bedingten Zulassung und Benutzung souveräner Staatsgewalten verfolgt hat; deswegen er klärt er sich den demokratischen Imperialismus andererseits als ein bloß andersartiges »sozialökonomisches und politisches Ord nungssystem«, mit dem sich doch friedlich »koexistieren« und so gar ideell konkurrieren lassen müßte. 5. Der illusionäre Charakter dieses Anti-Imperialismus rächt sich bitter. Daß der Wunsch nach friedlicher/Koexistenz zweier Welten das sehr einseitige Anliegen derjenigen Seite ist, der die andere sehr frei ihre Feindschaft erklärt hat, nämlich Sache des nationalen Ego ismus der Sowjetunion, das läßt der westliche »Gesprächspartner« den östlichen Antragsteller aufs Härteste spüren. Er behandelt das als überparteiliches Anliegen vorgebrachte Ansuchen um ein aner kanntes Existenzrecht praktisch als das, was es von seinem Standpunkt aus ist: als parteiliche Angelegenheit, als Interesse bloß der Sowjetunion; er behandelt es als Gegenposition zur eigenen Ent schlossenheit, die »Spaltung« Berlins, Deutschlands, Europas und überhaupt der Welt nicht gelten zu lassen. So ergibt sich in der Welt der Diplomatie das schöne Bild, daß die imperialistischen Staaten beständig die V erhzndlungswürdigkeit der Sowjetunion in Zweifel ziehen und sich bereits mit ihrer bloßen Verhandlungsbereitschaft teuer machen - und die Sowjetunion geht genau darauf ein, indem sie beständig für die Methoden zwischenstaatlicher Verständigung eintritt, um das Stattfinden von Verhandlungen wirbt und »kämpft« und »Gipfeltreffen« als Erfolg verbucht, egal was dort nicht oder gegen ihre Bewegungsfreiheit an bestimmten Punkten vereinbart worden ist. Und gerade diese diplomatische Unterle genheit der Sowjetunion gibt jedem Christdemokraten, Soziallibe ralen und amerikanischen Senator nach Belieben Gelegenheit, schon jeden Verhandlungswillen der eigenen Seite je nachdem als teuer zu bezahlendes Zugeständnis zu preisen oder als unverant wortliches Schwächezeichen anzugreifen - immer unter Berufung auf sowjetische Stimmen! Noch härter schlägt dieselbe Logik in der Sphäre der materiellen, militärischen Konfrontation der beiden »Lager« zu. Die Ent schlossenheit des Westens, eine »abgespaltene« zweite Welt nicht hinzunehmen, wird schließlich in die Tat umgesetzt mit einem Ausbau militärischer Zwangsmittel, der darauf berechnet ist, das 230
materielle Fundament für den Willen des revisionistischen Staates, eine Ausnahme von der »Herrschaft der Millionäre über die Mil lionen« darzustellen: seine Militärmacht, zu zerstören; daß dies das Bemühen um einen Vorsprung an »Optionen« bedeutet, also um die nötigen Mittel, um dem Feind das vorteilhafteste »Kriegs szenario« aufzwingen zu können, wurde bereits ausgeführt. Auf Erfolg kann ein solches Programm des »Totrüstens« - was zu nächst einmal keine ökonomische Angelegenheit ist: die Spekula tion auf für den Gegner unerträgliche ökonomische Lasten setzt ja die »Tödlichkeit« eines überlegenen Waffenarsenals für die Sou veränität des Feindes voraus! - allerdings nur dann zählen, wenn der Gegner die militärische Lage nach denselben Kriterien beur teilt, also, aus welchen Gründen auch immer, sich nicht auf den garantierten Schaden verläßt, den er seinerseits dem Angreifer be reiten kann, sondern das Mitziehen in jeder Unterabteilung mo derner Ausgestaltung von immer neuen »Szenarios« für unerläß lich hält. Und genau darauf läßt die Sowjetunion sich ein: nicht weil sie den Westen besiegen wollte - von sich aus kennt die revi sionistische Herrschaft im Osten, wie gesagt, keinen derartigen Zweck! - , sondern in der Hoffnung, durch die Zurückweisung je der westlichen Drohung mit gleichartigem Gerät, durch das uner bittliche Mithalten in der Rüstung, den Westen doch schließlich zur Aufgabe seiner Feindschaft zwingen zu können. Nichts belegt deutlicher diesen negativen Zweck des Wettrüstens vom sowjeti schen Standpunkt als die Angeberei, mit der die führenden Männer ihre einschlägigen Erfolge der Welt bekanntgeben: Wo die impe rialistischen Demokratien, ganz wie es sich für Demokratien mit imperialistischen Zwecken gehört, die Schlagkraft ihrer Waffen beständig bemängeln, eben weil sie den gewünschten Erfolg nicht unmittelbar hergeben, also unter dem extremen Maßstab des ga rantierten Sieges härteste Selbstkritik üben, da preisen russische Mi litärs und Politiker ihre notorisch »ruhmreiche« Wehrmacht, set zen selber noch Übertreibungen der Schlagkraft und Zielgenauig keit ihres Waffenarsenals in die Welt und beeilen sich, wann immer der Westen einen größeren Fortschritt in seiner Waffentechnologie meldet, ihrerseits zu versichern: »Das können wir auchU Wieder wird von den Ideologen des Westens der Sowjetunion genau die Prahlerei mit der angeblichen, der möglichen - und schließlich auch der wirklichen militärischen Potenz ihrer Roten Armee aufs Sündenkonto geschrieben und als Zeichen für aggressive Absich-
ten gewertet, die in ihrem stolzen »wir auch!« doch gerade einen ganz andersgearteten Zweck erkennen läßt: eben den Wunsch doch eines Tages den westlichen Gegner von der Aussichtslosig, keit seines Strebens nach militärischer Überlegenheit überzeugen ihm die unwiderrufliche Anerkennung des Existenzrechts der Sowjetunion und entsprechend friedliche Umgangsformen abtrot2en zu können: das ist der Zweck militärischer Gleich gewichtspolitik von sowjetischem S ta n d p u n kt ! Die Folgelasten dieser Politik sehen so aus, daß der geplante stürmische Aufbau des Kommunismus schon deshalb nie stattfin det, weil die Finanzierung des Militärapparats für die revisionisti sche Wirtschaft reinen Abzug vom Mehrprodukt bedeutet. Weder akkumuliert in der Rüstungsproduktion ein Kapital, das sich, auch wenn der Staat seine Gewinne realisiert und damit seinen Kredit strapaziert, über den Export doch auch national und für die Stärkung des staatlichen Kreditzeichens nützlich macht, noch wirkt der Rüstungssektor als Hebel des »technischen Fortschritts« auch für andere Zweige. Umgekehrt behindert der laufende Abzug von Investitionsmitteln, Arbeitskräften und Produktionsmaterialien für eine Rüstungswirtschaft, die die Leistungsfähigkeit einer tat sächlich nach dem Bedürfnis geplanten Ö konomie beweist, das Wachstum aller zivüen Sektoren in der Sowjetunion wie in ihren Bündnisstaaten. Revisionistische Politiker erkennen darin aber mitnichten die notwendige Untauglichkeit ihrer Rüstungsanstren gungen für ihren damit verfolgten Zweck, die U S A zur Aufgabe ihrer Feindschaft zu bewegen; noch werden sie durch die Ent schlossenheit der U SA, der Sowjetunion kein wirkliches militäri sches »Gleichziehen« zu gestatten, an diesem Zweck irre. Im Ge genteil: Nur um so engagierter kommen sie diplomatisch darauf zurück und prostituieren sich - nach imperialistischen Maßstäben - mit einer Abrüstungsofferte und Verständigungsbettelei nach der anderen, die den Westen allemal nur in der Richtigkeit des einge schlagenen Weges bestärken. Zumal für diesen das Ärgernis der Existenz eines »sozialistischen Lagers« durch dessen Aufrüstung ja nicht zum unwiderruflichen und deswegen hinzunehmenden Fak tum geworden ist, sondern um so mehr und erst recht zur uner träglichen Provokation, was in der Sprachregelung des Bündnisses »Gefahr« heißt. So zielen die diplomatischen Anstrengungen der sowjetischen Westpolitik inzwischen nurmehr auf das sehr faden scheinige und bedingungsweise Moment von Sicherheit, das im
bloßen Stattfinden von Verhandlungen liegt, auch wo einseitige sowjetische Abrüstung als einzig in Frage kommendes Verhand lungsziel längst festliegt. So erweist die Politik der »friedlichen Koexistenz« sich für die Sowjetunion in jeder Hinsicht, politisch wie militärisch, als ein Teufelskreis, zu dem die Regenten des »Blocks« aber keine Alter native in Betracht ziehen wollen; um so mehr wird sie ihnen als perfide weltpolitische Machenschaft ausgelegt. Sich selbst sieht umgekehrt der imperialistische Westen genau dort am hoffnungs losesten in der Defensive, wo seine politischen Macher die Wider sprüchlichkeit des sowjetischen Koexistenzbegehrens sehr souverän für das Diktat von vorab zu erfüllenden Vorbedingungen benutzen. In einer Welt unter der Herrschaft des Imperialismus ist weltge schichtliche Gerechtigkeit eben auch eine sehr einseitige Sache. 6. Derselbe Widerspruch einer Konkurrenz gegen den Imperia lismus in der Absicht, sich mit ihm als anerkannt ebenbürtige Macht zu arrangieren, kennzeichnet die sowjetische Außenpolitik gegenüber dritten Ländern. Sicher ist es das Endziel der Sowjet union, mit einem stets wachsenden »sozialistischen Lager« die Vor herrschaft der U SA zu brechen und dafür möglichst viele Länder ihrem Machtbereich einzugliedern. Sie läßt dabei aber einen dem Imperialismus durchaus fremden »Realismus« der Unterlegenheit walten; wirklich über die Waffenstillstandslinien des Zweiten Weltkriegs hinausgewachsen ist ihr »Block« allenfalls um die »Problemfälle« Kuba, Vietnam und Afghanistan; dafür ist inner halb des »Blocks« mancher »Satellit« auf eine Distanz gegangen, die innerhalb des westlichen Bündnisses kaum toleriert würde ganz zu schweigen vom »Verlust« des Bündnispartners China. Gemessen an der amerikanischen Weltherrschaft gilt den sowjeti schen Politikern schon jede Regierung als Gewinn, die nicht ein deutig und endgültig auf Botmäßigkeit gegenüber den USA festge legt ist; ganz unabhängig davon, wie sie sich ansonsten und vor allem ihrem eigenen Volk gegenüber aufführt. So hat das wahre »Va terland aller Werktätigen« zahlreiche - wenn auch selten sehr dau erhafte - Völkerfreundschaften mit Militärdiktaturen, Monarchen und sonstigen blutrünstigen Geschöpfen des Imperialismus ge schlossen und unterhält gute Beziehungen zu Staaten, die zu Hause die Kommunisten, einschließlich ihrer moskautreuen Fraktionen, abschlachten lassen. Vor allem aber ist sie in der Phase der Liqui dierung der alten Kolonialreiche als entschiedenster Vorkämpfer ¿33
der nationalen Unabhängigkeit aufgetreten, wiederum ganz unbe küm m ert darum , w o die unabhängigen nationalen Souveräne die materielle Basis ihrer Macht haben und welcher Inhalt ihrer freien Selbstbestimmung damit von allem Anfang an vorgegeben ist; mit der paradoxen, aber eben sehr folgerichtigen Konsequenz, daß der »freie Westen« sich beständig über die Widerspenstigkeit von Re. gierungen beklagt, die tatsächlich nichts anderes als den als Au, ßenhandel und Schuldendienst deklarierten Abtransport der Na turschätze ihres Herrschaftsgebietes verwalten, während die Sowjetunion den »sozialistischen Fortschritt« auf der Welt preist, sobald ein autonomer Machthaber seine Staatsideologie vorträgt, nach der eine autochthone Herrschaft per se eine gute Herrschaft ist. Wieder einmal können dann westliche Scharfmacher östliche Stimmen als Beleg für ihre Schreckensgemälde vom unaufhaltsa men Fortschritt der Sowjetmacht auf dem Globus zitieren. Dabei ist der Sowjetunion bei ihren Freunden noch nicht einmal ein nationaler Antiamerikanismus unbedingt und in jeder Form recht. Auch da achtet sie immer auf die andere Seite ihrer weltpoli tischen Kalkulation: sich den U S A als eine Macht zu beweisen, um die sie bei der Ausgestaltung ihres Zugriffs auf die Staatenwelt nicht herumkommen. Das hat der »Weltfriedensmacht« einige Kollisio nen mit dem so benützten Nationalismus ihrer souveränen Partner eingebracht; umgekehrt haben einige V ölker und Befreiungsbewe gungen dafür bitter bezahlen müssen. So hat die Sowjetunion den Nordvietnamesen in ihrem Krieg gegen die U S A und deren süd vietnamesische Gorillas Waffen- und sonstige H ilfe geleistet, ohne die sie ihren K am pf um nationale Emanzipation sehr bald hätten aufgeben können, und sich so einen verläßlichen Verbündeten ge schaffen. A u f eine rasche Beendigung des Krieges war ihre Unter stützung aber auch nicht berechnet; und das R isiko, die amerikani sche Schlächterei durch ein massives Ultimatum zu unterbinden, ist die Sowjetunion schon gar nicht eingegangen. Übergeordneter Gesichtspunkt ihrer H ilfe war eben die praktische Klarstellung an die Adresse der U S A , daß diese bei der imperialistischen Neusor tierung der Staatenwelt im Zuge der Entkolonialisierung um eine gewisse Rücksichtnahme auf das »sozialistische Lager« nicht her umkommen. So erfuhren die sowjetischen Diplomaten dank des vietnamesischen Nationalismus die Genugtuung, sich von ihrem amerikanischen Gegner als Partner für die Einleitung einer »Ent spannungsära« anerkannt zu sehen und von der Macht quasi ins 2 34
Vertrauen gezogen zu werden, die gleichzeitig Nordvietnam »in die Steinzeit zurückbombte«. Der so errungene Respekt des We stens ist rasch verflogen; an der Methode der sowjetischen Weltpo litik, sich ihn zu verschaffen, laborieren die Vietnamesen bis heute. In anderen Fällen hat umgekehrt der Nationalismus befreundeter Staaten die Vorteilsrechnungen durchkreuzt, die die Sowjetunion mit ihm und seiner bedingten Unterstützung angestellt hatte. Der Grund des politischen Zerwürfnisses mit der VR China liegt kei neswegs in der chinesischen Einsicht, daß die Politik der »friedli chen Koexistenz« mit Kommunismus und Weltrevolution nichts zu tun hat, sondern in den auf die »Koexistenz«-Politik berechne ten Schranken der sowjetischen Unterstützung des chinesischen Nationalismus, gegen die die Parteiführung in ihrer Abrechnung mit dem, was sie unter »Revisionismus« verstand, mit ihrer Theo rie der beiden bösen Supermächte als der ersten von drei Welten auf dem Globus polemisierte: Wir wollen die Führer der KPdSU fragen: Haben die mehr als 100 Staaten in der Welt mit insgesamt über drei Milliarden Menschen etwa gar kein Recht, ihr Schicksal selbst zu bestimmen? Müssen sie sich alle untertänigst den Anordnungen der beiden »Riesen«, der beiden »großen Mächte«, Sowjetunion und den USA unterwerfen? Ist dieser anmaßende Unsinn von euch nicht Ausdruck des reinsten Großmachtchauvinismus, der reinen Machtpolitik? . . . Das einzige Land, das die Führer der KPdSU respektie ren, sind die USA. Um der sowjetisch-amerikanischen Zusammenarbeit willen scheuen die Führer der KPdSU nicht vor Verrat an den wahren Ver bündeten des Sowjetvolks zurück .. . (»Polemik über die Generallinie«) Der ärgste »Verrat« war bezeichnenderweise die sowjetische Wei gerung, China an der atomaren Aufrüstung teilhaben zu lassen; und ausgerechnet das hat mit »Großmachtchauvinismus« - ein in haltsleeres Ziel, das es so überhaupt nicht gibt, auch nicht bei der Sowjetunion - gar nichts weiter zu tun. Es ist »verantwortungsvol le« Weltpolitik vom sowjetischen Standpunkt, die dieser Weige rung zugrunde liegt. Der Beweis des guten Willens und der Ver ständigungsbereitschaft, erbracht dadurch, daß man den eigenen Hauptverbündeten nicht bedenkenlos aufrüstete, sollte die USA zu der Gegenleistung bewegen, ihrerseits Rücksicht zu nehmen und insbesondere auf die atomare Bewaffnung der BRD zu ver zichten. Der chinesische Wille zu voller, militärisch fundierter na tionaler Unabhängigkeit an der Seite der Sowjetunion wurde zu23J
gunsten des beabsichtigten Deals mit den USA enttäuscht. Das be kannte Resultat ist von bitterer Ironie für die Sowjetunion: Die USA haben sich dadurch überhaupt nicht beeindrucken, schon gar nicht von ihrer Aufrüstungspolitik abbringen lassen; womöglich war ausgerechnet das noch ein weiteres Argument für den Ent schluß der chinesischen Führung, für den Ausbau der materiellen Grundlage ihrer Staatsmacht fortan auf die »Hilfe« der in Bündnisund Rüstungsfragen hemmungslosen Weltmacht Nr. i zu setzen. Ganz ähnlich und nach derselben Logik vollzog sich der Übergang Ägyptens aus dem sowjetischen ins amerikanische Lager: Für ihr Anliegen, Ägypten durch einen Sieg über Israel zur maßgeblichen Macht des arabischen Raums zu machen, fanden dessen Führer Unterstützung nur bei der Sowjetunion —dort aber eben nicht ge nug, um wirklich ans Ziel zu gelangen. Die Sowjets hatten ihre Rü stungslieferungen absichtsvoll zu gering bemessen, um einen ägyp tischen Sieg zu ermöglichen, und daher auch alles versucht, um ihren Partner 1973 von seinem kriegerischen Unternehmen zurück zuhalten; alles mit dem Ziel, sich die Anerkennung als mitent scheidender Kontrahent der USA zu erringen. Statt dessen lernten Ägyptens regierende Nationalisten die imperialistische Lektion, daß es sich für die eigenen großarabischen Ambitionen nicht lohnt, Freund der Sowjetunion zu sein - dafür aber um so mehr, den USA zu Diensten zu sein: Israel und seine militärischen Erfolge waren und sind ja die eindrucksvollsten Beweise der Freiheit, die ein treuer Vasall der U SA sich in der Region ungestraft und unbehin dert herausnehmen darf und auch sich herauszunehmen militärisch in der Lage ist. Nicht erst seit der Zerstörung des Bagdader Atom reaktors durch die israelische Luftwaffe scheint derselbe Nachhil feunterricht über die weltweiten Macht- und Herrschafts Verhält nisse sogar im so furchterregend »radikalen« Irak anzuschlagen. Die Bestrebungen der Sowjetunion, sich ähnlich wie die imperia listischen Mächte unter den souveränen Gewalthabern der Staa tenwelt dadurch Freunde zu schaffen, daß sie deren politischen Ambitionen zu einer militärischen Macht verhilft und so den Na tionalismus aufstrebender Potentaten an sich bindet, wurden so immer wieder zunichte gemacht durch ihre weltpolitische Gene rallinie, den Feind auf diese Weise zur Koexistenz zwingen zu wol len. Erst recht fehlt es ihrer weltweiten Suche nach Bundesgenos sen an den ökonomischen Mitteln, fremde Machthaber durch die radikale Benutzung ihrer Ländereien und Untertanen an den 236
Früchten des weltweiten Funktionierens kapitalistischer Reich tumsproduktion zu beteiligen und sie so unter Ausnutzung des Materialismus ihrer Souveränität zuverlässig an sich zu binden. Auch dafür ist Vietnam wieder das drastischste Beispiel: Zwar lie fern sämtliche RGW-Staaten Hilfsgüter und erhalten damit die Nation überhaupt aufrecht; eine für die vietnamesische Staatsge walt effektive Sonderung von unproduktivem Elend, produktiver Armut und verfügbarem Uberschuß, wie die »freie Welt« sie gleich nebenan zustandebringt, und sei es durch die Inszenierung eines devisenträchtigen Sex-Tourismus, wird damit aber nicht herge stellt. So dankbar deswegen die zuständige Regierung die Ge schenke ihrer Bruderländer entgegennimmt - angesichts des ame rikanischen Beschlusses, Vietnam weiter als Feind zu behandeln, hat sie da ja auch keine Wahl! - , so sehr ist sie doch auf eine gewisse diplomatische Distanz zu ihnen bedacht, um ihre Gesuche um westliche Kredite nicht von vornherein um jegliche Erfolgsaus sichten zu bringen - und sieht sich doch nur immer wieder mit der Klarstellung konfrontiert, daß der Westen sich seine freie Ent scheidung darüber vorbehält, inwieweit er Vietnam als einen ge sondert ausnutzbaren Staat betrachten und behandeln oder unter seine Feindschaft gegen die Sowjetunion subsumieren und für diese zur Last machen will. Nach demselben Muster statten auch andere »Nationale Befreiungsbewegungen«, sobald sie dank so wjetischer Militärhilfe an die Macht gekommen sind, ihren tiefen Dank in der Weise ab, daß sie sich nach soliden Einnahmequellen ihrer Souveränität umsehen, die »Entwicklung« ihres Landes in die bewährten Hände kapitalistischer Interessenten legen und sich dementsprechend skrupellos um die Verbesserung ihrer diplomati schen Beziehungen zu den U SA und zur EG bemühen. Die nicht militärische »Entwicklungshilfe« der Sowjetunion ist bescheiden, eben weil es sich dabei/«r sie - im Unterschied zu kapitalistischen Kreditgebern - um Hilfe im wahrsten Sinne des Wortes: um gar nicht lohnende Geschenke handelt; und selbst wo diese die Größe von ganzen Stahl- oder Röhrenwerken annehmen, ersetzen sie doch nicht, was der Westen ganz ohne [/«kosten und sogar zu sei nem höchst einseitigen Vorteil zu »bieten« hat: die Unterwerfung unter den »Weltmarkt«, die hemmungslose, bei entsprechendem Einsatz von Reichtum durchaus ergiebige Vernutzung der vorhan denen natürlichen Reichtümer durchs Kapital, also eine den Um ständen entsprechend ordentliche Ausbeutung. Ganz ohne Skrupel
verhökert die indische Regierung ein mächtiges Symbol der rus sisch-indischen Freundschaft, ein von der Sowjetunion geschenk tes Turbinenwerk, an die Firma Siemens, die sich besser aufs Ge winnemachen versteht. Und sogar die engsten und festesten Bun desgenossen im »Ostblock« suchen seit geraumer Zeit die materiel len Grundlagen ihrer nationalen Staatsmacht im Westgeschäft zu verbessern. Die »Angebote«, mit denen die Sowjetunion mögliche Bündnis partner umwirbt, liegen denn auch seit jeher eher - und verlagern sich immer mehr - in den luftigeren Sphären der »Völkerfreund schaft«. Den »Wettkampf der Systeme« haben die Erfinder der »Koexistenz«-Politik sich von Anfang an als Leistungsvergleich ä la Grand Prix de la Chanson gedacht: als Kundgabe sozialistischer Errungenschaften in Glanzdruck an Politiker und Diplomaten aus aller Herren Länder; mit denen hätte man dann die Völker für die Sache des Sozialismus gewonnen - dies eine Nutzanwendung der revisionistischen Illusion über »nationale Unabhängigkeit«, wo nach die Politiker einer »befreiten« Nation nicht die Herrschaft über ihr Volk repräsentierten, sondern dessen tiefste Wünsche und Regungen! - , und über die ganze Welt würde ein Aufschrei gehen: So etwas wollen wir auch! Nachdem der Imperialismus die mate riellen und militärischen Konditionen dieses »friedlichen Wett streits« so hart gestaltet hat, daß der Aufbau eines derart hinrei ßenden Sozialstaats auf der Strecke geblieben ist, sucht die Sowjet union ihren Konkurrenzerfolg weniger im »Ein- und Überholen« des Westens und mehr in der puren Demonstration nationaler Lei stungsfähigkeit mit Hilfe sämtlicher Idiotien und Scheußlichkeiten des wissenschafdichen, sportlichen, kulturellen etc. Lebens, von Olympia und Volkstanz bis zum Mondauto und Hegelkongressen - und landet doch auch dort Erfolge von höchst begrenzter Durch schlagskraft. Denn die Öffentlichkeit, die diese Sorte Reklame überhaupt zur Kenntnis nimmt, weiß allemal zu unterscheiden zwischen kulturstaatlichem Quark, der die überlegene ökonomi sche und politische Macht einer Nation symbolisiert, und dem, der im Bereich der Ideologie solche Macht fingieren soll; und erst recht gibt die regierungsamtliche Einteilung der Welt in Freund und Feind dem Publikumsgeschmack sichere Kriterien an die Hand: Sowjetische Glanztaten im Sinne des »Es gibt viel zu tun; packen wir’s an!« sind erlogen oder mit mangelnder Freiheit erkauft, Fuß ball und Eishockey schematisch,'die Goldmedaillen durch Sport238
sklaven im Staatsdienst entwürdigt, die wissenschaftlichen Lei stungen zu eindimensional, und die Kultur taugt grundsätzlich nur in dem Maße, wie ihre Träger als Dissidenten in Erscheinung treten oder sich in den Westen absetzen: geflohene Balletteusen sind die besten! Es ist nun einmal ein Widerspruch, wenn eine fremde Herrschaft sich einem Volk als die bessere, weil effektivere Herr schaft vorstellt: wie soll denn da etwas anderes wachsen als der Na tionalismus - und die Begeisterung, wenn die Symbolfiguren oder die Repräsentanten der eigenen Herrschaft es denen der anderen »mal richtig zeigen« und »heimzahlen«? Unschlagbar, immerhin, war die Sowjetunion über Jahre hin auf dem Feld diplomatischer Freundschaftserklärungen, nachdrückli cher Friedensdeklarationen, vorwärtsweisender UNO-Beschlüsse usw. Außer nutzlosen Abstimmungssiegen, Konferenzen und dergleichen hat ihr das aber auch nichts eingebracht. Der so ge pflegte Idealismus wahrer Souveränität blamiert sich noch allemal vor deren praktischen Anliegen. Und wo die Sowjetunion selber die Ideale nationaler Unabhängigkeit Ideale sein läßt und sich praktisch für die Erhaltung der »Völkerfreundschaft« zwischen ihr und einer auswärtigen Regierung engagiert, da trifft deren morali sche Wucht sie gleich mit doppelter Stärke. Denn während der de mokratische Kapitalismus sich in seinem Umgang mit auswärtiger Herrschaft erst einmal auf den »stummen Zwang« der ökonomi schen Erpressung verlassen kann und deren friedliches Gelingen durch Waffengewalt »bloß« abzusichern braucht, da fallen bei der Sowjetunion, gerade weil sie keine imperialistischen Zwecke ver folgt, Waffenhilfe und politischer Einfluß so ziemlich zusammen; ausgerechnet unter Kriegsbedingungen erreicht die sowjetische Freundschaft ihren Höhepunkt, und über andere handfeste Garan tien als die ruhmreiche sowjetische Militärmacht verfügt sie kaum. Und eben das schlägt nach genau den Kriterien nationaler Unab hängigkeit, als deren Anwalt die Sowjetunion sich eine weltweite Gefolgschaft von Souveränen schaffen will, in der moralischen Konkurrenz um die sauberste Weste durchaus negativ zu Buche. In jeder Hinsicht, in der der Revisionismus an der Macht sich auf die Konkurrenz mit dem Imperialismus einläßt, tut er das also zu seinem Schaden. O b ökonomisch oder militärisch, im Kampf um eine Gefolgschaft souveräner Staaten wie um internationales Re nommé, ob in puncto Ehre oder Moral, stets beugt er sich den Kri terien, die der Imperialismus in allen diesen Abteilungen für den 239
nationalen Erfolg gesetzt hat-denn dies: die Regeln für die Betäti gung souveräner Herrschaft überall auf dem Globus durchzuset zen, ist der imperialistische Erfolg der USA. Überall steht die So wjetunion mit ihrem Idealismus imperialistischer Verkehrsfoirnen gegen deren praktischen und da eben sehr einseitigen Inhalt und Zweck auf verlorenem Posten - und findet sich allemal in letzter Instanz zurückverwiesen auf ihren Ausgangspunkt: die Selbstbe hauptung mit militärischer Gewalt. Wie zum Hohn erntet siewe. gen ihrer defensiven Stellung in der Welt zusätzlich zum mangeln den Erfolg auch noch den Vorwurf, der Erz-Störenfried der wohlgeordneten Welt und ihre Hauptgefahr zu sein; und wie aus Ironie geben ihre eigenen defensiven Schönfärbereien der Weltlage die sem Vorwurf immerzu Recht - ganz zu Unrecht. Wirklich derpas sendste Hauptfeind, den die imperialistische Welt sich wünschen kann! 3. D ie »Entspannungsära«: Von Vietnam zu A fghanistan Mitten in der letzten, blutigsten Phase des amerikanischen Vietnamkriegs verzeichnete die »Entspannungspolitik« zwischen Ost und West ihre ersten Erfolge: mit dem Zugeständnis von Rüstungskontrollverhandlungen und einer besseren diplomatischen Behandlung ihres Hauptfeindes gingen die U SA auf die jahrelan gen Angebote der sowjetischen Koexistenzpolitiker ein. Ein be merkenswerter Kontrast zum afghanischen »Abenteuer« der Ro ten Armee, das nach westlich-demokratischer Sprachregelung den »Entspannungsprozeß« »blockiert« oder sogar schon beendet hat. i. Das Ende des Vietnamkriegs gilt bis heute als Niederlage der USA von beinahe welthistorischen Ausmaßen. Träfe dieses Urteil zu, so dürfte es wohl kaum je in der Weltgeschichte einen Sieg ge geben haben, der für den »Gewinner« verheerender, für den »Ver lierer« belangloser gewesen wäre. Die antiimperialistischen Hoff nungen jedenfalls, die die Linke der westlichen Welt einst an den »Sieg im Volkskrieg« geknüpft hat, haben sich nicht bloß nicht er füllt, sondern mit der chinesischen Fortsetzung des Vietnamkriegs gründlich zerschlagen. Umgekehrt waren die proimperialistischen Sorgen um ein amerikanisches Vietnam-»Trauma« und eine da durch womöglich innenpolitisch eingeschränkte »Handlungsfrei-
heit« der Weltmacht Nr. i bei der Beaufsichtigung und Kontrolle der Staatenwelt schon immer albern und blamieren sich endgültig und vollständig an der neuen imperialistischen Entschlossenheit der Reagan-Administration. Tatsächlich haben die USA ihr vietnamesisches Engagement ohne militärische Not - wann und inwiefern wäre ihre Souveränität je bedroht gewesen? aus eigenem Beschluß beendet; und durch die brutale Demonstration ihrer physischen wie moralischen Fähig keit zu beliebiger Eskalation des Krieges, die abschließende Ver wüstung Nordvietnams durch strategische Bomberflotten, haben sie diese ihre Freiheit noch ausführlich unterstrichen. Ganz offen kundig haben die amerikanischen Regierungen selber der Aufrecht erhaltung eines prowestlichen Südvietnam keine weltpolitisch ir gendwie entscheidende Bedeutung mehr beigemessen - auch wenn getrost unterstellt werden darf, daß eine südvietnamesische Bun desrepublik ihnen am liebsten gewesen wäre; man sollte den Kriegsausgang daher auch nicht an diesem Zweck messen. In wel chem umfassenderen Interesse den USA an einer kollaborierenden Herrschaft in Saigon gelegen war, das haben ihre führenden Politi ker schließlich selbst auf ihre unnachahmliche amerikanische Art der Welt als »Theorie« mitgeteilt. Mit der »Deutung« der ostasiati schen Staaten als »Dominosteine«, die, fiele nur ein erster, allesamt dem »sozialistischen Lager« anheimfallen müßten, wurde, deut lich genug, die gesamte im Bereich der alten Kolonialherrschaften entstandene bzw. noch im Entstehen begriffene Staatenwelt als Gegenstand der weltpolitischen Auseinandersetzung bezeichnet, die die U SA in Vietnam zu führen beschlossen hatten. An dieser Stelle, wo eine Fortsetzung der kommunistischen Nachkriegserfolge sich abzeichnete und die Sowjetunion sich immerhin die Freiheit herausnahm, weit außerhalb ihrer Besatzungszonen als Garantiemacht einer auswärtigen Staatsgewalt und eines sie be gründenden Friedensvertrages aufzutreten, ging es für die U SA um weit mehr als den Zugriff auf einen Erdenwinkel, in dem noch nicht mal das einst von linken Vietnamkriegskritikern vermutete Erdöl aus dem Küstenschelf zu holen ist. Ihnen ging es um nichts Geringeres als die Durchsetzung ihres imperialistischen Prinzips: unabhängige Nationalstaaten zu schaffen, deren Unabhängigkeit nicht gegen die U S A zu »mißbrauchen« war, sondern ein Bollwerk darzustellen hatte gegen jedes weitere Vordringen des Weltkom munismus - der reichte seinerzeit immerhin ziemlich »monoli
thisch« von Thüringen bis Nordkorea und hatte mit dem Sieg der Mao-Truppen in China seinen zweiten Triumph nach der Okto berrevolution errungen. Und dieses Grundgesetz der modernen Staatenwelt haben die U SA - zum Unglück Vietnams - dort auch tatsächlich durchgekämpft; bis zu dem Erfolg, daß am Ende mit Vietnam kein »Dominostein» mehr auf dem Spiel stand und der seinerzeitige Kriegsminister sich über die Gewalttätigkeit der eige. nen Nation selber nicht genug wundern konnte: Das Bild, das die größte Supermacht der Welt bietet: wöchentlich tötet sie iooo Zivilisten oder verletzt sie schwer, und das bei dem Versuch, eine winzige rückständige Nation zur Unterwerfung unter ein Anliegen zu zwingen, dessen Wert völlig dahinsteht - das ist wahrlich nicht sehr ein nehmend. (McNamara im Mai 1968, lt. Pentagon Papers, S. 580; eigene Überset zung) Die Liquidierung aller alten Kolonialreiche w ar praktisch abge schlossen, und zwar ohne daß irgendwo anders noch einmal eine Ausweitung des Ostblocks zur Entscheidung gestanden hätte. Der »freie Westen« war nicht zur »Insel« auf einem ihm feindlichen Globus geworden; das »sozialistische Lager«, auch mit seinen bei den »Erfolgen« in Kuba und Indochina und erst recht nach dem Bruch zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China, war eine strategische »Insel« dieser Art geblieben. Und nicht nur das. Mit seiner militärischen Unterstützung Nord vietnams und seiner diplomatischen Handhabung des Kriegsge schehens hat der sowjetische Antiimperialismus sich für die USA kalkulierbar gemacht - das ist zwar nicht gleichbedeutend mit Harmlosigkeit, aber ein ziemlich entscheidender Schritt hin zur Einordnung in die »pax americana«. Schon der Entschluß der U SA, unter offener Mißachtung des Abkommens von 1954 eine souveräne Regierung in Südvietnam zu installieren, war die prakti sche Probe auf den Grundsatz gewesen, daß weltpolitische Ver einbarungen ohne amerikanischen Segen nichts wert sind und die »Anmaßung« der Sowjetunion, als Garantiemacht internationaler Verhältnisse aufzutreten, in der harten Welt der imperialistischen Tatsachen nichts zählt. Ebenso war jeder amerikanische Fort schritt in der Ausweitung und Verschärfung des Krieges ein prakti scher Test, ob und wie die sowjetische Garantiemacht - und nebenher die selbsternannte »Schutzmacht« China - ihre Verspre chungen gegen die U SA wahrmachen würde. In beiden Punkten 242
fiel das Ergebnis im Sinne des Veranstalters aus. Die Sowjetunion trat den U SA keineswegs mit einer Macht und einem Nachdruck entgegen, die geeignet oder auch nur darauf berechnet gewesen wä ren, ihrer Garantie für ein ungeteiltes Vietnam Geltung zu ver schaffen oder den Krieg der USA zu verhindern oder zu beenden. Ihre Hilfe war gerade so bemessen, daß sie den Krieg für die USA lang und teuer machte - ungeachtet dessen, daß er zuallererst und vor allem für die Vietnamesen teuer und blutig wurde. Sie be währte sich als antiimperialistischer Gegner der U SA - aber als ei ner, der deren Imperialismus nicht zu gefährden, zu bekämpfen oder auch nur entscheidend zu behindern gedachte, sondern genau soweit schwächen wollte, daß an der Beachtung und A nerkennung seiner eigenen weltpolitischen Bedeutung kein Weg mehr vorbei führte. Mit ihrem jederzeit betont »maßvollen« Engagement in und für Vietnam brachte die Sowjetunion das Kunststück fertig, dem amerikanischen Imperialismus eine Rücksichtnahme auf ge wisse eigene Machtansprüche aufzuzwingen und gleichzeitig die Drohung und Gefahr zu relativieren, die die U SA in ihren Macht ansprüchen erblickten. Vom amerikanischen Standpunkt aus war und ist die Selbstbehauptung des sowjetischen Antiimperialismus selbstverständlich ein Ärgernis und sogar ein M ißerfolg- gemessen an dem höchst unbescheidenen Endziel, die Sowjetunion welt politisch vollständig matt zu setzen, zur Unerheblichkeit zu ver urteilen und als Gegner auszuschalten. Die A rt der sowjetischen Selbstbehauptung eröffnete aber immerhin die Chance, die damit verbundenen Ansprüche auf weltweiten Einfluß andersherum zu neutralisieren: durch ihre Anerkennung unter der von der feindli chen Seite selbst angebotenen Bedingung, dem amerikanischen Zugriff auf die Welt praktisch nicht gefährlich werden zu wollen. Mit dem Entschluß der Nixon-Regierung, diese Chance auszu probieren, nachdem der »Kalte Krieg« zu keinen besseren Resulta ten geführt hatte, war die »Entspannungsära« angebrochen. 2. Z w eck einer nationalen Außenpolitik kann »Entspannung« nie und nimmer sein. Zumindest setzt ein solches »Ziel« ja allerlei konfliktträchtige Verwicklung mit anderen Staaten voraus. Und sowenig derartige Affären ihren Grund und Inhalt in einer schieren »Gemeinheit« haben können, in der abstrakten Absicht eines Staa tes, andere Staaten zu behelligen - ein solcher Idealismus der Bos heit, wie er beispielsweise in der Rede von der »Aggressivität« ge wisser Nationen unterstellt ist, kommt in der Staatenwelt nicht M3
