Dan Roberts
Letzte Hürde vor der Hölle Apache Cochise Band Nr. 18
Prolog Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und ...
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Dan Roberts
Letzte Hürde vor der Hölle Apache Cochise Band Nr. 18
Prolog Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder. Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen. Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten Rasse führten. Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen Apachen-Skalp. Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«? Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer »Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den Indianern fühlten. Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuerund beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von
vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung abgetan wird. Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung trieb, nicht mit ansehen muß. Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft, ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen Arizonas. Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet? Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa, Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden. Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum Leben brauchten. Zu alten Zeiten war daher für die Apachen die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich das große graue Leichentuch über die Stämme und Sippenverbände. Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments gegen die rote Rasse gewesen wäre. Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu ihrem Recht zu verhelfen. Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer rauhen Umwelt. Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur in Kurzform gebracht wurde. Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch makabren Hintergrund. Ihr Martin Kelter Verlag.
*** Apachenland. Tausend Canyons, tausend Felsen und zahllose Verstecke. Am Tag glühte die Sonne, tauchte Pinien, Kakteen und Felsenwüste in gnadenlose Hitze. Dieses Land bot den weißen Menschen unzählige Rätsel und Gefahren. Dieses Land war ein Paradies für Klapperschlangen, Skorpione, Eidechsen und Wölfe. Der weiße Mann konnte zahllose Gebiete finden, die für ihn und seine Lebensweise besser geeignet waren. Aber hier, im Südwest-Territorium, lockte das Gold, lockten die Gerüchte vom schnellen Reichtum. Apachenland – das Land des heißen Sandes, der unwegsamen Bergfestungen, der erbarmungslosen Krieger, deren Grausamkeit aus dem Kampf ums Überleben geboren war. Denn die Ureinwohner dieser Halbwüste, der Kakteen- und Felsenwildnis waren den Eroberern im Weg. Schon mehr als einmal hatten die eisenharten Krieger der verschiedenen Stämme den vorwärts drängenden Spaniern, Weißen und später den Mexikanern Einhalt geboten. Das Gold lockte den weißen Mann. Jener gelbe Dreck, mit dem die Apachen erst später umzugehen lernten. Denn bei ihnen taugte ein so weiches Metall zu nichts. Ihre Künste dienten dem Überleben. Und für Pfeilspitzen, Dolche oder gar Kochgeräte war das gelbe Metall zu weich. Erst spät – zu spät – lernten die Krieger, daß dieses gelbe Eisen den Geist der Weißen verwirrte, ihnen als begehrtes Tauschmittel diente und imstande war, Unfrieden unter den Eroberern zu stiften.
Und jetzt ging es ums Überleben, um die nackte Existenz der Stämme, um ihre ureigenste Art des Lebens, die sie seit Jahrhunderten vervollkommnet hatten. Große Führer ahnten, wußten, daß der Kampf vergebens war. Aber sie alle folgten dem Ruf des Blutes, das im Kampf so heiß durch die Adern wallte. Sie folgten dem Ruf, der gebot, die Rasse zu erhalten, den Fortbestand zu sichern und den jungen und jüngsten Knaben das Kämpfen zu lehren, ihnen zu zeigen, wie ein wahrer Krieger die schwachen und hilflosen Weißen besiegte. Und inmitten der tausend Canyons, der schrundigen Felswände lagen die Bergfestungen der Krieger, die Apacherias. Sie waren wie Burgen, wie steinerne Forts. Uneinnehmbar für die Truppen der Weißen, die zudem noch durch die Sandhölle ziehen mußten, um überhaupt in die Nähe der Apacherias zu gelangen. Noch immer waren die Apachen die eigentlichen Herren der Halbwüste. Und weil sie in diesem öden Gebiet überlebten, weil sie alle Wasserstellen kannten und von einer Handvoll Nahrung existieren konnten, zogen sie sich den Haß der Weißen zu. Doch nicht alle weißen Männer dachten, daß nur ein toter Apache ein guter Apache war. Lieutenant Haggerty war der Chiefscout im Südwest-Territorium. Er war Cochises Freund, der Bruder des großen Führers, der als Nachfolger von Mangas Colorados der angesehenste Häuptling der Apachenstämme war. Aber die einzelnen Gruppen lebten nach den Befehlen ihres Chiefs. Victorio, der unversöhnliche Weißenhasser, stand Cochise feindlich gegenüber. Niemand kann heute noch sagen, aus welchem Grunde gerade Victorio, den die weißen Männer »Old Vic« nannten, jeden Menschen mit heller Haut töten wollte. Cochise dagegen hatte erkannt, daß der Strom der Einwanderer, die alle Flüsse und Creeks, alle Wasserlöcher und
kleinen Seen besetzten, kaum aufzuhalten war. Seine Politik ging dahin, den Stämmen zumindest die Eigenständigkeit zu erhalten, die alte Lebensweise zu bewahren. Ein weiterer Freund des großen Führers war Thomas Jeffords. Der Postmeister der Butterfield Overland Mail, oberster Postmann des ganzen Territoriums, hatte in kühnem persönlichem Einsatz dem Chief abgerungen, daß die Kutschen durchs Apachenland fahren durften. Zudem war es Jeffords, der die Sprache der Chiricahuas beherrschte, gelungen, dem Häuptling einen Stützpunkt auf dem Apachen-Paß abzuringen. Hoch oben stand die Station, die aus dem spitzgiebeligen Haupthaus, den Ställen und Werkstätten und den Corrals bestand. Aber nur eine der Quellen hatte Cochise dem weißen Mann zugestanden. Denn Wasser war kostbar in diesem Land. Und die Ponys der Krieger benötigten ebenfalls Wasser, wenn sie von den Raubzügen zurückkehrten, die in alle Himmelsrichtungen führten. Zwischen den Dragoon Mountains und den Chiricahua-Bergen (wie sie heute noch heißen) lag das größte Jagdgebiet des gleichnamigen Stammes. Und der Führer, der Jefe dieses Stammes, war Cochise. Er war ein großer, hochgewachsener Mann, sechs Fuß und zwei Inches groß. Er hatte einen mächtigen Brustkorb und eine Adlernase und besaß die Kraft eines Bären. Und zudem war er der Schwiegersohn des legendären Mangas Colorados – wie ihn die Spanier genannt hatten: Rotärmel –, der vor Cochise der größte Führer der wilden Stämme gewesen war. Cochise, Chief der Chiricahuas. Die Apacherias – die Bergfestungen der eisenharten Krieger. Die letzte Hürde vor der Hölle. Dies waren die Apachen, die in der Halbwüste zu überleben vermochten und noch die Kraft zu wilden, erbarmungslosen Kämpfen besaßen. *
»Mein Vater«, sagte Naiche leise und blickte in die tanzenden Flammen des Feuers, »warum verstehe ich nicht, was du denkst?« Cochises Sohn lauschte, wartete auf die Antwort, aber sie kam nicht. »Victorio ist hier«, fuhr Naiche fort, »mit ihm kamen Chato, Nana und Loco. Sie gehören nicht zu jenen, die so denken wie du. Von unserem eigenen Volk sitzt Ulzana mit am Ratsfeuer. Auch er haßt die Weißen, und ich frage mich, mein Vater, ob du den richtigen Weg gehst. Denn die weißen Menschen nehmen unser Wasser, unser Land und bauen merkwürdige Pflanzen darauf an. Es ist unser Wasser, unser Land, ich weiß es.« Cochise saß dicht an der Hütte. Seine dunklen Augen blickten zu den züngelnden Flammen und wirkten unergründlich. »Naiche, mein Sohn«, erwiderte der Jefe, »du willst, daß wir alle weißen Menschen davonjagen oder töten. Du hörst auf die Worte der Männer, die nur Mord, Brand und Tod kennen. Siehst du nicht, daß die Weißen so zahlreich sind wie die Sandkörner in der Wüste? Erkennst du nicht, daß tausend kommen, wenn wir hundert töten? Was nutzen uns die Skalps im Rauch der Feuer? Hundert Skalps nehmen wir, und tausend Männer brechen in die Berge ein. Sie kommen mit modernen Gewehren, mit Waffen, die hundertfach den Tod bringen. Die Weißen sind wie ein Sandsturm, Sohn, ein einzelnes Korn läßt dein Auge tränen, und du reibst es aus. Aber wenn der Wind die Wüste peitscht, gehst du unter.« Naiche schwieg lange. Der hochgewachsene, junge Krieger blickte in die tanzenden Flammen des Feuers. Die dunklen Augen des Apachen schienen Dinge zu sehen, die nur inmitten dieses Flammenspiels existierten. »Aber wir Krieger überstehen auch einen Sandsturm«, sagte Cochises Sohn schließlich und lächelte. Der Chief verzog das Gesicht ein wenig, als er antwortete: »Aber wie, Sohn? Überlege und sage mir, wie wir den
Sandsturm überleben? Reiten wir auf unseren Mustangs gegen die brennende Gewalt an?« »Nein, wir verkriechen uns«, erwiderte Naiche nachdenklich und nickte nach einer langen Weile. »Ja, wir bieten der Urgewalt keinen Widerstand«, fuhr Naiche fort. »Willst du damit sagen, daß wir auch den Weißen keinen Widerstand bieten sollen? Sie nehmen uns alles, bis auf das letzte Wasserloch. Und wir sind doch Krieger.« Cochises Gesicht war eine unbewegliche Maske. Nicht einmal Naiche, der seinem Vater sehr nahe stand, erriet in diesem Moment die Gedanken des Häuptlings. Sie waren schwer und voll düsterer Zukunftsahnungen. Denn wenn eines Tages die Freunde der Apachen, die wenigen Weißen, nicht mehr in diesem Land lebten, gingen die Stämme unter. »Ich gab dem einarmigen Soldatenvater mein Wort«, sagte Cochise langsam. »Und ich erwarte, daß Victorio sein Wort hält. Wenn wir jedes Bleichgesicht töten, das wir sehen, dauert es nicht lange, bis mehr und mehr Pferdesoldaten kommen. Hellauge weiß, was er sagt, und er hat recht.« Ja, Thomas Jeffords, von den Indianern Hellauge genannt, hatte schon vor langen Tagen davor gewarnt, die Weißen einfach niederzumachen. Denn einmal mußte die Geduld der Militärs zu Ende sein. Und dann würden die Pferdesoldaten die Chiricahuas förmlich überschwemmen. Naiche schwankte in seinem Denken. Denn einmal war er ein Apache, ein großer Krieger, dem der Kampf Freude bereitete. Und zum anderen war er Cochises Sohn. Zwischen den unversöhnlichen Weißenhassern wie Victorio von den Mimbrenjos und Ulzana, einem bedeutenden Unterhäuptling der Chiricahuas und Cochise, klafften die Ansichten weit auseinander. Die Krieger und Ältesten und Häuptlinge, die jedes Bleichgesicht vernichten wollten, waren in der Überzahl. Und
doch respektierten sie Cochises Entscheidung, keinen offenen Kampf zu beginnen. Naiche hörte ein winziges Geräusch. Er sah auf, wandte den Kopf und erkannte Chan-ank. Er war der älteste Mensch, den Naiche je gesehen hatte. Mehr als siebzig Winter und Sommer lasteten auf den dünnen, eingefallenen Schultern des alten Kriegers. Er ging gebeugt, wie unter der Last seiner Jahre, unter der Last der Erinnerungen. Dürr, vertrocknet und weise wie ein alter Uhu war Chan-ank, der im Rat der Ältesten der Mann mit den meisten Sommern war. »Jefe, die Gäste sitzen am Ratsfeuer«, sagte der alte Krieger mit seiner seltsam rasselnden Stimme, die irgendwoher aus seiner schmächtigen Brust zu kommen schien. Der Stoßende Adler, wie sein Name in der Sprache der Weißen lautete, konnte den großen Führer ermahnen, durfte sich das erlauben, denn sein Wort galt viel im Rat der Ältesten. Und er stand auf Cochises Seite. All die zahllosen Jahre hatten den Verstand des Alten geschärft. So geschärft, wie sie ihm seine Kraft genommen hatten, die Kraft, die Muskeln und die Zähne. Aber sein Gehirn war geschärft worden und er dachte weiter als bis zum nächsten Tag, weiter als über die Apacherias der Chiricahuas hinaus. Chan-ank, der Stoßende Adler, dachte an seine Enkel, die sich schon im Kampf gegen die Gelbhäutigen im Süden ausgezeichnet hatten. Er dachte an seine Urenkel, die nach seinem Willen noch richtige Kämpfer werden sollten. Aber das ließ sich nicht durchführen, wenn Victorio und sein Anhang ihre Ansichten durchsetzten, wenn sie alles Land zwischen den Mogollons im Norden und der unsichtbaren Grenze im Süden mit Brand, Blut und Tod überzogen. Der alte Krieger wußte, daß es ums Überleben ging. Und wenn die Apachen am Leben blieben, konnten sie auch die alten Sitten und Riten untereinander bewahren. Und damit war die Zukunft gesichert.
Aber das war ein Wunschtraum, geboren aus der Not, gestützt von der unbändigen Gier nach dem Überleben des Volkes, der Stämme. »Gehen wir, mein Sohn«, sagte Cochise, »ich spreche zu den Männern. Ich werde ihnen von meinen Träumen erzählen, die mir der Bote des Todes in der Nacht brachte. Und diese Träume sind voller Bitterkeit und Not. Und sie zeigen, daß es nur einen Weg gibt, unser Volk vor dem Untergang zu bewahren.« Geschmeidig stand Naiche auf. Höflich wartete er, bis auch Cochise sich erhoben hatte. Der wiederum ließ Chan-ank den Vortritt. Aber der Alte stützte sich schwer auf den starken Arm des Jefes, zwang den hochgewachsenen Mann zu sich hinab und raunte ihm ins Ohr: »Du mußt kämpfen, Sohn, kämpfen und den anderen zeigen, daß die Chiricahuas keine Weiber sind. Nur so wirst du sie überzeugen. Sei klug wie der Luchs, schnell wie die Schlange und listig wie ein Wüstenwolf, der die Beute in die Falle lockt.« Cochise lächelte. Er antwortete nicht, denn sie waren schon dicht neben dem großen Feuer, in dessen Lichtkreis die Häuptlinge und Unterführer der anderen Stämme saßen. Victorios langes Haar fiel ihm bis über die Schultern. Kein Stirnband bändigte die Flut, und das wilde Gesicht des Mimbrenjos verhieß jedem Gegner nur den Tod. Naiche wartete, bis sein Vater den Stoßenden Adler zu seinem Platz geleitet hatte, wartete, bis sich auch der Chief gesetzt hatte und reihte sich dann mit gekreuzten Beinen in den Kreis des Rates ein. »Meine Brüder«, begann Cochise, und seine Augen schienen plötzlich die Flammen des Feuers aufzusaugen. »Wir sind zusammengekommen, um zu beraten.« »Wir sind gekommen«, sagte Victorio scharf, »um einen Entschluß zu fassen. Die Weißen sind wie tollwütige Wölfe. Sie rauben und morden. Sie töten jeden Apachen. Sie nehmen alles, was uns gehört. Wir wollen beschließen, sie zu vernichten und
für alle Zeiten davonzujagen.« Naiche holte tief Luft. Der wilde Anführer der Mimbrenjos hatte die Regeln der Gastfreundschaft selbst verletzt, grob verletzt, und irgend jemand mußte ihn zurechtweisen. Doch der Sohn des großen Chiefs brauchte nicht einzugreifen. Chan-ank hob die dürre, faltige Rechte, die einer Adlerklaue glich, und sagte mit brüchiger Stimme: »Du bist mir ein Sohn, wie mir jeder Apache ein Sohn ist, Victorio. Aber von einem Sohn verlange ich, daß er die Gesetze achtet, vor allem die Gesetze der Gastfreundschaft.« Victorios Blick wurde stechend, als er den ausgemergelten Alten anstarrte. Doch dann senkte der Jefe der Mimbrenjos den Kopf und blickte in die Flammen. Die Zurechtweisung kränkte ihn, jedoch hatte er sie verdient. Die Hitze, die lodernde Glut in Victorios Adern, war für kurze Zeit gekühlt. Cochise lächelte sekundenlang. Außer Naiche und dem Stoßenden Adler bemerkte keiner der Männer am Ratsfeuer, daß der Jefe amüsiert war. Als der Häuptling fortfahren wollte, als er von seinen Träumen und Eindrücken über die Weißen erzählen wollte, erklang auf einmal weit entfernt eine Trommel. Der Rhythmus war allen bekannt. Gespannt richteten sich die Krieger auf, versuchten, mit ihren Blicken die Dunkelheit zu durchdringen. Und sie wußten doch, daß der Bote noch weit, sehr weit entfernt war. Aber der Ruf der Trommel ließ sie alle Schlimmes ahnen. Zugleich blickten sie auf Cochise, der seine Absichten blitzschnell änderte. Jetzt war nicht die Zeit von seinen Träumen zu erzählen. Die Signaltrommel meldete, daß ein Bote in die Bergfestung kam. Ein Krieger der Apachen, der einen langen, harten und staubigen Weg hinter sich hatte. Lange Zeit später gellte der durchdringende Pfiff des Jagdfalken auf – ein weiteres Signal.
Und als der Ruf der Spottdrossel ertönte, verfielen die Ratsmitglieder in eine Haltung betonter Gleichgültigkeit. Dieser Ruf kündigte an, daß der Bote in wenigen Minuten die Apacheria erreichte. * Die Pferde und Mulis waren müde. Seit Tagen marschierten sie unter glühender Sonne nach Osten. Von Casa Grande bis zum Aravaipa Creek mochte die Entfernung etwa hundert Meilen Luftlinie betragen. Aber eine gerade Strecke zu reiten, war unmöglich. Denn der Trail folgte uralten Pfaden, die von den Vorfahren der Apachen gefunden und benutzt worden waren. Die ersten Weißen, die in dieses Land des heißen Sandes gekommen waren, mußten ebenfalls diese Wege benutzen. Einige hatten versucht, auf anderen Trails zum Ziel zu kommen. Sie alle waren tot, der mörderischen Hitze zum Opfer gefallen. »Verdammt!« rief eine helle Stimme, »Moment mal, ich komme gleich nach. Mein Pferd hat sich den Huf vertreten, glaube ich.« Sofort lenkte der Führer der Karawane sein Maultier zur Seite. Schwer stampften die Hufe durch den Sand. Die scharfen Körner schoben sich zwischen die Haare des Fells und rieben auf der Haut wie eine Feile hin und her. Lange hielten die Tiere diese Strapazen nicht mehr durch. Es war zum Glück nicht mehr sehr weit bis zum Ziel des Trecks. Höchstens einen Tag noch, und die zwanzig Männer und eine Frau erreichten dann den Aravaipa Creek. Gold hieß das magische Wort, das die Weißen die unsäglichen Strapazen aushalten ließ. Die Gerüchte sprachen von reichen Funden am Nebenfluß des San Pedro. Doch wie es dort aussah, ob überhaupt noch für einundzwanzig Personen genügend Claims vorhanden waren, das wußte kein Mensch zu sagen.
Aber all diese Unwägbarkeiten hielten Menschen dieses Schlages nicht davon ab, das Glück zu suchen und zu versuchen. Der Mexikaner zügelte sein Muli, schob den flachkronigen schwarzen Hut in den Nacken und lächelte. Tomeo Avellan lächelte gerne. Er wußte, daß er gut aussah, und er wußte, daß er am besten aussah, wenn er seine strahlend weißen Zähne zeigte, und die dunklen Augen förmlich funkelten. »Senora Lynb«, sagte Tomeo, »wir alle haben Sie gewarnt. Es ist schlimm für eine Stute, diesen Trail zu gehen. Wenn Sie wenigstens einen kräftigen Hengst genommen hätten!« Lynn Rogers runzelte die Stirn: Eine kleine Staubwolke fiel von ihrer Haut. Lynn fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, schmeckte den bitteren, alkalihaltigen Schmutz und verzog das Gesicht. »Ja, ich weiß«, erwiderte sie, »alle haben mir das hundertmal gesagt, aber ich reite nicht auf einem Muli, niemals!« Tomeo lächelte immer noch. Diese Frau gefiel ihm. Sie gehörte zur besonderen Art, zu jener Art, die der Mexikaner begehrenswert fand. Er konnte sich nur schwer von der Vorstellung lösen, daß die schöne Lynn Rogers eines Tages mit ihm ziehen würde. Aber was hatte ein Mexikaner, ein Greaser, schon einer weißhäutigen Frau zu bieten? Selbst wenn sie im tiefsten Inneren schlecht war, abgrundtief schlecht, wie Tomeo vermutete, würde sie doch den Männern ihrer eigenen Rasse den Vorzug geben. »Und was soll diese Anspielung auf einen Hengst?« fragte Lynn mit scharfer Stimme. »Avellan, Sie wissen, daß ich so etwas nicht leiden kann. Es ist nicht nötig, daß Sie dauernd Ihre männliche Überlegenheit zeigen. So überlegen sind Sie nämlich nicht. Sie haben inzwischen zwei Feldflaschen geleert, allein heute, und meine erste ist noch halb gefüllt.« Der Mexikaner bewegte die Lippen und murmelte unhörbar einen ellenlangen Fluch. Diese verdammte Kuh! Soll sie doch
austrocknen in der Hitze und am Ziel wie ein schlaffer Hautsack aussehen. Es war ihm egal, ja, vollkommen egal. Wenn sie nur nicht so schön gewesen wäre. Bevor sich Tomeo zu einer Antwort aufraffen konnte, ritt Ed Cooper heran. Der schlanke dunkelhaarige Amerikaner machte nicht viel Worte. Er saß ab, stapfte durch den Sand zu Lynns Pferd, hob den linken Vorderhuf hoch und betastete das Gelenk. Pfeifend ging der Americano zu seinem Muli zurück und kramte in der Satteltasche, bis er eine Blechdose herausholte, deren Lackierung völlig zerkratzt war. Außerdem zog Cooper eine lange Binde hervor, die vor langer Zeit sicher mal weiß, nun aber grau war. Immer noch pfeifend trug Ed die Salbe aus der Dose auf das Gelenk auf und legte einen strammen Verband an. »Siehst du, Greaser, so wird das gemacht«, sagte Cooper grinsend zu Tomeo. »Die anderthalb Tage bis Klondyke am Aravaipa Creek schafft die Stute schon. Und dann hat sie jede Menge Zeit, um sich zu erholen.« Lynn lächelte verführerisch. Der Mexikaner biß die Zähne so fest zusammen, daß sie knirschten. Denn dieses Lächeln galt dem Americano und nicht Tomeo. Ein paar Minuten später hatten die beiden Männer und die Frau wieder ihre Positionen im Mulitreck eingenommen. Es ging weiter. Immer im gleichen ermüdenden Trott marschierten die Maultiere nach Osten. Aber kaum einer der staubigen, verschwitzten und goldhungrigen Kerle dachte an die Strapazen. Sie schwelgten bereits im Erz, im Waschgold und in den Nuggets, die sie aus dem Creekbett und den Hängen der Berge herausholen würden. Keiner von ihnen dachte daran, daß nur wenige das große Glück haben würden, die Bonanza zu finden und mit der Beute ungerupft zu entkommen. Denn für die Apachen waren alle Weißen willkommene
Beute. Und diese zwanzig Männer und die eine Frau zogen ins Apachenland. Die Aravaipas betrachteten das Gebiet zwischen den Galiuro Mountains im Südwesten, den Pinalenos im Nordosten und dem Quartsite-Höhenzug im Norden als ihr ureigenstes Jagdgebiet. Hohe Berggipfel, so der Sunset mit über siebentausend Fuß, der Mount Graham mit mehr als zehntausend und der Gipfel des Quartsites mit knapp fünftausend Fuß bildeten die weithin sichtbaren Grenzmarken dieses Landes. Das eigentliche Jagdgebiet besaß eine Größe von über fünfhundert Quadratmeilen. Aber auch die Berghänge und Täler dieser bewaldeten Umfriedung aus Gestein zählten die Aravaipas unter ihrem Häuptling Eskaminzin noch zu ihren Jagdgründen. Doch wenn das gelbe Eisen lockte, kannten die Weißen keine Furcht mehr. Wenn sie die Gier nach Gold antrieb, wenn ihr Blick starr und fiebrig zugleich wurde, setzten die meisten Männer selbst ihr Leben ein, um an den begehrten Schatz zu kommen. Doch was trieb eine Frau dazu, sich einer derart harten und erbarmungslosen Männergesellschaft anzuschließen? Lynn Rogers war eigentlich nur eine Abenteuerin. Ihr Mann hatte sie schon vor Jahren verlassen, um irgendwo im Westen sein Glück zu machen. Sie hatte ihn nie wiedergesehen und nie von ihm gehört. Eines Tages hatte die Post ein unscheinbares, schmutziges Päckchen gebracht, dessen graues Papier zerfleddert war. Dieses kleine Paket enthielt alles, was von Buck Rogers übriggeblieben war. Lynn hatte nur die Lippen zusammengepreßt und den gesamten Inhalt des Paketes weggeworfen. Was nutzten ihr Erinnerungen? Alles was Buck ihr beigebracht hatte, war der Umgang mit Karten und Würfeln gewesen. Und das war alles, was sie konnte. Zuerst fuhr sie auf den großen Dampfschiffen, die den Mississippi bis nach New Orleans hinuntersteamten. Das Glück
war launenhaft, aber für Lynn reichte fast immer zum Leben, was sie am Pokertisch gewann. Und wenn einmal eine Partie schiefging, nun, als Frau hatte sie ja noch andere Möglichkeiten. Schließlich mußte sie leben und war nicht besonders wählerisch in ihren Methoden. Jetzt aber hatte sie der Ruf des Goldes nach Arizona gelockt. Hier begann etwas Neues. Hier entrissen harte Männer dem heißen Boden unter tausend Gefahren die Schätze, die die Erde jahrelang gehütet hatte. Lynn verstand es, sich durchzusetzen. Sie war hart wie ein Maultierabhäuter, biegsam wie ein Ulmenholzbogen und gefährlich wie eine Stange Dynamit, an dem die Lunte glomm. Die Stute ging langsamer als sonst. Die Zerrung behinderte das Tier, doch Lynn wußte, daß es durchhalten würde. Noch eine Nacht mußten die Menschen im Freien kampieren. Morgen, irgendwann im Laufe des Nachmittags, erreichten die Goldsucher Klondyke, die kleine Ansiedlung am Aravaipa Creek. Für eine Frau gab es ganz sicher eine Unterkunft, und wenn diese aus einer alten Zeltplane bestand. Und morgen nachmittag konnte sich auch das Pferd erholen. Lynn dachte über die Männer nach, die sie in ihrem Treck aufgenommen hatten. Natürlich machte sich ein jeder dieser zerlumpten, hageren Kerle Hoffnungen. Zugleich wußten die meisten jedoch auch, daß ihre Chancen dünner als ein Haar vom Kopf der schönen Frau waren. Lynn Rogers wußte genau, daß sie sich an die erfolgreichen Männer halten mußte, um selbst Erfolg zu haben und Sicherheit zu finden. Denn hier im wilden Land zwischen den schroffen Bergen und der erbarmungslosen Halbwüste, drehten einsame Männer schneller durch als andernorts. Dabei ging es nicht nur um die Tatsache, daß Lynn eine schöne, begehrenswerte Frau war. Nein, sie wußte, daß sie in wenigen Tagen genauso zerlumpt und abgerissen wie die Digger aussehen würde.
