Nr. 416
Landung auf Atlantis Der kosmische Kundschafter auf Atlans Welt von H. G. Ewers
Als Atlantis-Pthor, der durch...
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Nr. 416
Landung auf Atlantis Der kosmische Kundschafter auf Atlans Welt von H. G. Ewers
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort beginnt für Atlan und seine Gefährten eine Serie von Abenteuern, die beinahe tödlich ausgehen. Die ersten Stationen des gefahrvollen Weges sind unter anderem Enderleins Tiegel, der Schrottplanet, Xudon, der Marktplanet, und Gooderspall, die Welt der Insektoiden. Während Atlan und Thalia sich gegenwärtig mit den Herrschern von Ringtor aus einandersetzen, blenden wir wieder um zu Algonkin-Yatta, dem kosmischen Kund schafter. Der Mathoner wähnt sich endlich am Ende seiner langen Suche, denn er setzt an zur LANDUNG AUF ATLANTIS …
Landung auf Atlantis
3
Die Hautpersonen des Romans:
Algonkin-Yatta - Der kosmische Kundschafter erreicht Atlantis.
Anlytha - Algonkin-Yattas Begleiterin.
Ahkido - Ein unfreiwilliger Gast in Algonkin-Yattas Schiff.
Heimdall, Balduur und Sigurd - Die Odinssöhne verraten Atlans Sache.
1. Das nebelartige Gebilde tauchte von ei nem Augenblick zum anderen in der Steuer zentrale des Kundschafterschiffs auf. Es ver harrte kurz über dem Geruchssignalgeber des Dimensionssensors, dann glitt es in das Gerät hinein. Im nächsten Moment waren sowohl das nebelartige Gebilde als auch der größte Teil des Geruchssignalgebers ver schwunden. Algonkin-Yatta hatte nichts von dem Vorgang mitbekommen, da er seit eini gen Stunden fest schlief. Er hatte die schlim men Ereignisse auf Xuverloth zwar inzwi schen psychisch voll verkraftet, aber trotz seiner robusten Natur litt er noch immer an der physischen Überbeanspruchung. Anlythas angstvolles Zwitschern riß ihn aus seinem Schlaf. Er fuhr hoch und sah sich um, vermochte aber auf Anhieb nicht zu er kennen, was die Reaktion seiner Partnerin ausgelöst hatte. »Siehst du es nicht, Algonkin!« zeterte Anlytha und deutete auf den Rest des Ge räts. Die Augen des Kundschafters weiteten sich, als er den Schaden entdeckte. »Wie ist das geschehen?« fragte er, beug te sich vor und tastete mit den Fingern über die unregelmäßigen Formen der Überreste. »Ich weiß es nicht«, antwortete Anlytha. »Ein Gespenst war da und hat es einfach ge fressen.« Algonkin-Yatta musterte seine Partnerin argwöhnisch. Der weiße Federkamm auf dem haarlosen Kopf mit der fliederfarbenen Haut hatte sich gesträubt; die weit auseinan derstehenden schwarzen Knopfaugen blick ten angstvoll drein. Obwohl der Kundschafter und Anlytha schon viele Abenteuer gemeinsam bestanden
hatten, lag die Vergangenheit dieses nur 1,33 Meter großen zartgliedrigen Wesens, das der Kundschafter aus einem havarierten Kleinraumschiff gerettet hatte, noch im dunklen. Anlytha hatte durch den Unfall im Raum ihr Gedächtnis weitgehend verloren. Aber bisher hatte sich Algonkin-Yatta im mer auf das, was seine Partnerin sagte, ver lassen können. Damit schien es vorbei zu sein, denn der Kundschafter wußte, daß es keine Gespenster gab. Doch bevor er etwas auf diese unglaub würdige Behauptung erwidern konnte, tauchte dicht vor seinem Gesicht ein ver schwommener Nebelfleck auf. Anlytha kreischte durchdringend. Algonkin-Yatta saß still und beobachtete. Als Kundschafter von Ruoryc, der von MYOTEX umfassend auf seine Arbeit im All vorbereitet worden war, wußte er, daß man nichts anfassen durfte, über dessen Na tur man nichts wußte – und über die Natur dieses Nebelflecks war ihm nur bekannt, daß Anlytha ihn offenbar als »Gespenst« be zeichnet hatte. Der zirka handtellergroße Nebelfleck ver harrte sekundenlang vor Algonkin-Yattas Gesicht, dann schwebte er blitzschnell zu Anlytha hinüber, deren Kreischen jäh ab brach. Im nächsten Augenblick verschwand der Nebelfleck mit einem polternden Ge räusch. Anlytha seufzte und fiel in Ohnmacht. Der Kundschafter sprang auf, beugte sich über seine Gefährtin, die schlaff in ihrem Sessel lag und stellte fest, daß sie tatsächlich nur ohnmächtig war. Dann erst richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Gegenstand, der vor Anlythas Füßen zu Boden gefallen war und der vermutlich das polternde Ge räusch beim »Abgang« des Nebelflecks ver ursacht hatte.
4 Algonkin-Yattas blauschwarzes Gesicht wurde nachdenklich. Der Gegenstand be stand aus stark korrodiertem Metallplastik, war so lang wie Anlythas Unterarm und äh nelte einem Rechen. Aber diese Ähnlichkeit hielt dem prüfenden Blick des Kundschaf ters nicht stand, denn die Zinken des »Rechens« dienten eindeutig nicht dazu, et was zusammenzuharken, sondern sie waren beweglich angebracht, besaßen zahlreiche Einkerbungen und saßen unterhalb von fa cettenartig schimmernden, fingernagel großen Flächen, die sich auf der breiten Querstrebe befanden, an der sie befestigt waren. »Ein Gerät, mit dem unbekannte Einstel lungen vorgenommen werden können«, sag te Algonkin-Yatta. »Was meinst du dazu, Psiotronik?« Die Psiotronik, das »Gehirn« des Kund schafterschiffs, zögerte eine Weile, dann sagte sie: »Es wäre denkbar, Kundschafter. Aber ich halte die Fragestellung nach dem Zweck des Objekts für sekundär. Primär sollte die Frage nach der Art und Weise seines Er scheinens sein.« »Unwichtig«, stellte der Kundschafter fest. »Es spielt keine Rolle, ob man vom Eingang oder vom Ausgang eines Pro gramms an die Identifizierung der Grundzer legungstypen eines strukturierten Pro gramms herangeht. Ich denke, wir lösen das Problem auch auf meine Weise, nämlich, in dem wir versuchen, von dem Zweck des Ge räts auf die Art und Weise seines Erschei nens zu schließen.« Eine kleine fliederfarbene Hand tauchte neben Algonkin-Yatta auf und streckte sich nach dem »Rechen« aus. Der Kundschafter griff zu und hielt die Hand fest. Ein halblau ter Schmerzensschrei ertönte. Algonkin-Yatta wandte den Kopf und blickte Anlytha an. »Ich weiß schon, du möchtest dieses Arte fakt in deine Sammlung einverleiben, Klei nes«, erklärte er. »Aber weißt du denn, wie es auf eine Berührung reagieren würde?
H. G. Ewers Hast du vergessen, daß es von einem ›Gespenst‹ hierher gebracht wurde?« »Laß mich los, du Unhold!« zeterte Anly tha. »Du zerquetscht ja meine Hand. Dieses Ding da mag von einem Gespenst gebracht worden sein, aber es selbst ist gewiß kein Gespenst. Es sieht ungeheuer alt und den noch sehr fortschrittlich aus.« »Wie definierst du ›sehr fortschrittlich‹?« fragte der Kundschafter. »Bedrohlich«, warf die Psiotronik ein. »Vierhundert Baud …« Die Stimme der Psiotronik brach ab. Der Kundschafter richtete sich auf und musterte das Teleauge der Psiotronik. Mehr verblüfft als besorgt stellte er fest, daß es nicht leuchtete. »Was hast du, Psiotronik?« fragte er. Als er keine Antwort erhielt, wurde er ernstlich besorgt. Er ging zur Kontrollwand und berührte hintereinander mehrere Sensor punkte. Nach einiger Zeit leuchteten ver schiedene Datenschirme auf. Algonkin-Yatta schüttelte den Kopf. »Das gibt es doch nicht. Die Anzeigen deuten darauf hin, daß die Psiotronik keine Zentraleinheit mehr besitzt. Aber ein ganzer Prozessorblock kann doch nicht einfach ver schwinden. Oder …?« Er wandte den Kopf und musterte arg wöhnisch den »Rechen«. »Wenn etwas urplötzlich auftaucht, kann auch etwas urplötzlich verschwinden. Aber es muß eine Ursache dafür geben.« Zwei Nebelflecken, der eine handteller groß, der andere nicht größer als zwei Dau mennägel, erschienen mitten in der Steuer zentrale. »Das ist die Ursache!« kreischte Anlytha und versuchte, unter ihren Sessel zu krie chen. »Tu doch endlich etwas dagegen, Yat ta!« Algonkin-Yatta musterte die beiden Ne belflecke ratlos, dann zog er einen Laser schreibstift aus der Brusttasche seiner Bord kombination, faßte ihn mit zwei Fingern an der Spitze und tippte mit dem stumpfen En de an den kleineren »Geisterfleck«.
Landung auf Atlantis Er schrie überrascht auf, als eine unsicht bare Kraft so stark an dem Laserschreibstift zog, daß er mitgerissen wurde und taumelte. Im nächsten Moment war der kleinere Ne belfleck verschwunden, aber am stumpfen Ende des Laserschreibstifts hing ein schlan genartiges Wesen und wollte mit seinem Ge wicht den Stift nach unten ziehen. Anlytha lugte hinter ihrem Sessel hervor, erblickte das schlangenartige Wesen und schlug die Hände vors Gesicht. Algonkin-Yatta vollführte eine ruckartige Bewegung. Das schlangenartige Wesen löste sich von seinem Laserschreibstift und fiel mit klatschendem Geräusch auf den Boden. Es regte sich nicht und schien tot zu sein. Aber der Kundschafter konzentrierte seine Aufmerksamkeit nur zur Hälfte auf dieses Wesen. Die andere Hälfte benötigte er, um den größeren Nebelfleck zu beobachten, der sich an einer Seite des »Rechens« festgesetzt hatte und Sekunden danach verschwand, wobei er etwa die Hälfte des Objekts mit nahm. Nachdenklich starrte der Kundschafter auf den Rest des »Rechens«, dann versetzte er dem schlangenartigen Wesen einen Fußtritt. Es entrollte sich, aber das war keine Eigen bewegung. Kurz entschlossen zog Algonkin-Yatta einen seiner Handschuhe an, dann packte er das Wesen mit festem Griff dicht hinter dem Kopf und hob es hoch. Als er die drei Augen sah, wußte er, daß es tatsächlich tot war. »Vor einer toten Schlange brauchst du dich nicht zu fürchten, Anlytha«, sagte er. Seine Gefährtin nahm die Hände vom Ge sicht. Sie zitterten. »Aber die Gespenster werden vielleicht auch lebende Ungeheuer an Bord bringen, Yatta!« hauchte sie. »Es sind keine Gespenster«, erwiderte der Kundschafter. »Was dann?« fragte Anlytha. »Möglicherweise handelt es sich um Zeit moleküle«, antwortete Algonkin-Yatta be drückt. »Die beobachteten Erscheinungen lassen sich so am besten erklären, obwohl
5 ich diesen Effekt, der durch unseren langen Aufenthalt in den Dimensionskorridoren zu stande gekommen sein könnte, nur aus Theorien von MYOTEX kenne.« »Zeitmoleküle«, sagte Anlytha und stand auf. »Dann ist das alles gar nicht so schlimm, Yatta.« »Es ist viel schlimmer, Lytha«, erklärte der Kundschafter. »Gespenster wären dage gen liebenswerte Spielkameraden gewesen.«
* Anlytha sah sich angstvoll nach weiteren Nebelgebilden um und beruhigte sich etwas, als sie keine entdecken konnte. »Was sind Zeitmoleküle überhaupt, Yat ta?« »Das ist schwer zu erklären, Anlytha«, antwortete der Kundschafter, während er versuchte, so unauffällig wie möglich die Steuerzentrale zu mustern. »Vor allem sind Zeitmoleküle keine Moleküle im chemi schen oder physikalischen Sinn. MYOTEX hat den Begriff ›Zeitmoleküle‹ deswegen gewählt, weil man ihren Gesetzmäßigkeiten mit den gleichen Mitteln wie den Gesetzmä ßigkeiten der echten Moleküle beikommen kann, nämlich mit der Statistischen Mecha nik. Vor allem trifft das auf die Entropie zu. Hier unterliegen die auf Zeitmolekülen beru henden Vorgänge der gleichen Entwicklung wie die auf Materiemolekülen beruhenden. Auch sie strebten einem Zustand der größten Entropie, das heißt, einem Zustand des größ ten Gleichgewichts zu. Sie erreichen diesen Zustand sogar zum genau gleichen Zeit punkt, der durch das Ende von Zeit und Raum definiert wird, also das, was wir als das Ende des Universums bezeichnen wür den und was in Religionen als Tag des Jüng sten Gerichts …« »Ich würde die Erklärung nicht auf theo logische Definitionen ausdehnen, denn da von verstehst du nichts, Kundschafter«, er tönte die Stimme der Psiotronik. »Psiotronik!« rief Algonkin-Yatta erfreut. »Du bist wieder da?«
6 »Ich war niemals verschwunden«, erwi derte die Psiotronik. »Nicht als Ganzheit, meine ich. Nur meine Zentraleinheit wurde weit in die Zukunft geschleudert und fiel wieder zurück, worüber ich sehr froh bin, denn in dieser Zukunft gibt es keinen Kund schafter.« »Wird es keinen geben«, korrigierte Al gonkin-Yatta. »Woher soll ich das wissen?« entgegnete die Psiotronik. »In der Zukunft, in der ich war, gibt es zwar keinen Kundschafter, aber es wird vielleicht einen geben, wenn die Voraussetzungen sich in der Gegenwart än dern.« »Das sind doch Haarspaltereien!« erwi derte der Kundschafter. »Wichtig ist nur, daß deine Zentraleinheit zurückgekehrt ist – und daß wir etwas tun, um ein Auftauchen weiterer Zeitmoleküle zu verhindern.« Wie zum Hohn tauchten plötzlich fünf un terschiedlich große Zeitmoleküle in der Steuerzentrale auf. Algonkin-Yatta wich vor dem einen Nebelfleck zurück, der direkt vor seiner Brust erschienen war. Da zur gleichen Zeit unmittelbar hinter ihm ein weiteres Zeitmolekül erschien, stieß er mit dem lin ken Oberarm dagegen. Er stöhnte, wich schnell nach rechts aus und preßte dann die rechte Hand auf den lin ken Oberarm. Dort quoll Blut aus einer klaf fenden Wunde. Das Zeitmolekül, das die Bordkombination zerfetzt und ein Stück Fleisch aus dem Oberarm gerissen hatte, war wieder verschwunden. »Yatta!« schrie Anlytha entsetzt. »Du bist verletzt!« Sie traf Anstalten, dem Kund schafter zu Hilfe zu eilen. »Bleib stehen!« rief Algonkin-Yatta. »Ich bin nur am Arm verletzt, aber stell dir vor, du würdest mit dem Kopf gegen ein Zeitmo lekül rennen!« Unwillkürlich griff sich Anlytha an den Kopf und starrte furchtsam auf die drei Ne belflecken, die zwischen ihr und dem Kund schafter schwebten. »Es müßte nicht unbedingt etwas ver schwinden; es könnte auch etwas hinzuge-
H. G. Ewers fügt werden«, meinte die Psiotronik. »Ersteres geschieht durch Implosionen von Zeitmolekülen, das andere durch Explosio nen in unser Raum-Zei-tKontinuum.« »Vielleicht hättest du dann zwei Köpfe«, meinte Algonkin-Yatta. Er zog die Kombi nation aus, sprühte einen Biofilm auf seine Wunde und streifte eine neue Kombination über. »Igitt!« rief Anlytha. »Du bist ja ein rich tiges Scheusal, Algonkin-Yatta!« Der Kundschafter schmunzelte, aber nur kurz, denn seine Bemerkung war nur dem Bemühen seines Unterbewußtseins ent sprungen, ihm zu ermöglichen, der Gefahr entkrampft gegenüberzutreten. »Wir müssen uns sehr vorsichtig und wachsam bewegen«, erklärte er. »Zur Zeit scheinen die Zeitmoleküle stillzustehen. Das kann sich jeden Augenblick ändern. Deshalb müssen wir nach einer Möglichkeit suchen, die Bedrohung abzuwenden.« »Kann man die Zeitmoleküle nicht ir gendwie aus dem Schiff entfernen?« fragte Anlytha kläglich. »Womit?« erwiderte Algonkin-Yatta. »Wir müssen die Ursache der Bildung von Zeitmolekülen bekämpfen«, warf die Psiotronik ein. »Da sie mit großer Wahr scheinlichkeit im Flug des Schiffes durch Dimensionskorridore liegt, sollte der Flug abgebrochen werden.« »Bist du sicher, daß das helfen würde?« meinte der Kundschafter zweifelnd. Es gab einen lauten Knall, und die Front wand des Navigationssystems beulte sich nach innen. Auf den Kontrollschirmen wur de es dunkel. »Das war eine typische Zeitimplosion«, erklärte die Psiotronik. »Wenn sie im Steue rungssystem der Triebwerke erfolgt wäre, brauchtest du nicht mehr zu überlegen, ob du den Flug innerhalb der Dimensionskorri dore abbrechen sollst oder nicht, Kundschaf ter.« Zwei weitere nebelhafte Gebilde gesellten sich zu den fünf in der Steuerzentrale schwebenden Zeitmolekülen. Auf den In
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ternkontrollen leuchteten zwei rote Felder auf. »Was bedeutet das?« fragte Anlytha, ob wohl sie eigentlich wissen mußte, denn sie kannte die Kontrollen des Kundschafter schiffs inzwischen fast ebenso gut wie der Kundschafter selbst. »Es hat je eine Zeitimplosion in der Wohnzelle und im Triebwerkssektor gege ben«, sagte Algonkin-Yatta und schaltete an den Triebwerkskontrollen. »In der Wohnzelle!« jammerte Anlytha. »Wo unsere kostbarsten Schätze aufbewahrt werden!« »Lieber soll unser voomianischer Zahn bohrer verschwinden als ein wichtiges Bord system«, erklärte Algonkin-Yatta und schal tete weiter. Im nächsten Augenblick hatten er und sei ne Partnerin das Gefühl, in einen giganti schen Strudel gerissen zu werden. Dann gab es einen Ruck – und das Schiff schwebte lautlos inmitten der Szenerie von Milliarden Sternen …
* Im gleichen Moment sah Algonkin-Yatta, daß sich die Anzahl der in der Steuerzentrale schwebenden Zeitmoleküle auf vierzehn er höht hatte. Das konnte nur während der letz ten Sekunden innerhalb des Dimensionskor ridors geschehen sein, denn innerhalb eines festen Raum-Zeit-Komplexes, wie es der Normalraum war, durften sich keine Zeitmo leküle bilden. So besagte es jedenfalls die von MYOTEX ausgearbeitete Theorie. »Was ist denn das, Yatta?« rief Anlytha. Algonkin-Yatta blickte zu seiner Partnerin und sah, daß sie auf den Bildschirm der Au ßenbeobachtung schaute, der den Raum in Flugrichtung wiedergab. Und da sah er es ebenfalls! Die Ränder der vorderen Bildplatte gaben die sich in der Ferne verlierenden Mikroga laxien jener riesigen Kugelschale wieder, die nach den bisherigen Hypothesen und Theo rien die Schwarze Galaxis umhüllte.
