Lean Six Sigma
Armin Töpfer Herausgeber
Lean Six Sigma Erfolgreiche Kombination von Lean Management, Six Sigma und Design for Six Sigma
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Prof. Dr. Armin Töpfer Technische Universität Dresden Fakultät Wirtschaftswissenschaften Lehrstuhl für BWL, insb. Marktorientierte Unternehmensführung Helmholtzstraße 10 01062 Dresden
[email protected]
ISBN 978-3-540-85059-5
e-ISBN 978-3-540-85060-1
DOI 10.1007/978-3-540-85060-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c 2009 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Vorwort Lean Management wird von immer mehr Industrie- und Dienstleistungsunternehmen mit dem Ziel schlanker Prozesse und Strukturen in den eigenen Wertschöpfungsketten praktiziert. Es ist aber bei weitem noch nicht durchgängig verbreitet. Six Sigma als Konzept für praktikable Null-Fehler-Qualität wird im Vergleich hierzu von deutlich weniger Unternehmen angewendet. Der Grund liegt vor allem darin, dass der Nutzen nicht genügend erkannt wurde und dass diese Breakthrough-Strategie als zu aufwändig beurteilt wird. Hinzu kommt, dass beide Konzepte in der Unternehmenspraxis als teilweise konkurrierende Managementphilosophien angesehen werden. Fortschrittliche Unternehmen haben allerdings erkannt, dass gerade die Kombination beider Konzepte zusätzliche Vorteile mit sich bringt. Denn der Königsweg der Prozessoptimierung liegt darin, zum einen aus den einzelnen Prozessaktivitäten und dem dabei stattfindenden Ressourcenverbrauch alle Verschwendungen herauszufiltern und auszumerzen sowie zum anderen bei den prozessbezogenen Ergebnisgrößen alle Abweichungen vom Sollwert und damit alle Variationen zu erkennen und zu beseitigen. Genau dies ist der Ansatz von Lean Six Sigma. Es geht einerseits darum, durch Lean Management die Prozesse schlanker und wirkungsvoller, also schneller und effektiver, zu machen. Andererseits steht im Fokus, durch Six Sigma die dann erreichten Prozessabläufe qualitativ besser zu gestalten. Dies bedeutet, dass sie fehlerfrei und noch wirtschaftlicher werden, da Fehlerkosten – möglichst schon prophylaktisch – abgebaut werden. Im Idealfall werden also Null-Fehler-Qualität und schlanke Prozesse bereits schon bei der Entwicklung von Neuprodukten umgesetzt. Dies ist durch Design for Six Sigma (DFSS) möglich und spart – gerade in der defizitären Anlaufphase von Produkten – Zeit, Ressourcen und Kosten. In der Vergangenheit war vielen Unternehmen Six Sigma allein zu teuer und Lean Management nicht qualitätsbezogen genug. Aus diesem Grunde entwickelten sie einen Ansatz und eine Vorgehensweise, um beide Konzepte wirkungsvoll und erfolgreich zu kombinieren. Dieser Ansatz und diese Kombination beider Methoden wurden in der Praxis und nicht in der Wissenschaft entworfen. Mit diesem Buch wird eine theoretisch basierte Aufarbeitung und Zusammenstellung der beiden prozessorientierten Qualitätskonzepte sowie des erreichten Entwicklungsstandes ihrer Kombination und Verzahnung in führenden Unternehmen gegeben. Mein Dank gilt vor allem den mitwirkenden Unternehmen und ihren Führungskräften als Autoren. Bei der inhaltlichen Erarbeitung und Fertigstellung des Werkes haben mich Swen Günther, Jörn Großekatthöfer und Ulrich Fehr unterstützt. René William und Steffen Silbermann haben Korrektur gelesen. Frau Martina Voß hat die Projektsteuerung durchgeführt. Ihnen allen sei für ihre wichtige Zuarbeit an dieser Stelle herzlich gedankt. Dresden/ Kassel, im August 2008 Armin Töpfer
Inhaltsverzeichnis
Vorwort .................................................................................................................. V
Kapitel A: Anforderungen an und Anwendungsfelder von Lean Six Sigma und Design for Six Sigma Mehrere Wege zu verschwendungsfreien Prozessen und Null-FehlerQualität: Einführung und Überblick über die Beiträge............................................3 Armin Töpfer, Swen Günther Lean Management und Six Sigma: Die wirkungsvolle Kombination von zwei Konzepten für schnelle Prozesse und fehlerfreie Qualität .....................25 Armin Töpfer Design for Six Sigma: Schlanke Produktentwicklung mit dem Ziel wirtschaftlicher Null-Fehler-Qualität in Produktion und Vermarktung ................69 Armin Töpfer, Swen Günther Kapitel B: Vernetzung der Bausteine von Lean Management und Six Sigma in Verbesserungs- und Entwicklungsprojekten Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden in der Wertschöpfungskette .............................................................................................99 Bert Leyendecker Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma: Vom Standard-DMAIC zum Blitz-DMAIC ........................................................113 Swen Günther, Bernd Garzinsky Schnelle und wirkungsvolle Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign .................................................137 Lars Vollmer QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden-Kombination im Rahmen von Design for Six Sigma .....................................................................159 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel C: Umsetzung von und Erfolge mit Lean Management, Lean Six Sigma und Design for Six Sigma Lean Manufacturing als Grundlage für die kontinuierliche Verbesserungsarbeit bei AMD Saxony ............................................................... 207 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE) in einem Pharmaunternehmen................................................ 233 Thomas Habermann, Jörg Doch Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma in einem Unternehmen der chemischen Industrie .............................. 249 Klaus Weckheuer, Michael Hennes Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O) im Bereich Aerospace ......................................................................................... 265 Jürgen Bremer Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox......................................................... 281 Jutta Jessenberger Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess bei Siemens VDO................................................................................... 305 Achim Schmidt Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma bei Lilly Deutschland .......................................................................................... 323 Miriam Stache, Armin Töpfer
Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................... 353 Autoren-Kurzbiographien ................................................................................... 357 Stichwortverzeichnis ........................................................................................... 361
Kapitel A – Anforderungen an und Anwendungsfelder von Lean Six Sigma und Design for Six Sigma –
Mehrere Wege zu verschwendungsfreien Prozessen und Null-Fehler-Qualität: Einführung und Überblick über die Beiträge Armin Töpfer, Swen Günther Inhalt 1 2 3 4
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Differenzierung vom Wettbewerb durch Vorteile bei Qualität, Zeit, Kosten und Innovation .................................................................................3 Einführungsanforderungen und Verbreitung von Lean Six Sigma ..............9 Ziele und Konzeption des Buches ..............................................................13 Literatur......................................................................................................20
Differenzierung vom Wettbewerb durch Vorteile bei Qualität, Zeit, Kosten und Innovation
Lean Six Sigma umfasst die beiden Management-Verbesserungskonzepte Lean Management und Six Sigma. Lean Management hat schlanke Prozesse zum Ziel und Gegenstand. Six Sigma strebt fehlerfreie Prozesse und Produkte als Prozessergebnisse an (vgl. Töpfer 2007c, S. 45 ff.). Im Rahmen einer Verbesserung der marktorientierten Unternehmensführung liegt der Beitrag des Konzeptes dann darin, eine kundenorientierte Prozessgestaltung mit möglichst geringer Verschwendung und kurzer Durchlaufzeit (also Lean) sowie möglichst geringer Variation, also minimaler Streuung, und geringer Abweichung vom Mittelwert des Toleranzintervalls (also Null-Fehler-Qualität) zu erreichen. Unmittelbar beeinflusst werden hierdurch die Kostenstruktur und Qualität der Produkte sowie die Liefer-/ Termintreue gegenüber dem Kunden. Der Vorteil für den Kunden ist demnach dadurch gegeben, dass er kundenspezifische und qualitativ hochwertige, da fehlerfreie Produkte zu einem attraktiven Preis und mit einer schnellen, termintreuen Lieferung erhält. Im Kern geht es um die Optimierung des erweiterten Magischen Dreiecks der Betriebswirtschaftslehre, wie es in Abbildung 1 zu sehen ist. Die Qualität, als zentraler interner Werttreiber und externer Erfolgsfaktor in Six Sigma, zielt dabei darauf ab, alle wesentlichen Kundenanforderungen zu erfüllen. Dies sind alle die Kriterien, die für den Kunden kritisch und damit entscheidend für den Kauf, seine Zufriedenheit, die Bezahlung des geforderten Preises sowie die Loyalität gegenüber dem Unternehmen in der Zukunft sind. Hierdurch werden die Critical to Quality Characteristics (CTQs) aus Kundensicht erfüllt (vgl. Töpfer/ Günther 2008, S. 975 ff.).
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Armin Töpfer, Swen Günther
Qualität
Effektivität Erfüllen der CTQs = Wesentliche Kundenanforderungen
Innovation/ Wachstum
Zeit Beitrag zur Effizienz Verkürzte Durchlaufzeit = Ressourceneinsparung
Effektivität Wesentlich und wahrnehmbar = CTQs besser erfüllt Zeitstabilität
Kosten
Effizienz Keine Ressourcenverschwendung
Beitrag zur Effektivität Reduzierung der Time to Market/ Lieferzeit und schnellere Reaktion
Abb. 1: Wirkungen von Lean Management und Six Sigma auf das erweiterte Magische Dreieck für erfolgreiches Management
Das Kriterium Zeit bildet einen wesentlichen Werttreiber und Erfolgsfaktor des Lean Managements. Der Beitrag zur Effizienzsteigerung, also einer höheren Produktivität und Wirtschaftlichkeit, liegt darin, dass durch weitgehend verschwendungsfreie Prozesse eine Ressourceneinsparung stattfindet, die neben der Zeiteinsparung vor allem auch Sachmittel und Personalressourcen schont. Die verkürzte Durchlaufzeit verringert die Time to Market und verbessert die Liefer- und Reaktionszeit des Unternehmens. Hierdurch können Interessenten bzw. Kunden schneller und besser beliefert werden. Alle Effekte wirken dadurch auch effektivitätssteigernd, da sie den Grad der Zielerreichung fördern (vgl. Töpfer 2007a, S. 71 ff.). Die positiven Wirkungen, die durch die Qualitätsverbesserung und durch die Zeiteinsparung bestehen, führen zugleich zu Kostensenkungen, da hierdurch Ressourcenverschwendung reduziert respektive vermieden wird. Dies sind Auswirkungen, die sowohl mit Six Sigma als auch mit Lean Management angestrebt werden. Das Magische Dreieck und seine Wirkungen beziehen sich auf eingefahrene Wertschöpfungsprozesse und damit das erreichte Normalniveau. Anders sieht es aus, wenn Innovationen in Produkten und ggf. in den Prozessen realisiert werden. Dann wird mit den verbesserten Marktleistungen für den Kunden zwar eine bessere Erfüllung seiner CTQs angestrebt, die für ihn wesentlich und wahrnehmbar ist. Innovationen bringen es aber nicht selten mit sich, dass die bisherigen Routineprozesse und -ergebnisse in der Wertschöpfung nicht mehr gegeben sind. Dadurch steigt das Fehlerpotenzial und die Qualität sinkt. Dies führt meistens zu einem zusätzlichen Zeitverbrauch, auf jeden Fall aber zu steigenden Kosten. Das Ziel einer höheren Effektivität für den Kunden wird dann aber oftmals nur über eine redu-
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität
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zierte Effizienz und Effektivität für das Unternehmen erkauft. Eine angestrebte Stabilität der Wertschöpfungsprozesse und -ergebnisse über die Zeit wird häufig über eine längere Periode nicht realisiert. Gelingt es jedoch, diese Zeitstabilität sicher zu stellen, dann wird auch bei dem um die Innovation erweiterten Magischen Dreieck von vornherein eine positive Wirkung erreicht. Das Ziel besteht dementsprechend darin, Defizite in der Prozessgestaltung aus Sicht der Kunden möglichst frühzeitig und ganzheitlich zu erkennen, um durch nachhaltige Verbesserungsmaßnahmen zum einen die Zufriedenheit des Kunden zu steigern und zum anderen aus Sicht des Unternehmens die Wirtschaftlichkeit zu verbessern, dadurch dass Fehlerkosten ausgemerzt werden und die Umsätze mit fehlerfreien und kundenorientierten Produkten erhöht werden können. Hierdurch lassen sich die Erträge steigern und höhere Überschüsse erzielen. Lean Six Sigma ist also ein Konzept, das wie die meisten Managementkonzepte die Kundensicht und die Unternehmenssicht verbindet. Der markt- und ressourcenorientierte Ansatz der Unternehmensführung werden dadurch kombiniert und integriert. Folgende Erkenntnisse lassen sich nach diesen einführenden Aussagen bereits an dieser Stelle zusammenfassen: • Lean Six Sigma ist auf alle Prozesse anwendbar. • Six Sigma macht die Wertschöpfung besser – Lean Management macht sie schneller. • Six Sigma verbessert die Prozessfähigkeit und reduziert die Variation/ Abweichung dadurch, dass Fehlerquellen und Fehlerkosten eliminiert wurden respektive werden. • Lean Management merzt – als 1. und direkte Wirkung – Verschwendung aus und schafft einen „Flow“, also einen ausschließlich auf Wertschöpfung ausgerichteten Prozessablauf, der nur verschwendungsarme und schnelle Aktivitäten enthält; denn er ist von allen unnötigen Phasen und Abläufen befreit. Hierdurch wird der Prozessablauf – als 2. und indirekte Wirkung – insgesamt besser, schneller und eher störungsfrei. • Mit Lean Management lässt sich also – mit einem Terminus aus der Elektrotechnik argumentiert – das „Rauschen“ als beeinträchtigendes Hintergrundgeräusch, das die Qualität mindert, aus dem Prozess entfernen. Six Sigma lässt sich dann ausschließlich in den Prozessabschnitten, die noch hartnäckige Fehlerquellen und damit Variationen/ Abweichungen aufweisen, gezielt anwenden. Abbildung 2 fasst diese beiden sich ergänzenden und teilweise überlagernden Konzepte noch einmal grafisch zusammen. Lean Management ist primär intern ausgerichtet und wirkt durch die Beseitigung von Verschwendung positiv auf den internen Werttreiber „Durchlaufzeit im Unternehmen“, der sich dann auch positiv auf den externen Erfolgsfaktor „Lieferzeit für den Kunden“ auswirkt. Six Sigma ist vom Ansatz her zunächst extern ausgerichtet, weil die kundenorientierte Qualität über die Erfüllung der Critical to Quality Characteristics (CTQs) als externer Erfolgsfaktor definiert wird. Im Unternehmen übersetzt wird dieser Erfolgsfaktor durch die internen Werttreiber „Standardisierte Prozesse“ mit möglichst geringer Variation und dadurch bewirkter „Null-Fehler-Qualität“.
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Armin Töpfer, Swen Günther
Lean Management Soll-Prozess
Untere Grenze
Reduzierte Abweichungen
Variation
Ist-Prozess
Six Sigma
Obere Grenze
Werttreiber „Standardisierte Prozesse“ und „Null-FehlerQualität“ für Erfolgsfaktoren „Erfüllte CTQs“ und „Kundenorientierte Qualität“
Optimierter Ist-Prozess Reduzierung der Verschwendung Werttreiber „Durchlaufzeit“ für Erfolgsfaktor „Lieferzeit für Kunden“ Basis: Lutz, Kahlert, Kalms, 2006, S. 239
Abb. 2: Kombination der Wirkungen des integrierten Einsatzes von Lean Management und Six Sigma
Den Einstieg und ersten Ansatzpunkt zur Verbesserung von Prozessen sowie der Qualität ihres Durchflusses und ihrer Wertschöpfungsergebnisse bilden also immer die Lean-Prinzipien, wie sie in Abbildung 3 aufgeführt sind (vgl. Henderson/ Larco 1999). Grundvoraussetzung für schlanke und fehlerfreie sowie damit wirtschaftliche Prozesse ist die Arbeitsplatzgestaltung als Ausdruck organisatorischer Qualität. Eine Just-in-Time-Produktion vermeidet eine unwirtschaftliche Lagerhaltung. Die laufende Qualitätssicherung im Prozess mit dem Ziel der NullFehler-Qualität schafft bereits die Verbindung zwischen Lean Management und Six Sigma. Verantwortlich für die operative Prozesssteuerung und Qualitätssicherung sind die Mitarbeiter vor Ort. Diese Prozesseignerschaft erfordert erhöhte Kompetenzen sowohl fachlicher als auch organisatorischer Art und führt zu einem nicht unerheblichen Empowerment der Mitarbeiter. Gesteuert werden die Prozesse und ihre Ergebnisse über ein Visuelles Management, um allen Beteiligten die Informationen über die Qualität der Prozesssteuerung offen zugänglich zu machen. Durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess sollen alle auftretenden und erkannten Störungen des Ablaufes von Prozessen und der Qualität von Prozessergebnissen sofort beseitigt werden, um auf diese Weise ein immer höheres Niveau in Richtung Perfektion zu erreichen.
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität
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Arbeitsplatzgestaltung ! Gestaltung von effizienten, sauberen, ergonomischen, geordneten, sicheren Arbeitsplätzen Just-in-Time-Produktion ! Anlieferung von Teilen/ Vorleistungen möglichst zeitnah vor der Verwendung/ dem Einbau Qualitätssicherung im Prozess ! Integration der Qualität in die Prozessgestaltung mit dem Ziel der NullFehler-Qualität Kompetenz / Prozesseignerschaft ! Mitarbeiter vor Ort haben Verantwortung für das Teamergebnis und treffen Schlüsselentscheidungen Visuelles Management ! Sicherstellung offener Informationen für alle betroffenen Mitarbeiter und Verfolgung der Leistung Perfektion ! Ständiges Streben nach Verbesserung Basis: Henderson/ Larco 1999
Abb. 3: Wesentliche Lean-Prinzipien und ihr Bezug zur Qualität
Aus dem bisher Gesagten zu den beiden Konzepten sind nicht nur die unterschiedlichen Ansatzpunkte und Zielrichtungen erkennbar, sondern auf dieser Basis lässt sich zugleich auch die gemeinsame Zielsetzung herausarbeiten. Sie besteht darin, unter dem jeweils fokussierten Blickwinkel Prozesse nachhaltig zu verbessern. Beide Konzepte schlagen dabei unterschiedliche Wege und Stoßrichtungen ein. Abbildung 4 verdeutlicht die Unterschiede und Gemeinsamkeiten: • Bei Lean Management werden Wertschöpfungsprozesse in ihrer Gesamtheit einbezogen; häufig wird sogar das gesamte Unternehmen dieser Philosophie „unterworfen“. Das Ziel besteht dann darin, in allen einzelnen Phasen von Wertschöpfungsprozessen die Verschwendung von Material respektive Vorprodukten und damit Kosten und Zeit zu erkennen und zu vermeiden. Der instrumentelle Ansatz basiert auf der Wertschöpfungsanalyse und dem Wertschöpfungsdesign, wie er im Beitrag von Vollmer erklärt wird. • Der Six Sigma-Ansatz konzentriert sich von vornherein nur auf Wertschöpfungsprozesse, bei denen nachweislich Abweichungen von wesentlichen Kundenanforderungen (CTQs) und damit hohe Fehlerkosten aufgrund unzureichender Qualität auftreten. Der Ansatz ist grundsätzlich selektiv. Es werden, nachdem häufig Lean Management-Projekt bereits durchgeführt worden sind, schwierig zu lösende Probleme in der Wertschöpfungskette ausgewählt und mithilfe des DMAIC-Zyklus nachhaltig gelöst. Auf diesen wird im Beitrag von Günther/ Garzinsky im Detail eingegangen.
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Armin Töpfer, Swen Günther
Gemeinsame Zielsetzung ! Prozesse nachhaltig verbessern
Lean Management
Six Sigma
• Ziel: Komplexität und Verschwendung als Wertverlust in Prozessen messen, sichtbar machen und abbauen • Instrument: Wertstromanalyse • Ergebnis: Durchlaufzeit verkürzen und Kosten einsparen durch standardisierte schlanke Prozesse
• Ziel: Abweichungen von wesentlichen Kundenanforderungen (CTQs = Critical to Quality Characteristics) im Prozess messen, verstehen, abbauen und kontrollieren • Instrument: DMAIC-Zyklus • Ergebnis: Qualität steigern, Durchlaufzeit verkürzen und Kosten einsparen durch Standards für fehlerfreie Prozesse und Produkte
Umsetzung in Projekten
Abb. 4: Gemeinsames Ziel, aber unterschiedlicher Weg von Lean Management und Six Sigma
Beide Konzepte, also Lean Management nach dem Toyota-Prinzip und Six Sigma nach dem Vorbild von Motorola und General Electric, lassen sich getrennt anwenden. Der Einsatz bringt dann die jeweils spezifischen Vorteile und Erfolge. Bei Lean Management resultieren hieraus in ihrer Durchlaufzeit verkürzte und ihren Kosten reduzierte standardisierte Prozesse. Sie kommen durch die Messung, Analyse und Beseitigung der Komplexität und Verschwendung als Wertverlust im Rahmen von Wertstrom-Untersuchungen und -Verbesserungen zustande. Six Sigma verkleinert die Abweichungen von wesentlichen Kundenanforderungen (CTQs) und führt über die erhöhte Qualität, verkürzte Durchlaufzeiten und eingesparte Kosten zu Standards für fehlerfreie Prozesse und Produkte. Durch den kombinierten, noch besser integrierten Einsatz der beiden Managementkonzepte werden die angestrebten Wirkungen vergrößert und z.T. potenziert. Die Ansatzpunkte und strategischen Zielsetzungen der Managementkonzepte Lean Management, Six Sigma, Design for Six Sigma (DFSS) und Lean Six Sigma lassen sich aus Abbildung 5 noch einmal nachvollziehen. Wie hieraus ersichtlich ist und vorstehend bereits ausgeführt wurde, bewirkt und erreicht erst Lean Six Sigma eine Kombination und Integration aller strategischen Zielsetzungen. Lean Six Sigma stellt damit den umfassendsten Steuerungs- und Verbesserungsansatz dar.
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität
Strategische Zielsetzung
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Konzept zur Unterstützung
Wachstum - Größer -
Innovation - Innovativer -
Lean Six Sigma
Qualität - Besser -
DFSS Durchlaufzeit - Schneller -
Kosten
Lean Management
Six Sigma
- Schlanker -
Abb. 5: Strategische Zielsetzung und konzeptionelle Unterstützung
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Einführungsanforderungen und Verbreitung von Lean Six Sigma
Die (statistische) Forderung des Six Sigma-Konzeptes besteht darin, dass bezogen auf ein – hochgerechnetes und damit angenommenes – Produktionsvolumen von 1 Mio. Einheiten – in Absolutzahlen – nur 3,4 fehlerhafte Prozessoutputs auftreten dürfen. Dies entspricht einem Qualitätsniveau von 99,99966% und kennzeichnet damit eine praktikable Null-Fehler-Qualität, da kein Prozess auf Dauer absolut fehlerfrei ablaufen kann (vgl. Töpfer 2007c, S. 53 ff.; Harry/ Schroeder 2005). Viele Anwender begegnen dieser Qualitätsanforderung zunächst mit Skepsis und z.T. Ablehnung. Zum einen begründen sie dies damit, dass sie nicht 1 Million Produkteinheiten herstellen und das Konzept schon deshalb nicht in ihrem Unternehmen gut anwendbar ist. Dieses formale Missverständnis kann durch die Information leicht behoben werden, dass die Hochrechnung auf die große Produktzahl durch die geringe Fehlergröße begründet ist, die sich dann ganzzahlig (ca. 3 Fehler pro 1 Million Einheiten) ausdrücken lässt. Dies entspricht dem Bild, dass das geringe Gewicht einer Gänsefeder auf einer LKW-Waage ermittelt wird. Zum anderen argumentieren sie, dass das geforderte Niveau praktizierter NullFehler-Qualität im Vergleich zu beispielsweise 99% Qualität – dem Qualitätsdurchschnitt der deutschen Wirtschaft – viel zu aufwändig und deshalb praxisfern ist. Die Ergebnisse erfolgreicher Six Sigma-Unternehmen insbesondere in den USA zeigen aber genau das Gegenteil. Denn folgender Sachverhalt ist nachvollziehbar: Diese restlichen 1% Fehler bei 99% Qualität sind erfahrungsgemäß sehr hartnäckige und kostenträchtige Fehler, die immer nur schwer und mit erhebli-
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Armin Töpfer, Swen Günther
chem Aufwand für die Fehlerbeseitigung und dadurch verursachten Fehlerkosten zu beseitigen sind. Die Vermeidung dieser Fehlerkosten durch eine klar fokussierte Six Sigma- respektive Lean Six Sigma-Initiative im Unternehmen spart Kosten der Nachbesserung/ Wiedergutmachung von Fehlern bis zu 30% der Gesamtkosten bei Dienstleistungsunternehmen und Fehlerkosten bis zu 30% des Jahresumsatzes bei Industrieunternehmen. Von daher verwundert es nicht, dass sowohl Industrieunternehmen als auch Dienstleistungsunternehmen das Six Sigma-Konzept für Null-Fehler-Qualität anwenden. Damit wird zugleich deutlich, dass der Qualitätsanspruch von Six Sigma in jeder Branche und in jedem Unternehmen eine aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvolle sowie leicht nachvollziehbare Zielsetzung und Strategie ist. Dies trifft uneingeschränkt für Service- und Dienstleistungsunternehmen zu, wie z.B. Logistik-Unternehmen, Versicherungen und Banken, aber auch für Pharma-, Elektronik-, Automobil- und Maschinenbauunternehmen der produzierenden Industrie. Das Ziel geht dahin, Prozesse – soweit dies möglich ist – orientiert auf den externen oder internen Kunden zu verschlanken und zu standardisieren. Die Verschlankung erfolgt bei Six Sigma nicht so sehr wie bei Lean Management durch differenzierte Wertstromanalysen. Sie wird vielmehr durch die Beseitigung der Fehlerursachen und damit durch die Einsparung von Fehlerkosten im Sinne einer Ressourcenschonung erreicht. Durch das geforderte Qualitätsniveau in Richtung NullFehler-Qualität werden zugleich alle Prozesse robuster, weil sie nicht so schnell das formulierte Toleranzniveau überschreiten. Das durchschnittliche Qualitätsniveau in der deutschen Industrie liegt bei einem Sigma-Wert von 3,8σ, was einer Ausbeute von ca. 99% bzw. einer Fehlerrate von ca. 10.000 PPM (Parts Per Million) bzw. 10.000 DPMO (Defects Per Million Opportunities) entspricht (vgl. Töpfer 2007c, S. 53 ff.; Harry/ Schroeder 2005). Der σ-Wert kennzeichnet hierbei die Messgröße für die angestrebte/ tolerierte Abweichung auf der Basis der Gaußschen Normalverteilung und ihrer Standardabweichung. Im Vergleich zu dieser statistischen Kennzahl umschreibt das Six Sigma Konzept eine unternehmensweite Initiative zum Erreichen von Null-FehlerQualität. Die Frage, ob 99% Qualität genug sind, ist heutzutage also rein rhetorisch. Immer mehr Unternehmen haben erkannt, dass sie ohne eine professionell eingeführte Null-Fehler-Qualität erhebliche Chancen zur Steigerung des Jahresüberschusses bei einem konstanten Preisniveau verschenken. Dabei ist die Situation aber mittlerweile oftmals deutlich schwieriger und damit verschärft: Geforderte Preissenkungen können nur über die Aktivierung von Kosteneinsparungspotenzialen realisiert werden, und zwar vorwiegend durch die Vermeidung von Fehlern und damit Fehlerkosten, wenn gravierende Einschnitte in die Unternehmensgewinne oder die Hinnahme von Verlusten vermieden werden sollen. Dieser sinkende Preis kommt bei gleich bleibend hoher oder sogar steigender Qualität gerade auch den Kunden zugute. Abbildung 6 zeigt diesen gerade in den letzten Jahren immer wichtiger werdenden Zusammenhang beispielhaft. Er gilt für die Anwendung von Lean Management, Six Sigma und/ oder Lean Six Sigma gleichermaßen.
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Gewinnmarge
Gewinnmarge Gewinnmarge
Gesamter Kostenblock zur Herstellung und Lieferung von Marktleistungen
Periode 1
Kosten schlechter Prozesse + schlechter Qualität
Kosten schlechter Prozesse + schlechter Qualität
Optimal erreichbare Kosten
Optimal erreichbare Kosten
Periode 2
Periode 3
Preisverfall + Auswirkungen von Lean Management und Six Sigma
Preis
Gewinnmarge
Bei Preiskonstanz strategischer Spielraum
Kosten schlechter Prozesse + Qualität
Gewinnmarge
Optimal erreichbare Kosten
Optimal erreichbare Kosten
Periode 4
Periode 5
Zeit
Abb. 6: Gründe für Lean Six Sigma
Um sich zu verdeutlichen, was 99% Qualität und 1% in Kauf genommenes Fehlerniveau, also 3,8σ, bedeuten im Vergleich zu 6σ, also 99,99966% Qualität, lässt sich eine Reihe von plastischen Beispielen aus dem täglichen Leben anführen (vgl. Töpfer 2007d, S. 177): • Statt 20.000 verlorener Postsendungen stündlich sind es nur 163,2 pro Tag. • Statt 15 Minuten unsauberen Trinkwassers täglich sind es nur 1,8 Minuten im Jahr. • Statt 5.000 falscher chirurgischer Eingriffe in der Woche sind es nur 7,2 im Monat. • Statt 2 zu kurzer oder zu langer Landungen auf den größten Flughäfen täglich sind es nur 1,241 in 5 Jahren. Der unmittelbare Bezug zu Kunden und zur Erfüllung wichtiger Kundenanforderungen liegt auf der Hand. Zusätzlich wird praktizierte Null-Fehler-Qualität nicht nur ein Hebel zur Kostensenkung, sondern vermeidet zugleich die Gefährdung von Gesundheit und Menschenleben. Ein Niveau von 6σ und mehr ist für das Erreichen von Business Excellence in vielen Wirtschaftsbereichen deshalb zum selbstgewählten Standard geworden, in Branchen wie z.B. der Flugzeugindustrie, dem Kraftwerksbau und der Medizintechnik bei lebenserhaltenden Geräten ist dieses aus den oben genannten Gründen bereits seit langem zwingend notwendig. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass immer mehr Unternehmen Six SigmaKonzepte umsetzen. Dieser Einführungsprozess vollzieht sich in zwei Richtungen: Zum einen horizontal mit Auswirkung auf die Wettbewerber und zum anderen vertikal mit Auswirkung auf die Lieferanten. Unter dem ersten Aspekt gilt: Wenn ein größeres Unternehmen einer Branche Six Sigma einführt, dann sind es oftmals
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– im Sinne eines positiven Domino-Effektes – die unmittelbaren Wettbewerber, die relativ schnell nachfolgen, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Der zweite Aspekt besagt: Wenn seit einiger Zeit Hersteller wie Ford oder auch Daimler und BMW Six Sigma-Projekte realisieren, dann fordern sie i.d.R. auch zügig, nicht selten sogar im Vorfeld vor der eigenen Anwendung, Null-FehlerQualität von ihren Lieferanten, wie z.B. Siemens, Honeywell, Johnson Control, Honsel, PVT und Bosch. In diesem Fall sichert es zugleich die HerstellerZulieferer-Beziehung und nicht nur ein verbessertes Ertragsniveau. Zu den Vorreiterunternehmen im Bereich Lean Six Sigma gehören unter anderen Xerox, Lockheed Martin, Bank One und Grace (siehe Abb. 7), alles Unternehmen, die vorab bereits Ansätze von Lean Management und/ oder Six Sigma realisiert haben. Inzwischen gehen auch General Electric sowie Motorola, der Urheber des Six Sigma-Konzeptes, dazu über, Lean Six Sigma-Strategien umzusetzen. Der Grund und Hebel ist insbesondere dann gegeben, wenn ein Unternehmen wie General Electric nicht nur organisch wächst, sondern vor allem auch durch Akquisitionen. Dann kommt es darauf an, in relativ kurzer Zeit und mit vertretbarem Aufwand ein positives Integrationsergebnis in der Prozessoptimierung zu erreichen. ! Xerox ! Launch von 250 Projekten für sich und Kunden in 2002 ! Investitionen von 14 Mio. US-Dollar in Lean Six Sigma ! Ersparnis im ersten Jahr: 6 Mio. US-Dollar In den nächsten Jahren steigende Tendenz ! Lockheed Martin ! 1998 Operational Excellence Program „LM21“ gestartet ! Umfasst mehr als 5.000 Projekte
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! Dokumentierte Einsparungen: ca. 4 Mrd. US-Dollar ! Bank One " JP Morgan Chase ! Initiierte in 2002 Verbesserungsprogramm „Focus 2.0“ ! Erhöhte Konzentration auf Lean-Ziele ! Reduzierung der Durchlaufzeiten zwischen 30 und 75 % ! Grace / Fresenius Medical Care ! Einführung von Lean Six Sigma 2005 in den nordamerikanischen Werken ! Ziel: Bessere Resultate bei kürzeren Fertigungszeiten Basis: George 2003
Abb. 7: Unternehmen mit Lean Six Sigma
Die Mutterunternehmen wollen bei ihren „neuen Töchtern“ ein hohes Qualitätsniveau über schlanke Prozesse ohne Verschwendung in schnell realisierten und vom Aufwand überschaubaren Projekten umsetzen. Aus diesem Grund beginnen die Unternehmen heute üblicherweise den Verbesserungsprozess mit Lean Management Aktivitäten und führen dann nur sehr selektiv – bei den angesprochenen hartnäckigen Qualitätsproblemen – Six Sigma-Projekte durch. Die Kombination
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von Lean Management und Six Sigma eröffnet also die Chance, akquirierte Unternehmen in kurzer Zeit fit und wettbewerbsfähig zu machen sowie besser mit ihren Prozessen in den Netzwerkverbund des Mutterunternehmens einzupassen.
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Ziele und Konzeption des Buches
Mit dem vorliegenden Buch wollen wir keine Schrift zu der vorhandenen umfangreichen – überblicksartig in Kapitel 4 zusammengestellten – Literatur hinzufügen, die eine detaillierte Unterweisung in die statistischen Methoden und die Instrumente des Qualitäts- und Projektmanagements liefert. Hier gibt es bereits spezifische Six Sigma- und Lean Six Sigma-Publikationen (vgl. z.B. Pande et al. 2001, George 2003, Magnusson et al. 2004, Harry/ Schroeder 2005). Die Zielsetzung geht vielmehr dahin, Lean Six Sigma als ein Konzept erfolgreicher Unternehmensführung darzustellen und dabei wesentliche Anforderungen, Inhalte, aber auch Stolpersteine aufzuzeigen. Richtschnur und Maßstab ist die Fähigkeit des integrierten Konzeptes, zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit und zur Steigerung des Unternehmenswertes beizutragen. Neben der operativen Umsetzung von Lean- und Six Sigma-Projekten steht damit also die strategische Ausrichtung und Einordnung des Gesamtkonzeptes im Vordergrund. Wer sind die Hauptadressaten des vorliegenden Buches? Es richtet sich neben den Verantwortlichen für das Qualitätsmanagement vornehmlich auch an die Mitglieder der Unternehmensleitung und der Bereichsleitungen. Denn alle Funktionsund Geschäftsbereiche, die zur Wertschöpfung für den Kunden beitragen, können durch dieses Denken in Kategorien des Kundennutzens und Kundenwertes auf der einen Seite und des Unternehmensnutzens und Unternehmenswertes auf der anderen Seite mit dem Gedankengut von Lean Six Sigma aus strategischer und operativer Sicht ihr Leistungsniveau steigern. Für Unternehmen, welche die Einführung von Lean Six Sigma vorhaben oder bereits begonnen haben, liefern die wiedergegebenen Erfahrungsberichte aus der Unternehmenspraxis einen breiten Fundus, um typische Einführungsfehler zu vermeiden. Für Unternehmen, die Six Sigma respektive Lean Six Sigma bereits seit einiger Zeit praktizieren, bietet das Buch mit den unterschiedlichen Branchenbeispielen eine gute Benchmarking-Basis, um selektiv herauszufiltern, wo und wie noch Steigerungsmöglichkeiten bestehen. Dies bezieht sich beispielsweise auch auf die zweckmäßige Kombination von Lean Six Sigma mit Konzepten wie der ISO-Zertifizierung, der Balanced Score Card (BSC), dem Management by Objectives (MbO) und dem Business Excellence Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) oder dem Malcolm Baldrige National Quality Award, also dem amerikanischen Qualitätsmodell bzw. -preis (MBNQA). Auf alle diese Konzepte wird nicht näher eingegangen, sondern auf die spezielle Literatur verwiesen (vgl. z.B. Töpfer/ Günther 2007, S. 335 ff. und Töpfer 2008b, S. 932 ff.). Lean Six Sigma hat in der Lehre und Forschung bisher keinen nennenswerten Stellenwert erlangen können. Nicht nur bezogen auf statistische Methoden, Qualitätsmanagement-Instrumente und Projektmanagement-Werkzeuge besteht noch
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wissenschaftlicher Analyse- und Bewertungsbedarf, beispielsweise in der in Abbildung 8 skizzierten Form, wie Lean Six Sigma unmittelbar durch Lean Management-Instrumente, Six Sigma-Werkzeuge und einzelne Qualitätsmanagement (QM)-Methoden untermauert, durch DFSS-Tools ergänzt und zusätzlich durch andere Management-Instrumente unterstützt wird. Die Abbildung erinnert bildlich an ein Kugellager, bei dem Lean Six Sigma die Achse ist, um die zunächst die in Projekten eingesetzten Lean Management, Six Sigma und QM-Tools sowie DFSSInstrumente gruppiert sind und die im äußeren Ring durch wichtige Steuerungsund Führungsinstrumente im Unternehmen ergänzt wird. Dies vergrößert – bildlich gesprochen – den Durchmesser des „Lean Six Sigma Rades“ und erhöht so das Antriebsmoment, also die Wirksamkeit im Unternehmen. Andere ManagementWerkzeuge BSC
Design for Six Sigma
Marktanalyse Projektcharter
Fokusgruppen SIPOC
EFQM/ BenchMBNQA marking
VOCCTQ
QFD
VSD
DFMA Kaizen
Regres-
Just-inTime
ConjointAnalyse
Ishikawa
Monitoring
PullsionsSystem analyse
Kanban Datensammelplan
Marktforschung
SPC
Lean Management
Poka Yoke
Gage R&R
Target Costing
Six Sigma
Lean Six Sigma
5S
ZV/ MbO
Statistische Tests
TRIZ
Kausalanalysen
DOE
Prozessanalyse
Simulation
FMEA BPM
Abb. 8: Lean Six Sigma im Rahmen von Management-Werkzeugen
Darüber hinaus existiert auch Forschungsbedarf bezogen auf eine zielführende Vernetzung und Integration mit anderen Business Excellence-Konzepten, wie dies
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität
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oben angesprochen war. Neben stärker operativ ausgerichteten Untersuchungen bieten diese strategischen Aspekte von Lean Six Sigma im Rahmen der marktorientierten Unternehmensführung ein breites Forschungsfeld. Im Vordergrund stehen dabei Qualifikationskonzepte, Anreiz-, Mess- und Steuerungssysteme, der Bezug zur Unternehmenskultur sowie Implementierungsstrategien und Wirkungsanalysen des Veränderungsmanagements. Der Beitrag von Stache/ Töpfer in Kapitel C geht hierauf ein. Unter diesem Blickwinkel ist der praxisorientierte Hochschulbereich eine weitere Zielgruppe dieses Buches. Zusätzlich vermitteln die Erfahrungsberichte für Unternehmen der Beratungsbranche unterschiedliche Ausgangssituationen, Ansatzpunkte und Vorgehensweisen bei der Einführung und Umsetzung von Lean Six Sigma. Das Gesamtkonzept des Buches mit den Anforderungs-, Gestaltungs- und Wirkungsfeldern von Lean Six Sigma sowie der Erklärung des Managementkonzeptes und den Branchenanwendungen ist in Abbildung 9 wiedergegeben. Hieran orientiert sich die inhaltliche Einordnung und Bewertung der einzelnen Artikel. 1.
Erklärung des Lean Six Sigma Konzepts 6.
2.
Projektauswahl/ -definition
LeanKonzept
5.
3. Six Sigma Projektmanagement
8.
Einführung/ Umsetzung/ U.-Kultur
4.
Stolpersteine/ Umsetzungsbarrieren
7. Design for Six Sigma
Qualifizierung/ -skonzepte/ Training
12.
10. Ergebnisse/ Wirkungen
9.
Anwendungsbereiche/ Wertschöpfungskette
11. Wirkungsverbund/ Vernetzung
Branchenanwendungen
Abb. 9: Vernetzung der Anforderungs-, Wirkungs- und Gestaltungsfelder von Lean Six Sigma
Die nachstehende Tabelle zeigt, aufgeschlüsselt nach den Kriterien der Abbildung 9, worauf die Autoren in den einzelnen Beiträgen speziell eingehen. Dabei wird danach unterschieden, ob auf einzelne Inhalte besonderes Gewicht gelegt oder ob sie nur angesprochen werden. Dem Leser ermöglicht diese Übersicht, ihn interessierende Fragestellungen in den einzelnen Beiträgen gezielt aufzufinden und nachzuvollziehen (siehe die Synopse der einzelnen Beiträge in Tab. 1).
Armin Töpfer, Swen Günther
Stache/ Töpfer: LSS-Unternehmenskultur
Schmidt: DFSS bei Siemens VDO
Jessenberger: LSS-Einführung bei Xerox
Bremer: Lean-Konzepte bei Honeywell
Weckheuer/ Hennes: Lean Six Sigma
Ziegenhorn/ Ziemer-Popp: Lean bei AMD
Habermann/ Doch: Projektauswahlprozess
Kapitel C Streckfuss/ Günther/ Töpfer: DFSS-Methoden
Vollmer: Wertstromdesign
Kapitel B Leyendecker: Zusammenspiel von Methoden
Kriterien für Inhalte, Prozesse und Methoden/ Instrumente
Töpfer/ Günther: Design for Six Sigma
Töpfer/ Günther: Mehrere Wege
Autoren-Beiträge
Töpfer: Lean Management und Six Sigma
Kapitel A
Günther/ Garzinsky: LSS-Vorgehensmodelle
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1. Erklärung des Lean Six Sigma Konzepts
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Philosophie/ Verständnis/ Strategie Wesentliche Vorgehensmodelle und Methoden Anforderungen an die Aufbau- und Ablaufstruktur Anforderungen an die Unternehmenskultur
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2. Lean-Konzept Philosophie/ Konzeption/ Inhalte Toyota-Produktionssystem (TPS)/ Toyota-Prinzipien PDCA-Zyklus – Vorgehen und Methoden Wertstromanalyse/ -design/ Value Stream Mapping Just-In-Time/ Fließfertigung/ Rüstzeiten/ Kanban/ 5S Jidoka/ Autonomation/ Fehlererkennung/ 5W Kontinuierliche Verbesserung (KVP)/ Kaizen Heijunka/ Operative Stabilität/ Produktionsglättung Visual Management/ Andon-Tafel/ Poka-Yoke
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3. Six Sigma-Projektmanagement Philosophie/ Konzeption/ Inhalte Six Sigma am Beispiel von General Electric Standard-DMAIC u. Blitz-DMAIC – Überblick Define: Projekt Charter/ SIPOC/ VOC-CTQ Measure: Datensammlung/ Gage R&R/ Referenzleistung Analyse: Ishikawa/ FMEA/ Prozessdarstellung/ Statistik Improve: Kosten-Nutzen-Analyse/ Simulation Control: Monitoring/ Dokumentation/ SPC
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4. Design for Six Sigma (DFSS) $ $ # $ #
Philosophie/ Konzeption/ Inhalte DMADV-Zyklus – Vorgehen und Methoden Quality Function Deployment (QFD) Widerspruchsorientierte Problemlösung (TRIZ) Design of Experiments (DOE) Conjoint Analyse/ Target Costing
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5. Einführung/ Umsetzung/ U.-Kultur Ansätze zur Kombination von Lean und Six Sigma Prozessphasen/ Roll-Out im Unternehmen Auswahl von Akteuren und Projekten Einbindung/ Commitment der Führungskräfte u. Mitarbeiter Zielvereinbarungssystem/ Anreiz- u. Prämiensystem Projektsteuerung/ Controlling/ Ergebnisdokumentation
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6. Projektauswahl/ -definition
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Sammeln von Projektideen Bewertungsschema/ -prozess Definition von Projekten
$ # Legende:
Tab. 1: Synopse der einzelnen Beiträge
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ausführlich behandelt
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$ $ # $ # # $ $ $ angesprochen
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Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität
Stache/ Töpfer: LSS-Unternehmenskultur
Schmidt: DFSS bei Siemens VDO
Jessenberger: LSS-Einführung bei Xerox
Bremer: Lean-Konzepte bei Honeywell
Weckheuer/ Hennes: Lean Six Sigma
Ziegenhorn/ Ziemer-Popp: Lean bei AMD
Habermann/ Doch: Projektauswahlprozess
Kapitel C Streckfuss/ Günther/ Töpfer: DFSS-Methoden
Vollmer: Wertstromdesign
Günther/ Garzinsky: LSS-Vorgehensmodelle
Kapitel B Leyendecker: Zusammenspiel von Methoden
Kriterien für Inhalte, Prozesse und Methoden/ Instrumente
Töpfer/ Günther: Design for Six Sigma
Töpfer/ Günther: Mehrere Wege
Autoren-Beiträge
Töpfer: Lean Management und SixSigma
Kapitel A
7. Qualifizierung/ -skonzepte/ Training
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Champion/ Sponsor (Master) Black Belt Green/ Yellow/ White Belt Mitarbeiter/ Betriebsrat Qualifizierungskosten Lean Experten
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8. Stolpersteine/ Umsetzungsbarrieren Verständnis- und Kommunikationsprobleme Probleme bei Methoden- und Instrumenteneinsatz Veränderungsmanagement der Organisation Anforderungen/ Auswirkungen auf Unternehmenskultur Nationale Einflüsse/ Internationalisierung
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9. Anwendungsbereiche/ Wertschöpfungskette F&E (Design for Six Sigma) Lieferanten/ Partner (Vor-)Montage/ Produktion Verwaltung/ Administration Vertrieb/ Service Kundenunternehmen
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10. Ergebnisse/ Wirkungen $ $ # #
Monetäre Wirkungen (Net Benefit) Nicht-monetäre Wirkungen (Sigma-Wert, DLZ) Erhöhung der Kundenzufriedenheit/ -bindung Wertsteigerung des Unternehmens
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11. Wirkungsverbund/ Vernetzung Qualitätsmanagementnormen (ISO 9000ff./ TS 16949 u.a.) GQM/ EFQM/ MBNQA/ Business Excellence Balanced Scorecard (BSC) Wissensmanagement 12. Branchenanwendungen
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Automobilindustrie Banken/ Finanzdienstleister Chemie- und Pharmaindustrie Dienstleistung/ Service Elektronik/ Elektrotechnik Konsumgüterindustrie Krankenhauswesen Maschinen- und Anlagenbau Telekommunikation/ IT
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Legende:
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ausführlich behandelt
Tab. 1: Synopse der einzelnen Beiträge (Fortsetzung)
$ angesprochen
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Armin Töpfer, Swen Günther
Im Folgenden werden die Schwerpunkte einzelner Beiträge kurz charakterisiert. Im Kapitel A „Anforderungen an und Anwendungsfelder von Lean Six Sigma und Design for Six Sigma“ folgen nach diesem Beitrag einige grundsätzliche Aussagen sowie empirische Ergebnisse über den Einsatz und die Verbreitung von Lean Management und Six Sigma. Insbesondere wird von Töpfer die wirkungsvolle Kombination der zwei Konzepte für verschwendungsfreie Prozesse und Null-FehlerQualität aufgezeigt. Für eine praxisnahe Darstellung von schnellen Prozessen und fehlerfreier Qualität werden als Unternehmensbeispiele die Entwicklungen der letzten Jahre bei Toyota und General Electric herangezogen. Während Toyota vor allem für den Lean-Ansatz mit KVP steht, favorisiert General Electric den projektorientierten Verbesserungsansatz auf der Basis von Six Sigma. Einen zunehmend höheren Stellenwert nimmt Six Sigma im Entwicklungsprozess ein. Design for Six Sigma (DFSS) ermöglicht es, bei Neuprodukten die Fehlerrate von vornherein deutlich zu senken. In dem Artikel von Töpfer/ Günther wird die Vorgehensweise im Produktentwicklungsprozess anhand des DMADVZyklus dargestellt. Im Zentrum stehen dabei die Beschreibung des Phasenablaufs sowie des Methodeneinsatzes, wie z.B. Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse (FMEA), Statistical Process Control (SPC) und Design of Experiments (DOE). Außerdem gehen die Autoren auf die zusätzlich erzielbaren Wirkungen des Konzeptes im Hinblick auf mehr Innovation, bessere Qualität und höhere Wertbeiträge ein. Im Kapitel B „Vernetzung der Bausteine von Lean Management und Six Sigma in Verbesserungs- und Entwicklungsprojekten“ werden zunächst die wesentlichen Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma beschrieben. Im Beitrag von Leyendecker wird das Zusammenspiel verschiedener Methoden zur Optimierung der Prozesse und der Qualität in der Wertschöpfungskette aufgezeigt. Dies verdeutlicht den methodenorientierten „Werkzeugkasten“, aus dem problembezogen die für den Lösungsprozess geeigneten Instrumente auszuwählen und einzusetzen sind. Danach konzentrieren sich Günther/ Garzinsky vor allem auf den Standard-DMAIC sowie den Blitz-DMAIC als praktikable Vorgehensmodelle. Auf dieser Basis erläutern sie anschließend zweckmäßige Schulungskonzepte für Green und Black Belts. Eine herausragende Methode im Rahmen von Lean Management stellen die Wertstromanalyse und das Wertstromdesign dar. Sie finden auch zunehmend bei der Durchführung von Verbesserungsprojekten auf der Basis des DMAIC-Zyklus Anwendung. Vor diesem Hintergrund geht Vollmer in seinem Beitrag gezielt auf das Value Stream Design ein, mit dem sich schnelle und wirkungsvolle Verbesserungen im gesamten Wertschöpfungsprozess erreichen lassen. Zu den weiterführenden Methoden innerhalb des DFSS-Ansatzes gehören Quality Function Deployment (QFD), DOE und die widerspruchsorientierte Problemlösungstechnik TRIZ. Streckfuss/ Günther/ Töpfer stellen in ihrem Beitrag die Konzeption und Inhalte der Methoden an praxisnahen Beispielen vor. Außerdem gehen sie auf den integrierten Einsatz innerhalb von Produktentwicklungsprojekten ein und zeigen hier die Chancen und Risiken auf. Zum Abschluss erörtern sie anhand einer Fallstudie die systematische Vernetzung von QFD und TRIZ, welche in der Praxis immer mehr Beachtung erfährt.
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität
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Im Kapitel C „Umsetzung von und Erfolge mit Lean Management, Lean Six Sigma und Design for Six Sigma“ werden 7 Praxisbeispiele wiedergegeben. Ziegenhorn/ Ziemer-Popp beschreiben zunächst die Anwendung von Lean Manufacturing im AMD-Werk in Dresden. Dabei gehen sie u.a. darauf ein, wie der KVPProzess mithilfe von strukturierten Workshops realisiert wurde. Des Weiteren zeigen sie die Einbindung von Mitarbeitern und Top-Management auf, um Lean Management zu einer hohen Akzeptanz und nachhaltigen Anwendung im gesamten Unternehmen zu führen. Einen wesentlichen Erfolgsfaktor von Lean Six Sigma stellt der Projektauswahlprozess dar. Von Habermann/ Doch wird dieser am Beispiel eines Pharmaunternehmens vorgestellt, welches in der Vergangenheit seine Geschäftsprozesse durch die Verbindung von Lean Management, Six Sigma und Design for Six Sigma nachhaltig verbessern konnte. Wie die Autoren eindeutig belegen, war dabei ein strukturierter Projektauswahlprozess der Schlüssel zum Erfolg. Weckheuer/ Hennes zeigen in ihrem Beitrag am Beispiel eines Unternehmens aus der chemischen Industrie, wie die Weiterentwicklung eines bestehenden Six Sigma-Programms durch die Integration von Lean Management-Aktivitäten erfolgen kann. In ihren Ausführungen gehen sie insbesondere darauf ein, welche Überlegungen, Methoden und Maßnahmen in Bezug auf die Unternehmenskultur, die Organisationsstruktur und den Projektauswahlprozess notwendig sind. In dem Beitrag von Bremer wird verdeutlicht, wie man auf der Basis einer guten Mitarbeitermotivation mit kleinen und kostengünstigen Veränderungen das Lean Management-Konzept erfolgreich in einem Unternehmen implementieren kann. Dies wird am Beispiel von Honeywell im Bereich Aerospace am Standort Raunheim erläutert. In seinen Ausführungen hebt der Autor u.a. die Bedeutung von kleinen Losgrößen, modularer Bauweise und differenzierter Prioritätensetzung von Aufträgen in der Produktionsplanung und -steuerung hervor. Eine ganzheitliche Betrachtung wird in dem anschließenden Beitrag von Jessenberger gewählt. Sie zeigt, wie die Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox in der Vergangenheit wesentliche Beiträge zum Geschäftserfolg lieferte. Voraussetzung hierfür war eine grundlegende Veränderung der Unternehmenskultur. Dies wurde zum einen durch umfangreiche Trainingsmaßnahmen und klare Organisationsstrukturen erreicht. Zum anderen spielte der strukturierte Verbesserungsansatz auf der Basis des DMAIC-Zyklus eine Schlüsselrolle. Schmidt beschreibt in seinem Beitrag die Integration von Design for Six Sigma (DFSS) bei Siemens VDO1, einem führenden Automobilzulieferer. Er erläutert, wie der Produktentstehungsprozess (PEP) durch DFSS ergänzt werden kann, um so die Kundenanforderungen vollständig und wirtschaftlich zu erfüllen. Seine Ausführungen beziehen sich auf ein Pilotprojekt bei Diesel Systems, in dem die Kundenstimme Schritt für Schritt in Qualitätsmerkmale übersetzt worden ist. Im abschließenden Beitrag zeigen Stache/ Töpfer die Auswirkungen der Einführung von Lean Six Sigma auf die Organisationsstruktur sowie die Unternehmenskultur am Beispiel des Pharmaunternehmens Lilly Deutschland. Neben theo1
Das Unternehmen wurde Ende 2007 von der Continental AG gekauft und ist jetzt Bestandteil dieses Konzerns.
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Armin Töpfer, Swen Günther
retischen Aussagen zur idealtypischen Organisationsstruktur/ Unternehmenskultur für Lean Six Sigma liefern sie konkrete empirische Belege für eine erfolgversprechende praxisnahe Ausgestaltung der zwei Dimensionen. Auf dieser Basis lassen sich allgemein gültige kritische Erfolgfaktoren für die Implementierung von Lean Six Sigma in Unternehmen ableiten.
4
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Lean Management und Six Sigma: Die wirkungsvolle Kombination von zwei Konzepten für schnelle Prozesse und fehlerfreie Qualität Armin Töpfer Inhalt 1 2 2.1 2.2 2.3 3 3.1 3.2 3.3 4 4.1 4.2 4.3 5 6 7 8
1
Entwicklung eines Kriterienrasters zur Beurteilung der Effizienz und Effektivität von Managementkonzepten ....................................................25 Lean Management zur Minimierung von Verschwendung ........................28 Philosophie, Konzeption und Inhalte des Managementkonzeptes .............28 Unternehmensbeispiel: Toyota...................................................................35 Stärken-Schwächen-Profil des isolierten Einsatzes....................................42 Six Sigma zur Minimierung von Variation ................................................43 Philosophie, Konzeption und Inhalte des Managementkonzeptes .............43 Unternehmensbeispiel: General Electric ....................................................48 Stärken-Schwächen-Profil des isolierten Einsatzes....................................54 Kombination von Lean Management und Six Sigma.................................57 Six Sigma-Projektmanagement lean machen .............................................58 Lean Management punktuell durch Six Sigma-Projekte ergänzen.............59 Durch integriertes Lean Six Sigma besser und schneller werden...............59 Wirkungen und Ergebnisse von Lean Six Sigma .......................................61 Stolpersteine und Umsetzungsfallen von Lean Six Sigma .........................62 Quintessenz ................................................................................................64 Literatur......................................................................................................66
Entwicklung eines Kriterienrasters zur Beurteilung der Effizienz und Effektivität von Managementkonzepten
Die Managementkonzepte Lean Management, Six Sigma und Lean Six Sigma werden im Folgenden anhand von 16 Kriterien bewertet, welche sich in die Kategorien Strategie, Vorgehen, Methoden, Kultur und Wirkung einteilen lassen (siehe Abb. 1).1 Für die drei Konzepte werden in den Abschnitten 2.3, 3.3 und 4.4 Stärken-Schwächenprofile auf der Basis eines Radardiagramms erstellt.
1
Die Ausführungen in diesem Unterkapitel basieren im Wesentlichen auf der Diplomarbeit von Christian Huth (2007) zum Thema „Lean Six Sigma“, die am Lehrstuhl für Marktorientierte Unternehmensführung an der TU Dresden erstellt und betreut wurde.
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Armin Töpfer
Quelle: Huth 2007, S. 11
Abb. 1: Bewertungskriterien für Vorgehensmodelle
Die übergeordnete Kategorie Strategie hat die Kunden-, Prozess- und Ergebnisorientierung der Vorgehensmodelle zum Gegenstand. Der Grad der Kundenorientierung gibt dabei an, in welchem Umfang Kundenanforderungen in das Projekt einfließen respektive die Richtschnur für das Lösungskonzept und die angestrebten Lösungen sind. Die Prozessorientierung fokussiert die Ausrichtung des Vorgehens auf die Prozesse im Unternehmen. Dies beinhaltet neben der Konzentration auf einzelne Prozesse auch die Betrachtung der gesamten Prozesslandschaft im Unternehmen. Der Grad der Ergebnisorientierung beinhaltet die Festlegung der zu erreichenden Ergebnisse vor Projektstart, die Ausrichtung aller Aktivitäten während der Projektdurchführung auf deren Erfüllung und die Messung der erreichten Ergebnisse nach Abschluss des Projekts. Die Kategorie Vorgehen ist auf den eigentlichen Aufbau des Vorgehensmodells ausgerichtet. Unterscheiden lassen sich die Unterpunkte Projektorientierung, Vorgehensstruktur und Standardisierung. Durch den Grad der Projektorientierung kommt zum Ausdruck, inwieweit die relevanten Probleme im Rahmen der Projekte mit dem dazugehörigen Projektmanagement gelöst werden. Die Vorgehensstruktur bewertet, ob das Problem vorab eindeutig definiert wird, Rollen im Team mit einer Handlungs- und Ergebnisverantwortung verteilt werden und ob alle wesentlichen Phasen des Vorgehensmodells durchlaufen sowie abschnittsweise Kontrollen durchgeführt werden. Dies ist eng verbunden mit der Standardisierung des Projektablaufs, die angibt, inwieweit die einzelnen Projektschritte und deren Inhalte sowie die Aufgabenverteilung formal festgelegt sind. Die Kategorie Methoden bezieht sich auf die Kriterien Komplexität, Portfolioumfang und Statistikeinsatz. Methoden werden als festgelegte und damit standardisierte Vorgehensweisen in Problemanalyse- und -lösungsprozessen zur Erreichung definierter Ziele verstanden. Dabei kann eine Methode durch den Einsatz von Werkzeugen als Mittel unterstützt werden. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Eine Methode ist Lean Management, und das dabei einsetzbare Werkzeug ist Kanban. Bezogen auf Six Sigma als Konzept stellt – eine Ebene tiefer – der DMAIC-Zyklus die Methode dar und die SIPOC-Analyse (Supplier – Input –
Kombination von Lean Management und Six Sigma
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Process – Output – Customer) oder die Analyse und Herausarbeitung der CTQs (Critical to Quality Characteristics) sind beispielsweise bewährte Werkzeuge. Sowohl Methoden als auch Werkzeuge weisen dabei also einen unterschiedlichen Grad an Komplexität und damit auch an Komplexitätsbewältigung auf. Der Portfolioumfang definiert sich dann über die Vielzahl der zur Problemanalyse und -lösung einsetzbaren Methoden und vor allem auch Werkzeuge. Gerade bei letzteren ist zusätzlich ein mehr oder weniger großer Statistikeinsatz unterscheidbar. Als weitere Kategorie wird die Kultur einbezogen, welche sich aus den Kriterien Hierarchie, Analytik und Akzeptanz herausbildet. Durch die Hierarchie wird beschrieben, inwieweit festgelegte Rollen mit unterschiedlichen Verantwortungsbereichen existieren und wie groß die dezentrale Selbstständigkeit nachgeordneter Organisationseinheiten bzw. die hierarchische Abhängigkeit von übergeordneten Entscheidungsebenen ist. Das Kriterium Analytik beschreibt als Analysefähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiter deren Einstellung gegenüber den vorstehend angesprochenen Problemlösungsmethoden und standardisierten Vorgehensweisen. Das Spektrum der Einstellung erstreckt sich dabei von einer methodengestützten Verwendung der analysierten Daten als Grundlage aller Entscheidungen bis zu einer deutlich weniger systematischen und stärker intuitiven Herangehensweise an die Analyse und Lösung von Problemen. Die Bereitschaft, in dieser strukturierten und methodengestützten Weise vorzugehen, kennzeichnet die Akzeptanz der Mitarbeiter, aus der sich zugleich ihre Veränderungsbereitschaft in die dargestellte Richtung ableiten lässt. In der abschließenden Kategorie Wirkung sind die Kriterien Projektgröße, Durchführungsaufwand, Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit zusammengefasst. Die Projektgröße bezieht sich auf die Anzahl involvierter Personen und Ressourcen. Der Aufwand zur Durchführung bemisst sich an den damit verbundenen Kosten. Die Geschwindigkeit, als Maßgröße für die zeitliche Dauer des Projekts, hängt wiederum von der Projektgröße und der dabei notwendigen Zeit zur Analyse des Problems, zur Entwicklung von Lösungsalternativen und zur Implementierung des ausgewählten Verbesserungskonzepts ab. Der Grad der Nachhaltigkeit misst, inwieweit die Lösung über die Zeit stabil ist sowie dadurch dauerhaft praktiziert wird und zur Performancesteigerung des Unternehmens beiträgt. Eine ähnlich strukturierte Vorgehensweise sieht das „Process and Enterprise Maturity Model“ (PEM-Modell) von Hammer vor (vgl. Hammer 2007), das wir hier kurz ansprechen, aber im Hinblick auf den Messansatz mit unterschiedlichen Ausprägungsniveaus bzw. Reifegraden nicht vertiefen. Das Modell konzentriert sich – unter aktiver und verantwortungsvoller Einbeziehung der Mitarbeiter in den Steuerungsprozess – ebenfalls auf die Prozesse mit dem Ziel, die Prozessdeterminanten und die Unternehmenskompetenzen ständig weiter zu entwickeln respektive ausreifen zu lassen. Die 5 Prozessdeterminanten sind das Prozessdesign, die Mitarbeiter, die Verantwortung, die Infrastruktur insbesondere bezogen auf Informations- und Managementsysteme sowie die für die Prozesssteuerung erforderlichen Kennzahlen. Die 4 Unternehmenskompetenzen umfassen die Führungsverantwortung (Leadership), die auf Kundenbelange, Kooperation, eigenständige Verantwortung sowie Veränderungsbereitschaft ausgerichtete Unternehmenskultur, die Erfahrung, also das erreichte Niveau an Fähigkeiten und Wissensbaustei-
28
Armin Töpfer
nen, sowie nicht zuletzt die Steuerung und damit das Spektrum an Systemen, Strukturen, Methoden und Werkzeugen, mit denen komplexe Projekte unterstützt und nachhaltige Veränderungen erreicht werden.
2
Lean Management zur Minimierung von Verschwendung
2.1
Philosophie, Konzeption und Inhalte des Managementkonzeptes
Das Lean-Konzept stammt aus Japan, wo es vom Unternehmen Toyota in den 1950er Jahren aufgrund sich ändernder wirtschaftlicher Gegebenheiten entworfen und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Experten betrachten diesen ursprünglich als Produktionssystem entwickelten Ansatz als die Grundlage für den Aufstieg Toyotas zum führenden Automobilhersteller und den damit verbundenen wirtschaftlichen Erfolg. Das Lean-Konzept stellt einen systematischen Ansatz dar, Verschwendung (Japanisch: Muda) im Unternehmen zu identifizieren und zu eliminieren. Dadurch werden die Prozesse verschlankt, was wiederum primär sinkende Durchlaufzeiten zur Folge hat. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, liegt die Verschwendung üblicherweise in insgesamt sieben Formen vor. Überproduktion Frühere, schnellere und größere Menge an Produkten, als vom Kunden verlangt Bewegung
Wartezeit
Überflüssige Bewegungen von Arbeitern oder Material innerhalb eines Prozesses
Zeit, in der keine wertschöpfende Tätigkeit stattfindet
Bestand
Prozessübererfüllung
Lagerung von Teilen/ Material über die aus Kundensicht erforderliche Menge hinaus Nacharbeit Wiederholung/ Korrektur eines Prozesses
Tätigkeiten, die weder vom Kunden verlangt werden, noch zur Wertschöpfung beitragen Transport Überflüssige Materialbewegung
Basis: Drew/ McCallum/ Roggenhofer 2004, S. 268
Abb. 2: Die 7 Formen der Verschwendung nach Toyota
Das Problem in der Unternehmenspraxis besteht nicht nur darin, dass diese Kosten der Verschwendung entstehen. Vielmehr tritt ein weiteres Problem dadurch auf, dass diese Verschwendungskosten, also Blindleistungen, da den Kosten
Kombination von Lean Management und Six Sigma
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keine Wertschöpfung als Leistung gegenüber steht, in den wenigsten Unternehmen überhaupt aussagefähig und ganzheitlich erfasst werden. In den meisten Fällen werden sie als „notwendiger“ oder „unvermeidlicher“ Teil von Prozessen eingeordnet. Wenn man diese Kosten aber nicht transparent macht, können sie auch nicht beeinflusst und beseitigt werden. Hinzu kommt, dass sie in ihrer Entstehung nicht nur in keinem direkten Verhältnis zu kundenbezogenen Aktivitäten sowie damit zum Kundennutzen und seiner Steigerung stehen und dadurch auch keine Wertsteigerung für das Unternehmen bewirken. Im Gegenteil: Manchmal werden durch diese Kosten Barrieren im Kundenmanagement bzw. Kunden-Beziehungslebenszyklus aufgebaut, die dann kontraproduktiv wirken und sowohl den Kundennutzen reduzieren als auch die Wertorientierung im Wertschöpfungsprozess beeinträchtigen (vgl. Drew/ McCallum/ Roggenhofer 2004, S. 268 f.). Neben der Verschwendung sind zwei weitere Störfaktoren, welche die Leistung in der Produktion hemmen, zu minimieren: Zum einen ist dies die Variabilität (Mura), die jede Abweichung von den Standardbedingungen bezeichnet, und zum anderen die Inflexibilität (Muri), die eine schnelle Reaktion auf veränderte Kundennachfrage verhindert. Das Toyota-Produktionssystem (TPS) bildet den Rahmen, um die drei Hemmfaktoren Verschwendung, Variabilität und Inflexibilität zu minimieren. Es lässt sich mit 14 Prinzipien beschreiben (siehe Abb. 3). 1.
Gründung von Managemententscheidungen auf einer langfristigen Philosophie, selbst wenn dies auf Kosten kurzfristiger finanzieller Ziele geht
2.
Schaffung eines kontinuierlichen Flusses, um Schwachstellen aufzudecken
3.
Einsatz eines Pull-Systems, um Überproduktion zu vermeiden
4.
Schaffung einer gleichmäßigen Auslastung (Heijunka)
5.
Schaffung einer Kultur des sofortigen Stopps zur Problembehebung, um Qualität auf Anhieb zu produzieren
6.
Standardisierung von Aufgaben als Basis für kontinuierliche Verbesserung und Übertragung von Verantwortung auf die Mitarbeiter
7.
Nutzung visueller Kontrollen, damit Probleme nicht verborgen bleiben
8.
Verwendung zuverlässiger, gründlich getesteter Technologien, die Mitarbeitern und Prozessen dienen
9.
Entwicklung von Führungskräften, die ein grundlegendes Verständnis für die Arbeit haben, die Philosophie leben und sie anderen beibringen
10.
Entwicklung außergewöhnlicher Mitarbeiter und Teams, die der Unternehmensphilosophie folgen
11.
Respektierung des erweiterten Partner- und Zuliefernetzwerkes, indem sie herausgefordert werden und ihnen geholfen wird, sich zu verbessern
12.
Schaffung eines eigenen Bildes vor Ort, um die Situation grundlegend zu verstehen (Genchi Genbutsu)
13.
Langsames Treffen von Entscheidungen durch Konsens und unter Einbeziehung aller Optionen mit anschließend schneller Implementierung (Nemawashi)
14.
Schaffung einer lernenden Organisation durch unablässige Reflektion (Hansei) und kontinuierliche Verbesserung (Kaizen)
Quelle: Liker 2004, S. 35 ff.
Abb. 3: Prinzipien des Toyota-Produktionssystems
30
Armin Töpfer
Durch eine Benchmarking-Studie des MIT Anfang der 1990er Jahre wurde die Überlegenheit des Toyota-Produktionssystems gegenüber dem in der westlichen Hemisphäre dominierenden Systems der Massenfertigung aufgezeigt (vgl. Womack/ Jones/ Roos 1991). Neben einer Reduktion der Durchlaufzeiten werden Bestände verringert, weniger Produktionsfläche benötigt, die Flexibilität erhöht und gleichzeitig Kosten gesenkt sowie die Qualität der Produkte gesteigert. Seit Veröffentlichung der Studie ist das Konzept des Lean Managements in den Fokus der Industrie gelangt. Eine Studie des Economist aus dem Jahr 2004 zeigt, dass mittlerweile ein Drittel der nordamerikanischen Industrieunternehmen Lean-Prinzipien erfolgreich eingeführt haben. Auch in Deutschland bauen zunehmend mehr Unternehmen auf diesen Ansatz. Ausgehend von den Prinzipien des Toyota-Produktionssystems lassen sich auf übergeordneter Ebene fünf Prinzipien herausstellen, deren konsequente Anwendung zu einem Lean Thinking führt (vgl. Womack/ Jones 2004, S. 24 ff.):2 1. Das Prinzip der Spezifizierung des Wertes ist der entscheidende Ansatz des Lean Management. Der Wert wird durch den Endverbraucher definiert und bezieht sich auf eine spezifische Leistung zur Befriedigung der Kundenbedürfnisse. Die Analyse und Gestaltung der Wertschöpfung bedarf somit einer umfassenden Kundenorientierung, welche die völlige Klarheit über Kundenziele, -probleme und -absichten zu Beginn des Verbesserungsprozesses voraussetzt. Über die exakte Definition der vom Kunden geforderten Leistungen werden – im Idealfall – alle nicht-wertschöpfenden Güter, Dienstleistungen und Tätigkeiten vermieden. Dazu ist ausgehend vom Wert für den Kunden rückwärts in das Unternehmen „hinein zu analysieren“ bis zu den Zuliefern (Outside-In-Analyse); die Gestaltung der Wertschöpfungskette ist dann vorwärts gerichtet, ausgehend von den Assets und der Organisation des Unternehmens (Inside-OutGestaltung). 2. Das Prinzip der Identifikation des Wertschöpfungsstromes unterstreicht die Notwendigkeit, alle Bearbeitungsschritte entlang der Wertschöpfungskette einer umfassenden Analyse zu unterziehen. Dabei ist die gesamte primäre Wertschöpfung bezogen auf den o.g. Kundenwert zu definieren und zu gestalten. Neben der Untersuchung der eigenen Produktion erlaubt die Ausweitung der Wertstromanalyse auf andere Wertschöpfungspartner eine unternehmensübergreifende Erfassung von Verschwendung. In der Analyse werden die Tätigkeiten in Nutz-, Stütz-, Blind- und Fehlleistung untergliedert. Das Ziel besteht in der Maximierung der Nutz-/ Stützleistung auf der einen Seite sowie in der Minimierung bzw. Vermeidung der Blind-/ Fehlleistung und deren Ursachen auf der anderen Seite. Unterstützende Wertschöpfungsprozesse (Stützleistungen) sind insoweit zu definieren und zu gestalten, dass sie die primäre Wertschöpfung optimal „befähigen“. 2
Die Ausführungen zu den fünf Prinzipien des Lean Thinking sowie dem Toyota-Produktionssystem basieren im Wesentlichen auf der Diplomarbeit von Christian Weidinger (2007) zum Thema „Lean Management“, die am Lehrstuhl für Marktorientierte Unternehmensführung an der TU Dresden erstellt und betreut wurde.
Kombination von Lean Management und Six Sigma
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3. Nach der Analyse des Wertes und der Eliminierung nicht-wertschöpfender Tätigkeiten realisiert das Prinzip des Flow (Flusses) die kontinuierliche Flussorientierung der wertschöpfenden Prozessschritte, die das suboptimale Abteilungsdenken ersetzt. Notwendige Voraussetzung des Prinzips ist der SinglePiece-Flow, bei dem die Arbeitsschritte eines Produktes ausgetaktet werden. Der schnelle Wechsel zu beliebigen Produktkonfigurationen erlaubt – neben der Herstellung kleiner variabler Mengen – auch größere Losgrößen. Damit erfolgt die Anpassung an Kundenbedürfnisse schneller, flexibler und wird zugleich bei geringeren Kosten und einer niedrigeren Fehlerrate realisiert. Zur Entwicklung, Unterstützung und Verbesserung aller Prozesse über die Zeit ist ein wirkungsvolles Managementsystem aufzubauen, welches z.B. Management by Objectives (MbO) und Balanced Score Card (BSC) beinhaltet. 4. Die Flussorientierung des Herstellungsprozesses bildet die Grundlage zur Realisierung des Pull-Prinzips (Zieh-Prinzips). Hinsichtlich eines real vorhandenen Bedarfs werden nur direkt nachgefragte Leistungen produziert und zu einem vereinbarten Zeitpunkt bereitgestellt. Dabei sind – wie in Abbildung 4 ausgeführt – alle internen und externen Kunden im Prozess zu berücksichtigen.
1.
Wert der Leistung
Wertstrom
aus Kundensicht
2.
identifizieren 5.
definieren
Perfektion heißt: Alle Formen von Blindleistung/ 4.
Alle internen
Verschwendung
Kontinuierlichen
und externen
vermeiden
Wertfluss im Prozess
Kunden im Prozess
(waste/ muda)
ohne Unterbrechung
berücksichtigen
3.
sichern
Basis: Womack / Jones 2004, S. 24 ff.
Abb. 4: 5 Prinzipien des Lean Thinking
5. Die gegenseitige Stimulation der bisher beschriebenen vier Prinzipien führt im Rahmen des Prinzips der Perfektion zu einer kontinuierlichen Optimierung des Prozessflusses, wodurch die Annäherung an die Perfektion stufenweise realisierbar ist. Verbesserungen können radikal und sprunghaft oder kontinuierlich und inkremental sein. Diese werden mit den japanischen Begriffen Kaikaku und Kaizen beschrieben. Die schnelle Identifikation von Verbesserungsmög-
32
Armin Töpfer
lichkeiten bedarf einer hohen Transparenz in der gesamten Organisation. Zu diesem Zweck müssen die erreichten Qualitätsniveaus abgesichert sowie standardisierte Arbeitsabläufe und festgelegte Methoden unterstützend eingesetzt werden. Eine wesentliche Methode im Rahmen von Lean Management ist die Wertstromanalyse einschließlich des Wertstromdesigns. Ein Wertstrom beschreibt dabei den Durchlauf eines Produktes durch seine Hauptflüsse. Das sind zum einen der Fertigungsstrom, bildlich beschrieben vom Rohmaterial des Lieferanten bis zum fertigen Produkt in den Händen der Kunden, und zum anderen der Entwicklungsstrom, vom Produktkonzept bis zum Produktionsstart. Heruntergebrochen auf die Projektebene von Six Sigma entspricht dieses Vorgehen der SIPOC-Analyse, die den Ablauf einer Wertschöpfungsentstehung über die fünf Aggregate Supplier – Input – Process – Output – Customer verfolgt und optimiert. Wertströme vollziehen sich nicht nur im produzierenden Bereich, sondern auch in administrativen Prozessen/ Bereichen, z.B. in der Auftragsabwicklung und im Rechnungswesen. Ein Wertstrom ist im Allgemeinen sehr umfangreich; er erstreckt sich vom Zulieferer des Zulieferers bis zum Kunden des Kunden und bildet die komplette Produktentstehung ab. Dieser Gesamtprozess entspricht dem Supply-Chain-Management, bei dem ausgehend von mehreren Lieferantenebenen die Wertschöpfungsprozesse über den Hersteller zu seinem Vertriebspartner bis zum Endkunden analysiert, mit Informationen versehen, gesteuert und gestaltet werden (vgl. Töpfer 2007a, S. 877 ff.; Werner 2008). In Abbildung 5 ist ein Auszug einer Wertstromanalyse, und zwar die Aufnahme des Ist-Prozesses, vereinfacht wiedergegeben. Der Wertstrom kennzeichnet dabei den verschwendungsfreien Durchlauf eines Produktes in seinem Entstehungsprozess. Hieraus wird nachvollziehbar, dass der Hauptprozess insgesamt neun Teilschritte umfasst, die durch einen angedeuteten parallelen Prozess mit drei Teilschritten ergänzt werden. In der Realität ist der Gesamtprozess dreimal so lang, so dass in Abbildung 5 nur ein Drittel des gesamten Wertstroms abgebildet ist. Im Folgenden geht es nur um die Verdeutlichung der Prinzipien einer derartigen Wertschöpfungsanalyse und nicht um die Details dieser Herstellung (hier eines Backofens BO). Die Wertschöpfung ist dann das möglichst verschwendungsfreie Ergebnis eines derartigen Wertstroms. Für jede Prozessteil-Zeit werden Kennzahlen angegeben, die Inputgrößen, Bearbeitungszeiten und Outputgrößen umfassen. Es geht also immer um die Erfassung von Qualitäts- und Zeitgrößen. Sie können zusätzlich auch, was in dieser Darstellung nicht wiedergegeben ist, durch Kosten- und Leistungsgrößen ergänzt werden. Hieraus ist dann direkt der Wertzuwachs – oder ggf. auch eine Wertvernichtung – erkennbar. Im Beispiel gibt es, angedeutet durch die Dreiecke (Δ), mehrere Zwischenlager, die zu Liegezeiten führen. Hier befinden sich z.B. bei einer Momentaufnahme 10.265 gepresste Mäntel im Lager mit einer durchschnittlichen Liegezeit von 2,6 Betriebskalendertagen (BKT) (siehe Abb. 5). Sie sind immer ein Kennzeichen dafür, dass ein Prozess bzw. Wertstrom aus technischen, zeitlichen oder ökonomischen Gründen nicht optimal verläuft respektive verlaufen kann. Zusätzlich sind beim dritten Teilschritt die Weitergabestandards im Prozess
Kombination von Lean Management und Six Sigma
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festgeschrieben. Die zuerst ankommenden Teile werden nach dem FIFO-Prinzip (First In First Out) also zuerst weitergeleitet. Dies entspricht einer normalen Prozess-Abarbeitung. Dabei sind die Liegezeiten i.d.R. deutlich höher als die Bearbeitungszeiten, z.B. ∅ 2,6 BKT Liegezeit des erstellten Vorproduktes „Gepresster Mantel“ versus ∅ 3,6 s Bearbeitungszeit für den vorausgehenden Prozessschritt „Mantel pressen“ (siehe Abb. 5). Be i sp iel
Forecast + Bestellungen n Forecast + Bestellunge
Zulieferer Bodenblech Bodenblech zuschneiden
18.700
Zulieferer Mantelblech
BO-S
rer teue
Boden pressen 15 Schichten ZZ = 9 s ZR = 10 m OEE = 52,6%
48.700 6.299 Mantel pressen 15 Schichten
10.265
ZZ = 3,5s
Kanten anquetschen 1
Kanten anquetschen 2
FIFO
3,5s
Prüfen
Deckenblech zuschneiden
14.400
Bodenecken schweißen
Daraus Deckel pressen 15 Schichten
9.466
13s
ZR = 10 m OEE = 52,6%
Decke vorschweißen
FI
Deckel versionieren
ZZ = 1s
Zulieferer Deckenblech
26s
Boden vorschweißen Go see-Prüfung
23.500
2,6 BKT
FIFO
Mantel biegen
15 Schichten Takt = 13s OEE= ∅ 62,0%
ZR = 35 m OEE = 57,2%
Mantel versionieren
368s
Decke schweißen oben
FO
Legende: BO – Backofen BKT – Betriebskalendertage ZZ – Zykluszeit ZR – Zyklusraum s – Sekunden OEE – Overal Equipment Efficiency FIFO – First-In-First-Out Δ – Lagerbestand
Abb. 5: Wertstromanalyse und -design (Auszug)
Auf der Grundlage des analysierten Ist-Wertstroms setzt dann mit dem Wertstromdesign die Gestaltung und Verbesserung der Wertströme in allen ihren Teilen mit dem Ziel an, optimierte Prozesse zu erreichen. Der Soll-Wertstrom strebt dabei möglichst wenig Verschwendung sowie eine hohe Zeit- und Kosteneffizienz an. Das genaue Vorgehen zur Erstellung von Ist- und Soll-Wertströmen wird im Beitrag von Vollmer in Kapitel B beschrieben; sie beziehen sich auf die folgenden sieben Schritte zur Aufnahme des Ist-/ Soll-Wertstroms: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Kundenanforderungen/ -informationen feststellen Wesentliche Prozessschritte identifizieren (#) Datenkästen und Bestandsdreiecke einzeichnen (Δ) Zulieferung(en) einzeichnen ( ) Informationsfluss einzeichnen ( ) Materialvorschub einzeichnen (FIFO) Durchlaufzeiten kalkulieren (ZZ)
Das Hauptziel des Wertstromdesigns besteht darin, die Ursachen von Verschwendungen zu erkennen. Dabei können vor allem die gravierendsten Arten der
34
Armin Töpfer
Verschwendungen, verursacht durch Überproduktion und hohe Bestände, mithilfe dieser Methode aufgedeckt werden. Hinzu kommt, dass das Wertstromdesign vor allem „große Hebel“ für die Prozessoptimierung aufzeigt und Handlungsprioritäten bestimmt. Das Wertstromdesign beantwortet also die entscheidenden Fragen: (1.) Welche Maßnahmen sind zuerst durchzuführen, und (2.) welche haben den größten Nutzen für das Gesamtsystem sowie für den Kunden? Neben der Wertstromanalyse, wie sie beispielhaft in Abbildung 5 gezeigt ist, existiert eine vereinfachte Herangehensweise in Form der Wertschöpfungsanalyse. Sie basiert üblicherweise auf einer Wertzuwachskurve, welche den Zuwachs an Produktwert über die einzelnen Wertschöpfungsstufen/ Prozessschritte widerspiegelt. Im Kern geht es hierbei um die Aufdeckung von Nutz-, Stütz-, Blind- und Fehlleistungen innerhalb von Teil- und Hauptprozessen der direkten und indirekten Wertschöpfungsphasen bzw. -ketten. Dazu werden die anfallenden Kosten für Nutz- und Stützleistungsprozesse über den gesamten Leistungserstellungsprozess kumuliert. Die Differenz zwischen den sich ergebenden Kosten für direkt wertschöpfende und wertschöpfungsneutrale bzw. nur indirekt wertschöpfende Prozesse und den gesamten, tatsächlich anfallenden Ist-Kosten entspricht den Kosten für Blind- und Fehlleistung (z.B. Nacharbeit und Ausschuss). Um Abweichungskosten dieser Art zu reduzieren, hat die Wertschöpfungsanalyse zum einen das Ziel, nicht-wertschöpfende Prozesse zu identifizieren und zu eliminieren. Zum anderen sollen der Herstellungsprozess verkürzt und Durchlaufzeiten reduziert werden, um dadurch hohe Kapitalbindungskosten zu vermeiden. Für alle diese optimierenden Aktivitäten ist die Aufstellung und Analyse von sowie die Steuerung mit Kennzahlen unerlässlich. Die grafische Darstellung der realisierten Wertschöpfung oder Blindleistung erfolgt i.d.R. in einem Diagramm, bei dem die Wertzuwächse für jeden Prozessschritt ausgewiesen sind. Das sich ergebende Wertschöpfungsgebirge ist beispielhaft in Abbildung 6 skizziert. Es ergibt sich aus der schrittweisen Analyse der Bearbeitungs- und Liegezeiten für einen bestimmten Wertschöpfungsprozess. Als Kennzahlen zur Beurteilung der Wertschöpfung werden nach den vorstehenden Ausführungen herangezogen: • x-Achse: Zeitverbrauch (in h oder min) für einzelne Prozessschritte • y-Achse: Wertzuwachs bzw. Mehrwert pro Prozessschritt (in EUR). Wie leicht nachvollziehbar ist, führen nur wertschöpfende Prozessschritte zu einem Anstieg im Wertschöpfungsgebirge; nicht-wertschöpfende Prozessschritte sind durch einen horizontalen Kennlinienverlauf ersichtlich. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass das Wertschöpfungsgebirge häufig „sehr flach“ mit einigen wenigen Sprüngen verläuft. So beträgt z.B. der Anteil der wertschöpfenden (Bearbeitungs-)Zeit (Value added time) in der Halbleiterindustrie nicht mehr als 2% der gesamten Durchlaufzeit (Cycle time). Bei einer Durchlaufzeit von ca. 80 Tagen liegt der zu produzierende Wafer damit ca. 78 Tage auf Lager bzw. befindet sich in einer der vielen Warteschlangen. In anderen Industrie- und Dienstleistungsbereichen, z.B. im Krankenhauswesen, wird davon ausgegangen, dass lediglich bis zu 20% der gesamten Bearbeitungszeit wertschöpfend ist (vgl. Töpfer/ Großekatthöfer 2006, S. 115 ff.).
Kombination von Lean Management und Six Sigma
Prozessbetrachtung Zeit in 1. Stelle Zeit in 2. Stelle
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Wertschöpfungsgebirge Zeit
Wertschöpfungszuwachs über die Zeit
Beteiligte Stellen
= Liegezeit = Bearbeitungszeit
Zeitverbrauch = Liegezeit = Wertschöpfung in der Bearbeitungszeit
Abb. 6: Analyse der Bearbeitungs- und Liegezeiten (Beispiel)
2.2
Unternehmensbeispiel: Toyota
Die konsequente Anwendung der fünf Schritte bzw. Prinzipien des Lean Thinking (siehe hierzu Abb. 4) verwirklicht das Leitbild einer schlanken Produktion, welche die stetige Verbesserung der drei Zielgrößen Qualität, Zeit und Kosten forciert und auch durch die hohe Motivation der Mitarbeiter zu einer Steigerung der Kundenzufriedenheit führt. Die Zusammenführung der Prinzipien des Lean Thinkings und der Vermeidung der sieben Formen der Verschwendung (siehe hierzu Abb. 2) erfolgt im oben bereits angesprochenen Toyota-Produktionssystem (TPS). Im Mittelpunkt des Produktionssystems, dessen Säulen in Abbildung 7 verdeutlicht sind, stehen die Mitarbeiter des Unternehmens, die durch entsprechende Maßnahmen kontinuierlicher Verbesserung die Stabilität des Produktionssystems erhöhen. Um die übergeordneten Ziele des TPS – beste Qualität, niedrigste Kosten, kurzmöglichste Durchlaufzeiten, größte Sicherheit und hohe Arbeitsmoral – zu erreichen, kommen eine Reihe von Methoden und Instrumenten zum Einsatz, die als Säulen in Abbildung 7 gekennzeichnet sind. Dem Produktionsansatz „Just-InTime“ (linke Säule), also der zeitnahen bzw. -gerechten Anlieferung von Teilen/ Vorleistungen vor der Verwendung/ dem Einbau im Prozess, werden u.a. die folgenden Methoden und Instrumente zugeordnet: • Taktzeit: Nach der Lean-Philosophie gilt (siehe hierzu Abb. 4): Der Kunde gibt nicht nur die Produktionsqualitäten und -kosten, sondern auch die Produktionszeiten und damit den erforderlichen Produktionsrhythmus vor. Die Produktion folgt diesem Rhythmus durch Einhaltung der Taktzeit, welche den Zeitraum beschreibt, in dem ein Produkt fertig gestellt werden sollte, um dem Kundenbedarf genau zu entsprechen. Die Steuerung des Wertschöpfungsprozesses auf Basis der Taktzeit vermeidet zu langsames, aber auch zu schnelles Produzieren. • Flow-Prinzip: Zur Sicherstellung eines kontinuierlichen Flusses in der Produktion ist ein Einzelstückfluss (One-piece-flow) anzustreben. Zu diesem Zweck sind die einzelnen Arbeitsstationen in Reihe hintereinander zu „schalten“ und
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durch FIFO-Bahnen miteinander zu verbinden. Dadurch wird das Layout der Fertigung im Ergebnis vom Fluss der Produkte bestimmt und nicht umgekehrt.
Beste Qualität Niedrigste Kosten
Kurzmöglichste Durchlaufzeiten
Größte Sicherheit
Hohe Arbeitsmoral
Verkürzung der Produktionszeit durch die Eliminierung nicht-werthaltiger Elemente
Just-In-Time
Jidoka
Menschen & Teamwork
• Taktzeit
• Automat. Produktionsstopp
• Kontinuierlicher Fluss
• Andon-Tafel
Kontinuierliche Verbesserung • Selbstgesteuerte Fehlerer- Kaizen -
• Pull-System • Kurze Umrüstzeiten
kennung
• Integrierte Logistik • 5 S-Methode
Eliminierung nicht-wertschöpfender Elemente durch Value Stream Analyse/ Design
• Q-Kontrolle an jeder Station • 5 W-Methode
Produktionsnivellierung (Heijunka) Stabile und standardisierte Prozesse Visuelles Management 14 Toyota-Prinzipien Basis: Liker 2006, S. 65
Abb. 7: Das Haus des Toyota-Produktionssystems (TPS)
• Pull-System: Das Pull-Prinzip besagt, dass nichts hergestellt wird, wenn es nicht vom (internen oder externen) Kunden bestellt wurde. Bildlich gesprochen werden – bei konsequenter Anwendung des Prinzips – die zu fertigenden Teile durch die Produktion gezogen. Ein wichtiges Instrument zur Etablierung eines Pull-Systems im Unternehmen ist der so genannte Supermarkt; er dient als kontrollierter Puffer in der Nähe des Verbrauchsortes bzw. der Linie. Die Logik von Supermarkt-Pull-Systemen besteht darin, dass zum einen der Kundenprozess zum Supermarkt „geht“ und entnimmt, was er braucht. Zum anderen produziert der Lieferprozess genau so viel, um das entnommene Material wieder aufzufüllen. Dadurch ist die Steuerung der Produktion am Lieferprozess ohne expliziten Produktionsplan möglich. • SMED: Voraussetzung für eine schlanke und effiziente Produktion sind kurze Umrüstzeiten der Maschinen. Im Zusammenhang mit Lean Management hat sich hierfür das engl. Akronym SMED etabliert. Es steht für „Single Minute Exchange of Die“, also das Rüsten und/ oder der Werkzeugwechsel in einer einstelligen Minutenzahl (< 10 min). Die Rüstzeit ist als die Zeitspanne defi-
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37
niert, die vom letzten Gutteil des alten Produktionsauftrages bis zum ersten Gutteil des neuen Produktionsauftrages reicht. Diese Zeit ist Produktionsausfallzeit und verschlechtert die Anlagenverfügbarkeit bzw. Gesamtanlageneffizienz (OEE). • Integrierte Logistik: Zur Realisierung des Just-In-Time-Prinzips ist ein professionelles Logistikmanagement erforderlich, welches die verschiedenen Bereiche der Supply Chain integriert. Zu diesem Zweck werden im ToyotaProduktionssystem eine Reihe von Methoden eingesetzt, z.B. Kanban3, FIFO, Pull- und Supermarkt-Prinzip, die z.T. an anderer Stelle bereits erläutert worden sind. Im Hinblick auf die vorstehend angesprochene Rüstzeitenminimierung wird das TPM-Konzept (Total Productive Maintenance) verfolgt. Die logistische Herausforderung besteht hier in der Einführung einer vorbeugenden Wartung von Anlagen und Maschinen, die langfristig zu einer autonomen Instandhaltung durch die Werker führt. • 5S-Methode: Die Methode beschreibt eine systematische Vorgehensweise, um einen Arbeitsplatz zu strukturieren, aufzuräumen und sauber zu halten. Bei der Bezeichnung handelt es sich um ein japanisches Akronym aus Seiri (Aussortieren), Seiton (Aufräumen), Seiso (Anordnen), Seiketsu (Arbeitsplatz sauber halten) und Shitsuke (Anordnung zur Regel machen). Diese 5S sind die Grundlage für die Einführung eines synchronen Produktionssystems. Sie tragen außerdem zur Standardisierung und Visualisierung bei und wirken sich – bei nachhaltiger Anwendung – positiv auf die Motivation der Mitarbeiter und die Qualität der Produkte aus. Unter den Produktionsansatz „Jidoka“ (rechte Säule in Abb. 7), auch Autonomation genannt, mit dem Ziel des automatisierten Betriebes einer Maschine mit geringem bzw. keinem menschlichen Eingriff, werden u.a. die folgenden Methoden und Instrumente eingeordnet: • Autonomation: Bei Abweichungen vom normalen Produktionsprozess (Defekte, Werkzeugbruch, fehlender Teilenachschub usw.) kommt es zum automatischen Produktionsstopp (Auto-“NO“-Mation), d.h. die Maschine hält selbstständig an und gibt dem Werker ein Signal zum Eingriff. • Andon-Tafel: Dabei handelt es sich um eine Anzeigetafel, die den aktuellen Stand der Produktion (Soll/ Ist-Abweichungen, Störungen usw.) wiedergibt. Die Andon-Tafel ist damit ein Instrument des „Visual Management“, das darauf abzielt, alle von einem Problem betroffenen Mitarbeiter schnell, direkt und offen zu informieren. Dies gilt gleichermaßen für positive Entwicklungen, wie z.B. rückläufige Fehlerquoten in der Produktion. • Selbstgesteuerte Fehlererkennung: Ein wichtiges Ziel des Toyota-Produktionssystems ist die Qualitätssicherung im Prozess, d.h. es finden keine End-ofthe-Pipe-Kontrollen statt, um eine hohe Auslieferungsqualität an den Kunden sicherzustellen. Vielmehr wird „Qualität“ in die Prozessgestaltung integriert, 3
Kanban: ist ein Produktionssteuerungssystem, welches angibt, was, wie viel und wann etwas gebraucht wird. Seine Anwendung führt dazu, dass die Prioritäten in der Fertigung so gesetzt werden, dass die Wüsche des Kunden optimal erfüllt werden.
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und zwar in der Weise, dass die Werker in die Lage versetzt werden, Fehler in der Produktion selbst zu erkennen und zu beheben. Dadurch lässt sich NullFehler-Qualität nicht nur am Produkt, sondern im gesamten Fertigungsprozess erreichen. Voraussetzung hierfür ist die Übernahme von Prozessverantwortlichkeit/ -eignerschaft durch die Mitarbeiter, d.h. die Werker vor Ort haben Verantwortung für das Teamergebnis und treffen Schlüsselentscheidungen bezogen auf Fehlererkennung und -behebung. • Qualitätskontrolle an jeder Station: Um Fehler und Verschwendung (Muda) zu vermeiden, sind – wie vorstehend angesprochen – die Mitarbeiter unmittelbar für die Sicherstellung einer hohen Qualität an ihrer Arbeitsstation zuständig. Zu diesem Zweck sind zum einen der Arbeitsplatz (z.B. nach der 5S-Methode) effizient und ergonomisch zu gestalten sowie die verwendeten Werkzeuge sauber und sicher aufzubewahren. Zum anderen kommen unterstützende Methoden zum Einsatz, wie z.B. Poka-Yoke, das wörtlich übersetzt „Irrtum ausgeschlossen“ bedeutet. In diesem Zusammenhang wird ein sukzessives Kontrollsystem für jeden Arbeitsgang im Prozess erarbeitet, das vor allem sicherstellt, dass zufällige, unbeabsichtigte Fehler verhindert werden. • 5W-Methode: Hierbei handelt es sich um eine einfache Vorgehensweise zur vertieften Problemanalyse, die auf dem Ansatz basiert: Frage 5x hintereinander zum gleichen Problem „Warum?“, um die Kernursachen eines Problems zu finden. Die grafische Umsetzung der Methode erfolgt in Form des Ishikawa- bzw. Fischgrätdiagramms, bei dem die definierte Wirkung, z.B. entstandene Fehlerkosten als Folge oder die angestrebte Kundenzufriedenheit als Zielgröße, – bildlich gesprochen – den Fischkopf sowie die vermuteten Einflussgrößen den Fischrumpf bilden. Ziel ist es, über das Fischgrät-Diagramm sämtliche Hauptund Nebeneinflussgrößen im Team zu sammeln und zu strukturieren. Als Strukturierungshilfe bietet sich die Unterteilung in „7 Ms“ an – Mensch, Maschine, Material, Messung, Methode, Management und Mitwelt. Diese stehen als Oberbegriffe für die relevanten Ursachen der aufgetreten Probleme/ Fehler oder des erreichten Nutzens/ Benefits. Sie werden deshalb an den „Hauptgräten“ abgetragen. Die Verbindung zwischen den zwei Säulen in Abbildung 7 wird durch die folgenden drei generellen QM-Methoden/ -Ansätze beschrieben, die bereits an anderer Stelle in diesem Artikel ausführlich erläutert worden sind: • Menschen und Teamwork für • Kaizen/ KVP mithilfe von • Value Stream Analyse/ Design. Die Grundlage des TPS-Hauses in Abbildung 7 bilden (1.) die durchgängige und nachhaltige Anwendung der 14 Toyota-Prinzipien (siehe hierzu Abb. 3), (2.) die Etablierung eines Visual Managements in allen Bereichen, (3.) die Sicherstellung stabiler und standardisierter Prozesse, z.B. mithilfe aussagekräftiger Dokumentationen und Verfahrensanweisungen, sowie (4.) das stetige Streben nach Pro-
Kombination von Lean Management und Six Sigma
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duktionsnivellierung/ -glättung (Heijunka), zu dessen Erreichen die Produktionsmenge in kleine Tageslose aufgeteilt wird (One-Piece-Flow als Ziel).4 Neben dem ausgefeilten Produktionssystem TPS gilt das professionelle Lieferantenmanagement von Toyota als Ursache für den Erfolg. In diesem Zusammenhang wirken sich vor allem die vielfältigen Erfahrungen von Toyota im Umgang mit der Komplexität innerhalb japanischer Keiretsu sowie die spezifischen Maßnahmen der Lieferantenentwicklung und -bindung positiv aus. Unter Keiretsu werden komplexe Netzwerke von Unternehmen verstanden, die jedoch rechtlich und wirtschaftlich unabhängig sind. Horizontale Keiretsu bestehen aus Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Eine Gruppierung von Unternehmen unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen mit einem zentralen Abnehmer wird als vertikales Keiretsu bezeichnet. Toyota gilt mit seinen Lieferanten als vertikales Keiretsu und ist gleichzeitig in das horizontale Keiretsu von Mitsui integriert. Indikatoren für die Komplexität sind die Größe des Netzwerkes, die Dichte langfristiger Beziehungen und die Varietät der Akteure. Diese zeigt sich in der unterschiedlichen Branchenzugehörigkeit bzw. in dem hohen Spezialisierungsgrad der Unternehmen vertikaler Keiretsu. Die Fähigkeit zur Bewältigung der Komplexität ist die Fähigkeit zur Erhöhung der Stabilität. Des Weiteren wird ein Keiretsu durch die Prinzipien des Managementkonzepts Wa charakterisiert. Prägnante Merkmale sind Gruppenloyalität, Konsens, Kooperation, sozialer Zusammenhalt und Vertrauen. Diese Merkmale werden u.a. durch einen vielfältigen Wissensaustausch auf Basis des Jishuken-Konzeptes, welches in Abbildung 8 skizziert ist, ermöglicht (vgl. Dyer/ Hatch 2004). Wie Toyota seine Zulieferer untereinander vernetzt hat Ausgangszustand
Quelle: Dyer/ Hatch 2004
Reifezustand
Toyota leitet leitet alle alle nützlichen nützlichen Erkenntnisse Erkenntnisse an das das gesamte gesamte Zuliefernetzwerk Zuliefernetzwerk weiter weiter
Abb. 8: Jishuken-Konzept als professioneller Wissensaustausch 4
Die ausbalancierte Produktion ist der Gegensatz zum tayloristischen Paradigma, das die Produktion möglichst großer Lose fordert. Der Nachteil dieses Produktionsansatzes besteht insbesondere darin, dass bei Variantenreichtum hohe Bestände und lange Durchlaufzeiten entstehen (siehe hierzu auch den Beitrag von Bremer in Kapitel C).
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Armin Töpfer
Eine weitere Ursache der Lieferantennetzwerkeffizienz von Toyota wird in den spezifischen Maßnahmen der Lieferantenentwicklung und -bindung gesehen. Sako (2004, S. 281 ff.) gibt einen Überblick über die angewandten Maßnahmen und die Philosophie des Netzwerkes. Die Lieferantenbeziehungen innerhalb des Netzwerkes können durch die Attribute relational, obligatorisch bzw. pflichtbewusst und vertrauensbasiert beschrieben werden. Die Zusammenarbeit ist langfristig angelegt und basiert auf verständlichen Regeln. Kern der Lieferantenbeziehung sind gemeinsam erarbeitete Ziele. Toyota betrachtet die Zusammenarbeit mit den Lieferanten als Investition in ein Netzwerk hoch qualifizierter Wertschöpfungspartner, die eng an das TPS gebunden sind und hohe Qualitätsstandards bezüglich der Exzellenz in der Innovation, Fertigung und Zuverlässigkeit erfüllen müssen. Aus organisatorischer Sicht basiert der Informationsfluss und damit Wissensaustausch von Toyota mit seinen Lieferanten auf drei Säulen (siehe Abb. 9), nämlich (1) Zulieferverbände, (2) Beratergruppen und (3) Lernteams. Wie Toyota den Informationsfluss zu seinen Zulieferern organisiert
Zuliefererverbände • Allgemeines Teilen von Informationen, inkl. der ToyotaGrundsätze und Best Practice-Beispiele, die für das gesamte Netzwerk nützlich sein können
Beratergruppen • Intensive Unterstützung vor Ort durch ToyotaExperten • Workshops und Seminare
Lernteams • Bereitstellung von Informationen durch Vor-Ort-Analysen innerhalb kleiner Gruppen von sechs bis zwölf Zulieferern
Quelle: Dyer/ Hatch 2004
Abb. 9: Die 3 Ansätze zur Realisierung des Wissensaustausches bei Toyota
Um dem typischen Verhalten von Zulieferern vorzubeugen, Informationen gezielt zurückzuhalten, um dadurch einen (möglichen) Wettbewerbsvorteil zu erlangen, der auch anderen Herstellern/ Original Equipment Manufacturern (OEMs) als Kunden dieser Unternehmen zugutekommen kann, hat Toyota die folgenden zwei Prinzipien etabliert. Damit werden den Zulieferern konkrete Anreize gegeben, ihr Wissen zu teilen und Informationen weiter zu leiten: a. Lernwettbewerb: Da Toyota seine Aufträge aufgrund relativer Leistungsverbesserungen in einem bestimmten Zeitraum vergibt, stehen die Zulieferer in direkter Konkurrenz mit anderen. Für die Beurteilung der Performance ist weniger das absolut erreichte Qualitätsniveau relevant, als vielmehr die im Vergleich zur Vorperiode erzielte Qualitätssteigerung. Wer viel lernt und sich ständig verbessert, hat also die besten Chancen, im Lieferantennetzwerk von Toyota zu bestehen. Vor diesem Hintergrund haben die Zulieferer i.d.R. ein hohes Interes-
Kombination von Lean Management und Six Sigma
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se, durch Lernen Produktionssteigerungen zu realisieren und dieses nach außen hin zu kommunizieren. b. Win-win-Situation: Der gegenseitige Austausch von wichtigen Informationen und wertvollem Wissen ist langfristig nur dann gegeben, wenn alle Beteiligten einen Nutzen aus dem Wissensnetzwerk ziehen. Um an das Wissen von anderen zu gelangen, sind die Zulieferer „verpflichtet“, im Rahmen multilateraler Verbindungen einen Beitrag zum Informationsaustausch zu leisten. Nur dadurch lässt sich ein Anreiz-Beitrags-Gleichgewicht erzielen, welches das Interesse der Zulieferer auf Dauer hoch hält, am Netzwerk teilzuhaben und damit u.U. auch an inoffizielles Wissen zu kommen. Der klar strukturierte Netzwerk-Ansatz mit eindeutig definierten Spielregeln (= Rechte und Pflichten für alle Beteiligte) bietet eine Reihe von Vorteilen, nicht nur für Toyota, sondern auch für seine Zulieferer. So belegen empirische Untersuchungen die positiven Wirkungen von Netzwerken, die den Austausch von Informationen mit Lieferantenunternehmen erleichtern, z.B. mit folgenden Zahlen, und zwar bezogen auf das Lieferantenunternehmen (vgl. Dyer/ Hatch 2004, S. 76): • 14 % höhere Leistung je Mitarbeiter • 25 % niedrigere Lagerbestände • 50 % weniger Produktionsmängel als bei Lieferungen an die Wettbewerber. Im Vergleich zu anderen Automobilherstellern, und zwar speziell zu den 3 großen amerikanischen OEMs, erreicht Toyota durch dieses aktive und konstruktive Lieferantenmanagement sowie die konkrete Beratung und Unterstützung bei der Übertragung der wesentlichen Gestaltungsprinzipien des TPS auf die Lieferanten, dass ihm als Abnehmer die deutlich gestiegene Performance seiner Lieferanten in höherem Maße zugute kommt als seinen direkten Wettbewerbern. Abbildung 10 verdeutlicht diese Unterschiede der Performancesteigerung bei den Lieferanten der OEMs. Verbesserung von wesentlichen Leistungsmerkmalen amerikanischer Zulieferer im Zeitraum 1990-1996 durch Unterstützung der OEM Leistungsmerkmale der Lieferanten
Toyota als Kunde
Produktionsmängel
-84 %
Größter Big Three-Kunde* -46 %
Lagerbestände
-35 %
-6 %
Produktivität
+36 %
+1 % * GM, Ford, Chrysler
• Intensiver Wissensaustausch Wissensaustausch hat hat spürbare Auswirkungen • O-Ton: Mit Mit Toyota Toyota als Kunde Kunde laufen die die Gespräche Gespräche ganz ganz anders/ anders/ anspruchsvoller ab Quelle: Dyer/ Hatch 2004
Abb. 10: Performance-Unterschiede der Lieferanten von Toyota und den Big Three
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Armin Töpfer
Der „Preis“ für diese wirtschaftlichen Auswirkungen ist in vielen Unternehmen eine totale kulturelle und organisatorische Umstellung. Als wesentlicher Treiber wird von vielen Lieferanten die geforderte hohe Kundenorientierung genannt. In der Konsequenz sind die Anforderungen, die Toyota an seine Lieferanten stellt, bei diesem intensiven Wissensaustausch und gemeinsamen Verbesserungsprozess deutlich höher als die von den anderen Automobilherstellern. Zugleich hat sich für Toyota aber die Investition in Wissen & Lernen durch höhere Gewinne mehrfach bezahlt gemacht. In Deutschland hat Porsche vor über 10 Jahren japanische Experten von Toyota „eingekauft“ und als erster westlicher Automobilhersteller die Prinzipien des TPS übernommen sowie seitdem konsequent in der Produktion und allen anderen Unternehmensteilen umgesetzt. Heute ist Porsche hochprofitabel und bezogen auf das erreichte Qualitätsniveau das weltbeste Automobilunternehmen (vgl. Bloed 2006). 2.3
Stärken-Schwächen-Profil des isolierten Einsatzes
Wie lassen sich die Stärken und Schwächen von Lean Management bewerten, wenn es ausschließlich, also ohne Ergänzung durch Six Sigma, eingesetzt wird? Strategie Die Stärke von Lean Management liegt darin, dass sich das Konzept in allen Unternehmensbereichen anwenden lässt und dadurch ein grundsätzliches Verbesserungskonzept für das gesamte Unternehmen bildet. Mit einer ganzheitlichen Strategie soll unter Einbeziehung aller Wertschöpfungspartner die extern und intern gerichtete Kundenorientierung durch die Analyse und Optimierung der Wertströme im ganzen Unternehmen verbessert werden. Vorgehen Eine weitere Stärke liegt eindeutig darin, dass die Lean Management-Philosophie gut kommunizierbar ist, sich dadurch allen Mitarbeitern vermitteln lässt und so zur wesentlichen Leitlinie der täglichen Arbeit wird. Methode Durch die vielfältigen präzisen Regeln und Gestaltungsprinzipien ist Lean Management leicht nachvollziehbar, methodisch relativ einfach umsetzbar – wenn auch mit einem nicht zu unterschätzenden zeitlichen und kulturellen Anspruch – sowie im Ergebnis eindeutig kontrollierbar. Die Umsetzung dieses Gedankengutes erfolgt in kleinen Schritten, also als kontinuierlicher Verbesserungsprozess. Kultur Die konsequente Anwendung des Gedankengutes und aller Prinzipien von Lean Management in der täglichen Arbeit durch alle Mitarbeiter in jedem Unternehmensbereich macht einen breiten und tiefgehenden Veränderungsprozess der Unternehmenskultur erforderlich. Dieser ist nur in einem mehrjährigen Prozess, unterstützt durch gezielte Schulung/ Trainingsmaßnahmen, die Bereitschaft des Einzelnen zur Übernahme von Steuerungs- und Ergebnisverantwortung sowie eine dezentrale Performancesteuerung durch jeden Mitarbeiter erreichbar. In vielen
Kombination von Lean Management und Six Sigma
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Unternehmen ist genau dies eine erhebliche Schwäche, vor allem dann, wenn ohne den erforderlichen zeitlichen Vorlauf und Vorbereitungsaufwand diese Methoden und Werkzeuge bei den Mitarbeitern in einem „Hauruck-Verfahren“ eingeführt und umgesetzt werden. Wirkung Die zentrale Stärke von Lean Management liegt darin, in jedem Prozess die Ausprägungen von Verschwendung erkennen zu können, um sie dann gezielt zu beseitigen und das Unternehmen so schlanker sowie reaktionsschneller zu machen. Qualität wird im Zuge der Wertstromoptimierung und Prozesssteuerung in allen wichtigen Phasen jeweils unmittelbar erzeugt und gesichert. Abweichungen von den geforderten und formulierten Standards sollen hierdurch beseitigt respektive vermieden werden. Wenn aber gravierende Abweichungen auftreten, welche die Qualität nachhaltig beeinträchtigen, dann sieht dieses Führungs- und Steuerungskonzept schlanker sowie wirkungsvoller Prozesse keinen gesonderten methodischen Ansatz vor, um – projektbezogen – entstandene Fehlerkosten auf die Ursachen zurückverfolgen und dann systematisch ausmerzen zu können. Hierin liegt eine weitere Schwäche bzw. Hürde dieses Konzeptes; und genau diesen Ansatz leistet Six Sigma.
