Thomas Koch Macht der Gewohnheit?
Thomas Koch
Macht der Gewohnheit? Der Einfluss der Habitualisierung auf die Fernseh...
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Thomas Koch Macht der Gewohnheit?
Thomas Koch
Macht der Gewohnheit? Der Einfluss der Habitualisierung auf die Fernsehnutzung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl.: Dissertation Universität Erlangen-Nürnberg, 2010
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17571-3
Danksagung
Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg eingereicht habe. Beim Erstellen dieser Arbeit haben mich verschiedene Personen unterstützt, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Zunächst geht mein Dank an Prof. Dr. Christina Holtz-Bacha, die diese Arbeit betreute. Sie gab mir den notwendigen Freiraum, den man als wissenschaftlicher Mitarbeiter unbedingt benötigt, um eine Doktorarbeit einigermaßen zügig beenden zu können; außerdem hatte sie stets ein offenes Ohr für alle Probleme, mit denen ich in jenen Jahren konfrontiert wurde. Ganz besonderer Dank gilt meinen Eltern, die mich seit jeher unterstützen. Den Nürnberger Kollegen Lutz Hofer, Jacob Leidenberger und Dr. Reimar Zeh danke ich für ihre wertvollen Ratschläge und die gute Zeit, die wir miteinander verbrachten. Den Münchener Kollegen Nayla Fawzi, Thomas Zerback, Ilona Ammann und Sven Engesser danke ich, dass sie mir gerade in der stressigen Phase vor der Abgabe immer wieder zeigten, dass es ein Leben außerhalb der Uni gibt. Ohne Euch wären diese Monate ganz schön trist gewesen. Meiner ehemaligen Büronachbarin Hannah Früh danke ich für Ihren fachlichen Rat, ihre Geduld bei all den Fragen und die moralische Unterstützung, die sie mir zukommen ließ. Zuletzt gilt mein Dank meinen Geschwistern, meinen beiden besten Freunden und insbesondere Saskia. Du hast meine Launen mit Gelassenheit ertragen und mich in allen Belangen unterstützt. Vielen, vielen Dank dafür! Thomas Koch München, im Frühling 2010
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ............................................................................................................. 11
2
Fernsehnutzung und Gewohnheiten................................................................... 17 2.1
2.2
2.3
Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung ...................................................... 18 2.1.1
Fernsehnutzung im Alltag...................................................................... 19
2.1.2
Fernsehnutzung als (annähernde) Niedrigkostensituation...................... 23
2.1.3
Fernsehnutzung im stabilen Kontext...................................................... 25
2.1.4
Programmstrukturen .............................................................................. 28
2.1.5
Resümee zur Fernsehnutzung ................................................................ 30
Kennzeichen von Gewohnheiten ...................................................................... 31 2.2.1
Regelmäßige Wiederholung................................................................... 33
2.2.2
Gewohnheiten als Wissensstrukturen..................................................... 35
2.2.3
Automatisierte Auslösung des Verhaltens ............................................. 36
2.2.4
Auslösung durch spezifische Hinweisreize ............................................ 39
2.2.5
Begriffsabgrenzungen ............................................................................ 41
2.2.6
Resümee zu Gewohnheiten .................................................................... 43
Habituelle Fernsehnutzung ............................................................................... 45 2.3.1
Fernsehnutzungsgewohnheiten .............................................................. 47
2.3.2
Abgrenzung zu ritualisierter Fernsehnutzung und Nutzungsmustern..... 56
2.3.3
Gewohnheiten als Motiv der Fernsehnutzung? ...................................... 59
2.3.4
Gleichsetzung von habitueller und passiver Fernsehnutzung................. 63
2.3.5
Resümee zur habituellen Fernsehnutzung .............................................. 67
8
Inhaltsverzeichnis
3
Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten.......................... 69 3.1
3.2
3.3
4
Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten............................................. 70 3.1.1
Entstehung von Fernsehnutzungsgewohnheiten..................................... 71
3.1.2
Beenden und Ändern von Fernsehnutzungsgewohnheiten..................... 73
3.1.3
Resümee zur Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten............. 76
Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung .......................................... 77 3.2.1
Intention als Verhaltensprädiktor ........................................................... 77
3.2.2
Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit..................................... 80
3.2.3
Resümee zur intentionalen und habituellen Fernsehnutzung ................. 83
Messung habitueller Fernsehnutzung ............................................................... 84 3.3.1
Methodenheterogenität bei der Messung von Gewohnheiten................. 85
3.3.2
Der Self-Report Habit Index (SRHI) ..................................................... 93
3.3.3
Spezifika bei der Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten ............ 97
3.3.4
Resümee zur Messung habitueller Fernsehnutzung ............................. 101
Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung .......................................... 104 4.1
Zielsetzung der Studie .................................................................................... 104
4.2
Methodisches Vorgehen ................................................................................. 107
4.3
4.2.1
Methodenwahl ..................................................................................... 108
4.2.2
Der Interviewleitfaden ......................................................................... 110
4.2.3
Auswahl der Befragten......................................................................... 113
4.2.4
Durchführung und Transkription der Interviews.................................. 116
4.2.5
Analyse und Interpretation der Daten .................................................. 119
Ergebnisse ...................................................................................................... 120 4.3.1
Habituell-angebotsunspezifischer Beginn der Fernsehnutzung............ 121
4.3.2
Habituell-angebotsspezifischer Beginn der Fernsehnutzung................ 125
4.3.3
Bedeutung spezifischer Hinweisreize .................................................. 129
4.3.4
Folgen der habituellen Fernsehnutzung ............................................... 135
4.3.5
Wahrnehmung und Wertung von Fernsehnutzungsgewohnheiten ....... 141
Inhaltsverzeichnis
5
9
Studie II: Habituelle Fernsehnutzung .............................................................. 147 5.1
5.2
5.3
6
Zielsetzung der Studie .................................................................................... 147 5.1.1
Forschungsfragen I: Habitualisierung und Nutzungsumfang ............... 148
5.1.2
Forschungsfragen II: Habitualisierung und Rezipientenmerkmale ...... 149
5.1.3
Forschungsfragen III: Habitualisierung und Fernsehnutzung .............. 151
5.1.4
Forschungsfragen IV: Habituelle Sendungsnutzung ............................ 153
5.1.5
Forschungsfragen V: Habituelle Nutzung der Medien......................... 154
Methodisches Vorgehen ................................................................................. 155 5.2.1
Methodenwahl und Ablauf der Untersuchung ..................................... 156
5.2.2
Entwicklung und Aufbau des Fragebogens.......................................... 157
5.2.3
Stichprobe ............................................................................................ 163
5.2.4
Transformation der Fragebogendaten .................................................. 166
Ergebnisse ...................................................................................................... 169 5.3.1
Habitualisierung und Nutzungsumfang................................................ 170
5.3.2
Habitualisierung und Rezipientenmerkmale ........................................ 176
5.3.3
Fernsehnutzung von Rezipienten mit festen Gewohnheiten................. 183
5.3.4
Habituelle Nutzung von Sendungen..................................................... 189
5.3.5
Vergleich der gewohnheitsmäßigen Nutzung der Medien ................... 194
Fazit .................................................................................................................... 199 6.1
Zusammenfassung der Ergebnisse von Studie I ............................................. 199
6.2
Zusammenfassung der Ergebnisse von Studie II ............................................ 204
6.3
Herausforderungen und Ausblick für zukünftige Forschung .......................... 207
Literaturverzeichnis....................................................................................................... 210 Tabellenverzeichnis........................................................................................................ 231 Anhang.............................................................................................................................232
1 Einleitung
„Die Tagesschau ist keine Sendung, sondern pure Gewohnheit. Die kann man auch in Latein verlesen“ (Ex-RTL-Chef Helmut Thoma, zitiert nach Schleider, 2007, S. 38).
Die skurrile Vorstellung einer in Latein verlesenen Tagesschau meint Helmut Thoma wohl nicht ganz ernst, doch birgt seine Äußerung eine interessante Annahme: Der Zuschauer sieht die Sendung nicht wegen seines Informations- oder Unterhaltungsbedürfnisses, sondern weil er es gewohnt ist, um 20:00 Uhr „Das Erste Deutsche Fernsehen“ einzuschalten. Die Vermutung, dass Rezipienten das Fernsehen oder bestimmte Inhalte habituell1 nutzen, klingt zunächst wenig überraschend, weil wir die meisten Handlungen des täglichen Lebens gewohnheitsmäßig durchführen (vgl. z.B. Aarts & Dijksterhuis, 2000; Ouellette & Wood, 1998; Verplanken, 2005; Verplanken, 2006). Das Zähneputzen am Morgen, das Bereiten des Frühstücks, das Binden der Schuhe oder die Fahrt zur Arbeit: Gewohnheiten bestimmen unseren Alltag. Weshalb sollten nicht auch der Griff zur Fernbedienung, das Sehen der Nachrichten oder bestimmter Serien, wie überhaupt die gesamte Programmauswahl habitualisiert sein? Der Gedanke ist keineswegs neu. Einige Forscher erkannten schon vor Jahrzehnten, dass Gewohnheiten einen erheblichen Einfluss auf die Medien- und speziell auf die Fernsehnutzung haben (vgl. z.B. Berelson, 1949; Greenberg, 1974; Herzog, 1944; Donohew, Nair, & Finn, 1984; Nordenstreng, 1969). Dennoch gibt es kaum Studien, die explizit den Einfluss der Habitualisierung auf die Fernsehnutzung betrachten. Dies kritisieren Stone und Stone (1990, S. 25) schon vor 20 Jahren und vergleichen die Mediennutzungsforschung mit einem unvollendeten Puzzle, von dem man bislang nur die Ränder zusammengesetzt hat. In dieser Metapher sind die Nutzungsgewohnheiten der Rezipienten ein Teilchen, das auf den Boden fiel und deswegen übersehen wird. Bevor man es in das Puzzle einsetzen kann, muss man es erst einmal aufheben und zurück auf den Tisch legen. Diesen längst überfälligen Schritt reklamieren Stone und Stone bereits 1990 für sich – nur nimmt in den folgenden zwei Jahrzehnten kaum jemand 1 Die vorliegende Arbeit nutzt die Begriffe „gewohnheitsmäßig“, „habituell“ und „habitualisiert“ sowie „Gewohnheit“ und „Habit“ synonym.
12
1 Einleitung
Notiz von dem Puzzleteil. Vielmehr scheint es, dass es wieder auf den Boden fiel, wo es erneut verstaubt und abermals darauf wartet, dass es jemand aufhebt. Paradoxerweise sind die Forschungsgewohnheiten des Faches dafür verantwortlich, dass man den Einfluss von Gewohnheiten auf die Fernsehnutzung bislang ignoriert: Meist stehen die „Beschreibung und Erklärung der Wirkungen von Medien(inhalten) auf deren Rezipienten“, also die Folgen der Medienrezeption, und nicht deren Ursachen im Mittelpunkt der Forschung (Vorderer, 1992, S. 9). Die seit Mitte der 70er Jahre in der Tradition des Uses-and-GratificationsAnsatzes entstandenen Untersuchungen tragen zwar zur Schließung dieser Lücke bei, betrachten das Geschehen jedoch aus einer einseitigen Perspektive: Die Forscher konstruieren das Bild eines aktiven, bewusst selektierenden Rezipienten, der intentional seine Bedürfnisse befriedigt, als quasi unumstößliche Prämisse – eine habituelle Nutzung hat hier (auf den ersten Blick) keinen Platz. Umso ironischer ist, dass man auf der Suche nach diesem aktiven, intentionalen Rezipienten den Einfluss der Habitualisierung entdeckte – wenn auch eher zufällig. Danach befragt, warum sie bestimmte Medien oder Inhalte nutzen, erwähnen Teilnehmer häufig Gewohnheiten (vgl. z.B. Greenberg, 1974). Stone und Stone (1990, S. 32) charakterisieren die Entdeckung als „toxic waste“ der Analysen: Ein Abfallprodukt, das bei der Suche nach Zuwendungsmotiven eben anfällt. Weil man deren Existenz nun nicht länger ignorieren konnte, operationalisierte man Habits kurzerhand als eines von mehreren Motiven und begnügte sich fortan mit der vagen Feststellung, dass diese die Mediennutzung irgendwie beeinflussen. Was soll man also von jener Behauptung halten, dass „the ‚habit’ theme has been prevalent in mass media research since media research began“ (Stone & Stone, 1990, S. 26). Ignoriert die Kommunikationswissenschaft nun den Einfluss der Habitualisierung auf die Fernseh- bzw. Mediennutzung, oder war es von Beginn an eines der vorherrschenden Themen? Die Antwort darauf ist komplex, denn tatsächlich „geistert“ die Idee, dass Gewohnheiten die Nutzung des Fernsehens beeinflussen, schon lange durch die Literatur. Doch obgleich man die Relevanz des Themas immer wieder unterstrich, erscheinen Habits weiterhin als Gespenst, das an der Oberfläche vieler Bücher herumspukt, im Kern aber unsichtbar bleibt. Dies führt zu dem grotesken Zustand, dass der Begriff „Habit“ in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur zwar geläufig ist, Untersuchungen darüber jedoch Mangelware sind. Eine oberflächliche Skizzierung findet sich hier und da, eine tiefer gehende Auseinandersetzung vermisst man aber. So existieren zum einen keine Arbeiten, die sich (gründlich) theoretisch mit habitueller Fernsehnutzung auseinandersetzen, zum anderen kaum empirische Beiträge: Entstehung, Folgen und Ausmaß der gewohnheitsmäßigen Nutzung bleiben bis heute weitgehend im Dunkeln. Freilich findet man in manchen Büchern, die sich
1 Einleitung
13
mit Medienselektion oder speziell mit der Programmwahl befassen, ein paar vereinzelte Seiten, auf denen die Autoren beschreiben, dass Gewohnheiten eine Rolle spielen könnten, doch mangelt es meist schon an einer simplen Definition, von einer umfassenden theoretischen Fundierung ganz zu schweigen. Dies hat zur Folge, dass Forscher mitunter ganz verschiedene Vorstellungen von Fernsehnutzungsgewohnheiten haben. Das daraus resultierende begriffliche Chaos störte zunächst kaum, da man ohnehin am Paradigma eines bewusst und intentional auswählenden Rezipienten festhielt. Generell ging die Psychologie bei der Erklärung und Vorhersage von Verhalten jahrzehntelang vorwiegend von einem bewussten und rationalen Abwägungsprozess aus. Dass wir einen großen Teil unseres Verhaltens stetig wiederholen und wiederkehrende Entscheidungen nicht jedes Mal aufs Neue abwägen, blendete man weitgehend aus. Erst seit Mitte der 90er Jahre steht der Einfluss von Gewohnheiten im Fokus mancher Studie. So gibt es mittlerweile sowohl fundierte theoretische Auseinandersetzungen als auch empirische Analysen: Man untersuchte bereits den Einfluss von Gewohnheiten auf verschiedene Alltagssituationen, wie zum Beispiel die Verkehrsmittelwahl (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997; Bamberg, 1996; Klöckner, 2005a; Verplanken, Aarts, & Knippenberg, 1997; Verplanken, Aarts, Knippenberg, & Knippenberg, 1994), das Essverhalten (z.B. Brug, Vet, Nooijer, & Verplanken, 2006; Honkanen, Olsen, & Verplanken, 2005) oder das Umweltverhalten (z.B. Dahlstrand & Biel, 1997). Kommunikationswissenschaftler nehmen davon bislang kaum Kenntnis und integrieren die brauchbaren theoretischen Konzepte und empirischen Befunde nicht in das Fach. Die vereinzelten Arbeiten, die sich mit habitueller Fernsehnutzung bzw. allgemein mit dem Einfluss von Gewohnheiten auf die Mediennutzung befassen, imponieren bestenfalls als „Speerspitze“. Dabei sind Erkenntnisse über die Auswirkungen von Gewohnheiten auf die TV-Nutzung nicht nur von wissenschaftlicher, sondern auch von wirtschaftlicher Relevanz. Die Anzahl an Medienangeboten und Fernsehprogrammen explodiert seit Jahrzehnten geradewegs, der inter- und intramediale Konkurrenzdruck nimmt entsprechend zu (Zubayr & Gerhard, 2008, S. 106). Man benötigt Strategien, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen, denn nur, wenn Fernsehschaffende wissen, warum Rezipienten bestimmte Inhalte nutzen, können sie das Programm optimieren und möglichst viele Zuschauer binden. Zillmann und Bryant (1985b, S. IX) bezeichnen die Fragen nach dem „Warum der Nutzung“ geradewegs als „money questions“: Je mehr Zuschauer einen Werbeblock sehen, umso mehr Werbegelder kann man verlangen. Kenntnisse darüber, wie Fernsehgewohnheiten entstehen und wie sich bereits etablierte Gewohnheiten ändern lassen, würden den Programmplanern helfen, Rezipienten zu einer regelmäßigeren Nutzung ihrer Sendungen zu bringen (vgl. dazu auch Stone & Stone, 1990, S.
14
1 Einleitung
32). So könnte man für ein zuverlässigeres und berechenbareres Publikum programmieren und Werbespots für stetig wiederkehrende Zielgruppen platzieren. Wie Gewohnheiten die Fernsehnutzung beeinflussen, ist die forschungsleitende Frage dieser Arbeit. Sie gliedert sich – neben Einleitung und Fazit – in vier übergeordnete Abschnitte: Zwei Kapitel beleuchten zunächst den theoretischen Hintergrund, die nächsten beiden stellen jeweils eine empirische Studie vor. Diese Untersuchungen basieren nicht aufeinander, sondern erforschen separat unterschiedliche Aspekte von Fernsehnutzungsgewohnheiten. Die erste Analyse untersucht mit qualitativen Leitfadeninterviews speziell den habituellen Beginn der Fernsehnutzung. Die zweite Studie bedient sich einer standardisierten Befragung und prüft das Ausmaß der gewohnheitsmäßigen Zuwendung zum Fernsehen im Vergleich zu anderen Medien, nimmt die habituelle Nutzung bestimmter Sendungen in Augenschein und analysiert verschiedene Zusammenhänge der Habitstärke mit anderen Variablen. Den genauen Gang der Arbeit schildern die nachfolgenden Absätze. Das an die Einleitung anschließende Kapitel 2 widmet sich dem komplexen Verhältnis von Fernsehnutzung und Gewohnheiten. Zunächst betrachtet es spezifische Merkmale der TV-Rezeption: Durch die feste Integration des Fernsehens in den Alltag vieler Rezipienten hat das Fernsehen den „Eventcharakter“, den es noch in den 50er oder 60er Jahren hatte, längst abgelegt. Die Zuwendung zum Fernsehen und die Wahl einer Sendung geschehen regelrecht beiläufig, in einem stabilen, wiederkehrenden Kontext – einer ausgiebigen Planung und einer begründeten Entscheidungsfindung bedarf es nicht. Das Kapitel berichtet über die wachsende Quantität und Komplexität des TV-Programms, der die Zuschauer entgegentreten, indem sie sich auf wenige Sender konzentrieren und regelmäßig die gleichen Sendungen konsumieren. All diese Spezifika der Fernsehrezeption tragen dazu bei, dass der Einfluss von Gewohnheiten bei der Zuwendung zu dem Medium bedeutend sein könnte. Die Beschäftigung mit habitueller Fernsehnutzung führt unvermeidlich zu der Frage, was Gewohnheiten sind und welche Charakteristika ein habituell gesteuertes Verhalten auszeichnen. Auch dem geht das Kapitel nach, definiert den Terminus und skizziert spezifische Merkmale von Habits. Zuletzt greift das Kapitel die zuvor gewonnenen Erkenntnisse auf und entwickelt eine Definition von Fernsehnutzungsgewohnheiten. Auf deren Basis hinterfragt es die bis dato häufig anzutreffende Operationalisierung von Gewohnheiten als Motiv der Fernsehnutzung und die oft implizit vermittelte Gleichsetzung von passiver und habitueller Fernsehnutzung. Kapitel 3 wendet sich verschiedenen Merkmalen der habituellen Fernsehnutzung zu und diskutiert, wie man Fernsehnutzungsgewohnheiten messen kann. Dabei nimmt es zuerst deren Entstehung in Augenschein und skizziert die Entwicklung vom intentionalen Einschalten des Gerätes zu dessen vermehrter habi-
1 Einleitung
15
tueller Steuerung. Auch das Ende und Ändern von Fernsehnutzungsgewohnheiten stehen im Fokus. Der zweite Teil des Kapitels beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass bei wiederholtem Verhalten der bewusste und rationale Entscheidungsprozess kaum Vorhersagewert hat – Gewohnheiten könnten eine der Ursachen dafür sein. Freilich sind Intentionen und Gewohnheiten keine unvereinbare Dichotomie, sondern Pole eines Kontinuums – an den meisten Verhaltensausführungen sind beide Mechanismen beteiligt. Zuletzt steht die Messung von Gewohnheiten im Mittelpunkt: Die Durchsicht verschiedener Studien deckt eine Vielfalt an Methoden, Operationalisierungen und Instrumenten auf, die sich der Messung des Konstrukts annehmen. Allerdings birgt jedes Vorgehen spezifische Probleme, und bislang konnte sich kein Standard durchsetzen. Die möglichen Gründe dafür diskutiert das Kapitel ebenso wie Brauchbarkeit und Grenzen der unterschiedlichen methodischen Zugänge für die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten. Zuletzt beschreibt es verschiedene Hindernisse, mit denen sich Forscher konfrontiert sehen, die das Ausmaß der habituellen Zuwendung zum Fernsehen erfassen wollen. Kapitel 4 beinhaltet die erste der beiden empirischen Studien. Diese widmet sich insbesondere dem habituellen Beginn der Fernsehnutzung. Die Analyse differenziert zwischen dem habituell-angebotsunspezifischen Einschalten des Fernsehers (die Rezeption zielt nicht auf ein konkretes Angebot, sondern nur auf die Tätigkeit des Fernsehens an sich) und dem sendungsspezifischen habituellen Beginn der Rezeption (der Zuschauer wendet sich dem Fernsehen zu, um eine bestimmte Sendung zu verfolgen). Verschiedene Aspekte dieser Zuwendung stehen im Fokus der Analyse: Welche Charakteristika zeichnen den habituellen Beginn der Fernsehnutzung aus? Welche Abläufe und bevorzugten Inhalte sind für eine habituelle Zuwendung typisch? Welche Rolle spielen bestimmte Hinweisreize für die Aktivierung der Rezeption? Welche Folgen hat eine gewohnheitsmäßige Nutzung des Fernsehens? Diesen Fragen geht eine qualitative Befragung von 16 Personen mittels Leitfadeninterviews nach. Kapitel 5 stellt die zweite Studie vor, die sich einer quantitativen Befragung von 500, mittels Quotenauswahl rekrutierter, Personen bedient. Die Untersuchung widmet sich verschiedenen Facetten der habituellen Zuwendung zum Fernsehen, zu bestimmten Sendungen sowie zum Internet, Radio und zu Zeitungen. Zunächst setzt sich die Analyse mit der Frage auseinander, wie Nutzungsumfang und Habitstärke zusammenhängen. Weiterhin widmet sie sich dem Zusammenspiel von Rezipientenmerkmalen und Habitualisierung: Hängt das Ausmaß der Habitstärke mit dem Geschlecht, dem Alter oder der formalen Bildung zusammen? Zudem hinterfragt die Studie den Einfluss von Gewohnheiten auf die Nutzung verschiedener Sendungen und Medien. Sie sucht nach Charakteris-
16
1 Einleitung
tika, die vorwiegend habituell auswählende Rezipienten auszeichnen, und analysiert den Einfluss von Intention und Gewohnheit auf den Nutzungsumfang. Zuletzt stehen ein Vergleich des Ausmaßes der habituellen Zuwendung zu den verschiedenen Medien sowie die Frage nach einer transmedialen Habitualisierung im Fokus.
