Holger Herma Liebe und Authentizität
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Holger Herma Liebe und Authentizität
VS RESEARCH Kultur und gesellschaftliche Praxis Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Corsten, Universität Hildesheim PD Dr. Karl Friedrich Bohler, Friedrich-Schiller-Universität Jena Prof. Dr. Hartmut Rosa, Friedrich-Schiller-Universität Jena
In den letzten Jahrzehnten hat es in der deutschsprachigen wie internationalen Soziologie nicht nur einen massiven Anstieg von Studien zu mannigfaltigen Kulturerscheinungen und verschiedenartigen Formen gesellschaftlicher Praxis gegeben. Es ist sowohl von einem practical turn als auch von einem cultural turn in den Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften die Rede. Die Reihe hat sich den Anspruch gesetzt, die Vielfalt theoretischer und empirischer Untersuchungen im Feld der Kultur- und Gesellschaftsforschung miteinander zu verbinden. Publiziert werden sollen Arbeiten, die kultur- und praxisanalytische Zugänge systematisch verknüpfen, um darüber die symbolisch-praktische Erzeugung sozialer Welten nachzuzeichnen. Die in dieser Reihe versammelten Studien widmen sich der Rekonstruktion von historischen, kulturellen und praktischen Bedingungen der Entstehung einzelner gesellschaftlicher Symptome und der Analyse der Gegenwartsgesellschaft als Ganzer.
Holger Herma
Liebe und Authentizität Generationswandel in Paarbeziehungen
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Günter Burkart
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Freie Universität Berlin, 2007
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Christina M. Brian / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16552-3
Geleitwort
Holger Herma stellt in der vorliegenden Studie einen zweifachen Mythos in Frage: den einen, dass man die Liebe wissenschaftlich nicht erklären könne; und den anderen, dass Liebe höchstpersönliche Individualität repräsentiere und Ausdruck eines authentischen Selbst sei. Gegenüber der ersten Auffassung gibt er zu bedenken, dass die Liebenden selbst über Vorstellungen von Liebe verfügen, die zwar nicht auf wissenschaftliche Beschreibungen im engeren Sinn zurückgehen, aber doch auf kulturell geformte Wissensbestände. Der zweiten begegnet er mit seiner eigenen empirischen Studie über Veränderungen der Liebessemantik, die als Generationenvergleich angelegt ist und somit deutlich machen kann, dass Mitglieder verschiedener Generationen unterschiedliche Vorstellungen über die Liebe haben, die mit unterschiedlichen biografischen Mustern der Selbstthematisierung einhergehen. Dabei ist es eine wesentliche Absicht des Autors, nicht nur – wie es meist der Fall ist – die Veränderungen der Liebessemantik im Kontext langfristiger Modernisierungsprozesse zu untersuchen, sondern kürzere Rhythmen des Wandels zu erfassen. Dazu betrachtet er Muster biografischer Konstruktionen, bezogen auf Liebe und Individualität, bei Männern und Frauen der Geburtsjahrgänge zwischen 1940 und 1980 in Westdeutschland, verteilt auf drei Generationen. Historische Brüche und Wendepunkte in den Liebesthematisierungen werden dadurch als generationstypische Muster erkennbar. Der Zusammenhang von Liebe, Selbstreflexion und Generationswandel wurde bisher kaum empirisch erforscht. Holger Herma hat 28 Intensiv-Interviews mit Angehörigen dreier Generationen in Westdeutschland geführt. Neun Fallstudien wurden als Referenzfälle für eine Typologie ausgewählt. Eine zentrale Bedeutung schreibt Holger Herma der Authentizitätsproblematik zu, der Frage nach der Echtheit der Liebe. Er verbindet sie mit der Diskussion des Verhältnisses von Liebe und Geschlecht sowie den möglichen Diskrepanzen zwischen Liebesideal und Praxis, die in den soziologischen Beiträgen zur Liebe oft übersehen werden. Der Generationsansatz erweist sich dabei als äußerst hilfreich. Im Anschluss an Karl Mannheim kann der Autor zeigen, dass in der Adoleszenzphase eine besondere Sensibilität für Individualitätsentwürfe besteht, und die Liebe zu einem „kollektiv lebenspraktischen Problem“ wird. Gleichzeitig wird klar, dass die Ausprägungen von romantischer Liebe sehr eng mit historischen Konstellationen zusammenhängen. Während die älteste der drei Generationen die Befreiung der Liebe aus sozialer Normierung als Herausforderung ansieht, sucht die mittlere Generation danach, das eigene Ich zu entdecken, und deshalb ist die „kritische Innerlichkeit und das sozialtherapeutische Sprechen über die Liebe“ typisch für sie. Die Vertreter dieser
6
Geleitwort
Generation ringen um eine adäquate Sprache, mit der sich die Ambivalenzen ihres Gefühlslebens ausdrücken lassen. Die Mitglieder der jüngsten Generation schließlich betrachten es als ihre Aufgabe, sich gegenüber der Optionsvielfalt, dem liberalen Klima, der pluralisierten Gegenwart und der damit gegebenen Kontingenzerfahrung und Unverbindlichkeit zu bewähren. Sie stehen unter Entscheidungsdruck, auch in der Liebe. Das Problem der Legitimierung einer spezifischen Beziehungspraxis auf der Grundlage von romantischer Liebe wird drängender, zumal es Alternativen gibt (die freilich auch begründungspflichtig sind). So wird deutlich, dass in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte generationstypische Muster der Liebessemantik sich als kollektive Antworten auf zeitgeschichtliche Problemstellungen und Herausforderungen entwickelten. Die drei Generationen wollten sich von jeweils unterschiedlichen Lasten befreien: Die erste Generation von den durch die Tradition auferlegten „Beschränkungen individueller Selbstentfaltung in der Liebe“, die zweite von der „Sorge um Entfremdung ,im Inneren‘“, und die jüngste Generation von der „Beliebigkeit“. Zugespitzt lässt sich von einem emanzipatorischen, einem expressiven und einem ironisch-reflexiven Individualismus sprechen. Insgesamt lässt sich als ein zentrales Ergebnis der Studie festhalten, dass die romantische Liebe trotz aller Veränderungen der Geschlechterbeziehungen und des Familienlebens weiterhin vorherrschend bleibt. Neu scheint aber die Notwendigkeit einer reflexiven Begründung der Liebe. Die Studie von Holger Herma ist darüber hinaus ein wichtiger Beitrag zur Geschlechterforschung. Innerhalb der drei Generationen sind prägnante Geschlechtsunterschiede erkennbar. So wird etwa im Fall „Ingeborg S.“ die für diese Generation typische Emanzipationsproblematik deutlich: Sozialer Aufstieg durch Heirat ist für diese Frauen nicht mehr uneingeschränkt legitim. Sie konnten von der Bildungsexpansion profitieren und müssen nun selbst ihren Weg nach oben finden. Im Kontrast zu „Ingeborg S.“ wird bei „Gregor B.“ markant sichtbar, wie unterschiedlich der Umgang mit Sexualität und Liebe zwischen den Geschlechtern damals noch war – überraschend anders als der Mythos „Achtundsechzig“ heute vermuten lässt. Am Beispiel des kulturellen Wandels von Paarbeziehungen wird hier erstmals ein systematischer Vergleich der drei wesentlichen Generationslagen der westdeutschen Gesellschaft vorgelegt. Damit hat Holger Herma in vorbildlicher Weise Aktualität und Bedeutung der Generationssoziologie herausgestellt.
Günter Burkart, Lüneburg im März 2009
Vorwort
In einem Gedicht des Lyrikers und Satirikers Robert Gernhardt heißt es: „Über Liebe kann man nicht schreiben. Man liebt oder lässt es bleiben“.1 Mit dem vorliegenden Buch wurde Gernhardts augenzwinkernder und ironischer Ratschlag außer Acht gelassen. Entstanden ist eine Untersuchung, die sich mit Liebesthematisierungen unterschiedlicher Geburtsjahrgänge befasst. Der damit verbundenen Frage, wie sich das individuelle Ich in seiner Selbstthematisierung in der Liebe zugleich als historisches Ich entäußert, ist die Forschung bislang kaum systematisch nachgegangen. Die Untersuchung entdeckt eine generationsspezifische Gebundenheit des Begriffes Liebe. Sie kommt zu dem Ergebnis einer ‚strukturierten Ungleichzeitigkeit‘ der Liebesauffassungen: Diese ist Ausdruck einer Abfolge kollektiv sinnstiftender Bezugshorizonte, die als Generationserfahrungen hervortreten und dadurch beschreibbar werden. Gedankt sei an dieser Stelle vor allem meinen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern: Ohne ihre Freude und Bereitschaft an und zu ausgiebigen Erzählungen wäre die vorliegende Arbeit nicht entstanden. Ich danke dem Erstbetreuer, Prof. Dr. Günter Burkart, für seine wichtigen Ratschläge und Hilfestellungen, und ganz besonders für seine Geduld und sein stetes Vertrauen in das Gelingen der Arbeit. Dem Zweitbetreuer, Prof. Dr. Michael Corsten, danke ich für weitreichende Unterstützung in zahlreichen, instruktiven Gesprächen; für seine besondere Gabe, bei der sinnrekonstruktiven Herangehensweise mit Datenmaterial zu begeistern sowie nicht den Mut bei der Lösung auch schwieriger konzeptioneller Fragen zu verlieren. Nachdrücklich danke ich meinen Kolleg/innen und Freund/innen Lena Correll, Lisa Pfahl, Lena Schürmann und Boris Traue aus dem ‚Berliner Arbeitskreis DiskursMedienBiographie‘. Sie standen mir über weite Strecken mit Ratschlag beiseite, unterstützten in vielen Diskussionen neue Erkenntnisse und haben immer wieder mit großer Sorgfalt Manuskripte durchgesehen und korrigiert. Für Ratschlag und wichtige Inspiration bin ich Prof. Dr. Werner Schneider sehr verbunden; Maja S. Maier für Kollegialität, Korrekturen und freundschaftliche Unterstützung sowie Ute Gerken für die Vermittlung von Interviewpartner/innen und für Korrekturen. Ohne das zu allen Zeiten große Vertrauen meiner Familie in meinen Berufsweg hätte das vorliegende Buch kaum entstehen können. Meinen ganz besonderen Dank richte ich in diesem Sinne an meine Mutter; für eine Reihe von Transkriptionen, vor allem aber für dauerhafte Unterstützung und steten Rückhalt. Nicht zuletzt danke ich herzlich Christiane, Max und Matthias für unverwüstliche Freundschaft. Holger Herma 1
Aus: „Fünf schlichte Gedichte zu einem komplexen Thema“. In Gernhardt, Robert (2005): Gesammelte Gedichte. Fischer: Frankfurt/M, 3. Aufl.
Dieses Buch ist Adolf Herma gewidmet.
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Verzeichnis der Schaubilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
1 1.1 1.2 1.3 1.3.1
Ausgangspunkt: Romantische Liebe – Ein ‚allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
Romantische Liebe: Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der soziale Konnex von Liebes- und Individualitätssemantik . . . . . . . . Die familiensoziologische Betrachtung der Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderte Paar- und Familienbeziehungen und die Liebe: Eine fragende Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liebe und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziologische Ansätze zur Praxis der Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziologische Ansätze zum Wandel der Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präzisierung der Fragestellung – Selbstthematisierung in der Liebe und Generationswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: Forschungslücken und eigene Hypothesen . . . . . . .
25 28 36
2
Das Konzept der historischen Generation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
2.1
2.3 2.4 2.5
Karl Mannheim: Generation als Zeitverbindung kollektiver Problemhorizonte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Das „Gebiet des Aufgelockerten“ – Adoleszenzerfahrung und Generationsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Gibt es eine kollektive Identität in der Liebe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Biografie, Selbstthematisierung und Generation – Argumentationslinien 80 Generation als biografisches Zurechnungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
3
Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode,Auswertung . . .
1.4 1.5 1.6 1.7 1.8
2.2
40 41 44 49 56 62
85
3.1 Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.1.1 Konstruktion des Samples . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.1.2 Das regionale Kriterium: Divergenzen von Generationszusammenhängen in der Geschichte West- und Ostdeutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
10 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6 3.1.7 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
3.2.5 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4
Inhaltsverzeichnis
Das Kriterium Geburtsjahrgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kriterium Bildungsmilieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Rekrutierungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befragungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Altersstreuung in der Erzählperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komponenten einer wissenssoziologischen Deutungsmusteranalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutung und Gedeutetes – Eine irreführende Dichotomie . . . . . . . . . . . Zur Emergenz sozialer Deutungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Das Deutungsmuster Liebe im Spiegel eines Befreiungstheorems; oder: Sexuelle Revolution und die Fiktion des ‚entsublimierten Ichs‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die narrative Konstruktion von Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretative Materialanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallrekonstruktionen – Das Allgemeine und das Singuläre . . . . . . . . . . . Verfahrensschritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interpretationsrahmen und Typenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88 91 91 92 95 97 97 98 102
105 109 110 110 111 113 115
4
Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3
Vorbetrachtung: Die Vorkriegsjahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rahmenpunkte privater Lebensführung der ‚frühen‘ Jahrgänge . . . . . . . Ingeborg S.: „Schattenseiten“ der Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gregor B.: „Rangordnung in der Zuneigung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Fallrekonstruktionen der frühen Jahrgänge und methodische Zwischenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rahmenpunkte privater Lebensführung der ‚mittleren‘ Jahrgänge . . . . Fallrekonstruktion Karla S.: Die „Einschnitttypen“ der Liebe: Romantik als biografische Verdachtswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rüdiger A.: Liebe und initiative Selbstsensibilisierung als Mann . . . . . . Zwei Kurzporträts der mittleren Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gisela T.: Reziproke Reflexivität und die Suche nach ‚emanzipierter Hingabe‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rainer K.: Der gefesselte Geschlechtshabitus . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich der Fallrekonstruktionen der mittleren Jahrgänge . . . . . . . . . . Rahmenpunkte privater Lebensführung der ‚späten‘ Jahrgänge . . . . . . . Bastian L.: Liebe und Entscheidungsrationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carola M.: Entkopplung von Liebe und Paar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die „Unruhe“ der Judith P.: Sich als traditionsverhaftet ertappen . . . . . . Vergleich der Fallrekonstruktionen der späten Jahrgänge . . . . . . . . . . . .
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3
4.3.4 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4
122 125 128 144 150 154 159 170 179 179 182 187 191 194 203 210 215
Inhaltsverzeichnis
11
5
Empiriegeleitete Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
5.1
5.4.3 5.5
Generationsherausforderung und individuelle Lebenserfahrung in der Liebe – Rekapitulation der Forschungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfahrungshorizont, generationelle Herausforderung und Selbstthematisierung der frühen Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typen biografischer Selbstthematisierung in der Liebe bei den frühen Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion der Konvergenzen und Divergenzen der Typenausprägungen der frühen Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die frühen Jahrgänge und die Liebe: Restaurative Rollennormen versus Autonomieideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfahrungshorizont, generationelle Herausforderung und Selbstthematisierung der mittleren Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typen biografischer Selbstthematisierung in der Liebe bei den mittleren Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion der Konvergenzen und Divergenzen der Typenausprägungen der mittleren Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die mittleren Jahrgänge und die Liebe: Eine Generation der Sensualisten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfahrungshorizont, generationelle Herausforderung und Selbstthematisierung der späten Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typen biografischer Selbstthematisierung in der Liebe bei den späten Jahrgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion der Konvergenzen und Divergenzen der Typenausprägungen der späten Jahrgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die späten Jahrgänge: Virtuosen in einer multioptionalen Welt? . . . . . . Abschließende Bewertung der methodischen Vorgehensweise . . . . . . . .
6
Fazit und Anschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
6.1 6.2 6.2.1 6.3 6.4
Zusammenschau zentraler Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Liebes-Gender und Generationswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Defizite der Geschlechterforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschlechterdifferenz, Partnerschaft und die Frage der Symmetrie . . . . Der Wandel der Liebe in der Forschung: Bisherige Leerstellen und konzeptionelle Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontinuität und Diskontinuität in der Liebessemantik: Der Generationsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.4 5.4.1 5.4.2
6.5
7
217 220 221 222 223 225 225 228 230 235 235 238 240 246
251 253 256 257 259 262
Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Verzeichnis der Schaubilder
Schaubild I:
Altersphasen und historische Kontexte privater Lebensführung . 90
Schaubild II: Tabellarische Übersicht der Datenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Schaubild III: Übersicht über die rekonstruierten Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Schaubild IV: Erfahrungshorizonte und Praxisformen im Generationsvergleich 244 Schaubild V: Biografische Selbstthematisierung in der Liebe im Generationsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Einleitung
Romantische Liebe liegt als Bindungsmotiv des Paares und als kulturelles Ideal noch immer hoch im Kurs. Dieser Eindruck liegt allein nahe mit Blick auf die ungemein breite Ausdehnung der Liebe als Thema des kulturellen Sektors in Massenmedien wie Film, Ratgeberliteratur, Belletristik, Kunst oder dem populären Liebeslied. Auch spricht dafür der gegenwärtig immer vielfältiger werdende Markt sozialtherapeutischer Angebote, der die Ambivalenzen, Nöte sowie Reparaturbedürfnisse in Liebesbeziehungen ratgebend zu begleiten versucht. Zugleich hat es den Anschein, romantische Liebe sei in modernen Biografien zu einer ganz üblichen Normalerwartung avanciert. Oft scheint es so, dass nicht das Lebensgeschick jener als fragwürdig gilt, die aus einer Vielzahl von Liebesbeziehungen permanent unglücklich hervorgehen, sondern derer, die erst gar kein Gegenüber der Liebe finden. Bei der Paarbildung, aber auch der Eheschließung, der Familiengründung oder dem Entschluss zu Trennung und Scheidung, wird der Liebe gehorcht. Sie ist selbstverständlicher Bestandteil der Selbstthematisierungskultur in Paar, Ehe und Familie. Die soziologische Forschung hat dies nicht übersehen: „die Relevanz intimer Beziehungen für die gesellschaftliche Integrations- und Ordnungsbildung – also für die zentralen Fragen der Soziologie (…)“ gilt als unbestritten und könne den „Bestand soziologischer Grundbegriffe“ um die Liebe ergänzen (Burkart/Hahn 1998: 7f.). Das vorliegende Buch untersucht kollektiv geteilte Orientierungen von romantischer Liebe. Diese Orientierungen werden in den Kontext der Frage nach Veränderungen der Liebessemantik gestellt. Zwei Aspekte daran sind in der Literatur bislang nicht befriedigend geklärt: Zum einen, wie die Liebessemantik mit Lebenspraxis zusammenhängt. Wie also die Semantik der Liebe, als Bedeutungssystem und Sinngebungsform, als Regulativ von Unterscheidungen, von Kommunikationen und als Orientierung für das ‚richtige‘ Gefühl, konkret Wirkung im Alltag der Einzelnen entfaltet. Zum anderen, nach welchem sozialen Muster eine Liebessemantik sich kollektiv ausbildet, sich verstetigt, oder umgekehrt, von einer anderen abgelöst wird. In der vorliegenden Untersuchung wird dieses Muster als eine bestimmte Abfolge kollektiver Überzeugungen und Problemstellungen betrachtet. Dazu wird der Denkansatz der ‚historischen Generation‘ (in Anschluss an Karl Mannheim) herangezogen. Die Leistung des Generationskonzepts liegt vor allem darin, der Frage nach dem Wandel der Liebessemantik eine auch empirisch nachvollziehbare Form zu verleihen. Konkret wird dies in der vorliegenden Arbeit für den Zeitraum der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Bundesrepublik Deutschland ausgelotet. Schon im Mittelpunkt Karl Mannheims klassischen Generationsaufsatzes von 1928 stehen jene Verbindungen zwischen Individual- und Kollektivgeschichte, die Angehörige bestimmter Jahrgangsgruppen in einer bestimmten, habituellen, oder
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Einleitung
präziser: wissensförmigen Weise zusammenschmiedet, selbst wenn zwischen diesen Personen keinerlei Bekanntschaft herrscht. Gibt es also auch in der Liebe eine ‚Standortgebundenheit‘ (Mannheim 1980) des Denkens? Zum Umgang mit solchen Fragen, vor allem der klassischen Frage nach den Verbindungen zwischen sozialem Sein und Bewusstsein, hinterließ Mannheim den Sozialwissenschaften mit dem Generationsbegriff eine auch für empirische Forschung greifbare Form. Was soll nun aber ausgerechnet das Liebesthema mit einer Kollektivgeschichte zu tun haben? Der moderne Liebescode verheißt Individuen doch gerade exklusive Gefühlsqualität und pures ‚Selbst-Sein-Können‘ im Reservat der Intimität. Vieles spricht allerdings auch bei der Liebe für gemeinsame Schemata der Sinndeutung, der Problembewältigung und gar für Empfindungen eines verbindenden ‚Wir‘, die aus der historisch geteilten Erfahrungspraxis benachbarter Jahrgangslagerungen hervorgehen können. Daher steht in dieser Studie das Subjekt und seine Selbstthematisierung als Akt der Auseinandersetzung mit dem eigenen geschichtlichen Ort im Mittelpunkt. Die Thematisierung des Selbst in historischen Zeitbezügen stellt eine bislang kaum beachtete Weise des Selbstbezugs dar, wie das Ich in der Liebe sich selbst eine narrative Form verleiht. Diese Formen genauer zu betrachten, erhellt nicht nur die Absetzbewegungen im historischen Prozess. Zugleich wird Aufschluss darüber geleistet, wie die Zeitverortung als biografische Zurechnungsgröße die Wahrnehmung von Gelegenheit und Hindernis auch in der individuellen Lebenspraxis strukturiert: Wie das ‚Ich‘ in der Liebe versucht, den Imperativen ‚seiner‘ Zeit gerecht zu werden, oder gegebenenfalls gegen sie opponiert und neue kreiert. Aber woher kommt eigentlich der enorme „Kulturerfolg“ (Tyrell 1987: 591) der romantischen Liebe? Dies mag an ihren sozialen Funktionen liegen, die über die emotionalen Bande im Paar noch hinausweisen: Als ‚subjektivierendes‘ Medium (Wimbauer 2003) gilt sie als symbolische Auffangform für das moderne Verlangen nach persönlicher Höchstrelevanz. Liebe ist ein Feld, wo man ‚ganze Person‘ sein darf, nicht nur Rollenträger. Die modernisierungstheoretisch orientierte Forschungsliteratur begründet dies mit dem Identitätsversprechen der Liebe, moderne Fragmentierungserfahrungen abzumildern. Sie fungiere als Repräsentationsinstanz von Individualität (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1990, Burkart 1998, Hahn 1987, Luhmann 1982, Simmel 1985, Weber 1921/2) bzw. als „Korrespondenzraum“ (Willems/Willems 1999) moderner Subjektivitätserfahrung (Corsten 1993) in einer kommunikativ vermittelten Lebenswelt, in der die Zunahme öffentlicher Kommunikationen den schalen Geschmack eines ‚ortlos‘ (Luhmann 1982) gewordenen Subjekts hinterlassen hätten.2 Romantische Liebe verspricht damit Ganzheit bzw. Totalität des eigenen Selbst, also einen sozialen Ort, das Selbst als ‚echt‘ bzw. als ‚authentisch‘ zu er2
Vgl. auch Allmendinger et al. (2004), Burkart (2000, 2004), Burkart/Koppetsch (2001), Corsten (1995), Dux (1994), Eberlein (2000), Faulstich (2002), Fuchs (1999), Hahn/Burkart (1998), Hahn, K. (2000), Herrmann (2001), Iványi/Reichertz (2002), Koppetsch (1998, 2001), Lenz (1998, 2003a), Schneider, W. (1994), Tyrell (1987), Walter (1993), Wimbauer (2003).
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leben. Sie gilt als eine moderne Lösung der symbolischen Vermittlung personaler Exklusivität.3 An diesem Punkt zeigen sich innerhalb der Forschung jedoch Lücken. Offen bleibt, wie es um diese Vermittlung auch in raschem Zeitwechsel bestellt ist und nach welchen Gesetzlichkeiten sich diese Veränderungen – auch geschlechtsspezifisch unterschiedlich – vollziehen. Die Beurteilung, dass sich der moderne romantische Liebescode entlang der binären Opposition ‚persönlich/unpersönlich‘ (Luhmann 1982) fortschreibt, reicht hierzu nicht aus. Diese Fragen stellen sich besonders in Bezug auf die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (West).4 Diese Geschichte verläuft im Bereich der intimen Nahbeziehungen keineswegs statisch, sondern vielmehr turbulent und sie ist von vielfältigen Brüchen und Schwellenpunkten durchzogen. Die Forschung stellt dafür vielfach fest, dass die aus der Tradition überlieferte Ordnung dieser Beziehungen an Einfluss verloren hat, besonders mit einem Schub im Anschluss an die Restaurationsphase der Bundesrepublik. Romantische Liebe war mit dieser Ordnung in einer bestimmten Weise verwoben: Sie stellte quasi das ideologische Bindeglied der auf geschlechtsspezifischer Arbeits- und Rollenverteilung gründenden Elemente Paar, Ehe und Familie dar.5 Sie fungierte insbesondere als affektuell stützende Mittlerin einer ungleichen Geschlechterordnung, gleichsam als emotionaler Kitt zwischen den Sphären männliche Öffentlichkeit und weibliche Privatheit. Heute ist dieser Verweisungszusammenhang gelockert und teils aufgebrochen (Schneider, W. 1994), er ist relativiert, auch wenn alte Muster nicht ersetzt sind.6 Daraus lässt sich das Argument gewinnen, die Auswahl der befragten Interviewpartner/innen am Schnittpunkt der Restaurationsphase beginnen zu lassen – das heißt dort, wo ihre Adoleszenzzeit angesiedelt ist. Denn mit dem Aufwachsen in den 50er Jahren ist ein historischer Schwellenpunkt verbunden: Durch den westeuropäischen Modernisierungsschub nach dem Weltkrieg nehmen Individualisierung, Pluralisierung und De-Institutionalisierung in besonderer Dichte Einfluss auf die Lebensverläufe. Diese Jahrgänge wachsen in eine Zeit hinein, in der das Modell der 3
Dabei hat diese moderne Suche nach Einzigartigkeit selbst wieder einen „massenhaften“ Charakter (Eberlein 2000, vgl. Corsten 1993) angenommen. 4 Zur Begründung des räumlichen Zuschnitts der Untersuchung vgl. ausführlich Abschnitt 3.1.2. 5 Vielleicht vernachlässigt die Geschlechterforschung das Thema Liebe aus diesem Grund bisher. Es taucht dort vorwiegend als Bühne der Austragung von Macht und Abhängigkeit auf und das Augenmerk wird vielfach lediglich auf die aus der traditionellen bürgerlichen Sozialordnung resultierenden Demokratiedefiziten in den intimen Geschlechterbeziehungen gelenkt. Selbst innerhalb der Familiensoziologie ist das Thema Liebe marginalisiert. Überwiegend wird es dort als Randphänomen rationaler Entscheidungsprozesse betrachtet (vgl. kritisch: Burkart 1997); die Analyse der ‚emotionalen Bindungskräfte‘ (Weber 1920/21) findet dagegen lediglich randständig Beachtung. 6 Zur gegenwärtigen Funktion von Geld als Beziehungsmittel und als in Teilbereichen entgrenzendes Prinzip dieser Ordnung vgl. Wimbauer (2003) sowie Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer/Schneider/Wimbauer (2004).
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Geschlechterkomplementarität allmählich in Frage gestellt wird, ebenso wie die Überzeugung, Liebe könne nur in Ehe und Familie gekrönt werden. Ausgehend von den 60er Jahren hat die Neue Frauenbewegung – anknüpfend an progressive Strömungen der 20er Jahre (vgl. Soden/Schmidt 1988) – patriarchale Strukturen in der Liebesordnung kritisiert, gleichzeitig Selbstbestimmung für beide Geschlechter gefordert. Mit dem tendenziellen Wohlstand und der Liberalisierung der Gesellschaft der Bundesrepublik sind mit den 70er Jahren kulturelle Alternativhorizonte für Lebensentwürfe in den intimen Nahbeziehungen entstanden. Normallebenslauf und Normalfamilienmodell sind relativiert, zumindest facettenreicher geworden. Anders als noch in den 50er Jahren ist in der Gegenwart die Aufnahme einer Liebesbeziehung, beispielsweise durch die fortschreitende Verrechtlichung von Lebensverhältnissen – aber auch durch die allgemeine Zugänglichkeit und Akzeptanz von Kontrazeptiva – nicht mehr unmittelbar verknüpft mit Fragen nach den sozialen und materiellen Folgebedingungen für Elternschaft. Die Frage nach Gleichberechtigung der Geschlechter stellt keine Sonderfrage subkultureller Frauenzirkel mehr dar. Sexualität hat sich stärker als noch vor ein paar Jahrzehnten zu einem gesellschaftlich legitimen Selbstwert entwickelt und generell ist der Imperativ Selbstverwirklichung in moderne Selbstentwürfe eingeflossen.7 Das romantische Liebesideal spricht heute zunehmend weniger vom Rüsten für einen gemeinsamen Lebenskampf, vielmehr – mit milieuabhängigem Akzent – von den Herausforderungen und Problemstellungen des Arrangements zweier autonomer Biografien im Beziehungsalltag oder vom Vereinbarkeitsproblem von Beruf und Familie, auch unter Aufrechterhaltung der Liebe.8 Wo die Tradition weniger vorgibt, verlangt Liebe in Paarbeziehungen zunehmend stärker nach reflexiver Begründung (vgl. Schneider, W. 1994). Der Wandel des Musters ‚romantische Liebe‘ im Verlauf der Geschichte der Bundesrepublik ist so auch eine Geschichte des Wandels der mit diesem Muster verbundenen Legitimationen für die Praxis persönlicher Nahbeziehungen. Diese sich ändernden, und auch in raschen Zeitbrüchen hervortretenden Entwicklungen lassen sich jedoch nicht mit den vorherrschenden Langfrist-Theorien und historisch-epochalen Konzeptualisierungen zur Liebessemantik erfassen: Unter den Prämissen einer generellen ‚Problemorientierung‘ (Luhmann 1982), ‚reflexiven Modernisierung‘ (Beck/Bonß 2001), ‚Individualisierung‘ (Beck/Beck-Gernsheim 1990), ‚Re- und Entromantisierung‘ 7
An der nicht mehr gegebenen Selbstverständlichkeit traditioneller Liebes- und Geschlechterordnungen hat sich in einigen öffentlichen Debatten längst ein Krisendiskurs entzündet, der die sozialen Solidaritäts- und Stabilisierungsfunktionen der Institutionen Paar, Ehe und Familie bedroht sieht. Liebe gewährleiste zunehmend weniger dauerhafte Vergemeinschaftung, sie sei flüchtiger, kurzlebiger geworden und in den Sog hedonistischer Selbstverwirklichung geraten. Die Forderung nach neuen „Helden“ der Familie ist im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts wieder lauter geworden, das Emanzipationsideal wird wieder als Erosion solidarischer Familienbande verdächtigt, und es wird kritisch nach dem Gemeinschaftsbeitrag bewusst kinderloser Paare (vgl. hierzu Correll 2005, 2008) gefragt. 8 Etwa bei dem Problem der biografischen Synchronisation bei Doppelkarrierepaaren (vgl. Hirseland/Herma/Schneider 2005, Wimbauer 2005, Wimbauer/Henninger/Gottwald 2007).
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(Lenz 2003a) oder der Ablösung der Liebe durch das Partnerschaftsprinzip (Giddens 1993, Leupold 1983) bleiben kurzfristige Entwicklungen unterrepräsentiert oder werden übersehen.9 Insbesondere lineare Erklärungsmodelle gesellschaftlichen Wandels in den intimen Lebenswirklichkeiten, etwa die Vorstellung riskanter Individualisierung, permanenter Liberalisierung, Aufklärung oder Entstrukturierung, verstellen wichtige Aspekte des Bedeutungswandels der Liebe. Der Großteil der vorliegenden Ansätze verwendet ein zu großes zeitdiagnostisches Objektiv. Was fehlt, ist ein Zugang zu kollektiven Sinnstiftungen in der Kommunikation über Erfahrung und zu den daraus mitunter rasch hervorgehenden neuen habituellen Gemeinsamkeiten der Problemdeutung. Genau dies hat Mannheim im Blick bei seiner Denkweise der Generation: Es sind „kollektiv verbindende Grundintentionen“ (Mannheim 1928: 312) die das „Kollektivsubjekt einer Erfahrungsgemeinschaft“ (Mannheim 1980: 243) mit ähnlichen Begriffen, Affinitäten und Reflexen ausstattet. Gesucht sind also auch für das Liebesthema die Ansatzpunkte dafür, wie gemeinsame historische Zeiterfahrung in der individuell-biografischen Entwicklung im Kollektivbewusstsein eines Generationszusammenhangs kulminieren kann. Somit stellte sich die Herausforderung, den Nachweis einer sozialen Schematik individueller Selbstbeschreibung in der Liebe in historisch kollektiv verankerten Lebensverläufen zu erbringen. Doch von welchen Bestimmungsgesichtspunkten soll dies geleitet sein? Die Untersuchung gewinnt diese mit Verweis auf die Konstitution moderner Subjektivität: Die moderne Individualitätssemantik hat die Suche nach personaler Authentizität und Identität in das Zentrum moderner Selbstentwürfe überhaupt gestellt. Die Einzelnen messen ihre Lebensrealität an kulturellen Idealen ihrer Zeit, die für sie eine gewisse Strahlkraft entwickeln. Sie machen jedoch häufig die Erfahrung, dass diese Ideale nicht erreichbar sind. Dann stellt sich Ihnen die Frage: Liegt es an mir oder liegt es am Ideal? Gesucht wird also nach Kriterien für Authentizität. Diese werden entweder im Außen verortet, in den – möglicherweise nicht erreichbaren – Idealen, dann empfindet sich der Einzelne selbst als nicht authentisch. Oder sie werden verortet in der eigenen, der faktischen Lebenspraxis, dann gelten die Ideale der Außenwelt, vielleicht eine ganze Zeit und ihre Offerten des richtigen und guten Lebens als unauthentisch oder gar entfremdet. So erzeugt gerade der Höchstrelevanzanspruch im modernen Liebescode quasi aus sich heraus einen Bedarf nach Techniken der Selbstreflexion, einen Umgang mit solchen Fragen zu erlangen. Für die Einzelnen stellen sich damit Fragen nach Widerspruchsfreiheit 9
So trete heute nicht nur in Bildungsmilieus das die Paarbeziehungen stärker symmetrisierende Partnerschaftsideal (Giddens 1993, Leupold 1983) in Konkurrenz zum Muster Liebe. Auch wenn die Frage nach Ungleichheit und Macht in Paarprozessen so neu beleuchtet werden kann, fehlen allerdings noch die empirischen Belege dafür, dass sich das Partnerschaftsprinzip durchgängig durchsetzt. Sie fehlen gerade dafür, in welcher Wechselwirkung Partnerschaft und romantische Liebe Bindewirkung erzeugen, und sich dadurch gegenseitig modifizieren oder ergänzen könn(t)en. Die vergemeinschaftende Funktion der romantischen Liebe wird dabei vielfach unterschätzt.
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und Einheit des eigenen Selbst. Ein solches Muster des Selbst zu erkennen, heißt, eine bestimmte Rationalisierung von Individualität vorzunehmen. Mit ihr werden Relationen zwischen idealem Anspruch und faktischem Handeln abgewägt. Klafft dies auseinander, wird nach neuen Erklärungen gesucht. Dabei wird dann das produziert, was Einzelne für authentisch halten und was durch praktische Erfahrungen gedeckt ist. Am Authentizitätsbegriff haftet daher kein substantialistisches Denken. Er dient vielmehr als analytische Kategorie zum Vergleich individueller Konstruktionen von Kohärenz im Selbstentwurf in der Liebe. Authentisch-Sein heißt aus dieser Sicht daher schlicht immer: Was dafür gehalten wird (vgl. Kapitel 1.7). Und was dafür gehalten wird, streut nicht beliebig über Zeit und Raum. Das gemeinsame Hineinwachsen benachbarter Geburtsjahrgänge in einen historischen Raum, besonders während der gemeinsam erlebten Phase der Adoleszenz – mit ihrer besonderen Sensibilität für Individualitätsentwürfe – schafft Voraussetzungen für gemeinsame Erfahrungszusammenhänge. Hieraus entwickeln sich die Gelegenheiten für einen kollektiv verbindenden Sinn für Problemkonstellationen und Herausforderungen einer ‚eigenen Zeit‘ (Corsten 2001a/b, 2003). Herausforderung heißt in diesem Kontext, sich in der Praxis intimer Nahbeziehungen als selbständig agierendes Ich zu bewähren bzw. eine kohärente Definition des eigenen Ichs zu erlangen, welches sich auf einem Praxisfeld wie der Liebesbeziehung als handlungsfähig erlebt. Ein Generationszusammenhang generiert dann ein bestimmtes System von Überzeugen und Wissen, das den Individuen gewissermaßen Authentizitätskriterien für die Lebensorientierung zur Verfügung stellt.
Datenmaterial und methodisches Vorgehen Die Klärung der genannten Aspekte wird an einer biografieanalytischen Betrachtung der Selbstthematisierungen (vgl. Hahn 1987, Hahn/Bohn 1999, Burkart 2006, Corsten 2001a) der Akteure entschieden. In biografischen Selbstbeschreibungen sind Personen gefordert, eine Programmatik ihrer Subjekthaftigkeit zu entwerfen. Diese Beschreibungen erlauben zum einen den Nachvollzug des Sprechens über die eigene Erfahrungsgeschichte, zum anderen der formalen Struktur der Selbstdarstellung im Entwurf von Individualität. Die empirische Datenbasis der Untersuchung besteht aus der Gesamtzahl von 28 auf der Grundlage eines halbstandardisierten Frageleitfadens durchgeführten Interviews mit Frauen und Männern der Geburtsjahrgänge 1940–1980, die in mehreren Metropolen der alten Bundesländer aufgewachsen sind. Aus dieser Datengrundlage werden für die Ergebnisdarstellung neun ausführliche Fallstudien als Referenzen für die anschließende Typenbildung präsentiert. Mit dem Sample-Zuschnitt sind Jahrgänge angesprochen, deren Jugend- und Adoleszenzzeit vollständig in die Geschichte der alten Bundesrepublik Deutschland fällt. Die Untersuchungsgruppe besteht zudem aus Angehörigen des höheren Bildungsmilieus, die durch ihren Individualisierungsgrad an den kulturellen Umbrü-
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chen innerhalb der bundesrepublikanischen Geschichte in hohem Maße wahrnehmend teilhaben und zudem am meisten beteiligt an und vertraut mit öffentlich geführten Geschlechterdiskursen sowie Fragen nach Gleichstellung sind. Die Untersuchung ist aus einer wissenssoziologischen Perspektive am Vorgehen einer qualitativ angelegten Generationsforschung (Bude 2000a) orientiert. Diese fragt danach, wie Generationsverbindungen endogen, also ‚aus sich heraus‘ entstehen. Es galt, den ‚Eigensinn‘ der Akteure in den Blick zu nehmen und nicht beim einfachen Vergleich von Kohorteneinheiten stehen zu bleiben. Die intensive empirische Belegführung der Ergebnisse dient dem Anspruch, diesen Forschungsansatz für die Untersuchungsfrage transparent anschlussfähig zu machen und die sich dabei für das Liebesthema stellende, grundsätzliche Zurechnungsaufgabe konzeptionell auszuarbeiten. Auf der Grundlage einer materialgenerierten Kategorienbildung wurde eine Typologie erstellt. Ein Typus, der hier als Realtypus formuliert wird, ist mit einem Antwortmuster auf die Herausforderung in der biografischen Zeitwahrnehmung bezeichnet. Dabei belegen die Typenausprägungen, dass Brüche von Problemdeutungen nicht nur diachron, sondern selbst innerhalb eines Generationszusammenhangs hervortreten. Dies trägt Mannheims komplexen Beschreibungsebenen der Generation Rechnung, wonach die Deutungsleistungen der Einzelnen nicht notwendig in einheitlicher Form auftreten, vielmehr in unterschiedliche Generationseinheiten zerfallen können. Zentral bleibt der Nachweis einer gemeinsamen Verbindung. Diese ist häufig in dem den Akteuren diskursiv wenig zugänglichen ‚Rezeptwissen‘ ihrer Lebensüberzeugungen verborgen. Ziel der angewendeten, wissenssoziologischen Deutungsmusteranalyse (Meuser/Sackmann 1992, Oevermann 2001a/b) war daher die Rekonstruktion einer inneren Regelhaftigkeit, das heißt einer Kohärenz des Bildes der Liebe vor dem Hintergrund von Normalität und Widerspruch im Spiegel historischer Selbstverortung. Die Untersuchung zeigt auf, dass Deutungsmuster der Liebe keine semantischen Oberflächenprodukte darstellen, sondern in konkreten lebenspraktischen Erlebnissen sedimentiert sind. Sie werden nicht durch Erfahrungen determiniert, sondern sind Ergebnis der Verrechnung des gesellschaftlich herrschenden Idealbildes der Liebe mit dem, was in der Lebenspraxis für annehmbar und gestaltbar gehalten wird.
Ergebnisausblick Im Vergleich der untersuchten Jahrgänge treten deutliche Bruchpunkte in den Thematisierungslogiken hervor. Diese lassen sich als Gelenkstücke zentraler Entwicklungen des Verlaufs der Liebessemantik innerhalb der Geschichte der Bundesrepublik formulieren. Rekonstruiert als Generationstypiken sind ihnen die Bezeichnung ‚frühe‘, ‚mittlere‘ und ‚späte‘ Generation zugeordnet. Diese Etikette folgen nicht der Absicht, die Zeitspanne des Untersuchungszeitraumes einer Reihe gemäß abzudecken. Die schlicht gehaltene Darstellungsbegrifflichkeit ist vielmehr selbst Teil der Untersuchungsergebnisse und markiert schematisch die am Material er-
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arbeiteten, drei wesentlichen kollektiven Problemhorizonte in den Liebesnarrationen der befragten Jahrgänge. Dabei zeigt sich die Problemdeutung der frühen Generation (ca. Anfang bis Ende 40er Jahre) vor allem in der Wahrnehmung einer aus der Tradition überlieferten Rollenförmigkeit in der Liebe, die sie von sich streifen wollen. Im Mittelpunkt steht ein Befreiungsmaxim in der Liebe. Das Prüfkriterium der Authentizität dieser Jahrgänge ist ein Außenbezug als Umgang mit wahrgenommenen Zumutungen im restaurativen Liebesmodell. Trotz einer markant geschlechtsspezifischen Ausdeutung der Legitimität von Herrschaft in der Liebesordnung, bleibt die gemeinsame Deutungspraxis der Durchsetzung einer bestimmten Liebesidee bei ihnen gebunden an die Logik von Macht und Kontrolle auf der Schnittstelle von Ökonomie als Beziehungsmittel. Dies vollzieht sich jedoch nicht notwendig reflexartig bereits im jungen Lebensalter, sondern entfaltet, wie die Ergebnisse belegen, durchaus erst in der anschließenden Altersphase auch lebenspraktisch Wirkung (vgl. auch Corsten 2001b). Bei der mittleren Generation (ca. Anfang 50er bis Mitte 60er Jahre) wird zwar der Anspruch sichtbar, der für sie mittlerweile sozial stärker akzeptierten Gleichheitsnorm der Geschlechter auch in der Liebe gerecht werden zu können. In den Selbstthematisierungen drückt sich weit ausgeprägter eine kollektive Tendenz zum Gang ‚ins Innere‘ aus: Die Reflexionen sind stärker subjektiviert unter der Maßgabe, dass jedes Handeln und Entscheiden in der Liebe immer auch emotional gedeckt ist. Dem Prüfkriterium verleihen diese Jahrgänge die Form einer ‚gebildeten‘, affektiven Kontextsensibilität. Kennzeichnend ist dabei keineswegs eine Verflüssigung von Geschlechterdifferenzen. Vielmehr werden diese Differenzen quasi generationstypisch reformuliert, nun jedoch in einer psychologisierten Spielart. Bei den späten Jahrgängen (ca. Ende 60er bis Ende 70er Jahre) rückt das Prüfkriterium in den Vordergrund, Legitimationen für den richtigen Handlungsrahmen einer affektuellen Zweierbeziehung zu finden, die auch dauerhaft tragfähig sein soll. Generationsverbindend ist die Perspektive erneut ein gesellschaftlicher Außenbezug. Anders jedoch als bei den frühen Jahrgängen: Die Herausforderung lautet nun vielmehr Kontingenzeindämmung vor dem Hintergrund eines Drucks multioptionaler Gelegenheiten in Liebe und Partnerschaftspraxis. Die Suche nach Authentizität in der Liebe nimmt stärker die Form eines Abwägungsproblems an. Die Veränderungen tragen sich generationsspezifisch fort von einem Befreiungsnarrativ eines sich rollenförmig gefangen fühlenden Subjekts über ein Innerlichkeitsnarrativ eines sensualistischen, zu einem Entscheidungsnarrativ eines sich ironischen-pragmatischen entäußernden Subjekts. Die Untersuchung entdeckt, dass der Authentizitätstopos in seinen vielfältigen und oftmals verdeckten Erscheinungsweisen dabei jeweils erhalten bleibt. Er verändert aber seine Prüfbereiche und Austragungsorte. Es ist der Schluss zu ziehen, dass die Vorstellung konfligierender Sinnwelten oder gar einer vollständig eingelösten Autonomie des Subjekts in Bezug auf seine Problemwahrnehmungen und Handlungslösungen in intimen Nahbeziehungen keine Grundlage hat. Vielmehr stellen sich den Einzelnen generationsabhängig je-
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weils neue, zugleich kollektiv sinnstiftende Herausforderungen im Hinblick auf die Schließung von Kontingenzerfahrung in der Liebe. Vor allem zeigt sich, dass der Wandel der Liebessemantik in hohem Maße Ausdruck davon ist, dass jede Generation die Genderthematik in Verbindung mit Liebe neu aufwirft. Mit dem Ansatz der historischen Generation können daher Dynamiken des Liebeswandels erfasst werden, die quer zur Annahme unilinearer Entwicklungen stehen: Die Leistung dieses Ansatzes besteht in einer Erklärungs- und Beschreibungsweise auch diskontinuierlicher Entwicklungen gesellschaftlicher Semantiken. Für die soziologische Theoriebildung eröffnen sich damit Anschlüsse: Das besondere Potenzial, und damit die Aktualität des Generationsansatzes besteht darin, Ambivalenzen und Widersprüche im Modernisierungsprozess zu erfassen, die sich einem engführenden Verständnis gesellschaftlicher Individualisierung als linear fortschreibenden Prozess der Öffnung von Optionen sperren. Die derzeitige „Generationen-Folklore“ (Jaide 1988: 275) der populären Medien wird mit dieser Arbeit daher nicht um ein weiteres Thema fortgeschrieben. Die Untersuchung ist vielmehr im Bereich einer empirisch angelegten Wissenssoziologie angesiedelt, um die ‚Standortgebundenheit’ von Denkformen und Lebensweisen auch in den intimen Lebenswirklichkeiten zu prüfen. Ihr Beitrag liegt in der Gegenstandsbezogenheit einer Generationsforschung, die nicht nur nach den subjektiven Repräsentationen kultureller Muster fragt, sondern nach der Sinnproduktion gesellschaftlicher Semantiken durch die Akteure selbst. Theoriekritisch lässt sich vor allem der Zweifel begründen, dass in den persönlichen Nahbeziehungen nicht Reflexivität selbst die Herausforderung darstellt, sondern wie jeweils über Unterschiedliches reflektiert wird: Die Einzelnen haben im historischen Zeitvergleich nicht mehr Dinge im Blick, sondern neue. Das Buch arbeitet heraus, dass und vor allem wie romantische Liebe als Beziehungsregulativ für die Paarbeziehungspraxis durch die Generationen hinweg erhalten bleibt. Zentral ist jedoch, dass das Schlagwort Liebessemantik beschreiben können muss, was nach Abzug praktischer Lebenserfahrungen an herrschenden Idealbildern der romantischen Liebe jeweils erhalten bleibt – oder kreativ umgestaltet wird. Die soziologische Forschung ist dadurch angeregt, sich intensiver als bisher der Vermittlung zwischen Semantik, Ideen- und Diskursgeschichte der Liebe auf der einen Seite, und auf der anderen Seite der Sinnproduktion solcher Semantiken und ihrer Umbauten in der konkreten Alltagswelt der Subjekte selbst zuzuwenden.
Gliederung In Kapitel 1 wird eine ausführliche soziologische Bestimmung des Begriffs romantische Liebe anhand des Forschungsstandes vorgenommen. Herausgestellt wird die Verschränkung der modernen Liebessemantik mit der Ausdifferenzierung der modernen Individualitätssemantik. Die Entwicklung der Liebe wird zudem in Zusammenhang mit ihrer Rolle als Vermittlerin einer geschlechtlichen Ungleichheits-
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ordnung gestellt, die sich heute in Teilen zu verschleifen beginnt. Im Anschluss daran wird auf bestehende Lücken innerhalb der Geschlechterforschung und der Familiensoziologie hinsichtlich der Ordnungsfunktionen der Liebe Bezug genommen. Anhand einer Auseinandersetzung mit vorliegenden Forschungsansätzen zur Praxis und dem Wandel der romantischen Liebe werden empirische Leerstellen thematisiert. In Kapitel 2 werden die Potenziale des Ansatzes der historischen Generation für die Forschungsfrage diskutiert und begründet. Eingehend werden dafür die komplexen Wechselverhältnisse zwischen Adoleszenzerfahrung, biografischer Wissensschichtung und den Bedingungen der ‚formativen‘ Phase (vgl. Corsten 1999, 2001a/b) bei der Ausbildung generationsspezifischer Erfahrungszusammenhänge abgewogen. In Kapitel 3 werden die Konstruktion des Samples, die Datenerhebung, die konkreten Arbeitsschritte sowie die angewendete Methode dargestellt. Kapitel 4 präsentiert neun, auf der Grundlage einer interpretativ orientierten Materialanalyse erstellte Fallstudien. Den jeweils einer Generationstypik zugeordneten Fälle (zwei für die frühen, vier für die mittleren und drei für die späten Jahrgänge) sind systematisch angeordnete Erläuterungen tragender Strukturierungselemente von Lebensverläufen im Untersuchungszeitraum vorangestellt. Sie beschreiben die kulturellen Erfahrungshorizonte, die für die betreffenden Jahrgänge in der Adoleszenzphase besonders kennzeichnend ist. Dazu wurde eine intensive Literaturrecherche zur Zeitund Generationengeschichte innerhalb der Bundesrepublik durchgeführt und bereits existierende Forschungsliteratur zum Zeitwandel von Liebes- und Paarbeziehung zur Abstützung hinzugezogen. Die jeweiligen Fallvergleiche und Ergebnisdiskussionen dienen der Entwicklung einer ausführlichen, empirisch angeleiteten Typologie in Kapitel 5. In einem Fazit in Kapitel 6 werden die zentralen Ergebnisse der Studie nochmals zusammengeführt und kondensiert. Nun unterfüttert durch die Ergebnisse der Materialanalyse, werden die schon in den Eingangskapiteln angesprochenen Fragen nach dem Zusammenhang von ‚Liebes-Gender‘ und Zeiterfahrung sowie nach der Konkurrenz zwischen Liebes- und Partnerschaftsideal neu aufgeworfen. Abschließend werden die eröffneten Perspektiven diskutiert, die sich mit der für die Untersuchung erarbeiteten konzeptionellen Anlage ergeben haben und Anschlüsse für die weitere Beschäftigung mit dem Verhältnis von Liebe und Zeitwandel formuliert.
1
Ausgangspunkt: Romantische Liebe – Ein ‚allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
1.1
Romantische Liebe: Begriffsbestimmung
Der mythisch befrachtete Terminus Liebe bezeichnet in seinen vielfältigsten Schattierungen sowie in zahlreichen Kulturen seit jeher die stark empfundene Zuneigung und Verbundenheit zu einem oder mehreren anderen Menschen. In der christlichen, aber auch in anderen religiösen Traditionen, wird mit Liebe das ethische Prinzip der unbedingten Achtung und Solidarität zum Menschen schlechthin verbunden. Die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehende ‚romantische‘ Liebe hingegen bezeichnet einen begrifflichen Sondertypus. Dieser Typus hat sich als Massenphänomen historisch erst im Entstehungsprozess der Moderne herausgebildet. Er bezieht sich vor allem auf das subjektiv und emotional tief erlebte Hingezogensein zu dem, sowie die Wertschätzung für das Individuum, was schließlich in der romantischen Liebes-Beziehung kulminieren soll. Der Begriff Romantik leitet sich aus der Blütezeit der gleichnamigen literarischen und kunsthistorischen Epoche im 18. und 19. Jahrhundert ab, in der eine Spaltung der Welt in Vernunftprinzipien einerseits und in eine Welt der Subjektivität und Naturidealisierung andererseits als gegeben angesehen wurde. In letzterer wird der emotionale Welt- und Ich-Bezug positiv überhöht und als letzte Wahrheitsgeltung aufgewertet. Die Romantik stellt das Prinzip der Innerlichkeit des Individuums in Konkurrenz zur ‚äußeren‘ Rationalität der ‚Sachwelt‘ mit ihren überwiegend unpersönlichen Beziehungen (vgl. Burkart 1997, 1998, Corsten 1993, Lenz 2003a, Luhmann 1982, Simmel 1985, Willems/Willems 1999, Weber 1920/21). Die romantische Liebe unterscheidet sich zugleich vom Typus der Elternliebe, Kinderliebe, Geschwisterliebe, Freundesliebe sowie vom christlichen Liebesideal (vgl. Simmel 1985). Während Liebe zu verwandten Personen oder zu Freunden primär auf einem interpersonellen Solidarprinzip beruht (und dabei Sexualität konstitutiv ausschließt) betrifft die christliche Liebe das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen und das von Erotik abgelöste Gebot der Nächstenliebe. Im Kern umfasst dass gegenwärtig gültige romantische Liebesideal die folgenden Attribute: • Romantische Liebe gilt grundlegend als „innerer Zustand (Gefühl) der machtvollen Zugeneigtheit“, welcher „nur vom Liebenden selbst wahrgenommen werden kann“ (Reichertz 2002: 32) und ist zugleich ein „Bindungsmotiv eines speziellen Typus persönlicher Beziehungen“ (Lenz 2003a: 259ff.), der durch intime Kommunikation bestimmt ist und häufig auch die Bindung zwischen Fremden sowie meist Sexualität mit einschließt (ebd.).
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
• Dabei gilt immer die Hoffnung auf die Wahrhaftigkeit und Beständigkeit der Liebes-Emotion auch des Gegenübers in der Liebesbeziehung sowie die Erwartung einer unbefristeten Allianz der Liebenden (Treue- und Dauerhaftigkeitsanspruch) (ebd.). • Ein zentrales Element der romantischen Liebe ist die Einbeziehung einer „grenzenlos steigerbaren Individualität“ (Luhmann 1982). Darunter wird die Vorstellung der Einmaligkeit der Liebesbeziehung durch die „Verbindung zweier einzigartiger Individuen“ (Lenz 2003a: 263) verstanden, denn „Liebe entsteht und wächst, wenn zwei (moderne) Individuen einander sich in ihrer Einzigartigkeit gegenseitig bestärken, indem der jeweils andere zu einem wichtigen Bestandteil der individuellen Weltsicht des einen wird“ (Burkart 1997: 42). Daran geknüpft ist ein prinzipiell uferloses Verlangen nach Anerkennung (Wimbauer 2003, 2005; vgl. Honneth 2000) und Bestätigung der eigenen Einzigartigkeit durch den/die Andere/n, sowie die umgekehrte Norm, dies der/dem Andere/n mittels spezifischer symbolischer Praktiken beständig zu erweisen. Insofern wird im romantischen Liebescode „erst die erwiderte Liebe zur eigentlichen Liebe“ (Lenz 2003a: 263; vgl. Simmel 1983 u. 1985, Corsten 1993). • In dieser Kernbestimmung ist die romantische Liebe gewissermaßen ein ‚geschlechtsloses‘ Lieben. Es hat sich im romantischen Liebesideal aber die Vorstellung einer naturwüchsigen, über spezifische „Geschlechtscharaktere“ (vgl. Hausen 1976) legitimierte und häufig Ungleichheit festschreibende „heterosexuelle Matrix“ (Butler 1991) etabliert. In enger Bestimmung bezeichnet das romantische Lieben jedoch die von „Geschlechtsklassen“ (Goffman 1994: 107) unabhängige Liebe zu (und wegen) eines unverwechselbaren Individuums (vgl. eingehend Abschnitt 1.4). Das zentrale Merkmal der romantischen Liebe ergibt sich aus dieser Sicht mit dem Höchstindividualitätsanspruch der Liebenden. ‚Lieben‘ und ‚Geliebt-werden‘ lassen sich so als soziale Modi begreifen, die den Imperativen der modernen Individualitätssemantik (Wie erlebe ich mich selbst als ‚Selbst‘?) eine Praxisform verleihen. Da das romantische Prinzip die unhintergehbare Individualität der geliebten Person auf diese Weise emphatisch hervorhebt, ist die romantische Liebe(-sbeziehung) ein eigenständiger Beziehungstyp, der insbesondere vom modernen Beziehungstyp Partnerschaft zu unterscheiden ist: Partnerschaften orientieren sich an der Maximierung individueller Gewinne und haben in diesem Sinne egalitären Charakter. Zudem stehen Partnerschaften anders als Liebe durch den Imperativ Gleichberechtigung dem Beziehungstyp Freundschaft näher (vgl. Koppetsch 1998; Leupold 1983; Giddens 1993). Einschlägig wies Andrea Leupold (1983) auf diese unterschiedliche Codierung von romantischer Liebe und Partnerschaft hin. Sie arbeitete deren gegensätzlichen, wenn man so will, ‚Reziprozitätsökonomien‘ heraus: Partnerschaft fordere über kurz oder lang einen Äquivalententausch von Beziehungsgütern gleich welcher Form und ist dabei am Modell der Ausgleichsgerechtigkeit orientiert. Demgegenüber entzieht sich die romantische Liebesbeziehung tendenziell den auf Ent-
1.1 Romantische Liebe: Begriffsbestimmung
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wicklungsförderung beruhenden Ansprüchen der ‚partnerschaftlichen‘ Beziehung.10 Mit anderen Worten: Hier wird es zugelassen (oder wenigstens hingenommen), dass eine/r weniger als der/die andere lieben kann, ohne dass die Liebesbeziehung an diesem Ungleich- und Machtverhältnis zerbrechen muss. Oder wie es Günter Burkart (1998: 36) formuliert: Liebe „kann durchaus ungerecht sein“. Cornelia Koppetsch (1998) kennzeichnet die Austauschwährung in der Liebe daher als eine semantisch auf dem Prinzip der Emotionalität beruhende ‚Gabe‘. Dieses Geben fußt auf einem vom Partnerschaftsprinzip konstitutiv zu unterscheidenden Kommunikationstypus. Denn die emotionale Grundlegung der Liebe öffnet nicht zuletzt die Tür für das ‚Prinzip des geringsten Interesses‘, das diejenigen, die weniger Gefühle anzeigen, in eine günstigere Machtposition versetzt (Blau 1974 in Anknüpfung an Simmel 1985). Auch ist zwischen ‚Liebe‘ und ‚Verliebtheit‘ zu unterscheiden (vgl. Alberoni 2000): Verliebtheit umfasst den quasi-ekstatischen, symbiotisch und religiös erlebten Gefühlsdrang nach Außeralltäglichkeit. Die Auf-Dauerstellung der Verliebtheit in beständigen Liebesbeziehungen schließt aber auch die Alltagspraxis der Liebe mit ein (Burkart 2000).11 Wesentlich ist es daher, zwischen romantischer Liebe und „veralltäglichter Liebe“ (Schmidt, U. 2002: 202) bzw. zwischen „amour passion“ (der ‚gefährlichen‘, weil unkontrollierten Gefühlseuphorie) und „romantischer Liebe“ bzw. in Anlehnung an Giddens (1993) der Grenzziehung zwischen ‚Leidenschaft‘ und ‚Romantik‘ (ebd.: 48ff.) zu unterscheiden (vgl. hierzu eingehend Nord 2001: 313ff.). Die Routinen des Alltags können den ursprünglichen Liebesrausch – trotz noch so ausgeklügelter Techniken, die ursprüngliche Verliebtheit vital zu halten – unverhofft schmälern. Eine dauerhafte Paarbeziehung, die auch auf lange Frist eine Liebesbeziehung sein will, steht also vor dem Problem, die eigentlich paradoxen Anforderungen zwischen routinierter Alltagspraxis im Paar (der Andere in der Funktion eines pragmatisch, damit oftmals rollenförmig Handelnden) und der symbolischen Repräsentation dieses Anderen als gleichzeitig ‚Einzigartigen‘ zu realisieren. Erschwert wird dies dadurch, da das romantische Liebesleitbild den Anspruch erhebt, keinerlei zweckrationale Ziele zu verfolgen. Romantische Liebe soll ihre Qualität aus ‚sich selbst heraus‘ erweisen, und es stellt einen Allgemeinplatz dar, dass Liebe nicht ‚erklärt‘ oder ‚rational erfasst‘ werden könne. Dieser Anspruch lastet schwer auf der Liebesbeziehung, denn es scheint ihr nichts abträglicher zu sein, als das Abgleiten in das Alltägliche, in das Profane. 10
Vgl. dazu die Parallelen zwischen ‚Arbeit‘ und ‚Partnerschaft‘ im Gegensatz zur Liebe bei Burkart (2000: 186ff.). 11 Alberoni (2000) bestimmt die Suche nach Außeralltäglichkeit in der Liebe als eine religiöse Konversion, gleichsam als Übertritt in ein anderes Weltverhältnis. Es erscheint allerdings fraglich, ob eine solch hohe Sinnschwelle Bedingung sein muss. Was Alberoni als ‚religiösen Übertritt‘ in den Blick nimmt, betrifft streng gesehen lediglich die temporäre und stufenlose Steigerung von Subjektivität, welche im Code der romantischen Liebe konstitutiv eingeschrieben ist. Sie zeigt bestimmte Funktionalitäten des modernen Lebensvollzuges auf, die aber nicht zwangsläufig religiöser Natur sein müssten.
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
Romantische Liebe ist ein historisch entstandenes Kulturmuster (vgl. Burkart 1997, 1998). Es ist von Belang, dies hervorzuheben, da im Unterschied zu dieser historisch-genetischen Sichtweise, Alltags- (mitunter auch sozialwissenschaftliche) Theorien darauf abheben, dieses Muster als anthropologische Konstante der Menschheitsgeschichte, als sozial unabhängige Entität, also gleichsam als schonimmer-da-gewesen festzuschreiben. Viele Unterhaltungs- wie auch populärwissenschaftliche Medien, aber oftmals auch Alltagsdiskurse zur Liebe teilen die Grundannahme soziobiologistischer und utilitaristischer Ansätze, worin die Liebe als eine Art Nebenfolge genetischer Logik begriffen wird. Meist ist dabei die Rede von ‚Genen oder Hormonen der Liebe‘, welche ‚neu entdeckt‘, oder ‚endlich entschlüsselt‘ werden. Nicht zuletzt innerhalb der populären Ratgeberliteratur zu Zweierbeziehungen und Sexualität wird Liebe häufig als genetische Funktion innerhalb der menschlichen Evolution dargestellt. Kultur und biologische Genetik fallen dabei zusammen, die Liebe wird kurzerhand zu einer lediglich sozial verhüllten Strategie der Tradierung von Erbgut erklärt. Die Popularität dieser Erklärungsmodelle lässt eine gesellschaftliche Nachfrage nach ‚naturgegebenen‘ Gesetzmäßigkeiten vermuten, um subjektives Erleben von Glück und Unglück zu erklären. Dass besonders die Liebe für solche Mythologisierungen anfällig ist, liegt möglicherweise an dem hohen kulturellen Wert, der ihr zugemessen wird. Denn parallel zur Naturalisierung der Liebe soll die Idee der Liebe als Menschheitsglück oder als Rettung vor dem Zerfall sozialer Bindungen erhalten, und damit ihre Geschichtlichkeit verborgen werden.12 Die nachfolgenden Kapitel beschäftigen sich mit der romantischen Liebe als Kulturmuster und als kulturelle Praxis. Im Mittelpunkt steht die historische Genese der romantischen Liebe. In einer knappen Synopse prominenter soziologischer Ansätze wird insbesondere der Zusammenhang von Liebe und moderner Individualität beleuchtet.
1.2
Der soziale Konnex von Liebes- und Individualitätssemantik ,You’re nobody, till somebody loves you‘ (Swing-Standard)
Romantische Liebe als ‚Massenidee‘ ist historisch ein relativ junges Phänomen. Die Herausbildung des modernen romantischen ‚Liebescodes‘ (Luhmann 1982) steht in enger Verbindung mit der Ausdifferenzierung des modernen Kommunikationstypus 12
Der Familienforscher Uwe Schmidt (2002) bemüht hierzu folgende Deutung: Die Universalisierung und Mystifizierung von Liebe und Erotik im Alltags- und Wissenschaftsdiskurs könne „ihrerseits wiederum als funktional bezeichnet werden, um die verlorengegangene ‚sachliche‘ Bindung durch die vormals gegebene Unmittelbarkeit ökonomischer Abhängigkeiten der Partner im Produktionsprozess sowie die Kopplung von Sexualität an die Fortpflanzungsfunktion zu kompensieren“ (ebd.: 198).
1.2 Der soziale Konnex von Liebes- und Individualitätssemantik
29
‚Individualität‘, welcher sich erst im Übergang von der traditionellen zu modernen Gesellschaft ausbreitet. Dies soll im Folgenden anhand prominenter modernisierungstheoretischer Ansätze zur Liebe (Max Weber, Georg Simmel, Niklas Luhmann, Ulrich Beck) entwickelt und dargestellt werden. Es existiert eine breite Forschung zur historischen Genese der modernen Liebessemantik. Relativ unstrittig erscheint, dass dort, wo die Menschen unabhängig von materieller Reproduktion waren – somit Freiraum für interpersonelle Beziehungen jenseits von Sach- bzw. Notsolidaritäten bestand – schon immer eine Gelegenheitsstruktur für romantische, d. h. also emotionale und ‚innerliche‘ Selbst- und Fremdbezugnahme existierte.13 Die schichtenübergreifende Ausbreitung der romantischen Liebe als massenrelevantes kulturelles Ideal wird in den meisten modernisierungstheoretischen Ansätzen allerdings erst auf ein geschichtliche Zeitspanne ungefähr der letzten 250 Jahre veranschlagt. Diese Datierung steht in Verbindung mit dem Höhepunkt der deutschen Romantik etwa Mitte des 18. Jahrhunderts, wo – ausgehend vom englischen, frühbürgerlichen Roman – die enge Kopplung des Liebesideals mit der Ehe erstmals Gestalt annimmt.14 Neu in dieser Liebessemantik ist die Kopplung von Liebe und Sexualität sowie das Komplementärverhältnis von Liebe und Ehe (vgl. Lenz 2003a). Im vor allem durch das erstarkende Bürgertum geprägten Liebesideal (vgl. unten) gilt Liebe nun nicht mehr allein als anarchischer, weil andere Sozialbezüge gefährdender ‚Herzensrausch‘, sie kann fortan auch ‚vernünftig‘ und über spontane Exzesse hinaus – insbesondere mit ihrer ‚Zähmung‘ in der Ehebeziehung – dauerhaft sein. Damit koppelt sich sukzessive die Elternschaft an die Liebe, wodurch zu der bereits emotional aufgeladenen Ehebeziehung allmählich auch die Emotionalisierung der Eltern-Kind-Beziehung hinzutritt (Schmidt 2002: 196f.).15 Spätestens mit dem 19. Jahrhundert entwickelt sich das romantische Liebesideal zu einer auf alle sozialen Schichten und Milieus übergreifenden Idee (vgl. Burkart 1998, Corsten 1993, Luhmann 1982).16 Damit verquickt kommt es zur allmählichen 13
14
Zur Kontroverse, ob die Kopplung von Liebe und Individualität auch bereits in der Vormoderne zu finden ist vgl. Corsten (1992: 14).
Vgl. hierzu exemplarisch die Analyse von Karl Lenz (2003: 260f.) zum 1799 erschienenen Roman ‚Lucinde‘ von Friedrich Schlegel. Nur der kulturelle Code der ‚romantischen Liebe‘ – als Ausdruck der Intimisierung persönlicher Beziehungen überhaupt, im Speziellen zwischen genau zwei Menschen – ist im Zuge des Freundschaftskultes und der schon früheren Naturverehrung seit dem 18. Jahrhundert relativ neu, während es Romantik im Paar schon immer gegeben habe (vgl. Burkart 1997, 1998). 15 Die gleichwohl unterschiedlich bleibenden Reziprozitätsnormen zwischen der Liebe zum Partner und der Liebe zum Kind behandelt Gilgenmann (1993). 16 Für Cornelia Koppetsch (2001) stellt der Liebescode eine „wesentliche Voraussetzung für die Reproduzierbarkeit der Institution des Paares in der modernen Gesellschaft“ (ebd.: 237) dar, da hiermit ein kulturelles Sinnangebot für das Eingehen intimer Beziehung auch völlig fremder Menschen bereitgestellt sei.
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
Autonomisierung der Kernfamilie, d. h. der Herauslösung aus dem weiteren familialen und sozialen Umfeld einhergehend mit der bürgerlichen Trennung häuslicher und beruflicher Lebenswelten, die bereits im 18. Jahrhundert ihren Weg genommen hatte. Folge ist eine allmähliche Integration der romantischen Liebe in die Familie (vgl. Schmidt 2002: 197, Peuckert 2004, Schneider 1994). In der bürgerlichen Vorstellungswelt verankert sich fortan das Versprechen, dem arbeitsteilig ‚entbetteten‘ Subjekt eine Auffangform in der Liebe zu geben. Es wird die Verheißung entfacht, dass es für jede/n Einzelne/n irgendwo eine Entsprechung in einem liebenden und zu liebenden Anderen gäbe. Hand in Hand mit dem in der Industrialisierungsphase sprunghaft anwachsenden Bürgertum und der sich ausbildenden Emotionalisierung der persönlichen Beziehungen, entsteht zugleich eine geschlechtliche Ungleichheitsnormen institutionell fixierende „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ (Hausen 1976). Den Geschlechtern werden dichotome Wesenheiten zugeschrieben: Männer werden zu Akteuren in der ‚Außenwelt‘, streben aber infolge der Erfahrung einer ‚kalten Rationalität‘ (Weber 1920/1) der Arbeits- und Erwerbswelt nach einer Schließung dieser Entfremdungserfahrung. Frauen werden als emotionaler, integrativer Mittelpunkt der Familie und des Heims festgeschrieben. Das romantische Liebesideal wird dabei zu einem ‚ideologischen Kitt‘, quasi zu einem Bindeglied zwischen ‚männlicher Öffentlichkeit‘ und ‚weiblicher Intimität‘, wobei sich beide Sphären in der Vorstellung einer naturwüchsigen Geschlechterkomplementarität verschränken. Aus dieser Sicht ist die Voraussetzung des ‚ungeheuren Kulturerfolges‘ (Tyrell 1987: 591), welcher der romantischen Liebe seitdem zugemessen wird, eine die Erfahrung moderner Arbeitsteiligkeit balancierende, spezifische Glücksverheißung. Sie bildet quasi einen in die persönlichen Nahbeziehungen verlegten Ausweg aus jenem ‚Grunddilemma‘ der Moderne, dass den (insbesondere männlichen?) Einzelnen vor allem Kontingenzerfahrungen auferlegt. Die Ausbreitung des romantischen Liebesideals – gelöst aus vorangegangenen Spielarten höfischer Feudalkultur und dem Ideal im frühbürgerlichen Roman in praktisch alle sozialen Milieus westlicher Gesellschaften der Gegenwart – gilt somit herkömmlich als Folgewirkung moderner Individualisierung.17 Insofern ist die Forschung zur Entstehung der modernen Liebessemantik eng 17
Günter Burkart (2004: 234ff.) unterscheidet verschiedene Formen des Individualismus und der Individualisierung: Eine (sozial-)strukturelle (Autonomisierung), eine kulturelle (Einzigartigkeit) und eine subjektiv-reflexive (Selbstbezug). Bei Autonomie gehe es um Unabhängigkeit durch Freisetzungsprozesse, bei Einzigartigkeit um Besonderheit und Distinktion und bei Selbstbezug um subjektivierende Selbstreflexion durch Institutionen der Selbstthematisierung. Freisetzung und Distinktion seien dabei als Bedingungen zu sehen, dass das Selbst sich verstärkt zum Thema zu mache (zu Individualisierung als ‚Zurechnungsmodus‘ vgl. auch Wohlrab-Sahr 1997). Ähnlich verhält es sich mit dem Subjektivitätsbegriff: Unter diesem können all jene Konstruktionsleistungen in Hinsicht auf ‚Identität‘ gezählt werden, worin ‚Ich‘ von ‚Umwelt‘ abgegrenzt wird (vgl. Corsten 1994). Vgl. hierzu auch die nachfolgenden Kapitel.
1.2 Der soziale Konnex von Liebes- und Individualitätssemantik
31
an Theorien gesellschaftlicher Differenzierung geknüpft. Romantische Liebe wird darin als Medium individueller Sinngebung vor dem Hintergrund einer Gemengelage unpersönlicher Beziehungen und Kommunikationen im modernen Alltagsvollzug betrachtet. Im Einzelnen: Liebe und Individualisierung bei Max Weber und Georg Simmel Die grundlegenden Impulse für einen solchen Ansatz innerhalb der Soziologie der Liebe entstammen den Arbeiten von Georg Simmel (1983, 1985) und Max Weber (1920/1, 1973). Bereits hier ist eine genuin differenzierungs- bzw. individualisierungstheoretische Denkrichtung angelegt. Trotz unterschiedlicher Akzente zielen Simmel und Weber gleichermaßen auf die Ausdifferenzierung von Wertsphären und der Entstehung der Individualitätssemantik als eine der konstitutiven Bestimmung moderner Gesellschaften (vgl. Corsten 1993). Liebe kompensiere gewissermaßen die Rationalität der Moderne durch das Streben nach irrationaler Erfahrung als dem ‚Ausgegrenzten‘ modernen Welterlebens. Überspitzt betrachtet, erzeugt aus dieser Sicht das Ausbleiben von Liebe nicht allein den Schmerz von Einsamkeit im individuellen Leben, sondern der Einsamkeit in der Welt überhaupt. Max Weber adressiert primär die Rationalität der spätindustriellen Berufswelt: Die Lage des modernen Berufsmenschen sei gekennzeichnet durch Entleerung lebensweltlichen Sinns in dessen ‚Ganzheitlichkeit‘. Durch den Zwang zu hochrationalisierter Lebensführung suche das Subjekt nach Kompensation durch Sondersphären der Irrationalität. Romantische Liebe vermittle daher die Erfahrung eines „wahrhaft Lebendigen“, welches „den kalten Skeletthänden rationaler Ordnungen ebenso völlig entronnen [ist, Einf. HH] wie der Stumpfheit des Alltags“ (Weber 1920/1: 561). Die Liebesbeziehung erhält dabei eine Erlösungsfunktion, unter der Hand wird ihr ein quasi-religiöser Charakter zugemessen (vgl. Giddens 1993, Alberoni 2000). Georg Simmel (1985) unterscheidet zunächst zwischen ‚erotischer Liebe‘, ‚allgemeiner Menschenliebe‘ und ‚christlicher Liebe‘. Bei der erotischen Liebe – bei Simmel ein Synonym für die romantische Liebe – ist die Gebundenheit der Liebe an die Beziehungs-Dyade zentral. Hier rückt die Exklusivität der Beziehung als notwendige Voraussetzung des modernen Liebesanspruchs in den Mittelpunkt. Simmel folgert daher in einer bekannten Formulierung: „Insofern ist die Liebe die reinste Tragik: sie entzündet sich nur an der Individualität und zerbricht an der Unüberwindlichkeit der Individualität“ (ebd.: 247).18 Zudem, so Simmel, habe die moderne Form der Liebe immer Gegenliebe zum Ziel. In der Liebes-Dyade finde die Exklusi-
18
Auch für Tyrell (1987) ist Liebe ein aktiver Selektionsprozess mit dem Ziel, eine ganz „bestimmte individuelle Person“ zu präferieren, wofür es keinerlei Begründung gäbe, die mit etwas anderem zusammenhänge, als genau mit der Individualität dieser Person.
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
vität ihre gesteigerte Form, sofern hier die Erfahrung individuellen Welterlebens maximiert, und der ‚Dritte‘ im Liebesbund konstitutiv ausgeschlossen sei (vgl. Lenz 2003a).19 Die Grundlage der dyadischen Liebesbeziehung ist daher in hohem Maße fragil: Liebe hört auf zu existieren, sobald nur ein Teil ihrer systemischen Mitglieder ausfällt. Max Webers wenige Anmerkungen zur Liebe kommen Simmel insofern gleich: Die Ausgangslage des modernen, sozial atomisierten Individuums fördere das Verlangen nach einer Aufladung der Privatsphäre durch affektuelle Bindungen, welche Außeralltäglichkeit versprechen. Simmels Ansatz beinhaltet aber eine darüber hinausgehende Qualität: Für ihn ist Liebe nicht bloß Empfindung, vielmehr von Beginn an ihres Auftretens immer auch Ausdruck sozialen Wissens. Der Liebesbegriff ist hier bereits als symbolischer Code angelegt, also als ein der Ausbildung emotionaler Qualitäten bereits vorangestelltes, handlungsgenerierendes Wissensmuster. Systemtheoretischer Ansatz (Niklas Luhmann) „Lotte tanzte nicht, sie schnitt Schwarzbrot. Auch das kann der empfindsamen Seele genügen“ (Luhmann 1982: 43).20
Eine verwandte Grundidee verfolgt der systemtheoretische Ansatz von Niklas Luhmann (1982; vgl. Fuchs 1999). Hier gilt das Subjekt der Moderne unter der Prämisse der Transformation von stratifikatorischer bzw. segmentärer zu funktionaler Ausdifferenzierung als „sozial ortloses Wesen“ (ebd.: 16), was dem modernen Subjekt einen „gestiegene[n] Nahweltbedarf’“ (ebd.: 17) abverlange. Als Bestätigung seines individuellen Welterlebens, respektive seines Selbstentwurfs, suche es daher nach geeigneten Foren der Selbstvergewisserung. Die Liebesbeziehung werde daher zum Ort „höchstpersönliche[r] Kommunikation“ (ebd.: 24), denn Liebe – als probates Medium der Selbstvergewisserung – leiste Ersatz für den ‚verlorenen Ort des Ichs‘. So wie die moderne Gesellschaft die Unterscheidung von persönlichen und unper-
19
Luhmann streicht heraus, dass der Liebescode im Zuge seiner historischen Evolution erst mit der Einschreibung von Individualität und Personalität diese Exklusivitätsnorm erhalten habe. Gleichwohl besitze dieser Code die eigentümliche Eigenschaft, als wie schon immer existent zu gelten (vgl. Luhmann 1982: 123ff.). 20 Luhmann nimmt hier Bezug auf die Liebe des jungen Werther (J. W. Goethe, Orig. 1774) zu Lotte, in der gemäß dem Prinzip der Empfindsamkeit als neues Element auf der Schwelle zur Liebessemantik der heutigen Moderne jegliches Verhalten der Geliebten liebenswert erscheint. Unter dem Primat der Empfindsamkeit, so Luhmann, sei nun kaum eine menschliche Äußerung ausgeschlossen, um im jeweils Anderen eine Liebeserfahrung auszulösen. Allerdings mit der Folge, dass Liebe dadurch praktisch stetig unkommunizierbarer wird, denn Empfindungen fallen somit einer immer schwieriger sozial vermittelbaren ‚inneren‘ Welt zu.
1.2 Der soziale Konnex von Liebes- und Individualitätssemantik
33
sönlichen Beziehungen radikalisiert habe, werde damit eine Dauernachfrage nach Liebe mit ihrem Versprechen nach genau eben dieser Bestätigung ‚wahrhaftigen‘ Selbst-Seins erzeugt.21 Daher stellt für Luhmann die ‚Mitindividualisierung‘ des Weltbezugs des jeweils anderen Individuums das zentrale Kennzeichnen der modernen Liebessemantik dar. Sie setze sich damit gegenüber der „Maßlosigkeit“ des Liebescode „Passion“ im 17. Jahrhundert und dem des „Paradox“ im 18. Jahrhundert – beherrscht von der Einsicht in die „Inkommunikabilität“ (ebd. 153 ff.) der Liebe – ab. Der neuartige „radikale Subjektivismus“ der „empfindsamen Seele“ erfordere jedoch nun eine permanente „Internalisierung des subjektiv systematisierten Weltbezugs eines anderen“ (ebd.: 30). Für Luhmann zeigt sich der Kern der aktuellen Liebessemantik daher als „Problemorientierung“: „Das Problem ist eher, wie so verschiedenes noch Eines sein kann, und nicht: wie es als „Ganzes“ den „Sinn des Lebens“ zu erfüllen vermag; und das Ich des Ichs nennt man heute nicht transzendentales Selbst, sondern Identität. Der Begriff hat keine logische, sondern symbolische Relevanz: Er belegt, daß es in einer Gesellschaft mit überwiegend unpersönlichen Beziehungen schwierig geworden ist, den Punkt zu finden, in dem man sich selbst als Einheit erfahren und als Einheit wirken kann. Das Ich des Ichs ist nicht die Objektivität der Subjektivität im transzendental-theoretischen Sinne. Das Ich des Ichs ist das Resultat selbstselektiver Prozesse; und ist gerade darum auf Mitselektion durch andere angewiesen. Nicht
21
Hinter solche Bestimmungen der Entstehung der modernen Liebessemantik fallen anthropologische Ansätze zurück, beispielsweise der ontogenetisch weit ausholende Entwurf von Günter Dux (1994): Dux räumt zwar ein, der moderne Industrialisierungsprozess habe auch die moderne Liebesproblematik infolge des Ausbaus der Trennung des Verhältnisses zwischen Subjekt und Welt verschärft. Insofern sei das Subjekt durch „Weltverlust“ in eine „Sinnkrise“ (ebd.: 463) geraten, wobei die Liebe als „sinnstiftende[r] Kosmos“ (ebd.: 466) Ausweg verheiße. Dux‘s philosophische Anthropologie der Liebe geht aber noch darüber hinaus: Sie sei als Reorganisation von Bedürfnissen zu betrachten, welche dem Zerwürfnis von Subjekt und Welt zu jeder Zeit gerecht werden könne, denn Dux bestimmt dieses Zerwürfnis als eine menschliche Grundproblematik. In einer solchen Bestimmung wirkt Liebe jedoch anthropologisch überfrachtet und als soziales Produkt unterminiert. Dux‘s gattungsgeschichtlicher Ansatz in der Tradition der historischen Anthropologie ist aber auch problematisch in Hinsicht auf seine Theorie der Geschlechter: Geschlecht und Geschlechterverhältnis werden strikt als anthropologische Konstanten gefasst und für „alle Menschen und alle Gesellschaften“ (ebd.: 277) universalisiert. Liebe versteht Dux daher immer als Liebe ‚zwischen‘ den Geschlechtern und kaum als eine zu interagierende und darin erst die Ordnung der Geschlechter erzeugende Liebe des Paares. Obwohl Dux unablässig auf die historische Variabilität und kulturelle Gebundenheit der Liebe verweist, dünnt eine derart universale Fassung der Liebe genau das aus, was Dux zu greifen versucht: eine historisch-genetische Erklärung. Immer dann, wenn Dux seine Liebestheorie zu historisieren versucht (wenn es etwa heißt: „Universalität lässt sich überhaupt einzig im Historischen erweisen“, S. 278), greift er dabei so weit, Geschlechterpolarität lediglich als notwendigen Entwicklungslauf der Menschheit gelten zu lassen. Somit entsteht der Eindruck, Dux’s Liebesbegriff ist im Ganzen ahistorisch angelegt.
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
Steigerung, sondern Selektion aus eigenen Möglichkeiten ist jetzt das Problem. Was man in der Liebe sucht, was man in Intimbeziehungen sucht, wird somit in erster Linie dies sein: Validierung der Selbstdarstellung” (ebd.: 208).
Was Luhmann an dieser Stelle mit „Problemorientierung“ in den Blick nimmt, stellt eine Binnenlogik der Liebe als reflexives ‚Sich-Verstehen‘, also eine Art Versenkens des psychischen Ichs in das psychische Ich des jeweils Anderen dar. Denn ‚Problem‘-Bezug bedeutet an dieser Stelle nichts anderes, als permanent die Idiosynkrasien des jeweils Anderen identifizieren und bestätigen zu können, und somit quasi einer psychologisierten Regel des ‚Verstehens‘ in der Liebe zu folgen (vgl. Corsten 1993: 30ff.). Für Luhmann ist das Aufkommen der Liebe im sozialen Alltag daher eher eine „ganz normale Unwahrscheinlichkeit“ (ebd.: 10). Sie ist für ihn strukturell bedingt, da sie der Differenz alltäglicher – durch die moderne konstitutive Trennung von Wertsphären erzwungenen – massenhaften öffentlichen Kommunikationen einerseits, und den Liebestypus kennzeichnenden seltenen ‚höchstpersönlichen Kommunikationen‘ andererseits geschuldet sei. Zwar wird die romantische Liebe somit praktisch zum kommunikativen Sonderfall, für die Einzelnen aber umso wichtiger: Sie wird zur Vermittlerin personaler Höchstrelevanz und ihre Symbolsprache quasi zum Gegenprogramm zu den öffentlichen Kommunikationsmedien. Oder in einer Formulierung von Undine Eberlein (2000): Romantische Liebe wird zum Medium der „massenhafte[n] Suche nach Einzigartigkeit“ in der Moderne.22 Liebe und Individualisierung bei Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim Ulrich Beck (1986, 1990) und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990) gehen ähnlich davon aus, dass die gestiegenen Anforderungen und Gefahren moderner Gesellschaften eine „Sucht nach Liebe“ als „Fundamentalismus der Moderne“ (ebd.: 222) hervorgebracht haben. Romantische Liebe komme damit der Rang einer „Gegenindividualisierung“ (Beck 1990: 253) bzw. einer „Gegenideologie der Individualisierung“ (ebd.: 239) zu.23 Vor dem Hintergrund unübersichtlicher werdender Lebensvollzüge in hochausdifferenzierten Gesellschaften füge romantische Liebe das alltäglich Auseinanderfallende wieder zusammen, sie stifte Sinn und Identität und habe damit die Geltung einer „irdischen Religion“ (ebd.: 222) erlangt. Beck und Beck-Gernsheim argumentieren dabei strikt individualisierungstheoretisch, zugleich aber auch kritisch in Bezug auf die Konsequenzen, die sie daraus resultieren sehen: Die aus traditionellen, ständischen Sinnvorgaben entbetteten und von alltäglichen Zwängen materieller Reproduktion befreiten Einzelnen müssen 22
Eberlein nennt diese Form modernen Selbstverhältnisses zwischen Subjekt und Welt sowie dessen sinnstiftendes Bezugssystem daher „romantischen Individualismus“. 23 „Der irdische Glaube der religionslosen, scheinbar rationalen Gegenwartsmenschen ist das Du, die Suche nach der Liebe im Anderen. […] Die Hoffnung auf Zweisamkeit ist die überdimensionale Restgemeinschaft, die die Moderne den Privatmenschen in der enttraditionalisierten, ausgedünnten Sozietät gelassen hat“ (Beck/Beck-Gernsheim 1990: 21).
1.2 Der soziale Konnex von Liebes- und Individualitätssemantik
35
Fragen nach der eigenen sozialen Stellung und nach einer sinngebenden Lebensführung im Gesellschaftssystem zunehmend selbst beantworten. Im gleichen Zuge seien sie damit jedoch überfordert. Damit habe sich als Kehrseite von Freisetzungsprozessen auch in der Liebe das gegenwärtig herrschende, „ganz normale Chaos der Liebe“ (Beck/Beck-Gernsheim (1990) hervorgebracht, demzufolge sich die Einzelnen unter dem Gebot permanenter Selbstreflexion heillos in Vergewisserungszwängen verstricken. Beck und Beck-Gernsheim widmen vielzählige Überlegungen daher den Paradoxien der Verwirklichung der Liebe in Paarbeziehung und Familie als Konfliktfeld zwischen Autonomieanspruch, Verlangen nach permanenter Selbstbestätigung und -Verwirklichung einerseits und Funktionalität und Dauerhaftigkeit im Paaralltag andererseits. Kritische Einschätzung Die aufgeführten modernisierungstheoretischen Ansätze zur romantischen Liebe sind trotz unterschiedlichem Akzent einer ähnlichen Grundproblematik verpflichtet: Das dem modernen Individuum auferlegte Problem der Bewältigung und Ausbalancierung permanenter Kontingenzerfahrungen. Charakteristisch ist die jeweils implizit in Anspruch genommene Prämisse, romantische Liebe kompensiere in der einen oder anderen Weise die moderne Verlusterfahrung lebensweltlicher ‚Ganzheit‘ und reagiere gleichzeitig auf gesteigerte Subjektivitätserwartungen.24 Dies bietet eine erste Fokussierung der Forschungsfrage für die vorliegende Arbeit: Bleibt das Verhältnis von romantischer Liebe und moderner Subjektivität im Ablauf der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland konstant? Stellt sich der Höchstrelevanzanspruch in der Liebe in diesem Zeitraum in immer gleicher Weise dar? Oder müsste das Augenmerk nicht deutlicher auf sozialisationsgeschichtliche Brüche gelegt werden, etwa jenen, die sich in den Deutungsleistungen unterschiedlicher Jahrgangsgruppen Ausdruck verschaffen? Es kann vermutet werden, den erörterten modernisierungstheoretischen Ansätzen mangelt es zeitdiagnostisch zumindest an Spielraum in Bezug auf die Variabilität kleinerer Zeitformate. Weber und Simmel beschäftigten sich mit den aus der Industrialisierungsepoche hervorgegangenen Bedingungen der modernen Individualitäts- und Liebessemantik im Grundsatz. Luhmann geht nicht weit über die Feststellung eines gestiegenen Nahweltbedarfs und herrschender Problemorientierung in der Gegenwart hinaus. Beck und Beck-Gernsheim erkennen in Liebe, Paar und Familie vorwiegend konfligierende Wertsphären und legen ein Individualisierungstheorem zugrunde, wonach die von der Moderne hervorgebrachten Freisetzungseffekte das moderne Individuum beinahe zwangsläufig zu Einsamkeitserfahrungen („anomische Kehrseite“; Beck 1990: 253) führen. Behauptet wird eine gegenwärtig herrschende, immense Relevanz der 24
Vgl. hierzu Michael Corstens (1993: 60ff.) Kartierung theoretischer Positionen zur Liebe, die dort nach ihrer jeweiligen Bestimmung des Verhältnis zwischen Liebe und Subjektivität systematisch gegenübergestellt werden.
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
romantischen Liebe als Folge von Individualisierung, das moderne Paar- und Familiensystem erscheint aus dieser Perspektive immerzu von innerer Auflösung bedroht und Beck/Beck-Gernsheim bleiben einem hermetischen Modell der Evolution der Liebe als Selbstlauf zügelloser Individualisierung verhaftet.25 Legt man die dargestellten Langfrist-Theorien der Liebe zugrunde, fehlt es noch an einem Ansatz, der die Totalitätsannahmen der genannten Ansätze relativieren und zugleich kleinere Zeitformate des Wandels der Liebe in den Blick nehmen kann. In den Abschnitten (1.6, 1.7, 2.4, 2.5) wird aus diesem kritischem Blick heraus ein eigener Ansatz zur Erfassung solcher Zeitformate entwickelt und vorgestellt. Der folgende Abschnitt behandelt zunächst den Beitrag sowie die Lückenstellen der Familiensoziologie zum Muster romantische Liebe als Ordnungsprinzip persönlicher Nahbeziehungen.
1.3
Die familiensoziologische Betrachtung der Liebe
Innerhalb der Familiensoziologie bestehen offene Stellen zum Stellenwert des Musters romantische Liebe in persönlichen Nahbeziehungen. Zwar existieren zahlreiche Studien zu Partnerwahl (überblicksartig beispielsweise Klein 2001), zu Ehe und Eheorganisation sowie zur Motivation von Scheidungen. Häufig jedoch, so ein grundsätzlicher Einwand von Günter Burkart (1994, 1997), sind eine Vielzahl dieser Beiträge an attributionstheoretischen Ansätzen, funktionalistischen Rollentheorien oder Theorien rationaler Wahl orientiert.26 Sie setzen nicht primär an den spezifischen Sinnstrukturen der Erforschten an (Burkart 1997: 35ff., Burkart/Koppetsch 2001). Die Marginalisierung des Themas Liebe in der Familiensoziologie der 70er und 80er Jahre, so Burkart (1997), habe dazu geführt, Liebe als Randphänomen familiärer Prozesse aufzufassen. Das Thema Liebe wird innerhalb der familiensoziologischen Forschung zwar grundsätzlich als Einflussfaktor für eheliche und familiäre Beziehungen anerkannt, die konstitutiven und wechselseitigen Bedingungs25
Demzufolge wirkt auch Becks (1990) Annahme, romantische Liebe sei „Gegenindividualisierung“ („[…] genauer: die Utopie der Gegenindividualisierung […]“; ebd.: 253; Ortogr. i. O.) eigentümlich. Dies könnte auch umgekehrt gedacht werden: Zwar hat ein kurzfristiger, euphorischer Liebesrausch die Qualität einer entgrenzenden, symbiotischen Erfahrung, letztlich vermittelt der Kern der traditionellen romantischen Liebessemantik jedoch – wie in Abschnitt 1.1 bereits dargelegt wurde – durch den jeweils Anderen vermittelte, gesicherte Bestätigung individuellen Selbst-Seins. Die Sonderwelt des Liebespaares besteht aus dieser Sicht eher in der wechselseitigen Annahme individueller Empfindlichkeiten statt in ‚Gegenindividualisierung‘. 26 Nach Burkart (vgl. 1994, 1997) ist die Bedeutung des Autonomiegewinns durch Individualisierung und rationale Entscheidung bei der Planung von Geburt und Elternschaft ohnehin überschätzt: Bewusstes ‚Wahl-Handeln‘ werde, so Burkart, oftmals von latent wirksamen Beziehungsnormen innerhalb der Paarpraxis überlagert.
1.3 Die familiensoziologische Betrachtung der Liebe
37
verhältnisse zwischen Liebe, Ehe und Familie bleiben in empirischer Hinsicht dagegen oftmals vernachlässigt (vgl. auch U. Schmidt 2002: 195ff.). Auch wenn eine innerhalb der Familie bestehende Paarbeziehung auf dem Leitmotiv romantische Liebe gründen kann, handelt es sich bei der Liebesbeziehung dennoch um einen eigenständigen Strukturtypus.27 Diese Differenzen fasst Hartmann Tyrell (1987) mit dem Prinzip der ‚funktionalen Ausdifferenzierung‘: Grundsätzlich habe sich eine zunehmende Spezialisierung der Familie gegenüber anderen Handlungsfeldern der Gesellschaft eingespielt und die Familie sich zu einem ausdifferenzierten Handlungsbereich neben anderen gesellschaftlichen Teilbereichen entwickelt, auf welchem sich das ‚Privatleben‘ der Einzelnen geradezu monopolistisch konzentriere. Auch die romantische Liebe(-sbeziehung) aber, so zeigt Tyrell, ist als Systemtyp durch relative Autonomie, funktionale Spezialisierung sowie einem binnenspezifischen Interaktionsstil mit besonderer Sinngebung gekennzeichnet. Diesem Systemtyp genügen gewissermaßen diejenigen Kommunikationen, die die Höchstrelevanz des jeweils Anderen in der Liebe durch permanente Bestätigung individuellen Welterlebens sichern können. Ehe und Familiengründung werden sofern lediglich als mögliche, wenn auch favorisierte Nebenfolgen in den Code der Liebe eingebaut, er ist darauf aber nicht prinzipiell angewiesen. In diesem Sinne lässt sich romantische Liebe als selbständige Sozialkategorie in der Gegenwartsgeschichte persönlicher Beziehungen begreifen (vgl. Burkart 1997, 1998, Corsten 1993, Lenz 2003a, Goode 1974). Denkbarerweise besteht innerhalb der Familiensoziologie gerade an dieser Stelle ein blinder Fleck, wenn diese funktionale Autonomie der Liebe übersehen, vernachlässigt, und der der Liebe zueigene Code bloß auf ein Epiphänomen zentrifugaler Kräfte von Ehe- und Familiengründungsprozessen reduziert bleibt. Ein die Eigenlogik des Kulturmusters Liebe nicht berücksichtigender Blickwinkel auf familiäre Prozesse ist unzureichend, denn der Typus romantische Liebe besitzt nicht die Rollenförmigkeit des Sozialbezugs wie in der Familienbeziehung. Und dies, obwohl Paarbeziehung, Ehe und auch Familie den generell unsicheren Status der Vergewisserung von Liebe fraglos symbolisch stabilisieren (Tyrell 1987, vgl. Ariès 1985).28 27
Die kontrovers geführte Debatte zum Familienbegriff lässt sich an dieser Stelle kaum erschöpfend darstellen. Ich beschränke mich im Folgenden auf die fraglos vereinfachende Bestimmung des Familienbegriffs auf die ‚Kernfamilie‘. Vgl. hierzu blitzlichtartig einige wichtige Linien der gegenwärtigen Diskussion zum Familienbegriff in der Zeitschrift ‚Erwägen Wissen Ethik‘ (Jg. 14, Heft 3) anhand der Entgegnungen auf den Artikel „Familie – Abschied von einem Begriff?“ von Karl Lenz (2003c). 28 Dass der periodische Anstieg der Ehescheidungsraten nicht zwangsläufig einen Bedeutungsverlust von Ehe oder Liebe beinhaltet, sondern lediglich einen gesteigerten Bedarf nach individueller Weltbestätigung anzeigen kann (daher leichtere Trennung, um die Partnerwahl zu optimieren), wird bereits von Berger/Kellner (1965) herausgestrichen. Gleichwohl stellt die Ehe als „nomosbildendes Instrument“ (ebd.) wenigstens bis in die 70er Jahre der Geschichte der Bundesrepublik hinein die herrschende Leitidee einer erfüllten Paar- und Liebesbeziehung dar.
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
Deutlich wird dies mit der historischen Genese der romantischen Liebe innerhalb der bürgerlichen Familienkonzeption und den darin gegebenen Interdependenzen zwischen Liebe, Ehe und Familie: Die Ausbildung der ‚isolierten Kernfamilie‘ (Parsons 1959) in industrialisierten Gesellschaften führte zur Ausbildung eines privaten Bereiches, der sich gegen die Berufswelt positioniert und das Prinzip der Großfamilie entsicherte. Folge dieser funktionellen Ausdifferenzierung ist die Entwicklung der Kernfamilie zur Primärgruppe, welche vorrangig die Aufgabe der Intimität und die Pflege des emotionalen Lebens in gewissermaßen ‚minimierter Gruppenanordnung‘ übernimmt (vgl. Tyrell 1987). Mit dem schleichenden Funktionsverlust auch der das Paar unmittelbar umgebenden familiären Kreise tritt die affektive dyadische Beziehung nunmehr auch in Konkurrenz zur solidarischen Verwandtschaftsbeziehung (vgl. Pasero 1995): Die Verwandtschaftslinie wird durch Ehe- und Paarbeziehung relativiert oder ersetzt.29 Zwar wächst die Bedeutung der Liebe ‚semantisch‘ als Legitimation intimer Nahbeziehungen, in der weiteren Entwicklung kommt es jetzt aber auch zur ‚De-Institutionalisierung‘ des Zusammenhangs von Ehe, Familie und Elternschaft (Tyrell 1988). Dieser allgemeine Wandel von Lebens- und Familienformen wird in den letzten zwei Jahrzehnten kontrovers unter den Schlagworten ‚Pluralisierung‘, ‚Individualisierung‘, der Zunahme von Einelternfamilien, nicht-ehelichen Partnerschaften bzw. ‚nichtkonventionellen Lebensformen‘ (N. F. Schneider/Rosenkranz/Limmer 1998), sowie des Aufkommens des sozialen Typus ‚Single‘ (exemplarisch Kern 1998) verhandelt.30 Dabei stellt sich immer auch die Frage nach dem Bedeutungsverlust bzw. der -Steigerung oder des Umbaus der Liebe in den gegenwärtigen Mustern persönlicher Nahbeziehungen. Die fast einhellige Antwort der Familiensoziologie lautet: Der traditionelle Verweisungszusammenhang von Liebe, Paar, Ehe und Familie löse sich zwar nicht umfassend auf, er werde jedoch zunehmend relativ und zerfalle in Teilbereiche ‚sozialen Sinns‘ (vgl. auch Peuckert 2004).31 Betroffen ist also die breit und kontrovers geführte Debatte um Bestand und Zukunft der Familie bzw. des ‚Pri29
Für Shorter (1977) bildete Sexualität den Motor der Emotionalisierung und Intimisierung im familialen Verband. Für ihn habe sich beim Beginn der Entstehung der bürgerlichen Kleinfamilie Mitte des 18. Jahrhunderts daher eine „erste sexuelle Revolution“ vollzogen. 30 Norbert F. Schneider et al. (2000) jedenfalls gehen von einem „Mythos“ des Trends zur ‚Single-Gesellschaft‘ aus. Es handele sich gegenwärtig in der Bundesrepublik um allenfalls 4% echte ‚Singles‘, zähle man dazu nicht Paare mit eigenen Haushalt, und werde nicht der statistische Fehler begangen, Ein-Personen-Haushalte dazu zu rechnen, wo gegenwärtig jeder fünfte lebe. Für die Autor/innen gilt der ‚Single‘ damit mehr als Lebensstil als erzwungenes Alleineleben. Und: Vor dem Hintergrund der Zunahme der Praxis serieller Monogamie erscheine der Single mehr das Ergebnis einer besonders intensiven Adaption des romantischen Liebesideals; eben mit dem Ziel der institutionalisierten (temporären) Realisierung ‚reiner Beziehungen‘ (ebd.). 31 Auch Heike Matthias-Bleck (1997) kommt zu dem Ergebnis, Liebe sei für die meisten zwar noch eine Voraussetzung zur Ehe sowie zur kindorientierten Eheschließung, jedoch nicht mehr das tragende ‚Gesamtrezept‘.
1.3 Die familiensoziologische Betrachtung der Liebe
39
vaten‘ (Schneider 2002), vor allem beim Zugrundelegen der Prämisse, als Folge der Abnahme traditioneller Rollenmuster (vor allem für Frauen) sowie gestiegener Ansprüche nach individueller ‚Selbstverwirklichung‘ sei eine ‚biografische Optionsflut‘ (ebd.) zu bewältigen. Populär wurde in diesem Kontext das Schlagwort von einem durch Individualisierung beförderten ‚Strukturwandel der Familie‘ (vgl. Peuckert 2004). Günter Burkart (1997, vgl. 2004) betrachtet dies kritisch: Für ihn ist Individualisierung kein universeller Trend. Es gebe keinen Strukturwandel der Familie, wonach der Anteil der Alleinlebenden gegenüber dem Familienverband absolut zunehme und ein Trend zur gesellschaftlichen Vereinzelung bzw. eine Ablösung der Familie durch Singularisierung stattfinde. Um tatsächliche Veränderungen in den Blick zu bekommen, gelte es vielmehr, so Burkart, zwischen Altersgruppen bzw. ‚Lebensphasen‘ zu unterscheiden, also die dort gegebenen ‚biografischen Zeitsettings‘ zu berücksichtigen. Demzufolge finde keine grundlegende Verschiebung in der Präferenz für Lebensformen statt, sondern eine Verschiebung von Lebensphasen als unmittelbare Folge der Bildungsexpansion und ihrer Auswirkungen auf die Geschlechterbeziehungen. Letztlich eine Auflösung der Normierung der zeitlichen Sequenzierung dieser Phasen.32 Umso wichtiger sei es, so Burkart, diese Auswirkungen milieuspezifisch zu betrachten, die These des Strukturwandels sei schwerlich verallgemeinerbar. Er vermutet daher, dass die Paarbeziehung und die Eltern-KindBeziehung – als Kernelemente der Familie – jeweils an Bedeutung gewinnen, sich damit aber auch strukturell entkoppeln. Günter Burkart entwickelt dabei ein zentrales Argument, das in den nachfolgenden Kapiteln weiter aufgegriffen werden soll: Der Begriff Individualisierung wird innerhalb der Familiensoziologie struktur-, lebenslauf- wie auch milieutheoretisch oftmals zu eindimensional und undifferenziert verwendet. Auch Werner Schneider (1994) weist auf konzeptionelle Defizite bei der Beschäftigung mit dem Thema Liebe innerhalb der Familiensoziologie hin. Insbesondere streicht Schneider als notwendigen Untersuchungsgegenstand ein Problem heraus, das als Auslöser ‚zunehmender Ehe- und Beziehungskonflikte‘ vor allem für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts virulent geworden sei und die Biografiegestaltung des modernen Subjekts überhaupt kennzeichnet: Es geht um die im modernen Individualisierungsprozess eingebettete Problematik der zunehmend vom Einzelnen selbst zu bewältigenden Vervielfältigung biografischer Möglichkeiten vor dem Hintergrund gestiegener lebensweltlicher Kontingenz. In Paarbeziehungen, die sich am Leitbild der romantischen Liebe orientieren, sei diese Problematik infolge eines „prometheischen Zwangs“ (ebd.: 133) gewissermaßen zugespitzt, da die Bewälti32
Behnken/Zinnecker (1992: 127f.) bezeichnen Lebensphasen als „strukturelle Bündelungen von Statuspassagen“, die immer aber auch „subjektiv validiert“ werden müssten, daher relational sind. Für Nave-Herz (1989, 2002) ist die Pluralisierung von Lebensformen ausschließlich bei den 20–35-jährigen sichtbar. Daraus zieht sie die streitbare Schlussfolgerung, nichteheliche Lebensgemeinschaften seien vor allem ein Lebensphaseneffekt der Postadoleszenz, der mit Familiengründung ende und als flüchtige Übergangskategorie zu bewerten sei.
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
gung der Beziehung verlagert wird auf die Einzelnen mit verminderter Rückendeckung äußerer Regeln. Diese, jede Beziehung prägende ‚Janusköpfigkeit‘ von Individualisierungschance und zugleich Individualisierungsdruck hat nun eine zentrale, für die Geschlechter diachrone Komponente: Denn mit der allmählichen Entwertung der alten Stützkomponenten im traditionellen Lebens- und Liebesarrangement fließt nun in die Handlungsökonomie des heterosexuellen Paares auch ein neues Individualisierungsbegehren von Frauen mit ein. Nun muss der Autonomieanspruch beider Geschlechter mit dem Wunsch nach Gemeinsamkeit im Paar ausbalanciert werden (vgl. ebd.: 145). Dazu die folgende, ‚fragende Schlussfolgerung‘: 1.3.1
Veränderte Paar- und Familienbeziehungen und die Liebe: Eine fragende Schlussfolgerung
Nachdem das Normalfamilienmodell und die darin fest eingeschriebene, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung der „ersten Moderne“ (Beck/Bonß 2001) ihre Monopolstellung verloren hat, fragt sich, was denn dann aus der romantischen Liebe wird? Legt man die klassischen Ansätze zur Liebe bei Weber und Simmel zugrunde, war die Liebe schließlich das Bindeglied, um das Auseinanderfallen der Wertsphären moderner Welterfahrung im Zaume zu halten, also gewissermaßen der „kalten“ Rationalität (vgl. oben) im Außen mittels romantischer Intimität eine Sinnform im ‚Innen‘, den emotional aufgeladenen Nahbeziehungen, entgegenzusetzen. Weber und Simmel hatten hierbei vermutlich nicht im Blick, das dieses Innere in der traditionellen Herrschaftsordnung für Frauen schon immer galt, und dennoch oder gerade deshalb besitzt die Frage nach der Zukunft der romantischen Liebe eine besondere Geschlechtsrelevanz: Infolge der Autonomisierung weiblicher Lebensverläufe und der geläufigen These einer dadurch hervorgebrachten, zunehmenden sinnweltlichen Autonomie von Frauen abseits patriarchalischer Beziehungsvorgaben,33 drängt sich die Frage auf, ob nach dem (wenn auch milieuspezifisch variierenden) relativen Bedeutungsverlust des geschlechtskomplementären Modells der romantischen Liebe nicht eben dieses Liebesmuster mit verschwindet? Denn nun ist jenes Liebesleitbild abgewertet, welches die traditionelle Trennung zwischen weiblicher Familienwelt und männlicher Berufswelt nicht nur als Beziehungskonzept legitimierte, sondern immer auch auf einer „affektuale[n] Herrschaftszurichtung“ (Schneider, W. 1994: 141ff.) gründete. Immerhin formulierte ja Ende der 60er Jahre gerade die Studentenbewegung (genau genommen die zeitgleiche ‚Neue Frauenbewegung‘) die Überzeugung ‚das Private ist politisch!‘. Sie stellte damit jene Koordinaten der bürgerlichen Konzeption von Liebe, Paar und Ehe in Frage, welche Intimität der öffentlichen Sphäre entzogen und allein dem Privaten übereigneten. So gelang es der 33
Mit der Entkopplung von (insbesondere weiblichem) Lebenslauf sowie dem Familienzyklus als Ausdruck der De-Institutionalisierung und Diversifizierung biografischer Zeitregimes und ihrer Auswirkung auf Intimbeziehungen beschäftigen sich eingehend Brose/Wohlrab/ Corsten (1993).
1.4 Liebe und Geschlecht
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68er-Studentenbewegung zumindest, die Frage nach einem Demokratiedefizit, nach Gewaltverhältnissen und Ungleichheit in den intimen Beziehungen zwischen den Geschlechtern in den öffentlichen Diskurs zu implementieren. Das affektiv besetzte romantische Lieben mit seiner potenziellen Asymmetrisierung der Beziehung hat dies dagegen überdauert. Die Konjunktur (ebenfalls: des Diskurses) des Partnerschaftscodes (Giddens 1993) kann zumindest als eine Reaktion darauf gelesen werden, dass die romantische Liebe auch unter modernen Bedingungen beständig Konfliktfelder im Paaralltag produziert. Das Ideal der Partnerschaft verheißt daher versöhnende Demokratie, Gleichheit, Intimität ‚auf gleicher Augenhöhe‘ sowie kontrollierbare Solidarität, beruhend auf dem Wunsch, die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit des bürgerlichen Sozialmodells, wenn schon nicht einzureißen, immerhin jedoch zu zähmen. Kurz: Liebe und Paar werden einer ‚Politisierung‘ (Meuser 1998b) unterzogen. ‚Politisierte‘ Liebe wäre aber nicht mehr diejenige Liebe, die als ganz spezielles Kommunikationsmedium bislang die Bestätigung ‚höchstpersönlicher‘ Individualität sicherte, also auch jene Individualität, die vielleicht wenig mit Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität im Sinn hatte. Wächst die romantische Liebe daher womöglich aus Ungleichheit? Mit diesem Konfliktfeld zwischen Gleich- und Ungleichheit in der Liebe beschäftigt sich auch das folgende Kapitel zum Verhältnis von Liebe und Geschlecht.
1.4
Liebe und Geschlecht
Geschlecht hat innerhalb der Soziologie mittlerweile den Rang einer zentralen Strukturkategorie erlangt (vgl. Gildemeister 1992). Das Thema Liebe wird in der Geschlechterforschung ähnlich wie in der Familiensoziologie aus einer integrativzeithistorischen Perspektive jedoch eher randständig behandelt und taucht oftmals lediglich als Bühne von Abhängigkeits-, Gewalt- und Machtverhältnissen auf. In einem enggefassten Sinn nimmt der moderne Liebescode jedoch zunächst wenig Notiz von der Differenz der Geschlechter. Er stellt den in der Moderne entstandenen Typen Individualität und Subjektivität (vgl. Abschnitt 1.2) in erster Linie ein bestätigendes Kommunikationsmedium zur Verfügung. Bürgerliche Lebensweise und ihre Institutionen Ehe und Kernfamilie machen jedoch die Geschichte des Kulturmusters romantische Liebe als Geschichte spezifischer Geschlechterordnungen deutlich. Im Ablauf dieser Geschichte wurden „Geschlechtercharaktere“ (Hausen 1976) und Geschlechtsnormen aufgestellt, die bis ins tiefste subjektive Erleben Abstützung gefunden haben (vgl. Herma 2003). So ist die Liebe im Paar in der bürgerlichen Sozialgeschichte in aller Regel heterosexuell gedacht, als Liebe zwischen Frauen und Männern. Parallel zu allen progressiven Tendenzen findet dies bis heute Ausdruck in der enormen Persistenz des Denkmodells vom rational und sachlich strukturierten Mann und der stärker für die Pflege des Gefühlshaushaltes kompetenten, weil primär affektiv strukturierten Frau. Die Geschlechteridentitäten bleiben dabei immer relational auf sich selbst bezogen (eine Frau
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
ist ein Frau weil sie kein Mann ist und umgekehrt), und das dichotome Regime der Zweigeschlechtlichkeit reproduziert sich mittels permanenter kultureller Zuschreibungen so lange, wie die binäre Geschlechtsopposition als erste Ordnung erhalten bleibt (Wartenpfuhl 2000). Eine Position, die auch mit den philosophischen Arbeiten von Judith Butler (1991) Einfluss auf das sozialkonstruktivistische Denken innerhalb der Geschlechterforschung genommen hat.34 Die wechselseitige Konstitution von Leitbild und Interaktionswirklichkeit bringt Erving Goffmans (1994) Begriff der „institutionellen Reflexivität“ vortrefflich zum Ausdruck: Die auf die Ordnung der Geschlechter bezogene, wechselseitige, machtvolle Durchdringung von Alltagserfahrung, -organisation und -theorie bedingt, dass alle Handlungen im Lichte von Geschlechteridentitäten (also prädisponiert und naturalisiert) bemessen werden, ohne dass diese Handlungen aus sich heraus als Geschlechtsspezifik erklärbar wären.35 Insofern wirkt die von Kornelia Hahn und Günter Burkart (2000: 9) spekulativ gestellte Frage, was sich in Liebesbeziehungen ändern würde, „wenn die Grenze zwischen den Geschlechtern niedergerissen werden würde; wenn also die Liebe tatsächlich ganz im Sinne des romantischen Ideals, das nur noch Subjekte kennt, aber nicht Mann und Frau, verwirklicht wäre?“ besonders reizvoll. Denn: Wie sähe die Liebe geschlechtsloser Subjekte aus, wie das Paar, die Ehe, die Familie der Zukunft ohne das Ordnungsmuster Geschlecht, ohne Frauen und Männer? So bannend diese Überlegung sein mag, so klar ist zu konstatieren, dass das Bild der romantischen Liebe gegenwärtig noch immer stark von der Vorstellung dichotomer Geschlechteridentitäten geprägt ist. Ihr Ursprung liegt, so wurde in Abschnitt 1.2 und 1.3 ausgeführt, in der Herauslösung der Kernfamilie aus dem weiteren familialen und sozialen Umfeld mit dem Aufkommen des Bürgertums im 18. Jahrhundert (vgl. Schmidt 2002: 197). Damit in der Trennung häuslicher und beruflicher Lebenswelten, die eine geschlechtsspezifische Ausdifferenzierung der Binnenwelten der Einzelnen schuf (zur Genese der Kategorie Geschlecht in der Moderne vgl. Honegger 1991). Die vom Rationalismus des 19. Jahrhunderts ausgehende und letztlich mittels juristischer Regelungen institutionell gestützte Einschreibung geschlechtlicher Wesensmerkmale (sowie aus ‚Geschlechtsphysiologie‘ und ‚Geschlechtsmentalität‘ ab34
Butler (1991) hat eine zeichentheoretische Position in Bezug auf Geschlechterdifferenzen stark gemacht. Demnach gebe es keinen zwangsläufig verlaufenden Naturprozess der Geschlechter; Geschlechteridentität und -Differenz sei vielmehr immer symbolisch, damit kulturell organisiert. 35 Dies wird in aller Regel von der populistischen Ratgeberliteratur zu Liebe und Paar übersehen oder salopp ignoriert. Ein Beispiel, das viele Adaptionen gefunden hat: In den populären Schriften von Deborah Tannen (1997), die mit Bezug auf Kollisionen des Liebesbegehrens im Paar die Kommunikation zwischen den Geschlechtern als paradoxale ‚interkulturelle Kommunikationen‘ erhebt (die Autorin nennt dies „Genderlekte“), wird mentale Geschlechterpolarität unter der Hand zur Natur erklärt, oder zumindest an deren historischer Herleitung behutsam gespart. Ausweg aus den von Tannen benannten Kommunikationskonflikten zwischen Frauen und Männern versprechen dann allenfalls die Prinzipien Aufklärung und Toleranz.