3
Six Sigma zur Minimierung von Variation
3.1
Philosophie, Konzeption und Inhalte des Managementkonzeptes
Auch wenn Six Sigma in vielen Unternehmen als „Breakthrough-Strategie“ betrachtet wird, stellt der überwiegende Teil des Konzeptes kein völlig neues Instrumentarium dar. Bekannte und bewährte Qualitätsmanagement-Tools, wie z.B. FMEA, Ishikawa-Diagramm, Statistische Versuchsplanung (DOE), QFD und SPC, werden systematisch eingesetzt. Das Besondere ist die stringente Projektmanagement-Methode, die Daten und statistische Analysen konsequent nutzt, um die operative Performance des Unternehmens zu messen und zu verbessern, und so praktikable Null-Fehler-Qualität zu erreichen. Der Vorstand eines Unternehmens hat es treffend formuliert: „Six Sigma ist ein pfiffiges und professionelles Projektmanagement zur Prozessoptimierung auf fundierter statistischer Basis und hat unsere Wettbewerbsfähigkeit deutlich erhöht.“ Gleich zu Beginn soll die Frage beantwortet werden, was Six Sigma als Managementkonzept vor allem auszeichnet: Six Sigma bedeutet immer klar definierte Projekte mit einem eindeutigen Bezug auf Prozesse, die von einem Prozesseigner gesteuert werden. Die stringente Umsetzung konkretisiert sich in einer definierten Projektlaufzeit von 90 bis maximal 180 Tagen und einer klaren Zielstruktur, bei der die finanziellen Ergebnisse jeweils im Vordergrund stehen. So wird in großen Unternehmen die durchschnittliche Ersparnis (Net Benefit) pro Projekt auf mindestens 125.000 EUR beziffert, während sie in kleinen und mittleren Unternehmen bei nicht unter 50.000 EUR liegen sollte. Falsch ist es jedoch, Six Sigma als ein
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Armin Töpfer
typisches „Cost Cutting-Verfahren“ anzusehen, genauso wie es falsch ist, Six Sigma als einen rein statistischen Mess- und Verbesserungsansatz zu betrachten. Für Six Sigma lassen sich die drei Umsetzungstreiber „Kunde – Prozess – Qualität“ identifizieren (siehe Abb. 11). Six Sigma ist deshalb ein projektorientiertes Der Kunde im (Lean) Six Sigma-Konzept: 1
Die „Stimme des Kunden“ (VOC – Voice of the Customer) bildet die Grundlage für jede Six Sigma-Prozessanalyse und Verbesserungsmaßnahme. Sie wird in einer zweiseitigen Analyse an der „Stimme des Unternehmens“ (VOB – Voice of the Business) gespiegelt
2
Die „kritischen Qualitätsmerkmale“ (CTQ – Critical to Quality Characteristics) definieren die geforderten Prozessergebnisse aus Kundensicht und stellen damit die Erfolgsfaktoren des Unternehmens dar
3
Die höhere Qualität von (Vor-)Produkten und Dienstleistungen durch (Lean) Six Sigma macht die industriellen Verwender als Kunden auf ihren Märkten erfolgreicher und schafft die Grundlage für ein mehrstufiges „Value Marketing“
Der Prozess im (Lean) Six Sigma-Konzept: 1 In (Lean) Six Sigma-Projekten wird immer ein zweiseitiger Fokus auf die „Prozesslandkarte“ gelegt: Zum einen wird – in einer extern gerichteten Analyse – untersucht, wie zentrale Kundenanforderungen als kritische Erfolgsfaktoren (CTQs) im Ist-Prozess erfüllt werden bzw. zukünftig besser erfüllt werden müssen (Outside-in-Analyse). In einer intern gerichteten Analyse stellt sich zum anderen die Frage, wie die entscheidenden Werttreiber aussehen und die hierfür erforderlichen Kernkompetenzen ausgeprägt sein müssen (Inside-outAnalyse) 2 Die Qualitäts-Vision (aus Kundensicht) ist dann nicht nur im Geschäftsmodell allgemein formuliert, sondern in allen wichtigen Wertschöpfungsprozessen in Form von internen Kunden-Lieferanten-Beziehungen konkret umgesetzt. Dies erfolgt in der Weise, dass in jedem Six Sigma-Projekt SIPOC-Analysen durchgeführt werden, also wesentliche Prozessschritte bezogen auf die Abfolge Lieferant (Supplier), Input, Prozess, Output und Kunde (Customer) durchleuchtet werden. Hierbei werden Output-, Prozess- und Inputmessgrößen festgelegt, die den geforderten Outcome erreichen 3 Was ein Fehler ist, wird in Abhängigkeit von den zentralen Kundenanforderungen (CTQs) und dann auch auf der Basis der Unternehmensstrategie definiert. Beide werden in interne Prozess- und Leistungsstandards umgesetzt, um sich von den maßgeblichen Wettbewerbern zu differenzieren
Die Qualität im (Lean) Six Sigma-Konzept: 1 Das erklärte Ziel von Six Sigma ist – wie ausgeführt – praktizierte Null-FehlerQualität. Aus statistischer Sicht entspricht dies einer Fehlerquote von 3,4 Fehler pro 1 Mio. Fehlermöglichkeiten. Die Grundlage für die Berechnung bildet die Standardnormalverteilung. Dabei liegen 99,99966% der Gut-Teile (= Ausbeute) in einem (Toleranz-)Bereich von ± 6σ bei einer Mittelwert-Verschiebung von ± 1,5σ 2 Der Toleranzbereich für Qualität wird durch die – entsprechend den Kundenanforderungen (CTQs) – vom Kunden akzeptierten Abweichungen definiert. Verkleinert wird der Toleranzbereich nur dann, wenn die internen Prozess-/ Leistungsstandards – entsprechend der Unternehmensstrategie – „härter“ formuliert werden 3 Die Minimierung der Prozessstreuung innerhalb des definierten Toleranzbereichs und die Zentrierung der Prozesslage, also das Sicherstellen der Prozessfähigkeit zur abweichungsfreien Einhaltung der CTQs, stehen im Zentrum aller Six Sigma-Verbesserungsaktivitäten
Abb. 11: Umsetzungstreiber von (Lean) Six Sigma
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Managementkonzept, mit dem die wesentlichen Kundenanforderungen über schlanke und effiziente Prozesse für das Unternehmen wirtschaftlich erfüllt werden. Die erreichbare Null-Fehler-Qualität führt nicht nur zu Kostensenkungen, sondern über gestiegene Kundenzufriedenheit auch zu Umsatzsteigerungen. Für die Integration von Six Sigma und Lean Management gelten die inhaltlichen Aussagen und Schwerpunkte in Abbildung 11 entsprechend. Die Philosophie besteht darin, durch eine zielgerichtete Übersetzung der „Stimme des Kunden“ in die „Sprache des Prozesses“ Produkte und Dienstleistungen mit hoher Qualität zu erzeugen und so Wirtschaftlichkeit, also Effizienz, mit Kundenzufriedenheit, also Effektivität, zu verbinden. Die nächste Frage, die sich bei Überlegungen zur Einführung des Six Sigma-Konzeptes stellt, ist i.d.R. die: Lässt sich Six Sigma mit vorhandenen Qualitätsmanagement-Initiativen und anderen Management-Konzepten effizient verknüpfen, um so Synergieeffekte zu erreichen, oder ist Six Sigma nur „alter Wein in neuen Schläuchen“ und durch andere Konzepte schon längst realisiert? Die Antwort ist relativ eindeutig. Six Sigma ist ein zusätzlicher wichtiger Baustein der angestrebten Business Excellence Performance eines Unternehmens, der den „Motor“ für die effiziente Durchführung von konkreten Verbesserungsmaßnahmen in einzelnen Projekten liefert. Auf die bei Six Sigma-Projekten zentrale Frage, wie ein derartiges Vorhaben in einem standardisierten Verbesserungsprozess durchgeführt wird, gehen wir hier nur kursorisch ein, um das Verständnis für den inhaltlichen Ablauf und die damit verbundenen Anforderungen sicherzustellen. Eine ausführliche Darstellung des Phasenablaufs und Methodeneinsatzes von Lean Six Sigma-Projektmanagementzyklen erfolgt im Beitrag von Günther/ Garzinsky in Kapitel B. Alle Six Sigma-Projekte folgen einem standardisierten Ablauf, der auf dem klassischen Deming-Zyklus PDCA (Plan, Do, Check, Act) basiert. Der hieraus abgeleitete DMAIC-Zyklus für die Durchführung von Six Sigma-Projekten hat die in Abbildung 12 aufgeführten Phasen und Inhalte (vgl. Töpfer 2006, S. 313 ff.). Hauptanforderungen des Kunden als CTQ definieren
Define
Was ist das Problem?
Measure
Wie lassen sich die Auswirkungen messen?
Relevante Wirkungs- und Ergebnisgrößen in der Praxis messen
Analyse
Was sind die Ursachen für das Problem?
Wichtigste Ursachen mit Hilfe von Statistiken analysieren und priorisieren
Improve
Wie lässt sich das Problem beseitigen?
Verbesserung/ optimale Lösung erarbeiten und umsetzen
Control
Wie wird die Verbesserung in der Praxis verankert?
Hauptursachen für das Auftreten des Problems dauerhaft beseitigen
Basis: Harry/Schroeder 2000
Abb. 12: DMAIC als Six Sigma-Prozess im Projekt
46
Armin Töpfer
Die Denkweise in Six Sigma-Projekten korrespondiert mit den fünf Fragestellungen in Abbildung 12 und zielt darauf ab, ein gravierendes Problem zu einem Projekt zu machen und in der Projekt Charter möglichst exakt auszuformulieren. Auf der Basis von Outputmessgrößen, die in ihrer Ausprägung sehr nah an den geforderten CTQs sein sollen, wird in der Measure-Phase aus dem realen Problem ein statistisches Problem. Auf der Grundlage ermittelter Daten für die Output-, Prozess- und Inputmessgrößen werden im Rahmen der Analysephase die Hauptursachen des Problems statistisch herausgefiltert und empirisch überprüft und möglichst eindeutig herausgearbeitet. Jedes Six Sigma-Projekt folgt damit der Philosophie und Formel: y = f(x). Sie besagt, dass zum einen ein Problem y die Folge aus mehreren negativen Ursachen (x) ist. Genauso lässt sich zum anderen die anschließend erarbeitete Problemlösung als positive Wirkung auf die Realisierung eines Sets von Verbesserungsmaßnahmen zurückführen. Diese Beziehungen gilt es in Six Sigma-Projekten möglichst aussagefähig zu erkennen und zu gestalten. In diesem Zusammenhang sind also – sowohl in Six Sigma- als auch in Design for Six Sigma (DFSS)-Projekten – die Abhängigkeiten in Form von UrsachenWirkungs-Beziehungen aufzudecken. Die Überprüfung gültiger Zusammenhänge zwischen dem Output und dem Input erfolgt durch statistische Tests. Eine statistische Lösung wird in der Improve-/ Design-Phase erarbeitet und getestet, z.B. durch prozessorientierte Output-Simulationen. Die gefundene Lösung wird in der Control-/ Verify-Phase in die reale Anwendung überführt sowie im Anschluss qualitätsgesichert, kontinuierlich überwacht und verbessert. Zu Beginn der Measure-Phase werden auf der Grundlage der ermittelten CTQs die elementaren Output-, Prozess- und Inputmessgrößen abgeleitet, um die Referenzleistung des aktuellen Prozesses, also die Werte der Ausgangssituation (NullMessung), so genau wie möglich zu quantifizieren und „zu verstehen“. Dies erfolgt unter der Voraussetzung, dass ein CTQ zwar i.d.R. direkt über die Outputmessgrößen messbar ist, aber seinerseits wiederum von Prozess- und Inputvariablen abhängt. Im Rahmen von Six Sigma-Projekten besteht das vorrangige Ziel darin, diese Ursachen-Wirkungs-Beziehungen aufzudecken und optimal einzustellen. Die Ableitung von Messgrößen zur Bestimmung der Prozesseffektivität und -effizienz ist damit die zweite zahlenorientierte Systematik von Six Sigma. Abbildung 13 veranschaulicht zum besseren Verständnis der Prozessstruktur das grundsätzliche Vorgehen zur Messgrößen-Bestimmung in Six Sigma-Projekten. Die Nähe zur Grundstruktur bei der vorstehend behandelten Wertstromanalyse wird hieraus nachvollziehbar. Es wird deutlich, dass die Prozessanalyse – zum Herausfinden von wichtigen Ursachen für Qualitätsprobleme und Fehlerkosten – und der Prozessablauf – mit dem Ziel zur systematischen Gestaltung und Verbesserung zu Null-Fehler-Qualität – immer entgegengesetzt gerichtet sind und auch entsprechend ablaufen. Im übertragenen Sinne „messen wir also in den Prozess hinein“, um, vom Output kommend, über geeignete Messgrößen und aussagefähige Daten ein Verständnis über das Ausmaß der Wirkungen (Probleme und Fehler) sowie die Intensität der möglichen Ursachen (systematische und zufällige) zu bekommen.
Kombination von Lean Management und Six Sigma
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Prozessablauf
Anforderungen
!
Input Input-Messgrößen
Lieferant
Prozess Prozess-Messgrößen
Output Output-Messgrößen
Zufriedenheit
Unternehmen
CTQs Kunde
CTQs Kunde
Prozessanalyse/ Ursachen für Qualitätsprobleme/ Fehlerkosten Gestaltung/ Verbesserungen zu Null-Fehler-Qualität
Abb. 13: Messgrößen-Bestimmung bei Six Sigma-Projekten
Auf der Basis der gemessenen Ist-Daten und des ermittelten Sigma-Niveaus erfolgt in der Analyse-Phase eine detaillierte Auswertung der aktuellen Performance. In diesem Zusammenhang gilt es insbesondere, die Hauptursachen von Fehlern zu bestimmen und darauf basierende Verbesserungsmöglichkeiten abzuleiten. Konkret werden folgende drei Schritte durchlaufen: 1. Entwickeln einer detaillierten Prozessdarstellung und Analyse des Ist-Prozesses unter Verwendung von Zeit-, Wertschöpfungs- und Flussanalysen 2. Durchführen einer Ursachen-Wirkungs-Analyse, um potenzielle Ursachen für Fehler aufzudecken und ggf. weitere Messpunkte zu definieren 3. Aufdecken von Zusammenhängen zwischen den abhängigen Variablen und den unabhängigen Einfluss- und Ursachenfaktoren durch eine Datenanalyse. Im Detail geht es jetzt also darum, den Prozess aufzuschlüsseln. Dies geschieht in der Weise, dass der Ablauf analysiert wird, wie die Outputmessgrößen durch die Gestaltung und Steuerung der Prozess- und Inputmessgrößen zustande kommen. Die möglichen Fehler bei den Ergebnissen werden dadurch auf die beiden Ursachenebenen Prozess und Input zurückverfolgt. Die Analyse-Phase ist damit die „Kernphase“ des DMAIC-Zyklus, denn ohne tiefgehende und aussagefähige Ursachenanalyse für Fehler sind im Allgemeinen keine Verbesserungsmaßnahmen mit großer Hebelwirkung möglich. Als Fehler wird, wie bereits angesprochen, definiert, wenn erwartete Ergebnisse eines Prozesses nicht erreicht werden, und zwar in Bezug auf die zuvor festgelegten Definitionen und Standards im Rahmen der Unternehmensstrategie und/ oder die ermittelten wesentlichen Kundenanforderungen, also die CTQs.
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Der Quantifizierung von Verbesserungsmöglichkeiten folgen direkt – wie oben beschrieben – die beiden Phasen Improve und Control. Durch die gezielte Behebung von Fehlerursachen und die Einleitung von prozessbezogenen Verbesserungsmaßnahmen soll in der Unternehmenspraxis das Sigma-Niveau durch das Six Sigma-Projekt beträchtlich gesteigert und durch die Vermeidung von Fehlerkosten die Ertragssituation nachhaltig verbessert werden. Typischerweise liegen die erwirtschafteten Netto-Einsparungen durch ein derartiges Projekt – wie bereits angesprochen – in der Praxis bei ca. 125.000 EUR. Gemessen wird dieser Net Benefit nur auf der Basis liquiditätswirksamer Kosteneinsparungen und/ oder Umsatzsteigerungen unter Abzug der durch das Projekt und seine Akteure verursachten Kosten. Eine Steigerung der Kundenzufriedenheit ist eine wünschenswerte qualitative Wirkung eines Six Sigma-Projektes. Sie wird aber im Net Benefit nur erfasst, wenn der zufriedene Kunde dann wieder kauft oder auch andere Produkte des Unternehmens kauft (Cross-Buying). Der Messzeitraum erstreckt sich dabei lediglich auf die ersten 12 Monate nach Projektabschluss. In dieser Periode muss ein Projekt ein entsprechend hohes Netto-Ergebnis einbringen, unabhängig davon, dass normalerweise Einsparungen auch nach dem 1. Jahr weiterhin eintreten. 3.2
Unternehmensbeispiel: General Electric
Die Six Sigma-Initiative bei General Electric (GE) geht auf die „Managerlegende“ und ehemaligen Chief Executive Officer (CEO) des Unternehmens, Jack Welch, zurück. Er verfolgte seit Anfang der 1990er Jahre die visionäre Strategie, GE bis zum Jahr 2000 zum weltweit erfolgreichsten Unternehmen zu machen. Dies ist ihm – nicht zuletzt auch wegen Six Sigma – nachweislich gelungen. Das angesehene US-Magazin Fortune kürte den von Jack Welch seit 1983 geführten Konzern sowohl 1998 als auch 1999 zur „in den USA am meisten bewunderten Company“. In einer globalen Umfrage unter Geschäftsleuten durch die Londoner Financial Times erreichte GE 1998 Platz eins als das „weltweit am meisten respektierte Unternehmen“. Diese Auszeichnungen sind dem mit einem kumulativen Cash Flow von über 92 Mrd. US $ (Fiskaljahr 2007) und einer Umsatzrendite von über 12% heute glänzend dastehenden Unternehmen nicht in den Schoß gefallen. Sie waren und sind das Ergebnis der fordernden Führung des Mannes an der Spitze von GE und der harten Arbeit seiner Mitarbeiter. Das Unternehmen wird seit September 2001 von dem in der Ära Welch ausgebildeten und lange Zeit aktiven Six Sigma Black Belt Jeffrey R. Immelt geführt. Seine erste Botschaft an die Führungskräfte und Mitarbeiter von GE bezog sich unter anderem darauf, dass er die von Jack Welch begonnene unternehmensweite Six SigmaInitiative nicht nur fortsetzen, sondern verstärken wolle. Bei der Einführung von Six Sigma bei GE im Jahr 1995 formulierte Jack Welch das Ziel, durch die Qualitätsoffensive bereits in kurzer Zeit „10.000-mal besser als die Konkurrenz“ zu sein. In seinem Bemühen, den „Supertanker“ GE immer „unter Volldampf“ zu halten, hatte der ehemalige CEO bereits früh erkannt, welches gewaltige Kosteneinspar- und Produktivitätssteigerungspotenzial in einer Quali-
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tätsoffensive wie Six Sigma steckt. Wie in Abbildung 14 skizziert, bestand das Ziel darin, Six Sigma nach und nach in allen Bereichen und Wertschöpfungsstufen des Unternehmens zu implementieren. Nur wenn alle Produkte des Portfolios dem neuen „Reinheitsgebot“ folgend, in perfekter Qualität die Werkshallen und Büros von GE verlassen würden, ließen sich gewinnmindernde Nachbearbeitungen und teure Gewährleistungsansprüche vermeiden. Eine Maschine, die nach der Anlieferung beim Kunden fehlerhaft arbeitet, reduziert den kalkulierten Erlös dieses Auftrags. Gewinn ist demnach eine Funktion der Qualität. Die einfache Logik lautet also: Je weniger Fehler entstehen, desto höher ist der Gewinn. Da die aktuelle Ertragslage des Unternehmens und die Erwartungen der Aktionäre an die zukünftige Unternehmensentwicklung Determinanten für den Aktienkurs sind, ist Six Sigma als „das größte und am Ende profitabelste Projekt, das GE in seiner Geschichte je angeschoben hat“ im Grunde nichts anderes als eine Verpflichtung gegenüber den Aktionären. Neben „Speed“ zählte „Shareholder Value“ zu Welch’s Lieblingswörtern.
F & E/ Produktion
Wertschöpfungsstufe
• Erste Erste Six Sigma-Projekte Sigma-Projekte meistens in in der der Produktion Produktion Qualität Qualität einfacher einfacher zu messen messen und und zu zu steuern steuern • Mit Mit der der Zeit Zeit alle alle Unternehmensbereiche einbezogen einbezogen
Abb. 14: Umsetzungsbereiche im Unternehmen
Zum Startzeitpunkt der Qualitätsoffensive arbeitete der Mischkonzern im Durchschnitt mit 35.000 Defekten je einer Million Fehlermöglichkeiten (DPMO – Defects per Million Opportunities). Das entsprach in etwa einem Qualitätsniveau von 3,3σ und lag damit (deutlich) unter dem durchschnittlichen Industrieniveau von 3,8σ. Mit anderen Worten: Von 1.000 ausgelieferten Produkten oder 1.000 abgeschlossenen Dienstleistungsgeschäften – vom Kühlschrank bis zur Glühlampe, vom Immobiliengeschäft bis zum Mietwagenauftrag – waren im Durchschnitt 35 Geschäftsvorgänge mit Fehlern behaftet. Sie entsprachen also nicht der angestrebten GE-Perfektion. Jack Welch gab seinen Mitarbeitern fünf Jahre Zeit, um Fehler in der Weise auszuschließen, dass sie nur noch im Millionen-Bereich zu
50
Armin Töpfer
messen sind. Konkret bedeutete dies: Bis zur Jahrtausendwende war der durchschnittliche Qualitätsstandard konzernweit auf einen Fehlerquotienten von weniger als 3,4 pro 1 Million Fehlermöglichkeiten zu reduzieren, was einem Perfektionsgrad von 99,99966% bzw. 6σ entspricht. Dabei sollte das Qualitätsniveau in Quantensprüngen neue Ebenen erreichen, d.h. Sprünge um jeweils 1σ wurden angestrebt. Darüber hinaus ließ Jack Welch das Prinzip praktizierter Null-FehlerQualität nicht nur für den Fertigungsbereich gelten, sondern maß daran jedes einzelne Geschäft, das der globale Konzern mit irgendeinem Kunden irgendwo in der Welt abschloss. Führungskräften, die sich der Six Sigma-Offensive nicht mit dem notwendigen Elan widmeten, kürzte Jack Welch die Jahresprämie. Wer im Unternehmen GE erfolgreich Karriere machen wollte, musste sich mit der Durchführung von erfolgreichen Six Sigma-Projekten hervortun. Zügig wurden 70.000 der weltweit agierenden 300.000 Beschäftigten in Lehrgängen und Qualitätsseminaren geschult. Auch dabei ging GE seinen eigenen Weg. Viele bereits bekannte und weit verbreitete Konzepte wie etwa das „Total Quality Management“ (TQM) oder das „Kaizen-Produktionssystem“ scheiterten vor allem daran, dass man die Mitarbeiter lediglich zu Verbesserungsvorschlägen ermunterte, die im Erfolgsfall mit Prämienzahlungen belohnt wurden. Jack Welch setzte jedoch nicht auf solch ein AnreizSystem durch Prämien. Vielmehr schickte er seine 8.000 Six Sigma-Spezialisten, die er zu Black Belts ausbilden ließ, in die „GE-Welt“ hinaus. Sie übernahmen folgende Aufgabe: Geeignete Six Sigma-Projekte in den einzelnen Bereichen auswählen, die Qualitätsoffensive damit in Gang setzen und die ersten Projekte möglichst schnell zum Abschluss bringen. Das war und ist für diese Mitarbeiter ein Vollzeit-Job, bei dem vor allem Geschwindigkeit (Speed) bei der Umsetzung zählt. Das Ziel besteht darin, Six Sigma-Projekte – mit einem nachweisbaren Nettonutzen (Net Benefit) von mehr als 100.000 US $ – innerhalb von 90 Tagen (= 3 Monate) abzuschließen. Praktische Erfolge mit Six Sigma bei General Electric a. Gesamter Konzern Nachdem GE Mitte der 1990er Jahre mit Six Sigma-Aktivitäten begonnen hatte, wurden die Zahlen der erreichten Net Benefit-Summen pro Jahr veröffentlicht. Dies verdeutlichte der Unternehmenswelt zum ersten Mal in „harten Zahlen“, welche Ergebniswirkungen mit Six Sigma-Projekten erreichbar waren. Nicht zuletzt hierdurch kam es in führenden Unternehmen von Branchen mit intensivem Wettbewerb zu der an früherer Stelle beschriebenen „Six Sigma-Bewegung“. Insgesamt waren unter Jack Welch über 100.000 Six Sigma-Projekte in allen unterschiedlichen Sparten des Unternehmens durchgeführt worden. 1996 war aufgrund der umfangreichen Trainingsmaßnahmen der Aufwand größer als die erzielten Einsparungen. Diese stiegen in den Folgejahren überproportional an, so dass für das Jahr 1999 ein Net Benefit von ca. 2,0 Mrd. US $ und für das Jahr 2000 ein Net Benefit von 2,9 Mrd. US $ erreicht wurde. Wie in Publikationen nachvollziehbar ist, stieg ab 1997 das Verhältnis von Einsparungen zu Kosten kontinuierlich um mindestens einen Faktor, also zunächst eine Verdoppelung (1997/ 1998), im Jahre
Kombination von Lean Management und Six Sigma
51
1999 ist die Relation bereits 5 zu 1, im Jahr 2000 lag sie gar bei 6 zu 1, was einer durchschnittlichen Kapitalverzinsung von 600% für die Investition in Six SigmaAktivitäten entspricht. Wie in Abbildung 15 nachvollziehbar ist, beläuft sich der Net Benefit durch Six Sigma-Projekte bei GE im Zeitraum von 1995 bis 2000 auf über 6 Mrd. US $. Eine solche Bilanz konnten – bezogen auf die Unternehmensgröße – bisher nur wenige andere Unternehmen vorweisen. Das Technologieunternehmen Motorola sparte z.B. mit Six Sigma seit 1987 insgesamt ca. 16 Mrd. US $ ein, während das ebenfalls technologieorientierte Unternehmen Allied Signal innerhalb von 5 Jahren ca. 1,5 Mrd. US $ Net Benefit generieren konnte (vgl. Töpfer 2007b, S. 95). • Verbesserung der internen Prozesse interessiert den Kunden nicht
In Mio. US $
• Jedes neue Produkt ist „DFSS“ – Designed For Six Sigma
3.000
• In wenigen Jahren wird die Kultur und das Management unumkehrbar von Six Sigma geprägt sein
2.000
• Six Sigma wird dabei auf den Erfolg des Kunden fokussiert sein
3.500
3.500
2.500
2.500
1.200
1.500
700
1.000 500
170 200
380
450
500
1997
1998
1999
600
0
1996
Kosten
2000
Einsparungen
„Abweichung ist der Teufel in allen Kundenkontakten“ Quelle: General Electric 1999/2001
Abb. 15: Netto-Einsparungen durch Six Sigma bei General Electric
Unter dem aktuellen CEO Jeffrey R. Immelt arbeitet das Unternehmen GE intensiv daran, das Six Sigma-Konzept in der gesamten mehrstufigen Wertschöpfungskette, also auch bei den Kunden- und Lieferanten-Unternehmen, zu etablieren. Gemäß dem Motto „The more successful our customers are, the more successful we will be!“ besteht das Ziel bei GE darin, die Produktivität und Wirtschaftlichkeit des gesamten Leistungserstellungsprozesses zu optimieren. Trotz der vielfältigen Bedenken hinsichtlich eines möglichen Know-how-Abflusses in den Kunden-Unternehmen haben im Jahr 2003 bereits 40% aller GE-Partner Interesse an der Einführung eines Six Sigma-Projektmanagements bekundet. Neben der Bereitstellung von Black Belts für Projekttätigkeiten bietet GE seinen Kunden intensive Six Sigma-Trainingsmaßnahmen, umfangreiche Marktforschungsstudien über gemeinsame Märkte sowie teilweisen Zugang zu wichtigen Forschungsaktivitäten und -ergebnissen an. Zudem geht das Unternehmen selbst heute immer stärker den „Lean Six Sigma-Weg“, indem es das bestehende Six Sigma-Projektmanagement um den Lean-Ansatz, inklusive der Lean-Methoden, erweitert.
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b. GE-Capital-Solution Die deutsche Niederlassung einer GE-Capital-Solution-Tochter (ehem. GE-Mobilienleasing) musste seit längerem eine ungewöhnlich hohe Fluktuation der Mitarbeiter verkraften. Die Kündigungsquote erreichte bis zu 43% im Jahr. Die Mitarbeiter waren vor allem mit ihren Gehaltsabrechnungen unzufrieden. Für die Firmenzentrale war das ein untragbarer Zustand, der sich zudem negativ auf die Ertragslage auswirkte. Die GE Zentrale handelte und schickte einige ihrer erfahrenen Black Belts in den Bereich, um die Ursachen zu erforschen und Lösungen zu finden. In einer ersten Runde wurden nach der Projektdefinition (Define-Phase) die Fehlerquellen eruiert und quantifiziert (Measure-Phase). Die Intensiv-Interviews mit den Mitarbeitern brachten folgende Ergebnisse (vgl. Garthe 2002, S. 343 ff.): 1. Es herrschten unklare Verantwortungsbereiche zwischen den Mitarbeitern des Leasingunternehmens und der externen Lohnbuchhaltung. Das führte immer wieder zu Verzögerungen in der Verwaltung, die bei den Mitarbeitern Irritationen über entsprechende Zuständigkeiten hervorriefen. Zudem fanden die Experten heraus, dass die Beschäftigten oft verspätet, nicht richtig und gelegentlich sogar überhaupt nicht entlohnt wurden. 2. Für die interne Verwaltung der Beschäftigtendaten war die externe Lohnbuchhaltung zuständig. Ihr war es jedoch nicht möglich, die erhaltenen Daten auf Richtigkeit zu prüfen, so dass die Personalverwaltung eine ständige Fehlerquelle war. 3. Neue Mitarbeiter wurden über die einzelnen Posten ihrer Lohnabrechnungen nicht informiert, was zu verspäteten Reklamationen führte. 4. Die Gehaltsabrechnungen selbst waren unklar, sie gaben keine Erläuterungen oder Verständnishilfen. Im Verlauf dieser Untersuchung wurden insgesamt 9 wesentliche Ursachen gefunden, die zu fehlerhaften Gehaltsabrechnungen führen können. In der anschließenden Phase des DMAIC-Zyklus wurden die Fehlerquellen genauer analysiert (Analyse-Phase) mit dem Ziel, verbesserte Prozesse und klarere Zuständigkeiten zu schaffen (Improve-Phase). Schon wenige Schritte führten nach der Ursachenforschung dazu, die Motivation der Beschäftigten zu steigern und die Fluktuation unter den Mitarbeitern deutlich zu verringern. Gehaltsabrechnungen wurden – so weit es möglich war – vereinfacht und bei der Einstellung den neuen Mitarbeitern erläutert. Die Lohnbuchhaltung wurde beauftragt, die Software für die Gehaltsabrechnungen zu überprüfen und ggf. mit Ergänzungen zu versehen. Im Ergebnis zeigte sich zunächst einmal eine größere Zufriedenheit der Mitarbeiter. Nachdem 1997 mehr als 40% der Beschäftigten gekündigt hatten, konnte diese Fluktuationsrate nach dem Six Sigma-Prozess auf unter 10% gesenkt werden. Dadurch entfielen Werbungs- und Trainingskosten für neue Mitarbeiter, die das Unternehmen zuvor pro Jahr rund 125.000 EUR gekostet hatten. Auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Gehaltsabrechnungen stieg beträchtlich an. Waren zuvor 61 Beschwerden von Beschäftigten im Jahr registriert worden, fiel diese „Klage-Rate“ im Zuge der Six Sigma-Aktivitäten auf 10 Beschwerden im Jahr. Das sparte zusätzlich Verwaltungskosten, so dass für das Unterneh-
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men unter dem Strich nach Abschluss des Projektes ein „Produktivitätsgewinn“ in Höhe von 140.000 EUR pro Jahr herauskam. Für die zuständigen Black Belts waren diese Ergebnisse aber noch nicht hoch genug. Sie betrachteten die Resultate lediglich als Zwischenergebnis ihrer Qualitätsoffensive. Denn das Ziel, 6σ-Qualität, war bei weitem noch nicht erreicht, wie man beim Blick auf die „nackten“ Zahlen/ Fakten erkennt: Bei monatlichen Gehaltsabrechnungen gibt es 9 mögliche Fehlerquellen (O = Opportunities bzw. Fehlermöglichkeiten). Für 107 Beschäftigte werden 1.284 Gehaltsabrechnungen im Jahr erstellt (N = Number bzw. Anzahl). 61 Klagen (D = Defects bzw. Fehler) wurden in der Vergangenheit registriert. Wie Abbildung 16 zeigt, konnte das Qualitätsniveau von 4,1σ vor Beginn des Verbesserungsprozesses nach der ersten Verbesserungsrunde auf 4,65σ gesteigert werden. Bei Produkten oder Dienstleistungen: D 1 – Fehlerquote = 1 – = %Qualität ≥ Sigma-Wert (laut Tabelle) NxO Beispiel: Vor dem Six Sigma Projekt: • Es gibt 9 mögliche Fehlerquellen (O) bei monatlichen Gehaltsabrechnungen • Für 107 Beschäftigte des Außendienstes werden jährlich 1.284 Gehaltsabrechnungen (N) erstellt ! 61 Klagen (D) wurden registriert
1−
61 = 1− 1.284 x 9
61 11.556
=
Nach der ersten Verbesserungsrunde: ! Noch 10 Klagen wurden registriert
1−
10 11.556
=
99,9135% ≥ 4,65 σ
99,4721% ≥ 4,1σ Legende: D = Defects/ Fehler N = Number/ Anzahl O = Opportunities/ Möglichkeiten
Basis: Garthe 2002, S. 349 f.
Abb. 16: Berechnung des Sigma-Wertes am Beispiel
Die Reduktion der Klagen um 84%, d.h. von 61 auf 10, innerhalb weniger Monate würde in jedem „normalen Unternehmen“ als stolzes Ergebnis gefeiert. Doch bei GE wollte man mehr: Um den Sigma-Wert weiter zu verbessern, wurden die Intensiv-Interviews mit den Beschäftigten innerhalb von 5 Monaten wiederholt (Control-Phase). Dabei sollte eine vergleichbare Gruppe von Personen für die Befragung ausgewählt werden, an die exakt die gleichen Fragen gestellt wurden, um bis Juni 1999 eine 100%-ige Zufriedenheit bei den Beschäftigten zu erreichen. c. GE Money Bank Die GE Money Bank als ein Teil der GE Consumer Finance, die mit weltweit 106 Mrd. US $ Bilanzsumme und 2,5 Mrd. US $ Gewinn im Jahr 2004 Bestandteil der Nachfolgeorganisation von GE Capital ist, hat die Six Sigma-Philosophie konse-
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quent auf ihre Produkte umgesetzt. Das Kundenversprechen lautet, dass die Produkte fair, transparent und marktgerecht sind. Konkret bedeutet dies, dass die Produkte relativ einfach konzipiert sind und im Handling nur relativ niedrige Kosten verursachen. Die Produktpalette ist dadurch schlank. Da die Produkte unterschiedlicher Banken weitgehend ähnlich sind, wird die Differenzierung vom Wettbewerb im Service und in der Transparenz gesucht. Robert Law, der damalige Deutschlandchef der GE Money Bank, führt die Bank fast wie einen Industriebetrieb: „Ich bin kein Banker, sondern Ingenieur.“ (vgl. Hönighaus 2005, S. 17). Diese Strategie wird in der 30-Minuten-Kampagne der GE Money Bank erfolgreich umgesetzt. Das Ziel ist eine einfache und schnelle Abwicklung von Kreditanfragen der Händlerpartner des Autogeschäfts. Jede vollständige und korrekte Finanzierungsanfrage soll innerhalb von 30 Minuten entschieden werden. Insbesondere durch eine optimierte Online-Finanzierung soll ein verbesserter Kundenservice geliefert werden. Im Ergebnis konnten 99% der Anfragen innerhalb von 30 Minuten entschieden werden. Jede 3. Anfrage dauerte nur 60 Sekunden. Die Resonanz der Händler war rundum positiv. Die Kampagne wird deshalb fortgesetzt. 3.3
Stärken-Schwächen-Profil des isolierten Einsatzes
Nachstehend wird ebenfalls das Stärken- und Schwächen-Profil von Six Sigma erarbeitet. Zusätzlich wird jeweils bereits der Vergleich mit Lean Management durchgeführt, soweit sich dies anbietet. Strategie Die Stärke von Six Sigma ist die ausgeprägte prozessbezogene Kundenorientierung im Projektablauf, deren Basis die VOC-Analyse und die Ableitung der CTQs in der Definitionsphase bildet. Auch Lean-Projekte richten sich am Kunden aus. Durch die Betrachtung des Wertstroms, dessen Grundlage wertschöpfende Tätigkeiten für den Kunden sind, wird dies gewährleistet. Allerdings ist die Erfassung der Anforderungen der Kunden nicht so ausgeprägt wie in Six Sigma. Während sich Six Sigma auf die Verbesserung einzelner definierter Prozesse im Unternehmen konzentriert, betrachtet Lean Management neben diesen Prozessen auch das Gesamtsystem und die Schnittstellen zwischen Teilprozessen. Zu Beginn eines Six Sigma-Projekts werden die Verbesserungen, welche durch das Projekt erreicht werden sollen, abgeschätzt und danach wird kontinuierlich auf deren Erfüllung hingearbeitet. Nach Abschluss des Projekts werden die Verbesserungen als finanzielle Größen quantifiziert, womit eine Aussage über den Erfolg des Projekts möglich ist. In Lean-Projekten findet dies in solch strukturierter Form nicht statt. Vorgehen Eine der Stärken von Six Sigma ist die ausgeprägte Projektorientierung und Vorgehensstruktur. Verbesserungen werden auf Basis von Projekten mit festgelegtem Ablauf durchgeführt. Die Problemstellung wird anfangs definiert und in den einzelnen Phasen bearbeitet. Dabei sind die Rollen im Team klar definiert. LeanVerbesserungen werden zwar auch auf Projektbasis vorgenommen, dennoch ist
Kombination von Lean Management und Six Sigma
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der Grad der Projektorientierung geringer, da lediglich kleinere Projekte, etwa im Sinne von Kaizen-Workshops, durchgeführt werden. Die starke Projektorientierung in Six Sigma bedingt auch die ausgeprägte Standardisierung des Projektablaufs. Die einzelnen Schritte und Rollen im Projekt sind genau festgelegt. In einem Lean-Projekt ist dies eher nicht der Fall. Methoden Während der Fokus von Six Sigma auf der exakten Analyse der Ursachen von Problemen liegt, ist Lean Management mehr auf die Lösungsfindung ausgerichtet. Six Sigma-Methoden zeichnen sich durch hohe Komplexität aus, mit welcher sich auch schwierige Sachverhalte genau analysieren lassen. Für die Analysen kann das Team auf eine große Anzahl von Methoden zurückgreifen. Die Analyse von Daten bedingt den Einsatz vieler statistischer Werkzeuge. Lean-Methoden sind vornehmlich auf Lösungen und weniger auf die Analyse der Ursachen fokussiert. Dadurch sind sie weniger komplex als Six Sigma-Methoden. Generell ist festzustellen, dass Lean-Management umfassendere und ganzheitlichere Prozessanalysen sowie -verbesserungen zulässt als Six Sigma. LeanMethoden sind stärker nur auf bestimmte Problemstellungen fokussiert, um diese erfolgreich zu beheben. Six Sigma-Methoden lassen sich hingegen auf einen größeren Bereich von unterschiedlichen Problemen anwenden. Kultur Durch den Einsatz komplexer Methoden in Six Sigma sind bestimmte Stufen des Wissens der Projektbeteiligten notwendig. Dies wird durch die Belt-Hierarchie in der Six Sigma-Organisation umgesetzt. Es existieren fest vorgegebene Rollen mit definierten Tätigkeitsaufgaben im Projekt. Im Lean Management besteht eine solche spezifische Organisation nicht. Die Beseitigung der Verschwendung ist Aufgabe aller Mitarbeiter. Durch die Analyseausrichtung von Six Sigma entsteht eine Kultur der Analytik. Dies zeigt sich darin, dass alle Entscheidungen festen Abläufen unterliegen und quantitativ hinterlegt werden. Six Sigma stellt hohe Anforderungen an die Mitarbeiter. Durch die komplexen, oft statistischen Methoden ist das Konzept des DMAIC-Zyklus nicht leicht verständlich. Auch werden nicht alle Mitarbeiter im Unternehmen in Six Sigma-Projekte eingebunden. Beide Faktoren führen zu einer geringeren Akzeptanz des Konzepts. Lean Management basiert auf der Einbindung aller Mitarbeiter. Kombiniert mit den leicht aufzufassenden Methoden, wird es im Allgemeinen bereits nach kurzer Zeit von den Mitarbeitern angenommen. Wirkung Die Projektgröße und der Durchführungsaufwand eines Six Sigma-Projekts sind sehr hoch. Ein solches Projekt dauert i.d.R. drei bis sechs Monate und benötigt viele Ressourcen, ausgebildete Spezialisten mit fachspezifischem Wissen sowie viele Daten. Grund für die jeweils lange Projektdauer sind die tiefgehenden Analysen und die anschließende Ausarbeitung und Umsetzung von Maßnahmen. Während aber die Verschlankung des gesamten Unternehmens beim Lean Management mehrere Jahre dauert, werden die einzelnen Projekte mit Six Sigma in vergleichsweise kurzer Zeit und konzentrierter Form durchgeführt. Dabei sind bei-
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spielsweise. auch einzelne Kaizen-Workshops auf einen bestimmten Bereich beschränkt, und sie dauern i.d.R. eine Woche. Durch die Kontrollphase in Six Sigma wird gewährleistet, dass die implementierten Verbesserungen im Prozess nachhaltig gesichert sind. Durch Standardisierung wird Ähnliches, wenn auch nicht in so ausgeprägter Form, am Ende von Lean-Projekten erreicht. Zwischenfazit Abbildung 17 fasst die Bewertungen der einzelnen Kriterien zusammen. Über die Stärken des Lean- und Six Sigma-Ansatzes lassen sich mehrere Aussagen ableiten. Je komplexer die zu lösende Problemstellung, desto eher geeignet ist der Einsatz von Six Sigma. Das Six Sigma-Vorgehen zeichnet sich durch eine sehr starke Projektorientierung mit vorgegebenem Ablauf aus. Im Rahmen des Projekts liegt der Fokus auf der Analyse der Problemstellung. Dies führt wiederum zum Einsatz vieler komplexer Methoden und Werkzeuge und zu einer Standardisierung des Vorgehens. Generell ist von eher langen Projektlaufzeiten auszugehen. Six Sigma eignet sich für Problemstellungen, deren Ursachen insgesamt schwierig zu finden sind, und die z.T. mit relativ einfachen statistischen Verfahren, bei einigen Analysen aber auch mit anspruchsvolleren statistischen Methoden gelöst bzw. beseitigt werden können. Dabei werden immer 2 Steuerungs- und Ergebnisgrößen gemessen, nämlich zum einen der Net Benefit als ökonomischer Ertrag des Projektes und zum anderen der Six Sigma-Wert als qualitätsbezogene Ausbeute des Prozesses in Form von Gutteilen. Das Lean-Vorgehen ist weniger auf die tiefgreifende Analyse einzelner Sachverhalte/ Prozesse ausgelegt. Damit eignet es sich für weniger komplexe Problemstellungen, welche ein geringeres systematisches Vorgehen bedingen. Der Fokus liegt auf der Implementierung von Verbesserungen, wie die zahlreichen Methoden aus diesem Bereich aufzeigen. Während das Lean-Konzept nach der Implementierungsphase von einer kontinuierlichen Verbesserung in kleinen Schritten ausgeht, ist Six Sigma als Problemlösungsmethodik zu verstehen, die unter Umständen auch größere Schritte und Veränderungen in einem Projekt beinhaltet. Dies bedeutet im Ergebnis, dass Lean Management als Verbesserungskonzept von vornherein stärker handlungsorientiert ausgerichtet ist. Six Sigma strebt hingegen durch die standardisierte Vorgehensweise im DMAIC-Zyklus vor allem in der Analyse-Phase einen erkenntnisorientierten Informationszugewinn an. Er ist z.B. im Rahmen von Regressionsanalysen auf der Basis der Funktionsgleichung y = f(x) darauf ausgerichtet, bisher verborgene Ursachen von Qualitätsproblemen mit dieser statistischen Methode zu erkennen und dann auch zunächst über Simulationen mögliche Lösungskonzepte statistisch auszutesten. Beide Konzepte sind aber grundsätzlich umsetzungsorientiert und streben konkrete Verbesserungen an. Der Weg dorthin ist bei Six Sigma allerdings länger und nicht selten auch – methodisch – beschwerlicher respektive anspruchsvoller als bei Lean Management. Diese Analyseergebnisse untermauern die im Einführungsartikel vorgeschlagene Vorgehensweise und Reihenfolge, nämlich immer zuerst Wertschöpfungsprozesse mit Lean Management-Methoden von Verschwendung „zu bereinigen“ und
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Kombination von Lean Management und Six Sigma
dann hartnäckige „Variationsprobleme“ unzureichender Qualität mit Six SigmaProjekten anzugehen.
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Abb. 17: Bewertung des isolierten Einsatzes von Lean Management und Six Sigma
4
Kombination von Lean Management und Six Sigma
Im Folgenden werden – auf der Basis der bisherigen Ausführungen – 3 Möglichkeiten der Kombination von Lean Management und Six Sigma ausgeführt. Von der Logik der bisherigen Analyseergebnisse her sind dies: 1. Die Strategie, den aufwändigen Six Sigma-Projektmanagementprozess mit dem Gedankengut und den Methoden des Lean Managements schlanker zu machen 2. Lean Management gezielt durch Six Sigma-Projekte zu ergänzen 3. Beide Konzepte ganzheitlich in zweckmäßiger Bearbeitungsfolge und in leistungsfähigem Ausmaß inhaltlich untereinander zu vernetzen. Die 1. Alternative fokussiert also immer auf Six Sigma und macht den Projektdurchführungsprozess schlanker und damit effizienter, aber nicht unbedingt effektiver. Mit anderen Worten kann das Wirkungs- und Ergebnisniveau hierunter leiden.
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Die 2. und 3. Alternative streben eine Strategie der Koordination und der Integration an. Bei der 2. Alternative folgt Six Sigma auf Lean Management, wobei beide Konzepte weiterhin nebeneinander bestehen. Bei der 3. Alternative ist Lean Management Bestandteil der Six Sigma-Umsetzung, wobei i.d.R. immer zuerst Lean Management-Aktivitäten durchgeführt werden, um mit Six Sigma auf schlanken Prozessen aufzusetzen. Six Sigma selbst soll dann ebenfalls als LeanProzess durchgeführt werden. Beabsichtigt ist damit eine stufenweise Integration der beiden Methoden. 4.1
Six Sigma-Projektmanagement lean machen
Dieser Ansatz von Lean Six Sigma wird ausführlich im Beitrag von Günther/ Garzinsky im Kapitel B beleuchtet. Hier geht es um die Frage, wie der StandardDMAIC-Zyklus schlank, d.h. lean, gemacht werden kann. In Abbildung 18 ist ein schlanker DMAIC-Zyklus mit reduziertem Methodeneinsatz zu sehen, der innerhalb von fünf Tagen durchgeführt werden kann. 1. Tag
Define
2. Tag
• Projekt Charter
5. Tag
Measure
• SIPOC-Analyse
Control
• VOC-CTQ-Analyse
• Value Stream Mapping:
• Monitoring & Controlling:
- Material- und Informationsfluss darstellen (Ist-Zustand) - Bestände aufnehmen - Durchlaufzeiten messen - Kapazitäten bestimmen - Kosten kalkulieren
- Verbesserungen verifizieren - Neuen Prozess dokumentieren - Lessons Learned dokumentieren - KVP-Prozess einleiten 4. Tag
3. Tag
Improve
Analyse
• Value Stream Design:
• Wertschöpfungsanalyse:
- Lösungen für die Umsetzung generieren - Arbeitsabläufe/ -strukturen entsprechend Soll-Konzept verändern - IT-Steuerung entsprechend Soll-Konzept verändern - Mitarbeiter informieren u. ggf. qualifizieren
- Wertschöpfungsgebirge darstellen - Engpässe, Verschwendung etc. identifizieren - Material- und Informationsfluss optimieren (Soll-Zustand) - Verbesserungen vor Implementierung simulieren (wenn möglich) © Prof. Dr. Armin Töpfer
Abb. 18: M+M Lean DMAIC in 5 Tagen
Wie nachvollziehbar ist, konzentriert sich der Einsatz der Lean ManagementMethoden auf drei Phasen des DMAIC-Zyklus, nämlich auf die Schritte Measure, Analyse und Improve. Dort steht jeweils der Wertschöpfungsprozess im Zentrum der Optimierung.
Kombination von Lean Management und Six Sigma
4.2
59
Lean Management punktuell durch Six Sigma-Projekte ergänzen
Dieser Ansatz basiert auf der primären Umsetzung von Lean Management mit Lean Thinking und Lean Production. Auf der Grundlage der Anwendung einschlägiger Lean-Methoden, z.B. Wertstromdesign, werden die Prozesse im Unternehmen ganzheitlich analysiert und optimiert. Für die Beseitigung von hartnäckigen Fehlern in Prozessen/ Produkten, die einer tiefgründigeren Problemanalyse bedürfen, werden einzelne, punktuelle Six Sigma-Projekte durchgeführt. Lean Management und Six Sigma bleiben im Unternehmen mit den in Abbildung 19 aufgeführten Eigenschaften als eigenständige Konzepte erhalten. Lean Management
Six Sigma Ziele und Ansatz
Setzt an allen Prozessen im Unternehmen an: • Nicht-wertschöpfende Aktivitäten identifizieren und reduzieren • Prozesse verschlanken und standardisieren • Verzögerungen beseitigen und dadurch Durchlaufzeiten deutlich verkürzen • Lagerhaltung stark reduzieren • Verschwendung als Wertverlust beseitigen
Setzt selektiv an ausgewählten Prozessen/ Prozessteilen im Unternehmen an: • Variation als Fehler und Wertverlust eliminieren • Kostentreiber ausmerzen • Kundenanforderungen (CTQs) durch Einhaltung von Standards möglichst vollständig erfüllen • Gleichzeitig eine hohe Wirtschaftlichkeit durch den realisierten Net Benefit erreichen
Philosophie und Ergebnis • Entdecken und Beseitigen der „Hidden Factory“ • Null-Fehler-Qualität, höhere Kundenzufriedenheit und monetärer Effekt sind erwünschte Folgen
• Realisiertes Qualitätsniveau signifikant steigern in Richtung Null-Fehler-Qualität • Kundenzufriedenheit und -bindung wesentlich erhöhen • Wertsteigerung für das Unternehmen realisieren
Ablauf und Instrumente • Just-in-Time, Just-in-Sequence und Kanban • Wertstromanalyse und -design
• DMAIC- und DMADV-Zyklus mit integrierten QMInstrumenten
Abb. 19: Lean Management und Six Sigma als eigenständige Konzepte
4.3
Durch integriertes Lean Six Sigma besser und schneller werden
Dieser Ansatz ist in der Unternehmenspraxis am weitesten verbreitet. Lean Management und Six Sigma werden in dieser Reihenfolge zu einem Gesamtkonzept verschmolzen. Im Unternehmen werden sowohl Lean Management-Aktivitäten als auch Six Sigma-Projekte durchgeführt. Voraussetzung hierfür ist ein strukturierter Projektauswahlprozess, im Rahmen dessen eindeutig festgelegt wird, welches Problem mit welchem Ansatz angegangen wird. Gleichzeitig wird der in Abschnitt 4.1 aufgezeigte Ansatz verfolgt: Nach einer Prozessverschlankung und Ausmerzung von Verschwendung durch Lean Management im Sinne von Basisverbesserungen werden bestimmte Probleme mit einem möglichst schlanken DMAICZyklus, der in kurzer Zeit anwendbar ist, gelöst. Abbildung 20 zeigt dieses vernetzte Prozessschema der Konzepte.
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1.
Lean Management: Prozesse ganzheitlich analysieren, gestalten und optimieren
2.
Six Sigma: Gravierende Fehler in Prozessen/ Produkten erkennen und ausmerzen
3.
KVP: Kontinuierliche Verbesserung aller Prozesse und Produkte/ Kaizen
Basisverbesserungen
Feintuning
Abb. 20: Verbesserungen in 3 Stufen
Als Konsequenz und Folge werden bei beiden Konzepten kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) zur Optimierung der Wertströme und der geschaffenen Wertschöpfung in Form eines Feintuning eingeleitet, wie sie als Kaizen-Aktivitäten originär im Rahmen der Philosophie des Lean Management entwickelt wurden. In Abbildung 21 sind die Säulen dieses Lean Six Sigma-Ansatzes noch einmal verdeutlicht. Was gehört dazu? Lean Management o Wertstromanalyse/ -design o Einfache Lean-Methoden (Ishikawa, 5W, Poka Yoke, Kanban)
Was gehört nicht dazu? o Risikomanagement o Prozesskostenrechnung
o Kaizen/ Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) Six Sigma o Systematische Methodik (DMAIC, DMADV) lean gemacht o Projekt- und Prozessmanagement o Toolbox (Prozessanalyse, Problemlösung, Statistik) o Philosophie, Kultur der Null-Fehler-Qualität „The way we work“
Abb. 21: Säulen des integrierten Lean Six Sigma-Ansatzes
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Wirkungen und Ergebnisse von Lean Six Sigma
Die Wirkungsmechanismen von Lean Six Sigma sind zusammenfassend in Abbildung 22 dargestellt. Den größten und vor allem zeitlich allen Wertschöpfungsprozessen vorgelagerten Hebel zur Verbesserung der Wertschöpfungskette im Unternehmen bilden die Aktivitäten im F&E-Bereich. Durch die Implementierung eines systematischen Produktentstehungsprozesses (PEP), der umfassender ist als der eigentliche Produktentwicklungsprozess, werden innovative und robuste, d.h. fehlerarme, Produkte und Prozesse entwickelt und für die Vermarktung bereitgestellt. Einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Robustheit und Fehlerfreiheit der neu entwickelten Produkte und Prozesse liefert dabei das Design for Six Sigma-Konzept (DFSS). Es ist auf Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess ausgerichtet. Zusätzlich werden Produkt-/ Prozessinnovationen gefördert, wenn im Rahmen des DFSS-Zyklus kreative und/ oder widerspruchsorientierte Problemlösungstechniken, z.B. TRIZ, zum Einsatz kommen. Prozessinnovation
Prozess-Management Wertstrom-Management
Innovation • Produkte • Prozesse
Durchlaufzeiten
Liefertreue
Fehlerkosten
Wertschöpfung
Qualität
Kundenzufriedenheit
Unternehmenswert
Kostenniveau
Null-Fehler-Management Design for Six Sigma
Six Sigma Initiative
Abb. 22: Wirkungsmechanismen von Lean Six Sigma
Wie in Abbildung 22 durch Hochspannungspfeile angedeutet ist, besteht zwischen Innovation und Qualität im Allgemeinen der einführend bereits angesprochene Trade-off. Dieser Prozess mit entgegengesetzten Wirkungen führt dazu, dass insbesondere innovative Produkte/ Prozesse – vor allem in der Anfangszeit des Produktlebenszyklus – auch in höherem Maße fehlerbehaftet sein können. Dies ist in der Praxis unter dem Stichwort „Kinderkrankheiten von Neuprodukten“ bekannt.
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Im Kern des Ursachen-Wirkungs-Schemas in Abbildung 22 geht es dann um die Optimierung des „Magischen Dreiecks“ der Betriebswirtschaftslehre – Qualität, Zeit und Kosten, und zwar durch eine Art „Zangengriff“: Wie in der Abbildung ersichtlich, setzt von oben Lean Management mit dem Fokus auf Prozess-/ Wertstrom-Management an. Von unten greift Six Sigma mit dem Ziel praktikabler Null-Fehler-Qualität an. Sowohl die Qualitätssteigerungen durch Six Sigma als auch die Durchlaufzeitreduzierungen durch Lean Management wirken sich positiv auf die Kostensituation des Unternehmens aus, weil dadurch das Kostenniveau gesenkt werden kann. Durch die Beseitigung von Fehl-/ Blindleistungen in den Prozessen sinken unmittelbar die Fehlerkosten; gleichzeitig erhöht sich die Wertschöpfung, und die Liefertreue nimmt ebenfalls zu. Das positive Ergebnis des integrierten Einsatzes von Design for Six Sigma, Six Sigma und Lean Management ist auf Kunden- und Unternehmensseite gleichermaßen spürbar: Innovative sowie fehlerfreie Prozesse und Produkte führen – über die skizzierten Ursachen-Wirkungs-Beziehungen – zu einer Steigerung der Kundenzufriedenheit und -bindung. Dies wirkt sich positiv auf den Unternehmenswert aus.
6
Stolpersteine und Umsetzungsfallen von Lean Six Sigma
Im Folgenden werden 7 typische Missverständnisse und damit Umsetzungsfallen einer Kombination von Lean Management und Six Sigma kurz angesprochen: 1. Lean Six Sigma bedeutet vor allem, das Six Sigma-Konzept so zu verschlanken, dass es in jedem Unternehmen schnell und kostengünstig einsetzbar ist. Dies wird nicht funktionieren, denn sowohl bei Lean Management als auch erst recht bei Six Sigma ist ein nicht unerheblicher Ressourcenaufwand bezogen auf Qualifizierung, Personaleinsatz und damit vor allem Zeitaufwand zu veranschlagen. Six Sigma ist auch als Lean Six Sigma in einer schlanken Version eine strategische Investition, die es zu budgetieren gilt, die sich aber über die Projekte relativ schnell amortisiert. Ein Vorlauf-Aufwand ist jedoch unerlässlich. 2. Bei Lean Six Sigma handelt es sich um eine Modeerscheinung und kein nachhaltiges Managementkonzept. Es wird vor allem von einschlägigen Beratungsunternehmen propagiert, ohne einen wirklichen Zusatznutzen zu schaffen. Dies ist nicht vollkommen zutreffend, aber es ist auch nicht völlig falsch. Als realistische Balance lässt sich Folgendes festhalten: Lean Six Sigma transportiert einen grundsätzlichen Nutzen durch Six Sigma Projekte und einen zusätzlichen Nutzen durch die Kombination mit Lean Management und/ oder durch eine schlanke Variante von Six Sigma. Wenn diese Konzepte von qualifizierten Beratungsunternehmen angeboten werden, dann kann so fundiertes Expertenwissen, vor allem auch branchenübergreifend abgesichert, preiswürdig genutzt werden.
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3. Die Implementierung von Lean Six Sigma erfordert immer die folgende Vorgehensweise: (1) Lean Management, dann (2) Six Sigma. Grundsätzlich ist diese Reihenfolge für Unternehmen empfehlenswert, die bislang über keines der beiden Konzepte verfügen, wie z.B. Xerox vor der Einführung von Lean Six Sigma. In der Unternehmenspraxis kann aber auch die umgekehrte Implementierungsreihenfolge vorgefunden werden, z.B. bei General Electric. Im Allgemeinen ist dies eine Frage des ersten Einführungszeitpunktes eines Konzeptes. Beide Konzept-Reihenfolgen können erfolgreich sein. Dies hängt maßgeblich von der Koordination und dem Nachdruck bei der Umsetzung ab. 4. Lean Management ist immer auf die Reduzierung der Durchlaufzeit und Six Sigma immer auf die Erhöhung des Qualitätsniveaus ausgerichtet. Dies ist vordergründig richtig, beide Konzepte unterstützen jedoch gemeinsam das Ziel, eine praktikable Null-Fehler-Qualität im gesamten Unternehmen zu erreichen. Lean Management setzt dabei primär an der Vermeidung von Ressourcenverschwendung und an der Reduzierung der Durchlaufzeiten an. Eine verbesserte Qualität ist dann eine wesentliche Folgewirkung, aber zunächst kein originär formuliertes Ziel des Konzeptes. Die Reduzierung der Ressourcenverschwendung durch eine Verbesserung der ganzheitlichen Qualität bewirkt zusätzlich auch eine Senkung der Fehlerkosten in den Prozessen. Six Sigma strebt über die Beseitigung von Abweichungen und damit den Abbau von Fehlerkosten primär die Erhöhung der Qualität in Richtung definierter und praktikabler Null-Fehler-Qualität an. Dadurch werden zugleich aber auch Ressourcen geschont, weil Verschwendung vermieden wird und Durchlaufzeiten verkürzt werden. Genau hierdurch schließt sich der Kreis zwischen beiden Konzepten, die aus unterschiedlichen Blickrichtungen und Ansätzen einen weitgehend gleichen Managementverbesserungsprozess mit zum Teil verschiedenen Schwerpunkten in Gang setzen. Das Ziel einer Kombination beider Konzepte sind also schlanke, schnelle und verschwendungsfreie Prozesse, mit denen qualitativ hochwertige – da stark auf den Kundennutzen ausgerichtete – und fehlerarme Produkte oder Dienstleistungen als Wertschöpfungsergebnisse geschaffen werden. 5. Lean Management-Methoden sind durchweg einfach anwendbar und deshalb schnell implementierbar. Im Vergleich zu Six Sigma ist diese Aussage richtig. Jedoch ist zu beachten, dass sich die volle Wirkung der Methoden nur im Zusammenhang mit einem durchgängigen Lean Thinking im gesamten Unternehmen entfaltet. Dies bedeutet, dass alle an der Wertschöpfung beteiligten Akteure diese Philosophie verstanden haben und das hieraus abgeleitete Konzept umsetzen wollen. Dadurch ist jeder Lean Management-Ansatz ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess unter Einbeziehung aller Mitarbeiter des entsprechenden Prozesses respektive Bereiches des Unternehmens mit sich wiederholenden und vertiefenden Verbesserungsschleifen. Fehlt diese „Durchsetzung“ mit dem Lean-Gedankengut in der Organisation, dann hat der Verbesserungsprozess keine Traktion und damit keine Wirkung. 6. Lean Six Sigma bezieht sich in erster Linie auf die Verbesserung von bestehenden Prozessen. Dies ist grundsätzlich richtig. Zusätzlich ist in jedem Unternehmen aber auch die Umsetzung einer Lean Six Sigma-Philosophie im F&E-
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Bereich empfehlenswert. Denn durch die frühzeitige Verschlankung und Optimierung des Produktentstehungsprozesses (PEP) wird ein stärkerer Fokus auf die Ideenfindung, Entwicklung und Umsetzung von Innovationen gelegt und neue Marktchancen können durch Produkte mit einem hohen Kundennutzen, also umfassend realisierten CTQs, in einer verkürzten Time to Market schneller und besser ausgenutzt werden. Wird diese Vorgehensweise durch Design for Six Sigma (DFSS) ergänzt, dann werden genau die vorstehend angesprochenen Aspekte und Anforderungen einer hohen und fehlerfreien Kundenorientierung der Prozesse und Produkte realisiert. 7. Wenn man Lean Six Sigma als Integration von Lean Management, Six Sigma und z.T. DFSS versteht, dann ist die Ausbildung von Experten, also zumindest Green Belts, häufiger auch Black Belts, mit sehr hohem Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Darunter leidet am Ende die Wirtschaftlichkeit des Konzeptes. Das Argument des erforderlichen Aufwandes im Vorlauf ist nicht von der Hand zu weisen. Wir haben dies bereits beim 1. Stolperstein bzw. Missverständnis angesprochen. Die meisten Unternehmen starten eine derartige Lean Six Sigma-Initiative heute jedoch nicht als vorlaufende Aktivität mit einer breiten Qualifizierungskampagne. Vielmehr wird ein Ansatz des Learning by doing favorisiert. Dies bedeutet, dass entweder bereits Lean Management oder Six Sigma zumindest in Ansätzen praktiziert wird und dann mit der Kombination in Form der vorgestellten koordinierten oder integrierten Konzeption beider Methoden fortgefahren werden kann. Oder aber Lean Six Sigma wird ohne Vorerfahrung gestartet; dann sollte dies jedoch mit externer Unterstützung beginnen. Dabei empfiehlt es sich, die Reihenfolge – Verschlankung der Prozesse durch Lean-Aktivitäten und Verbesserung des Prozessniveaus durch Six Sigma-Aktivitäten – einzuhalten. Im Zuge der Lean Management-Kampagne und im Rahmen der Six Sigma-Projekte kann dann eine Fokusgruppe von internen Experten durch ergänzende Qualifizierungsmaßnahmen herangebildet werden. Die Verbesserungen durch Prozessverschlankungen und Ergebnisoptimierungen führen zu Einsparungen, welche die entstehenden Qualifizierungskosten um ein Mehrfaches überdecken.
7
Quintessenz
Was lässt sich abschließend als grundlegende Erkenntnisse festhalten, welche wesentlichen Phasen zu durchlaufen und welche Inhalte zu erfüllen sind, um bei der Einführung einer Initiative in Richtung Lean Management, also der Gestaltung einer schlanken Prozesslandschaft, oder in Richtung Six Sigma, also der Umsetzung praktikabler Null-Fehler-Qualität, erfolgreich zu sein? In Abbildung 23 ist ein vereinfachtes Prozessschema dargestellt, das gleichermaßen auch für die Kombination oder Integration der beiden Konzepte gilt. Wie immer bei derartigen Vorhaben muss die Initiative und Verpflichtung von der Unternehmensleitung ausgehen und alle Führungsebenen kaskadenförmig erreichen und inhaltlich einbeziehen (1). Der Grundsatz heißt: Vormachen und Vor-
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leben schaffen Vertrauen und Handlungsdruck. Dies ist die Grundlage für das Verständnis und eine positive Einstellung bei den Akteuren (2a), die nur einen Teil der Mitarbeiter oder alle Beschäftigten umfassen können. Eng damit verbunden und in der Abfolge variabel ist die Auswahl der einbezogenen Bereiche sowie der vorgesehenen Projekte im Unternehmen (2b). 4a
2b Auswahl der einbezogenen Bereiche/ Projekte
Zeit- und Ressourcenbedarf für Projektdurchführung 3a Organisation/ Teamstruktur
5
1
Commitment der Unternehmensleitung und des Managements
3b
Projektnutzen/ Ergebnisberechnung/ Net Benefit
Qualifizierung des Teams/ der Mitarbeiter 2a Verständnis/ Einstellung der Akteure/ der Mitarbeiter
4b Messphasen
Abb. 23: Wesentliche Bausteine bei der Umsetzung von schlanken Prozessen und fehlerfreier Qualität im Unternehmen
Das Schaffen einer positiven Motivation sowie die Definition der betroffenen Bereiche und der zu lösenden Problemstellungen bestimmen einerseits das Ausmaß und den Grad der notwendigen Organisation und Teamstrukturen (3a). Andererseits wird hierdurch auch die erforderliche Qualifizierung sowie damit die Wissensvermittlung und der angestrebte Erfahrungsaustausch der einzelnen Teams oder aller Mitarbeiter (3b) determiniert. Sowohl bei der Einführung schlanker Prozesse als auch bei der Umsetzung von Null-Fehler-Qualität sind in regelmäßigen Abständen Messungen der zugrunde gelegten Steuerungskriterien (4b) durchzuführen. Dies gilt bei beiden Konzepten für definierte Projektaktivitäten (4a) mit einem bestimmten Zeit- und Ressourcenbedarf, aber generell auch danach, zur Absicherung des erreichten Steuerungsniveaus. Die Analysen der Ergebnisberechnung als Projektnutzen und Net Benefit (5), also in Form von nicht-monetären Wirkungen, wie z.B. höhere Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, und von erreichten Zeit- und Kosteneinsparungen oder auch realisierten Umsatz- und Ertragssteigerungen, sind auch an die Mitarbeiter zurückzukoppeln; in fortschrittlichen Unternehmen werden sie am zusätzlich erwirtschafteten höheren Erfolg beteiligt. Alle diese Phasen für eine erfolgreiche Einführung und Umsetzung schaffen und verstärken die Unternehmenskultur in Richtung schlanker Prozesse und fehlerfreier Qualität.
66
Armin Töpfer
8
Literatur
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Kombination von Lean Management und Six Sigma
67
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Design for Six Sigma: Schlanke Produktentwicklung mit dem Ziel wirtschaftlicher Null-FehlerQualität in Produktion und Vermarktung Armin Töpfer, Swen Günther Inhalt 1 1.1 1.2 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3 3.1 3.2 3.3 4 4.1 4.2 5
1
Gründe und Ziele von Design for Six Sigma (DFSS) ................................69 Six Sigma oder Design for Six Sigma? ......................................................70 DMAIC-Zyklus oder DMADV-Zyklus?....................................................75 DMADV-Zyklus als strukturierte Vorgehensweise im Produktentstehungsprozess (PEP)..............................................................77 Define-Phase ..............................................................................................78 Measure-Phase ...........................................................................................79 Analyse-Phase ............................................................................................81 Design-Phase..............................................................................................83 Verify-Phase...............................................................................................85 Erzielbare Wirkungen durch schlanke und wirtschaftliche Null-FehlerQualität im Entwicklungsprozess...............................................................86 Förderung von Innovationen in der Produktentwicklung...........................86 Senkung von Qualitätskosten in der Produktion und dem Vertrieb ...........87 Erhöhung des Wertbeitrages (EVA) für das Unternehmen ........................89 Einführungsanforderungen von DFSS im Zusammenhang mit Lean Six Sigma .........................................................................................................91 Strukturierter Projektauswahlprozess.........................................................91 Spezifische Qualifizierung der Akteure .....................................................93 Literatur......................................................................................................95
Gründe und Ziele von Design for Six Sigma (DFSS)
Das vordergründige Ziel von Design for Six Sigma besteht in einer schlanken Produktentwicklung, im Rahmen derer eine wirtschaftliche Null-Fehler-Qualität in Produktion und Vermarktung als Ergebnis erreicht wird. In diesem Kapitel geht es zunächst um die Abgrenzung von Six Sigma und DFSS sowie um die Unterschiede/ Gemeinsamkeiten der relevanten Problemlösungszyklen. Die folgenden zwei Fragen unterstreichen plakativ diese inhaltliche Ausrichtung: 1. Six Sigma oder Design for Six Sigma? 2. DMAIC-Zyklus oder DMADV-Zyklus?
70
1.1
Armin Töpfer, Swen Günther
Six Sigma oder Design for Six Sigma?
In der Unternehmenspraxis hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Fehler und Versäumnisse in der Produktentwicklung ein Unternehmen in den anschließenden Wertschöpfungsphasen der Produktion und der Vermarktung einschließlich der Aktivitäten im technischen Service und in der Garantie/Kulanz teuer zu stehen kommen können. Die Beschaffung kann zusätzlich in der Weise tangiert sein, dass ein geringerer Anteil an standardisierten Vorprodukten und an Gleichteilen die Fehlerkosten und insgesamt die Herstellkosten erhöht. In der Produktion können durch eine „intelligente“ Entwicklung des Produktes Kosten dadurch gespart werden, dass Bauteile im Sinne von Design for Manufacturing and Assembly (DFMA) eingespart, vereinfacht und montagefreundlich gemacht werden. In der Servicephase können Defizite der Entwicklung sich dann in erhöhten Servicekosten auswirken, wenn das Produkt wenig servicefreundlich gestaltet ist, also die notwendigen Wartungs- bzw. Reparaturarbeiten aufgrund einer schlechten Konfiguration des Produktes einen zu hohen Demontage- und erneuten Montageaufwand erfordert. Dies entspricht der bekannten „Zehnerregel“ des Qualitätsmanagements, dass sich also Defizite und Versäumnisse einer vorgeschalteten Wertschöpfungsphase mit dem Faktor 10 in Fehlerkosten auf jeder nachfolgenden Wertschöpfungsphase auswirken (vgl. Pfeifer 1996, S. 11). In Abbildung 1 sind diese Zusammenhänge vereinfacht dargestellt.
Möglichkeit, um Qualität zu beeinflussen
Kosten, um Qualität zu beeinflussen
Spektrum der Qualitätsbeeinflussung
Spektrum der Qualitätskosten
Idee
Planung Entwicklung Produktion Wartung - Produktentstehung und -verwendung -
Reparatur
Frühe Qualitätsorientierung senkt Kosten
Abb. 1: Spektrum der Qualitäts- und Fehlerkosten
Die Erkenntnis dieser Sachverhalte besagt, dass – entsprechend den Kosten der Übereinstimmung – in einer frühen Phase des Produktlebenszyklus alle Qualitätskosten eine Investition sind mit dem Ziel, Fehlerprävention zu betreiben und damit
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
71
zukünftige Fehlerkosten zu vermeiden bzw. gering zu halten. Die umgekehrte Sichtweise führt zu dem Ergebnis, dass hohe Kosten der Abweichung dann entstehen, wenn nicht frühzeitig in die Qualität von Produkten und Prozessen investiert wurde und deshalb in späteren Wertschöpfungsphasen kumulierte Fehlerkosten in Kauf genommen werden müssen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, wie hoch die Kosten der einzelnen Wertschöpfungsphasen sind und wie groß ihr Einfluss auf die Kosten im gesamten Lebenszyklus des Produktes ist. Wenn hierbei, wie Abbildung 2 erkennen lässt, ein Missverhältnis vorliegt, dann ist dies ein gezielter Ansatzpunkt für konkrete Verbesserungen. In der Entwicklungsphase besteht demnach das größte Missverhältnis, da 5% der effektiven, also tatsächlichen Kosten bis zu 70% der Gesamtkosten beeinflussen respektive festschreiben können. Ein schlechtes technisches Design des Produktes und ein unzureichender Design- bzw. Entwicklungsprozess können diese hohen Auswirkungen auf die Gesamtkosten verursachen. Genau hier besteht der Ansatzpunkt für Design for Six Sigma (DFSS).
Anteil an Gesamtkosten Effektive Kosten der Phasen
30%
15%
Verwaltung
5% 5% 20%
Personal
Material
Einfluss auf die Kosten im Lebenszyklus des Produktes
70%
50%
5%
Design/ Entwicklung
Bei Bei Design/ Entwicklung: Entwicklung: Geringer Geringer Kostenanteil Kostenanteil versus versus hohe hohe Kostenauswirkung Kostenauswirkung Quelle: Harry/Schroeder 2000, S. 153
Abb. 2: Einfluss von Design/ Entwicklung auf die Gesamtkosten
Aus diesem Grund kommt es also darauf an, sowohl aus Unternehmens- als auch Kundensicht die jeweiligen Total Cost of Ownership zu analysieren (vgl. Töpfer/ Heidig 2008, S. 593). Aus Unternehmenssicht ist dies vor allem ein gutes Lieferantenmanagement mit Einsparungen bei Materialien und Lieferanten. Aus Kundensicht sind es über die damit verbundenen Preiswirkungen hinaus potenziell überhöhte Kosten der Nutzung und Wartung aufgrund von Versäumnissen in der
72
Armin Töpfer, Swen Günther
Produktentwicklung. Diese hohen und damit nicht wettbewerbsfähigen Kosten respektive Preise aufgrund unwirtschaftlicher und wenig wirkungsvoller Prozesse und Produkte können sich dann zusätzlich in Kundenabwanderung negativ auswirken. Hierdurch wird unmittelbar auch die Unternehmenssicht tangiert. In der Produktentwicklung und in der Produktion sind also schlanke Prozesse mit dem Ziel wirtschaftlich erzeugter Null-Fehler-Qualität umzusetzen. Deshalb gilt es gerade bei komplexen Produkten, wie z.B. Automobilen, Computern oder Handys, Qualität von Beginn an „hineinzuentwickeln“ und Maßnahmen zur Fehlervermeidung so früh wie möglich zu ergreifen. Entsprechendes gilt auch für Dienstleistungsprodukte: Wenn z.B. eine Telefongesellschaft auf der Basis unterschiedlicher Nutzungszeiten und Kundengruppen eine Vielzahl von Tarifen anbietet, dann führt diese Komplexität unweigerlich zu Problemen und Fehlern in der Erfassung und Abrechnung. Die Folge sind unzufriedene Kunden. Werden hingegen nur ein oder zwei Tarife angeboten, dann sind die Gebührenerfassung und -abrechnung deutlich einfacher zu handhaben. Einfachere Hard- und Software sowie weniger Fehlermöglichkeiten gehen einher mit einer höheren Transparenz, was insgesamt die Kundenzufriedenheit steigert. Dies kann zwar einer Unternehmenspolitik zuwider laufen, die auf Verschleierung und Intransparenz der Kundentarife ausgerichtet ist. Wie Beispiele aus dem Telekommunikationsbereich zeigen, zahlt sich längerfristig eine höhere Transparenz aber sowohl für die Kunden als auch für die Unternehmen aus, und zwar deshalb, weil der Wettbewerb dieses Defizit der Intransparenz thematisiert und für sich ausnutzt. Der Kunde profitiert im Ergebnis von insgesamt günstigeren Tarifen und besserem Service. Analysen in der Unternehmenspraxis haben ergeben, dass die Produktzuverlässigkeit über die Lebenszeit in einer „Badewannenkurve“ verläuft. Abbildung 3 verdeutlicht diesen Sachverhalt. Am Anfang existiert eine erhöhte Fehlerrate aufgrund der „Kinderkrankheiten“ eines Produktes, also nach der Markteinführung auftretenden Problemen und Fehlerkosten, die sowohl in der Entwicklung als auch in der Produktion begründet sein können. Der „Boden der Badewanne“ wird unmittelbar durch Defizite in Form von Design- und Entwicklungsschwächen gebildet. Am Schluss des Produktlebenszyklus erhöhen sich die Produktmängel durch Abnutzungserscheinungen. Die hierbei entstehenden Kosten können nur durch die Auslegung des Produktes für eine definierte Lebenszeit bzw. durch entsprechende Wartungs- und Instandsetzungsaktivitäten beeinflusst werden. Durch die Qualität der Entwicklung werden also die Kosten und die Kundenzufriedenheit im gesamten Lebenszyklus des Produktes geprägt. Dies führt dazu, dass, wie angesprochen, hierdurch unmittelbar eine Förderung oder Beeinträchtigung des Unternehmens im Wettbewerb verursacht wird. Das Ziel besteht darin, die Kosten in den drei Phasen so zu reduzieren, dass – bildlich gesprochen – aus der „Badewanne“ eine „flache Schüssel“ wird. Konkret bedeutet dies, dass sowohl die Fehlerrate nach der Einführung und vor dem Ausmustern des Produktes reduziert wird. Der wichtige Block von Kosten aufgrund der Design- und Entwicklungsschwächen in der Mitte soll ebenfalls verringert werden, und zwar oftmals mit dem Ziel, zugleich den Lebenszyklus des Produktes insgesamt zu verlängern.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
Fehlerrate
I Anfangsausfall (Kinderkrankheiten)
II Weitgehend störungsfreie Nutzung (Arbeitsleben)
73
III Abnutzung (Alterungsprozess)
Lebenszyklus
0
Fehlerrate
Qualitätsschwächen
Ausfall durch Abnutzung Probleme durch Design-/ Entwicklungsschwächen
0
Zeit Quelle: Harry/Lawson 1992, S. 1-4
Abb. 3: Die „Badewannenkurve“ der Produktzuverlässigkeit
Im Ergebnis laufen diese Erkenntnisse darauf hinaus, dass die Funktionsfähigkeit eines Produktes nicht automatisch die Prozessfähigkeit der Produktherstellung bedeutet und umgekehrt. Der entscheidende Ansatzpunkt für Verbesserungen in der Produktentwicklung ist ein robustes Design, das die Grundlage für robuste Produkte und gleichzeitig für robuste Prozesse bildet. „Robust“ steht dabei für eine geringe Ausfallwahrscheinlichkeit von Produkten im Produktlebenszyklus und eine hohe Zuverlässigkeit (Fehlerfreiheit) der zugrunde liegenden Unternehmensprozesse. Die Robustheit von Produkten und Prozessen lässt sich im Unternehmen indirekt, z.B. mit Hilfe von internen/externen Fehlerraten bzw. -quoten, messen. Sie spiegelt sich außerdem im Sigma-Niveau des Outputs von Geschäftsprozessen wider, das – in Abhängigkeit von Unternehmen, Branche und Six Sigma-Erfahrung – zwischen 3 und 6 Sigma liegt. Aus Abbildung 4 ist ersichtlich, dass zum Erreichen eines hohen Sigma-Niveaus der Einsatz traditioneller QM-Methoden auch in Verbindung mit Six SigmaProjekten im Allgemeinen nicht ausreicht. In Höhe eines „5-Sigma-Niveaus“ existiert die so genannte „5-Sigma-Wand“. Six Sigma-Projekte in verschiedenen Unternehmen haben gezeigt, dass ein Sigma-Niveau zwischen 4 und 5 in einem relativ kurzen Zeitraum von 2 bis 3 Jahren erreichbar ist. Im Vergleich hierzu ist es deutlich schwieriger, die „5-Sigma-Wand“ nach oben hin zu durchbrechen. Wenn die Verbesserungen in anderen Wertschöpfungsphasen bereits umgesetzt wurden, dann ist das Qualitätsniveau in Höhe von 6 Sigma i.d.R. nur über Six Sigma konforme F&E-Prozesse zu realisieren und dies heißt mit DFSS.
74
Armin Töpfer, Swen Günther
6
Sigma-Niveau
Mit Design For Six Sigma Die 5-Sigma-Wand
5
Mit traditionellen Six-Sigma-Methoden
4
3
1
2
Zeit
3
4
Jahre
Quelle: Six Sigma Exchange Newsletter, 12/2000, S. 6
Abb. 4: Überwindung der 5-Sigma-Wand mit Hilfe von DFSS
Ziel von Design for Six Sigma ist es, Neuprodukte so zu entwickeln bzw. zu konstruieren, dass möglichst wenige Abweichungen in Form von Fehlern und Fehlerkosten auftreten. Ursächlich hierfür sind zum einen schlanke und damit robuste Prozesse in der Entwicklung und Produktion, die nur zu einer geringen Verschwendung führen. Zum anderen gehen hiervon oftmals auch weniger und geringere Abweichungen, also Fehler, aus. Wie oben angesprochen, zählt zu den Fehlerkosten sowohl das Auftreten und Beseitigen von Fehlern im Unternehmen (intern) als auch das Beheben von Fehlern beim Kunden in der Nutzungsphase (extern). DFSS steht damit für ein proaktives Qualitätsmanagement, das die Qualitätssicherungsaktivitäten in Produktion und Absatz auf ein Mindestmaß reduziert. Durch den Charakter eines längerfristigen Hebels wird gleichzeitig die Notwendigkeit und Anzahl von Six SigmaProjekten in den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen minimiert. Während in der Entwicklung mit der DFSS-Philosophie Fehler mit relativ geringem Aufwand vermieden bzw. beseitigt werden können, stellen Six Sigma-Projekte in den folgenden Wertschöpfungsphasen eine i.d.R. kostenintensivere Variante der Fehlerbeseitigung dar. In Form eines reaktiven Qualitätsmanagements unterstützen sie die kurzfristige „Reparatur“ und Verbesserung von Prozessen und Abläufen im Unternehmen. Die wesentlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von DFSS und Six Sigma (-Projekten) sind in Abbildung 5 wiedergegeben.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
75
Design for Six Sigma (DFSS) • • • •
Konzentriert auf (Neu-)Entwicklung von Produkten/ Prozessen sowie Material/ Teile Optimales Design = Robustes Design als Innovation Erfüllen aller wesentlichen Kundenanforderungen (CTQs) Vermeiden von ungewollten Folgekosten vor allem in der Produktion durch schlanke Prozesse ohne Verschwendung und Abweichung; hier also direkter Bezug zu (Lean) Six Sigma
(Lean) Six Sigma • • • •
Konzentriert auf Analyse + Verbesserung von Prozessen/ Abläufen Optimierung von Produktion/ Wertschöpfung Vollständige und wirtschaftliche Erfüllung der internen Unternehmensanforderungen und externen Kundenanforderungen Vermeiden von Abweichungen/ Fehlerkosten in Prozessen sowie Eliminieren von Verschwendung (Muda)
Abb. 5: Gegenüberstellung von Design for Six Sigma und (Lean) Six Sigma
1.2
DMAIC-Zyklus oder DMADV-Zyklus?
Alle Unternehmen, die sich für die Einführung von Six Sigma entscheiden, beginnen mit dem Training und der Anwendung des DMAIC-Zyklus (Define, Measure, Analyse, Improve, Control), um zunächst die bestehenden Prozesse zu verbessern (vgl. Töpfer 2007c, S. 217). Verläuft die Implementierung von Six Sigma erfolgreich, wird i.d.R. spätestens nach 2 Jahren auf Design for Six Sigma (DFSS) übergegangen, um neue Produkte und Prozesse gleich von Anfang an mit Null-FehlerQualität zu erzeugen. Zu diesem Zweck greifen die meisten Six Sigma-Anwender auf den DMADV-Zyklus (Define, Measure, Analyse, Design, Verify) zurück. Aus der Unternehmenspraxis ist bekannt, dass zahlenmäßig auf ein Projekt, das nach dem DMADV-Zyklus durchgeführt wird, bis zu 20 Six Sigma-Projekte kommen, die auf dem DMAIC-Zyklus basieren.1 Nach Bergbauer (2003, S. 42) gibt es im Wesentlichen zwei Anwendungsfälle, bei denen das methodische Vorgehen nach dem DMAIC-Zyklus nicht zum gewünschten Ergebnis führt:
1
Das Verhältnis von erfolgreich durchgeführten DMADV- zu DMAIC-Projekten variiert von Unternehmen zu Unternehmen. In der praxisbezogenen Literatur finden sich deshalb verschiedene Angaben hierzu. Während z.B. viele Experten von einem Verhältnis von 1 zu 20 ausgehen, werden nach der Analyse von Liu/ Wu (2006, S. 119) mind. 1/7 aller Six Sigma-Projekte nach dem DMAIC-Zyklus durchgeführt.
76
Armin Töpfer, Swen Günther
• Ein völlig neues Produkt und/ oder ein komplett neuer Prozess ist zu entwickeln und einzuführen. Mithilfe der Methoden und Vorgehensweisen des DMAIC-Zyklus ist es im Allgemeinen nicht möglich, Neuprodukte und neue Prozesse so zu designen, dass sie die Vorgaben der Kunden von vornherein mit Null-Fehler-Qualität erfüllen. Aus Prozesssicht empfiehlt sich die Anwendung des DMADV-Zyklus genau dann, wenn der Prozess (a) nicht existiert, (b) nicht durchgängig bzw. unterbrochen ist, (c) nicht robust ist und/ oder (d) mehrere Nicht-Standard-Versionen des Prozesses vorliegen. Infolgedessen werden jeweils gleich mehrere CTQs nicht erfüllt. • Ein bestehender Prozess ist ausgereizt, d.h. er ist im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit an seine obere Grenze gestoßen. Diese liegt meistens auf einem Qualitätsniveau von 5σ. Für eine weitere Verbesserung und damit die Durchbrechung der „5σ-Wand“ bedarf es einer Neu-Modellierung/ -Entwicklung des Prozesses. Lösungen, die im Zuge der Anwendung des DMAIC-Zyklus eruiert worden sind, stellen sich im Nachhinein als unwirtschaftlich heraus, da die prognostizierten Implementierungskosten den anvisierten Net Benefit übersteigen und damit aufzehren. In diesem Fall muss das Design des Prozesses grundsätzlich infrage gestellt werden. In Abbildung 6 ist ein vereinfachter Entscheidungsbaum dargestellt, der darüber Auskunft gibt, unter welchen Bedingungen DFSS vorzugsweise zum Einsatz kommen sollte. Wie ersichtlich ist, befindet sich der erste Entscheidungspunkt unmittelbar nach Abschluss der Define-Phase. In Abhängigkeit davon, ob ein Prozess vorhanden, d.h. definiert und umgesetzt, ist oder nicht, wird im Weiteren der DMAIC- oder DMADV-Zyklus verfolgt. Fällt die Entscheidung zugunsten des DMAIC-Zyklus aus, dann ergibt sich ein zweiter Entscheidungspunkt am Ende der Analyse-Phase. Im Rahmen der Quantifizierung der Möglichkeiten ist hier zu prüfen, ob die absehbare(n) Verbesserung(en) in ihrer Höhe ausreichend sind oder nicht. Wenn die Verbesserungen nur inkrementellen Charakter besitzen und demzufolge nicht ausreichen, um die eingangs gesetzten Ziele zu erreichen, dann ist ein Rücksprung in die Measure-Phase des DMADV-Zyklus im Allgemeinen unausweichlich. Die Vorgehensweise nach dem DMAIC-Zyklus hat sich in diesem Fall als nicht angemessen für die Erzielung von exponentiellen Verbesserungen2 herausgestellt. Folgende Erkenntnis lässt sich zusätzlich festhalten: Der DMADV-Zyklus ist grundsätzlich immer lean, da robustes Design, Prozesse ohne Verschwendung und eine geringzahlige Versuchsplanung nach DOE sowie erfinderisches Problemlösen mit TRIZ die Ziele sind.
2
Diese Art von Verbesserung zeichnet sich durch einen signifikanten Anstieg der Prozessleistung bzw. Produktperformance in kurzer Zeit aus.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
77
Define
DMADV
DMAIC ja
Prozess vorhanden?
nein
Measure
Measure
Analyse
Analyse
Verbesserung ausreichend?
ja
nein
Design
Verify
Improve
Control
Basis: Pyzdek 2003, S. 1
Abb. 6: Entscheidungsbaum zum Einsatz von DMAIC- und DMADV-Zyklus
2
DMADV-Zyklus als strukturierte Vorgehensweise im Produktentstehungsprozess (PEP)
Analog zum DMAIC-Zyklus, wie er im vorstehenden Beitrag ausführlich behandelt worden ist, lässt sich für den DMADV-Zyklus ein Fragenkatalog konzipieren, der die speziellen Anforderungen im F&E-Bereich berücksichtigt. In den fünf Phasen werden dabei die folgenden Fragen schwerpunktmäßig behandelt: 1. 2. 3. 4. 5.
Define: Welche Produktlösung ist veraltet/ nicht mehr wettbewerbsfähig? Measure: Was sind die wesentlichen zukünftigen Kundenanforderungen? Analyse: Wie lassen sich die Kundenanforderungen bestmöglich erfüllen? Design: Was sind die konkreten Gestaltungsmerkmale des Produktes? Verify: Wie gut erfüllt das Produkt die Kundenanforderungen in der Praxis?
78
Armin Töpfer, Swen Günther
Der phasenspezifische Ablauf sowie der Methodeneinsatz im Rahmen des DMADV-Zyklus sind in Abbildung 7 im Überblick dargestellt. Define Business Case Ziele und Probleme
t jek Pro rter a Ch
Verify
Produktkonzept Markentreue
Benchmarking
Pilotierung + Implementierung des Prozesses
Statistisches Forecasting
Marktanalyse Projektumfang Ressourcen ProjektKommunikontrolle kation Risikoma- Netzplannagement technik
Übergabe an Prozesseigner • Monitoring • Reaktionsplan • Dokumentation
Measure Kunden • identifizieren • segmentieren • priorisieren
Kundenbedürfnisse sammeln + analysieren
CTQs bestimmen Lasten-/ Pflichtenheft Risiko abschätzen
Design Detailliertes Design entwickeln • QFD • Simultaneous Engineering • Entscheidende CTQs
Detailliertes Design evaluieren • DOE • Komplexität • Statistische Tolerierung • Zuverlässigkeit
Implementierung vorbereiten • Konfigurationsmanagement • Maschinenfähigkeitsanalyse (CTQs/ QFD)
Analyse QFD + TRIZ • High Level Design entwickeln • Komplexität reduzieren • Outputsimulation durchführen
Designkonzepte bestimmen • High Level Design evaluieren • FMEA • Target Costing • Kundenfeedback © Prof. Dr. Armin Töpfer
Abb. 7: M+M Six Sigma DMADV-Zyklus
2.1
Define-Phase
Analog zur Define-Phase im DMAIC-Zyklus wird in Six Sigma-Entwicklungsprojekten eine Projektcharter aufgestellt. In dieser werden u.a. (a) der Business Case, also die aktuelle wirtschaftliche Lage/ Ausgangssituation, (b) die Probleme und Ziele der geplanten Neuproduktentwicklung, (c) der Projektumfang und die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie (d) die Rollen und Verantwortlichkeiten im Rahmen des einbestellten Projektteams beschrieben. Darüber hinaus werden in die Projektcharter, wenn vorhanden, BenchmarkingDaten aus der Marktanalyse/ -forschung aufgenommen. Diese helfen beim Eingrenzen des Projektumfangs, bei der Definition von Schnittstellen zu benachbarten Prozessen und angrenzenden F&E-Projekten sowie beim Bestimmen der benötigten Sach- und Finanzmittel für die Projektumsetzung. Aufgrund der höheren Komplexität von Entwicklungsvorhaben wird neben der Projektcharter ein Projektplan (Multi Generational Plan) erstellt, in dem – unter Berücksichtigung des angestrebten Produktkonzeptes – der Projektumfang und der Ressourcenbedarf im Detail geplant werden. Außerdem wird ein explizites Projektmanagement zur operativen Projektsteuerung und -kontrolle implementiert, um den vorgesehenen Zeit- und Kostenplan tatsächlich einzuhalten. Wesentliche Instrumente, die im Rahmen des Projektmanagements/ -controllings zur Anwendung kommen, sind die Netzplantechnik (PERT – Project Evalua-
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
79
tion and Review Technique) und die Meilensteinplanung (Gantt-Diagramm). Sie zeigen die zur Realisierung eines Projektes wesentlichen Vorgänge und Ereignisse sowie deren logische und zeitliche Abhängigkeiten auf. Bei größeren F&E-Projekten ist es zudem ratsam, einen Kommunikationsplan aufzustellen, in dem verbindlich festgelegt wird, welche Ergebnisse wie kommuniziert werden. Genauso bedeutsam ist die Implementierung eines fundierten Risikomanagements, da es vor allem bei DFSS darauf ankommt, durch Fehler im Entwicklungsprozess entstehende Risiken möglichst schnell zu erkennen und bei einem Ausmaß über dem definierten kritischen Wert zu eliminieren. 2.2
Measure-Phase
Die Measure-Phase des DMADV-Zyklus beinhaltet drei Teilschritte, die systematisch aufeinander aufbauen: Im ersten Schritt geht es um das Identifizieren, Segmentieren und Priorisieren von Zielgruppen bzw. potenziellen Käufergruppen. Nur wenn die Zielkunden eindeutig identifiziert werden können, ist das Aufstellen eines präzisen Anforderungsprofils für das neue Produkt bzw. die neue Dienstleistung gewährleistet. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass im Lasten-/ Pflichtenheft für das neue (Dienstleistungs-)Produkt zu viele unterschiedliche Anforderungen berücksichtigt werden und es dadurch „unscharf“ wird. Entsprechend der Philosophie einer marktorientierten Unternehmensführung wird hier versucht, Zielgruppen zu identifizieren, denen mit einer speziell zugeschnittenen Leistung Vorteile verschafft respektive angeboten werden können. Dazu ist die Aufteilung des Gesamtmarktes in Untergruppen, also Marktsegmente, notwendig, die hinsichtlich ihrer Marktreaktion innerhalb eines Segmentes homogen, zwischen den Segmenten dagegen möglichst heterogen sind. Für die einzelnen Marktsegmente können dann gezielte Maßnahmenprogramme (Produkte/ Dienstleistungen) erarbeitet und umgesetzt werden (vgl. Töpfer 2007a, S. 50). Als Analysemethoden stehen u.a. die Clusteranalyse und die Diskriminanzanalyse zur Verfügung. Beiden kommt als Strukturen entdeckenden bzw. prüfenden Verfahren (vgl. Töpfer 2008b, S. 218) im Rahmen der Marktforschung eine herausragende Stellung zu: Mit der Clusteranalyse lassen sich unterschiedliche Zielgruppen, so genannte Cluster, herausfiltern, wobei Objekte bzw. Personen anhand ausgewählter Merkmale/ Eigenschaften zu intern homogenen und extern heterogenen Variablen- bzw. Fallgruppen zusammengefasst werden. Die Ähnlichkeit der Gruppen wird mit einem vorher festgelegten Proximitätsmaß gemessen. Es wird eine Distanzmatrix, z.B. nach quadrierter euklidischer Distanz, erstellt, aus der mithilfe hierarchischer oder partitionierender Verfahren die Objekte/ Personen, die sich sehr ähnlich sind, zu Gruppen zusammengefasst werden.3
3
Die Festlegung der Cluster-Anzahl erfolgt in Abhängigkeit vom Anstieg der Distanzwerte. Nach dem Elbow-Kriterium wird die Clusterung an der Stelle abgebrochen, an der der Anstieg am größten ist (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 534f.).
80
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Zur Überprüfung der Ergebnisse einer Clusteranalyse kann zusätzlich eine Diskriminanzanalyse durchgeführt werden. Bei dieser wird ein Vorhersagemodell entwickelt, auf Basis dessen sich die Gruppenzugehörigkeit anhand der beobachteten Eigenschaften einzelner Fälle prognostizieren lässt. Voraussetzung hierfür ist die Erzeugung einer oder mehrerer Diskriminanzfunktionen, und zwar aufgrund der Linearkombinationen der Einflussvariablen, welche die beste Diskriminanz, also Abgrenzung, zwischen den einzelnen Gruppen ergeben (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 156ff. und S. 490ff.). Nachdem die wichtigste(n) Kundengruppe(n) identifiziert worden ist (sind), werden in einem zweiten Schritt die Kundenbedürfnisse dieser Zielgruppe(n) gesammelt und analysiert. Da bei einer Neuproduktentwicklung häufig die Annahme zutrifft, dass der Informationsbedarf des Unternehmens deutlich größer ist als bei einer Produktverbesserung, kommt eine erweiterte VOC-CTQ-Analyse zum Einsatz. Für die Übersetzung der „Stimme des Kunden“ in die „Sprache des Ingenieurs“ wird in DFSS-Projekten häufig auf die Methode des Quality Function Deployment (QFD) zurückgegriffen.4 Dabei soll in möglichst kurzer Zeit eine integrierte Produktentwicklung für kundengerechte, qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen durchgeführt werden (vgl. Hauser/ Clausing 1988, S. 73). Voraussetzung hierfür ist, dass alle wichtigen Kundenanforderungen erkannt, gewichtet und in technische Produktspezifikationen umgesetzt werden. Neben der Ermittlung/ Ableitung erweist sich insbesondere die zutreffende Gewichtung (Priorisierung) der Kundenanforderungen als wesentliche Voraussetzung für eine kundenorientierte Produktentwicklung. Anders als bei der oben beschriebenen VOC-CTQ-Analyse erfolgt die Gewichtung im Rahmen des DMADV-Zyklus explizit und theoriebasiert. Konkret bedeutet dies, dass für die Bewertung und Priorisierung von Kundenbedürfnissen/ -anforderungen bekannte Klassifizierungsmodelle aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften herangezogen werden. Zu nennen sind hier vor allem die Kundenbedürfnisklassifizierung5 auf der Basis von Abraham H. Maslow (1954) sowie das Kundenzufriedenheitsmodell nach Noriaki Kano (1984), welches eine direkte Verbindung zwischen Kundenanforderung und Kundenzufriedenheit herstellt. Den instrumentellen Kern von QFD bildet das Aufstellen des so genannten House of Quality (HoQ). Dabei handelt es sich um eine Beziehungsmatrix, in der die aus Kundensicht wesentlichen Kundenanforderungen den aus Unternehmenssicht wesentlichen Produktmerkmalen gegenübergestellt werden (vgl. Saatweber 1997, S. 35). Durch die Ermittlung von (subjektiven) Korrelationswerten wird der Zusammenhang zwischen der artikulierten Kundenanforderung und dem techni4
5
Nach dem japanischen Qualitätsmanagement-Experten, Yoji Akao, dem „Ur-Vater“ von QFD, wird darunter die gezielte Planung und Entwicklung der Qualitätsfunk-tionen eines Produktes/ einer Dienstleistung entsprechend der vom Kunden geforderten Qualitätsmerkmale verstanden (vgl. Akao 1992, S. 15). Die Bedürfnispyramide nach Abraham H. Maslow ermöglicht die Einordnung von Kundenbedürfnissen in Motivklassen. Mit steigender Hierarchie/ Bedeutung werden hier Grund-, Sicherheits-, Sozial-, Wertschätzungs- und Selbstverwirklichungs-Bedürfnisse unterschieden.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
81
schen Produktmerkmal objektiviert. Die Summe der mit den Kundenanforderungen gewichteten Korrelationswerte ergibt die Gewichtung pro Produktmerkmal. Wie in Abbildung 8 nachvollziehbar ist, wird in dem erarbeiteten HoQ – nach der Erfassung (1) und Gewichtung (2) der Kundenanforderungen – die konkrete Umsetzung in den Produkten mit maßgeblichen Wettbewerbern verglichen (3). Zu Grunde liegt diesem Benchmarking die Wahrnehmung durch Kunden. Auf der Basis dieser Informationen werden jetzt technische Anforderungen als Konstruktionsmerkmale abgeleitet (4), in ihren Ausprägungen in einer Beziehungsmatrix bestimmt (5) sowie in ihren positiven oder negativen Abhängigkeiten präzisiert (6). Danach erfolgt der technische Vergleich mit den Ausprägungen in Wettbewerbsprodukten (7) sowie anschließend eine technische und wirtschaftliche Bewertung (8). Sie ist vor allem auf Verbesserungsmöglichkeiten ausgerichtet. Die Bewertungsergebnisse bezogen auf technische Schwierigkeiten, beigemessene Wichtigkeit und geschätzte Kosten führen dann zu konkreten Zielvorgaben (9), um die Kundenanforderungen möglichst besser und kostengünstiger als der Wettbewerb zu erfüllen.
Abhängigkeitsanalyse (Wie beeinflussen sich die einzelnen Konstruktionsmerkmale?) Technische Anforderungen/Konstruktionsmerkmale (Wie setzen wir die Kundenanforderungen technisch um?)
6
2 Gewichtung (Wie wichtig ist es?)
4 5
Wirtsch. Gewichtung
Techn. Gewichtung
Objektive Maßstäbe
1 Kundenanforderungen (Was verlangt der Kunde?)
Ausprägung/Beziehungsmatrix (In welchem Ausmaß können die Kundenanforderungen realisiert werden?) Maßeinheiten Eigenes Produkt/ Konkurrenzprodukt
Techn. Schwierigkeiten Technische und wirtschaftliche Bewertung Beigemessene (Wie werden die VerbesWichtigkeit serungsmöglichkeiten bewertet?) Geschätzte Kosten Zielvorgaben
Ziel/Wirkung: Ziel/Wirkung:
o o o o
Technischer Vergleich (Wie schneiden wir technisch im Detail gegenüber Wettbewerbern ab?)
Maßnahmenpriorität (Welche Verbesserungen wollen wir zuerst realisieren?)
3
Kundenwahrnehmung/ Konkurrenzvergleich (Benchmarking) (Wie gut sind wir im Vergleich zu den Wettbewerbern?)
7 8 9
Mehr Mehr Klarheit Klarheit Erkennen Erkennen von von Informationsdefiziten Informationsdefiziten Bessere Bessere Kommunikation, Kommunikation, auch auch mit mit internen/externen internen/externen Kunden Kunden Zielgerichtetes Zielgerichtetes Handeln Handeln
Abb. 8: Umsetzung von Kundenanforderungen mit extern und intern gerichteten Kennzahlen im House of Quality von QFD
2.3
Analyse-Phase
Die Produktmerkmale, die im Rahmen der Measure-Phase spezifiziert worden sind, werden in der Analyse-Phase zunächst einer Abhängigkeitsanalyse unterzogen. Dabei wird geklärt, inwieweit sich die einzelnen Produktmerkmale bei der
82
Armin Töpfer, Swen Günther
Erfüllung der Kundenanforderungen gegenseitig – positiv oder negativ – beeinflussen. Die Korrelationen werden in einer separaten Matrix, im „Dach“ des HoQ, visualisiert. Folgt man dem standardmäßigen QFD-Vorgehen, dann sind im Weiteren Designkonzepte zu bestimmen, welche die zuvor ermittelten Zielvorgaben für die Produktmerkmale möglichst gut erfüllen (vgl. DGQ 2001b, S. 17f.). Dieser Schritt ist notwendig, um die Suche potenzieller Produktlösungen nicht von vornherein (zu stark) einzuschränken. Das methodische Vorgehen besteht darin, dass die aus technischer und wirtschaftlicher Sicht bewerteten Produktmerkmale an den zur Auswahl stehenden Komponenten respektive Komponentenmerkmalen gespiegelt werden. Durch die Kombination verschiedener Bauteile und Komponenten lassen sich i.d.R. eine Reihe von alternativen Produktkonzepten entwickeln. Da der Spezifikationsgrad in diesem Entwicklungsstadium noch relativ grob ist, spricht man hier auch vom Entwurf so genannter „Designs auf hoher Ebene“ bzw. von „High Level-Designs“ (vgl. Töpfer/ Günther 2007, S. 107f.). Um innovative Designs/ Problemlösungen zu erhalten, werden häufig Kreativitätstechniken, z.B. Brainstorming/ -writing, und Erfindungsmethoden, z.B. TRIZ – Theorie des erfinderischen Problemlösens, eingesetzt. Mithilfe von TRIZ als widerspruchsorientierter Innovationsstrategie lassen sich u.a. erkannte technische Widersprüche in der Beziehungsmatrix des HoQ beheben. Dabei umfasst TRIZ eine Reihe von Erfindungs- und Entwicklungsmethoden, und zwar in den Kategorien Systematik, Wissen, Analogie und Vision (vgl. Herb et al. 2000, S. 56). Durch TRIZ, das auf den russischen Flugzeugingenieur Genrich S. Altschuller (1926-1998) zurückgeht, soll das bisher oft unsystematische Vorgehen bei der Suche nach innovativen Lösungen durch einen strukturierten Denk- und Kreativitätsprozess ersetzt werden.6 Der Einsatz von TRIZ in Zusammenhang mit Six Sigma wird seit langem propagiert (vgl. z.B. Averboukh 2004); jedoch steht eine systematische Integration in den DMADV-Zyklus noch aus. Die erstellten Designvorschläge auf hoher Ebene sind im Anschluss hinsichtlich ihrer Erfüllung von kritischen Qualitätsmerkmalen sowie ihrer wirtschaftlichen Umsetzbarkeit zu überprüfen. Im Rahmen eines Design-Reviews werden die ermittelten High Level-Designs unter verschiedenen Blickwinkeln evaluiert. Die wirtschaftliche Bewertung beinhaltet das Einholen von Kundenfeedbacks und das Erstellen eines Zielkostenkontrolldiagramms. In diesem werden die derzeit prognostizierten Kostenanteile (Drifting Costs als Ist-Kosten) der für das High LevelDesign vorgesehenen Komponenten/ Bauteile den aus heutiger Sicht zulässigen Kostenanteilen (Allowable Costs als Zielkosten) gegenübergestellt. Die zulässigen Kostenanteile spiegeln das Zielkostenniveau wider und stimmen mit den Nutzenbeiträgen, den eine Produktkomponente aus Kundensicht besitzt, überein. Für die Ermittlung der Nutzenbeiträge und Zielkosten gibt es zwei aus der Marktforschung bekannte Vorgehensweisen. Zum einen werden mithilfe der Conjoint-Analyse ausgehend von mehreren, in eine Rangordnung gebrachte High Le6
Auf der Basis der Analyse von über 2,5 Mio. Patenten, kam Altschuller zu der Erkenntnis, dass erfolgreiche Erfindungen auf sehr ähnlichen Denkstrategien beruhen. Dadurch ist es möglich, jede Idee/ Erfindung durch universelle Grundregeln zu erklären und den Prozess zur Generierung neuer (verbesserter) Produkte gezielt zu steuern.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
83
vel-Designs bauteilspezifische Nutzenanteile ermittelt, welche die relative Wichtigkeit eines Bauteils/ einer Komponente widerspiegeln. Zum anderen wird im Rahmen des Target Costing (Zielkostenplanung) ein Zielkostenindex (ZI) ermittelt, der nachvollziehbar macht, ob ein Bauteil/ eine Komponente bei gegebenem Nutzenbeitrag „zu aufwändig“ (ZI < 1), „zu einfach“ (ZI > 1) oder „genau richtig“ (ZI = 1) gestaltet worden ist (vgl. Deisenhofer 1993, S. 104). Die technische Bewertung der Designvorschläge läuft im Wesentlichen auf eine Abschätzung der Komplexität und des Risikos bezogen auf den Herstellprozess und die Nutzungsphase hinaus.7 Die Komplexität kann im Vorfeld der Einführung neuer Produkte und Prozesse in erster Linie über die Ermittlung potenzieller Fehlermöglichkeiten (OFD) abgeschätzt werden. Eine gezielte Fehlervorbeugung lässt sich durch die Anwendung einer Failure-Mode- and -Effect-Analysis (FMEA) erreichen (vgl. Bertsche/ Lechner 2004, S. 106ff.). Als präventive QM-Methode hilft sie, mögliche Fehler und deren Folgen in Form von Risiken frühzeitig zu erkennen.8 Die Schwere der Fehlerfolgen wird durch die Berechnung einer Risikoprioritätszahl (RPZ) ermittelt. Dazu ist mit Hilfe von Punktzahlen zwischen 1 und 10 jeder Fehler nach Auftritts- und Entdeckungswahrscheinlichkeit sowie Bedeutung seiner Folgen zu bewerten. Durch Multiplikation der Einzelpunktzahlen ergibt sich die RPZ als objektivierter Risikomaßstab. 2.4
Design-Phase
In der Design-Phase steht die Detaillierung des Produkt- und Prozessdesigns auf der Basis des favorisierten High Level-Designs aus der Analyse-Phase im Vordergrund. Mithilfe von QFD wird die Übertragung der „Stimme des Kunden“ in die technische Produkt- und Prozessgestaltung weiter fortgesetzt. Die Anwendung von QFD bezieht sich insb. auf die Transformation der im 2. HoQ ermittelten Komponentenmerkmale in Prozessmerkmale. Über einen iterativen Prozess werden so die Kundenanforderungen auf die Konstruktion, die Prozess- und Produktionsplanung übertragen (siehe Abb. 9). Ziel ist es, eine hinsichtlich manueller oder (teil-) automatisierter Montage optimierte Produktgestalt einschließlich des Produktaufbaus zu entwerfen. Im Sinne eines Design for Manufacturing and Assembly (DFMA) soll nicht nur die generelle Herstellbarkeit, sondern auch die einfache und fehlerfreie Montage des Produktes im Serienprozess gewährleistet werden.
7
8
Zu diesem Zweck sind klare Schnittstellen zwischen Systemen und Subsystemen wie Baugruppen und Bauteilen zu definieren (vgl. Schurr 2002, S. 247). Nach den beiden Kriterien Anwendungszeitpunkt und Untersuchungsobjekt können drei Arten von FMEA’s unterschieden werden. So begleitet die System-FMEA die Gesamtkonzeptphase, die Konstruktions-FMEA die Produktentwurfsphase und die ProzessFMEA die Fertigungsplanungsphase (vgl. DGQ 2001a, S. 26). Die Durchführung einer ganzheitlichen System-FMEA läuft standardmäßig in fünf Schritten ab und führt zu nachhaltigen Kostensenkungen (vgl. Sponner et al. 2000, S. 1279).
Armin Töpfer, Swen Günther
House of Quality
II.
Entwicklung der Einzelteile
Grundlegende Betriebsabläufe
III.
Arbeitsvorbereitung
Produktionserfordernisse
Grundlegende Betriebsabläufe
I.
Teilemerkmale Konstruktionsmerkmale
Kundenanforderungen
Konstruktionsmerkmale
Teilemerkmale
84
IV.
Fertigungsplanung
Über einen einen iterativen iterativen Prozess Prozess werden werden die Kundenanforderungen Kundenanforderungen auf auf Konstruktion, ProzessProzess- und und Produktionsplanung Produktionsplanung übertragen übertragen Quelle: Hauser/Clausing 1988, S. 73
Abb. 9: Verknüpfung der „Houses of Quality“ in den verschiedenen Phasen des QFDProzesses
Die Entwicklung eines robusten Designs, das als Ziel die Kundenanforderungen bestmöglich erfüllt und sich gleichzeitig wirtschaftlich erstellen lässt, erfordert jedoch neben dem „qualitativen Instrument“ QFD den Einsatz von DOE (Design of Experiments). Dadurch können die funktionalen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen Produkt- und Komponentenmerkmalen sowie zwischen Komponenten- und Prozessmerkmalen offen gelegt werden. Das Vorgehen entspricht im Wesentlichen der Versuchsplanlogik, wie sie im DMAIC-Zyklus angewendet wird. Allein die Screening-Versuche können entfallen, da die wesentlichen Einflussgrößen bereits im Deployment-Prozess ermittelt worden sind. Dem „quantitativen Instrument“ DOE kommt aber nicht nur bei der Entwicklung, sondern auch bei der Evaluierung des detaillierten Designs eine herausragende Bedeutung zu. So wird z.B. die Reaktionsflächen-Methodik (RSM) dazu genutzt, um den Einfluss verschiedener metrischer Faktoren (Komponentenmerkmale) auf die Ergebnisvariable (Produktmerkmal) im Bereich der Zielspezifikation zu überprüfen. Die Information über den funktionellen Zusammenhang in dieser Region ist hilfreich, um einerseits die Komponentenmerkmale optimal auszulegen und andererseits die Merkmalsausprägung statistisch zu tolerieren. Die Toleranzfestlegung ist eine der Hauptaufgaben im Rahmen des DFSS-Prozesses. Denn um ein robustes Design zu erreichen, müssen die Produktmerkmale/ Prozessergebnisse einen geringen Toleranzbereich aufweisen und relativ unempfindlich gegenüber Schwankungen der Einflussfaktoren sein, die sowohl erwünschter als auch unerwünschter Natur sein können. Unerwünschte Einflussgrößen werden von Taguchi als Rauschfaktoren (Noise) bezeichnet, erwünschte als Signalfaktoren (Signal). Daher geht es darum, den S/N-Wert als Verhältnis von Signal- zu Rauschleistung zu maximieren.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
85
Im Ergebnis der Design-Phase werden für Produkt-, Komponenten- und Prozessmerkmale so genannte Design Scorecards entwickelt, in denen die Soll-Werte für Mittelwert (Lage) und Standardabweichung (Streuung) aller relevanten Merkmale dokumentiert sind. Darüber hinaus werden, soweit möglich, Angaben zur Prozessfähigkeit (Cpk-Wert) sowie zur Prozessausbeute (RTY-Wert) je Steuerungsgröße gemacht. Für das Qualitätsniveau, das auf jeder Stufe des Deployment-Prozesses erreicht werden soll, wird der σ-Wert angegeben. Für die Robustheit einer Komponente bzw. eines Prozesses ist der S/N-Wert zu berechnen. Schließlich wird die Zuverlässigkeit9 der ausgewählten Komponenten über die charakteristische Lebensdauer dokumentiert. Sie wird über die bekannte WeibullVerteilung10 ermittelt und beschreibt die durchschnittliche Lebensdauer, in der 63,2% aller produzierten Bauteile ausgefallen sind (vgl. Bertsche/ Lechner 2004, S. 259). 2.5
Verify-Phase
In der letzten Phase des DMADV-Zyklus wird mit der Pilotierung des neugestalteten Prozesses begonnen. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit des neuentwickelten Produkts bei Serienfertigung zu überprüfen. Fallen die Testergebnisse des Vorserienbetriebs positiv aus, wird mit der Implementierung/ Umsetzung im Tagesgeschäft begonnen. Andernfalls ist über eine Modifizierung des Produktkonzeptes nachzudenken und u.U. ein Rücksprung in die Analyse-Phase notwendig. Die Überführung der erarbeiteten Lösung in die Arbeitsvorbereitungs- und Produktionsphase erfordert eine Reihe von begleitenden Aktivitäten. Über eine Maschinenfähigkeitsanalyse muss beispielsweise abgesichert werden, dass mit den vorhandenen Maschinen das geforderte Qualitätsniveau tatsächlich erreicht wird. Ist dies nicht gegeben, sind ggf. neue Maschinen/ Werkzeuge zu beschaffen oder andere Herstellverfahren zu wählen. Weiterhin ist durch eine Messsystemanalyse (Gage R&R) sicherzustellen, dass alle verwendeten Serienmessmittel und methoden eine hinreichende Genauigkeit und Zuverlässigkeit besitzen. Erst unter dieser Voraussetzung können Kontroll-/ Prüfpläne für die Fertigung und Montage sowie für Zulieferteile aufgestellt werden. Für alle kritischen Qualitätsmerkmale (CTQs), die in den Design Scorecards enthalten sind, werden geeignete Messgrößen definiert und anschließend mittels Statistischer Prozessregelung (SPC) überwacht. Durch Regelkarten wird eine kontinuierliche Überwachung der Prozessstreuung und -fähigkeit bezogen auf die Ein9
Wie die Zuverlässigkeit von Bauteilen, Komponenten und Systemen mithilfe der Six Sigma-Methodik systematisch erhöht werden kann, zeigen u.a. Kumar et al. (2006). In ihrem Buch „Reliability and Six Sigma“ gehen sie vor allem auf die statistischen Grundlagen zur Optimierung der charakteristischen Lebensdauer etc. ein. 10 Auf der Basis der von Waloddi Weibull (1951) entwickelten Verteilungsfunktion kann das Ausfallverhalten von seriellen Systemen, z.B. Produkte in der Nutzungsphase oder Maschinen im Produktionsprozess, prognostiziert werden. Der Verlauf der Funktion entspricht der in Abb. 3 dargestellten „Badewannenkurve“.
