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Als die „Goldene Henne“ in den Hafen von Havanna einlaufen wollte, wurde si...
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Seewölfe 488 1
Fred McMason
Küstenpiraten
Als die „Goldene Henne“ in den Hafen von Havanna einlaufen wollte, wurde sie von Wach-Schaluppen gestoppt und aufgefordert, auf Reede zu ankern. Ein junger, reichlich aufgeblasener Teniente erklärte, der sehr ehrenwerte Gouverneur behalte sich vor, darüber zu entscheiden, wann „ein fremdes Schiff“ einlaufen dürfe. Diese Regelung war reichlich merkwürdig, zumindest sah sie verdammt nach Schikane aus. Als jedoch in der Nacht ein anderer Ankerlieger – eine portugiesische Handelsgaleone–von Küstenwölfen überfallen, geentert und nach Westen gesegelt wurde, wurde Jean Ribault mißtrauisch und folgte den Schnapphähnen. Er wurde fündig, denn die Kerle setzten die Galeone auf eine Sandbank, plünderten sie aus – und brachten das Beutegut in die Gouverneursresidenz Die Hauptpersonen des Romans: Arne von Manteuffel – der Vetter des Seewolfs hat eine gute Idee, den Schnapphähnen das Handwerk zu legen. Alonzo de Escobedo – der neue Gouverneur von Havanna hat nichts dagegen, sich schmieren zu lassen. Jean Ribault– bewahrt einen Landsmann davor, massakriert zu werden. Fiarro – der Küstenschnapphahn meint, alle Trümpfe in der Hand zu haben. Costa – ein Fischer, der das Herz auf dem rechten Fleck hat.
1. Havanna - 5. Mai 1595. Im Hafenviertel von Havanna herrschte buntes und reges Treiben. Fischer mit von der Sonne gebräunten und verwitterten Gesichtern hatten ihre Stände aufgebaut. In buntem Durcheinander lagen da sehr malerisch riesige Hummer, Langusten, Krebse, Garnelen und viele Arten von Fisch. Neben den Fischern boten handfeste Marktweiber ihre Produkte an. Sie verkauften lebende Hühner, Gänse, Eier, Zitrusfrüchte, Bananen, Gemüse aller Art und Mais. Neben ihnen wiederum befanden sich die Stände der Macheteros, die ihr Zuckerrohr gleich bündelweise anboten. Knorrige Siedler der Außenbezirke von Havanna hatten sich ebenfalls eingefunden, um ihre landwirtschaftlichen Produkte -an den Mann zu bringen. Die Szene wirkte sehr malerisch, denn das alles wurde von undefinierbaren Gerüchen überlagert. Hinzu kam noch der Duft des
Hafens, von Seewasser, Tang, teergetränktem Holz und Lampenöl. Den Hintergrund der malerischen Kulisse bildeten Schaluppen, eine Galeone und viele kleinere Boote. Die Marktweiber schrien sich die Kehlen heiser, die Fischer brüllten. lautstark und gestenreich, um ihre Ware loszuwerden, und die Macheteros, die Zuckerrohrschneider, krächzten dazwischen. Um diese Zeit, es war jetzt zehn Uhr morgens, hatten sich auch bereits zahlreiche Kunden eingefunden, die die angepriesenen Waren beäugten, beschnupperten und begrapschten. Es wurde gefeilscht und gestritten. Auch die Beutelschneider mit den scharfblickenden Augen und den flinken Fingern hatten an Markttagen immer Hochkonjunktur, und so mancher biedere Bürger von Havanna merkte erst beim Bezahlen, daß ihn jemand um die Geldkatze erleichtert hatte. Dann ging -das Gekeife, Gezeter und Geschrei erst richtig los. Der Heilige Antonius wurde angerufen und angefleht,
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er möge doch bitte sehr - die geklauten Sachen wieder herbeischaffen. Aber da der Heilige sehr viel zu tun hatte, konnte er nicht allen helfen, und so wurde er von manch Einfältigen der Faulheit bezichtigt. Als die Marktszene fast in voller Blüte stand, erstarrte sie auch schon, und die Menschen wandten neugierig die Köpfe. „Der neue Gouverneur kommt“, raunten sie. Die Fischer grinsten dünn, und die Macheteros kümmerten sich nicht darum. Denn der neue Gouverneur von Havanna, Alonzo de Escobedo, hatte für sie noch keinen Finger gerührt, und es sah auch nicht so aus, als habe er das vor. Das Gekeife, Geschrei, Gezeter und Gejammer hörte fast schlagartig auf. An den Marktständen trat Ruhe ein. Die derben Marktweiber aber reckten neugierig die Köpfe, denn Alonzo de Escobedo trat immer auf, als sei er der König von Spanien persönlich. Anfangs war er ein kleiner Hafenkapitän gewesen, der seine Amtswege zu Fuß unternehmen mußte. Jetzt hatte er das nicht mehr nötig, denn er bewohnte selbstverständlich die Residenz des vorherigen Gouverneurs, des feisten Don Antonio de Quintanilla. Von dem hatte er ebenso selbstverständlich die Prunkkarosse und das Personal übernommen. Noch selbstverständlicher war für ihn, daß er sich so schnell wie nur möglich an fremdem Eigentum vergriff und bereicherte. Er beherrschte zwar noch nicht alle schäbigen und miesen Tricks des Exgouverneurs, aber Ideen hatte er schon und sehr prächtige, wie er glaubte. So stammte die Idee von ihm, auf Reede liegende Schiffe auszuplündern. Das hatte de Escobedo bereits mit Erfolg versucht, und diese Idee hielt er für genial. Sein letztes Opfer war eine portugiesische Handelsgaleone gewesen, deren Mannschaft umgebracht worden war. Anschließend hatte er das Schiff ausplündern lassen. Die Prunkkarosse rollte jetzt auf die Pier zu und nahm Kurs auf das deutsche
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Handelshaus und die Faktorei Arne von Manteuffels. Begleitet wurde die Karosse von einer Eskorte berittener Stadtgardisten. Auf den Katzenköpfen war das Klappern der Hufe zu hören. Der Erhabene selbst war nicht zu sehen. Dicke Gardinen verbargen ihn vor den neugierigen Blicken des Pöbels. Hinten auf der Karosse, die von zwei Pferden gezogen wurde, standen zwei in farbenprächtige Gewänder gehüllte Lakaien, steif und unbeweglich wie Ladestöcke. Erhabenen Blickes sahen sie hochmütig über die Menschenmenge hinweg. Die Kutsche hielt vor der Faktorei. Das Geklapper der Hufe erstarb. Die Pferde der Stadtgardisten tänzelten nervös auf den Katzenköpfen. Die beiden Lakaien, die hinten auf einem Trittbrett gestanden hatten, stiegen eilfertig ab, um dem hohen Herrn den Schlag zu öffnen und beim Aussteigen behilflich zu sein. Sie öffneten den Schlag und verbeugten sich. Gleichzeitig stellten sie ein Treppchen vor den Ausstieg der Kutsche. Das Treppchen hatte zierlich gedrechselte Säulchen und einen golden verzierten Handlauf. Es hatte schon dem fetten Don Antonio hilfreich gedient und war sehr solide, denn es war unter dem beachtlichen Gewicht des Dicken noch nicht zusammengebrochen. Das Treppchen mußte diesmal allerdings nicht soviel Gewicht tragen, denn die fette Wampe des Exgouverneurs hatte de Escobedo noch nicht. Vielleicht würde er sie sich eines Tages aber anfressen. Als er jetzt ausstieg, blickten sogar die gleichgültigen Macheteros auf, aber nicht, um ihm mit bewundernden Blicken zu huldigen. Sie fanden den Senor Gouverneur eher spaßig, weil er sich wie ein Schmierenkomödiant aufführte. Die Marktweiber stießen sich mit den Ellenbogen an - sehr unauffällig geschah das - und grinsten verstohlen. Auch die Fischer und Siedler grinsten heimlich oder
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verbargen ihr Grinsen mühsam hinter betont starren Gesichtern. Was da über das Treppchen stieg, war ein aufgeblasener, hagerer Mensch. Seit er den Gouverneursposten innehatte, hatten sich auch seine Gesichtszüge verändert. Seine Miene zeigte den Dünkel des erhabenen Potentaten. Sein Ausdruck war blasiert und hochmütig und verkündete aller Welt, daß er der Größte sei. Geziert bewegte er sich hinunter. Die Marktweiber grinsten wieder, als der Kerl jetzt in voller Größe auf dem Pflaster stand. Natürlich hatten die diensteifrigen Lakaien vor das Treppchen noch einen kleinen Teppich gelegt, damit der Erhabene nicht unmittelbar den Staub der Straße berührte. Er trug einen affigen Federhut, ein weißes Rüschenhemd und elegant gestreifte Kürbishosen. Über den Kürbishosen befand sich ein mit Brokat besetztes Wams mit vielerlei Zierrat. Dazu trug er weiße Strümpfe, Schuhe mit Silberschnallen und an einem Wehrgehänge einen kleinen Zierdegen. Wenn die Sonnenstrahlen auf seine Finger fielen, blitzte es grell auf, die Steine der kostbaren Ringe funkelten farbenprächtig in der Sonne. Von einem dieser Ringe pustete er geziert ein unsichtbares Stäubchen, das vielleicht das Glitzern hätte verhindern können. Der kernige Landesvater setzte sich in Bewegung, begleitet von den Lakaien und gefolgt von zwei berittenen Stadtgardisten. Den Pöbel übersah er gelangweilt. Das war Volk, und für einen Erhabenen seines Ranges war Volk nicht existent. Er hielt es für absolut unter seiner Würde, diesen Bauernlümmeln auch nur einen wohlwollenden Blick zu gönnen. Marktschreierisches Gesindel war das, die rochen geradezu nach armen Leuten, und dementsprechend rümpfte er auch die Nase. Die Lakaien hatten von ihrem Herrn bereits eine ganze Menge gelernt und abgeschaut. Das Volk war für sie ebenfalls nicht existent, und so sahen sie hochmütig darüber hinweg.
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Der Gockel stolzierte weiter und benahm sich ganz so, als sei er allein auf der Welt. Lakaien und Berittene folgten ihm mit blasierten Gesichtern, als er auf die Faktorei zuschritt. * Der Türke Jussuf hatte die Prozession bereits herannahen sehen, noch bevor sie die Faktorei erreichten. Er schüttelte den Kopf und dachte an das gestrige Gespräch. Da hatte Arne noch prophezeit, daß der neue Gouverneur sehr bald auch in der Faktorei aufkreuzen würde, um sich das Einlaufen der deutschen Karavelle „Goldene Henne“ bezahlen zu lassen. Jetzt war der Fall eingetreten. De Escobedo erschien, um sein Schmiergeld einzuheimsen. Der Erhabene hatte nämlich verfügt, daß nichtspanische Schiffe erst einmal auf der Reede ankern müßten, damit er erkunden konnte, was sie geladen hatten. Jean Ribault hatte das bereits in allen Einzelheiten ausführlich berichtet. Außer dem Portugiesen waren bereits ein französisches und ein flämisches Schiff spurlos verschwunden. Darüber waren in Havanna die wildesten Gerüchte umgegangen. Daß der ehrenwerte Gouverneur dahintersteckte, wußten nur ein paar Leute. Amtlicherseits behauptete man jedoch, man habe Beweise, daß es sich um Küstenschnapphähne handele, denen man aber schon bald das üble Handwerk legen würde. Der ehrenwerte Gouverneur würde mit „eiserner Hand“ durchgreifen. Jussuf meldete die Ankunft sofort Arne. „Dann verschwinde ich jetzt besser in die oberen Räume“, sagte Jean Ribault. Arne nickte und blieb im Büro sitzen. Er lächelte grimmig vor sich hin, denn genau das hatte er erwartet, daß ihn dieser Gauner aufsuchen würde. De Escobedo hatte bereits unter fadenscheinigen Begründungen die Faktorei durchsuchen lassen und tückisch angekündigt, daß er als neuer Gouverneur ein ganz besonders
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wachsames Auge auf alle Fremden haben würde, die im spanischen Herrschaftsbereich herumschnüffelten. Es sei auch noch eine Frage, ob er ein deutsches Handelshaus in Havanna dulden könne. Diese unverhüllte Drohung hatte Arne mit dem uralten Mittel der Bestechung allerdings geschickt abgefangen, und de Escobedo hatte gierig und schnell zugegriffen. Inzwischen war der Franzose Jean Ribault nach oben gegangen und betrachtete, hinter einer Gardine versteckt, die Ankunft dieses geschniegelten Hundesohns. Er grinste verächtlich, als er den stutzerhaft gekleideten Kerl und seine hochnäsigen Lakaien sah. Er sah, wie de Escobedo gnädig die Hand hob - für den Lakai die Aufforderung, den Klopfer aus Messing zu betätigen. Der Lakai tat das sehr ergebenst für den Erhabenen, denn ihm als Gouverneur war eine solch mindere Tätigkeit natürlich nicht mehr zuzumuten. Dann stand der Kerl gelangweilt vor der Tür und wartete. Ribault trat grinsend vorn Fenster zurück. Als es unten klopfte, öffnete Isabella Fuentes. Die schwarzhaarige Schönheit mit den dunklen Augen, die sich seit einiger Zeit unter Arnes Obhut befand, begrüßte den Gast mit einem höflichen Knicks. Sie sah sich einem Kerl mit Federhut, Kürbishosen, Rüschenhemd und affigem Degen gegenüber, der sie mit hochgezogenen Augenbrauen ungeniert musterte. De Escobedo starrte sie an und hüstelte affektiert, weil er das für besonders charmant hielt. Teufel, Teufel, dachte er, was für ein herrliches Weib! Prachtvoll, jung und hübsch gewachsen, mit langen schwarzen Haaren, ausdrucksvollen Lippen und einer kleinen geraden Nase. Na, und dann die Äpfelchen, die sich unter der Bluse abzeichneten! Paradiesäpfel sind das, dachte der Erhabene lüstern. Und diese schlanken Beinchen! Er hüstelte wiederum affektiert.
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Und da er ein schneller „Beschließer“ war, beschloß er auch sogleich, daß dieses hübsche Weib zu ihm als Zofe und Betthäschen viel besser paßte als in diese deutsche Faktorei. Mit der konnte man sich sehen lassen. Er würde sie also zu sich nehmen, denn was hatte der deutsche Kaufherr ihr schon zu bieten? Er grinste wie ein Faun, krümmte den rechten Zeigefinger und wollte sie gerade gönnerhaft unter dem Kinn kitzeln, wie er das dem dicken Exgouverneur abgesehen hatte. Da räusperte sich jemand im Hintergrund. Jörgen Bruhn hatte den geschniegelten Affen beobachtet und sich eins gegrinst. Jetzt räusperte er sich und öffnete einladend die Tür von Arnes Büro. De Escobedo hüstelte erneut, diesmal jedoch aus Verlegenheit. Er ärgerte sich ein bißchen, daß der Kerl das gesehen hatte, aber er überspielte es. Die Gouverneursrolle paßte ihm noch nicht so richtig, er mußte da erst einmal hineinwachsen. Zur Zeit äffte er nur den dicken Don Antonio nach und tat alles das, was der ihm vorgemacht hatte. Nur die Idee mit dem Schiffe ausplündern, die war auf seinem eigenen Mist gewachsen. Er warf sich in die Brust und dem „schönen Kind“ noch einen schnellen Blick zu. Linke Hand stolz und blasiert auf dem Zierdegen, trat er in das Büro der Faktorei. Das erste, was Arne wahrnahm, nachdem er den miesen Emporkömmling erblickt hatte, war ein etwas aufdringlicher Duft, der den Erhabenen umgab. Einen feinen Geschmack hat der Kerl, dachte Arne angewidert. Der riecht nach Zimt und Nelken, die in faulen Äpfeln gesteckt haben müssen. Die Aura des Hochmögenden breitete sich pestilenzartig gleich im ganzen Büro aus. Arne ließ sich nichts anmerken. Er empfing den Kerl mit höflich-freundlicher Zurückhaltung und ließ ihn nicht spüren, wie sehr er ihn verachtete - und daß er längst wußte, wer auf der Reede die Schiffe ausplündern ließ, um sich die eigenen Taschen zu füllen. Aber dieser
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Miesling stieß ihm doch auf wie ranziges Öl. Er kannte auch bereits die Gewohnheiten des neuen Gouverneurs. Im Gegensatz zu Don Antonio, der immer gern schweren Portwein gesüffelt hatte, bevorzugte de Escobedo scharfe Schnäpse, obwohl er dabei regelmäßig Hustenanfälle kriegte. Arne gab sich freundlich bei der Begrüßung, aber doch auf eine Art, die eine gewisse Distanz ausdrückte. Diese Distanz spürte der Gouverneur allerdings nicht. Sein Wahrnehmungsgefühl war etwa so stark ausgeprägt wie das eines Ochsen, was solche Dinge betraf. Auch konnte sich der Laffe noch nicht richtig benehmen. Takt und Anstand ließen bei ihm stark zu wünschen übrig. Arne lud ihn mit einer Handbewegung zum Platznehmen ein. „Setzen wir uns doch an den Kamin“, schlug er vor, „da plaudert es sich bei einem Gläschen viel besser.“ „Sehr gern, Senor Manteuffel.“ De Escobedo nahm Platz. Den Federhut behielt er auf, weil er das für schick hielt. Daß Arne den Gouverneur an den Kamin lotste; hatte einen besonderen Grund und war eine Taktik von ihm. In dem Raum, der sich über dem Kamin befand, konnte man alle Gespräche, die weiter unten geführt wurden, mithören. Jetzt stand als unsichtbarer Lauscher dort oben Jean Ribault, der klar und deutlich jedes Wort verstand, was gesprochen wurde. Arne ging inzwischen zum Schrank und holte eine Flasche Wodka heraus. Sie stammte noch aus alten Beständen von der „Wappen von Kolberg“. Ein paar weitere Flaschen befanden sich als Reserve ebenfalls im Keller. Der Kerl war scharf auf das Zeug, das wußte Arne. Trotzdem fragte er lächelnd: „Darf's ein kleiner Wodka sein? Vielleicht ein doppelter?“ „Äh, ja. Sehr gut das Zeug. Woher stammt es? Ich glaube, Sie hatten es mir schon einmal gesagt, aber ich habe es wieder vergessen.“
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„Der Wodka stammt aus Rußland, Senor Gouverneur.“ „Rußland, sehr richtig“, sagte der Erhabene. Er hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wo dieses Rußland lag, denn das war für ihn ein unbekannter Begriff. Aber er nickte, als sei das ganz selbstverständlich, und tat so, als hätte er es nur vergessen. Arne goß sich auch einen ein, dann stellte er die Gläser auf den Tisch und prostete dem Gouverneur zu. Der leckte sich genießerisch die Lippen, roch an dem Zeug, verdrehte die Augen und kippte den Doppelstöckigen mit einem kurzen schnellen Ruck herunter. Das alte Spiel wiederholt sich, dachte Arne amüsiert. Dem Kerl bleibt jedesmal die Luft weg, wenn er das scharfe Zeug kippt. De Escobedo hielt den Atem an und riß das Maul auf, als der Wodka in seinem Magen lautlos krepierte. Die Augen quollen ihm fast aus dem Schädel, und er wurde stocksteif. „Sehr scharf, aber sehr gut, das Zeug“, lobte er mit Tränen in den Augen. Arne hatte seinen gekippt, ohne das Gesicht zu verziehen. Er war jetzt gespannt, wie sich de Escobedo an sein Ziel herantasten würde, denn daß er sich das Einlaufen der deutschen Karavelle bezahlen lassen wollte, sah Arne schon an seinem gierigen Blick. Aber er hatte wirklich nicht das gewiefte Format seines Vorgängers, denn alles, was er sagte oder tat, geschah auf plumpvertrauliche Art und Weise. Er räusperte sich, griff dann nach Arnes Arme und lächelte. „Sie wissen noch gar nicht den Grund meines Besuches“, sagte er. O doch, dachte Arne, den kenne ich längst, und dich Halunken habe ich schon lange durchschaut. Er hob fragend die Augenbrauen hoch und sah den Kerl an, der immer noch plumpvertraulich seinen Arm festhielt. „Ich habe die Ehre und die Freude, Senor Manteuffel, Ihnen mitzuteilen, daß ein Schiff aus Kolberg auf der Reede ankert.