vor: dafür sind Souveräne zu materialistisch! sowenig kann das positive Interesse, das Staaten aneinander haben, seinem Grund und Inhalt nach in dem Willen bestehen, möglichst wenige oder überhaupt keine Gegensätze zu anderen Staaten aufkommen zu lassen - dann könnten sie einander ja gleich in Ruhe lassen. Auch wenn ihre Untertanen bisweilen dafürhalten sollen oder sogar glauben, daß die Staatsgewalten ihren diplomatischen Umgang miteinander in genau dieser Absicht, also um seiner selbst willen pflegen, so ist doch gleichzeitig jedermann klar, und den Prakti kern der Weltpolitik zuallererst, daß die mehr oder weniger ge waltsamen Verkehrsformen souveräner Regierungen vom Stand ihrer sehr materiellen Interessen aneinander abhängig sind und nicht umgekehrt. Am ehesten ähnelt noch die Weltpolitik der Sowjetunion solchen falschen Abstraktionen, wie sie mit dem als Vorwurf gemeinten Pleonasmus »Machtpolitik« oder mit der lobenden idealistischen Phrase »Friedenspolitik« als maßgebliche Zwecke im weltpoliti schen Geschäft ausgegeben werden; denn im Vergleich zu den weltweiten Interessen kapitalistischer Staaten ist sie tatsächlich durch einen Mangel an ökonomischem Inhalt gekennzeichnet, also - ausgerechnet! - vergleichsweise unmaterialistisch. Selbst in die sem Fall geben aber nicht die Methoden, deren die sowjetische Staatsgewalt sich zu ihrer Selbstbehauptung bedient - »Frieden«, »Macht«, »Entspannung« usw. - , den Grund und Inhalt der Au ßenpolitik her, sondern die Zwecke revisionistischer Herrschaft und der materielle ökonomische und politische Gegensatz, der damit zu dem Interesse der kapitalistischen Demokratien an einer total benützbaren und entsprechend herrschaftlich geordneten Welt eröffnet ist. Erst recht gilt das für die Weltpolitik imperialisti scher Souveräne. Deren Wirken nach außen unter das Attribut »Entspannung« oder »Frieden« zu subsumieren, ist ein genauso lä cherlicher moralischer Idealismus wie ihre Kennzeichnung als »Kriegs-« oder »Aggressionspolitik«. Die Methoden, mit denen ein Staat die Um- und Ausgestaltung auswärtiger Nationen und Länder zur erweiterten ökonomischen und politischen Grundlage seiner souveränen Macht betreibt, werden da ideologisch verkehrt in ein Lob bzw. einen Tadel des »guten« bzw. »bösen« Inhalts und Zwecks seiner Politik. Tatsächlicher Gegenstand des als »Entspannungsära« firmieren den Abschnitts in der Geschichte des »Ost-West-Konflikts« ist ein 244
diplomatisches Handelsgeschäft, das, wie spätestens an seinem heutigen Resultat ersichtlich, andere Zwecke verfolgt hat als die ab strakte Negation zwischenstaatlicher Gegensätze - anderenfalls wäre ja ganz unerfindlich, wo die stets von neuem und weiterhin abzubauenden »Spannungen« zwischen Staaten, die sich allesamt deren Beseitigung verschrieben hätten, denn eigentlich herkommen. Dieses »Geschäft« besteht in der Verallgemeinerung des Ver hältnisses, das die sowjetischen Koexistenzpolitiker ihren westli chen Kontrahenten eben in den Jahren des Vietnamkriegs mit allen Mitteln angetragen hatten. Gestützt und unter Berufung auf ihre militärische Macht, die ihr bei aller westlichen Überlegenheit doch eine gewisse Überlebensgarantie bot und sogar die Einmischung in alle möglichen Kleinkriege des Imperialismus erlaubte, verlangte die Sowjetunion eine Beendigung des »Kalten Krieges«, der westli chen Politik formeller und ausdrücklicher Nicht-Respektierung sowjetischer Macht, und positiv eine Behandlung als Verhand lungspartner, mit dem die USA sich über alle wichtigen Weltaffä- / ren ins Benehmen und womöglich ins Einvernehmen zu setzen ha- I ben sollten. Diese - mit dem Ende der »Entspannung« wieder ganz aktuelle - sowjetische Forderung war und ist darin hoffnungslos widersprüchlich, daß sie die Gleichrangigkeit, die Anerkennungsbedürftigkeit der eigenen Macht als anerkannte Gescbäitsgrundlage unterstellt und doch durch die zu treffenden Ver einbarungen beseitigt sehen möchte. Gewissermaßen methodisch macht die Sowjetunion da ihre eigene Gesch'ihsfähigkeit als Welt macht zum Verhandlungs- und Gtsdazhsartikel; und das macht die Schwächlichkeit ihrer »Entspannungs«forderung aus - wie auch zugleich den Grund dafür, daß eben dieser defensive An spruch auf universelle Berücksichtigung ausgerechnet als beson dere Unverschämtheit aufgenommen wurde und wird. Wenn da her die westliche Seite darauf einging, dann von vornherein unter der-d ieser Forderung exakt angemessenen! -Prämisse, daß es also nicht darum ging, mit der Sowjetunion von gleich zu gleich zu be stimmten Kompromissen zu gelangen, sondern ihr für die eigene Bereitschaft, von gleich zu gleich zu unterhandeln, einen Preis ab zuverlangen. Und dieser Preis stand mit der Grundlage des ganzen Deals ebenfalls schon fest: Wenn es der Sowjetunion um ihre A n erkennung als weltweit respektable Macht ging und geht, dann ist es nur logisch, daß der Westen ihr dafür den Verzicht abverlangt, die beanspruchte und zugestandene politisch-militärische Gleich es
rangigkeit und weltweite Zuständigkeit souverän zu benützen. Im Bereich der Weltdiplomatie ist mit dem Entschluß zur »Ent spannungspolitik« dementsprechend nicht mehr und nicht weni ger eingeführt worden als ein neuer und sehr viel offensiver handhabender Gesichtspunkt und Rechtstitel, unter dem der »freie Westen« dem »sozialistischen Lager« jede weltpolitische Hand lungsfreiheit bestreitet. Wo immer eine dritt- bis fünftrangige Regierung den Versuch unternimmt, von der »Rivalität der Groß, mächte« zu profitieren, erst recht wo noch die letzten Überreste des Kolonialismus zu liquidieren sind oder Revolten eine etablierte Staatsgewalt gefährden, wo immer also die strategischen Kalkula tionen von USA und Sowjetunion gegeneinanderstehen, da nimmt der Westen sich die Freiheit heraus, die gegnerische Position nicht bloß direkt mit der eigenen zu konfrontieren, sondern unter Beru fung auf das gemeinsame Interesse an »Entspannung« mit der Drohung zurückzuweisen, dieses hohe Gut würde so in Gefahr gebracht. Gewiß versteht die sowjetische Seite sich auf dem Feld der Propa ganda auf das gleiche Verfahren, ihrem nationalen Egoismus eine höhere Weihe zu verleihen; und für die praktische Entscheidung von Konflikten taugt die »Entspannung« als imaginäre Berufungs instanz ohnehin nichts. Ihren diplomatischen Wert hat sie den noch, und zwar ganz nach imperialistischer Logik für die Seite, die über die besseren Mittel verfügt, Streitfragen praktisch für sich zu entscheiden. So untauglich die Erinnerung an die »Grundsätze der Entspannung« für die unterlegene Seite ist, in solchen Fällen sogar bloß deren Schwäche peinlich kenntlich macht, so nützlich ist sie als Rechtstitel des Erfolgs. Es ist das ganz natürliche »Privileg« der stärkeren Seite, daß ihre »Sorgen« um »die Entspannung« automa tisch die Qualität der härtesten besitzen, nämlich das Zu geständnis formeller Respektierung des anderen mit allen prakti schen Konsequenzen zu widerrufen, und dabei zugleich die andere Seite daran zu erinnern, wie sehr dieser an der Aufrechterhaltung eines auch bloß formellen Einvernehmens gelegen sein müßte. Und wenn man auch sonst nichts über das weltweite Kräftever hältnis zwischen Ost und West wüßte, sein aktueller Stand ließe sich sehr genau an der Freiheit und Unbefangenheit ablesen, mit der der Westen bei jeder Gelegenheit mit dem Hinweis auf eine »Gefahr für die Entspannung« zur Stelle ist, mit deren »Ende« droht und sogar explizit von der Sowjetunion »weltpolitisches 24 6
Wohlverhalten« als selbstverständliche Voraussetzung für weiter hin »entspannte« Beziehungen einklagt. Tatsächlich gewonnen hat die sowjetische als die eingestandenermaßen schwächere Seite die prekäre, jederzeit widerrufliche und daher als diplomatisches Druckmittel bestens verwendbare, immerhin aber ausgesprochene Anerkennung als »Partner« in der Aufteilung und herrschaftlichen Beaufsichtigung der Staatenwelt sowie unter diesem Vorzeichen die Teilnahme an mancher internationaler Konferenz - deren Streitfragen derweil auf ganz anderer Ebene durch die USA gere gelt werden: die jüngere Geschichte des »Nahost-Konflikts« bietet dafür das schlagende Beispiel. 3. Entgegen allen anderslautenden Gerüchten war die »Entspan nungsära« ein Jahrzehnt massivster Aufrüstung —und zwar kei neswegs bloß oder auch nur in erster Linie der Roten Armee: Immerhin hat die Bundeswehr unter Mithilfe der nationalen Rüstungsindustrie in dieser Zeit ihre Position als zweitstärkste »konventionelle« Streitmacht der nichtkommunistischen Welt gefestigt, was aber gar nichts heißt neben amerikanischen Errun genschaften wie Atomraketen mit punktgenau treffenden Spreng köpfen, Neutronenbomben fürs Gefechtfeld, Cruise Missiles, per fekten Radarüberwachungssystemen und -leitsystemen für den ei genen Auf- und Vormarsch (AW ACS). . . , um nur die populärsten unter den bekanntgemachten militärtechnologischen Durchbrü chen zu nennen. Und man müßte den mit so viel »Verantwortung« beladenen Führern der maßgeblichen Staatenwelt schon ein hohes Maß an Schizophrenie Zutrauen, um die »Entspannungsphase« und die in ihr bewerkstelligten Fortschritte in Sachen Kriegsvorbe reitung für einen Widerspruch zu halten. Tatsächlich geht es in der »großen Politik« so schizophren nicht zu; eher schon sehr zielstrebig. Die »Rüstungskontrollverhandlungen« jedenfalls, das so hoch geschätzte Herzstück des »Ent spannungsprozesses«, tragen ihren Namen zu Recht: wechselseitig kontrollierte Rüstung stand hier zur Debatte. Und daß diese Kontrollverhandlungen zumindest der amerikanischen Aufrüstung außerordentliche qualitative Fortschritte erlaubten, lag von An fang an in der Logik und in der westlichen Absicht beim Mitma chen der »Entspannungspolitik«. Immerhin war die amerikanische Militärmacht gegen Ende der sechziger Jahre mit dem Tatbestand konfrontiert, daß ihr sowjeti scher Gegner den »Kalten Krieg« nicht bloß durchgestanden hatte, ¿47
sondern erstmals ihr Heimatland, die intakte strategische Basis dank derer die USA zwei Weltkriege für sich hatten entscheiden können, mit Atomraketen bedrohen konnte. Dieser Umstand, ei gentlich belanglos vom Standpunkt der Ideologie der »Abschrec kung« und der »Kriegsverhinderung durch Gleichgewicht« wurde von den USA ganz unideologisch als schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit ihrer Vernichtungsdrohung genommen, auf der das Konzept des »Kalten Krieges« beruhte. Die Sicherheit, in letz ter Instanz die Sowjetunion besiegen zu können, bestand nicht mehr; und damit war vom Standpunkt amerikanischer Weltmacht aus die Welt und der Wehfriede unsicher geworden. Der militärische Weg, den die USA eingeschlagen haben, um ihre verlorengegangene (Sieges-f)Sicherheit wiederherzustellen, ist an den einschlägigen Resultaten der »Entspannungsära« abzulesen. Die mit der Existenz einer sowjetischen Bedrohung des amerikani schen Kontinents ganz selbstverständlich sich einstellende Idee ei nes »Entwaffnungsschlages« wurde und wird nach Kräften aus dem Himmel der strategischen Ideale auf den Boden der technisch machbaren Tatsachen herabgeholt. Der ebenso und aus demselben Grund einleuchtende Gedanke, der Sowjetunion vom Boden an derer Staaten aus einen in der Anlage »begrenzten«, in den strategi schen Wirkungen auf den Feind endgültigen Atomkrieg antragen zu können, wird mit Hilfe von N A T O - sowie alten und neuen ostasiatischen Verbündeten zielstrebig realisiert - ganz zu schwei gen von den Gerätschaften, für deren Transport in den Weltraum das Wunderding »Space Shuttle« vorgesehen ist: an dem Apparat wird auch gleich die Kunst einer metergenauen Rückkehr auf die Erdoberfläche geübt. Zwischen konventioneller Rüstung und atomarem Letztschlag wurden jede Menge »Lücken«, also zusätz liche Eskalationsstufen und »Kriegsszenarios«, entdeckt und so aufgefüllt, daß dabei ein deutlicher Vorsprung bei den bis zur Haubitzengröße handhabbar gemachten Atomwaffen heraus sprang. Inzwischen üben NATO -M anöver heute die nahtlose Ab folge vom Infanteriefeuer bis zum »big bang« hin und wieder zu rück; und die alternativen Prozentzahlen des »unvermeidlichen« Verlusts an Land und Leuten, die um eines Sieges willen noch in Kauf zu nehmen sind, sind längst ausgerechnet. Dieser Weg zu einer strategischen Überlegenheit auf neuem Ni veau war allerdings zurückzulegen angesichts eines Gegners, dem ein wirksamer Angriff auf das Gebiet der U SA fürs erste nicht zu248
verlässig zu verwehren war und der seinerseits nicht ohne Erfolg daran arbeitete, sein Land nach Möglichkeit gegen amerikanische Schläge zu sichern. Zuvor, in den goldenen Zeiten des »Kalten Krieges«, hatten die USA um der diplomatischen Ächtung ihres Hauptfeindes willen noch leichten Herzens darauf verzichten können, sich mit diplomatischen Mitteln Sicherheiten über dessen Pläne und Reaktionen auf eigene Rüstungsoffensiven zu verschaf fen; solange die USA selbst in Sicherheit waren, konnte der Gegner machen, was er wollte: er war der amerikanischen Mißachtung ge wiß. Dieser Verzicht auf jede diplomatisch sichergestellte Bere chenbarkeit der Sowjetunion erwies sich nun, unter der Bedingung der Verletzbarkeit der eigenen heimatlichen Basis, als eine Gefahr: Es war ja noch nicht einmal ausgemacht, wie »der Kreml« auf zu fällige Unfreundlichkeiten der eigenen Kriegsschiffe in weit ent fernten Weltmeeren oder auf einen Fehlalarm reagieren würde um wieviel weniger, ob er den anstehenden Aufrüstungsmaßnah men des Westens zusehen, ihren Erfolg nicht so oder so, solange von seinem Standpunkt aus dazu noch Zeit wäre, zu vereiteln su chen würde. Gerade um die Gegnerschaft gegen das »sozialistische Lager« und dessen tödliche Bedrohung nicht bloß aufrechterhal ten, sondern einigermaßen gesichert eskalieren zu können, erwies es sich als unerläßlich, sich mit dem Gegner über den Verlauf dieser Eskalation ins Benehmen zu setzen. Der Installierung des »Roten Telefons«, Symbol dieser neuen Notwendigkeit, folgten gemäß eben dieser Logik Vereinbarungen über die friedliche Beüegung unfriedlicher Zwischenfälle, wie sie zwischen universal operieren den Militärapparaten allemal Vorkommen müssen. Daß dann in den ersten SALT-Verhandlungen Einigkeit vor allem über die Be grenzung von Abwehrsystemen gegen Interkontinentalraketen er zielt wurde, ist vom maßgeblichen Standpunkt der US-Strategie aus überhaupt kein Widersinn, sondern Resultat der Sorge, der Gegner könnte die eigenen Vernichtungsmittel unwirksam ma chen, noch ehe ihre geplante Vervielfachung und Perfektionierung gelungen wäre. Sehr grundsätzlich wurde da über den gemeinsa men Willen, um den und mit dem Ausbau der jeweiligen eigenen Offensiv macht zu konkurrieren, Einigkeit erzielt; ein genereller »Freibrief« für die Seite, die da eine verlorengegangene Sicherheit wiederherzustellen hatte und durch die Entwicklung einer überle genen Waffentechnik wiederherzustellen gedachte. Wiederum sehr folgerichtig schafften die U SA sich mit SA LT II durch die Be¿49
sc h rä n k u n g d es qu an titativ en Z u w ach se s d er interkontinentalen R a k e te n sy ste m e d ie N o tw e n d ig k e it v o m H a ls , w om ög lich A u sb a u einer W affen gattu n g m ith alten zu m ü sse n , m it d er der ent sch eid en d e D u rc h b ru c h z u r W ied erg ew in n u n g ech ter Siegesge w ißheit o h n eh in nicht zu erreichen w ar; u m g e k e h rt w aren ihnen eben d am it h em m u n g slo se A k tivitäten a u f d em viel aussichtsreich eren G e b ie t d er tech nisch en P erfek tio n ieru n g so w ie d er Waffen sy stem e un terh alb d es d u rch S A L T II erfaß ten N iv e a u s zugestan d en , m it denen w oh l die So w je tu n io n , nicht ab e r d as am erikani sch e M u tterlan d zu verw ü sten ist. B ei all d em erw ies die S o w jetu n io n sich z w a r nicht als nachgiebig, w o h l aber als w illfäh rig in dem einen en tsch eid en d en P u n k t; ihre R eak tio n en a u f das am erikanisch e Ü b erleg en h eitsstreb en kalku lierbar zu m achen und ihm au f d iese W eise d ie n ö tig en Sicherheiten z u zu g esteh en . N ich t als o b sie sich ü b er d ie »w ah re n « Absichten der U S A getäuscht hätte: sie hatte ihre »g u ten G r ü n d e « , au f eine einvernehm liche R ü stu n g sk o n tro lle zu d rän ge n . D ie se allerdings begründeten eine w eniger erfolgreich e V erh an d lu n g sp o sitio n . Die sow jetisch e Berech nung gin g dahin, m it d er d u rch angestrengtes R ü sten errungenen A n erk en n u n g du rch die U S A als prinzipiell gleichrangige A tom m ach t d as Stadiu m d er perm an en ten Infrage stellung ihrer E xisten z zu überw in d en und sich d am it auch ihre R ü stun gslasten erleichtern zu könn en. D ie se K a lk u la tio n , defensiv schon ihrer N a tu r nach - so w eit die revision istisch e H errsch aft im O sten überhaupt noch au f eine B e seitig u n g des K ap italism u s setzt, erh offt sie diese von dessen eigener F äu ln is u nd einer gerechten E ntsch eidu ng der V ölker der W elt fü r den m enschh eitlichen Fort sc h r itt - , w ar zum einen durch die Ü b erleg en h eit und die entspre chende B edroh lich keit der U S A , zum anderen d u rch die ökonom i schen H ärten diktiert, die der Beschluß , m ilitärisch dagegenzuhal ten, für die A u fbau p lan u n g der sozialistisch en Staatsfü h ru n g mit sich brachte. E inem G egn er gegenü ber, der beide P rob lem e nicht b zw . von einem entgegengesetzten S tan d p u n k t aus h atte: als »Pro blem « des optim alen E in satzes des für M ilitärzw eck e verfügbaren R eich tum s und einer offensiven »S ich erh eits«-Strategie, begrün dete diese V orteilsrech nung allerdings ein h oh es M aß an Erpreßbarkeit , das von den U S A m it der stets einseitigen D roh u n g, die V erhandlungen gänzlich scheitern zu lassen , auch w eidlich ausge n utzt w urde. U n d desw egen fiel die E in igu n g auch allem al so aus, daß sich fü r die Sow jetunion dam it genau die N otw en digkeiten er250
neuerten, denen sie hatte entgehen wollen: Für die stärkere Partei war die erzielte Einigung allemal eine taugliche Grundlage für ver schärfte, zielstrebigere Anstrengungen, die formell zugestandene einstweilige Sicherheit der Sowjetunion praktisch zu untergraben. Deren Führung hat daraus allerdings bis heute stets von neuem die Konsequenz abgeleitet, den »Rüstungswettlauf« bis in die letzten neu erfundenen Waffengattungen hinein mitzumachen - und erst recht auf neue Kontroll- und Begrenzungsverhandlungen zu set zen. 4. Vom Standpunkt der Sowjetunion aus hätte der »Entspan nungsprozeß« ohne Zweifel unablässig fortdauern können: er war für sie die Art und Weise, sich in ihrer Unterlegenheit einzurich ten. Um so klarer, daß für den Westen diese Sorte Politik »schei tern« mußte: ihre Aufkündigung ist in ihrer Logik eingeschlossen. In Sachen diplomatischer Absicherung ihrer auf Siegesgewißheit abgestellten Kriegsvorbereitungen kamen die USA rascher und grundsätzlicher ans Ziel, als die derart erfolgreiche Carter-Regierung selbst es realisiert hat: Schon in den Angelegenheiten von SALT II erwies der Vertrag sich als überflüssig für seinen Zweck; die Sowjetunion hat die Annullierung der amerikanischen Unter schrift hingenommen. Dieser Erfolg wiederum ist den USA Grund genug, das Verhältnis von Verhandlung und angestrebtem Ver handlungsergebnis vollends auf den Kopf zu stellen: SALT III beginnt mit der »Nachrüstung« Europas zu einem für sich ge nommen bereits strategisch »gleichgewichtigen« Gegner der So wjetunion ; auf dieser Grundlage, die für nicht mehr verhandlungs fähig deklariert wird, noch ehe sie voll realisiert ist, werden dem Feind Verhandlungen angeboten - über den Abbau seiner »SS 20«. Dieses Angebot enthüllt seine Großzügigkeit seit den ersten Be gegnungen in Genf nicht nur durch die Voraussetzung einer be schlossenen »Nachrüstung« Europas. Angesichts des offen ausge sprochenen westlichen Wunsches nach einem »westlichen Regie rungssystem« in Polen, der Fortschritte in Sachen vormilitärischer Auflösung des Ostblocks also, steht für die U SA die Dringlichkeit des weltw eiten Aufrüstungsprogramms außer Frage - in Gesprä chen mit der Sowjetunion folglich auch gar nicht zur Disposition. Nach einem Jahrzehnt »entspannten« Umgangs mit der Sowjet union erscheint den USA ihre Position offenkundig stark genug, um explizit an die Realisierung des Zwecks heranzugehen, um dessentwillen sie sich die formelle Respektierung der sowjetischen
Macht ja überhaupt bloß auferlegt hatten: die praktische Liquidierung der gegnerischen Ansprüche auf gesicherte Selbstbehaup tung. Die Wucht dieser höchst folgerichtigen neuen Offensive richtet sich erst recht gegen weltpolitische Ambitionen der Sowjet* union: Jeder ihrer Versuche, irgendwo in der Welt einigen Einfluß neu- oder zurückzugewinnen, wird ihr als Verletzung der Ge schäftsgrundlage vorgerechnet, auf der ihr eine friedliche Behändlung überhaupt nur gewährt worden war. Unter dem Motto »Ent spannung ist unteilbar« klagen die USA militär- wie weltpolitisch die beabsichtigten Resultate ihrer »Entspannungspolitik« ein, und zwar mit der Drohung, andernfalls sei jegliche »Entspannung« *u Ende. Daß diese Drohung weitaus bedrohlicher ist als der einstige »Kalte Krieg«, ist dabei der solideste Vorteil, den die USA aus ihrer »Entspannungspolitik« ziehen können. Dieser Erpressung allerdings, die aus all den gelungenen Erpres sungsmanövern der »Entspannungsära« den zusammenfassenden Erfolg herausziehen will, kann die Sowjetunion sich schwerlich beugen; schließlich wird ihr damit, kaum beschönigt, nichts Ge ringeres abverlangt als die weltpolitische Selbstaufgabe. Für sie hat sich eben mit allen »entspannungsfreundlichen« »Zugeständnis sen« des Westens noch stets die Notwendigkeit erneuert und ver schärft, ihre Gewalt als Mittel für ihre Selbstbehauptung als Welt macht auszubauen und einzusetzen; und das in steigendem Maße mit dem Fortschritt der westlichen »Entspannungs«-Offensiven. Jeder derartige Akt jedoch, so sehr er für die Sowjetunion eine ungeliebte - Notwendigkeit der »Entspannungspolitik« des We stens darstellt, ist für diesen Grund genug, das drohende, vorläu fige oder endgültige »Scheitern der Entspannung« auszurufen. Daß »Afghanistan« und »SS 20-Raketen« hier zu den entschei denden westlichen »Prüfsteinen« östlicher Nachgiebigkeit gewor den sind, ist einerseits zufällig. Schließlich waren bereits die Kon junktur der Carterschen Menschenrechtskampagne sowie die von ihm vom Zaun gebrochene Empörung über eine angebliche Kampfbrigade der Roten Armee auf Kuba deutliche Hinweise dar auf, daß die US-Regierung es sich stets vorbehält zu definieren, mit welchen Aktivitäten die Sowjetunion die ihr zugestandenen Frei heiten überschreitet und das formelle Einvernehmen mit dem We sten aufs Spiel setzt. Vielleicht ist manchem Leser auch noch die Überraschung erinnerlich, mit der die zweitrangigen Führer des »freien Westens« den souveränen Entschluß ihres amerikanischen ¿ 5*
Häuptlings quittiert haben, ausgerechnet den Truppeneinmarsch in Afghanistan zum alles entscheidenden russischen Sündenfall zu deklarieren. Der NATO-Beschluß, Westeuropa mit Raketen von strategischer Bedeutung, aber »bloß« mittlerer Reichweite aufzu rüsten, ist ohnehin älter als jene Weihnachtsüberraschung und auch als die modernisierten sowjetischen Mittelstreckenraketen. Man darf sich also sicher sein, daß jede andere Gewaltmaßnahme und jede andere Waffengattung der Sowjetunion einem amerikani schen Präsidenten einen genauso ausreichenden Anlaß geliefert hätte, um den weltpolitischen Fortschritt von den einvernehmli chen Erpressungsmanövern der »Entspannungsära« zur Aufkün digung des Einvernehmens zu bewerkstelligen; dieser Übergang selbst war auf alle Fälle fällig. Ein Zufall ist es andererseits nicht, daß die Sowjetunion aus den Fortschritten der »Entspannungspolitik« ihrerseits den prakti schen Schluß gezogen hat, das Land eines durch islamische Auf ständische von innen her bedrohten Verbündeten militärisch mit Beschlag zu belegen sowie ihre gegen Westeuropa gerichteten Atomraketen zu modernisieren, und daß ausgerechnet dies zum Anlaß und Gegenstand der westlichen Abrechnung geworden ist. Mit ihrer eurostrategischen »Vorrüstung« zieht die Sowjetunion ihre »sicherheitspolitische« Konsequenz aus der Tatsache, daß ihr jenseits ihrer Westgrenze immerhin die massivste Truppen- und Waffenkonzentration, und zwar auch das größte Arsenal an takti schen Atomwaffen, gegenübersteht, die überhaupt auf der weiten Welt anzutreffen ist; auf alle Fälle mindestens dazu geeignet, mehr oder weniger ihr gesamtes Militärpotential im Ernstfall zu binden. Überdies konnte den sowjetischen Politikern schwerlich verbor gen bleiben, auf was für waffentechnische Fortschritte die U SA ihre SALT-»Zugeständnisse« berechnet hatten; spätestens der be rühmte NATO-Doppelbeschluß über eine europäische Atomwaf fe, die dem Ideal eines Entwaffnungsschlags so nahe kommt wie nur möglich, schaffte da letzte Klarheit. Daß sie ihrem imperialisti schen Gegner auch hier wieder ebenbürtig sein will, das angebo tene spezielle »Kriegsszenario« akzeptiert und mit ihrer Rüstung dessen Erfordernissen ihrerseits nachkommt, sollte zumindest der nicht der Sowjetunion zum Vorwurf machen, der die Bundeswehr und die hierzulande stationierten Atomwaffen für einen - wenn auch vielleicht mißlungenen - Kriegsverhinderungsapparat hält. Mit ihrer militärischen Präsenz in Afghanistan zieht die Sowjet¿53
union wieder einmal die Konsequenz aus ihrer strategischen Defensive, was ihr von kundigen westlichen Beobachtern in der Rede vom sowjetischen »Abenteuer Afghanistan« Häme, aber nie Ver ständnis einbringt. Die beliebte Verwechslung von »defensiv« mit »gut, harmlos und friedliebend« läßt man sich im Interesse des Lobs der eigenen »Verteidigung« nicht von der feindlichen Welt macht dementieren. Eher entschließt man sich zu Lügen über frei heitsdurstige Afghanis, deren zutiefst menschliche Sehnsüchte ein russischer Bär nur allzu gerne erstickt. Dieser sieht sich denn auch seit den Glanzzeiten der »Entspannungspolitik« dem festen westlichen Beschluß gegenüber, einen sowjetischen Kampf um weitere Verbündete auf der Welt nicht zu dulden und die paar »Freund schaften«, zu denen der regierende Revisionismus es in der Staatenwelt gebracht hat, keineswegs als unveränderliche weltpoliti sche Gegebenheit hinzunehmen; daß die Aufzählung der diesbe züglichen sowjetischen Todsünden allemal so kurz gerät - Angola, Äthiopien, Jemen un d ...? - , hat schließlich ihren Gebrauch als Katalog nicht hinnehmbarer Übergriffe nie verhindert. Ungefähr seit derselben Zeit sieht die Sowjetunion sich an ihrer Südostgrenze einem feindseligen Ex-Verbündeten gegenüber, der alles tut und sogar den sowjetischen Schützling Vietnam mit Krieg überzieht, um sich dem Westen als verläßlicher Vorposten gegen die sowjeti sche Kontinentalmacht anzudienen. D er islamisch revolutionierte Iran mag der Sowjetunion zwar nicht feindseliger oder gefährlicher sein als das Persien des Schah; schlechter kalkulierbar ist er auf je den Fall. Und daß die U SA die Festsetzung ihres Teheraner Bot schaftspersonals zum Anlaß nahmen, gleich den wichtigsten Teil des Indischen Ozeans mit einer kriegsstarken Flotte in Beschlag zu nehmen, durfte die sowjetische Führung durchaus zu Recht auf sich und jeden Versuch von ihrer Seite beziehen, ihre regionalen Machtpositionen zu stärken oder auch nur den Verlust an Sicher heiten an ihrer Grenze zu kompensieren. Daß sie sich in dieser Si tuation ihren letzten wackligen Verbündeten an ihrer Südgrenze als strategisches Vorfeld gesichert hat und dafür einige Schlächte reien inszeniert, sollte zumindest der ihr nicht vorwerfen, der die gleichen Krieger Allahs im Iran für Fanatiker, in Afghanistan für Freiheitskämpfer hält. Der Frieden, Freiheit und Menschenrechte über alles schätzende Westen jedenfalls beweist und realisiert mit seinen Geld- und Waf fenlieferungen an jedermann, der sich in Afghanistan mit einem
blutigen Partisanenkrieg gegen die russischen Besetzer ein elendes Leben verdienen will, sein souveränes weltpolitisches Interesse, die wechselseitige Schlächterei in Afghanistan möglichst blutig und dauerhaft zu gestalten; ein Zweck, für den die religiöse Idiotie der Eingeborenen hervorragend zu benutzen ist. In der Wirkung auf die Landesbewohner gleicht dieses Interesse auffällig der einstigen Berechnung der Sowjetunion, sich durch ihre Unterstützung Vietnams die weltpolitische Berücksichtigung durch die USA zu er zwingen und für eine entsprechend lange Kriegsführung zu sor gen; seinem Grund und Inhalt nach ist es jener Kalkulation ziem lich genau konträr. Die »freie Welt« hat Afghanistan längst als gute Gelegenheit entdeckt, um ihre Beziehungen zu manchen mehr oder weniger benachbarten Staaten durchgreifend zu bereinigen und einiges an aktiver Sowjetfeindschaft zu mobilisieren und zu organisieren; vor allem aber als Chance, die Sowjetunion in eine Zwangslage zu manövrieren, die ihr nur höchst unangenehme Al ternativen läßt: Entweder sie handelt sich durch einen vom Westen fast nach Belieben zu intensivierenden Dauerkrieg statt der er strebten Sicherung eine dauerhafte und zunehmende Gefährdung ihrer Südgrenze ein - ein Problem, das die USA in Indochina nie mals hatten; oder sie beugt sich in einer Angelegenheit, die sie zur Kernfrage ihrer Selbstbehauptung in Zentralasien gemacht hat, ei nem »internationalen« Diktat - ebenfalls eine Aussicht, mit der die USA in Vietnam nie auch nur von fern konfrontiert waren. So kommt die »Entspannung« an ihr wohlverdientes, ganz und gar logisches Ende! Und inzwischen zeichnet sich in Polen die »Chance« ab, der Sowjetunion ein ähnlich gelagertes, aber ungleich brisanteres Di lemma zu bereiten - diesmal ausgelöst durch einen Arbeiterauf stand, der sich an der zivilisierten Idiotie eines katholischen Natio nalismus orientiert und deswegen für den Westen so überaus brauchbar wird. Abgesehen davon, daß die polnische Frage nicht mehr am Rand des sowjetischen Machtbereichs gestellt wird, son dern mitten drin. 5. Eines allerdings weiß man auch in den Hauptstädten des freien Westens. Die Verwandlung eines Aufstandes im Machtbereich der Sowjetunion in eine gelungen Offensive gegen die andere Groß macht bedarf einiger »Sicherheitsanstrengungen«. Was aus Afgha nistan und all den anderen »Fällen« wird, läuft ja wegen der Rech te, die da widereinander stehen, noch allemal auf eine Entschei-
düng durch Gewalt hinaus. Dieser Konsequenz der Einschränkung, welche der Westen seinem östlichen Gegner überall, wo es geht, zuteil werden läßt, trägt die N A TO Rechnung. Und zwar durch ein Programm der Aufrüstung, das die »Probleme« mit den zahlreicheren und besseren militärischen »Optionen« für den Ernstfall sehr eindeutig zu entscheiden vermag. Mit der ziemlich unmißverständlichen Parole des »Totrüstens« ist von seiten der USA die Linie freiheitlicher Politik angegeben worden. Einer Pa. role, die gerne idealistisch mißverstanden wird, nämlich in dem Sinne, daß die bloße Beschaffung des überlegenen Kriegsgeräts be reits den Effekt eines erfolgreichen Einsatzes verbürgen würde. Diese Sorte statistisch ermittelter Überlegenheit, also »Friedenssi cherung«, findet zwischen der N A TO und dem Warschauer Pakt jedoch ebensowenig statt wie zwischen Argentinien und England. Und die liebliche Vorstellung, daß die Sowjetunion dem Zwang zu weiterer Aufrüstung quasi ökonomisch erliegen müßte, rechnet auch gar nicht damit, daß beim erklärten Feind ausgerechnet we gen Geldmangel die Entwicklung und Aufstellung neuer Waffen unterbleibt. Sie zielt auf eine Konkurrenz in Rüstungsdingen, der das sowjetische Sicherheitssystem in absehbarer Zeit nicht mehr gewachsen sein soll, so daß sich dessen Zerschlagung abwickeln läßt. Diese Entschlossenheit, die in strategischen Kalkulationen längst die dabei anfallenden Verluste auf der eigenen Seite einbe zieht und minimiert, liegt den Beschlüssen der U SA und der NATO-Staaten zugrunde, in denen sie eine funktionell abge stimmte Aufstockung ihres Arsenals einleiten. Das gewünschte Ergebnis der eigenen Aufrüstung definiert die westliche Seite sehr unbefangen: ihr diplomatischer Um gang mit dem Gegner ist eine einzige große Abrüstungs-Initia tive unter dem wohlklingenden Titel Null-Lösung. Unter zynischer Inanspruchnahme aller Idealismen einer Friedensbewe gung, die der Rüstung die Verantwortung für die Kriegsgefahr aufbürdet, erklärt die amerikanische Regierung sich unzufrieden mit den früher getroffenen Vereinbarungen über gewisse Grenzen der Aufrüstung. Statt dessen will sie die Vermehrung ihrer militäri schen Machtmittel mit dem Ziel vorantreiben, die sowjetische Seite zu »ernsthafter« Abrüstungsbereitschaft zu zwingen - ein schönes Zeugnis für den berechnenden Umgang mit dem Idealismus, der die Abrüstungsforderungen einer überlegenen Weltmacht mit der Bereitschaft zu teilweiser Selbstentwaffnung verwechseln möchte.
