Marliese Arold
Leselöwe Ritterburggeschichten
Zeichnungen von Christian Zimmer
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einhei...
11 downloads
207 Views
3MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Marliese Arold
Leselöwe Ritterburggeschichten
Zeichnungen von Christian Zimmer
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Arold, Marliese: Leselöwen-Ritterburggeschichten / Marliese Arold. HL: Christian Zimmer. - 1. Aufl.. - Bindlach : Loewe, 2001 (Leselöwen) ISBN 3-7855-3993-2
Der Umwelt zuliebe ist dieses Buch auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. ISBN 3-7855-3993-2 - 1. Auflage 2001 © 2001 Loewe Verlag GmbH, Bindlach Umschlagillustration: Christian Zimmer Gesamtherstellung: L.E.G.O. S.P.A., Vicenza Printed in Italy
www. loewe- vertag, de
Inhalt
Eine Rüstung voller Überraschungen Ritter Konrad kam wütend in seine Burg zurück. „Der blöde Ritter Bruno hat mich beleidigt", erzählte er. „Nächsten Sonntag werde ich mit ihm kämpfen." „Sei nicht albern", meinte Isabell, seine Frau. „Du und kämpfen! Gegen Bruno wirst du haushoch verlieren." „Aber er hat ,Mops' zu mir gesagt!", empörte sich Konrad. „Mach, reg dich doch nicht so auf", sagte Isabell. „Es ist ja nicht zu übersehen, dass du ein bisschen fett geworden bist. Das kommt davon, wenn man nur noch auf der faulen Haut liegt." Beleidigt schmetterte Konrad die Tür hinter sich zu und kletterte hinauf in den Burgturm. In der Turmstube stand ein großer Spiegel. Konrad trat davor und betrachtete sich. In letzter Zeit war er wirklich etwas in die Breite gegangen. Und sonderlich gut in Form war er auch nicht. Alles schwabbelte, und beim Treppensteigen geriet er leicht außer Puste.
Bruno war leider viel sportlicher. Diesen Sommer hatte er beim Armbrust-Schießen gewonnen und beim Ritter-Weitsprung den zweiten Platz belegt. Aber Konrad hatte ja noch eine ganze Woche, um zu trainieren. Schon am Montagmorgen fing er mit seinem Sportprogramm an. Er joggte mit nüchternem Magen vier Runden am Burggraben entlang. Beim Frühstück war er so erschöpft, dass er einschlief und Nase und Bart in seine Müslischüssel sanken.
Am Nachmittag übte er mit eisernen Hanteln und boxte eine halbe Stunde lang auf einen aufgehängten Mehlsack ein. Danach war er vor lauter Muskelkater krumm und lahm.
Ich will dein Gejammer nicht hören", sagte Isabell streng, während sie ihm ein heißes Bad bereitete. „Du hast dir die Suppe schließlich selbst eingebrockt. Erwachsene Männer, die sich unbedingt prügeln müssen. Lächerlich!" Konrad grummelte. Seine Gattin nervte. Oh ja, er liebte sie, aber manchmal hätte er sie gern eine Weile ins Verlies gesperrt, nur damit sie mal die Klappe hielt. Am nächsten Tag hatte Konrad immer noch schlimmen Muskelkater. Er konnte sich kaum rühren. Deswegen machte er nur einen kurzen Spaziergang und verbrachte den Rest des Tages leidend im Bett. Auch am Mittwoch und Donnerstag blieb er faul liegen. Am Freitagnachmittag verließ er endlich das Bett und wollte mit seinem Training weitermachen. Aber er schaffte nicht einmal drei Liegestütze. Am Samstag begann er langsam, nervös zu werden. „Du kannst den Kampf immer noch absagen", sagte Isabell.
„Ich bin ein Ritter und kein Waschlappen", widersprach Konrad. „Ich stehe zu meinem Wort." Am Sonntagmorgen war alles für den Kampf vorbereitet. Die Burgbewohner hatten schon früh ihre Plätze eingenommen, um auch ja nichts von dem Spektakel zu verpassen.
Konrad versuchte, sich in seine Festtagsrüstung zu zwängen. Er hatte sie ewig nicht mehr getragen. „Kann es sein, dass die Rüstung geschrumpft ist?", fragte er Isabell. „Unsinn, eine Rüstung schrumpft nicht." Seine Gattin half ihm, den Helm zu schließen. Dann wünschte sie ihm Haisund Beinbruch.
