Gay-Lussac und Biot bei wissenschaftlichen Beobachtungen in großer Höhe digitalisiert by Manni Hesse
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Gay-Lussac und Biot bei wissenschaftlichen Beobachtungen in großer Höhe digitalisiert by Manni Hesse
Auf dem Prüfstand der Stratosphärenraketen Über der Wüste des „Weißen Sandes" (White Sands) in Neu-Mexiko jagen Raketen in die Stratosphäre — Weltrekordler des Höhenfluges. Für die Geschwindigkeiten, die sie entwickeln, fehlen uns die Vorstellungen. In jeder Sekunde legen sie, sobald sie voll im Flug sind, im Aufwärtstrieb mehr als eineinhalb Kilometer zurück; sechstausend Kilometer —• die Strecke von Lissabon bis in den Ural — ist ihr Höchststundentempo, zweihundert Kilometer die Gipfelhöhe, die sie erreichten, dreihundert Kilometer das Ziel, das ihnen fürs nächste gesteckt ist. Man braucht nicht daran zu zweifeln, daß auch diese nächsterstrebte Höhe nur Zwischenstufe sein wird. Die Eroberung des Luftraumes rings um die Erde und der Schichten außerhalb der Atmosphäre geht in Riesensprüngen und mit aller wissenschaftlichen Gründlichkeit vor sich. Die schwarz-weiß gezeichneten 15 Meter langen Raketenspeere, die da hinaufschnellen, sind zu Bahnbrechern für die Erforschung bisher unerreichbarer Erdfernen geworden. Unser Wissen vom Weltaum hat bisher noch mit jedem dieser Aufstiege neue Erkenntnisse hinzugewonnen. Überwältigend ist der Anblick der startenden und steigenden Stratosphärengeschosse. Der Startplatz ist eine verhältnismäßig kleine aber festgegründete Betonfläche mitten in einem baumlosen Hochgelände, das fern am Horizont ringsum in eine Welle von Bergen übergeht. Garnicht feierlich ist das Heranschaffen der Rakete aus dem nahen Werkgelände. Ein kräftiger Dreiachser hat sie wie eine riesige ReklameZigarre aufgeladen oder auch wie einen spitzschnäbligen Flugzeugrumpf ohne Flügel. Das gleiche Motorfahrzeug richtet mit seinem langen Hebelarm das gewichtige Geschoß kerzengerade empor und setzt es auf das schmale Startgerüst, das der Raketensäule nun bis zum Start festen Halt geben wird. Das Fahrzeug wendet und fährt zurück. Der Raketenstand ist nun menschenleer. Alles was nun geschieht, erfolgt auf Abstand, vom Turme des Kommandobunkers aus. Ein rotes Licht, das von drüben herüberfunkt, wird uns kaum bewußt, als auch schon aus dem unteren Teile der Rakete das Heulen der Turbine hervorbricht. Die Turbine preßt Alkohol und Sauerstoff in die Verbrennungskammer der Rakete. Jetzt schlagen die Flammen der Explosion aus dem offenen Schwanzteil des Geschosses. Mit der Geschwindigkeit eines schnellfahrenden Autos hebt sich der Riese bebend von der Erde; er würde glühend zerbersten, wenn er die Dichte der erdnahen Atmosphäre mit seinen Spitzengeschwindigkeiten durchstieße. Aber nach 25 Sekunden schon hat er die Geschwindigkeit des Schalles 2
erreicht. Der anfangs zwanzig Meter lange Feuerschweif ist sternförmig zusammengeschrumpft. In 40, 50 Kilometer Höhe sind die 9000 Liter der Treibstoffladung verbraucht. Aber die Gewalten der nun erreichten Bewegung reißen die Rakete mit Überschallgeschwindigkeit auch ohne weiteren Antrieb gleichsam über sich selbst hinaus höher und höher, bis zu 200 Kilometer hinauf. So ungeheuer sind die ihr innewohnenden Bewegungsenergien, so gering aber auch der Luftwiderstand in jenen Sphären. Im „Kriegskopf" der Rakete — die einstige Kammer für die Sprengladung trägt noch heute diesen Namen — arbeitet indes das eingebaute automatische „Laboratorium". Sechzehn Zentner wiegen die Geräte, die dort in die Spitze des Geschosses hineingebaut sind: Radio-Geräte übermitteln den Bodenstationen die Messungen der Temperatur, der Dichte und der Zusammensetzung der Luftschichten und die Grade der Intensität der kosmischen und Sonnenstrahlung. Kamerageräte fangen in dichter Folge die Sonnenspektren auf oder tasten Teil um Teil die Erdoberfläche ab. 1,4 Millionen qkm, eine Fläche von der Größe Mitteleuropas, umfaßt in über 100 km Höhe das Weitwinkelauge des fotografischen Objektivs. Wenn dann die Rakete sich zum Absturz wendet, reißen die Sprengschrauben den Raketenkopf auseinander: die Instrumente mit den Aufzeichnungen, die Meßtonnen, Fotoapparate und Filme werden hinausgeworfen und schweben an Bänderfallschirmen zur Erde. Schon haben erste organische Wesen den Stratosphärenflug mitgemacht, Baumwollsamen und Maissaat. Der Flug ist ihnen nicht gut bekommen. Sie büßten ihre Keimkraft ein. Schon denkt man daran, Versuchstiere mit auf die Reise zu schicken, und ernste Erwägungen beschäftigen sich schon mit der Stratosphärenfahrt des Menschen. Die Frage, wie sich der'Mensch da droben verhalten wird, wenn die Schwerkraft fast in ein Nichts zusammenschrumpft und die Sonnenstrahlung ungeschwächt und die kosmische Strahlung ungedämpft die Rakete treffen, wird leidenschaftlich erörtert. Die Weltraumfahrt ist bereits zum Thema der Wissenschaft geworden. Doch verlassen wir den Raketen-Prüfstand von White Sands! Vielleicht machen wir dort ein andermal einen ausgiebigeren Besuch. Wir meinen nämlich, es wäre gerecht und richtig, jetzt, da die Luftfahrt an einem neuen Anfang steht und aus der Erdnähe herausstrebt, einmal an jene Zeit zurückzuerinnern, da man mit den ersten zagen Schritten die Mutter Erde verließ und die „Luftgaukler", viel verlacht und verulkt, in niedrigsten Höhen die Troposphäre zu erobern begannen. 3
Es ist auffällig, wie sehr sich die Probleme, die bei der Eroberung der untersten Schichten der Atmosphäre die Geister erregten, heute in ähnlicher Form wiederholen —• heute jedoch für andere Höhenlagen: für die Bereiche „weit draußen", für den interplanetaren Raum. Was kann es Dümmeres g e b e n . . . „Luftkutscher", „Luftgaukler": —• Dieser Spottname entstand, als die ersten Pläneschmiede der Luftfahrt die Möglichkeit des „Menschenfluges" bejahten und mit Hohlkugeln, Schwingen, Drachen und Papierballonen zu experimentieren begannen. Der Glaube an das immer kühnere Fortschreiten der Technik, der die heutigen Menschen selbst das unmöglich Erscheinende so schnell für möglich halten läßt, war den Menschen des 17. und 18. Jahrhunderts noch nicht gegeben. Sie hatten gegen viele Widersacher zu kämpfen. „Was kann es Dümmeres und Lächerlicheres geben, .als die, die da glauben, in der Luft fahren oder schwimmen zu können", schreibt der Gelehrte Agricola im Jahre 1717. „Könnten die Menschen auch noch durch die Luft fahren, so wäre ihre Schlechtigkeit gar nicht mehr zu zügeln. Da hat Gott den Menschen sozusagen einen Riegel -vorgeschoben und mit vollem Recht": So der weltberühmte Philosoph und Mathematiker Leibniz im Jahre 1670. „Wer sieht nicht, daß keine Stadt mehr vor Überfällen sicher wäre, da ja das Luftschiff zu jeder Stunde über Ihr erscheinen, die Mannschaft sich herablassen und aussteigen könnte. Das Gleiche würde sich bei den Schiffen ereignen, die das Meer durcheilen, das Luftschiff könnte an den Schiffen die Taue kappen, mit herabgeworfenen Eisen die Fahrzeuge zum Kentern bringen, oder die Schiffe mit künstlichen Feuern und Kugeln in Brand stecken. Und nicht nur gegen' Schiffe könnte so vorgegangen werden, sondern auch gegen Häuser, Schlösser und Städte und zwar völlig gefahrlos für diejenigen, die aus beliebiger Höhe solche Dinge herabwürfen": So der Jesuitengelehrte Lana 1670. „Nein, es ist ganz unmöglich, daß ein Mensch in die Luft steigen und sich dort in der Schwebe halten kann!": So der große Francois Lalande, kgl. Astronom und Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1782. Diese Jahreszahl 1782 ist bemerkenswert: denn ein Jahr später wurde das für unmöglich gehaltene dennoch Wirklichkeit. 1783 sind die ersten Menschen tatsächlich „in die Luft gestiegen" und eroberten in einer neuen Columbustat dem menschlichen Fortschritt den Ozean der Atmosphäre. 4
Das Ei des Columbus Seit hundert Jahren lag das . Luftreisen sozusagen „in der Luft". Durch die Romane geisterten auf phantastischen Flügelgebilden und in schwebenden Kugeln die „fliegenden Menschen", die schon in alten Zeiten die romantische Himmelsbläue so vieler Volksmärchen und Sagen belebt hatten. Im aufgeklärten 18. Jahrhundert hatten diese Luftphantasien doch schon einen festeren wissenschaftlichen Untergrund. Seitdem der kluge Bürgermeister von Magdeburg, Herr Otto von Guericke, in Regensburg den Abgeordneten des Reichstages von 1641 mit seinen berühmten Halbkugeln vordemonstriert hatte, wie massiv die Luft wirklich war, seitdem kecke Luftspringer mit Fallschirmen von Türmen und Hausdächern herunterschwebten, ohne den Hals zu brechen, und man lernte, die Luft wie andere Stoffe in ihre Teile zu zerlegen, seitdem war die „Unsichtbare" ihrer Geisterhaftigkeit entkleidet worden und der Luftozean harrte seiner Bezwinger. Aber wie da hinaufkommen? Vielleicht könnte nian eine Wolke in eine Sackhülle stecken und diesen Wolkensack dann als Trageschiff benutzen, überlegten die einen. Oder noch einfacher: vielleicht ließe sich der auftriebskräftige Dampf kochenden Wassers in eine Hülle einfangen und seine Hubkraft ausnutzen, meinten die andern. Aber die Wolken waren nicht zu fassen und vom Wasserdampf wurde die Hülle nicht leichter, sondern nur naß und klatschte in sich zusammen. Also mit solch wässrigen Schwebemitteln ging es nicht! Und so blieb noch die aufstrebende Heißluft, wie sie aus den Kaminen und von offenen Feuern hervorkam, die „elektrische Luft", wie man sie nannte. Diese Idee war nicht einmal ein Geheimnis. Von solcher Luftreiterei mit Hilfe der heißen Luft sprach man vielfach in jenen flugbegeisterten letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Aber wer würde es auf die Spitze stellen —• dieses Ei des Columbus?