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Es ist die ,Goldene Henne'. Da staunen Sie, was?“ Und wie Arne staunte! Er spielte den Überraschten. „Ah“, rief er erfreut und staunend aus. „Ein Schiff meines Handelshauses mit Kapitän Eggens an Bord. Das ist aber wirklich eine gelungene Überraschung, Senor Gouverneur.“ Der Senor Gouverneur freute sich, daß ihm die Überraschung so gut gelungen war. Daher galt sein nächster Blick begehrlich der Wodkaflasche. Arne verstand. Natürlich mußten sie auf diese „Neuigkeit“ unbedingt noch einen trinken, einen Doppelten natürlich. Wieder lief die gleiche Prozedur ab. De Escobedo verschluckte sich fast, hielt die Luft an, ließ sich auf den Rücken klopfen und grinste, als er wieder bei Atem war. „Ja, so ist es. Es ist Ihr Schiff.“ De Escobedo überlegte krampfhaft, wie er jetzt am besten den Hebel ansetzen konnte, um zu kassieren. Er konnte nicht einfach Geld fordern, das sah nicht gut aus. Während er noch krampfhaft überlegte, kam ihm der deutsche Handelsherr jedoch ganz überraschend zu Hilfe. „Dann ist mein Schiff ja endlich da“, sagte er. „Aber, ich verstehe nicht ganz, warum es auf Reede liegt. Meine Schiffe konnten doch sonst immer ohne viele Formalitäten einlaufen.“ „Stimmt, stimmt“, sagte der Gouverneur erleichtert. Er hüstelte ein wenig und lächelte entschuldigend. „Die Formalitäten, das ist es eben, Senor Manteuffel, die Formalitäten. Der ehrenwerte Don Antonio hat diese Formalitäten immer sehr großzügig ausgelegt, er ist ja auch ein sehr großzügiger Mann.“ „So wahr mir Gott helfe“, sagte Arne ernst und feierlich. „Ein sehr großzügiger Mann.“ „Ich bin auch großzügig“, behauptete de Escobedo kühn. „Aber es gibt da eine königliche Order, und die hat der sehr ehrenwerte Don Antonio in seiner grenzenlosen Güte entweder übersehen oder ganz einfach vergessen. Nun, er hatte diesen hohen Posten ja sehr lange inne,
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und so sah man ihm das sicher auch nach. Aber ich bin an diese Order gebunden, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ „Ich verstehe nicht ganz“, sagte Arne, „mir ist diese höchstkönigliche Order nicht bekannt, aber ich sehe natürlich ein, daß Sie sich daran gebunden fühlen. Darf ich fragen, was diese königliche Order besagt?“ „Es ist mir ja sehr peinlich, und ich habe diese Order ja auch nicht erlassen. Aber sie besagt, daß alle nichtspanischen Schiffe einen Zoll entrichten müssen, bevor sie die Genehmigung erhalten, in den Hafen einlaufen zu dürfen.“ „Ich verstehe, Senor Gouverneur“, sagte Arne, „deshalb also müssen die Schiffe vorerst auf Reede liegen bleiben.“ „So ist es“, sagte de Escobedo. Das hatte ja bestens geklappt, dann biß dieser Deutsche auch sicherlich gleich an. Arne wußte genau, daß diese Order nur im Kopf des raffgierigen Gouverneurs existierte und der Halunke sich auf diese Weise zusätzlich bereichern wollte. Er zuckte allerdings mit keiner Wimper und nickte. „Das ist doch die selbstverständlichste Sache der Welt, Zoll zu entrichten, bevor man in einen spanischen Hafen einläuft. Schließlich muß alles seine Ordnung haben.“ Er nickte de Escobedo freundlich zu und bemerkte, daß auf dessen Stirn feine Schweißperlen standen. Dann stand er auf, ging wieder zu dem Schrank hinüber und entnahm ihm ein Ledersäckchen in dem es angenehm klimperte. Das Säckchen enthielt hübsche Goldtalerchen, und die stellte Arne mit freundlichem Lächeln auf den Tisch, direkt neben das leere Wodkaglas. „Danke, Senor Manteuffel“, sagte der Gouverneur eifrig. „Natürlich werde ich die Summe nachher gleich in das amtliche Register eintragen lassen.“ Ganz sicher, dachte Arne. Davon war er restlos überzeugt. Wie konnte er nur an der hehren Lauterkeit eines solchen Mannes zweifeln? Alle blanken Goldtalerchen würde de Escobedo fein säuberlich
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auflisten und dann an den König von Spanien senden. Jeder Zweifel war da absolut ausgeräumt. Aus den Augenwinkeln sah er, wie de Escobedo das Säckchen auffallend eilig in seinem Wams verschwinden ließ. Arne lachte lautlos in sich hinein und griff wieder zur Wodkaflasche. Noch einmal schenkte er dem ehrenhaften Mann einen Doppelten ein. Das war jetzt bereits der dritte. Diesmal vertrug der ehrenwerte Gouverneur den Wodka besser. Die Reaktion darauf beschränkte sich in einem dezenten Hüsteln. Arne Merkte an seinen Blicken, daß der Kerl leicht angetrunken war. Jetzt wurde er noch plumpvertraulicher und grinste Arne an. Erneut griff er nach seinem Arm, denn ihm war gerade das hübsche Täubchen eingefallen, das hier nach seiner Ansicht im deutschen Handelshaus langsam, aber sicher verkümmerte. Dabei konnte sich die Hübsche im Palast doch so prächtig entfalten. Er näselte beim Sprechen und lächelte etwas schmierig und lüstern. „Äh, da ist noch etwas, Senor Manteuffel. Wir sind doch Caballeros, Sie verstehen?“ Ein Augenzwinkern und ein lüsterner Blick folgten, aber diesmal verstand Arne wirklich nicht, auf was der Bastard hinauswollte. „Natürlich sind wir Caballeros“, sagte er. „Ich verstehe allerdings nicht ganz, was Sie meinen.“ „Äh, ich meine diese hübsche Senorita in Ihrem Hause. Unter Caballeros könnte man doch sicher ein Geschäftchen miteinander abschließen, nicht wahr?“ „Sie meinen Senorita Fuentes.“ „Sehr richtig.“ De Escobedo lehnte sich etwas zurück und grinste jetzt ausgesprochen schmierig. „Diese Perle würde sich in meiner Residenz sicher sehr wohl fühlen, glaube ich. In Ihrem Handelshaus kommt ihre Schönheit nicht richtig zur Geltung. Sie verstehen? Ich meine, wenn Sie sie mir überlassen würden, hätte sie mehr Möglichkeiten, sich weiterzubilden und zu entwickeln.“
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Du verdammter Scheißkerl, dachte Arne. Das könnte dir so passen. Er zeigte aber nicht, daß er überrascht und angewidert war, sondern blieb ausnehmend höflich und lächelte gewinnend. „Ich weiß, daß die Senorita bei Ihnen in allerbesten Händen wäre, wie könnte es auch anders sein! Aber ich würde von diesem Wechsel doch sehr eindringlich abraten.“ „Warum?“ fragte de Escobedo grob. „Haben Sie was mit ihr?“ „Bewahre, nein. Senorita Fuentes ist zwar ausnehmend hübsch, aber sie hatte einen Unfall gehabt, einen schrecklichen Unfall.“ Arne beugte sich ebenfalls etwas vertraulich vor und flüsterte: „Sie ist nicht ganz richtig im Kopf und leidet zeitweise unter unglaublichen Wahnvorstellungen. Man sieht ihr das kaum noch an, aber sie ist sehr gefährlich, weil sie sich ständig verfolgt fühlt.“ „Wahnvorstellungen?“ ächzte der Gouverneur. „Ja. Vor ein paar Tagen begann sie plötzlich zu schreien. Dann nahm sie ein Messer, rannte kreischend in den Hof und schnitt allen Hühnern die Hälse durch.“ De Escobedo wechselte die Farbe. „Sie - mit einem Messer?“ fragte er entsetzt. „Mit einem Küchenmesser, einfach so. Wir müssen alle Messer vor ihr verschließen, denn sie schnippelt immer gern herum. Meist kriegt sie dann einen starren Blick, bevor es losgeht.“ Arne amüsierte sich insgeheim köstlich über den entsetzten Blick des Gouverneurs, der erneut die Farbe wechselte. Er schien nicht sehr scharf darauf zu sein, mit einem Küchenmesser beschnippelt zu werden, denn sein Gesicht war jetzt grau und welk geworden. Natürlich stimmte nichts davon. Isabella Fuentes hatte zwar einen Schock erlitten, aber der war längst überwunden und vergessen. Arne hatte jedoch nicht die Absicht, Isabella den schmierigen Pfoten des Gouverneurs zu überlassen, und so vermieste er ihm sein Vorhaben gründlich.
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Weil fast alle Spanier abergläubisch waren, trug er noch dicker auf. „Vielleicht ist sie sogar vom Teufel besessen - oder von einem Dämon, der sich hinter dem hübschen Gesicht versteckt“, raunte er geheimnisvoll. „Wir müssen sie nachts immer in ihre Kammer einsperren, besonders wenn der Mond scheint. Dann wird es ganz schlimm mit ihr. Das ist leider die Wahrheit.“ „Schrecklich“, stöhnte der Gouverneur. „Ich glaube, auf diesen Schreck hin brauche ich noch einen Rußland aus Wodka!“ Das hat offenbar gesessen, dachte Arne. Jetzt verwechselt der Kerl schon die Begriffe. Rasch goß er ihm noch einen ein, den de Escobedo blitzschnell wegkippte. Danach stand er ächzend auf und schwankte ein bißchen. „Das ist dann wohl doch nichts für mich“, sagte er. „Äh, ja, Senor Manteuffel, ich glaube, ich muß jetzt gehen. Amtsgeschäfte, Sie verstehen? Ich werde dann auch sofort veranlassen, daß die ,Grollende Ente' in den Hafen – äh – einlaufen kann.“ „Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet“, sagte Arne freundlich und brachte den schwitzenden Kerl, der jetzt offenbar stark angeheitert war, zur Tür. Sehr höflich verabschiedeten sie sich. Als jedoch noch einmal Isabella Fuentes auftauchte, nahm der Gouverneur die Beine in die Hand und hatte es furchtbar eilig, zu verschwinden. Unten stieg er mit wackelnden Knien auf das Podest, blieb mit seinem Zierdegen an der Kutschentür hängen und fiel fast hinein. Die Kutsche zog ab, als würden ihr Geister folgen. Offenbar trieb die Angst den hohen Herrn zur Eile an. Als die Prozession vorbei war, kam Jean Ribault hinunter. Er mußte laut lachen. „Das ist vielleicht ein Idiot“, sagte er aus ehrlicher Überzeugung. „Und besoffen war der Kerl auch noch. Tauft unsere schöne Karavelle in ,Grollende Ente' um.“ „Und Rußland aus Wodka wollte er haben“, setzte Arne lachend hinzu. „Aber
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das Ding mit Isabella hat er anstandslos geschluckt. Jetzt ist dieser Fall wenigstens ausgestanden.“ Die Männer amüsierten sich köstlich über den Erhabenen. „Jetzt wird er erst in der Residenz seine Talerchen zählen“, meinte Jean. „Der Kerl ist genauso raffgierig wie sein fetter unsympathischer Vorgänger.“ „Er ist auch sehr gefährlich. Seit er das Ding mit dem Ausplündern ersonnen hat, ist praktisch kein fremdes Schiff mehr vor ihm sicher. Vielleicht geht er später sogar noch an die eigenen Landsleute heran. Ich traue ihm alles zu, nur nichts Gutes.“ „Ein Mann mit klebrigen Händen“, sagte Jean. „Von nun an wirst du für jedes deiner einlaufenden Schiffe Zoll zahlen müssen.“ „Es trifft ja keinen Armen“, sagte Arne lächelnd. „Dadurch, daß ich hier in Havanna bin, zerstört sich der Kerl schließlich selbst, ohne es auch nur zu ahnen.“ „Sehr treffend, Arne. Außerdem bezahlen wir ihn im Grunde genommen mit dem Gold, das die Dons ergaunert haben. Eigentlich ist das ein feiner Witz.“ „Darauf trinken wir jetzt einen Rußland aus Wodka”, sagte Arne, und dann lachten sie wieder. 2. Die „Goldene Henne“ lag immer noch auf Reede, als Roger Lutz bei Renke Eggens in der Achterkammer erschien. „Da kreuzt eine dreimastige Handelsgaleone auf“, sagte er, „ich habe sie mir gerade durch den Kieker betrachtet.“ „Und was ist mit der Galeone?“ „Ein Landsmann von mir“, sagte Roger Lutz. „Die Galeone führt im Großmast eine Flagge mit weißem Kreuz auf blauem Grund. Sie segelt also unter der Flagge von Calais. Das weiß ich sehr genau, weil ich nämlich in Calais geboren bin.“ „Dann sehen wir sie uns einmal an“, sagte Renke und ging an Deck.
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Auf der Kuhl stand auch Karl von Hutten, der ebenfalls durch das Spektiv sah. Er reichte es an Renke Eggens weiter. „Bin gespannt, ob sie die Galeone auch am Einlaufen hindern“, sagte er. „Sie hat tief geladen. Vielleicht versuchen die Halunken einen ähnlichen Dreh wie in der letzten Nacht.“ „Offenbar werden hier nichtspanische Handelsfahrer ausgeplündert“, sagte Renke erbittert. „Wir haben das ja mit dem Portugiesen erlebt.“ Inzwischen erschienen auch Hein Ropers und Tom Coogan und blickten zu der heransegelnden Galeone. Sie war noch weit entfernt, aber durch den Kieker war deutlich die Flagge mit dem weißen Kreuz auf blauem Grund zu erkennen, von der Roger Lutz behauptet hatte, sie stamme aus Calais. „Seit wir das letzte Mal hier waren, hat sich anscheinend in Havanna eine ganze Menge geändert“, sagte Roger Lutz. „Man wird von bewaffneten Schaluppen gestoppt und muß auf der Reede vor Anker gehen. Auf höfliche Fragen kriegt man rotzige und freche Antworten. Ob das alles an dem neuen Gouverneur liegt?“ „Wahrscheinlich“, meinte Renke. „Der feine Herr hat sich die Genehmigung für das Einlaufen nichtspanischer Schiffe ja persönlich vorbehalten, also ist das auch seine Entscheidung. Das hat uns der rotzige Lümmel von einem Teniente ja deutlich genug gesagt.“ Schon wiederholt hatten sie sich gefragt, was hier eigentlich los sei, aber eine Antwort hatten sie noch nicht gefunden. Jedenfalls ging es in Havanna reichlich mysteriös und geheimnisvoll zu, seit der neue Gouverneur das Sagen hatte. Etwas später stieß Karl von Hutten Renke Eggens an. „Bewaffnete Schaluppen laufen aus. Vermutlich nehmen sie Kurs auf die französische Galeone.“ „Und werden sie zwingen, ebenfalls auf Reede zu ankern“, setzte Renke hinzu. „Da kann man natürlich bei Nacht auch besser plündern, was sonst im Hafen mächtig auffallen würde. Wir haben wenigstens die
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eine Genugtuung, daß sie uns nicht plündern werden, weil wir nichts geladen haben.“ Sie sahen zu, wie die Schaluppen aus dem Hafen liefen und tatsächlich Kurs auf den Franzosen nahmen. Sie fingen ihn schon sehr weit draußen ab. „Tatsächlich, er geit bereits die Segel auf“, sagte von Hutten nach einer Weile. Die Fahrt der französischen Galeone nahm rapide ab. Immer mehr Tuch wurde aufgepackt. Die Schaluppen begleiteten den mit Restfahrt laufenden Franzosen bis zu einem Punkt auf Reede, der von der „Goldenen Henne“ etwas mehr als eine Kabellänge entfernt war. Dort ging das schwerbeladene Schiff vor Anker. Jetzt wehte nur noch die Flagge im Großmars. Alle Segel waren aufgetucht worden. Die Schaluppen rauschten wieder in den Hafen zurück, während die Männer der „Goldenen Henne“ zu dem Franzosen blickten. „Man müßte ihn warnen“, sagte Roger Lutz. „Aber wie kann man das anfangen?“ „Im Augenblick können wir nichts tun“, sagte Renke. „Die Dons haben sich ja schon mächtig aufgeregt, als wir nur die Jolle zu Wasser ließen. Vielleicht ergibt sich später eine günstige Gelegenheit, dem Franzosen etwas mitzuteilen.“ Eine Schaluppe aus dem Hafen näherte sich ihnen etwas später. Sie hielt genau Kurs auf die Karavelle. „Das ist doch wieder dieser schnöselige und rotzige Teniente von gestern“, sagte Hein Ropers nach einem Blick durch den Kieker. „Was will der Kerl denn jetzt von uns?“„Vielleicht haben sie wieder neue Schikanen gestrickt. Möglicherweise dürfen wir jetzt nicht im Wasser liegen, sondern müssen aufs Land“, meinte Renke Eggens grinsend. Als die Hafenschaluppe näher heran war, sah Renke Eggens deutlich, daß der impertinente Schnösel von Teniente hastig einen Blick auf den neuen Ankerlieger auf Reede warf, der gerade am Einlaufen
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gehindert worden war. Sehr ausgiebig betrachtete der Kerl das Schiff. Sein Gesicht war jedoch sehr sauer, irgendetwas schien ihm nicht zu behagen. Er blickte Renke Eggens arrogant und hochnäsig an. „Die Einlaufgenehmigung ist erteilt“, sagte er von oben herab. „Sie können in den Hafen einlaufen.“ „Das ist aber sehr nett von dem ehrenwerten Senor Gouverneur“, sagte Renke Eggens freundlich. Er wollte dem Teniente noch einen Hieb unter die Gürtellinie verpassen, und er tat es auch gleich darauf mit verwunderter Biederkeit. „Da ist noch etwas, Senor“, sagte er, als könne er das gar nicht begreifen. „Was gibt es denn noch?“ fragte der Kerl unfreundlich und verärgert. „Heute morgen trieben hier ganz in der Nähe doch wirklich und wahrhaftig ein paar Leichen vorbei. Meine Männer haben sie auch gesehen und sich sehr gewundert. Offenbar stammten sie von der portugiesischen Galeone.“ Das Gesicht des Tenientes wurde noch saurer und ärgerlicher. Sein Schädel lief unmerklich rot an. Er gab keine Antwort, er starrte nur an Renke Eggens vorbei. „Ja, wie gesagt, da trieben Leichen vorbei“, sagte Renke bieder. „Ich als Kapitän dieser Karavelle fühle mich natürlich verpflichtet, diesen Vorfall der geschätzten Obrigkeit unverzüglich zu melden, denn ganz sicher ist irgendwo heute nacht ein Verbrechen passiert. Die Toten hatten nämlich Schußwunden. Und manche sahen auch so aus, als seien sie erstochen worden. Stimmt's, Männer?“ fragte er die Kerle, die ihn mit nickenden Köpfen umstanden. „Ja, das stimmt“, murmelten ein paar Stimmen. „Wir haben die Toten deutlich gesehen.“ Offenbar wurde der Teniente jetzt auch noch nervös. Er warf wieder einen hastigen Blick zu dem Franzosen und steigerte dann plötzlich seine Stimme. „Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Mist!“ brüllte er.
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„Aber die Leichen schwammen hier wirklich vorbei“, sagte Renke Eggens hartnäckig und offenbar erstaunt darüber, daß der Teniente es gar nicht richtig zur Kenntnis nahm. „Ich entdecke jedenfalls keine!“ brüllte der Teniente. „Und jetzt sehen sie zu, daß Sie in den Hafen einlaufen, verstanden?“ Renke Eggens nickte ernst und bieder. „Falls wir auf dem Weg in den Hafen auf eine erstochene oder erschossene Leiche treffen - sollen wir sie dann mitbringen?“ Die anderen verbargen ihr Grinsen hinter bierernsten Gesichtern. Nur das Kerlchen von Teniente wurde immer fuchtiger und nervöser. Seine Blicke irrten unstet hin und her. „Verholt jetzt in den Hafen!“ schrie er. „Und stellt keine so dämlichen Fragen, sonst könnt ihr draußen vergammeln.“ Mit einer herrischen Handbewegung gab er dem Rudergänger zu verstehen, daß er wieder zurücksegeln möge. Renke Eggens und die Männer grinsten hinter ihm her. Der Kopf des Tenientes war jetzt knallrot. „Diese Mitteilung war ihm nicht sehr angenehm“, sagte Karl von Hutten. „Er wollte davon überhaupt nichts wissen. Jetzt bin ich aber wirklich gespannt, was für Verhältnisse in Havanna herrschen. Hier steckt wohl jeder mit jedem unter einer Decke.“ Sie setzten die Segel und hievten den Anker. Mit langsamer Fahrt lief die Karavelle auf den Hafen zu. Eine knappe Stunde später legte sie an der Pier an und wurde vertäut. * Arne von Manteuffel, Jörgen Bruhn und Jussuf standen an der Pier und nahmen die Leinen entgegen. Die Männer begrüßten sich sehr herzlich. Nur Jean Ribault war nicht dabei, der hielt sich oben in Arnes Büro auf. „Dann gehen wir am besten gleich ins Büro“, sagte Arne. „Ich glaube, wir haben eine ganze Menge zu bereden.“
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Renke Eggens und Karl von Hutten folgten den Männern. Hein Ropers übernahm solange das Kommando über die Karavelle. Jean Ribault erwartete sie bereits. Während Jussuf Getränke brachte, nahmen die Männer Platz. „Scheint eine Menge Neuigkeiten zu geben“, meinte von Hutten. „Allerdings“, sagte Jean. „Eben war der ehrenwerte Gouverneur hier. Arne beginnt bereits sogenannte freundschaftliche Kontakte zu dem Halunken zu knüpfen. Es ist Alonzo de Escobedo, der sich genauso gern schmieren läßt wie der Fettsack. Es scheint ganz gut voranzugehen. Aber nun noch kurz zu den Ereignissen von gestern nacht.“ Sie prosteten sich zu und tranken in kleinen Schlucken. „Als ihr mich an Land abgesetzt hattet“, berichtete Ribault, „da wollte ich genau wissen, was hier eigentlich vorgeht, und was mit den geraubten Gütern aus der portugiesischen Galeone geschieht.“ „Und - was hast du herausgefunden?“ fragte Renke Eggens neugierig. „Daß Havanna ein noch größerer Saustall geworden ist, seit de Escobedo das Gouverneursamt übernommen hat. Ich habe mich durch das Strandgebüsch näher an die Verladestelle herangeschlichen. Dort waren um zwanzig Kerle beschäftigt, abgesehen von den Halunken, die an Bord der Galeone die Ladegüter geborgen hatten. Sie gaben sich ganz sorglos und hatten nicht einmal Posten aufgestellt. Muß ein sehr lohnender Fischzug gewesen sein.“ Ribault trank wieder einen Schluck, bevor er fortfuhr. „Dann sah ich den Kerl, der das Beladen der Maultiere überwachte, und da traf mich fast der Schlag. Dieser Kerl war kein anderer als der arrogante und schnöselige Teniente, der uns gestern so patzige und freche Antworten gab.“ Karl von Hutten und Renke Eggens sahen Ribault betroffen an. „Schau mal an“, sagte Renke, „ich habe dem Kerl noch ernst und bieder gesteckt,
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daß wir treibende Leichen gesehen hätten, aber das interessierte ihn einen Dreck, denn er sagte, wir sollten uns um unseren eigenen Mist kümmern. Eine feine Hafenbehörde ist das, die anordnet, daß fremde Schiffe auf Reede zu liegen haben, damit man sie in aller Ruhe ausplündern kann.“ „Hast du gesehen, wohin man die Beute gebracht hat?“ wollte Karl von Hutten wissen. „Ja, und es wird euch sicherlich nicht mehr sonderlich überraschen. Die Maultierkolonne unter der Aufsicht des Teniente trabte in die Residenz des ehrenwerten Gouverneurs. Das beweist also eindeutig, daß de Escobedo der Initiator und gleichzeitige Nutznießer dieser infamen Schurkerei ist. Ich habe mich selbst davon überzeugt.“ Die Gesichter wurden noch betroffener. Fassungslos sahen sich von Hutten und Eggens an. „Das stinkt nicht nur zum Himmel“, sagte Renke Eggens erbost, „das ist ungeheuerlich, daß sich ein Hafen, der einlaufenden Schiffen Schutz bieten soll, als Räuberhöhle entpuppt, mit einem Gouverneur an der Spitze, der das alles angezettelt hat.“ „Nun - wir sind von Havanna einiges gewohnt“, meinte Ribault ernst. „Aber solche Schurkerei ist mir auch noch nicht untergekommen.“ „Himmel, dann wird es allen anderen auch so ergehen“, sagte Renke. „Da fällt mir gerade ein, daß heute morgen eine tief geladene Galeone aus Calais auf der Reede ankern mußte.“ Ribault horchte sofort auf. „Eine Galeone aus Calais? Bist du sicher?“ „Ja, Roger hat mich informiert. Ihre Flagge war ein weißes Kreuz auf blauem Grund. Er sagte, sie stamme aus Calais.“ „Stimmt, so sieht die Flagge aus.“ „Dann kann sie das nächste Opfer sein.“ „Verdammt, das ist nicht ausgeschlossen“, sagte Jean. „Und dazu noch ein Landsmann von mir. Es kann ja sein, daß dieser ehrenwerte Gouverneur nur jeden
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zweiten oder dritten Fremden ausplündern läßt, damit es nicht zu sehr auffällt.“ „Darauf würde ich mich nicht verlassen“, sagte Arne. „Dann müßte man ihn warnen.“ Diese Ansicht teilten die anderen natürlich auch. Der Franzose mußte gewarnt werden. „Wie aber?“ fragte Karl von Nutten. „Wenn die Hafeneinfahrt derart scharf durch Schaluppen überwacht wird. Wir können und dürfen hier nicht auffallen, damit Arnes Position in Havanna nicht gefährdet oder erkannt wird, denn mit Arne und dem deutschen Handelshaus steht und fällt hier alles auf Kuba.“ „Gerade jetzt“, sagte Jörgen Bruhn, „nachdem so prächtig die ersten Kontakte geknüpft worden sind und der Bastard schon ein paarmal geschmiert wurde. Er wollte auch, daß Isabella in seine Residenz einzieht, damit sie sich besser entfalten könne, aber das hat Arne ihm wunderbar ausgeredet. Außerdem war der Ehrenwerte später so besoffen, daß er dauernd Rußland aus Wodka wollte.“ Die Männer lachten leise, aber sie wurden schnell wieder ernst und überlegten, wie man dem Franzosen helfen konnte. Jussuf, der bisher nur zugehört und noch kein Wort gesagt hatte, lehnte sich etwas vor. „Ich habe vielleicht eine Idee“, sagte der Mann mit dem Schnauzbart. „Ich kenne einen Fischer, von dem ich immer die Fische oder Langusten beziehe, die wir oft auf dem Speisezettel haben. Der Mann heißt Costa und gehört zu jenen, die das ganze Gouverneurspack einschließlich seiner Trabanten zum Teufel wünschen. Dieser Costa pfeift auf die korrupte Obrigkeit. Er ist ein Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, außerdem ist er verschwiegen.“ „Und dieser Mann soll den Franzosen warnen?“ fragte Renke. „Nein, aber er kann Monsieur Ribault zu der Galeone segeln, damit er persönlich den Kapitän warnen kann.“ „Eine gute Idee“, sagte Jean spontan. „Aber wenn das Fischerboot nun kontrolliert wird?“
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„Die Fischerboote werden nicht kontrolliert. Sie können immer ungehindert passieren. Costa läuft meist erst am Nachmittag aus und kehrt zurück, wenn es bereits dunkel ist. Bei Costa gibt es keine Befürchtungen, er wird das auch gern tun.“ „Wunderbar“, sagte der Franzose begeistert. „Das werde ich wahrnehmen.“ Arne nippte an seinem Glas und stellte es vorsichtig wieder auf die Platte zurück. Ihm war da auch gerade etwas eingefallen. „Du hast doch von den Booten gesprochen, Jean, mit denen sich die Halunken nachts zum Entern an ihre Opfer heranschleichen. Wie viele Boote waren das?“ „Genau zehn habe ich gezählt.“ „Waren Wächter dabei?“ „Nein, kein einziger. Die Kerle sind sehr sorglos.“ „Und wo liegen die Boote genau?“ „Westlich von Havanna am Strand unbewacht.“ „Das ist gut“, sagte Arne. „Diese zehn Boote könnte man heimlich anbohren, wenn keine Wächter da sind. Wenn die Kerle dann nachts zum Entern übersetzen, laufen die Boote voll, noch unterwegs, und die Halunken werden sehr erstaunt sein, weil sie ihr Vorhaben dann nicht mehr in die Tat umsetzen können.“ „Phantastisch!“ rief Ribault. „Diese Aktion werde ich sofort, und zwar zusammen mit Roger, übernehmen. Für die Kerle wird das ein ganz besonderer Spaß sein, denn ich habe bemerkt, daß sich gerade in der Ecke Haie herumtreiben.“ „Das ist richtig“, sagte Arne. „Da gibt es viele Haie.“ „Dann können sich die Haie ja mal um die Küstenwölfe kümmern. Da sind sie in prächtiger Gesellschaft.“ „Dann ist das erledigt“, sagte Arne. „Wenn ihr die Boote anbohrt, könnt ihr bis zum Nachmittag wieder zurück sein. Inzwischen kann Jussuf den Fischer fragen, ob er mitmacht und damit einverstanden ist.“ „Tue ich gleich“, versprach Jussuf. Aber er hatte auch noch etwas auf dem Herzen, und das betraf seine Lieblinge, die Tauben, denen er täglich etliche Stunden widmete.