86
Armin Töpfer, Swen Günther
haltung der CTQs im Serienprozess sichergestellt. Analog zum DMAIC-Zyklus werden Prozessanweisungen und -dokumentationen erstellt, die dem Prozesseigner nach Abschluss des Projektes übergeben werden. In diesen dokumentierten Prozessanweisungen sind auch Reaktionspläne enthalten, die dem Prozesseigner (Champion) anzeigen, was zu tun ist, wenn der Prozess außer Kontrolle gerät und die definierten Warn-/ Eingriffsgrenzen verletzt. Das Konfigurationsmanagement sowie die Bestimmung von Produktions-/ Arbeitsmitteln wird ebenfalls durch ein HoQ im Rahmen des QFD unterstützt. Dadurch wird eine systematische und durchgängige Übertragung der Kundenanforderungen in die operativen Betriebsabläufe (Arbeitsvorbereitung/ Fertigungsplanung) gewährleistet. Für die praktische Umsetzung von DFSS-Projekten ist generell ein Simultaneous Engineering zu verfolgen. Denn durch eine ständige Zusammenarbeit von Ingenieuren und Kaufleuten über die gesamte Projektlaufzeit können die Kundenanforderungen am besten in innovative Produktlösungen übersetzt werden. Insbesondere zu Beginn des Entwicklungsprozesses ist es entscheidend, dass die „Stimme des Kunden“ (VOC) unverfälscht sowohl aus Sicht des Marketings als auch aus Sicht der Entwicklung gehört und verstanden wird. Denn die Qualität der Eingangsgrößen ist maßgeblich für die Qualität der Ausgangsgrößen. Ansonsten gilt: „Garbage in, Garbage out“. Bei der Anwendung von QFD kommt hinzu, dass fehlerhafte Eingangsgrößen in Form falscher Kundenanforderungen sich im Verlauf der Erstellung mehrerer Beziehungsmatrizen (HoQs) zu „hochgradig“ fehlerhaften Ausgangsgrößen potenzieren können. Dies führt dann u.U. zu schlechteren Ergebnissen als ohne die explizite Methodenanwendung.
3
Erzielbare Wirkungen durch schlanke und wirtschaftliche Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess
Wichtige Wirkungen bzw. Wirkungsbereiche durch Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess sind bereits im 1. Kapitel dieses Artikels angesprochen worden. In diesem Kapitel wollen wir – auf der Grundlage des DMADV-Zyklus – die folgenden drei positiven Wirkungen von DFSS hervorheben: 1. Förderung von Innovationen in der Produktentwicklung 2. Senkung von Qualitätskosten in der Produktion und dem Vertrieb 3. Erhöhung des Wertbeitrages (EVA) für das Unternehmen 3.1
Förderung von Innovationen in der Produktentwicklung
Für jedes Unternehmen sind Innovationen wichtig, um die zukünftige Marktposition und den Erfolg des Unternehmens durch z.B. technologisch und/ oder in der Umsetzung der Kundenanforderungen bessere Produkte sicherzustellen. Strategisch ist diese Aussage jeweils zutreffend, bezogen auf das Qualitätsmanagement
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
87
birgt sie jedoch zugleich ein Risiko. Denn jede Innovation, die ein besseres Produkt hervorbringen will, birgt die Gefahr in sich, dass der neue oder veränderte Wertschöpfungsprozess nicht bzw. noch nicht auf einem fehlerfreien Niveau beherrscht wird. Diese Ausgangssituation ist in Abbildung 10 unter der Ziffer (1) dargestellt (vgl. Töpfer/ Günther 2007, S. 105ff.). Im Magischen Dreieck von Qualität – Zeit – Kosten führt dann der nicht ausreichend beherrschte Prozess dazu, dass das innovative Produkt eine hohe Fehlerund oftmals Ausschussrate aufweist (2). Durch die notwendigen Nachbesserungen werden zusätzliche Zeit verbraucht und die Kosten nach oben getrieben (3). Design for Six Sigma ist dann der Hebel, um die Innovation so zu planen und umzusetzen (4), dass die Prozessqualität von Anfang an hoch und im Weiteren auch die Produktqualität gesichert ist (5). Beides hat eine positive Auswirkung auf den Verbrauch an Zeit und die Höhe von Kosten (6).
Qualität
Prozess
Qualität
Produkt +
Prozess
3
1 Innovation
Produkt
2
3
Innovation
Zeit
Kosten
Zeit
Kosten
5
Qualität
6 +
Zeit
Prozess +
4
Produkt
Innovation
+
6 +
Kosten
Gefahr: o Innovation = Veränderung Abweichung o Abweichung Zeit- und Kostentreiber o Vermeidung durch DFSS
Abb. 10: Auswirkungen einer Innovation im Produkt/ Prozess
3.2
Senkung von Qualitätskosten in der Produktion und dem Vertrieb
Die auf die Qualitätskosten bezogenen Wirkungen durch den Einsatz von Design for Six Sigma führen insbesondere dazu, dass die Kosten für die Fehlerbeseitigung drastisch abnehmen, Prüfkosten ebenfalls sinken, ggf. aber Kosten der Fehlervermeidung zumindest in den ersten Perioden nach der Einführung von DFSS steigen. Erfahrungsgemäß ist jedoch insgesamt das Niveau der Qualitätskosten um bis zu einem Drittel geringer als ohne DFSS.
88
Armin Töpfer, Swen Günther
Wie Abbildung 11 verdeutlicht, lässt sich die so genannte 5-Sigma-Wand auch mit dem DMAIC-Zyklus „überspringen“. Der Preis dafür ist allerdings sehr hoch, denn das höhere Sigma-Niveau wird durch deutlich ansteigende qualitätsbezogene Kosten „erkauft“. Sie sind in Six Sigma-Projekten zwar keine Fehlerkosten, aber zu hohe Kosten für die damit erreichbaren Wirkungen. Im Gegensatz hierzu lassen sich durch den Einsatz von DFSS/ DMADV diese qualitätsbezogenen Kosten noch reduzieren. Der Grund liegt darin, dass ein höheres Sigma-Niveau durch neue Lösungskonzepte für das definierte Problem erreicht wird. In der Abfolge werden also in „Feuerwehraktionen“ zunächst gravierende Probleme erkannt und deren negative Auswirkungen beseitigt. In einer zweiten Stufe folgen auf diese Six Sigma-Projekte zur Beseitigung von Fehlerkosten „Brandverhütungsmaßnahmen“. Durch die Reduzierung der Komplexität und Vermeidung von Wertabfluss bereits in F&E, geht mit der Anwendung von Design for Six Sigma eine prophylaktische Fehlerverhütung einher. Qualitätsbezogene Kosten (normiert)
Eine Eine Qualitätssteigerung Qualitätssteigerung über über 55Sigma Sigma bei bei gleichzeitiger gleichzeitiger ReduzieReduzierung rung der der qualitätsbezogenen qualitätsbezogenen Kosten Kosten ist ist nur nur mit mit DFSS DFSS möglich möglich
100 90
5-Sigma-Wand
80 70 60
Six Sigma DMAIC
50 40 30 20
DFSS/ DMADV
10 1σ
2σ
3σ
4σ
5σ
6σ
7σ
SigmaNiveau
Basis: Kiemele, M.J. (2003): Using the DFSS Approach, Air Academy Associates NDIA Test and Evaluation Summit, B.C. 2003
Abb. 11: Qualitätskostenverlauf mit/ ohne DFSS
Ob DFSS eingeführt wird, ist eine strategische Entscheidung, die auf der Ebene der Unternehmensleitung gefällt werden muss. Hierzu ist zunächst einmal erforderlich, dass das obere Management die Philosophie, die Inhalte und die Wirkungen von DFSS kennt und im Detail nachvollziehen kann. Ist dies der Fall, dann ist die Entscheidung insbesondere bei technologisch anspruchsvollen Produkten prädeterminiert. Dies gilt vor allem dann, wenn sich das Unternehmen Marktanforderungen gegenüber sieht, die qualitativ hochwertige Produkte, ein effizientes Kos-
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
89
tenmanagement mit dem Ziel einer überdurchschnittlichen Preis-Leistungs-Relation sowie eine exzellente Wertschöpfung und Vermarktung erforderlich machen. Design for Six Sigma mit den ausgeführten Instrumenten ist dann ein Hebel mit großer Wirkungskraft, um auf der Basis der CTQs – wie in Abbildung 12 dargestellt – die internen Werttreiber zu erkennen und zu gestalten, darauf basierend die externen Erfolgsfaktoren abzuleiten und zur Geltung zu bringen sowie insgesamt Wertgeneratoren, in Form von Umsatz- und Renditesteigerung, für einen positiven Geschäftswertbeitrag (EVA) zur Steigerung des Unternehmenswertes freizusetzen. Dies ist zugleich ein Erfolgsmuster, das bei zunehmend internationalisierten oder globalen Unternehmen auf unterschiedliche Weltmarktregionen und Märkte übertragbar ist.
Werttreiber
Erfolgsfaktoren
- intern -
- extern -
Gestaltungsmethoden VOC/ CTQs/ Conjoint Analyse/ QFD/ FMEA Target Costing TRIZ
Wertgeneratoren - intern/extern -
Positiver Geschäftswertbeitrag Economic Value Added (EVA)
Strategische Kernkompetenzen ermöglichen, Erfolgskonzepte auf neue Märkte zu übertragen Abb. 12: Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele
3.3
Erhöhung des Wertbeitrages (EVA) für das Unternehmen
Ein positiver Geschäftswertbeitrag durch (Lean) Six Sigma- respektive Design for Six Sigma-Aktivitäten ist dann gegeben, wenn sich der Economic Value Added (EVA) nachweislich positiv verändert. EVA ist ein bestandsgrößenorientiertes Übergewinnkonzept, das – absolut gesehen – den Gewinn pro Periode nach Eigenund Fremdkapitalkosten ausweist (vgl. Töpfer 2006, S. 385 ff.). In Abbildung 13 sind die generellen funktionalen Zusammenhänge zur Beeinflussung des EVA nachvollziehbar. Der Betrachtung liegt die Annahme zugrunde, dass im Unternehmen Qualitätsdefizite aufgetreten sind, die zu internen und externen Fehlerkosten geführt haben sowie zu Umsatzeinbußen am Markt.
90
Armin Töpfer, Swen Günther
Economic Value Added (EVA) Operatives Ergebnis Erträge ! Kundenunzufriedenheit ! Kaufzurückhaltung der Kunden ! Weniger positive Mund-zu-MundKommunikation ! Kein/ geringeres Cross-Selling ! Kundenabwanderung
-
-
Aufwendungen ! Zusätzliche Kosten durch Krisenbewältigungsmaßnahmen (Kulanz, Rückrufe, Wandlung, etc.) ! Höhere Personalkosten durch Fehlerbeseitigungsteams ! Sinkende Lieferantenkredite/ -zahlungsziele
Kapitalkosten
Betriebsnotwendiges Kapital (Capital Employed)
Operatives Anlagevermögen ! Zusätzlicher Maschinenbedarf für Fehlerbeseitigung ! Zusätzliche Gebäudeteile für Fehlerbeseitigungsteams
! Höhere Marketingkosten (Image wiederherstellen)
Operatives
+ Netto-Umlaufvermögen
! Größere Vorratshaltung/ Lager nötig wegen Qualitätsproblemen ! Höhere liquide Mittel erforderlich zur Finanzierung der Qualitätsprobleme
Gewichteter durchschnittlicher Kapitalkostensatz (WACC)
x
Erwartete Eigenkapitalverzinsung (Eigenkapitalkostensatz) ! Höhere geforderte Verzinsung des Eigenkapitals wegen hoher Risiken
Fremdkapitalkostensatz ! Höhere Fremdkapitalkosten durch schlechteres Rating
x
x
Eigenkapitalanteil
Fremdkapitalanteil
Basis: Venohr 1994, Coenenberg/ Salfeld 2003, S. 153, 173
Abb. 13: Auswirkungen von Fehlerkosten auf die Unternehmensziele
Bei nicht beseitigten Fehlerkosten geht von bestehenden Qualitätsmängeln ein doppelter negativer Effekt aus, und zwar zum einen auf die Kostenstruktur und zum anderen auf die Umsatzstruktur. Im positiven Fall haben reduzierte bzw. beseitigte Fehlerkosten mit dem Ziel einer Null-Fehler-Qualität den oben bereits angesprochenen doppelten positiven Effekt. Konkret bedeutet dies, dass sich durch (Lean) Six Sigma, und in einem noch stärkeren Maße durch Design for Six Sigma, Kosten aufgrund vermiedener Fehler deutlich reduzieren und Umsätze aufgrund neuer Produkte/ Prozesse nachhaltig steigern lassen. Im Detail bedeutet dies bezogen auf die Kostenstruktur: Bestehende Qualitätsmängel und damit verbundene Fehlerkosten reduzieren – in statischer Sicht – die mögliche Gewinnmarge. Dies schmälert zugleich den Deckungsbeitrag. In dynamischer Sicht verursachen Fehlerkosten eine Zunahme sowohl von fixen als auch von variablen Kosten, also z.B. die Maschinenausstattung und zusätzliche Bearbeitungszeiten. Hierdurch wird der Cash Flow reduziert und i.d.R. schnell ein erwirtschafteter Übergewinn über die geforderte Verzinsung des Gesamtkapitals aufgezehrt. Häufig ist dann nach der Verzinsung des Fremdkapitals auch nicht mehr die Verzinsung des Eigenkapitals in der von den Shareholdern geforderten Höhe möglich. Hinzu kommt der negative Effekt auf die Umsatzstruktur: Aufgrund der Qualitätsmängel werden die Umsätze eher zurückgehen, manchmal sogar, wie gezeigt, regelrecht einbrechen. Dies wird bewirkt durch die Unzufriedenheit bisheriger Kunden und durch nicht erfolgte Weiterempfehlungen und damit fehlende Neukunden. Durch den geringeren Umsatz lässt sich nur ein niedrigerer Gewinn erwirtschaften. Er nimmt i.d.R. nicht nur absolut, sondern auch relativ ab. Denn die
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
91
Basis für die Umlage und Abdeckung der Fixkosten, die i.d.R. Gemeinkosten sind, sinkt dadurch. Skaleneffekte, die umsatz- und gewinnsteigernd wirken, lassen sich so nicht realisieren. Neben Kostensteigerungen und Umsatzrückgängen ist an dritter Stelle ein erhöhter Gesamtkapitalkostensatz (Weighted Average Cost of Capital – WACC) zu verzeichnen, weil Bankkredite, also Fremdkapital, für das Unternehmen aufgrund des eingetretenen Krisenfalls und des damit zugrunde gelegten Risikos in der Zukunft teurer werden und weil auch (neue) Anteilseigner vom Unternehmen eine höhere Risikoprämie für ihre Einlagen als Eigenkapital erwarten bzw. einfordern. Alle drei genannten negativen Effekte auf den EVA durch das Auftreten von Qualitätsmängeln können durch die Anwendung von DFSS nicht nur egalisiert, sondern von vornherein vermieden werden. Das Unternehmen ist somit in der Lage, über Jahre einen kontinuierlich hohen „Übergewinn“ zu erwirtschaften.
4
Einführungsanforderungen von DFSS im Zusammenhang mit Lean Six Sigma
DFSS bedeutet nicht nur Steigerung der Effizienz, also Senkung der Kosten/ Steigerung der Wirtschaftlichkeit, sondern vor allem Steigerung der Effektivität, also bessere Erfüllung der heutigen und zukünftigen Kundenanforderungen. Für einen wirkungsvollen Einsatz von DFSS, insbesondere im Zusammenhang mit weiterführenden Lean Management- und (Lean) Six Sigma-Aktivitäten im Unternehmen, sind die folgenden zwei Anforderungen zu erfüllen: 1. Strukturierter Projektauswahlprozess 2. Spezifische Qualifizierung der Akteure 4.1
Strukturierter Projektauswahlprozess
Der zielführende Einsatz von Lean Management, Six Sigma und Design for Six Sigma – in Abhängigkeit vom realisierten Sigma-Niveau – ist in Abbildung 14 bildlich dargestellt. Hierauf basiert ein strukturierter Projektauswahlprozess, wie er im Beitrag von Habermann in Kapitel C thematisiert wird. Einfache Verbesserungen, die unter Anwendung von Logik und Intuition realisierbar sind, benötigen das z.T. aufwändige Six Sigma-Instrumentarium nicht. Sie „fallen einem zu“ und bekommen deshalb die bildhafte Bezeichnung „Fallobst“. Six Sigma-Projekte beginnen i.d.R. auch noch nicht auf der nächsten Ebene, den „tief hängenden Früchten“. Sie kennzeichnen vielmehr eine Lücke zwischen derzeitiger und angestrebter Prozess-Performance, die sich mit Hilfe einfacher Qualitäts- und Lean Management-Methoden, z.B. Poka Yoke und Kanban, schließen lässt; das erreichbare Sigma-Niveau beträgt hier 3 bis 4 σ. Der größte Teil der Six Sigma-Projekte gehört zur nächsten Ebene, er ist also der „Großteil der Früchte“, die durch eine klare Analyse und Verbesserungen von
92
Armin Töpfer, Swen Günther
Prozessen mit einem Niveau von 4 bis 5 σ erreichbar sind. Die „süßen Früchte“ in der „Spitze des Baumes“ machen deutlich mehr Anstrengungen erforderlich, bewirken aber Qualitätssteigerungen auf dem Niveau von 5 bis 6 σ. Dies entspricht einem Redesign als Neustrukturierung eines Prozesses, die über eine bloße Verbesserung hinausgeht – hier ist der Ansatzpunkt für DFSS.
Design for Six Sigma Projekte
Süße Früchte
Redesign des Prozesses 5-6 σ-Niveau
Großteil der Früchte Six Sigma Projekte
Lean Management
Charakterisierung und Verbesserung des Prozesses 4-5 σ-Niveau
Tief hängende Früchte
Sieben QM-Werkzeuge/ KVP 3-4 σ-Niveau
Fallobst
Logik und Intuition
Basis: Siemens 2000
Abb. 14: Projektauswahl für Lean Management, Six Sigma und Design for Six Sigma
Bei der Auswahl von Six Sigma-Projekten ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung, nämlich die Höhe möglicher negativer Auswirkungen, wenn bezogen auf einen Prozess oder ein Produkt kein 6 σ-Niveau erreicht wird. Mit anderen Worten bedeutet dies: Je höher der Schaden bzw. die Fehler- und Fehlerfolgekosten durch unzureichende Qualität sind, desto wichtiger ist es, Null-Fehler-Qualität auf 6 σNiveau zu realisieren, um das Auftreten von Fehlern zu vermeiden. Deshalb wird in Six Sigma-Projekten als statistisches Maß und Ergebnis nicht überall das angestrebte Qualitätsniveau 6 σ betragen. Wesentlich ist vielmehr, 6 σ mit Augenmaß, und dies bedeutet in erfolgs- und ergebnissensiblen Prozessen und Produkten, wie beispielsweise der Flugzeug- und Satellitentechnik sowie der Software für medizinische Diagnostik, anzustreben und zu erreichen. Denn dort führen Fehler bei einem niedrigeren Qualitätsniveau zur Gefährdung von Menschenleben und hohen materiellen Schäden, so dass diese hohen Anstrengungen gerechtfertigt oder sogar erforderlich sind. Bei anderen Prozessen und Produkten lassen sich bei einem Ausgangsniveau von 3 bis 4 σ – entsprechend der obigen Einteilung – auch schon erhebliche Qualitätssteigerungen und damit Kosteneinsparungen bzw. Ertragsverbesserungen erreichen, ohne das statistische 6 σ-Niveau im Visier zu haben. Die Erkenntnis ist
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also klar: Das Ziel der Null-Fehler-Qualität gilt generell. Die Nachhaltigkeit der Umsetzung und Erreichung wird allerdings nach der Bedeutung des Prozesses und Produktes priorisiert. 4.2
Spezifische Qualifizierung der Akteure
Die Erfahrungen in der Unternehmenspraxis zeigen, dass die Zeitdauer für die vollständige Einführung eines effektiven Six Sigma-Projektmanagements ca. 24 Monate beträgt. Darin enthalten sind die Durchführung eines Pilotprojektes von 46 Monaten, um die Eignung der Six Sigma-Methodik zu testen, eine ca. 5-monatige Trainingsphase für Green und Black Belts als Projektmitarbeiter/ -leiter sowie die damit verbundene strategische Analyse und Durchführung von Trainingsprojekten (1. Welle). Die anschließende Ausfächerung von Six Sigma im gesamten Unternehmen nimmt dann erfahrungsgemäß weitere 12 bis 14 Monate in Anspruch (2. und 3. Welle). Je nach organisatorischen Voraussetzungen werden entsprechend der Unternehmenshierarchie mindestens 4 Gruppen von Six SigmaAkteuren unterschieden (vgl. Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007, S. 254): 1. Champions als Führungskräfte und Machtpromotoren mit operativer Ergebnisverantwortung für einen bestimmten Wertschöpfungsbereich 2. Master Black Belts als Systempromotoren und durch eine größere Anzahl von durchgeführten Projekten sehr erfahrene Six Sigma-Experten 3. Black Belts als Projektleiter und Fachpromotoren für die Durchführung umfassender Six Sigma- und Design for Six Sigma-Projekte 4. Green Belts als Projektmitglieder oder als Leiter kleinerer Six Sigma-Projekte, die sich z.B. auf die Verbesserung von Teilprozessen beziehen. Die Trainingsdauer reicht je nach Position und Qualifikationsgrad von 2 bis 20 Tagen. Das Training erfolgt bei Green und Black Belts jeweils an einem konkreten Projekt. In vielen Unternehmen wird die Six Sigma-Qualifizierung als ein spezifisches Führungskräftenachwuchstraining gesehen, d.h. durch die Ausbildung zum Green und/ oder Black Belt sowie durch die „Bewährung“ in konkreten Projekteinsätzen werden die Voraussetzungen für eine Karriere auf eine attraktive Führungsposition im Unternehmen geschaffen. Erfahrungswerte belegen, dass die Anzahl von in Six Sigma-Methoden geschulten Mitarbeitern insgesamt ca. 10% der Belegschaft eines Unternehmens betragen sollte (vgl. Q-DAS 2002, S. 1). Die inhaltlichen Schulungsschwerpunkte der o.g. Six Sigma-Akteure sind in Abbildung 15 aufgeführt: Der Champion bekommt einen Überblick über die wichtigsten Bestandteile der Lean Six Sigma-Tool-Box; zusätzlich werden ihm Details zu Managemententscheidungen und zum Auswahlprozess bei Six Sigma-Projekten anhand einer größeren Anzahl von durchgeführten Projektbeispielen vermittelt respektive vorgestellt. Der Green Belt erhält eine fundierte Unterweisung in die Tool-Box von Six Sigma sowie zusätzlich auch ein Training in Projekten, z.T. allerdings nur in der „Laborsituation“ des Seminars. Die Grundlage für die Durchführung der Schulung sowie des Projektes ist der DMAIC-Zyklus. Ergänzt wird
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Armin Töpfer, Swen Günther
dies durch die Vermittlung von Basiskenntnissen bei den Soft Skills sowie wichtigen Lean Management-Instrumenten. Im Vergleich hierzu wird der Black Belt in allen drei Bereichen, also Lean Management, Six Sigma und Design for Six Sigma, intensiver sowie breiter geschult, und er führt ein bis zwei Six Sigma-Projekte selbstständig durch. Die Grundlage für die Durchführung der Schulung sowie des Projektes ist der DMADV-Zyklus. Auf die praxisorientierte Schulung der F&E-Methoden QFD, DOE und TRIZ im Rahmen des DMADV-Zyklus wird insbesondere im Beitrag von Streckfuss/ Günther/ Töpfer in Kapitel B eingegangen. Das Coaching und das Review in Form eines Projektberichts mit einer Bewertung werden vom Master Black Belt durchgeführt. Er hat die größte Erfahrung sowie die intensivste und breiteste Schulung erhalten.
Abb. 15: Modulare Vernetzung der Qualifikationsinhalte für wesentliche Akteure
Für die wirkungsvolle und wirtschaftliche Umsetzung der Schulungen sind nach Abbildung 15 die folgenden zwei Punkte relevant: 1. Die Vermittlung der Inhalte erfolgt bei allen Qualifikationsstufen im PräsenzLernen. In jüngster Zeit setzt sich aus Kosten-, Zeit- und Akzeptanzgründen aber auch ein ergänzendes Web-basiertes Lernen immer mehr durch. Diese Form des „gemischten Lernens“ als Blended Learning hat eine Reihe von Vorteilen. Nach der Qualifizierung, den bestandenen Tests und einem erfolgreichen Projektabschluss erfolgt in einer Reihe von Unternehmen eine formelle Zertifizierung. Sie ist sinnvoll und aussagefähig, wenn sie auf den mehr oder weniger
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma
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allgemein anerkannten Six Sigma-Standards basiert und damit einem Benchmarking standhält. 2. Green Belt- und Black Belt-Trainings werden häufig parallel für unterschiedliche Zielgruppen durchgeführt, um so möglichst schnell eine größere Zahl qualifizierter Six Sigma-Akteure im Unternehmen zu erhalten. Dieser Ansatz ist nach unseren Erfahrungen eher nicht zu präferieren. Wenn die Zeit es erlaubt, hat die Aufstockung einer absolvierten Green Belt-Zertifizierung mit den ergänzenden Trainingsteilen, die ein Black Belt im Einsatz braucht, zum einen den Vorteil, dass das Praxisverständnis und der Praxisbezug der Teilnehmer in diesem zweiten Trainingsabschnitt ungleich höher sind. Zum anderen wird hierdurch aus Unternehmenssicht ein zweiter Auswahlprozess für die Rekrutierung von geeigneten Black Belts erreicht. Darüber hinaus ergibt sich ein zusätzlicher finanzieller Vorteil für das Unternehmen: Die angehenden Black Belts führen im Rahmen ihrer Ausbildung zum Green und Black Belt jeweils bereits zwei Trainingsprojekte mit positivem Net Benefit durch.
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Kapitel B – Vernetzung der Bausteine von Lean Management und Six Sigma in Verbesserungsund Entwicklungsprojekten –
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden in der Wertschöpfungskette Bert Leyendecker Inhalt 1 2 3 4 5 6
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Integrationschance der Methoden ..............................................................99 Diagnose der Ist-Situation........................................................................100 Definition der Unternehmensziele und Priorisierung der dazu erforderlichen Aktivitäten ........................................................................102 Ausgewählte Aktivitäten und Projekte umsetzen.....................................102 Verbesserungen messen und managen .....................................................110 Literatur....................................................................................................110
Integrationschance der Methoden
Optimierungsmethoden für die Produktion und die gesamte Wertschöpfungskette sind in den letzten Jahrzehnten immer wieder entwickelt und weiterentwickelt worden. Die Ansätze kommen dabei aus unterschiedlichen nationalen Wirtschaftskulturen und verschiedenen Branchen. Sie sind daher mehr oder weniger spezifisch oder allgemeingültig in der Anwendbarkeit. Einige Beispiele eher allgemein anwendbarer Konzepte sind Total Quality Management, Total Productive Maintenance, die Balanced Scorecard sowie Lean Management und Six Sigma. Persönliche bzw. unternehmensspezifische Präferenzen haben teilweise dazu geführt, dass diese Methoden isoliert betrachtet wurden. Dies geschah nicht selten unter der Annahme, dass sich die Methoden gegenseitig ausschließen oder zumindest eine Kombination wenig fruchtbar sein würde. Diese digitale Sichtweise wird in jüngster Zeit mehr und mehr aufgegeben, und es entsteht ein fruchtbares Miteinander von Werkzeugen und Vorgehensweisen unterschiedlichen Ursprungs. In diesem Beitrag wird gezeigt, wie ein solches Zusammenwirken der Werkzeuge und Hilfsmittel, insbesondere aus dem Lean Management- und Six SigmaWerkzeugkasten, aussehen kann. Die Verzahnung ist dabei teilweise so eng, dass es fast schwer vorstellbar scheint, dass es einmal eine trennende und dadurch separierte Sichtweise gegeben hat. Um dieses Zusammenwirken deutlich zu machen, muss zunächst ein Prozess zur kontinuierlichen Verbesserung in der Wertschöpfungskette definiert werden. Dies kann in einem einfachen Vier-Schritte-Modell beschrieben werden, wie es in Abbildung 1 wiedergegeben ist. Der erste Schritt ist eine detaillierte Analyse der Ist-Situation. Wo steht das Unternehmen? Was sind spezifische Stärken und Schwächen? Welche der identifizierten Schwächen könnten mit Aktivitäten und Projekten zur Verschlankung der
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Bert Leyendecker
Prozesse und Qualitätssteigerung der Wertschöpfung wirkungsvoll verbessert werden? Der nächste Schritt beinhaltet die Festlegung der Ziele, die Priorisierung der Projekte und Aktivitäten, die zum Erreichen der Ziele erforderlich sind, und das Management des Projekt-Portfolios. Die Fragen, die es in dieser Phase zu beantworten gilt, sind: Welche Ziele haben Vorrang? Welche Projekte sollten daher zuerst, welche später bearbeitet werden? Wie viele Projekte können wir gleichzeitig bearbeiten, und ab wann stößt unsere Organisation an ihre Kapazitätsgrenze?
1. Diagnose der Ist-Situation
4. Verbesserungen messen
2. Zieldefinition und Priorisierung
3. Aktivitäten und Projekte umsetzen
Abb. 1: Die vier Schritte der kontinuierlichen Verbesserung
Im dritten Schritt kommen die Lean Management- und Six Sigma-Tools im vollen Umfang zur Anwendung. In kleinen, fokussierten Aktionen und größeren, längerfristig angelegten Projekten werden die ausgewählten Verbesserungen umgesetzt. Die Werkzeuge von Six Sigma und Lean Management können dabei gezielt gemischt und kombiniert werden, wodurch wirkungsvolle und schnelle Vorgehensweisen entstehen, die individuell auf die zu lösenden Probleme abgestimmt sind. Im vierten und letzten Schritt gilt es herauszufinden, welches Niveau die Organisation jetzt erreicht hat. Es muss gemessen werden, welcher Unternehmensbereich sich in welchem Maße – quantifizierbar – verbessert hat. Wo stehen wir jetzt, und in welchen Bereichen gibt es weitere Potenziale, um besser zu werden? Im Folgenden werden die einzelnen Schritte dieses Verbesserungskreislaufs dargestellt und insbesondere das Zusammenspiel der Werkzeuge sowie die Vernetzung der vier Schritte untereinander aufgezeigt.
2
Diagnose der Ist-Situation
Im ersten Schritt des Kreislaufes der kontinuierlichen Verbesserung können zur Analyse und Bewertung der Ist-Situation verschiedene Werkzeuge zum Einsatz
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden
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kommen. Im Fokus stehen dabei die Unternehmenskennzahlen. Wenn das Kennzahlensystem im Unternehmen als Balanced Scorecard (BSC) aufgebaut ist, hat dies zwei Vorteile: Zum einen ist die Verknüpfung der Ist-Diagnose mit der Unternehmensstrategie sichergestellt, denn die BSC wird generell aus der Unternehmensstrategie entwickelt. Zum anderen kann davon ausgegangen werden, dass die Kennzahlensystematik sich nicht nur einseitig auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens beschränkt. Denn die BSC berücksichtigt im gleichen Maße neben der Finanzperspektive die Mitarbeiter-, Kunden- und Prozessperspektive, also alle Werttreiber und Erfolgsfaktoren, die als Key Performance Indicators (KPI) für die erfolgreiche Steuerung des Unternehmens benötigt werden. Die Ergebnisse, die sich in der Scorecard widerspiegeln, zeigen unmittelbar den strategiebezogenen Umsetzungsstand des Unternehmens im Hinblick auf die gesteckten Ziele auf (vgl. Kaplan/ Norton 1997). Wenn die Verknüpfung und das Zusammenspiel der verschiedenen Optimierungsstrategien sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befinden, weist die BSC die „Lean Metrics“, also die klassischen Lean-Kennzahlen, wie Durchlaufzeiten, Bestände, Lieferbereitschaftsgrad etc., auf. Die Lean-Kennzahlen werden dadurch nicht isoliert gemessen und nachverfolgt, z.B. von einem Lean-Implementierungsteam, sondern sind Teil der Strategie und damit Teil der BSC. Zusätzlich verbessert ein aussagefähiges Benchmarking die Bewertung und damit das Verständnis der Ist-Situation. Eine hohe Aussagekraft hat dabei die Wertstromanalyse bzw. das Value Stream Mapping (VSM), um auf der Basis des dokumentierten Standes der Wertschöpfung bzw. der Wertverluste Potenziale klar herauszuarbeiten und Projektideen zu entwickeln, wenn mit diesem wichtigen Werkzeug des Lean Managements der „Future State“ der Value Stream Map definiert wird. Dieser Zusammenhang ist in Abschnitt 4 noch einmal näher beschrieben. Den richtigen Blickwinkel erhält man bei diesem Lean-Assessment zur Analyse der Ist-Situation aber erst, wenn zur Statusbestimmung das erreichte Niveau an den Idealen der Lean Management-Philosophie gemessen wird. Eine ergänzende und dabei umfassendere Perspektive zur Bewertung der IstSituation eröffnet ein Business Assessment, z.B. nach den Kriterien des Malcolm Baldrige National Quality Award oder dem EFQM-Modell. Die Anwendung dieser Konzepte bildet eine aussagefähige Basis für den späteren Einsatz von Optimierungsmethoden aus dem Six Sigma und Lean Management Werkzeugkasten (vgl. Töpfer 2001). Eine weitere Grundlage für die Generierung von Projektideen zur Prozessoptimierung schafft die Durchführung einer FMEA, insbesondere wenn sie in einem Six Sigma-Projekt eingesetzt wird. Die Frage ist, in welcher Form man die Analyse der Ist-Situation durchführt. Um alle relevanten Abteilungen und Personen an einen Tisch zu bringen, bietet sich ein Kaizen-Workshop als wichtige Methode des Lean-Werkzeugkastens an. Bei diesem Kaizen-Event kann die Statusbestimmung des Unternehmens anhand eines Lean-Audit durchgeführt werden, oder ein VSM wird erstellt, oder aber die Ergebnisse der BSC werden genau hinterfragt und durchleuchtet.
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Definition der Unternehmensziele und Priorisierung der dazu erforderlichen Aktivitäten
Beim nächsten Schritt im Kreislauf der Verbesserung gilt es, die Definition der Ziele für das Unternehmen sowohl mit einer langfristig-strategischen als auch mit einer kurzfristig-operativen Perspektive vorzunehmen. Die langfristig-strategischen Ziele, die im Management Team erarbeitet werden, können ebenfalls in moderierten Workshops bzw. Kaizen-Events entwickelt werden. Die Ausgangsbasis ist zunächst die langfristige Perspektive und die angestrebte Entwicklungsrichtung des Unternehmens, i.d.R. auf der Basis einer formulierten Vision. Ein entscheidender Schritt im Anschluss daran besteht darin, aussagefähige Kennzahlen zu definieren, welche auf der Vision basieren, aber die einzelnen kritischen Bereiche der Unternehmensentwicklung möglichst detailliert und präzise erfassen können. Die Kennzahlen müssen also ausgewogen alle Unternehmensbereiche und die wichtigen Unternehmensfaktoren berücksichtigen, wie dies im Rahmen einer BSC der Fall ist. Zusätzlich ist es entscheidend, dass die Kennzahlen im Unternehmensalltag mit vertretbarem Aufwand in der gewünschten Regelmäßigkeit ermittelt werden können. Viele Kennzahlen, die theoretisch eine gut geeignete Maßzahl für die Unternehmensentwicklung sind, scheitern in der Praxis an dieser Hürde. Bereits in dieser Phase werden als wesentlich erkannte, mögliche Aktivitäten und Projekte entwickelt, die das Unternehmen systematisch und schrittweise den gesteckten Zielen näher bringen. Dies ist zugleich der Input für den Priorisierungsprozess der Projekte, die in der nächsten Phase durchgeführt werden sollen. Aus der Liste der Projektideen wird nun ein Projektportfolio erarbeitet, das von der Organisation sinnvoll umgesetzt werden kann. Dazu ist es hilfreich, zunächst einmal Affinitäten zu bilden und die Projektideen den Unternehmenskennzahlen zuzuordnen, auf die sie einen Einfluss haben werden. Danach muss ggf. priorisiert werden. Hierzu können unterschiedliche Werkzeuge zum Einsatz kommen, z.B. die paarweise Gegenüberstellung von Projektattributen (z.B. Aufwand und Nutzen, Erfolgswahrscheinlichkeit und Nutzen). Auch der paarweise Vergleich der Projekte selbst kann hilfreich sein, um anhand aller Projektattribute zu einer umfassenden Bewertung zu kommen. Hierzu lassen sich einfache Punkteverfahren im Management Team anwenden (vgl. Leyendecker 2007).
4
Ausgewählte Aktivitäten und Projekte umsetzen
Zur Umsetzung der Aktivitäten und Projekte stellt sich nun die Frage, in welcher Form diese Projekte aufgesetzt werden. Als Six Sigma-Projekte? Als LeanProjekte? Als Kaizen-Workshop? Als eine Kombination aus mehreren? Und welche Methoden und Werkzeuge lassen sich bei welcher Art von Projekt sinnvoll einsetzen und wie kombinieren?
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden
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Hierzu soll zunächst kurz aufgezeigt werden, dass die Ansätze von Six Sigma und Kaizen im Rahmen des Lean Managements bezüglich ihrer Systematik nicht so weit voneinander entfernt sind, wie oftmals vermutet wird. Abbildung 2 zeigt einen 8-Schritte-Ansatz zur Durchführung von KaizenWorkshops. Dabei wird i.d.R. Schritt 1 vor dem Workshop durchgeführt. Die Schritte 2 und 3 können ebenfalls vor dem Workshop durchgeführt werden oder auch dessen Bestandteil sein. Die Schritte 4 bis 6 sind auf jeden Fall Bestandteil des eigentlichen Kaizen-Workshops. Schritt 7 kann auch noch im Workshop durchgeführt werden, oder er wird erst zusammen mit Schritt 8 im Anschluss daran umgesetzt. In den 8 Schritten des Kaizen lässt sich die Grundstruktur der 5 Six Sigma Phasen wiedererkennen: Define – Was ist das Problem? Measure – Wie groß ist das Problem? Analyse – Was verursacht das Problem? Improve – Wie kann das Problem gelöst werden? Control – Wie kann Nachhaltigkeit sichergestellt werden? Wie leicht nachvollziehbar ist, kann in einer systematischen Sichtweise eine deutliche Verwandtschaft zwischen einem DMAIC-Projekt und einem Kaizen-Workshop festgestellt werden.
Kaizen-Schritt Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5 Schritt 6 Schritt 7 Schritt 8
DMAIC-Schritt
Vorbereitung des Kaizen-Workshops Define Analyse der Ausgangssituation Measure Auswahl der der Werkzeuge zur Ursachenanalyse Anwendung der Werkzeuge im Team Analyse So viele Erkenntnise wie möglich sofort in Aktionen umsetzen Aktionsplan für den Rest erstellen Improve Dokumentation und Training Follow-up Control
Abb. 2: 8-Schritte-Methode zur Durchführung von Kaizen-Workshops und die Gegenüberstellung der DMAIC-Schritte
Die Frage, welche der beiden Vorgehensweisen die geeignetere ist, kann im Einzelfall jeweils anhand der in Abbildung 3 zusammengefassten Kriterien beantwortet werden. Kaizen ist als Methode ein Werkzeug, um kleine, fokussierte Aufgabenstellungen von hoher Dringlichkeit in kurzer Zeit mit hohem Ressourceneinsatz in einem Workshop zu bearbeiten. Daher ist der Kaizen-Ansatz eher für weniger komplexe Projekte geeignet. Dringliche Probleme, z.B. wenn die Produktionsgeschwindigkeit aufgrund aktueller Qualitätsprobleme um 40% reduziert werden muss, werden also mit einem Kaizen-Workshop gelöst. Das DMAIC-Konzept kann im Rahmen von Six Sigma auch bei umfangreicheren Aufgaben- und Problemstellungen zum Einsatz kommen; durch die Komplexität des Problems und den Umfang der einzelnen methodischen Prozessschritte sind dies grundsätzlich – im Vergleich zu Kaizen-Workshops – längerfristig zu bearbeitende Projekte mit einem Zeitbedarf von 3 bis zu 6 Monaten.
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Bert Leyendecker
Kriterium
Kaizen
DMAIC
Projektumfang Dringlichkeit der Problemstellung Bedeutung der Einbindung aller betroffenene Mitarbeiter für die Lösungsfindung Bedeutung von statistischen Analysen für die Problemlösung Komplexität der Aufgabenstellung
gering - mittel hoch
mittel - hoch mittel - hoch
mittel - hoch
gering-mittel
gering - mittel gering - mittel
mittel - hoch mittel - hoch
Abb. 3: Eignung des Kaizen- und des DMAIC-Ansatzes bei verschiedenen Rahmenbedingungen
Kaizen ist ein sehr mitarbeiterorientierter Prozess. Ein Kaizen-Workshop wird i.d.R. so gestaltet, dass jeder Mitarbeiter sich einbringen kann und die Ideen von vielen zur Problemlösung beitragen. In einem DMAIC-Projekt stoßen ungeschulte Mitarbeiter dagegen eher schnell an ihre Grenzen und haben dann Schwierigkeiten, der Logik der durchgeführten Analysen zu folgen. Wenn aber absehbar ist, dass zur Untersuchung und Ermittlung der relevanten Ursachen eines Problems viele statistische Analysen im Verlauf des Projektes erforderlich werden, ist ein DMAIC-Projekt zur Problembearbeitung eher geeignet, da Kaizen der stärker mitarbeiterorientierte Ansatz und DMAIC der stärker datenorientierte Ansatz ist. Unter diesem Blickwinkel ist dann die bereits angesprochene Komplexität der Aufgabenstellung als Auswahlkriterium der geeigneten Methode zu sehen. In einem kurzen, aber intensiven und fokussiert durchgeführten Kaizen darf die Aufgabenstellung nicht zu komplex sein, da sie in der Kürze der Zeit nicht gelöst werden kann. In einem längerfristig angelegten DMAIC-Projekt sind komplexe Aufgabenstellungen aber gut aufgehoben und die Six Sigma-Werkzeuge helfen, die Komplexität der Projekte aufzubrechen und handhabbar zu machen. Obwohl Kaizen und DMAIC von der Herangehensweise ähnlich strukturiert sind und sich hervorragend ergänzen können, liegt der Unterschied also vor allem in der Einfachheit bzw. anspruchsvollen Vorgehensweise der Methoden, der dadurch mehr oder weniger guten Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz der Analyseschritte sowie der erarbeiteten Projektergebnisse und der damit verbundenen mehr oder weniger großen Mitwirkung der Mitarbeiter. Wenn auf der einen Seite in Unternehmen ausschließlich die Six Sigma-Methode angewendet wird, dann kann bei den Mitarbeitern der Eindruck entstehen, die Anwendung der Six Sigma-Methode mache die Problemlösung bei einigen Projekten unnötig komplex bzw. kompliziert. Es fehlt in dem Fall ein methodisches Ersatzwerkzeug, das schnell und unkompliziert einfache Probleme lösen kann. Auf der anderen Seite kann man in Unternehmen, die Prozessverbesserungen ausschließlich auf Kaizen-Workshops aufbauen, feststellen, dass es an einer Vorgehensweise mangelt, die geeignet ist, komplexere Aufgabenstellungen und Zusammenhänge zu analysieren.
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden
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Die Flexibilität und die Stärke einer kombinierten Strategie der Verbesserung mit Einzelwerkzeugen von Lean Management und Six Sigma beruht letztlich auf der Tatsache, dass die Übergänge der Anwendungsgebiete von Kaizen und von DMAIC fließend sind. Dabei stellt sich dennoch die konkrete Frage: Wann sollte welches Werkzeug zum Einsatz kommen? Wie sollten die Werkzeuge kombiniert werden und welche Bearbeitungsreihenfolge ist sinnvoll? Die folgenden Beispiele aus der Praxis sollen zu dieser Fragestellung etwas mehr Klarheit bringen und die Stärke der Kombination von Lean- und von Six Sigma-Werkzeugen in der Projektbearbeitung aufzeigen. In den kleinen, weniger komplexen Projekten, die bevorzugt mit dem KaizenduAnsatz bearbeitet werden, sind ausgewählte Six Sigma Werkzeuge oft willkommene Hilfen. In Abbildung 4a und 4b ist zusammengefasst, wie die unterschiedlichen Werkzeuge eingesetzt werden können und die Methodenwirksamkeit durch die Kombination von Lean und Six Sigma gesteigert werden kann.
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KPI
C o n tro l
Im p r o v e
A n a ly s e
M e a s u re
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D e fin e
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K le in e P r o je k te (K a iz e n )
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BSC
Projektarbeit
G r u n d la g e n a r b e it
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P o r tfo lio M a n a g e m e n t
P r o je c t S e le c tio n
Strategic Tools/ Strategic Plans Konzepte Balanced Scorecard Assessments Benchmarking Portfolio Management Tools Lean Metrics Lean Tools/ Konzepte VSM Takt Time One Piece Flow Pull Prinzip Zero Defects 5S Rapid Changeover KANBAN Standard Work Visual Factory KAIZEN Mistake Proofing Layout Analysis & Improvement Line Balancing
Zieldefinition & Priorisierung
Id e a G e n e r a tio n
T o o l/ K o n z e p t
T o o lg r u p p e
Diagnose
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Abb. 4a: Die Anwendungsfelder der Lean Management-Werkzeuge in den verschiedenen Phasen der kontinuierlichen Verbesserung
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Die Six Sigma Werkzeuge „SIPOC“ und „VOC/CTQ“ können auch im Vorfeld von Kaizen-Workshops helfen, ein Problem bezogen auf die maßgeblichen Prozesse genauer zu definieren und im Hinblick auf die wesentlichen Kundenanforderungen einzugrenzen (siehe Abb. 4b). Diese Werkzeuge sind besonders dann hilfreich, wenn nicht-technische Prozesse optimiert werden sollen. Denn gerade bei administrativen Prozessen besteht oftmals kein klares Verständnis, was genau der zu optimierende Prozess beinhaltet und was in diesem Prozess ein Fehler ist. Beispiele sind Kaizen-Workshops zur Reduzierung der Fehlerhäufigkeit auf Rechnungen, zur Verbesserung der Personalplanung für F&E-Aktivitäten oder zur Verbesserung des Informationsflusses bei der Produktionsplanung.
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KPI
C o n tro l
Im p r o v e
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M e a s u re
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BSC
Projektarbeit
G r u n d la g e n a r b e it
P o r tfo lio M a n a g e m e n t
P r o je c t S e le c tio n
Zieldefinition & Priorisierung K le in e P r o je k te (K a iz e n )
Six Sigma Tools/ Brief Konzepte SIPOC VOC/ CTQ IPO Measures Fishbone Diagram Process Mapping Deployment Chart Spaghetti Diagram Priorization Matrix FMEA Gage R&R Data Display Process Capability Process Analysis Multi Vari Analysis Hypothesis Testing Regression DOE Solution Priorisation Cost Benefit Analysis Piloting Implementation plan QC Process Chart Qualification/ Val. SOPs Control Charts Process Capability
Id e a G e n e r a tio n
T o o l/ K o n z e p t
T o o lg r u p p e
Diagnose
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Abb. 4b: Die Anwendungsfelder der Six Sigma-Werkzeuge in den verschiedenen Phasen der kontinuierlichen Verbesserung
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden
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Bei diesen administrativen Projekten ist dann bei der Durchführung des Kaizen-Workshops oft die genauere Analyse der zu optimierenden Abläufe hilfreich. Auch dazu können wieder Werkzeuge aus dem Six Sigma-Bereich sinnvoll zum Einsatz kommen. Um im Kaizen-Team ein gemeinsames Verständnis zu bekommen, an welcher Stelle z.B. im Rechnungsstellungsprozess, in der Personalplanung oder im Informationsfluss bei der Produktionsplanung genau das Problem liegt, können die verschiedenen Varianten des Prozess Mappings helfen. Ob man ein einfaches Flussdiagramm, ein Zuständigkeitsdiagramm oder vielleicht eine Value Added Flow Analysis wählt, hängt von den Gegebenheiten ab. Die Value Added Flow Analysis ist z.B. sinnvoll, wenn im Team das Gefühl vorherrscht, dass im betrachteten Prozess viele Schritte einfach unnötig kompliziert gestaltet sind. Weitere Werkzeuge aus der Measure-Phase des DMAIC Zyklus, die in KaizenWorkshops oder zur Vorbereitung dieser Workshops sinnvoll eingesetzt werden können, sind das Fishbone- bzw. Ishikawa-Diagramm und die Priorisierungsmatrix sowie das Pareto-Diagramm. Diese Werkzeuge können helfen, mögliche Problemursachen zu strukturieren und zu priorisieren. Gerade für die erfolgreiche Durchführung eines Kaizen-Workshops ist ein klarer Fokus auf ein spezifisches Teilproblem wichtig, um sich nicht in der Komplexität der Aufgabe zu verlieren. Je nach Projekt können auch die statistischen Werkzeuge aus Six Sigma helfen, in einem Kaizen-Workshop die erforderlichen Grundinformationen aufzuarbeiten und für die Gruppenarbeit zur Verfügung zu stellen. Im Zuge der Vorbereitung eines Kaizen-Workshops zur Effizienzsteigerung in einem Produktionsunternehmen wurden z.B. die Effizienzen zweier vergleichbarer Produktionsbereiche über einen Zeitraum von 5 Wochen tageweise gemessen und in einer Regelkarte gegenübergestellt. Den Teilnehmern des Kaizen-Workshops war die Notwendigkeit zur Optimierung aufgrund dieser Daten sofort klar, und man begann den KaizenWorkshop mit dem Erstellen eines Ursache-Wirkungs-Diagramms. Nachdem im Kaizen-Workshop mögliche Lösungen erarbeitet wurden, kann es sinnvoll sein, sich der Werkzeuge aus der Improve- und Control-Phase des DMAIC Zyklus zu bedienen, um von einer Lösungsidee zu einer fertig umgesetzten Lösung zu kommen. Eventuell müssen verschiedene Lösungsansätze priorisiert werden; dabei hilft die „Solution Priorisation“. Dazu kann auch eine KostenNutzen-Analyse hilfreich sein. Pilotphase und Implementierungsplan können sich anschließen. Schließlich bieten sich die Werkzeuge der Umsetzungsplanung und der Dokumentation neuer Prozessabläufe an, um die Optimierung abzurunden (QC Process Chart, Standard Operating Procedures (SOP)). Damit ist aufgezeigt, wie die unterschiedlichen Six Sigma Werkzeuge bei der Vorbereitung und Durchführung von Kaizen-Workshops helfen können. Umgekehrt kann aber auch ein Kaizen-Workshop sehr sinnvoll in einem komplexeren Projekt nach DMAIC zur Anwendung kommen, und zwar eigentlich in allen Phasen der Projekte. Dies ist aus Abbildung 4a nachvollziehbar. In der Define-Phase von Six Sigma Projekten kommt es immer wieder vor, dass die genaue Definition eines Projekts und die Erstellung des Projektauftrags sich über mehrere Iterationen hinzieht, da es nicht gelingt, alle Stakeholder, Sponsoren und Ansprechpartner zu einer Diskussion zusammen zu bekommen. Es hat sich
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Bert Leyendecker
bewährt, solche Abstimmungsprozesse in Form eines Kaizen-Workshos zu beschleunigen. In einem solchen Workshop können ohne Weiteres mehrere Projektdefinitionen für verschiedene DMAIC-Projekte parallel abgestimmt werden. In der Measure-Phase kann man die Sammlung aller potenziellen Einflussfaktoren und deren Priorisierung sehr effizient und zügig ebenfalls in einem KaizenWorkshop bearbeiten. Auch die Analyse und Interpretation großer Datenmengen in der Analyse-Phase kann so gestaltet werden. Des Weiteren kann der KaizenWorkshop ein sinnvoller Ansatz sein, in der Improve-Phase schnell gute Lösungen für ein Problem zu finden und in der Control-Phase das Projekt und die Projektdokumentation abzurunden. In der Analyse-Phase eines Six Sigma-Projektes können neben Kaizen auch einige andere Lean-Werkzeuge die Vorgehensweise sinnvoll ergänzen. Allen voran sei das Value Stream Mapping genannt, das auf nahezu jeden Prozess anwendbar ist und wertvolle Erkenntnisse über Schwachstellen sowie Optimierungspotential bietet. Es geht dabei weit über ein normales Process Mapping hinaus und liefert vertiefte Erkenntnisse über den untersuchten Prozess. Besonders bei Untersuchungen im Produktions- und Supply Chain-Umfeld können aber auch die Prinzipien „Takt Time“, „One Piece Flow“ und „Pull“ wertvolle Unterstützung in der Analyse-Phase liefern. Die Improve-Phase bietet im DMAIC-Zyklus im Vergleich zu den anderen Phasen relativ wenige Werkzeuge zur Optimierung an. Je nach Projekt sind die zahlreichen anderen Lean-Werkzeuge wie Standard Work, Rapid Changeover und Visual Factory eine gute Ergänzung zu den von Six Sigma angeboten Werkzeugen. Abschließend wird noch auf eine besondere Kombination der Lean Management-Tools mit den Six Sigma-Werkzeugen eingegangen. So kann auch der gesamte Value Stream Mapping-Prozess und die Implementierung von Lean Management-Strategien im Unternehmen als DMAIC-Projekt gesehen und durchgeführt werden. Die Einführung werthaltiger schlanker und damit verschwendungsfreier Prozesse wird also mit den Methoden der fehlerfreien Qualitätssteuerung umgesetzt. Dieser Ansatz ist in Abbildung 5 dargestellt. In der Define-Phase wird der Projektumfang definiert und das Ziel festgelegt. Eine SIPOC-Analyse für den betrachteten Gesamtprozess (z.B. die Wertschöpfungskette für eine bestimmte Produktfamilie) gibt einen ersten Überblick über den zu optimierenden Unternehmensbereich. Durch die Stakeholder-Analyse berücksichtigt man gleich von Anfang an den Faktor Mensch bei dieser Initiative. Eine frühzeitige Berechnung des „Business Case“ hilft bei der Fokussierung auf das Wesentliche. In der Measure-Phase ist die Hauptaktivität das Erstellen der Value Stream Map, die Definition von aussagekräftigen Messgrößen und das Einbringen dieser Messgrößen in die Value Stream Map. Hilfestellung bieten dabei die aus dem Six Sigma-Werkzeugkasten entliehenen Methoden zur Definition aussagekräftiger Messgrößen und zur Messmittelanalyse (Gage R&R) sowie die Betrachtung der Prozessfähigkeit versus der definierten Lean Metrics. Dadurch ist am Ende der Measure-Phase das Ausmaß der zu schließenden Lücke bekannt.
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden
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In der Analyse-Phase folgen detaillierte Ursachenanalysen für die gefundenen Problembereiche. Dabei kann man sich wieder sehr sinnvoll des Six Sigma-Werkzeugkastens bedienen, und zwar insbesondere bezogen auf Pareto-Diagramm, Fishbone-Diagramm, Werkzeuge zur Priorisierung, Regelkarten und statistische Werkzeuge. Wie schon weiter oben beschrieben, lassen sich jetzt auch separate DMAIC-Projekte definieren, um die unterschiedlichen Problemursachen zu erkennen und anschließend zu beseitigen. Define
Measure
Analyse
Improve
Control
Definition des Umfangs der Implementierung SIPOC für Gesamtprozess Stakeholder Analyse Kosten-Nutzen Rechnung (Business Case) Value Stream Map, Current State Lean Metrics definieren Operational Definition für Lean Metrics Ggf. Gage R&R Datenerfassung der Lean Metrics Prozessfähigkeit vs. Lean Metrics Analyse der Value Stream Map Analyse der Lean Metrics Lean Assessment Ursachenanlyse für Problembereiche Ggf. eigene DMAIC-Projekte für bestimmte Probleme definieren Vision darstellen mit Future State Value Stream Map Verbessrerungen umsetzen mit: - DMAIC und Kaizen Projekte - Rapid Changeover - One Piece Flow - 5S SOPs, QC Process Charts Lean Metrics überwachen (Regelkarten) Prozessfähigkeit vs. Lean Metrics
Abb. 5: Der Value Stream Mapping-Prozess und die Implementierung von Lean Management-Strategien als DMAIC-Projekt
Die Improve-Phase ist geprägt durch das Erstellen der „Future State Value Stream Map“ und das Umsetzen der erforderlichen Verbesserung. Dies sind kleine und große Aktivitäten, also DMAIC- oder auch Kaizen-Projekte. Natürlich können hier auch alle anderen Lean-Werkzeuge zum Einsatz kommen, und zwar je nach Problemlage individuell (5S, Rapid Changeover, One Piece Flow). In der Control-Phase nutzt man die definierten Messgrößen, um die Nachhaltigkeit der Optimierungen zu überprüfen. Auch hier können wieder Werkzeuge aus dem Six Sigma-Werkzeugkasten helfen, wie z.B. die Regelkarte, die Prozessfähigkeitsanalyse und SOPs bzw. QC Process Charts.
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Verbesserungen messen und managen
Je größer der Einfluss der Aktionen und Projekte, die man im Rahmen des hier beschriebenen Verbesserungsprozesses umsetzt, auf die Unternehmensergebnisse ist, desto nachhaltiger wirkt sich der gezielte und konsequente Instrumenteinsatz aus. Dies wird an den Unternehmenskennzahlen der BSC sichtbar. Die Mittel und Wege zur kontinuierlichen Verbesserung in der Wertschöpfungskette haben sich in mehreren Dimensionen weiterentwickelt. Zum einen werden Projekte mehr und mehr im Gesamtzusammenhang der Wertschöpfungskette gesehen, also über die gesamte Value Chain, und nicht mehr als einzelne „Inseln der Verbesserung“. Zum anderen ist der Umfang der zur Anwendung kommenden Werkzeuge deutlich erweitert worden. Man nutzt nicht mehr allein Six Sigma- oder Lean Management-Werkzeuge, sondern sieht die Hilfsmittel von Six Sigma, Lean Management, Projektmanagement und Change Management im Einklang. Außerdem ist ein intensiver Rückkopplungsprozess entstanden, der in vielen Fällen die Projektbearbeitung gleich wieder mit dem Projekt-Portfoliomanagement verbindet. So kann z.B. in der 3. Phase des hier beschriebenen Kreislaufs, der Umsetzung von Aktivitäten und Projekten, die ursprünglich aus dem Lean Management stammende VSM in der Analyse-Phase eines Six Sigma-Projekts zur Anwendung kommen, und es können sich daraus Projektideen für weitere Projekte ergeben, die gleich wieder in die 2. Phase des Kreislaufs, die Zieldefinition und Projektpriorisierung, einfließen. Das heißt aber auch, dass die 4 Schritte der kontinuierlichen Verbesserung, wie sie hier vorgestellt wurden, in der Praxis nicht rein sequenziell ablaufen, sondern in starker Wechselwirkung stehen und sich ständig gegenseitig beeinflussen.
6
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Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden
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Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma: Vom Standard-DMAIC zum Blitz-DMAIC Swen Günther, Bernd Garzinsky Inhalt 1 1.1 1.2 2 2.1 2.2 3 3.1 3.2 4
1
Problemlösungszyklen zur prozessbezogenen Verbesserung bei Lean Management und Six Sigma ....................................................................113 PDCA-Zyklus bei Lean Management-Projekten......................................113 DMAIC-Zyklus bei Six Sigma-Projekten ................................................118 Blitz-DMAIC-Zyklus als alternativer Problemlösungszyklus bei Lean Six Sigma-Projekten........................................................................125 Vorgehen und Methodeneinsatz...............................................................125 Problemspezifische Anwendung ..............................................................128 Konsequenzen für die Konzeption und Umsetzung von Lean Six Sigma-Trainings........................................................................130 Ordentliches Six Sigma-Training auf Basis des Standard-DMAIC-Zyklus.........................................................................131 Lean Six Sigma-Schulungskonzept auf Basis des Blitz-DMAIC-Zyklus...............................................................................133 Literatur....................................................................................................135
Problemlösungszyklen zur prozessbezogenen Verbesserung bei Lean Management und Six Sigma
In diesem Beitrag wird ein Überblick über die wesentlichen Problemlösungszyklen gegeben, welche im Rahmen von Lean Six Sigma zum Einsatz kommen. Nach einer kurzen Vorstellung des PDCA-Zyklus, welcher als grundlegender Problemlösungszyklus im Qualitätsmanagement(QM)-Bereich angesehen wird, folgt im Weiteren eine Darstellung des DMAIC-Zyklus. Dieser hat sich in vielen Six Sigma-Unternehmen bei der Verbesserung von Prozessen bewährt und gilt heute als „State of the Art“. Um dem Lean-Aspekt bei Six Sigma stärker gerecht zu werden, entwickeln wir im zweiten und dritten Abschnitt einen alternativen Problemlösungszyklus. 1.1
PDCA-Zyklus bei Lean Management-Projekten
Nach den Ausführungen in Kapitel A dieses Buches ist das Lean-Konzept stärker eine Handlungsphilosophie als ein projektbasiertes Verbesserungsverfahren. LeanProjekte folgen i.d.R. keinem allgemeinen, fest definierten Ablauf. Zwar gibt es
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Swen Günther, Bernd Garzinsky
nach der Implementierungsphase projektähnliche Vorgehensweisen mit fester Struktur (Kaizen-Workshops), jedoch findet nur ein Teil der Verbesserungsmaßnahmen, vor allem während der Implementierung, in strukturierter Form statt. Bis heute hat sich kein einheitliches Vorgehen mit definierten Phasen in der Praxis durchgesetzt. In der Literatur wird häufig der fünfstufige Ansatz von Womack/ Jones (2004, S. 24 ff.) als Grundlage für den Projektablauf angeführt:1 1. 2. 3. 4. 5.
Identifikation des Kundenwertes Analyse des gesamten Wertstroms Schaffen eines kontinuierlichen Flusses Produzieren nach Kundentakt/ -wunsch Streben nach Perfektion mit KVP.
Nach der anfänglichen, radikalen Neuausrichtung des Wertstroms in den ersten 4 Schritten (Kaikaku), setzt mit dem 5. Schritt die kontinuierliche, graduelle Verbesserung (Kaizen) ein. Ziel ist es, langfristig alle Formen von Blindleistung/ Verschwendung (waste/ muda) zu eliminieren respektive zu vermeiden. Mit Beginn des 5. Schritts finden regelmäßig Kaizen-Workshops statt. Diese kurzen projektähnlichen Aktivitäten sind auf einen bestimmten Bereich im Unternehmen begrenzt. Sie beziehen alle betroffenen Mitarbeiter ein und führen – gesamtheitlich betrachtet – zu vielen kleinen Prozessverbesserungen. Die Vorgehensweise basiert in den meisten Fällen auf dem PDCA-Zyklus nach Deming; er umfasst die vier Phasen: P = Plan (Planen), D = Do (Ausführen), C = Check (Überprüfen), A = Act (Verbessern). Das schrittweise Durchlaufen der Phasen ist dabei als nie endender Prozess zu verstehen (vgl. Zollondz 2006, S. 85f.): Plan-Phase Jeder Zyklus beginnt mit der Planungsphase. In dieser werden die Projektziele definiert, der Projektrahmen abgesteckt und die notwendigen Maßnahmen zur Lösung des Problems festgelegt. Um geeignete Maßnahmen festlegen zu können, sind Ursachen-Wirkungs-Ketten aufzustellen und diesbezüglich benötigte Informationen/ Daten zu sammeln. Die Auswertung der Daten ermöglicht die Festlegung von Maßnahmen, die das Problem lösen und so den Prozess insgesamt verbessern. Die Phase beinhaltet also nicht nur die Problembeschreibung und Zieldefinition, sondern auch die Datenerfassung und Ursachenbestimmung. Im Vergleich zum DMAIC-Zyklus sind die Aktivitäten, die im Rahmen der Define-, Measure- und Analyse-Phase durchgeführt werden, in einer Phase gebündelt. Do-Phase In der danach folgenden Ausführungsphase werden die zuvor abgeleiteten Maßnahmen zunächst in kleinem Rahmen bzw. in experimenteller Form umgesetzt, um Erfahrungen zu sammeln und eventuell auftretende Probleme bei der späteren
1
Die fünf Schritte sind in Kapitel A im Beitrag von Töpfer ausführlich behandelt.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
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Umsetzung zu erkennen. Das Vorgehen, die Einhaltung des Zeitplans und die Ergebnisse der Do-Phase werden dokumentiert.2 Check-Phase Die Überprüfungsphase dient dazu, die in der Do-Phase erreichten Ergebnisse zu bewerten und anschließend zu kontrollieren. Dabei erfolgt eine Rückkopplung in die Planungsphase, in der die Ziele des Projektes definiert worden sind. Bei einer Gegenüberstellung mit dem DMAIC-Zyklus wird deutlich, dass die Inhalte der Do- und Check-Phase im weitesten Sinne denen der Improve-Phase entsprechen, also Lösungen generieren, auswählen und implementieren. Act-Phase In dieser Phase werden die in der Planungsphase auf höherer Ebene aufgestellten Veränderungsmaßnahmen eingeführt, d.h. in die täglichen Abläufe und Aktivitäten implementiert. Dabei sind alle am Prozess beteiligten Parteien, insbesondere Mitarbeiter und Führungskräfte, zu involvieren. Schließlich ist eine FeedbackSchleife vorgesehen, um zu klären, wie – ausgehend von den Ergebnissen der Check-Phase – der nächste Zyklus geplant werden kann. Danach beginnt der Zyklus von vorn. Die Inhalte der Act-Phase decken sich weitestgehend mit denen der ControlPhase des DMAIC-Zyklus. Die vorliegenden Ergebnisse werden unmittelbar für die Planung späterer PDCA-Projekte verwendet. Hierdurch wird eine kontinuierliche Prozessverbesserung in Gang gesetzt. Der Nachteil dieses Ansatzes liegt lediglich darin, dass KVP nur für Prozesse möglich ist, deren Abläufe sich nicht/ kaum ändern, weil eine Verbesserung immer nur auf denselben Ablauf anwendbar ist. In Abbildung 1 ist der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) auf der Grundlage des PDCA-Zyklus bildlich veranschaulicht. Eine Umdrehung des PDCA-Rades auf der schiefen Ebene nach oben symbolisiert den Durchlauf genau eines Zyklus. Je weiter oben sich das Rad befindet, desto höher ist die jeweilige Prozessqualität. Die Anwendung dieser Systematik bezieht sich nicht nur auf die Unternehmens-/ Geschäftsprozessebene, sondern auch auf die Projekt-/ Arbeitsebene. Im Zusammenhang mit der Darstellung des PDCA-Zyklus werden die wesentlichen Charakteristika von Qualitätsverbesserungssystemen (QVS) deutlich. Diese arbeiten i.d.R. mit Rückkopplungen/ Schleifen, bei denen die folgende Systematik zugrunde liegt: Nachdem der gegenwärtige Zustand des Systems/ des Prozesses ermittelt worden ist, werden auf der Basis dieser Erkenntnisse Verbesserungen vorgeschlagen und durchgeführt. Der Zyklus startet nach der Implementierung der Verbesserungen von neuem, jedoch auf einer veränderten, nämlich höheren Basis.
2
Im Laufe der Zeit wurde der PDCA-Zyklus sukzessive weiterentwickelt und auf verschiedene Weise modifiziert. So wird z.B. in einer überarbeiteten Version ein zusätzlicher (kleiner) PDCA-Zyklus innerhalb der Do-Phase durchlaufen.
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Swen Günther, Bernd Garzinsky
Der PDCA-Zyklus wird unmittelbar dem vor allem in den 1990er Jahren populären TQM-Ansatz zugeschrieben und ist vom Grundsatz her mit dem DMAICZyklus des Six Sigma-Konzeptes vergleichbar. Jedoch zeichnet sich letzteres gegenüber TQM durch eine stringentere Methodenanwendung sowie ein strafferes Projektmanagement aus. Nach Ansicht von Experten findet vor allem der Führung- und Managementaspekt bei Six Sigma eine stärkere Berücksichtigung. Hinzu kommt ein relativ unstrukturierter und wenig standardisierter Methodeneinsatz, welcher den effizienten Ablauf des PDCA-Zyklus garantiert.
Plan
Check
Do
Basis: Deming 1986
nahm M aß
en
Plan
Check
Do Verbesserungen
Act
Act
Zeit
Abb. 1: Kontinuierliche Verbesserung mit dem PDCA-Zyklus
In Abbildung 2 sind wesentliche Methoden und Werkzeuge3 des LeanKonzeptes – in vier Gruppen unterteilt – aufgeführt. Sie spielen vor allem in der Do-Phase des PDCA-Zyklus eine wichtige Rolle (vgl. Liker 2004, S. 33): 1. Die Grundlage für den effektiven und effizienten Einsatz der Lean-Methoden und -Werkzeuge bildet das Erreichen respektive Sicherstellen einer Operativen Stabilität. Hierbei stellt die Produktionsglättung eine zeitlich gleichmäßige Auslastung der Produktion sicher. Die Standardisierung gewährleistet, dass die Arbeit produktiv, wiederholbar und sicher durchgeführt wird. Kaizen wiederum verwirklicht das Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung. 2. Die bedarfsgerechte Produktion wird über die gesamte Wertschöpfungskette mithilfe von Just-in-Time realisiert. Es wird nur das hergestellt, was zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Menge vom Kunden nachgefragt 3
Unter „Methoden“ werden hier festgelegte Vorgehensweisen zur Erreichung definierter Ziele verstanden, z.B. DOE. Typischerweise wird das methodische Vorgehen durch den Einsatz von „Werkzeugen“ als Sub-Methoden unterstützt, z.B. Ishikawa.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
117
wird. Dabei werden durch die Fließfertigung die Prozesse entsprechend dem Wertstrom direkt räumlich aneinander platziert und durch einen Mitarbeiter komplett durchgeführt. Die Taktzeit passt das Tempo des Produktionsprozesses dem der Kundennachfrage an. Beim Pull-System holt ein Prozess Vormaterial von einem vorgelagerten Schritt, der wiederum die entnommene Menge nachproduziert. Dies gewährleistet, dass die richtigen Teile produziert und zur richtigen Zeit an den richtigen Ort geliefert werden.
Lean-Methoden Just-In-Time
Werkzeuge
Autonomation
Fließfertigung
Zellenfertigung
TPM
Poka Yoke
Fehlererkennung
Taktzeit
SMED
VSM
Andon
Produktionsstopp
PullSystem
Kanban
5S
5W
Problemlösung
Operative Stabilität Produktionsglättung
Standardisierte Arbeit
Kaizen
Basis: Liker 2004, S. 33
Abb. 2: Vier Gruppen von Lean-Methoden und -Werkzeugen
3. Um Probleme/ Fehler unmittelbar an ihrem Entstehungsort zu erkennen und zu beseitigen, ist eine höhere Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter (Empowerment) erforderlich. Autonomation bezeichnet das Prinzip, einen Herstellungsprozess anzuhalten, sobald eine Abweichung auftritt. Es setzt sich aus den Phasen Fehlererkennung, dem Produktionsstopp und der anschließenden ursachenbasierten Problemlösung zusammen. In der industriellen Fertigung hat sich in diesem Zusammenhang das auf Toyota zurückgehende „ReißleinenPrinzip“ bewährt. Die Produktionsanlagen werden per Reißleine gestoppt, sobald ein Mitarbeiter einen Fehler entdeckt hat. 4. Lean-Projekte, die z.B. nach dem PDCA-Zyklus durchgeführt werden, sind aus Methodensicht eher einfach gestaltet. Komplexe (statistische) Verfahren zur exakten Ursachenanalyse finden hier kaum Anwendung. Der Fokus der Werkzeuge liegt auf der Implementierung von Lösungen. Hierzu gehören u.a. Zellenfertigung, Total Productive Maintenance (TPM), Poka Yoke (japanisch: Vermeiden unbeabsichtigter Fehlhandlungen), Rüstzeitoptimierung i.S.v. SMED (Single Minute Exchange of Dies), Value Stream Mapping (VSM), Andon-
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Swen Günther, Bernd Garzinsky
Tafel zur Produktionsüberwachung, Kanban-Prinzip, 5S-Methode zur Schaffung von Ordnung und Sauberkeit am Arbeitsplatz sowie die Fünfmal-WarumMethode zur gezielten Problemursachenfindung (5W).4 Den Schwerpunkt der Lean-Werkzeuge bilden grafische Verfahren, z.B. Flussdiagramme, die leicht trainierbar und einfach anwendbar sind. Gegenüber Six Sigma kommen statistische Verfahren, z.B. Regressionsanalyse, hier nur sporadisch zur Anwendung. Im Vordergrund der Bemühungen steht die Lösungsfindung. Vor diesem Hintergrund lässt sich Lean Management als umsetzungsorientiertes Managementkonzept charakterisieren. Das Six Sigma-Konzept ist dagegen stärker erkenntnisorientiert, wie die folgenden Ausführungen verdeutlichen. 1.2
DMAIC-Zyklus bei Six Sigma-Projekten
Anders als Lean Management besitzt das Six Sigma-Konzept einen festen Ablaufplan, auf welchem jedes Projekt basiert. Bei prozessbezogenen Verbesserungen kommt der DMAIC-Zyklus zum Einsatz. Dieser gliedert sich in die fünf Phasen Define, Measure, Analyse, Improve und Control (vgl. Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007, S. 262ff.): 1. 2. 3. 4. 5.
Spezifizieren des Projekts und der Kundenanforderungen (Define) Sammeln und Darstellen von relevanten Daten (Measure) Identifizieren der (Haupt-)Ursachen des Problems (Analyse) Erarbeiten und Umsetzen der optimalen Lösung (Improve) Überwachen der dauerhaften Problembeseitigung (Control)
Die Problemlösung erfolgt systematisch und zeichnet sich über weite Strecken durch eine wissenschaftliche Vorgehensweise aus. Dabei werden mit Realitätsund Abstraktionsebene zwei Ebenen der Problemlösung unterschieden. Durch diese Trennung ist es möglich, auch schwierige praktische Probleme zu lösen. Die Lösungsfindung erfolgt in vier Schritten (siehe Abb. 3): ! Auf der Realitätsebene wird das reale Problem definiert und – in der DefinePhase – zu einem 3- bis 6-monatigen Verbesserungsprojekt nominiert; dieses ist von drei bis fünf Akteuren in dem vorgesehenen Zeitraum zu bearbeiten. " Das reale Problem wird in ein abstraktes Problem transformiert, was aus wissenschaftlicher Sicht der Modellbildung entspricht. Aus dem realen Problem wird – in der Measure-Phase – ein statistisches Problem, welches mithilfe von Variablen und Messgrößen beschrieben werden kann. # Auf der Abstraktionsebene wird unter Nutzung mathematisch-statistischer Modelle eine abstrakte Lösung gesucht. Dazu werden zunächst – in der AnalysePhase – die Hauptursachen des Problems identifiziert; in der anschließenden Improve-Phase – wird versucht, eine abstrakte Lösung zu erarbeiten und deren Potenzial durch Outputsimulationen abzusichern. 4
Auf die hier genannten Lean-Methoden/ -Werkzeuge wird in den Praxisbeiträgen in Kapitel C näher eingegangen.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
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$ Die abstrakte Lösung wird in eine reale Lösung zurücktransformiert. Nach der Implementierung im Prozess wird die gefundene Lösung – in der Control-Phase – kontinuierlich überwacht und ggf. weiter verbessert.
2
Measure/ Analyse
Improve
Statistisches Problem
Statistische Lösung
3
Reale Lösung
4
Abstraktionsebene Realitätsebene
1
Reales Problem
Trial & Error
Define
Control
Basis: Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007, S. 263
Abb. 3: Der Problemlösungsfluss in Six Sigma-Projekten
Die Denkweise von Six Sigma unterscheidet sich damit deutlich von Lean Management sowie traditionellen QM-Ansätzen, z.B. TQM. Dies liegt vor allem daran, dass die Implementierung einer Lösung in der Realität erst dann vorgenommen wird, wenn eine zufriedenstellende Lösung auf der Abstraktionsebene gefunden worden ist. In diesem Fall haben die Mittelwert- und Streuungsmaße der wesentlichen Outputgrößen des Prozesses das anvisierte Zielniveau erreicht. Andernfalls werden die Measure- und Analyse-Phase so lange durchlaufen, bis die Abhängigkeiten in Form von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen offengelegt und die geplanten Verbesserungen über Outputsimulationen hinreichend abgesichert sind. Neben der Denkweise und dem gewählten Problemlösungszyklus unterscheidet sich Six Sigma von Lean vor allem hinsichtlich des strukturierten Methodeneinsatzes. So liegt die Stärke von Six Sigma unmittelbar darin, dass die aus dem QMBereich einschlägig bekannten Methoden und Werkzeuge in den DMAIC-Zyklus – inhaltlich und konzeptionell – integriert sind. In Abbildung 4 ist der typische Ablauf des DMAIC-Zyklus, wie wir ihn in konkreten Six Sigma-Projekten anwenden, wiedergegeben. Den Phasen sind jeweils die wesentlichen Vorgehensschritte bzw. Methoden zugeordnet. Die folgenden Ausführungen zum wirkungsvollen Einsatz der Methoden basieren auf eigenen Projekterfahrungen. Sie bilden die Grundlage für die Entwicklung und Konzeption eines „schlanken“ DMAIC-Zyklus im nachfolgenden Abschnitt.
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Swen Günther, Bernd Garzinsky
Define t jek Pro rter Business a Case Ch
Probleme und Ziele
Control Monitoring der Prozessleistung
Reaktionsplan x1 x1
Projektrahmen
SIPOC
Measure
Meilensteine
© Prof. Dr. Armin Töpfer
VOC
Outputmessgrößen
Kernthema Vital
CTQ
Datensammelplan
CTQ Komplexität
few
Gage R&R
Referenz- x leistung
Prozessdokumentation
Improve Lösungen generieren Kosten-/ Nutzenanalyse Outputsimulation
Design des Sollprozesses Entwicklung von Hypothesen Auswahl der optimalen Variante
Quelle: Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007, S. 260
s
Analyse Prozess- und Zeitanalyse
Ishikawa
Datenanalyse
FMEA
Design of Experiments
Input- und Prozessvariable Outputmessgrößen
Input- und Prozessmessgrößen
Wertschöpfungsanalyse
RPZ=A*B*E x1 x2 y=f(x1,x2,...,xn)
y
Statistische Tests (Korrelation,
Regression, Varianz)
© Prof. Dr. Armin Töpfer
Abb. 4: M+M Standard-DMAIC-Zyklus
Define-Phase Zu Beginn des Six Sigma-Projektes ist eine eindeutige Definition des Projektauftrags bzw. die Projekt Charter notwendig. Sie umfasst neben den üblichen Kennzeichnungen und Daten eines Projektes insbesondere Details zu • Business Case/ Problemhintergrund, welcher die aktuelle Geschäftssituation beschreibt und anhand der Kriterien Qualität, Zeit und Kosten herausstellt, warum das Six Sigma-Projekt gerade „jetzt und hier“ notwendig ist • Probleme und Ziele/ Nutzen, welche die Problematik detaillieren und die Zielvorstellung des Champions – unter Angabe des zu erreichenden Sigma-Niveaus bzw. des zu realisierenden Net Benefit – quantifizieren • Projektumfang und Fokus/ Rahmen, welcher zum einen die Frage beantwortet, was im Mittelpunkt der Verbesserungsaktivitäten stehen soll, und zum anderen, welche Vorgänge zum Projektrahmen gehören und welche nicht • Rollen/ Verantwortlichkeiten und Meilensteine, welche die Art und Anzahl notwendiger (personeller und finanzieller) Ressourcen angeben, die Zusammenstellung des Projektteams festlegen sowie die Projektdauer unter Angabe von Start-, Zwischen- und Endterminen determinieren. Nach der Definition der Projekt Charter und dem „offiziellen Start“ des Six Sigma-Projektes findet zunächst eine Ein-/ Abgrenzung des zu analysierenden Prozesses auf „hoher Ebene“ statt. Dazu wird eine so genannte SIPOC-Analyse durchgeführt, bei der die Input-Output-Beziehungen vom Lieferanten bis zum Kunden präzisiert werden. Für die 5 bis 7 wichtigsten (Haupt-)Prozessschritte (P –
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
121
Processes) werden die Inputs (I) und Outputs (O) zusammen mit den wesentlichen Lieferanten (S – Suppliers) und Kunden (C – Customers) aufgelistet. Die SIPOC-Analyse bildet die Grundlage für die Ableitung der entscheidenden Kundenanforderungen im Rahmen der VOC-CTQ-Analyse. Sie stellt die erste zahlenorientierte Systematik des DMAIC-Zyklus dar. Ausgehend von der „ungefilterten“ Stimme des Kunden (VOC – Voice of the Customer) werden bezogen auf den zu verbessernden Wertschöpfungsprozess die zentralen und messbaren Kriterien (CTQ – Critical to Quality Characteristics) abgeleitet. Dies erfolgt i.A. über die Ermittlung von Kernthemen, denen alle VOCs in einem ersten Analyseschritt zugeordnet werden. Im zweiten Schritt sind daraus die CTQs zu spezifizieren, die zugleich den Ausgangspunkt für die Ermittlung der Referenzleistung des aktuellen Prozesses in der Measure-Phase bilden. Auf der Basis der Projekt Charter und der SIPOC-Analyse sollen im Weiteren kurz die wesentlichen Schritte zum Einstieg in den Six Sigma-Mess- und Analyseprozess skizziert werden. Dabei kommen insbesondere die zahlenorientierte Vorgehensweise und Steuerung, die eindeutige Messbarkeit an jeder Stelle des Prozesses sowie die in sich geschlossene Systematik und logisch aufeinander abgestimmten Schritte im Rahmen des DMAIC-Zyklus zum Ausdruck. Measure-Phase Das vorrangige Ziel von Six Sigma-Projekten besteht darin, die Ursachen-Wirkungs-Beziehungen zwischen Input – Process – Output aufzudecken und optimal einzustellen. Deshalb ist es notwendig, auf der Grundlage der ermittelten CTQs die elementaren Output-, Prozess- und Inputmessgrößen abzuleiten. Mithilfe der zweiten zahlenorientierten Systematik von Six Sigma, der CTQOutputmessgrößen-Analyse, werden zu Beginn der Measure-Phase die Outputmessgrößen des Prozesses bestimmt. An ihnen wird die Referenzleistung des aktuellen Prozesses, also die Ausgangssituation für nachfolgende Verbesserungsaktivitäten, festgemacht. Die Bestimmung der Referenzleistung erfordert i.d.R. eine intensive Datensammlung. Auf der Basis eines Datensammelplans werden sowohl für die Outputmessgrößen als auch für die Prozess- und Inputmessgrößen an verschiedenen Messpunkten des Prozesses Daten erfasst. Wichtige Messgrößen zur Bestimmung der Prozesseffektivität/ -effizienz sind u.a. die Fehlerrate als PPM (Parts per Million) und die Fehlerquote als DPMO (Defects per Million Opportunities) für diskrete Merkmale. Im Unterschied zur PPM-Formel werden bei der DPMO-Formel die Fehlermöglichkeiten (OFD – Opportunities for Defects) und damit die Komplexität des betrachteten Prozesses berücksichtigt. Lässt sich die Qualität des Outputs anhand von stetigen Merkmalen quantifizieren, dann wird zum einen der Cp-Wert als Maß für die Prozessstreuung und zum anderen der Cpk-Wert als Maß für die Prozessfähigkeit berechnet. Beide Indizes sind dimensionslos und beschreiben die potenzielle Eignung des Prozesses, die Spezifikationen einzuhalten (vgl. Schipp/ Töpfer 2007, S. 199). Um das Skalenniveau verschiedener Merkmalsausprägungen (diskret/ stetig) und damit unterschiedlicher Messansätze zur Bestimmung von Fehlerhäufigkeiten im Unternehmen vergleichen zu können, wird das erreichte Qualitäts-Niveau über eine zentrale statistische Kennzahl, den Sigma-Wert, angegeben. Bezogen auf den
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Swen Günther, Bernd Garzinsky
Cp-Wert bedeutet dies, dass die Prozessstreubreite höchstens die Hälfte der Toleranzbreite beanspruchen soll (Cp ≥ 2). Bei einem Prozess, dessen Mittelwert genau in der Mitte des vorgegebenen Toleranzbereichs liegt, würde infolgedessen auf beiden Seiten der Prozessstreubreite der Sicherheitsabstand zur oberen/ unteren Toleranzgrenze mindestens 3σ, also insgesamt 6σ, betragen. Durch die Festlegung einheitlicher Messkriterien und die Angabe des SigmaWertes wird die Grundlage für ein unternehmensinternes/ -externes Benchmarking gelegt. Um Fehler beim Messen zu vermeiden/ auszuschließen, wird für jede definierte Messgröße eine so genannte Gage R&R durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine standardisierte Methode zur Validierung des Messsystems. Anerkannte Six Sigma-Praxis ist es, dass (deutlich) weniger als 30% der Gesamtvarianz der Messwerte durch das eingesetzte Messsystem erklärt werden dürfen (vgl. Lunau et al. 2006, S. 59f.). Hier wird zum einen die Wiederholbarkeit des gleichen Messvorgangs durch die gleiche Person/ Maschine (R – Repeatability) analysiert und zum anderen die Reproduzierbarkeit des gleichen Messvorgangs durch zwei oder mehrere Personen/ Maschinen (R – Reproducibility). Es liegt auf der Hand, dass mit fallendem PPM-/ DPMO-Wert bzw. steigendem Sigma-Wert die Bedeutung der Zuverlässigkeit des Messsystems (signifikant) steigt. Analyse-Phase Die Analyse-Phase stellt die „Kernphase“ des DMAIC- bzw. DMADV-Zyklus dar. Ohne eine tiefgehende und aussagefähige Ursachenanalyse für Fehler sind i.A. keine Verbesserungsmaßnahmen mit großer Hebelwirkung möglich, so dass der zu verbessernde Prozess so genau wie möglich zu quantifizieren und „zu verstehen“ ist. Ein optimales Prozessverständnis ist genau dann erreicht, wenn sich die Beziehung zwischen der jeweiligen Outputmessgröße (y) sowie den Prozessund Inputmessgrößen (xi) über einen funktionellen Zusammenhang der Form y = f(x1, x2, ..., xn) beschreiben lässt. Dies erfordert zunächst eine detaillierte Prozessdarstellung und -analyse, z.B. in Form von Zeit-, Wertstrom- und Flussanalysen. Im Weiteren sind Ursachen-Wirkungs-Analysen durchzuführen, welche den Zusammenhang zwischen der abhängigen Outputmessgröße (y) als Wirkungsgröße und einer oder mehreren unabhängigen Prozess-/ Inputmessgrößen (xs) als Ursachengrößen offen legen. Zu diesem Zweck kommt i.d.R. das IshikawaDiagramm in Verbindung mit der Fehler-Möglichkeits- und -Einfluss-Analyse (FMEA) zum Einsatz. Die vermuteten Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge werden in Hypothesen formuliert und mithilfe von statistischen Tests/ Verfahren überprüft (z.B. Kontingenz-, Varianz- und Regressionsanalyse). Die Analyse-Phase verläuft in vielen Fällen zweigleisig:5 • Im Rahmen der o.g. Prozessanalyse wird zunächst versucht, auf graphischem Weg die Zusammenhänge zwischen Ursachen- und Wirkungsgrößen zu bestimmen. Im Ergebnis liegt eine qualitative Beschreibung des Prozessablaufs zur Erstellung des definierten Outputs vor. Auf dieser Basis werden die wesentli5
Bergbauer (2003, S. 36f.) spricht in diesem Zusammenhang auch von „Prozesstür“ und „Datentür“, durch die der Einstieg in die Analyse-Phase erfolgt.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
123
chen Prozess- und Inputmessgrößen erkannt und in Bezug auf ihren Einfluss auf die Outputmessgröße (subjektiv) gewichtet. • Nach der Erhebung von Daten zu den einzelnen Messgrößen kommen im Rahmen der Datenanalyse mathematisch-statistische Verfahren zum Einsatz, die den vermuteten Zusammenhang zwischen der Outputmessgröße als abhängiger Variable und den Prozess-/ Inputmessgrößen als unabhängigen Variablen bestätigen. Im Ergebnis liegt ein quantifiziertes und statistisch abgesichertes Ursachen-Wirkungs-Modell bzgl. des untersuchten Prozesses vor. Improve-Phase Wie aus den vorstehenden Ausführungen deutlich wird, ist es für den Erfolg eines Six Sigma-Projektes entscheidend, in der Analyse-Phase alle wesentlichen Ursachengrößen für den Prozessoutput zu erkennen und zu quantifizieren. Um die Stärke des Einflusses von einzelnen Messgrößen zu bestimmen, reicht es i.d.R. nicht aus, den aktuellen Prozess nur zu beobachten. Vielmehr ist die Bedeutung von einzelnen Messgrößen über experimentelle Versuche abzuklären. Durch die Statistische Versuchsplanung (DOE – Design of Experiments) wird im Rahmen von Six Sigma-Projekten eine systematische Vorgehensweise beschrieben, die neben dem Aufdecken von Haupteinflussgrößen die Identifikation von Wechselwirkungen zwischen zwei und mehreren Größen erlaubt. Weiterhin ist es mit bestimmten Versuchsanordnungen möglich, z.B. CCD – Central Composite Design, nicht-lineare Beziehungen zwischen den unabhängigen Einflussgrößen des Prozesses und der abhängigen Outputgröße aufzudecken. Die Anzahl der durchzuführenden Versuche hängt im Wesentlichen davon ab, • Wie viel bereits im Vorfeld des Six Sigma-Projektes über den betreffenden Prozess gewusst wird (Wissen) und • Wie viele Faktoren den Output determinieren und im Rahmen der Modellbildung zu berücksichtigen sind (Komplexität). In der Analyse-Phase kommen i.d.R. teil- und/ oder vollfaktorielle Versuchspläne zum Einsatz, um möglichst alle Haupt- und Nebeneffekte zu eruieren. In einer frühen Phase der Untersuchung werden darüber hinaus so genannten Screening Designs durchgeführt. Dabei handelt es sich um „Siebverfahren zur Parameterreduzierung“, bei denen aus einer großen Zahl von Faktoren, die vermutlich das Verhalten des Prozesses beeinflussen, eine kleine Anzahl von Faktoren ermittelt wird, die tatsächlich einen Einfluss auf die Ergebnisvariable haben. Eine Möglichkeit, um die Anzahl der benötigten Versuche bei einer (sehr) großen Anzahl potenzieller Einflussfaktoren zu reduzieren, stellt die Verwendung von Plackett-Burman-Designs dar. Sie können insbesondere in Screening-Situationen benutzt werden, in denen mehr als 16 Versuche bei vollfaktoriellem Design notwendig sind, deren Durchführung aber aus Unternehmensgesichtspunkten zu kostspielig ist. In der Improve-Phase kommt ebenfalls DOE zum Einsatz. Das Ziel besteht hier darin, auf der Basis des gefundenen funktionellen Zusammenhangs zwischen Outputmessgröße (y) und Prozess-/ Inputmessgrößen (xi) in der Analyse-Phase das optimale Prozessdesign und damit die optimale Faktorkombination zu bestimmen.
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Swen Günther, Bernd Garzinsky
Mithilfe von speziellen Verfahren (RSM – Response Surface Methodology) wird versucht, die Ausprägung der Einflussfaktoren für ein bestmögliches Prozessergebnis – zunächst theoretisch – zu ermitteln (vgl. Breyfogle 2003, S. 643ff.). Sind die Ausprägungen plausibel und nachvollziehbar, müssen praktische Lösungen gefunden werden, mit denen das Problem behoben und eine Optimierung erzielt werden kann. Dabei kommen i.d.R. Kreativitätstechniken zum Einsatz, z.B. Brainstorming. Die Vorteilhaftigkeit der generierten Lösungsideen wird im Anschluss mit Hilfe einer Kosten-Nutzen-Analyse überprüft. Handelt es sich bei den vorgeschlagenen Verbesserungen um Prozessveränderungen, dann ist die Tragfähigkeit des angestrebten Soll-Prozesses zunächst im Rahmen von kontrollierten Outputsimulationen zu überprüfen. Da das prozessrelevante Wissen im Laufe des Six Sigma-Projektes stark angestiegen ist, können in dieser Phase gehaltvolle Hypothesen bzgl. der Outputveränderung aufgestellt und getestet werden. Control-Phase Vor der Implementierung der gefundenen und ausgewählten Lösung im Serienprozess werden häufig Pilotversuche durchgeführt. Dadurch ist ein Praxistest möglich, mit dem – im Gegensatz zu den Ergebnissen von IT-gestützten Simulationen – die Veränderungen/ Verbesserungen real nachvollzogen werden können. Bei weniger kritischen Prozessen stellen sie eine gute Ergänzung zu Simulationsdurchläufen, z.B. Monte-Carlo-Simulationen, dar. Bei umfangreicheren Six Sigma-Projekten wird die Pilotierung unbedingt empfohlen, da hierdurch die Kostensenkungs- und/ oder Umsatzsteigerungspotenziale bezogen auf das Gesamtunternehmen abschätzbar sind. Gleichzeitig kann auf diese Weise die Akzeptanz der neuen Lösung bei Mitarbeitern und Führungskräften überprüft werden. Zeigen die Ergebnisse der Pilotphase, dass mit der favorisierten Lösung das angestrebte Zielniveau noch nicht erreichbar ist, dann ist u.U. eine Rückkopplungsschleife in die Analyse-Phase notwendig. In vielen Projekten zeigt sich nämlich, dass die Probleme im ersten Durchlauf auf einer zu hohen Analyseebene angegangen werden. Erst wenn auf der Basis von verifizierten Ursachen-Wirkungs-Zusammenhängen Lösungen generiert werden können, mit denen das in der Projekt Charter formulierte Problem nachweislich behoben wird, ist der Übergang in die Control-Phase gegeben. In dieser Phase geht es darum, den optimierten Prozess bzw. das fehlerfreie Produkt zu stabilisieren und das erreichte Zielniveau zu überwachen. Nach Abschluss des Six Sigma-Projektes setzen i.A. weiterführende Verbesserungsaktivitäten ein, um so den Übergang zu KVP zu erreichen. Die Control-Phase ist erforderlich, damit die zur Prozessoptimierung implementierten Lösungen nach Projektabschluss nicht nachlassen bzw. „aufgeweicht“ werden. Dazu ist zum einen eine umfassende und aussagefähige Prozessdokumentation mit visualisiertem Soll-Prozess und eindeutig formulierten Verfahrensanweisungen notwendig. Zum anderen sind Statistische Qualitäts- bzw. Prozessregelkarten einzusetzen, die ein kontinuierliches Monitoring der als kritisch eingestuften Input- und Prozessmessgrößen erlauben. Ein wesentlicher Bestandteil der datengestützten Prozesssteuerung/ -regelung (SPC – Statistical Process Control) ist der Einsatz von Reaktionsplänen, die beschreiben, was zu tun ist,
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
125
wenn der Prozess außer Kontrolle gerät, d.h. die Eingriffs- oder Warngrenzen verletzt werden. Mit der Erfüllung dieser Anforderungen gilt das Six Sigma-Projekt als beendet. Die erstellten Unterlagen zur Prozesssteuerung und -überwachung werden vom Projektteam (Green und Black Belts) an den Prozesseigner (Champion) übergegeben. Neben einer präzisierten Projektlaufzeit von 90 bis maximal 180 Tagen konkretisiert sich die stringente Umsetzung von Six Sigma-Projekten in einer klaren Zielstruktur, bei der die finanziellen Ergebnisse jeweils im Vordergrund stehen. Die prognostizierten Nettoeinsparungen (Net Benefit) des Projektes sind die Grundlage für die „Go-Entscheidung“ des Champions. In die Net Benefit-Berechnung fließen die liquiditätswirksamen Kosteneinsparungen und/ oder Umsatzsteigerungen ein, die innerhalb von 12 Monaten nach Projektende generiert werden können. Diesem monetären Projekterfolg werden die Kosten der Projektdurchführung gegenübergestellt. Opportunitätskosten und -erlöse, z.B. aufgrund verringerter Kundenabwanderung, finden generell keine Berücksichtigung.
2
Blitz-DMAIC-Zyklus als alternativer Problemlösungszyklus bei Lean Six Sigma-Projekten
Ein wesentlicher Vorteil des DMAIC-Zyklus gegenüber dem PDCA-Zyklus ist der in sich schlüssige und aufeinander abgestimmte Methodeneinsatz. Zur Problemlösung werden sowohl relativ einfache grafische Methoden als auch schwierige(re) mathematisch-statistische Verfahren eingesetzt. Dadurch wird sichergestellt, dass die optimale Lösung für das definierte Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit gefunden wird. Aus Lean-Gesichtspunkten ist dies nicht immer angestrebt, da die Verbesserungsprojekte aufgrund der umfangreichen Datenerhebung und -analyse vergleichsweise lange dauern, i.d.R. mehrere Monate. 2.1
Vorgehen und Methodeneinsatz
Die Projektgröße und der Durchführungsaufwand eines Six Sigma-Projektes sind – im Vergleich zu Lean-Aktivitäten – sehr hoch. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, erfordert die Problemlösung auf Basis des DMAIC-Zyklus einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten, während Kaizen-Workshops i.d.R. nicht länger als eine Woche dauern. Grund für die relativ lange Projektdauer bei Six Sigma ist die jeweils geforderte (umfangreiche) Datenerhebung und -auswertung. Insbesondere in der Measure- und Analyse-Phase werden deshalb z.T. erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen benötigt. Im Gegenzug lassen sich mit Six Sigma betriebliche Probleme angehen und lösen, deren Ursachen schwer zu finden sind. Sowohl bei Six Sigma als auch bei Lean Management werden Methoden und Werkzeuge gezielt eingesetzt, um das Verlustrisiko aufgrund nicht erkannter und/ oder beseitigter Probleme zu minimieren. Hierbei gelten die Grundsätze:
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• • • •
Swen Günther, Bernd Garzinsky
Wenn wir nichts wissen, können wir nicht handeln. Wenn wir nicht handeln, erhöht sich das Verlustrisiko. Wenn wir wissen und nicht handeln, beschleunigen wir den Verlust. Wenn wir wissen und handeln, lässt sich das Risiko managen.
Nach allgemeiner Auffassung besteht eine Austauschbeziehung (Trade-off) zwischen Wissensintensität und Verlustrisiko. Konkret bedeutet dies, dass sich das betriebswirtschaftliche Verlustrisiko nur „auf Kosten“ einer problembezogenen Wissensintensivierung senken lässt, et vice versa. Dabei stehen die Kosten, die anfallen, um Wissen zu generieren, damit das Problem optimal gelöst werden kann, in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erforderlichen Methoden-Know-how. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 5 skizziert. Das Methoden-Know-how wird wiederum beeinflusst durch die Komplexität der Problemstellung und das infolgedessen gewählte Abstraktionsniveau der Problemanalyse.
ProblemWissen W*
Wi Mi Legende:
M*
MethodenKnow-how
W* – Erforderliches Wissen, um Problem optimal zu lösen M* – Für Erreichen von W* notwendiges Methoden-Know-how Wi – Wissenszuwachs durch Anwendung der Methode Mi Mi – Know-how-Aufbau, um Methode i effektiv anzuwenden
Abb. 5: Zusammenhang zwischen Methoden-Know-how und Problem-Wissen
Beim DMAIC-Zyklus sind die Methoden/ Werkzeuge in den einzelnen Phasen so aufeinander abgestimmt, dass mit jeder Methode etwas mehr Wissen generiert wird, das für die Lösung des Problems relevant ist (Problem-Wissen). Das kumulierte Problem-Wissen nimmt – wie in Abbildung 5 nachvollziehbar – mit zunehmendem Methodeneinsatz und damit verbundenem Know-how-Aufbau degressiv zu. Die Methoden, die am Anfang des Six Sigma-Projektes eingesetzt werden, sind relativ einfach anwendbar; sie erfordern nur wenig (kumuliertes) Methoden-
127
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
Know-how, z.B. SIPOC-Analyse. Im weiteren Verlauf des Projektes werden die Methoden zunehmender komplizierter; ihre effektive Anwendung verlangt ein umfangreiches Training der Mitarbeiter und/ oder den Einsatz von Spezialisten, z.B. bei DOE. Der Erkenntniszugewinn im Verhältnis zum geforderten MethodenKnow-how ist bei letztgenannten jedoch üblicherweise geringer. An einem Punkt im Projekt, i.d.R. in der Analyse-Phase, ist so viel ProblemWissen generiert worden, um das in der Projekt Charter formulierte Problem optimal zu lösen. Zu diesem Zeitpunkt sind, wie in Abschnitt 1.2 ausgeführt, bereits eine Vielzahl von verschiedenen Methoden und Werkzeugen eingesetzt worden. Bei Six Sigma ist der Lösungsfindungsprozess (auf der Abstraktionsebene) beendet, wenn die vermuteten Ursachen-Wirkungs-Beziehungen – nach wissenschaftlichen Anforderungen – bestätigt respektive verworfen werden konnten. Dies ist ein Grund, warum Six Sigma gegenüber Lean als „sehr aufwändig“ erscheint. In der Praxis stellt sich vor diesem Hintergrund immer wieder die Frage, welche Methoden/ Werkzeuge im DMAIC-Zyklus weggelassen werden können/ sollten, um den Projektaufwand zu reduzieren. In Verbindung mit Abbildung 5 lässt sich argumentieren, dass ein Verzicht auf komplizierte mathematisch-statistische Verfahren immer mit einem Rückgang des problembezogenen Wissens einhergeht. Je nach Schwierigkeit des zu lösenden Problems steigt damit das o.g. Verlustrisiko. Aufgrund fehlender Informationen/ Erkenntnisse wird aus betriebswirtschaftlicher Sicht u.U. eine suboptimale Lösung geplant und realisiert. Als Empfehlung möchten wir deshalb an dieser Stelle einen Blitz-DMAICZyklus vorschlagen (siehe Abb. 6). Gegenüber dem Standard-DMAIC-Zyklus sind hier alle die Methoden/ Werkzeuge herausgenommen, die relativ viel an Methoden-Know-how „kosten“, aber nur relativ wenig – im Hinblick auf zusätzliches Define t jek Pro rter Business a Case Ch
Probleme und Ziele
Control Monitoring der Prozessleistung
Reaktionsplan x1 x1
Projektrahmen
SIPOC
Measure
Meilensteine VOC
Outputmessgrößen
Kernthema
CTQ
Datensammelplan
CTQ Komplexität
few Vital
Gage R&R
Referenz- x leistung
Prozessdokumentation
Improve Lösungen generieren Kosten-/ Nutzenanalyse Outputsimulation
Design des Sollprozesses Entwicklung von Hypothesen Auswahl der optimalen Variante
Basis: Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007, S. 260
Abb. 6: M+M Blitz-DMAIC-Zyklus
s
Analyse Prozess- und Zeitanalyse
Ishikawa
Datenanalyse
FMEA
Design of Experiments
Input- und Prozessvariable Outputmessgrößen
Input- und Prozessmessgrößen
Wertschöpfungsanalyse
RPZ=A*B*E x1 x2 y=f(x1,x2,...,xn)
y
Statistische Tests (Korrelation,
Regression, Varianz)
© Prof. Dr. Armin Töpfer
128
Swen Günther, Bernd Garzinsky
problembezogenes Wissen – „bringen“. Dies betrifft vor allem die mathematischstatistischen Verfahren in den Phasen Measure, Analyse und Improve. Der Fokus der Methodenanwendung im Blitz-DMAIC-Zyklus liegt auf der Prozessanalyse, die, wie in Abschnitt 1.2 erläutert, zur Datenanalyse bis zu einem gewissen Grad substitutiv ist. Prozess- und Datenanalyse erfassen das Problem aus unterschiedlichen Blickwinkeln: einmal grafikorientiert und einmal datenbasiert. Die methodischen Anforderungen an die Durchführung einer Prozessanalyse sind i.d.R. deutlich geringer als die an die (statistische) Datenanalyse. Die Prozessanalyse erlaubt die Ableitung von Maßnahmen für die Reorganisation/ Verschlankung. Eine Feinsteuerung bzw. Feinjustierung des Prozesses ist jedoch erst durch eine gezielte Datenerfassung und -auswertung möglich, die zu einer Quantifizierung der bestehenden Ursachen-Wirkungs-Beziehungen führt. Zudem bleiben mögliche Risiken bei der Implementierung von (neuen) Lösungen unerkannt, wenn auf die Verifizierung der Beziehungen generell verzichtet wird.6 2.2
Problemspezifische Anwendung
Das Ziel von Lean Six Sigma besteht darin, alle wichtigen Wertströme im Unternehmen zu analysieren und zu optimieren. Wie in Kapitel A ausführlich dargelegt, bietet der Fokus auf Wertströme – anstelle von einzelnen Prozessen – den Vorteil, Probleme in einem bestimmten Wertschöpfungsprozess umfassend(er), d.h. im Zusammenhang mit vor- und nachgelagerten Prozessen, zu betrachten. Durch die fortlaufende Durchführung von Projekten werden die Wertströme im Unternehmen kontinuierlich verbessert. Dabei verstehen wir unter Lean Six Sigma-Projekten alle Verbesserungsaktivitäten im Unternehmen, die dem PDCA-Zyklus, Blitz-DMAIC-Zyklus und/ oder Standard-DMAIC-Zyklus folgen und dazu beitragen, Schwachstellen7 im betreffenden Wertstrom zu beseitigen. Nachdem eine Schwachstelle in einem Wertstrom identifiziert worden ist, wird das eigentliche Verbesserungsprojekt i.S.v. Lean Six Sigma gestartet (siehe Abb. 7). Die Entscheidung, nach welchem Vorgehen das Projekt durchgeführt wird, basiert dabei auf dem Umfang der Problemstellung. Bei letztgenanntem handelt es sich um eine aggregierte Größe8, die sich aus Einzelbewertungen der folgenden drei Kriterien zusammensetzt (vgl. George 2003, S. 3): • Bedeutung des Problems aus Kundensicht
6
7
8
Aus diesem Grund existiert in vielen Six Sigma-Unternehmen ein standardisierter Projektauswahlprozess. Über diesen wird sichergestellt, dass Probleme mit hoher strategischer, organisatorischer und finanzieller Bedeutung zuerst angegangen werden. Zu diesem Themenkomplex gibt es eine Reihe von Aufsätzen, z.B. Leyendecker 2007. Schwachstellen oder Probleme im Wertstrom äußern sich u.a. in Form von unzureichender Qualität der Produkte/ Prozesse, langen Durchlaufzeiten, hohen Lagerbeständen, nicht wettbewerbsfähigen Herstellkosten und/ oder Kundenunzufriedenheit. Als Vorbild für die Quantifizierung des Problemumfangs als aggregierte Größe gilt die Ermittlung von Risikoprioritätszahlen (RPZ) im Rahmen der FMEA.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
129
• Komplexität der Problemstellung9 • Implementierungsrisiko der Lösung
Fokus anderer Wertstrom
Wertstrom B
Schwachstelle im Wertstrom
Wertstrom A
Bedeutung für Kunden
Komplexität
Implementierungsrisiko Nein
Gering
Hoch
Problemumfang?
Ja
Weitere Schwachstellen?
Mittel
Blitz-DMAICZyklus
PDCA-Zyklus
Problem gelöst? Ja
Nein
Problem gelöst? Ja
StandardDMAIC-Zyklus
Nein
Problem gelöst?
Design for Six Sigma
Nein
Ja
Basis: Huth 2007, S. 28
Abb. 7: Entscheidungsbaum für Auswahl des Problemlösungszyklus
Nach der Spezifikation des Problemumfangs auf der Grundlage der drei Kriterien lassen sich die drei Problemlösungszyklen von Lean Six Sigma – PDCA-, Blitz-DMAIC und Standard-DMAIC-Zyklus – relativ eindeutig zuordnen: • Der PDCA-Zyklus wird angewendet, wenn es sich um geringfügige Wertschöpfungsprobleme handelt, die leicht zu identifizieren und zu beheben sind. Die Implementierung der Lösung(en) ist mit geringem Risiko verbunden. • Der Blitz-DMAIC-Zyklus wird angewendet, wenn der Problemumfang von mittlerer Ausprägung ist, d.h. das Problem ist für den Kunden relevant und bedarf einer genaueren Analyse, da die Ursachen nicht offensichtlich sind. • Der Standard-DMAIC-Zyklus wird angewendet, wenn das Problem eine hohe Kundenrelevanz besitzt, die Ursachen des Problems kaum oder gar nicht bekannt sind und die Implementierung der Lösung mit Risiken verbunden ist.
9
Die Komplexität einer Problemstellung äußert sich – im mathematischen Sinn – in der Größe des Suchraums. Mit zunehmender Größe des Suchraums steigt der Zeit- und Kostenaufwand i.d.R. exponentiell, um die optimale Lösung mit Sicherheit zu finden.
130
Swen Günther, Bernd Garzinsky
Die Anwendung der drei Problemlösungszyklen erfolgt nach dem Eskalationsprinzip. Konnte das Problem nicht mit dem favorisierten Zyklus zufriedenstellend gelöst werden, dann wird das Problem erneut mit dem „nächst anspruchsvolleren“ Problemlösungszyklus bearbeitet. Wird also z.B. im ersten Schritt mit dem PDCA-Zyklus kein zufriedenstellendes Projektergebnis erreicht, dann kommt im zweiten Schritt der Blitz-DMAIC-Zyklus zur Anwendung usw. Im Fall, dass ein Problem vorliegt, das sich selbst mit dem Standard-DMAIC-Zyklus nicht erfolgreich lösen lässt, ist ggf. auf Design for Six Sigma überzugehen.10 Wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen worden ist, wird entschieden, ob eine weitere Schwachstelle im gleichen Wertstrom zu identifizieren bzw. zu beseitigen ist, oder ob ein anderer Wertstrom im Unternehmen betrachtet wird. Ausschlaggebend sind jeweils vorhandene Ressourcen und gesetzte Prioritäten. Zum Teil können auch offene Punkte, die sich im Zuge des durchgeführten Projektes ergeben haben, Ansatzpunkte für weitere Verbesserungsmaßnahmen liefern. Unabhängig von der Wahl des Problemlösungszyklus stellt sich die Frage nach dem problemadäquaten Methodeneinsatz. Hier ist zu beachten, dass beim Einsatz von relativ einfachen Methoden, wie es bei Lean-Projekten der Fall ist, i.d.R. in kurzer Zeit viele Lösungen generiert werden. Diese erfassen aber u.U. nicht den Kern des Problems, so dass die vorgeschlagenen Lösungen am Ende nur zu einem suboptimalen Projektergebnis führen (Quick and Dirty). Demgegenüber besteht beim Einsatz von relativ komplexen Methoden, wie es bei Six Sigma-Projekten üblich ist, die Gefahr, dass – bildlich gesprochen – „mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird“. Aufwand und Nutzen des Methodeneinsatzes (in Form von Erkenntniszugewinn) stehen dann in einem sehr ungünstigen Verhältnis.
3
Konsequenzen für die Konzeption und Umsetzung von Lean Six Sigma-Trainings
Aufgrund des Einsatzes von unterschiedlichen Problemlösungszyklen in Abhängigkeit vom identifizierten Problemumfang ergeben sich spezifische Anforderungen an die Konzeption und Umsetzung von Lean Six Sigma-Trainings. Diese werden in diesem Abschnitt kurz aufgezeigt. Als Ausgangspunkt für unsere Darstellungen haben wir ein qualifiziertes Green Belt-Training gewählt, welches auf dem Standard-DMAIC-Zyklus basiert und 10 Schulungstage umfasst. Auf dieser Basis entwickeln wir im Weiteren ein adaptiertes Schulungskonzept für den Blitz-DMAIC-Zyklus mit verstärktem Fokus auf Lean-Werkzeugen.
