Dr. No 04 - Laborratten von W. A. Hary ISBN: 3-8328-1266-0
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Er gab ihr ein Zeichen: »Machen Sie ihn gefügig, Kareen! Wir sollten uns von ihm nicht alles gefallen lassen. Schließlich sind wir am längeren Hebel!« Sie drückte auf einen Knopf - und setzte damit die Elektroden an Armen und Beinen unter Strom. Kein Wunder, daß es mich an den Elektrischen Stuhl erinnert hatte. Es war einer! Gleichzeitig senkte sich eine Haube auf mich herab, ähnlich wie beim Friseur. Nur war in dieser Haube sicherlich nichts zum Haaretrocknen untergebracht. Ich hätte gern meinen Kopf zur Seite gebogen, aber die Wellen von Schmerz, die meinen Körper durchzuckten, machten es unmöglich. Mühsam unterdrückte ich ein anhaltendes Stöhnen. »Stärker!« befahl Armstrong ungerührt. Er bleckte die Zähne wie ein Raubtier kurz vor dem Biß. Ich schrie auf. »So ist das schon besser!« kommentierte Armstrong grinsend. »Schauen Sie sich an, wie die Muskeln spielen. Der Strom läßt seinen Körper aufbäumen. Wie bei einem wilden Tier. Sind Sie nicht mit mir einer Meinung? So etwas habe ich noch niemals bei einem Menschen gesehen. Er hat eigentlich wenig Menschliches an sich, finde ich: Ein wildes Tier, das niemand gezähmt hat, ausgestattet mit einem reinen Kampfverstand. Nur zum Töten nütze. Oh, Dr. No, ich sehe unseren gemeinsamen Weg schon vor mir: Sie werden meine Kreatur sein. Genauso wie Stone es am Telefon gesagt hat. Nur nahm er es vorweg. Sie werden meine Kreatur sein. Ein Ausführer. Ich werde die Befehle geben, Dr. No. - Hören Sie mich überhaupt noch?« Ich spürte schwarze Schatten, die mit eisigen Krallen nach meiner Seele griffen, um sie mir zu entreißen. Die Stimme des Professor rückte scheinbar ab in weite Ferne. Und dann wurde der Strom wieder abgeschaltet. Mein Fleisch glühte, meine Nerven vibrierten. Kalter Schweiß bedeckte meinen Körper. Ein wenig stärker noch, und es hätte mich umgebracht: Armstrong hätte mich am lebendigen Leib geröstet. Ich schielte nach dem roten Knopf, den die Forbess vorhin gedrückt hatte. Würde sie ihn wieder drücken? »Wer hat Ihnen erlaubt, den Strom abzuschalten?« herrschte Armstrong sie an. »Sie haben damit ein wichtiges Experiment gestört. Ich wollte herausfinden, wie widerstandsfähig dieser Tiermensch ist. Und jetzt geht das nicht mehr!« Sie schlug die Augen nieder. Dabei zitterte sie so stark, daß ich befürchten mußte, sie würde jeden Augenblick zusammenbrechen. Was war los mit ihr? Armstrong war so zornig, daß er gar nicht bemerkte, in welchem Zustand sie sich befand. Er gab ihr einen Stoß, daß sie rückwärts zur Wand taumelte. Dann griff er nach dem turbanähnlichen Kopfverband und löste ihn mir vom Schädel. »So lange Sie auf diesem Stuhl festsitzen, kann ich die Elektrode lösen und auch den Draht entfernen. Es ist unangenehm, Dr. No, ganz bestimmt, aber ich werde nachher noch einige andere Drähte in Ihren Schädel versenken. Damit werde ich ein paar sehr unterschiedliche Copyright 2001 by readersplanet
Gehirnsektoren erreichen und leicht erregen. Mal sehen, was dabei herauskommt. Ich habe Ihr Gehirn zwar schon ausgiebig mit dem Spinographen studiert und dabei Abnormitäten festgestellt, aber...« Er unterbrach sich, konzentrierte sich Sekunden stärker auf die Elektrode und nahm sie vorsichtig ab. »Jetzt der Draht!« Es war nicht einfach nur ein Schmerz. Es war, als hätte er gerade meine Schädeldecke aufgeklappt, wie den Deckel einer Bierdose, und würde jetzt in meinem Gehirn herumrühren. Mein Körper begann zu zucken. Das war auch wie kräftige Stromstöße, die durch meine Glieder rasten. Ich konnte es nicht unterdrücken. »Ah, das ist ja interessant - diese Reaktion. Habe ich es mir doch gleich gedacht. Jeder Gehirnsektor übernimmt teilweise die Aufgaben von anderen Gehirnsektoren.« Ich schrie wieder mal wie am Spieß. Keine Folter hätte schlimmer sein können. Die Schmerzen wurden so unerträglich, daß ich fast darüber das Bewußtsein verlor. Und nachher wollte Armstrong gleich mehrere Drähte in meinen Schädel treiben? Ich wußte jetzt, wie sich ein Versuchstier fühlen mußte. Da war jeder Tod eine wahre Erlösung. Aber Armstrong würde schon aufpassen, daß sein Versuchsmensch keinen größeren Schaden nahm... Er murmelte ein paar medizinische Fachausdrücke vor sich hin, die ich nicht verstand. Man nannte mich zwar Doktor, aber ich war sicherlich kein Arzt - niemals gewesen... Sonst hätte ich doch mit diesen Ausdrücken etwas anfangen können, nicht wahr? Endlich schloß er die Prozedur ab. Wir waren nicht allein im Experimentierraum. Wieviele Menschen waren hier schon gefoltert worden - im Dienste der Wissenschaft, wie Armstrong es nennen würde? Die drei Polizisten gehörten offenbar zu meiner ständigen Leibwache. Sie waren wieder alle drei anwesend. Außerdem gab es noch einen Krankenpfleger, der sich mehr im Hintergrund hielt: Ein bärbeißiger Kerl mit stumpfen Augen. Einer, der Denken gewiß für völlig überflüssig hielt. Und natürlich Dr. Forbess. Als ich Professor Armstrong wieder einen haßerfüllten Blick zuwerfen wollte, stieß sie sich gerade von der Wand ab. Ihr Augen waren auf einmal blutunterlaufen. Plötzlich hatte sie ein Skalpell in der Rechten. Wo hatte sie es her? Aus ihrem Kittel? Keiner achtete auf sie, außer mir. Und ich hatte absolut nicht den geringsten Grund, den Professor zu warnen. Ganz im Gegenteil. Fast genüßlich wartete ich darauf, daß sie endlich in die Tat umsetzte, was jetzt ihre Sinne beherrschte. Sie schlich sich näher. Um ihre Mundwinkel zuckte es. Sie war kreidebleich. Kareen Forbess zitterte nicht mehr. Sie war ruhig und bewegte sich mit mörderischer Präzision. Wenn nicht noch etwas Unvorhergesehenes geschah, würde sie Armstrong das Skalpell in den ungeschützten Rücken rammen. Schon hob sie den Arm mit der Waffe. Und da geschah tatsächlich etwas Unvorhergesehenes - in der Gestalt des Pflegers, der sich zurückgehalten hatte. Er war nicht so abgelenkt wie die anderen. Mit einem mächtigen Sprung, den ich ihm niemals zugetraut hätte, war er bei ihr und wollte ihr das Skalpell entreißen. Doch der tödliche Haß verlieh der Ärztin ungeahnte Kräfte. Copyright 2001 by readersplanet