Logischerweise werden in den unter diesen Prämissen eröffneten Verhandlungen noch nicht vorhandene »eurostrategische« Waffen der USA gegen die erneuerte Mittelstreckenraketenmacht der So wjetunion aufgerechnet und eine Reduzierung der strategischen Atomwaffen auf beiden Seiten gefordert, die nicht einmal zum Schein auf »Ausgewogenheit« berechnet, sondern auf das ameri kanische Ideal bezogen ist, das »Fenster der Verwundbarkeit« des Staatsgebiets der USA zu »schließen«, also der Sowjetunion die Fähigkeit zur »Abschreckung« von ihrer Seite her vollends zu nehmen. Daß die amerikanische Regierung mit der Erfüllung die ser ihrer Forderungen selber nicht rechnet, nimmt ihrem Verhand lungswillen nichts von seiner »Ernsthaftigkeit« - gibt allerdings Auskunft über den von den USA gewollten Gegenstand und Zweck ihrer Verhandlungen. Sie präsentieren dem Gegner, der Form nach einvernehmlich, das feststehende Ziel der beschlosse nen amerikanischen Aufrüstung als die unverrückbare Absicht, eine militärische Gleichrangigkeit und daraus abgeleitete weltpoli tische Bewegungsfreiheit der Sowjetunion nicht zu dulden und zu i unterbinden; sie zielen nicht auf Kompromisse über bestimmte I und begrenzte Streitfragen, sondern übermitteln per Abrüstungs- \ Vorschlag eine vorweggenommene Kapitulationsaufforderung und sind damit die angemessene, sachgerechte diplomatische Durch führung der NATO -Politik des »Totrüstens«. Geht die sowjetische Seite darauf in der für normale Diplomatie üblichen Weise ein, nimmt die amerikanischen »Vorschläge« als zwar erpresserische, aber immerhin verhandelbare »Maximalposi tion« und antwortet darauf mit Abrüstungsangeboten, welche eine partielle Rücknahme ihrer Drohungen einschließen; zeigt sie also, daß ihr NATO-»Raketen aus Papier« mehr Eindruck machen als dem Westen ihre SS 20-»Raken aus Stahl« - ein Vergleich, mit dem Bundeskanzler Kohl ausgerechnet auf die angeblich Schwäche der westlichen Position hinweisen wollte - , dann sieht sie sich mit Zu rückweisungen konfrontiert, die den Bereich diplomatischer Ge schäftsgepflogenheiten verlassen. Ihre Verhandlungsbereitschaft wird als bloßes Propagandamanöver abgeschmettert, das nicht mehr verdiene als eine - sich offen als solche erklärende - Gegen propaganda. Die westliche Abrüstungsforderung wird mit dem Dementi des Scheins vorgetragen, sie wäre ein Angebot zum Kompromiß. Das ganze Angebot läuft auf Beseitigung der SS 20Drohung hinaus, und jeder Versuch der östlichen Seite, mit dieser ¿57
Drohung dem Westen etwas abzuringen, wird als »nicht konstruk tiv« definiert. Und die Nicht-Erfüllung der eigenen Forderung gilt als »Beweis« für die Gerechtigkeit der eigenen, unumstößlichen Vorhaben. 4. D er O sthandel: Z e rse tz e n d e G e sc h ä fte m it d e m F e in d
i. Sein Zugeständnis, den Machtbereich der Sowjetunion einst weilen als gegeben hinzunehmen und nicht beständig mit den mas sivsten diplomatischen Fragezeichen zu versehen, hat der »freie Westen« sich nicht bloß hinsichtlich der letzten Fragen imperialisti scher Weltpolitik mit einem weitgehenden sowjetischen Verzicht darauf, ihre anerkannte Weltmacht hinderlich oder gar feindlich gegen die westlichen Interessen in aller Welt zu betätigen, bezahlen lassen. Speziell die europäischen NATO-Verbündeten, die BRD an der Spitze, haben der Sowjetunion für diplomatische Konzes sionen an ihr Bemühen um anerkannte Grenzen für ihren Macht bereich einen zweiten, zusätzlichen Preis diktiert. Von der Sowjet union ging das Unternehmen aus, im Rahmen einer Quasi-Frie dens-» Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa« die westlichen Kontrahenten zu einer formellen, offiziellen Re spektbezeugung vor den innereuropäischen Nachkriegsgrenzen zu bewegen, namentlich die B RD zu einer formellen Anerkennung der Existenz der D D R sowie der polnischen Westgrenze; einem Respekt, der zu den elementaren Selbstverständlichkeiten des in ternationalen Verkehrs gehört, der Sowjetunion aber noch lange nicht zugestanden worden war. Und das ließen die friedliebenden Mächte der »freien Welt« ihren Gegner spüren, daß er das Interesse an einer »Normalisierung« der beiderseitigen Beziehungen ange meldet - und damit praktisch die Schwäche seiner Position einge standen hatte. Ihren formellen Respekterweis vor den Grenzen des sowjetischen Machtbereichs knüpften sie an eine Bedingung, in der ihre imperialistischen Ansprüche auf ein bequemer handhabbares Osteuropa sich aufs Beste mit der dazugehörigen moralischen Heuchelei trafen. In »Korb III« des schließlich verabschiedeten Vertragswerks erkennt die Sowjetunion die Verbindlichkeit der »Menschenrechte« für jede in Europa ausgeübte souveräne Herr schaft an - und damit einen Maßstab, der sich einzig und allein ge258
gen sie richtet. Die Manier, die Selbstverständlichkeiten einer un angefochtenen Herrschaft in einen Katalog von prinzipiellen Er laubnissen ans Individuum zu fassen - denen die nötigen Kautelen logischerweise auf dem Fuße folgen - , dieses paradoxe Idealbild einer ihren Untertanen nützlichen Gewalt paßt nun einmal erst klassig zum bürgerlichen Klassenstaat, der den Machern wie dem Menschenmaterial seiner nationalen Ökonomie ganz gerecht und gleichmäßig in ihren jeweiligen Anliegen zur Seite steht, also in rechter Proportion für die Notwendigkeiten der Armut wie für die Ansprüche des produktiven Reichtums sorgt. Es paßt aber ein für allemal nicht zu einer revisionistischen Herrschaft, die ihr Volk beglückt und zufriedengestellt haben will, indem sie sich selbst zum alleinigen Veranstalter und Nutznießer einer dem Kapitalis mus nachempfundenen Ausbeutung macht. Genau hier liegt der ganze Unterschied zwischen den Verfahrensweisen einer Staats gewalt, die ihre Massen für einen so ertragreichen Gegensatz gegen das akkumulationswillige Eigentum einer anderen gesellschaftli chen Klasse funktionalisiert, die ebenso ihrer Hoheit untersteht, und den Modalitäten einer Herrschaft, die selber der alleinige Kon trahent ihres Volkes sein will. Da nützt es den regierenden Revi sionisten im Osten auch nichts, daß sie die Kritik der »Menschen rechte« durch den Anspruch ersetzen, sie hätten in den alternativen Idealen ihrer Herrschaft - die »Entfaltung des Menschen im Kol lektiv« läßt sich nicht weniger schön ausmalen als die großzügige Erlaubnis, sich zur praktischen Unterwerfung eine ganz eigene »freie Meinung« zu halten! - deren »Wesensgehalt« erst so richtig wahrgemacht. Im Gegenteil: Die Realität der Ausbeutung geht mit dem Idealismus einer eigentlich viel besseren Welt lässig zusam men; der Anspruch, die Welt der Ideale wäre wirklich geworden, blamiert sich notwendig. So hat eine demokratische Staatsgewalt keinen Verlust an »Glaubwürdigkeit« zu befürchten, wenn sie sich und ihren Verbündeten jede Einschränkung und Aufhebung der »Menschenrechte« gestattet, sobald deren Wahrnehmung nicht mehr eindeutig in den Beweis konstruktiver Gesinnung und be dingungsloser Harmlosigkeit mündet, sondern von den demokra tischen oder auch schon nicht mehr demokratischen Machthabern als verfassungswidrige Gefährdung ihres Machtbesitzes verstan den wird. Gegen einen Feind gewendet, der seine andersgearteten Herrschaftspraktiken als die wahre Einlösung sämtlicher angebli cher Verheißungen der »Menschenrechte« ausgibt und gefeiert ha 259
ben will, wird der heuchlerische Idealismus der demokratischen Gewalt nicht einmal dann verdächtig, wenn er sich stolz zu seiner imperialistischen Stoßrichtung bekennt und ausdrücklich als »Menschenrechts^^//«?« Verwendung findet. Daß die Sowjetunion in der historischen »Schlußakte von Helsin ki« alle Ideale bürgerlicher Herrschaft unterzeichnet hat, zu deren »Verteidigung« sich die NA TO zusammengetan haben will, hat ihr nicht bloß in der moralischen Buchführung der »Weltöffentlich keit« - ohnehin im »freien Westen« zu Hause und für jede ideolo gische Rechtfertigung der nie preisgegebenen Kampfansage an das östliche »System« empfänglich - die fälligen Minuspunkte einge tragen. Dem »freien Westen« leistet der ominöse »Korb III« noch weit bessere Dienste: als Freibrief, um beständig unter Berufung auf die russische Unterschrift eine massive politische Zuständigkeit für alles politische Geschehen innerhalb des sowjetischen Macht bereichs anzumelden und geltend zu machen. So hat sich zum ei nen allerhand an praktischer Einmischung eingebürgert. Da läßt sich etwa einiger Einfluß nehmen auf den internen Umgang mit Oppositionellen, deren Angriffen auf ihr Staatswesen Schützen hilfe geben und somit etwas für die Vermehrung von Unzufrieden heit im Ostblock tun - ob dann die herausgeputzten Dissidenten, allzusehr ermuntert durch westliches Echo, im Gefängnis landen oder nicht (vielleicht »bloß« ihren Beruf verlieren...), beides ist nicht ungünstig. Die »menschlichen Erleichterungen« im Ausund Einreiseverkehr, einschließlich größerer Freizügigkeit für Journalisten, fördern eine Sorte Systemvergleich, dem es zwar schwerfällt, den Traum von einem Leben im Wohlstand westlich des »Eisernen Vorhangs« zu verifizieren — der praktische Test bringt noch allemal an den Tag, daß die goldene Freiheit mit Ab wesenheit von Elend und Gewalt nichts zu tun hat! - , dafür aber um so leichter, das Eigenlob der »sozialistischen Errungenschaf ten« im Osten zu desavouieren. Vor allem aber, und jenseits aller moralischen und praktischen Punktsiege über den sowjetischen »Totalitarismus«, hat der We sten mit »Korb III« der »Schlußakte« einen diplomatischen Posi tionsvorteil gewonnen. Seit Helsinki ist es kein »Revanchismus« und keine »Einmischung in fremde Angelegenheiten« mehr, wenn westliche Politiker sich als Berufungsinstanz für Sowjetbürger, also als Oberaufseher über deren Obrigkeit aufspielen und so, als wäre das zwischen feindlichen Staaten das Selbstverständlichste 260
von der Welt, ein Recht zur Einflußnahme auf den Gang der so wjetischen Herrschaft reklamieren. Jede imperialistische Unbe scheidenheit von westlicher Seite verfügt in der »Schlußakte« über einen - wie auch immer fiktiven - Rechtstitel, der es verbietet, sie politisch als das zu behandeln, was sie ist, nämlich ein imperialisti scher Anspruch, vielmehr noch dazu die östliche Seite unter den Zwang zur Rechtfertigung setzt. Die diplomatische Infragestel lung der sowjetischen Souveränität, die die Sowjetunion dem We sten abhandeln wollte, hat über das Einvernehmen zwischen Ost und West nicht etwa ihr Ende, sondern eine neue Verlaufsform ge funden, die gegenüber denVerfahrensweisen des »Kalten Krieges« einen bedeutenden Vorteil aufweist: Bei allen seinen Forderungen kann der Westen sich auf das aktenkundige sowjetische Interesse an »Entspannung« berufen. So wird der Beweis sowjetischer Nach giebigkeit zum Instrument westlicher Unnachgiebigkeit. 2. Die »Menschenrechte«, die da von an Gewaltmitteln nicht armen Staaten im Namen »des« Menschen postuliert werden, sind f r die politischen Ideale der kapitalistischen Benutzung eines eigen- f tumslosen Menschenmaterials, daher auch Hinweise auf die wirk- U liehen Freiheiten des kapitalistischen Eigentums. Als Gegenstand \ west-östlicher Einigung bilden sie daher logischerweise einen Zu satz zu Vereinbarungen, die darauf zielen, die Gegnerschaft zwi schen den Vertragspartnern um ein Verhältnis wechselseitiger ökonomischer Benutzung zu bereichern - ein Verhältnis, von dem von Anfang an feststeht, daß seine maßgeblichen Bedingungen durchs Kapital gesetzt werden. Seine Bewegungsfreiheit unter den so »hinderlichen« Bedingungen des »realen Sozialismus« ist denn auch das umfänglichste Thema der »Helsinki-Schlußakte«. Auf die Idee, im »freien Westen« gewisse »Normative« sozialisti scher »Planung und Leitung« einzuführen oder auch nur - analog zu den tatsächlich vereinbarten Regeln für den Fall einer »Störung des Marktgleichgewichts« - Garantien zu verlangen, daß der neu eröffnete erweiterte Handelsverkehr sich den Bedürfnissen des RGW und der Wirtschaftspläne seiner Mitgliedsländer anzupassen hätte, sind dabei noch nicht einmal die sowjetischen Unterhändler gekommen. Deren Position war und ist eben nicht die von Reprä sentanten eines Überflusses, die die Möglichkeiten einer fremden Ökonomie, mit ihrer Zahlungsfähigkeit und ihrer Produktivkraft der Akkumulation des eigenen nationalen Reichtums von Nutzen zu sein, frei inspizieren, kritisch würdigen und zu ihren Konditio261
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nen wahrnehmen. Umgekehrt: einen Reichtum solcher Art findet die Sowjetunion bei ihren westlichen Gegnern vor - und sucht des sen Interesse auf sich zu ziehen. Ihr Beweggrund dafür ist zum einen ein ökonomischer - un(j zw ar der denkbar schlechteste, aus dem heraus ein Staat sich über haupt zur Teilnahme am kapitalistischen Welthandel entschließen kann: eine Situation des Mangels. In ihrem Wunsch nach »beider seits nützlichen« Handelsbeziehungen meldet die östliche »Plan wirtschaft« einen sehr eindeutigen Bedarf nach Produktivkräften an: von eben der Produktionsweise, der sie stets eine angebliche Unfähigkeit zu effektiver Entwicklung der Produktivität zum V orw urf gemacht hatten, erwarten sich die Planer und Leiter der »wissenschaftlich-technischen Revolution« H ilfe für den eigenen Fortschritt in Gestalt von käuflicher Maschinerie aller Art! Die vom revisionistischen Staat in die Hand genommene »Verwirkli chung des Wertgesetzes« bringt die Akkumulation staatlichen Reichtums nicht hervor, auf die es deren H üter abgesehen haben. So üben sie Selbstkritik - und verfallen ausgerechnet auf die Sphäre der härtesten Konkurrenz und der einseitigsten Geschäftemache rei, in der nur der Erfolgreiche Erfolgsaussiebten hat, als Ausweg, um die Ausnutzung ihrer nationalen Arbeitskraft gedeihlicher zu gestalten; gerade so, als wäre der »Weltmarkt« ein Wundermittel, um die Resultate einer unproduktiven Ausbeutung schnell und lohnend in Mittel für eine produktivere zu verwandeln. Ähnlich illusionärer Natur ist der zweite, politische Zweck, den die Sowjetunion mit der Aufnahme und Pflege guter Geschäftsbe ziehungen zum Westen meint realisieren zu können. Die matten Drohungen der jüngsten Zeit an die Adresse der B R D , ihr könnten womöglich im Falle allzu weit getriebener politischer Botmäßig keit gegenüber den U S A lohnende Geschäfte entgehen, ebenso wie die gleichzeitige H ofierung westlicher Industrieller als der letzten, schon aus Eigennutz verläßlichen Garanten guter Ost-West-Beziehungen verraten die Ernsthaftigkeit der sowjetischen Hoffnun gen auf all die segensreichen politischen Konsequenzen, die die Ideologie vom »allseits nützlichen Welthandel« und seiner notori schen Friedlichkeit der weltweiten Geschäftemacherei zuschreibtund verraten zugleich die H offnungslosigkeit eines derartigen Kalküls. In der Gelassenheit, mit der westlicherseits derartige Drohungen ignoriert und östliche Avancen ausgenutzt werden, bekommt die Sowjetunion die imperialistische Wahrheit zu spü262
ren, die sie immerzu nicht wahrhaben will: daß die Idiotie von den friedensfördernden Wirkungen des weltweiten Handels das Ideal gelungener Erpressung ist - einer solchen nämlich, die den Kon trahenten mit vormilitärischen Mitteln nach Belieben fertig macht und daher das Gegenteil von einem Argument, mit dem die schwächere, auf funktionierende Beziehungen angewiesene Seite der anderen, stärkeren Seite Eindruck machen könnte. Mit genau umgekehrten Voraussetzungen und daher auch auf der ganzen Linie zu seinen Konditionen ist der »freie Westen« auf das ihm angetragene Ostgeschäft eingestiegen. Für die westlichen Staatsmänner und ihre Geschäftsleute war und blieb der Osthandel zum einen immer eine Sache des lohnend erweiterten Geschäfts: Keine N ot hat ihnen diktiert, gegen Autofabriken und Chemiean lagen der D D R Kühlschränke, den Polen Kohle, der Sowjetunion Erdgas und Wodka abzukaufen, sondern die freie, über die Verund Einkaufsmöglichkeiten in der ganzen Welt orientierte Begut achtung der östlichen Wünsche und der »sozialistisch« erstellten Güterwelt unter dem Gesichtspunkt lohnender Vermarktung der eigenen wie der angebotenen fremden Produkte - lohnend für westliches Kapital! Von diesem werden die Kalkulationen ange stellt, die darüber entscheiden, ob überhaupt und zu welchen Prei sen, mit wieviel Krediten zu welchen Zinssätzen usw. ein Handel zustande kommt; seine Akkumulation ist die Geschäftsbedingung. Und auf dieser soliden geschäftlichen Grundlage war und blieb der Osthandel für die westliche Seite stets zweitens ein sehr zielstrebig gehandhabtes Geschäft mit dem Gegner. Die Embargolisten aus der Zeit des »Kalten Krieges«, die noch allerlei Kleinkram des zivi len Bedarfs als »strategisch relevant« mit Ausfuhrverbot belegen, sind prinzipiell noch immer in Kraft und werden von den USA nach Bedarf auch immer wieder in Erinnerung gebracht und erneu ert; nicht einmal amerikanische Farmer sind davor sicher, gele gentlich ein paar Millionen Tonnen Weizen auf Halde liegen zu haben, weil ausgerechnet damit ein Exempel statuiert werden soll. Der Standpunkt, daß es den Osten bei aller geschäftlichen Ausnut zung vor allem nach wie vor zu behindern gilt, ist aber keineswegs nur dort präsent, wo ein Handelsgeschäft unterbunden oder zum Zwecke der »Bestrafung« storniert wird. Die Drohung, den ge samten schönen Handelsverkehr sterben zu lassen, wenn die So wjetunion nicht den westlichen Ansprüchen an »weltpolitisches Wohlverhalten« genügt, ist gerade den westeuropäischen Politi 263
kern geläufig, die sich so gerne über amerikanische Bevormundun in Fragen der »Entspannung« und des Ostgeschäfts beschweren Gegen amerikanische Beschwerden über eine »Arbeitsteilung« westlichen Bündnis, bei der die Schutzmacht U SA für die Behinderung und Bedrohung der Sowjetunion zuständig sei, während die BRD unter dieser Prämisse unbekümmert und selbstsüchtig ins Ge schäft mit ihr einsteige, können die politischen Repräsentanten des en gagierten Reichtums sogar den Hinweis ins Feld führen, gerade dank seiner üppigen Entwicklung stelle das Ostgeschäft die schärfste von militärische Waffe dar, die die N A TO sich nur wünschen könne. Und dieser Hinweis ist weit mehr als bündnisinterne Heuchelei wie der Streit um Polen aufs deutlichste zeigt. So ungleich die öko nomischen Voraussetzungen des Ost-West-Geschäfts auf den bei den engagierten Seiten, so eindeutig sind erst recht die ökonomi schen wie auch - deswegen - seine politischen Konsequenzen. 3. Die Ökonomie des Osthandels weist einige Besonderheiten auf, die sich dem Umstand verdanken, daß die »Staatshandelsländer« nicht für den Weltmarkt produzieren, weil umgekehrt ihre Akkumulation nicht auf dem regelmäßigen K auf und Verkauf von Produktions- und Konsumtionsmitteln außerhalb ihres Herr schaftsbereichs beruht. Die »Arbeitsteilung« innerhalb des RGW ist auch nicht Resultat der Konkurrenz, sondern von Kalkulatio nen bezüglich des funktionellen Beitrags der einzelnen Nationen zur wirtschaftlichen Potenz des Bündnisses. In ihren Wirtschafts beziehungen mit anderen Staaten verschaffen die Volksrepubliken mit real-sozialistischer »Planwirtschaft« sich eben nicht einige zu sätzliche Aufträge, billige Ware und dergleichen, sondern eine Aufgabe, nach der sie Teile ihrer nationalen Produktion einzurich ten haben. Entsprechend sind ihre Währungen Verrechnungsein heiten innerhalb des Blocks, die zwar allemal zu dem taugen, was in der kapitalistischen Welt dem Geld gelingt: auch drüben geht die Trennung des Reichtums von seinen Produzenten über Löhne und Preise, also mit Hilfe der Papierzettel vonstatten; als nationales Kreditgeld gelangen sie aber kaum zu internationalen Ehren. Mit tel des internationalen Handels sind sie nie geworden, weil sie von ihren Schöpfern nur als Kredit vorgesehen sind, den die Staatsge walt sich selbst einräumt, nicht aber als Geschäftsmittel eines Pri vateigentums, das weltweit seine Mehrung betreibt. A u f ihr Ver hältnis zur Geldware Gold wird daher auch kein Wert gelegt - eben darauf aber achten die Akteure des Weltmarkts sehr genau, weil sie 264
wissen, daß internationale Geschäfte nur dann welche sind, wenn sie in konvertibler Währung, und möglichst »harter« dazu, abge wickelt werden. So entstand mit dem Neubeginn ost-westlicher Wirtschaftsbeziehungen keinerlei Interesse, in den Besitz von Sloty, D D R -M ark oder Rubel zu gelangen. Dem Ost-Geld blieb da mit zwar das Schicksal erspart, zum Objekt von Devisenspekula tionen auf ausländischen Geldmärkten entwürdigt zu werden; für seine glücklichen Besitzer entstand jedoch das Problem, sich genau das beschaffen zu müssen, was der Revisionismus mit seiner Macht ergreifung fortschrittlich überwunden haben wollte: ein als G e schäftsmittel international taugliches und anerkanntes Geld. Die Devisenbeschaffung, die in kapitalistischen Ländern zu den selbst verständlichen Geschäftsbedingungen gehört, weil sie zum G e schäft dazugehört - über den Geldhandel spielt sich schließlich die Konkurrenz um die Preise ausländischer Waren ab - , wird für die realsozialistischen Länder zur ersten Schranke bei der Beschaffung der begehrten Güter. Während in der Konkurrenz der Kapitale das Exportgeschäft des einen die Importe des anderen ermöglicht und der Staat noch nicht einmal mit dem Ideal einer ausgeglichenen Handels- oder Zahlungsbilanz ernst zu machen braucht, entdeckt der Inhaber des Außenhandelsmonopols bei seinem ersten Gang als Käufer auf den »Weltmarkt«, daß seine Ökonomie ihm zu nächst einmal gar nicht die Mittel zur Verfügung stellt, die er dafür benötigt. E r will sich am internationalen Geschäft beteiligen, um seine ökonomischen Vorhaben zu fördern - und noch ehe der erste derartige Erfolg sich abzeichnet, muß er die Erwirtschaftung von Devisen als neue, zusätzliche Aufgabe in seine ohnehin zu wenig ertragreichen ökonomischen Unternehmungen einbauen. Und diese Aufgabe ist von anderem Kaliber, als was den soziali stischen Staaten von ihrer bündnisinternen »Arbeitsteilung« her als Anspruch einer auswärtigen Ökonomie vertraut ist. Damit westli che »Industrienationen« östliche Ware für kaufenswert erachten, braucht eine osteuropäische »Planwirtschaft« sich zwar nicht mit den im Reich der kapitalistischen Konkurrenz durchgesetzten Maßstäben der Kostpreiskalkulation vertraut zu machen; die zu ständigen Planungsinstanzen kommen ganz gewiß zuallerletzt auf die Idee, die staatlich festgelegten Währungsparitäten zwischen sozialistischem und kapitalistischem Kreditgeld als Datum zu nehmen, an dem die Rentabilität der geplanten Mehrwertproduk tion sich sinnvollerweise messen könnte. Geltend macht dieser 265
M aß stab sich aber sch on , näm lich im U m fa n g d er Produktionska. pazitäten , die die östlich en P laner und L eiter der A u fgab e umwid. m en m ü ssen , m it G ü tern zu im W esten k o n k u rren zfäh ig en Preisen d ennoch das benötigte Q u an tu m D evisen z u ergattern . D ab ei ist es noch nicht einm al dam it getan, daß ein ansehnlich er T eil der Pro. d uktion au f die Bah n geht und gen W esten rollt. A u ch als Ge. brau ch sw ert kann eine sozialistisch e W are sich eingestandener maßen nicht so ohne w eiteres m it den E rz e u g n issen m essen, die den kapitalistischen M arkt bevölkern ; und sei es nur deswegen, w eil dieser das nötige Q u an tu m R am sch aus n och w eit billigeren Q uellen bezieht. Seit den ersten T agen des o st-w estlich en Waren* Verkehrs haben deshalb die östlichen W estexperten Abteilungen eingerichtet, die spezielle Q u alitätsw are fü r den E x p o rt in das Reich der kapitalistischen Freiheit h ersteilen: d iese P rod u k te wer den säuberlich vom A ussch uß , der der eigenen B e v ö lk eru n g erhal ten bleibt, getrennt und gestem pelt, w as A rb e itsp lä tz e schafft und die Produktivität nicht w enig senkt. A b e r se lb st die gutwillige »L ö su n g « solcher »P roblem e« - die ihre W irk u n g beim eigenen V olk ganz sicher nicht verfehlt! - m acht die P artn er au s dem We sten nicht unbedingt den w estw irtsch aftlich en A n liegen des »Ost blocks« geneigt. N ich t zufällig ist selb st in die »Schlußakte von H elsinki« die schöne V orsch rift h ineingeraten , daß auswärtiger H andel zu allem, aber keinesfalls zu »M ark tstö ru n g e n « od er gar zu einer »M arktzerrüttung« führen d ü rfe; den K la rte x t lesen die west lichen H andelspartner ihren K am eraden d rü b en m it Zollpolitik und Kontingentierungsbestim m ungen v or. So werden einer W irtschaft, die ü b ersch ü ssige P ro d u k te gerade nicht hervorbringt, um eben diesem M an gel abzu h elfen , in an sehnlichem U m fan g P roduktivkräfte entzogen - in der Hoffnung auf die künftige W irksam keit der dam it bezah lten Produktivkraft aus der W erkstatt kapitalistischer A u sb eu tu n g . E in D ilem m a, zu dessen L ö su n g so schöne E rfindu ngen w ie In tersh o p s und Tuzex-L äden, Zw an gsum tausch sätze für T o u riste n und Verwand tenbesucher usw . nicht allzuviel ausrichten . D aß kein »Ostb lo ck «-L an d m it der P rod u ktion für D e v isen seinen Importbe dürfnissen h interherkom m t - die w achsen näm lich ihrerseits ganz beträchtlich m it den E rfordern issen des E x p o r ts von Q ualitätsw a re! ist daher eine bleibende G elegenheit fü r die kapitalistische G esch äftsw elt, ihre G roß zü gigkeit zu bew eisen und dem so ehr lich bem ühten H andelspartn er m it K rediten au szu h elfen. Nicht 266