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Das Fernsehen ist – trotz aller Euphorie über das Internet – immer noch das Leitmedium unserer Gesellschaft und durchdringt nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche (Mikos, 2000, S. 68). Die Deutschen2 verbrachten im Jahr 2008 durchschnittlich 207 Minuten täglich, also ca. dreieinhalb Stunden, vor dem TV-Gerät (Zubayr & Gerhard, 2009, S. 98). Zwar hören die Bundesbürger ebenso viel Radio, doch fungiert dieses insbesondere als Nebenbeimedium – dem Fernsehen schenken die Rezipienten wesentlich häufiger ihre ungeteilte Aufmerksamkeit (Schramm & Hasebrink, 2004, S. 467). Beinahe jeder deutsche Haushalt verfügt über einen TV-Apparat, häufig stehen Zweit- und Drittgeräte in Schlaf-, Arbeitsund Kinderzimmern und die fortschreitende Digitalisierung sorgt dafür, dass man durchschnittlich aus 72 Sendern auswählen kann (Zubayr & Gerhard, 2009, S. 98). Das Fernsehen ist ein solch integraler Bestandteil des Daseins geworden, dass sich viele Menschen ein Leben ohne das Medium nicht mehr vorstellen können. Diese Omnipräsenz bleibt freilich nicht folgenlos, mögliche Wirkungen auf den Einzelnen, spezifische Teilgruppen oder die Gesellschaft untersuchte man bereits extensiv. Weniger Interesse weckten hingegen die psychologischen und situativen Determinanten der Mediennutzung (Schweiger, 2007, S. 11). Dabei gilt, „auch wenn es banal klingt: Bevor Medien irgendwelche Wirkungen auslösen, müssen sie genutzt werden“ (Meyen, 2004, S. 10). Viele Ansätze und Theorien der Medienwirkungsforschung setzen mit einer solchen Selbstverständlichkeit die Nutzung von Medieninhalten voraus, dass man Fragen nach der Mediennutzung außen vorließ und dieser Forschungsbereich zunächst kein eigenes theoretisches Profil gewinnen konnte; zumal die Mediennutzungsforschung, hin- und hergerissen zwischen akademischer Medienwirkungs- und kommerzieller Publikumsforschung, eine „prekäre Zwischenposition“ einnimmt (Hasebrink, 2003, S. 101). So entstand ein weißer Fleck auf der Forschungslandkarte, der zahllose Debatten über Medienwirkungen begleitet. Immerhin treibt man die Erforschung relevanter Determinanten mittlerweile voran und steht nicht mehr weitgehend am Anfang, wie Vorderer (1992, S. 9) zu Beginn der 90er Jahre noch anmerkt, gleichwohl sind „die Folgen der jahrelangen Vernachlässi2 Genauer betrachtet fallen unter diese Nutzungszeiten Deutsche und EU-Bürger, die in Deutschland leben.
18
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
gung […] nicht zu übersehen“ (Hasebrink, 2003, S. 101). Weil der Wirkungsdiskurs in Politik, Ökonomie und Öffentlichkeit seit jeher mehr Beachtung findet, erfolgt eine ausgesprochene Konzentration auf mögliche Folgen der Fernsehnutzung: Insbesondere die Fragen, wie Werbung und Gewaltdarstellungen auf Rezipienten wirken, nahmen und nehmen einen wichtigen Raum in der öffentlichen Debatte ein. Zwar erlebte „die kommunikationswissenschaftliche Beschäftigung mit den Bedingungen und Prozessen der Mediennutzung in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom“ (Schweiger, 2007, S. 12) und der (oben skizzierte) weiße Fleck bekam erste Konturen, doch blieb die Erforschung der habituellen Fernsehnutzung von dem Boom ausgeklammert. Die marginale Beachtung von Gewohnheiten erstaunt umso mehr, wenn man verschiedene Merkmale der Fernsehnutzung betrachtet, die allesamt Hinweise dafür liefern, dass Gewohnheiten eine große Rolle spielen: Das Fernsehen ist fest in den Alltag vieler Rezipienten integriert, die Auswahl bestimmter Angebote gestaltet sich zumeist als Niedrigkostensituation, man sieht in äußerst stabilen räumlichen und zeitlichen Kontexten fern, und auch die Programmstrukturen sollten die Ausbildung von Habits erleichtern. All diese Merkmale diskutiert Kapitel 2.1. Was Gewohnheiten sind sowie eine Abgrenzung von (scheinbar) ähnlichen Begriffen thematisiert Kapitel 2.2. Anschließend definiert Kapitel 2.3 „habituelle Fernsehnutzung“ und grenzt auch diese von (scheinbar) ähnlichen Begriffen ab; zuletzt hinterfragt es die Operationalisierung von Gewohnheiten als Zuwendungsmotiv und die Gleichsetzung von habitueller und passiver TVNutzung. 2.1 Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung In der Kommunikationswissenschaft etablierte sich eine analytische Trennung der Fernsehnutzung (bzw. der Mediennutzung im Allgemeinen) in drei Phasen: die präkommunikative (Auswahl), die kommunikative (Rezeption) und die postkommunikative (Aneignung) Phase3 (vgl. Levy & Windahl, 1984; Levy & Windahl, 1985; vgl. dazu auch Donsbach, 1991; Hasebrink, 2003; Wirth & Schweiger, 1999). Bei der Analyse der präkommunikativen Phase steht die Frage nach dem „Warum“ der Fernsehnutzung im Vordergrund: Warum sehen Menschen fern, anstatt andere Verhaltens- oder Medienalternativen zu nutzen? Warum wählen Zuschauer einen bestimmten Sender bzw. ein bestimmtes Programm aus? Die Erforschung der kommunikativen Phase widmet sich der eigentlichen Nutzung des Fernsehens und hinterfragt, was während des Kontaktes zwischen 3
Die Begriffe rezeptiv und kommunikativ verwendet man in diesem Zusammenhang synonym.
2.1 Spezifische Merkmale der Fernsehnutzung
19
Rezipient und Fernsehangebot passiert. Die während der Rezeption ablaufenden kognitiven und emotionalen Prozesse stehen im Vordergrund. Daran schließt sich die durch Aneignungsprozesse gekennzeichnete postkommunikative Phase an; deren Analyse erkundet mögliche Konsequenzen, die aus der TV-Nutzung resultieren. Die Gliederung in drei Phasen mag zwar analytisch korrekt und für die theoretische Auseinandersetzung hilfreich sein, eine klare empirische Trennung ist jedoch kaum realisierbar, da die Phasen in einem äußerst komplexen und dynamischen Wechselverhältnis zueinander stehen. So treten Wirkungen nicht nur nach, sondern bereits während der Nutzung auf, der Ablauf der Rezeption bedingt mögliche Wirkungen, und letztere verändern wiederum zukünftige Selektionen und Rezeptionen. Die vorliegende Arbeit verengt weder im theoretischen noch im empirischen Teil den Blick auf eine der Phasen. So steht nicht nur der Einfluss von Gewohnheiten auf das Auswahlverhalten der Rezipienten im Fokus, sondern auch der Einfluss der Habitualisierung auf die Rezeption und mögliche Auswirkungen einer habituellen Nutzung. Freilich kann kein einzelner Faktor die Fernsehnutzung verlässlich vorhersagen, sondern eine ganze Reihe an Variablen beeinflusst das Geschehen in einem komplexen Wechselverhältnis: Schon deren Systematisierung erweist sich als überaus problematisch (Meyen, 2004, S. 48). Strukturelle Merkmale (z.B. Arbeits- und Lebensbedingungen, Traditionen, Medienangebot, Klima, Freizeitalternativen, etc.) spielen ebenso eine Rolle wie positionelle (z.B. Einkommen, Zeitbudget, Tagesablauf, Bildung, Alter, Geschlecht, etc.) sowie individuelle und soziale Merkmale (z.B. Bedürfnisse, soziales Umfeld, Rezeptionssituation, Einstellungen, Erfahrungen, etc.). Die Grenzen dazwischen sind fließend, eindeutige Zuordnungen nicht immer möglich. Es gibt etliche Studien, die den Einfluss spezifischer Merkmale auf die Nutzung bestimmter Medien und Inhalte untersuchen. Die Isolierung einzelner Variablen kann man kritisieren, weil diese gerade nicht unabhängig voneinander sind, sondern interdependent: Sie ergänzen und kompensieren, verstärken und schwächen sich gegenseitig. Indes ist es ohnehin unmöglich, der Komplexität, Vieldimensionalität und Dynamik der Fernsehnutzung in vollem Umfang gerecht zu werden. So sind auch die spezifischen Merkmale, die das vorliegende Kapitel auflistet, nur ein verkürzter Blick auf dieses vielschichtige Geschehen. 2.1.1 Fernsehnutzung im Alltag „Mir geht es gut. Es ist Samstagabend, ich sitze in der warmen Wanne, im Schaum schwimmt das braune Seeräuberschiff von Playmobil. […] Nachher gibt es ‚Wetten, dass...?’ mit Frank Elstner. Dazu kuschele ich mich in den warmen
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Kapuzenbademantel, den meine Mutter vorgewärmt hat, damit ich mich auch wirklich nicht verkühle. […] Es war damals selbstverständlich, dass man ‚Wetten, dass...?’ mit Frank Elstner guckte, niemals wieder hatte man in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das Richtige zu tun“. Die wehmütige Erinnerung Illies’ (2001, S. 9) an die Mitte der 80er Jahre, und damit an die Kindheit seiner „Generation Golf“, verabschiedet jene Zeiten, in denen man bei der Wahl einer Sendung mit Gewissheit sagen konnte, man tue momentan „genau das Richtige“. Mitte der 80er Jahre steckte der private Rundfunk noch in den Startlöchern – bis zu seiner Entfaltung war das Angebot an Sendern und Sendungen derart gering, dass man sich dieses Gefühls schon deshalb sicher sein konnte, weil es praktisch keine Programmalternative gab (Dussel, 1999, S. 221ff.). Doch diese Zeiten sind passé: Zu präsent ist der Apparat in fast allen Haushalten, zu umfangreich das Angebot, und die Nutzung verteilt sich heute auf etliche Sender und Sendungen.4 Noch bevor einzelne Sendungen ihre exponierte Stellung einbüßten, verlor die Tätigkeit des Fernsehens an sich ihren Zauber: Waren Fernsehabende in den 50er Jahren für viele Deutsche einzigartige Erlebnisse, führte die zunehmende Verbreitung von TV-Apparaten in deutschen Haushalten zum Verlust des Eventcharakters. Gab es 1960 nur in der Hälfte der bundesdeutschen Haushalte einen Fernseher, verfügten 15 Jahre später schon mehr als 95 Prozent über ein TVGerät – ab diesem Zeitpunkt kann man wohl von einer Vollversorgung sprechen (Maurer & Reinemann, 2006, S. 79; vgl. dazu auch Kiefer, 1999). In ihrer Freizeit widmen die Deutschen keiner Tätigkeit – außer dem Schlafen – so viel Zeit wie dem Fernsehen. Dies war zwar schon zu Beginn der 70er Jahre der Fall, doch nahm der Umfang der Fernsehnutzung seitdem nochmals deutlich zu (Mikos, 2000, S. 69). Wie fest das Fernsehen zum täglichen Leben der Deutschen gehört, zeigt sich auch in der Rechtsprechung, die den TV-Apparat als Gegenstand begreift, der zu einer bescheidenen Lebensführung notwendig ist, und den der Gerichtsvollzieher folglich nicht pfänden darf (vgl. z.B. Beschluss des AG Essen vom 25.03.98; AZ: 31M 888/98). „Wenn Alltäglichkeit bedeutet, dass den Handlungen und Ereignissen ihre Besonderheit verloren gegangen ist […], dann ist verständlich, dass das alltägliche Fernsehen ebenfalls seine Einzigartigkeit verloren hat“ konstatiert Mehling (2007, S. 30). In der Tat ist die Nutzung des Fernsehapparats in etwa so „einzigartig“, wie das abendliche Zähneputzen oder das Zubereiten des Frühstücks. 4 Nichtsdestotrotz existieren Sendungen, die Eventcharakter für einen Großteil der Bevölkerung haben und viele Zuschauer binden (vgl. Zubayr & Gerhard, 2008, S. 112). Auch findet man bei Personen, die aus einem sehr großen Senderangebot wählen können, eine Konzentration auf ca. zehn Programme (Relevant Set), wobei den großen Sendern eine Art „Leuchtturmfunktion“ zukommt (Beisch & Engel, 2006).
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Daher sollten Modelle und Theorien, die sich mit der TV-Nutzung oder der Programmwahl beschäftigen, diese nicht als außergewöhnliche, singuläre Entscheidungssituationen konzipieren, sondern berücksichtigen, dass die Zuschauer das Fernsehen – oder bestimmte Inhalte – zumeist regelmäßig nutzen. Ausnahmen gibt es gewiss zahlreiche, und jeder kann sicher eine ganze Reihe an Nutzungssituationen aufzählen, die gerade kein täglich wiederkehrendes Verhalten sind: Zum Beispiel das nächtliche Aufstehen, um das letzte Rennen der Formel-1 Saison zu verfolgen, die lang ersehnte Rezeption eines bestimmten Spielfilms, das Einschalten des TV-Gerätes um 18:00 Uhr am Wahlabend oder der Auftritt eines Bekannten im Regionalfernsehen. „TV-Ereignisse“, die wir subjektiv als etwas Besonderes erleben, durchbrechen den individuellen Alltag. Meist fehlt der Fernsehnutzung aber diese Einmaligkeit. Die täglich wiederkehrende Rezeption führt zu einer ganz selbstverständlichen Integration des Mediums in den Alltag, die Nutzung ist häufig untrennbar mit dem Tagesablauf verwoben. Größtenteils widmen die Rezipienten dem Fernsehen ihre volle Aufmerksamkeit, doch fungiert es immer häufiger als Nebenbeimedium und begleitet die Durchführung bestimmter Tätigkeiten: Immerhin 30 Prozent des gesamten TV-Konsums entfallen auf die Nebenbeinutzung. Zuschauer erledigen während der Rezeption oftmals Hausarbeiten oder nehmen ihre Mahlzeiten ein (Kuhlmann & Wolling, 2004, S. 409). Weil das Publikum besonders häufig neben solch alltäglichen Tätigkeiten fernsieht, sind „Programm und Alltag auf eine sehr beiläufige Art und Weise parallelisiert“ (Mehling, 2007, S. 22). Das stetige „Parallelisieren“ zweier Tätigkeiten (z.B. Bügeln und Fernsehen) kann feste Assoziationen implementieren („Wenn ich bügle, sehe ich fern“). Dies gilt nicht nur für die Nebenbeinutzung: Auch das Ende einer bestimmten Tätigkeit kann mit dem Einschalten des TV-Gerätes assoziiert werden („Nach dem Abspülen sehe ich fern“). So integriert manche Hausfrau das Fernsehen als Zwischenpause in ihren Arbeitsrhythmus (Cornelißen, 2000, S. 32) und Soap Operas schaffen „einen festen Raum für Muße in einem sonst nicht von äußeren Faktoren strukturierten Tagesablauf“ (Röser & Großmann, 2008, S. 99). Rezipienten richten einerseits die Fernsehnutzung nach ihrem Arbeitsrhythmus, andererseits passen sie den Arbeitsrhythmus auch an das TVProgramm an (vgl. z.B. Luger, 1989, S. 228ff.). Dieses trägt durch die festen Programmstrukturen zur Strukturierung des Alltags bei, und einzelne Sendungen helfen, „der zeitlich eher amorphen Gestalt des Alltags Konturen zu geben, Fixpunkte und eine Art ‚Stundenplan’ einzurichten“ (Mehling, 2007, S. 21). Die präsentierten Beispiele beschreiben allesamt eine einzelne Person, die Fernsehen und Alltag verschränkt. Rezipienten binden das Medium jedoch vielschichtig in ihren sozialen Alltag und nutzen es keineswegs immer alleine; sie sehen mit dem Partner, den Kindern, Geschwistern oder Peers gemeinsam fern (vgl. z.B. Holly
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& Baldauf, 2001, S. 41; Kronewald, 2007, S. 151). Besonders in Familien nimmt das Fernsehen einen wichtigen Stellenwert in der gemeinsamen Freizeitgestaltung ein (Westerik, Renckstorf, Wester, & Lammers, 2005) und soll den familiären Alltag vertiefen (Barthelmes & Sander, 1997, S. 329). Fernsehen ist – wenn man einmal vom Schlafen absieht – der Deutschen intensivste Freizeitbeschäftigung. Und dies wird sich, der Prognose von Gerhards und Klingler (2007, S. 301) zufolge, in den nächsten Jahren nicht ändern: „Fernsehen bleibt für den Durchschnitt der Bevölkerung Alltagsmedium. Dies gilt für eine hohe Nutzungsfrequenz in der Woche, für eine hohe Tagesreichweite und für eine in den nächsten Jahren unverändert hohe Nutzungsdauer“. Empfinden die Bundesbürger das Fernsehen als so attraktiv, dass sie den größten Teil ihrer freien Zeit diesem Medium widmen möchten? Dies scheint zweifelhaft, da doch das Freizeit-Ideal der Deutschen „unter dem Motto ‚weg von zu Hause’ und vom ‚Alltagstrott’“ steht; Familie und generell der Bezug zu anderen Menschen spielen im Wunschbild der Bundesbürger eine zentrale Rolle (Opaschowski, 2006, S. 22). So strotzen die Vorstellungen, welche die Deutschen spontan mit dem Freizeit-Ideal assoziieren, vor Aktivität: Körperliche Betätigungen liegen klar an der Spitze, „für Nichtstun und Fernsehen ist im Freizeit-Ideal kaum Platz – dafür um so mehr in der Realität!“ (Opaschowski, 2006, S. 22). Den offenkundigen Widerspruch, dass Intensität und Extensität der Fernsehnutzung „weder dessen (empirisch erhobener) Attraktivität, noch seiner offensichtlichen – die meisten Zuschauer nicht befriedigenden – Wirkung entspricht“, kann man nur unzureichend erklären, wenn man davon ausgeht, dass die Rezeption nutzenorientiert zustande kommt (Vorderer, 1992, S. 12). Eine mögliche und plausible Erklärung für diesen Antagonismus sind Effekte der Habitualisierung. Welche Implikationen ergeben sich aus der Verschränkung von Alltag und Fernsehnutzung? Zum einen ist die Gleichförmigkeit des Alltagslebens ein zentraler Aspekt für die Herausbildung von Gewohnheiten (vgl. z.B. Neal, Wood, & Quinn, 2006). Werden wir aus diesem Alltag herausgerissen, zum Beispiel durch ein Krisenereignis, über das wir uns in den Nachrichten genauer informieren möchten, suchen wir sehr bewusst nach geeigneten Sendungen. So geht die Zuschreibung eines hohen Nachrichtenwertes, wie bei den Ereignissen des 11. Septembers, mit intensiven Bedürfnissen nach aktuellen Informationen einher (Emmer, Kuhlmann, Vowe, & Wolling, 2002). Solche Situationen durchbrechen die Gleichförmigkeit des Alltags, und Rezipienten können nur bedingt auf habituelle Auswahlstrategien zurückgreifen. Weil diese Ausnahmesituationen aber höchst selten auftreten, sollten Gewohnheiten bei der Fernsehnutzung recht etabliert sein. Zum Zweiten führen wir Verhalten, das wir regelmäßig wiederholen, zunehmend habituell durch (Fuchs, 2007; Verplanken, 2006). Auch dies ist bei der Fernsehnutzung äußerst relevant: Beim Einschalten des Gerätes und der
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Wahl bestimmter Inhalte handelt es sich häufig um „repetitives Wahlverhalten“ (Doll & Hasebrink, 1989, S. 46, Hervorhebung im Original); dies begünstigt wiederum eine Steuerung durch Gewohnheiten. 2.1.2 Fernsehnutzung als (annähernde) Niedrigkostensituation „Watching television is exceedingly easy to do“ (Kubey & Csikszentmihalyi, 1990, S. 137): Der Zuschauer begibt sich vor das Gerät, nimmt die Fernbedienung in die Hand und wählt eine oder mehrere Sendungen aus.5 In dieser Situation würde dem Rezipienten eine möglichst umfassende Kenntnis des Programmangebotes bei der Entscheidung für eine bestimmte Sendung helfen. Doch versuchen die Zuschauer tatsächlich, das Programmangebot von A bis Z zu kennen? Es ist wohl „unrealistisch anzunehmen, dass die Vorinformation einer feinen Gegenüberstellung von Programmalternativen gleichkommt“; die Rezipienten nehmen suboptimale Entscheidungen sogar bewusst in Kauf (Jäckel, 1992, S. 256). Zuschauer haben nicht das Gefühl, ein „schlechtes Geschäft“ (Jäckel, 1992, S. 257) zu machen, wenn sie sich auf wenige Sender konzentrieren (vgl. dazu Beisch & Engel, 2006) oder aus einem großen Angebot eine Sendung auswählen, ohne die Alternativen zu kennen. Schönbach (1997, S. 281) sieht den Anreiz für das Fernsehen gerade darin, dass das Publikum nicht ständig Entscheidungen treffen möchte. Warum findet sich der Rezipient mit einer „gewissen Unsicherheit“ (Schweiger, 2007, S. 72) ab und strengt sich nicht sonderlich an, eine optimale Entscheidung aus dem ihm zur Verfügung stehenden Angebot zu treffen? Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass es sich bei der Programmwahl zumeist um Niedrigkostensituationen handelt (zumindest annähernd; s. u.). Diese liegen vor, wenn eine Entscheidung keine Opportunitätskosten beinhaltet, der Nutzen aller betrachteten Alternativen also gleich hoch ist. In einer solchen Situation gibt es keine suboptimale, keine falsche Alternative; für das Individuum steht relativ gesehen nichts auf dem Spiel (Mensch, 2000, S. 248). Bei der Festlegung auf ein bestimmtes Programm sind die Opportunitätskosten zwar nicht gleich null, weil mit großer Sicherheit zeitgleich verschiedene Sendungen laufen, die den Rezipienten mehr oder weniger ansprechen – dennoch sind die Opportunitätskosten recht gering (Jäckel, 2003, S. 37). Dies wird deutlich, wenn man die möglichen Folgekosten einer suboptimalen Entscheidung betrachtet: Eine potentielle „Fehlentscheidung“ zieht im Normalfall weder mittel- noch langfristig negative Konsequenzen nach sich. Verpasste Nachrichten kann man auf einem 5
Ein „Hopper“ kann zwei oder mehr Sendungen gleichzeitig verfolgen, indem er im laufenden Programm systematisch zwischen verschiedenen Sendern umschaltet (Niemeyer & Czycholl, 1994, S. 40-41).