Ich verzieh ihr glatt die Pein, die sie mir durch die Elektroschocks zugefügt hatte. Sie hatte so handeln müssen. Im Auftrag. Und jetzt tat sie alles, um sich von diesem Zwang zu befreien. Professor Armstrong ließ einen erstickten Laut hören. Er sprang zur Seite und flüchtete zum Ausgang. Dr. Kareen Forbess fauchte wie eine Raubkatze, behielt ihr Skalpell und - benutzte es auch. Verdammt, ich mußte unwillkürlich in eine andere Richtung sehen, denn es war grauenvoll. Der Mann in Pflegerkleidung brüllte schrecklich und taumelte zurück. Er preßte beide Hände vor das Gesicht und brach zu meinen Füßen zusammen. Die drei Polizisten zogen ihre Pistolen und richteten sie auf Kareen Forbess. Sie ließ sich davon nicht beirren, sondern löste blitzschnell eine der Schnallen, die mich fesselten. Mein linker Arm kam frei. Da schoß der eine Polizist. Der Pfleger schrie nicht mehr. Kareen Forbess wollte sich mit dem Skalpell auf die Polizisten stürzen. Auf halbem Weg sank sie in die Knie. Sie spuckte Blut. »Wie - wie lange war ich in seiner Gewalt?« ächzte sie mühsam. Sie brauchte alle Kraft, sich mir zuzuwenden. »Der Schock, als Sie im Krankenhaus von dem Killer - überfallen wurden... Da hat sich etwas - in - meinem Kopf gelöst... Ich habe erkannt, ich war nur seine Marionette... Wie die anderen... Verhindern Sie...« Es waren ihre letzten Worte. Ich sollte Armstrong aufhalten? Ausgerechnet ich, der ich mich in einer solchen Situation befand? Ja, wie denn überhaupt, um alles in der Welt?
* Sie starb vor meinen Augen und ohne daß ich es verhindern konnte. Zwei Menschen innerhalb von wenigen Sekunden... Nur den Richtigen hatte es verschont: Professor Armstrong! Ich hätte jetzt blitzschnell die übrigen Schnallen öffnen können, aber was hätte es mir gebracht? Die drei Polizisten waren bewaffnet. Sie wichen vor mir zurück und hielten mich in Schach. »Nur keine falsche Bewegung!« riet mir der Mordschütze. Daß er keinerlei Skrupel kannte, wenn es um das Töten von Menschen ging, hatte er soeben hinreichend bewiesen. Ich hatte keine Lust, ihn erneut und auf meine Kosten auf die Probe zu stellen, und verhielt mich lieber abwartend. Ein anderer näherte sich mir vor der Seite. Er behielt die Waffe in der Faust und streckte die freie Hand aus, um die Schnalle wieder zu schließen, die Dr. Forbess geöffnet hatte. Der dritte Cop ging zur Tür und streckte den Kopf hinaus. »Professor Armstrong!« Mein Arm lag noch auf der Lehne. Er hatte sich keinen Millimeter von der Stelle gerührt. Der Cop war anscheinend überzeugt davon, daß ich in seinem Sinne vernünftig blieb. Aber ich hatte es mir längst anders überlegt.
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Kaum berührte seine Hand die Schnalle, war sie nahe genug: Ich packte zu und riß den Cop über mich. Sein Kollege schoß reflexartig, traf jedoch nicht mich, sondern den Cop. Der machte eine sinnlose Abwehrbewegung, die ihm nicht das Leben retten konnte. Und ich löste die zweite Schnalle. Der nächste Schuß traf mich ebenfalls nicht. Ich stieß den Sterbenden mit aller Kraft von mir und auf den Mordschützen zu. Der riß unwillkürlich die Arme hoch und vergaß zu schießen. Er wich rückwärts aus und geriet dabei in die Schußlinie des Kollegen an der Tür. Der konnte dadurch keinen gezielten Schuß anbringen und fegte ihn beiseite. Ich bückte mich soeben und löste die Beinschnallen. Der Schuß, der mir gegolten hatte, stanzte ein Loch in den Elektrischen Stuhl. Ich hatte mich gerade rechtzeitig gebückt. Es rettete mir das Leben. Ohne zu zögern, hechtete ich zur Seite - um der nächsten Kugel zu entgehen. Ich war frei von den Fesseln und mußte es nutzen. Vor mir lag das Skalpell von Dr. Forbess. Eine Kugel prellte es weg und heulte als Querschläger davon. Ich verschwand mit einem Hechtsprung hinter dem Elektrischen Stuhl. »Raus!« brüllte der Cop an der Tür. Das brauchte er seinem Kollegen nicht zweimal zu sagen. Sie rannten nach draußen und schlugen hinter sich die Stahltür zu. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß.
* Es begann leise zu zischen. Erst dachte ich, es würde nur von links kommen, aber dann erklang es aus allen Richtungen gleichzeitig. Ich schnupperte unwillkürlich: Gas! Ein Lautsprecher knackte: »Keine Bange, Dr. No, es ist nicht tödlich. Schließlich brauche ich Sie noch für meine Experimente, nicht wahr?« Es klang gehässig. »Jetzt sitzen Sie zwar nicht mehr auf dem Elektrischen Stuhl, dafür aber in der Gaskammer!« »Ha, ha!« machte ich mit ernstem Gesicht. »Wenn ich Zeit habe, lache ich!« Suchend schaute ich mich um. Klar, ich würde hier nicht ausbrechen können. Das hatte ich begriffen. Aber ich würde etwas anderes anstellen... In der Ecke stand eine schwere Bahre. Ich packte sie und hieb damit auf den Elektrischen Stuhl ein. Schon beim ersten Mal bekam er leicht Schlagseite. Beim zweiten Mal begann die schwere Bahre, sich zu verbiegen. Der dritte Schlag ließ Funken aus der Haube sprühen. »Was tun Sie denn da?« erkundigte sich Professor Armstrong mit schriller Stimme. »Ich mache alles kaputt!« antwortete ich wahrheitsgemäß. »Nein!« »Doch!« beharrte ich stur und schlug zum vierten Mal zu. Es knatterte aus der Haube: Eine ganze Serie von Kurzschlüssen. Das Licht begann zu flackern. »Sie dürfen das nicht tun!« flehte Armstrong. »Die - die Geräte sind so unvorstellbar wertvoll - und unersetzlich!« »Und ich erst!« Copyright 2001 by readersplanet
Der fünfte Schlag - und die Bahre brach entzwei. Machte nichts, denn die verbleibende Hälfte genügte mir vollkommen. Ich schlug damit alles kurz und klein, im wahrsten Sinne des Wortes. Stichflammen schossen aus Kabeln. Ich mußte höllisch aufpassen, um nicht unter Strom zu geraten. Derweil wurde der Gasgeruch immer intensiver. Die Sinne schwanden mir. »Noch ein wenig mehr von diesem Gas!« bat ich Armstrong spöttisch. »Das motiviert mich erst richtig, meine Zerstörungsarbeit fortzusetzen.« »Das werden Sie mir büßen!« heulte er. »Wie denn wohl, Professor? Ich glaube kaum, daß es dabei noch schlimmer kommen könnte als Sie es ohnedies schon planten, nicht wahr?« Ich riß den Elektrischen Stuhl - oder besser gesagt das, was davon übriggeblieben war - aus seiner Verankerung. Diese gewaltige Anstrengung kostete mich viel Kraft und natürlich auch viel Sauerstoff. Ich japste nach Luft, aber meine Lunge füllte sich leider nur stärker mit Betäubungsgas. Mitsamt dem Elektrischen Stuhl kippte ich um. Ich fiel auf den Boden, und dort war die Luft noch einen Deut besser. Ein letztes Mal kam ich zu mir. Aus dem Boden ragten lauter blanke Drähte mit blanken Enden. Ich nahm den kläglichen Überrest der Totenbahre, die fast völlig aus Metall bestand, und warf ihn auf die Drähte. Das Licht fiel prompt aus. Ich sah noch im Entladungsblitz, daß Metall schmolz. Es stank gotterbärmlich. War das durch die elektrischen Entladungen oder vom Gas? Das konnte ich nicht mehr entscheiden, denn das Bewußtsein schwand jetzt unwiderruflich. Mein Geist sickerte hinüber ins absolute Vergessen.