10
Das Thema „Design for Six Sigma“ wird im gleichnamigen Beitrag von Töpfer/ Günther in Kapitel A ausführlich behandelt.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
3.1
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Ordentliches Six Sigma-Training auf Basis des StandardDMAIC-Zyklus
Der DMAIC-Zyklus, wie er in Abbildung 4 dargestellt wurde, ist Gegenstand jeder Six Sigma-Schulung, allerdings mit stark unterschiedlichem inhaltlichen Tiefgang. Die Schulung ist dabei jeweils modular im Hinblick auf inhaltliche Teile und Bausteine (vgl. vor allem Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007). Dies bedeutet mit anderen Worten, dass immer alle Phasen des DMAIC-Zyklus erläutert werden, um das Gesamtverständnis für die Durchführung von Six Sigma-Projekten zu schärfen und sicherzustellen. Die Kenntnisse über die Inhalte der einzelnen Phasen entsprechen der späteren Rolle und Aufgabenstellung in der Six SigmaOrganisation, wie sie im Beitrag von Töpfer in Kapitel A ausführlich vorgestellt worden ist. Damit ist zusätzlich auch die Stufenfolge der Qualifizierung in ihrer typischen Reihenfolge als Green Belt, Black Belt und Master Black Belt modular aufgebaut. Die Integration erfolgt dadurch, dass in Six Sigma-Kursen mit aufsteigendem Qualifikationsniveau vertiefte Kenntnisse einzelner Phasen, Inhalte und Tools des DMAIC-Zyklus geschult und ab dem Green Belt-Niveau auch Informationen und Beispiele zu Lean Management und Design for Six Sigma (DFSS) vermittelt werden. Dabei ist lediglich die Reihenfolge zwingend, so dass nur Master Black Belt werden kann, wer eine mindestens 2-jährige Praxis als Black Belt mit einer ausreichend großen Anzahl an durchgeführten Projekten aufweist. Empfehlenswert ist nach unseren Erfahrungen, Green Belt- und Black BeltTrainings nicht parallel für unterschiedliche Zielgruppen durchzuführen, sondern vielmehr eine 2-stufige Vorgehensweide zu präferieren. Dies bedeutet, dass alle ausgewählten Six Sigma-Akteure für ein Expertenniveau zunächst das Green Belt Training absolvieren und danach – auf der Basis eines erneuten Auswahlprozesses – ein Teil davon auch das Black Belt Training abschließt. Abbildung 8 zeigt die typischen Inhalte eines 3-wöchigen M+M Green BeltTrainings im Umfang von 10 Tagen (3-3-4 Tage) auf der Basis des StandardDMAIC-Zyklus. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass nicht nur die aufgeführten Inhalte und Methoden, sondern auch deren modulare Aufteilung nach Inhaltsblöcken bis dato nicht standardisiert sind. Dies liegt vor allem im unterschiedlichen Anwendungsniveau von QM-Techniken/ -Konzepten in Unternehmen begründet, das sowohl von Branche zu Branche als auch zwischen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen stark variieren kann. Üblicherweise sind die statistischen Methoden, z.B. ANOVA, in Produktionsunternehmen mehr verbreitet und werden von den Trainingsteilnehmern stärker nachgefragt. Weiterhin wird von vielen Unternehmen ein projektbegleitendes Coaching gewünscht, um die Methoden gleich von Anfang an „richtig“ einzusetzen. Das Ziel ist es, die Teilnehmer des in sieben Blöcke aufgeteilten Trainings mit der immer identischen Denkweise von Six Sigma vertraut zu machen. Wie in Abschnitt 1.2 bereits angesprochen wurde, geht es darum, ein gravierendes Problem in der Praxis genau zu beschreiben und zu messen (Define- und Measure-Phase) sowie mit Hilfe der Messgrößen und Kennzahlen in seinem Ausmaß statistisch genau zu determinieren. Anschließend besteht die Aufgabe darin, das „statistische
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Swen Günther, Bernd Garzinsky
Problem“ mit geeigneten Methoden einzugrenzen, zu lösen und diese Lösung auf die Realität zu übertragen. Die zentrale Phase des DMAIC-Zyklus ist deshalb die Analyse der Problemursachen auf statistischer Ebene (Analyse-Phase). Die statistische Lösung wird in der Improve-Phase ausgearbeitet, verfeinert und bewertet sowie anschließend in der Control-Phase in die Realität überführt und, z.B. mithilfe von SPC und Prozessdokumentationen, qualitätsgesichert. Woche 1 1 Einführung 1.1 Lean Six Sigma-Philosophie – Integration von Lean Management und Six Sigm 1.2 Six Sigma-Projektorganisation und Qualifizierung von Akteuren für Lean Six Sigma 1.3 Wesentliche Vorgehensmodelle – PDCA-Zyklus, Standard- und Blitz-DMAIC-Zyklus 2 Define-Phase 2.1 Erstellen/ Ausfüllen des Projektauftrags % Projektcharter 2.2 Darstellen des Prozesses auf „hoher Ebene“ % SIPOC-Analyse 2.3 Bestimmen der Critical to Qualities (CTQs) % VOC-CTQ-Analyse 2.4 Fragenkatalog und Checkliste 3 Measure-Phase 3.1 Bestimmen der Messgrößen (Input/ Output) % Operationale Definition, Datensammlung 3.2 Visualisieren von (vorhandenen) Daten % Histogramm, Boxplots, Einführung in Minitab
Woche 2 3.3 Visualisieren von (vorhandenen) Prozessen % Value Stream Mapping (VSM) 3.4 Ermitteln der aktuellen Prozessleistung/ Sigma % Fehlerrate/ -quote: PPM, DPMO, Ausbeute % Prozessfähigkeit: Cp, Cpk, Sigma 3.5 Fragenkatalog und Checkliste 4 Analyse-Phase 4.1 Identifizieren von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen % Ishikawa-Diagramm, 5W-Methode, FMEA 4.2 Entwickeln einer detaillierten Prozessdarstellung % Cross-funktionale Darstellung für Ist-Prozess % Wertstromanalyse/ -design (VSD) 4.3 Überprüfen von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen % Datenanalyse/ Statistische Tests % Regressions-/ Varianzanalyse
Woche 3 % Einführung in Design of Experiments (DOE) % Fallstudie: Katapult/ Papier-Rotor 4.4 Quantifizieren der Verbesserungsmöglichkeiten % Potenzial-Analyse/ Net Benefit-Schätzung 4.5 Fragenkatalog und Checkliste 5 Improve-Phase 5.1 Finden/ Entwickeln von Lösungen % Brainstorming, 6-3-5-Methode % Lean-Methoden: 5 S, Kanban, Just-In-Time, PullSystem, Supermarkt, FIFO, SMED, Heijunka 5.2 Auswählen von Lösungen % N/3-Methode/ Kosten-Nutzen-Analyse 5.3 Implementieren von Lösungen % Gantt-Diagramm/ Stakeholder-Analyse % Inhalte von Lean-/ 14 Toyota-Prinzipien 5.4 Fragenkatalog und Checkliste 6 Control-Phase 6.1 Überwachen des neugestalteten Prozesses % Statistische Prozesskontrolle (SPC) % Soll-Prozess nach Wertstromdesign 6.2 Erarbeiten von Verfahrungsanweisungen % Verfahrensanweisungen/ Dokumentation % Visual Management, Andon-Tafel 6.3 Erstellen eines Reaktionsplans % Reaktionspläne/ Prozessmanagement % Vorbeugende Wartung (TPM) 6.4 Ermitteln des Net Benefit (Projektbewertung) 6.5 Einleiten von KVP-Maßnahmen (Kaizen) 6.5 Fragenkatalog und Checkliste 7 Abschlusstest 7.1 50 Fragen – Multiple Choice zu DMAIC-Zyklus 7.2 Präsentation der Projektergebnisse
© Prof. Dr. Armin Töpfer
Abb. 8: Trainingsinhalte des 3-wöchigen M+M Green Belt-Trainings auf Basis des Standard-DMAIC-Zyklus
Die typischen Inhalte eines 3-wöchigen M+M Black Belt-Trainings im Umfang von 10 Tagen (3-3-4 Tage) – aufbauend auf den o.g. Inhalten des Green BeltTrainings – lassen sich tageweise wie folgt festhalten:
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
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1. Tag: Einführung in DFSS: DMADV-Zyklus – Überblick und Konzeption/ Unterschiede und Gemeinsamkeiten gegenüber dem DMAIC-Zyklus 2. Tag: Kundenanforderungen mithilfe des 1. House of Quality (HoQ) ermitteln und bewerten sowie in Produktmerkmale übersetzen (QFD I) 3. Tag: Gestaltung des Deployment-Prozesses, Vernetzung der verschiedenen Houses of Quality, z.B. Produkt-, Prozess- und Teilemerkmale (QFD II) 4. Tag: Widersprüche/ Konflikte zwischen Produktmerkmalen und Kundenanforderungen erkennen und durch den Einsatz von TRIZ beseitigen 5. Tag: Zielkostenbestimmung auf Teileebene mithilfe von Target Costing/ Dekompositionelle Bewertung des Produktnutzens mit Conjoint-Analyse 6. Tag: Weiterführende statistische Verfahren/ Multivariate Statistik/ MANOVA/ Log. Regression/ Diskriminanzanalyse/ Response Surface-Methoden (DOE) 7. Tag: Lean Management-Methoden zur Ergänzung des Six Sigma-Toolsets: Kaizen, Kanban, Wertstromanalyse, 5S, Just-In-Time, Pull-System, FIFO etc. 8. Tag: Vernetzung von Six Sigma mit anderen Management-Konzepten (BSC, EFQM)/ Projektauswahl und -steuerung mit Balanced Scorecard (BSC) 9. Tag: Soft-Skill-Training: Grundlagen der Kommunikation, Verhandlungstechniken, Konfliktlösung, Teammotivation und -steuerung, Präsentationstechniken 10. Tag: Abschlusstest, Projektreview, ggf. Coaching, Projektpräsentation Der Fokus des Trainings liegt hier auf den Phasen und Methoden des DMADVZyklus, welcher im Rahmen von Design for Six Sigma (DFSS) zum Einsatz kommt (siehe hierzu Beitrag von Töpfer/ Günther in Kapitel A). In diesem Zusammenhang werden insbesondere die Konzeption und Inhalte von Quality Function Deployment (QFD), Widerspruchsorientierte Problemlösung (TRIZ) und weiterführende Methoden der Statistik/ Statistischen Versuchsplanung (DOE) behandelt (siehe hierzu Beitrag von Streckfuss/ Günther in Kapitel B). Das Training beinhaltet im Weiteren die Vermittlung von Kenntnissen im Bereich Lean Management, z.B. Wertstromdesign, Projektauswahl/ -steuerung auf Basis der BSC sowie Soft-Skills, z.B. Verhandlungs- und Präsentationstechniken. Letztgenannter Bereich wird insbesondere im 1-wöchigen M+M Master Black BeltTraining weiter vertieft (siehe hierzu www.six-sigma-akademie.de). 3.2
Lean Six Sigma-Schulungskonzept auf Basis des Blitz-DMAICZyklus
Auf der Basis des Blitz-DMAIC-Zyklus in Abbildung 6 haben wir ein Lean Six Sigma-Schulungskonzept entwickelt. Es folgt dem integrierten Ansatz von Lean Six Sigma, also der Kombination von Lean Management- und Six Sigma-Aktivitäten (siehe hierzu den Beitrag von Töpfer in Kapitel A). Die Schulungsinhalte sind für das Green Belt-Training entlang des Blitz-DMAIC-Zyklus strukturiert. Wie in Abschnitt 2.1 ausgeführt worden ist, liegt der Fokus hier vor allem auf der
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Swen Günther, Bernd Garzinsky
grafischen Problemanalyse und -lösung, weniger auf der datenbasierten. Infolgedessen ist der Schulungsumfang, der sich auf die Vermittlung von Methodenkenntnissen zur Datensammlung und -analyse bezieht, deutlich reduziert. Gleichzeitig ist das Tool-Set um einschlägige Lean Management-Methoden, z.B. Wertstromanalyse/ -design, erweitert worden. In Abbildung 9 sind die Inhalte eines 3-wöchigen M+M Green Belt-Trainings im Umfang von 10 Tagen (3-3-4 Tage) auf der Basis des Blitz-DMAIC-Zyklus im Überblick dargestellt. Woche 1 1 Einführung 1.1 Lean Six Sigma-Philosophie – Integration von Lean Management und Six Sigm 1.2 Six Sigma-Projektorganisation und Qualifizierung von Akteuren für Lean Six Sigma 1.3 Wesentliche Vorgehensmodelle – PDCA-Zyklus, Standard- und Blitz-DMAIC-Zyklus 2 Define-Phase 2.1 Erstellen/ Ausfüllen des Projektauftrags % Projektcharter 2.2 Darstellen des Prozesses auf „hoher Ebene“ % SIPOC-Analyse 2.3 Bestimmen der Critical to Qualities (CTQs) % VOC-CTQ-Analyse 2.4 Fragenkatalog und Checkliste 3 Measure-Phase 3.1 Bestimmen der Messgrößen (Input/ Output) % Operationale Definition, Datensammlung 3.2 Visualisieren von (vorhandenen) Daten % Histogramm, Boxplots, Einführung in Minitab
Woche 2 3.3 Visualisieren von (vorhandenen) Prozessen % Value Stream Mapping (VSM) 3.4 Ermitteln der aktuellen Prozessleistung/ Sigma % Fehlerrate/ -quote: PPM, DPMO, Ausbeute % Prozessfähigkeit: Cp, Cpk, Sigma 3.5 Fragenkatalog und Checkliste 4 Analyse-Phase 4.1 Identifizieren von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen % Ishikawa-Diagramm, 5W-Methode, FMEA 4.2 Entwickeln einer detaillierten Prozessdarstellung % Cross-funktionale Darstellung für Ist-Prozess % Wertstromanalyse/ -design (VSD) 4.3 Überprüfen von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen % Datenanalyse/ Statistische Tests % Regressions-/ Varianzanalyse
Woche 3 % Einführung in Design of Experiments (DOE) % Fallstudie: Katapult/ Papier-Rotor 4.4 Quantifizieren der Verbesserungsmöglichkeiten % Potenzial-Analyse/ Net Benefit-Schätzung 4.5 Fragenkatalog und Checkliste 5 Improve-Phase 5.1 Finden/ Entwickeln von Lösungen % Brainstorming, 6-3-5-Methode % Lean-Methoden: 5 S, Kanban, Just-In-Time, PullSystem, Supermarkt, FIFO, SMED, Heijunka 5.2 Auswählen von Lösungen % N/3-Methode/ Kosten-Nutzen-Analyse 5.3 Implementieren von Lösungen % Gantt-Diagramm/ Stakeholder-Analyse % Inhalte von Lean-/ 14 Toyota-Prinzipien 5.4 Fragenkatalog und Checkliste 6 Control-Phase 6.1 Überwachen des neugestalteten Prozesses % Statistische Prozesskontrolle (SPC) % Soll-Prozess nach Wertstromdesign 6.2 Erarbeiten von Verfahrungsanweisungen % Verfahrensanweisungen/ Dokumentation % Visual Management, Andon-Tafel 6.3 Erstellen eines Reaktionsplans % Reaktionspläne/ Prozessmanagement % Vorbeugende Wartung (TPM) 6.4 Ermitteln des Net Benefit (Projektbewertung) 6.5 Einleiten von KVP-Maßnahmen (Kaizen) 6.5 Fragenkatalog und Checkliste 7 Abschlusstest 7.1 50 Fragen – Multiple Choice zu DMAIC-Zyklus 7.2 Präsentation der Projektergebnisse
© Prof. Dr. Armin Töpfer
Abb. 9: Trainingsinhalte des 3-wöchigen M+M Green Belt-Trainings auf Basis des BlitzDMAIC-Zyklus
Sowohl für das (reine) Six Sigma-Training als auch das hier erläuterte Lean Six Sigma-Training kommen der direkten Erfolgsmessung der Schulungsmaßnahmen zum Abschluss als Grundlage für eine Zertifizierung als Green, Black oder Master
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma
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Black Belt eine wesentliche Bedeutung zu. Hiermit werden Wissen, Verständnis und Transferfähigkeit auf eine Problemsituation abgeprüft. In der M+M Six Sigma Akademie® verwenden wir deshalb einen Katalog mit „500 Fragen zu Six Sigma“. Sie sind nach unterschiedlichen Sachbereichen und Prozessphasen gegliedert und in ihrem Schwierigkeitsgrad jeweils einem Qualifizierungsniveau zugeordnet. Es gibt also spezielle Fragen für Green Belts, Black Belts und Master Black Belts, wobei ein jeweils höheres Qualifikationsniveau alle Testfragen der darunter liegenden Qualifizierungsstufen einschließt (vgl. Töpfer/ Günther/ Garzinsky. 2007, S. 267ff.). Da alle Fragen mit allen Kennzeichnungen und den (richtigen und falschen) Antworten für Multiple Choice-Tests elektronisch gespeichert sind, lassen sich für einzelne Trainings am Schluss der Qualifizierung Tests im Umfang von 50 Fragen nach dem Zufallsprinzip auswählen, die nach den einzelnen Sachbereichen und Prozessphasen kombiniert sind, also z.B. je 45% Statistik- und Projekt-Fragen sowie 10% Soft Skills-Fragen für ein Green Belt Zertifikat. Der Test gilt als bestanden, wenn mehr als 50% der Fragen richtig beantwortet worden sind.
4
Literatur
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Schnelle und wirkungsvolle Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign Lars Vollmer Inhalt 1 2 2.1 2.2 2.3 2.4 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 4 5
1
Einführung ...............................................................................................137 Lean Management....................................................................................138 Toyoda’s Erbe ..........................................................................................138 Lean-Prinzipien ........................................................................................139 Verschwendung........................................................................................140 Prozess- versus System-Kaizen................................................................141 Durchführung des Wertstromdesigns.......................................................142 Definition und Abgrenzung......................................................................142 Ablauf in drei Schritten ............................................................................144 Ermitteln des IST-Wertstroms .................................................................145 Leitlinien für SOLL-Wertströme .............................................................149 Umsetzungsprinzipien..............................................................................156 Fazit .........................................................................................................158 Literatur....................................................................................................158
Einführung
Die wirtschaftlichen, politischen und auch sozialen Rahmenbedingungen fordern Produktionsunternehmen nahezu aller Branchen heraus, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch eine zeit- und kostenoptimierte Fabrik stetig zu steigern. Der Wettbewerb wird insbesondere für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) durch die weltweite Vernetzung von Produktions- und Dienstleistungsstrukturen und der damit wachsenden Konkurrenz zwischen Fabrikstandorten noch verschärft. Für die Unternehmen, die schon immer ihre Kunden mit einem „Adelstitel“ versehen haben, bedeutet dies eine noch höhere Individualisierung der Produkte und signifikante Beschleunigung der Auftragserfüllung. Immer mehr Unternehmen wird eine Kundenauftragsfertigung aufgezwängt, der sie sich nur noch in den seltensten Fällen entziehen können. Trotzdem werden sinkende Herstellungskosten gefordert. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, braucht es einen dazugehörigen Werkzeugkasten. Wichtig dabei: die Methode Wertstromdesign, ein Basiswerkzeug des Lean Managements. Lean Management liefert ein geschlossenes Denk-
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Lars Vollmer
modell und gehört zu den wenigen Managementprinzipien, die historisch entstanden sind und auch ihre langfristige Wirksamkeit unter Beweis gestellt haben.
2
Lean Management
2.1
Toyoda’s Erbe
Die Geschichte von Lean Management und der dazugehörigen Begriffsderivate (Lean Production, Lean Manufacturing, Lean Office etc.) ist die Geschichte des japanischen Automobilkonzerns Toyota, der durch seine schiere Größe und aufgrund seiner inzwischen erreichten Branchen-Position an der Weltspitze genug Anlass gibt, sich mit dem Managementsystem des Unternehmens zu beschäftigen. Um die Erfolgsprinzipien dieses Systems zu verstehen, hilft es, einen kurzen Rückblick auf die Geschichte zu werfen – dem Weg des Unternehmens Toyota folgend. Am Ende des 19. Jh. gegründet, gelang der ursprünglichen Fabrik für Webstühle mit einer Bahn brechenden Innovation der Sprung in die Automobilindustrie. Der Gründer Sakichi Toyoda entwickelte einen neuartigen Webstuhl, der automatisch abschaltete, wenn ein Faden riss. Aus heutiger Sicht natürlich eine fast selbstverständliche Funktion – damals jedoch eine weit vor ihrer Zeit liegende Innovation, die auch heute noch im Jidoka-Prinzip des Toyota-Produktionssystems Anwendung findet. Toyoda1 verkaufte seine Innovation an England und nutzte den Gewinn, um eine Automobilfabrik aufzubauen. Damit erinnert die Geschichte von Toyota durchaus an deutsche Industriellengeschichten, wie die von Gottlieb Daimler oder Robert Bosch. Toyota entwickelte sein erstes Modell, das analog zum Modell TT von Ford, Modell AA hieß. Dabei handelte es sich um ein sehr simples Automobil – aber um ein aus damaliger Sicht komplexes Produkt in lediglich einer Variante, welche sich in den Folgejahren schrittweise verfeinerte. Die Folgen des zweiten Weltkrieges waren für die Japaner dramatisch. Nach Ende des Krieges gab es kein Kapital, keine Maschinen, kaum Industrie und keinen Marshall-Plan zum Wiederaufbau der Industrie. Außerdem verfügte das schon damals überbevölkerte Japan über sehr wenig Fläche. Aus diesen Gründen konnte Toyota die Industriepolitik der amerikanischen Automobilunternehmen in keiner Weise kopieren. Das Prinzip der Massenproduktion wäre zum Scheitern verurteilt gewesen. Im Gegenteil: Die Japaner waren gezwungen, sehr viel mehr kundenindividuelle Produkte zu fertigen. Unter diesen schwierigen Bedingungen entwickelte der Enkel des Gründers Eiji Toyoda gemeinsam mit dem damaligen Produktionsleiter Taiichi Ohno das heute als „Toyota Produktionssystem“ (TPS) bekannte Wertschöpfungsmodell, das in seiner heutigen Entwicklungsstufe als Vorbild für weltweit nahezu alle ganzheitlichen Produktionssysteme dient. 1
Das ‚d’ im Namen wurde erst 1937 mit der Gründung der Toyota Motor Co. durch das ‚t’ ersetzt.
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
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Die Besonderheit dieses Systems spiegelt sich nicht nur in seiner Branchenunabhängigkeit, sondern vor allem in seinem Ziel wider. Dieses äußert sich im unbedingten Willen, einen kontinuierlichen Fluss zu erzeugen und sämtliche Verschwendungen zu vermeiden. Auf den ersten Blick wirkt der Inhalt dieser Aussage nicht Aufsehen erregend. Ihr Stellenwert auf der obersten Zielebene aber ist wegweisend und prägend für den Lean-Gedanken. Denn neben reinen Ergebniskenngrößen, wie Qualität, Kosten, Durchlaufzeit, sind auch Sicherheit oder Mitarbeitermoral diesem Ziel untergeordnet. Toyota folgt der Überzeugung, dass es durch die Anstrengungen zum Aufbau eines kontinuierlichen Flusses der Wertschöpfungsprozesse und einer gleichzeitigen konsequenten Eliminierung von Verschwendungen nicht nur automatisch ein hochwirtschaftliches Unternehmen wird, sondern sich sogar zum Branchenführer entwickeln kann (vgl. Drew/ McCallum/ Roggenhofer 2005). 2.2
Lean-Prinzipien
Was aber sind nun die Grundgedanken des Lean Production-Prinzips? Zum einen sicherlich die Fokussierung auf die Wertschöpfung – definiert als diejenigen Tätigkeiten, für die der Kunde bereit ist, Geld auszugeben. Alles andere ist in der Folge Nicht-Wertschöpfung bzw. Verschwendung. Es ist keine neue wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Mitarbeiter in Produktionsunternehmen oft nur 10% ihrer Zeit wertschöpfend sein können. Der Grund liegt nicht im Wollen der Mitarbeiter. Vielmehr sind die Verschwendungen immanent in den Prozessen – ob geplant oder ungeplant – verborgen. Es ist harte Arbeit, sie wieder herauszubekommen. Das zweite Grundprinzip besteht darin, Wertströme zu erkennen, und so dem Systemgedanken zu folgen (siehe auch Kapitel 3.2). Das Ziel: Nicht wertschöpfende Prozesse, namentlich Verschwendungen, eliminieren. Der unbedingte Wunsch nach Erzeugung eines kontinuierlichen Flusses und der Einführung des Zieh- bzw. Pull-Prinzips steht an Stelle drei der Grundgedanken. Ein alter Lean-Grundsatz lautet: „Producing people before producing parts“. Die Veränderung des Rollenverständnisses aller Mitarbeiter ist bei jeder LeanTransformation von enormer Bedeutung, da letztlich der einzelne Mitarbeiter die Lean Maßnahmen umsetzt und tagtäglich Verbesserungspotenzial aufdeckt. Andererseits ist es ein fataler Fehler zu glauben, Lean-Bestrebungen kämen allein aus der Mitarbeiterschaft. Lean Management – genauso wie Six Sigma – muss vor allem eine vom Management getriebene Initiative sein. Alle anderen Versuche scheitern meist kläglich. Schließlich gilt für alle Säulen gerade im Bezug auf die Nachhaltigkeit des schlanken Produktionssystems das ständige Streben nach Perfektion bzw. Verbesserung. Der jetzige Produktionsstand ist somit immer der schlechtest mögliche, den es zu verbessern gilt. Auch wenn bereits maßgebliche Verbesserungen durchgeführt wurden, darf der Verbesserungsprozess nicht zum Stillstand kommen. Das
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Lars Vollmer
Produktionssystem ist eben weit mehr als eine Methode – es ist eine Unternehmensphilosophie (vgl. Womack/ Jones/ Roos 1990). 2.3
Verschwendung
Die Lean Philosophie unterscheidet zwischen drei Grundtypen von Verschwendungen: Muri (Überlastung), Mura (Unausgeglichenheit) und Muda. Unter letzterem werden zumeist die so genannten sieben Arten der Verschwendungen verstanden (vgl. Womack/ Jones 2003), wie sie in Abbildung 1 zu sehen sind.
Abb. 1: Die sieben Arten von Verschwendung (Muda)
An erster Stelle steht die Verschwendung durch Überproduktion – immer verbunden mit Verschwendung durch hohe Bestände. Beide nehmen zu Recht eine Spitzenposition unter den 7 Verschwendungen ein, denn sie sind zum einen die Ursache für alle anderen Arten der Verschwendung. Zum anderen – und das bleibt der viel wesentlichere Grund, sie an die ersten beiden Stellen zu setzen – überdecken sie alle anderen Arten von Verschwendung. Hiermit lässt sich dann auch die Aussage begründen, dass Überproduktion und hohe Bestände die „Wurzel allen Übels“ verkörpern. Nicht ohne Grund sind beide Arten auch zentraler Betrachtungsgegenstand der Methode Wertstromdesign. Weitere Verschwendungsarten sind: Verschwendung durch unnötige Transporte, unnötige Bewegungen, Wartezeiten, ungeeignete Prozesse, Fehler und Nacharbeit (vgl. Suzaki 1989).
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
2.4
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Prozess- versus System-Kaizen
Lean Management vollzieht seine Verbesserungsaktivitäten aus zwei Sichtweisen heraus: der Prozess- und der Systemsicht (siehe Abb. 2). Dieses Prinzip verfolgen grundsätzlich natürlich auch andere Managementansätze. Durch das Werkzeug Wertstromdesign allerdings werden beide Sichtweisen konsequent und methodisch miteinander verbunden.
Prozess 2.1
Zulieferer Prozess 1.3
Prozess 1.2
Kunde
Prozess 3.2
Prozess 3.1
Systemsicht Prozesssicht
Abb. 2: Unterschied zwischen Prozess- und Systemsicht
Ein Prozess ist in dieser Terminologie eine Arbeitseinheit, in der kein Umlaufbestand entsteht. In der Praxis handelt es sich demnach zumeist um Arbeitsplätze oder -bereiche. Auch Ressourcen mit einem festen Umlaufbestand, wie beispielsweise automatisierte oder hybride Montagestraßen, können als ein Prozess betrachtet werden. Das Lean Management umfasst eine Vielzahl von Werkzeugen und Methoden, welche die Verbesserung von Prozessen im Sinne von ProzessKaizen erreichen (siehe Abb. 3). Die Systemsicht umfasst die Betrachtung des Flusses einer Wertschöpfung. Bei einer Produktion erfolgt das typischerweise von der Belieferung der Rohmaterialien bis zum Versand der Fertigware an den Kunden. Gleichzeitig ist aber auch der Gesamtablauf einer Auftragsabwicklung, also vom Auftragseingang bis zur Auftragsfreigabe in der Produktion, oder ein Entwicklungsvorhaben zu betrachten. Die Systemsicht umfasst immer die Material- sowie die Informationsflüsse des Systems, bildet somit also auch die Logik der Steuerung ab. Das Wertstromdesign und seine Gestaltungsregeln sind die zentralen Methoden der Systemsicht im Sinne von System-Kaizen.
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Lars Vollmer
Verbesserung des Wertstroms (Fluss)
Verbesserung der Arbeitsschritte/ Ressourcen Methoden: ¬ 5S ¬ SMED (Rüstzeitreduzierung) ¬ Standardisierung ¬ Autonomation ¬ OEE ¬ Poka Yoke ¬ Prozessverbesserung ¬ ...
SystemSystemKaizen
ProzessProzessKaizen
Methoden: ¬ Einzelstückfluss ¬ Supermarkt-Pull (Kanban) ¬ FIFO-Bahnen ¬ Rhythmische Produktion im Takt ¬ Nivellieren der Produktion ¬ Minimierung der externen Steuerungsimpulse ¬ ...
Abb. 3: Methoden des Prozess- und System-Kaizens
3
Durchführung des Wertstromdesigns
3.1
Definition und Abgrenzung
Ein Wertstrom beschreibt den Durchlauf eines Produkts durch seine Hauptflüsse. Das sind zum einen der Fertigungsstrom – vom Rohmaterial des Lieferanten bis zum fertigen Produkt in den Händen der Kunden. Zum anderen der Entwicklungsstrom – vom Produktkonzept bis zum Produktionsstart. Denkbar sind jedoch auch andere Wertströme, wie beispielsweise die Auftragsabwicklung, das Rechnungswesen oder andere administrative Prozesse. Ein Wertstrom ist letztlich sehr umfangreich, erstreckt sich vom Zulieferer des Zulieferers bis zum Kunden des Kunden und bildet die komplette Produktentstehung ab. Bezogen auf einen PKW würde die Prozesskette mit dem Eisenerz in Südafrika beginnen und mit dem fertigen Fahrzeug vor der Haustür des Kunden enden. Somit wird deutlich, dass viele Fabriken, Unternehmen oder Organisationen an einem einzelnen Wertstrom beteiligt sind. Es gilt jedoch, zunächst das eigene Unternehmen zu fokussieren und in diesem den Entwicklungs- und/ oder Produktionsfluss zu gestalten (vgl. Halmosi/ Löffler/ Vollmer 2005). Darüber hinaus wird das Wertstromdesign auch für die Entwicklung unternehmensübergreifender Prozessketten verwendet (vgl. Jones/ Womack 2002); die Funktionsweise der Methode ist dabei nahezu identisch, wie im Folgenden beschrieben wird.
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
143
Der Schwerpunkt der weiteren Ausführungen liegt eindeutig im Produktionsfluss. Wo liegen hier die Vorteile des Wertstromdesigns? Auf der einen Seite sind diese sicherlich im Perspektivenwechsel zu finden. Denn das Wertstromdesign öffnet den Blick für den im Wertschöpfungsverlauf wesentlichen Fluss. Dazu werden sämtliche Material- und Informationsflüsse aufgenommen. Technische sowie hierarchische Details blendet das Wertstromdesign nahezu vollständig aus. Insofern ist das Wertstromdesign eine integrative, aber auf der anderen Seite auch eine systembeschreibende Methode. Die Handhabung dieser Methode gestaltet sich letztlich sehr simpel, auch wenn zu Beginn die Symbolik ungewohnt erscheint. Die praktische Erfahrung zeigt, dass diese schon nach kurzzeitiger Anwendung ein funktionell praktikables Arbeiten ermöglicht und gleichzeitig ein gemeinsames Verständnis für den IST- und den SOLL-Zustand vermittelt. Der „große Clou“ des Wertstromdesigns besteht darin, die Ursachen von Verschwendungen erkennen zu können. Besonders die gravierendsten Arten der Verschwendungen, verursacht durch Überproduktion und hohe Bestände, können mithilfe dieser Methode aufgedeckt werden. Zudem ist zu betonen, dass das Wertstromdesign vor allem lange Hebel für die Prozessoptimierung aufzeigt und Handlungsprioritäten bestimmt. Das Wertstromdesign beantwortet so die entscheidende Frage: Welche Maßnahmen sind zuerst durchzuführen, und welche haben den größten Nutzen für das Gesamtsystem und den Kunden? Genau diese Fragstellung taucht immer wieder in der Praxis auf. Es gibt zwar eine Menge Ideen, einen bestimmten Prozess zu verbessern. Die Prozessverbesserungen schaffen jedoch sehr häufig keine ausreichenden positiven Effekte aus der Sicht des Kunden, weil ihnen die Systemauswirkung fehlt. Gerade hier liefert die Methode des Wertstromdesigns Ansatzpunkte für Handlungsprioritäten und kann wie ein Navigator durch eine Lean-Transformation leiten. In der Praxis werden auch häufig Hallenübersichten und die darin ablaufenden Materialflüsse verwendet, um vermeintliche Systemverbesserungen zu planen (siehe Abb. 4). Diese Vorgehensweise weist aber gegenüber dem Wertstromdesign gravierende Nachteile auf, denn es blendet wesentliche Informationen aus, welche die Systemsicht ausmachen: • • • •
Die Übersicht fehlt. Die Informationsflüsse fehlen. Die Leistungsdaten der Prozesse fehlen. Und vor allem wird der Kunde nicht adäquat abgebildet – die Kundenforderungen fehlen also.
Die fehlende Übersichtlichkeit von Verbesserungsvorhaben, abgebildet in Hallenlayouts, lässt diese Vorgehensweise in der Praxis zudem wenig wertvoll und zielführend erscheinen.
144
Lars Vollmer
Layouts sind für das Systemdesign nicht geeignet, denn wesentliche Informationen fehlen
Übersichtlichkeit fehlt Informationsfluss fehlt Leistungsdaten fehlen Kundenforderung fehlt
Abb. 4: Nachteile der Materialflussdarstellung am Beispiel
3.2
Ablauf in drei Schritten
Ein Wertstromdesign wird immer nur für eine Produktfamilie erstellt. Diese auszuwählen, stellt nach Rother/ Shook (2000) den ersten Schritt des Wertstromdesigns dar. Alle Produktfamilien in einem Wertstrom erfassen zu wollen, ist nicht nur viel zu komplex, es ist auch nicht im Sinne des Kunden, der sich üblicherweise für ein spezifisches Produkt interessiert. Eine Produktfamilie zeichnet sich dabei durch ähnliche Arbeitsvorgänge, also durch einen ähnlichen Arbeitsablauf, sowie durch ähnliche Arbeitsinhalte aus. „Eine Produktfamilie ist eine Gruppe von Produkten, die ähnliche Verarbeitungsschritte und Maschinenausrüstungen im flussabwärtigen Ende des Wertstroms durchlaufen […]. Schreiben Sie Ihre ausgewählte Produktfamilie auf, aus wie vielen verschiedenen Endprodukten die Familie besteht, wie viel der Kunde davon benötigt, und wie oft und welche Nachfrageschwankungen zu erwarten sind. Hinweis: Falls Ihr Produktmix sehr komplex sein sollte, können Sie eine Matrix erstellen, wobei auf der einen Achse die Fertigungsschritte und die benötigte Ausrüstung, auf der anderen Ihre Endprodukte […] erscheinen“ (Rother/ Shook 2000, S. 6). Nach Bildung der Produktfamilie wird ein IST-Zustand gezeichnet und anschließend auf Basis dessen ein SOLL-Zustand entwickelt (siehe Abb. 5). In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der Methode um Wertstromdesign und nicht um eine Wertstromanalyse handelt. Wertstromdesign ist nicht nur eine Analyseform, die Aussagen bezüglich des IST-Zustandes trifft,
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
145
sondern vor allem eine Gestaltungsmethode, die es ermöglicht, nach den Grundprämissen des Lean Managements ausgerichtete SOLL-Wertströme zu entwickeln. Dabei handelt es sich lediglich um ein Paper-Kaizen, der SOLL-Zustand ist also lediglich auf dem Papier zu erkennen – und muss dann konsequent umgesetzt werden.
Abb. 5: Ablauf des Wertstromdesigns
Die Erfahrungen zeigen, dass ein IST-Zustand in Kombination mit einem SOLL-Zustand bei guter Vorbereitung und ein wenig Übung in wenigen Tagen, zumindest für eine Produktfamilie, erstellt werden kann. Sicherlich gibt es Ausnahmen; die Datenverfügbarkeit ist häufig ein nicht zu unterschätzender ZeitFaktor. Dennoch lassen sich Wertströme relativ zügig aufnehmen, während die anschließende schrittweise Umsetzung oft 15 bis 18 Monate dauern kann. Unter Umständen ergeben sich im Laufe dieser Zeit immer wieder verschiedene Schleifen, denn es entstehen natürlich über mehrere Perioden immer wieder neue SOLLZustände. 3.3
Ermitteln des IST-Wertstroms
Wie wird ein Wertstrom nun praktisch erstellt, und wie gestalten sich die einzelnen Schritte des IST-Zustandes? Ein praktisches Beispiel eines Wertstroms soll die Antwort an dieser Stelle veranschaulichen. Das Modell-Unternehmen Connect Limited stellt Elektronikbauteile her, die in Computern verbaut werden. Der Kunde dieses Unternehmens ist die Muttergesellschaft Connect Holding. Diese fragt 100.000 Stück dieser Produktfamilie pro Woche mit einer Schwankungsbandbreite von 70.000-150.000 Stück ab. Die Ermittlung des IST-Wertstroms erfolgt in sieben Schritten (siehe Abb. 6): 1. Zu Beginn der Aufnahme des IST-Wertstroms sind die Kundeninformationen festzustellen. Hierbei gilt es herauszufinden, welche „Last“ der Kunde auf das
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Lars Vollmer
Unternehmen ausübt, also welche Mengen der Produktfamilie der Kunde bestellt und wie er diese abruft. 2. Der zweite Schritt wird durch einen schnellen Durchgang zur Identifizierung der Reihenfolge aller hauptsächlichen Prozesse vollzogen. Dies erfolgt üblicherweise vom Kunden ausgehend rückwärts, also vom Versand bis zum Wareneingang. Diese Vorgehensweise hat zwei Gründe: Zum einen bildet sie die Sicht des Kunden durchgehend ab, die bei der gesamten Aufnahme des ISTZustandes beibehalten wird. Zum anderen zeigt sich besonders in der Praxis durch die Umkehrung des normal üblichen Weges der positive Nebeneffekt einer genaueren und bewussteren Auseinandersetzung mit den Prozessen – gerade bei routinierten oder betriebsinternen Mitarbeitern. Orientiert man sich am oben eingeführten Fallbeispiel, dann dient der erste Durchgang dazu, die Prozesse zu identifizieren. Vom Kunden aus rückwärts sind das namentlich der Versand, die Qualitätssicherung (QS), die Montage 2 sowie die Montage 1. Dabei wird die Montage 1 mit zwei Produktgruppen beliefert: zum einen Spritzgussteile, zum anderen gestanzte und galvanisierte Teile. Es handelt sich also hier um einen zweistufigen Prozess. 3. Nun müssen die Prozesse spezifiziert und Bestandsdreiecke eingezeichnet werden (siehe Abb. 6). Letztere sind Symbole in Form von Dreiecken, die sich zwischen den Prozessen befinden.2 Die Dreiecke zeigen, wie viele Teile sich zum Zeitpunkt der Aufnahme dort befunden haben. In der Praxis bedeutet dies ein tatsächliches Zählen der Teile zwischen den einzelnen Prozessen. Auch dieses Vorgehen beinhaltet wieder zwei Nutzen. Erstens kann eine tatsächliche Überprüfung der Zahlen erfolgen, und Zweitens ermöglicht das Beobachten auf dem Shopfloor eine klarere Erfassung der wirklich ablaufenden Prozesse. Der nächste und sicherlich auch umfangreichste Schritt des IST-Wertstroms befasst sich mit der Detaillierung der Prozesse. Dabei spielen besonders logistische Kenngrößen, wie die Zykluszeit oder auch die Einzel- und Rüstzeit, Verfügbarkeit, Ausbeute und Losgrößen eine entscheidende Rolle. Bei der Prozessdetaillierung sollte immer mit Augenmaß vorgegangen werden, um die Informations- und Detailflut nicht unnötig in die Höhe zu treiben, sondern mehr Wert auf Geschwindigkeit zu legen. Aufgrund dessen ist auch zu erklären, warum im Fallbeispiel die Details für QS und Versand nicht aufgenommen worden sind. Sie haben für den Wertstrom letztlich keine Bedeutung, und auch im SOLL-Zustand erfahren sie keinerlei Veränderung. 4. Beim vierten Schritt wird die Zulieferung näher betrachtet. Im Fallbeispiel erfolgt diese durch den Blechlieferanten, wobei der Beispielwertstrom eine sehr hohe Fertigungstiefe besitzt. Das bedeutet, dass nur wenige Rohmaterialien dem Unternehmen von außen zugeführt werden. Auch an dieser Stelle sollten Sie wieder mit Augenmaß vorgehen: Bestimmen Sie nur die wichtigsten Lieferanten und haben Sie nicht den Anspruch, alle Lieferanten zu integrieren – Geschwindigkeit vor Detailtreue! Im ersten Entwurf ist es sogar häufig sinnvoll, 2
In der ursprünglichen Entwicklung wurden von Toyota an dieser Stelle Grabsteine verwendet. Mittlerweile hat sich aber die abgebildete Darstellung mit einem „I“ für Inventory etabliert.
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
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vollständig auf die Lieferanten zu verzichten, um zunächst einmal die eigenen Prozesse zu fokussieren. Lieferanten können dann in weiteren Schritten nach und nach hinzugefügt werden. Auch hier wird das Symbol für eine externe Firma/ ein externes Unternehmen genutzt, um darzustellen, wie dieser Blechlieferant liefert.
Blechlieferant
Connect Holding
Kurzfristige Kundenaufträge
Produktionssteuerung Monatlicher Forecast für 2 Monate
MRP
100.000 / Wo. Range: 70.000150.000 / Wo.
Produktionsplan Spritzgießen
Lieferplan
2x pro Woche
Di ZZ = ø4,4 s (4-12s)
767.500
Tr = 120 m
Montage 1
V = 90%
=1
14 Maschinen Stanzen
Montage 2 632.000
ZZ = ø2,45 s
ZZ = ø2,6 s
3 Schichten
Tr = ø38 m
Tr = ø12 m
V = 66% Galvanik
= 1,5 ZZ=ø0,075 s 1.235.000 Tr = ø 180 m
= 2,5 ZZ = 30-60 s pro Rolle
V = 85% 5 Maschinen Los=ø122.000
Legende:
V = 70,2%
464.000 OEE = 59% Los=ø15.400
ZZ – Zykluszeit Tr – Rüstzeit s – Sekunden m – Minuten V – Verfügbarkeit OEE – Overal Equipment Efficiency
OEE = 63% Los=ø2.060
3 Schichten
3 Schichten
11 Stationen
12 Stationen
Durchlaufzeit
Los=ø20.000 61,8 Tage
116 Tage
23,2 Tage 120 s
Versand
2.100
Tr = 5-20 m
2 Schichten
0,075 s
=1
Los=ø45.000
QS
0,1 Tage
31,6 Tage 26,9 s
31,2 s
Wertschöpf.-zeit ca. 2 s
~ 4 Minuten
Abb. 6: IST-Wertstrom des Modellbetriebs Connect Ltd.
5. Der Schritt fünf beschäftigt sich mit den Informationsflüssen. Letztlich geben sie den Mitarbeitern vor, was sie produzieren sollen. Die Informationsflüsse beginnen immer beim Kunden. Dieser gibt seinen Auftrag in irgendeiner Weise an das (produzierende) Unternehmen weiter. Zur Abbildung dieses Vorgangs wird ein neues Symbol der Funktionssteuerung PPS (Produktions-Planungsund -Steuerungs-System) eingeführt, welches nicht gleichzustellen ist mit einer Abteilung, einem EDV-System oder einer Person. Vielmehr sind in diesem alle Abläufe, Prozesse und Mitarbeiter gebündelt, die dafür sorgen, dass Auftragsinformationen verarbeitet und zu Fertigungsaufträgen umgewandelt werden.3 Der Abbildung zum Fallbeispiel ist zu entnehmen, dass es einen monatlichen Forecast gibt, der jeweils für zwei Monate gilt. Zusätzlich werden kurzfristige Kundenaufträge täglich quasi vom Kunden an die Produktionssteuerung gelei3
Natürlich kann ein Wertstrom auch präzisiert und um einen Wertstrom der Produktionssteuerung ergänzt werden. Die Methodik ist dabei identisch, der Detaillierungsgrad kann nach Belieben erhöht werden.
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Lars Vollmer
tet. Letztere erarbeitet nun Produktionspläne, die an die Prozesse weitergeleitet werden. Schließlich erhält der Versand noch einen eigenen Lieferplan. Die weiterhin dargestellten Brillensymbole kennzeichnen die Orte, an denen Mitarbeiter oder Führungskräfte, häufig Meister, die eingegangenen Produktionspläne modifizieren. Es wird also nach gemeinsamer Absprache und mit bestem Wissen eine manuelle Reihenfolgenänderung durchgeführt. Gleichzeitig vermerken die Brillensymbole aber auch die Tatsache, dass Produktionspläne nicht zwangsläufig gemäß Produktionssteuerung eingehalten werden. 6. Im vorletzten Schritt des Wertstromdesigns wird herausgearbeitet, an welchen Stellen Material verschoben, wo also nach dem Push-Prinzip gearbeitet wird. Anders gefragt: Wo wird auf Basis des Produktionsplanes produziert – ohne ein explizites Feedback oder explizite Einbeziehung der Kapazität und der Produktionsrate des nachfolgenden Prozesses? Bezogen auf das Fallbeispiel zeigt sich, dass die Stanzerei gemäß Produktionsplan und ihren spezifischen Rüstzeiten sowie Maschinenausfällen die Teile stanzt. Diese werden für ein Lager gefertigt, aus dem sich die Galvanik bedient. Es gibt demnach keine formalisierte Abstimmung zwischen Stanzen und Galvanik, sondern lediglich eine Prognose auf Basis der zu erwartenden Kundenaufträge. Die gestreiften Pfeile symbolisieren daher die Push-Produktion auf Grund der im Produktionsplan enthaltenen Aufträge in Form von Standardlosgrößen und Forecasts. 7. Im letzten Schritt wird der Wertstrom durch die Zusatzinformation Durchlaufzeitkalkulation ergänzt. Die vorherigen sechs Schritte haben den Wertstrom bereits komplettiert, denn sämtliche Material- und Informationsflüsse sowie Logistik und logistische Details der Produktfamilie wurden in diesem vereint. Die Grundlage für eine Diskussion ist demnach bereits vorhanden. Der letzte Schritt dient lediglich dazu, eine Zusatzinformation zu generieren, die vor allem hilft, den IST-Zustand besser mit dem SOLL-Zustand vergleichen zu können. Weiterhin kann im siebten Schritt das Potenzial des IST-Wertstroms anhand der praktischen Aufnahme des Wertstroms klarer definiert werden. Das heißt, hier wird eine Durchlaufzeit kalkuliert, die ihren Namen nicht ganz verdient. Logistisch korrekt müsste es eine Reichweite sein, aber dieser in der Praxis nur recht geringe Unterschied wird hier billigend in Kauf genommen. Das Prinzip funktioniert wie folgt: Zunächst wird eine so genannte Zeitlinie unter den Wertstrom gezeichnet. Jeder Prozess wird durch ein Tal, jeder Puffer durch ein Plateau gekennzeichnet. In die Täler werden nun die jeweiligen Wertschöpfungszeiten eingetragen und abschließend addiert. In Bezug auf die Plateaus bedient man sich eines Tricks, denn der Bestand wird zum durchschnittlichen Bedarf des Kunden ins Verhältnis gesetzt. Entweder indem der Bestand durch den Bedarf geteilt oder mit dem Kundentakt multipliziert wird. Die Werte der Täler und Plateaus werden abschließend zur Gesamtdurchlaufzeit addiert. Im Fallbeispiel ergibt sich eine Gesamtdurchlaufzeit von 116 Tagen im Verhältnis zu einer Wertschöpfungszeit von circa 4 Minuten. Hier zeigt sich auch, wie wenig bedeutsam es ist, die Werte hochgradig exakt aufzunehmen. Das Verhältnis ist in jedem Fall verheerend und bietet einen Anhaltspunkt für das mögliche Potenzial eines IST-Wertstromes.
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
3.4
149
Leitlinien für SOLL-Wertströme
Die Methode Wertstromdesign trägt ihren Namen nicht nur, weil sie sich mit der Aufnahme eines Wertstroms beschäftigt und somit eine gewisse Art der Analyse vorgibt. Wertstromdesign ist vor allem eine Gestaltungsmethode, die Leitlinien zur Erstellung von SOLL-Wertströmen vorgibt. Diese setzen sich im Wesentlichen aus den folgenden sieben Punkten zusammen. 1. Produzieren nach Kundentakt Die Grundlage einer fließenden Produktion stellt eine rhythmische Produktion dar. Der Produktionsrhythmus, den es einzuhalten gilt, wird immer vom Kunden vorgegeben. Das heißt, die Produktion folgt diesem Rhythmus durch Einhaltung einer Taktzeit. Im übertragenen Sinne gibt die Taktzeit den Zeitraum an, in dem ein Produkt fertig gestellt werden sollte, um dem Kundenbedarf exakt zu entsprechen. Aus diesem Grund wird dieser Zeitraum als Kundentakt bezeichnet. Berechnet wird der Kundentakt anhand der verfügbaren Betriebszeit pro Zeiteinheit, dividiert durch den Kundenbedarf pro Zeiteinheit. Sowohl zu langsames als auch zu schnelles Produzieren müssen unbedingt vermieden werden. Zu langsames Produzieren bewirkt, dass der Kundenbedarf nicht gedeckt werden kann. Produktion unterhalb des Kundentaktes hat zwangsläufig Überproduktion zur Folge. In der Praxis ist die Einhaltung dieser Leitlinie unter Umständen ein sehr hehres Ziel. Die Taktzeit bleibt trotz alledem die wichtigste Kenngröße eines SOLLWertstroms, dient daher immer als „Nordstern“ oder Richtschnur für den optimalen Zustand. Erst eine Produktion, die exakt in der Taktzeit abläuft, entspricht einem idealen SOLL-Wertstrom und sicherlich in vielen Fällen auch einem tatsächlich erreichbaren Wertstrom (siehe Abb. 7). Aber wie bei allen folgenden Leitlinien ist jeder kleine Schritt eine Verbesserung des Flusses – und damit immer ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum schlanken Unternehmen. Der Kunde gibt den Produktionsrhythmus vor! Das heißt:
Die Produktion folgt diesem Rhythmus durch Einhaltung der Taktzeit. Die Taktzeit gibt den Zeitraum an, in dem Sie ein Produkt fertig stellen sollten, um dem Kundenbedarf genau zu entsprechen.
Kundentakt =
Beispiel:
Das heißt:
Verfügbare Betriebszeit pro Schicht Vom Kunden verlangte Produktionsmenge pro Schicht 7,5 h = 27.000 s
= 60 Sekunden
450 Stück • Der Kunde kauft dieses Produkt mit einer Rate von 1 Stück alle 60 s. • Die Taktzeit sollte auch genau 60 s betragen.
Sowohl zu langsames als auch zu schnelles Produzieren muss vermieden werden.
Abb. 7: Leitlinie 1 – Produzieren nach dem Kundentakt
150
Lars Vollmer
2. Einzelstückfluss, wann immer möglich Konventionelle Arbeitsplätze und Abläufe werden einzeln betrieben. Das Rohmaterial befindet sich vor dem Arbeitsplatz, der Arbeitsschritt wird isoliert durchgeführt und die Teile in einem Zwischenlager gesammelt. Zur weiteren Bearbeitung werden diese dann transportiert. Sämtliche weiteren Prozessschritte arbeiten ebenfalls nach diesem Prinzip, und schließlich verlassen die Teile nach mehreren Produktionsstufen das Unternehmen. Diese Arbeitsform ist durch ein hohes Maß an Verschwendung gekennzeichnet, die aber durch hohe Bestände verdeckt wird. Ein weiteres Charakteristikum ist der fehlende Fluss im Ablauf. So ist die Liege- bzw. Wartezeit zwischen Prozessschritten und/ oder die Transportzeit deutlich höher als die Bearbeitungszeit der Teile. Ein üblicher Wert im verarbeitenden Gewerbe liegt bei 0,05 bis 1% Wertschöpfungszeitanteil an der Durchlaufzeit. Mit den hohen Beständen geht das Problem der verzögerten Entdeckung von Qualitätsfehlern einher. Damit dauert die Behebung oftmals sehr lange und die Flexibilität bei der Reaktion auf sich kurzfristig ändernde Kundenwünsche ist ungenügend, weil das System eine immanente Trägheit aufweist (siehe Abb. 8). Dem entgegen steht das Ideal der schlanken Produktion – nämlich das Ideal des Einzelstückflusses. Einzelstückfluss bedeutet, dass die Arbeit direkt ohne Losbildung und Liegezeit von einer Stufe zur nächsten fließt. Es ist erst dann wirklich von Fluss zu sprechen, wenn die Bestände auf ein Minimalmaß reduziert werden konnten. Qualitätsfehler werden unmittelbar entdeckt. Damit steigt die Reaktionsfähigkeit sehr stark an. In der Praxis ist dieses Idealbild sicherlich erst die Endstufe einer mitunter jahrzehntelangen Evolution. Aber auch hier ist eben diese, wie bei der Taktzeit, das angestrebte Entwicklungsmaß.
Isolierte Arbeitsplätze
– Verschwendungen – Kein Feedback – Kein Fluss bleiben unerkannt – Viel Verschwendung – Keine Flexibilität
Einzelstückfluss
+ Schneller Fluss + Geringe Bestände
+ Direkter Kontakt + Hohe Flexibilität
Abb. 8: Leitlinie 2 – Einzelstückfluss, wann immer möglich
+ Verschwendungen werden sichtbar
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
151
Insbesondere im deutschsprachigen Raum wird die Störungsanfälligkeit einer solchen Produktion als wesentliches Argument der Ablehnung des Einzelstückflusses angeführt. Störungsanfälligkeit bedeutet dabei die Reaktion des Gesamtsystems bei einem Zustand, der nicht dem Regelbetrieb entspricht. Dies könnten beispielsweise länger anhaltende technische Anlageprobleme sein. In diesem Fall würde das Gesamtsystem zum Stopp kommen. Die konventionelle Produktion baut in einem solchen Fall immense Bestände zwischen den Prozessschritten auf, aus denen bei Folgeausfällen gezehrt werden kann. Somit hangelt sich die konventionelle Produktion gedanklich von einem Ausfall zum nächsten, deren Gründe durch die Bestände verdeckt bleiben. Und hier liegt der Philosophieunterschied zwischen dem Denken der Massenproduktion und dem der schlanken Produktion. Denn in der schlanken Produktion sind nahezu alle Leitlinien und Regeln darauf ausgerichtet, dass Fehler sowie Störungen sofort entdeckt werden, um diese schnellstmöglich beseitigen zu können. In der Praxis muss hierbei wieder ein gesundes Augenmaß entwickelt werden, ohne jemals vom Grundprinzip abzuweichen und das Ziel aus dem Auge zu verlieren, das eine störungsfreie Produktion anstrebt. 3. Einzelstückfluss zwischen Prozessen mittels FIFO-Bahnen Diese Leitlinie stellt eine Abschwächung der vorherigen dar und ist somit als Lösung 1b zur Kopplung von Prozessen zu verstehen (siehe Abb. 9). Die Bildung von Produktions-Zellen mit Einzelstückfluss ist nur schwer realisierbar bei
¬ räumlich weit auseinander liegenden Prozessen ¬ schwankenden Zykluszeiten
Umsetzung von Einzelstückfluss zwischen Prozessen (Zellen) mit FIFO-Bahn (First In – First Out)! Logik einer FIFO-Bahn
STOP
voll?
Prozess
FIFO
Prozess
A
max. 15 Stück
B
¬ FIFO-Bahn kann nur eine festgelegte Teilemenge aufnehmen. ¬ Ist die FIFO-Bahn voll, so stoppt der Liefer-Prozess (hier: Prozess A), bis der Verbraucher-Prozess min. 1 Teil verbraucht hat. ¬ FIFO-Bahnen behalten die Teile-Reihenfolge und ermöglichen so Einzelstückfluss. ¬ FIFO-Bahnen beinhalten Bestände, daher Vorsicht vor Etablierung eines unkontrollierten Lagers.
Abb. 9: Leitlinie 3 – Einzelstückfluss zwischen Prozessen mittels FIFO-Bahnen
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Sie sieht ebenfalls einen Einzelstückfluss vor, also die Abkehr von einer losweisen Produktion, erlaubt aber die Pufferung von Teilen zwischen zwei Prozessen. Dies wird üblicherweise angewandt, wenn Prozesse räumlich weit auseinander liegen und die Zykluszeiten, insbesondere bei variantenreicher Produktion, zwischen den Prozessen schwanken. Die Kopplung der Prozesse findet in diesem Fall durch eine FIFO-Bahn4 statt, die eine vorher festgelegte Menge an Teilen aufnimmt. Neben der rein logistischen Funktion des Einzelstückflusses handelt es sich dabei vor allem auch um eine Managementfunktion. Die Regel lautet: Sobald die FIFO-Bahn voll ist, stoppt der Lieferprozess, bis der Verbraucher- oder der Kundenprozess mindestens ein Teil entnommen hat, so dass die FIFO-Bahn wieder Restkapazität aufweist. Vorteil dieser Leitlinie ist die Beibehaltung des Einzelstückflusses sowie der Teilereihenfolge und damit der Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen Flusses. In der Praxis ist Vorsicht geboten, da FIFO-Bahnen immer Bestände beinhalten und sich bei ungenügendem Management eines solchen Prinzips ein unkontrolliertes Lager etablieren kann. Und damit wäre man wieder bei einem klassischen Push-Lager, was den Leitlinien der schlanken Produktion widerspricht. 4. Wann immer nötig und erforderlich: Verwendung von Supermarkt-Pullsystemen Die Leitlinie 4 berücksichtigt die Notwendigkeit einer Losproduktion, wie sie in vielen Industrien vorhanden ist. Diese ist immer dann gegeben, wenn Prozesse mit sehr hohen Schwankungen zwischen den Zykluszeiten der Prozessschritte auftreten, z.B. Stanzen im Vergleich zu Montagetätigkeiten, wenn sehr hohe Rüstzeiten vorhanden, Prozesse räumlich sehr weit entfernt oder wenn Prozesse hinsichtlich Qualität und Verfügbarkeit sehr unzuverlässig sind (siehe Abb. 10). Allerdings liegt das Bestreben der Prinzipien der schlanken Produktion darin, diese Restriktionen Schritt für Schritt zu reduzieren. Zykluszeiten können – wenn auch häufig nur mittel- bis langfristig – durch andere Maschinenkonzepte angepasst, Rüstzeiten beispielsweise mit der SMED-Methode kontinuierlich gesenkt werden. Probleme im Bereich Qualität und/ oder der Anlagenverfügbarkeit können mit der Methode Six Sigma analysiert und Abstellmaßnahmen definiert werden. Weiterhin ist ein nach Materialflussgesichtspunkten aufgebautes Layout einzurichten und die Zuverlässigkeit von Prozessen schrittweise zu erhöhen. Das klare Ziel bleibt, die Gründe für die Leitlinie zu eliminieren. Insofern stellt die Leitlinie 4 nur die Lösung 1 c dar. Die Idee dieser Leitlinie geht auf Taiichi Ohno zurück, der sich bei der Toyota Motor Company mit der Entwicklung und dem Aufbau des Toyota-Produktionssystems beschäftigt hat: „Es müsste doch möglich sein, den Materialfluss in der Produktion nach dem Supermarktprinzip zu organisieren – dass heißt, ein Verbraucher entnimmt aus dem Regal eine Ware bestimmter Spezifikation und Menge; die Lücke wird bemerkt und wieder aufgefüllt“ (Taiichi Ohno). Das Prinzip des Supermarktes ist in der Praxis auch unter dem Namen Kanban bekannt.
4
FIFO = First In - First Out.
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
153
Wann ist Produktion in Losen erforderlich? ¬ bei sehr schnellen oder sehr langsamen Zykluszeiten (z.B. Stanze, Spritzguss) ¬ bei hohen Rüstzeiten SMED ¬ bei räumlich zu weit entfernten Lieferanten-Prozessen t Layou ¬ bei unzuverlässigen Prozessen TQM
Einsatz eines Supermarkt-Pull-Systems, ohne Einsatz einer unabhängigen Steuerung!
Produktions-Kanban Entnahme-Kanban
Lieferprozess
A
Kundenprozess 2 Produkt
1 Produkt
Supermarkt
B
1
Kundenprozess geht zum Supermarkt und entnimmt, was er braucht, und wann er es braucht.
2
Lieferprozess produziert, um das Entnommene wieder aufzufüllen.
Ziel: Steuerung der Produktion am Lieferprozess ohne Produktionsplan
Abb. 10: Leitlinie 4 – Verwendung von Supermarkt-Pullsystemen
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Nachproduktion nur bei Verbrauch angetriggert wird. Daher wird diese Linie auch als Verbrauchssteuerung bezeichnet. In der Praxis sind verschiedenste Ausprägungsformen möglich, so dass in nahezu allen Branchen und allen Technologieformen dieses Prinzip angewendet werden kann. In der Praxis wird die flächendeckende Einführung lediglich durch eine eventuell zu hohe Variantenzahl und die teilweise sehr hohen Bedarfsschwankungen einer Produktfamilie begrenzt. Daraus resultieren in den meisten Fällen hohe Bestände und unter Umständen hoher Flächenbedarf, was dem Gedanken einer schlanken Produktion widerspricht. 5. Produktionssteuerung nur an einer Stelle im Wertstrom Die Grundidee der Leitlinie 5 (siehe Abb. 11) entspricht dem grundsätzlichen Gedanken der Systemtheorie: Systeme lassen sich nur durch Impulse an einer Stelle steuern. Das heißt für die Methodik des Wertstromdesigns: Zur Minimierung des Steuerungsaufwands und somit zur Unterstützung eines effizienten und schnellen Wertstroms wird die Steuerung nur an einer Stelle innerhalb des Wertstroms angesetzt. Dieser Ansatzpunkt wird Schrittmacher-Prozess oder Pacemaker genannt. Die Produktion aller vorgelagerten Prozesse wird so anhand des SchrittmacherProzesses gesteuert und kann entscheidenden Einfluss auf Bestand und Flächenbedarf der Supermärkte ausüben. Zudem legt der Pacemaker fest, welche Prozesse des Wertstroms Bestandteil der Auftragsdurchlaufzeit werden. Auftragsdurchlaufzeit bedeutet dabei das Zeitintervall zwischen Auftragseinsteuerung und Fertigstellung des Auftrags.
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In Bezug auf die praktische Anwendung dieser Leitlinie ist es wichtig zu betonen, dass dem Schrittmacher-Prozess flussabwärts keine Supermärkte nachgelagert sein können. Eine Ausnahme stellt ein Fertigwaren-Supermarkt dar. Aus diesem Grund liegt die Position des Schrittmacherprozesses möglichst weit vorne in einem Wertstrom, der sich durch einen kontinuierlichen Fluss auszeichnet. Im SOLL-Zustand wird der Schrittmacher-Prozess durch die eingehenden Kundenaufträge gelenkt. Ein effizienter und schneller Wertstrom wird nur an einer Stelle nach Termin und Menge gesteuert. Dieser Steuerungspunkt wird „Schrittmacher-Prozess“ oder „Pacemaker“ genannt.
Beis piel Stanzen
Pressen
Endmtg.
QS / Test
Versand
Anmerkung:
»PULL« flussaufwärts
»FLOW« flussabwärts
Vom Schrittmacher-Prozess flussabwärts kann kein Supermarkt mehr installiert werden. Ausnahme: Fertigwaren
Abb. 11: Leitlinie 5 – Produktionssteuerung nur an einer Stelle im Wertstrom
6. Ausgleich des Produktionsmixes Die sechste Leitlinie (siehe Abb. 12) – der Ausgleich des Produktionsmixes – erfordert ein besonders hohes Maß an Veränderung gegenüber der herkömmlichen Produktion. Viele Firmen halten die Produktion in großen Losen für einfacher und sinnvoller, um weitläufig planen und um Rüstvorgänge vermeiden zu können und so die Auslastung des Systems auf hohem Niveau zu halten. Bezogen auf den Wertstrom hat diese Art der Batch-Fertigung jedoch fatale Folgen. Die Produktion von großen Losen im Hauptprozess bedeutet auch, dass sämtliche Komponenten in dieser Menge vorrätig sein müssen, was wiederum hohe Bestände nach sich zieht. Weiterhin ist es aufgrund der langfristigen Zusammenfassung von Aufträgen und Produkttypen schwer, dem Kundenwunsch nachzukommen, wenn dieser nicht gerade dem produzierten Los entspricht. Die Notlösung bedeutet oft, alle Produktvarianten in einem großen Fertigwarenlager ständig verfügbar zu machen oder den Kunden mit längeren Lieferzeiten zu konfrontieren. Beide Lösungsvarianten stellen keinen anzustrebenden Zustand im Sinne der schlanken Produktion dar. Um den Beständen entgegenzuwirken, gilt es, den Produktionsmix auszugleichen. In der Praxis bedeutet das, dass die verschiedenen Varianten gleichmäßig über einen Zeitraum verteilt produziert werden. Der Ausgleich des Produktions-
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
155
mixes wird durch kleine Losgrößen erreicht, die es ermöglichen, schnell auf Kundenwünsche zu reagieren. Die Folge der Losgrößenreduktion ist ein Anstieg der Rüstvorgänge. Das führt zu deutlicher Bestandsreduktion und kürzeren Durchlaufzeiten. Als Maß für die mögliche Losgrößenreduktion kann die Kennzahl EPEI (Every Part Every Intervall) herangezogen werden. Diese gibt das Zeitintervall an, in dem es möglich ist, alle Produktvarianten bei gleichzeitiger Deckung des Kundenbedarfs einmal zu produzieren. Daher folgt: je kleiner der EPEI ist, desto besser kann der Ausgleich des Produktionsmixes erfolgen. Losbildung führt zu Problemen: ¬ Die Flexibilität, kurzfristig auf sich ändernde Kundenwünsche zu reagieren, wird geringer. ¬ Es sei denn, Sie halten hohe Fertigwarenbestände vor ! sehr teuer und sehr riskant. ¬ Große Lose führen automatisch an den vorgelagerten Stufen zu aufgeblähten Lagerbeständen. ¬ Veränderungen in der Losbildung schaukeln sich flussaufwärts immer weiter auf. ¬ Durchlaufzeiten steigen drastisch an.
Deshalb: Produktmix ausgleichen, am Schrittmacher-Prozess d.h. die Produktion verschiedener Produkt-Varianten wird gleichmäßig über einen bestimmten Zeitraum verteilt INTERVALL = Schlüsselkennzahl auch: EPEI – Every Part Every Interval Je kürzer das Intervall, desto ...
aber: kurze Intervalle erfordern ...
¬ geringer die Bestände
¬ häufigeres Rüsten
¬ kürzer die Durchlaufzeiten
¬ daher kürzere Rüstzeiten
¬ höher die Flexibilität
¬ synchronisierten Einkauf
¬ weniger Verschwendung ¬ höher die Produktivität
Abb. 12: Leitlinie 6 – Ausgleich des Produktionsmixes
7. Ausgleich des Produktionsvolumens Die Leitlinie 7, Ausgleich des Produktionsvolumens (siehe Abb. 13), ist mehr eine Managementleitlinie als eine Gestaltungsregel und zielt auf den Aspekt der Produktionsplanung und -steuerung ab. Häufig wird der Schrittmacher-Prozess mit zu großen Arbeitsvolumina in Form von Tages- oder Wochenplänen belastet. Bei einer derartigen Zuteilung von Arbeitsinhalten geht die Kundenorientierung verloren und somit der Pull-Effekt, da die Taktzeit fehlt. Somit werden Produktionsprobleme und ihre Ursachen nicht rechtzeitig erkannt. Zusätzlich besteht bei einer großen Zahl von Aufträgen die Gefahr der Reihenfolgevertauschung durch die Fertigung, was eine Erhöhung der Durchlaufzeit und damit der Lieferzeiten zur Folge hat. Der Ausgleich des Produktionsvolumens wirkt diesen Problemen entgegen, da bei taktgebundener Freigabe am Schrittmacher-Prozess und bei Entnahme von Fertigwaren regelmäßig (z.B. alle 5-60 Minuten) kleine Lose in den Schrittma-
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cher-Prozess eingesteuert werden und auf diese Weise zum kontinuierlichen Fluss beitragen. Zuteilung von großen Mengen am Pacemaker (Tages- oder sogar Wochenmengen) ergeben Probleme, wie: ¬ Dem Schrittmacher-Prozess fehlt das Gefühl für die Taktzeit (Herzschlag). ¬ Arbeitsvolumen verteilt sich ggf. ungleichmäßig über die Zeit. Täler und Hügel ergeben zusätzliche Belastung für Maschinen, Personal und Supermärkte. ¬ Transparenz fehlt; Produktionsprobleme werden meist erst am Ende der Periode erkannt. ¬ Werden große Mengen freigegeben, neigen die Prozesse dazu, eine eigene Reihenfolge zu bilden.
Deshalb: Produktionsvolumen ausgleichen durch Freigabe von kleinen, gleichmäßigen Planungsinkrementen (15-120min). Das Planungsinkrement wird auch "PITCH" genannt.
Je kleiner der Pitch, desto schneller können Sie auf Schwankungen reagieren. Der Pitch visualisiert die Einhaltung des Taktes.
Abb. 13: Leitlinie 7 – Ausgleich des Produktionsvolumens
Toyota hat in diesem Zusammenhang den Begriff „Pitch“ geprägt. Pitch gibt dabei das Intervall der Freigabe bzw. Entnahme an. Pitch orientiert sich i.d.R. an einer Behältergröße (Stückzahl der Fertigwaren pro Behälter). Mit Hilfe der Multiplikation von Taktzeit und Behältergröße wird der Pitch berechnet, der dem Schrittmacher-Prozess vorgibt, wann ein weiteres Los produziert bzw. ein fertiges entnommen werden muss.5 3.5
Umsetzungsprinzipien
Erfolgreiche Wertstromdesign-Initiativen sind immer Teamprozesse. So wird der IST- wie auch der SOLL-Wertstrom idealerweise von einem interdisziplinären Team aus dem mittleren Management eines Unternehmens erstellt, das für Prozess- und Systemverbesserungen verantwortlich ist. Dabei sollte man je nach Umfang und Komplexität des Wertstroms ca. 3-5 Tage zur Aufnahme des ISTWertstroms und eine ähnliche Zeit zur Ausarbeitung des SOLL-Wertstroms kalkulieren. Aber damit fängt die eigentliche Arbeit erst an – ein Wertstromdesign ohne Umsetzung ist bloße Verschwendung von Zeit und Kosten. Bei der Umsetzungsarbeit werden grundsätzlich zwei ineinander greifende Ansätze verfolgt. Zum einen sind dies radikale Veränderungen (Kaikaku), wie beispielsweise die Einführung neuer Produktionstechnologien oder der Aufbau neuer
5
Der Pitch liefert somit die Grundlage für die Produktionsplanung einer Produktfamilie (vgl. Rother/ Shook 2000).
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign
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Fabrikgebäude. Zum anderen ist dies das viel diskutierte Kaizen, das eine Veränderung in kleinen, kontinuierlich ablaufenden Schritten verfolgt. Kaizen ist kein ausschließlich auf Mitarbeiterengagement basierendes System. Zielgerichtete Kaizen-Aktivitäten erfordern ein aktives Management. Ein erfolgreiches Kaizen-Management zielt auf die Beseitigung der am häufigsten auftretenden Management-Verschwendungen bei Kaizen-Aktivitäten: • Verschwendung durch fehlende Fokussierung entsteht immer dann, wenn es dem Management nicht gelingt, die richtigen Ressourcen auf die wesentlichen Probleme und Ziele zu konzentrieren. • Verschwendung durch fehlende Struktur bezieht sich auf den Organisationsgrad der täglichen Arbeit aller Mitarbeiter, auf das Feedback in Form von Leistungsmessung und auf die tägliche, strukturierte Kommunikation mit den Vorgesetzten. • Verschwendung durch fehlende Disziplin tritt dann auf, wenn Fokussierung und Struktur zwar vorhanden sind, die Mechanismen zur Leistungsmessung, zur Kontrolle und zur Anerkennung und Wertschätzung von Leistung nicht angewandt werden. • Verschwendung durch fehlenden Verantwortungsbereich tritt dann auf, wenn Kaizen zwar praktiziert wird, den Mitarbeitern aber nicht zugestanden wird, ihr Arbeitsumfeld „in Besitz zu nehmen“ (Ownership) und nachhaltig zu verändern. Das Kaizen-System unterscheidet vier Kaizen-Level: • Level 4: Individualkaizen. Kaizen am Arbeitsplatz des Mitarbeiters, z.B. Verkürzung der Wege zur Beschaffung von Werkzeugen und Vorrichtungen, 5S. • Level 3: Gruppenkaizen. Kaizen auf Ebene der Arbeitsgruppe, z. B. Reduktion von Rüstzeit durch Rüsthelfer. • Level 2: Kaizen-Event. Meist gruppenübergeifend, z.B. Neuorganisation der Teilebereitstellung, Layoutgestaltung des Teambereichs, Einführung von Onepiece-flow-Zellen. • Level 1: Wertstromkaizen. Tiefgreifende Veränderung der System- und Prozessablaufstruktur durch eine Serie von Maßnahmen, die ggf. Projektcharakter annehmen. Die Durchführung der Kaizen-Events stellt das Herz des Verbesserungsprozesses dar. Üblicherweise dauern diese Events 3-5 Tage, und es wird mit einem Team von 4-6 Personen eine definierte und klar abgegrenzte Themenstellung bearbeitet. Dabei ist die Umsetzung der Maßnahme immer Bestandteil des Events. In diesem Punkt steht die Workshoparbeit im Gegensatz zu eher projektorientierten Ansätzen.
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Fazit
Das Wertstromdesign hat sich als Basiswerkzeug des erfolgreichen Lean Management-Ansatzes in der Industrie etabliert. Dabei besticht es vor allem als schneller und zielgerichteter Navigator für systemisch ausgerichtete Verbesserungsprozesse. Die Vorgehensweise und die resultierenden Maßnahmen sind vollständig auf den Kundennutzen ausgerichtet, ohne die praktische Umsetzung aus den Augen zu verlieren. Die Vorteile einer Kombination des Ansatzes mit den Grundideen von Six Sigma sind bestechend. So liefert das Wertstromdesign die Systemsicht, während Six Sigma die Tools und die praktische Methodik zur Eliminierung von Verschwendungen auf der Prozessebene ergänzt. Dies wurde im Kapitel A dieses Buches bereits ausführlich dargestellt.
5
Literatur
Drew, J./ McCallum, B./ Roggenhofer, S. (2005): Unternehmen Lean – Schritte zu einer neuen Organisation, Frankfurt/ New York 2005. Halmosi, H./ Löffler, B./ Vollmer, L. (2005): Wertstromdesign in der variantenreichen Produktion, in: ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, 100. Jg. (2005), Nr. 12, S. 47-52. Jones, D.T./ Womack, J P. (2002): Seeing the whole – Mapping the extended value stream, Cambridge 2002. Rother, M./ Shook, J. (2000): Sehen lernen – Mit Wertstromdesign die Wertschöpfung erhöhen und Verschwendung beseitigen, Stuttgart 2000. Suzaki, K. (1989): Modernes Management im Produktionsbetrieb – Strategien, Techniken, Fallbeispiele, München/ Wien 1989. Womack, J.P./ Jones, D.T. (2003): Lean thinking – Banish waste and create wealth in your corporation, London et al. 2003. Womack, J.P./ Jones, D.T./ Roos. D. (1990): The machine that changed the world, New York 1990.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle MethodenKombination im Rahmen von Design for Six Sigma Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer Inhalt 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2 2.1 2.2 2.3 2.4 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 4 4.1 4.2 5
1
Quality Function Deployment (QFD) – Systematische Umsetzung der Kundenbedürfnisse/ -anforderungen in Produkt- und Prozessmerkmale .159 Ermitteln von Kundenanforderungen.......................................................160 Gewichten von Kundenanforderungen.....................................................163 Festlegen des technischen Konzepts ........................................................167 Festlegen von Funktionen, Bauteilen usw................................................170 Ermitteln der bauteilbezogenen Zielkosten ..............................................171 Design of Experiments (DOE) – Quantifizierung der Ursachen-Wirkungs-Beziehungen zur Optimierung von Produkten und Prozessen.......175 Festlegen der Ziel- und Einflussgröße(n) .................................................176 Screening der Einflussgrößen/ Faktoren ..................................................180 Durchführen von Bestimmungsversuchen ...............................................181 Durchführen von Optimierungsversuchen ...............................................185 TRIZ – Erfinderisches Problemlösen zum Generieren von Produktund Prozessinnovationen im Entwicklungsprozess..................................189 Wahl der Aufgabe (Zielsuche & Problemformulierung)..........................190 Präzisieren der Aufgabe (Zielvorgabe & Problemtransformation) ..........190 Analytisches Stadium (System-/ Modellanalyse).....................................191 Operatives Stadium (Lösungssuche/ -eingrenzung) .................................193 Synthetisches Stadium (Ideales Resultat und Lösungsrealisierung) ........194 Fallstudie zur Vernetzung von TRIZ und QFD: Entwicklung eines innovativen „Auto-Safe“ ..........................................................................195 Anwendung von QFD ..............................................................................196 Anwendung von TRIZ .............................................................................200 Literatur....................................................................................................203
Quality Function Deployment (QFD) – Systematische Umsetzung der Kundenbedürfnisse/ -anforderungen in Produkt- und Prozessmerkmale
Die Methoden QFD, DOE und TRIZ werden von immer mehr Unternehmen im Rahmen der Produktentwicklung eingesetzt. Die Gründe hierfür liegen vor allem in dem hohen Zielerreichungsgrad und der hohen Wirtschaftlichkeit, die mit der
160
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
„richtigen“ Anwendung der Methoden erzielbar sind. Im Kern geht es um die Sicherstellung eines wirkungsvollen Produktentwicklungsprozesses mit vertretbarem Zeit- und Kostenaufwand sowie schlanker Infrastruktur. In diesem Zusammenhang spielt der DMADV-Zyklus, wie er im Beitrag von Töpfer/ Günther in Kapitel A vorgestellt worden ist, eine herausragende Rolle. Die Ausführungen in diesem Beitrag fokussieren zunächst auf den isolierten Einsatz von QFD, DOE und TRIZ, wie er in der Praxis vielfach anzutreffen ist. Die Darstellung der einzelnen Methoden ist prozessbezogen. Nach Auflistung der wesentlichen Schritte folgen jeweils detaillierte Ausführungen mit konkreten Anwendungsbeispielen. Ziel ist es, die Konzeption und Inhalte der Methoden für Praktiker gut nachvollziehbar darzustellen und dabei eine Entscheidungsgrundlage für den wirksamen Einsatz von QFD, DOE und TRIZ zu liefern. Abschließend wird eine Fallstudie zur Vernetzung von QFD und TRIZ kurz referiert. Ziel von Quality Function Deployment (QFD) ist die integrierte Produktentwicklung für kundengerechte, qualitativ hochwertige Produkte in möglichst kurzer Entwicklungszeit. QFD bildet dabei das Rahmenkonzept für die wirkungsvolle Umsetzung von Design for Six Sigma (DFSS). Wie Erfahrungswerte zeigen, sind mit QFD bezogen auf Anlaufprobleme bei der Produktion von Neuprodukten (Job No. 1) sowie bezogen auf Fehlerkosten nach der Einführung erhebliche Verbesserungspotenziale realisierbar. Bei der Anwendung, z.B. im Zuge des DMADVZyklus, werden standardmäßig die folgenden fünf Schritte durchlaufen:1 1. 2. 3. 4. 5.
Ermitteln von Kundenanforderungen Gewichten der Kundenanforderungen Festlegen des technischen Konzepts Festlegen von Funktionen, Bauteilen usw. Ermitteln der bauteilbezogenen Zielkosten.
1.1
Ermitteln von Kundenanforderungen
Aus marktorientierter Sicht beginnt die Gestaltung/ das Design der Unternehmensleistungen mit der Ermittlung der Anforderungen der Kunden. Diese können bei Befragungen i.A. nicht direkt ermittelt werden, da aus der Sicht der Marketingforschung die „Stimme des Kunden“ (VOC – Voice of the Customer) sowohl Forderungen/ Anforderungen als auch Wünsche/ Bedürfnisse sowie Erwartungen umfasst. Eine genaue Abgrenzung in der Praxis gestaltet sich i.d.R. schwierig. Um die Kundenstimme dennoch „richtig“ zu ermitteln und zu verstehen, existieren eine Vielzahl von Lösungsvorschlägen. Für QFD sind insbesondere die Kundenproblemanalyse nach Shiba et al. sowie die 6W-Analyse relevant. Ein verhaltensbasiertes Vorgehensmodell zur Spezifikation von Kundenanforderungen schlagen Shiba et al. (1993) vor. Anstatt Kundenwünsche/ -bedürfnisse zu analysieren, untersuchen sie Kundenprobleme. Als Grund für ihr Vorgehen geben sie an, dass explorative Befragungen von potenziellen Kunden nach ihren 1
Siehe hierzu auch Beitrag von Töpfer/ Günther in Kapitel A zu Design for Six Sigma.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
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Wünschen/ Bedürfnissen i.d.R. wenig zielführend sind, da die Antworten dem Unternehmen meistens schon bekannt und zudem oberflächlich sind. Fragt man die Kunden direkt nach ihren Kaufmotiven, dann wird nur die „Spitze des Eisberges“ an Einflussgrößen offengelegt. Die ausschlaggebenden Gründe für den Kauf sind häufig latenter Natur und bleiben im Hintergrund verborgen. Eine Lösung für dieses Problem stellt allein die detaillierte Analyse der konkreten Anwendungssituation beim Kunden dar. Nur so können für das Unternehmen gehaltvolle und auswertbare Informationen für die Neugestaltung von Sach- und Dienstleistungen gewonnen werden. Als Handlungsleitfaden zur Spezifizierung der Kundenanforderungen legen Shiba et al. 4 Fragen zugrunde (vgl. hierzu und im Folgenden Töpfer/ Günther 2007, S. 113ff.): 1. Kundenerwartung: Woran denken Sie, wenn Sie sich die Lösung dieses Problems durch ein Produkt oder eine Dienstleistung vorstellen? 2. Kundenzufriedenheit: Welche Erfahrungen, insbesondere im Hinblick auf Probleme oder Schwächen, haben Sie bisher bei der Lösung dieses Problems gemacht? 3. Kundennutzen: An welche Eigenschaften und Kriterien denken Sie vor allem, wenn Sie sich die Lösung des Problems durch ein Produkt oder eine Dienstleistung vorstellen? 4. Zukünftiger Kundenvorteil: Über welche neuen Eigenschaften und Funktionen muss die Problemlösung bzw. das neue Produkt/ die neue Dienstleistung verfügen, um Ihre zukünftigen Anforderungen/ Bedürfnisse zu erfüllen? Wie leicht nachvollziehbar ist, werden die Kundenanforderungen in 4 Dimensionen gemessen, nämlich Kundenerwartung, -zufriedenheit, -nutzen und -vorteil. Dadurch soll ein möglichst umfassendes Bild über das bestehende und zu lösende Kundenproblem erreicht werden. Die Beantwortung der 1. Frage (durch den Kunden) gibt Hinweise auf den Anwendungsbereich/ -zweck beim Kunden, die Assoziationen, die der Kunde mit der Nutzung des Produktes/ der Dienstleistung verbindet, und, daraus abgeleitet, die wesentlichen Kaufgründe. Die Antworten des Kunden auf die 2. Frage spiegeln die Zufriedenheit des Kunden mit der aktuellen Problemlösung wider und geben Hinweise auf mögliche, bisher noch nicht erkannte Defizite. Mit der 3. Frage verbinden sich direkt die kritischen Qualitätsmerkmale (CTQs), die aus der Sicht des Kunden vollständig erfüllt sein sollen. Die Antworten zur 4. und letzten Frage beschreiben die Wünsche und Erwartungen des Kunden für eine innovative Problemlösung in der Zukunft. Definitionsgemäß werden sie im Moment von keinem bestehenden Anbieter in der gewünschten Weise erfüllt (vgl. Sauerwein et al. 1996, S. 313ff.). Ein Kundenvorteil entsteht dann genau dadurch, dass das Angebot des Unternehmens aus Kundensicht besser beurteilt wird als entsprechende Vergleichsangebote. Im Rahmen von QFD wird typischerweise die 6W-Analyse angewendet, um eine differenzierte Analyse der Kundenstimme vorzunehmen. Bei ihr werden die wissenschaftlichen Aussagen zur Bestimmung von Kundenanforderungen sowie das Fragenschema von Shiba et al. implizit zugrunde gelegt. Ziel der Analyse ist es, die generellen Wünsche, Erwartungen und Anforderungen der Zielkunden be-
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Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
zogen auf eine beschriebene Situation und die angebotene Problemlösung zu erfahren. Dabei geht es i.d.R. noch nicht um ein konkretes Produkt, sondern vielmehr um den spezifischen Nutzen eines neuen Konzeptes, aus dem sich dann in einem Konkretisierungsprozess Kundenanforderungen ableiten lassen. In Abbildung 1 ist eine Beispielübersicht mit der Ableitung von Kundenanforderungen auf der Basis einer 6W-Analyse skizziert. Wie ersichtlich ist, wird die „konkrete“ Kundenstimme durch die Beantwortung der 6 Fragen Wer?, Was?, Wo?, Wann?, Warum? und Wie viel? differenziert analysiert und in entsprechende Kundenanforderungen übersetzt. Im Beispiel ist dies – vereinfacht dargestellt – eine einzelne Aussage zur Beschaffenheit/ Gestaltung der Tür eines Küchenherdes, die mithilfe der 6 Fragen in 3 Kundenanforderungen aufgelöst wird. Customer Voice Table (6W) Lfd. Nr.
Kundenstimme
1
Leicht zu bedienende Herdtür
Wer?
Käufer, Herdbenutzer - Privater Haushalt - Restaurant/ Gaststätte
Was?
Wo?
Leichtgängige Herdtür
Herdtür außen
Wann?
Warum? Wie viel?
Beim Kochen und Backen
Meist nur eine Hand frei, Angst vor Verbrennungen
Kundenanforderungen 1. Leicht von außen zu öffnende Herdtür 2. Leicht von außen zu schließende Herdtür
Max. 30ºC Wärme am Griff
3.
Geringe Temperatur am Griff
Abb. 1: 6W-Analyse zur systematischen Ableitung von Kundenanforderungen
Die 6W-Analyse ist ein einfaches, teilstrukturiertes Fragenschema, mit dem eine Fokussierung auf die Erwartung, die Zufriedenheit, den Nutzen und den zukünftigen Vorteil für den Kunden erreicht wird, ohne jedoch sein Gedankenspektrum als Möglichkeitsraum zu stark einzuschränken. Dies stellt sicher, dass zum einen das Problem und seine Lösung nicht zu früh durch die „Brille des Unternehmens“ betrachtet wird und zum anderen auf dieser Basis kreative Lösungssichtweisen erhalten bleiben (vgl. Töpfer/ Günther 2007, S. 113f.). Für eine umfassende Ermittlung der Kundenanforderungen empfiehlt es sich, die 6W-Analyse sowohl mit internen Kunden/ Mitarbeitern als auch externen Kunden/ Lieferanten durchzuführen. Neben der direkten Befragung der Kunden kommen u.a. folgende Dokumente und Unterlagen als (indirekte) Informationsquellen infrage, um die Kundenstimme zu erfassen: Verträge und Lastenhefte, Benchmarking-Ergebnisse, Zulieferer-Daten, Reklamations-Statistiken. Weitere wichtige kundenbezogene Anforderungen an ein Produkt ergeben sich z.B. aus in der Vergangenheit durchgeführten Lean- und Six Sigma-Projekten.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
163
Bei der Anwendung der 6W-Analyse ist zu beachten, dass jeweils Kundenanforderungen bestimmt werden, und keine Lösungen. Kundenanforderungen sind immer lösungsneutral. So soll nach Abbildung 1 die „Herdtür leicht von außen zu öffnen“ sein, was grundsätzlich keine Lösungen beinhaltet. Dadurch wird die Gefahr vermieden, dass andere, eventuell bessere Lösungen im Deployment-Prozess nicht mehr betrachtet werden. Im Beispiel wäre ein Lösungsvorschlag – anstelle einer Kundenanforderung – im Berichtsbogen dokumentiert, wenn aus ingenieurtechnischer Sicht feststeht, dass die „Herdtür horizontal schwenkbar zu öffnen“ ist, um dadurch den Bedienungsaufwand für den Kunden zu minimieren. Neben der Ermittlung/ Ableitung erweist sich insbesondere die richtige Gewichtung der Kundenanforderungen als wesentliche Voraussetzung für eine kundenorientierte Produktentwicklung. Diese Aufgabe wird in der Praxis häufig unterschätzt, obwohl gerade im Rahmen eines Deployment-Prozesses die Qualität der Ausgangsgrößen maßgeblich von der Qualität der Eingangsgrößen abhängt. Das heißt, fehlerhafte Eingangsgrößen können sich im Verlauf der Erstellung mehrerer Beziehungsmatrizen zu „hochgradig“ fehlerhaften Ausgangsgrößen potenzieren und damit u.U. zu schlechteren Ergebnissen führen als ohne die explizite Bestimmung/ Ableitung der VOCs; in diesem Fall gilt: „Garbage in, garbage out“. 1.2
Gewichten von Kundenanforderungen
Der Zusammenhang zwischen der Erfüllung von Kundenanforderungen und dem finanziellen Erfolg von Unternehmen wird i.A. über das hypothetische Konstrukt der Kundenzufriedenheit hergestellt. In der Marketingforschung gilt die Kundenzufriedenheit seit Ende der 1970er Jahre als Schlüsselfaktor für den Unternehmenserfolg; sie gehört zu den bedeutendsten unternehmerischen Zielgrößen.2 Auf abstraktem Niveau handelt es sich bei Kundenzufriedenheit um das Ergebnis einer ex-post-Beurteilung des Kunden, welche auf zuvor gewonnenen Erfahrungen beruht. Das heißt, es wird ein vorheriges, konkret erfahrenes Konsumerlebnis vorausgesetzt. Im Hinblick auf das Konstrukt Zufriedenheit besteht darin Einigkeit, dass es aus einem (individuellen) Vergleich von Soll- und Ist-Werten hervorgeht. Eine direkte Verbindung zwischen Kundenanforderungen und Kundenzufriedenheit stellt u.a. das Kano-Modell her (vgl. Berger et al. 1993; Töpfer 2008, S. 196 ff.). Es differenziert dabei zwischen drei Arten von Anforderungen, die von einem Produkt/ einer Dienstleistung erfüllt werden (müssen). In Abhängigkeit von ihrem Erfüllungsgrad besitzen sie eine unterschiedliche Wirkung auf die Kundenzufriedenheit:
2
Über das konzeptionelle Verständnis von Kundenzufriedenheit liegt in der Betriebswirtschaftslehre bisher noch keine Einigkeit vor. Es existieren eine Reihe von z.T. konkurrierenden Erklärungskonzepten. Am weitesten verbreitet ist das Confirmation-/ Disconfirmation-Paradigma, bei dem die Kunden ein vergangenheitsorientiertes Zufriedenheitsurteil bilden (vgl. Töpfer/ Mann 2008, S. 43).
164
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
1. Basisanforderungen: Sie stellen eine Art „K.o.-Kriterium“ für das eigene Produkt/ die eigene Dienstleistung dar.3 Wenn sie nicht oder nur unzureichend erfüllt sind, äußert sich dies in einer hohen Unzufriedenheit des Kunden. Eine bessere Erfüllung der Basisanforderungen bedeutet zugleich, dass sich die Unzufriedenheit sukzessive reduziert. Das häufig erreichbare höchste Niveau besteht darin, dass der Kunde bezogen auf die Erfüllung der Basisanforderungen „nicht unzufrieden“ ist, wenn nämlich die als selbstverständlich erachteten Eigenschaften des Produktes/ der Dienstleistung vollständig erfüllt sind. Durch eine bessere Erfüllung der Basisanforderungen wird der Kunde also nicht zufriedener, sondern ist nur weniger unzufrieden (siehe hierzu Abb. 2). Kunde zufrieden
Leistungsanforderungen - artikuliert - spezifisch - messbar Immer - technisch mehr
Begeisterungsanforderungen - nicht artikuliert - tailor-made Versteckte - begeisternd Chancen Anforderung nicht erfüllt
Anforderung erfüllt
Basisanforderungen - implizit - selbstverständlich - nicht artikuliert - offensichtlich
K.o.Kriterien
Kunde unzufrieden
Abb. 2: Kano-Modell der Kundenzufriedenheit
2. Leistungsanforderungen: Sie führen bei zunehmender Erfüllung zu einem proportionalen Anstieg der Kundenzufriedenheit, d.h. eine bessere Erfüllung dieser Anforderungen durch das Unternehmen erfüllt nicht nur die artikulierten Kundenbedürfnisse besser, sondern steigert zugleich die Kundenzufriedenheit. Der Anstieg reicht dabei (linear) vom Zustand der „Völligen Unzufriedenheit“ bis zum Zustand der „Völligen Zufriedenheit“ des Kunden. Bei Leistungsanforderungen handelt es sich i.d.R. um Anforderungen, die vom Kunden explizit gefordert werden und deshalb für das Unternehmen „gut“ messbar und technisch umsetzbar sind, z.B. keine Verbrennungen an der Herdtür. Außerdem ist der Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang eindeutig spezifizierbar.
3
Z.B. Herdtür schließt so dicht ab, dass keine Wärme nach außen tritt.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
165
3. Begeisterungsanforderungen: Sie werden vom Kunden weder erwartet, noch sind sie von ihm explizit formuliert. Mit zunehmender Erfüllung der Anforderungen steigt das Niveau der Kundenzufriedenheit exponentiell an. Bei geringer Erfüllung nähert sich die Zufriedenheit des Kunden asymptotisch der Abszisse, d.h. durch die Nicht-Erfüllung von Begeisterungsanforderungen fällt die Zufriedenheit des Kunden niemals unter das Basisniveau. Vielmehr werden durch das Erkennen und Umsetzen der Begeisterungsanforderungen die vom Kunden (explizit) formulierten Anforderungen deutlich positiv übertroffen. Für das Unternehmen ermöglichen sie eine Differenzierung vom Wettbewerb. Ihr Beitrag zu den finanziellen Unternehmenszielen ist besonders hoch einzustufen, da Kunden im Begeisterungsfall eher eine höhere Preisschwelle akzeptieren.
•
Selbstverwirklichung
•
Wertschätzung/ Ich-Bedürfnis
•
Soziale Bedürfnisse
•
Sicherheitsbedürfnis
•
Grundbedürfnisse
Beispiel Begeisterung
Klassifikation
Reklamationen
Defizitmotive
Wachstumsmotive
Eine weitere, stärker differenzierte Klassifikation der drei Gruppen von Anforderungen ermöglicht das Maslow-Modell. Es wurde ursprünglich für die Bildung von Motivklassen in der Mitarbeiterführung entwickelt, lässt sich aber auch gut auf die Einteilung von Kundenbedürfnissen übertragen. In Abbildung 3 wird die Kundenbedürfnis-Differenzierung auf der Basis einer VOC-Analyse am Beispiel der Anforderungen an einen Kochherd gezeigt.
•
Vom Benutzer definierbarer Kochablauf
•
Markenprestige
•
Kommunikation zwischen Benutzer und Backofen
•
Bedürfnis nach sicherem Kochablauf
•
Notwendigkeit zu Kochen
Abb. 3: Maslow-Pyramide der Kundenbedürfnis-Differenzierung
Die beiden untersten Motive entsprechen hierbei zum einen der notwendigen Vorrichtung zum Kochen und zum anderen dem Anspruch eines sicheren Kochablaufs. Das dritte Motiv kennzeichnet die Anforderungen an die Kommunikation zwischen dem Benutzer und dem Backofen, die sich – produktbezogen – in einer entsprechend guten Bedienungsqualität, also dem leicht verständlichen und dennoch umfassenden Bedienungskomfort, als kritischem Qualitätsmerkmal (CTQ) niederschlägt. Es entspricht damit nicht mehr nur den Basisanforderungen, sondern ist ein eindeutiges Leistungskriterium des Produktes. Wenn die folgenden
166
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Motivgruppen erfüllt werden, dann verlieren diese drei Stufen allerdings an Differenzierungsstärke und damit an kaufinduzierender Kraft. Sie sind deshalb so genannte Defizitmotive – ihre Nichterfüllung führt zu Unzufriedenheit, ihre Übererfüllung aber nicht zu höherer Zufriedenheit. Die zwei höherwertigen Motivklassen bergen die Chance in sich, als Begeisterungsanforderungen gestaltet werden zu können. Die vierte Gruppe, die Ich-Bedürfnisse, werden unternehmensbezogen durch das Markenprestige des Produktes aktiviert. Im Vergleich hierzu fassen die Bedürfnisse der Selbstverwirklichung die letzten drei Motivklassen zusammen und fokussieren sie in diesem Wachstumsmotiv. Dies ist dann auch in der Produktgestaltung und -positionierung entsprechend zu berücksichtigen. Konkret gesprochen bedeutet dies, dass ein benutzerdefinierter Kochablauf zur optimalen Zubereitung des Kochguts einerseits so einfach zu handhaben ist, dass auch ein Laie gute Kochergebnisse erzielen kann. Andererseits muss das Einstellungs- und Differenzierungsspektrum des Kochherdes so vielschichtig sein, dass genau diese optimale Zubereitung einer Mahlzeit sichergestellt ist. Das dahinter liegende Motiv lässt sich durch das Gefühl einer hohen Professionalität des Akteurs kennzeichnen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse ist leicht nachvollziehbar, dass Reklamationen und Beschwerden sich in verstärktem Maße auf die unteren drei Bedürfniskategorien beziehen. Begeisterung wird – wie ausgeführt – durch die oberen Motivklassen ausgelöst. Die Klassifikation macht insgesamt deutlich, dass eine Analyse der Kundenanforderungen (VOC) am besten im Rahmen eines Simultaneous Engineering, also in der Zusammenarbeit von Ingenieuren und Kaufleuten, erfolgt. Hierdurch wird die Stimme des Kunden unverfälscht sowohl aus Sicht des Marketings als auch aus Sicht der Entwicklung gehört und verstanden. Dies kommt erfahrungsgemäß einer umfassenden Produktqualität unter gleichzeitiger Verfolgung der Unternehmensziele zugute. Entsprechend dem ursprünglichen Modell von Maslow gilt bei Kundenbedürfnissen, dass die unteren Kategorien erfüllt sein müssen, bevor höherwertige Motive durch ein Produkt erfüllt werden können. Diese Klassifizierung von Kundenbedürfnissen steht damit zugleich in direktem Bezug zu Kaufmotiven der Adressaten. Diese haben entsprechend ihrem Niveau wiederum eine Beziehung zur Preisbereitschaft der Zielkunden. Dabei gilt: Je höher die Motivklasse, desto größer ist generell die Preisbereitschaft.4 In diesem Zusammenhang wird bei QFD der Customer Value, also der Wert für den Kunden, als weiterer „weicher“ Gewichtungsfaktor bestimmt. Insbesondere wird hier der Frage nachgegangen, ob die besonders gute/ schlechte Erfüllung der Kundenanforderung einen direkten Einfluss auf den materiellen Nutzen des Kunden hat (vgl. Töpfer 2008, S. 199ff.).
4
In der neueren Marketingforschung entspricht diese Differenzierung der Means-EndTheorie (vgl. Herrmann 1996, S. 154f.). Sie leitet aus dem physischen und funktionalen Nutzen eines Produktes dahinter liegende psychologische Beweggründe des Adressaten als Motive und Triebfedern für sein Handeln ab. Auch hier gilt, dass die Fähigkeit, diese psychologischen Motive zu erfüllen, dem Unternehmen einen Preisspielraum eröffnet.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
167
Für eine umfassende Bewertung der Kundenanforderungen werden verschiedene „harte” und „weiche” Gewichtungsfaktoren ermittelt und anschließend aggregiert. Das konkrete Vorgehen wird am Beispiel in Abschnitt 2.2 erläutert. 1.3
Festlegen des technischen Konzepts
Nach Yoji Akao, dem „Ur-Vater“ des QFD, wird unter QFD die gezielte Planung und Entwicklung der Qualitätsfunktionen eines Produktes/ einer Dienstleistung entsprechend den vom Kunden geforderten Qualitätsmerkmalen verstanden (vgl. Akao 1992, S. 15). Wie bereits aus den vorstehenden Ausführungen deutlich geworden ist, besteht das 1. Unterziel von QFD darin, ein bereichsübergreifendes Instrumentarium zur Ermittlung und Priorisierung von Kundenanforderungen bereitzustellen. Das 2. Unterziel der Anwendung von QFD ist, anschließend die Kundenanforderungen in innovative, zuverlässige, also robuste, und kostengünstige Lösungen umzusetzen. Mit dieser Methode soll also sowohl die Qualität der externen Marktleistung als Wertschöpfungsergebnis verbessert als auch die Qualität und Ausrichtung der internen Wertschöpfungsphasen gesteuert werden. QFD wird dadurch zu einem System, um Kundenanforderungen für jede Phase von der Forschung über die Produktentwicklung und Fertigung bis hin zum Marketing und Verkauf in entsprechende unternehmensspezifische Erfordernisse zu übersetzen (vgl. ASI - American Supplier Institute 1989). Mit einer derartigen Produkt- oder auch Dienstleistung, die nicht nur die technisch möglichen, sondern auch die vom Kunden gewünschten Qualitätsmerkmale aufweist, können die folgenden zehn Ziele erreicht werden: 1. Kundenorientierte Produktentwicklung 2. Verkürzung der Entwicklungszeit 3. Steigerung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit/ Produktivität 4. Verlustreduzierung im F&E-Prozess 5. Prozessorientiertes Denken und Handeln 6. Verbesserung der internen Kommunikation 7. Intensivierung der Zusammenarbeit 8. Bündelung des Wissens und Könnens 9. Klare und messbare Zielvorgaben 10.Verständliche(re) Dokumentation. Ein wichtiges Werkzeug im Rahmen von QFD, um diese Ziele zu erreichen, ist das so genannte House of Quality (HoQ). Konzeption und Inhalte des HoQ sind in Abbildung 4 schematisch dargestellt. Ausgehend von den ermittelten und gewichteten Kundenanforderungen wird die eigene Wettbewerbsposition mit der von maßgeblichen Konkurrenten verglichen. Hieraus wird das technische Konzept abgeleitet, und zwar über die Frage, wie das Unternehmen die Forderungen der Kunden zukünftig erfüllt bzw. wie es sie konkret ausgestaltet. Dies ist die Basis für die Festlegung des Zielniveaus und die konkrete Umsetzung einzelner Forderungen.
168
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
Wie unschwer ersichtlich ist, wird mit Hilfe des HoQ die Sprache der Kunden bzw. des Marktes als Horizontale in die Sprache der Techniker bzw. des Produktes als Vertikale übersetzt. Man sagt auch: QFD ist ein Was-Wie-Spiel, also „Was fordert der Kunde?“ auf der einen Seite und „Wie sehen unsere Lösungen aus?“ auf der anderen. Der Zusammenhang wird über eine Beziehungs- bzw. Korrelationsmatrix als „Kern des HoQ“ dargestellt. Dazu ist zum einen die Stärke der Beziehung zwischen Qualitätsmerkmal und Kundenanforderung festzulegen. Im deutschsprachigen Raum werden i.d.R. Zahlen verwendet, wobei 9 für starke, 3 für mittlere und 1 für schwache Beziehung steht. Zum anderen ist die Richtung der Beziehung zwischen Qualitätsmerkmal und Kundenanforderung über die Korrelationen der Wie´s zu bestimmen: • Wenn die Optimierungsrichtung des Qualitätsmerkmals identisch mit der Richtung der Kundenanforderung ist, dann ist der Beziehungswert positiv. • Wenn die Optimierungsrichtung des Qualitätsmerkmals entgegengesetzt zur Richtung der Kundenanforderung ist, dann ist der Beziehungswert negativ.
Korrelationen der Wie‘s
Wie
Stimme der Kunden
Was wollen die Kunden?
Unterstützung/ Beitrag der Wie's zu den Was'
Produkt
erfüllen wir die Forderungen?
Kunde
Benchmarking
Warum wir verbessern wollen? Vergleich mit dem Wettbewerb
Wie viel
wollen wir bei den Wie's erreichen? Quelle: Saatweber 1997, S. 35
Abb. 4: Schematische Darstellung des House of Quality (HoQ)
Unter diesem Blickwinkel sind Qualitätsmerkmale Eigenschaften von Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen, die von dem jeweiligen Prozessverantwortlichen beeinflussbar sind und für den Kunden eine direkte Beziehung zu seinem Qualitätsempfinden haben, also über den Verkaufserfolg entscheiden. Für die Ver-
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
169
wendung in QFD müssen folgende Anforderungen erfüllt sein: Die Qualitätsmerkmale sind messbar, bestehen (meist) aus einem Wort, haben eine Optimierungsrichtung, sind kunden- oder technikorientiert, können „weich“ sein (z.B. Design) oder „hart“ (z.B. Gewicht). In der Sprache von Six Sigma handelt es sich um Critical to Quality Characteristics (CTQs), die im Rahmen der F&E-Aktivitäten vollständig und wirtschaftlich zu erfüllen sind. Der Zusammenhang zwischen den Qualitätsmerkmalen wird im „Dach des HoQ“ analysiert. Analog zur Beziehungsmatrix im Kern des HoQ werden hier sowohl die Stärke als auch die Richtung der Wechselwirkung zwischen den Qualitätsmerkmalen einzeln bewertet.5 Wie in Abbildung 5 detaillierter nachvollziehbar ist, wird das HoQ in 9 Schritten erstellt.6 Sie verlaufen synchron zu den Planungsstufen der Entwicklung eines Produktes oder einer Dienstleistung. Die Reihenfolge der Ziffern kennzeichnet die Abfolge der einzelnen inhaltlichen Analyseschritte, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Die Bedeutung im Rahmen des Design for Six Sigma wird dennoch offensichtlich: Die Phase 1 entspricht der Aktivität Define im Rahmen des DMADV-Zyklus. Die Phasen 2 und 3 korrespondieren mit der Aktivität Measure, da hier die CTQs in ihrer Ausprägung beim eigenen und bei Konkurrenzprodukten bewertet werden. Die Phasen 4, 5 und 6 beinhalten die Aktivität Analyse. Die Phasen 7, 8 und 9 sind die gedanklichen Vorarbeiten für die Aktivität Design. Sie werden durch die abschließende Aktivität Verify nach einer konkreten Umsetzung in ihren angestrebten Wirkungen überprüft.
Abhängigkeitsanalyse (Wie beeinflussen sich die einzelnen Konstruktionsmerkmale?) Technische Anforderungen/Konstruktionsmerkmale (Wie setzen wir die Kundenanforderungen technisch um?)
6
2 Gewichtung (Wie wichtig ist es?)
4 5
Wirtsch. Gewichtung
Techn. Gewichtung
Objektive Maßstäbe
1 Kundenanforderungen (Was verlangt der Kunde?)
Ausprägung/Beziehungsmatrix (In welchem Ausmaß können die Kundenanforderungen realisiert werden?) Maßeinheiten Eigenes Produkt/ Konkurrenzprodukt
Technischer Vergleich (Wie schneiden wir technisch im Detail gegenüber Wettbewerbern ab?)
Techn. Schwierigkeiten Technische und wirtschaftliche Bewertung Beigemessene (Wie werden die VerbesWichtigkeit serungsmöglichkeiten bewertet?) Geschätzte Kosten Zielvorgaben
Maßnahmenpriorität (Welche Verbesserungen wollen wir zuerst realisieren?)
3
Kundenwahrnehmung/ Konkurrenzvergleich (Benchmarking) (Wie gut sind wir im Vergleich zu den Wettbewerbern?)
7 8 9
Quelle: Töpfer 2007, S. 120
Abb. 5: Vorgehensweise beim Erstellen des 1. HoQ 5
6
Die Stärke der Wechselwirkung wird in drei Stufen differenziert: 2 = stark, 1 = mittel und 0 = schwach. Wenn sich die Optimierung des einen Qualitätsmerkmals günstig auf die des anderen auswirkt, dann ist die Wechselwirkung positiv (z.B. +2), et vica versa. Das Vorgehen zum Erstellen des 1. HoQ wird am Beispiel in Abschnitt 2.2 erläutert.
170
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Wie bereits oben angesprochen, liegt der Haupteinsatz von QFD bei der Neuentwicklung oder Verbesserung von Produkten respektive Dienstleistungen. Die Anwendung wird umso effektiver, je schwieriger handhabbar und in technische Spezifikationen umsetzbar die Kundenanforderungen für das Unternehmen zunächst sind. In jedem Fall sollte QFD so früh wie möglich im Produktentstehungsprozess (PEP) eingesetzt werden. Denn nur so können die oben angesprochenen Ziele von QFD optimal erreicht werden. Potenzielle Missverständnisse, die sich immer wieder im Zusammenhang mit dem Einsatz von QFD ergeben, sind gleich zu Beginn des Deployment-Prozesses aus der Welt zu schaffen: • QFD ist kein Modethema, sondern wird z.B. in Japan seit über 25 Jahren erfolgreich eingesetzt. • QFD ist kein revolutionärer Ansatz, der gewaltige organisatorische Umgestaltungen oder Investitionen in Hardware und Software erfordert, sondern eine auf Kundenorientierung und Teamarbeit basierende evolutionäre Verbesserung. • QFD ist kein Ersatz für traditionelle Produktentwicklungsmethoden, sondern ein Kommunikationsinstrument, das bewährte Verfahren integriert. 1.4
Festlegen von Funktionen, Bauteilen usw.
Nachdem die Kundenanforderungen in Qualitätsmerkmale mithilfe des 1. HoQ übersetzt worden sind, werden im Weiteren – nach gleichem Vorgehensprinzip – Funktionen, Bauteile usw. festgelegt. Vorab wird der Ableitungszusammenhang, der in dem Wort Deployment bei QFD angesprochen ist, präzisiert und in seiner Bedeutung für Null-Fehler-Qualität auf allen Ebenen des Wertschöpfungsprozesses mit einem Retro-Engineering-Blickwinkel bewertet. Das 1. HoQ ist jetzt – ausgehend von den Kundenanforderungen – nicht nur in Produktmerkmale, sondern auch in Komponenten-, Fertigungsprozess- und Produktionsmittelmerkmale abzuleiten. Diese nahtlose Kaskadierung der Wertschöpfung, wie sie in Abbildung 6 beispielhaft angegeben ist, soll sicherstellen, dass keine Friktionen gegeben sind und dadurch eine hohe Fehlerfreiheit erreicht wird. Dies entspricht unmittelbar der Philosophie von DFSS. Die Anzahl der HoQs kann aufgrund der jeweiligen Aufgabenstellung und des gewünschten Detaillierungsgrades der Ergebnisse variieren. Nach unserer Erfahrung muss die DeploymentStruktur dem Problem/ der Aufgabenstellung jeweils angepasst werden, und nicht umgekehrt. Das 1. HoQ ist immer zu erstellen; jedoch sind die nächsten Schritte, also die weiteren HoQs, meistens erst „nutzbringend“. Durch die Verwendung des HoQ als zentralem Werkzeug im DeploymentProzess wird das Verbesserungsteam angehalten, alle für die Planung notwendigen Informationen zu beschaffen. Die z.T. großen Informationsmengen werden durch die Erstellung der HoQ systematisch erfasst, strukturiert, verdichtet, in miteinander verknüpften Matrizen dargestellt und schließlich bewertet und priorisiert. In DFSS-Projekten kommt i.d.R. dem Black Belt die Rolle des Moderators im Deployment-Prozess zu. Sie wird umso effizienter, je mehr sie auf der Basis eines IT-gestützten Tools durchgeführt wird. Denn hierdurch können unterschiedliche
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
171
Spezifikationen in den einzelnen Analyseschritten durchgespielt werden und so relativ schnell aus Kunden- und Unternehmenssicht optimale Kombinationen herausgefiltert werden. Unabhängig von der Art der Anwendung von QFD und der problemspezifischen Ausgestaltung des Deployment-Prozesses ist der Ausspruch von Yoji Akao zu beherzigen: „Copy the Spirit, not the Form!“
Produktmerkmale
Konzepte
2. QFDMatrix Fertigungsprozesse
1. QFDMatrix
4. QFDMatrix
Bauteile/ -gruppen
Bauteile/ -gruppen Funktionen
Kundenanforderungen
Produktmerkmale
5. QFDMatrix
Produktmerkmale
Funktionen
3. QFDMatrix
Abb. 6: Beispiel für einen Deployment-Prozess
Deployments, die i.d.R. leicht umzusetzen und in der Praxis weitläufig anerkannt sind, betreffen zum einen die Auswahl von Konzepten, Szenarien, Lieferanten usw. Zum anderen ist die Bestimmung von Funktionen, sofern diese im Unternehmen „bekannt“ sind, im Rahmen eines 3-dimensionalen Deployments verbreitet. Darüber hinaus ist das Festlegen von Bauteilen und Kostenstrukturen ein gewünschter und zugleich anerkannter Outcome von QFD. Deployments, die aufgrund von Kosten-Nutzen-Überlegungen in der Praxis eher schwierig umzusetzen sind, betreffen u.a. die Optimierung von Fertigungsprozessen7, die Durchführung von Wertanalysen8 und die Bestimmung von Risikopotenzialen9. 1.5
Ermitteln der bauteilbezogenen Zielkosten
Bei der erforderlichen differenzierten Analyse der Kundenanforderungen ist es wichtig, produktbezogen die von der Zielgruppe präferierten Kombinationen zu erkennen und vor allem mit der jeweiligen Preisbereitschaft zu verbinden. Dies 7 8
9
Zu diesem Zweck gibt es eigenständige Methoden, z.B. Prozessanalyse. QFD wird in diesem Zusammenhang häufig als „Konkurrenz“ zu anderen Methoden betrachtet, z.B. Wertstromanalyse. Hier existieren bessere Methoden, wie z.B. FMEA.
172
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
läuft auf die Anwendung des Conjoint Measurement zur Bestimmung von Nutzenbündeln mit präzisen Wert-/ Preisvorstellungen hinaus. Sie sind dann intern mit den aus der Analyse sich ergebenden Ist-Kosten für dieses Produkt zu vergleichen. Üblicherweise sind die Kosten höher als die Preisbereitschaft der Adressaten. Damit ist unmittelbar der Ansatz für Target Costing-Aktivitäten gegeben. Häufig werden sie, um Fehler im Produktdesign und dadurch nicht erkannte Risiken zu vermeiden, mit der Konstruktions-FMEA im Verbund eingesetzt.10 Ist der Deployment-Prozess bis auf die Komponenten-/ Bauteilebene vorangetrieben worden, dann lassen sich auf Basis von QFD die bauteilbezogenen Zielkosten bestimmen. Das QFD-Netz, also die einzelnen HoQ´s, spiegeln dabei die gesamte Wertschöpfungskette wider. Über sie wird die Aufspaltung der ZielKosten festgelegt. Ein vereinfachtes Vorgehen zur Bestimmung der Ziel-Kosten mit QFD ist in Abbildung 7 nachvollziehbar. Hier sind in einer Matrix die kritischen Qualitätsmerkmale direkt den wesentlichen Komponenten des Kochherdes gegenübergestellt.11 Wie zu sehen ist, hat der Anschaffungspreis eine relative Wichtigkeit von 35%, der Reinigungsaufwand von 30%, die Nutzungszeit von 15%, die Leistungsfähigkeit ebenfalls von 15% und die Energieeffizienz von 5%.