Es ging um den Erfolg beim Goldsuchen. Lynn war davon überzeugt, daß sie nur gewinnen konnte, wenn sie sich an Männer wie Ed Cooper, Torneo Avellen und Captain Jack hielt. Aber noch erkannte sie nicht, wer die endgültige Führung dieser Gruppe übernehmen würde. War es Captain Jack, der erfahrene, bärenstarke Digger? Auf sein Wort hörten die anderen. Er hatte sich nach den ersten Tagen der Vorbereitung Cooper und Avellan als Helfer ausgewählt. Nach welchen Gedanken hatte Jack gehandelt, als er den geschmeidigen Ed und den katzenhaften Mexikaner aussuchte? Niemand wußte, was in diesem Kopf vorging, der von struppigen grauen Haaren bedeckt war. Und niemand wußte, welche Art Männer in Klondyke lebten. Würden sie dem Druck der neuen Goldsucher nachgeben? War noch Raum genug für weitere erfolgversprechende Claims? Oder mußten die Neuen mit Mord und Raub ihre heiße Gier nach Gold durchsetzen und befriedigen? Lynn brauchte das Gold, brauchte die Dollars, denn in Tombstone war sie auf Gambler gestoßen, die alle Tricks kannten und ihr beinahe den letzten Cent aus der Tasche gezogen hatten. Lynn war sicher, daß sie zu neuem Reichtum kommen würde. Zu richtigem Reichtum, nicht nur ein paar hundert Dollars, die in wenigen Wochen verschwunden sein würden. Die schöne Frau hob den Kopf, blickte über das Land, über dem Hitzeschleier wabberten. Die bewaldeten Hänge der Bergketten wirkten wie ein erlösender Farbtupfer in dem grausandigen Land. Doch auch dieses Grün der Pinien wirkte matt und stumpf unter dem Staub, den der Morgenwind bis nahe an die Gipfel der Berge geweht hatte. Lynn kniff die Lider etwas zu, um besser sehen zu können. Im ersten Moment glaubte sie, daß sie sich geirrt hätte, doch dann entdeckte sie einen zweiten und dritten Indianer.
»Da, Indianer!« rief die Abenteuerin und streckte die Rechte zu den Hängen hin aus. Sofort brüllte Captain Jack, der an zweiter Stelle ritt, eine Reihe von Befehlen. Wie eine lang gedrillte Truppe vollführten die Goldsucher die Umstellung ihres Trecks. Nun marschierten die Mulis nicht mehr hintereinander, sondern in einer Art Kreis, der zwar selten genau rund war, aber doch seine Funktion erfüllen würde. Und die bestand darin, angreifenden Apachen besser Widerstand leisten zu können. Aber waren Aravaipas nicht friedliche Indianer? Ging nicht die Rede davon, daß ihr Führer Eskaminzin nicht gegen die Weißen kämpfen wollte? Bis zum Untergang der Sonne folgten die drei Krieger auf ihren zähen Ponys dem Treck. Und als der Widerschein des Tagesgestirns blutrot auf den Hängen der Pinaleno Mountains, auf den glatten Granitschroffen des Mount Graham lagen, verschwanden die Krieger, als hätten die Wacholdersträucher sie verschluckt. Es war still an den Feuern des Trecks an diesem Abend. Der Übermut der Goldsucher hatte einen Dämpfer bekommen, nur wenige, so Captain Jack, machten sich keine Sorgen, noch nicht. Denn auch die friedlichen Aravaipas bestanden darauf, daß ihr Jagdgebiet nicht von Weißen angetastet wurde. War aber Gold im Spiel, galten die Versprechungen der Weißen so viel wie ein ausgetrocknetes Wasserloch in der Wüste. * Eskaminzin, Chief seines Stammes, saß vor dem Jacale, der ihm als Anführer zustand. Der Häuptling blickte zu den Alten, die vor dem Ratsfeuer hockten und miteinander murmelten. Er wußte, was die Männer des Rates besprachen. Und er
wußte, was sie von ihm fordern würden, wieder einmal forderten: den Kampf gegen die weißen Eindringlinge aufzunehmen und sie zu vernichten. Zahlreiche Krieger standen auf der Seite der Alten. Doch Eskaminzin war der Häuptling der Aravaipas. Sein Wort galt, und wenn einer der jungen, heißblütigen Krieger gegen dieses Wort verstieß, sprach er unnachsichtig Strafen aus. Und diese Strafen fraßen an der Ehre eines Kriegers, der doch nur das tat, wozu er seit frühester Kindheit ausgebildet worden war: rauben und töten. Aber Eskaminzin spürte, genau wie Cochise, die Überlegenheit der weißhäutigen Menschen, die wie ein Heuschreckenschwarm über das dürre Land herfielen. Der Chief der Aravaipas ahnte, daß die große Zeit der Siege, des Kämpfens für die Apachen aller Stämme so gut wie vorbei war. Es galt, den Sippen das Überleben zu ermöglichen. Die Tugenden der Apachen mußten erhalten bleiben. Alle, auch die kleinsten Kinder, sollten lernen, wie sich ein Mann im wasserlosen Gebiet am Leben erhält, wie er die Tiere der Wüste aufspürte und als Nahrung verwenden konnte. Diese Dinge mußten bestehen bleiben. Aber zusätzlich waren andere zu lernen, Kenntnisse und Fähigkeiten, der verhaßten Bleichgesichter zu übernehmen. Denn war es schlecht, einen Teil der Nahrung anzubauen? War es schlecht, Rinder zu züchten, sich von ihrem Fleisch zu ernähren? Natürlich durfte die althergebrachte Lebensweise nicht zu plötzlich verändert werden. Es war wichtig, den jungen Kriegern und Kindern beizubringen, daß die Traditionen, die in Jahrhunderten erworbenen Fähigkeiten der Apachen, erhalten bleiben mußten, daß sie heilig waren. O ja, Eskaminzin konnte in dieser Zeit als der hellsichtigste aller Apachenführer gelten. Seine Politik war die des Friedens. Und noch ahnte er nicht, daß er eines Tages einen blutigen Feldzug gegen die Bleichgesichter führen und fast hundertfünfzig seiner Leute der Rache verrückter Weißer zum
Opfer fallen würde. Eine Handtrommel erklang leise, aber eindringlich. Da, das Signal. Die Späher kehrten ins Lager zurück. Eskaminzin blickte zu den Alten hinüber. Die zahnlosen Greise waren verstummt. Ihre Gesichter wirkten trotz aller Falten angespannt. Die Alten, gebeugt unter der Last vieler heißer Sommer und karger Winter warteten auf die Nachrichten. Erst wenn sie die neuesten Erkenntnisse verarbeitet hatten, würden sie Eskaminzin bedrängen. Das Pochen steigerte sich, wurde schnell, wild und hart. Und jeder Krieger, jede Squaw wußte, was diese Zeichen zu bedeuten hatten. Es war die Meldung über den Tod zweier Krieger. Der Jefe blickte aus den Augenwinkeln zu den Alten. Er sah den kaum unterdrückten Triumph in den Gesichtern der Männer am Ratsfeuer. Für ein paar Sekunden verspürte Eskaminzin heißen Zorn in sich aufwallen. Diese alten Eidechsen, sie besaßen keine Zähne mehr, aber Fleisch wollten sie haben. Sie hatten keine Kraft mehr in den dürren Armen, aber besser als der beste Krieger wollten sie sein. Seit Jahren schon hatte keiner der Alten auch nur einen Fuß vor das Lager gesetzt, und doch wollten sie besser wissen als er, was für den Stamm gut war. Zwei schrille Schreie stiegen zum Himmel. Sie endeten in einem traurig klingenden Triller, der an Eskaminzins Ohren zerrte und schnitt. Sekunden später stimmten zwei Squaws den Trauergesang an. Der Chief setzte sich gerade hin. Die Hände lagen auf den Knien der unterkreuzten Beine. Das Gesicht des Häuptlings war unbewegt, aber die dunklen Augen loderten in finsterem Feuer. Wieder zwei der besten Krieger tot, dachte er. Mir bleiben nur noch sechs mal zehn Krieger, die unsere Sippe schützen können. Wenn die Weißen unser Lager finden, kommen sie wie der aufgepeitschte Sand im Wüstensturm über uns. Sie zermalmen
uns, denn mit sechzig Kämpfern sind wir den modernen Waffen der Bleichhäutigen hoffnungslos unterlegen. Zwei Apachen ritten auf ihren Mustangs im Schritt bis zum Rand der Lagerfeuer. Am langen Zügel folgten jedem Pony ein Pferd, auf dessen Rücken ein toter Mann lag. »Nalecha und Yanka«, murmelte der Chief laut genug, daß es die beiden überlebenden Späher hören konnten. »Warum mußten sie Bu ins Land des Todes folgen?« Quachan und Setonya, die beiden überlebenden Späher, starrten ihren Häuptling mit ausdruckslos wirkenden Gesichtern an. Aber Eskaminzin war erfahren genug, um die gespielte Ruhe der beiden zu durchschauen. Mit harten Worten verspottete er sie, stachelte ihren Unmut an und rief: »Vier Krieger ritten davon, als die Sonne am Morgen erschien. Zwei sind tot. Zwei stehen vor mir und wagen kein Wort zu sprechen. Es ist recht, daß die beiden im Tal des Todes sind, denn auch sie sind wohl Feiglinge gewesen, die ihrem Jefe nicht berichtet hätten. Sind denn die Krieger alte Weiber geworden? Ja, es ist recht, daß die Bleichhäutigen unser Land nehmen, wenn von einem Trupp Späher nur die Hälfte der Männer lebend in unser Lager zurückkehrt. Warum seid ihr gekommen, Quachan und Setonya? Reitet wieder, zeigt euch den Bleichgesichtern und sagt zu ihnen, daß ihr Aravaipas seid, daß ihr gerne von den Kugeln der Weißhäutigen sterben wollt.« Quachan legte die Rechte an den Griff des mexikanischen Dolches, der seine erste Kriegsbeute war. Der Krieger wußte, daß diese eine Herausforderung zum tödlich endenden Zweikampf bedeutete, aber Quachan war zu erregt, denn die Worte des Chiefs waren der reine Hohn. »Geht doch, geht zu den Weißen«, rief Eskaminzin dramatisch, »ruft ihnen zu, daß ihr die Skalps der Eindringlinge wollt und wartet ab, ob sie euch ihre Haare geben. Seid ihr Krieger? Nein, ihr seid Eidechsen, schnell, aber auch furchtsam.«
Setonya, der Besonnere der beiden, trat einen Schritt vor und sagte halblaut: »Verspotte nicht uns, verspotte die Toten. Sie rochen Blut, Beute und Skalps. Wir konnten sie nicht zurückhalten.« »Und meine Befehle?« fragte Eskaminzin. Quachan und Setonya senkten die Köpfe. Es fiel ihnen schwer, ihre toten Freunde des Ungehorsams zu beschuldigen, aber ihnen blieb keine andere Wahl. »In einem halben Mond mißachteten zehn Krieger meine Befehle«, fuhr der Häuptling fort. »Acht tote Männer zeugen von ihrem Unverstand, ihrer Dummheit. Ja, ich glaube, es ist Usens Wille, daß unser Volk stirbt.« Erschreckt fuhren die Kämpfer zusammen, als der Chief den Namen der Gottheit erwähnte. Sie hielten ängstlich Ausschau nach einem Naturzeichen, das die Worte des Führers unterstreichen würde. Als lange Minuten nichts geschah, atmeten die Krieger auf. Manitu war wohl noch nicht bereit, den Untergang der Aravaipas zuzulassen. »Jefe, sie wollten nicht glauben, daß es Weiße gibt, die scharfe Augen wie der Wüstenfalke haben«, sagte Quachan halblaut. »Nalecha und Yanka verließen ihren Posten, zeigten sich den Bleichgesichtern und verhöhnten sie. Mit Kugeln aus den Gewehren, die so schnell schießen, wie ein alter Mann lachen kann, trafen die Weißhäutigen unsere Freunde.« Lange brütete Eskaminzin mit gesenktem Kopf über diese Tatsachen. Es war bei allen acht Kriegern ungefähr das gleiche gewesen. »Geht, bringt sie ihren Weibern«, befahl der Jefe. »Sie sollen die Sitte achten und den Kriegern den Weg in die unendlichen Jagdgründe nach Art der Sippe leicht machen. Geht, ich will euch nicht mehr sehen.« Die Alten am großen Feuer hatten jedes Wort verstanden. Langsam standen sie auf. Mit schlurfenden Schritten näherten
sich die Ältesten der Aravaipas dem Häuptling, der die Geschicke des Stammes lenkte. »Dies ist unser Land«, sagte der Sprecher der Alten. »Das sind unsere Jagdgründe, seit undenklich vielen Sommern. Am Fluß des hellen Wassers haben die Blaßhäutigen eine Stadt errichtet. Jacales aus Holz und Stein stehen dort. Wie die Krötenechsen wühlen sie sich in die Erde, graben nach dem weichen Eisen, das die Farbe der Sonne hat und kreischen wie die Kinder, die Loco-Kraut gegessen haben, sobald sie das schlechte Eisen finden.« Der Sprecher holte Luft. Sein faltiges Gesicht mit den eingefallenen Lippen verzog sich zu einer grausiglistig wirkenden Grimasse. »Geh hin, Eskaminzin, zeige ihnen, wo es dieses weiche Eisen gibt. Führe sie in die Berge, in die Schlucht des hundertfachen Todes. Unsere tapferen Krieger brauchen sich nicht zu zeigen. Die Würmer machen der weißen Brut ein schnelles Ende. Und diejenigen, die entkommen, laufen in unsere Kriegslanzen und Pfeile.« Der Chief schüttelte entschieden den Kopf. Nein, dieser Vorschlag kam überhaupt nicht in Frage. Denn im Tal des hundertfachen Todes gab es unzählige Schlupfwinkel und kleine Pfade, die einem geschickten Mann die Flucht ermöglicht hätten. Und entkam nur ein Bleichgesicht, so dröhnten wenig später die Trompeten der Pferdesoldaten im Lager der Aravaipas. Squaws, Alte und Kinder konnten niemals rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Und ein Angriff der Blaujacken war gleichbedeutend mit dem Tod des ganzen Stammes. Die Aravaipas würden auf ein paar ziellos umherstreifende Krieger reduziert werden. Diese Kämpfer würden nur noch für ihre Rache leben und so vielleicht den großen Krieg zwischen Apachen und Weißen auslösen. »Was willst du denn unternehmen, Chief?« fragte einer der Alten.
Das Wort Chief hatte, wie er es aussprach, einen spöttischen, herausfordernden Klang. Bedächtig antwortete der Häuptling: »Ich bin ein Mann des Friedens. Ich muß mein Volk schützen. Und ich muß die Alten schützen, denen die heiße Sonne und der trockene Sand den Geist ausgedörrt hat, den sie einst von Manitu erhielten.« Die Ältesten zischten wütend, rückten vor, schwangen drohend ihre dürren Arme. »Ich bin ein Mann des Friedens«, wiederholte Eskaminzin, »ich stehe zu Cochise, der ebenfalls den Kampf mit den weißen Eindringlingen vermeiden will. Was hilft es uns, wenn einer der Bleichgesichter aus dem Tal der hundert Tode entkommt? Wenn er die Nachricht verbreitet, daß dort eine Höhle in den Berg führt, daß in dieser Höhle das gelbe Eisen in armdicken Strängen im Felsen liegt? Dann kommen Tausende, ihr Alten.« Das Tal der hundert Tode. Es lag mitten in dem Gebirgszug, den die Weißen Galiuro Mountains nannten. Ein schmaler Canyon, kaum so breit wie ein Dutzend Pferde, zog sich weit in die Felsenwildnis hinein. Aber kein Gras, kein Bergkraut und kein Moos wuchs dort. Es gab nur heißen, glühenden Sand, Gestein und Klapperschlangen in unzählbarer Menge. Auf halber Höhe führte ein Stollen in den Berg. Noch heute widerstanden die schweren Stützpfosten dem Druck der Gesteinsdecke. Die Eisenmänner, die Ritter der spanischen Krone, hatten vor vielen Sommern das Goldvorkommen entdeckt und angefangen auszubeuten. Aber auch die gepanzerten Ritter waren den Apachen nicht gewachsen gewesen. Die erbarmungslosen Krieger hatten alle Eindringlinge getötet und sich gefragt, was diese Menschen mit dem wertlosen, weichen Metall anfangen wollten. Aber die Kenntnis von diesem reichen Lager war den Aravaipas über die Jahrhunderte hinweg immer erhalten geblieben. »Was unternimmst du, Chief?« fragte einer der Ältesten.
»Willst du wie ein Kind zusehen, daß die Weißhäutigen unser Land nehmen, unser Wasser trinken und unser Wild jagen?« »Ich halte mich an das Wort des Friedens, das Cochise für die Stämme sprach«, erwiderte Eskaminzin listig. »Ich werde einen Boten zu dem großen Häuptling schicken und ihm berichten lassen, was hier geschieht.« Die Alten sahen sich an, und auf einmal war der grimmige Gesichtsausdruck verschwunden. Zufrieden nickten sich die Ältesten zu. Auf einmal waren sie der Meinung, daß Eskaminzin doch ein listiger Halunke war. Denn er schob nun Cochise, dem Anführer der Chiricahuas, die Entscheidung zu. Sollten doch die Krieger des großen Chiefs den Bleichhäutigen die Köpfe einschlagen. Für die Aravaipas blieben noch genügend Skalps übrig, die sie im Rauch ihrer Feuer trocknen konnten. * Drei junge Krieger liefen zum Rand der Feuer, die vor den Jacales loderten und den Streifen markierten, der allein den Angehörigen des Stammes vorbehalten war. Nur auf Einladung durfte ein Fremder diese Linie überschreiten. Cochise musterte die Häuptlinge, die mit ihm am Ratsfeuer saßen. Victorios wildes Gesicht, das von der schulterlangen Haarmähne umrahmt wurde, wirkte hart. Die hohen Wangenknochen verstärkten diesen Eindruck noch. Der Mimbrenjo schien zu wittern, daß etwas auf den Chief der Chiricahuas zukam, das Victorios Position im Machtkampf um die Oberherrschaft aller Apachen stärken konnte. Charos Haare hingen lang bis auf den Oberkörper herab. Das dunkle Stirntuch hielt dem Unterführer die Augen und das rundliche, großflächige Gesicht frei. Nana und Loco genossen bei ihren eigenen Sippen höchstes Ansehen.
Nana stand auf der Seite des Krieges, auf Victorios Seite. Loco dagegen war davon überzeugt, daß die Apachen nur gemeinsam mit den Weißen ihr Überleben sichern konnten. Charo wußte nicht, was er wollte. Er war unentschlossen, zögerte und ließ sich nicht in eine Richtung drängen. Ulzana, der zum Stamm der Chiricahuas gehörte, haßte jeden Weißen wie den Aussatz. Der Unterhäuptling hätte selbst die Gesetze der Gastfreundschaft gebrochen, wenn dadurch einer dieser verhaßten Bleichhäutigen zu Tode gekommen wäre. Doch er wagte nicht aufzumucken, wenn er in Cochises Lager weilte. Der Schlag der Trommel wurde hektischer. Er schien sich der Apacheria zu nähern, so schnell, als jage der Trommler auf einem galoppierenden Mustang heran. Cochise hatte die Posten selbst ausgesucht, die Männer und die Orte, an denen sie wachen sollten. Und der Ruf der kleinen Handtrommel bewies dem Chief, daß sich ein Freund der Apacheria näherte. Denn nur Freunde wurden so angekündigt. Feinde meldeten die Späher und Posten mit den Rufen der Wildtiere. So lauteten die Befehle des Häuptlings, und keiner der Krieger wagte es, diese Befehle in unmittelbarer Nähe des Lagers zu mißachten. Cochise unterdrückte ein Lächeln, als er die anderen Häuptlinge, die Gäste der Chiricahuas, musterte. Der große Führer, Schwiegersohn und Nachfolger des legendären Mangas Colorados, war zufrieden. Die Unterhäuptlinge würden alle in wenigen Minuten sehen und hören, wie Cochise entschied. Keine Sekunde kam dem großen Führer der verschiedenen Apachenvölker der Gedanke, daß der Bote eine schlechte Nachricht bringen könnte, eine Nachricht, die Cochise selbst vor große Schwierigkeiten stellen würde. Er wußte, daß von seinen Handlungen, von seinem Denken und seinen Taten der Frieden im Apachenland abhing. Nur er konnte die wilden, heißblütigen Krieger zurückhalten, die auf
Raubzug ausreiten wollten. Nur er vermochte die Männer zu zügeln, die Skalps und Beute in die Jacales ihrer Sippen bringen wollten. Der Hufschlag verstummte abrupt. Ein paar kehlige Worte klangen auf. Victorio richtete sich gespannt auf und wandte den Kopf. Er kannte diese Laute, diese Sprache. Es war die Sprache der Aravaipas, die südwestlich der San Carlos Reservationen lebten. Mehr als einmal hatten Mimbrenjo-Krieger Zuflucht bei diesem Volk gesucht und waren als Stammesangehörige ausgegeben worden, wenn die Pferdesoldaten kamen. Mehr als einmal hatten die Aravaipas den Mimbrenjos gestohlene Pferde, Mulis und Rinder abgekauft. Victorio sah nicht mehr erwartungsvollgespannt aus. Ein Schimmer der Zufriedenheit lag auf seinen Zügen. Sicher rechnete der wilde Membrenjo-Häuptling damit, daß der Bote Ärger für Cochise brachte. Und Ärger für den großen Chief bedeutete Freude für Victorio. Denn sein Wort war Krieg, Kampf bis zum letzten Pfeil, zur letzten Lanze. Und solange noch ein Apache die Hand mit dem Schädelbrecher heben konnte, sollte er zuschlagen, um die verhaßten Weißen zu töten. Die Schritte näherten sich. Schattenhaft, von den tanzenden Flammen beleuchtet, entdeckte Cochise die gedrungene Gestalt eines fremden Kriegers hinter dem Feuer. »Quachan von den Aravaipas kommt als Bote«, sagte der Mann laut. »Ich komme in Frieden an das Feuer des Häuptlings.« »So tritt näher«, lud Cochise den Krieger ein. »Setz dich an dieses Feuer und sprich. Wir hören deine Botschaft, Quachan.« Langsam ging der Bote zum Flammenkreis, sah sich unauffällig um und kam zu dem Schluß, daß seine Meldung eigentlich nicht für die Ohren der anderen Häuptlinge bestimmt war. Denn Eskaminzin bat um Hilfe. Der Chief der Aravaipas wollte nicht mit Feuer, Pfeilen und heißem Blei über die weißen
Eindringlinge herfallen. Eskaminzin war für den Frieden, den Cochise dem einarmigen General Howard versprochen hatte. Aber wenn dieser Friede von goldhungrigen Weißen gebrochen wurde, so mußten auch die Aravaipas sich wehren. »Sprich, Bruder«, sagte Cochise ruhig, »du kommst zur rechten Zeit. Diese Männer hier, die Führer ihrer eigenen Stämme sind, fordern von mir den Krieg. Und doch wissen sie, was ich entschieden habe. Sprich, Quachan, und sage mir, ob auch Eskaminzin den Krieg fordert.« Der Krieger setzte sich mit gekreuzten Beinen etwas seitwärts von dem großen Chief, denn so verlangte es die Sitte. »Oh, Cochise, Häuptling der Chiricahuas, Führer aller Stämme unseres Volkes«, begann Quachan, »die Aravaipas leben friedlich in dem Land, das ihnen vom Vater der Pferdesoldaten zugesprochen wurde. Die Jagd ist gut und reichlich. Keiner unseres Stammes leidet Hunger oder Durst. Unsere Pferde sind stark und zäh und tragen uns viele Stunden, bis sie Gras brauchen und Wasser. Die Wüste ist unsere Heimat, und wir sind ihre Kinder.« Cochise nickte anerkennend. Sogar Victorio mußte widerwillig anerkennen, daß dieser Bote die Sitten beachtete und beherrschte. »Und doch, Cochise«, fuhr Quachan fort, »lebt unser Volk nicht in Frieden. Den Frieden, den du mit den Blaßhäutigen ausgehandelt hast, gibt es für uns Aravaipas nicht. Die Weißgesichter kommen in unser Land und durchwühlen den Boden unserer Berge nach dem gelben Eisen. Die Männer trinken das brennende Wasser, schreien und johlen und vertreiben das Wild, wenn sie auf die Jagd gehen. Der Fluß, der den Namen unseres Volkes trägt, ist dunkel von aufgewühlter, durchspülter Erde. Er ist rot vom Blut unserer Krieger und Squaws, die den weißen Jägern in die Hände fielen.« Abermals machte Quachan eine Pause. Sie war wohlberechnet, denn auch der Bote kannte die Standpunkte der
verschiedenen Häuptlinge. Und um ihren Fragen oder Vorwürfe sofort entgegenzutreten, fuhr er fort: »Keiner unseres Stammes hat die Weißen gereizt. Eskaminzin ist geritten und hat ihnen gesagt, daß sie auf unserem Land nach dem gelben Eisen suchen. Unser Häuptling sagte ihnen, daß der Vater der Pferdesoldaten das verboten hat, aber die lachten unseren Chief aus, der doch in ihrer eigenen Sprache zu ihnen redete. Eskaminzin will keinen Krieg, denn du hast Frieden geboten, Cochise. Doch es kommt zum Krieg, wenn die Weißen nicht unser Land verlassen. Sie haben das gelbe Metall gefunden, und sie wollen immer mehr. Eskaminzin will nicht töten, will keine Bleichgesichter in das jenseitige Land schicken, denn er weiß, daß hundert kommen, wenn er zehn tötet. Aber sie hören nicht auf die Worte unseres weisen Anführers. Sie verspotten ihn und lachen. Eskaminzin schickt mich, damit du kommst und mit den Bleichgesichtern sprichst. Sie werden dem Führer aller Stämme glauben, wenn er ihnen sagt, daß sie nicht in unserem Land nach dem weichen gelben Metall suchen dürfen.« Eskaminzin war ein sehr geschickter Mann, stellte Cochise fest. Ihm war klar, daß der Chief der Aravaipas Hilfe brauchte. Aber der Stolz eines Apachenhäuptlings ließ es nicht zu, offen um diese Hilfe zu bitten. Doch diese Botschaft, in der Eskaminzin indirekt dem großen Führer vorwarf, er sei schuld daran, daß die Aravaipas nicht mit Tod und Feuer über die weißen Eindringlinge kommen durften, verpflichtete Cochise zur Hilfe. Lächelnd blickte er in die Runde, musterte jedes einzelne Gesicht. Begegnete den Blicken seiner Freunde und seiner Widersacher, sah in dem einen Besorgnis und in dem anderen offenen Hohn. Ja, sie alle warteten auf seine Entscheidung, auf sein Wort. Er konnte die Hilfe nicht ablehnen, dann hätte er für alle Zeiten bei den Stämmen als Feigling gegolten. Cochises Feinde waren sicher der Ansicht, daß Eskaminzin
dabei war, die Seiten zu wechseln, seine Friedensliebe gegen den Kampf auszuwechseln. Und aus diesem Grund hatte er diese Botschaft geschickt. Aber Cochise selbst kannte den Chief des kleinen Stammes gut genug. Der Anführer der Chiricahuas wußte, daß Eskaminzin in Not war. »Quachan, du bist unser Gast«, sagte Cochise gelassen. »Laß dir an einem Feuer Nahrung geben, laß dir den Ort zeigen, an dem du schlafen kannst. Meine Antwort lasse ich dich wissen, Krieger.« Damit war der Bote entlassen. Er stand auf und verließ das Ratsfeuer. Cochise blickte in die zuckenden Flammen. Das Knacken des dürren Holzes durchbrach ab und zu die nächtliche Stille. Weit entfernt heulte ein Wolf seinen Jagdruf heraus. Und ein Nachtvogel segelte lautlos über die Apacheria und versetzte eine Menge Krieger, Alte und Squaws in Unruhe. Denn dieser Vogel war die Eule. Bu brachte die Sterbenden, die Toten in das jenseitige Reich, in dem die Krieger auf schnellen, nie ermüdenden Mustangs jedem nur denkbaren Wild nachstellten. In diesem Land gab es keine Weißen, keine Landräuber und keine Pferdesoldaten und Mexikaner. Wenn ich mit meinen Kriegern ins Land der Aravaipas ziehe, überlegte Cochise sich, kann das einen Krieg auslösen. Reite ich nicht, so redet Victorio von der Feigheit der Sandechse, die sich Cochise nennt. Und Victorios Reden laufen schneller von Mund zu Mund, als sich ein Buschfeuer von Strauch zu Strauch schwingt. Naiche beobachtete das ausdruckslose Gesicht seines Vaters. Der Sohn des großen Cochise musterte jeden Inch des Oberkörpers, der Schultern und Muskeln, aber nichts verriet, daß sein Vater intensiv über die Worte des Boten, über Eskaminzins Absichten nachdachte. Ich muß reiten, überlegte der Häuptling der Chiricahuas.