* Captain Stone war zwar ein ausgezeichneter Autofahrer, der zudem einige Tricks beherrschte - wahrscheinlich hätte er sein Brot genauso gut als Stuntman beim Film verdienen können -, aber für einen Beifahrer war das keineswegs ein Vergnügen. Sheila stand tausend Todesängste aus, bis Stone endlich verkündete, daß sie quasi ihr Ziel erreicht hätten: Armstrong-Klinik! Sheila sah nichts, was auf eine Klinik hinwies: Eine herrliche Umgebung. Gepflegtes Parkgelände, dicht bewaldet und mit englischem Rasen dazwischen und vereinzelten Ruhebänken. Das einzige, was die Idylle erheblich störte, war die hohe Mauer mit dem Stacheldraht obendrauf und das stabile Gitter am Tor. Ein Schild hing daran: »Vorsicht, elektrisch geladen!« »Niedlich!« kommentiert Sheila trocken. »Die Klinik liegt mitten im Parkgelände«, erläuterte Captain Stone. »Sie gleicht eher einem englischen Schloß mit Nebengebäuden als einem Hospital. Das ist auch kein Wunder, denn es hat einmal einem stinkreichen Engländer gehört, der englische Lebensart in Chicago einführen wollte - wenigstens für sich und seine Familie. Leider hat er sich zuviel um seine Lebensart gekümmert und zu wenig um die Geschäfte. Der arme Teufel hat irgendwann die Kugel genommen. Seine Hinterbliebenen sind völlig verarmt. Soviel ich weiß, werden sie mit einer Monatsrente bedacht, die ihnen Armstrong zu Lebzeiten zuzahlen verpflichtet ist.« »Und wo hausen sie?« »Ich weiß nicht alles«, wich Stone aus. »Könnte es sein, daß sie sich ebenfalls in diesem... Krankenhaus befinden?«
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»Es ist eine psychiatrische Klinik und gleichzeitig ein Gehirnforschungszentrum. Durchaus seriös, meine Liebe!« »Das erwähnten Sie bereits. Aber ich kenne diesen Armstrong noch nicht, weiß ihn also kaum einzuschätzen... und habe außerdem in der Vergangenheit denkbar schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht.« Endlich wurde das Tor geöffnet: Elektrisch. »Wie eine Festung«, kommentierte Stone und gab Gas. Der Buick rollte über den Kiesweg, nahm eine sanfte Kurve und passierte die engstehenden Bäume, die die Sicht zur Klinik verborgen hatten. Ein paar Wagen standen auf dem Parkplatz. Stone deutete mit dem Daumen nach hinten: »Das Portiershäuschen am Tor war unbesetzt, aber wir werden bereits erwartet, wie Sie sehen.« Das Hauptportal öffnete sich. Zwei freundlich dreinblickende Krankenschwestern traten hervor und warteten, bis Captain Stone den Buick geparkt hatte. Diensteifrig eilten sie herbei und rissen die Türen auf. »Professor Armstrong erwartet Sie beide bereits.« »Und sein Patient?« Eine machte ein bekümmertes Gesicht. »Leider hat sich Dr. No sehr daneben benommen. Der Professor ist daraufhin sehr, sehr böse mit ihm geworden...« »Was soll das heißen?« erkundigte Stone sich mißtrauisch. »Der Professor wird es Ihnen sicherlich selbst sagen wollen. Treten Sie doch bitte näher. Den Wagen brauchen Sie nicht abzuschließen. Hier ist noch niemals etwas gestohlen worden. Es kommt niemand...« »Ich weiß schon!«Stone winkte ab. »Keiner kommt hinaus oder herein, wenn Professor Armstrong es nicht will.« »So ist es!« bestätigte die Schwester. Mit denen stimmt etwas nicht, dachte Sheila. Als wären sie unter Drogen. Sheila wußte genug über Drogen. Sie kannte die Symptome - und hier trafen sie voll und ganz zu. Als sie zum Haus gingen, tauschten sie und der Captain einen kurzen Blick. Der bestätigte Sheila: Stone hatte die gleiche Feststellung gemacht! Die überaus freundlichen Krankenschwestern führten die beiden durch den großen Lichthof und in einen breiten Korridor hinein. Eine Tür am Ende öffnete sich. Armstrong trat heraus. Er winkte ihnen entgegen. Dabei wirkte er keineswegs ärgerlich, wie die eine Schwester vorher angekündigt hatte. Wo waren die beiden eigentlich abgeblieben? Sheila schaute erstaunt umher: Als wären sie vom Boden verschlungen worden! Kopfschüttelnd ging sie weiter, auf Armstrong zu. »Was ist passiert?« erkundigte sich Stone. Sofort verfinsterte sich Armstrongs Miene: »Ihr Dr. No hat einen Polizisten umgebracht!« »Was?« »Ein Anfall, Captain Stone. Der Mann spricht wirres Zeug und fing mehrmals zu toben an. Ich konnte ihn kaum bändigen. Falls Sie wirklich darauf bestehen, ihn zu sehen, Captain Stone, so muß ich sie dringend warnen.« »Was haben Sie denn mit ihm angestellt?« »Nichts, Captain Stone, um ehrlich zu sein. Ich mußte ihn allerdings ruhigstellen. Ein Mittel, das ihn schlafen läßt. In dem Zimmer, das ich ihm zugewiesen habe, liegt er gefesselt. Man muß ihn vor sich selber schützen. Er ist unberechenbar.« Copyright 2001 by readersplanet
»Wie kommt das? Als ich Dr. No das letzte Mal sah, wirkte er doch ganz normal.« »Bedenken Sie nur, Captain, was der Mann alles durchgemacht hat: Seit er das erste Mal die Augen aufschlug, nichts als Mord und Totschlag. Das hinterläßt Spuren in einer empfindlichen Seele, und die vielen Zweikämpfe, wo es um sein nacktes Leben ging... Und dann auch noch mit einer solch schweren Kopfverletzung...« Er hob und senkte in einer hilflos anmutenden Geste die Schultern. »Trotzdem will ich ihn sehen, und zwar jetzt sofort!« beharrte Stone. »Oder glauben sie, ich habe den Weg hierher umsonst gemacht?« »Sie wurden doch hoffentlich nicht verfolgt?« Stone berichtete knapp und ließ dabei dennoch nichts aus. In den Augen des Professors irrlichterte es. Sheila gefiel dieser Wissenschaftler überhaupt nicht. Er war ihr von Anfang an unsympathisch, und dieses seltsame Irrlichtern in seinen Augen gefiel ihr noch viel weniger. Der ist verrückt! konstatierte sie im stillen. Nicht Dr. No ist gefährlich, sondern der da. Wer weiß, was er ihm antun wollte? Sicher hat Dr. No nur versucht, sich zu wehren. Sie sah Stone von der Seite an. Und was war mit dem einen Polizisten? Wieso fragte der Captain nicht näher danach? Wieso interessierte es ihn überhaupt nicht, wie es vor sich gegangen ist - und vor allem, wen es getroffen hat? Oder gibt es etwa nur einen einzigen Polizisten hier? »Also gut!