Von der Schwarzen Galaxis war bisher nichts zu sehen gewesen, aber da sich das Schiff die ganze Zeit über in ihrem Sog be funden hatte, mußte sie logischerweise vor dem Schiff liegen. Und genau dort schwamm in der Finster nis ein Meer seltsamer Sterne, deren An blick den Betrachter in einen unheimlichen Bann zu ziehen schien. Algonkin-Yatta schaute die Sterne an und stellte fest, daß sie von einer abnormal ge ringen Dichte sein mußten, denn im Zen trum jedes Sterns war ein kugelförmiges schwarzes Gebilde zu sehen. »Das ist nicht möglich!« entfuhr es dem Kundschafter. »Was soll nicht möglich sein?« erkundig te sich die Psiotronik. »Was soll nicht möglich sein!« äffte Al gonkin-Yatta die Psiotronik verärgert nach. »Weißt du denn nicht, daß Sterne, deren Materie so dünn ist, daß man in ihrem In nern einen schwarzen Kern sehen kann, gar keine Sterne sein können?« »Selbstverständlich weiß ich das«, erwi derte die Psiotronik. »Beziehungsweise kann ich das als logische Folgerung aus den mir zugänglichen Informationen über Astrophy sik ableiten. Ich sehe aber keine Veranlas sung, ausgerechnet jetzt dieses Thema anzu schneiden.« Algonkin-Yatta wurde wieder ruhig. »Du empfängst die Ortungsdaten über die vor uns liegende Sterneninsel?« fragte er sachlich. »Ich empfange sie und halte diese Ster neninsel nach allen bisher vorliegenden In formationen, Hypothesen und Theorien für die von dir gesuchte Schwarze Galaxis«, antwortete die Psiotronik. »Gut, gut!« sagte der Kundschafter und schielte immer wieder zu den Zeitmolekü len, die vor wenigen Sekunden damit ange fangen hatten, sich mit kaum erkennbarer Geschwindigkeit zu bewegen. »Dann sage mir, was alle Sterne dieser Galaxis gemein sam haben?« »Wenn ich alle Sterne dieser Galaxis dar
8 aufhin untersuche, dann haben sie nur das gemeinsam, daß sie eben Sterne sind, Bal lungen von Materie, die so dicht sind, daß in ihren Kernen Fusionsprozesse aller Spielar ten ablaufen«, erklärte die Psiotronik. Verwundert blickte Algonkin-Yatta er neut auf die Sterne der Schwarzen Galaxis. Aber die schwarzen Gebilde im Innern wa ren noch immer da. »Du siehst keine schwarzen Gebilde oder Kerne im Innern dieser Sterne?« fragte er weiter. »Das kann ich gar nicht, da es so et was bei Sternen nicht gibt – jedenfalls nicht bei aktiven Sternen«, erwiderte die Psiotro nik. »Hm!« machte Algonkin-Yatta. »Das muß nicht bedeuten, daß ich mir die schwar zen Gebilde nur einbilde. Du siehst die Ster ne ja nicht wirklich, sondern bekommst nur ihre Daten von den Ortungsgeräten über spielt.« »Ich fürchte mich, Yatta!« klagte Anly tha. »Wenn ich diese Sterne ansehe, dann legt sich ein imaginärer schwarzer Vorhang über mein Gemüt. In dieser Galaxis existiert etwas Unheimliches. Laß uns umkehren, Al gonkin-Yatta!« Nach einem Rundblick auf alle Zeitmole küle innerhalb der Steuerkanzel konzentrier te er sich erstmals richtig auf die Betrach tung der Sterneninsel. Nach einer Weile be griff er, was seine Gefährtin so erschreckt hatte. Wenn man die Schwarze Galaxis lange genug ansah, drängte sich einem ein Bild der absoluten Finsternis auf und erfüllte die See le mit der Urangst aller Kreatur. Die Schwarze Galaxis mußte eine auf psioni schem Wege wirkende düstere Aura besit zen, die aber wahrscheinlich nur auf biolo gisch lebende, beseelte Wesen wirkte und deshalb niemals von einer Psiotronik wahr genommen werden konnte. »Du spürst es auch, Yatta!« sagte Anly tha. »Nicht wahr, du wirst umkehren?« »Umkehren?« fragte Algonkin-Yatta ver blüfft. »Sicher, ich spüre es auch, Lytha, aber gerade deshalb ist an Umkehr nicht zu
H. G. Ewers denken. Vergiß nicht, daß ich ein Kund schafter von Ruoryc bin. Diese schreckliche Schwarze Galaxis ist für mich so faszinie rend, daß ich sie selbst dann untersuchen würde, wenn ich nicht hoffen dürfte, dort ir gendwann mit Atlan zusammenzutreffen.« »Aber, Algonkin-Yatta, du hast ja keine Ahnung, was uns in der Schwarzen Galaxis erwartet!« begehrte Anlytha auf. »Das habe ich allerdings nicht«, erwiderte der Kundschafter. »Aber du auch nicht, Ly tha. Wer weiß, vielleicht birgt dieser Ster nendschungel unvorstellbare Schätze. Au ßerdem nehmen wir erst einmal Kurs auf einen der Schwarzen Galaxis vorgelagerten kleinen Sternennebel.« Anlythas Augen bekamen einen hellen Glanz. »Unvorstellbare Schätze …!« flüsterte sie träumerisch. »Yatta, gib Vollschub auf die Triebwerke!«
2. Das Wesen sah aus wie ein buckliger Zwerg, trug eine Art Zwischending zwi schen Raumanzug und Ritterrüstung und hielt in der linken Hand etwas, das wie ein silberfarbener Bumerang mit einer scharfge schliffenen Seite aussah. Ganz offensichtlich war dieses Wesen durch das Verhalten eines Zeitmoleküls in die Steuerzentrale des Kundschafterschiffs versetzt worden – und ebenso offensichtlich war es nicht erbaut über die Veränderung seiner Umgebung. Es drehte sich im Kreis und musterte Algonkin-Yatta und seine Part nerin aus rollenden, rötlich gefärbten Augen. Der Kundschafter streckte die Arme halb aus und drehte die Handflächen nach oben, um dem fremden Wesen seine Friedfertig keit zu demonstrieren. Das schien zu gelingen, aber die Reaktion fiel anders als erhofft aus. Anscheinend war es dem Kundschafter lediglich gelungen, dem fremden Wesen zu zeigen, daß er eine leichte Beute sei, denn es gab so etwas, wie ein zufriedenes Grunzen von sich und warf
Landung auf Atlantis den Bumerang in Algonkin-Yattas Richtung. Der Kundschafter wich nur soviel aus, wie unbedingt nötig war. Der Bumerang sauste dicht an seinem Hals vorbei, kippte ab, wendete und kehrte zu dem fremden We sen zurück. Algonkin-Yatta zog seine Waffe und feu erte einen relativ schwachen Hitzestrahl auf den Boden vor den Füßen des Fremden. Das bewog diesen dazu, den bereits zum näch sten Wurf erhobenen Bumerang sinken zu lassen. »Das stimmt dich friedlich, wie?« sagte der Kundschafter ironisch. Der Fremde gab einige Kehllaute von sich, die wie »Ahkido« klangen, dann hüpfte er mit seltsam grotesk wirkenden Sprüngen bis dicht an Algonkin-Yatta heran und ver zog das Gesicht zu einem abscheulichen Grinsen. Algonkin-Yatta erwiderte das Grin sen und sagte: »Algonkin-Yatta.« Dabei deutete er auf sich selbst, ohne die Waffe zu senken. »Algonkin-Yatta«, wiederholte der Frem de langsam. »Ahkido«, sagte der Kundschafter. Aber mals grinste der Fremde, dann deutete er auf die Schneide seines Bumerangs, anschlie ßend mit dem Daumen über die Schulter in Anlythas Richtung und gab ein paar gluck sende Töne von sich. Algonkin-Yatta ver stand, was Ahkido wissen wollte. Er ersuch te um das Einverständnis des Kundschafters, Anlytha umbringen zu dürfen. Der Kund schafter wollte dem buckligen Zwerg schon mit einem schnellen Schlag den Bumerang aus der Hand schlagen, als er sah, daß Anly tha das Aussehen einer siebenköpfigen Rie senschlange vorgaukelte. Mit abwehrenden Handbewegungen deu tete er Furcht an und bewog den Fremden dazu, sich nach Anlytha umzusehen. Als Ahkido die »Riesenschlange« erblickte, die Anlytha mit ihren psionischen Kräften vor gaukelte, ließ er den Bumerang fallen und sank in die Knie. Anlytha gaukelte die Verwandlung in
9 einen Dämon vor, dessen Schädel mit der furchterregenden Fratze zwei Drittel des Körpers ausmachte. Ahkido zitterte plötzlich. Mit bebenden Fingern tastete er nach seinem Bumerang, hob ihn auf und legte ihn auf seinen gebeug ten Nacken. »Laß es gut sein, Lytha!« rief Algonkin-Yat ta. »Ahkido drückt damit aus, daß er den Ur teilsspruch einer als überlegen erkannten Gottheit anerkennt, egal wie er ausfällt.« Anlytha ließ ihre vorgegaukelte »Maske« fallen, trat, vorsichtig allen Zeitmolekülen ausweichend, zu dem Fremden, nahm den Bumerang an sich und schob ihn triumphie rend hinter ihren Gürtel. Durch Gesten gab sie Ahkido zu verstehen, daß er begnadigt worden war und aufstehen durfte. Der bucklige Zwerg richtete sich auf, murmelte undeutliche Worte und verbeugte sich immer wieder vor Anlytha. Es entging Algonkin-Yatta jedoch nicht, daß er dabei verstohlen nach seinem Bumerang schielte. »Da hast du dir etwas eingehandelt, Kundschafter!« sagte die Psiotronik. Ahkido zuckte bei den Worten des »Unsichtbaren« zusammen und starrte nach einander die Wände, den Boden und die Decke der Steuerzentrale an. »Wieso?« fragte Algonkin-Yatta. »Was hätte ich sonst tun sollen, Psiotronik?« »Ihn durch die Schleuse schicken«, er klärte die Psiotronik. »Ich weiß, das wider spricht der mathonischen Ethik, aber es wäre die einzige Garantie dafür gewesen, daß er nicht versuchen würde, euch heimlich umzu bringen.« »Ich könnte trotzdem keinen Mord bege hen«, erwiderte Algonkin-Yatta. »Vorerst werde ich ihn nicht aus den Augen lassen.« »Was dir schwerfallen wird angesichts der weiteren Aktivitäten der Zeitmoleküle«, meinte die Psiotronik. »Ihre Anzahl scheint sich innerhalb des Normalraums nicht zu vergrößern, aber sie können anscheinend auch nicht einfach verschwinden wie inner halb des Dimensionskorridors. Merkst du, daß sie sich allmählich schneller bewegen?«
10 Der Kundschafter hatte es selbst schon festgestellt. Die Zeitmoleküle bewegten sich jetzt wie große Nebelschmetterlinge durch die Steuerzentrale. »Vielleicht suchen sie nach einem Aus gang«, meinte Anlytha. »Zieht euch in die Wohnzelle zurück, dann werde ich die Schleusen öffnen!« sagte die Psiotronik. »Vielleicht wollen die Zeit moleküle tatsächlich das Schiff verlassen.« »In Ordnung!« erwiderte der Kundschaf ter. Er faßte Ahkido am Oberarm. Der buckli ge Zwerg fauchte ihn zwar an, aber er leiste te keine Gegenwehr. Doch sie kamen nicht einmal bis zum nächsten Schott. Die Zeitmoleküle wirbelten immer schneller umher und versperrten ih nen den Weg aus der Steuerzentrale. Dabei berührten sie nacheinander eine kleine Ne benschaltkonsole und einen Plastikkasten mit Konserven von Terra und ließen die bei den Gegenstände verschwinden. Sie selbst blieben jedoch da. Algonkin-Yatta und Anlytha hatten Mü he, sich selbst und ihren unwillkommenen Gast vor den Zeitmolekülen in Sicherheit zu bringen. Sie mußten praktisch unablässig in Bewegung bleiben, um nicht verletzt oder »aufgelöst« zu werden. Plötzlich merkte der Kundschafter, daß er von Halluzinationen geplagt wurde. Zeitweise vermochte er die Realität kaum noch zu erkennen. Angesichts der herumfliegenden Zeitmoleküle bedeutete das allerhöchste Gefahr. »Ich versuche, mit einer bestimmten psio nischen Schwingung die Zeitmoleküle abzu bremsen«, teilte die Psiotronik mit. Algon kin-Yatta hörte es wie durch einen Berg flauschiger Wolle. »Das könnte bei biologi schen Systemen wie euch Wahrnehmungs störungen hervorrufen.« »Es macht uns, völlig hilflos!« schrie der Kundschafter verzweifelt. »Es ist meine einzige Möglichkeit, den Untergang des Schiffes und euren Tod hin auszuzögern«, erwiderte die Psiotronik. »Dennoch nützt es nur vorübergehend et-
H. G. Ewers was, wenn es dir nicht gelingt, die Steuerung auf Manuellbedienung zu schalten und das Schiff zu einem Planeten des Sternennebels zu bringen. Ich kann es nicht, solange ich mich auf die Aussendung der psionischen Schwingungen konzentrieren muß.« Algonkin-Yatta verstand zuerst nicht al les, denn zu den optischen Halluzinationen gesellten sich akustische. Erst nach mehre ren Wiederholungen wußte er, was die Psio tronik sagen wollte. Und erst einige Minuten später begann er zu begreifen, welche Ungeheuerlichkeit sie da von ihm verlangte …
* Der Kundschafter wußte nicht, wieviel Zeit er dazu gebraucht hatte, um die Haupt kontrollen zu erreichen und die Steuerung auf Handbetrieb zu schalten. Ihm kam es wie eine halbe Ewigkeit vor. Er war prak tisch infolge der kaum unterbrochenen Hal luzinationen durch zahllose vorgegaukelte fremde und bizarre Welten getaumelt und hatte dabei ständig versucht, die Richtung einzuhalten, die in seiner realen Welt zu den Hauptkontrollen führte. Zweifellos hatte er dabei zahlreiche Um wege eingeschlagen, denn es war gar nicht zu vermeiden, vielen tödlich realistisch wir kenden Erscheinungen der Halluzinations welten auszuweichen. Doch er hatte es schließlich unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft geschafft – und als er mit den Fingerspitzen die Sensoren der Kontroll wand ertastete, fiel es ihm leichter, gegen die Halluzinationen anzukämpfen. Und allmählich kam es durch die ununter brochenen Rückkopplungen zwischen Be wußtsein und Unterbewußtsein zu einer Art Immunisierung gegen die halluzinatorischen Wirkungen der von der Psiotronik ausge strahlten psionischen Schwingungen. Mit seltsamer Klarheit sah Algonkin-Yat ta die Dinge der Realität. Erst, als ihm be wußt wurde, daß er sich selbst, Anlytha und Ahkido, nicht sah, erkannte er, daß er die
Landung auf Atlantis Realität ebenfalls nicht wirklich sah, son dern sich die optischen und akustischen Ein drücke nur selbst suggerierte. Aber es spielte keine Rolle, da die suggerierten Eindrücke mit der Realität übereinstimmten. Allerdings fragte er sich, wie es kam, daß er unter diesen Umständen eine Gruppe von Sonnen im Vorfeld der Schwarzen Galaxis anpeilen und untersuchen und daß er ein Sy stem finden konnte, das zweifellos über Pla neten verfügte und daß er das Schiff auf einen Überlichtkurs zu diesem Sonnensy stem zu bringen vermochte. Irgend etwas schien in seinem Unterbewußtsein abzulau fen, das sich seinem Verständnis entzog, das aber dennoch funktionierte. Wieder verging eine Zeitspanne, die sich seinem Vorstellungsvermögen entzog. Als sie vergangen war, bemerkte Algonkin-Yat ta, daß das Kundschafterschiff sich bereits innerhalb eines Sonnensystems befand – und die Tatsache, daß er sich selbst und auch sei ne beiden Gefährten wieder sah, verriet ihm, daß er die Realitäten um sich direkt sehen konnte, ohne sie sich zu suggerieren. »Ich habe die Schwingungsstärke ab schwächen können, da die Zeitmoleküle in zwischen soweit ›gelähmt‹ sind, daß sie wahrscheinlich für einige Stunden keine große Gefahr mehr sein werden«, teilte die Psiotronik mit. »In dieser Zeitspanne muß das Schiff jedoch unbedingt auf einem Pla neten landen und mit der Atmosphäre geflu tet werden, damit es eine Chance gibt, die Zeitmoleküle loszuwerden.« »Loszuwerden!« wiederholte Anlytha und stöhnte laut. »Wie stellt diese verrückte Psiotronik sich das vor! Sollen wir die Zeit moleküle vielleicht höflich bitten, das Schiff zu verlassen?« Sie hatte auf dem Boden gelegen und richtete sich langsam auf. »Ich bin vollkommen fertig von diesen dummen Halluzinationen.« Ahkido wim merte. Auch er lag auf dem Boden, aber er traf keine Anstalten, sich zu erheben. Die Halluzinationen mußten ihn halb wahnsinnig gemacht haben. Algonkin-Yatta konnte sich
11 nicht um den »Gast« kümmern. Er hatte an dere Sorgen. Auf den Datenschirmen las er die Analyse der Verhältnisse innerhalb des Sonnensystems, in das das Kundschafter schiff eingeflogen war. Es handelte sich um eine gelbe Sonne mit zwei Planeten. Der innere Planet war eine kleine trockene Welt ohne atembare Atmo sphäre. Der äußere Planet dagegen war un gefähr erdgroß und besaß vor allem eine atembare Sauerstoffatmosphäre. Er hatte zwei große Kontinente und flache, mit zahl losen Inseln und Inselchen durchsetzte Mee re. »Ich denke, wir landen auf dem inneren Planeten«, erklärte Algonkin-Yatta. »Dort gibt es mit Sicherheit kein Leben, das sich auf einer uns annähernd vergleichbaren In telligenzstufe befindet. Also können die Zeitmoleküle auf dieser Welt keinen Scha den anrichten, wenn es uns gelingt, sie aus dem Schiff zu vertreiben.« »Diese Entscheidung ist zwar ethisch sehr hochstehend, aber praktisch falsch«, entgeg nete die Psiotronik. »Kundschafter, ich muß dich leider darauf hinweisen, daß wir bei neuerlicher Aktivität der Zeitmoleküle mit schweren Schäden am Schiff rechnen müs sen. Es könnte sein, daß es dadurch zum raumuntauglichen Wrack wird. Das aber würde den Tod von dir, Anlytha und diesem Subjekt namens Ahkido bedeuten. Deshalb schlage ich vor, daß du den äußeren Plane ten zur Landung auswählst.« »Und wenn dort zivilisierte Lebewesen wohnen?« fragte der Kundschafter aufge bracht. »Wer schützt sie dann vor den wild gewordenen Zeitmolekülen?« »Du, Kundschafter«, antwortete die Psio tronik. Dieser Logik konnte sich Algonkin-Yatta nicht verschließen. Er nahm Kurs auf den äußeren Planeten.
* Die Sensoren des Kundschafterschiffs wa ren ausnahmslos auf den äußeren Planeten
12 gerichtet, soweit sie nicht durch Zeitmolekü le beschädigt oder »fortgehext« worden wa ren, wie Anlytha sich auszudrücken beliebte. »Keine energetischen Aktivitäten«, las Algonkin-Yatta ab. »Es handelt sich um einen Planeten mit Niederdruckatmosphäre, mäßig warmem und feuchtem Klima und ei ner artenreichen Flora. Was die Fauna an geht, so entzieht sie sich noch der Sensoror tung – und für die Zellschwingungstaster sind wir noch zu weit entfernt.« Anlytha ließ sich in den Sessel neben Al gonkin-Yatta sinken. »Gibt es denn Ansiedlungen dort unten?« fragte sie und deutete auf einen Bildschirm, der den äußeren Planeten in Realvision als medizinballgroße Kugel zeigte. »Das weiß ich noch nicht«, erwiderte der Kundschafter. »Größere Städte gibt es je denfalls nicht, sonst hätten die Sensoren ent sprechende Emissionen angemessen. Den noch können wir nicht ausschließen, daß ei ne Lebensform existiert, deren Entwicklung die Vorstufe einer Zivilisation erreicht hat. Deshalb werde ich das Schiff vorsichtshal ber auf einer der kleineren Inseln landen. Dort können wir wohl kaum nennenswerten Schaden anrichten.« Er und Anlytha fuhren herum, als hinter ihnen ein klickendes Geräusch zu hören war. »Nein!« rief Algonkin-Yatta. Ahkido kniete neben dem Fragment des »Rechens« und bewegte die »Zinken« hin und her. Dabei entstanden klickende Ge räusche. Außerdem leuchteten jedesmal die facettenartig schimmernden Flächen über den betreffenden »Zinken« auf. Ahkido hob den Kopf und begegnete den Blicken des Kundschafters und seiner Ge fährtin. »Mhudik«, sagte er. Algonkin-Yatta machte eine abwehrende Handbewegung. »Nichts Mhudik!« Aber der bucklige Zwerg fuhr fort, die »Zinken« zu bewegen. Plötzlich summte es laut – und im nächsten Augenblick materia lisierte etwas Undefinierbares in der Luft
H. G. Ewers über Ahkido, stürzte herab und fiel auf den Zwerg. Ächzend ging Ahkido zu Boden. Al gonkin-Yatta und Anlytha sprangen auf und eilten zu ihrem »Gast«, um ihm zu helfen. Das Undefinierbare lag halb auf dem Be wußtlosen. Es bestand aus einer Art Metall plastik, war graugrün und vielfach geglie dert. Algonkin-Yatta mußte es notgedrungen aufheben, um Ahkido helfen zu können. Prüfend hielt er es hoch. »Es scheint sich um das Fragment eines Roboters zu handeln«, meinte er nachdenk lich, während Anlytha sich um Ahkido küm merte. »Er ist nur bewußtlos und hat eine Beule am Kopf«, erklärte Anlytha. »Das Ding hat überhaupt keinen Kopf«, sagte der Kundschafter. »Ich spreche von Ahkido«, erwiderte An lytha. »Ach, so!« sagte Algonkin-Yatta und leg te das Roboter-Fragment zur Seite. »Und ich von Mhudik. Komisch, seine Erbauer waren sicher nicht humanoid, aber ich kann einfach nicht erkennen, wie das Ding funktioniert hat.« In das Roboter-Fragment kam Bewegung. Irgendwie entstand der Eindruck eines Zuckens. Scharrende Geräusche waren zu hören. Ahkido kam zu sich, als Anlytha ihm den Inhalt einer Wasserflasche über den Kopf goß. Er grunzte, schnaubte und schüttelte sich, dann starrte er aus rollenden Augen auf das Roboter-Fragment. »Mhudik?« fragte Algonkin-Yatta und tippte mit dem Zeigefinger an das Fragment. Er riß die Hand zurück, als etwas aus dem Fragment danach schnappte. »Khi Khera Mhudik«, sagte der bucklige Zwerg. »Halte dich nicht mit Nebensächlichkei ten auf, Kundschafter«, rief die Psiotronik. »Die Zeitmoleküle werden allmählich wie der aktiv.« »Paß du auf das Fragment und Ahkido auf, Lytha!« sagte Algonkin-Yatta. »Vor al lem soll unser ›Gast‹ nicht mehr mit dem
Landung auf Atlantis
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›Rechen‹ spielen. Das Mhudik-Ding reicht völlig.« Ohne sich weiter um seine Gefährtin zu kümmern, eilte er an die Kontrollen zurück. Die Zeitmoleküle bewegten sich noch nicht wieder, aber einige von ihnen pulsierten schwach. Algonkin-Yatta schaltete die Triebwerke hoch und drückte das Kundschafterschiff auf den Planeten hinab. Schon nach knapp zwanzig Minuten drang das Raumschiff in die Atmosphäre des Planeten ein. Algonkin-Yatta aktivierte den Schutzschirm, um eine Reibung der Außen haut mit den Luftmolekülen zu verhindern. Er steuerte sein Schiff auf Sicht zur Tagseite des Planeten, drückte es durch eine dichte Wolkenschicht und flog auf eine kleine Insel zu, die zu einer Gruppe größerer Inseln ge hörte. Unmittelbar vor der Landung sah der Kundschafter etwas, das ihn normalerweise bewogen hätte, den Landevorgang abzubre chen und noch einmal durchzustarten: eine Anzahl igluförmiger Bauten unmittelbar an einem zerklüfteten Ufer der Insel. Doch ein an seinem Gesicht vorbeischwe bendes Zeitmolekül sagte ihm, daß er keine Zeit mehr hatte, um nach einer anderen Insel zu suchen, auf der es keine Anzeichen einer Zivilisation gab, und wenn sie noch so pri mitiv war. Er setzte das Schiff in einer Lichtung des dichten Waldes auf, der zwei Drittel der In sel bedeckte, dann schaltete er alle Systeme ab und öffnete die Schleusen. »Zeitanker ist erreicht!« erklärte er bedeu tungsvoll. »Hoffentlich merken das auch die Zeitmoleküle!«
3. Die farbigen Leuchtkristalle knirschten unter den Stiefelsohlen Heimdalls, als der Göttersohn die Hauptpyramide der FE STUNG verließ. Er achtete nicht auf den Gesang der Vögel, nicht auf die Blüten pracht des Gartens und nicht auf das Plät
schern der Springbrunnen. Als er das Gebiet zwischen der Hauptpyramide und den – ebenfalls pyramidenförmigen – Beibooten der FESTUNG erreichte, blieb er auf dem unfruchtbaren öden Boden stehen, legte den Kopf in den Nacken und starrte mit finste rem Gesicht durch den transparenten Wölb mantel, der Pthor umgab, ins All. Die Sterne der Schwarzen Galaxis funkelten und glit zerten wie ganz normale Sterne, wenn man sie nur flüchtig betrachtete. Aber Heimdall brauchte sie gar nicht genau anzusehen, denn er wußte inzwischen auch so, daß sie alles andere als normal waren. Die düstere Aura der Schwarzen Galaxis bedrückte ihn, aber nicht so sehr wie seine düsteren Erwar tungen. Pthor war im Vorfeld der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen, und es sah nicht so aus, als würde es seinen Flug fortsetzen – jedenfalls nicht, bevor die Wächter der Schwarzen Galaxis die Verhält nisse auf dem »Dimensionsfahrstuhl« pein lich genau überprüft hatten. Heimdalls Gesicht verfinsterte sich noch mehr, als er den schüsselförmigen Zugor er blickte, der hinter einer bewegten Wasser wand zu schweben schien, als er durch den Wölbmantel tauchte. Aber sofort wurden die Konturen des Fahrzeugs wieder scharf. Langsam sank es herab, verharrte einige Mi nuten in etwa 5000 Metern Höhe, während die Insassen, ihre Raumanzüge gegen ihre normale Kleidung vertauschten, sank weiter und setzte wenige Meter vor Heimdall auf. Ein Mann in einer stahlblauen Rüstung stieg umständlich über den Rand des Zu gors, rückte sein umgegürtetes Schwert zu recht und schüttelte in theatralischer Gebär de seinen reichverzierten Schild. »Nun, Balduur?« grollte Heimdall unge duldig. »Wie sieht es draußen aus?« »Nicht viel anders als hier drinnen«, gab Balduur unwillig zurück. »Mach gefälligst den Mund richtig auf, wenn du mit dem ältesten Sohn unseres Va ters redest!« fuhr Heimdall ihn an. Ein weiterer Mann schwang sich elegant über die Bordwand des Zugors. Sein Gesicht
14 wirkte beinahe jungenhaft und vor allem nicht finster, sondern freundlich. Er trug einen Waffenrock und ein gepanzertes Le derwams von schwarzer Farbe, mit blauen metallischen Verzierungen und roten Gurten und Schnüren. Unter dem Waffenrock rag ten rote Hosenbeine mit blauen metallischen Beschlägen hervor. Sie steckten in hoch schäftigen Lederstiefeln mit blauroten Ver zierungen. Die gleichen Verzierungen waren auch an den großen Stulphandschuhen zu se hen. Den Kopf bedeckte ein Helm mit viel farbigen Federbüschen an den Seiten, und in der rechten Hand trug der Mann eine selt sam geformte Waffe, die Garpa. »Warum so mißgestimmt, edler Bruder?« rief er Heimdall zu und lachte dabei. »Noch sitzt uns das Schwert der Wächter nicht an den Kehlen!« Heimdall starrte den jüngsten der Götter söhne verärgert an. »Wie kannst du scherzen, wenn es uns bald an den Kragen geht, du leichtsinniger Vogel!« knurrte er. »Woher willst du wissen, daß es uns an den Kragen gehen soll?« fragte Sigurd. »Der Weltraum draußen ist so leer wie ein Vaku um nur sein kann.« »Das wird sich bald ändern, Sigurd«, meinte Balduur. »Ich spüre es. Und auch ich frage mich, was wir den Abgesandten der Mächtigen sagen sollen, wenn sie kommen.« »Ach, was!« sagte Sigurd und legte sich die Garpa über die Schulter. »Überlegt lie ber, was wir den Abgesandten der Städte Pthors sagen sollen, wenn sie uns fragen, wie sie sich zu verhalten haben? Immerhin liegt seit Atlans Verschwinden die Last der Verantwortung auf unseren Schultern.« »Dich scheint sie nicht zu drücken«, gab Heimdall finster zurück. Er blickte zu dem Gelände außerhalb der FESTUNG, auf dem in kleinen Gruppen die Delegierten aus allen Gegenden Pthors lagerten und darauf warte ten, zu den Odinssöhnen vorgelassen zu werden. Balduur spie aus. »Ein schöner ›König von Atlantis‹ ist das,
H. G. Ewers der Pthor in der entscheidenden Zeit verläßt, um sich in Sicherheit zu bringen und uns al les ausbaden zu lassen, was er uns einge brockt hat!« »Und der noch dazu mit unserer mißrate nen Schwester Thalia flirtet!« fügte Heim dall hinzu. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. »Warum sollen wir uns überhaupt für das verantworten, was sich auf Pthor ab spielte! Warum schieben wir nicht alle Schuld Atlan in die Schuhe! Er hat es uns schließlich selbst vorgeschlagen.« »Ja, warum nicht!« fiel Balduur ein. »Ihr seid mir Brüder!« erklärte Sigurd. »Göttersöhne wollt ihr sein und könnt nicht für das geradestehen, an dem ihr mitgewirkt habt!« »Wir konnten damals nicht ahnen, daß Pthor so plötzlich in die Schwarze Galaxis zurückkehren würde«, erwiderte Heimdall. »Sonst hätten wir uns auf nichts eingelassen. Und wir waren schließlich nicht verantwort lich für das, was Pthor auf den verschiede nen Zielwelten anrichtete.« »Aber wir wußten davon«, erklärte Si gurd. »Na, schön, wir konnten nichts dage gen tun, nichts, bevor Atlan uns half. Aber wenn Pthor nicht zurückgerufen worden wä re, könnte alles in bester Ordnung sein. Einen besseren und gerechteren König von Atlantis als Atlan kann ich mir nicht vorstel len.« »Blödsinn!« fuhr Heimdall ihn an. »Ich konnte Atlan nie riechen. Er hat uns das al les eingebrockt und sich dann aus dem Staub gemacht. Ich sehe nicht ein, warum wir für ihn unsere kostbare Haut zu Markte tragen sollen. Balduur, rufe nacheinander die Dele gationen herein, damit wir ihnen erklären, wie sie sich bei der Ankunft der Wächter verhalten sollen!« Etwa eine halbe Stunde später traten die fünf Abgesandten der Stadt Orxeya vor die drei Odinssöhne. Die Orxeyaner waren ausnahmslos Män ner und von kräftiger, untersetzter Statur. Wildes rotblondes Haar umwehte ihre kanti gen Schädel; die ebenfalls rotblonden Voll
Landung auf Atlantis bärte waren teilweise zu Zöpfen geflochten. Alle fünf Abgesandten trugen schwarze Le derkleidung mit hellgrauem Pelzbesatz, dazu hochschäftige dunkelgraue Stiefel. In den Gürtelscheiden steckten nur die Messer; die Schwerter hatten die Orxeyaner in ihrem La ger gelassen. »Söhne der Götter!« sagte einer der Abge sandten. »Ich bin Gynar Tronk, Ältester der Delegation, die vom Gewicht und vom See lenerschaffer zu euch gesandt wurde, um euch darum zu bitten, einige Fragen stellen zu dürfen.« Heimdall verzog angewidert das Gesicht, als er im Atemdunst der Orxeyaner den säu erlichen Geruch des Kromyats witterte, ei nes Beerenweins, den die Orxeyaner in Mas sen tranken. »Stelle deine Fragen, Gynar Tronk!« sag te er ungnädig. »Gibt es Nachrichten von dem König von Atlantis?« fragte der Orxeyaner, ohne sich an dem Tonfall Heimdalls zu stören. »Wann kehrt er zurück?« Heimdall lachte verächtlich. »Habt ihr geglaubt, Atlan würde nach At lantis zurückkehren, solange die Ankunft der Wächter der Schwarzen Galaxis bevorsteht! Was seid ihr für Narren! Atlan würde sich doch niemals der Gefahr aussetzen, in die Gewalt der Mächtigen der Schwarzen Gala xis zu fallen!« Gynar Tronk und seine Begleiter machten betroffene Mienen. »Wollt ihr sagen, der König von Atlantis hätte seine Untertanen im Augenblick der Gefahr absichtlich allein gelassen?« sagte Gynar Tronk. Heimdall zögerte eine Weile, dann zuckte er die Schultern. »Ich will gar nichts sagen und schon gar keine Behauptungen über eine Flucht Atlans aufstellen. Ich sehe nur, daß er nicht auf Pthor weilt und daß wir mit der baldigen Ankunft der Wächter rechnen müssen.« »Wie bald wird das sein, Herr?« fragte Gynar Tronk. »Sind wir allwissend?« fuhr Sigurd auf.