Selbst wenn wir den Vettern nicht helfen können, wenn wir untergehen im Kampf gegen die Bleichgesichter, so ist das ein Zeichen. Mein Zeichen, ich setze es in dieses wilde, trockene Land, das unser Land war, und nie wieder allein das Land der Apachen sein wird. Naiche sah den Brustkorb, der sich unter gleichmäßigen Atemzügen hob und senkte. Selbst die Adern am Hals seines Vaters traten nicht stark hervor, wie es manchmal bei Menschen geschieht, die sich mit all ihrer Willenskraft zusammennehmen. Victorios schwarze Augen wirkten wie die Kanten zerbrochenen Glases im Schein der Flammen. Der Chief der Mimbrenjos wartete nur auf eine Schwäche Cochises, um dann sofort die Situation auszunutzen. Victorio, der Weißenhasser, Victorio der Kriegshetzer, er besaß viele Anhänger. Vor allem unter den kampferprobten Kriegern aller Stämme gab es viele, die sich lieber auf dem Rücken eines Mustangs den Weißen entgegengeworfen hätten, als nach Cochises Wort lebten. Kampf, Raub, Mord und Tod, Skalps und Beute, Weiber, die vor Angst kreischten, das heiße Wallen des Blutes, all das war das Leben der Apachenkrieger. Das war Apachenrecht. Und wenn der offene Angriff keinen Erfolg versprach, so nahmen sie zu einer der tausend Listen Zuflucht, die jedes Kind schon kannte, jedes Apachenkind. Und all dies – so wußte Cochise und wußte Eskaminzin – würde sich in der nächsten Generation ändern. Was blieb, war die Tradition, die Kunst des Überlebens in Wüste und Halbwüste, die unendliche Geduld dieser Menschen, wenn es darum ging, einen persönlichen Erfolg zu erringen. Cochise lächelte leicht. Seine dunklen Augen schienen die hellen Flammen des Feuers gar nicht wahrzunehmen. Victorio freute sich zu früh. Der Chief würde dem Mimbrenjo zeigen, wie ein wahrhaft großer Anführer einer solchen Herausforderung entgegentrat.
Cochise selbst würde mit einer Anzahl ausgesuchter Krieger zu den Aravaipas reiten. Der oberste Häuptling selbst würde den Kampf gegen die Eindringlinge aufnehmen und ihnen zeigen, wo ihr Platz war: überall, doch nicht im Apachenland. Cochise hob den Kopf, starrte Victorio spöttisch an und sagte laut: »So hört denn meine Entscheidung. Ich lade euch ein, meine Freunde und Brüder, ich lade euch zu einem Ritt in die Richtung des Winters ein. Wir treiben unsere Mustangs jedoch nicht bis zu den Eisfelsen, in dem der Winter haust, nein, wir reiten zu unseren Vettern, den Aravaipas. Denn wir müssen ihnen zeigen, was sie gegen die Bleichhäutigen unternehmen sollen. Wir haben für den Frieden gestimmt, und es liegt an uns, diesen Frieden einzuhalten.« Cochise machte eine Pause, musterte die Männer, die mit ihm um das Ratsfeuer saßen, und lächelte hart. »Ich wähle zwölf Krieger aus, die uns begleiten. Mehr Kämpfer brauchen wir nicht, um die Weißhäutigen davonzujagen. Ich habe gesprochen.« Respektvoll erhoben sich die anderen Männer, als der Chief aufstand. Cochise schaute geradeaus. Wenigstens schien es so. Aber in Wirklichkeit sah er prüfend die Gesichter der Gäste an, sobald er den Flammenkreis verlassen hatte. Und er sah, was er erwartet hatte. Die Freunde des Krieges zeigten Verwirrung in ihren Zügen, während die Befürworter des Friedens besorgt aussahen. Aber er wußte, was er tat. Er mußte ein Zeichen setzen, mußte allen Zweiflern zeigen, daß durch den persönlichen Einsatz ein Auflodern des glimmenden Feuerbrandes im Südwesten verhindert werden konnte. * Die Sonne stand hoch am Himmel, als die Reiter ihre Tiere
zügelten. Die Mulis senkten die Köpfe. Mit den hornigen Lippen rupften sie Dornengewächse und Disteln ab und zermalmten das staubige Grün zwischen den Zähnen. Lynn Rogers Stute entlastete den verletzten Fuß. Für das Pferd gab es hier kein Futter. »Da ist der Fluß«, rief Captain Jack. »Los, Jungs, galoppieren wir hin und nehmen uns unseren Teil!« brüllte einer der Digger hinter dem Anführer der kleinen Gruppe. Sofort wandte sich Tomeo Avellan im Sattel um. Der Mexikaner hielt mit der Rechten den Griff des Revolvers umklammert. Die Gruppe unter Captain Jacks Führung durfte nicht auseinanderfallen. Denn genau das hatte der grauhaarige Anführer seinen beiden Unterführern eingehämmert. ›Wenn wir in Klondyke eine Chance haben wollen‹, hatte er gesagt, ›dann müssen wir unsere Leute zusammenhalten. Ich nehme nur solche Männer mit, die auf mich hören, meine Befehle befolgen. Denn mit zwanzig Kerlen in eine bestehende Siedlung einzubrechen, das gibt immer Ärger. Und ich will Gold finden, versteht ihr? Es ist mir egal, was ich dafür anstellen muß.‹ Tomeo musterte den Schreihals eingehend und kam zu dem Schluß, daß der Bursche wohl nur übermütig war, denn er machte keine Anstalten, sein Muli in Trab zu bringen. Captain Jack hatte sich gar nicht umgedreht. Er verließ sich auf den Mexikaner und Ed Cooper, den Coltmann. Was die beiden nicht wußten, hätte ihnen sicher ein böses, verbissenes Grinsen abgenötigt: Captain Jack hatte dieses Geschrei extra bei dem Goldsucher bestellt. Denn hier, kurz vor dem Ziel, wollte der Anführer der goldgierigen Männer überprüfen, ob er sich auf sie verlassen konnte. Jack war nämlich nicht damit zufrieden, einfach etwas gelben Staub aus dem Boden zu kratzen. Er wollte mehr, wollte sich zum Anführer der kleinen Ansiedlung am Aravaipa River
aufschwingen, die aus dreckigen, zerrissenen Zeltplanen, windschiefen Bretterhütten und Erdlöchern bestand. Denn nur als Boß der Digger gelang es ihm, an die wirklich guten Claims heranzukommen und dort satten Gewinn zu machen. Lynn Rogers preßte ihrer Stute die Absätze in die Flanken. Das Tier ging ein paar Schritte vor, bis es dicht neben Jacks Muli stand. Ed Cooper pfiff eine Melodie und schaute den Mexikaner an. Tomeos olivfarbenes Gesicht wirkte verkniffen. Seine schwarzen Augen drohten und die Lippen bewegten sich, als fluchte der Mann lautlos. »Okay, reiten wir ins Tal«, sagte Jack laut und hob die Rechte. Minuten später kletterten die Mulis über Felsenpfade zum seichten Wasserlauf hinab, der den Namen eines Apachenstammes trug. Jack zog den breitkrempigen Hut tiefer in die Stirn. Seine Augen lagen im Schatten. Der Reiter jedoch konnte die Umgebung unauffällig mustern. Lynn hielt ihr Pferd an der Seite des Mulis. Die schöne Frau schob ihren flachkronigen Hut etwas zurück. Das Haar, das hervorquoll, hatte die Farbe reifer Kastanien. Besorgnis stand im Blick der graublauen Augen, als Lynn den Anführer fragte: »Captain, dort unten sind eine Menge Männer. Haben wir überhaupt Aussichten, einen ordentlichen Claim zu ergattern?« Jack lächelte breit und erwiderte: »Wir bekommen unseren Teil schon, verlaß dich darauf, Girl.« Seine Stimme hatte selbstsicher geklungen. Offenbar war er davon überzeugt, dachte Lynn. Sie beobachtete ihn, sah, wie er immer wieder die Berghänge musterte, die Claims und Schürfstellen ansah und immer ruhiger und vergnügter wurde. Vergebens fragte sich die schöne Frau, was diesen Mann so zufrieden machte. Der bullige, mittelgroße Captain Jack, dem strähnige graue Haare unter der Stetsonkrempe hervorsahen,
war ein As auf seinem Gebiet. Sicher, aber konnte es denn sein, daß die Goldsucher am Aravaipa alle die falschen Claims abgesteckt hatten? Zum erstenmal in ihrem Leben wünschte sich Lynn, daß sie von irgendwas mehr verstünde. »Da, sie haben uns gesehen«, sagte sie und streckte die Hand aus. Etwa ein Dutzend Männer verließen ihre Claims. Die Digger hielten alle Schrotflinten und Revolver in den Händen. »Sie wissen nicht, was sie tun sollen«, sagte Jack mit einem verächtlichen Unterton in der Stimme. »Sie sind wie Maulwürfe. Wenn's haarig wird, graben sie sich wieder ein.« Aber ganz so schien es nun doch nicht zu sein, denn die Goldsucher bildeten einen weiten Halbkreis. Wenn die Reiter nicht abschwenkten, waren sie von mehr als der gleichen Anzahl Männer in wenigen Minuten umzingelt. Und diese Männer hatten ihre Waffen schußbereit. »Nur die Ruhe«, sagte Captain Jack gelassen. »Die werden sich noch wundern, mächtig wundern.« Lynn verspürte einen Anflug von Furcht, als sie den grauhaarigen Anführer der Digger von der Seite her ansah. Was hatte Jack vor? Wollte er den Männern in Camp Klondyke heißes Blei zu schmecken geben? Wollte er mit Gewalt einen Anteil am Goldfeld erbeuten? Noch ungefähr hundert Pferdelängen trennten die beiden Gruppen. Jack sah sich um, musterte die Talhänge, die Felsformationen und grinste breit, als er die unterschiedlich gefärbten Gesteinsschichten betrachtete. »Es sind Narren«, sagte der Grauhaarige leise zu Lynn, »alles nur verdammte Narren, die keine Ahnung von Gold haben.« Jack verhielt sein Muli ein halbes Dutzend Längen vor dem Mann, der die Winchester an der Hüfte hielt. »Was wollt ihr?« fragte der Bursche mit unsicherer Stimme.
»Hier ist alles zu. Jeder Fußbreit Boden ist vergeben. Ihr findet nicht mal mehr 'nen Platz, auf den ihr 'nen Eimer stellen könnt. Ihr seht, daß wir vorbereitet sind. Wenn ihr angreift, fließt Blut. Das sind unsere Claims, Mann. Besser für euch, ihr verschwindet wieder.« Captain Jack schob sich den Stetson in den Nacken. Die eisblauen Augen funkelten spöttisch, als er erwiderte: »Mister, du hast ja die Hosen voll. Ich rieche das bis hierher.« Der Digger stieß einen zornigen Ruf aus, riß die Winchester an die Schulter und legte mit dem Daumen den Hahn zurück. Es knackte metallisch, als der Hammer einrastete. Ein winziger Ruck mit dem Finger genügte, und Captain Jack fing eine Kugel ein. »Wir wollen euch gar nicht eure Claims wegnehmen«, sagte der bullige Mann laut. »Was habt ihr denn schon aus dem Boden gekratzt? Ich wette, daß ihr nur ein paar Goldtaschen gefunden habt. Vielleicht ein Dutzend, mehr nicht.« Der Digger ließ die Winchester sinken und starrte Jack lange an. Jeder sah, daß der Mann angestrengt überlegte. Schließlich lächelte er schlau und fragte: »Aber du weißt genau, wo mehr Gold zu finden ist, was?« Jack nickte nur. Ja, das wußte er, doch konnte es auch genausogut anders kommen. Aber alles wies darauf hin, daß unterhalb der Ansiedlung der Claims größere Chancen für gute Funde bestanden. »Wir wollen nur durch den Fluß reiten«, sagte Jack freundlich. »Ihr seht ja dann, wo wir unsere Claims abstecken.« Lynn nahm den Hut ab. Ihr kastanienfarbenes Haar fiel bis über die Schultern. Der Sprecher der Digger starrte die schöne Frau an, als hätte er in den letzten zehn Jahren so etwas nicht mehr gesehen. Einer der Burschen, die den Halbkreis bildeten, pfiff grell. Eine Bewegung ließ Lynn den Kopf wenden. Aus einer Brettertür, die ein wenig stabiler als die anderen aussah, trat eine
Frau. Mit wiegenden Hüften kam sie näher und lächelte Lynn an. »Gott sei Dank, daß du hier bist«, sagte die Mexikanerin mit rauher Stimme. »Wir sind nur zu dritt. Verstärkung können wir gut gebrauchen. Komm so lange zu mir, bis dir die Männer eine Hütte gebaut haben, ja? Ich bin Elena.« Lynn lächelte schwach und sagte: »Elena, ich bin hergekommen, um Gold zu suchen. Ich bin nicht gekommen, um schmutzige Männer zu verwöhnen.« Die Mexikanerin lachte laut und zeigte ihre perlweißen Zähne. »Du bist eine närrische Frau«, rief Elena, »noch, aber das wird sich schnell ändern. Weißt du, wie wenig Gold es hier gibt? Die Männer sind unzufrieden, aber sie haben noch Geld in den Taschen. Denk mal darüber nach, weiße Frau.« Die Mexikanerin lachte leise vor sich hin. Aber sie konnte nicht verhindern, daß sich ein bitterer Ausdruck über ihr Gesicht legte. Es war wohl doch nicht so viel zu verdienen, wie sie Lynn gerade weismachen wollte. »Was ist nun mit euch?« fragte der Sprecher der Digger laut. »Wollt ihr kämpfen oder wollt ihr verschwinden?« Captain Jack deutete mit der Rechten auf den Fluß, wies in die Richtung Strömung und sagte: »Wir wollen weiter, dorthin, Mister. Und wenn ihr uns aufhaltet, wird es eine blutige Sache. Darauf gebe ich dir mein Wort.« Der Anführer der Digger lachte laut und erwiderte, immer wieder von lautem Gelächter unterbrochen: »Okay, geht nur hin, macht euch lächerlich. Jeder weiß, daß das Gold am Hang liegt, höchstens noch am Fuß des Hanges. Wie sollte dort in den Sand und zwischen das Gestein Gold kommen? Reitet doch, ihr Narren. Je eher ihr dort anfangt, desto eher gebt ihr wieder auf und verschwindet.« Ein paar Burschen hinter Jack wurden unruhig. Sie rutschten in den Sätteln hin und her und tasteten nach den Schaufeln und den Hacken.
Aber der Boß drehte sich halb im Sattel um und sagte über die Schulter: »Laßt mich nur machen, Männer. Ich verstehe mehr vom Boden als diese komischen Clowns da vorne. Das sind Narren, darauf verwette ich mein Leben.« Die Überzeugung, mit der Jack gesprochen hatte, ließ die goldhungrigen Männer verstummen. Und als der Anführer seinem Muli die Zügel freigab, folgten ihm alle Digger. Lynn ritt an zweiter Stelle. Allen war klar, daß sie ihre Wahl getroffen hatte. Und manch ein Mann sagte sich, daß er dies hätte voraussehen können. Denn Frauen wie Lynn Rogers waren immer an der Spitze zu finden. Nur dort fiel für sie genügend ab. * Prüfend schaute sich der Reiter um. Es gab nur Sand, Felsen und Kakteen. Unter der glühenden Hitze lag das Land wie ausgestorben vor John Haggerty. Der Scout ritt weit im Norden umher. Ein Gefühl hatte ihn hierher getrieben, nur ein Gefühl, aber er wußte, daß er sich auf die Warnungen verlassen konnte, die er spürte. Doch was ging in diesem trostlosen Gebiet vor? Es war selbst für Apachen zu karg und unwegsam. Dornbüsche und Disteln wucherten hier. Palmlilien reckten ihre Stämme steil in die Höhe. Im Schatten der Sanddünen wuchsen Agaven. Es war zu still im Land, dachte John. Die Krieger beschäftigten sich damit, Tizwin, den Agavenschnaps, zu brauen. Und wenn genügend Apachen berauscht waren, würde es wie ein Feuermeer über Südarizona rauschen: das wilde Blut der Krieger, ihre Gier nach Kampf und Beute. Haggerty schüttelte den Kopf. Was sollten diese Gedanken? Es war ruhig und das war gut so. Es bedeutete, daß die aufsässigen Chiefs dem Wort des großen Cochise gehorchten, daß sie die Weißen in Ruhe ließen. Aber der Scout wußte, daß diese Ruhe trügerisch war. Der
geringste Anlaß genügte, um die Kämpfer auf die Rücken ihrer Ponys zu treiben und erneut den Krieg aufflackern zu lassen. Grau und braunrot glänzten die Felsen im Schein der Mittagssonne. Konata, dachte der Scout, ja, ich reite zu Konata. Der Aravaipa ist ein guter Farmer. Sein Tal liegt nicht weit von hier. Vielleicht erfahre ich sogar was von dem Mann. Ein kurzer Ruck am Zügel genügte, und der Graue änderte die Richtung. Hinter den Felsen lag Konatas Tal. Es war nicht breit, kaum eine Viertelmeile, aber dafür besaß es das Kostbarste, was in diesem Land zu finden war: ausreichend Wasser. Selbst in den trockensten, heißesten Sommern versiegte der Bachlauf nicht, der aus den Felsen rann und nach etwa zwei Meilen im Sand versickerte. Aber dort war das Tal schon zu Ende. Das ist einfach kein Land für Weiße, dachte Haggerty, als er auf die kahlen Felsen zuritt. Hier überleben nur Apachen. Was suchen wir hier? Es ist der Drang in uns, der uns treibt. Der Drang zu sehen, was hinter dem nächsten Hügel liegt, was auf der anderen Seite des Flusses wächst. Und wir bilden uns ein, daß dort besseres Land, ein besseres Leben auf uns wartet. Aber das alles ist Unsinn. Warum können wir nicht zufrieden sein mit dem, was wir besitzen, was wir uns erarbeitet haben? John Haggerty wußte keine Antwort auf diese Frage. Es lag wohl in der Natur der weißen Rasse, sich die Erde Untertan zu machen, wie es schon in der Bibel stand. Aber John hatte begründete Zweifel an dieser Ansicht. Der Sand gab unter den beschlagenen Hufen des Pferdes nach. Ein schwacher Wind brachte heiße Luft mit. Wenn er selbst erst in der Schlucht war, ging es besser. Denn dort kühlten die Steinwände die Luft. Und die Feuchtigkeit des Bachlaufes brachte richtige Erfrischung. Woher dieses Wasser kam, wußte niemand. John nahm an, daß irgendwo in den gewaltigen Felsen ein großer Hohlraum
existierte, eine mächtige Höhle, die das Regenwasser aufnahm und speicherte. Ein Abfluß hatte sich im Laufe ungezählter Jahrhunderte gebildet und entließ nun das kostbare Naß ins Tal. Konata zog seinen Nutzen daraus. Der Aravaipa war nicht mehr jung. Er hatte sicher schon weit über vierzig Sommer hinter sich gebracht. Der Mann galt als einer der besten Krieger des Stammes, doch er war des Kämpfens, des Beutemachens müde geworden. Vor zehn Sommern, so berichteten die Männer des Stammes, hatte sich Konata eine schöne, kräftige Squaw genommen und war mit ihr in die Felsenschlucht gezogen. Seit dieser Zeit hatte der Aravaipa nie wieder den Maulbeerholzbogen gegen einen Feind abgeschossen. Aber seine Pferde waren berühmt. Seine Schafe und die wenigen Rinder waren prächtige Exemplare, die jeden Vergleich mit den Tieren aushielten, die auf den fetten Weiden von Colorados Blaugrastälern aufgewachsen waren. Haggerty lenkte sein Pferd in die zerklüftete Wildnis der Felsklippen. Eine nadelspitze Gesteinsnase versperrte den Weg. John rutschte im Sattel so weit nach links, zog das rechte Bein aus dem Steigbügel, daß für den Leib des Tieres gerade genug Platz zum Durchschlüpfen blieb. Nachdenklich betrachtete der Scout die violett schimmernde Spitze, die künstlich geschliffen war. Dieser Farbton bewies John, daß Gift auf dem Gestein lag. Wahrscheinlich Gift aus der verrotteten Milz eines Rehs, gemischt mit Nesseln und anderen Pflanzen. E'estlus nannten die Apachen dieses tödliche Zeug und benutzten es sogar auf der Jagd. Denn das Fleisch getroffener Tiere verdarb nicht, nur unmittelbar um die Pfeilwunde herum schnitten die Krieger das Fleisch des Beutetieres ab und warfen es weg. Konata war vorsichtig, stellte Haggerty fest. Vielleicht hatte er Grund dazu. Aber das würde der Scout schon erfahren. John ließ sein Pferd im Schritt gehen. Er wollte es einem eventuellen Beobachter so leicht wie möglich machen.
Vielleicht mußte Konata erst überlegen, wer dieser bleichgesichtige Mann war, der in das Tal eindrang. Denn es war mehr als acht Monate her, seit der Scout den Apachen besucht hatte. Endlich erreichte John den Bachlauf. Das Pferd blieb von selbst stehen und trank. Haggerty saß ruhig im Sattel und musterte die Umgebung. Der Scout spürte, daß er beobachtet wurde, aber er konnte den Mann, der irgendwo zwischen den zerklüfteten Schroffen der Talwände hockte, nicht entdecken. Konata saß auf der obersten Corralstange, als John heranritt. »Ich grüße dich, Krieger«, sagte der Scout und hob die Linke, die vom Herzen kam, mit ausgestreckter Handfläche Konata erwiderte den Gruß, sagte aber kein Wort. Sein Blick ging an dem Weißen vorbei, verlor sich in dem Gewirr der Felsen. »Wenn ich nicht willkommen bin, so reite ich wieder«, fuhr Haggerty fort und zupfte am Zügel. »Wenn hier Dinge passieren, die nicht für die Augen eines Bleichgesichtes bestimmt sind, so sage mir das, Krieger. Du weißt, daß ein Freund alles hören und ertragen kann, was ihm der Freund sagt.« Konata machte eine undeutliche Handbewegung, die alles oder auch gar nichts bedeuten konnte und sagte leise. »Bleib, Falke, laß dein Pferd saufen, nimm dir Wasser, ruhe dich aus.« Haggertys Sinn für unangenehme Dinge war bis zum äußersten angespannt. Auf einmal wußte der Chiefscout, was ihn in den Norden des Landes geführt hatte: Konatas Wissen war es, denn daß der Apachenfarmer etwas verbarg, war Haggerty klar. Doch wie sollte er den Mann zum Sprechen bringen? Niemals war es einem Weißen gelungen – auch keinem Mexikaner – aus einem Mann der Wüste etwas herauszubringen, was der nicht preisgeben wollte. Die Tür des Farmhauses öffnete sich, als John absaß und den Sattelgurt lockerte. Gawa-chora kam heraus. Sie war eine Schönheit, selbst für die
Begriffe der Weißen. Die Squaw besaß fast überhaupt keine typischen Gesichtszüge der Apachen, war aber doch eine reinblütige Aravaipa. Ein Kind von etwa einem Jahr hielt sich am Lederrock der Mutter fest und trippelte unsicher hinter ihr her. Neugierig sah der Kleine den Gast an, denn er hatte wohl noch nie in seinem kurzen Leben ein Bleichgesicht gesehen. Gawa-chora lächelte, als sie den Weißen sah und kam mit geschmeidigen Schritten näher. »Falke«, sagte sie sanft, »du bist der Mann, den Tla-ina liebt. Ich möchte wissen, was im Herzen eines Weißen vorgeht, wenn ihn eine Apachenfrau liebt.« Haggerty hielt in seiner Beschäftigung inne, schaute Gawa-chora an und versuchte ein Lächeln. Es schien nicht besonders gut auszufallen, denn ein hellwacher Ausdruck trat in die schwarzen Augen der Squaw. »Das ganze Land scheint es zu wissen«, erwiderte John leise. »Wie kommt das eigentlich? An dem Tag, an dem ich das herausfinde, werde ich ein reicher Mann sein. Denn dann brauchen die Weißen keinen Telegraphen mehr. In dieser menschenleeren Wüste verbreiten sich Nachrichten schneller als durch die singenden Drähte.« »Du siehst viel, Falke«, entgegnete Gawa-chora, »aber du siehst einen Apachen nur dann, wenn er gesehen werden will. Die Krieger bringen uns auch das Geschwätz der Weiber an den Kochfeuern. Aber sprich, Falke, was sagt dein Herz zu Tla-inas Liebe?« Haggerty spürte die Spannung, die in der Luft lag. Er fragte sich, was wohl von seiner Antwort abhängen würde. Denn auch Konata schien auf die Worte des Weißen zu warten. »Es singt, Gawa-chora«, erwiderte John leise. Er wußte nicht, daß ein trauriger Ausdruck in seine Augen trat, daß so etwas wie Sehnsucht in seinem Gesicht stand, als er redete.