« Armstrong gab sich sichtlich einen Ruck. »Wie schon gesagt: Auf Ihre eigene Verantwortung, Captain Stone.« Der Captain zeigte eine eiserne Miene und sagte nichts mehr. Armstrong wandte sich ab und rief einen Namen in das Büro. Ein vierschrötiger Kerl kam zum Vorschein. In der obligatorischen Pflegerkleidung. Seine Augen waren stumpf. Drogen! durchzuckte es Sheila. Sie war überzeugt davon. Aber der Pfleger bewegte sich geschmeidig und in keiner Weise beeinträchtigt. Das irritierte Sheila. Sie kannte Drogenabhängige anders. Doch was konnte denn außerdem im Spiel sein? Es war wohl kaum anzunehmen, daß der Mann von Natur aus so war? Der Pfleger sagte nichts, schaute sich die beiden Gäste nur genau an und schritt dann voraus. Die Lifttür unterschied sich in nichts von jeder anderen Tür im Gang. Fremde würden sie nicht so leicht finden. Der Pfleger öffnete und winkte ihnen zu. Armstrong betrat den Lift als letzter. Er lächelte freundlich, aber das Lächeln wirkte aufgesetzt. »Muß sie unbedingt dabei sein?« Mit dem Kinn zeigte der Professor auf Sheila. »Ja!« antwortete der Captain knapp. Irrte sich Sheila oder vermied Captain Stone geflissentlich, dem Professor direkt in die Augen zu sehen? Normalerweise war er nicht so unhöflich bei einem Gesprächspartner. Professor Armstrong begann jetzt endlich, sich Sheila näher zu widmen. Und als sie zum ersten Mal unmittelbar dem Blick dieses Mannes begegnete, wußte sie, warum der Captain dies vermied... Copyright 2001 by readersplanet
* Der wahnsinnige Professor hatte dafür gesorgt, daß ich kaum noch einen Finger rühren konnte. Ich erwachte auf meiner Pritsche und probierte sämtliche Entfesselungstricks durch, die mir einfielen, aber Armstrong war auch in dieser Beziehung offensichtlich cleverer als ich. Keine Ahnung, woher ich diese Tricks überhaupt kannte. Ich konnte mich an einen Entfesselungslehrer genauso wenig erinnern wie an meinen Kampflehrer - falls es nur ein einzelner gewesen sein sollte. Oder hatte ich ganz einfach nur eine - Naturbegabung? Daran wollte ich nicht so recht glauben. Zähneknirschend wartete ich ab. Die nackte Deckenleuchte brannte. Ich sah nur sie und die kahle Decke. Und wenn ich den Kopf hob - mühsam genug, weil ich auch ein Halsband anhatte - sah ich auch noch die leere Wand. Alles in allem nicht sehr erfreulich. Der Professor und seine wenig frommen Wünsche, was er alles mit mir anstellen würde, gingen mir nicht aus dem Kopf. Kein Wunder! So wurde jede Sekunde, die verrann, zu einer kleinen Ewigkeit. Bis ich mich soweit beruhigte, daß ich endlich einsah, daß ich jede dieser kostbaren Sekunden ganz besonders schätzen mußte, weil sie mich von einem schlimmen Schicksal trennten. Ja, ich wurde ruhiger, aber das war keineswegs ein Vorteil, denn jetzt raste die Zeit nur so dahin. Draußen klangen Stimmen auf. Jetzt kamen sie, um mich zu holen. Mir stockte unwillkürlich der Atem. Armstrong hatte mir bereits bewiesen, zu was er fähig war. Ich würde eine Hölle erleben. Dagegen waren die Folterqualen mittelalterlicher Opfer das reinste Ferienerlebnis. Mir trat prompt der kalte Schweiß auf die Stirn. Aber ich würde mir ansonsten nichts anmerken lassen. Diesen Triumph würde ich dem Wahnsinnigen nicht gönnen. Die Tür flog auf. Professor Armstrong trat als erster ein - mit einem süffisanten Lächeln. Ich haßte ihn und zerrte unbewußt an den Fesseln. Aussichtslos! »Sehen Sie nur, wie er sich gebärdet. Er wurde zu einer reißenden Bestie. Einer Ihrer Polizisten ist tot. Die anderen sind verletzt und befinden sich zur Zeit in Behandlung eines meiner Assistenzärzte. Sie können sie fragen, wenn sie wieder vernehmungsfähig sind.« Captain Stone tauchte neben ihm auf. Natürlich, sein Besuch war schließlich angekündigt! Ich hatte gar nicht mehr daran geglaubt. Was Wunder, denn ich hatte an ganz andere Dinge zu denken... Und noch jemand war dabei: Sheila! Ich schluckte unwillkürlich, auch wenn es dank des Halsbandes schwerfiel. Ihre Augen wirkten leicht glasig. Was war denn los mit ihr? Sie zeigte keinerlei Erkennen. Der Blick des Captains jedoch war völlig klar. Ich ließ den Kopf sinken, weil mich das Halsband zu sehr würgte. »Was haben Sie denn zu den Vorwürfen zu sagen, Dr. No?« Der Captain trat näher. Copyright 2001 by readersplanet
»Würden Sie mir denn glauben?« »Was haben Sie zu sagen?« beharrte er. »Der Professor hat noch zwei Leichen vergessen aufzuzählen: Dr. Kareen Forbess, seine persönliche Assistentin, weil sie mir zu helfen versuchte - und ein treuer Pfleger. Er mußte daran glauben, weil er das Leben des Professors mit seinem eigenen Leben schützte - gegen Kareen.« Armstrong lachte heiser. »Na, habe ich Ihnen zuviel versprochen, Captain?« Stone ging gar nicht darauf ein. Er beugte sich über die Pritsche und begann an meinem Kopfverband zu fummeln. »He, was machen Sie denn da?« rief Armstrong aus. »Ich will sehen, was Sie mit Dr. No angestellt haben. Wir hatten vereinbart, daß sämtliche Experimente von mir abgesegnet sein müssen. Haben Sie sich daran gehalten?