Die Columbustat Die Herren Abgeordneten des Kreistages von Annonay, einem Cevennen-Städtchen in der Nähe von Lyon, unterbrachen am 5. Juni 1783 ihre Sitzung, weil auf der Tagesordnung als letzter Punkt eine merkwürdige Angelegenheit stand. Da diese Sache von den angesehenen Söhnen des ortsansässigen Papierfabrikanten Montgolfier, dem Papierfachmann Joseph Montgolfier und seinem Bruder, dem Architekten Stephan Etienne Montgolfier beantragt war, gebot es die Achtung, daß man der Einladung der renommierten Mitbürger Folge leistete; und auch die Neugier gebot es. Die sehr geehrten Herren des Kreistages, so 5
hieß es in dem Schreiben der beiden Brüder, möchten die Güte haben, sich nach Beendigung ihrer Sitzung auf dem Marktplatz einzufinden; dort wollten die Brüder einen großen Papiersack mit einem Dunst füllen, den sie zu bereiten wüßten. Der Dunstsack werde sich bis zu den Wolken erheben — ohne jegliches Zutun und ohne Fessel,- ganz aus eigener Kraft. Am Mittag dieses 5. Juni 1783 sahen die Deputierten und mit ihnen Tausende von Bürgern und Bauern des Städtchens Annonay und seiner Umgebung aus einem sorgsam verschlossenen Bretterverschlag mitten auf dem Platz eine Kugel hervorwachsen, sich dicker und dicker herauswölben und dann jäh hervorschießen. Feuerqualm drang von unten her aus den Bretterkulissen, während der Luftball schräg über Dächer und Türme hinweg den nahen rebenbestandenen Bergen entgegenschwebte. Das ganze Städtchen und die Herren Deputierten hatten sich nach einem Augenblick erschreckten Erstaunens in Bewegung gesetzt; draußen von den Feldwegen und den Fenstern und Dächern des Stadtrandes sahen sie dann, wie die Luftkugel sich nach einem herrlichen Flug durch die Weite des Himmels aus Wolkenhöhe langsam wieder herabsenkte und eine halbe Stunde Weges entfernt nach etwa 10 Minuten schlaff zur Erde niederkam. Dort fanden die von allen Seiten Herbeigeeilten statt der majestätischen Kugel nur noch eine kläglich zusammengeschrumpfte Sackhülle, aus Leinwandstreifen zusammengesetzt und mit Papier gefüttert. Die Längsstreifen waren mit Knöpfen aneinander geknüpft. Was denn nun eigentlich in dem Sack gewesen sei, fragte man die Brüder Montgolfier, die als erste mit herangekommen waren; was das für ein Dunststoff gewesen sei, von dem sie gesprochen hätten. Aber die Ballonbesitzer machten sehr geheimnisvolle Gesichter, lächelten und schwiegen. Noch am gleichen Tage ging vom Magistrat der Stadt Annonoy ein Kurier nach Paris ab, der die Regierung von dem unbegreiflichen Ereignis unterrichten sollte. Auf den Gedanken, daß das qualmende Feuer hinter den Bretterwänden die Luftkugel mit Heißluft angefüllt hatte und daß der Leinwandball herunterkommen mußte, sobald sich die Luft in der Höhe abgekühlt hatte bzw. durch die Knopflöcher entwichen war, kam niemand; auch die Herren in Paris konnten sich keinen Reim auf das Geschehene machen, so sehr sie auch darüber nachdachten. So kam es, daß der Luftballon kurze Zeit danach in einer anderen Form noch einmal erfunden wurde. Soviel wußte man auch in Paris, daß der „Dunst" der Herren Montgolfier leichter als die Luft sein mußte. Da entsann sich der Lehrer der Physik, Jacques Alexandre Charles, der sich schon längere Zeit mit den Fragen der Luftschiffahrt beschäftigt hatte, des Wasserstoffes, 6
Aufstieg einet Montgolfiete in Paris
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(Zeitgenössischer Stich)
den zwei Jahre vorher (1781) der englische Chemiker Priestley entdeckt hatte und der 14 mal leichter als die Luft sein sollte. Für Jacques Charles stand fest, daß dieses leichte Gas der richtige Tragstoff für den Luftball war, wie er ihm „vorschwebte". Dann gab es da noch einen neuen Dichtungsstoff, das südamerikanische Federharz, Kautschuk genannt, das man erst seit kurzer Zeit zu verflüssigen verstand. Mit dieser Gummilösung ließ sich der Ballonstoff ausgezeichnet abdichten. So entstand unter den Händen des Pariser Physikers und einiger geschickter Handwerker der erste Gasballon, die „Charliere", während der „Feuerballon" von Annonoy als „Montgolfiere" in die Geschichte eingegangen ist. Das erforderliche Wasserstoffgas entwikkelte Charles aus Eisenfeilspänen und Schwefelsäure in einem Hofschuppen in der Altstadt von Paris. Nach vier Tagen waren mehrere Fässer mit der „brennbaren Luft" aufgefüllt und am 26. 8. Eine Chatliete wird mit Wassevstoffgas gefüllt ließ man das Gas (Zeitgenössische! Stich) 8
aus den Fässern in die Hülle überströmen. Charles wartete noch die Nacht ab. Dann faßten fünfundzwanzig Männer in die Taue, in weitem Abstand gingen die Fackelträger voran und in einem gespenstigen Zug durch das nächtliche Paris wurde die Gaskugel zum Marsfeld gebracht. Wo heute der Eifelturm steht, stieg dann am folgenden Tage, am 27. August 1783 unter Kanonendonner der Ballon des Herrn Charles in 1000 Meter Höhe. Halb Paris sah dem Schauspiel zu und verschmerzte in dieser Stunde die Tatsache, daß ein kleines Cevennenstädtchen der glorreichen Hauptstadt den Ruhm des ersten Ballonaufstiegs vorweggenommen hatte, Der Riesenvogel schwebte schon bald aus dem Gesichtskreis. Irgendwo in der Umgebung ging er nieder. Zu Tode erschreckt sahen die Bauern das Ungetüm vom Himmel fallen. Mit Dreschflegeln und Heugabeln standen sie bereit, das Gespenst zu erlegen. Aber ein Soldat kam ihnen zuvor. Er nahm den schrecklichen Vogel aufs Korn und erschoß ihn mutig und eilfertig mit einer Kugel aus seinem Vorderlader. Eine Kugel, dem verfinsterten Mond ä h n l i c h . . . Solcher Diensteifer diente nun keineswegs dem Fortschritt. Und da der Wettlauf durch den Luftozean begonnen hatte und Monat um Monat die „Montgolfleren" und die ,,Charlieren" zu immer kühneren Fahrten aufstiegen, mußte die Pariser Regierung in einem Aufruf an die Bevölkerung zum Schutze der Luftbälle die erste „Luftverkehrsanordnung" erlassen. ,,Es ist eine Erfindung gemacht worden", so heißt es darin, „worüber die Regierung nähere Belehrung zu erteilen für notwendig achtet, um dem Schrecken vorzubeugen, den solche Erscheinungen im Volk verursachen könnten. Durch Berechnung der Verschiedenheiten in der spezifischen Schwere der sogenannten brennbaren Luft (dem Wasserstoff) und unserer gewöhnlichen atmosphärischen Luft ist gefunden worden, daß ein mit solcher brennbaren Luft gefüllter Ballon sich von selbst zum Himmel emporheben muß bis zu dem Augenblick, wo die beiden Luftarten im Gleichgewicht sind. Das kann nur in sehr großer Höhe der Fall sein. Der erste derartige Versuch ist zu Annonoy im Bezirk Vivarais durch die Erfinder, die Brüder Montgolfier, gemacht worden. Eine Kugel aus Leinwand und Papier von hundert Fuß Umfang, mit erhitzter und verdünnter Luft gefüllt, stieg von selbst zu einer Höhe auf, die man nicht berechnen konnte. Ein ähnlicher Versuch wurde vor kurzem zu Paris wiederholt, und zwar am 27. August um 5 Uhr abends in Gegenwart einer zahllosen Menschenmenge. Eine Kugel aus Taft, die 9
mit Gummi gedichtet war, stieg vom Marsfeld bis zu den Wolken empor wo man sie dann völlig aus dem Gesicht verlor. Es wird nun beabsichtigt, ähnliche Versuche mit noch viel größeren Kugeln zu machen. Wer also von jetzt an am Himmel eine solche Kugel erblickt, die einem verfinsterten Mond ähnlich ist, möge sich dieser Mitteilung erinnern, damit er nicht vor der Erscheinung als vor einem furchtbaren Phänomen erschrecke. Denn es ist nichts anderes als eine stets aus Taft oder leichter Leinwand zusammengesetzte, mit Papier überzogene Maschine, die kein Übel zufügen kann. Es darf die Erwartung gehegt werden, daß sie eines Tags nützliche Anwendung für die Bedürfnisse der Menschen finden wird."