Mit quietschenden Scharnieren verließ Konrad die Burg. Die Menge jubelte, als er aus dem Tor kam. Ritter Bruno erwartete ihn schon in glänzender Rüstung. „Endlich!", rief er Konrad entgegen. „Lass uns die Sache wie Männer austragen." Konrad spürte, wie seine Knie zu zittern anfingen-. Jetzt bereute er das versäumte Training. Vielleicht sollte er den Kampf doch besser absagen. „Komm schon, und lass dich ein bisschen durch die Luft schleudern", sagte Bruno großspurig. Konrad machte gerade den Mund auf, um das Ganze abzublasen. Da spürte er, wie etwas Haariges an seinem Bein entlanglief. Eine Maus hatte sich in den vergangenen Monaten in der unbenutzten Rüstung eingenistet. Jetzt bekam sie Angst und suchte nach einem Ausgang.
Hahahihi...", machte Konrad. Er war der kitzeligste Mensch der Welt. Wie ein Verrückter sprang er herum und fuchtelte dabei wild.
Bruno knirschte mit den Zähnen. „Freistil... Na gut, das war zwar nicht abgemacht, aber wie du willst." Dann stürzte er sich auf Konrad. Die Maus war inzwischen höher gekrochen. Sie erreichte Konrads Bauchnabel, kletterte an den Brusthaaren nach oben und kuschelte sich in seine rechte Achselhöhle. „Hihi... lass das .... hahaha ..." Konrad drehte sich im Kreis, um den Quälgeist abzuschütteln. Dabei traf er Bruno so heftig mit dem ausgestreckten Arm, dass der Ritter umfiel und auf dem Boden liegen blieb. Die Menge johlte. „Konrad hat gewonnen, Konrad hat gewonnen", ertönte es von allen Seiten. „Unser Ritter Konrad ist der Größte!" Ehe sich Konrad versah, wurde ihm der Helm vom Kopf gerissen, und man hängte ihm einen Siegeskranz um den Hals. Da schlüpfte eine kleine graue Maus oben aus seiner Rüstung, sprang mit einem Riesensatz auf den Boden und huschte davon. Bruno rappelte sich mühsam hoch. „Ich hob dich wohl unterschätzt", sagte er und streckte Konrad zur Versöhnung die Hand entgegen. „Deine Technik ist unschlagbar. Die musst du mir bei Gelegenheit mal beibringen. Und ich verspreche dir feierlich, dass ich dich nie wieder Mops nennen werde."
Klassenfahrt ins Mittelalter Weil die letzte Klassenarbeit so gut ausgefallen war, versprach Lehrer Hansen seinen Schülern und Schülerinnen als Belohnung eine Überraschung. Am Wandertag war es so weit. Ein Bus fuhr auf den Parkplatz vor der Schule. „Wir fahren zu mir nach Hause", verkündete Herr Hansen, als alle im Bus saßen. „Och, ich wäre lieber in die Eissporthalle gefahren", meinte Christiane. „Und ich in den Zoo", maulte Benjamin. Der Lehrer grinste verschmitzt. „Abwarten! Vielleicht gefällt es euch ja bei mir so gut, dass ihr gar nicht mehr wegwollt." Das konnte sich die Klasse kaum vorstellen. Der Bus hielt vor einem großen Grundstück mit hoher Hecke und einem schmiedeeisernen Tor. Alle stiegen aus.
„Hallo, wir sind da", sagte Herr Hansen in die Sprechanlage. Wie durch Geisterhand geöffnet, schwang das eiserne Tor auf. „Bitte sehr", sagte Herr Hansen, trat zur Seite und machte eine einladende Handbewegung. „Willkommen auf der Hansenburg“.
Neugierig drängte sich die Klasse durch das Tor. Das riesige Grundstück war wie ein mittelalterlicher Abenteuerspielplatz angelegt. Zur Rechten erhob sich ein runder, etwa drei Meter hoher Turm. Mit einer Strickleiter konnte man hinaufklettern. Benjamin war gleich oben und
ntdeckte, dass auf der überdachten Plattform Schlafsäcke lagen. „Super!", rief er begeistert. „Hier oben würde ich auch gerne übernachten!"