»Es singt ein schwarzes Lied, Gawa-chora«, fuhr Haggerty fort. »Denn die Gedanken der Apachen sind dunkel, wenn sie an Tla-ina und Falke denken. Und die Gedanken der Weißen sind wie die dunkelste Nacht des Jahres, wenn sie davon hören.« Die Squaw nickte. Ein kleiner Junge ließ ihren Rock los und marschierte schwankend auf John zu. Mit dem feinen Gespür des Naturkindes hatte der Kleine wohl erkannt, daß dieser merkwürdige Fremde mit der kranken Haut zu ihnen gehörte. Haggerty überlegte nicht lange. Er hob das nackte Kind hoch, setzte es in den Sattel und gab ihm die Zügel in die winzigen Hände. Jauchzend hüpfte der Junge auf und ab, während der Scout sein Pferd langsam im Kreise führte. Konata sagte einige kurze Sätze in der Stammessprache. Der Farmer redete so schnell, daß John nur zwei Worte deutlich verstand. Und diese Worte hießen Essen und Gast. Innerlich atmete der Scout auf. Er wußte, er hatte eine Hürde überwunden. Aber noch konnte er nicht sagen, woraus dieses Hindernis bestanden hatte. Denn Konata war ein freundlicher Mann. Es mußten schwerwiegende Dinge geschehen sein, wenn der Farmer auf einmal derart zurückhaltend war. »Falke, du bist willkommen«, sagte der Apache auf einmal laut. »Du wirst sehen und hören. Und du wirst nicht nur wie ein weißer Mann denken, wenn du alles weißt. Das sehe ich, denn ich besitze eine Gabe, die manche von uns Wüstenwanderern kennen. Wir sehen, wenn ein Mann ehrlich ist. Und dein Name ist weithin bekannt. Du bist Cochises Blutsbruder. Du bist unser Freund. Vielleicht kannst du meinem Volk helfen. Aber davon später. Komm jetzt und sieh dir meine Tiere an, Falke. Sieh auch das eine Tier und sage mir, wie weit es gelaufen ist. Danach sprechen wir weiter.« Wortlos folgte Haggerty dem Aravaipa in den Corral, an den sich der Stall anschloß, der aus rohen Brettern und Balken erbaut war.
* »Ist es nicht leichtsinnig«, sagte Victorio scheinheilig zu Cochise, »einem jungen Krieger wie Naiche den Befehl über deine Festung anzuvertrauen?« Die Chiefs, mit Cochise an der Spitze, und zwölf ausgewählte Chiricahua-Krieger, ritten nach Norden. Naiche, der Sohn des großen Führers, hatte das Kommando über die neue Apacheria übernommen. Cochise wußte, daß er sich auf seinen Sohn verlassen konnte. Denn Naiche verstand, wie sein Vater dachte, welches Ziel er verfolgte. Und das konnte er von den meisten seiner Krieger nicht sagen. Ja, selbst Victorio, der doch auch ein großer Führer war, vermochte nicht weiter als bis zur nächsten Sanddüne zu sehen. Bitter dachte Cochise daran, daß kaum einer der Apachenhäuptlinge sich darüber klar war, daß die Weißen die Sieger bleiben würden. Sicher, es war gut und richtig, den Eindringlingen Niederlagen zuzufügen, sie aufzuhalten, wo dies möglich war. Es war nicht nötig, ihnen jede einzelne Wasserstelle der Halbwüste zu zeigen. Denn in ihrer maßlosen Gier würden die Bleichhäutigen sofort den Boden umpflügen und das karge Naß, das Dutzende von Pferden und Kriegern am Leben erhalten konnte, einfach versickern lassen. »Naiche ist mein Sohn«, sagte der Chief zu Victorio und lächelte spöttisch. »Er weiß, was er zu tun hat. Er ist ein junger Mann, der die Befehle seines Vaters befolgt.« Cochise machte eine kurze Pause, sah Victorio eindringlich an und fuhr genauso laut fort: »Im Gegensatz zu vielen anderen Häuptlingen, die das Wort ihres obersten Führers gering achten.« Victorios wildes Gesicht wurde noch grimmiger. Er hatte die Zurechtweisung deutlich verstanden. Denn seiner Großzügigkeit war es zu verdanken, daß immer wieder Mimbrenjo-Trupps aus den San Carlos Reservationen
verschwanden und raubend und mordend blutige Fährten durch das Land zogen. »Wir wollen nicht über Dinge reden«, sagte Chato überraschend, »die gleichgültig sind. Wir reiten nach Norden, zu unseren Vettern, den Aravaipas, um ihnen zu helfen. Wie diese Hilfe aussehen wird, entscheidet Cochise. Danach kann Victorio spotten, wenn er es noch vermag.« Chato hatte zum erstenmal Stellung bezogen. Aber was hatte das zu bedeuten? War der Häuptling zu einem Entschluß gekommen? Oder ging es ihm nur darum, während des Rittes von drei Tagen Ruhe und Frieden aufrechtzuerhalten? Am späten Nachmittag erreichten die Wachen der verschiedenen Stämme ein Wasserloch, das allgemein bekannt war. Weiße, Indianer und Mexikaner tränkten hier ihre Tiere und füllten ihre Schläuche und Flaschen, wenn sie diesen Weg zogen. Umsichtig teilte Cochise die Posten ein. Bis seine Späher aus dem unübersichtlichen Land zurückkehrten, mußte die Quelle unter der Felsplatte bewacht werden. Es dauerte nicht lange, bis ein rauchloses Feuer brannte. Immer wieder schob einer der Apachen trockene Zweige und Kaktusstengel nach. Die Fleischbrocken, mit ein wenig Salz eingerieben, garten an jungen grünen Ästen über den Flammen. Schweigend saßen die Häuptlinge um das Feuer. Victorio beschimpfte sich innerlich selbst, daß er an diesem Zug teilgenommen hatte. Denn ein einziger Hinweis an einen Weißen genügte, und die Führer der großen Stämme waren verraten. Ein ferner, krächzender Ruf ließ Cochise aufmerken. Es war der Schrei des Geiers, der durch die Halbwüste hallte. Doch kein dunkler Punkt schwebte am Himmel, kündete davon, daß ein Aasvogel in der Nähe war. Das Fleisch war gar. Mit Fingern und Zähnen zerkleinerten die Apachen ihr Essen und tranken das kristallklare Wasser der
Quelle dazu. Als Cochise zu seinen Posten ging, sagte einer der Krieger: »Sechs Pferdesoldaten reiten in Richtung Sonnenaufgang. Weitere sechs nehmen die Richtung, in der die Sonne stirbt, Chief.« Der Häuptling nickte nur. Er wußte, daß General Howard zahllose kleine Patrouillen aussandte. Cochise hielt das für gut, denn einmal beruhigten die Soldaten die Weißen, und zum anderen zwangen die Uniformierten die Krieger, die nach Süden zogen, zu großen Umwegen. Nicht, daß auch nur ein Pferdesoldat einem Apachen gefährlich geworden wäre, ganz bestimmt nicht. Aber die Mimbrenjos und Tontos wollten sich nicht damit aufhalten, eine Armeepatrouille auf ihre Fährte zu locken, die dann kreuz und quer das Land durchforschte. Es war wichtiger, in Mexiko Beute zu machen. Cochise kniff die Augen etwas zusammen. Weit entfernt, am südöstlichen Horizont, stieg eine Staubfahne in den Nachmittagshimmel. Gegen die Sonne war der Schleier kaum zu sehen, aber er hatte das Gehör eines Wüstenluchses und die Augen eines Goldadlers. Das Zeichen wiederholte sich noch dreimal. Kurze Zeit später schmetterte die Spottdrossel einige kurze Triller. Cochise ging zum Feuer und setzte sich. »Was sehen deine Späher?« fragte Loco. »Vier Gelbhäutige«, erwiderte der Chief, »sie erreichen diesen Ort nicht.« Und so war es auch. Denn die müden Pferde der Mexikaner trotteten langsam durch den Sand. Mühsam kämpften die Tiere gegen die immer wieder nachrieselnde Masse an. Die Reiter waren genauso müde wie ihre Pferde. Leere Wasserflaschen, zwei ausgehöhlte Kürbisse, hingen von den
Sattelhörnern herab und schlugen im Takt der langsamen Gangart der Pferde gegen ihre Leiber. Die Mexikaner hielten die Augen halb geschlossen. Trotz der wagenradgroßen Sombreros, deren Krempen Schatten spendeten, wirkten die Reiter von der Hitze niedergedrückt. Als die ersten roten Krieger aus dem Sand aufschnellten, war es schon zu spät. »Apachen!« gellte die Stimme des vordersten Mannes, aber er brachte kein weiteres Wort mehr hervor. Eine eiserne Lanzenspitze bohrte sich in sein Herz. Die drei anderen Gelbhäutigen rissen ihre Revolver noch heraus, aber es war zu spät. Sie wurden alle getötet. Sechs Chiricahuas berieten sich kurz. Einer der Krieger entfachte ein kleines Feuer. Wenig später stiegen die ersten Rauchballen zum Nachmittagshimmel auf. Die fünf anderen Apachen plünderten die Mexikaner aus und grunzten erfreut, als sie schwere Beutel fanden, in denen es verheißungsvoll klingelte. Jeder der Toten hatte einen Ledersack mit mehr als fünfzig Goldstücken bei sich. Vier Pferde mit Sätteln, Waffen und Patronen und das Gold und die Messer, all das war willkommene Beute. Wenn erst die Rotte Kämpfer aus den Dragoon Mountains hier eintraf, war diese Beute so gut wie in Sicherheit. Fünf der Krieger machten sich wieder auf den Weg. Der sechste trieb die Pferde vor sich her in Richtung Süden. Auf Wegen, die nur die Apachen kannten, kam der sechste Späher später der Gruppe nach, die nach Norden zu den Vettern ritt. * John Haggerty bewunderte die Pferde des Aravaipa-Farmers. Die Tiere wirkten kräftig, ausdauernd und zäh. Jedes sah so aus, als könne es eine Woche durch die Wüste rennen, ohne auch nur
einen Tropfen Wasser zu benötigen. Und dann sah der Scout das letzte Tier. Es stand hinter den anderen, schien sich verstecken zu wollen, sorgte immer dafür, daß zwei oder drei Zuchttiere vor ihm hin und her liefen. »Wie lange ist dieses Pferd gelaufen, Falke?« fragte Konata und beobachtete den Weißen genau. Haggerty zögerte mit der Antwort. Auf den ersten Blick sah es so aus, als sei das Tier ziemlich erschöpft und abgetrieben. Lange konnte es noch nicht in diesem Corral stehen. Aber John spürte, daß etwas anderes hinter Konatas Frage steckte. »Nicht so lange, wie es aussieht«, antwortete der Scout schließlich. »Aber der Reiter trieb es an, forderte ihm alle Kraft ab.« Zufrieden nickte der Apachenfarmer. »Es ist die Strecke gelaufen, die ihr zwanzig Meilen nennt«, sagte Konata. »In drei Tagen hat sich das Pony erholt. Aber ob sich sein Reiter erholt, weiß ich nicht.« John sah den Apachen offen an und entdeckte Wut in dessen Augen. Konata hielt sich nur unter Aufbietung aller Kräfte zurück, stellte John fest. Viel fehlte nicht, und der friedliche Farmer würde sich in eine erbarmungslose Kampfmaschine zurückverwandeln. »Wo ist der Mann?« fragte der Scout leise. Der Farmer riß die Stalltür auf. Das Licht fiel in breiter Bahn in das dämmerige Innere und riß den Gang zwischen den Boxen und Futterraufen aus dem Halbdunkel. »Hinten, links«, sagte Konata, »ich bleibe hier und wache. Er weiß, daß du ein Freund der roten Männer bist, Falke.« Haggerty schluckte. Der Apachenfarmer war sich offenbar nicht bewußt, daß John immer noch seiner eigenen Rasse näher stand als der der Apachen. Aber Freundschaft, wahre Freundschaft, hatte schon vor vielen Jahrhunderten Wunder vollbracht.
Zögernd ging Haggerty auf die letzte Box zu, verharrte an der Wand aus dünnen Brettern und machte schließlich noch zwei Schritte. Fast wäre der Scout zusammengezuckt, denn der Mann, der auf der Pferdedecke lag, war kaum noch als Mensch zu erkennen. Er ähnelte eher einem Bündel roten Fleisches, zerschlagen wie er war. Erschüttert hockte sich John hin. Forschend betrachtete er den Kopf, suchte Gesichtszüge, Formen zu erkennen, aber es war unmöglich. Fest stand für Haggerty, daß der Mann zumindest ein Halbblut war. In diesem Moment wünschte sich der Chiefscout nichts sehnlicher, als die Kerle vor die Fäuste zu bekommen, die diesen armen Hund so zugerichtet hatten. »Wer bist du?« wisperte der total zerschlagene Mann kaum hörbar. Die Worte drangen undeutlich, verwischt zwischen den geschwollenen, aufgeplatzten Lippen hervor. »Kenne ich dich? Ich kann dich nicht sehen. Meine Augen sind wie tot. Graue Schleier erkenne ich, mehr nicht.« »Ich werde Falke genannt«, antwortete John. »Vielleicht sagt dir das etwas.« »Ja, du bist der Blutsbruder des großen Chiefs«, raunte der Halbindianer. »Was suchst du hier? Kommst du wegen der Weißen?« Haggerty wurde hellhörig. Jetzt konnte er das packen, was er fühlte. »Das kann ich dir noch nicht sagen«, erwiderte John ehrlich. »Ich hatte das Gefühl, ich müßte in den Norden reiten. Das ist alles.« Es dauerte ein paar Sekunden, bis das Halbblut antwortete. »Das ist gut, Falke«, murmelte der Fremde schwach: »Du bist wie ein Apachenkrieger. Ich fühle es. Und nur darum bist du der Bruder des großen Häuptlings. Hör zu, ich habe nicht mehr viel Zeit. Entweder bringt mich Bu, der Todesbote, in die ewigen
Jagdgründe, oder aber ich gehe ins Paradies ein, wie mich mein Vater lehrte.« Haggerty beugte sich vor, betrachtete die Wunden, sah Knochen gegen braunrote Haut drücken und wußte, daß der Mann wirklich keine Chance mehr hatte. »Ich heiße Will Jackson und Fuchsspäher, und ich glaube beides nicht«, fuhr der tödlich Verletzte fort. »Es wird sein, als ob der Wind eine Kerzenflamme löscht, weiter nichts. Alles bleibt, wie es ist, nur Fuchsspäher lebt nicht mehr. Doch wen kümmert das schon?« John dachte blitzschnell nach. Es war sinnlos, diesem Menschen etwas vormachen zu wollen. Er fühlte, daß der Tod schon die Hand nach ihm ausstreckte. Aber es war möglich, den Mann zufriedener, ruhiger sterben zu lassen. Dafür handelte sich der Scout unter Umständen etwas ein, das über seine Kräfte ging. Haggerty dachte an die Tatsache, daß Halfcasts weder bei den Weißen noch bei den Indianern eine Chance hatten. Von beiden Rassen wurden diese Mischlinge abgelehnt und mußten den Weg der Außenseiter nehmen. Jenen Weg der immer haarscharf an allen Gesetzen beider Rassen entlangführte. »Ich kann dir nichts versprechen, Fuchsspäher«, sagte Haggerty, »aber wenn du mir erzählst, wer dich so zugerichtet hat, kümmere ich mich darum.« Das Zucken in dem verquollenen Gesicht sollte wohl ein Lächeln darstellen, überlegte John. Ohne weiter nachzudenken, ergriff er die Hand des fremden Halbblutes, hielt sie fest und drückte sie leicht. »Gut, Falke«, röchelte der Mann, »sehr gut, das mußt du auch. Es geht um den Frieden. Dies alles hier, zwischen den Bergen das Land, ist Apachenland.« »Ich weiß, Eskaminzin ist ein kluger Chief«, erwiderte John. »Er hat die Garantie, daß dieses Gebiet den Aravaipas zur Jagd, zu ihrem Leben, erhalten bleibt.«
Abermals verzerrte sich das Gesicht des halbtoten Mannes. »Garantie des weißen Mannes«, murmelte er, »was nutzt das schon? Weniger als ein leerer Wasserschlauch in der Wüste.« Haggerty spürte die Unruhe in sich. Sie steigerte sich immer mehr. In wenigen Sekunden wußte er, was in diesem Land geschah, was ihn hergetrieben hatte. »Gold, Falke«, röchelte Fuchsspäher, »zerbricht alle Versprechen. Das Gerücht von Gold macht alle Verträge ungültig.« »Wo wird hier Gold gesucht?« fragte John hart. »Das bringe ich in Ordnung. Sind die Aravaipas in Gefahr?« »Ja, sie beobachten die Siedlung«, sagte das Halbblut kaum hörbar. »Immer wieder suchen die Späher den Ruhm, die Beute und starben. Klondyke liegt am Fluß, am Aravaipa Creek. Aber es gibt noch andere hier, die den Apachen…« Der Halbindianer zuckte wie unter einem unsichtbaren Peitschenhieb. Sein Körper verkrampfte sich, bäumte sich auf und sank nach Sekunden schlaff und leblos auf die Pferdedecke zurück. Reglos hockte John vor dem Toten. Haggertys Gedanken waren unruhig, beschäftigten sich mit den weitreichenden Folgen dieser ungesetzlichen Ansiedlung am Fluß des Stammes. Langsam beugte sich der Chiefscout vor, legte sanft die Pferdecke über dem toten Halbindianer zusammen und stand auf. »Ich bestatte ihn nach den Sitten meiner Väter«, sagte Konata hinter John. »Er war mehr Apache als weißer Mann, Falke. Was wirst du tun? Eskaminzin will Frieden halten. Seine Krieger sind wild und verwegen. Sie beobachten die Weißen, die wie Sandechsen den Boden zerwühlen. Immer wieder stirbt einer der Späher. Und der Häuptling hat nur sechs oder sieben Hände guter Krieger. Was wirst du tun, weißer Mann, den Cochise Bruder und Falke nennt?« Fort Thomas lag nicht weit entfernt. Zu General Howard
mußte John einige Stunden länger im Sattel sitzen, als nach Fort Thomas. Aber dies war eine Nachricht für den Kommandeur. Denn Howard hatte allen Weißen verboten, im Südwestterritorium Land zu besetzen, das vertraglich den Apachen zugesichert war. Und die Army sorgte mit sanftem Druck dafür, daß diese Verträge auch eingehalten wurden. »Wie viele Weiße graben am Fluß nach Gold?« fragte Haggerty den Farmer. »Zehn Hände und noch zwei«, erwiderte Konata. »Und nur der große Geist weiß, wann noch mehr kommen. Vier Hände kamen gestern. Wenig später trabte das Pony, das du gesehen hast, auf meinen Hof. Fuchsspäher lag bewußtlos auf dem Rücken des Tieres. Er hatte sich mit Lederriemen festgebunden. Ich weiß von ihm, daß er einer der ersten am Fluß war. Aber als die neuen Männer kamen, jagte der Chief den Fuchsspäher davon. Er wehrte sich, und nun ist er im Land des Todes. Ja, hole die Pferdesoldaten, Falke. Sie sollen die Bleichhäutigen davontreiben. Eskaminzin will keinen Krieg, wenigstens keinen zwischen Aravaipas und Weißen.« »Ich reite sofort«, sagte Haggerty und verließ den Stall. Wenige Minuten später hatte der Scout sein Pferd getränkt und die Wasserflasche gefüllt. Die Hufeisen klopften hart auf dem festgestampften Boden vor den Häusern, als John seinem Tier die Zügel freigab. * Argwöhnisch hatten die Digger, die schon seit Wochen die Abhänge der Berge nach dem begehrten gelben Metall durchwühlten, die zwanzig Männer und die Frau beobachtet. Unter Captain Jacks Führung steckten sich die neuen Goldsucher Claims am Ufer des Creeks ab. Einigen wurde es doch unbehaglich, als die Kerle weiter südlich laut lachten. Jack jedoch hielt seine Männer eisern zusammen.
»Nimm das Stück neben meinem«, raunte der Anführer der schönen Frau zu. Sie befolgte diesen Rat und sah, daß links und rechts von ihr und Captain Jack jeweils Ed Cooper und Tomeo Avellan ihr Land markierten. Lynn kam der Verdacht, daß Jack mehr als alle anderen wußte. So war es nicht. Der bullige Mann setzte nur seine Kenntnisse ein, die er in mehr als zehn Jahren auf Goldfeldern der Staaten gesammelt hatte. Als Captain Jack seine erste Pfanne auswusch und für mehr als vier Dollar Gold fand, und die zweite und dritte Pfanne mehr als je zehn Bucks brachten, verstummten die Spötter schlagartig. Auch Lynn, Ed und Tomeo hatten Glück. Alles andere vollzog sich innerhalb von zwölf Stunden ganz von selbst. Auf einmal war Jack der angesehendste Mann in Klondyke, der ungekrönte König der Diggersiedlung am Aravaipa Creek. Gegen Mittag des folgenden Tages trieb sich ein Fremder im Wasser herum. Jack griff zur Winchester und spannte den Hahn. »Verschwinde, Bastard«, rief der grauhaarige Goldsucher, »du stehst auf meinem Claim.« Der Halbindianer kümmerte sich nicht darum. Er betrachtete aufmerksam den Grund und stand reglos wie eine Statue. Jack drückte ab. Die Kugel riß dem Halbblut den Hut vom Kopf. Bevor der Mann mit der bronzefarbenen Haut zum Revolver greifen konnte, schlug Jack zu. Er hatte die Winchester durch die Hand rutschen lassen, packte sie am Lauf und benutzte das Gewehr wie eine Keule. Der Kolben traf das Halbblut in den Magen. Captain Jack warf das Gewehr hinter sich. Tomeo fing die Waffe auf, lud durch und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Captain Jack drosch mit beiden Fäusten auf den würgenden
Mann ein, der sich mühsam hochgestemmt hatte. Er war zu keiner Abwehr fähig, denn Jacks Fäuste fetzten wie Schmiedehämmer die kümmerliche Deckung auseinander, die der Halbindianer mit beiden Armen bildete. »Dir werd' ich's zeigen, du verdammter Bastard!« brüllte der neue King des Diggercamps, »auf meinem Claim herumzuschnüffeln, was? Und in der Nacht heimlich den goldhaltigen Sand aus der Strömung holen.« Mit erbarmungslosen Schlägen trieb Jack den neugierigen Mann ans Ufer. Als der Halbindianer endlich zusammenbrach, schnaufte der vierschrötige grauhaarige Mann. Nachdem er seinen Atem beruhigt hatte, brüllte er: »Wer weiß, ob das nicht ein Späher der verfluchten Roten ist? Ich schlage vor, wir hängen ihn irgendwo auf.« Jack besaß einen feinen Sinn für solche Situationen und spürte, daß er mit dem Vorschlag nicht durchkommen würde. Ein paar Männer brüllten ihre Zustimmung heraus, aber die Mehrheit lehnte ab. Jacks Macht war noch zu neu, nicht genügend gefestigt, um es auf eine wirkliche Probe ankommen zu lassen. Also gab er nach. »Er muß verschwinden«, rief der erfolgreiche Digger. »Wenn ihr ihn davonjagt, wird er seine roten Freunde alarmieren.« Allen war klar, was Captain Jack damit sagen wollte: Es würde besser für alle sein, wenn sie den Halbindianer aufknüpften. Die Digger ließen sich nicht darauf ein. Sie banden den bewußtlosen Mann auf sein Pferd und jagten das Tier mit Stockhieben davon. »Narren, verdammte, blutige Narren«, murmelte Jack verbissen, als die anderen wieder zu ihren Claims gingen. Lynn blicke den kräftigen Anführer mit ausdruckslosem Blick an und fragte: »Was hast du gegen Indianer?« Jack grinste wild, bevor er antwortete: »Ich kann die roten Stinker nicht ausstehen. Und Halfcasts erst recht nicht.«
»Wenn der Bursche entkommt, wenn er wirklich auf Apachen trifft«, sagte Lynn nachdenklich, »dann bricht über uns die Hölle herein, denke ich.« Jack lachte laut, aber es lag kein freundlicher Ton in diesem Lachen. Es wirkte hart, hörte sich brutal an und zeigte der schönen Frau, daß der Anführer zu der Art Menschen gehörte, die sie eigentlich nicht mochte. »Wir pumpen die roten Dreckskerle so voll Blei, daß sie nicht mehr laufen können«, prahlte Captain Jack. »Was sind schon ein paar stinkende Apachen, Girl? Nichts sind sie, gar nichts. Mach dir keine Sorgen. Solange ich hier was zu sagen habe, passiert dir nichts.« Lynn ging zu ihrem Claim zurück. Nachdenklich betrachtete sie Jack, der sich nach seiner Waschpfanne bückte und weitermachte, als sei gar nichts geschehen. »Ein harter Mann, nicht wahr«, sagte Tomeo Avellan und lächelte gezwungen. »Er hat was gegen Leute, die keine weiße Haut besitzen. Mich hat er nur mitgenommen, weil ich ein guter Kämpfer bin. Und wenn es gegen Apachen geht, ist Jack jeder recht. So sieht das aus, Senora Lynn.« Sie wußte, daß Tomeo sie warnen wollte. Sicherlich verlor Captain Jack in anderen Situationen die Beherrschung, und es war gut für sie, dies zu wissen. Lynn Rogers schuftete wie alle anderen auf dem Claim. Sie fand weniger als Jack, aber immer noch so viel, daß sich schon jetzt der Trail durch das heiße, staubige Land gelohnt hatte. Captain Jacks Ausbruch hatte etwas in Gang gesetzt, von dem die Digger selbst noch nichts ahnten. Die meisten Männer waren unzufrieden. Denn gute Ausbeute gab es nur auf wenigen Claims. Und so suchten sie nach einem Opfer, an dem sie sich abreagieren konnten. Sie fanden es, als sich ein weiterer Halbindianer in der Dämmerung davonmachen wollte. Wie ein Mann brüllte die Meute auf. Das Halbblut sprang auf
sein Muli, trieb dem Tier mit aller Gewalt die Absätze in die Flanken, aber es war zu spät. Nachdem die Goldsucher den Mann zusammengedroschen und durchsucht hatten, setzten sie ihn auf sein Muli und jagten das Tier mit Steinwürfen davon. Captain Jack war zufrieden. Die Kerle machten ihm nach, was er ihnen gezeigt hatte. Morgen würde er versuchen, seine Macht richtig auszuspielen, zu erweitern. Der bullige Mann ging langsam hinter dem Muli her, das im Schritt davonmarschierte. Die Winchester hielt der Indianerhasser in der Armbeuge. Plötzlich durchschnitt ein scharfes Schwirren die Luft. Zwei der Digger gurgelten unverständlich auf und brachen zusammen. Captain Jack sah die wippenden Pfeilschäfte in ihren Hälsen und rannte im Zickzack los. Er hatte nur eine Chance, wenn die Indianer aus ihren Deckungen aufwuchsen und wieder Kriegspfeile von den Sehnen schnellen ließen. Jack entdeckte den ersten Krieger fast sofort und ließ sich auf die Knie fallen. Noch während er die Erschütterung des Aufpralles spürte, riß er die Winchester hoch und feuerte. Der Krieger wuchs förmlich hinter den zerbrochenen Stämmen auf, die seine Deckung gebildet hatten, und brach vornüber zusammen. Ein Pfeil zischte so dicht an Jacks Kopf vorbei, daß er ein paar der strähnigen grauen Haare abschnitt. Der bullige Mann warf sich zur Seite, rollte dreimal um sich selbst, gelangte wieder auf die Knie und schoß. Der Indianer sprang auf, lief humpelnd davon, versuchte ein paar Dornbüsche zu erreichen, aber Jack tötete den Krieger mit der zweiten Kugel. Die Goldsucher rannten mit ihren Waffen herbei, stürmten an Captain Jack vorüber, der die verschossenen Patronen aus der Gurtschlaufe ersetzte und ein grimmiges Gesicht zog.