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„Wir wollten doch noch über die neue Flugroute wegen der Tauben beraten“, sagte er. „Ohne diese Nachrichtenverbindung wird es um den neuen Stützpunkt schlecht bestellt sein. Wir können dann keinerlei Informationen tauschen.“ „Ich weiß, daß das sehr wichtig ist“, sagte Arne. „Das werden wir auch so bald wie möglich in Angriff nehmen. Aber für heute müssen wir es zurückstellen. Es soll aber bald geschehen, Jussuf. Zuerst müssen wir uns um die Beladung der ,Goldenen Henne' kümmern.“ „Die hat der liebe Gouverneur übrigens im Suff in ,Grollende Ente' umgetauft“, sagte Ribault lächelnd. „Dann übernimmt Renke das Beladen des Schiffes. Ich habe die Güter alle da, die dringend zum Ausbau des neuen Stützpunktes gebraucht werden. Es ist eine ganze Menge.“ „Auch Schnittholz?“ fragte Jean. „Old O'Flynn will nämlich in der Bucht unbedingt seine Kneipe bauen.“ „Auch Schnittholz“, sagte Arne grinsend, der den unbeugsamen Eifer des alten O'Flynn und seinen dicken Schädel genau kannte. „An Bord werden auch noch Nägel aller Größe und Dicke genommen, Tauwerk, Segeltuch, Stoffballen und Küchengeräte. Ich habe die Liste von Hesekiel Ramsgate bereits bis auf den letzten Punkt abgehakt und nichts vergessen.“ „Nähzeug, Geschirr, Seife, und alles das, was die Ladys sich so dringend gewünscht haben?“ fragte Jean Ribault. „Auch das. Es wird eine Menge zu tun geben.“ Jussuf brach schon auf, um den alten Fischer Costa zu fragen und dort alles zu regeln. Auch die anderen erhoben sich, denn jetzt stand eine Menge Arbeit bevor, die getan werden mußte. Das alles sollte möglichst schnell gehen. Isabella Fuentes räumte die Gläser ab, während die Männer wieder die Faktorei verließen und zum Hafen gingen.
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Vom Himmel schien warm und freundlich die Sonne. Die Marktschreier hatten ihr Zeug zusammengepackt und waren verschwunden. Der Hafen lag freundlich und malerisch im Sonnenlicht. Jetzt, bei Tage, war nicht zu sehen, was in der Nacht Schlimmes geschehen war, daß Küstenwölfe ihr Unwesen vor der eigenen Haustür trieben und aus Habgier bedenkenlos Menschen umbrachten, die sich im Hafen sicher wie in Abrahams Schoß glaubten. * Costa war ein breitschultriger, knorriger, etwas älterer Mann, der ausschließlich vom Fischfang lebte. Sein Gesicht war von der Sonne verbrannt, und die Zeit auf See hatte seine Züge geprägt. Er hatte helle klare Augen, die wachsam in die Welt blickten. Seine Hände waren schwielig und verarbeitet. Er saß auf der Gräting seines kleinen Einmasters und war hingebungsvoll damit beschäftigt, ein Netz zu flicken, aus dem er sorgfältig angetrockneten Seetang und winzige Krebse entfernte. Seine einzigen Begleiter waren zwei Möwen, die krächzend um das Schiff strichen. Als er den Mann mit dem Schnauzbart sah, blickte er auf und lächelte ihm entgegen. Die beiden Männer begrüßten sich. Sie kannten sich seit einiger Zeit. „Ich habe heute noch nichts gefangen“, sagte Costa, „und laufe erst am Nachmittag aus. Aber setz dich doch.“ Jussuf nahm ebenfalls auf der Gräting Platz. „Ich weiß“, sagte er, „aber ich bin nicht hier, um Fische zu kaufen. Die brauchen wir erst morgen.“ „Allein zum Plaudern bist du auch nicht hier“, stellte Costa sachlich fest. „Folglich hast du was auf dem Herzen.“ „Stimmt genau. Senor de Manteuffel schickt mich.“ „Gibt es Ärger?“ fragte der knorrige Fischer.
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„Ist dir in letzter Zeit etwas aufgefallen?“ erwiderte der Türke mit einer Gegenfrage. „Vielleicht sogar in der letzten Nacht?“ „Mir fiel auf“, sagte Costa ruhig, „daß vor ein paar Tagen zwei Schiffe spurlos verschwanden. In der letzten Nacht bin ich durch Schüsse geweckt worden. Etwas später brannte auf einer Sandbank eine Galeone, und zwar eine portugiesische. Vorher war sie tief geladen, aber als sie brannte, war sie leer. Da waren wohl Zauberer am Werk, weil das so schnell ging.“ „Faule Zauberer waren das“, sagte Jussuf grimmig. „Hast du noch mehr gesehen?“ „Es ist nicht gut, wenn man in Havanna zuviel sieht. Manchmal muß man wegschauen, um sich keinen Ärger einzuhandeln. Manchmal muß man auch die Ohren verschließen, und selbst wenn man sie verschließt, dann hört man trotzdem das Getrappel von Hufen. Müssen wohl Mulis gewesen sein, die da trampelten.“ Jussuf nickte. Der Fischer hatte die Ohren immer am Wind. Dem entging kaum etwas. „Küstenwölfe sind am Werk, so wird behauptet“, sagte er. „In Havanna wird viel behauptet. Man behauptet auch, daß man den Kerlen bald das Handwerk legen wird. Wir müssen uns eben auf unseren neuen Gouverneur verlassen. Der wird schon mit eiserner Hand durchgreifen.“ Die letzten Worte klangen spöttisch. „Nur merkwürdig“, fügte Costa leise hinzu, „daß die acht Schaluppen, die den Hafen abriegelten, nichts bemerkt haben, obwohl sie doch ganz in der Nähe waren. Vielleicht waren die blind oder taub, die Kerle, die da Ankerwache hatten. Aber vielleicht hat ihnen auch der ehrenwerte Senor Gouverneur geraten, sich mal tüchtig auszuschlafen.“ „Du weißt etwas, Costa?“ „Ich vermute etwas, aber ich kann es nicht beweisen. In Havanna wird so allerlei gemunkelt.“ „Wir haben die Beweise“, sagte Jussuf. „Der Kapitän der ,Goldenen Henne' hat sie
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gebracht. Er hat gesehen und gehört, was heute nacht passiert ist. Es wird dich vielleicht überraschen, aber hinter der Plünderung steckt der neue Gouverneur persönlich. Die gesamte Ladung des Portugiesen wurde auf Mulis verladen und unter der Führung eines Teniente direkt in die Residenz gebracht.“ Der Fischer sah Jussuf aus seinen hellen Augen an. Dann schüttelte er unmerklich den Kopf. „O nein, mich überrascht das wirklich nicht. Don Antonio war schon ein korrupter Halunke, aber sein Nachfolger steht ihm in nichts nach. Diese Kerle denken doch nur an sich selbst. Der Neue geht nur noch brutaler und fast offener vor. Auch er will sich so schnell wie möglich die Taschen füllen.“ „Ja, so ist das leider. Deshalb habe ich dich auch aufgesucht, Costa. Draußen auf der Reede liegt eine französische Handelsgaleone. Was sie geladen hat, wissen wir nicht, aber sie hat sehr viel geladen. Unser französischer Freund befürchtet nun, daß man seinen Landsmann ebenfalls entern und ausplündern wird. Das möchte er gern verhindern.“ „Er möchte den Kapitän warnen?“ „So ist es, aber wir wissen nicht, wie wir das tun können, denn alle Boote werden kontrolliert.“ „Fischerboote nicht“, sagte Costa und grinste ein bißchen in seinen grauen Bart. „Die Fischer liefern ja auch in die Residenz, und die Fischer sind allgemein auch harmlos. Der neue Gouverneur hat noch nicht gemerkt, daß er unter den Fischern viele Feinde hat.“ Die beiden grinsten sich an. Costa legte sorgfältig das Netz zusammen und betrachtete es. „Am Nachmittag laufe ich aus“, sagte er wie nebenbei. „Wenn dann ein einfach gekleideter zweiter Mann bei mir an Bord ist, der ein bißchen die Netze aufklart, wird das keinem auffallen. Hin und wieder habe ich ja einen Gehilfen an Bord, wenn ich zum Fischen auslaufe. Zufällig muß ich heute dicht an der französischen Galeone
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vorbei, wir haben ja günstigen Nordostwind. Die Backbordseite der Galeone ist außerdem Havanna abgekehrt.“ „Du bist ein feiner Kerl, Costa“, sagte Jussuf. Er zog eine Goldmünze aus der Hosentasche, aber der Fischer schüttelte den Kopf. „Wünsch mir lieber einen guten Fang“, sagte er. „Da habe ich mehr Spaß als an einer Goldmünze. Außerdem tue ich es, um den Halsabschneidern eins auszuwischen. Ich wünsche das ganze Pack von ehrlichem Herzen zum Teufel.“ „Gut, dann am Nachmittag also. Und vielen Dank“, sagte Jussuf. Sie unterhielten sich noch ein wenig über alles mögliche. Dann kehrte Jussuf wieder in die Faktorei zurück. „Costa ist einverstanden“, sagte er zu Arne. „Sehr gut, dann werde ich es Jean gleich sagen.“ An der Pier wurden bereits die ersten Güter übernommen. Nägel, handgeschmiedet, in jeder Größe und Dicke wurden an Bord gebracht und verschwanden im Stauraum der Karavelle. Renke Eggens hatte das Beladen übernommen. Offiziell galt er hier für die Spanier als der Kapitän der deutschen Karavelle. 3. Roger Lutz und Jean Ribault fielen in dem Gewimmel am Hafen überhaupt nicht auf, als sie das Schiff verließen. Man sah ihnen auch nicht an, daß sie mit Pistolen bewaffnet waren, denn die trugen sie geschickt am Körper verborgen. Sie hatten sich auch mit zwei Bohrern versehen, die ebenfalls unter ihrer Kleidung steckten. Sie schlenderten unauffällig durch den Hafen, blieben mal hier stehen, mal dort, wie Seeleute, die ein paar Stunden Landgang haben und sich alles ansehen. „Kennst du die Strecke noch, wo die Boote liegen?“ fragte Roger. „Immerhin war es nachts, als du sie gegangen bist.“
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„Keine Sorge“, sagte Jean. „Dort würde ich sogar mit verbundenen Augen hinfinden.“ Ribault hatte ein sehr gutes Ortsgedächtnis und einen ebenso guten Orientierungssinn. Er vergaß nichts. Auch wenn er nachts bei Dunkelheit durch eine fremde Gasse oder Straße ging, fand er sie anderntags mit. traumwandlerischer Sicherheit wieder. Sie schlenderten gemütlich und lässig weiter, zwei Männer, die sich in Ruhe alles betrachteten. Langsam erreichten sie die Außenbezirke des Hafens, und niemand kümmerte sich 'um sie. Dann hielten sie sich nach Westen und gingen weiter am Strand entlang. Hier standen ein paar kümmerliche Palmen und Gebüsch. An den Strand schwappte Unrat und Seetang. Immer weiter drangen sie in westliche Richtung vor. Niemand war mehr zu sehen, alles blieb still und ruhig. „Bist du sicher, daß wir auf dem richtigen Kurs sind?“ fragte Roger. „Ganz sicher. Es ist auch nicht mehr weit.“ Nach ein paar weiteren Minuten blieb Roger Lutz abrupt stehen. „Ich habe Stimmen gehört“, sagte er. „Ich denke, der Liegeplatz der Boote ist unbewacht.“ „War er jedenfalls. Vermutlich hat man doch ein paar Kerle abgestellt, um die Boote zu bewachen.“ „Wäre auch zu schön und zu leicht gewesen“, meinte Roger. Wieder waren jetzt Stimmen zu hören. Ein Kerl lachte leise, ein anderer quatschte ein paar Worte. Jean und Roger gingen hinter dem Ufergebüsch in Deckung. „Offenbar nur zwei Mann“, sagte Jean. „Schleichen wir uns mal näher heran, um zu beobachten, was sieh da tut.“ Sie schlichen weiter von Deckung zu Deckung, bis die Stimmen deutlicher zu hören waren. Das letzte Stück mußten sie robben. Sie taten es völlig geräuschlos. Hinter dem Ufergebüsch lagen zehn Boote hoch auf dem Strand und auf ebenem Kiel. Zwei Kerle saßen neben den Booten. Sie hatten eine Sandfläche glattgefegt und
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würfelten. Neben ihnen stand eine Flasche im Schatten eines Bootes, damit der Inhalt nicht so warm wurde. Der eine schmiß die Würfel über den Sand und brüllte los, als zweimal drei Augen nach oben zeigten. „Ha! Ich wieder!“ rief er. „Gewonnen!“ „Dann bist du mit dem nächsten Schluck dran, Cucaracha“, sagte der andere Kerl. Cucaracha, dachte Jean Ribault grinsend. Das hieß nichts anderes als Kakerlake, und diese Bezeichnung war sehr treffend für den Kerl. Der sah tatsächlich einer großen Kakerlake ähnlich. Er trug einen dünnen faserigen Schnurrbart, der wahrhaftig an die gestutzten Flügelenden einer Küchenschabe erinnerte. Er hatte stechend blickende Augen und eine längliche dünne Visage. Die Nase war etwas nach unten gebogen und ebenfalls dünn. Dem fehlen nur noch ein paar Beine mehr, dachte Jean Ribault, dann wäre die Kakerlake komplett. Der andere war auch nicht viel schöner. Er schniefte ständig, war unrasiert, ungewaschen und dreckig und hatte strähnige fette Haare, die ihm über den schmutzigen Hemdkragen wuchsen. Der Kerl hieß Angelo, wie sich gleich darauf herausstellte, aber einem Engel sah er nur wenig ähnlich. Jedenfalls hatte Jean Ribault da eine ganz andere Vorstellung. Cucaracha griff jetzt zur Buddel, wischte sich vorher mit der sandigen Hand über das Maul und nahm einen kräftigen Schluck. Er rülpste wie ein Schweinchen, als er die Buddel wieder in den Sand stellte. „Du bist dran, Angelo“, sagte er. „Ach, scheiß auf das Würfeln, jetzt bin ich mit dem nächsten Schluck dran. Du würfelst immer Dreier und säufst die Buddel leer.“ „Wir haben ja noch eine. Können uns ja auch noch viel mehr leisten“, sagte Cucaracha schwärmerisch. Angelos warf lustlos die Würfel in den Sand, griff zur Buddel, zog einen kräftigen Schluck und stierte dabei in den Himmel. „Ja, leisten können wir uns noch viel mehr“, sagte er andächtig, wobei er die Buddel abstellte und sich gähnend reckte.
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„Das war mal wieder eine feine und einträgliche Nacht.“ Über die „feine und einträgliche Nacht“ gerieten die beiden Strolche jetzt sichtlich ins Schwärmen. Sie hockten sich mit dem Rücken gegen die Boote und palaverten, was sie alles tun würden. Die Kakerlake war eindeutig fürs Saufen und Huren, Angelo auch, aber er hatte noch Sonderwünsche, die er sich zu erfüllen gedachte. Er wollte mal den großen und feinen Mann spielen. „Ich werde mir elegante Klamotten kaufen“, sagte er, „richtige Schnallenschuhe, ein rotes Gewand und vielleicht eine versilberte Pistole. Und natürlich einen Hut.“ Cucaracha konnte damit nichts anfangen. Jean Ribault konnte sich die Schabe auch nur sehr schlecht in Schnallenschuhen vorstellen, in einem roten Wams schon gar nicht. „Was jetzt?“ raunte Roger. „Wir hören noch ein Weilchen zu“, sagte Jean ebenso leise. „Dann nehmen wir unsere Halstücher, vermummen uns und überfallen die Halunken.“ Sie blieben unsichtbar in ihrer Deckung und lauschten, was die beiden so zusammenspannen. Cucaracha plagte immer die Vorstellung, daß ihm bald wieder das Geld ausgehen könne. Und so hatte er den bescheidenen Wunsch, einmal ganz allein in einem Bordell zu sein, um die Weiberchen tanzen zu lassen. „Nur ich allein“, sagte er eifrig und lüstern, „und die Weiber müssen tanzen und um mich herumhüpfen. Wenn ich dann keine Möpse mehr habe, weiß ich wenigstens, was ich erlebt habe.“ „So schnell gehen uns die Möpse nicht aus“, erklärte Angelo. „Allein von dem Zeug, was wir heute nacht erwischt haben, können wir eine ganze Weile leben. Mann, waren da feine Sachen dabei.“ „Ich hab' vier Kerle abgemurkst“, sagte Cucaracha. „Du nur zwei. Eigentlich hätte ich das Doppelte kriegen müssen.“ „Ich hab' fünf Portus über die Klinge
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hüpfen lassen”, behauptete Angelo. „Ich kann doch noch zählen.“ „Zwei“, sagte Cucaracha stur. „Aber ich will mich nicht mit dir streiten. Der neue Gouverneur ist jedenfalls ein feiner Kerl, und das rechne ich ihm auch hoch an. Der hat die Möpse aus der letzten Beute sofort auszahlen lassen und uns nicht beschissen. „Ja, das stimmt. Möpse gibt's immer sofort. Prost!“ Die beiden lachten wiehernd und tranken abwechselnd. Jean Ribault und Roger Lutz wechselten einen Blick. Sie blieben liegen, um noch mehr zu erfahren. „Was mag wohl beim nächsten Ding rausspringen?“ fragte Angelo gierig. „Wieder das gleiche oder noch mehr?“ „Kommt drauf an, was die fette Franzmann-Galeone geladen hat. Aber das erfährt man ja nicht. Da wird nur immer abgeräumt und umgeladen. Unsereins wird am Schluß doch immer beschissen.“ Daß sie doch immer beschissen wurden, darüber beklagten sie sich noch eine ganze Weile. Erst als die Buddel gelenzt war, wurden sie wieder ausgelassener und freuten sich. Beide waren schon etwas angetrunken. Jetzt standen sie auf, um die nächste Buddel zu holen, die unter der Ducht des einen Bootes im Schatten stand. Sie umarmten sich, lachten wiehernd und entkorkten die Flasche. „So läßt sich das gut leben, jetzt woll'n wir einen heben!“ brüllte der Kerl mit der KüchenschabenVisage. „Heute nacht ist der Franzmann dran“, sagte Angelo. „Auf den Anteil bin ich schon ganz scharf. Ich sage dir, das wird ein lohnendes Geschäftchen. Der Kahn liegt unheimlich tief im Wasser. Vielleicht hat er sogar Gold geladen.“ Obwohl dieser Gedanke völlig unsinnig war, zogen sie sich daran hoch und malten sich eine blühende Zukunft aus, in der sie mit Gold und Silber nur so um sich warfen. Sie lachten immer wieder und freuten sich auf den nächsten Fischzug, der heute nacht bevorstand.