1.4 Liebe und Geschlecht
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geleitete Verhaltensdispositionen) in den Code der romantischen Liebe relativiert sich trotz einiger historisch Vorläufer – erst allmählich im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erst die Impulse der Frauenbewegung und der Frauen- (später: ‚Geschlechterforschung‘) haben es diskursfähig gemacht, die in dieser Logik des modernen Paarsystems eingebetteten, gesellschaftlich diskriminierenden Produktionsweisen von Geschlechterungleichheit als öffentliches Thema zu etablieren. Dass das Differenzparadigma der Geschlechterkategorie jedoch unter Umständen nicht mehr bedingungslos für alle Handlungsfelder von Frauen und Männern vorausgesetzt werden kann, vielmehr gegenwärtig kontextspezifisch variabel geworden ist, zeigen beispielsweise Günter Burkart und Cornelia Koppetsch (Burkart/Koppetsch 2001) mit Bezug auf das Paarsystem auf: Verfolgt wird die These einer Kontextabhängigkeit von Geschlechterverhältnis und Geschlechtsnormen, welche „in Paarbeziehungen anders strukturiert und reguliert als im Kontext der öffentlichen Geschlechterordnung“ [sei; Einf. HH], da Geschlecht in beiden Kontexten jeweils anders verknüpft ist – mit Liebe und dyadischer Intimität anstelle von Konkurrenz und Hierarchie“ (ebd.: 432). Grundsätzlich wird angenommen: „Geschlechtsnormen der privaten Sphäre betonen die Einheit des Paares, während die Geschlechtsnormen der öffentlichen Sphäre die Differenz betonen“ (ebd.: 443).36 Die Frage, welcher Stellenwert der Geschlechterdifferenz beim Bedeutungswandel der Liebe zukommt, bleibt am Ende immer empirisch zu beantworten. Ein denkbarer Weg, sich der Beantwortung dieser Frage zu nähern, wäre es, dazu an der geschlechtsspezifischen Ausdifferenzierung der Lebensverläufe von Frauen und Männern ansetzen. Dies wäre gewissermaßen der Versuch, ein Bild des Wandels adoleszenter Rahmenbedingungen für ‚geschlechtliche Individuierung‘ (King 2002, Keddi 2003) zu erstellen. Ausgehend von den strukturellen Veränderungen in den Lebensmustern und -ordnungen von Frauen und Männern könnte dann gefragt werden, ob und wie demzufolge auch das aus der bürgerlichen Geschlechterordnung hervorgegangene Muster der romantischen Liebe variiert oder umgebaut wird. Allerdings setzt dies einen hermetischen Begriff eben solcher ‚geschlechtlichen Individualität‘ bzw. -‚Identität‘ voraus. Die Prämisse der Bestätigung personaler Höchstrelevanz als Kernelement in der romantischen Liebe (vgl. Abschnitt 1.1) würde quasi auf die Reifizierung von Geschlechterstereotypen beschränkt bleiben. Die jeweilige Suche nach einem Authentisch-Sein in der Liebe mag zwar – die an dieser Stelle empirisch noch ungeprüfte - Vorstellung nahe legen, dass sie mit habitualisierten Geschlechtsnormen verknüpft ist. Von vornherein Selbstthematisierungen in der Liebe als weiblich bzw. männlich zu kategorisieren, erfüllt allerdings nicht den Anspruch, es den Befragten selbst zu überlassen, wie sie sich, wenn überhaupt, als geschlechtliche Subjekte positionieren.37 36
Geschlechtsnormen werden von Burkart und Koppetsch (2001) nicht als Ideale und Ideen, sondern als auf Habitualisierung und Inkorporation gründende Praxisregeln aufgefasst (ebd.: 442). 37 Bettina Dausien (1996) spricht hier vom „geschlechtlichem Ort“ biografischer Selbstthematisierung (vgl. Born/Krüger/Lorenz-Meyer 1996).
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
Die Frage nach der Generationskomponente beim Wandel der Liebessemantik innerhalb der Geschichte der Bundesrepublik muss daher zweierlei einbeziehen: Einerseits sind die zentralen historischen Rahmungen institutionell geprägter Geschlechterverhältnisse- und Ordnungen in der Intimität darzulegen (hierzu die Abschnitte 4.1, 4.2, 4.3, 4.4). Andererseits ist der Schwerpunkt auf die genannte geschlechtliche Selbstpositionierung der Einzelnen zu legen. Erst auf der Grundlage der letztgenannten Ebene kann individuelle Zeiterfahrung und Zeiterfahrung rekonstruiert werden, um Aussagen über subjektiv gesetzte Kriterien des Gelingens romantischer Liebe zu treffen, worin Geschlecht zur Ordnungsgröße erhoben wird. Nur von hier aus wird eine tiefenscharfe Betrachtung der für diese Untersuchung relevanten Frage nach Mustern eines jeweiligen generationsspezifischen Gendering der Liebe unterschiedlicher Jahrgangsgruppen möglich. 1.5
Soziologische Ansätze zur Praxis der Liebe
Die bisherigen Abschnitte widmeten sich der Geschichte des Musters romantische Liebe, dem Zusammenhang von Liebe und Individualität, sowie dem Beitrag der Familien- und der Geschlechtersoziologie. Was noch fehlt, ist eine klare Bestimmung des in dieser Untersuchung verwendeten ‚Praxisbegriffs‘ der Liebe. In diesem Kapitel werden daher zunächst gängige vorliegende Ansätze und Studien aufgegriffen, welche auf unterschiedliche Weise Bezug auf die Praxis der Liebe nehmen. Dabei wird zuerst auf das Verhältnis von Liebe und Beziehung eingegangen und anschließend der Begriff Intimität erörtert. Im Anschluss werden in Abschnitt 1.6 vorliegende Ansätze zum Wandel der Liebe behandelt. In Abschnitt 1.7 wird vor dem Hintergrund vorliegender Ansätze zur Bestimmung der Praxis der Liebe und des Wandels der Liebe die dem empirischen Teil dieser Arbeit zugrundeliegende Konzeption der Praxis der Liebe dargelegt. Günter Burkart (1998) mahnt als Defizit innerhalb der Soziologie der Liebe ungeklärte Verhältnisse zwischen den Dimensionen Diskurs, Semantik und Praxis an. Es mangele bislang vor allem an einem hinlänglich befriedigenden Begriff der Praxis der Liebe (ebd.: 15f.): „Das Meiste, was wir über die Liebe haben, auch von Soziologen, ist immer noch Ideengeschichte oder, etwas anspruchsvoller, „Semantik“. Interaktionistische Studien sind seltener, und eine Art „Praxis“-Theorie ist ein Desiderat“ (ebd.: 29). Zu teilen ist diese Einschätzung insofern, da trotz vielfältiger Beschäftigung mit der Liebessemantik meist die soziale Trägerschaft dieser Semantiken nicht genau benannt wird. So wird gerade in jüngerer Zeit mehr Schlüssigkeit über die „Liebe im Alltagshandeln“ (Lautmann 1998: 54) aber auch mehr Transparenz zwischen Liebes-‚Diskurs‘ und der Ebene der Beziehungsnormen (Burkart 1997, Lenz 1998) gefordert. Zunächst zum Zusammenhang von Liebe und Beziehung: Liebe und (Liebes-)Beziehung Romantisches Lieben strebt meist danach, sich im Liebespaar praktisch zu konkretisieren. Im Fall der unerwiderten Liebe, oder wenn das Liebesempfinden sich selbst
1.5 Soziologische Ansätze zur Praxis der Liebe
45
genügt (beispielsweise eine dem Anderen gegenüber nicht offenbarte Verehrung) handelt es sich nicht um eine Liebesbeziehung, da es an Reziprozität mangelt. Dieser Fall kann daher, etwas frei, der Liebesbezug genannt werden. Ist eine Liebesbeziehung entstanden, handelt es sich um Interaktionsgeflechte, in denen die Beteiligten der Beziehung ihre Liebe mittels Gesten und „Beziehungszeichen“ (Goffman 1994) symbolisch repräsentieren.38 Aus der historischen Perspektive war das Liebesideal jedoch nicht immer an die Idee des unbefristeten Paares oder gar an die Ehe gebunden (vgl. Luhmann 1982). Die enge Kopplung von Affektualität und dauerhaftem Zweierbündnis ist vielmehr eine historische Variable. Dass diese Verknüpfung in den Leitbildern der Gegenwart beinahe den Charakter einer Naturgegebenheit angenommen hat, verdeutlicht die heutige enge Verbindung des Liebesideals mit der Paarbeziehung wie auch die enge Kopplung der Liebe mit der Norm der familiaren Reproduktion des Paares (vgl. Lenz 2003, Burkart 1997). Erst im erstarkten Bürgertum wird die Liebe zum Hauptmotiv der Ehegründung, zeitgleich wie sich die Bande der (Groß-)Familientradition und die ständische Identität auflösen: Liebe als emotionaler Weltbezug wird zu einem „Zustand untrüglicher Gewissheit“, zum Garant einer „einzigartigen, intimen Wahrheit“ (Wellershoff 2002: 19). Mit der sukzessiven Entwertung traditioneller Normen vollzog sich so zugleich ein Wandel von der Beziehungsvorgabe zur Beziehungswahl (vgl. Schulze 1992). Die Beziehungsrolle rückt in den Hintergrund, das Bündnis zweier unverwechselbarer Individuen hingegen in den Vordergrund. Es wird nun primär an den personalen Qualitäten des jeweils anderen angesetzt. Dass Liebe die wichtigste Voraussetzung für das Zustandekommen einer Paarbeziehung darstellt, ist seither eine in westlichen Gesellschaften der Gegenwart fest verankerte Überzeugung (Lenz 2003a).39 38
Fraglos kann das Empfinden, Teil einer Liebes- bzw. Paarbeziehung zu sein, im Paar differieren. Karl Lenz (2003) weist beispielsweise auf die Möglichkeit der Ungleichzeitigkeit des Timings von Beziehungszeichen und der Vorstellung dessen, wo man gemeinsam ‚steht‘, hin: Kulturelle Leitbilder der Liebe können sich auch innerhalb des Paares unterscheiden (vgl. Herma/Ladwig/Maier/Sammet 2002).
39
Gleichwohl das Prinzip der Beziehungsvorgabe verschwunden ist (nachzuvollziehen am Wandel der Ratgeberliteratur: hierzu Cancian 1987, Wouters 1997, Lenz 2003b), wäre es andererseits falsch, Partnerwahlprozesse als sozial unstrukturiert zu betrachten. Vielmehr entdeckt die Forschung nach wie vor bestehende Verbindungslinien zwischen Sozialstruktur und Partnerwahl, etwa Milieuhomogenitäten. Die Vorstellung einer eingelösten Autonomie der Partnerwahl ist vielleicht ohnehin ein bürgerliches Phantasma. Beziehungswahl heißt jedoch primär: Strukturelle Freiheit der Partnerwahl, also Beziehungen freier Wahl. Insbesondere existiert in den USA eine kontrovers geführte Diskussion zu Heterogamie- und Homogamienormen innerhalb der Partnerschaftswahlforschung (vgl. hierzu insbesondere Hill/ Kopp (2001) sowie die Beiträge im Band von Thomas Klein (2001); zur gestiegenen Bildungshomogamie der Geschlechter in der Bundesrepublik vgl. Burkart (1997: 70ff.). Die interpersonale Anziehungsforschung hingegen, so Lenz (2003a), verzettele sich grundsätzlich in Ähnlichkeits- bzw. Komplementaritätshypothesen bei der Partnerwahl und könne damit zu wenig kulturelle Rahmungen greifen.
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Intimität und Beziehungsform Doch was heißt eigentlich Intimität? Bedeutet Intimität für Liebes-, für Paar- oder für ‚Zweierbeziehungen‘ (Lenz 2003a) jeweils etwas anderes? Zwar kennzeichnet den Intimitätsbegriff zunächst jede Form einer auf Vertraulichkeit gestellten, engen persönlichen Beziehung (bei Luhmann 1982: ‚individualisierte Personenbeziehung‘), so etwa auch bei Freundschaften (vgl. Hollstein 2001). Das historisch entstandene Bündnis von Intimität und romantischer Liebe (Lenz 2003a) erzeugt aber die Herausbildung eines eigenständigen Handlungsfeldes, oder wie es Gerhards/Schmidt (1992) formulieren: eine „Autonomisierung durch Abwehr von Fremdbestimmung“ (ebd.: 22). Äußerlich betrachtet bringe diese Autonomisierung einen Zugewinn individueller Freiheiten, gleichzeitig sei damit, so Gerhards und Schmidt, ein wenig definiertes und daher stark von Idealisierungen bestimmtes Handlungsfeld entstanden.40 Die innere Strukturierung der Beziehung bleibt dem Paar mit der Folge einer hohen Deutungskontingenz entsprechender Handlungsaufgaben- und Lösungen selbst überlassen. Wie gering definiert der Handlungsrahmen der Liebe ist, kann als ein vom Liebesideal hausgemachtes Problem betrachtet werden. Es gründet darauf, dass die Alltagspraxis der Liebesbeziehung überwiegend zu einer privaten Angelegenheit geworden ist. Die Liebe bzw. die Liebesbeziehung beruht somit – wie Paarbeziehungen überhaupt, hier aber im Besonderen – auf einer „Entwertung der Umweltbezüge“ (Lenz 2003a: 263) eben dieser Beziehung, wie etwa gegenüber verwandtschaftlichen Verhältnissen aber auch gegenüber dem familiären System. Die gegenwärtige Praxisform der Liebesbeziehung stellt daher klar einen Systemtyp mit einer Eigenlogik dar. Und: Eine Liebesbeziehung ist in der Regel eine Paarbeziehung, auch wenn nicht jede Paarbeziehung eine Liebesbeziehung ist. Die Liebesbeziehung ist dagegen eine Spezialvariante der Zweierbeziehung, womöglich dessen dominanteste.41 Wie nun gelingt ein empirischer Zugriff zur Praxis der romantischen Liebe? Zunächst sind Forschende bei denjenigen Interaktionen zweier Personen, wo sich die Liebe gewissermaßen entzündet, kaum systematisch beobachtend dabei. Auch die Frage, welche spezifischen Gesten und Interaktionsabfolgen tatsächlich zur Bildung einer Liebesbeziehung beitragen, bleibt nicht zuletzt aufgrund der emotiven Qualität von Handlungsmotivationen weitgehend ungeklärt (Lenz 2003b). Der Forschungsprozess ist hier in aller Regel auf das schwierige Terrain leiblich-expressiver Darstel-
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Das Handlungsfeld Intimität sei im Vergleich zur Strukturiertheit anderer Sozialwelten vergleichsweise „unstrukturiert“ (Gerhards/Schmidt 1992: 24f.), sofern für Intimbeziehungen nur „situative Definitionshilfen“ zur Verfügung stünden. 41 Karl Lenz (2003a) öffnet seinen Begriff der Zweierbeziehung stärker für eine allgemeine Definition intimer persönlicher Beziehungen: „Unter einer Zweierbeziehung soll ein Strukturtypus persönlicher Beziehung zwischen Personen unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts verstanden werden, der sich durch einen hohen Grad an Verbindlichkeit (Exklusivität) auszeichnet, ein gesteigertes Maß an Zuwendung aufweist und die Praxis sexueller Interaktion einschließt bzw. eingeschlossen hat“ (ebd.: 44).
1.5 Soziologische Ansätze zur Praxis der Liebe
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lungen zurückverwiesen. Einen stärker verbalen Praxisbegriff (vgl. hierzu Corsten 2003 unten) haben Günter Burkart und Cornelia Koppetsch (Burkart/Koppetsch 2001) im Blick, wenn Liebe als „praktische(r) Regulationsmechanismus“ in den interaktiven Prozessierungen eines Paares definiert wird: „Liebe ist intensive, alles durchdringende kommunikative Praxis auf der Grundlage von Gefühlsgewissheit in exklusiver Paarform“ (ebd.: 438). Als besondere Erlebens- und Handlungsform hebe sich Liebe allerdings von „kognitiv-rationalen und diskursiv vermittelten Praxisformen“ deutlich ab. Sie sei vielmehr als „ganz eigener Erkenntnisprozess im Sinne des praktischen Wissens“ zu verstehen, denn das Kulturmuster romantische Liebe werde in „habitualisierter Form praxiswirksam“ (ebd.: 438f.). Was ist hier mit dem ‚Habituellen‘ in der Liebespraxis gemeint? Koppetsch und Burkart treffen dazu in der milieutypologisierenden Studie „Zur Illusion der Emanzipation“ (1999) eine zentrale Unterscheidung zwischen Diskursebene und der Ebene der Beziehungsnormen in der Paarpraxis (vgl. auch Burkart 1997, 1998). Der von den Beteiligten eines Paares geführte Diskurs zur Praxis ihrer Beziehung informiere nicht über tatsächlich wirksame Beziehungsnormen. Illustriert wird dies mit Bezug auf praktische Widersprüche bei der Verwirklichung des Gleichheitsideals im Alltag von Paaren: „Während die Idee der Gleichheit einer (reflexiven) Diskurslogik gehorcht, beruht die Verrichtung alltäglicher Handlungen auf einer anderen, einer praktischen Logik“ (ebd.: 156; kursiv i. O.). Beziehungs- und Geschlechtsnormen seien hingegen auf der Ebene des Beziehungsalltags anzusiedelnde Praxisregeln. Gerade dort treffe man auf die hinsichtlich geführter Beziehungsdiskurse im Paar durchaus widersprüchlichen, verinnerlichten Überzeugungen in Bezug auf Geschlechtsrollen. So verschleiere beispielsweise häufig der gerade im akademischen Milieu häufig geführte ‚Egalitäts-Diskurs‘ das durch Gendering tatsächliche traditionell strukturierte Hausarbeitsarrangement im Paaralltag. Die Inhalte eines Partnerschaftsdiskurses, so Koppetsch und Burkart, informieren daher nicht ausreichend über die faktisch herrschende Paar- und Geschlechterordnung. Ähnlich geht Jean-Claude Kaufmann (1994) am Beispiel von Paararrangements bei Haushaltsaufgaben wie dem Wäschemachen von einer Diskrepanz zwischen kulturellem Beziehungsideal und Beziehungswirklichkeit aus. Er unterscheidet dazu zwischen Diskurs und Ideal als Anspruch einerseits und realem Paararrangement als Praxis des Paares andererseits. Beide zuletzt genannten Studien verbindet Pierre Bourdieus (1980, 1987) Praxisbegriff, wonach praktisches Handeln immer ein strukturell determiniertes, eben habituelles Handeln darstellt. Ein eng an Bourdieus Sozialstrukturanalyse angelehnter Praxisbegriff birgt aber die Gefahr, wenig Aussagen über historischen Wandel treffen zu können. Bei Bourdieu bleibt es weitgehend ungeklärt, wie sich Handlungssysteme historisch transformieren können, und seine Konzeption des Habitus als inkorporierte Matrix von Handlungen und Wahrnehmungen wirkt oftmals ahistorisch und überdeterminierend. Bei der Frage nach dem Verhältnis zwischen der Praxis der Liebe und den Bedingungen ihres Wandels, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht, wäre aus dieser Perspektive somit unmittelbar kein Zugang greifbar.
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Ein weiterer Ansatz zur Praxis der Liebe: Nathalie Iványi und Jo Reichertz (2002) erstellen in einer Studie zu den in populären TV-Sendungen sichtbaren Formen medialer Inszenierung von Liebe einen expressiv-rituellen Praxisbegriff der Liebe. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frage nach dem Wandel der Darstellung ‚wahrhaftiger‘ Liebe vor dem Hintergrund der These einer Aufwertung ritueller Qualitäten, was seit den 90er Jahren auch bei standesamtlichen Trauungen beobachtet wird. Der Studie liegt die Prämisse zugrunde, dass die Liebenden in diesen TV-Sendungen und beim Standesamt mit ihren Praktiken und Inszenierungen ein allgemein verständliches und gültiges kulturelles Muster von Liebe repräsentieren: „Indem Liebende die kulturellen Praktiken der Liebesdarstellung aufgreifen und neu in Szene setzen, repräsentieren sie zugleich auch das, was für eine bestimmte Gesellschaft als ‚Liebe‘ und als Liebesausdruck gilt. Liebende zeigen also nicht nur einander an, welcher Art ihre ‚Liebe‘ ist, sondern auch der Gesellschaft oder anders: Indem sie die Liebe dem geliebten Anderen präsentieren, repräsentieren sie diese auch“ (ebd.: 10). Liebe muss zur Erscheinung gebracht, sie muss dargestellt und inszeniert, also symbolisch repräsentiert werden. Anders als bei diesem Fokus auf theatrale Inszenierungspraxen als konstitutives Moment der Liebesdarstellung steht für Karl Lenz (2003a) die Interaktionswirklichkeit des (Liebes-)Paares insgesamt im Mittelpunkt seines mikrosoziologischen Ansatzes. Lenz geht verwandt mit Burkart/Koppetsch (1999) von einer Differenz zwischen Beziehungsideal und Beziehungswirklichkeit, d. h. zwischen „kultureller Codierung“ und „gelebte[r] Liebe“ (284ff.) aus und sucht die faktische Ordnung der Liebe in Anlehnung an Goffmans interaktionistischem Paradigma sozialer Wirklichkeit in den symbolischen Praktiken und der Kommunikation der Liebenden. Der Praxisbegriff der Liebe(-sbeziehung) ist in den genannten Ansätzen somit konzeptionell unterschiedlich akzentuiert und auf wechselnde Gegenstände fokussiert. Für die Untersuchungsfrage nach dem über biografische Selbstthematisierungen vermittelten Bedeutungswandel der romantischen Liebe bietet sich dagegen ein sprachpragmatischer Praxisbegriff an (Corsten 1993, 1994, vgl. unten), der stärker an der Wissens- und Deutungsebene der Subjekte ansetzt. Die oben erörterten Ansatzweisen und Themen spielen zwar auch hier immer eine Rolle: So werden handlungsanleitende Beziehungsnormen ebenso wie Widersprüche zwischen kulturellen Leitbildern und der tatsächlich erlebten Beziehungswirklichkeit gerade über biografische Reflexionen zugänglich. Auch die Repräsentationspraxen der Liebe können Thema von Interviewbefragungen sein. Gleichwohl stellt die Praxisform Selbstthematisierung (vgl. Burkart 2004) eine eigenständige Untersuchungsperspektive dar. Hierbei handelt es sich primär um eine Praxisvariante von Bedeutungskonstitutionen, gleichgültig thematischer Inhalte, etwa biografische Prägungen, Zugehörigkeit zu historischen Kollektiven, Geschlechtsidentität, ‚Glück‘ und ‚Unglück‘ in der Liebe etc.. Es geht also um den Wandel biografischer Selbstthematisierung in der Liebe und um die Elemente, die dafür stellvertretend stehen. Unten wird dies deutlicher aufgegriffen und erörtert. Die Perspektive soll im Folgenden zunächst auf der Grundlage einer Zusammenschau wesentlicher vorliegender soziologischer Ansätze zum Wandel der Liebe Kontur erfahren.
1.6 Soziologische Ansätze zum Wandel der Liebe
1.6
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Soziologische Ansätze zum Wandel der Liebe
Eine skeptische Frage zu Beginn: Hat sich die Grundfigur der romantischen Liebe seit der Epochenschwelle zur „Problemorientierung“ (Luhmann 1982, vgl. Abschnitt 1.2) überhaupt in wesentlichem Maße gewandelt? Trotz Einbußen der bürgerlichen Leitsemantik, vor allem der Idee, Liebe werde nur durch Ehe und Familie gekrönt, haben sich die enge Kopplung von Sexualität und Personalität, von Einzigartigkeits-, Treue- sowie Dauerhaftigkeitsansprüchen in der Liebesdyade bis in die Gegenwart weitgehend erhalten. Als Leitmotiv zur Aufnahme intimer Beziehungen scheint die romantische Liebe gerade im Verlauf des 20. Jahrhunderts trotz des Strukturwandels in den Mustern persönlicher, intimer Beziehungen in ihrer Grundfigur relativ persistent zu sein. Es lässt sich durchaus behaupten: Romantische Liebe als Kulturtopos stellt eine vergleichsweise träge Kategorie sozialen Wandels dar. Dies ist sicherlich als Folge der gegenwärtig hohen Bedeutung der romantischen Liebe für das Erleben personaler Höchstrelevanz insgesamt zu werten, wie in Abschnitt 1.2 dargestellt. Erkenntnisse über die Aneignung und Ausarbeitung dieses Themas in biografischen Reflexionen unterschiedlicher Zeitkollektive lassen sich damit noch nicht gewinnen. Wo also sind die Argumente und wo die Anhaltspunkte für die dieser Untersuchung zugrundeliegenden Prämisse eines Wandels der Liebessemantik auch innerhalb der relativ kurzen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verborgen? Zur Beantwortung dieser Frage gehe ich in zwei Schritten vor: Zunächst werde ich mich mit vorliegenden, gängigen soziologischen Ansätzen zum Wandel der Liebe und den darin enthaltenen ‚Großtheoremen‘ beschäftigen. Dargestellt wird, dass diese Ansätze meist ein zu großes zeitdiagnostisches Objektiv verwenden, um den Wandel der Liebe auch in kleinen Zeiteinheiten erfassen zu können. Im zweiten Schritt (Abschnitt 1.7, vgl. 2.4) werden Argumente formuliert für eine generationsspezifische Betrachtungsweise solcher Zeiteinheiten. Dabei lautet das Schlüsselargument: Mit jeder historischen Zeit wird das ‚Ich in der Liebe‘ vor bestimmte Herausforderungen gestellt, sich als ‚authentisch‘, respektive widerspruchsfrei im Lebensentwurf in der Liebe wiederfinden zu können. Legt man dabei den in Abschnitt 1.2 erörterten Konnex des Musters romantische Liebe und der modernen Individualitätssemantik zugrunde, bringen biografische Selbstthematisierungen in Bezug auf das Thema Liebe einerseits jeweils herrschende Vorstellungen, oder analytischer: ‚Konstruktionsweisen‘ von Individualität zum Ausdruck. Andererseits führen sie vor, wie diese Vorstellungen in der Liebes- bzw. Paarpraxis eingelöst werden können, welche Problemdeutungen dazu errichtet werden und welche Handlungslösungen erwogen werden. Aufgezeigt wird schließlich, dass die Generationsperspektive hierzu eine Dynamik des Liebeswandels aufschließt, mit der die Annahme allein großer Epochenbrüche relativiert werden muss. Zunächst im ersten Schritt zum Ertrag und zu den Defiziten vorliegender Ansätze zum Wandel der Liebe:
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
Problemorientierung (Luhmann) und Demokratieideal (Giddens) in der Liebe Häufig sind historisierende Arbeiten zum Muster Liebe der Analyse von Semantiken verpflichtet.42 Eine prominent gewordene Arbeit zum Wandel von Liebessemantiken stellt die bereits erwähnte, systemtheoretische Studie von Niklas Luhmann (1982) dar (vgl. Abschnitt 1.6). Luhmann spannt einen weiten Bogen über die letzten Jahrhunderte und vermutet für die Gegenwart: „daß die Codierung der Intimität sich in Richtung auf ein Programm des Verstehens entwickeln wird“ (ebd.). In der Gegenwart offenbare sich demzufolge eine „Problemorientierung“ mit der Funktion, „Reflexion von Autonomie bzw. Selbstreferenz“ zur Geltung zu bringen (ebd.: 51): Die Passion hat ihr Ende, das Ideal seine Enttäuschung, das Problem findet keine Lösung. Die Problemorientierung mag aber den Vorteil haben, dass sie es den Liebenden aufgibt, am Umgang mit dem Problem sich ihre Liebe zu zeigen – quälend aussichtslos und trotzdem liebend. Dies Thema selbstdestruktiver Einstellungen ist neu, es fehlt in der traditionellen Liebessemantik, die nur von Eigenschaften und von Einstellungen der Menschen zueinander zu handeln hatte“ (…). „So führt das Gebot des Sich-Einlassens auf die Weltsicht des anderen vor die Frage, ob man auch unbegründete Ängste, selbstschädigende Ansichten, lebensgefährdende Gewohnheiten übernehmen, anerkennen, bestätigen soll (ebd.: 213).
Für die Gegenwart postuliert Luhmann, frühere, noch der Innerlichkeit verpflichtete Garanten der Romantik, wie etwa die ‚Seele‘, seien längst ersetzt durch den ‚psychologischen Alltagsscharfblick‘ (ebd.: 213). Insofern sei auch die ‚Führung der Liebenden vom Roman‘ bereits auf die ‚Psychotherapeuten übergangen‘. Notwendig muss Luhmanns Studie jedoch historisch unscharf bleiben, wenn bloß von einem „Sinnzentrum der Epoche“ (ebd.: 51) die Rede ist, sich solche Epochen in seinem Ansatz aber über viele Jahrzehnte erstrecken. An diesem Beispiel lässt sich ein grundsätzliches Defizit semantischer Analysen zum Liebeswandel verdeutlichen, die ihre empirische Datenbasis nicht ausreichend systematisch darlegen: Eine präzise Bestimmung der konkreten sozialen Trägerschaften eben dieser Semantiken wird oftmals konzeptionell vernachlässigt. Nur unzureichend wird der Zusammenhang zwischen der behaupteten Semantik und den konkreten Sinnsetzungen der Betreffenden im Forschungsfeld transparent gemacht. Gewiss ist dies immer eine Frage des favorisierten Blickwinkels auf einen Forschungsgegenstand: So eindrucksvoll jedoch, wie Luhmanns (1982) Arbeit den allgemeinen Wandel der Liebe im Verlauf der letzten Jahrhunderte vorführt, kann in ihr nicht klar genug gezeigt werden, wie der Wandel der Semantik mit dem perma42
Der Begriff Semantik als Theorie der Bedeutung referiert in der Tradition der Lebensweltanalyse und Hermeneutik auf die Bedeutung zwischen sprachlichen Zeichen und Zeichenfolgen bzw. auf die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Empirisch geht es dabei immer um den Nachvollzug tragender Sinnelemente eines Bedeutungsgebrauchs, ob innerhalb biografischer Erzählungen oder in Bezug auf das „Sinnzentrum“ (Luhmann 1982: 51) ganzer Epochen.
1.6 Soziologische Ansätze zum Wandel der Liebe
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nenten, sich in kleineren Zeitformaten vollziehendem, Neu-Hinzutreten gesellschaftlicher Akteure in den historischen Raum korrespondiert. Der vorrangig deskriptive Charakter semantischer Analysen lässt kaum Interpretationen im Hinblick auf die Varianz der Deutungsleistungen sozialer Akteure zu. Damit beansprucht der Semantik-Begriff einen mit empirischen Fallstudien oftmals nicht zu stützenden hohen Grad an Verallgemeinerbarkeit. Vor diesem Hintergrund ist auch Anthony Giddens (1993) semantisch angelegte Arbeit zum „Wandel der Intimität“ zu idealisierend und programmatisch. Giddens stellt darin folgende These auf: Das traditionelle romantische Liebesideal werde mittlerweile durch die ‚confluent love‘, der ‚partnerschaftlichen Liebe‘, als die Gleichheit der Geschlechter verwirklichende Beziehungsform abgelöst. Infolge des sich durchsetzenden Gleichberechtigungsideals orientiere sich die Liebe nun stärker an der Beziehung und weniger an der Person. Es entsteht allerdings der Eindruck, Giddens hält dabei in erster Linie ein Plädoyer für das Modell der ‚pure relationship‘, als dass er deren Verwirklichung empirisch belegen könne. Die an Freiwilligkeit, Partnerschaftlichkeit und Selbstbestimmung, d. h. als Form „demokratischer Intimität“ (Nord 2001: 333) aufgestellte Forderung nach „Geschlechterdemokratie“ (Hollstein 2004) – gewissermaßen also das Ideal der ‚reinen Beziehung‘ – erscheint so mehr als Projektionsfolie denn als durchgesetzte Realität. Giddens erstellt in diesem Sinne quasi die politische Forderung für Partnerschaftlichkeit im Privaten, sein Ansatz bleibt jedoch einem idealisierenden Bild von Egalität verhaftet. Die empirisch belegbare Persistenz herrschender Geschlechternormen im Paar (vgl. vor allem Koppetsch/Burkart 1999, Jamieson 2003) bleibt unberücksichtigt, ebenso die über verschiedene Beziehungskonzepte vermittelten Reziprozitätsökonomien und symbolischen Beziehungswährungen (etwa das Thema Geld; vgl. hierzu vor allem Wimbauer 2003) innerhalb von Paaren (Allmendinger/ Ludwig-Mayerhofer/Schneider/ Wimbauer 2004; vgl. Hirseland/Herma/Schneider 2005).43 Liebe unter den Bedingungen ‚reflexiver Modernisierung‘ (Ulrich Beck et al.) Wo Luhmann, wie dargestellt, strikt funktionalistisch argumentiert, besteht trotz unterschiedlichem Gegenstandsbezug und unterschiedlicher Akzentuierung jedoch insgesamt ein breiter Konsens hinsichtlich der modernisierungstheoretischen Prämissen des Wandels der Liebe. Gut lässt sich das anhand der ‚Theorie der reflexiven 43
Zugleich unterstellt Giddens Männern den Bedarf nach ‚nachholender‘ Emotionalisierung, da ihre Kompetenzen, eine ‚reflexive, emotionale Geschichte ihres Selbst zu schreiben‘ (vgl. Nord 2001: 318) defizitär seien. Dies nun wirkt analytisch kurzatmig, denn die Emotion wird unreflektiert zu einem Selbstwert an sich erhoben. Nicht zuletzt weist Giddens hiermit unter der Hand Frauen eine emotionale Geschlechtsidentität zu, und bleibt damit – ganz im Widerspruch zu seinem Imperativ egalitärer Partnerschaftlichkeit – einer traditionellen Sichtweise von Geschlechtercharakteren verhaftet (ähnlich auch bei Cancian 1987).
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
Modernisierung‘ (Beck/Bonß 2001) und der dort enthaltenen Behauptung eines institutionellen Wandels von einer „ersten“ zu einer „zweiten Moderne“ bzw. von „einfacher“ zu „reflexiver“ Modernisierung illustrieren. Ausgehend von der These eines ‚Meta-Wandels der Moderne‘ wird eine sich seit einigen Jahrzehnten vollziehende Auflösung zentraler Basisinstitutionen der modernen Gesellschaft behauptet, wie die Normalbiografie, die Erwerbsarbeit und der Nationalstaat. Auch das Muster der geschlechtlichen Arbeitsteilung als Stütze der patriarchalen Kleinfamilie erlebe einen Bedeutungsverlust. Reflexive Modernisierung ist zwar keine elaborierte Theorie im Sinne eines geschlossenen Aussagensystems, sondern rangiert eher als ein für bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen in der Moderne sensibilisierendes Wahrnehmungskonzept. Gleichwohl sind hier eine Reihe modernisierungstheoretischer Grundbestimmungen des Wandels der Liebe gebündelt: In der ersten bzw. einfachen Moderne sei Liebe noch in das ‚Korsett‘ der bürgerlichen Familienkonzeption und den damit definierten Geschlechterrollen eingebettet. Die zweite bzw. reflexive Moderne hingegen habe einen Wandel des Geschlechterverhältnis und eine Entkopplung des Funktionszusammenhangs zwischen Ehe und Liebe, sowie zwischen Ehe und legitimer Elternschaft hervorgebracht. Das Liebesverhältnis muss nun neu ausgehandelt werden (vgl. Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer/ Schneider/Wimbauer 2004, Schneider, W. 1994), auch wenn sich Aushandlung nicht mit der reflexiven Verfügung über all das deckt, was sich weiterhin an Strukturierung, beispielsweise in Form latenter Geschlechtsnormen (Koppetsch/Burkart 1999), im Paar vollzieht. Dieses Verhältnis wird jetzt dennoch verstärkt zu einer Angelegenheit paarinterner Verhandlungen, denn die alte Komplementaritätsnorm, die letztlich durch eine bestimmte ökonomische Ordnung der Geschlechter legitimiert war, wird zunehmend hinfällig. Dies ist der Ausgangspunkt, weshalb diese Moderne als ‚reflexiv‘ gehandelt wird: Die alte ,Basisinstitution Familie‘ reguliere und legitimiere heute nicht mehr das Paar und ihre Liebe (Beck/Bonß 2001). Eine nun verhandlungsfähig gewordene Liebesordnung sei an ihre Stelle getreten, auch wenn sich Beziehungsnormen der ersten Moderne in habitualisierter Form teilweise tradieren. Überhaupt, so lässt sich anschließen, ist es nun nicht mehr aus sich selbst heraus verständlich, dass, vor allem weshalb geliebt wird: Da die äußere Legitimation zunehmend weggebrochen ist, befragen sich die Liebenden stärker ‚selbst‘ nach den Motiven ihrer Liebe. Es entsteht der Bedarf, dem Aufrechterhalten der Liebe mittels permanenter Reflexionsarbeit Sorge tragen zu müssen (vg. Schneider, W. 1994). Die Grundaussagen reflexiver Modernisierung lauten also: Von Beziehungsvorgabe zu Beziehungswahl, von der Komplementärliebe zur Partnerschaft, von der Geschlechterasymmetrie zum Gleichheitsideal, schließlich von der ‚weiblichen Aufopferung‘ (Beck-Gernsheim 1990) für den Anderen hin zum Autonomie- und Selbstverwirklichungsanspruch beider Geschlechter. In zwei Punkten zeigt sich allerdings eine zeitdiagnostische Schwäche dieses Konzepts: Zum einen scheint sich das Intimsystem entlang eines linearen Selbstlaufs mo-
1.6 Soziologische Ansätze zum Wandel der Liebe
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derner Individualisierung quasi selbst fortzuschreiben, was Ulrich Beck an anderer Stelle (1990) zum Anlass nahm, diese Prozesse als „riskant“ zu etikettieren. Indem Reflexivität zum anderen zwar zu einem ,Basisprinzip‘ der gegenwärtigen Moderne erhoben wird, gibt es in Bezug auf die reflexive Arbeit an der Liebe keine prägnanten Ansatzpunkte für historische Differenzierung innerhalb dieses Paradigmas.
Liebessemantik und Milieuspezifik: Günter Burkart/Beate Fietze/Martin Kohli; Cornelia Koppetsch/Günter Burkart Ein prononciertes Beispiel milieuspezifischer Ausdifferenzierung der modernen Liebessemantik liegt mit einer Studie von Günter Burkart, Beate Fietze und Martin Kohli (1989) vor: Mit Blick auf sozioregionale Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Individualisierung zeigen die dortigen Ergebnisse (auf der Grundlage einer Unterteilung in ein „bäuerliches“, ein „industrielles“, ein „gehobenes Techniker-“, ein „Akademiker-“ und ein „Alternativ“-Milieu) eine Vielfalt milieuspezifisch divergierender Partnerschafts- und Liebesorientierungen auf. Aufgefächert wurde dazu in die Typen: „moderne Liebesehe“, „traditionelle Versorgungsehe“, „moderne Partnerschaftsehe“, „individualisierte Partnerschaft“ sowie das „Liebespaar auf Zeit“. Aufgezeigt wird, dass Individualisierungsprozesse auch in den persönlichen Nahbeziehungen nicht linear verlaufen, sondern (dies wird durchaus kritisch gegen ein undifferenziertes Indivualisierungstheorem gewendet) milieuspezifisch variieren. Milieulagerung nimmt damit auch Einfluss auf die geltende Hintergrundsüberzeugungen darüber, welches Handeln und Deuten in der Liebe und im Paar jeweils als angemessen erscheint.44 Cornelia Koppetsch und Günter Burkart haben sich daran thematisch anknüpfend in der bereits erwähnten Studie „Zur Illusion der Emanzipation“ (1999) mit milieuspezifischen Orientierungsmustern und Beziehungsnormen in Liebe und Paarbeziehung befasst. Sie zeigen dabei auf, dass vor allem der egalitäre Beziehungsdiskurs des „individualisierten Milieus“ über besonders trickreiche Mittel verfügt, weiterhin wirksame Traditionalismen innerhalb der Paarpraxis als verwirklichte Geschlechterdemokratie auszugeben.45 Beide Stu44
Die Studie von Peter Loos (1999) zeigt dies auf der Grundlage von Heteronomie- und Autonomienormen verschiedener ‚Männer-Milieus‘ auf. Auch das Konzept des „geschlechtsspezifischen Habitus“ bei Michael Meuser (1998a) stemmt sich gegen die allgemeine Unterstellung der Theorie reflexiver Modernisierung, wonach sich das traditionelle Geschlechterverhältnis insgesamt in Auflösung befände. Meuser erhebt in diesem Zusammenhang die Frage, ob der dem Diskurs entzogene, determinierende Geschlechtshabitus nicht die (in der Theorie der reflexiven Moderne) erhobene Idee der Gleichheit auf einer praktischen Alltagsebene durchkreuze. Er illustriert dies empirisch an der Persistenz spezifischer männlicher Orientierungsmuster zum Geschlechterverhältnis. 45 Zum Zusammenhang von Milieuspezifik und Liebessemantik vgl. auch Maier (1998), sowie zur männlichen Wahrnehmung des Geschlechterverhältnis im Milieuvergleich Behnke (1997).
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
dien stellen damit den Wandel der Liebe zwar nicht genuin in den Mittelpunkt ihres Forschungsinteresses. Sie unternehmen jedoch jeweils eine empirisch angeleitetete Bestandaufnahme dazu, wie das Liebesideal unter den Bedingungen der gegenwärtigen Moderne in Paarpraxen realisiert wird.46
Ritualisierung und Theatralisierung der Liebe (Nathalie Iványi/Jo Reichertz) Auch mit Fokus auf die Praxis der Inszenierung der Liebe existieren zeitvergleichende Befunde. So hatten sich Kerstin Nagler und Jo Reichertz (1986) am Beispiel der Fallanalyse einer Kontaktanzeige mit der Frage gegenwärtiger Ausdrucksformen von Intimität beschäftigt. Dies betraf noch die 80er Jahre, und anhand der Analyse eines Anzeigentextes wurde auf die Inszenierungsregel „Erlebnissteigerung“ geschlossen. Vor dem Hintergrund der Annahme, dass Ritualisierungsleistungen in Beziehungspraxen generell Aufwertung erfahren, wird in der bereits erwähnten Studie von Iványi und Reichertz (2002) mit Bezug auf die 90er Jahre die Frage gestellt: Haben sich die Formen der (Re)Präsentation von ‚Liebe‘ mit Einbeziehung von Fernsehshows gewandelt? Untersucht werden Praktiken der Liebesdarstellung am Beispiel ausgewählter Fernsehsendungen. Im Zentrum steht die Interaktionslogik von Heiratsanträgen in den populären Sendungen ‚Traumhochzeit‘ und ‚Nur die Liebe zählt‘, welche für die Zuschauer als Inspirationsquelle und für die Kandidaten als Bühne „der glaubhaften Inszenierung und des Vollzugs von Liebespassagen“ (ebd.: 10) aufgegriffen werden. Insbesondere dem Verhältnis zwischen „Präsentationshandeln vor der Kamera und den Repräsentationsformen durch die Kamerahandlung“ (ebd.: 12) am Beispiel gegenwärtiger Trauungsriten gilt das Interesse. Als besonders aufschlussreich wird dabei erachtet, dass diese Präsentationen auf einer Öffnung der Paarinszenierung für ein öffentliches Publikum beruhen, deren antizipierte Erwartungshaltungen in die Inszenierungspraxis mit eingehe. Aus dem Blickwinkel dieser Zeugenschaft wird gefragt, ob und wie die medialen Formen der „Theatralisierung der Liebesdarstellung“ in einem Austausch mit der alltäglichen Lebenspraxis stehen, und damit als „(mittlerweile) tatsächlich alltagspraktische Formen des Liebesausdruck“ (ebd.: 11) bezeichnet werden können. Iványi und Reichertz kommen zu dem Ergebnis einer sich seit Mitte der 90er Jahre abzeichnenden Tendenz zur Ritualisierung und Theatralisierung der Liebe bei standesamtlichen Trauungen und bei Fernsehsendungen. Letztere werden als Vermittlung der Lösung 46
Überdies kritisiert Burkart (1997) eine undifferenzierte Auffassung ‚pluralisierter‘ Lebensformen. Aus lebensverlaufstheoretischer Perspektive ergänzt Burkart, dass viel dessen, was heute vorschnell unter Pluralisierung subsummiert werde, lebensphasisch gebunden bleibe: Etwa die Passage der „Familienlebensphase“, aber auch bestimmte Liebeserfahrungen bzw. „Liebesphasen“ mitsamt den darauf bezogenen, differenzierter gewordenen biografischen Orientierungsleistungen (vgl. auch Abschnitt 2.2).
1.6 Soziologische Ansätze zum Wandel der Liebe
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moderner Probleme betrachtet, so etwa die Markierung von Übergängen und gegenseitiger Verpflichtung mit klarem Umweltbezug: „Manches spricht also dafür, dass sich mit der Theatralisierung der Liebesoffenbarung hinter dem Rücken der Beteiligten eine gesellschaftliche Sicht etabliert hat, welche die ‚Liebe‘ nicht mehr bzw. nicht mehr allein daran misst, wie rein und tief sie im Inneren des liebenden Individuum gründet, sondern daran, was Liebende bereit sind, füreinander unter den Augen der Öffentlichkeit zu tun bzw. zu geben“ (Reichertz 2002: 54). Mit Bezug auf die untersuchten Fernsehsendungen könnte im Anschluss daran jedoch auch gefragt werden, inwieweit es sich bei den teilnehmenden Personen um (ein) bestimmte/s Milieu(s) handelt. Beispielsweise um solche, wo eine bestimmte – um mit Gerhard Schulzes (1992) Milieutypologie zu sprechen – Kombination von Erlebnis- und Distinktionsschema vorliegt. Romantisierung und Ent-Romantisierung (Karl Lenz) Vor dem Hintergrund der Frage, ob sich in der Gegenwart ein neues Liebesideal herausgebildet habe, erstellt Karl Lenz (1998, 2003a) die These einer ‚Ambivalenz romantischer Steigerung und zugleich Entromantisierung‘ in gegenwärtig herrschenden Liebesleitbildern. Aufbauend auf einer Sichtung von Ratgeberliteratur und darauf bezogenen Untersuchungen wird zu den Veränderungstendenzen a.) eine gewachsene „Dominanz des Selbstverwirklichungsmotivs“ (Lenz 2003a: 271ff.) gezählt, welche die früheren Gebote der Aufopferung und der ewigen Liebestreue mit Ansprüchen nach personaler Autonomie und individueller Selbstentfaltung ersetzt hätten. Weiterhin b.) das „Verschwinden der Geschlechtsspezifik“, wonach die Polarisierung der Geschlechtscharaktere als Leitorientierung in der Liebe allmählich an Bedeutung verliere und sich die traditionelle Differenz zwischen männlicher Rationalität und weiblicher Emotionalität durch die veränderte Stellung der Frau im Produktionsprozess sowie durch Verrechtlichung in der Auflösung befände (vgl. auch Luhmann 1982: 202). Schließlich c.) eine starke „Aufwertung der Kommunikation“ zwischen den Beziehungspersonen sowie dem konfliktsuchenden Gespräch (Lenz 2003a: 271ff.). Lenz konstatiert eine Tendenz der Steigerung der romantischen Sinngehalte bei gleichzeitigem Verlust derselben. Die Steigerung des Ideals identifiziert Lenz in der bereits im romantischen Liebesideal früher angelegten Betonung der Individualität, welche aber erst in der Gegenwart ihre volle Blüte erlangt habe. Das „Einssein von seelischer und sinnlicher Liebe des literarischen Diskursideals“ habe erst mit der Neubestimmung der Sexualität in den 20er Jahren und dann ab den 60er Jahren Eingang in die Beziehungsnormen gefunden (ebd.: 271ff.). Weggebrochen sei nun andererseits aber die Kopplung von Liebe und Elternschaft, denn Liebe gelte nun auch ohne Kinder als möglich, Kinder werden zu einer optionalen, aber nicht mehr zwangsläufigen Paarentscheidung (ebd.). Schließlich kennzeichne die Neudefinition der Liebenden in der Relation zu ihrer Umwelt eine Ent-Romantisierung der
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
Liebe: Die Liebesbeziehung sei nicht mehr nur pure Zweisamkeit, sondern unterhalte auch teils enge Beziehungen zu anderen Bezugspersonen (ebd.).47 Jürgen Gerhards und Bernd Schmidt (1992: 22) wiederum formulieren in einer Studie zu intimen Kommunikationen junger Menschen in Zusammenhang mit Präventionsmaßnahmen seit dem ‚Safer-Sex‘-Diskurs das Ergebnis, das herkömmliche, romantische Liebesideal bleibe weiterhin das dominante Deutungsmuster zur praktischen Ausgestaltung von Intimität. Auch die Aufnahme sexueller Interaktionen werde meist vom Wunsch nach romantischer Liebe geleitet. In den letzten dreißig Jahren habe sich aber ein Alternativmodell herausgebildet: Das durch Orientierung am Ausleben sexuellen Begehrens gekennzeichnete ‚hedonistische Liebesideal‘. Beobachtet wird eine Zunahme der Entkopplung von Sexualität und Liebe, oder in den Worten von Cas Wouters (1997): einer veränderten „Lustbalance“ seit der sexuellen Revolution (vgl. unten). Ob die Ablösung des Ideals der traditionell „harmonisch-reziproken Liebesbeziehung“ (Gerhards/Schmidt 1992: 161) durch vermehrtes Experimentieren in zahlreicher abfolgenden Liebesbeziehungen „hedonistisch“ genannt zu werden braucht (und nicht vielmehr bestimmte zeittypische Funktionen der Selbstvergewisserung im Lebensbereich Liebe erfüllt; vgl. Abschnitt 6.1, 7), bleibt zu diskutieren. Zieht man eine Bilanz zu dieser Auswahl prominenter Ansätze, kann jedoch ein erstes Fazit formuliert werden: Eine Vielzahl der Ergebnisse sind je nach eingenommenen Blickwinkel einleuchtend und bieten eine Fülle von Anknüpfungspunkten. Sie bleiben in zeitdiagnostischer Hinsicht dagegen häufig generalisierend. Obwohl oftmals von der Gegenwart die Sprache ist, wird a.) nicht klar dargelegt, wessen Gegenwart im Blickpunkt steht, und b.) treffen viele der Befunde auf den gesamten Zeitraum der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu. Somit mangelt es noch an Differenzierung innerhalb dieses Zeitraums. Im folgenden Abschnitt wird dieses Argument ausgeführt und ein für die Forschungsfrage geeigneter empirischer Zuschnitt formuliert.
1.7
Präzisierung der Fragestellung – Selbstthematisierung in der Liebe und Generationswandel
Die dargestellten Defizite bisheriger Ansätze und Studien zum Wandel der Liebe verdeutlichen Folgendes: Das Verhältnis zwischen dem in Anspruch genommenen Wan47
Zum heutigen Verlust romantischer Sinngehalte in Paarbeziehungen vgl. auch Burkart (1997), Corsten (1993) und Tyrell (1987, 1988). Populistisch auch bei Jean-Claude Kaufmann (2005), der in seinem essayhaften Buch „Der Morgen danach“ von einem Rückzug bzw. „Umbau des romantischen Modells“ ausgeht. Der anfängliche „schicksalhaft erlebte[n] Gefühlsüberschwang“ (ebd.: 273) als Leitmotiv für nachfolgende Beziehungshandlungen, so Kaufmann, sei als kultureller Code im Niedergang begriffen: „Die geliebte Person ist im neuen Code nicht mehr nur Ganzes wie früher: „Man kann auch nur für ein paar Teilstücke einer Person Leidenschaft empfinden“ (ebd.).
1.7 Präzisierung der Fragestellung
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del des Musters romantische Liebe und den dafür stellvertretenden Deutungs- und Handlungspraxen sozialer Akteure bleibt konzeptionell ungenügend ausgearbeitet.48 Semantiken und kulturelle Leitbilder geben kaum Auskunft darüber, wie der Wandel der Liebe mit unterschiedlichen kollektiven Erfahrungszusammenhängen korrespondiert, und daher im Vergleich von Deutungsleistungen der Einzelnen nachvollziehbar sein muss. Das ‚historische‘ Generationskonzept schließt hierzu eine neue Perspektive auf. Das zentrale Argument lautet: Im Konzept der historischen Generation (Mannheim 1928) ist der allgemeine Wandel der Gesellschaft mit dem Wandel biografischer Erfahrungszusammenhänge von vornherein verschränkt gedacht.49 Damit steht zugleich ein Instrument zur Erfassung des Wandels der Liebe in kleinen Zeiteinheiten zur Verfügung. Welchen Erkenntnisgewinn aber bringt die Verzahnung von Generation – als eine Strukturkategorie raschen historischen Wandels – mit dem historisch vergleichsweise persistenten Kulturmuster Liebe? Eine gewisse Skepsis ist angebracht, denn die Verbindung von Liebes- und Generationswandel wirkt auf den ersten Blick sperrig. Ist das Grundmuster der Liebe, d. h. der Höchstrelevanzanspruch, die Kopplung von Affektualität und Sexualität, die Exklusivitätsnorm und der tendenzielle Anspruch auf Dauerhaftigkeit ungeachtet aller Erosionen traditioneller Vorgaben im Zeitraum der Bundesrepublik nicht eher stabil geblieben? Es gibt jedoch eine Reihe von Argumenten, mit Hilfe des Generationenkonzepts Formen kollektiven Wandels in der Liebe aufzuschließen, die engeren Zeitrhythmen unterliegen, als im Großteil der bisherigen Forschungsliteratur erfasst. Gewiss wird das Muster Liebe nicht von Generation zu Generation neu erfunden. Vielmehr steht die Frage nach der jeweiligen Relevanzsetzung dieses Musters bei unterschiedlichen Geburtsjahrgangslagerungen zur Debatte. Gerade damit erst geraten die anhand zeitvergleichender biografischer Selbstthematisierungen nachvollziehbaren Modifikationen und Umbauten dieses Musters klarer ins Blickfeld.50 Um die Stoßrichtung dieses Ansatzes zu verdeutlichen, lohnt ein näherer Blick auf Luhmanns (1982) Bild der gegenwärtigen Verfassung der Liebe: Nachdem „Idealisierung“ als Leitsemantik bereits im 19. Jahrhundert abgedankt habe und das Liebesideal „Passion“ gegenwärtig an sein Ende angelange, erkennt Luhmann für 48
Nimmt man aus, dass es bei Kohli/Fietze/Burkart (1989) um die milieuspezifische Ausdifferenzierung von Individualisierungsprozessen geht und bei Iványi/Reichertz (2002) um eine Gegenwartsanalyse medialer Repräsentationsformen von Liebe. 49 Ralf Bohnsack und Burkart Schäffer (2002: 250) sehen mit Augenmerk auf die wissenssoziologische Fundierung Mannheims Generationenansatzes eben diesen auf einer Mesoebene angesiedelt, und in der Lage, einen Beitrag zur Überwindung der konventionellen Dichotomie von Mikro-Makro zu leisten. 50 Selbstthematisierung wird hier als moderner Modus der (narrativen) Herstellung von sowie der Vergewisserung über personale(r) Individualität begriffen und stellt damit eine wesentliche „Ausdrucksform des Individualismus“ (Burkart 2006: 8) überhaupt dar (vgl. die nachfolgenden Kapitel).
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
die Gegenwart eine „Problemorientierung“ in der Liebe (ebd.: 51; vgl. Abschnitt 1.2). Heute werde in der Liebe mittels der Internalisierung des „subjektiv systematisierten Weltbezug eines anderen“ (ebd.: 30) nach einer „Validierung der Selbstdarstellung” (ebd.: 208) gesucht. Liebe wird damit zu einem Referenzraum moderner Subjektivität und zu einem Modus der Vergewisserung von Individualität durch permanente Bestätigung (umgekehrt: seine Ablehnung) egozentrischer Weltentwürfe im ‚Du‘ und ‚Ich‘ der Liebe. Man kann nun behaupten, mit Luhmanns Postulat der Problemorientierung wird die zentrale Problematik der modernen Individualitätssemantik überhaupt zum Ausdruck gebracht. Denn dieses ‚Problem‘ lautet: Wie komme ich zu einem „wahren Selbst“ (Turner 1976), oder anders: wie kann ich (m)einer personalen Identität gewiss werden? Und: Welche Authentizitätskriterien kann ich dafür zuverlässig in Anspruch nehmen?51 Personale Authentizität bemisst sich dabei an der Suche des Individuums nach Widerspruchsfreiheit des Selbst, als Konsequenz davon, dass die moderne Individualitätssemantik die Suche nach individueller Authentizität in das Zentrum moderner Selbstentwürfe gestellt hat.52 Es kann also argumentiert werden, dass auch die moderne Liebessemantik nach Widerspruchsfreiheit des Selbst in der Liebe verlangt. Ein solches Muster des Selbst zu erkennen, variiert jedoch mit den Normalitäts- und Individualitätsmustern einer jeweiligen Zeit, d. h. mit kollektiven Bildungsgeschichten und Authentizitätsidealen in einer Gegenwartsmoderne, die die Beschleunigung von Umbrüchen und vermehrter Variationen solcher Muster begünstigt. Gerade in empirischer Hinsicht stellt sich daher die Frage nach der Reichweite von Luhmanns Prämisse der Problemorientierung, wenn diese Prämisse pauschal für die Liebessemantik des gesamten 20. Jahrhunderts in Anschlag gebracht wird. Es ist vielmehr zu erwarten, dass eine ganze Reihe historischer Variationen und Brüche der ‚Problem-Semantik‘ dabei zwangsläufig unter den Tisch fallen. So bleibt es völlig offen, wie das Muster der Liebe von Subjekten relevant gemacht wird, die in unterschiedlichen historischen Abschnitten des 20. Jahrhunderts aufgewachsen sind und damit letztlich an unterschiedlichen Modernitätsgraden teilhaben. Sofern Luhmanns Begriff „Problemorientierung“ in diesem Zusammenhang eine geringe zeithistorische Auflösung bietet, dient sie zwar als sensibilisierendes, gleichwohl als zu grobes Suchraster. Das Ziel, die historische Variabilität eine solche Problemorientierung präziser zu bestimmen, erfordert somit eine Strukturkategorie sozialen Wandels, die kleinere 51 52
Zur ‚Karriere‘ der Authentizitätsidee in der Moderne vgl. Bohn/Hahn (1999: 50ff.). Für Ulrich Oevermann (1996) stellt der Terminus Authentizität einen zentralen Grundbegriff für die Vorgehensweise mit der Objektiven Hermeneutik (vgl. Abschnitt 3.2.3 und 3.3.1) überhaupt dar: „Er hat für sie ungefähr den Stellenwert, den der Rationalitätsbegriff für die Handlungstheorien hat“ (ebd.: 29). Jede Ausdrucksgestalt, wozu biografische Erzählungen zählen, verweise zwangsläufig immer auf Ansprüche von Gültigkeit, damit Authentizität. Dabei geht es immer um das ‚Wie‘ des Versuch der Herstellung von Kohärenz und Konsistenz, also um das Selbstbeschreibungen in aller Regel zugrundeliegende Prinzip der Widerspruchsfreiheit.
1.7 Präzisierung der Fragestellung
59
Zeitformate erfassen kann. Karl Mannheims (1928) wissenssoziologisches Konzept der ‚historischen‘ Generation bietet hierzu eine probate Ausgangsperspektive. Als Ausgangspunkt gilt die Grundeinsicht, dass der Wissensvorrat der Liebenden ‚über‘ ihre Liebe immer historisch situiert ist. Liebende greifen bei der Suche nach der Wahrhaftigkeit ihrer Liebe immer Kriterien von Authentizität auf, die mit dem Kontext ihrer historischen Zeiterfahrung variieren. Mit dem familiaren Generationsbegriff, der das biologische Altern von Gesellschaftsmitgliedern (Kinder – Eltern – Großeltern), und damit Generationsbeziehungen verschiedener Altersgruppen fokussiert, gerät dies jedoch nicht adäquat in den Blick.53 Die ‚historisierende‘ generationelle Selbstbeschreibung stellt demgegenüber eine spezielle Form des Selbstbezugs dar, worin die Einzelnen versuchen, eine konsistente Form des eigenen Selbst zu entwerfen, die mit Zeitbezügen argumentiert. Eine in dieser Weise formulierte Generationenanalyse ist der Versuch zu einem sozialisationstheoretisch fundierten Ansatz sozialer Wandlungsprozesse. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich Individualisierungsprozesse nicht einfach linear, vielmehr oftmals auch durch rasche sozialisationsgeschichtliche Brüche vermittelt durchsetzen und fortschreiben. Bestimmte Entwicklungen des Wandels der Liebessemantik fallen dann einem Generationseffekt zu, wenn es an bestimmten Scheidepunkten zur Dynamisierung und Beschleunigung kommt. Damit wird zugleich deutlich, dass zu keinem Zeitpunkt eine gesellschaftlich einheitliche Liebessemantik herrscht, vielmehr ein permanentes Gemengelage unterschiedlicher biografisch-kollektiv erworbener Wissensbestände. Der Wandel der Liebe muss daher immer vor dem Hintergrund dieser „Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen“ (Pinder 1961: 21) bemessen werden. Er ist nicht reduzierbar auf die Vorstellung eines homogenen Zeitgeistes einer Epoche, sondern stellt vielmehr ein Konglomerat der die jeweiligen Altersgruppen auszeichnenden Erfahrungsschichtung und Wirklichkeitsdeutung dar. Die Generationsanalyse erklärt damit zum einen nicht ‚alles‘ des historischen Wandels der Liebe, fokussiert werden lediglich spezifische Entwicklungen im Verhältnis von äußerer Geschichte und individueller Biografie. Empirisch fassbar wird die Schnittstelle dieses Verhältnisses mithilfe der Analyse biografischer Selbstthematisierungen. Selbstthematisierung, gewissermaßen die „reflexive Seite der Subjektivität“ (Burkart 2006: 18), die sich vor allem in dem in der Moderne gesteigerten „Selbstbezug“ (Burkart 2004: 234ff.) ausdrückt, heißt dabei Kommunikation über das Selbst als Instanz eines sich in Differenz zur Umwelt und zu Anderen begreifenden gesellschaftlichen Individuums (vgl. Mead 1968). Über sein Selbst-Sein reflektiert ein ‚Ich‘, auch wenn Selbst und Ich nicht direkt zusammenfallen. Der Begriff Selbst verweist bereits stärker auf eine kategoriale Betrachterperspektive, während das Ich immer aus der Innenperspektive agiert. Die Akteure selbst sprechen so, man denke 53
Ausgenommen die Generationskonzeption von Gabriele Rosenthal (1997, 2000), die sich als Versuch einer Integration von historischem und familialem Generationskonzept versteht (vgl. eingehend Abschnitt 2.2).
60
1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
etwa an die institutionisierte Sprechform „ich selbst bin …“ (wobei „bin“ bereits eine Identitätsbehauptung darstellt; vgl. unten). Der Ausdruck ‚Ich-Thematisierung‘ hat sich nicht etabliert, auch wenn hier kein essentieller Unterschied besteht. Mead (1968) holte den Begriff des Selbst aus dem Bereich psychologischer Introspektion, er machte ihn als relationale Objektbeziehung kenntlich und damit für wissenschaftliche Forschung zugänglich. Die Perspektive des Interaktionismus (hier sei nur Goffman 1969, 1977 benannt) knüpfte daran an, und zeigte auf, dass Selbst-Sein, wie alle anderen Identitäts-Behauptungen erst interaktiv zu Erscheinung gebracht werden müssen; dass sie theatral dargestellt werden müssen und damit Erzeugnisse sozialer Konstruktionen sind. Damit ist den Begriffsverwendungen ‚Selbst‘, ‚Ich‘ und ‚Identität‘ jeder Essentialismus-Verdacht genommen und auch die enge Verbindung von ‚Selbst‘ mit dem Begriff der Identität liegt auf der Hand: Jede Selbstthematisierung setzt implizit Identität als Einheitlichkeit, als kohärentes Prinzip voraus, ohne diese Identität in irgend einer Weise als unveränderliches Substrat eines ‚inneren Kerns‘ voraussetzen zu müssen.54 In diesem Zuge hat sich heute die Sichtweise der narrativen Konstruktion (Kraus 2000, vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2002) von Selbst-Sein und Identität etabliert. Die Verwendung des Begriffs Selbstthematisierung in diesem Buch knüpft an diese Perspektive an. Das Selbst, dass sich zum Thema (respektive zum Objekt) macht, wird als Ausdruck narrativ hergestellter Abgrenzungsleistungen gegenüber Umwelt und den darin vorkommenden Anderen begriffen. Selbstthematisierungen benötigen Institutionen (vgl. Hahn 1987, Bohn/Hahn 1999, Burkart 2004, Willems 1999). Das in dieser Untersuchung verwendete, biografische Interview ist gegenwärtig sicherlich eine der elaboriertesten Formen, das eigene Selbst zu thematisieren. Es eignet sich zugleich als Instrument für den methodischen Zugriff auf die Untersuchungsfrage, insofern, wie oben dargelegt, die Rolle des Selbst (und seiner selbstreflexiven Leistungen) im gegenwärtigen Muster der romantischen Liebe an Bedeutung gewonnen hat. Dies begründet sich mit der Personalisierung der bzw. dem starken Ich-Bezug in der Liebe. Der Versuch, moderne Liebesthematisierungen und -Darstellungen – etwa in Belletristik, Liedtexten etc., daher nicht nur in Tagebüchern – ohne Ich-Bezug auffinden zu wollen, gestaltet sich als schwierig. Und auch das moderne Liebesbekenntnis gegenüber einer/m geliebten Andere/n ohne ein reflexiv agierendes Ich wirkt rasch wie religiöse oder esoterische Rhetorik. Das moderne Muster der romantischen Liebe setzt geradezu voraus, dass sich das Selbst als solches entäußert, dass es sich in ‚seinem‘ Begehren zur Disposition stellt. Kurz: In narrativen Selbstbeschreibungen entwerfen Personen eine Programmatik ihres Selbst. Selbstthematisierungen ermöglichen damit einen Zugang zu geltenden Vorstellungen von Individualität und in diesem Zuge auch zur Gestalt der jeweils herrschenden Liebessemantik. Setzt man also an Selbstthematisierungen von Personen unterschiedlicher Jahrgangsgruppen an, erlangt man einen Modus, 54
Kraus (2000) hat sich umfassend und kritisch mit einem konventionellem Verständnis des Kohärenz-Prinzips in modernen Selbstbeschreibungen auseinander gesetzt.
1.7 Präzisierung der Fragestellung
61
den Wandel der Liebessemantik in eingrenzbaren Zeitformaten auch abseits von Theorien ‚langer Dauer‘ nachvollziehbar zu machen. Die vorliegende Untersuchung adressiert somit einen Praxisbegriff der Liebe, in dem die symbolische Ordnung des Sprechens über Erfahrungen in der Liebe im Mittelpunkt steht.55 Es handelt sich also um eine spezielle Variante kommunikativer Praxis bzw. um einen sprachpragmatischen Begriff der Praxis in der Liebe (Corsten 1993, 1995). Damit rückt die Wissensebene der Liebe in den Vordergrund: Jede/r Einzelne verfügt qua ihrer/seiner Bildungsgeschichte über ein spezifisches, historisch geformtes Wissen über die Liebe. Aus diesem gehen Überzeugungen und Leitbilder hervor, die auch das innere Begehren anleiten. Die grundsätzliche Nähe zu Luhmanns (1982) system- und symboltheoretischem Denkansatz liegt damit auf der Hand, wenn es dort heißt: „Liebe wird hier nicht, oder nur abglanzweise, als Gefühl behandelt, sondern als symbolischer Code, der darüber informiert, wie man in Fällen, wo dies eher unwahrscheinlich ist, dennoch erfolgreich kommunizieren kann. Der Code ermutigt entsprechende Gefühle zu bilden“ (ebd.: 9).56 Daher bietet sich die Deutungsmusteranalyse als methodischer Zugriff auf die Wissensebene der Liebe in besonderer Weise an (ausführlich dazu Abschnitt 3.2): In der wissenssoziologischen Tradition nach Karl Mannheim bedeutet Wissen immer etwas den Einzelnen nicht unmittelbar Zugängliches, es geht gewissermaßen um die ‚unbewussten Regeln‘ der Weltaneignung. Gerade diese Regeln will die soziologische Deutungsmusteranalyse erfassen. Biografische Erzählungen zum Thema Liebe verkörpern daher eine spezifische Praxisform der Liebe, denn die dort enthaltenen Deutungsleistungen prozessieren eine sinnhafte Aufordnung individueller Erfahrungswirklichkeit: Deutungsmuster haben damit an der lebenspraktischen Konstitution sozialer Wirklichkeit ordnend teil (Meuser/Sackmann 1992). Zwar liegt Deutungsmustern gewissermaßen ein abgeschwächter Praxisbegriff zugrunde. Dennoch kann von konsistenten Vermittlungen zwischen lebenspraktischen Entscheidungsregeln bzw. -Mechanismen in konkreten Situationen und den von den Erzähler/innen vollzogenen narrativen Ummantelungen ihrer Lebenspraxis ausgegangen werden. 55
In diesem Sinne fasst Michael Corsten (1995; vgl. 1993) Liebe als Variante eines sprachgeregelten Repertoires sozialen Wissen, das als gesellschaftlicher Teilbereich in einem sinnhaft geregelten Komplex von Bedeutungen hervortritt und daher als „als Ausdruck einer sozialen Praxis des Bedeutungsgebrauchs“ (ebd.: 26) gelten könne. 56 Eine berühmt gewordene Stelle aus Goethes (1983; Orig.: 1774) jungem Werther bietet dafür ein anschauliches literarisches Beispiel: Im Moment eines zweisam erlebten Naturerlebnisses, einem Gewittersturm, sagt Lotte lediglich „Klopstock!“. Werther schrieb schließlich in einem Brief an den Freund: „Ich versank in einem Strome der Empfindungen, den sie mit dieser Losung über mich ausgoß“ (ebd.: 27). Der Code der Liebe wird hier gebildet durch die Überzeugung an eine gemeinsame Gefühlslage als Gleichklang der Seelen, den Werther mit Lottes Verweis auf die Naturbeschreibungen des Sturm und Drang-Dichter Friedrich G. Klopstock als eingelöst wahrnimmt.
62 1.8
1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
Zusammenfassung: Forschungslücken und eigene Hypothesen
Es existiert bereits eine Fülle von Studien, die den Wandel des Musters romantische Liebe unter verschiedenen Gesichtspunkten kartieren und dabei an zeithistorischen Phasen orientiert sind (vgl. Abschnitt 1.5 und 1.6). Neben zahlreichen historischdeskriptiven Beiträgen fehlt es bislang dagegen noch an einem empirisch angelegten Generationsansatz, welcher den Generationsbegriff nicht bloß alltagssprachlich verwendet oder als theoretisches Beiwerk anhängt – und mit dem bestimmte Entwicklungen dieses Wandels in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit erklärt werden können. Es gibt Ausnahmen, die vor allem im empirischen Teil der Untersuchung herangezogen werden. Exemplarisch genannt werden können bereits an dieser Stelle beispielsweise der konzeptionell instruktive Beitrag von Ulf Preuss-Lausitz (1983), der Bezug nimmt auf den allgemeinen Wandel von Intimitätsmustern, und sich im Speziellen mit dem Verhältnis zwischen historischer Zeiterfahrung und Körpersozialisation befasst. Weiterhin der Beitrag von Yvonne Schütze und Dieter Geulen (1983) zu Generationszusammenhängen vor dem Hintergrund von Kindheitsverläufen bei „Nachkriegskindern“ und „Konsumkindern“, die Untersuchung von Marina Fischer-Kowalski (1983) zur Generationslagerung der Halbstarken 1958 und der Studentenbewegten 1968 als „eine Generation und zwei Rebellionen“ (vgl. Abschnitt 3.2.4), sowie in Bezug zu den 50er Jahren die Studie von Peter Kuhnert und Ute Ackermann (1985) zur Einzelbeschreibung der Jugendgeneration der 50er Jahre Westdeutschlands. Neben den auf die Generationsthematik in anderer inhaltlicher Hinsicht empirisch Bezug nehmenden und dabei konzeptionell aufschlussreichen Arbeiten von Heinz Bude (1987, 1995) und Gabriele Rosenthal (1997, 2000) (vgl. unten) hat sich wiederum Michael Corsten auf der Grundlage biografischer Einzelfallstudien zur Frage veränderter Vermittlungsprinzipen zwischen Liebe und Subjektivität (1993, vgl. 1995) mit der sozialberuflichen Mittelschicht der Jahrgänge um 1960 beschäftigt (vgl. Abschnitt 5.4.3). Unter dem Generationsgesichtspunkt ist schließlich der Vergleich der Jugendintimität zwischen den 60er und 80er Jahren von Ulrich Clement (1986) sowie die Nachfolgestudie von Gunter Schmidt et al. (2000, vgl. unten) zu erwähnen (für die ab 1970 Geborenen vgl. in Teilaspekten Gerhards/Schmidt 1992, sowie die einschlägigen Shell-Jugendstudien). Von der Schneidung der Geburtsjahrgangslagerungen den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung am verwandtesten, ist die Ost- wie Westdeutschland berücksichtigende Studie von Schmidt/Starke/ Matthiesen/Dekker/Starke (2003). Diese Arbeit befasst sich mit dem Wandel von Beziehungsformen und -biografien in drei Generationen. Unterschieden werden eine „vorliberale“ Generation der Jahrgänge um 1942, eine Generation der „sexuellen Revolution“ der Jahrgänge um 1957 und eine Generation der „sexuellen Selbstbestimmung“ der Jahrgänge um 1972. Es ist nicht anders als schade zu bezeichnen, dass bei den zu ihren Beziehungsverläufen in mehrstündigen Interviews befragten 776 (!) Frauen und Männer in der Materialanalyse nicht stärkeres Gewicht auf die in den Narrationen hervortretenden Sinnmuster gelegt wurde, denn der Auswertungs-
1.8 Zusammenfassung: Forschungslücken und eigene Hypothesen
63
gang weist eine stark sozialstatistische Färbung auf. Bedauerlicherweise wird auch allzu kryptisch argumentiert, weshalb das Design auf Generationsdifferenzen aufbauen soll, und nicht einfach ein Kohortenvergleich mit einem Abstand von jeweils 15 Jahren darstellt. Letztlich bleibt die Liebe in ihrem Eigensinn in den Beziehungsverläufen zu unterbestimmt, auch wenn dies nicht das erklärte Ziel der Studie war. Dies soll aber erwähnt werden, denn es ist geradezu symptomatisch dafür, dass das Muster der romantischen Liebe in einer Vielzahl von Studien undifferenziert mit dem Muster des partnerschaftlichen Lebens zusammenfällt oder als reine Emotionsqualität ausgewiesen wird. Ein besonderes Problem historisierender Arbeiten zur Liebe besteht daher oftmals darin, Zeitvergleich kurzerhand als Generationsvergleich auszugeben. Auch reine Kohortenvergleiche verschenken ein wichtiges Moment der Generationenanalyse: Die gegenseitige Abhängigkeit von Einzeltrends wird vernachlässigt und gerade das Verhältnis der Generationen bleibt ausgeblendet. Aufgabe müsste es vielmehr sein, Übergänge im Generationswandel als sinnhaft ineinandergreifende Abfolge kollektiver Orientierungen aufzeigen zu können. Wann und weshalb es sich tatsächlich um Generationseffekte und nicht um ‚Zeittrends‘ handelt, kann jedoch oft nicht benannt werden. Häufig bleibt somit die Eigenart der Erlebnisschichtung spezifischer Geburtsjahrgangslagerungen gerade in Korrespondenz mit den objektiven Rahmenbedingungen von Lebensverläufen unberücksichtigt.57 Auf einen Punkt gebracht, besteht das Defizit vieler vorliegender Untersuchungen darin, nicht präzise genug aufzeigen zu können, wie die historische Zeiterfahrung in der individuell-biografischen Entwicklung im Kollektivzusammenhang einer Generationslagerung kulminieren kann. Daraus ergibt sich die innerhalb der Forschungsliteratur noch nicht systematisch behandelte Frage, wie sich das ‚individuelle Ich‘ in seinem Selbstentwurf in der Liebe auch als ‚historisches Ich‘ entäußert. Dazu ist aber ein Ansatz erforderlich, mit dem die gemeinsame Typik individueller Selbstthematisierungen in der Liebe in historisch kollektiv verankerten Biografien ermittelt werden kann. Einstellungsvariablen greifen dafür nicht weit genug. Sie können nicht 57
Auch die populäre Etikettierung sozialen Wandels mithilfe von Jahrzehntumbrüchen hat für die Analyse des Wandels der Liebe lediglich den Stellenwert einer Hilfskonstruktion. Zwar ist es verleitend, historische Perioden als Dekadenumbrüche zu denken, in aller Regel ist dies jedoch stark vereinfachend und empirisch mitunter schlicht falsch. Die Verzahnung von Jahrzehntwechsel und kulturellem Umbruch ist sicherlich deshalb so prominent, weil sie Anschaulichkeit verspricht. Sie ist aber zu eindimensional, wenn etwa die Rede ist von ‚prüden‘ 50er Jahren, von ‚rebellischen‘ 60ern, von ‚experimentellen‘ 70ern, ‚erlebnisorientierten‘ 80ern, schließlich ‚neokonservativen‘ oder zumindest ‚ironischen‘ 90er Jahren. Die dekadische Sichtweise erlaubt keine Aussagen darüber, wie sich kollektive Erfahrung an ein historisches Datum bindet, ganz abgesehen davon, dass sich Wandlungstrends jahrzehntechnisch häufig überlappen. So bedacht dieser Hinweis klingt, er wird auch in der vorliegenden Arbeit nicht immer konsequent durchgehalten. Wenn somit vielfach von diesem oder jenem Jahrzehnt die Rede sein wird, ist dem Verfasser dieser Arbeit bewusst, dass solche Zeitmarkierungen idealtypischen Charakter besitzen.
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1 Ausgangspunkt Romantische Liebe – Ein ,allgemeines‘ Kulturmuster der Moderne
die soziale Genese und nicht die innere Struktur kollektiver Orientierungen aufschließen. Nimmt man Mannheims (1970, 1980) Postulat der sozialen und historischen Situiertheit jeglichen Wissens ernst, erzwingt die Untersuchungsfrage dieser Studie eine methodische Anlage, die einen Zugang zur sozialen Schematik in der individuellen Erfahrung und Selbstbeschreibung ermöglicht. Mit der Erhebung biografischer Selbstthematisierungen und deren Auswertung mithilfe des Deutungsmusteransatzes kann dies gewährleistet werden (vgl. eingehend Abschnitt 3.). Der Forschungsfrage wird damit eine empirisch nachvollziehbare Form verliehen, die mehr als Ideen und Einstellungen über das Thema romantische Liebe abschöpft. Zusammenfassend: • Zur Erforschung des Bedeutungswandels der romantischen Liebe im Verlauf der Geschichte der Bundesrepublik fehlt bislang ein systematisch ausgerichteter subjektorientierter Zugang, mit dem die Erfahrungsverarbeitung gesellschaftlicher Akteure auch aus einer generationenvergleichenden Perspektive in den Blick genommen werden kann. Trotz der Vielzahl existierender Studien zum Wandel der modernen Liebessemantik besteht noch wenig Klarheit darüber, in welchem Verhältnis dieser Wandel zu den jeweiligen biografischen Erfahrungsaufschichtungen und Wissensordnungen der ‚historischen Trägergruppen‘ steht. • Ein lineares Zeitmodell (etwa ein eindimensionales Verständnis von Individualisierung als permanente ‚Auflösung‘ oder ‚Optionalisierung‘) blendet wichtige Aspekte des Wandels der Liebessemantik aus. Kollektive Bildungsgeschichten wie etwa generationsspezifische Sinnstiftungen können durch historische Schübe und sozialisationsgeschichtliche Brüche geprägt sein (vgl. Bude 1997, 2000a). Individualisierung ist daher als mehrdimensionaler Prozess offen zu halten, in dem es lineare Entwicklungsphasen, mitunter aber auch gegenläufige Tendenzen geben kann. Mit der Generationsperspektive können Aspekte des Wandels der Liebessemantik aufgeschlossen werden, die mit einfachen linearen Zeitkonzepten nicht in den Blick geraten. Der Generationsbegriff steht damit quer zu unilinearen Vorstellungen gesellschaftlicher Entwicklungen und relativiert Theorien großer Epochenbrüche. • Der Bedeutungswandel der Liebe wird in der vorliegenden Studie als Abfolge generationsspezifischer Wissensordnungen (respektive ‚Deutungsmuster‘) in den Blick genommen. Im Zentrum steht das Subjekt in seinem produktiven Prozess der Selbstthematisierung als Akt einer Auseinandersetzung mit dem eigenen geschichtlichen Ort. Denn Heranwachsende schöpfen immer aus Erfahrungsbeständen der eigenen, historisch situierten Sozialisationsgeschichte und deuten die eigene Lebenswelt innerhalb der kulturellen Koordinaten einer bestimmten Zeit. Man kann sagen, das Selbst versucht immer auch, dieser eigenen Zeit (Corsten 2001a/b) gerecht zu werden, auch dann, wenn es sich explizit gegen die dort herrschenden Normen wendet. • Innerhalb der Familiensoziologie findet die Generationskategorie zwar breite Verwendung. Allerdings oder gerade weil dies vorwiegend auf der Grundlage quanti-
1.8 Zusammenfassung: Forschungslücken und eigene Hypothesen
65
tativer Analysen zur Frage demografischer Effekte bei Familiengenerationen geschieht, bleiben dabei die kulturellen, am biografischen Sinn nachvollziehbaren Prozesse historischer Vergesellschaftung vernachlässigt, oder sie werden vorschnell verkürzt auf die „psychischen subjektiven Interpretationen von Generationenbeziehungen“ (so bei Lauterbach 1995: 13), somit als analytisch mangelhaft deklariert. • Fraglos erklärt die Generationskategorie nicht alles, was mit dem Wandel des Musters Liebe zusammenhängt. Es sind noch weitere Faktoren im Spiel.58 Mit der Bestimmung einer Generationscharakteristik des Bedeutungswandels der Liebe berührt die vorliegende Arbeit jedoch eine bislang wenig beachtete, und lediglich in Teilaspekten untersuchte Perspektive des Wandels der Liebessemantik. Die folgenden Abschnitte befassen sich nun eingehend mit dem dieser Arbeit zugrundegelegten Generationskonzept. Insbesondere wird auf den Zusammenhang von Jugendphase und Generationsbildung eingegangen und der Generationsbegriff als biografisches Zurechnungsschema stark gemacht.
58
Mannheim (1928) selbst hatte sich gegen einen „Monismus“ bei der Generationsthese ausgesprochen, wonach ‚Generation‘ die gesamte Dynamik historischer Prozesse erklären könne.
2
Das Konzept der historischen Generation
2.1
Karl Mannheim: Generation als Zeitverbindung kollektiver Problemhorizonte
Die Auseinandersetzung mit dem Generationsbegriff hat in den letzten zwei Jahrzehnten innerhalb der Soziologie, aber auch in angrenzenden Disziplinen erheblich Konjunktur erfahren. In den öffentlichen Medien ist der Begriff jüngst gar zum Modethema geworden. Die enorme Inflation der Begriffsverwendung zwingt zur terminologischen Präzision, denn allein ein oberflächlicher Blick auf die Medien Fernsehen, Belletristik, Print etc. verdeutlicht, dass ‚Generation‘ mittlerweile für nahezu jede Form historischer ‚Neu‘-Orientierung beansprucht wird. In Bezug auf Jugendkultur, so Eveline Kilian und Susanne Komfort-Hein (1999: 10), überlappe der Begriff zudem häufig mit der Lebensstilkategorie oder werde mit ihr einfach verwechselt.59 Das gegenwärtig unerschöpfliche Neuerfinden von Generationsetiketten macht es sich gerade dann allzu leicht, wenn der Generationsbegriff auf sein basalstes Prinzip reduziert bleibt: Das Hinzukommen von kulturell Neuem bzw. der zeithistorische Wandel von Altem zu Neuem. Parallel zu meist flüchtigen Etikettierungsmoden hat aber der Stellenwert des Generationsbegriffs zum Verständnis der Wandlungsdynamik moderner, westlicher Gesellschaften generell Aufwind erfahren: So bereits früh bei Helmut Schelsky (1957) in Bezug auf die politische Geschichte der Bundesrepublik und prominent bei Heinz Bude (1987, 1995, 2000b), der davon ausgeht, dass der radikale gesellschaftliche Wandel in Westdeutschland infolge durch zwei Weltkriege bedingte, nachholende Demokratisierung und Restauration mehr als andere europäische Länder durch Generationen geprägt werde (vgl. Behr 1992). Die Untersuchung der Generationswirksamkeit in den Lebensverläufen der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte insgesamt hat sich zu einem breiten Forschungsterrain entwickelt (vgl. allein Becker, R. 1997; Burkart/Wolf 2002; Corsten 1999, 2001a, 2001b, 2003; Fend 1996; Jaide 1988; Rosenmayr 1970; Rosenthal 1997; Stiksrud 1994). Allerdings wird dem Generationsbegriff häufig eine grundsätzliche Unschärfe (vgl. Corsten 2001b; Landweer 1994) beigemessen. Skeptisch heißt es, Generation als kategorialer Begriff sei theoretisch etwas allzu Vages und empirisch schwer Fassbares: Er bezeichne ganz heterogene soziale Sachverhalte und seine Aussagekraft in empirischen Analysen könne nur mit sehr hohem Begründungsaufwand erschlossen werden. Einer der meistgenannten Einwände lautet, die Subsumption biografischer 59
Generationswandel bedeutet nicht Lebensstilwandel, da die Kategorie Lebensstil in erster Linie Diversifizierung durch Individualisierung als Ausdruck der Inkontingenzen innerhalb von (auch zeitlich gleichen) Biografien meint.
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2 Das Konzept der historischen Generation
Selbstbeschreibungen unter Generationenkonzepte allein auf der Grundlage des Geburtsjahrgangs sei beliebig und willkürlich. Die soziologische Bestimmung des Generationsbegriffs macht es daher erforderlich, geläufige terminologische Verwendungen auseinander zu halten. Denn innerhalb der Forschung besteht durchaus Unentschiedenheit darüber, wie Generationen letztlich ‚erkennbar‘ sind. Generation formuliert zunächst einen Entwicklungsbegriff als ‚Neuhinzutreten von Leben‘ im zeitlichen Fluss und damit eine Organisationskategorie im Bewusstsein von Zeitlichkeit (Bude 1987). Mit Begriffsanleihe bei Karl Marx bestimmt Karl Mannheim (1928) Generation als einen besonderen Typus sozialer Lagerung, wobei die historische Situierung jedweder lebenszeitlichen Erfahrung das Prinzip dieser Lagerung darstellt. An dieser Stelle ist eine zumindest kurze Positionierung Karl Mannheims Generationenaufsatz in seinem soziologischen Gesamtdenken bzw. -Interesse notwendig: Mannheim setzte sich vor allem in seiner Konservatismus-Studie (1984) – seiner Habilitationsschrift – mit dem Relativismusproblem der Wissenschaftshistorie auseinander. Es ging ihm dabei um Probleme kultureller Erneuerung, wozu er eine grundsätzliche Ideologiekritik an der Sichtweise des Denkens als von „Seinsgebundenheit“ (Mannheim 1980) unabhängigem Prinzip der Welterschließung erstellte. Dem setzte er einen Begriff von Kultursoziologie entgegen, nach dem jede Betrachtungsweise, jede Idee, Erkenntnismethode und Wahrheitsbehauptung immer von Interesse und sozialer Lage bestimmte historische Produkte, damit standortabhängige Bewusstseinslagen darstellen. Mannheims Wissenssoziologie ist damit letztlich auch eine Reaktion auf seine eigene historische Seinsgebundenheit. Diese war gekennzeichnet durch die Erfahrung der Erosion des Obrigkeitsstaates bis zum ersten Weltkrieg, und der dadurch hervorgehenden, jedoch von konservativen Wissenschaftsmythologemen ignorierten und unterdrückten, pluralistisch werdenden Gesellschaft, deren Verständnis globale Ideologien nicht mehr gerecht zu werden schienen. Dies macht Mannheims Wissenssoziologie mit der Variante des Generationsansatzes bis in die Gegenwart aktuell und anschlussreich, denn sein zentraler Begriff der Seinsgebundenheit jeglichen (alltagspraktischen wie auch wissenschaftlichen) Wissens hat vor dem Hintergrund der beschleunigten Entwertung traditioneller Gewissheiten in der Gegenwartsgesellschaft an Stellenwert eher zu- statt abgenommen. Äußere Geschichte (Lagerung) wird von Mannheim (1928) insofern immer in Beziehung zu Bewusstseinsformationen gesetzt. Er setzt seinen Generationenbegriff gegen Gruppengebilde und andere Formen unmittelbarer Vergemeinschaftung ab, so gegen den Zweckverband, die Gesinnungsgemeinschaft oder die Familie: „Lagerung im sozialen Raum ist nicht wie die Zugehörigkeit zu einem Verbande durch einen intellektuellen willensmäßigen Akt kündbar“ (ebd.: 39). So heißt es an anderer Stelle, die Lagerung einer Generation beschränke „primär eine große Zahl der möglichen Arten und Weisen des Erlebens, Denkens, Fühlens und Handelns überhaupt“ (ebd.: 41). Der „Sitz“ (Mannheim) einer Generation und ihre geschichtliche Gelegenheitsstruktur gründet damit in der historischen Selektivität von Geburtszeit und Biografie (vgl. Bude 1987).
2.1 Karl Mannheim: Generation als Zeitverbindung kollektiver Problemhorizonte
69
In Kontrast zur primär historisierenden Auffassung des Generationsbegriffs steht der familiare Generationsbegriff: Familiare Generationsbeziehungen (vgl. Lüscher 1993, Rosenthal 2000; vgl. unten) fokussieren den materiellen und emotionalen Austausch in verwandtschaftlichen Verhältnissen und sind vorwiegend auf Beziehungsverhältnisse zwischen jung und alt gerichtet. Demgegenüber adressiert Mannheims Generationenkonzept benachbarte Geburtszeiträume als Prinzip sozialer Lagerung: Es geht um die gemeinsame Erfahrungsaufschichtung – nicht notwendig binnenkommunizierender – gesellschaftlicher Großgruppen, womit Mannheim konkurrierend zum familialen Generationenbegriff Rückbezug nimmt auf gesellschaftliche Erfahrungs- und Deutungskontexte in ihrer Gesamtheit. Man sei Teil einer Generationslagerung, unabhängig davon, ob man davon ein Bewusstsein habe, ob man sich dieser Lagerung selbst zurechne oder nicht. Die Verwandtschaft zum Marxschen Begriff der Klassenlage ist dabei zentral. Sie konkurriert hiermit zu jener Auffassung des Generationsbildungsprozesses, wonach sich Generationszugehörigkeit lagerungs- und altersunabhängig auch mittels kommunikativer Generationsbeziehungen konstituiere (vgl. hierzu Rosenthal 2000 und Abschnitt 2.2). Ausgehend vom Grundgedanken der ‚Standortgebundenheit allen Denkens‘ (Mannheim 1980) basiert die wissenssoziologische Generationshypothese bei Mannheim dagegen auf der Vorstellung, dass die gemeinsame lebensgeschichtliche Erfahrungsaufschichtung von Angehörigen benachbarter Geburtsjahrgänge in einem Generationszusammenhang kulminieren kann, der diese Jahrgänge durch gemeinsame kognitive Muster der Weltdeutung und -Orientierung verbindet. Konstitutiv für die Bildung eines Generationszusammenhangs ist für ihn somit die kollektive Partizipation am historischen Geschehen in einer etwa gleichen Lebensphase. Dadurch kommen die Beteiligten in spezifischer Weise in eine „Verbindung“: „Von einem Generationszusammenhang werden wir also nur reden, wenn reale soziale und geistige Gehalte gerade in jenem Gebiete des Aufgelockerten und werdenden Neuen eine reale Verbindung zwischen in derselben Generationslagerung befindlichen Individuen stiften“ (Mannheim 1928: 310).
Mit ‚realer Verbindung‘ zielt Mannheim unmittelbar auf Vergemeinschaftung in historischer Zeit: „Dieselbe Jugend, die an derselben historisch-aktuellen Problematik orientiert ist, lebt in einem Generationszusammenhang, diejenigen Gruppen, die innerhalb desselben Generationszusammenhangs in jeweils verschiedener Weise diese Erlebnisse verarbeiten, bilden jeweils verschiedene „Generationseinheiten“ im Rahmen desselben Generationszusammenhangs“ (ebd.: 311).
Folgt man Mannheim, nehmen Angehörige benachbarter Geburtsjahrgänge an einer ähnlichen Erfahrungsaufschichtung teil, sie erwerben in Hinsicht auf spezifische Handlungsprobleme ein ähnliches Deutungswissen, gekennzeichnet im kohärenten Bezug auf eine gemeinsam wahrgenommene Problemkonstellation ‚ihrer Zeit‘. Entgegen
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2 Das Konzept der historischen Generation
herkömmlichen Kohortenanalysen, die Aggregate von Individuen oder Gruppen untersuchen, die in arithmetisch bestimmbaren Zeitintervallen geboren wurden oder gleichzeitig in bestimmte soziale Systeme eintreten und altern – und damit während einer gegebenen Zeitspanne dasselbe signifikante Lebensereignis erfahren – betrachtet die Generationenanalyse die Entstehung kollektiver Erfahrungsgemeinschaften insofern als Chancenlage: „Es bedarf der kollektiven Formierung eines historischen Problemhorizontes innerhalb einer Generation, die theoretisch ausbleiben könnte“ (Corsten 2001b: 479). Die Gemeinsamkeit einer historischen Generation entsteht ‚aus sich selbst‘ heraus und die Angehörigen benachbarter Geburtsjahrgänge sind im Gegensatz zum reinen Kohortenansatz (vgl. Ryder 1965; Müller 1978) durch einen inneren Zusammenhang bzw. durch ‚spezifische Formen des Selbstverständnisses‘ (vgl. Bude 2000a, 2000b) verbunden: „Nur ein gemeinsamer historisch-sozialer Lebensraum ermöglicht es, dass geburtsmäßige Lagerung in chronologischer Zeit zu einer soziologisch-relevanten werde“ (Mannheim 1928: 180).60 Angelehnt an Max Webers (1980) Unterscheidung zwischen Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung stellt ein Generationszusammenhang somit eine Variante der Vergesellschaftung im Modus historischer Zeit dar. Er ist damit auch ein Konkurrenzbegriff zu konventionellen Gruppenidentitäten. Obwohl neben generationellen zweifellos immer auch allgemeine Erfahrungszusammenhänge existieren, erhebt der Generationsbegriff als historisches Periodisierungsmuster gesellschaftlicher Entwicklung damit den Anspruch, quer zu Klasse, Schicht, Ethnizität oder Konfessionszugehörigkeit zu liegen (vgl. Bude 1987, 1997). Generation bezeichnet Bude (1997) daher als Begriff ‚plötzlicher‘ Eingriffe im Gegensatz zu langen Dauertheorien – wie etwa in der Gesellschaftstheorie Pierre Bourdieus (1980, 1987) – und stehe somit in Kontrast zu linearen Vorstellungen der Gesellschaftsentwicklung bzw. sei als empirischer Präzisierungsversuch von historisch-epochalen Konzeptualisierungen wie der Individualisierungsthese zu betrachten. Generationswandel und Milieudifferenzierung Historisch gleichzeitige bedeutet jedoch nicht notwendigerweise gleichartige Erfahrung. Muster der Selbstthematisierung sind ebenso wie Individualisierungsprozesse generell nicht in allen Milieus in gleicher Weise verbreitet. Die Streuung unterschiedlicher Verarbeitung eines Generationszusammenhangs spiegelt sich nach 60
Wilhelm Pinder (1961) streicht mit dem Begriff der „Entelechie“ die Differenz zwischen „Generation“ und „Epochenzeit“ heraus. Letzteres sei gerade nicht Sache der Generationssoziologie. Denn die ‚Entelechie der Generation‘ steht bei Pinder für ‚innere Ziele‘ und ‚Lebens- wie Weltgefühle‘, womit die qualitative Einheit der Generation erst zu ihrer Geltung käme und sich von der Suche nach einem Zeitgeist bzw. dem Geist einer Epoche ablöse, welcher keine Entelechie haben könne (vgl. hierzu Mannheim 1928: 165ff.). Wenn Niklas Luhmann (1982) mit Blick auf den historischen Ort einer Liebessemantik vom „Sinnzentrum einer Epoche“ (ebd.: 51) spricht, ist genau diese Vorstellung Ausgangspunkt Pinders Unterscheidung.
2.1 Karl Mannheim: Generation als Zeitverbindung kollektiver Problemhorizonte
71
Mannheim (1928) in der Vielfalt von „Generationseinheiten“ wider. Generationseinheiten können Subkulturen, Szenen, aber auch ganze Milieus darstellen. Sie können sich durch eine Gemeinsamkeit von „Existenzformen“ und „Binnenkommunikation“ (Schulze 1992) auszeichnen und charakterisieren das ganze Spektrum heterogener Aneignungsweisen von Erfahrung. Pointiert: Gleiche Zeiterfahrung kann in ganz gegensätzliche Problemdefinitionen zerfallen. Aus einer vertikalen bzw. synchronen Sicht nimmt die Generationsanalyse Milieudifferenzen (respektive Generationseinheiten) in der Streuung der Verarbeitung eines Generationszusammenhangs primär bei einer Generationslagerung in den Blick. Horizontal bzw. diachron wird Bedeutungswandel auf der historischen Zeitachse nachvollzogen; hierbei bleibt die Milieuvarianz gering. In der vorliegenden Untersuchung liegt der Akzent, wie erwähnt, auf der diachronen Perspektive sowie bei einem Milieu mit vergleichsweise hoher Bildung (vgl. Abschnitt 3.1.4). Dabei ist es plausibel anzunehmen, dass die sozialen Trägergruppen des kulturellen Bedeutungswandels von Personen höherer Bildungsschichten und kultureller Avantgarden – gewissermaßen als ‚opinion leaders‘ neuer Diskurse – gebildet werden (vgl. ausführlich Abschnitt 3.1.1). Schelsky (1957) wies in diesem Zusammenhang auf das Zusammenspiel von Generationselite und Generationsmasse hin: Die Generationselite schaffe dominante Deutungsmuster, welche sich erst verzögert in der Wahrnehmung der Generationsmasse durchsetzen. Beate Fietze (1997) unterscheidet hierzu in „aktive“ und „passive“ Generationseinheiten, während Heinz Bude (2000a) davon ausgeht, dass eine Generation erst mit der Herausbildung sich zueinander verhaltenden „avantgardistischen“ und „rezeptiven“ Gruppen (ebd.: 191) an Gestalt gewinne. Unterschiedliche soziale Milieus durchlaufen unterschiedliche kollektive Bildungsprozesse, sie partizipieren unterschiedlich an gesellschaftlichen Entwicklungen. Sofern ist im Auge zu behalten, ob und welche Wissensordnung auch in der Liebe stärker mit Bildungs-, Milieu- und Geschlechtseffekten (vgl. Behnke 1997), oder eben mit einem Generationseffekt zusammenhängt.61 Denkbar ist immer auch ein eigendynamischer historischer Wandel innerhalb von Milieus, innerhalb bestimmter Lebensstilgruppen oder einzelner Szenenverbände. Die empirische Reichweite (sowie ihre Beschränkung) mit einer Generationsanalyse zu vertretenen Aussagen muss somit vorab plausibel erörtert werden. Darauf wird in diesem Kapitel (vgl. auch Abschnitt 5.5) ausführlich eingegangen. Zur Begründung der Ausgangsthesen zuvor folgende Aspekte des Generationsthemas: Zunächst wird in Abschnitt 2.2 auf das Verhältnis von Adoleszenzphase und Generationsbildung zu sprechen gekommen, dieses Verhältnis für den Zusammenhang von Liebes- und Adoleszenzerfahrung ausformuliert und es werden in der 61
Es könnte eine Aufgabe für andere Studien sein, zu ermitteln, in welchem gegebenem Fall Differenzen bzw. Bedeutungszäsuren zwischen Generationen in Bezug auf den Wandel der Liebessemantik größeres Gewicht haben als die zwischen sozialen Milieus – oder eben umgekehrt. Und: Welche sozialen Milieus partizipieren wie an dominanten Deutungsmustern? Welche Differenzen, welche verzögerten oder eigenständigen Entwicklungen zeigen sich in nicht-urbanen Lebensräumen? Gibt es Gegentendenzen?
72
2 Das Konzept der historischen Generation
Literatur geäußerte, kritische Einwände gegen Mannheims Fokussierung der Generationsbildung auf die Phase der Jugend und Adoleszenz diskutiert. Nach einer Bewertung des Begriff der ‚kollektiven Identität‘ in Bezug auf die Untersuchungsfrage in Abschnitt 2.3, werden in Abschnitt 2.4 abschließend Argumentationslinien zum Verhältnis von biografischer Erfahrung und Selbstthematisierung entwickelt. Schließlich wird in Abschnitt 2.5 der Generationsbegriff als biografisches Zurechnungsschema erörtert.
2.2
Das „Gebiet des Aufgelockerten“ – Adoleszenzerfahrung und Generationsbildung
Betrachtet man das Verhältnis von Generationslagerung und Generationszusammenhang nun als Möglichkeitsraum zur Herausbildung unterschiedlicher, kollektiv relevanter Problemhorizonte (etwa in Hinsicht auf Individualitätsentwürfe – vgl. dazu Mannheims (1928: 174) Formulierung: den „Spielraum des sich Auswirkens der Individualität auf bestimmte umgrenzte Möglichkeiten“ einer Generationslagerung), kann bezogen auf die sozialisationstheoretischen Grundlagen der Generationsbildung auf die Adoleszenzphase zurückgegriffen werden. Folgt man Mannheims Modell der „Erlebnisschichtung“ (ebd.: 310) adoleszenter Lebensphasen, sind mit Bezug auf das Adoleszenzalter Orientierungs- und Kommunikationsfelder angesprochen, in denen eine besondere Sensibilität für Individualitätsentwürfe besteht. Mannheim (1928: 310) selbst prägte hierzu den Ausdruck „Gebiete des Aufgelockerten“ (vgl. Abschnitt 2.1).62 Es werde eine „Prädominanz erster Eindrücke“ erzeugt, selbst wenn sich das ganze restliche Leben dazu „antithetisch“ ausrichte (ebd.: 181). Die Erfahrungen im Generationszusammenhang blieben – so Mannheim – damit auch auf der verlängerten biografischen Zeitachse sinnstiftend, d. h. bestimmte kognitive Schemata adoleszenter Persönlichkeitsentwicklung würden Deutungsweisen auch in der späteren Verarbeitung von Zeiterfahrung beeinflussen: Auch wenn sich das ältere Individuum im Verlauf des Lebens eines aktuellen Zeitgeistes zu bemächtigen versuche, und „wenn der ganze darauffolgende Ablauf des Lebens nichts anderes sein sollte, als ein Negieren und Abbauen des in der Jugend rezipierten ‚natürlichen Weltbildes‘“ (ebd.). In diesem Zusammenhang spielt Mannheims Begriff der Erlebnisschichtung eine zentrale Rolle: Nicht das gleichzeitige ‚Dasein‘ aller Gesellschaftsmitglieder in ei62
In welcher Altersphase dies liegen soll, hängt ab von der Charakteristik kollektiv relevanter Statuspassagen einer jeweiligen Zeit und Kultur, aber auch von individuellen Entwicklungen. Mannheim (1928: 183) selbst markierte die besonders generationsprägende Lebensphase als Spanne etwa um das 17. Lebensjahr herum, was sicherlich eine historisch variable Größe bleiben muss. Sie ist letztlich auch eine Frage der Spezifik von Bildungsprozessen und damit milieuabhängig. Vgl. hierzu die Befunde aller Shellstudien zur Ausdehnung der Jugendphase, beispielhaft Silbereisen et al. (1996).
2.2 Das „Gebiet des Aufgelockerten“ – Adoleszenzerfahrung und Generationsbildung
73
ner bestimmten Epoche, sondern die gleichzeitige Teilhabe am Zyklus der Lebensphasen Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter an dieser Epoche konstituiere einen Generationszusammenhang. Maßgeblich für die Bewusstseinsformierung einer Generation sei daher, wie eine (objektive) historische Konstellation als „erste Eindrücke“, „Jugenderlebnisse“ oder als „Späterlebnis“ (Mannheim 1928: 181) angeeignet und verarbeitet werde. Der Begriff der Erlebnisschichtung hat daher eine sozialisationsgeschichtliche Komponente, die Differenz von Generationen wird zur Differenz verschiedener (kollektiver) Erlebnisschichtungen. Was nun aber ist unter der Jugend- bzw. der Adoleszenzphase im Einzelnen zu verstehen? Generell bezeichnet Adoleszenz die Übergangsphase von der Jugend in die Erwachsenenphase, wobei das Ende der Jugendphase erreicht ist, wenn in wesentlichen Handlungsbereichen Eigenverantwortlichkeit und Handlungsautonomie gelingt. S. N. Eisenstadts (1965) klassischer Ansatz der bürgerlichen Jugendsoziologie nimmt in diesem Zusammenhang eine zu starke Engführung des Konzeptes der Jugend vor: Jugend gerät dort lediglich als lebensphasisches Übergangsphänomen, d. h. als Konflikt von Rollendispositionen zwischen Familienwelt und gesellschaftlichen Institutionen in den Blick. Als reines Bewährungsproblem zwischen ‚ungesellschaftlicher‘ Kindheit und dem Normenhorizont der Erwachsenheitsphase bleibt die Jugendphase auf ein Problem von Rollenkonflikten reduziert (vgl. Dörre/Schäfer 1982: 15f.). Dass sich Jugend als Teilkultur der Gesellschaft verselbständigen kann, ist uns heute geläufig. Eine solche dynamische Perspektive hat früh Leopold Rosenmayr (1972) eingenommen mit der These von der Jugend als „Schrittmacher sozialen Wandels“ in Zeiten rascher kultureller Umbrüche: Jugendliche erleben den Widerspruch zwischen institutionell erlernten und verinnerlichten „Verhaltensmustern“ einerseits und „situationellen Angeboten und Herausforderungen“ (ebd.: 219f.) andererseits aufgrund ihrer Lebenssituation besonders stark, daher veränderten sich ihre Orientierungen mitunter wesentlich schneller als der allgemeine Wertehorizont der Gesellschaft. Jugendliche, so Rosenmayrs Fazit, seien daher als Träger sozialen Wandels besonders prädestiniert (vgl. Dörre/Schäfer 1982: 15f.). Liebes- und Adoleszenzerfahrung Auch wenn die Verquickung von Liebe und Jugend ein historisch übergreifendes Stereotyp darstellt, spricht dennoch vieles dafür, dass sich durch die institutionelle Durchsetzung von Normalbiografien das ‚Liebesproblem‘ zu einem kollektiv lebenspraktischem Problem der Adoleszenzphase entwickelt hat. Die Stichworte hierzu liefert die „Institutionalisierung des Lebenslaufs“ (Kohli 1985, 1988) sowie die „Standardisierung“ bzw. „Entstandardisierung von Lebensläufen“ (Mayer 2001). Demzufolge schuf die Moderne eine besondere Homogenität lebensphasischer Zyklen. Mit dem modernen Lebenslaufregime im standardisierten Normallebenslauf streuen Lebensereignisse wie Ehe- und Familiengründung nicht beliebig über den gesamten Lebensverlauf, sie sind vielmehr normativ gebunden an spezifische Altersphasen, in denen solche Handlungsentscheidungen typischerweise erwartet
74
2 Das Konzept der historischen Generation
und Abweichungen markierbar werden. Die Institutionalisierung des Lebenslaufs formatiert so gesehen Altersphasen und schafft gleichzeitige, altersphasenbedingte Erfahrungen. Hierdurch kann in Biografien zeitlich-kollektive Homogenität auch in der Adoleszenz vorausgesetzt werden. So wie sich nach Günter Burkart (1997) in der heutigen Moderne unterschiedliche „Lebens- und Liebesphasen“ herausgebildet haben, kann man im Anschluss daran von einer ‚Adoleszenzliebesphase‘ sprechen. Denn wenn beim Übergang von der Jugend- zur Erwachsenenphase die Abfolgeordnung von Lebensereignissen – wie der Abschluss allgemeiner Schulbildungsstufen, der Eintritt in das Erwerbsleben, das Gründen eines eigenen Haushalts und einer Familie – Einfluss nehmen, stellt auch die Aufnahme einer Liebesbeziehung ein besonderes Lebensereignis dar, das eine Statuspassage markiert. Die Einzelnen stehen dabei vor der Aufgabe, sich in interpersonellen Kommunikationen außerhalb des verwandtschaftlichen Systems, im Prozess der Partnerwahl, bei der Aufnahme sexueller Interaktionen sowie der Stabilisierung der intimen Bindung als ein selbständig fungierendes Ich zu bewähren. Als Konsequenz der hegemonialen Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit kommt die Suche nach geschlechtlicher Identität hinzu. Befördert durch die Segregation der Kinder von der Welt der Erwachsenen und der Durchsetzung des Jahrgangsklassenprinzips – objektive Entwicklungen, die den Trend zur Bildung jugendlicher peer-groups verstärkt haben – bilden Liebesbeziehungen in der Jugendphase hiermit auch eine Instanz zur Ablösung von der elterlichen Beziehungswelt.63 Der Transformation höchstpersönlicher Kommunikation von den Eltern auf die Systemebene von Bezugspersonen außerhalb des familiären Systems ist der Aufnahme von Liebesbeziehungen damit in hohem Maße zuträglich. Zugleich ist diese Passage damit Teil der sozialen Integration außerhalb der Herkunftsfamilie (vgl. Stiksrud 1994).64 Es gibt aber auch so etwas wie eine „subjektive Adoleszenz“ (ebd.: 127ff.): Der Beginn und der Abschluss der Adoleszenzphase ist nicht allein Frage der Berechnung von Statuspassagen, sondern wird auch abhängig von der individuellen Interpretation der Bedeutung dieser Passagen subjektiv, also kreativ gestaltet. Gleichwohl können sich im Prozess der Bewältigung adoleszenter Krisenphasen (vgl. Döbert/Nunner-Winkler 1982) nun kollektive und damit potenziell genera63
Die Erfahrung ‚höchstpersönlicher‘ Kommunikation scheint überdies heute fest bereits in modernen Eltern-Kind-Kommunikationen verankert zu sein. Das hohe Maß an Individualitätserleben, welches dem Kind-Sein in der Gegenwart hierdurch zugesprochen wird, nimmt gewissermaßen basale Aspekte des romantischen Liebescodes vorweg (vgl. auch BeckGernsheim 1990). Umgekehrt, wenn auch dazu in Passung, ging Talcott Parsons (1949: 187f.) davon aus, dass die allmähliche Freisetzung des Individuums aus dem primären Familienzusammenhang eine Bedingung der Verbreitung jugendlicher romantischer Liebesbeziehung darstelle. 64 Die Sozialisationsforschung zeigt für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die Zunahme der Bedeutung von Gleichaltrigengruppen als sozialen Ort der Verarbeitung und Artikulation jugendspezifischer Erfahrungen auf (vgl. Bohnsack 1988, 1989).
2.2 Das „Gebiet des Aufgelockerten“ – Adoleszenzerfahrung und Generationsbildung
75
tionsspezifische Formen der Neuorientierung im historischen Raum herausbilden (vgl. Bohnsack 1988). In der Adoleszenzerfahrung wird besonders deutlich um einen stabilen Entwurf von ‚Ich-Identität‘ und ‚sozialer Identität‘ (in Anlehnung an Goffman 1969) gerungen. Für Michael Corsten (2001b) kulminieren in dieser Phase jedoch „nicht nur die bis dahin von bestimmten Geburtsjahrgängen aufgeschichteten biographischen und historischen Erfahrungen, sondern auch das Erleben von als notwendig empfundenen Revisionen bisheriger biographischer und/oder historischer Haltungen und/oder Überzeugungen“ (ebd.: 511). Insofern es sich dabei um Kommunikationsfelder handelt, in denen eine Sensibilität für Individualitätsentwürfe besteht, ist zu erwarten, dass in Liebesbeziehungen in der Adoleszenz, in Jugendgruppen oder gar Jugendbewegungen, kollektiv gültige Kriterien der Selbstzuschreibung produziert werden. Dabei wird die adoleszente Liebeserfahrung zur generationsspezifischen Erfahrung. Gleichwohl zentrale Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung auf einer offenen Struktur der Biografie beruhen, gibt es jedoch auch ein Alter, in dem es zur Sättigung basaler Orientierungsansprüche kommt und elementare Deutungsroutinen biografisch dauerhaft etabliert werden. Die bis dahin erworbenen Orientierungsschemata ändern sich in den weiteren Lebensphasen nicht mehr in der gleich bedeutenden Weise. Verläuft dieser Prozess kollektiv, endet hier praktisch die formative Phase der Generationsbildung (vgl. Corsten 1999, 2001a/b). Die Einzelnen sind in ihrer Orientierung daher nicht deterministisch festgelegt, sondern erwerben sich während der Phase der Adoleszenz Autonomie, um bestehende Leitvorgaben zu überprüfen und gegebenenfalls zu modifizieren. Dadurch kann sozialer Wandel, so auch in den kollektiven biografischen Zurechnungen zum Stellenwert des Themas romantische Liebe entstehen, da dieser Prozess durch das ständige ‚Neu-Hinzutreten von Kulturträgern‘ (Mannheim 1928) in den historischen Raum fortwährend abläuft. Der Eintritt ins Jugend- und Adoleszenzalter wird hier gleichzeitig der Eintritt in das Thema der Liebe in seiner jeweiligen historischen Ausformung. Die gesellschaftlichen Problemstellungen, die zeitlich und räumlich dort gegeben sind, können daher als generationsprägend betrachtet werden. Besser: Das Verhältnis zwischen deren Wahrnehmung und einem daraus gegebenenfalls resultierenden Umbau. Insofern wird der Wandel der gesellschaftlichen Liebessemantik als emergenter Prozess zwischen der Aneignung bestehender kultureller Vorgaben (dem kulturell ‚Manifesten‘) seitens Heranwachsender und den von ihnen daraus gezogenen Schlussfolgerungen für ihre Anforderungen in der Handlungspraxis empirisch greifbar. Zusammengefasst: Personen, die etwa zur gleichen Zeit aufwachsen, nehmen trotz aller sonstigen sozialen Differenzen an einer ähnlichen lebenszyklischen Erfahrungsaufschichtung teil. Gemessen an den jeweils für sie geltenden historischen Spielräumen im Lebensverlauf, sowie den wahrgenommenen Handlungszwängen und -Chancen ‚ihrer‘ Zeit, erwerben sie ähnliche Deutungs- und Orientierungsschemata (vgl. Herma 2001). Es kommt zu einer Schematisierung des Erlebens von historischen Ereignissen. Die nach Orientierung und Abgrenzung suchenden Einzelnen nehmen teil an einem gemeinsamen Generationszusammenhang, sie werden zu
76
2 Das Konzept der historischen Generation
Angehörigen einer historischen Generation. Generationen konstituieren sich somit durch die kollektive Partizipation am historischen Geschehen in der gemeinsam durchlaufenen Phase der Adoleszenz.