„Haben meine Kinder mal wieder ihre Schlafsäcke nicht weggeräumt?", fragte Herr Hansen von unten. „Haben Sie denn Kinder?", hakte Christiane nach. „Fünf Stück", verkündete Herr Hansen stolz. „Adrian, Burkhard, Carola, Daniel und Elvira. Für sie habe ich all das hier gebaut." Er zwinkerte. „Und auch ein bisschen für mich. Ich wäre nämlich gerne ein Ritter geworden. Aber leider bin ich ein paar Jahrhunderte zu spät geboren."
Außer dem Turm gab es noch mehr zu entdecken. Christiane fand einen Brunnen. Er enthielt zwar kein Wasser, aber man konnte sich an einem Seil in die Tiefe hinablassen. Jens und Paul mussten es gleich ausprobieren. Kaum waren sie unten, zog Lehrer Hansen das Seil weg. „Das ist mein persönliches Verlies", sagte er. „Wenn Schüler ihre Hausaufgaben nicht machen wollen ..."
„Hilfe!", schrie Jens von unten. „Lassen Sie uns wieder rauf!" „Nichts da", meinte Herr Hansen belustigt. „Ihr bleibt jetzt mindestens vier Wochen da unten." „Dann verhungern wir ja", jammerte Jens und tat so, als würde er laut heulen. Plötzlich hörte das Geheule auf.
Als sich Christiane über den Brunnenrand beugte, konnte sie von den beiden Jungen keine Spur mehr entdecken. „Die beiden sind weg!", schrie sie entsetzt.
„Was?" Jetzt schaute auch Herr Hansen hinunter und machte ein betroffenes Gesicht. „Nicht möglich! Ob da etwa der Familienfluch " Er beendete den Satz nicht. „Was für ein Fluch?", fragte Christiane mit belegter Stimme. Herr Hansen zuckte die Achseln und Schwieg. Benjamin und Sandra starrten einander an. Auch die anderen aus der Klasse wraren verunsichert. Sie wussten nicht, was sie von der Sache halten sollten. „Wahrscheinlich muss ich jetzt den Rektor benachrichtigen und den Verlust zweier Schüler melden", grübelte Herr Hansen und legte den Finger an die Nase. „Mann!", sagte da eine Stimme. „So einen Weinkeller hob ich noch nie gesehen." Benjamin drehte sich um. Jens und Paul standen hinter ihnen und grinsten. „Hoffentlich habt ihr meine Flaschen in Ruhe gelassen", sagte Herr Hansen.
„Na klar, wir vergreifen uns doch nicht an fremdem Eigentum", antwortete Jens. „Wo kommt ihr denn auf einmal her?", wunderte sich Christiane. Paul deutete auf das Wohnhaus. „Durch die Garage. Vom Brunnen aus führt ein unterirdischer Gang in den Weinkeller, dann geht's ein paar Treppen hoch ..."
Jetzt wollten die anderen den Gang natürlich auch sehen. Einer nach dem anderen seilte sich ab und verschwand durch den Brunnen, um dann in der Garage wieder aufzutauchen. Danach veranstaltete Herr Hansen ein Armbrust-Wettschießen. Als Sandra und Paul als Sieger feststanden, durfte die Klasse im Garten nach einem Schatz suchen.
Christiane entdeckte die Truhe in einem versteckten Baumhaus. Unter lautem „Hallo" wurde der Deckel geöffnet. In der Schatztruhe lagen lauter Würstchen. „Die grillen wir jetzt", verkündete Herr Hansen fröhlich. Bald zog der Duft nach gegrillten Würstchen durch den Garten.
Bald zog der Duft nach gegrillten Würstchen durch den Garten. Die Kinder hatten es sich im hohen Gras gemütlich gemacht. Außer Würstchen gab es noch Kartoffelsalat, Himbeerpudding und jede Menge Limo. Die Zeit verging wie im Flug. Als der Bus kam, wären die meisten gerne noch länger geblieben. Alle waren sich einig, dass es ein toller Ausflug gewesen war. „So was hätte ich dem Hansen gar nicht zugetraut", meinte Benjamin auf der Rückfahrt. „Die Überraschung ist ihm wirklich geglückt." „Auch wenn es keinen Familienfluch gibt", ergänzte Christiane.