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Cucaracha kramte übermütig in seiner Hosentasche, warf ein paar Goldstücke hoch und fing sie wieder auf. „Ich bin reich“, sagte er prahlend, „kein armer Sack, der sich totrackern muß. Ich habe Möpse:“ Angelo wollte seinem Kumpel natürlich nicht nachstehen und gab ebenfalls mit seinen Goldmünzen an. „Jetzt nehmen wir sie hoch“, flüsterte Jean. Er band sich das Halstuch vors Gesicht und holte die doppelläufige Pistole hervor. Dann wartete er, bis Roger das gleiche getan hatte, und nickte ihm zu. Die beiden Kerle behaupteten immer noch, daß sie reich seien, wobei sie mit den Münzen spielten. Mit zwei schnellen Sätzen waren Jean und Roger bei ihnen. Sie streckten die Pistolen vor und spannten knackend die Hähne. Die Kakerlake wurde bleich und sah ganz faltig aus, als die beiden Vermummten so unmittelbar aus dem Nichts auftauchten und ihnen die Läufe zweier Pistolen vor die Nasen hielten. Angelo schluckte aufgeregt, kriegte schmale Augen und trat hastig einen Schritt zurück. „Fein, daß ihr so reich seid“, sagte Jean Ribault höhnisch. „Dann rückt mal eure Mäuse heraus. Wenn ihr das nicht tut, habt ihr gleich zwei Löcher im Hemd, und das wäre schade um die Hemden. Die Mäuse holen wir uns so oder so, tot oder lebendig.“ Angelo wich noch weiter zurück und lauschte der Stimme, die ihm sehr bekannt erschien. Der Maskierte nuschelte zwar oder verstellte die Stimme absichtlich, aber Angelo kannte sie. Mit großen Glubschaugen stierte er auf Ribault. „Bist du das, Pablo? Mach keinen Scheiß, Mann! Laß den Quatsch. Ihr habt uns ganz schön erschreckt.“ Der Kerl grinste dreckig, aber offensichtlich auch erleichtert, denn er sagte noch etwas zittrig: „Du hast doch den gleichen Anteil erhalten wie Cucaracha und ich, Mann. Was soll's also.“ Hinter seinem bis an die Augen gezogenen Halstuch grinste Jean Ribault sich eins.
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Der Kerl verwechselte ganz eindeutig seine Stimme mit der eines gewissen Pablo. Das schien ebenfalls ein Halunke zu sein, der sich an dem nächtlichen Beutezug beteiligt hatte, wie die Worte des Kerls von dem gleichen Anteil bewiesen. Das kam Jean gerade recht. Später würde das vermutlich eine Menge Krach zwischen den Kerlen geben, und sie würden sich gegenseitig an die Gurgeln springen. Er gab keine Antwort mehr, denn der Kerl sollte in dem Glauben zu Boden gehen, daß eben dieser Pablo der Schuldige war. Noch während der Kerl verunsichert grinste, sprang Jean mit einem Satz vor und donnerte ihm die Doppelläufige hart an den Schädel. Angelo hatte immer noch die Augen aufgerissen, als er lautlos umkippte und in den Sand fiel. Cucaracha war wie zur Salzsäule erstarrt, als er das sah. Aber dann ereilte ihn das gleiche Schicksal wie seinen Kumpan. Er sah eine Gestalt auf sich zufliegen und spürte einen bohrenden Schmerz im Schädel, der allerdings in einer Explosion ziemlich rasch zerplatzte. Roger Lutz hatte zugeschlagen, und als er sah, daß der Kerl noch ein bißchen wackelte, schickte er einen zweiten Hieb hinterher. Der Kerl mit dem bezeichnenden und treffenden Namen sprang wie ein Floh in den Sand und rührte sich nicht mehr. „Wir räumen ihnen die Taschen aus, damit es echt aussieht“, sagte Jean, „und dann fesseln und knebeln wir sie.“ Beide bückten sich, sahen sich vorher aber sorgfältig nach allen Seiten um. Niemand war zu sehen. Das einzige Geräusch verursachten die kleinen Wellen, wenn sie plätschernd auf den Strand liefen. „Die haben ganz schön abgesahnt, die Bastarde“, sagte Roger, als er die Goldmünzen in der Hand hatte. „Für die Halunken ist das eine ganze Menge.“ „Später werden sie Krach kriegen“, meinte Jean, der gerade dabei war, Angelo die dreckigen Taschen zu leeren. Er klimperte ein wenig mit den Münzen und steckte sie
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ein. „Die haben, zumindest mich, mit einem ihrer Kumpane verwechselt.“ „Das kann uns wirklich nur recht sein. Womit fesseln wir die Kerle?“ Jean holte sein Messer hervor und schnitt ein Stück Leine von einem. der Boote ab. Die beiden Kerle lagen im Sand und rührten sich nicht mehr. Cucaracha hatte das Gesicht schiefmäulig verzogen. Er sah aus, als träume er schlecht. Roger riß dem Kakerlakenmann das Hemd herunter und fetzte es in zwei Teile. Eins davon warf er Jean zu. „Als Knebel“, sagte er, „die Lappen sind zwar mehr als dreckig, aber die Bastarde sind es ja so gewohnt.“ Den beiden Küstenwölfen wurden die Beine und Hände gefesselt. Dann kriegten sie die Reste ihrer dreckigen Hemden als Knebel. Als das geschehen war, regte sich Cucaracha und stöhnte leise. „Hier gibt's nichts zu stöhnen“, sagte Jean. „Wir werden die Helden noch mit ein paar kräftigen Kopfnüssen versorgen, damit sie den wahren Grund unseres Besuches nicht merken.“ Roger schlug ebenfalls noch einmal zu. Auch Jean verteilte eine Kopfnuß, die es in sich hatte. Danach gaben die beiden Kerle endgültig Ruhe und genossen ihren Schlaf. „Das dürfte ganz sicher für gut zwei Stunden reichen“, entschied Jean. „Dann fangen wir gleich an.“ „Vorsichtshalber sollten wir ihnen noch die Augen verbinden“, meinte Roger. „Sicher ist sicher. Vielleicht hat der eine oder andere eine gute Kondition und erwacht rechtzeitig.“ „Richtig, wir müssen auf Nummer Sicher gehen.“ Sie packten Angelo an den Hemdsärmeln und zogen ein bißchen daran. Einen Lidschlag später hatte das Hemd keine Ärmel mehr und sah jetzt direkt verwegen und malerisch aus. Jean faltete den schmierigen Lappen zusammen und band ihn Angelo um die Augen. Roger tat das gleiche bei dem Kakerlakenmann. Danach lagen die beiden Halunken friedlich auf dem Rücken im
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Sand und konnten nichts mehr sehen, falls einer wider Erwarten doch vorzeitig erwachte. Sie gingen auf die Boote zu und sahen sich noch einmal vorsichtig nach allen Seiten um. Es bestand ja durchaus die Möglichkeit, daß diese beiden Kerle von anderen abgelöst wurden. Aber weit und breit war niemand zu sehen. Insgesamt zehn Boote waren es, wie Ribault schon in der letzten Nacht gezählt hatte. Die beiden Männer holten die Bohrer hervor, starke, ein Fuß lange Eisenbohrer, die scharf geschliffen waren. Hanfwerg hatten sie ebenfalls dabei, um es in die Löcher zu stopfen. „Wenn wir die Löcher gebohrt haben“, sagte Jean grinsend, „stopfen wir das Werg so hinein, daß die Boote schön langsam absacken, bevor sie die Galeone aus Calais erreicht haben. Ich kann mir vorstellen, daß das ein toller Spaß wird.“ „Höchstens für uns“, sagte Roger grinsend. „Ich selbst wäre nicht so versessen darauf, im Boot zu hocken. Wegen der vielen Haie - verstehst du?“ Ribault hob die Bodenbretter des ersten Bootes hoch und setzte den scharfen Bohrer an. Er hatte oben ein langes Holzstück, einen kernigen Griff, der die Hebelwirkung verstärkte, damit es sich müheloser bohren ließ. Der Bohrer fraß sich gleich darauf knirschend ins Holz. Roger Lutz bohrte inzwischen das nächste Loch. Als der Bohrer unter dem Kiel herausdrang, zog Jean ihn zurück. Jetzt konnte man durch das Loch den Sand sehen, auf dem das Boot lag. Vorsichtig stopfte er Werg in das Loch. „Daß die Kerle vorher etwas bemerken, dürfte auszuschließen sein“, sagte er. „Erstens ist es dunkel, wenn sie mit ihrem Raubzug beginnen, und zweitens wird wohl kaum jemand auf die Idee verfallen, unter den Brettern nachzusehen, wenn sie die Boote ins Wasser bugsieren.“ „Das ist wirklich nicht anzunehmen. Selbst wenn es zu gluckern beginnt und das Wasser über die Bodenbretter steigt,
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können sie nichts mehr tun. Die Löcher finden sie in der Dunkelheit nicht. Außerdem müßten sie sie noch verstopfen. Das ist glatt zuviel verlangt.“ Hin und wieder sahen sie nach den beiden Kerlen, doch die lagen im Sand und blickten reglos in imaginäre Fernen. Sobald Löcher in ein Boot gebohrt waren, wurden sie nicht allzu fest verstopft. Anschließend wurden die Bodenbretter wieder darübergelegt. Somit war ein „sinniges“ Vollaufen der Boote gewährleistet, wie Jean Ribault das ausdrückte. Immer wieder fraßen sich die Bohrer knirschend ins Holz. Schon kurze Zeit später waren sieben Boote so präpariert, daß sie sich nicht lange auf dem Wasser halten würden. Sie legten eine kleine Verschnaufpause ein, die sie dazu nutzen, um sich gründlich umzusehen. Offenbar wurden die beiden Kerle jedoch nicht abgelöst und saßen hier den ganzen Tag herum. „Wenn wir fertig sind, müssen wir noch unsere Spuren verwischen“, sagte Jean. „Den Kerlen nehmen wir dann auch die Augenbinden wieder ab, sonst könnten sie mißtrauisch werden.“ Sie kontrollierten die beiden noch einmal. Doch die Kerle hatten sich noch immer nicht bewegt und „schliefen“ tief und fest. Die letzten drei Boote wurden in Angriff genommen. Bodenbretter hoch, Löcher gebohrt, mit Hanfwerg verstopft, Bodenbretter wieder aufgelegt. Dann war schließlich das letzte Boot an der Reihe. Roger Lutz verwischte mit ein paar Zweigen sorgfältig alle Spuren, die sie hinterlassen hatten, bis nichts mehr zu sehen war. Noch einmal betrachteten sie ihr Werk. „Alles fertig?“ fragte Jean. „Nichts mehr zu sehen“, bestätigte Roger. Sie nahmen den beiden Kerlen die Augenbinden ab. Keiner von ihnen blinzelte auch nur. Sie hatten nichts gehört und nichts bemerkt. „Heute nacht sehen wir uns das an“, sagte Jean. „Bin mal gespannt, wie die Kerle sich benehmen.“ „Unseren Landsmann
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werden sie sicher nicht mehr ausplündern. Jetzt müssen wir ihn nur noch warnen. Hoffentlich begreift der Kapitän auch, was hier vorgeht.“ „Das werde ich ihm schon in aller Deutlichkeit verklaren“, versprach Jean. „Jetzt aber zurück, sonst verpassen wir noch den Fischer, und den möchte ich nicht gern warten lassen.“ Es war Mittag, als sie den Weg wieder zurückgingen. Eine halbe Stunde später waren sie am Hafen und tauchten so unauffällig auf, wie sie verschwunden waren. Auf der „Goldenen Henne“ herrschte emsige Tätigkeit. Die Fässer mit den Nägeln waren bereits verstaut. Jetzt wurden geschnittene Hölzer, Segeltuch und Stoffballen übernommen. Renke Eggens drehte sich um, als die Männer gemütlich heranschlenderten und unmerklich grinsten. „Hat alles geklappt?“ fragte er. „Wunderbar. Allerdings waren zwei Wachen bei den Booten.“ „Ah, und die habt ihr gefragt, ob ihr ein bißchen bohren dürft?“ „Sie hatten nichts dagegen“, erwiderte Jean grinsend. Er klimperte ein bißchen mit den Goldstücken in seiner Hosentasche. „Im Gegenteil, sie bezahlten uns noch für die mühsame Arbeit.“ Da grinste auch der Deutsche verständnisvoll. Er brauchte nicht weiter zu fragen. Er konnte sich denken, was da bei den Booten gelaufen war. Etwas später wurde auch Arne unterrichtet. 4. Am Nachmittag des 5. Mai lief Costa mit seinem kleinen Einmaster zum Fischfang aus. An Bord befand sich ein schlanker, geschmeidiger und verwegen aussehender Mann mit dunklen Haaren und scharfen dunklen Augen. Jean Ribault trug ein grobes Leinenhemd und grobe Leinenhosen, die bis zu den Waden hochgekrempelt waren. Er unterschied sich kaum von den anderen
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jungen Fischern, die täglich hinausfuhren. Er war eifrig damit beschäftigt, die Netze aufzuklaren, damit sie gleich ausgeworfen werden konnten. An der Pinne des Einmasters stand Costa, dem ebenfalls niemand Beachtung schenkte. Der Fischer war im Hafen jedem bekannt. Daß er öfter mal einen Gehilfen an Bord hatte, war nur natürlich. Schließlich war er nicht mehr der Jüngste. Ribault sah aus den Augenwinkeln unauffällig zu den Wachbooten hin, die vorm Hafen kreuzten. Eine der Schaluppen näherte sich ihnen, und das erfüllte ihn mit leichter Besorgnis. Der Fischer an der Pinne grinste unerschütterlich, als er Ribaults besorgten Blick sah. Das Wachboot lief in spitzem Winkel auf sie zu, drehte dann aber etwas ab und nahm Kurs auf die offene Reede. „Keine Sorge“, sagte Costa, „die wollen nichts von uns. Ich bin noch nie kontrolliert worden.“ „Einmal ist immer das erste Mal“, sagte Jean, doch der knorrige Fischer schüttelte abermals den Kopf. „Sehen Sie den Ankommer, Senor?“ fragte er. Ribault sah ihn. Weit draußen waren die geblähten Segel einer dickbäuchigen Galeone zu erkennen, die Kurs auf die Reede nahm. „Ja, offenbar ein Spanier.“ „Ganz genau. Die Wachboote laufen ihr entgegen und werden gleich auf westlichen Kurs gehen. Dadurch sind sie abgelenkt, und niemand wird sich um uns kümmern.“ „Ich verstehe. Sie werden sie ebenfalls veranlassen, auf Reede vor Anker zu gehen.“ „Nein, sie werden die Galeone direkt in den Hafen geleiten“, sagte Costa. „Es ist die Handelsgaleone ,Perseverancia`, ein Schiff, das ich schon an der Kimm erkenne. Vielleicht fällt Ihnen auf, daß sie einen ziemlich schiefen Großmast hat. Die wird immer bevorzugt behandelt, denn sie bringt feine Sachen für die ehrenwerten Oberaffen. Sie hat edlen Wein, Naschwerk, aromatische Seife, Riechwasser, Essenzen und allerlei unnützes Zeug geladen, damit
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der Herr Gouverneur mit seinem Klüngel auch weiterhin in Saus und Braus leben kann. Das letzte Mal hatte sie drei große Badewannen an Bord, vermutlich, damit die hohen Herren ihre Hände nicht nur in Unschuld, sondern auch mit Wasser und Seife waschen können. Für dieses lausige Pack ist ja nur das Beste vom Besten gerade noch gut genug.“ Der Fischer war wirklich nicht gut auf die Obrigkeit zu sprechen, aber das tat er nur jenen kund, die er ins Herz geschlossen hatte. Jean Ribault gehörte seit kurzem auch dazu, denn Costa gefiel dieser Mann, der so offen und ehrlich war. Ribault blickte nach Westen, wo die Segel der Galeone immer größer und wuchtiger wurden. Wie Türme ragten sie über Deck auf. Tatsächlich hatte der Fischer den richtigen Blick gehabt. Der Großmast der Galeone wirkte irgendwie verbogen und schief. Erleichtert sah er, daß die Wachboote jetzt eindeutig Kurs nach Westen hielten und dem Schiff entgegenliefen, das so feine Sachen für die feinen Herren geladen hatte. Niemand schenkte ihnen auch nur einen Blick. Die Galeone war jetzt wichtig, alles andere zählte nicht. Costa „schlich“ mit langsamer Fahrt auf das Heck der französischen Galeone zu. Weiter drüben krebsten noch ein paar Fischerboote herum, die bereits die Netze ausgelegt hatten. Etwas später rundeten sie das Heck des Franzosen, dessen Flagge immer noch im Großmast wehte. Jean sah einen Mann auf dem Achterdeck stehen. Er trug die Uniform eines Zweiten Offiziers und warf dem Fischerboot einen Blick zu, als es auf der Backbordseite aufkreuzte. Ribaults Blicke und die des Offiziers trafen sich. „Hallo!“ rief Jean leise hinauf. „Ich bin ein Landsmann von Ihnen und bitte darum, den Kapitän sprechen zu dürfen. Es ist von größter Wichtigkeit.“ Er hatte Französisch gesprochen. Der Offizier blickte ihn erstaunt an und musterte ihn. Ein wenig Mißtrauen lag
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noch in diesem Blick, doch es verschwand gleich darauf. „Ah, ein Landsmann“, sagte der Offizier. „Ich sehe aber kein französisches Schiff auf Reede oder im Hafen.“ „Es ist wichtig“, sagte Jean noch einmal. „Unter Umständen hängt euer Leben davon ab. Ich möchte außerdem ziemlich unauffällig an Bord gelangen, es gibt hier zu viele Neugierige.“ Der Offizier begriff und reagierte entsprechend. Er rief ein paar Männern etwas zu. Auf der Backbordseite, jener Seite also, die Havanna abgekehrt war, wurde gleich darauf eine Jakobsleiter ausgebracht. „Ich schere leicht daran vorbei“, sagte Costa und nickte Jean zu. Der kleine Einmaster glitt gleich darauf dicht neben dem Rumpf an Backbord vorbei. Ribault vergewisserte sich mit einem letzten und schnellen Blick, daß sie keine Zuschauer hatten. Dann sprang er, griff zu und enterte geschmeidig wie eine Katze auf. Oben winkte er Costa noch einmal mit der Hand zu. Der Fischer ließ den kleinen Einmaster abfallen und begann in aller Ruhe gemächlich ein Netz auszuwerfen. Mit dem Netz im Schlepp trödelte er dann ebenso langsam nordwärts weiter. Ribault stand auf der Kuhl, wo ihn der Offizier empfing und wieder neugierig musterte. „Recht geheimnisvoll, Landsmann“, sagte er lächelnd. „Es ging leider nicht anders, aber es ist wichtig“, sagte Jean. Er sah mit raschem Blick, daß die französische Galeone auf jeder Seite mit vier Culverinen bestückt war. An den Schanzkleidern befanden sich zusätzlich Halterungen für Drehbassen. „Folgen Sie mir bitte, der Kapitän ist achtern in seiner Kammer“, sagte der Offizier. Ein paar Augenblicke später stand Jean Ribault einem stämmigen Mann in Uniform gegenüber. Der Mann hatte einen blonden Bart, ein energisches Gesicht und ehrliche wachsame Augen. Er war ein
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wenig erstaunt, wie Jean sah, der barfuß vor ihm stand. Trotzdem fiel die Musterung zu seinen Gunsten aus, denn Ribault war nicht der Typ, der Mißtrauen erweckte. „So, ein Landsmann also“, sagte der Blondbärtige und gab Jean die Hand.. „Ihr Erscheinen ist etwas, hm, ungewöhnlich.“ „Die Umstände sind auch ungewöhnlich.“ „Giraud“, stellte der Capitan sich vor, „Marcel Giraud. Wir kommen aus Calais.“ „Ich weiß, ich sah es an der Flagge.“ „Nehmen Sie Platz, Monsieur. Vielleicht wäre es angebracht, wenn Sie auch Ihren Namen nennen. Ich möchte immer gern wissen, mit wem ich es zu tun habe.“ Das klang wie ein leiser Vorwurf, und es war auch einer. Ribault lächelte freundlich. „Ich will weder den geheimnisvollen Mann spielen, noch möchte ich die Anstandsregeln verletzen“, sagte er, „aber in diesem Fall ist es besser, Sie wissen nicht, wer Sie gewarnt hat.“ „Gewarnt -. wovor?“ Die Augenbrauen des Kapitäns hoben sich erstaunt. „Meine unauffällige Kleidung gehört zu diesem Aufzug“, erklärte Jean. „Ich bin Hugenotte und ein erklärter Feind der Spanier, die ich auf meine Art in der Neuen Welt bekämpfe.“ „Hugenotte“, sagte Giraud erstaunt. „Sieh an! Ein Protestant der calvinistischen Richtung, beziehungsweise ein Nachkomme oder gar ein Sproß der Adelsfamilien Bourbon oder Chatillon?“ „Ein Anhänger Heinrichs von Conde“, sagte Ribault schlicht. „Aber im Prinzip ist es das gleiche.“ „Das ist eine gelungene Überraschung“, sagte Giraud erfreut. Er stand auf, ging an ein Schapp in der Kapitänskammer und kehrte mit zwei kirstallenen Kelchen wieder zurück. Dann goß er rubinroten Wein ein und schob Jean das eine Glas zu. „Dann sind wir so etwas wie Brüder“, erklärte er feierlich. „Auch ich bin Hugenotte.“ Die beiden Männer prosteten sich zu. Als Ribault sein Glas absetzte, war das Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden.