Diskussion von Einwänden gegen Karl Mannheims Modell der Generationsbildung Die Fokussierung auf Jugend- und Adoleszenzphase als generationsstiftendes Element ist auch kritisiert worden. Denn: Verliert Jugend als homogenes Lebenszeitfenster in der Folge von De-Standardisierungsprozessen in aktuellen Lebensverläufen nicht an Kontur, wird dehnbarer und vielfältiger? Jürgen Zinnecker (2002) z. B. fragt, ob Mannheims Annahmen zum herausgehobenen Status dieser Phasen noch zeitgemäß seien. Generationsstiftung habe sich womöglich bereits in Kindheit oder auch in spätere Altersabschnitte verlagert (vgl. Corsten 2003). Auch Reinhold Sackmann (1992) übt Kritik an der ‚Jugendgenerationstheorie‘: Die Verbindung von Jugendprägung und Erwachsenenalter könne nicht ‚mechanisch‘ gedacht werden, anzunehmen sei vielmehr, dass im Alter ursprüngliche Erfahrungen in bestimmter Weise bearbeitet werden. Und schließlich ziehen Gabriele Vierzigmann und Simone Kreher (1998) aus ihren Untersuchungen zur Familiendynamik und zum Familiendiskurs in biografischen Erzählungen die Schlussfolgerung, es handele sich bei biografischen Kommunikationen um „transgenerationale Austauschprozesse“ (ebd.: 30 ff.), damit „um einen sich zwischen den Generationen vollziehenden Prozess der gemeinsamen Bedeutungskonstruktion“ (ebd.: 23, vgl. auch Dausien 1996). Am einschlägigsten macht Gabriele Rosenthal (1997, 2000) diesen Einwand gegen Mannheim stark: Sie kritisiert, sein Generationenkonzept bliebe einem „relativ statischen Begriff von Generationen und ebenso einer statischen Konzeption von Tradierungsprozessen“ (1997: 58) verhaftet. Im Kernelement trifft Rosenthals Argument Joachim Matthes (1985) bereits früher genannte Kritik an Mannheims Konzept, wonach Generations-Verhältnisse als wechselseitige, bewusste Abgrenzungsleistungen unberücksichtigt geblieben seien. Für Matthes stellt eine Generationseinheit nicht bloß Endprodukt der Generationsgenealogie dar, sondern relationales Prinzip, durch das sich faktische Generationsdifferenzen erst offenbaren. In Weiterführung plädiert Rosenthal (1997) daher für eine dialogische, „interaktionelle Erweiterung der Mannheimschen Konzeption“ (ebd.: 57). Sie entwickelt dazu vier Thesen: 1) Ein Generationszusammenhang bilde sich nicht nur synchron (gemeinsame Werthaltungen) sondern auch diachron (familiäre Interaktion). 2) In der jüngeren Generation würden Generationserfahrungen älterer, teils „verstorbener“ (ebd.) Generationen neu ausagiert. 3) Alte und junge Generationen konstituieren sich gegenseitig. 4) Die Konstitution von Generationserfahrungen sei „lebensphasischhistorisch“ unterschiedlich. Gabriele Rosenthal wertet die Stiftung einer Generation dabei nur sekundär als Ergebnis einer ursprünglichen Erfahrungsschichtung. Diese Schichtung entwickle sich vielmehr in einem fließenden Prozess kollektiver Zu- und
2.2 Das „Gebiet des Aufgelockerten“ – Adoleszenzerfahrung und Generationsbildung
77
Umschreibungen. Generationszugehörigkeit sei daher als flüssige Kategorie der kollektiven, diskursiven Vergewisserung über Generationszugehörigkeiten zu begreifen (Rosenthal 1997, 2000). Die Existenz einer historischen Generation wirkt in dieser Fassung allerdings deutlich gebunden an die familiäre Schreibung von Geschichte und geschichtliche Prozesse vor allem auf die Wirklichkeit von Familiennarrationen zugeschnitten. Die Neubearbeitung von Generationserfahrungen älterer Generation könnte ein empirischer Spezialfall sein (etwa im Fall der von Rosenthal eingehend untersuchten familiären Bearbeitung von Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus). Es gibt – so wurde oben dargelegt – dagegen auch Argumente, dass die inhaltliche und formale Schematik narrativer Konstruktionen einen objektiven historischen „Sitz“ haben (um diese Wendung von Karl Mannheim aufzugreifen). Will man nicht den Begriff der Erfahrung aufgeben, und Mannheims Generationsbegriff ist vor allem ein Erfahrungsbegriff, sind auch die Erfahrungsfenster abseits familiärer Kommunikation im Auge zu behalten. Sofern fällt ins Auge, wenn es bei Gabriele Rosenthal heißt: „Dies verdeutlicht, inwieweit zeitlich vor dem eigenen Leben liegende Erfahrungen, die in der Interaktion zwischen den Generationen vermittelt, ausagiert und damit erfahren werden, für einen Generationszusammenhang konstitutiver sein können als eigene historische Erfahrungen (Rosenthal 1997: 60). Denn die damit angesprochenen ‚vor dem eigenen Leben‘ liegenden Erfahrungen, also die in familialen Interaktionen tradierten Erfahrungen und Lebensproblematiken früherer Familiengenerationen stellen gewissermaßen auch Teil der ‚objektiven‘ historischen Erfahrungen einer Generationslagerung dar. Sie gehören damit zum generationsspezifischen Erfahrungsrepertoire, wenngleich diese Komponente der Generationsstiftung bei Mannheim zweifellos zu stark marginalisiert, weil kaum expliziert ist. Es erscheint als ein von Mannheim hausgemachtes Problem, dass seine Konzeption der Generationsbildung verkürzt als reines Einwirken historischer Ereignisse auf die Lebensinterpretationen der Einzelnen anmutet (Mannheim 1928 verwendet den Begriff ‚Einwirken‘ selbst). Gabriele Rosenthals Einwand ist daher als konzeptionelle Ergänzung und Erweiterung zur Vermeidung einer solchen Engführung zu lesen. Eine Integration beider Perspektiven, welche sich weder zu stark auf die eine noch auf die andere Seite schlägt, erscheint daher gewinnbringend. Letztlich entscheidet sich hieran auch die jeweilige empirische Akzentuierung einer Forschungsfrage. Etwa: Wo sind die verborgenen familiären Traditionslinien und deren Metamorphosen, oder wo hat ein Generationszusammenhang mit anderen Ursachen zu tun? In dieser Arbeit steht jene „reale Verbindung“ (Mannheim 1928: 310) benachbarter Geburtsjahrgänge im Zentrum, die ein gemeinsames Bezugszentrum in der gleichen Zeiterfahrung erkennen lässt. Daraus resultiert das methodische Argument, dass die Fokussierung dieser Untersuchung auf die Analyse der Deutungen von Adoleszenzerfahrungen, die Beschreibbarkeit von Verarbeitungsstilen ermöglicht. Dies wird in den folgenden Abschnitten schrittweise entwickelt.
78 2.3
2 Das Konzept der historischen Generation
Gibt es eine kollektive Identität in der Liebe?
Der Generationsbegriff ist zwar immer ein Kollektivbegriff, aber worin soll sich an der Liebe eigentlich etwas Kollektives entäußern? Verheißt Liebe den Einzelnen nicht vor allem exklusive Gefühlsqualität und ‚ganze-Person-sein-können‘? Um Kollektivbewusstsein wie bei politischen Generationen als Variante kollektiver Identität (vgl. Giesen 2001, Niethammer 2000) kann es sich hierbei kaum handeln.65 Es sind vielmehr die im Vergleich biografischer Selbstthematisierungen implizit sichtbar werdenden generationsspezifischen Bezugshorizonte, über die dieses Kollektive in Erscheinung tritt. Verdeutlichen lässt sich dies mit der Unterscheidung der Generation an sich und der Generation für sich, analog zur Marxschen Unterscheidung zwischen Klasse an sich bzw. für sich, auf die auch Mannheim (1928) Bezug nimmt: Zur Generation für sich zählt die Bildung kollektiver Akteure im Sinne gegenseitiger Bewusstmachung gemeinsamer Einstellungen, Normen, Werte und Willensbildungen (vgl. Fogt 1982). Die Generation an sich definiert sich demgegenüber als unbewusste, habitualisierte Ausbildung kollektiver Orientierungen. Die Erzählungen der Befragten dieser Studie enthalten zwar eine ganze Reihe expliziter Wir-Bezüge. Etwa wenn von Menschen die Rede ist, mit denen man zusammen war, zusammen ist (nicht zuletzt das Wir des Paares), oder gemeinsam aufwuchs. Meist werden Personen adressiert, die an der gleichen Erfahrungsaufschichtung partizipiert haben und damit generationsrelevant sind. Dieses ‚Wir‘ markiert immer historische Differenzen und lässt nachvollziehbar werden, wer für wen jeweils historische Bezugsgröße darstellt. Anders als bei politischen Bewusstseinskollektiven geht es jedoch nicht um die Zugehörigkeit zu sozialen Großgruppen, sofern sich die Einzelnen in der Liebe kaum programmatischen Willensbekundungen von Gruppen oder Bewegungen zuordnen (sieht man dabei von Spezialdiskursen bestimmter Einheiten der ‚68er‘-Generation ab; vgl. Abschnitt 3.2.4). In Bezug auf das sich der vorliegenden Arbeit stellende Zuschreibungsproblem der Generation führt daher Alois Hahns (1987) an George Herbert Mead (1968) orientierte Ausdifferenzierung zweier Formen von Identitätskonzepten weiter. Hahn unterscheidet zwischen einem explizitem und einem implizitem Selbst und moniert an der soziologischen Identitäts-Literatur, es werde: „oft nicht hinlänglich deutlich unterschieden zwischen dem Selbst als bloßem Lebenslaufresultat und dem Selbst als Resultat von sozialen Zurechnungen. Einmal nämlich ergibt sich eine Identität als Inbegriff von im Laufe des Lebens erworbenen Gewohnheiten, Dispositionen, Erfahrungen etc., die das Individuum prägen und charakterisieren. Man könnte vom Ich als einem Habitusensemble sprechen. Es geht dann eher um ein > implizites Selbst <, das sich durch sein Handeln zeigt, festigt und verwirklicht, das aber nicht deshalb 65
Eine solche Bestimmung der Generation als politische Bewusstseinsformation nimmt Heinz Bude (1987, 1995) mit Bezug auf „Schicksalsgemeinschaften“ – etwa im Sinne gemeinsam geteilter Kriegserfahrungen (vgl. hierzu Rosenthal 1997) – aber auch von gemeinsamen politischen Willensausdrücken einer Jugend vor.
2.3 Gibt es eine kollektive Identität in der Liebe?
79
schon im eigentlichen Sinne selbstreflexiv ist. Die Identität in diesem Sinne wäre lediglich das Selbst in der Form des An-Sich. (…) Von diesem impliziten Selbst wäre ein explizites zu unterscheiden – ein Ich, das seine Selbstheit ausdrücklich macht, sie als solche zum Gegenstand von Darstellung und Kommunikation erhebt“ (ebd.: 10).
Das explizite Ich, so Hahn, könne benennen, warum es einmal so oder so war oder ist. Dem impliziten Ich sei dagegen nicht alles bewusst. Es liege vielmehr im Bereich des Unbeschriebenen dessen, wofür das Subjekt blind sei, was sich an institutioneller Strukturierung ‚hinter seinem Rücken‘ vollzieht. Aus dieser Unterscheidung ergeben sich die Vorzüge der Deutungsmusteranalyse, um der Frage nach dem kollektiven Gehalt biografischer Selbstbeschreibungen in der Liebe eine empirisch nachvollziehbare Form zu verleihen: Im Vergleich des jeweils subjektiv gemeinten Sinns verschiedener Erzählungen über die Liebe können Aussagen zur inhaltlichen und formalen Schematik getroffen werden, die Angehörige benachbarter Geburtsjahrgänge miteinander verbindet. Eine solche Verbindung ist mit der Rekonstruktion gemeinsam dominierender Deutungsmuster gegeben, über die eine Differenz zu dominierenden Deutungsmustern anderer Jahrgänge markiert wird. Gemeinsame Deutungsmuster spiegeln daher jene impliziten Sinnstiftungen wider, die den gemeinsamen Horizont einer Generation auch abseits expliziter Wir-Bezüge repräsentieren.66 Mannheims Wissenssoziologie (1980), worin sein Generationskonzept eingebettet ist, zielt ohnehin primär immer auf die atheoretischen Komponenten sozialen Wissens ab.67 Oder in den Worten von Ralf Bohnsack und Burkhard Schäffer (2002), wo 66
In diesem Sinn hält Monika Wohlrab-Sahr (2002: 213) empirische Beispiele für Wir-Gruppen im Sinne politischer Generationen und kollektiver Akteure generell für eher rar. Im strengen Sinne nach Karl Mannheim hätte es sonst, so Wohlrab-Sahr, nach den 68ern gar keine politische Generation mehr gegeben. Sie macht daher den Begriff der kulturellen Generation stark, welcher an „der symbolischen Dimension des Sozialen“ bzw. an den „Weltsichten und Habitusformationen“ (ebd.: 210), d. h. an einer „Gemeinsamkeit von Erleben und Deuten“ ansetze. 67 Mannheim (1980) verwendet auch den Ausdruck „Kollektivsubjekt einer Erfahrungsgemeinschaft“ (ebd.: 243). Die Verbindung von Kollektivität und sozial Unbewusstem ist trotz anderer Akzentuierung auch in Bourdieus (1980, 1987) soziologischem Konzept des ‚Habitus‘ angelegt. So spricht auch Alois Hahn (1987: 10) im Zuge seiner Bestimmung des Selbst an sich von einem „Habitusensemble“ als ein nicht-reflexiv „fungierendes Ich“. Oevermann (1994) verwendet an anderer Stelle sogar den Begriff der „generationsspezifischen Habitusformation“. Allerdings wird dabei weitgehend auf eine konzeptuelle Ausformulierung verzichtet, was Raum für Missverständnisse schafft, wenn im gleichen Zug von „generationsspezifischen Bewusstseinslagen“ die Rede ist. Es genügt jedoch an dieser Stelle, dem ‚Habitus einer Generation‘ eben bloß dieses kollektiv Unbewusste zu entleihen. Um sozialen Wandel zu erfassen, zielt der Habitusbegriff bei Bourdieu m. E. zu stark auf Totaldeterminierung und Unentrinnbarkeit im Netz sozialer Strukturen. Michael Meuser (1999) unterbreitet indes ein instruktives Konzept zur ‚Dynamisierung‘ des Bourdieuschen Habituskonzepts, mit dem Ziel, dessen „deterministischen Akzent“ (ebd.: 139) zu verringern: Habitus fasst Meuser als eine durch spezifische soziale Lagerung bestimmte Variante von Wissen, was aus (Fortsetzung auf S. 80)
80
2 Das Konzept der historischen Generation
es in dem „handlungspraktischen, handlungsanleitendenden oder inkorporierten Wissen“ gründe, welches unabhängig vom subjektiv gemeintem Sinne existiere, „ohne den Akteuren aber (im Dürkheimschen Sinne) „exterior“ zu sein“ (ebd.: 253; Hervorheb. i. O.). Aufgabe der Materialarbeit im empirischen Teil dieser Untersuchung ist es daher, die kollektiven Wissenselemente in den biografischen Selbstthematisierungen in der Liebe aufzuschließen.
2.4
Biografie, Selbstthematisierung und Generation – Argumentationslinien
Lebensverlaufs- und Biografieperspektive In diesem Abschnitt soll – neben den in den vorangegangenen Abschnitten erörterten, ‚impliziten‘ Anteilen der Generationszugehörigkeit – die Bedeutung des Generationskategorie als Zurechnungsschema biografischer Selbstbeschreibung herausgestellt werden. Zunächst eine Vorbemerkung zur Differenz von Biografie- und Lebensverlaufsansatz sowie zum Verhältnis von Identität und Kollektivität: Die Perspektive des Lebensverlaufs nimmt die Abfolge von Aktivitäten und Ereignissen in verschiedenen Lebensbereichen bzw. Handlungsfeldern von der Geburt bis zum Tode in den Blick (Mayer 2001: 446). Im Mittelpunkt stehen die Sequenzen faktischer Lebensereignisse in der jeweiligen sozialstrukturellen Einbettung der Individuen, die diese Ereignisse erfahren. Die Sichtweise des Lebensverlaufs hat sich seit den 70er Jahren in den Sozialwissenschaften etabliert. Lebensverlauf gilt seitdem als moderner Modus von Vergesellschaftung. Das Defizit einer reinen Lebenslaufperspektive besteht jedoch darin, dass die für den Generationsansatz wichtigen subjektiven Sinnsetzungen in Bezug auf den ‚Lauf des Lebens‘ nicht in den Blick geraten. Ebenso wie Lebensverläufe sind Biografien zunächst nicht allein Produkt von Gesellschaft, sondern selbst in bestimmte historische Situationen eingebettete Teile sozialer Strukturen in der Gesellschaft. Im Unterschied zur Lebensverlaufsforschung nimmt die Biografieforschung aber vor allem die Differenz zwischen Leben und Lebensbeschreibung (Corsten 1994) in den Blick. Das Biografische steht zwar immer in enger Anbindung an Lebensverläufe. Die Biografieforschung zielt aber genuin auf subjektive Konstruktionen von Lebensereignissen: „Die Biographie macht für ein Individuum den Lebenslauf zum Thema“ (Hahn, A. 1987: 12). Biografische Selbstbeschreibungen spiegeln den Lebenslauf daher nicht einfach wider, sondern stellen dessen selektive Vergegenwärtigung dar. Sie gelten somit gewissermaßen als Interpretationen von Lebensverlaufsereignissen. Die ‚biografische Perspektive‘ ist ein Forschungsansatz, der bis zu den Anfängen der Chicagoer School in der ersten 57
(Fortsetzung von S. 79) meiner Sicht die Begriffsverwendung ‚Generationshabitus‘ (so etwa als ‚generationsspezifischer Habitus in der Liebe‘) durchaus plausibel erscheinen ließe. Gleichwohl verwende ich diesen Terminus aufgrund seiner leicht missverständlichen Assoziationen nicht in dieser Studie.
2.5 Generation als biografisches Zurechnungsschema
81
Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreicht, und sich verpflichtet hat, Selbstpräsentationen von Individuen nach deren kultureller Einbettung zu hinterfragen. Somit interessiert nicht das persönliche Einzelschicksal, sondern die regelhafte Ausprägung seiner Erscheinungsform. Während Lebensverläufe das Ergebnis einer objektiven Ereignisgeschichte charakterisieren, gelten Biografien als endogene Phänomene, welche im Sinne eines Mediums zwischen Individuum und Gesellschaft quasi aus sich selbst heraus erzeugt werden (vgl. Fischer-Rosenthal 1999). Der biografische Ansatz stellt eine gegenstandsangemessene methodische Perspektive für die Untersuchungsfrage dar. Die Relevanzstrukturen der Feldbeteiligten lassen sich hiermit auf der Grundlage der größtmöglichsten Entfaltung ihres subjektiv gemeinten Sinns transparent machen. Das offene bzw. halbstandardisierte Interview (vgl. Abschnitt 3.1.6) erweist sich dabei als ausgezeichnete Forschungsquelle: Es gewährleistet die innere Entfaltung von Sinnstrukturierungsprozessen. Das bedeutet, in narrativen Selbstbeschreibungen sind Personen gezwungen, eine Programmatik ihrer Subjekthaftigkeit zu entwerfen. Die Selbstbeschreibung in biografischen Texten erlaubt zum einen den präzisen Nachvollzug der Selbstthematisierung als Sprechen über die eigene Erfahrungsgeschichte, zum anderen der formalen Struktur der Selbstdarstellung im Entwurf von Individualität. Dadurch, dass Personen über jenes Wissen sprechen, die sie für sich als gültig erachten, wird die Bezugnahme auf eigene Deutungsordnungen gewährleistet. Das System dieser Ordnung kann als kulturelles Wissen betrachtet werden. Um dem Fallstrick der Homologiehypothese zu entgehen, d. h. der Annahme eines analogen Zusammenhangs zwischen Erfahrungsinhalt und Erfahrungserzählung, sind die Narrationen jedoch nicht als Abbilder ‚realer‘ Erfahrung, sondern als funktionaler Zusammenhang zwischen Problemdeutung und Handlungslösung zu betrachten (vgl. Kapitel 3.2). Sie liefern Aufschluss über das Bemühen, Kohärenz in Bezug auf die Erlebniserinnerung herzustellen, sie bilden Erleben aber nicht ab.
2.5
Generation als biografisches Zurechnungsschema
Zeitperspektiven stellen ein Kernthema biografischer Forschung dar. In der Forschungstradition im Anschluss an Glen H. Elder und Richard C. Rockwell (1978) etablierte sich vor allem die Frage nach dem Verhältnis zwischen subjektiver Zeiterfahrung und institutioneller, objektiver Zeit (vgl. Brose/Wohlrab-Sahr/Corsten 1993, Ricoeur 1991). Die Biografieforschung hat sich dazu im Wesentlichen auf die Unterscheidung zwischen erlebter und erzählter Lebensgeschichte (vgl. Rosenthal 1995) kapriziert. Unterschieden wird zwischen einem erzählenden Ich und einem erzählten Ich bzw. der Erzählsituation und der erzählten Situation, was dem Subjekt gewissermaßen eine ‚doppelte Geschichtlichkeit‘ verleiht (Lucius-Hoene/Deppermann 2002: 23ff.). Bei der Frage nach der Realität, die biografische Selbstbeschreibungen dann eigentlich abgeben, schlägt Michael Corsten (1994: 185 ff.) hierzu eine Unterscheidung zwischen der sozialen Realität in und von Biografien vor: Soziale
82
2 Das Konzept der historischen Generation
Realität in Biografien berühre Sachverhalte, die außerhalb der Beschreibung liegen, auf die aber mit der Beschreibung Bezug genommen wird. Gewissermaßen also die „Kontextregeln eines biografischen Textes“ (ebd.: 186). Bei der sozialen Realität von Biografie werde die Beschreibung des Lebens als sozialer Tatbestand betrachtet. Insofern argumentiert Corsten: „Die Regeln der Lebensbeschreibung decken sich nicht mit den Gesetzmäßigkeiten des beschriebenen Lebens“ (ebd.: 195). Für jede Erzählung können somit immer mindestens zwei Zeitebenen vorausgesetzt werden: Die des selektiv vergegenwärtigten Erfahrungszusammenhangs und die der aktuellen Erzählkommunikation. So referieren Erzählungen zwar auf Ereignisabfolgen tatsächlicher oder fiktiver Ereignisse, sie bilden diese aber nicht einfach ab. Das vergangene, das erzählte Ich und sein damaliges Erleben ist somit immer schon rationalisiert, es kommt zu Überzeichnungen, zu Auslassungen und Idealisierungen. In jedem Fall gibt der/die Erzähler/in dem Erzählten eine szenischen Charakter der Darstellung und somit eine spezifische Dramaturgie (Corsten 1994, 2001a, vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2002). Ereignis- und Verlaufsdaten als quantitatives Datum einer Ereignisgeschichte und die erzählte Lebensgeschichte als qualitatives Datum sind somit zwar keine unvereinbaren methodologischen Konzepte. Der Vorzug der biografischen Perspektive gegenüber der des Lebensverlaufs besteht dagegen darin, dass die zwischen individueller und institutioneller Geschichte fungierenden biografischen Muster über die Prozesse der Aneignung, Verarbeitung und Erzeugung, und damit über die symbolische Repräsentation gesellschaftlicher Wirklichkeit aus einer Subjektperspektive informieren. Martin Kohli (1985, 1988) hat bereits vor zwei Jahrzehnten die These einer ‚Biographisierung der Lebensführung‘ stark gemacht. Aus seinen Überlegungen geht hervor, dass das Schreiben der eigenen Geschichte den Einzelnen angesichts der Korrosion klassen- und schichtenspezifischer Vergemeinschaftung neue Formen der Selbstvergewisserung verspreche bzw. wird das ‚doing biography‘ selbst zu einem Subjektivierungsmodus. Das Ich in der Gesellschaft findet nicht mehr wie früher statische Statuszuweisungen vor, sondern verortet sich stärker in biografischen Prozessdarstellungen. Heinz Bude (2000a, 2000b) vertritt daher die These, biografische Selbstverortung in Generations-Bezügen habe zufolge der Erosion segmentärer Vergesellschaftung in modernen Gesellschaften generell zugenommen. Die Frage nach der schicksalhaften Verbindung individueller Lebensproblematiken mit äußeren geschichtlichen Abläufen hat für die Einzelnen an Relevanz gewonnen. Der Blick auf die jüngst schier explodierende Vielfalt belletristischer und populärwissenschaftlicher Produkte, wo Generation zur Bezugsgröße von Selbstdarstellungen avanciert, trägt dieser Annahme Rechnung. Man könnte das als eine Modekonjunktur werten, aber auch dies würde nach einer Erklärung verlangen. Die Selbstthematisierung in Generationsbezügen lässt sich so als Versuch und Mittel zugleich lesen, Kontinuität in der Erfahrung von Diskontinuität und Einheit in der Uneinheitlichkeit des erlebten Lebenszusammenhangs herzustellen (vgl. auch Kilian/Komfort-Hein 1999), mit all den Sinnzurechnungen von Chance, Versagen, Glück oder Unglück, in das mit anderen geteilte Schicksal, zu einer bestimmten Zeit geboren zu sein. Auch dies
2.5 Generation als biografisches Zurechnungsschema
83
fließt bereits in das Wissen der Einzelnen mit ein. Heute ist die Suche nach Strukturierungsmomenten, Konstanten oder gar Determinanten im Leben bereits Teil eines selbstaufklärerischen Diskurses über biografische Prägungen geworden: Warum man so geworden ist und nicht anders, warum man anders ‚sein‘ will, aber vielleicht nicht könne. Der Generationsbezug wird damit zu einem biografischen Zurechnungsschema (vgl. Kern 1998). Mit dem Erstellen einer „eigenen Zeit“ (Corsten 2001a/b) erlangt er die Funktion einer Ordnungskategorie, mit der das Subjekt das eigene Lebensschicksal als historisch ‚relational‘, den eigenen Lebenslauf als nichtzufällige, vielmehr als geschichtliche Größe wertet. Von Karl Mannheim (1980) entstammt in diesem Zusammenhang der Ausdruck des „konjunktiven Erfahrungsraum“ (ebd.: 220). Aus diesem kann eine historische Erfahrungs-Gemeinschaft als ein verbindendes Empfinden hervorgehen: Das heißt, das Erleben einer ‚eigenen‘ Zeit knüpft sich an eine bestimmte historische Phase und zeitigt bestimmte Problemwahrnehmungen. Dies kann von Angehörigen gleicher Geburtsjahrgänge auch kollektiv so erlebt werden, ohne dass diese Angehörigen in sonstiger Beziehungen miteinander stehen müssen. Gemeinsame Generationszugehörigkeit verpflichtet somit nicht zu solidarischem Handeln: Entsprechend vertritt Heinz Bude (1997) die These, das „Wir-Gefühl“ einer Generation erzeuge nicht notwendig ein „Wir-Handeln“. Es kann allenfalls selbstaufklärerisch wirken, sich gemeinsam über die gemeinsame historische Problemdefinition zu verständigen bzw. die Beobachtung zu machen, dass Andere mit ganz ähnlichen Problemzurechnungen ringen. In einer bekannten Formulierung heißt es dazu bei Wilhelm Pinder (1961: 21): „für jeden ist die gleiche Zeit eine andere Zeit, nämlich ein anderes Zeitalter seiner Selbst, das er nur mit Gleichaltrigen teilt“. Es kommt zu einem Zusammenfallen zwischen „biographischer und historischer Prozessperspektive für Angehörige gleicher Geburtsjahrgänge“ (Corsten 2001b: 478). Für Michael Corsten (2001b) besteht die in Mannheims Generationskonzept angelegte Pointe daher in einem „WirSinn für die eigene Zeit“, welche „die individuell-biographische Entwicklung mit einem kollektiven und geschichtlichen Zeitraum affektiv verbindet“ (ebd.: 479). Und: Über die „Abgrenzung einer ‚eigenen Zeit‘ verschafft sich die Generation ein kollektiv verfügbares ‚Identifikationszentrum‘, von dem aus sie ihre Vergangenheit und Zukunft, ihre Geschichte betrachtet kann“ (ebd.: 484). Eine rekonstruktive bzw. „qualitative Generationsforschung“ (Bude 2000a) hat diese Aspekte in der empirischen Belegführung immer einzubeziehen (vgl. Abschnitt 3.3.4.).68 68
Nach Heinz Bude (2000a: 189) führt somit auch der Versuch, auf einem einfachen Kohortenbegriff aufbauende Lebenslaufvergleiche ohne diese inneren Zurechnungen generationsspezifisch in einen „Takt zu bringen“, nicht weit: „Daraus entstehen anstatt Konstruktionen von Generationen nur Kataloge von Kohorten, die stets zuviel an Begriffen versprechen und immer zu wenig über gemeinsame Verhaltensformen und Deutungsmuster enthalten“. Die Gleichzeitigkeit von Lebensverläufen schaffe zwar die „Gelegenheitsstrukturen und damit die objektiven Lebenschancen von Jahrgängen, ohne Generationszusammenhang entstehe aber keine gesellschaftlich zuschreibungsfähige Einheit“.
3
Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode,Auswertung
3.1
Erhebung
3.1.1
Konstruktion des Samples
Insgesamt wurden für die Studie 28 Interviews in vier Großstädten der alten Bundesrepublik (Berlin, Frankfurt/M., Hamburg, München) sowie einer Großstadt der neuen Bundesländer (Dresden) durchgeführt. In Dresden wurden Interviewpartner/innen gewählt, die in den alten Bundesländern aufgewachsen sind. Durchweg handelt es sich um Metropolen, die eine hohe Tendenz zur Ausweitung des Dienstleistungssektors aufweisen. Die westdeutschen Städte stellen Metropolen mit deutlicher Modernisierungstendenz und einer breiten beruflichen und kulturellen Elite dar. Hier existieren demzufolge soziale Milieus, deren Angehörige an den kulturellen Umbrüchen innerhalb der bundesrepublikanischen Geschichte wahrnehmend teilhatten. Zudem ist insbesondere in höheren Bildungsschichten die Vertrautheit mit öffentlich geführten Debatten um Geschlechter- und Gleichstellungsfragen erwartbar. Auch Fragen nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie spiegeln sich hier deutlich in den Paararrangements wider. Darüber hinaus herrschen Zwänge beruflicher Mobilität und es werden – ob erzwungen oder gewollt – häufig Beziehungen auf Distanz geführt (‚living apart together‘, Straver 1980; vgl. Burkart 1997). Bei diesen Milieus ließe sich damit auch am günstigsten nachvollziehen, wie das gegenwärtige Selbstverwertungsgebot nach beruflicher und damit biografischer Beweglichkeit und Flexibilität (Sennett 1998) Einfluss auf die persönlichen Nahbeziehungen nimmt.69 Die Zusammensetzung der Auswahlgruppe wurde kriteriengesteuert auf der Grundlage der Selektionskriterien Region, Geburtsjahrgang und Bildungsmilieu vorgenommen. 3.1.2
Das regionale Kriterium: Divergenzen von Generationszusammenhängen in der Geschichte West- und Ostdeutschlands
Gegen die Einbeziehung west- und ostdeutscher Biografien sprach Folgendes: Bedingt durch die unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen, besonders der unterschiedlichen Sozialpolitik der DDR und der Bundesrepublik, ist von signifikant unterschiedlichen kulturellen Lagen im privaten Leben auszugehen.70 Nach 69
Ob dies gar zu einer ‚pragmatischen‘ Umschreibung des Liebescodes führen könnte, müsste dezidiert allerdings an anderer Stelle untersucht werden. 70 Nach Norbert F. Schneider (1994) sind davon ganz besonders Muster der Familienentwicklung betroffen (vgl. hierzu Schneiders ausführliche Kartierung diesbezüglicher Konvergenzen und Divergenzen).
86
3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
Karl Ulrich Mayer (2001) habe zwar die Dominanz der industriegesellschaftlichen Bedingungen sowie der hohe Stellenwert der Familie hier wie dort, beide deutsche Gesellschaften auf eine ähnliche Stufe gesellschaftlicher Modernität gestellt. Ausschlaggebende Differenzen erkennt Mayer jedoch in der unterschiedlichen Institutionalisierung der Lebensverläufe. Denn trotz der Herausbildung individualistischer Orientierungen und eines zunehmenden Pluralismus in Ehe und Familie seit den 80er Jahren in der DDR, waren die dortigen gesellschaftlichen Strukturen primär paternalistisch verfasst (vgl. Vaskovics/Garhammer/Schneider/Kabat 1994: 158ff.). Es existierte eine stärkere politische Regulierung der Lebensverläufe in der DDR, was diese einheitlicher und stabiler als in der Bundesrepublik ausformte. Obwohl die Ausbildungs- und Berufsverläufe der alten Bundesrepublik in Folge der engen Verknüpfung zwischen Schulbildung, Berufsbildung und Erstberuf denen der DDR nicht unähnlich waren, stellen die unterschiedlichen Lebensverläufe – besonders die Familienverläufe – die deutlichste kulturelle Differenz zur alten Bundesrepublik dar. Trotz ökonomischer Eigenständigkeit sei aber die Doppelbelastung der Frauen auch in der DDR bestehen geblieben, auch wenn es in weiblichen Lebensverläufen stärker kontinuierliche Vollerwerbsverläufe gab, sehr frühe Heiraten, frühe Kindergeburten, aber auch hohe Scheidungsraten (Mayer 2001: 449). Für die westdeutsche Gesellschaft, so Mayer, galt dies nicht in gleicher Weise. Hinzu kommt, dass parallel zum Aufschub der Elternschaft in den Lebensverläufen der Bundesrepublik seit den 70er Jahren in der DDR dahingehend Kontinuität bestand. Dies machte, so folgern etwa Johannes Huinink und Michael Wagner (1995), die Vereinbarkeit von Elternschaft und Erwerbstätigkeit bis hin zur Ausbildung in der DDR weniger riskant. Die ökonomischen wie biografischen Kosten für frühe familiäre Bindungen, aber auch deren Auflösung, seien so für junge Menschen in der DDR geringer geblieben. Mithin wird festgestellt, dass sich Zeitpunkt und Bedeutung von einer Familiengründung in der DDR seit dem Jahrgang 1945 kaum verändert hätten. Dies sind Indizien für eine unterschiedliche kulturelle Rahmung der Ausdeutung des Zusammenhangs von Zusammenleben und romantischen Liebesbeziehungen in den beiden deutschen Gesellschaften. Denn während frühe Ehe und frühe Familiengründung in der Bundesrepublik infolge gestiegener, individueller Selbstverwirklichungs-Ansprüche zunehmend als Gefahr der Schließung von anderen denkbaren Lebensperspektiven empfunden wurden, war privates Leben in der DDR anders geregelt: Es existierte ein stärkerer Druck in Richtung Eheschließung und Familienbildung und die frühe Familiengründung in der DDR stellte den unmittelbaren Beginn eines vom Elternhaus unabhängigen, aber auch institutionell stärker gestützten Lebens schlechthin dar (vgl. Huinink/Wagner 1995). Eine ausgeprägte Romantisierung der Entscheidung zur Heirat war damit nicht vorausgesetzt. Mit der Heirat war in vielen Fällen überhaupt erst die Möglichkeit zum Zusammenwohnen gegeben. Geschlechtspezifische Rollenattribuierungen bildeten sich von Beginn an in der DDR nicht so stark wie in der Bundesrepublik aus, wenngleich, wie erwähnt, faktisch eine zur Bundesrepublik vergleichbare Doppelbelastung von Frauen in Elternrolle und Er-
3.1 Erhebung
87
werbstätigkeit vorlag. Das Leitbild bipolarer Geschlechtercharaktere dehnte sich jedoch nicht in gleichem Maße auf alle Handlungsfelder von Frauen und Männern aus. Wertet man dies als eine tendenziell stärkere Egalität der Geschlechter, und sieht man von den restringierten Möglichkeiten der Entfaltung autonomer sozialer Emanzipationsbewegungen im sozialistischen Staat überhaupt ab, fehlte in der DDR eine innengeleitete Thematisierung der Frauenrolle wie in der Bundesrepublik, die Auslöser der im Verlauf der 60er und 70er Jahre entstehenden feministischen Geschlechterkritik seitens der zweiten Frauenbewegung war. Mit stärkerer Fokussierung jugendlicher Handlungskontexte betont beispielsweise Stefan Böckler (1992), dass die zunehmende Entbindung von unmittelbaren institutionellen Kontrollen der Lebensläufe westdeutscher Jugendlicher der ausgeprägten staatlichen Kontrolle der Lebensverläufe ostdeutscher Jugendlicher konträr gegenüber stand. Deutlichste Folge, so Böckler, sei die Verkürzung des Jugendmoratoriums in der DDR gewesen, womit der Sprung von der ‚standardisierten‘ zur ‚individualisierten‘ Normalbiografie weitgehend erschwert worden sei. Durch die Reduzierung dieses Spielraums war die Kontingenz biografischer Perspektiven in der DDR damit von Beginn an schwächer ausgeprägt. Insofern als die Modernisierungsdynamik, und damit nicht zuletzt die Bedingungen sozialisationsgeschichtlicher Bruchstellen überhaupt, eine Vorraussetzung für den Bedeutungswandel in persönlichen Nahbeziehungen, so auch in Bezug auf die Rolle der romantischen Liebe, darstellen, kann schlussgefolgert werden, dass in der DDR die strukturellen Grundlagen für die mit der Bundesrepublik vergleichbaren, starken kulturellen Generationseffekte in Biografien fehlten. Infolge der geringeren Ausdifferenzierung von Lebensformen und Lebensstilen ist daher von einem anderen Verlauf der Individualitätssemantik insgesamt auszugehen. Aus diesem Grund handelt es sich um mehr als einen Regionaleffekt, sondern auch um eine vom jeweiligen Individualisierungsgrad abhängende, kulturelle Differenz. Da demzufolge kulturelle Generationsdifferenzen in den persönlichen Nahbeziehungen der Geschichte der DDR somit nicht in dem Maß symptomatisch sind wie für die Bundesrepublik, wurde für die Studie gegen eine Einbeziehung west- wie ostdeutscher Biografien entschieden. Zwar existiert mittlerweile ein breiter Literaturbestand zu politischen Generationen, politisch-ideologischen Eliten sowie allgemeinen Generationszusammenhängen innerhalb der DDR (vgl. allein Geulen 1993, Solga 1995, Weymann 2000; aus einer kulturellen Vergleichsperspektive nationalstaatlicher Gesellschafts- und Generationengeschichte vgl. allein Alheit/Bast-Haider/Drauschke 2004, Engler 1992, Göschel 1999). Neben zahlreichen retrospektiven Jugendstudien gibt es dagegen kaum Untersuchungen zum kulturellen Wandel intimer Nahbeziehungen innerhalb der Geschichte der DDR, zumal aus einer Subjektperspektive (ausgenommen etwa Nave-Herz 2002, Stolt 2000; zum Ost/West-Vergleich vgl. Bierhoff/Schwennen/Pietsch 1998, Schmidt 2000, Starke/Weller 2000). Um das empirische Design kontrollierbar zu halten, beschränkt sich die Untersuchung auf Biografien, deren Erfahrungshintergründe bis 1989 in den alten Bundesländern verortet sind. Gewiss wäre ein Gesellschaftsvergleich gewinnbringend für
88
3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
Anschlussstudien. Da die geschichtliche Genese der modernen Liebessemantik weit über die relativ kurze Epoche der Existenz zweier deutscher Gesellschaften hinausweist, böte sich Gelegenheit, das Verhältnis zwischen Modernisierung und Individualisierung vor dem Hintergrund institutionell unterschiedlicher biografischer Regime auch in Bezug auf den Bedeutungswandel des Musters romantische Liebe zu beleuchten. Wie und in welchem Zeitraum diese kulturellen Differenzen im Zuge der zusammengeführten Berufs-, Bildungs- und Wohlfahrtsstaatsinstitutionen auch im Sinne einer Angleichung subjektiver Relevanzen in den persönlichen Nahbeziehungen verschwimmen werden, bleibt eine empirisch zu beantwortende Frage. Es ist allerdings zu vermuten, dass solche Transformationsprozesse wesentlich von Altersgruppen und ihren jeweiligen Sinnsetzungen abhängig sind. Der Einfluss der in der DDR aufgewachsenen Eltern fließt in die primäre Sozialisation der Nachwende-Adoleszenten mit ein und dürfte gegenwärtig noch erheblich zur familiären Sozialisation der gleichen Jahrgangslagerung bei Angehörigen der alten Bundesländer differieren. Trotz der gemeinsamen Teilhabe an einem politischen Gesamtprozess der jüngsten Gruppe meines Samples müsste die jeweilige biografische Verarbeitung dieser institutionellen Öffnung stärker und auch hinsichtlich der Bedeutung der Liebe in Paarprozessen erforscht werden (vgl. auch die Ergebnisse der Shell-Studie 1992). Sollte es also einen durch die Wendereignisse bedingten gemeinsamen Generationszusammenhang der Jugend um und nach 1989 tatsächlich geben, ist die Vermutung nicht abzuweisen, dass die Gruppe der ostdeutschen und die Gruppe der westdeutschen Jugendlichen dabei die größten Generationseinheiten darstellen.
3.1.3
Das Kriterium Geburtsjahrgang
Das Sample beschränkt sich auf Geburtsjahrgänge zwischen 1940 und 1980. Ab etwa dem Jahrgang 1940 sind Personen angesprochen, deren sekundäre Sozialisation gänzlich nach dem zweiten Weltkrieg stattfand. Sie haben so gut wie immer schon innerhalb der Geschichte der Bundesrepublik gelebt. Zugleich fallen die Adoleszenzerfahrungen dieser Personen in die Zeit ab den späten 50er Jahren, einer Zeit, die Heinz Bude (1995) als historische Phase des Beginns einer ‚Subjektwende der Person‘ innerhalb der Geschichte der Bundesrepublik charakterisiert. In diesem Zeitraum nimmt die von einem massiven Wandel der Sozialstruktur und dem Wandel der kulturell-politischen Mentalität ausgelösten Ausdifferenzierung sozialer Milieus und Lebensstile deutlich zu. Mit den Geburtsjahrgängen bis Ende der 70er Jahre wurde die Auswahl der Befragten abgeschlossen, um auch mit den jüngsten Befragten eine Altersgruppe zu erlangen, die bereits in das Erwachsenalter eingetreten sind. Auf der Grundlage der empirischen Materialanalyse wurde ein idealtypisierendes Dreierschema generationsspezifischer Selbstthematisierungen in der Liebe erarbeitet. Mit der Diskussion der historischen Rahmenbedingungen des Aufwachsens sowie der Fallstudien in Kapitel 4 wird dieses Schema ausführlich begründet. Dabei
3.1 Erhebung
89
wird unterteilt in eine ‚frühe‘, eine ‚mittlere‘ und eine ‚späte‘ Generation. Die folgende Darstellungsordnung der Generationsdifferenzen ist an dieser Systematik orientiert, d. h. sie ist selbst Teil der Untersuchungsergebnisse und folgt keiner Subsumptionslogik. Einer ersten Übersicht dient die folgende knappe Zusammenschau der Lagerungen dieser Generationen: a) Als ‚frühe‘ Lagerung werden die Jahrgänge etwa zwischen 1940 bis 1950 bezeichnet. Die Jugend dieser Jahrgänge fällt in die Restaurationsphase der Bundesrepublik, die Adoleszenzphase bereits in eine Zeit beginnender Liberalisierung im Paar- und Familiensystem sowie der Intimität überhaupt. Diese Lagerung löst die von Schelsky (1957) benannte ‚skeptische Generation‘ ab, deren jugendliche Erfahrungsschichtung in die Zeit repressiver Reglementierungen durch den Nationalsozialismus, ihre Adoleszenzphase in ein Klima der Aufbauphase der Bundesrepublik fällt, wo traditionelle bürgerliche Werte (insbesondere im Familien- und Geschlechterregime) reaktiviert wurden. b) Die Geburtsjahrgänge ab Anfang der 50er bis zur Mitte der 60er Jahre werden als ‚mittlere‘ Jahrgangslagerung bezeichnet. Adressiert sind Biografien der einzigen Generation, die ihre Adoleszenzphase von Beginn an und bis zum Ende in der alten Bundesrepublik erlebt hat. Es handelt sich hierbei um Personen, deren Jugend in die von der 68er-Generation angestoßenen ‚reformierten‘ Bundesrepublik fällt, für die aber die Krise des Sozialstaates und nicht zuletzt die sozialen Umbrüche der Wendeereignisse um 1989 bereits in das mittlere Lebensalter fällt. Zugleich schlägt sich die Ent-Standardisierung von Lebensverläufen im Verlauf des 20. Jahrhunderts bei dieser Lagerung am deutlichsten nieder (vgl. Mayer 1994, 2001). Sie sind die ersten Jahrgänge, die als Kollektiv stark von Individualisierung und der Erosion traditioneller Rollenvorgaben in Paarbeziehung und Familie beeinflusst sind. Bemerkenswert existiert zu diesen Geburtsjahrgängen – häufig ‚78er‘-Generation genannt (Mohr 1992) – der breiteste Bestand soziologischer Generationsbeschreibungen ganz unterschiedlicher Couleur (vgl. ausführlich Abschnitt 4.3). c) Die Jahrgänge etwa ab Mitte der 60er Jahre bis Ende der 70er Jahre werden als ‚späte‘ Jahrgangslagerung bezeichnet. Die Angehörigen dieser Geburtsjahrgänge haben Eltern der frühen Jahrgänge, sind bereits seit ihrer Jugend vertraut mit ‚Geschlechterfragen‘ und finden in der Adoleszenz eine Gesellschaft vor, in der die Bedeutung von Ehe und Familie als Komponenten des Normallebenslaufs (Kohli 1988) abgeschwächt ist. Die ‚reflexive Steuerung‘ der eigenen Lebensgeschichte (Giegel 1988) mit den entsprechenden Begründungsverpflichtungen scheint hier an einem vorläufigen Höhepunkt angelangt. Insgesamt stehen die ‚mittleren‘ den ‚späten‘ Jahrgängen in Hinsicht auf die Erfahrungsaufschichtung näher als den ‚frühen‘, da sie eine Generation darstellen, in der sich die Selbstzurechnungen in Bezug auf Alt-Sein nach oben verschoben haben. Aufgrund der Ausdehnung der Postadoleszenz ab den Jahrgängen, die an der Bildungsreform seit den 70er Jahren partizipiert haben, kommt es hier zu Gemeinsamkeiten in der kollektiven Erfahrungsaufschichtung.
Wohlstandsphase der Bundesrepublik
'Golden age of marriage and the family’ (Sieder 1987)
–
Kindheit
Jugend
Jugend / Adoleszenz
Adoleszenz
Erwachsenenalter
Reform des Familienrechts
(ab Ende der 60er Jahre mit Höhepunkt 70er Jahre)
Erwachsenenalter
(ab etwa Mitte 80er Jahre ff.)
Etablierung feministischer Diskurse in den Bildungsinstitutionen
Prominenzphase der Frauenbewegung/ Reform der Bildungsinstitutionen
Erwachsenenalter
Beginn letztes Lebensdrittel
(1990 ff.)
Krise des Sozialstaates
Ende der alten Bundesrepublik
Diversifizierung und Optionalisierung privater Lebensführung
Höhere Bildungsbeteiligung von Frauen
Beginn feministischer Kritik an patriarchalischen Beziehungsregimes
Aufkommende Kritik an restaurativen Lebenskonzepten / Ausbreitung von Selbsterfahrungskulturen
De-Standardisierung bzw. De-Institutionalisierung des Lebensverlaufs
Kindheit
Jugend
Adoleszenz
Erwachsenenalter
(ab Ende der 60er Jahre)
(Anfang 50er bis Mitte 60er Jahre)
Adoleszenz
Beginnende Liberalisierung und Pluralisierung
Hochphase restaurativer Wertehorizonte
Schaubild I: Altersphasen und historische Kontexte privater Lebensführung
(Zerrüttete Kriegsfamilien, ‚Kriegsloch’)
Kurzfristige Diffusion privater Nahverhältnisse
–
(ca. Ende 60er bis Ende 70er Jahre)
Verschlagwortung zeithistorischer Phasen
–
Kindheit
Kindheit / Jugend
(1945 – ca. 1950)
Beginn der Restaurationsphase
Ende des Weltkrieges /
(ca. Anfang 50er bis Mitte 60er Jahre)
(ca. Anfang bis Ende 40er Jahre)
(Vorkriegsjahrgänge etwa 1930 – 1940; vgl. Abschnitt 4.1)
Geburtsjahrgänge
Historische Ereignisse / Zeitdatum
90 3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
3.1 Erhebung
91
Das nebenstehende Schaubild I stellt zur Übersicht einige Sattelpunkte im Verhältnis von Altersphase der befragten Geburtsjahrgänge in Zusammenhang mit dem Verlauf zentraler historischer Ereignisse und Erfahrungspassagen dar. Auf sämtliche inhaltliche Aspekte wird in Kapitel 4. ausführlich eingegangen. 3.1.4
Das Kriterium Bildungsmilieu
Ausgewählt wurden Personen mit mittlerem und höherem Bildungsabschluss. Dazu zählten der Abiturs-, ein dazu verwandter Schulabschluss oder ein akademischer Ausbildungsgang. Eine Orientierung am Schichtbegriff wurde verworfen, da hierbei Berufsstatus und kollektiver Habitus in zu enger Verbindung stehen. Demgegenüber wurde eine stärkere Ausrichtung am Milieubegriff vorgenommen. Dabei kann Gerhard Schulzes (1992) These gefolgt werden, dass sich kollektive Orientierungen im Nachkriegsdeutschland zunehmend stärker am Zusammenhang von Alter und Lebensstil ausrichten. Zudem ist zu vermuten, dass sich viele Trendbrüche überwiegend in einem kleineren Teil von Geburtsjahrgangsgruppen deutlich abbilden, was in diesem Fall das am höchsten ausgebildete, obere Viertel der Bildungsmilieus betreffen dürfte: Wie Mayer (2001) aufzeigt, trifft bei diesen Milieus im Zeitvergleich der Anstieg des Lebensalters beim Eintritt in die erste Berufstätigkeit, bei der Geburt des ersten Kindes und bei Frauen am Ende der Berufsausbildung am häufigsten zu. Diese Gruppe ist damit am stärksten zu reflexiver Biografiearbeit aufgefordert, da sie vom Wandel moderner Lebensregime am deutlichsten bzw. am frühesten betroffen sind. Die Auswahl nach Bildungsmilieu sichert die sozialstrukturelle Homogenität der Erzählperspektive in zweierlei Hinsicht: Beruflich zu hoher Selbstreflexion geforderte Personen sind zum einen stärker als andere Milieus vertraut und geübt darin, elaborierte lebensgeschichtliche Narrative zu produzieren. Die Fallstudien erlauben damit zwar lediglich Schlussfolgerungen auf eine Variante der Platzierung im objektiven sozialen Möglichkeitsraum. Bei Personen höherer Bildungsschichten ist zum anderen jedoch eine Homogenität der Ablaufschemata von Bildungspassagen und Lebenslaufmustern gegeben, die vermutlich zwischen Generationen geringer variiert als zwischen Milieus.71 3.1.5
Weitere Rekrutierungskriterien
Eine hohe Offenheit wurde der jeweiligen Lebenssituation der Befragten in Bezug auf das Profil und das Arrangement ihrer Paarbeziehung eingeräumt – sofern eine solche überhaupt vorlag. Ob die Befragten in einer Ehe lebten, ob sie eine Familie 71
Cornelia Koppetsch und Günter Burkart (1999) verleihen dieser Gruppe das Etikett „Individualisiertes Milieu“. Dabei wird Anleihe genommen an Gerhard Schulzes (1992) lebensstiltheoretisch hergeleiteten Milieutypen „Selbstverwirklichungsmilieu“ und „Niveaumilieu“.
92
3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
gegründet, oder sich für ein temporäres oder dauerhaftes ‚Single-Dasein‘ entschieden hatten, ist zwar in hohem Maße relevant für den Charakter individueller Lebenslagen, nicht jedoch für den Zugang der Generationsanalyse. Fokussiert wurde weniger auf die tatsächliche Organisation des intimen, privaten Lebens als vielmehr auf die Typik biografischer Selbstthematisierung in historischen Zeitbezügen. Bei der Rekrutierung wurde zunächst nicht zwischen hetero- und homosexuellen Personen unterschieden. Dies war von der Überlegung geleitet, dass der Höchstrelevanzanspruch als Kernelement des modernes Liebescodes für das jeweilige geschlechtliche Arrangement des Paares keinen Unterschied macht (vgl. Abschnitt 1.1). Wenngleich das Liebespaar im herrschenden kulturellen Leitbild bis in die Gegenwart fraglos dominant heterosexuell gedacht ist, also meist die Liebe zwischen Frau und Mann adressiert wird, geht es in der romantischen Liebe in einer engen Bestimmung primär um die Bestätigung individueller Höchstrelevanz (Luhmann 1982, vgl. Abschnitt 1.1, 1.4).72 An anderer Stelle könnte stärker beleuchtet werden, ob die durch die bürgerliche Liebessemantik erzeugte Geschlechtsspezifik in den Liebesnormen sich auch in homosexuellen Liebesbeziehungen, gegebenenfalls variierend, durchsetzen, oder ob, und wenn ja, wie sie überhaupt Einfluss auf die jeweilige Konstruktion der Paaridentität nehmen (vgl. zu dieser Frage Maier 2008).73 Zufolge dieser Offenheit bei der Rekrutierung ergab sich in der Gesamtzahl der 28 durchgeführten Einzelinterviews die Zusammensetzung von 25 heterosexuellen Frauen und Männern sowie zwei lesbischen Frauen und einem schwulen Mann.74 3.1.6
Befragungsverfahren
Da ein flexibles Befragungsverfahren erforderlich war, welches auch Themenzentrierung zuließ, schied das klassische narrative Interview nach Fritz Schütze (1984, vgl. Kallmeyer/Schütze 1977) als Forschungsstrategie aus. Hier ist das Interesse zu stark von spezifischen Erzählgattungen und der Suche nach einer biografischen Gesamtgestalt geprägt. Durch die spezielle Standardisierung der Erzählsituation sind zudem zu wenig Eingriffsmöglichkeiten seitens der Interviewerperson gegeben. Vorrang wurde daher dem leitfadengestützten, halbstandardisierten Interview auf der Grundlage Witzels (1982) Anweisungen zum problemzentrierten Interview gegeben. Der halbstandardisierte Leitfaden enthielt schwerpunktartig folgende Themenkomplexe: Aufwachsen im Elternhaus, Jugenderlebnisse‚ Bildung und Verlauf bis72
Nicht zuletzt infolge der herrschenden, orthodoxen christlichen Ethikkonzeption sieht sich das gleichgeschlechtliche (Liebes-)Paar allerdings bis in die Gegenwart mit einem Pathologie-Verdacht konfrontiert, d. h. mit der Vorstellung der ‚fehlgeleiteten Liebe‘. 73 Welche Rolle die Kategorie Geschlecht beim Kennenlernen, bei Vertrauensbildungsprozessen und in der Binnenstruktur homosexueller Beziehungen spielt, wird auch bei Maier (2003) behandelt. 74 Diese drei Befragten verband, dass sie im Gesprächsverlauf ihre Homosexualität in der einen oder anderen Formulierung erst an „geeigneter Stelle“ bekannt geben wollten.
3.1 Erhebung
93
heriger Paarbeziehungen, sowie Liebes- und Beziehungsideale. Weiterhin wurde nach Emotions- und Treuenormen sowie nach der Rolle der Sexualität in Liebe und Paarbeziehung gefragt. Nachgehakt wurde vor allem bei solchen Erzählungen, Begründungen und Argumentationen, wo Authentizitätsformeln jeglicher Art sichtbar wurden („wahr“, wirklich“, „echt“ etc.). Ziel war es insgesamt, möglichst dichte und ausführliche Geschichten hervorzubringen. Der Fragenkanon wurde daher nicht bürokratisch abgearbeitet, sondern der Dynamik des Gesprächsverlaufs angepasst. Abgeschlossen wurde mit einem Nachfrageteil, worin die Befragten gebeten wurden, Defizite des Leitfadens zu thematisieren und vernachlässigte, für die sie jedoch bedeutsame Themen nochmalig anzusprechen. Genau an dieser Stelle entzündeten sich häufig für die Forschungsfrage enorm aufschlussreiche Erzählpassagen. In der ersten Erhebungswelle (vgl. dazu unten) wurden sämtliche Interviews eingeleitet mit der Frage: „Können Sie sich an einen Liebesfilm erinnern, der Sie beeindruckt hat?“ Der Bezug auf Liebesfilme – als populäres Genre mit historischer Tradition und hohem individuellem Assoziationswert (vgl. Hahn, K. 1998) – zielte darauf, grundlegende Sinnsetzungsprozesse zum Gegenstand der Untersuchung zu erleichtern. Damit war ein Medium des kulturellen Sektors gewählt, das generationsübergreifend ein hohes Maß an Vertrautheit voraussetzen ließ und zugleich Bezugnahme auf individuelle Erfahrungsgestalten ermöglichte. In der ersten Befragungswelle wurde Generation nicht als Referenzbegriff, sondern eher beiläufig erwähnt. Zugrunde lag die Befürchtung, die Generationsrhetorik könne zur Selbstsubsumption unter modische Generationsetiketten verleiten. Die Erprobung des ersten Leitfadens zeigte aber, dass die explizite Erwähnung gängiger Generationsetikette (etwa: ‚68er‘, ‚89er‘, ‚Generation Golf‘ etc.) für die Befragten einen hohen Assoziationswert beinhalteten. Aus diesen Etiketten ergaben sich wichtige Identitätsofferten zur Selbstpositionierung in historischen Zeitbezügen. In der zweiten Erhebungswelle wurde diese Erfahrung systematisch berücksichtigt. Ganz bewusst wurde dabei in Kauf genommen, dass die Erwähnung des Generationsbegriffs eine bestimmte, diskursive Schematisierung individueller Zeiterfahrung erzeugen kann, da – in gegebenem Fall – auch dies eine kreative Komponente biografischer Selbstthematisierung darstellt. Weiter wurden in der zweiten Welle Fragen zu Kennenlernphasen in Paarbeziehungen sowie Verläufe von Erwerbstätigkeiten eingeflochten bzw. intensiviert. Auch die Eingangsfrage wurde abgeändert: Der Eingangsstimulus lautete jetzt: „Haben Sie schon einmal die Erfahrung gemacht, sich in der Liebe getäuscht zu haben?“. Obwohl der Stimulus der ersten Welle ausreichend dichte Erzählungen hervorbrachte, wurde der Einstieg zum Forschungsthema variiert, sodass stärker Krisendeutungen in den Vordergrund rückten. Damit war ein anderer Weg eingeschlagen, basale Hintergrundsüberzeugungen in der Liebe abzuschöpfen. Auf diese Weise ließ sich die Validität beider Zugänge prüfen und besser hinsichtlich ihrer jeweiligen Wirklichkeitserzeugungen, Reichweiten und Einschränkungen bestimmen. Wie angedeutet, wurde die Materialerhebung in zwei zeitlichen Wellen durchgeführt. Die erste Befragungswelle fand zwischen 1997 und 1998 statt, die zweite zwi-
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3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
schen 2000 und 2002. Befragt wurden ebenso viele Frauen wie Männer. Die Interviewpartner/innen wurden durch Aufrufe in der regionalen Tagespresse, über kursierende Informationshandzettel, schließlich mithilfe des Schneeballsystems gewonnen. Dies funktionierte sehr gut, mit der Ausnahme, dass die Bereitschaft zu einem Interviewgespräch bei den Männern der Jahrgänge um 1940 auffallend gering ausgeprägt war. Allein schon aus der Tatsache, dass sich bestimmte Personen einer solchen Befragung zur Verfügung stellen, andere aber nicht, ergibt sich quasi ‚aus sich heraus‘ eine spezifische Untersuchungsgruppe. Es können keine Aussagen darüber getroffen werden, ob der Selbstbezug von Personen dieser Gruppe allein deshalb eine eigene Charakteristik besitzt. Eine Verzerrung im Sinne der Untersuchungsfrage findet dadurch jedoch nicht statt. In mindestens einem Drittel der Befragungen bekundeten die Interviewpartner/innen während der Kontaktanbahnung allerdings die Sorge, ob sie für den Gegenstand der Befragung „überhaupt repräsentativ“ seien. Bereits dies ist ein Element der Identitätskonstruktion, da Zurechnungen sichtbar werden, wie sich das ‚Ich‘ gegenüber Normalitätsfiktionen positioniert (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2002).75 Interessierte an der Befragung wurden in telefonischen Vorgesprächen über den formalen Ablauf des Interviews und über das generelle Forschungsinteresse der Studie informiert. Die Interviews fanden nach eigenem Wunsch der Befragten in überwiegender Anzahl in ihren Wohnungen statt, ein geringerer Anteil in öffentlichen Räumen (Cafés, Restaurants) oder an ihrem Arbeitsplatz. Die Gespräche dauerten zwischen eineinhalb und vier Stunden. Sie wurden sämtlich auf Tonband aufgezeichnet und im Anschluss vollständig transkribiert. Dies geschah ‚naturgetreu‘, d. h. es wurde weder eine Paraphrasierung noch eine Glättung der wörtlichen Rede vorgenommen. Der Lesbarkeit halber wurde allerdings weitgehend auf die Notation von Prosodie, Parasprache sowie der Dokumentation sämtlicher „Hms“ seitens des Befragers verzichtet. Insgesamt umfasst das Datenkorpus der 28 geführten Interviews etwa 1.400 Seiten verschriftlichte Narrationen, die in einer Vielzahl von Arbeitspapieren dokumentiert sind. Hinzu kommen parallel angefertigte Beobachtungsprotokolle, die zentrale Merkmale der Gesprächssituation sowie des räumlichen Settings dokumentierten. 75
Eine Soziologiestudentin mit Seminarerfahrungen bei Ulrich Oevermann und dessen Programm der ‚Objektiven Hermeneutik‘ setzte ihre Zusage unter die Auflage, das Erzählprotokoll dürfe ausdrücklich nicht nach dieser Methodik ausgewertet werden. Denn sie habe, so wörtlich: „schon unangenehm mitbekommen, was alles daraus gebastelt“ werde. Gleichwohl das Interview unter dieser Voraussetzung nicht stattfand, wäre es instruktiv gewesen, zu wissen, welches Risiko der Betroffenen dabei eigentlich vor Augen schwebte. Ohnehin entstand mitunter der Eindruck, besonders aufschlussreiche Erzählungen finden oftmals vor oder nach dem ‚offiziellen‘ Interview statt. Vermutlich deshalb, da der unterschwellige Druck der ‚eigentlichen‘ Interviewsituation entfällt und die Befragten die Kommunikationsrahmung dann als entspannter erleben. In solchen Situationen wurde vermittelt, dass ein erneutes Einschalten des Aufnahmegerätes notwendig ist, da sämtliche Erzählungen der Befragten von hoher Bedeutung seien.
3.1 Erhebung
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Statt dem ‚Paarinterview‘ wurde gezielt das Einzelinterview gewählt. Gefragt war nicht das gemeinsame Schreiben einer Paargeschichte (auch befanden sich nicht alle Befragten in einer Paarbeziehung), der diskursive Aushandlungsprozess und/oder die Herstellung von ‚Konsensfiktionen‘ (Hahn 1983).76 Im Vordergrund der Interviews stand die extensive und ungestörte Entfaltung der individuellen biografischen Selbstthematisierung sowie die Konsistenz der Erzählung auf der Grundlage eines durch anwesende Beziehungspartner unbeeinflussten Antwortverhaltens. Hierdurch war gewährleistet, dass die für die Einzelnen besonders bedeutsamen Erzähl-Aspekte nicht durch Kompromiss-, Anpassungs- oder Tabuisierungsleistungen verschliffen oder verunmöglicht werden. Somit wurden ausschließlich einzelne Interviewpartner/innen befragt, mit der Konsequenz, dass der ‚signifikant Andere‘ im Paar (sofern er existierte) lediglich in Erzählungen, nicht aber als reale Person des Untersuchungssettings vorhanden ist. 3.1.7
Zur Altersstreuung in der Erzählperspektive
Die Altersstreuung der Befragten hat Auswirkungen auf die jeweilige biografische Erzählperspektive. Ein Generationenvergleich auf Grundlage homogener (Alters-) Erzählperspektiven wäre als Längsschnittstudie durchführbar gewesen. Dazu hätten Personen unterschiedlicher Geburtsjahrgänge über einen Zeitraum von etwa 40 Jahren in der immer gleichen Altersphase – beispielsweise dem 25. Lebensjahr – befragt werden müssen. Für eine solche Forschungskonstruktion würden jedoch nicht nur immense Ressourcen benötigt, auch ein anderes Problem hätte sich dann gestellt: Da sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Bewährungsproblematiken und Moratorien innerhalb der Jugendphase erheblich gewandelt haben, würde man infolge des Wandels des Lebenslaufregimes trotz gleicher Altersphasen ein unterschiedliches Durchschreiten von Statuspassagen antreffen. Während beispielsweise für 25-Jährige in den 50er und frühen 60er Jahren die Aufnahme einer Paarbeziehung – im Regelfall mit der Erwartung von Eheschließung und Familiengründung verbunden – den Normalfall darstellt, gilt dies für 25-Jährige in den 90er Jahren kaum noch in gleicher Weise. Die unterschiedliche Erfahrungsschichtung in den Erzählperspektiven bietet demgegenüber den konzeptionellen 76
Der Begriff Konsensfiktion entstammt einer empirischen Studie von Alois Hahn (1983) in kritischer Auseinandersetzung mit Berger und Kellner (1965). Hahn bezieht sich auf die Beobachtung häufiger Diskrepanzen innerhalb von Aushandlungsprozessen im Paar zwischen Deutungswirklichkeit einerseits und Handlungsergebnis andererseits. Darauf also, dass Wirklichkeitskonstruktion mitunter nicht „faktisch“ übereinstimmen, sondern eben lediglich auf Konsensfiktionen beruhen. Nicht unproblematisch scheint mir der Begriff jedoch in seinen Voraussetzungen: Er setzt eine Beobachterinstanz voraus, die zwischen Konsens-Fiktionen und Konsens-‚Realität‘ unterscheiden können müsste, was streng genommen nur wieder auf eine weitere Konsensfiktion (diesmal des Beobachters) rückverweist. Bruno Hildenbrand (2006) hat neuerdings den Begriff der „Dissensfiktion“ in Bezug auf die Stabilität von Paarbeziehungen stark gemacht.
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3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
Vorteil, dass – ganz im Sinne von Mannheims Generationskonzept – bei den älteren Jahrgängen aufgezeigt werden kann, wie das ursprünglich erworbene Deutungswissen im Altersverlauf transformiert wird (vgl. Abschnitt 5.5). Ein Generationenvergleich aus der Erzählperspektive von Gegenwartsdeutungen macht dennoch Überlegungen zum Lebenslaufstandort aller Befragten erforderlich. So sind die Angehörigen der Jahrgänge zwischen 1940 und 1950 zum Zeitpunkt der Interviews zwischen 54 bis 64 Jahre alt. In diesem Alter ist bereits die Lebensmitte überschritten, und vielfältige Erfahrungen und Entscheidungen in Bezug auf Liebe, Partnerschaft, Ehe und/oder Familie sind im Regelfall bereits erfolgt oder werden auf der Grundlage gesteigerter Lebenserfahrung nachträglich revidiert. Die Spanne der retrospektiven Vergegenwärtigung lebensgeschichtlicher Ereignisse hat bei ihnen die größte Ausdehnung. 60-Jährige sprechen daher anders als 40-Jährige oder noch Jüngere über ihr Leben und ihre Jugend in mindestens zweierlei Hinsicht: Zum einen gibt es eine andere Erfahrungssedimentierung, denn das Erlebte in der Jugend erfährt hier ein hohes Maß nachträglicher Rationalisierung. Auch die Erinnerungen sind stärker normativ überformt. Zum zweiten sind bestimmte Erlebnisschichten nicht mehr in gleicher Weise wie bei den Jüngeren kognitiv verfügbar oder teilweise subjektiv weniger relevant. Auch die zunehmende Realisierung der Endlichkeit des Lebens wird von dieser Altersgruppe anders reflektiert als von Personen jüngeren Alters. Die prägenden Erfahrungen des Lebens werden zudem stärker im Licht betrachtet, ob eine positive oder negative „Lebensbilanz“ gezogen werden kann. Durch die hohe Erfahrungsaufschichtung dieser Geburtsjahrgänge sind somit ganz spezifische Rationalisierungsleistungen des bereits Erlebten in Rechnung zu stellen. Die Angehörigen der mittleren Geburtsjahrgänge, von etwa Anfang der 50er Jahre bis Mitte der 60er Jahre, sind ebenfalls in einem Alter, wo die eigene Jugend schon weit zurückliegt. Im Unterschied zu den vorangegangenen Jahrgängen agieren diese Befragten aber noch aus ihrer Lebensmitte an der Schwelle zur zweiten Lebenshälfte bzw. ihrem zweiten Lebensdrittel heraus. Dort also, wo nicht zwangsläufig eine intensivere, qualitativ aber andere Auseinandersetzung mit den bisherigen Orientierungen stattfindet und alternative Lebensentscheidungen virulenter sind. Da der Lebensverlauf dagegen nicht mehr im gleichen Maße wie bei den Jüngsten des Samples – mit den Jahrgängen ab etwa Mitte der 60er Jahre bis Ende der 70er Jahre – auf einer offenen Struktur beruht, befinden sie sich in einem Alter, wo gerade die unmittelbaren Konsequenzen von Lebensentscheidungen während und nach der (Post-) Adoleszenz an der bisherigen Gegenwartsrealität gemessen werden. Zum Zeitpunkt der ersten Erhebungswelle sind diese Befragten zudem noch durchschnittlich sieben Jahre jünger. Dennoch herrscht das Bewusstsein vor, dass der Lebensverlauf bereits eine ausgedehnte Geschichtlichkeit angenommen hat und bestimmte Strukturen der Biografie nicht mehr revidierbar sind. Zwar trifft dies auch auf die ‚späten‘ Geburtsjahrgänge des Samples zu, hier liegt die Adoleszenzphase aber erst kurz zurück oder die Befragten befinden sich noch in der Postadoleszenz (vgl. hierzu Abschnitt 4.3). Bestimmte Individuierungsprozesse sind damit noch unabgeschlossen, gleichwohl existieren in aller Regel bereits Erfahrungen in Liebesbeziehungen und Partnerschaft.
3.2 Methode
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Zusammenfassung: Durch die Altersstreuung beruhen die Erzählungen auf unterschiedlichen Erfahrungsschichtungen. Allerdings fokussiert die Untersuchung nicht die Altersebene, sondern die Semantikebene. Da die älteren Befragten auf eine größere Lebensspanne narrativ Bezug nehmen, können dadurch einerseits auch jene Transformationen von Bedeutungen in der Biografie erschlossen werden, die sich im Verlauf des Lebens ergeben. Und mittels der Querschnittsperspektive wird andererseits Homogenität und Vergleichbarkeit erreicht, da die Erzählungen aller Jahrgänge vor dem Diskurshorizont der Jetztzeit stattfinden. Dadurch ist, wie bereits angesprochen, jene Schwierigkeit beim Vergleich vermieden, die Befragungen Gleichaltriger zu ganz unterschiedlichen Zeitepochen zur Folge hätte.
3.2
Methode
3.2.1
Komponenten einer wissenssoziologischen Deutungsmusteranalyse
Die Suche nach der generationsspezifischen Gebundenheit von Liebesdeutungen in biografischen Selbstthematisierungen legte die Wahl eines wissenssoziologischen Ansatzes nahe. Im Anschluss an grundlagentheoretische Überlegungen zu Wissenserwerb und Wissensvorrat bei Alfred Schütz (1974), Thomas Luckmann und Peter L. Berger (hier allein: Schütz/Luckmann 1994), sowie der konstruktivistischen Wende im sozialwissenschaftlichen Denken, geht es dabei um die Analyse jenes Wissens und Sinns, welches Verhalten im Alltag reguliert und für Handeln konstitutiv ist (vgl. Schröer 1997).77 Die jüngere Wissenssoziologie fragt daher grundsätzlich danach, wie sich ein bestimmter Vorrat von Wissen für das Subjekt zu Wirklichkeiten ausformt (vgl. Schneider/Hirseland 2005). Anknüpfend an Karl Mannheims (1980) Prämisse der ‚Seinsgebundenheit des Wissens‘ existiert jedoch kein archimedischer Punkt der Weltbetrachtung. Da jeglicher Wissensbezug somit lebensweltlich gebunden ist, hat jede Wissenssoziologie nach der Verankerung von Bewusstseinslagerungen in deren sozialhistorischer Lagerung zu fragen. In dieser, abseits der herkömmlichen ‚Mikro-Makro‘-Differenz zu verortenden, theoretischen Tradition steht der wissenssoziologische Deutungsmusteransatz (Meuser/Sackmann 1992), der der Materialarbeit dieser Untersuchung zugrunde liegt. Zentraler Bestandteil der Deutungsmusteranalyse ist die Untersuchung sozialer, d. h. kollektiver bzw. intersubjektiver Wissensformen. Deutungsmuster können als „Schemata der Erfahrungsaufordnung“ und damit als „Formkategorie gesellschaftlichen Wissens“ (ebd.: 16ff.) betrachtet werden. Ihre Stellung liegt im Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Handlungsproblemen und subjektiver Bewältigung. Dabei geht es nicht um ‚subjektive Intentionalität‘ von Individuen, sondern um 77
Zum Stand von „Sinnrekonstruktion“ innerhalb der deutschsprachigen Soziologie generell vgl. den „Report“ von Ronald Hitzler (2002).
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3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
das gesellschaftlich Allgemeine ihrer Deutungsleistungen.78 Die Deutungsmusteranalyse befasst sich daher mit der Rationalität von Handlungsorientierungen als ein Angelpunkt der ‚verstehenden Soziologie‘ (Schütz 1974; Weber 1980) überhaupt, wobei Rationalität hierbei im Anschluss an Habermas (1984) als Erwerb und sinngeleitete Verwendung von Wissen verstanden wird. Obwohl der Terminus Deutungsmuster bis dahin keine Neuschöpfung darstellte, ist er als empirisch-konzeptioneller Begriff zuerst in einem Manuskript von Ulrich Oevermann (2001a; ursprünglich 1973) ausgearbeitet, und erst jüngst von demselben systematisch neu betrachtet und modifiziert (Oevermann 2001b) worden. Oevermann greift Ludwig Wittgensteins (1989) Konzept der regelgeleiteten Sprachverwendung auf und erkennt im alltäglichen, regelgeleiteten Sprachgebrauch ein implizites und insofern diskursiv wenig zugängliches Regelwissen der Subjekte. Obwohl dieses Wissen implizit ist, erlaubt es jedoch, Urteile zur Struktur von Handlungsproblemen zu fällen und Lösungen zur Bewältigung derselben anzugeben, da es die Wahrnehmung von Problemfeldern überhaupt strukturiert, wie dies Meuser/ Sackmann (1992) pointieren. In seiner Ordnungsfunktion von Erfahrung hat dieses Wissen somit unmittelbaren Praxisbezug, es stellt praktisches Handeln, wenn auch nicht durchweg diskursiv verfügbares Bewusstsein darüber dar (ebd.).79 Die Rekonstruktion dieses Wissens ist die genuine Aufgabe der Deutungsmusteranalyse. 3.2.2
Deutung und Gedeutetes – Eine irreführende Dichotomie
Ein verbreitetes Missverständnis in Bezug auf die Prämissen des Deutungsmusteransatzes betrifft das Verhältnis zwischen Intentionalität und Objektivität. Deutungsmuster vermitteln zwar zwischen der gesellschaftlichen Systemebene und der Ebene sozialer Interaktionen. Eine Dichotomisierung zwischen ‚fester‘ Sozialstruktur und ‚weichen‘ sozialen Interaktionen bzw. Struktur/Handlung oder Mikro/Makro lehnt dieser Ansatz hingegen ab (Meuser 1992: 21). Vielmehr gilt: „Deutungsmuster treffen weder Aussagen über sozialstrukturelle Determinanten noch über subjektive Intentionalität. Die Kategorie des Deutungsmusters soll sowohl einen Determinismus der Erklärung sozialen Handelns aus sozialstrukturellen Zwängen als auch einen radikalen Situationismus vermeiden, der Situationsdefinitionen einer subjektiven Beliebigkeit anheim stellt“ (Lüders/Meuser 1997: 59). Auch lassen sich soziale Sachverhalte nicht kurzerhand ‚wegdeuten‘. Soziale Wirklichkeit löst sich nicht einfach in singulären Deutungen auf. Vielmehr liegt der 78
Meuser und Sackmann (1992) betrachten das Deutungsmusterkonzept zugleich als den Versuch, das heterogene Feld der Wissenssoziologie systematisch empirischer Forschung zugänglich zu machen. 79 Ganz ähnlich unterscheidet Anthony Giddens (1984: 91ff.) zwischen „diskursivem“ und „praktischem“ Bewusstsein. Mit praktischem Bewusstsein ist die Verfügung über Handlungswissen in sozialen Situation gemeint, welches den Handelnden jedoch nicht in gleichem Maße reflexiv zugänglich ist.
3.2 Methode
99
Realitätsstatus von Deutungsmustern fern jeder ontologischen Grundannahme. Eine hermetische Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und Deutung dieser Wirklichkeit wäre somit ein metaphysischer Fehlschluss. Allerdings verleitet der Alltagsbegriff „Deuten“ zur trügerischen Vorstellung, man habe es hierbei mit einer ‚erdachten‘ Wirklichkeit, gewissermaßen mit einer Realität aus zweiter Hand zu tun. Zwar können singuläre Deutungen vielfältig divergieren, und letztlich deutet auch das Subjekt seine Weltbezüge nicht immer in der gleichen Weise. Die Deutungsmusteranalyse ist hingegen nur an Kohärenz stiftenden Ensembles singulärer Deutungen interessiert. Bereits der Begriff ‚Muster‘ legt nahe, dass es nicht um partikulare Deutungen geht, sondern um Komplexe einer Reihe aufeinander weisender und sich zueinander verhaltener Interpretationen der Welt. Die Deutungsmusteranalyse steht dabei einerseits vor der Aufgabe, die Regelhaftigkeit dieser Muster vor dem Hintergrund von Kohäsion und Konsistenz (vgl. Oevermann 2001b: 38) zu entschlüsseln und auf der anderen Seite, nachzuvollziehen, auf welche intersubjektiven Handlungsprobleme diese Muster funktional Bezug nehmen (Meuser/Sackmann 1992). Die Deutungsmusteranalyse ist vor allem in zwei theoretischen Ansätzen angesiedelt: a) Im strukturtheoretischen Ansatz werden Deutungsmuster als Repräsentation einer generativen, soziales Handeln erzeugenden, Regelstruktur aufgefasst (Chomsky 1978, vgl. Oevermann 2001a). In der strukturalen Sichtweise gelten Handeln und Handelnde somit vorrangig als Derivate eigenmächtig sich reproduzierender Strukturen (vgl. unten). Diesem Ansatz lässt sich allerdings ein verkürzter Subjektbegriff vorhalten: Handlungen und Orientierungen des Subjekts realisieren sich hier lediglich auf der Grundlage bereits vorhandener, ‚objektiver‘ Sinnstrukturen (vgl. Arnold 1983: 905). Die emergente Qualität, die sich aus dem Verhältnis zwischen Wirklichkeitswahrnehmung und Wirklichkeitsverarbeitung ergeben kann, bleibt dabei weitgehend unberücksichtigt. b) Aus wissenstheoretischer bzw. interaktionistischer Perspektive existiert eine Dualität von Strukturen: Deutungsmuster gelten dabei als in Interaktionen ausgebildete Interpretationsmuster der Weltdeutung und Problemlösung, die entwicklungsoffen (Meuser/Sackmann 1992: 19) und damit historisch variabel sind. Um weiterhin den vielfach geäußerten Einwand der Vagheit des Deutungsmusterkonzeptes zu entkräften, sind terminologische Präzisierungen erforderlich: Deutungsmuster sind zunächst von der psychologischen Kategorie des ‚Bewusstseinsinhaltes‘ abzugrenzen. Zwar haben Deutungsakte fraglos mit Bewusstseinsinhalten zu tun, von Interesse ist jedoch nicht der psychisch-kognitive Gehalt dieser Akte. Vielmehr verfolgt der Deutungsmusteransatz in diesem Punkt eine entschieden soziologische, auf die Emergenz sozialer Interaktionen zielende Perspektive. Die subjektive Repräsentanz kollektiver Wissensvorräte wird damit nicht als psychischer Prozess, sondern als (Re-)Präsentation sozialen Sinns in den Blick genommen. Ähnlich unterscheidet sich der Deutungsmusterbegriff (trotz bestehender Überschnei-
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3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
dungen) von Interessenlagen, von Einstellungen und Meinungen und letztlich vom Begriff der Ideologie (vgl. hierzu Oevermann 2001a/b): Während Interessenslage eine klar benennbare Handlungsrationalität der Subjekte voraussetzt, haben Deutungsmuster demgegenüber einen primär latenten Status und sind dem reflexiven Bewusstsein der Individuen nicht unmittelbar zugänglich. Einstellungen (respektive ‚Einstellungsmuster‘) wiederum bezeichnen im Gegensatz zu Deutungsmustern primär affektiv wertende Begriffe, welche trotz der Tiefe ihrer Verankerung einen anderen Aspekt des Verhältnisses einer Praxis zu ihrer Welt betreffen (vgl. Oevermann 2001b: 42). Sie lassen sich vorrangig dem individuellen Bewusstsein zuordnen und benötigen insofern keine kollektive Verankerung. Auch wenn dies durch die alltagssprachliche Verwendung des Begriffes ‚Deutung‘ nahegelegt wird, stellen Deutungsmuster keine Annahmen oder Hypothesen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit dar: Man kann jemanden fragen, wie seine Einstellung in Bezug auf einen Gegenstand der Welt beschaffen sei, man kann hingegen nicht fragen, wie ‚sein Deutungsmuster‘ dazu aussehe. Deutungsmuster sind daher auch nicht wie Ideologien „quasi strategische Rechtfertigungen von objektiven Interessen“ (ebd.: 43), also Interessenspositionen. Ideologisches Interesse ist viel enger gefasst als ein Deutungsmuster, denn Ideologie bleibt beschränkt auf die „Funktion der Verteidigung einer Interessenslage oder der Manipulation von Realitätserkenntnis“ (ebd.). Weiterhin besteht eine methodologische Nähe der Deutungsmusteranalyse zur Rahmenanalyse in der Soziologie Erving Goffmans (1977). Deutung und Rahmung stellen beide Modi der Organisation von Wahrnehmung dar, die eine kollektive Dimension haben. Christian Lüders (1994) identifiziert daher eine konzeptionelle Gemeinsamkeit zwischen Rahmenanalyse und Deutungsmusteransatz in dem tiefenstrukturellen, latenten Status des jeweiligen Gegenstandsbereiches. In beiden Fällen geht es um eine Ordnung von Wissen im Sinne dessen, was als sinnvoll zu gelten habe, also um bedeutungskonstituierende Interpretationsschemata zur Organisation von Erfahrung. Eine enge methodologische Verwandtschaft von Deutung und dem Erzeugen situationsadäquater Rahmen besteht somit auch in ihrer Funktion zur Aufordnung von Erfahrung unter der Perspektive der Praxis sowie im Verzicht des Rückgriffs auf intentionale Bewusstseinsprozesse. Allerdings, so Lüders, ziele die Deutungsmusteranalyse vorwiegend auf eine generative Fallstruktur ab, die Rahmenanalyse sei demgegenüber eher um die Vielschichtigkeit und den Umgang mit Interpretationsschemata bemüht (ebd.). Wesentlich ist jedoch die Unterscheidung zwischen Deutungsmuster und Diskurs. Als wissenschaftlicher Terminus bezeichnet der Diskurs die sprachliche Realisation und Durchdringung von Erkenntnisprozessen als ‚Ordnung‘ von Wissen (vgl. Foucault 1974) und ist in diesem Punkt eng verwandt mit sozialen Deutungsmustern. Beim Diskursbegriff (vgl. Keller/Hirseland/Schneider/Viehöfer 2001) steht dagegen der Begriff der Ideologie weitaus stärker im Zentrum. Die Diskursanalyse ist zwar bestrebt, die interessensgebundenen Rationalisierungen und Idealisierungen von Sprechern aufzudecken, sie fokussiert jedoch weniger die (historisch-)genetische Verankerung sozialer Wissensordnungen. Im Kern stellen Deutungsmuster gegen-
3.2 Methode
101
über dem Diskursbegriff eine zu unterscheidende Kategorie von Geltungsbegründungen dar. Gleichwohl diskursiv vermittelt, sind Deutungsmuster in Kontrast zum Diskurs stärker an die sprachlich-symbolische Vermittlung der Aufordnung von Erfahrungsgehalten gekoppelt.80 Sie nehmen Bezug auf die Frage: Was ist die Situation, wie ist die Situation für mich beschaffen, wie kann ich auf die Situation reagieren? Die Deutungsmusteranalyse zielt daher primär auf die sinnstiftende Verbindung zwischen Handlungsaufforderung und Handlungsbewältigung. Hier gründet auch die strukturelle Differenz zwischen Deutungs- und ‚Handlungsmustern‘: Während Handlungsmuster gleichförmige Reaktionsweisen in interaktiven Prozessen bezeichnen, fokussiert die Deutungsmusteranalyse vornehmlich Formen der Erfahrungsordnung. Die kulturelle Persistenz sozialer Deutungsmuster wird daher unterschätzt, wenn Deutungen mit flüchtigen oder willkürlichen Willensakten gleichgesetzt werden. Vielmehr konstituieren Deutungsmuster Handlungspraxis, in dem durch ihre Ordnungsfunktion Realität erst geschaffen wird. Deutungsmuster ‚bilden‘ daher nicht Realität ab, Realität wird in ihnen erst manifest (vgl. Meuser/Sackmann 1992). Insofern sie für die jeweils identifizierten Problemlagen ein als gültig geltendes, mögliches Spektrum adäquater Handlungsformen angeben, sind sie in jedem Falle praxisrelevant (z. B. affektregulierend). Zusammenfassend: • Deutungsmuster reduzieren die Komplexität der Alltagserfahrung und ordnen die Lebenswelt in spezifische Schemata möglicher Praxisbewältigung. Die Frage, wie auf ein gegebenes Handlungsproblem reagiert werden kann, wird von den Individuen daher nicht jedes Mal vollständig von Beginn an ‚aufgerollt‘. Vielmehr wird zurückgegriffen auf ein bereits bestehendes, kulturell institutionalisiertes Repertoire kollektiv verbürgter Argumentationen, Erklärungen, Urteile und Legitimationen. Ein hohes Maß an Deutungsleistungen ist daher routinisiert und variiert in inhaltlicher Struktur je nach lebensweltlicher Verankerung. • Deutungsmuster sind intersubjektiv angewandte Schemata der Weltdeutung und damit interaktiv geteilte Wissensbestände. Die Rede von einem ‚subjektiven‘ Deutungsmuster ist so gesehen irreführend, denn Deutungsmuster konstituieren sich immer kollektiv. Als „Weltinterpretationen mit generativem Status“ (Oevermann 1973: 9) stehen sie in einem funktionalen Bezug zu objektiven Handlungsproblemen und sind somit immer handlungsrelevant (vgl. Plaß/Schetsche 2001).81 80
Gerade jüngst hat eine intensivere Beschäftigung mit den methodologischen Verbindungslinien zwischen Diskurs, Biografie und Wissen (und im weiteren Sinne des darin enthaltenen Stellenwertes der Begriffe Erfahrung und Subjektivität) eingesetzt, um die jeweiligen Konzepte sozialer Wirklichkeit stärker für die Empirie und für einen Begriff sozialer Praxis verschränken und fruchtbar machen zu können. Die hierzu notwendige Diskussionsbreite kann und soll an dieser Stelle nicht entwickelt werden. Exemplarisch sei verwiesen auf die Bände von Völter/Dausien/Lutz/Rosenthal (2005) und Keller/Hirseland/Schneider/Viehöver (2005). 81 Insofern verwundert es, wenn Plaß und Schetsche (2001) an anderer Stelle dafür plädieren, die Deutungsmusteranalyse primär auf Dokumentenanalysen anzuwenden, das Interview als Materialgattung dazu hingegen als ‚unzugänglich‘ ausweisen.
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3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
• Deutungsmuster stellen mit dem Status relativer Autonomie eine eigene Ebene sozialer Realität dar (Meuser/Sackmann 1992). Sie haben zugleich eine Kulturgeschichte: Als Mittler ‚inkorporierter‘ gesellschaftlicher Erfahrung stehen sie immer im Kontext spezifischer sozialer und historischer Lagen. 3.2.3
Zur Emergenz sozialer Deutungsmuster
Folgt man Überlegungen von Meuser/Sackmann (1992), fehlt es bislang an einer befriedigenden Lösung des generativen Status von Deutungsmustern (ebd.: 16ff.; vgl. Oevermann et al. 1973: 9). Gerade an Oevermanns Ausformung des Begriffs bemängeln die Autoren die marginalisierte Zeitdimension. Ähnlich wie Pierre Bourdieus (1987) Begriff des Habitus blende dabei generell Oevermanns Strukturbegriff die Zeitdimension entweder aus oder lasse sie erst gar nicht zu. Vielmehr tauche sie dort lediglich als „Epiphänomen der Struktur“ auf (Meuser/Sackmann 1992). Obwohl Oevermann (2001b) in der Neubetrachtung seines eigenen frühen Aufsatzes genau diesen Sachverhalt aufgreift und Deutungsmuster als „historisch-epochale Gebilde“ [ebd.: 38ff.]) bezeichnet, ist kritisch an einer streng strukturalistischen Fassung des Deutungsmusterbegriffs anzusetzen. Oevermann stellt subjektive Repräsentanz (der ‚gesagte‘ Sinn) zu unversöhnlich ‚objektiven‘ bzw. ‚latenten Sinnstrukturen‘ (Oevermann 1988, 1996) als eigene Realitätsebene gegenüber.82 Während Oevermanns frühere Schriften den Eindruck nahe legen, sein Strukturbegriff schließe den geschichtlichen Prozess faktisch aus, betont er in seiner späteren Bewertung des Deutungsmusterkonzeptes (Oevermann 2001b) zwar die Entwicklungsoffenheit (vgl. Meuser 1992) sozialer Deutungsmuster. Eine Perspektive, die Handeln überwiegend oder vollständig unter den Einfluss von Strukturen setzt, verstellt aber den 82
Daher ist auch an der Objektiven Hermeneutik häufig ein zu starrer Strukturbegriff bemängelt worden. Zu fragen ist zudem, ob Oevermanns Dichotomisierung von ‚subjektivem‘ Sinn einerseits, und ‚latentem‘ Sinn als eigene Realitätsebene andererseits unbedingt greift. Kritisch gegenüber den Prämissen der Objektiven Hermeneutik vgl. auch Bude (1982): Eine „verborgene Ontologie des Textmodells“ (ebd.: 138) in Oevermanns Konzeption, so Bude, stelle das Subjekt gänzlich autonomen, objektiven Strukturgesetzlichkeiten gegenüber und die „transformatorische Kraft von Handlungssystemen“ (ebd.: 139) werde dabei unterschlagen. Ähnlich attestiert Jo Reichertz (1988) dem Textmodell der Objektiven Hermeneutik eine heimliche ‚Metaphysik der Strukturen‘ (eingehend auch Hitzler 2002). Allerdings setzt Oevermann (2001b: 39) den Deutungsmusterbegriff ausdrücklich vom Konzept der ‚latenten Sinnstruktur‘– als einer zentralen Operationskategorie der Objektiven Hermeneutik – ab. Der Begriff der latenten Sinnstruktur, so Oevermann, sei ausschließlich methodologisch orientiert und bezeichne konstitutionstheoretisch die „objektive Sinnstrukturiertheit“ (ebd.) der Welt. Er beziehe sich somit auf eine strukturalistische Grundposition. Demgegenüber sei der Deutungsmusterbegriff gegenstandstheoretisch zu verstehen, er bezeichne spezifische Gegenstände in der erfahrbaren, sinnstrukturierten Lebenswelt und damit „spezifische Strukturen in der Konstitution von Erfahrung und in der kognitiven Erfassung von Welt“ (ebd.: 40).
3.2 Methode
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Blick auf die schöpferischen Gehalte sozialer Interaktionen und damit auf das Subjekt als Instanz einer produktiven Auseinandersetzung mit kulturellen Vorgaben. Dazu folgende Erörterung: Im methodologischen Paradigma der ‚verstehenden Soziologie‘ (Schütz 1974, Weber 1980) konstituiert sich die Welt der Subjekte durch alle diejenigen Sinnzuschreibungen, die diese darin selbst als geltend betrachten. Sie resultieren somit aus dem gesamten Repertoire sozialer Interaktionen, an denen diese teilnehmen. Sie erschöpfen sich aber nicht darin. Die Subjekte nehmen in ihrer Weltinterpretation immer schon Anleihen an bereits vorgegebenen gesellschaftlichen Deutungsvorgaben, die ohne ihr Zutun gegeben sind; die gewissermaßen aus Interaktionstraditionen hervorgehen, an denen sie selbst nicht partizipiert haben. Die Einzelnen wachsen somit in eine durch bestehende Deutungsschemata bereits vorstrukturierte Welt hinein. Eine überzogen deterministische Vorstellung des Sozialisationsprozesses würde aber den Blick auf das Subjekt als produktiven, schöpferischen Akteur verstellen, der vorgegebene Weltdeutungen, gebrochen durch eigene Erfahrungen, immer auch modifiziert und umdeutet. Die Einzelnen stehen gerade vor der Aufgabe, ihre Deutungen situativ anzuwenden, z. B. zu überprüfen, ob die Lösungsofferten der Gesellschaft den eigenen Problemdefinitionen gerecht werden. Sie sind quasi unentrinnbar an eine spezifische historische Situation gebunden, reagieren auf diese aber zugleich durch Anpassung und/oder Umdeutung. Gewissermaßen agieren sie also als Träger prädisponierter Weltdeutungen und als autonome Akteure zugleich. Dem Generationskonzept von Mannheim lässt sich hierzu eine schlüssige Begründung entnehmen: Unterschiedliche Geburtsjahrgänge wachsen nicht einfach nur in andere historische Zeitrahmen hinein. Im Spiegel der jeweiligen, altersphasenspezifisch abhängigen Anforderungen, mit der sie diese Zeitrahmen wahrnehmen, bedeutet ihnen diese Zeit jeweils etwas anderes als früher geborenen Personen. Dies wird im anschließenden Kapitel eingehender entwickelt. Generation: Modus des Wandels kollektiver Deutungen Dem Problem der vernachlässigten Zeitdimension bei einem starren Strukturbegriff entgeht die vorliegende Untersuchung durch die Verknüpfung von Deutungsmusteransatz und dem ‚historischen‘ Generationskonzept, dass gerade die geschichtliche Emergenz kollektiver Orientierungen adressiert. Mit dem von Mannheim geprägten, wissenssoziologischen Generationsbegriff, können soziale Deutungsmuster als zeitgeschichtlich transformierbare Gebilde gedacht werden, da sie an Erfahrungsgehalte konkreter Akteure rückgebunden bleiben. Aus dieser Perspektive etablieren sich neue kollektive Deutungsmuster, wenn sie von bestimmten Geburtsjahrgängen als Bezugs- und Orientierungsgröße, d. h. als Antwort auf als gegeben gesehene Handlungsprobleme besonders überzeugen. Dies schließt konkurrierende Deutungsmuster in der gleichen Zeit keineswegs aus. Für bestimmte Probleminterpretationen bewähren sich jedoch gewisse Deutungsmuster und können damit dominant für eine Generation werden. Ist dies der Fall, kann es auch zu abwertenden, ablehnenden
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3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
oder gar verleugnenden Tendenzen seitens unterschiedlicher Generationseinheiten kommen. Generationsspezifische Deutungsmuster sind aber dann konsistent, wenn ihre formgebenden Inhalte strukturgebend werden. Gleichwohl können Deutungsmuster in Bezug auf den Wandel eines ursprünglichen Problemhorizontes auch resistent sein. Entwickelt sich diese Resistenz hingegen zu ‚festgefrorenen Verhältnissen‘, d. h. zu einem kollektiv wahrgenommenen Anachronismus zwischen überkommenen Deutungsangeboten und neu gedeuteter Problemstellung, beschleunigt sich die Entwertung überkommener Deutungsofferten. Zum Wandel von Deutungsmustern konstatieren Meuser/Sackmann (1992) daher: „Die Emergenz neuer Deutungsmuster geschieht in Reaktion auf Umbruch- und Krisensituationen, in denen die Reproduktion des Selbstverständlichen zunehmend weniger Handlungssicherheit – und Erfolg gewährleistet. Die in solchen Situationen notwendig erhöhte lebensweltliche Reflexivität sorgt für zumindest zeitweise Manifestheit von Deutungsmustern. Im Zuge der Routinisierung mag jene wieder in Latenz ‚absinken‘. Für eine synchronisch ansetzende Deutungsmusteranalyse stellen Umbruchs- und Krisensituationen ideale Forschungsgelegenheiten dar. Denn mit der Herausbildung des Neuen geht eine von dessen ‚Protagonisten‘ geführte Auseinandersetzung mit dem alten einher, aus der heraus das Neue transformatorisch sich entwickeln muss“ (ebd.: 21).
Insofern ist beim Einlernen in den institutionalisierten Wissensvorrat einer Gesellschaft der historische Überhang der Deutungsmuster älterer Kollektive zuerst prägend. So knüpft auch die ‚Liebe‘ neu deutende Jugend mit ihrer Schematisierung eigener Erfahrung an kulturelle Offerten an, die bereits eine über ihre eigenen Biografien hinausgehende Geschichtlichkeit besitzen. Die Leitvorgaben der Älteren werden von den Jüngeren zwar zunächst aufgegriffen, letztlich aber eigenen Probleminterpretationen unterzogen und gegebenenfalls modifiziert oder verworfen. Im Prozess der Überprüfung überlieferter Lebensrezepte können somit neuartige kollektive Situationsdefinitionen entstehen, alte hingegen auslaufen oder gänzlich verschwinden. Je dichter solche Prozesse kollektiv verlaufen, um so stärker kann von einem Generationenbruch gesprochen werden. Der Generationswandel ist daher nicht Ausdruck einer arithmetisch messbaren Abfolge von Geburtskohorten, sondern Ergebnis kollektiver Neudefinition von Problemstellungen. Sofern würde mit der vollständigen Anpassung der Deutungsmuster einer Geburtsjahrgangslagerung an bereits bestehende keine Generationsbildung stattfinden (vgl. auch Corsten 2001b: 479). Im Verlauf der Geschichte der Bundesrepublik existieren jedoch, so das Ergebnis dieser Untersuchung, in Bezug auf kollektive Problemdefinitionen in der Liebe bestimmte historische Bruchstellen und Scheidepunkte. Nicht selten stehen Gruppen der kulturellen Avantgarde am Beginn solcher Entwicklungen. Häufig sind gerade sie die Anzeiger von Generationsspannungen und sozialer Trendwenden. Insbesondere reagieren bestimmte Altersgruppen auf soziale Veränderungen besonders deutlich, d. h. Jugendliche und junge Erwachsene, vor allem solche mit höherer Bildung. Man kann sagen, die durch Individuierungsaufgaben sensibilisierte Jugend verfügt über ein besonderes Gespür darüber, ob
3.2 Methode
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das hegemoniale Rezeptwissen der offiziellen Gesellschaft noch praktisch trägt oder bereits revisionsbedürftig geworden ist. Bestimmte Jugendmilieus werden dann, wenn man so will, zu den eigentlichen ‚Generatoren‘ einer Generation. Dies trifft besonders dann zu, wenn die Radikalität ihrer neuartigen Problemdefinitionen (und im weiteren Sinne auch ihre Alltagspraxen) mit einer kollektiven Befindlichkeit der Gesellschaft zusammenfällt. Wenn sie also – im Regelfall unbewusst – Stimmungslagen vieler anderer mediatisieren. Im folgenden Exkurs soll ein solcher vergleichsweise ‚radikaler‘ Umbruch in der (Be-)Deutung der Liebe illustriert werden. 3.2.4
Exkurs: Das Deutungsmuster Liebe im Spiegel eines Befreiungstheorems; oder: Sexuelle Revolution und die Fiktion des ‚entsublimierten Ichs’
Ein instruktives historisches Beispiel für die mitunter sehr rasche und vehemente Umwälzung kollektiver Problemdefinitionen im Bereich persönlicher Nahbeziehungen ist mit dem Etikett ‚68er-Generation‘ verbunden. Mehr als lediglich für eine erhitzte Studentenbewegung steht das historische Datum 1968 für einen kulturellen Wandel in der alten Bundesrepublik, der das Selbstverständnis der Gesellschaft insgesamt geprägt hat. Was bedeutet das für das Muster Liebe? Die bürgerlichen Leitideale geraten – insbesondere bei bestimmten subkulturellen Gruppierungen – Ende der 60er Jahre gewissermaßen in eine Krise: Von der Illustrierten Der Stern (1968, Ausgabe 18) wurde der für beißende Kommentare ohnehin bekannte Kommunarde Fritz Teufel gefragt, wie sich die Anpassung an das Kommunenleben auswirke, im Falle, er sei in eine Frau verliebt: „Würden Sie Ihrer Liebe damit nicht gewaltsam etwas nehmen? Hm, sagte Teufel. Vielleicht. Aber möglicherweise würde die Liebe nur das verlieren, was ohnehin nicht gut an ihr ist“. Das anekdotische Beispiel führt vor, wie die romantische Liebe zur kulturellen Negativbestimmung gerät, wie sie quasi der Entmythologisierung preisgegeben wird. Dass der Schlagersänger Roy Black mit dem Schlager „Ganz in weiß“ – eine Hommage an die konventionelle bürgerliche Hochzeit – etwa zeitgleich immensen kommerziellen Erfolg erzielte (vgl. oben), steht dazu keineswegs in Widerspruch. Es zeigt lediglich auf, dass eine Generationsgestalt immer ein Konglomerat unterschiedlicher Subströmungen darstellt. Vermutlich repräsentiert „Ganz in weiß“ zudem genau dieses ‚Ungute‘, was Fritz Teufel an der Liebe verlieren wollte. Als Generationsavantgarde tritt die Studentenbewegung nun stellvertretend für eine grundsätzliche Kritik an der bürgerlichen Familie auf, in dem sie „gegen die sich dort immer wieder vollziehende Privatisierung gesellschaftlich bedingter Konflikte“ (Kuhn/Kohser-Spohn: 510) aufbegehrte. Ehe und Familie werden als Orte der Entfremdung und Verblendung des gesellschaftlichen Subjekts identifiziert und die Liebe als ideologiebelastete Antwort auf ein Problem (ab-)gewertet, welches die Kultur der kapitalistischen Produktionsweise selbst geschaffen habe. Ehe, Klein-
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3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
familie und Gegenwartssexualität gelten fortan als repressiv und herrschaftsstabilisierend.83 Indem zwischen einer unmittelbaren, und einer der kapitalistischen Warenästhetik zugeschriebenen Sinnlichkeit unterschieden wurde, sensibilisierte protagonistisch Herbert Marcuse (1970) die Studentenbewegten dafür, dass Liebe in einer entfremdenden kapitalistischen Gesellschaft dem Marktgesetz der Tauschbeziehungen folge und ließ damit ahnen: Es gibt keine glückliche Liebe in einer unglücklichen Welt. Das von Vertretern und Anhängern der Kritischen Theorie weiterentwickelte, historisch-materialistische Denkmodell, entwarf mit der Forderung nach einer Freisetzung des Sexuellen hingegen auch ein nicht-entfremdetes Vorstellungsbild der Liebe. Hierzu wurde an die (bereits auf das 19. Jahrhundert zurückgehende; vgl. Kuhn/Kohser-Spohn 2001) und durch die nationalsozialistische Familienideologie jäh unterbrochene Ehekritik der zwanziger Jahre angeknüpft. Erst eine von bürgerlichen Zwängen und Tabus entfesselte Sexualität, so war bei Wilhelm Reich (1966, urspr. 1936) schon in den 30er Jahren zu lesen, bereite den Weg zum ‚befreiten Ich‘ und zu wahrhaftiger Liebe.84 Dies entsprach nun genau der umgekehrten Logik des Liebesleitbildes der Elterngeneration der 68er, wonach erst erfüllte Liebe zu erfüllter Sexualität führe. Nachdem das Mythologem der Mann und Frau komplementär und praktisch aneinanderschmiegender Nachkriegsnot junge Menschen der angesprochenen Gruppen in den 60er Jahren zunehmend weniger überzeugte, wurde die ungebändigte Liebe, ein Topos progressiver Kreise der 20er Jahre, wieder aufgenommen. Diese Liebesidee stützte sich auch über psychoanalytische Erklärungsmuster ab, beispielsweise durch Erich Fromms und Wilhelm Reichs sexualökonomische und sozialpsychologische Theorien im Kontext der Autoritarismuskritik der Frankfurter Schule, wo der Faschismus in der Zeit der Eltern als eine Form unterdrückter Sexualität diskutiert wurde (vgl. Reters 1997). Die Bewohner/innen der Berliner Kommune I stellten gewissermaßen die popkulturelle Version dieses neuen Denkens in den intimen Beziehungen dar. Damit waren sie zugleich Projektionsfolie für die bürgerliche Öffentlichkeit. Die von der Kommune I praktizierte „programmatische Promiskuität“ (Schenk 1987: 196) berief sich auf Wilhelm Reichs (1966) Diagnose vom „repressiven Charakter bürgerlicher Zwangsehen“ und seiner, politischer Utopie verpflichteten, Befreiungsfiktion der ‚Sexuellen Revolution‘. Mit dem Ziel, Sexualität zu ‚entsublimieren‘, wie dies Her83
Stellvertretend analysierte das frühere SDS-Mitglied und späterer Psychoanalytiker Reimut Reiche (1968) die Mechanismen der Herrschaftssicherung im Spätkapitalismus als eine „systemkongruente Zurichtung der gesamten Sexualsphäre, die Reduzierung der Sexualität auf die Warenform und ihre Funktionalisierung zum Objekt des Konsums, die Enterotisierung des Körpers, die Scheinsexualisierung der menschlichen Beziehungen“ (ebd.: 109). 84 In seiner Diskurstheorie lehnte Michel Foucault (1979) die Repressionshypothese der Sexualität ganz ab: ‚Befreite‘ Sexualität zu postulieren, übersehe die Dispositive der Diskursivierung selbst, wonach Sexualität erst als ‚diskursive Tatsache‘ der Moderne mit der Semantik des Geheimnisses und der Unterdrückung befrachtet werden konnte (ebd.: 27 ff.).
3.2 Methode
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bert Marcuse (1970) forderte, wurde der Sex als subversives Mittel politischer Befreiung instrumentalisiert. So minoritär diese Splittergruppe ihrer Generationslagerung als quantitative Größe gewesen sein mag, so impulsgebend war ihr Aktionismus andererseits für die öffentliche Wahrnehmung. Der Generationstheoretiker Julius Petersen (1930) steuert für dieses grundsätzliche Phänomen eine konzeptionelle Erklärung bei: „In jeder Generation mögen die verschiedenen Typen in der gleichen Mischung vorhanden sein, aber einem bestimmten Typus ist es vorbehalten, zur Zeit seines Hervortretens in eine gespannte Zeitlage hinein das zündende Wort zu schleudern, das als Gebot der Stunde, als eine neue Parole, die junge Generation einigt“ (ebd.: 40).85 Die durch und über diese Gruppen erlangte immense mediale Publizität katalysierte offenkundig eine generell bestehende kulturelle Befindlichkeit in dieser Zeit. Vor allem war sie Ausdruck einer schwelenden Unzufriedenheit der jungen Generation, der es bis dorthin auferlegt war, Chancen für Intimität immer im Spiegel restaurativer Nachkriegsmoral wahrzunehmen. Die Suche dieser Jugend nach eigenen Passungsformen entfaltet sich daher zunächst entlang der Thematisierung kultureller Defizite: So stand die von der zweiten Frauenbewegung ab Ende der 60er Jahre angestoßene feministische Kritik an der herrschenden Geschlechterordnung vor allem unter dem Anspruch, während der Nachkriegszeit zur Natur erhobene Weiblichkeitsmythen zu entlarven. Angeklagt wurde eine defizitäre Autonomie im Liebesleben von Frauen (vgl. Baackmann 1995). Das Gelingen der Liebe sollte sich fortan nicht nur am Maßstab einer gleichberechtigten sexuellen Erfüllung beider Geschlechter messen können, auch die heterosexuelle Ordnung des Paares schlechthin gerät als ‚Zwangskorsett‘ der Liebe ins Visier. Mit den Worten von Ulrich Clement (1986), aus dessen Vergleichsstudie jugendlicher Sexualität, vollzog sich gewissermaßen eine Außerkraftsetzung des Bildes vom ‚Trieb-Moral-Konflikt‘ der 50er Jahre mithilfe seiner Umkehrung: Das moralische Motiv bleibt erhalten, die Autorität der Konvention wird aber subversiv gewendet zugunsten des ‚Du sollst‘-Motivs. In der vertikalen Werthierarchie des patriarchalischen Geschlechtermodells hinterlässt das zunächst noch wenig Spuren in der Alltagspraxis. So kam auch erst aus der zweiten Frauenbewegung der Impuls, dem Modell der sexuellen Befreiung ein einseitig männliches Gewicht nachzuweisen (vgl. Schenk 1987: 199f.).86 Das Gemeinsame an dem neuen jugendlichen Reflex besteht aber nicht allein in der Attitüde des inszenierten Tabubruchs, den sich letztlich auch nicht alle, wenn 85
Im „Manifest“ der nur wenige Jahre später gegründeten ‚Kommune zwei‘ (1971) kündigt sich bereits ein Wandel von Hintergrundsüberzeugungen ab, wie der ‚falschen‘ Gesellschaft zu begegnen sei: Ebenfalls bestrebt, die traditionelle Ehe- und Familienordnung aufzubrechen, wird statt der Destruktion des Bestehenden nun jedoch reformistisch propagiert, dieser Gesellschaft alternative Lebensentwürfe vorzuleben, getragen von der Hoffnung des guten Beispiels. 86 Vgl. hierzu die Reaktionen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) auf die in diesen Reihen von Gretchen Dutschke-Klotz (1998) vorgebrachte Kritik zu den Geschlechterrollenbildern innerhalb der Studentenbewegung. Dazu auch Kätzel (2002).
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3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
überhaupt viele, zu eigen machten.87 Vielmehr setzt sich unterschwellig ein Imperativ durch, wonach jedes Handeln nun auch „durch ein Gefühl gerechtfertigt“ sein, und einem „Gehorchen der inneren Stimme“ (Bude 1995: 62f.) – als Garant der Authentizität des Selbst – folgen solle. Ralph L. Turner (1976) geht für Ende der 60er Jahre daher von der kollektiven Empfindung eines ‚verhinderten Subjekts‘ aus: Der Einzelne könne ein Gefühl seines wahren Selbst nicht finden, was „nicht als persönliches Unglück, sondern als gesellschaftliches Unrecht empfunden“ (Bude 1995: 59ff.) werde: „Das wahre Selbst“ versteht sich, so die Formel von Ralph H. Turner, nicht mehr „institutionell“, sondern „impulsiv“ (ebd.).88 Es setzt sich eine versozialwissenschaftlichte Selbst- und Weltwahrnehmung durch: „Daher das steigende Interesse an den Formen eines sozial legitimierten Sprechens über Intimes und Verborgenes, daher der populäre Erfolg der Psychoanalyse nach 1968“ (Bude 1995: 63). Die konservativen Kräfte der Gegenwartszeit dieser Jugend waren geschwächt, das von der Jugend getragene neue Deutungsmuster der Intimität konnte sich zumindest als legitime Forderung etablieren, was aufzeigt, wie brüchig die Legitimationsbasis des alten Wertesystems bereits war. Weniger in der Liberalisierung des Sexuellen und in den hervorgebrachten Gesellschaftsutopien, als vielmehr in der ‚Emotionalisierung individueller Weltverhältnisse‘ (ebd.)89 sowie dem Versuch des Aufbrechens der traditionellen Geschlechterordnung scheint die generationsstiftende historische Zäsur zu liegen, die mit der 68er-Genera87
In einem instruktiven Vergleich der Halbstarkenbewegung 1958 und der Studentenbewegten 1968 – als „eine Generation und zwei Rebellionen“ – rechnet Marina Fischer-Kowalski (1983) den ‚Halbstarken‘ eine avantgardistische Rolle zur Artikulation des Unbehagens an den Intimitätsnormen der unmittelbaren Nachkriegszeit zu, zugleich aber auch das Fehlen einer „verbale[n] Selbstreflexion auf einer individuellen wie kollektiven Ebene“ (ebd. 63). Sie zieht das Fazit, die Studentenbewegten führten „reflexiv“ weiter, was bereits zehn Jahre zuvor kollektiv unterschwellig angelegt gewesen sei: „Was die Halbstarken in Handeln ausgedrückt hatten, agierten die Studenten dann auf einer verbalen, theoretischen Ebene aus. Das – wie immer beschränkte – Maß an sexueller Freiheit der Halbstarken wurde dann als Forderung nach sexueller Befreiung artikuliert, durch Mittelklassejugendliche, die auf der Ebene ihrer Erfahrungen gegenüber ihren Unterschichtkollegen gewiß retardiert waren“ (ebd.: 64). 88 Das wirkte sich auch auf die Sexualaufklärung aus: Im seinerzeit provokanten AufklärungsBestseller „Sexfront“ (1970) proklamiert der Soziologe und Psychotherapeut Günter Amendt noch, dass „nur Menschen, die in ihrer Kindheit bis zu einem gewissen Grad kaputtgemacht wurden, überhaupt bereit und fähig seien, eine Ehe einzugehen“, insofern der „Ehevertrag einer freiwilligen Amputation sexueller Bedürfnisse“ gleichkomme (ebd.: 18). In der gut zwanzig Jahre später erschienenen Neuauflage „Sex Buch“ (1996) heißt es bereits lapidarer: „Ehe oder nicht Ehe ist nicht die Frage. Welche Vorstellungen man über eine Liebesbeziehung hat, wie man sich sieht und wie man den andern oder die andere in dieser Beziehung sieht, das ist die Frage“ (ebd.: 232). 89 Dies spiegelt auch die historisch jeweils geltende ‚Gesundheits-Semantik‘ wider: Beispielsweise plant die Weltgesundheitsorganisation ‚WHO‘ derzeit, gesteigerte Eifersucht als psychosomatische Krankheit anzuerkennen.
3.2 Methode
109
tion in Gang kam. Das Infragestellen bis dahin geltender Ordnungen des privaten Lebens seit der Nachkriegszeit setzt sich daher besonders stark mit einer durch diese Jugend hervorgebrachten neuen ‚Ich’-Semantik in der Geschichte der Bundesrepublik durch. Und das auch, obwohl der utopische Charakter des der Idee der ‚Sexuellen Revolution‘ zugrundeliegenden Befreiungs-Theorems einem Begriff vom lebenspraktisch konstitutiven Realitäts-Ich in Liebe und Intimität schuldig geblieben ist (Corsten 2001b, vgl. Herma 2001). Nach diesem historischen Exkurs zur kollektiven Umdeutung von Handlungsproblemen in der Liebe (eigentlich: der Infragestellung des Musters romantische Liebe überhaupt) wird im Folgenden mit konzeptionellen und methodischen Ausführungen fortgefahren. Hierzu wird zunächst in Abschnitt 3.2.5 auf den Begriff der narrativen Konstruktion von Identität, und anschließend in Abschnitt 3.3 auf das Auswertungsverfahren dieser Untersuchung eingegangen. 3.2.5
Die narrative Konstruktion von Identität
Der Identitätsbegriff spielt eine wichtige Rolle für die Untersuchungsfrage. Selbstthematisierungen produzieren vor allem Identitätskonstruktionen. Im Mittelpunkt darf daher kein substantialistischer, sondern muss ein narrativer Begriff von Identität stehen (vgl. Kraus 2000): Wenn Menschen über sich selbst erzählen, stellen sie dar, wie es zu Ereignissen und Erlebnissen kam, warum sie so geworden sind und nicht anders, in einer bestimmten Weise entschieden und gehandelt haben, und warum Dinge in ihrem Leben geglückt oder eben nicht geglückt sind. Das Zustandekommen der eigenen Biografie wird erklärt und begründet. Das Subjekt setzt sich in ein Verhältnis zu sich selbst und zugleich das eigene geschichtliche Gewordensein in ein Verhältnis zur Welt. Dabei wird eine sinnstiftende Ordnung von Ereignissen hergestellt, auch wenn diese Ordnung nicht der Ordnung des tatsächlich Erlebten entspricht (Corsten 1994). Die Konstruktion der zeitlichen Ordnung in der Biografie, die Verbindung zwischen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen, wird daher grundsätzlich narrativ gestiftet (Lucius-Hoene/Deppermann 2002). Der Begriff der ‚narrativen Identität‘ entstammt Paul Ricoeurs (1991) hermeneutischer ‚Theorie des Narrativen‘, und wird von ihm in Band III von „Zeit und Erzählung“ eingeführt. Ausgehend von der Frage, wie wir wissen können, was Zeit ist, zielt Ricoeur auf die gegebenen Kulturtechniken, dies zu bestimmen, und kommt zum Schluss, dass es keine aporienfreie Geschichtsschreibung gebe. Jede Wirklichkeitsbeschreibung sei vielmehr narrativ vermittelt, wodurch in das Zentrum der biografietheoretisch orientierten Erzählanalyse notwendig das Prinzip der Kohärenzbildung rückt. Der Kohärenz-Begriff steht zwar auch in der postmodernistischen Kritik (vgl. eingehend Kraus 2000), in einer engen Fassung geht es hierbei hingegen allein um die sinnhafte Verknüpfung verschiedener Größen der Sinnbezugnahme in Erzählungen, die sich zwischen Textteilen oder ihrer Gesamtstruktur offenbaren kann (LuciusHoene/Deppermann 2002: 56ff.). In der Analyse zählt dabei nicht die Struktur der Lebensgeschichte im Sinne des Ablaufs ‚realer‘ Ereignisse, sondern jene sinnsetzenden Prozesse, mittels derer diese Realität symbolisch repräsentiert wird (vgl. Alheit/Dau-
110
3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
sien 2000). Was erzählt wird, stellt das ‚Hier und Jetzt‘ der sich vollziehenden Identität dar: „Damit verliert die Frage nach der Validität biografischen Erinnerns oder die Authentizität des Erzählten als Wiedergabe vergangener Erfahrungsaufschichtung an Bedeutung“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2002: 10). Die Wirklichkeit der narrativen Identität liegt daher primär im ‚Eigensinn‘ der Befragten, weniger in einem „privilegierten Zugang zu Identität als substantiellem, transsituativem Gebilde“ (ebd.: 11). Identität wird in der Untersuchung insofern als sprachlich-symbolisch konstituierter Prozess bzw. als eine bestimmte Form diskursiver Praxis (Corsten 1999: 260f) betrachtet.90 Der Erwerb narrativer Muster zur Versprachlichung von Erfahrung ist somit immer ein Aspekt der ‚Seinsgebundenheit‘ (Mannheim, vgl. oben) des Wissens und indexikal für einen konjunktiven Erfahrungsraum. Insofern sich sprachliche Handlungen in Interviewprotokollen manifestieren, eröffnet sich genau hier der empirische Zugang zur Rekonstruktion sozialer Deutungsmuster.