»Da habt ihr es«, rief er scharf, als die Digger zurückkamen, »ich wette, dieser Indianerbastard war ein Späher der Apachen. Das hier ist doch Apachenland, Männer. Wir müssen auf der Hut sein. Gibt's noch mehr verdammte Rothäute hier unter euch?« Einen Moment redeten die Digger aufeinander ein. »Nein, das waren die einzigen, Captain«, antwortete ein Mann. »Was sollen wir jetzt machen? Wenn die Apachen kommen, sehen wir sie nicht. Sie fallen über uns her. Und mit viel Glück erwischen wir nur ein Dutzend und schicken sie zur Hölle.« »Quatsch«, erwiderte Jack scharf, »stellt Posten auf. Haltet die Augen offen, Männer. Auch die Apachen kochen nur mit Wasser. Ihr seht ja, daß ich zwei erwischt habe.« »Dafür sind aber zwei von uns tot«, erwiderte ein bärtiger Goldsucher. »Und die Indianer sind keine Apachen, sondern Wichitas. Ich frage mich, was die Kerle so weit westlich wollen.« Jack spürte, daß die anderen zu sehr auf den Bärtigen hörten, und brüllte laut: »Männer, es ist doch egal, welchem Stamm die Indianer angehörten. Hauptsache ist, daß sie tot sind. Und für mich ist nur ein toter Indianer ein guter Indianer. Hinterher kümmert es mich nicht, ob er gekommen ist, mir guten Tag zu sagen oder mir den Kopf abzuschneiden.« Mehr als die Hälfte der Digger lachte, und das war ein gutes Zeichen, fand Jack. Es sah so aus, als könnte er sich noch steigern. Wenn er erst mal der anerkannte Boß hier war, würde er alles ganz anders aufziehen. Die anderen sollten für ihn arbeiten. Sie würden beteiligt, sicher, aber zu einem geringen Teil. Auf jeden Fall bekamen sie so viel, daß sie das Gold wieder in einem Laden lassen konnten, in dem Jack Schnaps verkaufte. Mann, das würde eine Sache. Er holte sich auf diese Art jeden Cent, der hier zu verdienen war. Er bemerkte nicht den nachdenklichen, ja, furchtsamen Blick, den Lynn Rogers ihm zuwarf. Die schöne Frau witterte, daß sie
bei Captain Jack wohl auf den falschen Mann gesetzt hatte. Er verstand zwar eine Menge vom Boden und vom Gold. Als Mensch hingegen war er zu machtgierig. Und Lynn hatte sich geschworen, sich niemals beherrschen zu lassen. * »Noch ein Tag«, sagte Cochise, »dann erreichen wir Eskaminzin.« Ulzana, Unterhäuptling der Chiricahuas, antwortete nicht. Er hatte beschlossen, seinem Chief einstweilen nicht mehr zu antworten. Ulzana war ein Weißenhasser, einer jener Männer, die sofort einem fanatischen Kampfesauftrag gegen die Eindringlinge zugestimmt hätten. Er stand auf Victorios Seite, würde die tapferen Krieger der Chiricahuas lieber in einen aussichtslosen Kampf, in den Tod führen, als mit friedlichen Mitteln die Gefahren beilegen. Quachan, der Aravaipa, der die Männer führte, lenkte sein Pony an die Seite des großen Führers aller Stämme. »Wir kommen an, wenn die Sonne den höchsten Stand überschritten hat«, sagte Quachan. »Wenn wir während der Nacht reiten, erreichen wir Eskaminzin schon zu der Stunde, in der die Sonne aufgeht.« Cochise lehnte ab. Es wäre unziemliche Hast, zu früh bei dem befreundeten Häuptling zu erscheinen. Schließlich ging es um ein Problem, das mit friedlichen Mitteln gelöst werden sollte. Sonst hätte Eskaminzin nicht nach Cochise geschickt. Denn der Anführer wußte, daß Quachan der Überbringer eines Hilferufes war. Sicherlich wurde Eskaminzin den Kriegstreibern in seinem eigenen Stamm nicht mehr so ganz Herr. Um seine Position zu sichern, schob er Cochise, dessen Ansichten er teilte, den zerbrochenen Bogen zu.
Victorio gab seinem weißen Mustang die Zügel frei. Der Mimbrenjo brauchte einen scharfen Ritt, brauchte das Austoben im wilden Land, um nicht an allem zu ersticken, was er bisher mitgemacht hatte und noch erleben würde. Cochises Gesicht war unbewegt, als er ihm nachschaute. Aber der Chief der Chiricahuas ahnte, daß Victorio etwas ganz anderes vorhatte. »Ich sehe mir das Land an«, sagte Cochise und gab seinem Schecken die Zügel frei. Schräg zur Marschrichtung galoppierte das Tier in die Wildnis. Nach wenigen Yards schon war keine Spur, kein Hufabdruck mehr zu erkennen. Apachen sind Meister darin, ihre Fährten unsichtbar zu machen, gar keine zu hinterlassen. Der Jefe ritt so weit, bis er sicher war, nicht mehr im Blickfeld seiner Begleiter zu sein. Erst dann änderte Cochise die Richtung. In spitzem Winkel jagte er dorthin, wo er Victorio vermutete. Eine zerrissene Landschaft, mit hoch aufragenden Klippen, karg bewachsen mit Wacholderbüschen, Kugelkakteen und Dornbüschen mußte das Ziel des Mimbrenjos sein. Um Cochises Lippen spielte ein wissendes Lächeln. Die Späher der Chiricahuas waren genausogut wie jeder andere Späher eines beliebigen Apachenstammes. Und er wußte genau, daß ihre Gruppe von Kundschaftern der Mimbrenjos umschwärmt wurde. Cochise fürchtete nicht um sein Leben. Das würde Victorio nicht wagen, aber der große Führer fürchtete um den Frieden im Land, um die Zukunft der Apachenvölker. Darum wollte er wissen, was Victorio, der Weißenhasser und Kriegstreiber, seinen Spähern mitteilen würde. Dort hinten, inmitten der Klippen, des vom Winde zerfressenen Landes, dort würde der Mimbrenjo mit seinen Kundschaftern zusammentreffen. Cochise leitete seinen Schecken hinter eine Gruppe von
riesigen Palmlilien. Der Mustang schnaubte leise, als sein Herr ihm mit gespreizten Fingern durch die Mähne fuhr und ihm den Hals klopfte. Das Tier senkte den Kopf. Es würde hier warten, bis der Reiter zurückkehrte. Denn das waren die großen Erfolge des indianischen Einreitens, bei dem der Wille des Pferdes nicht brutal gebrochen wurde. Die Männer der roten Rasse nahmen sich Zeit, stellten die Freundschaft zwischen Mensch und Tier – oder wie sie sagten: zwischen zwei Lebewesen – her und erreichten so eine lebenslange Treue des Pferdes gegenüber seinem Herrn. Cochise glitt zu Boden. Die Riesenyuccas warfen Schatten, den der Chief ausnutzte. Nach wenigen Körperlängen konnte nur noch das geübte Auge eines Spähers den grauen, staubbedeckten Leib des hochgewachsenen Häuptlings vom gleichfarbigen Untergrund unterscheiden. Der Häuptling kroch wie eine Schlange voran. Er hatte eine weite Strecke bis zu den Felsen zurückzulegen. Cochise wußte, daß er sich Zeit lassen konnte. Der Mimbrenjo würde gerade erst dort eintreffen. Die Klippen galten bei Victorios Kriegern als Treffpunkt. Und nur der Große Geist wußte, wann die Kundschafter dort eintrafen. Cochise arbeitete sich ruhig weiter vor. Er glitt in eine Mulde, die tief unter dem Rand Wasser enthalten mußte. An den Rändern der kaum mannslangen Senke wuchs gelber Wüstenlöwenzahn. An dem schmalen Abhang wucherten rote Verbenen und weiße Blumen, die nur einen indianischen Namen hatten. Als Cochise auf der anderen Seite der kleinen Vertiefung wieder hinaufgleiten wollte, verharrte er reglos. Vor ihm, im grellen Sonnenlicht, inmitten des heißen Sandes, lagen drei Klapperschlangen. So vorsichtig sich der Häuptling auch bewegt hatte, die Tiere waren durch die kaum merkliche Vibration des Bodens gewarnt worden. Zwei Köpfe hoben sich, pendelten hin und her, und die
gespaltenen Zungen zuckten förmlich aus den Mäulern. Cochise atmete gleichmäßig durch. Er summte beruhigend. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die erste Schlange den Kopf senkte. Ihr Leib krümmte sich. Lautlos glitt das Reptil davon, verschwand hinter einem umgestürzten Kaktus und kam nicht mehr hervor. Sekunden später folgten die beiden anderen Klapperschlangen, und Cochise arbeitete sich behutsam weiter vor. Er wußte genau, daß eine grobe Erschütterung die Tiere zum Angriff gereizt hätte. Ohne weitere Schwierigkeiten gelangte er an den Fuß der kahlen, steil aufragenden Klippen, die wie von Riesenhand in die Landschaft geworfen wirkten. Zwischen den dicken, senkrechten Felsplatten wucherte spärliches Gras, wuchsen Kräuter, deren Blätter schlaff auf dem Boden lagen. Es war lange her, seit hier Regen die natürlichen Zisternen der Felsengruppe gefüllt hatte. Cochise kroch vorwärts. Nun kam es nur noch darauf an, kein Geräusch zu verursachen. Er brauchte weder Victorio noch seine Späher zu sehen. Es genügte, wenn er ihre Stimmen hörte. Kein Laut war zu hören. Nur der schwache Wind raschelte im Sand und pfiff unendlich leise, wenn er sich an den schmalen Felsen brach. Der Chief lag reglos. Stunden schienen zu vergehen, aber das Zeitgefühl eines Apachen war nicht vorhanden, wenn er auf Feinde, auf Beute lauerte. »Victorio«, sagte eine Männerstimme halblaut, »Jefe, ich bin gekommen, wie du befohlen hast. Ich war jeden Tag da.« »Chantuan, ich reite mit Cochise zu den Aravaipas«, erwiderte der Häuptling der Mimbrenjos. »Eskaminzin ist entweder zu einem alten Weib geworden oder aber er hat sich etwas ganz Besonderes ausgedacht.« Cochise hörte zu, wie sein ewiger Widersacher Victorio dem Späher berichtete, was bisher geschehen war. Der große
Häuptling verzog keine Miene. Sollte doch der Mimbrenjo das Gerücht verbreiten lassen, daß Cochise den Frieden auf seine Art erhielt. »Ich weiß nicht, was der Chiricahua machen wird«, fuhr Victorio fort. »Aber auf jeden Fall muß er sein Gesicht wahren. Er wird es nicht auf einen offenen Kampf ankommen lassen. Denn dann ist seine Rede vom Frieden so viel wert wie der Skalp eines Bleichgesichtes, das keine Haare mehr hat. Aber er darf auch keine Möglichkeit haben, auszuweichen. Meine Krieger sollen aufbrechen. Reite schnell, Chantuan, hole die Krieger. Kein Weißer, kein Apache außer unseren Männern darf nach Süden gelangen. Wenn Cochise seine Aufgabe an die Blauröcke weitergeben will, so darf sein Bote nie bei dem einarmigen Hund ankommen.« Cochise verzog grimmig die Lippen. Victorio versuchte alles, um den Führer der Stämme zu stürzen, seine Worte, sein Handeln zu untergraben. Aber das sollte ihm nicht gelingen. Denn hörten die kleineren Häuptlinge nicht mehr auf Cochise, dann brach der Krieg über das Land herein. Die Bleichgesichter kamen mit Kanonen und Gewehrmaschinen, wie sie Thomas Jeffords einmal beschrieben hatte. Cochise hatte genug gehört. Lautlos kroch er zurück. Er wollte vor dem Mimbrenjo wieder bei der Gruppe sein, die nach Norden ritt. Denn Victorio brauchte nicht zu wissen, daß sein Plan bekannt war. Cochise mußte nun einen ganz bestimmten Weg gehen, denn er konnte nicht mehr mit der Übermacht der Krieger die Weißen vertreiben. * Klondyke lag im grauen Licht der Morgendämmerung. Über den Pinalenos kroch unendlich langsam die Sonnenscheibe empor.
Müde blickten die fünf Männer zu den Bergen, die den Fluß einschlossen. Matt glänzten die Nadeln der Pinien, und ein Eselhase hoppelte zwischen den Kräutern, die am Berghang wuchsen, auf der Suche nach besonderen Leckerbissen, umher. Keiner der Wächter bemerkte den plötzlichen Satz, den das Tier machte. Mit einen gewaltigen Sprung setzte der Hase davon, schlug einen Haken und jagte auf eine Senke zu, die dicht mit Gestrüpp bewachsen war. Ein letzter Satz brachte das Tier mitten zwischen die Sträucher, wo es zitternd, mit angelegten Ohren, hocken blieb und sich dicht an den Boden schmiegte. »Nichts los«, sagte einer der Posten und gähnte. Angewidert sah der zweite Mann auf die schwärzlich verfärbten Zahnstummel seines Kameraden und grunzte nur. »Ich möchte wissen, warum wir hier rumhocken«, fuhr der erste mit gelangweilt klingender Stimme fort. Der zweite Mann überlegte, ob er antworten sollte, fand die Anstrengung aber zu groß und hielt den Mund. Immerhin hatte er schon drei Stunden Wache hinter sich. In ein paar Minuten mußte die Ablösung kommen. Und danach konnten die jetzigen Posten endlich wieder nach Gold graben. Denn schließlich waren sie hergekommen, um die große Bonanza zu finden und nicht, um in die Dunkelheit zu starren. Wenn die Indianer kamen, dann jedenfalls nicht in der Nacht. Davon waren die meisten weißen Männer überzeugt. Und sie alle hier hatten den Rothäuten ja schon gezeigt, was ihnen blühte, wenn sie sich zu nahe an die Siedlung der Weißen heranwagten. Wo zum Teufel blieb nur die Ablösung? Die verdammten Kerle schnarchten und dachten gar nicht daran, ihre Freunde abzulösen. Das Grau des Morgens hellte sich etwas auf. Die ersten Lichtstrahlen griffen über die Gipfelzüge der Pinaleno Mountains und rissen die Zweige der Dornbuschwüste aus der
Dämmerung. Die Wächter beobachteten das Camp, denn sie verfluchten ihre Ablösung. Und in diesem Moment geschah es. Wie Pumas waren die Krieger herangeschlichen. Nun lagen sie kaum zwei Schritte von den Posten entfernt. Hinter jedem Weißen lauerten zwei Indianer auf ihre Chance. Denn die Posten durften keinen Laut von sich geben, keinen Alarm schlagen. Keiner von ihnen durfte noch den Abzug zurückreißen und die schlafenden Goldgräber aufschrecken. Ein leises, kaum hörbares Zischeln ertönte. Den Bruchteil einer Sekunde später zischelte es überall. Plötzlich wuchsen die roten Kämpfer förmlich aus dem Boden. Schlingen legten sich um die Hälse der Weißen, geschwungen von Händen, die in dieser Art des Tötens hundertfach geübt waren. Der Überfall mißglückte, denn einem der Posten gelang es noch, den Abzug seiner Winchester durchzudrücken. Der Schuß peitschte über das Tal. Auf einmal wimmelte es dort unten von Bewaffneten. Die Indianer ließen die Schlingen zurück, versuchten, sich mit weiten Sätzen in Sicherheit zu bringen, aber eine Salve aus mehr als drei Dutzend Gewehren mähte die Krieger nieder. Captain Jack erfaßte sofort, daß die fünf Kämpfer nur der Vortrupp waren, der die Posten ausschalten sollte. Durch die Knallerei waren die übrigen Angreifer gewarnt. Vielleicht änderten sie in letzter Sekunde ihre Taktik. »Hört mir zu!« brüllte Jack mit seiner Stentorstimme, die mühelos das aufgeregte Geschrei übertönte. »Nur der Teufel weiß, von welcher Seite die Rothäute kommen. Wir müssen einen Kreis bilden. Los, verteilt euch. Die Männer mit Schrotflinten erledigen die Kerle, die durchkommen. Schießt nicht zu früh. Vergeßt nicht, daß die Schrotladungen nach etwa hundert Yards zu weit streuen. Laßt die Roten rankommen.
Brennt ihnen die Ladungen auf das Fell, wenn sie noch dreißig Yards entfernt sind.« Jack rannte los. Er hielt auf die Hütten zu, die ein Stück weiter flußaufwärts standen. Das stabilste Gebäude war das der Freudenmädchen, und auf dessen flaches Dach wollte sich Jack hinaufziehen. Hufe dröhnten, als der bullige Anführer der Goldsucher noch zwei Dutzend Yards von der Hütte entfernt war. Mindestens achtzig Pferde galoppierten aus beiden Richtungen durch den Aravaipa Creek. Das flache Wasser spritzte hoch auf, und die ersten Pfeilwolken senkten sich von den Hängen der Berge herab. Vereinzelt dröhnten Gewehre, und Pulverrauch quoll zwischen den kurzen Bäumen und den Büschen der ansteigenden Talwände auf. Im Zickzack rannte Jack weiter. Er wartete auf das schnelle Hämmern moderner Winchestergewehre, auf den tödlichen Bleihagel, den ein geübter Schütze aus einer solchen Waffe abfeuern konnte. Doch statt des Stakkatogeräusches der Karabiner wummerten nur Vorderlader und großkalibrige Büffelbüchsen. Innerlich atmete Captain Jack auf. Er hatte dafür gesorgt, daß seine Männer die modernsten Waffen besaßen. Denn schon lange vor Beginn des Trecks ins Apachenland war Jack klargewesen, daß sie niemals ohne Auseinandersetzung mit den Roten davonkommen würden. Zwanzig Gewehre bedeuteten selbst in den Händen ungeübter Schützen eine gewaltige Feuerkraft. Wenn die Digger nur mit jedem dritten Schuß einen Indianer oder ein Pferd erwischten, so bedeutete dies immer noch hundertzwanzig Treffer. Jack erreichte die Bretterwand des Freudenhauses und hörte Elenas Stimme. »Legt euch flach hin, ihr Schnepfen«, rief die Mexikanerin, »die Kugeln zischen durch die Wände wie durch Ziegenfett.«
Jack schob das Gewehr auf das flache Dach und zog sich mit beiden Händen hinauf. Sekunden später lag er auf dem Bauch, die Winchester schußbereit vor sich. Er zielte auf den vordersten Reiter, der von Norden her durch das Bett des Aravaipa galoppierte. Jack drückte ab. Der Indianer warf beide Arme hoch und rutschte vom Pferd. Jack legte die Patronenschachtel, die er aus seinem Zelt mitgenommen hatte, dicht vor sich. Wie ein Automat lud der vierschrötige Mann durch und feuerte. Jede seiner Kugeln traf. Die Angreifer, die aus nördlicher Richtung heranjagten, bildeten innerhalb weniger Sekunden ein wirres Knäuel aus Toten, Verwundeten und sterbenden Pferden, die grell wieherten und schrien. Drei, vier Pfeile schlugen dicht neben Captain Jacks Kopf ein. Die Schäfte wippten noch, als sich der Digger herumwarf und die letzten beiden Schüsse auf die Krieger abfeuerte, die von Süden durch das Tal herangaloppierten. Jack preßte mit schnellen Bewegungen Patronen in die Ladeklappe seines Gewehres. Bald waren die Angreifer nahe genug heran. Warum zögerten die Idioten denn noch, dachte Jack. Aber da donnerten auch schon die Parker- und Greenerflinten, und ein vernichtender Schrothagel fuhr wie ein Ungewitter zwischen die Roten. Aus den Hügeldeckungen dröhnten immer wieder zwei Gewehre in regelmäßigen Zeitabständen. Allmählich schossen sich die Kerle ein. Eines der Geschosse riß Jack den Stiefel am Schaft auf, ein anderes traf die Munitionsschachtel in dem Moment, als der Goldsucher sich vom Dach wälzte. Jack hörte eine weitere Salve der Schrotflinten und schluckte ein paarmal, um das Dröhnen und Klingeln aus den Ohren zu vertreiben. Die Berittenen rissen ihre Pferde herum. Weit beugten sich die Reiter von den Pferderücken hinab, rissen ihre verwundeten Freunde hoch und trieben die Tiere mit schrillen Schreien an.