15 »Wir sind nicht absolut allwissend«, kor rigierte Balduur ihn. »Aber wenn wir die Zeit bedenken, die Pthor schon im Vorfeld der Schwarzen Galaxis stillsteht, dann ist es klar, daß wir täglich mit dem Erscheinen der Abgesandten der Mächtigen rechnen müs sen.« »Pthor hat sich verändert«, sagte Gynar Tronk vorsichtig. »Die Verhältnisse sind nicht mehr so, wie die Mächtigen der Schwarzen Galaxis sie geschaffen haben – vor undenklichen Zeiten. Wird man auch den Bürgern von Orxeya Schuld an den Ver änderungen geben?« Heimdall wollte aufbrausen, aber Balduur verhinderte es, indem er eine Hand be schwichtigend auf den Unterarm des älteren Bruders legte und sagte: »Ihr alle werdet schwer bestraft werden, wenn wir nichts tun, um euch zu helfen. Aber seid ohne Sorge, denn wir werden aus sagen, daß es Atlan war, der alle Bewohner von Pthor verblendete und den Umsturz her beiführte – und daß wir ihn mit eurer Hilfe verjagt haben, um die alten Verhältnisse wiederherzustellen.« Gynar Tronk blickte Balduur zweifelnd an, dann wandte er sich an Heimdall und sagte: »Aber das stimmt doch gar nicht!« »Wagst du es, einem Göttersohn zu wi dersprechen!« schrie Heimdall. »Und außer dem, willst du, daß die Abgesandten der Mächtigen euch grausam bestrafen?« »Nein«, erwiderte Gynar Tronk. »Ich glaube, es war so, wie du gesagt hast. Atlan war an allem schuld.« »Richte das dem Gewicht und dem Seele nerschaffer aus!« sagte Heimdall. »Und schickt die nächste Delegation her ein!« sagte Balduur. Als die Orxeyaner zu dem Zugor gingen, in dem zwei Technos darauf warteten, sie wieder aus dem Territorium der FESTUNG zu fliegen, sagte Sigurd: »Das war schon ein starkes Stück.« »Es ist ein Akt der Selbsterhaltung, wenn wir alle Schuld auf Atlan schieben«, erklärte
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H. G. Ewers
Balduur. »Außerdem glaube ich wirklich nicht daran, daß er jemals zurückkommt. Wir sollten deshalb überlegen, ob es eine Möglichkeit gibt, uns mit den Mächtigen der Schwarzen Galaxis zu arrangieren.« »Genau das ist meine Idee!« rief Heim dall. »Vielleicht ernennt man uns dann zu Statthaltern von Pthor, und wir könnten dann ein Leben führen, wie es Göttersöhnen zusteht.« »Und ihr schämt euch nicht einmal!« stellte Sigurd grimmig fest. »Willst du dich für Atlan einsetzen und für ihn sterben?« fragte Heimdall. Sigurd schaute zu Boden. »Nein, das nicht«, erklärte er leise.
4. Algonkin-Yatta duckte sich, als ein fuß ballgroßes Zeitmolekül genau auf sein Ge sicht zuflog. Das Zeitmolekül schwebte über ihn hinweg, dann kehrte es um. »Das kann doch nicht wahr sein!« rief der Kundschafter. »Zeitmoleküle sind doch kei ne denkenden Wesen!« Aber vielleicht werden sie von Instinkten gesteuert! überlegte er, während er die tote Schlange aufhob und sie dem nebelartigen Zeitmolekül entgegenschleuderte. Es gab einen schnalzenden Laut, dann war die Schlange verschwunden. Das Zeitmolekül verharrte einige Sekunden lang auf der glei chen Stelle, dann wendete es langsam und strich dicht an der Wandung der Steuerzen trale entlang. In der Nähe des Schottes ver harrte es abermals, dann schwebte es hinaus auf den Korridor. »Hoffentlich entweicht es nach draußen«, sagte Algonkin-Yatta. Ahkido rannte kreischend an ihm vorbei, verfolgt von einem weiteren Zeitmolekül, das es jedoch nicht auf ihn abgesehen hatte, denn es schwebte weiter und glitt durch das Schott hinaus. Der Kundschafter blickte zu seiner Gefährtin und sah, wie Anlytha mit der goldenen Kette, die sie während ihres Abenteuers im alten Rom Terras erbeutet
hatte, ständig über dem Roboterfragment hin und her fuhr. Das Fragment machte den Ein druck eines wimmelnden Ameisenhaufens. Jedesmal, wenn Anlythas Kette ihm am nächsten kam, schnappte es nach ihr. »Was soll das, Lytha?« fragte Algonkin-Yat ta verblüfft. Seine Frage ließ Anlytha für den Bruch teil einer Sekunde unaufmerksam werden – und sofort schnappte das Roboterfragment zu, entriß ihr die Kette und ließ sie in sich verschwinden. Wild kreischend sprang An lytha mit beiden Füßen zugleich auf das Ro boterfragment und trat darauf herum, bis es sich nicht mehr rührte. Danach nahm sie ihre Strahlwaffe und stocherte mit dem Lauf in dem Durcheinander des vielfach geglieder ten Fragments herum. »Ich finde sie nicht!« zeterte sie voller Empörung. »Yatta, meine Kette ist weg!« »Du findest sie schon wieder, Lytha«, er widerte der Kundschafter. »Selbst, wenn das Fragment sie gegessen haben sollte, muß sie noch vorhanden sein.« Anlytha ließ ihre Waffe fallen, packte das Fragment mit beiden Händen und schüttelte es. Ein paar Metallplastikteile fielen herab. Der Rest war so beschaffen, daß man prak tisch nichts darin hätte verbergen können. Dennoch war von der Kette nichts zu erken nen. Aber Algonkin-Yatta hatte keine Zeit, sich um das scheinbar unerklärliche Phäno men zu kümmern. Er lief hinter dem buckli gen Zwerg her, der voller Panik in den Kor ridor stürmte. Als Ahkido die Bodenschleuse erreichte, hatte der Kundschafter ihn fast eingeholt. Doch da sprang der Zwerg mit einem hohen Satz ins Freie – und Algonkin-Yatta, der es ihm nachtat, verfing sich in einem dichten Gewirr dorniger Ranken. Es dauerte zirka zehn Minuten, bis sich der Kundschafter von dem Rankengewirr befreit hatte. Als er sich endlich nach dem Zwerg um sehen konnte, war der spurlos verschwun den.
Landung auf Atlantis Mit gerunzelter Stirn musterte der Kund schafter die Umgebung seines Schiffes. Er war sicher, daß es auf der Lichtung, auf der es gelandet war, weder große Dornensträu cher noch die riesigen Farne gegeben hatte, deren Wedel sich in einer milden Brise wiegten, sondern nur knapp kniehohes Gras. Und die kurze Zeitspanne, die nach der Landung vergangen war, hätte nicht einmal ausgereicht, den Samen eines einzigen Dor nenstrauches keimen zu lassen. Algonkin-Yatta stieß eine Verwünschung aus. »Die verflixten Zeitmoleküle!« schimpfte er erbittert. »Was willst du, Yatta?« rief Anlytha von der Bodenschleuse aus. »Sie haben das Schiff verlassen. Ich habe es nachkontrol liert. Nicht ein Zeitmolekülchen befindet sich mehr an Bord. Wir sollten starten, da mit sie nicht zurückkommen und noch mehr Unheil anrichten. Es langt mir, daß meine wertvolle Kette verschwunden ist.« »Wir sollten starten, aber wir dürfen nicht, Lytha«, erwiderte Algonkin-Yatta be trübt. »Ich konnte nicht ahnen, daß Zeitmo leküle auf einem Planeten schwerwiegende Veränderungen bewirken. Schau dir diese Lichtung an! Als wir landeten, wuchs hier nur Gras. Und was siehst du jetzt?« Anlytha blickte über die Lichtung. »Dornensträucher und Farne«, stellte sie fest. »Aber das ist doch nicht tragisch, Yatta. Für diesen Planeten als Ganzheit fällt die winzige Veränderung nicht ins Gewicht.« »Aber für die Wesen, die auf der Insel le ben«, entgegnete der Kundschafter. »Ich war bisher nicht dazugekommen, es dir zu sagen. Aber kurz vor der Landung habe ich am Ufer Gebäude entdeckt. Das bedeutet, daß es auf der Insel Lebewesen gibt.« »Wie sahen die Gebäude aus?« fragte An lytha. »So ähnlich wie die Iglus, die wir in ei nem Museum auf Terra gesehen haben.« Anlytha winkte ab. »Dann sind es Bauten primitiver Wesen, Yatta. Was kann es Primitiven ausmachen,
17 wenn es hier und da zu Veränderungen der Vegetation kommt!« »Das weiß ich nicht, aber ich bin ver pflichtet, das festzustellen«, erklärte Algon kin-Yatta. »Wenn es sich nämlich schwer wiegend und negativ auf die Eingeborenen von Zeitanker auswirkt, muß ich helfen.« Seine Partnerin stöhnte. »Immer denkst du nur daran, anderen We sen zu helfen, Yatta! Und wer hilft uns?« Algonkin-Yatta erwiderte nichts darauf, sondern kehrte ins Schiff zurück und ver sorgte sich mit einer Expeditionsausrüstung.
* »Was hörst du?« fragte Anlytha nach ei nem anstrengen Marsch quer über die dicht bewaldete Insel. Der Kundschafter blieb ebenfalls stehen und lauschte. Von vorn drangen Laute an sein Ohr. Sie klangen wie Navak, na, na, naknak. »Hm!« machte Algonkin-Yatta. »Primitive Lautäußerungen!« erklärte sei ne Gefährtin. »Und du bildest dir ein, die Eingeborenen von Zeitanker wären intelli gente Wesen! Ha!« Algonkin-Yatta drehte sich um und blick te Anlytha ins Gesicht. »Du weißt, wir Mathoner unterscheiden nicht zwischen dem, was man für gewöhn lich intelligente Lebewesen nennt und Tie ren oder Pflanzen. Wir glauben, daß alles Leben beseelt ist, und nur das ist wichtig.« »Ihr glaubt es vielleicht, aber wissen könnt ihr es nicht«, erwiderte Anlytha trot zig. Der Kundschafter lächelte. »Die Hochrechnung unserer praktischen Erfahrungen führte zu einer Wahrscheinlich keit von siebenundneunzig Prozent für die Beseeltheit aller Lebensformen. Das ist viel. Deshalb können wir daran glauben.« »Man kann auch zu korrekt sein«, entgeg nete Anlytha nach kurzem Nachdenken. »Bei allen anderen Völkern würde man das als Tatsache bezeichnen, die man weiß.« »Besonders ein Kosmischer Kundschafter
18 muß sich sehr korrekt ausdrücken«, erklärte Algonkin-Yatta. »Komm, gehen wir weiter! Ich bin gespannt ob die Navaken identisch mit den Erbauern der Iglus sind.« »Navaken?« fragte Anlytha verwundert. »Der überwiegende Teil der gehörten Lautäußerungen klang für uns wie ›navak‹«, sagte der Kundschafter. »Darum habe ich die Wesen, die sie ausstoßen, Navaken ge nannt.« Nach wenigen Schritten verließen sie den Wald. Vor ihnen lag ein zirka zwanzig Me ter breiter Grasstreifen. Dahinter erstreckte sich die nackte felsige Oberfläche des eigentlichen Ufers: ein zirka fünfzig Meter breiter zerklüfteter Felsstreifen, der aber nicht steil zum Meer abfiel, sondern sich all mählich senkte, so daß die anrollenden Wel len ihr Wasser durch die Klüfte zwischen den Felsklippen manchmal bis in die Nähe des Grasstreifens schickten. Auf den größten dieser Felsklippen stan den einzelne igluförmige Bauten, und da zwischen und davor tummelten sich zahlrei che robbenähnliche Lebewesen. Und immer wieder wurden von ihnen die »navakischen« Laute ausgestoßen. »Die Vertreter der einheimischen Zivilisa tion!« sagte Anlytha ironisch. »Sehr richtig«, erwiderte der Kundschaf ter. »Sieh dir die geflochtenen Lederriemen an, die sie vor den Hinterfüßen um den Leib tragen! An ihnen sind verschiedene Werk zeuge befestigt. Der Gebrauch und die Auf bewahrung von Werkzeugen sind wichtige Indizien für die Ablösung einiger Instinkte durch bewußtes Denken.« »Aber sie bewegen sich auf allen vieren!« wandte Anlytha ein. Wortlos deutete Algonkin-Yatta zu einem halbfertigen Iglu, an dem drei Navaken ar beiteten. Sie hatten sich dabei auf die flos senförmigen Hinterfüße gestellt und arbeite ten aufrecht stehend, indem der eine Navake Flechtwerk zureichte, das ein zweiter befe stigte, während der dritte mit einer hölzer nen Kelle einen lehmartigen Brei hinein schmierte.
H. G. Ewers Anlytha sah verblüfft zu, dann packte sie den Kundschafter plötzlich an der Hand und deutete schräg an dem halbfertigen Iglu vor bei zu der Flußmündung, die sich links von der Ansiedlung befand. Der Kundschafter schaute hinüber und er schrak, als er drei große Nebelflecken dicht über der Flußmündung sah. Sie schwebten einige Zeit auf der Stelle, dann glitten sie langsam flußaufwärts. »Was mögen sie nur anrichten?« flüsterte er besorgt. Im nächsten Augenblick stimmten die Na vaken ein aufgeregtes und lautes »Navak, navak!« an. Daran trugen die drei flußauf wärts entschwindenden Zeitmoleküle sicher lich keine Schuld. Es war ein anderes Zeit molekül, das die Aufregung verursacht hatte und sich langsam von dem Gebilde entfern te, das eben noch ein gewöhnlicher Nava ken-Iglu gewesen war. Das Gebilde war jetzt doppelt so groß und bestand aus einem azurblauen Plastikmateri al. Die Oberfläche war nicht glatt, sondern gerippt und enthielt an der Unterseite ein Schott. Auf der Kuppel drehte sich unter ei nem transparenten Dom eine ganze Anten nenKombination. Soeben glitt das Schott auf. Zwei Nava ken liefen heraus und jagten über die Klip pen, als sei der Teufel persönlich hinter ih nen her. Das Geschrei der anderen Navaken wurde noch aufgeregter. Sie versuchten, ihre beiden Artgenossen zurückzuhalten. Doch die rannten mehrere andere Navaken einfach um, stürzten sich ins Meer und schwammen wild rudernd davon. »Der große Iglu ist wahrscheinlich so, wie die Navaken ihre Iglus in ein paar tausend Jahren bauen«, meinte Algonkin-Yatta. »Das Zeitmolekül muß ihn durch eine tem porale Umwandlung eines normalen Iglus geschaffen haben. Kein Wunder, daß die Be wohner durchdrehten.« »Und das alles bringt so ein kleiner Ne belfleck fertig?« staunte Anlytha. »Das ist mir auch noch sehr neu«, meinte der Kundschafter. »Aber anscheinend bildet
Landung auf Atlantis das, was man von einem Zeitmolekül sieht, sozusagen nur die Spitze des Eisbergs, der zum größten Teil unter der Oberfläche unse rer Gegenwart existiert.« Allmählich beruhigten sich die Navaken wieder. Sie bildeten einen großen Kreis um den rätselhaften großen Iglu und rückten all mählich immer näher. »Vielleicht ist das gar kein so schlechtes Geschenk für sie«, sagte Anlytha. »Es wird sie zum Nachdenken anregen und viele Ge nerationen zum Experimentieren und For schen veranlassen, um dahinterzukommen, was der große Iglu eigentlich ist und wie er funktioniert.« »Vielleicht«, gab der Kundschafter zu. »Vielleicht aber werden sie auch dadurch zum Erfinden des Krieges angeregt, weil je der Stamm den großen Iglu besitzen mochte. Das zweite Geschenk aber ist mit Sicherheit ein verhängnisvolles.« Er deutete zur Flußmündung. Dort war ein gewaltiger Strudel entstanden. Das ent ging natürlich auch den Navaken nicht. Neu gierig eilten einige von ihnen zum Fluß, während andere weiter den Iglu umringten. Es dauerte nicht lange, da sahen Algon kin-Yatta und Anlytha, was die Aufwühlung des Mündungswassers zu bedeuten hatte. Das war, als die Wellenberge nicht mehr auf der Stelle tanzten, sondern sich rasch fluß aufwärts schoben. Dabei kam es zu einem Stau, der wiederum eine Flutwelle verur sachte, die über die Ufer schwappte und sich zwischen die Iglus der Ansiedlung ergoß. Sie machte den Navaken nichts aus, wohl aber riß sie den halbfertigen Iglu ein und drückte einen zweiten Iglu von seiner Klippe in die benachbarte Kluft. »Das Wasser fließt plötzlich flußauf wärts!« rief Anlytha entsetzt. »Daran sind die drei Zeitmoleküle schuld«, erklärte Algonkin-Yatta. »Anlytha, uns bleibt nichts anderes übrig, als nach Mit teln zu suchen, die Zeitmoleküle unschäd lich zu machen.« »Aber wie sollen wir das?« fragte seine Gefährtin kläglich.
19 »Wenn wir es nicht schaffen, wer soll es dann schaffen?« fragte der Kundschafter zu rück. »Nein, Anlytha, wir haben, um mit ei ner terranischen Redewendung zu sprechen, den Navaken die Suppe eingebrockt; folg lich müssen wir sie auch auslöffeln.«
* Ein heftiger Stoß schleuderte Algonkin-Yat ta gegen die Experimentieranordnung, die auf der Stahlplastikplatte eines Tisches mon tiert war. Ein paar Geräte fielen um; einige Glaszylinder zerbrachen. Krachend flog eine Sicherung heraus. »Was war das?« rief der Kundschafter und fing sich wieder. »Ein Beben«, erklärte die Psiotronik. »Dabei übertrug sich ein Teil der Energie auf das Kraftfeld, das das Schiff dicht über der Oberfläche des Planeten hält. Der größte Teil der Energie konnte kompensiert wer den, aber ein kleiner Reststoß kam durch.« Algonkin-Yatta ließ sein Experiment sein und lief in die Steuerzentrale, um sich die Umgebung des Schiffes auf den Bildschir men der Außenbeobachtung anzusehen. Was er sah, übertraf seine schlimmsten Befürch tungen. Die Insel war keine echte Insel mehr, son dern nur noch eine Ansammlung von Sand bänken in einem von Horizont zu Horizont reichenden Sumpfmeer. Riesige Schilfsten gel ragten aus schlammigen Tümpeln; da zwischen gab es Wälder voller Schachtelhal me, Kalamiten und Farne. Hier und da rag ten Klippen aus Buntsandstein empor. Über der westlichen Horizontlinie stieg der Rauch eines Vulkans auf. Dem Kundschafter wurde klar, daß die Aktivitäten der Zeitmoleküle die geologi schen Strukturen aus ferner Vergangenheit zurückgeholt hatten. Die Tiere und Navaken schienen allerdings unverändert geblieben zu sein. Das verminderte ihre Überlebens aussichten gewaltig, denn sie waren keine Kinder dieses Zeitaltes und würden hier kaum etwas von dem vorfinden, was sie zum
20 Leben brauchten. Ausgenommen die Fische, die sich aus Flüssen und Strömen in Tümpel gerettet hatten. »Das war kein echtes Beben, Psiotronik«, sagte er tonlos. »Ich nehme an, die Plane tenoberfläche des zurückgeholten geologi schen Zeitalters war hier tiefer gelegen als in der Gegenwart. Dadurch sackte das Halte feld des Schiffes ab.« Er beobachtete einige Scharen von Nava ken, die verzweifelt zwischen den Trüm mern ihrer geborstenen und teilweise im Schlamm begrabenen Iglus herumirrten. Überall glitzerten die Bauchschuppen von Fischleibern, die auf den morastigen Ober flächen der Sümpfe zappelten und allmäh lich erstickten. Die Tümpel quollen über von Fischen, die sich dorthin gerettet hatten und sich nun gegenseitig den Lebensraum strei tig machten. »Und das alles habe ich angerichtet!« klagte sich Algonkin-Yatta an. »Anlytha, schau dir das an!« »Anlytha kann dich nicht hören«, sagte die Psiotronik. »Sie verließ das Schiff vor einer guten Stunde, um die Aktivitäten der Zeitmoleküle zu filmen.« »Und das sagst du mir erst jetzt!« schrie der Kundschafter entsetzt. »Vielleicht kämpft sie gerade jetzt mit letzter Kraft ge gen den mörderischen Sog eines Sumpfes an! Sofort alle Medosysteme zur Suche und Bergung ausschicken!« Er eilte zum großen Funkgerät, schaltete es ein und sandte auf der Armband und Helmfunkfrequenz ein Dauerrufsignal, dann rief er: »Anlytha, hier spricht Algonkin-Yatta! Wenn du kannst, melde dich oder versuche, dich auf andere Weise bemerkbar zu ma chen! Alle Medosysteme des Schiffes su chen nach dir.« »Warum?« ertönte die zwitschernde Stim me Anlythas aus dem Empfängerteil. Algonkin-Yatta mußte sich setzen, so groß war seine Erleichterung. Doch dann ge wann die Entrüstung über Anlythas Frage die Oberhand.