« Mir fiel auf, daß es der Captain tunlichst vermied, Armstrong anzusehen. Und dann wußte ich plötzlich warum. Ich war die ganze Zeit zu sehr mit mir selber beschäftigt gewesen. Deshalb war ich noch nicht zu dem einzig richtigen Schluß gekommen: Professor Armstrong war ein begnadeter Hypnotiseur! Er schaffte es, fast jeden Menschen in seinen Bann zu ziehen. Die drei Polizisten hatten nicht die geringste Chance gegen ihn gehabt. Genauso wenig wie Dr. Kareen Forbess, der Pfleger und wahrscheinlich das ganze übrige Personal in dieser absonderlichen Privatklinik. Dr. Forbess hatte es angedeutet: Durch das Erlebnis beim Anschlag auf mich hatte sich etwas in ihr gelöst. Sie hatte es geschafft, sich aus dem Bann des Professors zu befreien mehr und mehr. Armstrong hatte es nicht bemerkt. Er war sich seiner Sache zu sicher gewesen. Deshalb war es zu diesem Eklat im Labor gekommen. Mir hatte es allerdings einen kleinen Aufschub verschafft. Ich schaute zu Sheila hinüber. Der glasige Blick konnte nur bedeuten, daß auch sie in seinem Bann war. Arme Sheila. Würde sie jetzt eine tödliche Gefahr für mich darstellen? Captain Stone arbeitete erstaunlich routiniert. Er hatte den Verband schnell gelöst und betrachtete die verheilende Wunde. »Sieht doch prima aus«, sagte er tonlos. »Aber ich glaube, Professor, Sie halten sich nicht gern an Abmachungen.« »Wieso?« »Sagen Sie mir ehrlich, was Sie getan haben!« Ich antwortete an der Stelle des Professors: »Ich hatte eine Elektrode mit Direktanschluß direkt ins Gehirn. Damit hatte er mich vollkommen in der Hand. Knopfdruck genügte - und ich schrie los. Mir ist es gottlob gelungen, die Elektrode und auch alles andere vorläufig kurz und klein...« Die Tür wurde zugeschlagen. Captain Stone fuhr herum. Er, Sheila und ich waren allein. Stone sprang zur Tür. Aber die war nicht mehr zu öffnen. Sie bestand aus dickem Stahl. Wir hatten keine Chance. Und Sheila zog ein Messer. Sie holte weit aus. Copyright 2001 by readersplanet
Ziel der Messerspitze war der ungeschützte Nacken des Captains...
* »Sheila!« brüllte ich. Den Namen des Captains brauchte ich nicht zu nennen. Der reagierte auch so. Stone wirbelte um die eigene Achse und machte gleichzeitig einen Ausfallschritt. Hätte Sheila jetzt noch zugestoßen, wäre das Messer ins Leere gezischt. Aber Sheila bewegte sich gar nicht. Sie stand stocksteif da. Ich verrenkte mir den Hals, um sie besser sehen zu können. Langsam wandte sie den Kopf. Sie blinzelte verwirrt. Die Waffenhand sank herab. Da wurde ihr anscheinend bewußt, was sie eben beinahe getan hätte. Erschrocken ließ sie das Messer fallen. »Dr. No!« stöhnte sie. »Na, dem Himmel sei Dank!« Sie betrachtete mich zitternd. »Mein Gott, das ist ein Teufel. Noch niemals bin ich einem solchen Menschen begegnet. Ein einziger Blick aus seinen Augen genügte, um meinen Willen zu lähmen. Ich war regelrecht weggetreten.« »Auf mich wirkt es nicht. Der Captain vermeidet ständig, in seine Augen zu sehen. Tu es in Zukunft besser auch so.« »Gibt es denn eine - Zukunft, Dr. No?« »Nur, wenn du mich endlich losschnallst.« Aus einem Lautsprecher kam das Gelächter des Professors. »Ich habe alles beobachtet. Interessant, Dr. No. Sie schaffen es nicht nur, sich meinem Willen zu entziehen, sondern sogar, andere zu befreien. Das hätte ich niemals für möglich gehalten, aber Sie haben es mir soeben bewiesen. Und dennoch haben Sie keine Chance, denn ich bin jetzt darauf gefaßt.« »Dann hat sich der Bann bei Dr. Forbess nicht allein durch den Schock beim Überfall gelöst?« »So stark könnte ein Schock allein überhaupt nicht sein, Dr. No: Sie selbst haben es bewirkt! Deshalb war ich auch so unvorsichtig, was Dr. Forbess betrifft. Leider. Sie war eine gute Hilfe. Sie hatte ein geniales Gehirn und hat mir komplizierte Dinge abgenommen, die ich nun selber machen muß. Ich werde viele Jahre brauchen, um eine ähnlich gute Assistentin für diese Zwecke zu bekommen, fürchte ich. Es sei denn, der Zufall steht mir bei.« »Da habe ich allerdings gewisse Bedenken«, erklärte ich. Es klang überheblich. »Sie haben einen Todfeind, nämlich mich. Und ich werde nicht eher ruhen, bis Sie bei dem einzigen sind, der Ihnen an Bosheit vielleicht sogar überlegen ist: beim Satan!« »Sie irren, Dr. No, wie schon so oft: Vielleicht bin ich es selber - der Satan?« Er lachte wieder sein gemeines Lachen und schaltete ab. »Hören Sie!« rief Captain Stone. Er hatte seine Waffe in der Faust und fuchtelte damit herum. »Sie haben einen Fehler gemacht - mit mir. Es nutzt Ihnen nichts, wenn Sie mich einsperren. Ich habe es so gedreht, daß die X-Agenten die Klinik längst kennen und bestimmt auch überwachen. Deshalb auch mein Anruf vor meinem Kommen.« Armstrong meldete sich nicht mehr. War er denn anderweitig beschäftigt? Womit? Copyright 2001 by readersplanet
»Wovon reden Sie?« erkundigte ich mich. Sheila hatte ihre liebe Not, alle Fesseln zu entfernen. Sie kämpfte tapfer darum. Captain Stone erklärte mir alles und schloß: »Die X-Agenten stehen mit Sicherheit bereit, und in zurückgezogener Front auch meine Leute. Zwei Hundertschaften! Das sind ausgewählte Burschen, die weder Tod noch Teufel fürchten. Nachwuchs für die Chicagoer Polizei. - Und Sie wissen, was von uns in dieser Stadt verlangt wird, mit einer der höchsten Kriminalitätsraten der Welt.« »Ich nehme an, die warten alle auf Ihr Zeichen, Captain?« »Und wenn das Zeichen ausbleibt, wird sich Professor Armstrong allein verteidigen müssen. Möchte wissen, wie er das bewerkstelligen wird. Der Krieg steht uns noch bevor. Die X-Agenten werden sich nicht so einfach abweisen lassen.« »Ob er das überhaupt ahnt?« »Ich hätte es ihm gern auseinandergesetzt, aber er hört leider nicht mehr zu.« »Vielleicht ist der Kampf oben bereits im Gange? Hier unten kriegen wir nichts davon mit. Die X-Agenten werden uns zwar befreien, aber ich bezweifele ernsthaft, ob wir das als Vorteil werten dürfen. Oder glauben Sie, der Professor kann an Ihrer Stelle die beiden Hundertschaften auf die Agenten hetzen?