Kein Schuß fiel mehr, kein Pfeil wurde abgefeuert, nur die gellenden Rufe der flüchtenden Indianer durchbrachen die Stille. Ab und zu schlug ein Pferd mit den Hufen hilflos in der Luft. Das Wasser des Aravaipa färbte sich rot von Blut. Jack blinzelte zur Sonne hinauf, die gerade zu einem Viertel über die Gipfel der Pinalenos gestiegen war. Der gesamte Angriff hatte kaum länger als zehn Minuten gedauert. »Also los, Männer«, brüllte Captain Jack. »Räumen wir auf, Leute. Das werden sich die verfluchten Roten merken. Mit uns können sie nicht umspringen wie mit 'nem einsamen Farmer. Ich wette, die Apachen stimmen jetzt ein mächtig großes Geheul an, wenn die Krieger wieder bei ihren Sippen sind.« Der bärtige Goldsucher, der schon vor einiger Zeit gesagt hatte, daß die beiden erschossenen Späher keine Apachen gewesen waren, ging zum Wasser und betrachtete die toten Angreifer genau. Anschließend kam der Mann zu Jack und sagte laut: »Mister, das sind keine Apachenkrieger. Das sind Caddos und Wichitas. Die Kerle leben weit im Osten, eigentlich jenseits des Rio Grande. Ich schätze, die Kerle sind auf einem Raubzug. Die Apachen stehen uns noch bevor.« »Halt dein Maul«, sagte Jack leise, aber scharf. »Das brauchen diese Narren doch nicht zu wissen. Es genügt, daß sie den Angriff abgeschlagen haben. Jetzt fühlen sie sich stark und unverwundbar und werden auch die Apachenkrieger zur Hölle schicken.« Der Bärtige lächelte mitleidig und erwiderte: »Du hast von Apachen so viel Ahnung wie meine tote Grandma von Klapperschlangen. Du wirst dich noch wundern, Mister Jack.« Der vierschrötige Mann registrierte, daß ihn der Bärtige nicht mit Captain ansprach und war auf der Hut. Denn dieser Kerl schien ein Widersacher zu sein. »Was habe ich mit deiner toten Grandma zu schaffen?« fragte Jack lässig. »Ich bin nicht tot.«
»Grandma hatte die Schlange mit 'nem Regenwurm verwechselt, darum starb sie«, erwiderte der Bärtige grinsend. »Und genauso wird's dir auch ergehen, wenn du Apachen mit Wichitas und Caddos verwechselst. Das eben war ein Theaterstück aus der Sonntagsschule gegen einen Apachenangriff. Aber mach du nur, was du willst, Jack.« Wut und Unglauben beherrschten Jack, als der Bärtige davonging. Aber was von seinen Worten zu halten war, würde sich bestimmt in den nächsten Tagen herausstellen. Der vierschrötige Anführer der Digger beaufsichtigte das Aufräumen und verzog das Gesicht, als die fünf toten Posten an ihm vorbeigetragen wurden. Hätten die Narren besser aufgepaßt, wären sie noch am Leben. Jack war der Meinung, daß die Goldsucher gewarnt waren. Und die neuen Wächter verhielten sich wohl wachsamer als die Toten. Captain Jack irrte sich mächtig. Denn die neuen Posten waren voller Triumph. Hatten sie nicht gezeigt, wie sie mit den verdammten Roten fertig geworden waren? Ha, sie sollten nur kommen, dann gab es keinen mehr, der noch davonlaufen konnte. * Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, nickte Cochise dem Aravaipa-Führer zu. Quachan gab seinem Pony die Zügel frei und ließ es galoppieren. Der Bote sollte dem Häuptling des Stammes die Ankunft der Häuptlinge ankündigen. Quachan war etwa eine halbe Stunde geritten, als er von Norden her einen Mustang kommen sah, der im jagenden Galopp die gleiche Richtung nahm. Der Krieger erkannte das Pferd seines Freundes Setonya und stieß den Ruf des Jagdfalken aus, der zwischen ihnen das
vereinbarte Zeichen war. Setonya verhielt sein Tier etwas. Quachan holte auf, und als er seinen Fuchs neben dem Freund verhielt, gab der dem eigenen Tier wieder die Zügel frei. Gemeinsam jagten die beiden Mustangs auf das Lager der Aravaipas zu. In kurzen, schnellen Sätzen schilderte Setonya den Angriff auf die Bretterstadt der weißen Eindringlinge. Quachan war klar, das dies die Lage verschärft hatte. Selbst Cochise würde es schwer haben, die Bleichhäutigen zum Abzug zu bewegen. Denn nun fühlten sich die Weißen stark, unbesiegbar. Hatten sie doch den Angriff einer räuberischen Horde Indianer abgeschlagen. Daß es marodierende Caddos und Wichitas waren, machte in ihren Augen keinen Unterschied aus. Eine Trommel dröhnte hell, als die beiden Freunde das Lager erreichten. Sie sahen zwei abgetriebene Mustangs im Grastal stehen und wußten, daß Eskaminzin schon durch die anderen Späher von dem Überfall erfahren hatte. Quachan lief zum Jacale des Chiefs. Setonya folgte langsamer, denn seine Nachricht war nicht mehr so dringend. »Cochise ist auf dem Wege hierher«, meldete Quachan seinem Jefe. »Er bringt Victorio und die Unterhäuptlinge mit.« Eskaminzin hatte fest damit gerechnet. Er gab eine Reihe von Befehlen, und Sekunden später flammten Feuer auf. Die Squaws steckten große Fleischbrocken auf Hartholzstäbe und hielten sie über die Flammen. Andere Frauen schleppten Kürbisse herbei, die Tizwin, den vergorenen Agavenschnaps enthielten. Eine Reihe von Kriegern, die Bögen auf den Rücken, gefüllte Pfeilköcher an den Seiten, liefen auf ihre Posten. Denn Cochise sollte wie der Mann empfangen werden, der er war: Als der Oberhäuptling aller Apachenstämme. Dumpf hallten die Trommeln in einem lockeren Rhythmus. Der Geruch des garenden Fleisches zog über das Lager. Und
manch ein Krieger, manch eine Squaw verspürte die Vorfreude auf den Genuß des Mulifleisches, das für alle Apachen eine Delikatesse war. Und dann kam Cochise. Er saß stolz und gerade auf seinem hageren Pinto, der wie geschaffen für die Wüste schien. Victorio ritt eine halbe Länge hinter dem großen Häuptling. Der Mimbrenjo wollte wohl betonen, daß der Unterschied zwischen ihm und Cochise nicht mehr als eine halbe Pferdelänge betrug. Hinter den beiden ritten Chato, Nana und Loco und Ulzana. Ihren Mustangs folgten die Tiere der zwölf Krieger, die der Chief als Ehrenwache mitgenommen hatte. Wie es die Sitte erforderte, stand Eskaminzin auf, ging den Besuchern ein paar Schritte entgegen und hob beide Arme halb in die Höhe und zeigte die Handflächen. »Du bist der Gast des Stammes, Cochise«, rief Eskaminzin laut, »und das, was ein Krieger des Stammes dir zufügt, hat er mir zugefügt. Sei willkommen bei den Aravaipas, Vetter.« Cochise erwiderte die Worte mit der vorgeschriebenen Antwort. Auch der große Chief erwähnte mit keinem Wort seine Begleiter. Natürlich galt die Gastfreundschaft auch für die Ehrenwache, aber daß Eskaminzin Victorio nicht genannt hatte, trieb dem Mimbrenjo den heißen Zorn in die Augen. Er beschloß, daß der Aravaipa diese Beleidigung irgendwann einmal büßen würde. Halbwüchsige Knaben liefen heran und führten die Pferde zu einem Grasfleck, durch den sich ein fußbreiter Wasserlauf wand. Im trockenen Land war dies als besondere Ehrung anzusehen. Wenig später saßen die Gäste vor dem großem Feuer, das nur ein paar Schritte von Eskaminzins Jacale entfernt loderte. Der köstliche Duft des gebratenen Mulifleisches, der Geruch des Tizwin und die Wurzeln, die in der Glut geröstet worden waren, zeigten, daß der Chief der Aravaipas ein Festmahl vorbereitet
hatte. Cochise beobachtete den befreundeten Häuptling unauffällig. Nichts wies darauf hin, daß der Anführer des kleinen Stammes ihn auf eine hinterhältige Art reinlegen wollte. »Holt die Alten, holt den Rat der weisen Männer zusammen«, rief Eskaminzin. »Sie sollen mit uns essen, denn sie haben zusammen mit mir entschieden, daß Cochise unser oberster Richter ist und ihm zusteht, die Feinde des Friedens zurechtzuweisen.« Ein paar alte Krieger schlurften heran. Cochise sah die grinsenden, faltigen Gesichter, den verhaltenen Spott in den Augen dieser Alten und wußte plötzlich, daß der Häuptling der Aravaipas einen schlauen Schachzug durchgeführt hatte. Zuerst reichte Eskaminzin dem Gast das beste Stück Fleisch. Danach bot der Führer des kleinen Stammes auch Victorio Mulibraten an. Ohne auch nur eine Geste des Dankes nahm der Mimbrenjo an und aß sofort. Es dauerte lange, bis alle satt waren, bis die ausgehöhlten Kürbisse mit Tizwin die Runde machten. Cochise war als erster mit dem Essen fertig gewesen. Er blieb in allen Dingen des täglichen Lebens maßvoll. Nur in seinem Zorn konnte er sich selbst verlieren. »Ich bin gekommen«, begann Cochise, und trank einen winzig kleinen Schluck des Agavenschnapses, »weil ich von weißen Eindringlingen im Land der Aravaipas hörte. Natürlich weiß ich, daß du genügend mutige Krieger hast, um solche Probleme schnell und nach Art unserer Rasse zu lösen. Aber du weißt, daß ich Frieden mit dem einarmigen Soldatenvater geschlossen habe. Für die Dauer von sechs Mondzeiten soll kein Apache einen Weißen angreifen.« Victorio nahm einen gewaltigen Schluck, stieß hörbar auf und rief laut: »Was sollen diese Worte, Cochise. Die weißen Hunde sind ohne Gesetz, ohne Recht. Howard hat dir versprochen, die
Bleichgesichter aus unserem Land fernzuhalten. Was geschieht: sie kommen zu unserem Vetter Eskaminzin und bauen eine Stadt, weil sie verrückt nach Gold sind. Ich sage: vertreiben wir diese weißen Gesetzesbrecher nicht. Ich sage: töten wir sie! Töten wir sie nach Art unserer Väter. Denn das ist unser Recht, das ist Apachenrecht im Apachenland.« Tadelnd sah Cochise den Mimbrenjo an. Victorios schwarze Augen schienen in einem unheimlichen Feuer zu glimmen. Die Haare hingen ihm strähnig auf den Schultern, und der ganze Mann strahlte nur unterdrückte Wut und Kampfesgier aus. Er brannte darauf, sich mit Gewehr und Kriegsbeil auf dem Rücken eines feurigen Mustangs mitten in die Schlacht zu werfen. Er witterte Blut, das Blut der Weißen, und hörte sicherlich schon die Schreie der Krieger, die zum Töten aufriefen. »Victorio, ich habe vom Frieden gesprochen«, sagte Cochise sanft. »Und ich bin gekommen, unseren Vetter Eskaminzin zum Frieden zu ermahnen.« »Wie willst du diese Bleichhäutigen friedlich aus diesem Land jagen?« fragte Victorio herausfordernd. »Sie suchen Gold, und das hält sie hier, das läßt sie sich in den Boden krallen wie der Adler seine Beute krallt.« »Warte ab, Mimbrenjo«, erwiderte Cochise gelassen. »Du wirst es sehen. Du hast mein Wort, Victorio.« Der Häuptling starrte den hochgewachsenen Führer der Chiricahuas an und rief: »Was werde ich sehen? Einen Krieger, der zu den Blauröcken reitet und nach Hilfe ruft? Sehe ich Pferdesoldaten, die ins Tal der Aravaipas kommen und ihre Rassegefährten davontreiben? Ist das deine Kunst, Cochise? Denn du hast dich doch mit den Weißhäutigen verbündet. Du verrätst die Apachen, du verrätst deine eigene Seele.« Cochise lächelte freundlich als er erwiderte: »Ich reite nicht zu den Blauröcken, Vetter. Und wenn ich zu General Howard wollte, würden mich deine Krieger nicht aufhalten.«
Victorios Gesicht wurde sofort glatt und ausdruckslos. Der Mimbrenjo überlegte fieberhaft, was Cochise wußte. Wer hatte ihm hinterbracht, daß die Mimbrenjos das Land abgeriegelt hatten? Woher wußte der große Häuptling, daß Victorio aus dieser Sache eine Machtprobe entwickelt hatte, um Cochise bloßzustellen und ihm seine Anhänger abzugewinnen? »Wenn mein Bruder Eskaminzin einverstanden ist«, sagte der Chief, »nehme ich mich der Sache an.« Der Anführer der Aravaipas nickte und drückte mit blumigen Worten seine Zustimmung aus, während er seinen alten Kriegern, die den Rat des Stammes bildeten, zublinzelte. Die zahnlosen Greise unterdrückten ihre Heiterkeit kaum noch. Sie hielten Cochise für einen Narren, denn was wollte der mit zwölf Kriegern gegen die Weißen am Fluß ausrichten? Außerdem war dies die beste Gelegenheit zu zeigen, daß Cochises Friede keiner sein konnte. Denn die Weißen drangen weiterhin in das Land der Apachen ein und wußten doch, daß diese Halbwüste die letzte Hürde vor der Hölle war. Cochise nahm noch einen kleinen Schluck Tizwin und lauschte den Trommeln. Ein Instrument unterschied sich von dem Rhythmus der anderen. Der Krieger spielte die Melodie, die die Männer des Stammes zum Kampf aufrief. »Wann willst du zu den Weißen reiten?« fragte Eskaminzin laut und sah Cochise eindringlich an. »Wir haben gegessen«, erwiderte der Chief. »Ich reite, wenn uns das Essen in unseren Bäuchen nicht mehr behindert.« Der Ruf der Kriegstrommeln wurde kräftiger, lauter. Durchdringend überlagerte die Melodie die Rhythmen der anderen Instrumente und übertönte selbst noch den Klang der einsaitigen Apachenfiedel, die nun einfiel. Cochise sah auf. Genau gegenüber stand ein Krieger von vielleicht zwanzig Sommern. Das Gesicht des Mannes war durch die flackernden Flammen kaum zu erkennen. Zudem
stand die Sonne so steil, daß sie alle Augen blendete, die zu dem Aravaipa blickten. Abrupt verstummte das Dröhnen der Trommel. »Sag uns Kriegern, Jefe«, rief der Mann, »warum wir nicht Beute machen sollen? Sag uns, warum du verboten hast, Skalps zu nehmen. Sag uns, warum du die Bleichgesichter schützt. Wir Krieger wollen töten. Wir wollen das Blut der Weißhäutigen sehen, wollen ihr Gewimmer im Todeskämpf hören und unser Land von ihnen befreien.« Eskaminzin sprang geschmeidig auf. Mit drei langen Schritten erreichte der Häuptling den Krieger, holte aus und schlug ihn mit der Faust nieder. Der Aravaipa fiel wie ein Baum. Seine Haare lagen nur eine Handbreit von der Glut entfernt. Und Eskaminzin machte sich daran, den Mann ins Feuer zu schieben. Denn er hatte es gewagt, die heilige Gastfreundschaft zu verletzen und damit auch seinen eigenen Chief tödlich beleidigt. Cochise hob die Linke ein wenig und rief halblaut: »Nein, Bruder, laß den Krieger leben. Er ist ein junger Wolf, der aus dem Rudel ausbrechen möchte. Er wird der Vater vieler Söhne sein. Und seine Söhne werden noch in fünfzig oder mehr Sommern nach Art der Apachen leben. Aber kämpft er jetzt, stirbt er. Tötest du ihn, bringt er deinem Stamm keine Söhne mehr. Laß den jungen Wolf leben, Eskaminzin. Ich schenke dir dieses Leben.« Der Häuptling der Aravaipas blickte Cochise über die Flammen hinweg an und erkannte, daß der große Anführer seine Worte ernst meinte. Sofort ergriff Eskaminzin die Gelegenheit und sagte: »Gut, aber über dieses Leben müssen wir allein sprechen.« Cochise nickte und stand auf. Er folgte dem Aravaipa hinter die Jacales zum Grasplatz der Pferde. Hier konnte kein Krieger anschleichen und die beiden Männer belauschen. *
John Haggerty war mit der Wildnis vertraut. Nicht nur seiner Freundschaft mit Cochise wegen hatte er den Titel eines Lieutenants von General Howard verliehen bekommen. John war einer der besten Scouts des Südwestens. Er vermochte sich fast wie ein Apache unsichtbar zu machen, fand Wasser an Orten, die jedem anderen Weißen nur ein müdes Lächeln entlockt hätten und wußte all seine Sinne zu gebrauchen. Und so spürte Haggerty, als er nach Süden ritt, daß etwas vorging in dem wilden Land, dessen Kargheit beinahe schon wieder schön zu nennen war. John entschloß sich, den kräfteraubenden Trail nach Fort Buchanan zu nehmen. Das Pferd war stark genug, um diese Strecke bewältigen zu können. Der Scout mußte die Greasewood Mountains durchqueren, die sich südöstlich an die Pinalenos anschlossen. Hatte John diesen Gebirgszug hinter sich gebracht, lagen noch etwa fünfzig Meilen vor ihm, bis er das Fort erreichte. Haggerty wußte nicht, daß Victorios Krieger das Land abgeriegelt hatten. Trotz Kenntnis dieser Tatsache wäre er auf jeden Fall geritten. Denn wenn im Land der Aravaipas Goldsucher den Boden umwühlten, so zählte das Leben des Scouts nicht viel. Es ging um den Frieden im Südwesten, darum, Howards und Cochises Versprechen nicht als Lügen erscheinen zu lassen. John lenkte das Tier zu einer Rinne, die während des spärlichen Regens als Wasserlauf diente. Der Staub lag in diesem Arroyo fast zwei Inches hoch, denn schon lange war kein Wasser mehr vom Himmel auf die ausgedörrte Erde gefallen. Nach den ersten Schritten des Pferdes zog John am Zügel. Der Scout vermochte nicht zu sagen, was ihn mißtrauisch gemacht hatte, aber er achtete auf die Warnungen seines Instinktes. Aufmerksam musterte Haggerty die Überkante der schrägen
Rinne, senkte seinen Blick zu den glatten Wandungen und dem Staubbett auf dem Boden. Es wirkte unberührt, aber was hatte das schon zu bedeuten? Es gab zahllose Wege in die Berge, und mehr als zwei Dutzend führten dorthin, wo dieser Arroya mündete. Eine schwache, kaum wahrnehmbare Bewegung ließ John aufmerken. Er sah wieder hinauf. Eine dünne, nur gegen das Licht der Sonne kaum zu erkennende Staubfahne wirbelte durch die Luft. Haggerty sog tief die Luft in die Lungen. Das hier waren Apachentricks. Vielleicht lag dort oben wirklich ein Krieger auf der Lauer, wartete nur auf den Weißen, der arglos heraufritt und tötete das verhaßte Bleichgesicht. Genausogut konnte es ein anderer Trick sein. Ein zweiter roter Kämpfer lauerte auf dem Ausweichpfad, und sein Kumpan warf dort oben den Sand in die Luft, um den Weißen zum anderen Weg zu treiben. Aus diesen verschiedenen Möglichkeiten ließen sich eine ganze Menge böser Situationen zusammenstellen. Und fast jede konnte für den Scout tödlich enden. Haggerty preßte entschlossen seinem Pferd die Absätze in die Flanken. Das Tier griff weit aus, stieß sich mit den Hinterbeinen ab und trabte fast durch die Rinne nach oben. Mit dem letzten Ausgreifen gewann das Pferd den flachen, steinigen Rand und spürte plötzlich Johns Faust zwischen den Ohren. Erschreckt machte es einen Satz nach vorne. Ein Revolver wummerte. Die Kugel fauchte eine Armlänge an Haggerty vorbei. Seine Witterung hatte ihn nicht getrogen. Die Feinde lauerten hier oben. Während der Scout das Pferd in Galopp brachte, sah sich der Reiter schnell um. Es war lange her, seit er diesen Weg genommen hatte. Verändert hatte sich nicht viel. Die Büsche waren ein wenig größer geworden, und die schrundigen Felsen lagen noch immer so, wie er es in Erinnerung hatte. In wilden Zickzacksprüngen lenkte Haggerty das Pferd auf die
mehr als mannshohen Felsen zu. Zwischen ihnen wollte er sich bis zu den Gelbkiefern vorarbeiten, die etwa hundert Yard entfernt wuchsen. Die Deckung der jungen Bäume war für John ausreichend. Wenn aber zwischen diesen Kiefern Apachen lauerten, stand es schlecht um ihn. Ich muß durch, dachte der Scout. Wenn die Aravaipas die Weißen töten und davonjagen, kommen in ein paar Wochen Tausende von goldhungrigen Kerlen und metzeln zuerst die Apachen nieder, bevor sie nach Gold suchen. Dann flammt der Krieg wieder auf, und Cochise und ich stehen auf verschiedenen Seiten und müssen gegeneinander kämpfen. Das Pferd schnaufte laut, gehorchte aber den scharfen Rucken der Zügel. Dicht an den Felsen hetzte es vorbei, und mehr als einmal war Johns Bein in Gefahr, von vorstehenden Gesteinszacken aufgerissen zu werden. »Hooco, Falke, ich sehe dich!« rief ein Krieger kehlig hinter John. »Warte auf mich, Falke, du bist eine Made, weiß wie eine Made, die im fetten Boden lebt. Warte, Falke, damit ich dir deinen Skalp nehmen kann!« Haggerty stieß einen kurzen Fluch aus. Der Sprachfärbung nach war ein Mimbrenjo hinter ihm her. Und Victorios Krieger hielten sich nicht an Cochises versprechen, keinen Weißen zu überfallen. Die Zweige zwischen den Kiefern schwankten. Kein Windhauch fächelte über den Berghang. John zog gewaltig am Zügel, riß das Pferd förmlich nach rechts, aber es war zu spät. Zwei Mimbrenjo-Krieger trieben ihre kleinen, zähen Ponys an und preschten aus der grünen Deckung hervor. »Komm zu uns, Falke!« brüllte einer der Indianer spottend, »schenk uns deinen Skalp!« John sah, daß die beiden Apachen die Richtung änderten. Sie trennten sich. Einer der Krieger ritt am Rand der Gelbkiefern entlang, versperrte dem Scout die Flucht nach vorne, und der
zweite Apache schnitt John den Weg aus dem Felsengeröll heraus ab. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis die Pfeile schwirrten. Da, drei dumpfe Schläge. Die Eisenspitzen hatten das Sattelleder durchbohrt. Erschreckt stieg das Pferd vorne hoch, als es die Wunden spürte. Haggerty hatte alle Hände voll zu tun, aber als das Tier schrill wieherte, als es den Schmerz des stechenden Eisens spürte, das durch die Sattelbewegungen immer mehr Haut aufriß, mußte John aufgeben. Er zog die Winchester aus dem Scabbard, lud durch und schnellte sich aus dem Sattel. Der Scout prallte hart auf, drehte sich blitzschnell um die eigene Achse und stieß sich mit den Füßen ab. Als er sich umwandte, war der Sattel des Pferdes gespickt von Pfeilen. Und jetzt schlugen drei der tödlichen Geschosse in den Hals des Tieres. Es röchelte, knickte mit den Vorderbeinen ein und brach zusammen. Grimmig zog Haggerty das Gewehr an die Schulter und feuerte. Der Apache vor der Kiefernwaldung wurde wie von einer gewaltigen Faust von seinem Pony gefegt. Die beiden anderen stießen schrille Schreie aus. Ihre Mustangs reagierten auf den leichtesten Zügeldruck, auf die winzigsten Bewegungen der Beine und Hacken. Mit sinnverwirrenden Sprüngen, die vor und zurück, nach links, rechts, schräg zur Seite führten, näherten sich die Pferde der beiden Mimbrenjos den Bäumen. John pendelte mit dem Gewehr hin und her. Wenn er endlich einen Krieger im Visier hatte, abdrücken wollte, vollführte dessen Pony einen unerwarteten Satz. Zorn stieg in dem Scout auf, und Zorn war ein schlechter Ratgeber. Haggerty holte tief Luft und jagte einen Fächer von acht Kugeln zu den beiden Reitern hinüber.
Das linke Tier steilte vorn hoch, hilflos fuhren die Hufe durch die Luft, und der Mimbrenjo schnellte sich wie ein braunroter Ball von seinem Pony. Der Krieger landete unsanft mit dem Kopf und Nacken auf einem kniehohen Stein und bäumte sich auf, bevor er reglos liegenblieb. Der Kopf hing seltsam schief zur Seite. Der Apache mußte sich das Genick gebrochen haben. Voller Wut stieß der letzte Kämpfer seinen Schlachtruf aus und jagte heran. John wartete bis zum letzten Moment und feuerte. Der Indianer war sofort tot. Haggerty zog Patronen aus den Gurtschlaufen und lud die Winchester auf. Wo drei Mimbrenjos auf der Lauer lagen, konnten noch mehr sein. Lange wartete der Scout ab. Er besaß die Geduld der Apachen, wenn es darauf ankam. Während der Wartezeit überlegte John, daß er zu Fuß nach Fort Buchanan marschieren mußte. Der einzige Ausweg war ein Indianermustang. Für einen toten Krieger wäre das Einfangen eines Ponys kein Problem gewesen. Haggerty jedoch trug den Geruch der Weißen mit sich, und das machte die Sache ungeheuer schwierig. Die Sonne war ein großes Stück weiter nach Westen gewandert, als der Scout schließlich die Deckung der Gelbkiefern verließ und lautlos zu dem ersten toten Krieger schlich. Der Apache war in den ewigen Jagdgründen, daran hatte John keinen Zweifel. Auch der zweite Angreifer lebte nicht mehr. Haggerty huschte zu dem dritten Mann hinüber. Irgendwas warnte den Scout. Aufmerksam betrachtete er den Mimbrenjo. Es konnte sein, daß er sich das Genick gebrochen hatte. Aber genausogut war es möglich, daß sich der Krieger verstellte. Abschätzend blickte John auf die Adern am Hals. Die Sonne blendete den Weißen, so daß er nicht sehen konnte, ob sie pulsierten. Es knackte metallisch, als Haggerty den Hahn der Winchester
zurücklegte. Schußbereit das Gewehr in den Fäusten, pirschte sich der Chiefscout weiter. Als er noch drei Schritte von dem Krieger entfernt war, kam Leben in den Indianer. Er schnellte sich zur Seite, hielt plötzlich einen Colt in der Hand und feuerte. John sah fast genau in die orangerote Blume des Mündungsfeuers, spürte einen scharfen Schmerz am Hals und drückte ab. Der Krieger war tot, jetzt war er tot. Aber vorher hatte er länger als zwei Stunden in glühender Sonne gelegen und nur darauf gewartet, dem verhaßten Bleichgesicht das Leben nehmen zu können. Haggerty griff mit der Linken zum Hals. Als er die Finger zurückzog und betrachtete, waren sie naß von Blut. Ruhig erforschte John die Wunde. Sie schlug nicht im Takt seines Herzens, also hatte er eine Chance. Der Scout löste das Halstuch und klemmte es zwischen die Zähne, als er zu den Bäumen zurückging. Dort, im Halbschatten, mußte eine bestimmte Pflanze wachsen, deren Blätter blutstillend wirkten, wenn sie zu einem Brei zerkaut und auf die Wunde gestrichen wurden. John suchte lange. Es dämmerte bereits, als er die Pflanze fand. Brach denn wirklich schon der Abend herein? Mühsam wandte Haggerty den Kopf. Die Sonne stach grell in seine Augen. Nein, es war noch heller Tag. Der Blutverlust hatte den Scout geschwächt. Er verlor langsam die Besinnung. Schnell, dachte er, ich muß mich verbinden. Er rupfte mit unsicheren Bewegungen Blätter ab, steckte sie in den Mund und kaute mühsam. Jedes Zusammenbeißen der Zähne jagte einen höllisch heißen Schmerz durch die Halswunde. Endlich schien der Brei richtig zu sein. Mühsam holte der Scout die Masse aus dem Mund und verlor beinahe die Hälfte davon. Lange Zeit stierte Haggerty auf den Boden, auf die braungefärbten Nadeln und fand den Anblick der hellgrünen
Flecken des Breis auf diesem Untergrund lustig. Er kam wieder zu sich, und sofort spürte er den Schmerz. Dies war das sicherste Zeichen, daß sein Kopf halbwegs klar wurde. John schmierte sich den Rest des schon trocknenden Gemisches auf die Verletzung und hoffte, daß die Kugel sauber gewesen war. Denn sonst war eine Blutvergiftung fällig. Und die verlief in neunzig von hundert Fällen tödlich. Mit ungeschickten Fingern knotete John das Halstuch so fest um den Hals, daß er gerade noch Luft bekam. Erschöpft hielt er inne und dachte nach. Aber während er versuchte, die Gedankenfetzen zu haschen, fiel er zur Seite auf das weiche Polster aus Piniennadeln und versank in Bewußtlosigkeit. Victorios Krieger hatten ihre Aufgabe erfüllt: Der Weg nach Süden, die zahllosen Trails und Pfade, die nur den Apachen bekannt waren, blieben für jeden Menschen gesperrt. Und der einzige Weiße, der Scout John Haggerty, lag besinnungslos im Schatten der Kiefern. Nur er hätte das erneute Auflodern der Kämpfe verhindern können. Aber er hatte keine Chance. * Cochise sah Eskaminzin lächelnd an und sagte: »Berichte, mein Bruder, was bringen die alten Männer vor? Reden sie vom Krieg? Stehen in ihrem müden Geist die Heldentaten ihrer Jugend wieder auf?« Der Aravaipa lächelte ebenfalls. »Häuptling«, erwiderte er respektvoll, »du weißt, daß ich mein Volk bewahren will. Du weißt, daß wir Vieh züchten und Äcker bauen. Aber jetzt sind die weißen Männer an unseren Fluß gekommen und waschen das Gold aus dem Sand. Sie durchwühlen die Hänge der Berge, zerstören die Wurzeln der Bäume und Sträucher, und der spärliche Regen rinnt auf dem
nackten Gestein davon.« Cochise nickte. Er kannte als Sohn der Halbwüste jedes Wasserproblem, das nur denkbar war. Aber hier ging es nicht um das kostbare Naß. Hier ging es um mehr. »Die Alten, die zahnlosen Männer des Rates«, fuhr Eskaminzin fort, »sie fordern, daß meine Krieger mit Pfeilen und Kriegsgeschrei über die Eindringlinge herfallen.« Abermals nickte der große Chief. Cochise erweckte den Eindruck eines Felsens, den nichts erschütterte. »Aber du willst Frieden halten, Bruder«, sagte er. »Das ist gut und klug von dir. Der Rat der Alten stimmte also deinem Vorschlag zu, mich herzuholen, und mich die Eindringlinge vertreiben zu lassen?« »So ist es, Bruder«, antwortete Eskaminzin. »Du weißt, was das bedeuten kann?« fragte der Häuptling. Der Aravaipa senkte den Kopf. Ja, Eskaminzin wußte, was geschah, wenn es zu Blutvergießen kam. Cochise stand als Lügner und Wortbrecher vor den Weißen. Sie würden sich nicht länger den Befehlen der Blaujacken fügen, sondern wie die Sommerheuschrecken über das wilde Land der Apachen herfallen. Zahllose Scharmützel, ja, Kriege waren die Folge davon. Und dann, wenn die Weißen in Not gerieten, kamen auch mehr Blauröcke in den Südwesten. Und das mußte das Ende der freien Stämme sein. »Victorio hat seine Krieger angewiesen, jeden Pfad nach Süden abzuriegeln«, sagte Cochise halblaut. »Der Mimbrenjo ist mein Widersacher. Er spricht zu seinen Männern von Mangas Colorados, der ein Mimbrenjo war. Er spricht davon, daß er als Führer größer, weiser, geschickter und kampflüsterner war als ich es bin.« »Weiche nicht ab von deinem Pfad«, sagte Eskaminzin unruhig. »Du mußt den Weißen verständlich machen, daß ein jeder Chief den Befehl über seine Männer hat, daß du als oberster Führer nur Einfluß besitzt, wenn auch die kleinen Jefes
der anderen Stämme zustimmen. Sie halten sich an dein Wort, sicher, aber immer wieder schicken sie ihre Krieger aus, um Weiße auszurauben und zu töten. Es ist kein Krieg, der über unserem Land liegt, es ist die Kampfeslust unserer Männer, Cochise.« Eine Weile standen die beiden Führer auf dem Grasteppich und sahen den Mustangs zu, die ruhig weideten. »Gut, ich werde selbst nachsehen«, sagte Cochise schließlich. »Meine Kundschafter beobachten sicher schon das Lager der Weißen und berichten mir, wenn ich zu ihnen stoße.« »Was hast du vor?« wollte der Aravaipa wissen. »Welchen Weg nimmst du, Cochise?« Er lächelte hart, unnachgiebig, als er antwortete: »Den der Herausforderung, des Spottes und der Beleidigung. Du weißt, daß jeder Bleichhäutige von sich glaubt, jedem Indianer überlegen zu sein.« Eskaminzin nickte. In seinen Augen funkelte Erregung. »Ich brauche deine Krieger, Bruder«, fuhr der Chief fort. »Sie alle sollen die Gewehre nehmen, die du für sie verwahrst. Die Gewehre sind wichtig, glaube mir.« Der Aravaipa hob die Rechte. Fragend sah Cochise den Mann an, der sagte: »Wichtiger als du glaubst. Denn nicht nur die Weißen plündern unser Land. Die alten Feinde, Wichitas und Caddos, fallen über uns her. Sie erschlagen Weiße, rauben und morden, und die Blaujacken sehen in den Apachen die Gegner. Meine Späher berichten von mehr als doppelt so vielen Kriegern, wie ich besitze. Die Wichitas haben einen Angriff auf das Lager der Goldsucher durchgeführt und wurden zurückgeschlagen. Die Gewehre der Bleichgesichter brachten den Tod über die Wichitas und ihre Freunde. Aber die Goldsucher haben einen Sieg errungen und fühlen sich stark und mächtig.« Cochise spürte, wie ihn Erregung ergriff. Dies war genau die Situation, die er brauchte. Die Überheblichkeit der
Bleichgesichter gegenüber den Indianern brachte ihm nur Vorteile. In ihrem Hochmut würden die Goldsucher bereit sein, seine Herausforderung anzunehmen. Es war möglich, einige Dinge zugleich zu erledigen. Einmal die Weißen zu vertreiben und zweitens Victorio bloßzustellen, der darauf setzte, daß es einen heißen Kampf und dadurch das Auflodern des Krieges geben würde. »Wir nehmen uns die räuberischen Wichitas vor«, versprach Cochise. »Ich wünschte, Falke wäre in der Nähe. Denn das sind Dinge, die er wissen sollte.« Der Chief ahnte nicht, daß Haggerty nur ein paar Dutzend Meilen entfernt bewußtlos zwischen halbhohen Kiefern lag, angeschossen von Victorios Mimbrenjoposten. »Aber zuerst müssen die Goldgräber das Land verlassen«, sagte Eskaminzin ernst. »Du solltest wissen, Cochise. In unseren Bergen gibt es ein Tal, das bei meinem Volk einen bestimmten Namen hat. Es heißt Schlucht des hundertfachen Todes. Klapperschlangen leben dort, und nur sie beherrschen dieses Tal. In längst vergangener Zeit fanden die Eisenmänner dort Gold in der Bergwand. Heute noch führt eine Höhle in den Felsen. Und durch diese Wände ziehen Goldadern, die so dick wie unsere Arme sind. Du siehst, es ist notwendig, daß die Weißen davonreiten. Der Fluß führt nicht viel des gelben Eisens mit sich. Wenn die Weißen ungeduldig werden, durchstreifen sie mein Land. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie in die Schlucht des hundertfachen Todes gelangen und die Höhle der Eisenmänner finden. Und was dann geschieht, kannst du dir vorstellen.« Innerlich erschrak der große Häuptling. Von der Existenz dieser Mine hatte er nichts gewußt. Aber sicherlich besaß jeder Stamm solche uralten Geheimnisse. Es galt, sie auf jeden Fall vor den Bleichgesichtern zu bewahren. Denn wurde die Lage eines Goldstollens bekannt, blieb den Apachen nur noch der Tod im Kampf, der Untergang.