3.3
Auswertung
3.3.1
Interpretative Materialanalyse
Bevor in Abschnitt 3.3.2 der Stellenwert von Einzelfallstudien, in Abschnitt 3.3.3 die Verfahrensschritte und in Abschnitt 3.3.4 der vorab der Materialarbeit erstellte, allgemeine Interpretationsrahmen sowie die Vorgehensweise zur Typenbildung erläutert werden, wird in diesem Abschnitt auf das interpretative Vorgehen eingegangen. Einige der bereits in den vorangegangenen Abschnitten genannten Argumente werden dabei zusammengefasst. Abschließend bildet das Schaubild II die Datenauswahl in einer tabellarischen Übersicht ab. In den vorangegangenen Abschnitten wurde verdeutlicht, dass sich aufgrund des impliziten Charakters sozialen Wissens standardisierte Verfahren nicht zur Analyse von Deutungsmustern eignen. Argumentiert wurde auch, dass das Instrument Einstellungsmuster dafür nicht weit genug greift, da damit vorrangig Meinungen statt Erfahrungsverarbeitungen zu Tage gefördert werden. Mit eindimensionalen ‚WerteItems‘ (in Bezug auf Generation dazu detailliert Stiksrud 1994) bzw. einem vereinfachenden Wertewandelbegriff überhaupt, lässt sich das Konjunktive eines Generationszusammenhangs nicht aufzeigen. Die Forschungsfrage verlangt somit eine Materialsorte wie auch ein Auswertungsverfahren, die Zugang zur inneren Struktur narrativ vermittelter Generationserfahrung gewährleisten. Neben den als Materialsorte favorisierten biografischen Narrationen (vgl. Abschnitt 3.1.6), bieten Methoden der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik auf der Basis interpretativer Textanalyse (vgl. Oevermann 1979, Soeffner 1989, speziell: Matthiesen 1994) zentrale Vorzüge, um über den „propositionalen“ (Oevermann 2001b: 60) Gehalt von Protokollen solcher Narrationen hinauszugelangen. 90
Oder in Anlehnung an Bohn/Hahn (1999: 36) als „Beschreibung von Individualität“, also immer als eine kommunikative Praxis.
3.3 Auswertung
111
Auch wenn, wie in Abschnitt 3.2.3 bereits dargelegt, nicht alle der – weil zu strukturtheoretisch angelegten – methodologischen Grundprämissen der Objektiven Hermeneutik (vgl. Oevermann et al. 1979) geteilt werden, ist der Auswertungsprozess in dieser Untersuchung methodisch an Grundzügen dieses Konzepts orientiert. Die von Ulrich Oevermann und den Mitarbeiter/innen Tilman Allert, Elisabeth Konau und Jürgen Krambeck in den 70er Jahren entwickelte Objektive Hermeneutik stellt ein elaboriertes Verfahren sozialwissenschaftlicher Hermeneutik dar, da die Fallrekonstruktion und die Falsifikation von Lesarten konsequent auf der Grundlage einer textbezogenen Sequenzanalyse durchgeführt wird (vgl. unten). Unabhängig von der Vorgehensweise stellt sich aus einem hermeneutischen Blickwinkel immer die Frage nach dem zugrundeliegenden Handlungsproblem der deutenden Subjekte. Anders formuliert: Auf welches Problem stellt ein Deutungsmuster eine passende Lösung dar? Erst mit den sinnsetzenden Äußerungen machen die Befragten die Inhalte einer Befragung ‚relevant‘. Diese Inhalte werden erst hiermit zu Gegenständen im jeweiligen Relevanzsystem. Damit ist der wesentliche Grundzug qualitativer Verfahrensweisen bzw. der interpretativen Soziologie überhaupt benannt, wo keine statistische Hypothesenüberprüfung auf der Basis einer Operationalisierung theoretischer Begriffe vorgenommen wird. Insofern der Befragung keine objektiv (allgemeingültig) geltenden Sinnmuster (respektive ‚Variablen‘) des Untersuchungsgegenstandes zugrundegelegt werden, bleibt Raum für die individuelle Konstitution einer Sinnrelevanz (Soeffner 1989). Statt einer deduktionistischen Verfahrensweise wurde also ein interpretativer Ansatz gewählt sowie eine am Material orientierte Theoriebildung praktiziert.91 Im Auswertungsprozess von Befragungsdaten zählt daher nicht die Varianz von Antworten in Bezug auf einen ‚generalisierten Sinn‘. Im Zentrum steht vielmehr die individuelle Aneignung von Befragungsthemen, welche als prinzipiell bedeutungskontingent vorausgesetzt werden. Jede Deutungsleistung wird dabei als kontextuierte Handlung begriffen, und unter ‚Fallstruktur‘ in Anlehnung an Gerald Schneider (1988: 232) letztlich eine „erkennbare Strukturierungsgesetzmäßigkeit“ narrativer Selbstbeschreibung verstanden. 3.3.2
Fallrekonstruktionen – Das Allgemeine und das Singuläre
Fallrekonstruktionen stellen das Spezifisch-Konkrete bzw. -typische des Falls seinem historisch-allgemeinen Gehalt gegenüber (Soeffner 1989). Durch diese Anlage lässt sich der gegenüber Fallrekonstruktionen häufig gehegte Generalverdacht ausräumen, es handele sich dabei lediglich um singuläre Befunde bezüglich eines Untersuchungsgegenstand sowie um mangelnde Repräsentativität im Forschungsfeld. Interpretatives Vorgehen zielt jedoch nicht auf die partikulare Einzelheit eines 91
Dass dabei notwendig immer eine Reihe von Vorüberlegungen und grundsätzliche Gegenstandskenntnisse in den Theoriegang miteinfließen, wird mittlerweile auch seitens der Grounded Theory (vgl. Strauss/Corbin 1996) kaum noch als Verstoß gegen die Regel der theoretischen Voraussetzungslosigkeit gewertet.
112
3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
Falles, sondern darauf, wie sich ein Fall im Kontext allgemeiner Bedingungszusammenhänge, d. h. vor der Folie eines ‚objektiven Handlungsrahmens‘ (vgl. Weber 1988) individuiert. Äußerungen in biografischen Erzählungen sind daher keine atomisierten Daten, sondern werden in Bezugsetzung zu ihren institutionellen Randbedingungen zu einem sozial relevantem Datum. Die Deutungsmusterkategorie eignet sich für den Schritt, zu Aussagen über diesen allgemeinen Gehalt ‚einzelner‘ Fälle zu gelangen, besonders gut. Deutungsmuster beinhalten von vorneherein Allgemeines und Kollektives, sie vermitteln immer zwischen individuellem Wissensvorrat und kollektiver, so auch lebensgeschichtlicher Erfahrungsaufschichtung (vgl. Abschnitt 3.2). Analyseverfahren der Massenstatistik haben für das Problem des Zusammenhangs individueller Erfahrung und Kollektivität daher meist eine zu einfache Antwort: Hierbei wird versucht, das Problem auf der Basis einer größtmöglichen Anzahl vergleichender Probandenaussagen zu lösen. Die Struktur konjunktiver Erfahrungsgehalte kommt dabei jedoch nicht zum Tragen. Das ‚Musterhafte‘ kollektiver Sinngehalte ergibt sich nicht aus Merkmalsausprägungen gesetzter Variablen (oder lediglich subsumtionslogisch), und es mangelt zumeist auch am Subjektbegriff. Gleichwohl können konjunktive Erfahrungen a posteriori schlechterdings nicht erforscht werden, Zugriff ist allein möglich auf ihre symbolische Repräsentation. Auf das also, was in Anschluss an Mannheims (1980: 215) Formulierung „konjunktive Erfahrungsgemeinschaft“ der Ausdruck ‚konjunktiver Begriff‘ bezeichnet (vgl. Loos 1999, Bohnsack 1988, 1997). Konjunktive Begriffe zeigen eine gemeinsame Deutungspraxis an. Mannheim selbst trifft hier die Unterscheidung zwischen Verstehen und Interpretieren: Unmittelbares Verstehen ist nur vermittels ‚konjunktiver Erfahrung‘ der in den Erfahrungsräumen Lebenden zugänglich, Interpretieren vollzieht sich demgegenüber auf der Grundlage reflexiver Distanzierung (vgl. Bohnsack 1997: 195).92 Aber auch die Interpret/innen interpretieren bloß aus dem Begriffssystem ihrer eigenen Seinsgebundenheit heraus. Jedes echte Fremdverstehen ist – so Mannheim – daher auf Akte der Selbstauslegung angewiesen, denn die Deutung des subjektiven Sinns erfolgt auf der Grundlage des eigenen Erfahrungsvorrates und unter Maßgabe eigener Relevanzen. Im Sinne der Untersuchungsfrage kann der/die Interpret/in also nicht zwangsläufig allen Generationszusammenhängen angehören, um deren Erfahrungsgehalte zu ‚verstehen‘. In der Interpretationspraxis muss er oder sie aber noch nicht einmal nur einem dieser Zusammenhänge angehören. Die kulturelle Vertrautheit der Interpret/innen mit dem Untersuchungsgegenstand ist allein durch die Vertrautheit mit einem institutionalisierten Wissensbestand darüber gegeben, wovon beispielsweise das Kulturmuster Liebe einen Teil darstellt.93 92
Vgl. hierzu das vor allem von Ralf Bohnsack (1997) ausgearbeitete und an zentrale Begriffe Karl Mannheims Wissenssoziologie angelegte methodologische Programm der ‚Dokumentarischen Methode‘. 93 Zum Problem des Fremdverstehens auf der Grundlage des ‚objektiven Sinns‘ von Handlungen und Äußerungen vgl. Schütz/Luckmann (1994).
3.3 Auswertung
113
So wie also das Konjunktive ersten Grades nicht unmittelbar empirisch greifbar ist, stellt sich hingegen die Frage, wie valide Aussagen zur Repräsentation des Konjunktiven als zweiter Grad getroffen werden können. Die Verfahrensweise der Gruppendiskussion liefert hierzu eine überzeugende Antwort: Konjunktive Begriffe als Manifestation konjunktiver Erfahrungsgehalte aktualisieren sich primär in der kollektiven Verständigung über soziale Sachverhalte (vgl. Bohnsack 1997, Loos 1999). Beispielsweise im gemeinsamen Gespräch der Feldbeteiligten. Dieser Zugang ist dem Einzelinterview naturgemäß verwehrt. Hier kann keine kollektive Verständigung oder kommunikative Validierung gleichzeitig Anwesender nachvollzogen werden. Folgendes Argument spricht dennoch für die Vorgehensweise mit Einzelinterviews bei der Generationsanalyse: Zum einen äußern sich die Einzelnen über die Eigenheit ihrer Generationserfahrung, indem sie sich gegenüber anderen kollektiven Orientierungen, solchen von Gleichaltrigen, aber auch anderer Altersgruppen, explizit abgrenzen. Sie historisieren sich quasi selbst. Zum anderen erlaubt der Nachvollzug von Sinnsetzungen in biografischen Erzählungen der selben Geburtsjahrgangslagerung das Erstellen von Vergleichsdimensionen, auf deren Grundlage Generationsdifferenzen formulierbar werden. 3.3.3
Verfahrensschritte
Sequenzanalyse Die bei der Materialanalyse dieser Untersuchung angewendete und am Programm der ‚Objektiven Hermeneutik‘ (vgl. oben) orientierte Verfahrensweise der Sequenzanalyse ist vom Prinzip geleitet, die Abfolge von Textäußerungen als Prozess einer sinnhaften Fortschreibung auf der Grundlage spezifischer Selektionsleistungen nachzuvollziehen. Zentral ist daher die Sequentialität von Sprechhandlungen. Anhand der Explikation der objektiven Möglichkeiten seiner Entstehungslogik ist die Selektivität einer Fallstruktur, d. h. die Individualität des Falls aufzuschlüsseln. Dazu wird der Text in der Abfolge einzelner, zu bestimmender Sinnsegmente in den Blick genommen und der Bedeutungskontext der Äußerungen zunächst ohne Hinzunahme äußeren Kontextwissens erschlossen. In schrittweisen Kontextvariationen wird dann die besondere Fallstruktur des Textes herausgearbeitet, die gegenüber anderen denkbaren Sinnhorizonten abzugrenzen ist. Ziel ist es, eine Bedeutungsfolie zu erlangen, auf der die Textgehalte sinnkonsistent werden. Auf der Grundlage der ‚Sparsamkeitsregel‘ (Oevermann et al. 1979) werden dazu gedankenexperimentell Anschlussmöglichkeiten einzelner Satz- oder Textsegmente entworfen und schrittweise unplausible Kontexte bzw. Lesarten ausgeschlossen.94 Dem Gesprächsanfang ist dabei besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ausgangspunkt ist die Offenheit der Eingangserzählung, die mit den sinnsetzenden 94
Unter Lesart verstehen Oevermann et al. (1979: 415) die „Verbindung zwischen Äußerung und einer die Äußerung pragmatisch erfüllenden Kontextbedingung“.
114
3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
Äußerungen der Erzähler/innen maßgeblich strukturiert wird. Im Anschluss an den ersten Erzählstimulus müssen Entscheidungen über die Auswahl von Erzählinhalten getroffen werden. Vor dem Hintergrund alternativer Möglichkeiten wird damit eine erste Erzählgestalt generiert. Der strukturell bedingte Redezwang bringt die Befragten somit gewissermaßen in eine prekäre Situation: In kurzer Zeit haben sie die generelle Frageintention auszuloten, und sie entscheiden selbst über die Erzählrelevanz im Rahmen der Handlungsaufgabe der Befragung.95 Die intensive Auslegung des ersten Interaktes erlaubt daher den Nachvollzug grundlegender Schemata von Selbstentwürfen. Eine orthodox strukturalistische Denkweise, wonach sich bereits im ersten Interakt die gesamte Struktur des Falls offenbare, wirkt allerdings überzogen. Vielmehr reicht es aus, von der Entstehung eines Erzähl- und Handlungsbogens auszugehen, der im weiteren Erzählverlauf durchaus in sich ‚gebrochen‘ sein kann, und in seiner Struktur nicht erst zum Schluss des Interviews ein Ende findet, wie dies Lucius-Hoene/Deppermann (2002) herausstellen. Biografische Selbstbeschreibungen können, so die Autoren, vielmehr von einer Vielfalt narrativer Handlungsbögen gekennzeichnet sein. Gerade die Offenlegung von Widersprüchen und Vielschichtigkeit können der Komplexität von Lebensvollzügen und Bedingungen der Identitätsbildung „besser gerecht werden als die Suche nach der in der Literatur oft beschworenen „biografischen Gesamtgestalt“ (ebd.: 287). Die in der Arbeit getroffene Entscheidung für ein sinnauslegendes Verfahren von Gegenwartsdeutungen (nicht: die Deutung der, sondern in der Gegenwart) hat ohnehin zur Konsequenz, dass der Forschungsfokus weniger stark an einer akribischen Rekonstruktion der historischen Genese des Falles und seinen biografiesteuernden Prozessen orientiert ist. Die vollzogenen Verfahrensschritte im Einzelnen: Schritt 1: Die Äußerungen wurden in ihrer natürlichen Erzählabfolge nachvollzogen. Jedes Detail des Interviewtextes wurde dabei als sinnhaft motiviert betrachtet. Im Mittelpunkt stand die Rekonstruktion des inneren Kontext des Falls unter Ausschließung äußeren Kontextwissens. Schritt 2: Gedankenexperimentell wurden Interpretationen dazu entworfen, wie der/die Befragte vernünftigerweise ‚narrativ handeln‘ könnte. Ziel war es, Kontextbedingungen aufzudecken: Was sind die individualspezifischen Bedingungen in einer Reihe anderer möglicher Kontexte? Parallel wurde gefragt, ob der/die Erzähler/in bestimmte Erzählfiguren bevorzugt und 95
Lösungen zur formalen Struktur, wie innerhalb einer Erzählung Geltung wird, haben eingehend Kallmeyer/Schütze (1977) sowie Schütze (1984) dargelegt. Demzufolge stellen die konstitutiven Darstellungszwänge in Narrationen die Befragten vor die Aufgabe: Vor welchem Hintergrund wird meine Erzählung plausibel und wie kann ich Aussagen glaubhaft machen? Neben dem Zwang zur ‚Gestaltöffnung‘ und ‚Gestaltschließung‘ ist von ihnen weiterhin die Plausibilität einer Erzählung festzulegen sowie der Abschluss eine Erzähleinheit zu bestimmen – wann also eine ‚gesättigte‘ Antwort auf eine Frage, d. h. ausreichend Detaillierung und Kondensation erfolgt ist.
3.3 Auswertung
115
wie diese motiviert sein könnten (Lucius-Hoene/Deppermann 2002). Insgesamt wurde das Verweisungsnetz der gefundenen Einzeläußerungen sukzessive in Bezug auf ein bestimmtes Handlungsproblem gebracht. Schritt 3: Vor dem Hintergrund der Frage, wie das Erzählte als motivierte Lösung in einem spezifischen Problemzusammenhang verständlich wird, wurden bestimmte wiederkehrende Sinnverweisungen als tragende Deutungsmuster identifiziert. Anhand neu hinzugezogener Fälle wurden Variationen dieser Muster miteinbezogen. Schritt 4: Von einem Generationsstil der Erzählungen kann gesprochen werden, wenn eine bestimmte Sättigung der Deutungsmuster einer Jahrgangsgruppe erreicht ist und auch durch neu hinzugezogene Fälle nicht mehr wesentlich variiert. Die Kontur der verbindenden Sinnstiftungen trotz divergierender Erzählinhalte musste in der Materialarbeit daher aufgezeigt werden können. Erst auf dieser Grundlage ließen sich Aussagen über Generationsdifferenzen treffen. Grundsätzlich war es förderlich, wenn sich die Befragten in irgendeiner Weise biografisch in historischen Zeitproblematiken verorteten, damit eine Bindung an Erfahrungsgehalte sichtbar wurde. Joachim Matthes (1985: 370) bezeichnet dies als „indexikales“ Selbstthematisieren im Geschichtsbezug. 3.3.4
Interpretationsrahmen und Typenbildung
In der vorliegenden Untersuchung wurde eine materialorientierte Theoriebildung vorgenommen und einer fallzentrierten statt einer themenzentrierten Auswertung Vorzug erteilt. Das heißt, zu Beginn der Materialanalyse existierte kein vorgefertigtes Kategorienschema, womit der in Abschnitt 3.3.1 erörterten, offenen Vorgehensweise Rechnung getragen wurde. Dies erfüllt zugleich die Anforderungen einer rekonstruktiven bzw. „qualitativen Generationsforschung“ (Bude 2001a), die den Sinnsetzungen der Subjekte größtmöglichen Raum überlässt, um (als Interpret) erst auf dieser Grundlage zu Ergebnissen über Generationsdifferenzen gelangen zu können (vgl. unten). Gleichwohl wäre es unzutreffend, zu behaupten, die Materialanalyse sei vollständig voraussetzungslos erfolgt. Vielmehr lag der Analyse ein allgemeiner Interpretationsrahmen zugrunde, der letztlich aus der in den vorangegangenen theoretischen und konzeptionellen Kapiteln dokumentierten, intensiven Auseinandersetzung mit der Forschungsfrage resultierte. Funktionalistisch gesprochen, ging es also um die grundsätzliche Bestimmung eines ‚Handlungsproblems‘, welches für sämtliche Selbstthematisierungen meiner Interviewpartner/innen vorausgesetzt werden konnte. Dieses Problem lässt sich klar benennen: Was beabsichtige ich (gemeint ist die Perspektive der Befragten), unter dem Begriff romantische Liebe überhaupt zu verstehen? Weiter: Wie lässt sich das kulturelle Ideal der romantischen Liebe in meinem individuellen Leben einlösen, oder anders: wie müssen gegebenenfalls Ideal und faktische Lebenspraxis miteinander verrechnet werden?
116
3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
Allerdings wurde mit der Analysearbeit auch klar das Ziel verfolgt, Kategorien zur Systematisierung der Ergebnisse zu erlangen. Dies konnte damit erreicht werden, indem der sensibilisierende Rahmen im Durchgang der Auswertungsarbeiten permanent zu überprüfen, zu modifizieren und in einigen seiner Komponenten zu revidieren war. Unterschieden wird im Folgenden daher zwischen vorab erstellten Vergleichsdimensionen, die als grundlegende Fragenfelder und damit als Sensibilisierungshintergrund für die Materialanalyse dienten, sowie abstrakteren Kategorien als Ausdruck bereits gesättigter Ergebnisse durch Fallvergleiche. Eingeführt und begründet werden diese Kategorien in einer Zwischenbetrachtung nach den Fallrekonstruktionen der ‚frühen‘ Jahrgänge in Abschnitt 4.2.3. Sie sind selbstverständlich Ergebnis des erfolgten Vergleichs und der Systematisierung des Gesamtmaterials, strukturieren aus Gründen der Darstellung und Übersichtlichkeit jedoch bereits die Fallvergleiche aus allen untersuchten Geburtsjahrgangsgruppen. Vorab werden die an die Auswertungsarbeit herangetragenen Vergleichsdimensionen begründet: Orientiert man sich an den von Heinz Bude (2000a) für eine interpretative Methode der Generationsforschung in allgemeiner Weise formulierten vier „Prinzipien der Rekonstruktion“ (ebd.: 190ff.), geht es (a.) um „Selbstbestimmung aus Differenzierung“: Die Einzelnen grenzen sich mittels gegenseitiger Bezugnahme (historisierend) gegenüber anderen ab. Generationsdifferenzen entstehen dadurch relational im Sinne von Abgrenzung. Bude hebt (b.) weiterhin auf die „polare[n] Einheiten“ einer Generation ab: Ein Generationszusammenhang tritt trotz oder gerade aufgrund sich teils widersprechender – aber an einem gemeinsamen Bezugshorizont ausgerichteten – Problemdefinitionen in Erscheinung (vgl. die Ausführung in Kapitel 2). Als drittes Prinzip benennt Bude (c.) das Zusammenspiel „avantgardistischer und rezeptiver Gruppen“: Es gibt immer tonangebende Gruppen und eher meinungsverarbeitende Gruppen. Nicht alle prägen einen Generationsdiskurs in gleicher Weise. Manche, so Bude, geben aber „den Takt“ vor und prägen die „Stichworte“ (vgl. hierzu die Konzeption sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen in Bezug auf die Milieustruktur meiner Untersuchungsgruppe in Abschnitt 3.1.4). Schließlich führt Bude (d.) die auf Petersen (1926) zurückgehende und von Mannheim (1928) ausformulierte Begriffsschöpfung „führende, unterdrückte und umgelenkte Typen“ an. Danach bestehe die Möglichkeit dreier unterschiedlicher, eine Generation kennzeichnende Typusausprägungen: Ein „führender“ Typus, wenn eine bestimmte mentale Disposition mit einer historischen Konstellation zusammentrifft, die diesen Typus dominant macht. Zum anderen ein „umgelenkter“ Typus, wenn diese Disposition unentschieden ist, vom führenden aber „hinübergezogen“ werden kann. Schließlich ein „unterdrückter“ Typus, der in seiner konträren Disposition vom führenden und umgelenkten Typus nicht anerkannt wird, und sich selbst in einer Außenseiterposition wähnt. Nun lässt sich mit diesen Prinzipien zwar in allgemeiner Weise der methodische Horizont einer qualitativen Generationsanalyse abstecken. Mit dem Gegenstandsbezug der vorliegenden Studie blieb dieser aber noch aufzufüllen und zu ergänzen. Anhand des folgenden Interpretationsrahmens wurde dies in einem ersten Schritt eingelöst:
3.3 Auswertung
117
An die Auswertungsarbeit wurde zunächst die Frage nach den historischen Zeitbezügen der Befragten herangetragen: Wie werden in den biografischen Narrationen Erfahrungskollektive (das eigene ‚Wir‘ und das Wir der ‚Anderen‘) konstruiert und welche identitätsstiftende Funktion erfüllt dies für die Erzähler/innen? Selbst wenn die gesamte Lebenszeit in einem gewissen Sinne immer die eigene Zeit ist, geht es bei der Generationshypothese darum, zu lokalisieren, wozu diese eigene biografische Zeit noch nicht oder nicht mehr gezählt wird. Daraus ergibt sich die grundsätzliche Frage nach dem ‚Selbstbezug im Kollektiv‘, die für mehrere Dimensionen offen bleiben muss: Bei ‚Wir‘-Erzählungen (Bude 1997) kann es um die peer-group, die Gleichaltrigengruppe, aber auch um Familie oder noch Weiteres gehen. Worin besteht jedoch das Wir in der Zeit bzw. in der Generation? Bei der Materialanalyse war somit immer zu fragen: Wie sind die biografischen Erzählungen zum Thema Liebe in diese Zeit- und Kollektivbezüge eingebettet? Werden hieraus bestimmte Dispositionen, Chancen oder Beschränkungen abgeleitet und dominieren bestimmte narrative Schemata und Selbstinszenierungen (wie sie etwa von Hayden White (1991) als ‚tragisch‘, ‚ironisch‘ etc. beschrieben werden (vgl. Herma 2001))? Gesucht wurde zudem danach, ob und wie sich den individuellen Erzählungen zum Thema Liebe eine ‚regulative Idee der Liebe‘ nachweisen lässt.96 Dabei ging es um wiederkehrende Erzählfiguren, um besondere Problemdefinitionen und thematische ‚Aufhänger‘. Letztlich also um eine bestimmbare Konsistenz und Kohärenz des jeweils gehegten Liebesleitbildes, welches sich vor dem Hintergrund bemerkbar macht, wann romantische Liebe als eingelöst, als echt bzw. ‚authentisch‘ gilt, und wie sich die Befragten dessen vergewissern. In diesem Zuge wurde immer auf Geschlechterkonstruktionen geachtet: (Wie) hängen Selbstthematisierungen in der Liebe mit geschlechtlichen Zuschreibungen zusammen, und wie wird das Verhältnis von Geschlecht und Liebe jeweils rationalisiert? Welche Erfahrungen werden dabei zugrunde gelegt, welche Ordnung der Geschlechter wird damit begründet und welche Schlussfolgerungen ziehen die Befragten daraus für das Gelingen von romantischer Liebe in ihrer individuellen Lebenspraxis? Diese Dimensionen dienten, wie erwähnt, der Sensibilisierung für die interpretativ angelegte Materialarbeit. Sie dienten insbesondere als Grundlage für die Fallvergleiche und im weiteren Schritt zur Erstellung abstrakterer Kategorien. Im Folgeschritt ging es schließlich um die Bildung generationsspezifischer Typen biografischer Selbstthematisierung in der Liebe, wie sie in Kapitel 5 eingehend begründet und zueinander in Kontrast gesetzt werden. Entwickelt wurden diese Typen wie folgt:
96
Dieser Ausdruck ist einer empirischen Studie von Michael Corsten (1993: 321f., vgl. 1995: 33) entlehnt, der sich dort mit den Funktionen der Liebe bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft beschäftigt, und dazu verschiedene Ebenen biografischer Selbststeuerung wie auch der Organisation intimer Beziehungen kartiert.
118
3 Empirische Verfahrensweise: Erhebung, Methode, Auswertung
Vom Fall zum Typus In Kontrast zum Programm der Objektiven Hermeneutik, wo ein Typus quasi bereits mit der Fallstruktur gegeben ist (vgl. dazu Wohlrab-Sahr 1993: 97ff.), wurde in dieser Arbeit ein Begriff des Typus verfolgt, der sich an der Emergenz von Fallkontrastierungen orientierte. Auch wenn die Bildung von Typen grundsätzlich vom Prinzip des Idealtypus nach Max Weber (1973b: 190ff.) geleitet war, richtete sich die Bildung konkreter, realer Typen zunächst an der inneren Erzeugungslogik einzelner Fälle aus. Im anschließenden Schritt ging es um (ideale) Typengenerierung durch Hinzunahme benachbarter Fälle. Dabei kam es auf die Erfassung von Gemeinsamkeiten in den Zuschreibungslogiken zum Thema Liebe an. Mithilfe von Fallkontrastierungen wurde somit herausgearbeitet, wie die Sinnsetzungen der Befragten individuell variieren. Fälle mit tragenden Gemeinsamkeiten innerhalb benachbarter Geburtsjahrgänge bildeten in der Folge die Grundlage zur Erstellung von Generationstypen.97 Dabei war die Gemeinsamkeit eines verbindenden Bezugshorizonts zentral – trotz und gerade wegen inhaltlich-thematischer Varianz. Gerade die für verschiedene Dimensionen offenen, parallelen Sinnstiftungen zeigen das ganze Spektrum der individuellen Repräsentation von Generationserfahrungen auf (vgl. Bude 2000a). Generationsdifferenzen wurden dort markiert, wo es sich nicht einfach um andere Geburtsjahrgänge handelte, sondern signifikant andere Bezugshorizonte der Liebesdeutung erkennbar wurden. Auch wenn Generationsübergänge keine eindeutigen ‚Kanten‘ aufweisen, und selbst wenn in verschiedenen Generationen immer übergreifende Erfahrungszusammenhänge bestehen, ließen sich hiermit der Beginn oder das Ende generationstypischer Selbstthematisierung in der Liebe begründen. Für diese Ausprägungen besonders stichhaltige und elaborierte Fälle werden in den folgenden Kapiteln als Referenzbeispiele vorgestellt und in ihrer Varianz diskutiert. Vorgenommen wurde damit eine Kombination aus theoretischen Vorannahmen und ‚theoretischem Sampling‘ (Strauss/Corbin 1996). Theoriegeleitet ist die Verwendung des oben beschriebenen Authentizitätscodes in narrativen Selbstbeschreibungen zur Liebe als Suchperspektive. Auf der Basis der mit dieser Richtung erreichten, ersten Ergebnisse, wurde nach der ersten Auswertungswelle auf der Grundlage des von der Grounded Theory motivierten Erzeugens gegensätzlicher Fälle im Sinne eines ‚maximalen Kontrastes‘ (ebd.) neue Fälle gesucht, wobei die faktische Auswahl der Referenzfälle tendenziell als ‚mittlerer‘ Kontrast ausfällt. Dieses Vorgehen ermöglichte die Vergleichbarkeit von Fällen und bot eine Grundlage zur theoretischen Generalisierbarkeit der Befunde: Bei der Analyse einzelner Fälle wurden sukzessive Kriterien dafür gewonnen, welche Vergleichsfälle im Fortgang der Erhebung weitere Erkenntnisse hervorbringen. Aus dem gesamten Datenkorpus von 28 Interviews wurden neun Fallstudien zur Darstellung ausgewählt, die wie folgt in einer tabellarischen Übersicht abgebildet sind. 97
Der Frage, inwieweit die erarbeiteten Typen quantitativ in der Gesellschaft verteilt sind, kann und soll hier nicht nachgegangen werden – dies wäre Angelegenheit einer dementsprechend konzipierten Untersuchung.
1942
1944
1956
1954
1961
1958
1975
1977
1975
Ingeborg S.
Gregor B.
Karla S.
Rüdiger A.
Gisela T.
Rainer K.
Bastian L.
Carola M.
Judith P.
Ledig, seit sieben Jahren in Paarbeziehung
Ledig, seit zwei Jahren in gleichgeschlechtlicher Paarbeziehung
Ledig, alleinlebend
Politisch und kulturell aktive Kreise Herkunft: Liberales, akademisches Bildungsbürgertum Feministisch und kulturell engagierte Kreise Mittelständisches Herkunftsmilieu Akademisches Herkunftsmilieu
Soziologin
Studentin der Kulturwissenschaft
Student der Medizin
Ledig, alleinlebend
Hedonistisches „Selbstverwirklichungsmilieu“ (ebd.) Herkunft: Technisch gebildeter Mittelstand
Informatiker
Ehe mit zwei Kindern
Medizinisch u. teilweise esoterisch geprägtes „Selbstverwirklichungsmilieu“ (Schulze 1992); Kleinbürgerliches Herkunftsmilieu
Sozial- und Physiotherapeutin
Ledig, langjährige Paarbeziehung mit zwei Kindern
Ledig, alleinlebend
Seit 1980 zweite Ehe, zwei Kinder aus erster Ehe
Nach 12-jähriger Ehe geschieden, zwei Kinder, alleinlebend
Beziehungs-, bzw. Familienstand zum Zeitpunkt der Befragung
Religiös geprägtes, linksalternatives Milieu, arbeitergeprägtes Herkunftsmilieu
Akademisch-politisches Milieu, kleinbürgerliche Herkunftsfamilie
Höheres Angestelltenmilieu
Literarisch geprägtes „Niveaumilieu“ (Schulze 1992)
Sozialer Hintergrund
Studium der Geographie, Zusatzstudium Diplompädagogik; derzeit Jugendpfleger
Studium der Amerikanistik und Verwaltungswissenschaft; derzeit höhere Verwaltungsangestellte
Studium der Volkswirtschaft; derzeit Personaltrainer
Studium der Architektur, Lehre als Kauffrau; derzeit Mitleiterin einer Promotionsagentur
Berufliches Milieu / Berufsverlauf
Schaubild II: Tabellarische Übersicht der Datenauswahl
Geburtsjahrgang
Codename
3.3 Auswertung
119
4
Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Jede historische Zeit erlegt biografischen Selbstthematisierungen besondere Bedingungen, Chancen und Beschränkungen auf. Selbstthematisierungen entspringen somit zwar historisch gewachsenen, sozialen Strukturen von Handlungsfeldern (vgl. Voges 1987), sie werden dadurch jedoch nicht determiniert. Zentral bleibt das Zusammenspiel von kultureller Randbedingung und subjektiver Relevanzmachung.98 Die Suche nach generationsspezifischen Bruchstellen in den biografischen Kommunikationen der gewählten Jahrgänge macht daher Angaben zum Wandel institutioneller Rahmungen privaten Lebens bzw. persönlicher Nahbeziehungen erforderlich, die hierauf Einfluss haben. Es geht gewissermaßen um ein näheres Verständnis für den historischen ‚Sitz‘ generationsspezifischer Erfahrungen, da ein interpretativer Zugang „ohne Bezug auf die Strukturierungsmomente der Lebensverläufe einzelner als Kohorten gefasster Generationen … fruchtlos [wäre], weil ihnen für die Entstehung der diskursiven Zusammenhänge einer Generation eine Erklärung fehlte“ (Corsten 2001a: 49). Dazu wurde parallel zur Materialanalyse eine intensive Sichtung historisierender und themenspezifischer Fachliteratur vorgenommen. Es war nicht beabsichtigt, eine erschöpfende Institutionenanalyse darzulegen, die Darstellung ist selektiv und bezieht nur bestimmte Aspekte des Wandels persönlicher Beziehungen ein. Für die untersuchten Geburtsjahrgänge zwischen 1940–1980 wird hierzu eine deskriptive historische Phasenbeschreibung mit besonderer Gewichtung der jeweiligen Bedingungen der Jugend- und Adoleszenzphase vorgenommen. Gerade in diesen Phasen besteht eine hohe Sensibilität für Individualitätsentwürfe, die gemäß des gewählten Generationsansatzes für die formative Phase der Generationsbildung von maßgeblicher Bedeutung sind (vgl. eingehend Abschnitt 2.2). Die Darstellung ist unterteilt in die in Abschnitt 3.1.3 begründeten drei Geburtsjahrgangsgruppen, damit bereits Teil der Untersuchungsergebnisse. Sie ist grundsätzlich wie folgt aufgebaut: Im ersten Schritt wird die deskriptive Phasenbeschreibung vorgenommen, im zweiten Schritt werden die Fallstudien und die Fallvergleiche dargestellt. Dieses Schema strukturiert alle drei Geburtsjahrgangsgruppen. Im Einzelnen: 98
Beispielsweise sozialstrukturelle Faktoren wie auch allgemeiner, unterschiedliche Leitbilder der Lebensgestaltung produzierender Zeitwandel in Politik und Kultur. Burkart (1992; vgl. Easterlin 1961) streicht heraus, dass darüber hinaus ein Zusammenhang von Generationsgröße und dem Zeitpunkt des Übergangs in die Phase der Elternschaft besteht, ebenso wie ein Wandel unterschiedlicher Muster von Lebensphasen (Burkart 1997), welche auf der historischen Zeitachse und zugleich milieuspezifisch variieren können (Burkart/Fietze/Kohli 1989).
122
4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Im Zuge der historisch-deskriptiven Phasenbeschreibung wird im ersten Schritt für jede Jahrgangslagerung grob schematisierend in institutionelle Ebene, kulturelle Ebene, Ebene der Geschlechtersemantik und Ebene der Generationsdebatte unterschieden. Selbstverständlich verweisen institutionelle, kulturelle und GeschlechterEbene inhaltlich immer aufeinander. Die Aufgliederung dient lediglich der Setzung von Schwerpunkten und der Übersichtlichkeit. Für die institutionelle Ebene werden wichtige Aspekte des ‚objektiven‘ gesellschaftlichen Wandels innerhalb der Zeiträume benannt, in denen die tragenden Adoleszenzerfahrungen der jeweiligen Geburtsjahrgänge lagern. Dabei werden beispielsweise familiensoziologische Befunde und bereits existierende Forschungsliteratur zum Zeitwandel von Liebe- und Paarbeziehung herangezogen. Der kulturellen Ebene werden stärker Problemwahrnehmungen zugeordnet, also quasi die bereits interpretierte Erfahrung seitens der Jahrgänge, wozu etwa ‚Wir‘-Konstruktionen, aber auch zeitspezifische Erscheinungsformen, wie neue Beziehungspraxen etc. gehören. Auf der Ebene der Geschlechtersemantik werden für Frauen und Männer unterschiedliche Aspekte des Zeitwandels erörtert, aber auch die daraus resultierenden, jeweiligen Interpretationen der Geschlechterkategorie für die konkrete Beziehungspraxis. Im Punkt Generationsdebatte/Abschlusseinschätzung wird schließlich auf die allgemeinen Diskurse zu sprechen gekommen, die in der Fachliteratur zu den jeweiligen Jahrgängen dominant geworden sind. Zuletzt schließt eine knappe Abschlusseinschätzung zu den sich für diese Jahrgänge jeweils neu stellenden Herausforderungen bei der ‚Liebesdeutung‘ an. Im zweiten Schritt schließen für jede Jahrgangslagerung ausgewählte Fallrekonstruktionen an. Dabei werden jeweils zwei Fälle ausführlicher dargestellt. Ergänzend wurden solche Fälle, an denen besondere Aspekte deutlicher hervortreten, in Kurzform präsentiert. Abschließend folgen fallvergleichende Betrachtungen, die bereits an den in Abschnitt 4.2.3 begründeten, materialgenerierten Kategorien orientiert sind.
4.1
Vorbetrachtung: Die Vorkriegsjahrgänge
Um die historische Eingrenzung der Befragungsgruppe mit den Jahrgängen ab 1940 nachvollziehbar zu machen, ist es erforderlich, die Erfahrungszusammenhänge der Jahrgänge zu skizzieren, die unmittelbar davor liegen. So reicht die Adoleszenzphase der zwischen 1930 und 1940 geborenen Personen von Mitte der 40er Jahre, also dem Zeitraum des Zusammenbruchs des Nationalsozialismus, bis in die 50er Jahre der neugegründeten Bundesrepublik. Sie haben Eltern der Soldaten- bzw. Kriegsgeneration des ersten Weltkriegs (vgl. hierzu Bude 1987, Rosenthal 1997) und nach einer überwiegend noch im Nationalsozialismus verlebten Kindheit ist die Jugend und Adoleszenz in hohem Maße von der Aufbaumentalität der unmittelbaren Nachkriegszeit geprägt. Die restriktive Familienpolitik der restaurativen Adenauer-Ära knüpft nach der kurzen Liberalität der ersten Nachkriegsjahre (vgl. Friedeburg 1953, Bude 1995, Meyer-Lenz 2002) nicht an die fortschrittlichen Strömungen der 20er
4.1 Vorbetrachtung: Die Vorkriegsjahrgänge
123
Jahre an.99 Die Ehe allein galt weiterhin als zentrales, normgebendes Ordnungsprinzip zur Regulierung von Liebes-, insbesondere von sexuellen Beziehungen. Voroder außereheliche Sexualität blieb (als moralisch legitimierte Handlungspraxis) ausgeblendet. Auch wenn Paarbildungen häufig stark romantisiert waren, dominierte das Ideal des Paares als Arbeits- und Solidargemeinschaft, die in einer Bündnis- bzw. Sachehe Ausdruck fand (vgl. Schenk 1987). Gleichgeschlechtliche Liebe war ohnehin nicht diskursfähig, hegemonial dagegen das Leitbild der Liebesbeziehung von Frau und Mann, gedacht als „Figurationsideal harmonischer Ungleichheit“ (Stolk/Wouters 1987) bzw. als Bündnis zweier sich ergänzender „Geschlechtercharaktere“ (Hausen 1976). Bewusst überzeichnend illustriert Christel Eckart (1986) dieses Geschlechterarrangement als „Bild der Frau, die aus Erfahrung und Einsicht sich unterordnet, zur Unterstützung eines ehrlichen, strebsamen, zuverlässigen Mannes, der seine Karriere ohne Vorteile durch Stand und Herkunft nach der Stunde null selbst in die Hand nahm“ (ebd.: 209). Kurz: In der Neuformierungsphase in der Bundesrepublik wurden mehr oder weniger traditionelle Ehe- und Familienwerte rearrangiert. Das Paar hatte sich gegenüber den Unbillen der äußeren Welt, vor allem gegen materielle Bedrohungen in der Alltagspraxis zu bewähren (vgl. Bude 1992). Die Liebe war vor allem Zündfunke für eine rasche Ehe- und Familiengründung, geleitet von der Logik, Liebe könne und solle sich in Ehe und Familie nur noch mehren. Sie war damit der ideologische Kitt für die durch die Kriegszeit in Unordnung gebrachten Familienverhältnisse und heiliges Thema populärer Medien, etwa im Liebesschlager oder den nach Republikgründung allerorts hervorsprießenden Illustrierten. Liebe war vor allem nicht Thema und Verhandlungsgegenstand eines elaborierten Individualismus. Vielmehr holten Eheratgeber der 50er Jahre auch jene in Schach zu haltenden ‚Gefahren‘ der Liebe wieder hervor, die schon im 19. Jahrhundert als Bedrohung des sozialen Gemeinwesen beschworen wurden. Auch wenn dies immer eine milieuspezifische Komponente hat, lässt sich die enorme Konjunktur von Heimat-Idyllen und Liebeskonflikten adeliger Milieus (meist aus vergangenen Jahrhunderten) im Film der 50er Jahre aus Sicht von Verdrängungsofferten und Projektionsfolien für das im eigenen Heim scheinbar kaum greifbare, jedoch idealisierte Schöne lesen. So formuliert auch das Schlagwort von der ‚Italiensehnsucht‘ der Deutschen in den 50er Jahren eine kollektive Sehnsuchtsfolie: Die Sehnsucht nach einem in der mediterranen Welt scheinbar noch unverfälschten, damit authentischen Ausdruck von Leidenschaft und Erotik. Vor dem Hintergrund der restriktiven Sexual- und Familienmoral hat für die Vorkriegsjahrgänge auch der „Trieb/Moral-Konflikt“ (Clement 1986) der Sexualaufklärung eine praktische Bedeutung. Der Sexualtrieb wird als natürliche Größe des Menschen erhoben und als zerstörerisches ‚Jetzt-Begehren‘ gefürchtet, wenn er nicht 99
Vielmehr werden sogar teilweise ‚erbgesundheitliche‘ Maßnahmen des dritten Reiches fortgeführt – etwa bei Abtreibungs- und Sterilisationsreglungen, wie Daphne Hahn (2000) aufzeigt.
124
4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
vom Vernunftprinzip der Moral reguliert und kontrolliert werde. So vor allem im Prinzip der aufgeschobenen Befriedigung. Infolge der Hegemonie des bürgerlichen Normalfamilienmodells während der Adoleszenz dieser Jahrgänge beinhaltet das Leitbild der Liebe zugleich immer langfristige Lebensarrangements (ehelich und familiär). Diese Arrangements unterlagen einem Gendering, welches Ehe und Familie mit erwerbstätigem Mann und haustätiger Frau – unter der Voraussetzung des Denkmodells der Geschlechter als physiologische Spezifikation und Wesensbestimmung – institutionell festschrieb. Obwohl das Geschlechterverhältnis in den fortschrittsorientierten 20er Jahren zaghafte Egalisierung erfuhr (vgl. Soden/Schmidt 1988, Peukert 1987), jedoch durch die Zeit des Nationalsozialismus unterbunden wurde, werden die Ungleichheiten in den 50er Jahren wieder aktualisiert. Die Kritik von Frauen an patriarchalen Strukturen konnte erst wieder in den 60er Jahren breit Fuß im Geschlechterdiskurs fassen, das heißt: erst mit einem neuen Generationszusammenhang. Zwar gilt es bei der Beschreibung der Adoleszenzphase der Vorkriegsjahrgänge bis 1940 die Liberalisierung durch das kurze ‚Nachkriegsloch‘ zu berücksichtigen, wo durch das Fehlen vieler Männer einerseits der traditionelle Patriarchalismus in den Familien an Gewicht verlor, und sich andererseits größere Arbeitsmarktchancen für Frauen ergaben. Diese notzeitbedingte Gelegenheitsstruktur verschwand jedoch rasch wieder, und wenn sich Frauen für einen langfristig eigenständigen Lebensweg im Beruf entschieden oder für die Verbesserung der eigenen geschlechtlichen Lebenslage öffentlich-politisch engagierten, liefen sie auch immer Gefahr, sich außerhalb sozial akzeptierter Willensbekundungen zu stellen.100 Auch die Arbeit von Meyer/Schulze (1985) kommt zu dem Ergebnis, dass die ökonomische Unabhängigkeit der Frauen im Kriegsloch Ende der 40er Jahre gesellschaftlich forciert von den den Arbeitsmarkt wieder besetzenden Männern rasch verdrängt worden sei (vgl. dazu auch Meyer-Lenz 2002). Das Bild von männlicher Hegemonie und weiblicher Unterordnung wird bei den Vorkriegsjahrgängen somit bezogen auf die Liebe zu einem verbindenden Erfahrungsmuster. Und zwar unabhängig davon, ob der Alltag im Einzelfall und paarintern mitunter ganz anders arrangiert war. Zwei Punkte markieren im wesentlichen den Bruch dieser Jahrgänge zu den Nachfolgenden: Zum einen eröffnet die Option zu postmateriellen Wertbindungen, dort 100
Eine der wenigen Arbeiten, die sich eingehend mit Liebesdiskurs und Geschlechtsidentitäten in den kurzen Jahren nach dem Krieg und vor Gründung der Bundesrepublik beschäftigen, ist die dekonstruktivistisch orientierte Studie von Massimo Perinelli (1999). Ihr liegt eine Analyse des Genres ‚Trümmerfilm‘ am Beispiel des Films ‚Liebe 47‘ von Horst Liebeneiner aus dem Jahr 1949 zugrunde. Perinelli zeichnet nach, dass im Übergang von den nationalsozialistischen Geschlechtermythen hin zum Rearrangement einer überwiegend patriarchalen Geschlechterordnung im neu gegründeten Deutschland eine kurze und bald verschüttete „diskursive Verschiebung“ im Verhältnis der Geschlechter stattgefunden habe. Perinelli versteht seinen Befund daher als Gegenthese zur geläufigen Vorstellung der „Kontinuität geschlechtlicher Identitäten nach dem Krieg“ (ebd.: 2; vgl. hierzu Kuhnert/Ackermann 1985).
4.2 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,frühen‘ Jahrgänge
125
also, wo das Prinzip „Partnerschaft als ‚Lebenskampf‘“ (Schelsky 1957: 49) nicht mehr in dieser Selbstverständlichkeit galt, für die Jahrgänge ab etwa 1940 allmählich die Möglichkeit zu biografischen Alternativhorizonten. Zum zweiten gelangt in der adoleszenten Lebensphase dieser Jahrgänge allmählich der Gedanke weiblicher Emanzipation in das kollektive Diskursfeld.
4.2
Rahmenpunkte privater Lebensführung der ‚frühen‘ Jahrgänge
Institutionelle Ebene: Ab Ende der 60er Jahre kommt es zu erhöhten Scheidungsquoten und Mitte der 70er Jahre zum stärksten Rückgang der Eheschließungszahlen seit Gründung der Bundesrepublik überhaupt. Das „golden age of marriage and the family“ (Sieder 1987: 243ff.) der 50er und frühen 60er Jahre scheint überschritten. Die Ehe als kulturelles Modell wird zwar nicht insgesamt in Frage gestellt, vielmehr lassen sich diese Erscheinungen auch aus Sicht einer gestiegenen Bedeutung der ‚richtigen‘ Partnerwahl lesen (Schäfers 1995: 128f., vgl. Berger/Kellner 1965). Da jedoch eigenständige weibliche Berufsexistenzen zunehmen, erfährt das Modell der Hausfrauenehe einen Bedeutungsverlust. Frauen können sich ab den 60er Jahren erstmals scheiden lassen, ohne sozialer Ächtung wie noch zuvor ausgesetzt zu sein. Flankiert von der juristischen Erleichterung des Scheidungsaktes sowie genereller Emotionalisierung der Sozialbezüge in der Ehe, steigen die Glückserwartungen abseits traditioneller Geschlechterarrangements überhaupt. Neben der mit der Bildungsexpansion einsetzenden Verflüssigung von Milieuschranken kommt ab Mitte bis Ende der 60er Jahre der ‚Pillenknick‘ hinzu. Die Verbreitung der Pille als rasch populärste Form der Empfängnisverhütung schuf vor allem Alternativhorizonte für Sexualität. Die schrittweise Erleichterung der Empfängniskontrolle ermöglichte nicht nur einen Einstellungswandel zum vorehelichen Geschlechtsverkehr und eine Aufweichung sexueller Tabus (Clement 1986), sondern bot Sexualität auch Auswege aus emotional-dauerhaften Intimbeziehungen (vgl. Lenz 2003a). Kulturelle Ebene: Das mit Wirtschaftswunder und Wohlstand erreichte relative Ende der Aufbauphase der Bundesrepublik brachte für diese Jugend damit neue Gelegenheitsstrukturen hervor, privates Leben zu definieren. In Jugend und Adoleszenz der Jahrgänge ab 1940 werden beispielsweise popkulturell vermittelte Werte selbstverständlich, nicht zuletzt als Ergebnis der Aneignung und Auseinandersetzung mit nordamerikanisch geprägten Identitätsofferten.101 Das Ende von materieller Not und familiärer Improvisation ermöglichte neue kollektive Reflexionspraxen. Bei den Jahrgängen ab etwa 1940 setzt sich der Modernisierungsschub 101
Vgl. hierzu die Studie von Maase (1992) zur Jugendzeitschrift ‚Bravo‘, als „Tiger“ (ebd.) der Amerikanisierung, die immer einen kulturübergreifend-affirmativen Blick in die (westliche) Internationalität offerierte. Maase bezeichnet sie daher als „Zeitschrift zwischen den Generationen“ (ebd.: 109) in den 50er Jahren.
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Westdeutschlands daher am stärksten jugendbiografisch durch: Die Restaurationsnormen überzeugen nicht mehr lebenspraktisch sondern werden zunehmend als Behinderung individueller Selbstentfaltung erlebt. Von diesem Standpunkt aus vollzieht sich durch diese Jahrgänge der Modernisierungsschub auch im ‚Inneren‘. Helmut Schelsky (1955) konstatierte bereits für die 50er Jahre Prozesse der Individualisierung in der zeitgenössischen Gestalt der Sexualität und der Liebe. Seine Zeitdiagnose lautete: „so emanzipiert sich auch die Liebe der Geschlechter von ihren traditionellen und institutionellen Ordnungen und erfährt ihr ‚wahres‘ Wesen mehr und mehr in den subjektiven Befindlichkeiten einer sich selbst spiegelnden und dramatisierenden Innenwelt der Person“ (ebd.: 107). Somit gerät die hegemoniale, vertikal ausgerichtete soziale Werthierarchie mit der sich in den späten 60er Jahren durchsetzenden, stärkeren Orientierung an postmaterialistischen Werten ins Wanken. Die zunehmend kritische Reflexion des bürgerlichen Wertehorizonts ergreift auch die Idee des Paares, der Ehe und der Familie (vgl. dazu auch Abschnitt 3.2.4): Für junge Menschen der Jahrgänge etwa ab 1940 wird die Frage, weshalb Liebe nur innerhalb der Ehe verwirklicht werden könne, auch kollektiv legitim. Die reine Sachehe überzeugt nicht mehr, die Lebensmaxime restaurativer Sozialvorgaben insgesamt erscheinen als fragwürdig oder hinfällig. Die 60er Jahre stehen damit stellvertretend für die allgemeine Liberalisierung der Sexualmoral und für massenmediale Aufklärungsangebote, etwa im Stile des Sexualaufklärers Oswald Kolles. Im Zuge der sogenannten ‚Sexwelle‘ wird Sexualität in Print, Werbung und Film massiv medialisiert und kommerzialisiert. Die Neue Frauenbewegung nahm dies zum Anlass, die darin vor allem stattfindende Zurschaustellung des weiblichen Körpers (vgl. Baackmann 1995: 52f.) anzuprangern. Der vormals noch schier unauflösliche Konnex von Sexualität und Ehe weicht aber insgesamt auf, und gerade die Ehe verliert sukzessive das Privileg zur körperlichen Intimität. Cas Wouters (1997) konstatiert für die 60er Jahre so einen generellen „Informalisierungsschub“ persönlicher Beziehungen, mit dem sich vor allem das Verhältnis zwischen Sexualität und Liebe entstandardisiert habe.102 Liebe und Sexualität, so Wouters, unterliegen in der Folge stärker einer Pflicht zum persönlichen Wachstum, das personale Moment in der Empfindungswelt der Subjekte überhaupt rücke in den Vordergrund.103 Autoritätskonflikte und Tabubrüche werden zum guten Ton, obwohl, wie Ulrich Clement (1986) überzeugend darstellt, das Moralische des Intimitäts102
Wouters Datenmaterial beschränkt sich zwar auf die Niederlande, konzeptionell nimmt der Autor jedoch eine überregionale, westeuropäische Perspektive ein. 103 So widersetzten sich in den 50er Jahren zwar bereits die Halbstarken – eine typische jugendliche Sozialfigur dieser Epoche – der Verzichtsmoral der sexualfeindlichen Ideologie der restaurativen Phase der Bundesrepublik durch jugendlichen Hedonismus und neue Körperkultur (vgl. Grotum 1994, Fischer-Kowalski 1983, Kuhnert/Ackermann 1985; zu Sexualität und jugendlicher Devianz vgl. Schelsky 1955 und Maase 1992). Die eher flüchtige Revoltepraxis dieses frühen Teils der 68er-Jahrgänge (eingehend Fischer-Kowalski 1983) ist wie auch sein älterer Teil (vor allem die Studentenbewegung) aber noch primär an den dominant restriktiven Elementen gemeinsamer Zeiterfahrung orientiert.
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diskurses der 50er Jahre im Prinzip des ‚Nicht-Dürfens‘ auch weiterhin erhalten bleibe, seine Umkehrung aber in der gesteckten Norm ‚Du-sollst-dürfen‘ findet. Geschlechtersemantik: Bei den Frauen dieser Jahrgänge wird infolge der beginnenden Bildungsexpansion die Option eigenständiger Lebensentwürfe unterstützt. Die noch zuvor selbstverständliche innerfamiliäre Arbeitsteilung in Form der Erwerbszentriertheit von Männern auf der einen Seite, und der Familienzentriertheit von Frauen mit primär ergänzender Erwerbstätigkeit auf der anderen Seite, verliert damit ansatzweise an Gewicht und Verbreitung (Mayer 2001: 453). Die traditionelle Rollenverpflichtung schwächt sich dadurch vor allem bei Frauen ab, trotz niedrigem Heiratsalter und höheren Kinderzahlen als in späteren Phasen. In den Hintergrundsüberzeugungen der Jahrgänge ab 1940 erodierte vor allem das bürgerliche Leitbild der konstitutiven Trennung von privater und öffentlicher Sphäre. Der gerade von studentischer Kritik getragene Zweifel an den bürgerlichen Differenzkategorien (öffentlich/privat, Körper/Geist, oben/unten), stellte die Authentizitätskriterien der Lebenspraxis nun unter die Leitdifferenz konventionell/unkonventionell. Von der politischen Frauenbewegung wurde dies jedoch als zu einseitig bewertet. Getragen vom Streben nach einer antiautoritären, geschlechtergerechten Zivilgesellschaft wurde auch die Intransparenz bestehender ehelicher Machtund Gewaltverhältnisse angeklagt und dabei die ‚Politisierung des Privaten‘, gefordert. Eine Folge davon war, dass dem Modell der ‚Geschlechtercharaktere‘ (Hausen 1976) – zumindest in der feministischen Kritik – die Legitimationsbasis entzogen wurde. Dies dürfte einer der wesentlichen Gründe dafür gewesen sein, dass sich privates Leben allgemein, im Speziellen die intimen Beziehungen, das Paar, die Ehe und Familie in der Folge auch für Bedeutungen und Arrangements öffneten, in denen Geschlechterdichotomien in den Hintergrund rücken. Allgemeine Generationsdebatte und Abschlusseinschätzung: Die Jahrgänge etwa zwischen 1940 und 1950 sind im wissenschaftlichen Diskurs zu westdeutschen Generationsgestalten Gegenstand einer außergewöhnlich breiten, facettenreichen, und in besonderer Weise politische Kategorien heranziehenden Debatte. Ein kultureller Scheidepunkt der bundesrepublikanischen Geschichte wird mit diesen Jahrgängen in Verbindung gebracht. Das Etikett 68er-Generation ist dabei zum Markenzeichen geworden. So haben diese 68er beispielsweise für Heinz Bude (1995) die Restaurationsphase der Bundesrepublik endgültig zu einem Ende gebracht: Bude schneidet den Zusammenhang der Lagerung dieser Generation mit den Jahrgängen 1938–1948 und meint damit die 1968 zwischen 20- und 30-Jährigen. Mit ihnen sei ein neuer, vor allem in politischer Hinsicht überwiegend von Altersgruppe getragener sozialer Typus gesellschaftlicher Erneuerung hervorgebracht worden. Mit den Jahrgängen etwa ab 1940 bis Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre entsteht demzufolge ein Generationszusammenhang, über den die Nachkriegsordnung der privaten Beziehungen gewissermaßen einen kollektiv-mentalen Bruch erfährt. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass die restaurativen Normen im Hinblick auf Privatheit und Liebe für die Jahrgänge ab 1940 erst in einem späteren Lebensalter fragwürdig werden, wie Michael Corsten (2001b) herausstellt (vgl. Abschnitt
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5.2.3). Die gesellschaftlichen Liberalisierungstendenzen, so Corsten, stellen zwar einen konstitutiven Teil ihrer gemeinsamen adoleszenten Erlebnisschichtung dar, ihre Lebensverläufe und Lebenskonstruktionen sind damit aber nicht schon liberalisiert. Die dargestellten Rahmungen der kollektiven Erfahrung sensibilisieren hier bloß im Sinne vorstellbarer Bezugsgrößen der biografischen Selbstthematisierung. Erst mit der empirischen Materialanalyse kann ein Bild darüber gewonnen werden, welche Sinnstiftungen der Liebe bei diesen Jahrgängen vorherrschen und in welchem Verhältnis diese zu objektiven historischen Gelegenheitsstrukturen stehen. An die Materialanalyse ist daher immer auch die Frage zu richten, welche (typischen) Problemdeutungen in der Liebe in den einzelnen Jahrgangsgruppen überhaupt vorherrschen, mit welchen biografischen Erfahrungen sie verknüpft sind, und welche (typischen) Handlungsstrategien daraus abgeleitet werden. Mit Bezug auf die hier angesprochenen Jahrgänge etwa zwischen 1940–1950 lässt sich so die Frage stellen: Zeichnet sich der zum Idiom gewordene, revolutionäre ‚Geist‘ der 68er-Zeit tatsächlich immer in ihren Selbstthematisierungen ab? Falls gegeben, welche Widersprüche zwischen Anspruch und faktischer Lebensführung werden wahrgenommen? Und: (Wie) lässt sich eine geschlechtsspezifische Komponente nachweisen? Es geht es also um die Rekonstruktion von Deutungsleistungen in Bezug auf Adoleszenzerfahrungen (und sozialpsychologisch: ‚Adoleszenzkrisen‘; vgl. Döbert/Nunner-Winkler 1982) und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen zum Stellenwert der romantischen Liebe in der individuellen Lebenspraxis. Daher zur ersten Fallstudie aus den ‚frühen‘ Jahrgängen: 4.2.1
Ingeborg S.:104 „Schattenseiten“ der Liebe105
Ingeborg S. ist 1942 in der Nähe von X-Stadt aufgewachsen und Einzelkind.106 Ihre Mutter (Jahrgang 1911) absolviert eine Hauswirtschaftslehre, führt aber nach der Geburt des Kindes keine Erwerbstätigkeit aus. Der 1906 geborene Vater gründet nach Kriegsgefangenschaft ein großes Medienunternehmen in Westdeutschland. Ingeborg S. besuchte ein reines Mädchengymnasium und bezeichnet ihr Elternhaus – 104
Aufgrund der Unmöglichkeit, den tatsächlichen Forschungsgang sinnrekonstruktiver Arbeitsweise darzustellen, sind die folgenden Falldarstellungen ergebnisorientiert. Statt einer akribischen Dokumentation des fallanalytischen Auswertungsprozesses ist also eine schlüssige und lesbare Darstellung der Ergebnisse gefordert, in der nicht sämtliche durchgespielten Lesarten aufgeführt werden. Daher beschränkt sich die Darstellung auch auf diejenigen Auswertungsstationen, welche als wesentlich für das Verständnis der Fallstruktur identifiziert wurden. 105 Diese Fallstudie nimmt im Vergleich zu den darauf folgenden Fallstudien darstellerisch besonders großen Raum ein. Sie steht am deutlichsten stellvertretend zur Veranschaulichung für die in dieser Arbeit angewendete, sequentielle Textanalyse (vgl. Abschnitt 3.3.3) und eignet sich zugleich gut zur Bildung von Vergleichsdimensionen. 106 Alle Personennamen, Berufs- und Ortsangaben sämtlicher Fallstudien wurden maskiert.
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in dem regelmäßig halböffentliche Literaturabende veranstaltet wurden – als „bildungsbürgerlich“. In jungen Jahren hielt sie sich nach eigener Angabe bevorzugt in „intellektuellen Kreisen“ auf, dort wo man, wie sie sagt, „schwarze Rollkragenpullover“ trug, statt Bier „guten Rotwein“ trank, und mit den „Halbstarken in Lederjacken“ nichts habe anfangen können. Die Milieuindizien lassen damit vermuten, dass Ingeborg S. der intellektuellen Bohémekultur der 60er Jahre angehörte bzw. den „Exis“ (Krüger 1985), d. h. den an französischen Vorbildern orientierten, zwar libertär eingestellten, aber dennoch konservativen Existenzialisten. Beginnend von den frühen 70er Jahren war Ingeborg S. für zwölf Jahre verheiratet, lebt seit ihrer Scheidung alleine, und hat aus der Ehe eine 1975 und eine 1980 geborene Tochter. Sie wohnt, nach einem abgebrochenen Architekturstudium in einer anderen Stadt, und nach einer Lehre als Kauffrau seit 1970 in X-Stadt. Zum Zeitpunkt des Interviews ist Ingeborg S. seit 15 Jahren Mitleiterin einer Promotionsagentur. Die Falldarstellung beginnt direkt mit dem aufgezeichneten Intervieweinstieg. a)
Die Rhetorik der ‚Schattenseiten‘ der Liebe107 I: Ja also, wenn Sie sich zurückerinnern, auch an Kindheit und Jugend, was würden Sie sagen, wann sind Sie so zum ersten Mal mit dem Thema Liebe in Berührung gekommen?108 I.S.: Ähm, Thema Liebe, ähm sagen wir mal, ich bin also eher mit, mit den Schattenseiten als allererstes in Berührung gekommen. Dazu muss ich insofern etwas ausholen ähm meine Mutter und ich wir waren während des Krieges evakuiert auf ein Dorf in der Nähe von YStadt und lebten dort alleine, mein Vater war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft und ging dann als er daraus entlassen wurde nach X-Stadt, baute einen Verlag auf und äh hat also dann diese ersten Jahre hier in X-Stadt verbracht bis 1950. Und meine Mutter und ich wir lebten wie gesagt noch mit anderen Verwandten auf einem Dorf, insofern ähm hab‘ ich also sozusagen eheliche Liebe äh nicht, in jungen Jahren vor Augen gehabt ähm wir kamen dann 1950 auch nach X-Stadt und da hatte sich durch diese Kriegssituation hatten sich also meine Eltern bereits auseinanderdividiert. Und insofern hab ich eigentlich als Beispiel für äh ja für Ehe eigentlich nur Unangenehmes in Erinnerung. Mein Vater, der hier also schon mitten im Aufbau war, meine Mutter die vom Lande kam, das ging überhaupt nicht gut und äh so meine Vorstellung von Liebe war eben keine realistische, sondern eine die ich aus Büchern hatte.
107
Zur Übersichtlichkeit untergliedere ich die folgende, wie auch alle weiteren Falldarstellungen in von Fall zu Fall variierende Segmente (a., b., …). Die jeweilige Titelbezeichnung greift dabei entweder Stichworte aus den Interviewpassagen oder bereits Aspekte der Interpretation auf. 108 Wie in Abschnitt 3.1.6 erwähnt, wurden die Interviewgespräche ohne jegliche Glättung wörtlich verschriftlicht. Der Lesbarkeit halber wurde allerdings auf eine Überzahl von Transkriptionsnotationen verzichtet. In Klammern stehen entweder die mit einer Ziffer verzeichnete Länge einer Sprechpause oder andere parasprachliche Merkmale wie „(lacht)“. Der Abbruch eines Redesegments ist mit einem Punkt vermerkt, auch wenn ein gesprochener Satz damit nicht wie im üblichen grammatikalischen Sinn beendet war. Betonte Wörter oder Satzteile sind unterstrichen. Das Kürzel I steht jeweils für Interviewer, und alle weiteren Kürzel für die anonymisierten Namensbezeichnungen der Befragten.
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Der Eingangsstimulus ist passiv formuliert und spannt eine biografische Perspektive auf. Es wird gefragt nach einem ‚in-Berührung-gekommen-Sein‘ mit „dem Thema Liebe“ in „Kindheit und Jugend“. Trotzdem dies etwas umständlich anmutet, funktioniert dieser Stimulus: Die Befragte greift die Frage reformulierend auf, und gibt an, „eher“ und „allererstens“ mit „den Schattenseiten“ in Berührung gekommen zu sein. Welche Erzählrahmung wird damit entworfen? Durch die Floskel „sagen wir mal“ befindet sich die Befragte im Modus reflektierender Selbstbezugnahme in der Spielart der Abwägung. Sie sucht nach einer tragfähigen Arbeitshypothese als Antwort auf die Eingangsfrage und steigt dabei in eine Aussageform ein, die für Revidierungen und Modifikationen offen bleiben soll. Dabei ist die inhaltliche Unterscheidung des Liebesthemas als Differenz zwischen Licht und Schatten vielfältig auslegbar. Eine gewisse Zweischneidigkeit des Gegenstandes steht jedoch im Mittelpunkt. Man denke in Anlehnung an Goffman (1969) etwa an Vorder- und Hinterbühne oder einen Sachverhalt der zwei Seiten hat, zum Beispiel eine schöne, lichtvolle, zugleich eine verdeckt bleibende, eher schattige, glanzlose, womöglich schäbige „Seite“ der Liebe. In der Bildsprache der Befragten ist eventuell eine Wertung eingelassen. Sucht man nach plausiblen Lesarten, könnte es mit der hell/dunkel-Metapher um die Differenz ‚Ideal versus nicht-ideale (vielleicht ‚bittere‘) Realität‘ gehen. Oder auch um die Differenz Illusion/Desillusion. Möglicherweise will Ingeborg S. dem Interviewer gleich zu Beginn vermitteln: Es ist eine Illusion, dass Liebe nur lichtvoll sei, hinter dem Ideal lauern auch Schattenseiten. Nach diesem Abstecken einer grundsätzlichen Erzählrahmung bricht sie noch im gleichen Satz ab und gibt an, „insofern etwas ausholen“ zu müssen. Es erfolgt ein Übergang zur Selbsthistorisierung: Allein mit der Mutter in einem Dorf aufgewachsen, der Vater in Kriegsgefangenschaft, habe Ingeborg S. die „eheliche Liebe“ der Eltern „nicht in jungen Jahren vor Augen gehabt“. Ihre Vorstellungen entsprangen lediglich Büchern. Im Vordergrund der Erzählfigur steht die Kriegserfahrung und die dadurch in Unordnung gebrachten Lebensverhältnisse von Kindheit und Familie. Der rethorische Nexus besteht somit in der zerrütteten Familie bis Beginn der 50er Jahre. Mit Heinz Bude (1995) könnte an dieser Stelle gesagt werden, hier zeigt sich die große Nachkriegserzählung der 68er-Generation mit den Geburtsjahrgängen etwa Ende der 30er bis Ende der 40er Jahre: Der in der Kindheit erlebte Krieg und ein in der Jugend erfahrener Zwang zu familiärer Improvisation, gepaart mit dem Drang zu materiellem Aufbau, hingegen mangelndem Raum für individuelle Befindlichkeiten oder übersteigerte Sinnfragen. Ingeborg S. stellt ihre individuelle Schilderung in einen historischen Rahmen, behauptet eine spezifische biografische Determinierung und zeichnet damit ein erstes Bild ‚ihrer Zeit‘: Diese war geprägt von den Defiziten und der Diffusität des Nachkriegsfamilienlebens sowie dem daraus resultierenden Unvermögen, an einer ‚heilen Familie‘, somit am Ideal geordneter Nahbeziehungen zu partizipieren. In diesem Zusammenhang fährt sie fort: I.S.: Ich habe immer sehr viel gelesen, also in unserm Haus wurde sehr viel gelesen und insofern hatte ich also eine völlig romantische ähm Vorstellung von Liebe. Äh ich kann mich erinnern also das zog sich also auch ziemlich lange hin, ich denke mir das war auch sicher-
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lich ne Flucht in die Romantik, nich? Weil also das was ich so real vor Augen hatte eigentlich so fürchterlich war. Denn meine Eltern haben zwar bis zu ihrem Tode zusammen gelebt aber wie Hund und Katze (lacht) und äh insofern war das also für mich sicherlich also auch was Tröstliches also dann also diese romantische Vorstellung von Liebe zu haben äh die natürlich total unrealistisch war. Und immer wenn’s äh ja äh also mit solchen Worten operierte wie, als wenn’s handfest zur Sache ging dann wallten eben die rosaroten Schleier nich? (lacht). Das war so meine Vorstellung von Sexualität, die rosaroten Schleier, die wallten. I: Das ist jetzt so eine stehende Floskel, oder …? I.S.: Ja ja das war so sehr typisch für ja die 50er Jahre, war natürlich auch ziemlich verklemmt. Und ich bin in einem sehr prüden Haushalt aufgewachsen, mein Vater war der Vorsitzende der Aktion saubere Leinwand (lacht) die sich damals etablierte. Und entsprechend war in unserem Haushalt diese Seite der Liebe kein Thema.
Ingeborg S. drückt aus, ihr Liebesideal sei quasi überromantisiert gewesen. Dies führt sie aber nicht allein auf ihre intellektuelle Bildungsgeschichte zurück. Sie verleiht dieser Deutung zugleich eine individuelle Erfahrungsbasis in der Herkunftsfamilie, wo sie eine „fürchterliche“ Realität kennen gelernt habe. Obwohl oder da die Eltern auch ohne Liebe zusammenhielten, habe sie selbst mittels ihrer Literaturerfahrungen eine „Flucht“ in die Romantik unternommen. Mit der Unterscheidung realistisch/unrealistisch variiert Ingeborg S. ihre Eingangs-Erzählfigur. Hier nun illustriert am Beispiel der Sexualität, wofür sie die literarisch-verklärende Metapher „rosarote Schleier“ wählt. Als Gegenhorizont wird eine Sexualität entworfen, wo es „handfest zur Sache“ gehe. Aus Sicht der Rhetorik fällt die plakative Bildsprache ins Auge. Weshalb existiert hier eine so starke Polarisierung? Dazu ist die bislang noch offene Frage nach Ingeborg S.s Kennzeichnung von ‚realistischer‘ vs. ‚unrealistischer‘ Liebe zu beantworten: I: Ja wenn Sie vielleicht äh sagen was Sie da gelesen haben genau? I.S.: Es fängt natürlich an bei diesen ganzen Mädchenbüchern. Es war nicht mehr äh Nesthäkchen, sondern wirklich die kongeniale Fortsetzung es nannte sich Pucki. Eine fünfziger Jahre Schmonzette über 10 Bände. Ich weiß, dass mich immer besonders interessierte wo Mädchen ins Ausland gingen, und dort ihr Glück fanden, das hatte also auch so was von ne Verbindung von Liebe und Exotik. Mein Sinn für Romantik wurde also dadurch glaub‘ ich gut genährt, durch diese Romane, Trivialliteratur. Heute weiß ich, dass sich da also ein Bild aufgebaut hat, was total unrealistisch ist, nich? Diese sozusagen immerwährende Liebe, dass man eigentlich den Anderen ohne Vorbehalte liebt was immer auch passiert, dass eigentlich gar keine Konflikte vorkommen. Da ich kein wie gesagt realistisches Bild vor Augen hatte, wie also eine Beziehung die gut ist, auch wenn sie Probleme hat, ähm also war mein Vorstellungsbild, so wie deine Eltern willst Du ja nicht sein, also Harmonie auf allen Kanälen.
Indem sie abwertende Bilder des Kitsches verwendet, vermutet Ingeborg S. einerseits eine frühe Determinierung ihrer Liebesvorstellungen durch ‚triviale‘ Mädchenbücher. Andererseits ist sie nicht entschieden darin, zwischen dem Irrealen der schönen Lektürebilder, und dem Realen, aber oft Schattenhaften, ein endgültiges Wertmaß zu finden. Dabei fügt sich die Erwähnung von Jugendliteratur, in denen die
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Protagonistinnen ihr Lebensglück in fremden und „exotischen“ Ländern suchen, zwar in zeittypische ‚Glücksmuster‘ bzw. in ein bestimmtes Lebensgefühl der 50er Jahre ein. Die Verbindung von Liebe und Exotik ist, wie bereits erwähnt, ein geläufiger Topos von Schlager, Liebesfilm und Belletristik jener Epoche (‚Italiensehnsucht‘, vgl. Abschnitt 4.1). Das Exotische ist für Ingeborg S. dabei eine Projektionsfolie für all das, was die elterliche Realität nicht bot. I.S.: Ich konnte mir das nie vorstellen, dass meine Eltern sich überhaupt jemals geliebt haben, weil es war eigentlich nur Enttäuschung da, das was ich erlebt habe. Wut. Also mein Vater war wie gesagt ein erfolgreicher Verlagsdirektor, der auch in diesen Kreisen da verkehrte, sicherlich auch außerordentlich anregende Frauen kennen lernte. Und meine Mutter kam als Landpomeranze vom Dorf. Ich denk mir zum damaligen Zeitpunkt hat sie sehr abgestochen von dem Kreis in dem sich mein Vater bewegte äh dagegen war Sie dann also sicherlich kleinbürgerlich und er erlebte zum ersten Mal ah große, weite Welt, also auch internationale Verbindungen. Meine Mutter war dann immer hier zu Hause, war sehr wütend, war sehr gekränkt, und mein Vater wollte glaube ich, die Ehe sehr gerne aufgeben. Sie habens ja letztlich nicht getan, was ich sehr schade finde, sie hätten mir sicherlich ne Menge erspart damit. Und ich hab denn mal im Bücherschrank Briefe gefunden von meinen Eltern aus der Zeit bevor Sie geheiratet haben oder aus den Anfangsjahren Ihrer Ehe, das hat mich fast geschockt, dass da also zwischen zwei Menschen die ich eigentlich nur so kannte, so eine Verbindung gewesen ist. Das hat sich auch nie aufgelöst, sie sind ja nie wieder irgendwann zueinander gekommen sondern also Partnerschaft, joa (gedehnt), und Liebe, konnt ich also nie zusammen bringen, nich?
Worin besteht eigentlich das schwierige Verhältnis der Eltern? Auf den ersten Blick geht es um Milieuunterschiede und damit einhergehende soziale Schranken. Bei genauerer Betrachtung ist es zutreffender, von einer Individualisierungsasymmetrie zwischen den Geschlechtern zu sprechen. So taugte die Verbindung von „erfolgreichem Verlagsdirektor“ und „Landpomeranze“ nur für eine erste Verliebtheitsphase (Liebesbriefe). Mit der beruflichen Karriere des Ehemanns dividierte sich das Verhältnis von ‚Weltmann‘ und ‚Provinzfrau‘ immer stärker auseinander. Die Beziehung zeichnet sich dabei als eine zeittypische Gestalt aus: Der berufliche Erfolg des Mannes wird von der Ehefrau unterstützt und gewährleistet, jedoch ohne dass diese selbst am Zuwachs seines symbolischen und sozialen Kapitals partizipieren kann. Sie erfährt ganz im Gegenteil innerhalb der Beziehungsökonomie eine zunehmend schwächere Position. Dieses, eine Asymmetrie von Individualisierungschancen erzeugende Geschlechterschema scheint es zu sein, gegen welches Ingeborg S. eine Gegenwelt errichten will. Das ‚Immerwährende‘, ‚Vorbehalts- und ‚Konfliktlose‘, als Attribute des mit ihrer Jugendlektüre angeeigneten Liebesleitbildes, wird ihr vor dem Hintergrund der elterlichen Realität verdächtig. Aus der Gegenwartsperspektive erscheinen Ingeborg S. diese Versprechungen als Trugbild einer, wie sie es formuliert, „Harmonie auf allen Kanälen“. b)
Liebe ‚realistisch‘ und ‚unrealistisch‘ I: Hat sich dann später ein realistisches Bild eigentlich entwickelt in der Liebe, kann man das so
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I.S.: Das realistische Bild, also meine erste große Jugendliebe, ähm das hatte nun überhaupt nichts mit Harmonie zu tun, sondern das war also eine ganz hochproblematische Angelegenheit. Ich lebte ja nun, also meine Eltern, wir waren für damalige Verhältnisse glaub ich relativ begütert und ich wuchs so in einem gutbürgerlichen Haushalt auf. Ähm diese erste große Liebe, es war ein Medizinstudent, der gleichzeitig auch Klarinette spielte und aus einem stramm sozialistischen Elternhaus kam. Heute würde ich sagen, er war Edelkommunist (lacht). Und er hatte furchtbare Probleme mit meinem Elternhaus. Das hat er also ganz stark abgelehnt und meine Eltern haben natürlich ihn als sozusagen ähm Vertreter der roten Gefahr (lacht) die haben ihn natürlich noch mehr abgelehnt, nich? Und ich fand das toll, also wie jemand aus einem so völlig andern Lebenskreis, das fand ich außerordentlich exotisch. Ausgehend von diesem Milieu in dem ich aufgewachsen bin, das waren alles die gut behüteten Töchter von Lehrern, Rechtsanwälten äh ja dass war äh Kaufleuten, Ärzte, also das war alles so ein Klüngel, und da war ich nun mit diesem Freund wirklich exotisch, es fällt mir richtig auf, wie dieses Wort immer wieder auftaucht bei mir (lacht). Meine Werte haben ihn total aufgeregt. Wir haben Stunden um Stunden diskutiert, also es war nix mit Harmonie, sondern hochproblematisch aber hoch aufregend. Und er hat mit mir sozusagen die Lebensweise meiner Eltern, ähm das hat er außerordentlich in Frage gestellt und ich fing auch an in Frage zu stellen und war damals sowieso, also ich fing an mich politisch zu interessieren äh hab also lange Diskussionen mit meinen Eltern geführt.
Mit der ersten Jugendliebe wird das Rezeptwissen ihrer Mädchenbücher wirkungslos: Der „Edelkommunist“ bietet die Gelegenheit, gegen das Elternhaus zu opponieren. Ingeborg S.s Jugendliebe-Erfahrung ist in diesem Sinne für sie gleichzeitig eine politisierende Erfahrung. Die Lebensweise der Eltern erscheint ihr nun als Ausdruck falscher Wertmaßstäbe. Das, wie sie sagt, ‚Problematische‘ der Konflikte mit dem Freund, hatte damit eine andere Qualität als das beschriebene „Fürchterliche“ bei den Eltern: Nun steht eher ein politisch motiviertes Ringen um vertretbare Normen privater Lebensführung im Vordergrund. In diesem Kontext fällt Ingeborg S. auf, wie häufig sie den Begriff des ‚Exotischen‘ ins Zentrum ihrer Schilderungen stellt. Es ist vermutlich der Kontrast ihrer Erfahrungen zu dem Lebensmuster ihrer Eltern, der ihr bereits all das exotisch vorkommen lässt, was nicht an die Eltern erinnert. I.S.: Also ich bin auf ein reines Mädchengymnasium gegangen, schon von daher warn Jungs junge Männer, wenn man denn keine Brüder hatte, warn schon so was wie von einem andern Stern, etwas ganz und gar Anderes, Unverständliches (lacht) äh Aufregendes. Es hat mich verfolgt, diese ähm, nicht normal mit Männern umzugehen, also es hat mich auch geärgert, also selbst meine Skilehrerin war weiblich (lacht).
Auf die schulische Geschlechtertrennung führt Ingeborg S. zurück, von früh an „nicht normal“ mit Männern Umgang erlernt zu haben, wobei es offen bleibt, wie ein ‚normaler‘ Umgang in ihren Augen ausgesehen hätte. So oder so werden Jungen und Männer für sie dadurch zu etwas Gesondertem. Zeitwandel zeigt sich an diesem Beispiel auch auf einer Oberflächenebene, denn die infolge der institutionalisierten räumlichen Trennung von Frauen und Männern in Bildungseinrichtungen gestützte Erfahrung differenter ‚Geschlechterwelten‘ ist inzwischen selten geworden. An dieser Stelle kommt Ingeborg S. auf das Thema Emanzipation zu sprechen.
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I.S.: Abgesehen davon, dass ich also höhere Töch, höhere Tochter war, war ich aber auch auf einer Mädchenschule die sich ähm der Emanzipation aber also auch auf ne ganz besondere Weise verschrieben hatte. Emanzipation nicht im Sinne von Alice Schwarzer, sondern Emanzipation im Sinne von, eine Frau hat einen Beruf zu haben, hat ein Studium zu absolvieren. Es war eine mentale Tradition auf dieser Schule, das wurde erwartet und nur Hausfrau zu sein, ja davon ging man gar nicht aus, nich. Insofern war mir auch völlig klar, dass ich studieren würde. (…). Ja, also ich war zwar in diesen Debattierclubs, dieser politische Aufruhr damals, der hat sich aber eigentlich nur wirklich auf mein politisches Leben bezogen. Diese Libertinage die auch in sexueller Hinsicht ähm dann populär wurde, das hab ich nicht mitgemacht. Also einfach meine besondere Persönlichkeitsstruktur war, äh war davor. Also ich konnte das nicht, ich hab das nie verurteilt, überhaupt nicht, gar nicht, also, fand das auch total normal bei äh Freundinnen oder so was. Ich hab dann schon, also mit jungen Frauen zu tun gehabt, die also ganz anders lebten als ich und in dieser Hinsicht also auch sehr viel freizügiger lebten, aber ich selber konnte es nicht. Und hab das auch nicht mitgemacht. Und wie gesagt, es hatte nichts mit Moral überhaupt nichts mit Moral zu tun, das hatte glaub ich, eher mit Barrieren zu tun, die einfach in meiner Vergangenheit lagen. (…). Ich hab meine Emanzipation immer anders verstanden, es war also schon ein ganz starkes Bedürfnis von mir emanzipiert zu sein, mich also auch zu befreien von äh von Diktaten, die also auch von meinem Vater oder äh Erwartungen, die immer schon an Frauen gestellt wurden, denen wollte ich eigentlich gar nicht entsprechen. Ich wollte auch nicht den Erwartungen von Männern generell entsprechen. Es war früher so üblich: Im allgemeinen hatte de, ein junger Mann ein Auto, er holte das Mädchen ab und dann fuhr man auf irgendeine Party oder ging aus und anschließend fuhr er das Mädchen nach Hause und dann forderte er im Grunde genommen als Fahrpreis äh dann noch ne Knutscherei im Auto (lacht). Das war mir immer wichtig, ich hatte schon sehr früh ein Auto, dass ich diejenige war, die fuhr und ich diejenige war die bestimmte wann gegangen wurde, wenn er denn mitfahren wollte und äh von daher, und er überhaupt gar keine sozusagen Berechtigung hatte, also die Knutscherei im Auto zu verlangen (lacht) wenn ich sie denn nicht wollte. Das ist nur im ganz kleinen Sinn, aber es ist schon symptomatisch, also ich wollte schon diejenige sein die bestimmt, wo’s längs geht.
Den Einzug der sexuellen Liberalisierung in den 60er Jahren erlebt Ingeborg S. zwar als eine neue Zeitströmung, individuell bleibt ihr dieser Epochenwandel hingegen äußerlich. Sie registriert die Erosion jener Intimitätsnormen, die noch für ihre Elterngeneration galt, selbst jedoch sexuell so freizügig zu sein wie die Anderen, verhinderten ihre „besondere Persönlichkeitsstruktur“ und die von ihr mit Erfahrungen im Elternhaus begründeten „Barrieren“. Dabei ist es ihr wichtig, zu betonen, dass ihre damalige Haltung keinem moralischen Werturteil entsprang. Vielmehr positioniert sie sich als progressive und keineswegs moralinsaure Person, die aber dennoch infolge ihrer individuellen „Vita“ eher konventionell orientiert war. Warum auch nicht? – könnte man an dieser Stelle fragen. Und: Weshalb sollte ihre Haltung überhaupt etwas (sie selbst betont: „überhaupt nichts“) mit Moral zu tun haben? Die Bedeutung dieser Richtigstellung rührt – so die hier vertretene These – aus der selbst auferlegten Aufgabe, sich auch heute noch gegenüber dem normativen Zeitgeist ihrer Generationserfahrung zu legitimieren. Die Dringlichkeit, mit der Ingeborg S. den Verdacht des Moralischen an ihrer eigenen Person zu tilgen bemüht ist, lässt vermuten, dass moralische Urteile für sie beim Thema sexuelle Liberalität doch eine Schlüsselbedeutung besitzen.
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Der Liberalisierungstendenz in ihrer historischen Generationserfahrung verleiht Ingeborg S. auf diese Weise den Anstrich einer vorwiegend intellektuellen Erfahrung. So partizipierte sie zwar mit der Teilnahme an sogenannten „Debattierclubs“ am Zeitgeist jener Kreise, die die herrschenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse in Frage stellten. Emanzipation verstand sie hingegen primär als Aufforderung zur Selbstbestimmung, verbildlicht am Beispiel des Nachhausefahrens im eigenen Auto: Sofern sie das männliche Privileg des Autobesitzes außer Kraft setzen konnte, war sie von jener unausgesprochenen Reziprozitätsregel entbunden, über die männliche Sicherungsleistung gegen weiblichen ‚Liebesdienst‘ eingefordert wurde. Einen eigenen PKW zu besitzen, setzte diese Form der Geschlechterökonomie außer Kraft, da Ingeborg S. sich selbst deren Mittel bemächtigte. Auch bezogen auf die Paarebene durchkreuzt sie diese Logik und entwickelt in Folge ihres in der Mädchenschule hervorgebrachten Berufswunsches („mentale Tradition“) konsequent eine eigene Erwerbsidentität. c)
Liebesideal und reale Ehepraxis
Ingeborg S. wechselte 1963 nach dem Abitur für ein Studium der Architektur nach Z-Stadt. Der eifersüchtige Freund erträgt die unbeirrten Berufsambitionen seiner Partnerin nicht, letztlich zerbricht darüber die Beziehung: I.S.: Ja, ja so ging diese erste Liebe zu Ende, die letztlich scheiterte an meinem Berufswunsch. Ich war dann auch sehr schnell im Asta, für das Kulturreferat zuständig und hatte auch zig Techtelmechtel auf der Uni. Ich habe mir aber immer, das ist mir auch später erst klar geworden, immer Freunde gesucht, die für mich auf irgendeine Weise unerreichbar waren, also unerreichbar im Sinne von, also ich fand die ganz toll, aber ich hab mich nie einem wirklichen Zusammenleben ausgesetzt. Ich hatte Angst vor Beziehungen, hatte Angst davor, dass Beziehungen Leid, Enttäuschung, Wut bringen, wie ich das an meinen Eltern gesehen habe. Und ich glaub auch, diese romantischen Vorstellungen wollt ich mir nicht nehmen lassen. Die wollt ich nicht der Realität aussetzen, ja. Also es gab immer, das ist mir auch erst später klar geworden, dass es da ein Muster gab, Leute oder auch junge Männer, Jungs, die mich mochten, und dann gab es einige wenige, für die ich schwärmte und das Wort sagt es schon, ich schwärmte für die, aber die warn für mich unerreichbar. Und wenn denn mal einer wirklich dann anfing sich für mich zu interessieren, wurde er für mich uninteressant, und das ist das was ich Ihnen eben gesagt habe. Das Unerreichbare, nich, es musste auf irgendeine Weise unerreichbar sein. (…). Die zweite große und wichtige Beziehung in meinem Leben, da war ich 23, das war ein kanadischer Diplomat, er hieß Andrew, der also zum einen 21 Jahre älter war als und zum zweiten war er in Kanada immer noch verheiratet. Zwar lebte seine Frau mit einem anderen Mann zusammen, und zum dritten wurde er zwei Jahre nachdem wir uns kennen gelernt hatten, is er also über die ganze Welt hinweg eingesetzt worden. Und das war also eigentlich was ganz Tolles, aber er war ja auch weit weg. Und das hat mir also lange Zeit also auch wirklich genügt.
Mit Andrew, der räumlich weit entfernten, zweiten „großen Liebe“, traf sich Ingeborg S. in der Folge regelmäßig anlässlich dessen Deutschlandbesuchen. Zwischenzeitlich lernte sie ihren späteren Ehemann kennen. Nachdem es Ingeborg S. etwa im
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30. Lebensjahr, wie sie sagt, „gedämmert“ habe, sie werde nie mit Andrew fest zusammen leben, heiratet sie schließlich und gründet eine Familie. Das insgesamt etwa 20 Jahre anhaltende Verhältnis zu Andrew wird aber fast über den ganzen Zeitraum der 12-jährigen Ehe lose, später auch mit Billigung ihres Ehemanns aufrechterhalten. In ihrer Liebesdeutung ist allerdings die Figur des „Unerreichbaren“ dominant. Sie interpretiert diese Deutung als Schutz gegenüber Enttäuschungen und zieht zur Plausibilisierung abermals die elterliche Welt heran. Aber auch das Beispiel der abgewiesenen Verehrer ihrer Jugendzeit verdeutlicht das Motiv der Distanz in Ingeborg S.s Wunschwelt, das in einer deutlichen Spaltung zwischen Liebesideal und faktischen Beziehungsverhältnissen zum Ausdruck kommt. Mit dem entfernten Andrew kann sie beides zueinander bringen, ohne „realen“ Alltag leben zu müssen. Wie aber balanciert sie affirmierte Liebe und tatsächliche Alltagsbeziehung? Ende der 60er Jahre bricht Ingeborg S. das begonnene Studium ab und absolviert eine Ausbildung zur Kauffrau. In einer späteren Passage merkt sie an, dass von dort an – sie ist nun 27 Jahre alt – ihr „Lebensweg gerade verlaufen“ sei. I.S.: Inzwischen hatte sich aber die Sache mit der romantischen Liebe doch, mmmh (3), ich hab sie immer noch irgendwo in einer Ecke meines Kopfes, hab ich sie gehabt, letztlich geheiratet habe ich aus ganz anderen Motiven. Mein Mann war ein ganz lieber Verständnisvoller, und ich hatte damals Riesenprobleme mit meinen Eltern, er war Kfz-Mechaniker. Ich fühlte mich bei ihm gut aufgehoben, wir sind zusammengezogen, und er wollte es eigentlich, und war mir also, in vieler Hinsicht eindeutig unterlegen. Auf der anderen Seite war er jemand, dem ich hundertprozentig vertraute. Ich sagte mir, wenn ich mal durch einen Unfall ein Bein abhabe, er wird jemand sein, der immer bei mir bleibt, so dieses absolut sich verlassen können war für mich eigentlich seinerzeit das Ausschlaggebende. Romantik spielte allenfalls in den ersten Monaten als wir uns kennen gelernt haben eine Rolle, aber schon zum Zeitpunkt der Heirat nicht. Ich war damit nicht unglücklich, nein gar nicht, er war jemand, den meine Eltern überhaupt nicht akzeptierten, weil er auch aus einer Gesellschaftsschicht kam, die ihnen nicht passte und als ich mich für ihn entschied, entschied ich mich eigentlich auch gegen mein Elternhaus, also auch den Bruch so, so vollzogen habe. 74‘ geheiratet, und wurde ein Jahr später meine erste Tochter geboren und ich war auf eine bescheidene, nö nö gar nicht wahr, nicht nur bescheiden, ich war, also auf meine Art glücklich. Ich war erfolgreich im Beruf, ich hatte gar nicht gewusst, dass es mir so viel Spaß macht ein Kind zu haben, ich fühlte mich von meinen Mann geliebt, ich fühlte mich von meinem Kind geliebt, ich fühlte mich nach der Geburt wieder von meinen Eltern geliebt, also ähm, besser konnt’s mir gar nicht gehen. Aber die Romantik war auf der Strecke geblieben.
Mit der Eheschließung vollzieht Ingeborg S. einen Bruch mit den Erwartungen des Elternhauses. Der gewählte Lebenspartner erfüllt nicht die von den Eltern gehegten Statuserwartungen. Die Tochter heiratet aus deren Sicht in ein niedrigeres Milieu, was für diese Zeit eher atypisch ist. Ingeborg S. hingegen wählt einen zwar in jeder Hinsicht „verlässlichen“, jedoch „unterlegenen“ Ehemann. Statussymbolisch ist dieser Mann für sie ‚wert‘-los. Sie wählt aber den partnerschaftlichen Weg der Geborgenheit und Zuverlässigkeit und erlangt ein funktionales Lebens- und Ehearrangement, dass ihr auch Glückserleben ermöglicht. In der Familienorganisation beschränkt sie sich nicht nur auf
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die Aufgabe der Familienpflege, es gelingt ihr, Familie und Beruf zu integrieren. Dass dabei die Liebe „auf der Strecke“ geblieben sei, leitet Ingeborg S. wie folgt ab: I.S.: Ich hab meinen Mann auch erdrückt mit meiner Art, ich habe ihn auch gepusht in seinem Beruf, du kannst doch nicht zufrieden sein als Mechanikergeselle, das kann ich überhaupt nicht verstehen, ich wollte immer Karriere machen, ich wollte immer was zu sagen haben, ich wollte bestimmen, wie mein Arbeitsleben aussieht. Und dann hat er seinen Meister gemacht unter unsäglichen Ängsten, ist mir nie klar geworden, was das für ein ängstlicher Mann war, nich. Und dann wurde er arbeitslos und also ich war die jenige die dann das Geld verdiente und ähm also eigentlich alles hat nur dazu geführt, dass er im Grunde genommen immer kleiner wurde, und je kleiner er wurde desto ja weniger hab ich ihn geachtet, nich, damals hab ich das auch ganz anders gesehen. War sicherlich auch nicht sehr fair. Erst nach der Scheidung konnte ich darüber mit etwas Abstand, etwas mehr reflektieren. (…) Und dann erwartete ich das zweite Kind, da war ich 35, und da überlegten wir, was wir denn machen. Also ich bin dann zu Hause geblieben für sieben Jahre und habe freiberuflich gearbeitet. In der Zeit war es, wo ich mir sagte, das soll alles gewesen sein, ich war 38 und ich hatte mit meinem Mann seit Jahren keine sexuelle Beziehung mehr, ich konnte das nich, weil, ich ihn nicht achtete, nich. Mir fehlte irgendwas, mir tat das Herz weh wenn ich Paare sah, die nett miteinander umgingen, wo man auch merkte, da war also ganz viel Liebe. Die Ehe war total inhaltslos, und eigentlich hab ich mein Leben wie ein Single gelebt mit Kindern, nich, und er war auch noch da. Und es war immer noch so sporadisch ähm Kontakt gewesen mit dem Andrew, und der war inzwischen ähm und da kommt wieder die Exotik ins Spiel. Wir telefonierten und er sagte, komm doch für zwei Wochen ins Ausland. Ich bin dahin gefahren und habe gedacht, off, hoffentlich is es nun nicht so, dass also Andrew denkt, da wird unsere alte Beziehung wieder aufgefrischt. Und ich bin da hingefahren und habe mich Hals über Kopf in diesen Mann wieder verliebt. Und es war sagenhaft, es war wunderschön und es führte mir vor Augen, was ich Jahre nicht gehabt habe und ich kam zurück und ich war todtraurig, denn eigentlich war es auch klar, dass das also mit Andrew, der war nun inzwischen ja ooch 58 geworden, und der hatte auch kein Interesse mehr an Kindern oder an irgendwas, nich, und also das war eine Sache, die so den Keim des äh des Endens in sich hatte und mir aber noch mal, so wirklich vor Augen führte, äh also es war eigentlich sozusagen das letzte Aufflackern an romantischer Liebe äh, nicht vollendeter Liebe, was ich so erlebt hatte, und da als ich zurückkam, dacht ich, ich müsste sterben, also es äh klingt bisschen melodramatisch aber es hat, es hat mir das Herz zerrissen. Ja gut also es ging weiter, noch zwei, drei Jahre, ich habe meine Ehe geführt, meine Kinder erzogen und dann war mir aber klar, dass ich mich scheiden lassen würde. Weil ich dachte, also dann bin ich lieber ganz alleine mit meinen Kindern als äh sozusagen ein Partner vor Augen zu haben, der mir immer vorführt, was ich eigentlich nicht haben möchte in meiner Beziehung.
In dieser längeren Passage wird deutlich, dass für Ingeborg S. die solidarischen Aspekte der Partnerschaft allein kein dauerhaft tragfähiges Mittel des gemeinsamen Lebens darstellen. Mit der Idee der romantischen Liebe verknüpft sie nicht lediglich spontane Gefühlsqualitäten, sondern vor allem wechselseitige Achtung. Zwar erfährt sie von ihrem Partner in hohem Maße Solidarität, sie sucht aber nach einem Beziehungsmedium, welches reziproke Anerkennung gewährleistet. Die Ehe wurde für sie „inhaltslos“, da sich im Binnengefüge des Paares eine solche Struktur der Anerkennung nicht etablieren konnte. Anders formuliert: Ingeborg S. konnte in ihrer Ehe zwar das ‚Erreichbare‘ erlangen, also eine funktionale Partnerschaft, greift aber
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nach dem für sie ‚Unerreichbaren‘, d. h. der Verbindung von Partnerschaft und Liebe, und wendet sich deshalb Andrew zu. 1987 nimmt Ingeborg S. wieder eine Erwerbstätigkeit auf, 1988 wird ihre Ehe geschieden: d)
„Niederungen des Alltags“ und Abgehobenheit in der Liebe I: Wenn Sie jetzt mal so das als Entwicklungsgeschichte sehen das Bild der Liebe, wie sich das bei Ihnen entwickelt hat bis in die Gegenwart, vielleicht einfach auch konstant geblieben ist I.S.: Das ist (4) ähm also ähm diese romantische Vorstellung ist geblieben. Sie kennen doch diesen wunderbaren Ausspruch von Oscar Wilde. Das Drama des Älterwerdens ist eigentlich nicht, dass man äußerlich altert, sondern dass man innerlich jung bleibt. Trotzdem haben Sie innerlich die gleichen Träume wie Sie das als, als junges Mädchen hatten und das ist etwas, wo ich wenn ich mit Freundinnen drüber spreche wo die also irgendwo zustimmen. Man behält von dem, was man mal gewesen ist, ne Menge, ähm man wird nur insofern realistischer und nüchterner, als man weiß, die Dinge treten nicht ein oder sind unerreichbar. Mit der äh Liebe (3) muss etwas Abgehobenes sein, was so nicht mit den Niederungen des Alltags zu tun hat, ne, das is, das is mir geblieben und, wenn das also so runter gezogen wird und so realistisch wird, also fürchterlich, nich? Was sich sicherlich verändert hat, is einfach durch die Lebenserfahrung, dass ähm die praktizierte Liebe, im Alltag praktizierte Liebe, dass die eben diese Dinge umfassten, die ich vorhin genannt habe.
Früh geprägte Liebesleitbilder bleiben trotz fortschreitendem Lebensalter bestehen, eine Erfahrung, die Ingeborg S. auch durch Gespräche mit Freundinnen als abgesichert betrachtet. Dass diese Ideale mit ansteigender Lebenserfahrung „nüchterner“ werden, ist allerdings keine generationsgebundene Erfahrung. Spezifischer ist Ingeborg S.s besondere Ausformung der bereits in vielfältigen Wendungen sichtbar gewordenen Figur der unerfüllten Liebe in ihrem Leben. In dieser Passage macht dies Ingeborg S. konkret: Mit dem „Abgehobene[n]“ abseits der „Niederungen des Alltags“ gewinnen zwei Schlüsselelemente ihrer Liebesdeutung an Kontur: Erstens ein nach Distinktion und Kulturwerten suchender Bohéme-Diskurs, der den Aspekt der Außeralltäglichkeit der klassischen Liebessemantik milieuspezifisch verfeinert, indem er exzentrisch gegen das Banale im Leben überhaupt gerichtet wird. Zweitens sind die „Niederungen des Alltags“ in Ingeborg S.s Deutung des eigenen herkunftsfamiliären Schicksals auch erfahrungspraktisch gedeckt: Hier im Sinne eines Geschlechterregimes, das Individualisierungschancen von Männern dadurch begünstigt, dass selbständige Erwerbstätigkeit und beruflicher Statuserwerb nicht dem weiblichen Rollenideal der Zeit entspricht. Dieses institutionell geprägte Ungleichgewicht scheint eine Kernerfahrung von Ingeborg S. zu sein – die sich zudem als Deutungshintergrund auch im späteren Leben fortsetzt (vgl. unten). Nachfolgend kommt Ingeborg S. darauf zu sprechen, nach welchen Maximen eine durch Liebe motivierte Beziehung zu einem Mann für sie heute noch denkbar wäre: I.S.: Also ich brauche keinen Mann, um ins Theater zu gehen, um überhaupt irgendwohin zu gehen, um toll essen zu gehen, um in den Urlaub zu fahren, um dieses, jenes, das kann ich und mach ich auch alles alleine. Also er muss mir einen echten, und das klingt jetzt so mer-
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kantil, aber es stimmt schon, er muss mir einen echten Mehrwert bieten, er muss mir mehr bieten als ich alleine habe und äh es ist dann eben nicht nur, das jemand so auf den ich mich verlassen kann. Ist ja ganz nett, aber er muss mich wirklich bereichern, ja, also ich brauche keinen Mann um einen Mann im Hause zu haben, nich?
Mit der Sorge, ihre Einstellung könne allzu „merkantil“ klingen, bringt Ingeborg S. zum Ausdruck, dass sie ihr Leitbild der Liebe fern jeder materiellen Wertschöpfungsrelation angesiedelt sehen möchte. Sie scheint einen Ausweg aus diesem semantischen Dilemma zu suchen, indem sie die Idee einer ‚reinen‘ Beziehung aufrechterhält, die Alltagszwänge überwinden kann. Von der Sorge um ökonomische Lebenssicherung ist sie längst entbunden. Von dieser Position aus kann sie nun Ansprüche an einen Mann erheben, der für mehr als nur das „Nette“ bürgen kann, was sie mit prätentiöser Geste ins Belanglose abschiebt. Möglicherweise hegt sie hier die Vorstellung, nur auf der Grundlage eines ökonomisch gleichgestellten Paares ‚reine‘ Liebe leben zu können. Diese Deutungslogik würde es ihr aber erschweren, „Niederung“ im Sinne der praktischen Herausforderungen des Beziehungsalltags und romantische Liebe miteinander zu verschränken.109 Im Versuch, das Materielle aus der Liebe herauszuhalten, blendet sie daher idealisierend alle potenziellen Abhängigkeiten und Asymmetrien der romantischen Bindung aus, verharrt aber in einer Ideologie der Liebe, die von der magischen Vorstellung zweier sich altruistisch begegnender Individuen beherrscht ist, die sich wechselseitig „wirklich bereichern“. e)
Der Geist der Generation und das ‚individuelle Selbst‘
An einer Schlüsselstelle, die bereits in den abschließenden Nachfrageteil des Interviews fällt, überkommen Ingeborg S. plötzlich Zweifel in Bezug darauf, ob ihre Erzählung überhaupt dem Forschungsinteresse des Interviewers gerecht werde: I. S.: Ja ich habe den Eindruck, als wenn ich das Thema so ein bisschen verfehlt habe, denn dies ganze Liebe, hatte so sehr viel mit meiner ganz persönlichen Biografie zu tun und weniger mit den Zeitläufen, in äh die das so eingebettet ist. Ob nicht sozusagen meine Liebeshistorie genauso verlaufen wäre, wenn ich fünfzig Jahre früher gelebt hätte. Den maximalen Einfluss hatten einfach meine ganz persönlichen Lebensumstände, und weniger die, ja Umwelt. Vielleicht hätt ich mein Bestreben nach Unabhängigkeit in anderen Zeiten schlechter durchführen oder verwirklichen können. Nur meine Hypothese ist, dass mein Liebesverständnis eigentlich stärker geprägt ist durch meine ganz persönliche, ja Biografie, durch mein ganz persönliches Umfeld, durch meine Eltern, ähm als durch die Zeitläufe. Das zeigte sich ja schon daran, dass wie gesagt in den sechziger Jahren, als das aufkam, also mit der Pille und der sexuellen Freizügigkeit und ähm jeder mit jedem. Dass ich da gesagt habe, dieses habe ich registriert, das war in meinem Umfeld auch durchaus üblich, natürlich hat auch die Pille mir äh ermöglicht, dass ich, dass ich also mit was weiß ich, mit dem schlafen kon, konnte mit dem ich schlafen wollte, es war nur nicht so äh, dass ich also sehr viele Kontakte 109
Ingeborg S. bleibt der Semantik des Merkantilen rhetorisch aber ohnehin verhaftet, wenn ein Mann sie „bereichern“ und ihr etwas „bieten“ können soll. Damit setzt sie einen Markt, auf dem sich Anbieter und Nachfrager vor dem Hintergrund von Wertrelationen begegnen.
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gehabt habe, weil es bei mir eben immer so lange dauerte, bis ich bereit war dafür, nich? Und damit mein ich also sozusagen, hat mein persönliche Disposition es einfach verhindert, dass ich mich zumindest in dieser Beziehung den Zeitläufen angepasst habe.
Ingeborg S. entwickelt in dieser Passage die Denkfigur einer von den „Zeitläufen“ unabhängigen persönlichen Biografie. Ihrer Vorstellung zufolge komme darin weniger eine historische Spezifik als vielmehr ihre „ganz persönliche Lebensgeschichte“ zum Tragen. In diesem Sinne betrachtet sie ihre Lebensgeschichte als zeitlos. Für die fallbezogene Suche nach einer Generationsspezifik in der Erzählung ist dies wesentlich, da an dieser Stelle Selbstdeutung mit Zeitnormen zueinander in Bezug gesetzt werden. Gerade dies erlaubt Rückschlüsse darauf, wie Ingeborg S. sich vor dieser Folie individuiert, denn die eigene „persönliche Biografie“ erscheint ihr in Kontrast zum allgemeinen Zeitverlauf untypisch zu sein. Es entsteht in ihren Augen die Notwendigkeit, zu erklären, weshalb Zeit- und Biografieverlauf nicht deckungsgleich sind. Weshalb? Am Beispiel sexueller Aktivitäten macht sie dies konkret: Auch wenn sie in ihrem Umfeld sexuelle Liberalisierung „registriert“ hat, habe es ihre „persönliche Disposition (…) einfach verhindert“, sich „zumindest in dieser Beziehung den Zeitläufen“ anzupassen. Nun ist es unstrittig, dass die Angehörigen einer Generationslagerung nicht stets die gleichen Schlussfolgerungen aus ihren Generationserfahrungen ziehen. Da sich die Erzählerin in Bezug auf die sexuelle Liberalisierung jedoch nicht „angepasst“ habe, nimmt sie an, sich legitimieren zu müssen. Gerade auf Sexualität bezogen erscheint ihr die individuelle Schlussfolgerung erklärungsbedürftig. Sie zieht eine „persönliche Disposition“ als Grund heran, weshalb es hier ihrerseits zu keinem Anpassungsprozess kommen konnte. Obwohl Ingeborg S.s Individuierungsgeschichte ansonsten einen überaus selbstbewussten Anstrich besitzt, nimmt sie damit in diesem Punkt eine eigentümlich negative Bestimmung vor. Sexuelle Monogamie und Zurückhaltung zu Zeiten sexueller Liberalisierung erscheinen ihr nicht konform. Obwohl sie sich gegen viele Konventionen ‚ihrer Zeit‘ erfolgreich abzugrenzen wusste, löst sie sich aber – offenbar bis heute – nicht gegen genau diese. Anders gesagt, mittels beruflicher Autonomie gelingt ihr zwar die Individuierung in der öffentlichen Sphäre, in der Sphäre der Intimität fühlt sie sich aber ‚äußeren‘ Generationsnormen verpflichtet. Sie bleibt – entgegen ihrer auf Emanzipation zielenden Selbstdeutung – hier dem Versuch verhaftet, dem verinnerlichten Diskurs der ‚Sexuellen Revolution‘ gerecht werden zu müssen; bzw. wird die Problematik offenbar, dessen möglicherweise verborgenenen patriarchalen Imperativen zu entkommen. f)
Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Frauengeneration
Zum Abschluss des Gesprächs schließt eine Passage an, wo Ingeborg S. vom Interviewer gefragt wird, ob sie sich selbst einer bestimmten Generation zugehörig fühlt: I.S.: Ja, ich gehöre einer Generation von Frauen an, die für ihre Selbständigkeit und Selbstbestimmung gekämpft hat und auch hochsensibel reagiert, wenn sie irgendwo was hört, mitkriegt äh wo es Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen gibt, und wo ich mich manchmal als
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Fossil empfinde, weil das irgendwie für junge Frauen auch kein Thema mehr ist und die also für bestimmte Dinge auch gar nicht so sensibilisiert sind, ja Selbständigkeit in jeder Hinsicht. Wobei das Futter dieser Selbständigkeit in meinen Augen der Beruf und das eigene Geld ist. I: Das gründet ja immer so ein bisschen darauf, dass man auch sagt, zu welcher Generation man I.S.: Nicht gehört! Also ich gehöre nicht zu der Generation von Frauen, die eine Ehe aufrecht erhalten haben, weil es gesellschaftlich anerkannt war, dass man verheiratet war. Also das bin ich nicht, die also auch wie gesagt, ums Verrecken halt bei ihren Ehemännern bleiben, weil sie auch sicherlich n‘ Status nicht verlieren wollen, den hatte ich durch meinen Mann sowieso nie, ich hab meinen Status immer nur durch mich alleine gehabt. Und ich bin nicht diese politisch desinteressierte, mit allen Vorteilen der durchgeführten Emanzipation aufgewachsene junge Frau, das kann ich immer nur so im Vergleich zu meinen Töchtern oder zu jungen Kolleginnen sehen, etc., ähm bin auch nicht so, so konsumorientiert äh wie junge Frauen. Ich mag gerne große Autos fahren, das geb’ ich zu, aber ich errege mich immer noch politisch. Es geht bei jungen Frauen kaum über das Allernächste hinaus, also jetzt einen tollen Job haben, jetzt möcht ich also super Geld verdienen.
Ingeborg S. ordnet sich einer „Generation von Frauen“ zu, und nimmt damit eine geschlechtsspezifische Konnotation ihrer Generationserfahrung vor. Es existiert für sie eine kollektive (Zeit-)Gemeinschaft als Frau, in deren Zentrum das Ringen um ein eigenständiges Lebenskonzept steht. Vor diesem Hintergrund markiert sie zweierlei Abgrenzungen: Zum einen gehöre sie nicht jener „Generation von Frauen“ an, die aus Statusmotiven am Ehebündnis festhielten. Auf den ersten Blick erscheint dies nicht als eine generationsspezifische Deutung, da dieses Statusmotiv schlechterdings auf die generationsübergreifende Geschlechterordnung im traditionellen bürgerlichen Liebeskonzept verweist. Dennoch ist Ingeborg S.s Kollektivbestimmung an dieser Stelle genauer nachzugehen: Gerade weil sie das Statusmotiv von Frauen als generationsgebunden aufgreift, wird dies als ein zentrales Element ihrer Konstruktion von Generationszugehörigkeit dargestellt, das sie in ihrer Biografie zu bearbeiten hatte, und auf das sich ihre individuellen Schlussfolgerungen beziehen. Dementsprechend betont sie, sozialen Status bereits „alleine“ errungen zu haben. Im Zentrum steht für sie also das Aushebeln einer ökonomisch bedingten Geschlechterasymmetrie. Den eigenen Lebensentwurf entwirft sie kreativ und oppositionell genau hierzu. Einen weiteren Schnitt zieht sie gegenüber bestimmten jungen „politisch desinteressierten“ Frauen, und fokussiert dabei einen anderen ‚Generationsstil‘ von Frauen. Diese werden zu Nutznießerinnen jener Vorkämpferinnen erklärt, denen sie sich selbst, wie sie kommentiert, als „Fossil“ angehörig fühlt. Indem ein Teil dieser jungen Frauen einem konsumorientierten Lebensstil anheim falle und nicht über das „Allernächste“ der Statusorientierung („tollen Job“, „super Geld“) hinauskomme, fehle es ihnen an Sensibilität für weibliche Risiken und Benachteiligung („Ungerechtigkeit“). Ingeborg S. kommt zum Ende des Interviews noch einmal darauf zu sprechen, wie stark für sie das Thema Sexualität das Eingehen von intimen Bindungen überhaupt regulierte. Dies ist von Bedeutung, da ihr anschließender Bezug auf die eigenen Töchter auch einen familiären Generationsbruch verdeutlicht:
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I.S.: Also, für mich bedeutete und das hat natürlich was mit den eigenen Erfahrungen zu tun, wenn ich mich sexuell auf jemanden eingelassen habe, dass das ein unendlich großer Vertrauensbeweis war, also da musste schon ne Menge vor, vorweg gegangen sein, da musst ich den kennen, ihn schätzen, ich musste den lieben, bewundern, ich musste den achten, also ganz, ganz viel bis also bei mir sozusagen die Grenze überschritten war, dass ich mich also auch körperlich äh jemanden öffnen konnte. Ähm, das hat vielleicht was speziell mit mir zu tun und mit meiner Vita nich, die also so geprägt war durch diese Ehe der Eltern. Und insofern, da war von mir ganz viel investiert worden. Ich nahm das auch bei meinen Töchtern an, dass es so ist. Und die versuchten mir immer klar zu machen, nö, nö also, so schlimm ist das nicht und so viel investieren wir da auch nicht rein. Also sie, sie sagen, man muss das gleich von Anfang an sehen, was so Sache ist (lacht). Ich hatte immer zu ihnen gesagt, sozusagen, ihr könnt machen, machen was ihr wollt, aber das Abitur und den Führerschein macht ihr (lacht) und nen Beruf habt ihr, nich, und wehe ihr setzt euch also sozusagen ohne Beruf und mit einem Kind irgendwohin und lasst Euch ernähren, dann komm ich als die rettende Schwiegermutter, nich?