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anderen Programm oder zu einem späteren Zeitpunkt ansehen, einen versäumten Film leiht man sich als DVD aus, und die meisten Showhighlights liegen wenige Stunden nach deren Ausstrahlung zum Download auf verschiedenen Internetplattformen bereit. Entscheidungen für oder gegen einen Sender sind zudem reversibel, man kann sie im Laufe der Nutzung jederzeit korrigieren, indem man zu einer anderen Sendung um- oder den Apparat ausschaltet (Jäckel, 2003, S. 37). Auch fallen bei der Auswahl einer Sendung keine zusätzlichen monetären Kosten an, wenn man von den (zumindest in Deutschland) kaum verbreiteten Pay-per-View-Angeboten absieht. Rundfunkgebühren oder das Pay-TV-Entgelt sind laufende Ausgaben, die bei der Entscheidung für die Nutzung des Mediums oder eines spezifischen Programms keine Rolle spielen. Während unangemessenes Verhalten in einer Hochkostensituation erhebliche Konsequenzen für den Akteur nach sich zieht, verschmerzt man die Folgen möglicher Fehlentscheidungen in Niedrigkostensituationen leichter (Zintl, 1989, S. 62). Freilich kann auch eine suboptimale Programmwahl spürbare Auswirkungen haben: beispielsweise die Außenseiterrolle auf dem Schulhof, wenn man am Vorabend eine bestimmte Sendung verpasste oder die Blöße vor Kollegen, wenn man unzureichend über die Nachrichtenlage informiert ist. Auch stufen Zuschauer die Rezeption aktueller Sendungen über ein Extremereignis wie den 11. September als Hochkostensituation ein (Emmer et al., 2002, S. 167). Rezipienten wenden also nicht immer minimale Ressourcen auf, wenn sie eine Auswahl treffen, sondern aktivieren unter bestimmten Umständen (z.B. in neuartigen Situationen, bei wichtigen Ereignissen, bei persönlicher Relevanz…) eine elaborative und bewusste Handlungsplanung (Hartmann, 2006, S. 50). Eine generelle Konzeption der Fernsehnutzung (bzw. der Mediennutzung allgemein) als Niedrigkostensituation ist unzulässig, zumal Hoch- und Niedrigkostensituationen keine Dichotomie, sondern ein Kontinuum sind (Mensch, 2000, S. 253), auf dem sich die TV-Nutzung, abhängig von individuellen, strukturellen, positionellen und situativen Faktoren, einordnet. Trotz all dieser Beispiele gilt jedoch: Fehlentscheidungen bei der Programmwahl sind meist reversibel, haben selten negative Konsequenzen, und wenn doch, sind diese größtenteils kurzfristig und geringfügig. Daher lässt sich die Fernsehnutzung in den allermeisten Fällen im Bereich der Niedrigkostensituation verorten. Natürlich kann auch eine Nutzen-Kalkulation die Zuwendung zum Fernsehen oder bestimmten Inhalten steuern (vgl. dazu umfassend Merten, 1984). Es ist allerdings abwegig, dass Rezipienten stets systematisch Vor- und Nachteile für das Sehen einer bestimmten Sendung berechnen und sorgfältig mögliche Freizeitalternativen zur Fernsehnutzung abwägen. Denn gerade in einer Niedrigkostensituation ist eine derart durchkalkulierte Entscheidung überhaupt nicht notwendig und keinesfalls ökonomisch. Deswegen lösen in Niedrigkostensituatio-
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nen häufig Gewohnheiten das Verhalten aus (Jäckel, 1992, S. 254). Dies bedeutet keineswegs, dass allein Gewohnheiten die Fernsehnutzung steuern, doch erscheint die Konzeption der TV-Nutzung als (annähernde) Niedrigkostensituation als weiterer Hinweis für die Bedeutung, die der Habitualisierung in diesem Prozess zukommt. Denn „developing a viewing habit is made even easier by the fact that television is extremely inexpensive“ (Kubey & Csikszentmihalyi, 1990, S. 138). 2.1.3 Fernsehnutzung im stabilen Kontext Die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein bestimmtes Verhalten im Laufe der Zeit habituell durchführen, ist höher, wenn wir dieses stetig in ähnlichen Situationen und unter vergleichbaren Umständen zeigen (Ouellette & Wood, 1998; Wood, Tam, & Witt, 2005). Führt man es in immerfort wechselnden Kontexten durch, dauert es wesentlich länger, bis sich Gewohnheiten etablieren; man steuert die Ausführung länger intentional. Das vorliegende Kapitel diskutiert, inwiefern die Fernsehnutzung in einem solch stabilen Kontext stattfindet; dies betrifft die räumliche Umgebung sowie zeitliche und soziale Bedingungen (Stone & Wetherington, 1979, S. 554). Die räumliche Stabilität beginnt damit, dass der TV-Apparat in den meisten Wohnungen einen festen Platz hat; zumeist nehmen Rezipienten sogar die gleiche Position vor dem Gerät ein. Würde der größte Teil der Fernsehnutzung in den eigenen vier Wänden stattfinden, wäre eine sehr stabile räumliche Umgebung gegeben. Die telemetrisch ermittelten Daten der Fernsehforschung von AGF/GfK helfen hier nicht weiter, weil sie Einschaltquoten nur in Privathaushalten messen. Zwar erfassen die Analysen von AGF/GfK auch den TV-Konsum von Gästen, nicht jedoch die Nutzung in öffentlichen Einrichtungen (z.B. Hotels, Krankenhäuser, Altenheime) sowie Public Viewing, Handy-TV oder das Fernsehen in Gaststätten. Zu diesen Formen der Außer-Haus-Nutzung existieren nur wenige valide Daten. Eine Untersuchung, die dieser Problematik gerecht wird, ist die Langzeitstudie Massenkommunikation, die das Nutzungsverhalten der deutsch sprechenden Bevölkerung stichtagbezogen mittels Befragung erhebt. Die Studie zeigt im Zeitraster von 1970 bis 2005 eine deutliche Dominanz der TVNutzung zu Hause und zwar für alle acht Erhebungswellen (Klingler & Turecek, 2008, S. 351). Der Umfang der Außer-Haus-Nutzung lässt sich auch elektronisch mit Radio-Control-Uhren erfassen, wie es die Analyse „Medien im Tagesablauf“ (MiT) macht (Dubrau, 2004, S. 55-56). Zwar sind die Daten nicht bundesweit repräsentativ, weil man nur Personen von 14-69 in vier Großstädten teilnehmen ließ, doch enthüllt die Untersuchung eine sehr eindeutige Tendenz: Die Teilneh-
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mer nutzen das Fernsehen überwiegend zu Hause (Dubrau, 2004, S. 61-62). Nur knapp elf Prozent der Fernsehnutzung finden außerhalb des eigenen Domizils statt (bei der Stichprobe sind es 21 von 194 Minuten), was im Umkehrschluss heißt, dass über 89 Prozent der TV-Nutzung daheim erfolgen. Weil die Untersuchung sehr junge und sehr alte Personen ausschließt und nur Einwohner aus Großstädten betrachtet, ist das Sample etwas mobiler als der Durchschnitt der bundesdeutschen Bevölkerung, weshalb der tatsächliche Wert der Zu-HauseNutzung über 90 Prozent liegen könnte. Dies ist eine Trendwende im Vergleich zu den 50er und 60er Jahren, als man zum Fernsehen häufig zu Freunden oder in Gaststätten ging (Cornelißen, 2000, S. 28) – heute nutzen die Rezipienten es fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden. Ob zunehmendes Public Viewing oder „der seit einiger Zeit erwartete Durchbruch des Handy-TV“ daran etwas ändern werden, bleibt abzuwarten (Klingler & Turecek, 2008, S. 351); in den nächsten Jahren ist dies unwahrscheinlich. Auch der zeitliche Kontext der Fernsehnutzung wirkt stabil. Das Fernsehen dient als sozialer Zeitgeber, gibt durch die festen Programmschemata einen klaren Takt vor, erleichtert die zeitliche Orientierung im Alltag und verleiht ihm Struktur (Beck, 1999; Neverla, 1992)6. Etliche Rezipienten richten ihre Tagesplanung nach den zeitlichen Vorgaben des TV-Geräts und beginnen zum Beispiel ihren Feierabend stets mit einer bestimmten Sendung. Beispielsweise gelten die Hauptnachrichten von ARD und ZDF als „Prototypen“ gesellschaftlicher Zeitmarken (Neverla, 1992, S. 153). Die in Teilen der deutschen Gesellschaft übliche Konvention, nach 20 Uhr niemanden mehr anzurufen, hängt eng mit der Ausstrahlung der Tagesschau zusammen, die vielerorts den Feierabend einläutet. Räumliche und zeitliche Beständigkeit bedingen sich zweifellos gegenseitig: Weil man nur an bestimmten Orten fernsehen kann, entsteht ein begrenztes Korsett für mögliche Nutzungszeiten. Zum Beispiel hat ein Berufspendler morgens in der Straßenbahn gar nicht die Möglichkeit fernzusehen.7 Während man eine Zeitung theoretisch überallhin mitnehmen und zu jedem nur erdenklichen Zeitpunkt lesen könnte,8 ist die räumliche und zeitliche Flexibilität bei der Fernsehnutzung immens eingeschränkt. Auch deshalb gibt es eine „zu festen Zeiten verankerte[n] Fernsehnutzung“ (Schmidt, Bruns, Schöwer, & Seeger, 1989, S. 99). Ob eine zunehmende Verbreitung des mobilen Fernsehens tatsächlich die zeitliche Stabilität erschüttern könnte, sei dahingestellt – es ist fraglich, ob Rezi6 Diese Funktion erfüllen auch die Tageszeitung (Bentley, 2000; Bentley & Len-Rios, 2002; Berelson, 1949; Bock, 1980; Elliott & Rosenberg, 1987; Kimball, 1959) und das Radio (Herzog, 1944; Larsen, 2000; Rubin & Step, 2000). Neben der Zeitstrukturierung befriedigen die Medien auch andere zeitbezogene Motive (vgl. z.B. Beck, 1994; Beck, 1999; Neverla, 1992). 7 Wenn man vom „Nischenmedium“ Handy-TV einmal absieht (Breunig, 2008, S. 610). 8 Doch auch die Leser von Tageszeitungen verzichten auf diese „Freiheit“ und nutzen ihr Blatt zumeist am selben Ort und zur gleichen Zeit (Stone & Wetherington, 1979).
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pienten räumliche und zeitliche Flexibilität der TV-Nutzung überhaupt für erstrebenswert erachten. Betrachtet man den sozialen Kontext der Fernsehnutzung, sollte man sich zunächst von der Vorstellung lösen, dass sich die ganze Familie um das Gerät versammelt „wie sich einst die Urhorde um das Lagerfeuer gesetzt haben mag“ (Krotz, 1994, S. 505). Ganz im Gegenteil sprechen sogar mehrere Indizien für ein zunehmendes „Alleine-Sehen“ in Deutschland: Die Zahl der in einem Haushalt lebenden Personen nimmt seit den 50er Jahren tendenziell ab, seit drei Jahrzehnten dominieren Einpersonenhaushalte alle anderen Haushaltsgrößen, und deren Anteil wird sich wohl in den kommenden Jahrzehnten relativ und absolut vergrößern (Statistisches Bundesamt, 2007). Hinzu kommt, dass fast 50 Prozent aller Haushalte über Zweit- und Drittgeräte verfügen (Reitze & Ridder, 2006, S. 24), in Mehrpersonenhaushalten sind es weit mehr als die Hälfte. Selbst 44 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen haben in Deutschland ein eigenes Gerät im Kinderzimmer stehen (Feierabend & Klingler, 2007, S. 200). Daher entfällt in einem deutschen Haushalt nur ein Drittel der Gesamtlaufzeit auf die Gemeinschaftsnutzung (Krotz, 1994, S. 509). Wenn man das Fernsehen aber gemeinsam nutzt, dann zumeist mit dem Partner bzw. der Partnerin oder im Familienkreis. Gerade in vielen Beziehungen gehört das gemeinsame Fernsehen fest zur Freizeitgestaltung und gilt als gemeinschaftliches Erlebnis (Röser & Großmann, 2008). Die gemeinsame Rezeption mit dem Partner findet durchaus regelmäßig statt: Auch wenn Paare mehrere Fernseher besitzen, sehen sie nur selten getrennt auf zwei Geräten fern (Krotz, 1994, S. 510). Einige sehen sogar „Sendungen mit, die sie eigentlich nicht interessieren, um Zeit mit dem Partner bzw. der Partnerin zu verbringen“ (Röser & Großmann, 2008, S. 100). Zwar überwiegt in Deutschland das Alleinsehen, doch wenn Personen das Medium gemeinsam nutzen, integrieren sie dies fest in ihren gemeinschaftlichen Alltag; das gilt insbesondere für Paare (Krotz, 1994, S. 510). Insofern gilt, dass der soziale Kontext der TVNutzung – wenn vorhanden – meist aus den gleichen Personen besteht und folglich äußerst stabil ist. Resümierend kann man festhalten, dass räumlicher, zeitlicher und sozialer Kontext der Fernsehnutzung überaus stabil sind: Rezipienten nutzen das Fernsehen überwiegend am selben Ort, häufig zu festen Nutzungszeiten und – sofern vorhanden – mit denselben Personen. Bei einem Verhalten, das stetig in ähnlichen Situationen und unter ähnlichen Umständen abläuft, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Habits dessen Steuerung übernehmen (Ouellette & Wood, 1998). Auch der stabile Kontext stützt demnach die Vermutung, dass Gewohnheiten bei der TV-Nutzung eine Rolle spielen.
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2.1.4 Programmstrukturen Zu Beginn der 50er Jahre schenkten die Deutschen einem einzigen Sender ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, „Fernsehen“ war gleichbedeutend mit das Programm von „Deutsches Fernsehen“9 schauen. Die Erforschung der Programmselektion war weder praktisch noch theoretisch relevant. Erst 1963 etablierte sich mit dem ZDF die erste (deutsche) Programmalternative, und zwischen 1964 und 1969 starteten die sog. Dritten Programme – je nach Region konnte man nun immerhin zwischen drei Sendern wählen (vgl. z.B. Kiefer, 1999, S. 431ff.). Die Einführung des privaten Rundfunks Mitte der 80er Jahre sowie die rasante Ausbreitung neuer Übertragungswege (Kabel, Satellit) führten zu einer rapiden Vervielfachung des Programmangebots (Krüger, 2001, S. 141). Fortschreitende Digitalisierung und Globalisierung taten und tun ihr Übriges und tragen vehement dazu bei, dass der durchschnittliche Fernsehhaushalt aus einer immer größeren Fülle verschiedener Sender und Sendungen auswählen kann. Diese Angebotsexplosion wird wohl in naher Zukunft kein Ende finden (Zubayr & Gerhard, 2008, S. 106). Die Anzahl der empfangbaren Sender hat sich von durchschnittlich 3,8 im Jahr 1985 (Maurer & Reinemann, 2006, S. 79) auf 63 im Jahr 2007 (Zubayr & Gerhard, 2008, S. 106) mehr als versechzehnfacht. Fast alle strahlen ihr Programm 365 Tage im Jahr, 24 Stunden täglich aus. Dem Zuschauer stehen rund um die Uhr aus beinahe jedem Genre diverse Angebote zur Verfügung, zumal die Zunahme an Spartensendern eine Diversifizierung der Inhalte zur Folge hat. Rezipienten, die mit einer solch großen Anzahl an Sendern und Sendungen konfrontiert werden, könnten nun sehr bewusst auswählen und dem Motto folgen: Je umfangreicher das Angebot, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auf einem der verfügbaren Sender genau die Sendung läuft, die man momentan am liebsten sehen möchte. Etliche Untersuchungen legen jedoch nahe, dass genau das Gegenteil der Fall ist und ein anderes Prinzip greift: Je mehr Möglichkeiten bei einer Entscheidung zur Verfügung stehen, desto weniger gründlich überprüft man diese (Gigerenzer, Todd, & ABC-Research-Group, 1999). Die „Alltagsweisheit: Je größer das Angebot, desto schwieriger die Entscheidung“ kommt zur Geltung (Schweiger, 2007, S. 72). Zuschauer nehmen das Übermaß an Angeboten als Informationskosten wahr, und Jäckel (2003, S. 40) mutmaßt, dass „ein Bedürfnis nach Gewohnheit mit dem bewussten Verzicht auf vollständige Information“ einhergeht. „Even though one might wish to explore all the variables before selecting one product from among many, often people ‚statis9
Die Umbenennung in „Erstes Deutsches Fernsehen“ erfolgte erst 1984.