»Die alten Männer wollten die Weißen in dieses Tal locken und das Gewürm die Arbeit machen lassen«, fuhr Eskaminzin fort. »Ich hielt das für einen schlechten Plan. Denn wenn auch nur ein Bleichgesicht entkommt, wenn auch nur ein Weißer die Höhle findet, besteht wieder Gefahr für uns.« Die Folgen wären unabsehbar. Cochise war einer jener wenigen Indianer, die weiter sahen als bis zur Wand ihres Jacales. Er bedachte die Zukunft seiner Rasse, hörte von Vettern, die weit entfernt im Norden gegen die Eindringlinge Schlachten schlugen und zurückweichen mußten, hörte von dem merkwürdigen Eisenweg, der von rauchenden und stöhnenden Maschinen befahren wurde und von den singenden Drähten, mit denen sich die Bleichgesichter auf geheimnisvolle Weise über weite Strecken hinweg verständigten. Dies alles waren unverständliche Dinge, fast Wunder, für einen Naturmenschen wie Cochise. Das Leben der Apachen war darauf ausgerichtet, sich selbst und die Sippe am Leben zu erhalten, zu überleben. Es gab keinen Raum für unnütze Dinge. Der nackte Existenzkampf in Wüste und Halbwüste forderte den Kriegern alles ab. Und gerade weil das so war, ahnte Cochise, daß diese Lebensweise zum Untergang verurteilt war. Der weiße Mann, weitaus weniger zäh und listig als ein Apachenkrieger, überlebte dank seiner anderen Kenntnisse und Fähigkeiten. Er zwang dem Wasser seinen Willen, den Weg der Weißen auf. Er verwandelte kargen Boden in fruchtbares Land, er züchtete Tiere, die als Nahrung dienten, aber er taugte nicht im Kampf. Ging diese Fähigkeit verloren, wenn man sich mit den Dingen der Weißen beschäftigte? Cochise wußte es nicht. Und er würde es niemals erfahren. Er konnte nur dafür sorgen, daß sein Volk überlebte und nicht ausgerottet wurde. Dies war sein Ziel, und um sein Ziel zu erreichen, wandte er jede List an, derer ein Apachenführer fähig war. »Zeige mir den Weg zu dem Ort der Bleichgesichter«, sagte
Cochise zu Eskaminzin. »Ich werde sie beobachten und dann entscheiden. Bereite deine Krieger darauf vor, daß sie sich ringsum verteilen. Sie sollen auf halber Höhe der Talwände warten. Wenn der Rennkuckuck einmal ruft, müssen deine Männer über die Köpfe der Weißen schießen. Ruft er zweimal, müssen sie töten.« Cochise verschwendete kein Wort daran, daß seine Befehle und seine Zeichen unbedingt beachtet werden mußten. Das setzte er voraus. Er sah Eskaminzins besorgtes Gesicht und sagte: »Wenn die Weißen abziehen, nimmst du die Gewehre wieder an dich. Ich weiß nichts von Waffen, die dreizehnmal hintereinander feuern, mein Bruder.« Der Aravaipa-Führer wirkte erleichtert. Denn die Winchesterbüchsen stammten aus einem Beutezug und sollten so wenig wie möglich gesehen werden. Sie waren das gefährlichste Mittel des Stammes, wenn er sich gegen eine Übermacht zur Wehr setzen mußte. Cochise pfiff leise, und sein Pony trabte heran. Das Tier rieb seine Nüstern an den Schultern seines Herrn und schnaubte. Sekunden später ritt er in die Richtung, die ihm der Aravaipa gewiesen hatte. Und nach etwas mehr als zwei Stunden stand Cochises Plan fest. Er saß inmitten eines Feldes von Holzgras und hatte seine Späher gesprochen. Sie berichteten, was er selbst auch beobachtet hatte. Die Weißen waren nachlässig bei der Bewachung der Goldfelder. Es mußte so sein, wie Cochise gedacht hatte. In maßloser Überlegenheit schien es den Bleichgesichtern, daß ihnen nichts mehr zustoßen konnte. Die Wachen blickten mehr zum Fluß hin als in die Berge und die Taleinschnitte im Norden und Süden. Cochise saß auf, klopfte dem Pferd den Hals und strich ihm durch die Mähne. Das Tier schnaubte unter der Liebkosung und
ging an. Der Häuptling würde ganz normal heranreiten, warten, bis ihn jemand bemerkte, und dann zu den Eindringlingen reden. Die Krieger der Aravaipas lagen in ihren Stellungen. Das andauernde Fiepen der Taschenratte war das Zeichen gewesen. * Captain Jack schuftete wie ein Verrückter auf seinem Claim. Aber nur wenig Gold kam zum Vorschein. Die Ausbeute war nicht der Rede wert. Wenn es so weiterging, holte Jack an einem langen Tag, der von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dauerte, für ungefähr fünf Dollar Goldstaub und Flitter aus dem Boden. Und das war ein Lohn, der ihm zu gering für den Aufwand, die Umstände und die Gefahren erschien. Der Erfolg der letzten Tage war geschmolzen wie Schnee in der Sonne. Die Gruppe um Captain Jack hatte voll Begeisterung die Goldtaschen geplündert, die im Laufe der Jahrtausende entstanden waren. Jeder der Männer – und auch Lynn Rogers – besaßen mehr als dreihundert Dollar in Gold. Aber damit war es jetzt vorbei. Nun begann die Schinderei für ein paar Cents, und die Digger, die schon seit Wochen hier schufteten, konnten sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Dabei war Jack sicher, daß in diesem Gebiet eine Menge Gold verborgen sein mußte. Er wußte jedoch auch, daß er ohne eingehende Untersuchung, ohne Sprengstoff und erfahrene Bergmänner die Bonanza nicht finden konnte. Hätte er geahnt, wie nahe eine richtige Mine lag, wäre er sicher übergeschnappt. Denn ein Stollen im Berg, durchzogen von armdicken Goldadern, das war der Traum eines jeden Schürfers. Jack warf mit einem Fluch die Schaufel zu Boden. Nein, das war Schinderei. Mit hartem körperlichem Einsatz war hier nichts zu holen. Der Anführer blickte zum
Nachbarclaim hinüber. Lynn Rogers arbeitete stetig weiter. Sie sah nicht auf, sah sich nicht um. Die Frau warf zwar bei jedem Heben der Schaufel nur halb so viel Erde in ihren Waschtrog, aber sie gab nicht auf. Captain Jack schüttelte unwillig den Kopf. Dieses Weib, sie war wie ein Falke unter lauter Tauben. Jack blies die Wangen auf und betrachtete interessiert die Beine, die sich unter dem straffen Stoff der Hose abzeichneten. Einer solchen Frau mußte ein Mann schon etwas bieten, um sie an sich zu binden. Mit einem Beutel Gold, ohne Aussicht auf mehr, gab sich Lynn Rogers sicher nicht zufrieden. Jack hatte das dringende Bedürfnis, zu Elena und ihren Freundinnen zu gehen. Er wandte sich um, konnte aber das Bild des schlanken, geschmeidigen Frauenkörpers nicht vergessen. Jack marschierte auf die größte Hütte zu. Dort gingen die Mädchen ihrer Arbeit nach. Der vierschrötige Mann erwachte aus seinen Gedanken, schüttelte sie ab, wie ein Puma das Wasser nach dem Bad im klaren Bergsee, und blieb wie erstarrt stehen. Diese verruchten Hundesöhne. Die Posten, die das Diggercamp, die kleine Stadt Klondyke bewachen sollten, schauten zu, wie ihre Diggerfreunde arbeiteten. Jähe Wut schoß in Jack hoch. Er merkte nicht, daß er beide Hände zu Fäusten ballte. Mit schweren Schritten stampfte er auf die Posten zu, die den Nordzugang bewachen sollten. Ein Mann verließ seinen Standort. Er ging immer schneller, rannte nun und lief auf seinen Claim zu. Jack wurde schneller. Er schnitt dem zerlumpten Kerl den Weg ab, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn durch. »Was fällt dir ein, du Ochse«, brüllte Jack. »Du bist zur Wache eingeteilt. Du und die anderen, ihr seid dafür verantwortlich, uns vor dem nächsten Indianerangriff zu warnen. Wie kommst du dazu, deinen Posten zu verlassen, du
hirnverbrannter Narr?« Der Kerl wich Jacks Blick aus und erwiderte: »Mann, da arbeitet ein Bursche auf meinem Claim. Auf meinem Claim, verstehst du? Er holt mein Gold raus, und ich schaufle nachher nur noch Dreck.« »Das ist mir egal«, sagte Jack scharf. »Du hast Wachdienst, verschwinde auf deinen Posten, bevor ich dich zusammenschlage!« Der dünne Goldsucher straffte sich. Seine Augen glitzerten auf einmal drohend, und er sagte: »Das solltest du besser nicht versuchen, Mister. Du bist nicht unser Anführer. Du bist nur ein gewalttätiger Hurensohn, der hier einfach kommandieren will.« Jack holte tief Luft. Die Adern am Hals schwollen an. Noch beherrschte sich der vierschrötige Mann, aber lange dauerte es nicht mehr, bis ihm der Geduldsfaden riß. »Hör zu, Maulwurf«, erwiderte Jack leise, »ich bin der einzige Mann hier, der wirklich was von Gold versteht. Das hast du doch wohl begriffen, oder nicht?« Unwillkürlich nickte der Digger, Jack hatte recht. »Ich war in Kalifornien dabei, in Montana und bei dem großen Fund in Cripple Creek in Colorado«, fuhr Jack fort. »Ich weiß, wovon ich rede. Und ich weiß auch, daß die Apachen die schlimmsten Roten sind, die es gibt. Weißt du überhaupt, daß uns gestern gar keine Apachen angegriffen haben? Das waren umherziehende Wichitas und Caddos. Sie kommen aus New Mexico, von der anderen Seite des Rio Grande. Die Apachen, die Wüstenkrieger, haben wir noch vor uns. Was sagst du jetzt?« Der aufrührerische Gesichtsausdruck des dürren Diggers machte einer unbestimmten Angst Platz. »Das waren keine Apachen?« fragte der Kerl mit unsicherer Stimme. »Nein, die kommen noch«, entgegnete Jack hart, »heute oder morgen, sie kommen, verlaß dich darauf. Und wir haben nur eine Chance, wenn ihr Posten wachsam wie die Luchse seid.
Hast du das begriffen, du blutiger Narr?« Der Digger nickte langsam und wandte sich um. Mit gleichmäßigen Schritten marschierte er auf seinen Posten zurück und spähte aufmerksam nach Norden. Jack war zufrieden. Diesen Kerl hatte er in Trab gebracht. Aber die anderen waren genauso nachlässig. Sie kamen sich wohl ziemlich großartig vor, weil sie einen Indianerangriff abgeschlagen hatten. Wenn sie doch nur richtig darüber nachdenken würden. Ihnen mußte doch klar sein, daß nur das verheerende Feuer der zwanzig Gewehre der neuen Goldsucher das Camp gerettet hatten. Voller Grimm stapfte Captain Jack zu dem nächsten Wächter hinauf und brüllte den Mann zusammen. Der Kerl schien überhaupt nicht zu begreifen. Er grinste breit, zeigte seine schwärzlichen, abgebrochenen Zähne und sagte mit New Orleans-Dialekt in der Stimme: »Mistah, was geht's dich an? Bist du hier der Boß, he? Zahle ich Steuern an dich?« »Du bist dümmer als ein Ochse«, erwiderte Jack bitter. »Wenn die Apachen kommen, fährst du sicher als erster zur Hölle.« »Spiel dich nicht so auf«, entgegnete der Kerl. »Wenn es mir paßt, beobachte ich das Land. Jetzt habe ich was besseres zu sehen. Wenn dir das nicht paßt, Mann, denn verschwinde doch. Dich hat keiner gerufen, und wir haben dich nicht zu unserem Anführer gewählt, kapiert?« Jack wollte zuschlagen, wollte seinen Zorn, seinen Grimm an diesem Großmaul auslassen, aber er hielt sich zurück. Denn wenn er so anfing, hörten bald die anderen überhaupt nicht auf ihn. Und Jack wollte ja in Klondyke die Macht an sich reißen und nicht nur am Gold, sondern an jedem Cent verdienen, der ausgegeben wurde. Er wandte den Kopf etwas und schaute in die Richtung, in die auch der Posten blickte.
»Ach du dicker Nugget«, murmelte Jack angewidert, als er durch die Fensterhöhle des Freudenhauses sehen konnte. Die Girls hatten den Fetzen Tuch zurückgeschlagen, ihnen war es wohl zu warm geworden. Und Glasscheiben oder Ölpapier gab es hier in der Wildnis nicht. »Hoffentlich denkst du daran«, sagte Jack und wies mit der Hand auf das Bretterhaus. »Wenn dir die Roten den Skalp abziehen, dann hast du in der Hölle wenigstens eine schöne Erinnerung.« »Hau doch endlich ab«, erwiderte der Kerl aus New Orleans nur und ließ sich nicht weiter stören. Jack marschierte davon. Er spürte unbändige Wut in sich. Mit solchen Idioten war wirklich nichts anzufangen. Der Bärtige, der den selbsternannten Captain schon zweimal gereizt hatte, kroch aus einem Erdloch und grinste. Der Mund wirkte wie ein Loch im schwarzen Gestrüpp des Bartes. »Na, das läuft wohl nicht so, wie du dir das vorstellst, Jack«, sagte der Mann. Der bullige Digger blieb stehen und starrte den Bärtigen ein paar Sekunden lang an und verzog dann sein Gesicht zu einer bösen Grimasse. »Habe ich dir das zu verdanken?« fragte Jack rauh. »Du hast doch schon zweimal gestänkert, Mister.« Der Bärtige lachte laut und erwiderte: »Mach du nur dein Spielchen. Ich amüsiere mich darüber, weiter nichts.« »Was weißt du von den Apachen hier?« fragte Jack aus einer plötzlichen Eingebung heraus. »Ich kenne mich mit Indianern aus, aber nicht mit diesen roten Teufeln. Komm mit zu meinem Claim. Ich gebe dir 'nen Whisky aus.« Der Bärtige nickte und ging neben Jack her. Lynn hielt mit dem Schaufeln einen Moment inne. Der Schweiß lief ihr über das Gesicht und hatte die kastanienfarbenen Haare in nasse Strähnen verwandelt, auf die sich der Staub wie eine graue Puderschicht gelegt hatte.
»Also los«, forderte Jack den Bärtigen auf, nachdem der einen großen Schluck aus der Blechflasche genommen hatte, die Whisky enthielt. »Sie kommen«, behauptete der andere, »aber wir sehen sie erst, wenn sie neben uns aus dem Boden wachsen. Das hier ist das Land der Aravaipas. Ihr Chief ist friedlich, will keinen Krieg mit den Weißen. Aber wenn er die anderen Stämme um Hilfe ruft, wird von uns keiner am Leben bleiben.« »Ich denke, Cochise hat mit diesem General einen Friedensvertrag geschlossen«, sagte Jack unruhig. »Hat er«, erwiderte der andere, »aber wir dürfen nicht hier sein. Das hat Howard den Apachen garantiert. Und wenn uns die Soldaten erwischen, jagen sie uns davon.« Captain Jack knirschte mit den Zähnen. Wut überzog sein Gesicht, als er sagte: »Diese verfluchten Blaubäuche und stinkenden Roten, Mann, das ist ein freies Land. Und ich grabe dort ein Loch, wo es mir gerade paßt.« »Solange dir keiner die Schaufel wegnimmt«, erwiderte der Bärtige. »Ich habe ein mächtig schlechtes Gefühl, Jack. Heute wird noch irgendwas passieren, verlaß dich darauf. War ganz gut, daß du die Posten geweckt hast, aber sie nutzen uns nichts, wenn die Apachen angreifen.« Unwillkürlich schaute sich Jack um. Lachend sagte der andere: »Du siehst einen Apachenkrieger erst dann, wenn er dir den Kopf abschneidet. Und dann ist es für dich zu spät.« Der bullige Jack schüttelte sich und antwortete: »Ein scheußliches Gefühl ist das, Mann. Wann kommen sie?« »Wenn sie kommen, dann kurz vor Einbruch der Dämmerung«, erwiderte der Bärtige. »Sie machen einen Angriff und ziehen sich zurück. Aber sie bleiben die ganze Nacht in der Nähe, um uns verrückt zu machen. Am Morgen greifen sie dann wieder an. Aber ich weiß nicht, ob ich einen großen Kampf wittere. Cochise wird ziemlich sauer sein, wenn er davon
erfährt. Er ist der größte Führer, ein schlauer Fuchs, dieser Häuptling.« Nach einer Weile, als die Männer nochmals getrunken hatten, sagte Jack: »Wenn ich ihn vor die Mündung bekäme, deinen schlauen Fuchs Cochise, ich würde ihm eine Kugel geben. Er ist doch nur ein Roter wie alle anderen auch.« Der Bärtige schüttelte nachsichtig den Kopf und erwiderte: »Ohne ihn wären wir schon alle tot. Dann hätten wir aber im Südwesten einen richtigen Krieg.« Der Goldsucher wandte sich um, wollte wieder zu seinem Claim gehen und weiterarbeiten. Aber er blieb wie gebannt stehen. »Was ist denn los? Hat dich was gebissen?« fragte Jack. »Da hast du den großen Chief«, sagte der Digger halblaut. »Dort oben, auf dem Hügelkamm, hockt er auf seinem Mustang und beobachtet uns.« Jack fuhr herum, kniff die Lider zusammen und sprang mit einem Satz vor, bückte sich und riß die Winchester hoch. Die Entfernung war für einen sicheren Schuß ideal. Aber als Captain Jack abdrücken wollte, schlug der Bärtige die Waffe zur Seite und brüllte: »Bist du verrückt? Denkst du, Cochise ist allein gekommen? Wir alle sterben in zwei Sekunden, wenn du den Häuptling auch nur verwundest. Da, er kommt zu uns ins Tal runter. Wir müssen abwarten, was er von uns will, Jack. Erst dann können wir überlegen und handeln.« Jack atmete schwer und verfluchte den Bärtigen. Denn sicher hätten die Krieger erst mal ihren toten Chief geborgen, wenn ihn die Kugel erwischt hätte. Für die Digger wäre Zeit genug geblieben, eine richtige Verteidigung zu organisieren. Aber Jack hatte keine Ahnung von der listigen Kampfesweise der Apachen. Sie griffen in einer solchen Lage niemals offen an, wie die Wichitas oder andere Reitervölker des Nordens es machten. Die Apachen überraschten die Feinde.
* John Haggerty öffnete die Augen und blinzelte zur Sonne hoch. Aber da war keine Sonne mehr, da war nur noch der azurblaue Himmel, dessen Farbe allmählich dunkler zu werden schien. »Bei allen Höllenkatzen«, fluchte John, »diesmal bin ich wirklich weg gewesen.« Er blickte nach Westen, die Sonnenscheibe stand glutrot über den Bergen. In weniger als drei Stunden war es völlig dunkel. Der Chiefscout lag hier unter Pinienästen und spürte die Schwäche in allen Gliedern. »Es ist der Blutverlust«, murmelte John und tastete nach dem Verband. Er war trocken und saß fest. Wenigstens das war in Ordnung, dachte Haggerty und überlegte, was er nun anfangen könnte. Ich brauche ein Pferd, dachte der Scout, als er sich erhob. Drei tote Tiere lagen nicht weit entfernt. Zwei waren Indianerponys, und der dritte Kadaver war mal Johns zäher Grauer gewesen. Aber wo trieb sich der vierte Indianermustang herum? Haggerty schöpfte Hoffnung. Zugleich spürte er Niedergeschlagenheit, denn es war für einen weißen Mann sehr schwer, ein Apachenpony einzufangen. Die Tiere scheuten den Geruch der Weißen, schreckten vor ihnen zurück, wie es ihnen die Krieger beigebracht hatten, die Mustangs wurden sanft gezähmt, an den Herrn und Reiter langsam gewöhnt und nicht brutal eingebrochen, wie es oft mit den Pferden der Weißen geschah. Der Scout machte sich auf den Weg. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er die Fährte des Ponys fand. Johns Schritte waren unsicher. Schwankend marschierte er hinter den Hufabdrücken her. Die Spur führte in einen schmalen Einschnitt, dessen Boden aus kahlem Fels bestand. Die fast senkrecht aufragenden Wände
wirkten stumpf. Auf winzigen Vorsprüngen hatte der Wind Erde abgelagert und Samen hingetragen. Kräuter wucherten dort, aber die Hitze hatte ihren Tribut gefordert. Die Blätter der Gewächse hingen schlaff herab. Keine Fährte mehr. John stolperte unsicher weiter. Der Mustang konnte nur weitergelaufen sein. Es sei denn, er war wie eine Spinne die Steilwände hinaufgekrochen, aber daran glaubte der Scout nicht so recht. Die Schlucht wurde breiter. John horchte angestrengt, als er den kühlen Hauch von Wasser zu spüren glaubte. Der schwache Mann schritt schneller aus, konnte seine Ungeduld kaum zügeln, denn wenn es hier Wasser gab, war auch der Mustang dort. Haggerty hatte Glück. Das Pferd stand an einer Pfanne in den Felsen, in der es silbrig aufglänzte. Das Tier wieherte, warf den Kopf hoch, daß die goldfarbene Mähne wallte und sprang zur Seite. »Jetzt habe ich dich«, sagte Haggerty zufrieden. Aber er hatte das Pony noch nicht. Es sollte noch fast eine Stunde dauern, bis er den jungen Hengst so in die Enge getrieben hatte, daß er nach den aus Gras geflochtenen Indianerzügeln greifen konnte. Zitternd stand der Mann neben dem Kopf des Pferdes, sog der Mustang den unvertrauten Geruch ein. Und dann zog sich John Haggerty mühsam auf den Rücken des Pferdes. »Lauf nach Süden«, raunte der geschwächte Mann. »Ich muß zum Fort, muß zu Howard. Die Hölle bricht in Arizona auf, wenn ich meine Meldung nicht machen kann.« Der Mustang marschierte los, umrundete die Wasserpfanne und ging mit kurzen, schnellen Schritten durch die Schlucht. Vor den Kiefern schlug das Tier die Richtung nach Westen ein. Haggerty erwachte aus seiner Benommenheit und riß am Graszügel.