Kochfeld
Backröhre
Herdtür
Elektronik
Anschaffungspreis
35%
0,15
0,35
0,30
0,05
0,15
Nutzungszeit
15%
0,15
0,40
0,30
0,05
0,10
Reinigungsaufwand
30%
0,15
0,35
0,30
0,20
Energieeffizienz
5%
0,45
0,45
Leistungsfähigkeit
15%
0,60
0,40
ew G
Gehäuse
Bauteile/ Komponenten
h ic n tu g
Kritische Qualitätsmerkmale (CTQs)
Vergleich zum Wettbewerb Unternehmen Wettbewerber A Wettbewerber B 1
2
3
4
5
Wettbewerbsanalyse
Be 0,10 i sp iel
Nutzenanteile (in %)
12
40
32
9
7
Drifting Costs (in €)
100
180
90
30
50
Kostenanteile (in %)
22
40
20
7
11
Allowable Costs (in €)
48
160
129
34
29
450 400
Abb. 7: Bestimmung der Allowable Costs mit QFD 10
Auf die Kombination dieser Instrumente mit der QFD wird in den folgenden Abschnitten noch einmal eingegangen. Erkennbar wird hier jedoch bereits die zweckmäßige Vernetzung dieser Methoden im Rahmen von DFSS, um sowohl die Anforderungen der Kunden als auch die Ziele des Unternehmens zu erreichen. 11 Beim 3-dimensionalen Deployment, wie es in der Unternehmenspraxis üblich ist, werden aus den Kundenanforderungen zunächst die Qualitätsmerkmale und anschließend die Funktionen ermittelt. Diese werden dann den Bauteilen gegenübergestellt.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
173
Vergleicht man nicht nur aus Kundensicht das Profil der kritischen Qualitätsmerkmale (CTQs) des eigenen Produktes mit denen der maßgeblichen Wettbewerber, sondern bewertet zusätzlich aus Unternehmenssicht die Bedeutung der einzelnen Bauteile für das jeweilige Merkmal, dann lassen sich auf der Basis dieser Gewichtung hieraus in einer QFD-Analyse die gewichteten Nutzenanteile in % für jedes Bauteil ermitteln. Ihnen sind die derzeit prognostizierte Kosten (Drifting Costs als Ist-Kosten) und die aus heutiger Sicht zulässigen Kosten (Allowable Costs als Ziel-Kosten) – basiert auf den jeweiligen Nutzenanteilen – für jedes Bauteil gegenüber zu stellen. Hieraus ist dann unmittelbar der notwendige Handlungsbedarf abzulesen. Im Beispiel ergeben sich die bauteilbezogenen Nutzenanteile als Skalarprodukt, z.B. beträgt der relative Nutzenanteil von „Gehäuse“ in Summe 12% = (35% ⋅ 0,15) + (15% ⋅ 0,15) + (30% ⋅ 0,15). Die in der Unternehmenspraxis entscheidende Frage ist nun, wie im Rahmen eines DFSS-Projektes bei einem geplanten Umsatz und Zielgewinn die „Schere“ zwischen Allowable Costs und Drifting Costs geschlossen werden kann. Eine Target Costing-Analyse wird typischerweise in folgenden 8 Schritten durchgeführt (vgl. auch Buggert/ Wielpütz 1995, S. 41ff.): 1. Leistungsmerkmale des neuen Produktes (Abstimmung mit Strategie) festlegen und gewichten (z.B. Conjoint Measurement) 2. Potenziellen Marktpreis und Produktzielkosten (Allowable Costs) ermitteln (Rohentwurf des Produktes) 3. Leistungsmerkmale mit Produktkomponenten verknüpfen (Funktions-/Komponenten-Matrix) und Nutzenanteil der Produktkomponenten ermitteln 4. Allowable Costs nach Produktkomponenten und evtl. Leistungsmerkmalen zerlegen (Kostenspaltung für Zielkostenbestimmung) 5. Mit Kosten bei momentan verfügbaren Leistungstechnologien (Drifting Costs) für jede Produktkomponente vergleichen12 6. Zielkosten der Produktkomponente an Nutzenbeitrag anpassen (siehe hierzu auch Zielkosten-Kontrolldiagramm in Abb. 8) 7. Kostensenkungsprogramme einleiten, z.B. Make or Buy-Programme, Prozessgestaltung, Wertgestaltung und Wertzuwachskurve 8. Standardkosten für Kalkulation festlegen. Durch ein Zielkosten-Kontrolldiagramm, wie es in Abbildung 8 beispielhaft dargestellt ist, lässt sich das Ergebnis des Target Costing gut nachvollziehen. Im Diagramm werden die relativen Nutzen- und Kostenanteile der einzelnen Bauteile gegenübergestellt. Über die Angabe eines Zielkosten-Korridors ist es möglich zu entscheiden, ob die Kosten für ein Bauteil bereits dessen Nutzenbeitrag entsprechen und damit Zielkostenniveau erreicht haben. Der Optimierungsprozess ist damit klar bestimmt. In unserem Beispiel „Kochherd“ ist das Gehäuse in der Relation Kostenanteil zu Nutzenanteil „zu aufwändig“ (ZI < 1) und die Backröhre bei 12
Die Berechnung basiert auf folgendem Vorgehen: Nutzenanteil als Allowable Costs pro Bauteil dividiert durch die Summe der Allowable Costs geteilt durch den Kostenanteil als Drifting Costs pro Bauteil dividiert durch die Summe der Drifting Costs.
174
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dieser Bewertungsgrundlage „zu einfach“ (ZI > 1). Das Kochfeld trifft genau das Zielkostenniveau mit ZI = 1. Elektronik und Herdtür liegen im zulässigen Zielkosten-Korridor; hier besteht ebenfalls kein Handlungsbedarf. Kostenanteil %
Zielkostenindex (ZI) =
Nutzenbeitragi Kostenanteil
Kochfeld
40 ZI = 1
„Ideallinie“; d.h. Kostenanteil = Nutzenanteil
ZI < 1
„zu aufwändig“; d.h. Kostenanteil > Nutzenanteil
ZI > 1
„zu aufwändig“
Backröhre
Y1
Fokussierung auf Komponenten außerhalb des Zielkostenkorridors (Parameter q): 1/2
Gehäuse 20
„zu einfach“; d.h. Kostenanteil < Nutzenanteil
Y1 = (x2 – q2)
30
10 Elektronik Herdtür
1/2
; Y2 = (x2 + q2)
„zu einfach“
0
0
10
Y2 20
Quelle: Deisenhofer (1993), S.104
30
40 Nutzenbeitrag %
Abb. 8: Zielkosten-Kontrolldiagramm als Deployment-Ergebnis
Die Auswertung des Zielkostenkontroll-Diagramms und die Einleitung von Kostensenkungsprogrammen sollte jeweils bauteilspezifisch erfolgen. D.h. um Fehlinterpretationen und -entscheidungen zu vermeiden, sind die Produktkomponenten mit hohen Abweichungen von der „Ideallinie“ im Projektteam einzeln zu analysieren. Zum Beispiel lässt sich nur so feststellen, ob die Einordnung des Gehäuses als „zu aufwändig“ bereits in der Erfüllung von Begeisterungsanforderungen entsprechend des o.g. Kundenzufriedenheits-Modells begründet liegt. In der Unternehmenspraxis gibt es nicht selten massive Vorbehalte gegen eine QFD-Anwendung in F&E. Sie beziehen sich u.a. auf die vermeintlich ungünstige Kosten-Nutzen-Relation, den organisatorischen Aufwand bei der Durchführung und die erforderliche, z.T. umfangreiche Daten- und Informationssammlung. Alle diese Einwände sind grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Sie machen vielmehr noch einmal deutlich, dass der Einsatz von QFD im Rahmen von DFSS bezogen auf die Vor- und Nachteile genau abzuwägen ist. Unternehmensspezifisch sind dann die in Abbildung 9 aufgeführten Punkte zu bewerten. Das häufigste Argument, der hohe Zeitaufwand, ist nicht absolut zu werten. Vielmehr muss die Relation zwischen dem Zeitaufwand für QFD auf der einen Seite und der damit verbundenen Komplexität sowie der Zeitdauer des gesamten Entwicklungsprozesses und den aufgedeckten oder verborgenen Risiken bei der Entwicklung, Produktion und dem Einsatz eines Produktes auf der anderen Seite gebildet werden. Wenn man sich die Erfahrungswerte bezogen auf Anlaufproble-
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
175
me bei der Produktion von Neuprodukten (Job No. 1) (vgl. Hauser/ Clausing 1988, S. 63ff.) und bezogen auf Fehlerkosten nach der Einführung von Produkten (vgl. Töpfer 1997, S. 3f.) bzw. bei Rückrufaktionen (vgl. Töpfer 2006, S. 381f.) vor Augen hält, dann kehren sich die Wertungen schnell um. Dennoch praktizieren die meisten Unternehmen, die dieses Instrument anwenden, ein „Lean QFD“ in der Weise, dass lediglich das erste House of Quality durchgeführt wird.
-
+ • Bereichsübergreifende Kundenorientierung • Ganzheitliche Wettbewerbsorientierung • Verbesserung der Kommunikation • Reduzierung von Fehlerkosten • Kopplung mit Target Costing und FMEA • Transparenz komplexer Entwicklungsprozesse
• Hoher Zeitaufwand vor allem geeignet für technisch anspruchsvolle Produkte • Ungeeignet für Innovationen, bei denen nicht genau bestimmbare Bedürfnisse von Zielkunden erfasst werden sollen
Abb. 9: Bewertung von QFD
2
Design of Experiments (DOE) – Quantifizierung der Ursachen-Wirkungs-Beziehungen zur Optimierung von Produkten und Prozessen
Bei der Neuproduktentwicklung besteht ein Hauptproblem darin, in einer ausreichenden Anzahl von Experimenten die technologische Konzeption des Produktes, das Zusammenwirken der einzelnen Bestandteile/ Baugruppen und insbesondere das Erreichen der kunden- und unternehmensbezogenen Anforderungen – auf einem weitgehend fehlerfreien Niveau – sicherzustellen. Genau dies wird mit Design of Experiments (DOE) als statistischer Versuchsplanung angestrebt. Es werden standardmäßig die folgenden 4 Schritte durchlaufen:13 1. 2. 3. 4. 13
Festlegen der Ziel- und Einflussgröße(n) Screening der Einflussgrößen/ Faktoren Durchführen von Bestimmungsversuchen Durchführen von Optimierungsversuchen. Siehe hierzu auch Beitrag von Töpfer/ Günther in Kapitel A zu Design for Six Sigma.
176
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
2.1
Festlegen der Ziel- und Einflussgröße(n)
In diesem Abschnitt werden zunächst einige leicht verständliche, grundsätzliche methodisch-statistische Aussagen zu DOE gemacht, um dem hierauf nicht spezialisierten Leser den Ansatz und die Zweckmäßigkeit von statistischer Versuchsplanung zu verdeutlichen. In Abbildung 10 ist hierzu eine Prinzipdarstellung von DOE zu sehen, welche die grundsätzliche Philosophie widerspiegelt: Jede Tätigkeit ist ein Prozess, der ein Outputergebnis besitzt, dessen Qualität wiederum von unterschiedlichen Einflussfaktoren abhängt. So hängt z.B. die Qualität des Kochherdes, also ohne Variation aller anderen Einflussgrößen, sowohl von den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Unternehmen als auch von deren Qualifikationen sowie der Qualität der vorgefertigten Teile der Zulieferer ab. Allgemein lässt sich dieser Sachverhalt als Funktion beschreiben: Die Qualität des Kochherds als Zielgröße ist yi = f(Arbeitsbedingungen (x1i), Qualifikationen der Mitarbeiter (x2i), Qualität der Zulieferteile (x3i), ... , Zufall/ Fehlerterm (xni)). i kennzeichnet dabei die Ausprägungen der n Merkmale zu einem bestimmten Zeitpunkt und der dadurch erzeugten Produktqualität. Die Ableitung der Zielgröße(n) ist i.d.R. ein eigenständiger Prozess. Für ein aussagefähiges DOE sind folgende Eigenschaften von Zielgrößen wünschenswert: • • • • •
Vollständigkeit, d.h. alle wichtigen Produkteigenschaften sind erfasst. Verschiedenheit, d.h. es existiert mindestens eine Zielgröße pro Eigenschaft. Relevanz, d.h. es besteht ein klarer Bezug zum übergeordneten Projektziel. Linearität, d.h. die Beziehung zu den Einflussgrößen ist möglichst linear. Quantifizierung, d.h. die Zielgröße ist möglichst stetig veränderbar/ messbar.
Der Output von Prozessen sind Produkte, unter die – nach dem generischen Produktbegriff – der gesamte, dem Kunden vom Unternehmen angebotene Nutzen in Form von Dienst- und/ oder Sachleistungen subsumiert wird. Der Produktnutzen ist um so höher, je höher die aus den Eigenschaften des Produktes resultierende Bedürfnisbefriedigung des Kunden ist. Einsatz-/ Inputfaktoren sind im Grunde genommen alle Faktoren bzw. Größen, die zur Produktrealisierung beitragen, insbesondere Arbeit, Material, Maschinen und Informationen. Im Hinblick auf ihre Plan- und Steuerbarkeit lässt sich folgende Unterscheidung treffen: • Steuergrößen können physisch gesteuert, d.h. auf einen bestimmten Wert eingestellt und gehalten werden (Signal). Die Einstellung der Steuergrößen ist so vorzunehmen, dass das Rauschen minimiert wird. • Störgrößen sind hingegen unkontrollierbar und folglich auch nicht steuerbar; sie verursachen das Grundrauschen im Prozess (Noise) und sollten im Rah-men von Prozessoptimierungen möglichst ausgeschaltet werden. Grundlage für Prozessverbesserungen ist das Messen und Analysieren von funktionellen Zusammenhängen der Form y = f(x) + e, wobei y die Ergebnisvariable(n) (Merkmal eines Prozesses oder Produktes), x die Steuergröße(n) und e die
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
177
Störgröße(n) sind.14 Bei x > 1 gilt es zunächst die Steuergrößen zu finden, die signifikant sind und zu verbesserten Werten der Ergebnisvariable y führen. Die Anzahl von Einflussfaktoren, deren optimale Werte zu bestimmen sind, ist i.d.R. sehr groß. Zudem ist ihr Einfluss auf die Produkt-/ Prozessqualität häufig nicht linear, was die Offenlegung der funktionellen Zusammenhänge erschwert. Darüber hinaus wirken die Parameter meist nicht unabhängig voneinander, d.h. sie befinden sich in einem Zustand gegenseitiger Wechselwirkung.
(Factors) Einstellgrößen x
Störgrößen,
Prozess
unbekannte + bekannte
(Black Box) f(x1...n)
Messfehler ±σ
e
e Zielgrößen y (Responses) ?
y = f(x) + e
Abb. 10: Prinzipdarstellung von DOE
Von der Regressionsanalyse zur statistischen Versuchsplanung Wenn alle Einflussvariablen für die definierte Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung bekannt sind, was in der Praxis aufgrund der zu großen Anzahl weitgehend unmöglich ist, stellt sich die Frage, wie groß der Einfluss der einzelnen Variablen auf das Output- bzw. Gesamtergebnis ist. Ohne dieses Wissen ist eine zufriedenstellende Schätzung und nachhaltige Beeinflussung der Qualität des Outputergebnisses nicht möglich. Der Einfluss der einzelnen Faktoren bzw. Variablen variiert dabei zwischen 0 und 100%, d.h. die Qualität eines produzierten Kochherds kann im Extremfall – entsprechend der obigen Funktion – nur von ei14
Durch zufällige natürliche Abweichungen sowie nicht völlig ausschließbare Messfehler ist die Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung nicht ausschließlich deterministisch, sondern auch als stochastische Größe auffassbar.
178
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
nem Faktor, z.B. den Arbeitsbedingungen im Unternehmen, abhängen. Im anderen Extremfall, der in der Praxis eher wahrscheinlich ist, haben alle beschriebenen Faktoren, z.B. Qualifikation der Mitarbeiter, Qualität der Zulieferteile, einen mehr oder weniger großen Einfluss auf die Qualität des Prozessergebnisses. Die Frage ist demnach, wie sich die relevanten Einflussfaktoren für einen Produktionsprozess bestimmen und optimal miteinander kombinieren lassen. In diesem Zusammenhang ist jedoch zusätzlich zu beachten, dass die Kombinationen aller erfassten Einflussfaktoren in Summe einen Einfluss auf die Qualität zwischen 0 und 100% besitzen. In der Unternehmenspraxis ist es aber eher selten, dass alle Variablen umfassend und eindeutig beschrieben werden können und folglich eine 100-prozentige Abhängigkeit in Form einer Qualitätsfunktion ableitbar ist. Die Differenz zu 100% Soll- bzw. Null-Fehler-Qualität ist der ungeklärte bzw. nicht erklärbare Einfluss (Zufallsterm), der sich als Residuum (Restwert) durch das Auftreten von Störgrößen und/ oder Messfehlern im Produktionsprozess ergibt. Es kommt deshalb darauf an, dass ein oder mehrere Einflussfaktoren bei der Analyse im Rahmen von DFSS nicht unterschlagen werden, vor allem wenn sie einen signifikanten Einfluss auf die Prozessqualität besitzen. Um die verschiedenen Einflussfaktoren auf ein Prozessergebnis zu identifizieren und insbesondere deren Einflussstärke zu bestimmen, wird häufig eine Analyse von Prozessdaten in Form einer linearen oder ggf. auch nicht-linearen Regressionsanalyse durchgeführt. Dabei werden die durch den Prozess angefallenen und archivierten Daten regressiert: Im einfachsten Fall, wenn der Output lediglich von einem Einflussfaktor abhängt, wird also analysiert, um wie viel sich der Output Y im Durchschnitt ändert, wenn sich der Input X als unabhängige Variable um eine Einheit erhöht. Der Vorteil der Regressionsanalyse gegenüber anderen statistischen Methoden, z.B. Statistische Versuchsplanung, besteht insbesondere darin, dass ein laufender Prozess nicht verändert wird und nur die „nebenbei“ anfallenden Daten zur Auswertung genutzt werden. Generell können dadurch statistische Ergebnisse/ Aussagen zu relativ geringen Kosten erzielt werden. Diesem Vorteil steht der Nachteil gegenüber, dass bei der Auswertung von Beobachtungsdaten u.U. „Datenwolken“ mit einem sehr geringen Bestimmtheitsmaß regressiert werden, d.h. die ermittelte Regressionsgerade (Tendenzgerade) erklärt die Input-Output-Beziehung nicht bzw. nur sehr begrenzt. Ein weiterer Nachteil der Regressionsanalyse besteht darin, dass u.U. wichtige Einflussfaktoren unberücksichtigt bleiben, wenn die normale Variabilität der Faktoren in dem zu untersuchenden Experiment aufgrund unzureichender Datenlage zu gering ist und die Faktoren unter mathematisch-statistischen Gesichtspunkten als nicht signifikant erkannt werden. So ist z.B. die Qualität der Büroausstattung als Ursache für die Höhe der Mitarbeiterzufriedenheit in einem bestimmten Unternehmensbereich nur schwierig zu messen, da sich das Inventar kurz-/ mittelfristig kaum verändert. Diese kurzen grundsätzlichen Ausführungen belegen die begrenzte Aussagefähigkeit von zeitreihenbasierten Regressionsanalysen und machen die Notwendigkeit eines in der Aussagefähigkeit weitergehenden Instrumentes, also der DOE, deutlich (vgl. hierzu und im Folgenden Kleppmann 2003).
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
179
Paradigmenwechsel: Von der Beobachtung zum experimentellen Versuch Im Zusammenhang mit experimenteller Statistik wird oft ein Ausspruch von George Box zitiert: „Will man herausfinden, wie sich ein System verhält, wenn man es verändert, dann muss man es verändern“ und es nicht nur passiv beobachten (vgl. Breyfogle 2003, S. 409). Bezogen auf DFSS-Projekte bedeutet dies, dass Konstruktionen und Prozesse, die verbessert werden sollen, immer auch verändert werden müssen. Um Prozesse und Abläufe zu beeinflussen bzw. zu optimieren, wird in der experimentellen Statistik dazu übergegangen, die einzelnen Einflussfaktoren „aktiv“ zu verändern. Es tritt dabei jedoch das Problem auf, dass nicht nur die Hauptfaktoren Einfluss auf das Output-Ergebnis besitzen, sondern auch zumeist die Kombinationen aus zwei oder mehr Faktoren (multiplikative Verknüpfung). So besteht beispielsweise eine höhere Unfallwahrscheinlichkeit, wenn man – in der Kombination – unter Alkoholeinfluss mit dem Auto unverhältnismäßig schnell fährt, als wenn man nur zu schnell oder nur alkoholisiert unterwegs ist. Infolgedessen müssen bei der Analyse die Wechselbeziehungen zwischen den Hauptfaktoren ebenfalls berücksichtigt werden, was dazu führt, dass die Anzahl an Versuchsanordnungen für ein Experiment überproportional gegenüber der Erhöhung der Anzahl von Faktoren steigt. Der Grund hierfür ist, dass der Umfang und die Komplexität eines Experiments maßgeblich von der Anzahl an Ausprägungen eines Faktors abhängen. In diesem Zusammenhang werden drei verschiedene Ausprägungsarten bei Einflussfaktoren unterschieden: 1. Dichotome Faktorausprägungen: z.B. ja – nein/ männlich – weiblich 2. Ordinale Faktorausprägungen: z.B. viel – wenig oder differenzierter: viel – mittel – wenig/ erster – zweiter – dritter 3. Metrische Faktorausprägungen: z.B. 0 – 100%/ -278 – 1.000 °C Neben der Art und Anzahl der Faktorausprägungen ist auch die „absolute“ Anzahl an Hauptfaktoren mitentscheidend für die „Größe“ eines Versuches. Aus der Anzahl an Faktoren und deren Ausprägungen ergibt sich die Menge aller möglichen Faktorkombinationsmöglichkeiten, z.B. Ak mit A als Anzahl an Ausprägungen und k als Anzahl an Einflussfaktoren, wobei – vereinfachend – alle Faktoren die gleiche Anzahl an Ausprägungen besitzen. Die Anzahl von durchzuführenden Experimenten bzw. zu realisierenden Versuchsanordnungen bei einer vollfaktoriellen Versuchsplanung, bei der alle Hauptfaktoren auf zwei Faktorstufen mit allen Wechselwirkungen untersucht werden, beträgt demnach: • • • • •
2 Faktoren ! 4 Versuchsanordnungen 3 Faktoren ! 8 Versuchsanordnungen 4 Faktoren ! 16 Versuchsanordnungen 5 Faktoren ! 32 Versuchsanordnungen usw.
Um die Anzahl der Versuche nach oben hin zu begrenzen, empfiehlt sich eine gezielte Vorauswahl von Einflussgrößen (Faktoren). Wichtige Methoden, die in diesem Zusammenhang gute Informationen liefern und sich in der Unternehmenspraxis als leicht umsetzbar bewährt haben, sind:
180
• • • •
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Ursachen-Wirkungs-Analyse (Ishikawa-Diagramm) Fehler-Möglichkeits- und -Einfluss-Analyse (FMEA) Output-/ Prozess-/ Input-Messgrößenanalyse (Tool 3) Ergebnisse von Varianz- und Regressionsanalysen.
Bei komplexen Produkten/ Prozessen kann darüber hinaus ein vereinfachtes DOE zum Screening der Einflussgrößen/ Faktoren zum Einsatz kommen. Die Konzeption und Inhalte des Screenings werden im Folgenden kurz beschrieben. 2.2
Screening der Einflussgrößen/ Faktoren
Bereits in einem frühen Stadium von F&E-Projekten können statistische Versuchspläne aufgestellt werden, um die Wirkungen (Effekte) von vermuteten wichtigen Merkmalen (Faktoren) zu quantifizieren. Bei der Planung des DOE wird zunächst davon ausgegangen, dass keine allzu starken Wechselwirkungen zwischen den Faktoren vorherrschen. Unter diesen Gegebenheiten kommt vorzugsweise das Screening-Design nach Plackett/ Burman (1946) zum Einsatz. Mit diesem ist es möglich, mit einem Minimum an Versuchen eine Information über einen möglichen Einfluss von (sehr) vielen Faktoren zu erhalten. Beim Plackett-Burman-Design handelt es sich um eine Fraktion eines vollständigen faktoriellen Designs mit 2 Faktorstufen (vgl. hierzu und im Folgenden Kleppmann 2003, S. 147ff.). Während man für ein vollständiges faktorielles Design 2k Versuche benötigt, um k verschiedene Parameter zu untersuchen, sind bei dieser speziellen Art des Screening-Designs – im günstigsten Fall – nur k Experimente notwendig. Aufgrund der starken Reduzierung der Anzahl von durchzuführenden Experimenten sind mit diesem Design jedoch nur Haupteffekte abschätzbar, d.h. Nebeneffekte bzw. Wechselwirkungen bleiben außen vor. Ziel des Screening-Designs ist es, eine Vorauswahl geeigneter Parameter zu treffen, die dann in ausführlicheren Untersuchungen, z.B. mithilfe von vollfaktoriellen Versuchsplänen, weiter optimiert werden können. Das Grundprinzip von solchen stark reduzierten Versuchsplänen besteht darin, dass alle ermittelten (Haupt-) Effekte mit einem Grundversuch verglichen werden, bei dem sich alle Faktorstufen (Merkmalsausprägungen) auf dem unteren Niveau befinden. Da die Ergebnisse des Grundversuches außerordentlich stark in das Gesamtergebnis einfließen, empfiehlt es sich, bei diesem Versuch besonders genau zu arbeiten und mehrere Wiederholungen der einzelnen Versuchanordnungen vorzusehen. Die Plackett-Burman-Designs, die am häufigsten verwendet werden, haben eine Auflösung von III (vgl. Minitab R15). In diesem Fall sind 2-Faktoren-Wechselwirkungen (2FWW) mit den Effekten der Faktoren zu einem gewissen Grad vermengt. Für die Überprüfung des Einflusses von 8 Merkmalen wird ein Versuchsplan mit insgesamt 12 Versuchen und 1 Wiederholung vorgeschlagen (siehe Abb. 11). Dabei ist die Faktorstufenkombination des ersten Versuches nicht frei wählbar, sondern abhängig von der Größe des Gesamtversuchsplanes. Die Faktorstufenkombinationen der restlichen Versuche ergeben sich dann aus der Anordnung für den ersten Versuch, und zwar in der Weise, dass die Vorzeichenserie (+ / -)
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
181
jeweils eine Spalte nach links gerückt wird. Die Auswertung von PlackettBurman-Plänen erfolgt analog zu den voll-/ teilfaktoriellen Versuchsplänen, auf die an späterer Stelle in diesem Kapitel noch näher eingegangen wird.
Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
x1 + + + + + + -
x2 + + + + + + -
x3
+ + + + + + -
Factors x4 x5 + + + + + + + + + + + + -
x6 + + + + + + -
x7 + + + + + + -
x8 + + + + + + +
Response y 0,28 0,88 0,42 0,70 0,93 0,35 0,02 0,45 0,17 0,22 0,13 0,85
Abb. 11: Plackett-Burman-Versuchsplan mit Ergebniswerten
2.3
Durchführen von Bestimmungsversuchen
Aus analytischer Sicht hat, wie oben angesprochen, die Statistische Versuchsplanung gegenüber der Regressionsanalyse und anderen Verfahren den Vorteil, dass sich mithilfe von faktoriellen Designs neben den Haupteffekten, die aus der Zu-/ Abschaltung von Faktoren resultieren, Nebeneffekte untersuchen lassen, die das Ergebnis von Wechselwirkung mehrerer Faktoren sind. Folglich wird bei der Suche der Koeffizienten für Potenzfunktionen n-ter Ordnung nicht nur eine additive Verknüpfung der einzelnen Faktoren/ Variablen unterstellt (= Haupteffekte), sondern auch eine multiplikative Verknüpfung (= Nebeneffekte). Die Prognosefunktion für ein 2-faktorielles Versuchsdesign unter Berücksichtigung der Haupt- und Nebeneffekte hat z.B. die folgende Form: r y = f(x) = c 0 + c1 ⋅ x1 + c 2 ⋅ x 2 + c12 ⋅ x1 ⋅ x 2 (1) wobei y die abhängige Variable (Response), c0 das Basisniveau bzw. den Schnittpunkt mit der y-Achse, c1 und c2 die Regressionskoeffizienten der unabhängigen Variablen (Factors) und c12 den Regressionskoeffizient der Wechselwirkung von x1 und x2 darstellt. Liegen keine Wechselwirkungen vor, dann ist c12 = 0 und der Term c12 ⋅ x1 ⋅ x2 in Gleichung (1) entfällt. In diesem Fall handelt es sich um ein 2faktorielles lineares Regressionsmodell (s.o.).
182
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
Die Anzahl der Terme in der Prognosefunktion beschreibt die minimale Anzahl von notwendigen experimentellen Versuchen, um die Koeffizienten des Regressionsmodells zu schätzen. Handelt es sich z.B. um eine Funktion mit vier Termen, wie in Gleichung (1) gegeben, dann sind mindestens 4 experimentelle Versuche mit unterschiedlichen Einstellungen für x1 und x2 notwendig. Um die Koeffizienten zu ermitteln, werden in einem 2-stufigen DOE die Einstellungen für die Faktoren x1 und x2 abwechselnd „hoch“ (+1) und „niedrig“ (-1) gewählt. Übertragen auf unser Beispiel Kochherd führt dies zu folgenden Wirkungsbeziehungen sowie mathematischen Zusammenhängen. Dabei wird bewusst ein vereinfachtes und exemplarisches Beispiel zugrunde gelegt, da das Erklären der Methode und nicht das Lösen dieses „Alltagsproblems“ im Vordergrund steht. Es sei das Ziel vorgegeben, das Erhitzen von Wasser mit einem Kochherd quantitativ, d.h. mit Hilfe einer metrischen Skala, zu bewerten und in der Folge zu optimieren. Im Beispiel wird vereinfacht davon ausgegangen, dass mit dem EHerd jeweils 1 Liter Wasser in einem Standardgefäß (∅ Kochtopf = ∅ große Herdplatte) in kürzester Zeit zum Kochen gebracht werden soll (Response). Weiterhin wird vereinfacht angenommen, dass die Dauer zum Erhitzen (Kochzeit in Minuten) nur von zwei Einflussgrößen abhängt: Zum einen, ob der Kochtopf mit Wasser auf einer kleinen oder großen Heizplatte erhitzt wird, und zum anderen, ob ein Topfdeckel aufgesetzt wird oder nicht. Es werden ceteris paribus zunächst keine weiteren Einflussfaktoren (Factors) in Betracht gezogen. Außerdem werden in diesem Experiment die benannten Größen als dichotom behandelt, d.h. es wird z.B. nur berücksichtigt, ob und nicht wie der Topfdeckel auf dem Kochtopf aufliegt. Im folgenden Experiment werden die zwei Einflussfaktoren (A = Herdplatte und B = Topfdeckel) und die beschriebene Wechselwirkung aus ihnen (AB = Herdplatte x Topfdeckel) in allen möglichen Kombinationen jeweils auf + gesetzt, was bedeutet, dass der Faktor auf hohem Niveau bzw. aktiv ist (z.B. Topfdeckel liegt auf), oder auf –, der Faktor ist also auf niedrigem Niveau bzw. inaktiv (z.B. Topfdeckel ist abgenommen). Da die k = 2 Faktoren dichotom sind, haben diese A = 2 Ausprägungen. Daraus ergibt sich, dass Ak = 22 = 4 Versuchsanordnungen notwendig sind, um ein vollfaktorielles Experiment durchzuführen. Vollfaktoriell bedeutet hierbei, dass alle Faktorkombinationen der angenommen Einflussgrößen experimentell getestet werden. Für die verschiedenen Versuchsanordnungen ergibt sich jeweils ein separates Outputergebnis, was in diesem Fall der Dauer bis zum Kochen des Wassers entspricht. Für eine übersichtliche Darstellung wird der Versuchsplan – wie in Abbildung 12 zu sehen – in Matrizenform als Designmatrix abgebildet. In der Praxis werden dabei jeweils mehrere Messreihen mit Mittelwertbildung zugrunde gelegt, was einerseits das Ergebnis stabilisiert, andererseits aber zusätzlich den Aufwand erhöht. Im Experiment erhalten wir beispielsweise in der dritten Versuchsanordnung, bei der sich der 1l-Wassertopf mit Deckel auf der kleinen Heizplatte befindet, eine Kochzeit von 14 Minuten. Der inaktive Einfluss der Faktorwechselwirkung zwischen Herdplatte und Topfdeckel ergibt sich aus der Multiplikation der beiden Faktorausprägungen (– = – · +). Die mittlere Kochdauer der Versuchsreihe beträgt nach Spalte 5 13,3 Minuten. Aus den in Abbildung 12 aufgeführten Messergebnis-
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
183
sen lässt sich im Weiteren der Effekt der einzelnen Einflussfaktoren sowie deren Wechselwirkungen abschätzen. So ergibt sich z.B. der Wert für den Haupteinflussfaktor „A Herdplatte“ mit -2,5 = (13+11)/2 – (15+14)/2 und für den Einflussfaktor „B Topfdeckel“ mit -1,5 = (14+11)/2 – (15+13)/2. Dies bedeutet, dass sich die Kochzeit im Durchschnitt um zusätzlich 1,5 bis 2,5 Minuten verringert, wenn der Wasserkochtopf auf der großen Heizplatte erhitzt und mit einem Topfdeckel verschlossen wird. AB Ergebnis Geschätzte VersuchsA B Residuum Herdplatte* (Kochzeit Kochzeit anordnung Herdplatte Topfdeckel (Restwert) Topfdeckel in min) (in min) 1 + 15,0 14,5 -0,5 2 + 13,0 12,0 -1,0 3 + 14,0 14,5 0,5 4 + + + 11,0 12,0 1,0 Effekt -2,5 -1,5 -0,5 13,3 13,3
Abb. 12: Designmatrix für einen vollfaktoriellen 22 Versuchsplan
Nach Abbildung 12 ergibt sich bezogen auf die Verringerung der Kochzeit ein zusätzlicher positiver Effekt in Höhe von -0,5 infolge der Wechselwirkung zwischen den Faktoren A und B. Wechselwirkung bedeutet hierbei, dass Änderungen in der Wirkung des einen Faktors von der Aktivierung des anderen Faktors abhängen. Das heißt, es besteht ein grundsätzlicher Unterschied, ob man den Kochtopf auf die kleine Herdplatte stellt und mit dem Topfdeckel verschließt oder ob man ihn mit Deckel auf der großen Heizplatte erhitzt. Dieser Sachverhalt ist in der folgenden Abbildung 13 noch einmal grafisch aufbereitet. Dabei ist im linken Diagramm zu erkennen, dass sich durch das Auflegen des Topfdeckels die Kochzeit bei Nutzung der kleinen Herdplatte um 1 Minute und bei Nutzung der großen Herdplatte um 2 Minuten verringert. Nach dem rechten Diagramm verkürzt sich die Wasserkochzeit bei Nutzung der kleinen Herdplatte von 15 auf 14 Minuten, bei Nutzung der großen Herdplatte von 13 auf 11 Minuten. Auf Basis der Wirkungsanalyse der Faktoren A und B sowie der Wechselwirkung AB lässt sich in einem weiteren Schritt ein (einfaches) Vorhersagemodell ableiten. Im Beispiel wird ausgehend von dem Kochzeit-Mittelwert in Höhe von 13,3 Minuten sowie der durchschnittlichen Wirkung des Haupteinflussfaktors „A Herdplatte“ die Kochzeit wie folgt geschätzt (vgl. Spalte 6, 1. Zeile in Abb. 12): 14,5 = 13,3 + (-1) · (-2,5)/2. Der angegebene Restwert (Residuum) ergibt sich als Differenz aus der gemessenen und geschätzten Kochzeit und dient i.d.R. zur Kontrolle/ Bestätigung des Schätzmodells. Mit Hilfe des bekannten Normalverteilungsdiagramms kann geprüft werden, ob das Modell die gemessenen Ergebnisse gut abbildet und ob die gemessenen Ergebnisse aus einem vorhersagbaren/ beschreibbaren Prozess stammen (vgl. Magnusson et al. 2001, S. 146f.).
184
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
18,0
16,0
15,0
14,0
14,0
13,0
12,0
11,0
10,0 8,0
Kochzeit (in min)
Kochzeit (in min)
18,0
16,0
11,0
10,0
+2 Topfdeckel
Herdplatte -
13,0
12,0
8,0
-1
15,0 14,0
14,0
-1
+2 Herdplatte
Herdplatte +
Topfdeckel -
Topfdeckel +
Abb. 13: Ergebnisplots zur Wirkung der Einflussfaktoren
Gegenüber vollfaktoriellen Versuchsplänen wird bei der Anwendung von teilfaktoriellen davon ausgegangen, dass die Wechselwirkungen zwischen drei und mehr Faktoren (z.B. ABC) kaum noch nennenswerten Einfluss auf das Outputergebnis besitzen. Aus diesem Grund werden diese Spalten aus der Designmatrix eliminiert oder durch andere wesentliche Einflussfaktoren ersetzt. Letzteres hat zur Folge, dass bei gleichem Experimentumfang mehr Einflussfaktoren beachtet werden können. In der Unternehmenspraxis hat sich gezeigt, dass der Einfluss von Einzelfaktoren den Einfluss von Wechselbeziehungen auf ein Prozessergebnis i.d.R. weit übertrifft. In der folgenden Abbildung 14 ist ein teilfaktorieller Versuchsplan für das Beispiel „Wasserkochen“ wiedergegeben. Dabei wird als weitere kontrollierte Variable der Faktor C = Leitungswasser eingeführt. Im Beispiel wird dann die Wechselbeziehung zweiten Grades AB durch den neuen Einflussfaktor C Leitungswasser ersetzt. Dieser ist auf hohem Niveau (+), wenn zum Kochen bereits warmes Leitungswasser abgefüllt wird. In den Versuchsanordnungen, bei denen die Wechselbeziehung AB inaktiv bzw. auf niedrigem Niveau (–) war, wird der neue Faktor ebenfalls auf niedriges Niveau gesetzt; andernfalls wird C „aktiviert“. Damit bleiben die Vorzeichen in der Spalte C = AB unverändert. Die Überlagerung einer Wechselbeziehung/ -wirkung mit einem weiteren Einflussfaktor wird als definierte Gleichung bezeichnet (vgl. Magnusson et al. 2001, S. 155). Auf diese Weise können die Effekte/ Wirkungen der 3 Faktoren A, B und C mit lediglich 4 Versuchen bestimmt werden. C (AB) Ergebnis Geschätzte VersuchsA B Residuum Leitungs- (Kochzeit Kochzeit anordnung Herdplatte Topfdeckel (Restwert) wasser in min) (in min) 1 + 14,5 14,3 -0,3 2 + 13,0 11,8 -1,3 3 + 14,0 14,3 0,3 4 + + + 10,5 11,8 1,3 Effekt -2,5 -1,5 -1 13,0 13,0
Abb. 14: Designmatrix für einen teilfaktoriellen 23-1 Versuchsplan
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
185
Diesem Vorteil steht der Nachteil gegenüber, dass die Ergebniswirkungen von C und AB vermischt sind. Man kann nicht mehr genau sagen, ob der Effekt auf die Kochzeit durch das Leitungswasser allein oder in Verbindung mit der Wechselwirkung von Herdplatte und Topfdeckel hervorgerufen wird. Für den teilfaktoriellen Versuch ist in Abbildung 15 die relative Stärke der Auswirkungen der drei Einflussfaktoren Herdplatte, Topfdeckel und Leitungswasser in Form eines Kuchendiagramms dargestellt, das auf den Werten der Abbildung 14 basiert. Die Anzahl an Versuchsanordnungen bei teilfaktoriellen Experimenten lässt sich also allgemein wie folgt bestimmen: Ak-d mit A als Anzahl an Ausprägungen, k als Anzahl an Einflussfaktoren, wobei alle Faktoren die gleiche Anzahl an Ausprägungen besitzen, und d als Anzahl an definierten Gleichungen. C (AB) Leitungswasser 20%
A Herdplatte 50% B Topfdeckel 30%
Abb. 15: Relative Bedeutung der Einflussfaktoren im Beispiel Kochherd
2.4
Durchführen von Optimierungsversuchen
Analog zur „klassischen“ Regressionsanalyse wird bei DOE zum einen die Höhe des Einflusses der einzelnen Faktoren sowie ihres Zusammenwirkens auf die Ergebnisvariable geschätzt. Zum anderen wird ermittelt, wie signifikant sich eine Änderung der Einstellung von x1 und/ oder x2 auf y auswirkt. Dabei liegt die Annahme zugrunde, dass zwischen der Änderung der Einstellung der Faktoren von -1 auf +1 und der Änderung der Ergebnisvariable jeweils ein linearer Zusammenhang besteht. Für die Bestimmung von lokalen Extrema ist diese Eigenschaft ungeeignet, so dass sich die Frage nach zweckmäßigeren Ansätzen stellt. Um die Plausibilität/ Validität der Linearitätsannahme zu überprüfen, werden in DOE-Versuchspläne mit k Faktoren und jeweils 2 Faktorstufen so genannte Zentralpunkte (Center points) eingefügt, welche sich aus der mittleren Einstellung der verschiedenen Einflussgrößen ergeben. Die Nichtlinearität ist bedeutsam, wenn die Lage eines Maximums, z.B. Ausbeute, oder eines Minimums, z.B. Fehlerrate, gesucht wird. In vielen Fällen verwendet man ein quadratisches Modell zur empirischen Beschreibung der Abhängigkeit der Zielgröße y von den k Faktoren.
186
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Die Linearitätsprüfung resultiert aus folgender Überlegung: Sind die Faktorausprägungen symmetrisch und mit den diskreten Stufen -1 und +1 codiert, dann liegen die Werte der Faktorausprägungen des Zentralpunktes bei Null. Im Fall, dass die Linearitätsannahme nicht zutreffend ist, differiert der Ergebniswert für die Zentraleinstellung signifikant von dem durchschnittlichen Ergebniswert über alle Faktoreinstellungen, der sich im Rahmen des 2k-Versuchsdesigns ergibt. Konkret bedeutet dies, dass der Regressionsansatz nach Gleichung (1) zur exakten Beschreibung der funktionalen Zusammenhänge zwischen Einflussgrößen (Factors) und Ergebnisvariable (Response) nicht ausreicht. Anstelle eines Polynoms 1. Grades ist ein Polynom 2. oder höheren Grades als Prognosefunktion zu wählen (vgl. Breyfogle 2003, S. 644); sie besitzt folgende Struktur: r y = f(x) = c 0 + c1 ⋅ x1 + c 2 ⋅ x 2 + c12 ⋅ x1 ⋅ x + c11 ⋅ x12 + c 22 ⋅ x 22 2 (2) Während durch die Funktion nach Gleichung (1) eine ebene Fläche im Raum aufgespannt wird, beschreibt die Funktion nach Gleichung (2) eine elliptisch gekrümmte (Reaktions-)Fläche im Raum. In Abbildung 16 ist beispielhaft eine solche Fläche für einen 2-faktoriellen Versuch mit einem Polynom 2. Grades als adäquater Regressionsfunktion abgebildet. Die Aufgabe besteht darin, in einem chemischen Prozess die Faktoren Zeit (x1) und Temperatur (x2) so einzustellen, dass ein maximale Ausbeute (y) erzielt wird. Als dichotome Einstellwerte für die zwei Faktoren werden gewählt: Zeit: x1 ∈ [50; 70] und Temperatur: x2 ∈ [150; 180]. Aus der mittleren Einstellung beider Faktoren wird zusätzlich ein Zentralpunkt generiert mit Z[60; 165]. Darüber hinaus gehen vier Sternpunkte mit Extremausprägungen der zwei Faktoren Zeit und Temperatur in das Analysemodell ein. Dazu wird jede Faktorstufe auf einem um über 40% nach oben und unten erweiterten Ausprägungsniveau „abgefahren“. Im Ergebnis liegen die Ausbeuten im Bereich von 72% bis 82%, wobei sich die maximale Ausbeute bei einer mittleren Einstellung von Zeit und Temperatur einstellt.
81
3D-Oberflächen-Plot für approximierte Daten y = Ausbeute
Ausbeute (in %)
Ausbeute (in %)
3D-Oberflächen-Plot für empirische Daten y = Ausbeute
78 75 72 50
60 Zeit (in s)
70
180 170 ur at 160 er ) p 150 m °C T e (i n
80
75 70 65
180 r tu ra pe C) m ° e T (in 170
50
160 60 Zeit (in s)
70
150
Abb. 16: 3D-Oberflächen-Plots für empirische und geschätzte y-Werte auf der Basis eines Polynoms 2. Grades mit einem lokalen Maximum (Beispiel)
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
187
Die Reaktionsflächen-Methodik (RSM – Response surface methodology) wird neben dem DFSS auch in der Improve-Phase von DMAIC-Projekten genutzt. Der Vorteil von RSM liegt insbesondere darin, dass mit seiner Hilfe die Identifikation von nicht-linearen Zusammenhängen möglich ist. Bei einer gegebenen Anzahl von Einflussfaktoren steht jedoch der Nachteil gegenüber, dass (deutlich) mehr Versuche als bei einem 2-stufigen vollfaktoriellen Versuchsdesign notwendig sind, um die Prognosefunktion zu spezifizieren. Aus diesem Grund sind im Vorfeld die wesentlichen Einflussfaktoren durch die Anwendung von „klassischem“ DOE mit 2 Faktorstufen zu eruieren (vgl. Breyfogle 2003, S. 645ff.). Um die Koeffizienten von Polynomen 2. Grades mittels RSM zu schätzen, wird in der Praxis häufig auf die folgenden zwei Designs zurückgegriffen (siehe Abb. 17): Ausgangspunkt: Voll-/ teilfaktorieller Versuchsplan 2k-p
Erweiterung 2: Definition von Zentralpunkt
Erweiterung 1: Definition von Sternpunkten (0, +α)
(+1, +1)
(-1, +1)
Faktor 2
(-1, -1)
(+α, 0)
(-α, 0)
Faktor 1
(+1, -1) (0, -α)
Basis: Breyfogle 2003, S. 645
Abb. 17: Herleitung der Versuchsanordnung für Central-Composite-Design (CCD) bei zwei unabhängigen Faktoren
• Central-Composite-Design (CCD) sind zentral zusammengesetzte Versuchspläne, bei denen neben einem Zentralpunkt und den 4 Eckpunkten eines Würfels zusätzlich vier Sternpunkte definiert werden. Die Sternpunkte sind so zu wählen, dass man ein orthogonales und rotierbares Versuchsdesign erhält. „Orthogonal“ bedeutet, dass sich die einzelnen Effekte im Rahmen eines 2kVersuchsplans eindeutig trennen und zuordnen lassen. „Rotierbar“ heißt, dass sich die Varianz der zu prognostizierenden y-Werte in jedem Punkt als Funktion des Abstandes des gewählten Punktes zum Zentralpunkt ergibt. Zur Ermittlung der Stern- bzw. Axialpunkte15 ist ein Abstandsfaktor α zu berechnen, der in jeder Dimension den Abstand des Sternpunkts zum Zentralpunkt angibt. Der Vorteil von CCD ist vor allem darin zu sehen, dass auf der Basis der Ergebnisse eines voll-/ teilfaktoriellen Versuchplans zusätzlich Sternpunkte für jeden Fak-
15
Der Abstandsfaktor zur Bestimmung der Stern-/ Axialpunkte beträgt i.d.R. α = 1,682. Detaillierte Darstellungen der o.g. Versuchsanordnungen sowie weiteren finden sich u.a. in Breyfogle 2003 und Box et al. 1978.
188
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
tor definiert werden können, deren Realisierung zur Ermittlung der Koeffizienten c11 und c22 führt. • Box-Behnken-Design (BBD) ist eine alternative Methode zu CCD, um die quadratischen Terme im Rahmen eines Regressionsmodells zu bestimmen. Die Versuchsanordnungen nach Box/ Behnken (1960) sind nicht zwingend rotierbar und orthogonal. Auf Optimierungsversuche nach BBD wird i.d.R. zurückgegriffen, wenn physikalische Beschränkungen vorliegen, die eine Realisierung der Sternpunkte nicht erlauben. Aus diesem Grunde erfolgt eine Verlagerung der Axialpunkte nach innen, d.h. pro Faktor werden drei Merkmalsausprägungen definiert (-1, 0, 1). Jede zusätzliche Faktorausprägung besitzt eine äquidistante Entfernung zur unteren und oberen Faktorstufe sowie zu dem definierten Zentralpunkt (in der Mitte des Würfels). Aufgrund der Tatsache, dass pro Faktor jeweils nur drei Stufen anstelle von fünf realisiert werden, erfordert das BBD deutlich weniger Versuche als CCD. Diesem Vorteil steht der Nachteil gegenüber, dass mit BBD die Koeffizienten des Regressionsmodells mit einer höheren Ungenauigkeit geschätzt werden. Abschließend soll auf der Basis dieser kurzen Erläuterungen wiederum eine Bewertung von DOE vorgenommen werden (siehe Abb. 18). Die Haupteinschränkung der Methode liegt darin, dass keine Aussagen mit 100%-Wahrscheinlichkeit, also Sicherheit, getroffen werden können. Im Hinblick auf die erzielbare Zeit- und Kosteneinsparung sowie die noch gute Übersichtlichkeit von Versuchsreihen ist hierin allerdings zugleich ein relativer Vorteil zu sehen. Unter diesem Blickwinkel ist auch der Nachteil eines möglichen Informationsverlustes zu werten, da nicht alle Kombinationen geprüft werden. Offensichtlich sind jedoch der Statistikaufwand und damit evtl. verbundene Probleme bei der Statistik-Anwendung.
+
-
o Zeiteinsparung o Kosteneinsparung o Bei vielen Faktoren ist der Versuch nur mit DOE möglich o Übersichtlichkeit
o Eventuell Informationsverlust, da nicht alle Kombinationen geprüft werden o Statistik-Aufwand und ggf. Probleme bei der StatistikAnwendung o Die Aussage ist nicht mit 100% Wahrscheinlichkeit sicher
o Möglichkeit, den Test nach der Durchführung eines Untersuchungsdesigns abzubrechen, wenn ausreichende Ergebnisse vorliegen, oder aber mit dem zweiten Design fortzusetzen
Abb. 18: Bewertung von DOE
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
189
Bei einer großen Anzahl von Faktoren und Ausprägungen sind Versuche jedoch nur auf der Basis von DOE mit einem reduzierten Design möglich. Darüber hinaus besteht immer die Möglichkeit, auf der Basis gewonnener Erkenntnisse eine Versuchsreihe vorzeitig abzubrechen und die zweite Versuchsanordnung bereits zu beginnen. Insgesamt ist also die Wertung: Screening-Versuche sowie Teilfaktorielle Versuche besitzen den Vorteil, eine hohe Anzahl an Faktoren durch eine moderate Anzahl an Experimenten untersuchen zu können.
3
TRIZ – Erfinderisches Problemlösen zum Generieren von Produkt- und Prozessinnovationen im Entwicklungsprozess
Das Akronym TRIZ16 stammt aus dem Russischen und steht im Deutschen für die „Theorie des erfinderischen Problemlösens“. Im englischsprachigen Raum ist hierfür auch die Bezeichnung TIPS für „Theory of Inventive Problem Solving“ geläufig. Die Theorie wurde maßgeblich in der früheren UdSSR von Genrich S. Altschuller (1926-1998) und seinen Kollegen entwickelt. Auf der Basis der Analyse unzähliger Patente, kamen sie zu der Erkenntnis, dass erfolgreiche Erfindungen auf sehr ähnlichen bzw. gleichen Denkstrategien beruhen. Er formulierte deshalb die Hypothese, dass jeder Idee und jeder Erfindung ein systematischer Prozess vorangeht, welcher durch universelle Grundregeln zu erklären ist. Durch die Kenntnis und Anwendung dieser Regeln ist es dann möglich, den Erfindungsprozess gezielt zu steuern und damit „wirkliche“ Innovationen systematisch zu erzeugen. Dabei sind die folgenden 5 Schritte zu durchlaufen, die in der einschlägigen Literatur unter dem Akronym ARIZ17 bekannt sind: 1. 2. 3. 4. 5.
Wahl der Aufgabe (Zielsuche & Problemformulierung) Präzisieren der Aufgabe (Zielvorgabe & Problemtransformation) Analytisches Stadium (System-/ Modellanalyse) Operatives Stadium (Lösungssuche/ -eingrenzung) Synthetisches Stadium (Ideales Resultat & Lösungsrealisierung).
Wie leicht nachvollziehbar ist, ähnelt die Philosophie und Vorgehensweise von TRIZ damit sehr stark der grundsätzlichen „Denkweise von Six Sigma“: In beiden Konzepten werden mit der Realitäts- und der Abstraktionsebene 2 Ebenen der Problemlösung unterschieden. Bei Six Sigma wird das reale Problem in ein statistisches transformiert und gelöst; bei TRIZ führt eine konkrete Problemstellung zu einer abstrakten Lösungssuche. Erst wenn eine zufriedenstellende Lösung auf der Abstraktionsebene gefunden worden ist, erfolgt die Rück-Transformation in die Realitätsebene, d.h. die Umsetzung der statistischen (abstrakten) Lösung in ein reales Lösungskonzept (vgl. Töpfer/ Günther 2007, S. 157). 16 17
Russ.: Theorija Reshenija Izobretatjelskich Zadacz. Russ.: Algoritm Reshenije Izobretatjelskich Zadacz.
190
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
3.1
Wahl der Aufgabe (Zielsuche & Problemformulierung)
Im ersten Schritt ist zu klären, welches Ziel erreicht bzw. welches Problem gelöst werden soll. Dazu ist das „ideale Endresultat“ zu definieren und – über einen Vergleich mit der aktuellen Situation – der konkrete Verbesserungsbedarf abzuleiten. Wird das Problem von vornherein als schwierig zu lösen eingestuft, ist über eine Umkehrung der Aufgabenstellung nachzudenken, da diese u.U. leichter zu bearbeiten ist als die Originalaufgabe, z.B. „Motor von Auto startet auf keinen Fall“ anstelle von „Motor startet bei jeder Witterungslage“. Gleichzeitig kann dadurch der Kern des Problems besser erfasst werden. Bereits an dieser Stelle sei hervorgehoben: TRIZ unterscheidet sich von den klassischen Kreativitätstechniken, z.B. Synektik und Bionik, zum einen durch seine technisch-naturwissenschaftliche Basis, d.h. die Methode nimmt gezielt Anlehnung an der Thermodynamik, Mechanik, Elektrotechnik und Chemie, um durch das Erkennen synergetischer Effekte innovative Produktlösungen zu generieren. Zum anderen führt sie auf direktem Wege zur so genannten wahren, idealen Lösung eines Problems, weil widersprüchliche Anforderungen des Ausgangsproblems gezielt aufgelöst und „psychologische Denkbarrieren“ der Beteiligten überwunden werden. Dadurch sollen Kompromisse als Ergebnis, wie sie bei anderen intuitiven und systematischen Methoden eher die Regel als die Ausnahme sind, vermieden werden. Aufgrund der Verbindung von Kreativität und Systematik mit Widerspruchsorientierung hilft TRIZ technisch-wissenschaftliche Aufgabenstellungen methodisch und systematisch zu entwickeln sowie ohne Kompromisse in „robuste“ Lösungen zu überführen (vgl. Günther 2004, S. 1). Nach Jantschgi/ Shub (2003) besteht das Ziel der TRIZ-Methodik – per definitionem – darin, • • • •
technische und/ oder physikalische Widersprüche aufzudecken, diese kreativ und ohne Kompromisse mit vorhandenen Ressourcen (Wissen) einer präzisen, strukturierten Problemanalyse zu unterziehen und danach zielorientiert in Richtung Erhöhung des Idealitätsgrades zu verbessern.
3.2
Präzisieren der Aufgabe (Zielvorgabe & Problemtransformation)
Im zweiten Schritt geht es darum, abstrakte Modellformulierungen, z.B. „Von Ort A nach Ort B kommen“, zu finden, da Fachtermini das Denken in Richtung konventioneller Lösungsansätze „kanalisieren“. Zu diesem Zweck ist z.B. mittels Patentrecherche zu eruieren, ob und wie ähnliche Aufgaben in der Fach- bzw. Patentliteratur gelöst worden sind. Aufgrund des Vergleichs des eigenen Problems mit bereits gelösten Problemen ist es i.d.R. möglich, die Aufgabe ohne gängige Fachtermini zu beschreiben. Dadurch können vergleichbare Patent-/ Problemlösungen direkt auf die konkrete Aufgabenstellung übertragen werden. Auf der Basis der Analyse einer hohen Anzahl von Patenten kamen Altschuller und Kollegen zu der Erkenntnis, dass erfolgreiche Erfindungen auf sehr ähnlichen bzw. gleichen Denkstrategien beruhen. Er formulierte deshalb die Hypothese, dass jeder Idee und jeder Erfindung ein systematischer Prozess vorangeht, welcher
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
191
durch universelle Grundregeln zu erklären ist. Durch die Kenntnis und Anwendung dieser Regeln ist es dann möglich, den Erfindungsprozess gezielt zu steuern und damit „wirkliche“ Innovationen systematisch zu erzeugen.18 Als zentrale Kenn- bzw. Optimierungsgröße wird der Idealitätsgrad definiert, der sich – bezogen auf ein System – als Quotient aus der Summe „nützlicher“ Effekte (Nutzen) geteilt durch die Summe „schädlicher“ Effekte (Kosten) ergibt. Das Ziel besteht nun darin, den Idealitätsgrad entsprechend dem generellen Extremumprinzip durch Minimierung der Kosten und Maximierung des Nutzens zu optimieren. Anhand der Änderung des Idealitätsgrades durch eine Neuerung im System lässt sich der Innovationsgrad einer bestimmten Entwicklung/ Erfindung ableiten. Je größer die Änderung des Idealitätsgrades ist, desto höher ist also auch der Innovationsgrad einer neuen Lösung.19 3.3
Analytisches Stadium (System-/ Modellanalyse)
Mit dem dritten Schritt wird das analytische Stadium des Problemlösungsprozesses erreicht. Ziel ist es, auf abstrakter Ebene eine ideale Lösung für das Problem zu beschreiben. Dabei sind die Erkenntnisse aus bisherigen Optimierungsversuchen zu berücksichtigen, wobei u.a. zu klären ist, warum bisherige Lösungsansätze versagten. Im Weiteren ist der Kernkonflikt herauszuarbeiten, welcher der wahrscheinliche Schlüssel zur Lösungsfindung ist. Das Standardvorgehen besteht darin, administrative in technische Widersprüche umzuwandeln und diese anschließend mithilfe der Widerspruchstabelle von Altschuller zu lösen. Altschuller, der bereits im Jahr 1946 eine Stiftung für TRIZ gründete, erkannte, dass sich alle möglichen technischen Anforderungen mit Hilfe von 39 (allgemeingültigen) Parametern beschreiben lassen. Des Weiteren fand er heraus, dass alle denkbaren Widersprüche (max. 1.482) zwischen zwei technischen Anforderungen mit Hilfe von „nur“ 40 (allgemeingültigen) Innovations-Prinzipien gelöst werden können. Die 40 Prinzipien technischer Konfliktlösung zusammen mit den 39 Parametern technischer Systembeschreibung sind in Altschuller´s Widerspruchstabelle zusammengefasst dargestellt (siehe Auszug der Tabelle in Abb. 19). Dabei wird der TRIZ-Anwender zielgerichtet von seinem speziellen technischen Problem über die allgemeinen Parameter auf die geeigneten innovativen Prinzipien geleitet, die zu seiner Aufgabenstellung passen.20 Die Anwendung von TRIZ basiert auf einer Vielzahl von Methoden und Instrumenten, von denen die Widerspruchstabelle/ -analyse die bekannteste darstellt. 18
Zwischen 1946 und 1996 wurden zur Erforschung dieser Zusammenhänge mehr als 2,5 Millionen Patente analysiert (allein 40.000 durch Genrich S. Altschuller). 19 Bei seinen Patentrecherchen stellte Altschuller u.a. fest, dass nur etwa 1% aller Erfindungen einen hohen Innovationsgrad aufweisen und damit als wirkliche Innovationen gelten. Hingegen handelt es sich bei ca. drei Viertel aller so genannten Innovationen um „einfache“ Problemlösungen, die i.d.R. mit keinem besonderen Methoden- und Wissenshintergrund verbunden sind (vgl. Mazur 1995, S. 5f.). 20 Hierzu gibt es eine Reihe von Software-Lösungen, die von unterschiedlichen Unternehmen angeboten werden, wie z.B. Invention Machine, Ideation und Trisolver.
2
Gewicht eines bewegten Objektes Gewicht eines stationären Objektes
3
Länge eines bewegten Objektes
1
8
Länge eines station ären Objektes Fläche eines bewegten Objektes Fläche eines stationären Objektes Volu men eines bewegten Objektes Volu men eines station ären Objektes
9
Geschwindig keit
4 5 6 7
10 Kraft 11 Druck oder Spannung 12 Form 13 Stabilität eines Objektes 14
Festig keit
8, 15, 29, 34
29 , 2 , 40, 28
15 , 1 7, 4
5, 35, 14, 2 7, 17 , 4, 35
17, 7, 10, 40
2, 17, 29, 4
14, 15, 18, 4 30, 2, 14, 18
35, 8, 2, 1 4 7, 14 , 17, 4
26, 7, 9, 39
2, 26, 29, 40
1, 7, 4, 35 3 5, 10 , 19, 14 19, 14
1, 7, 4, 17 35, 8, 2, 14
2, 8, 13, 14, 29 , 3 0, 28, 13, 8 34 38 19 , 1 0, 1, 18, 8, 1, 1 8, 13 , 17, 19, 28 , 10 15 36, 37 37,18 1 , 2 8 9, 36
7, 29 , 34 15 , 9 , 12, 37
10, 14, 35, 40 13, 10, 29, 14 1, 8, 1, 8, 35 10, 29 1, 14, 13, 14, 35 15 , 7 10, 1 5, 5 , 34, 36, 28 29 , 4 10, 1 5, 36, 37 6, 35, 1 , 15, 36, 37 29 , 4
1 3, 28, 6, 18, 15 , 19 38, 40 18, 2 1, 11
1, 35, 1 9, 39 26 , 3 9, 1, 40 1, 8, 1 5, 34 39 , 3 7, 35 11, 2 1 3, 39
35, 15, 28 , 3 3, 8, 3, 18, 34 1, 18 26, 14 10, 35, 35 , 1 0, 35, 10, 40, 34 21 14, 27
39 9, 40, 28
3, 19, 3 5, 5 1 9, 2
6, 27, 1, 10, 19, 16 35 36, 22, 2 2, 35 , 15, 19, 15, 19, 3, 35, 6, 38 32 9 9 39, 18
2, 19, 9
3, 17, 19
2 8, 30, 36, 2 3 5, 10, 21 3 5, 39, 19, 2 2 2, 14, 19, 32
28, 10, 3 4, 28 , 33, 15, 1 0, 35, 2, 35, 2 2, 1, 19, 39 35, 40 28, 18 21 , 16 40 18 , 4 10, 15, 9, 14, 8, 13, 1 0, 18, 10, 3, 10, 30, 13 , 1 7, 14, 7 17, 15 26, 14 3, 14 18, 40 35, 40 35
17, 9, 1 3, 27, 39, 3, 35, 1, 15 10, 35 35 , 2 3 32 27, 3, 3 0, 10, 26 40
10 , 2 , 19, 30
27, 3, 10
Innovationsprinzipien
Haltbarkeit eines st ationären Objektes
17
2, 2 7, 19, 6
10, 36, 1 3, 29 , 35, 10, 35, 1, 10 , 1 5, 10, 15, 6, 35 , 6, 35, 3 6, 35, 3 5, 4, 35 , 3 3, 9, 18, 19, 3, 35, 24 37, 40 10, 18 36 14 , 16 36, 25 35, 37 10 36 21 15, 10 2, 40 3, 40 27 8, 10, 1 5, 10 , 29, 34, 13, 14, 5, 34, 14 , 4 , 35, 15, 3 5, 10, 34, 1 5, 33 , 1, 30, 14, 1 4, 26, 7, 2, 35 29, 40 2 6, 3 5, 4 10, 7 4, 10 15, 22 34, 18 37 , 40 10, 14 18, 4 10, 40 9 , 2 5 21, 35, 2 6, 39 , 13, 15, 2, 11, 37 2, 39 1, 40 1, 28 13 1, 8, 4 0, 26 , 1 , 15, 15, 14, 3, 34, 40, 15 2 7, 1 8, 35 28 , 26 40, 29
Tempera tu r
15
28, 27, 5, 34, 18, 40 31, 35 28, 2, 10, 27 8, 35, 19 29, 34 15, 14, 28, 26 3, 15, 6, 3 40, 14
Haltba rke it eine s station ären 16 Objekte s
14
Haltbarkeit eines bewegten Ob jektes
13
6, 20, 4, 38 2 8, 19, 32, 22 1 0, 15, 19 1, 4 0, 3, 35, 28 , 10 35 38, 18 29, 30, 1 9, 30, 2, 15, 4, 34 35, 2 16 2, 1 0, 3 5, 39, 1, 1 8, 2, 38 40 19 , 3 0 38 35 , 36 29, 4, 1 5, 35, 28 , 1 0, 9, 14, 3 4, 39, 6, 35 , 4 38, 34 36 , 37 1, 39 15, 7 10, 18 2, 1 8, 34 , 2 8, 9, 14, 35, 34, 24, 35 7 , 2 , 3 5 35, 6, 4 37 3 5, 40 17, 15 38
2, 36, 13, 28, 18, 37 15, 12
10, 3 6, 37, 40 13, 2 9, 10, 18
Festig keit
12 Form
Stabilität eines Objektes
11
10 Kraft
8, 1 0, 18 , 37 8, 1 0, 19 , 35 1 7, 10, 13, 4, 8 4
Druck oder Spannung
9 2, 8, 15, 38
35, 30, 13, 2
3 5, 28 , 40, 29
Geschwindigkeit
8
7
Volumen eines stationären Objektes
6
Volumen e in es bewe gten Obje ktes
5
3
4
29 , 1 7, 38, 34 10, 1, 29 , 35
19, 5, 34, 31
17 Temperatur
Fläche eine s station ären Objektes
Fläche e in es bewegte n Objektes
Länge eine s station ären Objekte s
1 5, 8, 29, 34
Haltbarkeit eines bewegten
15 Objektes 16
2
Zu verbessernder Parameter
L än ge eines bewegte n Objektes
Nicht erwünschte Veränderung (Konflikt)
1
Technischer Parameter
Technischer Parameter
Gew icht eine s station ären Ob jektes
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
Gewich t e in es bewegte n Objektes
192
3, 35, 5
19, 2, 16
19, 3, 27
14, 26, 28, 25
13 , 3, 35
1 9, 35, 39
3 5, 34 , 38
39 , 3, 1 9, 18, 3 5, 23 36, 40 34, 39, 2, 28, 3 5, 10, 35, 3 9, 14, 22, 1, 35, 10, 30, 1 9, 13, 19, 18, 35, 38 35, 6 , 4 40, 18 36, 30 3, 21 19, 2 19, 32 32 22, 40 39 36 , 4 0
Abb. 19: Altschuller´s Widerspruchstabelle (Auszug)
Vor allem im deutschsprachigen Raum ist die Einteilung der Methoden und Instrumente in die vier Gruppen „Systematik“, „Wissen“, „Analogie“ und „Vision“ geläufig (siehe Abb. 20). TRIZ 2
1 Systematik Strukturierung von Problemen • • • • • • • • • • • •
Analogie
3
Erkenntnisse aus anderen Bereichen
Innovationscheckliste Ressourcencheckliste Problemformulierung Idealität Funktionen-/ ObjektModellierung Trimmen Operator MZK Zwerge- Modellierung Inverte Fehlererkennung 40 Innovationsprinzipien 4 Separationsprinzipien ARIZ
Wissen Problemorientierte Prinzipien
Vision Weiterentwicklung des Systems
• Widerspruchsanalyse:
• Effekte-Lexikon
• S-Kurve
• Administrativer Widerspruch („Problem“)
• Internetrecherche • Patentrecherchen
• Evolutionsgesetze
• Technischer Widerspruch („Konflikt“)
• Innovationsebenen
• Physikalischer Widerspruch („Widerspruch“) • Stoff-Feld-Modell mit 76 Standardlösungen
Antizipierende Fehlererkennung Basis: Herb/ Kohnhauser 2000, S. 50f.
4
Innovative Problemlösung
Abb. 20: Konzeption und Inhalte der 4 TRIZ-Säulen
Direkte Entwicklung
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
193
Diese vier Gruppen werden auch als die 4 TRIZ-Säulen bezeichnet, da sie die elementaren Eigenschaften kennzeichnen, die einen „guten“ Entwickler auszeichnen. Auf die Beschreibung der einzelnen Methoden wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen; sie werden in der einschlägigen Literatur ausführlich behandelt (vgl. z.B. Orloff 2002; Herb et al. 2000). 3.4
Operatives Stadium (Lösungssuche/ -eingrenzung)
Im 4. Schritt von ARIZ werden die den 4 TRIZ-Säulen zugeordneten Methoden und Instrumente systematisch angewendet, um eine Lösung des Problems auf abstrakter Ebene herbeizuführen. Der Einsatz richtet sich dabei nach der Art des in Kap. 3.3 beschriebenen Problems. Handelt es sich um einen technischen Widerspruch (z.B. Geschwindigkeit hoch/ niedrig), dann kann versucht werden, die 40 innovativen Grundprinzipien auf das Problem anzuwenden. Liegt hingegen ein physikalischer Widerspruch vor (z.B. Gewicht hoch/ niedrig), dann ist über eine Variation des Arbeitsmediums, der Umgebung und/ oder der mit dem Objekt zusammenwirkenden Verfahren nachzudenken.21 In Abbildung 21 ist der Algorithmus zur Lösungsfindung mit TRIZ am Beispiel „Milchkochen“ mit dem Kochtopf auf einem E-Herd dargestellt. (38) Automatisierungsgrad ↑ (13) Stabilität des Objektes – • Widerspruch auf Basis der 39 technischen Parameter
Realitätsebene
1
Konkrete Problemstellung • Problem/ Konflikt umgangssprachlich beschreiben
Beim Kochen von Milch muss ich ständig umrühren, damit sie nicht überkocht und verbrennt!
Lösungssuche
3
Abstrakte Problemlösung Spezifikation
Abstraktionsebene
Abstraktion
Abstrakte Problemstellung
• Lösungsansätze auf Basis der 40 innovativen Prinzipien
Barriere
2
(18) Mechanische Schwingungen (01) Segmentierung/ Zerlegung
Konkrete Problemlösung
4
• Lösungsansatz auswählen und konkret umsetzen Ein Keramikobjekt beim Milchkochen in Kochtopf legen
Basis für Widerspruchsmatrix: Herb et al. 2000
Abb. 21: Lösungsfindung mit TRIZ am Beispiel „Milchkochen“ 21
Im Hinblick auf die Idealität der Lösung ist jeweils zu prüfen, ob es Umkehrmöglichkeiten gibt, die dazu führen, dass z.B. etwas Schädliches in etwas Nützliches oder etwas Gefährliches in etwas Harmloses verwandelt wird.
194
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
Hier wird das konkrete Problem, dass Milch zum Erhitzen regelmäßig überkocht und verbrennt, wenn nicht ständig per Hand umgerührt wird, abstrahiert auf die zwei technischen Parameter (13) und (38). Durch das Umrühren mit einem Löffel wird die Stabilität des Objektbestands sichergestellt (d.h. die Milch „geht“ nicht hoch), was einer Verbesserung entspricht. Gleichzeitig kommt es hierdurch aber zu einer Verschlechterung des Niveaus der Automatisierung (d.h. eine Person muss ständig umrühren). Zur Lösungsfindung auf der Abstraktionsebene ist nun in die Widerspruchsmatrix von Altschuller zu gehen. Hier stehen folgende innovative Grundprinzipien als Lösungsansätze zur Auswahl (vgl. Orloff 2002, S. 321f.): (01) Segmentierung/ Zerlegung – Ein Objekt in unabhängige Teile zerlegen/ Ein Objekt zerlegbar machen und den Grad der Zerkleinerung erhöhen (18) Nutzung mechanischer Schwingungen – Ein Objekt in Schwingungen versetzen/ Wenn eine solche Bewegung bereits abläuft, ihre Frequenz erhöhen. 3.5
Synthetisches Stadium (Ideales Resultat und Lösungsrealisierung)
Die endgültige Lösung, die sich auf die konkrete Problemstellung bezieht, wird im 5. Schritt festgelegt. Durch die Rücküberführung der abstrakten Lösung in die reale Welt wird das synthetische Stadium des TRIZ-Algorithmus erreicht. Liegen mehrere Lösungsansätze vor, ist die „beste“ Lösung mit dem höchsten Zielerfüllungsgrad auszuwählen. Bei der Umsetzung/ Implementierung der Lösung ist zu prüfen, ob sich weitere Veränderungen/ Optimierungen empfehlen und/ oder ob das grundlegend veränderte System/ Objekt möglicherweise ganz neue Anwendungsmöglichkeiten beinhaltet. Am oben angeführten Beispiel „Milchkochen“ sieht die Spezifikation der abstrakten Problemlösung und die Überführung in ein konkretes Lösungskonzept wie folgt aus: Zum Erhitzen von Milch wird in den Kochtopf eine (nicht plane und nicht symmetrische) Keramikscheibe mit einem Durchmesser von ca. 10 cm und einer Höhe von ca. 1 cm gelegt. Wird der Topf mit Milch warm, bildet sich unter der Scheibe, die auf dem Boden liegt, ein Luftpolster. Entsprechend dem „Dampfkessel-Prinzip“ wird die Keramikscheibe von Zeit zu Zeit angehoben und die erhitzte Luft kann entweichen. Durch diesen Effekt kommt es zur Vibration des Keramikkörpers im Topf mit der Folge, dass die Milch in Bewegung bleibt und nicht (sofort) am Topfboden anbrennt und „überkocht“. Eine abschließende Bewertung von TRIZ ist in Abbildung 22 vorgenommen. Generell bietet sich die Anwendung der Methodik in DFSS-Projekten an, wenn genau umrissene, auf der Basis bisheriger Denkmuster schwierig zu lösende Probleme bei der Konzepterstellung aufgedeckt worden sind. Als widerspruchsorientiertes Erfindungskonzept ist sein Einsatz insbesondere im Zusammenhang mit QFD gerechtfertigt, um Konflikte und Widersprüche aufzulösen, die in einer Dimension, z.B. zwischen unterschiedlichen Produktfunktionen (im „Dach“ des HoQ), und/ oder in mehreren Dimensionen, z.B. zwischen Kundenanforderungen und Produktfunktionen (in der „Matrix“ des HoQ) offenge-
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
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legt worden sind (siehe hierzu Kap. 2). Im Zusammenhang mit DOE unterstützt TRIZ bei der Aufgabenstellung, unerwünschte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren auf das Zielkriterium zu beseitigen, beispielsweise: „Die Wahl von Herdplatten-Größe und Kochtopf-Durchmesser dürfen keinen Einfluss auf die Kochzeit-Dauer haben.“ Unabhängig davon, welcher Art das Entwicklungsprojekt ist und welchen Umfang es besitzt, führt das Vorgehen nach ARIZ mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu innovativen Lösungsansätzen.
+
-
• Auflösung von technischen/ physikalischen Widersprüchen aufgrund von Abstraktion und Spezifikation • Generierung von innovativen Problemlösungsansätzen mit Hilfe von ARIZ • Einsparung von Zeit und Kosten im Produktentstehungsprozess/ in DFSS-Projekten durch hohe Synergieeffekte mit Six Sigma Methoden • Erhöhte Motivation der Akteure durch methodengestützte Fokussierung des kreativen Denkens
• Zur Beherrschung sind umfangreiche Schulungen mit vielen praktischen Beispielen notwendig • Ohne Softwareunterstützung und Moderator als Experten kaum wirkungsvoll realisierbar • Hoher Recherche- und Aktualisierungsaufwand von Daten und Wissen • TRIZ benötigt kreative Mitarbeiter mit einem hohen Abstraktionsvermögen
Abb. 22: Bewertung von TRIZ
4
Fallstudie zur Vernetzung von TRIZ und QFD: Entwicklung eines innovativen „Auto-Safe“
Ausgangssituation: Für PKW-Nutzer ist es in bestimmten Situationen erforderlich, Wertsachen in ihrem Fahrzeug aufzubewahren und auf herkömmliche Sicherungsmechanismen eines PKW gegen Diebstahl zu vertrauen. Dabei ist es jedoch fraglich, ob diese Sicherung hinreichend ist. Beispielsweise kann ein gut sichtbar auf dem Beifahrersitz abgelegtes Notebook durch schnelles Aufbrechen der Autotür einfach herausgenommen und gestohlen werden. Ausgehend von den Anforderungen der Kunden an ein mögliches Produkt soll im Folgenden mit Hilfe der QM-Methoden QFD und TRIZ eine Lösung zur sicheren Verwahrung von Wertgegenständen in Fahrzeugen gefunden werden. Zu die-
196
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
sem Zweck wird im ersten Schritt das HoQ erstellt. Im zweiten Schritt wird versucht, die ersichtlichen Konflikte respektive Widersprüche mit TRIZ zu lösen.22 4.1
Anwendung von QFD
Wie im 1. Kapitel ausgeführt, geht es im Rahmen von QFD insbesondere darum, anhand von Kundenbedürfnissen konkrete Konstruktionsmerkmale für ein Produkt abzuleiten. Hierzu wird ein Qualitäts-Plan (siehe Abb. 23) für das Produkt „AutoSafe“23 erstellt, der zunächst Kundenbedürfnisse und deren Gewichtung erfasst. In der Praxis empfiehlt sich die Anwendung eines Makro-gestützten Excel-Files, mit dem sich die Daten einfach und schnell aufbereiten lassen.
Abb. 23: Q-Plan und Kundenbedürfnisse (Auszug)
Die Gewichtung der Kundenbedürfnisse (siehe Abb. 24) zeigt einen „guten Verlauf“, da sich die Kundenbedürfnisse grob in drei Gruppen (sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig) unterteilen lassen. Wie in der Abbildung leicht nachvollziehbar ist, sind den Kunden die beiden Bedürfnisse „Aufmerksamkeit bei Diebstahl“ und „Schwer aufzubrechen“ mit Abstand am wichtigsten. Durch diese Kenntnis ist es dem Hersteller möglich, bereits durch wenige, aber bedeutsame Änderungen in der Produktgestaltung die Kundenzufriedenheit deutlich zu erhöhen. 22
Die hier referierten Ergebnisse basieren auf einem Seminar zum Thema „QM-Methoden in der Produktentwicklung“, welches von den Autoren an der TU Dresden im Wintersemester 2007/ 08 durchgeführt worden ist. Wir danken den Studierenden Martin Berndt, Marcus Krause, Stefan Schütze und Stefan Schwesig für ihre Zuarbeit. 23 Der Produktname „Auto-Safe“ wird lediglich vereinfachend verwendet. Er steht stellvertretend für die diebstahlsichere Verwahrung von Gegenständen in einem Kfz und bedeutet keine Einschränkung der möglichen Lösungen auf einen Safe-Schrank.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
197
Abb. 24: Gewichtung der Kundenbedürfnisse
Zur Beurteilung der Kundenbedürfnisse muss berücksichtigt werden, dass sowohl „harte“ als auch „weiche“ Faktoren eine Rolle spielen. Die Darstellung in einem Portfolio (siehe Abb. 25) zeigt jedoch, dass die harten Faktoren (rational) gegenüber den weichen (emotional) deutlich überwiegen. 20,0 18,0
Aufmerksamkeit bei Diebstahl
16,0
Harte Faktoren
14,0 12,0 10,0 8,0 6,0 4,0
Leicht zu öffnen
2,0 0,0 0
10
20
30
40
50
60
Weiche Faktoren
Abb. 25: Portfolio zum Erkennen von harten und weichen Faktoren
70
80
198
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
Die größte Gewichtung erzielt die Anforderung „Aufmerksamkeit bei Diebstahl“, während bei den Gefühlsfaktoren das Kriterium „Leicht zu öffnen“ am wichtigsten ist. Der „leere“ rechte obere Bereich des Portfolios bedeutet, dass mit keinem Kundenbedürfnis gleichzeitig sowohl harte als auch weiche Motivationen in hohem Maße befriedigt werden. Eine Entscheidung, worauf im weiteren F&EProzess mehr Wert gelegt wird, ist deshalb zunächst erforderlich. Nachdem die verschiedenen Anforderungen an das neue Produkt „Auto-Safe“ ermittelt wurden, können im Q-Plan deren Wechselwirkungen mit Qualitätsmerkmalen geprüft werden. Dadurch ist es möglich, das Produkt gezielt nach den Wünschen der Kunden zu entwickeln. Wie Abbildung 26 zeigt, ergibt sich z.B. eine positive Korrelation zwischen dem Bedürfnis „Schweres Aufbrechen“ und den Eigenschaften „Material“, „Bruchkraft“ und „Bruchzeit“. Problematisch sind hingegen Qualitätsmerkmale, welche zu einem Zielkonflikt führen. So stehen z.B. „Bruchzeit“ und „Öffnungsbzw. Schließzeit“ in einem konträren Verhältnis zum Bedürfnis „Leichtes Öffnen“.
Abb. 26: House of Quality (Auszug)
Die Übersicht gibt außerdem Aufschluss über Kundenbedürfnisse, die nicht hinreichend durch ein Qualitätsmerkmal erfasst werden. So wird z.B. die Anforderung „Großes Fassungsvermögen“ von keiner Produkteigenschaft voll erfüllt (fehlende Zuordnung einer „9“ in der entsprechenden Zeile im HoQ, siehe Abb. 23). Hier besteht somit noch Handlungsbedarf.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
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Wie im vorstehenden Kapitel ausgeführt, werden bei der Anwendung von TRIZ (physikalische) Widersprüche von (technischen) Konflikten unterschieden:24 • Widersprüche befinden sich in der Beziehungsmatrix des HoQ. Dabei wird für jedes Qualitätsmerkmal normalerweise nur eine Optimierungsrichtung dargestellt; die Beziehungswerte in der Matrix werden mit unterschiedlichen Vorzeichen versehen – Optimierung in Richtung Verstärkung (+), Optimierung in Richtung Widerspruch (-). Dies hat den Vorteil, dass bei der Summenbildung (als „Bedeutung“) alle positiven und alle negativen (konfliktbehafteten) Merkmale getrennt ermittelt und beurteilt werden, einschließlich der Gewichtung der Kundenbedürfnisse aus dem Q-Plan des HoQ. • Konflikte in TRIZ sind die Merkmale, die (a) eine Abhängigkeit voneinander haben und (b) eine gegenläufige Optimierungsrichtung: Wenn ein Merkmal verbessert wird, verschlechtert sich das andere oder umgekehrt. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, werden die Korrelationen der (Qualitäts-) Merkmale untereinander im „Dach des HoQ“ abgebildet. Nach dem Prinzip des paarweisen Vergleichs lautet die Frage hier, wie sich das Merkmal X bei Optimierung des Merkmals Y verändert (positiv oder negativ). Mithilfe des Diagramms in Abbildung 27 – Bedeutung der Qualitätsmerkmale – lassen sich Aussagen über die positiven bzw. negativen Auswirkungen der ermittelten Qualitätsmerkmale treffen. So besitzt z.B. das Merkmal „Material“ nur positive Einflüsse auf die zu untersuchenden Kundenbedürfnisse. Die „Öffnungsbzw. Schließzeit“ hat aber sowohl einen positiven Einfluss auf das Bedürfnis
Abb. 27: Bedeutung der Qualitätsmerkmale 24
Weiterführende Ausführungen zur Verbesserung eines House of Quality (QFD) mit TRIZ befinden sich im Artikel von Streckfuss (2006).
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„Leichtes Öffnen“, als auch einen negativen Einfluss auf die Anforderung „Schwer aufzubrechen“. Hier besteht somit ein Interessenkonflikt, welcher mithilfe des innovativen Problemlösens (TRIZ) gelöst werden kann. Hierauf wird im folgenden Abschnitt kurz eingegangen. 4.2
Anwendung von TRIZ
Beim Entwickeln von Produkten gemäß der Markt- und Kundenanforderungen ergeben sich nahezu immer Anforderungspaare, die sich gegenseitig ausschließen und bei denen – nach verbreiteter Auffassung – ein technischer Kompromiss gefunden werden muss. TRIZ ist ein Verfahren zum Auflösen solcher Widersprüche durch Finden einer neuen technischen Lösung oder Innovation, welche die widersprüchlichen Anforderungen gleichzeitig erfüllen kann. Im Beispiel ergab sich infolge der Analyse des HoQ, dass das Bestreben nach einer kürzeren Öffnungs- und Schließzeit im Widerspruch zu einer Erhöhung der Bruchkraft und -zeit steht (im HoQ durch die unterschiedlichen Vorzeichen erkennbar, siehe Abb. 23). Wenn also die Bedienzeit durch den Kunden verringert werden soll, dann nimmt die Widerstandsfähigkeit des Produktes (Auto-Safe) gegen den gewaltsamen Zugriff durch Fremde i.d.R. ab. Dieses Problem soll nun durch eine mit TRIZ gefundenen Innovation aufgelöst werden. Dazu ist zunächst das Ausfüllen der Innovations-Checkliste empfehlenswert: 1.
2.
3.
4. 5.
Systembezeichnung Zur Aufbewahrung von Wertgegenständen im PKW soll eine diebstahlsichere Verwahrungsmöglichkeit, genannt Auto-Safe, entwickelt werden. Problembeschreibung Ausgehend von den ermittelten Kundenforderungen sollen eine hohe Bedienfreundlichkeit durch schnelles/ leichtes Öffnen und Schließen bei gleichzeitig hoher Einbruchsicherheit des Auto-Safe erzielt werden. Funktionen, Aufgaben Hauptaufgabe: • Sicherung der Gegenstände vor Diebstahl Nebenfunktionen: • Bewahren der Gegenstände vor Beschädigungen • Bedienfreundlichkeit • Leichte Zugänglichkeit • Unsichtbarkeit von Außen • Einbaubarkeit in verschiedene Kfz-Typen Umfeld des Systems Keine Behinderung anderer Funktionen im Fahrzeug durch den Auto-Safe Energiearten • Elektrische Energie (Autobatterie) • Thermische Energie (Motorabwärme) • Kinetische Energie (Kfz-Fortbewegung)
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
6.
201
Weitere Detail-Informationen zum Problem Zur Gewährleistung des Sicherheitsniveaus ist eine massive Bauform notwendig. Ein entsprechender Öffnungs- und Schließmechanismus kostet den Kunden relativ viel Zeit beim Verwahren der zu schützenden Gegenstände. 7. Grenzen, feste Vorgaben des Systems Das Sicherheitsniveau des Safes darf nicht reduziert werden. Die Gesetze und Normen zur Kfz-Sicherheit sind einzuhalten. 8. Ähnliche Lösungen • Elektrozaun • Militärtechnik: - Flugabwehrsysteme (Feindfrüherkennung und gezielte Eliminierung) - Tarnungen (Nichtauffinden durch Feind) 9. Qualitätsmerkmale • Soll Aufmerksamkeit bei Einbruch erregen • Schwer aufzubrechen • Inhalt darf nicht beschädigt werden • Leichte Zugänglichkeit • Unterteilung (z.B. Fächer) • Darf Funktionalität des Kfz nicht beeinflussen • Hohes Fassungsvermögen • Von außen unsichtbar 10. Idealität ID: Erwünschte Funktionen / Unerwünschte Funktionen Erwünschte Funktionen: • Sichern • Kfz-Einbau in alle Typen Unerwünschte Nebenfunktionen: • Gewicht • Öffnungs-/ Schließzeit • Platz • Beeinträchtigung des Kfz Das ideale System sichert 100% gegen Diebstahl. Es hat kein Gewicht; der Zugriff auf die Gegenstände erfordert keine zusätzliche Zeit. Das System lässt sich in alle gängigen PKW-Typen einbauen. 11. Bisherige Lösungsvorschläge • Abschließbares Handschuhfach • Kofferraum • Baumarktsafe im Kofferraum installiert 12. Lösung Ein Gerät soll installiert werden, welches beim Abschließen des PKW ein Hochspannungsfeld vor dem Aufbewahrungsfach (i.A. Handschuhfach) aufbaut, welches den Dieb bei versuchtem Zugriff elektrifiziert.
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Für die Lösungsfindung wurden die 40 Innovativen Prinzipien nach Altschuller verwendet. Als zu verbessernder Parameter wurde der „Zeitverlust“25 angegeben. Dieser sollte bei der Bedienung des Auto-Safes minimal sein. Als nicht erwünschte Veränderung wurde der „Verlust von Inhalt (Substanz)“26, also das Wegkommen der zu sichernden Gegenstände, gewählt. Nach der Widerspruchsmatrix ergeben sich die folgenden Innovationsansätze: • Nr. 10 Vorgezogene Aktion: Die erforderliche Wirkung ist vorher zu erzielen (vollständig oder auch teilweise). • Nr. 24 Mediator, Vermittler: Es ist ein Zwischenobjekt zu benutzen, das die Wirkung überträgt, weitergibt oder auf sich nimmt. • Nr. 35 Eigenschaftsänderung: Hierzu gehören nicht nur einfache Übergänge, z.B. vom festen in den flüssigen Zustand, sondern auch die Übergänge in „Pseudo- oder Quasizustände“, z.B. die Quasiflüssigkeit und in Zwischenzustände, z. B. die Verwendung elastisch fester Körper. Als vorgezogene Aktion ist z.B. eine Alarmsicherung des PKW möglich. Bei Berührung gibt diese einen Alarmton von sich, wodurch der Dieb abgeschreckt wird und flüchtet. Das System wäre klein, leicht und ließe sich beim Aufschließen des Fahrzeugs automatisch deaktivieren, so dass kein Zeitverlust für die Bedienung auftritt. Ansonsten könnte der PKW wie zuvor genutzt werden. Die Gegenstände lassen sich bei dieser Lösung in einem herkömmlichen Handschuhfach verstauen. Leider existieren solche Systeme schon in zahlreichen Varianten am Markt und eine Marktneueinführung wäre wenig aussichtsreich. Auch das Umrüsten des Handschuhfaches als vorgezogene Aktion ist denkbar. Beim Schließen des PKW wird vor dem Fach automatisch ein Hochspannungsfeld aufgebaut. Kommt der Dieb in die Nähe des Faches wird er elektrifiziert. Analog zu den in der Innovations-Checkliste unter 8. erwähnten (bisherigen) Lösungen, würde eine solches System den Dieb also eher direkt angreifen, als sich vor diesem zu verteidigen. Der Vorteil liegt auch hier darin, dass der herkömmliche Nutzen des PKW kaum verändert wird und sich das Gerät in alle Kfz einbauen lässt. Es würde kein zusätzlicher Aufwand für den Bediener entstehen, und ein solches Gerät wäre zudem leicht und platzsparend. Im Vergleich zu den bisherigen Lösungsvarianten hätte ein solches System bessere Marktchancen, aber nur unter der Voraussetzung, dass das Problem der Energiezufuhr gut gelöst ist. Als Mediator könnte z.B. eine herkömmliche Einkaufstüte eines Discounters dienen. Diese beherbergt die zu schützenden Gegenstände und steht einfach auf dem Beifahrersitz. Sie vermittelt dem Dieb den Anschein von Wertlosigkeit (Eigenschaftsänderung) und wird selbst bei Einbruch in den PKW nicht mitgenommen. Der Zugriff durch den Kunden kann schnell und einfach geschehen. Es ist aber davon auszugehen, dass sich ein solches Produkt nur schwer vermarkten ließe. 25 26
Parameter (25): Zunehmender Zeitbedarf zur Erfüllung einer vorgegebenen Funktion. Parameter (23): Abnahme oder Verschwinden von Material, insbesondere wenn nicht gearbeitet oder produziert wird.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS
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Als Eigenschaftsänderung wäre eine scheinbare Änderung von „sichtbar“ in „unsichtbar“ denkbar. Beim Öffnen des Handschuhfaches oder einer ähnlichen Verwahrungseinheit durch den Dieb, wird ein künstliches Bild visuell eingeblendet oder durch einen LCD-Bildschirm angezeigt. Dieses täuscht dem Eindringling ein leeres Fach vor, woraufhin dieser den PKW wieder verlässt, ohne die tatsächlich im Fach befindlichen Gegenstände mitzunehmen. Auch hier besteht das Problem allerdings darin, dass sich die Technik schnell herumsprechen würde. Abschließend bleibt festzuhalten: Mit TRIZ wird das Ideenspektrum anhand definierter Verfahrensschritte und Kriterien systematisch erweitert. Eine praktikable und ideale Lösung fällt einem dabei aber nicht zu. Der Vorteil liegt vielmehr darin, dass Lösungsprinzipien, die bisher unvereinbar erschienen, auf dieser Basis systematisch abgeglichen und abgemildert werden können, so dass die innovative Leistung in der Kombination bisher widersprüchlicher Lösungskomponenten besteht.
5
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Kapitel C – Umsetzung von und Erfolge mit Lean Management, Lean Six Sigma und Design for Six Sigma –
Lean Manufacturing als Grundlage für die kontinuierliche Verbesserungsarbeit bei AMD Saxony Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp Inhalt 1 2 3 4 4.1 4.2 4.3 5 6 7
1
Das Unternehmen Advanced Micro Devices (AMD) ..............................207 Lean Manufacturing in der Halbleiter-Industrie.......................................208 Einführung von Lean Manufacturing bei AMD .......................................209 Beispiele der Verbesserungsarbeit bei AMD Saxony ..............................216 Optimierung und Standardisierung der Arbeitsorganisation ....................216 Steigerung der Anlagenverfügbarkeit durch Wartungsoptimierung.........221 Test und Einführung von Flow und Takt für die Produktionssteuerung ..225 Wirkungen der Aktivitäten und nächste Schritte......................................229 Abschließende Betrachtung der kritischen Erfolgsfaktoren .....................230 Literatur....................................................................................................232
Das Unternehmen Advanced Micro Devices (AMD)
Advanced Micro Devices Inc. ist einer der führenden, global tätigen Hersteller von innovativen Prozessoren für Computing, Grafik und Consumer Electronics. AMD wurde 1969 gegründet und steht für innovative Computing-Produkte, die Kunden weltweit in ihrer Position stärken. Mit Entwicklungs- und Fertigungsstandorten in den USA, Deutschland und Asien ist das Unternehmen weltweit vertreten. In Deutschland ist AMD einer der größten internationalen Investoren des vergangenen Jahrzehnts. AMD konzentriert seine Frontendaktivitäten der Mikroprozessorenfertigung in der sächsischen Landeshauptstadt. In den Standort Dresden mit seinen Halbleiterwerken Fab 30/ Fab 38 und Fab 36 (siehe Abb. 1) sowie den Entwicklungszentren Dresden Design Center (DDC) und Operating System Research Center (OSRC) wurden bis Ende 2006 mehr als 5 Mrd. US-$ investiert. AMD produziert in den Halbleiterwerken Fab 30 und Fab 36 seine erfolgreichen Prozessor-Familien für Desktop- und Mobile-Anwendungen, Server und Workstations, z.B. AMD Opteron und AMD Athlon. Zurzeit arbeiten rund 3.000 hochqualifizierte Ingenieure, Techniker und Spezialisten in den beiden Halbleiterwerken sowie im Dresden Design Center, dem europäischen Zentrum von AMDs Produktentwicklung, und dem Operating System Research Center. Das OSRC optimiert künftige Generationen von Mikroprozessoren auf die Anforderungen modernster Betriebssysteme. Die Halbleiterindustrie ist charakterisiert durch hoch volatile Nachfrage- und Konjunkturzyklen, welche die Planung, Marktvorhersagen und Investitionsrisiken beeinflussen.
208
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
Fab 30 AMDs Fab 30 gilt weltweit als eines der führenden Halbleiterwerke zur Herstellung von Mikroprozessoren auf 200 mm-Wafern. Seit Produktionsstart im Jahr 1999 hat Fab 30 regelmäßig zukunftsweisende Technologien in die Volumenfertigung überführt und den Ruf von AMD als ein anerkannter Technologieführer gestärkt Fab 36 Die zweite Großinvestition von AMD in Dresden baut auf den Erfolg von Fab 30. Ende 2003 wurde der Grundstein für Fab 36, AMDs erstem Werk für 300 mm-Wafer, gelegt. Ende 2005 nahm die hochautomatisierte Fabrik ihre Produktion von Mikroprozessoren in 90 nm-Technologie auf. Erste Lieferungen an den Markt erfolgten planmäßig im ersten Quartal 2006. Derzeit fertigt Fab 36 in 65 nm-Technologie Fab 38 AMDs neuestes Halbleiterwerk wird den Namen Fab 38 tragen. Es entsteht derzeit durch eine grundlegende Neugestaltung des bisherigen 200 mm-Werkes Fab 30. Die Ausrichtung der Produktion auf 300 mm-Wafer erlaubt, mehr als doppelt so viele Prozessoren auf einem Wafer zu fertigen
Abb. 1: Halbleiterwerke von AMD in Deutschland
Das wirtschaftliche Umfeld von AMD ist geprägt durch ein hohes Innovationstempo, einen schnellen Preisverfall für aktuelle Produkte und einen marktbeherrschenden Konkurrenten (Intel Corp.). Das erfordert die kontinuierliche Entwicklung neuer Produkte und Technologien innerhalb kurzer Zeitintervalle. Die eingesetzten Fertigungsanlagen und -methoden sind zum Zeitpunkt der Installation i.d.R. noch nicht vollkommen ausgereift und werden mit hohem Tempo an den De-facto-Bedarf von AMD kontinuierlich angepasst und weiter verbessert. Die Fertigung ist hochkomplex und hochautomatisiert. Die Wafer durchlaufen mehrere hundert Bearbeitungsschritte; die Durchlaufzeiten bis zur Auslieferung an die Kunden liegen dabei in der Größenordnung von nahezu einem Quartal. Die Anlagenverfügbarkeiten befinden sich in der Größenordnung von 70-95%. Die Fertigung läuft ohne Ruhezeiten im Vollschicht-System 24 Stunden pro Tag an 7 Tagen in der Woche.
2
Lean Manufacturing in der Halbleiter-Industrie
Das Organisationskonzept Lean Manufacturing hat einerseits in Literatur und Praxis vielfach den Ruf eines methodischen „Jobkillers“. Andererseits glorifizieren zahlreiche Autoren wiederum Lean Manufacturing als ultimatives Mittel zum nachhaltigen unternehmerischen Erfolg. Die sagenhafte Erfolgsstory von Toyota zu kopieren, scheint allerdings nicht trivial zu sein. Selbst branchengleiche Unternehmen tun sich teilweise schwer, die „Rezepte“ in die jeweilige Organisation zu transferieren.
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
209
Eine Branche, in der es bislang sehr wenige Bestrebungen gab, diese Ansätze aufzugreifen, ist die Halbleiterindustrie. Hier gilt bzw. galt aufgrund erheblicher Investitionskosten für Anlagen, hoch anspruchsvoller Technologien und komplexer Produktionsaufgaben bislang die oberste Priorität der möglichst hohen Anlagenauslastung. Die Herstellung von Prozessoren erfordert ein ausgeprägtes „Fingerspitzengefühl“. Es ist eine Gratwanderung zwischen Finanzierbarkeit und technologischer Spitzenleistung, zwischen Zuverlässigkeit in der Kundenlieferung und Kontinuität in der radikalen Weiterentwicklung, z.B. in Form von regelmäßigen Produktinnovationen. Diese Herausforderungen führten in der Vergangenheit dazu, in den AMDStandorten den Fokus auf die Anlagenauslastung und -verfügbarkeit zu richten. Gleichzeitig arbeitete das Unternehmen mit relativ hohen Beständen an Materialund Personalressourcen. Die Gesamtdurchlaufzeit, die als eine der wichtigsten Messgrößen im Rahmen von Lean Manufacturing zählt, ist in dieser Konstellation nur eine von vielen Kenngrößen. Das Bewusstsein, Durchlaufzeiten zu reduzieren, die neben wertschöpfenden auch nicht-wertschöpfende Zeiten wie Wartezeiten, Transport oder Lagerung beinhalten, stand in dieser Phase nicht im Vordergrund. Mit Hilfe der Denkweise von Lean Manufacturing sollte hier angesetzt werden und die Organisation im Hinblick auf kürzere Durchlaufzeiten und niedrigere Bestände optimiert werden. In den folgenden Kapiteln gehen wir auf die Ausgangslage bei AMD Saxony in 2004/ 05 ein, stellen die Prinzipien und die Vorgehensweise der Einführung von Lean Manufacturing in der Halbleiterindustrie vor und zeigen auf, welche Herausforderungen sich im Laufe des Einführungsprozesses ergaben und wie wir ansetzten, um diese zu meistern. In Beispielen wird beschrieben, welche Vorgehensweise wir zur schrittweisen Organisationsveränderung gewählt haben und welche Wirkungen, Erfahrungen und ersten Ergebnisse dabei erzielt wurden. Da unsere „Lean Journey“ gerade erst begonnen hat, ist diese Darstellung ein Zwischenbericht einer fortschreitenden Umgestaltung.
3
Einführung von Lean Manufacturing bei AMD
Vor zehn Jahren startete AMD eine Initiative, genannt „Journey to Excellence“. Diese strategische Entwicklung beeinflusste u.a. wesentlich die Organisationsgestaltung in dem 1999 in Betrieb genommenen Werk in Dresden. Als eine häufig hervorgehobene Säule des Erfolgs bei AMD Saxony gilt das von Beginn an etablierte Konzept der Teamarbeit in der Produktion. Diese Organisationsform ermöglicht einen relativ hohen Grad an Selbstständigkeit der Mitarbeiter und damit verbunden ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Flexibilität. Bei der Einführung der Teamarbeit baute man auf standardisierte Arbeitsaufgaben auf. Die eigentliche Teamorganisation und die Arbeitsteilung in den Teams hat sich unterschiedlich entwickelt, so dass in den vergleichbaren Teams verschiedener Schichten sich keine gleiche Arbeitsorganisation etabliert hat. Hier gab es Freiräume, die individuell genutzt wurden.
210
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
Im Rahmen dieser Einführung der Teamarbeit wurden auch erste Verbesserungsprojekte in den Arbeitsgruppen durch Zielvereinbarung der Schichtleiter mit den Teams initiiert (siehe Abb. 2). Diese konzentrierten sich anfangs vor allem auf die Teamentwicklung, die Weiterqualifikation und die Abstimmung innerhalb der Teams. Im zweiten Schritt wurden Projekte in den Arbeitsgruppen bearbeitet, die als Zielstellungen Kosteneinsparungen, Durchlaufzeitverkürzungen und bessere Anlagenverfügbarkeiten verfolgten.
Production Metrics Produktionsorientiertes Kennzahlensystem
Visualisierung
Flexible Teamziele
Ziele der Fab 30, des Modules
Zielvereinbarungs- und Umsetzungsprozess
Erhöhung der Produktivität
Umsetzen/Verbessern
IdeenManagement
Abb. 2: Flexible Teamziele zur Erhöhung der Produktivität
Im Gegensatz zu Verbesserungsaktivitäten in anderen Unternehmen war der Nachweis der tatsächlich eingesparten Kosten eine relativ einfache Aufgabe. Schwieriger gestaltete sich die Bewertung von Verringerungen von Prozesszeiten, Wartezeiten oder Arbeitsaufwänden in einzelnen Produktionsschritten. Selbst mit einer gemeinsam definierten Berechnungsmethode ließ sich die Gesamtwirkung nur als Abschätzung aufzeigen. Der Fokus auf Kosteneinsparungen förderte die Beschäftigung mit ausschließlich lokalen Optimierungen, die nicht selten auch mit der Begründung fehlender Beeinflussbarkeit einhergingen. So ist etwa die Materialkostenoptimierung durch konzentrierte Fahrweise von Anlagen (Chargenfertigung) bisweilen losgelöst von deren Wechselwirkung mit einem stabilen Produktionsfluss betrachtet worden. Die Konkurrenz zwischen Kennzahlen wie Kosten und Cycle Time mündete in konfligierende Prioritäten, z.B. stellte sich die Frage, ob eher Testwafer gespart oder schnellere Durchläufe als Zielgröße erreicht werden sollten. Bei den Verbesserungsprojekten hat man sich oft nur auf eine Zielgröße konzentriert, z.B. Kosteneinsparung, und dabei ausgeklammert, dass u.U. andere Leis-
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211
tungskennzahlen durch die Aktivität negativ beeinflusst werden. So wurden mitunter lokale Verbesserungen erreicht mit dem Nebeneffekt der Verschlechterung von Produktionsparametern in anderen Bereichen. Die Frage nach unerwünschten Wirkungen im Gesamtbild blieb eher wenig beleuchtet. Erst mittels der Prinzipien des Lean Manufacturing gelang es, einen Orientierungsrahmen zu etablieren. Dieser ermöglicht es, lokale Optimierungen in den Bereichen ohne Beachtung eventueller unerwünschter Nebenwirkungen oder die Beschäftigung mit Personal- oder Teamentwicklungen ohne eine übergreifende Zielstellung zu vermeiden. Ein erster Test dieser „gesteuerten Verbesserungsarbeit“ wurde im Rahmen der Teamarbeit in 2002 als Pilot in einer Abteilung gestartet. Hier wurde, so wie es in vielen Lean-Beispielen beschrieben wird, mit der bekannten 5A-Methode1 begonnen. Sie zielt zunächst formal auf die Schaffung eines geordneten und durchdachten Arbeitsumfeldes als Basis für effektives und effizientes Arbeiten (siehe Abb. 3). Langfristig wird der Mitarbeiter durch kontinuierliche Audits indirekt angeregt, sich immer wieder intensiv mit seinem Arbeitsumfeld zum Zwecke der Fokussierung auf Verbesserungspotenziale auseinanderzusetzen.
Die 5A Aktion
Standardize Anordnungen
SelfAlle Punkte einhalten und Self-discipline Sustain making 5A second nature stä ndig verbessern stäby Sort Aussortieren
Make routine and zur Regel standard for what oughtmachen to be
Remove unnecessary items from the workplace
Angenehmer Agreeable Arbeiten Working Straighten Aufrä und Ordnung Aufräumen Locate everything close to the point of use sichtbar machen
Sweep Arbeitsplatz Clean and eliminate sauber halten the sources of filth © Kaizen Institute
Abb. 3: Inhalte der 5A-Methode
Die Vorteile der 5A-Methode sind: geringere Suchzeiten von Werkzeugen, Teilen und Verbrauchsmitteln, weniger Platzbedarf, da unnötige Teile aussortiert werden, solidere Basis für Routineaufgaben, denn alle benötigten Werkzeuge und Betriebsmittel liegen bereit. In diesem Sinne bildet die 5A-Methode eine gute Basis für weiterführende Verbesserungen, wie beispielsweise die Wartungsoptimie1
Im engl. oder jap. Sprachraum auch unter 5S-Methode bekannt.
212
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
rung. Abbildung 4 zeigt die Vorher-/ Nachher-Bilder von einem Materialschrank, dessen Ablagesystem mithilfe der 5A-Methode optimiert worden ist. Die Gefahr, die falschen Teile oder Werkzeuge zu greifen, wurde hier deutlich verringert.
Abb. 4: Vorher-/ Nachher-Bilder von einem mit 5A optimierten Materialschrank
Ein weiterer Schritt in die strukturierte, methodisch begleitete Verbesserungsarbeit erfolgte mit der Entwicklung einer Vorgehensweise zur Optimierung von Wartungsarbeiten. Hierbei stand die unter dem SMED-Akronym2 oder auch Rüstzeitoptimierung bekannte Methodik nach Shigeo Shingo (1992, S. 119) Pate. Die Übertragung dieser Denkweise auf Wartungsvorgänge etablierte einen Orientierungsrahmen für Verbesserungsprojekte, welche durch Reduktion des Wartungsaufwandes die Anlagenverfügbarkeit deutlich verbesserte. Die Methode wurde pilotiert und aufgrund des Erfolges sowie zahlreicher stattgefundener paralleler Erfahrungsaustauschrunden innerhalb von zwei Jahren in allen Produktionsabteilungen zum Einsatz gebracht. Für eine stärkere Wirksamkeit und die Erarbeitung der methodischen Strukturierung der Verbesserungsarbeit wurde bereits Ende 2003 in Operations eine Stabsstelle geschaffen. Aber das „systematische Verbesserungsgeschäft“ stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Vordergrund, um die strategischen Ziele des Unternehmens zu erreichen (siehe Abb. 5). Organisationswissenschaftler, insbesondere Vertreter der Population Ecology Perspective wie Hannan/ Freeman (1989), argumentieren, dass Organisationsveränderungen durch externe Kräfte, z.B. krisenartige Umweltveränderungen, er2
Single-Minute Exchange of Die – Umrüsten in weniger als 10 Minuten.
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
213
zwungen werden. Eine solche Organisationsveränderung erfuhr AMD in 2003, als die Nachfrage nach Halbleiterprodukten stark zurückging.
Abb. 5: Strategische Ziele von AMD 2005-2007
Die Anfang 2005 gestartete Lean Manufacturing-Initiative wurde durch einen Vertreter des oberen Managements eingefordert und geleitet. Er betrachtete die Einführung von Lean Manufacturing und des Toyota-Produktionssystems als das geeignete Vehikel zur Zielerreichung und trieb infolgedessen diesen Ansatz mit hohem Engagement voran. Die gesamte Initiative wurde • • • •
bereichsübergreifend aufgesetzt, mit einem langfristigen Zielhorizont gesteuert, ausreichend mit internen und externen Ressourcen3 ausgestattet und zielorientiert konzentriert vorangetrieben.
Innerhalb weniger Monate gelang es dadurch, die Initiative, die unter dem Titel KVP@AMD bekannt ist, zu einem erfolgreichen Programm der Verbesserungsarbeit zu gestalten. Bereits in 2005 wurde die Durchlaufzeit (Cycle Time) signifikant reduziert bei gleichzeitiger Erhöhung des Produktionsergebnisses (Wafer Starts) und bei nur minimalen Investitionen. Eine wichtige Quelle für Anregungen, wie diese Veränderung angegangen werden konnte, lieferten die Ausführungen von Womack/ Jones (2004, S. 290299). Sie beschreiben in vielen einzelnen Fallstudien, wie Lean ManufacturingProjekte erfolgreich organisiert und umgesetzt wurden (siehe Abb. 6).
3
Zeitweise Begleitung durch japanische Berater.
214
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
• Finden Sie einen Change Agent • Beschaffen Sie sich das Wissen über Lean Manufacturing • Setzen Sie den Hebel bei einer Krise an • Vergessen Sie für einen Augenblick die große Strategie • Beginnen Sie so bald wie möglich mit einer wichtigen und sichtbar-erfolgreichen Aktivität • Erfassen Sie die Wertströme • Bestehen Sie auf sofortigen Resultaten • Erweitern Sie den Radius Quelle: Womack und Jones, 2004
Abb. 6: Empfehlungen für die Startphase von Lean Manufacturing
Die Lean-Leitgedanken wurden in einer Startveranstaltung vorgestellt und im Managementkreis diskutiert (siehe Abb. 7; vgl. hierzu auch Abb. 4 im Artikel zu Lean Management und Six Sigma von Töpfer in Kap. A.). Danach bildeten sie die Grundlage für jeden der über 50 in 2005 durchgeführten mehrtägigen KVP@AMD-Workshops.
Abb. 7: Die fünf Leitgedanken von Lean als Basis für KVP@AMD
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
215
Neben dem kontinuierlich wachsenden Pool von Verbesserungsbeispielen aus der eigenen Firma wurde in Expertenteams an strategischen Themen, u.a. der Produktionssteuerung nach Takt- und Pull-Prinzipien, Kommunikation des Veränderungsprozesses, interner Methodenentwicklung und Moderatorenausbildung oder auch Veränderungen des Führungsverhaltens gearbeitet. So entstand ein immer breiterer Kreis von „qualifizierten Verbesserern“. Parallel hierzu wurden strategisch wichtige Themen der Veränderung aufgegriffen. Die Konzernspitze entschied im Frühjahr 2006, Fab 30 auf neue Technologien und 300 mm-Wafer umzurüsten. Die Konvertierung der Fab 30 zu Fab 38 war die dritte Milliardeninvestition in den Standort Dresden innerhalb eines Jahrzehnts. Gleichzeitig wurden die vorher für das Lean-Programm eingesetzte „Energie“ nun in das Konvertierungsprojekt umgelenkt. Gleichzeitig wurde, angeregt von den in Dresden erzielten Erfolgen, eine standortübergreifende, globale Lean-Initiative gegründet – das ADVANCE Office. In Zusammenarbeit mit Porsche Consulting beschrieb und analysierte das Team den gesamten Wertfluss und definierte geeignete Ansatzpunkte für weitere Verbesserungen. Außerdem wurden in diesem Rahmen AMD Lean-Prinzipien erarbeitet, welche als Richtlinie für die weitere Entwicklung und als Unternehmensstrategie verankert wurden (siehe Abb. 8). ADVANCE-Initiative
AMD ist durch sechs Lean Prinzipien geprägt
KUNDEN ORIENTIERUNG
FLUSS
Unser Verständnis von Wertschöpfung wird ausschließlich durch unsere Kunden definiert damit wir fertigungsgerechte und hochinnovative Lösungen liefern können. Material und Informationen fließen in definierten und verschwendungsfreien Prozessen, ohne Unterbrechung und Verzögerung durch die gesamte Wertschöpfungskette.
TAKT
Ausrichtung auf die Kundenanforderung durch Synchronisation aller internen Aktivitäten und Prozesse in der Wertschöpfungskette auf den KundenTAKT.
PULLPRINZIP
Wir entwickeln und produzieren ausschließlich Produkte aufgrund von Kundenanforderung und Nutzen unsere Kunden.
NULL FEHLER
Akzeptiere keine Fehler ! Produziere keine Fehler ! Gib keine Fehler weiter ! Null-Fehler sind unser Ziel
KONTINUIERLICHE VERBESSERUNG
Kontinuierliche Verbesserung liegt uns im Blut. Unsere Unternehmenskultur ist darauf ausgelegt, alle Mitarbeiter aktiv einzubeziehen um eine hohe Kundenzufriedenheit sicher zu stellen.
Abb. 8: Die 6 AMD Lean-Prinzipien
red we o P by n Le a
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Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
So wurde der Lean-Gedanke in Projekten bei asiatischen Standorten auf den Produktentwicklungsprozess und andere Bereiche übertragen. Auch hier konnten in 2006 bemerkenswerte Erfolge verzeichnet werden. Im Rahmen der Einführung von Lean Manufacturing wurde besonders Wert darauf gelegt, nicht nur Tools und Methoden zur Erhöhung der Effizienz von einzelnen Organisationseinheiten anzuwenden, sondern eine umfassende Umsetzung des Konzeptes zu initiieren. In der Literatur findet sich ein breites Spektrum an Methoden und Werkzeugen zur konkreten Verbesserungsarbeit, wie sie beispielsweise von Toyota Motors verwendet werden. Aber erst die Einbindung in ein konkretes Programm, die Vorgabe von strategischen Zielen und die kontinuierliche Verknüpfung mit den Rahmenbedingungen führte zu der gewünschten „neuen Qualität“. In den o.g. KVP@AMD-Workshops wurden daher auf der Basis eines umfassenden Masterplans Verbesserungsprojekte initiiert, die konkret an die definierten 3-Jahres-Ziele ankoppelten (siehe hierzu Abb. 5). Im Fertigungsbereich ergaben sich drei große Schwerpunkte der Verbesserungsarbeit: 1. Optimierung und Standardisierung der Arbeitsorganisation 2. Steigerung der Anlagenverfügbarkeit 3. Test und Einführung von Flow und Takt. Zusätzlich wurden im administrativen Bereich in zahlreichen Projekten die 5AMethode sowie die bereichsübergreifende Prozessoptimierung realisiert. In allen Verbesserungsprojekten war das Thema „Standardisierung“ ein zentraler Ansatzpunkt. Dadurch konnte zum einen für die anstehenden Verbesserungen eine Basis geschaffen werden und zum anderen die Nachhaltigkeit umgesetzter Optimierungen gewährleistet werden. Im Folgenden wird anhand von drei Beispielen aufgezeigt, wie die drei großen Themenkomplexe – Arbeitsorganisation, Anlagenverfügbarkeit/ Wartungs-optimierung (Preventive Maintenance – PM) und Einführung eines kontinuierlich fließenden und getakteten Materialflusses – in Workshops adressiert und mittels Lean-Werkzeugen verbessert wurden.