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fice’ than maximize their information“ (Neuman, 1991, S. 95-96). Brosius (1998) folgert, dass durch die zunehmende Quantität und Komplexität von Medieninhalten eine aktive Informationssuche in den Hintergrund tritt und der beiläufigen Auswahl ein höherer Stellenwert zukommt. So liegt die Vermutung nahe, dass wachsende Verfügbarkeit und Komplexität die Herausbildung von Gewohnheiten zur Steuerung der Angebotsauswahl begünstigen (Cooper, 1996; Weibull, 1985, S. 142; Wirth & Schweiger, 1999). Dem Angebotszuwachs versuchen Programmschaffende auf vielfältige Weise zu begegnen, zum Beispiel durch vermehrte Werbung für eigene Sendungen oder durch Maßnahmen zur schnellen Wiedererkennbarkeit des Programms (Bleicher, 1998; Bleicher, 2000). Eine der wichtigsten Strategien ist aber die periodische Programmierung von Sendungen (Newell & LaRose, 2004). Dies betrifft zum einen die Uhrzeit: Die Ausstrahlung der meisten Sendungen erfolgt zu festen Zeitpunkten. Besonders Nachrichten starten häufig sekundengenau, nur besondere Ereignisse, wie die zeitgleiche Übertragung von Fußballländerspielen, dürfen diesen Terminplan außer Kraft setzen. Zum anderen betrifft die Periodizität den Tagesrhythmus: Neben täglichen (z.B. Nachrichten), findet man werktägliche (z.B. Daily Soaps), wöchentliche (zumeist Magazine, Polittalk), aber auch jährliche Sendungen (z.B. der Jahresrückblick). Selbst wenn Programmverantwortliche nicht die gleichen Inhalte auf einem bestimmten Platz wiederholen, setzen sie zumindest ähnliche Formate auf die Sendeplätze; dadurch entstehen Slots wie das „Montagskino“ oder das „Spielfilmhighlight am Dienstag“. Das Programm der meisten Sender ist durch ein strenges Schema strukturiert. Hoff (2007, S. 26) sieht die Gründe für den Erfolg von RTL in seinen früheren „Glanzjahren“ zum großen Teil in der Beständigkeit des Programmschemas, das „in seinen besten Zeiten einer präzisen Wochenuhr“ entsprach. Damit befriedigen die Sender das Orientierungsbedürfnis der Rezipienten. Eine solche Programmierung hilft dem Zuschauer, sich in einer Programmwelt zurechtzufinden, die durch immer mehr Sender, Sendungen und Programmstunden unübersichtlich wurde. So fungiert das Fernsehen als sozialer Zeitgeber, wie eine „präzise Wochenuhr“, und bietet den Rezipienten „eine konkrete Matrix für die Synchronisation ihres sozialen Handelns“ (Neverla, 1992, S. 59; vgl. dazu auch Neverla, 1990). Während über Jahrhunderte hinweg Kirchenrituale (Sonn- und Feiertage, das Abend- und Morgenläuten der Glocken) Fixpunkte im Jahres- und Tagesverlauf setzten, übernahmen im Zuge der Industrialisierung zunehmend „profane“ Einrichtungen diese Rolle (z.B. öffentliche Verkehrsmittel, Medien). Das Angebot des Fernsehens, unseren Tag zu strukturieren, nimmt der Zuschauer dankend an. Die zeitliche Flexibilität, die ein Video- oder Festplattenrekorder bietet, lehnen die meisten Rezipienten ab: So verfügten zu Beginn der 90er Jahre zwei
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Drittel der deutschen Haushalte über einen Videorekorder, sein Einsatz als „Zeitmaschine“ machte aber nur zwei Prozent der Fernsehnutzung aus (Schönbach, 1997, S. 283). Eine eindeutige Kausalität besteht bei diesen Synchronisationsprozessen freilich nicht: Das Fernsehen strukturiert zwar den Alltag der Rezipienten, doch orientieren sich die Programmverantwortlichen auch an deren Tagesabläufen. Die Fernsehverantwortlichen sind machtlos, wenn die Rezipienten zum Sendetermin auf der Arbeit sind oder andere (soziale) Verpflichtungen haben. Greifen die Rezipienten auf der anderen Seite nicht auf Video- oder Festplattenrekorder zurück, sind sie geradezu gezwungen, ihren Tagesablauf am Programm zu orientieren, wenn sie eine bestimmte Sendung sehen möchten (Mehling, 2007, S. 21-23). Derart „regelmäßig wiederkehrende Angebote sind der Ausgangspunkt von Gewohnheitsbildungen“ (Jäckel, 2005, S. 81). Weil wir insbesondere Verhalten habitualisieren, das wir immer wieder regelmäßig durchführen (vgl. z.B. Aarts & Dijksterhuis, 2000; Verplanken & Orbell, 2003), begünstigen die spezifischen Programmstrukturen die Ausbildung von Gewohnheiten. Man erlernt die festen Programmschemata von Kindheit an; Grundkenntnisse über die Programmstrukturen findet man bei allen Gesellschaftsmitgliedern (Neverla, 1992, S. 153). So resümiert Hoff (2007, S. 26): „Regelmäßigkeit wird belohnt. Manche sagen gar, dass alles, was nur oft genug kommt, ein Erfolg wird. Es wird etwas so lange gesendet, bis der Zuschauer die Gegenwehr einstellt“. Die Fernsehinhalte selbst begünstigen, wegen der Periodizität des Programms und seiner wachsenden Quantität und Komplexität, die Habitualisierung und festigen die Bedeutung von Gewohnheiten als Erklärungsvariable für die TV-Nutzung. 2.1.5 Resümee zur Fernsehnutzung Kubey und Csikszentmihalyi (1990, S. 138) bemerken, „television viewing is unquestionably habit forming“. Ihre Behauptung belegen sie zwar nicht, doch scheint einiges für deren Richtigkeit zu sprechen. Zum einen ist das Fernsehen fest in das tägliche Leben vieler Deutscher integriert: Die Einzigartigkeit, die dem Medium in seinen Anfangsjahren noch innewohnte, hat es längst abgelegt. Die Regelmäßigkeit, mit der die Rezipienten das Medium im Alltag nutzen, ist eine zentrale Voraussetzung für die Herausbildung von Gewohnheiten. Hinzu kommt, dass es sich bei der Fernsehnutzung nicht um Hochkostensituationen handelt, in denen ein wohlüberlegtes, intentionales Verhalten notwendig wäre; vielmehr sind es annähernd Niedrigkostensituationen: „Fehlentscheidungen“ in der Programmwahl können Rezipienten schnell korrigieren. Falls eine Korrektur nicht mehr möglich sein sollte, lassen sich die Folgen einer Fehlentscheidung
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leicht verschmerzen, mittel- oder langfristige negative Konsequenzen müssen Zuschauer kaum befürchten. Daher steuern wir Verhalten in Niedrigkostensituationen häufig habitualisiert. Auch die Stabilität des räumlichen, zeitlichen und sozialen Kontextes der Fernsehnutzung unterstützt die Herausbildung einer gewohnheitsmäßigen Nutzung. Zuletzt begünstigen die Inhalte selbst Habitualisierungseffekte: Wachsende Quantität und Komplexität des Programms sowie die Programmierung von Sendungen in einem festen Rhythmus sind der Entstehung von Gewohnheiten zur Steuerung von Fernsehnutzung und Angebotsauswahl dienlich. Wie viel trägt die Einnahme einer funktionalen Perspektive zur Erklärung der Fernsehnutzung bei? Es ist unstrittig, dass die Zuwendung zum Medium oder bestimmten Inhalten einen spezifischen Nutzen für die Rezipienten hat, auch wenn er den Zuschauern nicht immer bewusst ist. Die intentionale, bedürfnisgesteuerte Zuwendung spielt daher eine wichtige Rolle, und es ist ein immenser Beitrag, den der Uses-and-Gratifications-Ansatz (Katz, Blumler, & Gurevitch, 1974) zur Erklärung von Fernsehnutzung geleistet hat. Man kann ihm die Relevanz für die kommerzielle und akademische Forschung nicht absprechen; aber Motive und Gratifikationen reichen nicht aus, um die Fernsehnutzung situationsübergreifend vollends zu erklären. Obwohl etliche Indizien dafür sprechen, dass Gewohnheiten die Zuwendung zum Fernsehen oder spezifischen Inhalten erheblich beeinflussen könnten, gilt in der Mediennutzungsforschung nach wie vor das zwei Jahrzehnte alte Zitat von Neumann und Charlton (1989, S. 364): „Mit dem Phänomen, daß die Rezeption von Massenmedien in die gewohnheitsmäßige Gestaltung des Alltagslebens eines jeden geradezu ‚eingewoben’ ist […], mit dieser Tatsache tut sich die Medienforschung – gleich welcher Herkunft – bis heute schwer“. 2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten „Imagine yourself in a completely new environment. You would probably feel a desperate need for habits and routines. Life is awkward and difficult without them“ (Verplanken, 2006, S. 639). Es würde enorme mentale Ressourcen beanspruchen, sämtliche Aktivitäten im Alltag immer bewusst und wohl überlegt durchzuführen; daher wiederholen wir einen großen Teil unseres Verhaltensrepertoires beständig und zeigen selten ein neues Verhalten (Verplanken & Orbell, 2003; Aarts & Dijksterhuis, 2000; Ouellette & Wood, 1998). Wenn wir dies doch einmal tun, können wir uns oft – wenn auch nicht immer – gut daran erinnern, wie zum Beispiel an den ersten Kuss oder die erste Fahrt im neuen Auto. Diese „jungfräuliche“ Ausführung geschieht meist sehr bewusst: Wir planen das
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Verhalten (wenn möglich) vorher, machen uns während der Durchführung Gedanken und bewerten es hinterher (Verplanken, 2005, S. 99). Wenn wir aber einen bestimmten Handgriff immer wieder benötigen, dann planen, durchdenken und bewerten wir diesen immer weniger und führen ihn irgendwann ganz automatisch durch. Tagebuchstudien (Wood, Quinn, & Kashy, 2002) und Feldbeobachtungen (vgl. z.B. Barker & Schoggen, 1978) zeigen, dass wir ca. 45 Prozent des täglichen Verhaltens am gleichen Ort und zur gleichen Zeit wiederholt ausführen. Townsend und Bever (2001, S. 2) pointieren dies folgendermaßen: „Most of the time what we do is what we do most of the time. Sometimes we do something new“. Dennoch vernachlässigen psychologische Handlungsmodelle stetig wiederkehrendes Alltagsverhalten und fokussieren singuläre Entscheidungssituationen, wie dies zum Beispiel die „Theory of Reasoned Action“ (Fishbein & Ajzen, 1975) oder deren Erweiterung, die „Theory of Planned Behavior“ (Ajzen, 1985; Ajzen, 1991) machen. Diese sollen Verhalten insbesondere vorhersagen, wenn es neu ist oder geändert wird; man darf sie daher nicht einfach für alltäglich wiederkehrende Situationen heranziehen. Obwohl die Wiederholung eines Verhaltens in vielen lernpsychologischen Ansätzen eine zentrale Stellung einnimmt (z.B. im Bereich der klassischen oder operanten Konditionierung), führte das Konzept der Habitualisierung lange ein Schattendasein und geriet erst in den letzten zehn Jahren verstärkt in den Fokus einiger Forscher. Dabei beschäftigen sich bereits Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, also zu jener Zeit, als sich die Psychologie zu einem eigenständigen wissenschaftlichen Forschungsgebiet entwickelte, einige Forscher mit Gewohnheiten (vgl. z.B. Dewey, 1922; James, 1890; Watson, 1914). Habits konzipieren sie als eine gelernte Verknüpfung zwischen einem Reiz und der darauf folgenden Reaktion. Im Gegensatz zu geerbten, biologisch bedingten Trieben, die bei Anregung durch externe Stimuli bestimmte fixierte Verhaltensweisen auslösen, müssen diese Reaktionen erst durch eine Verstärkung des jeweiligen Verhaltens gelernt werden (Watson, 1914). Doch betrachten die Forscher Gewohnheiten vorwiegend aus einer tierpsychologischen Perspektive (vgl. z.B. James, 1890; Watson, 1914). Die in der Tradition des radikalen Behaviorismus entwickelten Theorien und Modelle stoßen bei der Erklärung von menschlichem Verhalten teilweise an ihre Grenzen, da die Forscher kognitive und motivationale Bedingungen weitgehend ausblenden (z.B. Hull, 1943; Skinner, 1938; Watson, 1913; Watson, 1919). Erst die Erforschung von Schemata und Skripten (Abelson, 1981; Bartlett, 1932) führt zur Ablösung der strikt biologischen Betrachtung von Gewohnheiten durch ein dynamischeres, kognitionspsychologisches Verständnis (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 397). Mittlerweile beschäftigen sich insbesondere die Forschergruppen um Verplanken, Aarts und
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Wood damit, Gewohnheiten theoretisch zu konzeptualisieren und empirisch zu ergründen. Dieses Kapitel stellt zunächst die zentralen Charakteristika von Habits vor und definiert Gewohnheiten. Die Begriffsbestimmung orientiert sich insbesondere an dem Verständnis von Aarts, Verplanken und Knippenberg (1998, S. 1359) sowie an dem von Verplanken und Aarts (1999, S. 104).10 Letztere begreifen Habits als „learned sequences of acts that have become automatic responses to specific cues, and are functional in obtaining certain goals or end-states“. Aarts, Verplanken und Knippenberg (1998, S. 1359) definieren Habits als „goaldirected automatic behaviors that are mentally represented. And because of frequent performance in similar situations in the past, these mental representations and the resulting action can be automatically activated by environmental cues“. Die Definitionen ähneln sich und bestimmen vier Aspekte, die für Gewohnheiten konstitutiv sind:
Man erlernt Gewohnheiten durch regelmäßige Wiederholung (Kapitel 2.2.1) Gewohnheiten sind Wissensstrukturen und kein tatsächlich gezeigtes Verhalten (Kapitel 2.2.2). Gewohnheiten lösen das entsprechende Verhalten (und damit verbundene mentale Prozesse) automatisiert aus (Kapitel 2.2.3). Die Auslösung erfolgt durch spezifische Hinweisreize (Kapitel 2.2.4).
2.2.1 Regelmäßige Wiederholung Man erlernt Gewohnheiten über einen bestimmten Zeitraum; sie haben also eine geschichtliche Entwicklung hinter sich, und es bedarf einer gewissen Praxis, um sie auszubilden (Verplanken, 2005, S. 100). Die wiederholte Ausführung eines Verhaltens basiert aber nicht unbedingt auf Habits, man kann ein Verhalten auch mehrmalig intentional durchführen; ferner führt die Wiederholung nicht zwingend zur Herausbildung einer Gewohnheit (Verplanken, 2006, S. 640). Hull (1943) konstatiert schon vor Jahrzehnten, dass eine Gewohnheit umso intensiver ausgeprägt sei, je häufiger man sie wiederholt hat – dies bestätigen auch einzelne Studien (vgl. Aarts & Dijksterhuis, 2000; Verplanken & Orbell, 2003). Allerdings demonstriert Verplanken (2006), dass dies keineswegs generell gilt und 10 Vgl. zudem die Ausführungen bei Aarts und Dijksterhuis (2000), Klöckner (2005a), Verplanken (2005; 2006), Verplanken, Aarts und Knippenberg (1997), Verplanken und Faes (1999) sowie Verplanken und Orbell (2003).
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aus einer häufigeren Verhaltensausführung nicht unbedingt eine stärkere Gewohnheit resultiert. Der Zusammenhang zwischen Auftretenshäufigkeit und Gewohnheitsstärke ist komplex, zumal man zwischen Wiederholung und Regelmäßigkeit bzw. Rhythmik differenzieren muss (Fuchs, 2007, S. 8). Wie zentral diese Unterscheidung ist, zeigt das Beispiel der Einnahme von Mahlzeiten: Jemand, der nur zweimal täglich isst, allerdings stets zur gleichen Zeit, dürfte eine stärker ausgeprägte Gewohnheit haben, als eine Person, die fünfmal täglich zu unregelmäßigen Zeiten (und evtl. an wechselnden Orten) speist. Nicht allein die Wiederholung des Verhaltens ist das zentrale Kriterium, sondern vielmehr dessen regelmäßige Wiederholung. Obwohl Aarts, Verplanken und Knippenberg (1998, S. 1359) dies in ihre Definition berücksichtigen („frequent performance“) und explizit auf diese Differenzierung hinweisen („habit strength only increases as a result of frequent repetitions“), schenkt die Forschung dieser Unterscheidung nur wenig Beachtung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Fuchs, 2007; Verplanken, 2006), haben sich diese Überlegungen bislang kaum in der Literatur niedergeschlagen. Es gibt keinen universellen Grenzwert, wie oft und in welchem Rhythmus man ein Verhalten ausführen muss, damit eine Gewohnheit entsteht. Ronis, Yates und Kirscht (1989, S. 213) schlagen vor, ein Verhalten müsse mindestens zweimal im Monat und wenigstens zehnmal wiederholt werden, um das Kriterium der regelmäßigen Wiederholung per definitionem zu erfüllen. Zwar verstehen die Autoren dies als vorsichtigen Richtwert, doch verwirren die Zahlen mehr, als dass sie Licht ins Dunkel bringen: Zu viele verschiedene Faktoren (Art des Verhaltens, ausführende Person, Situation…) beeinflussen die Entwicklung. Ohne eine Spezifizierung dieser Faktoren bleiben die Werte ziemlich nutzlos. Ob und wie schnell eine Gewohnheit entsteht, hängt zudem maßgeblich von den Konsequenzen des Verhaltens ab. Die Habitualisierung ist umso wahrscheinlicher, wenn die Durchführung zufrieden stellende Konsequenzen nach sich zieht (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997, S. 1359; Verplanken & Faes, 1999, S. 594).11 Menschen tendieren dazu, positive Erlebenszustände zu erinnern und diese wenn möglich zu wiederholen (vgl. z.B. Kahneman, 1999; Rozin, 1999). Daher führen sie Tätigkeiten, denen positiv erlebte Konsequenzen folgen, immer wieder aus, wodurch mentale Verknüpfungen zwischen einem erwünschten Ziel und dem dafür notwendigen Verhalten entstehen (vgl. z.B. Anderson, 1993). Hingegen meidet oder modifiziert man Verhalten, das negativ erlebte Konsequenzen nach sich zieht.12 11
Dies ist jedoch keine zwingende Voraussetzung für die Etablierung einer Gewohnheit. Wenngleich manche Tätigkeiten (längerfristig) negativ erlebte Konsequenzen nach sich ziehen und dennoch regelmäßig ausgeführt werden (vgl. Kapitel 2.2.6). 12
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Neben der zufrieden stellenden Durchführung ist es für die Etablierung von Gewohnheiten hilfreich (aber keine zwingende Voraussetzung), wenn die wiederholte Ausführung zumeist in ähnlichen Situationen erfolgt (vgl. Kapitel 2.1.3). Vergangenes Verhalten hat dann den größten Vorhersagewert für die zukünftige Auftretenswahrscheinlichkeit, wenn man es regelmäßig und immer wieder in gleich bleibendem Kontext ausführt; bei ständig wechselnden Umständen steuern wir es länger intentional (Ouellette & Wood, 1998; Wood, Tam, & Witt, 2005). Der aus der regelmäßig wiederholten Durchführung resultierende Lernprozess ist eine notwendige, aber nicht allein ausreichende Bedingung für die Entstehung einer Gewohnheit. 2.2.2 Gewohnheiten als Wissensstrukturen Gewohnheiten sind kein tatsächlich gezeigtes Verhalten, sondern spezifische Wissensstrukturen, welche die Auslösung eines Verhaltens steuern. Vor allem die Kommunikationswissenschaft hat diese Differenzierung bislang nur partiell wahrgenommen, was (mit) ursächlich für das dort vorherrschende Begriffschaos ist (vgl. die Diskussion in Kapitel 2.3.4). Derzeit bestehen insbesondere drei Auffassungen, wie Habits im Gedächtnis repräsentiert sind: als neuronal assoziierte Antwortmuster (z.B. Ouellette & Wood, 1998; Wood, Quinn, & Kashy, 2002), Entscheidungsheuristiken (z.B. Enste, 1998) oder Verhaltensskripte (z.B. Verplanken & Aarts, 1999; Verplanken et al., 1994). Das Verständnis von Gewohnheiten als neuronal assoziierte Antwortmuster vertreten zum Beispiel Wood, Quinn und Kashy (2002) oder Ouellette und Wood (1998). Deren Konzeption nähert sich der Vorstellung von Habits als erlernte Reiz-Reaktions-Muster an, wie man sie in den Anfangstagen der Psychologie hatte (z.B. Hull, 1943; Watson, 1914). Sie sehen Prozesse der Konditionierung zwischen einem (zielführenden) Verhalten und einem situativen Hinweisreiz als Grundlage der Gewohnheitsbildung. Die Verbindung von aktivierten Neuronen der Sensorik „mit entsprechenden Neuronen der Motorik durch ein dazwischen liegendes neuronales Netzwerk [wird] zunehmend stärker“ (Klöckner, 2005a, S. 8). Ist die Etablierung dieser Verbindung ausreichend, erfolgt die Auslösung eines Verhaltens direkt durch die Erregung des sensorischen Systems, ohne die Aktivierung weiterer kognitiver Prozesse. Enste (1998) sieht Gewohnheiten hingegen als Entscheidungsheuristiken im Gedächtnis repräsentiert. Ein vorgeschalteter Filterprozess entscheidet, ob man eine Entscheidungsfindung habitualisiert durchführt und so handelt, wie in ähnlichen Situationen zuvor (dazu ausführlicher Klöckner, 2005a, S. 11-12).