H. G. Ewers »Da fragst du noch, du Hexenvogel!« schimpfte er. »Die Navaken gehen jämmer lich zugrunde und du fragst, warum meine Medosysteme nach dir suchen! Kannst du dir nicht vorstellen, daß ich Angst um dich hatte?« »Warte einen Augenblick, Yatta!« erwi derte Anlytha. »Ich muß nur noch etwas be enden. So, jetzt …« Die Stimme brach ab, und dann folgte ein Entsetzensschrei. »Aber wo bin ich denn plötzlich?« kreischte Anly tha. »He, ich sehe doch keine grüne Kund schafterpflaume in wenigen Kilometern Ent fernung über dem Boden schweben! Warum befinde ich mich dann nicht über offener See, sondern über einem stinkendem Tüm pel?« Algonkin-Yatta war sprachlos. Er ver mochte nicht zu begreifen, daß seine Ge fährtin von den gewaltigen Veränderungen der Umgebung erst jetzt etwas bemerkt hat te. »Na, ja, auch ein Kundschafter von Ruo ryc kann nicht alles wissen, Yattalein«, meinte Anlytha tröstend. »Weine nicht, ich komme sofort zurück.« Der Kundschafter schluckte einige Male, dann fragte er: »Hast du ein Flugaggregat?« »Sogar zwei«, antwortete Anlytha. »Beim Zeus, wo steckte ich wohl, wenn ich das Schiff zu Fuß verlassen hätte!« Algonkin-Yattas Humor hatte sich ver flüchtigt. Er erklärte Anlytha nur noch, daß er im Schiffslabor zu finden sei, dann unter brach er die Verbindung. Gerade hatte er seine Versuchsanordnung wiederhergestellt, als seine Partnerin das La bor betrat. Sie schleifte einen schlammver schmierten Ahkido mit sich. »Das Ferkel hatte ein Moorbad genom men«, berichtete sie. »Leider kam der Kerl nicht allein aus dem Sumpf.« Algonkin-Yatta schaute nur flüchtig hoch. »Stell ihn unter die Dusche und seife ihn ab, ja?« meinte er. »Ich muß mit Versuch Nummer siebenunddreißig anfangen. Oder hast du inzwischen eine Möglichkeit gefun
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den, die Zeitmoleküle einzufrieren oder zu vernichten?« »Nur eine ganz winzige«, erwiderte Anly tha. Dann kreischte sie auf: »Du mutest mir doch nicht ernsthaft zu, einen fremden Mann zu baden!« »Nicht baden, sondern duschen«, entgeg nete der Kundschafter zerstreut. Ohne sich weiter um Anlytha und den schlammigen Zwerg zu kümmern, schaltete er die Ver suchsanordnung ein. Nach etwa drei Stun den schloß er den zweiundvierzigsten Ver such mit dem ersten positiven Ergebnis ab. Allerdings versprach seine Methode weder die Auflösung noch Vernichtung von Zeit molekülen, aber er hatte eine energetische Hyperstruktur synthetisiert, die es ermögli chen sollte, Zeitmoleküle mittels energeti scher Felder an einen bestimmten Platz zu verbannen und Einwirkungen auf die Umge bung unmöglich zu machen. Und das Beste daran war, daß die synthe tischen energetischen Hyperstrukturen die ser Neutralisierungsfelder Laderpoleigen schaften besaßen, das heißt, ihre verbrauchte Energie laufend aus der natürlichen Hyper strahlung des Universums ersetzten, indem sie sie auf sich zogen und ihnen ihre struktu rellen Eigenschaften gaben. »Aber das allein reicht nicht aus, um die Navaken zu retten«, erklärte er der Psiotro nik. »Ich muß die Vergangenheit zurückge hen und die Zeitmoleküle neutralisieren, be vor sie die Veränderungen auf Zeitanker herbeiführen können.« »Das wird leider nicht möglich sein«, er widerte die Psiotronik. »Die Aktivitäten der Zeitmoleküle haben nämlich eine Temporal rücklaufsperre bewirkt. Das heißt, wir kön nen eine gewisse Zeitspanne zurückgehen, aber nicht bis vor den Zeitpunkt des Wir kens der Zeitmoleküle.« »Dann gehen wir eben so weit wie mög lich zurück!« entschied der Kundschafter.
* »Warum nimmst du mich nicht mit, Yat
ta?« fragte Anlytha, während sie dem Kund schafter die Ausrüstung reichte, die er in sei ner Zeitkapsel verstaute. »Weil es zu gefährlich ist, Schatz«, ant wortete Algonkin-Yatta. »Zu gefährlich!« Anlytha kreischte zor nig. »Dann solltest du mich erst recht mit nehmen, damit ich dir notfalls helfen kann.« »Du wärst keine Hilfe für mich«, erklärte der Kundschafter. »Ich meine, ich werde ge nug damit zu tun haben, auf mich selbst auf zupassen. Das könnte ich aber nicht, wenn ich auch noch auf dich aufpassen müßte. Deshalb nehme ich auch die Zeitkapsel und reise nicht mit dem ganzen Schiff zurück. Bei der Mission, die ich vorhabe, geht alles viel leichter, je unkomplizierter es ist. Au ßerdem mußt du auf Ahkido aufpassen. Wo steckt der Bursche überhaupt?« »Ich habe ihn in einen Käfig für fremde Lebensformen gesperrt«, erwiderte Anlytha. »So, so!« machte Algonkin-Yatta und nahm den letzten Ausrüstungsgegenstand entgegen. »Armer Ahkido! Na, ich werde mich um ihn kümmern, sobald ich zurück bin. Paß gut auf das Schiff auf, Lytha.« Er winkte, dann schloß er das Außen schott der Röhrenschleuse hinter sich. Anlytha öffnete die Hangarschleuse des Kundschafterschiffs und sah der Konstrukti on aus silbrig schimmerndem Material nach, die die Form einer zu einem Ring geformten Röhre besaß, an der an Streben ein eiförmi ger Körper von der Größe dreier normaler Fluggleiter verankert war. Die Zeitkapsel schwebte langsam aus der Schleuse, verharrte in zirka hundert Metern Entfernung. Über einer Sandbank, auf der mehrere Navaken versuchten, einen Iglu zu bauen, dann verschwand sie von einem Au genblick zum anderen. Nur der Knall, mit dem die Luft von allen Seiten in ein Vaku um stürzte, verriet, daß da eben noch ein Objekt gewesen war. Algonkin-Yatta hatte die Zeitversetzung programmiert, indem er mit dem Finger über die farbigen Linien an der Innenwandung der Zeitkapsel fuhr, er hatte gesehen, wie die
22 Linien nach seiner Berührung aufleuchteten, wie goldfarbene Lichtpunkte an den Innen wandungen aufblitzten, und er hatte die dumpf hallenden Schläge gehört, mit dem der Antritt der Zeitreise angekündigt wurde. Das alles war so normal gewesen wie sonst auch, wenn die Zeitkapsel eine Zeit versetzung vornehmen sollte. Auch der Schleier, der sich danach um die Kapsel leg te, gehörte noch zu den normalen Erschei nungen der Zeitversetzung. Weniger normal war, daß hinter dem Schleier nicht wie sonst die schattenhaften Bewegungen zusehen wa ren, die die materiellen Veränderungen der Umgebung beim Rücklauf durch die Zeit an deuteten. Statt dessen sah Algonkin-Yatta auf den Bildschirmen eine Art rotglühendes, rasend schnell vibrierendes Gitternetz, in dem funkensprühend Entladungen tobten. Und plötzlich barst dieses Netz in einer laut losen Explosion. Die Zeitkapsel schlingerte heftig in einer finsteren Umgebung, in der sich ununterbrochen seltsame, von innen heraus glühende Wolken zusammenballten und wieder auflösten. Woraus diese Wolken bestanden, konnte der Kundschafter nicht feststellen, da alle Ortungsinstrumente ver rückt spielten. Es gelang ihm auch nicht, die Lage der Zeitkapsel zu stabilisieren. Der Antrieb sprach auf keine Schaltung an. »Es ist, als ob ich mich jenseits von Raum und Zeit befände!« sagte der Kundschafter grimmig. »Falls so etwas überhaupt möglich ist. Hätte ich nur niemals diese Zeitkapsel gefunden!« »Dann wäre dein Leben sehr langweilig verlaufen, Kundschafter«, sagte die kleine Psiotronik, ein Ableger der Psiotronik des Kundschafterschiffs, der nachträglich in die Zeitkapsel installiert worden war. »Und du hättest niemals die Spur Pthors und damit Atlans aufnehmen können.« »Unterlaß deine lehrreichen Sprüche!« schimpfte Algonkin-Yatta. »Verrate mir lie ber, wie ich aus dieser Wolkensuppe heraus komme!« »Das kann ich nicht, denn ich weiß es ebenso wenig wie du, Kundschafter«, erwi-
H. G. Ewers derte die Psiotronik. »Du kannst nur herum probieren.« Das sah Algonkin-Yatta schließlich ein. Er programmierte die Zeitkapsel der Ein fachheit halber auf ErstprogrammUmkehr, denn es war immer leichter, in eine Zeit zu rückzukehren, aus der man kam, weil dann eine starke Polung auf diese Zeit existierte. Diesmal aber sprang die Kapsel nicht so fort nach Aktivierung des Programms zum Ausgangszeitpunkt zurück, sondern quälte sich rüttelnd durch einen dunkelgrauen Ne belschleier, hinter dem bizarre Leuchter scheinungen sich nervenzermürbend lang sam bewegten. Als Algonkin-Yatta schon nicht mehr dar an glaubte, daß er jemals sein Ziel erreichen würde, zerriß der Schleier schlagartig. Die Zeitkapsel schwankte im Wind und in beina he völliger Dunkelheit. Aber der Himmel war klar. So konnte der Kundschafter außer den zahlreichen Sternen jenes Sternenband sehen, das das Zentrum der Schwarzen Ga laxis vor den Blicken verbarg. »Es ist Nacht – und ich bin am hellen Tag gestartet«, sagte Algonkin-Yatta. »Das be deutet, daß die ErstprogrammUmkehr nicht gelungen ist. Ich frage mich, ob die Diffe renz zum Zielzeitpunkt nur Stunden oder gar Jahre beträgt.« Er fragte es sich nicht lange, denn er sah an Backbord die Positionslichter seines Kundschafterschiffs blinken und hörte das Rufsignal, mit dem Anlytha ihn zur Aktivie rung des Funkgeräts aufforderte. Als er das Gerät einschaltete, erschien auf dem Bildschirm das Abbild seiner Partnerin. »Schon fertig?« fragte Anlytha. Der Kundschafter atmete auf. Die Diffe renz betrug also nur wenige Stunden, sonst hätte Anlytha anders reagiert. »Noch nicht«, antwortete er. »Ich muß noch einmal zurück, noch das letzte Zeitmo lekül suchen und neutralisieren.« Er hatte es spontan gesagt, aus dem unbe wußten Wunsch heraus, seine Partnerin nicht unnötig zu beunruhigen. Aber die Tat sache, daß er soeben etwas getan hatte, was
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er gar nicht zu können glaubte, nämlich wis sentlich die Unwahrheit zu sagen, machte ihn derart verlegen, daß er die Verbindung sofort wieder unterbrach, obwohl er an An lythas Miene ablas, daß sie ihm etwas mit teilen wollte. Abermals programmierte er die Zeitkap sel. Diesmal wählte er einen Zielpunkt, der zwei Tage früher lag als der beim ersten Versuch – früher in dem Sinn, daß er zwei Tage weniger tief in die Vergangenheit rei sen mußte. Diesmal legte sich der halbtransparente Schleier sofort um die Kapsel. Allerdings schimmerten Fragmente jenes rotglühenden Gitternetzes hindurch, das beim ersten Ver such aufgetaucht war. Aber die Versetzung gelang. Die Zeitkapsel tauchte, wenn auch mit einigen unangenehmen Begleiteffekten, über der bewaldeten Insel auf, bevor die geologischen Formationen der fernen Ver gangenheit von den Zeitmolekülen zurück geholt worden waren.
* Der Kundschafter arbeitete fieberhaft dar an, die Zeitmoleküle aufzuspüren und unter Glocken aus energetischen Hyperstrukturen festzusetzen. Anfangs war er nicht ganz si cher, daß seine Methode einwandfrei funk tionieren würde, denn er hatte sie schließlich nur im Simulationsverfahren erprobt. Aber, nachdem das erste Zeitmolekül unter seiner Energieglocke gefangen war und seine Aus bruchsversuche scheiterten, wußte er, daß er die Gefahr für die Navaken und ganz Zeitan ker abwenden konnte. Wenn er nur schnell genug fertig wurde. Immerhin durfte er sich nicht darauf ver lassen, daß seine Zeitkapsel ganz exakt nach seiner Programmierung gearbeitet hatte. Die Fragmente des rotglühenden Gitternetzes, die er hinter dem Schleier gesehen hatte, wa ren der Beweis dafür gewesen, daß unbe kannte Kräfte die Zeitversetzung beeinfluß ten. Deshalb mußte der Kundschafter mit dem »vorzeitigen« Auftauchen der Urwelt
landschaft rechnen. Doch er schaffte es. Nur ein Zeitmolekül ließ sich einfach nirgends aufspüren. Es war allerdings, wie Algonkin-Yatta sich erinner te, nur ein winziges gewesen, nicht größer als ein Daumennagel. Nachdem er die nächsten vierzig Inseln vergeblich nach diesem Zeitmolekül abge sucht hatte, kehrte er zu der Insel zurück, auf der – nur schemenhaft erkennbar – sein Kundschafterschiff stand. Er war froh dar über, daß es nur schemenhaft erkennbar war, denn andernfalls wäre es zu einer Konfron tierung zwischen zwei Algonkin-Yattas und damit zu einem Zeitparadoxon gekommen. Allerdings, als der Kundschafter von oben auf die schimmernden Energieglocken sah, hinter denen die Zeitmoleküle neutralisiert waren, wagte er nicht daran zu denken, was diese Plätze einmal für spätere Generationen der Navaken in mythologischer Hinsicht be deuten würden. Algonkin-Yatta hoffte nur, daß es den Nachfahren der heutigen Navaken niemals gelingen möchte, eine Möglichkeit zu fin den, die Energieglocken aufzubrechen, be vor sie die Natur der Zeitmoleküle durch schauten. Wieder schaltete er eine Programm-Um kehr – und dann schwebte die Zeitkapsel wieder hundert Meter neben dem grünlich schimmernden eiförmigen und dreiundsech zig Meter hohen Kundschafterschiff. Es war früher Morgen, folglich war die Zeitverset zung auch diesmal von unbekannten Kräften beeinflußt worden, aber die Insel der Nava ken lag unversehrt unter der Kapsel. Algonkin-Yatta stellte befriedigt fest, daß auch der Fluß wieder normal funktionierte und nicht mehr aufwärts strömte. Nur die Waldgebiete der Insel waren an manchen Stellen verändert, aber nicht so erheblich, daß es das Leben der Eingeborenen negativ beeinflussen konnte. »Anderthalb Tage warst du diesmal weg«, sagte Anlytha vorwurfsvoll, nachdem er das Funkgerät eingeschaltet hatte. »Hast du denn das letzte Zeitmolekül gefunden?«
24 Algonkin-Yatta bemerkte, daß Anlythas Blick etwas Lauerndes an sich hatte, aber er registrierte es nur im Unterbewußtsein. »Es war verschwunden«, erklärte er. »Aber es handelte sich nur um ein winziges Zeitmolekül, das sich wahrscheinlich von selbst auflöste.« »Das denke ich auch«, meinte seine Ge fährtin und gab ein paar zwitschernde Töne von sich. »Mach dir keine Sorgen deswegen. Komm zurück und ruhe dich aus. Sobald du an Bord bist, werde ich mich auf die Suche nach diesem Ferkel machen.« »Auf die Suche nach was?« fragte Algon kin-Yatta verblüfft. »Nach Ahkido«, antwortete Anlytha ver legen. »Er ist entkommen.« »Dann mußt du den Käfig nicht sachge mäß verschlossen haben, denn alle Käfige sind so eingerichtet, daß selbst die intelli gentesten Lebewesen nicht daraus fliehen können.« »Wahrscheinlich hat er seinen Bumerang zur Flucht benutzt«, erklärte Anlytha. »Jedenfalls habe ich die Waffe kurz nach seiner Flucht vermißt. Der Undankbare muß sie mir gestohlen haben, als ich ihn abseif te.« »Du mußt dabei sehr geistesabwesend ge wesen sein, wenn jemand dich bestehlen konnte«, meinte Algonkin-Yatta erheitert. »Aber suchen mußt du ihn schon. Ich möch te ihn nicht als zusätzliches Rätsel bei den Navaken zurücklassen.« Nach dem Einschleusen – und nachdem Anlytha das Schiff in einer Pfadfinderkapsel verlassen hatte, um Ahkido zu suchen – checkte er mit Hilfe der Psiotronik alle Sy steme des Kundschafterschiffs durch, um die von den Zeitmolekülen verursachten Schä den feststellen und beheben zu können. Das nahm fast einen ganzen Tag in An spruch, da mehr Reparaturen durchzuführen waren, als Algonkin-Yatta vermutet hatte. Deshalb vermißte er Anlytha erst ziemlich spät. Er rief über Funk nach seiner Gefährtin, aber sie meldete sich nicht.
H. G. Ewers Er nahm sich sofort eine zweite Pfadfin derkapsel und machte sich auf die Suche nach Anlytha …
* Während er im Sichtschutz eines Deflek torschirms über der Insel kreiste (um die Na vaken nicht zu erschrecken), beobachtete er, daß die Eingeborenen sich ab und zu in klei nen Gruppen bei einer der Energieglocken einfanden, unter denen die Zeitmoleküle ge fangen und neutralisiert waren. Sie taten dort eigentlich nichts, sondern standen nur einige Zeit da und gingen dann wieder. Aber am Rand ihrer Ansiedlung waren mehrere Navaken damit beschäftigt, ein großes Holzhaus zu bauen. Sie verwendeten dazu die Stämme von Bäumen, die sie am Waldrand gefällt hatten – und sie benutzten Äxte und Messer aus Holz und Steinklingen. Algonkin-Yatta konnte sich nicht erinnern, daß er derartige Werkzeuge kurz nach seiner Ankunft bei ihnen gesehen hatte. Die Werk zeuge, die sie damals an ihren »Gürteln« tru gen, waren aus Knochen hergestellt gewe sen. Der Kundschafter fragte sich, ob die Na vaken vielleicht in der Lage waren, sich durch geistige Konzentration durch die Energieglocken hindurch in die Zeitmolekü le hineinzudenken und von den darin enthal tenen Informationsstrukturen zu lernen. »Es wäre zu phantastisch!« sagte er zu sich selbst. Er kam nicht dazu, länger darüber nach zudenken, denn er entdeckte unter dem Wip feldach des Waldes die Umrisse der ersten Pfadfinderkapsel. Abermals rief er über Funk nach Anlytha – und abermals erhielt er keine Antwort. Kurz entschlossen parkte er seine Pfadfin derkapsel in dreißig Metern Höhe und lande te mit Hilfe seines Flugaggregats neben der ersten Kapsel. Sie war verlassen. »Anlytha!« schrie er. »Warum schreist du so?« antwortete ihm Anlythas Stimme.
Landung auf Atlantis Algonkin-Yatta erstarrte, dann drehte er sich langsam um. Wenige Schritte hinter ihm stand seine Partnerin. Sie hielt den reglosen Körper Ah kidos auf den Armen. Ihr Gesicht sah ver weint aus. »Was ist mit ihm los?« fragte der Kund schafter. »Er muß gewußt haben, daß er nicht in diese Zeit gehörte«, antwortete Anlytha lei se. »Und er muß gespürt haben, daß das, was in den Energieglocken eingesperrt ist, eine potentielle Verbindung zu der Zeit dar stellt, in die er gehört. Jedenfalls kam ich da zu, wie er versuchte, in eine Energieglocke einzudringen. Als ihm das nicht gelang, trat er ein paar Schritte zurück und warf seinen Bumerang. Die Waffe glitt von der Glocke ab und kehrte zu ihm zurück. Er wollte sie auffangen, aber ihre Flugbahn war wohl be einflußt worden. Der Bumerang schnitt ihn …« In diesem Augenblick trat Algonkin-Yatta näher und warf einen Blick auf den Leib des buckligen Zwerges. »Ich sehe es«, sagte er tonlos. »Wir können ihm nicht mehr helfen, Anlytha.« Er nahm seiner Gefährtin den Toten ab und legte ihn auf den Boden. Dann schuf er mit seiner Waffe eine grabähnliche Vertie fung im Boden, bettete Ahkido hinein und legte ihm den Bumerang quer über die Brust. Danach füllte er das Grab mit Erde und Steinen. »Es ist nicht die Erde deiner Heimatwelt, die dich deckt«, sagte Anlytha. »Aber es ist Erde, wie sie überall im Universum auf vie len Planeten existiert – und deine Moleküle werden sich mit den Molekülen der Lebens zone dieses Planeten mischen und beim Durchlaufen zahlloser Lebensprozesse inte griert werden Zeitanker ist nun auch deine Heimat, Ahkido.« Sie pflückte am nächsten Strauch eine große lila Blüte und legte sie auf den flachen Grabhügel, dann nickte sie dem Kundschaf ter zu und kehrte zu ihrer Pfadfinderkapsel zurück. Algonkin-Yatta sagte nichts zum
25 Verhalten seiner Gefährtin. Er winkte ihr nur zu, als sie wieder in ihrer Pfadpfinder kapsel saß, dann flog er zu seiner Kapsel hinauf und kehrte ebenfalls zum Schiff zu rück. Als Anlytha und er in der Steuerzen trale zusammentrafen, sagte er: »Das Schiff ist startbereit, Lytha. Da wir bis zur Schwarzen Galaxis nur relativ kurze Interdimensionsflüge durchführen müssen, wird sich die Bildung von Zeitmolekülen wohl nicht wiederholen. Ah, eine Frage noch. Als ich die Systeme durchcheckte, entdeckte ich auch in einem Kabelschacht, der durch die Stasiskammer führt, einen De fekt. Während ich ihn behob, sah ich, daß ei ne Zelle der Stasiskammer aktiviert ist. Hast du das getan?« »Ja«, gab Anlytha zu. »Das durfte ich doch, oder?« »Na, ja, du weißt, daß ich großzügig bin, Lytha«, erwiderte der Kundschafter. »Aber ich hätte schon gern gewußt, was du in der Zelle untergebracht hast. Die Stasisanlage verbraucht sehr viel Energie – und deshalb bringe ich nur dann etwas dort unter, wenn es sich nicht anders als im Zustand der Sta sis transportieren läßt.« »Ach, sei doch nicht so geizig, Yattal ein!« gurrte Anlytha. »Laß dich später über raschen, ja?« Algonkin-Yatta dachte nach, dann seufzte er. »Einverstanden, Anlytha«, sagte er. »Damit du nicht dauernd auf mir herum hackst, weil ich angeblich geizig war.« »Danke, Yattalein!« flötete Anlytha. »Dafür darfst du mich auch einmal anlügen. Was ist eigentlich die nächste Aufgabe?« »Die Suche nach Pthor, mein Kind«, er klärte Algonkin-Yatta. »Danach suchen wir schon so lange, daß ich gar nicht mehr weiß, wie die ganze Su che nach Pthor angefangen hat«, meinte An lytha. »Aber diesmal spüre ich, daß wir Erfolg haben werden«, sagte der Kundschafter. »Ich hoffe, daß du die letzten Lektionen in Pthora fleißig geübt hast, damit du nicht un
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angenehm auffällst, wenn wir auf Atlans Schicksalswelt landen.« »Ich habe sie vorwärts und rückwärts aus wendig gelernt«, erklärte Anlytha schnip pisch. »Fein«, sagte der Kundschafter und setzte sich vor die Hauptkontrollen. Dann fuhr sein Kopf zu Anlytha herum. »Wieso auch rück wärts?« »Für den Fall, daß auf Pthor die Zeit rück wärts läuft, du Kosmischer Suchhund«, er widerte seine Gefährtin. »Male den Teufel nicht an die … äh, Dingsda«, sagte Algonkin-Yatta. »Wie sa gen die Terraner doch?« »An die paries«, erklärte Anlytha. »Das ist doch lateinisch«, erwiderte der Kundschafter. »Paries heißt Wand.« »Das meinte ich doch«, sagte Anlytha. »Inzwischen kenne ich nur so viele Spra chen, daß ich die Wörter daraus manchmal durcheinanderbringe.«
5. Algonkin-Yatta musterte nachdenklich die Anzeigen des Dimensionssensors. »Was gibt es eigentlich darauf Besonde res zu sehen?« fragte Anlytha, die mit einem Schachcomputer spielte, den sie beim letzten Besuch von Terra hatte mitgehen lassen. »Seit vier Stunden starrst du auf diese An zeigen und rührst dich nicht von der Stelle.« »Und du spielst seit vier Stunden Schach mit einem Computer«, entgegnete der Kund schafter. Plötzlich runzelte er die Stirn. »Wo hast du den Schachcomputer eigentlich her, Anlytha?« »Von Fangaloa Eneiki«, antwortete Anly tha zerstreut, denn sie versuchte gerade, die Spätfolgen des Zuges zu analysieren, den der Schachcomputer gerade gemacht hatte. »Gekauft?« fragte Algonkin-Yatta. »Ja«, sagte Anlytha. »Für wieviel Solar?« bohrte der Kundschafter weiter. »Sehe ich so aus, als bezahlte ich für ir gend etwas mit Geld?« entgegnete Anlytha verärgert.