« »Das halte ich für völlig ausgeschlossen. Wir sitzen hier in der Mausefalle. Armstrong wird dabei zwar draufgehen, aber wir letztlich auch. Und bis meine tapferen Polizisten das checken, sind höchstens noch unsere Leichen übrig. Wir wissen inzwischen ja, daß die X-Agenten keine halben Sachen machen.« Die letzte Fessel fiel. Endlich! Ich bewegte vorsichtig meine Glieder. Es schmerzte erwartungsgemäß. Kurz massierte ich meine Muskeln und lockerte die Gelenke. Dann war ich wieder fit. »Was ist mit dem Kopfverband?« erkundigte sich Sheila. Ich umarmte und küßte sie so spontan, daß sie erschrocken zusammenzuckte. Aber sie wehrte sich nicht. »Danke dir, Sheila. Und um meinen Turban mache dir keine Sorgen. Du hast ja gesehen, wie meine Wunde ist: Einfach prächtig! Stimmt's nicht, Captain?« »Aber die Elektrode, die dieser Wahnsinnige in dein Gehirn...?« »Die ist weg, und der winzige Einstich wird auch ohne riesigen Verband heilen. Ich brauche jetzt im wahrsten Sinne des Wortes einen freien Kopf.« »Ja, glauben Sie denn, wir haben noch eine Chance?« »So lange man lebt, Captain: immer!« Wie zum Hohn knackte es im Lautsprecher irgendwo hinter der Deckenverkleidung: Das scheußliche Gelächter des wahnsinnigen Professors folgte. »Amüsiert hörte ich Ihrer Unterhaltung zu. Ja, wirklich, es ist amüsant. Vor allem freue ich mich darüber, daß die beiden Hundertschaften nur auf Ihr Zeichen hin stürmen. Sie werden also nicht einmal etwas davon bemerken, was sich hier abspielen wird.« »Glauben Sie denn, Sie haben eine Möglichkeit, allein gegen die X-Agenten zu bestehen?« fragte Captain Stone. Ich ahnte bereits, was die Antwort sein würde, und es ließ mir dennoch schier das Blut in den Adern gefrieren: »Selbstverständlich, Captain Stone. Was Sie nicht wissen, ist die Tatsache, daß ich Mister X bin - also derjenige, dem sie alle auf Leben und Tod gehorchen!«
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Das war eine Eröffnung, die sowohl dem Captain als auch Sheila die Sprache verschlug. Noch vor fünf Minuten hätte auch ich es nicht für möglich gehalten, und doch war eigentlich alles logisch - im nachhinein betrachtet. »Die X-Agenten wußten es selber nicht! Sie kennen ihre Vorgesetzten niemals, geschweige denn ihren obersten Führer. Aus Sicherheitsgründen. Und jetzt muß ich meine Tarnung aufgeben. Ungern, Captain Stone. Aber Sie werden wenig Freude daran haben.« Er sprach zu uns wie zu Todeskandidaten. »Der Kampf findet nicht so statt, wie Sie es gern hätten. Ich habe mich den Agenten bereits zu erkennen gegeben. Und jetzt werde ich Sie drei betäuben. Sie allein bekommen eine Sonderbehandlung, Captain Stone. Wenn Sie zu Ihren Leuten zurückkehren, werden Sie mein ergebener Sklave sein. Es ist nicht übel, einen so einflußreichen und cleveren Mann bei der Chicagoer Polizei zu haben. Sie werden sich als sehr nützlich erweisen. Zumal ich herausfinden konnte, daß Sie gute Beziehungen zu Geheimdienstlern der obersten Chargen unterhalten. Alle Achtung!« »Sind sie denn wirklich der oberste Kopf der Organisation X, Professor Armstrong? Und ist das wirklich Ihr richtiger Name?« fragte ich gespannt. »Sie werden sowieso nichts mit meinem richtigen Namen anfangen können, nachdem ich meine Experimente an Ihnen durchgeführt habe, Dr. No! Von Ihrem messerscharfen Verstand wird nicht mehr viel übrigbleiben. Daran bin ich auch nicht sonderlich interessiert. Ich brauche nur Ihren Körper!« »Ich verstehe nicht ganz: Sie wollen ihn benutzen? Sozusagen hineinschlüpfen oder wie...?« Er lachte heiser. »Wer war ich vorher, Professor Armstrong, oder wie immer Sie auch heißen mögen?« »Wirklich erstaunlich, Dr. No, daß Sie sich so gar nicht an mich erinnern!« »An - Sie?« »Schade, wirklich!« Er schnalzte mit der Zunge. »Wer oder was bin ich?« schrie ich verzweifelt. »Bin ich denn - Ihr Werk?« »Sie sollen es niemals erfahren! Das soll Ihre Strafe sein, Dr. No - für die Zerstörungen!« »Das ist doch Unsinn - weil ich doch meinen Verstand verlieren werde. Sie können doch alles sagen - nur für die wenigen Minuten, die mir vielleicht noch bleiben!« »Nein!« entschied er hart. Captain Stone mischte sich ein. Er hatte eine ganz andere Frage auf der Zunge und stellte sie jetzt, da er sah, daß ich nicht mehr weiterkam: »Dann ist das hier also das Hauptquartier der weltumspannenden Organisation? Gewissermaßen direkt vor meiner Haustür?« »Also gut, Captain, ich will es Ihnen sagen, weil Sie mich die ganze Zeit - unbewußt zwar, aber dennoch... freiwillig sogar! - unterstützt haben: Dies hier ist auch nur ein wichtiger Vorposten! Die Zentrale ist in...« Er brach ab, und dann, nach sekundenlangem Zögern: »...Madrid!« Dieses eine Wort wurde von einem Zischen begleitet, das mir sehr bekannt vorkam: GAS! »Guten Schlaf!« sagte Armstrong gehässig. »Jammerschade, daß Ihnen diese wertvolle Information nichts nutzt, Captain Stone, was?« Er schaltete ab. »Der geheimnisvolle Mister X?« fragte Sheila kopfschüttelnd. »Wer weiß, ob er überhaupt so aussieht, wie wir ihn zu Gesicht bekommen haben? Vielleicht war das auch nur - eine Maske?« »Das sparen wir uns alles für später auf!« sagte ich entschlossen und winkte Stone zu. »Kommen Sie, Stone, wir sind zwei kräftige Männer. Der dürre Armstrong - ob Maske oder nicht - kann sich anscheinend nicht vorstellen, welche Möglichkeiten solche Bizepse bieten: Copyright 2001 by readersplanet
Beweisen wir es ihm einfach!« Ich riß die Stahlpritsche mit einem einzigen Ruck aus ihrer Verankerung. Stone begriff schnell. Sheila sprang erschrocken in Deckung. Wir entfernten das dürftige Bettzeug und hielten die Pritsche wie einen Rammbock. Dann kam der Anlauf. Brüllend liefen wir gegen die Stahltür an. War die Pritsche stabil genug? Oder siegte die Tür?