4
Beispiele der Verbesserungsarbeit bei AMD Saxony
4.1
Optimierung und Standardisierung der Arbeitsorganisation
Die bei AMD eingeführte Teamarbeit war für ein junges engagiertes und stetig wachsendes Team gut angelegt. Der hohe Freiheitsgrad in der Arbeitsverteilung und -ausgestaltung der Arbeitsteams in der Produktion führt häufig zu sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen in den Schichten. Im Rahmen der Produktivitätssteigerungsprojekte war es vorgesehen, gemeinsam mit den Mitarbeitern durch Arbeitsplatzanalysen die Produktivität der Mitarbeiter anschaulich zu machen und schichtübergreifend eine optimierte Arbeitsor-
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
217
ganisation zu schaffen. Aus ersten Testrunden entwickelte sich schnell eine strukturierte Vorgehensweise, welche mittlerweile in über 20 Workshops zum Thema „Arbeitsorganisation“ Anwendung findet. Die Optimierung wurde i.d.R. in zwei Schritten vollzogen. Ein erster Workshop fokussiert auf die Analyse der bestehenden Tätigkeiten und beschäftigt sich intensiv mit der Umverteilung von Aufgaben. Ziel ist es, die Aufgaben im Team neu zu verteilen, so dass sich die vorher auf mehrere Mitarbeiter verteilten Pufferzeiten auf eine oder zwei Personen konzentrieren und damit weniger Personal gebunden ist. Hierfür wurden mit den Mitarbeitern die zum gesamten Arbeitspaket gehörenden Tätigkeiten erfasst und analysiert, und zwar nach Häufigkeit, Dauer und Verteilung auf die verschiedenen Qualifikationen im Team, die Belastung der einzelnen Mitarbeiter mit diesen Tätigkeiten auf anonymisierter Basis und deren Gesamtauslastung pro Schicht. Ein zweiter Workshop, meist ein paar Monate später, beschäftigt sich dann hauptsächlich mit der Frage, wie einzelne Tätigkeiten und Arbeitspakete in sich eliminiert, vereinfacht, kombiniert oder umgruppiert werden können. Detailabläufe von Arbeiten werden hinsichtlich ihres Wertschöpfungsanteils auf den Prüfstand gestellt. Mit geeigneten Maßnahmen werden Verschwendungen aus diesen entfernt. Als gutes Hilfsmittel für derartige detaillierte Analysen von Tätigkeiten erwies sich die mehrfache Dokumentation von Tätigkeiten in verschiedenen Schichten durch Videoaufnahmen. Das Erkennen von unterschiedlichen Vorgehensweisen, indem die Filme wieder und wieder betrachtet und im Team diskutiert wurden, führte in vielen Fällen zu Verbesserungsideen. Die Entscheidung, dass Einsparungen personalneutral durchgeführt werden, war eine wesentliche Voraussetzung für die aktive Mitwirkung der Mitarbeiter zur Optimierung ihrer Arbeitsplätze. AMD war in 2005/ 06 in der günstigen Lage, allen Mitarbeitern im Falle der „Wegrationalisierung“ eine attraktive Alternative anzubieten; das neu entstehende Werk Fab 36 suchte dringend qualifizierte Kräfte. Diese Option half, die notwendigen Veränderungen zu realisieren.4 Die Workshops hatten eine Dauer von drei bis vier Tagen und erforderten eine Vorbereitungszeit von ca. vier bis sechs Wochen. Es nahmen jeweils 10 bis 16 Mitarbeiter teil. Hauptakteure waren Vertreter aus den Schichten – die Mitarbeiter der Produktion. Außerdem waren das Management und Moderatoren, Wartungspersonal und zum Teil die Kollegen aus unterstützenden Abteilungen, wie Industrial Engineering und Production Control sowie Prozessingenieure vertreten. In Vorbereitungsmeetings wurde das Workshopteam mit dem Vorgehen vertraut gemacht. Außerdem vereinbarte man das Vorgehen und den Zeitraum zur Zeiterfassung von Tätigkeiten (siehe Abb. 9). 4
Dieser Aspekt ist sehr wichtig, denn die Einführung des ganzheitlichen Konzeptes „Lean Manufacturing“ mit dem darunter liegenden Gedanken der intensiven Einbeziehung der Mitarbeiter und der Verankerung einer von den Mitarbeitern unterstützten kontinuierlichen Verbesserung wäre gescheitert, wenn die Mitwirkung der Mitarbeiter zu Nachteilen geführt hätte. Nicht umsonst haben Unternehmen wie Toyota eine Arbeitsplatzgarantie für die Mitarbeiter, um sicherzustellen, dass eine maßgebliche Beteiligung erfolgt (wobei das nicht gilt für temporäre Mitarbeiter wie Saisonkräfte, Aushilfen etc.).
218
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
Abb. 9: Formblatt zur Erfassung von Tätigkeiten
Hierbei sammelten die Teilnehmer zunächst im Brainstorming alle denkbaren Aufgaben der Gruppe. Anschließend wurde in vom Zeitaufwand her planbare und
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
219
undefinierte Aufgaben (Sondertätigkeiten) unterschieden und für die zeitlich messbaren Aufgaben eine Zeitschätzung vorgenommen bzw. eine verbindliche Zeitmessung als Ausgangsdatum vereinbart.5 Teil der Vorbereitung auf den Workshop war dann die Tätigkeiten-Datensammlung aller Mitarbeiter anhand von Datenblättern, die über einen definierten Zeitraum (meist zwei bis drei Schichttage je Schicht) per individueller Aufschreibung dokumentiert wurden. Für zeitlich definierte Tätigkeiten wurden teilweise pro Toolgruppe per Strichlisten Häufigkeiten erfasst und die Sondertätigkeiten in ihrem zeitlichen Umfang notiert. Die Aggregation dieser Einzelerfassungen pro Mitarbeiter und Schicht wurde durch die Workshopteilnehmer vorgenommen. Auf diese Weise konnte mit den Daten gearbeitet werden, welche die Mitarbeiter selber erzeugt und ausgewertet hatten. Im Workshop wurden zunächst die Ist-Daten präsentiert und diskutiert. Auf dieser Basis ist anschließend die Mitarbeiter-Auslastung berechnet worden. Die Umverteilung der Arbeiten wurde mit dem Ziel vorgenommen, eine höhere Auslastung der Mitarbeiter zu erreichen. Ein Beispiel aus dem Bereich Lithography Metrology NWG ist in Abb. 10 zu sehen. Zusätzlich wurde versucht, als Investition in die Zukunft, Einfach-Arbeitsplätze zu definieren, um die Grundlage für eine hohe Flexibilität bei wechselnden Arbeitsvolumina oder Zeiten mit Bedarf an externem, geringer qualifiziertem Personal zu schaffen.
Abb. 10: „Schnipselchart“ zur Umverteilung von Arbeitsaufgaben
Hier kommt ein Arbeitsteilungs-Modell zum Tragen, bei dem direkt wertschöpfende Arbeiten an den Produktionsmaschinen getrennt wurden von indirekten Tätigkeiten, wie Reparaturen, Qualifikationen, Transporten, Sonderaufgaben etc. Daraus resultiert eine gemeinsam definierte Arbeitsverteilung und -organisation
5
Teilweise wurden die Zeiten heftig diskutiert. Hilfreich erwies sich an dieser Stelle das Aufschlüsseln der Aufgaben in einzelne Tätigkeiten, die zeitlich schätzbar oder messbar waren. Da diese Absprachen über die Qualität der gesamten Datenbasis des Workshops entschied, war es wichtig, hier zu Zahlen zu kommen, die von allen Beteiligten akzeptiert wurden.
220
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
für die Teams aller Schichten. Diese wurde durch Regeln6, welche von den Mitarbeitern selbst erarbeitet worden sind, verankert und unterstützt. Nach der Optimierung gab es einheitliche Vorgaben und Standards für die Arbeitsorganisationen in den verschiedenen Schichten. Der Workshop schloss mit einer von den Mitarbeitern erarbeiteten Umsetzungs- und Kommunikationsstrategie und mündet regelmäßig in eine definierte Testphase, in der die neue Arbeitsorganisation ausprobiert wird. Während dieser Phase wird intensiv beobachtet, ob und wie die im Workshop definierte Arbeitsorganisation funktioniert. Auftretende Probleme werden erfasst und im vereinbarten Review adressiert. In den meisten Fällen sind diverse Korrektur-Maßnahmen notwendig.7 Die Ziele der insgesamt 12 Workshops zu diesem Thema allein in 2005 wurden erreicht bzw. sogar übertroffen. Zusätzlich konnte im gleichen Zeitraum das Produktionsvolumen in der „alten Fabrik“ gesteigert werden. Dem Workshop „Arbeitsorganisation 1“ schloss sich die Workshopreihe „Arbeitsorganisation 2“ an, in der die einzelnen Arbeitsabläufe mithilfe von Videoaufnahmen im Detail analysiert und auf Verschwendung untersucht wurden. Hierbei handelte es sich um von den Mitarbeitern selbst durchgeführte Analysen der Arbeitsabläufe. Sie wurden im Hinblick auf „Wertschöpfung“ und „Nicht-Wertschöpfung“ mit Aufnahme der Zeitanteile der jeweiligen Arbeitsschritte untersucht. Für die aus den Analysen identifizierten Verbesserungspotenziale wurden Maßnahmen, Umsetzungspläne und ggf. organisatorische Anpassungen in den Arbeitsgruppen definiert sowie zum größten Teil nach den Workshops – unter Begleitung von regelmäßigen Projekt-Reviews – etabliert. Dank dieser Vorgehensweise entwickelte sich ein aktives KVP-Verständnis. Obwohl in den Workshops unmittelbar die Einsparpotenziale in Bezug auf den Ressourceneinsatz quantifiziert wurden, fiel die konkrete Auswertung der Resultate aus den Verbesserungen schwer, da über einen längeren Zeitraum die UrsachenWirkungs-Zusammenhänge in einem von vielfältigen Veränderungen, wie Produkt- und Prozessänderungen, Personalveränderungen, geprägten Bereich „verschwammen“ und keine weitere aufwändige Analyse durchgeführt wurde. Es lässt sich aber annehmen, dass die weitere Steigerung des Produktionsvolumens durch die entstandenen Produktivitätsgewinne maßgeblich ermöglicht wurde. Es kamen auch Workshops zum Einsatz, die eine Kombination von Arbeitsorganisation 1 und 2 darstellten. Dabei wurden die Detailabläufe zunächst optimiert, die Ressourcen-Einsparungen abgeschätzt und dann in ein neues Auslastungsmodell eingerechnet, um eine Anpassung an gesteigerte Produktionsvolumina sicherzustellen. 6
7
Regeln betreffen u.a. die Pausen- und Urlaubs- und Krankheitsvertretung, ggf. Rotationsregeln und Koordinationsaufgaben/ Kommunikation bei Schichtübergabe sowie Eskalationswegen. In diesem Stadium ist es sehr wichtig, mit „Fingerspitzengefühl” die Überprüfung einerseits zielorientiert, aber anderseits möglichst ergebnisoffen zu diskutieren, um die Akzeptanz der Arbeitsorganisation im Team zu stützen.
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
4.2
221
Steigerung der Anlagenverfügbarkeit durch Wartungsoptimierung
Der Anlagenpark einer Halbleiterfertigung ist gekennzeichnet durch hochkomplexe, i.d.R. vollautomatisierte Anlagen, in denen der Wafer in Form von Abscheidungen auf der Oberfläche, Herausätzen von Strukturen und Veränderungen der chemischen oder physikalischen Eigenschaften der auf dem Wafer vorhandenen Materialien bearbeitet wird. Die dabei ablaufenden Prozesse spielen sich zum Teil im atomaren Bereich ab. So wird das so genannte Gate Oxyd in Schichtdicken von ca. acht bis neun Atomlagen-equivalenten SiO2 abgeschieden. Abweichungen von mehr als 0,3 Atomlagen sind hier nicht mehr tolerabel. Durch den Einsatz von teils marginalen Prozessen in engen Prozessfenstern und der Vielzahl von Parametern, welche die Prozesssteuerung beeinflussen, sowie der hohen Komplexität der Anlagen beträgt die Verfügbarkeit der Maschinen im Durchschnitt ca. 80%. Dazu trägt auch bei, dass in der Halbleiterfertigung rund um die Uhr gefertigt wird. Wartungsarbeiten finden daher stets in der Produktionszeit statt, während sie z.B. in der Automobilindustrie im Allgemeinen. außerhalb der Produktionsschichten erfolgen und somit rechnerisch nicht in die Anlagenverfügbarkeit einfließen. Diese Verfügbarkeiten stellen eine Herausforderung dar – zum einen in der Beschränkung der Produktionskapazitäten bei gleichzeitig sehr hohem Kapitalbedarf für Neuanlagen8, zum anderen in der Beeinflussung des stetigen Materialflusses durch die Produktion und somit der Erzeugung von Invariabilitäten im Verlauf der Wertschöpfungskette. Mit anderen Worten: Es werden „Wellen“ an Inventar in der Linie erzeugt. Die methodische Grundüberlegung ist, zunächst den Zeitaufwand für Betriebsunterbrechungen planbar und möglichst kurz zu gestalten. Auf diese Weise lässt sich die Auslastung verbessern, und es verringert sich der negative Einfluss auf den kontinuierlichen Materialfluss mit minimalen Beständen und schnellen Durchlaufzeiten. Ein wichtiger Fokus dabei ist, die geplanten Stillstandzeiten kurz zu halten, selbst wenn die Anzahl der Stillstände dabei zunehmen sollte, sowie diese gleichmäßig zu verteilen. So kann eine extensive Ansammlung von Produktionsmaterial vor den Anlagengruppen verhindert werden, die sowohl für die abschließende Abarbeitung Überkapazitäten an den Anlagen und den folgenden Produktionsschritten erforderlich macht (Investment, Produktionskapazitätsausnutzung) als auch zur weiteren Flexibilität in der Linie beiträgt. Daneben ist auch der Aspekt, dass eine Wartung möglichst innerhalb einer Schicht erfolgen sollte, von Bedeutung, um Effizienzverluste durch Schichtübergaben zu vermeiden. Hierbei konzentriert man sich i.d.R. auf die sog. Engpassanlagen, welche die Gesamtkapazität der Produktion limitieren. In der Halbleiterfertigung können die Engpassanlagen sich allerdings, meist in Abhängigkeit vom Produkt- und Technologie-Mix, ändern, so dass eine permanente Erfassung und Auswertung entsprechender Daten notwendig ist, um die Maschinen zu identifizieren, die in erster Linie einer Optimierung bedürfen. 8
Je nach Anlage liegen die Kosten im ein- bis zweistelligen Euro-Millionenbetrag.
222
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
Als Basis wird die bereits erwähnte Methode „Best PM“ für die Optimierung geplanter Anlagenstillstände angewendet (siehe Abb. 11). Kern dieses Vorgehens ist die Klassifizierung aller anfallenden Wartungsarbeiten nach dem Kriterium intern/ extern. Interne Wartungsarbeiten können bei laufender Anlage durchgeführt werden, während bei externen die Anlage stehen muss, um diese Tätigkeit auszuführen.
Sortieren
Vor Best PM
Stufe 1
Separierung von internen und externen Zeiten
Aussortieren
Verändern
Konvertierung Von internen zu Externen Zeiten
Optimierung aller Arbeitsschritte
Stufe 2
Intern Intern Extern
Stufe 3
Intern
Intern
Intern Intern
Extern
Extern Extern
Extern
Extern
Abb. 11: Best-PM Methodik (nach Shigeo Shingo’s Single-Minute Exchange of Die)
Das Thema wird nach einer Vorbereitungs- und Datensammlungsphase in einem 3-4-tägigen Workshop erarbeitet und dient der Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit durch Verringerung von Wartungszeiten. Beteiligte sind die Techniker, welche die Wartung ausführen, der für die Anlage verantwortliche Ingenieur und – zumindest zeitweise – der Prozessingenieur sowie ggf. der Anlagenlieferant. Zunächst erfolgt eine detaillierte Datenanalyse der Dauer und Häufigkeit der einzelnen verschiedenen Wartungen, deren Anteil an der gesamten Stillstandzeit, Variabilität in der Dauer und deren Gründe etc. Die periodisch zeit- oder mengengesteuerten Wartungen werden in ihre Einzeleinheiten zerlegt und gleichmäßig zu neuen Wartungsintervallen und -inhalten zusammengefügt. Wie in Abbildung 12 dargestellt ist, werden hierfür zunächst alle Tätigkeiten in Reihenfolge und mit zugehörigem Zeitaufwand und Häufigkeit dokumentiert und nach intern/ extern klassifiziert. In einem zweiten Schritt werden dann die Sinnfälligkeit, die Dauer (Art und Weise der Ausführung) und die geschätzte Notwendigkeit der Häufigkeit (gemessen am Ausfallrisiko) der Tätigkeiten diskutiert. Um in dieser schnell sehr komplex werdenden Diskussion die Übersicht zu behalten, erwies sich die Arbeit mit
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
223
Papierstreifen, auf denen die einzelnen Tätigkeiten notiert sind, und einer Magnettafel als hilfreich. Frequenz
Dauer
Abb. 12: Dokumentation von einzelnen Tätigkeiten der Wartung und deren Umgruppierung (Beispiel aus dem Bereich Etch)
Sofern in der Diskussion Unsicherheiten über den tatsächlichen Zeitaufwand einzelner Tätigkeiten auftreten, werden durch das Workshopteam mittels Videoaufnahme „live“ in der Fab der Ablauf, der Zeitaufwand sowie auftretende Probleme und ggf. Lösungsideen dokumentiert (siehe Abb. 13). Die Vor-Ort-Analyse kostet zwar einigen Aufwand, ist aber in jedem Fall zweckmäßig. Diverse Details aus der direkten, konzentrierten Beobachtung verhelfen der Diskussion zu einer konstruktiven Ausrichtung. Im Anschluss an die Videodokumentation führt das Team eine Auswertung hinsichtlich Verschwendung, Ineffizienz und möglicher Optimierungen im Ablauf durch. Dabei wird besonderer Wert auf die Identifizierung von Arbeiten gelegt, die bereits während der Anlagenlaufzeit erfolgen können (SMED). Zur Beantwortung der Fragen, welche die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Fehler bzw. der Notwendigkeit, bestimmte Tätigkeiten auszuführen oder Teile zu wechseln, betreffen, sind entweder die Erfahrungen des Anlagenlieferanten oder eigene Ausfallstatistiken notwendig. Auch das in Kapitel 2 erwähnte Thema 5A mit Bezug auf Werkzeuge, Materialien und Hilfsmittel für die Wartung spielt hier eine maßgebliche Rolle. Die Ergebnisse der Analyse führen in einen zeit- und ressourcenoptimierten Arbeitsablauf für die Wartungsmaßnahme, welcher in Checklisten und Spezifikationen organisatorisch verbindlich verankert ist.
224
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
Abb. 13: Vor-Ort Analyse der Wartungstätigkeiten mittels Zeitaufnahme, Videodokumentation und Wegediagramm (Beispiel aus dem Bereich Etch, Plasmaätzanlagen)
Der Workshop endet mit der Erarbeitung eines Maßnahmenplanes für die Optimierung sowie der Definition von Schlüsselparametern zur Überwachung des Erfolges9. Abschließend wird, wie in jedem Workshop, ein Umsetzungs- und Kommunikationsplan erarbeitet sowie der im Workshop entstandene Maßnahmenplan verabschiedet. Der Fortschritt der Maßnahmen wird in regelmäßigen Reviews mit den Projektbeteiligten gemessen. Erhöhungen der Anlagenverfügbarkeit im Rahmen von 5-7% pro Maschine sind hier möglich. Das bedeutet z.B., dass bei 20 vorhandenen Anlagen dieser Art entweder 5% mehr Produktionsvolumen möglich wären, oder bei einer Expansion eine Maschine weniger beschafft werden müsste. Diese „Best PM“-Maßnahmen waren sehr erfolgreich.
9
Es mag trivial klingen, aber wir haben gelernt, dass ein einfacher Maßnahmenplan – möglichst immer im gleichen Format – zum Nachhalten der definierten Aktivitäten für die Veränderung von großer Bedeutung ist. Teilweise wurde dies in Bereichen zu mehreren, überschneidenden Themen durchgeführt. Besonders in dieser Situation zeigt sich der Nutzen eines Standard-Maßnahmenplans.
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
4.3
225
Test und Einführung von Flow und Takt für die Produktionssteuerung
Maßgebliche Elemente des Toyota-Produktions-Systems (TPS) sind die Wertschöpfung in einem Fluss (Flow), mit einem vom Kunden her bestimmten („gezogenen“) Produkt-Mix (Pull) und mit einer definierten Geschwindigkeit (Takt), die durch die Kundennachfrage gesteuert ist. Durch diese Art der Produktionssteuerung wird eine geringstmögliche Durchlaufzeit bei minimalem Inventar sowie eine hohe Flexibilität bei sich ändernden Kundenanforderungen erreicht. Traditionellerweise ist der Anlagenpark in der Halbleiterfertigung in FunktionsClustern angeordnet. Es stehen also i.d.R. gleiche oder ähnliche Anlagen in einem räumlichen Zusammenhang, um eine möglichst optimale Verteilung auf die Anlagen und eine höchstmögliche Anlagennutzung bei gleichzeitig minimiertem Investment zu ermöglichen. Das daraus folgende Layout entspricht in etwa einer traditionellen Werkstattfertigung, in der die verschiedenen Bearbeitungsschritte räumlich isoliert sind. Der Prozessfluss gestaltet sich nicht als linearer Prozess, sondern durchläuft schleifenförmig wieder und wieder die gleichen Operationen. Einzelne Anlagen „sehen“ also ein und dasselbe Produkt in mehreren Entwicklungsstufen wieder. Eine Umstellung von Anlagen, wie oft in Lean-Projekten praktiziert, um die Wertschöpfung in einem Fluss anzuordnen, verbietet sich in vorhandenen Halbleiterfertigungen, da eine Verlagerung den Umzug von Maschinen, größere Umbauten der Medien und eine umfassende Re-Qualifikation zur Folge hätte, die sich in einer Größenordnung von 100.000 bis 500.000 EUR bewegt. Das gleiche gilt für die Ausfallzeit. Durch eine Verlagerung von Maschinen ergäbe sich eine signifikante Einschränkung der Produktionskapazität für mehrere Wochen. Allerdings kann es durchaus sinnvoll sein, die Planung einer neuen Fab an dem Wertfluss der wichtigsten Produktfamilie auszurichten. Die ersten Schritte in Richtung Flow und Takt wurden daher in Produktionsbereichen gestartet, in denen die im Prozessfluss aufeinander folgenden Maschinen in einem räumlichen Zusammenhang stehen. Ziele waren hier die Minimierung von Inventar, die Senkung der Durchlaufzeiten und die Standardisierung von Arbeitsabläufen, orientiert am Produktionstakt. Die Zielwerte, z.B. die Reduzierung der Durchlaufzeit um xy, wurden vor dem Workshop definiert. Die o.g. Produktionsbereiche wurden als Pilot gewählt, da hier ausreichend Anlagenkapazität10 bestand, so dass Totalausfälle nahezu ausgeschlossen werden konnten. Die Thematik wurde in drei- bis viertägigen Workshops bearbeitet, an denen neben den Maschinenbedienern aller Schichten Wartungspersonal, Ingenieure und Mitarbeiter aus Produktionskontrolle und Industrial Engineering teilnahmen. Insgesamt waren 10 bis 14 Teilnehmer involviert. Im Vorfeld zum Workshop wurden umfangreiche Daten gesammelt, um eine Bewertung des jetzigen Standes des Produktionsabschnittes zu erarbeiten, einschließlich aller Besonderheiten, wie z.B. prozessbestimmte maximale Wartezeiten, erforderliche Wartungs- und Monitorarbeiten sowie Anlagenkapazitäten für parallel auf der gleichen Anlage laufende 10
Jeder Anlagentyp ist mindestens zweifach vorhanden.
226
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
Operationen und Stillstandszeiten aufgrund von Fehlern. Dadurch wurde eine effektive Grundlage für die Optimierung in Richtung Flow und Takt geschaffen. Im Workshop selbst wurden die Daten zunächst in Bezug auf die Durchlaufzeiten von Losen und deren Variabilität, die Verfügbarkeiten von Anlagen und deren Charakteristika sowie des Zusammenhangs des Materialflusses im betrachteten Produktionsbereich ausgewertet. Es wurde möglichst viel visualisiert, um die teils komplexen Zusammenhänge verständlich erfassen zu können. Im nächsten Schritt wurden die Taktzeiten der einzelnen Produktionsschritte erarbeitet und ins Verhältnis zur Taktzeit der Fab gestellt, orientiert am geplanten idealisierten Produktionsvolumen pro Zeiteinheit, insbesondere wöchentlich vorgesehener Produktionsausstoß (siehe Abb. 14). Modifikationen sind an den Zeiten für die Prozesse nicht möglich im Vergleich zu einer vorwiegend manuellen Fertigung. Aus diesem Grund wurden diese Zeiten – ohne Optimierungsanstrengungen – als Arbeitsgrundlage genutzt. 250
200
2/4 Lose - 2 Tools (where available) Fab-Takt Los/min [2/4er batch]
Time(Los) in min
2/4 Lose - 1 Tool 150
100
50
0
2/4 Lose - 1 Tool 2/4 Lose - 2 Tools (where available) Fab-Takt Los/min [2/4er batch]
Step 1
Step 2
Step 3
Step 4
Step 5
46 46 86
26 26 86
68 46 86
84 42 86
30 30 86
Step 6
Step 7
68 118 34 153 86 172 Process-Step
Step 8 48 48 172
Step 9 Step 10 Step 11 28 28 172
197 172 172
80 80 172
Abb. 14: Takt- und Prozesszeiten-Chart für Fab- vs. Tool-Takt (Beispiel aus dem Bereich C4 Polyimide)
Aus der Taktzeit, der Orientierung an den Einzelprozesszeiten sowie speziellen Charakteristika wie Batch-Prozessen, Kapazitätsverlusten durch Nicht-Einhaltung von Kaskadierung u.Ä. wurde der Fluss des Materials nach Takt in einem GanttChart dargestellt (Soll). Anschließend wurden Regeln erarbeitet, die einzuhalten sind, damit ein kontinuierlicher Fluss im Takt erfolgen kann (teils bestandsorientierte Kanban-Regeln). Unter Berücksichtung der Regeln ließ sich eine standardisierte Arbeitsfolge (siehe Abb. 15) für den jeweiligen Anlagenbediener ableiten, welche einem wiederkehrenden Zyklus folgt. Diese wurde in anlagenbezogenen Standard-Arbeits-
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
227
blättern dokumentiert, die vor Ort dem Anlagenbediener alle Informationen zum „Produzieren nach Takt“ liefern.
Arbeitsschritt A
Anlage X
Abb. 15: Formblatt zum Arbeitsstandard an Anlagen (Beispiel aus dem Bereich C4 Polyimide)
Das neue System wurde bereits während des Workshops eingeführt und für einen Tag getestet, um die Auswirkungen bewerten zu können. Als Taktgeber fungierte dabei ein Alarmtimer mit Rückstellfunktion (siehe Abb. 16). Zur Sicherstellung der Einhaltung von Taktzeiten wurden im Einführungsstadium Tabellen erstellt, in denen der Mitarbeiter die Ausführung der jeweiligen Operation zu quittieren hatte. Obwohl eine derartige Auswertung auch über die Produktionssteuerungssoftware Workstream möglich gewesen wäre, sprach die erzieherische Wirkung für diese manuelle Eingabe.
228
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
Abb. 16: Der „Taktmacher“ (Beispiel aus dem Bereich C4 Polyimide)
Sämtliche durch die Inventarreduzierung nicht mehr benötigten Lagereinrichtungen wurden aus dem Produktionsbereich entfernt bzw. als gesperrte Flächen markiert. Die Taktregeln und der Taktfluss wurden in der Linie visualisiert (siehe Abb. 17). Alle Mitarbeiter wurden entsprechend eingewiesen.
Abb. 17: Visualisierung der Taktzeiten in Form eines Gantt-Chart (Beispiel aus dem Bereich C4 Polyimide)
Tatsächlich stellte sich bereits am ersten Tag der Einführung eine Durchlaufzeit nahe der prognostizierten und gleichzeitig angestrebten Zielzeit ein. Die Regeln und Vorgehensweisen wurden am letzten Tag des Workshops noch angepasst so-
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
229
wie eine Testphase mit zu beobachtenden Parametern für eine Auswertung definiert. Ähnlich wie in den zuvor beschriebenen Workshops wurde die erarbeitete Veränderung durch einen Maßnahmenplan sowie einen ausführlichen Kommunikations- und Umsetzungsplan vervollständigt. Im Weiteren wurden in regelmäßigen Kontrollmeetings die umgesetzten Maßnahmen sowie die Zielerfüllung in gemeinsamen Lagebesprechungen bewertet. Da jedes Anlagenproblem oder auch Schwankungen im Materialfluss der Linie11 Auswirkungen auf den Takt hatten, war hier viel Geduld und Ideenreichtum gefragt, um diese Arbeitsweise zum Erfolg zu führen.
5
Wirkungen der Aktivitäten und nächste Schritte
Im gleichen Zeitraum, in dem die Lean Manufacturing-Aktivitäten durchgeführt wurden, erfolgten Technologieveränderungen, Neuprodukteinführungen und Kapazitätserhöhungen bezogen auf die Einspeisung von Wafern. Trotz der Vielzahl der sich daraus ergebenden Wirkungszusammenhänge ist nachgewiesen, dass die beachtlichen Ergebnisse auf die durchgeführten KVP-Initiativen zurückzuführen sind. Jeder einzelne Workshop hatte sich konkrete Ziele gesetzt, die im überwiegenden Fall (> 90 % Erfolgsrate) auch erreicht oder sogar überboten werden konnten. Wir hatten Anlagenverfügbarkeitsziele bzw. Dauern von Wartungsarbeiten, welche in vielen Fällen eine große Herausforderung darstellten. Die darauf bezogenen Ziele wurden mehrheitlich erreicht. Für die Takt- und Flow-Workshops wurden Durchlaufzeitverkürzungen und Inventarmengeneinsparungen im Segment als Zielgrößen vereinbart. Auch diese Ziele wurden erreicht. Bezogen auf den Gesamtbereich messen wir Cycle Time (in Tagen pro Ebene), Kosten (Kosten pro Wafer), Produktionskapazität (Waferstarts pro Woche), Prozessfähigkeit (CPK) und Produktqualität (Anzahl Wafer, die den definierten Qualitätsstandards entsprechen). Die „Abrechnung“ für das Jahr 2006 zeigt, dass sich AMD in allen dargestellten Kenngrößen deutlich verbessert hat. Zugleich weist die AMD-weite Ausdehnung der Lean-Initiative darauf hin, dass die bei AMD Saxony praktizierte Vorgehensweise als Vorbild diente und aufgrund der nachgewiesenen Erfolge eine konzernübergreifende Initiative generierte. Eine Herausforderung der zukünftigen Lean Manufacturing-Arbeit liegt vor allem darin, das Programm fest in der Kultur des Unternehmens zu verankern. Die Weichen dafür sind konzernweit gestellt. Kritische Stimmen mögen argumentieren, dass die Verdichtung und Standardisierung von Arbeit eine negative Wirkung auf die Motivation der Mitarbeiter hat. Dies stimmt so nicht. Vielmehr ist die Art und Weise der Einführung von Standards entscheidend für den langfristigen Erfolg. Die Einführung auf Basis der Einsicht in die Notwendigkeit stärkt die (Selbst-)Verantwortung der Mitarbeiter. An11
Insb. vorgelagerte Operationen oder Zielgrößenänderungen.
230
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
dernfalls lassen sich Standards nur durch erhöhten Kontrollaufwand beibehalten. Eine interne Studie (vgl. Ziegenhorn 2007) zeigt, dass die Mehrheit der von den Arbeitsorganisations-Workshops „betroffenen Mitarbeiter“ in Operations Fab 30 sich positiv über die eingeführten Standards äußerte. Die Initiative wird von vielen Mitarbeitern getragen und mit viel Engagement, z.T. auch mit Stolz, unterstützt. Diese grundsätzliche Bereitschaft ist eine fruchtbare Basis für die weitere Etablierung des Lean Manufacturing. Die Inbetriebnahme des Bump Test-Bereiches ist ein gutes Beispiel, wie Lean-Gedanken von Anfang an integriert werden können. Bereits in der Planung werden – gleichrangig neben dem Aufbau von Anlagen, der Prozessentwicklung und der Personalqualifikation – die Themen Wartung/ Wartungsorganisation und die Implementierung von Lean-Prinzipien und Methoden berücksichtigt. Ein sehr interessantes Untersuchungsfeld ergibt sich im Hinblick auf das Spannungsfeld Verschlankung vs. Automatisierung. Aufgrund des anspruchsvollen Prozesses in der Halbleiterfertigung gibt es starke Tendenzen zu einer weiteren Automatisierung. Dies entspricht allerdings eher dem Verständnis von innovativer Veränderung und nicht dem Verständnis von Lean Manufacturing, das primär auf standardisierte Arbeit und kontinuierliche Verbesserung, getrieben durch die Mitarbeiter, setzt. Die visionäre Zielsetzung (siehe Kapitel 3) bildet für das Unternehmen einen Orientierungsmaßstab. Daraus sind Unterziele für Teams und konkrete Vorgehensweisen abgeleitet worden, z.B.: Verkürzung der gesamten Durchlaufzeit ! gezielte Verringerung der Cycle Time von Linienabschnitten ! Workshops zur Einführung von Takt und Flow ! Erarbeitung konkreter Steuerungsregeln und Standards. Diese Verknüpfung erscheint logisch, wird aber nur in wenigen Fällen wieder zurückverfolgt. Die Etablierung eines dazu notwendigen Kennzahlensystems ist in die Wege geleitet, jedoch muss die Verbindlichkeit, z.B. durch regelmäßige Management-Reviews, noch deutlich erhöht werden.
6
Abschließende Betrachtung der kritischen Erfolgsfaktoren
Schon in der Vergangenheit war die kontinuierliche Verbesserung ein Bestandteil der Arbeit jedes Mitarbeiters bei AMD. Man ist sich einig, dass nicht alleine Lean Manufacturing die ultimative, „out-of-the-box“ Lösung aller Herausforderungen ist. Und doch ist schon etwa zwei Jahre nach Start der Initiative KVP@AMD eine spürbare Dynamik in die Veränderungsarbeit gekommen. Was waren bzw. sind die Erfolgsfaktoren? Aus unserer Perspektive zeigen sich fünf, die von besonders hoher Bedeutung sind: 1. Führung: „Der Schwache zweifelt vor der Entscheidung, der Starke danach.“ (Karl Kraus) Zu Anfang des KVP-Prozesses hat es sich gezeigt, dass es unverzichtbar ist, einen Vertreter des oberen Managements zu haben, der mit viel Energie und Leiden-
Lean Manufacturing bei AMD Saxony
231
schaft für Lean Manufacturing, aber auch mit Detailwissen, Ausdauer und Konsequenz den Prozess anschiebt und vorantreibt. Hierbei ist es wichtig, dass dieser Treiber der Initiative für alle Mitarbeiter sichtbar und erreichbar ist und maßgeblich zur Überzeugungsarbeit beiträgt. 2. Ressourcen: „Der Prophet gilt wenig im eigenen Lande.“ (Bibelspruch) Zeitlich und personell sind mit der Lean Manufacturing-Initiative deutlich mehr Ressourcen als in der Vergangenheit für das Thema KVP bereitgestellt worden. Neben externen Ressourcen – wir haben uns hier von Erfahrungen anderer Unternehmen leiten lassen und auf Unterstützung japanischer Experten gesetzt – sind auch hausinterne Ressourcen in Vollzeit für das Thema bestellt worden. So wurden z.B. mehrstündige bis mehrtägige Workshops als Pflichtveranstaltung für Produktionsmitarbeiter aller Schichten, Ingenieure und Manager unterstützt und organisiert. 3. Vorgehensweise: „Besser einen Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.“ (Deutsches Sprichwort) Mit Lean Manufacturing arbeiteten wir fokussierter in Workshops, teilweise mit Beraterunterstützung und Interesse des Top-Managements in unternehmensweiten (Abschluss-)Präsentationen – was die Zeit in verschiedener Hinsicht noch wertvoller machte. Zugleich gelang es, durch die thematisch-methodische Steuerung der KVP@AMD-Arbeitspakete sowie einer breiten Kommunikation der Ergebnisse eine stärkere Wirkung im Unternehmen zu erzielen. So werden Suboptimierungen verringert und zugleich Synergien im Vorgehen zwischen den Bereichen generiert. Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die „große Abschlusspräsentation“. Hier stellen die Projektmitarbeiter ihre Ergebnisse dem versammelten Managementkreis vor. Durch diese persönliche Präsentation verstärkte sich für alle Beteiligten die Verbindlichkeit, die erarbeiteten Lösungen auch umzusetzen. Dieses Vorgehen half zugleich, den KVP-Gedanken auch über die aktuell aktiven Abteilungen hinaus zu tragen. Außerdem hatte das Top-Management auf diesem Weg eine gute Gelegenheit, sich öffentlich für die Arbeit zu bedanken und somit weitere Signale in die Organisation zu senden, dass dieser Weg den gesetzten Erwartungen entspricht. Sowohl die Wirkung der Präsentation als auch die Kaizen-Faust-Formel „60% sofort umgesetzt ist besser als 100% geplant“ verpflichten alle Beteiligten, klare Ergebnisse vorzuweisen. In der Realität zeigte sich schnell, dass selbst bei einer intensiveren Datenauswertung oder größeren Planungstiefe keine besseren Ergebnisse erzielbar gewesen wären. 4. Orientierungsrahmen und Zielstellung: „Wer nicht weiß, in welchen Hafen er segeln will, für den ist kein Wind ein günstiger.“ (Seneca) Erstmals wurde nicht nur eine jährliche Zielvorgabe im Rahmen des konzernweiten Planungsprozesses veröffentlicht, sondern ein Dreijahresziel, inklusive eines strategischen Plans für das Werk Fab 30, definiert. Darüber hinaus ist es infolge der Anwendung der Lean Manufacturing-Prinzipien gelungen, ein umfassenderes
232
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp
Bild über die Entwicklungsrichtung des Unternehmens zu vermitteln. Diese mittelfristige Orientierung hilft, das Gesamtbild nicht aus den Augen zu verlieren und bildet einen konsistenten Argumentationsrahmen für die Veränderungsarbeit. Die logisch schlüssige Ableitung von Arbeitsfeldern und eine deutliche Priorisierung bildet die Basis für einen effizienten Einsatz von Ressourcen. 5. Breitenwirkung: „Tue Gutes und sprich darüber!“ (Erich Kästner) KVP ist ein permanentes Thema in allen betriebsinternen Kommunikationskanälen. Mit Hilfe weiterer Ressourcen, der Integration aller Bereiche des Unternehmens sowie einer umfassenden mündlichen und schriftlichen Kommunikation über betriebliche Infoblätter, Wandzeitungen, Intranet, Mitarbeitermagazin gelingt es, das Thema in den Blickpunkt zu stellen und auch zu halten. Die direkte Verankerung in die Führungsarbeit eines jeden Managers bringt zudem äußere Wahrnehmung und konkrete Arbeitsaufgabe in Einklang. Es entsteht somit für jeden Einzelnen das Bild eines konsistenten Vorgehens. Die bereits angedeutete größte Aufgabe wird es nun sein, „den Zug am Fahren zu halten“, und zwar im Sinne eines organisationalen Lernens.
7
Literatur
Hannan, M.T./ Freeman, J.H. (1989): Organizational Ecology, Cambridge 1989. Liker, J.K. (2004): The Toyota Way – 14 Management Principles from the World’s Greatest Manufacturer, New York 2004. Shingo, S. (1992): The Shingo Production Management System – Improving Process Functions, Cambridge 1992. Womack, J.P./ Jones, D.T. (2004): Lean Thinking – Ballast abwerfen, Unternehmensgewinne steigern. Frankfurt/ M./ New York 2004. Ziegenhorn, F. (2007): Studie zum Thema Standardisierung von Arbeit in Fab30 Operations im Rahmen einer Diplomarbeit, AMD intern.
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE) in einem Pharmaunternehmen Thomas Habermann, Jörg Doch Inhalt 1 2 3 4 5 6
1
BPE-Initiative bei Boehringer Ingelheim.................................................233 Strategischer Kontext – Von der Vision zur konkreten Umsetzung.........234 Prozess zur Auswahl von geeigneten Projekten.......................................235 Projektportfolio und Entscheidungsprozess .............................................241 Identifikation von Projektpotenzialen ......................................................243 Process Life Cycle-Management..............................................................246
BPE-Initiative bei Boehringer Ingelheim
Boehringer Ingelheim gehört weltweit zu den 20 führenden forschenden Arzneimittelherstellern. Seit mehr als 100 Jahren ist Boehringer Ingelheim – gegründet 1885 von Albert Boehringer (1861-1939) in Ingelheim am Rhein – ein erfolgreiches Unternehmen in Familienbesitz. Ziel des Unternehmens ist es, der Menschheit durch die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung und Herstellung neuer innovativer Arzneimittel mit hohem therapeutischem Nutzen zu dienen. Boehringer Ingelheim hat weltweit mehr als 39.800 Mitarbeiter und erzielte im Geschäftsjahr 2007 Gesamterlöse von 10.952 Mio. EUR. In der deutschen Gesellschaft des Unternehmensverbands, der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, wurde im Bereich der Wirkstoffherstellung im Jahr 2002 die Six Sigma-Initiative zur Analyse und Verbesserung von Geschäftsprozessen als Pilotprojekt eingeführt. Diese hat seitdem ihre Leistungsfähigkeit in einer Vielzahl von erfolgreichen Verbesserungsprojekten unter Beweis gestellt. Zum Aufbau von methodischem Know-how zur Prozessoptimierung wurden am Standort Ingelheim bisher mehr als 50 Green Belts sowie 11 Black Belts und 1 Master Black Belt qualifiziert. Der Six Sigma-Pilot wurde zur BPE (Business Process Excellence)-Initiative weiterentwickelt. Dabei werden auf dem Weg zu besseren Geschäftsprozessen im Wesentlichen drei methodische Ansätze verwendet (siehe Abb. 1): • Gestaltung schlankerer und schnellerer Geschäftsprozesse durch Lean • Beseitigung von Problem-/ Fehlerursachen in Prozessen durch Six Sigma • Implementierung neuer Prozesse durch Design for Six Sigma (DFSS).
234
Thomas Habermann, Jörg Doch
BPE
D M A I C
DMAIC
DFSS
neue Prozesse etablieren
Six Sigma
Problemursachen beheben
Lean DMAIC
schlanke Prozesse gestalten
„Bessere Prozesse Entstehen“ KVP KVP KVP
Tools Projektmanagement Lead & Learn Abb. 1: Aufbau und Inhalte des BPE-Hauses von Boehringer Ingelheim
Bei allen genannten Ansätzen werden zusätzlich die Methoden und Vorgehensweisen des Projektmanagements angewendet. Im Anschluss an ein BPEProjekt wird jeweils ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) initialisiert.
2
Strategischer Kontext – Von der Vision zur konkreten Umsetzung
„Werte schaffen durch Innovation“ ist die Vision von Boehringer Ingelheim und zugleich der Motor der Unternehmenskultur. Dabei beschreibt der konzeptionelle Baustein „Lead & Learn“ die grundlegenden Bedingungen für die Zusammenarbeit bei Boehringer Ingelheim, um Werte durch Innovation zu schaffen. Lernen (Learn) bedeutet, neue und vor allem bessere Wege zu finden, die Ideen umzusetzen. In diesem Sinne sind alle Mitarbeiter bei Boehringer Ingelheim aufgefordert, ihre derzeitigen Vorgehensweisen zu hinterfragen und Verbesserungsmöglichkeiten zu finden. Damit ist die Grundlage, nämlich Stimmigkeit mit der Unternehmensvision und -kultur, gelegt, um eine BPE-Initiative zu starten. Zur weiteren Festlegung des Rahmens für BPE sind in der „Policy for Business Process Excellence in Operations“ die Merkmale und wesentlichen Bestandteile
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE)
235
der Geschäftsprozesse in den operativen Einheiten definiert. Die Vorgabe und Steuerung der Ziele für BPE sind in der Balanced Scorecard für den Unternehmensbereich Wirkstoffherstellung über vier KPI´s (Key Performance Indicators) festgelegt. Die BSC für den Bereich „Chemicals“ mit Angabe von KPI´s für BPE ist beispielhaft in Abbildung 2 skizziert.
FinanzPerspektive
KundenPerspektive
ProzessPerspektive
Lern-/ KulturPerspektive
Verbesserung der Launchfähigkeit - - FMEA`s -- Senkung -- RPZ
Verbesserung der Geschäftsprozesse
Durchführung effizienter und stabiler Prozesse
-- BPE Projekte
- SPC - PE-Index
Streben nach BPE - Einsparungen durch BPE
Abb. 2: Balanced Scorecard als Basis für die Steuerung von BPE (Beispiel)
Für den KPI „Verbesserung der Launchfähigkeit“ sind Risikoanalysen nach der FMEA-Methode für alle Produkte, die in die klinische Phase III kommen, durchzuführen. Die dabei erkannten Produkt- und Prozessprobleme sind durch geeignete Maßnahmen zu beheben, was sich in einer Reduzierung der Risikoprioritätszahl (RPZ) ausdrückt. Die „Verbesserung der Geschäftsprozesse“ wird mit der Durchführung von BPE-Projekten umgesetzt. Das Ziel „Durchführung effizienter und stabiler Prozesse“ wird einerseits durch Statistical Process Control (SPC) überprüft, und andererseits werden durch die Ermittlung eines PE (Process Excellence)-Index Potenziale für Verbesserungen aufgezeigt (siehe auch Kapitel 5). Das Zielsystem der BPE-Initiative birgt also ein Spannungsfeld, da sowohl strategisch wichtige Projekte – die nach der internen Richtlinie zur Ermittlung der BPE-Einsparungen keinen finanziellen Effekt haben – als auch finanziell ertragreiche Projekte durchgeführt werden müssen. Unter dieser Voraussetzung ist ein Prozess zur Auswahl der „richtigen“ Projekte besonders wichtig.
3
Prozess zur Auswahl von geeigneten Projekten
Um innerhalb des Zielsystems der BPE-Initiative diejenigen Projekte auszuwählen, die einen möglichst hohen Beitrag zur Zielerfüllung erbringen, wurde ein
236
Thomas Habermann, Jörg Doch
strukturierter Prozess zur Projektbewertung und -auswahl entwickelt. Maßgeblich für die Gestaltung dieses Prozesses war die Berücksichtigung der folgenden Rahmenbedingungen: • Die Projektbewertung muss sich an den KPIs der BPE-Initiative orientieren und dem Spannungsfeld zwischen strategischer Bedeutung und monetären Einsparungen Rechnung tragen. • Unterschiedliche Projekttypen (Lean, Six Sigma, Design for Six Sigma) müssen durch eine geeignete Standardisierung und Operationalisierung der Bewertungskriterien vergleichbar gemacht werden. • Einzelne Projekte können untereinander inhaltliche Abhängigkeiten aufweisen, die bei der Projektauswahl zu berücksichtigen sind. • Für die Projektdurchführung stehen in den beteiligten Organisationseinheiten begrenzte Ressourcen zur Verfügung, um die ggf. mehrere Projekte konkurrieren. • Die in Verbindung mit der BPE-Initiative eingeführten Rollen (Prozesseigner, Sponsor, Projektleiter, Coach) müssen in geeigneter Weise in den Prozess eingebunden werden. • Die operative Durchführung des Prozesses wird von einem Projekt Management Office (PMO) innerhalb des BPE Support Centers wahrgenommen; die Entscheidung über die Projektpriorisierung und -freigabe trifft ein zentrales Managementgremium. Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen und dem Ergebnis einer Kundenbefragung (Voice of the Customer) mit den Mitgliedern des Managementgremiums wurde ein Projektbewertungs- und Auswahlprozess etabliert, der einem standardisierten Ablauf folgt (siehe Abb. 3). Startpunkt des Prozesses ist die Identifikation einer Projektidee, die unterschiedliche Quellen haben kann: Einerseits hat jeder Prozesseigner die Möglichkeit, ein BPE-Projekt zur Optimierung eines Geschäftsprozesses in seinem Verantwortungsbereich zu initialisieren. Andererseits führt die systematische Überprüfung der Prozessleistung im Rahmen des SPC-Ansatzes zu Hinweisen auf Verbesserungspotenziale. Daneben können auch Problemstellungen, die im Rahmen des KVP-Prozesses identifiziert worden sind, den Ausgangspunkt der weiter unten beschriebenen Projektanfrage bilden. Die Projektideen werden zunächst durch das PMO auf inhaltliche Abhängigkeiten zu anderen, bereits laufenden oder geplanten Projekten überprüft. Mögliche Ausprägungen von Abhängigkeiten sind: • Synergien Konsequenz: Zusammenfassung mehrerer Einzelprojekte zu einem Projekt. • Überschneidungen Konsequenz: Überprüfung und Anpassung der Projektabgrenzung. • Inhaltliche Abhängigkeiten (Ergebnis von Projekt A ist Voraussetzung für B) Konsequenz: Anpassung bzw. Überarbeitung der Projektreihenfolge.
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE)
Vom Prozesseigner festgestellter Optimierungsbedarf
Ergebnisse aus Statistical Process Control
Problemstellung aus KVP
Mögliche Auslöser für BPE-Projektanfragen
Eingangsgrößen für Projektbewertungsund Auswahlprozess
Inhaltliche Abhängigkeiten prüfen
Richtlinie zur Ermittlung von BPE-Einsparungen
Monetären Nutzen (Einsparpotenzial) abschätzen
Kritrienkatalog zur Ermittlung des Strateg. Nutzens
Strategischen Nutzen abschätzen
Erfahrungswerte aus abgeschlossenen Projekten
Arbeitsaufwand und Projektkosten ermitteln
RessourcenBudget für BPE-Projekte
Ressourcensituation prüfen
Durch andere BPEProjekte bereits belegte Ressourcen
Benötigte Ressourcen verfügbar? ja
nein
Lösung Lösungfür für Ressourcenkonflikt Ressourcenkonflikt suchen suchen sehr gering Projek tkos ten [ T€ ] auf 3 Jah re
Projekt im Projektportfolio positionieren
verteilt [Zeitaufwa nd al le r MA (mi t 45 €/h un d 7,5 h/ d) + schon
(bi s 3 T€/a) (bis 9 d) ge ring (>3 - 8 T €/a ) (> 9 - 24 d) m itte l (> 8 - 16 T€/a ) (>2 4 - 47 d)
abzus ehen de
hoch
In ve stitione n]
(> 16 T€/a) (>47 d) s ehr g ering ( bis 10 T€/a)
Legende: Verantwortlich: Projektmanagement-Office + Prozesseigner Verantwortlich: Managementgremium
237
gering
m ittel
hoc h
(>10 - 5 0 T€/a)
( >50 - 1 50 T€/ a)
( >15 0 T€/a )
E inspa rp oten tial pro Jahr [T€/a]
! ! !
Monetärer Nutzen Strateg. Nutzen Aufwand/ Kosten
Projekt priorisieren, Entscheidung bezüglich ProjektDurchführung treffen
Projektauftrag
Abb. 3: Projektbewertungs- und Auswahlprozess
Im nächsten Schritt des Bewertungsprozesses wird der monetäre Nutzen des Projektes ermittelt. Grundlage dieser Abschätzung ist eine für den Unternehmensbereich Wirkstoffherstellung gültige Richtlinie (Saving Guideline), welche die Standards zur Ermittlung von Einsparungen aus BPE-Projekten vorgibt. Durch diese Richtlinie wird eine vergleichbare Nutzenbewertung für alle BPE-Projekte im Bereich Wirkstoffherstellung sichergestellt, unabhängig von Projektinhalt, angewandter Methodik und betroffenem Standort. Die anfallenden Nutzeneffekte werden in vier Kategorien eingeteilt und nach klaren Vorgaben bewertet: • Cost Reduction: Reduzierung der auf Kostenstellen-Ebene anfallenden, variablen Kosten, z.B. durch geringeren Rohmaterialeinsatz infolge Ausbeutesteigerung oder durch Reduktion von Supportkosten; bewertet auf Basis der eingesparten Materialkosten und/ oder externen Kosten. • Cost Increase Avoidance: Vermeidung von geplanten Investitionen; bewertet mit den jährlichen Abschreibungen der vermiedenen Investition sowie ggf. den Personalfolgekosten bei Durchführung der Investition.
238
Thomas Habermann, Jörg Doch
• Improved Efficiency: Einsparung von Personalkapazität durch Beseitigung von nicht wertschöpfenden Prozessschritten; bewertet mit standardisierten Stundensätzen für Personal und Labor-Equipment. • Capacity Increase/ Growth: Freisetzung von Anlagenkapazität durch Prozessoptimierung mit der Folge zusätzlicher Kapazitätsreserven oder erhöhter Ausbringungsmenge; bewertet mit den Maschinen-Stundensätzen der jeweiligen Anlage bei Kapazitätseinsparung bzw. den Deckungsbeiträgen des Produktes bei erhöhter Ausbringung. Der monetäre Nutzen wird jeweils für ein Jahr berechnet. Abbildung 4 veranschaulicht den Prozess der Nutzenermittlung auf der Grundlage der o.g. Kategorien. Type of Benefits Project Opportunities
Opportunities not visible in financial statements
BPE Benefits
Financial Benefits Key parameters
Material Costs
1 Cost Reduction
Cost Reduction
Cost Increase Avoidance
(Consumption)
Estimated Savings
2 Cost Avoidance
Depreciation
In Budget
Yes
External Cost
No, but in mind
Estimated Benefit
Estimated Savings
Estimated Benefit
Estimated Savings
Personnel Cost
Yes
3 Improved Efficiency
Reduction of non value added process steps
Yes
Yes
Freed Resources No
Personnel Cost
No financial calculation
Capacity Increase / Growth
4 Capacity Increase
Yes
Freed Capacity is Idle Capacity
Yes
Estimated Benefit
Estimated Savings
No No, and additonal business
€€
Estimated increased margin, due additional business
VTR Laboratory Cost Additional Margin
€€
Abb. 4: Ermittlung des monetären Nutzens von BPE-Projekten
Die Abschätzung des monetären Nutzens nach dem beschriebenen Verfahren führt der Prozesseigner gemeinsam mit Controlling und BPE Support Center durch. Im Bedarfsfall können weitere Prozessexperten hinzugezogen werden. Neben ihrem monetären Nutzen leisten BPE-Projekte i.d.R. auch einen Beitrag zur Erfüllung der strategischen Ziele des Bereiches bzw. der Auftrag gebenden Organisationseinheit. Um eine standardisierte Bewertung des strategischen Nutzens zu ermöglichen, wurde ein Kriterienkatalog entwickelt, der zentrale Aspekte
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE)
239
des strategischen Nutzens umfasst. Hierzu gehören Markt- und Kundenvorteile wie auch Verbesserungen von Qualität, Compliance oder Sicherheit. Die Übereinstimmung der Projektziele mit der Strategie der Organisationseinheit, die Erfolgschance des Projektes sowie mögliche Auswirkungen auf die Mitarbeiterzufriedenheit gelten ebenfalls als Kriterien, die den strategischen Nutzen eines Projektes bestimmen. Die Abbildung 5 zeigt den verwendeten Kriterienkatalog zur Bewertung des strategischen Nutzens eines BPE-Projektes.
Abb. 5: Kriterienkatalog zur Bewertung des Strategischen Nutzens
Jedes Kriterium ist mit einem festen Gewichtungsfaktor zwischen 1 und 10 versehen, der sich aus dem Ergebnis einer vorausgegangenen Managementbefragung ableitet. Die Bewertung der Kriterien für ein konkretes Projekt nimmt der Prozesseigener in Abstimmung mit dem BPE Support Center vor. Dazu steht eine Skala von 0 (= kein Beitrag des Projektes zur Erfüllung des jeweiligen Kriteriums) bis 10 (= sehr hoher Beitrag) zur Verfügung. Durch Aufsummieren der Produkte aus Bewertung und Gewichtung für alle Nutzenfaktoren wird die Gesamtpunktzahl des jeweiligen Projektes errechnet (siehe Spalte „Ergebnis – nicht normiert“ in Abb. 5). Dividiert durch die maximal erreichbare Punktzahl von 650 ergibt sich ein Prozentwert, der auf einer Skala von
240
Thomas Habermann, Jörg Doch
0% bis 100% den strategischen Nutzen des Projektes angibt (siehe rechte Spalte „Strategischer Nutzen – auf 100% normiert“). Im Anschluss an die Nutzenabschätzung erfolgt die Ermittlung von Arbeitsaufwand und Projektkosten. Als Anhaltspunkt für eine erste, grobe Aufwandsabschätzung dienen Erfahrungswerte aus abgeschlossen Projekten. Für Six Sigma Green Belt- und Black Belt-Projekte sowie für die Erstellung von FMEAs wurden über einen längeren Zeitraum die durchschnittlichen Bearbeitungsaufwände ermittelt; für weitere Projekttypen im Verantwortungsbereich des BPE Support Centers (z.B. Lean-Projekte) werden diese Werte nach und nach ebenfalls ermittelt. Um zu einer projektspezifischen Aufwandsabschätzung zu gelangen, werden die Durchschnittswerte anhand individueller Einflussfaktoren nach oben oder unten korrigiert. Typische Einflussfaktoren sind beispielsweise der zu erwartende Aufwand für die Datenerhebung, die Anzahl der Prozessschritte des untersuchten Geschäftsprozesses und die Anzahl der beteiligten Organisationseinheiten. Eine Abweichung dieser Parameter vom Durchschnitt des jeweiligen Projekttyps führt zu einer entsprechenden Anpassung der Aufwandsabschätzung. Zur Ermittlung der Projektkosten werden die geschätzten Zeitaufwände (in h) mit den standardisierten Personal-Stundsätzen bewertet, die auch für die Berechnung des monetären Nutzens gelten. Für Kosten und Nutzen besteht somit eine einheitliche Bewertungsgrundlage. Investitionskosten, die bei Projektbeginn absehbar sind, fließen ebenfalls in die Kostenkalkulation ein. Da in BPE-/ Six Sigma-Projekten gemäß DMAIC-Zyklus die Identifikation und Bewertung von Lösungsalternativen als Bestandteil der Improve-Phase erfolgt, können zum Zeitpunkt der Projektinitiative i.d.R. noch keine Investitionskosten beziffert werden. Wenn im weiteren Projektverlauf Investitionen als notwendiger Bestandteil von Improve-Maßnahmen erkennbar werden, ist die Kostenkalkulation anzupassen. Die Kosten-/ Nutzen-Relation des Projektes kann sich dadurch verschieben. Um die zeitliche Verteilung des Anfalls von Nutzen und Kosten zu berücksichtigen, wird eine typische Nutzenperiode von drei Jahren für BPE-Projekte zugrunde gelegt.1 Die ermittelten Projektkosten werden deshalb linear auf drei Jahre verteilt, so dass ein Kosten-Nutzen-Vergleich auf Jahresbasis durchgeführt werden kann. Vor der abschließenden Bewertung und Freigabe eines Projektes muss noch geprüft werden, ob die Organisation im geplanten Zeitraum die zur Projektdurchführung notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen kann. Das zentrale Ressourcenmanagement nimmt das BPE Support Center in seiner Funktion als Projekt Management Office wahr. Ausgangspunkt des RessourcenmanagementProzesses sind die Ressourcenbudgets, die von den Organisationseinheiten auf Jahresbasis für die Durchführung von BPE-Projekten bereitgestellt werden. Die Budgets geben die prozentuale Verfügbarkeit der benannten Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppe für den Einsatz in BPE-Projekten an. Durch eine Gegenüberstel1
Erfahrungen aus abgeschlossenen Projekten zeigen, dass optimierte Prozesse aufgrund der dynamischen Rahmenbedingungen in ihrem Umfeld nach durchschnittlich drei Jahren eine erneute Anpassung benötigen.
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE)
241
lung von verfügbaren Ressourcen und geschätztem Projektaufwand prüft das PMO, ob für ein geplantes Projekt genügend freie Ressourcen vorhanden sind oder ein Ressourcenkonflikt zu erwarten ist. Für den Fall eines Ressourcenkonfliktes sieht der Prozess unterschiedliche Lösungsstrategien vor: • Das geplante Projekt wird zurückgestellt und erst dann gestartet, wenn alle „Engpass-Ressourcen“ genügend Kapazität zur Verfügung stellen können; bezogen auf einen Beispiel-Mitarbeiter wäre das beispielsweise frühestens im Mai der Fall. • Die Aufgaben des überlasteten Mitarbeiters werden einem anderen Mitarbeiter zugeordnet, der noch genügend freie Kapazität hat und über eine entsprechende Qualifikation zur Bearbeitung der jeweiligen Aufgabenstellung verfügt. • Es werden zusätzliche Ressourcen bereitgestellt. Dies kann entweder durch Aufstockung der budgetierten Kapazität des betroffenen Mitarbeiters (bei entsprechender Reduzierung seiner Verfügbarkeit für Linienaufgaben) oder durch Aufnahme weiterer Mitarbeiter in das Ressourcen-Budget geschehen. • Andere Projekte im Projektportfolio werden zunächst zurückgestellt. Die Auswahl einer Konfliktlösungsstrategie erfolgt unter Führung des PMO in enger Abstimmung mit den betroffenen Mitarbeitern und ihren Vorgesetzten (Linienmanagement). Der Vorschlag zur Lösung des Ressourcenkonfliktes fließt in den Entscheidungsprozess der Projektauswahl ein.2
4
Projektportfolio und Entscheidungsprozess
Nachdem für eine Projektidee alle oben beschriebenen Aspekte bewertet worden sind, entscheidet das zuständige Managementgremium über die Projektdurchführung. Im Hinblick auf die übergeordnete Zielsetzung, eine optimale Projektauswahl zu erreichen, muss die Projektidee allen übrigen, laufenden und geplanten Projekten gegenübergestellt werden. Hierzu dient ein Projektportfolio, das die Eckdaten aller Projekte bzw. Projektideen zusammenfasst. Neben den oben beschriebenen Bewertungskriterien werden in diesem Projektportfolio auch Informationen zu Problem- und Zielsetzung, Projektorganisation (Zuordnung von Prozesseigner, Sponsor, Projektleiter, Coach), inhaltlichen Abhängigkeiten, Risiken, aktueller Projektphase sowie weitere Projekteigenschaften abgebildet. Die Pflege des Projektportfolios ist Aufgabe des PMO im BPE Support Center. Im Zuge der Projektinitiative stellt der Prozesseigner die für das Portfolio notwendigen Informationen zur Verfügung. Nach der Freigabe eines Projektes ist der jeweilige Projektleiter dafür verantwortlich, das PMO über Änderungen der Portfo2
Das PMO untersucht derzeit, ob die im Unternehmen vorhandene Multi-Projektmanagement Software “Changepoint“ von Compuware zur Unterstützung des Ressourcenmanagement-Prozesses für BPE-Projekte eingesetzt werden kann. Durch die Nutzung dieser Software soll die Transparenz des Ressourceneinsatzes in BPE-Projekten weiter gesteigert werden.
242
Thomas Habermann, Jörg Doch
liodaten seines Projektes zu informieren. Dies gilt z.B. für Verschiebungen des geplanten Abschlusstermins, Kostenüberschreitungen oder Anpassungen der Projektorganisation. Als Instrument zur Visualisierung der im Projektportfolio enthaltenen Projekte bzw. Projektideen unter Kosten-/ Nutzen-Aspekten dient ein Bubble Chart, in dem folgende Dimensionen berücksichtigt werden: • Projektkosten p.a. (y-Achse) • Einsparpotential p.a. (x-Achse) und • Strategischer Nutzen (Größe des Symbols). Zusätzlich wird anhand der Farbgebung unterschieden zwischen laufenden Projekten, zu denen bereits ein unterschriebener Projektauftrag vorliegt, und Projektideen bzw. Projektanfragen, die zur Freigabe anstehen. Die Zusammenführung beider Kategorien in einem gemeinsamen Chart ermöglicht es, die relative Positionierung eines geplanten Projektes gegenüber laufenden Projekten zu erkennen. Auf diese Weise eignet sich das Diagramm auch als Hilfsmittel für Priorisierungsentscheidungen zwischen laufenden und geplanten Projekten, die z.B. infolge eines Ressourcenkonflikts notwendig werden können. Der Aufbau des Bubble Charts ist in Abbildung 6 exemplarisch veranschaulicht.
gering bis 8T€/a bzw. bis 24d ProjektProjektKosten p.a. [T€ [T€ / a]
QM3
FC3
QM1 QM1
mittel
bzw. >71d
QM2
FC1 FC2 FC3
PuT1
8 - 16 T€/ a
Gesamtbzw. kosten verteilt 24 - 47d auf 3 Jahre, ermittelt aus hoch Zeitaufwand 16 - 24T€/ a aller MA bzw. (mit 45€/h 47 - 71d und 7,5 h/d) + bereits abzusehende sehr hoch Investitionen >24T€/ a
Nr.
FMEA2 FMEA4 FMEA1 FMEA5 FMEA6 FMEA5 FMEA5 FMEA3 ? ? FMEA7 ? FC4
VE1
FC4
FC1
PuT2 PuT4
FC2
PuT1
QS1
PuT2
SCM1 PuT3
Noch nicht bewertete Projektideen Nr. Projekt
PuT3 PuT4 QM1
FC5
Wertstromanalyse
QM2
FC6
Reduktion Cycle
QM3
FC7
Wertstromanalyse
gering (<20 T€)
mittel (20 - 100T€)
QS1
hoch (100 - 300T€)
sehr hoch (>300T€)
Einsparpotential pro Jahr [T€ [T€ / a]
Legende Aktives Projekt, geringer strateg. Nutzen (0% – 33%)
Aktives Projekt, mittlerer strateg. Nutzen (34% – 66%)
Aktives Projekt, hoher strateg. Nutzen (67% – 100%)
Potentielles Projekt, geringer strateg. Nutzen (0% – 33%)
Potentielles Projekt, mittlerer strateg. Nutzen (34% – 66%)
Potentielles Projekt, hoher strateg. Nutzen (67% – 100%)
Abb. 6: Bubble Chart zur aggregierten Projektbewertung (Beispiel)
SCM1 VE1 FMEA1 FMEA2 FMEA3 FMEA4 FMEA5 FMEA6 FMEA7
Projekt Ausbeutesteigerung Vermeidung von ungeeigneten Chargen an NBD Opportunity Assessment Analyse Kostenfaktoren im FC-Geschäft Zeitplanung Produktwechsel Synth.betrieb Reduktion Equipment Failure Synthesebetrieb Reduzierung Cycle Time Optimierung Personaleinsatz in Synth.betrieb Optimierung Qualitätskontrolle Optimierung Abläufe für Analytische Labore Optimierg. Kostenstruktur u. Kostenallokation Qualitätskontrolle Optimierung SOPSystem GFB Chem. Optimierung Chargenabwicklung / Prüflose Optimierung von Phasentrennprozessen Suppy Chain-FMEA Prozess-FMEA Supply Chain-FMEA Prozess-FMEA
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE)
243
Die Entscheidung zur Freigabe von BPE-Projekten trifft das Managementgremium des Bereiches im Rahmen seiner regelmäßigen Sitzungen. Das BPE Support Center stellt als Entscheidungsgrundlage eine standardisierte Kurzdarstellung der wesentlichen Projektdaten sowie das oben gezeigte Bubble Chart zur Verfügung und nimmt an der Diskussion im Managementgremium teil. Bei ressourcenkritischen Projekten kann zusätzlich ein Vorschlag zur Re-Priorisierung anderer Projekte eingebracht werden. Ein Projekt wird üblicherweise dann freigegeben, wenn es mindestens ein mittleres Einsparpotential oder einen mittleren strategischen Nutzen aufweist und kein anderes Projekt mit besserer Kosten-Nutzen-Relation um dieselben Ressourcen konkurriert. Auf feste Entscheidungsregeln – etwa im Sinne einer zwangsläufigen Freigabe von Projekten, die sich in bestimmten Quadranten des Bubble Charts befinden – wurde bewusst verzichtet, da durch eine derartige Vorgabe niemals sämtliche Aspekte der komplexen Entscheidungssituation erfasst werden könnten. Nach einer positiven Entscheidung des Managementgremiums wird der Projektauftrag unterzeichnet und die Projektbearbeitung beginnt. Im Projektverlauf ist die Positionierung des Projektes im Portfolio regelmäßig zu überprüfen und muss bei Bedarf angepasst werden. Dies kann unter Umständen zu einer Revision der ursprünglich getroffenen Entscheidung bis hin zur Konsequenz eines Projektabbruchs führen. Meilensteine, an denen die Überprüfung der Positionierung erfolgt, sind bei Six Sigma-Projekten die Phasenabschlüsse des DMAIC, welche die Funktion von „Toll Gates“ für den Übergang in die nächste Phase übernehmen und gleichzeitig den Projektleiter zur Überprüfung der Portfoliodaten verpflichten.
5
Identifikation von Projektpotenzialen
Um das in Kapitel 4 beschriebene BPE-Projektportfolio kontinuierlich mit Ideen zu füllen, sind Ansätze zur systematischen Identifikation von Projektpotenzialen notwendig. Im Folgenden werden zwei Vorgehensweisen anhand eines Beispiels beschrieben: • Durchführung von Dachprojekten/ Potenzialstudien • Ermittlung eines PE (Process Excellence)-Indices Für die zielgerichtete Durchführung eines Dachprojektes bzw. einer Potenzialstudie sollte im Kontext von Business Process Excellence zunächst eine geeignete Vision formuliert werden. So wurde beispielsweise eine Potenzialstudie mit der Vision "Optimale Nutzung der vorhandenen Produktionskapazität" im Bereich der Wirkstoffherstellung durchgeführt. Bei der Analyse der Ist-Situation zeigte sich, dass die Gesamt-Produktionsanlagenkapazität in wertschöpfende (value added) und nicht-wertschöpfende (non value added) Zeiten aufgeteilt werden kann. Wie in Abbildung 7 ersichtlich, bildet sie die Basis für die Zuordnung von BPEProjekten.
244
Thomas Habermann, Jörg Doch
BPE-Projekte
Andere Ausfallzeiten Maschinenbezogene Ausfallzeit Produktwechselzeit
Produktionszeit (Value added)
Non value added
Gesamtkapazitätsangebot (-zeit)
Leerkapazität/ Wachstumsreserve
Optimierung des WartungsStillstandes Reduktion der Ausschussrate Reduktion der technischen Störungen Reduktion Reinigungs- und Rüstzeiten Längere Kampagnien
Reduktion der Durchlaufzeit De-bottlenecking Verbesserte Ausbeute
Abb. 7: Aufteilung der Gesamt-Anlagenkapazität und Zuordnung von BPE-Projekten
Die zur Verfügung stehende Gesamtzeit teilt sich in folgende Bereiche auf: • Wertschöpfende Produktionszeit • Produktwechselzeit, die sich im Wesentlichen aus der Anlagenreinigungszeit und der Anlagenumrüstzeit für die Folgeproduktion zusammensetzt • Nicht-wertschöpfende Ausfallzeiten • Strategisch gewünschte Leerkapazität als Wachstumsreserve. Um der Vision der „optimalen Nutzung vorhandener Produktionskapazitäten“ näher zu kommen, muss der Anteil der wertschöpfenden Produktionszeit erhöht werden. Hierzu wurden geeignete BPE-/ Six Sigma-Projekte identifiziert und anhand des in Kapitel 3 beschriebenen Projektbewertungs- und Auswahlprozesses in das Projektportfolio aufgenommen. Auf diese Weise ergaben sich mehrere Schwerpunktthemen für BPE-Projekte: • Um die notwendige Produktionszeit zur Herstellung eines Produktes zu verringern, wurden Verbesserungsprojekte zur Reduktion der Durchlaufzeit, zur Entschärfung von Engpässen in der Produktionsanlage und zur Verbesserung der Produktausbeute durchgeführt. • Für die Minimierung der Produktwechselzeit sind Six Sigma-Projekte zur Verringerung der Reinigungs- und Rüstzeiten sowie zur Optimierung des Ablaufs beim Produktwechsel initiiert worden.
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE)
245
• Die nicht-wertschöpfenden Ausfallzeiten wurden durch einzelne Projekte, wie z.B. „Reduktion der technischen Störungen“ und „Optimierung des Wartungsstillstandes“, verringert. In Summe mündeten die Six Sigma-Aktivitäten in eine deutliche Effizienz- und Kapazitätssteigerung. Es konnte eine zusätzliche Produktionszeit zur Verfügung gestellt werden, die mit neuen Produkten gefüllt wurde. Die erzielten Einsparungen summierten sich im Jahr 2005 auf ca. 3 Mio. EUR. Die höhere Anlagenauslastung eröffnete zusätzlich eine Möglichkeit, Neuinvestitionen zu vermeiden/ zu verzögern und dadurch weitere Kosten in Höhe von ca. 30 Mio. EUR zu verhindern. Eine weitere Möglichkeit, um an Projektpotenziale zu kommen, ist die Implementierung eines PE-Index. Für den Index werden die im Rahmen der statistischen Prozesskontrolle (SPC) erhobenen Daten verwendet. Dabei werden die drei Dimensionen Qualität, Durchlaufzeit und Produktausbeute betrachtet. Bei der Berechnung des PE-Index werden die Daten in einem halbjährigen Rhythmus mit einem definierten Zielwert, dem sogenannten „Aspiration Level“ verglichen. Letztgenannter berechnet sich nach folgender Formel: 3 Aspiration Level = (Median + Best demonstrated Practice) / 2 Nur wenn sich daraus ein Verbesserungspotenzial für eine der drei Dimensionen (Qualität, Durchlaufzeit, Ausbeute) ableitet, wird ein Projekt gestartet, in dessen Verlauf die Daten systematisch analysiert werden. Das nachfolgende Beispiel veranschaulicht diese Vorgehensweise: Die SPC-Daten für die Zwischenstufe eines Wirkstoffes zeigten einerseits, dass der Prozess bezüglich der Durchlaufzeit eine hohe Streuung aufweist, und andererseits, dass Werte erreicht werden, die deutlich unter dem Mittelwert von 23,2 Stunden lagen (siehe oberes Diagramm in Abb. 8: Individual Values bis zur Charge 1.259). Der Median des zu verbessernden Prozesses lag bei 22,1 Stunden und die „Best Demonstrated Practice“ bei 16,7 Stunden. Nach der oben angegebenen Formel ergibt sich ein „Aspiration Level“ von 19,4 Stunden, der deutlich unterhalb des o.g. Mittelwertes liegt. Es zeigt sich also ein signifikantes Verbesserungspotenzial. Folgerichtig wurde ein Six Sigma-Projekt mit zwei Projektzielen gestartet: • Zentrierung des Prozesses hinsichtlich seiner Durchlaufzeit • Reduzierung der mittleren Durchlaufzeit von 23,2 h auf 19,4 h (-16%). Aus der daraus freigesetzten Anlagenkapazität errechnet sich ein finanzieller Nutzen von ca. 485.000 EUR pro Jahr. Im Rahmen des Six Sigma-Projektes konnte über mehrere Verbesserungsmaßnahmen (siehe die Abschnitte 2 – 4 im oberen Diagramm der Abb. 8: ab Charge 1.259, ab Charge 1.288 und ab Charge 1.322) eine signifikante Reduktion der Durchlaufzeit (Cycle Time) auf einen Mittelwert von 19,8 Stunden bei gleichzeitiger Reduktion der Streuung (siehe unteres Diagramm in Abb. 8: Moving Range) erreicht werden. 3
Der Median wird verwendet, da dieser robust gegen Ausreißer ist.
246
Thomas Habermann, Jörg Doch
I-MR Chart of Cycle Time by Charge 1203 Individual V alue
1259
1
40
1288
30
1
1322
1
U C L=24,55 _ X=19,77
2
20
2
LC L=14,98
10 1203
1203
M ov ing Range
16
1215
1234
1255
1259
1
1
1269
1281 1293 C har ge
1305
1318
1288
1330
1342
1322
1
12
1 1
8 U C L=5,88 4
__ M R=1,80 LC L=0
2
0
2
1203
1215
1234
1255
1269
1281 1293 C har ge
1305
1318
1330
1342
Abb. 8: Entwicklung der Durchlaufzeit für die Zwischenstufe eines Wirkstoffes
6
Process Life Cycle-Management
Der vorstehend beschriebene Prozess der Projektauswahl ist eingebettet in einen Process Life Cycle (PLC), der alle Entwicklungsstufen der Geschäftsprozesse von der Aufnahme ihres Ist-Zustandes über die Erkennung von Optimierungsbedarfen bis hin zur Verbesserung der Prozessleistung im Rahmen von BPE-Projekten umfasst. Wie in Abbildung 9 nachvollziehbar, untergliedert sich der PLC in 3 Ebenen, nämlich Prozessbeschreibung, -messung und -optimierung. Ebene 1: Prozessbeschreibung Ausgangspunkt des Process Life Cycle ist die Erfassung der Ist-Abläufe für alle Geschäftsprozesse. Die Erfassung erfolgt im Rahmen eines eigenständigen Projektes (PROMPT), das bis zum Ende des Jahres 2007 eine vollständige ProzessLandkarte lieferte, in der alle Führungs-, Wertschöpfungs- und Unterstützungsprozesse des Bereiches in einer standardisierten Notation (ARIS-Modell von IDS Scheer) abgebildet sind. Im Zuge der Prozessaufnahme werden die von den Modellierern und Prozessexperten erstellten Ablaufbeschreibungen vor ihrer Freigabe durch den jeweiligen Prozesseigner überprüft. Bei der inhaltlichen Prüfung der Ablaufbeschreibungen kann der Prozesseigner ggf. unmittelbar Verbesserungsbedarfe feststellen, weil der Ablauf offensichtliche Schleifen, Prüfschritte, Fehlerkorrekturen oder andere nicht
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE)
247
wertschöpfende Arbeitsschritte aufweist. In diesem Fall hat der Prozesseigner die Möglichkeit, über eine Projektanfrage an das BPE Support Center das oben beschriebene Verfahren zur Projektauswahl zu starten und so eine systematische Optimierung des Prozesses mit BPE-Mitteln (Six Sigma, Lean) zu veranlassen.
P roc es s Life C yc le, E be ne 1: P R O Z ES S B E S C H R E IB U N G
P ro zes sbes chreibung
P rozes sb esc hreibu ng ers telle n und freigebe n
V e ra ntw ortlic h: P rojekt PR O M P T (P roz ess erfas su ng) + P roz es sei gner ja
O ptim ierun gsbeda rf ? ne in
P roc es s Life C yc le, E b ene 2: P R O Z ES S M ES S U N G
P P Is (S oll / Ist)
P ro zes sleis tung m es sen
V e ra ntw ortlic h: P roz es sei gner O ptim ierun gsbeda rf ?
ne in
A bs ch lus s Life C yc le-P roz ess
ja P roce ss Life C y cle, E bene 3: P R O Z E S S O P T IM IE RU N G V eran twortl ich : P roze ss eigne r + B P E S uppo rt Cen ter
P rojektb ew ertung und -aus w ah l
F reiga be B PE -P roje kt
B P E -P roje kt d urch führen
op tim ie rt er P roz ess
A npa ss ung Pr oze ss besc hre ib ung erford erlich ?
ne in
A bs chl uss Life C ycle-P roze ss
ja
Abb. 9: Process Life Cycle als Flussdiagramm
Ebene 2: Prozessmessung Parallel dazu haben die Prozesseigner die Verpflichtung, für alle Geschäftsprozesse in ihrem Verantwortungsbereich geeignete Kennzahlen zur Messung der Prozessleistung (PPIs – Process Performance Indicators) zu definieren und deren Werte kontinuierlich zu überwachen. Typische PPIs sind Taktzeiten der Produkti-
248
Thomas Habermann, Jörg Doch
on, Ausbeuten, Fehlerraten oder Durchlaufzeiten von administrativen Prozessen. An einer Abweichung der gemessenen PPI-Werte vom jeweiligen Zielwert oder einer Verschlechterung im Zeitablauf kann der Prozesseigner ebenfalls (akuten) Handlungsbedarf zur Verbesserung seines Prozesses erkennen. Auch in diesem Fall wird über eine Projektanfrage der Projektauswahlprozess angestoßen. Ebene 3: Prozessoptimierung Wenn der in Abbildung 3 visualisierte Projektauswahlprozess zu der Entscheidung führt, den betreffenden Geschäftsprozess im Rahmen eines BPE-Projektes zu optimieren, entsteht – in Abhängigkeit von den gewählten Improve-Maßnahmen – i.d.R. ein Soll-Prozess, der sich hinsichtlich seines Ablaufs von dem ursprünglichen Prozess unterscheidet (= optimierter Prozess). Die Veränderung des Ablaufs muss in der Prozesslandkarte dokumentiert werden. Der PLC schließt sich, wenn der optimierte Prozess durch den Prozesseigner verabschiedet und die zugehörige Ablaufbeschreibung in der Prozesslandkarte auf den aktuellen Stand gebracht ist.
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six SigmaKonzeptes zu Lean Six Sigma in einem Unternehmen der chemischen Industrie Klaus Weckheuer, Michael Hennes Inhalt 1 2 3 3.1 3.2 3.3 3.4 4 5
1
Die Unternehmenssituation nach 7 Jahren Six Sigma..............................249 Programm-Integration: Six Sigma und Lean Management......................251 Anwendungsbeispiele ..............................................................................254 Prozesskategorisierung als Ausgangspunkt für Lean Six SigmaProjekte .................................................................................................255 Engpassanalyse zur Kapazitätssteigerung ................................................257 Ermittlung von Zeitprofilen zur Verkürzung von Batchzeiten.................259 5S-Workshop zur Optimierung der Prozessleittechnik ............................261 Zusammenfassung und Ausblick .............................................................262 Literatur....................................................................................................263
Die Unternehmenssituation nach 7 Jahren Six Sigma
Dieser Beitrag zeigt, mit welchen Überlegungen, Methoden und Maßnahmen die Integration von Lean Management in ein Six Sigma-Programm in einem Unternehmen der chemischen Industrie durchgeführt wurde. Die Basis bildet ein seit mehreren Jahren etabliertes Six Sigma-Programm. Es werden sowohl spezifische Anwendungen als auch organisatorische und personelle Maßnahmen der Weiterentwicklung des Six Sigma-Programms vorgestellt. Das Beispielunternehmen1 ist eine größere US-amerikanische Aktiengesellschaft. In Deutschland bestehen mehrere Standorte, wobei am größten Standort ca. 900 Mitarbeiter beschäftigt sind. Die Six Sigma-Initiative wurde im Jahr 1999 gestartet. Die Einführung von Six Sigma in diesem Unternehmen war bereits Bestandteil verschiedener Veröffentlichungen (vgl. u.a. Weckheuer 2007; Snee/ Hoerl 2003; McElhiney 2002). Die Schwerpunkte und Erlebnisphasen des zeitlichen Ablaufs der Programmentwicklung sind in Abbildung 1 im Überblick dargestellt. Das Programm war und ist seit seiner Einführung vor allem in den produktionsnahen Bereichen etabliert und hier – aus Sicht der Autoren – sehr erfolgreich. Die Anwendungsmöglichkeiten der Six Sigma-Methodik in der chemischen Produktion sind vielfältig, und es wurde ein signifikanter Beitrag zur Produktivitätssteigerung realisiert. 1
Hersteller anorganischer Spezialchemikalien.
250
Klaus Weckheuer, Michael Hennes
Zeitskala Jahr 0
Jahr 1
Schwerpunkte
Erlebnisphasen
Erste Information über Six Sigma Vorstandstraining Start mit weltweitem Champion-Training
Überraschungsphase
Suche nach Black Belts und Six Sigma-Projekten Ausbildung und Projektstart (1. Welle)
Schmunzelphase 1. Projektphase
Abschluss der ersten Projekte Start der 2. Black Belt-Welle in der Produktion Start mit Green Belt-Ausbildung Weitere Projekte in der Produktion und erste Projekte außerhalb der Produktion
Abwartephase
Erste Erfolgsphase Durchhaltephase
Jahr 2
Start der 3. Black Belt-Welle in der Produktion Fortführung Green Belt-Ausbildung Start mit Yellow Belt-Ausbildung
Konsolidierungsphase
Jahr 3
Programmerweiterung auf andere Bereiche (z.B. Forschung, Anwendungstechnik, Marketing)
Hochphase der Anwendung
Jahr 4
Konsolidierung des Programms in der Produktion Fortführung der Green Belt-/ Yellow Belt-Ausbildung
Jahr 5
Start der 4. Black Belt-Welle Übertragung von Six Sigma in das operative Tagesgeschäft
Routinephase
Jahr 6
Start der Lean Management-Implementierung (Produktion und Administration) Neuorganisation des Six Sigma-Programms
Wendephase
Jahr 7
Lean Management-Anwendung Start der 5. Black Belt-Welle
Erneute Konsolidierung
Abb. 1: Schwerpunkte und Erlebnisphasen des Six Sigma-Programms
Trägt man die Phasen im zeitlichen Verlauf gegen einen subjektiven Faktor „Programmintensität“ auf, der sich aus Methodenanwendung, Schulung, Präsenz im Unternehmen etc. konstituiert, so ergibt sich ein „Programm-Lebenszyklus“ der Initiative. Dieser ist beispielhaft in Abbildung 2 visualisiert. Nach dem Start der Six Sigma-Initiative und einer Programm-Konsolidierung folgte zunächst eine ein- bis zweijährige Phase, die rückblickend als eine „Hochphase“ des Six Sigma-Programms zu bezeichnen ist: Viele erfolgreiche Projekte, viele Schulungen und intensive Nutzung der Werkzeuge sind nur einige der Kennzeichen. Entscheidend ist, dass in dieser Hochphase bereits, analog zum Produktlebenszyklus, neue Impulse für die Weiterentwicklung des Programms gegeben werden, da sonst eine Sättigung oder ein Rückgang der Programmintensität eintritt. Dieser Rückgang wird insbesondere durch den Übergang von einer Initiative zur betrieblichen Routine hervorgerufen, welcher zum einen die Emotionen aus dem Programm nimmt. Zum anderen kommt es zum Fehlen neuer Anreize, wenn alle Pro-
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma
251
zesse bereits mehrfach mit Six Sigma-Werkzeugen untersucht und verbessert worden sind. Diese „Innovationskrise“ darf nicht unterschätzt werden. Programmintensität
Hochphase
Konsolidierungsphase
Routinephase
Erneute Konsolidierung
Durchhaltephase
Wendephase
Six Sigma
Lean Six Sigma
?
?
1. Projektphase Überraschungs& Schmunzelphase
0
1
2
3
4
5
6
7
Jahre
Ständige Prozess- und Produktverbesserung
Abb. 2: Programmlebenszyklus (idealtypisch)
Der Übergang zur Routine ist zwar im Grunde genommen zu begrüßen, da Six Sigma nun etabliert ist. Jedoch muss man sich darüber im Klaren sein, dass das Programm gepflegt, entwickelt und durch neue Ansätze erweitert werden muss, um langfristig zu bestehen. Im Beispielunternehmen wurde zu diesem Zeitpunkt global mit der Einführung von Lean Management begonnen und damit eine Wendephase eingeleitet. In diesem Zusammenhang ist das Programm grundlegend überarbeitet worden.
2
Programm-Integration: Six Sigma und Lean Management
Die Einbindung von Lean Management in das Six Sigma-Programm wurde von der amerikanischen Zentrale aus global gesteuert. Wesentliche Elemente dieses Prozesses waren einerseits methodisch/ verfahrensorientiert und andererseits organisatorisch/ verhaltensorientiert (siehe Abb. 3).
252
Klaus Weckheuer, Michael Hennes
Methodische/ verfahrensorientierte Elemente
Organisatorische/ verhaltensorient. Elemente
• Einführung von Lean Management-Methoden in der Produktion
• Veränderung der Planungs- und Kontrollinstrumente im Produktionsbereich
• Erweiterung des Lean Six Sigma-Ansatzes auf administrative Bereiche
• Änderung der globalen Zuständigkeiten/ Positionen im „Productivity Program“
• Umbenennung und Erweiterung des Six Sigma-Programms in ein „Productivity Program“ i.S.v. Lean Six Sigma
• Zentralisierung der Analyse und Bewertung von Erfolgskennzahlen
• Veränderung der Trainingsinhalte für Black Belts und Green Belts
• Schaffung neuer Stellen zur Einführung von Lean Management • Kommunikation der veränderten Schwerpunkte im Unternehmen
Abb. 3: Wesentliche Elemente zur Programmintegration von Six Sigma und Lean Management
Parallel zu diesen globalen Veränderungen mussten auf lokaler Ebene Überlegungen angestellt werden, wie die Programmintegration vor Ort erfolgen und eine dauerhafte Lösung erreicht werden kann. Dazu waren die Besonderheiten der einzelnen Standorte mit den Erwartungen und Vorgaben der Zentrale in Einklang zu bringen. Ausgangspunkt für diesen Prozess war eine Beurteilung der Stärken und Schwächen des Six Sigma-Programms sowie der erwarteten Stärken und Schwächen der Lean Management-Methoden. Zunächst wird in Abbildung 4 stichpunktartig die (interne) Beurteilung des Six Sigma-Programms dargestellt. Stärken • Klassischer Top-Down-Ansatz • Nachvollziehbare Resultate (sowohl qualitativ als auch finanziell) • Eindeutiges und funktionierendes Rollenmodell mit Vollzeit-Black Belts in den Produktionsbereichen
Schwächen • Sehr starker Fokus auf den Produktionsbereich • Fokussierung auf Einzelpersonen (die Belts) und kleine Teams • Ggf. zu technokratische Abwicklung und Überbetonung der Messbarkeit
• Einheitliche Terminologie und Vorgehensweise im Unternehmen
• Ggf. Gefahr der Innenfokussierung auf Fehlerbeseitigung
• Klares Projektmanagement
• Gefahr der Kurzfristigkeit, wenn zu sehr das Einzelprojekt und nicht das Gesamtsystem betrachtet wird
Abb. 4: Stärken-Schwächen-Profil des Six Sigma-Programms
Die wesentlichen Vorteile von Six Sigma werden in dem klaren Rollenmodell und dem Projektmanagement, gepaart mit der strukturierten Vorgehensweise (DMAIC-Zyklus) und der Verbindung zu finanziellen Kenngrößen, gesehen. Als
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma
253
Nachteile erscheinen das zu starke Fokussieren auf einzelne Projekte, die Hervorhebung einzelner Positionen (Belts) und eine ggf. zu technokratische Abwicklung. Die Lean Management-Methoden waren zum Zeitpunkt der Einführung nur wenigen Experten vertraut. Zwar gab es auch schon innerhalb des Six Sigma-Programms erste Schritte im Hinblick auf die Nutzung von Lean-Methoden, z.B. bei Workshops zur Rüstzeitreduzierung oder Materialflussoptimierung, aber es gab nur wenige praktische Erfahrungen in größerem Umfang. Vor diesem Hintergrund wurde das Stärken-Schwächen-Profil für den Einsatz von Lean ManagementMethoden erarbeitet (siehe Abb. 5). Stärken • Erfassung und Analyse von Wertströmen („von Rampe zu Rampe“) • Einsatz von „Kaizen“ als Ansatz zur Einbeziehung von mehr Mitarbeitern • Aktive Förderung eines Prozesses der kontinuierlichen Verbesserung (weniger punktuelle Projekte) • Neue Methoden zur Optimierung des Faktors „Geschwindigkeit“
Schwächen • Wurzeln in asiatischer Kultur, die nicht ohne Weiteres in internationale Unternehmen übertragen werden können • Keine Vorgaben an Rollen und Organisation • Gefahr des Missbrauchs und der „Magersucht“ (negatives Image) • Fehlende Erfahrung in der Anwendung bei Prozessen der chemischen Industrie
• Methoden interdisziplinär und in größerem Maße auch außerhalb der Produktion einsetzbar, z.B. Verwaltung
Abb. 5: Stärken-Schwächen-Profil von Lean Management-Methoden
Auf drei Aspekte soll in diesem Zusammenhang kurz eingegangen werden: 1. Im Unterschied zu Six Sigma, wo einzelne Prozessabschnitte optimiert werden, steht bei Lean Management der gesamte Wertstrom im Blickpunkt. Dabei soll die Verschwendung aus diesem Wertstrom eliminiert werden, um die Durchlaufzeit zu verkürzen und den Kundenwert zu erhöhen. Die Erstellung und Analyse der Wertströme ist Kernelement und Schlüsselwerkzeug des Lean Management-Ansatzes. Die Wertstromanalyse ist universell einsetzbar, nicht an Industriebereiche gebunden und bietet – aus Sicht der Autoren – eine wirkungsvolle Erweiterung des Six Sigma-Toolkastens an. 2. Eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit Lean Management besitzt der Begriff „Kaizen“. Kaizen2 ist seit Jahren zum Schlagwort für den kontinuierlichen Verbesserungsprozess geworden. Ziel von Kaizen ist es, quasi täglich, in kleinen Schritten Verbesserungen in den Arbeitsabläufen zu erzielen und sich niemals mit dem Status quo zufrieden zu geben: „Kaizen ist jedermanns Angelegenheit“ (Imai 1998). In der Ausgestaltung des Begriffs Kaizen im Un-
2
jap.: Veränderung zum Besseren.
254
Klaus Weckheuer, Michael Hennes
ternehmen liegt der Schlüssel für die Akzeptanz von Lean Management und anderen Verbesserungsaktivitäten durch die Mitarbeiter. 3. Die Anwendung der Lean-Methoden in der Teilefertigung ist seit Jahren fester Bestandteil vieler Produktionssysteme und somit nicht neu. Anwendungen in der Prozessindustrie, z.B. Chemie, Lebensmittel und Pharma, sind bisher noch die Ausnahme (vgl. Grethlein 2006). Hier müssen z.T. geeignete „Übersetzungen“ gefunden werden. Allerdings hat sich gezeigt, dass viele der Methoden anwendbar sind oder sich in andere Konzepte, z.B. Komplexitätsmanagement (vgl. Schuh 2005), leicht einbinden lassen. Zusammenfassend ergeben sich aus den vorstehenden internen StärkenSchwächen-Profilen eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Six Sigma und Lean Management, die in Abbildung 6 aufgeführt sind. Gemeinsamkeiten Beide Konzepte ... • legen einen starken Fokus auf die Anwendung von Problemlösungsmethoden • haben ihren Anwendungsschwerpunkt in der Produktion; dies führt zu potenziellen Akzeptanz-Schwierigkeiten außerhalb des technischen Bereichs • besitzen ein eindeutig finanziell geprägtes Entscheidungsinstrumentarium und wollen nicht „Qualität um der Qualität willen“ • helfen, vorhandenes Betriebskapital effizienter zu nutzen. Sie sind daher insb. in reifen Märkten von großer Bedeutung, um kostenintensive Investitionen zu vermeiden respektive zu verringern
Unterschiede • Six Sigma bietet den Vorteil eines starken organisatorischen Ansatzes mit eindeutigem Rollenverständnis und klarer Projektstruktur • Lean Management fördert hingegen die Einbeziehung möglichst vieler Mitarbeiter durch die „Kaizen-Ausrichtung“ • Produktionsseitig bieten sich Six SigmaWerkzeuge in idealer Weise zur Optimierung chemischer Prozesse an • Für die Anwendung von Lean Management-Methoden müssen z.T. noch geeignete Adaptionen gefunden werden, damit die aus der Teilefertigung bekannten Werkzeuge in der Prozessindustrie anwendbar sind
Abb. 6: Gemeinsamkeiten/ Unterschiede von Six Sigma und Lean Management
Es geht somit bei der Integration nicht um ein „besser oder schlechter“, auch nicht um die Definition eines „Meta-Problemlösungs-Ansatzes für alle Prozesse“, der das gesamte Methodenspektrum umfasst, sondern um den problembezogenen Einsatz ausgewählter Methoden. Dies wird im Folgenden anhand von vier Anwendungsbeispielen gezeigt.
3
Anwendungsbeispiele
Dieser Abschnitt beginnt mit einer Darstellung der Vorgehensweise zur Prozesskategorisierung, die als wichtiger Ausgangspunkt für Lean Six Sigma-Projekte gilt. Darauf aufbauend werden verschiedene Methoden und Analysetechniken
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma
255
vorgestellt, die im Beispielunternehmen im Rahmen von Lean Six Sigma angewendet werden. Hierzu gehören u.a. die Engpassanalyse zur Kapazitätssteigerung, die Ermittlung von Zeitprofilen zur Verkürzung von Batchzeiten und die Durchführung von 5S-Workshops zur Optimierung der Prozessleittechnik. 3.1
Prozesskategorisierung als Ausgangspunkt für Lean Six SigmaProjekte
In diesem Unterkapitel wird eine einfache, aber sehr effektive Methode dargestellt, mit deren Hilfe Prozesse auf ihr Optimierungspotenzial durch Lean Six Sigma-Methoden untersucht werden können. Grundlage hierfür sind die Wertstromanalyse und das so genannte „Glenday Sieb“. Mit dem Begriff „Wertstrom“ bezeichnet man die gesamten Material- und Informationsflüsse im Unternehmen, die notwendig sind, um ein Produkt herzustellen und zu vertreiben.3 Da Unternehmen in aller Regel eine Vielzahl von Wertströmen zu realisieren und zu optimieren haben, muss ein methodischer Rahmen bereitgestellt werden, mit dessen Hilfe eine Kategorisierung dieser Wertströme erfolgen kann. Eine Möglichkeit hierzu bietet das Glenday Sieb, welches auf folgendem Schema basiert (vgl. Glenday 2005): Die Produkte einer organisatorischen Einheit werden kategorisiert, z.B. nach ihrem Umsatz- und/ oder Mengenvolumen. Die Kategorisierung erfolgt in vier Gruppen (siehe auch Abb. 7): a) Grüne Produkte ergeben bis zu 50% des kumulierten Volumens b) Gelbe Produkte ergeben bis zu 95% des kumulierten Volumens c) Blaue Produkte ergeben bis zu 99% des kumulierten Volumens d) Rote Produkte ergeben das letzte 1% des kumulierten Volumens. Nach dem Konzept von Glenday werden die „grünen“ Produkte in einem fest wiederkehrenden Produktionsplan/ -system nach dem Prinzip „Every Product, Every Cycle“ hergestellt. Voraussetzungen für das Funktionieren dieses festen Systems sind eine ausreichende Basisstabilität der Produktion (vgl. Smalley 2006), eine exakte Nachfrageanalyse und -optimierung sowie ein „Schutz“ des festen Plans vor Planänderungen. Das System wird als „green stream“ bezeichnet. Unabhängig von diesem Produktionsplanungsansatz kann das Glenday Sieb helfen, Schwerpunkte für die Anwendung von Lean Six Sigma-Verbesserungen zu identifizieren. So bietet es sich an, die „grünen“ Produkte mit Hilfe der Wertstromanalyse zu erfassen. Diese Analyse ist interdisziplinär und beinhaltet die Ziele, den Prozess zu beschreiben, mit Kennzahlen zu erfassen und Optimierungspotenziale herauszuarbeiten. Neben den klassischen Lean-Kenngrößen, z.B. Durchlaufzeiten, Taktzeit, Lagerbestände und Push-Pull-Überlegungen, sind auch die üblichen Six Sigma-Kennzahlen sinnvoll, wie z.B. Cp- und Cpk-Werte, oder ei-
3
Für eine ausführliche Darstellung der Wertstromanalyse und des Wertstromdesigns sei auf den Beitrag von Vollmer in Kapitel B verwiesen.
256
Klaus Weckheuer, Michael Hennes
ne Beurteilung der Prozessstabilität anhand von Regelkarten. Der Umfang der Analyse richtet sich dabei nach der Komplexität des untersuchten Prozesses. Kumulierte Prod.-Menge % 50% 95% 99% letztes 1% Summe
Anzahl der Produkte
% Anteil des Portfolios
kum. % Anteil d. Portfolios
Farbkodierung grün gelb blau rot
Abb. 7: Schema für das Glenday Sieb
Als Ergebnis der Wertstromanalyse und der Erfassung der Kennzahlen ergeben sich Optimierungspotenziale für die Hauptvolumenträger des Unternehmens, sei es in Bezug auf den Faktor „Zeit“ (Rüstzeiten, Durchlaufzeiten, Lagerreichweiten), den Faktor „Kosten“ und/ oder den Faktor „Qualität“ (Produkt-/ Prozessqualität). Die erkannten Potenziale müssen anschließend im Rahmen der Projektbearbeitung realisiert werden. Der von Glenday geprägte Begriff des green streams eignet sich in diesem Zusammenhang sehr gut, um zu beurteilen, wie gut die Hauptvolumenströme durch das Unternehmen „fließen“, oder eben nicht. Auch wenn am Standort keine Anpassung der Produktionsplanung an das Glenday-Schema vorgenommen wurde, so hat sich die Kategorisierung als geeigneter Ausgangspunkt für die Projektfindung erwiesen. Wesentlich ist, dass es sich nicht um eine reine „Produktionsangelegenheit“ handelt, sondern um einen interdisziplinären Prozess mit Bereichen, die der Produktion vor- und nachgelagert sind. In weiteren Schritten können auch für die verbleibenden Produktkategorien Lean Six Sigma-Anwendungen definiert werden. Bei den „blauen“ Produkten können z.B. Methoden des Komplexitätsmanagements angewendet werden. In dieser Kategorie wird nach Möglichkeiten der Standardisierung, z.B. in Bezug auf Rohstoffe, Verpackungen und Produktionswege, und/ oder der Reduzierung der Variantenzahl gesucht. Bei den „roten“ Produkten ist zu entscheiden, welchen Wert sie für den Kunden und für das Unternehmen darstellen. Wenn sie einen Wert für den Kunden bieten, ist über die Preisgestaltung nachzudenken, damit zumindest die internen Komplexitätskosten aufgefangen werden. Ziel ist es, diese Produkte nicht aus dem Portfolio zu eliminieren, sondern sie für das Unternehmen zu Wertbringern weiterzuentwickeln. In Abbildung 8 sind die Ergebnisse des Glenday Siebes für die interne Erfassung von drei Standorten eines Teilbereichs des Unternehmens wiedergegeben: Der prozentuale Anteil der „grünen“ Produkte, also der Hauptvolumenträger (50% des Volumens) liegt bei allen drei Standorten zwischen 11% und 14%. Im Gegensatz dazu sind an allen Standorten ca. 40-50% des Produkt-Portfolios für nur 5% der Gesamtmenge verantwortlich bzw. 18-25% der Produkte für nur 1% des Vo-
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma
257
lumens. Dieses Ergebnis ist nicht untypisch und deckt sich mit den Ergebnissen aus anderen Branchen. Für die „grünen“ Produkte kann nun mit Hilfe der Wertstromanalyse eine Detailuntersuchung erfolgen, wie sie im nächsten Abschnitt beispielhaft gezeigt wird. Standort 1 Kumulierte Produktionsmenge [%] 50% 95% 99% Last 1 % sum
Anzahl Produkte 10 36 14 15 75
% Anteil des Portfolios 13,3 48,0 18,7 20,0
Kumulierter %-Anteil des Portfolios 13,3 61,3 80,0 100,0
Farbcode grün gelb blau rot
Standort 2 Kumulierte Produktionsmenge [%] 50% 95% 99% Last 1 % sum
Anzahl Produkte 9 31 11 11 62
% Anteil des Portfolios 14,5 50,0 17,7 17,7
Kumulierter %-Anteil des Portfolios 14,5 64,5 82,3 100,0
Farbcode grün gelb blau rot
Standort 3 Kumulierte Produktionsmenge [%] 50% 95% 99% Last 1 % sum
Anzahl Produkte 12 45 23 26 106
% Anteil des Portfolios 11,3 42,5 21,7 24,5
Kumulierter %-Anteil des Portfolios 11,3 53,8 75,5 100,0
Farbcode grün gelb blau rot
Abb. 8: Glenday Sieb für drei Produktionsstandorte (Beispiel)
3.2
Engpassanalyse zur Kapazitätssteigerung
Mithilfe von Lean Six Sigma-Werkzeugen wurde eine Produktionslinie untersucht, um Schwachstellen und Engpässe entlang des gesamten Wertstroms für eine Kapazitätserweiterung zu erfassen. Dabei wurde die folgende sechsstufige Vorgehensweise gewählt: 1. Durchführung einer Produktkategorisierung mit Hilfe des Glenday-Schemas zur Erfassung der wesentlichen Produkt- und Kundengruppen.4 Daraus wurde der „green stream“ für diesen Geschäftsbereich abgleitet. 2. Auswahl der kritischen Produktfamilien sowie der Haupt- und Subherstellungsprozesse für eine Detailuntersuchung. Ein Schema für die Identifikation von Haupt- und Subprozessen ist beispielhaft in Abbildung 9 gegeben. 3. Statistische Detailanalyse des Kunden-Bestellverhaltens und der Verpackungsvarianten für diese Produktfamilie mithilfe von Six Sigma-Werkzeugen,
4
Eine typische Frage in diesem Zusammenhang ist: Wie viele Produktfamilien ergeben 50% des Gesamtvolumens und welche Kunden erhalten diese?
258
Klaus Weckheuer, Michael Hennes
z.B. Pareto-Analysen oder Zeitreihen-Analysen, sowie Beurteilung der Basisstabilität der Produktfamilien anhand von Regelkarten und Cpk-Werten.
Basismaterialherstellung
Hauptprozess A
Silo 1
Mech. Behandlung A
Hauptprozess B
Silo 2
Mech. Behandlung B
Silo ´3
Verladen
Abb. 9: Schema für Haupt- und Sub-Prozesse
4. Erstellung von Wertstromdiagrammen mit Darstellung der „Current state map“ für die verschiedenen Produktfamilien sowie Verpackungs-/ Ladevarianten, inklusive Detailanalysen zu Taktzeiten. In Abbildung 10 ist ein schematisches Wertstromdiagramm zur Analyse des Ist-Prozesses exemplarisch aufgeführt. Ebenfalls wurde das Konzept des „One Piece Flow“ angewendet; als Losgröße i.S.v. 1 diente ein Silozug oder eine LKW-Ladung.
Abb. 10: Beispiel für eine Wertstromanalyse
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma
259
5. Gemeinsame Erarbeitung von Verbesserungspotenzialen zur gezielten Engpassbeseitigung, z.B. in Form von Six Sigma-Projekten, als Investitionsmaßnahmen oder als Aktivitäten zur Vereinfachung und Fehlervermeidung, z.B. in Form von Poka Yoke. 6. Zusammenfassung der Maßnahmen in einer Aktionsliste und Darstellung in der „Future State Map“ (Soll-Zustand). Der Aufwand zur erstmaligen Erfassung der Wertströme war erheblich. Allerdings stellt die detaillierte Ausarbeitung eine gute Grundlage für zukünftige Analysen und Projekte dar. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass ein wichtiger Faktor die abteilungsübergreifenden Teams sind. Durch die gemeinsame Erstellung des Wertstromdiagramms kommt es zum Erfahrungs- und Wissensaustausch der Verantwortlichen aus verschiedenen Bereichen. Somit verbessert sich die Kommunikation entlang der Wertschöpfungskette. 3.3
Ermittlung von Zeitprofilen zur Verkürzung von Batchzeiten
Das Glenday Sieb wird im Wesentlichen als ein Werkzeug zur Projektfindung und Prioritätensetzung genutzt. Auf dieser Basis ist im Folgenden ein Beispiel für eine konkrete Optimierung im Produktionsbereich dargestellt. Bei diesem wird ein Produktionsprozess mithilfe einer Zeitanalyse „zerlegt“ und anschließend sukzessive optimiert. Wie bereits erwähnt, liegt das wesentliche Ziel der Lean-Methodik in der Vermeidung von Verschwendung (Muda) in den Wertströmen. Der Begriff der Verschwendung umfasst dabei nicht nur Fehler, sondern auch Wartezeiten, Transportvorgänge, Überbearbeitung oder nicht notwendiges Inventar.5 Anhand der Überlegungen zur Verschwendung lassen sich nicht nur übergeordnete Wertströme analysieren, sondern der Anwender kann mittels dieses Schemas relativ leicht auch interne Abläufe erfassen, um z.B. Durchlaufzeiten zu reduzieren oder zusätzliche Kapazitätsmöglichkeiten zu schaffen. Im Beispielunternehmen wurde ein einfaches Datenblatt (vgl. Remy 2005) genutzt, um Zeitprofile von Produktionschargen zu erstellen. Im Prinzip erfolgt damit eine Einteilung der verschiedenen Tätigkeiten in die o.g. Verschwendungsarten, inklusive einer Abschätzung der Zeiten oder Entfernungen. Die Erfassung dient als Grundlage für die Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen. Das prinzipielle Vorgehen soll an einem Beispiel in Abbildung 11 gezeigt werden.6 Anhand der Tabelle in Abbildung 11 werden die verschiedenen Prozessschritte, die gemäß definierter Rezepturen und Herstellungsanweisungen ablaufen, deutlich. Wesentlich ist dabei zum einem die Zeiterfassung sowie zum anderen die 5
6
Im Englischen werden die Verschwendungsarten oft mit dem Akronym TIMWOOD = Transportation, Inventory, Motion, Waste, Overproduction, Overprocessing, Defect abgekürzt. Die reale Prozesswelt ist vielfach komplizierter; für den Artikel soll beispielhaft ein stark vereinfachtes Schema aufgezeigt werden.
260
Klaus Weckheuer, Michael Hennes
Einteilung in die verschiedenen Verschwendungsarten. Dadurch wird relativ schnell deutlich, an welchen Stellen eine Optimierung möglich ist. Im Beispiel sind dies die Verbesserung der Dosierprofile und Rührvorgänge, die Verkürzung von Analysezeiten und/ oder die Optimierung des Chargenwechsels mit Reinigungstätigkeiten, Prüfvorgängen, Dokumentationen etc. Während die chemische Reaktion i.d.R. aufgrund der Reaktorgeometrie und der chemisch-physikalischen Gesetzmäßigkeiten definiert ist, ergeben sich viele Verbesserungspotenziale in den Aktivitäten, die um den eigentlichen „Prozess herum“ ablaufen. Beispiel eines Chargenprozesses
Akuell Schritte Zeit
Vorschlag Schritte Zeit
Einsparung Schritte Zeit
Vorgang
1
300
1
300
0
0
Transport
4
90
3
55
-1
-35
Prüfung
3
65
3
45
0
-20
Verzögerung
3
90
3
45
0
-45
Lagerung
0
0
0
0
0
0
Entfernung
Zeit (min)
445 Menge (kg)
Lagerung
Verzögerung
Prüfung
Transport
Vorgang
Prozess-Schritte
Entfernung (m)
545
Zeit
-100
Kommentare
Vorlage
15
Dosierung Material A
20
Dosierung Material B
20
Rühren
30
Reaktion
300
Rühren
30
Beprobung
5
Messergebnis abwarten
50
Reduzierung Mess-Zeit
Behälter entleeren
35
schnelleres Entleeren
Behälter reinigen
30
Vorbereitung Folgebatch
10
alternative Reinigungstechnik
Anzahl Schritte Zeit (Minuten)
1
4
3
3
0
300
90
65
90
0
Paralleldosierung A und B Reduzierung Rührzeit
Reduzierung Rührzeit
Abb. 11: Zeitprofil für vereinfachten Batchprozess in der chemischen Industrie
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma
3.4
261
5S-Workshop zur Optimierung der Prozessleittechnik
Als letztes Beispiel wird auf die 5S- bzw. 5A-Workshops Bezug genommen. Wie eingangs ausgeführt, ist eine wesentliche Stärke des Lean-Ansatzes die direkte Einbeziehung vieler Mitarbeiter in die Problemlösung – im Gegensatz zu den eher kleinen Projektteams bei den Six Sigma-Anwendungen. Um dies zu erreichen, werden verschiedene 5S-Workshops im Unternehmen durchgeführt, insbesondere in der Produktion und im Labor. Die generelle Vorgehensweise ist in Abbildung 12 ersichtlich. Die Workshops werden vom Lean Master sowie den Black Belts moderiert und haben zum Ziel, Abläufe zu verbessern, Gehwege zu verkürzen sowie das allgemeine Arbeitsumfeld weiter zu verbessern. Die Struktur der 5S-Vorgehensweise wurde gewählt, um im Rahmen der Workshops auch andere Themengebiete zu bearbeiten. Als Beispiel dient hier ein Workshop mit dem Ziel, ein Prozessleitsystem zu optimieren. Mithilfe von komplexen Prozessleitsystemen wird in einem Chemiebetrieb der gesamte Prozess gesteuert: von der Reaktorbefüllung/ -entleerung über die Rezeptursteuerung bis hin zur Prozess- und Anlagenüberwachung. Prozessleitsysteme sind sozusagen das Herz der Anlagen. In den meisten Betrieben sind diese Leitsysteme zusammen mit neuen Anlagenteilen historisch „mitgewachsen“, so dass im Laufe mehrerer Jahre es immer wieder zu Programmunterschieden bei an sich gleichen Reaktortypen kommt. Diese Unterschiede erhöhen die Komplexität der Aufgaben in der Leitwarte. Sofern nicht ein völliges „Re-Engineering“ der Programme stattfindet, muss man sich im Betrieb mit kleinen Schritten helfen, um die Arbeit in der Leitwarte zu vereinfachen. 1. S
Sort (Sortieren)
Worin unterscheiden sich Aggregate und Programme?
2. S
Straighten (Aufräumen)
Was ist gut und sollte behalten werden?/ Was ist ggf. überflüssig?
3. S
Shine (Säubern)
Welche Programmschritte/ Alarme/ Messages kann man weglassen oder anders gestalten?
4. S
Standardize (Standardisieren)
Welche Programmschritte kann man vereinheitlichen?
5. S
Sustain (Erhalten)
Was ist für einen reibungslosen Betrieb notwendig?
Abb. 12: Fragen im Rahmen der 5S-Analyse
Im Beispielunternehmen wurde eine Betriebserweiterung als Ausgang für eine 5S-Analyse des Prozessleitsystems gewählt. Ziel war es, die Programme für die bestehenden Komponenten zu analysieren und daraus eine standardisierte und optimierte Programmfahrweise – für den neuen und den alten Betriebsteil gleichermaßen – zu erstellen, um dem steigenden Arbeitsaufwand in der Leitwarte besser
262
Klaus Weckheuer, Michael Hennes
gerecht zu werden. Der Workshop wurde nach folgendem vier Punkte-Schema durchgeführt: 1. Zunächst wurde eine Checkliste zur Analyse der Prozessleittechnik-Programme nach den 5S-Gesichtspunkten erstellt (siehe auch Abb. 12). 2. Jeder Teilnehmer musste sich anhand der Fragen in Abbildung 12 im Voraus im Detail mit den Programmen befassen, um Unterschiede, Verbesserungsmöglichkeiten und bestehende (sehr gute) Lösungen für die verschiedenen Aggregate zu erarbeiten, z.B. in Bezug auf das Prozessanfahren/ -abfahren, den Normalbetrieb und den Umgang mit potenziellen Störungen und Alarmfrequenzen. 3. Im eigentlichen 5S-Workshop wurden dann die Vorschläge zusammengestellt, mit den Fachleuten aus der Prozessleittechnik diskutiert und die notwendigen Maßnahmen definiert. 4. Die Umsetzung der Programmierarbeit und die Kontrolle der Maßnahmen erfolgt sukzessive im laufenden Betrieb. Wesentliche Erfolgskriterien waren die detaillierte Vorbereitung der Teilnehmer, die Einbeziehung von Mitarbeitern aus allen Schichten sowie die am Ende erstellte und definierte Verbesserungsliste inklusive Umsetzungskontrolle.