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Eine dritte Konzeption der Repräsentation von Gewohnheiten ist die als spezifische Schemata bzw. Skripte (vgl. z.B. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998; Verplanken et al., 1994). Die Schematheorie dient seit vielen Jahrzehnten als Erklärungsmodell für Kognitionsstrukturen (Bartlett, 1932; Neisser, 1976; Piaget, 1976); sie besagt, dass sich bestimmte Regelmäßigkeiten der Lernumgebung in Bedeutungsstrukturen niederschlagen. Das Individuum vereint einzelne Komponenten von Objekten, Verhalten, Zuständen, Ereignissen und Situationen in zusammenhängenden Wissensstrukturen (vgl. z.B. Taylor & Crocker, 1981). Das Schema „Auto“ beinhaltet zum Beispiel gewisse Erwartungen, wie ein solches normalerweise aussieht (z.B. vier Räder, Lenkrad, Sitze, etc.) aber auch Informationen über Tätigkeiten, die man damit verknüpft (z.B. fahren, putzen, etc.) oder Erinnerungen an persönliche Erfahrungen (z.B. die Fahrten zur Arbeit, die letzte Reifenpanne, etc.). Eine spezifische Form von Schemata sind EreignisSchemata bzw. Skripte (Abelson, 1981; Schank & Abelson, 1977). Die wiederholte Ausführung eines Verhaltens lässt im Gedächtnis ein Skript entstehen, das dessen Ablauf repräsentiert. Die so gespeicherten stereotypen Handlungsabfolgen enthalten Erwartungen darüber, wie eine bestimmte Situation beschaffen ist. Bekanntestes Beispiel dafür ist das Restaurant-Skript, das (abhängig vom sozialen und kulturellen Umfeld einer Person) Attribute wie „Betreten des Restaurants“, „Suchen eines Tisches“, „Hinsetzen“, „in die Speisekarte schauen“ usw. beinhaltet (Schank & Abelson, 1977). Die Struktur der Abläufe bleibt im Großen und Ganzen gleich, auch wenn einzelne Objekte und Abfolgen durchaus variieren können. Trotz der ausdrücklichen Differenzierung von Abelson (1981) zwischen Skripten und Gewohnheiten, wobei er letztere „in Abgrenzung zur Wissensstruktur Skript als reine Antwortmuster definiert“ (Klöckner, 2005a, S. 13), orientieren sich Verplanken et al. (1994) bei ihrer Habit-Konzeption an diesem Verständnis und bezeichnen ihr Habit-Maß als „script-based“. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Frage, ob Gewohnheiten als neuronal assoziierte Antwortmuster, Entscheidungsheuristiken oder strukturiertes Wissen im Gedächtnis repräsentiert sind, bietet Klöckner (2005a, S. 7-16). 2.2.3 Automatisierte Auslösung des Verhaltens Gewohnheiten bewirken die automatisierte Auslösung eines Verhaltens (Aarts & Dijksterhuis, 2000, S. 53). Das Konzept der Automatisierung unterteilt Bargh (1994) in vier Komponenten: Die Aktivierung erfolgt (1.) unbewusst und (2.) unbeabsichtigt, zudem sind das entsprechende Verhalten und die damit verbundene mentalen Prozesse (3.) schwer zu kontrollieren und (4.) mental leistungseffizient (man kann parallel anderen Tätigkeiten nachgehen). Nicht jede dieser
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Komponenten ist eine konstitutive Voraussetzung für die Automatisierung, weshalb man verschiedene Typen unterscheidet (Verplanken, 2005, S. 101). Habits erfüllen meist drei dieser Komponenten: Sie erfolgen unbewusst, sind schwer (aber nicht unmöglich) zu kontrollieren und zeichnen sich durch mentale Leistungseffizienz aus (Verplanken, 2006, S. 640; Verplanken & Orbell, 2003). Das Beispiel „Zähneputzen“ soll die drei Komponenten veranschaulichen: Ein Erwachsener fragt sich morgens im Bad nicht, ob er Zähne putzen soll oder nicht – er nimmt die Bürste in die Hand, ohne bewusst darüber nachzudenken. Bei kleinen Kindern läuft das noch nicht automatisiert ab, weshalb der Prozedur oft ein quälend langer Entscheidungsprozess vorausgeht (Fuchs, 2007, S. 6). Die schwere Kontrollierbarkeit zeigt sich, wenn man an dem zumeist strikten Ablauf im Badezimmer etwas ändert und seine Zähne entgegen der üblichen Reihenfolge (z.B. vor statt nach dem Duschen) putzt. Dann passiert es häufig, dass man später erneut zur Zahnbürste greift – einem kleinen Kind würde das wegen der nicht etablierten Gewohnheit kaum passieren. Während sich Kinder schon bei den vorbereitenden Aktivitäten (Griff nach der Bürste, Auftragen der Zahnpasta, Vorbereiten des Spülbechers…) konzentrieren müssen, können „habitualisierte Putzer“ ihre Aufmerksamkeit währenddessen zum Beispiel voll auf die Radionachrichten fokussieren – das automatisierte Verhalten spart mentale Ressourcen. Es ist strittig, ob die ganze Durchführung eines habitualisierten Verhaltens oder nur dessen Auslösung automatisiert erfolgt. Wood, Quinn und Kashy (2002) argumentieren, die gesamte Umsetzung laufe automatisiert ab; man denke ja während der Ausführung häufig an ganz andere Dinge: Der Erwachsene im eben präsentierten Beispiel kann seine Aufmerksamkeit während des gesamten Zähneputzens dem Radiohören widmen, während sich das Kind konzentrieren müsste, um sämtliche Zähne zu säubern. Dem widersprechen Holland, Aarts und Langendamm (2006) und sehen nur die Auslösung als automatisierten Vorgang, räumen jedoch ein, dass bestimmte Teilaspekte der Durchführung automatisiert ablaufen können. Zumindest bei komplexem und lange andauerndem Verhalten ist nur diese Argumentation zutreffend. Fuchs (2007, S. 5) verdeutlicht dies anschaulich am Beispiel der Gewohnheit „morgens mit dem Rad zur Arbeit fahren“: Lediglich die automatisierte Auslösung macht dieses umfassende Verhalten zur Gewohnheit. Wenn man das Haus am Morgen verlässt, aktivieren bestimmte Hinweisreize (vgl. Kapitel 2.2.4) das Verhalten „zur Arbeit radeln“. Das Radfahren muss nicht automatisiert erfolgen, obwohl denkbar wäre, dass verschiedene Teilaspekte davon auch automatisiert ablaufen, wie zum Beispiel das Treten der Pedale. Dies sind allerdings „nur“ über Prozesse des motorischen Lernens erworbene, automatisierte Teilbewegungen (Blischke & Munzert, 2003). Das Fahren im dichten Verkehr könnte volle Konzentration und schnelles Reagieren
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erfordern, und man würde ohne bewusstes Nachdenken und Lenken manchmal nicht weit kommen. Ein anderweitiges Beispiel wäre die habituelle Zuwendung zur Zeitung: Der Griff zum Blatt würde automatisiert erfolgen, jedoch nicht zwangsläufig das Lesen der Artikel.13 Das Automatische bezieht sich daher nicht notwendig auf die Durchführung des Verhaltens, sondern auf dessen Auslösung: Ein Abwägen vor der Umsetzung im Sinne einer „Soll-ich-oder-soll-ich-nichtFrage“ findet nicht statt (Fuchs, 2007, S. 6). Ist die von Gewohnheiten ausgelöste Ausführung ein Verhalten oder eine Handlung? Eine Handlung kann man als Spezialfall von allgemeinem menschlichem Verhalten betrachten (Greve, 1994, S. 13). Man verbindet mit ihr „einen subjektiven Sinn“ und führt sie zielgerichtet durch (Weber, 1984, S. 19; vgl. dazu auch Groeben, 1986, der „Handeln“, „Tun“ und „Verhalten“, je nach dem Ausmaß der die Tätigkeit bestimmenden Intentionalität unterscheidet). Der Handelnde orientiert sich an den erwarteten Folgen der Durchführung, er hat Vorstellungen über die Situation entwickelt, auf deren Basis er handeln kann (Scherer, 1997, S. 41). Wird eine habituell gesteuerte Ausführung aber deshalb zur Handlung, weil Gewohnheiten auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtet sind (vgl. dazu die Argumentation von Scherer, 1997, S. 54-57)? Erfüllt diese Zielgerichtetheit bereits das Kriterium eines mit der Handlung verbundenen subjektiven Sinns? Problematisch an dieser Argumentation ist, dass die Auslösung automatisiert geschieht, man ist sich im Moment der Auslösung jenes Zieles nicht bewusst. Auch Weber (1984, S. 44) betrachtet dies kritisch und beschreibt das „traditionale Verhalten“ (in seiner Klassifikation als „durch eingelebte Gewohnheit“ entstanden) ebenso wie die rein reaktive Nachahmung als „ganz und gar an der Grenze und oft jenseits dessen, was man ein ‚sinnhaft’ orientiertes Handeln überhaupt nennen kann. Denn es ist sehr oft nur ein dumpfes, in der Richtung der einmal eingelebten Einstellung ablaufendes Reagieren auf gewohnte Reize“. Insofern sieht er die Grenze zwischen sinnhaftem Handeln und dem nicht mit einem subjektiven Sinn verbundenen Sichverhalten als „durchaus flüssig“ und der größte Teil aller Ausführungen „steht auf der Grenze beider“ (Weber, 1984, S. 542). Dass die meisten Tätigkeiten des täglichen Lebens auf dieser Grenze liegen, sollte jedoch nicht davon abhalten, eine rein habituelle Durchführung entweder als Handlung oder als Verhalten zu klassifizieren. Weil der Ausführende im Moment der Auslösung nicht bewusst einen subjektiven Sinn damit verbindet, betrachtet die vorliegende Arbeit eine rein habituell gesteuerte Durchführung als „jenseits dessen, was man ein ‚sinnhaft’ orientiertes Handeln nennen kann“ (s. o.) und klassifiziert es entsprechend als Verhalten. 13
Freilich können auch Aspekte des Rezeptionsprozesses habituell ablaufen, z.B. die Reihenfolge in der man die Ressorts oder Artikel liest (Rogall, 2000, S. 119).
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Dieses muss nicht notwendigerweise offen gezeigt werden, sondern kann im Weberschen Sinne (1984, S. 19) auch „innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden“ umfassen: Gewohnheiten können ebenso „nur“ mentale Vorgänge in Gang setzen, und ohnehin sind an die Ausführung eines offen gezeigten Verhaltens eine ganze Reihe mentaler Prozesse (z.B. Erwartungen) geknüpft, die vor, während und nach der Durchführung ablaufen (Verplanken, 2006, S. 653). Die Komplexität des entsprechenden Verhaltens spielt dabei keine Rolle – Gewohnheiten vermögen vermeintlich einfaches (z.B. Schuhe binden) und sehr komplexes (z.B. Auto fahren) Verhalten zu steuern (Verplanken, 2005, S. 100). 2.2.4 Auslösung durch spezifische Hinweisreize Habits sind – trotz ihrer automatisierten (und damit unbewussten) Auslösung – darauf ausgerichtet, bestimmte Ziele oder Zustände zu erreichen (Verplanken, 2005, S. 101). Um die Habitualisierung in einer konkreten Situation zu verstehen, ist es hilfreich, die Konsequenzen des jeweiligen Verhaltens zu analysieren. Obwohl das entsprechende Ziel beim Vorliegen einer etablierten Gewohnheit keine bewusste Rolle spielt (die Auslösung erfolgt ja unbewusst), zielt die Ausführung auf zufrieden stellende Folgen ab (vgl. Wood, Quinn, & Kashy, 2002). Als konkretes Beispiel sei an dieser Stelle auf das Anlegen des Sicherheitsgurtes verwiesen: Der Fahranfänger führt dies intentional durch und verfolgt bewusst das Ziel, ein Höchstmaß an Sicherheit zu erhalten (oder einer potentiellen Strafe durch die Polizei zu entgehen). Das dadurch erreichte Sicherheitsgefühl erlebt er als positive Konsequenz. Geübte Fahrer legen den Gurt zunehmend aus Gewohnheit an; dennoch zielt das Verhalten immer noch auf das Erreichen eines erhöhten Sicherheitsstandards ab. Doch was aktiviert das Anlegen des Gurtes? Bei Fahrschülern ist es entweder eine intentionale Entscheidung oder zum Beispiel der Hinweis des Fahrlehrers. Wenn das Verhalten aber habitualisiert ist, übernehmen spezifische Hinweisreize dessen Auslösung (vgl. z.B. Wood & Neal, 2007, S. 844). Meist entstehen Gewohnheiten aus einer zunächst intentional durchgeführten Handlung (Aarts & Dijksterhuis, 2000, S. 54), doch nach und nach führen wir diese nicht mehr aufgrund der Motivation, ein bestimmtes Ziel zu erreichen durch, sondern Hinweisreize fungieren als Cues und initiieren die Ausführung fortan (vgl. z.B. Wood, Tam, & Witt, 2005, S. 918). In dem eben skizzierten Beispiel könnten das Herumdrehen des Zündschlüssels oder das Herausfahren aus der Garage das habituelle Anlegen des Sicherheitsgurtes aktivieren. Ursächlich dafür ist eine Verknüpfung zwischen dem Erreichen eines bestimmten Zieles (ein Mehr an Sicherheit) oder Zustandes und des dafür notwendigen Verhaltens (Anlegen des
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Gurtes). Die Hinweisreize primen also bestimmte Ziele, wobei dieses Priming unbewusst erfolgen kann (Bargh & Chartrand, 1999). Die Vorstellung, dass ein mentaler Link über einen bestimmten Zeitraum stärker wird (Aarts & Dijksterhuis, 2000, S. 54f.), geht eng mit dem Verständnis von Gewohnheiten als neuronal assoziierte Antwortmuster einher (s. o., vgl. auch Ouellette & Wood, 1998; Wood, Quinn, & Kashy, 2002): Führt man ein Verhalten immer wieder in einem stabilen Kontext (z.B. gleicher Ort, gleiche Zeit etc.) durch, entstehen Assoziationen zwischen bestimmten Reizen und der Ausführung (Wood, Tam, & Witt, 2005). Spezifische Lernprozesse stärken oder schwächen diese Verbindung (die Prozesse der Aktivierung durch externe Reize beschreiben z.B. Bargh, 1997; Bargh & Gollwitzer, 1994). Ji und Wood (2007, S. 262) unterscheiden vier Gruppen von Hinweisreizen: „specific times, locations, moods and interaction partners“. Die Aufteilung birgt indes zwei Desiderate: Zum einen erscheint der Begriff „locations“ zu spezifisch. Nicht nur ein bestimmter Ort ist als Auslöser einer Gewohnheit denkbar, diverse externe Reize könnten als spezifische Cues fungieren. Das Betreten des Wohnzimmers lässt den Raucher vielleicht noch nicht zur Zigarette greifen, doch der Anblick der Schachtel auf dem Tisch könnte das Rauchen initiieren. Ein Ort kann ebenso als Hinweisreiz wirken wie eine Person, die diesen betritt (dies erfassen Ji und Wood separat), ein Geruch in einem Raum oder ein bestimmtes Geräusch. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass der Jingle, der die Verkehrsnachrichten im Radio ankündigt, bei manchen Personen die Gewohnheit aktiviert, das Gerät lauter zu drehen. Eine Beschränkung auf spezifische „locations“ sowie auf rein visuelle Reize ist demnach unzulässig. Zum Zweiten erfasst die Aufzählung der Autoren nicht vorausgehendes und momentanes Verhalten als mögliche Hinweisreize. Sowohl die Aufnahme als auch das Ende eines Verhaltens können die Auslösung einer Gewohnheit aktivieren. Um bei den oben skizzierten Beispielen „Auto fahren“ und „rauchen“ zu bleiben: Die beginnende Fahrt im Auto könnte beim Fahrer ein Reiz für das Anzünden einer Zigarette sein. Die vorliegende Arbeit knüpft an die Zusammenstellung von Ji und Wood (2007, S. 262) an, unterscheidet ebenso zwischen Zeiten und Stimmungen als relevante Hinweisreize, ersetzt das zu spezifische „locations“ jedoch durch sämtliche externe Gegebenheiten, worunter auch die Anwesenheit dritter Personen fällt, und nimmt vorausgehendes bzw. momentanes Verhalten als weitere Oberkategorie auf. Insgesamt existieren somit vier Gruppen an Hinweisreizen:
Externe Gegebenheiten Zeiten Stimmungen Vorausgegangenes bzw. momentanes Verhalten
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Diese können einzeln oder in Interaktion auftreten. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Rolle von Hinweisreizen bei der Fernsehnutzung liefert Kapitel 2.3.1. 2.2.5 Begriffsabgrenzungen Eine große Anzahl verschiedener Begriffe schwirrt durch die Literatur, die sich mit Gewohnheiten auseinandersetzt. Vergangenes, wiederholtes, automatisiertes Verhalten, Routine und Ritual tauchen hier und da als Synonyme für Habits auf. Die vermeintlich ähnlichen Begriffe bedeuten aber oftmals sehr Unterschiedliches. Ihre undifferenzierte Verwendung trägt dazu bei, dass Unklarheiten und Missverständnisse entstehen. Dieses Kapitel stellt die häufig auftretenden Termini vor und grenzt sie von Gewohnheiten ab. Unter vergangenem Verhalten versteht man den „Gesamtkorpus des Verhaltens […], das vor der aktuellen Situation gezeigt wurde“ (Klöckner, 2005a, S. 5). Es ist gleichgültig, welche Mechanismen dessen Ausführung initiierten, es könnte intentional, habituell oder von Normen gesteuert sein. Auch ist einerlei, ob es einmalig, sporadisch oder regelmäßig auftrat. Jegliches Verhalten, das jemals von einer bestimmten Person ausgeführt wurde, gehört zu dieser Kategorie. Vergangenes Verhalten ist damit der umfassendste Begriff. Wiederholtes Verhalten ist eine Unterart des vergangenen Verhaltens, das eine bestimmte Verhaltensfrequenz aufweist. Ronis et al. (1989) schlagen vor, dass es sich dann um (regelmäßig) wiederholtes Verhalten handelt, wenn es mindestens zweimal im Monat und mindestens schon zehnmal ausgeführt wurde (s. o.). Andere Autoren fordern hier eine wesentlich häufigere Ausführung: Anderson (1982) nimmt wiederholtes Verhalten erst an, wenn es mindestens hundertmal auftrat. Doch spielt es wiederum keine Rolle, welche Mechanismen die Ausführung steuerten, ob man es zum Beispiel intentional oder habituell ausführte. Ein Arzt könnte zum Beispiel einen bestimmten Eingriff zum hundertsten Mal sehr bewusst und intentional durchführen, während er die dafür anfallenden Protokolle rein gewohnheitsmäßig ausfüllt: Es handelt sich beide Male um wiederholtes Verhalten. Wenn dem wiederholten Verhalten keine aktiven Entscheidungsprozesse zu Grunde liegen, es schwer zu kontrollieren und mental leistungseffizient ist sowie unbewusst und unbeabsichtigt erfolgt, spricht man von automatisiertem Verhalten (Bargh, 1994). Nicht all diese Voraussetzungen müssen allerdings erfüllt sein, damit es sich um automatisiertes Verhalten handelt. Die schwere Kontrollierbarkeit und die mentale Leistungseffizienz beurteilen manche Autoren ohnehin eher als Folgen der Automatisierung. Gewohnheitsmäßig ausgeführtes Ver-