Ob man da oben atmen kann? Der Luftballon beschäftigte seitdem die Menschen, wie uns heute die Entdeckung der Atomenergie erregt. Die Namen, die das Volk diesen ,,fliegenden Monden" gab, zeugen für die farbige Phantasie, mit der man die schwebenden Kugeln verfolgte. Man sprach und schrieb von ihnen als den Himmelsdrachen, geflügelten Luftkutschen, Luftdärmen, Luftbällen, Luftgeistern, Wolkenschiffen, Lufteiern, Gasblasen, Pariser Gondeln, Pariser Bällen, fliegenden Extraposten, oder sachlicher: von Vakuumluftschiffen, Luftmaschinen, ärostatischen Bällen. Die Montgolficren nannte man ,,fliegende Feuer"; sie führten nämlich unter den unten offenen Hüllen angeseilte Feuerbecken mit sich, aus denen ein brennendes Gemisch aus Stroh und Schafwolle die Heißluft aufsteigen ließ. Wann würde sich nun der Mensch diesen fliegenden Schiffen anvertrauen? In den Salons erörterte man diese Frage ebenso leidenschaftlich wie an den Arbeitsstätten, in den wissenschaftlichen Blättern ebenso wie in den Journalen und Flugschriften. Die Luftkugel konnte das Gewicht eines Menschen mit Leichtigkeit emportragen; daran war nicht zu zweifeln. Dreißig Männer hatten ja Mühe, den startbereit gefüllten Ballon am Boden zu halten. Aber würde der Luftschiffer da oben überhaupt atmen können? Vom Bergsteigen her wußte man, daß in großen Höhen der Mensch durch Atemnot gefährdet war. Darüber ging der Streit hin und her. Die Frage, die uns heute bei der Stratosphärenrakete beschäftigt, und die durch den Raketenflug der ersten Lebewesen in Gestalt von Samenkörnern eine erste Antwort fand, wurde damals durch die Entsendung einiger Haustiere geklärt. Am 19. Sept. 1783 unternahmen als erste Lebewesen ein Hammel, eine Ente und ein Hahn eine Käfigfahrt ins Ungewisse des Luftraums. Eine 10
Montgolfiere" trug sie vom Schloßplatz von Versailles in einem wilden Schaukelflug in beachtliche Höhen. Der König hatte es sich nicht nehmen lassen, beim Aufstieg dieser ersten Fluggäste zugegen zu sein. Sie kamen ziemlich durchgeschüttelt wieder zu Boden. Nur der Hahn fühlte sich nicht ganz wohl, denn der Hammel hatte ihm unterwegs einen unzarten Tritt versetzt. Der Grund für diese Untat konnte allerdings nie ermittelt werden, obwohl man den Fall nachher sehr gelehrt und gründlich erörterte. Das geschichtliche Verdienst dieser vier- und zweibeinigen Luftfahrer ist es, daß sie dem Menschenflug den Weg in die Luft freigemacht haben. Die undankbaren Menschen haben es ihnen wahrlich schlecht gelohnt: die drei Luftpioniere haben später bei einer festlichen Gelegenheit ihr Leben lassen müssen und endeten in den Töpfen eines Pariser Kochs.
Der erste „Luftspaziergang" Nicht die Erfinder des Luftballons sondern zwei kühne Außenseiter wurden dann die ersten fliegenden Menschen. Der Apotheker J. F. Pilätre de Rozier und der Marquis d'Arlandes wagten sich nach einigen Probeaufstiegen am Fesselseil am 21. November 1783 zur ersten Freifahrt in die Lüfte und ergriffen Besitz von dem unermeßlichen Reiche der Atmosphäre.
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Im Waldpark von Boulogne bei Paris liegt das Schlößchen La Muette. In dessen Park bestiegen die beiden Flieger am genannten Tage die Ringgondel eines 18 Meter dicken Mongolfiereballons. Marquis d'Arlandes hat uns von diesem ersten Menschenflug einen spannenden Bericht hinterlassen. „Wir fuhren", so erzählt er, ,,aus dem Garten von La Muette um 1 Uhr 54 Minuten ab. Die Stellung der Maschine war dabei so, daß Herr Pilätre de Rozier im Westen und ich im Osten stand; der Wind wehte ungefähr aus Nordwesten. Ich war erstaunt über die Stille und über die geringe Bewegung, die unsere Auffahrt unter den Zuschauern hervorgebracht hatte; ich war der Ansicht, daß das Erstaunen und der Schrecken über dieses neue Schauspiel die Leute erstarren ließen, und daß sie eines Trostes bedurften. Deshalb grüßte ich mit dem Arm hinab, jedoch mit geringem Erfolg. Nachdem ich aber mein Taschentuch herausgezogen und damit lebhaft gewinkt hatte, bemerkte ich eine sehr lebhafte Aufregung im Garten von La Muette. Es schien mir, als sammelten sich die durch den ganzen Garten zerstreuten Zuschauer nunmehr auf einem Platz und in einer einzigen Masse. Sie drängten sich in unwillkürlichem Antrieb, uns zu folgen, nach der Mauer hin, die sie als die 11
einzige Scheidewand zwischen sich und uns zu betrachten schienen. In diesem Augenblick war es, als Herr Pilätre zu mir sagte: ,,Sie tun ja gar nichts, und wir kommen nicht in die Höhe!" ,.Verzeihen Sie!" antworte ich und warf ein Bund Stroh ins Feuer, schürte ein wenig darin und drehte mich dann schnell um. Aber La Muette konnte ich nicht wieder finden. Erstaunt warf ich einen Blick auf den Lauf des Flusses; ich folgte ihm mit den Augen, da erblickte ich den Zusammenfluß mit der Oise. Dort lag also Conflans. Und mit den Augen von einer Windung des Flusses zur anderen fortschreitend, sprach ich vor mich hin die Namen der Orte Poissy, St. Germain, St. Denis, Sevres. Wir sind also jetzt über Poissy oder Chaillot. Ich sah durch das Innere der Maschine hinunter und erblickte in der Tat gerade unter mir die Ortschaft de Chaillot. In diesem Äugenblick rief mir Herr Pilätre wieder zu: ,,Da liegt der Fluß, und wir gehen abwärts; rasch, lieber Freund, schüren Sie das Feuer!" Und wir arbeiteten. Aber statt über den Fluß zu kommen, wie es nach unserer auf den Invalidendom von Paris hingehenden Richtung zu erwarten war, fuhren wir längs der Seine an der Schwaneninsel hin. Wir kamen über das Hauptbett des Flusses zurück und fuhren diesen aufwärts bis zur Barriere de la Conference. Ich sagte zu meinem wackeren Reisegefährten: ,,Es ist sehr schwierig, über diesen Fluß zu kommen!" „Das glaube ich wohl", antwortete er, „Sie tun ja nichts!" „Weil ich nicht so stark bin wie Sie, 'und weil es uns ja hier sehr gut geht!" „Ich schürte im Feuerherd und warf dann mit meiner Gabel ein Bund Stroh hinein. Es war wahrscheinlich zu dicht gedreht und ging daher schwer an. Deshalb hob ich es wieder heraus und schüttete es mitten über der Flamme aus. Einen Augenblick danach fühlte ich mich emporgehoben, als wenn mich jemand an den Schultern emportrüge, und ich sagte zu meinem lieben Gefährten: „Aber jetzt steigen wir doch?" „Ja, wir steigen!" antwortete er, während er gerade aus dem Inneren des Rings hervorkam, wo er wahrscheinlich einige Beobachtungen angestellt hatte. „In diesem Augenblick hörte ich am oberen Teil der Maschine ein Geräusch, als wenn der Ballon geplatzt wäre. Ich sah hinauf, konnte aber nichts Derartiges finden. Als ich so meine Augen fest nach oben gerichtet hatte, empfand ich einen Stoß; dieser blieb der einzige, den ich auf der ganzen Reise erfahren habe. Dabei ging die Richtung der Bewegung von oben nach unten. Ich fragte meinen Gefährten: „Sie tanzen wohl?" „Nein," artwortete er, „ich rühre mich nicht von der Stelle". „Um so besser!" erwiderte ich, „dann sind wir wohl in eine 12
neue Luftströmung geraten, die uns hoffentlich über den Fluß führen wird". In der Tat, als ich mich umdrehte, um zu sehen, wo wir eigentlich wären, fand ich, daß wir zwischen der Kriegsschule und dem Invalidendom hindurchgefahren und bereits ungefähr 400 Klafter weit darüber hinausgekommen waren. Währenddessen sagte Herr Pilätre zu mir: ,,Wir sind in der freien Ebene". ,,Ja", antwortete ich, „wir gehen jetzt ordentlich spazieren!" „Frisch, arbeiten wir, arbeiten wir!" „Ich hörte ein neues Geräusch in der Maschine. Es war gerade so, als wenn ein Seil darin gerissen wäre. Diese neue Warnung bewog mich zu einer genauen Betrachtung der inneren Seite des Ballons. Ich bemerkte, daß die gegen Süden gekehrte Wand voll runder Löcher war, worunter sich einige von ziemlicher Größe befanden. Ich rief meinen Gefährten zu: ,,Wir müssen uns zur Erde hinablassen!" „Warum?" „Sehen Sie nur selbst!" Bei diesen Worten ergriff ich auch einen der großen nassen Schwämme, die wir vorsorglich mitgenommen hatten, und löschte mit leichter Mühe das Feuer aus, das an den von mir erreichbaren Löchern fraß. Als ich mich nun auch überzeugen wollte, ob der untere Teil des Ballons noch fest an dem ihn umschließenden Ring hielte, und leicht daran zog, bemerkte ich, daß beide sich sehr leicht voneinander lösten. Darum wiederholte ich meinen Zuruf: „Wir müssen hinunter!" Pilätre blickte'hinab und antwortete: „Wir schweben über Paris!" ,,Gleichviel", erwiderte ich. „Sehen Sie nach, ob auf Ihrer Seite keine Gefahr ist! Hält noch alles zusammen?" „Ja!" „Ich selbst untersuchte meine ganze Seite und sah, daß nichts zu befürchten war. Ich tat noch mehr: ich schlug mit meinem Schwamm an alle mir erreichbaren Hauptteile, und alle erwiesen sich als fest. Nur zwei Stricke hatten sich abgelöst. Darauf rief ich meinem Freund zu: „Wir können immerhin über Paris hinausfahren". „Während dieser Vorgänge hatten wir uns sehr merklich den Dächern der Stadt genähert; wir schürten das Feuer und stiegen sogleich wieder mit großer Leichtigkeit empor. Ich blickte gerade unter mich hinab nnd sah ganz deutlich das Ministerium des Auswärtigen. Mich dünkte, daß wir gegen den Turm von Saint Sulpice hin flögen, den ich durch das Innere des Rings deutlich sehen konnte. Bei höherem Aufsteigen führte uns ein neuer Luftstrom von dieser Richtung ab und trieb uns nach Süden. Links von uns erblickte ich ein kleines Gehölz, das ich für den Luxembourg-Garten hielt. Wir flogen quer über den Boulevard hin, und ich rief: „Jetzt aber hinab auf die Erde"! „Wir schürten das Feuer nicht mehr, und der unerschrockene, niemals den Kopf verlierende Pilatre, der auf der Vorderseite stand, rief mir zu, daß wir wohl auf die Mühlen zwischen Klein-Chantilly und dem 13