nur im Falle Polens hat derlei »Hilfe« sich inzwischen auf elfstellige Dollarbeträge aufsummiert - und das, ohne daß jene extra reaktio nären Besorgnisse, man kreditierte auf diese Weise den Sowjets doch nur indirekt ihre Aufrüstung, mehr als ideologische Beach tung gefunden hätten. Tatsächlich ist es nämlich erstens auch für östliche Staaten keineswegs billig, sich des kapitalistischen Kre ditwesens zu »bedienen«, und offenbar auch überhaupt nicht loh nend; die Belastung der so vorbehaltlos weltoffen gewordenen »Planwirtschaften« durch Exportnotwendigkeiten steigt jedenfalls rascher, als die auf Pump importierten Produktivkräfte das ge wünschte segensreiche Werk tun. Zweitens pflegen größere inter nationale Kredittransaktionen zu einer Angelegenheit staatlicher Garantien auf seiten des imperialistischen Partners zu werden; und der läßt sich eine solche erstklassige Gelegenheit, durch die Praxis und die Konditionen der Kreditvergabe nicht nur ökonomischen Nutzen für sich und allerlei wirtschaftliche »Sachzwänge« für sei nen Kontrahenten zu stiften, sondern auch politischen Schaden anzurichten, natürlich nicht entgehen. Da werden Tauschge schäfte wie Kredit gegen Aussiedler, Swing gegen Menschenrech te, Zinsstundung und Umschuldung gegen Gewerkschaftsrecht vereinbart, von denen sich der alte Marx bei seiner eindimensiona len Warenanalyse auch noch nichts träumen ließ. Abhilfe von solchen Drangsalen schienen der Sowjetunion die Produkte zu schaffen, an deren Qualität nicht einmal die verwöhn ten Agenturen des »freien Westens« Anstoß nehmen und von de nen sie gar nicht genug kriegen können: die Rohstoffe, deren reich liches Vorhandensein in der sowjetischen Heimaterde einst die Idee eines sozialistischen Aufbaus ohne Störung durch einen un abweisbaren Zwang zum Außenhandel realisierbar gemacht haue. Insbesondere der Export von Erdöl und Erdgas ist so zum devisen trächtigsten Zweig des sowjetischen Westhandels geworden; frei lich auch nicht ohne die Härten imperialistischer Partnerschaft einmal mehr klargestellt zu bekommen. Auch hier ist es nämlich der Wirtschaft des Ostens nicht förderlich, die Lieferung zu Lasten der eigenen Versorgung gehen zu lassen, also die Milderung der Schuldenlast mit zusätzlichen Störungen der eigenen Produktion zu bewerkstelligen. Für die Steigerung der Förderung des sowjeti schen Exportschlagers N r. i ebenso wie für seinen Transport be darf es wieder genau der Leistungen der eigenen Industrie, deren Fehlen die Wirtschafts- und Politkommissare erst auf die Effizienz
westlicher »Technologie« scharf gemacht hatte. So stellt sich im. mer wieder heraus, daß die Sowjetunion, größter Röhrenprodu* zent der Welt, den Bedarf nicht zu decken vermag, der mit den ver> einbarten oder gewünschten Gas- und Öllieferungen entsteht. Was sowjetischerseits als endlich einmal lohnendes Geschäft geplant ist wird so doch wieder zu einem jener Kompensationsgeschäfte , die im Westen so gerne beklagt und getätigt werden: D er Energieex* port dient nun auf Jahre hinaus der Abzahlung der RÖhrenkontin. gerne (inklusive Zinsen) aus dem Westen; der macht damit erstens ein feines Geschäft und sieht sich zweitens in der glücklichen Lage, mit einem Embargo die künftige Energieversorgung der Sowjet union selbst in Frage stellen zu können. Ganz zu schweigen von den ohnehin vorhandenen Schwierigkeiten, den zusätzlichen Bedarf durch die weitere Erschließung und Exploitation der »unermeßlich reichen«, leider aber eben sehr abgelegenen Vorkom m en zu dekken; Schwierigkeiten, die bereits zu mancherlei Angeboten seitens der Sowjetunion geführt haben, die spezielles Bohrgerät gerne be zahlen würde, es aber aus politischen Erwägungen von den Amis nicht kriegt. Als noch wirkungsvoller hat sich der Osthandel, der die ökono mischen Ziele des »sozialistischen Aufbaus« zunichte macht und dem Westen als Hebel für eine praktische K ritik der revisionisti schen Herrschaft dient, dort erwiesen, w o die Verwalter des »Wertgesetzes« sich unter dem D ruck außenwirtschaftlicher »Sachzwänge« auf den Lehrsatz vom natürlichen Gegensatz zwi schen Akkumulation und Konsumtion besonnen haben und ihre Zahlungsfähigkeit im Welthandel durch den Export von Lebens mitteln sicherzustellen suchen. Da wird manches Produkt mit ei nem deutschen Etikett versehen, das es in den einheimischen Lä den nicht oder nicht in ausreichender Menge zu kaufen gibt; und wenn dann umgekehrt U SA und E G mit Lebensmittellieferungen »einspringen« - womöglich sogar zu Vorzugszinsen! dann war das Ganze keineswegs absurd, sondern für den Westen gleich dop pelt und dreifach von Nutzen. Wie von selbst schafft die gelungene B enützung des feindlichen Lagers die schönsten Anlässe, um die politische Infragestellungseiner Souveränität in ganz neuer Schärfe auf die Tagesordnung zu setzen. 4. D er kleine Widerspruch, daß der »freie Westen« bei der Aus nutzung der östlichen Ökonomie auf brave Arbeiter genauso setzt wie seine Geschäftspartner aus der Führung von Arbeiterparteien, 268
daß er andererseits für den inneren Zersetzungsprozeß der feindli chen Herrschaft ungehorsame, der Knechtschaft überdrüssige Bürger drüben schätzt, ist für einen imperialistischen Staat und seine Weltbürger keine große Belastung. Beides gilt ihnen als Dienst, der der Sache der Freiheit geleistet wird, und zwar neben einander und nacheinander. Manche demokratische Zeitung be schwört auf den vorderen Seiten die mit Füßen getretenen Men schenrechte und beschwert sich über den östlichen Despotismus, während der Wirtschaftsteil ganz »vorurteilsfrei« darüber Aus kunft gibt, daß »eine stärkere Bereitschaft zur Mehrschichtarbeit, fehlende Streikmöglichkeiten und übliche längere Arbeitszeiten« durchaus als Empfehlung für den Osten gelten können - in den Augen sozialstaatsgeschädigter Unternehmer in »arbeitsintensi ven« Branchen, die beim Gebrauch slawischen Personals bis zu 30 % Lohnkosten sparen können, wobei der staatliche Vermieter sogar noch gewinnt, wenn er die ortsüblichen Niedriglöhne zahlt. Auch von der »Stabilität«, die eine sichere Kalkulation erlaube, ist da recht häufig die Rede - woran zu sehen ist, daß sich Ost und West längst über viel mehr einig geworden sind als über den Tausch von diversen Waren. Sie haben auch schon zu gewissen »Lösun gen« der »Probleme« gefunden, die der Tausch für beide Seiten so mit sich bringt. Die westlichen Marktwirtschaftler, die jeden östlichen Exportar tikel dreimal daraufhin überprüfen, ob er denn auch wirklich »in die Landschaft paßt«, beklagen die »geringe Leistungsfähigkeit« der östlichen »Exportwirtschaft«, sind also der Auffassung, daß die von ihnen eingegangenen Geschäftsbeziehungen noch viel ertrag reicher gestaltet werden könnten. So weisen sie ihre Partner im Osten darauf hin, daß Kompensationsgeschäfte die Verschuldung zwar nicht steigern, aber auch nichts für ihren Abbau leisten. Drü ben ist man aufgrund des praktischen Drucks, der solchen Hinwei sen zugrunde liegt, auch schon zu der Überzeugung gelangt, daß die Begleichung des »Technologietransfers« mit langfristigen, also die Kreditierung verteuernden Lieferverträgen über Konserven, Berufskleidung und selbst Erdgas nicht das Wahre sein kann. So beugen sich die Länder des »Ostblocks« dem an die imperialisti schen Praktiken in »Entwicklungsländern« gemahnenden Angebot, doch auch den Artikel für das Ost-West-Geschäft zur Verfügung zu stellen, über den sie als Arbeiterstaaten so reichlich verfügen: die Arbeitskräfte, die — richtig angewandt und mit dem rech 269
ten Z w an g zu besserer »A rb eitsm o ral« au sgestattet - W under w|r ken kön n en u n d m it ihren P ro d u k ten , w enn sie v om westlichen G e sch äftsm a n n b estim m t w erden, ganz gewiß rich tig liegen. £)je Staaten des realen S o z ia lism u s, die sich als die p rak tisch gewordene B e freiu n g d es P roletariats vom Jo c h des K ap itals feiern, wetteifer„ in zw isch en d a ru m , am »tech n olo gisch en F o rtsc h ritt« teilzuneh m en, indem sie in »K o o p e ra tio n sa b k o m m e n « d er verschiedensten A rt ihre g efü g ige n und sehr brau chbaren A rb e iter an den Segnun. gen d es K a p ita ls teilhaben lassen. U n ter dem irreführenden Titel »L oh n V eredelu n g« - der L o h n w ird näm lich nicht veredelt! - fin, d et eine R en aissan ce des V erlagssy stem s aus der F rü h z e it des Kapj. talism u s im internationalen M aß stab statt. D ie L ieferu n g von Ma« schinen und ganzen F abriken setzt die »P lan w irtsch aft« instand erw ü nsch te H alb - und F ertig p ro d u k te zu liefern ; und für diese lan gfristige C han ce, in der D evisen frage zu R an d e zu kom m en so» w ie am fortgesch rittenen »k n o w h ow « des W esten s teilzuhaben steuert der sozialistisch e Staat R äu m lich k eiten , R o h sto ffe und Per. son al bei. D e r A bschluß derartiger G esch äfte m ach t deutlich, wie w enig der weltpolitische G e g e n satz zu m Im p e rialism u s mit einer praktisch en Kritik kapitalistischer Ausbeutung zu tu n zu haben braucht - w esw egen d ieser G e g e n satz u m ge k eh rt seh r bequem von den w estlichen Partnern betätigt w ird , die so unverhohlen zur praktisch en K ritik und R evision aller rev isio n istisch en Errungen schaften au f dem F eld der Ö k o n o m ie ein geladen sin d und in jedem laufenden V ertrag eine H an d h abe für die E rp re ssu n g ökonomischer und politisch er Z u g estän d n isse b e sitzen . G a n z e A bteilungen der P ro d u k tio n in den realsozialistisch en L än d e rn sin d inzw ischen auf die K alk u lation eingerichtet, die w estlich e M ark tstrateg en eigens fü r sie au fgem ach t haben. In deren fach m än n isch en Kommentaren tauchen solch e B ranchen a u f als a rb eits-, r o h sto ff-, energie- und um w eltintensive P rod u ktion szw eige, und die »d rü b en « haben alle H än d e voll zu tun, um die A b k om m en z u erfüllen und die verlang ten L iefergaran tien m it ihrem ü b rigen ö k o n o m isc h e n Programm zu vereinbaren. D en n die d ro hen den V o rb eh alte d er kapitalisti schen P artn er, die m it d er stän digen K lag e einh ergehen, daß »die bew äh rteste F o rm des internationalen T e ch n o lo g ietran sfers«, die D irektinvestition , noch im m er au f »id e o lo g isc h e V orbehalte« sto ße, begleiten jed es P ro je k t. D ie S o rg e , eine östlich e Regierung könn te sich einm al in ty p isch k o m m u n istisch er M an ier eine Li z en zfab rik einfach unter den N a g e l reißen, ist bis h eute noch nicht 270
aufgekommen; im Gegenteil, die sozialistischen Partner gelten als äußerst zuverlässig. Das einmalig günstige Zusammentreffen ihrer freien Kalkulation m it dem Profit auf der einen, der ökonomischen N ot der Länder mit »Planwirtschaft« auf der anderen Seite erlaubt den Anlegern, immer bessere Bedingungen auszuhandeln, so die U nterwerfung einer ihren Interessen eigentlich hinderlichen Pro duktionsweise voranzutreiben - und damit auf deren Auflösung hinzuwirken. Das politische Bündnis der revisionistischen Staaten bleibt von dieser zunehmenden Funktionalisierung ihrer Ökonomie durch und für westliche Interessen nicht unberührt. Nicht nur mit ihren eigenen nationalen Vorstellungen von einem »sozialistischen Auf bau« kommen die Planer drüben in dem Maße in Konflikt, wie sie ihre »Planwirtschaft« zum Zwischenglied in den ausgreifenden Kalkulationen westlicher Kapitale machen. Abstriche zugunsten devisenträchtiger Geschäftszweige fallen ihnen gewiß nicht zuletzt bei den Aufgaben ein, die ihrer Nationalökonomie im Rahmen des RGW zugewiesen sind. Die Sowjetunion selbst geht da mit Bei spielen der Art voran, daß sie ihre Energievorräte lieber an zah lungskräftige Westkunden verkauft, als ihre Bundesgenossen da mit zu beliefern, die immer so wenig zum gemeinsamen Fortschritt beisteuern. Und diese setzen bei der Erfüllung ihrer diversen außenwirtschaftlichen Verpflichtungen ebenso ihre Prioritäten was das interessierte imperialistische Ausland allerdings noch kei neswegs zufriedenstellt. In der Gewißheit, daß die Souveräne des gegnerischen Blocks die ökonomische Grundlage ihrer Macht schon längst nicht mehr voll unter ihrer eigenen oder gemein schaftlichen Kontrolle haben, sondern zu ansehnlichen Teilen be reits im »Entgegenkommen« westlicher Wirtschaftsmanager und -politiker, bestehen die Diplomaten des Imperialismus auf merkli chen Modifikationen auch der außenpolitischen Prioritäten ihrer östlichen Partner — als Bedingung für weiteres »Entgegenkom men« in Angelegenheiten der gewünschten ökonomischen Um orientierung auf den Westen. Unterschiedliche Grade der »Annähe rung« an die E G und den IWF, diplomatische Distanzierungsakte bezüglich weltpolitischer Manöver der Sowjetunion usw. führen entsprechende Differenzierungen in der westlichen Bereitschaft zu jenem Engagement herbei, auf das östliche Politiker so scharf sind - und umgekehrt. Das Streben nach »politischer Unabhängigkeit« inmitten des Warschauer Pakts, das sich z. B. auch im Empfang ei
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ner chinesischen Delegation dokumentieren kann, wird da eben$0 durch Geschäftsabschlüsse »belohnt« wie die Einräumung beson ders freundlicher Anlagekonditionen. Der gesamte »Ostblock wird inzwischen nach solchen Gesichtspunkten sortiert: die CSSft ist weder willens noch ökonomisch in der Lage, sich mit Hilfe einer bedeutenden »Ausdehnung des Westexports« zum Erfüllung$ge. hilfen westeuropäischer Investitionsstrategen zu machen; daher wird bedauernd konstatiert: »Der militärische Eingriff der Sowjet, union im August 1968 unterbrach eine Entwicklung, die das Land politisch und wirtschaftlich zu einem Vorreiter der Entspannungs. politik und der Ost-West-Beziehungen hätte werden lassen kön* nen.« Dafür gilt gegenwärtig Rumänien als »Vorreiter«, was mit Leistungen der verschiedensten Art zusammenhängt: von der be kannten rumänischen Chinesenfreundschaft über die - in einem NATO-Land unvorstellbare - höchstoffizielle Kritik an den Mili tärlasten bis hin zum »Vertrag über die Förderung und den gegen seitigen Schutz von Kapitalanlagen« aus dem Jahre 1979, dem ersten Abkommen dieser Art, das »die B R D mit einem Staatshandelsland vereinbart hat«. Ungarn ist zwar politisch nicht über« mäßig aufmüpfig, pflegt aber schon seit längerem eine derart »ex portorientierte Wirtschaftspolitik«, daß das Land sein flottes Handelsbilanzdefizit inzwischen mit der Erlaubnis von Direktin vestitionen ausländischen Kapitals bekämpft, von der Betreuung durch die Kreditlinien des IWF ganz zu schweigen; auch das schafft Sympathien. Und Polen ist bereits ein ganzes Kapitel für sich. Das »entspannungsfördernde« Ost-West-Geschäft ist so zu ei nem einzigen praktischen Beweis geworden, daß der Osten in jeder Hinsicht besser daran getan hätte, eine Planwirtschaft zu machen statt einen Staatssozialismus, der sich den Gesetzen des Welt markts entsprechend zurichtet, weil er sich ausgerechnet über ihn sanieren will. Den »Weltmarkt« benützt eben keine Nation für sich, ohne sich zur Manövriermasse seiner Gestalter zu machen es sei denn, sie wäre denen in jeder Hinsicht gewachsen. Und den rein geschäftsmäßigen Prinzipien des »Weltmarkts« widerspricht es überhaupt nicht, wenn die in Handel und Wandel hergestellten Abhängigkeiten dem zusätzlichen Kriterium der politischen Ein flußnahme unterworfen und als Hebel zur Relativierung auswärti ger Souveränität benutzt werden - schon gar nicht im Fall der Weltmacht N r. 2 und ihrer »Satelliten«. Je erfolgreicher die kapita 272
listische Benutzung der realsozialistischen Ökonomien auf deren Zerstörung hinwirkt, um so weniger ist sie zu haben ohne eine E r pressung, die sich der geschaffenen ökonomischen »Sachzwänge« sehr bewußt als eines bloß vor-militärischen Druckmittels bedient. Wäre der Osthandel nicht ohnehin von Anfang an ein Geschäft gewesen, das die N A T O sich leistet - man hätte glatt vom Stand punkt des erfolgreichen Osthandels aus die N A TO erfinden müssen. 5. Kein Widerspruch zur Logik des Ost-Geschäfts, sondern die Ausnutzung einer der dadurch eröffneten Chancen für die westli che Weltordnungspolitik ist daher noch der schließliche Übergang zum Wirtschaftskrieg gegen die Sowjetunion, der auf Basis der geschaffenen ökonomischen Abhängigkeiten das Verhältnis zwi schen wirtschaftlicher Benutzung und politischer Feindschaft end gültig »richtigstellt« - zu Lasten des Geschäfts, zugunsten des Er folgs seiner politischen Prinzipien. Die allgemeine Entscheidung für diesen Fortschritt hat der »Weltwirtschaftsgipfel« im Juni 1982 in Versailles mit dem folgen den, allgemein als wenig spektakulär eingeschätzten Beschluß ge fällt: Wir sind übereingekommen, gegenüber der UdSSR und Osteuropa ein vernünftiges und nuanciertes Vorgehen einzuschlagen in Einklang mit un seren politischen und sicherheitspolitischen Interessen. Hierzu gehört das Vorgehen in drei Schlüsselbereichen: Erstens werden unsere Vertreter im Anschluß an die internationalen Erörterungen vom Ja nuar bei der Verbesserung des Systems für die Kontrolle der Ausfuhr stra tegischer Güter in diese Länder und der nationalen Durchsetzung von Si cherheitskontrollen Zusam m enarbeiten. Zweitens werden wir in der OECD Informationen über alle Aspekte unserer Wirtschafts-, Handels und Finanzbeziehungen mit der Sowjetunion und Osteuropa austauschen. Drittens sind wir unter Berücksichtigung der bestehenden wirtschaftlichen und finanziellen Erwägungen übereingekommen, Finanzbeziehungen mit der UdSSR und anderen osteuropäischen Staaten vorsichtig zu handhaben, um sicherzustellen, daß sie auf einer gesunden wirtschaftlichen Basis ge staltet werden, einschließlich der Notwendigkeit kommerzieller Vernunft auch bei einer Begrenzung der Ausfuhrkredite. Die Entwicklung der Wirt schafts- und Finanzbeziehungen unterliegt einer regelmäßigen nachträgli chen Kontrolle. Der quasi selbstkritische Entschluß, in den Wirtschaftsbeziehun gen zum »Ostblock« fortan »kommerzielle Vernunft« walten zu lassen - gerade so, als hätte es daran vorher gefehlt! enthält als seine stillschweigende Voraussetzung und gibt damit kund, daß die
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Bedingungen für eine »vernünftige« und »vorsichtige« west-östlj. che Geschäftstätigkeit gründlich revidiert worden sind. Die öko nomischen und politischen Sachwalter des Kreditüberbaus an die Notwendigkeit einer »gesunden wirtschaftlichen Basis« zu erinnern, heißt ja nicht etwa einen Kampf gegen spekulativen Leicht sinn eröffnen, den es im Ostgeschäft auf westlicher Seite gewiß zu allerletzt gegeben hat. Daß die Kreditlinien, die westliche Ge schäftsleute ihren östlichen »Partnern« einräumen, deren internationale Zahlungsfähigkeit so auswerten, daß sie sie gefährden, war den Fachleuten und Praktikern, die immer nur ungern auf den öst lichen Wunsch nach Kompensationsgeschäften eingegangen sind, doch nie ein Geheimnis - und aus gutem Grund nie ein Problem, Denn schon im normalen kapitalistischen Geschäftsverkehr, erst recht zwischen kapitalistischen Nationen - und schon gleich, wenn sich Schulden in Milliardenhöhe akkumulieren - werden Kredite nach allen Regeln der »kommerziellen Vernunft« nicht gegeben, damit sie nach pünktlicher Rückzahlung und Verzinsung wieder aus der Welt verschwinden. Schließlich sollen mit Krediten erwei terte Geschäfte in Gang gesetzt werden. Solange die gelingen, ge bietet die »wirtschaftliche Vernunft« dem Gläubiger, mit seinen Krediten in diesem Geschäft drinzubleiben. Und dieses Gebot gilt allemal, wenn ein ganzer Staat sich verschuldet und seine Ökono mie vom Kredit anderer Nationen abhängig macht. Damit begibt dieser Staat sich nämlich auf den Weg, mit Land und Untertanen zu einem einzigen Großprojekt für fremdländische Investoren zu werden: zur dauerhaften Anlagesphäre. Die unmittelbare ge schäftliche Nutzung einer Herrschaftssphäre und ihrer Leute bie tet da die Gewähr für die wirtschaftliche »Gesundheit« auswärtiger Kredite in ziemlich beliebiger Höhe: Wie sollte eine Volkswirt schaft ihre Kreditwürdigkeit für westliche Geschäftsleute verlie ren, wenn die selber dabei sind, diese Volkswirtschaft zur Unter abteilung ihrer eigenen Unternehmungen zu machen? Eben das soll nun allerdings fürs Ostgeschäft und die entsprechende Her richtung der Länder des »realen Sozialismus« nicht gelten: so lautet die Botschaft, die der Versailler Weltwirtschaftsgipfel unter »Drit tens« an seine Geschäftswelt gerichtet hat. Dieser ist kein (bloß) quantitativer Maßstab gesetzt, wenn von den Chefs ihrer Länder auf eine »vernünftige« »Begrenzung der Ausfuhrkredite« gedrun gen wird, sondern eine prinzipielle Betrachtungsweise: der Ab schied von der Kalkulation mit dem Ostblock als kapitalistische
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Anlagesphäre vorgeschrieben; die Kredite schrumpfen damit ganz von selbst auf das Maß, in dem die Gläubiger mit einer nicht durch Kredit ausgeweiteten Zahlungsfähigkeit ihrer Schuldner rechnen. Mehr noch: Die »kommerziell« einzig »vernünftige« Parole lautet unter dieser neuen Voraussetzung, sich an den Schuldnerländern nach Kräften schadlos zu halten; denn wenn es einmal nicht mehr um die Ausweitung der »realsozialistischen« Staatsschulden im Westen geht, dann steht ja tatsächlich deren Begleichung an und damit eine ganz neue, sonst nur aus Konkursverfahren bekannte Konkurrenz der Kreditgeber. Sehr logisch fügt sich so der unter »Zweitens« mitgeteilte Beschluß ein, diese Konkurrenz nicht ein fach über die Ausplünderung des jeweiligen Schuldnerstaates ab zuwickeln, sondern zugleich untereinander in dieser Frage »in Fühlung« zu bleiben. Der Zweck des Ganzen ist unter »Erstens« sowie mit dem Verweis auf die »politischen und sicherheitspolitischen Interessen« der f f Gipfelstaaten deutlich genug - und doch erst nur zur Hälfte ange- ( geben. Hinreichender Grund dafür, nicht länger auf eine über den Kreditüberbau voranschreitende Subsumtion der östlichen Plan% wirtschaften unter den Akkumulationsprozeß westlicher Kapitale zu setzen, ist die mit dem bloßen Verweis auf Polen hinreichend belegte Tatsache, daß der feindliche Block trotz allem nicht gewillt ist, die politische Identität aufzugeben, um derentwillen die N A TO ihn zum Feind und Sicherheitsrisiko Nr. i erklärt hat. Ge logen ist es allerdings, wenn der Beschlußtext so tut, als ginge es bei der neu erweckten sicherheitspolitischen »Vorsicht« bloß um das unschuldige Anliegen, dem Feind nicht auch noch die technischen Möglichkeiten und ökonomischen Mittel für eine erfolgreiche Fortführung seiner Gegnerschaft zu überlassen bzw. zu beschaf fen, noch dazu auf Pump. Volkswirtschaften, deren Subsumtion unter die Erfordernisse und Forderungen erfolgreicher Kreditgeschäfte des Auslands mit ihnen schon so weit fortgeschritten ist wie im Falle der meisten »Ostblock«-Länder, mit der Aussicht auf die - und das heißt in diesem Geschäftszweig: mit der - Beendigung ihres Kredits zu konfrontieren, bedeutet nicht das Ende der »Hilfe«, sondern läuft auf die Lahmlegung ganzer Branchen, eine der Plünderung der letzten Reserven gleichkommende Erpressung mit der drohenden Zerstörung der gesamten Nationalökonomie und einer schweren Schädigung des gesamten gegnerischen Wirtschaftsbündnisses
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hinaus. Dies um so mehr, als es sich bei den kreditunwürdig er, klärten Schuldnern nicht um kapitalistische Unternehmungen handelt, deren Schädigung nach allen Regeln der Krise und ihrer Bewältigung über Konkurs und Kapitalentwertung zum Ruin der Arbeiter und zur Neueröffnung des Geschäfts unter geänderten Konditionen führt, sondern um eine »Planwirtschaft«, die ihre Be triebe auf die Erfüllung festgelegter Ertragsziele verpflichtet, da von auch abhängig macht und so die ruinöse Verallgemeinerung jeder von außen bewirkten Schädigung garantiert. Daß die Teilnehmer des Weltwirtschaftsgipfels in Versailles sich über diese Wirkungen ihres Beschlusses getäuscht, die Ideologie vom Kredit als Hilfe ausgerechnet im Falle der Sowjetunion und ihrer Verbündeten ernstlich geglaubt haben sollten, ist kaum an zunehmen. Dem amerikanischen Präsidenten jedenfalls muß die Schädigung der Sowjetunion als Zweck des Beschlusses klar genug gewesen sein; mit dem Verbot, Bohr- und Transportgerätschaften für die Realisierung der Erdgaslieferkontrakte der Sowjetunion mit Westeuropa und Japan zu liefern, Patente und Lizenzen dafür zu nutzen, hat er den folgerichtig nächsten Schlag gegen die interna tionale Zahlungsfähigkeit des »realsozialistischen« Gegners ge führt. Und die Beschwerden der betroffenen Partner, die USA handelten damit gegen die Vereinbarungen von Versailles, lassen nichts von der enttäuschten Gutgläubigkeit naiver Freunde erken nen - dafür um so mehr diplomatische Heuchelei vom Standpunkt der geschädigten Erfüllungsgehilfen, die zum wenigsten auf einer allmählichen Liquidierung ihres Ostgeschäfts ohne allzu große Abschreibungsverluste bestehen. Die Dummheit der »Argumen te«, die in dem anschließenden bündnisinternen Streit um Berech tigung und Nutzen von über die neue Kreditpolitik hinausgehen den Boykottmaßnahmen des Westens ausgetauscht wurden - die amerikanischen Getreide Verkäufe an die Sowjetunion, von west europäischen Politikern und Kommentatoren als verräterische In konsequenz im harten Kurs der US-Regierung gerügt, werden von amerikanischer Seite mit dem Verweis auf den Schaden gerechtfer tigt, der dem Feind aus einem direkten Geldabfluß für bloß kon sumtive Zwecke erwüchse; mit der umgedrehten Rechnung, die Sowjetunion hätte kaum eine Chance, ihrer Deviseneinnahmen aus dem Erdgas-Röhren-Geschäft mit Westeuropa und Japan recht froh zu werden, wird seitens der europäischen Partner das Festhal ten an diesem Unternehmen begründet, das eine letzte Chance auf 276
eine reguläre Schadloshaltung für die von Verfall bedrohten M il liardenkredite an den »Ostblock« bietet bezeugt denn auch deutlich genug, daß es dabei in der Sache um nichts anderes geht als um unterschiedliche Strategien und die entsprechende Verteilung der U n kosten eines schrittweise eskalierten W irtschaftskriegs ge gen das feindliche Bündnis. Unterdessen bemüht sich die Sow jet union um die selbständige Fertigung der nötigen T urbinen und R öh ren , w eil sie m it dem Schlim msten rechnen muß. U n d die Streitigkeiten unter den westlichen Partnern gehen munter weiter, bis ihr G egenstand zur allgemeinen Selbstverständlichkeit gew or den ist und die nächste Eskalation in der H auptsache vereinbart w ird - deren D u rch setzu n g erfolgt dann über erneute Z w istigkei ten . . . V o n den Chancen des Osthandels redet dann niemand mehr.