»Du hast also mit einer anderen Ware be zahlt«, stellte Algonkin-Yatta fest. »Quatsch!« machte Anlytha. »Mit Angst. Mit der Angst, erwischt zu werden.« Algonkin-Yatta stöhnte. »Du hast den Schachcomputer also ge stohlen – und auch noch einem Oberst der Solaren Abwehr! Hast du denn dabei nicht daran gedacht, daß mein Ansehen darunter leiden würde?« »Ich pfeife auf dein Ansehen!« zeterte Anlytha. »Durch dein ständiges Dazwi schenreden habe ich soeben die Partie verlo ren. Dabei war der Computer schon fast so gut wie schachmatt.« Algonkin-Yatta lächelte fröhlich. »Siehst du, mein Kind, und genauso ist es mir durch deine Schuld ergangen. Ich hatte schon fast herausgefunden, was das seltsame Muster dimensionsloser Phänomene inner halb der Schwarzen Galaxis zu bedeuten hat – und du hast meine Überlegungen mit dei ner Fragerei unterbrochen.« Anlytha stieß einen schrillen Pfiff aus. »Und du hast mir nur deshalb Löcher in den Bauch gefragt, damit es mir mit dem Schachspiel ebenso ergeht«, stellte sie zor nig fest. »Du bist ein ganz gemeiner …« »Halt!« rief Algonkin-Yatta. »Soeben fangen wir die interdimensionalen Impulse von Pthor auf! Jetzt brauchen wir nur noch die typischen modifizierten Tachyonengrup pen aufzufangen, dann haben wir den Be weis dafür, daß es sich tatsächlich im Vor feld der Schwarzen Galaxis befindet! Und diesmal werden wir den Boden des Dimensi onsfahrstuhls betreten, so wahr ich Algon kin-Yatta heiße!« Anlytha erhob sich und trat neben den Kundschafter. »Ich freue mich schon auf Atlantis und seine Schätze«, sagte sie verträumt. »Eigentlich ist es schade, daß du dort mit Atlan zusammentreffen wirst, Yatta.« »Was?« entfuhr es Algonkin-Yatta. »Wieso schade? Schließlich ist die Suche nach Atlan zu meinem Lebenszweck gewor den.«
Landung auf Atlantis »Eben«, meinte Anlytha. »Und wenn du Atlan gefunden hast, hat dein Leben seinen Sinn verloren – jedenfalls dein Leben als ru heloser Wanderer. Du wirst wieder zu einem braven Kundschafter von Ruoryc werden, der pflichteifrig die von MYOTEX vorge kauten Kundschafterkurse abfliegt, auf de nen wir uns wahrscheinlich bis zur Übelkeit langweilen werden.« Algonkin-Yatta schaute seine Partnerin nachdenklich an. »Da ist etwas Wahres dran«, gab er zu. »Aber ich muß ja nicht weiter als Kund schafter arbeiten.« »Als was denn?« fragte Anlytha. »Als Be wohner des Überlebenskomplexes auf Ruo ryc? Vielleicht gibt MYOTEX dir wegen deiner reichen Erfahrungen als Kundschafter einen Posten bei den Computern, die die Kundschafterdaten sammeln und sortieren.« Algonkin-Yatta verzog das Gesicht. »Ich würde dabei eingehen. Die Suche nach Atlan scheint mich tatsächlich sehr ver ändert zu haben, denn früher hätte ich nichts dabei gefunden, brav und bieder meine Kundschafterkurse abzufliegen. Sonnen und Planeten zu registrieren und im Sand von kalten Planeten nach niederen Lebensformen zu suchen. Nein, ich fürchte, an ein solches Leben könnte ich mich nie mehr gewöh nen.« »Siehst du!« erwiderte Anlytha. »Deshalb rate ich dir: Finger weg von Atlantis oder Pthor oder wie dieser Dimensionsfahrstuhl heißt! Irgendwann wird Atlan von dort ver schwinden, dann können wir die Suche wie der aufnehmen.« »Nein, das wäre unredlich mir selbst ge genüber«, erklärte der Kundschafter. »Außerdem brenne ich darauf, diese faszi nierende Persönlichkeit Atlan kennenzuler nen. Und er wird sicher meine Hilfe brau chen, um die finsteren Mächte der Schwar zen Galaxis zu besiegen.« »Und danach?« fragte Anlytha. »Und danach?« wiederholte Algonkin-Yat ta. Plötzlich hellte sich seine Miene auf. »Danach suchen wir deine Heimatwelt, An
27 lytha. Das wird uns einige weitere Jahre be schäftigen und uns neue Abenteuer erleben lassen. Und bis wir das geschafft haben, werden sich längst die nächsten Abenteuer angeboten haben.« Er beugte sich wieder über die Anzeigen des Dimensionssensors, schaltete und beob achtete außerdem den großen Kommunikati onsschirm der Psiotronik mit seinen für Un befugte sinnverwirrenden Lichtblitzen und anderen Zeichen. Nach einer Weile richtete er sich auf und schaute seine Gefährtin mit triumphierendem Blick an. »Wir haben die Position von Pthor!« rief er. »Und sie ist nicht einmal dreitausendein hundert Lichtjahre von hier entfernt!«
* Nach einem Interdimensionsflug über tau sendsiebenhundert Lichtjahre brachte Al gonkin-Yatta sein Kundschafterschiff in den Normalraum zurück. Das Orientierungsmanöver erfolgte dicht über einer dichten Dunkelwolke, die die Form eines Ambosses besaß. An ihren Rän dern befanden sich zahlreiche Globulen, Zo nen sich unablässig verdichtender Materie, aus der sich in den nächsten paar Millionen Jahren neue Sterne bilden würden – und vielleicht auch Planeten, unter denen sich ei nige befinden würden, die die Voraussetzun gen zur Entstehung und Entwicklung von Leben boten. Von dieser Position aus nahm der Kund schafter Messungen vor. Die für Pthor typi schen Impulse, die Algonkin-Yatta und An lytha zum erstenmal als Reststrahlungen auf der Erde und später auf Loors ermittelt und registriert hatten, fielen so klar und deutlich ein, daß der Kundschafter die Position des Dimensionsfahrstuhls diesmal auf eine Lichtsekunde genau anmessen konnte. »Seltsam«, meinte Algonkin-Yatta, als er seine Messungen abgeschlossen hatte. »Pthor schwebt völlig bewegungslos in ei nem sternenarmen Gebiet, das anscheinend zum äußersten Randgebiet der Schwarzen
28 Galaxis gehört. In der Nähe des verlorenen Kontinents gibt es praktisch nichts, keine Sonne, keine Planeten, keine Materiewolken und keine Raumschiffe, auch keine Raum station.« »Warum sollte es etwas in der Nähe von Pthor geben?« fragte Anlytha. »Warum sollte Pthor im leeren Weltraum angehalten haben?« fragte der Kundschafter zurück. »Es muß doch einen Grund dafür geben, wenn der Dimensionsfahrstuhl stoppt.« »Vielleicht zögert Atlan, Pthor in die Schwarze Galaxis hineinzusteuern«, meinte seine Gefährtin. »Ich weiß nicht«, erwiderte Algonkin-Yat ta. »Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, daß jemand, der nicht von den Mächtigen der Schwarzen Galaxis dazu auserwählt ist, Pthor nach seinem Willen steuern kann, als wäre es ein Raumschiff.« »Warum stellst du diese Fragen nicht At lan?« sagte Anlytha. »Ich habe den Ein druck, als zögertest du mit deinen Überle gungen nur die letzte Etappe unserer Suche nach Atlan hinaus. Befürchtest du, eine Ent täuschung zu erleben?« Algonkin-Yatta blickte seine Partnerin nachdenklich an. »Wahrscheinlich hast du mich besser durchschaut als ich selbst, Lytha.« Er seufz te. »Möglicherweise will mein Unterbe wußtsein nicht wahrhaben, daß die lange Su che durch Raum und Zeit zu Ende sein soll. Also, starten wir zur letzten Etappe!« Er programmierte der Psiotronik die Kursdaten ein und wollte danach abermals den Interdimensionsantrieb aktivieren. Doch plötzlich hielt er inne. »Ein Schiff!« flüsterte er, als könnte ihn außerhalb des Kundschafterschiffs jemand hören. »Die Ortung zeigt ein Schiff an, das soeben in den Normalraum zurückgefallen ist und sich hinter einer Ausbuchtung der Dunkelwolke ganz in unserer Nähe befin det.« »Warum sollte es in der Schwarzen Gala xis keine Raumschiffe geben?« erwiderte
H. G. Ewers Anlytha. »Es gibt sehr viele«, erklärte Algonkin-Yat ta. »Ich habe vorhin ein ganzes Spektrum von Emissionen angemessen, die auf die Aktivitäten von Raumschiffen zurückzufüh ren sind. Aber sie waren alle zu weit von uns entfernt. Dieses Schiff aber ist nahe und kommt auf uns zu. Ein Kontakt läßt sich gar nicht vermeiden, wenn wir hier bleiben.« »Dann kannst du ja die Besatzung des Schiffes fragen, wie die Verhältnisse in der Schwarzen Galaxis sind«, erwiderte Anlytha ironisch. »Das ist eine gute Idee«, meinte der Kundschafter lächelnd. Er brauchte kaum eine Stunde zu warten, bis das fremde Raumschiff hinter der Aus buchtung der Dunkelwolke hervorkam. Na türlich war es noch lange nicht mit bloßem Auge zu sehen, aber die Ortung zeichnete mit Hilfe der Psiotronik ein naturgetreues dreidimensionales Bild des Raumschiffs und seiner näheren Umgebung. »Es nähert sich weiter«, sagte der Kund schafter. »Geschwindigkeit gut zwei Drittel LG, der Kurs dürfte an uns vorbeiführen. In etwa einer dreiviertel Stunde erreicht es sei ne geringste Entfernung zu uns.« »Soll ich Verteidigungsbereitschaft her stellen, Kundschafter?« fragte die Psiotro nik. »Es widerstrebt mir, aber andererseits ist es wohl das beste«, antwortete Algonkin-Yat ta. Für die nächste Zeit blieben dem Kund schafter und seiner Gefährtin weiter nichts übrig, als die Modellzeichnung des fremden Raumschiffs zu beobachten. Es handelte sich um ein ungefähr hantel förmiges Gebilde, nur ungefähr deshalb, weil es außer den beiden Kugeln an den En den eines zylindrischen Körpers noch eine kleinere, walnußförmige, Ausbuchtung in der Mitte besaß. Die beiden Kugeln durch maßen je hundert Meter, die walnußförmige Ausbuchtung an der dicksten Stelle siebzig Meter; der zylindrische Körper war insge samt vierhundert Meter lang und hatte einen
Landung auf Atlantis Durchmesser von dreißig Metern. Erst, als das Schiff sich bis auf dreiein halb Millionen Kilometer genähert hatte, er faßte die Ortung an der Vorderseite der in Flugrichtung befindlichen Kugel eine halb runde transparente Aufwölbung von gerin ger Größe. Was sich innerhalb dieser Auf wölbung befand, ließ sich allerdings noch nicht erkennen. »Ich versuche jetzt, Funkverbindung mit dem anderen Schiff zu bekommen«, sagte Algonkin-Yatta. »Du weißt doch gar nicht, welche Sprache die Besatzung des Hantelschiffs spricht«, meinte Anlytha. »Ich versuche es mit Pthora«, erklärte der Kundschafter. »Schließlich soll ja Pthor aus der Schwarzen Galaxis stammen, und wenn es dort eine Einheitssprache gibt, dann könnte es das Pthora sein.« Er aktivierte das Hyperfunkgerät und sandte eine kurze Botschaft hinaus, die die friedlichen Absichten Algonkin-Yattas kundtat und um den Austausch von Informa tionen ersuchte. Aber niemand antwortete. Schließlich näherte sich das Hantelschiff so weit, daß in der dreidimensionalen Com puter-Modellzeichnung hinter der transpa renten Aufwölbung die Umrisse eines We sens auftauchten, das sich dort befand. »Was soll das für ein Wesen sein?« sagte Anlytha zu sich selbst. »Es sieht aus, als be stünde es aus zahlreichen kleinen, von innen erleuchteten Ballons.« »Und es ist durch zahlreiche Anschlüsse mit einer Anlage unmittelbar hinter der Auf wölbung verbunden«, fügte Algonkin-Yatta hinzu. »Vielleicht wird ihm dadurch die ge dankliche Steuerung des Schiffes ermög licht.« »Fremdes Schiff passiert unsere Position in anderthalb Minuten und in nur zwei Kilo metern Distanz«, meldete die Psiotronik. »Soll ich ein Ausweichmanöver fliegen, Kundschafter?« »Nein!« entschied Algonkin-Yatta. »Soll ich gemeinsam mit Anlytha versu
29 chen, die Besatzung des anderen Schiffes so zu beeinflussen, wie wir es auf Chanetra mit den Maahks gemacht haben?« fragte die Psiotronik weiter. »Oh, ja!« jubelte Anlytha und zwitscherte begeistert. »Nein!« erklärte der Kundschafter. »Auf Chanetra waren wir dazu gezwungen, um ar konidische Kriegsgefangene zu retten, aber hier gibt es keine Zwangslage, die die psy chische Beeinflussung anderer Wesen recht fertigen würde.« »Jetzt hätte es auch keinen Sinn mehr, denn soeben hat uns das andere Schiff pas siert«, meinte die Psiotronik. »Aber ich habe nichts gesehen«, sagte Anlytha enttäuscht. »Und bei nur zwei Kilo metern Entfernung hätte es auf den Direkt schirmen …« »Nicht bei einer Geschwindigkeit von zwei Drittel LG«, erklärte Algonkin-Yatta. »Aber ich bin auch enttäuscht, darüber näm lich, daß die Besatzung uns überhaupt nicht beachtet hat. Dabei wäre es sicher interes sant gewesen, sich mit ihr zu unterhalten.« »Oder sie um ein paar Souvenirs zu er leichtern«, meinte Anlytha. Die Psiotronik gab ein paar eigenartige Laute von sich. »Was heißt das im Klartext?« wollte Al gonkin-Yatta wissen. »Hahaha!« antwortete die Psiotronik. »Ich erwarte eine Antwort!« grollte der Kundschafter. »Das war die Antwort«, erwiderte die Psiotronik. »Ich hatte gelacht – und im Klar text heißt das hahaha.« »Sehr witzig!« sagte Algonkin-Yatta. »Es hat mir neulich schon gereicht, als du mir sagtest, du hättest dich über etwas amüsiert – und schon das kann eine Psiotronik eigent lich nicht. Noch viel weniger dürfte eine Psiotronik lachen können. Ich fürchte, mit dir stimmt etwas nicht.« »Wie der Konik, so die Psiotronik«, er klärte die Psiotronik. »Was ist ein Konik?« fragte Algonkin-Yat ta gereizt. »Ein auf Reimen abgestimmter König,
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Majestät«, antwortete die Psiotronik. »Eins zu null für die Psiotronik«, sagte Anlytha schadenfroh. »Was heißt ›eins zu null‹, zum Teufel?« fuhr Algonkin-Yatta seine Partnerin an. »Das weißt du nicht?« gab Anlytha zu rück. »Hast du wirklich nicht mitbekommen, daß es auf der Erde ein Ballspiel gibt, das man Fußball nennt und bei dem …?« »Keine Spur!« erwiderte der Kundschaf ter. »Als wir auf der Erde waren, habe ich nämlich gearbeitet, während du die Museen bestohlen hast, so daß ich Mühe hatte, die Leute wieder zu besänftigen, als ich das Die besgut zurückbrachte. Dort scheinen die Psiotronik und du einen ziemlichen Knacks bekommen zu haben. Ich bin wirklich froh, wenn wir auf Pthor landen und ich wieder normale Lebewesen zu Gesicht bekomme.« Er aktivierte das Programm, das sein Schiff nach Pthor bringen würde. Kurz dar auf stieß das Schiff wieder in das Unerklärli che zwischen den Dimensionen vor.
* Amüsiert beobachtete Sigurd den Tierma gier, der sich die größte Mühe gab, den grünlich schillernden Riesenkäfer auf sich aufmerksam zu machen. Eigentlich lebte Parlzassel, der hünenhaf te Tiermagier von Pthor, im Tal der Käfer innerhalb der Barriere von Oth, in die sich alle Magier zurückgezogen hatten. Sigurd hatte jedoch durch einen reisenden Händler erfahren, daß Parlzassel an diesem Tag die Barriere verlassen und nach Zbahn kommen wollte. Was er dort suchte, hatte der Händler nicht gewußt. Sigurd war es auch gleichgül tig. Er hatte lediglich dafür gesorgt, daß der Tiermagier den Riesenkäfer sah, wenn er Zbahn anflog. Das war leicht gewesen, denn die Bahnen, die die Zugors fliegen durften, waren genau vorgeschrieben, so daß Sigurd den Käfer nur an einer bestimmten Stelle der Bahn von Oth nach Zbahn aussetzen mußte. Jetzt schien der Riesenkäfer den Tierma gier bemerkt zu haben, denn er blieb stehen
und warf ein Auge auf ihn. Das war wörtlich zu nehmen, denn dieser Käfer beobachtete seine Umgebung, indem er klumpenförmige Sinneszellen von sich schleuderte, die die von ihnen aufgenommenen optischen, aku stischen und sensorezeptorischen Eindrücke drahtlos an ihn übermittelten. Parlzassel starrte den Sinneszellenklum pen vor sich verblüfft an. »So etwas hast du noch nicht gesehen, al ter Zossel!« flüsterte Sigurd in seinem Ver steck, einem Geröllhaufen. »Kein Wunder, denn bis vor kurzem gab es so etwas auch noch nicht.« Der Tiermagier hüpfte um das »Auge« herum, dann kniete er davor nieder und brachte sein Gesicht ganz dicht an den Zell klumpen heran. Der Riesenkäfer, der einem meterlangen Maikäfer glich (zu diesem Vergleich war Si gurd natürlich nicht in der Lage, da er noch nie einen Maikäfer gesehen hatte), schien Luft unter seine Flügeldecken zu pumpen. Parlzassel bemerkte das natürlich. Sofort sprang er auf, doch dann besann er sich. Er wollte den Käfer natürlich nicht erschrecken und dadurch verscheuchen, sondern ihn dazu bewegen, ihm zu folgen, damit er ihn in sei ne Menagerie im Tal der Käfer eingliedern konnte, eine illustre Gesellschaft aller mög lichen Tiere, die er als seine Familie be zeichnete. Hurtig eilte er zu seinem Zugor zurück und kam mit einem Steingutgefäß voller Pollen an, das er dicht vor den immer noch emsig pumpenden Käfer stellte. Sigurd betä tigte sein Fernsteuergerät. Der Riesenkäfer fuhr einen schlauchartigen Rüssel aus, steck te ihn in das Steingutgefäß – Parlzassel grin ste so triumphierend wie Sigurd – und blies dann einen starken Luftstrahl hinein. Der Pollenstaub wurde hochgewirbelt. Als die gelbe Wolke sich verzogen hatte, sah Sigurd den Tiermagier auf dem Boden sitzen, über und über mit Pollenstaub eingepudert und darum bemüht, seine vom Pollenstaub ver klebten Augen, Ohren und Nasenlöcher zu reinigen. Der Riesenkäfer hockte erwar
Landung auf Atlantis tungsvoll daneben. Sigurd konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen. Er preßte die Lippen fest zusammen und wartete, bis Par lzassel sich einigermaßen gereinigt hatte. Danach schaltete er wieder an seinem Fern steuergerät. Der Riesenkäfer hob die Flügel deckel an und spreizte sie. Die pumpenden Hautflügel darunter wurden sichtbar. Das zwang Parlzassel zum Handeln. Er kroch auf allen vieren dicht an den Käfer heran, summte eine Melodie und strich dem Tier dabei mit den Fingern über die leicht vibrie renden Fühler. Als der Käfer ihn blitzschnell in einen Finger biß, zuckte er zwar zurück, aber er gab seine Bemühungen noch nicht auf. Plötzlich reckte Parlzassel den Kopf vor und nahm mit seiner Kolbennase Witterung auf. Sigurd runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht denken, daß sein elektronischer Käfer, den er in Wolterhaven gekauft hatte, nach etwas roch. Dann aber kroch Parlzassel an die linke Seite des Riesenkäfers, wischte mit der Hand über den Körper, zog die Hand zurück und roch daran. Im nächsten Moment stieß er einen empörten Schrei aus. Sigurd ahnte, was geschehen war. Der Käfer mußte an einer Stelle undicht sein, so daß etwas Schmieröl ausgetreten war. Das mußte einem solchen Experten wie dem Tiermagier natürlich verraten, welcher Natur der von ihm umworbene Käfer war. Der Odinssohn wollte nicht warten, bis Parlzassel gegangen war. Abermals schaltete er. Mit dumpfem Knall explodierte der unter hohem Druck stehende Gasballon, der drei Viertel des Käfervolumens ausmachte. Das darin enthaltene Reizgas entwich und hüllte den Tiermagier vollständig ein. Parlzassel taumelte zurück, dann versuch te er, sich an allen Körperstellen gleichzeitig zu kratzen, während er aus hervorquellenden Augen auf die freigelegten elektronischen und mechanischen Innereien des geplatzten Käfers starrte. Als er den Juckreiz nicht mehr ertrug und in grotesk wirkenden Sprüngen zu seinem
31 Zugor eilte, konnte Sigurd sich nicht länger beherrschen. Er platzte laut los und bog sich vor Lachen. Plötzlich verging es ihm, denn er steckte einige kraftvolle Ohrfeigen ein, dann wurde das Fernsteuergerät auf seinem Kopf zer schmettert. »Das mir, einem Göttersohn!« heulte er wütend, während er mit tränenden Augen dem Zugor nachstarrte, der mit Parlzassel am Steuer abhob und in Richtung Zbahn weiterflog.