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halten läuft automatisiert ab, automatisiertes Verhalten muss hingegen nicht durch Gewohnheiten gesteuert werden. Nicht nur umgangssprachlich nutzt man die Begriffe Routine und Gewohnheit synonym, auch viele Forscher differenzieren sie nicht. Dies ist problematisch, weil „Routine“ auf zwei vollkommen unterschiedliche Weisen konzeptualisiert wird. Einerseits versteht man darunter „die Alternative, die einer Person als Lösung in den Sinn kommt, wenn sie erneut einer Entscheidungssituation begegnet“ (Betsch, 2005, S. 262). Demnach ist eine Routine die mentale Repräsentation eines Verhaltens (oder einer Verhaltenssequenz), das dominant mit der Repräsentation eines Entscheidungshandelns verknüpft ist. Dieser Ansicht nach unterschieden sich Routinen zumindest in zwei wichtigen Punkten von Gewohnheiten: Zum einen müssten sie nicht „durch häufige[n] Wiederholung des Verhaltens in der Vergangenheit“ erlernt worden sein, sie können auch durchaus durch „one trial learning“ oder durch eine Anleitung erworben werden (Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005, S. 233). Zum anderen enthält das Konzept der Routine keine Annahmen über deren Auslösung; eine Aktivierung durch Hinweisreize, wie bei Gewohnheiten, ist keine konstituierende Voraussetzung (Betsch, 2005, S. 262). Eine andere Auffassung von Routinen skizziert zum Beispiel Klöckner (2005a, S. 6): Er erkennt darin den „Ausschnitt des automatisierten Verhaltens, der durch Gewohnheiten kontrolliert wird“. Nach diesem Verständnis steuern Gewohnheiten die Ausführung von Routinen. Während man also einerseits Routinen explizit von Gewohnheiten abgrenzt (z.B. Betsch, 2005), sehen andere in Routinen das durch Gewohnheiten gesteuerte Verhalten selbst (Klöckner, 2005a; Klöckner & Matthies, 2004). Aus dem jeweiligen Verständnis ergeben sich vollkommen unterschiedliche Konsequenzen. Aufgrund der Unschärfe des Begriffes sollte man ihn bei der Erforschung von Gewohnheiten meiden. Ähnlich unscharf ist auch der Terminus Ritual. Fuchs-Heinritz (1994, S. 566) definiert Rituale als „sozial geregelte, kollektiv ausgeführte Handlungsabläufe, die nicht zur Vergegenständlichung in Produkten oder zur Veränderung der Situation führen, sondern die Situation symbolisch verarbeiten und häufig religiöse, immer aber außeralltägliche Bezüge haben“. Man nutzt den Begriff auch „allgemein in der Bedeutung von fest gefügten Modellen und Spielregeln des sozialen Verhaltens“ (Fuchs-Heinritz, 1994, S. 566). Sowohl Gewohnheiten als auch Rituale sind also weitgehend festgelegte Verhaltensweisen. Zentraler Unterschied zwischen beiden Begriffen ist die stärker kollektivbezogene und sozial verbindlichere Funktion des Rituals – letzteres hat eine formale Gestalt, ein Regelwerk, dessen Einhaltung von Bedeutung ist. Rituale erfordern mehr kognitive Beteiligung und „ihre Durchführung bedeutet für den Beteiligten ganz bewusst etwas“ (Mehling, 2007, S. 32). Die Unterscheidung von Gewohnheiten
2.2 Kennzeichen von Gewohnheiten
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und Ritualen ist analytisch notwendig, empirische Trennschärfe ist indes nicht immer gewährleistet: Sieht eine Familie jeden Sonntag gemeinsam den „Tatort“, ist es schwierig, habituelle und ritualisierte Anteile dieser Nutzung präzise abzustecken. Eine weitergehende kommunikationswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff liefert Kapitel 2.3.2. Zudem muss man Habituation und Habitualisierung strikt unterscheiden. Während letztere den Vorgang des „Zur-Gewohnheit-Werdens“ bezeichnet, beschreibt Habituation die Gewöhnung an einen Reiz. Die wiederholte Auslösung ein- und desselben Stimulus führt zu einer kontinuierlichen Abnahme der darauf folgenden (motorischen oder sensorischen) Reaktion (Gerrig & Zimbardo, 2008, S. 193; vgl. dazu auch Hinde, 1970). Sowohl Reaktionsstärke als auch Reaktionshäufigkeit können nachlassen. Ein lauter Knall mag beim ersten Mal eine Schreck- und Orientierungsreaktion herbeiführen, in einer Silvesternacht fährt man jedoch nicht bei jeder Explosion eines Feuerwerkskörpers verängstigt zusammen. Nach längerem Ausbleiben des Reizes kann eine Erholung eintreten, und die ursprüngliche Reaktion erfolgt erneut in voller Intensität (vgl. z.B. Hinde, 1970). Gerade die Kommunikationswissenschaft nimmt diese Differenzierung nicht immer vor: Die wiederholte Betrachtung von Fernsehgewalt und die daraus resultierende Gewöhnung daran thematisieren viele Autoren unter dem Begriff Habitualisierung (z.B. Brosius, 2006; Kunczik & Zipfel, 2006; Schenk, 2002). Kern dieser Theorie ist, dass mit der dauerhaften Rezeption medialer Gewaltdarstellungen Effekte der Desensibilisierung einhergehen, emotionale Reaktionen abnehmen und bisweilen ausbleiben. Die Befürchtung, dass dies auch zum Abstumpfen gegenüber realer Gewalt führe, ist nur unzureichend belegt – eine überzeugende empirische Untermauerung fehlt bislang (vgl. z.B. Kunczik & Zipfel, 2006, S. 113ff.). Weil es sich bei diesen vermuteten Prozessen um eine Gewöhnung handelt, trifft der Terminus „Habitualisierung“ nicht zu; man sollte ihn zukünftig durch „Habituation“ ersetzen. 2.2.6 Resümee zu Gewohnheiten Psychologische Handlungsmodelle beschreiben meist singuläre Entscheidungssituationen und vernachlässigen, dass wir einen Großteil unseres Verhaltens stetig wiederholen. Daher schenkte man dem Konzept der Habitualisierung lange Zeit wenig Beachtung und begann erst Ende der 90er Jahre mit umfänglichen empirischen Analysen. Vier Aspekte sind für Gewohnheiten konstitutiv: (1) Man erlernt sie durch regelmäßige Wiederholung; eine wiederholte Ausführung basiert jedoch nicht notwendigerweise auf Gewohnheiten – man kann ein Verhalten durchaus mehrfach intentional durchführen. Für die Etablierung von Habits ist es
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
hilfreich, wenn die Ausführung des entsprechenden Verhaltens regelmäßig, zufrieden stellend und zumeist im stabilen Kontext erfolgt. (2) Gewohnheiten sind Wissensstrukturen und kein tatsächlich gezeigtes Verhalten. (3) Gewohnheiten lösen ein entsprechendes Verhalten (und damit verbundene mentale Prozesse) automatisiert aus. Die Aktivierung erfolgt daher unbewusst, das entsprechende Verhalten ist schwer zu kontrollieren und mental leistungseffizient. Das Automatische bezieht sich nur auf die Auslösung, nicht zwangsläufig auf die Durchführung (wobei bestimmte Teilaspekte davon durchaus automatisiert sein können). (4) Die Auslösung des Verhaltens erfolgt durch spezifische Hinweisreize. Dies können externe Gegebenheiten, Zeiten, Stimmungen oder vorausgegangenes bzw. momentanes Verhalten sein. Auf diesen vier Komponenten baut die Definition der vorliegenden Arbeit auf: Gewohnheiten sind durch regelmäßige Wiederholung erlernte Wissensstrukturen, die ein entsprechendes Verhalten (und damit verbundene mentale Prozesse) beim Vorliegen spezifischer Hinweisreize automatisiert auslösen. Mit der Aussage „Habit is a tremendously powerful force not to be trifled with“ kreieren Bentley und Len-Rios (2002, S. 1) ein düsteres Bild von Gewohnheiten: Eine mächtige Kraft, mit der man nicht spaßen sollte. Auch der deutsche Volksmund rät, man solle die Macht der Gewohnheit nicht unterschätzen. Diese Redensart hat meist eine negative Konnotation und dient als Entschuldigung für die versehentliche Ausführung einer vertrauten Tätigkeit. Man steigt beispielsweise am Samstagmorgen in sein Auto, um Brötchen zu kaufen, und schlägt versehentlich den Weg zur Arbeit ein. Der Grund dafür ist die automatisierte (und damit unbewusste) Aktivierung des Verhaltens „Zur Arbeit fahren“ durch bestimmte Reize, wie zum Beispiel „Frühmorgens im Auto sitzen“ (eine detaillierte Auseinandersetzung mit sog. „action slips“ findet man bei Norman, 1981; Reason & Mycielska, 1982). Bei einer etablierten Gewohnheit können wir uns wegen der unbewussten und unbeabsichtigten Aktivierung kaum gegen die Durchführung des Verhaltens „wehren“ (Bargh, 1994; Bargh, 1997). Die automatisierte Aktivierung ist dafür verantwortlich, dass wir Verhaltensweisen mit längerfristig negativen Konsequenzen stetig wiederholen, selbst wenn wir uns vornehmen, diese nicht mehr auszuführen. Verstärkt wird dies durch die Ausrichtung von Habits auf einen – zumindest kurzfristigen – positiven Zustand. Das fällt umso mehr bei „schlechten Gewohnheiten“ auf. Ein Beispiel für die kurzfristige, positive Verstärkung eines Verhaltens, bei dem längerfristige negative Konsequenzen in den Hintergrund treten, ist das Rauchen (Verplanken, 2005, S. 103). Auf-
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
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fallend ist, dass man im Alltag meist von „schlechten Gewohnheiten“ und selten von „guten Gewohnheiten“ hört. Dieses Kapitel zeigt, dass dies unangebracht ist, weil man die positiven Effekte von Habits jeden Tag nutzt – nur bemerkt man dies eben kaum. 2.3 Habituelle Fernsehnutzung Die in der Einleitung geschilderte Metapher vergleicht die Mediennutzungsforschung mit einem unvollendeten Puzzle und beschreibt Gewohnheiten als ein nicht eingesetztes Teilchen, das vom Tisch fiel (vgl. dazu Stone & Stone, 1990, S. 25). Verschiedene Forscher sahen dieses Teilchen auf dem Boden liegen und forderten, man solle es in das Puzzle einsetzen; doch genauso regelmäßig verschwanden diese Forderungen wieder. Newell und LaRose (2004, S. 3) schildern dies spöttisch als „periodic ‚rediscoveries’ of the concept“. Man entdeckte den Einfluss der Habitualisierung nicht einmalig, und fortan gehörten Habits zum festen Bestandteil der Forschung. Vielmehr brachte man Nutzungsgewohnheiten immer wieder aufs Neue ans Licht, jedes Mal erstaunt über die vermeintliche Neuentdeckung. Diese Entwicklung beginnt in den 40er und 50er Jahren mit Untersuchungen zur Rezeption von Zeitungen und Hörfunk und setzt sich insbesondere in den 70er und 80er Jahren mit Studien zur Fernsehnutzung fort. Als „erste Vertreterin des noch nicht ‚erfundenen’ Nutzen- und Belohnungsansatzes“ (Schweiger, 2007, S. 51) ermittelt Herzog (1944) in einer explorativen Studie, warum Frauen Soap Operas im Radio hören. Die Autorin zeigt, dass die Seifenopern unter anderem dazu dienen, den Tag zu strukturieren. Dieses „bracketing the day“ deutet Herzog implizit als habituelle Nutzung des Mediums (vgl. Rosenstein & Grant, 1997). Auch beim Griff zur Tageszeitung entdeckte man früh den Einfluss von Gewohnheiten: In seiner Untersuchung „What ‚Missing the newspaper’ means“ nutzt Berelson (1949) die Gelegenheit eines Zeitungsstreiks und befragt Personen, wie sie den Ausfall der täglichen Lektüre erleben. Die Analyse zeigt, dass der Streik einen festen Bestandteil des Alltags erschüttert: die Lesegewohnheiten. „At least half the respondents referred to the habit nature of the newspaper“ resümiert Berelson (1949, S. 126) und listet einige der Aussagen auf: „It’s a habit…when you’re used to something, you miss it…I had gotten used to read it at certain times…It’s been a habit of mine for several years […] The habit’s so strong...It’s just a habit and it’s hard to break it“. Die Leser greifen also keineswegs nur intentional nach dem Blatt, sondern stark habitualisiert („ritualistic and near-compulsive character“, Berelson, 1949, S. 126) und nehmen den auferlegten „Verzicht als Eingriff in die Gewohnheiten“ wahr (Jäckel, 2003, S. 15). Kimball (1959) bestätigt in einer ganz ähnlichen
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Untersuchung den habituellen Charakter der Nutzung von Tageszeitungen ebenso wie diverse andere Studien in den folgenden Jahren und Jahrzehnten (z.B. Bock, 1980; Elliott & Rosenberg, 1987; Stone & Wetherington, 1979). Bereits in den 40er und 50er Jahren wiesen also Untersuchungen auf den Einfluss von Gewohnheiten auf die Radio- und Zeitungsnutzung hin – und auch die Habitualisierung der Fernsehnutzung entdeckte man nicht erst in den letzten Jahren. Vor allem die Studien, die in der Tradition des Uses-and-GratificationsAnsatzes in den 70er und 80er Jahren entstanden, brachten immer wieder Nutzungsgewohnheiten als „Motiv“ der Fernsehnutzung (vgl. Kapitel 2.3.3) ans Licht. Dass der Ansatz während jener Jahre in den USA regelrecht aufblühte, ist der Verbreitung des Kabelfernsehens in den Vereinigten Staaten und den damit verbundenen vermehrten Auswahlmöglichkeiten geschuldet. Erst diese machten die Erforschung von TV-Nutzungsmotiven relevant: „Warum wählen Rezipienten ein bestimmtes Programm?“ war plötzlich eine Frage, die auch aus ökonomischen Gründen interessierte. So entstand eine ganze Reihe von Studien, die allesamt nach verschiedenen Motiven suchten und dabei auf Gewohnheiten stießen (z.B. Bock, 1980; Greenberg, 1974; Perse & Rubin, 1988; Rubin, 1983). Die meisten der Untersuchungen ähneln einander in mehreren Gesichtspunkten: Sie sind deskriptiv, haben die Vorstellung eines aktiven, bewusst auswählenden Publikums und suchen nach Nutzungsmotiven bzw. Gratifikationen. Dabei zeigen sie, dass Gewohnheiten bei der Fernsehnutzung eine Rolle spielen. Dennoch rücken nicht Habits in den Fokus der Forschung, sondern „andere Motive“: Insbesondere das Unterhaltungs- und Informationsmotiv stehen im Mittelpunkt vieler Studien, auch eskapistische Mediennutzung nahm man genauer unter die Lupe. Gewohnheiten operationalisierte man kurzerhand als ein Motiv unter anderen; deren Bedeutung innerhalb der Motiv- bzw. Gratifikationskataloge bringt aber einige Forscher ins Grübeln. So resümiert zum Beispiel Blumler (1979) nach Durchsicht der bis dato in der Tradition des Uses-andGratifications-Ansatzes durchgeführten Studien, dass die Medienpublika wohl weniger zielgerichtet agieren als bislang angenommen und deren Mediennutzung mehr durch Gewohnheiten bestimmt werde. Gleichwohl beachtet man diese kaum, und es existieren nur wenige empirische Arbeiten, die sich mit habitueller Fernsehnutzung auseinandersetzen. Dies ist aber nicht die einzige Lücke, die hier klafft: Mindestens ebenso gravierend ist der Mangel einer theoretischen Fundierung. Man beleuchtet bisher Randaspekte eines Phänomens, dessen Kern im Dunkeln liegt. Dies beginnt damit, dass Definitionen rar sind und einige scheinbar ähnliche Begriffe durch die Literatur schwirren. Dieses Kapitel definiert Fernsehnutzungsgewohnheiten (Kapitel 2.3.1) und entschlüsselt das Durcheinander verschiedener Bezeichnungen (Kapitel 2.3.2). Zudem hinterfragt und kritisiert es die Konzeption von Gewohnheiten
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
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als eines von mehreren Motiven (Kapitel 2.3.3) sowie das Gleichsetzen von passiver und habitueller Fernsehnutzung (Kapitel 2.3.4). 2.3.1 Fernsehnutzungsgewohnheiten Nur selten explizieren Autoren, was sie unter Medien- bzw. Fernsehnutzungsgewohnheiten verstehen; die wenigen existierenden Ausführungen sind vage und heterogen (vgl. Rosenstein & Grant, 1997, S. 325). Präzise Begriffsbestimmungen mied man bisher regelrecht. Manche Arbeiten begnügen sich auch mit zirkulären Definitionsphrasen: „Als habituell wird eine Fernsehnutzung aus Gewohnheit verstanden, wobei das Medium häufig zur Strukturierung des Tagesablaufs benutzt wird und/ oder als Hintergrundmedium bei gleichzeitiger Verrichtung anderer Tätigkeiten fungiert“ konstatieren Schmidt, Bruns, Schöwer und Seeger (1989, S. 96). Wenn man bei einer Definition das Wort „habituell“ durch dessen Synonym „aus Gewohnheit“ ersetzt („idem per idem“), stiftet man nur Verwirrung, und es hilft bestenfalls gar nicht weiter. Bei der Logik der Definition eines Begriffes durch sich selbst, könnten die Autoren genauso gut schreiben: „Als gewohnheitsmäßig wird eine habituelle Fernsehnutzung verstanden“. Der zweite Teil der Definition verwirrt zusätzlich: Natürlich kann das Fernsehen den Tagesablauf strukturieren oder als Hintergrundmedium fungieren – das ist aber kein konstituierendes Element der habituellen Nutzung. Man könnte den Tagesablauf auch intentional mit Hilfe des TV-Gerätes strukturieren, indem man sich zum Beispiel fest vornimmt, nach verrichteter Arbeit den Fernseher einzuschalten. Auch Consbruch (1995, S. 65) versucht sich an einer Definition und konstatiert: „Unter habitueller oder ritueller Mediennutzung versteht man in diesem Sinne in bestimmten Abständen gleichförmig auftretende Mediennutzungsmuster“. Sie setzt also die wiederholte Nutzung eines Mediums mit Nutzungsgewohnheiten gleich. Dass „gleichförmig auftretende“ Rezeptionen auch intentional gesteuert sein können, übersieht sie und missachtet weitere wesentliche Merkmale von Habits (vgl. Kapitel 2.2). Den wenigen Versuchen, den Begriff Fernsehnutzungsgewohnheiten zu definieren, steht aber viel häufiger ein vollkommen unreflektierter Umgang mit dem Konstrukt gegenüber: Die Forscher benutzen die Begriffe, ohne zu explizieren, was sie darunter verstehen, wodurch ein begriffliches Chaos vorprogrammiert scheint. Die hier entwickelte Konzeption von Fernsehnutzungsgewohnheiten zieht die in Kapitel 2.2 beschriebenen Merkmale von Habits heran und überträgt diese auf die Spezifika der Fernsehnutzung.