Boulevard hinabsinken würden. Sogleich warf ich ein Bund Stroh ins Feuer und schüttelte es tüchtig, damit es lebhaft aufflackern sollte; dadurch stiegen wir abermals, und eine neue Luftströmung trieb uns mehr nach der linken Seite. Der mutige Rozier rief mir nochmals zu: „Achtung vor den Mühlen"! Da mich aber ein Blick durch das Ringinnere eines Besseren über unsere Richtung belehrte, nämlich daß von einem Hinabkommen auf die Mühlen keine Rede mehr sein konnte, so rief ich ihm zu: „Nun rasch hinab!" „Einen Augenblick danach bemerkte ich, daß wir über Wasser dahinfuhren, und ich meinte, daß es abermals die Seine sei. Als wir aber auf den Boden hinabgekommen waren, erkannte ich es als den Teich, der die Maschinen der Zeugdjuckerei Breunier & Companie in Bewegung setzt. „Wir waren zwischen zwei ungefähr 50 Ruten voneinander entfernten Mühlen, Moulin des Merveilles und Moulin-Vieux, auf der sogenannten Butte aux Cailles gelandet. Sobald wir den Boden berührten, erhob ich mich von der Galerie, indem ich mich mit beiden Händen auf das Geländer stützte. Ich fühlte, wie der Oberteil des Luftballons leicht auf meinen Kopf drückte, stieß ihn zurück und sprang über die Brustwehr auf den Boden. Als ich mich nach der Kugel umblickte, glaubte ich sie noch immer gefüllt zu finden, sah aber zu meinem Erstaunen, daß sie vollkomen flach in Falten dalag. Ich sehe nirgend Herrn Pilätre de Rozier und eile daher auf seine Seite, um' ihm aus dem ihn überflutenden Meer von Leinwand herauszuhelfen. Aber bevor ich noch zu ihm gelangt war, sah ich ihn unter seinem Leinenberg in Hemdärmeln hervorkricchen. Denn er hatte, bevor wir niedergingen, den Oberrock ausgezogen und in den Korb gelegt. „Wir waren allein und beide nicht stark genug, um die Galerie umstürzen und das brenende Stroh hervorziehen zu können, damit es nicht die ganze Luftmaschine in Brand steckte. Wir meinten nun, daß es das beste sei, die Leinwandhülle entweizureißen, um ein Brandunglück zu verhüten. Daher faßte Herr Pilätre an einer Seite und ich an der anderen an, und wir fanden nach heftigem Zerren den Feuerherd. Sobald dieser jedoch von der über ihm lastenden Leinenhülle befreit war und Zufuhr von frischer Luft erhielt, schlug auch das Stroh sogleich in hellen Flammen empor. „Nun kamen Leute herbei, die sich des Oberrocks von Herrn Pilätre bemächtigten und die Stücke unter sich teilten. Endlich erschien auch die Polizei, mit deren Hilfe unsere Maschine binnen zehn Minuten in Sicherheit gebracht wurde. Eine Stunde später traf sie bereits wieder in dem 14
in der Stadt liegenden Garten des Herrn Reveillon ein, wo Herr Montgolfier sie erbaut hatte." Charles holt auf Aber wo blieb nun Herr Charles mit seinem Gasballon? Hatte er gegenüber seinen Konkurrenten, den Pionieren des Feuerballons, das Rennen verloren? Gewiß, Charles war zunächst ein gut Stück zurückgefallen, aber da er von Anfang an die Luftfahrt mit größerer wissenschaftlicher Gründlichkeit betrieb und sie mit ganz neuen technischen Ideen bedachte, mußte seinem Gasball die Zukunft gehören. Zehn Tage nach dem ersten Menschenflug schon stieg er zur ersten Forscherfahrt auf. Barometer und Thermometer begleiteten ihn in dreieinhalb Kilometer Höhe hinauf. Die Vorzüge seiner Ballonkugel bewährten sich schon auf dieser Reise. Es ist erstaunlich, daß die Technik in der Durchbildung des Luftballons bis heute gegenüber dem System der Charlieren überhaupt nur noch wenig grundlegend Neues hinzugetan hat. Die bisherigen Ballonaufstiege hatten gelehrt, wie sehr es darauf ankam, daß die Hülle die eingefüllte Heißluft oder das Gas auch wirklich beisammenhielt und nicht wie bei Mongolfiers erstem Ballon durch alle Knopflöcher verströmte. Charles erstand deshalb für seine Charlieren bei einem tüchtigen Textilkaufmann den dichtesten Taffet, den er auf Lager hatte. Und da Charles das Seidengewebe auch noch mit einer Haut aus jener neuartigen Gummilösung überzog, brauchte er nur mit geringen Gasverlusten zu rechnen. Nun überspannte er die ganze Kugel noch mit einem aus Bindfaden geflochtenen Netz, das wie ein Fischernetz gewirkt war, gab damit dem Ball noch größeren Halt und hatte zugleich ein kräftiges Aufhänge-Tauwerk für seine Gondel. Aber das Genialste, was er erfand, war die Höhen- bzw. Tiefensteuerung, die er an seinen Charlieren anbrachte. Ganz oben in der Kuppel baute er ein Ventil ein. Das konnte er mit Hilfe einer Leine von der Gondel aus öffnen, wenn er den Ballon zur Landung erdwärts steuern wollte. Der letzte Aufstieg hatte Charles auch gelehrt, daß es falsch war, den Ballon ohne eine Ausflußöffnung zu lassen. Das Gas dehnt sich nämlich im Höhersteigen und unter der Sonnenbestrahlung immer mehr aus, je geringer der äußere Luftdruck wird. So bestand die Gefahr, daß die Ballonhülle riß. Also ließ Charles unten eine schlauchartige Öffnung, die dann zugleich als Füllansatz beim Aufblasen des Ballons vor dem Aufstieg diente (diesen Füllansatz nannte man „Appendix", d. h. Blinddarm). Da das Gas nach oben strebt, bestand keine Gefahr, daß es normalerweise durch diesen Abzugsschlauch entwich; aber wenn der 15
Druck zu groß wurde, konnte die überschüssige Gasmenge automatisch ausströmen und so das richtige Druckverhältnis wiedergewonnen werden. Ein weiteres Steuermittel waren kleine Ballastsäcke, die er mit Sand füllte; wollte er größere Höhen gewinnen, so machte er den Ballon leichter, d. h. er ließ Sand in entsprechender Menge ausrinnen („warf Ballast ab"). Charlier hatte auch schon Verständnis für die Strömungsverhältnisse in den verschiedenen Höhenschichten. So ließ er vor dem Aufstieg kleinere Pilotballons hoch, die ihm die Windrichtung in den größeren Höhen anzeigten. Die wesentlichen Verfeinerungen, die dann die neuere Zeit hinzufügte, sind die sogenannte Reißbahn, ein leicht lösbarer Stoffstreifen oben in der Ballonhülle, die bei schneller Landung an einer roten Leine aufgerissen werden kann, und das Schlepptau, das manche Ballone mit sich führen. Es kann in Erdnähe durch Schleifenlassen über den Boden als Bremse dienen (s. Abb. S. 24). Aber da lag noch unbezwungen der Raum über dem Meere, wo der fliegende Mensch nicht mehr die Möglichkeit hatte, im Notfall festen Boden zu gewinnen. Das Meer zu bezwingen, dazu gehörte nicht nur die mannhafteste Kühnheit, sondern auch das blinde Vertrauen in die fliegende Maschine und in das technische und physikalische Prinzip, auf
Luftballone der ersten Zeit: rechts Charliere (Wasserstoffgasballon), Mitte Montgolfiere (Hei/Sluftballon), links Carolo-Montgolfiere (Verbindung eines Wasserstoffgasballons, oben, mit heißluftgefülltem Zylinder, darunter. Ganz unten Feuerbecken zur Erzeugung der Heißluft) 16
dem sie beruhte. Zwei Charlieren, die zweite mit einer Montgolfiere verbunden (eine Carolo-Mongolfiere), wagten in der ersten Jahreshälfte 1785 diesen Sprung über das Wasser. Über dem Ärmelkanal fiel in einem Wettflug auf Leben und Tod die Entscheidung, die dem besseren System, dem Gasballon, wie ihn Jaques Charles entwickelt hatte, zum Durchbruch verhalf. Es war der gleiche Kanal, über den im Jahre 1909 der Franzose Bleriot den ersten Motorflug über ein Meer unternahm und die Propellermaschine endgültig ihre Flugtüchtigkeit bewies. Am 15. Januar 1785 erhob sich eine Charliere von den Kreidefelsen der englischen Küste und landete zweieinhalb Stunden später in den Baumkronen von Calais. Zwar mußten die beiden Luftschiffer, Jean Pierre Blanchard, ein Franzose, und Dr. Jeffreys, ein Amerikaner, im wörtlichen Sinne das Letzte hergeben, ihre Instrumente, ihre Handbücher, ihre Kleider, das Tauwerk, zuletzt auch noch die Gondel — sie hingen festgebunden im Netz —• aber das' Meer lag bezwungen hinter ihnen. Der Meerflug der Charliere-Montgolfiere, die einige Monate später vom französischen Boden aufstieg, um von dort aus den Kanal zu überqueren, endete in einer Explosion und dem Todessturz der beiden Flieger. Einer von ihnen war Pilltre de Rozier, der erste fliegende Mensch. Im Luftraum tummelten sich seitdem in immer keckeren Flügen die Luftgaukler, Luftgeister, die Luftpeiniger, die fliegenden Wandersleute, die Gefährten des Donners und wie man sie sonst noch scherzhaft nannte. Ballonaufstiege gehörten zu den Jahrmarktereien der großen Städte und es wurde Mode, diese Schaustellungen mit tollkühnen Kunststücken zu würzen. Von einem solchen Volksfest, das die Nürnberger am 12. November 1788 erlebten, von der Neugier und Erregung, die solch ein Himmelsschauspiel heraufbeschwor, ist uns eine treffliche Schilderung erhalten. Die Stadt hatte sich dazu Herrn Blanchard geladen, der seit der Überwindung des Ärmelkanals der fliegende Schausteller Europas war. Sehr anschaulich berichtet ein Flugblatt von dieser Fahrt: „Herr Blanchard kam am 15. Oktober von Leipzig in Nürnberg an, auch traf sein mit allen Füll- und Luftfahrt-Gerätschaften beladener und für dieselben besonders zugerichteter Wagen ein, der auf der Stadtheuwaage gewogen und 43 Zentner schwer befunden wurde. Er ergingen von Seiten der hohen Obrigkeit zur Sicherheit der Stadt und der Fremden vortreffliche Verordnungen, ebenso wie auch von Seiten der Unternehmer für die Bequemlichkeit und das Vergnügen des Publikums alle nur ersinnliche Sorgfalt getragen ward. Von vielen Einwohnern wurden neue Laternen" an die Häuser angemacht, Pechpfannen aufgehängt, der so bekannte Kristkindels-Markt aufgeschlagen 17