4
Zusammenfassung und Ausblick
Damit eine Integration von Lean Management in ein Six Sigma-Programm erfolgreich ist, müssen verschiedene Management-Themenbereiche geklärt werden. Dazu gehören insbesondere die Bereiche „Organisation und Struktur“, „Methoden und Programm-Management“ sowie „Verhalten und Kultur“. Die hierauf bezogenen Änderungen werden für das Beispielunternehmen zusammengefasst. Im Themenbereich Organisation und Struktur wurde das Six Sigma-Modell im Wesentlichen beibehalten: • Die Struktur des Six Sigma-Programms mit einer zentralen Steuerung in der Holding und dezentral agierenden Black Belts in den Produktionsbereichen blieb unverändert, genauso wie das Six Sigma-Steering-Committee. • Eine neue, zentrale Stelle „Lean Master“ wurde geschaffen, um auf diese Weise schneller Lean-Wissen/ -Erfahrung zu sammeln. Im Themenbereich Methoden und Programm-Management ergaben sich folgende Änderungen und Erweiterungen: • Die Lean Six Sigma-Projekte und -Erfolgskennzahlen wurden in das operative Planungs- und Kontrollsystem eingebunden. Damit ist eine laufende Umsetzungs- und Erfolgskontrolle sichergestellt. • Die Methode der Wertstrom-Analyse wird verstärkt genutzt, um – basierend auf der Prozesskategorisierung – für wesentliche Prozesse Projekte zu finden.
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma
263
• Die Vorgehensweise für die Projektfindungs-Workshops wurde durch LeanMethoden erweitert. • Die Durchführung klassischer Six Sigma-Projekte blieb bzw. bleibt überall dort beibehalten, wo es sinnvoll ist. Im Themenbereich Verhalten und Kultur war es ein Hauptanliegen des Unternehmens, ein „positives Image“ des Lean-Ansatzes zu erreichen. Dies wurde durch folgende Punkte unterstützt: • Um mehr Mitarbeiter in das Programm einzubeziehen, werden verstärkt Kaizen- und 5S-Workshops eingesetzt. • Die Ausbildung von Lean-Yellow Belts wurde beschleunigt. Insbesondere aufgrund der guten Erfahrungen bei der Six Sigma-Einführung, wurde diesmal sehr schnell eine große Anzahl von Lean-Yellow Belts geschult. • Zur Unterstützung der Aktivitäten in den administrativen Bereichen wurden neue Green Belt-Kurse für „Lean Six Sigma in transactional areas“ erarbeitet. Bei allen Schulungen sollte aber klar sein, dass die Einbeziehung der Mitarbeiter vor Ort und die Konsequenz der Umsetzung die wesentlichen Hebel für die Akzeptanz der Lean Management-Methoden sind. • Die Fortschritte und Erfolge des Programms werden regelmäßig veröffentlicht. Weiterhin erfolgt die systematische Vermittlung von Lean Six SigmaWerkzeugen als Weiterbildung in Form von Intranet-Auftritten, Bekanntmachungen, Newslettern etc. Folgt man der Überlegung des „Programm-Lebenszyklus“, so befindet sich das Lean Six Sigma-Programm (in der Produktion) zurzeit erneut in einer Phase der Konsolidierung. Abzuwarten bleibt, welche Themen in ein paar Jahren das Verbesserungsprogramm erweitern und voranbringen und welche Elemente erhalten bleiben. Spätestens dann wird man sich wieder Gedanken zum Thema „Integriertes Management“ machen müssen (vgl. Bleicher 2004).
5
Literatur
Bleicher, K. (2004): Das Konzept Integriertes Management – Visionen, Missionen, Programme, 7. Aufl., Frankfurt am Main 2004. Glenday, I. (2005): Breaking Through to Flow, Ross on Wye 2005. Grethlein, E. (2006): Signifikante Verbesserungen durch Lean Management, in: http:// www.lean-management-Institut.de/fileadmin/downloads/Fachartikel_Process_f_r_ Web.pdf, Zugriff: 11.07.2006. Imai, M. (1998): Kaizen, 8. Aufl., Frankfurt am Main et al. 1998. McElhiney, G. (2002): Hüben wie drüben – Six Sigma sollte nicht blind aus Amerika übernommen werden, in: QZ Qualität und Zuverlässigkeit, 47. Jg. (2002), Nr. 2, S. 300302. Remy, R. (2005): Lean Six Sigma in Transactional Areas, Internes Seminar, Oppenheim 2005.
264
Klaus Weckheuer, Michael Hennes
Schuh, G. (2005): Produktkomplexität managen – Strategien, Methoden, Tools, 2. Aufl., München/ Wien 2005. Smalley, A. (2006): Basic Stability is basic to Lean Manufacturing Success, in: http://www. leanuk.org/articles/achieving_basic_stability.pdf, Zugriff: 11.07.2006. Snee, R./ Hoerl, R. (2003): Leading Six Sigma, Upper Saddle River 2003. Weckheuer, K. (2007): Einführung von Six Sigma in der chemischen Industrie: Erfahrungen, Vergleich Amerika-Europa, Anwendungsmöglichkeiten, in: Töpfer, A. (Hrsg.): Six Sigma – Konzeption und Erfolgsbeispiele für praktizierte Null-Fehler-Qualität, 4. Aufl., Berlin/ Heidelberg 2007, S. 415-429.
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O) im Bereich Aerospace Jürgen Bremer Inhalt 1 1.1 1.2 1.3 2 2.1 2.2 2.3 3
1
Lean Six Sigma bei Honeywell................................................................265 Kurzporträt des Unternehmens.................................................................265 Der Wartungs- und Reparaturprozess ......................................................266 Qualität, Zeit und Kosten in der Ausgangssituation.................................268 Verbesserungsprojekt im Bereich Turbo Fan Engines .............................268 Produktions- und Transportlosgrößen als Verbesserungsansatz ..............269 Durchlaufzeitenreduzierung durch modulare Bauweise...........................272 Hohe Liefertreue durch Festlegen der „richtigen“ Prioritäten..................275 Wesentliche Projekterfolge und -ergebnisse ............................................278
Lean Six Sigma bei Honeywell
Der Beitrag beschreibt, wie in einem Betrieb für Reparatur und Überholung1 von Flugzeugtriebwerken Lean-Konzepte erfolgreich umgesetzt wurden. Diese LeanKonzepte sind Teil der Six Sigma-Philosophie des Unternehmens und folgen grundsätzlich dem DMAIC-Verbesserungsansatz. Auf dieser Basis konnte die Durchlaufzeit um über 60% gesenkt werden. Während sich die Six Sigma-Black Belts mit den Ursachen für Streuung sowie deren Beseitigung beschäftigten, fokussierten die Six Sigma-Lean Experts – ebenfalls dem DMAIC-Ansatz folgend – auf Wartezeiten und nicht wertschöpfende Prozessschritte. 1.1
Kurzporträt des Unternehmens
Die Firma Honeywell ist ein international agierendes Unternehmen mit amerikanischen Wurzeln. Es generiert mit ca. 122.000 Mitarbeitern weltweit ca. 34,6 Mrd. US-$ Umsatz2. Honeywell gliedert sich in die vier Business Groups: Aerospace, Automation and Control Solutions, Transportation Systems und Specialty Materials und kann damit als Mischkonzern bezeichnet werden. Das Projekt wurde am deutschen Standort Raunheim durchgeführt, der sich ganz in der Nähe des Frankfurter Flughafens befindet. Der Standort gehört innerhalb der Business Group Aerospace zum Bereich Aftermarket Services. Es ist 1 2
In Engl.: Repair and Overhaul, kurz R&O. In 2007.
266
Jürgen Bremer
weltweit der größte Honeywell Standort für Repair and Overhaul (R&O) außerhalb der USA. Den größten Geschäftsbereich innerhalb des Standortes stellen die so genannten Auxiliary Power Units (APU) dar, gefolgt von den Propulsion Engines. Der umsatzmäßig kleinste, jedoch volumenmäßig größte Bereich ist System Components and Accessories Service (SCAS). Eine APU ist eine Gasturbine, die im Flugzeug im Heck unterhalb des Seitenruders eingebaut ist und häufig nur am Abgasrohr erkannt wird (siehe Abb. 1). Die Turbine generiert Strom für die gesamte BoardElektrik und -elektronik sowie Druckluft für die Klimaanlage und das Starten der Flugtriebwerke (Propulsion Engines). Da während des Fluges diese Funktionen von den Flugtriebwerken übernommen werden, läuft eine APU meist nur, während sich das Flugzeug am Boden befindet sowie während Start und Landung.
Abb. 1: Auxiliary Power Unit (APU) im ein- und ausgebauten Zustand
Propulsion Engines sind die Flugtriebwerke, die für den Vorschub des Flugzeuges sorgen. Man unterscheidet zwischen Turbo Fan Engines (TFE, Düsentriebwerke) und Turbo Prop Engines (TPE, Propellertriebwerke). Honeywell produziert Propulsion Engines ausschließlich für kleinere Maschinen im Bereich Regional & Business Aviation (siehe Abb. 2). Das im Folgenden beschriebene Verbesserungsprojekt war zunächst begrenzt auf den Bereich TFE. Die Konzepte wurden später in Anschlussprojekten auf die Bereiche APU und SCAS in ähnlicher Form übertragen. 1.2
Der Wartungs- und Reparaturprozess
Turbo Fan Engines sind vorwiegend in kleinen Jets eingebaut, die – wenn überhaupt – in einer sehr kleinen Flotte fliegen. Die Eigentümer verfügen meist nicht über einen eigenen Service, der die Triebwerke zerlegen kann. Daher werden Wartungs- und Reparaturarbeiten von so genannten Servicegesellschaften durchgeführt, die an den Flughäfen ansässig sind. Die Servicegesellschaften bauen
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O)
267
Abb. 2: Business Aviation Jet mit TFE-Triebwerk (oben links), Turbo Fan Engine 731-60 von Honeywell (oben rechts), Regional Jet mit TPE-Triebwerk (unten links) und Honeywell TPE 331-1 (unten rechts)
die Triebwerke aus und schicken sie in Kisten verpackt per Lastwagen zu Reparaturbetrieben wie etwa Honeywell Raunheim. In Raunheim wird ein Triebwerk nach dem Auspacken und Aufhängen in einem so genannten Build Stand einer Eingangsinspektion unterzogen. Mechaniker stellen dabei die Seriennummern aller wichtigen Bauteile fest und inspizieren den Motor auf offensichtliche Schäden. Teils wird ein Eingangstest in der Testzelle durchgeführt, teils mit dem Boroskop in das Innere der Maschine gesehen. Nach Absprache der Befunde mit dem Overhaul Engineering und z.T. auch mit dem Kunden wird die Maschine entsprechend des Workscopes zerlegt. Der Workscope (Zerlegungsgrad) richtet sich nach der Laufleistung (kleine oder große Inspektion) und den festgestellten Schäden, z.B. Undichtigkeiten, mangelnde Leistung, Bird Strike. Alle abgebauten Teile werden sorgfältig auf bis zu vier Teilewagen abgelegt, bevor die Teile in einer separaten Reinigungsabteilung gründlich gereinigt werden. Anschließend werden alle Teile in der Parts Inspection visuell auf Schäden überprüft. Einige Teile werden darüber hinaus vermessen und einem Non Destructive Test (NDT) mittels Penetrationsverfahren bzw. Eddy Current-Verfahren unterzogen. Die beschädigten Teile können nur z.T. in Raunheim repariert werden. Diejenigen Teile, die nicht vor Ort repariert werden können, werden mit einem Paketservice zum Lieferanten geschickt – meistens andere Honeywell-Werke in den USA, wo sie innerhalb von max. 48 Stunden ankommen. Alle anderen, nicht beschädig-
268
Jürgen Bremer
ten Teile des Triebwerkes werden in Raunheim eingelagert, wo sie auf die Rückkehr der Reparaturteile aus Übersee bzw. dem hausinternen Rework-Shop warten. Nach Rückkehr des letzten Reparaturteiles werden die bis zu vier Teilewagen in die Montage verschoben, und die Engine wird dort wieder zusammengebaut. Der Zusammenbau kann unter „normalen Umständen“ bis zu einer Woche dauern. Im Anschluss wird die Maschine auf Leistung, Vibrationen und Dichtigkeit getestet, wofür noch einmal fast ein Tag benötigt wird. Nach dem Testen werden die Schraubverbindungen mit Drähten gesichert (Lock Wiring). Bevor das Triebwerk verpackt und verschickt wird, werden alle zugehörigen Dokumente von einem Prüfer des Luftfahrtbundesamtes (LBA) gründlich geprüft und abgenommen. Der Zeitraum vom Erhalt des Triebwerks bis zum Versand der Reparaturteile wird Gate 1 oder Front End genannt. Das Warten auf die Rückkehr des letzten Reparaturteils wird als Gate 2 bezeichnet. Die Zeit der Montage bis zum Versand des fertigen Motors zum Kunden heißt schließlich Gate 3 oder Back End. 1.3
Qualität, Zeit und Kosten in der Ausgangssituation
Neben den möglichst geringen Kosten und einer 100%-igen Qualität sind für die Kunden, d.h. sowohl für Service-Gesellschaften als auch für Flugzeugeigentümer, kurze Lieferzeiten wichtig. Die so genannte Turn Around Time (TAT), die vom Eingang in Raunheim bis zum Versand an den Kunden gemessen wird, ist ein Faktor, der über die Vergabe von Reparatur-Aufträgen entscheidet. Kunden fordern für eine Reparatur von normalem bis großem Umfang eine TAT von maximal 30 Tagen. Vor Beginn des Lean-Projektes lag die TAT im Durchschnitt bei 54 Tagen. Für eine kurze TAT ist es entscheidend, dass die Lieferanten die beschädigten Teile möglichst schnell erhalten. Die zugehörige Messgröße ist die Front End TAT, die bei durchschnittlich 5 Tagen liegen sollte. Vor Projektbeginn lag sie auf einem Niveau von durchschnittlich 23 Tagen. Mit einer langen Durchlaufzeit ging üblicherweise ein hoher Bestand von 20 bis 30 Maschinen einher. Zwar handelt es sich hier um Kundeneigentum, und deren Werte zählen nicht zum Bestand der Raunheim GmbH, wohl aber die zurückgelaufenen Reparaturteile, die zum einen sehr teuer sind, zum anderen für mehrere Monate vorfinanziert werden müssen. Die lange Durchlaufzeit verursacht eine sehr schlechte Liefertreue, und daraus wiederum folgt eine niedrige Kundenzufriedenheit.
2
Verbesserungsprojekt im Bereich Turbo Fan Engines
Die Umsetzung des Lean-Konzeptes gliedert sich entsprechend dem für Six Sigma typischen Vorgehen in die Phasen Define (D), Measure (M), Analyse (A), Improve (I) und Control (C). Im DMAIC-Zyklus kommen die üblichen Techniken wie Process Mapping oder Value Stream Mapping zur Anwendung. Dies gibt den
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O)
269
Lean-Projekten bei Honeywell eine feste Struktur und ermöglicht ein systematisches Vorgehen. Für den letztendlichen Erfolg und die hervorragenden Ergebnisse des im Folgenden beschriebenen Projektes ist jedoch die Umsetzung einiger grundsätzlicher Prinzipien ausschlaggebend gewesen. Sie sollen im Fokus der weiteren Betrachtung stehen. Die angesprochenen Prinzipien sind dem Lean-Baukasten entnommen und auf viele Prozesse sofort und direkt anwendbar.3 2.1
Produktions- und Transportlosgrößen als Verbesserungsansatz
Bei der Betrachtung von Losgrößen und ihrem erheblichen Einfluss auf den Materialfluss und die Bestände muss man grundsätzlich zwischen Produktions- und Transportlosgrößen unterscheiden. Eine Produktionslosgröße ist die Anzahl der zwischen zwei Rüstvorgängen produzierten Stücke. Eine Transportlosgröße ist die Anzahl der auf einmal transportierten Stücke. Beide Größen als abhängig zu betrachten, ist oft ein Gedankenfehler, der einen Großteil der Produktionsprobleme ausmacht.4 Gleichzeitig ist es eine typische „Out-of-the-box“-Lösung, beide Losgrößenarten getrennt zu betrachten, wie auch im hier beschriebenen Fall. Transportlosgrößen Früher wurde eine Engine ausschließlich als komplettes Los von Ressource zu Ressource transportiert, z.B. von der Disassembly zur Reinigung und weiter zur Parts Inspection. Die Konsequenz ist, dass das erste Teil auf das letzte Teil warten muss, bis es weiterverarbeitet wird. Genauso muss das letzte Teil warten, bis alle anderen Teile auf den Teilewagen verarbeitet sind, bevor es an der Reihe ist. Der Grund für dieses Vorgehen war, dass Teile entsprechend der Richtlinien der Luftfahrt rückverfolgbar sein müssen und auf gar keinen Fall verwechselt werden dürfen. Abbildung 3 zeigt die zeitliche Auswirkung, die diese traditionell gewachsene Verhaltensweise, Transportlos gleich Produktionslos, mit sich brachte. Trennt man Produktionslos (1 Engine) und Transportlos (1 Teilewagen) und transportiert das Transportlos zur nächsten Ressource bzw. zum nächsten Prozessschritt, sobald es fertig ist, erhält man eine so genannte überlappende Produktion. In Abbildung 4 ist ersichtlich, wie das Cleaning bereits nach einem Viertel der Zeit beginnt (1. von 4 Teillieferungen) statt nach Komplettierung der Disassembly. Gleiches geschieht mit Parts Analytical. Mit anderen Worten: „Große (Transport-)Losgrößen sind die leistungsfähigste Bremse der Produktion.“5 Eine Reduzierung der Losgröße bewirkt eine Steigerung 3
4
5
Für eine umfassende Darstellung der Lean-Prinzipien und -Techniken sei auf die Beiträge in Kapitel A verwiesen. Da dies auch für administrative Prozesse gilt, sollte man richtigerweise von „Problemen des Prozessmanagements“ sprechen. Richtigerweise müsste man wieder „Produktion“ durch „Prozessmanagement“ ersetzen. Aber um es als Slogan zu benutzen, sollte sich der Produktioner der Praxis sofort ohne nachzudenken darin wieder erkennen. Mit „Prozessmanagement“ assoziiert er jedoch nicht sofort seine Produktion.
270
Jürgen Bremer
des Materialflusses. Die gute Nachricht dabei ist, dass keine andere Veränderung vorstellbar ist, die 1. einen größeren positiven Einfluss auf Bestände und Durchlaufzeiten hat, 2. schneller und leichter umsetzbar ist und 3. weniger kostet.
Abb. 3: Frühere Sichtweise: Transportlos gleich Produktionslos
Abb. 4: Neuere Sichtweise: 1 Produktionslos besteht aus 4 Transportlosen (hier gekennzeichnet durch Teilstriche)
Umso erstaunlicher ist es, dass nicht jedes Unternehmen damit beginnt, die eigenen Losgrößen zu reduzieren.
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O)
271
Produktionslosgrößen Die Größe der Produktionslose wurde im Fallbeispiel nicht verändert. Es blieb bei der Größe von einer Engine. Der Vollständigkeit halber soll aber die Konsequenz von einer Veränderung der Produktionslosgröße beschrieben werden. Eine Verringerung bedeutet einen Zuwachs von Materialfluss-Geschwindigkeit. Man führe sich den Rohbau in der Automobilproduktion vor Augen. Dort wurden früher für einige Tage Motorhauben produziert, bevor für einige Tage Kofferraumdeckel produziert wurden. Es folgten einige Tage Dächer und Türen, bevor der Zyklus von Neuem begann. Je häufiger gerüstet wird, desto kleiner werden das Produktionslos und damit die Bestände und die Durchlaufzeit. Es wäre folglich erstrebenswert, häufiger zu rüsten. Schon ein- oder zweimal mehr Rüsten würde den Materialfluss drastisch erhöhen und die Bestände deutlich senken. Allerdings verbietet es die Kostenrechnung, denn rüsten kostet ja bekanntlich Geld. Ist das wirklich so? Einmal angenommen, eine Werkzeugmaschine wird tatsächlich einmal oder zweimal pro Auftrag mehr gerüstet, gibt damit die Firma xy einen einzigen Euro mehr aus? Kostenrechnerisch, kalkulatorisch ja, tatsächlich aber nein! Sicherlich ist das im Einzelfall zu prüfen. Der Tausch eines GalvanikBades verursacht zweifelsohne Rüstkosten. In den meisten Fällen spielt einem aber die Kostenrechnung einen Streich und verhindert – unter dem Vorwand der Effizienzsteigerung – eine Senkung der Umlaufbestände und der Durchlaufzeitverkürzung. Ein zusätzlicher Rüstvorgang ist nämlich nur in einem Fall schädlich, wenn es sich um eine Engpassmaschine6 handelt. Alle Nicht-Engpässe lassen sich problemlos häufiger rüsten. Sie dürfen nur nicht durch den zusätzlichen Rüstvorgang zum neuen Engpass werden. Durchlaufzeit versus Kapazität Durch die Reduzierung der Losgrößen lassen sich erhebliche Durchlaufzeitreduzierungen erreichen. Eine sehr weit verbreitete Annahme ist, dass damit mehr produziert werden kann. Das ist falsch! Durchlaufzeit und Kapazität sind zwei unabhängige Dimensionen wie etwa Länge und Durchmesser eines Rohres. Ein Rohr lässt nicht plötzlich mehr Wasser hindurch, nur weil es kürzer ist. Der Durchfluss wird – bei konstantem Druck – allein durch den Durchmesser bestimmt. Werden mehrere Rohre mit unterschiedlichem Durchmesser hintereinander verlegt, dann determiniert das Rohr mit dem geringsten Durchmesser den Durchfluss. Im Unternehmensumfeld gilt entsprechend: Die Kapazität einer Produktionslinie wird durch ihre kapazitiv schwächste Ressource, den so genannten Engpass oder Flaschenhals (Bottleneck), bestimmt. Sofern an dieser Kapazität nichts verändert wird, produziert die gesamte Linie nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Änderung, die eine Losgrößenreduzierung herbeiführt, ist eine Reduzierung der Wartezeit vor einzelnen Prozessschritten. Das hat nichts mit Kapazität am Engpass zu tun, auch dann nicht, wenn es die Wartezeit vor dem Engpass betrifft.
6
Engpassmaschine = Ressource mit der geringsten Kapazität von allen.
272
Jürgen Bremer
2.2
Durchlaufzeitenreduzierung durch modulare Bauweise
Üblicherweise werden bei Prozessabläufen Arbeitsschritte sequenziell durchgeführt. Gegenüber einer parallelen Durchführung, die in vielen Fällen möglich wäre, ist sie mit einer längeren Durchlaufzeit verbunden. Eine konsequente Dokumentation der Prozesslandschaft zeigt, wo Arbeitsschritte voneinander unabhängig sind, in Module unterteilt und schließlich parallel bearbeitet werden können. Darüber hinaus wird deutlich, welche Arbeitsschritte auch tatsächlich kritisch hinsichtlich des Liefertermins sind. In der Vergangenheit hat man bei Honeywell mit Eintreffen des letzten Bauteils die zerlegte Maschine aus dem Lager geholt, in Regale geräumt und dabei noch einmal die Vollständigkeit der Teile geprüft. Darüber hinaus sortierten die Mechaniker die Teile, um während der anschließenden Montage nicht lange suchen zu müssen. Im Rahmen der Projektarbeit wurde der komplexe Montageprozess neu aufgenommen. Dabei wurden insbesondere die Abhängigkeiten zwischen den Arbeitsschritten notiert, der Grad der Parallelarbeit maximiert, die unabhängig montierbaren Module definiert und den einzelnen Arbeitschritten Ressourcen zugewiesen. Die Kritische-Pfad-Methode des Projektmanagements7 wurde ebenfalls angewendet, um die kritische Abfolge von Arbeitsschritten zu markieren sowie Puffer einzubauen. Es entstand für jeden Maschinentyp und jeden Workscope ein eigener Ablaufplan, der den Mechanikern vorgibt, wann sie was wie lange zu tun haben.
Abb. 5: Typischer Ablaufplan mit Kennzeichnung von Reihenfolge, Dauer und Bearbeiter 7
Auch bekannt als „Kritische Kette nach Goldratt“.
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O)
273
Die treppenstufenartigen Kästchen in Abb. 5 zeigen die einzelnen Arbeitsschritte in ihrer zeitlichen Dauer. Die Mechaniker sind durch entsprechende farbliche Markierungen visualisiert. Über den Treppen sind lange Balken mit kleinen, nach unten weisenden Dreiecken zu sehen. Sie kennzeichnen die einzelnen Module (hier 8 Stück), die unabhängig voneinander montierbar sind, sowie die Dauer, die ein Mechaniker zum Montieren benötigt. Alle Pläne liegen farbig ausgedruckt und laminiert in jedem Montage-Dock aus. Schließlich wurde das Shop-Layout an die modulare Bauweise angepasst, d.h. aus einigen Docks wurden WerkbankArbeitsplätze, wo die Mechaniker viel bequemer als in den Docks Module vorbauen können. Spezialwerkzeug wurde in unmittelbarer Nähe griffbereit angebracht (siehe Abb. 6).
Abb. 6: Werkbank-Arbeitsplatz zur Unterstützung der modularen Bauweise
Um das langwierige Umräumen und Sortieren von den Teilewagen in die Regale zu vermeiden, wurde für jedes einzelne Bauteil eines jeden Maschinentyps ein fester Platz auf dem Teilewagen definiert und visualisiert. Zu jedem der meistens vier Einlegeböden der Teilewagen gibt es ein laminiertes Blatt (siehe Abb. 7), die alle gut erreichbar außerhalb des Wagens angehangen werden. Darauf wird mit einem trocken abwischbaren White Board Marker abgehakt, welche Teile auf dem Wagen liegen, so dass Fehlteile unmittelbar erkennbar sind. Dies geschieht erstmalig, wenn der Parts Inspector die Teile nach der visuellen Inspektion als unbe-
274
Jürgen Bremer
schädigt auf dem Teilewagen ablegt, und dann kontinuierlich bis zum Eintreffen des letzten Bauteils während des gesamten Gate 2-Prozesses.
Abb. 7: Visualisierung der Anordnung der Teile auf dem Einlegeboden des Teilewagens sowie deren Verfügbarkeit
Darüber hinaus wird der Status der Fertigstellung bzw. Teileverfügbarkeit jedes einzelnen Moduls aller Aufträge zentral visualisiert (siehe Abb. 8). In den Zeilen stehen die Aufträge, in den Spalten deren Module. Die dunklen Magnete (grün) zeigen an, welche Module bereits fertig montiert sind. Die hellen (gelb) zeigen an, welche zur Montage bereit oder in Arbeit sind. Rot deutet auf fehlende Teile hin. Module, die aufgrund des Workscopes nicht zerlegt werden mussten, sind schwarz markiert. Ein weiterer Vorteil der modularen Bauweise ist, dass nach dem Eintreffen des letzten Bauteils meist alle anderen Module bereits fertig gestellt sind. D.h., es ist oft nur noch die Montage dieses einzelnen Moduls sowie die Endmontage notwendig, was natürlich viel schneller geht, als eine komplette Engine von Anfang bis Ende durchzubauen.
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O)
275
Abb. 8: Board zur Visualisierung des Fertigstellungsgrades der Module aller Aufträge
2.3
Hohe Liefertreue durch Festlegen der „richtigen“ Prioritäten
In der Praxis stehen die Leiter bzw. Mitarbeiter einer Abteilung, z.B. Dreherei, Cleaning, Kundendienst, mehrmals täglich vor der Entscheidung, welchen Auftrag sie als nächstes bearbeiten. Meistens werden Aufträge nach dem „First in First out“-Prinzip (FIFO) oder dem Liefertermin (Fertigstellungstermin) priorisiert. Dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn alle Aufträge die gleiche oder zumindest ähnlich lange Liefer- bzw. Durchlaufzeit haben, was in der Praxis selten ist. Mit anderen Worten: Ein Auftrag A, der in 3 Tagen fertig werden soll, würde unter normalen Umständen einem Auftrag B vorgezogen, der in 6 Tagen fertig werden muss (siehe Abb. 9). Die Priorisierung ergibt sich nach der absoluten Restlaufzeit (in Tagen): Liefertermin – heutiges Datum. Gilt diese Priorität noch immer, wenn Auftrag A, der in 3 Tagen fertig werden muss, und eine mit dem Kunden vereinbarte Durchlaufzeit von 4 Tagen, z.B. Engine Test Only, hat und Auftrag B mit dem Liefertermin in 6 Tagen, aber eine vertraglich vereinbarte Durchlaufzeit von 30 Tagen (üblich für Repair) hat? Im Fall A beträgt die relative Restlaufzeit bis zum Liefertermin noch 75% (3/4), im Fall B nur noch 20% (6/30). Folglich ist der zweite Auftrag (B) dringender, trotzdem er später fertig werden muss (siehe Abb. 10). Dabei ist unbedingt zu bemerken, dass dies (fast) unabhängig vom Fertigstellungsgrad ist, da die reine
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Jürgen Bremer
Bearbeitungszeit nur ein Bruchteil der Durchlaufzeit ist. Die Bearbeitungszeit wird meistens in Minuten oder Stunden gemessen, die Durchlaufzeit in Tagen oder Wochen.
Auftrag A
1. Priorität
Auftrag B
2. Priorität
heute
2
4
6
Tag
Abb. 9: Traditionelle Priorisierung der Aufträge (absolut in Tagen)
Abb. 10: Veränderte Priorisierung der Aufträge bei Berücksichtigung ihrer Durchlaufzeit (relativ in %)
Eine solche Prioritätszahl (in %) errechnet sich aus: Liefertermin – heutiges Datum Relative Restlaufzeit = Durchlaufzeit Je kleiner die Restlaufzeit, desto dringender ist der Auftrag. Bei negativer Prozentzahl ist der Liefertermin bereits verstrichen. Im Alltag ist es nicht praktikabel, erst die Prozentzahl zu bilden, bevor man Prioritäten setzt, zumal dies für alle Aufträge zu tun ist und sich die Prioritäten jeden Tag verschieben. Im hier beschriebenen Projekt wurden deswegen anfangs für
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O)
277
jeden Auftrag mit Excel eine kleine Karte mit einer Tabelle angelegt und ausgedruckt, die für jeden Tag die Prozentzahl ausweist (siehe Abb. 11). Zur Ermittlung der Restlaufzeit wird das aktuelle Datum gesucht, z.B. 30.11., und die dazugehörige Restlaufzeit abgelesen (hier 63%). Die rote Markierung visualisiert die benötigte Zeit für beschleunigte Bearbeitung, die gelbe steht für Vorwarnung. 8
Abb. 11: Excel-basierte Auftragskarte mit tagesgenauer Restlaufzeit
Aus Erfahrung ist zum einen bekannt, dass Liefertermine gelegentlich geändert werden. In dem Moment, in dem der Termin im System eingegeben wird, ist auch die Prozentzahl angepasst und die Priorität verschoben. Zum anderen werden Aufträge mit Verspätung eingelastet oder bleiben irgendwo im Prozess aus verschiedenen Gründen liegen. Die Konsequenz ist, dass diese Aufträge eine geringere prozentuale Restlaufzeit bekommen und automatisch im weiteren Prozessverlauf anderen Aufträgen vorgezogen werden. Folglich steuert sich das System selbst, sofern die Verantwortlichen nicht aus anderen Notwendigkeiten heraus eingreifen. 8
Die praktische Anwendung hat gezeigt, dass diese Lösung etwas umständlich und unübersichtlich ist, zumal dazu übergangen wurde, die Produktionsplanung per Computer zu machen. In einem späteren Projekt wurde daher die automatische Generierung und Ausweisung der Prozentzahl für die Restlaufzeit in das computergestützte Produktionsplanungssytem integriert und eine Sortierung der Aufträge nach Größe der prozentualen Restlaufzeit ermöglicht. Dieses Feature ist inzwischen für den gesamten Standort verfügbar.
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3
Jürgen Bremer
Wesentliche Projekterfolge und -ergebnisse
Nachdem die Mitarbeiter angewiesen wurden, die Teilewagen nicht mehr geschlossen in einem Auftrag dem nächsten Arbeitsschritt zu übergeben, sondern einzeln und sobald sie komplett waren, sank einerseits unmittelbar die Durchlaufzeit im Gate 1. Andererseits reduzierte sich die Streuung der Durchlaufzeiten. Während es anfangs durchschnittlich 23 Tage dauerte, bis eine Maschine zerlegt, gereinigt, inspiziert und die defekten Teile verschickt waren (Front End oder Gate 1), waren es schon im darauf folgenden Monat Dezember signifikant weniger. Der Durchschnitt über die folgenden 1,5 Jahre betrug 8,5 Tage, was einer Reduzierung von über 63% gleichkommt (siehe Abb. 12 oberes Diagramm).
Abb. 12: Reduzierung der Durchlaufzeit (TAT)
Trotz der erheblichen Durchlaufzeitreduzierung wurde das eingangs formulierte Gate 1-Ziel von 5 Tagen nicht erreicht, wohl aber das für den Kunden relevante Ziel der Gesamt-Durchlaufzeit von maximal 30 Tagen. Im Back End führte das Vorbauen einzelner Module und das parallele Abarbeiten möglichst vieler Montageschritte zu einer Reduzierung von vormals durchschnittlich 9,1 Tage auf 3,1 Tage, was einer Reduzierung von über 66% entspricht (siehe Abb. 12, unteres Diagramm). Viele dieser Änderungen wurden im Anschluss an das Projekt auch auf die anderen Bereiche des Standortes Raunheim sehr erfolgreich übertragen. Die dort er-
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O)
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reichten Verbesserungen und die Konstanz der guten Ergebnisse sind ein Hinweis auf die Richtigkeit der Prinzipien. Insgesamt fanden die Projektergebnisse eine hohe Resonanz und konzernweite Anerkennung. Die Six Sigma-Kultur bei Honeywell hat eine lange Tradition. Gute Ergebnisse erfahren viel Aufmerksamkeit durch das Management und werden mit dem Quest for Excellence, der bisher einmal im Jahr stattfand, oder dem nun vierteljährlich verliehenen Team Performance Award gefeiert. Das jeweilige Gewinner-Team wird zur Award-Verleihung zu den so genannten Satellite Broadcasts eingeladen, in denen der CEO seine Belegschaft u.a. über Quartalsergebnisse, Highlights und Ziele informiert, und eben auch Teams für ihre herausragenden Projektergebnisse auszeichnet. Damit wird zum einen den Projektmitarbeitern Anerkennung und Dank ausgesprochen. Zum anderen werden deren Kollegen angespornt, sich ebenfalls an Verbesserungsmaßnahmen zu beteiligen.
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox Jutta Jessenberger Inhalt 1 2 3 4 4.1 4.2 4.3 4.4 5 6
1
Einführung und Überblick........................................................................281 Strategische Zielsetzung zur Einführung von Lean Six Sigma ................282 Lean Six Sigma bei Xerox .......................................................................284 Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Umsetzung.......................................287 Engagement von Unternehmensführung und Management .....................287 Bereitstellung von Ressourcen .................................................................288 Auswahl geeigneter Projekte....................................................................292 Disziplin bei der Umsetzung ....................................................................296 Lean Six Sigma in Deutschland – Planung und Umsetzung ....................299 Lessons Learned.......................................................................................301
Einführung und Überblick
Xerox Lean Six Sigma wurde bei der Xerox Corporation im Jahr 2002 weltweit initiiert und hat seit dem ersten Jahr positiv zum Geschäftserfolg beigetragen. Der vorliegende Beitrag soll dem Leser das Programm selbst sowie den von Xerox gewählten Weg zur Einführung nahe bringen. Er stellt die kritischen Erfolgsfaktoren vor und erläutert, wie sie bei Xerox in der Vergangenheit sinnvoll erfüllt wurden; sicherlich nicht immer in perfekter Ausführung, aber ohne grundlegende Fehler, die zu einem Scheitern des Programms geführt hätten. Wir hoffen, dass der Leser diese Informationen und Ratschläge auch bei ähnlichen Programmen in seinem Unternehmen erfolgreich anwenden kann. Im nachfolgenden Kapitel 2 soll zunächst die Zielsetzung zur Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox vorgestellt werden. Außerdem wird kurz erläutert, weshalb Lean Six Sigma und nicht andere Konzepte/ Methoden als passender Ansatz zur Erreichung der Ziele gewählt wurde. Kapitel 3 erklärt das Xeroxspezifische Lean Six Sigma-Programm und geht auf die Philosophie hinter der Kombination von „Lean“ und „Six Sigma“ ein. Weiterhin wird erläutert, wie Xerox Lean Six Sigma im Spannungsfeld zwischen Kunden, Ergebnissen, Strategie und Prozessen im Tagesgeschäft aufgestellt ist. In Kapitel 4 werden die vier wesentlichen Erfolgsfaktoren zu einer erfolgreichen Einführung von Lean Six Sigma benannt und beschrieben. Im Einzelnen sind dies • • • •
Engagiertes Management Dedizierte Ressourcen Sinnvolle Projektauswahl und Disziplinierte Durchführung.
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Jutta Jessenberger
Alle diese Faktoren müssen vorhanden sein, um eine schnelle und gewinnbringende Lean Six Sigma-Einführung sowie eine erfolgreiche zukünftige Organisation zu gewährleisten. Die Einführung bei Xerox Deutschland wird in Kapitel 5 genauer beschrieben, und Kapitel 6 stellt abschließend die „Lessons Learned“ dar.
2
Strategische Zielsetzung zur Einführung von Lean Six Sigma
Die Xerox Corporation mit Stammsitz in Stamford/ Connecticut, USA, ist weltweit im Drucker-, Kopierer- und Dienstleistungsbereich tätig. Sie wurde 1906 in Rochester, New York, gegründet und hielt als damalige „The Haloid Company“ das erste Patent zum Schutz der Xerographie, dem damals ersten und einzigen Verfahren zur automatischen Herstellung von fast layout- und satzidentischen Kopien gedruckter Originale. Die Xerox Corporation hält zum gegenwärtigen Zeitpunkt 19.732 Patente weltweit; die Forschungszentren in Palo Alto, Kalifornien, und Grenoble, Frankreich, genießen Weltruf. Heute bietet Xerox das umfassendste Portfolio von Technologie und Dienstleistungen in Dokumentenmanagement und -produktion. Dazu zählen der klassische „Bürokopierer“ ebenso wie die digitalen Buchpressen für den Einsatz in professionellen Produktionsumgebungen. Die angebotenen Dokumentendienstleistungen reichen von kreativer Unterstützung bis zur Übernahme ausgelagerter Druckzentren oder dem Management des gesamten Dokumentenflusses bei Kundenunternehmen. Xerox ist global in 160 Ländern mit 57.400 Mitarbeitern vertreten und weist einen Umsatz von 17,2 Mrd. US-$ bei einem Gewinn von 1,1 Mrd. US-$ auf (Stand: Geschäftsjahr 2007). Zur Einführung des Lean Six Sigma-Programms entschloss sich die Xerox Corporation im Jahr 2002, nachdem weltweit die „Operation Turnaround“ mit einschneidenden Maßnahmen zur Kostenreduktion und Konsolidierung der Unternehmensergebnisse erfolgreich abgeschlossen worden war. Zu diesem Zeitpunkt wurde gleichzeitig über die weitere Wachstumsstrategie „Good to Great“ entschieden. In diesem Zusammenhang waren die strategischen Zielsetzungen des Lean Six Sigma-Programms klar: Der Kundennutzen sollte optimiert, Wachstumschancen ergriffen, Kosten reduziert und die Produktivität gesteigert werden. Die eigentliche Herausforderung bestand allerdings darin, alle vier Ziele gleichzeitig und nachhaltig zu erfüllen. Der Fokus lag zunächst auf den wirtschaftlichen Ergebnissen: Profitabilität, Wachstum und Entwicklung neuer Geschäftsfelder, die ihrerseits durch einen veränderten Führungsstil getrieben werden sollten, nämlich ein gemeinsames Geschäftsverständnis und eine Mentalität des kontinuierlichen Lernens. Zu einer nachhaltigen Erfüllung von Zielen reicht jedoch eine neue Führungsriege und/ oder ein neuer Führungsstil allein nicht aus. Vielmehr muss die zukünftige Ausrichtung vom gesamten Unternehmen und von allen Menschen in diesem Unternehmen getragen werden. Daher sollte der zukünftige Weg auch einen Kulturwandel bewirken hin zu einer kundenfokussierten Sichtweise, zu einer fakten- und daten-
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
Abb. 1: Qualitätshistorie der Xerox Corporation
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284
Jutta Jessenberger
basierten Entscheidungsfindung, zu einem Abbau von Bürokratie und zu einer Verbesserung von Teamwork und Zusammenarbeit. Als wesentlicher Beitrag zum zukünftigen Geschäftserfolg wurde nach einer unternehmensweiten Strategie gesucht, die zur Bewältigung der folgenden Herausforderungen beiträgt: • Verstehen der Kundenbedürfnisse • Positionieren für weiteres Wachstum • Verbessern von Prozessen durch faktenbasierte, disziplinierte Entscheidungen und messbare Ergebnisse sowie • Umgestalten der Xerox-Unternehmenskultur. Dies war die Zielsetzung für die zukünftige Arbeitsweise innerhalb des Konzerns, zusammengefasst durch den Slogan „The way we work“. Dass die Lösung dieser Aufgabenstellung in einem Qualitätsmanagement-Ansatz gefunden wurde, war aufgrund der langjährigen Erfolge von Xerox im Qualitätsbereich nahe liegend. Abbildung 1 stellt die lange Qualitätstradition von Xerox dar. Viele Begriffe und Methoden waren bereits bekannt, auf die man bei der Einführung von Lean Six Sigma zurückgreifen und eine entsprechende Organisation aufbauen konnte. Im Kontext der anderen strategischen Maßnahmen wurde Lean Six Sigma so zu einem wichtigen Baustein zum weiteren Wachstum von Xerox. Anne Mulcahy, Chairman und CEO Xerox Corporation, führte hierzu aus: „I’m convinced that Xerox Lean Six Sigma is a way to rebuild value in our company because it is about substance, not form; it’s about discipline and infrastructure so projects can produce business results.“
3
Lean Six Sigma bei Xerox
Lean Six Sigma ist – im Gegensatz zu Six Sigma – ein relativ neuer und noch nicht allgemein gebräuchlicher Begriff. Viele verstehen darunter ein „verschlanktes Six Sigma” oder ein Konglomerat aus Lean- und Six Sigma-Methoden, die in einen gemeinsamen Werkzeugkasten „geworfen“ werden, aus dem sich der Projektleiter bedienen kann. Beide Aspekte sind letztendlich für das richtige Verständnis von Lean Six Sigma von Bedeutung. Während Six Sigma traditionell eher bekannt ist als Werkzeug zur Verbesserung und Steuerung der Qualität, wird Lean Manufacturing primär dazu verwendet, Geschwindigkeit und Kosten zu optimieren. Eine Verbindung beider Ansätze hat bereits aus reiner Methodensicht den Vorteil, dass sich beide Methoden gegenseitig ergänzen. Eine hohe Qualität, d.h. eine hohe Übereinstimmung der Produkte oder Dienstleistungen mit den Vorgaben, ermöglicht eine Verringerung der Kosten durch Vermeidung von Nacharbeiten oder durch Vermeidung von Verschrottung und Neuproduktion. Eine hohe Prozessgeschwindigkeit mit niedrigen Kosten ermöglicht schnellere und kostengünstigere Design- und Optimierungszyklen und trägt damit ebenfalls zu einer Erhöhung der Qualität bei. Abbildung 2 stellt diesen Synergieeffekt schematisch dar.
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
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Lean Speed ermöglicht Six Sigma Qualität (Schnellere Versuchs-/Lernzyklen)
Lean
Six Sigma Geschwindigkeit & geringe Kosten
Kultur & Qualität
Six Sigma Qualität ermöglicht Lean Speed (Weniger Fehler verringern die Nacharbeitszeit)
Abb. 2: Synergieeffekt zwischen Lean- und Six Sigma-Methoden
Dieser Vorteil ist an sich schon ein starkes Argument für die Verbindung beider Ansätze. Im reinen Projektgeschäft – sowohl intern als auch extern – werden bei Xerox Methoden aus beiden Werkzeugsammlungen verwendet, wobei die Six Sigma-Projektphasen Define, Measure, Analyse, Improve, Control (DMAIC) bzw. Define, Measure, Explore, Design, Implement (DMEDI) den Projektablauf vorgeben und innerhalb der Phasen die Instrumente entsprechend angewandt werden. Infolgedessen fallen beliebige Methoden je nach Nutzen in der jeweiligen Phase quasi „natürlich“ in den vorgegebenen Rahmen. Über die reine Projektdurchführung hinaus fasst Xerox Lean Six Sigma als Managementansatz zur Steuerung taktischer und strategischer Initiativen auf. Im Tagesgeschäft verzahnt Lean Six Sigma den Kunden mit Strategie, Geschäftsergebnis und Prozess. Abbildung 3 zeigt die Verbindungen zwischen dem Kunden und den Geschäftsergebnissen sowie die einzelnen Komponenten des Lean Six Sigma-Programms. Der Anstoß zur Initiierung des Lean Six Sigma-Prozesszyklus kommt direkt aus dem Geschäftsumfeld, also z.B. aus den Resultaten zur Optimierung der Geschäftsergebnisse aus unterschiedlichen Bereichen, aus dem operativen Geschäft zum Design neuer Prozesse in neuen Geschäftsfeldern oder aus den unterstützenden Bereichen zur Verbesserung der Infrastruktur. Im Projektauswahlprozess werden mögliche Projekte identifiziert. Dabei werden anhand von den vier Schlüsseldimensionen Kunde, Strategie, Finanzen und bestehende Prozesse Projektideen generiert, die positiv zum Unternehmenserfolg beitragen können. Im Allgemeinen sind diese Projektideen noch sehr generell und umfassend, so dass ein unstrukturiertes Bearbeiten dieser Ideen zum Scheitern verurteilt wäre. Daher werden sie über einen Selektionsprozess im Hinblick auf Projektumfang, Dauer und zu erreichende Ziele präzisiert und zu Projekten verfeinert. Diese Projekte können dann in etwa drei bis fünf Monaten durchgeführt wer-
286
Jutta Jessenberger
den. Sie werden mit Hilfe einer so genannten „Project Charter“ beschrieben, einem Auftragsblatt, das dem jeweiligen Projektleiter übergeben wird und in dem Problembeschreibung, Zielvereinbarung, Zeit- bzw. Terminplan, Projektteam und der erwartete finanzielle Erfolg festgehalten sind. Alle möglichen Projekte werden hinsichtlich Durchführbarkeit, Kosten und Nutzen bewertet.
Kunde Ergebnisse Strategie
Prozess
Business
Projektdurchführung
Projektauswahl
Lean Six Sigma
Abb. 3: Verbindung von Kunde, Business und Lean Six Sigma
Obwohl das Ziel darin besteht, den Beitrag der Projekte möglichst monetär messbar zu machen, werden bei dieser Projektauswahl auch Projekte mit strategischer Bedeutung berücksichtigt, bei denen der finanzielle Nutzen nicht ohne Weiteres bestimmbar ist bzw. bei dem der Erfolg des Projektes nicht unmittelbar an einem Beitrag zum Unternehmensergebnis ablesbar ist. Im Anschluss wird dann die Reihenfolge der Abarbeitung der ausgewählten Projekte, auch im Hinblick auf die Verfügbarkeit entsprechender Projektleiter und der vorhandenen Ressourcen, bestimmt. Zur Projektdurchführung werden die Aufträge an die Projektleiter vergeben, welche die Projekte unter Anwendung von Six Sigma- und Lean-Methoden steuern und umsetzen. Die Erfolgsmessung geschieht dabei anhand des Beitrags eines Projekts zur Ergebnisverbesserung und anhand der Steigerung der Kundenzufriedenheit, die entweder direkt oder indirekt (am Unternehmenserfolg) abgelesen werden kann. Der wichtigste Punkt beim Xerox Lean Six Sigma-Ansatz ist die Einbindung in den Managementprozess des Unternehmens bei der Projektauswahl. Projektideen werden anhand der strategischen und taktischen Unternehmensziele in Verbindung mit den Anforderungen, die durch die Kunden an Xerox herangetragen werden,
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
287
generiert. Die Projektideen, die sich in der „Projektpipeline“ befinden, werden während regelmäßig stattfindender Reviews bewertet, und wenn notwendig, werden neue Priorisierungen vergeben. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass auch bei wechselnden Unternehmens- und Umweltanforderungen jeweils die wichtigsten Projekte durchgeführt werden. Wie erfolgreich das Lean Six Sigma-Programm ist, lässt sich anhand der Tatsache ablesen, dass bereits während des Einführungsjahres der Break Even-Point erreicht wurde und Lean Six Sigma in den folgenden Jahren durchweg positiv zum Ergebnis des Unternehmens beitrug und weiterhin beiträgt.
4
Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Umsetzung
Ein solches positives Ergebnis kann allerdings nur mit einer schnellen und erfolgreichen Einführung erzielt werden, bei der sichergestellt ist, dass das Programm weltweit mit denselben Kriterien sowie mit Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit in den Managementstandard aufgenommen wird. Zu Beginn der Einführung wurden dazu vier kritische Erfolgsfaktoren identifiziert, die im Folgenden kurz ausgeführt werden. Bereits in der Startphase des Programms zeigte sich, dass nur ein Einhalten aller dieser Faktoren gleichzeitig zum gewünschten Erfolg führt. War nur ein Faktor ungenügend erfüllt, so führte dies zwar nicht zum Scheitern des Lean Six Sigma-Ansatzes, aber eine stringente Projektarbeit und eine Durchdringung der entsprechenden Organisation stellte sich umso schwieriger dar. 4.1
Engagement von Unternehmensführung und Management
Von Beginn an war die Unterstützung des Managements zur Einführung des Xerox Lean Six Sigma-Programms gegeben. Die oberste Geschäftsleitung, das Operations Committee, nahm Lean Six Sigma in die Agenda auf und thematisierte es immer wieder in der weltweiten Firmenkommunikation – intern wie extern. Dieses Bekenntnis zum Lean Six Sigma-Programm manifestierte sich dann praktisch anhand von drei Kernpunkten. Zunächst wurde eine weltweite Managementschulung durchgeführt, in der alle oberen und mittleren Führungsebenen über das Ziel und die Vorgehensweise im Lean Six Sigma-Programm informiert wurden. Gleichzeitig fand eine ausführliche, weltweite Kommunikation über die neue Initiative statt, bei der Lean Six Sigma bei allen Mitarbeitern mithilfe von Vorträgen, Bereichsmeetings, Videos und Newslettern bekannt gemacht wurde. Nicht zuletzt garantierte die Geschäftsleitung, dass die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen würden, die zu einer erfolgreichen Einführung notwendig sind. Ein weiterer wichtiger Faktor war die Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit bei dieser Einführung, um zu verhindern, dass das Programm als „flavour of the month“, also nur als eine neue Managementmode aufgefasst würde. So legte das Operations Committee großen Wert darauf, dieses Programm tagtäglich vorzuleben und immer wieder die Überzeugung zu betonen, dass dieses Programm ein
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Jutta Jessenberger
wichtiger Baustein für den zukünftigen Geschäftserfolg ist. Das ging soweit, dass in der Zwischenzeit auch Mitglieder der Geschäftsleitung eine weitergehende Lean Six Sigma-Schulung absolviert haben und einige sogar als Lean Six SigmaProjektleiter zertifiziert sind. 4.2
Bereitstellung von Ressourcen
Zur Selbstverpflichtung der Geschäftsleitung gehörte auch die Bereitstellung von Ressourcen. Von Anfang an wurde dabei viel Wert auf die Fokussierung der „richtigen“ Organisation(en) und Funktionen, das entsprechende Training und die Auswahl der am besten geeigneten Mitarbeiter gelegt. Die wesentlichen Lean Six Sigma-Funktionen sind bei Xerox Master Black Belts, Black Belts und Green Belts sowie Deployment Manager. Projektmitglieder, Projektsponsoren und die Geschäftsleitung spielen ebenfalls eine Rolle aufgrund ihrer Beteiligung an einzelnen Projekten bzw. der Vorgabe der allgemeinen Ausrichtung des Lean Six Sigma-Programms. Abbildung 4 stellt die verschiedenen Funktionen im Überblick dar. Zentrale Koordination & Training
Geschä Geschäftsftsleitung
• Vision • Commitment
Deployment Manager
ProjektProjektsponsoren • Teilzeit im Projekt • Projekt ”Owner”
Alle Mitarbeiter
Green Belts
• Vision verstehen • Konzepte im Tagesgeschäft anwenden
• Teilzeit in Projekten • Arbeitet im eigenen Bereich
• Vollzeit • Projektauswahl • LSS Ressourcen
Master Black Belts • Vollzeit • Coaching
ProjektteamProjektteammitglieder • Teilzeit in Projekten • Spezialisten
Black Belts • Vollzeit in Projekten • Projektleitung
Abb. 4: Funktionen im Lean Six Sigma-Programm von Xerox
Zu Beginn der Einführung wurden zunächst die Deployment Manager benannt, die zentral durch eine Stabsstelle in den USA koordiniert werden. Dort wurden und werden auch die notwendigen Trainings, der Ablauf und die Zertifizierungsrichtlinien festgelegt und gesteuert. Deployment Manager sind i.d.R. in Vollzeit für das Lean Six Sigma-Programm tätig; je nach Größe der Region oder des Geschäftsbereiches gibt es allerdings auch Teilzeitstellen.
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
289
Aus den einzelnen Organisationen wurden dann Black Belts und Master Black Belts benannt, die in Vollzeit Projekte leiten. Master Black Belts führen umfangreichere Projekte als Black Belts durch, koordinieren evtl. mehrere Black BeltProjekte und coachen zusätzlich die ihnen zugeordneten Black Belts. In den einzelnen Regionen wurden im ersten Jahr zunächst 0,5% der Mitarbeiter für Lean Six Sigma eingesetzt. Ziel ist jetzt, ein „Fließgleichgewicht“ von ca. 1% der Mitarbeiter als Black Belts zu erhalten. Die Anzahl der Master Black Belts richtet sich dabei nach der Führungsspanne in den einzelnen Tochterunternehmen und der damit verbundenen Reisetätigkeit. Green Belts sind Projektleiter in Teilzeit und werden vorwiegend in ihren eigenen Bereichen zur Prozessverbesserung eingesetzt. Sie stellen etwa 20-30% ihrer Zeit für die Projektarbeit zur Verfügung und werden von Black Belts betreut. Etwa 3,5% der Mitarbeiter sollen zu jedem Zeitpunkt als Green Belts trainiert und als Projektleiter aktiv sein. Green Belts, Black Belts und Master Black Belts müssen für die Zertifizierung sowohl das Training mit einem damit verbundenen Test als auch eine gewisse Anzahl von Projekten mit definiertem (finanziellem) Erfolg erfolgreich absolvieren. Das Ziel war immer, Lean Six Sigma und die damit verbundenen Begriffe innerhalb des gesamten Unternehmens bekannt zu machen. Für alle Mitarbeiter wurde aus diesem Grund zusätzlich zu den bekannten Green und Black Belts der Grad des Yellow Belt eingeführt. Im entsprechenden Training werden die wesentlichen Vorgehensweisen, Begriffe und einige Methoden des Programms vermittelt, so dass nach und nach eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis entstehen. Ziel ist es, möglichst alle Mitarbeiter an einem Yellow BeltTraining teilnehmen zu lassen. Dazu wurden während der Einführung gestaffelte Zielquoten pro Jahr vergeben. Projektsponsoren und -mitglieder sind Mitarbeiter aus dem Unternehmen, die für jeweils wichtige Projekte identifiziert werden und dann am jeweiligen Projekt teilnehmen. Der Sponsor ist dabei der Auftraggeber des Projektes, in dessen Verantwortungsbereich der zu optimierende Prozess liegt und der aus diesem Grund der wichtigste Nutznießer des Projekterfolgs ist. Die Projektmitglieder sind i.d.R. Experten aus dem Bereich des zu optimierenden Prozesses oder aus angrenzenden Bereichen und werden ebenfalls in dieser Kombination nur zu einem bestimmten Projekt herangezogen. Der Zeitbedarf im Projekt beträgt für sie in etwa 10-30% der Arbeitszeit. Projektsponsoren kommen üblicherweise aus dem Bereich des mittleren bzw. höheren Managements und werden ebenfalls in den Grundzügen des Lean Six Sigma-Programms sowie speziell in der Rolle des Projektsponsors trainiert. In einem stringenten Auswahlprozess, der im Fall von Black Belt- bzw. Master Black Belt-Positionen bis in die amerikanische Konzernzentrale reicht, werden Kandidaten für die verschiedenen Funktionen bestimmt. Die erfolgreichen Kandidaten durchlaufen dann die entsprechenden Trainings, auf die besonderer Wert gelegt wird und deren weltweit einheitlicher Ablauf regelmäßig überarbeitet wird. So gibt es neben den Trainings für Yellow, Green und Black Belts ebenso Trainings für die Geschäftsleitungen der einzelnen Regionen und Ländergesellschaf-
290
Jutta Jessenberger
ten, für Sponsoren sowie für Repräsentanten des Finanzbereiches, die den finanziellen Erfolg der einzelnen Projekte bestätigen müssen (siehe Abb. 5). Funktion
Ausbildung
Zertifizierung
Leadership
• Leading Xerox LSS mit Simulation (2 Tage) • Executive Green Belt (3 Tage) • Sponsor Workshop (2 ½ Tage)
Keine Zertifizierung
Sponsoren
• Leading Xerox LSS mit Simulation • Sponsor Rolle/ Verantwortlichkeiten 2 ½ Tage Präsenztraining bzw. 1 Zusatztag zum Leadership-Training
Keine Zertifizierung
Financial Representative
• Finanztraining 1 ½ Tage
Keine Zertifizierung
Deployment Manager
• • • •
Leading Xerox LSS mit Simulation (2 Tage) Deployment Manager-Training (3 Tage) Sponsor-Training (1 zusätzlicher Tag) Green Belt-Training (40 Stunden online, 1 Woche Präsenztraining) • Team Accelerator (1 Woche, empfohlen)
Keine Zertifizierung
Yellow Belt
• Grundtraining • Problemlösungstechniken Onlinetraining 12-15 Stunden
Teilnahmebescheinigung
Green Belt
• ½ Tag Team Accelerator • Simulation • DMAIC (Service)-Projekt Onlinetraining 40 Stunden, 1 Woche Präsenztraining
Zertifizierung (Test/ 1 Projekt)
Black Belt
• Team Accelerator - 1 Woche • Lean Six Sigma/ DMAIC- 4 Wochen • Xerox Enrichment Modules 5 Wochen Präsenztraining
Zertifizierung (Test/ 2 Projekte mit finanziellen Zielen)
Master Black Belt
• Fortgeschrittene LSS Konzepte (2 Wochen) • Train-The-Trainer 2 Wochen Präsenztraining, 4 Wochen mit Beobachtern
Zertifizierung (zusätzliche Projekte)
DMEDI
• Developing optimal processes 2 Wochen Präsenztraining
DfLSS
• (Product) Design for Lean Six Sigma 2 Wochen Präsenztraining
Abb. 5: Lean Six Sigma Trainings, Dauer und Zertifizierung
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
291
Für die Ausbildung der Black Belts und Green Belts wurden in den ersten zwei Jahren externe Trainer eingesetzt. Inzwischen können alle Trainings intern mit Xerox-eigenen Master Black Belts durchgeführt werden. Bei Xerox gibt es im Lean Six Sigma-Programm zwei wesentliche Projekttypen – auf der einen Seite handelt es sich um Projekte zur Prozessverbesserung, die mit dem Projektzyklus DMAIC durchgeführt werden. Auf der anderen Seite existieren Projekte zur Neugestaltung eines Prozesses, wenn z.B. der betrachtete Prozess noch nicht existiert bzw. wenn der existierende so ineffizient ist, dass ein komplettes Re-Design notwendig ist. Letzteres wird bei Xerox mit DMEDI durchgeführt. Weiterhin sind. so genannte DfLSS-Projekte (Design for Lean Six Sigma) bekannt, bei denen es sich um Projekte zum Produktdesign handelt, mit deren Hilfe zusätzlich zur Optimierung oder Neuentwicklung eines Produkts auch der Herstellungsprozess berücksichtigt und möglichst nach der Lean Six Sigma-Philosophie gestaltet wird. Die Lean Six Sigma-Grundausbildung für alle Xerox-Mitarbeiter und die zukünftigen Projektleiter stützt sich hauptsächlich auf den DMAIC-Zyklus als Basis zur Erklärung und Vermittlung der Lean Six Sigma-Prinzipien. DMEDI- und DfLSS-Methoden werden nach erfolgreichem Abschluss der DMAIC-Ausbildung zusätzlich geschult. Abbildung 5 gibt einen Überblick über die einzelnen Trainings, ihre Dauer und die jeweilige Zertifizierung bei Xerox. Neben der mit dem Training verbundenen Weiterbildung war und ist eine weitere wichtige Motivation für die Projektleiter in spe das Aufzeigen der weiteren Karrieremöglichkeiten nach der Tätigkeit als Green oder Black Belt. Eine Zertifizierung wird in der Personalakte vermerkt und trägt – bei internen Besetzungen – positiv zur Mitarbeiterauswahl bei. Außerdem wird darauf Wert gelegt, dass Mitarbeiter auf Managementpositionen zumindest die Green Belt-Schulung absolviert haben und möglichst auch zertifiziert sind. Black Belt-Positionen sind per Vorgabe befristet und werden nur mit so genannten „High Potentials“ besetzt. Ein Mitarbeiter wird als Black Belt ausgebildet und ist dann ca. 2-3 Jahre als Projektleiter tätig. Danach geht er zurück in das operative Management. Auf diese Weise wird das eingangs angegebene Ziel des Umbaus der Xerox-Kultur nachhaltig erreicht. Neben der sorgfältigen Auswahl der passenden Ressourcen und der dazugehörigen hochwertigen Ausbildung ist ferner die Einbindung der Funktionen in die Organisation ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Lean Six Sigma-Programms. Abbildung 6 stellt die derzeitige Lean Six Sigma-Organisation von Xerox dar. Sie wird direkt vom Chief Financial Officer (CFO) des Konzerns gesteuert. Die einzelnen Deployment Manager der Regionen berichten an den Vice President Corporate Lean Six Sigma Deployment, der seinerseits an den CFO berichtet. Wie aus der Abbildung deutlich wird, gibt es Regionen, in denen zusätzliche Deployment Manager aus den einzelnen Ländern oder Business Units an den jeweiligen Deployment Manager der Region berichten. Dies ist typischerweise dann der Fall, wenn die Region sehr groß ist und die Tätigkeit eines einzelnen Deployment Managers mit entsprechend viel Reisetätigkeit verbunden wäre bzw. wenn aufgrund kultureller oder sprachlicher Unterschiede eine Steuerung direkt vor Ort effektiver und effizienter ist. Die Region Europa ist ein solches Beispiel, bei der
292
Jutta Jessenberger
sich aufgrund der Vielzahl der Länder und Kulturen eine regionale Steuerung mit ländereigenen Deployment Managern bewährt hat. Anne Mulcahy Chairman / CEO
Business Leader
Business Leader
Chief Financial Officer
Business Leader
VP, Corporate Lean Six Sigma Deployment mit direkter Berichtslinie zum CEO während LSSEinführung
VP, Corporate Lean Six Sigma Deployment Business Leader
Deployment Manager
Deployment Manager
Sponsors BBs BBs MBBBBs / BBs
Business Leader
Business Leader
Deployment Manager
BBs Deployment BBs Team
Deployment Managers
BBs BBs BBs Master BBs
Sponsors BBs BBs MBBBBs / BBs
Deployment Managers
BBs BBs BBs BBs
BBs BBs BBs BBs
Abb. 6: Lean Six Sigma-Organisation von Xerox
Die Master Black Belts sind disziplinarisch zunächst noch im Corporate Deployment Team „aufgehängt“; einzelne berichten jedoch auch an die Deployment Manager in der jeweiligen Region. Durch die Einbindung der Deployment Manager in die einzelnen regionalen Organisationen und ihre direkte Berichtslinie an die Regions-Geschäftsleitung wird außerdem die Verzahnung von Lean Six Sigma mit dem operativen Geschäft gewährleistet. In Bezug auf die Einführungsphase des Lean Six Sigma-Programms ist noch hervorzuheben, dass während des ersten Jahres der Vice President Corporate Lean Six Sigma Deployment direkt an die Geschäftsleitung, in diesem Fall an den CEO berichtete. Auf diese Weise wurde auch aus der Organisation deutlich, welchen Stellenwert das Operations Committee der Einführung von Xerox Lean Six Sigma zuordnete. Mit einer solchen Aufstellung im Hinblick auf Organisation, Funktionen und Training sind alle Voraussetzungen von der Ressourcen-Seite für einen erfolgreichen Lean Six Sigma-Start erfüllt. Der nächste Erfolgsfaktor ist dann eine sinnvolle Projektauswahl. 4.3
Auswahl geeigneter Projekte
Der beste Projektleiter ist zum Scheitern verurteilt, wenn der ihm übertragene Projektauftrag nicht klar definiert und strukturiert ist und wenn der zu erzielende Erfolg nicht klar messbar und zudem schlecht abgegrenzt ist. Ein grundlegender und
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
293
immer wieder gemachter Fehler besteht darin, Projekte zu groß oder zu unbestimmt zu wählen. Klassische Beispiele dafür sind Projekte mit dem Ziel einer allgemeinen Umsatzsteigerung oder Kostenreduzierung – sie werden auch gerne als „Welthungerhilfeprojekte“ bezeichnet, da sie so groß sind, dass sie kaum abgearbeitet werden können. Die Krux bei solchen Projekten besteht darin, dass weder der Erfolg noch der Misserfolg wirklich direkt auf das entsprechende Projekt zurückgeführt werden kann. Gerade bei der heute bestehenden Komplexität in vielen Unternehmen und Branchen wird es nur sehr schwer möglich sein, monokausal ein Projekt für eine Umsatzsteigerung oder eine Kostenreduzierung im Gesamtunternehmen verantwortlich zu machen. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, eine Methodik zur Verfügung zu stellen, die aus den in jedem Unternehmen vorhandenen „Welthungerhilfeprojekten“ (Teil-)Projekte macht, die in einem angemessenen Zeitraum, mit einem überschaubaren Projektrahmen und mit definierten Erfolgsmesskriterien abzuarbeiten sind. Xerox verwendet dazu einen Prozess mit den fünf Schritten: 1. 2. 3. 4. 5.
Ansatzpunkte bestimmen (Projektgenerierung) Mögliche Projekte konkretisieren (Projektkonkretisierung) Projekte bewerten (Projektbewertung) Projekte definieren (Projektdefinition) und Projekte priorisieren (Projektpriorisierung).
Während des ersten Schrittes Projektgenerierung werden Ansatzpunkte aus den Bereichen Kunde, Strategie, finanzielle Ergebnisse und Prozess gewählt. Aus diesen Kategorien werden mögliche Projektideen formuliert, die zu diesem Zeitpunkt u.U. noch den Charakter von „Welthungerhilfeprojekten“ haben. Die oben angeführten Beispiele einer Umsatzsteigerung oder Kostenreduktion fallen in den Bereich der finanziellen Ergebnisse. Aus der Kategorie Kunde könnte z.B. ein Problem in Bezug auf die (mangelnde) Kundenzufriedenheit oder die (zu kleine) Wiederkäuferrate identifiziert worden sein, wohingegen aus dem Bereich Prozess Unzulänglichkeiten in der Supply Chain oder im Kundendienst auffällig geworden sein könnten. Man wird versuchen, diese unterschiedlichen Bereiche zu priorisieren. In einer Phase, in der die Resultate weit hinter allen Erwartungen zurückbleiben, wird man sich auf den Bereich der finanziellen Ergebnisse konzentrieren, dagegen in einer Phase relativer Stabilität und guter Gewinne das Augenmerk eher auf strategische Fragestellungen richten, um entsprechend gute Ergebnisse auch in Zukunft sicherstellen zu können. Während des zweiten Schrittes Projektkonkretisierung geht es darum, mögliche Projekte aus den einzelnen Bereichen zu skizzieren und die erhofften Ergebnisse zu konkretisieren. Dazu gibt es verschiedene Methoden – bei einem allgemein ergebnisorientierten Ansatz würde man den value tree (Wertbaum) vom Ertrag über Umsatz und Kosten und die jeweils nachgelagerten Ergebnis- bzw. Kostentreiber bis auf Kontenebene (wenn notwendig) verfolgen und die Zweige mit den größten Problemen fokussieren. Stellt sich z.B. heraus, dass der Umsatz eines bestimmten Produktes oder einer bestimmten Produktgruppe weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, wäre dies die erste Konkretisierung. Im Weiteren könnte dann auffällig sein, dass Marge und Kosten zwar stimmen, aber die verkaufte Menge in einer be-
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Jutta Jessenberger
stimmten Region nicht ausreicht. Die Nachfrage beim Controller ergibt, dass beispielsweise die Aufträge vorhanden sind, jedoch nicht der Nachfrage entsprechend abgearbeitet werden können. An dieser Stelle ist wahrscheinlich – je nach Größe der Region und der Vertriebsstruktur im Unternehmen – ein ausreichender Detaillierungsgrad für ein potenziell erfolgreiches Projekt erreicht. Im zweiten Schritt, der Projektkonkretisierung, versucht man also in jedem Fall den Teilbereich mit der anteilig größten negativen Wirkung herauszufiltern und entsprechend das Projekt darauf zu fokussieren. Dies ist nicht in jedem Fall einfach und erfordert häufig bereits vorgelagerte Arbeiten und evtl. vorbereitende Analysen. Diese Phase ist also durchaus aufwändig und wird deshalb gerne umgangen, woraus sich u.a. erklärt, weshalb „Welthungerhilfeprojekte“ so beliebt sind, die ohne diese Analysearbeit „definiert“ werden können. Output dieses Schrittes ist eine Reihe von Projektideen, die nun im dritten Schritt des Prozesses im Hinblick auf Aufwand und Nutzen bewertet werden können. Im dritten Schritt Projektbewertung werden alle vorhandenen Projektideen meist mithilfe einer so genannten Kosten-Nutzen-Matrix grob eingeordnet, und zwar für Aufwand und Nutzen in den Ausprägungen gering, mittel und hoch. Mithilfe der Kosten-Nutzen-Matrix ist es möglich, alle Projektideen schematisch darzustellen und sich einen schnellen Überblick über alle anstehenden Projekte zu verschaffen. Meist sind die zur Verfügung stehenden Ressourcen begrenzt, so dass nicht alle Projekte gleichzeitig durchgeführt werden können. Ein sinnvoller Ansatz zur Projektauswahl ist dann, möglichst alle Projekte mit geringem Aufwand und hohem Nutzen als erste durchzuführen, um mit geringstem Einsatz das Bestmögliche zu erreichen. Im folgenden kommt man dann zu den nächst teureren Projekten. Bei strategisch wichtigen Projekten stößt dieser Ansatz allerdings an seine Grenzen, da diese Projekte „fast naturgemäß“ einen großen Einsatz, bei allerdings auch großem Erfolg, erfordern. Die Projektauswahl kann also nicht rein mechanistisch anhand der erwarteten Beiträge und Kosten erfolgen, sondern muss genauso strategische Aspekte der identifizierten Projektideen abwägen. Am Ende dieser Phase steht dann eine Liste von Projektideen, die im Weiteren möglichst komplett abgearbeitet werden. Erst im vierten Schritt, der Projektdefinition, findet die eigentliche Ausgestaltung des Projektes und des Projektauftrages statt. Die ausgewählten Projektideen werden an die jeweiligen Sponsoren übergeben und diese definieren dann den genauen Projektauftrag (Projektcharter) mit den Punkten: • • • • • •
Geschäftserfolg (Business impact) Problem/ Chancen (Problem/ Opportunity statement) Ziel (Goal statement) Projektumfang (Scope) Team und Projektplan.
In der Praxis hat es sich als sinnvoll erwiesen, gerade während der Einführungszeit von Lean Six Sigma den Projektauftrag in Zusammenarbeit zwischen
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
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Projektsponsor und Deployment Manager zu erstellen, um die inhaltliche Gestaltung möglichst zu vereinheitlichen. Insbesondere bei den Punkten Ziel und Geschäftserfolg sind nämlich zu Beginn die inhaltliche Abgrenzung und das Verständnis für die Unterschiede erfahrungsgemäß schwierig, da der Projektsponsor häufig nur am erwarteten (monetären) Business Impact und weniger am Ziel der konkreten Prozessoptimierung im Goal Statement interessiert ist. Bei der Erstellung eines Projektauftrages stellte sich als bestmöglicher Ansatz heraus, zunächst das erkannte Problem oder die erwarteten Chancen festzuhalten, dann das Ziel zu definieren und erst anschließend den erwarteten (monetären) Beitrag zu bestimmen. Projektumfang, Team und Projektplan ergeben sich daraufhin automatisch. Bei einem zurückgehenden Absatz für eine bestimmte Produktgruppe könnten Probleme beispielsweise wie folgt skizziert werden: „Seit vier Quartalen in Folge ist der Absatz des Produktes xy in den Regionen West und Süden zurückgegangen. Marge und direkte Kosten sind weitgehend konstant geblieben, aber insbesondere im Bereich der „over the counter“-Verkäufe konnten weder die Umsätze des letzten Jahres noch die Vorgaben erzielt werden. Die prozentuale Umsatzdifferenz zwischen letztem und diesem Jahr beträgt 25%, zwischen dem Erreichtem und den Vorgaben 15%. Anzahl und Umfang der Aufträge ist in etwa auf dem Vorjahresniveau, allerdings ist die Auslieferungsquote um ca. 20% zurückgegangen. Der Absatz in den anderen Regionen verläuft planmäßig.“ Dabei gilt als Grundregel, so viele Details und Fakten festzuhalten wie irgend möglich, um das Problem respektive die Chance(n) konkret zu machen. Zu diesem Zweck sind die folgenden Fragen zu beantworten: • Was ist das Problem? • Seit wann besteht es? • In welchem Ausmaß und wo ist das Problem aufgetreten? Als nächstes sollte das Ziel bestimmt werden. Wichtig hierbei ist, dass sich das zu definierende Ziel auf den zugrunde liegenden Prozess bezieht und nicht auf den erwarteten Erfolg. Aus diesem Grund sollte auch in der Zieldefinition der Prozess mit Anfang und Ende sowie die ihn beeinflussenden Größen benannt werden. Zum Beispiel: „Der zu betrachtende Prozess umfasst die Schritte Auftragseingang, Auftragsbearbeitung und Auslieferung der Produkte. Start ist der Eingang der Bestellung bei Team A, Ende ist der Zeitpunkt, an dem das bestellte Produkt verladen und der Umsatz verbucht wird. Ziel ist, die Auslieferungsquote wieder auf das Vorjahresniveau zu bringen, also eine Steigerung um 20%.“ Erst zu diesem Zeitpunkt macht es Sinn, den Geschäftserfolg zu definieren, z.B.: „Durch eine Steigerung der Auslieferungsquote um 20% wird mit dem bestehenden Produktmix in der Produktgruppe durchschnittlich ein Umsatzwachstum von 25% erzielt. Nach Abzug der Projektkosten wird ein Beitrag zum Geschäftsergebnis in Höhe von 350.000 EUR erwartet.“ Der Projektumfang ist durch die Problemstellung weitestgehend vorgegeben. Dieses Projekt wird sich auf die genannte Produktgruppe, die Regionen West und Süden und den o.g. Prozess beschränken. Wichtig ist hier noch festzustellen, wel-
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Jutta Jessenberger
che Befugnisse das Projektteam hat, etwa in Bezug auf Budget, auf eine Veränderung der bestehenden Prozesse, auf Kunden- oder Lieferantenverträge usw. Auch die Zusammensetzung des Teams ist nahezu komplett aus den definierten Anforderungen abzulesen. Dabei sollte man an dieser Stelle zunächst die Funktionen der Teammitglieder spezifizieren. Die namentliche Nennung erfolgt erst im fünften Schritt der Projektgenerierung, da erst dann mögliche zeitliche Einschränkungen oder Verfügbarkeiten bekannt sind. Sinnvoll ist weiterhin eine Vorgabe des voraussichtlichen Zeitbedarfs der Teammitglieder, um den Aufwand auch für das operative Management transparent zu machen. Der Projektplan wird ebenfalls an dieser Stelle in den Grundzügen mit der vorgesehenen Dauer der einzelnen Projektphasen festgelegt. Insgesamt zeichnet sich ein guter Projektauftrag durch möglichst viele Details und eine konkrete, messbare Aufgabenstellung aus. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass er auch ein „lebendes“ Dokument darstellt. Änderungen im Verlauf des Projektes sind normal, z.B. durch Bekanntwerden neuer Informationen, Änderungen im Projektteam oder eine notwendige Anpassung der vorhergesagten Resultate. Der fünfte und letzte Schritt in der Projektauswahl ist die Projektpriorisierung. In diesem Schritt werden die konkreten Projektvorschläge in einem Projektplan zur Abarbeitung zeitlich eingeplant, und zwar unter Berücksichtigung der Wichtigkeit der einzelnen Projekte und der verfügbaren Ressourcen. Hier kann ebenfalls noch einmal eine Bewertung der einzelnen Projekte nach bestimmten Kriterien erfolgen und der Kosten-/ Nutzen-Beitrag daraufhin neu bestimmt werden. Am Ende des Projektauswahlprozesses steht eine „Projektpipeline“ mit fertig ausformulierten Projektaufträgen und einem Plan zu deren Umsetzung. Natürlich ist diese Projektpipeline nicht statisch, sondern ebenso wie die Projektcharter ein „lebendes“ Objekt. Durch Veränderungen im Unternehmen, in der Branche, im Umfeld oder durch neue Vorgaben werden immer wieder neue Projektideen und Projekte entstehen, die in die Pipeline einzuordnen sind. Es werden evtl. bereits bestehende und geplante Projekte wieder eingestellt, da sie nicht länger von der ursprünglich bestimmten Wichtigkeit sind. Der Prozess der Projektauswahl ist also ein zyklischer Vorgang, der sich jeweils an die sich möglicherweise ändernden Erfordernisse und Gegebenheiten anpassen muss. 4.4
Disziplin bei der Umsetzung
Der letzte Faktor für eine erfolgreiche Einführung von Lean Six Sigma besteht in der stringenten und disziplinierten Umsetzung der definierten Projekte. Insgesamt gibt es eine Reihe von Maßnahmen, welche die Disziplin und Ausführung von Lean Six Sigma-Projekten unterstützen. Die Strukturierung eines Lean Six Sigma-Projekts in fünf Phasen DMAIC oder DMEDI gibt dabei schon einen zweckmäßigen Rahmen zur Abarbeitung vor. Die Endpunkte dieser Phasen werden jeweils mit erfolgreich bestandenen „Tollgate-Reviews“ abgenommen. Zudem bieten ein Computersystem (Project Tracking System) sowie regelmäßige
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
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Reviews und Coaching weitergehende Unterstützung für die Projektteams und Projektleiter. Diese Maßnahmen werden im Folgenden weiter ausgeführt. Beim DMAIC-Zyklus1 mit dem Ziel der Verbesserung eines bestehenden Prozesses sind die Phasen Define, Measure, Analyse, Improve und Control zu durchlaufen. In der ersten Phase Define wird der Projektauftrag weiter präzisiert. Kundenanforderungen, Umfang, Projektplan und erwartete finanzielle Ergebnisse werden ebenso angegeben wie die Verteilung der Aufgaben innerhalb des Projektteams und eine Abgrenzung des Projektumfelds. Letzteres ist wichtig, um etwaige Einflüsse des Projekts auf angrenzende Bereiche zu berücksichtigen und auch die Projektkommunikation entsprechend aufzusetzen. Außerdem wird der Ist-Zustand des zu verbessernden Prozesses bestimmt und ein grober Prozessfluss skizziert. Während der Measure-Phase bestimmen die Projektteilnehmer die möglichen Input-, Prozess- und Outputmessgrößen und untersuchen die derzeitige Fähigkeit des Prozesses. Weiterhin wird der Prozessfluss, z.B. mithilfe einer Wertstromanalyse, dargestellt. Die Analyse-Phase dient dazu, die Messergebnisse miteinander in Verbindung zu setzen und zu bestimmen, welche Inputgrößen maßgeblich auf die Outputmessgrößen einwirken und wie diese einzustellen sind, damit der Prozessoutput optimal ist. Während der Improve-Phase optimiert das Projektteam die Einstellung so, dass der Prozess nachhaltig die gewünschten Ergebnisse erreicht. Außerdem führt es einen Testlauf mit dem optimierten Prozess durch, um sicherzustellen, dass das bestimmte Optimum auch in der Praxis die gewünschten Resultate zeigt und dass keine wichtigen Faktoren übersehen worden sind. Zum Abschluss, in der Control-Phase, übergeben die Projektteilnehmer den optimierten Prozess dem eigentlichen Prozesseigner im Tagesbetrieb. Sie entwerfen u.a. Trainingsmaßnahmen und einen Kontrollplan, der den kontinuierlichen und regelgerechten Betrieb sicherstellt. Während aller Phasen werden wiederholt Risikoanalysen durchgeführt und der erwartete (finanzielle) Erfolg aktualisiert. Auch Veränderungen in der Projektumgebung werden berücksichtigt, um das Projekt, d.h. die Projektcharter, ggf. anzupassen. Für ein Projekt zum Neudesign eines benötigten Prozesses sind nach dem DMEDI-Zyklus2 die folgenden fünf Phasen zu durchlaufen: Define, Measure, Explore, Develop und Implement. Sie sind den Phasen aus dem DMAIC-Zyklus ähnlich. Durch das Fehlen eines existierenden Prozesses, anhand dessen die Beziehung zwischen Input-, Prozess- und Outputmessgrößen durch statistische Methoden untersucht und die optimale Einstellung bestimmt werden kann, ist hier eine etwas andere Vorgehensweise erforderlich. Da der Status quo durch statistische Methoden nicht gemessen werden kann, muss ein Beurteilungssystem erstellt werden. Define- und Measure-Phase konzentrieren sich auf eine möglichst genaue Definition der Kundenwünsche. In der Phase Explore entwickelt das Projektteam ein System, mit dessen Hilfe es bewerten kann, wie gut mögliche Lösungen im Hin1
2
Eine detaillierte Darstellung des DMAIC-Zyklus befindet sich im Beitrag von Günther/ Garzinsky im Kapitel B. Eine detaillierte Darstellung des DMADV-Zyklus als Alternative des DMEDI-Zyklus befindet sich im Beitrag von Töpfer/ Günther im Kapitel A.
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Jutta Jessenberger
blick auf die Erfüllung der in der Measure-Phase bestimmten Kundenanforderungen geeignet sind. Während der Develop-Phase geht es darum, möglichst viele unterschiedliche Lösungen zu generieren und die beste auf Basis des Beurteilungssystems zu identifizieren. In der Phase Implement wird dann die beste Lösung konkretisiert. Es werden u.a. Organisations-, Prozess-, Layout- und Trainingsdesigns erstellt, mit deren Hilfe ein Testlauf des neuen Prozesses durchgeführt werden kann. Der neue Prozess wird nach erfolgreichem Test an den Prozesseigner übergeben, zusammen mit der gesamten unterstützenden Dokumentation, wie z.B. Trainingsunterlagen und Kontrollpläne. Abbildung 7 stellt die Phasen der zwei Zyklen und die in ihnen erfolgenden Aufgaben schematisch dar. DMAIC
DMEDI
Ziel: Verbesserung eines bestehenden Prozesses Define Define ! Definition des Projektinhalts, -umfangs und -dauer Measure Measure ! Messung der aktuellen Prozeßkapazität Analyze Analyze/ ! Analyse von Ursachen der Explore Prozeßprobleme an Hand von Daten Improve Improve/ ! Verbesserung des Prozesses Develop u.a. durch Verschlankung Control Control/ ! Kontrolle des verbesserten Prozesses Implement
Ziel: Neuentwicklung eines benötigten Prozesses Define ! wie DMAIC Measure ! Messung/Bestimmung der Kundenbedürfnisse/-wünsche Explore ! Entwicklung von Beurteilungskriterien („design concepts“) zur Lösungserstellung Develop ! Generierung von möglichen Lösungen, Entwicklung und Optimierung eines detaillierten, neuen Prozeßdesigns im Sinne der zuvor bestimmten Beurteilungskriterien Implement ! Konzeption und Durchführung eines Piloten zur Überprüfung des neuen Prozesses, Aufsetzen von Kontrollmechanismen und Einführung im täglichen Ablauf.
Abb. 7: Projektphasen von DMAIC und DMEDI im Überblick
Am Ende jedes Schrittes im Projektzyklus – unabhängig, ob DMAIC oder DMEDI – werden so genannte Tollgates durchgeführt, um zu überprüfen, ob alle die in der jeweiligen Phase zu erledigenden Aufgaben erfolgreich durchgeführt worden sind. Während der Präsentation werden sowohl die einzelnen Ergebnisse vorgestellt und diskutiert als auch die finanziellen Vorhersagen einer kritischen Prüfung unterzogen. Weiterhin wird untersucht, welche Risiken für das Projekt und für das Unternehmen bestehen, sowie abgewogen, ob ein Fortführen dieses Projektes sinnvoll ist. Außerdem wird entschieden, ob sich während der entsprechenden Projektphase neue Erkenntnisse ergeben haben, die eine Konzentration auf andere Projekte und Problemstellungen nahe legen. Zum Ende des Tollgate-Reviews trifft der Sponsor die Entscheidung, ob das Projekt weitergeführt werden soll und ob die entsprechende Phase erfolgreich abgeschlossen wurde. Ist dies der Fall, kann das Projekt in die nächste Phase eintreten. Anderenfalls erteilt der Sponsor dem Projektleiter Auflagen, die zum erfolg-
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
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reichen Absolvieren des Tollgates erforderlich sind, und das Projektteam muss entsprechende Nacharbeiten durchführen. Einen weiteren Beitrag für eine disziplinierte Projektabwicklung bei Xerox wird durch das so genannte Project Tracking System geliefert. In dieses ITgestützte System werden alle Lean Six Sigma-Projekte eingetragen, die weltweit im Unternehmen Xerox durchgeführt werden. Erfasst werden dort die Projektaufträge mit den sechs Unterpunkten, finanzielle Resultate und Projektdokumentationen mit einer Suchfunktion, so dass es auch als Nachschlagewerk für ähnliche Projekte verwendet werden kann. Gleichzeitig werden in das Project Tracking System auch die Projektpläne eingetragen, so dass überprüfbar ist, in welchem Status sich ein Projekt befindet. Den Deployment Managern dient das System als Steuerungsinstrument und ist Grundlage für Business Reviews. Die Hauptaufgaben sind also: • Verwaltung der Projektpipeline • Überblick über bestehende Projekte mit deren Status und ihrem erwarteten finanziellen Beitrag • Workflow-Funktionalität mit Benachrichtigungsfunktion und • Operatives Reporting. Natürlich gilt auch für dieses System, dass es nur so gut sein kann, wie die Qualität der in ihm enthaltenen Daten. Aus diesem Grund ist eine disziplinierte Datenpflege und ein Fokus auf korrekte Dateneingabe unerlässlich. Letztendlich sind auch die turnusgemäß stattfindenden Coachings durch Master Black Belts, Black Belts und Deployment Manager für alle Projektleiter eine Hilfestellung für eine disziplinierte Ausführung der Projekte.
5
Lean Six Sigma in Deutschland – Planung und Umsetzung
Das Lean Six Sigma-Programm wurde 2003 weltweit eingeführt, beginnend mit den USA. Von Anfang an bestand das Ziel darin, Lean Six Sigma nicht nur in einigen Bereichen, sondern im gesamten Unternehmen „auszurollen“. Abbildung 8 zeigt die Bereiche für das unternehmensweite Deployment. Den Hintergrund bildete dabei der Wunsch, die Methoden nicht nur als Werkzeuge zur Effizienzsteigerung einzusetzen, sondern sie entlang der gesamten Wertschöpfungskette und der unterstützenden Bereiche als unternehmensweite Strategie zur Schaffung von Mehrwert anzuwenden. Inzwischen konnte Xerox so viel Erfahrung im Einsatz dieser Techniken sammeln, dass diese Methodik auch beim Kunden für den Kunden i.S.v. „At the customer for the customer“ entweder im Rahmen eines mit Xerox abgeschlossenen Druck-/ Dienstleistungsvertrags oder eigenständig sehr erfolgreich als Beratungsleistung angeboten wird.
300
Jutta Jessenberger
Finanzen
Infrastruktur
Vertrieb und Marketing
Personal
Customer Communications
Xerox
Administration
Information Technologies
Operations
Engineering
Produktion
Abb. 8: Bereiche für das unternehmensweite Deployment von Lean Six Sigma
Bei der Einführung in Deutschland orientierte man sich verständlicherweise am Roll-Out in den USA. In Abbildung 9 ist der Zeitplan für die Lean Six SigmaEinführung in den USA sowie z.T. parallel hierzu für die deutsche Tochtergesellschaft ersichtlich. Nov 02
Jan - Feb 03 Jun 03
Nov 03
Mai 04
Start Start Lean Lean Six Six Sigma Sigma
Dez 05 USA – weltweit Deutschland
Executive Launch Leadership Training Deployment Deployment Design Design && Launch Launch Sponsor Training Deployment BB Training GB Training MBB Training DFLSS
Lean Lean Six Six Sigma Sigma – Steuerung Steuerung
Abb. 9: Roll-out in den USA und in Deutschland
Während der Startphase Ende 2002 lag der Fokus zunächst auf einer unternehmensweiten Kommunikation in den Führungsebenen. So fanden weltweit Leadership Trainings statt mit dem Ziel, die Ideen und Konzepte und natürlich auch den
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
301
Grund zur Einführung von Lean Six Sigma auf Geschäftsleitungsebene zu erklären. Kurze Zeit später, zur Vorbereitung auf die ersten Projekte, wurden die Leitungsteams der Regionen, Länder und Geschäftsbereiche in einem Training für Sponsoren über ihre Verantwortlichkeiten und Aufgabenbereiche geschult. Dieses Sponsoren-Training wurde dann auf die zweite Führungsebene innerhalb der Länder ausgedehnt. Im Januar 2003 startete das erste (US-)amerikanische Black Belt-Training, kurze Zeit später gefolgt vom ersten europäischen Black Belt-Training, an dem Mitarbeiter aus allen großen europäischen Xerox-Gesellschaften teilnahmen. Im Juni 2003 fanden dann die ersten Green Belt-Trainings in Amerika statt; die ersten deutschen Teilnehmer nahmen im Juni 2004 an europäischen Schulungen teil. Die Zeittafel in Abbildung 10 vermittelt einen Eindruck über Trainings, Trainingsorte und Teilnehmerzahlen in Deutschland. Bei Xerox Deutschland befinden sich Ende 2006 11 trainierte Black Belts, von denen einige bereits wieder ins operative Geschäft zurückgegangen sind, 60 Green Belts und 20 Manager der höheren und mittleren Führungsebene, die an einer Leader/ Sponsor-Schulung teilgenommen haben. Über 80% aller Mitarbeiter haben ein Yellow Belt-Training absolviert. Datum
Training
Sprache/ Ort
März 2003
3 Black Belts
Englisch/ Europäisches Ausland
November 2003
2 Black Belts
Englisch/ UK
Mai 2004
2 Black Belts
Englisch/ UK
Juni 2004
3 Green Belts
Englisch/ UK
Juli 2004
> 30 Green Belts
Deutsch/ Deutschland
Januar 2005
1 Black Belt
Englisch/ UK
Januar 2006
2 Black Belts
Englisch/ UK
Juli 2006
> 30 Green Belts
Deutsch/ Deutschland
Dezember 2006
1 Black Belt
Englisch/ UK
Abb. 10: Lean Six Sigma-Trainings in Deutschland - Roll-Out-Phase
6
Lessons Learned
Die große Herausforderung bei Xerox bestand nicht darin, die in Kapitel 4 genannten Erfolgsfaktoren konstruktiv in die Einführung des Lean Six Sigma-Programms mit einzubeziehen. Sie bestand vielmehr darin, sie von der Geschäftsführung in den USA weltweit mit derselben Intensität in die einzelnen Regionen und Länder zu bringen, und sie dann innerhalb der Länder durch die Hierarchiestufen bis zum einzelnen Mitarbeiter weiterzugeben. Die Wichtigkeit einer stringenten Kommunikationsstrategie kann hierbei nur unterstrichen werden. Erfolgreich war
302
Jutta Jessenberger
eine Kombination verschiedener Medien und Formate, z.B. Bereichsversammlungen, Aufnahme in Geschäftsberichte, Erstellung von Newslettern und Gewinnspielen. Eine weitere Erfahrung bei der Einführung war, dass in jedem Fall alle Faktoren zum Erfolg des Programms bzw. der einzelnen Projekte beitrugen. War auch nur eine der Voraussetzungen nicht gegeben, so war die Durchführung des betreffenden Projektes gefährdet, dauerte deutlich länger als geplant, konnte nicht wie geplant umgesetzt werden und/ oder scheiterte komplett. Bei den Projekten, bei denen nicht der erwünschte Erfolg erzielt wurde, konnte die Ursache immer auf die Abwesenheit mindestens einer der vier Voraussetzungen zurückgeführt werden. Eine der häufigsten Ursachen dafür, dass ein Projekt länger als geplant dauerte, lag zum einen an der mangelnden Bereitschaft, Ressourcen dafür abzustellen sowie zum anderen am fehlenden Interesse des Projektsponsors, die Unterstützung auch aus anderen Bereichen zu gewährleisten. Einige Projekte entwickelten sich nach einem anfänglich gut abgegrenzten Projektauftrag zu „Welthungerhilfeprojekten“, da die Disziplin in der Ausführung fehlte. Umgekehrt konnten alle Projekte mit einem gut definierten Projektauftrag, bei denen zudem die Sponsorunterstützung und die passenden Ressourcen vorhanden waren, stringent, schnell und i.d.R. sehr erfolgreich durchgeführt werden. Allgemein kann man die Erfahrungen, die Xerox mit der Einführung des Lean Six Sigma-Programms gemacht hat, so zusammenfassen: Während der ersten zwei Jahre der Einführung sollte man einen guten und tragfähigen Business Case aufstellen und die Umsetzung auf allen Ebenen vorantreiben. Dabei hilft die Berücksichtigung folgender Punkte: • • • • • •
Erstellung von Benchmarks inner- und außerhalb der eigenen Branche Sichtbare Selbstverpflichtung von CEO und Senior Leadership Executive Coaching außerhalb des Unternehmens Bereitstellung der benötigten Ressourcen Kommunikation der Vision und Werthaltigkeit des Programms sowie Aufbau von Glaubwürdigkeit durch übereinstimmende Botschaften und nachvollziehbare Erfolge.
Über die mittlere Zeitdistanz setzte sich bei Xerox die Erkenntnis durch, dass eine begrenzte Einführung auch begrenzte Ergebnisse mit sich bringt. Aus diesem Grund wurde insbesondere die Green Belt-Ausbildung zur Unterstützung der Black Belts und der einzelnen Geschäftsbereiche verstärkt. Eine generelle Neubelebung des Programms gelang durch folgende Punkte: • • • • • •
Beschleunigung der Einführung überall im Unternehmen Konzentration der Ressourcen auf wenige, strategische Probleme Wiederholung und Verstärkung der Selbstverpflichtung der Geschäftsleitung Design for Lean Six Sigma (DfLSS) Fokus auf Projektdauer und Beginn der Anwendung von Lean Six Sigma für Kunden.
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
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Während dieser Phase wurden übrigens einige Lean Six Sigma-Projekte durchgeführt zur Verbesserung der Lean Six Sigma-Einführung, so dass das Programm selbst die Instrumente für die eigene Optimierung zur Verfügung stellte. Inzwischen befindet sich Xerox auf der „Langstrecke“, was die Einführung von Lean Six Sigma betrifft. Die Herausforderung ist nun eher, die Konzepte und Ideen weiter voran zu treiben, die Methodik immer weiter zu verbessern und neu zu aktualisieren sowie die Anfangserfolge in nachhaltige Managementstrategien zu wandeln. Dazu ist es wichtig, die Produktivität des Lean Six Sigma-Programms zu erhalten, Mehrwert für den Kunden zu schaffen und damit auch das Wachstum des Unternehmens zu beschleunigen. Dies geschieht durch • Intensivierung der Kundenbeziehung durch gemeinsame Projekte, • Fokus auf Innovation und • Ausweitung der Lean Six Sigma-Prinzipien auf Lieferanten. Seit seiner Einführung hat Lean Six Sigma bei Xerox seine Leistungsfähigkeit und Wichtigkeit bewiesen. Bereits im ersten Jahr haben sich die Investitionen durch die erzielten Resultate, welche erreicht wurden durch Lean Six Sigma, amortisiert. In den folgenden Jahren hat das Programm wesentliche Beiträge zum Geschäftserfolg geleistet. Natürlich gab es auch bei Xerox die eine oder andere Schwierigkeit bei der Einführung. Insgesamt war aber die Einführung des Lean Six Sigma-Programms sehr erfolgreich und ein wichtiger Beitrag für den Erfolg des ganzen Unternehmens, wie auch das Zitat von Anne Mulcahy belegt: „What I worry most about is how to return Xerox to greatness… Lean Six Sigma is not the only answer, but it’s a significant part of the equation. Lean Six Sigma is incredibly different ... “
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess bei Siemens VDO Achim Schmidt Inhalt 1 2 2.1 2.2 2.3 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 4
1
Verständnis und Definition von Six Sigma bei Siemens VDO ................305 Six Sigma bei Diesel Systems..................................................................307 Das Piezo-Common-Rail-Einspritzsystem...............................................307 Implementierung von Six Sigma bei Diesel Systems...............................309 Systematische Umsetzung der Kundenanforderungen .............................310 Design for Six Sigma-Implementierung bei der Systementwicklung ......311 Entwicklungsprozess und Design for Six Sigma-Ansatz .........................312 Methodenbeschreibung für den operativen Einsatz..................................313 Anforderungsmanagement bei System-Projekten ....................................314 Die wichtigsten Werkzeuge im Pilotprojekt.............................................316 Ergebnisse des Pilotprojektes...................................................................319 Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Etablierung von Design for Six Sigma ...............................................................................320
Verständnis und Definition von Six Sigma bei Siemens VDO
Siemens VDO Automotive ist einer der weltweit führenden Automobilzulieferer für Elektronik, Elektrik und Mechatronik.1 Als Entwicklungspartner der Automobilindustrie fertigt das Unternehmen Produkte rund um den Antriebsstrang, die Motorsteuerelektronik und die Einspritztechnik, welche zusammen die Motorleistung verbessern und Emissionen reduzieren. Für gesteigerten Fahrkomfort und Bedienerfreundlichkeit sorgen Informations- und Car-Communication-Systeme mit Instrumentierung, Audio- und Navigationsgeräten, Telematik- und Multimedia-Anwendungen bis hin zu kompletten Cockpits. Einen Beitrag zu mehr Sicherheit leisten Siemens VDO-Produkte für Chassis und Karosserie, wie Airbag-, ABS- oder Zugangskontrollsysteme. Zur Effizienzsteigerung des Unternehmens wird bei Siemens VDO das top+ WIP-Verbesserungsprogramm2 eingesetzt, das aus dem erprobten top+ Programm der Siemens AG abgeleitet wurde. Das Verbesserungsprogramm teilt sich in die vier Initiativen Qualität, Projektmanagement, System und Software sowie Design1
2
Dies gilt auch weiterhin, nachdem das Unternehmen Ende 2007 von der Continental AG gekauft wurde und jetzt Bestandteil dieses Konzerns ist. WIP = World Class Improvement Program.
306
Achim Schmidt
To-Cost auf. Six Sigma ist ein integraler Bestandteil der top+ Quality Initiative mit dem Ziel einer stetigen und systematischen Verbesserung der Prozess- und Produktqualität zum Vorteil der Kunden. Zum Erreichen von einwandfreier Qualität bei hoch innovativen Produkten wurde im Rahmen der top+Quality Initiative ein 6-Schritte Vorgehen eingeführt (siehe Abb. 1). Hierbei handelt es sich um ein durchgängiges und systematisches Konzept, anhand dessen Verbesserungen nachhaltig durchgeführt werden können.
Abb. 1: Das Siemens top+ Quality-Unternehmensprogramm
Bei den Schritten 1-3 des sechsstufigen Vorgehens werden die Verbesserungsziele im Hinblick auf die Senkung der Fehlleistungskosten und die Steigerung des Kundennutzens festgelegt. Dabei werden die Hauptproblemfelder identifiziert, die Verbesserungshebel im Leitungskreis bestimmt und Verbesserungsprojekte mit Prozesszielen initiiert. Im Rahmen der Schritte 4-5 erfolgt die systematische Erarbeitung und Umsetzung von Maßnahmen auf Prozessebene. Hierzu werden Six Sigma Verbesserungsprojekte durchgeführt (siehe Abb. 2). Bei Schritt 6 erfolgt eine regelmäßige Überprüfung der Zielerreichung im Leitungskreis, und es werden bei Bedarf die entsprechenden Konsequenzen eingeleitet. Eine wichtige Basis für die erfolgreiche Umsetzung des 6-Schritte-Vorgehens ist die aktive Gestaltung der drei Erfolgsfaktoren Transparenz, Unterstützung durch das Management sowie Qualifizierung und Training.
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess
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Abb. 2: Six Sigma – Ein elementarer Bestandteil des Siemens top+Quality-Unternehmensprogramms
2
Six Sigma bei Diesel Systems
Der Bereich Diesel Systems von Siemens VDO entwickelt hochwertige Produkte und Systeme für Common-Rail-Motoren. Neben mehr Fahrspaß und Dynamik steht hier auch der verantwortungsvolle Umgang mit der Umwelt im Vordergrund. Mithilfe der innovativen Technik im Bereich der Motorsteuerelektronik, der Piezo-Diesel-Einspritzung, Sensorik und Aktuatorik können die Motorleistung verbessert und der Verbrauch sowie die Emissionen des Dieselmotors reduziert werden. Das Piezo-Common-Rail-Einspritzsystem steht im Vordergrund der ersten DFSS-Anwendungen bei Siemens VDO Diesel Systems. 2.1
Das Piezo-Common-Rail-Einspritzsystem
Bei der Common-Rail-Einspritzung werden alle Zylinder des Dieselmotors von einer Hochdruckpumpe über eine gemeinsame Leitung, den so genannten „Common-Rail“, mit Kraftstoff versorgt. Das Siemens VDO-Piezo-Common-RailSystem besteht aus den Komponenten Motorsteuerung (Electronic Control Unit), Piezo Kraftstoff-Injektoren, Kraftstoff Sensor, Hochdruck Pumpe, Common-Rail, und den Leitungen, die vom Common-Rail zu den Injektoren führen. Ein solches
308
Achim Schmidt
Dieseleinspritzsystem ist in Abbildung 3 dargestellt. Die Kraftstoffeinspritzung erfolgt bei einem Druck von 1.800 bar. Der hohe Einspritzdruck bewirkt, dass sich im Zylinder ein besonders feines Kraftstoff-Luft-Gemisch bildet, das effizient, schnell und sauber verbrennt. Für den Kraftstoff-Einspritzvorgang werden Injektoren verwendet, die durch Piezo-Aktoren betätigt werden. Bei den Piezo-Aktoren wird eine elektrische Spannung an eine spezielle Keramik angelegt, deren Kristallstrukturen sich verändern. Die Folge ist eine minimale geometrische Veränderung, die über ein hydraulisches Element mechanisch die Öffnung der Einspritz-Düsennadel auslöst.
Abb. 3: Das Siemens VDO Piezo-Common-Rail-Einspritzsystem
Die Piezo-Einspritztechnik ermöglicht deutlich kleinere und exakt dosierbare Einspritzmengen bei extrem kurzen Reaktionszeiten. Bei jedem Einspritztakt können fünf oder mehr einzelne Kraftstoffportionen individuell gesteuert und dosiert in die Zylinder eingebracht werden. Mehrere Piloteinspritzungen ermöglichen ein sanften und gleichmäßigen Anstieg des Verbrennungsdruckes, was eine Verringerung des klassischen "Dieselnagelns" bewirkt. Nach den Piloteinspritzungen erfolgt eine Haupteinspritzung, die der Erzeugung thermischer Energie dient. In bestimmten Betriebsbereichen können durch eine geteilte Haupteinspritzung die Stickoxidemissionen deutlich reduziert werden. Mehrere Nacheinspritzungen bewirken eine Verringerung der Rohemissionen und des Partikelausstoßes. Ein hoher Dieseleinspritzdruck, die Mehrfacheinspritzung sowie die exakte Piezo-Aktorik ermöglichen es, Dieselmotoren zu produzieren, welche die steigenden Emissionsanforderungen auch in der Zukunft sicher erfüllen.
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess
2.2
309
Implementierung von Six Sigma bei Diesel Systems
Im Juni 2003 wurde Six Sigma bei Siemens VDO Diesel Systems implementiert. Die Historie der Entwicklung von Six Sigma-Projekten bei Diesel Systems ist in Abbildung 4 visualisiert. Zu Beginn der Six Sigma-Implementierung lag der Fokus auf der Analyse und Verbesserung von Produktions- und Logistikprozessen. Dabei standen Qualität, Kosten und Liefertreue im Vordergrund. Die Projekte wurden mit der klassischen Six Sigma-DMAIC-Methodik abgearbeitet. Ein Jahr nach der Einführung von Six Sigma bei Diesel Systems lag das Niveau der Einsparungen bereits über dem Zehnfachen der Trainingskosten.
Abb. 4: Historie von Six Sigma-Projekten bei Siemens VDO Diesel Systems
Das erste Design for Six Sigma-Projekt bei Diesel Systems wurde im Sommer 2003 gestartet. Gegenstand des Projektes war die Entwicklung eines Messverfahrens für Piezo-Aktuatoren. Der Design for Six Sigma-Ansatz war bei diesem Projekt erforderlich, da es sich bei dem Messsystem um eine Neuentwicklung und nicht um eine Verbesserung eines bestehenden Systems handelte. Seit Sommer 2004 wird die DFSS Methodik in der Entwicklung von Einzelkomponenten für das Einspritzsystem eingesetzt. Der Schwerpunkt lag zunächst bei der Vermeidung von Produkt- oder Prozessproblemen und bei der Erstellung eines robusten Designs, d.h. eines Designs, das besonders unanfällig gegenüber dem Auftreten von Störgrößen ist.
310
Achim Schmidt
Die neuen Vorgaben, die durch gestiegene Kundenanforderungen sowie durch die aktuellen und zukünftigen Vorgaben für die Grenzwerte3 bei Stickoxiden und Feinstaubpartikeln entstehen, benötigen einen ganzheitlichen DFSS-Ansatz auf Systemebene. Bei diesem Systemansatz muss sichergestellt werden, dass das Gesamtsystem die Kundenanforderungen und gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Die Optimierung einzelner Komponenten ist notwendig, aber i.d.R. nicht ausreichend. Anhand eines DFSS-Pilotprojektes wurde eine Methodik entwickelt, welche die Umsetzung der Kundenanforderungen bis hin zur Komponentenentwicklung ermöglicht. Der bestehende Geschäftsprozess „Systementwicklung” wurde analysiert und entsprechend des DFSS-Ansatzes umgestellt bzw. ergänzt. 2.3
Systematische Umsetzung der Kundenanforderungen
Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg eines neuen Produkts ist die Umsetzung der geforderten Produkteigenschaften. Funktionale Merkmale und Merkmale, die im Zusammenhang mit der Sicherheit und Zuverlässigkeit stehen, werden dabei besonders berücksichtigt. Die Anforderungen, Erwartungen und Wünsche an das geplante Produkt werden in einem Lastenheft dokumentiert, das aus Anwendersicht beschreibt, was und wofür das Produkt zu entwickeln ist. Bei der Entwicklung von Produkten, die aus mehreren Komponenten4 bestehen, werden üblicherweise zunächst bei der Komponentenentwicklung die Anforderungen umgesetzt. Die Integration der Komponenten zu einem Gesamtsystem erfolgt erst in einem nachfolgenden Schritt. Dieses klassische Vorgehen birgt die Gefahr, dass jede Komponente nur für sich optimiert wird und Wechselwirkungen zwischen den Komponenten nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. Dies hat zur Folge, dass das Gesamtsystem nicht die geforderten Funktions- und Leistungsanforderungen erfüllt, oder aufgrund von Suboptimierungen einzelner Komponenten einen unerwünscht hohen Komplexitätsgrad aufweist. Die Optimierung des Gesamtsystems in Hinblick auf die vom Kunden geforderten Funktionsund Leistungsanforderungen sowie die behördlichen und gesetzlichen Anforderungen erfordern einen ganzheitlichen Ansatz. Bei einem solchen Ansatz werden, wie in Abbildung 5 skizziert, die Kundenanforderungen zunächst in funktionale Anforderungen auf Systemebene umgesetzt. Die Anforderungen, die nötig sind, um die gewünschten Systemfunktionen zu gewährleisten, werden vom Gesamtsystem an die jeweiligen Komponenten weitergegeben. Auf Komponentenebene werden die Anforderungen genauer spezifiziert und beim Design berücksichtigt. Die Funktion sowie das Zusammenspiel der Komponenten des Gesamtsystems werden anschließend getestet und optimiert. Schließlich wird geprüft, ob die Systemfunktionalität den Kundenwünschen entspricht.
3
4
Grenzwerte bei Stickoxiden und Feinstaubpartikeln sind gemäß der europäischen und amerikanischen Emissionsvorschriften Euro 5 und US Tier 2 einzuhalten. Hardware, Software und/ oder Teilsysteme.
311
Capability Flow-Up
Umsetzung von CT-Merkmalen*
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess
* CT-Merkmale: CTS ... Critical to Satisfaction/ CTQ ... Critical to Quality
Abb. 5: Umsetzung der Kundenanforderung auf System- und Komponentenebene
Die Umsetzung der Kundenanforderungen beim oben beschriebenen Vorgehen soll im Folgenden am Beispiel der Piezo-Common-Rail-Entwicklung verdeutlicht werden. Eine Kundenanforderung an ein Piezo-Common-Rail-System beinhaltet beispielsweise die Begrenzung durch die Euro 5 Emissionsrichtlinien. Zur Einhaltung der geforderten Emissions-Grenzwerte ist eine Mehrfacheinspritzung unumgänglich. Eine der Systemfunktionen, die sich aus der Mehrfacheinspritzung ableitet, ist die Möglichkeit einer freien Konfiguration des Einspritzverlaufes. Diese Systemfunktion stellt wiederum Anforderungen an die Komponenten und die Software. Beim Injektor muss zum Beispiel das Design des Piezo-Aktuators die notwendige Performance sowie die Robustheit gegenüber Temperatureinflüssen aufweisen. Bei der Software sind spezielle Algorithmen für die Erfüllung der Systemfunktion ‚freie Konfiguration des Einspritzverlaufs’ erforderlich. Außerdem muss das Design der hydraulischen Komponenten an die erhöhten Hochdruckanforderungen angepasst werden.
3
Design for Six Sigma-Implementierung bei der Systementwicklung
Nach einer Abgrenzung von Produktentstehungsprozess und Design for Six Sigma wird in diesem Abschnitt näher auf die Konzeption und Inhalte des IDOV-Zyklus eingegangen. Dabei handelt es sich um einen in der Literatur diskutierten und in der Praxis genutzten DFSS-Problemlösungszyklus. Anhand des Pilotprojektes im Bereich Diesel Systems werden wichtige Methoden und Werkzeuge aufgezeigt.
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Achim Schmidt
3.1
Entwicklungsprozess und Design for Six Sigma-Ansatz
Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Produktentwicklung ist das Vorhandensein eines Produktentwicklungsprozesses (PEP). Dieser ist eine allgemeine, strukturierte Darstellung auf Makroebene, die beschreibt, wie neue Produkte entwickelt und eingeführt werden sollen. Dieses Dokument definiert die Rollen, Aufgaben, Kontrollpunkte und -kriterien, die zur Einführung neuer Produkte notwendig sind. Design for Six Sigma ist kein zusätzlicher Ansatz, sondern eine positive Ergänzung zum Produktentwicklungsprozess. Während der PEP die Abläufe des Entwicklungsprozesses beschreibt – wer was wann zu erledigen hat, beschreibt der DFSS-Ansatz auch die Methodik und Werkzeuge – wie es gemacht wird. Durch die Integration von DFSS in den Entwicklungsprozess wird vermieden, dass separate, eventuell redundante DFSS-Einzelprojekte gestartet werden. Außerdem kann eine deutliche Verbesserung des Informationsflusses erzielt werden, und es werden unnötige Schnittstellen zwischen den Entwicklungsabteilungen vermieden. Die Integration der DFSS-Methodik in den PEP erfolgt in drei Schritten: Schritt 1: Analyse des PEP und thematische Zuordnung zu den DFSS-Phasen Im Schritt 1 wird der bestehende Produktentwicklungsprozess analysiert, und die Phasen des DFSS-Ansatzes werden den jeweiligen Phasen des Entwicklungsprozesses zugeordnet (siehe Abb. 6). Im vorliegenden Fall wurde als DFSS-Ansatz die Design-Methodik IDOV verwendet. Die Abkürzung IDOV ist definiert durch die Phasen Identify (Ermitteln), Design, Optimize und Validate (Bestätigen).5 So wird beispielsweise die Phase „Kunden- und Systemanforderung” der Identify Phase des IDOV-Zyklus zugeordnet, da in der Identify-Phase die Umsetzung der Leistungsanforderungen sowie der gesetzlichen Anforderungen erfolgt. Schritt 2: Verknüpfung der DFSS-Methoden und -Werkzeuge untereinander In Schritt 2 wird eine Verkettung der Werkzeuge und Methoden initiiert. Damit durchgängige Informationspfade entstehen, werden die Ausgangsgrößen eines Werkzeugs direkt als Eingangsgröße des nachfolgenden Werkzeugs verwendet. Anschließend wird eine praxisnahe Methodenbeschreibung für den Anwender erstellt. Schritt 3: Praxistauglichkeitstest und Durchführung eines Pilotprojektes Die Praxistauglichkeit der Methodenbeschreibung sollte im Schritt 3 anhand eines Pilotprojekts getestet werden. Ein solches Pilotprojekt ermöglicht eine direkte Rückmeldung von Anwendern aus der Praxis, ob die richtigen Werkzeuge an der richtigen Stelle eingesetzt werden und ob die Informationspfade funktionieren. Anhand der aus dem Pilotprojekt gewonnenen Erfahrungen können der Einsatz und die Verknüpfung der DFSS-Werkzeuge optimiert werden. 5
Ausführliche Erläuterungen zu diesem und anderen Problemlösungszyklen, die im Rahmen von Design for Six Sigma zum Einsatz kommen, befinden sich im Beitrag von Töpfer/ Günther zum gleichnamigen Thema im Kapitel A.