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Fernsehnutzungsgewohnheiten erlernt man durch regelmäßige Rezeption Gewohnheiten haben eine geschichtliche Entwicklung hinter sich; man führte das von ihnen gesteuerte Verhalten bereits in der Vergangenheit mehrmals durch (Verplanken, 2005, S. 100). Auch Fernsehnutzungsgewohnheiten entstehen nicht aus dem Nichts; man erlernt sie über einen bestimmten Zeitraum. Das wiederholte Einschalten des Fernsehgerätes oder die mehrfache Rezeption eines bestimmten Inhalts können zum Aufbau von Gewohnheitsstrukturen führen. Wiederum ist es notwendig, zwischen Wiederholung und Regelmäßigkeit zu differenzieren (Fuchs, 2007; Verplanken, 2006): Schaut zum Beispiel jemand viermal die Woche fern, allerdings an verschiedenen Orten, zu wechselnden Zeiten und unterschiedliche Inhalte, hat er vielleicht eine weniger ausgeprägte Gewohnheit als eine Person, die nur einmal pro Woche fernsieht, den Apparat aber stets Sonntagabend um 20:15 anschaltet, um den „Tatort“ zu verfolgen. Ein Mehr an Nutzung bedeutet also nicht generell eine ausgeprägtere Habitualisierung. Dennoch drängt sich die Vermutung auf, dass Nutzungsumfang und Habitstärke positiv korrelieren, doch wies man den Zusammenhang bislang nicht empirisch nach (oder setzte Nutzungsumfang und Habitstärke gleich). Es ist schwierig, generelle Schlüsse über Häufigkeit und Rhythmik der Nutzung zu ziehen, bis eine Gewohnheit etabliert ist. Zunächst wäre ohnehin fraglich, ab welchen Grenzwerten man von einer „Etablierung“ reden könnte; man müsste zudem soziodemographische, psychographische und situative Faktoren berücksichtigen. Ein einheitliches Maß, um dem Kriterium der regelmäßigen Wiederholung zu genügen, kann und wird es nicht geben – dennoch sollte es Ziel zukünftiger Forschung sein, Näherungswerte dafür zu bestimmen. Wie bei anderen Gewohnheiten auch (vgl. z.B. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998; Verplanken & Faes, 1999), ist es für die Entstehung von TVHabits förderlich, wenn der Rezipient die Konsequenzen der Fernsehnutzung als subjektiv zufrieden stellend erlebt. Die Tendenz, positive Erlebenszustände zu wiederholen (vgl. z.B. Kahneman, 1999; Rozin, 1999), spielt bei der Fernsehnutzung generell eine wichtige Rolle. Kubey und Csikszentmihalyi (1990, S. 137) begreifen das Fernsehen bzw. die Rezeption bestimmter Inhalte als Verstärker im Sinne einer operanten Konditionierung (Skinner, 1969), weil die Zuschauer die Konsequenzen der Rezeption (z.B. Entspannung) als unmittelbare, positive Belohnung erleben. Das regelmäßig wiederholte Einschalten des Fernsehapparates ist ein Indikator für eine Gewohnheit, aber allein nicht konstitutiv, um Fernsehnutzungsgewohnheiten zu beschreiben. Fernsehnutzungsgewohnheiten sind spezifische Wissensstrukturen Fernsehnutzungsgewohnheiten sind spezifische Wissensstrukturen, die das entsprechende Verhalten (das Einschalten des Gerätes bzw. die Auswahl bestimmter
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
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Inhalte) steuern. Diese Differenzierung ist für die Kommunikationswissenschaft essentiell: Habituell gesteuertes Einschalten lässt zwar bestimmte Nutzungsmuster entstehen, doch eine intentional gesteuerte Selektion kann ebensolche „viewing patterns“ hervorbringen. Kapitel 2.2.2 skizzierte die Diskussion, wie Gewohnheiten im Gedächtnis repräsentiert sind: Während Wood, Quinn und Kashy (2002; vgl. auch Ouellette & Wood, 1998) Habits als neuronal assoziierte Antwortmuster verstehen und von Konditionierungsprozessen zwischen einem (zielführenden) Verhalten und einem Hinweisreiz ausgehen, konzipiert Enste (1998) Gewohnheiten als Entscheidungsheuristiken. Verplanken und Aarts (1999; vgl. z.B. auch Verplanken et al., 1994) vertreten hingegen die Auffassung von Habits als Ereignis-Schemata bzw. Skripte (Bartlett, 1932; Neisser, 1976; Piaget, 1976). Rosenstein und Grant (1997) folgen dieser Konzeption und gehen davon aus, dass Fernsehnutzungsgewohnheiten als Skripte im Gedächtnis repräsentiert sind, welche die grobe Struktur der Abläufe speichern. Ein solches FernsehsnutzungsSkript kann zum Beispiel die Vorgänge „Fernseher einschalten, Fernbedienung nehmen, auf die rechte Seite der Couch setzen, RTL wählen“ beinhalten. Auch hier können situative Determinanten sowie bestimmte Abläufe durchaus variieren (vgl. Abelson, 1981): Ob man tatsächlich RTL oder einen anderen Sender einschaltet oder mit der linken Seite der Couch vorlieb nehmen muss, weil die andere okkupiert wird, stört den prototypischen Ablauf der Fernsehnutzung nicht oder nur unwesentlich. Fernsehnutzungsgewohnheiten lösen die Nutzung automatisiert aus Bei einer von Gewohnheiten gesteuerten Fernsehnutzung erfolgt das Einschalten des Gerätes bzw. die Wahl eines bestimmten Inhalts automatisiert. In Anlehnung an Bargh (1994) bedeutet dies, dass die Auslösung (1.) unbewusst erfolgt und die Fernsehnutzung (2.) schwer zu kontrollieren ist; zudem (3.) spart die habitualisierte Nutzung kognitive Ressourcen, sie ist mental leitsungseffizient14. Wie oben beschrieben, ist nicht jede dieser Komponenten eine notwendige Voraussetzung (Verplanken, 2005, S. 101). Zentral ist, dass lediglich die Auslösung automatisiert erfolgt, nicht die gesamte Rezeption. Die Nutzung kann angebotsspezifisch und angebotsunspezifisch erfolgen Man muss zwischen „watching programs“ und „watching TV“ unterscheiden, also dem gezielten Sehen bestimmter Inhalte und dem unspezifischen Einschalten des Fernsehgerätes, unabhängig vom inhaltlichen Angebot (Hirsch, 1980, S. 87). Die in der Tradition des Uses-and-Gratifications-Ansatzes entstandenen Studien untersuchen sowohl die angebotsspezifische als auch die angebotsunspe14 Die unbeabsichtigte Auslösung, die Bargh (1994) als vierte Komponente angibt, ist für Gewohnheiten nicht konstitutiv (vgl. Verplanken, 2006, S. 640; Verplanken & Orbell, 2003).
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
zifische Auswahl, wenngleich einige die Differenzierung nur unzureichend vornehmen (Weibull, 1985, S. 142); viele Analysen fragen recht allgemein nach der Mediennutzung. Vorderer (1992, S. 61ff.) greift diese Differenzierung auf und unterscheidet drei Varianten der Selektivität gegenüber Fernsehangeboten: Man könne das Medium instrumentell-angebotsspezifisch (man schaltet den Fernseher intentional ein, um einen bestimmten Inhalt zu rezipieren), instrumentellangebotsunspezifisch (man schaltet intentional ein, um ein bestimmtes Motiv, z.B. das nach Unterhaltung zu befriedigen) und habituell (man schaltet das Gerät aus reiner Gewohnheit an) nutzen. Diese Unterteilung ist wesentlich, doch übersieht Vorderer, dass die Differenzierung von angebotsspezifischer und unspezifischer Zuwendung ebenso für die habituelle Nutzung gilt. Nordenstreng (1969, S. 257) weist schon vor Jahrzehnten darauf hin, dass man die gewohnheitsmäßige Nutzung eines Mediums von der gewohnheitsmäßigen Nutzung bestimmter Inhalte abgrenzen muss – dies findet jedoch bislang keine Beachtung. So könnte ein Rezipient die Gewohnheit haben, immer den Fernseher einzuschalten, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt – welche Sendung er auswählen wird, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht; er nutzt das Medium habituell-angebotsunspezifisch. Ein anderer Zuschauer mag die Gewohnheit haben, um 19:00 Uhr die Nachrichten des ZDF zu verfolgen – auch er schaltet das TV-Gerät habituell ein, jedoch weil ein bestimmter Inhalt zu diesem Zeitpunkt gesendet wird. Er nutzt das Medium habituell-angebotsspezifisch. Ob die meisten Rezipienten unabhängig von spezifischen Inhalten oder gerade wegen bestimmter Inhalte den Fernseher einschalten und wie viele dies (eher) habituell bzw. (eher) intentional durchführen, ist weitgehend ungeklärt. Indizien für eine habituell-angebotsunspezifische Nutzung des Fernsehens liefern Studien, die spezifische Nutzungsmuster untersuchen. So zeigt Zubayrs (1996, S. 156) Analyse von Programmbindungsraten bei Sendeplatzverschiebungen, dass „ein bedeutsamer Anteil der Zuschauer auf dem alten Sendeplatz“ bleibt – wenngleich etwas größere Zuschauerwanderungen zwischen den alten und neuen Sendeterminen stattfinden als zuvor. Ob man diese Effekte vorrangig oder partiell auf eine habituell-angebotsunspezifische Nutzung des Fernsehens zurückführen kann oder ob andere Ursachen dies verantworten (z.B. Kanaltreue), verraten die Daten freilich nicht; Zubayr bleibt bei der Interpretation der Daten vorsichtig und will die Zuschauer nicht als inhalts- oder medienorientiert einordnen. Allerdings stützen auch die Ergebnisse von Rosenstein und Grant (1997) die Annahme einer ausgeprägten habituell-angebotsunspezifischen Nutzung: Grundidee ihrer Studie ist die Beobachtung, dass das Fernsehprogramm an Werktagen eine deutliche Konstanz aufweist (vgl. Kapitel 2.1.4), viele Sender aber an Wochenenden (und Feiertagen) von dem werktäglichen Programmschema abwei-
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
51
chen (vgl. z.B. Rott & Schmitt, 2000, S. 542). Ein Blick in die Programmzeitschrift zeigt zwar, dass die Nachrichtensendungen der Vollprogramme meist auf den wochentäglichen „time slots“ bleiben, doch das restliche Programm unterscheidet sich erheblich. „If viewing is a purely rational and volitional activity, the clear structural and programmatic differences between weekends and weekdays should result in very unique viewing patterns during each those periods“ (Rosenstein & Grant, 1997, S. 333). Nimmt man aber einen starken Effekt der Habitualisierung an, der zu fest verankerten Nutzungszeiten führt, müssten die Nutzungsmuster am Wochenende trotz des veränderten Tagesablaufs und der Programmunterschiede den wochentäglichen Zeitmustern gleichen. In einer ReAnalyse von Tagebuchdaten erkennen die Autoren deutliche Parallelen zwischen den Uhrzeiten, zu denen am Wochenende und an Werktagen ferngesehen wird. Diesen Effekt interpretieren sie als von Gewohnheiten gesteuert: „The model provides strong evidence for habitual viewing in the early morning and evening hours, independent of programmatic content. One possible interpretation for this is that people habitually wake up in the morning, or return home from whatever their daytime activities are, and turn on their television sets heedless of what shows might be on“ (Rosenstein & Grant, 1997, S. 340). Dass die Rezipienten aus Gewohnheit zu diesen Zeiten fernsehen, können die Daten zwar nicht zweifelsfrei belegen, doch wäre dies eine stimmige Interpretation der Befunde. Gewohnheiten vermögen nicht nur das Einschalten des Fernsehgerätes (gleich, ob angebotsspezifisch oder -unspezifisch) zu steuern, sondern beeinflussen auch das Umschalten während der Rezeption. Der regelmäßige Griff zur Fernbedienung (z.B. zu bestimmten Zeitpunkten oder beim Auftauchen bestimmter Inhalte) führt zu dessen zunehmender Automatisierung. Das Ende einer Sendung, indiziert durch den Abspann, könnte zum Hinweisreiz für ein sofortiges Umschalten werden: Der Zuschauer wählt entweder aus Gewohnheit einen anderen Sender oder beginnt ein nachfolgendes „Flipping“, um sich einen Überblick über das Programmangebot zu verschaffen (Niemeyer & Czycholl, 1994, S. 41). Der Griff zur Fernbedienung würde in diesem Beispiel durch die Gewohnheit aktiviert, die Entscheidung für eine bestimmte Sendung jedoch intentional getroffen. Gewohnheiten könnten nicht nur das programmselektive Umschalten beeinflussen, sondern auch das Verhalten bei Werbeunterbrechungen. Ein Teil der Zuschauer meidet Werbeblöcke durch physische (z.B. Verlassen des Raumes) und psychische Abwesenheit (Wegsehen, Unterhaltung mit Dritten) oder mittels Zapping (vgl. z.B. Niemeyer & Czycholl, 1994; Ottler, 1998). Inwiefern diese Strategien intentional oder habituell erfolgen, hat man bislang nicht erforscht. Weil Werbeunterbrechungen aber wiederholt auftauchen und Rezipienten ein etwaiges Vermeidungsverhalten entsprechend regelmäßig zeigen, sollten Gewohnheiten eine bedeutende Rolle spielen.
52
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Spezifische Hinweisreize fungieren als Auslöser der Rezeption Fernsehnutzungsgewohnheiten entstehen (meist)15 aus einem zunächst intentional durchgeführten Einschalten des TV-Gerätes bzw. einer intentionalen Selektion bestimmter Inhalte. Erlebt der Rezipient die Konsequenzen der Nutzung subjektiv zufrieden stellend (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998; Verplanken & Faes, 1999), wird er die Rezeption wiederholen und versuchen, die positiven Erlebenszustände wiederkehren zu lassen (vgl. z.B. Kahneman, 1999; Rozin, 1999). Folgen hingegen negativ erlebte Konsequenzen, wird der Rezipient andere Inhalte auswählen oder die Fernsehnutzung durch eine andere (mediale oder nicht-mediale) Tätigkeit substituieren. Die Konsequenzen können einerseits unmittelbar positiv sein, wie zum Beispiel die Minimierung unangenehmer und die Maximierung angenehmer Stimmungen. Der Mood-Management-Ansatz von Zillmann (1988a; 1988b; 2000) erklärt beispielsweise die Regulierung von Emotionen durch die Auswahl geeigneter Medieninhalte: Rezipienten versuchen Erregungszustände, die sie als angenehm erleben, herbeizuführen und aufrecht zu erhalten und solche, die sie als aversiv empfinden, zu vermeiden. Welche Stimmung der Nutzer jeweils anstrebt, hängt von verschiedenen personalen und situativen Faktoren ab. Die Theorie geht davon aus, dass die Menschen das Fernsehen (und andere Reize16) dazu nutzen, ein interindividuell unterschiedliches optimales Erregungsniveau hervorzurufen und aufrechtzuerhalten: Wer erschöpft und gestresst ist, sucht Entspannung, wer gelangweilt ist, sucht Erregung. Der Ansatz demonstriert an dieser Stelle exemplarisch, wie Rezipienten affektive Konsequenzen der Fernsehnutzung als zufrieden stellend wahrnehmen. Neben unmittelbar positiven Folgen kann die Rezeption auch mittel- oder langfristig zufrieden stellen, wie das Lob des Chefs, wenn man aufgrund des täglichen Nachrichtenkonsums stets bestens informiert ist. Die (positiv erlebten) Konsequenzen der Rezeption müssen also nicht affektiv sein; auch kognitive, soziale oder identitätsstiftende Folgen kommen in Frage. Beim Vorliegen einer etablierten Gewohnheit verfolgt der Rezipient das Erreichen des jeweiligen Zieles nicht bewusst, da Hinweisreize die Nutzung des Mediums bzw. des Inhalts direkt auslösen (vgl. z.B. Wood & Neal, 2007, S. 844). Wie in Kapitel 2.2.4 dargestellt, differenziert die vorliegende Arbeit vier Gruppen von Hinweisreizen, die jeweils einzeln oder in Interaktion miteinander die Fernsehnutzung bzw. die Nutzung eines bestimmten Inhalts auslösen können: 1. 2. 15
externe Gegebenheiten Zeiten
Vgl. dazu die Diskussion in Kapitel 3.1.1. Obwohl sich die Theorie anfangs auf das Fernsehen bezog, kann man ihre Annahmen auf verschiedene Medien sowie soziale Kontexte übertragen (Schweiger, 2007, S. 350).
16
2.3 Habituelle Fernsehnutzung 3. 4.
53
Stimmungen vorausgegangenes bzw. momentanes Verhalten
1.
Zu den externen Gegebenheiten, welche die Nutzung des Fernsehers aktivieren können, zählen nicht nur Räume („specific locations“, vgl. Ji & Wood, 2007, S. 262), wie das Betreten des Fernsehzimmers oder des Wohnzimmers, auch spezifische Objekte können als Hinweisreize fungieren (vgl. dazu Collins & Loftus, 1975). Zum Beispiel könnten die mit positiven Vorerfahrungen assoziierten Medien selbst, wie der in vielen Wohnzimmern präsente Fernsehapparat, der „Erinnerungen an positive Erlebensqualitäten“ wachruft, solche Hinweisreize sein (Hartmann, 2006, S. 49). Während der Rezeption könnten verschiedene programmimmanente Cues (optische und/ oder akustische Reize) das habituelle Umschalten aktivieren. Die vom Rundfunkstaatsvertrag (§ 7 III; vgl. auch EG-Fernsehrichtlinie Art. 10 I) vorgeschriebene Einblendung optischer Mittel zur Trennung der Werbung von anderen Programmteilen, mag bei manchen Rezipienten zum Hinweisreiz für ein sofortiges Zappen geworden sein – man vermeidet die Werbung aus Gewohnheit (Rossmann, 2000, S. 48). Das Ende einer Sendung könnte das Wechseln des Senders, das Ausschalten des Fernsehers oder einen Tätigkeitswechsel initiieren: Wenn zum Beispiel ein Kind die Gewohnheit hat, unmittelbar nach einer Nachmittagssendung die Hausaufgaben zu erledigen (Mehling, 2007, S. 21). Auch soziale Interaktionspartner zählen zu den externen Hinweisreizen: Das Nachhausekommen des Partners löst vielleicht das Einschalten des Fernsehers oder einen automatisierten Wechsel des Senders aus.
2.
Die periodische Programmierung von Sendungen sorgt dafür, dass diese meist zu festen Zeitpunkten – häufig sekundengenau – starten. Die daraus resultierende Beständigkeit der Programmschemata hat zur Folge, dass das TV-Programm einer präzisen Uhr gleicht und Zuschauer dieses als sozialen Zeitgeber nutzen (Neverla, 1990; Neverla, 1992). Gerbner und sein Team (1979, S. 180) mutmaßen bereits Ende der 70er Jahre, dass Rezipienten „by the clock rather than by the program“ auswählen. Man kann also annehmen, dass zeitliche Hinweisreize bei der Fernsehnutzung eine wichtige Rolle spielen; 20:00 Uhr könnte beispielsweise für viele Deutsche der Auslöser zum Sehen der Tagesschau sein. Doch nicht nur einzelne Sendungen beginnen fortwährend zur gleichen Zeit, Fernsehschaffende lassen feste Programmblöcke stets zu landesweit einheitlichen Zeiten starten: In Deutschland steht zum Beispiel 20:15 Uhr für den Beginn des Abendprogramms der meisten Sender und läutet für zahlreiche Deutsche den Feierabend ein
54
2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten (Gerlach, 2004, S. 236). Um die Verknüpfung einer Uhrzeit mit dem Beginn einer Sendung im Gedächtnis der Zuschauer zu etablieren und zu festigen, achten Programmplaner auf einen möglichst pünktlichen Sendestart. Der Hinweisreiz „Zeit“ beschränkt sich sicherlich nicht nur auf sekundengenaue Zeitpunkte; auch die grobe Feststellung „es ist Abend“ könnte das Einschalten des TV-Gerätes aktivieren.
3.
Diverse Untersuchungen zeigen, dass Emotionen und Stimmungen17 die Fernsehselektion, -rezeption und daraus resultierende Wirkungen intensiv beeinflussen (vgl. z.B. Hullett, 2005; Schramm & Wirth, 2006; Schwarz, Bless, & Bohner, 1991; Zillmann, 1988a; Zillmann, 1988b). Ji und Wood (2007, S. 264) zählen Stimmungen zu den „environmental cues“; dies ist jedoch problematisch: Zwar werden Emotionen durch Umweltreize ausgelöst, Stimmungen kann man jedoch nicht derart konkret auf spezifische externe Ereignisse zurückführen. „Umweltreize“ bzw. „externe Reize“ sind (wie oben dargestellt) ein mögliches Bündel an Cues, doch auch „innere“ Reize könnten als Auslöser fungieren. Wenn man beispielsweise regelmäßig in melancholischer Stimmung das Fernsehgerät einschaltet, weil dies zufrieden stellende Konsequenzen nach sich zieht (z.B. Ablenkung), kann die spezifische Stimmung zum Hinweisreiz werden und das Einschalten des Gerätes von nun an automatisiert auslösen. Der Mood-Management-Ansatz erklärt die auftretenden Lerneffekte durch Mechanismen der operanten Konditionierung (Zillmann, 1988a; Zillmann, 1988b; Zillmann, 2000); ebenso plausibel können aber Prozesse der Habitualisierung dies begründen. Entsprechend mutmaßt Mikos (1995, S. 93), dass es ein habituelles Wegschalten bestimmter Genres oder Sendungen gibt, „von denen man weiß, dass sie einem nicht unbedingt zu einem vergnüglichen Fernsehabend verhelfen“.
4.
Auch die Initiierung oder das Beenden eines Verhaltens können als Hinweisreize die Fernsehnutzung oder die Nutzung bestimmter Inhalte auslösen. Kapitel 2.1.1 wies darauf hin, dass Rezipienten fernsehen, während sie alltägliche Dinge erledigen; der TV-Apparat fungiert häufig als Hintergrund- und Nebenbeimedium (Kuhlmann & Wolling, 2004, S. 396-398). Es gibt keine expliziten Zahlen, wie stabil das der Fernsehnutzung vorausgehende und währenddessen durchgeführte Verhalten ist. Allerdings legen die von Kuhlmann und Wolling (2004) ermittelten Tagebuchdaten nahe, dass es
17 Während Stimmungen ein längerfristiges, kontinuierliches Konstrukt mit relativ schwacher Intensität sind und keine spezifische Ursache haben, sind Emotionen hingegen von relativ kurzer Dauer und schwächerer Intensität, treten episodisch auf und werden von bestimmten Ereignissen ausgelöst (vgl. Parkinson, Totterdell, Briner, & Reynolds, 2000; Schramm, 2005; Zillmann, 2004).