und auch bei Nacht erleuchtet; die Wachen wurden verdoppelt, und von der Stadt besoldete Personen auf verschiedene Plätze beordert. Kurz zu sagen: ein hoher Magistrat und eine löbliche Bürgerschaft rechtfertigten durch vortreffliche Policey-Anstalten zum Vergnügen der Fremden, gute Bewirthung und höfliches Betragen gegen jedermann die sowohl von In- als Ausländern von denselben gehegte Meinung vollkommen. Endlich kam der 12. November heran, es war ein festlicher Tag. Schon ein paar Tage vorher wurde beschlossen, keine Rathssitzungen mehr abzuhalten, ein Geschehnis, dessen sich von früher her niemand zu erinnern weiß. Die meisten Gewölbe und Läden wurden nur früh oder gar nicht eröffnet. Bey den drei Kirchen zu St. St. St. Lorenz, Sebald und Egidien wurden starke Wachen postiert, .die beständig mit Patrouilliren abwechselten, und drei Thore blieben ganz verschlossen. Schon um Thoraufschluß begaben sich eine Menge Menschen auf den Ort des Schauspiels, den Judenbühl, wo in gewisser Entfernung Hütten und Zelte errichtet wurden, worin alle Sorten von Getränken und Speisen zu haben waren; in einigen derselben befanden sich auch Musikanten, und alles schien eine große Feyerlichkeit anzukündigen. Die Reutenden und Kutschen wurden durch reutende Dragoner an weit entfernte, für dieselben bestimmte Plätze angewiesen. Um zehn Uhr geschahen zwei Signale mit zwei Böllern, gegen elf Uhr aber das dritte, zum Zeichen, daß der Ballon gefüllt sey, mit einem Böllerschuß, Außer diesem, auf dem Platze sich befindlichen Volke, welches sicher 50 —• 60 000 Seelen betrug, befand sich noch eine Menge von vielen tausenden in und auf der Vestung, auf den Basteyen, Mauern und den darüberragenden Häusern, Thürmen, Schanzen, Gartenhäusern, ja sogar auf den an den Gartenmauern errichteten Bühnen usw., und dennoch herrschte unter diesem unzählbaren Menschenhaufen eine bewundernswürdige Ordnung und Stille; kein Mensch drängte den andern; denn noch so viel Personen hätten auf diesem herrlichen Platze Raum genug gehabt. Bis Herr Blanchard sich zur Abreise fertig machte und seine Gondel bestieg, warteten aller Augen auf das Aufsteigen des schon seit einer halben Stunde etwas über einen Verschlag herausstehenden Ballons. Nun bewegte sich die große Maschine um elf Uhr sechsundzwanzig Minuten aufwärts und zugleich geschahen zum Zeichen der Abfahrt vier Böllerschüsse, schnell aufeinander, worin sich Trompeten- und Paukenschall mischte. Majestätisch und sanftschnell War des ,,Aeronauten"-Luftschiffers Emporschweben über den Verschlag heraus; er winkte, daß das an seine 18
Gondel befestigte Seil losgelassen werde, und erlitt dabey nicht die geringste Erschütterung. Mit bangem Entzücken und frohem Staunen über dies herrliche Schauspiel war eine solche feyerliche Stille verbunden, als ob kein lebendiges Geschöpfe auf dem großen Platze sich befunden hätte. So wie bei der schönsten Witterung der Rauch als eine Säule emporsteigt, so gerade stieg auch die von des Tages- Helle erleuchtete und durchsichtig scheinende Kugel mit dem nach sich ziehenden Luftschiffer auf. Von der Höhe eines Turmes warf er Papiere auf die Zuschauer herab. Gleich darauf salutierte er mit zwo Fahnen die ihm Nachsehenden und die. Stadt; worauf ein allgemeines lauttönendes Vivatrufen und Händeklatschen entstund. Herr Blanchard stieg noch immer gerade in die Höhe, wandte sich etwas südwestwärts gegen die Vestung, als ob er über die Stadt wegfliegen wollte, drehte sich aber immer mehr nach Westen, und endlich westnordwärts nach dem Dorfe Thon zu, so eine, halbe Stunde vom Orte der Auffahrt entfernt. Hier war er etwa zwölf Minuten in der Luft und schien nur so groß als eine mittelmäßige Schießscheibe zu seyn; auch hatte er nun die größte Höhe erreicht und stand nach der Nürnberger Postzeitung 800 Klafter oder 4800 Fuß (1600 m) über der Meeresfläche. Von dieser gewaltigen Höhe ließ der mutige Luftsegler den Fallschirm mit dem Hündchen herab, welcher so langsam herniedersank, daß darüber über fünf Minuten verflossen, bis das aeronautische Thierchen bei Thon an der Erlanger Straße auf einem Feld wohlbehalten zur Erde kam. Als Herr Blanchard so gerade aufstieg, bewegte sich kein Mensch von der Stelle; sobald er sich aber seitwärts wandte, bewegte sich die ganze Masse von Menschen als ein Ameisenhaufen, erst langsam nach der Seite seiner Richtung zu, und in ein paar Minuten hernach lief alles, was lauffen konnte. Es ging zu Pferde und zu Fuß über Hecken und Gräben, über Felder und Wiesen, wie es gerade kam. Nichts war den Fußgängern, insonderheit dem Weibsvolk hinderlicher als Krautfeider und die sich noch darin befindlichen hohen starken Tobak-Stengel; es gab ein beständiges Gelächter, weil alles im Lauffen über sich sah, und folglich viele drollige Fälle, Stöße und Wendungen sich ereigneten; denn es sah just so aus, als ob die Einwohner einer volkreichen Stadt vor einem großen Unglück flöhen, und wer einmal im Strom war, der mußte entweder mit fortlauffen oder sich derb zerstoßen lassen. Herr Blanchard flog unterdessen immer nach der nördlichen Gegend zur linken Seite der Erlanger Chaussee weg und schien eine Viertelstunde lang an die Wolken geheftet, nur mit dem Unterschiede, daß 1)
sein Ballon immer kleiner und zuletzt so klein als ein Zwirnknäulchen wurde. Doch Wieb er beständig sichtbar. Um zwölf Uhr zwölf Minuten bemerkte man, daß er ziemlich schnell herabsank; ein Viertel auf ein Uhr ließ er sich an dem Wege beym Boxdorfer Wäldchen nach Braunsbach zu, eine gute Meile von dem Ort der Auffahrt glücklich nieder und wurde durch zween Studenten zu Pferde und einige herbeygeeilte Boxdorfer Bauern beym Seil ergriffen. Da der zur Erde niedergesunkene „Aeronaute" nicht deutsch, und die ihn zuerst ergriffen, nicht französisch verstunden, so gab es eine artige Szene: Er rief ihnen immer zu: ,,en bas en bas," sie sollten niederziehen, um die Gondel zur Erde zu bringen; die Bauern hingegen meinten, sie sollten das Seil loslassen, und waren just dabei, solches zu tun, als ihnen die anderen dazu kommenden Leute bedeuteten, sie müßten niederziehen und die Gondel mit den Händen ergreifen, sonst flöge das Ding wieder in die Höhe. In der Tat erstaunten sie über die Maßen, daß sie anstatt zu tragen, wie sie glaubten, unter sich drücken mußten. „Da dieser Herr", sagten sie, „auf unserm Grund und Boden vom Himmel kam, so lassen wir uns auch das Recht nicht nehmen, ihn, wo er hergekommen ist, hinzubringen", und erhüben Freuden-Geschrey, worein die immer mehr herbeYgekommenen Reuter und Fußgänger treulich mit einstimmten. Die Gondel wurde dergestalt umringt und begleitet, daß Herr Blanchard kaum heraussehen konnte. Herr Blanchard wurde stehend in seiner Gondel mit dem über ihm schwebenden und noch nicht entkräfteten Ballon, welcher jetzt, da etwa der vierte Teil Luft herausgelassen war, die Gestalt einer Birne hatte, nach der Stadt gezogen. Sogleich kamen auch Se. Hochfürstliche Durchlaucht der Markgraf herbeygesprengt, und Herr Blanchard hatte das Glück Höchstdenselben zu sprechen und sich Ihres vollkommenen Beyfails und zugesagten Wohlwollens zu erfreuen. Die Gondel wurde nun niedergezogen, und der Luftsegler von dem sich immer mehr versammelten Volk, das ein beständiges Jubelgeschrey anstimmte, und unter herbeygekommener Musik bis an den Ort des Aufsteigens getragen. Herr Blanchard ließ sich um drei Uhr nach einigen gespielten Tänzen und Märschen bis vierzig Fuß in die Höhe, und sank dann wieder in den Verschlag, worauf er aufgestiegen war, hinab, welches den noch zu tausenden versammelten Zuschauern ein ungemein herrliches Schauspiel war. Als Herr Blanchard bald darauf zur Stadt in sein Logis fuhr, spannte das vom Freuden-Taumel frohlockende Volk die Pferde aus, und zog nach englischer Sitte den kühnen Aeronauten im Triumpf daher durch die ganze Länge der Stadt bis zum „Rothen Roß".