Ingeborg S. schildert, sexuellem Austausch sei immer ein längerer Vertrauensbildungsprozess vorausgegangen. Das allein ist nun nicht ungewöhnlich und keineswegs zeitspezifisch. Dass die Erzählerin dies hingegen auf ihre „Vita“ zurückführt und damit als persönliche Determinierung (durch familiäre Erfahrung geprägten Schutz vor „innerlicher Kränkung“) herausstreicht, macht diese Erfahrung besonders. In Kontrast dazu ist für die Töchter das noch für Ingeborg S. selbst an zentraler Stelle stehende, ausgeprägt ‚persönliche‘ Kennenlernen vor sexuellen Aktivitäten nicht mehr in dieser Weise handlungsleitend. Insbesondere Sexualität erscheint für die Töchter nicht notwendig eine Frage emotionaler ‚Investitionen‘ („viel investieren wir da auch nicht rein“). Ingeborg S.s Kernerfahrung aktualisiert sich damit in Bezug auf die Sorge gegenüber der Lebenspraxis ihrer Töchter. Sie proijeziert ihre Erfahrungen auf deren Lebensentwürfe und legt als Maßstab die Maxime ihrer eigenen Lebenserfahrung an, wonach, wie sie sagt, das „Futter“, selbstbestimmten weiblichen Lebens eigener Beruf und eigenes Geld darstelle. Die Töchter legen hingegen andere ‚Investitions‘-Maßstäbe bei der Aufnahme intimer Bindungen zugrunde; der generationsspezifische Bezugshorizont der Mutter ist bereits relativiert. Fallstudie Ingeborg S.: Ein Fazit Im Zentrum der Selbsthistorisierung von Ingeborg S. steht die Vorstellung eines ‚verhinderten Ichs‘ in der Liebe und damit ein tragisches Narrativ (vgl. White 1991). Die Erzählerin zieht gleich zu Beginn der Befragung die nachkriegsbedingte, konfliktbeladene Partnerschaft der Eltern in Kindheit und Jugend heran und skizziert ein historisches Panorama individueller Entwicklungsbedingungen. Das Motiv der Verhinderung wird dabei als ‚erfahrungspraktisch gedeckt‘ eingeführt und zugleich auf alle nachfolgenden biografischen Ereignisse bezogen. Im Vordergrund steht dabei immer die Liebe als hohes Ideal, welches sich in den tatsächlichen Paarbeziehungen jedoch nicht habe realisieren lassen: Entweder scheitert die ‚reine‘ Liebe, wie am Beispiel des ersten Freundes, an ihrer strikten Berufs- und Karriereorientierung.
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Oder es handelt sich um eine emphatische, jedoch nicht alltagstaugliche Liebe, wie am Beispiel des fernen Diplomaten. Das tragische Motiv tritt schließlich auch am Beispiel der eigenen Ehe zu Tage, die als pragmatische Partnerschaft ohne Liebe präsentiert wird. Als Schlussfolgerung entwickelt Ingeborg S. eine Art Zwei-Welten-Theorie der Intimität. Diese tritt in ihrer Deutung in gespaltener Form auf: als Partnerschaft oder als Liebe. Manifest wird dies in der Konstellation der Parallelbeziehung und der Ehe, durch die die Spaltung zwischen Ideal und Realität in der Liebe über zwölf Jahre lang lebenspraktisch externalisiert wird. Ingeborg S. entgeht auf diese Weise der Herausforderung, sich in einer Beziehung den Alltagszwängen einer auf Liebe gründenden Beziehung aussetzen zu müssen. Aber will sie diese unvereinbaren Welten überhaupt zusammenbringen? Wenn es heißt: „Diese romantische Vorstellung wollte ich mir nicht nehmen lassen“, scheint für sie das in der Mädchenlektüre „Pucki“ verborgene literarische Ideal entgegen ihrer Verlautbarung eben doch etwas Positives und Erstrebenswertes zu sein. Insofern verfällt Ingeborg S. gerne in regressive Phantasien, um sich ihre Glücksvorstellungen nicht zerstören zu lassen. Mit anderen Worten, sie reserviert für das romantische Ideal immer noch diese andere Welt, auch wenn diese nach ihrer Überzeugung gar nicht real existiert. Die Welt des Unerreichbaren wird gegenüber den von ihr angesprochenen ‚Alltagsniederungen‘ allerdings als Gegenmodell aufrechterhalten. Sucht man nach einer abstrakteren Deutungsfolie für die Struktur des Falls, kann begründet werden, das Thema Liebe ist bei Ingeborg S. in ganz spezifischer Weise vom Thema Macht dominiert. Im Zentrum der Erzählung steht der Versuch, den im traditionellen bürgerlichen Sozialmodell enthaltenen Konnex von Liebe und Geschlechtsrolle aufzubrechen. Bereits am Beispiel der Eltern entlarvt Ingeborg S. diese Liebeskonzeption als weibliches Zwangskorsett. Im eigenen Lebensvollzug grenzt sie sich dagegen ab. Sie zielt darauf, die Machtbasis dieser Konzeption, die den männlichen Familienernährer festschreibt, mittels der Errichtung ihrer eigenen ökonomischen Unabhängigkeit als Frau außer Kraft zu setzen. Damit versucht sie jener Machtasymmetrie zu entgehen, die sie als das negativ besetzte Liebes- und Partnerschaftsschicksal der Mutter deutet. Gewissermaßen kehrt Ingeborg S. somit das Schicksal der Mutter in der eigenen Biografie um. Ihr gelingt damit auf beeindruckende Weise Autonomie im eigenen Leben. Die Machtlogik des Verhältnisses von Geschlechterrolle, Paar und Liebe wird jedoch im Grunde nicht überwunden, sondern binnenpartnerschaftlich umgekehrt. Sie wählt mit ihrem Ehemann zwar kein Arrangement mit einem ökonomisch abhängigen Partner, im eigenen Streben nach Autonomie bleibt sie aber dem Streben nach Machtzugewinn durch einen eigenen Beruf und eigenem Geldes, damit auf den ersten Blick einer materiellen Basis verhaftet.110 Zugleich ist sie jedoch beherrscht von der Vorstellung machtfreier Reziprozität in der Liebe. 110
Wie Geld und Liebe allerdings semantisch und alltagspraktisch über unterschiedliche Beziehungskonzepte miteinander verflochten sind, hat insbesondere Wimbauer (2003) herausgearbeitet. Vgl. Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer/Schneider/Wimbauer (2004).
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Die Aporie der Licht- und Schattenseiten im ersten Erzählstrang – als Ausdruck der ehelich-partnerschaftlichen Machtlogik des traditionellen Beziehungsregimes – wird dabei nicht aufgelöst. Sie will der darin eingebetteten Ordnung der Geschlechter zwar entfliehen, findet aber nur schwer einen ‚dritten‘ Weg. Auf der Grundlage des ‚zweiten‘ Weges, also im Errichten einer unabhängigen Erwerbsexistenz, sucht sie nun nach einem Beziehungspartner, der ihr abseits der hinter sich gelassenen, traditionellen Beziehungslogik einen „Mehrwert“ bietet: Obwohl sie klar benennen kann, was sie damit gerade nicht sucht (vor allem materielle Absicherung und einfache Begleiterschaft), bleibt es gemäß ihrer Darstellung weitgehend offen, welcher Mehrwert für sie hier eigentlich zur Geltung kommen könnte. Daher rührt auch ihr skeptisches Unbehagen demgegenüber, dass die eigenen Töchter Beziehungsmotive äußern, in denen die Selbstbestimmung als Frau über Beruf und Geld nicht primär im Vordergrund steht. Sie selbst kann und will sich darin nicht der so gedeuteten Gesinnung der jüngeren (Frauen-)Generation anschließen. Der Wille nach ökonomischer Autonomie als Frau wird für Ingeborg S. damit zu der aus ihrer tragenden Generationserfahrung praktisch gezogenen Konsequenz, um, wenn auch ex negativo, den von ihr eingangs genannten „Schattenseiten“ der Liebe zu entgehen. Zur Fallkontrastierung wird nun direkt zur zweiten Fallstudie aus den frühen Jahrgängen übergegangen, zu Fall Gregor B. Zum Abschluss werden beide Fälle miteinander verglichen und abstraktere Kategorien gebildet. 4.2.2
Gregor B.: „Rangordnung in der Zuneigung“
Gregor B. ist 1944 in F-Stadt geboren. 1963 verlegt er seinen Lebensmittelpunkt für ein Studium der Volkswirtschaft nach D-Stadt und ist dort zum Zeitpunkt des Interviews als Personaltrainer tätig. Seine 1925 geborene Mutter war Verwaltungsangestellte nahe F-Stadt, sein 1922 geborener Vater leitender Angestellter in einer Flughafenbehörde. Die 1969 gegründete, erste Ehe von Gregor B., wird 1974 geschieden. Seit 1980 lebt er in zweiter Ehe mit einer drei Jahre jüngeren und als Sekretärin tätigen Frau. Die 1971 und 1973 geborenen Kinder stammen beide aus Gregor B.s erster Ehe. Das Interview findet nach Feierabend im Arbeitsbüro des Befragten statt. Er beginnt spontan während des Kochens eines „Begrüßungskaffees“ – und vor dem Einschalten des Aufnahmegerätes – mit einer Erzählung darüber, dass er mit dem Umzug nach D-Stadt eine „kulturelle Horizonterweiterung“ erhoffte. Unmittelbar im Anschluss daran kommt er auf die Beweggründe zur Scheidung seiner ersten Ehe zu sprechen. Hier gibt sich Gregor B. zwar einerseits etwas bedeckt – er spricht kaum in der Ich-Form – er führt dies aber in allgemeiner Hinsicht auf ein Ungleichgewicht in der jeweiligen, wie er sich ausdrückt, „Liebesstärke“ der beteiligten Eheleute zurück. Dabei gehe es ihm jedoch nicht darum, dass eine(r) den/die Andere(n) weniger geliebt habe. Vielmehr darum, dass die Liebe bei Frauen und Männern „charakteristisch“ sei, d. h. abhängig davon, worauf sie sich beim jeweils anderen Geschlecht richte. An dieser Stelle argumentiert er allgemein, er habe beobachten können, dass Ehebeziehungen vielfach daran scheitern, dass Männer zuviel an Emo-
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tionen preisgäben, Frauen zwar dies stets einforderten – hingegen ihre „tatsächlichen“ Interessen verschwiegen. Gregor B. bricht diese Erzählung allerdings abrupt ab, bittet um den Beginn des Interviewleitfadens, und merkt an, er werde auf dieses Thema erneut zu sprechen kommen.111 a)
Aufklärungsliteratur und Geheimwissen I: Das reicht. Das nimmt ziemlich gut auf. Ja, ähm was würden sie sagen, wann war für sie so das erste Mal eine Berührung mit dem Thema Liebe überhaupt da? G.B.: Ja. Ja, gut, ich bin früh an Aufklärungsheft. ja Sachen herangekommen, und zwar an solche, wos, ja wos eben direkt zur Sache ging. Also nicht nur diese Broschüren, die man auch anschauen konnte, aus den Büchereien, mit den Bildchen. Ich weiß nicht, ob Sie das jetzt verstehen. Wo der Unterleib aufgeklappt ist, ja? Wo die Vereinigung zu sehen ist, aber nicht also die Lust. Und alles andere was noch bei. Dazugehört. Ja gut, gibts, ist ja heute auch noch so. Aber ich brauchte, ich wollt nicht so viel Phantasie da anzustrengen, mit der Lupe suchen. Gut, was heißt Aufkläru., also ich hatte nämlich von meinem älteren Bruder, heut würd man sagen Porn, Pornobildchen, und es ist aberwitzig, das waren auch Zeichnungen, also gezeichnete Liebes. Liebesgeschichten, so Storys, aber mit allem, was da hin gehörte, also alles war zu sehen, eigentlich unromantisch, wenn man will, aber das war immer wieder meine Lektüre (lacht). Das Ganze war natürlich verboten, aber das natürlich machte ja das seinen Reiz aus. Heutzutage völlig lächerlich, im direkten Vergleich, damals wars eine Sensation. Ich bin meinem Bruder dankbar heute noch (lacht), sonst wäre ich wahrscheinlich früher in die Ehe gegangen, um um nicht als Hagestolz dazustehen. Man hatte natürlich ein Geheimwissen (2) und das hat geholfen. Es löste sich das dann, als ich volljäh., mit der Zeit der Volljährigkeit sowieso eigentlich (3) mehr oder weniger in Wohlgefallen auf, also auf den Illustrierten, waren ja später viel nackte Haut zu sehen. Also nur Mädchen, aber mich selber kannte ich ja schon (lacht). Heute finden Sie Se., Bände über die Liebesabenteuer von Goethe, damals zu Schulzeiten haben wir uns was im Stillen gedacht, aber. (2) Es kam doch da damals nichts von außen, was wir, was, gut also unsere Sprache, unsere Lüste vertret. hätte, vertrat. Und gut, wir haben auch den Jazz geliebt, weniger, nicht Rock’n Roll. Jazz ist ne großartige Kunst, ab aber die Rock’n Roller haben natürlich vor vorgeführt, was unter dem Tapet liegt. (…) Ich wollte körperliche Liebe (2) habe das bekommen, und natürlich hatte ich auch starke Lieb. Lieben, aber ich wollte das, und später wolltens sowieso alle. Das war mir damals nicht so, auch schon so bewusst. Also ich habe wenigstens nicht gelogen, be. belogen (2) Frauen. Im Ort wärs auch anders gewesen, da hätten mich die Apostel heimgesucht, aber in D-Stadt, auf der Uni, da war, da (2) herrschten andere Zeiten. Is doch heute jedermann bekannt. Aber es begann dadurch sicher normal zu werden. Ich hatte da als hm Siebzehn- Achtzehnjähriger empfand ich das das schon das war also äh als normal. Also ne Lustbeziehung zu haben, wo man nicht, wo ich nicht verliebt war und (.). Mir öffneten sich sämtliche Türen, ja hm mit der körperlichen Lust. Gut. Jetzt. Sie fragen nach Liebe.
Das erste Erzählsegment von Gregor B. endet praktisch mit einer Art Selbsterinnerung des Befragten an die Eingangsfrage: „Gut. Jetzt. Sie fragen nach Liebe“. Es hat 111
Natürlich wäre es an dieser Stelle die Aufgabe des Interviewers, bereits bei solchen VorabErzählungen das Aufnahmegerät einzuschalten. Mitunter kollidiert in solchen Situationen jedoch die Sorge um eine bruchlose Interaktionsanbahnung mit dem ungezähmten Wunsch nach Aufzeichnung aller verbalen Daten.
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
den Anschein, als ermahne sich Gregor B. selbst, zum ‚eigentlichen‘ Thema zurückzufinden. Der Befragte befindet sich aber bereits in diesem Thema. Er hat eine ausführliche Eingangserzählung begonnen, die von der Eingangsfrage motiviert war. Auf die Interviewerfrage nach der ersten „Berührung“ mit dem Thema Liebe (vgl. hierzu die Fallrekonstruktion Ingeborg S.) nennt Gregor B. Aufklärungsliteratur. Eine Verbindung zum Thema Liebe ist in diesem Sinne nicht erst herbeizuführen, sie besteht bereits mit Bezug auf Sexualität („körperliche Liebe“), d. h. mit Wissen darüber in seiner Jugendzeit und den dahingehend erlebten Beschränkungen. Mit dem über seine spezielle Aufklärungslektüre bezogenen Sonderwissen unterläuft Gregor B. das Jugendlichen offiziell zugedachte Aufklärungswissen. Hier wurde in seiner Auffassung „direkt zur Sache“ gekommen (vgl. unten), auch wenn es sich dabei lediglich um Zeichnungen handelte. Über die quasi unter dem Tisch vom älteren Bruder weitergereichte Lektüre („Pornobildchen“) schreibt sich Gregor B. ein dadurch erworbenes „Geheimwissen“ zu. Daraus folgert er, Erkenntnisse für sich bezogen zu haben, die auf seine Entwicklung Einfluss hatten. So sei er noch heute seinem Bruder dankbar, da er ohne dieses Wissen „früher in die Ehe gegangen“ sei. Was wäre sonst gewesen? – ist hierbei zu fragen. Vielleicht wendete sich der Befragte mit dem benannten Wissen gegen die bürgerliche Idee der Ehe als allein legitimen Zugang zu Sexualität bzw. genereller: gegen den dort enthaltenen traditionellen Verweisungszusammenhang von dauerhaftem Paarbündnis und erfülltem Sexualleben. Gregor B. nimmt auch Bezug auf ‚äußere‘ historische Abläufe. Eben dort, wo er anfügt, dass sich das gesellschaftliche Verschweigen der körperlichen Aspekte der Liebe ungefähr zu Zeiten seiner Volljährigkeit, also mit den 60er Jahren, allmählich aufgelöst habe. Es sei normal geworden, dass sexuelle Beziehungen ohne Liebe, zumindest als Alternativhorizont, anerkannt wurden. Er zieht daraus vor allem eine auch gesellschaftlich abgestützte Legitimation dafür, dass er primär an der, wie er sagt, „körperlichen Liebe“ interessiert war. Und schließlich bindet er dies an sein Großstadterleben in akademischen Zusammenhängen. Seine Teilhabe daran wird als Zeitsprung wahrgenommen, mit dem ihm dahingehend „Türen“ geöffnet worden sein. Gregor B. kommt in einer späteren Erzählpassage auf den Begriff romantische Liebe zurück, füllt ihn mit eigenen Erfahrungen sowie mit seiner darauf bezogenen Interpretation der Geschlechterbegegnung in der Liebe: b)
Das Diktum „starke“ versus „schwache“ Liebe G.B.: Also Romantik hat mir. Ich muss sagen, daß ich auch von der Literatur her teilweise von der Romantik fasziniert war. Goethe, Keller, wunderschön schöne äh Erzählung oder die vielen Gedichte. Tiefe, starke Liebe. Ja gut, also ne starke Liebe als Mann macht aber halt leicht schwach, schwach und hilflos und das möchte man nich sein, vor allen Dingen verliert man die Frau, die man zu stark liebt. Das is geht dann ja in Anbetung über. Und das kann können die meisten Menschen, grad gerade Frauen nich vertragen, angebetet zu werden. Sondern sie wollen sta, geliebt werden. Also von einem mindestens gleichwertigen Wesen ja. Nich das von unten aufschaut und so, ja. Daher ist die kühlere Liebe also so was wie n Selbstschutz auch. Ich weiß, dass man sich als Mann das behal be bewahren muss. (…) Ja, die Eman die Frauenbewegung hat später ja diese wei weichen Männer misshandelt. Die wa-
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ren gut zum. die konnte man gut mit. Manipulieren, die machten ihre Hausaufgaben schön und wenn sie ganz artig waren durften sie auch mal äh kriegten sie auch mal Sex. Gewisse Männer starke Männer haben also des immer die Frauen reihenweise gekriegt. Ja und die und die äh weichen mussten sich das erbetteln.
Von der Darbietung des romantischen Ideals in der Weltliteratur gibt sich Gregor B. zwar fasziniert. Er habe daraus den Wert „tiefer“, „starker“ Liebe ziehen können. Im gleichen Zug relativiert er diesen Wert aber hinsichtlich eines für solche Männer bestehenden Risikos, die zu ihrer eigenen „starken“ Liebe keine ausreichende Distanz errichten könnten. Gregor B. entfaltet in dieser Passage einen Risikodiskurs der Liebe. Er stellt dies in Zusammenhang mit einer Spannung der Geschlechter: ‚Zu‘ starkes Lieben deutet er als Gefahr, sich als Mann einem Machtmissverhältnis preiszugeben. Zwar hält er ein ausgewogenes ‚Kräfteverhältnis‘ in der Liebe für denkbar, Asymmetrie zu Ungunsten von Männern erzeuge aber die Gefahr, dass der zu viel liebende Mann die geliebte Partnerin verlieren könne. Zunächst bringt Gregor B. an dieser Stelle einen universellen Erfahrungswert innerhalb der romantischen Liebessemantik zur Geltung: Die affektuellen Qualitäten in der Liebe des Paares sind nicht immer symmetrisch angeordnet, Ungleichgewichte können Machteffekte erzeugen (vgl. Blau 1974) – eine Erfahrung, die prinzipiell Frauen wie Männern gleichermaßen ereilen kann. Von Belang ist daher die Frage, wie Gregor B. vor dem Hintergrund seiner Deutung Selbstkontrolle als liebender Mann zurechnet („bewahren muss“). Dazu nimmt er – mit einem gewissen Maß an Hemdsärmeligkeit anhand des Beispiels der Frauenbewegung – einen Zeitbezug vor und stellt ‚zu‘ starke Liebe von Männern unmittelbar in Verbindung mit der Bezeichnung „weich“. Er behauptet, die damit beschriebenen Männer liefern sich leicht der Ausnutzung aus („misshandelt“). Sein Bild des Emanzipationsideals ist insofern negativ besetzt und wird unmittelbar in ein Verhältnis zur Austragung von Machtinteressen gesetzt. Umgekehrt ist sein Bild „weicher“ Männer belastet: In Kontrast zu den ‚starken‘ Männer, die jederzeit Zugang zu sexuellen Handlungen mit Frauen gehabt hätten, erscheinen sie als nicht selbstbestimmt bzw. von Frauen als nicht attraktiv anerkannt. An dieser Stelle folgt eine von der Satzbildung unverständliche Andeutung: „Sondern sie wollen sta. geliebt werden“. Erst in den nachfolgenden Erzählpassagen wird der Inhaltssinn transparenter: c)
Rangordnung und sozialer Status in der Liebe G.B.: Es ist hm fast ne Rang, es geht vieles nach Rangordnung in der Zuneigung. Und ich denke, viele Menschen unserer Gesellschaft, die ja die romantische Liebe so lange aufs Tapet gehoben hat, äh die is im Grunde viel weniger rom die is einerseits vielleicht romantisch, was sich alle vorspiegeln, aber dahinter hm is Liebe is viel viel materieller.
Gregor B. will dem Bild der romantischen Liebe etwas Idealisiertes abstreifen, etwas Instrumentelles daran hingegen entblößen. Bezogen auf „Zuneigung“ spricht er von „Rangordnung“. Der Terminus Rang drückt eine soziale Hierarchie aus, worin eine bestimmte Ressourcenausstattung demjenigen Machtvorteile einräumt, welcher über ein größeres Potenzial solcher Ressourcen verfügt. Gregor B. leitet damit ge-
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
wissermaßen von der Semantikebene auf die praktische Ebene des Paares im Alltag und erklärt das herrschende Ideal der romantischen Liebe für ein Zerrbild tatsächlicher Handlungsmuster innerhalb der Geschlechterbegegnung. Er möchte hinter dem Spiegel des sozial akzeptierten Bildes der Liebe eine in seinem Verständnis faktische, d. h. „materielle“ (Rang-)Ordnung der Liebe kenntlich machen. Demzufolge werde Partnerwahl durch Rangordnung strukturiert: G.B.: Sozialer, das is der soziale Status. Der spielt ne enorme Rolle. Hab ich bei meiner Mutter, die ja an sich in einer äh zwar aufgeklärten. Aber doch damals in den Jahren war jedenfalls das Ambiente recht romantisch. Briefchen schreiben, auf auf Antwort hoffen, heimliche Treffen im Baum Baumhaus usw. Trotzdem hat sie einen Mann geheiratet, glaub ich nicht ganz zufällig, der weitaus älter äh war und so nicht nach ihrer Art (lacht). Aber gut, der hatte n sozialen Status, ja. Der fuhr nicht nur ne Seitenwagenmasch. sondern der hatte auch ein Auto ja, was damals die wenigstens hatten. Sie hat sich nicht in äh, einen Gleichaltrigen verliebt, hätte sie sicher bekommen, der hätte äh ohne, diesen sozialen Status, hätte der nich gehabt, ja. Das war bei meinen Eltern so, deswegen hab ich jetz absichtlich des Beispiel, aber dieses Denken is glaub ich in meiner Generation auch vorhanden gewesen und ich kann mir nicht vorstellen, dass und es wird auch heute heute noch so sein. Dass der soziale Status wie zu Goethes Zeiten äh Beruf, möglichst Titel, also mit Doktortitel noch besser, ja äh das dass ne große Rolle spielt für die Attraktivität. Sozusagen die Fähigkeit der Frauen oder die Möglichkeit, sich in einen Mann zu verlieben, äh das erhöht das gewaltig. I: Umgekehrt auch, würden Sie sagen, oder G.B.: Umgekehrt weniger. Bei Männern spielt das nich so ne große Rolle mein ich. Für mich, es is auch unterschiedlich. Ich hab mich mit dem Thema sehr viel beschäftigt und danach also nach dem was ich gelesen hab. I: Mit welchem Thema? G.B.: Mit ähm Auswahl, Paar Paarwahl. I.: Ach so. G.B.: Paarwahl ja. Wonach die Haupt das Hauptkriterium der Männer ja nicht der soziale Status der Frau ist, sondern äh also die Schönheit. Gesicht und Figur. Und dann natürlich auch ihre äh will mal sagen, die geistigen Anlagen. Also das is aber oft, is schwer zu finden. Und ähm die Frauen sind dann oft auch nich so lieb liebesfähig, sie können oft nich so viel geben ja oder. Obwohl ich auch mit Intellektuellen verbandelt war, wo ich wirklich aus tiefstem Herzen sagen konnte, ich liebe di ja also ich liebe dich. Ansonsten hab ich das manchen Frauen nur so gesagt, weil um äh um sie nicht zu enttäuschen ja. In meiner ersten Ehe gings immer um das. dieses Problem, was macht was was her, ja? Und ich habe aber auch für andere Frauen Liebe, Lust empfunden. Und es ging so auf dieser dieser Grundlage eben nicht weiter. (…) Gut, also, erste Erfahrungen kann eine Frau auch mit vielleicht mit anderen haben, aber ne Beziehung sucht sie zu reichen und sozial hoch stehenden Männern. Ich glaube das is nich, das hat sich nur oberflächlich geändert. Je nach Phase, also gesellschaftliche Pha Phase. Ja fällt mir noch was witz wichtiges ein. Äh, wenn eine Frau richtig liebt, das äh das wird darin deutlich, das erkennt man daran, wenn sie sagt, ich will ein Kind von dir. Und das aus tiefster tiefstem Inneren kommt. Das is so. Ich habe das in bei. meinen beiden Ehen erlebt. (…) Wenn Sie fragen, meine Über. Überzeugung ist, Liebe hält die Geschichte, mit mit (2), na ja mir mit all dem zusammen, aber niemand sollte sich was vor. (2) vormachen.
Gregor B. macht an dieser Stelle sein Verständnis einer herrschenden Rangordnung in der Liebe plastisch. Zur dominanten Strukturierungsgröße bei der Partnerwahl
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zwischen Frauen und Männern erklärt er daher „soziale[n] Status“. Zur Illustration zieht er das Beziehungsleben bereits bei seiner Mutter heran, die zwischen zahlreichen potenziellen Partnern habe wählen können, tatsächlich jedoch einen Partner mit hohem sozialem Status gewählt habe – hier verbildlicht durch den Besitz von Kraftfahrzeugen als Synonyme von Prestige und individueller Mobilität. Mit diesem Beispiel zeichnet Gregor B. eine historisch kontinuierliche Linie: Mit der Mutter wird die Vergangenheit belegt, seine eigene Erfahrung ist mit seinen Beobachtungen hinsichtlich der Gründe des Scheiterns von Ehebeziehungen sowie seiner Wahrnehmung der Frauenbewegung – die das Ideal ‚empfindsamer‘ Männer bloß vorgegeben habe – gedeckt. Er vermutet, bis heute habe sich daran nichts geändert. Eine Schlüsselrolle spielt somit die geschlechtsspezifische Zuschreibung der Qualität des jeweiligen sozialen Status: Neben der behaupteten materiellen Statusorientierung von Frauen einerseits („Fähigkeit der Frauen … sich in einen Mann zu verlieben“) gibt er an, für Männer sei „sozialer Status“ bei Frauen kein „Hauptkriterium“. Er spielt hier zwar auf materiellen Status an, zählt zu den tatsächlichen Kriterien aber „Schönheit, Gesicht, Figur“. Indem er damit augenfällig Bestimmungen der Tradition zugrundelegt – d. h. traditionelle Attribute weiblicher Attraktivität – bleibt er der Semantik des Status unter der Hand verhaftet. Er nennt aber auch das Attribut der für Männer attraktiven „geistigen Anlagen“ bei Frauen: Er diskreditiert diese Frauen letztlich aber damit, dass sie dadurch weniger „liebesfähig“ seien – was die Lesart erlaubt, dass in seinem Verständnis ‚geistige Qualitäten‘ von Frauen umgekehrt den Verlust ‚emotionaler Qualitäten‘ zur Folge haben. Damit, Frauen gegenüber ausgesprochen zu haben, dass er sie liebe, um „sie nicht enttäuschen“, macht er sich gewissermaßen die Zeichen der Liebe instrumentell zu eigen. Die Simulation von Liebe folgt dabei einem strategischen Kalkül. Denkbar ist, dass Gregor B. die an sich selbst entdeckte Entkoppelbarkeit von Liebe und sexuellem Begehren Frauen nicht zugetraut hat. Schließlich kommt Gregor B. am Ende noch auf „was witz Wichtiges“ zu sprechen. Dieser kleine Sprechfehler mag eine marginale rhetorische Fehlleistung darstellen, er lässt sich aber auch als despektierlicher Unterton lesen. In jedem Fall markiert Gregor B. an dieser Stelle ein aus Sicht seiner Wahrnehmung klar geltendes Kriterium dafür, wann, wie er sagt, Frauen „richtig“ lieben. Für ihn stellt das der von Frauen geäußerter Kinderwunsch dar. Er betont dabei, dies gelte, wenn eine „Frau richtig liebt“. Der Wunsch nach Familiengründung wird somit in einen Zusammenhang mit „richtig(er)“ Liebe von Frauen gebracht. Dabei fällt auf, dass dieses Frauen zugeschriebene Liebesmotiv, in Kontrast zu Gregor B.s sonstiger Erzählfigur – den eher verschleierten weiblichen Statusmotiven – in seiner Erzählung, hierbei plötzlich sehr klar zum Tragen kommt. Vielleicht ist es eine charakterliche Geschlechtsdisposition („tiefstem Inneren“), die Gregor B. hier erkennen möchte, und die ihm größere Deutungssicherheit als im übrigen Interaktionsgeschehen der Geschlechter verspricht, wie er sie erlebt. Unsicherheit hingegen aktualisiert sich in seinem QuasiResümee im Abschluss der Erzählpassage, wo er Liebe abstrakt als das bezeichnet, was die „Geschichte ... all dem zusammen“ halte, wo aber immer der Verdacht besteht, dass eine/r der/m andere/n etwas „vormachen“ könne.
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Fallstudie Gregor B.: Ein Fazit In der Fallstudie Gregor B. steht im einen Aspekt das Thema Sexualität in einem engen Zusammenhang mit seinen Bestimmungen des Liebesideals. In Bezug darauf verfolgt er eine Theorie, wonach die Tradition ein Bild der romantischen Liebe vorspiegele, welches nicht mit der ‚Wirklichkeitspraxis‘ übereinstimme. Dazu zählt er einerseits die Vorstellung eines lustfernen, entkörperlichten Liebesideals. Andererseits die Vorstellung, dass sich die Geschlechter abseits materieller Interessen in Reinheit und Unschuld begegnen. Daher bindet er das Thema Liebe im anderen Aspekt an die Entlarvung dieser Vorstellung. Mit dem Thema Sexualität stemmt er sich gegen die Moral in seiner Jugend, mit dem Verdacht gegenüber den Liebesmotiven von Frauen gegen ein in seiner Wahrnehmung naives Verständnis ‚reiner‘ Emotionalität. Gregor B. nimmt auf seine Zeit Bezug, indem er die dort im öffentlichen Diskurs weitgehend ausgeblendete Sexualität thematisiert. Zugleich wird das literarische Ideal der romantischen Liebe als Vorspiegelung faktischer Gegebenheiten in der realen Welt gedeutet. Gregor B. belegt dies mit seinen Erfahrungen der Mutter sowie seinem grundsätzlichen Verdacht, das von Frauen angestrebte Emanzipationsideal stimme nicht mit einer ihnen gegebenen Bedürfnisnatur überein. Die Frauenbewegung der 60er Jahre habe sich in intellektuelle Ansprüche verstrickt, dabei quasi ‚weibliche Dispositionen‘ in der Liebe unterschlagen. Gregor B. wertet dies gewissermaßen als ein Generationsmissgeschick. Umso mehr fühlt er sich dazu veranlasst, sein Gespür für die ‚wahre‘ Bedürfnisnatur von Frauen zu demonstrieren. Von Zeitwandel unbeeinflusst, bestünde diese Natur darin, sich an sozialem Status und dem Souveränitätsgestus von Männern zu orientieren. „Weiche Männer“ hätten dies nicht „verstanden“, vielmehr von emanzipierten Frauen „missbrauchen“ lassen. In seinem partnerschaftlichen Lebensweg sei Gregor B. daher beständig bestrebt gewesen, für eine starke Ausgangsposition seiner selbst besorgt zu sein. Die Problemlösung hierzu stellt für ihn die sorgsame Pflege (s)eines sozialen Status als Mann dar, dessen Funktion implizit mit und aus traditioneller Geschlechtsrolle abgeleitet und erklärt wird. 4.2.3
Vergleich der Fallrekonstruktionen der frühen Jahrgänge und methodische Zwischenbetrachtung
Die bisherigen Fallrekonstruktionen der frühen Jahrgänge belegen, dass sich die in Abschnitt 3.3.3 erörterten, für die Materialanalyse sensibilisierenden Interpretations- bzw. Vergleichsdimensionen als aussagekräftige Arbeitsgrundlage erwiesen haben. Nachdem ein gesättigter Überblick über sämtliche Fallstudien erreicht war, wurden diese Dimensionen in einem Folgeschritt, insbesondere für die Fallvergleiche, in Richtung abstrakterer Kategorien fortentwickelt und dafür modifiziert. Auch der Fallvergleich der frühen Jahrgänge ist daran bereits orientiert. Die Synthetisierungsschritte sahen im Einzelnen wie folgt aus:
4.2 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,frühen‘ Jahrgänge
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Mit der in Abschnitt 4.2.3 begründeten Frage nach den Zeithorizonten und Kollektivbezügen in den Erzählungen zeigen die Beispiele der Fallstudien Ingeborg S. und Gregor B., wie individuelle Erfahrungen und darauf bezogene Deutungen von den Befragten selbst historisch gerahmt werden. Der verbindende Zeithorizont in diesen Erzählungen ist der Aspekt der (Selbst-)Aufklärung in der historischen Phase der 50er Jahre. Bei Ingeborg S. sind es die Mädchenbücher, denen sie Idealbilder der Liebe entnimmt, bei Gregor B. ist es die quasi-pornographische Aufklärungslektüre, zu der er über den älteren Bruder Zugang erlangt. Gregor B.s Lektüre konterkariert damit in drastischer Weise das, was Ingeborg S. mit dem Ausdruck „rosarote Schleier“ als Verklärung der Sexualität in ihrem Aufklärungswissen deklarierte. Beide ummanteln diesen thematischen Bezugspunkt semantisch in strukturähnlicher Form: Ingeborg S. spricht von ihren jugendlichen Sexualitätserfahrungen „wenn’s handfest zur Sache ging“ (vgl. Fallstudie), was in ihrer Lektüre jedoch gerade ausgespart war. Gregor B. verfügte darüber bereits früh mithilfe ‚bebilderter‘ Erfahrung. Das Thema Sexualität ist in beiden Erzählungen in einer verbindenden Weise dominant. Gemeinsam ist das Motiv der Selbstsozialisation in einem gesellschaftlichen Klima, welches Jugendlichen einen emanzipatorischen Ich-Begriff in der Sexualität vorenthielt. Beide Erzählungen zeichnen sich also durch das generationsstiftende Element aus, dass ein positiver bzw. affirmativer Begriff von Sexualität in Bezug auf Liebe erst in der späteren Biografie selbst erarbeitet wurde. Allerdings auf ganz unterschiedliche Weise: Während Gregor B. sein Bild unverfälschter Liebe durch ein demonstrativ ungezwungenes Sexualleben auch abseits des dauerhaften Paares bzw. der Ehe untermauert, geht es Ingeborg S. darum, sich als Frau von normativen Zumutungen im Leitbild der Sexuellen Revolution zu emanzipieren (vgl. Fallstudie). So nimmt Ingeborg S. Kollektivbezüge zwar unter Anderem in Bezug auf ihr Milieu vor („Debattierkreise“, akademisches Milieu). Am eindeutigsten bezieht sie sich jedoch auf das Kollektiv des eigenen Geschlechts sowie den partnerschaftlichen Problemstellungen, die sie in der Zeit ihrer Adoleszenz gerade in Bezug darauf wahrnimmt (vgl. Fazit Fallstudie Ingeborg S.). Bei Gregor B. ist es in spezifischer Weise ähnlich: Bei ihm existiert zwar ein ‚Wir‘ gemeinsamer Erfahrungen während der Schulzeit. Dieses besteht in dem bereits angesprochenen Verschweigen der sexuellen Lustaspekte, die er in Zusammenhang mit dem Thema Liebe betrachtet. Der deutlichste Begriff des Kollektivs besteht aber auch bei ihm in Bezug auf Geschlecht. Hier mutmaßt er eine Bedrohung als Mann durch das ungeschützte Bekenntnis zu „starker“ Liebe. Er fürchtet darin die Gefahr, Souveränität innerhalb der Paargemeinschaft verlieren zu können. Am deutlichsten sieht er diese Interpretation mit Bezug auf die Frauenbewegung belegt, welche „weiche“ Männer „missbraucht“ habe. Fallbezogen konnte auch eine regulative Idee der Liebe (Corsten 1993; vgl. Abschnitt 3.3.4) rekonstruiert werden. Bei Ingeborg S. steht hierbei, wie bereits angedeutet, zum einen und in genereller Weise das Ideal der Selbstbestimmung im Vordergrund. Im Konkreten dagegen die Vorstellung gegenseitiger Zuneigung abseits des traditionellen Geschlechterschemas – hier in erster Linie abseits ökonomi-
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
scher Abhängigkeit. Umgekehrt bindet Gregor B. seine Idee der Liebe – die zwar in allgemeiner Weise an „tiefe Zuneigung“ gebunden ist – an (s)ein Verständnis einer herrschenden Machtordnung zwischen den Geschlechtern. Insofern hält er das literarische Ideal der romantischen Liebe für eine Vorspiegelung falscher Tatsachen. Die Dimension ‚Regulative Leitidee der Liebe‘ wurde im Folgenden übersetzt in die Kategorie ‚Authentizitätsideal‘. Dieser Begriff beschreibt, konturierter als der Begriff der Idee, die in biografischen Narrationen explizit wie auch implizit enthaltenen Überzeugungen zu Widerspruchslosigkeit in Liebe und Beziehungspraxis (vgl. Abschnitt 3.2.5). Mit den bisherigen Fallstudien ergeben sich auch klar erkennbare Gender-Schematisierungen. Die Dimension Geschlechterkonstruktion erschien im Forschungsgang daher zu unbestimmt und zu allgemein. Sie besaß vor allem zu geringe Kontur, um Geschlechter-Attribuierungen zu erfassen. Sie wurde ersetzt durch die Kategorie Geschlechterzuschreibungen, da in den Narrationen Bestimmungen zu den sozialen Wirkweisen der Geschlechterkategorie dominierten. Am Beispiel Ingeborg S.: In ihrem Deutungsmuster stehen die sich aus der traditionellen Ordnung ergebenden Machtdispositionen der Geschlechter im Vordergrund. Damit, dass sie in der eigenen Partnerschaftsbiografie die elterliche Machtkonstellation gewissermaßen umkehrt (sie wählt einen, wie sie selbst formuliert, „unterlegenen“ Mann, der sie zwar liebt, ihre kulturellen Ansprüche aber nicht erfüllen kann), kann sie sich aber nicht lösen aus dem Grunddilemma ihrer Deutung: Eben eines zu kontrollierenden – und damit für ihre Vorstellung des Gelingens von Liebe relevanten – materiellen Machtgleichgewichts im Paar. Gregor B. hingegen hegt grundsätzlich eine aus literarischen Vorgaben gewonnene, positive Idee der romantischen Liebe. Er zieht mit seiner Deutung einer faktisch „materiell“ gegebenen Basis der Liebe in der Geschlechterbegegnung dazu jedoch einen deutlichen Trennstrich. Gemäß seiner Wahrnehmung einer „Rangordnung“ in der Liebe zwischen den Geschlechtern, sieht er sich gezwungen, für eine demgemäß starke Ausgangsposition als Mann zu sorgen. Dabei verbindet beide Fälle der frühen Jahrgänge strukturähnlich die Hintergrundsüberzeugung, dass die individuellen Chancen für die Liebe von einer glückenden Bearbeitung des eigenen Lebensschicksals als ‚Geschlechts-Schicksals‘ abhängen. Zwei zentrale Aspekte, die die Materialarbeit anhand dieser Narrationen hervorbrachte, wurden mit den bisherigen Dimensionen jedoch noch nicht erfasst: Dies betrifft zum einen die von den Befragten wahrgenommenen Widersprüche zwischen dem in der Jugendzeit erlernten Leitbild der Liebe und der faktischen, individuellen Erfahrungspraxis. Sie sind dadurch zum anderen dazu herausgefordert, handlungspraktische Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Somit zur Kreierung einer Handlungsstrategie, die auf dieses Deutungsproblem reagieren kann; oder anders: Erlernte Liebesleitbilder mit tatsächlichen Erfahrungen zu verrechnen. Als Vergleichskategorien aller Fälle kamen somit noch die Dimensionen Problemdeutung und Handlungsstrategie hinzu. Am Beispiel der Fallrekonstruktionen der frühen Jahrgänge: Trotz unterschiedlicher Ausformung verbindet Ingeborg S. und Gregor B. eine strukturähnliche Problemdeutung in der Liebe. Gemeinsam ist der Topos des ‚sozia-
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len Status‘ bei der Paarbindung. Beide kommen darauf auch explizit zu sprechen. Differenzen bestehen in den jeweiligen Schlussfolgerungen, die daraus für die eigene Lebenspraxis gezogen werden. Ingeborg setzt sich oppositionell gegen das männliche Monopol ökonomischer Machtressourcen ab, Gregor B. versucht, diesen sozialen Status als Mann zu erhalten, um Kontrolle in seiner Vorstellung der Ordnung der Liebe zu bewahren. Biografisch bleibt dieses Thema aber für beide bindend: Beide bleiben davon überzeugt, dass romantische Liebe im individuellen Leben nur mit einem bestimmten Umgang mit diesem Status gelingen kann. Die materielle Basis bleibt dabei als Ordnungsmuster erhalten, jedoch aus unterschiedlicher Perspektive: Im Fall Ingeborg S. ist der Versuch erkennbar, sich von Abhängigkeiten der traditionellen Liebesordnung zu emanzipieren. Auf der Ebene der Handlungspraxis will sie sich daher vom Schicksal der eigenen Mutter lösen, die sich einem erwerbsökonomisch asymmetrisch angeordneten Ehemuster ausgesetzt sah. Demgegenüber hat sich das Gelingen der Liebe in Ingeborg S.s Fall am Gleichheitsideal der Geschlechter zu beweisen, was auf dem institutionellen Feld der Erwerbsarbeit (hier: eigenständige Berufsexistenz als Frau) ausgefochten wird. Das Bemerkenswerte an diesem Fall ist, dass Ingeborg S. ihr Verständnis romantischer Liebe nur in einer Parallelbeziehung eingelöst sieht, worin das Feld der Erwerbsarbeit keine lebenspraktische Relevanz hat. Anders formuliert: Als Herausforderung ihrer Zeit betrachtet sie die Notwendigkeit, einen autonomen Lebensentwurfs als Frau zu verwirklichen. Gleichzeitig modifiziert sie aber lediglich die Problemstellung der Mutter. Faktisch ist sie zwar nicht mehr vom Partner ökonomisch abhängig, der Weg zu ihrem Idealbild ‚egalitärer‘ Liebe bleibt aber an diese Form von Gleichgewicht gebunden. Diametral dazu geht es im Fall Gregor B. darum, diese traditionelle Ordnung aufrechtzuerhalten und in der individuellen Lebensführung in der Intimität zu stabilisieren. Gregor B. ist daher mit der Aufrechterhaltung eines sozialen Status als Mann beschäftigt, die er ganz materiell begreift. Er glaubt in der gegengeschlechtlichen Begegnung nicht an eine reziproke Liebe auf der Basis von Egalität. Vielmehr sieht er sich zur Absicherung dauerhafter Zuneigung seitens einer Partnerin zum Ausbau seiner Vorstellung symbolischen Statuskapitals als Mann gezwungen. Anhand der Fallstudie Ingeborg S. wurde herausgearbeitet, dass die Befragte sich vor die Aufgabe gestellt sieht, sich gegen den traditionellen Führungsanspruch von Männern im Paar – worin sie das Schicksal der eigenen Mutter als stellvertretend erklärt – mittels Errichtung einer eigenständigen beruflichen Identität zu stemmen. Der Anspruch auf ein egalitäres Beziehungsarrangement abseits ökonomischer Zwänge und Abhängigkeiten stellt für Ingeborg S. daher die Grundlage einer Paarbeziehung dar, in der auch das Affektive, das Romantische gelingen kann. Ein bestimmter Umgang mit Macht, genauer: das Außerkraftsetzen der im restaurativen Nachkriegsmodell festgeschriebenen Ordnung von Machtgrundlagen im Paar hat für sie zentrale Bedeutung. Diese Ordnung wird als Machtdefizit zu Ungunsten von Frauen, und als Barriere eines weiblich selbstbestimmten Selbst in der Liebe wahrgenommen. Hier zeigt sich auch, was für Ingeborg S. das „Unrealistische“ (vgl. Fallrekonstruktion) in der Liebe darstellt: Es ist gewissermaßen das ungeprüfte Einver-
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
ständnis mit einem Liebesideal, welches vor allem dem männlichen Geschlecht Individuierungschancen zuspricht. Daher stellt sich ihr als Schlussfolgerung die Aufgabe, Rollendisposition und ‚reine‘ Liebe zu entzerren. Ingeborg S. verabschiedet somit das von ihr so benannte Prinzip der „Harmonie auf allen Kanälen“ – als Inbegriff der Beziehungssackgasse, die ihr die Mutter vorgelebt hat – auch ohne in einem engeren Sinne eine ‚typische‘ 68erin zu sein. Die Verarbeitung ihrer Zeiterfahrung besteht darin, nicht dem zu folgen, was gemäß der offiziellen Offerten ihrer Generation opportun gewesen wäre: Beispielsweise promiskuitiv zu leben, wie es die Freundinnen taten. Sie selbst praktiziert aktive Autonomie vielmehr auch abseits des Generations-Klischees, indem sie das weibliche Rollenmodell der restaurativen Ära einerseits qua eigenständiger Berufsidentität und andererseits durch einen autonomen Lebensentwurf in Paar und Familie außer Kraft setzt. Bei Gregor B. liegen die Dinge anders: Bei ihm sind stärker Sorgen um die Anerkennungsstrukturen (Wimbauer 2005) in der Liebe sichtbar, die für ihn mit dem Verlust traditioneller Gewissheiten in der Geschlechterbeziehung verbunden sind. Er macht sich dies verständlich mit der gefühlten Problemkonstellation zwischen „starker“ Liebe und „weichem Mann“. Starkes Lieben als Mann wird zwar als großer Wert bejaht, aber mit der Furcht um Missbrauch und Verlust an Souveränität besetzt. Aus dieser Perspektive steht der Fall Gregor B. genau besehen für das grundsätzliche Misstrauen in die Vorstellung einer ‚freien‘ Liebe als Idee eines freien Spiels der Affekte abseits traditioneller Ordnungen. Im Grunde glaubt Gregor B. nicht an die Realisierbarkeit dieser Idee, weil er von der Vorstellung einer – Frauen wie Männer gleichermaßen betreffenden – ‚materiellen Rangordnung‘ in der Liebe befangen bleibt. Mit der anhand dieser Fallrekonstruktionen begründeten Kategorienbildung werden im Folgenden auch die Fallvergleiche der ‚mittleren‘ und ‚späten‘ Jahrgänge vorgenommen. Schließlich werden auf dieser Grundlage in Kapitel 5 Typen biografischer Selbstthematisierung in der Liebe gebildet. 4.3
Rahmenpunkte privater Lebensführung der ‚mittleren‘ Jahrgänge
Die Adoleszenzphase der Geburtsjahrgänge etwa Anfang der 50er bis Mitte der 60er Jahre unterliegt neuen historischen Randbedingungen: Institutionelle Ebene: Bei diesen Jahrgängen vergrößert die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters seit 1975 die Spielräume für autonome Lebensgestaltung in ein jüngeres Alter. Infolge der Verrechtlichungen der Lebensverhältnisse (Elternrecht, Schulrecht, Kinderrecht etc.) sind staatliche Regulierungen privater Lebensführung geringer geworden, und werden die Einzelnen zunehmend von der externen sozialen Kontrolle durch Eltern und Staat entbunden. Seit 1973 war der Kuppeleiparagraph § 180 StGB verschwunden, demzufolge jeder außereheliche Geschlechtsverkehr als ‚Unzucht‘ erklärt werden konnte. Der Paragraph § 175 StGB zur Homosexualität wurde in seinen Novellierungen 1969 und 1973 beschränkt auf die Strafbarkeit von
4.3 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,mittleren‘ Jahrgänge
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Homosexualität, wenn ein Partner das Alter von 18 Jahren unterschreitet. Abtreibungsregelungen im Paragraph § 218 StGB erhielten 1972 und 1974 eine Wendung durch die Relativierung der Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs bei Nichteinhaltung des Indikatorenspektrums (Fristenregelung) (vgl. Clement 1986, Peuckert 2004). Die zunehmende Suche nach einer Alternative zum traditionellen Familienmodell erleichterte auch das Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts von 1976, getragen vom Prinzip der Aufhebung geschlechtsspezifischer Rollenfixierung im Gleichheitsgrundsatz. Das Ehescheidungsrecht wurde novelliert, indem das Verschuldensprinzip vom Zerrüttungsprinzip abgelöst wird und Unterhaltsregelungen eine Neuordnung erfuhren. Zugleich partizipieren diese Jahrgänge an der hohen quantitativen Ausweitung des Bildungswesens seit den 70er Jahren (ab dem Geburtsjahrgang 1960 kommt es nach Mayer (1994) zu einer weitgehenden Angleichung der Berufsverläufe zwischen Frauen und Männern, und insgesamt entwickelt sich eine größere Zugänglichkeit akademischer Ausbildungsgänge). Die Verlängerung der durchschnittlichen Ausbildungszeit führt zur Herausbildung der neuen Lebensphase Postadoleszenz (Döbert/ Nunner-Winkler 1982; vgl. Dörre/Schäfer 1982). Gemeint ist der Fall, wenn die Angehörigen dieser Lebensphase vom Stand ihrer Persönlichkeitsentwicklung zwar in der Lage der Kreierung autonomer Lebensentwürfe sind, ökonomisch aber abhängig bleiben. Verlängerte Ausbildungszeiten und verzögerte Berufseintritte führen in der Konsequenz auch zur Tendenz erst späterer Elternschaft (vgl. Schäfers 1995) sowie zu einer Zunahme vorehelicher Beziehungsformen, besonders in der kinderlosen Phase (Vaskovics/Rupp 1995). Das Ansteigen des Bildungsniveaus in der Bevölkerung insgesamt erlaubte jedoch eine höhere Milieumobilität als für alle Jahrgänge zuvor. Milieuwechsel auch innerhalb einer Biografie wurden dadurch erleichtert. Kulturelle Ebene: Die nicht-eheliche Lebensgemeinschaft (vgl. Vaskovics/Rupp 1995) bzw. die Ausbreitung ‚nichtkonventioneller Lebensformen‘ (Schneider/Rosenkranz/Limmer 1998) hat bei diesen Jahrgängen zugenommen.112 Das Monopol der Zivilehe ist also gebrochen, zeitgleich kommt es zu alternativen Familienformen und zu einem Anstieg der Zahl kinderloser Ehen (vgl. Schäfers 1995: 124). Infolge der breiten Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln und ihrer generell hohen gesellschaftlichen Akzeptanz bei Jugendlichen sind Liebesbeziehungen anders als bei den Jahrgängen zuvor nicht mehr unmittelbar verknüpft mit Fragen nach den sozialen und materiellen Folgebedingungen bei Elternschaft. Dadurch bekommt auch der Zusammenhang von Liebe und Elternschaft eine andere Qualität: Im Gegensatz zu den vorausgehenden Rollenrestriktionen privater Lebensführung sind hierdurch Freiräume in Paarbeziehungen gegenüber Familiengründung geschaffen. Das vorher kaum denkbare Zusammenwohnen ohne Trauschein wurde ebenso möglich wie das längere Alleinwohnen außerhalb der Herkunftsfamilie und das Leben in Wohngemeinschaften, wo neue Formen und Grenzziehungen von Privatheit und (Teil-)112
Laut dem 4. Familienbericht der Bundesregierung haben sich nicht-eheliche Gemeinschaften zwischen 1972 und 1982 nahezu vervierfacht.
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Öffentlichkeit geprobt werden konnten. Es etablierten sich seitdem zugleich Paarbeziehungen ohne sexuelle Treueverpflichtungen sowie der Kinderwunsch ohne Heiratsabsicht (vgl. Schenk 1987, Nave-Herz 1989). Eine Paarbeziehung aufzunehmen bedeutet nunmehr auch nicht mehr zwangsläufig, über kurz oder lang einen gemeinsamen Haushalt zu gründen. Anerkannt wird nun weiterhin eine Jugendsexualität. Generell ist die Auffassung vom destruktiven Trieb-Begriff der Vorstellung ‚normaler‘ Lustbedürfnisse gewichen, was der alten Sexualmoral widersprach. Die Replikationsstudie von Ulrich Clement (1986) zu sexuellen Einstellungsmustern von Studierenden 1966 und 1986 bringt dies auf einen Punkt: Clement stellt fest, dass die „moralische Motivierung“ vorehelicher Sexualitätsabstinenz bei der späteren Gruppe eine kaum noch wahrnehmbare Rolle spiele, die Ehe nicht mehr die sexuelle Praxis privilegiere und die partnerschaftliche Situation sexuelle Außenbeziehungen nicht mehr moralisch, sondern vielmehr über den Status ihrer emotionalen Bedeutung erörtere (ebd.: 70ff.). Die traditionelle „Verbots-Orientierung“ weiche einer „paarbezogenen Gefühlsorientierung“: „Die Norm wird verprivatisiert, verpaart und emotionalisiert“ (ebd.: 81). Infolge einer fortschreitenden Trennung der Liebe von der Ehe war die ehemals ‚wilde Ehe‘ ohnehin vielfach Alltagspraxis geworden (vgl. Schenk 1987).113 Geschlechtersemantik: Letztlich gehört der feministische, geschlechterpolitische Diskurs bereits zum kulturellen Wissensbestand der Jugend ab den 70er Jahren. Die Frage nach Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen wird zunehmend weniger als Sonderfrage subkultureller Frauenzirkel wahrgenommen. Nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen stellen sexuelle Beziehungen auch außerhalb des Paarbeziehungskontextes nun eine legitime Handlungsoption dar (vgl. Herma 2003). Vor dem Hintergrund angewachsener Ansprüche nach freier Entfaltung und Autonomie beider Geschlechter verändert sich damit auch die Semantik der Liebe im Verhältnis zur Geschlechtersemantik. Mit der allmählichen Abkopplung von Ehe- und Familiennormen wird Liebe einerseits ein größerer Selbstwert, da ihre Binnenstruktur stärker durch die Einzelnen selbst als durch Rollenvorgaben definiert wird. Andererseits bricht allmählich jenes Beziehungsideal des Liebespaares auf, welches bis in die 60er Jahre durch die Vorstellung der Verschmelzung ungleicher Rollen im Sinne des „Figurationsideals harmonischer Ungleichheit“ (Stolk/ Wouters 1987, vgl. oben) dominiert wurde. Die neue Binnenmoral des Paares zielt nun auf eine emotional-vertrauliche, gleichberechtigte, entwicklungsbetonte und entwicklungsoffene Beziehung (Schenk 1987), was im Ideal der Partnerschaft seinen stärksten Ausdruck findet (vgl. Giddens 1993, vgl. ausführlich Abschnitt 1.6 113
Analog dazu das Leitbild der ‚offenen Ehe‘ (O’Neill/O’Neill 1975). Die Verbindung von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre wird meist als frühes Vorzeigebeispiel für eine solche, offene Beziehung bemüht, obwohl de Beauvoir später bekannte, dass sie die Liebesabenteuer des Partners permanent als Kränkung erlebte (Sichtermann 2000, Schenk 1987). Gleichwohl gilt dieses Paar bis heute als Projektionsfolie für ein Liebesideal in Freiheit abseits bürgerlicher Besitzansprüche sowie als Beispiel für die Außerkraftsetzung der Monogamieregel bei Beibehaltung einer Liebesbindung.
4.3 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,mittleren‘ Jahrgänge
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und Kapitel 6.). Damit wird erstmals auch das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei beiden Geschlechtern zum legitimen Verhandlungsgegenstand von Paararrangements. Mit der Forderung der Ende der 60er Jahre entstehenden Neuen Frauenbewegung nach einem autonomen weiblichen Gegenentwurf zur Normalbiografie des Mannes verband sich somit auch das Streben, gängige Weiblichkeitsmythen aufzudecken, die von männlicher Dominanz und weiblicher Unterordnung kündeten. Die Kritik an patriarchalen Strukturen fällt aber stärker in die formative Generationsphase der mittleren als der frühen Jahrgänge. Sie ist hier bereits fester in der Geschlechterdebatte eingebettet, damit ‚normaler‘. Die feministische Interpretation der heterosexuellen Intimbeziehungen sprach nun von der vernachlässigten ‚weiblichen Psyche‘ im herrschenden Liebesmuster,114 welches bislang vom „männlichen Liebessubjekt“ und vom „weiblichen Liebesobjekt“ her gedacht worden sei (Baackmann 1995, vgl. Meyer-Lenz 2002).115 Die Rede vom ‚Chauvinisten‘ und den um eine Kultur der ‚neuen Zärtlichkeit‘ bemühten ‚Softie‘ kommt in Mode. Die Populärkultur spiegelt das wider (vgl. Herma 2003): Man denke an den Erfolgsfilm Männer der Regisseurin Doris Dörrie von 1986, wo Stärke- und Souveränitätsmythen des männlichen Geschlechts parodiert werden, an das gleichnamige Musikstück von Herbert Grönemeyer von 1984, quasi als augenzwinkender Versuch, Männlichkeit als ‚Sozialisationsbürde‘ in Szene zu setzen, oder an Ina Deters Musikstück Neue Männer braucht das Land von 1982. Das Leitbild des Mannes als Hegemon von Beziehungsdefinitionen wird zur Disposition gestellt, und männlicher Anspruch auf Autoritätsvorsprung innerhalb einer hierarchisch geordneten Geschlechterordnung der Liebe gerät in eine Krise. Männern stellt sich das Problem, vor dem Hintergrund von Gleichberechtigungsnormen ein neues geschlechtliches Selbstkonzept auszuloten. Zugespitzt formuliert: (Wie) kann Mann ‚unpatriarchalisch lieben‘? 114
In diesem Zuge taucht auch ein Diskurs ‚moralischer Überlegenheit des Weiblichen‘ auf, der vor allem in den 80er Jahren dominant wurde. Genau besehen wurde damit das Denkmodell geschlechtsspezifischer Charaktere tradiert, nun jedoch in einer aufgefrischten Version: Zwar diskutierte die Frauenbewegung bereits in den 70er Jahren kontrovers, wie weibliche Subjektivität abseits geschlechteroppositioneller Relationen zu denken sei. Manche männliche Autoren sahen darin allerdings auch eine Verheißung: Mit seiner Forderung nach einer „Feminisierung der Gesellschaft“ als „letzten Ausweg“ aus der „maskulinen Todeskultur“ eignete sich beispielsweise Herbert Marcuse (1970) diese Vorstellung moralischer Überlegenheit an. 115 Stellvertretend formuliert Susanne Baackmann (1995), der männliche Teil der ‚68er‘ hätte das entstandene Vakuum der zunehmend von Ehe- und Familienkontexten abgekoppelten Liebe lediglich durch die Warenförmigkeit der Sexualität aufwertet. Das grundsätzlich asymmetrische Verfügungsverhältnis der Geschlechter im Leitbild der ‚sexuellen Revolution‘ sei – wenngleich in neuem Gewande – jedoch fortgeführt worden: „Der männliche Blick und sein Begehren setzen nach wie vor das Bild von Weiblichkeit zusammen, jetzt nicht mehr als asexuelle Ehefrau und Mutter, sondern als attraktiven konsumierbaren Körper“ (ebd.: 53).
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Allgemeine Generationsdebatte und Abschlusseinschätzung: Mit den mittleren Jahrgängen sind die etwa Mitte der 50er Jahre Geborenen, insbesondere die Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge etwa ab Ende der 50er bis Mitte der 60er Jahre angesprochen. Als früher Autor sprach Thomas Ziehe (1975) mit psychoanalytischem Akzent von einem neuen, einem „narzisstischen Sozialisationstypus“ der Jugend (ebd.: 107; vgl. Behr 1992: 295) nach der Generation der ‚68er‘ (welche dieses Namensetikett erst später erhielt). Seither ist die soziologische Forschungsliteratur zu dieser Jahrgangslagerung immens angewachsen. Hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktchancen war von einer „verunsicherten“ Generation (Sinus-Institut 1983) bzw. einer „postponed-Generation“ (Mayer 1994) die Rede. Zu einer desolaten Färbung als „Sorgenkinder der Republik“ trug zudem die Shell-Studie 1981 bei. Während Michael Behr (1990) das Bild einer „Zwischengeneration“ umgrenzt von den „Rahmengenerationen“ der „Radikalkritik“ und denen der „Überanpassung“ (ebd.: 295) zeichnete, prägte Reinhard Mohr (1992) mit Blick auf die Jahrgänge 1954–1959 für diese Jahrgänge in einem soziologischen Essay den Ausdruck 78er-Generation. Obwohl theoretisch eher assoziativ, hat dieser Terminus in der Diskussion bundesdeutscher Generationsgestalten mittlerweile einen gewissen Erkennungswert erlangt.116 Diese Jahrgänge sind von der gemeinsamen Wahrnehmung existenzbedrohender Entwicklungen für die Menschheit beeinflusst und sie partizipieren am stärksten an ökologischen und ökonomischen Krisendeutungen. Es handelt sich bei dieser Geburtsjahrgangslagerung zugleich um die „erste volle Pop-Generation – um Personen, die von der Kindheit an mit Kommunikationsmedien in der häuslichen Umwelt, vom Fernseher und Musiktruhe umgeben waren“ (Corsten 2001b: 495). Sie sind letztlich die Träger des sich mit den 70er Jahren verbreitenden, postmaterialistischen Bewusstseins der Bundesrepublik (vgl. Behr 1992). Anders formuliert, setzt sich mit ihnen am deutlichsten der „Wertewandel von einer Kultur der Notwendigkeit zu einer Kultur der Selbstverwirklichung“ (Bude 1992: 90) durch (vgl. Preuss-Lausitz et al. 1983; in Bezug auf Liebe und Zweierbeziehung vgl. die Shell-Studien). Es kann festgehalten werden, dass der Erfahrungshorizont der mittleren Jahrgänge von einer sprunghaften Entwertung externer Rollenvorgaben bei der Ausgestaltung intimer Beziehungen gekennzeichnet ist. Alternativhorizonte für den Lebens- und Liebesentwurf haben sich vergrößert, moralische Deutungsmuster der Liebe werden durch psychologische ersetzt (vgl. Clement 1986, Oevermann 1988, Mahlmann 1991). Die gerade für Frauen noch bindende Frage nach der Legitimität vorehelicher Sexualität ist verschwunden und generell erlangt die dauerhafte Liebesbeziehung außerhalb des 116
Mohrs Begriffsschöpfung ist eine Anspielung an das mittlerweile stehende Etikett ‚68er‘. Gleichwohl an das historische Datum 1978 keine signifikanten gesellschaftlichen Ereignisse wie bei der Studentenbewegung um 1968 oder an den Mauerfall 1989 (vgl. hierzu das Generationsporträt ‚Die 89er‘ bei Leggewie 1995) geknüpft werden können, nimmt Mohr mit der Losung ‚78er‘ diejenigen Jahrgänge in den Blick, welche als „Zaungäste“ im „Windschatten der politischen wie kulturellen Durchbrüche der 68er“ (Mohr 1992: 11) gestanden hätten und die Leitideen dieser Vorgängergeneration nicht mehr als vergemeinschaftend erlebten.
4.3 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,mittleren‘ Jahrgänge
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Ehebündnisses hohe Akzeptanz. Sie verliert damit den Rang eines vorehelichen Wartestands und wird zunehmend als Alternative zur Ehe definiert. Und: Die auch hinsichtlich der Liebe an den Geist der ‚sexuellen Befreiung‘ gehefteten politischen Utopien der 68er-Bewegten werden im Verlauf der 70er Jahre fragwürdig. So setzt sich mit diesen Jahrgängen infolge der Reformen des Ehe- und Familienrechts, der rechtlichen Liberalisierung privater Lebensgestaltung sowie der höheren Bildungsbeteiligung von Frauen (und der damit ansatzweisen Verflüssigung institutionell gestützter ökonomischer Abhängigkeit) zwar eine tendenzielle Erosion des bürgerlichen Normalfamilienmodells durch. Allerdings finden sich keine ernstzunehmenden empirischen Belege dafür, dass mit diesen Jahrgängen die enge Kopplung von Liebe mit Ehe (und letztlich auch Elternschaft) als generelle Leitsemantik der Ausgestaltung persönlicher Nahbeziehungen außer Kraft gesetzt wird. Es ist jedoch erwartbar, dass die mittleren Jahrgänge infolge des genannten kulturellen Wandels in ihrer Jugend- und Adoleszenzphase zu neuen Legitimationen in der biografischen Kommunikation über Liebe herausgefordert sind. Adoleszenzerfahrungen dieser Jahrgänge fallen also mit einer historischen Phase der Bundesrepublik zusammen, in der die Auseinandersetzung mit restaurativen Beziehungsnormen zwar nicht mehr wie für die frühen Jahrgänge permanent im Mittelpunkt stehen, nun hingegen muss die quasi entstandene Leerstelle neu mit Sinn für die Intimbeziehungen gefüllt werden. ‚Sinn‘ bedeutet hierbei nicht die Frage, was an der romantischen Liebe überhaupt noch relevant ist, denn durch die Generationen hindurch dürfte ihr Stellenwert als Repräsentantin individueller Höchstrelevanz (vgl. Kapitel 1) auch bei diesen Jahrgängen nicht an Geltung verloren haben. Die alten Vorzeichen haben sich jedoch geändert: Das traditionelle Komplementärmodell der Liebe ist stärker als zuvor abgewertet und das Gleichheitsprinzip der Geschlechter – wenigstens als Ideal – aufgewertet. Das Geschlechterarrangement in der Liebe muss neu definiert werden. Wie dies in die Selbstthematisierungen dieser Jahrgänge einfließt, welche Problemdeutungen und Handlungsstrategien daran geknüpft werden, und ob das Muster der romantischen Liebe damit gegebenenfalls modifiziert wird, zeigen die folgenden vier Fallstudien von Befragungen mit Personen, die zwischen 1954 und 1961 geboren sind. Es handelt sich um die zwei ausführlicheren Falldarstellungen Karla S. (geb. 1956) und Rüdiger A. (geb. 1954) sowie um die zwei Kurzporträts Gisela T. (geb. 1961) und Rainer K. (geb. 1959). Zunächst zum Fall Karla S.: 4.3.1
Fallrekonstruktion Karla S.: Die „Einschnitttypen“ der Liebe: Romantik als biografische Verdachtswelt
Karla S. ist 1956 in C-Stadt geboren. Ihre Eltern mit den Geburtsjahrgängen 1918 (Vater) und 1924 (Mutter) entstammen beide einem kleinbürgerlichen Hintergrund. Der Kontakt zur Befragten wurde über einen Arbeitskollegen vermittelt, der ihr eine „bewegte Biografie“ zuschrieb, was sie damit in seinen Worten „typisch für ihre Generation“ mache. In C-Stadt studierte Karla S. ab 1973 Amerikanistik und nach einem
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Zusatzstudium der Verwaltungswissenschaften ist sie heute als höhere Verwaltungsangestellte in einer Universität derselben Stadt beschäftigt. Karla S. ist ledig, kinderlos und führt einen Einpersonenhaushalt. Sie gibt im Vorgespräch an, „viele“ Zweierbeziehungen zu Männern geführt zu haben, welche mit zunehmendem Alter Zeit kürzer und unverbindlicher geworden seien. Zum Zeitpunkt des Interviews führt sie keine Paarbeziehung, wenngleich sie eine Liaison zu einem etwa gleichaltrigen Mann erwähnt, die nach ihrer Angabe jedoch „schwer zu definieren“ sei. Die Befragung findet in der Wohnung von Karla S. statt und erstreckt sich über etwa drei Stunden. a)
Eingangssequenz: Kitschfilme und „Einschnitttypen“ in der Liebe I: Zu Beginn möcht ich fragen, ob Sie sich an Liebesfilme erinnern, die Ihnen etwas bedeutet haben? K.S.: Oh. (8) Also einerseits hab ich (2). Ich guck zwar gerne Filme, aber nicht so intensiv wie ich zum Beispiel Bücher lese. Und, äh, also was ich vermute, ist, dass ich als Kind sehr durch kitschige Filme beeinflusst worden bin. Wir haben auch schon drüber geredet, dass wir uns überlegt haben, was für n Einfluss das war.
Der Erzählstimulus des Interviewers ist durch einen hohen Reflexionsgrad gekennzeichnet, er ist mit der Formulierung „bedeutet haben“ relativ allgemein und birgt damit die Gefahr, dass die Befragte erst in höherem Maße reflektieren muss, was für sie ein ‚bedeutsamer‘ Film darstellen könnte. Karla S. steht damit vor der Aufgabe, gleichzeitig den kulturellen Code Liebesfilm und sowohl das Selektionskriterium bedeuten in Bezug auf die Intention der Frage und in Bezug auf das eigene biografische Relevanzsystem zu dechiffrieren. Nach einem überraschten „Oh.“ und einer längeren Pause wählt sie in einem ersten Ansatz die Form argumentativer Selbstdarstellung („Also einerseits hab ich“). Weiterhin führt sie aus, Filme gegenüber Büchern zu favorisieren. Bereits an dieser Eingangssequenz lassen sich Lesarten entwickeln: • Die prinzipielle Abwägung („einerseits“/andererseits-Schema) möglicher Erzähllinien bringt ein ambivalentes Selbstverhältnis zum Ausdruck. Zugleich tritt die Befragte damit in einen vergegenständlichenden Diskurs mit dem Interviewer. Der Erzählgegenstand ist für sie offenkundig oppositionell bestimmt, er hat für sie mindestens zwei Seiten. Optional hätte es ihr auch offen gestanden, einfach irgend einen Filmtitel zu nennen. In dem sie zur Sachverhaltsdarstellung jedoch die Form Abwägung wählt, entscheidet sie sich für den Erzählmodus Relativierung. Dies könnte auf den Gegenstand selbst bezogen sein, etwa wenn Filme für sie gar keine Bedeutung haben. Alternativ aber auch auf den Versuch, eine Wertigkeit verschiedener Filmgenres vorzunehmen. • Gemäß der einen Lesart verwirft Karla S. das Genre Film für sich als etwas Bedeutungsvolles gänzlich. Möglicherweise stehen Filme bei ihr im Verdacht der Verschleierung von Realität, etwa im Sinne eines prinzipiell abgelehnten Trivialschemas. Eventuell will sie nicht als Filmkonsumentin identifiziert werden.
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• Der anderen Lesart zufolge, fühlt sich Karla S. ohnmächtig demgegenüber, was ‚Bedeutungen‘ in Bezug auf die eigene Biografie überhaupt meinen soll. Denn dies kann mindestens zweierlei heißen. Zum Beispiel ganz lapidar ein Geschmacksurteil: Man könnte einfach einen Film benennen, der gefiel und angenehme Erinnerungen hinterließ. Damit würde die Befragte eine Aussage darüber treffen, was für sie erfahrungspraktisch (an Bedeutungen) relevant ist oder war. Biografische Bedeutungen entziehen sich jedoch streng genommen reflexiver Selbstbestimmung, sie erfordern vielmehr szientistische Rekonstruktionsarbeit. Aus einer solchen elaborierten Beobachtungsperspektive zu agieren, hieße aber, nicht von Erfahrungen und Erfahrungsinterpretation zu sprechen, sondern eine Wissensperspektive zweiten Grades einzunehmen, um Aussagen über Bedeutungsstrukturen in einem untersuchten Fall zu treffen. Vielleicht ist es genau dieses Dilemma, vor das sich Karla S. gestellt sieht. Sie greift die Frage theoretisierend auf, findet aber keine Grundlage zur Letztbegründung von Bedeutungen. Nach kurzem Stocken bricht Karla S. dieses Schema jedoch noch im gleichen Satz ab. Sie fährt mit einer alternativen Form der Relativierung fort, dem zwar/aberSchema. Bezogen auf die Intensität („intensiv“) der individuellen Rezeption, die die Bildungspraxis der Befragten kennzeichnet, werden Filme Büchern gegenüber als nachrangig dargestellt. Karla S. umreißt damit eine Werterangfolge, sich mit Produkten des kulturellen Sektors auseinander zu setzen. Möglicherweise betrachtet sie Filme eher als Unterhaltungskonsum, Bücher hingegen als Medium der Selbstreflexion. ‚Ernste‘ Selbstverwirklichung würde vor ‚einfache‘ Unterhaltung gestellt sein. Das Sehen (von Filmen) hätte in Kontrast zum Lesen also Defizite, und sich die Welt lesend anzueignen wäre für die Befragte wertvoller als deren – im buchstäblichen Sinne – ‚Anschauung‘. Mit dem Terminus Vermutung führt die Befragte ihren reflexiven Erzählmodus fort. Dabei bringt sie ihr Erfahrungs-Ich in Gegenüberstellung zu abstrakten biografischen Prozessverläufen, was wirkt, als stünde sie mit der eigenen Biografie in keiner lebenspraktischen Verbindung. Indem nun die eigene Biografie zum Objekt von Erörterungen geworden ist, steht die Wendung „als Kind … beeinflusst“ als Signum für die Vorstellung einer frühen Determination individueller Entwicklung, aus der Erklärungen für das Später abgeleitet werden könnten. Der objektivierende Erzählduktus kommt dabei in zweierlei Hinsicht zum Tragen: Zum einen reflektiert sie sich nicht nur im Gespräch als Objekt – was gewissermaßen eine konstitutive Anforderung biografischer Selbstthematisierung schlechthin darstellt – zum anderen begreift sie ihr Selbst-Sein als durch Strukturen einer äußeren Welt geprägte Objektivität. So, wenn sie vermutet, durch „kitschige Filme“ beeinflusst worden zu sein, womit sie in Bezug auf das Filmgenre nun deutlich ein Trivialschema herausstellt. Welcher Kitschbegriff hierbei zum Tragen kommt, ist noch eingehender zu betrachten. Wehrt sich hier ein bildungsbürgerliches Streben nach Distinktion gegenüber der Vereinnahmung durch Kitsch? Zunächst zum Abschluss der Erzählpassage:
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Indem Karla S. überraschend unbekannte Personen einführt, mit denen sie darüber debattiert(e), in welchem Grade „Kitschfilme“ biografisch prägend gewesen sind, nimmt sie eine Kollektivbestimmung vor. Verzichtet wird aber darauf, dem Interviewer die Träger dieses Kollektivs nachvollziehbar zu machen. Dieses Wir bleibt letztlich im Dunklen. Es kann aber gefolgert werden, dass es in Karla S.s Umfeld einen unbestimmten Kreis von Personen gibt oder gab, der sich in reflexiver Auseinandersetzung über Persönlichkeitsentwicklungen und daraufbezogenen Prägungen austauscht und dabei eine kollektive Kommunikation des Selbstverdachts vornahm. Weshalb könnte es Karla S. wichtig sein, solche Fragen kollektiv zu validieren? Karla S. befindet sich in einem Alter, in dem eine Reihe wichtiger Lebensentscheidungen in Beruf und Familie bereits getroffen wurden und einschneidende Korrekturen unwahrscheinlicher werden. Gerade diese Irreversibilität weiter Strecken des Lebensverlaufs verlangt in besonderer Weise nach Deutungen bzw. Erklärungen, warum das eigene Leben so und nicht anders verlaufen ist. Das Gespräch darüber mit Anderen kann dabei die Funktion haben, sich selbst über Ursachen, über Hoffnung oder gar Schuld zu informieren. Bei der individuellen Selbsterfassung – an dieser Stelle die Suche nach prägenden Einflüssen auf den eigenen Lebensweg – hat das kollektive Suchen im ‚Wir‘ den Stellenwert einer quasi-professionellen Expertenschaft. Besonders dann, wenn die Anderen gleichen Alters sind, was Karla S. an einer späteren Stelle des Interviews herausstreicht. Sie spricht damit aus dem Diskurshorizont biografischer Selbstlegitimierung vor dem Hintergrund, das irgend etwas in der eigenen Biografie fragwürdig geworden ist. Bezugnehmend auf die oben entfalteten Lesarten der Eingangserzählung ist Karla S. möglicherweise von einem ambivalenten Selbstverhältnis beherrscht, das sich bei der Suche nach Antworten auf die Frage nach ‚bedeutsamen‘ Filmen konkretisiert. Vielleicht meint sie, sich selbst gleichsam am Schopfe fassen zu können, indem sie glaubt, von vornherein eine konsistente biografische Deutung liefern zu können. Auch der weitere Gesprächsverlauf bewegt sich in dieser Rahmung: K.S.: Also dass man so, weiß ich nicht, Ferien auf dem Immenhof und so ne Sachen gesehen hat und, dass da so Strukturen einem gezeigt wurden, denen man später auch hinterhergelaufen ist. Da hab ich schon so n Gefühl, dass das so ist. Aber dass ich jetzt so irgendwelche Klassiker nennen könnte, die irgendwie besonders eindrucksvoll waren? Und mit zunehmendem Alter glaube ich, hab ich da auch mehr, also da guck ich mir das zwar an und kann mich auch gut drin fallen lassen und kann auch heulen und das wunderbar finden, aber dass es Einfluss jetzt auf mein Handeln hat, glaub ich nicht. Ich glaube, wenn, dann so ganz aus m Unterbewusstsein, diese ganzen alten Sachen, die man da gesehen hat, und dass danach so diese Geschichten, dass einer mit m Schimmel angereitet kommt und einen errettet. Dass das wahrscheinlich, diese Einschnitt-Typen, dass die so ganz tief in einem drin sind. Das glaube ich. Die Liebesfilme, die ich jetzt so sehe, die sehe ich mehr als Unterhaltung. Obwohl ich schon denke, dass da auch durchaus mal ne Identifikation stattfindet. Aber ich glaube nicht, dass das also mein Handeln in Beziehungen oder so beeinflusst.
Karla S. verwirft die Annahme, „Klassiker“ hätten einen Einfluss auf ihr Handeln ausgeübt. Sie könne keine „nennen“, auch wenn diese Intention an der Interviewer-
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frage nicht abzulesen ist. Sie bleibt hingegen beim Kitsch: Am Beispiel der Filmreihe Ferien auf dem Immenhof unternimmt sie eine Diagnose, welchen „Strukturen“ sie in ihrem Leben „hinterhergelaufen“ sein könnte.117 Nun ist es von vornherein unmöglich, Strukturen ‚hinterherzulaufen‘, denn der Terminus Struktur stellt eine analytische Kategorie und keine Erlebnisqualität dar. Diese Selbstauslegung zeigt vielmehr eine narrative Loslösung der Beschreibungsebene von der Erfahrungsebene an. Insofern nimmt Karla S. eine Stilisierung individueller Erfahrung vor, die bereits in einer Interpretation möglicher Gesetzlichkeiten der sozialen Wirklichkeit kondensiert ist: Karla S. kann nicht Strukturen hinterherlaufen, ohne ein Wissen darüber zu haben, was diese Strukturen bezeichnen sollen. Der versozialwissenschaftlichte Erzählmodus ist dadurch ausgebaut, reale Erfahrung wird gleichsam als soziologische Interpretation eingeführt. Dabei verweisen die an die Filmreihe geknüpften Strukturen in ihrer Vorstellung auf eine manipulative Ebene kultureller Medien, die spezifische Vorstellungen über die Welt suggerieren; hier: Liebesgeschichten als verklärende Idylle. Indem diese Prägung in der Kindheitsphase vermutet wird, legt die Befragte nahe, noch nicht über die Perspektive des aufklärten Subjekts verfügt zu haben, daher Strukturen „später“ hinterhergelaufen zu sein. Im Weiteren polarisiert Karla S. zwischen „Kitsch“ und „Klassiker“ und lässt deutlicher ihren Begriff von Kitsch erkennen. Konventionell bezeichnet der Begriff Kitsch eine Zurichtung der Welt in Hinsicht auf ihre Verschönerung durch Überzeichnung, aber auch im Sinne ihrer Verfremdung und Verschleierung. Karla S. stemmt sich gegen diese Überzeichnung, indem sie dies aufdecken will. Dabei vermeidet sie die Ich-Form und spricht von sich lediglich als Teil eines Konsumentenkollektivs. Der mediale Manipulationsverdacht erscheint also kollektiv virulent. So wie weiterhin das „auch heulen“ heißen kann, das Gesehene nicht ganz ernst zu nehmen, beansprucht sie zwar einerseits Autonomie als Selbststeuerung, andererseits hält sie am frühprägenden Schema fest. Die Strukturen können in das Unterbewusstsein eingedrungen sein, illustriert an den auf dem „Schimmel“ anreitenden „Einschnitt-Typen“, die sie als „ganz tief in einem drin“ vermutet. Die Bildsprache formuliert einen Archetypus der Liebe, der neben der Errettung vor Einsamkeit und Lebensbanalität zugleich ein starkes Sinnlichkeitsmotiv transportiert.118 Bevor zum 117
Diese Erwähnung verdeutlicht, auf welche historische Phase der Bundesrepublik die Befragte Bezug nimmt. Die zunächst dreiteilig geplante Filmreihe, mit den Titeln ‚Die Mädels vom Immenhof‘, ‚Hochzeit auf Immenhof‘ und ‚Ferien auf Immenhof‘ wurde zwischen 1955–1957 für das deutsche Kino produziert und stellt eine Variante des Heimatfilm-Genres dar (Regisseure: Wolfgang Schleif, Volker von Collande, Hermann Leitner; die Schauspielerinnen zu Beginn vor allem: Angelika Meissner und Heidi Brühl). In heiter-turbulenter Machart, gedacht als Familienunterhaltung, werden Geschichten zweier junger Mädchen auf einem holsteinischen Gut erzählt. Untermalt von Landschafts- und Tieridyllen wird die Imagination der ‚heilen Familie‘ aufrechterhalten. In den 70er Jahren wurde die Reihe mit geringem kommerziellen Erfolg fortgeführt bzw. neuverfilmt (zitiert aus: www.filmlexikon.de). 118 Vgl. hierzu Barbara Sichtermanns (1993) gegen einen zu einfachen Kitsch-Verdacht eingestellte Abwägung des Mythos um den „Ritter-Traum“.
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Ende der Falldarstellung die verschiedenen Erzählstränge und -Figuren aufeinander bezogen werden sollen, zunächst zum weiteren Gesprächsverlauf. b)
Frauenbewegung und ‚positionslose‘ Männer
Der Interviewer lenkt das Gespräch auf Literatur, die in den 70er Jahren größere Aufmerksamkeit in der akademischen Öffentlichkeit erfahren hat. Bei der Erwähnung des feministischen Romans ‚Häutungen‘ von Verena Stefan (vgl. 1994, i. O.: 1975) hakt Karla S. ein: K.S.: Das hab ich damals noch in der Uni gelesen. Das fand ich interessant, weils bestimmte Gedankengänge hatte, eben auch das, was inzwischen ja selbstverständlich ist, mit den weiblichen Formen, ne? Das war, glaube ich, da so ziemlich zum ersten Mal, wurde da sehr genau durchgehalten, und war insofern schon was Neues damals. Und das war so ne Sicht, die ich damals sehr interessant fand. Es gab damals auch Frauen-Seminare, wo keine Männer rein durften. Und nun hatte ich halt damals auch Männer, also war mit Männern zusammen, ne, oder mit einem Mann. Und insofern, also da gab ‘s immer so verschiedene Fraktionen. Da gabs die Lesben, die ham das natürlich alles ganz hart durchgezogen, und es gab eben die andern Frauen, die mit Männern zu tun hatten und auch mit Männern leben wollten und insofern auch Interesse hatten, da immer weiter ne Verständigung zu haben und sich nicht bloß einfach abschotten wollten. Und dieses Buch war schon sehr stark in die Abschottungsrichtung geschrieben. Und wir haben da auch viel drüber geredet damals. Aber es war nicht so, dass ich mich da nun irgendwie jetzt dazu gebracht hätte, meinen Freund rauszuschmeißen oder so was. I: Ich wollte grad fragen, wie Du so diese Auseinandersetzung erlebt hast. K.S.: Ja, ich hatte an der Uni mit lesbischen Frauen zu tun, aber, gerade an der Uni ist ja anders als jetzt im Arbeitsleben. Du kannst du dir doch die Leute sehr stark aussuchen, mit denen du zu tun hast. Leute, die hart drauf warn, da hab ich nicht direkt mit zu tun gehabt. Also so ne dogmatischen Sachen, die ham mir nie gelegen. Ich hab mir das eigentlich immer so angeguckt, hatte an der Uni auch so n Freundeskreis, direkt eben auch zwei Frauen, mit denen gemeinsam hab ich mir eigentlich immer so Einschätzungen verschafft, jetzt nicht nur diese Frauenthemen betreffend, sondern allgemeinpolitisch, was ja auch sehr bestimmend damals war. Ich hab zwar 68 in C-Stadt gelebt, aber wenig davon mitgekriegt. Und das hab ich dann alles eigentlich so erst aufgearbeitet. Also die 68er warn ja sehr männlich dominiert. Aber wir haben eigentlich immer im Auge behalten, dass wir die Verständigung mit den Männern weiter haben würden. Und ich denke, dass ich da auch nie dogmatisch war. Wobei umgekehrt, die Männer, die ich damals kannte, und die ich auch zum Teil heute noch kenne, die waren sehr stark von der 68er, also eher von dieser Frauenbewegung beeinflusst. Und auf ne Art und Weise beeinflusst, die mir damals teilweise gar nicht gefiel. Die warn teilweise frauenbewegter als die Frauen. Also das soll heißen, die warn immer schon so vorauseilender Gehorsam. Ich hätte mich lieber stärker auseinandergesetzt als immer schon zu hörn, also so ne weiche Position da entgegenzukriegen, mit der ich mich dann gar nicht mehr auseinandersetzen konnte eigentlich.
Mit der Lektüre des Romans Häutungen assoziiert Karla S. eine in akademischen Zusammenhängen geführte Debatte der „genau durchgehalten[en] … weiblichen Formen“. Es geht um die von der Autorin Verena Stefan behandelte Thematik auto-
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nomer weiblicher Identitätsentwürfe, mit denen Karla S. unmittelbar lesbisches Leben verbindet. Obwohl diese Debatte für Karla S. eine aufklärerische Funktion hatte, sei sie selbst zwar patriarchatskritisch gewesen, habe jedoch nicht einer Fraktion von Frauen angehört, die nach völliger Abschottung von Männern, sondern, wie sie sagt, nach „Verständigung“ strebte. Zwischenzeitlich hat Karla S. dem Interviewer das Du angeboten. Mit Verweis auf ihre Studienzeit Mitte der siebziger Jahre gehört Karla S.s nach eigener Einschätzung selbst zwar nicht mehr der 68er-Generation an, fühlt sich aber von deren Auseinandersetzungen beeinflusst. Eine Schlüsselstelle zur Deutung von Geschlechteridentitäten liefert die Erzählpassage, wo Karla S. die Haltung solcher Männer abwertet, welche „teilweise frauenbewegter als die Frauen“ gewesen seien. Dabei unterscheidet sie zwischen starker und weicher Haltung. An eine starke Haltung knüpft sie das Bewahren von Standpunkten, weich hingegen versteht sie als Opportunismus. Obwohl sie die Dichotomie stark/weich zunächst nicht explizit an Geschlechterdifferenz bindet, zeigt die daran anschließende Passage auf, wie eng sie beide Prinzipien miteinander verschränkt: K.S.: Also die ham ganz stark so die Frauenposition eigentlich, wahrscheinlich aus Angst, angegriffen zu werden, ham sie schon so vorneweg sich als die intensiver frauenbewegten genommen. I: Wie kann ich mir das jetzt vorstellen? K.S.: Na, dass sie einen halt einfach an bestimmten Punkten drauf hingewiesen haben, was jetzt die politisch korrekte Frauenposition dazu wäre (lacht). Das fand ich vielleicht manchmal witzig, aber irgendwie für mich, hab ich dann auch später eigentlich erst so deutlich gesehen, für mich auch zu wenig männlich einfach. Also ich habs eigentlich gerne, also ich mag die Spannung zwischen Mann und Frau gerne. Und wenn jemand sich gar nicht traut, äh, männlich zu sein, sondern sehr stark weiblich, dann ist das, hat mir eigentlich nicht gefallen. Was ich auch heute noch bei Männern beobachte, die so in dem Alter sind, vielleicht n bisschen älter als ich, dass die immer noch diese, dass die. Ich hab das schon manchmal zu ner Freundin gesagt, dass die die Frauenbewegung immer noch heftig in den Knochen haben. Also irgendwie sich nicht trauen, ihre tatsächlichen eigentlichen Bedürfnisse so wirklich zu äußern. Wobei es natürlich auch bei manchen sein kann, dass denen das auch entgegengekommen ist. Also dass sie auch das Männliche vielleicht zu anstrengend fanden.
Den beobachten Opportunismus einer bestimmten Gruppe von Männern gegenüber dem feministischen Diskurs weist Karla S. als männlich untypische Haltung aus. Sie habe in diesem Verhalten eine konstitutive Spannung der Geschlechterdifferenz vermisst und verrechnet dies als Verleugnung der „tatsächlichen eigentlichen Bedürfnisse“: Diese (gemessen an ihr etwas älteren) Männer agierten aus ihrer Sicht damit unauthentisch, es habe ihnen nach ihrer Einschätzung quasi der Mut gefehlt, sich zu einer Differenz zu Frauen zu bekennen. Indem dieser Gruppe einer Männergeneration die Frauenbewegung „heftig in die Knochen gefahren“ sei, führt sie einen populären Topos in der Zeitschreibung der Geschlechterdebatte an. Dass dies manchen Männern jedoch auch „entgegengekommen“ sei, da sie das Mannsein als zu „an-
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strengend“ empfunden hätten, ist schwieriger zugänglich. Geschlechtsidentität und Geschlechtsrolle erscheinen auf eigentümliche Weise miteinander verstrickt. Auf die Interviewerfrage, was sie an diesen Männern daher konkret vermisst habe, und als das ‚weggedrängte‘ Männliche betrachte, führt Karla S. aus: K.S.: Eigentlich erstmal wirklich die eigenen Bedürfnisse zu äußern, nicht immer direkt zu gucken, was will sie oder so. Das ist genau so n Punkt, den ich fürchte bei solchen Dingen, wo man so befragt wird über irgendwas, weil das nämlich, weil ich dann schon wieder das Gefühl kriege, das kriegt so n schiefes Bild. Also ich schätze natürlich durchaus Menschen, die nach meiner Meinung gucken und auch Männer, die sich dafür interessieren, und nicht einfach bloß ihr Ding durchziehen. Aber wenn sie eben nicht ihre Position deutlich machen, dann ist das sehr schwierig oft, ne? Weil man ja gar nicht dann zu nem Gespräch kommen kann, sondern weil das so unklar bleibt.
Karla S. verwendet an dieser Stelle eine Reihe von Termini, die formal auf Authentizitätsbestimmungen hinweisen könnten: „eigentlich“‚ „erst mal“, „wirklich“, „die eigenen“. Inhaltlich erfolgt jedoch ein Erzählbruch. Zunächst wird an Männer die Forderung nach dem Bekenntnis ‚eigener Bedürfnisse‘ in der Geschlechterbegegnung gestellt. Karla S. fühlt sich aber plötzlich zu vorauseilender Richtigstellung verpflichtet: Sie hegt die Sorge, bei solchen Befragungen könne ein „schiefes“ Bild entstehen. Die ursprünglich getroffene Aussage wird zugunsten einer bestimmten Intention relativiert, von der sie aber meint, diese erst klar benennen zu müssen. Es solle nicht der Eindruck entstehen, sie favorisiere quasi ‚rücksichtslose‘ Männer. Nur sollen Männer ihre, wie sie zuvor sagt, „Position“ als Mann deutlich machen, da man sonst nicht zu „nem Gespräch kommen“ könne. In der anschließenden Erzählpassage erläutert sie ihre Intention: K.S.: Also es gibt wahrscheinlich den, dem die Frauenbewegung sehr entgegengekommen ist, weil er sich sowieso n stückweit weiblicher fühlt. Es gibt ja da ne ganz durchgehende Skala, ne? Also es gibt Leute, die, Männer, die sich sehr machohaft ständig geben müssen, weil sie sich nur so fühlen. Also es gibt ja auch androgyne Leute. Und insofern ist es unheimlich schwierig, da was Allgemeines zu sagen, weil ich denke, jeder dieser Typen auf dieser ganzen Skala von absolut macho bis dann androgyn, und bei Frauen eben genau das gleiche, geht auf ne andere Art und Weise mit der Frauenbewegung um. Und für jeden bedeutet es was Positives und was Negatives. Dass es ne große Rolle gespielt hat in meiner Generation, das denke ich auf jeden Fall, sowohl für die Männer als auch für Frauen. Und ich denke auch, dass se bei den Frauen, also auch bei mir auch Einflüsse hatte, die ich vielleicht auch als Irritation empfinde, wo ich eben so das Gefühl habe, das hat Dinge, die ich vielleicht ohne die Frauenbewegung, ähm, weiß nicht, das richtige Wort weiß ich nicht, natürlicher wollte ich sagen, aber das meine ich eigentlich nicht, aber so auf ne positive Art naiver durchgezogen hätte, und dann vielleicht auch unkomplizierter. Dass da eben die Frauenbewegung bewirkt hat, dass ich durch die Positionen, die da eben sehr hart vertreten wurden, zu Anfang zumindest, dass ich da auch so n Stück vielleicht abgebracht worden bin von dem Weg, den ich vielleicht normalerweise gegangen wäre. Aber das ist reine Spekulation.
Wenn Karla S. von Geschlechtsidentitäten als stufenloser Skala spricht und zudem von Androgynität ausgeht, steht in Kontrast dazu, dass sie an anderer Stelle über klar
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umrissene Auffassungen von Weiblichkeit und Männlichkeit verfügt. In der jeweiligen Bezugnahme auf die Frauenbewegung konstituieren sich für sie jedoch die Geschlechter-„Positionen“. Basis ist das jeweilige Sich-Fühlen. Dementsprechend ist Geschlechtsidentität für sie eigentlich nicht dichotom gegeben, vielmehr eine „durchgehende Skala“. Messbar wird diese Skalierung allein im jeweiligen SichSelbst-Fühlen, so auch das der Männer. Dass sie andererseits an der Geschlechterdichotomie festhält, weist darauf hin, wie schwer hierbei theoretischer Diskurs und Wahrnehmungs-Ich zueinander kommen. Männer können sich demnach zwar „weiblich fühlen“, bleiben aber immer Männer. Die Impulse der Frauenbewegung interpretiert Karla S. für Frauen wie für Männer jedoch gleichermaßen als generationsprägend. Parallel zur positiven Bewertung der Debatte um die Realisierung weiblicher Autonomie erlebte Karla S. die eigene Sozialisation im Umfeld der Frauenbewegung zugleich als „Irritation“ ihrer geschlechtlichen Selbstdefinition. Dabei verfolgt sie die Vorstellung einer natürlichen Selbstentfaltung von Geschlechtsidentität, die sie in Zusammenhang mit ihren Erfahrungen der Frauenbewegung in einer Weise als verstellt auffasst. Es gibt den Verdacht, ohne Frauenbewegung hätte sie bestimmte „Dinge … auf ‚ne positive Art naiver“ und „unkomplizierter … durchgezogen“ („abgebracht … von einem Weg“, welchen sie „vielleicht normalerweise“ gegangen wäre). Dass sie diese Überlegung abschließend als reine Spekulation verwirft, unterstreicht die bereits am Beispiel der Kitschfilme entwickelte Schlüsseldeutung, dass sie in Bezug auf ihr Leben von bestimmten äußeren Indoktrinationen ausgeht, die ihr aber nicht praktisch greifbar werden. Zum Abschluss ein letzter Erzählstrang, der das eben genannte Motiv zugleich ausbaufähig macht: c)
Das ‚abgeschottete‘ Beziehungsarrangement der Eltern I: Hast Du denn eine Vorstellung davon, wie dieser Weg verlaufen wäre? K.S.: Ja, das weiß ich nicht (7). Weil ich auch nicht unterscheiden kann zwischen dem, was der Einfluss der Frauenbewegung ausgemacht hat, und auch der 68er, und was mein Weg sonst gewesen wäre. Also ne ganz große Rolle in meiner gesamten Entwicklung so spielt, dass ich lange Jahre immer nicht genauso leben wollte wie meine Eltern. Inzwischen ist das gleicher geworden. Viele Positionen sind gleicher geworden. In der Hauptsache, die haben sehr abgeschottet gelebt von der Umwelt. Also zwei Kinder, und drumherum gabs keine Freunde. Die ham halt, solange ich denken kann, meine ganze Kindheit lang, und bis ich ausgezogen bin, ham die jeden Abend alleine zu Hause gesessen und ferngeguckt. Und das war mir n absoluter Horror. Also bloß so nicht. Obwohl die bis heute keine unglückliche Ehe, sondern eigentlich, wenn ich das überhaupt beurteilen kann, ne glückliche Ehe führen. Also wenn ich vergleiche mit allen andern Leuten, in dem Alter, kommen die eigentlich sehr gut miteinander klar. Wenn ich mir das heute so betrachte, bin ich eigentlich auch verwundert, denn eigentlich ist sowas ja schon was Anstrebenswertes, also so ne glückliche Beziehung. Und das ist auch was, was ich durchaus angestrebt habe immer. Aber ich wollte es nicht so. Ich wollte nicht dieses Abgeschottete. Und insofern habe ich mich auch wahrscheinlich lange Jahre nicht eigentlich auf Beziehungen eingelassen, sondern habe eigentlich immer
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wichtig gefunden, dass das ganze andere Umfeld, der Freundeskreis erhalten bleibt, dass der nicht durch ne Beziehung kaputtgeht. Das war für mich immer sehr wichtig. Ist es auch bis heute. Dass ich das nicht wollte, nicht genauso sein, kann sein, dass es irgendwie auch mit diesen beiden Sachen, mit der 68er- und mit der Frauenbewegung zusammenhängt, aber es kann genauso gut sein, dass das einfach auch in mir lag, dass ich einfach so n Oppositionsgeist mitgebracht habe, was viele Freunde von mir behaupten, dass ich den ganz ursprünglich mitgebracht habe, und dass mich das dazu geführt hat. Aber, weiß ich nicht.
Karla S. zieht abschließend eine biografische Begründungsschleife zum Lebenskonzept ihrer Eltern. Sie führt neben den Kitschfilmen und der Frauenbewegung damit einen dritte Deutungsfolie zur Erklärung persönlicher Dispositionen in der Welt intimer Nahbeziehungen an. So hätten ihr die Eltern die negativen Folgen einer von der Umwelt weitgehend isolierten Zweierbeziehung paradigmatisch vorgelebt. Um den geschilderten „Abschottungen“ im Beziehungsarrangement der Eltern zu entgehen, setzt Karla S. selbst auf die intensive Pflege von Freundeskreisen. Letztlich leitet sie daraus ab, weshalb sie das Singledasein als Arrangement grundsätzlich favorisiert. Karla S.s Versuch einer kohärenten biografischen Selbstdeutung bleibt aber letztlich ambivalent („weiß ich nicht“). Aufgrund des Mangels einer letztbegründenden Instanz kann sie sich nicht zu einer abschließenden Bewertung durchringen. Damit, die dazu notwendigen Entscheidungskriterien äußeren Instanzen (den ‚Strukturen‘) zu übertragen, wird das Finden zufriedenstellender Urteile darüber behindert. Dass sie sich unentwegt in einem Netz von „Spekulationen“ verstrickt, hat andererseits eine aktive Funktion: Bleiben die Dinge (deutungs-)offen, erscheinen sie auch gestaltbar und erzeugen nicht die Angst, dass sie bereits endgültig sind. Fallrekonstruktion Karla S.: Ein Fazit Was kann am Fall gewonnen werden? Im Einzelnen: Indem Karla S. Thematiken überwiegend versachlicht (Liebe, Biografie, Prägungen), führt sie unentwegt einen verwissenschaftlichten Diskurs über das eigene Leben. Das Thema Liebe kommt in der ganzen Erzählung nur schattenhaft vor. Die Affirmation einer positiven Idee der Liebe scheint nicht möglich, da das Affirmative grundsätzlich der suggestiven Kraft von Strukturen verdächtigt wird. Eine Schlüsselfunktion darin nimmt Karla S.s auf Werturteile bedachte Auseinandersetzung mit kulturellen Medien ein. Parallel zur Ablehnung des elterlichen Beziehungsarrangements sind es primär die Vorgaben der kulturellen Massenmedien, die sie zur Markierung individueller Werthaltungen heranzieht. Karla S. ist nun Angehörige derjenigen Geburtsjahrgangslagerung, die Ulrich Oevermann (1994) als ‚erste volle Fernsehgeneration‘ bezeichnet. Aufwandslos täglich in Film und Fernsehen konsumierbare und (massen-)medial präsentierte unterschiedlichste Konzepte der Lebensführung sind für diese Generation bereits ganz gewöhnlich. Sie sind zudem in Konkurrenz zur familiären Welt der Normen- und Wertvermittlung bzw. -Aushandlung getreten. In der Auseinandersetzung mit diesen
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Medien vermutet Karla S., für sich quasi hinterher einzusehen, in der Jugendzeit an falschen Ideen teilgehabt zu haben. Daraus leitet sie die Sorge ab, auch falschen Glücksphantasien, überspitzt: ‚falschem Bewusstsein‘, gefolgt zu sein oder womöglich noch immer zu folgen. Karla S. kokettiert in ihrer biografischen Kommunikation aber auch mit Sinnfragmenten des kritischen Jargons. Sie verfügt über eine Sozialisationstheorie über sich selbst, in der sie sich passiv äußeren Einflüssen ausgesetzt sieht, und wo es Verhaltensdisposition gibt, die auf diese Einflüsse zurückgeführt werden können. Plastisch bringt dies ihre Idee einer Entwicklungsbehinderung durch kitschige Filme zum Ausdruck. Wenn Karla S. jedoch später von Filmen spricht, denen sie doch etwas abgewinnen kann („heulen können“), hat praktisch ein ästhetischer Bildungsprozess stattgefunden, denn in gewisser Weise scheint ihr Kitsch doch zu gefallen. Das verklärende Moment, das sie bei „Ferien auf dem Immenhof“ für sich entlarvt, ist für sie damit austauschbar mit Rezeptions-Kontrolle im Stadium aufgeklärten Erwachsen-Seins. Eine endgültige Überprüfung von ‚Bedeutungen‘ in ihrem Leben und in der Liebe ist für Karla S. aber problematisch, da sie einem übersteigerten Begriff von Wahrheit verpflichtet bleibt. Über diesen Begriff vermag sie letztlich nicht selbst zu entscheiden, denn gemäß ihrer Geltungskriterien (‚äußere Prägungen‘) kann es dafür keine Autorität verbürgende, letzte Entscheidungsinstanz geben. Deshalb der theoretisierende Duktus in der Erzählung, mit dem implizit nach einem validierungsfähigen Expertenwissen zu tatsächlichen Prägungen gefragt wird. Mit den Freundinnen aus der gleichen Generation wird daher kollektiv über die Frage entschieden: Was sind die auslösenden Momente in unseren Biografien? Dieser Versuch, einen kohärenten biografischen Plot zu entwerfen, beinhaltet zeithistorische Positionierungen. Einmal die erwähnte, in ihre Jugendzeit fallende Medienrezeption (Ferien auf dem Immenhof), zum anderen der sich universitär durchsetzende Diskurs der Frauenbewegung. Aus der Begegnung mit letzterer entwickelt die Erzählerin ein Motiv, weshalb ihr bestimmte Männer nicht gefallen. Übermäßig politisch korrekt agierende Männer nimmt sie als distanzlos wahr, sie selbst will sich aber ‚auseinander-setzen‘ (Positionen im Gespräch). Es kann festgehalten werden, dass sich Karla S. vor die schwierige Aufgabe gestellt sieht, permanent einen reflexiven Geist zu bewahren, um dem Verdacht einer Schematisierung ihres Lebens durch „Strukturen“ zu entgehen. Zeitweise flackert die Fiktion eines alternativen Lebens auf, wo etwas, wie sie sagt, ‚Natürliches‘ bewahrt geblieben wäre bzw. sich hätte entwickeln können. Ein praktisch greifbarer Begriff davon aber fehlt. Aufgrund dieser Deutungsunsicherheiten scheint der Weg dauerhafter Partnerschaftsbeziehungen für sie prekär oder gar ganz versperrt. Hintergrund ist nicht zuletzt die negative Besetzung des elterlichen Vorbildes, womit punktuell ein Intergenerationsverhältnis vorhanden ist. Obwohl Karla S.s Eltern – dies ist ein eigentümliches Paradox – mit ihrem Partnerschaftskonzept in den Augen der Tochter glücklich leben („anstrebenswert“), wird ihnen dennoch die falsche Lösung der Zweierbeziehungspraxis vorgeworfen. Karla S. selbst hingegen verweigert
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sich der Errichtung langfristiger intimer Nahbindungen und zieht das Improvisatorische vor. Man könnte sagen, dauerhafte Hingabe an eine andere Person ist für sie ein Sozialmodell, in dem immer die Gefahr des Kontrollverzichtes droht. Denkbar liegen hier die Verbindungslinien zum „Kitsch“ und zum „Einschnitt-Typen“, die sie mit dem Beispiel der Filmserie ‚Ferien auf dem Immenhof‘ illustriert. Vorgaben also, denen die Elterngeneration noch ‚auf den Leim‘ zu gehen schien. Gegenüber der Ehe, generell aber gegenüber einer Zweierbeziehung, hegt sie daher einen auf die Eltern projizierten ‚Gefängnisverdacht‘ und versucht sich selbst dagegen durch Pflege und Ausbau großer Freundschaftsgruppen – als permanenter Anbindung an die Umwelt der Zweierbeziehung – abzusichern. Das Interpretationsmodell der Unabgeschlossenheit wird aber auch gruppenspezifisch (mit den Freundinnen) transportiert. Womöglich möchte Karla S. gar kein letztgültiges Urteil darüber treffen, was ihr Leben faktisch ‚prägt‘ – institutionalisierte Dauerreflexion schützt gewissermaßen immer auch vor dem Druck definitiver (Handlungs-)Entscheidungen. Die spezielle Form der Rationalisierung des Selbst in der Liebe besteht bei Karla S. somit in der Angst, dieses Selbst zu verlieren. Auch wenn Hingabe für sie nicht prinzipiell kritisch ist, und das Ideal der Liebe in der Abstraktion aufrecht erhalten wird, setzt ihr kritischer Geist Hingabe mit Abhängigkeit gleich. Die symbiotische Zweierbindung als Praxismodell wird, so gesehen, gegen ein mystisches Mit-SichSelbstsein eingetauscht. Dies könnte man als biografisch prekär bezeichnen, da Karla S. in der Liebe damit primär ‚im Diskurs‘ bleibt. Obwohl sie zwischen Romantik und Freundschaften insofern keine Vermittlung findet und (zumindest in diesem Aspekt) dauerhaft ambivalent bleibt, findet sie damit andererseits aber einen individuellen Modus biografischer Selbstkontrolle. In der anschließenden Fallrekonstruktion des zwei Jahre älteren Befragten Rüdiger A. werden bestehende Parallelen aber auch Divergenzen deutlich, die (nach der Hinzunahme zweier Kurzporträts der gleichen Jahrgangslagerung; siehe Abschnitt 4.3.3) in Abschnitt 4.3.4 in Bezug auf die verbindende Generationstypik herausgearbeitet und diskutiert werden.
4.3.2
Rüdiger A.: Liebe und initiative Selbstsensibilisierung als Mann
Rüdiger A. ist 1954 geboren und lebt unverheiratet mit einer Frau und zwei gemeinsamen Kindern in B-Stadt. Sein 1915 geborener Vater war gelernter Einzelhandelskaufmann. Seine 1918 geborene Mutter übernahm die Familienpflege in einem Haushalt mit insgesamt sieben Kindern. Rüdiger A. studierte Ende der 70er Jahre Geologie und Geographie auf Lehramt, absolvierte im Anschluss einen Aufbaustudiengang Diplompädagogik und arbeitet seit 1984 als Jugendpfleger. Weiter übt er einige gemeindepflegerische Ehrenämter aus und genießt seit vielen Jahren über seinen Stadtteil hinaus den Ruf einer Institution in den Neuen Sozialen Bewegungen. Er gilt dort gewissermaßen als Galionsfigur bürgernahen Engagements und ist populärer Ansprechpartner für soziale Fragen.
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Der Aufklärungsfilm ‚Helga‘: Intimität sichtbar gemacht I: Ich frag am Anfang, ob Du Dich an Liebesfilme erinnern kannst, die Dir etwas bedeutet haben? Wo in irgendeiner Weise Liebe zum Thema gemacht wurde, und die Dir, sagen wir mal, besonders zugesagt haben, ob Dir da vielleicht etwas einfällt. R.A.: Filme so jetzt aus meiner Jugendzeit? Oder. I: Ganz gleichgültig, ob Du den jetzt gestern gesehen hast oder vor zehn Jahren. R.A.: Na gut, also ich will mal sagen, also ich hab einen, das ist ja klar, also Jugend ist immer n bisschen prägender. Also da gibts schon mal einen Film, weiß ich noch, den haben wir in der Schule als Aufklärungsfilm gesehen, das war schon etwas für mich, in meiner persönlichen Situation n bisschen was Revolutionäres, der hieß Helga.
Indem Rüdiger A. die Jugendphase „prägender“ als spätere Lebensphasen bezeichnet, nimmt er in seiner Eingangserzählung implizit Anleihe an einer Theorie biografischer Erfahrungsschichtung. Auch die Wendung „persönliche Situation“ enthält bereits eine Fülle diagnostischer Befunde zur „Situation“ seiner selbst in einem frühen Lebensstadium. Ähnlich wie im Fall Karla S. zeigt sich bereits in den ersten Äußerungen eine Neigung zur Vergegenständlichung der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Dieser Duktus setzt sich vor dem Hintergrund seiner „persönlichen Situation“ fort, wozu er einen Terminus der politischen Theorie heranzieht. Es geht um einen plötzlichen Erfahrungseinschnitt („Revolutionäres“) im Gang seines Lebens: Die Rezeption des Filmes Helga.119 Zunächst fällt auf, dass auf die Frage nach Liebesfilmen das Genre des Aufklärungsfilms gewählt wird. Eigene Jugendprägung in der Liebe und das Thema Sexualität stehen in einer besonderen Verbindung. Rüdiger A. führt dies im Folgenden näher aus: R.A.: So. Lief bei uns, ne? Also das ist ja schon interessant, was einem so im Gedächtnis bleibt. Ich denk, das kontrapunktiert einfach so die Situation, die es bei mir auch zu Hause gegeben hat, mit meiner Aufklärungssituation, wo da keiner was gesagt hat. Und in der Schule hatten wir natürlich einen jungen Lehrer, der etwas fortschrittlich war, kein revolutionärer 68er, das nicht, aber er hat neue Ideen reingebracht. Dann kann ich jetzt bei Filmen halt, nix sagen, was mit Fernsehen zu tun hat, weil wir in der häuslichen Situation ganz spät n Fernseher bekommen haben. Wir ham eher damals, für mich so, mit Abi-Zeit, Studium, Zivildienst, eher das Spektrum Kommunale Kinos, da mit den im weitesten Sinne gesellschaftskritischen Filmen interessiert und bis heute. Ich hab mich schon öfters jetzt also in der Arbeit auch mit dem Thema Freundschaft Liebe, wenn man so mit Jugendgruppen weg ist, ist mir nur aufgefallen, es ist für mich erschreckend gewesen, wie wenig Filme es gibt zu dem Thema und habe selbst gesucht und hab an sich erstmal keine wirklich guten gefunden. 119
‚Helga‘ ist ein 1967 im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hergestellter sexualkundlicher Lehrfilm für Eltern, Erzieher/innen und heranwachsende Jugendliche (Regisseur: Erich F. Bender). Dargestellt wird der Werdegang der Protagonistin Helga (gespielt von Ruth Gassmann) beginnend von der Schwangerschaft bis zu den ersten Tagen der Säuglingspflege. Der Film geriet insbesondere durch die Nahaufnahme des Geburtsvorgang zum Medienereignis (zitiert aus: www.filmlexikon.de).
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I: Ich komme einfach noch mal auf Helga zurück. Was hatte Dir damals oder wie hast Du den damals erlebt und wie alt warst Du da? R.A.: Gut, Helga, bin ich ungefähr 16 gewesen. Das ist deshalb interessant, der Film gewesen, weil er nun wirklich, weil er sich einmal mit dem Thema Liebe, Sexualität und bis hin Geburt eines Kindes, ich glaub, das ist auch alles drinne, und das war in einer Offenheit, wie das normalerweise kein, ich aus der Erwachsenenwelt erstmal so nicht kannte, gerade auch nicht vom Elternhaus, logisch. Jetzt komm ich aus’m katholischen Elternhaus, hat ja alles seine Hintergründe, klar, mit doch engen Vorstellungen von Liebe, Freundschaft, Sexualität. Also wurde zu Hause nie, erstmal Aufklärung in dem Sinne gabs zu Hause eher nicht, oder man wollte es eher auch nicht, weils eh mehr n Tabu-Thema war. Und das war so n bißchen n stückweit was man so sagt Aufklärung halt eher in der Schule gewesen. Ja, inhaltlich war das einfach mal, weils offen benannt worden ist, das Thema, auch gezeigt worden ist im Bild. Reden ist immer das eine, Bilder ham immer n ganz anderen Bezugswert.