5. Polen: Eine Fallstudie über die Segnungen von O sthandel und »Entspannung« i . Hätten die polnischen Arbeiter bei ihrem Aufstand gegen ihre revisionistische Staatsgewalt konsequent auf ihren Lebensstandard geachtet, sie hätten sich auf alle Fälle eines erspart: die berechnen den Sympathien der »freien Welt«. Sie hätten ja glatt einige ziem lich prompte Umstellungen in Sachen Export von Lebensmitteln und Kohle durchsetzen müssen; um die Planung ihrer Wirtschaft, einschließlich des hartnäckigsten Refugiums kleinbäuerisch-vor kapitalistischer Warenproduktion, des Agrarsektors, wären sie nicht herumgekommen; sie hätten praktisch ernst machen müssen mit dem Spruch, den nun ausgerechnet die politischen Repräsen tanten eben jenes Kapitals im Munde führen, deren Krediten die polnische Staatsführung sich so bedingungslos verpflichtet weiß: die Polen wären »selbst in der Lage, mit ihren« - eben: mit ihren »Problemen fertigzuwerden«. In praktischer Nutzanwendung mancher guter Ratschläge Lenins hätten sie sich so, notgedrungen, der materiellen Grundlage eben jener Staatsgewalt bemächtigt, die Land und Leute so komplett politisch an den Osten, ökonomisch an den »freien Westen« verpfändet hat und nie ein Problem damit hatte, beiden Verpflichtungen abwechselnd und gleichzeitig ge recht zu werden - unter Einsatz ihres Proletariats als Manövrier masse. Nicht nur dem »Ostblock« wäre ein ausnutzbares Volk ab handen gekommen; auch im »freien Westen« hätten sehr rasch die
auch jetzt schon immer mal wieder laut gewordenen Beschwerden über eine zu große »Streiklust« der Polen und eine deswegen zu ge ringe Zuverlässigkeit der polnischen Geschäftspartner die begeisterte Kampfberichterstattung von den Gottesdiensten an der Streikfront abgelöst. Die Care-Pakete westlicher »Hilfsorgani sationen« - bei denen man immer so aufpassen muß, daß keine polnischen Billigkonserven aus dem Supermarkt dazwischenge raten - wären weder nötig noch willkommen gewesen; aufgeklärte polnische Grenzbeamte hätten sie gleich an die führenden west deutschen Großbanken umadressiert - drum wären sie auch gar nicht erst abgeschickt worden. Kurzum : Es wäre eine Revolution daraus geworden! Ein Exempel für jenen »Dritten Weg«, der auf gar keinen Fall und von keiner Seite erlaubt ist, weil er die still schweigende, bei aller Ungleichgewichtigkeit doch einvernehmli che »Arbeitsteilung« zwischen dem Imperialismus und seinem in jeder Hinsicht so passenden Hauptfeind in der Benutzung der Welt angreifen würde. In Wirklichkeit haben die polnischen Arbeiter mit ihrem Aufstand zu ihrem Schaden ein weiteres Beispiel dafür geliefert, wie wenig verbreitet der Materialismus gerade unter den Opfern von Ausbeutung und Staatsgewalt ist - im Gegensatz zu denen, die die drückende Verantwortung für das Gelingen von Gewalt und Aus beutung tragen. Materielle N ot bei gleichzeitiger ausgiebiger Be nutzung ihrer Arbeitskraft in den Kohlengruben, Werften, Trak torfabriken usw. der Nation - es ist ja keineswegs so, daß es Polen an Produktionsmitteln fehlte: irgendwo stehen ja die Sachen her um, die das Land zur zehntgrößten »Industrienation« der UNOStatistik machen! - war ihnen nicht mehr und nicht weniger als ein Anlaßy ihren moralischen Nationalismus gegen die eigene Regie rung und deren offizielle auswärtige Garantiemacht zu mobilisie ren. Als guten Katholiken, die es für den zweitgrößten Ehrentitel der Jungfrau Maria halten, die insgeheime »Königin Polens« zu sein, ist diesen Volksgenossen die Unterscheidung zwischen der staatlichen Gestalt und einer eingebildeten »wahren Natur« ihrer Nation geläufig und die in jedem halbswegs intakten Nationalstaat strikt verbotene Vorstellung vertraut, es gäbe einen Auftrag und ein Recht des polnischen Volk es Uber den politischen Programmen der Staatsgewalt - die schon allein deswegen den Geruch der *Fremdherrschaft« nie ganz los wird. Vom Standpunkt dieser Ideologie aus wird ein Mangel an wichtigen Volksnahrungsmitteln 278
ohne Zweifel etwas sehr Ehrwürdiges, nämlich ein Beweismittel für das Versagen der Regierung vor dem Ideal eines besseren, weil wahren, weil ganz nationalen und ganz frommen Polen, und eine Revolte dagegen ebenfalls etwas höchst Würdevolles, nämlich ein Kampf um die tiefere Bedeutung von Schweinefleisch und Mast gänsen. Vom Standpunkt der zu beseitigenden Not aus betrachtet ist diese national-moralische Verklärung eines materiellen Anlie gens allerdings höchst fatal; denn fortan dreht sich der Streit mit der Staatsgewalt sehr folgerichtig nicht mehr um ihre Beseitigung, sondern um ihre Interpretation. Schon im Kampf um ihre Zulas sung als autonome Gewerkschaft ist es der aufständischen Arbei terbewegung um nichts so sehr gegangen wie um Eingeständnisse von Fehlern und Verfehlungen auf Regierungs- und Parteiseite, um die Entlarvung und Entfernung von der Unfähigkeit und Korrup tion verdächtigen Figuren; durchaus handfest und radikal wurde im Namen des wahren nationalen Heils die Schuldfrage bezüglich der gegenwärtigen Kalamitäten gestellt und entschieden. Und darin hat die revisionistische Staatsführung, obwohl gerade dazu gezwungen, mit der Legalisierung der »Solidarität« ihre Lebens lüge von der praktisch hergestellten Einigkeit von Arbeitsvolk und sozialistischer Obrigkeit offiziell in Wort und Tat zu widerrufen, ihre Chance wahrgenommen. Das offenherzige Zugeständnis von jeder Menge »Mißwirtschaft«, die Preisgabe verhaßter Prominenz, die beschleunigte Zirkulation von höheren Partei- und Staatsäm tern, das alles erbrachte den »Beweis«, daß Schuld und Sühne eine Sache, die ökonomischen »Sachzwänge« eine andere sind - aller dings so, daß die letzteren, die von den Sachwaltern der polnischen Ökonomie geschaffenen Notwendigkeiten, als unbedingt zu wür digende Tatsachen stehenblieben. Die rebellischen Arbeiter beka men ihre Siegesfeiery einschließlich der nötigen Denkmäler für die Opfer, die alle großartigen »Freiheitsrechte« kosten, gleich im An schluß an die Zulassung ihrer Gewerkschaft; sie bekamen sie in Form eines Hoheitsaktes, zu dem die Staatsführung zufrieden vermerken konnte, daß die »Zwischenfälle« ausblieben, auf die westliche Kamerateams so sehnsüchtig warteten; und sie honorier ten diese »Selbstdemütigung« ihrer Obrigkeit mit sehr viel Ver ständnis dafür, daß die Akkumulation nationalen Reichtums in mitten des R G W und mit einem riesigen Schuldenberg aus dem so segensreichen Westgeschäft kostspielige Konzessionen an die Ar beiter verbietet, im Gegenteil mehr denn je durch den Angriff auf 279
die Konsumtion des »werktätigen Volkes« zu bewerkstelligen sei Die Alternatiworschläge, die der Gewerkschaftsführung dazu einfielen, blamierten sich nicht bloß durch ihre komplette Ah nungslosigkeit bezüglich der Voraussetzungen und Verlaufsfor men beider Sorten Ausbeutung (»Wir wollen aus Polen ein zweites Japan machen!«), sondern waren überdies alle in der Vorausset zung mit der Regierung einig, daß bis auf weiteres um mehr Arbeit und größeren Mangel nicht herumzukommen sei, um Ruf und Rang Polens wieder zu festigen. Dieses Einverständnis zum Schaden der Arbeiterklasse bedeutete andererseits keineswegs einen Friedensschluß zwischen der revi sionistischen Staatsgewalt und ihrer ganz und gar systemwidrigen Opposition. Im Gegenteil: Eben weil der Streit um die bessere Sachwaltung der Interessen der polnischen Nation geführt wurde, und zwar zwischen einer Regierung, die ihre Macht der Tatsache verdankt, daß die polnische Souveränität ganz wesentlich auf ei nem sowjetischen Machtspruch sowie dem westlichen Interesse an einem regierenden Geschäftspartner beruht, und einer Opposi tion, die die gleichzeitige Abhängigkeit der polnischen Staatsge walt von ihren Untertanen zur Geltung bringt, war sein Prinzip ein wechselseitiges Mißtrauen, das durch keinen denkbaren Kom promiß auszuräumen war. Und weil es der Gewerkschaft um das Freiheitsrecht ging, sich als Sprecher des polnischen Volkes aner kannterweise Geltung zu verschaffen, war auch von ihrer Seite her garantiert, daß die materiellen Anlässe für Unzufriedenheit und Aufruhr sich immer wieder erneuerten: auch sie hätte es ja, und zwar über alle »Flügel« hinweg, für einen M ißbrauch der ihr zuge standenen Freiheit gehalten, wenn sie diese kompromißlos zugun sten des proletarischen Lebensstandards benutzt hätte, und legte größten Wert einzig darauf, daß die Regierung vor jeder Maß nahme zur »Sanierung« Polens ihre Z ustim m ung einholte. Es war ein K a m p f ohne klar definiertes Ziel, weder ein kompromißfähiger noch ein kompromißloser, den die »Solidarität« führte; oder an ders: Der Streit selbst, die beständige form elle Infragestellung und Relativierung der Souveränität ihrer Regierung, das dauernde Neu-Aufwerfen der »Machtfrage« in ihrer ganzen Abstraktheit war einziger Inhalt der Kämpfe, die die Gewerkschaft im ganzen Land ununterbrochen führte und die von Anfang an die gewalt same »Rettung der Nation«, womöglich durch einen sowjetischen Einmarsch, auf die Tagesordnung setzten. 280
Dabei sollte man einem Gerücht allerdings keinen Glauben schenken, nämlich dem, es ginge bei all dem um eine von der Basis her ins Werk gesetzte, rundherum gelungene polnische Demokra tie. Gewiß, um Freiheiten ist es einem katholisch-gewerkschaft lichen Aufruhr schon zu tun - in der ganzen negativen Bedeutung dieser Angelegenheit: Materialistisch will man nicht sein, auch wo man eine bessere Fleischversorgung und billigere Tabakwaren for dert, sondern ernsthaft gefragt werden, ob man die nationale Not wendigkeit des Fleischmangels und der Tabakbesteuerung auch autonom akzeptiert; Stolz und Anspruch auf Gerechtigkeit, nicht einfach Wohlergehen sind Grund und Zweck dieser Rebellion, die sich deswegen auch so leicht für die klassischen Ideale der bürgerlich-demokratischen Volkssouveränität gewinnen ließ. Bloß: Seit wann wäre das denn ein Merkmal durchgesetzter Demokratie, daß ein Volk seiner Regierung ständig mit seinem Mißtrauen in die Quere kommt, sämtliche legalen Personalent scheidungen über die betriebliche wie zivile Verwaltung effektiv l kontrolliert und jederzeit zurückweisen können will, einseitige I und tendenziöse offizielle Berichterstattung über wichtige Ge- ' werkschaftsangelegenheiten mit einem Druckerstreik quittiert, die wichtigsten Herrschaftsmechanismen zur Disposition gestellt ha ben will? Der Parteitag der PVAP (Polnische Vereinigte Arbeiter partei) Mitte 1981 wurde als unglaublicher Sprung von Kommuni sten ins kalte Wasser innerparteilicher Demokratie kommentiert; bloß: seit wann wäre es denn beispielsweise auf den Parteitagen der demokratischen Parteien Westdeutschlands üblich, daß die Partei führung durch das Kräfteverhältnis der verschiedenen Fraktionen nicht durchblickt und noch nicht einmal vorher feststeht, wer zum neuen Vorsitzenden gewählt wird? Seit wann werden denn Kor ruptionsvorwürfe gegen führende Staatsmänner und leitende Funktionäre einer staatstragenden Partei von einer freien demo kratischen Öffentlichkeit nicht bloß kolportiert - schon das ge schieht in liberalen bundesdeutschen Zeitungen nie ohne die ernste Mahnung, daraus dürfte aber um Gottes willen keine Unzufrie denheit entstehen, und der eigentliche Skandal sei die Gefahr, daß daraus ein Argument für »Staatsverdrossenheit« gemacht werden könnte! sondern bis zur »Bestrafung der Verantwortlichen« un erbittlich weiterverfolgt? Was wäre in einer Demokratie wie der bundesdeutschen denn fällig, wenn eine Gewerkschaft eigene Sen dezeit im Fernsehen beanspruchen und ihrerseits die offiziellen 281
Berichterstatter ausschiießen würde; wenn Gerichtsurteile oder Regierungsverordnungen unter Streikdrohung zurückgewiesen würden; wenn auf Gewerkschaftstagen die Forderung nach Frei lassung erklärter und »rechtskräftig verurteilter« Staatsfeinde laut würde? Schon ein Bruchteil des Widerstandes, den die »Solidari tät« gegen die polnische Regierung praktizierte, hätte in einer funktionierenden Demokratie im Nu die Ausrufung des inneren Notstandes zur Folge gehabt - in Polen gab die aus ebenso guten Nationalisten zusammengesetzte Regierung teils nach, startete an dererseits ihrerseits Offensiven gegen die Machtpositionen der au tonomen Gewerkschaft, ließ sich also in einer Art nationaler Kumpanei mit ihrem Gegner in einer Situation, die in westlichen Ländern viel eher einem verantwortungsbewußten Offizierscorps den Plan eines Staatsstreichs zur Rettung der Nation eingegeben hätte, auf ein beständiges Hin und Her von Erpressung und Ge generpressung mit ihrem oppositionellen Volk ein. 2. Dali unter westlichen Beobachtern der polnische Dauerauf stand als ein Um-sich-Greifen demokratischer Verkehrsformen im Staat interpretiert wurde, hatte denn auch meist handfestere Gründe als eine sachgerechte »Lageanalyse«. Vater des Gedankens war der westliche Beschluß, die Schwierigkeiten, die die aufsässi gen Polen ihrer Obrigkeit bereiteten, als weltpolitischen Hebel für die Sache der imperialistischen Demokratie zu benutzen. Die Auf fassung, durch ausländische Kredite würde eine revisionistische Planwirtschaft in ihren Zielsetzungen gefördert, einst von rechts demokratischer Seite mit Hinweis auf die angebliche Erleichterung östlicher Aufrüstungsprogramme als erbitterter Vorw urf gegen das Geschäft >Aussiedler gegen Leihkapital vorgebracht, hat sich noch selten so massiv und offenkundig blamiert wie im Fall der Volksrepublik Polen. Für deren Nationalökonomie sind über 40 Milliarden Dollar Westschulden eine Last, deren pünktliche Ver zinsung, geschweige denn vertragsgemäße Tilgung nur noch durch neue Schulden zu bewältigen ist. Nach den Kriterien des interna tionalen Geschäftsverkehrs wäre hier eigentlich längst eine durch greifende »Sanierung« nach IWF-Richtlinien fällig, die Fortent wicklung eines Landes von einem Kreditnehmer, der es auch mit partiell modernisierten Produktivkräften nicht zu einer effektiven Ausbeutung seiner Arbeiterklasse bringt, zur freien Anlagesphäre für Kapitale, die die werktätige Bevölkerung, einschließlich des rückständigen Bauernstandes, einmal gründlich aufmischen, in 282
nützliche und unbrauchbare Fraktionen auseinandersortieren und aus der gesteigerten Armut einen unverhältnismäßig mehr gestei gerten akkumulationsfähigen Reichtum abpressen. Genau da stößt die ökonomische Logik allerdings auf die Schranke der politischen Zuständigkeiten. Polen ist nicht zu behandeln wie ein slawisches »Entwicklungsland«; selbst wenn eine polnische Regierung der ehemaligen sozialistischen Brudernation China auf diesem Weg folgen wollte, stünde hier der Anspruch der Sowjetunion im Weg, die Staatsgewalt in Polen für sich als Bündnispartner zu erhalten und nicht (vollends) zum politischen Sachwalter westlicher Ge schäfte werden zu lassen. Umgekehrt läuft das nun allerdings: Der polnische Schuldenberg ist per se eine weltpolitische Größe ersten Ranges. Einfach da durch, daß die herrschenden weltpolitischen Zuständigkeiten sei ner ökonomisch eigentlich »sachgerechten« Behandlung wider sprechen, stellt er auch andersherum die definitive Zugehörigkeit Polens zum »sozialistischen Lager« materiell in Frage. Mit ihrer »großzügigen« Kreditierung der polnischen Staatswirtschaft ha| ben die imperialistischen Nationen tatsächlich in einem solchen ' Umfang ihren Reichtum zur Grundlage jenes Staates und seiner Ökonomie gemacht, daß deren weitergehende, auch politisch un widerrufliche Funktionalisierung für eine gründliche westliche »Kapitalhilfe« eigentlich ansteht. Die Konsequenzen der Verhin derung dieses Übergangs sind entsprechend verheerend. Geradezu wie in einer kapitalistischen Krise, wo die Zahlungsunfähigkeit an einem Punkt die einer anschwellenden Zahl kreditsuchender und kreditierter Unternehmen nach sich zieht, bis die Produktion selbst an den Rand des Erliegens gerät, zieht in Polen der Mangel an Produktionsmitteln in dem einen Betrieb die Unverwendbar keit der Produkte anderer, das Zurückgehen des Exports ein Aus bleiben unabdingbarer Importe und verschärften Mangel an Pro duktionsmitteln nach sich; bloß: während eine kapitalistische Krise die Startchance für die potentesten Kapitale ist, führt die Auflösung des staatlichen Wirtschaftsplans in Polen in gerader Richtung auf einen ökonomischen Zusammenbruch zu: den selte nen Zustand, daß vorhandene Produktionsmittel und Arbeits kräfte überhaupt nicht mehr zweckdienlich nach Maßgabe der nach wie vor herrschenden Zwecksetzungen zusammenzubringen sind. Die Gläubigerstaaten und ihre engagierten Geschäftsbanken behandeln Polen demgemäß wie einen Konkursbetrieb, lassen die
Regierung ihr Geschäftsgebaren im Innern und ihre Geschäftsver bindungen nach außen rückhaltlos offenlegen - und nehmen der größten Kaltschnäuzigkeit, gewissermaßen als den hauptver antwortlichen Gesellschafter eines Bankrotteurs, die Sowjetunion als ökonomischen Bürgen der polnischen Zahlungsfähigkeit ins Visier. Ihre fortdauernde politische Zuständigkeit für die Zwecke und Vorhaben der polnischen Staatsgewalt muß die Sowjetunion sich so dadurch erkaufen, daß sie - allenfalls der Form nach noch als Kredit, in Wahrheit als auf immer verlorenen Zuschuß - mit ren ohnehin viel zu knappen Devisenbeständen für jene Zahlungs. Verpflichtungen Polens einsteht, zu deren Stundung die westlichen Gläubiger sich nicht bereitfinden; daß sie mit massiven Hilfen aus ihren ohnehin zu knappen Lebensmittelbeständen die Fortführung des polnischen Agrarexports zur Begleichung fälliger Zinsen und Tilgungsraten ermöglicht; desgleichen mit Energielieferungen den Kohleexport usw. Und das alles noch nicht einmal mit dem Effekt daß sie sich dadurch wenigstens die materielle Zuständigkeit für das ökonomische Schicksal ihres Bündnispartners zurückkauft, sondern nur, um die Präsentation der fälligen »Konkursrechnung« eine Zeitlangaufzuschieben - daß die polnische Nationalökonomie in absehbarer Zeit auch mit noch so starker sowjetischer Hilfe ih rem Schuldenberg gewachsen sein könnte, kann keiner der Betei ligten ernsthaft annehmen. So bleibt garantiert, daß allein der ganz geschäftsmäßig kalkulierte und bewerkstelligte ökonomische Vor teil westlicher Kapitale - Zinsen und Tilgungsraten werden ja nicht gestrichen, und westliche Kaufleute und Abnehmer setzen die höchst rentablen Geschäfte mit Billigkohle und Billignahrungsmit teln aus polnischen Landen so lange fort, bis es plötzlich unmög lich gemacht wird! - gleichzeitig eine politische Infragestellung und eine massive ökonomische Schädigung der sowjetischen Macht in ihrem osteuropäischen Zuständigkeitsbereich bewirkt; und die Kredite zur Umschuldung der polnischen Verpflichtungen tun ihre Wirkung als »Hilfe« für bleibende Instabilität. 3. Da die Politiker aus den Reihen der Partei eine Wiederherstel lung des untertänigen Vertrauens zu ihren Regierungsfiguren nicht zustande brachten, haben die Militärs die »Konsequenz« gezogen und das Machtmonopol einer polnischen Regierung gesichert. Durch ihre Gewalt haben sie dem Machtkampf zwischen Staats partei und Gewerkschaft, der zur Dauereinrichtung geworden war, ein vorläufiges Ende bereitet. Mit der Präsenz von Soldaten 284
und Waffen an allen Ecken und Enden, durch die Internierung von Oppositionellen und die exemplarische Bestrafung von »Rädels führern« ist es dem General Jaruzelski und den Seinen gelungen, für »Ruhe und Ordnung« zu sorgen. Die für die Parteien des realen Sozialismus so unverzichtbare »führende Rolle in Staat und Gesell schaft« ist damit an das Machtinstrument des Staates übergegan gen; die Untertanen wurden unmittelbarer Gewaltanwendung ausgesetzt und erhielten das trostlose Versprechen von oben, daß ihnen das Diktat des Militärs genau in dem Maße erspart würde, wie sie es durch ihren Gehorsam überflüssig machten. Mit diesem Schritt erklärten die Militärs den Versuch für geschei tert, über Ämterrotation und Zugeständnisse von allerlei Re formen das unbotmäßige Volk zu befrieden; einen Versuch, der zudem in Moskau nur Zweifel weckte an der Verläßlichkeit der polnischen Parteiführung. Sie reagierten damit auch auf die öko nomischen Störungen, die das Produktions- und Verteilungsge füge so gut wie zum Erliegen brachten. Mit dem Hinweis auf einen drohenden russischen Einmarsch, der eine echt polnische Souve ränität auf absehbare Zeit hinfällig machen würde, legitimierte Ja ruzelski den Ausnahmezustand ebenso wie mit der Not des Vol kes, die er dem »Chaos« zuschrieb, dem ein Ende bereitet werden müsse. So sollte ausgerechnet durch das Kriegsrecht dem sowjetischen Si cherheitsbedürfnis und dem aufständischen Patriotismus Genüge getan werden; ausgerechnet die Unterdrückung sollte als Gewähr für künftige Versorgung mit dem längst nicht mehr vorhandenen Notwendigen wirksam werden! Warum aus diesem Vorhaben nichts geworden ist, dafür aber aus Polen ein »weltpolitischer Kri senfall« und »Konfliktherd«, ist angesichts der Beteiligten nicht schwer auszumachen. Zunächst einmal leidet die Betörung des eigenen Volkes durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes einigermaßen darunter, daß das Volk unter dem Kriegsrecht leidet und nichts mehr darf. Über zeugend ist daher auch nicht der Verweis darauf, daß immerhin ein General des eigenen Militärs, also ein Pole, den Zwang verabreicht - spätestens seine erste diplomatische Begegnung mit der sowjeti schen Regierung gilt als Beweis dafür, daß er den Einmarsch der al len Patrioten so verhaßten Schutzmacht nicht verhindert, sondern ersetzt hat. Als Statthalter der Gewalt gilt er, deren Wirken er überflüssig zu machen vorgibt. 285
Dam it ist auch schon sein Scheitern in Sachen »Erneuerung« Vor gezeichnet. Denn im Unterschied zu den Militärdiktaturen der freien Welt ist das Programm der »polnischen Rettung« per Gewalt angewiesen auf das Mitmachen des Volkes, und zw ar auf ein Mit. machen durch Leistung. Es ist eben nicht damit getan, daß Poli*e| und Justiz für die Festsetzung von Oppositionellen sorgen - der polnische Staat beruht nämlich auf der ökonomischen Benutzung seines Volkes, von dessen Mehrprodukt er seinen Unterhalt wie den bescheidenen der Leute abhängig macht. Während so manche lateinamerikanische Diktatur Land und Leute den Bedürfnissen auswärtigen Kapitals und den dazugehörigen politischen Interes sen unterwirft und dabei auf ein Gutteil ihrer Untertanen »verzich ten« kann, was ihren Einsatz und ihre Erhaltung als Arbeitskräfte angeht; während solche Militärregimes für die von ihnen gesicherte Ordnung in ihren nationalen Armenhäusern wie für ihre strategi schen Dienste von demokratischen Wirtschafts- und Militärmäch ten Kredit und Waffen erhalten, ist Polen eine N ation, die von der in ihr stattfindenden Reichtumsvermehrung lebt. A u f der Grund lage seiner Produktion ist Polen sowohl Partner des R G W als auch des osthandelnden Westens. Und um die Brauchbarkeit dieser Grundlage ist es den Militärs zu tun, wenn sie zur »wirtschaftli chen Reform« aufrufen. Für notwendig befinden sie den geregelten Gang des Arbeitslebens in ihrem Land, weil anders keine der au ßenwirtschaftlichen Verpflichtungen einzuhalten ist und mit dem Stocken der internationalen Beziehungen umgekehrt einiges an Mit teln fehlt, um auch nur die elementarste Versorgung der einheimi schen Betriebe zu gewährleisten. Für die U nlösbarkeit dieses Zir kels steht mit äußerst gutem Gewissen der freie Westen ein, von dessen Wohlwollen das Gelingen des Notstandsprogramms nach Jahren gedeihlichen »friedlichen Austausches« abhängt. Denn die außenhandelsbeflissene Verwendung von Konsumtionsmitteln die als »Versorgungskrise« den materialistischen Anlaß des Volks zorns lieferte - und Bodenschätzen und die »Modernisierung« der polnischen Produktion durch Importe aus dem Westen haben eben dafür gesorgt, daß Polen auf westliche Kredite ebenso angewiesen ist wie auf die Einfuhr von Maschinenteilen und Werkstoffen. Da es die erforderlichen Produktionsmittel nicht bezahlen kann und bereits über eine ansehnliche Schuldenlast verfügt, sieht sich das Land mit den Berechnungen seiner westlichen Partner von gestern konfrontiert, die sich gewaschen haben. 286
Mit der geballten Freiheitsliebe von Menschenrechtskämpfern beobachten westliche Pressemannschaften den vergeblichen Ver such, den der General da zur Rettung der Nation unternimmt: ein MilitärreQmc geht das von ihm geschundene Volk um vertrauens volle Zusammenarbeit an, eine »Junta« heischt nach Zustimmung und Mitwirkung in Sachen nationaler Eintracht! Seit den ersten Tagen des Kriegsrechts weiß der oberste Kriegsrechtsherr samt seinen Getreuen öffentlich, daß ohne die »Solidarität« - und das sind viele - kein Staat zu machen geht, keine »Erneuerung« läuft; so daß für den Fall, daß mit ihr auch nichts geht, die Konsequenz ihrer Ausschaltung in Aussicht steht. Um die Gewerkschaft wird geworben mit dem Angebot, ihre Politik werde gemacht soweit wie möglich - falls sie das zugestandene Existenzrecht nicht dazu mißbrauchen würde, Streikaktionen zu unternehmen, »die die Wirtschaft schwächen oder ausschließlich politische Ziele verfol gen«. Alle nur erdenklichen Konstruktionen werden vorgeschla gen, um eine konstruktive Beteiligung von Leuten herbeizuführen, die der Kirche und Gewerkschaft verbunden sind. Regimefeindli che Demonstrationen werden zumeist »tolerant« behandelt, selbst wenn sie nicht einmal den - in Demokratien übrigens gar nicht harmlosen - Anmeldepflichten und Auflagen nachkommen. West liche Journalisten dürfen über Techniken und Personal der Zensur kilometerlange Filmstreifen drehen, die dann im Ausland mit em pörendem Tonfall als Belege für das »bedrückende Klima« vorge zeigt werden. In bezug auf die Zustände in den Internierungslagern tun sich die Verfasser von Schreckensnachrichten offensichtlich schwer, den angestrebten KZ-Effekt zu erzielen. Schach und Halma spielende Gefangene - die zwar alles andere nicht dürfen sind nämlich mit der prinzipiellen Wucht der Kritik, auf die es so sehr ankommt, kaum zu vereinbaren. Die Vorführung polnischen Unrechts soll ja immerhin die jedermann einsichtige »Begrün dung« für die praktischen Schritte liefern, durch die die Sachwalter der Freiheit ihr eigentümliches Interesse an Polen geltend machen. 4. Und das liegt nun einmal nicht in der selbstgenügsamen Be schwörung des Gefühls des Mit-Leidens, wie es Ronald Reagan in einer »Polen-Tag« genannten Gemeinschafts-Show mit Frank Sinatra und Helmut Schmidt so vortrefflich demonstrierte. So wie die ersten Tage des Arbeiteraufstandes als Erfolg der eigenen Sache im Lager des weltpolitischen Gegners gefeiert wurden - was schon damals nicht zu verwechseln war mit einer Meldung über den Er287
^ v m w u i c i i - n u c iic i —, g a u cs n u n , u ic JL ^ csiau m M cru n g I^olg
in die größtmögliche Schädigung zu überführen. Der Kredit, ^ den polnische Emissäre im Westen nachsuchten, wurde mit de Hinweis auf das Militärregime ausgeschlagen. Dem Osten wur(je beschieden, das nötige Geld zur Tilgung der Schulden zusammen zukratzen; und aus dem Anspruch, die Sowjetunion hätte für ihren ruinierten »Satelliten« zu haften, wurde das Recht auf »Bestrafung der Sowjetunion«. Einer Beteiligung an der »Rettung Polens«, wie sie General Jaru. zelski im Auge hat, wollen sich westliche Regierungen auf keinen Fall schuldig machen. Was ihnen bei verbündeten Nationen so locker gelingt - die Mahnung zu einer »Rückkehr zur Demokra tie«, die Hoffnung auf des Volkes »Reife« für dieselbe, die »Vorsicht« bei Repressionen, die doch allemal das gebeutelte Volk nur noch härter treffen würden - , scheint ihnen im Falle Polens nicht am Platze. Hier weiß man den Gegensatz von V olk und Staat zu würdigen. Einerseits hat man in den weltwirtschaftsbeflissenen Kreisen der EG durchaus Vorstellungen darüber auf Lager, wie aus Polen eine dauerhafte Anlagesphäre zu machen wäre - eben nach dem Muster anderer verschuldeter Staaten, deren Bilanzen den Übergang zur Betreuung ihrer Wirtschaft durchs kapitalkräftige Ausland eröffnen. Andererseits lassen sich dieselben Leute von ih. ren Perspektiven durch amerikanische Bedenken genauso schnell wieder abbringen, wie sie ihre Pläne vom Einbau Polens in die Kreditlinien des IWF kundgetan haben. D er diesbezügliche An trag, von Polen selbst gestellt, wurde abschlägig beschieden - eine echte »Öffnung« des Landes schließt eben eine andere Sorte Regierung ein, die der Freiheit des Kapitals keine Hindernisse in den Weg legt und sich von den Verpflichtungen innerhalb östlicher Bündnisse lossagt. Also lautet der Beschluß: »Keine Kooperation mit dem Militärregime!«, und der angerichtete Schaden ist erheb lich. Von einem insolventen Land, das im ersten Geschäftsjahr unter dem Militärregime um die io Milliarden D ollar für den Schulden dienst an den Westen zu entrichten hat, zu verlangen, es möge die für die bloße Kontinuität seiner Produktion notwendigen Importe bar bezahlen, gilt da plötzlich als enorm vernünftig. Die Umschul dung der fälligen Zahlungen wird »in Schwebe gehalten«, die Ge währung neuer staatlicher Kredite oder Bürgschaften für nicht op portun erachtet. Aufgrund solcher politischer Maßgabe schließt 288
der legendäre Spürsinn der Bankiers auf ein ungewöhnlich hohes Risiko; man »verzichtet« auf die Vergabe von Überbrückungskre diten. Zur Behinderung der Produktion für Exporte, deren Erlös man zugleich einfordert, kommt es nicht nur in Branchen der pol nischen Industrie, die auf den Kauf von Rohstoffen, Halbfertigwa ren und Ersatzteilen angewiesen sind; an der Versorgung mit Fut tergetreide wird ebenso gedreht wie an den Fischereirechten - und daß die Ernährung und Gesundheit der Bevölkerung darunter lei det, wird keineswegs verschwiegen in den Medien der freien Pres se. Die Veröffentlichung des zielstrebig erzeugten Elends soll ja als gutes Argument dafür gelten, daß Bundesbürger Päckchen nach Polen schicken und den Mut der Verzweiflung am Leben halten; der darf den Geschenken westlicher Untertanen ebenso entnom men werden wie die Botschaft, daß es sich lohnt, so wie im Westen regiert zu werden. Zufrieden stellen die professionellen Heuchler der freien Welt fest, daß die Botschaft ankommt und den ungelieb ten Herrschaften drüben effektiv jede Möglichkeit genommen wird, ihr edles Volk mit einem »Gulaschkommunismus« zu beste chen - ein »Angebot«, es von seiner Arbeit leben zu lassen, wie recht und schlecht auch immer, kann der General nicht unterbrei ten. Die Entwicklung Polens zum kostspieligsten Schadensfall in der Geschichte des realen Sozialismus, ausgelöst durch einen patrioti schen Arbeiteraufstand und vollstreckt durch dessen konsequente Ausnutzung auf seiten des freien Westens, ist inzwischen zum bleibenden Bestandteil des Ost-West-Gegensatzes geworden. Kein Ansinnen der Sowjetunion im Streit der Großmächte wird von den U SA mehr respektiert, kein Angebot in anderen Konflikt punkten mehr »gewürdigt« ohne den diplomatischen Hinweis auf Polen. Erstens hätten sich die Russen nicht einzumischen, zwei tens sei jedes Entgegenkommen sowie die Fortsetzung von Ver handlungen und Geschäften aus vergangenen Tagen der »Entspan nung« an die Aufhebung des Kriegsrechts in Polen gebunden. Die Erfüllung dieser Forderung hat deren Urheber dann auch in keiner Weise befriedigt, sondern maßlos enttäuscht; zumal die Liquidie rung der »Solidarität« ohne die erhoffte Neubelebung des Auf standes über die Bühne gegangen ist. Dennoch will der gesamten freien Presse nicht auffallen, was sich da zwischen Ost und West abspielt - auf das Gedankenexperiment, was wohl los wäre, würde sich die Sowjetunion eine ähnliche Poli 289
tik mit dem Hinweis auf die im Amt befindliche Klientel des CIA leisten, kommt eben nicht so leicht jemand, der weiß, wie sich die Aufgaben der Weltpolitik (Friedenssicherung und Wohlverhalten) zu verteilen haben! Vielmehr bewundert man höchstförmlich den Entschluß der Weltmacht Nr. i , sich für Polen zuständig zu erklären und endlich das »Recht« der Weltmacht Nr. 2 auf einen Block zu bestreiten. Das »Blockdenken« kommt per Diskussion in den Ruf, überholt zu sein; kein maßgeblicher Politiker in Europa und den USA ver säumt es, sich über die Ergebnisse von Jalta zweifelnd-kritisch zu Won zu melden, und sekundiert von zahlreichen Prominenten der schreibenden Zunft polemisieren sie gegen die »Unveränderbarkeit« von Grenzen. Dabei ist ihnen sehr wohl bewußt, daß sie Po len zum potentiellen casus belli erklären und einen Beitrag zur weltpolitischen Perspektive der achtziger Jahre liefern, die im Zei chen der »Sicherheit« - durch Aufrüstung - steht. . .