Vorsicht, Schnarchdrache! Viviane hatte sich nur ein klein wenig im Zaubern versucht. Plötzlich lag ein riesiges Ungeheuer im Burghof. Es war ein großer, grauer Drache, der schnarchte, dass die Wände der Burg bebten. „Was machen wir nun?", fragte Viviane erschrocken und versteckte ihren Kopf in Omas Rock. Großmutter Miranda, eine weise alte Zauberin, schüttelte nachdenklich den Kopf. „Hm ... du hast einen Schnarchdrachen herbeigezaubert. Solche Drachen sind zwar ungefährlich, aber sehr lästig, denn man wird sie fast nicht mehr los." Vivianes Eltern, der Ritter und seine Frau, waren in heller Aufregung. Aber nachdem Miranda ihnen versichert hatte, dass der Drache harmlos sei, beruhigten sie sich wieder etwas. Miranda musste ihnen allerdings versprechen, das Problem mit Vivianes Hilfe zu lösen.
Zunächst lag der Drache weiterhin im Burghof und schnarchte Tag und Nacht Die Burgbewohner mussten sich Wachs in die Ohren stecken, um schlafen zu können. Viele fanden trotzdem keine Ruhe, weil das Schnarchen unerträglich laut war. Viviane und ihre Großmutter suchten verzweifelt nach einem Gegenzauber, um den Schnarchdrachen verschwinden zu lassen. Doch Miranda hatte Recht gehabt: Es war so gut wie unmöglich. Einmal gelang es Viviane, den Drachen unsichtbar zu machen, aber das Schnarchen hörte man immer noch genauso deutlich wie zuvor. Es war unheimlich. Bei einem anderen Zauber verschwand die Burg mitsamt ihren Bewohnern, und nur der Drache blieb zurück. Miranda machte den Zauber schnell wieder rückgängig. „Wir schaffen es nie", sagte die alte Zauberin niedergeschlagen. Dann fiel Viviane der Schrumpfzauber ein. Sie und ihre Großmutter brauchten drei Tage, um den Zaubertrank zu brauen. Es war eine ekelhaft stinkige Brühe. Viviane wurde fast schlecht, als sie dem Drachen den Trank einflößte.
„Drachenbein wird klitzeklein, wirst ein Taschendrache sein!", murmelte sie dabei vor sich hin. Kaum hatte sie den Zauberspruch gesagt, unterbrach der Drache sein Schnarchen. Viviane hielt vor Spannung die Luft an. Da ließ der Drache einen gewaltigen Rülpser los und spuckte Viviane den stinkigen Zaubertrank ins Gesicht. Miranda steckte Viviane in die Badewanne und seifte ihre Enkelin gründlich ab. „Was meinst du? Hat es geklappt?", fragte Viviane, als sie ihr Haar trocken rubbelte. Miranda warf einen Blick aus dem Burgfenster. Der Drache lag noch genauso da wie vorher und schnarchte laut. „Abwarten", meinte Miranda. Am nächsten Tag kam es Viviane vor, als sei der Drache ein bisschen kleiner.
Nach einer Woche konnte man mit Sicherheit sagen, dass der Zauber gewirkt hatte. Der Drachenkopf reichte nur noch bis zum ersten Stock der Burg. Nach einem Monat war der Drache auf Hundegröße geschrumpft, und nach einer weiteren Woche konnte Viviane ihn in eine kleine Holzkiste setzen, die so groß wie eine Streichholzschachtel war. Bei dieser Größe blieb es dann. „Ist er nicht niedlich?", fragte Viviane entzückt. „Darf ich ihn behalten?" Miranda seufzte. „Meinetwegen. Aber sei das nächste Mal vorsichtiger, wenn du dir ein Haustier zauberst." Der Drache schnarchte zwar immer noch, aber viel leiser. Sein „Rrrr-psch-rrrr-psch" klang sehr beruhigend. Immer wenn Viviane nicht einschlafen konnte, setzte sie den kleinen Drachen auf ihr Kopfkissen. Dort schnarchte er leise vor sich hin. Wenn Viviane ihm eine Weile zugehört hatte, fielen ihr selbst die Augen zu.