* Als er, noch immer Schmerzen an den ge lockerten Backenzähnen und unter der Schä deldecke, mit seinem Zugor in der FE STUNG landete, warteten Heimdall und Balduur bereits auf ihn. Sigurd war froh, daß seine Brüder die Beule auf seinem Kopfe nicht sehen konn ten, da er den Helm, den ihm die Ohrfeigen des Tiermagiers vom Kopf geschleudert hat ten, wieder aufgesetzt hatte. Auch die bren nenden Wangen waren infolge des Wangen schutzes seines Helms nicht zu sehen. »Wo warst du so lange?« rief Heimdall zornig. »Spazieren!« rief Sigurd ebenso zornig zurück. »Was geht es euch an, was ich tue?« »Ich sollte dich züchtigen!« grollte Baldu ur. »Versuche es nur!« schrie Sigurd und schwang die vierzig Pfund schwere Garpa, ein Mittelding zwischen Lanze und Schwert, mit einer schildartigen Aufwölbung in der Mitte. »Werde nicht frech, kleiner Bruder!« schimpfte Heimdall. »Sonst muß ich dir eine saftige Ohrfeige zu schmecken geben!« Sigurd zuckte innerlich zusammen. Heim dall war zwar kleiner als der Tiermagier Par lzassel, aber breiter und muskulöser. Auf seine Ohrfeigen hatte Sigurd keinen Appetit. »Ich bin schon bedient«, erklärte er. »Was gibt es denn, daß ihr so ungeduldig seid?« »Wir wollen einen gemeinsamen Aufklä
32 rungsflug durchführen – wie alle vier Tage«, sagte Balduur. »Hattest du vergessen, daß heute ein solcher Tag ist?« Er warf die Tasche, die seinen Rauman zug enthielt, in Sigurds Zugor. Heimdall griff ebenfalls nach seiner Tasche. Die drei Odinssöhne verabscheuten es, dort, wo sie von gewöhnlichem Volk gesehen werden konnten, in ihre Raumanzüge zu steigen, denn dazu hätten sie vorher ihre Rüstungen ablegen müssen. Ihr Anblick, wie sie in ihrer nicht besonders sauberen Unterwäsche in die Raumanzüge kletterten, hätte ihre Auto rität untergraben, fürchteten sie. Deshalb starteten sie stets in ihren Rüstungen und zo gen sich immer erst kurz vor dem Durchflie gen des Wölbmantels um. »Halt, wartet!« rief Sigurd, der entsetzt daran dachte, was seine Brüder ihn fragen würden, wenn er den Helm abnahm und sie auf seinen Wangen die Fingerabdrücke Par lzassels und auf seinem Schädel die eigroße Beule sahen. »Ich habe meinen Raumanzug nicht dabei, und ich habe auch keine Lust, mich umzuziehen. Warum nehmen wir heute nicht die GOL'DHOR?« »Willst du uns Vorschriften machen?« grollte Balduur. »Warte mal!« sagte Heimdall. »Es ist schon spät, weil wir so lange auf das Bürschchen gewartet haben. Vielleicht ist es doch besser, wenn wir das Schiff nehmen, dann sind wir schneller draußen, weil wir uns nicht umziehen müssen.« »Meinetwegen«, erklärte Balduur. Sigurd atmete auf. Schnell stieg er aus seinem Zugor und ging neben seinen Brü dern auf das Goldene Raumschiff zu, das auf dem Gelände der FESTUNG stand. Wie immer, wenn er sich der GOL'DHOR näherte, um sie zu betreten, fühlte er einen seltsamen Schauer an sich herabrieseln. Das Raumschiff, dessen Form an die einer riesi gen Gottesanbeterin erinnerte, war durch Magie geschaffen worden und glänzte außen und innen wie poliertes Gold. Wer in die un mittelbare Nähe des Schiffes kam, der er kannte, daß seine Formen nur angedeutet
H. G. Ewers waren. Aber aus größerer Entfernung wirk ten sie dem Vorbild entsprechend ausge prägt. Die Göttersöhne betraten die GOL'DHOR durch die Schleuse in der Mitte des Rumpfes und gingen vor zum »Insektenkopf«, in dem sich die von außen deutlich sichtbare Steuer zentrale befand. Wie immer, schien das Schiff für diejenigen, die es betreten durften, eine Aura der Gastfreundschaft auszuströ men. Heimdall, Balduur und Sigurd stellten sich vor die Kontrollen, die sich in die zu greifenden Hände zu schmiegen schienen. Wer das Schiff fliegen durfte, der wußte ge nau, was er zu tun hatte, sobald er die Kon trollen berührte. Lautlos hob die GOL'DHOR ab und stieg die zehn Kilometer bis zur oberen Rundung der RaumZeitBarriere, die Wölbmantel ge nannt wurde und Pthor gegen alle äußeren Einflüsse abschirmte. Nur Fahrzeuge von Pthor selbst oder von Autorisierten der Mächte aus der Schwarzen Galaxis ver mochten den Wölbmantel zu durchdringen. Wenige Minuten nach dem Start befand sich die GOL'DHOR im freien Weltraum. Ihre Ortungsgeräte schalteten sich ein, dann beschleunigte das Schiff und begab sich im Überlichtflug zum ersten Aussichtspunkt, zu jener von den Odinssöhnen ausgewählten Position, von der aus Pthor noch einwand frei ortungstechnisch erfaßt wurde, von der aus aber weitaus tiefer als von Pthor in den Raum gelauscht werden konnte. Neun sol cher Aussichtspunkte waren festgelegt wor den. Vom ersten Aussichtspunkt aus erfaßte die Ortung nichts, was auf die Annäherung von Wächtern der Schwarzen Galaxis hin deutete, auch vom zweiten Aussichtspunkt nicht. Aber als die Ortungsgeräte vom drit ten Aussichtspunkt aus in die Tiefen des Raumes lauschten, fingen sie den Tasterre flex eines kleinen Objekts ein, das sich von einem Randsektor der Schwarzen Galaxis der Position von Pthor zu nähern schien. »Zweifellos handelt es sich um ein Raum
Landung auf Atlantis schiff«, meinte Sigurd nach der Auswertung der Ortungsdaten. »Es ist allerdings ver dammt klein, gerade dreiundsechzig Meter lang an der dicksten Stelle neununddreißig Meter durchmessend. Ich wette, daß es sich um ein verirrtes Raumschiff handelt, das rein zufällig in diese Gegend verschlagen wurde.« »An einen solchen Zufall glaube ich nicht«, grollte Heimdall. »Hast du nicht ab gelesen, daß sein Kurs exakt auf Pthor zielt? So etwas kann kein Zufall sein. Was meinst du dazu, Balduur?« Balduur musterte die Auswertungsdaten. »Form oval, Material nicht zu bestimmen, unter dem Licht von Pthor wahrscheinlich grünlich schimmernd, Normalraumantrieb auf Materie-Antimaterie-Prinzip arbeitend«, las er laut ab. »Hm! Und keine Galionsfigur! Ein gewöhnliches Raumschiff dürfte ohne Galionsfigur wahrscheinlich nicht einmal an die Schwarze Galaxis herankommen. Im Grunde genommen kann man dieses Gebiet ja bereits zu den Randausläufern rechnen. Folglich muß es ein Schiff von Abgesandten der Mächtigen sein. Oh, verdammt, jetzt wird es ernst!« Er drehte sich um und stürmte aus der Zentrale. Sigurd grinste. »Wetten, daß er unter Darmzuckungen leidet, seit er befürchten muß, daß der Au genblick der Inspektion in greifbare Nähe gerückt ist?« Heimdall starrte seinen jüngsten Bruder nur grimmig an, erwiderte aber nichts. »Wir müssen also annehmen, daß dieses Schiff, so klein es ist, unser Schicksal be deutet«, meinte Sigurd nach einer Weile. »Dann sollten wir schleunigst nach Atlantis zurückkehren und einen angemessenen Empfang vorbereiten.« »Vergiß den Namen Atlantis!« quetschte Heimdall zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Er stammt von Atlan. Ab gesandte der Mächtigen dürften nicht erfreut darüber sein, wenn wir einen anderen Na men als den gebrauchen, den die Mächtigen der Schwarzen Galaxis dem Dimensions
33 fahrstuhl verliehen.« Balduur kehrte zurück. Er tupfte sich Schweiß von der Stirn und sah blaß und an gegriffen aus. »Empfangen wir sie hier?« wandte er sich an Heimdall. Heimdall grinste düster. »Dann könnten wir gleich ohne Rauman züge aus der Schleuse gehen, denn wenn die Abgesandten dich in deinem jetzigen Zu stand zu Gesicht bekommen, wissen sie so fort, daß etwas faul ist«, erwiderte er. »Wir fliegen nach Pthor zurück. Dort kannst du dich mit ein paar Schnäpsen wieder in Form bringen.« »Ha!« machte Balduur. »Ich fühle mich so glänzend wie nie zuvor. Es war nur eine kleine Übelkeit, wahrscheinlich, weil ich heute statt Wein einen Obstsaft getrunken habe.« »Wenn du deinen Zustand als ›glänzend wie nie zuvor‹ bezeichnest, brauchst du einen Gesundbeter, Bruderherz«, sagte Si gurd. »Dann bist du nämlich todkrank.« Heimdall lachte brüllend, während Baldu ur vergeblich versuchte, bei seinem jüngsten Bruder einen Fußtritt anzubringen. Als Balduur nicht bald Ruhe gab, rief er ihn energisch zur Ordnung. Gleich darauf wendete die GOL'DHOR und nahm Kurs auf Pthor.
6. »Wir sind entdeckt!« teilte die Psiotronik mit. »Aus so großer Entfernung?« fragte Al gonkin-Yatta zweifelnd. »Nicht von Atlantis aus, sondern von ei nem kleinen Raumschiff, das weit vor At lantis auf der Lauer lag und soeben umge kehrt ist«, erklärte die Psiotronik. »Umgekehrt?« fragte der Kundschafter. »Man hätte ruhig Funkkontakt mit mir auf nehmen können, dann wüßte Atlan jetzt vielleicht schon, wer zu Besuch kommt.« »Soll ich den Flug im Normalraum fort setzen oder wieder mit dem Interdimensi
34 onsantrieb arbeiten, Kundschafter?« fragte die Psiotronik. »Vielleicht fragst du demnächst, ob ich ein paar Lichtjahre weit zu Fuß gehen möch te!« erwiderte der Kundschafter ironisch. »Selbstverständlich setzen wir den Interdi mantrieb ein. Aber warte noch etwas, damit die Leute in dem Vorpostenschiff Zeit genug haben, alles für unseren Empfang vorzube reiten!« Er verließ die Steuerzentrale und begab sich in die kugelförmige Wohnzelle. Hier ar beitete seit einigen Stunden seine Gefährtin daran, ihre kostbaren Sammlungsobjekte auf Hochglanz zu bringen und durch Umgrup pierungen Platz für neue »Souvenirs« zu schaffen. Als Algonkin-Yatta eintrat, war sie gerade dabei, einen Holowürfel in eine der zahlrei chen Nischen zu verstauen, die bereits über füllt waren. Sie zeterte, als ihr das nicht ge lang. »Warum bringst du nicht etwas davon in deiner Kabine unter, Lytha?« fragte der Kundschafter lächelnd. Anlytha rutschte aus, ließ den Holowürfel fallen und trat voller Wut mit dem Fuß nach ihm. »In meiner Kabine!« äffte sie den Kund schafter nach. »Ich werde froh sein, wenn ich selbst noch Platz darin finde. Was irgend ging, habe ich schon hineingestopft. Algon kin-Yatta, was wir dringend brauchen, ist ei ne Geheimbasis auf einem Planeten, wo wir alle unsere Schätze unterbringen können, be vor wir zu einem neuen Abenteuer aufbre chen.« »Wir haben aber keinen solchen Planeten zur Verfügung«, erwiderte Algonkin-Yatta. »Und wir finden auch keinen mehr, bevor wir Atlantis anfliegen.« »Du hättest eben früher daran denken sol len!« schimpfte Anlytha. »Wenn ich mir vorstelle, was es auf At lantis alles für Schätze gibt – und wir stehen mit einem kleinen Schiff da, auf dem kaum noch Platz für Souvenirs ist …!« »Wenn du künftig mehr ißt, dann bekom-
H. G. Ewers men wir nach und nach immer mehr Platz in dem Lagerraum, in dem die Verpflegung un tergebracht ist«, sagte Algonkin-Yatta. »Soll ich mich mästen!« zeterte Anlytha. »Wo würde dann meine Linie bleiben! Oder möchtest du, daß ich auseinandergehe wie ein Hefekloß?« »Wir überlegen später, wie wir mehr Platz schaffen können«, erklärte der Kundschaf ter. »An deiner Stelle würde ich mich jetzt zurecht machen. So willst du doch nicht et wa den historischen Boden von Atlantis be treten! Was sollte Atlan von dir halten, wenn er dich verschwitzt, staubverkrustet und auch sonst derangiert vor sich sähe – was in zirka einer Stunde der Fall sein dürfte.« Anlytha kreischte entsetzt und sah an sich herab. »In einer Stunde schon! Warum hast du mir das nicht vor fünf Stunden gesagt? So lange brauche ich mindestens, um mich her zurichten. Aber das sieht dir wieder einmal ähnlich. Ihr Männer denkt, es würde genü gen, sich die Hände zu waschen, um gesell schaftsfähig zu sein. Aber wir Frauen haben eine ganz andere Auffassung von Kultur.« »Ich weiß«, meinte der Kundschafter. »Schminke, Puder, Cremes, Nagellack für die Fingernägel, Nagellack für die Zehennä gel, Lack fürs Haar, Haarentferner für die Beine, Faltenstraffer für den Bauch, Glanz politur für die Zahnprothesen, Sprays gegen Schweiß, Sprays gegen Mundgeruch, Sprays für samtige Haut, für einen rosa Gaumen, Parfüm für die Füße, für Brust und Rücken und für hinter die Ohren …« »Du beleidigst mich, Algonkin-Yatta!« schrie Anlytha. »Seit wann brauche ich Haa rentferner für die Beine oder Faltenstraffer für den Bauch! Woher willst du überhaupt wissen, wie mein Bauch aussieht! Und mei ne Zähne sind noch die ersten, soviel ich weiß. Auf jeden Fall sind es keine Prothe sen, du Schandmaul!« »Ach, ja!« sagte der Kundschafter. »Fürs Maul brauchst du ja auch Spray. Ich meine, gegen Mundgeruch aus faulen Zähnen. Dann natürlich Pillen gegen Blähungen, Müdig
Landung auf Atlantis keit und Harndrang, Pillen für glänzende Augen, für sprühenden Charme und flinke Diebesfinger …« »Oh!« stieß Anlytha mit dumpfer Stimme hervor und verdrehte die Augen. »Vor allem aber brauchst du Pillen, um Spaß zu verstehen«, erklärte der Kundschaf ter todernst. Schlagartig hörte Anlytha auf, ihre Augen zu verdrehen. Sie blickte den Kundschafter prüfend an, dann lachte sie zwitschernd. »Du bist wirklich ein Genie, wenn es dar um geht, Witze zu machen, die jeder für Ernst hält, Yatta.« »Ist das alles?« fragte Algonkin-Yatta. »Ja«, antwortete Anlytha. »Was denn sonst noch?« Der Kundschafter ließ sich ächzend auf eine der buckelförmigen Erhebungen nieder, die überall aus der Polsterung der Wohnzelle ragten. »Und ich habe mir solche Mühe gegeben, gegen meine Natur anzukämpfen und zu lü gen!« sagte er enttäuscht. »Warum eigent lich, wenn dir das nicht einmal auffällt!« Anlytha blickte ihn aus geweiteten Augen an, dann lachte sie schallend. Aber kurz darauf wurde ihr Gelächter durch einen Summton unterbrochen. Danach sagte die Psiotronik: »Soeben sind wir vor Atlantis aus dem In terdimensionsflug gekommen. Ich habe erst einmal gestoppt, damit ihr euch auf den Auf tritt vorbereiten könnt.« »Ha!« stieß Anlytha hervor, dann eilte sie blitzartig durch das Schott, das auf den Kor ridor mit den Kabinen führte. Algonkin-Yatta sah ihr lächelnd nach, dann sagte er: »Gut gemacht, Psiotronik. Wie lange brauchen wir noch bis nach Atlantis?« »Sobald ich Fahrt aufgenommen habe, noch anderthalb Stunden«, antwortete die Psiotronik. »Es war ein herzerfrischender Anblick, Anlytha so durch die Wohnzelle preschen zu sehen, Kundschafter.« Algonkin-Yatta stöhnte grinsend. »Was für Ausdrücke wirst du noch an
35 bringen! Herzerfrischend! Wenn du ein Herz hättest, würde ich das noch verstehen, aber so!« »Laß mir doch den Spaß, Kundschafter!« »Also, meinetwegen!« sagte Algonkin-Yat ta. »Ich kann dir gar nicht böse sein an die sem herrlichen Tag, an dem ich zum ersten mal Atlan persönlich begegnen und ihm die Hand schütteln werde. Gebrauche von mir aus alle Ausdrücke, die dir gefallen!« »Ist gebongt, alter Junge«, erwiderte die Psiotronik.
* »Kommt näher, aber meidet den markier ten Platz!« rief Heimdall über eine ausge dehnte Lautsprecheranlage den zu Tausen den versammelten Delegationsmitgliedern aus allen Gegenden Pthors zu. In den letzten zwei Stunden waren unun terbrochen Zugors herumgeflogen, um eine möglichst große Menge unterschiedlichster Pthorer zusammenzubringen. Die Abgesand ten der Mächtigen der Schwarzen Galaxis sollten sehen, wie sehr sie geliebt wurden. »Das Schiff müßte jeden Augenblick auf tauchen«, sagte Balduur, nahm seinen Helm ab und polierte ihn zum xten Male mit ei nem Tuch. »Du machst mich noch nervös!« schimpf te Heimdall, nachdem er das Mikrophon ab geschaltet hatte. Nach einem Blick hinauf zur Kuppel des Wölbmantels schaltete er es wieder an und rief: »Seid nicht enttäuscht oder erfreut, daß es nur ein kleines Schiff ist, das uns besuchen wird. Die Mächtigen der Schwarzen Galaxis wollen uns damit sicher nur testen. Also, brüllt vor Begeisterung, wenn es gelandet ist, damit der Test positiv für uns ausfällt! Wer sich nicht entsprechend anstrengt, wird schwer bestraft. Denkt daran, hinter dem kleinen Schiff steht wahrscheinlich eine ganze Flotte großer Schiffe!« Die Menge drängte näher. Verschiedent lich drang trunkenes Grölen bis an die Oh ren der Odinssöhne.
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»Sie saufen!« sagte Balduur entsetzt. »Man sollte sie alle durchpeitschen!« »Dazu ist es zu spät«, erklärte Sigurd und deutete nach oben. »Soeben senkt sich das Schiff auf den Wölbmantel herab. Gleich werden wir erleben, ob in ihm wirklich Ab gesandte der Mächtigen sind, denn nur wer zu den Dienern der Schwarzen Galaxis ge hört, kann die Raum-Zeit-Barriere von au ßen durchdringen.« Die Menge schien die sen Gedanken gleichzeitig gehabt zu haben, denn sie verstummte plötzlich. Es wurde so still, als hielte die Menge sogar ihren Atem an. Die Göttersöhne blickten voller Span nung hinauf zu dem ovalen Objekt, das durch die Entfernung so klein wie ein Wach telei aussah. Langsam senkte es sich auf die durchsichtige, glockenförmige RaumZeit-Barriere herab. Was würde als nächstes geschehen? Plötzlich wurde das Bild des fremden Raumschiffs verzerrt, als schwebte es hinter einer bewegten Wasserwand – und im näch sten Augenblick hatte es den Wölbmantel durchdrungen und sank tiefer. Von der Menge kam frenetisches Gebrüll. »Diese Hohlköpfe!« schimpfte Balduur. »Sie werden heiser sein, bevor das Schiff gelandet ist, wenn sie so weiterschreien.« Er trat ans Mikrophon. »Ruhe!« aber in dem Gebrüll ging die Stimme aus den Lautspre chern unter.