Rüdiger A. hat das Medium Film vorwiegend auf dem Sektor der politischen Bildung verfolgt. Der Film Helga „kontrapunktierte“ aus seiner Sicht vor allem seine damalige familiäre Situation, einem Elternhaus, in dem zum Thema Sexualität „niemand etwas gesagt“ habe, vielmehr ein rigides katholisches Klima herrschte. Die Eltern des Erzählers gehören der ‚Kriegsgeneration‘ an (Vater: 1915, Mutter: 1918), von denen Klaus Theweleit (1977) als den ‚soldatischen Stahlnaturen‘ spricht, geprägt vom autoritär-wilhelminischen Geist, in der Sexualität auch als „teuflische Gefahr“ (Kuhnert/Ackermann 1985: 56) galt, und in der der Sexualerziehung der eigenen Kinder eine „herrschende Atmosphäre ‚schweigender Lustlosigkeit’“ (ebd.) nachgesagt wird. Die Ablösung von der hegemonialen Wirklichkeitsinterpretation der Welt der Eltern vollzieht sich bei den Jahrgängen dieser Kinder durch das vor allem ab Ende der 60er Jahre sich verjüngende Personal der schulischen Bildungsinstitutionen. Eine von neuen Ideen affizierte jüngere Lehrer/innenGeneration bricht mit der elterlichen Kultur des Schweigens und das von der Elterngeneration Ausgeblendete und Verborgene wird nun thematisierungsfähig. Auf dieser Schnittstelle liegt für Rüdiger A. der Film ‚Helga‘, der das vormals Unsichtbare offen präsentiert. Diese visuellen Aspekte körperlich-intimer Begegnungen hebt er in das Zentrum seiner filmischen Erfahrung. Es ging nicht mehr nur um Verbales, es wurde auch „mal im Bild deutlich gezeigt“.120 Dies lässt sich als ein erstes Schlüsselmoment der Generationserfahrung von Rüdiger A. in Erinnerung behalten: Das „deutliche“ Gezeigt-Bekommen „konterkariert“, wie der Erzähler selbst betont, das, was vorher war: Das Undeutliche und Unsichtbare im Intimitätsdiskurs der Elterngeneration als kulturelle Träger von Stimmungen in der frühen Bundesrepublik. Was gegenwärtig angesichts der Präsenz und Zugänglichkeit visueller Massen120
Setzt man voraus, dass dieses Gezeigt-Bekommen einer kollektiven jugendlichen Bedürfnislage entsprang, reagierte Günter Amendts Bestseller-Aufklärungsbuch ‚Sexfront‘ (1970), das vor allem Fotografien und Cartoons nackter Körper und sexueller Handlungen versammelt, geradezu prototypisch darauf.
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medien selbstverständlich ist, das heißt, auch ohne Selbsterfahrung einem breiten Spektrum denkbarer Selbsterfahrungen im Spiegel der Erfahrungen Anderer immer schon beiwohnen zu können, galt für die Jugend in den 60er Jahren noch nicht. Das lange Fehlen des Fernsehgerätes in Rüdiger A.s elterlicher Wohnung hat hier zwar möglicherweise einen kohortenspezifischen Bildungsprozess zusätzlich verzögert, für diesen Zeitraum ist dies aber auch nicht gänzlich untypisch. Das Genre des Unterhaltungsfilms wird vom Erzähler demonstrativ ausgeklammert. Die eigenen Präferenzen, sowie die seiner peer-group, waren stärker geprägt vom ‚sozialkritischen Film‘, und damit durch eine selbstaufklärerische politische Praxis. Rüdiger A. findet von dieser Frage direkt zu Problemstellungen seiner Berufsarbeit. Möglicherweise besteht für ihn ein enger Konnex zwischen persönlicher und beruflicher Wertsphäre. Dazu die folgende Erzählpassage: b)
Quasi-politische Milieulektüre: Der ‚Tod des Märchenprinzen‘
Im Fortgang des Interviews wird das in Zusammenhang mit der Frage nach Jugendlektüre fallende Stichwort ‚Der Tod des Märchenprinzen‘ – ein zu feministischer Bekenntnisliteratur zu zählender Roman der Autorin Svende Merian (1980) – für Rüdiger A. zu einer Art Losung: R.A.: Ja, klar, türlich. Jetzt, Stich, des war n gutes Stichwort (lacht). Genau. Ich kann allerdings mich weniger zu inhaltlich an alles erinnern, eher an die Diskussion drumherum. Das war genau für uns ne Zeit, jetzt muss ich mal kurz den Hintergrund schildern, also achtzig, das heißt natürlich für mich vor allen Dingen n ganz starkes Einlassen auf den Widerstand gegen Brokdorf, also wirklich raus, sich ganz massiv einbringen, einschließlich politischer Arbeit halt in BIs und dann natürlich nahtlos übergehend in Friedensbewegung und jetzt hier so auf Stadtteilebene noch mal so stadtplanerische Kisten, leerstehende Häuser und so weiter. Jetzt in der Struktur unserer Gruppe, jetzt als BI, waren natürlich viele junge Leute drin, Männlein, Weiblein, also Männer, Frauen, und da ist das Buch aufgetaucht. Wir ham sehr viele Diskussionen geführt, zumeist im Anschluss an unsere Sitzungen. Und da ham wir viel über diese Bücher und die Inhalte dadrüber, also was ist jetzt eigentlich, wie gehn die Männer mit Frauen um, welche Bezüge ham sie, wie werden sie instrumentalisiert, wie ist die männliche Sichtweise gegenüber Frauen? Umgekehrt: Wie verhalten sich Frauen? Und da gabs dann richtig für mich konstruktive, ja, also übertrieben, Fetzereien. Also richtig, wos gut zur Sache ging. Aber angenehm. Das heißt, man hat sich da mal hochgeschaukelt, aber die Argumente, die Aussagen an sich rangelassen. Also nicht nur blockierend. Aber wohlwissend, dass man jetzt keinen beleidigen oder verletzen will, sondern es war halt so n Stil. Also diese Auseinandersetzung zwischen Mann und Frau.
Weniger der Inhalt des Romans, vielmehr die gemeinsame Rezeption sowie eine sich daran entzündende Gesprächskultur zwischen Frauen und Männern sind dem Erzähler in Erinnerung geblieben. Analog zum Fall Karla S. wechselt er an dieser Stelle übergangslos von der Ich-Form zu einer Kollektivbestimmung („Wir ham halt, und das war genau für uns ne Zeit“), und verzichtet im ersten Zuge darauf, dem Interviewer verständlich zu machen, von welchem ‚Wir‘ dabei die Rede ist. Für
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Rüdiger A. ist der Erzählmodus ‚Erfahrungszusammenhang der Gruppe‘ möglicherweise eine besonders greifbare Form der Selbsthistorisierung. Vielleicht soll sein Beispiel implizit aufzeigen, wie stark individuelle Prägungen immer auch von Gruppenkontexten beeinflusst sind (vgl. unten). Eine weitere Kollektivbestimmung nimmt Rüdiger A. mit seiner historischen Rahmung der Erzählinhalte vor. Weshalb aber meint er, in Bezug auf persönliche Erfahrungen erst „kurz den Hintergrund schildern“ zu „müssen“? Die Verstrickung von individueller Erfahrung und historischer Situation soll kenntlich gemacht werden und dabei stehen in seinem Fall übergeordnete Prinzipien gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung im Mittelpunkt. Rüdiger A. vermutet darin einen wechselseitigen Sinnüberschuss: Problematiken des politisch-öffentlichen Ichs („Hintergrund“) und Problematiken in der Intimität (Romaninhalt) sind für ihn eng miteinander verschränkt. Mit diesem Ausmalen des sozialhistorischen Kontextes umreißt er (s)eine soziale Problemdefinition als Teil seiner persönlichen Bildungsgeschichte. Auf der Ebene seines politischen Selbstverständnisses wird dies konkret, indem Rüdiger A. sich als aktiven Teil einer selbstaufklärerischen Subkultur versteht. Trotz der formal zwar gering institutionalisierten Mitgliedschaft in Bürgerinitiativen, und trotz der lokalen Relevanz konkreter Anlässe stellten die sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre über die unmittelbare Kritik an staatlichen Systemprozessen hinaus immer auch Foren zur Artikulation kritischer Selbstbezugnahme dar. Genau darauf scheint Rüdiger A. anzuspielen: Der historischen Hintergrundsrahmung entnimmt er Geltungssätze zur Bestimmung eigener Lebenspraxis auch in der Intimität. Er verwendet dazu die Termini „Einlassen“ und „Einbringen“ als ein typisches Vokabular des linksalternativen Milieus der 70er und 80er Jahre im Kontext emphatischer Selbst- und Fremdbezugnahme. In diese Zeit politischer Auseinandersetzung und Widerstandes fällt nun in seinem Bezugsmilieus die kollektive Lektüre des ‚Tod des Märchenprinzen‘. Es kommt zu Kontroversen zwischen weiblichen und männlichen Rezipient/innen. Insbesondere männliches Verhalten in der Geschlechterbegegnung wird zur Disposition gestellt. In vielfältigen Wendungen betont Rüdiger A. die Konstruktivität dieser Debatten, niemals „blockierend“, oft jedoch heiter. Er unterstreicht damit implizit das Selbstgebot der an der Idee der Harmonie orientierten Selbstaufklärung innerhalb der Neuen sozialen Bewegungen. R.A.: Zu dem Zeitpunkt, war für mich, ein ganz großes Stück diese Rolle als Mann gegenüber Frauen, schon vieles für mich so klar, also, was ich so will, wie ich für mich das so sehe im Verhältnis. Und zwar schon so, dass ich keine jetzt dominierend, also von mir bewusst gewählte, der sagt: Ich der, als Mann, bin derjenige, der dominiert. Das war inhaltlich schon in der Diskussion hinter mir, weil, so Sachen ham wir ganz stark miteinander diskutiert. Ich hab die Rolle auch nie vertreten, dass, also ich kann mich nich dran erinnern. Vielleicht hab ich das als Sechzehnjähriger mal gemacht. Das war einfach ein erneutes, ja Aufbrechen, es war n erneutes richtig Hochkochen von nem ganz wichtigem Thema, und meine Position war schon in die Richtung, dieses Verhältnis auch als ein emanzipatorisches zu verstehen, wobei ich immer zulassen muss, das eine ist, was du dir so selbst über die Birne klarmachst, und das, was du auslebst über diese Widersprüche. Also immer nur zuzulassen. Das Infrage-
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stellung dessen, was ich sage, stimmt das auch mit dem, was ich lebe überein? Weil Politik immer sehr stark menschbesetzt ist, das gilt bis heute nach wie vor, gilt auch für solche Initiativarbeiten ganz sicher, wir haben dann auch heftige Diskussionen mal geführt, die ist natürlich von den Frauen in der BI gekommen. Sicherlich waren da prozentual mehr Frauen drin als jetzt im deutschen Bundestag, aber da ham wir uns schon mal über den Stil, wie wird diskutiert, das muss man sich als Mann, denk ich, was heißt, gefallen lassen, also zu recht gefallen lassen, dass man einfach mal kritisiert wird bezüglich deines Diskussionsstils als Mann. N männlicher Diskussionsstil ist n anderer. Und das ist ganz stark in dieser Zeit auch, wo der Märchenprinz auftaucht. Das war auch immer der Bezugspunkt, hier, Mannrolle in so ner politischen Arbeit. Und das hat auch getroffen. Das stimmte einfach. Wir ham als Männer uns viel öfter eingebracht, also die ganzen Kritiken, die kamen, ich denk, die sind stimmig. Ganz klar. Dann musste halt schon mal überlegen. Wie kannst du das untereinander ändern?
Rüdiger A. rechnet sich für die genannte Zeit eine bereits gefestigte „Position“ in Geschlechterdebatten zu. Bestimmte Imperative des Feminismus habe er sich bereits in einer früheren biografischen Phase zu eigen gemacht. Allerdings sieht er Anlass dazu, dies als sukzessiven Bildungsprozess herauszustellen. Indem er seine Haltung als „Position“ ausweist, erstellt er unter der Hand eine programmatische, damit theoretisierte Haltung (auch im vorangegangenen Fall Karla S. ist oftmals von „Positionen“ die Sprache). Hier fällt auf, wie Rüdiger A. propagiert, Überzeugungen „zu leben“ und nicht nur „über die Birne klar [zu] machen“. Es soll zur Geltung kommen, dass authentische Lebenspraxis den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit überwinden müsse. Seine Idee authentischen Alltagshandelns wendet er nun auch auf die ‚Mensch-Besetztheit‘ in der Politik an, als Interpretation, der er universelle Geltung zuschreibt. Er leitet damit von der Rahmenerzählung zurück zum Ausgangsthema, zu seiner Rezeption des Märchenprinzen-Romans. Im Zuge dieser Lektüre kommt er am Beispiel der in den politischen Gruppen geführten Diskussionen auf sein männliches Selbstverständnis zu sprechen. Dieses ist davon bestimmt, sich weibliche Kritik „zu recht gefallen zu lassen“. Anlass war die Wahrnehmung eines Machtgefälles. Daher die programmatische Frage: „Wie kannst du das untereinander ändern?“ R.A.: Also Voraussetzung ist immer, dass dir n Problem bewusst gemacht wird. Also bewusst machen war jetzt für uns das Instrument, darüber zu reden und zu streiten. Konkret auf politische Arbeit, dass man einfach geguckt hat, wie ist das, dass da Männ, das sind einfache Kisten, ins Wort fallen, überreden, nicht aussprechen lassen. Wer sind die Macher? Wer hat die Fäden in der Hand? Oder einfach Pausen zulassen. Frauen waren immer eher in der Lage, auch mal es hinzunehmen, dass mal n Moment Pause war. Typen, wir ham das eher nich ausgehalten. Frauen haben einfach, viel stärker auch so ne ichbezogene soziale, emotionale Komponente. Und du warst dann manchmal als Mann hochabstrakt. Heute würde man vielleicht mit som Begriff ganzheitlich arbeiten. Mehr abstrakter geredet und weniger vielleicht von deinen Gefühlen. Natürlich hat es auch was mit Ängsten zu tun gehabt. Das tauchte ja da auch auf, dass du dich über Ängste austauschen kannst, weil die ganze Arbeit ja, du hast ja auch Gegner gehabt, ja, die dir Angst eingejagt haben. Ob des jetzt bei ner Demo is, dass dir die Bullen irgendwo gegenüber standen. In solchen Situationen, wie verhältst du n dich? Bist
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
du als Mann mehr der Held, der ganz vorne steht, oder hast du doch eher mal Schiss in der Hose, und gibst es auch zu? Also das hat für mich für n Begriff Freundschaft, Liebe, aber konkret fürs Verhältnis Mann, Frau, denk ich doch einiges, ganz stark.
(Selbst-)Veränderung, so Rüdiger A., sei nur möglich mit dem „Instrument“ der Bewusstmachung. Mittel der Selbstaufklärung ist damit abermals das oben herausgestellte, nun auf einem anderen Praxisfeld variierte Prinzip des ‚Offenlegens‘. Rüdiger A.s Problemdefinition einer Suche nach Deckungsgleichheit zwischen Idee und Lebenspraxis gewinnt mit Bezug auf gehegte Männlichkeitsnormen Kontur: Wenn es für ihn als Mann gelte, in zwischengeschlechtlichen Kommunikationen ‚Pausen zuzulassen‘, wird Frauen Gleichbeteiligung gleichsam angeboten. Und das, obwohl die benannten Frauen zufolge seiner geschlechtlichen ‚Charakter‘-Deutung („ichbezogene soziale, emotionale Komponente“), damit aus einer ‚natürlich-defensiven‘ Haltung, dies in seiner Schilderung nicht selbst einforderten. Unter Aufrechterhaltung der Differenz wird die Geschlechterbegegnung damit quasi pädagogisiert. Unterstrichen wird dies mit einer den Männern bezichtigten, mangelnden emotionalen Fundierung ihres Verhaltens. Der Erzähler illustriert dies am Beispiel der Auseinandersetzung mit Staatsmacht und dem dort wahrgenommenen Verdrängen innerer Ängste. Er bindet seine Geschlechterdeutung zum Ende unmittelbar an seine Liebesdeutung: Im Zentrum steht die Selbstaufforderung nach Zähmung männlicher Hegemonialitätsansprüche. Vielleicht vermutet er dahinter eine – um diese Wendung aus der paartherapeutischen Praxis zu gebrauchen – ‚verschüttete Liebesfähigkeit des Mannes‘.121 R.A.: Also in der Verarbeitung des gelesenen Buches, da hab ich für mich so ne Rolle, ich habe sehr viel von dem, was die Frau kritisiert hat an dem Typen, absolut nachvollziehen können. Absolut. Ne Menge Positionen jetzt auch von Männern, die hab ich nicht teilen können, also die im Prinzip sehr heftig dieses Buch dann kritisiert haben, also von der Frau, wie sie einfach diese Trennung oder das Verhältnis zu dem Mann benennt. Ich konnte das schlichtweg in vielen Passagen einfach unterstützen. Entweder es ist jetzt als Mann ein femininer Teil, der da rausgebrochen ist, ich weiss es nicht. Da hat die für mich viel richtige Sachen gesagt. Also die Kritiken an männlichen Verhaltensweisen gegenüber jetzt dem Mann. Und, ich könnt sie ja auch erstmal ranlassen, überprüfen, und dann immer noch sagen: Nee, es ist nicht so. Aber für mich war der zweite Punkt der entscheidende, ich fand das okay. Was die Frau benennt, auch sehr emotional natürlich. I: Wie sah denn die Gegenposition aus, also von denjenigen, die ablehnend waren? R.A.: Es ging um Einseitigkeit. Dass Freunde von mir immer gesagt haben, das ist unmöglich, die Verallgemeinerung. Das ist ne absolut subjektive, einseitige Brille. Die Frau hat ne 121
Ein solches Bild verwendet die Autorin des Romans ‚Der Tod des Märchenprinzen‘ selbst: Die weibliche Erzählfigur phantasiert in einer Traumsequenz ‚Kisten‘, auf denen die Beteiligten der Paarbeziehung hocken und worin ihre Gefühle verborgen seien. Die Protagonistin versucht schließlich vergeblich den Geliebten ‚Arne‘ auf den Inhalt seiner eigenen ‚Kiste‘ hinzuweisen („mit der Nase hineingestoßen“) mit dem Ziel, ihm damit seine vermeintlich verdrängten Sehnsüchte vor Augen zu führen (vgl. Merian 1980: 317f.).
4.3 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,mittleren‘ Jahrgänge
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einzelne Erfahrung, die sie verallgemeinert. Man kann Trennungsprobleme, das kommt noch dazu, die hat das ja öffentlich gemacht, das ist ja dann noch mal n Schritt mehr. Das bedeutet auch, dass du darüber reflektierst. Du schreibst ein Buch und das korrigierst du und liest es dreimal durch. Also die hat es nich nur aus der Emotionalität heraus geschrieben, obwohl s sehr emotional ist, sondern das ist ne bewusst überlegte Emotionalität, weil man dadrüber diskutiert mit Freundinnen oder sonst was. Und letztlich trifft des Ganze meine Erfahrungen un mein Will, Wollen mit Liebe, du kannst es nich gegnander machen, du musst n Arrangement finden. Und Männer können da viel von Frauen abgucken, Stichwort vom Emotionalen her denken. So mal, ja.
Mit Rüdiger A.s Selbstdeutung, infolge seiner der Romanautorin positiv zugewandten Haltung sei bei ihm möglicherweise ein „femininer Teil … rausgebrochen“, wird seine Vorstellung der Unüberwindbarkeit von dichotom gegebenen Geschlechteridentitäten variiert. Den Vorwurf des Subjektivismus des Romaninhalts seitens einer Reihe männlicher Diskutanten wehrt er mit dem Argument der „bewusst überlegte[n] Emotionalität“ der Autorin ab.122 Der emotionale Aspekt besitzt für ihn jedoch eine zwiespältige Wahrheitsfunktion. Einerseits vermutet er darin einen direkten Zugang zum ‚authentischem Selbstsein‘, auf der anderen Seite bleibt Emotionalität für ihn als pure Subjektivität verdächtig. Ein Ausweg findet er im Prinzip der „bewusst überlegte[n] Emotionalität“: Die gewissermaßen reflektierte Emotionalität besitzt für ihn das Potenzial, allgemeingültige Prinzipien formulieren zu können. Rationalität und Emotionalität erscheinen hier versöhnt. Insofern bürgt der Romaninhalt für Rüdiger A. einen an Männer grundsätzlich gerichteten Appell zur Überprüfung geschlechtlicher Dispositionen (auch) in der Intimität. Fallrekonstruktion Rüdiger A.: Ein Fazit Zwei Aspekte der Fallbilanzierung stehen im Vordergrund: 1. Privates Leben besitzt für Rüdiger A. gewissermaßen einen gesellschaftspolitischen Sinnüberschuss – was umgekehrt genauso gilt. Grundsätzlich muss für ihn jede „Idee“ des Lebens mit dem „leben“ dieser Idee zusammenfallen. Als Bewährungsproblematik gilt für ihn permanentes persönliches Engagement zur Verteidigung humaner Werte, so auch innerhalb der Geschlechterbegegnung. Zur praktischen Strategie erklärt er daher das ‚Bewusstmachen gesellschaftlicher Strukturen‘ als unentwegte Offenlegung. 2. Seine, wie er formuliert, „Position“, innerhalb des Geschlechterverhältnisses verkoppelt Rüdiger A. mit der Erfahrung der Selbstpolitisierung in den Neuen sozia122
Ein Vorwurf, mit dem Svende Merian ungeachtet des immensen Verkaufserfolges ihres Romans (ca. 400.000 Exemplare allein in den 80er Jahren) häufig von seiten der Frauenbewegung konfrontiert wurde. In einem Interview in der Berliner Morgenpost vom August 1994 erklärte sie selbst dazu: „Ich habe mich früh dagegen gewehrt, unter der Rubrik Feminismus zu laufen. […] Wenn’s ein Parteiausschlussverfahren aus der Frauenbewegung gäbe, hätten die mich sofort rausgeschmissen“ (zit. nach Somerhoff 1996: 48).
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len Bewegungen. Dabei hält er (ähnlich wie in der Fallstudie Karla S.) an einer Dichotomie von Geschlechtscharakteren fest. In diesem Sinne gilt Männlichkeit für Rüdiger A. als prinzipiell machtstrebender Charakter, welcher aber quasi pädagogisch-kontrollierbar, damit sozialisationsfähig sei.123 Damit offenbart sich bei Rüdiger A. aber auch die Schwierigkeit, von einem pädagogischen Diskurs der Liebe überhaupt abzukommen. Seine gesellschaftspolitischen Exkurse erschöpfen sich nicht allein in Bezug auf berufliche Praxis, sie informieren zugleich über die mit der persönlichen Politisierung erlernten Prinzipien für richtiges Verhalten im privaten Leben. Hier sieht er sich Authentizitätsnormen gegenüber verpflichtet, die er auch auf das Gelingen der Liebe innerhalb der Geschlechterbegegnung überträgt. Im Mittelpunkt steht die an Männer gerichtete Aufforderung, sich der ‚inneren‘ Welt – pointierter: sich einer eigenen, jedoch ‚kulturell verdeckten‘ Emotionalität bewusst zu werden. Emotionalität wird damit zu einem Selbstwert, zu einem Patentrezept des Humanen überhaupt erklärt. Dies dient als Überleitung zu den anschließenden zwei Kurzporträts (‚Gisela T.‘, ‚Rainer K.‘) der gleichen Geburtsjahrgangslagerung. An den bisherigen zwei Fallrekonstruktionen der mittleren Jahrgänge lassen sich in Bezug auf die Typik der biografischen Kommunikation in der Liebe bisher zwei Aspekte festhalten: a) Gesteigerte Reflexivität in Bezug auf biografische Prozesse und kritische Wachsamkeit gegenüber äußeren Systemprozessen. b) Eine bestimmte Ausdeutung der Geschlechterdifferenz. Diese Differenz wird in Kontrast zu den frühen Jahrgängen stärker psychologisiert und als Herausforderung gelingender Geschlechterbegegnung in der Liebe thematisiert. Die folgenden beiden Kurzporträts variieren diese Topoi, nehmen aber thematisch unterschiedlich Bezug darauf. Die Vergleichsdimensionen zur Bildung von Typen in Kapitel 5. können damit geschärft werden. Zuvor werden die zentralen Ergebnisse aus den vier Fallrekonstruktion der mittleren Jahrgänge in einer fallübergreifenden Zusammenschau in Abschnitt 4.3.4 verglichen.
123
Aus diesem Grund gilt für Rüdiger A. die Zeitgeistfigur des Softie „bis heute nicht widerlegt“, wie er an anderer Stelle nachfügt (vgl. auch unten). Sie bedeutet für ihn konsequentes männliches Gegenverhalten innerhalb einer von ihm diagnostizierten Geschlechtermisere: „Generell halte ich den Softie, als der auftauchte und was er darstellte, für’n im großen und ganzen absolut richtiges und sinnvolles Verhalten, männliches Verhalten. Absolut! Es gibt ne andere Bestätigung dafür, dass „soft“ nach wie vor sinnvoll ist. Man sagt mittlerweile „sanfter Tourismus” im Rahmen der Ökologie. Und die, ich habe die grundlegende Überlegungen, die da im Zusammenhang mit Ökologie, mit Natur gelten, galten auch für Verhaltensweisen vom Mann. Dass du dir als Mann über deine Rolle klar wirst, jetzt in dieser Gesellschaft und Kultur, patriarchalisch strukturiert, du Teil als Mann patriarchalisch aufwächst, sie auslebst, und irgendwann erst durch einen Bewusstwerdungsprozess dir klar wirst, was du eigentlich halt mit auslebst“.
4.3 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,mittleren‘ Jahrgänge
4.3.3
Zwei Kurzporträts der mittleren Jahrgänge
I
Gisela T.: Reziproke Reflexivität und die Suche nach ‚emanzipierter Hingabe‘
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Die Sozial- und Physiotherapeutin Gisela T. ist 1961 geboren und lebt mit Ehemann und zwei gemeinsamen Kindern in C-Stadt. Sie führt gleich zu Beginn des Interviews an: In der Geschlechterbegegnung sei „wahre Erfüllung“ in der Liebe nur mit viel Anstrengung möglich. Sie hält dies aber für ein, wie sie sagt, „märchenhaftes“ Ideal, an dem sie auch „real“ festhalte. Zwischen Frauen und Männern bestehe jedoch eine grundlegende Wesensdifferenz. Sie objektiviert diese Deutung am Beispiel des eigenen Ehemannes. Bei diesem herrsche eine grundsätzlich andere Ebene „gefühlter Berührung“ vor, wie sie formuliert. Gisela T. präzisiert diese Ebene als „geistige Ebene“, an anderer Stelle auch als „Goethe-Ebene“. Denn ihr Mann sei Literaturliebhaber und „fühle“ sich, so sagt sie, nur auf dieser Ebene „angenommen“, er sei in der Liebe vor allem nur dort „erreichbar“. In diesem Zuge kommt sie auf eine Talkshow im Fernsehen zu sprechen, bei der die 1929 geborene Schauspielerin Liselotte Pulver Gast war. Mit Bezug darauf revidiert Gisela T. ihre Eingangsdeutung. Hier sei ihr eine gelungene Hingabe vor Augen geführt worden. Frau Pulver sprach davon, ihren Ehemann „vergöttert“ zu haben, zugleich drückte sie ihr Bedauern gegenüber späteren Frauen-Generationen aus, welche sich nicht in adäquater Weise einem Mann hingeben könnten. Mit diesem Bekenntnis habe Frau Pulver das anwesende Publikum polarisiert in eine Gruppe sich empörender Frauen, die Gisela T. als die älteren, „emanzipierten“ etikettiert, sowie eine Gruppe spontan applaudierender „junger Frauen“. Mit Bezug auf ihr Alter positioniert sich Gisela T. solidarisierend zu den Kommentaren von Frau Pulver selbst als „dazwischen stehend“, und führt aus: G.T.: Das hat große Qualitäten, ne bedingungslose Hingabe, würde ich sagen. Und mit dem kritischen Geist, in dem wir auch aufgewachsen sind, sag ich jetzt mal, auch gerade im Emanzipatorischen, ist einem davon n Stückchen verlorengegangen vielleicht auch. I: Ist es denn ein Widerspruch, also Hingabe und Emanzipation? Steht das irgendwie unvereinbar nebeneinander oder G.T.: Scheint mir so. Ja. So als wenn, also Emanzipation heißt, seiner eigenen Frau zu stehen, das heißt also auf jeden Fall auch unabhängig sein zu können von dem Mann, und das andere ist das Gegenteil, also sich in die Abhängigkeit begeben zu können, sozusagen, was auch ne große innere Stabilität eigentlich voraussetzt, ja, dass man überhaupt in der Lage ist, sich in so ne Abhängigkeit zu begeben, ohne Angst zu haben, sich zu zerstören.
Mit dem Verweis auf einen „kritischen Geist“ verortet sich Gisela T. in einer historischen Zeit, der Zeit ihres ‚Aufwachsens‘. Auffallend ist dabei ihre Wahrnehmung emanzipatorischer Ideale. Ihrer Zeitdiagnose zufolge herrscht eine prekäre Diskrepanz zwischen dem Wert selbstgewählter Hingabe und dem Wert der Emanzipation. Ein geistiges Prinzip steht hier offenkundig einem affektuellen Prinzip im Wege.
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Emanzipation wird dabei jedoch weder als Gleichberechtigungsimperativ noch als Machtthema gerahmt. Vielmehr nimmt die Befragte psychologisierte Kriterien der Stabilisierung einer Ich-Identität in Anspruch, in deren Zentrum die Sorge steht, in der Hingebung „zerstört“ werden zu können. Hingabe wird dabei verstanden als innenorientiertes Experiment des Versenkens des psychischen Ichs in das Ich des Anderen, eine Lesart, die mit folgender Passage unterstrichen wird, wo Gisela T. auf ihr Liebesideal zu sprechen kommt: G.T.: Also, sag ich mal, dieses Liebesideal, dieses absolute Vertrauen und so, ne? Man kann herausfinden, auf welcher Ebene Liebe ins Fließen kommt. Und das kann man beachten. Dafür kann man sensibel werden. Also, ich sag mal n Beispiel. Ich bin ja auch Körper-Therapeutin. Und zwar, wo man viel mit Massage arbeitet. Nennt sich bio-dynamische Massage. Und da gibts zum Beispiel Massagen auf vier Ebenen, ja, auf der Knochenebene, auf der Muskelebene, auf der Haut und auf der Aura. Und je nachdem, wo der Mensch ansprechbar ist, empfindet er es als massiven Angriff und furchtbar, oder als absolut abgöttisch und zerfließt in Liebe, ja? Und man liebt den Menschen und der liebt einen, für den Moment, sag ich jetzt mal. Je nachdem, ob man ihn auf der richtigen Ebene erwischt. Also diese Erfahrung hab ich gemacht bei einer Übung. Da sollte ich eine Frau auf der Muskelebene massieren. Und es war furchtbar! Sie fand es nur furchtbar, und ich fand es nur furchtbar. Und wir ham gesagt: Um Gottes Willen! Wir machen nie wieder was zusammen. Und da hat diese Leiterin gesagt, aha, dann probiert doch mal auf der Bindegewebsebene. Und das war genau die Ebene, auf der sie ansprechbar war. Und dann hatten wir das Gefühl: Oh! Wir lieben uns! Ja? Wir haben uns so gut verstanden. Es war phantastisch! Und haben dann uns irre gerne berührt. Und das hat mir gezeigt, dass es immer drauf ankommt, den Menschen auf der richtigen Ebene zu erwischen. Ob er einen hasst oder ob er einen liebt. Verstehst Du? I: Hm. G.T.: Und die muss ich finden. Und dann fließt Liebe. Das ist meine persönliche Philosophie von wie Liebe fließt und wie sie nicht fließt. I: Also ich frag noch mal kurz: Wie geht man auf die Suche nach den entsprechenden Ebenen? G.T.: Naja, in ner Massage ist es einfacher, sag ich mal so. Also für mich einfacher, weil da hab ich dann (2) das kann man fühlen, das kann man auch mit Stethoskop dann hören, ob man richtig ist etc.
Gisela T. illustriert in dieser Sequenz nun ihre individuelle Deutung des Gelingens von Liebe und Hingabe. Demzufolge bestehe der Zugang zu ihrem Liebesideal („absolutes Vertrauen“) im „Herausfinden“ spezifischer Erfahrungs-„Ebenen“, durch welche „Liebe ins Fließen“ kommen könne. Beispielhaft dazu habe sie in ihrem Beruf als Körpertherapeutin die Erfahrung gemacht, dass Massagen nicht nur physiologische Effekte erzielen, sondern auch – so ihre Worte – „abgöttische“ Liebesempfindungen hervorrufen können. Eine besondere Form professioneller Versiertheit sichere somit das Finden und Kontrollieren eines Zugang zu den „richtigen“ Ebenen der Liebe. Dieser technische Modus untersteht aber instrumenteller Kontrolle, insofern sich bei falscher Anwendung destruktive Effekte entfalten, wie Gisela T. an einem Beispiel verdeutlicht. In der besonderen Sachverständigkeit mit bestimmten Fertigkeiten – hier mit auratischen Körperbegegnungen, die zu affektuellen Verschmelzungen führen können – wird Hingabe für sie somit einlösbar.
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Die „Aura“, als diffus charismatische Welt, bleibt für Gisela T. jedoch in jedem Fall instrumentell beherrschbar. Der Bezug auf die Körperebene zeigt sich für als Lernen einer Sprache durch wachsames Decodieren von Regungen, wobei sich praktisch eine Form intimer Kommunikation offenbare, die über die Körperberührungsebene hinausgeht. Beim Zugriff auf die, so könnte man sagen: ‚geheime Latenz der EbenenBedeutungen‘, können Experten(innen) – zu sehen am Beispiel der Leiterin – hinzugezogen werden, ebenso wie es möglich scheint, die Erfolgskriterien des (Liebes-) Fließens mithilfe eines technischem Instrumentariums (Stethoskop) zu objektivieren. Dass darin aber ihre „persönliche Philosophie der Liebe“ zum Ausdruck komme, zeigt die Relevanz dieses Beispiels für den überschüssigen Sinnhorizont ihrer Berufsarbeit und der darin eingelagerten Bedeutung für das Gelingen von Intimität. In der folgenden Passage präzisiert Gisela T. ihr Ebenen-Modell für die Ausgangsfrage: G.T.: Also ich meine, ich glaube, es ist einfach die Begegnung, auf welcher Ebene man sich begegnet. Und es sind Leute, die sind ansprechbar, ähm, sag ich mal, auf der geistigen Ebene, wie zum Beispiel mein Mann, ja? Der ist auf der geistigen Ebene ansprechbar. Und den kann ich also über Diskussionen, über, hm, Goethe oder was, könnte ich den erreichen, ja? Da ist der, da fühlt er sich angesprochen, da fühlt er sich angenommen, gesehen, gefühlt usw.. Er kann mich erreichen, indem er mich auf ne bestimmte Weise berührt. Das ist aber nicht seine Ebene, deshalb fühlt er es bei mir nicht. Und ich berühre ihn körperlich, was ihm nicht viel bringt, weil das ist nicht die Berührungsebene, die er hat. (…) Es hat was mit dem ganzen Ankommen zu tun, mit dem Ankommen als ganzer, als ganzes Wesen, also mit allen Facetten irgendwie. Mit all seinen Facetten angenommen zu werden und gesehen zu werden und nichts verstecken zu müssen, weder vor sich noch vor anderen. Sowas, dass man sich tief in der Seele verbunden fühlt, verstanden, angekommen, gesehen. So. Gefühlt. Das ist (3). Ich glaube, das ist so das Entscheidende. Sich gefühlt zu fühlen. Im Urgrund seines Seins gefühlt zu fühlen.
Aus Gisela T.s Sicht dominiert bei ihrem Ehepartner eine grundsätzlich andere Ebene der „Berührung“. Sie charakterisiert diese als „geistige Ebene“. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Prinzipien intimer Interaktion – paraphrasiert die eigentlichen ‚Liebesebenen‘ beider Personen – finden in der Dyade keine Anschlussmöglichkeit und laufen leer. Damit knüpft Gisela T. das Scheitern eines erfüllenden Austauschs zwischen den Ehepartnern an eine geschlechterpsychologische Theorie, womit sie für sich einen akzeptablen Verarbeitungsmodus von Enttäuschung findet. Darin, sich „gefühlt zu fühlen“, das also, was Gisela T. abschließend als das „Entscheidende“ bezeichnet, entfaltet sich das Denkmodell einer reziproken Reflexivität. Indem man fühlen will, wie der bzw. die andere fühlt, liegt die Betonung auf der Kontrollebene des eigenen Gefühls. Das drückt eine besondere Idee des Verstehens in der Liebe aus, die man als ‚Gebildetheit der Affekte‘ oder auch als ‚reflexive Affektualität‘ bezeichnen kann. Trotzdem Gisela T.s Beziehungspartner nur auf der „geistigen Ebene“ erreichbar sei, bleibt für sie aber die Reflexion durch Emotionalität gültig. Da sich ihr Partner zufolge dieser Deutung bemerkenswerterweise selbst noch auf der geistigen Ebene „gefühlt fühlen“ könne, wird das Fühlen für sie hier zur universellen Idee noch über den Geist.
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Das dabei zugrundeliegende Authentizitätsideal in der Liebe lässt sich folgendermaßen formulieren: Das Emanzipatorische nimmt Gisela T. als Form wahr, sich nicht zu verlieren, die absolute Hingabe wird dennoch affirmativ in Anspruch genommen. Ihr individuelles Arrangement in diesem Spannungsfeld zeigt sich gewissermaßen als emanzipatorische Emotionalität, die beide Prinzipien integrieren kann. Die Sorge um Identitätsverlust durch das Begeben in Abhängigkeit führt damit nicht zur Entsagung von Leidenschaft. Hier stand zwar zunächst ein „kritische[r] Geist“ im Wege. Gisela T. hat aber einen Ausweg in der Innerlichkeit gefunden. Denn die Emotion ist für sie dann legitim, sofern sie als gebildete Aufmerksamkeit zum Ausdruck kommt. Sie findet damit für sich eine Lösungsstrategie zweier unterschiedlicher Prinzipien, d. h. die integrierende Beherrschung von Hingabe und Emanzipation. Hingebung zeigt sich für sie als Fließen, in dem das „abgöttisch(e)“ wirkt und Emanzipation als die technische Kontrolle desselben. Einerseits in der Abwehr drohender Selbstaufgabe, andererseits im technischen Zugang und damit der kontrollierbaren Wiederholbarkeit der Liebeserfahrung. Kritische Distanziertheit führt für sie somit nicht zum Verlust von Liebe, und ein Ausweg bzw. ein Umgehen der Misere des kritischen Geistes wird ebenso gefunden. Gisela T.s Lösungsweg besteht in der gegenseitigen ‚Berührung‘ als eine Art kontrollierbares energetisches Modell, das die – schlechthin eine Authentizitätsformel darstellende – Verheißung birgt, sich „im Urgrund seines Seins gefühlt zu fühlen“. Ein Gefühl also, das für sie konkret-situativ und unmittelbar sinnlich erfahren werden kann, wie es das Beispiel der Körpermassage vorführt. Sie findet darin überdies einen religiös gedeuteten Bezug, d. h. eine momenthaft aufschillernde, die Beziehung spürbar-erfüllende „abgöttische Hingabe“, womit Gisela T. ihr kulturelles Modell zum Erlangen des „Märchenhaften“ (vgl. oben) zeigt. Damit kann sie zwischen dem Wunsch nach Hingabe und der Angst vor der Gefahr psychischer Selbstaufgabe balancieren. Diese Lösung der Praxis in der Liebe ist instrumentell wie auch praktisch machbar und normativ aufgewertet bzw. gedeckt. Sie ist aber auch spezifisch und selektiv ausschließend gegenüber anderen denkbaren Formen der Reziprozität, wie es etwa an den Spannungen und Dissonanzen zwischen ihr und ihrem Ehemann erkennbar wird. Zunächst zum zweiten Kurzporträt: II
Rainer K.: Der gefesselte Geschlechtshabitus
Rainer K. ist 1958 geboren und nach einem Informatik-Studium seit mehreren Jahren als Statistiker tätig. Er ist zum Zeitpunkt der Befragung ledig und lebt ohne feste Partnerschaft in C-Stadt. An zahlreichen Beispielen weist er im frühen Gesprächsverlauf auf ein für ihn permanent virulentes Problem in der Intimität hin. Es gehe dabei um ein „ehrliches Eingestehen“ von Liebes- und Lustempfindungen, zu dem er sich selbst nicht fähig sehe. Dieser sich selbst zugeschriebene Makel tritt bereits in der Gesprächseröffnung bei der ersten Interviewfrage nach Liebesfilmen hervor. Rainer K. assoziiert hierzu eine Filmszene, in der die Darsteller/innen sexuelles Be-
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gehren besonders spontan und damit, wie er formuliert, „realistisch“ präsentiert hätten.124 Ein „Sozialexperiment“ in einer Wohngemeinschaft zu Beginn der 80er Jahre, die sich unter dem Anspruch „unverklemmten“ Selbst-Sein-Könnens gründete, erklärt Rainer K. rückblickend jedoch als „Brechstange“ an der eigenen Persönlichkeit. Dort zählte zur Gemeinschaftsideologie ein unausgesprochenes Verbot, sich in Privates zurückzuziehen, und es wurde dazu genötigt, eigene Verhaltensweisen permanent zu hinterfragen und zum Thema von Gruppendiskussionen zu machen. Sein sich selbst zugeschriebenes Unvermögen, eigene affektive Impulse offen „einzugestehen“ schreibt Rainer K. schließlich generationstypisch zu und nimmt dabei eine bestimmte Schematisierung biografischer Selbstwahrnehmung vor: R.K.: Ich glaub, dass dat zum Beispiel so n Generationsding ist bei uns, ne dass wir ja irgendwie versuchen irgendwie, über alles irgendwie, ja, dat muss ausdiskutiert werden. Und irgendwie war dat irgendwie alles so, da war irgendwie so ne große Theorie da oben drüber, ja?
In dieser Passage fällt der Begriff „Generationsding“ auf. Zum einen verortet sich Rainer K. damit selbst als Teil eines historischen Kollektivs („bei uns“); er spricht hier also von ‚seiner‘ Zeit. Zum anderen nimmt er eine kollektivierende Selbstversachlichung vor. Seine reflexiver Zeit-Bezug zielt dabei auf eine Art generationellen Stil. Welche spezifische Interaktionskultur aber ist mit dem Topos ‚Ausdiskutieren‘ eigentlich angesprochen? Es geht um das Immerweitertreiben von Geltungsansprüchen und um die Überzeichnung einfacher Selbst- und Situationsbeschreibungen durch permanente Selbstreflexion. Für Rainer K. zeigt sich darin eine Theorielastigkeit seiner Generation. In einer anschließenden Passage nimmt er jedoch Bezug auf eine Jugendzeit, die nach der seinen liegt. Dort betrachtet er diese Praxis als bereits relativiert: R.K.: Also ich finde zum Beispiel heut, diese Techno-Szene, da muss ich ehrlich sagen, da bin ich echt, da ist es genau anders. Die probiern eigentlich schon mehr, die Leute so kennenzulernen, wie sie sind, und auch so zu nehmen, wie sie sind, ja? Und, und, ich weiss nicht, ob et stimmt, aber, vielleicht ist in meinem Kopf auch einfach, naja, jetzt ist schwierig, aber auch zuviel dann alles mit Sexualität verbunden, dat Ganze. Komischerweise, oder irgendwie, da stimmt irgendwie wat nicht, habe ich immer dat Gefühl, als wenn ich damit nicht natürlich umgehen kann. Also mit ner Frau kann ich ja auch n Einbruch machen, so jetzt völlig übertrieben, oder Fußballspielen, aber et ist irgendwie anders. Keine Ahnung. Ich kann es nicht beschreiben. Ich blick da auch nicht so richtig durch, ich probier mich auch dagegen zu wehren, ne Frau anders zu sehen wie nen Typen, äh, aber irgendwie kann ichs nicht. Ich kanns nicht. Da ist irgendwie noch immer so diese, ja, da schwebt irgendwie die Sexualität irgendwo mit, ja? 124
Rainer K. nimmt hier Bezug auf den Film ‚Atemlos‘ (1982) von Regisseur Jim BcBride. Dabei handelt es sich um eine mit Richard Gere und Valerie Kaprisky besetzte Neuverfilmung des Nouvelle Vague-Films ‚Außer Atem‘ nach einem Drehbuch von Jean-Luc Godard (1959), welche die Unmöglichkeit ‚wahrer Liebe‘ in einer gewalttätigen Umwelt reflektiert.
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Das Heute der Techno-Szene scheint nicht mehr das Heute von Rainer K.. Seine Zeit kollektiver Adoleszenzerfahrung ist sinnbildlich abgelöst durch die Anhänger einer aktuellen Jugendkultur. Aber auch damit, dass in der Techno-Szene etwas „genau anders“ sei, nimmt er Bestimmungen von Authentizität vor. Demzufolge sei er selbst genau ‚anders‘ als die Jugend im Heute. Seine Authentizitätsidee kommt mit der Einbindung des Themas Sexualität auf einen Punkt: Rainer K. hegt ein Modell ‚natürlicher‘ Seins-Zustände, gemessen an denen er die eigene Sexualität als unnatürlich dominant erlebt. Er folgert daraus faktische Dispositionen der Technoszene. Gerade darin kann er aber nicht an die habituelle Praxis von Personen dieser Szene anschließen, dort also, wo er meint, dass eine affektuell-leibgebundene Geschlechterbegegnung nicht – wie noch der eigenen Generation zugeschrieben – legitimationsbedürftig ist. Aus seiner Sicht gehört es bei der jüngeren Generation einfach dazu. Die projizierte Vorbehaltlosigkeit des Sich-An-Nehmens beim Kennenlernen interpretiert er nach Maßgabe natürlicher Seinszustände. Vor welchem motivationalem Hintergrund aber wird hier einfach jemand ‚angenommen‘? Rainer K. müsste hier offenkundig – so seine Einschätzung – sein eigenes Selbst-Sein nicht zur Disposition stellen, sondern wäre auch ohne Ausdiskutieren schon akzeptiert. Sein Versuch, gerade nicht „ne Frau anders zu sehen als nen Typen“ kollidiert aber mit seiner eigensinnigen Interpretation von Geschlechteregalität. Rainer K. kann praktisch seine selbstgedeutete Affektdisposition nicht von sich streifen, denn die Generationsdifferenz zeigt sich für ihn als ein Schema von Geschlechteranlagen: Vermutete Egalität innerhalb der Techno-Szene einerseits und Überfrachtung der sexuellen Aspekte des eigenen Geschlechtshabitus andererseits, worin er sich selbst als nicht mehr veränderbar begreift. Rainer K. knüpft daran ein Schema von Generationsbeziehungen: R.K.: Ja, ich finde die gehen heute viel, also viel natürlicher miteinander um. Also Mädels und Jungens, die Techno-Szene, sag ich einfach so. Ich würde sagen, die ham halt Eltern gehabt, die 68er waren. Ich glaube einfach, dass jede Nachfolgegeneration n Gegenpol aufbaut zu, ja, der vorherigen Generation. Für mich ist halt die Techno, oder der Inhalt dieser TechnoSzene ist für mich identisch, obwohl die Ausprägung n bißchen anders wie die 68er, also diese Blumenkinderzeit. Ich bin da so zwischen diesen 68ern, Joan Baez, pipapo und so, dieser ganze Kram. Die Techno-Szene, die sind lockerer, die machen sich nicht mehr so den Kopf um alles, und dieses von mir aus nach, straight nach vorne. Ich finde, dat hat ziemlich viel damit zu tun. Und denen fällts auch viel einfacher, äh, zärtlich miteinander umzugehen. Natürlicher, sagen wir mal so. Die denken da nicht drüber nach. Dat is einfach bei denen so. I: Hm. Heißt das, die machen einfach das, was die andere Generation eigentlich wollte, aber nicht konnte? R.K.: Ja, ja. Oder wozu die Generation noch nicht fähig war. Ja, es ging irgendwie nicht.
Rainer K. erhebt die aktuelle Jugendgeneration zur Projektionsfolie der Einlösung eigener Gelingenskriterien von Intimität. Das von ihm als generationstypisch erlebte Ringen um Natürlichkeit löse sich dort gewissermaßen im bereits Faktischen auf. Für ihn befinden sich die ihn umgebenden Generationen damit im ‚Echten‘. Rainer K. selbst glaubt sich nicht im Echten. Diese Problematik erklärt er sich generations-
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spezifisch. So wie er sexuelle Aspekte in der Geschlechterbegegnung an sich „unnatürlich“ dominant erfährt, wird der Eindruck erweckt, er möchte eine Disposition an sich loswerden. „Blumenkinder“ und heutige Jugendkultur werden dabei zur Projektionsebene der Aufhebung an sich selbst erlebter Verkrampfung, eine Unmittelbarkeit, die ihm selbst durch seine generationsspezifische Reflexivität verbaut scheint. So wie er den Umgang mit Intimität bei anderen historischen Jugendgestalten als authentisch interpretiert, fühlt er sich umgeben von der kollektiven Auflösung seines Generationsschicksals. Der reflexive Gestus seiner Generation wird von ihm damit als Fessel des Selbst-Seins empfunden. Nach Abschluss der Befragung kommt Rainer K. in gelöster Stimmung auf ein vorher unerwähntes Thema. Jährlich reise er für längere Wochen nach Mittelamerika und pflege dort „Reisebeziehungen“ zu einheimischen Frauen. Er erlebe diese als „völlig anders“, „spontaner“ und „unkomplizierter“ als Frauen an seinem hiesigen Lebensmittelpunkt. Bereits mehrfach habe er sich dort verliebt und sei sowohl längere Liaisons mit Frauen eingegangen, die sich als Begleitung für längere Landeserkundungen andienen, und wofür er alle Reisekosten trage. Einiges aus seinen Schilderungen deutet darauf hin, als unterhalte Rainer K. hierbei Beziehungen zu einer bestimmten Gruppe desjenigen mittelamerikanischen Prostitutionsmilieus, das sich auf ein bestimmtes nordamerikanisches und westeuropäisches Klientel spezialisiert hat, nach der Praxis: Bezahlte Reisebegleitung gegen sexuelle Dienstleistung. Rainer K. scheint diese Verschränkung von individueller Liebeserfahrung und erotischem Hostessendienst jedoch nicht bewusst oder er möchte sie nicht thematisieren. Vielmehr gibt er sich euphorisiert von den dort erlebten Liebeserfahrungen mit Frauen. Was an dieser Verfügungspraxis perspektivisch interessiert, ist die Handlungslogik, wie der Erzähler auf das von ihm wahrgenommene ‚Geschlechterproblem‘ in seiner Generationserfahrung reagiert. Aus dieser Sicht kann festgestellt werden, dass Rainer K. bestrebt ist, sein Ambivalenzerleben mit einer Kulturtheorie der Geschlechtermentalitäten auszubalancieren: ‚Komplizierte‘ europäische Geschlechterbegegnung einerseits, ‚unkomplizierte‘ mittelamerikanische andererseits. Seine positiven Erfahrungen mit einem bestimmten Milieu mittelamerikanischer Frauen sind für ihn damit Beleg seiner Theorie faktischer Geschlechterentfremdung in seiner Herkunftskultur. Dort findet er keine kulturelle Absicherung seines affektuellen Begehrens als Mann, er kann sich quasi nicht vom schlechten Gewissen lösen, dass Lustbegehren bei ihm überhaupt so stark im Vordergrund steht. Für dieses „ehrliche Eingestehen“ – dem tragenden Motiv seiner Eingangserzählung – findet er im eigenen Generationsmilieu keine Sprache. Diese Problemstellung ist seiner Deutung zufolge in der Nachfolgegeneration bereits aufgelöst. Dazu findet er aber habituell keinen Zugang und sucht nach Ausweg in und mit der Projektion auf eine andere Kultur.125 125
Vgl. hierzu den Roman Plattform (2002) von Michel Houellebecq. Der Autor stilisiert dieses Muster als tragisches Schicksal bestimmter Männergruppen („Ausschuss“ aus der Geschichte reziproker Liebesbeziehungen) und stellt gewohnt provokant die Frage nach der Legitimität ‚gekaufter‘ Intimität.
186
4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Vergleich der Kurzporträts der mittleren Jahrgänge: Zusammenfassend die Verbindungslinien der Kurzporträts Gisela T. und Rainer K. anhand dreier zentraler Punkte: Beidermaßen handelt es sich (a) um das zutage tretende Schema von Generationsverhältnissen, (b) die damit verbundene Idee des Dazwischenfallens der eigenen Generation, sowie (c) um den sich in beiden Fällen abzeichnenden Konflikt zwischen Affektualität und Rationalität in einer generationsspezifischen Färbung: a) Gisela T. und Rainer K. positionieren sich im historischen Raum über Entfremdungsmuster. Beide entfalten Schemata der Deutung, worin sie ihre individuelle Position an zeithistorische Erfahrungs- und Problemzusammenhänge knüpfen. Gisela T. steht bezogen auf ihr Alter zwischen der 1929 geborenen Lieselotte Pulver und der Gruppe junger, spontan applaudierender Frauen. Im Verhältnis von individueller Bedürfnistypik und der Wahrnehmung einer als historisch kollektiv gegebenen Problematik, deutet sie ihre eigene Generationszeit als einen übersteigert reflexiv-kritischen Erfahrungsraum. Dieser habe zum Hindernis widerspruchsfreier Hingabe geführt. Dabei wird ihr spezifisches Verständnis der Emanzipationsnorm zur Bewährungsaufgabe, Autonomie auch im ‚Inneren‘ realisieren zu können. Für sie zeigt sich das als Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Hingabe und zugleich der Angst vor der Gefahr psychischer Selbstaufgabe. Sie reagiert darauf mit einer rationalen Strategie, der Beherrschung des Selbst in der Liebe durch die Emotion. Rainer K.s als generationsspezifisch wahrgenommene Herausforderung lässt sich ebenso als eine bestimmte Kontrolle des Sinnlichen bezeichnen. Ihm tritt dies jedoch stärker auf der Ebene der Sexualität gegenüber. Seine eigene Generation ende praktisch dort, wo die habituelle Praxis der neuen Jugend die eigenen kollektiven Problemstellungen als Anachronismus entlarvt zu haben scheint. Eine neue Zeit hat für ihn gleichsam aufgezeigt, wer zu der alten gehört. Das tritt jedoch nicht als Alterseffekt zum Vorschein, sondern über die Gelingenskriterien, die er an verschiedene historische Erfahrungsräume anlegt. In der Form, wie Rainer K. intime Interaktionen bei anderen Generationsangehörigen als authentisch interpretiert, fühlt er sich umgeben von der kollektiven Auflösung seines Generationsschicksals. ‚Seine‘ eigene Zeit jedoch, d. h. diejenige zwischen „Blumenkindern“ und „Technoszene“, habe sich im Anspruch nach unverfälschter Intimität mit theoretischen Konzepten verstrickt. b) Ebenfalls fallübergreifend zeigt sich das Unvermögen, in Strategieräume anderer Generationen vordringen zu können. Es wird vielmehr die Idee des Dazwischenfallens der eigenen Generation errichtet. Die eigene Generationszugehörigkeit wird von Rainer K. und Gisela T. damit als eine Art kollektive Misere betrachtet. c) Beide verbindet somit ein strukturähnliches Deutungsschema von Generationserfahrungen. Kristallisationspunkt der darauf bezogenen Interpretation ist eine als überzogen empfundene, kritisch-distanzierte Reflexion eigener Handlungs-
4.3 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,mittleren‘ Jahrgänge
187
praxis. In Bezug auf Geschlechterdifferenzen ähneln sich beide Fälle zudem in einer gewissen Angstkommunikation. Beide Befragten scheinen sich hier durch etwas bedroht zu fühlen. Rainer K. verbietet sich eigenes sexuelles Begehren, um mithilfe zwanghaft auferlegter Askese eigenen Bedürfnisregungen zu entgehen. Gisela T. hingegen verfolgt ein naturgegebenes Bild der Geschlechterdifferenz und fürchtet darin, grundsätzlich keinen Zugang zum, wie sie es auffasst, ‚geistigen‘ Prinzip von Männern herstellen zu können.
4.3.4
Vergleich der Fallrekonstruktionen der mittleren Jahrgänge
Mit Ausnahme des Falls Gisela T. sind alle Fälle der mittleren Jahrgänge infolge ihrer Einbettung in akademische Bildungszusammenhänge durch eine Milieunähe miteinander verbunden. Die sozialstrukturelle Ausgangslage der Befragten (akademisches Berufsmilieu bei Karla S., Rüdiger A. und Rainer K.) und berufliche Mittelschicht (Gisela T.), beruht auf dem in Abschnitt 3.1.4. dargelegten schwachen Milieuvergleich und trifft für das Sample der Studie insgesamt zu. Die Gemeinsamkeit dieser Fälle besteht aber auch darin, dass sich die Befragten a) zum Zeitpunkt der Befragung im Lebensalter der Lebensmitte befinden, wobei b) ihre Jugend und Adoleszenz in eine historisch-kulturelle Phase fällt, wo reflexive Selbstthematisierung bereits als Teil selbstaufklärerischer Diskurse über biografische Prägungen insgesamt normal geworden ist. Alle kokettieren in ihrer biografischen Kommunikation auch mit Sinnfragmenten des kritischen Jargons. Speziell die Narrationen von Karla S., Gisela T. und Rüdiger A. lassen eine Vertrautheit mit verwissenschaftlichten Selbsterfahrungsmilieus als Aspekt einer für die 70er und 80er Jahre typischen, psychologisiert-selbstreflexiven Subkultur erkennen. Bei diesen beiden Fällen gibt es auch vielfältige Hinweise auf diesbezügliche Gruppensozialisation: Geltungsansprüche werden in spezifischer Weise in Gruppenbezügen ausgehandelt und abgesichert, Einzelansprüche erscheinen erst dann valide, wenn sie sich im Wahrheitsdiskurs des Generationskollektivs bewähren. Vor dem Hintergrund der in Abschnitt 4.2.3 entwickelten Kategorien lässt sich – in Fortführung der Ergebnisdarstellung in den einzelnen Faziten der Fallstudien – Folgendes aufzeigen: Zum Kollektivbezug: Bei den beiden Kurzporträts zeigt sich, wie erwähnt, dass das selbstgedeutete Generationenschema vom verbindenden Motiv einer tragischen Idee des ‚Dazwischenfallens‘ der eigenen Generation beherrscht wird. Zwar gibt es klare Projektionen auf die Strategieräume anderer Generationen, zugleich aber auch die Überzeugung, daran selbst habituell nicht anknüpfen zu können. Mit der Abgrenzung der eigenen Generationszeit zum historischen Vorher und Nachher existiert damit ein gemeinsamer Fluchtpunkt der Selbstthematisierungen. Nun zeigt sich aber auch in allen biografischen Selbstthematisierungen der mittleren Jahrgänge, dass das konventionelle Normallebenslaufsregime nicht mehr als ‚äußere‘ Normierung bzw. Problemstellung in Liebe und Paarbeziehung adressiert wird, wie noch bei den Fällen der frühen Jahrgänge. Bei den weiblichen Befragten
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
dieser Jahrgänge taucht zudem das Ringen um eine eigenständige ökonomische Existenz nicht als Thema der Biografieerzählung auf. Auffallend ist jedoch, dass alle in der einen oder anderen Weise auf das Etikett 68er-Generation zu sprechen kommen. Es hat den Anschein, als bestünde ein Sog, gar eine innere Pflicht, sich zu den Maximen der 68er-Zeit in irgendeiner Weise zu positionieren. Insofern hat dieses Zeitlabel für die mittleren Jahrgänge einen besonderen indexikalen Stellenwert zur Überprüfung der eigenen Lebensführung. Es fungiert für sie als Zeitmarker, an dem sich abmessen lässt, zu wem man gehört oder nicht mehr gehört. Die Sorge vor einem entfremdeten Leben in der Liebe ist allerdings anders ausgeformt als bei den frühen Jahrgängen. Stärker wird nun der Verdacht zum Ausdruck gebracht, auch das innere Erleben könne von einer ‚falschen‘ Kultur vereinnahmt sein (vgl. eingehend Abschnitt 5.3.3). In Bezug auf Geschlechterzuschreibungen herrscht in allen vier Erzählungen hohe Kohäsion hinsichtlich der formalen Interpretation des Themas Geschlecht. Alle Befragten neigen dabei auffallend zur Intellektualisierung und Verwissenschaftlichung von Geschlechterdifferenzen: Zum einen wird trotz unterschiedlicher Nuancierung klar von der Vorstellung zweier charakterlicher „Geschlechtsklassen“ (Goffman 1994: 107) ausgegangen, zum anderen ringen alle vier Befragten in spezifischer Weise um für die Liebe tragfähige, praktische Arrangements in der Geschlechterbegegnung. Ob bei Karla S., die eine „Spannung“ zwischen Frauen und Männern bewahren will, im Fall Rüdiger A., wo Männer sich-selbst-zurücknehmend an der Richtschnur einer Gerechtigkeit in der Unterschiedlichkeit Maß zu nehmen haben, im Fall Gisela T. beim Finden der jeweiligen geschlechtlichen ‚Wahrnehmungsebene‘, oder ob im Fall Rainer K., der seine Bedürfnistypik in der eigenen Generation als abnorm erlebt. Das jeweilige Gendering in der Liebe verbindet die Fälle dabei in besonderer Weise. Es ist für alle Befragten in hohem Maße deutungs- und handlungsverpflichtend in Bezug auf Liebe in der Praxis. Im Zentrum steht durchgängig die Problematik, ein befriedigende Reziprozität anerkennender Liebe einlösen zu können, die Maß nehmen muss an ihrer auf sich selbst und auf den Anderen bezogenen Geschlechterdeutung. Am Beispiel Rüdiger A.: Die Selbstaufforderung, im Geschlechterverhältnis als Mann ‚korrekt‘ auftreten zu können, heißt für ihn praxisbezogen, sich etwas von der seiner Deutung zufolge „ichbezogenen, sozialen, emotionalen Komponente“ von Frauen abzuschauen. Für ihn konterkarieren diese Geschlechtsattribute den männlichen Geschlechtscharakter: „hochabstraktes Reden“, in der gegengeschlechtlichen Kommunikation „die Fäden in der Hand“ zu haben und nicht „von Gefühlen“ zu sprechen. Die traditionelle Geschlechterbegegnung wird von ihm als Missstand bewertet, wobei es Männern abverlangt sei, sich dessen bewusst zu werden und mit einer spezifischen Strategie darauf zu reagieren. Seine Lösung besteht darin, sich als Mann zurückzunehmen, sich etwas „zu recht gefallen[zu]lassen“. Rüdiger A. praktiziert damit genau eine solche Auslegung feministischer Ansprüche, die Karla S. verwirft. Was diese bei bestimmten Männern als „vorauseilenden Gehorsam“ und männliche Selbstverleugnung attestiert, stellt für Rüdiger A. hingegen eine ge-
4.3 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,mittleren‘ Jahrgänge
189
gebene, quasi naturtatsächliche, jedoch praktisch heilbare, Geschlechterasymmetrie dar. Daher verteidigt er die Zeitgeistfigur des „Softie“. Sie gilt für ihn in Bezug auf seine Patriarchatsdeutung bislang als „nicht widerlegt“ (vgl. oben).126 Für ihn verkörpert diese Figur nicht nur realisierte Sensibilität als Mann, sie ist für ihn vor allem Inbegriff bekennender Emotionalität als Humanitätsprinzip schlechthin. Karla S. hingegen wird sich nicht schlüssig darüber, ob die in ihrer Generationserfahrung teils „hart vertretene“ Abgrenzung gegenüber Männern seitens der Frauenbewegung zu „Irritationen“ der geschlechtlichen Selbstidentifikation geführt habe. Umgekehrt wird sie den vagen Verdacht nicht los, alternativ hätte sie in ihrem Leben etwas „natürlicher“ und „auf ne positive Art naiver … unkomplizierter … durchgezogen“. Sie kann diese Alternative aber nicht greifen, und überlässt es der „Spekulation“, ob sie „vielleicht abgebracht worden“ ist von einem Weg, den sie „vielleicht normalerweise gegangen“ wäre. Gisela T. ist mit einer ähnlichen Frage beschäftigt: Am Beispiel der Fernsehtalkrunde mit Lieselotte Pulver, die sie zum Anlass nimmt, sich in Bezug auf spontane Hingabe mit Frauen aus einer älteren wie auch jüngeren Generation zu solidarisieren, deutet sie die eigene Generationserfahrung als Hindernis für die affirmierte, „große Qualität“ verbürgende „bedingungslose Hingabe“. Der verbindende Kristallisationspunkt stellt eine bestimmte Interpretation des Emanzipationsgedankens dar. Gisela T. greift diesen Gedanken nicht (explizit) politisch auf, sondern in allgemeiner Weise als „kritischen Geist“ der Generation, der das Ideal der „bedingungslosen“ Hingabe aber auch verstellt habe. Karla S. und Gisela T. nehmen in ihrer Generationserfahrung damit trotz unterschiedlicher beruflicher Milieus eine strukturähnliche Ausformung feministischer Maxime vor. Beide bleiben letztlich aber skeptisch, ob diese Maxime einer ‚eigentlichen‘ Bedürfnisnatur im Wege standen. Rainer K. hingegen zieht die Geschlechterdifferenz zur kulturellen Absicherung seiner Selbstdiagnose als blockierte Geschlechtsnatur heran. Das eigene sexuelle Begehren findet zufolge seiner Generationstheorie keinen legitimen Anschluss. Er erlangt einen rationalisierten Erklärungsrahmen für seine individuellen Dispositionen, nimmt aber passiv die Verstricktheit in das eigene Generationsschicksal hin. Ausweg wird in einer anderen Geschlechterkultur gesucht. Die Vorstellung einer naturgegebenen Dichotomie von Geschlechtscharakteren gilt dabei in allen vier Fällen als verbindlich. 126
Dafür, sich am ‚Wesen‘ des weiblichen Geschlechts ein Beispiel zu nehmen, hatte bereits Herbert Marcuse (1970) mit der Formel ‚Feminisierung der Gesellschaft‘ geworben. Für Marcuse galt die Vorstellung einer moralischen Überlegenheit des Weiblichen mithin als letzter Ausweg aus seiner Vorstellung einer Kriegslogik des männlichen Geschlechtscharakters (vgl. Abschnitt 4.3). An einer Stelle kommt auch Rüdiger A. darauf zu sprechen: „Männer ham Krieg gemacht. Und Gewalt ist zunächst erstmal eine ganz klare männliche Komponente. Es ist so. Die warn immer für mich da, die persönliche und die staatliche, gesellschaftliche Ebene, aber auch die Gewaltstrukturen, die du auslebst gegenüber anderen. Und die abzulehnen, daraus resultiert alles andere“.
190
4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Mit diesen Ausführungen wird deutlich, dass bei den mittleren Jahrgängen die Geschlechterzuschreibungen unmittelbar mit der zentralen Problemdeutung in der Liebe zusammenfallen. Daraus resultiert das damit eng verwobene Authentizitätsideal der Liebe: Was ist an mir im ‚Inneren‘ als Frau/als Mann an Emotionalität ‚authentisch‘, und wenn ich dies herausgefunden habe, wie finde ich dafür mit dem jeweils anderen Geschlecht eine gemeinsame Verständigungsgrundlage? Die Handlungsstrategie zeigt sich in diesen Fällen in der Beherrschung eines bestimmten Musters affektivreflexiver Selbstkontrolle in einer generationstypischen Färbung. Als gemeinsame Strukturregel kann somit eine generationstypisch ausgeformte Risikokommunikation in Bezug auf romantische Liebe belegt werden. Alle vier Befragten verfolgen in je spezifischer Färbung psychologisierte Interpretationen nicht nur in Bezug auf die eigene Biografie generell, sondern auch hinsichtlich der Möglichkeiten der Hingabe in der Liebe und des Gelingens von Liebesbeziehungen. Karla S. rechnet zu den Determinanten ihrer persönlichen Entwicklung das ‚Unkontrollierbare‘ in Kindheit und Jugend („Strukturen hinterherlaufen“) sowie ihre universitäre Sozialisation. Sie bleibt beherrscht von der Angst, von falschen Glücksphantasien vereinnahmt zu sein: „Errettender Schimmelreiter“ als „Einschnitt-Typen“ werden zum Synonym missgünstiger Bewusstseinsprägung. Dem Praxis-Modell der Eltern als ‚Falle‘ der Normalbiografie entgeht sie durch Verweigerung, den Verpflichtungen gegenüber der Frauenbewegung durch Umdeutung. Die Rationalisierung des Selbst in der Liebe ist bei Karla S. in der Angst angelegt, dieses Selbst zu verlieren, ihr kritischer Geist setzt (ähnlich wie Gisela T.) Hingabe mit Abhängigkeit gleich. Vor allem in den Fällen Karla S. und Rüdiger A. wird auch eine generationsspezifische Auseinandersetzung mit Produkten moderner Massenmedien sichtbar – in diesem Fall Literatur und Film. Bei Karla S. zeichnet dabei eventuell der Versuch, als gereifter ‚Kulturmensch‘ den eigenen, kleinbürgerlichen Hintergrund überwunden zu haben. Bei Rüdiger A. ist es das zeittypische Motiv, dass eine 68er-geprägte Lehrergeneration in der Sexualaufklärung das Medium Film einsetzt, wo nun, wie er formuliert, das vorher Unsichtbare „offen benannt“, eben unverklärt sichtbar wird. Die Risikokommunikation in der Liebe besteht bei Gisela T. in der Vorstellung einer Gefahr psychischer Selbstaufgabe durch ‚kritiklose‘ Hingabe und im wahrgenommenen Problem, grundsätzlich keinen Zugang zum „geistigen“ Prinzip von Männern herstellen zu können. Bei Rainer K. im Verstricktsein in einem psychologisierten Bild sexueller Bedürfnisnatur als Mann, und der Furcht, hierdurch seien praktische (Bindungs-)Anschlüsse erschwert bzw. verwehrt. Er kann nur unter Mühen bzw. gar nicht aus der Haut der eigenen Generation heraustreten, und verharrt in der Problemdeutung einer blockierten Sexualität.127 Der Gewinn der Hinzu127
In den Untersuchungen von Michael Meusers (1998a) Studie zum männlichen „Geschlechtshabitus“ spiegelt sich Ähnliches wider: Vor dem Hintergrund tiefer Verunsicherung bestimmter ‚männerbewegter‘ Kreise dieser Generation führe die Suche nach der ersehnten „ostentativ körperlichen Virilität“ (ebd.: 121) zur biografisch paradoxen Vorstellung, den eigenen Geschlechtshabitus praktisch ‚umbauen‘ zu müssen.
4.4 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,späten‘ Jahrgänge
191
nahme der zwei Kurzporträts liegt damit darin, dass hierbei bestimmte Topoi der Selbstthematisierung in der Liebe aus den ausführlicheren Falldarstellungen pointiert, ergänzt und auf variierenden Feldern ausgetragen werden.
4.4
Rahmenpunkte privater Lebensführung der ‚späten‘ Jahrgänge
Institutionelle Ebene: Ab etwa Mitte der 60er bis Ende der 70er Jahre Geborene sind bereits Kinder der frühen Generation und des älteren Teils der mittleren Generation dieser Untersuchung und ihre Jugend- und Adoleszenzphase fällt vorwiegend in die 80er Jahre. Dadurch sind bei diesen Jahrgängen, im Gegensatz autoritärerer Erziehungsmuster noch bei ihren Eltern, bereits zugunsten liberalerer Stile aufgeweicht. Bei den Eltern ist vorauszusetzen, dass sie mehr oder minder mit progressiven Erziehungs- und Lebensstilen infolge der politischen und kulturellen Umwälzungen seit den späten 60er Jahren konfrontiert wurden, oder es hat zumindest Eingang in den allgemeinen Wissensbestand gefunden. Die Verlängerung der Ausbildungsdauer hat sich bei den späten Jahrgängen bei beiden Geschlechtern angeglichen; Lebensund Erwerbsverläufe von Frauen sind denen von Männern ähnlicher geworden (vgl. Peuckert 2004). Diesen Jahrgängen sind aber auch die Unsicherheiten der Arbeitsmarktsituation im Zeitalter der Globalisierung bereits selbstverständlich, die Krise wohlfahrtsstaatlicher Systeme ist für sie ‚normal‘.128 Der Anspruch auf Selbständigkeit in der Lebensführung, in der Sexualität und bei der Ausgestaltung von Paarbeziehungen verschiebt sich bei diesen Jahrgängen in ein immer jüngeres Alter (vgl. Shell-Studien). Eine vergemeinschaftende Erfahrung beim Wissenserwerb über Intimität stellt, insbesondere bei der Gestaltung sexueller Beziehungen, das hinzugetretene Thema des Aids-Risikos dar (vgl. Gerhards/ Schmidt 1992 u. Tilman 1993). Die Einübung des Gebrauchs von Kondomen gehört beim älteren Teil dieser Generationslagerung allmählich zu den Standards schulischer Aufklärung. Vermutlich hat die Debatte um die Gefahren des Aids-Virus die Sexualaufklärung ohnehin stark entmythologisiert. Sexualität ist nunmehr immer von der Gefahr behaftet, im ungünstigsten Fall eine bis in die Gegenwart irreversible, zum Tode führende Infektion zu riskieren. Kulturelle Ebene: Objektiv verfügen diese Jahrgänge aufgrund ihres niedrigeren Lebensalters über die wenigsten Anknüpfungspunkte, sich gegen Generationsstile abzugrenzen, die auf sie folgen. Ihre Lebensorientierungen haben im Vergleich noch wenig Geschichtlichkeit angenommen und die Ablösung von ‚neuen Jugenden‘ ist hier noch im Prozess. Ein Begriff der Älteren ist viel deutlicher vor Augen: So ist das Schlagwort ‚sexuelle Revolution‘ für diese Geburtsjahrgänge bereits ein 128
Vgl. das Konzept der „authentischen Generation“ in Opposition zur „verunsicherten Generation“ der Jahrgänge um 1970 bei Ralf Bohnsack (1988). In dieser Studie wurde die Herausbildung von Generationsgestalten an Partizipationschancen im Bildungs- und Berufssystem sowie an der Deutung eigener biografischer Zukunftsmuster entwickelt.
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Klischee aus der Erfahrungswelt der eigenen Eltern. Es wird häufig als Dokument aus einer Zeit sozialer Experimente betrachtet, welches für die eigene Lebenspraxis jedoch keine sinnstiftende Erfahrungsgrundlage mehr leistet. Vor allem taugt der Umgang mit Sexualität kaum noch als Austragungsort gesellschaftlicher Tabubrüche. Anders als den frühen ist den späten Jahrgängen aber das Denken in Generationsbezügen sowie ein zwangloser Umgang mit der Vielfalt medialer Leitbilder bereits vertraut und geläufig. Dies drückt sich nicht nur in der Betriebsamkeit aus, literarische Erzeugnisse – zumeist aus dem populärwissenschaftlichen und belletristischen Sektor – zu zitieren, sondern auch an der dadurch sichtbaren Behändigkeit, zeitgeschichtliche Etikette zur Selbst- und Fremdidentifikation heranzuziehen.129 Geschlechtersemantik: Das Gleichheitsideal der Geschlechter ist den Angehörigen dieser Geburtsjahrgänge im Vergleich zu den anderen Jahrgangsgruppen des Samples am vertrautesten, ganz unabhängig von der individuellen Bewertung und Praxis. Zudem rücken bei dieser Jahrgangsgruppe berufliche Karriereaspirationen beider Geschlechter am stärksten in den Mittelpunkt von Aushandlungen im Paar. Generell zwingt dies Paare, die am Gleichheitsideal orientiert sind, zur Errichtung einer Reziprozitätsökonomie, die sich auch abseits des geschlechter-asymmetrierenden, traditionellen Liebesmusters definieren kann bzw. bei Beibehaltung zu neuen Legitimationen aufgerufen ist (Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer/Schneider/Wimbauer 2004, Wimbauer 2003 u. 2005, Hirseland/Herma/Schneider 2005; vgl. hierzu Kapitel 6.).130 Gleichwohl wachsen diese Jahrgänge, insbesondere die Generationseinheit der Akademiker/innen, bereits mit dekonstruktivistischen Ansätzen in der Geschlechtertheorie auf. Sie haben unter Umständen Kenntnisse über Queer-Theorien oder unter anderem über neuere Transgender-Diskurse. Auch homosexuelles Lieben verliert schrittweise seinen bisherigen Nimbus als ‚Abnormität‘. In der Auslegung der Geschlechterkategorie existieren damit bereits andere kollektiv-erfahrungsförmige Sattelpunkte der Wissensschichtung über das Verhält-
129
Exemplarisch etwa die kommerziell erfolgreichen Beispiele ‚Generation Golf‘ (Illies 2001, geboren 1971) und ‚Generation Ally‘ (Kullmann 2002, geboren 1970). Katja Kullmann lässt sich gewissermaßen als weibliches Pendant der ‚Generation Golf‘ lesen, die sich über den Altfeminismus der 68er-Eltern lustig macht, den Befindlichkeitskult der „78er“ (Mohr 1992) als irrelevant erklärt, sich selbst in einem narzissmusbetonten, erlebnisorientierten Duktus der Selbstthematisierung als Frau der Jahrgänge zwischen 1965 und 1975 stilisiert, und sich dabei immer dem Privileg durchgesetzter Frauenrechte als bewusst gibt. Eine vorwiegend ironische Selbstinszenierung fällt dabei als verbindendes Generationsmoment auf (vgl. Corsten 2001b; Herma 2001, 2003). 130 Lena Schürmann (2005) zeigt am Beispiel der Verteilung von Haushaltsarbeiten bei gleichgeschlechtlichen Paaren auf, dass durch den Wegfall der Normen des traditionellen Geschlechtervertrags keineswegs zwangsläufig Ungleichheitsordnungen verschwinden. Arbeitsteilung und Ungleichheit werden hier aber stärker durch paarinterne Anerkennungsstrukturen (vgl. Wimbauer 2005, Wimbauer/Henninger/Gottwald 2007) reguliert.
4.4 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,späten‘ Jahrgänge
193
nis von Geschlecht und Liebe als bei den frühen, aber auch den mittleren Jahrgängen.131 Allgemeine Generationsdebatte und Abschlusseinschätzung: In der soziologischen Generationsdebatte liegen zu den Jahrgängen ab etwa Mitte der 60er Jahre bis Ende der 70er Jahre mittlerweile zahlreiche Arbeiten und Kommentare vor. Populär ist es geworden, von der ‚89er‘-Generation zu sprechen. Im Anschluss an eine Begriffsschöpfung von Ulrich Greiner (1994) ist dieses Etikett zuerst von Claus Leggewie (1995) den Geburtsjahrgängen etwa 1970–1980 als jugendlichen Zeitzeugen der politischen Wende zugewiesen worden. Die Frage, ob diese Jahrgangsgruppe ohne weiteres als gesamtdeutsche Generationslagerung bezeichnet werden kann, ist gerade in Bezug auf die persönlichen Nahbeziehungen behutsam zu bewerten. Sinnsetzungen in Liebes-, Paar- und Familienbeziehungen hängen hier noch erheblich von den kulturellen Rahmungen beider deutscher Gesellschaften ab. Insbesondere wurden dadurch unterschiedliche Individualitätssemantiken hervorgebracht – darauf wurde bereits in Abschnitt 3.1.2 ausführlich eingegangen. Da der wissenssoziologische Generationsbegriff nicht über Einstellungsmuster und Daten objektiver Lebensführung aufgelöst werden kann, sondern primär auf die innere Struktur sozialer Zurechnungen zielt, ist zu vermuten, dass die Hintergrundsüberzeugungen der Jahrgänge ab etwa Mitte der 60er Jahre in Bezug auf Privatheit noch erheblich differie131
Hilge Landweer (1996) verdeutlicht dies am Beispiel generationsspezifischer Hintergrundsüberzeugungen innerhalb der Frauenbewegung. So bezeichnet sie die Selbstverständlichkeit, das Geschlechterverhältnis im Lichte der Sex/Gender-Debatte zu diskutieren, als „eine philosophische Position, die in den 70er und auch noch in der ersten Hälfte der 80er Jahre unter das Verdikt „idealistisch“ gefallen und deshalb kaum zur Kenntnis genommen worden wäre. Dass sie heute fester Bestandteil feministischer Theoriedebatten ist, sehe ich nicht als Ausdruck beliebiger Theoriekonjunkturen an, sondern als ein Ergebnis historischer Erfahrungen mit anderen Theorietypen einerseits, und von Orientierungsbedürfnissen andererseits, die nicht nur, aber auch als generationsspezifische zu interpretieren sind“ (ebd.: 1996: 88; vgl. auch Landweer 1994, Stoehr 1994). In Bezug auf die feministische Frauenforschung unterteilt Landweer dazu spezifische Jahrgangslagerungen: Die vor 1948/49 Geborenen zählt sie zu einer ersten, die zwischen 1949 und 1959 Geborenen zu einer zweiten, schließlich die Geburtsjahrgänge ab 1959 zu einer dritten Generation. Konstitutiv für die erste Generation sei die theoretische Orientierung an marxistischen und psychoanalytischen Gesellschaftsinterpretationen durch die Partizipation an der antiautoritären Studentenbewegung. Hieraus resultiere die politische Interpretation der privaten Beziehungen zu Männern und die rebellierende Haltung gegen das als sexuell repressiv erlebte Nachkriegsdeutschland. Die zweite Generation sei gekennzeichnet durch Zweifel an gesellschaftstheoretischen Totalitätsansprüchen und einem wachsenden Interesse an poststrukturalistischen Positionen. Die dritte Generation wüchse unmittelbar in feministische Ideen hinein. Die heutigen Studierenden kämen mit dem Feminismus „als einem Aspekt möglicher Orientierung in Berührung“ (ebd.: 128): „Erst in dem u. a. durch die Frauenbewegung bereiteten Boden für die Umstrukturierung von Geschlechterbeziehungen kann die Utopie einer Welt, in der es keine oder sehr viele Geschlechter gibt, eine sein, die Anlass für Theoretisierung gibt“ (ebd.: 130).
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
ren. So gilt für den ostdeutschen Teil dieser Jahrgänge beispielsweise, dass bei kollektiven Jugenderfahrungen nicht in dem Maße alternative biografische Deutungshorizonte kulturell herausgebildet wurden und legitim waren, wie zu diesem Zeitpunkt umgekehrt in Westdeutschland. Die Individualitätssemantik war in der DDR damit schwächer ausgeprägt. Das Generationsetikett ‚89er‘ ist insofern in erster Linie als Bestandsaufnahme der Situation des westdeutschen Teils dieser Jahrgänge zu lesen. So auch bei Leggewie (1995), der diese Kinder der 68er-Generation in ein klar bejahendes Licht rückt, da sie die rebellische Haltung der Eltern wie auch die Innerlichkeit der mittleren Jahrgänge überwunden hätten, und in einem auffallend positiven Verhältnis zur Welt stünden. Trotz der hohen Aufmerksamkeit, die diesen Jahrgängen hinsichtlich ihrer politischen Werthaltungen zuteil wurde, existieren in Bezug auf die Liebesdeutungen eher verstreute Befunde (beispielsweise Shellstudien; systematisch generationsvergleichend: Schmidt/Starke/Matthiesen/Dekker/Starke 2003, vgl. Abschnitt 1.8). Legt man die vorwiegend essayistischen und popliteratischen Selbstdarstellungen dieser Jahrgänge zugrunde, werden revolutionärer Gestus sowie die Innerlichkeit der Jahrgänge zuvor als Negativbild stilisiert und explizite politische Kategorien als Maßstab individuellen Handelns abgewertet (vgl. Herma 2001). Gerade aufgrund dieser Haltung ist diesen Jahrgängen in der Generationsdebatte der Anstrich einer privatistisch, neokonservativ, wenn nicht gar retraditionalistisch eingestellten Generation verliehen worden (vgl. Abschnitt 5.4.3). Nachdem die Adoleszenzphase dieser Jahrgänge somit in eine historische Phase der Bundesrepublik fällt, in der das Emanzipationsideal der Frauen, aber auch die Partnerschaftsidee sowie die Diskussion des Problems der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bereits normal geworden sind, oder allmählich werden, könnte nun vermutet werden, dass sich die oben für die mittleren Jahrgänge rekonstruierten, zentralen Problemdeutungen in der Liebe einfach erhalten. Die Materialarbeit ergab jedoch ein anderes Bild. Mit den folgenden drei Fallstudien aus den späten Jahrgängen (‚Bastian L.‘, ‚Carola M‘, ‚Judith P.‘) wird dies dargelegt:
4.4.1
Bastian L.: Liebe und Entscheidungsrationalität
Bastian L. ist 1975 in K-Stadt geboren und lebt zum Zeitpunkt des Interviews 2002 seit vier Jahren in E-Stadt, um dort ein Medizinstudium zu absolvieren. Seine Mutter ist 1953 geboren und von Beruf Ökotrophologin, der 1945 geborene Vater Stadtrat. Bastian L. hat zwei jüngere Geschwister. Seine Freundin Janine V. kennt er bereits aus Schulzeiten. Schon als Vierzehnjährige kommen die beiden für die Dauer eines halben Jahres als Paar zusammen. Nach einer längeren Unterbrechung führen sie zum Interviewzeitpunkt wiederum seit sieben Jahren eine Paarbeziehung. Das zweieinhalbstündige Interview mit Bastian L. findet in der Wohnung des Befragten statt. Die Befragung ist Teil der zweiten Erhebungswelle, das Interview beginnt daher mit einer modifizierten Eingangsfrage (vgl. Abschnitt 3.1.6).
4.4 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,späten‘ Jahrgänge
a)
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Liebe und Entscheidungsprinzip I: Ja, ich frage am Anfang, ob Du schon mal die Erfahrung gemacht hast, Dich in der Liebe getäuscht zu haben? B.L.: Ich habe mich in der Liebe, glaub ich noch nie getäuscht. Das mag jetz ein bisschen überheblich klingen. Ich weiss es aber nich, vielleicht hab ich mich, ich weiss nich. Man weiss ja meistens, wenn man sich täuscht, nicht selbst ob man getäuscht wird oder nich. Das weiss man dann immer nur ex post, aber bisher (3) kommt es mir so vor, als ob ich mich in den, zumindest wesentlichen Entscheidungen da äh, nich getäuscht hätte.
Im ersten Satz verneint Bastian L. zunächst die Eingangsfrage. Er relativiert seine Ersteinschätzung damit, eine endgültige Antwort nicht zu wissen, sondern lediglich glauben zu können. Es besteht für ihn gemäß dieser Logik daher auch die Möglichkeit, sich in der Liebe bereits getäuscht zu haben, dies jedoch gar nicht zu wissen. Er fügt abschließend hinzu, dies betreffe die „zumindest wesentlichen Entscheidungen“. Sucht man gedankenexperimentell nach Alternativen, auf die Frage nach dem Sich-Täuschen in der Liebe einzusteigen, hätte der Befragte beispielsweise von gehegten, aber enttäuschten Hoffnungen erzählen können. Mit Bezug auf die „wesentlichen Entscheidungen“ wählt er jedoch eine spezifische Dimension der Wertzurechnung in der Liebe: die Entscheidungsrationalität. Streng gesehen ist es kaum möglich, sich in Entscheidungen zu täuschen, denn um dies zu überprüfen, sind falsch/richtig oder auch erfolgreich/erfolglos-Oppositionen notwendig. Aus dieser Perspektive könnte man allenfalls durch Erfahrungen im Nachhinein über eine falsch getroffene Wahl belehrt werden. Vermerkt werden kann, dass sich Bastian L. in der Liebe an einer Art Entscheidungstheorie orientiert. Er verfolgt offenkundig ein Bild der Liebe, worin diese als konkret-praktisch gestaltbares Handlungsprojekt nach messbaren Erfolgskriterien auftaucht. Aus dieser Perspektive scheint es für ihn – bislang noch unbestimmte – Aspekte an der Liebe zu geben, die es für ihn plausibel machen, sich für eine bestimmte Wahl zu entscheiden oder gar entscheiden zu müssen. Ein solches Denkmodell widerspricht zunächst jenem konventionellen Liebescode, in dem quasi eine Eigenlogik innerer Emotionen und Stimmungen herrscht. Bastian L. wählt jedoch von vorneherein einen rationalistischeren Weg: In seiner Deutung von Täuschungen in der Liebe geht es nicht um Gewissheiten in der Welt der Emotionen, es geht um Urteile über die Qualität getroffener Entscheidungen. Die folgenden Passagen erlauben es, diese Lesart auszubauen: I: Also nach welchen Kriterien sozusagen würdest du sagen B.L.: Na gut, das is natürlich dann schwierig. Da muss man erst mal fragen, was heißt für mich Liebe. Also ich hab mich schon öfters mal in Leute verliebt so n bisschen, oder die irgendwie hübsch gefunden oder sexy oder attraktiv, wo ich dann hinterher dachte, wie konnte ich nur diesen Menschen irgendwie attraktiv finden. Wenn das Liebe ist, dann habe ich mich schon oft getäuscht. Aber das is ja sozusagen nich so wichtig für die Lebensentscheidungen. Und ansonsten, was jetzt so richtig Liebe in der Definition wie ich das so verwende, ähm, da hab ich mich glaub ich noch selten getäuscht, weil ich zum Beispiel selten solche
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lange Beziehungen gehabt habe. Und mit meiner jetzigen Freundin bin ich ja schon sehr lange zusammen, also für meine Verhältnisse sozusagen, seit sieben Jahren. Und die Beziehung kommt mir so vor, als, also ich liebe die Janine und sie mich, glaube ich, hoffe ich auch und äh, bisher kommt s mir so vor, als ob ich mich da nich getäuscht hätte. Also als ob wir noch lange zusammen sein werden. Und uns noch lange lieben werden. Das is ja zusammen sein und lieben nich das gleiche. Aber äh, bisher und davor, gut, das war so Kinderkram (lacht), also meine davor seienden Beziehungen, die waren entweder, ähm, auf Sexualität ausgerichtet oder auf so komische kurzzeitige Beziehungen, das war nich Liebe, wie ich sie jetzt erfahre oder wie ich sie in dieser Beziehung habe. Insofern, äh, ja hab ich mich in dieser Hinsicht nur einmal entscheiden und dieses ein Mal war bisher keine Enttäuschung und deswegen glaube ich hab ich mich da noch nich getäuscht.
Bastian L. unterscheidet zwischen täuschungsanfälligem Sich-Verlieben-Können und dem Faktischen in seinem Leben, d. h. seiner siebenjährigen Paarbeziehung. Deren Bestand bürgt für ihn somit aus sich heraus zur Benennung eines Kriteriums für eine dauerhafte Liebe. Als Langzeiterfolg erweist sie sich für ihn als Selbstwert mit hoher Evidenz und zugleich als Gradmesser des Nicht-Täuschens. Dem Interviewer ist hier jedoch noch etwas unklar: I: Also Du hast gesagt, bei der Frage, ob man sich in der Liebe getäuscht habe, müsse man erst mal eine Definition von Liebe besser klären, so hast Du Dich ausgedrückt. Wenn du vielleicht einfach dazu sagst, wie du selber das verwendest? B.L.: Ja das is (2) sehr gute Frage, weil das is natürlich n Punkt, wo ich mir auch schon oft Gedanken gemacht hab. Aber das finde ich ein großer Unterschied zwischen dem was man da so am Biertisch in der Kneipe dann immer für Definitionen bringt. Das is da mehr so n austesten, was, was kommt da dann für ne Gegenwehr, oder kommt man damit in der Diskussion durch mit so ner Arbeitsdefinition. Ich such schon lange da nach ner richtig passenden guten adäquaten Definition. Ich hab lange Zeit immer versucht zu sagen, Liebe is ne Frage von Entscheidung. Und zwar die Entscheidung ob ich äh Vertrauen in diese Person haben will, äh ob ich mit dieser Person mir vorstellen kann mein Leben zu verbringen. Und ich glaube auch jetzt noch, dass da einfach eine Entscheidung ne ganz große Rolle spielt. Weil ich hab mich einmal für die Janine entschieden und irgendwie is diese Entscheidung jetzt bei mir so fest, dass ich die gar nich groß in Frage stelle. Ich mach mir jetzt nich da die ganze Zeit, wenn ich mal da eine sexy Frau auf der Straße rumlaufen sehen, den Kopf, ob ich vielleicht meine Beziehung mit der Janine beenden soll. Also da spar ich mir viel Zeit, da spar ich mir viel Gehirnkapazität, da spar ich mir viele Probleme wahrscheinlich auch. Deswegen is Liebe eben für mich so was wie Entscheidung plus ähm, dieses Gefühl von irgendwie zu Hause sein, von Ruhe, von kein Stress, man kennt sich schon, man hat schon so viel Geschichte zusammen. Geschichte haben is ganz wichtig. Ich finde viele Leute sexy und ph, wenn ich s machen würde, würde ich wahrscheinlich auch Spaß haben, aber das sind sicher nich nur, also keine hinreichenden Bedingungen für Liebe. Und das geht glaub ich nur mit so nem ration, die Leute in der Kneipe, die motzen dann immer rum, ja das sei total rational und das hat ja mit Liebe nix zu tun, aber das hat glaub ich tatsächlich was mit Liebe zu tun.
Bastian L. ist auf der Suche nach einer „richtig passenden guten adäquaten Definition“ der Liebe. Weshalb ist dies für ihn wichtig? Einen Hinweis darauf liefert seine Erläuterung, sich auf der Grundlage von Entscheidungen in der Liebe um etwas noch Unbestimmtes keinen „Kopf“ mehr machen zu müssen. Vielmehr würden so
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„Zeit … Gehirnkapazität … Probleme“ gespart. Zufolge seiner Ausführung geht es dabei um die Vermeidung potenziell „Probleme“ stiftender Handlungsambivalenzen in einer Welt, in der neben der realen Partnerin eben auch andere (als Synonym für alternative Wahloptionen stehende) „sexy Frauen“ da sind. Insofern auch die Wahl bzw. die Entscheidung für jene anderen potenziell „richtig“, „passend“, „gut“ und „adäquat“ sein könnte, zeigt sich für ihn das Entscheidungsprinzip als bevorzugte Lösungsstrategie im Feld ständiger Anfechtungen des Alltags. Dieses Prinzip favorisiert er als Modus zur Herstellung von Ordnung in der Welt der Liebe. Von daher verweist der Selbstwert, „schon so viel Geschichte zusammen“ zu haben, nicht nur auf das Ideal einer langandauernden Zweierbeziehung. Er weist vor allem auf die Gewissheit eindeutiger Regeln hin: Der Lebensentwurf in der Liebe muss nicht ständig neu entworfen oder abgewogen werden, er trägt sich gewissermaßen pfadabhängig allein fort und immunisiert zugleich gegen alternative Begehrlichkeiten. Im Anschluss positioniert sich Bastian L. mit dieser Haltung im Feld der Gleichaltrigen, wo er mit seiner Auslegung der Liebe auf Widerspruch stößt: b)
Das Problem der Generationskonformität I: Wenn ich dich jetzt richtig verstanden habe, scheint es oder machst du die Erfahrung, dass in deinem Alter eine so langjährige Beziehung irgendwie ein Sonderfall zu sein scheint oder auf Verwunderung stößt. B.L.: Meistens mit Staunen und mit also, eher positiven Reaktionen. Also die meisten wundern sich da so und ah toll, wie macht ihr das und so. Aber irgendwie komme ich mir eben nich repräsentativ für meine Generation vor in dieser Hinsicht, jetzt mal in quantitativen statistischen Sinne. Aber ich hab da natürlich keine Daten, keine Ahnung. I: Ich hab das jetzt so verstanden, als müsstest du öfters mal nach außen legitimieren, warum man auch eine siebenjährige Beziehung als 25-Jähriger haben kann. B.L.: Na ich selber muss mir das so vor mir selber so n bisschen legitimieren, weil ich ja wirklich kein Spießer sein will. Und wirklich irgendwie auch offen und modern und so und das kommt es mir dann eben nich so richtig offen und modern vor, äh, aber ich will es eigentlich so. Also ich kenn so jetzt in meinem Freundeskreis drei Typen von Leuten, bezüglich Beziehung und Liebe. Die einen sind so wie ich, das sind aber sehr wenige, die dann eben halt lange und so. Und die anderen sind die, die da ganz wenig Erfahrungen haben. Da gibt s ja auch viele, die sind dann 25 und hatten noch nie ne Freundin oder noch nie Sex oder irgend so was. Für die is das dann sowieso immer, oh toll, weil das alles alte Freunde und da reden wir dann halt drüber wenn s Probleme gibt. Für die is das so selbstverständlich, der Bastian und die Janine das is halt so ne Institution, die sind ja schon immer zusammen und werden immer und so. Und dann gibt s die, die viele Beziehungen haben. Mal kürzere, mal längere oder mal so, mal so, so wie äh, ich mir irgendwie das moderne Bild eines 25-Jährigen im 21. Jahrhundert vorstelle. Der trennt Sexualität und Beziehung, der trennt Sexualität und Liebe, äh, der hat manchmal keine Freundin, manchmal hat er eine, manchmal hat er zwei oder was weiß ich, äh, so, diese Sachen. Vielleicht würde ich das sogar viel lieber machen, woher soll ich s denn wissen. Ich hab s ja, ich hab mich sozusagen für diese Variante entschieden, bin damit sehr glücklich, hab deswegen kein Grund diese äh, das aufzugeben, aber einen Vergleich habe ich dann nich wirklich.
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Im Bemühen, sein individuelles Beziehungsarrangement zu legitimieren, hegt Bastian L. den Selbstverdacht, mit seiner langjährigen Paarbeziehung nicht generationskonform zu sein. Dazu setzt er den eigenen Beziehungsentwurf in ein Verhältnis zu aus seiner Sicht geltenden Gegenwartsleitbildern und zeichnet „das moderne Bild eines 25Jährigen im 21. Jahrhundert“ mit den Attributen „offen“, experimentell und tendenziell hedonistisch. Auch indem er „drei Typen von Leuten“ seines Freundeskreis skizziert, umreißt er das gemäß seiner Wahrnehmung charakteristische Handlungsspektrum von Personen seines unmittelbaren Umfeldes und sucht die Auseinandersetzung mit seinen Lebensrezepten im Kollektiv. In diesem Spektrum gehört er aber weder den Unerfahrenen noch den Beziehungsvirtuosen an. Vielmehr fühlt er sich durch die Bewunderung der Anderen (allerdings der ‚Beziehungsunerfahrenen‘) in seiner Praxis – d. h. mit der in seinem Milieu vergleichslos langjährigen Paarbeziehung – gestützt. Vor diesem Hintergrund erscheint ihm sein individueller Handlungsentwurf legitimationsfähig. B.L.: Also angenommen, ich hätte jetzt keine Beziehung mit der Janine, das wäre für mich wahrscheinlich ein Desaster. Dann müsste ich irgendwie, ich wollte dann eine neue Beziehung haben und müsste jetzt irgendwie dann in die Disko gehen und jetzt da so mir ein Rippenshirt anziehen und mich da locker übers Geländer lehnen oder (lacht) was. Das is ja ne unglaubliche Ressourcenverschwendung. Ich bin da echt froh, dass ich da diese Probleme nich hab. Ich bin sehr froh, dass ich mit der Janine zusammen bin und mir das ersparen kann.
Bastian L. sieht ein unattraktives Unterfangen („Ressourcenverschwendung“) darin, sich der Optionalität des Beziehungsmarktes auszusetzen. Es würde eine permanente Informiertheit über die jeweils herrschenden Codes (zum Beispiel sich mit „Rippenshirts“ bekleiden) abfordern, die ihm überdies zirkushaft erscheinen. Er gibt sich erleichtert darüber, dass dies für ihn geklärt ist. Dennoch lässt ihn der Selbstverdacht der Nonkonformität innerhalb des Generationskollektivs nicht zur Ruhe kommen: B.L.: Aber, also ich, erstens mal interessiere ich mich für das was, ich will wissen, warum ich so bin wie ich bin, warum ich so handle wie ich handle und das finde ich komisch, wenn äh, ein Typ, der erst 25 Jahre alt ist schon seit sieben Jahren die gleiche Freundin hat, das is irgendwie komisch. In meinen sind die meisten Fälle, sind anders. Also da is doch klar, das ich mir dann darüber Gedanken machen muss, bin ich irgendwie total (lacht) komisch oder anders wie die anderen oder so und da interessiert s mich.
Worin besteht für Bastian L. in dieser identitätstheoretisch aufschlussreichen Passage das ‚Komische‘ in seinem Selbstentwurf in der Liebe? Es scheint das Unbehagen an der eigenen Identität, an dem, was er an sich als das wahrnimmt, was er ist („wie ich bin“) und wie er handelt („wie ich handle“). Dabei weist die Frage nach dem ‚warum‘ auf die Nicht-Selbstverständlichkeit der selbst zugeschriebenen Identität. Das macht sie „komisch“ – eben erklärungsbedürftig. Was ist nun im Besonderen das Erklärungsbedürftige? Es scheint gewissermaßen die mit der sieben Jahre andauernden Beziehung angedeutete Alternativlosigkeit des Partners. Für Bastian L. ist also ein Handlungsrahmen selbstverständlich, der eine unbestimmte Zahl von Alternativen in der Liebe nicht nur erlaubt, sondern auch als konkrete Erfahrung (z. B. die Beziehungsleitbilder seiner Freunde) faktisch enthält. Vor diesem Hintergrund
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erscheint ihm das Alternativlose seiner Beziehung defizitär. Man könnte paraphrasieren, wer im Alltag, von dem es ‚Nichts ist unmöglich‘ heißt, Gelegenheiten verstreichen lässt und im sicheren Hafen der Langzeitbeziehung bleibt, erregt den Verdacht, ‚uncool‘ zu sein. Gegen diesen Selbstverdacht, ein ‚Spießer zu sein‘ stellt Bastian L. nun ein Entscheidungsmodell in der Liebe, mit dem er das ‚Komische‘ in seinem Selbstentwurf los wird. Wie sehr ihn diese Frage bewegt, zeigt einerseits seine nachhaltige Suche nach Widerspruchsfreiheit in der eigenen Biografie, zum anderen die Bedeutung der dafür als Ratifizierungsinstanz herangezogenen Anderen: Sie werden hinsichtlich richtiger oder falscher Praxis-Lösungen in der gemeinsamen Generationserfahrung als Wissensexperten konsultiert. Abschließend kommt Bastian L. auch auf intergenerationelle Differenzen zu sprechen: c)
Das ‚Praxisdefizit‘ der Elterngeneration I: Du hast jetzt so aus der Richtung der Gleichaltrigen erzählt. Und wie, ähm, wie sieht das eigentlich bei deinen Eltern aus? B.L.: Ja, das (lacht) das is fürchte ich sehr ähnlich verlaufen wie bei mir. Äh, ja, wahrscheinlich hat das ja dann auch Einfluss darauf wie man selber das, keine Ahnung. Meine Eltern sind eben auch schon ewig lange zusammen. Meine Mutter war da 17 und mein Vater glaub ich 24. Die tragen ihre Konflikte sehr offen aus. Wir mussten als Kinder immer schlichten und die ham so keinen richtig rationalen Umgang mit Konflikten in der Beziehung hat man den Eindruck. Meine Eltern sind solche Ökos und 68er. Die kommen mir sehr dogmatisch vor und unsere Generation im Gegensatz total undogmatisch. So kommt mir das vor. Undogmatisch, pragmatisch (.) so Effizienz als n hoher Wert und das finde ich, ja, so. Eigentlich aus den Geschichtsbüchern liest man doch immer, dass die eben da in dieser Hinsicht undogmatisch seien und hier freie Liebe und so was, so mit der Kommune eins. Aber ich glaube, dass bei manchen das so war, aber in der theo, also jedenfalls die Leute, die ich aus dieser Generation kenne, da war das überhaupt nich so. Die ham zwar immer so geredet, ja freie Liebe und Sex hat nix mit Liebe zu tun, aber in der Praxis sahs ganz anders aus. Das war alles verlogen. I: Welche Erfahrungen hast du da gemacht? B.L.: Na hier die ganzen Freunde von meinen Eltern, das sind alles so 68er. Und so hier in C-Stadt dann Randale machen und in der trotzkistischen Partei sein und ganz offen, aber die alle waren schon zur Studienzeit mit den Leuten zusammen, mit denen sie jetzt immer noch zusammen sind. Wie ich das abschätzen kann sind die kein einziges Mal fremd gegangen. Ham zwar immer gesagt, hier wer zwei mal mit der gleichen pennt, gehört schon zum Establishment. Und selber sein Leben lang nur mit einer gepennt. Also da kommt mir Theorie und Praxis bei denen sehr unterschiedlich vor. Als ob das so halt n Sprachspiel war, und in der Praxis wars genau so wie heute, nämlich das alle letzten Endes sich sehnen nach ner langen und ruhigen und sicheren Beziehung. Nach ner total spießigen Beziehung. Kommt mir so vor, als sehnt sich da generationübergreifend danach. I: Also wenn du sagst Praxisdefizit, ähm, würdest du sagen, diese Kluft zwischen Theorie und Praxis ist jetzt in deiner Generation geringer geworden? B.L.: Hm, gute Frage, also, ja. In meinem Freundeskreis is sie enger aneinander gerückt. Weil wenn man nich mehr diese komischen Ideale hat, richtige Liebe ist offene Liebe oder richtige Liebe ist geschlossene Liebe, sondern die Leute wissen alle nich, was Liebe is und es wird
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halt so vor sich hingelebt. Irgendwie, viel weniger ideologisch alles. Nun war das ja früher bei meinen Eltern noch Politik, ob man jetzt da sagt man würde fremdgehen. Hat ja heut nix mehr mit Politik zu tun, eben viel pragmatischer wird das heute angegangen. Die Frage Beziehung, Liebe. Also wer verknüpft das heute noch mit irgendwie konservativ. Ich selber habs vorher gemacht, in dem ich gesagt hab, ja ich muss mich da manchmal vor mir selber verteidigen. Das sind wahrscheinlich noch die Relikte der Erziehung meiner Eltern (lacht).
In dieser längeren Erzählpassage nimmt Bastian L. eine spezifische Ausdeutung der Kommunikationskultur innerhalb seiner Herkunftsfamilie vor, die er schließlich zu einer Blaupause des historischen Generationsverhältnisses zwischen ‚68ern‘ und ihren Kindern stilisiert. Den Lebenskonzepten seiner Eltern als 68ern wirft er ein Praxisdefizit vor. Die Ideologie der ‚freien Liebe‘ sei dort nicht praktisch umgesetzt worden. Es hätten die Kompetenzen der heutigen Generation gefehlt: „rationalen Umgang“ und „Effizienz“ als „hoher Wert“. Bemerkenswerterweise distanziert sich Bastian L. auf der anderen Seite von den eigenen Generationsangehörigen, indem er ihnen ein Theoriedefizit in der Liebe vorhält. Diese hätten, wie er sagt, keine Erklärung für die Liebe. Das Theoriefreie genügt ihm daher auch nicht, womit er im Grunde zwischen beiden Welten verstrickt ist. Bastian L. ertappt sich gewissermaßen dabei, dem Rationalisierungsmodus der Eltern verpflichtet zu bleiben und ordnet dies scherzhaft als „Relikt der Erziehung der Eltern“ ein. Eine Schlüsselstellung nimmt daher seine jeweilige Ausdeutung dieser Fassung eines Theorie-PraxisProblems ein: Im Versuch, herauszustellen, dass die eigene Generation in der Liebe gerade nicht nach theoretisierten Lebensrezepten lebe, verzettelt er sich mit dieser Kerndeutung und kann Widerspruchsfreiheit in der Liebe nicht jenseits eines auch theoretisch zu lösenden Handlungsproblems greifen: B.L.: Ich hab mich frü, also vor, bis vor einem, zwei Jahren hab ich mich da mit ganz vielen Leuten darüber unterhalten. Das war n ganz interessantes Thema für mich. Und äh, die anderen waren aber immer total unbefriedigt. Man sei zu einseitig, zu kalt, wenns aber darum ging, ja was meint ihr denn, mussten die alle passen, irgendwie kam da nichts genau. Da kam da immer, na ja, Liebe halt, das fühlst du doch wenn da Liebe ist. Das is doch keine Definition, das reicht mir dann lange nicht. Das fühlst du doch, da hast du nämlich überhaupt nix ausgesagt. Ja was fühlst du denn, ja das weisst Du doch selber, das kann doch nichts erklären. Hab ich ne feste Beziehung, spar ich wahnsinnig viel Zeit. Aber das darf ich auch nich sagen in der Kneipe, weil das is dann auch wieder der kalte böse Gefühlslose. Jetzt würde ich das alles akzeptieren, weil ich bin ja jetzt tatsächlich selber auch der Meinung, es lässt sich nicht so ein Katalog aufbauen, wenn das, das, das erfüllt ist, dann ist Liebe da. Aber damals war ich der Meinung man müsste das, damals war ich halt so selber so ein Dogmatiker, jedes Wort, das man im Mund führt muss ein Bedeutung haben. Und dann wollte ich immer da so aufdecken, dass man eigentlich gar nicht weiss wovon man redet.
Mit seiner Forderung nach begrifflich-theoretischer Präzision für das Thema Liebe verstrickte er die beteiligten Diskutanten in unversöhnliche Positionen. Ausgelöst durch die anhaltende Empörung im Freundeskreis sah sich Bastian L. schließlich veranlasst, seine provokant vorgetragene Liebestheorie abzumildern. Er habe sich heute von Dogmatik befreit und denke pragmatischer. Überspitzt gesagt, ist Bastian
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L. mit diesem Wandel – gemessen an seinen Definitionen – in seiner Bezugsgeneration ‚angekommen‘. Mit den in den früheren Diskussionen gezielt ins Feld geführten, theoretisch angeleiteten „Arbeitshypothesen“ in Bezug auf Liebe erfuhr er aber auch ganz praktisch und damit ‚untheoretisch‘, wie seine Thesen Beziehungskonflikte innerhalb der eigenen Paarbeziehung heraufbeschworen. Denn die Partnerin Janine wollte an einem bestimmten Punkt nicht mehr ‚mitspielen‘: I. Und dieses Prinzip der Entscheidung in der Liebe, wie sieht das deine Freundin eigentlich? B.L.: Sie hörts sehr ungern, wenn ich so rede. Wir hatten da manchmal richtig Konflikte, als wir dann so zu mehreren in der Kneipe saßen, ich hab dann immer so groß rumerzählt, ja das is doch nichts anderes als Geschichte zusammen haben. Und da fand sie das natürlich Mist, weil irgendwie hieß das ja, ich liebe sie gar nicht oder so. Für sie hat eben Liebe mit Entscheidung irgendwie nix zu tun und das hörte sich dann so hohl und leer an und irgendwie so rational und äh eben gar nix mit Gefühlen zu tun. Zum Beispiel saßen wir einmal zu dritt da und dann haben wir auch über Liebe gesprochen, was es denn heißen würde und da hab ich halt wieder gesagt, Liebe sei lediglich Entscheidung und sonst nichts Weiteres. Und da hat Janine dann immer weniger gesagt, hab das irgendwie nich richtig gemerkt. Und da war se also stinkesauer, da sind wir heim gelaufen und da hat se auch geheult und hat gesagt, also das war total ätzend, und wenn ich nur äh mich entschieden hätte für sie und sonst nichts, da kann ich bleiben wo der Pfeffer wächst und so (lacht) und da gab s also gleich n Streit. Das war ja klar, is ja eigentlich klar. Hab ihr dann zugestimmt und sehe das auch heut gar nicht mehr als Entscheidung nur.
Die Freundin Janine ließ die Liebesdeutung des Partners als Grundlage der gemeinsamen Beziehung nicht gelten. In ihren Augen beruht das innere Zentrum der Gemeinsamkeit auf gegenseitiger Bestätigung von Einzigartigkeit, nicht auf abwägenden Entscheidungen, sondern gleichsam auf entscheidungsloser Gewissheit. Sie eignet sich ihre Generationserfahrung damit anders an als der Beziehungspartner, der, um diesen Konflikt zu lösen, sich gegen ein drohendes Zerwürfnis ‚entscheidet‘: Er „stimmt“, wie er sagt, ihrer Deutung am Ende zu und bleibt seinem Entscheidungsprinzip der Liebe damit quasi treu. Fallrekonstruktion Bastian L.: Ein Fazit Bastian L.s Suche nach einer endgültigen theoretischen Bestimmung des Begriffs der Liebe – für ihn eine Suche mit besonderer Dringlichkeit – steht in Zusammenhang mit einem theoretisierenden Narrativ in Bezug auf sein Leben überhaupt. Möglicherweise ist hier zwar auch der Versuch erkennbar, mit dem stark objektivierenden Erzählduktus dem Diskurs des Soziologen, also des Interviewers, gerecht zu werden. Dennoch oder gerade deshalb kann sein besonderes Verlangen nachgezeichnet werden, auch privates Leben über theoretische Begriffe definieren zu können. Folglich will sich Bastian L. in der Liebe nicht auf das Prinzip Emotionalität verlassen und erstellt eine Hierarchie von Rationalitäten, worin das Fühlen vom Wissen dominiert wird. Gesucht sind primär nun aber Anschlüsse in Bezug auf einen generationstypischen Lösungsmodus bei der Rationalisierung der eigenen Generationserfahrung.
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Dies ist vorsichtig abzuwägen: Das Ringen um Widerspruchsfreiheit, respektive um Authentizität im eigenen Lebensentwurf in der Jugend- bzw. Adoleszenzphase, erscheint zunächst als etwas Entwicklungstypisches. Zwischen Alterseffekt und Generationseffekt kann allein auf dieser Grundlage nicht hinreichend unterschieden werden. Die Überrationalisierung von Lebensidealen in der Lebenspraxis stellt vielmehr ein generationsübergreifendes Moment jugendlicher Persönlichkeitsentwicklung dar und ist vermutlich ein Strukturmerkmal jugendlicher Werthaltungen generell. Anders als bei den älteren Jahrgängen des Samples lässt sich hierbei auch noch nicht nachvollziehen, wie die eigene Lebenspraxis aus der Perspektive fortschreitender Erfahrungsaufschichtung retrospektiv umgedeutet oder revidiert wird – auch wenn bei Bastian L. erste Ansätze hierzu erkennbar sind. Am konkreten Fall fehlt daher noch die Perspektive der lebensgeschichtlichen Konsequenzen biografischer Entscheidungen aus einer Langzeitperspektive. Flankiert von seiner unabgeschlossenen Ausbildung und der noch nicht vollzogenen Statuspassage des Eintritts in das Berufsleben ist sein Lebensplan noch vergleichsweise offen. Hinzu kommen mit seiner langjährigen Paarbeziehung begründbare geringe Enttäuschungs- und Misslingenserfahrungen. Die Erfahrung serieller Paarbeziehungen – die Auslöser für Revisionen und Umdeutungen im Liebeskonzept darstellen könnten – fällt aus. Vielmehr begünstigt seine individuelle Lebenslage das Abwägen und (Über-)Rationalisieren im Lebensvollzug. Worin liegt in diesem Fall dennoch eine Generationstypik? Drei Punkte können hierzu benannt werden: 1. Seine Generationserfahrung stellt Bastian L. mit Verweis auf seine Eltern und sowohl zu den Gleichaltrigen in einen geschichtlichen Bezug. Zu den Eltern: Mit ihrer Etikettierung als ‚68er‘ greift er Klischees der populären Generationendebatte auf. Er hält diese Generation für dogmatisch – auch in der Liebe – und wirft ihnen vor, ganz entgegen den zum Diskurs erhobenen Intentionen (Sprengen konventioneller Fesseln) unreflektiert moralische Kategorien verwendet zu haben. Bastian L. sieht darin nicht allein theoretische Inkonsequenz, er hegt zugleich einen Ideologieverdacht. 2. Zu den Gleichaltrigen: Im eigenen Generations-Wir erlebt sich Bastian L. als nicht ‚generationskonformen‘ Akteur, da er nach einer Legitimationsgrundlage ringt, seine bereits siebenjährige Paarbeziehung vor der Folie des selbst aufgestellten Generationsimperativs ‚Offenheit‘ erklären zu können. Er verleiht seinem Leben einen konservativen Anstrich, da er die Gefahr gegeben sieht, diesem generationstypisch zugeschriebenen Leitbild nicht zu entsprechen. Eine Lösung erlangt er mit dem Prinzip der Entscheidungsrationalität und mit theoretischen Konzepten: Von einer theoretisch-rational durchdrungenen „Definition“ der Liebe, wie er selbst formuliert, verspricht er sich ein tragfähiges Konzept, die eigenen Handlungsmaxime ins Reine bringen zu können. Um dauerhafter Ambivalenz zu entgehen, erlangt der Erzähler unter Berufung auf das Entscheidungsprinzip somit einen Kontrollmodus zur Bewältigung von Unsicherheitserfahrungen. Pointiert formuliert: Die Anfechtungen einer allerorts von ‚Sexyness‘ besetzten Umwelt müssen daher nicht auf einer Gefühlsbasis ausgetragen werden.