Herr Blanchard saß vorne und ttugt die Uniform seiner Gondel, nemlich blau und weiß mit dem gleichfarbenen Federbusch auf dem Hut. Zwey herrlich gekleidete Frauenzimmer stunden hinter ihm in der Chaise, sie trugen die Livre seines Ballons, roth und blaßgelb, und hinten auf stund anfangs Herr Blanchards Bedienter, und salutierte mit den zwo Fahnen gegen alle vornehmen Gebäude, worin eine erstaunliche Anzahl Adeliger und anderer vornehmer Personen dem Zuge zusahen und ein unaufhörliches Vive Blanchard! Vivat etc. und Händeklatschen hören ließen. Aus vielen Häusern ertönten Musiken aller Art. Gegen vier Uhr kam endlich Herr Blanchard im ,,Rothen Roß" an, aus dessen Erker ihm Trompeten und Pauken entgegenschallten. Die Straße war von Menschen angepfropft; Herr Blanchard erschien am Fenster und dankte mit dreimaligem Compliment dem Volke seine Erkenntlichkeit zu, welches das Volk mit lauttönenden Vivatrufen beantwortete. Um fünf Uhr wurden unter Direction des Herrn Schopf im Schauspielhause zwei Lustspiele, und nach diesen ein von Herrn Rolland, auf die Feyer der Blanchardischen Luftreise, verfertigtes Ballett, betitelt: „Das Fest der Winde" gegeben, wobey das Opernhaus gedrängt voll war. Nach dem Schauspiel ging's zur Tafel und Maskerade' wieder ins „Rothe Roß", welche sich früh den 13. endigte. Auf diese Weise wurde der für Einheimische als Fremde so frohe und merkwürdige Tag beschlossen, ohne daß nur einem Menschen bey dem außerordentlichen Zusammenfluß von Leuten, ein Unglück begegnet wäre. Aus dem „Bordbuch" der Wissenschaft Die Ballone flogen fast von der Stunde ihres ersten Aufstiegs an gleichsam in drei Richtungen auseinander. Die einen steuerten den sportlich abenteuerlichen Kurs, auf dem sich vor allem Herr Blanchard in seinen späteren Jahren bewegte. Andeie trieben dem Militärischen zu. In Gestalt von Fesselballonen (1794), von Bombenwerfern (1849), wie sie Lana schon 1670 vorausgeahnt hatte, von Schreckgespenstern zur Demoralisierung feindlicher Truppen (1798: Napoleon in Ägypten), von militärischen Transportluftschiffen (1870/71) bemächtigte sich ihrer das Kriegshandwerk. Wir aber wollen den Wissenschaftlern folgen, den Meteorologen, Chemikern, Physikern, Medizinern, Geographen, Entdeckern und Stratosphärenforschern. Aus dem wissenschaftlichen „Bordbuch" der Ballonfahrten sind folgende Daten in der Geschichte der Luftschiffahrt mit Freiballonen besonders bemerkenswert: 21
1783
1804
1836
1850
1875
1897
1898 1901
Der Franzose Charles fliegt zum erstenmal mit Bordinstrunienten (Barometer, Thermometer) auf (bis zu 3 000 m). Im folgenden Jahr bringen der Franzose Blanchard und der Amerikaner Jeffreys im Glasballon eine Luftprobe mit zur Erde, deren Analyse die gleiche Zusammensetzung wie die der bodennahen Luftschichten ergibt (s. Umschlagbild: Charles verläßt die Gondel). Höhenforschungsfahrten der beiden französischen Gelehrten GayLussac und Biot von Paris aus. Untersuchung des Pulsschlags, der Atmung, der Luftclektrizität, der Wärme, der Wolkenformationen ,des Verhaltens von Tieren in großen Höhen. Bienen, Grünling, Frosch und Taube machen den Aufstieg bis in 7000 m Höhe mit (s. das Umschlagbild Seite 32). Zum ersten Mal wird statt Wasserstoffgas Leuchtgas als Ballonfüllung verwandt, wie es jeder Stadtgasleitung entnommen werden kann. , Die Naturforscher Barral und Bixio stellen zum ersten Mal Vereisungen am Ballon fest. Sie messen Temperaturen bis — 3 9 ° . Mit ihnen beginnt die systematische Ausnutzung der Ballone für wissenschaftliche Zwecke. Der Ballon bleibt bis ins zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts das einzige Mittel zur Erkundung großer Höhen. Die französischen Luftschiffer Croce-Spinelli, Sivel und Tissandier unternehmen die erste Hochfahrt mit Sauerstoff und erreichen 9000 m Höhe. Sivel und Croce-Spinelli kommen während der Fahrt um, Tissandier ertaubt. Erster Versuch einer Polarfahrt im Ballon. Der schwedische Ingenieur S. A. Andree versucht mit zwei Gefährten von der Däncninsel aus (bei Spitzbergen) den Nordpol zu erreichen. Andrees Leiche wird 33 Jahre später von einem norwegischen Polarforscher auf der Weißen Insel östlich von Spitzbergen aufgefunden. Der Ballon ist vermutlich schon nach dreitägiger Fahrt in einem Schneesturm verunglückt. Die Forscher erfroren beim Marsch über das Eis. Der Schweizer Kapitän Spelternie überquert auf einem Forschungsflug die Alpen. Er begründet die Geländephotographie aus der Luft. Die beiden Meteorologen, der Deutsche Robert Süring und der Pole Artur Berson, erreichen mit dem Ballon „Preußen" eine Höhe von 10 800 m; sie sind die ersten, die sich vor ihrem Flug Luftdruckproben in einer pneumatischen Kammer unterziehen.
1914
Weltrekordfahrt H. R. Berliners von Bitterfeld bis zum Ural mit interessanten meteorologischen Feststellungen (über 3000 km, bis zu 270 km Stundengeschwindigkeit). 1931 Erster Aufstieg eines bemannten Ballons in die Stratosphäre. Professor Auguste Piccard erreicht von Augsburg aus mit seinem fliegenden Laboratorium 16 000 m Höhe. 1932 Zweiter Stratosphärenflug Auguste Piccards von Zürich aus: 16 940 m. 1933 Stratosphärenflug des Russen Fedesejenko: 18 400 m. 1935 Höchster Stratosphärenflug eines bemannten Freiballons: 22 080 m (Stevens_ und Anderson). (Höchste bisher von einem unbemanten Ballon erreichte Höhe: 35 000 bis 36 000 m. Höchster Aufstieg eines Motorflugzeuges: 17 070 m [1938]).
Ohnmächtig an der Grenze der Stratosphäre Drei Flügen wollen wir nun noch folgen, von denen der erste bis an die Grenzschichten der Stratosphäre, der zweite bis zum Ural, der dritte in die Stratosphäre selber hinaufführte. Der wissenschaftliche Höhenflug der Meteorologen Süring und Berson verdient deshalb unsere besondere Bewunderung, weil er ein Beispiel dafür ist, wie Forschungsaufgaben oft bis in die Nähe des Todes führen können. Süring und Berson hatten die Gondel des 8 400 cbm großen Ballons „Preußen" in ein umfassendes meteorologisches Laboratorium verwandelt. Der Aufstieg erfolgte im Hochsommer 1901, der Ballon erreichte in kürzester Zeit 5000 m Höhe dann begann durch Manövrieren der weitere Aufstieg. „Bei 9000 Meter und minus 30 Grad", so schreibt Robert Süring, „hatten wir — es war vier Stunden nach dem Aufstieg — das stolze Bewußtsein, höher als alle Erhebungen der Erde zu sein, aber es machte wenig Eindruck. Teilnahmslos wurde die vorgeschriebene Arbeit erledigt; zur Unterhaltung spürte keiner von uns Lust; es war auch schwer, sich bei den über die Ohren gezogenen Pelzkappen verständlich zu machen. Eine Verschlechterung des Befindens war noch immer nicht festzustellen, aber es wurde immer schwerer, die Müdigkeit zu bekämpfen. Mir fielen sogar einmal die Augen zu, aber wieder aufgewacht fühlte ich mich vollkommen frisch und wir führten zwischen 9 000 und 10 000 Meter in Abständen von etwa sechs Minuten noch vier Beobächtungsreihen aus. Die Temperatur betrug hier zwischen 30 und 40 Grad Kälte. Ein scheinbar nebensächlicher Umstand beförderte nun vielleicht die Abnahme unserer Kräfte: das registrierende Barometer war eingefroren, 23
Abb. links: Gasballon mit Korb. V Ventil mit dazugehörender Ventilleine. R Reißbahn mit dazugehörender roter Reißleine. F Fiillansatz. K Korbring. G Korb als Gondel. Seh Schlepptau— Abb. rechts zeigt, warum der Ballon steigt. Die Schwerkraft drückt die Außenluft von den Seiten unter den Ballon, der so zum Schwimmen und Steigen kommt, da et leichter ist. sowohl das Uhrwerk wie die Tinte. Berson bemühte sich — wie vorauszusehen war, vergebens — die Apparate wieder in Ordnung zu bringen; ich hatte in der Zwischenzeit nichts zu tun; meine Müdigkeit wurde daher wieder größer. Nachdem diese Versuche aufgegeben waren, machten wir noch eine gemeinschaftliche Ablesung in 10 230 Meter Höhe. Bemerkenswert — weil abweichend von früheren Erfahrungen — ist die Sicherheit, man kann fast sagen Mühelosigkeit, mit der diese Beobachtung ausgeführt werden konnte. Über 10 250 Meter Höhe wurden plötzlich die bis dahin so deutlich in der Erinnerung haftenden Vorgänge-unklar; die Erinnerungen sind infolgedessen bei uns beiden anscheinend etwas abweichend. Zweifellos steht fest, daß Berson das Ventil zog und dadurch den Ballon zum Fallen brachte. Kurz vorher hatte er mit schnellem Blick am Barometer einen Luftdruck von 202 Millimetern —• das entspricht einer Höhe von 10 500 Metern — abgelesen. Diese Höhe ist somit sicher festgestellt. Naturgemäß hat das Ventilziehen nicht sofort gewirkt, um so weniger, weil unmittelbar vorher Sand abgeworfen worden war. Der Ballon ist also noch gestiegen—wir nehmen aus verschiedenen Gründen an, bis zu etwa 10 800 Metern—-aber das eben ist nur eine Schätzung, keine Tatsache. Berson zog das Ventil, weil er auf Anruf und Schütteln von mir keine Antwort erhielt und daher ein Unglück befürchtete; das Ventilziehen verbrauchte aber den Rest seiner Kräfte, er brach erschöpft zusammen und fiel in eine lange, schwere Ohnmacht. 24