6. Zw ei Kriege des Som m ers 19 8 2
Von der Aufrüstung der N A TO behaupten ihre Liebhaber, sie würde mit ihren, d. h. »unseren« Interessen auch »den Frieden« si chern. Diese Leistung pflegen sie auch ohne Bedenken mit den nun fast vier Jahrzehnten Weltfrieden seit dem zweiten Weltkrieg zu belegen. Ein Beleg ist dieses Verfahren schon - aber nur dafür, daß Tatsachen offenbar nicht geeignet sind, Ideologien zu entkräften oder gar ihre Preisgabe zu bewirken. Denn Kriege haben während der fraglichen Zeit reichlich und in verschiedensten Größenord nungen stattgefunden, und Waffen wie Soldaten von Partnerstaa ten der NATO waren auch ausgiebig beteiligt. Neben der Füh rungsmacht USA haben sich durchaus auch die Staaten der zweiten und dritten Garnitur des Potentials an Gewalt bedient, das sie im Rahmen des Bündnisses und seines Hauptanliegens anhäufen durf ten oder zur Verfügung gestellt bekamen. Neben Korea- und Viet nam-Krieg gab es da die Einsätze von England und Frankreich immer dann und dort, wo die speziellen nationalen Interessen auf die Erhaltung einer kolonialen Dependance zielten, und selbst Griechenland und die Türkei waren nur aufgrund ihrer NATO Zugehörigkeit in der Lage, sich wegen ihrer speziellen Anliegen in Sachen Zypern einen Krieg zu liefern. Von den vielen Stellvertre
terkriegen in der »Dritten Welt« ganz zu schweigen. Heute, da un ter der Losung der »Kriegsgefahr« die NATO-Strategen in jeder Ecke der Welt die ihnen genehmen Staaten mit den Mitteln ausstat ten, die ihnen für die Erfüllung einer regionalen militärischen A u f gabe dienlich sind, floriert nicht nur das Kriegsgeschäft; die M ög lichkeiten des internationalen Waffenhandels, der die Nationen unterschiedlichster Bedeutung in der Weltwirtschaftsordnung mit Gewaltmitteln versieht, werden von deren Politikern auch immer für die besonderen Vorhaben genutzt, die sie für ihre Nation als zuträglich erachten. i . Argentinien, ein Staat, der an den Idealen der Demokratie ge messen der westlichen Welt kaum zur Ehre gereicht, hat nicht nur als nützlicher Handelspartner das dauerhafte Interesse der N ATO -M ächte auf seiner Seite gehabt. Die U SA haben die regie renden Militärs auch für wert befunden, mehr zu sein als ein Staat mit Export und Import, Schulden und Inflation, eine Anlage sphäre mit ganz viel Ordnung im Innern, was so manchen Oppo sitionellen das Leben gekostet hat. Im Zuge der antikommu nistischen Formierung der Staaten, die vom freien Westen als »Entwicklungsländer« gehandelt werden, hat die »Waffenhilfe« Vor rang vor der »Kapitalhilfe« erhalten - und Argentinien wurde zu einem Bollwerk gegen die »kommunistische Subversion« in Latein amerika ausersehen. Die argentinische Regierung hat diesen Auf trag wahrgenommen und sich auch prompt für die Beilegung der zu Carters Zeiten angezettelten Menschenrechtsvorbehalte er kenntlich gezeigt. Mit der Ausbildung und militärischen Unter stützung salvadorianischer Regierungstruppen wie nicaraguanischer Regierungsgegner hat sie die ihr zuerkannte weltpolitische Nützlichkeit wahrgenommen und die Rolle einer südamerikani schen Ordnungsmacht übernommen. Als solche hat das argentini sche Militär die Freiheiten des internationalen Waffenhandels über die Bedürfnisse der Bekämpfung innerer Feinde und der »Siche rung der Grenzen« hinaus für sich zu nutzen gewußt —und, im Sinne seiner offensichtlichen Bedeutung in der maßgeblichen Staa tenwelt, einen Krieg angezettelt. Den alten nationalen Anspruch auf die Malvinas haben die Staatslenker Argentiniens zu einem Recht erhoben, indem sie Gewalt einsetzten; freilich nicht ohne auf die Duldung und die Anerkennung der militärisch gesetzten Fakten durch die U SA zu spekulieren. Sollte sich eine den U SA treu verbündete Macht nicht auch einmal das herausnehmen dür291
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fen, was anderen Nationen zugestanden w ird: die Bündnisver pflichtungen als Garantie für die selbstbestimmte Größe der eigenen N ation behandeln? Das Pech Argentiniens bei seiner Aktion bestand allerdings bei dieser Kalkulation darin, daß es nicht, wie etwa Israel oder Süd afrika oder die traditionellen Westmächte bei den meisten ihrer kriegerischen Unternehmungen, auf einen Kontrahenten gestoßen ist, der N A T O -offiziell schon halb oder ganz zum Feind der Frei heit gestempelt war. Mit England stand ihm eine NATO -Großmacht gegenüber, die in ganz anderen strategischen Größen ihre nationalen Interessen in der atlantischen Gemeinschaft verwirk« licht. Ein solcher Staat läßt seine Souveränität, sein Hoheitsrecht nicht einfach in Frage stellen, sondern setzt sich mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln zur Wehr. Wie es sich in der heutigen Diplomatie gehört, vollzogen britische Soldaten einen Akt der Wiederherstellung gebrochenen Völkerrechts, als sie dafür sorg ten, daß auf den Falkland-Inseln wieder die britische Flagge weht. In bezug auf diese hohe Aufgabe ist auch kein W ort der Kritik laut geworden; denn das Prinzip des Respekts gegenüber den Interes sen einer Nation, des dazugehörigen Rechts, diese Interessen zu verteidigen, und des Einsatzes von militärischer G ew alt hierfür ist sakrosankt. Daß dieses Prinzip von politischen Führern sämtlicher Staaten, je nach den Interessen, die sie zu verteidigen haben, in die Tat umgesetzt wird und Krieg bedeutet —das wollte allerdings die demokratische Öffentlichkeit dem »Konflikt« nicht entnehmen. Vielmehr verstieg sie sich in allerlei fachmännisch-bedenklichen Kommentaren zu der Mutmaßung, daß dieser Krieg jetzt und aus diesem Anlaß einerseits »unnötig« und deswegen andererseits auch ein Beleg für das »Versagen der Politik« sei. D iese seltsame Manier, ein offensichtliches Werk politischer Entscheidungen für die miß lungene »Suche nach Lösungen« anzusehen, gerät um so mehr zur Rechtfertigung, je mehr Argumente für die »Distanzierung« vom Geschehen zusammengetragen werden. Da wollten die kundigen Beobachter der Szene die argentinische Besetzung der Inseln mit derN oi der Regierung erklären, von »in nenpolitischen Schwierigkeiten« abzulenken. Man wagt gar nicht zu fragen, welche Sorte »Unzufriedenheit« oder gar »Opposition« da vorliegt, wenn sie ein Militärregime dadurch beschwichtigen kann, daß es seinem Volk einen Krieg oder - in den ersten Tagendie Eroberung eines Fleckens Territorium beschert! Doch der de292
mokratisch geschulten Interpretationskunst scheint in einem Punkt Genüge getan zu sein - die Vorstellung aus demokratisch re gierten Breiten, die Herrschaften in der Regierung müßten sich an den Ansprüchen ihrer Untertanen orientieren oder gar beschrän ken, war ausgeplaudert und auf ein Militärregime übertragen, das sich gerade ein paar Monate lang in der blutigen Niederschlagung jedes alternativen Nationalismus bewährt hatte. Kaum war die britische Flotte in Marsch gesetzt, setzte bei den selben Leuten die Frage nach dem Nutzen erneut ein, diesmal mit Blick auf England. Und siehe da, das »öde Eiland« wurde nicht für wert befunden, Krieg zu führen. Für »sinnvolle Kriege« sieht der friedenspolitische Sachverstand lohnende Objekte vor! Deshalb eröffnete sich die Entdeckung, daß es bei der britannischen Heer fahrt »nur« um die »Ehre der Nation« gehen könne, nicht aber ganz als ob das einen Krieg so richtig »sinnvoll« mache -um mate riellen Gewinn. Politiker und Journalisten, die ansonsten auf die intakte Handlungsfreiheit einer Regierung nichts kommen lassen, weil sie in ihr die Bedingung für die Betätigung aller ihnen heiligen Interessen »der« Gesellschaft feiern, vermissen plötzlich einen in Pfund und Dollar zu beziffernden ökonomischen Dienst, wenn geschossen wird! Daß sich in der »Ehre der Nation« sämtliche In teressen zusammenfassen, für die eine souveräne Gewalt den Weg bereitet, die sie »verteidigt« und auf deren »Sicherheit« sie ihre Un tertanen verpflichtet, wird da glatt vergessen! Wo die Staatsgewalt für die »Ehre der Nation« eintritt und ein Ereignis zum Grund er klärt, sie zu »retten« oder »wiederherzustellen«, emanzipiert sie sich eben von den Nutzenkalkülen, die im übrigen von den Kriti kern bei den Kosten der Bundeswehr auch nicht eröffnet werden! Und das nicht, weil der höchsten Gewalt dieses Kriterium für das gesellschaftlich Nützliche fremd wäre, sondern gerade umgekehrt: Weil sie diesem Kriterium Gültigkeit verschaffen, dem geschäfts mäßigen Nutzenkalkül der eigenen nationalen »Wirtschaftssub jekte« zum Erfolg verhelfen will und dafür sich selber als Bedin gung weiß und erweisen will, deswegen läßt sie die entsprechenden Rechnungen für sich nicht gelten. Als Voraussetzung und Sach walter jedes Materialismus, so wie ihre Gesellschaft ihn kennt und wie sie ihn anerkennt, beansprucht und praktiziert eine moderne souveräne Staatsgewalt einen Materialismus, der nicht von der be stimmten und begrenzten Natur ist wie die geläufigen Geschäftsin teressen, sondern schrankenlos - und das auf sehr zweckmäßige ¿93
Weise. Im Inneren geht einer solchen Staatsgewalt nichts über ihr Gewaltm onopol; dessen Respektierung fordert sie, dessen Verlet zung ahndet sie ganz jenseits jeder Rentabilität; gerade so behaup tet sie ihre »Hoheit«, d. h. ihre schrankenlose Zuständigkeit und damit den nötigen »Freiraum« fürs Geschäftemachen. Nach außen sorgt ein rechtsstaatlicher Souverän sich ebensowenig um das Er gattern von Reichtümern; vulgärmaterialistische Kalkulationen die einem modernen Staat einen Krieg um ö l Zutrauen und deswe gen einen Krieg um öde Felsen für nicht lohnend und deswegen unverständlich befinden, gehen da fehl. Das R echt a u f Gebiete, Personen, Interessen etc., das ist der harte Inhalt von Souveränität; und die leistet ihren Dienst für die herrschenden Interessen ihrer Gesellschaft im Verkehr mit auswärtigen Partnern gerade durch die U nbedingtheit, durch die um die Bedeutung eines strittigen Gegenstandes unbekümmerte Radikalität, mit der sie ihre Rechtsti tel verficht. Was hätte die britische Staatsgewalt denn in ihrem zä hen »Kleinkrieg« in Nordirland zu gewinnen? O der, um näherlie gende Beispiele zu nennen: Wofür lohnt sich der Aufwand einer deutsch-deutschen Grenzkommission, die ihren Auftrag, zu ent scheiden, wo in der Elbe der »Eiserne Vorhang« verläuft, erstens als Friedenstat größeren Kalibers feiert und zweitens zur Dauerbe schäftigung ausbaut - und inwiefern wäre dieses Problem anders beschaffen als die iranisch-irakische Streitfrage um die Aufteilung des Schatt-el-Arab? Welchen Gewinn zieht die Bundesrepublik aus der - in der N ATO -Aufrechnung gerechterweise als »Vertei digungslast« aufgelisteten - kostspieligen Subventionierung W'est-Berlins - außer eben genau dem, einen R echtstitel ihrer Sou veränität, einen ganz prinzipiellen imperialistischen Anspruch ganz jenseits aller Kriterien von Gewinn und Verlust, aufrechtzu erhalten? Für Zwecke dieser Art hat dann auch ohne Wenn und Aber der Reichtum der Nation einzustehen, dem die Staatsgewalt so und nur so dient; dafür ist er dann auch da und wird in der groß zügigsten Weise verpulvert. Denn es gilt ja: Was wäre das schönste Geschäft, wenn die Gewalt, ohne die es nie zustande käme und dem Privateigentum Früchte tragen könnte, sich nicht bedin gungslos Respekt verschafft?! Klar ist andererseits, daß nationaler Reichtum erst einmal in gehöriger Masse da sein muß, damit die staatliche Gewalt sich in ihrem Agieren von deren Gesetzen so emanzipieren kann, daß sie sich absolut setzt und damit den Erfolg des nationalen Geschäftslebens wiederum bestmöglich fördert. So 294
bedingen Souveränität und Reichtum sich wechselseitig: jene ist so frei, wie dieser erfolgreich, und dessen Erfolg so sicher, wie jene davon unabhängig. Und so groß wie beides ist - die »Ehre der Na tion« ! Freilich wurde auch das Geheimnis der »Verständnislosigkeit« offen ausgeplaudert: nachdem der Nutzen nicht so recht ermittelt werden konnte, erhob sich prompt die Frage, wer denn dann der Nutznießer des Krieges sei. Wenn zwei der NATO verbundene Staaten ihre Soldaten einen Krieg führen und ihn von ihrem Volk bezahlen lassen, dann muß ja der lachende Dritte Iwan heißen. Also waren mitten im Krieg weniger Kritik, dafür aber sehr viel Sorge um den We/ifrieden und Verdächtigungen aller Art ange bracht. Ob denn die britischen Verbündeten mit ihrer Flotte nichts Besseres zu tun hätten, als sie aus ihrem eigentlichen Aufgabenbe reich innerhalb der gemeinsamen Strategie gegen den Osten abzu ziehen? Die Sowjetunion wurde höchstpersönlich davor gewarnt, »mehr Einfluß« auf Lateinamerika und auf die Gewässer der Nordsee auszuüben. Und je mehr Leichen zu vermelden waren, desto beruhigter wurde die »Gefahr« einer Ausweitung zum welt weiten Konfliktfall verworfen, nachdem man sie immer wieder be schworen hatte. So sicher ist man sich in NATO-Kreisen über die unvermeidliche Antwort, die man den Russen bei einem »Fehlver halten« erteilen würde. So selbstverständlich ist demokratischen Strategen die »Nichteinmischungspflicht« der anderen Weltmacht während eines Krieges, den befreundete Parteien gerade abwikkeln. So unverfroren erteilen die Anwälte und Richter von »Frie den in Freiheit« Erlaubnisse 'und Verbote in Sachen Weltpolitik! Eines jedoch garantieren die während eines echten Krieges in Umlauf gebrachten interessierten Betrachtungen dieser Art: daß die täglich gemeldeten Beschlüsse der direkt Beteiligten, weil »Ver antwortlichen«, ebenso wie die der befreundeten Regierungen immerzu eine verbindliche Deutung zugeordnet bekommen, eine Interpretation, welche die Rechtschaffenheit der Subjekte der Weltgeschichte in vollem Licht erstrahlen läßt. Zuerst war das Ganze ein »Konflikt«, dieser entwickelte dann seine »Eigengesetz lichkeit«, schlug bisweilen ins »Tragische« um. Das Militär »ver selbständigte« sich gegenüber der Politik, welche darüber vor lau ter Unschuld glänzte und in Hunderten von Gesprächen und Communiqués mitten in die Kämpfe hinein um eine »friedliche Lösung« bemüht war. So konnte sich jeder lesende und fernse 29s
hende Untertan ständig davon überzeugen, daß Diplomatie und Gewalt ungefähr das Gegenteil voneinander sind - also auch da von, daß diesen Krieg niemand gewollt und zu verantworten hat außer dem Verlierer, daß Waffen für den Frieden da sind, daß die »Theorie« der Abschreckung und des Gleichgewichts nach wie vor güt. Nur das eine brauchte niemand zu lernen: daß justament nach diesem Muster Kriege ablaufen, daß auch der Ost-West-Gegensatz nichts anderes darstellt als einen Streit zwischen Staaten und ihren Bündnissen um Rechte, den Einfluß wie die Interessen, die sie sich anmaßen und mit Hilfe von rücksichtslosem Einsatz von Geld und Gewalt »erworben« haben. Wobei allerdings nicht zu übersehen ist, daß sich auf der Seite des freien Westens viel mehr Rechte ange häuft haben, beansprucht werden und sehr ultimativ an die Adresse des Ostblocks formuliert werden. 2. Mit der Aufforderung an die Sowjetunion, sich samt dem ihm befreundeten Syrien herauszuhalten, wurde auch ein weiterer Krieg einer freiheitlichen Nation eingeleitet. Kaum waren israeli sche Soldaten in den Libanon aufgebrochen, um die Losung »Frie den für Galiläa« auf ihre Weise wahrzumachen, erging der diplo matische Rat an den weltpolitischen Gegner. Gewissermaßen als Test auf die unter Dauerverdacht stehende »Friedensliebe« des Kreml wurde verkündet, wie wenig sich die Weltmacht Nr. 2 her auszunehmen hat im Nahen Osten, wenn der freie Westen oder eine ihm zugetane Macht eine »Lösung« anstrebt. Während die Zurückhaltung Syriens fast nach Wunsch ausfiel ganz konnte der frühzeitig ausgehandelte separate Waffenstillstand die Erledigung einiger Raketenstellungen und etlicher Flugzeuge nebst Besatzung bei den kurzen Kämpfen im Bekaa-Tal nicht ver hindern - , während die Sowjetunion weder militärisch drohte noch Ernst machte, sondern Washington ersuchte, seinen Schütz ling Israel zu bremsen, erlaubte sich dieser Staat Israel die blutige Demonstration seiner »Lösung des Nah-Ost-Problems«. Auf den Falkland-Inseln, wo das argentinische Militär den Versuch unter nommen hatte, durch die Besetzung »neue Fakten« zu schaffen, deren Anerkennung die des argentinischen Anspruchs auf die In seln gewesen wäre, zeigte sich die Diplomatie »außerstande«, eine »Vermittlung« zur Verhinderung des Krieges zuwege zu bringen. Nach einer Woche kriegerischer Großtaten Israels und ebenfalls »gescheiterter diplomatischer Bemühungen» durfte man einem ARD-Kommentar folgende tröstliche Weisheit entnehmen: 296
Der Krieg bietet die Chance für eine Neuordnung der Verhältnisse im Nahen Osten. Dadurch wird das israelische Vorgehen nicht gerechtfertigt. Aber die arabischen Staaten werden mit den geschaffenen Realitäten leben müssen.
Seltsam, wie in einem Fall eine »Verletzung des Völkerrechts« nicht hingenommen werden kann und die »geschaffenen Realitä ten« durch einen Krieg revidiert werden müssen - und wie das Zer störungswerk Israels im Libanon in den Rang einer Chance für »eine Neuordnung« erhoben wird! Daß seit der Gründung des Staates Israel dieser das Recht hat, sich zu verteidigen, und daß die ses Recht den militärischen Vormarsch einschließt, bildet die feste Grundlage für die westliche Beurteilung noch jeder Kriegshand lung im Nahen Osten. Daß Israel »von Feinden umgeben« ist, die seine territoriale Integrität und das Leben seiner Bürger ständig bedrohen, ist über drei Jahrzehnte hinweg Konsens geblieben auch wenn dieser Staat während der Geschichte seiner dauernden Infragestellung um einiges größer geworden ist. Jede von Israel de finierte Bedrohung ist zwar kurze Zeit nach ihrer offiziellen BeLrj kanntgabe durch mehr oder minder »blitzartige« Einsätze beseitigt tf worden, aber das prinzipiell zugestandene Recht auf die freie Wahl | sämtlicher militärischer Mittel hat ebensowenig wie die BereitsteiV lung dieser Mittel je eine Infragestellung erleiden müssen. Uber sämtliche militärischen Aktionen hinweg hat sich ein Interesse des westlichen Auslands am Staate Israel erhalten, das wie in keinem anderen Fall mit den Anliegen des Staates Israel zusammenfällt. Und die bundesdeutsche Variante, von einer objektiven Beurtei lung schon allein wegen der Judenverfolgung im »Dritten Reich« Abstand zu nehmen - nach dem Motto: »auch wenn es etwas zu kritisieren gäbe, sind >wir< dazu nicht befugt!« - , krönt nur die theoretische wie praktische Parteinahme für das »Lebensrecht« dieses Staates, das in so offensichtlicher Weise mit seiner Expan sion exekutiert wird. Unter dem Titel »Noch immer keine Nah-Ost-Lösung« werden sämtliche Erfolge Israels begutachtet, und der damit angedeutete »Mißerfolg« in bezug auf ein irgendwie geartetes friedliches Mit einander der Staaten im Nahen Osten einer eigenartigen Kritik un terzogen: In der näheren und weiteren Umgebung, auch »arabische Welt« genannt, gibt es immer noch Staaten und Völker, die sich nicht als Partner und Freunde Israels verstehen; allen voran die Pa lästinenser! Zw ar weiß jedermann, daß aus diesem Volk mit der Gründung von Israel nach dem Zweiten Weltkrieg schlicht und 297
in aller N ah-O st-H erren Länder unter Bedingungen zu leben ha ben, die wohl selbst einem wohlsituierten und problembewußten Journalisten der Süddeutschen Zeitung den Gebrauch von Gewalt zum Zwecke des Überlebens ratsam erscheinen ließen. Zwar könnte jedermann wissen, daß der Anspruch der Israelis auf jenen Flecken Heimat mit gar nicht feinen Methoden - nicht nur Menachem Begin bekennt sich zu seiner Vergangenheit als Terrorist geltend gemacht wurde, als die Gegend noch Protektorat war; daß das »Argument« der historischen Herkunft aus dem Lande Jesu manchen Germanen zur Revision sämtlicher Ergebnisse der Völkerwanderung »berechtigen« würde; daß die Staatsgründung eben auch keine Sache des Rechts, sondern der G ew alt gewesen ist, an der die westlichen Siegermächte des Weltkriegs eben Interesse hat ten - die Sowjetunion anerkannte Israel übrigens ziemlich schnell. Aber dergleichen zählt nicht, wenn es darum geht, im Namen eines »Rechts auf Heimat« den Staat der Juden sehr grundsätzlich für gut und zu jeder Kriegserklärung berechtigt zu erklären. Daß Israel dazu berechtigt ist und auch über die Mittel verfügt, liegt allerdings nicht an Repräsentanten der freiheitlich-demokrati schen Öffentlichkeit, die, wie die Süddeutsche Zeitung Mitte Juni, als in Beirut noch einige Rechnungen offen waren, wieder einmal gewisse Halbheiten im israelischen Vorgehen festzustellen ver mochten: Israels militärische Brillanz wird jedoch durch seine politische Kurzsich tigkeit bei weitem aufgewogen. N och bevor Syrien durch seine Verlustein eine ausweglose Position geraten konnte, drängte M oskau auf beiden Sei ten auf eine Beendigung des Konflikts: M it politischen Drohungen bewog es die U SA , von Israel die Einstellung der Käm pfe zu verlangen. Gleichzei tig zwang es den Bündnispartner in Dam askus, au f eine schnelle Feuerein stellung einzugehen und dazu die Hinnahme der israelischen Bedingungen in Aussicht zu stellen. . . Auch wenn Verteidigungsminister Sharon nach dem Eintritt der Waffen ruhe am Freitag behauptete, daß Israel alle seine militärischen Ziele erreicht habe, so dürfte ihm doch das Kriegsende zu schnell gekom men sein . . . Der Sieg reicht zur Einführung der angestrebten »neuen Ordnung< im Libanon nicht au s. . . Auch die beabsichtigte »militärische Lösung« des Palästinen ser-Problems ist m ißlungen. . . V or allem konnte die PLO -Fü h ru n g trotz Fortsetzung des Bombardements von Beirut am Samstag und Sonntag nicht »eliminiert« werden. (Süddeutsche Zeitung, 14. 6. 82)
Wie ein Vergleich mit den inzwischen »geschaffenen Realitäten« zeigt, muß dem guten Mann mit seinen kaum mehr zu überbieten den Bedenken (»Endlösung gescheitert!«) acht Wochen später ein Stein vom Herzen gefallen sein. Er hat nämlich, guten Willen vor ausgesetzt, einiges lernen können, was er bis dahin und in den Nah ost-Kriegen vergangener Tage versäumt hat: Erstens hat sich Israels »militärische Brillanz« noch reichlich an der Stadt Beirut be währen dürfen, ohne Behelligung durch eine Erpressung der USA, die ihrerseits auf »Drängen Moskaus« ihrem Schützling vor Ort ir gend etwas hätten abverlangen müssen. Zweitens hat sich Damas kus zwar zur »Hinnahme der israelischen Bedingungen« beque men lassen, was aber ebenfalls die Produktion von libanesischen und palästinensischen Opfern keineswegs behindert hat. Drittens durfte Verteidiger Sharon Wochen später, angesichts von Resten Überlebender in West-Beirut - denen nach Belieben Granaten ser viert und das Wasser abgesperrt wurde-, verkünden, daß die »Palä stinenser aus Beirut verschwinden, so oder so«. Und die von kei nerlei praktischen Schritten gestörten diplomatischen Äußerungen des Präsidenten Reagan, er werde »ungeduldig«, wurden zwar von Herrn Habib in das »Krisengebiet« übermittelt, aber von Begin fristgemäß mit der frohen Losung beantwortet, daß »Juden ihre Knie nur vor G ott beugen« - was niemand anders verstand, als es gemeint w ar: die »militärische Lösung« wird zu Ende gebracht! Viertens gibt es natürlich eine »neue Ordnung« im Libanon, und zwar unter reger Anteilnahme israelischer Truppen, die schon wis sen werden, warum ein Dutzend Feuerpausen nichts zur Schonung auch nur eines Palästinensers beigetragen hat. Fünftens waren die Vorschläge zum »freiwilligen Abzug« der Eingekesselten allesamt darauf berechnet, daß entweder die Betroffenen oder ihre mögli chen »Gastgeber« nein sagen würden - zumal bei letzteren in der Mehrzahl längst ein freundschaftliches Verhältnis zum Westen mehr zählt als die Unterstützung der PLO-Kämpfer. Erst auf amerikanischen Druck wurde der Wille zum Abtransport waffenfähiger Palästinenser als vorhanden erkannt - und deren nach den letzten Bombardierungen Beiruts rasch ausgeführte Ver schiffung wurde als politisch-moralischer Erfolg der PLO verbucht. Ganz als ob das Mitleid und die fälligen Gespräche mit Arafat Sc Co eine einzige Aufwertung der Opfer Israels, also auch seiner Gegner wären! Sechstens sorgte ein anschließendes Massaker in nunmehr unverteidigten palästinensischen Flüchtlingslagern, über 299
dessen »Duldung« durch die israelische Regierung hinterher eine rege demokratische Kommissions- und Gutachtertätigkeit einsetz, te, dafür, daß auch wirklich keine der zuvor von der israelischen Armee den Nachbarn erteilten »Lektionen« in Vergessenheit geriet. Denn soviel hat mancher arabische Staat in vergangenen Ausein andersetzungen mit Israel erfahren müssen: daß es sich für ihn nicht lohnt, ein Feind Israels und damit des geballten Wirtschafts, und Kriegspotentials des freien Westens zu sein, die Palästinenser zu unterstützen gegen diesen ihren Feind - mit der Gastfreund schaft in den Flüchtlingslagern war ohnehin nie übermäßig viel los - und sie als Vorkämpfer einer panarabischen Sache mit Hilfe Moskaus zu allerlei Anschlägen zu ermutigen. Einer nach dem an deren dieser Potentaten hat sich in seinem eigenen Interesse von der »arabischen Solidarität« und von Moskau verabschiedet und damit dokumentiert, wie berechnend die Liebe zum »palästinensi schen Brudervolk« gewesen ist. Solange noch Hoffnung bestand, durch die Ermutigung - finanziell wie militärisch zehrte ja die Lo gistik der Palästinenser immer von der Versorgung durch die »Öl staaten« - der Palästinenser zum Kampf gegen Israel eine ständige Vorhut für das Programm, »die Juden ins Meer zu jagen«, zu er halten; solange also die Benützung der N o t, ums Überleben kämp fe n zu müssen, für das Ideal einer arabischen Großmacht nützlich und erfolgversprechend erschien, galt es als arabische Staats tugend, offiziell als Feind Israels aufzutreten. M it den Lektionen in Sachen ö l und der einschlägigen »Abhängigkeit«, unmittelbar je doch aufgrund ihrer »Kriegserfahrungen« haben diese Anwälte der arabischen Sache ihren Kurs in Richtung Friedensnobelpreis, Awacs und westeuropäische Friedenswaffen geändert - und in einen Krieg wegen der Palästinenser tritt heute nicht einmal mehr Syrien oder Libyen ein. Insofern treibt dieser Staat Israel tatsächlich die »Nah-Ost-Lösung« voran, die in den schönfärberischen Reden von »Anerken nung des Selbstbestimmungsrechts des palästinensischen Volkes« versus »Anerkennung des Existenzrechts Israels« immer für so un gemein schwierig befunden wird. Denn das läßt sich kaum überse hen, daß der Staat Israel »existiert« und manches Recht genießt, andererseits den Palästinensern das Überleben nicht gestattet wird und ihre Bemühungen um einen eigenen Staat prinzipiell dem »Terrorismus« zugeschlagen werden. Dem Gebrauch von Gewalt, die a u f A nerkennung als politische Souveränität berechnet ist und 300
von Arafat ausgerechnet bei den Schutzmächten Israels als eine un heimlich gerechte Sache vertreten wird, widerfährt die Verurtei lung seitens der maßgeblichen Weltsortierer, die nur und immerzu den Maßstab des eigenen und etablierten Interesses in Anschlag bringen: »Israel in Notwehr begriffen, Palästinenser Terroristen!« Dieser Maßstab heißt, praktisch angewandt, einiges mehr als mo ralische Parteinahme für Israel. Dieser Staat wäre, auf sich gestellt, kaum in der Lage, einer »feindlichen Umwelt« zu trotzen. Er ent behrt nicht nur einer wirtschaftlichen Basis, der Grundlage einer Produktion von Reichtum, die ihm die Mittel dafür sicherstellen würde, als dauernde Kriegserklärung an seine arabischen Nachbar staaten und vor allen Dingen als Verfolger und Richter der mit seiner Gründung zu Heimatvertriebenen abgestempelten Palästinenser auftreten zu können. Nicht einmal beabsichtigt war je dergleichen, auch wenn findige Intellektuelle in den Kibbuzim bisweilen »So zialismus« und im Zwangskollektivismus der Wehrdörfer ein fröh liches und zukunftsweisendes Gemeinschaftsleben ausmachen. Der Staat Israel nimmt sich mit dem ihm zugestandenen Recht, als Anwalt des freien Westens in einer »ostblockverdächtigen« arabi schen Welt auf seine Durchsetzung achten zu dürfen, seit seinem Bestehen auch die großzügig gewährten finanziellen und militäri schen M itte l - und tut darin seine Pflicht. Daß er im Gebrauch der ihm eröffneten Freiheit bisweilen so rücksichtslos verfährt, daß die Tagesordnung westlicher Nahost-Diplomatie etwas durcheinan dergerät, hat noch nie dazu geführt, daß Israel im Stich gelassen wurde. Denn die von seinem Militär »geschaffenen Realitäten« ha ben per saldo stets eine neue und verbesserte Tagesordnung erge ben. Die »Verstimmungen« und berechneten diplomatischen Heucheleien laufen gewöhnlich auch zur selben Stunde wie der Nachschub an Gerät nach Tel Aviv aus. Im Falle Israels freilich ist eines auffällig. Da geht ein Staat nicht dazu über, mitten im NATO-gesicherten Weltfrieden seine Son derinteressen auch einmal - gewissermaßen bei einer »günstigen Gelegenheit« - vor die wohlerworbenen Rechte und Pflichten der imperialistischen Arbeitsteilung zu stellen. Hier fällt die pure Selbstbehauptung, gegen jeden auch nur möglichen Feind in der Nachbarschaft, seit der konzessionierten Staatsgründung mit dem Willen des freien Westens zusammen, in der nahöstlichen Weltge gend keine Politik zuzulassen, es sei denn, sie wäre eine zur Frei heit bekehrte. M it dem »Recht« derJuden, nicht verfolgt zu wer 301
den und in »ihrer angestammten Heimat« einem friedlichen und gottgefälligen Tagwerk nachzugehen, hat dieser Staat herzlich nig zu tun - immerhin ist auch in Israel für die Führung des Krieg der Einsatz des Volkes notwendig! Aus der Tatsache, daß diej«. den im Dritten Reich zu Millionen umgebracht wurden, können nur Zyniker einen Freibrief für »ihren« Staat verfertigen, selbst wie im Sommer ’82 einen Völkermord ins Programm zu nehmen Sollte das der nachträgliche »Sinn« des so erzbürgerlichen Antise mitismus sein, daß er - über den Umweg des Glaubens der Juden ein »auserwähltes Volk« zu sein und deshalb besonders (selbst-)ge. recht in der unbefangenen Anwendung von Gewalt - einen weltpo litisch funktionalisierten Zionismus der Kritik entzieht? 3. Die hohe Kunst der Weltpolitik wird von denen, die sie be treiben, auch mitten im Krieg als eine einzige Anstrengung, »den Frieden zu sichern«, ausgegeben. Wo Staaten ihre ökonomischen Interessen und den politischen Einfluß an allen Ecken der Welt als ihr unveräußerliches Recht deklarieren, wo sie für dessen Durch setzung von ihrer Gewalt rücksichtslosen Gebrauch machen, hat die auf Vertrauen berechnete Sprachregelung Konjunktur. Aus jedem Waffengang wird ein »Konflikt«, dem die souveränen Staatenlenker ohnmächtig gegenüberstehen; jedes Gemetzel ist ein Beleg für das »Scheitern« einer *politischen Lösung«, für das Ver sagen von Bemühungen, die allesamt auf das Gegenteil dessen zie len, was geschieht, weil es angeordnet ward. Die Politiker ringen immerzu um die Bewältigung von »Problemen« —von denen, die sie ihren Untertanen schaffen, ist nie die Rede. Stets liegen sie, rastund ruhelos, im Kampf mit der »Unvernunft« anderer. In jeder dieser Entschuldigungen liegt freilich auch eine Beschul digung - und dies nicht nur von »Umständen«, sondern auch von Souveränen anderer Staaten. Eben der Staaten, die dem Interesse der eigenen Nation in die Quere kommen, deren Recht auf ihre Durchsetzung behindern. Insofern sind die Interpretationen, die Politiker von ihren Taten geben und in den Medien verbreiten las sen, nicht nur Verbrämungen der Zwecke, die da verfolgt werden, sondern auch hemmungslos ehrlich: Wer sich ständig über »Mißer folge« und »Krisen«, »Gefahren« und »Beschränkungen« seiner besseren Vorhaben beschwert, hält seinen Einfluß für zu gering. Er huldigt dem Ideal des Kolonialismus, der U nterordnung auswärti ger Mächte, in einer Staatenwelt, die sich durch die Konkurrenz von souveränen, sich über die wechselseitige Anerkennung benüt302
zenden und schädigenden Nationen und Blöcken auszeichnet. Und er sieht sich mit der »Notwendigkeit« konfrontiert, jede Be schränkung seiner Handlungsfreiheit dieser Welt als das »Pro blem« aufzumachen, das seiner »Lösung« harrt. Das Verhandeln, nach dem Wort eines Bundeskanzlers besser als das Schießen, gerät da natürlich zu dessen Ersatz - und nicht erst die »begrenzten Kriege« des Sommers *82 zeigen, wie in der »längsten Friedens zeit« seit Menschengedenken, die »uns« das »Bündnis« geschenkt hat, die »militärische« Lösung den Vorzug erhält. Dann drehen sich die Verhandlungen um die Kapitulationsbedingungen, und die Wirkung der eingesetzten Waffen wird zum Argument für - den Frieden.
Die B R D : Entwicklungen eines Frontstaats i. In der Nachkriegszeit gehörte sich für Deutsche »politische Zu rückhaltung«. Angehörige und selbst Vertreter der Nation hatten sich durch bescheidenes Auftreten auszuzeichnen. Schließlich wa ren sie als Deutsche die Erben des Dritten Reiches, das seine Inter essen mit Waffengewalt hatte durchsetzen wollen und - dabei ge scheitert war. So sahen sie sich nun dem Verdacht ausgesetzt, bei jeder Äußerung nationaler Ansprüche Anwälte des alten oder Vorboten eines neuen Nationalismus zu sein. Dem Vorbehalt, un ter dem die westlichen Siegermächte die BRD gegründet hatten, entsprachen die westdeutschen Politiker der ersten Generation: der »-ismus« war geächtet, und für die neue Nation und ihre Inter essen durfte man sich erstens nur mit dem Bekenntnis starkma chen, nie und nimmer gegen andere freiheitliche Nationen und ihre Bürger eingestellt zu sein; und zweitens war der von den westli chen Schutzmächten gebotene Antikommunismus nicht mehr im Namen Deutschlands, sondern in dem der Freiheit abzuwickeln. Bei aller demonstrativ zur Schau getragenen Bescheidenheit war damit freilich westdeutschen Volksvertretern auch einiges erlaubt. Immerhin ließ die Zugehörigkeit zum freien Westen den Anspruch zu, eigentlich alle Deutsche zu vertreten. Immerhin gestattete die mit dem Ergebnis des Krieges vollzogene »Selbstkritik« nicht nur die klare Distanzierung vom unfreiheitlichen anderen Teil der Na tion, sondern beinhaltete auch das Recht auf Wiedervereinigung, selbstverständlich gemäß den Bedürfnissen des eigenen Lagers. Kaum hatte der Wiederaufbau, jene legendäre Kombination aus einem amerikanisch kreditierten Geldwesen (Währungsreform!) und deutscher Wertarbeit (das Volk hat keine Gelegenheit gehabt, seine im Unrechtsstaat des Führers erworbenen Untertanentugen den zu verlernen!), die ersten Früchte getragen, hörte man schon von der Hallstein-Doktrin. So sicher waren sich westdeutsche Po litiker schon kurz nach der Stunde Null in bezug auf ihre Bedeu tungin der neuen Weltordnung, daß sie anderen Staaten die Nicht anerkennung der D D R als Bedingung dafür aufmachten, in den Genuß bundesrepublikanischen Wohlwollens zu gelangen. Inzwischen ist aus der B R D eine Wirtschaftsmacht geworden.