* »Was war das?« fragte der Kundschafter, als die Anzeigen des Dimensionssensors flackerten. »Wir haben eine Raum-Zeit-Barriere durchdrungen«, antwortete die Psiotronik. »Sie hüllt Atlantis wie ein glockenförmiger Schutzschirm ein und verhindert, daß Unbe fugte von außen eindringen.« »Du bist nicht ganz richtig«, erwiderte Algonkin-Yatta. »Wenn das stimmen würde, was du behauptet hast, wären wir nicht durchgekommen.« »Vergiß nicht, daß dieses Kundschafter-
schiff, das damals auf den Namen RUORYC getauft wurde, eine Neukonstruktion ist, die Zeitreiseaggregate besitzt! Da wir diese Ag gregate schon mehrmals benutzt haben, ist das gesamte Schiff mit einer zeitneutralen Aura aufgeladen. Deshalb war die RaumZeit-Barriere kein Hindernis für uns.« »Da bin ich aber froh«, sagte Anlytha. Sie blickte aus glänzenden Augen auf die Schir me, die Ausschnitte der Oberfläche des ver lorenen Kontinents zeigten. »An welcher Stelle willst du landen, Yatta?« »Faszinierend!« tagte Algonkin-Yatta und musterte ebenfalls die Bildschirme. »Und so vielfältig! Ich werde Jahre brauchen, bis ich den letzten Winkel von Atlantis erforscht habe.« Anlytha unterzog ihre blutrot lackierten Fingernägel zum xten Male einer gründli chen Musterung. »Aber du kannst nicht überall zugleich, sondern nur an einer Stelle landen, Yatta!« sagte sie drängend. »Darüber besteht doch wohl kein Zwei fel«, erwiderte der Kundschafter. »Aber wo landest du?« bohrte Anlytha. Algonkin-Yatta deutete auf den Schirm, der eine riesige Pyramide zeigte, um die sechs kleine Pyramiden die Eckpunkte eines gedachten Sechsecks bildeten. »Das ist zweifellos der wichtigste Platz auf Atlantis«, erklärte er. »Nirgendwo an ders sind solche großen Bauwerke vorhan den.« Er blickte zum Kommunikationsschirm der Psiotronik, um sich dort Informationen aus den blitzenden Lichtpunkten, flammen den Linien und rätselhaften Zeichen zu ho len. »Das ist phantastisch!« entfuhr es ihm nach einer Weile. »Anlytha, weißt du, wel che Abmessungen die große Pyramide hat?« »Nein, woher denn auch?« erwiderte An lytha schnippisch und musterte ihr Spiegel bild in einer reflektierenden Metallfläche. »Sie ist genau vierhundertachtunddreißig Meter hoch und hat an der Basis eine Seiten länge von sechshundertvierundsiebzig Me
Landung auf Atlantis tern«, sagte der Kundschafter. »Verstehe«, sagte Anlytha und zog ihre Lidschatten nach. »Nichts verstehst du!« erwiderte Algon kin-Yatta entrüstet. »Das sind exakt die drei fachen Dimensionen der terranischen Che opspyramide.« »Was für ein Zufall!« meinte seine Part nerin. »Zufall!« Algonkin-Yatta setzte sich. »Begreifst du nicht, daß das etwas zu bedeu ten hat! Seit Jahrhunderten rätseln die Terra ner daran herum, was die Daten zu bedeuten haben, die mit ihrer Cheopspyramide zusam menhängen. Sie haben alle möglichen Spe kulationen, Hypothesen und Theorien dar über aufgestellt. Und ausgerechnet auf At lantis, das erwiesenermaßen schon mehr mals großen Einfluß auf die Entwicklung der Menschheit nahm, finden wir eine Pyra mide, die auf den Millimeter exakt die drei fachen Dimensionen jener von Gise hat!« »Es kann dennoch Zufall sein«, beharrte Anlytha. »Außerdem, warum ereiferst du dich, wenn du nur Atlan zu fragen brauchst? Als König von Atlantis werden ihm alle In formationen über die Geschichte des verlo renen Kontinents zur Verfügung stehen.« »Ich kann nicht alle Fragen, die ich habe, gleichzeitig an Atlan stellen«, erklärte der Kundschafter. »Außerdem wäre es unhöf lich, diesen edlen Helden des Universums mit Fragen zu durchlöchern. Im Gegenteil, ich muß ihm zuerst einmal für die Beant wortung seiner Fragen zur Verfügung ste hen.« Er ließ das Schiff schneller sinken. Bald darauf zeigte ein Bildschirm die markierte Kreisfläche – und die Menge, die sich darum versammelt hatte. Als auf anderen Bildschirmen Ausschnitt vergrößerungen erschienen und die Vielfalt der unterschiedlichsten Lebewesen zeigten, die dort unten warteten, stöhnte Anlytha un terdrückt auf. »Das ist ja das reinste Gruselkabinett!« sagte sie. »Igitt! Und zu diesen monströsen Wesen sollen wir gehen?«
37 »Es sind alles Atlans Freunde«, erwiderte der Kundschafter und schaltete neue Aus schnittvergrößerungen, um Atlan zu ent decken. »Ah, dort scheint so etwas wie ein Podest zu sein. Drei Personen stehen darauf. Die Mittlere müßte der König von Atlantis sein.« Als er in fünfhundert Metern Höhe die Außenmikrophone einschaltete, übertrugen sie ein heiseres Röhren, Orgeln, Tüten und Zischen, die Willkommensschreie unter schiedlicher Intelligenzen, die naturgemäß unterschiedliche Stimmen hatten. Sanft wie eine Feder setzte das Kund schafterschiff innerhalb der markierten Kreisfläche auf. Mit der elektronischen Te leskopschaltung holte Algonkin-Yatta die drei Personen auf dem Podest in Lebensgrö ße auf einen Bildschirm. »Ich sehe nur drei athletische Gestalten in seltsamen Rüstungen«, sagte er enttäuscht. »Die eine hat ein finsteres Gesicht mit schwarzem langen Oberlippenbart. Das kann nicht Atlan sein. Der zweite Mann sieht ebenfalls finster aus – und außerdem nicht gerade intelligent. Auch so kann der Kri stallprinz von Arkon nicht aussehen. Der dritte Mann könnte von der Statur her Atlan sein, aber er hat kein schulterlanges Silber haar, sondern halblanges und rotblondes. Das Gesicht ist offen und freundlich, aber die Augen verraten nicht halb soviel Wissen wie die Atlans.« »Du weißt doch gar nicht, wie Atlans Au gen aussehen – und Photos können das le bendige Original nicht ersetzen«, wandte Anlytha ein und kämmte sich ihren Feder kamm. »Ich weiß viel von dem, was Atlan alles erlebt hat«, entgegnete der Kundschafter. »Deshalb kann ich mir vorstellen, wie der Blick aus seinen Augen wirkt. Anlytha, ich fürchte, auch diesmal haben wir Atlan ver fehlt.« Anlytha sah, wie erschüttert ihr Partner war. Sie stand auf, nahm seine Hand und streichelte sie eine Weile, dann sagte sie: »Dennoch sind wir den Freunden Atlans
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offenbar willkommen. Wir dürfen sie nicht enttäuschen. Sicher warten sie darauf, daß wir sie begrüßen. Vielleicht hoffen sie auch, daß wir Boten Atlans sind.« Algonkin-Yatta nickte und tätschelte An lythas Wange, dann erhob er sich ebenfalls. »Komm, begrüßen wir sie!« sagte er. »Aber überlaß das Reden bitte mir. Ich habe den Eindruck, daß irgend etwas hier nicht in Ordnung ist. Deshalb werde ich nicht gleich auf Atlan zu sprechen kommen, sondern be hutsam vorgehen.«
7. Als Algonkin-Yatta und Anlytha auf einer Antigravplattform aus der Schleuse des Kundschafterschiffs schwebten und dabei freundlich winkten, schwoll das Willkom mensgeschrei der Menge noch einmal an, aber gleich darauf sank es zu einem heiseren Röcheln ab. Zielsicher steuerte der Kundschafter die Plattform über das winzige Kommandoge hirn unter seiner Schädeldecke und über die Schiffspsiotronik zu dem Podest. Unmittel bar davor stoppte die Plattform – in genau der gleichen Höhe wie die PodestOberkante. »Er ist schwarz«, hörte Algonkin-Yatta einen der drei Hünen zu einem Gefährten flüstern. »Hörst du, schwarz – und er kommt aus der Schwarzen Galaxis!« »Blauschwarz!« flüsterte ein anderer Hü ne. »Ruhe!« grollte der mittlere der Männer auf dem Podest, dann hob er die rechte Hand bis in Schulterhöhe und ließ sie ruckartig wieder fallen. »Wir grüßen euch!« rief er mit dröhnen den Baß. »Seht, die Menge jubelt euch zu!« Im nächsten Augenblick verzerrte er das Gesicht. In seinen Augen flackerte es. Von der Menge kam Stöhnen, Grunzen und ent setztes Pfeifen. Die Lebewesen wichen lang sam zurück. Rasch blickte der Kundschafter zu Anlytha, und als er sah, daß sie das Aus sehen einer »Göttin« mit wehendem Ge wand und einem blitzesprühenden Hammer
in der erhobenen rechten Hand angenommen hatte, flüsterte er: »Laß die Faxen, Mäd chen! Du erschreckst diese Leute nur!« Anlytha ließ die Vorspiegelung sein und wurde wieder sie selbst. Algonkin-Yatta schaute dem mittleren Mann in die Augen. »Ich bin der Göttersohn Heimdall«, er klärte dieser nach einigem Zögern. »Das sind meine Brüder Balduur und Sigurd. Ent schuldigt, daß ich uns nicht sofort vorstellte, Botschafter.« »Kundschafter«, korrigierte Algonkin-Yat ta. Er hatte jedoch nicht den Eindruck, daß die Korrektur überhaupt begriffen wurde. Er deutete mit einer Neigung des Kopfes auf Anlytha. »Meine Partnerin Anlytha. Ich bin Algonkin-Yatta von Ruoryc. Wer von euch ist der Verantwortliche für die Belange von Atlantis?« Sind die drei Recken bei der Nennung des Namens »Atlantis« zusammengezuckt oder täusche ich mich? fragte sich der Kund schafter. »Wir sind alle drei verantwortlich und werden uns auch nicht vor unserer Verant wortung drücken«, erklärte Heimdall. »Ich bitte dich nur darum, uns zuerst anzuhören, denn wir tragen keine Schuld an den Ma chenschaften des Königs. Im Gegenteil, wir haben ihn vertrieben, weil er gegen die In teressen der Mächtigen der Schwarzen Gala xis verstieß – und wir sind dabei, die alten Verhältnisse wiederherzustellen.« Mit ausdruckslosem Gesicht musterte Al gonkin-Yatta die drei Brüder. Er ahnte, daß sie ihn mit jemand ganz anderem verwech selten – und er ahnte, daß Heimdall Atlan gemeint hatte, als er abfällig von dem ver triebenen König sprach. Deshalb entschloß er sich, seine wahre Identität vorerst nicht zu offenbaren – jeden falls nicht, bevor er genau wußte, was auf Atlantis überhaupt gespielt wurde und wen die drei Göttersöhne wirklich erwarteten. »Wir werden uns auf Atlantis umsehen und feststellen, wie die Verhältnisse hier be schaffen sind«, erklärte er vorsichtig.
Landung auf Atlantis »Das hat sicher noch etwas Zeit«, wandte der Göttersohn ein, der Sigurd hieß und At lan von allen drei Recken am meisten ähnel te. »Wir feiern heute zu euren Ehren ein großes Fest und laden euch dazu ein.« »Wir werden kommen«, erklärte der Kundschafter. »Anlytha und ich ziehen uns nur für kurze Zeit in unser Schiff zurück, um einige Vorbereitungen zu treffen.« Er steuerte die Plattform wieder in einen Hangar seines Schiffes. Von dort begaben sich er und seine Gefährtin in die Steuerzen trale. »Man verwechselt uns mit jemandem«, sagte Algonkin-Yatta dort. »Die drei Brüder halten dich für einen Botschafter«, sagte Anlytha. »Es fragt sich nur, für wessen Botschafter.« »Vielleicht für einen Botschafter aus der Schwarzen Galaxis«, meinte der Kundschaf ter. »Auf jeden Fall wohl für einen Bot schafter einer mit Atlantis befreundeten Macht.« »Einer mit Pthor verbündeten Macht«, sagte Anlytha. »Hast du nicht bemerkt, wie die drei Göttersöhne zusammenzuckten, als du den Namen ›Atlantis‹ erwähntest?« »Dann hatte ich mich also nicht ge täuscht«, erwiderte Algonkin-Yatta. »Es scheint demnach sehr wichtig zu sein, wie jemand den verlorenen Kontinent nennt. Da der Name ›Atlantis‹ von Atlan stammt, scheiden sich die Geister hier offenkundig. Atlan, der König von Atlantis, wurde von den Göttersöhnen vertrieben. Sie scheinen Wert darauf zu legen, das uns, den Vertre tern einer anderen Macht, gegenüber zu be tonen. Es könnte aber etwas ganz anderes dahinterstecken.« »Die Lage ist undurchsichtig«, warf die Psiotronik ein. »Ich empfehle Zurückhaltung bei allen Äußerungen über Atlan und unsere wirklichen Absichten.« »Das ist selbstverständlich«, erwiderte Algonkin-Yatta. »Anlytha, wir werden bei dem Fest Augen und Ohren aufsperren. Vielleicht erhalten wir so einen Hinweis dar auf, was auf Atlantis wirklich gespielt
39 wird.«
* Die drei Odinssöhne hatten sich in eine Nische der großen Halle zurückgezogen, in der zahlreiche Technos und Dellos die letz ten Vorbereitungen für das Fest zu Ehren des Abgesandten der Mächtigen trafen. Heimdall saß, wie seine Brüder, auf einem klobigen, mit Lederbändern bezogenen Holzstuhl und hatte die Arme auf die Platte des schweren Holztisches gelegt, auf dem die Krüge mit schäumendem Bier standen. »Dieser Algonkin-Yatta spielt mit uns«, grollte er. »Habt ihr gehört, wie er das Wort ›Atlantis‹ betonte? Richtig lauernd, sage ich euch. Er wartete auf eine Reaktion von uns.« »Und wir wissen nicht, wie wir hätten reagieren sollen«, meinte Balduur. »Am schlimmsten aber ist die Begleiterin dieses Abgesandten. Sie scheint eine mächtige Ma gierin zu sein. Wer weiß, was sie mit uns an stellen soll. Sie müssen wir am schärfsten überwachen.« Er nahm einen großen Schluck Bier, als wollte er damit seine Furcht wegspülen. »Ich werde mich an Anlytha heranma chen«, sagte Sigurd. »Was?« brüllte Heimdall prustend, denn er hatte gerade den Mund voll Bier. »Schweinerei!« Er wischte sich über sein geschupptes Lederkleid, das sich voll Bier gesogen hatte, dann musterte er seinen jüng sten Bruder durchdringend. »Bist du von al len guten Geistern verlassen, du Tauge nichts! Du bist doch viel zu unerfahren, um es mit einer mächtigen Magierin aufzuneh men!« Balduur starrte Sigurd finster an. »Oder willst du ihr privat gefallen und dich dadurch vor einer Bestrafung retten?« grollte er mißtrauisch. »Vielleicht, indem du alle Schuld auf uns schiebst, he?« Sigurd schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich lasse mich von dir nicht als Verräter bezichtigen!« brüllte er wutentbrannt. »Dafür wirst du mir büßen! Ich fordere dich
40 zum Zweikampf auf Leben und Tod!« »So sei es!« schrie Balduur zurück und sprang auf. Heimdall streckte die Arme aus, packte seine Brüder mit eisernem Griff im Genick und zwang sie mit den Gesichtern in die Bierpfützen auf der Tischplatte. »Ihr Kretins, ihr Pseudogötter!« fuhr er sie – allerdings halblaut – an. »Ausgerechnet in der Stunde der höchsten Bedrohung Wollt ihr euch an die Kehlen gehen! Ich sollte euch solange verprügeln, bis ihr eure ganze Dummheit ausgeblutet habt! Begreift ihr nicht, daß das Verhalten der Abgesandten genau das bezweckt: daß wir uns zerstreiten und jeder von uns versucht, sich auf Kosten der anderen beliebt zu machen?« Er hob die Köpfe seiner Brüder an und stieß sie dann heftig in die Bierlachen, daß es klatschte. »Ihr wollt einig sein und euch vertragen!« grollte er. »Na, los!« Noch einmal hob er ih re Köpfe an und stieß sie auf den Tisch zu rück. »Sagt schon, daß ihr ein Herz und eine Seele sein wollt!« »Sigurd ist der jüngste von uns«, erklärte Balduur. »Er muß sich bei mir entschuldi gen.« »Kommt nicht in Frage!« gab Sigurd hef tig zurück. »Balduur hat angefangen.« Noch einmal rammten ihre beiden Köpfe die Tischplatte. »Ist ja schon gut!« rief Balduur. »Wir werden uns vertragen. Aber wenn du nicht sofort damit aufhörst, werde ich dich früher oder später umbringen – das schwöre ich beim Namen unseres Vaters!« »Ich auch!« schrie Sigurd. Heimdall stieß seine beiden Brüder heftig zurück, dann grinste er in die geschwollenen und nassen Gesichter und sagte: »So ist es besser. Jemand muß euch schließlich Manieren beibringen, wenn schon unser Vater nicht mehr dazu in der Lage ist. Merkt euch, daß ich als euer älte ster Bruder euren Vater vertrete und in sei nem Sinn handle!« »Ja, Heimdall«, sagte Sigurd. »Aber Bal-
H. G. Ewers duur hat …« »Ich weiß!« unterbrach Heimdall ihn bar sch. Seine Stimme wurde eisig und schnei dend, als er sagte: »Balduur …!« Balduur knirschte mit den Zähnen, dann senkte er den Kopf und sagte: »Es tut mir leid, Sigurd. Meine Erregung hat mich aussprechen lassen, was ich nie mals von dir denke.« »In Ordnung«, sagte Sigurd. Heimdall packte je eine Hand seiner Brüder und führte sie zusammen. Balduur und Sigurd schüttel ten sich die Hände. »So!« sagte Heimdall. »Und jetzt, wo un sere Köpfe klar sind, werden wir beraten, wie wir die Abgesandten am besten behan deln, damit sie uns für treue Diener der Mächtigen der Schwarzen Galaxis halten.«
8. Ein schlanker junger Mann mit langem dunkelbraunem Haar, braunen Augen und einem scharfgeschnittenen Gesicht mit »Adlernase«, hatte die Ankunft und Begrü ßung der Abgesandten im Schatten eines der kleinen Pyramidenschiffe beobachtet. Zornig hatte er bemerkt, wie devot die Odinssöhne den Botschaftern aus der Schwarzen Galaxis gegenübertraten – und da er wußte, wie die drei in den letzten Wo chen die Meinung auf Pthor manipuliert hat ten und daß sie mit den finsteren Mächten zusammenarbeiten wollten, faßte er den Ent schluß, etwas dagegen zu unternehmen. Er wußte nur noch nicht, was er unterneh men sollte. Tief in Gedanken versunken, kehrte er in die Festung zurück, um sich zu seiner Unter kunft zu begeben. Als er eine düstere Halle durchschritt, stutzte er. Hallende Schritte näherten sich der düste ren Halle von einem der in sie mündenden Korridore aus. Beim Klang der Schritte ver zerrte sich das ebenmäßige, kühne Gesicht des jungen Mannes, denn er kannte sie nur zu gut. Es waren die Schritte seines Widersa
Landung auf Atlantis chers, die sich näherten: die jenes Wesens, das Grizzard hieß und in dessen Körper er, Sinclair Marout Kennon alias Lebo Axton, lebte, in einem Körper, der ihm gegen den Willen seines rechtmäßigen Eigentümers zu gefallen war und den dieser sich zurückzu holen trachtete. Axton-Grizzard wich in eine der tiefen Nischen der düsteren Halle aus. Er wollte seinem Widersacher nicht offen entgegentre ten, obwohl sie beide sich von Atlan zu ei ner friedlichen Koexistenz hatten zwingen lassen. Aber erstens war Atlan seit Wochen verschwunden, und zweitens waren AxtonGrizzards Überlegungen viel zu sehr auf die Durchkreuzung des Planes der Odinssöhne konzentriert, um sich jetzt auf ein Rededuell mit Gizzards Bewußtsein im Axton-Körper einzulassen. Etwa eine Minute später tauchte aus einer der Korridormündungen eine über zwei Me ter große Gestalt auf. Das heißt, man konnte nur die Rüstung sehen, in der die Gestalt steckte. Sie bestand aus glänzendem blauen Stahl und war eine Ganzkörperhülle. Obwohl Axton-Grizzard sich seit langem bemühte, die geistige Identifizierung mit Sinclair Marout Kennon zu vermeiden, der er ja eigentlich wirklich war, brachen zahllo se alte Erinnerungen an diese Kennon-Zeit über ihn herein, als er die metallische Ganz körperhülle sah. Allein schon der Gedanke erinnerte ihn auf deprimierende Weise an ein Gehirn in einer robotischen Vollprothese, an eine Zwitter-Existenz mit blendendem Aussehen und großer physischer Kraft und dennoch des ständig gegenwärtigen Wissens um sei ne Unvollkommenheit. AxtonGrizzard preßte die Lippen zusam men und versuchte, das Zittern zu bekämp fen, das ihn befallen hatte, als sein Gegen spieler aufgetaucht war. Er konnte nicht durch den Eindruck der gerüsteten Gestalt getäuscht werden, denn da der Körper darin sein eigener war, wußte er, daß die Rüstung von einem buckligen Zwerg, einer häßlichen Mißgeburt, bewohnt
41 und gesteuert wurde. Von dem Körper des mißgestalten Zwer ges Sinclair Marout Kennon, dessen Häß lichkeit so abstoßend auf Frauen gewirkt hatte, daß er sich Liebe immer nur hatte kau fen können. Er war niemals glücklich gewe sen. Daran änderte sich auch nichts, als er schon nach kurzer Dienstzeit in der USO als das kosmokriminalistische Genie dieser Or ganisation und als USO-Spezialist Nummer eins gegolten hatte. Und das Grizzard-Bewußtsein arbeitete mit aller Macht darauf hin, seinen wohlge bauten Körper zurückzuholen und das Ax ton-Kennon-Bewußtsein wieder in den Krüppelkörper zurückzustoßen. Kein Wun der, daß Axton-Grizzard schon oft daran ge dacht hatte, daß er sich nicht mehr davor würde fürchten müssen, wenn der Krüppel körper starb – und mit ihm das GrizzardBewußtsein. Für einen grauenhaften Augen blick fühlte sich Axton-Kennon in seinen verkrüppelten Zwergenkörper zurückver setzt. Das war, als er einen Blick auf das »Gesicht« der Rüstung mit den facettenarti gen Längsflächen und den mit engmaschi gen Stahlnetzen bedeckten Sehschlitzen warf. Glücklicherweise war die Rüstung da auch schon an seinem Versteck vorbei ge gangen. Axton-Grizzard sah nur auf den Rücken, die beweglichen Segmente der Ar me und Beine und die metallischen Stiefel. Schweißgebadet lehnte er sich an die Wand der Nische, als sein Gegenspieler end lich die düstere Halle verlassen hatte. Und in der großen Erleichterung, die er darüber empfand, erleuchtete ihn schlagartig die Idee, wie er dem schädlichen Plan der Odinssöhne begegnen konnte. Sie war ganz einfach, wie alle genialen Ideen. Er brauchte lediglich den Abgesandten der finsteren Mächte zu töten. Dadurch wür de er die Mächte der Schwarzen Galaxis so gegen alle Pthorer aufbringen, daß sie nicht mehr differenzieren würden. Und das wie derum würde ausnahmslos alle Pthorer –
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auch die Odinssöhne – zwingen, wieder im Sinn Atlans zusammenzuhalten und gegen die Mächte der Finsternis zu arbeiten.