Meine Erinnerungen besagen, daß ich meinen Genossen scheinbar schlafend in sitzender Stellung vorfand, als ich — anscheinend noch ganz frisch —• mich nach ihm umsah, um zu einer neuen Beobachtungsreihe aufzuforden. Schütteln war vergeblich; auch als ich ihm meinen Atemschlauch in den Mund steckte um ihm mehr Sauerstoff zuzuführen, blieb er regungslos. Ich wollte daher das Ventil ziehen, dessen Leine für mich ziemlich schwer zu erreichen war, mußte aber wieder umkehren um zunächst meinen bei Berson zurückgelassenen Atmungsschlauch zu holen. Mit der noch ganz deutlichen Erinnerung, daß die Kräfte reißend abnahmen, ergriff ich auch noch den Schlauch, aber dann schwand das Bewußtsein. Ob das vor oder nach Bersons Ventilziehen war, ist ziemlich nebensächlich; jedenfalls waren wir schließlich beide ohnmächtig. Indessen fiel der Ballon, und ziemlich gleichzeitig, aber erst nach einer halben bis dreiviertel Stunden erwachten wir in 6 000 Metern Höhe aus der Ohnmacht oder auch dem daran sich anschließenden Schlaf. Jetzt war das Befinden ganz anders als vorher. Es kostete eine sehr bedeutende Überwindung, jetzt die notwendigsten Arbeiten zu tun, also vor allem den übermäßig schnellen Absturz des Ballons durch Sandwerfen zu verlangsamen, sich selbst aus den Pelzen herauszuwickeln, die Instrumente zu verpacken u. dgl. Aber alles gelang; wir bekamen den Ballon vollkommen in unsere Gewalt und fuhren noch etwa zwei Stunden, bis der Ballon ganz sanft auf ein abgeerntetes Feld aufsetzte. Wo wir waren, wußten wir vor der Landung nicht. Bis fast zu den größten Höhen hatten wir unseren Weg ziemlich genau verfolgt; wir waren durchschnittlich nach Süden bis Südsüdwest gefahren und mußten, wenn wir diese Richtung beibehielten, etwa bei Wittenberg über die Elbe kommen. Als wir aus der Ohnmacht erwachten, sahen wir eine ganz veränderte Landschaft; viel Wasser, besonders von Seen, war zu erblicken, aber wir suchten vergebens die Elbe, Wie sich nachher herausstellte, waren wir, im Gegensatz zu der schwachen Luftströmung bis 8 000 Meter, darüber plötzlich in einen stürmischen Westwind geraten, der uns in einer Stunde etwa 100 Kilometer nach Osten versetzte. Wir gelangten also infolge dieser Richtungsänderung der oberen Luftströmungen nicht an die Elbe, sondern nach dem Spreewald und landeten bei Briesen unweit von Kottbus".
W e l t r e k o r d f a h r t zum Ural Bevor wir den Ballonfahrern in die Stratosphäre selber folgen, verweilen wir noch kurz bei einem kühnen Fluguntemehmen, das zwar nicht als wissenschaftliche Ausfahrt geplant war aber der Meteorologie doch 25
nachher zu wertvollen Aufschlüssen verholten hat. Es war der Langstreckenflug des kleinen Ballons „Siemens-Schuckert", den der Ingenieur Hans Rudolf Berliner ausgerüstet hatte, um damit von Bitterfeld „vielleicht nach Schweden, Norwegen oder, wenn es klappen sollte, auch nach Finnland" zu gondeln. Der Ballon erhob sich an einem kalten Februartag des Jahres 1914 auf einem Fabrikhof der Großindustriestadt Bitterfeld, um zwei Tage später nach einem Flugweg von 3 000 km in den sibirischen Schneefeldern bei Jekaterinburg niederzugehen. Der folgende Bericht Hans Berliners, den zwei Freunde begleiteten, beginnt in dem Augenblick, als sie nach der Überquerung der Ostsee den Luftbereich Rußlands erreicht hatten: „Allmählich fängt das Dunkel der Nacht an, einer grauen Dämmerung zu weichen und kurze Zeit darauf können wir die Sonne begrüßen, die mit majestätischer Erhabenheit ihre Herrschaft antritt. Nach Überquerung der Eisenbahnlinie Wßna—Dwinsk breitet sich eine mächtige Seenlandschaft vor uns aus, die wir in 500 Meter Höhe überfliegen. Über den Dünafluß geht es mit östlichem Kurs in das Gouvernement Witebsk. Weite, mit frisch gefallenem Schnee bedeckte Fluren, soweit das Auge reicht. Unterdessen hat der Wind bedeutend zugenommen und mit mehr als 110 Kilometer in der Stunde kreuzen wir die Bahnstrecke Witebsk — St. Petersburg. Die ungeheuren Sümpfe, die wir nun überfliegen, bieten gegenüber dem bisherigen Landschaftsbild einen noch trostloseren Anblick. Infolge der Anstrengung der verflossenen Stunden macht sich bei einzelnen Insassen mehr und mehr die Müdigkeit fühlbar. Die vorhandene Schlafgelegenheit sowie Decken und Kisten kommen den Ausruhenden sehr zu statten. Der Wind frischt weiter auf. So können wi r feststellen, daß wir bereits 160 Kilometer Stundengeschwindigkeit überschritten haben, und daß offenbar noch eine weite Strecke vor uns liegt. In der Fahrtrichtung taucht die goldene Kuppel einer Kathedrale auf, die auf einer Halbinsel liegt und wahrscheinlich ein Kloster oder ein Wallfahrtsort ist, da man in weitem Umkreis keine Wohnstätten erblickt. Wir versuchen uns durch lautes Rufen bemerkbar zu machen. Vergeblich. Mit rapider Schnelligkeit werden wir vorwärts getrieben. Der Sturm, der unterdessen zum Orkan angewachsen ist, führt uns im 268-Kilometer-Tempo über nicht endenwollende Urwälder. Allmählich senkt sich die zweite Nacht auf Flur und Wald, als wir das Gouvernement Jaroslaw erreichen. Hier gelingt es uns, trotz der gewaltigen Geschwindigkeit an einer Bahnstation die Orientierung zu finden. Wir wechseln uns in der Führung ab, um so nacheinander etwas ausruhen zu können. Die ersten Stunden der Nacht verlaufen recht eintönig, während die nachfolgenden dann an alle Beteiligten die größten Anforderungen der 26
ganzen Fahrt stellen. Rasch aufsteigende Nebelwände versperren uns bald die Sicht zur Erde, dazu kommt noch ein feiner Sprühregen, vermischt mit Schnee und Eiskristallen. Die Nacht ist stockdunkel, und unter uns ist nicht das geringste zu erkennen. Deutlich hören wir, als der Ballon um 2 Uhr nachts von einer Bö stark heruntergerissen wird, das Heulen der Wölfe. Gegen Morgen läßt das Schneetreiben zum Glück nach, denn eine Landung in diesen unwirtlichen Urwäldern wäre uns wohl verhängnisvoll geworden. Erleichtert atmen wir auf, als es etwas heller wird und wir die Sonne durchschimmern sehen. Wir überfliegen jetzt ein in meterhohen Schnee eingebettetes Dorf und versuchen wenigstens von den Bewohnern das Gouvernement zu erfragen, aber alle Versuche sind ohne Erfolg. Das Fahrtempo beträgt immerhin noch 100 Kilometer. Es erweist sich als unmöglich, den Ballon in Erdnähe zu halten. Trotzdem wird er von einer einsetzenden Bö gegen einen Baum geschleudert. Wir Korbinsassen werden stark durcheinander geschüttelt. Nach diesem Zusammenstoß vermissen wir zwei Sack Ballast sowie einen Korb mit wertvollem Proviant, die diesem unvermuteten Hindernis zum Opfer gefallen sind. Durch diese Erleichterung schnellt der Ballon bis auf 2 400 Meter hinauf. So fahren wir mehrere Stunden in einem Gebirge sich gigantisch auftürmender Wolkenberge von blendender Weiße dahin. Über uns ein hellblauer klarer Sonnenhimmel. Die Wolkendecke hat sich unter uns vollständig geschlossen, so daß es nicht möglich ist, einen Durchblick zur Erde zu bekommen. Nach einiger Zeit entschließen wir uns, nach unten durchzustoßen. Einige Ventilzüge! Der Ballon fällt. Im Gegensatz zu oben ist unten alles in tiefstes Grau gehüllt. Jetzt heißt es, die Landung vorzubereiten; um so mehr, als vor uns Häuser auftauchen. Das Schlepptau wird ausgelegt. Krachend und polternd streift es noch die letzen Häuser bei 100 Kilometer Geschwindigkeit. Das Kommando „Achtung! Klimmzug! Festhalten!" ertönt. Schnell wird die Reißleine gezogen. Vom Sturm wird der Ballon noch durch hohe Schneeberge bis in die Nähe eines Waldes in toller Schleiffahrt entführt. Wir waren nach unseren Begriffen glatt gelandet, und nach einer zwei Tage währenden Ballonfahrt hatten wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Den Ballon ließen wir liegen und nahmen nur unsere persönlichen Sachen mit. Um das Dorf, das wir eben überflogen hatten, zu erreichen, benötigten wir mehrere Stunden, da wir uns den Weg durch den hohen Schnee erst bahnen mußten. So kamen wir stark durchnäßt und völlig erschöpft in dem Dorfe an. In einem gut geheizten Lokal und bei einem dampfenden Samowar frischten wir unsere Lebensgeister auf. Der Wirt zeigte uns an Hand von Karten die Landungsstelle des 27
Ballons, Es war das Dorf Kirkischan im Uralgebirge, westlich der Stadt Jekaterinburg im Gouvernement Perm."