Überholt sind die diplomatischen Streitereien um einen bundesre publikanischen Alleinvertretungsanspruch, der zwar nicht aufge geben, aber längst in ein viel umfassenderes Konzept bestimmen der Mitwirkung an der Weltpolitik aufgenommen worden ist. Aus den Ansprüchen von einst sind deutsche Interessen geworden, aus der politischen Forderung nach der besonderen Berücksichtigung eines »deutschen Problems« hat sich der »Einfluß der Bundesrepu blik* weltweit entwickelt. Die deutsche Geschäftswelt bedient sich aller Herren Länder als Anlagesphäre, der Handel blüht und ge deiht, auch der mit Waffen - und unter so schlichten Sätzen wie »Wir sind eine Exportnation« künden deutsche Politiker von der Unverzichtbarkeit westdeutschen Geschäftserfolgs allüberall: Auch bei den ungeliebten Partnern im östlichen Reich der Unfrei heit, die nicht nur im Falle Polen zu spüren kriegen, was es heißt, sich den Maßstäben des Kapitals und seinen Wünschen in Sachen Kreditvergabe anzubequemen. Es gehört zu den guten Gepflogen heiten des bundesrepublikanischen Diplomatengeschicks, nicht nur die Bedingungen für die Fortsetzung wirtschaftlicher Bezie hungen zu setzen und auch einmal für Abbruch zu votieren, wo die Vorteile der anderen Seite für zu gravierend erachtet werden, als daß man sie des eigenen Gewinns wegen zulassen könnte. Die Ver lierernation des letzten Weltkrieges nimmt an Weltwirtschaftsgip feln teil, auf denen die mächtigsten Nationen darüber befinden, wie sich Wachstum und Armut auf dem von ihnen dominierten Weltmarkt zu verteilen haben. Deswegen ist aus der B RD auch eine Militärmacht geworden. Eine an den gar nicht bescheidenen Zielsetzungen des freiheitli chen Bündnisses entscheidend beteiligte Macht, deren Vertreter auf »N achrüstung dringen und nach dem Ausbau der Bundes wehr zum Zwecke der »Vorwärtsverteidigung« durchaus in der Lage sind, gegenüber der Sowjetunion sämtliche Grundsätze der »Politik der Stärke« geltend zu machen. Die berühmte Entdeckung des Bundeskanzlers Schmidt, zum Status eines vollwertigen Mit machers der westlichen Politik fehlten der BRD eigentlich noch atomare Waffen, ist der logische End- und Höhepunkt des Er folgsweges dieser Republik. Wenn ein deutscher Politiker so tut, als müßte die Sowjetunion von jedem ihrer untereinander verbün deten Gegner extra mit letzter Konsequenz »abgeschreckt« wer den, so denkt er ganz bestimmt nicht an den beredt beschworenen »Schutz« von Land und Leuten. Worum es geht, ist die Möglich
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keit, den NATO-Zweck von Westeuropa aus allein schon voll durchsetzen zu können, und die dadurch gesteigerte »Sicherheit«, den USA ein so wichtiger und gewichtiger Partner zu sein, daß das Bündnis, also die Weltmacht Nr. i, um »uns« nicht mehr herumkommt. So äußert sich die Bescheidenheit einer Nation, deren Regierende wissen, was sie von der Beteiligung an der Weltwirtschaftsordnung haben und was sie aus der Beteiligung am Weltfrieden machen können. Zur Anschauung gebracht wurde die Weltgeltung west deutschen Engagements während des Besuchs des obersten So wjetmenschen in Bonn im Herbst 81 - eines Menschen, vor dem Angst zu haben jedem Bundesbürger geraten wird. Nichts sonst ist an dem gesamten Besuch öffentlich beredet und gefeiert worden als die selbst noch in den Tischreden an den Tag gelegte »Standhaftig keit« des Kanzlers, insbesondere in Abrüstungsfragen: Zu Recht seien die Vorschläge Breschnews für ein »Aufrüstungsmorato rium«, notfalls zunächst sogar ein einseitiges sowjetisches, als per fider Anschlag auf Einheit und Sicherheit des westlichen Bündnis ses kompromißlos zurückgewiesen worden; endlich hätten die Sowjets einsehen müssen, wie ernst der Westen die »Null-Lösung« für die sowjetischen Mittelstreckenraketen meint und wie wenig hier auf eine Verhandlungsbereitschaft, auch bei den doch so ent spannungsfreudigen Westdeutschen, zu rechnen ist. Und keiner aus der Garde der Parteiführer hat es sich nach seiner Unterredung mit dem Chef der KPdSU nehmen lassen, vor den Fernsehkameras sein Wohlgefallen an der Intransigenz heraushängen zu lassen, mit der er auf der »Lösung« des »SS 20-Problems« bestanden hätte, und so öffentlichkeitswirksam die eigene Lüge zu dementieren, Westeuropas Staatenlenker würden oder wären schon durch diese »Wunderwaffe« wer weiß wie erpreßbar. Die vielbeschworene Tugend solcher deutscher Friedensdiplo matie ist nicht aus der Not geboren, sich einer »sowjetischen Be drohung« zu erwehren, und schon gar nicht aus dem Zwang, sich im Kielwasser amerikanischer Großmachtpolitik bewähren zu müssen. Der »Zwang« löst sich unmißverständlich in die dankbar ergriffene Erlaubnis auf, die Sache der Freiheit auf deutsch und mit schwarz-rot-goldenem Sonderanspruch zu »verdolmetschen«. 2. Die Fortschritte der deutschen Einflußnahme auf die Ge schäfte des Weltmarktes sind wie die Zunahme des politischen und militärischen »Gewichts« der B R D mit allerlei »guten Gründen« 306
legitimiert worden. Wie es sich für eine Demokratie gehört, in der jede staatliche Entscheidung und Maßnahme mit dem Schein der Notwendigkeit versehen wird, der sich die maßgeblichen Instan zen beugen, anbequemen und in »unser aller« Interesse verschrei ben, ist jede Abteilung der Politik mit einem historischen Ehren titel, gewissermaßen mit einem echt deutschen Markenzeichen versehen worden. Die sehr bereitwillige Übernahme des Bündnisauftrags, als gutge rüsteter NATO -Partner für den von Anfang an eingeplanten Kriegsschauplatz Europa die nötigen arbeitsteiligen Dienste zu verrichten, liest sich auf gut deutsch sehr schlicht: »Unsere Interes sen liegen an der Seite der USA.« Oder: »Die U SA garantieren un sere Sicherheit; Einigkeit und Recht und Freiheit, kurz alles, was das Leben lebenswert macht, sind ohne die sehr kostspielige Treue zum Bündnis nicht zu haben.« Außenpolitische Kontroversen zwischen den Parteien, die in der BRD um die Macht konkurrie ren, verliefen über Jahrzehnte hinweg nach dem öden Grundmu ster: Souveränität oder Unterordnung? - und endeten in schöner Regelmäßigkeit bei der tiefen Einsicht, daß erstens eine westdeut sche Souveränität ohne Unterordnung unter die Gebote der be waffneten Freiheit nicht denkbar sei, zweitens aber Mitmachen noch allemal »unsere Stärke« garantiert. In Anlehnung an die Be scheidenheitsrituale der frühen Jahre gefielen sich auch spätere Führergenerationen darin, die unausweichliche Beteiligung am Jahrhundertunternehmen eines NATO-geordneten Weltmarkts herunterzuspielen. So eindeutig wie die Parteinahme bei jedem der zahlreichen Kriege ausfiel, so unübersehbar sich unter dem Schutz der Bündnisgewalt die westdeutschen Zuständigkeiten überall auf dem Globus erweiterten, so beflissen gingen deutsche Politiker mit | ;, ihrer Selbstdarstellung als der besseren und unschuldigen Hälfte des freien Westens zu Werke. Mittlerweile treten sie bei jeder A f färe der Weltpolitik, ob die Konkurrenz zwischen Nationen nun mit oder ohne Waffen ausgetragen wird, als selbstlose und unver dächtige Vermittler auf. Sie schlagen »Lösungen« vor, deren Nut zen für die Republik und ihre Geschäftswelt zwar nicht zu überse hen ist, aber durch die Brille eines verantwortlichen Nationalisten gesehen eben nur den gerechten Lohn für weise Zurückhaltung darstellt. Westdeutsche Politiker können tun und mitmachen, was sie wollen, - es ist Friedenspolitik. Kaum haben sich die U S A unter dem Druck der sowjetischen 307
Nachrüstung (die diesen Namen allerdings nie erhielt) dazu bereit gefunden, den diplomatischen und geschäftlichen Verkehr mit der Sowjetunion für bedingt zulässig zu erklären, und ihn auch selbst gepflegt, da hat ein westdeutscher Kanzler eine exklusiv westdeut sche Aufgabe entdeckt. »Aussöhnung« mit dem Osten stand auf dem Programm, symbolisiert in einem friedensnobelpreisträchti gen Kniefall und exekutiert als Riesengeschäft. Der westdeutsch russische diplomatische Deal hieß: Bedingte Anerkennung der eu ropäischen Machtsphäre der Sowjetunion, ja sogar - vorbehaltlich aller verfassungsrechtlicher Vorbehalte - der D D R und der polni schen Westgrenze gegen die sowjetische Bereitschaft, die BRD als gleichrangigen und gleichberechtigten weltpolitischen Kontrahen ten zu berücksichtigen. Mit einem höheren Preis konnte die Sowjet union den keineswegs prosowjetisch gemeinten Abschied der BRD vom »Revanchismus« wahrhaftig nicht honorieren. Sie hat einem westdeutschen Anspruch stattgegeben, der ihr umgekehrt von der Weltmacht Nr. i stets abschlägig beschieden wird. Und billiger war für die Bundesrepublik der Einstieg ins Ostgeschäft nicht zu haben, ein Einstieg, der mittlerweile die Früchte eines jahrzehntelangen friedlichen Handels hat reifen lassen. Was ein Fünfjahresplan taugt, fällt zu einem Gutteil in die Kompetenzen ri sikobewußter deutscher Banken, hängt von den positiven Bilanzen deutscher Aktiengesellschaften ab - und diese Geschäftspartner sind der Freiheit so sehr verpflichtet, daß sie sogar den Umgang östlicher Regierungen mit Dissidenten, Ausländsdeutschen und anderen Weltbürgern zum Argument gegen eine Unterschrift ma chen. Das Ganze lief im demokratischen Machtkampf als Streit um erlaubtes oder ungebührliches Entgegenkommen gegenüber den Moderatoren von Völkergefängnissen; da es aufgrund der unab weisbaren Voneile stattfinden »mußte«, entschloß sich der west deutsche Duden zur Aufnahme der Vokabel »Entspannungspoli tik«, damit auch diese Ideologie in den nationalen Sprachschatz fe sten Eingang fand. Daß westdeutsche Politiker durch ihren Erfolg auch berechtigt sind, ihren östlichen Partnern die Bedingungen der Entspannung zu diktieren und auf europäischen Sicherheitskonfe renzen vorzubuchstabieren, was Menschenrechte und politisches Wohlverhalten bedeuten, ist ebenso selbstverständlich wie die Tat sache, daß der Todestag eines erschossenen Gewerkschafters in Deutschland West nichts für einen 17. Juni in Deutschland Ost herzugeben hat. 308
An Gewalt und Not fehlt es weder in den zivilisierten Staaten Eu ropas, für die Führer der BRD so verbindlich das Wort ergreifen, noch in den Ländern, die deutsche Außenminister stolz »unsere Partner in der Dritten Welt« nennen. Zur ideologischen Einord nung der Taten, mit denen die BRD zum Fortschritt von Wachs tum und Armut beiträgt, leistet die selbstgerechte Nachkriegsbescheidenheit freilich gute Dienste. Die Bemühungen, aus Europa eine Anlagesphäre deutschen Kapitals zu machen und »die Ge meinschaft« zu einem Bollwerk deutschen Protektionismus und Freihandels auszugestalten, gelten nicht nur als Aussöhnung der im letzten Krieg tragisch gegeneinander aufgebrachten Völker, sondern als ehrenhafter Kampf gegen nationale Egoismen und für eine freie Weltwirtschaftsordnung. Was den zweckmäßigen Ein satz von Völkern der dritten Garnitur und die Freundschaft mit de ren Befehlshabern angeht, pflegt die Bundesrepublik zufrieden darauf zu verweisen, daß ihr weder Kolonialismus noch das Behar ren auf Privilegien in bezug auf Ex-Kolonien zur Last gelegt wer den können. Ein untrüglicher Beweis für den Hilfscharakter, der deutsches Kapital und deutsche Waffen in aller Welt auszeichnet. Die BRD leistet nur Kapital- und Waffen-, also EntwicklungsJ?t//e. Für die gebührt ihr jedes Mitspracherecht. 3. Den Klartext in bezug auf die Zielsetzungen und Wirkungen 1 westdeutscher Politik hat in der fast vierzigjährigen Geschichte der | BRD keine machtvolle Oppositionsbewegung in Umlauf geI bracht, öffentlich bekanntgemacht wird er von oben, durch die berufenen Führer der Geschicke eines Volkes, das zu spürbaren ; Einwänden, zu praktischer Kritik sich nicht veranlaßt sah. Der of' fizielle Antikommunismus der Adenauer-Ära ist von den WünI sehen der Bürger ebenso unbehelligt betrieben worden wie die Be| nützung und Schädigung, wie die Aufweichung des Ostblocks während der »Entspannungsphase«. Daß an den Interessen der ei genen Nation, also auch immer an denen der N A T O , die Welt zu I messen ist, war und ist Hauptbestandteil des demokratischen Konsens in der B R D - über alle Gemetzel hinweg, aus denen sich die I »kritische Weltlage« erahnen ließ. Stets ist es der jeweiligen BunI desregierung gelungen, ihre Werke als unabdingbare Reaktion auf die »Schwierigkeiten« glaubhaft zu machen, die ihr andere - von 1 den schwachen europäischen Partnern über die Ölscheichs bis zu dem auf allerlei U m sturz erpichten Kreml - bereitet haben. Die »Wende« der deutschen Politik seit Beginn der achtziger Jahre ist 509
auch keine Reaktion auf ein massiv vorgebrachtes Volksbegehren der selbstkritische Charakter, den die Befürworter dieser Wende (die allesamt in Bonn ihren zweiten Wohnsitz haben) ihr zuschreiben bezieht sich ausdrücklich auf den Erfolg der deutschen Beteiligung an der N A T O , an Europa, am »Nord-Süd-Dialog«, an der »Ent spannung« und vielem anderen mehr. Deutsche Politik in den achtziger Jahren beruft sich auf die Tatsache, daß »wir wieder wer sind« und deshalb »Verantwortung zu tragen« haben, ja die ganze Welt unter dem Gesichtspunkt »unserer Sicherheitsinteressen« zu behandeln haben. Die bundesdeutsche Debatte um die Frage: »Ist die Friedens-, Entspannungs-, Entwicklungs-, Bündnispolitik ge scheitert?« lebt von der Gewißheit, daß neue und höhere Aufgaben anstehen und alte und tiefere Werte wieder zu beleben sind. In dem j öffentlich inszenierten Streit, wieweit man vom erreichten Stand i westlicher Weltregelung und Feindschaftserklärungen gegen ! Osten aus die bisherigen Fortschritte als gefährliches Versagen und Nachgeben gegenüber östlichen Drohungen interpretieren soll, t sind sachliche Differenzen über Ziele und Mittel deutscher Politik ! kaum auszumachen. Da wird mit aller Freiheit um die Selbstdar stellung als fähige Verwalter deutscher Notwendigkeiten gefeilscht und dabei den Titeln Freiheit, Entspannung, Frieden der zeitge mäße Inhalt verpaßt. Nachdem die Werke der N A T O - und BRD-Politik übereinstimmend als Antwort auf eine von sonstwo (d. h. letztlich immer von drüben) ausgehende Gefahr für Frieden, Freiheit, Weltwirtschaft und Selbstbestimmungsrecht der Völker ausgemacht sind, streiten sich Regierung und Opposition darüber, ob die Politik der Rüstungs- und Erpressungsdiplomatie unter dem Titel »Rettung der Entspannung« durch deutsche Politik im Bündnis oder unter dem Titel »Wiederherstellung eines stabilen Gleichgewichts« durch eine Politik der Stärke an der Seite der USA verkauft werden soll. »Sicherung des Friedens« heißt es beidemal, laut SPD durch die »leider« notwendige »Nach-« und sonstige Rü stung samt Osthandelsverschärfungen, laut Christenpartei durch eine endlich konsequent durchzusetzende »Nach-« und sonstige Rüstung samt Verschärfungen im Osthandel. In seltener Eintracht streiten sich die maßgeblichen Parteien um die Sache der Freiheit. Einerseits läßt schon der weltpolitische Rundblick keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es um die Freiheit der Nation geht, daß sich das westdeutsche Staatswesen ziemlich beschränkt vorkommt, wenn es in sämtlichen Weltge310
genden durch seine berufenen Sprecher seinen höchsten Wert in Gefahr sieht. Das unbedingte Recht auf »unsere« Zuständigkeit wird da proklamiert, und immerzu kommen Sachen vor, die »wir« nicht hinnehmen können, so daß diplomatischer, ökonomischer oder auch militärischer Druck erforderlich ist - und die Warnung an auswärtige Adressen, sich nicht einzumischen. Andererseits wird mit schonungsloser Offenheit ausgesprochen, daß eben diese Freiheit mit Wohltaten oder Genüssen der Bundesbürger herzlich wenig zu tun hat. Im Gegenteil: Alle Führerpersönlichkeiten wis sen zu sagen, daß Opfer für die Freiheit in jeder Größenordnung fällig sind. Materielle Vorteile werden nie aufgezählt, wenn es um das höchste aller Güter geht; umgekehrt gebietet die Freiheit, in der man leben darf, das willige Hinnehmen der »schweren Zeiten«. Offenbar verträgt sich die Freiheit nicht nur sehr gut mit Gewalt, sondern auch mit N ot: Bescheidenheit und die Bereitschaft zur be dingungslosen Unterstützung des Staates, der für sie da ist, werden als der ganz selbstverständliche Preis der Freiheit gefordert. 4. Diese Unbescheidenheit gegenüber ihrem Volk vertreten west deutsche Politiker nach guter demokratischer Sitte so, daß sie jede ihrer Maßnahmen als unausweichliche Reaktion auf äußere und innere »Schwierigkeiten« darstellen, die sie vorfinden. Gestritten wird zwischen den Konkurrenten um die Macht darum, wer zur Erledigung der N otw endigkeiten berufen und befugt ist - und die ser Streit hat den Regierten eine »Wende* beschert. Dabei sind zwar sämtliche Zielsetzungen bundesdeutscher Politik zur Sprache gekommen in den kärglich unterschiedenen Lesarten des Auftrags, wie die Nation zu retten sei - die Aufmerksamkeit der professio nellen und massenwirksamen Kritik des politischen Geschehens wurde jedoch von der Technik des Machtwechsels weitgehend in Beschlag genommen. Der Koalitionswechsel der FDP erfreute sich nebst den Erfolgsperspektiven der für die Macht in Frage kom menden Parteien der herzlichsten Anteilnahme, und der »Glaub würdigkeit« der Beteiligten wie der »Regierbarkeit« des Landes galten die meisten Sorgen. Die Einleitung des Wahlkampfs durch ein neuartiges Mißtrauensvotum, dessen berechnete Inszenierung für niemanden ein Geheimnis war, wurde zeitweise das Problem Nr. i der Nation, so daß über den »Geist der Verfassung« sowie Stil- und Methodenfragen aller Art so ausgiebig gerechtet werden durfte, daß die längst vollzogenen Übergänge in Sachen politische Ökonomie zum bloßen und selbstverständlichen »Hintergrund« 3n
herabsanken, die Zwecke der Nation endgültig nicht mehr »zUr Diskussion« standen. Damit ist keineswegs gemeint, daß sie in der BRD nicht zur Spra che kommen. Wenn demokratische Parteien um ihre Ermächti gung werben und dabei mit dem Selbstlob hausieren gehen, sie wä ren noch nie so geschlossen wie auf ihrem letzten keimfreien Par teitag dafür eingetreten, die Opfer durchzusetzen und sich darin auch von niemandem stören zu lassen; wenn sie in ihrer Propa ganda mit sämtlichen sozialkundlichen Vorurteilen aufräumen, die der Demokratie den Vorzug zuerkennen, die Regierenden würden sich an den Wünschen ihrer Untertanen beschränken oder auch nur orientieren, dann künden sie auch von den Zielen, die sie aufgrund der »Lage« für fällig erachten. Diese »Lage« heißt spätestens seit 1982 schlicht und einfach Krise: Erstens befand sich das Kapital dank seiner jahrelangen Geschäfts erfolge tatsächlich in der Krise, weil es seine Akkumulation über die Schranken des Marktes hinausgetrieben hatte und nun mit der leidigen Tatsache konfrontiert war, daß sich die Produktion und deren Erweiterung nach seinem Maßstab nicht mehr machen ließ; d'ierentablen Anlagesphären waren dezimiert, nachdem über Jahre hinweg der durch Staat und Geschäftsbanken ständig verfügbare Kredit für recht erfolgreiche Geschäfte ausgenutzt worden war. Die Benützung der herrlichen und nach wie vor vorhandenen Pro duktionsfaktoren Kapital und Arbeit, der »Kapazitäten«, lohnte sich nicht mehr, und das schöne »Wachstum« kam zum Erliegen. Zweitens galt diese Störung des höchsten ökonomischen Anlie gens, das das bürgerliche Gemeinwesen kennt und dem es sich mit seinen ganzen faux frais verpflichtet weiß, als untrügliches Zeichen dafür, daß der Staat und die Menschheit insgesamt in einer Krise seien, was seitdem an den Finanzen des Staates und am deutschen Wald ebenso nachgewiesen wird wie an den vergammelten Jugend lichen und an den Arbeitslosen. »Krise« wurde zum Synonym nicht nur für fehlenden Profit, für das Erlahmen des Stachels im kapitalistischen Geschäft, sondern auch für sämtliche »Probleme«, die Staat und Kapital für die Regierten und Benutzten geschaffen hatten - u n d , nicht zuletzt, für die »Probleme«, die sich die politi sche Verwaltung nun als Programm zurechtdefinierte. Noch unter der sozialliberalen Koalition lief unter dem Titel »Sparprogramm« die staatliche Krisenbew ältigung der 80er Jahre an, die unter Berufung auf die Opfer der bisherigen Konjunktur
ein »Haushaltsloch« zum Mißstand erklärte. Die »Rettung des So zialstaats« kam auf die Tagesordnung. Der bürgerliche Staat, der mit seinem System von Zwangsversicherungen mit einem festen Bestand an »sozial Schwachen« rechnet, deren Auskommen die freie Marktwirtschaft nicht garantiert und deshalb ein gesetzlich verordnetes Sparen der Betroffenen ermöglichen soll, hat befun den, daß er dieser »seiner Leistung« nicht mehr nachzukommen in der Lage sei. Solange diese »Leistungen« nur von einer verschwin denden Minderheit in Anspruch genommen wurden, dienten die Zwangsbeiträge als Posten in seinem Haushalt - als eine seiner Geldquellen. Kaum haben Millionen die »Sozialleistungen« nötig, befindet der Staat sie für unmöglich —weil sie ihn »belasten«. Die sozialdemokratisch propagierte »Rettung des sozialen Netzes« nahm ihren Lauf; daß das Volk »über seine Verhältnisse gelebt« hatte, war den regierenden Machern nun klar; und unter Verweis auf die bereits erzielten Opfer wurde »Solidarität« verordnet, wurden die Beiträge angehoben und die »Leistungen« in allen Ab teilungen des Sozialwesens gemindert. Der für »notleidend« er klärte Staat wußte sich berechtigt, unter täglich vierundzwanzigmaliger Beschwörung des Problems N r. i, »Arbeitslosigkeit«, Armut und N ot zu stiften - üblich ist seitdem der vielsagende Ver weis auf die noch fortgeschritteneren Maßstäbe in den USA, wo dasselbe Programm millionenfachen und in Reportagen goutierten Pauperismus hergestellt hat. Auf der anderen Seite ist - ebenfalls noch unter der alten Regie rung- die Dezimierung der Staatsschulden zwar immerzu zum fäl ligen Hauptanliegen hochgeredet, aber nie vorgenommen worden. Dies jedoch nicht etwa, um per staatlichen Kredit ein »Beschäfti gungsprogramm« welcher Art auch immer in Gang zu bringen. Sondern mit dem ausdrücklichen Beschluß, daß dergleichen heute nicht machbar sei. D a kannten sich die Macher sofort aus: staatli cher Zwang und öffentliche Hilfe konnten die Geschäftsbedingun. gen des Kapitals nicht »ersetzen« - und die waren nun einmal nicht gegeben. So wurden an jeder spektakulären Pleite die Prinzipien der »freien Wirtschaft« und die gebotene Ohnmacht des Staates gebührend besprochen. Freilich nicht ohne den für die Glaubwür digkeit eines ordentlichen Gemeinwesens so unerläßlichen H in weis auf die auch noch vorhandene Macht, die zur Bereinigung der Schuldfrage in Sachen »Krise« eingesetzt gehört. Der Mißerfolg von Teilen der nationalen Geschäftswelt hat sich nach offizieller 3 *3
Lesart nämlich nur wegen der unziemlichen Praktiken der auslän dischen Konkurrenz eingestellt - und zu deren Domestizierung will eine deutsche Regierung selbstverständlich alles Nötige unter nehmen. Die einschlägigen Mittel der »Abhängigkeit«, die ja sehr fordernd »beklagt« werden, sind vorhanden, so daß bundesdeutsche Diplomatie seit der Krise zu einem Gutteil aus Erpressungsmanö vern in der alten Frage »Schutzzoll und Freihandel« sowie deren Abwandlungen besteht. Dies wird für um so dringlicher erachtet, als eine Schädigung der Wucht, die der schwarz-rot-golden einge färbte Kredit und seine Währung auf dem Weltmarkt entwickelt haben, nicht in Frage kommt. Das wäre nämlich durchaus das ökonomische Gebot der Krise, daß als Kapital zirkulierende Ei gentumstitel, Wertpapiere wie Konten, die einer Vermehrung gar nicht mehr fähig sind, verfallen. Der Idealismus, untauglich ge wordene Geschäftsmittel dennoch als solche zu behandeln, ist ge rade in Krisen nicht Sache des Kapitals; wenn freilich die Ge schäftswelt diesen Idealismus durch die Gewalt des Staates, der den Kredit beaufsichtigt und sein Funktionieren wie Vorhandensein garantiert, als Pflicht zum Geschenk gemacht bekommt, verhält sie sich nicht anders als unter der gar nicht freien Marktwirtschaft des »Dritten Reiches«. Sie akzeptiert dankend und sieht ein, daß eine Entwertung des national garantierten Kredits und seiner Ausläu fer unter »heutigen Bedingungen« eine Fortsetzung der Krise wäre, die die B R D sich nicht leisten kann. Gegen die Kontraktion des M arktes lassen sich ja auch in Japan, Europa und Afrika recht wirksame Vorstöße machen; eine K ontraktion des Kredits die Reduktion fiktiven Kapitals, das die Konten der Bundes bank wie der großen Geldinstitute bevölkert und schließlich das Geschäftsmittel der Nation darstellt - kommt eben deswegen aber gerade nicht in Frage. Das wäre ja gleichbedeutend mit dem Verzicht auf die weltweite ökonomische Präsenz der Na tion; eine Weltwirtschaftsmacht würde so eingestehen, mit ihrer inneren Größe und äußeren Pracht, den Unterhalt Dutzender auswärtiger Souveräne eingeschlossen, »über ihre Verhältnisse« gelebt zu haben. Ein Eingeständnis, das umgekehrt alle kapi talistischen Brüder zu einem gleichartigen Offenbarungseid zwingen müßte - und deswegen unterbleibt, freilich nicht aus Bündnistreue. Die politischen Subjekte der Weltwirtschaft haben sich ja nicht dazu einen weltweiten Kreditüberbau für ihre konkur rierenden Geschäftswelten wie für ihre eigene Ausstattung mit 3 X4
Machtmitteln wie schließlich für ihre Außenpolitik geschaffen, um dann doch »bloß noch« für dessen einheimischen Ausgangspunkt einzustehen: So haben sie sich ja die M acht zugelegt, die wie derum die Glaubwürdigkeit ihres nationalen Kredits garantiert. Diese Garantie hat ja keineswegs den idealistischen Inhalt oder gar den bloß metaphorischen Sinn, daß die ökonomischen Erträge der Nation, womöglich in Gebrauchswerten gemessen, so etwas wie die D eckung der Guthaben und Verbindlichkeiten darzustellen hatten. Gedeckt und garantiert ist in »Weltwährungsfragen« dieser Art die diplomatische Überzeugungskraft von Nationen, deren ökonomischen Mitteln sich nur allzu viele Staaten nicht entziehen können, weil ihnen das Äectem ittel fehlt, das ihnen Widerspruch einzulegen gestatten würde. Dieses Rechtsmittel heißt G ew a lt ; und die ist allemal dort am besten ausgestattet, wo sie die Erzeu gung von Reichtum erfolgreich geboten hat. Deren Untertanen haben daher auch ein unwidersprechliches - weil von ihrer Obrig keit ihnen beigelegtes - »Recht« darauf, daß ihr Staat auch und erst recht in einer Weltwirtschaftskrise zu allerletzt fiktiven Reichtum streicht; und den schönsten Anspruch auf die Fortführung der in ternationalen Konkurrenz unter den härteren Bedingungen eines längst krisenträchtig gewordenen Kreditüberbaus haben selbstre dend deren erste O pfer: die Millionen aus Geschäftsgründen Ent lassenen. Daß bei diesem Typ der Krisenbewältigung die Arbeitslosenzah len sinken, w ill allerdings kein maßgeblicher Politiker behaupten im Gegenteil. Vorsorglich werden Hochrechnungen auf Jahre voraus veranstaltet, die ein schönes kontinuierliches Steigen ver heißen. Gute Dienste tun die im und für den guten Geschäftsgang Entlassenen wie die durch Pleiten überflüssig Gemachten eben nur als Opfer, die sich für den Anspruch der Nation auf Erfolg zitieren lassen; den Bew eis, daß ihr W ohlstand sich mit der Durchsetzung der R epublik einstellt, mag kein Politiker antreten. Beliebt ist da gegen der Verweis auf die Jahre nach dem Krieg, in denen das Volk gezeigt hat, was es verträgt. Der Krisenfanatismus der bundesre publikanischen Öffentlichkeit wird von ihren Volksvertretern ausgiebig mit der Botschaft versorgt, daß alle dauerhaft unter den neuen Geboten der staatlichen Notwendigkeiten zu laborieren haben - weil dies allein dem Staat die Freiheit garantiert, die er braucht. Die ständige Erhöhung der Staatsschulden darf dabei von nie mandem als Indiz dafür gewertet werden, daß das »Gemeinwesen*
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offenbar gar nicht daran denkt zu sparen. Schließlich ist die Be handlung der Mehrheit als Kostenfaktor für den ökonomischen Behauptungsdrang der Republik selbst nicht mehr und nicht weni ger als ein Stück Sicherheitspolitik. Genauso wichtig, ja eigentlich viel gravierender - weil die Voraussetzung einer gelungenen Ab wicklung jeder Phase der Konjunktur - ist der Kampf gegen die Gefährdung der politisch-militärischen Sicherheit. Ohne nach drückliches Bestehen der N A TO darauf, daß die ganze Welt Ge schäfts- und Einflußsphäre der »Industrienationen« bleibt, wären ja die Opfer der arbeitenden Menschheit glatt »sinnlos«, und inso fern ist die Unterordnung der Lebensansprüche unter das Ziel »Wachstum« gerade in der Krise zwar unerläßlich, aber nicht hin reichend. Das zweite Charakteristikum der »Lage« lautet nämlich j auch in aller Öffentlichkeit schon seit langem: es fehlt an allen Ekken und Enden bei der Verteidigung. Und vor dem Programm einer endgültige »Sicherheit« in militärischen Dingen stiftenden »Null-Lösung«, die auf ganz andere Resultate berechnet ist als auf den Abbau von ein paar russischen Raketen —daß die SS 20 nicht Anlaß der »Nachrüstung« war, weil es sie bei ihrem Beschluß noch gar nicht gab, wird 198 3 ebenso offen heraus verkündet wie der Be schluß, höchstens einmal propagandistisch »neue« Kompromiß bereitschaft in Genf anzusagen, die ein Entgegenkommen nicht vorsieht haben sich die »Ansprüche« von wohlstandsverwöhn ten Deutschen schon gleich zu relativieren. Dennoch ist das »politische Leben« im Frontstaat auch in den 80er Jahren nicht ohne »Bewegung« geblieben. Sowohl die Un terwerfung der Lohnabhängigen unter die Bedürfnisse des Kapitals und seine Konjunktur wie die Verpflichtung derselben Leute als Staatsbürger auf den Nationalismus, der sich »im Bündnis« gegen den Osten bewähren will, ist bislang erfolgreich abgewickelt wor den - und deshalb auch das Mittel für die » Wende«. In einer funk tionierenden Demokratie wie der bundesrepublikanischen gibt es eben eine Konkurrenz um die Macht, in der sich politische Parteien die Akklamation des offiziellen Nationalismus zunutze machen. Alle Erfolge der gerade im Amt befindlichen Regierung, und vor allem die Ideologien, mit denen diese ihren Untertanen die Maß nahmen deutet, die sie ihnen aufherrscht, geraten da zum H ebel für K ritik : die ausgemalte »Not« der sozialliberalen Regierung, wel che sie angeblich zu ihren Entscheidungen zwang, wurde in den Einwänden der christlichen Konkurrenz zu einem stattlichen Sün-
denregister; Staatsverschuldung, Arbeitslose und Pleiten wurden Beweise für die Zerrüttung der Nation, die nun der »Rettung« be durfte. Sollizitiert wurde die einzige demokratisch erlaubte Form des »Ungehorsams«: der Stimmzettel, durch den die vorhandene Unzufriedenheit eine andere Mannschaft ermächtigt, die noch nicht einmal darauf angewiesen ist, die Beseitigung eines einzigen Anlasses für Unzufriedenheit als ihr Vorhaben vorzuspiegeln. Sie bringt »Deutschland in Ordnung«, fordert neue Opfer und hetzt bei der Fortsetzung des Vorkriegsprogramms auf die »Erblast«, die jede »Härte« rechtfertigt. »Im Interesse Deutschlands« kalku liert die alte Regierungspartei auf die schlechten Erfahrungen des »Wählers« mit den ändern im Amt, so daß schon in der Wahl kampfagitation der Nationalismus des totalen Wählers und sonst nichts zum Zuge kommt - jener Nationalismus, der die Unterta nen allemal teuer zu stehen kommt, wenn er unter Berufung auf die ausgezählten Stimmen an ihnen exekutiert wird. Auf diese Weise ergänzen sich in der deutschen Demokratie der goer Jahre - vor wie nach Wahlen, mit oder ohne außerordentliche Urnengänge, unter dem Gebot der einen wie der anderen Volkspar tei - öffentliche Rekrutenvereidigungen im Fackelschein mit der gezielten Schaffung eines modernen Pauperismus, steuersparende parteifinanzierungsskandälchen mit Lohnsenkungen jeder Art und eine ungehinderte Aufrüstung mit ebenso neuen wie befreien den Richtlinien für den Waffenexport. Eine Beschränkung der Souveränität - etwas, das der Demokratie zumindest in Sozialkundebüchern zum Lob gereichen soll - ist da bei auch nicht von einer Seite üblich, die sich so viel als die institu tionalisierte Opposition der Lohnabhängigen in der Demokratie zugute hält. D er D G B bringt es nun schon seit Jahrzehnten fertig, die Opfer seiner Mitglieder als »Aufbau« der Bundesrepublik zu feiern. Alle Klagen über die nicht zu übersehenden Kosten, die Kapital und Staat dem Geldbeutel und der Gesundheit der gewerk schaftlich Vertretenen aufherrschen, will ein Arbeiterfunktionär von heute weder als Versäumnis seiner Organisation noch als A uf trag an sie verstanden wissen. Höchstens als ihr R echt, mit zu bera ten und mit zu bestimmen, wie sich der »soziale Frieden« am ge deihlichsten zum Wohle der Nation ausnützen läßt. In Sachen Krise ergehen sich sämtliche Organe der Gewerkschaften in der Propaganda der Ideologien, die Politiker und ihnen geistig konge niale Wissenschaftler in die Welt setzen. Unternehmer sind prinzi3*7