* Kein Mensch kann erwarten, daß alles auf Anhieb klappt. Wir auch nicht. Beim ersten Mal verbog sich die Pritsche, und die Tür hatte nur ein paar unwesentliche Kratzer abbekommen. »Wenn mich nicht alles täuscht, hat soeben bereits der Verputz gerieselt!« murmelte Stone, wie um sich selber Mut zu machen. Der zweite Anlauf. Wir rammten die Pritsche mit aller Wucht gegen die Stahltür, und nun zeigte sich, daß Stone nicht irrte: Der Verputz rieselte. »Der schwächste Teil geht immer als erstes zu Bruch!« sagte ich tonlos. Nur Sheila hatte Bedenken: »Wenn die das jetzt hören!« Es war uns egal. Wir hatten nur diese eine Chance, und wir würden sie auch wahrnehmen. Zu verlieren hatten wir wahrlich nichts. Der dritte Anlauf. Wir preschten heran, holten noch mit der Pritsche aus, schmetterten sie gegen die Stahltür - und da brach die eine Türangel aus ihrer Verankerung. »Weiter!« drängte Stone verbissen. Wir zogen uns bis ans andere Zellenende zurück und packten die total verbeulte Pritsche fester. »Stabile Wertarbeit ist das nicht gerade«, maulte ich. »Ja, wenn man auch mit Gewalt...« Bei diesem Versuch löste sich teilweise das einzementierte Schloß. »Weg mit der Liege!« empfahl ich, ließ selber los und sprang mit beiden Füßen gleichzeitig gegen die Stahltür, mehrmals. Sie krachte endlich vollends aus der Verankerung und fiel nach draußen. Ich war als erster auf dem Gang. Das Licht erlosch. Hatte Armstrong nun bemerkt, was hier unten vor sich ging? »Wart's ab!« schwor Stone halblaut. Er lief neben mir her in die Finsternis hinein. Ich stoppte: »Sheila?« »Ist direkt hinter dir, Dr. No! Mach dir nur keine Sorgen um mich! Ich bin ein längst erwachsenes Mädchen!« »GUTES Mädchen!« brummte ich und rannte weiter den Gang entlang. Armstrong beschäftigte sich mit seinen X-Agenten. Ganz gewiß. Schließlich mußte er sie davon überzeugen, daß er wirklich ihr geheimnisvoller OBERSTER Boß war. Dies war nötig, denn er durfte keine Zeit verlieren. Der normale indirekte Weg der Befehlsübermittlung war jetzt zu umständlich geworden. Anschließend würde er sie sicherlich einer weiteren hypnotischen Behandlung unterziehen, damit sie es wieder vergaßen. Copyright 2001 by readersplanet
Wir kamen auf die Höhe der Tür, die in den Leichenkeller führte. Ich hatte mir alles gut gemerkt. Ich hielt Stone mit ausgestrecktem Arm auf und tastete in der Dunkelheit über die Wand. Ja, mein Instinkt hatte mich nicht getäuscht: Hier war die Tür! Ich probierte an der Klinke. »Offen!« Wir liefen hinein. Ich suchte den Lichtschalter, fand ihn zwar auf Anhieb, aber er funktionierte nicht: Armstrong hatte die Energieversorgung im gesamten Kellergeschoß unterbrochen, um uns kaltzustellen. Davon ließen wir uns allerdings nicht beirren. Vorsichtig betraten wir den finsteren Raum und suchten die zweite Tür. Ich fand sie ohne Schwierigkeiten, weil ich mir jeden Fleck dieses Raumes genauestens eingeprägt hatte und mich im Dunkeln so sicher bewegen konnte wie im Hellen. Stone und Sheila wollten nach draußen. Ich hielt sie auf: »Wartet!« Dann probierte ich es allein: Die Tür war fest verschlossen - wie nicht anders zu erwarten. Eine Stahltür, mindestens so stabil wie die von unserer Zelle. »Der Fahrstuhl!« zischelte Sheila. Ich hörte es selber: Der Lift kam herunter. Wahrscheinlich das Killerkommando. »Es muß doch auch eine Treppe nach oben geben?« fragte Stone. »Nicht unbedingt, denn man kommt von hier aus über eine Rampe ins Freie - falls der Weg frei ist. Wir befinden uns im Leichenkeller.« »Vielleicht gibt es hier auch eine stabile Pritsche oder so etwas? Wir könnten doch wieder...?« »Vergessen Sie es, Captain: Die Zeit reicht nicht!« »Der Lift ist da!« rief Sheila vom Gang herüber. »Bestens!« behauptete ich und schob mich an Stone vorbei. »Kommen Sie schon, Captain, vier Fäuste richten immer mehr aus als zwei - und Ihre sind hart genug, wie ich vermute...« Captain Stone schloß sich prompt an. »Sheila, halte dich zurück und suche am besten Deckung. Du bist vielleicht der berüchtigte Trumpf im Ärmel, mit dem niemand mehr rechnet!« Sie murrte nicht. Die Lifttür öffnete sich, aber wir waren bereits rechts und links davon. Natürlich, im Lift war es ebenfalls stockfinster. Armstrong wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Dadurch waren die Chancen allerdings gut verteilt, denn die Killer waren hier unten genauso blind wie wir. Sie schossen sofort. Die Mündungsblitze züngelten hell. Die Kugeln aus zwei Maschinenpistolen knatterten den Gang entlang und zerfetzten die Wandverkleidung. Uns jedoch trafen sie nicht. Wir standen nämlich goldrichtig. Die Killer waren zu viert, und nun zeigte sich ein kleiner Vorteil für uns: Armstrong mochte zwar ein genialer Irrer sein, aber von Strategie im Kampf Mann gegen Mann verstand er nicht soviel, sonst hätte er das Licht nämlich lieber überall brennen lassen. Unsere Augen hatten sich gut an die Finsternisgewöhnt, und das bißchen Licht von den Mündungsblitzen reichte vollkommen. Wir orientierten uns großartig, während die Killer nach Copyright 2001 by readersplanet