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„Ich fühle mich verpflichtet, Sie zu warnen“, sagte er ernst. „Denn Sie werden nicht in den Hafen von Havanna einlaufen. Alle nichtspanischen Schiffe werden gezwungen, auf Reede vor Anker zu gehen. Das ist eine Order des neuen Gouverneurs. Er selbst erteilt die Einlaufgenehmigung, die jeder Kapitän abwarten muß.“ „Das stimmt“, bestätigte Giraud. „Ein Teniente von einer Hafenschaluppe hat mir das erklärt. Es war ein recht arroganter und hochnäsiger Kerl, der mir das in äußerst unfreundlicher Form mitteilte.“ „Es wird für Sie noch viel unfreundlicher werden“, sagte Jean. „Denn das ist erst der Anfang. Der vorherige Gouverneur von Havanna war schon ein großes Übel, aber der neue Gouverneur, er heißt Alonzo de Escobedo, übertrifft ihn an Brutalität bei weitem. Was der andere geschickt und vorsichtig einfädelte, um sich zu bereichern, versucht der neue mit der Brechstange. Dieser Kerl läßt in der Nacht auf Reede liegende fremde Schiffe von gedungenen Halsabschneidern überfallen, die Mannschaften umbringen und die Schiffe ausplündern.“ Die Augen des Kapitäns wurden immer größer. Er glaubte offenbar, sich verhört zu haben. „Ein Gouverneur läßt Schiffe vor dem Hafen ausplündern?“ fragte er ungläubig. „Das ist doch wohl unmöglich.“ „Das sollte man jedenfalls annehmen. Hier entspricht es leider den Tatsachen. In der letzten Nacht lag eine portugiesische Galeone auf Reede, der man ebenfalls das Einlaufen in den Hafen verweigert hatte.“ „Und wo ist sie jetzt?“ fragte Giraud schluckend. „Ausgeplündert, verbrannt, versenkt. Die Mannschaft hat man umbringen lassen, um keine Zeugen zu haben.“ Der Kapitän goß Rotwein nach. Ribault bemerkte, daß seine rechte Hand etwas zitterte. „Es war mitten in der Nacht“, berichtete er weiter, „da tauchten östlich vom Castillo del Morro zehn Boote auf, die Kurs auf den Portugiesen nahmen. Fünf gingen
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jeweils an Backbord und Steuerbord längsseits und enterten das Schiff. Gleich darauf setzte Kampfgetümmel ein, und ein paar Schüsse fielen. Die Portugiesen haben sich hartnäckig zur Wehr gesetzt, aber leider erfolglos. Die Hafenschaluppen haben nicht eingegriffen, nichts gehört und nichts gesehen. Nachdem das Kampfgetümmel vorbei war, wurden auf der Galeone die Segel gesetzt und die Ankertaue gekappt. Sie segelte nach Westen.“ „Und dann?“ fragte Giraud atemlos. Er hatte den Mund etwas geöffnet und schüttelte fassungslos den Kopf. „Die Galeone lief ein Stück an der Küste entlang und wurde dann sehr sanft auf Grund gesetzt, immer begleitet von den zehn Booten. Dann wurde entladen. Ich habe mich an Land geschlichen und genau beobachtet, was sich da tut.“ „Ungeheuerlich“, murmelte Giraud betroffen. „An Land standen Maultiere, auf welche die Beute verladen wurde. Ja, und der arrogante und überhebliche Teniente, den Sie ja ebenfalls kennen, überwachte das Aufladen.“ Giraud kriegte kaum noch seinen Rotwein runter, so entsetzt und fassungslos war er. „Dann sind wir hier vor einer Räuberhöhle gelandet“, sagte er. „Vor einer recht üblen, weil alle unter einer Decke stecken. Gegen drei Uhr morgens war die Galeone entladen. Dann wurde sie leckgeschlagen und angezündet, bis sie in hellen Flammen stand. Es sind nur noch ein paar Überreste geblieben.“ Giraud rang immer noch nach Fassung. „Wie erklärt man das von seiten der Obrigkeit her?“ wollte er wissen. „Es wird doch Neugierige geben, die Fragen stellen.“ „Von offizieller Seite verlautet, daß es Küstenschnapphähne seien, die auf Reede plündern. Der Gouverneur beabsichtigt, nach außen hin -um den Schein zu wahren - hart durchzugreifen.“ Kopfschüttelnd hörte der Kapitän zu. „Wissen Sie auch, wohin man die Beute gebracht hat?“
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„Ja, ich bin ihnen gefolgt. Der ganze Maultierzug verschwand in der Residenz des Gouverneurs.“ „Wenn Sie nicht Franzose und dazu noch Hugenotte wären, würde ich Ihnen kein Wort glauben, Monsieur. Aber Sie haben keinen Grund, mich anzulügen.“ „Nein - im Gegenteil, ich möchte einem Landsmann das gleiche Schicksal unbedingt ersparen. Ich habe gerade vorhin zusammen mit einem Freund jenen Platz aufgesucht, wo die zehn Boote liegen. Wir wollten sie anbohren. Bei den Booten befanden sich zwei Wachen, und denen haben wir zugehört. Heute abend, so sagten sie freudestrahlend, sei der fette Franzmann an der Reihe. Ihre Galeone verspricht dem ehrenwerten Gouverneur reiche Beute.“ Wieder schüttelte Giraud den Kopf. Was er hier hörte, das hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht vernommen. „Gelang es Ihnen denn, die Boote anzubohren?“ „Ja, wir überraschten die Kerle und legten sie flach. Dann haben wir sie gefesselt, geknebelt und ihnen die Augen verbunden. Damit unser Vorhaben nicht bekannt wird, gaben wir vor, die Kerle auszuplündern und nahmen ihnen die Goldstücke weg, die sie als Anteil empfangen hatten.“ Jean nahm einen kleinen Schluck und schaute hoch. Der Kapitän war blaß geworden. Sehr nachdenklich blickte er in sein Glas. „Haben Sie ein Spektiv hier?“ fragte Jean. „Ja, natürlich“, murmelte er. Er stand auf und kehrte mit einem Spektiv zurück, das sich in einer Lederhülle befand. Er packte es aus und wollte es Jean reichen, doch der schüttelte den Kopf. „Sehen Sie einmal durch das Achterfenster hinaus“, bat er. „Und dann halten Sie das Spektiv auf den Strand im Westen. Wenn Sie genau hinsehen, wird Ihnen sicher etwas auffallen.“ Giraud zog das Spektiv auseinander und blickte lange hindurch. „Das ist nicht zu fassen“, hörte Jean ihn murmeln. „Da liegen tatsächlich zehn Boote, und in unmittelbarer Nähe ruhen
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zwei Männer im Sand. Sehen aus, als schliefen sie. Oder sind sie tot?“ „Das sind die beiden Kerle. Sie sind nur bewußtlos. Wir haben die Bilgen aller zehn Boote angebohrt, die Bretter wieder darübergelegt und Hanfwerg in die Löcher gestopft. Die Kerle werden bei Dunkelheit ihrem üblen Gewerbe nachgehen, aber Sie werden Ihr Schiff nicht erreichen, da bin ich ganz sicher.“ Ribault grinste, und der Kapitän grinste schwach zurück. „Sie meinen, sie werden vorher absaufen?“ „Natürlich, wir haben genügend Löcher gebohrt. In der Dunkelheit werden sie zu spät merken, daß die Kähne suppen. Und dann sind sie mit sich selbst beschäftigt, denn gerade an jener Stelle tummeln sich Haie.“ Der Kapitän gab ein Geräusch wie ein Glucksen von sich. Dann begann er zu lachen, erst leise und verhalten, dann immer lauter. Schließlich schüttelte es ihn. Er stand auf, gab Jean die Hand und drückte sie kräftig. „Sie sind ein toller Kerl“, sagte er anerkennend. „Ihnen gebührt mein ganzer Dank. Anfangs war ich ja sehr erschrocken, aber jetzt bin ich doch fest entschlossen, diesen Halunken die Zähne zu zeigen. Ich werde sofort bei Anbruch der Dämmerung Gefechtsbereitschaft herstellen lassen, damit wir vor Überraschungen sicher sind.“ „Ich rate Ihnen auch, trotzdem auf der Hut zu sein“, empfahl Ribault, „denn die Kerle auf den Wachschaluppen der ehrenwerten Hafenbehörde sind ebenfalls mit im Geschäft und erhalten ihren Anteil. Sie alle fischen im trüben, und für jeden fällt ein hübsches Sümmchen ab. Der Beweis ist jener schnöselige Teniente, den ich selbst bei den Maultieren gesehen habe. Er läßt die Schiffe auf Anordnung des Gouverneurs nicht einlaufen, damit man sie ungesehen auf Reede ausnehmen kann.“ Giraud wirkte jetzt sehr erleichtert. „Seit ich das weiß, sehe ich das alles mit anderen Augen. Ich werde diese Nacht noch abwarten, gefechtsbereit natürlich.
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Alle meine Leute werden auf dem Posten sein und neben den Kanonen lauern. Aber morgen vormittag gehe ich ankerauf, wenn ich von der Hafenbehörde trotz allem keine Genehmigung zum Einlaufen erhalte.“ „Was haben Sie denn geladen?“ „Hauptsächlich Tuchballen und hochwertige Werkzeuge - zum Verkauf oder Tausch. Ferner habe ich sehr gute Leder- und Töpferwaren an Bord, außerdem eine Menge französischen Rotwein wie diesen hier, den Sie gerade trinken.“ „Damit können die Halunken eine Menge anfangen, vor allem, wenn sie es umsonst einsacken. Solche Waren sind sehr gefragt und lassen sich daher auch leicht absetzen.“ „Wollen Sie Ihren Namen immer noch nicht nennen, Monsieur?“ Ribault schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich hoffe, Sie fassen es nicht als Unhöflichkeit auf.“ „Keineswegs, Monsieur - im Gegenteil. Ich akzeptiere das. Sie haben uns immerhin vor großem Übel bewahrt, und das weiß ich zu schätzen. Ich danke Ihnen.“ „Keine Ursache. Landsleute müssen zusammenhalten. Ich könnte nicht mit ansehen, wenn Halunken, die ihre Machtansprüche immer rigoroser ausdehnen, friedliche Handelsfahrer ausplündern und die Mannschaften umbringen. Das ist ein Teil meines Kampfes gegen die Spanier, ein kleiner bescheidener Beitrag.“ „Der sich mit der Zeit summiert und ein großes Leck reißt.“ „So ähnlich“, sagte Jean lächelnd. „Gut, dann gehe ich morgen vormittag ankerauf, wenn ich die Genehmigung nicht erhalte.“ „Und wo gedenken Sie, Ihre Ware abzusetzen?“ „Das weiß ich noch nicht. Die spanischen Häfen scheinen mir alle nicht mehr geheuer zu sein.“ „Darf ich Ihnen einen Rat geben?“ „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Monsieur.“ „Laufen Sie Cartagena an, Kapitän. Dort sind solche Waren ebenfalls sehr gefragt.
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Aber auch in Cartagena muß ich Sie vor Schnapphähnen warnen.“ „Wird da etwa auch geplündert?“ „Davon ist mir nichts bekannt. Aber Sie kennen ja die Machtansprüche der Spanier. Jenseits von jeglicher Vernunft betreiben sie eine brutale Ausbeutung, nur von dem Gedanken besessen, sich so schnell wie möglich die Taschen zu füllen. Der jetzige Gouverneur von Kuba geht dabei allen mit leuchtendem Beispiel voran.“ „Ich werde auch andere Landsleute warnen, falls ich welchen begegnen sollte“, sagte Giraud leise. Ribault trank seinen letzten Schluck Wein aus und erhob sich. Giraud wollte noch einmal nachschenken, doch der Franzose wehrte lächelnd ab. „Ich habe heute noch einiges vor“, sagte er. „Unter anderem will ich die Halunken beobachten, wenn sie versuchen, Ihr Schiff zu entern. Ich würde Ihnen das ebenfalls empfehlen. Es dürfte ein heilloses Durcheinander geben.“ Giraud lächelte. Dann nickte er Jean zu. „Wir werden das ebenfalls beobachten, und wir werden gefechtsbereit auf der Lauer liegen, wenn es soweit ist.“ Er bedankte sich noch einmal ausnehmend herzlich bei dem Franzosen, begleitete ihn auch an Deck und schaute sich nach allen Seiten um. „Niemand wird Sie sehen, wenn sie auf der Backbordseite wieder abentern“, sagte er. „Die Spanier sind immer noch mit der Galeone beschäftigt.“ Ribault sah sich ebenfalls vorsichtig um. Die Schaluppen waren gerade dabei, die tief geladene Galeone in den Hafen zu geleiten. Sie kümmerten sich um nichts anderes und waren abgelenkt. Als das Ungetüm vorbei war, holte der Fischer sein Netz ein und segelte ganz langsam von achtern auf, bis er sich mit dem Einmaster im toten Winkel befand. Giraud nickte Ribault noch einmal zu. Die anderen Männer starrten ihm nach, als er blitzschnell abenterte und an Bord sprang. Niemand begriff vorerst, was der Mann gewollt hatte.
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Der Einmaster zog weiter und hielt mehr Distanz zu der französischen Galeone. Ribault war schon wieder mit den Netzen beschäftigt und blickte kaum auf. Auf der Galeone aber stand nachdenklich der Kapitän. Neben ihm befand sich der Erste Offizier, der überhaupt nicht wußte, was er von der ganzen Szene halten sollte. „Ein recht geheimnisvoller Mann“, deutete er an. Giraud öffnete den oberen Kopf seiner Uniformjacke und nickte bejahend. „In der Tat, ein sehr geheimnisvoller Mann“, gab er zu. „Der Monsieur wollte auch keinen Namen nennen. Wir sind hier in eine außerordentlich nette Gegend geraten. Man hat nämlich vor, uns heute nacht zu entern, umzubringen und auszuplündern. Wie finden Sie das?“ Der Erste, der gerade die Hand hob, hielt in der Bewegung inne und erstarrte. Ungläubig sah er den Kapitän an. „Man will uns umbringen und ausplündern? Wer - Piraten? Aber wir liegen hier doch geschützt vor dem Hafen auf Reede. Da sind doch auch die spanischen Wachschaluppen.“ Giraud lächelte böse. Er sah immer noch sehr nachdenklich den zum Hafen segelnden Fischerboot nach. „Ja, sehr geschützt liegen Wir hier. Dieser geheimnisvolle Mann war ein Hugenotte, und er sagte mir, daß auf Anordnung des Gouverneurs persönlich fremde Schiffe auf Reede ausgeplündert werden. Erst heute nacht hat man eine portugiesische Galeone überfallen, ausgeraubt und in Brand gesteckt. Der arrogante Teniente, der uns so anschnauzte, hatte das Kommando über jenen Trupp, der das geraubte Zeug in die Residenz des Gouverneurs brachte.“ „Das ist ja ungeheuerlich“, sagte der Erste empört und aufgewühlt. „Glauben Sie, daß dieser Mann die Wahrheit gesprochen hat?“ „Weshalb sollte er sich unter Lebensgefahr hier an Bord begeben und uns anlügen? Ich glaube ihm. Wenn Sie unauffällig durch den Kieker zum westlichen Strand sehen, werden Sie zehn Boote erkennen. Neben den Booten liegen zwei bewußtlose Kerle.
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Unser unbekannter Freund hat die Kerle zusammengeschlagen und die Boote angebohrt. Sie werden heute nacht demnach eine üble Überraschung erleben.“ Der Erste nahm das Spektiv und blickte hindurch. Als er es wieder absetzte, war er blaß. „Tatsächlich. Das ist nicht zu fassen. Und dahinter steckt der Gouverneur von Kuba?“ „So ist es.“ „Ihre Befehle, Kapitän?“ „Bei Anbruch der Dämmerung machen wir gefechtsbereit. Die Mannschaft wird darüber aufgeklärt, was die Halunken heute nacht planen. Die Leute sollen sich jetzt ausruhen, damit sie heute nacht wach sind. Wenn man uns bis morgen vormittag keine Erlaubnis zum Einlaufen in den Hafen gegeben hat, gehen wir ankerauf und segeln nach Cartagena. So hat es mir der Monsieur empfohlen.“ „Dann haben wir diesem 'Mann zweifelsfrei unser Leben zu verdanken“, sagte der Erste. „Denn mit einem Überfall hätte niemand von uns gerechnet, zumal wir vor dem Hafen liegen.“ „Ja. Das sollten wir diesem Mann nie vergessen. Ordnen Sie jetzt alles an, was ich gesagt habe.“ Giraud kehrte nachdenklich in seine Kammer zurück. Dort griff er wieder nach dem Spektiv und blickte zu den Booten. Die beiden Kerle lagen immer noch daneben. Sie waren gefesselt und geknebelt. Fassungslos schüttelte er den Kopf. Dann ging er an Deck zurück und blickte wieder zu dem Einmaster mit den beiden Männern. Jetzt hatten sie den Hafen erreicht und segelten der spanischen Galeone hinterher, die von den Schaluppen begleitet wurde. Der kleine Fischzug hatte sich für Costa gelohnt, obwohl er nur zwei Stunden die Netze ausgelegt hatte. Ribault sortierte die Fische in hölzerne Kisten und säuberte die Netze von Dreck und jenem Zeug, das in den Maschen hängengeblieben war.
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Niemand hat etwas bemerkt, dachte er. Er konnte ganz zufrieden sein, denn heute nacht würde es den Dons nicht gelingen, den Franzosen zu entern und auszuplündern. Noch bevor sie anlegten, verabschiedete er sich von Costa und dankte ihm. Die Goldmünzen, die er dem Fischer als „Entschädigung“ anbot, lehnte Costa jedoch mit einem freundlichen Kopfschütteln ab. „Dafür würde ich nicht mal einen Silberling nehmen“, versicherte er. „Es war mir eine Ehre. Auf meine Art habe ich dazu beigetragen, den miesen Halunken eins auszuwischen, und darüber freue ich mich von ganzem Herzen.“ Der Fischer war eben doch ein Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Ribault schlenderte wieder zum Liegeplatz der „Goldenen Henne“ zurück. Arne von Manteuffel, Karl von Nutten und Renke Eggens standen an Deck. Eggens hakte auf der Liste ab, was sie alles schon geladen hatten. Es war jetzt kurz vor der Dämmerung. Im Hafen herrschte immer noch das übliche Gewühl, und die allgemeine Aufmerksamkeit galt der eingelaufenen Galeone, die „persönliche Bedarfsgüter“ geladen hatte. „Hat alles geklappt?“ fragte Arne. „Ja, besser als ich dachte. Ich habe mich allerdings nicht zu erkennen gegeben. Der Kapitän war entsetzt. Er konnte nicht fassen, was hier vor sich geht. Er wird sein Schiff bei Anbruch der Dunkelheit unauffällig in Gefechtsbereitschaft versetzen lassen. Ich bin sicher, daß sich die Halunken heute nacht blutige Nasen holen werden.“ „Das haben sie auch verdient.“ „Es wird eine böse Überraschung geben“, sagte auch Karl von Hutten grimmig. „Aber wir werden uns das ansehen. Es wird allerhöchste Zeit, daß den Schnapphähnen das Handwerk gelegt wird.“ „Ihr könnt ja später zu dritt losziehen“, meinte Renke Eggens, „wir stauen noch weiter, damit wir möglichst schnell fertig
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sind und zum Stützpunkt zurückkehren können. Niemand wird euch in der Dunkelheit bemerken, die Leute sind alle neugierig und mit der Galeone beschäftigt. Was sie wohl geladen haben mag?“ „Feine Sachen für die ehrenwerten Oberaffen“, erklärte Jean Ribault lächelnd. „Aromatische Seifen, Riechwasser, Essenzen, Naschwerk, edlen spanischen Wein und vielleicht auch ein paar Badewannen für den neuen Gouverneur.“ „Woher weißt du das?“ „Hat mir der Fischer erzählt. Dieser Galeone gilt immer die allgemeine Aufmerksamkeit, wenn sie Havanna anläuft.“ „Dann kann das für unser Vorhaben ja nur gut sein“, sagte Karl von Hutten. „Die anderen sind abgelenkt, und niemand wird sich um uns kümmern.“ Sie beschlossen, heute nacht zu dritt zu den Booten zu gehen - Jean Ribault, Karl von Hutten und Roger Lutz. 5. Bei Anbruch der Dunkelheit geschah wieder das gleiche wie schon am Abend zuvor. Die Wachschaluppen wurden abgelöst, dafür erschienen acht andere. Sie schirmten nicht mehr die Reede ab, sondern gingen in der Hafeneinfahrt vor Anker. Die Nacht gab noch so viel Licht her, daß sie von der „Goldenen Henne“ aus erkennen konnten, was da geschah. Renke Eggens spähte aufmerksam durch den Kieker. „Acht Schaluppen“, murmelte er, „genau wie gestern. Sie gehen zwischen dem Castillo de la Punta im Westen und dem Castillo del Morro im Osten vor Anker.“ „Damit ist die Einfahrt dann auch so ziemlich abgeriegelt“, sagte Jean. „Die Einfahrt ist nur knapp vierhundert Yards breit.“ Eine Schaluppe nach der anderen ankerte. Es sah ganz unauffällig aus. „Dann verschwinden wir jetzt am besten“, sagte Jean. „Ich bin schon auf das
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Spektakel gespannt. Vielleicht geraten sich die Kerle ja noch gegenseitig in die Haare, weil sie mich offenbar für einen gewissen Pablo hielten.“ Gleich darauf - der Mond war inzwischen aufgegangen und stand als Sichel am Himmel - verließen sie die „Goldene Henne“ auf demselben Weg, den Jean und Roger am Vormittag gegangen waren. Die ersten Sterne begannen zu blinken. Der Wind, der immer noch aus Nordost wehte, brachte warme Luft herüber. Ganz unauffällig verließen sie wieder den Hafen und schlichen aus der Stadt. Einmal begegnete ihnen unterwegs eine spanische Patrouille. Sie bogen in eine Seitengasse ab und warteten, bis die Dons vorüber waren. Sie wären zwar kaum aufgefallen, aber sicher war sicher. Manchmal waren die Dons auch sehr neugierig oder stellen unangenehme Fragen. „Wir sind gleich da“, sagte Jean, als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten und ihnen keine Menschenseele mehr begegnet war. Westlich des Liegeplatzes der zehn Boote erreichten sie jene Stelle, von der aus sie alles überblicken konnten, ohne von den Kerlen selbst gesehen zu werden. Sie gingen in Deckung und pirschten sich vorsichtig näher. Wenn sich Karl von Hutten bewegte, war absolut kein Geräusch zu hören. Der blondhaarige Sohn einer indianischen¬ Häuptlingstochter war so lautlos wie ein Tiger, der sein Opfer anschleicht. „Da sind wir ja gerade zur richtigen Zeit erschienen“, flüsterte Jean Ribault. Die Szene, die sich ihnen bot, war köstlich, und sie steigerte sich mit jedem Augenblick. Karl von Hutten grinste sich eins, Jean Ribault grinste ebenfalls, und Roger Lutz verzog das Gesicht. Einer der Schnapphähne fummelte fluchend und ordinäre Worte ausstoßend, an seinen Fesseln herum. Die Hände hatte er schon frei, den Knebel hatte er ebenfalls gelöst. Der Kerl war jener Schnapphahn, der Cucaracha genannt wurde und Jean Ribault so lebhaft an eine triefäugige Kakerlake erinnerte.