»Nach Süden, dummes Vieh«, krächzte der Scout, »du mußt nach Süden.« Das Pony ließ sich nicht beirren. Es ging weiter nach Westen, suchte sich seinen Weg selbst und kletterte wie eine Bergziege über Pfade, die kaum einen halben Yard aus den Steilwänden herausragten. So sehr sich Haggerty auch bemühte, wenn er halbwegs bei Bewußtsein war, er vermochte den Willen des Pferdes nicht zu ändern. Das Tier ging geradewegs auf die San Carlos Reservation zu. Von dort waren die Mimbrenjo-Krieger gekommen, und dorthin trieb es das Tier zurück. John ergab sich in sein Schicksal. Er konnte nichts, aber auch gar nichts daran ändern, denn er war schwach und matt. Sollten ihn doch Victorios Krieger gegen irgendwas eintauschen. Sollten sie ihn töten, es war egal, vollkommen egal. Immer wieder verlor er das Bewußtsein für Minuten, dann wieder gewann er aus einer verborgenen Quelle seines Körpers neue Kraft und riß sich zusammen. Aber die Zeiten der Besinnungslosigkeit wurden immer länger, dauerten an, und die Zeit, in der er wach war, konnte man nach Minuten zählen. Nur der Instinkt hielt den verwundeten Mann auf dem Pferderücken. Es dunkelte bereits, als das Pony stehenblieb und warnend schnaubte. Es warf den Kopf hoch, sog tief den Geruch ein und wieherte laut und grell. Vor dem Tier lag eine mit halbhohen Bäumen und Sträuchern bewachsene Ebene, die an der Felswand zu enden schien, die für Greasewood-Gebirge die höchste Erhebung war. Ein Pfad führte um den Fuß dieses Gipfels herum. Und dieser Weg war den Mimbrenjos bekannt. Sekunden später dröhnten Hufe über den Boden. Ein Dutzend Reiter jagte heran. Braunhäutige Gestalten duckten sich hinter die weit vorgestreckten Köpfe mit den wehenden Mähnen. In Sekundenschnelle war der Mimbrenjo-Mustang umzingelt.
Kräftige Hände packten zu, hoben den verletzten Weißen aus dem Sattel und ein Krieger sagte in einer fremden Sprache: »Wah! Das ist John Haggerty. Er ist der Häuptling aller Scouts in diesem Land. Kana-Wanka wird zufrieden sein mit dieser Beute.« John spürte nichts. Er war bewußtlos. Sein geschwächter Körper brauchte Ruhe, den tiefen, heilenden Schlaf. Aber noch schwankte er zwischen zwei Mustangs, gehalten von den Händen der Wichita-Krieger, die ihren Fang zu ihrem Versteck brachten. Das Mimbrenjo-Pony war eine weitere willkommene Beute. Drei Krieger folgten der Fährte zurück, holten Johns Ausrüstung und die Winchester und plünderten die toten Späher der Mimbrenjos aus. Als Haggerty die Augen aufschlug, blickte er in die Flammen eines halbhoch lodernden Feuers. Außer dem Knacken des Holzes in der Glut und den Geräuschen von Pferden war nichts zu hören. Selbst die Nachttiere, die doch in diesen bewaldeten Hängen lebten, verhielten sich still. Unwillkürlich tastete John nach der Halswunde. Er spürte einen neuen, frischen Verband und fühlte sich für Sekunden zufrieden. Aber hatte er denn Grund, zufrieden zu sein? Langsam stemmte sich der verletzte Scout hoch. Er blickte in die dunklen Augen eines Kriegers. Der Mann war kein Apache, das sah Haggerty sofort. Er schätzte, daß der Wächter zu den Wichitas gehörte, die weit im Osten lebten, jenseits des Rio Grande. Aber immer wieder zogen starke Banden dieses Stammes zusammen mit ihren Verwandten, den Caddos, aus, um Raubzüge durchzuführen. In den Wichitas und Caddos vereinigten sich das Können der Krieger mit den Hinterlistigkeiten der Weißen. Was hatte dieser Trupp hier zu suchen, hier in Eskaminzins Land?
»Der Häuptling will mit dir reden«, sagte der Wächter und verschwand aus dem Lichtkreis des Feuers. Sekunden später kam der Krieger mit einem untersetzten, kräftigen Mann zurück, der so etwas wie Würde ausstrahlte. Aber dieses Gefühl verschwand sofort, als der Chief grinste und sagte: »Du bist wertvoll, John Haggerty. Du bist gute Beute für uns.« Verdammt, woher kennt mich der Kerl? dachte John. »Wir haben Späher überall«, prahlte der Anführer der räuberischen Bande. »Wir wissen von dir und deiner Freundschaft zu Cochise. Darum sind wir hier. Wir rauben die Aravaipas aus, die sich wie alte Weiber benehmen und nicht kämpfen. Aber ihr Häuptling ist ein schlauer Fuchs. Er hat den großen Chief zu Hilfe geholt. Cochise kämpft gegen die weißen Goldgräber. Er wird sie davonjagen, das weiß ich sicher. Aber dann steht er gegen uns. Und meine Horde zählt mehr als hundert Krieger.« »Was willst du von mir?« fragte Haggerty. »Warum hast du mich verbinden lassen? Ich stehe jetzt auf, Mann. Und ich nehme mir ein Pferd, meine Waffen und setze meinen Weg fort, als wäre ich euch nie begegnet.« Der Chief lachte laut auf und rief: »Du bleibst hier, Haggerty. Ich bin Häuptling Gelbschlange, und ich bestimme, ob du getötet oder vorher lange Stunden gemartert wirst. Du mußt kräftig werden, weißer Mann, damit du die Martern lange aushältst.« John rührte sich nicht. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel, und sein Blick blieb fest. Enttäuscht fuhr Gelbschlange fort: »Vielleicht verkaufen wir dich auch an die Pferdesoldaten oder an Cochise. Das weiß ich noch nicht. Aber wenn unsere Feinde zu nahe kommen, stirbst du. Sie werden nicht wagen, den obersten Späher der Blaubäuche zu gefährden.« Cochise war in der Nähe. Dies zählte für Haggerty. Wenn er
nur die Gelegenheit bekäme, ein paar Rauchzeichen zu geben. Sicher ließ sich der Häuptling von Kundschaftern abschirmen. Haggerty schöpfte Hoffnung. Aber als der Tag anbrach, verschwand sie wie die Dunkelheit vor der Sonne, denn die Wichitas ließen ihn keine Sekunde aus den Augen. Offensichtlich wußten sie seinen Wert genau einzuschätzen und wollten ihn als Druckmittel behalten. John dachte an Cochise und hoffte, daß er die Goldsucher mit friedlichen Mitteln zum Abzug bewegen konnte. * Cochise saß gelassen auf seinem hageren, zäh wirkenden Mustang, als er in das Tal der Aravaipas ritt. Die Bleichgesichter hatten ihn gesehen. Und er hatte bemerkt, daß der bärtige Mann dem anderen das Gewehr aus den Händen schlug. Der Bärtige schien klug zu sein, klüger als der andere, der vor kurzer Zeit die Wächter zurechtgewiesen hatte. Es war nutzlos gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt waren die Chiricahuas und die Krieger Eskaminzins bereits in ihren Stellungen. Kein Weißer sieht einen Apachen, wenn er das nicht will, dachte Cochise und blickte in das Tal hinab. Die Bleichgesichter standen reglos. Sie starrten zu dem einzelnen Indianer hin, der so gelassen zu ihnen herabritt. Furcht kroch den Diggern in die Knochen. Mit den schwieligen Fingern umklammerten sie ihre Werkzeuge, packten die Schaufelstiele und Hacken fester, waren bereit, damit um sich zu schlagen. Nur den wenigsten kam der Gedanke, daß Werkzeuge kümmerliche Waffen gegen einen Trupp Apachen sein mußten. Cooper streckte den Kopf aus seinem Erdloch und zog sich hoch. Mit zwei langen Schritten war der Revolvermann neben Captain Jack. Von der anderen Seite lief Tomeo Avellan über
Lynns Claim zu der Gruppe. »Sollen wir den Kerl zur Hölle schicken, wenn er in Schußweite ist?« fragte Cooper kalt. Lynn sah den Mann an. Er wirkte plötzlich hart und erbarmungslos. Nichts erinnerte sie mehr an den freundlichen Reiter, der auf dem Trail in dieses Flußtal ihrem Pferd geholfen hatte. »Nein, auf keinen Fall«, erwiderte der Bärtige an Jacks Stelle. »Der Häuptling kommt nur, wenn ihn eine Streitmacht von Kriegern absichert. Wir sterben alle, wenn hier auch nur ein Schuß fällt.« Lynn verspürte trotz der Sonnenhitze einen kühlen Hauch in ihrem Nacken. Es war, als hätte der Atem des Todes sie gestreift. Die schöne Frau spürte auf einmal ganz deutlich, daß dies hier kein Land für sie war. Jeder Weiße mußte verloren sein, der sich hier niederließ. Es sei denn, er genoß die Freundschaft der Apachen. Und die war schwerer zu erringen als der Job des Präsidenten. Ich gehe zurück, dachte Lynn. Wenn ich heil hier wegkomme, reite ich nach Tucson. Dort gibt es für eine Frau wie mich sicher genügend Möglichkeiten. Da gibt es Minenbesitzer, die vor Geld geradezu stinken, die nicht mehr laufen könnten, wenn sie all ihre Dollars mit sich herumschleppten. Cochise zügelte seinen Mustang ein halbes Dutzend Längen vor Captain Jack. Prüfend musterte der Häuptling die Gruppe der Weißen, er sah, daß eine Frau dabei war und erkannte, daß sie wie die Männer den Boden durchwühlte. »Ich bin Cochise«, sagte der Häuptling mit kräftiger, weithin hallender Stimme. »Dies ist unser Land, Apachenland. Meine Brüder, die Aravaipas haben mich geholt. Ihr tut Unrecht, Bleichgesichter, Unrecht nach euren eigenen Gesetzen. General Howard, der Vater der Pferdesoldaten, hat dieses Land den Aravaipas zugesprochen. Geht. Ihr müßt verschwunden sein, wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat.«
Captain Jack lachte laut und rief: »Was ist, wenn wir nicht gehen? Das ist freies Land, Mann. Und wohin ich meinen Fuß setze, bestimmt kein General und kein Apache. Wir bleiben!« Cochise schüttelte leicht den Kopf. Der große Chief hatte den bulligen Weißen schon durchschaut. Er spielte den Anführer, aber in Wahrheit gab es keinen Boß bei diesen Maulwürfen. Jeder sorgte für sich und versuchte, so viel wie möglich zu ergattern. »Du wirst es erleben, was geschieht«, erwiderte Cochise ruhig. »Ihr tut Unrecht. Folgt dem Recht, folgt dem Wort, das der Soldatenvater mir und allen Stämmen gab.« Jack holte tief Luft. Wider Willen war er von dem Häuptling beeindruckt. Wie selbstsicher, gelassen er auf seinem Mustang saß. Er erweckte den Eindruck, als könne ihm einfach nichts passieren, als sei er gegen alles gefeit, was losbrechen könnte. »Paß auf, Häuptling«, rief Captain Jack, »wir suchen hier nur Gold, verstehst du? Wir suchen nach dem gelben Eisen, das für euch nutzlos ist. Wir können etwas damit anfangen, Chief, aber das begreifst du sicher nicht. Warum ist das schlecht? Wenn der Boden nichts mehr hergibt, ziehen wir ab. Früher nicht, das verspreche ich dir.« Cochise lächelte spöttisch und erwiderte: »Ich weiß genau, was die Bleichgesichter mit dem Gold anfangen. Sie lieben es, geben ihr Leben dafür, und so werdet auch ihr eure Leben hergeben müssen. Ihr habt bis zum höchsten Stand der Sonne Zeit, nicht mehr. Und es ist unser Gold, unser Land, es ist Apachengold, Bleichgesicht. Ihr dürft mitnehmen, was ihr gefunden habt. Cochise ist großmütig. Ihr gelangt ohne Gefahr für euch in das Gebiet der Weißen.« Captain Jack witterte einen Vorteil. Warum gab sich der Chief so großzügig? Hatte er gar keine Krieger in der Hinterhand? War er allein gekommen? »Du verdammter Hundesohn«, rief Jack, »du willst uns bluffen, weiter nichts. Wir bleiben, und wir geben dir zwei
Minuten Zeit zu verschwinden. Bist du dann noch in Gewehrschußweite, durchlöchern wir dich.« Cochise griff zum Kampfbeil, das an der Seite seiner hirschledernen Hose in einer Schlinge baumelte. »Für deine Beleidigung müßte ich dich töten, weißer Mann«, sagte der Häuptling laut. »Aber ich gab mein Wort, daß ihr abziehen könnt.« Captain Jack bekam immer mehr Mut. Er schüttelte die Hand des Bärtigen ab, der ihn zurückhalten wollte und trat zwei Schritte vor. »So sieht also ein Apache in Wirklichkeit aus«, höhnte Jack. »Du bist ein Weib, Cochise, kein Kämpfer. Warum fürchtest du dich vor uns? Weißt du überhaupt, wie viele Gewehre auf dich gerichtet sind? Ein Ruf von mir genügt, um dich zur Hölle zu schicken.« Dem Chief war nicht anzumerken, daß seine Geduld beinahe erschöpft war. »Los, jagen wir ihn davon!« brüllte Jack und lief auf das struppige Pony zu. Er schwang die Winchester wie eine Keule. Vier, fünf andere folgten dem selbsternannten Anführer des Camps. Sie rissen ihre Schaufeln und Hacken hoch und waren entschlossen, den verdammten Apachenhäuptling wie eine Ratte zu erschlagen. »Los, geben wir's dem Hund«, brüllte Jack, »wir sind schon mal mit Rothäuten fertig geworden. Den hier schaffen wir auch noch!« Fast zwei Dutzend Digger folgten diesem Ruf. Die anderen zogen sich etwas zurück, sahen sich um, musterten die Hügel, die Deckungen und warteten auf das Eingreifen der Krieger, die irgendwo verborgen sein mußten. Plötzlich erklang laut der Ruf eines Wüstenvogels. Der Rennkuckuck rief einmal. Und dieser Ruf war noch nicht verhallt, als es geschah. Mehr als fünfzig Gewehre peitschten. Ein Bleihagel fuhr
zwischen die Weißen, zerstörte Wasserschläuche, zerschlug Kaffeekannen und Gepäck, und zahlreiche Kugeln prallten als Querschläger von den Schaufelblättern ab und sirrten jaulend davon. Innerhalb von zwei Sekunden stand das Pony mit dem großen Häuptling allein an dem Platz, wo er sein Tier verhalten hatte. »Wir sind keine Caddos und keine Wichitas«, sagte der Chief, »wir bekämpfen den weißen Mann mit seinen eigenen Waffen. Meine Krieger haben zahlreiche Gewehre, moderne Gewehre, und ihr wißt nicht einmal, wo meine Krieger stecken. Ich will kein Blutvergießen. Ich will den Frieden, den ich versprochen habe, halten. Geht, reitet davon, ihr seid nicht in Gefahr, wenn ihr abzieht. Ich weiß, daß ihr kaum Gold gefunden habt. Was hält euch, hier in unserem Land?« Captain Jack stand gebückt vor dem Pferd. Das Pony bleckte die Zähne. Jack hatte den Eindruck, der struppige Indianermustang lache ihn aus. Und das brachte den stämmigen Mann fast um den Verstand. »Kampflos verschwinden wir nicht!« brüllte er. »Hier gibt's Wasser. Ich könnte Pferde oder Rinder züchten. Dies ist gutes Land, denn der Creek ist hier.« Die meisten Digger schüttelten die Köpfe. Sie waren hinter schnellem Reichtum her, nicht hinter harter Arbeit. Captain Jack schien einen Sonnenstich zu haben. »Dann kämpfe doch, Jack«, rief einer der Goldsucher, »los, tritt doch gegen Cochise an.« »Das werde ich auch!« brüllte Jack und beugte sich noch weiter vor. Seine Arme hielt er ausgebreitet, als wolle er den Chief in einer gewaltigen Umarmung an seine Brust ziehen und zerquetschen. »Na los, Jack«, hetzte ein anderer, »wir müssen abziehen, das ist klar. Gold gibt's auch kaum noch. Was sollen wir also noch hier? Aber vorher gönnen wir uns noch einen kleinen Spaß,
wenn wir dir zusehen, wie der Apache dich fertigmacht.« »Ja, du hast doch in den letzten Tagen die Schnauze am weitesten aufgerissen, Jack«, schrie ein anderer. »Wenn Cochise gewinnt, ziehen wir bis Mittag ab. Gewinnst du, bleiben wir ungeschoren, bis auch das letzte Gramm Gold gefunden ist. Ist das ein fairer Vorschlag?« Aufmerksam beobachtete der Häuptling den untersetzten stämmigen Weißen. »Ich nehme an«, stieß Jack hervor. »Halten die Bleichgesichter ihr Wort?« fragte Cochise laut. »Reitet ihr bis zum höchsten Stand der Sonne, wenn sie wieder erscheint?« Ein paar Sekunden lang schwirrten die Stimmen der Goldsucher so laut durcheinander, daß selbst das Murmeln des Creeks nicht mehr zu hören war. »Ja, Chief«, rief der Bärtige dann, »wir halten unser Wort. Dürfen wir das Gold mitnehmen, das wir gefunden haben?« Erstaunt blickte Cochise auf den Bärtigen und sagte: »Ich habe euch doch mein Wort gegeben.« »Also los, spannen wir einen Seilcorral«, rief ein zerlumpter Digger und rannte davon. Der Apachenführer wartete reglos auf dem Rücken seines Ponys, bis die Vorbereitungen getroffen waren und sah zu, was die Weißhäutigen machten. * Wenige Minuten dauerte es nur, bis der Ring fertig war. Captain Jack zog sich das verschwitzte Hemd aus und warf es achtlos zur Seite. »Welche Waffen nehmen wir?« fragte der bullige Mann laut. Die Zuschauer wurden still, als sie die mächtigen Muskelstränge auf Jacks Oberkörper, an seinen Armen und den Schultern sahen.
Das versprach ein spannender Kampf zu werden. »Wähle deine Waffe, Bleichgesicht«, antwortete Cochise und saß ab. »Messer«, erwiderte Jack kurz und grinste zufrieden, als der Chief zustimmend nickte. Auch Cochise legte sein ledernes Hemd ab, löste das Kampfbeil aus der Schlaufe und warf es auf das Hemd. Der Indianer überragte den Weißen um mehr als Kopfeslänge. Und auch er besaß einen muskelbepackten Oberkörper. Die Sonne stand schon schräg, leuchtete auf die bronzefarbene Haut des Chiefs, ließ die Muskelstränge hervortreten. »Also los!« rief Captain Jack und stürmte vor. Er rannte geduckt auf Cochise zu, hielt das Messer in der Linken und schien einen Stoß von unten nach oben führen zu wollen. Aber das war nur ein Trick. Im letzten Moment würde Jack die Hand drehen, etwas zur Seite reißen und schräg zustoßen. Cochise bewegte nur den Oberkörper, wich dem Stoß aus und vollführte mit dem Messerarm eine blitzschnelle Bewegung. Auf Jacks weißer Haut erschien ein roter Strich, klaffte auseinander, und Blut quoll hervor. Der Weiße stieß einen unartikulierten Schrei aus und wurde vorsichtiger. Wie ein Raubtier seine Beute, so umkreiste Jack den großen Häuptling, wartete nur auf die Gelegenheit, ihm sein Messer in den Leib zu rennen. Aber Cochise war auf der Hut. Er verfolgte jede Bewegung, ahnte jeden Angriff voraus und konterte erbarmungslos. Die Zuschauer verfolgten gespannt den Kampf. Lediglich der Bärtige sah sich um und runzelte die Stirn. Lynn bemerkte die Bewegung, blickte ebenfalls zu den Talwänden und erschrak. Mehr als sechzig Krieger standen hinter Steinen, Büschen und Baumgruppen und beobachteten genauso gespannt wie die Weißen den Zweikampf am Rio Aravaipa. Lynn sah den Bärtigen an.
»Zu viele für uns«, raunte der Mann, »machen wir uns bereit. Wenn der Häuptling verliert, fallen die anderen über uns her. Los, zeigen wir, daß wir auf jeden Fall abziehen. Sie lassen uns dann durch.« »Glauben Sie, daß Jack eine Chance hat?« wollte Lynn wissen. »Eigentlich nicht, aber man kann nie wissen, auf wessen Seite das Glück gerade ist«, erwiderte der Bärtige. Die Zuschauer brüllten begeistert auf, als Cochise ausglitt und zu Boden fiel. Er fing sich mit der Linken ab, wollte sich herumwerfen, aber da nahm Jack seine Chance wahr. Mit einem gewaltigen Satz sprang er vor, stieß sich ab und flog beinahe zwei Yards weit durch die Luft. Das Messer mit der langen Klinge hielt der Goldsucher wie eine Lanze vorgestreckt. Er wollte sich auf den Indianer werfen und ihn an den Boden nageln. Aber Cochises Fall war nur ein Trick gewesen. Der Apache glitt wie eine Schlange zur Seite, streckte den Messerarm vor und prellte seinem Gegner das Messer aus der Hand. Geschmeidig wie ein Puma kam Cochise wieder auf die Füße. Er lächelte spöttisch, als er sein Messer wegwarf und sagte: »Ich bin fair, Bleichgesicht. Komm, kämpfe mit mir.« Captain Jack stand keuchend vor dem hochgewachsenen, muskelbepackten Häuptling. Schweiß lief ihm in Strömen über Gesicht und Oberkörper. Ein Hoffnungsschimmer, dachte Jack. Die meisten Roten sind uns Weißen im körperlichen Zweikampf unterlegen. Er stürmte vor, steppte zur Seite und packte blitzschnell zu. Mit beiden Armen umschlang er Cochises Hüften, wollte den großen Krieger zu Boden zwingen, aber wie ein Fels stand der auf seinen Beinen. Fast bedächtig wirkten seine Bewegungen, als er sich etwas vorbeugte. Und dann ging alles sehr schnell. Jack wirbelte schreiend durch die Luft, prallte zwei Yards weiter schwer zu
Boden und rappelte sich benommen wieder auf. Rote Schleier tanzten vor seinen Augen. Wut war es, Wut und Benommenheit, die seine Sinne verwirrte. Er mußte doch einsehen, daß er Cochise unterlegen war. Aber wild brüllend jagte Captain Jack auf den Indianer zu. Der Chief packte ihn, drehte den schweren Körper herum und legte Jack den Arm von hinten so um den Hals, daß er ihm die Luft abschnürte. »Der Kampf ist aus«, sagte der Häuptling laut, und sein Atem ging kaum schneller als vorher. »Wir ziehen ab«, rief der Bärtige. »Mit der Morgensonne reiten wir, Häuptling. Tötest du deinen Gegner?« Cochise war großmütig. Er lockerte seinen Griff, ließ Jack zu Boden gleiten und wandte sich ab. Mit einem Satz übersprang der Häuptling die Seile, die den Kampfplatz abteilten und ging zu seinem Mustang. Captain Jack konnte die Niederlage nicht verwinden. Die roten Schleier verschwanden, und nur kalte Wut blieb in dem besiegten Mann zurück. Eine Armlänge entfernt glänzte etwas Metallisches auf dem Boden. Es waren die Revolver, die Ed Cooper und der Mex fallengelassen hatten, als die Warnsalve der Krieger aufgepeitscht war. Mit einem Ruck schob sich der Weiße vor, packte einen Colt und warf sich herum. Knackend rastete der Hahn ein. »Fahr zur Hölle, du roter Hund!« brüllte Jack wie von Sinnen und drückte ab. Aber als er den Abzugswiderstand überwand, spürte er einen harten Schlag gegen den Hals. Ein heißer, scharfer Schmerz nahm dem Mann die Besinnung, nahm ihm das Leben. Cochise hatte gerade das Kampfbeil in die Schlinge hängen wollen, als er das Knacken hörte. Sofort reagierte der Häuptling, warf sein Tomahawk und tötete Captain Jack.
Abwartend stand er neben seinem Pony. Wenn die Weißen nun zu den Waffen griffen, waren sie verloren, war der Frieden wieder einmal im Südwesten verloren. Aber die Goldsucher wagten nicht, gegen mehr als sechzig kampfbereite Krieger vorzugehen, die moderne Gewehre in den Fäusten hielten. Cochise holte sein Kampfbeil und sein Messer, säuberte beides, zog sein Hemd an und schwang sich auf sein Pony. Als er zwischen den Stämmen der Kiefern verschwand, atmeten die Weißen auf. Sie hatten genügend Zeit, ihre Sachen zu packen und sich marschbereit zu machen. Irgendwo in Arizona gab es sicher noch Gold. Irgendwann lachte ihnen das Glück, fanden sie die große Bonanza, von der jeder träumte. Cochise hingegen stieß zu seinen Kriegern, betrachtete spöttisch Victorios mürrisches Gesicht und sagte nichts. Der Mimbrenjo hatte eine Schlappe erlitten. Seine fein gesponnenen Listen, seine Versuche, waren mißlungen. Der große Häuptling hatte keine Hilfe benötigt, um mit den Eindringlingen in Eskaminzins Land fertig zu werden. Cochise dachte an die Wichitas. Sobald die Weißen weit genug entfernt waren, mußte er sich um die räuberischen Krieger kümmern. Auch sie durften keine Unruhe in das Land tragen. Denn alles fiel auf die Apachen zurück und konnte den kaum gefestigten Frieden gefährden. Vielleicht sollte er in diesem Fall die Pferdesoldaten um Hilfe bitten, dachte der Häuptling. Er ahnte nicht, daß sein Blutsbruder John »Falke« Haggerty Gefangener der Wichitas war und niemanden sehnlichster herbeiwünschte als Cochise. Cochise würde kommen, denn er kämpfte für sein Land, seine Rasse und seine Freunde, zu denen er vor allen anderen John zählte.
ENDE