piell »Arbeitgeber«, für deren florierende Geschäfte »vernünftige Lohnabschlüsse« immer zu tätigen sind. Höchstens der Vorwurf sie würden - entgegen einer höheren nationalen Verpflichtung Geld behalten statt Arbeiter arbeiten zu lassen, wird da noch laut. Und in der nationalen Kritik am Ausland sind sie sich allemal mit den Regierenden einig: von den einmal modischen Einwänden gegen Ölscheichs über die Vorwürfe gegen »die Japaner« bis zu den obligatorischen Wiederholungen der tiefen Erkenntnis, daß deut sche Arbeiter unter der SS 20 ganz besonders zu leiden und für die entsprechenden »Gegenmittel« geradezustehen haben, verstehen sie sich auf jede aktuelle Ideologie zur »Erziehung« von Proleten zu Nationalisten. Alles, was der bundesrepublikanische Staat sei nen arbeitenden Bürgern »vorenthält«, trifft auf Verständnis bei dieser Gewerkschaft - die mitten in der Vorkriegswirtschaft auf Demonstrationen ganz erlesener Art viel mehr Wert legt als auf den Einsatz für Korrekturen am Preis der Arbeit. In Veranstaltungen zur »Rettung des Sozialstaats«, die bewußt nicht als Kampfansagen organisiert sind, läßt sie sämtliche Rechte der A rbeiter hochleben als ihr Verdienst; lobt die Tüchtigkeit und Opferbereitschaft ihrer Mitglieder - preist also die Pflichterfüllung. Daß »Gerechtigkeit« kein Kampfprogramm mehr ist - was sie in den ersten Tagen der Arbeiterbewegung w ar-, sondern das schiere Ideal einer Zwangsgemeinschaft, zu der jeder in seinem Stande die ihm auferlegten und gemäßen Opfer beizusteuem hat, führt der D G B nach allen Regeln der staatsbürgerlichen Moral Monat für Monat v o r-v o r al lem in Tarifrunden. Die »Wende« hat er pflichtgetreu mit Feiern absolviert: zum 50. Jahrestag der faschistischen Machtübernahme ist ihm die Unerträglichkeit eines Staatswesens am Herzen gelegen, das Gewerkschaften nur als Beauftragte der Nation wirken lassen wollte. Einen Widerspruch zu den gleichzeitig veröffentlichten »Wahlprüfsteinen«, in denen dem Arbeiter empfohlen wird, sich ganz gewissenhaft der Anliegen der B R D in »schweren Zeiten« an zunehmen, haben nur wenige Gewerkschafter bemerkt. Die sind freilich in dieser Organisation, die den Part einer freiwilligen Staatsgewerkschaft spielt, nicht gerne gesehen. Ihnen ist nämlich jene »Vernunft« fremd, die den fliegenden Wechsel zwischen Ge werkschafts- und Politikerkarrieren in der BRD-Dem okratie so selbstverständlich macht. In diesem Staat ist es offenbar dasselbe, Arbeitervertreter zu spielen oder Minister zu sein. 5. Immerhin blieb das Bild der nationalen Einheit eine Zeitlang 318
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getrübt - und zwar nicht durch Freunde des Klassenkampfes, die gegen die Freiheit von Kapital und Staat einigermaßen wirksam Einspruch erhoben, sondern durch Freunde des Friedens. Der gar nicht schwierige Schluß auf den Zweck einer Politik, die in der Vermehrung ihres militärischen Potentials ihr aktuell wichtigstes Mittel hat, ist allerdings selbst von den Bürgern nicht gezogen worden, die in erheblicher Anzahl Zweifel angemeldet haben daran, ob ihre Regierung den richtigen Weg geht, wenn sie sich an der Sicherung des Friedens zu schaffen macht. Die Friedensbewe gung hat sich nämlich der offiziellen Doktrin angeschlossen, daß Politik, die deutsche vor allem, zur Verhinderung von Kriegen veranstaltet wird; und vom Glauben an diese Lüge, die noch stets in Zeiten der Kriegsvorbereitung ihre Konjunktur bekommt, zehrt die in Demonstrationen vorgetragene kritische Haltung zu den einschlägigen Entscheidungen der amtierenden Regierung. Umgekehrt haben sich die als Sicherheitsbeauftragte der Nation angesprochenen Politiker samt ihren amerikanischen Kollegen in kaum zu überbietendem Zynismus dieses Glaubens bedient und den Protest zurückgewiesen. Auf das öffentlich wiederholt abgelegte Bekenntnis »Wir haben Angst!« reagierte der alte Kanzler im Brustton der Entrüstung und mit der Versicherung, daß man ihm genauso unterstellen müsse, mit Angst und Sorge erfüllt zu sein. Seinen Willen zur Aufrüstung hätte man eben aus dieser seiner Besorgnis heraus zu würdigen und als Wahrnehmung seiner höheren und damit einzig gültigen V er antwortung zu billigen. Sekundiert wurde er von christlichen K ol legen in Bonn und von amerikanischen »Verantwortlichen«, die noch eindeutiger klarstellten, daß einem Bundesbürger zwar Angst vor der SS 20, nicht aber vor den Waffen der freiheitlichen »Politik der Stärke« ansteht. Die Herrschaften im NATO-Hauptquartier haben zu diesem Behuf den Spruch »Lieber rot als tot!« ausgegra ben und ihn als Ausweis einer mit der Freiheit und ihrem Schutz unvereinbaren Haltung gebrandmarkt. Ganz nebenbei ist ihnen auch noch die Unverschämtheit eingefallen, daß Gerät und Solda ten der NATO -Streitkräfte nicht zuletzt dafür ersonnen worden wären, daß Friedensdemonstrationen möglich bleiben. Uber öffentliche Auseinandersetzungen dieser Art ist man zw i schen Regierung, Opposition und Friedensbewegung dahin über eingekommen, sich keinesfalls mehr wechselseitig den »Friedens willen« abzusprechen. Die Redensart von der »Vntdensfäkigkeit« 319
machte die Runde—und die Vorstellungen der streitenden Parteien unterzogen sich gegenseitig einer Überprüfung in bezug auf ihren Realismus. Ausgehend von der auch noch als tröstlich empfunde nen Vorstellung »Krieg lohnt sich nicht!« - mit der moderne Bür ger von den nüchternen Gesetzen der kapitalistischen Welt im merhin soviel mitbekommen haben wollen, daß es in ihr um Ge schäfte geht und ein zerbombtes Land nebst Millionen Leichen unmöglich dem ansonsten üblichen Materialismus selbst ihrer Staatsmänner und Wirtschaftsmanager eine Geschäftsgrundlage bietet gelangten die Diskutanten der anonymen »Kriegsgefahr« zu einem gemeinsamen Fehlschluß: »Krieg kann also niemand ernstlich wollen!« Mit Ausnahme einer Minderheit, die in den Gewinnen von Rüstungsmonopolen doch noch ein materialistisches Motiv für Kriege entdeckte, das zum üblichen Geschäftsinteresse »paßt«, fanden sich so die Zuständigen und Betroffenen zu einer nationalen Suche nach dem Weg zur Erhaltung des Friedens zusammen. Der Unterschied zwischen den beiden Lagern ist allerdings kaum zu übersehen: Während die Zuständigen, darin kei neswegs (bestochene) Knechte der Rüstungsindustrie, sondern de ren Auftraggeber, in der Herstellung der Kriegsbereitschaft den »realistischen« Kurs praktizieren, gestatten sich die Betroffenen und in Zweifel Gestürzten die theoretische Eröffnung von Alterna tiven. Ob aus christlicher Weltanschauung oder aufgrund der Per spektiven, die sie der veröffentlichten Rüstungsdiplomatie und Strategie entnehmen, zu Skeptikern des Bonner und Washingtoner Kurses geworden - keine Beschwerde und kein Appell versäumt es, die verantwortliche Regierung bei ihrer » Verantwortung für den Frieden« zu »packen«. Längst sind die Friedensdemonstranten dazu übergegangen, das Bekenntnis abzulegen, das man von höherer Stelle eingefordert hatte. »Einseitig« wollen sie nicht sein, also auch nicht zwischen den Urhebern und den Adressaten der aktuellen und so ominös zu tage getretenen »Kriegsgefahr« unterscheiden. Selbst die »linken« und als »moskaufreundlich« denunzierten Anhängsel der Frie densbewegung sind angesichts beschlossener und täglich abgewikkelter Aufrüstung ganz brav für »Abrüstung in Ost und West«! Während der Kanzler für das Bedürfnis nach Frieden auch einmal tiefes menschliches Verständnis äußert, um sich Kritik an seiner praktischen Friedenspolitik zu verbitten, während christliche Poli tiker den mit der Bergpredigt bittenden Friedensfreunden auf Kir320
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chentagen und sonstwo ihr »Mißverständnis« zurechtrücken (die moralischen Maßstäbe ihres Glaubens haben für die Erduldung von Gewalt, für Gehorsam zu dienen, nie und nimmer jedoch für eine Rechtfertigung von Auflehnung gegen unangenehme strategi sche Vorhaben und Kalkulationen der Obrigkeit mit ihrem Volk), ergeht sich die Friedensbewegung in »Vorschlägen« zum Verzicht auf die gerade per Militärhaushalt georderten Waffen. Aber nicht in der veröffentlichten Absicht, nach der geeigneten Form des Kampfes Ausschau zu halten, die es den rüstungsbeflissenen Mini stern und Parlamentariern unmöglich macht, sich auf Kosten der arbeitenden und wählenden Mehrheit ihre Raketenpolitik zu ge nehmigen. Vielmehr im Zutrauen auf das Gehör, das die Alterna tive zur offiziellen Friedenspolitik bei den Machern der beklagten Aufrüstung zu finden wünscht. War der alten Ostermarschbewe gung bei ihrem Protest gegen die atomare Bewaffnung die »Theorie der Abschreckung« präsentiert worden, so beruft sich die heutige Friedensbewegung auf den Segen der »Abschreckung«, auf die Lüge von der »stabilisierenden Wirkung« von Kriegsmaterial für den Frieden - zählt Raketen und sortiert sie nach »ausreichend«, »überflüssig« und »zu viele«. Leute, die erschrocken sein wollen über die kaltschnäuzigen Berechnungen ihrer Strategen, legen ohne weiteres c}en Maßstab der Knegsverkinderung an den Aus bau der Streitkräfte an; und wenn sie dann nach reiflicher Berech nung des gleichgewichtsdienlichen Arsenals zu der betrüblichen Feststellung kommen, daß ihre politischen Führer anderen Kalku lationen folgen, monieren sie keineswegs deren Verlogenheit oder suchen nach den Kriterien, denen die NATO-Regierungen sich verschrieben haben. Lieber warnen sie Gott und die Welt nochmals eindringlich vor der »Gefahr«, die von den Mitteln der Kriegs führung ausgeht, geben zu bedenken, daß »zu viele« Tötungs maschinen herumstehen - nämlich genug, um die feindliche Bevöl kerung jedes Lagers gleich mehrmals um die Ecke zu bringen —, und verraten damit gleich zweierlei: Erstens, daß sie auf Einsich ten in kriegstechnische Kalkulationen ihrer Gegner gar nicht scharf sind, also gar nichts wissen wollen von der Kalkulation mit einem Sieg, für den die Vernichtung von Menschenleben eine Selbstver ständlichkeit ist und der mehr erforderlich macht als das zum U m bringen von Menschen nötige Sprengstoffquantum; zweitens, daß sie bei ihrer von oben so verteufelten Protestbewegung weniger die Glaubwürdigkeit der hohen Herren für sich und andere in Abrede 321
stellen wollen als ihre eigene Glaubwürdigkeit unter Beweis steU len. Diese Glaubwürdigkeit steht und fällt mit der Einhaltung der Ge bote, welche von den Zuständigen der bundesdeutschen Demo kratie seit den ersten Tagen erlassen werden. Dabei genügt es nicht, mitten in Kriegszeiten - im Sommer 82 wurde ja an mehreren Stel len des Erdballs manches Gefecht ausgetragen, bei nicht zu knap per Beteiligung von NATO-Staaten, NATO-W affen und Freun den der BRD ! - den Fehler zu begehen, für »den Frieden« zu sein und darin die Phrasen der großen Politik von unten zu wiederho len. Das Absehen von den Gegensätzen der Weltpolitik, die immer wieder einen Waffengang für die Macher der »Probleme« und »Krisenherde« nötig erscheinen lassen, darf zwar als Sorge um das rechte Gelingen der »Friedenspolitik« vorgetragen werden, jedoch nicht als Gegnerschaft zu ihr. Der Verdacht, mit dem rührseligen Ruf nach Frieden das Vertrauen aufzukündigen, die eigenen Herr schaften beim Regieren und Aufrüsten stören, sie also bekämpfen zu wollen, muß entkräftet werden! Die deutsche Friedensbewe gung hat sich diese Aufgabe in einer Weise zu Herzen genommen, die jeden Anschein von Opposition zerstreut. Und auch von »Op portunismus«, von um des Anklangs bei zu werbenden Teilen der Bevölkerung willen eingegangenen »Kompromissen« bei der Formu lierung ihrer Kritiken und programmatischen Aufrufe, kann kaum die Rede sein. Vom Stolz auf die Vielfalt ihrer Unterabteilungen, vom beständigen Hinweis darauf, daß jeder Deutsche gleich wel cher politischen Gesinnung in ihr Platz habe, ist der Übergang zum streitbaren Ausschluß von Leuten mit der verkehrten Auffassung schnell zu haben. Der Aufruf zur Toleranz untereinander wird da gleich zur Achtung »Andersdenkender« erweitert, unter die dann die Politiker fallen, die jenes gefürchtete Kriegsgerät bestellen, um es von ihren Untertanen bezahlen und bedienen zu lassen. Die Sorge um »den Frieden« gerät da unversehens zum Bemühen um die Erhaltung des »inneren Friedens«, zum Ausschluß von Geg nern der Kriegsvorbereitung, die den Verdacht eben nicht entkräf ten wollen, daß sie den autorisierten Veranstaltern von Geschäft und Gewalt das Vertrauen und den Dienst aufzukündigen angetre ten sind. Selbst »Linke«, die diesen Verdacht um der Zugehörig keit zu einer solch breiten Bewegung willen ausräumen möchten, können sich der sehr prinzipiellen »Fahndung« nach »einseitigen« Kritikern, die zwar auch »Frieden« sagen, aber nicht mit den »gu-
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ten Deutschen« gegen Moskau sind, nicht entziehen. Bundesdeut sche Linke pflegen ihren Nationalismus »daher« durch die konse quente Unterlassung von Kritik an und in der Friedensbewegung sie hoffen auf sie. Sie sind sich sogar - wenn sie nicht wie die D KP den Verzicht auf die Stichworte »Afghanistan« oder »Polen« in ir gendeiner Resolution für den Fortschritt der Friedensbewegung in Richtung »wirklicher Friedenspolitik« halten - mit den alternati ven Verteidigern »unserer« Freiheit darin einig, daß der geistige Zusammenschluß mit einer staatlich gemaßregelten »Friedensbe wegung Ost« ein ganz unverdächtiges gesamtdeutsch-nationales Anliegen ist und daß Solidarität mit Solidarnosc gegen den russi schen Unfreiheitsdogmatismus sich für einen kritisch-verantwort lichen Staatsbürger gehört, obwohl und gerade weil die N A TO Politiker dort ein »Argument« für ihren Rüstungskurs entdeckt und nach Kräften praktisch gegen den Ostblock geltend gemacht haben. Für einen Grund zur westlichen Einmischung halten sie das allemal, und die praktizieren sie dann auch - ganz moralisch friedlich und unter geflissentlicher Absehung davon, daß die regie renden Politiker diese nationalen Freiheitsideologien längst aus ganz anderen praktischen Gegnerschaftserwägungen mit genau den grundlegenden und letzten Mitteln ihrer Staatsgewalt, den Waffen und der Drohung mit ihrem Einsatz, in die Tat umsetzen. Hier wie anderswo profiliert sich die friedensbewegte Bürgerschaft als sauberer Anwalt nationaler Freiheitsanliegen und macht das Ideal eines besseren Imperialismus - Gegnerschaft gegen Osten eingeschlossen - ohne seine militärischen Gewaltmittel praktisch. Dabei fehlt ihnen nicht einmal der Realismus, sich mit der tagtäglieh vorgeführten Tatsache abzufinden, daß ihre Vorstellung von einem Deutschland, einem Europa, einem Westen, kurz einem Imperialismus ohne Kriegs- und Weltkriegskalkulationen, nur ein Wunschtraum von Bürgern ist, der nur diese letzte, aber unerbitt liche Konsequenz der mit Geschäft und Gewalt geregelten Welt ordnung kritisiert. Angesichts des ständig wachsenden Waffen potentials und seiner beständig zunehmenden Drohung gegen die Sowjetunion demonstrieren die Repräsentanten der Friedensbewegung an all den beständig aufgemachten Entscheidungspunkten für die »Verteidigung der Freiheit«, ob sie nun Afghanistan, Polen, SS 20, Pershing, El Salvador oder Türkei heißen, daß sie eine friedlichere und angeblich erfolgreichere Alternative anzubieten hätten, und daß sie sogar selber noch all die Entschuldigungsgründe in
Form von angeblichen »Schwierigkeiten« speziell deutscher Poli tiker dafür zu liefern bereit sind, daß ihren Vorschlägen kein Ge hör geschenkt wird. Der linke Anhang der Friedensbewegung hält dies nicht für einen Fortschritt auf dem Weg zur »Einsicht« in wenn es dann soweit sein sollte »leider unabweisliche Notwen digkeiten« oder auch »tragische Verstrickungen« der Politik, son dern leistet sich ungerührt die Interpretation, dieser immer friedli cher werdende Bürgerprotest sei irgendwie schon auf dem besten Weg zum Sozialismus. So bestätigen Fortschrittsmenschen ihren Übergang zu einer Vorstellung von Sozialismus, der mit dem Ideal des Friedens zusammenfällt. Für den Klassenkampf scheint ihnen das »Modell« bzw. der »Kriegsschauplatz Deutschland« keine Gründe mehr zu liefern. Von der allzu fordernd klingenden, weil noch Mißtrauen enthal tenden Parole »Frieden durch Politik« ist die Friedensbewegung abgekommen - auf ihrer großen Demonstration im Sommer *82 hat sie »Frieden statt Politik« zur Schau getragen. Während in den Bonner Amtsgebäuden die NATO -Führer Zeugnis davon ab legten, was sie unter »Friedenssicherung« verstehen - Falkland war gerade abgewickelt, Israel traf gerade die Vorbereitungen zur Inva sion im Libanon-, nämlich die Vorkriegs-Konkurrenz der Waffen in Richtung auf einen Sieg fortzusetzen, gefielen sich 250000 De monstranten in der Zurschaustellung ihrer Harmlosigkeit. Ganz bewußt verwarfen sie Parolen und Argumente gegen den in der bundesdeutschen Hauptstadt anwesenden Kriegsrat - und waren wieder einmal ganz einfach für »den Frieden«. Mit diesem »menschlichen« und alle »häßlichen Töne« vermeidenden Auftre ten erniedrigt sich die bundesdeutsche Friedensbewegung wie ihre Vorläufer in vergangenen Vorkriegszeiten zur Begleitmusik der Kriegsvorbereitung - und im Kabinett wird die Freiheit des Regierens nach den selbstgewählten »Sachzwängen« in vollen Zügen ge nossen, unbeeinträchtigt durch den Kam pf um die Macht, der in der Demokratie zu den guten, weil institutionalisierten Sitten ge hört. Eine Schranke findet die politische Gewalt der B R D also höch stens in ihrer Geschäftsgrundlage, im amerikanisch buchstabierten NATO-Vorbehalt, der im verstandenen Auftrag zur Beteiligung am Aufrüstungsprogramm des Westens, der zweiten Heimat jedes guten Deutschen, nur halb erfüllt ist. D ie andere Abtei lung des Vorbehalts erstreckt sich auf die Bewegungsfreiheit der 3M
deutschen Wirtschaft, die in Sachen Erdgas-Röhren, Stahl und EG-Markt den Akkumulationsbedürfnissen der U SA sowie deren politischen Zielsetzungen nun immer öfter in die Quere kommt. Die einschlägigen Klarstellungen des Erlaubten und Verbotenen erinnern deutsche Politiker zwar wieder nachdrücklich daran, wem sie - wie damals in Nachkriegszeiten - ihre Souveränität zu danken haben. Nun —in Vorkriegszeiten—an ihre Rolle erinnert zu werden, daß sie einen am Imperialismus beteiligten Frontstaat re gieren dürfen, wird sie aber nicht aus der Fassung bringen. Wie man sieht, sind sie gewillt und mittels der inzwischen errungenen Stellung in der Welt der Finanzen, Diplomatie und Waffen auch in der Lage, ihr Volk zur »Bewältigung der Schwierigkeiten« und »Lösung der Probleme« rücksichtslos heranzuziehen. Not, Ge walt und Moral stehen in der BRD also auf der Tagesordnung, de mokratisch verordnet. Die »guten Gründe« fürs Mit-Machen, die schon immer Ideologien für Opfer waren, sollten daher nicht nur der theoretischen Kritik anheimfallen.. .
ed ition su h rk am p . N e u e F o lg e
1 Gertrud Leutenegger, Lebewohl, Gute Reise 2 Hans Georg Bulla, Weitergehen 3 Von nun an: Neue deutsche Erzähler. Hg. v. Hans-Ulrich Müller-Schwefe 4 Franz Böni, Hospiz 5 Bodo Kirchhoff, Body-Building 6 Thomas Bernhard, Die Billigesser 7 Sinclair, Der Fremde 8 Octavio Paz, Suche nach einer Mitte 9 Tove Ditlevsen, Sucht 10 Hoffnung auf Frühling. Moderne chinesische Erzählungen. Bd. i : 1919-19 49 . Hg. v. Volker Klöpsch u. Roderich Ptak Hundert Blumen. Moderne chinesische Erzählungen. Bd. 2: 19 4 9 -1 979. Hg. v. Wolfgang Kubin 11 Paul Feyerabend, Erkenntnis für freie Menschen 12 Norbert Elias, Der bürgerlidie Künstler in der höfischen Gesellschaft. Am Beispiel Mozart 1 3 Stanislaw Lern, Dialoge 14 Leo Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie 15 William G. Niederland, Folgen der Verfolgung: Das Uberlebenden-Syndrom. Seelenmord 1 6 Politik der inneren Sicherheit. Hg. v. Erhard Blankenburg 17 Der gerechte Krieg. Christentum, Islam, Marxismus. Red.: Reiner Steinweg 1 8 D arcy Ribeiro, Unterentwicklung, Kultur und Zivilisation 19 Uwe Johnson, Begleitumstände. Frankfurter Vorlesungen 20 Walter Benjamin, Moskauer Tagebuch 21 Dieter Leisegang, Lauter letzte Worte 22 Renate Rubinstein, Nichts zu verlieren und dennoch Angst 23 Hanna K rall, Schneller als der liebe Gott 24 Roberto Calasso, Die geheime Geschichte des Senatspräsi denten Dr. Daniel Paul Schreber 25 Nicolaus Bornhorn, America oder Der Frühling der Dinge 26 Winfried Menninghaus, Paul Celan. Magie der Form 27 Claude Lévi-Strauss, Mythos und Bedeutung 28 Der Neger vom Dienst. Afrikanische Erzählungen. Hg. v. Rüdiger Jestel 29 Rainer M alkowski, Das weiße Schloß 30 Roland Barthes, Leçon/Lektion
31 Das kontrollierte Chaos. Die Krise der Abrüstung. Red.: Reiner Steinweg 32 Die Museen des Wahnsinns und die Zukunft der Psychiatrie. Hg. v. Manfred M. Wambach u. a. 33 Alejo Carpentier, Stegreif und Kunstgriffe 34 Ernst Kris/Otto Kurz, Die Legende vom Künstler 35 Horst Antes, Poggibonsi 1979-1980 36 Wolfgang Glöckler, Seitensprünge 37 Manfred Jendryschik, Die Ebene 38 Christian Meier, Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar 39 Das Afrika der Afrikaner. Gesellschaft und Kultur Afrikas. Hg. v. Rüdiger Jestel 40 Aufklärung und literarische Öffentlichkeit. Hg. v. Chr. Bür ger, P. Bürger, J. Schulte-Sasse 41 Dalton Trevisan, Ehekrieg 42 Logik des Herzens. Die soziale Dimension der Gefühle. Hg. v. Gerd Kahle 43 Hans-Georg Backhaus, Marx und die marxistische Ortho doxie 44 Versuchungen. Aufsätze zur Philosophie Paul Feyerabends. Hg. v. Hans Peter Duerr 45 Julio Cortazar, Reise um die Tage in 80 Welten 46 Ernst Bloch, Abschied von der Utopie? 47 Karl Marx, Enthüllungen zur Geschichte der Diplomatie im 18. Jahrhundert- Hg. v. K arl August Wittfogel 49 Thomas Brasch, Engel aus Eisen 50 Hans Mayer, Versuche über die Oper 51 Maxime Rodinson, Die Araber 52 Eduard Heimann, Soziale Theorie des Kapitalismus. Theo rie der Sozialpolitik 53 Renato P. Arlati, A u f der Reise nach Rom 54 Lao She, Das Teehaus 55 Max Kaltenmark, Lao-tzu und der Taoismus 56 Unsere Bundeswehr? Zum 25jährigen Bestehen einer um strittenen Institution. Red.: Reiner Steinweg 57 Michael Buselmeier, Der Untergang von Heidelberg 58 Karl Heinz Bohrer, Plötzlichkeit. Zum Augenblidt des äs thetischen Scheins 59 Kim Chi Ha, Die gelbe Erde und andere Gedichte 60 Tankred Dorst, Mosch 61 Anselm Glück, Falschwissers Totenreden(t) 62 Dambudzo Marediera, Das Haus des Hungers
6 3 Soziale Unterstützung und chronische Krankheit. Hg. v. B. Badura 64 Octavio Paz, Der menschenfreundliche Menschenfresser 65 Adolf Muschg, Literatur als Therapie? 66 Hans Magnus Enzensberger, Die Furie des Verschwindens 67 Peter Weiss, Notizbücher 1971-1980. Zwei Bände 68 Versuchungen. Aufsätze zur Philosophie Paul Feyerabends. 2. Bd. Hg. v. Hans Peter Duerr 69 Thomas Bayrle, Rasterfahndung 70 Kevin Casey, Racheträume 71 Gerald Zsdiorsch, Glaubt bloß nicht, daß ich traurig bin 72 Boris Moshajew, Die Abenteuer des Fjodor Kuskin 73 Andre Leroi-Gourhan, Die Religionen der Vorgeschichte 74 Dieter Prokop, Medien-Wirkungen 75 Jürg Laederach, Fahles Ende kleiner Begierden 76 Tove Ditlevsen, Wilhelms Zimmer 77 Roland Barthes, Das Reich der Zeichen 78 Manfred Eisenbeis (Hg.), Ästhetik und Alltag 79 Reto Hänny, Zürich, Anfang September 80 Marguerite Duras/Michelle Porte, Die Orte der Marguerite Duras 81 Kindheit als Fiktion. Fünf Berichte 82 Anton Blok, Die Mafia in einem sizilianischen Dorf. 18601960 83 Eva-M aria Alves, Neigung zum Fluß 84 Chinua Achebe, Ein Mann des Volkes 85 Erving Goffman, Geschlecht und Werbung 86 Hans Platschek, Porträts mit Rahmen 87 Darcy Ribeiro, Die Brasilianer 88 Georg Lukacs, Gelebtes Denken 89 Zur Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur. Hg. v. Chr. Bürger, P. Bürger, J. Schulte-Sasse 90 Martin Walser, Selbstbewußtsein und Ironie. Frankfurter Vorlesungen 91 Claus Böhmler, Drehbuch mit Tonspur 92 Afrikanische Schriftsteller heute. Hg. v. Dagmar Heusler 93 Im Atem des Drachen. Moderne persische Erzählungen. Hg. v. Touradj Rahnema 94 Franz X ave r Kroetz, Nicht Fisch nicht Fleisch. Verfassungs feinde. Jumbo-Track. Drei Stücke 95 Ursula Hochstätter, K alt muß es sein schon lang 96 Wassili Afonin, Im Moor
97 Hilfe + Handel = Frieden? Die Bundesrepublik in der Dritten Welt. Red.: Reiner Steinweg 98 Samuel Beckett, Flötentöne 99 Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft 100 James Joyce, Ulysses 10 1 Errungenschaften. Eine Kasuistik. Hg. v. Michael Rutschky 102 Der große Rausch. Türkische Erzähler der Gegenwart. Hg. v. Yüksel Pazarkaya 103 Bernhard Luginbühl, Die kleine explosive Küche 104 Hugh Kenner, Ulysses 105 Hans Wollschläger liest »Ulysses« 106 James Joyce, Penelope. Das letzte Kapitel des »Ulysses«. Engl./Dt. 107 Fragment und Totalität. Hg. v. Christiaan L. Hart Nibbrig und Lucien Dällenbach 108 Gabriel Jackson, Annäherung an Spanien 1898-1975 109 Thomas McKeown, Die Bedeutung der Medizin. Traum, Wahn oder Nemesis? 110 Uwe Kolbe, Hineingeboren. Gedichte 1975—1979 1 1 1 Ngugi wa Thiong’o, Verborgene Schicksale 112 Jose Lezama Lima, Die Ausdruckswelten Amerikas 113 Signatur G. L.: Gustav Landauer im »Sozialist«. Hg. v. Ruth Link-Salinger (Hyman) 114 Michael Brodsky, Der Tatbestand und seine Hülle 115 Ulla Pruss-Kaddatz, Wortergreifung. Zur Entstehung einer Arbeiterkultur in Frankreich 116 Jean-Paul Aron / Roger Kempf, Der sittliche Verfall 117 Gerald Zschorsch, Der Duft der anderen Haut 118 George Tabori, Unterammergau oder Die guten Deutschen 119 Samuel Beckett, Mal vu, mal dit / Schlecht gesehen, Schledit gesagt. Frz./Dt. 120 Vivian Mercier, Beckett/Beckett 121 Thomas A. Sebeok, Jean Umiker-Sebeok, »Du kennst meine Methode« 122 Von der Verantwortung des Wissens. Hg. v. Paul Good 123 Karin Struck, Kindheits Ende. Journal einer Krise 124 Wladimir Tendrjakow, Sechzig Kerzen 125 Dieter Henrich, Fixpunkte der Kunst 126 Roland Barthes, Die Rauheit der Stimme. Interviews 1962-1980 127 Einar Schleef, Die Bande 128 Takeo Doi, Amae - Freiheit in Geborgenheit
129 Blick übers Meer. Hg. v. Helmut Martin, Charlotte Dun sing, Wolf Baus 130 Wie die Wahrheit zur Fabel wurde. Nietzsches Umwertung von Kultur und Subjekt. Hg. v. Philipp Rippel 1 3 1 Josef Esser, Gewerkschaften in der Krise 132 Die Wiederkehr des Körpers. Hg. v. Dietmar Kamper u. Christoph Wulf 133 Richard Saage, Der starke Staat? 1 34 Dieter Senghaas, Von Europa lernen 135 Peter Weiss, Notizbücher 1960-1970. Zwei Bände 136 Marin Sorescu, Abendrot Nr. 15 137 Joachim Veil, Die Wiederkehr des Bumerangs 138 Chinua Achebe, Okonkwo oder das Alte stürzt 139 Robert Pinget, Apokryph 140 Julio Cortazar, Ultimo Round 141 Faszination durch Gewalt. Politische Strategie und AUtagserfahrung. Red.: Reiner Steinweg 142 Manfred Frank, Der kommende Gott 143 Die neue Friedensbewegung. Red.: Reiner Steinweg
e d itio n su h r k a m p . N e u e F o lg e Achebe, Ein Mann des Volkes 84 Achebe, O konkwo oder das Alte stürzt 138 Afonin, Im Moor 96 Alves, Neigung zum Fluß 83 Antes, Poggibonsi 19 79 -19 80
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A rlati, A u f der Reise nach Rom 53 A ron/Kem pf, Der sittliche V erfall 116 Backhaus, M arx und die marxistische Orthodoxie 43 Badura (Hg.)* Soziale Unter stützung und chronische Krankheit 63 Barthes, Das Reich der Zeichen 77 Barthes, Die Rauheit der Stimme. Interviews 1962-19 8 0 126 Barthes, Le^on/Lektion 30 Bayrle, Rasterfahndung 69 Beckett, Flötentöne 98 Beckett, M al vu, mal dit / Schlecht gesehen, Schlecht gesagt 1 19 Benjamin, Moskauer Tagebuch 20
Bernhard, Die Billigesser 6 Blankenburg (Hg.), Politik der inneren Sicherheit 16 Bloch, Abschied von der Utopie? 46 Blok, Die Mafia in einem sizilianischen Dorf 18 6 0 -19 6 0 82
Böhmler, Drehbuch mit Tonspur 91
Böni, H ospiz 4 Bohrer, Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins 58 Bornhorn, Am erica oder Der Frühling der Dinge 25 Brasch, Engel aus Eisen 49 Brodsky, Der Tatbestand und seine H ülle 114 Bürger/Bürger/Schulte-Sasse (H g.), A u fkläru n g und literarische Öffentlichkeit 40 Bürger/Bürger/Schulte-Sasse (H g.), Zur Dichotomisierung von hoher und niederer Literatur 89 Bulla, Weitergehen 2 Buselmeier, D er U ntergang von H eidelberg 57 Calasso, D ie geheime Geschichte des Senats präsidenten D r. D aniel Paul Schreber 24 C arpentier, S teg reif und K unstgriffe 33 C asey, Racheträum e 70 C hi H a, D ie gelbe Erd e und andere Gedichte 59 C ortázar, Reise um die Tage in 80 W elten 45 C ortázar, U ltim o R ound 140 D itlevsen, Sucht 9 D itlevsen, W ilhelm s Zim m er
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Doi, Amae - Freiheit in Geborgenheit 128 Dorst, Mosch 60 Duerr (Hg.), Versuchungen. Aufsätze zur Philosophie Paul Feyerabends 44
Jendryschik, Die Ebene 37 Jestel (Hg.), Das A frika der Afrikaner. Gesellschaft und 2. Bd. 68 Kultur A frikas 39 Duras/Portc, Die Orte der Jestel (Hg.), Der Neger vom Marguerite Duras 80 Dienst. Afrikanische Eisenbeis (H g.), Ästhetik und Erzählungen 28 A lltag 78 Johnson, Begleitumstände. Elias, D er bürgerliche Frankfurter Vorlesungen 19 Künstler in der höfischen Joyce, Penelope. Das letzte Gesellschaft 12 K apitel des >Ulysses< 106 Enzensberger, Die Furie des Joyce, Ulysses 100 Verschwindens 66 Kahle (Hg.), Logik des H er Esser, Gewerkschaften in der zens. Die soziale Dimension K rise 13 1 der Gefühle 42 Feyerabend, Erkenntnis für Kaltenm ark, Lao-tzu und der freie Menschen 11 Taoismus 55 Frank, D er kommende Gott Kam per/Wulf (Hg.), Die 142 Wiederkehr des Körpers Glöckler, Seitensprünge 36 132 Glück, Falschwissers Kenner, Ulysses 104 Totenreden(t) 61 Kirchhoff, Body-Building 5 Goffm an, Geschlecht und Klöpsch/Ptak (Hg.), Hoffnung Werbung 85 auf Frühling. Moderne Good (H g.), V on der chinesische Erzählungen 1 10 V erantw ortun g des Wissens Köhler u. a., Kindheit als 122 Fiktion. Fünf Berichte 81 H än n y, Zürich, A n fan g Kolbe, Hineingeboren. September 79 Gedichte 1975-1979 110 Krall, Schneller als der liebe H art N ibbrig/D ällenbach Gott 23 (H g.), Fragm ent und Kris/Kurz, Die Legende vom T otalität 10 7 Künstler 34 H eim ann, So ziale Theorie des Kroetz, Nicht Fisch nicht K apitalism u s. Theorie der Fleisch. Verfassungsfeinde. So zialpo litik 52 Jumbo-Track. Drei Henrich, F ixp u n k te der K unst
D u err (H g .), Versuchungen. A u fsä tz e zur Philosophie P au l Fcyera b en d s.
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Heusler (H g.), A frikanische Schriftsteller heute 92 H odistätter, K a lt muß es sein schon lan g 95 Jackson, A nnäherung an Spanien 18 9 8 - 19 7 5 108
Stücke 94 Kubin (Hg.), Hundert Blu men. Moderne chinesische Erzählungen II 10 Laederach, Fahles Ende kleiner Begierden 75 Lao She, Das Teehaus 54
Leisegang, Lauter letzte Worte 2i Lern, Dialoge 13 Leroi-Gourhan, Die Religio nen der Vorgeschichte 73 Leutenegger, Lebewohl, Gute Reise 1 Lévi-Strauss, Mythos und Bedeutung 27 Lezama Lima, Die Ausdrucks welten Amerikas 112 Link-Salinger (Hyman) (Hg.)» Signatur G. L.: Gustav Landauer im »Sozialist«
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Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie. Ein autobiogra phisches Gespräch 14 Luginbühl, Die kleine explosive Küche 103 Lukäcs, Gelebtes Denken 88 Malkowski, Das weiße Schloß *9
Marechera, Das Haus des Hungers 62 Martin/Dunsing/Baus (Hg.), Blick übers Meer 129 Marx, Enthüllungen zur Geschichte der Diplomatie im 18. Jahrhundert 47 Mayer, Versuche über die Oper 50 McKeown, Die Bedeutung der Medizin. Traum, Wahn oder Nemesis? 109 Meier, Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar 38 Menninghaus, Paul Celan. Magie der Form 26 Mercier, Beckett/Beckett 120 Moshajew, Die Abenteuer des Fjodor Kuskin 72
Müller-Schwefe (Hg.), Von nun an. Neue deutsche Erzähler 3 Muschg, Literatur als Therapie? 65 Ngugi wa Thiong’o, Verborgene Schicksale m Niederland, Folgen der Ver folgung: Das Überlebenden“ Syndrom. Seclenmord 15 Paz, Der menschenfreundliche Menschenfresscr 64 Paz, Suche nach einer Mitte 8 Pazarkaya (Hg.), Der große Rausch. Türkische Erzähler der Gegenwart 102 Platschck, Porträts mit Rahmen. Aufsätze zur modernen Malerei 86 Prokop, Medien-Wirkungen
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Pruss-Kaddatz, Wortergrei fung. Zur Entstehung einer Arbeiterkultur in Frankreich 115 Rahnema (Hg.), Im Atem des Drachen. Moderne persische Erzählungen 93 Ribeiro, Die Brasilianer 87 Ribeiro, Unterentwicklung, Kultur und Zivilisation 18 Rippel (Hg.), Wie die Wahr heit zur Fabel wurde. Nietzsches Umwertung von Kultur und Subjekt 130 Rodinson, Die Araber 51 Rubinstein, Nichts zu verlie ren und dennoch Angst 22 Rutschky (Hg.), Errungen schaften. Eine Kasuistik 101 Saage, Der starke Staat?
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Schleef, Die Bande 127
gen Bestehen einer umstrit tenen Institution 56 Struck, Kindheits Ende. Journal einer Krise 123 04 Sinclair, Der Fremde 7 Tabori, Unterammergau oder Sloterdijk, Kritik der Die guten Deutschen 118 zynischen Vernunft 99 Tendrjakow, Sechzig Kerzen Sorescu, Abendrot Nr. 15 1 24 13 6 Trevisan, Ehekrieg 41 Steinweg (Red.), Das Veil, Die Wiederkehr des kontrollierte Chaos. Die Bumerangs 137 Krise der Abrüstung 31 Walser, Selbstbewußtsein und Steinweg (Red.), Der gerechte Ironie. Frankfurter Krieg. Christentum, Islam, Vorlesungen 90 Marxismus 17 Wambach (Hg.), Die Museen Steinweg (Red.), Die neue des Wahnsinns und die Friedensbewegung 143 Zukunft der Psychiatrie 32 Steinweg (Red.), Faszination Weiss, Notizbücher 1960durch Gewalt. Politische 1970. Zwei Bände 135 Strategie und Alltags Weiss, Notizbücher 1971— erfahrung 141 1 980. Zwei Bände 67 Wollschläger liest »Ulysses« Steinweg (Red.), Hilfe + 105 Handel = Frieden? Die Zschorsch, Der Duft der Bundesrepublik in der anderen Haut 117 Dritten Welt 97 Zschorsch, Glaubt bloß nicht, Steinweg (Red.), Unsere daß ich traurig bin 71 Bundeswehr? Zum 2 5jähri-
Sebeok/Umiker-Sebeok, *Du kennst meine Methode« 121 Senghaas, Von Europa lernen