Mit dem Laboratorium in die Stratosphäre Siebzehn Jahre später wagte der erste Mensch die erste Auffahrt in die Stratosphäre. Die Riesenkugel des Ballons, die an ihrem „Äquator" hundert Meter Umfang hatte, trug das Zeichen CH 133. Statt des Korbes hing eine 16 Zentner schwere, luftdicht verschlossene Aluminium-Hohlkugel in den Tauen. Acht schmale Seiten- und Bodenfenster gewährten Ausblick und warfen Licht in das Innere. Die Atemluft lieferten drei Flaschen mit komprimitiertem und flüssigem Sauerstoff. In der Kugel hatte sich der Schweizer Prof. Auguste Piccard ein Laboratorium eingerichtet. Nicht Rekordhöhen lockten den Forscher, sondern das Geheimnis jener Weltallstrahlung, die als „kosmische Strahlung" der Wissenschaft auch heute noch so viel Rätsel aufgibt. Um 3,50 Uhr am Nachmittag des 27. Mai 1931 schlössen sich hinter Prof. Picccard und seinen Assistenten die „Mannlöcher" der Kugel, und acht Minuten später löste sich der Ballon aus den Händen der Haltemannschaft. Nicht nur Augsburg, die Startstadt des CH 133, — die ganze Welt war Miterlebender dieses ersten Menschen-Aufstiegs in die Stratosphäre. „3,58 der Ballon wird losgelassen"; so steht als erste Eintragung in Prof. Piccards Bordbuch von dieser Fahrt. Ihm folgt der nachstehende Bericht; verkürzt zwar um die rein wissenschaftlichen Anmerkungen, aber doch in der Lebendigkeit, mit der er über die Stratosphärenfahrt niedergeschrieben worden ist. „4,25 In 15 000 Meter Höhe. 5,00 Wir arbeiten bis jetzt mit flüssigem O2 (Sauerstoff). Alles ideal schön, 'sehr geringe Drift, Gegend des Lech. Starker Luftverlust. Innendruck war bei Ballonhöhe 6000 m auf 4000 m über Meereshöhe gefallen (d. h. der Luftdruck im Innern der Kabine war dem Luftdruck gleich, der etwa in 4000 m Bergeshöhe herrscht); Nun sind wir dicht. Wir haben mit Erfolg flüssigen O2 verschüttet, um besseren Druck in der Kabine zu haben. Es reift und schneit im Innern der Kabine. Innentemperatur + 7 ° . Hydrometer 80%>. 5,37 Höhe ist gleichbleibend seit ca. 5,30. Ballon schön prall. Innendruck gleichmäßig. Ballon hatte beim Aufstieg stark geschwankt. 5,54 Innentemperatur ist auf + 1 1 ° C gestiegen. Drift 7 m in der Sekunde nach Osten; über Lech. 28
5,57 Beschluß zu steigen! Wir werfen ersten Ballast. Druck in der Kabine nimmt zu, beide Hähne werden kurze Zeit geöffnet. 6,06 50 kg Bleischrot Ballast ausgeschleust. Innendruck auf 3500 m gesenkt. Höhenzunahme um 2000 m. ca. 16 000 m. 6,18 Kabineninneres ist angenehm hell. Erde ganz verschleiert. Wolken und Dunstschicht am Horizont ringsum. • 6,35 Schlimme Entdeckung: Ventilleine ist an einem der 32 Knebel etwas verhängt. Ich weiß nicht, ob wir Ventil ziehen können. Wenn nicht, wollen wir erst abends landen. 7,05 Drift 4,5 m/Sekunde. Wir arbeiten sparsam nur mit flüssigem O2. Innendruck nimmt langsam ab. Wir hören schwach pfeifen, finden aber die undichte Stelle nicht. Wenn es nicht schlimmer wird, macht es nichts. 7,12 Innentemperatur + 1 2 ° C. 7,15 Wir nähern uns dem Alpenvorland. Nach allen Richtungen am Horizont Wolkenmeer. Vor einiger Zeit haben wir im Westen die Alpen gesehen, sehr schön. Himmel dunkelblau, aber nicht schwarz, keine Sterne. 7,45 Haben wieder fünf • Sack Ballast hinausgeschleudert (100 kg). Es bleiben nur noch 400 kg. Im Süden verschneite bewaldete Berge. 8,20 Im Süden die verschneiten Felsberge der Zugspitze. 8,25 Wir haben die Stelle des Luftverlustes entdeckt: es war der Ballasthahn. Schließen ihn fest. Wetterlage scheint gut, keine bösen Wolken. 8,56 Sonne auf schwarzer Seite der Ballonkugel. Wand brennend heiß. In der Nähe Eisnadelwolke. 9,30 Haben schon viel gepackt. Temperatur innen + 3 4 ° C. 10,10 Man kann Ventilleine nicht ziehen, Rad dreht ohne Wirkung. Wir sind Gefangene der Luft, verurteilt zu warten bis 2 oder 3 oder 4 Uhr nachmittags. Dann können wir herunter. Boden unsichtbar. Haben genug Ballast, um abends gut landen zu können. 10,30 Hitze + 3 9 ° . Oberkörper ganz entkleidet. Eisnadelwolken ziehen an uns vorüber. 11,00 Sonne etwas gedreht, Temperatur gesunken. 11,20 Im Süden sehen wir nichts, weil Alpenvorland in den Wolken. 29
12,30 Angenehm kühl. 25° C. Die ganze Kabine scheint jetzt im Schatten des Ballons zu sein. 13,15 Flüssig-Oa-Apparat scheint entleert. Preß-02 in Betrieb. 14.09 Unbegreiflich, daß Ballon nicht sinken will. Das Gas erwärmt sich immer noch etwas. 14,50 Wir halten uns möglichst ruhig, um Oa zu sparen. 15.10 Ballon ist ganz kugelförmig, mit kleinen Falten. 15,20 Die Zeit ist lang. Körperlich sind wir wohl, aber müde. Wir haben die Gürtel der Fallschirme fast ständig an. 16.05 Im Osten und Südosten schöne Berge, unten Nebel. 16.06 Innendruck der Kabine sinkt beständig. 16.23 Druckabnahme fängt an, beängstigend zu sein. 16,30 Wir sind seit 12 Stunden in der Stratosphäre, können nicht herunter. 17,03 Wir fahren langsam nach Süden. 17,50 Wir haben noch für 4 Stunden Sauerstoff in der Druckftasche, daneben aber den flüssigen Sauerstoff in der Preßflasche. 18,08 Unbegreiflich, daß der Ballon nicht sinkt. Wir können nichts machen als warten. Spätestens in 2 Stunden geht die Sonne unter, dann werden wir landen wie, die sieben wilden Schwäne. 18,48 Wir müssen uns für die Dunkelheit einrichten. Warum, warum fallen wir nicht? 19,13 Ballon hat jetzt deutliche Falten. Die Sonne muß bald in die Wolken tauchen. 19,18 In 5 Minuten 2 mm gewonnen. Nun muß es losgehen. Der Mond ist schon ganz hell. 19.24 Kabinenwand fühlt sich garnicht mehr heiß an. Unter uns einzelne Schneefelder. Es dunkelt in der Kabine. 19,34 Wir trinken vom Kondensationswasser an der Kabinenwand, Unbegreiflich, daß wir nicht schneller sinken. 19,44 Der Ballon verlängert sjch. 19,46 Wir sinken beschleunigt, aber noch viel zu langsam. 19,52 Unter den weißen Wolken rotes Alpenglühen, sehr schön. 19,55 In sechs Minuten 4 m/m. Noch zu wenig. 20,00 Ballon hat noch Sonne. Falten nehmen zu. 20,02 4 mm in sieben Minuten, noch 12 km Höhe. 30
20,06 Ballon im Schatten. Sonne geht unter, dunkelrot. Unter uns Schnee. 20,12 Ballon dreht rasch. 20,15 Sonne noch sichtbar. Unter uns Hochgebirge, phantastisch schön. 20,29 Wir werden nicht ersticken, aber werden wohl im Hochgebirge landen, ca. 9000 m über dem Meere. 20,48 Gerettet vor Ersticken. 5000 m. Sauerstoff auf höchste Leistung eingestellt. 20.50 4800 m. 20.51 4500 m. 20.52 Mannloch offen." Und ein spätere Eintragung: „Ballon sinkt sehr rasch gegen Hochgebirge, 2 oder 3 Sack abgeworfen, setzte sanft auf ohne Wind, dann stieg er wieder, setzte hart auf, dabei Reißen der Leine, mehrere Sprünge und um 20 Uhr nach 17 stündiger Fahrt glückliche Landung. Ballon leert sich sehr langsam. Schönes unbekanntes Hochgebirge. Gondel und Ballon liegen auf einem Gletscher. Wir sehen 2 Häuser und Schwebebahn. Alles unbewohnt. Haben CH 133 ausgebreitet, mit Stein beschwert, für Fliegerbeobachtung. Nach der Landung haben wir noch 28 Sack Ballast. Wir sind aufgestiegen mit 39 Sack." Soweit das Bordbuch des ersten Stratosphärenfliegers. Piccards kühne Erkenntnisse werden nun in den Arbeiten der Raketentechniker weiterentwickelt, von deren letzten Erfolgen wir zu Beginn dieses Lesebogens berichtet haben. Bearbeiter dieses Lesebogens: Antonius Lup, Murnau (geb. 17. I. 05 in Trier). Wer sich laufend über die Höhenforschung und über den Fortschritt der Technik und der Naturwissenschaften unterrichten will, liest die z. T. vierfarbig illustrierte Zeitschrift „ORION", die im Verlag der „Lesebogen" erscheint. Heftpreis 75 Pfg., tiiertel/a'hrlich 4,50 DM.) L U X - L E S E B O G E N N u m m e r 4 8 • Heftpreis 2 0 Pfennig Natur- und kulturlamdliche Hefte • Aulloge 50000 • Bestellungen (viertel). 6 Hefte) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt • Verlag Sebastian Lux, (Lizenz US-E-138) Murnau-Münohen • Herstellung: Hans Holzmann, Bad Wiirishoten
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