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Jetzt hüpfte und hampelte er neben den Booten herum, während der andere dumpfe Laute ausstieß. Offenbar fluchte er ebenfalls sehr obszön, aber die Flüche gingen im dumpfen Gemurmel unter, als hätte der Kerl wahnsinnige Zahnschmerzen. Da sich jeder selbst der nächste war, kümmerte sich Cucaracha zunächst überhaupt nicht um seinen maulenden Kumpan, der sich auf dem Boden von einer Seite zur anderen wälzte. Daß beide ausgesprochen miese Laune hatten, war ihnen überdeutlich anzusehen. Angelo, krebsrot vor Wut, erstickte fast vor Ärger an seinem Knebel. Cucaracha zerrte jetzt an seinen Beinfesseln herum. Statt sich dabei hinzusetzen, stand er und bückte sich schnaufend und fluchend immer wieder. Dabei verlor er das Gleichgewicht und setzte sich mit dem Hintern in den Sand. „Verflucht noch mal!“ brüllte er in ohnmächtiger Wut. „Wenn ich diese beiden Dreckschweine zu fassen kriege, bringe ich sie um!“ Die drei heimlichen Zuschauer grinsten wieder. Endlich war Cucaracha frei und warf die Reste seiner Fesselung voller Wut auf die Erde. Dann stand er tiefatmend im Mondlicht, wischte sich immer wieder über das Maul und massierte schließlich seine Handgelenke. Das tat er ziemlich ausgiebig und lange. Angelo brüllte inzwischen halberstickt etwas, aber das verstand durch den Knebel nicht einmal sein Kumpan. Der ließ sich wieder nieder, rollte über den Sand, brüllte erstickt und schlenkerte seinen Oberkörper hin und her. „Halt die Schnauze!“ brüllte er. „Erst muß ich mal meine Knochen massieren, kann kaum noch stehen, verdammt!“ Er ließ sich wirklich lange Zeit, bis er sich um seinen Kumpan kümmerte und ihm den Knebel entfernte. Schon die ersten verständlichen Worte ließen dessen unglaubliche Wut erkennen. „Idiot, blöder, dämlicher!“ schrie er Cucaracha an. „Mußt du hier rumhampeln
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und deine Gräten massieren? Beeil dich lieber, damit ich den Mist endlich los werde!“ „Hättest dich ja selbst befreien können, du Oberarsch!“ brüllte Cucaracha zurück. „Idiot, blöder, dämlicher ist die absolute Steigerung“, raunte Jean Ribault belustigt. „Blöder geht's bei den Idioten nicht mehr.“ „Und dämlicher auch nicht“, flüsterte Roger grinsend. Auf dem Platz, wo die Boote lagen, redeten sich die beiden Kerle jetzt in Eifer, nachdem sie sich gegenseitig angebrüllt hatten. Zuerst griff Cucaracha in seine Hosentasche, dann Angelo. Aber da klimperte kein Gold mehr. Es fand sich auch keins, als sie ihre Taschen umdrehten und das Innerste nach außen kehrten. „Diese Schweine“, ächzte Angelo, „diese gottlosen, dreckigen Oberhalunken! Die haben uns tatsächlich beklaut und restlos ausgemistet. Kein Goldstück mehr da.” „Ich hab auch nichts mehr“, jammerte die Kakerlake. „Aber das zahle ich denen heim. Die stech ich ab!“ Sie krochen auf dem Boden herum und tasteten mit den Händen den Sand ab, in der Annahme, doch noch ein Goldstück zu finden. Es fand sich jedoch absolut nichts, was die beiden noch mehr in Rage brachte. „Der eine war Pablo, den hab ich trotz seiner Maske genau an der Stimme erkannt“, wetterte Angelo. „Aber über die Goldstücke wird er sich nicht lange freuen, wenn er erst einmal ein Messer in den Rippen stecken hat.“ Vor lauter Empörung konnte er nicht weiterfluchen, denn ihm blieb vor Zorn buchstäblich die Stimme weg. Dafür keifte der Kakerlakenmann um so lauter. Seine Stimme steigerte sich fast zur Hysterie. „Wenn der eine Pablo war, was ich auch glaube, dann war der andere Schweinehund Zombie, sein Saufkumpan, dieser lausige dreckige Mulatte, der stinkende Sohn einer alten Negerhure und eines versoffenen spanischen Seemanns.“ „Klar, das waren die beiden, das steht eisern fest. Überfallen uns, und damit wir sie nicht erkennen, haben sie sich Tücher
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vor die Fresse gebunden. Dabei haben die Schweine ebenfalls ihren Anteil erhalten. Aber nein! Damit sind sie nicht zufrieden, sie müssen auch noch ihre Kumpane beklauen, diese Schnapphähne!“ „Genau. Wir haben unseren Anteil wenigstens redlich verdient, und wir haben auch keinen beklaut, aber diese beiden Mistkerle - oh, ich könnte sie abschlachten!“ Die drei unsichtbaren Zuschauer konnten sich das Grinsen nicht mehr verkneifen. Es war schon sehr amüsant, zu hören, wie die beiden Halunken über die anderen herzogen und sich ereiferten. Dabei taten sie so, als seien sie Muster an Ehrlichkeit und Tugend, denen man ihr „ehrlich erworbenes Geld“ geklaut hatte. „Haben wir wenigstens noch einen Schluck in der Buddel?“ fragte Cucaracha. „Oder haben sie uns das Zeug auch noch weggesoffen? Die kriegen das glatt fertig.“ Sie suchten wutgeladen und empört nach der Buddel und fanden sie auch. Angelo setzte sie an und trank sie fast zur Hälfte leer. Der Alkohol steigerte seine Wut beträchtlich, und er sagte, was er den Kerlen und ganz besonders diesem verdammten Mulatten alles abschnippeln würde. Cucaracha trank den Rest aus der Flasche und feuerte sie voller Wut in Richtung Wasser. Auch er regte sich mächtig über Pablo und Zombie auf, die ihnen die mühsam verdienten Goldstücke einfach geklaut hatten. „Ich werd' mal mit Fiarro nachher ein paar Takte reden!“ schrie Angelo. „Der soll sich die Hundesöhne vorknöpfen. Und wenn er das getan hat, dann nehme ich sie noch mal selbst zur Brust.“ „Dafür klauen wir dann auch ihren Anteil“, sagte Cucaracha wild. „Das nennt man nämlich Gerechtigkeit.“ „Wieso ist das Gerechtigkeit?“ „Wenn die uns beklaut haben, ist es unser gutes Recht, sie anständig zu vermöbeln oder sie totzuschlagen, kapiert? Das ist nämlich die eine Seite von Gerechtigkeit, die kleine. Wenn wir ihnen dann ihre Goldstücke klauen, ist das absolut gerecht,
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und deshalb nennt man das auch so. Wir sind die Ehrlichen, die anderen die Halunken.“ „Ja, das sehe ich auch so“, sagte Angelo nach längerem Nachdenken. „Schließlich haben die uns überfallen.“ „Von Zombie hätte ich das sowieso geglaubt, aber daß Pablo auch so ein Schweinehund ist, hätte ich nicht gedacht.“ „Das sind zwei Schweinehunde auf einmal. Wo Pablo rumstinkt, da stinkt auch Zombie rum. Das war schon immer so.“ „Und jetzt hocken die Stinker in Havanna und versaufen unser Geld oder bringen es mit Weibern durch.“ Ihre Empörung war echt, und sie wuchs auch wieder, denn jeder stellte sich jetzt vor, wie die beiden „Stinker“ in der Kneipe hockten und ihr Geld versoffen. „Das schlimmste an der Sache“, sagte Angelo heiser vor Wut, „ist natürlich, daß sie sich jetzt auch noch über uns halbtot lachen, weil sie uns beklaut haben.“ „Meinst du wirklich, daß die auch noch über uns lachen?“ „Na klar. Stell dir mal vor, wir beide hätten Pablo und Zombie beklaut und würden jetzt in der Kneipe Kokken. Was würdest du denn tun, wenn du daran denkst?“ „Lachen“, sagte Cucaracha prompt. „Ich würde mich kranklachen, weil wir sie so angeschissen haben.“ „Siehst du! Und genau das tun sie jetzt. Die lachen so schrecklich, daß die Wände wackeln.“ Die Kakerlake schluckte erregt. Bei dieser Vorstellung lief ihm offenbar wieder die Galle über. „Diese Sauhunde“, sagte er heiser. „Das muß man sich mal vorstellen: Die lachen jetzt über uns. Die lachen, weil sie denken, wir hätten sie nicht erkannt.“ „Wir haben sie aber erkannt, und dafür gibt's Senge. Vielleicht sollten wir das auch dem Teniente sagen, damit er genau weiß, was für Betrüger die beiden sind.“ Ribault hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut zu lachen. Zu köstlich war das hier. Die beiden Kerle hielten sich offenbar für Heilige, so unschuldig und
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sittsam waren sie. Verständlicherweise waren dann die anderen die Halunken. Er wandte den Kopf und sah, daß auch Karl von Hutten und Roger Lutz alle Mühe hatten, um nicht loszuplatzen. Das Gezeter der beiden ging jetzt schon fast eine Stunde lang. Sie hatten sich mit der Buddel reichlich viel Mut angetrunken und wurden immer stärker. „Der Teniente ist ein Arsch“, sagte Cucaracha abfällig. „Der Schnösel steht nur rum und gibt großkotzig Befehle. Sollte mal lieber mit anpacken, der Saftsack, der faule. Vom Kämpfen will er nichts wissen, da steht er immer fein und sauber abseits, damit seine Scheißuniform nicht bekleckert wird.“ „Ich glaube auch, daß der Gauner uns bescheißt“, sagte Angelo aufgebracht. „Vielleicht gibt ihm der Gouverneur viel mehr Gold, und er behält das einfach für sich und speist uns mit ein paar Mäusen ab. Unsereins ist ja immer der Dumme, weil wir das nicht nachprüfen können.“ „Man müßte mal zum Gouverneur gehen und ihn fragen, was er denn so springen läßt - und ihm gleichzeitig stecken, daß der Teniente uns übers Ohr haut.“ Mein Gott, dachte Karl von Hutten, die Kerle hatten wirklich sonderbare Vorstellungen. Diese kleinen miesen Schnapphähne wollten zum Gouverneur gehen und ihn fragen, was er denn so springen ließe. Erneut mußte er sich das Lachen verbeißen. Sie hörten weiter zu und rührten sich nicht. Die beiden Kerle ereiferten sich und kamen nicht vom Thema weg. Vielleicht wurden sie zusätzlich auch von einem gewissen Fiarro beschissen, dessen Name öfter genannt wurde. Der Kerl schien ein ganz übler, unberechenbarer und brutaler Messerstecher zu sein und war offenbar der Anführer der Bande. Der Teniente rangierte hier vermutlich als Zahlmeister. Dann war auch noch von den Maultiertreibern die Rede, die zu nichts weiter zu gebrauchen seien, als die Beute auf die Packesel zu laden.
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Nach und nach erfuhren sie immer mehr über die Kerle. Aber die übelsten waren Pablo und Zombie. Diese beiden Kerle lösten bei ihnen immer wieder Alpträume und Wutanfälle aus. „Achtung, da nähern sich zwei oder drei Kerle“, flüsterte Ribault. „Weiter vorn hat sich etwas bewegt.“ Nur ein paar Lidschläge später trafen drei Kerle ein, die sich zu Cucaracha und Angelo gesellten. Sie wollten sich auf den Boden hocken und warten, aber sie wurden gleich wieder hochgepurrt, denn jetzt ließen die beiden Beklauten wieder Dampf ab und schimpften. „Wo sind denn Pablo und der mistige Zombie?“ fragte Angelo hinterhältig. „Werden wohl noch irgendwo in der Kneipe hocken“, sagte einer. „Wo sie unser Geld versaufen“, knurrte Angelo gehässig. „Wieso euer Geld? Die haben doch selbst welches.“ „Das war ihnen aber nicht genug. Deshalb haben uns die Kerle hinterrücks überfallen und ausgemistet. Sogar gefesselt und geknebelt haben sie uns.“ „Pablo und Zombie?“ „Klar, die hatten sich maskiert, aber so schlecht, daß wir sie einwandfrei erkannt haben. Wir dachten erst, die erlauben sich einen dämlichen Spaß, und als ich fragte, ob der eine Pablo sei, da sprang er plötzlich vor und knallte mir die Pistole auf den Kopf. Dann haben sie unsere Mäuse geklaut und sind verduftet.“ „Sieh an“, sagte der eine gleichgültig. „Die können eben nie den Hals voll genug kriegen. Aber das müßt ihr Fiarro sagen, der soll sich damit befassen.“ „Mit denen befassen wir uns noch selbst“, versicherte Angelo. Etwas später trafen auch ein paar der schon von den Kerlen erwähnten Maultiertreiber ein. Sie erfuhren allerdings nichts von der umwerfenden Neuigkeit und hielten sich abseits. Sie wurden von den anderen Kerlen auch nicht in deren unmittelbarer Nähe geduldet. Die Treiber waren eine Gruppe für sich. Sie wollten nichts hören, nichts sehen und
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nichts sagen. Außerdem hielten sie sich für intelligenter als die anderen und wußten, daß die Schnapphähne auf ihre Mulis angewiesen waren. Am Westrand der Stadt übergaben die Treiber die Maultierkolonne dann immer einer Truppe von Stadtgardisten. Der Teniente behielt das Kommando, und so hatte die Kolonne auf dem Weg zur Residenz des Gouverneurs sozusagen einen militärischen Anstrich, so daß keinem Bürger etwas auffiel. Das Unternehmen war immer gut abgesichert und stand unter „bewährter“ Führung. Nach und nach trudelten aus Osten immer mehr Kerle ein. Etwas später war bereits die Maultierkolonne mit ihren Treibern komplett. „Kannst du auf dem Franzosen etwas erkennen?“ fragte Ribault den neben ihm liegenden Karl von Hutten. Von Hutten hatte fast so ähnliche Adleraugen wie Dan O'Flynn, aber er schüttelte den Kopf. „Überhaupt nichts. Niemand rührt sich, niemand ist an Bord zu sehen. Sie werden deine Warnung doch hoffentlich ernst genommen haben.“ „Da bin ich ganz sicher. Ich glaube nur, daß die Burschen sich sehr geschickt verhalten. Dem Anschein nach haben sie nicht einmal eine Ankerwache aufgestellt.“ Weit entfernt vom Hafen war ein leises Glasen zu hören. Es war jetzt eine Stunde vor Mitternacht. Wieder trafen ein paar Kerle ein. Einer von ihnen taumelte, als sei er verletzt oder verwundet. Aber seine „Verletzung“ rührte offenbar aus einer Kneipe her. Er hatte zuviel geladen und torkelte. Roger Lutz stieß Jean Ribault an. „Der Teniente“, flüsterte er. Sie hätten sich ruhig lauter unterhalten können, denn die Kerle benahmen sich nicht gerade leise. Manch einer fluchte, und bei den Booten stritten zwei Mann über irgendeinen belanglosen Kram. Der Teniente gab sich hochnäsig und arrogant. Er tat so, als sei er der absolute Mittelpunkt. Aber anscheinend war er doch nicht so gut bei den Schnapphähnen
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angesehen, denn fast alle hielten sich von ihm fern. Gleich darauf erschienen nochmals zwei Kerle. Als sie bei den Booten auftauchten, herrschte für Augenblicke Schweigen. „Da sind die beiden Drecksäcke ja“, sagte Angelo höhnisch. „Daß die sich überhaupt noch hierher wagen.“ „Die Schurken, die verdammten!“ schrie Cucaracha erbost. „Klauen und versaufen unsere Möpse und grinsen auch noch dreckig!“ „Sieht nach einem handfesten Krach aus“, sagte Roger grinsend. „Jetzt gehen sie sich gegenseitig an den Kragen.“ Sie sahen, daß sich der Teniente umdrehte und die beiden Neuankömmlinge musterte. Pablo und Zombie ähnelten tatsächlich figürlich Jean und Roger. Aber damit hatte es sich auch schon. Pablo hatte eine gemeine Visage mit einem Oberlippenbart. Seine Blicke waren stechend und huschten unruhig hin und her. Der Mulatte sah noch wilder aus mit seinen glitzernden Augen, dem verkniffenen Mund und seinen langen Haaren, die ihm wirr und fettig über das Hemd hingen. Sie wollten gerade etwas sagen, als nochmals ein Mann eintraf. Das muß Fiarro sein, von dem die Kerle vorhin gesprochen hatten, dachte Ribault. Ein seltsamer Kerl war das, von dem sie anfangs nur das Profil erkennen konnten. Seine Nase war stark gekrümmt wie ein Geierschnabel. Das Kinn sprang eckig und gewaltig vor und bildete mit der gekrümmten Nase fast eine Linie. Der Kerl war etwas größer als die anderen und trug nur eine Hose. Sein Oberkörper war nackt. Lediglich zwei breite Bandeliers waren überkreuz um seinen Brustkasten verschlungen. „Der schleppt eine ganze Breitseite mit sich herum“, meinte Roger. Es waren jedoch keine Pistolen, die in den Bandeliers steckten, wie die Männer gleich sahen. In die Bandeliers waren breite Lederschlaufen eingearbeitet, und in jeder Schlaufe steckte ein Messer. Der Kerl schleppte mindestens zwanzig Messer
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unterschiedlicher Größe und Breite mit sich herum. Er trat herrisch unter die anderen und sah sich um. Dann zeigte er mit der Hand auf die Reede hinaus. „Ich habe den Franzmann länger als eine Stunde beobachtet. Da rührt sich nichts, die Kerle sind völlig ahnungslos. Soviel ich sehen konnte, haben sie nicht einmal Wachen aufgestellt. Sie fühlen sich unglaublich sicher.“ „Natürlich wegen der Schaluppen, die vor der Hafeneinfahrt liegen“, sagte der Teniente überheblich. „So etwas wirkt. und schafft Vertrauen. Ihr geht am besten wieder mit jeweils fünf Booten an Backbord und Steuerbord längsseits und entert ganz überraschend.“ „Und entert ganz überraschend“, äffte Fiarro ihn nach. „Wir empfangen unsere Anweisungen immer von den Herren, die sich fürsorglich im Hintergrund halten und selbst nicht kämpfen.“ „Was soll das heißen?“ brauste der Teniente auf. Die beiden schienen sich nicht sonderlich gut zu verstehen. Bevor Fiarro jedoch etwas sagen konnte, meldeten sich die beiden Beklauten bei ihm. „Erst wollen wir hier mal was klären“, sagte Angelo. „Bevor wir der Galeone zu Leibe rücken, will ich erst meine Mäuse zurück.“ „Ich auch“, sagte Cucaracha hitzig. „Was ist los?“ fragte Fiarro gereizt. „Was soll der Quatsch mit euren Mäusen?“ „Ah, du weißt das ja noch nicht, Fiarro. Hier, sieh dir mal diese dreckig grinsenden Hunde Pablo und Zombie an. Fällt dir nicht auf, daß sie bis an die Ohren grinsen?“ „Mir fällt nur auf, daß sie dämlich in die Welt glotzen, sonst nichts.“ Pablo und Zombie glotzten wirklich sehr dämlich in die Runde. Der Mulatte hatte den Mund geöffnet, und alle sahen seine braunen Zahnstummel, einschließlich der prachtvollen Lücke, wo ihm zwei Schneidezähne fehlten. Er blickte verständnislos zu Pablo, und der blickte ebenso erstaunt und fragend.
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„Was ist los?“ giftete Angelo. „Die beiden Schurken haben uns heute überfallen. Sie hatten sich maskiert und hielten uns die Pistolen vor die Nase. Dann haben sie uns zusammengeschlagen, gefesselt und geknebelt. Als wir wieder zu uns kamen, waren unsere Goldstücke verschwunden.“ „Ja, so war es!“ schrie Cucaracha wütend. „Deshalb verlange ich, daß die Saukerle unser Geld rausrücken und bestraft werden.“ Pablo und Zombie starrten immer noch verdattert in die Runde. Sie kapierten verständlicherweise kein Wort. „Das kann doch gar nicht sein“, sagte Fiarro. „Ich habe ihn aber erkannt“, beharrte Angelo, „und als ich den einen fragte, ob er Pablo sei, da knallte er mir die Pistole an den Schädel und raubte mich aus.“ „Uns raubten sie aus!“ brüllte Cucaracha. „Und jetzt stehen sie da und grinsen auch noch. Wenn du nichts unternimmst, Fiarro, dann erledigen wir das später selbst.“ Wieder begann Ribault in seinem Versteck zu grinsen, und dieses Grinsen wirkte auf die beiden anderen sehr ansteckend. Da schien sich wirklich ein handfester Krach anzubahnen. „Nun mal langsam“, knurrte Fiarro, dem langsam die Geduld riß. „Wir streiten jetzt nicht um solchen Scheiß, weil wir etwas Besseres vorhaben. Aber das will ich vorher doch noch genau wissen.“ Noch einmal erzählten sie ausführlich, was passiert war. Der Teniente stand mit verkniffenem Gesicht dabei und musterte einen nach dem anderen. Er wollte immer wieder etwas sagen, aber er wurde ständig unterbrochen, und das ärgerte ihn maßlos. Jetzt regten sich auch Zombie und Pablo auf, weil sie endlich kapiert hatten, um was es ging. Der Mulatte sprang einen Schritt vor, ergriff die Kakerlake am Hemd und schüttelte sie. „Ihr spinnt ja, ihr verdammten Idioten!“ schrie er. „Wir haben selbst unseren Anteil gekriegt und versoffen. Da brauchen wir euren nicht auch noch.“
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„Ihr kriegt ja nie die Schnauze voll genug, ihr Säufer!“ brüllte Angelo. „Ich habe euch genau erkannt !“ Pablo wollte sich diese Unterstellungen ebenfalls nicht bieten lassen und ging auf Angelo los. „Mich willst du erkannt haben, du Dreckskerl?“ schrie er. „Du siehst ja nicht mal einen Baum, wenn du davorstehst! Wenn du das nicht zurücknimmst, polier ich dir die ZähL ne!“ „Und ich polier deine!“ brüllte Angelo. Die Maultiertreiber zogen sich mit ihren Mulis etwas weiter zurück. Sie wollten auch mit dem Krach nichts zu tun haben, denn wenn die Kerle sich am Wickel hatten, gab es regelmäßig Kleinholz. Darauf waren sie aber nicht versessen. Gerade als Angelo und Pablo aufeinander losgehen wollten, schob sich der Teniente dazwischen. Er war ziemlich verärgert. „Was ist das hier eigentlich für ein Affenzirkus?“ schrie er. „Was quatscht ihr dauernd von geklauten Goldstücken? Das interessiert mich einen Dreck!“ „Klar, du hast davon ja auch genug!“ kreischte Angelo. „Aber unsereins wird ständig beschissen. Und das geht die hohen Lackaffen dann einen Dreck an.“ „Bastarde!“ schimpfte der Teniente. „Mit euch niederem Gesindel hätte ich mich erst gar nicht einlassen sollen. Ihr beiden Idioten solltet ab Tagesbeginn die Boote bewachen und mögliche Neugierige verscheuchen. Aber ihr habt geschlafen, sonst hätten euch die beiden anderen Kerle nicht überrumpeln können. Ich spuck' auf eure lächerlichen paar Goldstücke! Eine Sauerei ist das. Bestrafen sollte man euch Pack noch, auspeitschen, bis ihr Hundesöhne wieder euer bißchen Verstand beisammen habt!“ Bei den letzten Worten kriegte der Teniente fast einen Tobsuchtsanfall, und seine Stimme überschlug sich vor Wut. Da standen die zwei Dummköpfe und palaverten lautstark wegen ein paar Goldstücken herum, und das wollten sie geklärt haben. Und etwas weiter draußen wartete fette Beute auf sie.