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3. Schließlich zählt hierzu die Form der bereits in Punkt 2 anklingenden hohen Bedeutung, sich in der eigenen peer-group über die Legitimität des eingeschlagenen Lebensweges zu informieren. Als Ratifizierungsinstanz ist die peer-group für ihn relevanter als die eigenen Eltern. Denn was in deren Jugendzeit noch zu erstreiten war, ist heute banaler Alltag: ‚Wer zweimal mit der selben pennt, gehört längst zum Establishment‘ hätten schon seine 68er-Eltern skandiert, wie er im Interview erwähnt. Seine Partnerschaftsorientierung in der Liebe deckt sich jedoch bemerkenswerter Weise mit demjenigen restaurativen Partnerschaftsmodell, gegen das seine Elterngeneration noch rebellierte. Gleichwohl in einer modifizierten Variante, denn das patriarchalische Beziehungsmodell – mit dessen Begründungsprinzip einer naturtatsächlichen Geschlechterungleichheit – besitzt in Bastian L.s Erzählung keinen Stellenwert. In der Kombination der genannten Punkte liegt die Spur, die zu einem Verständnis von Bastian L.s Bemühen führt, das Thema Liebe permanent zu intellektualisieren. Dabei wäre es zu engführend, dies rein als typisch männliches Rationalisierungsstreben zu verbuchen. Zwar setzt Bastian L. dem Affektiven in der Liebe permanent Rationalität entgegen, sein Rationalitätsbedürfnis legt er aber auch mit seiner biografischen Zeiterfahrung aus. Dadurch kann sie als Generationserfahrung gelesen werden. Mit der Favorisierung des Entscheidungsmodells in der Liebe hat Bastian L., zugespitzt formuliert, einen Lösungsmodus gefunden, sich nicht ständig in einer ‚Spaßgesellschaft‘ erklären zu müssen. Er stellt sich damit gegen die ‚gestylte Welt‘, mit dem dort lauernden Imperativ des ‚Ich müsste doch auch irgendwas in dieser Welt anfangen‘, und löst seine Suche nach einem sicheren Grund in der Liebe schließlich damit auf, das Entscheidungsprinzip zum letztgültigen Maßstab zu erklären. Nur zu fühlen erscheint ihm zu vage. Es informiert ihn nicht darüber, welchem Gefühl man wie folgen solle. Somit zählt für ihn weniger innere, als vielmehr äußere Evidenz. Wo für ihn die Kontingenz biografischer Normalitäten im Vordergrund steht, wird er das „Komische“ (vgl. oben), d. h. das Selektive seines Selbstentwurfs in der Liebe auf der Grundlage des Entscheidungsprinzips los. Durch die folgende Kontrastierung mit zwei weiteren, knapperen Fallstudien wird ein vielschichtigeres Bild zu der bislang im Fall Bastian L. skizzierten Generationscharakteristik dieser Jahrgänge möglich. Taucht das falltypische Rationalitätsmotiv wieder auf, wird es variiert, verworfen, und welche neuen Aspekte treten hinzu? Aus dem Sample werden dazu Erzählungen von zwei weiblichen Befragten hinzugezogen, womit geschlechtstypische Variationen ins Blickfeld gelangen. 4.4.2
Carola M.: Entkopplung von Liebe und Paar
Carola M. ist 1977 geboren und befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews kurz vor Beendigung eines kulturwissenschaftlichen Studiengangs. Beide Elternteile entstammen der beruflichen Mittelschicht. Nach einigen kürzeren Paarbeziehungen mit Männern lebt Carola M. zum Zeitpunkt des Interviews seit etwa einem Jahr mit einer
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Frau zusammen. Das Interview mit Carola M. in B-Stadt erstreckt sich über eineinhalb Stunden. a)
Symbiotische Bindungen als Negativbild
Zu Beginn der Erzählung formuliert Carola M., alles „Symbiotische“ in Liebesbeziehungen lehne sie grundsätzlich ab: C.M: Ja, also ich finde die Si, Sy (.) mbiosenbeziehung erschreckend und ich finds furchtbar. Da is nämlich dann auch das Problem, weil wenn dieses Grundbedürfnis, dieser Grundzustand der Nähe, wenn der nich da is, dann is der ja absolut abhängig von diesem und wie oft man zusammen is und wie man was zusammen macht. Und so bald man nämlich dann irgendwie n bisschen Distanz reinzubringen, also nur von dem zeitlichen und räumlichen, gibt s n Problem. Deshalb denk ich, weil ich ja doch eher n Typ bin, der das also, ich brauch das total und ich möchte mit keinem Menschen verschmelzen und alles gemeinsam machen und nur noch als wir gelten. Ich hab da immer stark Probleme auch, mich meiner Freundin zum Beispiel gegenüber abzugrenzen und zu sagen, hier ich brauch für mich jetzt die Zeit. Merk aber auch, dass das in der Beziehung wiederum auch wichtig is, ja, dass man sich oft sieht, weil sonst geht immer irgendwas kaputt. Also ich kann damit gut umgehen. Meine Freundin beispielsweise kann s halt nich. Die fühlt sich dann gleich nich mehr geliebt. Ja und deshalb finde ich das also, ideal, wenn einfach dieses Grundgefühl von Nähe so da is und das nich beeinflussbar is von anderen Sachen.
Carola M. lehnt die „Symbiosenbeziehung“ vehement ab und schreibt solchen Beziehungen das „Problem“ zu, es fehle dort am „Grundgefühl“ bzw. am „Grundzustand der Nähe“. Paraphrasiert mangelt es für sie darin an einer Balance von Autonomie und Intimität. Sie betrachtet in diesem Fall die Gefahr, eine Partnerin könne „absolut abhängig“ von der Anderen werden. Ausgehend von dieser Bestimmung wird ein bestehender Konflikt innerhalb ihrer gegenwärtigen Paarbeziehung illustriert. Dabei sieht sie sich vor das Problem gestellt, ihrer Beziehungspartnerin das benannte „Grundgefühl“ lediglich durch permanente physische Ko-Präsenz vermitteln zu können. An diesem aktuellen Konflikt entzündet sich eine Erzählpassage zum Problem der Herstellung von Vertrauen und Stabilität auf der Basis von „Nähe“. Carola M. wendet sich dabei dezidiert gegen die Idee des Verschmelzungsgedanken in der distanzlosen Symbiosenbeziehung. Gegen ein übersteigertes ‚Wir‘ im Paar errichtet sie den Wunsch nach Ausgewogenheit im Verhältnis zwischen Autonomieanspruch und Sicherheitsbedürfnis. Im Zentrum steht somit die Stabilisierung ihrer Ich-Identität, wobei sie Sorge hat, diese Stabilität im ‚Wir‘ nicht wahren zu können. Als Lösung mit genereller Geltung postuliert sie ein nicht von „anderen Sachen … beeinflussbares“ Ideal des „Grundzustand[s] der Nähe“, an anderer Stelle das „Grundgefühl von Nähe“. Was verbindet Carola S. mit diesen auffallend häufigen „Grund“-Bestimmungen? C.M.: Ja, aber da hab ich, oh Gott, echt auch Erfahrungen gemacht, die waren echt schrecklich, weil dieses Nähegefühl so extrem war. Zum Beispiel bin ich mit meiner neuen Freundin was trinken gegangen und war eigentlich super verliebt. Und meine alte Liebschaft war halt
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auch da und wir ham uns an dem Abend auch super verstanden, und wir gehen aus der Kneipe, und sie geht nach rechts und wir gehen nach links und das war für mich der Horror. Weil ich hab mich in dem Moment, hab ich gefühlt, dass ich den falschen Weg gehe. Das war aber jetzt nich so, dass ich rational irgendwie gedacht hab, jetzt sind Gefühle wieder gekommen und was mache ich hier eigentlich, sondern das kam in dem Moment wirklich, als sie tschüß sagt und nach rechts läuft und wie gehen links, hab ich einfach so dieses Gefühl gehabt, tsch h, das is jetzt der falsche Weg, ich muss eigentlich in die andere Richtung laufen. Das war furchtbar. Und das is halt das absolute Nähegefühl, ja und dann in den Situation wo s verkehrt is. Im Moment kriegn wir s irgendwie ganz gut hin, dass das nich so tragisch is. Also mir is dann da wirklich so, als wenn man irgendwie zusammen gehört. Und ich glaub so soll s auch sein, weil das is dann nämlich wirklich, aber das hat absolut gar nichts mit verliebt sein zu tun. Das hat überhaupt nichts mit körperlicher Anziehung zu tun, also die ganzen Faktoren kann man ausschließen und deshalb, von dem Idealen denk ich halt wirklich, dass is dieses Nähegefühl, einfach so was ganz tiefes, was dann für mich halt n Gefühl von Liebe is, so. I: Es klingt fast so als würde, also in deiner jetzigen Beziehung, etwas fehlen, weil du hast ja gesagt, dass es für dich eigentlich das Ideal wäre in der Beziehung diese Nähe auch zu spüren, und das hast Du ja gerade nicht, oder? C.M.: Mhm. Was ich sagen will is, dass man die Definition von Liebe und die Definition von, also von idealer Liebe und die Definition von idealer Beziehung irgendwie trennen kann. Oder es gibt einfach Dinge, wo man abwägen muss. Das is halt das Schwierige, das bringt aber nix, wenn man dieses Nähegefühl sonst zu wem hat, aber man eigentlich keine Beziehung führen kann. Das was ich die ganze Zeit beschrieben hab, war halt die ideale Liebe oder das ideale Liebesgefühl, und das andere sind dann auch noch mal ideale Beziehungsstrukturen vom Umgehen miteinander, wo ich dann sehr stark auch abwägen würde, was einem gut oder nich gut tut. Ich denk so n Gefühl was man hat kann sehr schön sein und das finde ich auch super, klasse, aber wenn dann halt andere Sachen sind, ähm, die aber eigentlich nich gut tun, aufgrund von Beziehungsstrukturen, dann is es halt insgesamt nich ideal. Und des bringt dann auch nichts, wenn man dann ständig über alles reden, alles zerreden will, wie die Leute, die so eher, vom Alter äh vor mir liegen. Und die meinen, in einer Nacht quatschen ist dann die Beziehung wieder da. Des muss ein einfach so klar sein. Oh Gott, wenn du da irgendwie Partnerschaften siehst. Und ich mein ganz viele Paare, die ich sehe, da is es mir völlig klar, wo ich nämlich denke, wenn das symbiotische kommt, man überhaupt gar keine Grenze mehr ziehen kann, zwischen ähm Gewohnheit und einfach, dass man in so Beziehungsstrukturen reinkommt und was das jetzt noch Gefühle is.
Bezogen auf den Topos „Nähegefühl“ enthält die Passage eine Reihe starker ‚Wirklichkeits‘-Bestimmungen, wie etwa „Mir is dann da wirklich so …“ bzw. „weil das is dann nämlich dann wirklich …“. Einerseits kann dieses Nähegefühl aber auch „schreckliche Erfahrungen“ erzeugen, was Carola M. am Beispiel des Loyalitätskonflikts zwischen ehemaliger (wo „extreme Nähe“ fortbestand) und gegenwärtiger Partnerin veranschaulicht. Der zwar grundsätzlich favorisierte Wert des „absoluten Nähegefühls“ kann situativ somit auch unpassend sein. Andererseits zählt sie Verliebtsein oder körperliches Begehren gerade nicht zu den Attributen dieses Liebesideals. Vielmehr hegt sie die Vorstellung eines von äußerem Alltag unanfechtbaren emotionalen Kerns, welcher nicht nur in die Lage versetze, die praktische Nähe-Distanz-Problematik, sondern auch das Problem der Vertrauenssicherung zu überwin-
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den. Das Prekäre einer Liebesbeziehung liegt für sie vielmehr in der Gefahr verborgen, Liebe könne durch Paaralltag profan werden. Welche Vorstellung von „Beziehungsstrukturen“ verfolgt sie mit dieser Begriffsverwendung? Nimmt man diese von ihr negativ belegte Begriffskonstruktion wörtlich, müsste sie umgekehrt das Ideal des ‚Strukturlosen‘ präferieren. Hält Carola M. an jenem hehren Liebesideal fest, wonach Liebe allein pure Gegenwärtigkeit darstellt, in diesem Sinne an der Idee der reinen Liebe? Ihre Vorstellung des „absoluten Nähegefühl[s]“ erscheint in dieser Hinsicht jedoch nicht widerspruchsfrei: Zum einen manifestiert sich für sie darin gerade die Abwesenheit von Distanz, schließlich wird hier Nähe „absolut“ gesetzt. Das Nahe ist somit kaum noch steigerbar. Andererseits wird sie darin augenscheinlich wieder von der „Symbiosenbeziehung“ eingeholt. Hierbei nur verschoben von der alltagspraktischen Handlungsebene des Paares auf eine psychische Ebene. Im Anschluss an die Interviewernachfrage, ob die Erzählerin gemäß ihrer Liebesdeutung eine unbefriedigende Liebesbeziehung führe, relativiert sie ihre Idee des Nähegefühls: Trotz bestehender Alltagszwänge möchte sie an der Institution des Paares grundsätzlich festhalten. „Nähegefühl“ und „Beziehungsstruktur“ werden allerdings als spaltbar angesehen.132 Es existieren für sie somit zwei Bestimmungen des Idealen: Ideale Liebe und ideale Beziehung. Glück gäbe es damit auch innerhalb von „Beziehungsstrukturen“, aber nur in der Entwicklung eines genauen Gespürs dafür, was einem „gut tue“. Dazu merkt sie an, es gäbe „Dinge ... wo man abwägen muss“. Das Abwägungsthema tauchte bereits im Fall Bastian L. auf. Wo Liebe und Partnerschaft dort allerdings durch Abwägung gerade zusammengedacht werden konnten, teilt Carola M. diese Prinzipien auf zwei Welten auf. Das Gespräch kommt auf historische Zeitvergleiche: b)
Liebe in einer ‚anspruchs‘-vollen Heute-Zeit I: So in den 50er und 60er Jahren ähm war das schon auch ein Ideal, dass Liebe und Beziehung zusammenkommen, Liebe im Sinne auf ewig und (.). Nach Deinen Erzählungen gibt es das, wenn ich es richtig versteh, heute nicht mehr so, oder C.M.: Doch auf jeden Fall, ha! Ja, ja. Also ich kann mir vorstellen, dass die Ansprüche einfach viel stärker geworden sind. Die fünfziger, also das Bild was ich mir da vorstellen könnte is schon n bisschen anders. Da ham noch absolute gesellschaftliche Konstruktionen, Strukturen gelebt, wo man überhaupt nich die freie Wahl hatte in dem Sinne. Wo man vielleicht auch eher dachte, man hätte es jetzt gefunden, dieses Ideal. Da ham wir uns ja schon in ganz andere Richtung entwickelt, wo man einfach viel freier wählen kann und auch vielleicht viel mehr Erfahrungen macht, ja vorher schon. Das war halt alles viel unfreier und da konnte nich so gelebt werden wie jetzt. Wo die Elterngeneration vielleicht eher auch früher gedacht hat,
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Carolas negative Besetzung des Begriffs „Beziehungsstrukturen“ führt dabei einen anderen Sinn als im Fall Karla S. aus den mittleren Jahrgängen. Auch dort war negativ von „hinterhergelaufen[en]“ Strukturen die Rede. Bei Carola M. stehen allerdings Zwänge der Alltagspraxis des Paares im Mittelpunkt, bei Karla S. die Vorstellung latenter Prägungen durch die äußere Welt.
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das halt gefunden zu haben und sich damit zufrieden gegeben zu haben. Dass man das viel differenzierter betrachtet und viel anspruchsvoller geworden is. Bloß früher denk ich schon wahrscheinlich eher auch angenommen wurde und das is das Richtige für mich, wenn man einfach keine anderen Erfahrungen machen konnte. Ich glaub die Vorstellung ewige Liebe gibts einfach nich mehr, weil s viel schwieriger geworden is. Ich mein, man is ja auch desillusioniert von den ganzen Scheidungszahlen, wo man einfach weiß, die Tendenz geht halt in Richtung kürzere Beziehungen, vielleicht dadurch, dass man größere Wahlmöglichkeiten hat. Ich mein diese Vorstellung von bis ans Lebensende konnte ja auch immer nur so sein, weil einfach ganz krasse Strukturen da geherrscht ham. Also das sich scheiden zu lassen auch was ganz Schlimmes war. Das is ja heute nich mehr so. Und deshalb glaub ich, dass das schwer vorstellbar is, aber ich würde nich unbedingt sagen, dass das nich auch n Wunsch is von den Leuten in meinem Alter, die Generation. Gut, da gehts dann natürlich auch darum, wo man sich bewegt in welchem Zirkel, sich auch weiterzuentwickeln, für sich selber auch und einfach weiterzukommen und Erfahrungen zu machen, wie auch immer, dann wirds halt auch immer schwieriger glaub ich auch ne Beziehung zu führen und das halt dann beide irgendwie ähm das miteinander erleben.
Zum ersten Mal nimmt Carola M. eine Kollektivbestimmung vor: „da ham wir uns ja schon in ne ganz andere Richtung entwickelt“. Voraus ging ein knapper, überzeichnender historischer Vergleich des Interviewers, der wissen wollte, ob die Idee der Liebe und die Idee der Beziehung gegenwärtig stärker auseinanderfallen. Carola M. verneint dies deutlich. Sie fügt jedoch hinzu, heute seien „Ansprüche“ viel „stärker“ und „größer“ geworden. Es wäre eine falsche Fährte, dies im Sinne früher = kleine Ansprüche, und heute = größere Ansprüche auszulegen. Auch das Liebesideal der 50er Jahre, wie auch anderer Epochen, ist notwendig als ‚anspruchs‘-voll vorauszusetzen. Carola M. geht es um etwas Anderes: Ihre Wahrnehmung einer Überdeterminiertheit der vergangenen Epoche („absolute gesellschaftliche Konstruktionen, Strukturen gelebt“) spielt vielmehr auf das ‚Was‘ dieser Ansprüche an. Konkret, wie sie selbst beifügt, auf Wahlmöglichkeiten („wo man überhaupt nich die freie Wahl hatte“), also auf Optionsräume und Entscheidungsaufgaben. Unter dieser Voraussetzung erscheint für Carola M. das Selbst in der Liebe der 50er Jahren als ein getäuschtes Selbst, beherrscht von und verstrickt in „ganz krasse … absolute gesellschaftliche Konstruktionen ... Strukturen“. Das Perfide an diesen Strukturen war der Deutung der Befragten zufolge, diese Täuschung damals nicht zu bemerken. Das Mögliche wurde kurzerhand als das „Richtige“ gesetzt und als solches „angenommen“. Die Unfreiheit des Früher und die Freiheit des Heute analysiert Carola M. daher in einer formelhaft versozialwissenschaftlichten Rhetorik als permanente Öffnung von Verwirklichungschancen, womit sie ein geläufiges Individualisierungstheorem adaptiert. Ihre Gegenwartsdiagnose besitzt aber einen pessimistischen Anstrich, denn die von ihr zum Signum ihrer Generationszeit erklärten, hohen Wahlmöglichkeiten, erweisen sich unter der Hand als biografische Fallstricke: Sie rechnet dies einer heute allgemein herrschenden Desillusioniertheit in Bezug auf Paarbeziehungen zu, beispielsweise aufgrund der „ganzen Scheidungszahlen“ und einer generellen Tendenz zu kürzeren Beziehungen. Die Vorstellung einer Paarbeziehung bis an das
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Lebensende sei überdies Ergebnis der Herrschaft „ganz krasse[r] Strukturen“, wofür sie früher gegebene moralische Probleme bei Ehescheidungen heranzieht. Der von ihr am Ende genannte Imperativ ‚individuelle Weiterentwicklung‘ und ‚Selbstverwirklichung‘ bringt ihren Konflikt zwischen Autonomieanspruch und dem Projekt der Paarbeziehung schließlich auf einen Punkt: C.M.: Ja, das heißt nämlich für mich genau das, dass es eigentlich nich n großen Unterschied machen sollte, ob ich jetzt alleine bin oder ob ich ne Beziehung habe. Aber das individuelle Weiterentwickeln sind ja schon auch noch mal so andere Sachen, das man einfach auch viel für sich glaub ich macht. Dass man nich nur in dieser Symbiose lebt und glücklich is, dass man zu zweit durchs Leben stampft, sondern dass man selber für sich auch weiter entwickelt und wie man das dann definiert mit dem Weiterentwickeln, das kann ja ganz unterschiedlich sein. Und deshalb is es einfach schwerer vorstellbar mit einem Menschen irgendwie 30, 40, 50 Jahre zusammen zu sein. Und ich weiß nicht, warum es so schwer ist, sich das vorstellen zu können. Vielleicht is man selber da schon irgendwie von diesen Strukturen schon wieder so beeinflusst, dass es auf einen selber schon so wirkt, dass man sich das nich vorstellen kann. Weil ich frag mich immer noch, warum ich mir das nich vorstellen kann. Ja, ich glaub schon, dass ich auch mir vorstellen könnte, dass ich halt so nen langen Zeitraum n Menschen liebe. Aber wenn ich dann an meine Ex-Freundin denk, dann denk ich das schon wieder, also ich kann mir schon vorstellen, sie noch die nächsten 30, 40, 50 Jahre zu lieben, aber da kann ich mir ne Beziehung dann nich vorstellen, dass die so nah funktionieren würde jemals. I: Und was ist eigentlich jetzt, desillusionierend, also dass die Scheidungsquoten so hoch sind? C.M.: Also es is desillusionierend in dem Sinne, dass man halt irgendwie das Gefühl hat, man schafft es nich jemanden zu finden mit dem man bis ans Lebensende zusammen is. I: Aber das interessiert dich ja eigentlich auch gar nich so, wenn du sagst, das liegt Dir also fern und Du kannst es dir nich vorstellen? C.M.: Ich würde nich sagen, dass es nich ein Ideal wäre oder so. Ich glaub so ne alte, äh, ja Sicht darauf is bei mir schon auch noch vorhanden. Vielleicht is es auch wirklich personengebunden, dass man wenn man jemanden gefunden hat, dass man, dass man sich da mit dem Menschen vielleicht auch dann mal vorstellen kann, bisher hatte ich das noch nich so. Ja selbst dann is schon auch noch die Frage, ob man dann wirklich so ganz monogam lebt und ganz auf sich fixiert is, bis Lebensende oder ob man sich dann halt Freiheiten gibt und da würde ich dann schon sagen, ich kann mir s vorstellen.
Obwohl sich Carola M. „absolut nicht vorstellen“ kann, mit einem Menschen über Jahrzehnte eine Paarbeziehung zu führen, rätselt sie ausführlich am Problem, dass ihr dies so abwegig erscheint. Für sie besitzt die Dauerhaftigkeit einer Paarbeziehung als Normalitätsfolie damit eben doch eine starke Geltung. Sie findet dazu jedoch keine widerspruchsfrei affirmative Haltung. Parallel hegt sie den Verdacht, ihre ablehnende Haltung könnte Ergebnis einer Suggestion sein. Indem sie dazu abwägt, von „Strukturen beeinflusst“ zu sein, verfolgt sie allerdings eine verzwickte Theorie des Selbst, das nicht zwischen der Determination individueller Vorstellungswelten seitens ‚äußerer‘ Strukturen einerseits und autonomen Willensprinzip andererseits unterscheiden kann. Sie findet in diesem Spannungsverhältnis keinen praktisch greifbaren Begriff ihres
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Selbst, oder anders: kann Autonomie wörtlich genommen nicht (be-)‚greifen‘. Der Topos, sich „individuell weiterentwickeln“ zu müssen, liest sich in diesem Lichte als Versuch, dem Imperativ ihrer Generation nach individueller Selbstbehauptung gerecht werden zu können, den Wunsch nach Gemeinschaftlichkeit in dyadischen Beziehungen aber nicht aufgeben zu müssen. Carola M.s Entwicklungsbegriff ist daher durch in sich widerstrebende Kräfte gekennzeichnet: Sowohl durch die individualistische Idee, sich ‚für-sich-selbst‘ zu entwickeln, wie durch die kollektivistische Idee nach Gemeinsamkeit im Paar. Gerade das Paar-Prinzip erscheint für sie als Langzeitprojekt daher riskant. Sie fürchtet, in der individuellen Entwicklung davon vereinnahmt werden zu können. Diesen Konflikt bringt sie zum Schluss auf einen Nenner: C.M: Ich glaub die Grundposition is da immer noch, aber man kann sichs glaub ich einfach schwerer vorstellen jemanden zu finden, für den man so starke Gefühle hat und wo s einfach alles passt und stimmt und so, und mit dem man halt irgendwie bis an s Ende der Tage zusammen lebt.
Carola M. bleibt letztlich der Gewissheit der Affekte verpflichtet. In Bezug auf die von ihr formulierten „Ansprüche“ besteht allerdings eine Ambivalenz zweier Wertzurechnungen: Einmal der Anspruch auf Autonomie und Selbstverwirklichung als pures Selbstsein, andererseits der Anspruch auf Gemeinsamkeit in der Paarbeziehung. Das Ewigkeitsideal erscheint ihr allerdings ‚anspruchs‘-los. Im Anschluss relativiert Carola M. die scheinbar unvereinbaren Positionen: Als „Grundposition“ erscheint ihr der darauf bezogene Wunsch durchaus vorhanden. Der Anspruch auf die dauerhafte Bewahrung starker Affekte erschwert ihr allerdings den Glauben daran. Im Abschluss der vorletzten zitierten Textpassage entsteht daher noch eine aufschlussreiche Wendung: Carola M. kommt scheinbar beiläufig auf die Monogamieregel in der Paarbeziehung zu sprechen. Wäre diese außer Kraft gesetzt, könnte sich die Erzählerin durchaus auch eine Paarbeziehung „vorstellen“, die bis an das Lebensende reicht. Dies ist wichtig, da sich daran für sie das Verhältnis von romantischer Liebe und Paarkonzept zwischen den Polen, wie sie sagt, „ganz auf sich fixiert“Sein, und „Freiheit“-Geben entscheidet. Fallrekonstruktion Carola M.: Ein Fazit Im Fall Carola M. werden hochindividualisierte Anspruchslagen sichtbar, die in Bezug auf Liebesdeutung und Paarbeziehung miteinander in Konflikt geraten. Carola M. zieht eine Trennung zwischen der Idee der Liebe als starke emotionale, innere Bindung an einen anderen Menschen einerseits und dem Projekt der Paarbeziehung andererseits. Das Paar lässt sie zwar als Lebenspraxismodell generell zu und praktiziert es im eigenen Leben selbst. Für sie gilt aber immer der Verdacht, dass die Reinheit der Liebe durch „Beziehungsstrukturen“ Schaden nehmen könnte. Carola M. verfolgt damit die Idee einer Entkopplung von Liebe und Paar. Beides besitzt für sie jedoch hohe lebenspraktische Relevanz. Allerdings ist bei ihr nicht nur das Leitbild der lebenslangen Liebesbeziehung vollkommen abgewertet. Das soziale Setting der
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in einer Paarbeziehung aufrecht zu erhaltenden Liebe ist für sie überhaupt verdächtig. Pointiert: Carola M. fehlt gänzlich die Überzeugung, dass die Liebe in einer Paarbeziehung ‚gut aufgehoben‘ ist. So wie also bei ihr das bürgerliche Ideal der ewigen Liebe ohnehin außer Kraft gesetzt ist, zeigt sie am Beispiel der Ex-Partnerin zudem konkret auf, dass Liebe auch generell ohne Beziehung fortbestehen könne. Authentizität in der Liebe knüpft sie vielmehr an das alternativlose „Nähegefühl“ bzw. an einen „Grundzustand der Nähe“ zum Anderen. Wie zum Ende der Fallrekonstruktion bereits angesprochen, relativiert der Aspekt der von ihr angesprochenen Monogamieregel in der Paarbeziehung allerdings diese Spannung: Das Außerkraftsetzen der konventionell monogamen Ausrichtung des Paares leuchtet hier als eine Lösung auf. Eben dem zu entgehen, was in der Nachfolge traditioneller Ordnungen möglicherweise zunehmend zu einem Anachronismus wird, ohne dass die Idee des Paares als tragfähiges Praxismodell damit selbst verloren ginge. Die beiden bisher dargestellten Fallstudien aus den späten Jahrgängen zeigen aus unterschiedlicher Perspektive auf, wie die Befragten um Kohärenz in Bezug auf das Bild der Liebe im eigenen Lebensentwurf bemüht sind. Bei Bastian L. wird Sicherheit mit Entscheidungsrationalität hergestellt, bei Carola M. geht es stärker um ‚innere‘ Evidenz. In der folgenden, dritten und abschließenden Fallstudie der späten Jahrgänge tauchen überraschenderweise nun beide Aspekte gleichzeitig auf, allerdings aus einer zu zeigenden, typenspezifischen Problemstellung heraus (vgl. Abschnitt 5.4.2). 4.4.3
Die „Unruhe“ der Judith P.: Sich als traditionsverhaftet ertappen
Judith P. ist 1975 geboren und in einem kleineren Ort nahe A-Stadt aufgewachsen. Ihre Mutter ist 1949 geboren und als Sozialarbeiterin tätig, der 1939 geborene Vater ist promovierter Logistiker. Die Eltern leben verheiratet zusammen. 1997 zieht Judith P. nach A-Stadt um, absolviert dort ein sozialwissenschaftliches Studium und ist seit zwei Jahren in einem größeren Wirtschaftsunternehmen tätig. Sie lebt zum Zeitpunkt des Interviews als Single. Über eine ebenfalls interviewte Freundin erlangt Judith P. Kenntnis von der Studie und wünscht, an der Befragung teilzunehmen. a)
Das bedrohte Ideal der ewigen Liebesbeziehung
Unmittelbar zu Beginn des Interviews erzählt Judith P. von einem zeitnahen und tiefgreifenden Konflikt in ihrer Herkunftsfamilie. Auslöser war Judith P.s siebenjährige Paarbeziehung zu einem gleichaltrigen Japaner aus einem Nachbarort, die sie als „erste große Liebe“ bezeichnet. In Judith P.s Worten erlebte ihr eigener Vater diese Beziehung seiner Tochter als „das Schlimmste, was für ihn passieren konnte“. Es folgte ein mehrjähriges massives Familienzerwürfnis in Form einer Spaltung innerhalb der Familie: Der Vater auf der einen Seite ostentativ die Beziehung der Tochter aus rassistischen Motiven (wörtlich: „Gefahr von Mischlingskindern“) ablehnend, Loyalität von Mutter und Bruder auf der anderen Seite. Auch nach Auflösung der Paarbeziehung wird die familiäre Spaltung nicht zum Gegenstand innerfamiliärer
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Kommunikation und bleibt bis in die Gegenwart weitgehend tabuisiert. In diesem Erzählkontext entfaltet die Befragte das von ihr gehegte Liebesleitbild: J.P.: Also ich hätte mir mit neunzehn noch nich vorgestellt, dass ich jetzt den Mann fürs Leben sozusagen finde. Und das habe ich auch in den Jahren nich gedacht, aber er is es dann eben so geworden. Ich konnte mir das alles gut vorstellen. Ja (5) ich hätte auch noch länger durchgehalten (lacht). Also ich hätte mein Leben lang durchgehalten. Weil ich da noch die romantische Vorstellung hatte, der eine auf ewig. Und jetzt mittlerweile gibt es das aber gar nich mehr, genauso wenig, wie es den Traumjob gibt. I: Wie kommt das, dass du diese Vorstellungen nich mehr hast? Durch diese Bezieh. J.P.: Mmh, ich glaub eher durch die Zeiten. Ja, gar nich durch diese siebenjährige Beziehung jetzt. Sondern wirklich eher durch die Zeiten an sich. Also wie jetzt wahrscheinlich alle Leute leben und was das für Zeiten sind. Also ich war auch ganz ruhig. Nich das ich was verpasst hatte, ich hatte ihn ja mit neunzehn gefunden, und musste mich nich mehr ausleben und dieses, wo, ja viele ja immer hektisch hinterher sind. Und ich glaube, was auch so ein bisschen, was so der Auslöser bei ihm dann schließlich war. Bei mir war das einfach so das Gefühl, das hätte wirklich kommen können, was will und wir ham auch viel so zusammen durchgemacht, ähm, (5) ja, also wir beide gegen Rest der Welt war das so ungefähr. Ich hab aber auch schon mal gedacht, ob ich denn jetzt so daran fest halte, weil das so schwierig war, Und ich hab nich daran festgehalten, also nich deswegen. Auf jeden Fall finde ich eigentlich diese Bezeichnung Lebensabschnittspartner, finde ich schrecklich und eigentlich bin ich insgeheim glaub ich immer noch auf der Suche auf Ewig, aber (4) aber leben würde ich es nich mehr. Aber ich merk immer noch, dass mir es dann doch wieder fehlt und ich weiß nich woher das kommt. Dass ich s doch wieder gern anders hätte. Und ich weiß das alles, ich hab ja auch Soziologie studiert und so weiter. Ich leb zwar anders, aber wünsch ich mir trotzdem wieder so, (2) dass es eben nich nur n Lebensabschnittspartner is. Mit meinem Freund, ich fand, ja, s war schon so n Anspruch an so n großes Gefühl oder so ne Großartigkeit und wenn ich jetzt ein zwei Jahre mit jemanden einfach nur so zusammen wär, das wär dann alles nich. Und so würde ich dann nich leben wollen. Andererseits muss sich man das wahrscheinlich ganz neu wieder überlegen. Vielleicht is das ja auch wirklich quatsch und unangemessen und gerade in diesen Zeiten. I: Wie meinst Du das? J.P.: Ja, wo wirklich jeder sich irgendwie ausleben will und so viel wie möglich andere Menschen kennen lernen will. Alle wollen nur wieder neue Erfahrungen. Weil schon in allen Köpfen immer ist, ja, es reicht eben nicht nur, wenn man eine Paarbeziehung hat. Ich glaub das is schon so ne Unruhe dadurch in den Köpfen. Und ich war aber nich unruhig, als ich in der Paarbeziehung war, das hat mir nichts ausgemacht. Ich weiß auch, ich hätte wirklich auch Kinder bekommen können und alt werden können, ohne dass ich jetzt x Partner irgendwie hätte. Aber jetzt würde ich nich wieder zurückwollen, jetzt bin ich unruhig.
Der Wunsch nach einem auf ewig gedachten Paar war für Judith P. Resultat der Erfahrungen mit der über mehrere Jahre verstetigten Beziehung. Im Rückblick auf die Motive ihrer Liebe gibt sie sich heute auch sicher, dass die Stärke der Liebe nicht Folge einer erzwungenen Romeo und Julia-Situation war, als sich das Paar gegen den väterlichen Willen stellte. Gleichwohl wird die gegen-den-Rest-der-Welt-Situation zu einem tragenden Element der Paaridentität erhoben. In Kontrast zu dieser Zeit entwirft Judith P. ein Bild ihres Selbst in der Jetztzeit. Während sie früher noch
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die romantische Vorstellung besaß, „der eine auf ewig“, ist nun von Desillusion und einer dadurch erzwungenen Persönlichkeitsreifung die Sprache. Nach der Trennung habe sie sich von der Vorstellung des Traummannes verabschiedet. Die Erzählerin schildert bis zu dieser Stelle allerdings auch eine für die jugendliche Entwicklung typische Reifungsgeschichte: Frühe, naive Bilder der Liebe können sich mit der Zeit verschleifen. Sie sucht aber nach Erklärungen in der ‚objektiven‘ Zeitgeschichte. Als Begründung für die Revision ihrer ursprünglichen Liebesvorstellung bemüht sie „die Zeiten“. Den Charakter dieser Zeit benennt sie so: „Viele“ wollen sich in den intimen Beziehungen heute „hektisch“ ausleben. Sie bewertet dies kritisch und verdächtigt diesen Zeitgeist überdies als Quell der Trennungsabsichten des langjährigen Beziehungspartners. Die Befragte sucht somit nach einer kulturellen Deutungsfolie zur Rationalisierung ihrer Trennungserfahrung. Ihre ursprüngliche ‚Ruhe‘ (quasi das ‚Nicht-abwägen-Müssen‘) im Lebensplan wird so gesehen von der wahrgenommen ‚Unruhe‘ (dem Legitimieren-Müssen eigener Motive) in der Heute-Zeit durchkreuzt. Indem Judith P. die Gegenwartszeit als tendenziell negativ, da hedonistisch, schnelllebig und unverbindlich ausmalt, erstellt sie das kulturkritische Bild eines gegenwärtig herrschenden Konsumismus in den intimen Beziehungen. Gegen diese Vorstellung hektischer Marktförmigkeit bekennt sie sich selbst als Anhängerin einer traditionellen Auffassung der Liebesbindung: b)
Fühlen versus Wissen I: Jetzt bist du sozusagen in den Zeiten angekommen, oder (.) J.P.: Ja, ja, jetzt will ich auch so leben wie die Anderen (lacht). Also vielleicht will ich es auch nich, also das is im Moment so n bisschen die Stufe, dass ich wahrscheinlich eigentlich wirklich wieder dieses Großartige suche. Und im Moment will ich es auch nich. Im Moment hätte ich auch gar nich wieder die Energie so viel da rein zustecken und zu geben. Also ich bin schon, würde ich jetzt schon sagen, ich bin in meinen Zeiten angekommen, aber mir fehlt das andere schon. Zum Beispiel bin ich in meinem Freundeskreis der einzige Single und es sind nur Paare, die alle grade heiraten und schwanger werden. Und (8) also mit der Arbeitssituation haben die natürlich schon alle ein anderes Bild, dass natürlich auch beide arbeiten können und nich der Mann der Ernährer mehr is und so was, aber. (3) Also ich hab wirklich mehr das Bild von der Frau, dass jetzt der Mann ähm all dieses tun muss, so leb ich auch nich, aber ich ertapp mich immer wieder dabei, wenn ich das dann höre von Freundinnen. Ich finde das wirklich gut, dass das wirklich dann gemeinsam so zusammen geplant wird. Rational finde ich das so gut, aber. (5) Ja, insgeheim fände ich das vielleicht nich schlecht, wenn der Mann dann doch wieder auch ein bisschen um die Frau kämpft. Blöd eigentlich, weil ich ja Soziologie studiert hab und auch wirklich anders in der Beziehung dann lebe, aber insgeheim is es doch so. I: Warum das jetzt mit der Soziologie, also, äh was is da anders, oder J.P.: Weil ich ja alles weiß, wie das alles konstruiert is und warum und (lacht). Ja, und deswegen (lacht) weiß ich nich, was mich dann so wahnsinnig prägt.
Judith P. bezeichnet sich selbst mittlerweile als „unruhig“ geworden. Was will sie ausdrücken? Obwohl sie dem Gelegenheitsmarkt der Intimität nun auch aufgeschlossen
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gegenüber scheint, wirkt dies bloß wie ein vorübergehendes Zugeständnis an einen herrschenden Zeitgeist. Bereits im vorangegangenen Erzählsegment hatte sie den Begriff des Lebensabschnittspartners negativ als Modefloskel besetzt und sich bereit erklärt, die Vorstellung der ewigen, tiefen Liebe gewissermaßen tapfer zu verteidigen. Unvermittelt hadert sie allerdings mit ihrem Wunsch nach ewiger Liebe und nach eindeutigen Geschlechterrollen, gekennzeichnet durch das traditionelle Geschlechterschema der empfangenden Frau und des aktiven, werbenden Mannes. Qua ihres absolvierten Soziologiestudiums argwöhnt sie jedoch, all dies besser „wissen“ zu müssen („Ich weiß das alles“). Aber was weiß sie an dieser Stelle eigentlich? Judith P. „ertapp[t]“ sich gleichsam dabei, gegen das Wissen zu fühlen. BedürfnisIch und theoretisiertes Wissen kollidieren miteinander. Als Ausdruck ihrer sozialwissenschaftlichen Ausbildung hegt sie den Verdacht, alles Fühlen und Wollen in der Intimität könne vorweg sozial schematisiert und damit womöglich gar nicht ‚individuell echt‘ sein. In Opposition zum Aufklärungs-Ich fühlt sie sich „wahnsinnig“ von etwas Anderem geprägt. Zwischen Bedürfnislage einerseits und rationalisiertem Lebensentwurf andererseits verfängt sie sich jedoch. Sie findet keine widerspruchsfreie Lösung und kapriziert sich zunächst auf das ‚Ausprobieren‘. Judith P. befindet sich augenscheinlich in einer durch ein kritisches Lebensereignis, der Trennung, ausgelösten biografischen Krise. Einerseits ist sie bestrebt, das erneute Scheitern einer als ewig gedachten Liebe zu vermeiden. Andererseits – damit verquickt – probiert sie sich gegenwärtig opportunistisch an dem, was sie für den gegenwärtigen Zeitgeist in der Intimität hält. Den Versuch der Auflösung dieser momentanen Lebensirritation trägt sie an eben dieser Normalitätsvorstellung aus: J.P.: Aber so nehm ich auch, also die entfernteren Singles in meinen Bekanntenkreis wahr, dass sie wirklich verflixt besonders auf der Suche sind, um Ruhe zu haben. Dass man wahrscheinlich nich fünf Jahre Single sein kann und es einem dabei trotzdem gut gehen kann. Also die Suche nervt mich schon, dass jeder immer unruhig nach noch was Besserem suchen will und irgendwie nie, nie stehen bleiben will und mal sieht, was er hat oder, ja. Immer dieses ständige (3) auf der Suche sein! Wenn man heutzutage früh heiratet oder früh Kinder bekommt, das is ja wirklich schon komisch. Die eine Freundin von mir, die auf den Heiratsantrag wartet, die is seit zehn Jahren mit ihrem Freund zusammen und das is auch schon ungewöhnlich. Die wird schon komisch angekuckt, weil das wirklich ihr erster Freund is. Und sie interviewt mich jetzt auch immer, ob mir diese Zeit jetzt was gebracht hat. Ich will jetzt auch nich mehr zurück, aber ich hätte es auch nich haben müssen, ich wäre auch so glücklich geworden.
Judith P. verdächtigt ihr Liebesideal eines Modernitätsrückstandes. Die eigene, traditionelle Partnerschaftsorientierung erscheint ihr gemessen an ihrer Vorstellung des Normalen in der eigenen Zeit nicht konform. Analog zur Sprachverwendung im obigen Fall Bastian L. wirkt sie auf sich selbst „komisch“. Auch das Beispiel der seit zehn Jahren fest in einer Paarbeziehung mit dem ersten Partner lebenden Freundin bestätigt ihre Einschätzung. Auch diese werde „komisch angeguckt“. Zum Abschluss wird Judith P. vom Interviewer gefragt, ob sie sich in irgendeiner Weise einer Generation zugehörig fühlt.
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4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
J.P.: Also so fühl ich mich dann nich mehr einer Generation zugehörig. Nee, ich bin zwar wirklich offen für was Neues, aber im Prinzip, nee. (3) Ich war auch schon selten mit sieben Jahren, im Vergleich zu meinen Freundinnen und von daher fühle ich mich da eigentlich da nich zugehörig.
Judith P. betrachtet sich mit ihrer zurückliegenden, siebenjährigen Paarbeziehung gemessen an den Praxen der Gleichaltrigen zwar als in einer generellen Außenseiterposition. Aufschlussreich an dieser Passage ist jedoch, wie sie kennzeichnet, sich einer Generation zugehörig zu ‚fühlen‘ oder nicht. Der Geist ihrer Generationszeit wird ihren individuellen Impulsen und Wünschen in der Intimität nicht gerecht, sie ‚fühlt‘ sich diesem Geist daher nicht zugehörig. Mit ihrem oppositionellen Gestus bestätigt sie jedoch dessen für sie selbst geltende objektive Existenz. Anders formuliert: Judith P. ist zwar, wie sie sagt, „genervt“ von der kollektiven Hast nach immer neuen Erfahrungen in der Intimität, sucht aber im ‚Ausprobieren‘ nach einer Position in Bezug auf diesen Geist, auf deren Grundlage sie weder ihren Freunden noch sich selbst gegenüber zu ständigen Legitimationen aufgefordert ist. Fallrekonstruktion Judith P.: Ein Fazit Judith P. nimmt im Vergleich der Fälle der späten Jahrgänge die Rolle der Modernisierungskritikerin ein, die an einem traditionellen Bild von Liebe und Partnerschaft festhalten möchte. Dies betrifft zum einen ihr Geschlechterrollenbild, vor dessen Hintergrund sie sich einem traditionellen Geist als verhaftet begreift. Mit ihrem sozialwissenschaftlichem Studium könnte zwar der Wunsch nach Welterschließung verbunden gewesen sein, ihr erworbenes Wissen über Geschlechterschemata bleibt ihr jedoch äußerlich: Denn wo Handlungsstrukturen kognitiv noch offen und gestaltbar erscheinen, favorisiert sie letztlich das ‚fühlende Selbst‘ in der Liebe. Das aufgeklärte Selbst kann sich nicht dagegen durchsetzen, wofür sie aber keine Erklärung findet. Zum anderen verurteilt sie das als Geist ihrer Zeit gedeutete Prinzip der Marktförmigkeit intimer Beziehungen („Unruhe“). Demgegenüber hält sie ein idealisiertes Bild der reinen Liebe aufrecht, getragen von der Qualität, sich gegen die Anfechtungen dieser „Unruhe“ bewähren zu können. Mit diesem Ideal trifft sie aber auf Widerstände in ihrem Bild der gegenwärtigen „Zeiten“. So gesehen fiel die Liebe des Freundes den Versuchungen des Marktes zum Opfer und sie kann sich mit der „Vielzahl von Wahlmöglichkeiten“ im Heute nicht einverstanden erklären. Da dies ihr Reinheitsideal der Liebe konterkariert, „fühlt“ sich Judith P. ihrer Generation nicht „zugehörig“. Individuell stellt sie sich gegen den Gegenwartsgeist, erklärt ihn damit jedoch gleichzeitig zur Generationserfahrung, die zu biografischen Legitimationen zwingt. Judith P. unterliegt somit dem Deutungsmuster, ihr ideales Ich in der Liebe in ihrer Generationszeit nicht einlösen zu können. Quasi eher ‚geschubst‘ als gewollt, befriedet sie diesen wahrgenommenen Widerspruch für sich mit einem vorläufig bleibenden Opportunismus, dem Eintauchen in die Vielzahl der Gelegenheiten.
4.4 Rahmenpunkte privater Lebensführung der ,späten‘ Jahrgänge
4.4.4
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Vergleich der Fallrekonstruktionen der späten Jahrgänge
Mit Bezug auf die Kategorie Kollektivbezug sind die Hintergrundsdeutungen der Befragten der späten Jahrgänge – mit skeptischer Intention – strukturverwandt. Im Mittelpunkt steht die vermeintliche Fragilität und Unverbindlichkeit intimer Bindungen in der Gegenwart. Das, was in allen Narrationen als ‚Wir‘ aufscheint, ist durch den gemeinsamen Bezugshorizont einer hochgradig optionalen Welt der persönlichen Nahbeziehungen verbunden. Dieser wird daher das dringende Verlangen nach ein-‚deutigen‘ Entscheidungen entgegengesetzt. Romantische Liebe hat jedoch für alle drei Befragten der späten Jahrgänge einen hohen Wert. Für Bastian L. steht dabei das Entscheidungsprinzip in der Liebe im Vordergrund. Die Rationalisierung der Liebe besteht bei Carola M. und Judith P. in der Emotion, bei Bastian L. gerade in der Ausblendung der Emotion. Bei Bastian L. ist sein Authentizitätsideal der Liebe auf den ersten Blick diametral zu dem bei Carola M. beschaffen: Während Bastian L. nicht dem Liebes-‚Gefühl‘ traut, hingegen dem Entscheidungsprinzip Vorrang einräumt, ist es im Fall Carola M. genau umgekehrt. Sie vertraut der Emotion als Ausdruck eines „absoluten Nähegefühls“, weniger aber der Institution des Paares selbst, bei der sie fürchtet, das Näheprinzip verkomme dort zur leeren Hülse. Obwohl sie aus ihrer historisierenden Deutung das Unvermögen zu einer jahrzehntelangen Paarbeziehung ableitet („absolut nicht vorstellen“), rätselt sie an der eigenen Biografie mit einem psychologisierten Selbstverdacht, ähnlich wie die Elterngeneration (dort aber wegen des Traditionalismusverdachts) von unbekannten Strukturen „beeinflusst“ zu sein und findet für diese Konfliktdeutung keine lebenspraktische Auflösung. Im Fall Judith P. wird demgegenüber sichtbar, dass gemeinsam mit dem Fall Carola M. eine gesteigerte Idee der Liebesemotion als Authentizitätskriterium geteilt wird. Judith P. glaubt jedoch in Kontrast zu Carola M. genau umgekehrt an das Ideal der ewigen Liebe innerhalb einer Paarbeziehung. Daran hält sie kontrafaktisch zu der damit erlebten, negativen eigenen Erfahrung fest. Abgesehen von der besonderen Note im Fall Judith P. sind Geschlechterzuschreibungen in den Selbstthematisierungen der späten Jahrgänge allerdings auffallend zurückgedrängt. Dies bedeutet keinesfalls, dass die Alltagshandlungsmuster dieser Befragten keine Geschlechterpraxen mehr darstellen. Nur tritt dies in den Thematisierungen in den Hintergrund, wo nun an die Stelle der Rhetorik von Geschlechterproblemen deutlicher die von Beziehungsproblemen getreten ist (dazu ausführlich Kapitel 5 und 6). Das verbindende Authentizitätsideal lässt sich für alle drei Befragten jedoch als Versuch formulieren, ‚gute Gründe‘ für getroffene oder zu treffende Festlegungen (nicht allein für eine/n bestimmte/n Partner/in, stärker für ein Paararrangement überhaupt!) vor dem Hintergrund einer Vielzahl alternativer Festlegungen zu finden. Wenngleich der Innenbezug (die ‚Wahrheit‘ der Affekte) in den Erzählungen fraglos immer parallel mitläuft, wird damit das Problem, Sicherheit für die Idee der Liebe zu gewinnen, auffallend an Außenbezüge gebunden. Das heißt, an die Frage nach der Eindämmung von Kontingenz in der äußeren Welt (vgl. hierzu auch Abschnitt 6.1).
216
4 Generationsspezifische Selbstthematisierung in der Liebe – Empirischer Teil
Anders formuliert: Das auch von diesen Jahrgängen noch als Exklusivitätsideal belegte Muster der romantischen Liebe gerät in Widerspruch zur generationsspezifischen Wahrnehmung eines herrschenden Geistes des ‚anything goes‘. Nachdem damit die Problemdeutung dieser Befragten beschrieben ist, lassen sich als Vergleichskategorie unmittelbar die aus der verbindenden Gegenwartsdiagnose handlungsstrategisch unterschiedlich gezogenen Schlüsse heranziehen: Carola M. verwirft die Idee einer dauerhaften Paarbeziehung mit Liebe. Für Judith P. ist aber genau das explizite Bekenntnis zu einer verbindlichen und als ewig gedachten Paarbeziehung Ausdruck der Realisierung ihres Liebesideals. Carola M. sieht für sich ein Entwicklungsproblem in der Liebe, welche für sie nur außerhalb einer Paarbeziehung denkbar ist; Bastian L. geht dem aus dem Weg, indem er schlicht Entscheidungen fällt. Judith P. hingegen ist noch damit beschäftigt, das eigene Ich mit den kulturellen Leitbildern der Gegenwart zu balancieren. Als verbindender Bezugshorizont steht die generationstypische Färbung des Problems im Mittelpunkt, die richtige Wahl in der Liebe zu treffen. Die drei Befragten lösen dies unterschiedlich: Während Bastian L. alles über Entscheidungsrationalität regeln will, geht es bei Carola M. analog zu Judith P. stärker um innere Gewissheit. Bei Carola M. drückt sich dies im Vertrauen in ein „absolutes Nähegefühl“ als einem räumlich unabhängigen „Grundzustand der Nähe“ aus, bei Judith P. quasi durch die Idee der reinen Liebe selbst. Kristallisationspunkt aller drei Erzählungen ist damit das Abwägen von Alternativen in der Liebe in einer generationstypischen Prägung. Das tragende Motiv der Orientierung zeigt sich als Problem der richtigen Schließung als zeittypisch erlebter Kontingenzerfahrungen in einer ‚anspruchsvoll‘ optionalen Welt. Der verbindende Bezugshorizont in der Generationsherausforderung (vgl. Abschnitt 5.1) besteht darin, Ordnung in die Optionsvielfalt einer Lebenswelt zu bekommen, in deren Mittelpunkt das Gebot zur permanenten Entscheidung steht.
5
Empiriegeleitete Typologie
Die Fallrekonstruktionen in den vorangegangenen Abschnitten zeigen fallbezogen und fallvergleichend auf, wie sich das ‚individuelle Ich‘ in seinem Entwurf in der Liebe als ‚historisch gebundenes Ich‘ darstellt. Auf der Grundlage der Fallstudien und der dabei gebildeten Kategorien wird dazu im Folgenden eine generationsvergleichende Typologie erstellt. Abschnitt 5.1 rekapituliert in knapper Form die grundlegende Fragestellung der Untersuchung. Der Bedeutungswandel der Liebe wird dabei als ein Zusammenspiel zweier Komponenten betrachtet: Als Verhältnis zwischen den von den Befragten in ihren Selbstthematisierungen generationsspezifisch wahrgenommenen Herausforderungen und den dazu jeweils bevorzugten Antworten für die Lebenspraxis. In den Abschnitten 5.2 bis 5.4 wird dieses Verhältnis anhand der erreichten empirischen Ergebnisse systematisch ausbuchstabiert. Dabei geht es um zwei Fragen: a) Wie ist der jeweilige historische Erfahrungshorizont, und wie die Herausforderung einer Generation in der Liebe beschaffen? b) Welche bevorzugten Antworten bzw. Lösungen auf diese Herausforderungen finden die Befragten dafür in ihren biografischen Kommunikationen? In Abschnitt 5.5 wird eine abschließende Bewertung der methodischen Vorgehensweise vorgenommen. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse vor dem Hintergrund sich daraus ergebender Fragestellungen im Verhältnis von Liebe, Partnerschaft und Gender bilanziert.
5.1
Generationsherausforderung und individuelle Lebenserfahrung in der Liebe – Rekapitulation der Forschungsfrage
Bei der Frage nach dem Bedeutungswandel der Liebe standen drei Ausgangsannahmen im Zentrum der empirischen Materialarbeit: a) Jede biografische Narration zum Thema Liebe enthält bestimmte Authentizitätsmarkierungen, über die explizit wie auch implizit Hintergrundsannahmen über Widerspruchslosigkeit des SelbstSeins in der romantischen Liebe sowie der damit verbundenen Beziehungspraxis formuliert werden. b) Diese Markierungen können im diachronen Vergleich generationsspezifisch ausgeformt sein, und sich c) mittels eines interpretativen, sinnrekonstruktiven Zugangs empirisch erschließen lassen. Alle drei Annahmen wurden prinzipiell bestätigt, und auf der Grundlage dieser Arbeitshypothesen konnte in der Untersuchung eine Fülle von Ergebnissen erzielt werden. Als allgemeiner Horizont für das Vorgehen lag die generelle Frage zugrunde nach dem Wandel des Musters romantische Liebe vor dem Hintergrund eines insbesondere seit Mitte des 20. Jahr-
218
5 Empiriegeleitete Typologie
hunderts geringer werdenden Einflusses traditioneller Ordnungen in den persönlichen Nahbeziehungen – wie in den Eingangskapiteln dieser Arbeit ausführlich erörtert. Im Einzelnen: In den Kapiteln 1 und 2 der Arbeit wurde dargelegt, dass der Begriff Liebessemantik (Luhmann 1982) in Bezug auf die Forschungsfrage noch Bestimmungen bedarf, wie Semantik auch mit Praxis zusammenhängt. In den Fallrekonstruktionen wurde dazu hinterfragt, wie die Semantik der Liebe in der konkreten Lebenswelt sozialer Akteure individuell wahrgenommen und produktiv kreiert wird: Liebe wird praktisch erfahren und ihre Semantik jeweils praktisch ausgelegt. Dies vollzieht sich zum einen innerhalb der Beziehungspraxis der Paare – also in Interaktionsprozessen. Zum anderen aber auch durch die Verarbeitung in einer Gesellschaft herrschender Liebesleitbilder und den damit vermittelten Wirklichkeiten (Diskurse, Beziehungsnormen etc.) seitens deutender Akteure. Mindestens zwei Praxisformen der Liebe sind somit zu unterscheiden: Beziehungspraxis (Interaktion) und Deutungspraxis (Deutungsmuster, Narrationen). In der vorliegenden Untersuchung steht die narrativ vermittelte Deutungspraxis der Liebe im Zentrum. Die vorgenommene Deutungsmusteranalyse kann daher jene Konstruktionsleistungen der Befragten in den Blick nehmen, in denen sich biografische Erfahrungen, wahrgenommene Problemstellungen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen und Lösungen für die Lebenspraxis abbilden. Deutungsmuster nehmen daher immer, wie es Meuser und Sackmann (1992: 16) formulieren, ‚funktional Bezug auf Handlungsprobleme‘. Und Handlungsproblem meint hierbei: Vor dem Hintergrund der von den Einzelnen vorgefundenen, gesellschaftlich bereits etablierten Liebessemantik, stellen sich ihnen immer bestimmte Herausforderungen. Sie sehen sich mit der Aufgabe konfrontiert, diesen Bedeutungen in der eigenen Lebenspraxis entsprechen zu können, oder zumindest eine Position dazu einzunehmen. Die Frage, die sich ihnen dann stellt, lautet: Wann ist man sich sicher in der Liebe? Häufig ergibt sich jedoch die Erfahrung, dass sich solche Bedeutungen bzw. Semantiken eigenen Erfahrungen sperren. Individuelle Lebenspraxis kann sich den Imperativen, Verheißungsidealen und Glücksfolien der etablierten Liebessemantik somit auch verstellen. Ideal und faktische Erfahrung müssen dann miteinander verrechnet werden. Genau an jener Stelle, wo Herausforderung bereits mit konkreter Erfahrungspraxis verrechnet ist, dort also, wo Schlussfolgerungen daraus gezogen wurden, zeigt sich, so die zentrale These, erst die eigentliche Liebessemantik. Somit nicht nur dort, wo die über Leitbilder vermittelte Herausforderung reflektiert wird (was opportun wäre, zu tun), sondern dort, was getan werden kann (wozu ich selbst fähig bin). Daraus ergibt sich der Stellenwert des Begriffs der Authentizität (vgl. Abschnitt 1.7) für die Untersuchung. Hierbei geht es, wie erwähnt, nicht um Esoterik, sondern um Einheit (Widerspruchsfreiheit) zwischen idealem Anspruch und faktischem Handeln. Klafft dies auseinander, wird nach neuen Erklärungen gesucht. Dabei wird
5.1 Generationsherausforderung und individuelle Lebenserfahrung in der Liebe
219
dann das produziert, was Einzelne für authentisch halten. Die daraus gezogenen Schlüsse – das also, was sich in biografischen Kommunikationen über Liebe ausdrückt – entstammt somit keinem leeren Raum, sondern ist durch praktische Erfahrungen gedeckt. Was in biografischen Reflexionen nach Abzug praktischer Erfahrungen am gesellschaftlich herrschenden Idealbild der romantischen Liebe ‚übrig‘ bleibt – bzw. kreativ modifiziert wird –, beschreibt schließlich das Erreichbare in der Liebe. Was sich an der Liebessemantik unter dem Gesichtspunkt der hier eingenommenen Generationsperspektive damit verändert, ist die durch unterschiedliche kollektiv-biografische Erfahrungszusammenhänge gestützte, narrative Herstellung unterschiedlicher Konstruktionen von Authentizität in der Liebe. Die darauf bezogenen biografischen Kommunikationspraxen stellen die zentrale Ebene dar, auf der in dieser Untersuchung Ergebnisse hervorgebracht werden. Der Gewinn des Vorgehens mit dem ‚historischen‘ Generationsansatz besteht hierbei nicht lediglich darin, ein Vergleichsinstrument zur ‚Rhythmik‘ von Zeitwandel zu erlangen. Er erklärt diesen Zeitwandel vielmehr als Verhältnis einer Abfolge sinnhaft ineinandergreifender, sich jeweils neue stellender kollektiver Problemstellungen und Herausforderungen, sowie den dazu über Selbstthematisierungen vermittelten, favorisierten Antworten. Zusammengefasst: Die Einzelnen positionieren sich kommunikativ zu den Herausforderungen ‚ihrer Zeit‘ – sie produzieren sie damit im gleichen Zug erst. Lebenspraxis bricht sich jedoch mitunter an Ansprüchen. Es werden quasi Spannungen zwischen Semantik und Praxis entdeckt. An die Materialanalyse wurde daher folgende, zentrale Frage gerichtet: Wie vermitteln die Angehörigen bestimmter Jahrgänge ihre konkreten Erfahrungen mit den akzeptierten Anforderungen, die seitens der Gesellschaft an romantische Liebe bzw. Liebesbeziehungen herangetragen sind? Nach der ausführlichen Präsentation der Ergebnisse der Fallrekonstruktionen im vorangegangenen Kapitel 4 werden die Befunde im folgenden Abschnitt im Sinne generationsspezifischer Typen der Selbstthematisierung in der romantischen Liebe generalisiert. Bei diesem Schritt wird wiederum chronologisch vorgegangen und die Darstellung abfolgend für die ‚frühen‘, mittleren‘ und ‚späten‘ Jahrgänge präsentiert. Dazu werden die in den Abschnitten 4.2, 4.3 und 4.4 jeweils erörterten historischen Rahmungen zusammengefasst, in die die Adoleszenz der betreffenden Jahrgänge fällt, und die rekonstruierten Muster individueller Selbstthematisierung in der Liebe darauf bezogen. Auf der Grundlage der in Abschnitt 4.2.3 hervorgebrachten theoretischen Kategorien werden schließlich generationsspezifische Typen entwickelt. Der Bezug richtet sich dabei auf die in der Untersuchung dargestellten Fallstudien, da sie für die jeweilige Typenformulierung als besonders signifikant gelten. Im Gesamtkorpus des Samples existieren weitere Referenzfälle (vgl. Kapitel 3). Im jeweils dritten Schritt werden die Ergebnisse für jede einzelne Generation diskutiert. Zwei Schaubilder führen die Ergebnisse am Ende von Abschnitt 5.4.3 überblicksartig zusammen.
220
5 Empiriegeleitete Typologie
An dieser Stelle eine Übersicht der rekonstruierten Typen: Jahrgänge
Typenziffer
Referenzfälle
Typenkurzbezeichnung
Frühe Jahrgänge
I
Ingeborg S.
Enttraditionalisierung
II
Gregor B.
Hierarchisierung
Mittlere Jahrgänge
Permanenter Latenzverdacht
III (Ausprägung a)
Karla S.
‚Falsches‘ Liebesphantasma
(Ausprägung b)
Rainer K.
‚Dispositiver‘ Geschlechtshabitus Praktische Sensualität
IV
Späte Jahrgänge
(Ausprägung a)
Gisela T.
Reziproke Reflexivität
(Ausprägung b)
Rüdiger A.
Selbstpädagogisierung
V
Bastian L.
Entscheidungsrationalität
VI
Judith P.
Traditionalismus als Selbstbehauptung
Ambivalenztypus
Carola M.
Reine Liebe vs. Paargemeinschaft
Schaubild III: Übersicht über die rekonstruierten Typen
5.2
Erfahrungshorizont, generationelle Herausforderung und Selbstthematisierung der frühen Jahrgänge
Bezugnehmend auf die Ausführungen in Abschnitt 4.2 kann für die frühen Jahrgänge zusammenfassend formuliert werden: Adoleszenzerfahrungen fallen bei diesen Jahrgängen in die historische Phase des restaurativen Paar- und Familienmodells der Nachkriegszeit. Diese Jahrgänge erleben den Höhepunkt des bürgerlichen Normalfamilienmodells und der damit verquickten Beziehungsmoral, trotz eines sich – generationsstiftenden – seit den 60er Jahren tendenziell abzeichnenden „Informalisierungsschubs“ (Wouters 1997) in den Nahverhältnissen. Der Bedeutungsverlust der traditionellen Rollenverpflichtung zeichnet sich insbesondere bei Frauen ab, und das Modell der männlichen Erwerbszentrierung und weiblichen Familienzentrierung mitsamt der darin eingeschriebenen asymmetrischen Geschlechterordnung beginnt allmählich zu erodieren. Die Fallstudien zeigen auf, dass dies, wenngleich unterschiedlich, in die Selbstthematisierungen dieser Jahrgänge einfließt und die Problemdeutungen der Liebe strukturiert. Auf der Grundlage der Materialarbeit konnten für die späten Jahrgänge daher folgende Typen biografischer Selbstthematisierung rekonstruiert werden:
5.2 Selbstthematisierung der frühen Jahrgänge
5.2.1
221
Typen biografischer Selbstthematisierung in der Liebe bei den frühen Jahrgängen
Typus I: ‚Enttraditionalisierung‘ Kennzeichnend für diesen Typus ist das Motiv, sich von der durch ungleiche Geschlechterrollen und -Rechte definierten Liebesordnung des traditionellen bürgerlichen Sozialmodells zu lösen. Demgegenüber wird versucht, Autonomie zur individuellen Realisierung romantischer Liebe im Paar abseits dieses Modells zu erlangen. Die Herausforderung, eine solche Ungleichheitsordnung von sich zu streifen, stellt sich allerdings nicht lediglich in einer bestimmten Zeitphase, sondern kann selbstverständlich für Angehörige ganz unterschiedlicher Geburtsjahrgänge virulent werden. Die generationelle Färbung dieses Typus ergibt sich jedoch aus seiner Position innerhalb der historischen Gelegenheitsstruktur, aus der er seine kollektiv besondere Wirkung entfaltet. Dies ist auch der Grund, weshalb dieser Typus im Vergleich zu den Typen der mittleren und späten Jahrgänge eine deutlich geschlechtsspezifische Komponente aufweist. Hier geht es um das Aushebeln einer vor allem von Frauen als generationsspezifisch wahrgenommenen Ungleichheitsordnung der Geschlechter, die der Verhinderung von Egalität im Binnenverhältnis des Paares für schuldig erklärt wird. Die Einlösung ökonomischer Selbständigkeit als Bedingung eines Gleichgewichts zwischen den Partnern spielt daher eine zentrale Rolle. Das Generationswie auch Geschlechtstypische, das in den Narrationen dieses Typus aufscheint, ist somit einerseits zwar die tragische Ummantelung des Ortes der eigenen Biografie („verhindertes Selbst“ in der Liebe), andererseits die kreativ-praxisgewendete Umdeutung dieser Selbstdefinition als Individualisierungsherausforderung und -Chance. Mit dem Typus I (Referenzfall ‚Ingeborg S.‘), wird insofern a) eine positive Idee der romantischen Liebe an einen reziproken Austausch zweier Individuen gebunden, die sich als gleichberechtigte Menschen begegnen und deren Beziehung nicht durch ein hierarchisches Rollenverhältnis strukturiert ist. b) konnte jedoch für diesen Typus die sich in der Narration abbildende praktische Schlussfolgerung rekonstruiert werden, dass die Realisierung dieses Ideals erst gegen zeitspezifische Widerstände (Modell der Geschlechter-Komplementarität und der traditionellen Geschlechterrollen) durchgesetzt werden muss.133 Typus II: ‚Hierarchisierung‘ In Typus II wird konstrastierend zu Typus I das Gleichheitsideal der Geschlechter verworfen, da an einer Ungleichheit der Gründe für die Liebe festgehalten wird. In diesem Typus wird ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Leitbild der Ega133
Trotz leicht unterschiedlicher milieu- und jahrgangsspezifischer Lagerung vgl. hierzu die Parallelen dieses Typus zu der von Kern (1998) herausgearbeiteten Fallstruktur „pragmatische Stabilität“ (ebd. 91ff.) am Beispiel einer 1950 in Österreich geborenen, ebenfalls ledigen Befragten.
222
5 Empiriegeleitete Typologie
lität gehegt. Hingegen steht er für die Wahrnehmung der Welt der Liebe und des Paares als einer primär materiell strukturierten Welt, worin die Partnerwahl rein instrumentell ablaufe. Eine daran zudem wahrgenommene Rangordnung wird klar entlang der Dimension sozialer Status geschlechtsspezifisch ausgedeutet: Frauen sind darin ökonomisch starken Männern zugeneigt, Männer hingegen äußerlich attraktiven Frauen. Im Bewahren und im Ausbau dieser Rangordnung versucht dieser Typus einen Modus zur Sicherung von Liebe im Alltag zu erlangen. Mit der Fallstudie Gregor B. als Referenzfall für Typus II, wird – ebenso wie in Typus I – hierbei ein Geschlechtermuster deutlich. Die positive Idee der „tiefen“ und prinzipiell gleichwertigen Gefühle, die dieser Befragte in Anspruch nimmt, wird in seiner Theorie geschlechtlicher Dispositionen stets durch seine Wahrnehmung einer „Rangordnung der Zuneigung“ (Zitat) zwischen Frauen und Männern konterkariert. Daher direkt zum Vergleich beider Typen:
5.2.2
Diskussion der Konvergenzen und Divergenzen der Typenausprägungen der frühen Jahrgänge
Das Thema der Befreiung bzw. der Barriere in der Liebe spielt in beiden Typen der frühen Jahrgänge eine tragende Rolle. Bei Typus I (‚Enttraditionalisierung‘) in der Variante, gegen die patriarchalischen Zumutungen des restaurativen Liebesmodells zu rebellieren, welche vor allem als Geschlechterrollenzwang wahrgenommen werden. Bei Typus II (‚Hierarchisierung‘) hingegen mit einer gegen das Restaurationsmodell rebellierenden ‚Sexualitätsbiografie‘, worin sich dieser Typus gegen die Sozialvorgaben seiner Zeit wendet, ohne eine Idee der Liebe selbst aufzugeben. In beiden Typen zeigt sich zwar der Versuch der Selbstfindung gegen die herrschenden Beziehungsnormen der Elterngeneration, sie unterscheiden sich aber in den Geschlechterzuschreibungen. Typus I nimmt nicht nur passiv Bezug auf das, was als Prägung der eigenen jugendlichen Wertvorstellungen in der Liebe gedeutet wird, sondern findet biografische Optionsräume („Unabhängigkeit“). Dennoch bleibt dieser Typus ambivalent, da Liebe und Beziehungsalltag nicht zueinander gebracht werden können. Im Wege steht eine Idee der Liebe, die sich nur ‚rein‘, d. h. abseits materieller Abhängigkeiten zu entfalten habe. Im Typus II existiert diese Problemwahrnehmung nicht, da das Materielle schlechthin als Strukturierungsgröße des Begehrens für gegeben betrachtet wird. In Bezug auf den Typus I kann nun vorausgesetzt werden, dass die in den Erzählungen des Referenzfalls Ingeborg S. geschilderte Wahrnehmung der Liberalisierung persönlicher Beziehungen eine tragende Generationserfahrung dieser Jahrgänge darstellt. Daraus lässt sich ableiten, dass diese Zeiterfahrung zu einer Überprüfungserfahrung altgewohnter Lebenskonventionen gerade für Frauen wird, da nun insbesondere das Geschlechterasymmetrie festschreibende male-breadwinner/ female-householder-Modell auf den Prüfstand gerät. Da dies aber kein individuelles Schicksal, vielmehr ein generelles Thema der Frauen dieses Milieus und dieser Jahr-
5.2 Erfahrungshorizont, generationelle Herausforderung und Selbstthematisierung
223
gänge darstellt, kann an dieser Stelle von einem Generationseffekt gesprochen werden. Aus dieser Perspektive steht der Referenzfall Ingeborg S. idealtypisch für das weibliche Streben nach Subversion des vor allem in den 50er und 60er-Jahre dominanten „Figurationsideal[s] harmonischer Ungleichheit“ (van Stolk/Wouters 1987). Genau hierzu steht der Typus II in Kontrast. Für ihn ist diese Ungleichheit allerdings nicht mehr harmonisch gegeben, im Vordergrund steht vielmehr die Überzeugung, sie habe sich seitens der Frauen in emanzipatorische Ansprüche gekleidet, ohne dass die „Rangordnung der Zuneigung“, wie es im Referenzfall Gregor B. lautet, dabei an Geltung verlor. Der Erzähltopos der Verschleierung ‚praktischer Realitäten‘ in der romantischen Liebe im Paar – als Ausdruck des in der Jugendzeit erlernten Liebesleitbildes – verbindet beide Typen allerdings in einer für ihre Generation charakteristischen Weise.
5.2.3
Die frühen Jahrgänge und die Liebe: Restaurative Rollennormen versus Autonomieideal
Mit den Ergebnissen der Typenkonstruktionen der frühen Jahrgängen wird die in Abschnitt 4.2 dargestellte These bestätigt, dass sich zwischen der unmittelbaren Nachkriegsjugend (den Jahrgängen etwa 1930 bis 1940) und den direkten Nachfolgejahrgängen ein Scheidepunkt von Generationserfahrungen einstellt. Insofern besteht ein deutlicher Unterschied darin, ob Adoleszenzerfahrungen vorwiegend in die 40er bzw. frühen 50er, oder eher in den Zeitpunkt ab den 60er Jahren fallen.134 Da in diesem Zwischenfeld das restaurative Deutungsmonopol privater Lebensgestaltung an Einfluss verlor, bilden sich Alternativhorizonte für den Stellenwert von Liebe und Paarbeziehung im individuellen Lebensentwurf heraus. Insbesondere das Infragestellen der traditionellen Geschlechterordnung seitens der Frauen sowie eine schrittweise Verselbständigung der Sexualität spielen dabei eine Rolle.135 Gerade für diese Jahrgänge zeichnet damit ein Misstrauen gegenüber sich scheinbar naturwüchsig vollziehenden Selbstbeschränkungen in den individuellen Entwicklungsprozessen der Nachkriegsgesellschaft (Corsten 2001b). Die Ergebnisse zeigen für das Milieu der Untersuchung vielmehr das Rationalisierungsmuster, einem verkehrten Lebenszusammenhang aufgesessen zu haben, der Individualisierungsbestrebungen kaum zuließ. Dies bestätigt auch die Einschätzung von Heinz Bude (1995) in Bezug auf die Jahrgänge 1938–1948, dass sich bei ihnen mit der Erfahrung der restaurativen Nachkriegsmentalität, sowie den durch Krieg desillusio134
Es gab durchaus Ausnahmen und widersprüchliche Tendenzen, besonders im ‚Nachkriegsloch‘ bis 1949, worauf ich in Abschnitt 4.2 eingegangen bin. 135 So bezeichnet beispielsweise Henk Becker (1989) die Jahrgänge etwa zwischen 1930 und 1940 als „stille Generation“ (bei Schelsky 1957: „skeptische Generation“), mit dem Merkmal großer Anpassungsbereitschaft und Orientierung am bürgerlichen Ehe- und Familienkonzept sowie einer entsprechenden Skepsis gegenüber den Normen der ‚Sexuellen Revolution‘.
224
5 Empiriegeleitete Typologie
nierten und vor allem auf Aufbau bedachten Eltern, das generationsstiftende Gefühl ergab, um ein ‚wahrhaftiges Ich‘ betrogen zu werden.136 Die Fallrekonstruktionen belegen aber auch die Bewertung von Michael Corsten (2001b), bei diesen Jahrgängen würden Befreiungsgestus und faktische Lebensführung in gewisser Weise auseinander klaffen. Corsten erklärt dies damit, dass die gesellschaftlichen Umwälzungen der 60er Jahre (Kritik an der vertikalen Wertehierarchie der bürgerlichen Sozialordnung und an der patriarchalen Geschlechterordnung; sexuelle Liberalisierung etc.) bei dieser Generationslagerung in die Spätadoleszenz fallen und erst dort zum Auslöser der Revision und der kollektiven Umschreibung bisheriger Kriterien der Lebensgestaltung werden. Dieser Wandel wirke sich erst nach dem Durchschreiten zentraler Lebenslaufpassagen aus. Damit in der Regel auch erst nach der Aufnahme biografisch relevanter Paarbeziehungen, nach Eheschließung und Familiengründung. So stellt Corsten anhand einer Sichtung von Ehe-, Familienbildungs- und Erwerbseinstiegsdaten fest, dass die Lebensläufe und -Karrieren dieser Jahrgänge einen hohen Institutionalisierungsgrad besitzen: „Insofern weist das Gros des älteren Teils der 68er-Generation äußerst standardisierte Biographien auf. Gerade für diese Geburtskohorte trifft die sogenannte „Normalbiographie“ in hohem Maße zu, entgegen des bei ihnen vorzufinden expressiven Habitus, aus der Normalität ausbrechen zu wollen bzw. gegen die Normalität zu rebellieren“ (ebd.: 490). Die Materialanalyse bestätigt dies: In den Referenzfällen von Typus I und Typus II wird nicht von Beginn an in der Biografie ‚rebelliert‘. Die generationsspezifische Herausforderung in der Liebe stellt sich diesen Jahrgängen zwar in der Hintergrundsüberzeugung einer Vergangenheit der beklemmenden Beziehungen dar, von der man sich lossagen will. Die Zeiterfahrung wird also als Enge interpretiert, was zur Auseinandersetzung mit den Nachkriegsmaximen der privaten Lebensgestaltung führt. Erst im zweiten Lebensdrittel dagegen kommt es zu einschneidenden, dann aber programmatisch begründeten Revisionen. Dies verdeutlicht die Gefahr eines institutionalistischen Fehlschlusses, ginge man von einer stets zeitnahen Kongruenz zwischen Problemdeutung und praktischen Handlungskonsequenzen aus. Wie die Ergebnisse zeigen, setzt sich im Grunde der revoltierende Habitus der frühen Jahrgänge mit der Ausbreitung ‚nichtkonventioneller Lebensformen‘ (Schneider/Rosenkranz/Limmer 1998) kollektiv legitimiert erst bei den mittleren Jahrgängen durch, ohne dass das revoltierende Motiv dabei noch im Zentrum des kollektiven Selbstverständnisses steht.
136
Vgl. hierzu den Essay „Erfahrungshunger“ von Michael Rutschky (1982), der darin ein Bild der mentalen Verfassung dieser Jahrgänge zeichnet. Im Zentrum steht die gemeinsame Generationserfahrung einer durch die Eltern vermittelten Sinnleere, sowie das Gefühl, in der Gefahr zu stehen, ein ungelebtes Leben zu führen. Daraus zieht Rutschky die Schlüsse für die ‚melancholische‘ Welthaltung (vgl. White 1991) dieser Jahrgänge. Analog hierzu der Film Hungerjahre von Jutta Brückner von 1979.
5.3 Selbstthematisierung der mittleren Jahrgänge
5.3
225
Erfahrungshorizont, generationelle Herausforderung und Selbstthematisierung der mittleren Jahrgänge
Bezugnehmend auf die Erörterungen in Abschnitt 4.3 kann für die mittleren Jahrgänge zusammenfassend formuliert werden: Die Adoleszenzphase dieser Jahrgänge ist gegenüber den frühen Jahrgängen von zahlreicheren Lebenslaufoptionen, geöffneter Möglichkeiten privater Lebensgestaltung, damit einem breiteren Repertoire an Alternativhorizonten auch in den Liebesentwürfen gekennzeichnet. Die aus dem restaurativen Komplementärmodell der Liebe entspringende, ungleiche Geschlechterordnung, ist insbesondere bei und durch Frauen in die Kritik geraten, während der Maßstab individueller Selbsterfahrung (Subjektivierung) an Bedeutung gewinnt. Dadurch wird insgesamt ein größeres Maß reflexiver Selbstbestimmung auch in den intimen Beziehungen erzwungen. Auf der Grundlage der Materialarbeit konnten für die mittleren Jahrgänge folgende Typen biografischer Selbstthematisierung rekonstruiert werden: 5.3.1
Typen biografischer Selbstthematisierung in der Liebe bei den mittleren Jahrgängen
Typus III: Permanenter Latenzverdacht Dieser Typus verfügt zwar über eine positive Idee der romantischen Liebe, wie im Fallvergleich der Fälle der mittleren Jahrgänge aufgezeigt werden konnte. Aus der praktischen Generationserfahrung wird jedoch der Schluss gezogen, eine kritischreflexive Distanz im Bereich der intimen Nahbeziehungen zu errichten, die dazu führt, ein tragfähiges Beziehungskonzept auf der Grundlage romantischer Liebe zu verhindern. Die Deutungen bleiben ambivalent und begründen eine improvisatorische Partnerschaftspraxis. Die Materialanalyse ergab für diesen Typus zwei unterschiedliche Ausprägungen. Typenausprägung a): ‚Falsches‘ Liebesphantasma Dieser Typus sucht nach Prägungen von Idealbildern in der Liebe im eigenen Leben und hegt dabei permanent den Selbstverdacht, einem falschen Bewusstsein aufzusitzen. Im Mittelpunkt der Suche nach einer positiven Idee der Liebe sieht dieser Typus sich daher vor die Aufgabe gestellt, unentwegt einen ‚kritischen Geist‘ zu bewahren, um sich vor der Gefahr einer Schematisierung des Lebens durch determinierende Strukturen der Außenwelt zu schützen. Im Zentrum der Deutung des Selbst in der Liebe steht immer die Angst, dieses Selbst zu verlieren, denn unreflektierte Hingabe wird mit Kontrollverlust gleichgesetzt. Hingabe in der Liebe erscheint diesem Typus zwar nicht prinzipiell kritisch, mit der reflexiven Strategie, das Strukturierte in der eigenen Biografie überhaupt los zu werden, wird jedoch kein lebenspraktisch affirmativer Gegenbegriff gefunden. Im ungünstigsten Fall bleibt dieser Typus unentwegt ‚im Diskurs‘ und im Modus der Selbstbeobachtung.
226
5 Empiriegeleitete Typologie
Die Referenz für diese Typenausprägung stellt die Fallstudie Karla S. dar. Zu den institutionellen Plätzen der permanent reflexiven Bestimmung der Begriffe durch Karla S. gehören Kindheit, das Lebens- und Liebeskonzept der Eltern, die Frauenpolitik sowie das Experten-Wir jenes Kollektivs, in dem sie sich gemeinsam über frühe Prägungen austauscht. Dabei verfügt sie über eine Sozialisationstheorie über sich selbst, in der sie sich als Opfer passiv äußeren Einflüssen ausgesetzt sieht, wie das Beispiel der „kitschigen Filme“ zeigt. Als zweiten Strang ihrer Selbsttheorie nennt sie ihre Eltern, durch die sie das Ideal der ‚symbiotischen Liebe‘ lediglich negativ erlernt habe. Daher sei dieser Weg für sie selbst nicht denkbar. Mit Bezug auf die Felder Frauenpolitik und eigene Eltern wird vor allem deutlich, wie sich Karla S. gegenüber alternativen Wegen platziert: „Harte“ Emanzen (Ablehnung von Männern), wie sie formuliert, und eigene Eltern („abgeschottet“-Sein) repräsentieren für sie „durchgezogen[e]“ Wege, die sie selbst nicht einschlagen will. Ihre praktische Lösung in der Liebe besteht vielmehr im Wagnis des Diskontinuierlichen. Typenausprägung b): ‚Dispositiver‘ Geschlechtshabitus In dieser Ausprägung des Typus III wird die eigene Geschlechtsidentität als prekär wahrgenommen: Die dieser Identität zugeschriebenen, charakterlichen Attribute werden als Hindernis einer widerspruchsfreien intimen Geschlechterbegegnung interpretiert. Auch dabei steht ein ‚kritischer Geist‘ im Mittelpunkt des Liebesnarrativs. In dieser Verarbeitungsvariante der Generationsherausforderung besteht aber eine andere Färbung als in der Ausprägung a.). Gewissermaßen stößt hierbei der ‚reflexive Subjektivismus‘ (Schimank 1985) – als permanenter Versuch, das wirkliche Ich dem ideellen anzupassen – an die Grenze der eigenen Faktizität: Der Referenzfall für diese Typenausprägung ist die Fallstudie Rainer K. In der Selbstdarstellung dieses Befragten tritt dies vor allem auf der Ebene der Sexualität hervor. Rainer K. überträgt seine als problematisch dominant wahrgenommene Sexualität auf ein Generationsschema von Jugendkulturen und projiziert ‚befreite Sexualität‘ auf die Anhänger einer aktuellen Jugendszene. An deren Praxis könne er selbst habituell aber nicht mehr anknüpfen. Das eigene sexuelle Begehren findet zufolge seiner Generationstheorie daher keinen legitimen Anschluss in der eigenen Generation. Zur kulturellen Absicherung seiner Selbstdiagnose als blockierte Geschlechtsnatur wird die Geschlechterdifferenz herangezogen. Darin findet er einen rationalisierten Erklärungsrahmen für individuelle Dispositionen, nimmt aber passiv die Verstricktheit in das eigene Generationsschicksal hin. Insofern kann Rainer K. nur unter Mühen bzw. gar nicht aus der Haut der eigenen Generation heraustreten und verharrt in der Problemdeutung einer verriegelten Sexualität. Er schert lebenspraktisch aus dieser Deutung heraus und projiziert auf seine fortgesetzten Liebesbeziehungen zu Frauen in Lateinamerika das Ideal authentischer Geschlechterbegegnung. Das heißt, einen Ausweg aus seiner selbstgedeuteten Generationsklemme sucht er in einer anderen Geschlechterkultur.
5.3 Selbstthematisierung der mittleren Jahrgänge
227
Typus IV: Praktische Sensualität Alternativ konnte ein weiterer Typus der mittleren Jahrgänge herausgearbeitet werden. Eine wesentliche Differenz markiert dieser Typus IV damit, dass das Liebesideal trotz bestehender Ambivalenzen in eine auch Familiengründung gewährleistende Partnerschaftspraxis überführt werden kann. Die Herausforderung des kritischen Geistes in der Liebe steht zwar auch bei diesem Typus im Mittelpunkt. Allerdings werden andere lebenspraktische Schlüsse daraus gezogen. Obwohl in Bezug auf eine positive Idee der Liebe auch bei diesem Typus eine ansatzweise negative Besetzung der Generationserfahrung hervortritt, gelingt die Errichtung praktischer Beziehungsarrangements, ohne diese Idee aufzugeben. Auch dazu belegt die Materialarbeit zwei unterschiedliche Typenausprägungen: Typenausprägung a): Reziproke Reflexivität Bei dieser Typenausprägung steht eine bestimmte Auslegung der Emanzipationsnorm im Zentrum. Sie drückt sich als Spannungsfeld zwischen dem Verlangen nach kritikloser Hingabe und zugleich der Angst vor der Gefahr psychischer Selbstaufgabe aus. Gehegt wird die Überzeugung, mit dem Emanzipationsgedanken sei etwas an der an der affirmativ besetzten Idee der reinen Hingabe in der Liebe verlorengegangen. In diesem Punkt existiert eine klare Verbindung zur Ausprägung a) des Typus III (‚Falsches‘ Liebesphantasma). Gleichwohl wird mit diesem Verdacht anders in die Lebenspraxis umgegangen: Für diese Typenausprägung steht der Referenzfall Gisela T. stellvertretend. Auch diese Befragte deutet die eigene Generationszeit als reflexiv-kritischen Erfahrungsraum und erhebt sie zu einem biografischen Hindernis „bedingungsloser“ Hingabe. Gisela T.s stülpt die Emanzipationsnorm jedoch noch stärker ins Innere, es geht ihr primär um Unabhängigkeit auf einer psychischen Ebene. Dabei verfügt sie für sich selbst über eine bestimmte Geschlechtertheorie. Ihr Verständnis der Geschlechterdifferenz wird zum institutionellen Feld, vor dessen Hintergrund sie annimmt, grundsätzlich keinen Zugang zum, wie sie formuliert, „geistigen“ Prinzip von Männern herstellen zu können. Aus dieser Lage findet sie einen produktiven Ausweg: Ihre rationale Strategie besteht in der Beherrschung des Selbst in der Liebe durch die Emotion. Hiermit erlangt sie einen Modus zur Integration ihrer Vorstellung unterschiedlicher Geschlechterprinzipien in der Liebe. In Anlehnung an die Ergebnisse der Rekonstruktion dieses Falls lässt sich die Typik dieser Ausprägung daher als ‚reziproke Reflexivität‘ bezeichnen: Trotz der Vorstellung unterschiedlicher ‚Liebes-Ebenen‘ der Geschlechter (vgl. Fallrekonstruktion) wird gemäß dieses Verständnisses ein Regulativ gefunden, den jeweils geschlechtlich Anderen in seiner Andersartigkeit wechselseitig anzuerkennen. Typenausprägung b): Selbstpädagogisierung Auch in dieser Typenausprägung herrscht, ähnlich wie im Typus III (‚Permanenter Latenzverdacht‘), die Vorstellung determinierender Strukturen der Außenwelt, die bis ins Innere hineinwirken. Ebenso wird ein praktischer Modus zur Aufrechterhal-
228
5 Empiriegeleitete Typologie
tung dauerhafter, von Liebe motivierter Paarbeziehungen gefunden. Der Bezugspunkt der Begründung fällt in dieser Typenausprägung allerdings anders aus als in der Ausprägung a) des Typus IV (‚Reziproke Reflexivität‘). Das Narrativ dieser Typenausprägung ist stärker von einem pädagogischen Diskurs der Intimität und Liebe bestimmt, es geht vorrangig um das persönliche Engagement der Verteidigung humaner Werte grundsätzlich. Der Referenzfall für diese Typenausprägung ist die Fallstudie Rüdiger A. Für Rüdiger A. zeigt sich die Geschlechterbegegnung als prototypisches Feld der Bewährung in der Liebe. Aus den Erfahrungen in seiner politischen Sozialisationsgeschichte zieht er die Schlussfolgerung, das Verhältnis der Geschlechter sei patriarchal strukturiert. Dabei hält er allerdings an einem naturgegebenen, dichotomen Verständnis von Geschlechtercharakteren fest: Männer verkörpern für ihn machtstrebendes, aggressives Prinzip, Frauen hingegen sozial ausgleichendes Prinzip. Gerade diese Hintergrundsüberzeugung wird für Rüdiger A. zur Bewährungsaufgabe gelingender Liebe. Aus dieser für ihn gegebenen Naturwüchsigkeit der Geschlechterdifferenz sucht er nach Auswegen als Mann mit Anspruch auf reziproke Liebe abseits von Machtasymmetrie. Er findet diesen Ausweg mit der an sich selbst, wie auch an Männer generell gerichteten Aufforderung, sich dem ‚Inneren‘, sich eigenen Emotionen zu stellen. Strukturähnlich zur Typenausprägung a) wird Emotionalität damit zu einem Patentrezept des Humanen schlechthin erklärt. Die unterscheidende Komponente besteht jedoch darin, der eigenen Geschlechtsidentität in dieser Hinsicht Defizite zuzurechnen. Betrieben wird eine Art Pädagogik des Männlichen. Denn die individuelle Lösung im Referenzfall Rüdiger A. besteht darin, sich als Mann ‚zurückzunehmen‘, sich etwas „zu recht gefallen [zu]lassen“. Rüdiger A. praktiziert insofern genau eine solche Auslegung feministischer Normen, die mit dem Referenzfall Karla S. aus dem Typus III (‚Permanenter Latenzverdacht‘) verworfen wird. Sie wird aus seiner Sicht zum hohen Gut harmonisierender Dauer-Reflexion über die Unterschiedlichkeit der Geschlechter.
5.3.2
Diskussion der Konvergenzen und Divergenzen der Typenausprägungen der mittleren Jahrgänge
Alle Typenausprägungen der mittleren Jahrgänge verbindet eine kritisch-distanzierte Reflexion eigener Handlungspraxis in der romantischen Liebe. Zudem gibt es eine Neigung zur Intellektualisierung und Verwissenschaftlichung von Geschlechterdifferenzen, worauf in Kapitel 6. eingehender zurückgekommen wird. Gewissermaßen fühlen sich alle Befragten dieser Jahrgänge einem übersteigerten Begriff von Wahrheit in der Intimität verpflichtet. Im Zentrum steht in jeweiliger Nuancierung ein kritischer Geist in der Liebe. Dies verleiht den Selbstthematisierungen einerseits eine tragische Färbung (‚Behinderung der Hingabe‘), andererseits wird an diesem Geist aber auch festgehalten. Er gilt damit gleichsam als Schicksal und als Orientierungsgröße zugleich, und kann als fallübergreifende Strategie bezeichnet werden, in der Liebespraxis eine ‚reflektierte Emotionalität‘ zu errichten. So wird beispielsweise
5.3 Selbstthematisierung der mittleren Jahrgänge
229
im Typus III, Ausprägung a) (‚Falsches‘ Liebesphantasma) das Prinzip der Hingabe zwar grundsätzlich affirmiert, es bleibt aber dem Prinzip der wachsamen Kontrolle des Sinnlichen unterstellt. In dieser Ausprägung wird daran festgehalten, nur so den Verdacht einer „kitschigen“ Prägung des Liebesleitbildes im eigenen Leben in Schach halten zu können, jedoch keine letzte unbezweifelbare Sinngrundlage für das Eingehen langfristiger Paarbeziehungen gefunden. Die Deutung der Gefahr eines uneingelösten Lebens in der Vorstellung einer missgünstigen, frühen biografischen Prägung durch eine entfremdete Kultur herrscht in dieser Ausprägung vor. Ein für permanente Revisionen offen bleibender Lebensentwurf im Bereich intimer Nahbindungen wird gegenüber dem Risiko favorisiert, von ‚falschen Strukturen‘ vereinnahmt zu werden.137 Allerdings lässt sich mit dem Prinzip der Vorläufigkeit die eigentliche Liebesidee auch in der Fiktion vital halten. In der Ausprägung b) (‚Selbstpädagogisierung‘) des Typus IV wird die generationsspezifische Herausforderung an die Problemstellung adressiert, sich als liebender Mann gegen eine Welt des Patriarchats bewähren zu können. Demgegenüber wird in der Ausprägung b) (‚Dispositiver‘ Geschlechtshabitus) des Typus III an der Differenz ‚sexistischer Hedonismus‘ versus ‚moralische Integrität‘ gedeutet, letztlich aber nicht mit sich ‚ins Reine‘ gefunden. Einer bestimmten Idee der Kontrolle des Sinnlichen bleibt auch dieser Typus verpflichtet. Er schert aber tendenziell aus den Legitimationsstrukturen seines Generationsmilieus aus und wählt den Weg in eine ethnische Parallelwelt. Gisela T. hingegen findet einen Ausweg. Sie beherrscht auf der Ebene manuell-taktiler Körperkommunikation eine Praxis, zum geliebten Anderen Verstehen und reziproke Anerkennung aufzubauen. Trotz geschlechts- und teils milieuspezifischer Heterogenität tritt in allen Fällen ein gemeinsames Sinnmuster des Gelingens von Intimität hervor. Die Generationstypik zeigt sich im strukturähnlichen Ringen um das Thema des emotionalen Durchbruchs und der Legitimität von Affekten überhaupt. Im Zentrum der Rationalisierung der Liebe steht die Beherrschung und Kontrolle über und durch die Emotion. Die gemeinsame Strukturregel der Fälle der mittleren Jahrgänge stellt sich insofern als eine generationstypisch ausgeformte Risikokommunikation in der Liebe dar. Im Mittelpunkt steht die Beherrschung eines bestimmten Musters affektiv-reflexiver Selbstkontrolle in einer generationstypischen Färbung: Während Rüdiger A. seine negative Kulturdiagnose (‚Geschlechtermacht‘-Problem) im Prinzip der vital-gestaltenden, kritischen Wachsamkeit lebenspraktisch überwindet, fällt bei Gisela T. Ge137
Der hierzu stellvertretende Referenzfall Karla S. repräsentiert idealtypisch die Strategie, diese Spannung durch institutionalisierte Dauerreflexion aufzulösen. Ulrich Oevermann (1988) zieht dies ins Kalkül, indem er bestimmten Gruppen der nach 1950 Geborenen generell ein Hinauszögern der Bewährungsprobleme der Adoleszenz unterstellt, und einen Sozialisationstypus der ‚Verweigerung von Lebenspraxis‘ behauptet. Am Beispiel der Fälle Rüdiger A. und Gisela T. lässt sich dies allerdings nicht belegen: Hier werden lebenspraktische Auswege gefunden. Zudem gehen alle Betreffenden permanent Paarbeziehungen ein.
230
5 Empiriegeleitete Typologie
nerationserfahrung mit verpflichtendem kritischen Geist unmittelbar zusammen. So wie sie am Beispiel einer Fernsehtalkrunde zu veranschaulichen versucht, dass dies für ältere wie auch jüngere Personenkreise nicht zutreffe, bindet auch sie dies an eine Generationstheorie. Ähnlich der sich zeithistorisch von „Blumenkindern“ und „Techno-Generation“ umgrenzt fühlende Rainer K.: Auf Jüngere wird die Auflösung seines Generationsschicksals als Mann projiziert. Er ist damit von der Fiktion beherrscht, als Angehöriger dieser Generation die eigene individuelle Bedürfnistypik nicht hätte verstecken zu müssen und sich seiner Vorstellung der eigenen ‚Geschlechtsnatur‘ leichter sozial bekennen zu können.138 Mit der strukturähnlichen Ausformung feministischer Maxime in der Generationswahrnehmung besteht damit eine Typenähnlichkeit zwischen den Fällen Karla S. und Gisela T.. Geschlechterübergreifende Typenähnlichkeit besteht bei diesen beiden Fällen aber auch zum Fall Rainer K.: Gemeinsam wird am Begriff einer ‚wahren‘ Bedürfnisnatur festgehalten, welche generationsbedingt nicht zur Geltung kommen könne. Gisela T. kann dieses Schicksals-Theorem jedoch lebenspraktisch überwinden. Sie findet ein tragfähiges Arrangement mit ihrem Lebenspartner, auch oder gerade weil sie am Modell unüberwindbarer Geschlechterdifferenzen in der Liebe festhält. In dieser Typenausprägung wird die leitende Idee einer Zwei-WeltenTheorie der Geschlechter mit einer besonderen, kompromissbildenden Sensitivität für die jeweiligen Differenzen (so etwa im Modell der „Geschlechter-Ebenen“ im Fall Gisela T.) ins Lot gebracht. In beiden Fällen der männlichen Befragten dieser Jahrgänge ist demgegenüber eine moralische Selbstbeschränkung als ‚Geschlechtswesen‘ erkennbar.139 Allerdings ähneln sich die Typenausprägungen auch paarweise darin, dass bei Gisela T. und Rüdiger A. praktische Auswege aus dem selbstgedeuteten Generationsschicksal des kritischen Geistes in der Liebe gefunden werden, Karla S. und Rainer K. hingegen stärker einer ambivalenten Lebenspraxis verhaftet bleiben. Mit dieser unterschiedlichen Typenausprägung in Bezug auf den Problemhorizont der Generation kann aufgezeigt werden, dass dessen individuelle Verarbeitung von Gemeinsamkeiten und zugleich von Ambivalenzen gekennzeichnet ist. 5.3.3
Die mittleren Jahrgänge und die Liebe: Eine Generation der Sensualisten?
Die Fallstudien der mittleren Jahrgänge zeigen auf, dass die generationelle Herausforderung in der Liebe nicht mehr wie bei den frühen Jahrgängen als Problem der 138 139
Zu weiteren generationsspezifischen Projektionen auf diese Jugendszene vgl. Herma (2001). Mit Cornelia Behnke (1997: 129) könnte man in Zusammenhang mit dem Fall Rüdiger K. von einem Prototyp eines Mannes des linksliberalen Milieus sprechen, der unter Aufrechterhaltung der Geschlechterdifferenz einen „profeministischen“, an (milieuspezifischen) Regeln sozialer Erwünschtheit orientierten Diskurs propagiert. Es bliebe dann aber auch hier die Frage bestehen nach dem (generationsspezifischen) Handlungsproblem, auf das dieser Diskurs eine Antwort bereitstellt.
5.3 Selbstthematisierung der mittleren Jahrgänge
231
Emanzipation in Opposition zu den Maximen einer restaurativen bürgerlichen Sozialordnung wahrgenommen wird. Stärker stellt sich nun die Problemwahrnehmung auf, im ‚Inneren‘ Gründe für die ‚Echtheit‘ der Liebe finden zu können. Auf der Grundlage der Materialanalyse gibt es damit Belege für die These, dass der Deutungshintergrund der in dieser Untersuchung erfassten Angehörigen der mittleren Jahrgänge, in der Überzeugung an die erlösende Kraft des Sensualismus besteht.140 Mit der Dominanz des Sensitiven ersetzt die Emotion damit tendenziell das Argument. An dieser Stelle ließe sich einwenden, in der romantischen Liebe gehe es doch ohnehin primär um emotionale Qualitäten. Hier ist jedoch nicht das Fühlen in der konkreten Liebespraxis gemeint, sondern Fühlen als Rationalisierungsmodus der Selbstvergewisserung in der Liebe. Mit den von den mittleren Jahrgängen durchgesetzten Innovationen in den Deutungen und sowohl der Praxis der Liebesbeziehungen, so kann belegt werden, wird überhaupt erst die Grundlage gelegt für eine enthierarchisierende Liebesordnung, die es zulässt, das bis dahin geltende Modell der Geschlechterkomplementarität zur Disposition zu stellen. Mit dem Primat des Subjektiven und Emotionalen in der Liebe gelingt dieser Generation also gewissermaßen eine Egalisierung der Geschlechter. Allerdings ist damit auch der Weg geschaffen für Kommunikationspraxen, die Liebe wieder komplizierter machen. Etwa mit dem Gebot, alles Erlebte in der Intimität ‚aussprechen‘ zu müssen. Solche Offenbarungsnormen im Beziehungsleben stehen eher in Widerspruch zum ‚Inkommunikabilitätsgebot‘ in der Liebe, wie es etwa von Luhmann (1982) für zentral gehalten wird. Damit wird also das Charakteristikum der traditionellen Liebessemantik aufgegeben, demzufolge die Liebe auch ‚Reservate‘ der Kommunikation braucht: Soll die Liebe aus sich selbst heraus bestehen, soll Attraktion und Reiz des mystisch Unergründlichen aufrecht erhalten bleiben, darf dieser Anschauung zufolge eigentlich nicht alles kommuniziert werden, was die Innenwelt der Subjekte potenziell an Erzählungen bereit hält. Der Wunsch nach einem kommunikationsfähigen Konsens der Gefühle, also quasi einem therapeutischen Setting gemäß alles zu entäußern, was entäußerbar wäre, entzieht dem romantischen Liebesmuster seine konstitutive Unklarheit und Ungewissheit. Die Subjektivierung der Liebe leistet im ungünstigen Fall damit einer Art Technokratie des Begehrens Vorschub, etwa im Fall jenes leidenschaftlichen Konsensanspruchs, sich mittels endloser Kommunikationen über die tatsächlichen Liebesmotive des/der Anderen vergewissern zu wollen. Der in den 70er und 80er Jahren grassierende therapeutische Diskurs der Intimität pflegte somit engen Kontakt mit einem Expertentum der Ge140
Obwohl Empfindsamkeit einen konstitutiven Bestandteil der modernen Liebessemantik überhaupt darstellt, findet deren Aufwertung bei den Angehörigen der mittleren Jahrgänge ihren historischen Vorgänger bereits in der neuzeitlichen Erlebnislyrik des romantischen Idealismus, also in der Verquickung von Naturerfahrung und erotischer Sensibilität. Emotionalität wird dabei ein Wahrheitsstatus höchster Ordnung zugemessen. Im Fall Rüdiger K. kommt dies besonders deutlich zum Ausdruck, wo der Autorin Svende Merian (‚Tod des Märchenprinzen‘) eine ‚überlegte Emotionalität‘ zugeschrieben wird.
232
5 Empiriegeleitete Typologie
fühle,141 wobei die Aufwertung der Gefühle der Frage schuldig bleibt, was wäre, wenn das ‚Innere‘, wenn die Emotion nichts anderes als Aggression kennt und nur nach Machtanspruch und Unterdrückung streben würde. Der damit eng verknüpfte „nahezu utopische Glaube an die lösende Kraft von Kommunikationen“ (Leupold 1983: 320) im Alltag der Liebe und des Paares verdeckt somit tendenziell auch sein machtstrategisches Kalkül. Hinter der Rhetorik der Ehrlichkeit und Aushandelbarkeit können Macht- und Kontrollansprüche verborgen werden. Worin aber genau entäußert sich die Generationsdifferenz zu den frühen Jahrgängen? Dies ist noch deutlicher herauszustellen: Liebe wird reflexiver: Innerlichkeit und Empfindsamkeit Ralph T. Turner (1976) hatte schon für die 60er Jahre einen allgemeinen Wandel von „institutioneller“ zu „impulsiver“ Reflexivität junger Menschen konstatiert. Bei den mittleren Jahrgängen sind die Voraussetzungen für „konventionelle Identitätsbildung“ (nach einer Formulierung von Giegel 1988) anders noch als bei den frühen Jahrgängen bereits in der Adoleszenzphase geringer. Ein hohes Maß an „reflexiver Steuerung“ (ebd.) der Lebensgestaltung ist somit bereits in ihrer frühen Lebensphase gegeben. Das betrifft das Thema Liebe insofern, da äußere Vorgaben und Reglementierungen des Paarsystems schwächer geworden sind, und das Finden gültiger Maßstäbe für den individuellen Liebesentwurf stärker an subjektivem Selbsterleben orientiert ist.142 Entscheidend für den generationsspezifischen Erfahrungshorizont dieser Jahrgänge ist damit, dass das Befreiungsmaxim der gegen eine sinnenfeindliche Nachkriegskultur aufbegehrenden frühen Jahrgänge an Geltung verloren hat. Worin sich die mittleren Jahrgänge nun herausgefordert fühlen, ist etwas Anderes. Nicht mehr die befreite Gesellschaft, sondern das befreite Individuum (Mohr 1992) wird als Bedingung authentischer Lebenspraxis gedeutet. Mit der in den 70er Jahren sich verstärkenden „ökologisch wie philosophisch geprägten Kultur- und Zivilisationskritik“ (ebd.: 183) hatte sich damit ein gesellschaftskritischer Gestus eingeschlichen, über den auch die mittleren Jahrgänge ähnlich wie im idealtypischen Denkmodell der 68er eine spezifische Vorstellung der Gefahr vom Verlust einer ‚ursprünglich‘ authentischen Menschlichkeit hegen. Der zugrundeliegende Entfremdungsbegriff besitzt jedoch eine andere generationsstiftende Färbung. Es geht bei den mittleren Jahrgängen nicht mehr um das Abreißen von ‚Charaktermasken‘ (nach 141
Robert N. Bellah et al. (1985) sprechen daher mit Blick auf die 80er Jahre von einem „therapeutischen Liebesideal“. Erinnert sei an dieser Stelle an verwandte soziologische Typenbeschreibungen dieser Geburtsjahrgänge: Ulrich Oevermann (1988) sprach von der „versozialwissenschaftlichten Identitätsformation“, Uwe Schimank (1985) stellte die Paradoxien des „reflexiven Subjektivismus“ bei der Suche nach „neo-romantischer“ Authentizität heraus. Vgl. auch Eberlein (2000) und Mahlmann (1991). 142 Vielleicht rührt hieraus die Konjunktur der ‚Bauch‘-Metapher (‚wichtig ist, was mir mein Bauch sagt‘), die eine tief im Inneren verbürgte Basis von Letztbegründungen ausdrücken soll.
5.3 Selbstthematisierung der mittleren Jahrgänge
233
K. Marx) bürgerlicher Lebensmaxime – also um den Außenbezug. Stärker geht es nun um Ängste, keine Sprache für das ‚Innere‘ des Ichs finden zu können. Allerdings bildet für die mittleren Jahrgängen – so belegt die Materialanalyse – das Label 68er-Generation auch eine Herausforderung. Die Erzählungen zeigen, dass die vorangegangenen 68er als Projektionsfolie einer Zeit dienen, in der vor allem allgemeine gesellschaftliche Ansprüche formuliert wurden. Der Konflikt der frühen Jahrgänge, individuelle Autonomie gegen äußeren Normenzwang durchsetzen zu können, hat aber an Geltung verloren. Stärker wird in den Deutungsmustern nun ersichtlich, dass sich ein empfindsames Selbst einem emphatisch subjektiven Begriff von Wahrheit zuwendet. Im kulturellen Sektor gibt es eine Vielzahl von Zeugnissen, wie auch der Liebesdiskurs der 70er und 80er Jahre diese Akzente aufnimmt.143 So dominiert das Sich-Hineinfühlen in die Welt des jeweils Anderen äußere Rollenerwartungen. In einer weiten Bestimmung ist diese Innerlichkeit gewiss kaum etwas historisch Neues. Schlechthin ist damit der moderne Wahrnehmungsort von Subjektivität überhaupt bezeichnet.144 Innerlichkeit als Generationsstil zu veranschlagen, gründet hingegen auf der Beobachtung, dass in den Narrativen der Angehörigen der mittleren Jahrgänge so prägnant anders als in den Jahrgängen zuvor ‚empfindsame Reflexivität‘ eine Rolle spielt.145
143
Die kulturelle Aufwertung subjektiver Qualitäten in der Liebe findet auch Eingang in Beziehungsleitbilder der Ratgeberliteratur und der Paartherapie. Beispielsweise lautet eine der Prämissen im Ansatz des prominenten Paartherapeuten Michael Lukas Moeller: „Deine Beziehung ist nicht meine Beziehung, obwohl es um dieselbe geht“ (Moeller 1986: 19). „Liebesarbeit“ wird als ebenso notwendig wie „Berufsarbeit“ (ebd.: 10) propagiert und angelehnt an sein therapeutisches Modell einer „Selbsthilfegruppe zu zweit“ ein allwöchentlicher, neunzigminütiger „Austausch von Selbstporträts“ (ebd.: 32) empfohlen, der als ‚freie Selbstdarstellung der Innenwelt des Subjekts‘ (Mohr 1992) dem herrschaftsfreien Dialog nach Habermas (1984) entsprechen soll: „Wollen wir die Liebe freilassen, geht es also darum, uns wechselseitig zu befreien“, denn: „Ich erlebe den anderen in solchen Gesprächen erst wirklich“ (ebd.: 27). Zum Wandel der Leitbilder in der Ratgeberliteratur zu Paarbeziehung und Ehe im 20. Jahrhundert vgl. Wouters (1997) und Lenz (2003b). 144 Cornelia Bohn und Alois Hahn (1999) beschreiben, wie sich die „Authentizitäts-Idee“ ausgehend vom 18. Jahrhundert von der „Mimesis-Idee“ ablöse und eine zunehmende Bedeutung bekam mit dem Prinzip Innerlichkeit: „Es geht nicht mehr um die Identität mit der Natur, sondern um die Identität des jetzt einzigartigen Individuums mit sich selbst. (…) Das Authentische ist hier vielmehr die innere Natur, die sich nicht von der Kultur überformen lässt, die gerade unzivilisiert und unverstellt gegenüber der gesellschaftlichen Konvention agiert“ (ebd.: 51). 145 Ein Beispiel: 1980 wird das minutiös geschilderte Scheitern einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung – der Roman: ‚Der Tod des Märchenprinzen‘ der Autorin Svende Merian – zu einem belletristischen Ereignis (vgl. auch Somerhoff 1996: 106): „Die Leute mit deiner Emotionalität zu konfrontieren. Das ist wichtig“ (Merian 1980: 316), artikuliert dort die Erzählprotagonistin. Während Verena Stefan im Erfolgsroman ‚Häutungen‘ (vgl. 1994, i. O.: (Fortsetzung auf S. 234)
234
5 Empiriegeleitete Typologie
Der geschilderte Erfahrungshorizont der mittleren Jahrgänge lässt dazu somit zwei Schlussfolgerungen zu: a) gesteigerte, gewissermaßen in die Subjektivität gestülpte Risikosensibilität; b) schlägt sich die Enttraditionalisierung der Lebensverläufe der Nachkriegszeit bzw. der „Individualisierungsschub“ (Beck 1986) Mitte des 20. Jahrhunderts bei diesen Jahrgängen am stärksten biografisch durch. Schwellenartig ist ein verstärkter Zwang zu reflexiver Selbststeuerung entstanden, damit ein größeres Maß an ‚Arbeit an der eigenen Identität‘ (Keupp et al. 1999). Innerlichkeit, also die Arbeit an den subjektiven Qualitäten des Selbst, lässt sich dann als generationsspezifische Antwort auf diese Herausforderungen lesen. Für die mittleren Jahrgängen konnte als bestimmender Generationstypus der Deutung der Liebe somit ein psychologisiert-reflexives sowie kritisch gesteigertes Muster der Selbstthematisierung in der Liebe rekonstruiert werden. Die Welt der Gefühle als Inbegriff unverfälschter Natur, und als Ausdruck eines Ideals, in der alles seinen Eigenwert hat, wird zum Prinzip der Erklärung, Kontrolle und Beherrschung von Selbst und Welt erhoben (vgl. auch Gerhards 1987). Paradigmatisch tritt dies mit dem Topos der ‚bewusst überlegten Emotionalität‘ in den Fallstudien Gisela T. und Rüdiger A. zum Vorschein. Einerseits gilt das Prinzip des Sich-Hinein-Fühlens in die Welt des Anderen, andererseits das rationalistische Prinzip des Bewahrens von Kontrolle – charakteristisch wiederum mittels der Emotion.146 Empathische Einfühlung und psychologisierte Selbst- und Fremdreflexion sind also miteinander vermengt und kulminieren im Generationsproblem eines, wie eingangs erwähnten, an sich selbst wahrgenommenen ‚kritischen Geistes‘ in der Liebe.
145
(Fortsetzung von S. 233) 1975) noch dafür plädierte, den Weg in die weibliche Homosexualität anzutreten – da das Maskuline Ort gesellschaftlicher Unterdrückung sei (vgl. Baackmann 1995) – beharrt Svende Merian demgegenüber darauf, eine kulturelle Entfremdung des Mannes vor dem Hintergrund weiblicher Authentizität aufzeigen zu wollen. Wo Verena Stefan also gewissermaßen emigriert, um Identität auszuloten, verfolgt Svende Merian die Fiktion, dieselbe längst gefunden zu haben. In beiden Beispielen geht es um die lebenspraktische Einlösung der noch den 68ern entlehnten Maxime ‚Das Private ist politisch‘. Letztlich um den damit verbundenen Anspruch, traditionelle Grenzziehungen zwischen Öffentlichkeit und Intimität außer Kraft zu setzen, indem die Liebesbeziehung zum Austragungsort politischer Auseinandersetzung und Erziehung erklärt wird (Hahn, K. 2000: 267ff.). 146 Eva Illouz (2006: 59) spricht in diesem Zusammenhang mit Blick auf den gesamten modernen Industrialisierungsprozess von einer „emotionalen Ontologie“ als Ausdruck eines Vereinnahmungs- und Rationalisierungsprozesses vormals Privaten durch die Mechanismen der modernen kapitalistischen Wirtschaftsethik. Das Emotionale habe sich dadurch insgesamt als objektives, therapie- und ‚manage-bares‘, damit kontrollierbares Prinzip herausgeschält. Illouz folgt hier – ganz bewusst – Adornos Logik der kulturellen Kolonialisierung des Subjekts durch die Kultur des Kapitalismus, der es allerdings daran mangelt, eben diesem Subjekt auch die Fähigkeit zu – gegebenenfalls auch ironischen – autonomen Lebenskreationen einzuräumen.