wie vor blind blieben. Stone und ich langten gleichzeitig zu. Die beiden Killer, die im Feuerschutz ihrer Kumpane den Lift verlassen wollten, um den Gang vollends mit MP-Salven bestreichen zu können, waren bestimmt sehr überrascht: Ich nahm mir den einen zur Brust, Stone den anderen. Dabei brauchten wir nur wenig zu tun: Wir rissen die beiden einfach in das Feuer ihrer Kumpane. Die nahmen viel zu spät den Finger vom Abzug. Einen Moment lang stellten sie das Feuer ein. Ihre Kumpane starben in unseren Armen. Wir nahmen ihnen kurzerhand die MP's ab und... eine einzige Salve in den Lift genügte vollauf für unsere Zwecke. Jede weitere Kugel hätte womöglich den Lift außer Betrieb gesetzt. Sheila war echt ein hochintelligentes und sehr geistesgegenwärtiges Mädchen, denn sie hetzte im richtigen Moment herbei und sprang gemeinsam mit uns in die Liftkabine. Die stieg empor. Wir hielten die MP's schußbereit. »Gleich feuern!« riet Stone an meiner Seite. Recht hatte er. Wir würden nämlich im Licht oben ganz schön im Nachteil sein - geblendet wie wir sein würden. Der Lift hielt im Erdgeschoß und öffnete sich. Wir schossen verabredungsgemäß. Eine Menge Glas ging zu Bruch, bevor unsere Augen sich einigermaßen an die Helligkeit gewöhnt hatten. »Unnötig Munition verschwendet!« kommentierte ich, denn der Lichthof war leer, und keine einzige Scheibe war mehr heil. »Vorsicht!« schrie Sheila und gab uns beiden gleichzeitig einen Schubs. Wir taumelten vorwärts. Gerade rechtzeitig, denn die Liftkabine verlor den Halt und sauste abwärts wie ein Stein. Während wir uns noch aufmerksam umgesehen hatten, war Sheila eingefallen, was Armstrongs Killer als nächstes vorhatten, um uns den Garaus zu machen... Goldkind, wahrlich! Leider war jetzt keine Zeit für Komplimente. Wir rannten vom Lift weg und wandten uns nach links. »Hier geht es zu Armstrongs Büro!« erklärte Stone. Die Korridortür war ebenfalls nicht heil geblieben. Der Gang dahinter war gut zu überblicken. Ich trat den Rest der Korridortür mit dem Fuß auf. Wir liefen weiter. »Hinten links!« empfahl Stone. Da wurde die beschriebene Tür aufgestoßen. Eine Hand kam zum Vorschein. Sie hielt einen Revolver. Stone war schneller. Unterwegs hielt ich die anderen Türen im Auge. Nichts rührte sich. Der Mordschütze in Armstrongs Zimmer schrie schmerzerfüllt und ließ die Waffe aus der zerschossenen Hand fallen. Ich hechtete an der offenen Tür vorbei. Nichts geschah. Wer war der Mann in Armstrongs Zimmer? Armstrong persönlich? Und - allein?
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Zu schön, um wahr zu sein: Ich lugte um die Ecke und sah einen wimmernden Pfleger, der seine zerschossene Hand festhielt. An irgendwelche Gegenwehr dachte er anscheinend nicht mehr. Ängstlich wich er zurück, als ich eindrang. Armstrong war nirgendwo zu sehen. Es gab anscheinend auch keinen zweiten Ausgang. »Wo ist das Schwein?« schnauzte Stone den Pfleger an. Der fiel in einen der Besuchersessel und wollte antworten, aber die Stimme versagte ihm den Dienst. »Ergebt euch!« brüllte draußen jemand. Sheila war an der Tür geblieben. »Die waren in den anderen Zimmern!« rief sie zu uns herüber. »Kommt mit erhobenen Händen heraus, sonst werfen wir Gasgranaten!« »Nur zu!« antwortete ich ungerührt. Stone hatte das Telefon entdeckt und hob den Hörer ab. »Die beiden Hundertschaften?« fragte ich ihn. »Worauf Sie sich verlassen können, Dr. No: Die X-Agenten hängen zwischen den Fronten. Nur wissen sie das noch nicht. Das wird ein Krieg, und Rücksicht wird keine genommen.« »Geht das Telefon überhaupt?« Er nickte grimmig. Dann wählte er. Es dauerte Sekunden, bis er jemanden an die Strippe bekam. »Na endlich, sagen Sie?« Er lachte humorlos. »Sie sind vielleicht lustig: Ich sitze hier mit Dr. No und Sheila fest! Dieser Professor Armstrong hat sich als Boß der X-Agenten entpuppt. Nur wußten die das selber nicht. Inzwischen dürften sie allerdings hinreichend informiert sein.« Ich scheuchte den verletzten Pfleger hinaus, denn als Geisel würde er ohnehin nichts taugen. Stone weiter: »Ja, mit beiden Hundertschaften, und sofort Verstärkung: Hubschrauber, Einsatzfahrzeuge, Schützenpanzer - die Armee, falls Sie die schnell genug auftreiben können! Und keinerlei Rücksicht nehmen! Denen wollen wir ordentlich die Hölle heiß machen, denn Menschenleben bedeuten ihnen sowieso nichts. Nicht einmal ihr eigenes. - Ja, auch Granaten sind erlaubt - sofern sie nicht auch uns treffen. Wir sitzen hier im Südtrakt, ganz in der Ecke. Wäre schön, wenn wenigstens dieser Teil des Anwesens heil bliebe. - Nee, es gibt hier keine Kranken, auf die Sie Rücksicht nehmen müßten. Hier befindet sich das hiesige Hauptquartier der X-Organisation, und Professor Armstrong ist der Kopf. Begreifen sie das endlich!« Er schaute auf den Telefonhörer wie auf einen bösen Feind. »Die Verbindung ist abgerissen!« Er hieb den Hörer auf die Gabel. »Egal, Armstrong hat zu spät eingegriffen. Das Wesentliche wurde bereits abgesprochen, und gleich wird es hier gehörig knallen. In Chicago wird man meinen, der dritte Weltkrieg sei ausgebrochen. Ich habe nämlich mit dem Polizeichef von Chicago persönlich gesprochen, und der ist schon vorinformiert. Er billigt alles, wenn es nur gegen die X-Organisation geht. Einer der wenigen da oben, die auch mal begreifen, wann es höchste Zeit ist, wichtige Entscheidungen zu treffen - und die noch nicht von der Organisation vereinnahmt sind!«
Wenn ihr nun glaubt, daß es ordentlich scheppern wird im Karton, dann darf euch gesagt sein: Dies wäre noch erheblich untertrieben! Lest selber - in Band 5: Copyright 2001 by readersplanet
»Der spanische Tod« Ein weiterer Roman von W. A. Hary
Den bekommt man übrigens auch in gedruckter Fassung (wie jeden Roman aus der Serie DR. NO!), diesmal mit Titelbild von dem bekannten Künstler Thorsten Grewe. Einfach mal fragen bei: HARY-PRODUCTION, Waldwiesenstraße 22, 66538 Neunkirchen, Internet: www.hary.li, eMail:
[email protected], Fax: 06821-177038.
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