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Der Teniente war noch ein fipsiges und arrogantes Kerlchen, und er hatte mit Kerlen wie diesen keine großen Erfahrungen. So wußte er auch nicht, daß sich das Blatt sehr schnell gegen ihn kehren konnte. Er hatte einen gewissen Punkt überschritten und sie „niederes Gesindel“ genannt, und das stieß auch den anderen auf. Außerdem konnten sie seinen Befehlston nicht ausstehen. Von nun an lief alles ganz anders, als der Teniente sich das vorgestellt hatte. 6. „So, du Bastard spuckst auf unsere lächerlichen Goldstücke, was?“ sagte Angelo tückisch. „Das kannst du zu deinen dämlichen Soldaten sagen, du uniformierter Oberarsch. Aber wir sind nicht deine Soldaten, die du anbrüllen und schikanieren kannst.“ Plötzlich hielten die vier Kerle, die sich gerade noch an die Gurgel gehen wollten, wieder zusammen. Ihr Streit war vorerst beigelegt, dafür ließen sie ihren Zorn jetzt an dem Teniente aus. Der Teniente wich zurück, das Gesicht vor Wut verzogen. „Ihr habt mir zu gehorchen!“ brüllte er. „Dir gehorchen?“ erklärte Pablo grob. „Von deinen Soldaten hat dir bestimmt noch keiner gesagt, daß du ein großkotziger Scheißer bist, ein Angeber, der nur das Maul aufreißt. Ich kann dir nur empfehlen, deine große Schnauze zu halten, sonst können wir sie dir auch mal dichthauen, wenn du sie noch weiter aufreißt.“ Etliche Männer murmelten Zustimmung. Sogar Fiarro kriegte ganz schmale Augen, als er das knallrot angelaufene Bürschchen jetzt sah. Wie der sich noch aufplusterte! „Klar, soll der Kerl doch sein großes Maul halten und hier nicht herumkommandieren“, tönte jetzt auch der Mulatte Zombie. „Da steht dieser Oberaffe nur rum und wartet auf die Beute. Aber selbst hat er noch keinen einzigen Finger gerührt. Wir tun die Dreckarbeit und halten unsere Knochen für die ehrenwerten
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Herren hin. Die sacken ein, bescheißen uns nach Strich und Faden und lachen sich eins.“ „Und dann kommt so'n Arsch hier angewackelt und will noch was zu sagen haben!“ schrie Angelo. Der Teniente beherrschte sich nur noch mühsam. Aber er war kein guter Taktiker, und es fehlte ihm die Erfahrung. „Ihr habt mehr als genug kassiert, ihr Pack!“ brüllte er. „Aber ihr werdet immer unverschämter und wollt immer mehr!“ „Mehr als genug, wie?“ höhnte jetzt auch Fiarro. „Und was tut ihr dafür? Du und dein sauberer Gouverneur de Escobedo streichen die dicken Gewinne ein, und wir kriegen den Abfall.“ Die anderen murmelten Zustimmung. Die Lage begann kritisch zu werden und sich immer mehr zuzuspitzen. Ein blatternarbiger Kerl trat ein paar Schritte aus dem Kreis der anderen hervor und sah den Teniente haßerfüllt an. „Da steht er in seiner geschniegelten Uniform und paßt auf, daß er ja nicht dreckig wird“, sagte er gehässig. „Aber wir können auch anders. Ich schlage vor, daß wir die Beute diesmal selbst behalten. Wir können sie einem Händler anbieten - ihr kennt ihn ja -, der zahlt nämlich verdammt gute Preise. Dann haben wir das große Geld, und die sauberen Herren peilen in den Mond.“ „Klar, die begaunern uns doch nur.“ Der Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Ein paar Kerle rieben sich bereits die Hände, wenn sie an den großen Kuchen dachten, der ihnen ganz allein zufiel. Da mußten sie sich nicht gemeinsam eine dünne Scheibe teilen, sondern konnten gleich alles behalten. Der Teniente zerplatzte vor Wut. So viele Beleidigungen hatte er noch nie einstecken müssen. Bastard, Oberarsch und Idiot hatten sie ihn genannt, und das wurmte ihn jetzt mehr als alles andere. Außerdem gedachten die Schnapphähne, künftig allein zu „arbeiten“. Er war immerhin Teniente, und das ließ er sich von diesem Gesindel nicht bieten.
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Er hätte jetzt noch einlenken, die Kerle beruhigen und ihnen etwas mehr versprechen können, aber er dachte nicht im Traum daran. Sie hatten ihn beleidigt, und so beging er jetzt den Fehler, aufgrund seiner Position aufzutrumpfen. Er reckte den Hals vor und sah sich wild nach allen Seiten um. Er starrte in hinterhältige, tückische und schadenfrohe Gesichter. „Ich werde euch Lumpenpack schon zur Räson bringen!“ rief er heiser vor unterdrückter Wut. „Ihr habt wohl vergessen, mit wem ihr es zu tun habt? Etwas weiter warten die Stadtgardisten, und da genügt ein Wort von mir! Wenn ihr auf eigene Rechnung arbeiten und euch nicht unterordnen wollt, dann lasse ich euch Strolche von den Soldaten erschießen. Aus und basta!“ Sekundenlang trat absolute Stille ein. Die Kerle sahen sich an, dann den Teniente. Ein paar Schnapphähne grinsten abfällig. Nur Fiarro war wie zu Stein erstarrt. Er befand sich hinter dem Teniente. „Wie war das eben?“ fragte er eisig. „Ich lasse euch erschießen, alle, und das ist mein Ernst!“ brüllte der Teniente. „Hinter mir steht der Gouverneur, stehen die Gardisten, die Soldaten.“ „Und hinter dir steht noch einer mit dem Messer“, sagte Fiarro mit klirrender Stimme. Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand schnellten vor. Die Bewegung erfolgte so schnell, daß sie kaum zu sehen war. Der Teniente sah noch etwas im Mondlicht blinken, als er sich umdrehen wollte. Er wollte noch schreien, als er einen stechenden Schmerz im Rücken verspürte, wollte sich wehren oder zur Seite treten. Doch er war wie gelähmt. Eine feurige Lanze raste brennend heiß in seinen Körper und schnitt seinen Lebensfaden durch. Als der Teniente lautlos in den Sand kippte, wurde sein Blick schon glasig und brach. Er spürte nicht einmal mehr, daß er fiel.
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Die anderen standen wie erstarrt da und blickten auf den Teniente, der so übergangslos sein Leben ausgehaucht hatte. Jetzt lag er verkrümmt im Sand und rührte sich nicht mehr. „Der Bastard wird keinen erschießen lassen“, sagte der Messerstecher kalt. „Wir übernehmen die Sache jetzt selbst, wie Juan schon vorgeschlagen hat. Ich. halte die Idee für gut.“ „Das hast du fein gemacht, Fiarro“, sagte Cucaracha begeistert. „Der Hund wurde immer frecher und anmaßender.“ „Das hätte ich ja noch hingenommen, aber daß er damit droht, uns alle erschießen zu lassen, das geht zu weit. Er hätte sich das vorher überlegen sollen. Wir sind keine Dummköpfe, wir können selbst denken.“ Das jedenfalls dachte Fiarro. In Wirklichkeit waren sie jedoch alle ausgesprochene Dummköpfe, die nicht weit denken konnten. Sie konnten zwar noch einen Raid unternehmen, aber wenn für den Gouverneur nichts mehr dabei abfiel, dann würde er ihnen mit Sicherheit sehr schnell das Handwerk legen. Sie hatten sich selbst die Möglichkeit genommen, gedeckt vom Gouverneur und seinen Handlangern, auch künftig anteilige Beutezüge zu unternehmen. Für sie wäre das eine sichere Sache gewesen. Aber daran dachte niemand. Der Teniente war tot, ein Schreihals weniger, und jetzt konnten sie losziehen und brauchten sich nicht mehr mit den Brosamen zufrieden zu geben. „Was tun wir mit dem?“ fragte Pablo und wies auf die reglose Gestalt im Sand. Fiarro nahm sein Messer wieder an sich und steckte es ein. Dann nahm er dem Teniente noch die Pistole ab, die er ebenfalls in seinem Gürtel verschwinden ließ. „Ladet ihn in eins der Boote“, sagte er gleichgültig. „Nachher, wenn wir draußen sind, füttern wir die Haie mit dem Mistkerl.“ „Hoffentlich treibt er nicht ab und wird gefunden“, meinte einer mit besorgter Stimme. „Das könnte alles vermasseln.“
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„Der wird nicht mehr gefunden. Die Haie kennen ihren Futterplatz noch von der letzten Nacht her. Die werden in ihrem Revier schon auf der Lauer liegen.“ Zwei Mann packten den toten Teniente an Kopf und Beinen und trugen ihn zu einem der Boote hinüber. Ziemlich unsanft verfrachteten sie ihn in das Boot und kehrten wieder zurück. Damit war für sie der Fall erledigt. Aus ihrer Deckung heraus hatten die drei Männer zugesehen, was da passierte. „Jetzt eskaliert das immer mehr“, sagte Jean Ribault leise. „Die Kerle bedenken überhaupt nicht die Konsequenzen, die sich daraus ergeben.“ Von Hutten blickte zu dem Mann, den sie kurzerhand umgebracht hatten, ohne mit der Wimper zu zucken. Für die Küstenwölfe zählte ein Menschenleben nicht. „Ein entscheidender Fehler“, meinte er. „Aber trotzdem zählt das jetzt nicht mehr, jedenfalls aus unserer Sicht nicht. Die Kerle haben ihren letzten Raid hinter sich. Sie ahnen es nur noch nicht. Sie werden es erst merken, wenn es zu spät ist.“ Sie blieben weiter in Deckung, um zu sehen, was sich tat. Jetzt waren sie gerade dabei, den Toten in eins der Boote zu bringen, um draußen die „Haie mit ihm zu füttern“, wie die Kerle sich kaltblütig ausdrückten. Roger Lutz warf einen Blick auf die Reede, wo als riesiger Schemen weit draußen die französische Galeone zu sehen war. Auch die Wachschaluppen waren zu erkennen, doch es rührte sich weder auf der Galeone noch auf den Schaluppen etwas. Die Soldaten wollten nichts sehen und stierten vermutlich wieder zur Mondsichel. Aber auf der Galeone war man wachsam und gefechtsbereit, darauf hätte Roger jede Wette gehalten. Er wandte sich wieder den Kerlen zu, denn die griffen jetzt die Angelegenheit mit Pablo und Zombie wieder auf. *
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„So, nachdem das da erledigt ist“, erklärte Fiarro, wobei er auf das Boot mit der Leiche wies, „können wir uns über das andere unterhalten. Ich will, daß dieser Streit beigelegt wird, sonst gibt es nur unnötigen Ärger. Also: Ihr behauptet immer noch, daß Zombie und Pablo euch überfallen und beklaut haben?“ Die beiden nickten. „Wir sind davon überzeugt“, sagte Angelo. „Sie hatten Tücher vor den Schnauzen und verstellten die Stimmen. Aber Pablo habe ich erkannt.“ „Einen Scheiß hast du erkannt“, schimpfte Pablo angriffslustig. „Wir können das nämlich gar nicht gewesen sein.“ „Aber der verdammte Mulatte ...“ „Hör bloß mit deinem verdammten Mulatten auf!“ schrie Zombie, „sonst fehlt dir mal das halbe Gesicht!“ „Ruhe“, sagte Fiarro. „Es läßt sich sogar beweisen, daß Pablo und Zombie es nicht waren. Die haben seit der Auszahlung ihres Anteils ihre Zeit bei ein paar Huren verbracht und hockten vorher stundenlang in der Kneipe.“ „Die können viel behaupten.“ „Ich war dabei“, sagte Fiarro, „und zwar die ganze Zeit. Wir waren zu dritt, haben gesoffen und uns amüsiert. Die beiden können also unmöglich hier gewesen sein, um euch zu beklauen. Ihr könnt euch auch bei den Weibern erkundigen. Sie werden das bestätigen.“ „Du warst dabei, Fiarro?“ „Ja, die ganze Zeit.“ „Verdammt noch mal“, sagte Angelo, „dann haben uns andere Kerle überfallen. Wir glauben dir natürlich. Aber wer kann uns dann überfallen haben?“ Cucaracha starrte ins Leere und kratzte sich verdattert den Schädel. Wenn Fiarro das sagte, dann stimmte es auch, daran bestand nicht der geringste Zweifel. „Ja, wer war das wohl? Ein paar andere Mistkerle, die Wind davon gekriegt haben, was hier seit einiger Zeit gespielt wird.“ „Du meinst, unsere lieben Konkurrenten? Diese lausigen Schnapphähne und Beutelschneider, die sich immer am Hafen rumtreiben?“
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„Klar, wer sonst? Die Kerle haben etwas gerochen und sich dann auf die Lauer gelegt.“ „Ich kann mir schon denken, welche Halunken das waren“, überlegte Angelo. „Wahrscheinlich ein paar von den Kerlen, die wir nicht mitgenommen haben.“ „Das dürfte wohl stimmen. Aber denen werden wir zu gegebener Zeit mal genauer auf den Zahn fühlen, und dann können sie was erleben“, versprach Fiarro. „Dann springen eben noch ein paar über die Klinge, sonst verraten sie uns noch.“ Der Mulatte sah die beiden Männer verächtlich an. „Wie wär's denn mit 'ner kleinen Entschuldigung unter Ehrenmännern?“ fragte er. „Schließlich habt ihr etwas behauptet, das ich nicht auf mir sitzen lasse.“ „Eine schwere Anschuldigung“, sagte auch Pablo. „Normalerweise wäscht man sie mit Blut ab. Aber ich verstehe auch, daß ihr euch darüber geärgert habt.“ Die beiden knurrten etwas, das sich nach allem möglichen anhörte. Fiarro trat zwischen sie und reichte eine Flasche hinüber. „Versöhnung“, sagte er kurz. „Jetzt wird einer gesoffen, ihr vertragt euch wieder, und danach geht es los. Es muß ja schon gleich Mitternacht sein.“ „Einverstanden“, sagten sie. Dann ging die Buddel reihum, und jeder trank einen gewaltigen Schluck. Den letzten nuckelte Fiarro, weil er ja die Aussöhnung angeregt hatte. Also stand ihm auch einer zu. Die Buddel wurde achtlos und schwungvoll weggeschleudert, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre sie Roger Lutz an den Schädel geflogen, so dicht sauste sie vorbei. Etwas später schritten sie zur Tat. Mitternacht war gerade vorüber. In Havanna schrieb man jetzt den 6. Mai 1595. Die meisten Bürger schliefen, und nur sehr wenige wußten, was sich jetzt auf der Reede abspielte. Die Nacht war lau und warm. Hoch über ihnen stand die Mondsichel, blinkten Sterne. An der Kimm standen ein paar
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Wolken, die sich kaum von der Stelle rührten. „Jetzt die Boote ins Wasser“, befahl Fiarro, „aber ohne Krach, damit die Franzmänner nicht geweckt werden. Die werden noch früh genug merken, was hier gespielt wird.“ Sechs Kerle schoben das erste Boot ins Wasser. Am Strand war leises Plätschern zu hören. Etwas später folgte das zweite Boot. Dann wurden die Riemen eingelegt. Die Stimmen der Küstenwölfe waren nur noch ein Flüstern. „Je fünf Boote für die Backbord- und Steuerbordseite“, sagte Fiarro. „Haltet die Enterhaken und die Waffen klar.“ „Die verdammten Kuhtreiber könnten eigentlich mithelfen, die Boote ins Wasser zu schieben“, sagte einer. „Aber die hocken nur am Strand und drehen Däumchen.“ „Laß sie, wir schaffen das schon allein.“ Das nächste Boot folgte. Die Maultiertreiber saßen da und rührten keinen Finger. Hinter ihnen scharrten die Mulis oder schnaubten im Gebüsch. „Das ist nicht unsere Sache“, sagte einer der Treiber behäbig. „Wir bleiben hier und warten ab. Später kriegen wir noch genug zu tun. Jeder hat seine Arbeit, wir die unsere und die Kerle die ihre.“ Inzwischen waren acht Boote im Wasser. Immer mehr Kerle stiegen ein und griffen nach den Riemen. In dem Boot, in dem der Anführer Fiarro hockte, befand sich auch die Leiche des Teniente. Sie hatten sie vorn quer über den Bug gelegt. Aber die Umrisse des Mannes waren deutlich zu erkennen. Die nächsten zwei Boote folgten. Wilde Gestalten hockten darin, die nur das eine Ziel vor Augen hatten, die Männer auf der französischen Galeone umzubringen und das Schiff zu plündern. In den Augen einiger Schnapphähne leuchtete die Gier. Sie rechneten sich schon aus, daß ihr Anteil diesmal erheblich größer ausfallen würde. Fiarro gab das Zeichen, als auch das letzte Boot im Wasser war und die Kerle klar bei Riemen hockten.
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Dann pullten sie langsam los und gingen seewärts mit nordöstlicher Richtung. Sie waren noch keine Kabellänge vom Strand entfernt, als Jean Ribault ein Aufklatschen im Wasser vernahm. Von Hutten und Roger Lutz hörten es ebenfalls überdeutlich. Ein paar Spritzer flogen hoch, dann pullten die Boote weiter seewärts. „Das war der Teniente“, sagte Jean Ribault leise. Sie mußten jetzt wieder leise flüstern oder raunen, denn die Maultiertreiber befanden sich nicht sehr weit von ihnen entfernt. Anfangs redeten sie auch kaum. Aber jetzt, nach dem Aufklatschen des Körpers, änderte sich das. Sie hatten sich weiter zum Strand hin in den Sand gesetzt und sahen den zehn Booten nach. Die Kerle erschauerten, als sie das Klatschen hörten. „Damit will ich nichts zu tun haben“, sagte ein Kerl mit grobem Gesicht und schmalen Augen, der eine Tätowierung auf der Brust hatte. „Das ist nichts für uns. Da fühle ich mich an Land doch wesentlich sicherer.“ Die anderen murmelten zustimmend. Nein, das war nichts für sie, draußen auf See zu plündern und zu morden. Sie zuckten erneut zusammen, als das Wasser an einer Stelle in Bewegung geriet. Erst war ein Strudel zu erkennen, dann begann das Wasser an jener Stelle zu kochen, wo gerade der tote Teniente über Bord gegangen war. Schaudernd sahen sie zu den Wasserwirbeln und Schaumstreifen, die wie aus dem Nichts entstanden. „Haie, pfui Teufel!“ sagte einer und zog angstvoll das Genick ein. „Jetzt holen sie sich den Toten.“ Nach kurzer Zeit, in der niemand ein Wort sprach, war das Brodeln im Wasser auch schon wieder vorbei. Das Meer glättete sich, danach herrschte wieder Ruhe. „Von dem Teniente wissen wir nichts“, sagte der Tätowierte. „Damit wollen wir nichts zu tun haben. Ich habe weder was gesehen, noch was gehört. Ich hab' überhaupt nichts gesehen - und ihr auch nicht. Wenn das rauskommt, zieht man uns
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die Hälse lang. Wir haben uns nur um die Maultiere zu kümmern, verstanden?“ Die Kerle nickten eingeschüchtert. Kein Mucks würde über ihre Lippen gelangen, wenn jemand nach dem Teniente fragen sollte. Der war weg, den hatten sie überhaupt nicht gesehen. „Wer zahlt denn nun für den Transport?“ fragte einer. „De Escobedo fällt ja wohl aus, weil das Zeug nicht in die Residenz gebracht wird.“ „Für uns ist Fiarro zuständig. Der wird das übernehmen und uns auch auszahlen.“ „Hoffentlich zahlt er nicht mit dem Messer“, befürchtete einer, „der Kerl ist verdammt schnell damit. Vor dem müssen wir uns vorsehen, sonst ergeht es uns wie dem Teniente.“ Jetzt, nachdem sie ihren ersten Schreck überwunden hatten, begannen sie zu palavern und herumzutönen. „Keine Sorge“, sagte der Tätowierte. „So dumm ist Fiarro nicht, daß er auf uns losgeht. Jetzt sind wir für den Transport zuständig, und das wissen die Halsabschneider genau.“ „Und wenn sie uns die Maultiere klauen oder einfach übernehmen? Dann sparen sie auch noch den Anteil für uns.“ „Erstens sind sie auf die Mulis angewiesen“, belehrte ihn der Tätowierte, „und zweitens kennen sie die Tücken und Bosheiten dieser Biester nicht. Wer die nicht kennt, ist aufgeschmissen.“ Jetzt grinsten sie alle, denn die Mulis hatten es wirklich in sich. Ja, wer sich mit den Tücken der Mulis nicht auskannte, war wirklich aufgeschmissen. „Die Mulis würden ihnen schon Manieren beibringen“, tönte ein anderer herum. „Die geben denen nur einen Tritt, und schon fliegen die Kerle bis zum Mond und wieder zurück.“ Offenbar malten sie sich in ihrer einfachen Phantasie aus, wie die Kerle zum Mond und wieder zurückflogen, denn jetzt grinsten sie alle und hatten wieder Oberwasser. So palaverten sie weiter, belauscht von den drei Männern, die sich über die Dummheit
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und das Geschwätz der Treiber amüsierten und erstaunt zuhörten. Inzwischen verschmolzen die Boote langsam mit der Dunkelheit. Hin und wieder war noch ein leiser Riemenschlag zu hören, als sie Kurs auf die französische Galeone nahmen. Etwas später war deutlich ein Fluch übers Wasser zu hören. Dann erklangen mehrere Flüche, diesmal schon lauter. Gleich danach wurde aus den Flüchen ein Gebrüll, das sich immer mehr steigerte. Die Maultiertreiber liefen näher zum Strand und starrten in die Dunkelheit. Aber sie sahen so gut wie nichts. „Was ist denn da los? Da muß doch was passiert sein!“ sagte einer voller Entsetzen. Die anderen zuckten nur mit den Schultern. Verwundert lauschten sie dem Gebrüll, das immer lauter wurde. Drei andere Männer aber grinsten. Sie kannten die Ursache für die Flüche und das Gebrüll. Jetzt begann für die Küstenwölfe der Kampf ums nackte Überleben. 7. Als Fiarro die Leiche des Teniente über Bord kippte, pullten die anderen weiter, als sei nichts geschehen. „Läßt sich heute verdammt schwer pullen, der Kahn“, fluchte einer der Kerle. Von Fiarro folgten daraufhin ein paar anzügliche Bemerkungen, die gewisse Frauenzimmer betraf, bei denen der Kerl sich offenbar total verausgabt hatte. „Das stimmt wirklich“, behauptete jetzt auch ein anderer. „Man könnte meinen, wir hätten noch ein Boot im Schlepp.“ „Ihr werdet zuviel gesoffen und rumgehurt haben“, sagte Fiarro. Als zwei weitere Kumpane das gleiche behaupteten, schüttelte er nur den Kopf. Merkwürdig, was mit den Burschen heute los ist, dachte er. Auf dem Boot, das dicht neben ihnen pullte und auf dem die Worte verstanden worden waren, gab ein weiterer Schnapphahn seinen Kumpanen recht. „Pullt sich, als hätten wir Blei geladen“, sagte er.