5.4 Selbstthematisierung der späten Jahrgänge
5.4
235
Erfahrungshorizont, generationelle Herausforderung und Selbstthematisierung der späten Jahrgänge
Bezugnehmend auf die Erörterungen in Abschnitt 4.4 kann für die späten Jahrgänge zusammenfassend formuliert werden: Im Jahrgangsvergleich treffen sie in ihrer Adoleszenzphase die geringsten gesellschaftlichen Restriktionen hinsichtlich der individuellen Gestaltung von Liebes- und Paarbeziehungen an. Aufgrund eines durch die Elterngeneration liberalisierten Klimas stehen ihnen hingegen die meisten Alternativhorizonte offen. Der Diskurs der Gleichheit der Geschlechter hat sich auch im Bildungskanon etabliert und das Partnerschaftsmodell ist – als Anspruch – in deutliche Konkurrenz zu traditionellen Paarnormen getreten. Problemstellungen bei der praktischen Realisierung von Gleichheit und Partnerschaftsideal haben sich für diese Jahrgänge zwar nicht verflüchtigt, die Fallstudien zeigen für sie aber eine neue, kollektiv wahrgenommene Herausforderung auf: Die Gesellschaft wird als eine ‚multioptionale‘ Gesellschaft (Gross 1994) wahrgenommen, die zu permanenten Entscheidungen auch im Bereich der intimen Nahbeziehungen auffordert. Auf der Grundlage der Materialarbeit konnten für die späten Jahrgänge folgende Typen biografischer Selbstthematisierung ermittelt werden:
5.4.1
Typen biografischer Selbstthematisierung in der Liebe bei den späten Jahrgängen
Typus V: Entscheidungsrationalität Für die späten Jahrgänge wurde zunächst der Typus V (‚Entscheidungsrationalität‘) rekonstruiert. Dieser Typus, mit dem Referenzfall Bastian L., ist gekennzeichnet durch ein starkes Verlangen, das Thema Liebe über theoretische Begriffe definieren zu können. Er reagiert auf das gemäß seiner Wahrnehmung sich als Generationsherausforderung stellende Problem eindeutiger Entscheidungen daher in einer bestimmten Weise: Er sieht sich vor die Aufgabe gestellt, eine Begründung für die romantische Liebe in einer multioptionalen Welt zu finden, in der es eine Vielzahl solcher Lieben gibt. Die Kontingenz dieser Welt stellt sich diesem Typus daher als Problem, da jede Auswahl zwischen Alternativen nach Begründung verlangt. Er sieht sich erschwerend zu Legitimationen aufgerufen, diese Auswahl auch auf lange Frist beizubehalten. Deshalb beruft sich dieser Typus in der Liebe im Beziehungsalltag auf das Prinzip der Entscheidungsrationalität und erlangt damit einen Kontrollmodus zur Bewältigung von Unsicherheitserfahrungen. Die Anfechtungen multioptionaler Gelegenheiten müssen nicht auf einer Gefühlsbasis ausgetragen werden, und dem Affektiven in der Liebe wird Rationalität entgegengesetzt. Mit der Entscheidungsrationalität findet dieser Typus jedoch überspitzt gesagt, einen Lösungsmodus, sich nicht ständig in einer ‚Spaßgesellschaft‘ erklären zu müssen.
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5 Empiriegeleitete Typologie
Das Prinzip der individuellen Höchstrelevanz in der romantischen Liebe wird von diesem Typus daher nicht in Frage gestellt. Es bleibt zwar als hoher Wert erhalten, wird aber gewissermaßen nicht ‚vom Zufall‘ abhängig gemacht. Das Exklusive einer bestehenden, von Liebe motivierten Partnerbindung besteht in der (Aus-)Wahl einer solchen Exklusivität gegenüber anderen denkbaren Exklusivitäten. In der konkreten Paarpraxis zählt damit zwar das Prinzip der individuellen Evidenz (‚ich liebe Dich, weil Du es bist‘), dies wäre für ihn aber auch mit anderen Beziehungspartner/ innen zu realisieren. Mit diesem Typus tritt jedoch nicht der rationalitätsgläubige und sinnlichkeitsfremde Mensch Homo Faberscher Prägung in Erscheinung, es geht vielmehr um die Vermeidung von Ambivalenzen in einer Welt permanenter ‚Liebesanfechtungen‘, wie sie von ihm wahrgenommen werden. So zeigt sich im Referenzfall Bastian L., dass der Befragte sich einer Erfahrungswelt noch anderer, potenziell ‚liebens-werter‘ Frauen ausgesetzt sieht. In seiner Suche nach einer theoretischen Bestimmung des Begriffes der Liebe stellt sich Bastian L. daher gegen das Prinzip affektive Evidenz. Eine innengewandte Wahrheitsfindung in der Liebe ist bei ihm abgewertet. Das Fühlen schafft für ihn nicht die letztgültigen Eindeutigkeiten, auf dem Impulsgeleiteten allein will er keine stabile Partnerschaft gründen. In diesem Sinne steht im Zentrum Bastian L.s Orientierung die Kontingenz biografischer Normalitäten, zu der er sich auf der Grundlage des Entscheidungsprinzips entwirft. Typus VI: Traditionalismus als Selbstbehauptung Bei diesem Typus wird romantische Liebe im Gegensatz zum Typus V als Ausdruck einer ‚reinen‘ Idee gefasst. Diese Idee wird praktisch zum Gegenfall des Generationsimperativs, wie er sich in Typus V ausdrückt, d. h. sie wird gegen das gesellschaftlich Opportune gesetzt. Anders formuliert: Die so kreierte Liebessemantik bekommt eine besondere Funktion gegenüber dem, was ansonsten als moderne Orientierungen in Intimität, Paar etc. ausgegeben wird (‚probiere dich aus‘ und ‚alles ist möglich‘). Dieser Typus tritt damit stärker durch eine modernisierungskritische Haltung hervor. Er stemmt sich mit oppositionellem Gestus gegen den Imperativ des ‚anything goes‘, was ihn dazu zwingt, sich in biografischen Entscheidungen in Liebe und Partnerbindung in besonderer Weise gegenüber dem von ihm gedeuteten Generationsgeist ‚seiner‘ Zeit zu legitimieren. Referenzfall ist die Erzählung von Judith P.: Diese Befragte hält positiv an einem traditionellen Verständnis der Geschlechterrollen in Liebe und Paarbeziehung fest. Sie begründet ihre affirmative Haltung dazu aber nicht – wie dies in einer früheren Epoche denkbar oder wahrscheinlich wäre – mit geschlechtlichen Charaktereigenschaften. Vielmehr wählt sie diesen Weg bewusst trotz ihres Unbehagens, das für sie aus dem mit ihrem sozialwissenschaftlichen Studium erworbenen Wissen über traditionelle Geschlechterordnungen und über die Idee der Emanzipation resultiert. Sie hält ihre Orientierung daher nur bedingt für einen Anachronismus, denn sie entscheidet sich offensiv dafür. In diesem Sinne behauptet sie sich mit der Entscheidung für
5.4 Selbstthematisierung der späten Jahrgänge
237
die Tradition innerhalb des Generationsgeistes des ‚anything goes‘. Sie entnimmt dem Traditionalismus quasi lediglich dessen Ordnungssymbolik, ohne diese Ordnung als naturwüchsig anzuerkennen. Idealtypisch formuliert: Die als Charakterzug der Generationszeit gedeutete Kultur permanenter Gelegenheiten und Legitimationszwänge in der Liebe (Judith P. bezeichnet dies abwertend als „Unruhe“; vgl. Fallrekonstruktion) wird von diesem Typus verurteilt, da sie als Widerspruch zu dem von ihm errichteten Reinheitsideal der Liebe erlebt wird. Indem die Idee der reinen Liebe als kulturelle Gegenfolie dagegen erhoben wird, stemmt sich dieser Typus ostentativ gegen die von ihm als solche wahrgenommene Kultur. Er erkennt sie andererseits genau damit als verpflichtendem Legitimationshintergrund an. Handlungspraktisch ist dieser Typus von der Deutung beherrscht, ein Ideal-Selbst in der Liebe in der eigenen Generation nur gegen Widerstände einlösen zu können. In dieser Variante des verhinderten Selbst in der Liebe steht dieser Typus in Anlehnung an Mannheim (1928: 324ff. – unter Weiterführung von Petersen 1926; vgl. Abschnitt 3.3.3) stellvertretend für eine „unterdrückte“ Generationseinheit. Er steht daher nicht allein – was auch denkbar wäre – stellvertretend für die generationelle Verschleppung einer traditionellen Liebessemantik, er stellt auch eine genuine Reaktion auf den von diesem Typus wahrgenommenen, herrschenden Generationsgeist dar. Ambivalenztypus: Reine Liebe versus Paargemeinschaft Von diesem Typus wird eine Trennung zwischen dem Ideal der Liebe als starke emotionale, innere Bindung an einen anderen Menschen einerseits, und dem Projekt der Paarbeziehung andererseits vorgenommen. Ambivalent bleibt dieser Typus, da das Paar zwar als Lebenspraxismodell generell zugelassen wird, es gilt aber immer der Verdacht, dass die Reinheit der Liebe durch ihre Veralltäglichung in der Paarbeziehung Schaden nehmen könnte. Tendenziell wird damit die Idee einer Entkopplung von Liebe und Paar betrieben. Beides hat für diesen Typus jedoch hohe lebenspraktische Relevanz. Allerdings ist hier nicht nur das Leitbild der lebenslangen Liebesbeziehung vollständig abgewertet, die Möglichkeit eines Bundes von Paarbeziehung und Liebe überhaupt scheint diesem Typus verdächtig. Der Referenzfall Carola M. ist insofern zwar tendenziell dem Typus V zuzuordnen, er markiert dennoch einen Mischtypus der späten Jahrgänge. Carola M. fehlt gänzlich die Überzeugung, dass die Liebe in einer Paarbeziehung gut aufgehoben ist. Das bürgerliche Ideal der ewigen Liebe ist bei ihr schlechthin außer Kraft gesetzt, und das Beispiel der Ex-Partnerin führt ihr vor, dass Liebe auch ohne Beziehung Bestand haben könne. Im Zentrum der Vergewisserung über die Echtheit der Liebe steht bei Carola M. vielmehr das konkurrenzlose „Nähegefühl“ zum einem anderen Menschen, das räumlich (damit vom individuellen Partner) unabhängig bleibt. Trotz bestehender Schnittstellen zu den Typen V und VI weist dieser (Misch-)Typus damit ein spezifisches Kennzeichen auf. Liebe und Paar sind hier gewissermaßen institutionell entkoppelt, und, um diese Formulierung aus dem Referenzfall Carola M. zu
238
5 Empiriegeleitete Typologie
verwenden, Liebe auf den „Grundzustand der Nähe“ zurückgeworfen. Dem Typus gelingt damit einerseits die Errichtung eines klaren Kriteriums, wie sich Liebe ‚zeigt‘. Mit der ausgeprägten Subjektivierung dieses Kriteriums schafft dieser Typus also Ordnung in der Multioptionalität der äußeren Erfahrungswelt, die ähnlich wie im Typus IV als negativ deklariert wird. Andererseits bleibt dieser Typus ambivalent gerade in Bezug auf diese äußere Welt, indem er sich gegen die mit Paarprozessen erzwungenen Entscheidungen und dadurch gefürchteten Verluste und Kompromisse in seiner Liebesidee („Grundzustand“) stemmt.
5.4.2
Diskussion der Konvergenzen und Divergenzen der Typenausprägungen der späten Jahrgänge
Bei den Typen der späten Jahrgänge gibt es hervorstechende Parallelen im Fallvergleich. Im Zentrum, so zeigen die Ergebnisse, steht die Herausforderung der Abwägung in der Liebe in einer generationstypischen Färbung. Ordnet man die Fallstudie Carola M. tendenziell eher dem Typus V zu, wird diese Herausforderung zwar diametral unterschiedlich, jedoch typenspezifisch aufgelöst: In der Fallstudie Bastian L. wird Liebe als Entscheidung für eine bestimmte Paarbeziehung definiert, wobei die Entscheidung, nicht genuin der individuelle Partner im Vordergrund steht. Authentizität in der Liebe wird gewissermaßen primär an die Faktizität einer sich erfolgreich forttragenden Paarbeziehung geknüpft, während das Affektive sekundär bleibt. In der Fallstudie Carola M. ist es genau umgekehrt: Das Affektive rückt ins Zentrum, es muss sich aber nicht innerhalb einer Paarbeziehung bewähren. Während wiederum Liebe bei Carola M. (Mischtypus V und VI) und Judith P. (Typus VI) – wenn auch unterschiedlich ausgeprägt – mittels der Idealisierung der Emotion rationalisiert wird, rationalisiert Bastian L. (Typus V) Liebe gerade durch die Ausblendung der Evidenz der Emotionen. So wie Bastian L. nicht dem Liebes-‚Gefühl‘ traut, hingegen dem Entscheidungsmodell Vorrang einräumt, ist es im Fall Carola M. wieder anders gelagert. Carola M. setzt auf die Idealität der Emotion, dem, wie sie sagt, „absoluten Nähegefühl“, misstraut demgegenüber aber der Institution Partnerschaft. Denn dort sieht sie die Gefahr verborgen, das Gefühl könne zur Schablone verkommen. In Typus V (‚Entscheidungsrationalität‘) sowie dem so benannten Mischtypus (Referenzfall: Carola M.) herrscht damit die Überzeugung vor, dass Liebe und Paarbeziehung auseinanderfallen können. So wägt Bastian L. Paarbeziehung gegen Liebe ab, Carola M. Liebe gegen Paarbeziehung. Dies hat auch praktische Konsequenzen: Carola M. sucht eher selbstbezogen nach einer Stabilisierung ihrer Ich-Identität in der Liebe primär mit dem, wie sie sagt, „Grundgefühl der Nähe“. Bastian L. wiederum will zwar Partnerschaft praktizieren, kann seine Paarbeziehung bemerkenswerterweise aber nur mit dem romantischen Liebescode stabilisieren, erinnert man sich an den dargestellten Konflikt mit seiner Partnerin, wo er sich zum Erhalt der Bezie-
5.4 Selbstthematisierung der späten Jahrgänge
239
hung verpflichtet sah, das Prinzip der individuellen Höchstrelevanz als kittendes Beziehungssymbol einzusetzen.147 Damit stellt sich dem Typus V strukturähnlich die Frage, was gegenüber man in der Liebe loyal sein soll? Allerdings ist im Fall Bastian L. schon etwas biografisch weiterentwickelt: Zwar stellt sich ihm das Problem in Form von Anfechtungen der ‚Sexyness-Welt‘ (vgl. Fallrekonstruktion) ähnlich, mit der bereits vollzogenen Abwägung hat er aber auch einen praktischen Langzeitmodus für die Liebe gefunden. In Typus VI (‚Traditionalismus als Selbstbehauptung‘) hingegen herrscht deutlich die Idee einer inneren Evidenz der Liebe vor, was den Referenzfall Judith P. auch mit dem Mischtypus (Referenzfall Carola M.; vgl. oben) verbindet. In Kontrast zu Carola M. glaubt Judith P. jedoch genau umgekehrt an das Ideal der ewigen Liebe innerhalb einer Paarbeziehung und hält daran kontrafaktisch zu der damit erlebten, eigenen negativen Erfahrung (Trennung vom Partner) fest. Gemeinsam ist zwar die gleiche pessimistische Gegenwartsdiagnose (die gedeutete Fragilität und Unverbindlichkeit intimer Nahbeziehungen der Gegenwart), es werden jedoch unterschiedliche Schlüsse daraus gezogen: Carola M. glaubt nicht an die ewig erfüllende Paarbeziehung mit Liebe. Für sie stellt dies die falsche Form dar, Liebe vital zu halten. Genau das Bekenntnis zu einer verbindlichen Paarbeziehung auf Dauer, stellt wiederum für Judith P. praktisch eingelöste, authentische Liebe dar. So sehen sich Bastian L. und Judith P. beidermaßen vor die Aufgabe gestellt, die geführten Langzeitbeziehungen (bei beiden übrigens sieben Jahre) vor dem Hintergrund der Deutung einer erlebnisfixierten Kultur zu legitimieren, worin es ihnen ungewöhnlich, fragwürdig und erklärungsbedürftig erscheint, sich früh oder lange zu binden.148 Die für den Typus V und VI zeichnenden Narrationen werden allerdings verbindend von einem Risikodiskurs zusammengehalten, in dem die Vorstellung vorherrscht, gegenwärtige Intimbindungen in der Gesellschaft seien von Auflösung bedroht. Dies erinnert an die Thesen von Robert N. Bellah et al. (1985) mit Bezug auf die USA, wo es um den Niedergang der traditionellen Familie als Folge von Individualisierung und den sozialen Umwälzungen Ende der 60er Jahre geht, und die als Vorlage für die Kommunitarismusbewegung (als ‚Zivilreligion‘) dienen. Eine genau solche Risikowahrnehmung fließt bei diesen Typen in die Interpretation individueller Erfahrung ein und erweist sich gleichzeitig als sinnstiftende Komponente der Kreierung von Generationszugehörigkeit. 147
Dabei ist irrelevant, ob dies von Bastian L. auch ‚innerlich‘ so empfunden wird. Es geht bloß um den virtuosen Umgang mit den Zeichen der Liebe. Da keine Erzählung der Beziehungspartnerin von Bastian L. selbst vorliegt, könnte man jedoch den Fall Carola M. als Repräsentant der Ausformung der gleichen Generationserfahrung begreifen, dem ‚Inneren‘ in der Liebe verpflichtet zu bleiben. 148 Ganz gemäß dem Motto des Musiktitels „Because this life is too short – to live it just for you“ der Interpretin Nelly Furtado (2003).
240 5.4.3
5 Empiriegeleitete Typologie
Die späten Jahrgänge: Virtuosen in einer multioptionalen Welt?
Alle Befragten der späten Jahrgänge sind Akademiker/innen. Allerdings trifft dies mit einer Ausnahme (Fallstudie Gisela T. aus den mittleren Jahrgängen) auf alle Befragten des Samples zu. Erwähnenswert ist dies aber deshalb, da bei den späten Jahrgängen das Aufkommen akademischer Bildungsgänge und -abschlüsse ausgedehnter ist als in den Zeiträumen zuvor. So hatten bei den frühen Jahrgängen alle Akademiker in aller Regeln auch Akademiker-Eltern, während dies bei den späten Jahrgängen nicht mehr der Fall sein muss. Die Einschränkung auf bestimmte Berufsgruppen führt damit aufgrund gegebener Milieu- und Bildungsmobilität zu einer geringeren Selektivität. Wie in Abschnitt 4.4.4 herausgearbeitet, besteht der Kristallisationspunkt der Erzählungen der späten Jahrgänge im Abwägen von Alternativen in einer generationstypischen Prägung bzw. im Problem der richtigen Schließung als zeittypisch erlebter Kontingenzerfahrungen. Pointiert formuliert: Vieles erscheint zwar als möglich (wahrgenommene Generationsherausforderung), aber nur einiges kann realisiert werden (Problemwahrnehmung). Auf der Grundlage der Materialanalyse lässt sich somit aufzeigen, dass der verbindende Bezugspunkt – damit die Generationstypik – der Erzählungen der späten Jahrgänge in der Herausforderung besteht, Ordnung in die Optionsvielfalt einer Lebenswelt zu bekommen, in deren Mittelpunkt das Gebot zur permanenten Entscheidung steht. Das Authentizitätsideal der Liebe ist bei den späten Jahrgängen nicht mehr vom Befreiungsmotiv der frühen Jahrgänge beherrscht, erst recht wird Liebe und Sexualität nicht mehr an eine politische Utopie gebunden.149 Folgt man den Fallrekonstruktionen, hat auch das für die mittleren Jahrgänge erarbeitete, psychologisiert-selbstreflexive Motiv des ‚kritischen Geistes‘ in der Liebe an Bedeutung verloren. Ein kritischer Gestus bleibt den späten Jahrgängen jedoch in Bezug auf die Vorgängergenerationen erhalten: Wie etwa die Fallstudie Bastian L. zeigt, werden die frühen Jahrgänge – damit die Elterngeneration – überspannter, aber nicht praktisch eingelöster Ideen in der Intimität verdächtigt. Und die mittleren Jahrgänge 149
Die Abqualifizierung der Ideale der 68er-Generation aus der Position der Nachfolgegenerationen ist ein häufiges Thema des französischen Romanautors Michel Houellebecq. Houellebecq trägt diesen Generationen das Gefühl existentieller Verlorenheit, sexueller Entfremdung und großen Hasses auf die Selbstverwirklichungsansprüche der 68er-Generation zu, die dabei das Schicksal der eigenen Kinder vergessen hätten. Der 1925 geborene Dietrich Wellershoff (2002) wiederum sieht in den „Obsessionen“ und „Vulgaritäten“ Houellebecqs – seinem erklärten Feind – einen von einem unbeherrschten Nihilismus besetzten Fatalismus verkörpert. Die Konkurrenz beider Wirklichkeitsmodelle von Intimität drückt auch eine Generationsdifferenz aus: Einerseits Wellershoff als Wahrer der positiv gedachten ‚sozialen‘ Funktionen der Liebe (gegen Krieg, Hass, Zerstörung etc.), andererseits Houellebecq und seine provokanten Inszenierungen biografischer Abgründe, welche Liebe und Sexualität mit und durch ihre sozialen Ausschlussfunktionen (quasi als tragische Logik marktförmiger Begrenzungen von Liebe und Sexualität, die bestimmte Gruppen privilegiert) miterzeugen. Während Houellebecq allerdings noch anerkennt, dass jede individuelle Problematik immer auch historisch situiert ist, setzt Wellershoff kurzerhand Werk mit Autor gleich.
5.4 Selbstthematisierung der späten Jahrgänge
241
der Fiktion, das virtuose Beziehungsgespräch könne mangelnde Liebe heilen (vgl. Fallstudie Carola M.). Damit dekonstruieren die späten Jahrgänge ihre Generationsvorbilder und richten ihre biografischen Kommunikationen in Bezug auf Liebe an einer neuen kollektiven Herausforderung aus (vgl. hierzu das Fazit in Abschnitt 6.1). Romantische Liebe hat aber auch für diese Jahrgänge einen hohen Wert. Etwas Pragmatisches ist jedoch nun in die Deutungsmuster eingeflossen. Liebe wird nicht mehr als Garant für die Stabilität und Dauer einer Paarbeziehung betrachtet. Und selbst wenn dieses Idealbild noch gilt, wie im Fall Judith P., existiert der Verdacht, dies kaum praktisch realisieren zu können. Bezüge in Intimbindungen werden damit anders hergestellt: Innerlichkeit weicht gewissermaßen neuer Sachlichkeit sowie einem Alltagspragmatismus, der das Maxim der Funktionalität der Paarbeziehung ebenso hoch bewertet wie das tiefe, ‚echte‘ Gefühl. Vielleicht liegt hier die Ursache verborgen, dass diesen Jahrgängen in der öffentlichen Generationsdebatte ein konservativer Anstrich verliehen und ein an die 50er Jahre erinnernder, neoskeptischer Rückzug ins Private nachgesagt wird. Von „Überanpassung“ (Behr 1992), Entpolitisierung wie auch von Re-Moralisierung und Körperkult ist dabei die Rede, mitunter auch von Verrat am Geist der Emanzipation.150 Vorschnell von einer Retraditionalisierung der Liebessemantik dieser Jahrgänge auszugehen, ist jedoch engführend und führt auf ein falsches Gleis. Die Typik der Generation käme damit nicht als Antwort auf neue generationsspezifische Problemstellungen in der Lebenspraxis der Liebe in den Blick. Verfolgt man beispielsweise die Ergebnisse der Shellstudien zu den Jahrgängen ab etwa 1970, gilt das Scheitern einer Paarbeziehung in den Selbstdeutungen kaum noch als Scheitern an der Liebe, und Abbruch sowie Neuaufnahme einer Paarbeziehung finden leichter und schneller statt, ohne dass damit Liebe als Bindungsmotiv an Geltung einbüßt. In den biografischen Selbstthematisierungen der späten Jahrgänge fehlt damit der Gestus der Befreiung der Liebe aus sozialer Normierung (vgl. Typus I, umgekehrt im Typus II im Festhalten an Geschlechterhierarchie) der frühen Jahrgänge. Und auch die kritische Innerlichkeit und das sozialtherapeutische Sprechen über Liebe der mittleren Jahrgänge ist abgewertet. Stärker tritt nun das Problem der Begründung für eine spezifische Beziehungspraxis auf der Grundlage romantischer Liebe in den Mittelpunkt, für die es aber auch (dann ebenfalls zu begründende) Alternativen gibt. Man kann somit sagen, das Authentizitätsproblem verändert dadurch seinen Objektbereich vom Inneren stärker ins Äußere, ohne dabei als Herausforderung selbst an Geltung zu verlieren. In diesem Zusammenhang lohnt ein Seitenblick auf andere Forschungsansätze, die sich mit dem Wandel der Liebespraxis beschäftigen. Beispielsweise auf der Ebene ritueller Darstellungen, wann und wie Liebe ‚echt‘ und damit für den jeweils Anderen glaubhaft ist: So haben Nathalie Iványi und Jo Reichertz (2002) in ihrer bereits oben erwähnten Studie (vgl. Abschnitt 1.5 und 1.6) zur medialen Darstellung von Liebesbekundungen im Unterhaltungssektor und bei Hochzeitsritualen festgestellt, gegenwär150
Diese Debatte lässt sich beispielsweise auf der Seite www.single-Generation.de facettenreich nachvollziehen.
242
5 Empiriegeleitete Typologie
tig trete der authentische Gefühlsausdruck zugunsten theatralisierter Formen der Versicherung von Liebe zurück. Es zähle heute mehr, wofür die Liebenden bereit seien, für die Liebe „füreinander unter den Augen der Öffentlichkeit zu tun bzw. zu geben“, was sich nicht mehr daran messe, „wie rein und tief sie im Inneren des liebenden Individuum gründet“ (Reichertz 2002: 54). Innerlichkeit in der Liebe nehme somit ab und Theatralik zu. Die Inszenierungspraxis der Liebe habe sich quasi in Richtung eines expressiven Individualismus entwickelt, der zudem den Körperaspekt deutlicher mit einbeziehe. Auch wenn dieser empirische Befund von einem anderen Beobachtungsfeld in Bezug auf die Praxis der Liebe stammt, lassen sich daraus Anhaltspunkte für die Vermutung gewinnen, dass das nicht-diskursive Präsentieren in Konkurrenz zum Sprachlichen in der Liebe, die Virtuosität der Inszenierung damit in Konkurrenz zur Virtuosität der Liebesrhetorik getreten ist. Auch dafür gibt es Belege im Untersuchungsmaterial: Etwa bei der Partnerin im Fall Bastian L., die auch abseits der ausgefeilten Theorien über die Liebe ihres Partners ‚gezeigt‘ bekommen möchte, dass sie geliebt wird. Und im Fall Judith P. wird sichtbar, wie stark für sie Beziehungszeichen der traditionellen Liebessemantik (hier: das „Kämpfen“ des Mannes für die Frau) Geltung haben, obwohl sie gleichzeitig in Anspruch nimmt – und daher damit hadert – als Soziologin über aufgeklärtes Wissen zu verfügen. Anknüpfend an die Ergebnisse meiner Untersuchung kann allerdings schlussgefolgert werden, dass der Authentizitätstopos dabei jeweils erhalten bleibt, nur das Darstellungsproblem jeweils andere Formen anzunehmen scheint. Insofern stellt das Prinzip ‚Performanz‘ an sich nicht das Neue dar – da Liebe immer in irgendeiner Weise expressiv zum Ausdruck gebracht werden muss – sondern die für die Darstellung jeweils präferierte symbolische Zeichenwelt. Ausgehend von den vorgefundenen Mustern biografischer Selbstthematisierung der späten Jahrgänge lässt sich abschließend feststellen, dass sich das Problem der sozialen Rollen in der Liebe, dass noch für die frühen Jahrgänge im Vordergrund stand – nicht individuell, aber als kollektiv wahrgenommene Generationsaufgabe (!) – verflüchtigt hat, und die Innerlichkeit der mittleren Jahrgänge für die späten gewissermaßen kein überzeugendes Rezept mehr für die Reflexion von Liebesproblematiken darstellt. Floskelhaft lässt sich das Handlungsproblem der späten Jahrgänge so formulieren: Muss man wirklich sich selbst in der Liebe finden? Will man nicht nur den Anderen finden? Und: Liebe in der Praxis des Paares bleibt zwar eine sich individuell stellende Herausforderung, es gibt nun aber stärker die Problemwahrnehmung der Legitimation für die Wahl einer besonderen Gelegenheit, sich in dieser Herausforderung zu bewähren.151 Nun ist stärker die Begründung erforderlich nach der Kopplung der Liebe an eine bestimmte Paarbeziehung. Richard Sennett (1983) hatte sich im Anschluss an die Subjektivierung der Lebensweltbezüge, wie sie gerade im Übergang von den frühen zu den mittleren Jahrgänge 151
Michael Corsten (1995, vgl. 1993) hat auf der Grundlage biografischer Einzelfallstudien zur Frage veränderter Vermittlungsprinzipen zwischen Liebe und Subjektivität bereits für die sozialberufliche Mittelschicht der Jahrgänge um 1960 (an ihren biografischen Kontroll(Fortsetzung auf S. 243)
5.4 Selbstthematisierung der späten Jahrgänge
243
aufgezeigt werden konnten, allgemein mit dem Wandel der Gewichtung der Privatheit in der gesellschaftlichen Werthaltung beschäftigt. Er erstellte für die Nachkriegszeit die generelle Diagnose, „Intimität als Ideologie“ habe nahezu alle politischen und sozialen Kategorien in psychische verwandelt (ebd.: 380). Es seien „voluminöse Innenwelten der Subjekte“ entstanden, die jeden Begriff des öffentlichen Ichs an den Rand zu drängen imstande seien (ebd.). Nun mag dies bis zu den 70er und 80er Jahre der Bundesrepublik unstreitig zutreffen. Zu fragen ist aber, ob dieser Intimisierungsprozess nicht mittlerweile seinen Höhepunkt überschritten hat, und auch in der Liebessemantik Neues in Konkurrenz zum Prinzip der Innerlichkeit getreten ist, ohne dieses zu ersetzen. Die Ergebnisse zu den späten Jahrgängen dieser Untersuchung lassen sich dafür als Indiz lesen. Die Exklusivität der Liebe bleibt hier zwar erhalten, das traditionelle Ideal der Dauerhaftigkeit der Liebe hat jedoch an Gewicht verloren. Bei ihnen ist die Überzeugung verblasst, große Liebe könne nur einmal im Leben auftreten. Vielmehr herrscht die Überzeugung vor, sie mit entsprechendem Geschick überall finden zu können. Dies legt nun keineswegs die Schlussfolgerung nahe, dass dadurch persönliche Bindungen in Auflösung begriffen sind. Für das häufige Krisenlamento in Bezug auf die in der Gegenwart vermeintliche Erosion partnerschaftlicher und familiärer Bindungen gibt es zumindest vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Untersuchung keinen Anlass. Und: Romantische Liebe mag innerhalb der gegenwärtigen Moderne zwar das prominenteste Motiv dyadischer Intimbindungen darstellen,152 der Erhalt dieser Bindungen muss aber nicht von der Dyade abhängig sein.153 Die nachfolgenden zwei Schaubilder führen zentrale Ergebnisse und Dimensionen der Untersuchung in tabellarischer Form zusammen. In Schaubild IV sind die wichtigsten Aspekte der in den Abschnitten 4.2, 4.3 und 4.4 vorgenommenen, historisch-deskriptiven Phasenbeschreibung verschlagwortet, wobei die Darstellung an der dort vorgenommenen Ebenen-Unterteilung ausgerichtet ist (institutionelle Ebene, kulturelle Ebene, Geschlechtersemantik). Ergänzt wird das Schaubild durch die 151
(Fortsetzung von S. 242) orientierungen und regulativen Leitideen) eine „Umstellung von Kohärenz auf Aleatorik“ (Corsten 1993: 42) festgestellt. Das Kohärenzprinzip – die Suche nach „Passung divergierender Lebens- und Liebesaspekte“ (ebd.) – habe zugunsten des Prinzips der Aleatorik an Gewicht verloren, wodurch eine „eigenlogische Strukturierung separierter Sinnkomponenten“ (ebd.) hervorgegangen sei, ohne dass damit die Erfahrungsbezüge der romantischen Liebe in unstrukturierte einzelne Sinnwelten zerfielen. Nun betrifft dies im Grunde zwar die mittleren Jahrgänge meiner Untersuchung, es kann aber vermutet werden, dass sich diese Umstellung mit den in den Selbstthematisierungen der späten Jahrgänge aufgefundenen Begründungszwängen bereits als Muster dieser Generation abzeichnet. 152 Was bliebe an der romantischen Liebe romantisch, wenn das Exklusivitätsprinzip der konventionellen Liebesbande, auf das auch das moderne Familienmodell aufbaut, außer Kraft gesetzt wäre? Möglicherweise tritt an diese Stelle in Zukunft eine Steigerung der Bedeutung von Freundschaft(en). Anspruchsvoll aufgewertet im Zwischenfeld von (Liebes-)Paar und Interessensgemeinschaft müssten diese als Intimitätsmuster dann aber vermutlich noch umgebaut werden. 153 Vgl. hierzu auch die Diskussion um „Polyamory“ (vgl. Mérrit/Bührmann/Schefzig 2005).
Ebene
Krise des Sozialstaates
Hohe Scheidungsraten
Im Vergleich ausgeprägteste Destandardisierung von Lebensverläufen/ Diversifizierung privater Lebensführungspraxen
Größere Milieumobilität
Erleichterte Empfängnisverhütung
Institutionalisierung feministischer Diskurse
Reformiertes, liberalisiertes Familienrecht / Bedeutungsverlust der ‚Hausfrauenehe’
Öffentliche Diskursfähigkeit des Vereinbarkeitsproblems von Beruf und Familie
Aufkommen poststrukturalistischer Gendertheorien/ partielle Dethematisierung von Geschlecht
Gleichheits- bzw. Differenzdebatte
Weiblicher Autonomieanspruch und Forderung nach Partnerschaftlichkeit
Kritik an ‚KomplementärLiebe’ und -Ehe
Einzug des Emanzipationsdiskurses (Patriarchatskritik)
Traditionelle Vorgaben / Kategorie der Herrschaft
Geschlechtersemantik
Egalisierung der Bildungsbeteiligung von Frauen und Männern
Parallel: Erosion restaurativer Sozialvorgaben / Sexuelle Liberalisierung
Restauratives Ehe- und Familienmodell / Ideal der ‚heilen Familie’
Struktur- bzw. institutionelle Ebene
Problem des Erringens biografischer Kohärenz und eindeutiger Lebensentscheidungen in den persönlichen Nahbeziehungen
Wahrnehmung einer zu bewältigenden Kontingenz der Gelegenheiten
Kontrolle bedrohter Subjektivität
Ins ‚Innere’ bzw. in die ‚Gefühle’ gehen müssen
Wahrnehmung kultureller Entfremdung bzw. „Verlust lebensweltlicher Authentizität“ („Das Natürliche ist bedroht“)
Kulturkonflikt („richtiges“ Leben vom „falschen“ unterscheiden)
Brüche mit Tabus und Moralkodex der restaurativen Ära
Wahrnehmung gesellschaftlich induzierter Rollenförmigkeit in den Nahbeziehungen
Kulturelle Interpretation
Schaubild IV: Erfahrungshorizonte und Praxisformen im Generationsvergleich
(ca. Ende 60er bis Ende 70er Jahre)
Späte Jahrgänge
(ca. Anfang 50er bis Mitte 60er Jahre)
Mittlere Jahrgänge
40er Jahre)
(ca. Anfang bis Ende
Frühe Jahrgänge
Generation
Theatrale Inszenierungen (Iványi/Reichertz 2002, Willems/Pranz 2006)
Parallelität traditioneller Orientierungen und der Erosion des Verweisungszusammenhangs von Liebe und dauerhaftem Paar
Experimentelle Selbsterfahrungskulturen
Etablierung posttraditionaler Beziehungspraxen (nicht eheliche, nicht-konventionelle Paargemeinschaft)
‚Offene’ und ‚wilde Ehe’
Traditionelles Paar, Ehe und Familie
Dominante / alternierende Praxisformen
„Nichts ist unmöglich“/ „Sei Du selbst“
„Ich bin okay, Du bist okay“ (Thomas A. Harris)
„Das Private ist politisch“
Zeitgenössische Devisen
244 5 Empiriegeleitete Typologie
Abgrenzung: Überzogener Avantgardeanspruch der 68er; überzogene Innerlichkeit deren Nachfolgejahrgänge
Selbstwahrnehmung: Bedrohte Generation (dauerhafte Bindungen erscheinen als fragil; Druck permanenter Entscheidungen)
Abgrenzung: Dazwischenfallen der eigenen Generation: a.) das Virtuosentum der 68er lässt sich nicht erreichen, b.) Jüngere Generation erscheint habituell unverkrampfter
Selbstwahrnehmung: Kritischer Geist in der Liebe als Herausforderung der Generation
Abgrenzung: Falsche Gefühlsofferten restaurativer Nachkriegsmoral
Selbstwahrnehmung: SelbstbestimmungsGeneration
Kollektivbezug
Herausfinden und Behaupten-Können relevanter Handlungsrahmen für affektuelle Beziehungen
Sozial legitimierbare Affekte
Reflektierte Hingabe
Wachsamkeit gegenüber vom Idealbild der Liebe ‚unterschlagenen’ Geschlechterdispositionen (Typus II)
Machtfreie Reziprozität (Typus I)
Authentizitätsideal in der Liebe
Marginalisierung der Geschlechterkategorie (Rhetorik des Beziehungsproblems statt des Geschlechterproblems)
Differenztheorie (Zwei-Weltenheit der Geschlechter und das Problem diesbezüglicher Arrangements)
Psychologisierung von Geschlechtscharakteren
„Was ist der richtige Handlungsrahmen für die
typenspezifisch: „Was ist die richtige Entscheidung in der Liebe?“ (Typus V)
generell: Kohärenz versus Beliebigkeit (Alternativenabwägung vor dem Hintergrund multioptionaler Gelegenheiten)
typenspezifisch: Das Begehren ist kulturell deformiert (Typus ‚Latenzverdacht’) bzw. Problem der Geschlechterreziprozität (Typus ‚Praktische Sensualität’)
generell: „Frauen und Männer fühlen anders“
Selbstbehauptung durch Traditionalismus (Typus VI)
Selbstbehauptung durch Entscheidungsrationalität (Typus V)
Lebenspraktische Improvisatorik bzw. Gang in eine andere Kultur (Typus III)
Reflexiv-kommunikative Einfühlung (Typus IV)
Bewahren von ‚Machtgrundlagen’ in der Liebe (Typus II)
typenspezifisch: Überwinden männlicher Herrschaftsstruktur (Typus I)
‚natürliche Geschlechterdispositionen’ (Typus II) Verdeckte Statusorientierung in der Liebe bei Frauen (Typus II)
Selbstbehauptung durch ökonomische Autonomie (Typus I)
Handlungsstrategie
generell: Außerkraftsetzen traditioneller Rollenvorgaben
Problemdeutung
Machtasymmetrie/ patriarchale Strukturen (Typus I)
Geschlechterzuschreibungen
Schaubild V: Biografische Selbstthematisierung in der Liebe im Generationsvergleich
(ca. Ende 60er bis Ende 70er Jahre)
Späte Jahrgänge
(ca. Anfang 50er bis Mitte 60er Jahre)
Mittlere Jahrgänge
(ca. Anfang bis Ende 40er Jahre)
Frühe Jahrgänge
Geburtsjahrgänge
Kategorie
5.4 Selbstthematisierung der späten Jahrgänge
245
246
5 Empiriegeleitete Typologie
Spalten ‚dominante/alternierende Praxisformen‘ – worin zeittypische Beziehungsmodelle, gegebenenfalls alternative Entwicklungen und andere Strömungen zusammengefasst sind – sowie ‚zeitgenössische Devisen‘ (Zeitslogans). Schaubild V ist geordnet durch die für die Fallvergleiche entwickelten Kategorien biografischer Selbstthematisierung in der Liebe (Kollektivbezug, Authentizitätsideal, Geschlechterzuschreibung, Problemdeutung, Handlungsstrategie).
5.5
Abschließende Bewertung der methodischen Vorgehensweise
Es erwies sich als außerordentlich gewinnbringend, für die methodische Vorgehensweise einen hermeneutischen Ansatz zu favorisieren, um die Deutungsmuster der Befragten für eine rekonstruktive Materialanalyse zu öffnen. Im Unterschied zu reinen Kohortenanalysen gewährleistet eine ‚qualitative Generationsforschung‘ (Bude 2000a) Zugriff auf die subjektive Repräsentation von Erfahrungen, die signifikant für das Kollektivbewusstsein einer Generation sein können. Die gewählte Kombination von Untersuchungsmethode und Sample-Konstruktion erwies sich für die Fragestellung dabei als effektiv und ergiebig. Der halbstandardisierte Leitfaden ermöglichte eine Fülle biografischer Narrationen und erwies sich als flexibel genug, um individuellen Relevanzsetzungen der Befragten größtmöglichsten Raum zu geben. Auf der Grundlage der Analyse von Deutungsmustern gelang ein komplexer Zugriff auf die jeweilige Strukturierung von Lebenserfahrung und -Praxis abseits von sozialen Erwünschtheits-Antworten, welcher mit Einstellungsvariablen nicht hätte erlangt werden können. Erreicht werden konnte somit ein differenzierter Vergleich des Zeitwandels kollektiver Deutungsmuster in Bezug auf das Thema romantische Liebe. Damit belegt die Untersuchung, dass die Verkopplung von Biografie- und Generationsforschung auch an einzelnen Fällen gewonnenen Ergebnissen geeignet ist, den kollektiven Horizont einer Generation aufzeigen zu können. Die Tragkraft biografischer Analysen für das Verständnis einer Generationsrelevanz ergibt sich aus zwei Aspekten: Einerseits kann am Beispiel biografischer Kommunikation gezeigt werden, dass Deutungen nicht nur semantische Oberflächenprodukte darstellen, sondern in konkreten lebenspraktischen Erlebnissen sedimentiert sind. Andererseits lassen sich damit jene Indizien im Material aufschließen, die als Verweis auf den kollektiven Horizont einer Generation zu lesen sind. Befragte nehmen selbst Schematisierungen des historischen Raums vor, mit denen sie individuelle Problemkonstellationen an die Typik ihrer Zeiterfahrung binden.154 154
Fraglos wird mit dem Generationsthema – wie mit jeder soziologischen Kategorie – ein bestimmter Diskurs der Behandlung einer Thematik eingeschlagen, und damit eine bestimmte Wirklichkeit erzeugt. Alternative Diskurse und Perspektiven rücken zugunsten einer bestimmten Interessegeleitetheit in den Hintergrund oder bleiben ausgeblendet. Auch ist die Generationskategorie immer nur in bestimmten Aspekten der Biografie identitätsstiftend. Nicht zuletzt verfolgt das hier geführte Generationsthema nicht den Anspruch, alles am Wandel der Liebe zu erklären, sondern bestimmte Wirklichkeiten und Entwicklungen.
5.5 Abschließende Bewertung der methodischen Vorgehensweise
247
Daraus leiten sich die Argumente ab, weshalb der Ansatz der Familiengenerationen nicht weit genug greift, um historische Generationsbildung als Ergebnis produktiver Auseinandersetzung jugendlicher Kollektive mit den sie betreffenden bzw. neu wahrgenommenen gesellschaftlichen Problemstellungen fassen zu können. Der Sichtweise des familiären Generationszyklus entgehen gerade jene generationsstiftenden Problemstellungen, die sich auch abseits familiärer Konfliktstellung vollziehen und durchaus azyklischen Charakter besitzen. Historische und familiale Generationsthese treffen sich zwar in dem Punkt, dass es meist immer um eine Auseinandersetzung mit bzw. des sich Entwerfens gegen herrschende ‚kulturelle Träger‘ (K. Mannheim) von Wirklichkeitsbestimmungen geht. Diese müssen aber nicht zwangsläufig als konkrete soziale Gruppe lokalisierbar sein. Es muss sich auch nicht zwingend um die eigene Elterngeneration handeln, gegen die opponiert wird, sollte überhaupt gegen irgend jemand oder irgend etwas opponiert werden. Ein weiteres Argument gegen ein engführendes Modell der Generationsbildung in der Logik Kind-Eltern-Großeltern besteht darin, dass generationsstiftende Brüche stärker gegen Wirklichkeitsordnungen unmittelbar vorausliegender Träger vollzogen werden. Diese brauchen in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis zu den Befragten zu stehen. Sie können jahrgangsspezifisch ältere Bezugsgruppen darstellen (welche Lebenspassagen schon weiter durchschritten haben, wie etwa ältere Freunde), das Lehrpersonal der Bildungsinstitutionen oder Repräsentanten öffentlichen Lebens wie die der kulturellen Medien. Es geht immer um Wirklichkeitsbestimmungen von sozialen Kollektiven, die nicht zur ‚eigenen‘ Generation gezählt werden, jedoch maßgebliche Gruppen der Auseinandersetzung im Prozess der Individuation darstellen. Zudem kann angenommen werden, dass sich Generationswandel in der Gegenwart generell rascher als in früheren historischen Zeiträumen vollzieht. Gerade der Einzug der Massenmedien in das öffentliche und private Leben schafft nicht nur globalen Einblick in jedwede Lebensprogrammatik Anderer und überall, sondern zugleich eine Homogenität von Konsumentenmilieus. Es sprechen dafür auch die frühe Autonomisierung von Jugendlichen überhaupt, sowie die gewachsene Relevanz der Peer-Group in ihrer gestiegenen Bedeutung als Parallelwelt zur Bindung an die Familie (vgl. Abschnitt 2.2). Einer stärkere Betonung des Verhältnisses von historischem Wandel und Milieuspezifik würde zweifellos noch weitere, inhaltlich jedoch andere Aspekte der Differenzierungstypik herrschender Liebessemantiken beleuchten. So könnte belegt werden, dass – ebenso wie Individualisierung nicht in allen Milieus in gleicher Weise verbreitet ist – immer auch von milieuspezifischen Formen der Selbstthematisierung auszugehen ist (vgl. Burkart/Fietze/Kohli 1989, Koppetsch/Burkart 1999). Günter Burkart (2004: 244) spricht in diesem Zusammenhang von „Virtuosen der Selbstthematisierung“, die eine zeit- wie auch eine milieuspezifische Prägung besitzen, im individualistischen Milieu aber am häufigsten anzutreffen sind. Der besondere Horizont der in dieser Arbeit diachron statt synchron eingeschlagenen Perspektive liegt jedoch in der Wahl eines Milieus, welches sich gewöhnlich als Stellvertreter eines Diskurses nach partnerschaftlicher Gerechtigkeit und Geschlechtersymmetrie versteht, und dem häufig das Selbstverständnis einer Modernisierungsavantgarde inne-
248
5 Empiriegeleitete Typologie
wohnt.155 Dass allerdings auch diese Virtuosen keine statische Größe im historischen Prozess darstellen, trägt die vorliegende Untersuchung mit Blick auf den zeithistorischen Wandel innerhalb dieses Milieus Rechnung. Ein konzeptionelles Merkmal der Studie besteht darin, dass alle Personen des Samples – trotz unterschiedlichem Lebensalter – zum Zeitpunkt der Befragung auf die eigene Generationszeit in der ungefähr gleichen historischen Zeit Bezug nehmen (vgl. Abschnitt 3.1.7). Alle sprechen damit aus einem Diskurs der Gegenwart heraus. Die Interviews fanden somit nicht in ihrer jeweiligen Adoleszenzphase statt (was Aufgabe einer Längsschnittstudie hätte sein müssen) sondern auf Grundlage einer vergleichsweise geringen Zeitstreuung. Obwohl die Abfolge von Generationen immer ein Hineinwachsen in anders prozessierte Zeitrahmungen darstellt, vollzieht sich die hierbei sichtbare historische Selbstverortung daher prospektiv, d. h. im ‚Hier und Jetzt‘. Auch wenn die Erzählungen auf unterschiedlichen Erfahrungsbeständen beruhen, besteht der Vorteil dieser konzeptionellen Besonderheit darin, dass den Befragten die Gegenwartszeit als Maßstab der Selbsthistorisierungen zugrunde liegt. Es hätte sonst beispielsweise nicht – wie anhand der Fallstudien geschehen – gezeigt werden können, dass die Sicherheit des Umgangs mit der Zurechnungskategorie Generation mit größerem Alter ansteigt. In der Lebensretrospektive wird mit höherem Alter (medial versiert) ‚klarer‘, zu wem man/frau warum und wie gehört und zu wem nicht mehr. Es treten größere Vergleichsperspektiven hinzu. Die älteren Geburtsjahrgänge sprechen in ihren Lebensretrospektiven damit stärker aus einer biografischen Vergleichsperspektive heraus. In Kontrast zu einer ganzen Reihe nachgewachsener Jugenden werden Lebensereignisse vor dem Hintergrund einer längeren Lebensspanne reflektiert. Zum anderen ist das Generationsthema als Zurechnungsschema bei den jüngeren Geburtsjahrgängen biografisch anders strukturiert als bei den früheren: Als Konsequenz der derzeit in den Medien grassierenden Strömung, für alles und jeden ein Generationslabel zu (er)finden, sind sie mit der Generations-Rhetorik in bestimmten Aspekten vertrauter – fühlen sich damit aber zugleich zu Selbstpositionierungen aufgefordert. Damit konnte belegt werden, dass Erfahrungen in der Liebe lebensalterspezifisch ganz unterschiedlich reflektiert werden. Zugleich, dass Selbstthematisierung in historischen Zeitbezügen immer in Korrespondenz mit den jeweiligen Chancen und Begrenzungen einer historischen Situation steht, Subjektpositionen einnehmen zu können bzw. zugewiesen zu bekommen. Zum Beispiel formulierte einer der Interviewpartner der Untersuchung: „Dass ich ein Generationsempfinden hab, wird mir eigentlich mehr von außen aufgetragen“. Aus der eigenen Perspektive mag dieser Befragte zwar ein quasi medial generiertes ‚Generations-Empfinden‘ entlarvt haben, dennoch zwingt ihn dieser Schematisierungsversuch, sich dazu zu affirmativ oder ablehnend zu positionie155
Cornelia Behnke (1997) spitzt dies in einer milieuvergleichenden Studie zu, und spricht hierbei von einem Milieu, das davon überzeugt sei, den Patriarchalismus überwunden zu haben, wobei ein „profeministischer, das Geschlechterverhältnis problematisierender Diskurs hauptsächlich im intellektuell-bürgerlichen Milieu gepflegt“ werde, da die Differenz „dort verhandelt“ wird, „wo sie ständig präsent ist“ (ebd.: 129).
5.5 Abschließende Bewertung der methodischen Vorgehensweise
249
ren. Generell formuliert, sind historische Selbstverortung und öffentlicher Generationsdiskurs in Print, Kunst, Literatur, TV, Werbung etc. so eng miteinander verstrickt, dass es unmöglich erscheint, trennscharf zwischen ‚realer‘ Erfahrung und medial kreierten Erfahrungsofferten zu unterscheiden: Aus dieser Warte ist jede Ich-Konstruktion überspitzt immer Produkt einer Gemengelage von Identitätsangebot und produktiver (individueller) Aneignung.156 Die Ordnung von Erfahrung ist selbst immer schon medial strukturiert, mediale Wirklichkeit und Erfahrungswirklichkeit lassen sich nicht streng kategorial von einander trennen (von Braun 2000; Herma 2003), wie beispielsweise die Fallstudien Karla S. und Rainer K. belegen. Gleichwohl bleibt die Erfahrungsordnung als Aufgabe für die Einzelnen erhalten, sie ist für sie individuell ‚real‘, das heißt, in biografischen Kommunikationen bilden sich die Spuren einer selbstauferlegten Subjektivierungsaufgabe ab. Mithilfe der Deutungsmusteranalyse konnte aufgezeigt werden, dass romantische Liebe in der jeweiligen biografischen Aneignung etwas generationsspezifisch Unterschiedliches darstellt. Erst die speziellen Zurechnungen der Befragten machen ‚wirklich‘, worum es in der Liebe gehen kann. Was Liebe bedeutet, wird somit in der Wahrnehmung der Subjekte entschieden.
156
So fragt Nick Hornby (1999) in seinem Erfolgsroman ‚High Fidelity‘, in Bezug auf den Konsum trauriger Liebeslieder: „Was war zuerst da, die Musik oder das Unglücklichsein? Hörte ich mir Musik an, weil ich unglücklich war? Oder war ich unglücklich, weil ich Musik hörte?“ (ebd.: 31).
6
Fazit und Anschlüsse
In diesem Abschlussteil werden die erreichten Ergebnisse bilanziert, in einen größeren theoretischen Rahmen gestellt und daraus resultierende, weitergehende Überlegungen diskutiert. In Abschnitt 6.1 wird eine Zusammenschau der zentralen Ergebnisse vorgenommen, die sich aus der Materialanalyse in Bezug auf generationsspezifische Differenzen biografischer Selbstthematisierung in der romantischen Liebe ergeben haben. In Abschnitt 6.2 werden diese Ergebnisse in Bezug auf das Verhältnis von Geschlecht und Generationswandel betrachtet und vor diesem Hintergrund bestehende Defizite der Geschlechterforschung benannt. Abschnitt 6.3 behandelt daraus resultierende Fragen nach dem Verhältnis von Geschlechterdifferenz, Partnerschaft und Symmetrieanspruch. In Abschnitt 6.4 und 6.5 werden die Vorzüge des entwickelten Ansatzes zum Nachvollzug des Wandels der romantischen Liebe rekapituliert und auf dieser Grundlage eine theoriekritische Bewertung der dazu vorliegenden, prominentesten soziologischen Ansätze vorgenommen. 6.1
Zusammenschau zentraler Ergebnisse
Das zentrale Ergebnis der Untersuchung lautet: Im Verlauf der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland existieren generationstypische Entwicklungen der Liebessemantik als Ausdruck der Abfolge sinnhaft ineinandergreifender, sich jeweils neue stellender, kollektiver Problemstellungen und Herausforderungen, sowie den dazu über Selbstthematisierungen vermittelten, favorisierten Antworten (vgl. auch Abschnitt 5.1). Die eingenommene Generationsperspektive leistet hierbei mehr als lediglich eine deskriptive historische Phasenbeschreibung. Vielmehr können diese Entwicklungen als Verhältnis historischer Kontinuitäten und Diskontinuitäten (vgl. Abschnitt 6.5) im Muster der Liebe erklärt werden. Empirisch wurden diese Entwicklungen in dieser Studie über die Rekonstruktion von Authentizitätsidealen in biografischen Selbstthematisierungen zum Thema Liebe erschlossen. Auf der Grundlage der Materialanalyse konnten dabei in Bezug auf den Ablauf der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik drei idealtypische Generationsmuster der Selbstthematisierung herausgearbeitet werden: a) Ein die frühen Jahrgänge kennzeichnendes Befreiungsnarrativ mit einem nach außen gerichteten (System-)Bezug. Diese Jahrgänge setzen sich von der unmittelbaren Nachkriegsjugend – auf die in Abschnitt 4.1 ausführlich eingegangen wurde – durch die Ablösung von einer ‚Kultur der Notwendigkeit‘ (Orientierung an restriktiven Imperativen der Aufbauphase der Bundesrepublik) zu einer ‚Kultur der Selbstverwirklichung‘ (Bude 1992: 90) bzw. der Selbstbestimmung ab. Idealtypisch
252
6 Fazit und Anschlüsse
formuliert, ortet sich hier das ‚authentische Selbst’ in der Liebe im Spannungsfeld zwischen den Polen gesellschaftliche Konvention versus individuelle Autonomie. b) Ein die mittleren Jahrgänge kennzeichnendes Innerlichkeits- bzw. Gefühlsnarrativ mit einem nach innen gerichteten Bezug. Hier bewegt sich die Suche nach einem authentischen Selbst in der Liebe zwischen den Polen bedingungslose Hingabe versus kritische Wachsamkeit im Sinne einer ‚reflektierten Hingabe‘. Rationalität in der Liebe wird gewissermaßen nach innen gestülpt: Die Überprüfung des individuellen Erlebens und Handelns ist stärker subjektiviert unter der Maßgabe, dass dieses immer auch emotional gedeckt ist. Damit herrscht bei diesen Jahrgängen eine affektuelle Kontextsensibilität, d. h. der Authentizitätsbezug gründet primär auf affektiver Evidenz. c) Ein schließlich die späten Jahrgänge charakterisierendes Entscheidungsnarrativ. Die Authentizitätssuche nimmt stärker die Form eines Abwägungsproblems an. Der Bezug ist nun wiederum nach außen gerichtet. Mit dem Fokus auf das Problem der Eindämmung von Kontingenz besteht hierbei jedoch eine qualitativ andere Färbung des Außenbezugs als bei den frühen Jahrgängen. Vor dem Hintergrund erhöhter Kontingenzerfahrung rückt stärker die Begründungsverpflichtung ins Zentrum, erklären zu können, weshalb man mit einem bestimmten Partner zusammen ist und sich sowohl für ein bestimmtes Beziehungsarrangement entschieden hat. Zugespitzt formuliert sind die zentralen Rahmen, vor deren Hintergrund in den Generationen Entscheidungen in der Liebe (unabhängig jeweiliger Inhalte) getroffen werden, folgende: Die Angehörigen der frühen Jahrgänge wollen die von der Tradition auferlegten Beschränkungen individueller Selbstentfaltung in der Liebe loswerden, die mittleren Jahrgänge die Sorge um Entfremdung im Inneren, und die späten Jahrgänge das Beliebige. Bei den frühen Jahrgängen der Untersuchungsgruppe steht die Legitimität sozialer Rollennormen im Mittelpunkt, die mittleren Jahrgänge suchen nach Legitimität und Authentizität stärker in der Binnenstruktur ihrer Nahbeziehungen (wer bin ‚ich selbst‘ in der Liebe? – wie finde ich dafür Anschlüsse im Paar?), die späten Jahrgänge wiederum sehen sich vor das Problem gestellt: Es ist kulturell schon alles möglich, aber wie löse und beschränke ich dies für meine individuelle Lebenspraxis? Betrachtet man dies als Variationen von ‚Individualismen‘ in der Liebe, lässt sich für die frühen Jahrgänge ein emanzipatorischer Individualismus, für die mittleren ein emotionalistischer Individualismus, und für die späten Jahrgänge ein pragmatischbzw. ironisch-reflexiver Individualismus behaupten (Ironie insofern, da romantische Liebe als Sinnelement hierbei am deutlichsten aus dem traditionellen Verweisungszusammenhang herausgelöst ist, und stärker alternativ komponierbar erscheint).157 Aus dieser Sicht treten die rekonstruierten Generationstypiken als unterschiedliche 157
Zum Narrativ Ironie vgl. White (1991), Corsten (2001b), Herma (2001, 2003); zum Prinzip Aleatorik als analytische Abstraktion des Elements ‚Komposition‘ vgl. Corsten (1993, 1995; dazu auch Abschnitt 5.4.3).
6.2 Liebes-Gender und Generationswandel
253
Antworten im Modernisierungsprozess auf, welcher jedoch keineswegs linear verläuft. Pointiert formuliert: Die über biografische Selbstthematisierungen vermittelte jeweilige Liebessemantik einer Generation reagiert auf jeweils neue, von Heranwachsenden kollektiv wahrgenommene Herausforderungen. Herausforderung heißt in diesem Kontext, sich in der Praxis intimer Nahbeziehungen als selbständig agierendes Ich zu bewähren bzw. eine kohärente Definition des eigenen Ichs zu erlangen, welches sich auf einem Praxisfeld wie der Liebesbeziehung als handlungsfähig erlebt.158 Die Materialanalyse belegt damit, dass die Gleichsetzung von Individualisierung und Freisetzungsschub zu engführend ist (vgl. Burkart 1997). Vielmehr stellen sich den Einzelnen generationsabhängig jeweils neue Herausforderungen im Hinblick auf die Schließung von Kontingenzerfahrung in der Liebe auch abseits eines linearen Denkmodells gesellschaftlicher Individualisierung. Oder prägnant formuliert: Die Einzelnen haben im historischen Zeitvergleich nicht mehr Dinge im Blick, sondern neue. Ein weiteres zentrales Ergebnis betrifft das Verhältnis von Liebe und Geschlecht, wie im Folgenden dargelegt wird.
6.2
Liebes-Gender und Generationswandel
Die Materialanalyse zeigt, dass die Dimension Geschlecht in den biografischen Kommunikationen aller untersuchten Jahrgänge als steter Kerndiskurs mitläuft. Im Vordergrund steht jeweils das Prinzip Gender als soziales Geschlecht: Der innere Zusammenhang zwischen Liebe und Geschlecht wird vor allem durch geschlechtliche Zuschreibungspraxen hergestellt. Dabei belegt die Studie zum einen, dass die Geschlechterdifferenz in den Liebesthematisierungen der Befragten weitgehend erhalten bleibt. Zum anderen spricht einiges dafür, dass der Wandel der Liebessemantik in hohem Maße Ausdruck davon ist, dass jede Generation die Genderthematik in Verbindung mit Liebe neu aufwirft. So konnte am Beispiel der Selbstthematisierungen der frühen Jahrgänge herausgearbeitet werden, dass typenübergreifend die Frage nach der Legitimität einer hierarchischen Geschlechterordnung eine herausragende Rolle in der Bedeutung der Liebe spielt, gerade etwa dann, wenn im Typus I das Erringen praktischer Alternativen dazu im Zentrum steht. Die traditionelle Ordnung der Geschlechter in der Liebe gilt in diesem Typus als nicht mehr akzeptabel, und angestrebt wird die Neudefinition der Geschlechterrollen. Im Typus II wird dies jedoch – strukturähnlich – demonstrativ verneint. Generalisiert man daher die Befunde aus dem Typus I (‚Enttraditionalisierung‘) der frühen Jahrgänge, lässt sich behaupten, dass Frauen ausgehend von den Jahrgängen ab 1940 zunehmend eine eigene Generationseinheit ausbilden. Ein emanzipatorisch-autonomes Selbst in der Liebe abseits bürgerlicher Konventionen
158
Natürlich werden gleichzeitig bestimmte Handlungsfähigkeiten – etwa bestimmte Formen von Solidarität – erst durch Liebe und Paar möglich bzw. begünstigt.
254
6 Fazit und Anschlüsse
wird gegen jenes Leitbild der Frau gesetzt, das primär auf innerhäusliche Erziehungs- und die Familie integrierende Emotionsarbeit ausgerichtet war. Im Typus II (‚Hierarchisierung‘) zeigt sich – generationstypisch –, dass genau gegen dieses Bestreben angstbesetzt opponiert wird. Die biografischen Selbstthematisierungen der frühen Jahrgänge weisen damit im Generationsvergleich die größte Geschlechtervarianz auf. Die Typen dieser Jahrgänge stehen aus dieser Perspektive stellvertretend für geschlechtsspezifische Typen. Dies erklärt sich jedoch nicht schon daraus, dass zur Herleitung des Typus I ein weiblicher und für den Typus II ein männlicher Referenzfall gewählt wurde. Es ist vielmehr die starke Diskrepanz geschlechtlicher Subjektpositionen, die in den Narrationen von Frauen und Männern zum Ausdruck kommen, die ihre Jugend und Adoleszenz in den 50er und frühen 60er Jahren der Bundesrepublik erlebt haben. Als wichtiges Ergebnis der Materialarbeit zeigt sich, dass sich diese Diskrepanz bei den nachfolgenden Generationen verschleift. Wie die Typenausprägung der mittleren Jahrgänge belegt, nähern und gleichen sich die Selbstthematisierungen von Frauen und Männern auf den ersten Blick an. Auf dieser Ebene kann eine tendenzielle Entgrenzung geschlechtlicher Dispositionen nachgewiesen werden. Erhalten bleiben zwar bestimmte institutionelle Felder geschlechtsspezifischer Erfahrung, jedoch werden die Schlussfolgerungen der Befragten in Bezug auf ihre konkrete Lebenspraxis in der Liebe homogener. Beispielsweise stehen in den Narrationen der mittleren Jahrgänge nicht mehr die traditionellen Zuständigkeitsmuster der Geschlechter (Frauen: Gefühlspflege der privaten Sphäre; Männer: Behauptung in der öffentlichen Sphäre) im Vordergrund. Signifikant bei den mittleren Jahrgängen ist jedoch vielmehr die Psychologisierung von ‚Geschlechtercharakteren‘ (nach Hausen 1976).159 Dabei wird das Gelingen der Liebe zwischen Frauen und Männern primär vor dem Hintergrund der Deutung einer – eben psychologisierten – Zwei-Welten-Theorie der Geschlechter thematisiert und ausgetragen, d. h. auch hier bleibt die Geschlechterdifferenz als Ordnungsgröße erhalten. Insofern belegen die Fallrekonstruktionen in diesem Zusammenhang eine klare geschlechtsspezifische Zuschreibung als naturwüchsig gedeuteter Charaktereigenschaften – auch wenn die Betreffenden damit permanent im Unreinen sind (vgl. Abschnitte 5.3 und 5.4). In dieser Hinsicht ist ein deutlicher Unterschied der Selbstdefinitionen der Frauen und Männer zwischen den frühen und den mittleren Jahrgängen erkennbar. 159
Man denke hierbei auch an populärwissenschaftlich auftretende Beziehungsratgeber, die diese Deutung unterstützen, etwa die Arbeiten von Deborah Tannen (1991), aber auch das (Extrem-)Beispiel des Bestsellers „Frauen, die zu sehr lieben“ der Autorin Robin Norwood von 1986. Bei Norwood wird das Ringen von Frauen um Autonomie besonders deutlich in Richtung einer Psychologisierung der Geschlechtscharaktere gelenkt: Es geht nicht mehr um die Suche nach Unabhängigkeit vom männlichen Geschlecht als Auslöser von Identitätskonflikten, zur Wurzel des Problems wird vielmehr das ‚zu viele‘ Liebesbegehren von Frauen schlechthin erklärt.
6.2 Liebes-Gender und Generationswandel
255
Aus den Fallrekonstruktionen der mittleren Jahrgänge lassen sich zwei geschlechterübergreifende Typenausprägungen dieser als Problemhorizont der Generation ausgelegten Gender-Herausforderung ermitteln. Im Typus IV (‚Praktische Sensualität‘) herrscht zwar eine klare Differenzdeutung der Geschlechter vor. Diese ist jedoch mit dauerhaften Partnerschaftspraxen integrierfähig, wie etwa im Fall Gisela T., die ein harmonisiertes „Ebenen“-Modell in der Geschlechterbegegnung zeichnet. Im Fall Rüdiger A. gibt es die ausdrückliche Verpflichtung, sich dem Emanzipationsdiskurs der Geschlechter quasi zu ‚stellen‘. Auch er praktiziert eine praktische Pädagogik der Geschlechter, die anschlussfähig für Beziehungspraxis bleibt. Genau dies bleibt dem Typus III (‚Permanenter Latenzverdacht‘) verwehrt. Die Geschlechterdifferenz wird nicht nur zur Hürde tragfähiger Zweierbeziehungen, sondern zum Verhinderungsfaktor: Im Fall Karla S. etwa im von ihr gehegten Verdacht, trotz eines ‚aufgeklärten‘ Selbst als Frau auch im Jetzt-Sein noch von der, als negativ deklarierten kollektiven Imagination des „Schimmelreiters“ bzw. des „Ritter-Traums“ geprägt zu sein (vgl. hierzu Sichtermann 1993). Im Fall Rainer K. wird Männlichkeit nachgerade pathologisiert: Das eigene, auf Frauen bezogene sexuelle Begehren wird als „unnatürlich“, und als Fessel des Selbstseins empfunden. Stattdessen wird ein Bild ‚anschmiegsbereiter‘ Frauen kreiert, und seine praktische Einlösung in anderen Kulturen gesucht (vgl. Fallrekonstruktion). Ist bei den mittleren Jahrgängen vor allem die Psychologisierung der Geschlechterdifferenz besonders ausgeprägt, steht bei den späten Jahrgängen stärker ein Beziehungs- statt ein Geschlechterproblem im Mittelpunkt. Die Logik der Geschlechterdifferenzierung der mittleren Jahrgänge hat hier an Gewicht verloren. Den späten Jahrgängen ist es offenbar weniger wichtig, mitunter fast unverständlich geworden, Verhalten in Paarbeziehungen primär im Lichte weiblicher oder männlicher Attribute zu betrachten. Im konkreten Fall Judith P. ist diese Logik zwar partiell gegeben, in den beiden anderen Referenzfällen spielt sie jedoch kaum eine Rolle. Aber auch hierbei ist hervorzuheben, dass es sich bei diesen Befunden um nachweisbare Effekte auf der Wahrnehmungs- bzw. Deutungsmusterebene handelt. Auch das für die späten Jahrgänge mit der Materialanalyse gedeckte Deutungsproblem multioptionaler Gelegenheiten in Liebe und Partnerwahl heißt nicht zwangsläufig durchgesetzte Geschlechtergleichheit, freie Wahl oder stetige Pluralisierung. Die Befragten der Untersuchung nehmen jedoch Handlungsprobleme in einer bestimmten Weise wahr und reagieren darauf in bestimmter Weise. Die Muster, die sie damit hervorbringen, siedeln auf der Ebene an, wo Handlungsprobleme angegeben werden, Affektregulierung stattfindet, aber auch fokussiertes Handeln möglich wird (Lucius-Hoene/Deppermann 2002; Meuser/Sackmann 1992). Damit zeigen die Ergebnisse zumindest bis zu den mittleren Jahrgängen klar ein generationsspezifisches Gendering der Liebessemantik auf. Bei den späten Jahrgängen scheint sich die Geschlechterkategorie in der Liebe allerdings typenspezifisch zu verschleifen, was wiederum als Merkmal der Typik dieser Generation gelesen werden kann. Somit nimmt die Relevanz der Geschlechterkategorie im Ablauf der untersuchten Jahrgänge in bestimmten Bereichen ab. Zweierlei kann damit
256
6 Fazit und Anschlüsse
aufgezeigt werden: Der Wandel von Problemstellungen in der romantischen Liebe tritt auch als Folge unterschiedlicher Gender-Zuschreibungen hervor. Und trotz der Angleichung äußerer Lebenslagen von Frauen und Männern (vgl. Heintz/Nadai 1998) setzt sich das Muster romantische Liebe als Interaktions- bzw. Handlungsfeld in den Paarbeziehungen fort. Die Generationsgeschichte der Liebe, die in dieser Untersuchung quasi entfaltet wird, lässt sich insofern auch als Geschichte einer sukzessiven Dekonstruktion partriarchaler Ordnungen in den persönlichen Nahbeziehungen lesen, ohne dass in der Wahrnehmung die Geschlechterdifferenz – zum Fortbestand des Musters Liebe als Beziehungsregulativ – dafür konstitutiv bleibt. 6.2.1
Defizite der Geschlechterforschung
Die Analyse macht deutlich, dass die Genderkategorie die Wahrnehmung von Problemstellungen in der Liebe nicht nur massiv beeinflusst, sondern vielmehr als tragender Faktor hervortritt. Pointiert formuliert: Der Wandel in der Liebessemantik zeigt sich vor allem in den unterschiedlichen Anforderungen, die über die veränderten Genderzuschreibungen an die Liebe gestellt werden. Die Geschlechterforschung – die sich bisher ohnehin eher marginal für Liebe(-ssemantiken) als Beziehungsregulativ moderner Paarbeziehungen interessiert hat – ist diesem Verhältnis bislang nicht systematisch nachgegangen. Im einzelnen betrifft das die folgenden drei Aspekte: a) Dem Thema Liebe als Ordnungsgröße moderner, persönlicher Nahbeziehungen wird in der Geschlechterforschung bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. auch Abschnitt 1.4). b) Ist dies dennoch der Fall, kapriziert sich diese Forschung vorwiegend auf Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, die aus der bürgerlichen Sozialordnung hervorgehen, sowie auf allgemeine Demokratiedefizite in Ehe und Familie. Vernachlässigt wird dagegen die subjektive Bedeutung der Liebe als Vergemeinschaftungsgröße im Paar. c) Die Marginalisierung kleinerer historischer Zeitabschnitte, mit denen diese Bedeutungen für ein näheres Verständnis des Wandels geschlechtlicher Zuschreibungen, somit auch für die damit verknüpften Chancen intimer Vergemeinschaftung bzw. deren Verhinderung erschlossen werden könnten.160 Wie die Untersuchung zeigt, spielen diese historischen Zeitabschnitte eine erhebliche Rolle. Mit dem Generationsansatz lässt sich verdeutlichen, dass das Zusammenspiel von Liebes- und Geschlechtssemantik von jahrgangsspezifischer Erfahrung und Deutung abhängig ist und insofern die Praxis der Liebe beeinflusst. Damit kann die Behauptung belegt werden, dass die jeweilige Genderzuschreibung eine Dimension mit einer hohen Varianz zwischen den Generationen darstellt. 160
Eveline Kilian und Susanne Komfort-Hein (1999) unterstreichen in diesem Zusammenhang überdies die Frage nach dem „Zusammenspiel geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Generationserfahrungen“ (ebd.: 16, vgl. auch Stoehr 1994). Auch die Ergebnisse meiner Untersuchung bestätigen, dass keine geschlechterhomologe Verarbeitung von Generationserfahrungen existiert.
6.3 Geschlechterdifferenz, Partnerschaft und die Frage der Symmetrie
6.3
257
Geschlechterdifferenz, Partnerschaft und die Frage der Symmetrie
An die Ergebnisse der Materialanalyse schließen sich weiterreichende Überlegungen an, wie etwa die für die Gegenwart aufgestellte These einer „kontextuellen Inkontingenz“ (Heintz/Nadai 1998) der Geschlechterdifferenz. So beobachten Bettina Heintz und Eva Nadai eine De-Institutionalisierung der Geschlechterverhältnisse seit den 60er Jahren (wobei bestehende Machtverhältnisse ausdrücklich ausklammert werden) und folgern: „Heute ist die Geschlechterdifferenz kein durchgehendes Ordnungsprinzip mehr, sondern in ihrer Bedeutung in vielen Fällen situationsspezifisch gebrochen und durch Kontextfaktoren mediatisiert“ (ebd.: 88; kritisch: Knapp 2001; vgl. Pasero 1995). So wird die Frage nach Ordnungsfunktion und Wandel der Geschlechterkategorie in der Liebe gerade auch vor dem Hintergrund der These nach der praktischen Durchsetzung des Partnerschaftsmodells virulent (Giddens 1993). Günter Burkart und Cornelia Koppetsch (2001) entwickeln in diesem Zusammenhang die leitende These, Geschlechterverhältnis und Geschlechtsnormen seien kontextabhängig: Geschlechterordnung(en) der öffentlichen Sphäre auf der einen Seite, Beziehungsnormen in der privaten Sphäre, besonders bei Paaren, auf der anderen. Aber auch innerhalb des Paares, insbesondere abhängig vom jeweiligen Beziehungsregulativ Liebe oder Partnerschaft, unterscheiden sich Einfluss und Gewichtung der Geschlechterkategorie. Dies leitet zur Frage, ob eine Parallelität unterschiedlicher Geschlechtsnormen existiert, welche je nach Beziehungstyp, mitunter auch binnenpartnerschaftlich ausdifferenziert ist. Ein Beispiel dafür wäre die egalitäre Realisierung von Berufschancen, während in der sonstigen Beziehungsökonomie Asymmetrien aufrecht erhalten werden. Zumindest scheint bislang die Frage weitgehend unerforscht, ob und wie jene Bindewirkung des Paares, die auf Affektivem beruht, trotz geforderter Symmetrisierung in den Paarbeziehungen auch kontextspezifische Ungleichgewichte zulässt und reguliert (vgl. Schneider, W. 1994; Allmendinger/Ludwig-Mayerhofer/Schneider/Wimbauer 2004). Dabei ginge es nicht um Ungleichheit im Sinne einer unterschiedlichen Verteilung von Machtressourcen und auch nicht notwendigerweise um Geschlechterdifferenzen.161 So hat beginnend mit den frühen Jahrgängen des Samples zwar gewiss die eigenständige berufliche Existenz von Frauen die im traditionellen Beziehungsregime eingeschriebene rollenförmige Verfügbarkeit derselben mitsamt der damit abgestützten Geschlechternormen an Einfluss verlieren lassen, somit also einen Symmetrisierungseffekt geschaffen. Möglicherweise gründet der romantische Liebescode, dem Frauen wie Männer dieser Studie folgen, jedoch weiterhin auf Formen der Vergemeinschaftung, die auch Asymmetrien zulassen. Asymmetrie bezieht sich dabei nicht auf systemisch erzeugte, ökonomische Machtungleichheit, sondern vielmehr auf das 161
Gleichzeitig sind gesellschaftliche Szenarien denkbar, in denen die Geschlechterdifferenz in der Liebe wieder größer wird, etwa durch neue Kopplungen von Liebe und ausdifferenzierte Formen von Erwerbs- oder Familienarbeit oder auch Sexualität und biologischer Reproduktion(-smacht).
258
6 Fazit und Anschlüsse
dem modernen Liebescode eingeschriebene, freie Spiel wechselseitiger emotionaler Bezugnahme, welches Schmerz- und Abhängigkeitserleben und zugleich Bindungseffekte produziert. Dies spiegelt sich in der Generationstypologie wider: Bei den frühen Jahrgängen steht das Thema Macht am deutlichsten im Vordergrund der Selbstthematisierungen. Im Typus I (‚Enttraditionalisierung‘) wird keine Alternative zur egalitären Partnerschaft anerkannt, das Ideal der romantischen Liebe hat sich allein auf dieser Basis zu bewähren. Daraus lässt sich zunächst schließen, dass Liebe auch mit Symmetrieanspruch zu tun hat. Im Referenzfall Ingeborg S. konnte allerdings nachgezeichnet werden, dass in der Partnerschaft gleichzeitig Asymmetrien herrschen können. Die Beziehung zu ihrem Ehemann funktionierte auf der formalen Grundlage von Partnerschaft, auch jenseits affektueller Ansprüche herrschte Gleichberechtigung und Solidarität. Mit diesem formalen Beziehungskonzept wollte Ingeborg S. Abhängigkeiten vermeiden. Die avisierte Symmetrie in der Liebe hat sie darin jedoch nicht gefunden, da sie zu ihrem Ehemann keine reziproke Anerkennung aufbauen konnte, die auch Liebe zuließ. Dies findet sie erst in ihrer Parallelbeziehung, in der es aber nicht um Partnerschaft, sondern um reine Liebe unter Inkaufnahme affektiver Ungleichgewichte ging. Dass aber letztlich nur diese Form von Reziprozität für ein Paarkonzept langer Dauer anerkannt wird, zeigt die starke Ambivalenz dieses Typus, der in der Untersuchungsgruppe am stärksten für die Realisierung des Ideals der romantischen Liebe auf der Grundlage von Symmetrie antrat. Typus II (‚Rangordnung’) der frühen Jahrgänge steht diesem Konzept diametral gegenüber: Hier wird gänzlich auf die Kraft der traditionellen Liebessemantik als Vergemeinschaftung durch Asymmetrie vertraut. Für die mittleren Jahrgänge ist zunächst einzuräumen, dass es quasi ihr (Generations-)Erfolg scheint, Geschlechterdisparitäten im Privaten überhaupt erst zu einer Verhandlungssache erhoben zu haben, die sich auch in breiten öffentlichen Debatten fest verankern konnte. Die besondere Form, wie sich Geschlechterdifferenzen in allen Fällen dieser Jahrgänge zum zentralen Bezugspunkt der Selbstdeutung ausformen, gibt allerdings Anlass zur These, dass das hierarchische Modell der Geschlechterkomplementarität des traditionellen Geschlechterregimes zwar an Bedeutung verloren hat (wenigstens ist es als Thematisierungsregel nicht sichtbar), die Geschlechterdifferenz jedoch ins ‚Innere‘ verlagert wird. Mit anderen Worten: Die ZweiWelten-Idee der Geschlechter gilt weiterhin, nun aber in einer psychologisierten Variante. Damit werden Asymmetrien anders gedeutet und in die Beziehungspraxis eingebaut. Sie werden nicht primär im Licht gesellschaftlicher Machtverhältnisse interpretiert, sondern in eine Geschlechtertheorie verwickelt, die Geschlechterdifferenzen ungeachtet bestehender, struktureller Asymmetrien gewissermaßen ‚kulturell‘ von der einen auf die andere Achse umwälzt, weil weiblicher ‚Geschlechtscharakter‘ (Hausen 1976) aufgewertet, männlicher abgewertet wird. Bei den späten Jahrgängen wird das Bild vielschichtiger. Hier hat sich das Gleichheitsideal der Geschlechter bisher sicherlich am stärksten als offizieller Diskurs durchgesetzt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass bei dieser Generation (und dem Milieu dieser Untersuchung) berufliche Karriereaspirationen beider Geschlechter ins
6.4 Der Wandel der Liebe in der Forschung
259
Zentrum von Aushandlungen der jeweiligen Paarwirklichkeit gerückt sind. Nach den empirischen Befunden der Untersuchung bleibt die Integration des Liebesideals als Beziehungsregulativ aber auch bei ihnen eine zu bewältigende Aufgabe.162 Dass dabei die Geschlechterkategorie nicht mehr in dem Maße wie bei den anderen Jahrgängen als Zurechnungsgröße im Vordergrund der Selbstthematisierungen steht, mag daran liegen, dass es ein anderes generationsspezifisches Wissen über Gender gibt, welches über das bisherige Denken in Geschlechterdichotomien hinausgeht (vgl. Abschnitt 4.4 und 5.4). Es sind daher weniger die Inhalte, an denen sich die Differenz der Generationen unterscheiden, sondern stärker die Gender-Überzeugungen in ihrer jeweiligen Gewichtung des Zulassens von Asymmetrien im (Liebes-) Paar. Somit wäre es unzureichend, Geschlechterdifferenzen in Liebesbedeutungen weitgehend auf materielle Repräsentationen wie Ungleichheit, Benachteiligung und Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu reduzieren.
6.4
Der Wandel der Liebe in der Forschung: Bisherige Leerstellen und konzeptionelle Erweiterung
Die dargestellten Ergebnisse lassen im Hinblick auf den Wandel der Liebessemantik die Defizite vorliegender gängiger soziologischer Ansätze erkennbar werden (vgl. Abschnitt 1.8). An Niklas Luhmanns (1982) systemtheoretischer Betrachtung der Entwicklung der modernen Liebessemantik ist eine zeithistorisch unscharfe Bestimmung des Begriffs der „Problemorientierung“ zu bemängeln. Die Fallrekonstruktionen und speziell die Diskussion der Ergebnisse können generationsspezifische Variationen dieser Orientierung aufzeigen und konkretisieren. Sie stärken die Schlussfolgerung, dass der Luhmannsche Grundbaustein der modernen Liebessemantik, also die oppositionelle Codierung persönlich/unpersönlich, generell zu unbestimmt ist, um Aussagen zu einem Wandel der Liebe innerhalb der heutigen Moderne treffen zu können. Denn alle untersuchten Jahrgänge messen das Liebesthema an diesem binären Code. Gleichzeitig tritt jedoch auch Generationstypisches zum Vorschein, was allein mit dieser Codierung nicht greifbar wird. Die Generationsperspektive kann hierbei deutlich machen, dass mit jahrgangsspezifischen Erfahrungszusammenhängen unterschiedliche Herausforderungen verbunden sind, wie höchstpersönliche Aufmerksamkeit in der Liebe einzulösen ist. Überdies haftet an Luhmanns Begriff der Problemorientierung ein pessimistischer Anstrich, der sich 162
Ein Beispiel: An der Fallstudie Bastian L. kann gezeigt werden, dass die Paarbeziehung des Befragten nach dem Willen seiner langjährigen Freundin allein am vertraglichen, partnerschaftlichen Modell scheitern würde, obwohl beide karrieristische Berufswege eingeschlagen haben und die gleichberechtigte Realisierung dieser Wege im Zentrum der Paarkonstruktion steht. Bastian L. selbst zieht dies ins Kalkül und setzt die ‚Zeichen‘ der Liebe (hier: Aufmerksamkeit gegenüber dem Anderen als unverwechselbares Gegenüber) gezielt als stabilisierenden Effekt ein.
260
6 Fazit und Anschlüsse
vor allem als Instabilität und Unwahrscheinlichkeit intimer Kommunikation äußert. Dass infolge der Abnahme traditioneller Gewissheiten in den persönlichen Nahbeziehungen (etwa hinsichtlich des Normalfamilienmodells und der Geschlechterrollen) der bisherige institutionelle Rahmen der Liebe teilweise entfallen ist und die Praxen vielfältiger und heterogener geworden sind, reicht als Beleg für die Destabilisierung intimer Bindungen nicht aus. Luhmann folgend bestätigt sich zwar auch in der Materialanalyse dieser Studie eine zunehmende Reflexivität in Bezug auf das Thema Liebe im Lebenszusammenhang und damit eine stärkere Selbstregulierung intimer Beziehungen durch die Subjekte selbst. Dennoch ist dies kein Beweis für deren Fragilität. Reflexivität ist auch das zentrale Stichwort im individualisierungstheoretischen Ansatz zu Entwicklungen des Musters romantische Liebe nach Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim (1990; vgl. Abschnitt 1.6). Hier, wie auch in der von Ulrich Beck im Konzept der ‚reflexiven Modernisierung‘ (vgl. Beck/Bonß 2001) fortgeführten Position einer risikobehafteten Individualisierung, wird in der „zweiten Moderne“ die Gefahr von Vereinzelung und der Diversifizierung persönlicher Sinnwelten gesehen. Enttraditionalisierung wird – das zeigt auch die Untersuchung – zu stark als Gefahr der Erosion sozialintegrativer Funktionen in den persönlichen Nahbeziehungen aufgefasst. Dabei werden die Eigenleistungen der Einzelnen übersehen, die jenseits traditioneller Vorgaben rationale und durchaus tragfähige Lebensformen im Privaten kreieren. Zudem besitzt das Modell des Übergangs von einer traditionellen zu einer einfachen und schließlich zu einer reflexiven Moderne zwar prinzipielle Überzeugungskraft; es ist in seinen Basisprämissen aber zu allgemein, um den Wandel des Kulturmusters Liebe in kleinen Zeitformaten greifen zu können. Wie die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, existieren jeweils unterschiedliche Spannungen, Herausforderungen und Öffnungen innerhalb der reflexiven Moderne, die von den Individuen bewältigt werden müssen, und die Bewältigungs-Muster variieren vielfach generationsspezifisch. Die Ergebnisse lassen insbesondere die von Giddens (1993) vertretene These einer Ablösung des bisherigen Liebescodes durch die die Privatheit der Liebe ‚entgrenzende‘ (vgl. Burkart 2000, Hahn, K. 2000, Meuser 1998b) Partnerschaftssemantik kritisch bewerten. Giddens schätzt die moderne Entwicklung intimer Beziehungen optimistischer als Luhmann oder Beck/Beck-Gernsheim ein. Im Aufkommen des Partnerschaftsmodells, respektive der ‚reinen Beziehung‘, sieht er eine vorher so nie da gewesene Chance zur Intimität auf gleicher Augenhöhe. Diese positive Einschätzung belegt er jedoch nicht systematisch empirisch. So gewinnt man den Eindruck, Giddens Postulat einer allmählichen Demokratisierung der Privatsphäre solle vor allem Mut machen. Die persistenten, ordnungsbildenden Effekte der romantischen Liebe in den Lebenswirklichkeiten faktischer Paarbeziehungen bleiben aber unterbelichtet. Zum einen wirken die kommunikativen Kompetenzen, die Giddens Partnerschaftsmodell beansprucht, überbewertet (vgl. Koppetsch/Burkart 1999), zum anderen werden die im Diskurs der Partnerschaft vorhandenen, jedoch
6.4 Der Wandel der Liebe in der Forschung
261
oftmals verdeckten Alltags- und Machtprozesse übersehen.163 Zudem ist über die Ökonomie der ‚emotionalen Bindungskräfte‘ (Weber 1920/21) mit der Forderung nach dem Partnerschaftsmuster noch nichts gesagt.164 Zwar hat das Ideal der Partnerschaft viel in den Paaren bewegt. Es kann schlechthin als Folgewirkung der vor allem seit den 60er Jahren für beide Geschlechter leichter möglichen Problematisierung interner Prozesse in Liebes- und Partnerschaftsbeziehungen betrachtet werden. Vermutlich ist die Auseinandersetzung um das Gendering in Paarbeziehungen gar einer der stärksten Einflussfaktoren des Wandels im Muster romantische Liebe. Die Umstellung der romantischen Liebe auf Partnerschaft als eine generell durchgesetzte Tendenz ist jedoch noch nirgends ausreichend empirisch belegt. Die Ergebnisse dieser Arbeit deuten hingegen darauf hin, dass romantische Liebe durch die Generationen hinweg als Ordnungsgröße mit hoher Bedeutung in der Paarbeziehung erhalten bleibt.165 Gewissermaßen war keine der untersuchten Jahrgangsgruppen bisher gewillt, auf die romantische Liebe als Beziehungselement zu verzichten. Das Partnerschaftsideal (Demokratie und egalitäre Beziehungsarrangements) lässt sich insofern auch unter Beibehaltung der Liebe aufrechterhalten. Zugespitzt formuliert: Auch mit Partnerschaft kann Liebe symbolisiert werden – und umgekehrt. Während also Luhmann vorwiegend Semantik betrachtet, Beck/Beck-Gernsheim Individualisierung und Giddens Praxisformen, werden diese Ebenen in der vorliegenden Untersuchung mit einem sprachpragmatisch (Corsten 1993) und biografieanalytisch orientierten Ansatz der Praxis der Liebe verbunden: Ausgehend von der These eines jeweiligen Authentizitätsideals in biografischen Selbstthematisierungen zum Thema romantische Liebe belegt die Materialanalyse, dass Semantiken der Liebe keine losgelöste Strukturierungsgröße darstellen, sondern von individueller Aneignung und Produktion abhängen. Darüber hinaus wird sichtbar, dass Individualisierung nicht notwendig einen gesellschaftlich linearen Prozess formuliert und dass das Liebesleitbild vom Partnerschaftsleitbild nicht (oder nur teil163
Ein Bereich, in dem sich zeigt, dass die Vorstellung eines eingelösten Partnerschaftsmodells nicht immer dem diskursiven Ideal entspricht, stellt neben der Aushandlungsproblematik im Haushalt von Paaren auch die Dual-Career-Problematik dar (Hirseland/Herma/Schneider 2005, Schürmann 2005, Wimbauer 2005, Wimbauer/Henninger/Gottwald 2007). 164 Gerade dies bleibt auch in der Familiensoziologie, die das Muster romantische Liebe als Beziehungsregulativ bislang marginalisiert, meist unbeachtet (vgl. Abschnitt 1.3). Zu den aus diesem Zusammenhang resultierenden Lückenstellen innerhalb der Geschlechterforschung bin ich bereits in Abschnitt 1.4 und 6.2.1. eingegangen. 165 So kommt auch die Studie von Gerhards und Schmidt (1992) zur Frage der Implementierung risikoarmen Sexualverhaltens in das soziale Regelsystem Intimität zu dem Ergebnis, auch heute werde dies vielfach noch durch die Normen der romantischen Liebe erschwert. Etwa werfe das Gespräch über die Verwendung von Kondomen die Frage nach der potenziellen Vielzahl anderer Sexualpartner auf, was den Einzigartigkeitswünschen, die an eine neue Beziehung geknüpft werden – damit einem Kernelement der romantischen Liebe – widerspreche.
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6 Fazit und Anschlüsse
weise) dominiert oder ersetzt wird. An die (auch in Abschnitt 1.6) ausführlich dargelegten, vorliegenden Ansätze kann somit sowohl positiv als auch kritisch angeknüpft werden. Es lässt sich bestätigen, dass die Reflexionspraxen in Bezug auf Liebe variieren, sich die Thematisierungen der Geschlechter tendenziell annähern, eine Öffnung privater Gestaltungsmöglichkeiten festzustellen ist, und das Ideal partnerschaftlicher Egalität in die biografischen Kommunikationen über Liebe einfließt. Das Moment der Reflexivität wird aber noch zu linear gedacht. Das zentrale Argument in Mannheims Generationskonzept lautet gerade, dass es zu Brüchen und generationsspezifischen Absetzbewegungen im historischen Ablauf kommen kann, da die Lebenswelten kommunikativ vermittelt sind, und in der Gesellschaft eine Ungleichzeitigkeit biografisch erworbener Wissensbestände gegeben ist. Der Reflexivitätstopos, mit dem die Vorstellung verbunden ist, dass die Subjekte in der Moderne eigenes Handeln immer mehr beobachten und vergegenständlichen, kann in Bezug auf die Liebe durch die Generationen hindurch nicht als linearer Trend belegt werden. Die Materialanalyse zeigt vielmehr auf, dass lediglich bestimmte Herausforderungen des reflexiven Umgangs mit sich selbst und der Liebe eingelöst werden: Die frühen Jahrgänge sind – so ist erkennbar geworden – besonders wachsam gegenüber Normen der Außenwelt und reflektieren daher ihre sozialen Rollen. Die mittleren Jahrgänge sind gewissermaßen am ‚reflexivsten‘: Im Anspruch, alles sehen und spüren zu wollen, stellen sie die tiefsten Fragen an die Liebe. Im Kommunikativen, in der Bezugnahme auf das eigene Selbst, oder genauer: in der ritualisierten Selbstsensibilisierung in der Liebe erweisen sie sich damit als ‚virtuoseste‘ Generation. Andererseits wird damit mitunter der Blick für das Funktionale versperrt. Die späten Jahrgänge wiederum reflektieren ihre biografischen Entscheidungen, die potenziell immer wieder gemischt werden könnten. Einerseits ist dies ein Verlust von innerer Reflexivität, andererseits – wie oben dargestellt – lediglich eine Veränderung des Objektbereichs der Reflexivität. Der Begriff Reflexivität kann mit dem Generationsansatz somit inhaltlich gefüllt werden. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass nicht alles reflexiver wird, sondern über jeweils Unterschiedliches reflektiert wird. Reflexivität ist kein linearer Prozess, sondern von Brechungen durchzogen. Das Reflexivitätstheorem ist dann problematisch, wenn damit die Vorstellung permanenter Öffnung und Verfügbarkeit von Handlungsoptionen verbunden wird. Mit der Materialanalyse konnte hingegen herausgearbeitet werden, dass die Scheinwerfer auf jeweils andere Dinge gerichtet werden (vgl. Kapitel 6.1). 6.5
Kontinuität und Diskontinuität in der Liebessemantik: Der Generationsansatz
Die Untersuchung zeigt auf, dass die Entwicklung der Liebessemantik historischen Brüchen und Wendepunkten unterworfen ist, die sich generationsspezifisch übersetzen. In die Zukunft gerichtet wären diese Brüche kaum prognostizierbar und sie
6.5 Kontinuität und Diskontinuität in der Liebessemantik
263
leiten sich nicht aus einem linearen Konzept gesellschaftlicher Entwicklung (etwa zunehmende Aufklärung, Diversifizierung, Individualisierung u. ä.) ab. Bezogen auf ablaufende und abgeschlossene Entwicklungen besitzt der Generationsansatz das Potenzial, kollektive Bewährungsthematiken wie auch Konfliktstellungen im Bereich der romantischen Liebe überhaupt erst in kleinen Zeiteinheiten in Erscheinung zu bringen. Er erschließt Aspekte des Wandels der Liebessemantik, die mit Langzeittheorien zu wenig oder gar nicht in den Blick geraten. Sein theoretischer Mehrwert besteht somit, wie gezeigt, in einer Erklärungs- und Beschreibungsweise diskontinuierlicher Entwicklungen gesellschaftlicher Semantiken. Dabei bricht Generationswandel nicht mit allem, was ‚vorher‘ war: Vielmehr ist die für das Generationsthema typische Struktur von Kontinuität und Diskontinuität der Schlüssel zum Verständnis des historisch Neuen. Somit bestehen in der Liebe generationsabhängige sowie auch generationsunabhängige Erfahrungszusammenhänge. Einige Elemente in der Liebessemantik verlaufen in historischer Kontinuität, andere verändern sich. Von Generationszusammenhängen in der Liebe zu sprechen heißt somit, die Balance historischer Kontinuitäten und Diskontinuitäten benennen zu können. Was kontinuierlich bleibt – dies zeigen auch die Ergebnisse der Untersuchung – ist der bisher nicht aufgelöste Konnex von romantischer Liebe und dem durch sie gegebenen, modernen Versprechen nach personaler Exklusivität und gesteigerter Subjektivität, vor allem in der Beziehungsdyade.166 Diskontinuierlich sind die über generationsspezifische Erfahrungen vermittelten Herausforderungen und Lösungsstrategien, vor die sich unterschiedliche Geburtsjahrgangsgruppen gestellt sehen. Ein weiteres wichtiges Element in diesem Verhältnis: Nach Karl Mannheims Denkmodell bilden sich Generationsdifferenzen immer durch ein wechselseitiges Zusammenspiel existierender Generationsgestalten heraus. Anhand der hier erörterten Generationstypologie lässt sich dies auch abseits der Betrachtungsweise der Generationsbildung als Ergebnis familiärer Interaktionen, und der durch sie gegebenenfalls hervorgebrachten diskursiven Kontinuität und Tradierung familiärer Problematiken, klar darlegen: Beispielsweise wäre das generationsstiftende, emanzipatorische Maxim in der Liebe im Typus I (‚Enttraditionalisierung‘) der frühen Jahrgänge kaum nachvollziehbar, würde man auf jenes Kontextwissen verzichten, mit dem dies als historische Gelegenheitsstruktur verständlich wird. Dieser Typus repräsentiert den Stellvertreter eines kollektiven Bruchs mit den älteren Privatheitsnormen der bürgerlichen Sozialordnung gerade deshalb, da die historische Situation, in der dieser Typus seine Wirkung entfaltet, dies auch kollektiv begünstigt hat. Die traditionellen Normen der Paarbeziehung, Ehe und Familie begannen sich in progressiven Kreisen bereits vor dem Nationalsozialismus aufzulösen, was durch diesen jedoch wieder eingedämmt wurde. Vor dem Hintergrund der Überkommenheit der restaurativen Nachkriegs166
In einer Formulierung von Michael Corsten (1995: 41): Es besteht eine „Resistenz des modernen Zusammenhangs von Liebe und Subjektivität“.
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6 Fazit und Anschlüsse
moral sowie der Wohlstandsphase der Bundesrepublik brachen sie erneut auf und erlangten nun eine vorher nicht mögliche kollektive Wucht, die sich für die Nachwachsenden der Kriegsgeneration zur generationsstiftenden Komponente ausformte. Ein Beleg dafür ist, dass sich der emanzipatorische Duktus mit den bereits eine Dekade später Geborenen, also den mittleren Jahrgängen, nicht verschliffen hat, sich aber in anderer Weise zeigt. Für die mittleren Jahrgänge ist das Emanzipatorische in der Liebe bereits – als Imperativ (!) – vertrauter. Auf diesem Fundament entsteht eine Deutungspraxis der Liebe, in der es nun stärker um innere Evidenz, d. h. um auch ‚emotional gedeckte‘ Sicherheit geht, etwa bei der Vergewisserung geschlechtlicher Identität. Die Emanzipationsnorm bleibt also als Orientierungsgröße erhalten, sie wird aber in eine neue generationsstiftende Problemstellung übersetzt (vgl. eingehend Abschnitt 5.3). Für die späten Geburtsjahrgänge ab etwa Mitte der 60er Jahre ist dies gewissermaßen bereits geklärt: Sie fühlen sich weniger dringlich mit einem Problem der Geschlechterdifferenz konfrontiert, als vielmehr damit, jenseits geschlechtlicher Zuschreibungen überhaupt Kohärenz im individuellen Lebensentwurf in der Liebe herstellen zu können. Der emanzipatorische Imperativ früherer Provenienz erscheint ihnen als historisches Relikt, verkörpert durch die eigenen Eltern (vgl. Fall Bastian L.), während sie der Innengewandtheit der mittleren Jahrgänge durch die tendenzielle Aufhebung der Innen/Außen-Differenz entgehen: Liebe bleibt auch bei ihnen prinzipiell eine Angelegenheit innerer Evidenz, die Exklusivitätserfahrung der Liebe wird aber stärker für variable soziale Umwelten, etwa die Partnerbezüge, kompatibel. Alle Befragten der Untersuchung orientieren sich in Bezug auf die Realisierung von Paarbindungen jedoch bemerkenswerterweise gemeinsam am Leitbild der romantischen Liebe. Darin präsentiert sich der Beleg für die praxisrelevante Kontinuität dieses Musters. Allerdings bleibt dessen Verwirklichung in der Beziehungspraxis abhängig von generationsspezifischen Problemhorizonten als Ergebnis unterschiedlicher historischer Erfahrungsschichtung. Parallel zeigen die Erzählungen gerade der älteren Jahrgänge, wie Generationszugehörigkeit nachträglich, d. h. auf der Grundlage nachfolgender Generationen konstruiert wird. Trotz der zeithistorischen Kongruenz in den Deutungsleistungen (alle wurden innerhalb einer geringen Zeitspanne befragt) verfügen die Älteren gegenüber den Jüngeren aufgrund ihrer größeren Lebensausdehnung über eine andere Schichtung biografischer Wissensbestände (vgl. eingehend Abschnitt 3.1.7). Es liegt auf der Hand, dass die frühen, aber auch die mittleren Jahrgänge ihre Biografien bereits stärker ‚durchgearbeitet‘ haben. Dadurch, dass der Lebenszyklus bereits weiter durchlaufen ist, können spätere Erfahrungen als „Bestätigung“ oder „Negation“ (Mannheim 1928: 181) von Ursprungserfahrungen gedeutet werden. Am Beispiel des Falls Ingeborg S. wird dies unmittelbar evident: Sie macht ihre Generationszugehörigkeit gegenüber „unpolitischen“ jüngeren Frauen kenntlich und ist gleichzeitig irritiert darüber, dass die eigenen Töchter das Eingehen von Intimbeziehungen nicht zwangsläufig an große Gefühle binden, vielmehr spielerisch betreiben. In den Fallstudien Gisela T. und Rainer K. aus den mittleren Jahrgängen wird deut-
6.5 Kontinuität und Diskontinuität in der Liebessemantik
265
lich, dass eigene Generationszugehörigkeit quasi als eine Art Dazwischenfallen zwischen zwei Generationen aufgefasst wird, welchen vorgeblich eine ungezwungenere Praxis der Liebe offen stehe. Somit kann Mannheims Prämisse empirisch belegt werden, dass bestimmte Ursprungsdeutungen trotz des Alterns der jeweiligen Generationsangehörigen im Kern fortbestehen und mit Bezug auf andere Generationen kreativ aktualisiert werden. Generationsdifferenzen treten als komplexes Wechselverhältnis unterschiedlicher Erfahrungsdeutungen und Handlungsrealisierungen hervor, wo sowohl individuelle als auch kollektive Erfahrungsbestände tradiert werden und sich Übertragungen, Verschleppungen sowie Rekombinationen älterer und jüngerer Semantiken realisieren. Eine mit eindeutigen historischen Schnitten ziehbare, gleichsam wasserdichte Abgrenzung generationsspezifischer Geburtsjahrgangsgruppen und ihren Selbstthematisierungen ist daher weder praktizierbar noch sinnvoll. Mitunter bestehen fließende Übergänge und nicht jeder Jahrgang lässt sich trennscharf zuordnen. Etwas Idealtypisierendes ist daher immer in Kauf zu nehmen. Daraus ergibt sich zudem, dass mit der Generationsschematik nicht alle Jahrgänge ‚abgedeckt‘ werden müssen.167 Die Untersuchung formuliert allerdings begründet bestimmte Kernjahrgangsgruppen, die in besonderer Weise stellvertretend für Generationsverbindungen stehen. Und: Die Typik der Deutungsmuster einer Generation ist kein homogenes Gebilde, sondern mitunter erheblich heterogen (Generationseinheiten). Diese Muster aller Angehörigen einer bestimmten Generationslagerung holistisch aus einer Strukturierungsregel heraus erklären zu wollen, wäre daher eine Falle. Mit der Materialanalyse der Untersuchung lassen sich Figurationen zwischen historischen Erfahrungszusammenhängen und bestimmten Narrativen in der Liebe nachweisen. Es existiert aber kein kausaler Zusammenhang. Narrative werden nicht determiniert, und – so zeigen die Typenausprägungen – nicht alle Narrative sind gleich. Vielmehr ist von einem aktiven und kreativen Prozess der Aneignung und Präsentation von Erfahrung auszugehen, der in der gleichen Zeiterfahrung keine Deckungsgleichheit, hingegen eine prägnante gemeinsame Resonanz bzw. ein Verwandtschaftsverhältnis erkennen lässt. In diesem Verhältnis beschreiben die jeweiligen, rekonstruierten Typenausprägungen den Raum der generationsspezifischen Gelegenheitsstruktur. Der Blickwinkel muss aber auch für alternative Entwicklungsvarianten offen sein, da die Varianz noch breiter sein kann. Die vorgenommen Generalisierungen lassen sich zwar aufrecht erhalten, da in Bezug auf ein bestimmtes soziales Milieu ein bestimmter Kern der Deutung der Liebe klar gedeckt ist. Gleichwohl kann es hier etwa noch nicht sichtbare ‚Gegenfiguren‘ und gegebenenfalls ‚unterdrückte‘ Generationstypen geben. Daher sind Argumente notwendig, weshalb einzelne Generationstypen mitunter besonders dominant bzw. „führend“ (Petersen 167
Karl Mannheim (1928) weist darauf hin, dass benachbarte Geburtsjahrgänge bloß einer Chancenlage zur Herausbildung eines gemeinsamen Generationszusammenhangs unterliegen. Eine neue Generation existiert nicht allein schon deshalb, weil lediglich 10 oder 15 Jahre historischer Zeit verstrichen sind.
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6 Fazit und Anschlüsse
1926) werden können. So ist Typus I (‚Enttraditionalisierung‘) als ein Typus zu deklarieren, der im Kontext seiner Generation Dominanz entfalten konnte, da er genuin jenen von Frauen getragenen Bruch mit der traditionellen Geschlechterordnung (in bestimmten Milieus) repräsentiert, wie er für die Nachkriegszeit bekannt ist. Er machte damit gleichzeitig die Legitimität des bis dahin dominanten Typus II (‚Hierarchisierung‘) streitig, auch wenn dessen Überzeugung in eine naturgegebene Geschlechterhierarchie damit nicht aus der Geschichte gestrichen wurde, seitdem aber zumindest relativiert ist. Der praktisch für alle Fälle der mittleren Jahrgänge rekonstruierte ‚emotionalistische Sensualismus‘ darf nun nicht denkbare Widerspruchstypen ausblenden, die in der gleichen Generation gegeben sein könnten – welche sich vielleicht aber gerade kritisch demgegenüber positionieren. In Bezug auf die späten Jahrgänge sind solche Widerspruchstypen bereits innerhalb der Typenausprägungen sichtbar: So konnte am Beispiel des Typus IV (‚Traditionalismus als Selbstbehauptung‘) herausgearbeitet werden, dass dieser sich oppositionell gegen den als solchen gedeuteten Generationsgeist des ‚anything goes‘ stemmt, im offiziellen, tonangebenden Generationsdiskurs aber in einer „unterdrückten“ (Petersen 1926) Position wiederfindet.
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Schlussbemerkung
Die Materialanalyse in diesem Buch ergab, dass von einer allgemeinen Erosion partnerschaftlicher Bindungen oder der Durchsetzung einer ‚hedonistischen Liebe‘ als Prinzip des narzisstischen Einzelnen nicht auszugehen ist. Die Fallrekonstruktionen belegen, dass Liebe auch als Vergemeinschaftungswirkung erhalten bleibt und nicht nur erosive Tendenzen hervorbringt oder Chaos produziert. Liebe erfüllt bei den Befragten aller Jahrgänge somit noch immer eine zentrale Funktion in den persönlichen Nahbeziehungen. Damit ist die moderne Paarbeziehung ein Ort, an dem sich auch mit der Liebe Vergemeinschaftung vollzieht. Und: Romantische Liebe stellt noch immer eine Sonderwelt im Paar als ein Sinnmuster dar, sich in dieser Welt wechselseitig über personale Exklusivität zu vergewissern. Darüber hinaus lässt sich aus den dargestellten Ergebnissen folgern, dass sich mit und durch die frühen Jahrgänge eine allmähliche Entkopplung von Liebe, Paar und Ehe durchsetzt. Es etablieren sich gesellschaftlich akzeptierte Alternativhorizonte zum Modell der traditionellen bürgerlichen Liebesordnung und das traditionelle Maxim des auf ewig gedachten Paares wird in Teilen entromantisiert. Der Entscheidungsdruck für die Wahl bestimmter Beziehungsmuster, oder ihrer Kombination, ist zwar in allen Jahrgangsgruppen gegeben, es bestehen dafür jedoch generationsspezifisch unterschiedlich abgestützte Legitimationen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob durch die partikulare Herauslösung der romantischen Liebe aus dem Kontext einer lebenslangen Paarbeziehung, die von der bürgerlichen Sozialordnung zusammengehaltenen Elemente Liebe, Paar – und im Weiteren: Ehe und Familie – nun auseinanderfallen, jedoch als einzelne Elemente stärker mit Bedeutung aufgeladen werden (vgl. Schneider, W. 1994). Betrachtet man gerade die Befunde zu den späten Jahrgängen, lässt dies die Überlegung zu, ob das Ideal der Liebe dadurch entlastet, damit womöglich re-romantisiert wird. Ein Hinweis darauf ist die Rede von der wachsenden Bedeutung des Musters ‚serielle Monogamie‘. Mit diesem Muster ist gewissermaßen eine kulturelle Lösung gegeben, dem traditionellen Leitbild der auf ewig gedachten Zweierbeziehung bzw. Ehe zu entgehen, und gleichzeitig einen praktischen Modus zur permanenten Bestätigung personaler Exklusivität zu erlangen. Im Grunde wird die Bedeutung der romantischen Liebe damit gesteigert, ihre vitale Erlebnisqualität dagegen nicht mehr durch dauerhafte Paarbeziehungen gesichert. Die Beziehungspraxis der seriellen Monogamie ist verbunden mit dem Preis der Aufgabe dauerhafter Paarbeziehungen, denn es liegt auf der Hand, dass die ‚reine‘ Liebesbeziehung aufgrund ihrer tendenziellen Instabilität nicht alltagstauglich für langfristige Paarbeziehungen sein könnte. ‚Ent- und Re-Romantisierung’ des Liebesideals (Lenz 1998, vgl. Abschnitt 1.6)
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7 Schlussbemerkung
bleibt letztlich also ambivalent, was dessen jeweilige Gewichtung hinsichtlich der Stabilität von Paaren betrifft.168 Es bleibt also eine Frage der Zukunft, wie die innere Gemeinschaft des modernen Paares aussieht, wenn an diese mehr Anforderungen gestellt wird als solidarische Unterstützung und Sicherung. Denn dazu bräuchte es genau besehen nicht das Paarmodell. Im Gegenteil: Da das wesentliche Element der Paaridentität (vgl. Maier 2008) im Erzeugen von Exklusivität Zweier gegenüber allen anderen besteht (vgl. Herma/Ladwig/Maier/Sammet 2002), ließe sich solidarisches Handeln in größeren gesellschaftlichen Systemeinheiten weitaus abgesicherter realisieren. Dass das Paarkonzept bis in die Gegenwart so hohe Prominenz hat, bedarf dann einer anderen Erklärung. Vermutlich ist es vor allem das Paar, das die wechselseitige Bestätigung höchstpersönlicher Aufmerksamkeit institutionell sichert und damit die Kontinuität des modernen romantischen Liebescodes in seiner bisherigen Form. Vielleicht ist bislang auch kein kultureller Ersatz gefunden für das Paar als symbolisches Feld, auf dem moderne Vereinzelungserfahrungen vermieden werden können, und das gesteigerte Subjektivität in gleicher Weise wie in der romantischen Liebe sichert. Empirisch wäre es in Anschlussstudien in jedem Fall instruktiv, die in dieser Untersuchung rekonstruierten biografischen Selbstthematisierungsmuster auf einer verlängerten Lebensverlaufsachse nachzuverfolgen, um Einblick dazu zu erlangen, wie das Liebesthema im Verlauf einzelner oder aufeinanderfolgender Partnerschaftsverläufe narrativ ausgeformt wird. Dies berührt ganz besonders die Frage nach dem kollektiven Altern (Bude 1995) von Generationen im Sinne der Transformation und Umdeutung biografischer Erfahrung und biografischem Wissen im Alterungsprozess. Für die frühen und mittleren Jahrgänge ist dies in der Untersuchung eingelöst, die späten Jahrgänge besaßen zum Befragungszeitpunkt noch ein vergleichsweise junges Alter. Weitere Forschungsschwerpunkte ergeben sich mit einer gesellschaftsvergleichenden Generationenforschung, die Einblick gewähren könnte nach Tendenzen einer kulturellen Globalisierung des Verlaufs der Liebessemantik, und gegebenenfalls seiner generationsspezifischen Komponenten. Es ginge dabei um ein näheres Verständnis der territorialen Öffnungen und Begrenzungen von Individualitätssemantiken in modernen Gesellschaften generell.169 Dies insbesondere im Lichte des Wandels der Geschlechterverhältnisse, die Semantiken für die Geschlechter bisher in unterschiedlicher Weise hervorgebracht bzw. unterbunden haben, und schließlich im Spiegel der sich damit konstituierenden Geschlechterarrangements (Kramer 2003). Es stellt sich somit die Frage, wie eng die Entwick168
Im Fall Bastian L. der späten Jahrgänge wird dieser Aspekt mit der Strategie, Handlungssouverän auch in der romantischen Liebe sein wollen, zwar umgangen. In den Fällen Carola M. und Judith P. bleibt diese Ambivalenz jedoch (lebens-)praktisch belegt. 169 Als plakatives Beispiel lassen sich die generationsstiftenden sozialen Umbrüche Ende der 60er Jahre heranziehen, über die Geschichte der Bundesrepublik hinaus auf die bereits gut erforschte, globale Erfahrungsschichtung einer internationalen Jugendgeneration in den westlichen Industrienationen verweisen (vgl. allein Bude 1995, Fietze 1997).
7 Schlussbemerkung
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lung der Intimitätssemantik mehr an gemeinsame kulturelle Lagen in modernen Gesellschaften als an nationalstaatliche Differenzen geknüpft ist. Besonders im Hinblick auf den Wandel der Genderzuschreibungen als Auslöser und Kulminationspunkt des Bedeutungswandels der Liebe bleibt die Frage nach Konvergenzen und Divergenzen im Vergleich zu anderen Gesellschaften noch zu erforschen. Die vorliegende Studie hat unterstrichen, die begünstigenden Gelegenheitsstrukturen des Generationswandel in Zusammenhang mit sozialstrukturellem Wandel zu betrachten. Insbesondere die Lebens- und Liebesentwürfe von Frauen der frühen, und im Anschluss der mittleren Generation, scheinen in besonders hohem Maße beeinflusst von Bruchstellen, die sich infolge verändernder Arbeitsteilung, Bildungsbeteiligung und sich einer im Zuge der Emanzipationsbewegungen modifizierenden binnenpartnerschaftlichen Ökonomie eingestellt haben. Bestimmte Liebesauffassungen haben traditionelle Ungleichheitsordnungen gestützt und legitimiert. Würde nun die Ungleichheit beseitigt, die Auffassungen blieben aber erhalten, stellte sich die Frage, ob die romantische Liebe im Fall der Durchsetzung des konkurrierenden egalitären Partnerschaftsmodells (Giddens 1993), und der darin aufgestellten Forderung nach Geschlechterdemokratie (Hollstein 2004), verschwindet, dann also gleichsam historisch überwunden wäre? Es bleibt weiter zu untersuchen, ob sich die romantische Liebe als Beziehungsbühne erhält, auf der neben symmetrischer Partnerschaft ‚Übriges‘ wie Affekte ausgetragen werden, oder ob durch sie nicht auch partnerschaftliche Asymmetrien (etwa beim Problem der biografischen Synchronisation bei Doppelkarrierepaaren; vgl. Hirseland/Herma/Schneider 2005, Wimbauer 2005, Wimbauer/Henninger/Gottwald 2007) ausbalanciert werden können. Und letztlich ist das Partnerschaftsmodell zwar grundsätzlich in geringerem Maße auf personale Exklusivität angewiesen, es kann dann höchstpersönliche Aufmerksamkeit aber auch nicht mehr in dem Maße leisten, wie dies bisher die Liebe erfüllt hat.170 Müssen Liebe und Partnerschaft daher überhaupt zueinander in Konkurrenz stehen? Vielleicht gibt es an der Liebe gar nichts zu überwinden, weil Liebe in der Gegenwart zwar weiterhin eine wichtige Vergemeinschaftungsfunktion erfüllt, aber nicht mehr alles am Paar definiert. Aus dieser Sicht würde Liebe als Dispositiv durch die Zeitläufe hindurchwandern, sie brächte sich aber kontextuell unterschiedlich hervor: Nicht mehr durch die ganze Wucht der Institutionen Paar, Ehe und Familie, sondern vielleicht auch spielerisch an variablen symbolischen Orten der intimen Nahbeziehungen, wo das Erleben personaler Exklusivität weiterhin gebraucht wird, und ebenso Gemeinschaftlichkeit hergestellt und gesichert werden kann. Wie solche andere symbolische Orte aussehen, und ob sie immer an die Intimität des Paares gebunden sind, bleibt eine Frage zukünftiger Entwicklungen.
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Dieses Verlangen nach personaler Exlusivität hängt natürlich immer von einer Kultur ab, die dies als Verlangen überhaupt aufstellt.
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