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess
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Abb. 6: Produktentwicklungsprozess und DFSS-Ansatz (IDOV-Zyklus)
3.2
Methodenbeschreibung für den operativen Einsatz
Die Methodenbeschreibung liefert dem Anwender eine Übersicht, welche Werkzeuge in welcher Phase des Produktentwicklungsprozesses angewendet werden und wie der Informationsfluss innerhalb des Projekts erfolgen soll (siehe Abb. 7). Außerdem enthält sie eine kurze Beschreibung der einzelnen Werkzeuge und Methoden sowie deren Eingangs- und Ausgangsgrößen.
Abb. 7: DFSS-Methodenbeschreibung als integraler Bestandteil
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Achim Schmidt
Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung der DFSS-Werkzeuge und Methoden ist ein bedarfsorientiertes Training und Coaching der Projektteams. Damit bei Schulungs- oder Coaching-Bedarf schnell der richtige Ansprechpartner gefunden wird, z.B. Six Sigma-Spezialisten wie Black Belts und Master Black Belts sowie Methodikexperten, werden in der Methodenbeschreibung Kontaktpersonen zum Einsatz der jeweiligen Werkzeuge genannt. Die Vorlagen (Formblätter) zu den entsprechenden Werkzeugen werden der Methodenbeschreibung beigefügt, beispielsweise durch eine Verlinkung zu einer entsprechenden Intranet-Seite. 3.3
Anforderungsmanagement bei System-Projekten
Wie bereits in Abschnitt 2.3 erläutert wurde, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg von Entwicklungsprojekten die konsequente Umsetzung der Anforderungen, die an das zu entwickelnde Produkt gestellt werden. Der Informationsfluss bezüglich der Anforderungen in den DFSS-Phasen Identify, Design, Optimize und Validate ist exemplarisch in Abbildung 8 dargestellt. Abbildung 9 enthält einen Überblick über die in den Phasen Identify und Design verwendeten Werkzeuge.
Abb. 8: Informationspfade beim Piezo-Common-Rail-Systemprojekt
Anforderungsmanagement in den Phasen Identify und Design In der Phase Identify werden die Anforderungen an das System evaluiert. Bei den Anforderungen werden neben den Kundenanforderungen auch allgemeine Markt-
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess
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Abb. 9: Verwendete Werkzeuge in den Phasen Identify und Design
anforderungen sowie gesetzliche Vorgaben und Umweltschutzbestimmungen berücksichtigt. Zur Analyse der Kundenwünsche wird das Kano-Modell verwendet. Das Modell ermöglicht eine Einschätzung der Kundenwünsche und hilft, die wirklich wichtigen Anforderungen zu identifizieren. Dabei erfolgt eine Einteilung der Anforderungen bekanntlich in Basis-, Leistungs- und Begeisterungsanforderungen.6 Die mit Hilfe des Kano-Modells gesammelten Anforderungen sind oftmals noch sehr allgemein und unspezifisch formuliert. Mittels eines Treiberbaums werden die Anforderungen in kritische Qualitätsmerkmale (CTQs) übersetzt und in messbare Größen mit Zielwerten (Outputmessgrößen) überführt. Anhand der Qualitätsmethode QFD (Quality Function Deployment), die in Kapitel B dieses Buches ausführlich erläutert wird, erfolgt eine Bewertung der Kundenanforderungen und die Umsetzung in die notwendigen technischen Lösungen. Dazu werden die im Treiberbaum dokumentierten spezifischen und messbaren Merkmale als Eingangsgrößen für das 1. House of Quality (HoQ) verwendet. Dieses dient der Übersetzung der kritischen Merkmale in Systemfunktionen, die zur Erfüllung der Leistungs- und Qualitätsanforderungen notwendig sind. Im 2. HoQ werden diese Systemfunktionen dann in Anforderungen, die sich auf die verschiedenen Systemkomponenten (Hardware und Software) beziehen, übersetzt. Die Anforderungen des Systems an die Komponenten werden an die Komponentenentwicklung weitergeleitet. Dabei erfolgt eine Ermittlung von zusätzlichen 6
Eine ausführliche Darstellung des Kano-Modells im Zusammenhang mit QFD erfolgt im Beitrag von Günther/ Streckfuss/ Töpfer in Kapitel B.
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Achim Schmidt
komponentenspezifischen Anforderungen, die sich u.a. auf Kundenanforderungen, Gesetzgebungen und Marktanforderungen beziehen. Die Komponentenanforderungen werden mittels eines Treiberbaums genauer spezifiziert, in messbare Größen überführt und in den Spalten der nachgeschalteten Interaktionsmatrix eingetragen. Ziel der Interaktionsmatrix ist die Überführung der Komponentenanforderungen in messbare Konstruktionsmerkmale. In den Spalten der Interaktionsmatrix werden die technischen Parameter eingetragen und gewichtet. Anschließend erfolgt analog zum HoQ eine Bewertung der technischen Designparameter bezüglich des Einflusses auf die Kundenanforderungen. Sofern eine Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen den technischen Parametern (Konstruktionsmerkmalen) erforderlich ist, sollte anstelle der Interaktionsmatrix ein HoQ verwendet werden. Als Ausgangsgröße liefern die Interaktionsmatrizen der Komponenten bzw. der Houses of Quality technischen Designparameter, die nach Aufwand der Umsetzbarkeit und Einfluss auf die Kundenanforderung gewichtet sind. Unter Hinzunahme dieser gewichteten Designparameter werden verschiedene Designkonzepte erarbeitet, und mit Hilfe einer Konzept-Matrix (Pugh Matrix) erfolgt eine Bewertung der alternativen DesignKonzepte. Die optimale Variante wird ausgewählt und in die Konstruktion überführt. Anforderungsmanagement in den Phasen Optimize und Validate Die Design- und Optimize-Phasen beinhalten die Komponentenentwicklung und die Systemintegration. In diesen beiden Phasen erfolgt eine Überprüfung, inwieweit die Anforderungen bei den Design-Parametern berücksichtigt werden. Die Validate-Phase schließt eine Überprüfung, ob das System und die Komponenten den Anforderungen entsprechen, ein. 3.4
Die wichtigsten Werkzeuge im Pilotprojekt
Im Rahmen eines Pilotprojektes wurde der Einsatz von Design for Six Sigma auf Systemebene getestet. Bei diesem Pilotprojekt handelt es sich um die Entwicklung eines Piezo-Common-Rail-Diesel-Einspritzsystems, das die gestiegenen Euro-5Abgasanforderungen erfüllen soll. Eingesetzte Werkzeuge in den Phasen Identify und Design In den Phasen Identify und Design des Projektes wurden die Kundenanforderungen und die gesetzlichen Anforderungen in Systemfunktionen übersetzt. Anschließend wurden die Anforderungen des Systems an die Komponenten Injektor, Pumpe, Hochdruckleitung (Common-Rail), Hochdrucksensor und elektronische Motorsteuerung (ECU) weitergeleitet. Außer den in Abschnitt 3.3 beschriebenen Werkzeugen (Kano-Modell, CTQTreiberbaum, House of Quality) wurden in den Phasen Identify und Design weitere Standardwerkzeuge des Entwicklungsprozesses wie beispielsweise FMEA, Test, Simulation, Design to Target Cost und Benchmarking verwendet (siehe Abb. 10).
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess
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Abb. 10: Eingesetzte Werkzeuge in den Phasen Identify und Design im Pilotprojekt
Eingesetzte Werkzeuge in den Phasen Optimize und Validate Bei den DFSS-Phasen Optimize und Validate lag der Schwerpunkt auf Robust Engineering, also der Entwicklung und Validierung eines Designs, das möglichst unanfällig gegenüber inneren und äußeren Störfaktoren ist. Die Ausgangsfunktionen des Systems, z.B. hohe Leistung und niedrige Emissionswerte, sollten relativ unempfindlich gegenüber natürlicher, aber unvermeidbarer Streuung von den Eingangsgrößen, Prozess- und Materialgrößen sein. In Abbildung 11 sind die beim Pilotprojekt in den beiden Phasen eingesetzten Werkzeuge dargestellt.
Abb. 11: Eingesetzte Werkzeuge in den Phasen Optimize und Validate im Pilotprojekt
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Die Schlüsselwerkzeuge beim Robust Engineering sind das BoundaryDiagramm, das Parameter Diagramm sowie die Reliability-and-RobustnessChecklist (RRCL). Sie werden im Folgenden kurz vorgestellt. Boundary-Diagramm Das Boundary Diagramm ist eine graphische Darstellung der Schnittstellen zwischen den Systemkomponenten. Es dient als Hilfsmittel zur Bestimmung von Einflussgrößen, Materialflüssen und Informationsströmen, sowohl zwischen den Komponenten des Systems untereinander als auch zwischen den Komponenten und der Systemumgebung. Beim Piezo-Common-Rail-Pilotprojekt wurden beispielsweise die elektrische Verbindung zwischen den Komponenten, die hydraulische Verbindung, die mechanische Last, der Kraftstofffluss, Vibration und Temperatureinflüsse genauer betrachtet. Das Boundary-Diagramm lieferte wertvolle Hinweise bezüglich möglicher Störeinflussgrößen, die im nachfolgend beschriebenen Werkzeug, dem Parameter Diagramm, Berücksichtigung finden. Parameter-Diagramm Das Parameter-Diagramm (auch p-Diagramm genannt) dient der Identifizierung der Eingangs- und Ausgangsgrößen. Dazu werden folgende Parameter klassifiziert und in einem Diagramm dargestellt (siehe Abb. 12): • • • • •
Eingangssignale des Systems (Xs) Ausgangsgrößen und ideale Ausgangsfunktion (Y) Steuergrößen bzw. beeinflussbare Parameter (Control Factors Xc) Fehlerhafte Zustände des Systems (Error States or Failure Modes Ye) Störgrößen (Noise Factors Xn).
Abb. 12: Schema für ein Parameter-Diagramm
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess
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Die Eingangssignale des Systems werden über die Steuergrößen in die gewünschte Ausgangsgröße konvertiert. Die Steuergrößen sind typischerweise Parameter, die durch Design, Material oder Prozesse bestimmt werden. Fehlerhafte Zustände sind unerwünschte Effekte und Zustände, die beim Betrieb des Produkts auftreten können. Störgrößen sind Einflussfaktoren, die das Design beeinflussen, aber nicht durch den Entwickler unter Kontrolle gebracht werden können. Hierzu zählen beispielsweise folgende Faktoren: Teil-zu-Teil-Streuung, Änderung über Zeit, Einsatz beim Kunden, externe Einflüsse (z.B. Umwelteinflüsse) und Systemeinflüsse. Ein System ist dann robust, wenn die Störgrößen nur einen geringen Einfluss auf die ideale Ausgangsfunktion haben. Robustness-and-Reliability-Checklist (RRCL) In der Validate-Phase erfolgt die Validierung der Produktqualität und der Prozessfähigkeit hinsichtlich der Erfüllung der Kundenanforderungen. Ein wichtiges Werkzeug in der Validierungs-Phase ist die RRCL. Dieses Werkzeug zeigt die Zusammenhänge zwischen der gewünschten Ausgangsfunktion und den Störgrößen sowie den fehlerhaften Zuständen auf. Das Werkzeug ist somit eine wertvolle Grundlage zur Erarbeitung eines optimierten Versuchprogramms. Mithilfe der RRCL werden die Zusammenhänge zwischen den Störgrößen, den fehlerhaften Zuständen und den Verifikationsmethoden erarbeitet. Dazu wird basierend auf den Ergebnissen des Parameter-Diagramms eine Matrix erstellt. Diese Matrix enthält Informationen darüber, welche erwünschten Funktionalitäten, Fehlfunktionen, Einflussgrößen sowie Wechselwirkungen in welchen Tests untersucht werden können. Das Versuchsprogramm wird im Hinblick auf einen möglichst großen Informationsgehalt der Tests bei möglichst geringem Versuchsaufwand optimiert. Basierend auf den Ergebnissen der RRCL wird ein Validierungsplan erstellt, der eine Beschreibung der Validierungstests inklusive Terminplan enthält. 3.5
Ergebnisse des Pilotprojektes
Die systematische Umsetzung der Leistungs- und Qualitätsanforderungen führten beim Piezo-Common-Rail-Pilotprojekt zu einer besseren Erfüllung der Kundenanforderungen. Die Übersichtlichkeit der Dokumentation von Anforderungsveränderungen über die Projektlaufzeit wurde deutlich erhöht. Die transparenten, für den Auftraggeber nachvollziehbaren Entwicklungsschritte ermöglichten eine engere Einbeziehung des Auftraggebers in den Entwicklungsprozess. Auch im Hinblick auf den Entwicklungsprozess wurden deutliche Verbesserungen erzielt. So wurde der Systemansatz bis hin zur Komponentenentwicklung durchgängig umgesetzt. Der verbesserte Informationsfluss führte zu einer Reduzierung der Informationsschnittstellen innerhalb des Entwicklungsprozesses. Die Dokumentation wurde durch die verwendete Methodik, wie z.B. Voice of the Customer, QFD und Robust Engineering, vereinheitlicht. Die Umstellung des Entwicklungsprozesses auf DFSS führte zu einer Vermeidung von separaten, eventuell redundanten Design for Six Sigma-Einzelprojekten.
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Für die Mitarbeiter entstand kein zusätzlicher Arbeitsaufwand, da das Training der Methodik und Werkzeuge bedarfsgerecht durch "Training on the Job" erfolgte und außerdem die Entwicklungsmethodik vereinheitlicht wurde. Die Qualifizierung der Mitarbeiter ist zudem langfristig ausgerichtet.
4
Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Etablierung von Design for Six Sigma
Nach unseren Erfahrungen ist die Integration von Design for Six Sigma in den Produktentwicklungsprozess der „richtige Weg“ zu einem robusten Design und zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit. Die Verkettung von DFSS-Methoden und -Werkzeugen ermöglicht einen lückenlosen Informationsfluss der Qualitäts- und Leistungsanforderungen vom System bis zu den einzelnen Komponenten. Mithilfe der Robust-Design-Methodik wird das Design so optimiert, dass das Produkt weniger sensitiv gegenüber unvermeidbaren Streuungen von Eingangsgrößen ist und die Variabilität des Produktverhaltens verringert wird. Damit wird das Produktverhalten besser vorhersagbar. Anhand eines Validierungsprogramms wird jeweils abschließend überprüft, ob das Produkt die Kundenwünsche erfüllt. Bei der Einführung von Design for Six Sigma haben sich sechs Erfolgsfaktoren herauskristallisiert, die im Folgenden kurz benannt werden: 1. Integration in den bestehenden Entwicklungsprozess Die Komponenten- und Systementwicklung erfolgt anhand eines etablierten Entwicklungsprozesses, der beschreibt, welche Maßnahmen in den jeweiligen Projektphasen durchgeführt und welche Ressourcen dafür benötigt werden. Design for Six Sigma ist kein separater Prozess, sondern eine Ergänzung des Entwicklungsprozesses. Es liefert die für die Entwicklung notwendigen Werkzeuge und verkettet diese in einer geeigneten Form miteinander. Die Bereitstellung von praxiserprobten Werkzeugen erhöht die Akzeptanz bei den Anwendern. 2. Fokus auf den Nutzen des Kunden Mit dem DFSS-Ansatz werden die Kundenanforderungen identifiziert und priorisiert, bevor mit dem eigentlichen Design begonnen wird. Diese Anforderungen als Critical-To-Satisfaction (CTS) und Critical-To-Quality (CTQ) werden mit den Kostenfaktoren als Critical-To-Cost (CTC) kombiniert, damit eine kostenoptimale Design-Lösung gefunden wird, die den Anforderungen entspricht. 3. Transparenz der Kundenanforderungen Durch die Verknüpfung der Werkzeuge Kano-Modell, Treiberbaum, House of Quality und Interaktionsmatrix ergibt sich ein durchgängiger und nachvollziehbarer Informationsfluss der Leistungs- und Qualitätsanforderungen, welcher vom Gesamtsystem bis zu den einzelnen Komponenten reicht. Die Erhöhung der Transparenz bei der Umsetzung der Kundenanforderungen und die engere Einbe-
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess
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ziehung des Kunden in den Entwicklungsprozess wirken sich positiv auf die Kundenzufriedenheit aus. 4. Einheitliche und nachvollziehbare Dokumentation Viele DFSS-Werkzeuge können direkt zur Dokumentation herangezogen werden. Dadurch wird zusätzlicher Dokumentationsaufwand vermieden und die Dokumentation wird vereinheitlicht. Letzteres erleichtert den Wissenstransfer, sowohl innerhalb des Projektteams als auch von Projekt zu Projekt. 5. Effiziente Kommunikation, gemeinsame Sprache und Standards Der Einsatz der DFSS-Werkzeuge erfordert nicht nur eine interdisziplinäre, sondern vor allem eine intensive Teamarbeit. Sie fördert die Kommunikation innerhalb des Projektteams. Die durch den DFSS-Ansatz definierten Informationspfade führen zu einer einheitlichen und effizienten Kommunikation. 6. Qualifizierung der Mitarbeiter durch Training-on-the-Job Eine einmalige DFSS-Schulung kann Mitarbeitern des Projektteams zwar einen groben Überblick verschaffen, aber für die Anwendung in der Praxis ist ein solches Training i.d.R. nicht ausreichend. Daher ist es notwendig, dass Six SigmaSpezialisten, wie z.B. Master Black Belts oder erfahrene Black Belts, Teilmodule aus dem DFSS-Portfolio bedarfsgerecht schulen, die im konkreten Projekt angewendet werden. Bei der Anwendung der Werkzeuge ist ein Coaching der Teams durch (Master) Black Belts erforderlich. Durch kontinuierliches Lernen und ständige Verbesserungen wird der durchschnittliche Wissensstand innerhalb der Organisation Schritt für Schritt angehoben.
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma bei Lilly Deutschland Miriam Stache, Armin Töpfer Inhalt 1 2 3 4 5 6 7
1
Interpendenzen zwischen Kultur und Lean Six Sigma.............................323 Ausgangssituation bei Lilly......................................................................326 Messung der Lean Six Sigma-Kultur bei Lilly.........................................328 Ergebnisse und Wirkungen der Kulturmessung .......................................337 Akzeptanz der notwendigen Veränderungen............................................348 Ausblick: Konsequenzen und nächste Schritte.........................................349 Literatur....................................................................................................350
Interpendenzen zwischen Kultur und Lean Six Sigma
Unternehmenskultur ist für das Bestehen und Funktionieren eines Unternehmens maßgeblich. Als „unsichtbare Einflussgröße des Menschensystems“ (Sackmann 2004, S. 27) oder „kollektive Programmierung des menschlichen Verstandes“ (Hofstede 2001, S. 2) steuert Unternehmenskultur das Denken und Handeln aller Mitarbeiter. Die Rolle der Unternehmenskultur in Veränderungsprozessen wie Lean Six Sigma wird immer noch kontrovers diskutiert. Es bleibt nach wie vor fraglich, ob eine bestehende Unternehmenskultur aufgrund der Komplexität und Eigendynamik bewusst beeinflusst werden kann, oder ob es sich um einen „Mythos der Steuerbarkeit“ (Matthäi 2005, S. 4; nach Berger 1993; vgl. auch Kotter 1996, S. 156; Kompa 1990, S. 43) handelt. Die Unternehmensphilosophie Lean Six Sigma als Verbindung von Lean Management und Six Sigma stellt einen massiven Veränderungsprozess für ein Unternehmen dar. Die bewusste Beeinflussung und Formung der bestehenden Unternehmenskultur ist ein zentrales Motiv bei der Einführung dieses Konzeptes. Nach neuestem Verständnis wird Lean Six Sigma allgemein als „organization change process“ (Schroeder et al. 2008, S. 550) definiert, der die Kultur eines Unternehmens aktiv mitgestaltet. Eine wichtige Forschungspriorität von Lean Six Sigma wird deshalb im Bereich „internal fit“ (vgl. Schroeder et al. 2008, S. 550) oder „cultural gap“ (Töpfer 2007, S. 292), d.h. in der Eignung einer bestehenden Unternehmenskultur für Lean Six Sigma, gesehen. Durch die Verbindung von gesundem Menschenverstand und systematischer Analyse befähigt Lean Six Sigma ein Unternehmen, sowohl die offensichtlichen Probleme zu lösen als auch die tiefer liegenden Potentiale auszuschöpfen (vgl. Smith 2003, S. 38). Diese Leistung ist auf die unterschiedlichen Wurzeln der zwei
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Miriam Stache, Armin Töpfer
Konzepte Lean Management und Six Sigma zurückzuführen. Auf der einen Seite zielt der Lean Management Ansatz auf eine Identifikation nicht wertschöpfender Aktivitäten ab, um diese zu beseitigen und eine Steigerung der Wertschöpfung, d.h. eine höhere Qualität und einen höheren Wert für den Kunden, herbeizuführen (vgl. Arnheiter/ Maleyeff 2005, S. 11f.). Auf der anderen Seite strebt Six Sigma nach einer Senkung von Abweichungen im Produktionsprozess, um die Produktqualität zu perfektionieren und damit den Kundenbedürfnissen zu entsprechen. Durch die Synthese von Lean Management und Six Sigma können die Schwächen des jeweils anderen Konzeptes ausbalanciert und der größte Wettbewerbsvorteil für ein Unternehmen erzielt werden (siehe Abb. 1).
Niedrige Kosten
Unternehmensperspektive Six Sigma Lean Management Lean Six Sigma Hohe Kosten Niedriger Wert
Hoher Wert Kundenperspektive
Basis: Arnheiter / Maleyeff 2005, S. 16
Abb. 1: Wettbewerbsvorteil durch Lean Six Sigma
Die Integration der beiden Konzepte ist ausführlich in den ersten beiden Artikeln dieses Buches angesprochen worden. Für eine erfolgreiche Einführung der Kombination von Lean Management und Six Sigma steigen die Anforderungen an die Unternehmenskultur. Eine Grundvoraussetzung aus dem Lean Management stellen unternehmerisch denkende und handelnde Mitarbeiter dar. Damit die ganzheitliche Optimierung eines Unternehmens – nicht nur einzelner Bereiche oder Prozesse – gelingt (vgl. Drew et al. 2004, S. 37; Springer/ Schulz 2007, S. 69), wird der Intellekt jedes einzelnen Mitarbeiter genutzt, um auftretende Probleme zu erkennen, unmittelbar zu lösen, Risiken zu antizipieren und Verbesserungen sowie Innovationen unter Berücksichtigung der kritischen Kundenanforderungen (CTQs) hervorzubringen (vgl. Hamel 2006, S. 22f.). Diese wesentliche Anforderung an die Unternehmenskultur alleine reicht jedoch nicht, denn in der Kombination mit Six Sigma entstehen weitere Anforde-
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
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rungen. Um Schwankungen in Prozessen zu identifizieren, wird eine Fehlerkultur erwartet. Die Mitarbeiter müssen bereit sein, über mögliche Schwächen und Fehler offen zu kommunizieren. Zur Aufdeckung von Prozessschwankungen ist ein Prozessdenken unabdingbar, gepaart mit der Fähigkeit, analytische Instrumente und statistische Auswertungen adäquat einzusetzen sowie Methoden des systematischen Projektmanagements diszipliniert umzusetzen. So gibt der DMAIC Regelkreis (vgl. dazu den Artikel von Günther/ Garzinsky in diesem Buch) einen festen Ablauf in Phasen vor, die jedes Lean Six Sigma-Projekt durchläuft, um eine systematische und faktenbasierte Projektarbeit zu ermöglichen (vgl. Lunau 2007, S. 11). Der aus Lean Management resultierenden Kultur im Unternehmen fehlt aber ein Six Sigma äquivalenter Ansatz. Denn die Beseitigung von Verschwendung kann auch intuitiv erfolgen und nicht auf der Basis von Daten, Fakten und anderer relevanter Messgrößen, wie es bei Six Sigma der Fall ist (vgl. Arnheiter/ Maleyeff 2005, S. 13). Nur durch systematische Messung und Prioritätensetzung kann eine Fokussierung auf strategiefremde Aktivitäten vermieden werden (vgl. Breyfogle 2003, S. 857). Insgesamt fordert Lean Six Sigma damit von jedem einzelnen Mitarbeiter ein Potpourri an Kompetenzen, die den bestehenden Denk- und Handlungsmustern möglicherweise widersprechen. Je größer der angestrebte Kulturwandel mit Lean Six Sigma ausfällt, desto mehr Teilschritte sind für die Erprobung und Verfestigung neuer Kompetenzen nötig, um die „kollektive Erfolgserfahrung“ (vgl. Dierkes 1989, S. 21; Kotter 1996, S. 156) nicht zu gefährden und auch die tiefer liegende Schicht der Grundannahmen einer Kultur zu erreichen (siehe Abb. 2). Artefakte
z.B. Sprache, Technologie, Rituale
Normen und Werte
z.B. Einstellungen, Überzeugungen, Strategie
Grundannahmen
z.B. Soziale Beziehungen, Emotionen, Unbewusstes
Basis: Schein 2004, S. 26, Sackmann 2002, S. 27, i. V. m. Simon 1990, S. 10
Abb. 2: Ebenen der Unternehmenskultur bei Lean Six Sigma
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Miriam Stache, Armin Töpfer
Diese tiefer liegende Schicht der Grundannahmen – als durch Lernprozesse entstandene Beziehungen zur Umwelt und zum sozialen Umfeld – besteht bei einer Lean Six Sigma-Organisation vor allem aus dem Primat der Fehlerfreiheit in der Wertschöpfung, dem Glauben an die Veränderungsfähigkeit und -notwendigkeit von Organisationen sowie dem Verständnis, dass alle realen Phänomene Strukturen aufweisen und deshalb ein Muster erkennen lassen (vgl. Töpfer 2007, S. 296). Am Beispiel von Lilly in Deutschland soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie sich die Kultur eines Unternehmens in der pharmazeutischen Industrie darstellt und wie die Kulturebenen gemessen werden können, um den Reifegrad für die Einführung von Lean Six Sigma zu bestimmen.
2
Ausgangssituation bei Lilly
Die Entscheidung zur Einführung von Lean Six Sigma fiel im Lilly Konzern Ende 2004 und wurde durch den CEO Sidney Taurel und ein Benchmark mit ITT (International Telephone and Telegraph Corporation), in dessen Aufsichtsrat Taurel seit Ende der 90er Jahre wirkt, initiiert (vgl. Stein 2005, S. 67). Hauptmotive, die in der Ausgabe des weltweiten „Focus magazine“ im dritten Quartal 2004 veröffentlicht wurden, waren (vgl. Lilly 2004; Stein 2005, S. 68): • Erhöhung der Qualität („elevating quality“) • Abbau/ Beseitigung von Verschwendung („reducing waste“) • Steigerung der Produktivität („increasing productivity“). Diese drei Ziele wurden als Positionierung „Six Sigma is how we will constantly improve our performance and more effectively serve the interest of the patient“ (Lilly 2005; vgl. Stein 2005, S. 70) formuliert. Insgesamt wurde Lean Six Sigma damit als geeignetes Instrument für kontinuierliche Verbesserung der Wertschöpfung für den Kunden (hier: Patient) identifiziert, um die Lücke zu den geplanten langfristigen Gewinnzielen zu schließen. Die beiden kulturellen Dimensionen Veränderungsbereitschaft und Kundenorientierung rückten in den Vordergrund. Da eine Unternehmenskultur bereits mit der Gründung eines Unternehmens entsteht und die Ausdifferenzierung sich nach der Entwicklungsgeschichte richtet (vgl. Sackmann 2004, S. 24), müssen neben der Ausgangssituation von Lilly bei der Einführung von Lean Six Sigma auch historisch gewachsene Werte beleuchtet werden. Denn die Kultur von Lilly als Gesamtkonzern hat sich aus vergangenen Erfahrungen entwickelt und ist wie bei anderen Unternehmen auch geprägt durch ihre Geschichte, Umwelt und einflussreiche Führungskräfte (vgl. Dierkes 1989, S. 19; zur Wirkungsmacht von Führungskräften vgl. auch Dorow 2007, S. 53). Eli Lilly and Company wurde 1876 vom Colonel Eli Lilly in Indianapolis, Indiana (USA), gegründet, dort wo sich noch heute die Firmenzentrale und die kulturelle Keimzelle befinden (vgl. Colville/ Murphy 2006, S. 664). Mit einer weltweiten Belegschaft von rund 42.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 15,7 Mrd. US Dollar (vgl. Lilly 2006, S. 1) ist Eli Lilly einer der weltweit größten Pharma-
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
327
konzerne mit führender Stellung in den Bereichen ZNS, Diabetes und Onkologie. Zwei Säulen charakterisieren den Lilly-Konzern als „high performing, knowledgeintensive global company“ (Colville/ Murphy 2006, S. 664): • Innovationsfähigkeit: Entwicklung hochwertiger Arzneimittel, d.h. „developing a growing portfolio of best-in-class and first-in-class pharmaceutical products” (Lilly 2007a). • Werte- und leistungsorientierte Unternehmenskultur: Insbesondere die (Weiter-)Entwicklung der Mitarbeiter wird als kritischer Erfolgsfaktor für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens gesehen. Zu den wichtigen Meilensteinen der Firmengeschichte gehören Pionierarbeiten, wie die Herstellung des ersten Humaninsulins in den 20er Jahren, Entwicklung oraler Antibiotika in den 40er Jahren, und die Entwicklung zu einer weltweit führenden Pharmafirma im Bereich ZNS durch die Einführungen von Prozac®, Zyprexa®, Strattera® und Cymbalta® (in Anlehnung an Lilly 2007b; Lilly 2007c). Lilly wird regelmäßig als vorbildlicher Arbeitgeber eingestuft, war 2005 bei der Listung der FT Global 500 auf Platz 78 (vgl. FT 2005) und bringt den Anspruch an Innovation und Exzellenz auch in zahlreichen Kooperationen mit anderen Pharmaunternehmen und Forschungseinrichtungen zum Ausdruck (vgl. Colville/ Murphy 2006, S. 664). Doch wie hat Lilly diese Position erreicht? Die (Weiter-)Entwicklung der Unternehmenskultur als Weg zum Erfolg wird bei Lilly wesentlich durch die Führung beeinflusst und detailliert von Colville und Murphy als „Leadership as the Enabler of Strategizing and Organizing“ gedeutet (vgl. Colville/ Murphy 2006, S. 663ff.). Durch die Klage eines generischen Herstellers verliert Lilly im Jahr 2000 in den USA überraschend das Patent des bis dato stärksten Umsatzträgers Prozac® (Antidepressivum), mit der Folge eines dramatischen Aktienkurseinbruchs. Seit der Benennung im Jahr 1999 fokussiert der CEO Sidney Taurel auf eine Veränderung der für ihn zu kooperativen, risikoscheuen und intern fokussierten Führung. Sein Aufruf an die Mitarbeiter, in Zukunft offener, proaktiver und dynamischer zu wirken, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten, bekommt mit dem Patentverlust eine neue Brisanz und gleichzeitig oberste Priorität. Durch die Umsatzsteigerung der weiterhin patentgeschützten Produkte, verstärkte Forschungsaktivitäten zur Ausdifferenzierung der Pipeline, durch eine Limitierung des Personalbestandes und durch weitreichende Investitionen in die Führungskräfteentwicklung gelingt es Lilly, in den Folgejahren acht neue Moleküle auf den Markt zu bringen, die zu den ersten oder besten ihrer Klasse gehören. Das Rezept, um in drastischen Veränderungsprozessen die Strategie mit der Organisation zu verbinden, besteht bis heute in klar definierten Verhaltensweisen der Führung (Colville/ Murphy 2006, S. 667). Die Verhaltensweisen dienen als Rahmenwerk für die Führung bei Lilly und reflektieren die drei Grundwerte der Lilly-Kultur: „respect for people, excellence and integrity“ (Colville/ Murphy 2006, S. 668). Dass die kulturelle Entwicklung des Lilly Konzerns durch eine starke Fokussierung auf die Führungsqualität vorangetrieben wurde, birgt für die Einführung von Lean Six Sigma sowohl Chancen als auch Risiken. Auf globaler Ebene wurden
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Miriam Stache, Armin Töpfer
deshalb vor der Einführung elf bereits durchgeführte Veränderungsinitiativen untersucht, um herauszufinden „why change fails at Lilly“ (vgl. Murphy 2005). Als Ergebnis entstand ein sehr einprägsames Bild, das die fehlende Balance zwischen geringem Vertrauen in systematische Methoden (Strukturen und Prozesse) auf der einen, und einem blinden Vertrauen in persönliche Beziehungen auf der anderen Seite zeigte (siehe Abb. 3).
Führungsspitze
Managementprozesse & -strukturen
Fehlendes Vertrauen in formale Mechanismen
Kultur
Menschen
Blindes Vertrauen in persönliche Beziehungen
Arbeitsprozess Ergebnisse Basis: Murphy 2005
Abb. 3: Ungleichgewicht in Veränderungsprozessen bei Lilly
Demnach wurden Ergebnisse bei Lilly bislang eher auf der Basis intuitiver zwischenmenschlicher Zusammenarbeit erreicht, als durch eine disziplinierte Einhaltung formaler Mechanismen. Dieses Ungleichgewicht liefert zwar einen ersten Aufschluss über mögliche Konflikte zwischen bestehenden Lilly-Werten und der Lean Six SigmaPhilosophie. Doch wie lassen sich die Unterschiede bzw. Konflikte genauer messen und damit systematischer identifizieren, um sie später zu überwinden?
3
Messung der Lean Six Sigma-Kultur bei Lilly
Zur groben Charakterisierung der bestehenden Lilly-Kultur kann eine einfache Typologie mit den genannten Dimensionen Veränderungsbereitschaft und Kundenfokus (vgl. Töpfer 2007, S. 293 sowie Deal/ Kennedy 1982, S. 107ff.) herangezogen werden (siehe Abb. 4). Eine Lean Six Sigma-Kultur zeichnet sich durch eine hohe Veränderungsbereitschaft und starken Kundenfokus aus. Bei der Einführung von Lean Six Sigma wäre ein kultureller Schock umso größer, je geringer Veränderungsbereitschaft und
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
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Kundenfokus in der bestehenden Unternehmenskultur ausgeprägt sind, d.h. eine Bürokratenkultur ist am schwierigsten in eine Lean Six Sigma-Kultur umzuwandeln (vgl. auch Holtkötter 2006, S. 26).
Hoch Entwicklungsgetriebene Ingenieur-Kultur
(Lean) Six Sigma Kultur
Bürokraten-Kultur
Marketing- und Vertriebs-Kultur
Veränderungsbereitschaft
Niedrig Gering
Stark Kundenfokus (intern und extern)
Quelle: Töpfer 2007, S. 293; Deal/ Kennedy 1982; S.107ff.
Abb. 4: Unternehmenskultur Typologie für Lean Six Sigma
Um den Reifegrad der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma differenzierter zu bestimmen, bedarf es jedoch einer erweiterten unternehmensindividuellen Analyse (in Anlehnung an Scholz 1990, S. 34; Sackmann 1990, S. 159f.). So wurden für Lilly in Deutschland weitere relevante Kulturdimensionen hinzugefügt und in messbare Faktoren überführt. Neben den Dimensionen „Veränderungsbereitschaft“ und „Kundenorientierung“ wurden zusätzlich die Dimensionen „Mitarbeiterengagement“ und „Strukturiertes Vorgehen und Prozessdenken“ betrachtet. Nach Rücksprache mit Schlüsselpersonen aus der Lean Six Sigma-Organisation konnte in Anlehnung an die als unverzichtbar geltenden Kriterien einer Lean Six Sigma-Kultur (Töpfer 2007, S. 298f.) ein Fragenkatalog entwickelt werden, um die Einstellungen und Überzeugungen der einzelnen Mitarbeiter freizulegen und ein multisubjektives Stimmungsbild zu erheben. Aufgrund der hohen Motivation der Mitarbeiter zum Thema, die durch informelle Gespräche im Vorfeld abgeklärt wurde, konnte bei Lilly in Deutschland eine schriftliche Befragung durchgeführt werden, bei der mit einer hohen Rücklaufquote zu rechnen war. Es sollte zudem vermieden werden, dass die Befragten wie bei einer persönlichen Befragung durch den Projektleiter beeinflusst werden („Prinzipal-Agenten-Problem“ oder „Interviewer-Bias“ (vgl. Kaya 2007, S. 52). Konkreter definierte Faktoren der vier Kulturdimensionen wurden zur Messung in eine didaktisch sinnvolle Reihenfolge überführt, so dass der schriftliche Fragebogen wie in Abbildung 5 aussah.
330
Miriam Stache, Armin Töpfer
FRAGEBOGEN Frage 1: Bitte beurteilen Sie, wodurch sich Ihrer Erfahrung nach das Konzept Lean Six Sigma auszeichnet. Welche drei Aspekte des Konzeptes sehen Sie im Vordergrund? 1.) ______________________________________________________________________________
2.) ______________________________________________________________________________
3.) ______________________________________________________________________________ Frage 2: Bitte nennen Sie drei für Sie wichtige Gründe, Lean Six Sigma bei der Lilly Deutschland GmbH einzuführen. 1.) ______________________________________________________________________________
2.) ______________________________________________________________________________
3.) ______________________________________________________________________________ Frage 3: Bitte nennen Sie die drei für Sie wichtigsten Stärken des Lean Six Sigma Konzeptes bei der Lilly Deutschland GmbH. 1.) ______________________________________________________________________________
2.) ______________________________________________________________________________
3.) ______________________________________________________________________________ Frage 4: Bitte nennen Sie drei für Sie relevante Hauptschwachpunkte des Lean Six Sigma Konzeptes bei der Lilly Deutschland GmbH. 1.) ______________________________________________________________________________
2.) ______________________________________________________________________________
3.) ______________________________________________________________________________
Abb. 5a: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (1)
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
331
Frage 5: Welche Maßnahmen würden Sie zur Verbesserung des Lean Six Sigma Konzeptes bei der Lilly Deutschland GmbH ergreifen? 1.) ______________________________________________________________________________
2.) ______________________________________________________________________________
3.) ______________________________________________________________________________ Frage 6: Lean Six Sigma ist seit ungefähr zwei Jahren bei Lilly Deutschland implementiert. Bitte beurteilen Sie inwieweit die folgenden Aussagen bezüglich der Umsetzung von Lean Six Sigma zutreffen. Bitte verwenden Sie eine Skala von „1 = trifft gar nicht zu“ bis „5 = trifft voll und ganz zu“. trifft gar nicht zu
1
2
3
4
trifft voll und ganz zu
Weiß nicht
5
9
Die Ziele sind immer zu Beginn der Projekte festgelegt worden Die Anzahl (Scope) der Ziele waren immer angemessen Es wurde immer geprüft, ob die gesetzten Ziele erreicht wurden Bei der Auswahl der Teammitglieder wurde immer auf die derzeitige Arbeitsauslastung geachtet Die Arbeitsbelastung der Teammitglieder während der Projekte wurde laufend geprüft und angepasst Im Anschluss an jedes Projekt wurde immer ein Aktionsplan verabschiedet Die Einhaltung der Aktionspläne wurde regelmäßig geprüft Die Kommunikation der Aktionspläne geschah äußerst zeitnah (max. 4 Wochen nach Abschluss) Die Kommunikation der Aktionspläne war stets verständlich, so dass unmittelbare Konsequenzen für den Einzelnen immer ersichtlich waren Es wurden Anreizsysteme für die Projektmitarbeit geschaffen
Abb. 5b: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (2)
332
Miriam Stache, Armin Töpfer
Weiterhin zu Frage 6: trifft gar nicht zu
1
2
3
4
trifft voll und ganz zu
Weiß nicht
5
9
Es wurden Anreizsysteme geschaffen, die Ergebnisse der Projekte umzusetzen Der Erfolg der Anreizsysteme wurde laufend überprüft (d. h. wenn nicht vorhanden, wurden relevante Anreize geschaffen) Die Teams bestanden immer aus kompetenten Mitgliedern Verantwortlichkeiten waren in den Projekten immer klar geregelt Die Verantwortlichkeiten wurden immer wahrgenommen Aufwand und Nutzen der Projekte standen in einem angemessenen Verhältnis zueinander
Frage 7: Ganz unabhängig von Lean Six Sigma - bitte beurteilen Sie inwieweit die folgenden Aussagen die derzeitige Unternehmenskultur von Lilly Deutschland beschreiben. Bitte verwenden Sie wiederum eine Skala von „1 = trifft gar nicht zu“ bis „5 = trifft voll und ganz zu“. trifft gar nicht zu
1
2
3
4
trifft voll und ganz zu
Weiß nicht
5
9
Veränderungen werden immer positiv aufgenommen Es fällt leicht neue Strategien zu implementieren Man strebt nach ständiger Verbesserung Alle Prozesse werden kritisch hinterfragt Man hat immer ein gemeinsames Ziel vor Augen Der Kunde steht im Fokus der täglichen Arbeit Man versteht sich als Dienstleister für den Kunden Kundenbedürfnisse werden stets in kundengerechte Lösungen umgesetzt Der Kunde fühlt sich im Umgang mit Lilly gut aufgehoben
Abb. 5c: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (3)
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
333
Frage 8: Bitte beurteilen Sie – ganz generell und unabhängig von Lean Six Sigma – die Veränderungsbereitschaft der einzelnen Mitarbeiter bei der Lilly Deutschland GmbH heute im Vergleich zu früher (vor 2 Jahren) und zukünftig (in 2 Jahren). Bitte verwenden Sie eine Skala von „1 = sehr gering“ bis „5 = sehr hoch“. Sehr gering
1
Sehr hoch
2
3
4
5
Veränderungsbereitschaft der Lilly Mitarbeiter vor 2 Jahren Veränderungsbereitschaft der Lilly Mitarbeiter heute Veränderungsbereitschaft der Lilly Mitarbeiter in 2 Jahren
Frage 9: Bitte beurteilen Sie die Veränderungsnotwendigkeit heute im Vergleich zu früher (vor 2 Jahren) und zukünftig (in 2 Jahren). Bitte verwenden Sie auch hier eine Skala von „1 = sehr gering“ bis „5 = sehr hoch“. Sehr gering
1
Sehr hoch
2
3
4
5
Veränderungsnotwendigkeit vor 2 Jahren Veränderungsnotwendigkeit heute Veränderungsnotwendigkeit in 2 Jahren
Abb. 5d: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (4)
334
Miriam Stache, Armin Töpfer
Frage 10: Bitte stufen Sie Lilly Deutschland (gegenwärtig) anhand folgender Eigenschaftspaare ein. Je weiter Sie nach rechts ankreuzen desto eher stimmen Sie der rechten Eigenschaft zu und je weiter Sie nach links ankreuzen der linken Eigenschaft. Fehlertoleranz
Null-Fehler-Anspruch
Denken in (hierarchischen) Strukturen
Denken in Prozessen
Interne Vorgaben bestimmen die Ausrichtung auf den Kunden
Steigerung des Unternehmenswertes Externe Kundenbedürfnisse bestimmen interne Standards
Bewahren / Beharren
Veränderungsbereitschaft
Formalisierung
Kreativität / Innovationen
Ausrichtung auf langfristige, nachhaltige Erfolge
Ausrichtung auf kurzfristige Erfolge
Zusätzliche Tätigkeit
Tagesgeschäft
Kooperative Führung
Autoritäre Führung
Insellösungen
Unternehmensweite Initiative
Anweisungsorientiert
Überzeugungsorientiert
Ganzheitlicher Ansatz
Inkrementaler Ansatz
Individuelle Anweisung
Standardisierung
Zentrale Organisation
Dezentrale Organisation
Linientätigkeit
Projekttätigkeit
Vermutungsorientiert
Faktenorientiert
Informationsmonopole
Informationstransparenz
Toolgetrieben, d.h. L6S Instrument geht vor
Ergebnisgetrieben
Steigerung der Kundenzufriedenheit
Abb. 5e: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (5)
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
335
Frage 11: Bitte schätzen Sie nun ein, wie Lean Six Sigma Ihre Arbeit und Motivation beeinflusst. Bewerten Sie hierzu folgende Aussagen auf der Skala von „1 = trifft gar nicht zu“ bis „5 = trifft voll und ganz zu“. trifft gar nicht zu
1
2
3
4
trifft voll und ganz zu
Weiß nicht
5
9
Ich bin frustriert über die zusätzliche Arbeitsbelastung, die Lean Six Sigma verursacht. Lean Six Sigma hat mein Engagement und meine Begeisterung für Lilly verstärkt. Ich spüre durch die Ergebnisse der Projekte einen direkten Nutzen. Die Teilnahme an Lean Six Sigma Projekten versuche ich soweit es geht zu vermeiden. Die crossfunktionale Zusammenarbeit im Projekt hat mein Verständnis zu anderen Funktionen vertieft. Lean Six Sigma wird benutzt, um Entscheidungen zu rechtfertigen. Ich habe das Gefühl durch Lean Six Sigma jetzt stärker priorisieren zu können. Lean Six Sigma passt nicht zu meinem Bild von Lilly. Ich habe durch Lean Six Sigma gelernt und mich persönlich weiterentwickelt. Ich bin sehr zufrieden mit der Anwendung von Lean Six Sigma bei Lilly.
STATISTIK A.
Geschlecht:
D.
Alter in Jahren:
männlich weiblich B.
C.
Funktion
E.
(bisher höchste) Lean Six Sigma Funktion:
Teil der Geschäftsführung
Sponsor
Leadership Community
(Master-) Black Belt, Green Belt
Angestellter
Core Team Member
Berufserfahrung in Jahren (insgesamt):
Extended Team Member keine direkte Projekterfahrung
Abb. 5f: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (6)
336
Miriam Stache, Armin Töpfer
Um ein möglichst repräsentatives Stimmungsbild der Lilly-Mitarbeiter in Deutschland gegenüber Lean Six Sigma zu erheben, wurden bei der Entwicklung des Fragebogendesigns folgende Faktoren berücksichtigt: • Sprachebene und Wortwahl richteten sich nach der Unternehmenssprache und wurden so gewählt, dass die Inhalte von den befragten Mitarbeitern eindeutig verstanden werden konnten (Vermeidung von Missverständnissen, Inkonsistenz der Antworten sowie Verzerrung durch Autosuggestion) (vgl. Kaya 2007, S. 54; Berekoven et al. 1996, S. 100). • Die Reihenfolge der Fragen wurde so gewählt, dass keine Frage auf die andere abstrahlt (sogenannter „Halo-Effekt“) (vgl. Mayntz et al. 1978, S. 112; Kaya 2007, S. 54); allgemeine, offene Fragen wurden detaillierten, sachbezogenen Fragen vorangestellt (vgl. Berekoven et al. 1996, S. 101). • Zur Überprüfung der Konsistenz innerhalb eines beantworteten Fragebogens wurden wichtige Dimensionen durch Mehrfach-Items abgefragt und in verwandten Themenkomplexen sinnvoll gemischt (vgl. Mayntz et al. 1978, S. 112). • Zur Erhöhung der Rücklaufquote bzw. Senkung der Abbruchrate wurde die Länge des Fragebogens so gewählt, dass ein Beantwortungszeitraum von 15 Minuten nicht überschritten wurde (vgl. Mayntz et al. 1978, S. 111). • Die Einhaltung dieser Faktoren wurde in der Woche vor der eigentlichen Befragung anhand eines Pretests bei fünf Mitarbeitern validiert. Missverständliche Aussagen konnten so noch umformuliert werden. Um die Beantwortung der Fragen zu erleichtern und zu beschleunigen, erfolgte die Messung der geschlossenen Fragen auf einer einheitlichen Skala, wie sie als Standard in anderen Mitarbeiterbefragungen bei Lilly bereits eingeführt war. Anhand der so genannten Likert-Skalierung erfolgte die Einstellungsmessung mit einer fünfstufigen Skala, wobei der negativen Einstellung („trifft gar nicht zu“) jeweils der Wert 1, und der positiven Einstellung („trifft voll und ganz zu“) jeweils der Wert 5 zugeordnet wurde. Für den Fall, dass der Befragte eine Frage nicht beantworten konnte, wurde jeweils eine Antwortrubrik („weiß nicht“) hinzugefügt, um keine Bewertung zu erzwingen und hierdurch das Befragungsergebnis zu verfälschen. Der Fragebogen wurde in schriftlicher Form ohne Interviewerhilfe an eine zufällige Auswahl von 100 Personen der Lilly Deutschland GmbH verteilt (nur Innendienst). Verglichen mit der Grundgesamtheit von 277 Personen, die sich auf 12 unterschiedlich definierte Funktionsbereiche erstreckte, kann unter der erzielten Rücklaufquote von 64% (d.h. 64 der 100 ausgesandten Fragebögen wurden beantwortet) von einem repräsentativen Ergebnis ausgegangen werden. Der Rücklauf erfolgte im Zeitraum vom 05. Juni 2007 bis 06. Juli 2007 innerhalb nur eines Monats, was das große Interesse an dem Thema und die Akzeptanz der Befragung unterstreicht. In ergänzenden Interviews und informellen Gesprächen wurde der durch die Befragung erwartete Nutzen (sowohl persönlich als auch für das Unternehmen) bestätigt.
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
337
Der Vergleich zwischen Grundgesamtheit und Stichprobe nach dem Strukturmerkmal Lean Six Sigma-Funktion zeigte eine hohe interne und externe Validität auf (siehe Abb. 6).
Funktion in der Lean Six Sigma Organisation Black Belt / Green Belt Kernteammitglied³ Erweitertes Teammitglied³ Keine Projekterfahrung³ Sponsor Gesamt
Anzahl Personen Grundgesamtheit (GG) 6 100 50 109 12 277
Anzahl Personen Brutto1 Stichprobe (BS)
%
2 36 18 39 4 100
6 32 16 35 12 100
%
6 32 16 35 12 100
% von GG
Anzahl Personen realisierte Stichprobe (RS)
100 32 32 32 100 36
%
6 9,4 30 46,9 10 15,6 6 9,4 12 18,8 64 100,0
% von BS 100 95 63 17 100 64
% von GG 100 30 20 6 100 23
1
geschätzt nach der Verteilung der Grundgesamtheit ³ geschätzt nach der Anzahl von 25 durchgeführten Projekte seit Einführung Ende 2005
Abb. 6: Strukturmerkmale der Grundgesamtheit und Stichprobe nach Lean Six Sigma Funktion
Insbesondere die Mitarbeiter, die stark in die Lean Six Sigma Organisation eingebunden waren, sind repräsentativ vertreten. Die Gruppe der Sponsoren sowie Black Belts und Kernteam-Mitglieder sind in der Stichprobe fast komplett vertreten, während nur wenige Mitarbeiter ohne direkte Projekterfahrung sich in der Lage fühlten, über Lean Six Sigma zu urteilen.
4
Ergebnisse und Wirkungen der Kulturmessung
Die Qualität und damit die Bedeutung der Ergebnisse aus offenen Fragen ist höher als die der geschlossenen, da die Befragten aus ihrer Erinnerung selbst auswählen, welche Aspekte ihnen am wichtigsten erscheinen (in Anlehnung an Mayntz et al. 1978, S. 108). Dadurch, dass die ersten fünf Fragen als offene Fragen formuliert wurden, konnte das Verständnis von Lean Six Sigma daher zunächst unbeeinflusst abgefragt und ein reales Stimmungsbild der befragten Lilly-Mitarbeiter erfasst werden. Die offenen Antworten wurden systematisch geordnet und gruppiert, um Schwerpunkte in der Wahrnehmung zu identifizieren. Die erste Frage ermittelte das grundsätzliche Verständnis, das die Lilly-Mitarbeiter von Lean Six Sigma haben, d.h. welche Aspekte sie im Vordergrund sehen und ob sich ihr Verständnis von der Konzeption Lean Six Sigma unterscheidet. Der wichtigste Aspekt mit knapp 15% aller Nennungen (25 von insgesamt 173 Nennungen bei n=64 Befragten) wird in der Prozessoptimierung, d.h. einer Standardisierung bereichsübergreifender Arbeitsabläufe gesehen (siehe Abb. 7). Dicht gefolgt von der analytischen Komponente von Lean Six Sigma (knapp 14% er-
338
Miriam Stache, Armin Töpfer
wähnen den Ersatz des Bauchgefühls durch Daten und Analyse), werden eine Effizienz- und Produktivitätssteigerung (11%) sowie spezieller die Prozessanalyse (8,7%) und die im allgemeinen strukturierte Vorgehensweise und Methodik genannt (6,9%). Die Ergebniswirkungen und Ziele von Lean Six Sigma rangieren in den Top 10 erst auf den hinteren Plätzen, d.h. beispielsweise nur etwa 3 bis 5% der Nennungen beziehen sich auf Kosteneinsparung, Kundenorientierung und Nachhaltigkeit. Damit stehen die „Mittel zum Zweck“ im Vordergrund: Die Vorgehensweise und unmittelbare Folgen wie Prozessoptimierung sind bei den Befragten sehr präsent, während strategische Ziele weniger genannt werden. "Bitte beurteilen Sie, wodurch sich Ihrer Erfahrung nach das Konzept Lean Six Sigma auszeichnet. Welche drei Aspekte des Konzeptes sehen Sie im Vordergrund?" Anzahl Nennungen (> 5) - Top 10 0
5
10
15
20
19 (11,0%) 15 (8,7%)
Prozessanalyse / Root Causes identifizieren
12 (6,9%)
Strukturiertes Vorgehen / stringente Methodik
10 (5,8%)
Kosteneinsparung
Kundenorientierung Crossfunktionale Zusammenarbeit Nachhaltigkeit
30
24 (13,9%)
Daten & Analyse statt Bauchgefühl Effizienz / Produktivitätssteigerung
Ergebnis- / Lösungsorientierung
25
25 (14,5%)
Prozessoptimierung / Standardisierung (crossfunktional)
8 (4,6%) 8 (4,6%) 7 (4,0%) 6 (3,5%)
Abb. 7: Aspekte von Lean Six Sigma (freie Antworten, F1)
Interessant ist nun die Gegenüberstellung zu Frage 2, bei der nach den Gründen für die Einführung von Lean Six Sigma bei Lilly in Deutschland gefragt wurde. Die Mehrheit der Nennungen (17%, d.h. 28 von insgesamt 168 Nennungen bei 64 Befragten) kann der Gruppe Prozessoptimierung/ Standardisierung zugeordnet werden (siehe Abb. 8). In Verbindung mit den Gruppen „Prozesse aufstellen/ dokumentieren/ Transparenz“ und „Prozessanalyse/ Root Causes identifizieren“ sieht die Mehrheit der Befragten den Grund für die Einführung von Lean Six Sigma bei Lilly in Deutschland in der Prozessorientierung. Damit einhergehend werden die Bereiche „Effizienz/ Produktivitätssteigerung“ und „Kosteneinsparung“ genannt – als Ergebniswirkungen von Lean Six Sigma zusammen 26% der Nennungen (insgesamt 44 von 168 Nennungen). Kundenorientierung ist mit 5% aller Nennungen analog zu den Antworten in Frage 1 weniger stark vertreten. Dass die Gründe für die Einführung von Lean Six Sigma bei Lilly in den Augen der Befragten keineswegs den Stärken entspricht, zeigen die Antworten aus Frage 3 (siehe Abb. 9).
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
339
"Bitte nennen Sie drei für Sie wichtige Gründe, Lean Six Sigma bei der Lilly Deutschland GmbH einzuführen." Anzahl Nennungen (> 5) - Top 10 0
5
10
15
20
25
30 28
Prozessoptimierung / Standardisierung (crossfunktional)
26
Effizienz / Produktivitätssteigerung
18
Kosteneinsparung
11
Prozesse aufstellen / dokumentieren / Transparenz
10
Prozessanalyse / Root Causes identifizieren
8
Kundenorientierung Daten & Analyse statt Bauchgefühl
6
Priorisierung / Effektivität
6 6
Betrachtung von "außen" / neue Sicht
5
Ergebnis- / Lösungsorientierung
Abb. 8: Gründe für Lean Six Sigma (freie Antworten, F2)
"Bitte nennen Sie die drei für Sie wichtigsten Stärken des Lean Six Sigma Konzeptes bei der Lilly Deutschland GmbH." Anzahl Nennungen (> 5) - Top 10 0
2
4
6
8
10
12
14
13 (8,6%)
Strukturiertes Vorgehen / stringente Methodik Daten & Analyse statt Bauchgefühl
11 (7,3%)
Institutionalisierte Plattform m. Ressourcen
11 (7,3%) 11 (7,3%)
Crossfunktionale Zusammenarbeit
8 (5,3%)
Prozessanalyse / Root Causes identifizieren
8 (5,3%)
Ergebnis- / Lösungsorientierung Prozessoptimierung / Standardisierung (crossfunktional) Priorisierung / Effektivität Betrachtung von "außen" / neue Sicht
16
14 (9,3%)
Commitment Führung / GL (Sponsoren)
7 (4,6%) 7 (4,6%) 6 (4,0%)
Abb. 9: Stärken von Lean Six Sigma (freie Antworten, F3)
Als wichtigste Stärke wird als ganz neuer Aspekt das Commitment der Führung bei Lilly zu Lean Six Sigma gesehen (über 9%, d.h. 14 von insgesamt 151 Nennungen). Neben einer Würdigung der strukturierten und analytischen Vorgehensweise (zusammen knapp 16% der Nennungen) wird auch die separate Lean Six Sigma-Organisation als institutionalisierte Plattform und die crossfunktionale Zusammenarbeit positiv bewertet (beide über 7% der Nennungen). Jeweils 4-5% der Nennungen beziehen sich auf die Prozessorientierung und Ergebniswirkung.
340
Miriam Stache, Armin Töpfer
Als größte Schwächen bestätigten die Mehrzahl der offenen Nennungen auf Frage 4 die Überlastung bzw. Überforderung der Teammitglieder in den Lean Six Sigma-Projekten (13%, d.h. 22 von insgesamt 166 Nennungen, siehe Abb. 10). "Bitte nennen Sie drei für Sie relevante Hauptschwachpunkte des Lean Six Sigma Konzeptes bei der Lilly Deutschland GmbH." Anzahl Nennungen (> 5) - Top 10 0
5
10
15
13 (7,8%) 12 (7,2%)
L6S Mißbrauch (Rechtfertigung Entscheidungen)
9 (5,4%)
zeitlicher Aufwand
9 (5,4%)
L6S Auslastung / "sinnlose" Projekte
Top-down Ansatz Transparenz Ergebnisse Ressourcen fehlen (zur L6S Durchführung)
25
19 (11,4%)
Nachhaltigkeit Projektauswahl / syst. Projektportfolio
L6S Methodik / Analyse übertrieben angewandt
20
22 (13,3%)
Überlastung / Überforderung Teammitglieder
8 (4,8%) 7 (4,2%) 7 (4,2%) 6 (3,6%)
Abb. 10: Schwächen von Lean Six Sigma (freie Antworten, F4)
Problematisch bewertet werden neben einer fehlenden Nachhaltigkeit der Lean Six Sigma-Initiativen (11,4%) auch die nicht nachvollziehbare Projektauswahl (zusammen mit der Durchführung sinnloser Projekte über 13% der Nennungen) und der Missbrauch von Lean Six Sigma für längst gefallene Entscheidungen (über 7%). Ergänzend zur Arbeitsüberlastung werden mit 4-5% der Nennungen auch der zeitliche Aufwand, die übertriebene Anwendung analytischer Methoden und das Fehlen notwendiger Ressourcen sowie die mangelnde Transparenz der Ergebnisse negativ bewertet. Entsprechend den aufgezeigten Schwächen fordert die Mehrheit der Befragten als Verbesserungsmaßnahmen für die Anwendung von Lean Six Sigma bei Lilly eine systematische und nachvollziehbare Projektauswahl und eine adäquate Prüfung, Planung und Bereitstellung der Ressourcen (zusammen 24%, d.h. 36 von insgesamt 155 Nennungen, siehe Abb. 11). Auch die Schaffung von Transparenz über Ergebnisse (9%), eine zunehmende Nachhaltigkeit (7%) und insgesamt einfach weniger Projekte (5%) spielen für die Befragten eine wichtige Rolle zur Verbesserung der Lean Six Sigma-Anwendung bei Lilly in Deutschland. Nach dem Grundsatz des so genannten Fragetrichters wurden den offenen Fragen geschlossene Formulierungen angeschlossen, um Antworthemmungen abzubauen und die Antwortzeit zu beschleunigen (vgl. Mayntz et al. 1978, S. 112). Nach einer Einstimmung in die Thematik Lean Six Sigma und in die subjektiv erlebten Stärken und Schwächen bei Lilly durch die fünf ausgewählten und im Pretest positiv bestätigten Kontakt- oder Eisbrecherfragen (vgl. Mayntz et al. 1978, S. 112) dienen die geschlossenen Antwortkategorien in den Fragen 6 bis 11 der sys-
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
341
tematischen Bewertung festgelegter Schwerpunkte aus den vier definierten Kulturdimensionen. "Welche Maßnahmen würden Sie zur Verbesserung des Lean Six Sigma-Konzeptes bei der Lilly Deutschland GmbH ergreifen?" Anzahl Nennungen (> 5) - Top 5 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
20
Projektauswahl / syst. Projektportfolio
18 (12%)
Ressourcen prüfen / planen / bereitstellen
18 (12%)
13 (9%)
Transparenz Ergebnisse
10 (7%)
Nachhaltigkeit
Weniger Projekte
7 (5%)
Abb. 11: Verbesserungsmaßnahmen für Lean Six Sigma (freie Antworten, F5)
Die Ergebnisse aus Frage 6 zeigen, dass die notwendigen Bausteine für eine erfolgreiche Lean Six Sigma-Anwendung in den Augen der Befragten bei Lilly in Deutschland unterschiedlich stark erfüllt werden (siehe Abb. 12). trifft gar nicht zu
1
Ziele
Ressourcen
Aktionspläne
Kommunikation
Anreize
Fertigkeiten
trifft voll und ganz zu
2
3
6.1: Ziele festgelegt?
N=60
6.2: Zielumfang angemessen?
N=59
6.3: Zielerreichung geprüft?
N=51
6.4: Arbeitsbelastung beachtet?
N=60
2,1
6.5: Arbeitsbelastung überprüft / angepasst?
N=59
2,1
6.6: Aktionsplan vorhanden?
N=55
6.7: Aktionsplan eingehalten?
N=46
6.8: Aktionsplan zeitnah kommuniziert?
N=52
6.9: Aktionsplan verständlich kommuniziert?
N=50
6.10: Anreize für Projektarbeit?
N=59
6.11: Anreize für Umsetzung der Ergebnisse?
N=56
6.12: Anreize überprüft / angepasst?
N=49
6.13: Kompetente Team?
N=59
6.14: Klare Projektverantwortlichkeiten?
N=58
6.15: Verantwortlichkeiten eingehalten?
N=56
6.16: Aufwand vs. Nutzen angemessen?
N=57
4
5 4,1 Ø = 3,6
3,2 3,5
Ø = 2,1
3,8
Ø = 3,4
3,1 3,4
Ø = 3,3
3,1 1,8 Ø = 2,0
2,2 1,9 3,8 3,9 3,3 2,7
*Mittelwert je Kategorie inkl. listenweisen Fallausschluss
Abb. 12: Erfüllungsgrad Lean Six Sigma Bausteine (geschlossene Antworten, F6)
Ø = 3,4
342
Miriam Stache, Armin Töpfer
Zwar sind Zielsetzung und Aktionspläne vorhanden (Items 6.1 und 6.6), es gibt jedoch keine Anreizsysteme für die Durchführung der Projekte oder das Leben der Konsequenzen (Items 6.10 bis 6.12). Das Ressourcenmanagement weist niedrige Werte auf, wonach die Arbeitsbelastung in den Projekten kaum beachtet und angepasst wird (Items 6.4 und 6.5). In der Kategorie Fertigkeiten wird das Verhältnis von Aufwand zu Nutzen gering eingeschätzt (Item 6.16). Nach dieser Bewertung der Lean Six Sigma-Durchführung bei Lilly wurden nach der Typologie von Deal/ Kennedy als Einstieg in die Unternehmenskultur bei Lilly die beiden Dimensionen Veränderungsbereitschaft und Kundenorientierung abgefragt (siehe hierzu Abb. 4). Für die Auswertung lassen sich die einzelnen Antworten als Mittelwert eines Mehrfachantworten-Set zusammenfassen (siehe Abb. 13). trifft gar nicht zu
1
trifft voll und ganz zu
2
3
N=61
2,9
7.2: Neue Strategien leicht umzusetzen? N=60
2,9
7.1: Veränderungen positiv?
7.3: Ständige Verbesserung?
N=64
7.4: Prozesse kritisch hinterfragen?
N=64
7.5: Gemeinsames Ziel?
N=62
7.6: Kundenfokus?
N=63
7.7: Lilly = Dienstleister für Kunde?
N=61
7.8: Lösungen für Kundenbedürfnisse?
N=60
7.9: Kunde gut aufgehoben bei Lilly?
N=52
4
5
3,7
Ø = 3,1
3,0 3,1 3,1 3,2
Ø = 3,1 2,9 3,4
Abb. 13: Unternehmenskultur (geschlossene Antworten, F7)
Es fällt auf, dass im Mittel beide Dimensionen mäßig ausgeprägt sind, d.h. stark von einer optimalen Lean Six Sigma-Kultur abweichen. Überträgt man die Daten auf die grafische Darstellung nach Deal/ Kennedy, befindet sich Lilly an der Schwelle des Quadranten für eine Lean Six Sigma-Kultur (siehe Abb. 14). In Ergänzung wurden die Lilly-Mitarbeiter zur Entwicklung der Veränderungsbereitschaft (F8) und Veränderungsnotwendigkeit (F9) im Zeitablauf befragt (siehe Abb. 15), und zwar nach den drei Zeitpunkten „gestern“ (vor 2 Jahren), „heute“ und „morgen“ (in 2 Jahren). Der 2-Jahreszeitraum wurde gewählt, weil die Lean Six Sigma-Einführung bei Lilly in Deutschland etwa vor 2 Jahren stattgefunden hat (Anfang 2005). Im Ergebnis schätzen die Befragten (n=64) beide Dimensionen „gestern“ geringer als „heute“ ein, und „morgen“ höher als „heute“. Die Veränderungsnotwen-
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
343
digkeit wurde in „persönlicher“ Einschätzung im Vergleich zur Veränderungsbereitschaft schon vor 2 Jahren höher bewertet und steigt „heute“ und „morgen“ noch stärker an, so dass sich keine Überschneidung der beiden Entwicklungen ergibt, wie es bei einer definierten erfolgreichen Lean Six Sigma-Implementierung der Fall wäre (vgl. Töpfer 2007, S. 294). Die Veränderungsbereitschaft ist somit von dem Niveau einer idealen Veränderungsbereitschaft noch weit entfernt, d.h. es fehlt der „Sogeffekt“, wie er durch eine von Lean Six Sigma begeisterte, zu ständig neuen Veränderungen bereite Belegschaft entstehen würde.
Veränderungsbereitschaft
5 Entwicklungsgetriebene Ingenieur-Kultur
4
(Lean) Six Sigma Kultur Legende:
3
Lilly Ideal
3,1; 3,1
2
Marketing- und Vertriebs-Kultur
Bürokraten-Kultur
1 1
2
3
4
5
Kundenfokus
Abb. 14: Unternehmenskultur-Typologie für Lean Six Sigma bei Lilly
sehr gering 1
sehr hoch 2
3
2,8
4
5
3,2
Gestern (vor 2 Jahren)
Heute
Morgen (in 2 Jahren)
3,2
4,1
3,6
4,6
Veränderungsbereitschaft Veränderungsnotwendigkeit Idealprofil Veränderungsbereitschaft
n = 64
Abb. 15: Veränderungsbereitschaft und -notwendigkeit (F8/9)
344
Miriam Stache, Armin Töpfer
Als Ergänzung zur eindimensionalen Skalierung der übrigen geschlossenen Fragen und zur besseren Bestimmung des Reifegrades der Lean Six Sigma-Kultur bei Lilly, wurde in Frage 10 ein mehrdimensionales Messinstrument eingesetzt (vgl. Töpfer 2007, S. 300ff.). Vorteil ist hierbei, dass die Erfahrungen aus anderen Unternehmen als Benchmarking mit den Einschätzungen bei Lilly verglichen werden können. Zwar entstehen nur mehr oder weniger qualitative Bewertungen (vgl. Töpfer 2007, S. 304), diese können aber strukturierter erfasst und Stolpersteine bei Lilly damit besser identifiziert werden. Die resultierende, mehr oder weniger genaue Bewertung stellt eine wichtige Ergänzung dar, um Tendenzen in den anderen Fragen zu bestärken oder zu entkräften. Die Ergebnisse spiegeln große Lücken in fast allen abgefragten Bereichen wider, was insgesamt eine Fülle an Erklärungs- und Diskussionsbedarf aufwirft. Im Folgenden soll auf die wichtigsten drei Lücken eingegangen werden (siehe Abb. 16): 0
1
2
Fehlertoleranz Denken in (hierarchischen) Strukturen
5 Denken in Prozessen Steigerung des Unternehmenswertes
Rang 1
Bewahren / Beharren
Externe Kundenbedürfnisse Veränderungsbereitschaft
Formalisierung Zusätzliche Tätigkeit
4
Null-Fehler-Anspruch
Rang 2
Steigerung der Kundenzufriedenheit Interne Vorgaben
3
Kreativität / Innovationen
Rang 3
Tagesgeschäft
Toolgetrieben
Ergebnisgetrieben
Insellösungen
Unternehmensweite Initiative
Anweisungsorientiert Ganzheitlicher Ansatz Individuelle Anweisung
Überzeugungsorientiert
Idealprofil
Inkrementaler Ansatz
Lilly
Standardisierung
Zentrale Organisation
Dezentrale Organisation
Linientätigkeit
Projekttätigkeit
Vermutungsorientiert
Faktenorientiert
Informationsmonopole
Informationstransparenz
n = 64 Listenweise n = 60
Abb. 16: Polaritätenprofil (F10)
Rang 1: Interne Vorgaben vs. Externe Kundenbedürfnisse (Philosophie und Strategie): Bei Lilly scheint das Erreichen intern festgelegter Standards entscheidender zu sein, als sich auf die Bedürfnisse des Kunden auszurichten. Rang 2: Strukturdenken vs. Prozessdenken (Philosophie und Strategie): Wird unterstellt, dass hierarchieorientiertes Strukturdenken der „natürliche Feind“ (Töpfer 2007, S. 300) von Lean Six Sigma ist, wird durch diese Lücke untermauert, dass das Prozessdenken im Vergleich zum Ideal bei Lilly gering ausgeprägt ist.
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
345
Rang 3: Zusätzliche Tätigkeit vs. Tagesgeschäft (Führung und Umsetzung): Die in den offenen Fragen am häufigsten genannte Schwäche der Überlastung bzw. Überforderung der Teammitglieder wird in dem Polaritätenprofil bestätigt. Lean Six Sigma ist durch die fehlende Integration im Tagesgeschäft ein „Fremdkörper“ (Töpfer 2007, S. 302) bei Lilly, der zusätzlichen Aufwand verursacht, aber den Nutzen im Tagesgeschäft nicht erkennen lässt. In Verbindung mit dem mangelnden Prozessdenken ist damit das Handeln und Denken nach Lean Six Sigma insgesamt gefährdet. Zuletzt wurden die persönlichen Einstellungen zu Lean Six Sigma, d.h. das persönliche Mitarbeiterengagement, das Arbeitsverhalten und die Motivation abgefragt. Im Profil der Mittelwerte (siehe Abb. 17) lassen sich Gruppen bilden. Während Lean Six Sigma zum persönlichen Bild der Befragten von Lilly passt, die Bereitschaft zur Projektmitarbeit gegeben ist und die crossfunktionale Zusammenarbeit geschätzt wird (Items 11.8, 11.4 und 11.5), liegen die Bewertungen zur Balance zwischen Projektarbeit und Tagesgeschäft (Item 11.1), das Engagement für und die Begeisterung durch Lean Six Sigma (Item 11.2) sowie der Nutzen durch Projektergebnisse (11.3) auf einem Mittelwert von rund 3. Die niedrigeren Werte dieser drei Aussagen (11.1 bis 11.3) finden sich inhaltlich sowohl in den Lücken des Polaritätenprofils (z.B. zusätzliche Tätigkeit vs. Tagesgeschäft) als auch in den aufgezeigten Schwächen der offenen Fragen wieder (Überlastung/ Überforderung der Teammitglieder). trifft gar nicht zu
1
trifft voll und ganz zu
2
3
4
N=59
3,1
11.2: Engagement / Begeisterung durch L6S
N=63
3,0
11.3: Nutzen durch Ergebnisse der Projekte
N=60
11.4: Bereitschaft Projektmitarbeit *
N=60
11.5: Vertieftes Verständnis durch crossfunktionale Zusammenarbeit
N=60
11.6: Keine Rechtfertigung von Entscheidungen *
N=59
11.1: Balance Projektarbeit / Tagesgeschäft *
11.7: Stärkere Priorisierung durch L6S 11.8: L6S passt zum Bild von Lilly * 11.9: Persönliche Weiterentwicklung 11.10 Hohe Zufriedenheit mit L6S bei Lilly
N=59
3,1 4,0 4,0 2,6 2,5 4,0
N=62
3,5
N=62 N=63
5
2,8
* weicht von Fragebogen ab (Gleichrichtung der Skalierung)
Abb. 17: Arbeitsverhalten und Motivation durch Lean Six Sigma (F11)
346
Miriam Stache, Armin Töpfer
Die niedrigsten Werte in Frage 11 weisen die Items 11.6 und 11.7 auf. Mitarbeiter haben das Gefühl, Lean Six Sigma dient der Rechtfertigung von Entscheidungen (Item 11.6). Die stärkere Priorisierung, die in den offenen Fragen als wichtiger Grund und Stärke von Lean Six Sigma angesehen wurde, ist nicht erfüllt (Item 11.7). Damit werden in den Ergebnissen der Umfrage Einstellungen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter erkennbar, die als Stärken und Schwächen für Lean Six Sigma gedeutet werden können. Fasst man die von den Befragten dargestellten Schwächen und Stärken zusammen, so kann ein vereinfachtes, modelltheoretisch hier aber nicht überprüftes Kausalmodell in Bezug auf das Mitarbeiterengagement aufgestellt werden (siehe Abb. 18).
Schwächen Stärken 1
Commitment der Führung
2
Strukturierte Methodik & analytisches Vorgehen
3
Organisatorische Rahmenbedingungen
4
Hohe Grundmotivation (L6S passt zu Lilly / macht „Sinn“)
+
Mitarbeiterengagement
--
1
Ressourcen überlastet / überfordert
2
Fehlende Nachhaltigkeit
3
(Willkürliche) Projektauswahl
4
Fehlende Kommunikation / Transparenz
5
Niedrige Kundenorientierung
6
Niedrige Prozessorientierung
Abb. 18: Wirkung der Stärken und Schwächen auf das Mitarbeiterengagement
Passend zur führungsstarken Unternehmenskultur von Lilly wird als wichtigste Stärke das Commitment der Führung angesehen. Das strukturierte und analytische Vorgehen durch Lean Six Sigma und die neu geschaffene Projektorganisation lassen das Potenzial der Lean Six Sigma-Philosophie erkennen, so dass es als sinnvolles Konzept akzeptiert wird. Die Schwächen liegen eindeutig in der Umsetzung. Neben der bereits erwähnten niedrigen Kunden- und Prozessorientierung wird als größtes Problem die erhöhte Arbeitsbelastung bzw. das unzureichende Ressourcenmanagement gesehen. Durch ein anscheinend immer noch fehlendes Vertrauen in formale Mechanismen (siehe hierzu Abb. 3) fehlen strukturierte Analyse- und Kommunikationsinstrumente, die eine systematische Projektauswahl erkennen lassen und die Nachhaltigkeit der Projektergebnisse stützen. Damit kann die geringe Erfüllung der Bausteine Ressourcen, Kommunikation und Anreize bei Lilly in Deutschland zu Frustration, Ablehnung und einer geringen Veränderung durch Lean Six Sigma führen (siehe Abb. 19).
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
347
Die von den Befragten als mangelhaft eingeschätzte Projektauswahl durch Fehlen eines übergeordneten Aktionsplanes kann darüber hinaus einen Fehlstart von Lean Six Sigma verursachen. Die Befragungsergebnisse decken wichtige Barrieren bei der Einführung von Lean Six Sigma auf und liefern eine fundierte Datenbasis als Entscheidungsgrundlage für die Verbesserung der Lean Six Sigma-Implementierung bei Lilly in Deutschland. Die Gefahr eines Kulturschocks und die These, dass Lean Six Sigma auf größere Widerstände in der Belegschaft stößt, konnte empirisch überprüft und in der Tendenz bestätigt werden. Wichtige Stärken und Schwächen konnten identifiziert und in einen ersten Zusammenhang mit dem Mitarbeiterengagement gebracht werden. Hierfür wurden etablierte Instrumente (die Kulturtypologie nach Deal/ Kennedy und das Polaritätenprofil von Töpfer) in eine individuell auf Lilly zugeschnittene Analyse eingebettet.
Ziel
+
Fertigkeiten
+
Aktionsplan
+
Ressourcen
+
Kommunikation
+
Anreize
=
Erfolgreiche Veränderung
√
+
Fertigkeiten
+
Aktionsplan
+
Ressourcen
+
Kommunikation
+
Anreize
=
Verwirrung
Ziel
+
√
+
Aktionsplan
+
Ressourcen
+
Kommunikation
+
Anreize
=
Angst
Ziel
+
Fertigkeiten
+
+
Ressourcen
+
Kommunikation
+
Anreize
=
Fehlstart
Ziel
+
Fertigkeiten
+
Aktionsplan
+
+
Kommunikation
+
Anreize
=
Frustration
Ziel
+
Fertigkeiten
+
Aktionsplan
+
Ressourcen
+
+
Anreize
=
Ablehnung
Ziel
+
Fertigkeiten
+
Aktionsplan
+
Ressourcen
+
=
Geringe Veränderung
√
= Gegeben
√
Kommunikation
+
= Eher nicht vorhanden
Basis: Töpfer 2007, S. 290 nach Seidenschwarz 1997, S. 124
Abb. 19: Erfüllung der Bausteine für eine erfolgreiche Lean Six Sigma Einführung bei Lilly
Der hohe Rücklauf und das große Interesse an der Befragung bestätigen, dass vor allem die Anwendung einer unternehmensindividuellen Kulturanalyse eine geeignete Methode ist, um Schwachstellen bei der Einführung von Lean Six Sigma aufzudecken. Auch wenn sich die Befragung auf den ersten Blick auf eine Einstellungs- und Verhaltensmessung, also die Ebene der Werte und Normen der Lilly-Kultur beschränkt, können Teilsichten auf die Grundannahmen der Unternehmenskultur, wie der Glaube an die Veränderungsfähigkeit und -notwendigkeit (vgl. Töpfer 2007, S. 296f.), freigelegt werden.
348
5
Miriam Stache, Armin Töpfer
Akzeptanz der notwendigen Veränderungen
Die Forderung der Mitarbeiter nach verbesserter Kommunikation und erhöhter Transparenz konnte bereits teilweise umgesetzt werden: In der SeptemberAusgabe 2007 der Mitarbeiterzeitschrift „My Lilly“ erschien ein Artikel, der die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage wiedergibt und eine kurze Übersicht über laufende Lean Six Sigma-Projekte enthält. Damit wird nicht nur der Nutzen von Lean Six Sigma für die Mitarbeiter authentisch wiedergegeben, sondern auch das Commitment der Geschäftsführung gestärkt, die Stimme der Mitarbeiter ernst zu nehmen und Schwächen systematisch und kontinuierlich aus dem Weg zu räumen. Als nächster Schritt ist ein Lean Six Sigma-Newsletter geplant, der von den Black Belts erstellt wird. Die Akzeptanz für dieses Medium wird wesentlich davon abhängen, ob es sich auf eine Selbstdarstellung der Lean Six SigmaOrganisation beschränkt oder einen klaren Überblick über Auswahl, Aufwand, Ergebnisse und damit Stellenwert bestehender Projekte liefert, so dass jeder Mitarbeit den persönlichen Nutzen erkennen und die Frage „What’s in for me?“ leicht beantworten kann. Eine Beschränkung auf Aktivitäten zur Verbesserung der Kommunikation birgt jedoch die Gefahr in sich, die eigentlichen Brennpunkte zu überspielen. Deshalb wurden insbesondere Handlungsalternativen für das mangelhafte Ressourcenmanagement diskutiert, das in Zusammenhang mit einer fehlenden Integration von Lean Six Sigma in das Tagegeschäft, mit einer fehlenden Nachhaltigkeit und einer unzureichenden Projektauswahl auftritt. Zur stärkeren Integration von Lean Six Sigma in das Tagesgeschäft sind die Black Belts festgelegten Bereichen im Unternehmen zugeordnet worden. Dadurch erhalten sie als Projektleiter einen tieferen Einblick in die spezifischen Anforderungen des Tagesgeschäfts, können eine Balance zwischen Projektarbeit und Tagesgeschäft für alle Beteiligten leichter herstellen und den Nutzen der Projektergebnisse effektiver kommunizieren. Die versperrte Sicht auf die Aktivitäten der Teammitglieder wird freigelegt (siehe Abb. 20).
Tagesgeschäft
Black Belt
L6S Projekt
TM 1
TM 2
Sponsor
TM 3
TM = Teammitglied
Abb. 20: Unsicherheit eines Black Belts bei fehlender Integration in das Tagesgeschäft
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma
349
Zur Verbesserung der Projektauswahl, sollte die Anwendung von Instrumenten geschult und eingeübt werden, die eine Priorisierung nach Aufwand und Nutzen zulassen, wie das bei Lilly schon vorhandene Instrument der „Project Selection Matrix“ (vgl. Stein 2005, S. 71). Auch wenn pragmatische Ansätze für das Abernten der tief hängenden Früchte bzw. „low hanging fruit(s)“ (Smith 2003, S. 37) bisher ausreichte, zeigt das Feedback der Befragten die zunehmende Verwirrung über die Auswahl der Projekte nach intuitiven Verfahren. Dieser Vorschlag wurde bislang nicht umgesetzt, d.h. in der gegenwärtigen Situation sind Logik und Motive für die Projektauswahl nach wie vor intransparent. Wichtige Maßnahmen zur direkten Erhöhung der Prozessfähigkeit und Kundenorientierung fehlen und müssen ergänzt werden, um ein ganzheitliches Lean Six Sigma-Denken zu etablieren und den angestrebten Reifegrad einer Lean Six Sigma-Kultur zu erreichen. Andere Unternehmen kombinieren hierzu im Rahmen von Lean Six Sigma aussagefähige CTQ-Analysen mit breit angelegten KVP-Programmen zur stärkeren Fokussierung auf die verschwendungsfreie Gestaltung des Wertstromes in Prozessen.
6
Ausblick: Konsequenzen und nächste Schritte
Der Erfolg der Lean Six Sigma-Implementierung bei Lilly hängt wesentlich von den Einstellungen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter und damit der bestehenden Unternehmenskultur ab. Deshalb ist von den Führungskräften ein erhöhtes Bewusstsein einzufordern, dass Mitarbeitermotivation und -engagement die kritischen Erfolgsfaktoren für Lean Six Sigma sind. Eine regelmäßige Wiederholung der aufgezeigten Kulturmessung kann als Stimmungsbarometer genutzt werden, um schrittweise Erfolge und Misserfolge in der Kulturveränderung aufzudecken und geeignete Maßnahmen für einen „Turnaround“ in den Überzeugungen der Mitarbeiter voranzutreiben. Durch die systematische Auseinandersetzung mit den Problemen im Umgang mit Lean Six Sigma wird das Ignorieren von Misserfolgen vermieden und eine offene Fehler- und Lernkultur gefördert. Eine klare Trennung und Priorisierung zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Verbesserungsmaßnahmen für Lean Six Sigma kann helfen, Synergieeffekte zwischen Transparenz, Akzeptanz und Nachhaltigkeit zu erzielen. Strategische, wohlüberlegte Maßnahmen sollten aktionistische Handlungen vermeiden. Ein erhöhtes Verständnis der Mitarbeiter, warum sie wann in welche Projekte eingebunden sind, verpufft bei nur kurzfristigen Kommunikationsmaßnahmen, wenn die erhöhte Arbeitsbelastung nicht durch bewusste strategische Entscheidungen der Führungsebene abgemildert wird. Es entsteht sonst leicht der Eindruck, dass den Worten keine Taten folgen, d.h. die Führungsebene verliert an Glaubwürdigkeit und Lilly damit eine wichtige Stärke der bestehenden Unternehmenskultur.
350
7
Miriam Stache, Armin Töpfer
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Abkürzungsverzeichnis 5S/ 5A-Methode Japanisches Akronym: Seiri (Aussortieren), Seiton (Aufräumen), Seiso (Anordnen), Seiketsu (Arbeitsplatz sauber halten) und Shitsuke (Anordnung zur Regel machen) 5W-Methode Vorgehensweise zur vertieften Problemanalyse, die auf dem Ansatz basiert: Frage 5x hintereinander zum gleichen Problem „Warum?“, um die Kernursachen eines Problems zu finden. Abb. AMD APU Aufl. ARIR BB BBD BE BKT BPE BPM BR BSC bspw. BVW bzgl. bzw. ca. CCD CEO CFO CSI CTC CTS CTQ d.h. DDC DFMA DfLSS DFSS DIN DMADV DMAIC DMEDI DOE
Abbildung Advanced Micro Devices Auxiliary Power Units Auflage Algoritm Reshenije Izobretatjelskich Zadacz (russ. Akronym) Black Belt Box-Behnken-Design Business Excellence Betriebskalendertage Business Process Excellence Business Process Management Betriebsrat Balanced Scorecard, Balanced Score Card beispielsweise Betriebliches Vorschlagwesen bezüglich beziehungsweise circa Central-Composite-Design Chief Executive Officer Chief Financial Officer Customer Satisfaction Index Critical to Cost Critical to Satisfaction Critical to Quality das heißt Dresden Design Center Design for Manufacturing and Assembly Design for Lean Six Sigma Design for Six Sigma Deutsche Industrie Norm Define Measure Analyse Design Verify Define Measure Analyse Improve Control Define Measure Explore Develop Implement Design of Experiments
354
Abkürzungsverzeichnis
DPMO EDV EFQM ehem. EN EPEI et al. etc. EVA F F&E f. ff. FIFO FMEA GB GE ggf. GuV GQM h HoQ Hrsg. i.d.R. i.e.S. IDOV i.w.S. inkl. ISO IT ITT Jg. JIT KBI KPI KVP LSS LBA MA MBB MBNQA MbO Mio. mm
Defects Per Million Opportunities/ Fehler pro eine Million Fehlermöglichkeiten Elektronische Datenverarbeitung European Foundation for Quality Management ehemalig Europäische Norm Every Part Every Intervall et alii (lat. und andere) et cetera Economic Value Added Frage Forschung und Entwicklung folgende fortfolgende First In First Out Failure Mode- and Effects-Analysis/ Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse Green Belt General Electric gegebenenfalls Gewinn- und Verlustrechnung Ganzheitliches Qualitätsmanagement Stunde House of Quality Herausgeber in der Regel im engeren Sinn Identify Design Optimize Validate im weiteren Sinn inklusive International Organization for Standardization Informationstechnologie International Telephone and Telegraph Corporation Jahrgang Just in Time Kundenbindungsindex Key Performance Indicators Kontinuierlicher Verbesserungsprozess Lean Six Sigma Luftfahrtbundesamt Mitarbeiter Master Black Belt Malcolm Baldrige National Quality Award Management by Objectives Million Millimeter
Abkürzungsverzeichnis
Mrd. MT OEM o.g. PCI PDCA PE PEP PERT PLC PPI PPM PR P-Regelkarte QC OEE QFD QL QM QS OSRC QVP R&O RPZ RRCL RSM s s. SCAS SMED s.o. SIPOC SPC TAT TPM TPS TQM TRIZ u.a. u.U. usw. vgl. VOC vs. VSD WBT
Milliarde Manntage Original Equipment Manufacturer oben genannt Process Capability Index Plan, Do, Check, Act Process Excellence Produktentstehungsprozess Project Evaluation and Review Technique Process Life Cycle Process Performance Indicators Parts Per Million/ Fehler pro eine Million Teile Public Relations Prozess-Regelkarte Qualitätscontrolling Overall Equipment Efficiency Quality Function Deployment Quality Leader Qualitätsmanagement Quality System Operating System Research Center Qualitätsverbesserungsprozess Repair and Overhaul (Reparatur und Überholung) Risikoprioritätszahl Reliability-and-Robustness-Checklist Response Surface Methodology Sekunde siehe System Components and Accessories Service Single Minute Exchange of Dies siehe oben Supplier Input Process Output Customer Statistical Process Control / Statistische Prozesskontrolle Turn Around Time Total Productive Maintenance Toyota-Produktionssystem Total Quality Management Theorija Reshenija Izobretatjelskich Zadacz (russ. Akronym) unter anderem unter Umständen und so weiter vergleiche Voice of the Customer versus Value Stream Design Web Based Training
355
356
z.B. z.T. ZP ZR ZV ZZ
Abkürzungsverzeichnis
zum Beispiel zum Teil Zielplanung Zyklusraum Zielvereinbarung Zykluszeit
Autoren-Kurzbiographien Jürgen Bremer, Dr.-Ing., ist Leiter Six Sigma des Bereiches Honeywell Building Solutions in Europe, Middle East and Africa. Er studierte Maschinenbau an der TU Berlin, promovierte 1998 am Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in Berlin und schloss 2007 einen Executive MBA an der Kellogg School of Management in Chicago sowie der WHU in Vallendar ab. Nach einigen Jahren in der Beratung und Industrie wechselte er im Juli 2003 zu Honeywell. Jörg Doch ist Leiter des Projektmanagement Office im Geschäftsführungsbereich Chemikalien der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG. Er studierte Technisch Orientierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Stuttgart. Seit 1996 ist er bei Boehringer Ingelheim in den Bereichen Projektmanagement und Business Process Excellence tätig. Er ist als Projektmanager IPMA sowie als Six Sigma Black Belt zertifiziert. Bernd Garzinsky, Dipl.-Ing., ist Seniorberater und Mitglied der Geschäftsleitung der M+M Six Sigma Group und der M+M Management + Marketing Consulting GmbH in Kassel. Er ist Qualitätsfachingenieur, Six Sigma Master Black Belt sowie Assessor der European Foundation for Quality Management (EFQM). Vor seiner Beratungstätigkeit war er als Führungskraft in namhaften internationalen Konzernen tätig. Zu seinen Beratungsschwerpunkten gehören Six Sigma, Prozessoptimierung/KVP, Qualitätsmanagement und Management von Veränderungen, Business Excellence, Management von Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Mess- und Steuerungsinstrumente/BSC. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Kaiserslautern zum Thema Management von Kundenzufriedenheit sowie Dozent an der Dresden International University (DIU). Als Six Sigma Master Black Belt ist er Trainer und Coach bei der M+M Six Sigma Akademie® in offenen und unternehmensinternen Schulungen. Swen Günther, Dipl.-Wirtsch.-Ing., ist Berater und Six Sigma Black Belt bei der M+M Six Sigma Group und der M+M Management + Marketing Consulting GmbH in Kassel. Zu seinen Beratungsschwerpunkten gehören sowohl Industrieunternehmen, insb. im Automotive-Bereich, als auch Dienstleistungsunternehmen, z.B. Banken und Krankenhäuser. Als Six Sigma Black Belt ist er Trainer bei der M+M Six Sigma Akademie®. Zusätzlich ist er Dozent an der Dresden International University (DIU). In einer neuen Funktion ist er Prozessmanager zur Optimierung der Fertigungsabläufe bei einer Procter & Gamble Tochter. Thomas Habermann ist Master Black Belt und Leiter von Business Process Excellence (BPE) Deutschland bei Boehringer Ingelheim. Nach dem Studium der Verfahrenstechnik begann er seine berufliche Laufbahn 1990 bei der Bayer AG, Leverkusen, als Betriebsingenieur/ Projektleiter. 1994 wechselte er zu Boehringer Ingelheim, und übernahm dort verschiedene Aufgaben. Seit 2002 ist er verantwortlich für den Aufbau der Six Sigma/ BPE-Organisation.
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Autoren-Kurzbiographien
Michael Hennes ist Productivity (Lean Six Sigma) Leiter EMEA sowie Lean Master Operation Global für einen Geschäftsbereich eines amerikanischen Chemieunternehmens. Er schloss sein Studium an der Hochschule für Technik und Gestaltung in Mannheim als Dipl. Ing. (FH) Maschinenbau mit Fachrichtung Fertigungstechnik ab. Bevor er seine Ausbildung und Zertifizierung als Lean Six Sigma Black Belt absolvierte, arbeitete er im Einkauf eines Fahrzeugherstellers sowie im Automobilzulieferbereich eines amerikanischen Mischkonzerns. Jutta Jessenberger, Dr., studierte Statistik an der Universität Dortmund und der University of Sheffield (UK). Nach Tätigkeit bei der Mars GmbH, Viersen, promovierte sie an der Universität Dortmund und durchlief danach verschiedene Management Positionen bei AC Nielsen, Hamburg, und bei der OnVista AG, Köln, wo sie zuletzt als Director Content Services tätig war. Sie ist jetzt Prokuristin bei der Xerox GmbH, Black Belt und Deployment Manager für das Xerox Lean Six Sigma Programm in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Bert Leyendecker, Prof. Dr., ist Professor für Produktionswirtschaft und Operations Research sowie Projektmanagement und Kennzahlensysteme am Fachbereich Betriebswirtschaft der Fachhochschule Koblenz. In diesen Fachgebieten arbeitet er mit großen und mittelständischen Unternehmen bei der Einführung von Lean Management, Six Sigma, Projektmanagement und Kennzahlensystemen zusammen. Zuvor war er zehn Jahre bei Johnson & Johnson mit den Tätigkeiten als Prozess- und Projektingenieur, Six Sigma Black Belt, Projektmanagement Trainer, Leiter Prozessoptimierung, Process Excellence Master Black Belt und schließlich Leiter Process Excellence für mehrere europäische Produktionsstandorte. Achim Schmidt ist seit 2003 als Six Sigma Master Black Belt und Programm Manager für das Unternehmen Siemens VDO tätig, das Ende 2007 an die Continental AG verkauft wurde. Er studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität Braunschweig und an der Universität Erlangen. Nach seinem Studium war er mehrere Jahre in der Halbleiterindustrie in den Bereichen Technologietransfer, Produkttechnik und Prozessoptimierung tätig. Miriam Stache ist European Demand Forecasting Manager der Lilly Deutschland GmbH und externe Doktorandin am Lehrstuhl für Marktorientierte Unternehmensführung der TU Dresden mit dem Forschungsschwerpunkt Lean Six Sigma. Derzeit leitet sie die marktorientierte Unternehmensplanung in Europa.. Sie begann ihre Laufbahn in der pharmazeutischen Industrie mit einer dualen Ausbildung zur Dipl.-Betriebswirtin (BA). Zusätzlich studierte sie berufsbegleitend Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Controlling an der Hochschule Wismar mit dem Abschluss Dipl.-Kauffrau (FH) sowie Health Care Management an der Dresden International University/ TU Dresden mit dem Abschluss eines MBA. Seit 2004 ist sie bei der Lilly Deutschland GmbH in unterschiedlichen Positionen tätig. Gerd Streckfuß ist seit 1992 Partner am Institut für Qualitätsmanagement (IQM) Dr. Weigang und Partner, Grossbottwar, und dabei verantwortlich für Methoden im Bereich Entwicklungsmanagement. Zuvor war er Technischer Leiter bei der
Autoren-Kurzbiographien
359
Applicon GmbH in Frankfurt a.M. Danach Manager Business Development Europe bei Schlumberger Technologies GmbH. Außerdem ist er Mitbegründer und Mitglied des QFD Institutes Deutschland e.V. und Mitglied des TRIZ-Centrums Europe. Armin Töpfer, Prof. Dr., leitet den Lehrstuhl für Marktorientierte Unternehmensführung an der Technischen Universität Dresden sowie die M+M Six Sigma Group/Akademie® und die Forschungsgruppe Management+Marketing in Kassel. Er ist Alleingesellschafter der M+M Consulting GmbH in Kassel. Frühere Stationen waren an der Universität Freiburg, der E.A.P. Europäische Wirtschaftshochschule in Düsseldorf, später Berlin, mit dem Hauptsitz in Paris und weiteren Standorten in Oxford und Madrid, und der Schwerpunkt Management an der Universität Kassel. Er lehrt und forscht auf den Gebieten Management und Marketing mit den Schwerpunkten Ganzheitliches Qualitätsmanagement/Business Excellence, Geschäftsprozess-Optimierung/Six Sigma, Wertorientierte Unternehmensführung/Balanced Score Card, Dienstleistungsmarketing sowie Strategisches Marketing. Auf diesen Gebieten arbeitet er mit großen und mittelständischen Unternehmen zusammen. Er ist Vorsitzender oder Mitglied in Beiräten von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Lars Vollmer, Dr.-Ing., ist geschäftsführender Partner der Vollmer & Scheffczyk GmbH, einem unabhängigen Beratungs- und Serviceunternehmen für Lean Management (Standorte Hannover/ Stuttgart). Er studierte an der Universität Hannover Maschinenbau mit Schwerpunkt Umformtechnik und Produktionslogistik. Er hat Lehraufträge an der Leibnitz Universität Hannover und der TU Braunschweig. Klaus Weckheuer ist Betriebsleiter in einer europäischen Niederlassung eines amerikanischen Spezialchemikalienkonzerns. Nach Tätigkeiten im Bereich QMSystementwicklung absolvierte er die Ausbildung zum Black Belt in den USA. Anschließend bearbeitete er mehrere Six Sigma Projekte in der Produktion, Logistik sowie im R&D Bereich. Danach war er mehrere Jahre für das europäische Qualitätsmanagement verantwortlich und begleitete dabei das Six Sigma Programm sowie die Einführung von Lean Management Methoden. Frank Ziegenhorn, Dipl. Kfm., M.A. Int’l Studies, MBA, arbeitet seit 2001 als Organisationsspezialist und Senior-Projektkoordinator bei Advanced Micro Devices mit dem Schwerpunkt der Gestaltung der Verbesserungsarbeit für AMD Dresden. Zurzeit ist er für AMD Singapore tätig. Zuvor war er als freier Berater im Bereich Prozess- und Qualitätsmanagement tätig. Christian Ziemer-Popp leitet seit 1995 das KVP-Büro bei AMD in Dresden. Er war nach dem Studium des Chemieingenieurwesens als Planer und Betriebsingenieur in der Halbleiterbranche bei der Siemens AG tätig. Dort durchlief er unterschiedliche Managementfunktionen. Seit 1996 ist er bei AMD in Führungspositionen im Bereich Facility und der Produktion.
Stichwortverzeichnis
5S- (5A-) Methode zur Schaffung von Ordnung und Sauberkeit am Arbeitsplatz 37, 118, 211, 261 5W-Methode 38, 118 5-Sigma-Wand 74, 76 6W-Analyse zur systematischen Ableitung von Kundenanforderungen 162 7 Formen der Verschwendung (Muda) 28, 140 Allowable Costs 82, 173 Bestimmung mit QFD 172 Andon-Tafel zur Produktionsüberwachung 37, 118 Arbeitsorganisation Umgruppierung von Tätigkeiten 223 Umverteilung von Arbeitsaufgaben 219 Vor-Ort Analyse 224 Workshops zur 217 Autonomation 37, 117 Badewannenkurve 72 BBD (Box-Behnken-Design) 188 Bearbeitungs- und Liegezeiten 35 Bearbeitungszeit, wertschöpfende 34 Black Belts 93, 289 Blended Learning 94 Blitz-DMAIC-Zyklus 129 Boundary Diagramm 318 BPE (Business Process Excellence) Balanced Scorecard als Basis für die Steuerung von 235 BPE-Haus von Boehringer Ingelheim 234 BPE-Projekte, Ermittlung des monetären Nutzens 238 BPE-Projekte, Freigabeentscheidung 243 Bubble Chart zur aggregierten Projektbewertung 242 Journey to Excellence (AMD) 209
Key Performance Indicators (KPI´s) 101, 235 Kriterienkatalog zur Bewertung des Strategischen Nutzens 239 PE-Index 245 Process Life Cycle (PLC)Management 246 Process Life Cycle als Flussdiagramm 247 Projektportfolio 241 Siemens top+ Quality-Unternehmensprogramm 306 strukturierter Prozess zur Projektbewertung und -auswahl 236 systematische Identifikation von Projektpotenziale 243 BSC (Balanced Scorecard) 101 Business Assessment 101 Business Case 78, 120 CCD (Central Composite Design) 123, 187 Champions 93 Clusteranalyse 79 Conjoint-Analyse 82 Cpk-Wert als Maß für die Prozessfähigkeit 121 Cp-Wert als Maß für die Prozessstreuung 121 CTC (Critical to Cost) 320 CTQ-Outputmessgrößen-Analyse 121 CTQs (Critical to Quality Characteristics) 3, 5, 46, 85, 121, 161, 173, 320, 324 CTS (Critical to Satisfaction) 320 Datenanalyse 123 Design for Six Sigma (DFSS) 6 Erfolgsfaktoren 320 Anforderungsmanagement bei Systemprojekten 314 Ansatzpunkte 8, 71 bei Siemens VDO Diesel Systems 307
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Stichwortverzeichnis
Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele 88 Einführungsanforderungen 91 Integration in den PEP 312 Methodenbeschreibung 313 Projektauswahl 92 Qualitätskostenverlauf mit/ ohne 88 Tools 14 und (Lean) Six Sigma 75 verwendete Werkzeuge 315 Wirkungen 86 Ziel 74 DFMA (Design for Manufacturing and Assembly) 70, 83 DOE Design of Experiments 4 Schritte des 175 Festlegen der Ziel- und Einflussgröße(n) 176 Design Scorecards 85 Design/ Entwicklung Einfluss auf die Gesamtkosten 71 Design-Review 82 DfLSS-Projekte (Design for Lean Six Sigma) 291 Diskriminanzanalyse 80 DMADV-Zyklus 75, 77, 81, 83, 85, 160, 169 DMAIC-Zyklus 45, , 47, 58, 75, 118, 120, 297 Blitz-Version 127 Grenzen des 75 Standard-Ansatz 120 und Kaizen-Ansatz 104 DMAIC- und DMADV-Zyklus Entscheidungsbaum zum Einsatz 77 DMAIC- und DMEDI-Zyklus 298 DOE (Design of Experiments) 3D-Oberflächen-Plots 186 Beispiel „Wasserkochen“ 184 Bewertung 188 Durchführen von Bestimmungsversuchen 181 Durchführen von Optimierungsversuchen 185 Eigenschaften von Zielgrößen 176 Prinzipdarstellung 177 Prognosefunktion 181, 186 Screening der Einflussgrößen/ Faktoren 180 und QFD 84 vollfaktorielles Experiment 182
DPMO (Defects per Million Opportunities) 121 Drifting Costs 82, 173 Durchlaufzeit Priorisierung der Aufträge 276 Reduzierung der 272, 278 tagesgenaue Restlaufzeit 277 Durchlaufzeit vs. Kapazität 271 EPEI (Every Part Every Intervall) 155 EVA (Economic Value Added) 89 Fehlererkennung, selbstgesteuerte 37 Fehlerkosten, Auswirkungen auf die Unternehmensziele 90 Fehlerniveau, in Kauf genommenes 11 Fehlerquotient 50 FIFO-Bahnen 152 FIFO-Prinzip (First In First Out) 33, 37 Fischgrätdiagramm 38 Flow-Prinzip 35 FMEA Failure-Mode- and EffectAnalysis/ Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse 43, 83, 122 Fragebogendesign 336 Gage R&R 85, 108, 122 Gesamtkapitalkostensatz (Weighted Average Cost of Capital – WACC) 91 Glenday Sieb 255 Green Belts 93, 289 Heijunka 39 HoQ (House of Quality) 80, 315 Konzeption und Inhalte 167 Verknüpfung der HoQs 169 Vorgehensweise beim Erstellen 169 IDOV-Zyklus 312 Innovationen Auswirkung im Produkt/ Prozess 87 Innovations-Checkliste 200 Wichtigkeit von 86 Ishikawa-Diagramm 38, 43, 122 Ist-Situation Analyse und Bewertung 101
Stichwortverzeichnis Jidoka-Prinzip 138 Jishuken-Konzept 39 Just-in-Time 116 Kaikaku 114 Kaizen 114, 253 8-Schritte-Methode 103 Kaizen-Level 157 Kaizen-Workshops 114 Prozess- vs. System-Kaizen 141 Ziele 157 Kanban 37, 118 Kano-Modell der Kundenzufriedenheit 80, 164, 315 Keiretsu 39 Kontinuierliche Verbesserung, 4 Schritte der 100 Kosteneinsparungen, Fokus auf 210 Kundenanforderungen Priorisierung der 80 Umsetzung auf System- und Komponentenebene 311 Kundenbedürfnisklassifizierung nach Maslow 80 Motivklassen 165 Kundenerwartung 161 Kundennutzen 161 Kundenproblemanalyse nach Shiba et al. 160 Kundenprobleme 160 Kundenzufriedenheit 161, 163 Basisanforderungen 164 Begeisterungsanforderungen 165 Leistungsanforderungen 164 KVP@AMD 213 Lean DMAIC 58 Lean Management 5 Leitgedanken 214 6 AMD Lean-Prinzipien 215 Ansatzpunkte 8 Bewertung 42 Bewertungskriterien 25 Erfolgsfaktoren 4 Geschichte (Toyota) 138 Gründe des Einsatzes 125 handlungs-/ umsetzungsorientierte Ausrichtung 56, 118 Instrumente 14 Projektauswahl 92 Umsetzungsbausteine 64
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und Six Sigma 59 Wekzeuge 99, 105 Ziel 3, 7 Lean Management-Methoden Stärken-Schwächen-Profil 253 Lean Manufacturing Empfehlungen für die Startphase 214 in der Halbleiterindustrie 208 kritische Erfolgsfaktoren 230 Lean Metrics 101 Lean Prinzipien 139 Lean Projekt Turbo Fan Engines DMAIC-Zyklus 268 Durchlaufzeitenreduzierung 272 Verbesserungsansatz 269 Visualisierung des Fertigstellungsgrades 275 Lean Six Sigma 286 Anforderungen an die Unternehmenskultur 324 Anforderungs-, Wirkungs- und Gestaltungsfelder 15 Ansatzpunkte 8 Bewertungskriterien 25 Ebenen der Unternehmenskultur bei 325 Engpassanalyse zur Kapazitätssteigerung 257 Erfolgsfaktoren der Einführung 281 Gründe für 11 im Rahmen von ManagementWerkzeugen 14 Inhalte 60 integrierter Ansatz 5 kritische Erfolgsfaktoren 349 Missverständnisse/ Umsetzungsfallen 62 Optimierung im Produktionsbereich (Beispiel) 259 Umsetzungsbausteine 64 Umsetzungstreiber 44 und Unternehmenskultur 323 Unternehmenskultur Typologie für Lean Six Sigma 329 Vorreiterunternehmen 12 Wettbewerbsvorteil durch 324 Wirkungsmechanismen 61 Ziele 5, 326 Lean Six Sigma bei Lilly 323 Lean Six Sigma Rad 14
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Stichwortverzeichnis
Lean Six Sigma Trainings 130 Dauer und Zertifizierung 290 Trainingsinhalte 132, 134 Lean Six Sigma-Methoden, Prozesskategorisierung zur Projektauswahl 255 Lean Six Sigma-Programm bei Xerox 282 Lean Six Sigma-Projekte 4 kritische Erfolgsfaktoren 287 Projektdurchführung 286 Lean Thinking Prinzipien des 30 Lean- und Six Sigma-Methoden, Synergieeffekt 285 Lean-Assessment 101 Lean-Management bei Toyota 28 Inhalte 28 Konzeption 28 Methoden und -Werkzeuge 117 Philosophie 28 Ursprünge 28 Lean-Prinzipien 6 Lean-Projekt Turbo Fan Engines Ausgangssituation 268 Ergebnisse 278 Lieferantenmanagement von Toyota 39 Likert-Skalierung 336 Logistik, integrierte 37 Magisches Dreieck der Betriebswirtschaftslehre, erweitertes (Qualität Zeit - Kosten - Innovation) 3, 62, 87 Marktsegmente 79 Maschinenfähigkeitsanalyse 85 Master Black Belts 93, 289 Materialflussdarstellung, Nachteile der 144 Meilensteinplanung (Gantt-Diagramm) 79 Messgrößen-Bestimmung, grundätzliches Vorgehen 46 Methoden-Know-how und ProblemWissen 126 Muda (Verschwendung) 28 Mura (Variabilität) 29 Muri (Inflexibilität) 29
Net Benefit 48 Netzplantechnik (PERT – Project Evaluation and Review Technique) 79 Null-Fehler-Qualität 5, 6, 45, 46, 90 Null-Messung 46 One-Piece-Flow 39 OEM (Original Equipment Manufacturer) 40 Parameter-Diagramm 318 PDCA-Zyklus 116, 129 Pitch 156 Poka-Yoke 38, 117 Polaritätenprofil 344 PPM (Parts Per Million) 10, 121 Problemlösungszyklus, Entscheidungsbaum für Auswahl des 129 Process and Enterprise Maturity Model (PEM-Modell) 27 Produktentstehungsprozess (PEP) 61 Produktentwicklungsprozess (PEP) 312 Produktfamilie 144 Produktionslosgröße 269, 271 Produktionssteuerung Gantt-Chart 228 Takt- und Prozesszeiten-Chart 226 Produktlebenszyklus 72 Produktzuverlässigkeit über die Lebenszeit 72 Programmintegration von Six Sigma und Lean Management, Wesentliche Elemente 252 Project Tracking System 299 Projekt Charter 46, 78, 120, 294 Projektauswahlprozess, strukturierter 91 Projektbewertungs- und Auswahlprozess 237 Projektplan (Multi Generational Plan) 78 Projektsponsoren 289 Prozessanalyse 122 Prozessausbeute (RTY-Wert) 85 Prozesse, standardisierte 5 Prozesseigner (Champion) 86 Prozessfähigkeit (Cpk-Wert) 85 Pull-System 36
Stichwortverzeichnis QFD (Quality Function Deployment) 43, 80, 83 5 Schritte 160 Beispiel "Auto-Safe" 196 Bewertung 175 Ermitteln der bauteilbezogenen Zielkosten 172 Ermitteln der Kundenanforderungen 160 Festlegen des technischen Konzepts 167 Festlegen von Funktionen, Bauteilen usw. 170 Ziele 167 QM-Methoden (Qualitätsmanagement-) 14, 38 QM-Tools (Qualitätsmanagement-), 43 Qualitäts- und Fehlerkosten Spektrum der 70 Qualitätsniveau in dr deutschen Industrie 10 Qualitätsverbesserungssysteme (QVS), wesentliche Charaketeristika 115 Rauschfaktoren (Noise) 84 Reaktionsflächen-Methodik (RSM – Response Surface Methodology) 84, 124, 187 Regressionsanalyse 56 Reißleinen-Prinzip 117 Risikoprioritätszahl (RPZ) 83 Robust Engineering 318 Robustheit von Produkten und Prozessen 73 Robustness-and-Reliability-Checklist (RRCL) 319 S/N-Wert 84 Schrittmacher-Prozess (Pacemaker) 153 Signalfaktoren (Signal) 84 Simultaneous Engineering 86, 166 SIPOC-Analyse (Supplier Input Process Output Customer) 32, 108, 120 Six Sigma Ansatzpunkte 8 Bewertung des Ansatzes 54 Bewertungskriterien 25 Beispiel GE 48 Denkweise 46, 119 Einführungsprozess 11 erkenntnisorientierter Ansatz 56, 118
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Gründe des Einsatzes 125 Philosophie 45 Projektauswahl 92 Qualitätsanspruch 10 Qualitätsniveau 9 Sigma-Wert 10, 50, 122 Umsetzungsbausteine 64 Umsetzungstreiber 44 und Lean Management 59 Werkzeuge 14, 99, 106 Werkzeuge 99 Ziel 3, 7 Six Sigma und Lean Management Gemeinsamkeiten/ Unterschiede 254 Möglichkeiten der Kombination von 57 Six Sigma-Akteure 4 Gruppen 93 inhaltliche Schulungsschwerpunkte 93 Six Sigma-Programm Programmlebenszyklus (idealtypisch) 251 Schwerpunkte und Erlebnisphasen 250 Stärken-Schwächen-Profil 252 Six Sigma-Projekte Historie bei Siemens VDO Diesel Systems 309 Problemlösungsfluss 119 SMED (Single Minute Exchange of Dies) 117, 212, 223 Best-PM Methodik 222 SPC (Statistical Process Control) 43, 124 Standard-DMAIC-Zyklus 129 Statistische Prozessregelung (SPC) 85 Statistische Tests 46 DOE (Design of Experiments) 43, 123 Steuergrößen 176 Stimme des Kunden (VOC) 86 Störgrößen 176 Supermarkt-Prinzip 37 Supermarkt-Pullsysteme 153 Supply-Chain-Management 32 Taktzeit 35 Target Costing 83, 172 8 Schritte der Target Costing-Analyse 173
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Stichwortverzeichnis
Teamarbeit in der Produktion 209 Teamziele, flexible 210 Tollgate-Reviews 298 Total Cost of Ownership 71 Total Productive Maintenance (TPM) 117 Toyoda, Sakichi 138 Toyota Produktionssystem (TPS) 29, 35, 138 TPM-Konzept (Total Productive Maintenance) 37 Transportlosgröße 269 TRIZ 61, 82 5 Schritte (ARIZ) 189 Altschuller´s Widerspruchstabelle 191 Beispiel "Auto-Safe" 200 Bewertung 195 Idealitätsgrad 191 Lösungsfindung am Beispiel „Milchkochen“ 193 Methoden und Instrumente 192 Ziel der Methodik 190 Zielsuche & Problemformulierung) 189 Unternehmenskultur 323 Unternehmensziele, Definition der und Priorisierung der Aktivitäten 102 Ursachen-Wirkungs-Analysen 122 Ursachen-Wirkungs-Beziehungen 46 Verbesserungen in 3 Stufen 60 Versuchspläne 123
Versuchsplanung 180 vollfaktorielle 179 Vorauswahl von Einflussgrößen 179 VOC – Voice of the Customer 160 VOC-CTQ-Analyse 80, 121 VSM (Value Stream Mapping) 109, 101, 117 Weibull-Verteilung 85 Wertschöpfung 139 Wertschöpfungsanalyse 34 Wertschöpfungsgebirge 34 Wertstrom 142 Wertstromanalyse 32, 101, 253 Beispiele 32, 145, 258 IST-Wertstrom, 7 Schritte der Ermittlung 145 Kennzahlen 32 Schritte 33 Wertstromdesign 32, 33, 137, 143 Ablauf 144 Umsetzungsprinzipien 156 SOLL-Wertströme, 7 Leitlinien für 149 Ziele 33 Yellow Belt 289 Zehnerregel 70 Zeiterfassung von Tätigkeiten 217 Zellenfertigung 117 Zielkosten-Kontrolldiagramm 173 Zukünftiger Kundenvorteil 161