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„Vielleicht hast du Blei im Hintern“, sagte lachend ein anderer. „Weiter jetzt!“ rief Fiarro ärgerlich. „Und quatscht nicht so laut durch die Gegend. Wenn ihr so rumbrüllt, hört man uns auf der Galeone noch.“ Die Kerle schwiegen, aber nicht für lange. Zuerst war es Fiarro, der glaubte, irgendwo ein leises Gluckern zu hören. Mißtrauisch spitzte er die Ohren. „Das waren die Haie“, raunte ein Ruderer, „die haben jetzt den Teniente geholt und sich an ihm überfressen.“ Den Worten folgte mitleidloses rauhes Gelächter. Klar, die Haie, dachte Fiarro. Der Teniente war auf Tiefe gegangen, und jetzt waren sie zur Stelle und holten sich ihr Opfer. Er sah es noch im Meer brodeln und quirlen. „Verdammt noch mal, ich kriege nasse Knochen“, fluchte nach einer Weile ein Ruderer. „Da ist Wasser im Boot.“ „Wasser ist immer im Boot“, sagte Fiarro, „das hat nichts zu bedeuten. Vielleicht suppt der Kahn nur ein bißchen. Wir ösen es später aus.“ „Verflucht viel Wasser. Ich stehe mit den Gräten ja schon fast im Bach“, sagte der Mann ärgerlich. Fiarro trug fast als einziger Stiefel, daher bemerkte er auch nichts. Als jetzt die Kerle immer ärgerlicher wurden, lehnte er sich an die Pinne, bückte sich und tastete nach unten. Entsetzt stellte er fest, daß das Wasser bereits mindestens eine Handbreite über den Bodenbrettern stand. Hastig stand er auf. „Verfluchter Mist!“ schimpfte er. „Was ist denn da los? Der Kahn suppt ja zum Gotterbarmen.“ Das Wasser stieg ziemlich rasch, wie sie anfangs erstaunt, dann aber immer entsetzter erkannten. Jetzt spiegelte sich das Wasser im Boot schon im Widerschein der Mondsichel. In Fiarros Boot war das Wasser schneller eingedrungen. Das lag daran, daß es durch den toten Teniente stärker belastet war als die anderen Boote.
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Der Anführer stieß einen weiteren Fluch aus. Diesmal war es ihm egal, ob man es auf der Galeone hörte oder nicht. Die Kerle hörten auf zu pullen und starrten sich an. „Unser Boot ist leck!“ rief ein Kerl von der anderen Jolle. „Wir kriegen nasse Füße. Da stimmt doch was nicht.“ Jetzt erklangen weitere Flüche. Auch auf dem zweiten Boot wurde das Pullen eingestellt. „Reißt die Bodenbretter los und seht nach“, befahl Fiarro. „Und beeilt euch damit, sonst saufen wir ab.“ Die Schnapphähne wurden jetzt immer nervöser und aufgeregter. Von Disziplin oder Ruhe war keine Rede mehr. Sie sahen nur, daß das Wasser schon wieder gestiegen war und gerieten in Panik. In aller Eile wurden die Bodenbretter angelüftet. Dabei waren sie sich gegenseitig im Weg und behinderten sich. Alle fingen an zu fummeln und nach dem Leck zu suchen, doch sie taten es gleichzeitig, und so fanden sie erst recht nichts. Einer grapschte nach den Händen des anderen. Es hagelte Flüche und Püffe. Das Boot begann bedrohlich zu schwanken. „Teufel noch mal, irgendwo muß doch ein Leck sein!“ brüllte der Anführer und begann jetzt selbst nervös und aufgeregt zu fummeln. Sie wurden noch hektischer, als auch von den anderen Booten üble Flüche herüberklangen. Dort herrschte die gleiche Situation. Überall drang Wasser in die Boote, das schnell höher stieg und die Kerle in Angst und Schrecken versetzte. Weit voraus lag die Galeone, aber die war jetzt genauso unerreichbar fern wie der Strand. Als sie das erkannten, war es mit der restlichen Beherrschung endgültig vorbei. Ein paar Kerle, die nicht schwimmen konnten, brüllten sich die Kehlen heiser. Die anderen, die schwimmen konnten, brüllten ebenfalls, denn sie dachten an die Haie, die es hier in Massen gab. Gerade eben noch hatten sie sich den Teniente geschnappt. Und sie waren höllisch schnell
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zur Stelle gewesen. Überall rissen sie jetzt voller Panik die Bretter heraus und begannen mit den Händen zu suchen und zu stochern. Die Panik ließ alle Bemühungen hoffnungslos werden, denn jeder wollte das Leck finden, und so drängten sie sich hart zusammen. Auf dem einen Boot, wo sich Pablo und Cucaracha befanden, stieg das Wasser bereits bis dicht unter die Ducht. Der Kakerlakenmann konnte nicht schwimmen, obwohl er das vorher immer behauptet hatte. Jetzt hatte er nur noch Angst, mit dem Boot abzusaufen. Dann würden sich andere Kerle an ihn klammern, und er würde wie ein Stein im Meer absacken. Gehetzt sah er sich nach allen Seiten um. Die Kerle um ihn herum brüllten und tobten, warfen die Bodenbretter ins Wasser, schrien voller Panik und waren sich gegenseitig im Weg. Cucaracha sprang einfach über Bord. Er hielt sich mit einer Hand die Nase zu, wie er mal bei einem anderen gesehen hatte, und hüpfte mit einem erstickten Schrei außenbords. Er war kaum im Wasser, als er zu zappeln und zu brüllen begann und in heller Panik nach allen Seiten um sich schlug. „Der Idiot lockt die Haie an mit seinem Gezappel!“ brüllte ein ebenfalls in Panik geratener Kerl. Er ergriff den Riemen und drosch ihn dem Kakerlakenmann mit aller Kraft über den Schädel. Cucaracha sackte weg und ging auf Tiefe. Der andere Kerl verlor durch den heftig geführten Schlag das Gleichgewicht und fand sich einen Lidschlag später ebenfalls im Wasser wieder. Jetzt war er es, der zappelte, schrie und um Hilfe brüllte. Natürlich half ihm niemand. In dieser Situation war sich jeder selbst der Nächste. Die erste dreieckige Flosse durchschnitt rasendschnell das Wasser. Es dauerte nicht lange, dann war der zweite Hai zur Stelle. Der Kerl im Wasser schlug noch heftiger um sich. Sein Geschrei mußte bis zum Hafen zu hören sein. Dann brach es abrupt und in höchster Tonlage ab. Im Wasser entstand ein wilder kochender Wirbel, eine Blase brach auf,
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die blubbernd zerplatzte. Das Wasser färbte sich dunkel. Auf dem Schauplatz erschienen weitere Haie. * Auf der französischen Galeone herrschte zwar absolute Stille, und es sah so aus, als sei wirklich niemand an Bord. Aber das Schiff war gefechtsbereit. Hinter den Schanzkleidern lauerten mit Musketen, Tromblons und Pistolen bewaffnete Männer. Andere standen an den geladenen Kanonen. Sie brauchten nur die Stückpforten hochzuziehen und die Rohre auszurennen. Das würde innerhalb kürzester Zeit geschehen. Aber Kapitän Giraud gab den Befehl nicht. Er stand mit seinem Ersten Offizier auf dem Achterdeck. Beide blickten durch das Spektiv. Schon seit einigen Stunden hatten sie den Strand beobachtet und gesehen, daß immer mehr Kerle auftauchten, bis sie schließlich die Boote ins Wasser schoben. Als die Boote sich näherten, wollte Giraud den Befehl geben, die Stückpforten hochzuziehen. Aber dann hörte er deutlich einen lauten Fluch über das Wasser schallen und zögerte noch. „Jetzt geht es los”, sagte Giraud heiser. „Es wird genau das eintreten, was der Monsieur gesagt und versprochen hat. Scheint, als würde in dem einen Boot das Wasser steigen, es sackt immer tiefer.“ Der Erste sagte gar nichts. Er umkrampfte das Spektiv und blickte auf die Umrisse der Gestalten in den Booten. Er sah, daß die meisten Kerle das Pullen einstellten, sich voller Panik bückten und Grätings oder Bodenbretter über Bord warfen. Ihm war auch nicht entgangen, daß schon vorher jemand über Bord geworfen worden war. Jetzt wurde das Geschrei immer lauter, wilder und hysterischer. „Die ersten gehen über Bord“, sagte er. „Sie springen voller Panik ins Wasser.“
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Ein Mann versank gurgelnd im Wasser, ein anderer hieb ihm noch einen Riemen über den Schädel. „Wie die Tiere“, sagte Giraud, „niemand hilft dem anderen. Das ist typisch für diese Halunken.“ Als auch der zweite und dritte über Bord sprangen, sackten ein paar Boote immer tiefer. Dann erklang ein in Todesangst ausgestoßener Schrei, der den Kapitän zusammenzucken ließ. „Haie“, sagte er tonlos. „Die werden ein Massaker unter den Kerlen anrichten.“ „Haben Sie Mitleid mit den Halunken, Kapitän?“ „Nein“, sagte Giraud hart. „Mitleid ist hier fehl am Platz. Die Kerle hätten uns umgebracht, wenn uns dieser Monsieur nicht geholfen und gewarnt hätte. Sie haben ja auch die nichtsahnenden Portugiesen kaltblütig ermordet. Aber es ist ein schrecklicher Tod, mitten unter Haien zu sein und von ihnen zerrissen zu werden.“ „Das ist das Risiko der Schnapphähne und Halsabschneider“, sagte der Erste achselzuckend. „Wie heißt es doch so schön? Jeder empfängt das, was er verdient hat.“ An einer Stelle kochte und brodelte das Wasser. Sie sahen die Haie zwar nicht durch das Spektiv, aber sie bemerkten wild um sich schlagende Gestalten im Wasser, hörten das Gebrüll und sahen die Schaumwirbel, wenn die Haie sich ihre Opfer holten. „Hier ist man wirklich seinen Lebens nicht mehr sicher“, sägte der Erste. „Ohne den Monsieur Wären wir jetzt geentert worden, denn darauf waren wir nicht vorbereitet.“ „Ja, diesem geheimnisvollen Mann haben wir sehr viel zu verdanken. Ich hoffe, er begegnet mir noch einmal.“ Angewidert und schaudernd sahen sie zu, wie sich das Drama zum tödlichen Finale steigerte. * Fiarro war jetzt ebenfalls von wilder Panik ergriffen, als das Boot tiefer und tiefer
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sackte. Hier war nichts mehr zu machen, sie soffen ab, das war endgültig. Und im Wasser lauerten die Haie. Einer der Kerle fing laut an zu beten. Er kniete auf der Ducht und rang kreischend die Hände. „Das ist die. Strafe des Herrn!“ brüllte er. „Geht in euch, Brüder und werdet brave Menschen! Hilf mir, Herr im Himmel!“ schrie er. ”Laß mich nicht. ersaufen! Du weißt doch, daß ich nicht schwimmen kann!“ Sein Beten half ihm allerdings nichts. Vielleicht hätte er schön vor etlichen Jahren damit anfangen sollen. Das Boot sackte langsam weg. Zwei Kerle, die absolut nicht ins Wasser wollten, klammerten sich mit aller Kraft an den Duchten fest und verkrampften sich. Fiarro sah sich wieder gehetzt um. Da war noch ein Boot ganz in der Nähe, das noch nicht so tief im Wasser lag. Die Kerle griffen nach den Riemen und drehten das Boot. Sie wollten wieder zum Land zurück. Aber auch sie waren von wilder Panik erfaßt und hieben die Riemen wild und hektisch ins Wasser. Aber da war kein Takt mehr drin, da gab es keinen gleichmäßigen Schlag. Sie droschen die Riemen in ihrer grenzenlosen Angst wahllos ins Wasser. „Hierher!“ brüllte Fiarro. „Holt mich ab, wir gehen unter!“ Er war zwar der Anführer, vor dem nie alle Respekt hatten, aber. jetzt hörte niemand auf ihn. Sie wollten nur noch weg. „Hierher!“ brüllte er verzweifelt. „Ihr Hundesöhne sollt augenblicklich umkehren!“ Die Hundesöhne hörten und sahen immer noch nichts. Das einzige, was sie sahen, waren die Haie, die jetzt in ganzen Rudeln herbeipfeilten und mitten unter die über Bord Gefallenen stießen. Im Wasser tobten die Kerle herum und lockten mit ihrem Geschrei und Gezappel immer mehr der gefräßigen Raubfische an. Als Fiarro sah, daß niemand auf ihn hörte, griff er in sein Bandeifer. Jähzorn und wilde Wut übermannten ihn.
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Voller Haß schleuderte er sein Messer hinüber. Einer der Ruderer schrie gellend auf. Er ließ den Riemen fahren und warf die Arme hoch. Dann sackte er auf der Ducht zusammen und kippte seitlich über Bord. Mit einem lauten Aufklatschen verschwand er im Wasser. Fiarro schleuderte das zweite Messer - und traf trotz der Dunkelheit. Voller Zorn und hilfloser Wut sah er zu, wie ein zweiter Kerl lautlos zusammenbrach. „Ihr Bastarde!“ kreischte er. „Ihr verdammten Bastarde! Der Teufel soll euch alle holen!“ In diesem Augenblick blubberte das Boot ab und ging auf Tiefe. Die beiden Kerle, die sich schreiend in die Duchten verkrallten, wurden mitgerissen und gingen unter. Ihr Brüllen brach ab, als das Wasser über dem Boot zusammenschlug. Fiarro schrie jetzt ebenfalls. Er schwamm ein paar Züge und versuchte verzweifelt und brüllend, das noch intakte Boot zu erreichen. „Hier bin ich!“ schrie er. „Hier, ganz in der Nähe! Nehmt mich an Bord, ihr Hurenböcke!“ Auf dem Boot aber befanden sich Pablo und Zombie. Noch vor einigen Stunden hatten sie zusammen gesoffen und den restlichen Tag mit den Huren von Havanna verbracht. Da waren sie noch dicke Freunde gewesen. Jetzt war davon nichts mehr zu bemerken. Sie ließen ihren Anführer und Kumpan eiskalt im Stich, um das eigene Leben zu retten. Sie bewahrten auch noch so viel Kaltblütigkeit, daß sie die beiden Toten blitzschnell über Bord kippten, um das sinkende Boot zu leichtern. So konnten sie sich länger halten und vielleicht doch noch den Strand erreichen, wie sie hofften. Da griff eine triefnasse Hand über das Dollbord. Fiarro hatte es in einem verzweifelten Spurt erreicht und wollte sich hochziehen. Als sein Schädel auftauchte und das Boot zu schwanken begann, holte Zombie mit dem Riemen aus. Er schlug so hart zu, daß der Riemen zersplitterte.
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„Das war Fiarro“, sagte Pablo, als die Hand sich vom Dollbord löste und der Kopf unter Wasser verschwand. „Na und? Soll ich mich wegen des lausigen Kerls von den Haien fressen lassen? Dann sollen sie lieber ihn vernaschen. Leg dich jetzt in die Riemen, sonst saufen wir ab. Wir haben noch gute Aussichten, den Strand zu erreichen.“ Als er das gesagt hatte, sprang in dem Boot eine Fontäne hoch. Ribault hatte das Hanfwerg wohl etwas zu fest hineingestopft. Jetzt löste es sich wie ein Korken. Immer schneller stieg das Wasser. Pablo hatte ebenfalls längst die Bodenbretter hochgenommen. Jetzt wühlten er und noch zwei weitere Kerle aufgeregt mit den Händen im Wasser, um das Leck abzudichten. „Nimm deine Knochen weg, du Idiot!“ fuhr Pablo den einen an. Auch sie behinderten sich gegenseitig, fummelten, fluchten und sahen entsetzt, wie ihre Kumpane in den anderen Booten absoffen. Eins nach dem anderen ging unter. Jetzt befanden sich noch drei Boote auf dem Wasser. Die anderen waren auf Tiefe gegangen und für immer verschwunden. Voller Panik versuchten die Kerle in den drei Booten den Strand zu erreichen. Aber der war noch weit entfernt und nur als schmaler dunkler Streifen zu erkennen. Weil jeder so schnell wie möglich vorankommen wollte, wiederholte sich auch hier das gleiche Spiel. Sie hieben und droschen wahllos die Riemen ins Wasser. Eins der Boote drehte sich ständig im Kreis, wobei es immer mehr absackte. Was die Kerle so nervte, das waren die Haie, die wie wilde Bestien immer wieder angriffen und ihre Opfer zerfetzten. Dazu kam das wilde, verzweifelte und panikartige Geschrei. Jeder der Kerle versuchte, sich an eins der Boote zu hängen, doch die Haie waren schneller. Die gierigen Räuber mit ihren messerscharfen Zähnen witterten Blut, und das ließ sie zu rasenden, um sich beißenden Bestien werden. Um sie her kochte und brodelte die See.
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Dann kam auch für Pablo, Zombie und die beiden anderen Kerle das grausame Ende. Sie hatten eine blutige Spur durch ihr Leben gezogen. Diesmal waren es die Haie, die eine blutige Spur zogen. Als das Boot absackte und sie im Wasser trieben, waren die Räuber bereits zur Stelle. Pablo fühlte, wie etwas rauh und hart an seinen Körper stieß, an ihm entlangschrammte und ihn blutig riß. Er begann zu schreien und zu toben, schlug wild um sich und klammerte sich mit letzter Kraft an Zombie. Beide rangen im Wasser um ihr Leben, der eine an den anderen geklammert, als wollte er ihn nie mehr loslassen. Als der Hai ein zweites Mal heranschoß, spürten beide nur noch einen heftigen Schmerz. Pablo schrie nicht mehr, er hatte ausgelitten. Der Mulatte stieß ihn von sich, dann schnappte ein gieriges Maul nach seinem Bein und riß ihn in die Tiefe. Inzwischen sackten auch die beiden anderen Boote ab, nachdem sie vollgelaufen waren. Zehn Boote hatte jetzt die See geschluckt. Und etwa ein Dutzend Kerle trieben noch im Wasser. Aber sie hatten keine Chance mehr. Die Haie waren schneller. Überall brodelte das Wasser, als sei ein unterseeischer Vulkan ausgebrochen. * Als die ersten Schreie erklangen, waren die Maultiertreiber entsetzt aufgesprungen und bis dicht ans Wasser gelaufen. Schaudernd sahen sie, was sich da anbahnte. Die Mondsichel schickte einen dünnen Streifen Licht über das Meer. Es glitzerte ein wenig, aber es war hell genug, daß sie erkennen konnten, was sich da draußen abspielte. Aufgeregt rannten sie am Strand entlang und wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück.
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Der tätowierte Anführer der Treiber vergaß vor Schreck, Luft zu holen. Er stand nur da und stierte. „Die saufen alle ab“, sagte er schaudernd. „Wie ist das nur möglich?“ Ratlos standen sie am Strand, als die ersten Boote untergingen und das Geschrei zu einem Höllenspektakel wurde. Als dann die ersten Haie auftauchten und sich ihre Opfer holten, wurde das Entsetzen immer größer. Kreischende Männer tobten im Wasser herum. Sie schrien sich vor Angst die Kehlen heiser. Die Treiber waren vor Entsetzen wie gelähmt. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Ihr Anführer drehte sich voller Angst um und starrte die Männer an. „Weg hier!“ keuchte er, von namenlosem Grauen erfüllt. „Los, nehmt die Mulis! Wir verschwinden, sonst holen uns die Biester auch noch.“ Die restlichen Kerle ließen sich das nicht zweimal sagen. Ihnen allen flatterten die Hosen. Sie hatten panische Angst. Einige glaubten tatsächlich, die Haie würden sie auch noch verschlingen. Sie rannten wie aufgescheuchte Hühner ihrem Anführer nach, zerrten die Mulis aus dem Gebüsch und ergriffen die Flucht. Ihr Jammern und Geschrei war noch eine Weile zu hören, auch das laute Trappeln der Hufe. Dann waren die Kerle verschwunden, als hätte sie der Erdboden verschluckt. Hinter ihrer Deckung erhoben sich die drei Männer. Auch sie blickten über das Wasser. Außer ihnen befand sich niemand mehr am Strand. Das Schreien auf See verklang und wich einer beängstigenden Stille. „Das war's“, sagte Jean leise, als könne ihn einer von den Küstenwölfen hören. „Das Massaker wird niemand überlebt haben.“ „Ganz sicher nicht“, meinte von Hutten. „Jetzt wird sich der ehrenwerte Senor Gouverneur neue Lumpenhunde suchen müssen, falls ihm die Lust darauf nicht vergangen ist.“ „Er wird auch heute nacht in seiner Residenz vergeblich auf den Transport
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warten“, sagte Jean. „Und das wird ihn mit tiefer Unruhe und Besorgnis erfüllen.“ Der letzte Schrei war längst verklungen. Das Wasser hatte sich wieder beruhigt, und es hatte den Anschein, als sei hier überhaupt nichts vorgefallen. Roger Lutz deutete zu den Wachschaluppen hinüber, die vor der Hafeneinfahrt ankerten. „Keine Reaktion von den Kerlen, obwohl ich sicher bin, daß sie alles genau beobachtet haben. Sie rühren sich nicht. Sie haben wieder mal nichts gesehen und nichts gehört. Aber von ihnen wird der hohe Herr sicher erfahren, was hier vorgefallen ist. Nur wird er da eine harte Nuß zu knacken haben.“ „Gehen wir wieder zurück“, sagte Jean. „Es ist möglich, daß die Gardisten hier
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aufkreuzen, die den Transport übernehmen sollten. Dann ist es besser, wir sind wieder an Bord. Auch wir haben nichts gesehen und nichts gehört.“ „Für die Küstenwölfe war das jedenfalls buchstäblich ein Schlag ins Wasser“, sagte Karl von Hutten. „Sie werden niemanden mehr überfallen und ermorden. Wenigstens hat das ein Ende.“ Sie gingen wieder zurück, diesmal auf einem Umweg, um niemandem zu begegnen. Etwas später erreichten sie unauffällig den Hafen und gingen an Bord. Es war schon fast drei Uhr morgens, als sie Renke Eggens und den anderen Bericht erstatteten...
ENDE