Der geheimnisvolle schwarze Ritter Lisa und Michael machten in diesem Jahr mit ihren Eltern Ferien am Bodensee. Leider hatten sie Pech mit dem Wetter. Zum Baden war es meistens zu kühl. Deswegen blieben sie oft in ihrer Ferienwohnung mit dem kleinen Garten. Die Geschwister nutzten die Gelegenheit, um im Sandkasten zu buddeln. Eigentlich waren sie dafür ja schon zu groß, aber zu Hause in der Stadt hatten sie weder einen Garten noch einen Sandkasten. „Nächstes Jahr fahren wir ans Meer, dort gibt es jede Menge Sand", meinte Mama, als Lisa und Michael wieder einmal völlig verdreckt von draußen kamen. „Wir haben eine tolle Ritterburg gebaut", verkündete Michael stolz. „Die müsst ihr euch ansehen." »Unbedingt", drängte Lisa und zerrte so lange an Papa herum, bis der seine Zeitung beiseite legte und mit nach draußen kam. Die Burg war wirklich ein Kunstwerk. Sie hatte vier große Türme und einen Burggraben. Die Geschwister hatten sogar aus kleinen Holzstücken eine Zugbrücke gebastelt. Sie hatten auch kleine Hügel geformt und mit Zweigen und Blumenstängeln bepflanzt.
Die Eltern bewunderten die Burg. Mama holte ihren Fotoapparat und knipste das Bauwerk von allen Seiten.
„Jetzt brauchen wir nur noch ein paar Burgbewohner", meinte Lisa. Sie holte einige Spielfiguren aus ihrem Zimmer und verteilte sie auf dem Burggelände. „Schade, dass wir keine richtigen Ritterfiguren haben", sagte Michael. In der Nacht regnete es, aber am nächsten Morgen schien die Sonne. „Ob unsere Burg noch steht?", überlegte Lisa. Gleich nach dem Frühstück liefen die Geschwister in den Garten, um nachzusehen. Da erlebten sie eine Überraschung. Der Regen hatte der Burg nichts ausgemacht, aber mitten im Burghof war ein großer, dunkler Maulwurfshügel. Lisa ließ einen Schrei los. „Unsere schöne Burg!" Aber dann musste sie lachen. „Über Nacht ist tatsächlich jemand eingezogen," „Ja, ein schwarzer Ritter", sagte Michael und grinste.
Die Geschwister bastelten ein Schild mit der Aufschrift „Burg zum schwarzen Ritter" und stellten es vor der Burg auf.
„Lisa, Michael, wo bleibt ihr?", rief Mama. „Wir wollen das schöne Wetter ausnützen Und über den Bodensee fahren." „Wir kommen gleich", antwortete Lisa und warf einen letzten Blick auf ihre Burg. Welcher Maulwurf hat schon eine echte Ritterburg als Zuhause?"
Lang lebe Anna! Anna saß am Fenster und stickte lustlos an einem Wandbehang. Als sie sich zum dritten Mal in den Finger gestochen hatte, warf sie den Stickrahmen wütend aus dem Fenster. „Ich habe diese blöde Stickerei satt! Warum kann ich nicht Latein lernen wie mein Bruder Anselm? Ich würde auch viel lieber reiten und mit dem Bogen schießen.
Stattdessen hocke ich hier und sticke doofe Vögel und Blätter." „Aber Anna!", ermahnte die Mutter sie. „Du bist ein Mädchen. Mädchen können niemals Ritter werden." Anna machte ein beleidigtes Gesicht. Die Mutter legte ihr die Hand auf die Schulter. „Jetzt sei lieb, und hol deinen Stickrahmen wieder herauf, ja?" Anna gehorchte und suchte im hohen Gras nach ihrem Stickrahmen. Doch dabei entstand in ihrem Kopf ein Plan ... Von nun an begann eine Zeit der Heimlichkeiten. Schon früher
hatte sich Anna vor die Tür gestellt und gelauscht, wenn ihr Bruder Unterricht hatte. Auf diese Weise hatte sie lesen und schreiben gelernt - viel schneller als Anselm, der dazu ziemlich lange gebraucht hatte. Jetzt lauschte Anna wieder. Manchmal versteckte sie sich sogar im Unterrichtsraum hinter dem großen Wandteppich. Sie hatte ein kleines Loch hineingeschnitten, um alles besser beobachten zu können. Zum Lernen zog sie sich in den Falkenturm zurück. Anna hatte ein gutes Gedächtnis. Es dauerte nicht lange, da konnte sie genauso viel wie ihr Bruder. Auch Reiten und Bogenschießen lernte sie. Sie bestach den Stallknecht mit leckeren Sachen aus der Küche, damit er ihr das Reiten beibrachte. Bogenschießen übte sie heimlich im Wald.