* Algonkin-Yatta und Anlytha betraten die Halle, in der das Fest stattfinden sollte. Ein Gewirr aus zahlreichen verschiedenen Stim men und eine Komposition unbeschreibli cher Gerüche schlugen ihnen entgegen. »Puh!« machte Anlytha und schwankte leicht. »Das ist ja, als bekäme man einen Schlag vor den Kopf! Dieser Gestank!« »Es sind die Ausdünstungen vieler fremd artiger Lebewesen, Lytha«, erklärte der Kundschafter und stützte seine Gefährtin un auffällig. »Aber wie können denn Menschen so et was aushalten!« Algonkin-Yatta sah sich aufmerksam um. »Ich vermag keine Menschen zu ent decken, Lytha.« »Aber zumindest die Göttersöhne sind doch welche, oder?« »Du nennst sie ›Göttersöhne‹ und unter stellst ihnen, Menschen, also Terraner zu sein!« erwiderte Algonkin-Yatta mit mildem Spott. »Erstens können Götter niemals Men schen sein – und außerdem, da ich nicht an Götter glaube, nehme ich an, daß Heimdall, Balduur und Sigurd etwas völlig anderes sind als Menschen, etwas absolut Fremdes, auch wenn ihre äußere Erscheinung und ihr Gebaren sie als Menschen erscheinen läßt.« »Das vermutest du nur«, erklärte Anlytha. »Stimmt«, gab der Kundschafter zu. »Aber mit einigem Grund. Doch du wolltest wissen, wie die unterschiedlichen Lebewe sen gegenseitig ihre Ausdünstungen ertragen können. Die Antwort ist ganz einfach. Sie haben sich so daran gewöhnt, daß sie sie nicht mehr bewußt wahrnehmen. Es ist wie mit der Atmosphäre in einem Raumschiff. Sie enthält aus vielen verschiedenen Grün den zahllose Geruchspartikel, die in der frei en Atmosphäre von Planeten nicht vorkom men. Dennoch nimmt man sie nach kurzer
Zeit nicht mehr wahr.« Die Odinssöhne entdeckten die Gäste in diesem Augenblick. Heimdall klopfte mit seinem Bierkrug auf die Tischplatte und brachte die Gespräche in der Halle dadurch zum Verstummen. Danach schickte er den Gästen drei herausgeputzte Dellos entgegen, die sie zu einem blumengeschmückten Eh rentisch führten, an dem nach ihnen auch die drei Brüder Platz nahmen. Balduur wartete, bis die Gäste den Will kommensschluck getrunken hatten, dann klatschte er in die Hände. Eine Musikkapelle, zusammengestellt aus den Vertretern von drei Völkern, die sich in der Senke der Verlorenen Seelen befunden hatten, spielte mit eigenartigen Instrumenten auf. Vertreter weiterer unbekannter Völker zelebrierten einen Schwerttanz. Anschließend tischten Technos die Spei sen auf. Algonkin-Yatta und Anlytha waren erleichtert, daß die Speisen nicht ganz so exotisch waren wie die in der Halle zusam mengekommenen Lebewesen. Es gab ver schiedenes Wildbret, darunter Schwein, Gans, Ente und Schlange sowie Masthund und Schaben in Aspik. Natürlich waren die pthorischen Schweine und so weiter keine terranischen, aber da sie im Ganzen aufge tragen wurden, ließ sich eine klare Ähnlich keit erkennen – und die Schaben waren na türlich keine richtigen Schaben, sondern nur Krustentiere, die ihnen ähnlich sahen. Dennoch würgte es Anlytha, als der Kundschafter sich bedenkenlos über die Krustentiere hermachte. Sie war froh, als die Reste der Speisen abgeräumt wurden. Anschließend spielte eine andere Kapelle zu einem pthorischen Tanz auf, bei dem es anscheinend keine bestimmte Ordnung gab. Zum Teil tanzten Frauen mit Männern – so weit sich das bei der Fremdartigkeit vieler Lebewesen überhaupt erkennen ließ –, zum Teil tanzten die Angehörigen aller Ge schlechter (bei den Vertretern einer Art zähl te Algonkin-Yatta insgesamt sieben ver schiedene Geschlechter) miteinander, zum Teil Frauen mit Frauen und Männer mit
Landung auf Atlantis Männern. Anlytha beobachtete die Szene ziemlich verwirrt. Deshalb hörte sie beim erstenmal nicht, daß Sigurd sie zum Tanz aufforderte. Als er seine Aufforderung wiederholte, schaute sie ihn erstaunt an. »Was willst du? Mit mir tanzen?« »Wenn du es erlaubst, schöne Göttin«, flötete Sigurd mit gerötetem Gesicht. »Aber ich kenne diesen Tanz doch gar nicht!« wandte Anlytha ein. Sigurd grinste jungenhaft. »Ich auch nicht, schöne Göttin. Aber ir gendwie wird es schon gehen.« Anlytha blickte den Kundschafter hilfe heischend an, doch der lächelte gerade über das Kunststück eines Gauklers und beachte te seine Partnerin überhaupt nicht. Wütend stand Anlytha auf und ließ sich von Sigurd auf die Tanzfläche führen. Nach dem sie mit dem Göttersohn eine Art ge meinsamen Takts gefunden hatte, gefiel es ihr gar nicht so schlecht. Vor allem amüsier te sie sich über die eckigen Bewegungen Si gurds und über das krampfhafte Lächeln, das er sich aufzwang. Als Algonkin-Yatta sich nach einer Weile nach seiner Gefährtin umdrehte, fand er ih ren Stuhl leer vor. Argwöhnisch versuchte er, das Gewimmel auf der Tanzfläche mit den Augen zu durchdringen – und er lächel te erleichtert, als er Anlytha mit Sigurd her umhopsen sah. Die beiden anderen Götter söhne tanzten zwar nicht, aber sie hatten ihre Plätze ebenfalls verlassen. Plötzlich klirrte und stampfte etwas in Al gonkin-Yattas Nähe. Als der Kundschafter aufsah, erblickte er eine über zwei Meter große Gestalt – beziehungsweise die blau schimmernde stählerne Rüstung, in der aber sicher jemand stecken würde. Der Helm um schloß den Kopf so vollständig wie die Rü stung den übrigen Körper. Das »Gesicht« wurde von der Stirnmitte bis zum Kinn durch einen breiten schwarzen Streifen in zwei Hälften geteilt, der in der »Gesichtsmitte« nasenförmig verbreitert war. Über dieser »Nase« befanden sich
43 rechts und links rechteckige Sehschlitze. Aber der Kundschafter hatte nicht den Ein druck, als befänden sich hinter den engma schigen Gittern der Sehschlitze Augen, die ihn anblickten. »Erlaubst du, daß ich mit dir spreche, Al gonkin-Yatta?« tönte es dumpf aus der Rü stung. »Mein Name ist Grizzard, und ich ha be den Herren der FESTUNG immer treu gedient.« Ich glaube eher, dein Name ist Schlitzohr! dachte der Kundschafter. »Bitte, sprich!« sagte er. »Nicht alle diejenigen, die mit dem Re bellen Atlan zusammenarbeiteten, sind ver trieben worden«, sagte Grizzard gedämpft. »Es gibt jemanden, der noch hier ist, weil er nicht durchschaut wurde – außer von mir.« »Aha!« machte Algonkin-Yatta. »Das ist interessant.« »Dieser Rebell heißt Lebo Axton«, erklär te das Wesen in der Rüstung. »Er verbirgt sich hier in der FESTUNG, und er ist unan greifbar, es sei denn, jemand würde das Be wußtsein aus seinem Körper in den Körper eines anderen Lebewesens übertragen.« »Aber was würde dann aus dem Bewußt sein des Lebewesens werden, in das das Be wußtsein dieses Lebo Axton übertragen wird?« »Es müßte in den Körper Lebo Axtons überwechseln«, erklärte Grizzard. »Also ein richtiger Tausch«, meinte der Kundschafter. »Ich bezweifle aber, daß sich jemand findet, der bereit wäre, sein Bewußt sein in einen fremden Körper übertragen zu lassen. Jedes Bewußtsein gewöhnt sich doch im Lauf einiger Zeit so an seinen Körper, daß es sich nur in ihm heimisch und gebor gen fühlt.« »Es wäre schon ein großes Opfer«, meinte das Wesen in der Rüstung. »Aber ich bin be reit, dieses Opfer auf mich zu nehmen.« Da ist doch etwas faul! dachte Algonkin-Yatta. »Ich werde mit Heimdall darüber spre chen«, erklärte er. »Das wäre sinnlos«, meinte Grizzard. »Heimdall würde gar nicht begreifen,
44 worum es geht. Aber er würde offen darüber diskutieren – und dadurch würde Lebo Ax ton gewarnt werden und könnte fliehen.« »Hm!« machte Algonkin-Yatta. »Ich könnte außerdem über einige Dinge berichten, die sich auf Pthor nach der Rebel lion zugetragen haben und für die die Mäch te der Schwarzen Galaxis sich sicher sehr in teressieren würden.« »Na, fein!« erwiderte der Kundschafter angeekelt. »Dann erzähle deine Geschichte den Mächtigen der Schwarzen Galaxis! Mich interessiert sie nicht.« Das Wesen in der Rüstung schwieg und stand eine Weile wie erstarrt neben dem Kundschafter, dann setzte es sich in Bewe gung und entfernte sich mit plump wirken den Bewegungen. Es sah aus, als ginge eine leere Rüstung durch die Festhalle. »Was hat er gewollt?« fragte die grollen de Stimme Heimdalls plötzlich. Algonkin-Yatta drehte sich um, sah, daß Heimdall und Balduur an ihre Plätze zurück gekehrt waren, und sagte lächelnd: »Er hat mich nur nach der Zeit gefragt – und ich habe erklärt, was es bei mir geschla gen hat.« »Hm!« machte Heimdall mit finsterem Gesicht. »Es wird natürlich immer Mißgün stige geben, die irgendwelche Geschichten erfinden, um sich interessant zu machen und anderen Wesen zu schaden.« »Oder um die eigene Haut zu retten«, er gänzte Algonkin-Yatta und blickte Heimdall dabei starr an. Dabei sah er, daß jemand – etwa zehn Schritte hinter Heimdall – ihm Zeichen gab. Es handelte sich um ein humanoides weibli ches Wesen mit großen blauen Augen und schwarzem Haar, das eine Art Kleid trug, ein orangefarbenes, weites und bis zu den Knöcheln hängendes Kleidungsstück. Was hatte MYOTEX den angehenden Kundschaftern immer eingetrichtert? Haltet unbedingt auf Distanz bei weiblichen Wesen anderer Völker, den ihre präsexuellen und sexuellen Vorschriften und Tabus sind meist schwer durchschaubar, so daß es fast immer
H. G. Ewers zu Fehlhandlungen kommt, die nicht nur den Kontakt mit diesem Volk zunichte machen, sondern den betreffenden Kundschafter meist auch gefährden! Aber Algonkin-Yatta brauchte unbedingt mehr Informationen, als die Göttersöhne ihm zu geben bereit waren. Unter diesen Umständen mußte er jede sich bietende Ge legenheit nutzen, selbstverständlich mit äu ßerster Vorsicht. Dennoch hätte er unter an deren Umständen völlig darauf verzichtet, mit einem humanoiden weiblichen Wesen ein Gespräch unter vier Augen zu führen, wie es dieses Wesen augenscheinlich vor hatte.
* Unter einem Vorwand entfernte der Kundschafter sich von Heimdall und Baldu ur. Er schlängelte sich durch die Menge, nickte dem weiblichen Wesen unauffällig zu und folgte ihm dann in unauffälligem Ab stand. Es führte ihn durch mehrere düstere graue Korridore zu einer Stiege, die zum nächst tieferen Deck der FESTUNG ging. Dort wollte es weiter gehen, aber Algonkin-Yatta blieb einfach stehen. Nach einigen Schritten drehte das weibli che Wesen sich um und blickte den Kund schafter auffordernd an. »Erst mußt du mir sagen, wohin du mich führen möchtest und weshalb«, sagte Algon kin-Yatta. »Ich bin Shyra, eine Gordy aus Donk moon«, sagte das weibliche Wesen bezie hungsweise die Frau. »Wir aus der Familie Gordy sind auf Pthor dafür bekannt, daß wir die meisten Bruchstücke des berühmten Par raxynts besitzen.« »Was ist ein Parraxynt?« fragte AlgonkinYatta beharrlich weiter. »Nun, eigentlich heißen alle Bruchstücke Parraxynts, denn niemand weiß, wie das Ding heißt, von dem die Bruchstücke stam men«, antwortete Shyra. »Aber es gibt eine
Landung auf Atlantis uralte Legende, nach der einmal jemand alle Bruchstücke finden und durch das Zusam mensetzen der Bruchstücke das Geheimnis von Pthor lösen wird.« »Das ist eine hübsche Legende, Shyra«, erwiderte der Kundschafter. »Aber was hat sie mit mir zu tun?« »Ich glaube, daß du uns helfen kannst, Abgesandter der Mächtigen aus der Schwar zen Galaxis. Bitte, komm mit, dann kann ich dir bald zeigen, was ich meine!« Algonkin-Yatta überlegte. Shyra schien nicht sexuell an ihm interessiert zu sein, folglich konnte es kaum schaden, wenn er ihr einen Gefallen tat. Außerdem war er durch die Erzählung über das Parraxynt neu gierig geworden und wollte gern mehr dar über erfahren. »Also gut, Shyra«, sagte er. »Gehen wir weiter!« Er war ihr vielleicht weitere zehn Schritte gefolgt – und seit dem Weggang aus dem Festsaal hatte er sich weitgehend an ihren arteigenen Körpergeruch gewöhnt, als seine Nase (wie bei allen Mathonern außerordent lich empfindlich) einen wahren Stoß von Geruchspartikeln wahrnahm, der ganz an ders war als die bisherigen. Erregung! konstatierte er. Hochgradige Erregung, vielleicht sogar Furcht! Nach kurzer Analyse seiner Situation hielt er den Schluß für logisch, daß die Gordy ihn absichtlich in eine Falle führte und nunmehr plötzlich Angst davor bekommen hatte, daß er den Anschlag überleben und sich an ihr rächen würde. Achtung! meldete sich die Schiffspsiotro nik über das winzige Gerät unter seiner Schädeldecke. Meine Sensoren stellen fest, daß nicht weit vor dir, etwas überhöht, ein Lebewesen ist, das einen Mord plant. Höch ste Wachsamkeit wird empfohlen, Kund schafter. Oder soll ich dich mit einem Trans mitterstrahl an Bord holen? Das wäre ein zu großer Aufwand, solange ich nicht in akuter Lebensgefahr bin! gab Algonkin-Yatta zurück. Ich ahne das Motiv und werde entsprechend taktieren. Passe du
45 auf Anlytha auf! Shyra erreichte eine Öffnung – und als der Kundschafter ihr folgte, sah er, daß sie sich in einem senkrecht verlaufenden Schacht befanden, in dem eine Wendeltrep pe verlief. »Übrigens ist eure Furcht unnötig«, sagte er wie beiläufig. Die Gordy wirbelte herum, Angst im blei chen Gesicht. »Welche Furcht?« flüsterte sie mit bebender Stimme. »Die Furcht vor mir als einem Botschafter der finsteren Mächte«, antwortete AlgonkinYatta. »Ich komme nicht aus der Schwarzen Galaxis, sondern bin ein Kosmischer Kund schafter aus einer fernen Galaxis – und ich suche meinen Freund Atlan.« Er konstatierte, daß es keine Lüge war, Atlan seinen Freund zu nennen, denn er selbst empfand schon längst eine tiefe Zu neigung zu dem einsamen Arkoniden. Etwas polterte am oberen Ende der Trep pe, dann rief eine männliche Stimme: »Bleib stehen, Algonkin-Yatta! Rühre dich nicht, oder ich muß dich töten!« »Du bist ebenfalls ein Freund Atlans, nicht wahr?« rief Algonkin-Yatta, ohne auf die Drohung einzugehen. Schritte kamen die Treppe herunter, dann erblickte der Kundschafter einen schlanken, mittelgroßen jungen Mann mit scharfge schnittenem Gesicht, der in eine enganlie gende dunkelgraue Montur gekleidet war und ein zirka anderthalb Meter langes Me tallrohr mit lanzenähnlicher Spitze in beiden Händen hielt. Der Unbekannte schien sich für überlegen zu halten, weil er seine Waffe auf Algonkin-Yat ta gerichtet hielt und weil es sich um eine atomare Flammenlanze handelte. Der Kundschafter handelte, als der Unbe kannte bis auf einen Meter herangekommen war und stehenblieb. Sein rechter Fuß schnellte vor und traf die Hand, die den Ab zug der Flammenlanze hielt. Das wäre leichtsinnig gewesen, wenn er sich nicht gleichzeitig nach hinten geworfen hätte.
46 Trotz der Gefahr war er fasziniert davon, daß aus der Lanzenspitze so etwas wie ein schwarzer Energiestrahl schoß, über ihn hin weg fegte und ein Stück der Wand hinter ihm zerschmetterte. Im nächsten Augenblick wirbelte die Flammenlanze durch die Luft, der Unbekannte setzte sich schreiend auf den Boden und der Kundschafter schnellte wieder hoch und landete nach einem weiten Sprung auf der zu Boden gefallenen Waffe. »Warum?« fragte der Unbekannte seltsam gefaßt. »Weil ich mich nicht darauf verlassen wollte, daß du nicht aus Nervosität ab drückst«, antwortete der Kundschafter. Scheinbar unmotiviert lächelte der Unbe kannte. »Ich doch nicht. Aber es ist mir lieber so, daß wir uns jetzt gleichwertig gegenüberste hen. Ja, ich habe wohl bemerkt, daß du mir an Körperkraft weit überlegen bist. Aber du hättest mich dennoch nicht besiegt, wenn ich noch die Absicht gehabt hätte, dich zu tö ten.« »Du hast mir also geglaubt?« »Du klangst überzeugend«, erwiderte der Unbekannte. »Übrigens, mein Name ist Ax ton-Grizzard.« »Du bist kein Gordy?« Algonkin-Yatta blickte zu Shyra. Er lächelte ihr beruhigend zu. Axton-Grizzard schüttelte den Kopf. »Wenn du ein Freund Atlans bist und aus einer fernen Galaxis kommst, dann verstehst du vielleicht diese Sprache.« Er hatte Inter kosmo gesprochen, wie der Kundschafter überrascht feststellte. »Ich verstehe nicht nur Interkosmo, ich spreche es auch«, erwiderte Algonkin-Yatta lächelnd und ebenfalls auf Interkosmo. »Kennst du vielleicht auch den Planeten Terra sowie Perry Rhodan, Reginald Bull und Allan D. Mercant?« Axton-Grizzards Gesichtsausdruck verriet Wehmut. »Die gute alte Erde! Wie lange habe ich sie schon nicht mehr gesehen! Später mußt du mir mehr darüber berichten, Algonkin-Yat-
H. G. Ewers ta. Wie hast du Atlan kennengelernt?« »Ich kenne ihn gar nicht persönlich«, er klärte der Kundschafter. »Während des so genannten Methankriegs hörte ich von der heldenhaften Rolle, die der Kristallprinz von Arkon spielte, und ich beschloß, Atlan unbe dingt persönlich kennenzulernen. Seitdem verfolge ich seine Spuren. Diesmal hoffte ich, endlich mit ihm zusammenzutreffen, aber wieder war er schon fort, als ich kam.« »Methankrieg?« fragte Axton-Grizzard verblüfft. »Aber das ist doch mehr als zehn tausend Erdjahre her. Bist du denn Aktiva torträger?« »Nein, Anlytha und ich folgten Atlan durch die Zeit – und natürlich auch durch den Raum.« »Das ist phantastisch!« rief AxtonGrizzard aus. »Und dich wollte ich töten!« »Du hieltest mich für einen Abgesandten der finsteren Mächte«, erwiderte der Kund schafter. »Und es gefiel dir nicht, daß die Göttersöhne und viele andere Pthorer den König von Atlantis schmähten und versuch ten, sich bei dem Abgesandten einzuschmei cheln. Deshalb wolltest du diesen Abgesand ten töten; um die Pthorer indirekt zu zwin gen, gegen die Mächtigen der Schwarzen Galaxis zusammenzuhalten und Atlans Ver mächtnis zu erfüllen.« »Kannst du Gedanken lesen?« fragte Ax ton-Grizzard. »Ich bin nur in angewandter Psychologik geschult«, erklärte der Kundschafter. »Deshalb durchschaute ich deine Motivati on, als die Psiotronik mich vor dem An schlag warnte.« »Die Psiotronik?« Axton-Grizzard kniff die Augen zusammen. »Ich merke schon, daß ich kaum etwas über dich und deine Hilfsmittel weiß. Was ist das: die Psiotro nik?« »Ein halborganischer Computer mit psio nischer Komponente«, antwortete AlgonkinYatta. »Ich kann jetzt nicht auf alles einge hen: Du hast übrigens einen Feind, der dich allerdings nicht Axton-Grizzard, sondern Lebo Axton nannte und der seinen Namen
Landung auf Atlantis als Grizzard angab.« Axton-Grizzards Augen verschleierten sich kurz. »Er ist Grizzard und ich bin Axton, aber unsere Körper sind vertauscht. Auch diese Geschichte ist zu lang, als daß ich sie jetzt erzählen könnte – viel zu lang. Sicher hat Grizzard gefragt, ob du unsere Bewußtseine austauschen könntest.« »Das hat er – und er verleumdete dich und bot sich mir als Verräter an der Sache Atlans an«, meinte Algonkin-Yatta. »Selbstverständlich ließ ich ihn abblitzen.« AxtonGrizzard lächelte. »Du hast dir sogar einige terranische Re dewendungen angeeignet, mein Freund. Aber was unternehmen wir jetzt?« Er hielt die Gordy, die fliehen wollte, am Arm fest. »Keine Angst, du bekommst das versproche ne Parraxynt – und niemand erfährt etwas davon, was wir miteinander besprachen. Geh jetzt unbesorgt zu den Deinen!« Als die Frau gegangen war, erklärte er: »Ich versprach ihr ein Parraxynt, wenn sie dich in meine Falle lockte, und ich werde mein Versprechen halten. Notfalls nehme ich mir eines von Heimdalls Bruchstücken.« Beide Männer blickten sich fragend an, als eine laute Stimme aus der Richtung, aus der Algonkin-Yatta gekommen war, rief: »Abgesandter, Abgesandter!« Nach einer Weile waren schnelle Schritte zu hören. Algonkin-Yatta rief: »Hier bin ich!« Keuchend eilte Sigurd in den Schacht. Ohne Axton-Grizzard zu beachten, stieß er hervor: »Algonkin-Yatta, soeben meldete die Be satzung eines Zugors, daß deine Flotte sich im Anflug auf Pthor befindet! Meine Brüder und ich, wir ersuchen darum, sich noch mit dir zu beraten, bevor deine Schiffe landen.« Der Kundschafter warf Axton-Grizzard einen bedeutungsvollen Blick zu, dann sagte er: »Ich komme gleich, Sigurd. Geh du vor aus!«
47 Als Sigurd außer Hörweite war, meinte der Kundschafter zu Axton-Grizzard: »Die Göttersöhne werden mir nunmehr, da sie wähnen, meine Flotte sei im An marsch, die Füße küssen wollen, um mit halbwegs heiler Haut davonzukommen.« »Aber nur, bis die Flotte gelandet ist«, er widerte Axton-Grizzard. »Sie wird Atlantis auch wieder verlas sen«, meinte der Kundschafter. »Ich könnte dich und Anlytha in Sicher heit bringen«, erklärte Axton-Grizzard. »Denn in eurem Schiff werdet ihr nicht si cher sein.« »Einverstanden«, erwiderte Algonkin-Yat ta. »Und sei es nur, weil es mich nach Aben teuern dürstet.«
* Nachdem er mit Axton-Grizzard einen Treffpunkt ausgemacht hatte, an dem das Kennon-Bewußtsein in seinem geliehenen Körper auf ihn und Anlytha warten würde, kehrte Algonkin-Yatta in die Festhalle zu rück. Unterwegs »besprach« er sich mit der Psiotronik und legte das Verhalten fest, mit dem sie auf alle denkbaren Aktionen der wirklichen Abgesandten aus der Schwarzen Galaxis reagieren sollte. Die Psiotronik mel dete Bedenken an, denn der Plan des Kund schafters war nicht ohne Risiken. Aber Al gonkin-Yatta ließ sich nicht davon abbrin gen. Er kannte die Risiken auch, aber er wollte, indem er sein Schiff auf dem Gelän de der FESTUNG stehenließ, dem Feind de monstrieren, daß dieser nicht allmächtig war, sondern daß es eine andere Macht gab, die er einkalkulieren mußte. Algonkin-Yatta tat es deshalb, weil er glaubte, so im Sinne Atlans zu handeln. Als er die Halle erreichte, sah er, daß die meisten Gäste gegangen waren. Dellos wa ren dabei, alles zu säubern und für den Emp fang neuer Gäste zu schmücken. Die Götter söhne rechneten offenbar damit, daß Algon kin-Yatta die Kommandanten »seiner«
48 Schiffe nach Pthor einladen würde. Heimdall, Balduur und Sigurd kamen ihm in mehr oder weniger devoter Haltung ent gegen, während Anlytha lächelnd im Hinter grund stand. Sie klopfte bedeutungsvoll ge gen die zahlreichen Taschen, die sie am Gürtel trug und die sich ausbeulten. Dem nach hatte sie reiche Beute gemacht. »Wir freuen uns, einen so bedeutenden Abgesandten als Gast bei uns zu haben!« rief Heimdall mit dröhnendem Baß. »Achtzig Organschiffe! Du mußt einen sehr hohen Rang in der Dynastie der Mächtigen einnehmen, Algonkin-Yatta, wenn man dir einen so großen Flottenverband mitgegeben hat.« Der Begriff »Organschiffe« war dem Kundschafter völlig neu – und er regte seine Phantasie an. Dennoch vermied er es, Fra gen darüber zu stellen, denn das hätte ihn vorzeitig verraten. »Wie ich sehe, trefft ihr Vorbereitungen, um weitere Gäste auf Atlantis willkommen zu heißen«, erwiderte er. Auf Heimdalls Stirn erschienen Schweißperlen. Er druckste eine Weile herum, dann sagte er stockend und sichtlich verlegen: »Sagt, ist es denn recht, wenn auch wir Atlantis sagen anstatt Pthor? Würde das nicht den Unwillen der Schiffskommandan ten erregen?« Algonkin-Yatta lächelte in sich hinein, als er erwiderte: »Hat er etwa meinen Unwillen erregt, Heimdall? Habe ich diesen Namen nicht selbst immer wieder gebraucht und sagte euch das nichts?« »Stört es dich nicht, daß dieser Name von Atlan geprägt wurde?« fragte Balduur. »Ganz im Gegenteil«, sagte der Kund schafter. »Das freut uns«, meinte Heimdall. »Du wirst sicher gemerkt haben, daß wir den Mächtigen der Schwarzen Galaxis treu erge ben sind, nicht wahr?« »Das habe ich allerdings gemerkt«, erwi derte Algonkin-Yatta grimmig. »Und ich sa ge euch, ihr werdet den euch zustehenden
H. G. Ewers Lohn bekommen.« »Wann dürfen wir mit – äh – Atlantis weiterreisen, Algonkin-Yatta?« fragte Heim dall. »Wirst du uns den Einflug in die Schwarze Galaxis gestatten?« »Das entscheiden andere Leute als ich«, antwortete Algonkin-Yatta wahrheitsgemäß. »Fürchtet ihr euch davor, daß Atlan zurück kehren könnte?« »Wir vertrauen auf den Schutz der Mäch tigen«, erklärte Heimdall, aber er wirkte un sicher dabei. Anscheinend war er gar nicht sicher, daß die Mächtigen der Schwarzen Galaxis ihn davor schützen konnten, von At lan bestraft zu werden. Zwei Technos eilten in die Halle. »Zwei Organschiffe befinden sich im Landeanflug auf das Territorium der FE STUNG!« rief der eine. »Wir wollen sie draußen begrüßen«, sagte Algonkin-Yatta, und zum erstenmal wurde ihm mulmig bei dem Gedanken, wie die wirklichen Abgesandten reagieren könnten, wenn sie erfuhren, daß jemand sich für sie ausgegeben hatte, der nicht dazu berechtigt war. »Wartet die Menge noch beim Lande platz?« »Sie hat sich sogar noch vergrößert«, ant wortete Balduur. »Dann wollen wir gehen!« sagte der Kundschafter. Gemeinsam mit den Odinssöhnen und Anlytha verließ er die Hauptpyramide. Draußen wimmelte es von allen möglichen Lebewesen, die aufgeregt eine Mauer um den Landeplatz des Kundschafterschiffs und um den freien Platz bildeten, auf dem die Landung der beiden anderen Schiffe erwar tet wurde. Algonkin-Yatta blieb stehen. »Geht schon voraus, Heimdall!« sagte er. »Anlytha und ich werden uns im Hinter grund halten, damit ihr die Kommandanten der beiden Schiffe allein begrüßen könnt. Wir treten etwas später in Erscheinung.« »Willst du wirklich warten, bis man uns festnimmt, Yatta?« fragte Anlytha, als die Odinssöhne außer Hörweite waren. Algonkin-Yatta lächelte.
Landung auf Atlantis
49
»Nicht ganz so lange, Lytha. Wir werden verschwinden, sobald es gefährlich wird. Aber die Abgesandten der finsteren Mächte sollen keine gute Erinnerung an ihren Auf enthalt auf Atlans Welt haben. Dafür werde
ich sorgen.«
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 417 von König von Atlantis mit: Häscher der Schwarzen Galaxis von H. G. Ewers