Eines Tages erwischte einer der Burgleute Anna beim Schießen und schleifte sie zu ihrem Vater. „Deine Tochter treibt sich in Männerkleidung im Wald herum und schießt mit Pfeilen auf Baumstämme!", beschwerte sich der Mann. Ritter Theobald sah seine Tochter verwundert an. „Stimmt das,
Anna?" Anna wurde rot. „Ja, Papa", gestand sie. „Aber ein Mädchen tut so etwas nicht", sagte Theobald streng. Anna ließ sich nicht einschüchtern. „Warum nicht?", fragte sie nach.
Darauf konnte Ritter Theobald keine vernünftige Antwort geben. „Das gehört sich eben nicht", wich er aus. Doch damit war Anna nicht zufrieden. „Ich schieße inzwischen besser als Anselm", trumpfte sie auf. „Im Reiten bin ich bestimmt genauso gut. Und was das Lernen angeht, so kapiere ich die meisten Dinge viel schneller als mein Bruder." Sie erzählte, wie sie heimlich an Anselms Unterrichtsstunden teilgenommen hatte. „Na gut", sagte Ritter Theobald. „Ich veranstalte einen Wettkampf zwischen dir und deinem Bruder. Wenn du tatsächlich besser bist als er und gewinnst, dann sollst du in Zukunft eigenen Unterricht erhalten." Anna fiel ihrem Vater vor lauter Freude um den Hals. Ritter Theobald rieb sich verlegen den Schnauzbart. „Noch hast du nicht gewonnen, Anna!" Der Tag des Wettkampfs kam. Zuerst gab es ein Wettreiten zwischen Bruder und Schwester. Anselm und Anna gelangten zur gleichen Zeit ins Ziel. Danach fand das Bogenschießen statt. Anna
war so aufgeregt, dass sie beim ersten Versuch weit daneben schoss. Das Publikum lachte laut.
Anna runzelte ärgerlich die Stirn und strengte sich doppelt an. Beim nächsten Mal traf ihr Pfeil genau ins Schwarze, ebenso beim dritten, vierten und fünften Mal. Anselm traf insgesamt nur dreimal. Dann stellte der Lehrer den Geschwistern knifflige Fragen. Anselm überlegte lange, bevor er etwas sagte. Annas Antwort kam jedes Mal wie aus der Pistole geschossen. Das Publikum staunte. Selbst der Lehrer war verwirrt. Anna strahlte, als ihr Vater sie zur Siegerin des Wettbewerbs erklärte. Und das Publikum tobte: „Lang lebe Anna, die zukünftige Ritterin!"
Gespenst sucht Ritter Die kalte Julia hatte ein neues Zuhause gefunden: Burg Nebelstein. Hier machte das Spuken endlich wieder Spaß. Jede Nacht schwebte das Gespenst die Gänge entlang und die steilen Treppen hinauf. Dabei rasselte es mit der rostigen Kette und seufzte erbärmlich. Danach setzte sich Julia gemütlich ins Turmzimmer und plauderte die restliche Geisterstunde lang mit den Spinnen, die auf Burg Nebelstein besonders groß und fett waren. Eines Tages schwebte Julia am Porträt von Ritter Wilhelm vorbei. Der Mond beleuchtete das Bild, und Julia hielt neugierig inne. „Nicht übel", murmelte sie. „Der ist genau mein Typ." Lange Zeit stand Julia vor dem Bild und versäumte darüber beinahe das Spuken. Von Nacht zu Nacht gefiel ihr der Ritter immer besser.
„Oh, könnte ich ihn nur ein einziges Mal lebendig erleben", murmelte Julia, als sie wieder einmal vor dem Porträt stand und Wilhelm anhimmelte. „Das kannst du haben", sagte eine dicke Kröte, die gerade durch den Gang watschelte. „Ritter Wilhelm spukt alle vier Jahre für eine Nacht. Am 29. Februar, wenn du's genau wissen willst." „Der 29. Februar - das ist ja in einer Woche!" Überglücklich warf Julia dem Porträt eine Kusshand zu. Je näher der 29. Februar rückte, desto aufgeregter wurde Julia. Endlich war die Nacht da. Neugierig schwebte Julia durch den Gang. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt und sich besonders fein gemacht. Julia musste nicht lange warten, bis Ritter Wilhelm aus dem Bilderrahmen stieg. Leider war er gar nicht begeistert, dass ihm jemand dabei zusah. „Was gibt's denn da zu glotzen?", schnauzte er unfreundlich. „Ich will dich schon lange kennen lernen", sagte Julia. „Jede Nacht stehe ich vor deinem Bild." „Jede Nacht?", grunzte Wilhelm. „Da hättest du wenigstens mal den Rahmen abstauben können." Er ging mit schweren Schritten davon. Julia schwebte mit, mal rechts, mal links von ihm, bis der Ritter mit den Armen fuchtelte. „Lass das, du machst mich ganz nervös." „Entschuldigung", murmelte Julia und schwebte von nun an schüchtern hinter ihm. Im Rittersaal blieb Wilhelm vor einer Ritterrüstung stehen. „Das war mal meine", sagte er und fasste eine Armschiene an. Die Rüstung quietschte. „Warum hast du meine Rüstung nicht poliert und die Scharniere geölt?", fauchte er Julia zornig an. „Ich bin zum Spuken hier, nicht zum Putzen", verteidigte sich Julia, aber ihre Stimme klang vor lauter Aufregung ganz piepsig. „Pah." Ritter Wilhelm schloss die Augen, murmelte etwas - und schwups - war er in die Rüstung geschlüpft. „Mach mir den Helm zu", verlangte er. Julia versuchte es, aber der Helm rutschte ihr aus der Hand und polterte auf den Boden. Ritter Wilhelm stampfte zornig auf. „So ein ungeschicktes
Gespenst wie dich hob ich noch nie getroffen. Gib den Helm her, und verschwinde!" Julia reichte ihm zitternd den Helm. Dann schwebte sie hinauf in den Turm. Sie war so traurig, dass sie vor Kummer laut weinte.
„Unsere Julia ist unglücklich verliebt", murmelten die Spinnen untereinander. „Sehr unglücklich", betonte die Oberspinne. Sie gab den anderen Spinnen ein Zeichen. „Kommt, Mädels. Wir werden uns mal um diesen Wilhelm kümmern." Kurz darauf ertönte in der Burg ein fürchterlicher Schrei. „Oh nein, Spinnen!", brüllte Wilhelm. „Ich fürchte mich zu Tode. Jemand muss die Spinnen entfernen!" Julia schwebte rasch herbei. Der Ritter war von den dicken, fetten Krabbeltieren umzingelt und traute sich keinen Schritt mehr vorwärts. „Hilf mir", bettelte er, als er Julia erblickte. „Nur wenn du mich küsst", verlangte sie. „Na gut, aber schaff sie erst weg!" Furchtlos setzte Julia die Spinnen zur Seite, eine nach der anderen. Die Spinnen verkrochen sich in eine Ecke.
Nachdem Julia ihre Aufgabe erfüllt hatte, schloss sie die Augen und spitzte erwartungsvoll die Lippen. Ritter Wilhelm klappte seufzend seinen Helm hoch, beugte sich vor und küsste Julia auf den Mund. Es gab einen grellen Blitz, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donner. „Na also", sagte die Oberspinne zufrieden und kicherte. „Das funkt ja doch ordentlich zwischen den beiden." Am nächsten Morgen waren in Wilhelms Bilderrahmen zwei glückliche Gesichter zu sehen. Julia hatte mit dem nächsten Treffen nicht vier Jahre warten wollen und war ihrem Wilhelm ins Bild gefolgt.
Marliese Arold wurde 1958 in Erlenbach am Main geboren. Nach dem Abitur studierte sie an der Fachhochschule für Bibliothekswesen in Stuttgart, mit dem besonderen Schwerpunkt Kinderbibliothek. Schreiben machte ihr schon immer viel Spaß, und 1983 erschienen ihre ersten Kinder- und Jugendbücher. Heute arbeitet sie als freie Autorin für verschiedene Verlage. Christian Zimmer wurde 1966 in Nordkirchen geboren. Er studierte Design in Münster und arbeitet seitdem als Grafiker und Illustrator. Wenn er gerade mal keinen Pinsel zur Hand hat, macht er gerne laute Musik.