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
55
durchaus bestimmte Tätigkeiten gibt, denen Zuschauer regelmäßig während der Rezeption nachgehen. Insbesondere die Einnahme von Mahlzeiten und das Erledigen von Hausarbeiten bestimmen die Nebenbeinutzung und spannen einen Rahmen für die Rezeption auf (Gauntlett & Hill, 1999, S. 69). Es entstehen feste Assoziationen zwischen dem Einschalten des Fernsehers und der durchgeführten Tätigkeit. Die regelmäßige wiederholte Kombination kann zur Gewohnheitsbildung führen, die Aufnahme der spezifischen Tätigkeit ist dann der Hinweisreiz, der die habitualisierte Fernsehnutzung auslöst. Doch nicht nur die Aufnahme einer Tätigkeit vermag die gewohnheitsmäßige Nutzung des Apparates zu aktivieren, genauso kann das Ende eines bestimmten Verhaltens der Anlass zum Anschalten des TV-Gerätes sein. Die erledigten Hausaufgaben oder die beendete Hausarbeit könnten solche Hinweisreize sein: So bauen zum Beispiel manche Hausfrauen „das Fernsehen als wohlverdiente Pause in ihren Tagesablauf“ ein (Cornelißen, 2000, S. 32). Es gibt kaum Forschung darüber, welche Hinweisreize bei der Fernsehrezeption von zentraler Bedeutung sind und welche eine eher untergeordnete Rolle spielen. Vermutungen und Spekulationen kann man auf Basis der oben stehenden Überlegungen zwar anstellen, doch mangelt es an konkreten Ergebnissen. Es ist schwer möglich, einen direkten „Nachweis“ zu erbringen, ob ein bestimmter Hinweisreiz den Fernsehkonsum in einer spezifischen Situation auslöst und inwiefern andere Faktoren dafür (mit) verantwortlich sind. Behutsam konzipierte experimentelle Designs und Leitfadeninterviews könnten hier Licht ins Dunkel bringen. Definition Die oben skizzierten Merkmale von Fernsehnutzungsgewohnheiten lassen sich in folgender Definition zusammenführen: Fernsehnutzungsgewohnheiten sind durch regelmäßige Rezeption erlernte Wissensstrukturen, welche die Nutzung des Fernsehens (angebotsunspezifisch) oder bestimmter Inhalte (angebotsspezifisch) beim Vorliegen spezifischer Hinweisreize automatisch auslösen. Ein Beispiel soll die hier entwickelte Definition veranschaulichen: Eine Person sieht regelmäßig die „Tagesschau“, um sich abends über die aktuelle Nachrichtenlage zu informieren. Die regelmäßige Wiederholung der Rezeption setzt einen Lernprozess in Gang und führt zu einer Automatisierung des Verhaltens: Die
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Aktivierung erfolgt zunehmend unbewusst, ist schwer zu kontrollieren und mental leistungseffizient. Der Rezipient verknüpft zum Beispiel die Zeit 20:00 Uhr mit dem Sehen der Nachrichten. Das Informationsbedürfnis tritt zunehmend in den Hintergrund und die Intention aktiviert nicht länger das Sehen der Tagesschau, sondern der Hinweisreiz „20:00 Uhr“ löst die Rezeption aus (Verplanken, 2005, S. 100). Dennoch verfolgt die Person – wenn auch nicht intentional – das Ziel „informiert werden“: Sah der Rezipient um 19:00 Uhr heute, würde er die 20:00 Uhr Nachrichten wahrscheinlich trotz vorliegender Habitualisierung nicht mehr ansehen. Diesen Vorgang des „Zur-Gewohnheit-Werdens“ bezeichnet man als Habitualisierung (Bergius, 1982a). 2.3.2 Abgrenzung zu ritualisierter Fernsehnutzung und Nutzungsmustern Die mit dem Terminus der habituellen Fernsehnutzung verbundene begriffliche Unschärfe durchzieht einen großen Teil der kommunikationswissenschaftlichen Literatur, sorgt für Missverständnisse und hemmt den Forschungsfortschritt. Als Synonyme für die gewohnheitsmäßige Nutzung tauchen insbesondere die Begriffe „Nutzungsmuster“ und „ritualisierte Fernsehnutzung“ auf, doch auch „vergangene“, „wiederholte“, „automatisierte“ und „routinierte“ Fernsehnutzung sollte man von der habituelle Nutzung abgrenzen (vgl. dazu auch Kapitel 2.2.5). Vergangene Fernsehnutzung umfasst jegliche Nutzung des Mediums vor der aktuellen Situation (vgl. dazu umfassend Klöckner, 2005a, S. 5). Ob man diese intentional oder habituell durchführt, spielt keine Rolle. Auch ist es gleichgültig, ob die Rezeption einer bestimmten Sendung einmalig oder wiederholt geschieht und ob man regelmäßig oder unregelmäßig einschaltet. Die wiederholte Fernsehnutzung ist eine Unterart der vergangenen Fernsehnutzung, weist jedoch eine bestimmte Frequenz auf. Ob die Rezeption intentional oder habituell gesteuert wird und ob sie regelmäßig oder unregelmäßig stattfindet, ist wiederum irrelevant. Erfolgt der wiederholte TV-Konsum unbewusst und unbeabsichtigt, handelt es sich um automatisierte Fernsehnutzung. Weitere Kennzeichen der automatisierten Nutzung des Mediums sind die schwere Kontrollierbarkeit und die mentale Leistungseffizienz (Bargh, 1994). Die Nutzung des TV aus Gewohnheit erfolgt automatisiert, eine automatisierte Nutzung muss hingegen nicht habitualisiert sein. Die synonyme Verwendung von habitueller und routinierter Fernsehnutzung, ist kaum problematisch, sofern man dem begrifflichen Verständnis von Klöckner (2005a, S. 6) folgt, der Routinen als den „Ausschnitt des automatisierten Verhaltens, der durch Gewohnheiten kontrolliert wird“ definiert. In diesem Sinne wäre eine Fernsehnutzungsroutine das Muster, das die habitualisierte Rezeption entstehen lässt. Allerdings grenzt zum Beispiel Betsch (2005, S.
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
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262) Gewohnheiten explizit von Routinen ab und konzipiert letztere als mentale Repräsentation eines Verhaltens, das dominant mit der Repräsentation eines Entscheidungshandelns verknüpft ist. Sie unterscheiden sich zumindest dadurch von Gewohnheiten, dass man sie nicht durch regelmäßige Wiederholung erlernen muss und sie nicht durch Hinweisreize aktiviert werden. Die beiden unterschiedlichen Konzeptionen zeigen, dass der Begriff „Routine“ unscharf ist und man ihn daher meiden sollte. Auch ritualisierte Fernsehnutzung taucht oft als Synonym für habituelle TV-Nutzung auf (z.B. Rubin, 1984). Kapitel 2.2.5 zeigte, dass der Ritualbegriff komplex und schwierig zu bestimmen ist; man nutzt den Terminus oft „allgemein in der Bedeutung von fest gefügten Modellen und Spielregeln des sozialen Verhaltens“ (Fuchs-Heinritz, 1994, S. 566). Wimmer und Schäfer (1998, S. 9) mutmaßen, dass die „Attraktivität des Ritualbegriffes vielleicht gerade mit seiner Komplexität“ zusammenhängt. Neben einer stabilisierenden (Reduzierung der Umweltkomplexität und Hilfe bei der Alltagsbewältigung) und einer dynamischen Funktion (Wirklichkeitskonstruktion, Erleichterung der kognitiven Verarbeitung neuer Informationen), haben Rituale einen restriktiven und kollektiven Zweck (Fürsich, 1994, S. 30-31). Genau wie Gewohnheiten sind sie weitgehend festgelegte Verhaltensweisen, doch insbesondere die beiden zuletzt genannten Charakteristika unterscheiden Rituale von Habits. Die restriktive Funktion weist dem Ritual einen „zwingenden Charakter“ zu, Abweichungen werden durch Isolation und Verachtung bestraft – ein Mechanismus, den erst die Interaktion von Individuen hervorbringt. Die kollektive Funktion trägt zur Stabilisierung von Gruppenstrukturen bei, festigt Freundschaftssysteme oder Familienstrukturen und sorgt für soziale Nähe und Integration (Fürsich, 1994, S. 31; Mehling, 2007, S. 31). Man legt das Abendessen zum Beispiel so, dass man mit seiner Familie das Sandmännchen sehen kann (Hackl, 2001, S. 29).18 Neben dem stärkeren Kollektivbezug und der ausgeprägten sozialen Verbindlichkeit erfordern Rituale zudem mehr kognitive Beteiligung und haben meist eine tiefere Bedeutung für den Ausführenden (Mehling, 2007, S. 32). Der rituelle Charakter reicht über die rezeptive Phase hinaus: In der prärezeptiven Phase erfolgen zum Beispiel vorbereitende Aktivitäten, wie das Bereitstellen des Essens, nach der Rezeption können sich Gespräche der Beteiligten über das Gesehene anschließen. Mehling (2007, S. 32) präzisiert die Unterschiede anhand eines Beispiels: „Eine Gewohnheit ist es, wenn beim Abendessen der Fernseher läuft, ein Ritual, wenn zum sonntäglichen Krimiabend eine Platte Häppchen vorbereitet und eine Flasche 18
In der Deutung des Beispiels verwirrt Hackl mit der Aussage, das Ritual nehme im Gegensatz zur Gewohnheit „im Alltag einen festen Stellenwert ein“. Jedoch webt man auch Gewohnheiten in den Alltag ein. Sie interpretiert den Begriff des Alltags wohl im Sinne eines „sozialen Alltags“, was Fürsich (1994) als soziales Leben bzw. Gruppenleben bezeichnet.
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Wein kalt gestellt, wenn Aschenbecher und Zigaretten bereitgelegt werden etc.“. Das Exempel zeigt zugleich die Schwierigkeit der Differenzierung von ritualisierter und habitueller Fernsehnutzung: Nur weil man eine Sendung mit weiteren Personen verfolgt oder „eine Platte Häppchen vorbereitet“, muss die TVNutzung nicht ritualisiert sein. Das Differenzierungskriterium ist, dass bei Ritualen die kollektive und die restriktive Funktion klar im Vordergrund stehen: Würde beispielsweise ein Vater die Sportschau am Samstagabend vor allem ansehen, um die familiären Kontakte zu pflegen und seine Abwesenheit würde von den Kindern missbilligt werden, tritt deutlich der rituelle Charakter hervor (vgl. dazu auch Boekmann & Hipfl, 1992, S. 45-47). So liegt es auf der Hand, dass es sich hierbei um eine analytische Differenzierung handelt: Mitunter kann man nicht genau sagen, ob eine ritualisierte oder habituelle Nutzung vorliegt. Ob die ritualisierte Nutzung des Fernsehens im Laufe der Jahrzehnte abnahm, ist eine auf vielen Hinweisen basierende Vermutung, die man bislang empirisch nicht fundiert untermauerte.19 Einige Autoren setzen Habits mit Nutzungsmustern oder dem wiederholten Einschalten einer Sendung gleich (vgl. z.B. Bilandzic, 2004; Consbruch, 1995; Robinson, 1980; Zubayr, 1996; Zubayr & Gerhard, 2008). Gewohnheiten sind jedoch kein tatsächlich gezeigtes Verhalten, sondern Wissensstrukturen, die allenfalls bestimmte Nutzungsmuster entstehen lassen oder aufrechterhalten. Demzufolge muss man letztere von Fernsehnutzungsgewohnheiten abgrenzen. Nutzungsmuster sind „nichts anderes als wiederholt auftretende Typen bestimmter Nutzungsepisoden“ (Schweiger, 2007, S. 234). Solche Episoden sind durch ihre Einmaligkeit gekennzeichnet, und erst im Laufe der Zeit lässt die (möglicherweise regelmäßige) Wiederholung von Episoden bestimmte Mediennutzungsmuster entstehen (Schweiger, 2007, S. 31). Diese umfassen eine Vielzahl möglicher Aspekte: Man kann darunter inhaltliche Muster verstehen (zum Beispiel eine Person, die stets die gleichen Genres, Sendungen oder Themen im Fernsehen rezipiert), zeitliche Muster (wenn jemand meist an den gleichen Wochentagen oder zu festen Zeiten fernsieht), situative Muster (z.B. könnte jemand stets bei den gleichen Freunden oder meist alleine zu Hause fernsehen), Muster hinsichtlich der Auswahl der Kanäle (bevorzugte und kaum beachtete Sender) oder der Reihenfolge der Senderwahl – die Reihe ließe sich problemlos fortsetzen (vgl. z.B. Barwise, Ehrenberg, & Goodhardt, 1982; Hasebrink & Krotz, 1996; Hawkins, Reynolds, & Pingree, 1991; Krotz & Hasebrink, 1998; Perse, 1986; Staab & Hocker, 1994). Wie bereits oben dargestellt, kann man eine wie19 Teilweise argumentieren Autoren sogar andersherum: Für einige Rezipienten soll das Fernsehen zunehmend eine rituell-religiöse Funktion gewinnen, da religiöse Rituale in modernen pluralistischen Gesellschaften an Bedeutung verlieren (eine Zusammenfassung dieser Diskussion findet man bei Günter, 1998; Günter, 2000).
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
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derholte, regelmäßige Rezeption aber nicht zwangsläufig auf (ausgeprägte) Habitualisierungseffekte zurückführen: „A series of intentional decisions might produce a pattern of past behavior similar to one produced by a series of habitual actions“ (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 401). Erschwert wird die Differenzierung, weil beide in einem engen Verhältnis zueinander stehen: Eine entsprechend habituelle Fernsehnutzung lässt eine (systematische) Abfolge von Episoden entstehen, zum Beispiel das stetige Verfolgen der Tagesschau; Habits spielen bei der Herausbildung mancher Nutzungsmuster also eine zentrale Rolle. Ob man letztere aber auf Gewohnheiten zurückführen kann, ist eine Frage, die bislang keine empirische Arbeit hinlänglich beantwortet hat. Die Beobachtung von Nutzungsmustern kann bei der Erforschung von Gewohnheiten durchaus hilfreich sein – vor allem ein gleichzeitiges Erheben telemetrischer Daten oder Tagbuchaufzeichnungen und eine Befragung der Rezipienten verspricht bei der Erforschung von Gewohnheiten weiterführende Erkenntnisse. Beschränkt sich die Datenerhebung jedoch auf die Ermittlung telemetrischer Daten, analysiert der Forscher „nur“ wiederholte Nutzungsepisoden. Inwiefern er diese auf Gewohnheiten zurückführt, bleibt – zumindest beim derzeitigen Forschungsstand – die vage Interpretation des Forschers. 2.3.3 Gewohnheiten als Motiv der Fernsehnutzung? Neben begrifflichen Unschärfen erschwert eine weitere Unbestimmtheit die Auseinandersetzung mit der habituellen Fernsehnutzung: die Einordnung von Gewohnheiten als Motiv der Mediennutzung (vgl. dazu LaRose & Eastin, 2004; Newell, 2003). Diese findet ihren Ursprung in den zahlreichen Gratifikationskatalogen, welche den Uses-and-Gratifications-Ansatz empirisch handhabbar machen sollen. Die methodische Herangehensweise bei ihrer Erstellung folgt zumeist ähnlichen Mustern: Zunächst fragen die Forscher offen, warum Rezipienten bestimmte Medien nutzen und sammeln und systematisieren die Antworten. In einem zweiten Schritt legen sie den Probanden zahlreiche Items vor, die mögliche Motive der Mediennutzung, meist fünfstufig skaliert, abfragen. Diese verdichten sie mittels Faktoren- und Clusteranalysen auf wenige zentrale Motivgruppen. Ein solches Vorgehen wählt zum Beispiel Greenberg (1974), dessen Untersuchung prototypischen Charakter hat: Zunächst lässt er 180 Schüler ein Essay zum Thema „Why I like to watch television“ schreiben, wertet diese Aufsätze inhaltsanalytisch aus und weist die Aussagen mittels Clusteranalyse acht Motivgruppen zu (Entspannung, Geselligkeit, Zeitfüller, Selbstfindung, Spannung,
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Eskapismus, Information und Gewohnheit).20 Diese fragt er in einer nachfolgenden quantitativen Befragung von 726 Schülern mit je drei bis vier Items ab und überprüft die Dimensionen faktorenanalytisch. Greenberg (1974, S. 78) zeigt, dass der Faktor „Habit“ den höchsten Durchschnittswert aufweist, die Teilnehmer den Gewohnheiten also einen ganz erheblichen Einfluss zuschreiben. Allerdings ist zweifelhaft, ob die von ihm genutzten Items tatsächlich Gewohnheiten messen. Auf dem Faktor „Habit“ laden insgesamt vier Statements: Die Aussage „I watch TV because it’s a habit“ fragt geradewegs nach dem Einfluss der Habitualisierung, dabei ist unklar, ob Teilnehmer diese direkte Frage hinlänglich beantworten können (vgl. Kapitel 3.3). Die übrigen drei Items „I watch TV because I just like to watch“, „I watch TV because it’s so much fun“ und „I watch TV because I just enjoy watching“ fragen weniger das Konstrukt Gewohnheit, sondern eher eine Dimension wie Unterhaltung oder Vergnügen an der Rezeption ab. Ein Rezipient, der auf der Suche nach Unterhaltung intentional den Fernseher oder eine bestimmte Sendung einschaltet, könnte diesen Aussagen ebenso zustimmen wie jemand, der dies habituell tut. Ferguson und Perse (2000) nutzen in ihrer Studie vergleichbare Items und kommen bei der explorativen Faktorenanalyse zu einem ähnlichen Ergebnis: Folgerichtig und anders als Greenberg nennen sie diesen Faktor jedoch nicht „Habit“, sondern „Entertainment“. Bei genauer Betrachtung dieser Dimension erkennt man, dass von den hier zusammengefassten Items dasjenige, das nach der Gewohnheit fragt („It’s a habit, just something I do“), die mit großem Abstand geringste Ladung aufweist und so gar nicht zu den übrigen zu passen scheint. Die Vermischung von Items, die nach Gewohnheit und Unterhaltung fragen, treiben Stone und Stone (1990) auf die Spitze: Während Greenberg (1974) jede Motivgruppe über mehrere Items abfragt, ziehen Stone und Stone die Statements, die auf den einzelnen Faktoren am höchsten laden, kurzerhand zu einem Item zusammen. So entsteht aus den drei Statements „Because I just like to watch“, „Because I just enjoy watching“ und „Because it’s a habit“ das Item „It’s an enjoyable habit I like doing“. Sie erheben folglich in einem Statement zwei Dinge, die nur bedingt etwas miteinander zu tun haben: zum einen das Vergnügen an der Fernsehrezeption, zum anderen die Gewohnheit. Die Forscher erkennen zwar selbst die großen Schwierigkeiten, die eine solche Messung mit sich bringt, doch hält sie das nicht von ihrem Vorgehen ab (Stone & Stone, 1990, S. 29). Sie begründen die Vermengung kurioserweise damit, dass sich das Vorgehen in den letzten 20 Jahren etabliert hätte und in der Vergangenheit ein großes Maß an Varianz aufklären konnte. Von den acht Motiven erfährt jenes, das sie 20
Greenberg ist nicht der Erste, der Gewohnheiten als Motiv der Mediennutzung beschreibt. Bereits in den 40er Jahren entstanden Studien, die Habits z.B. als Motiv für das Radiohören (Herzog, 1944) oder das Zeitungslesen (Waples, Berelson, & Bradshaw, 1940) ermitteln.
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
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„Habit“ nennen, am meisten Zustimmung durch die 296 telefonisch Befragten. Ob die Teilnehmer dem Statement beipflichten, weil es nach der Gewohnheit fragt oder ob der Begriff „enjoyable“ und der Zusatz „I like doing“ für die große Zustimmung zu diesem Item verantwortlich sind, können die Forscher nicht klären. Einen enormen Einfluss auf die Resultate hat zudem, dass sie nur Personen befragen, die regelmäßig bestimmte „evening television dramas“ sehen. Die Frageformulierung und die Stichprobenzusammensetzung lassen die Ergebnisse wenig aussagekräftig erscheinen. Im Prinzip replizieren Stone und Stone bloß Studien, die schon viele Jahre vorher entstanden (z.B. Perse & Rubin, 1988; Rubin, 1983; Greenberg, 1974; Rubin, 1981a), nur dass sie die Anzahl der Items (mit fraglichen Konsequenzen) reduzieren. Verdienst der Autoren ist es, den Blick überhaupt wieder auf Habits gelenkt zu haben und deren Vernachlässigung anzuprangern. Dem verheißungsvollen Titel „Another look at media habits“ wird der Aufsatz jedenfalls nicht gerecht. Forscher vermischen jedoch nicht nur Items der Dimensionen Unterhaltung und Gewohnheit, sondern mixen partiell auch Habit und „to pass time“ in einem Konstrukt zusammen (z.B. Conway & Rubin, 1991; Perse & Rubin, 1988; Rubin, 1983; Rubin & Step, 2000). Hier liegt der Fokus dieser Dimension stets auf dem Zeitfüller-Element: Bei Rubin und Step (2000, S. 642) sowie Conway und Rubin (1991) fragen zum Beispiel vier von fünf Items des Faktors nach „to pass time“, nur eines fragt nach der Gewohnheit; Perse und Rubin (1988) fragen ebenso nur mit einem Item nach der Gewohnheit (wobei unklar ist, ob das Statement „because it’s on“ tatsächlich Habits misst), hingegen mit dreien nach dem Motiv Zeitvertreib. Eine Durchsicht der verschiedenen Studien zeigt ferner, dass die Forscher in der Interpretation ihrer explorativen Faktorenanalysen nicht behutsam genug vorgehen (vgl. dazu auch Newell, 2003, S. 15): Zwar scheinen sowohl Unterhaltung als auch Zeitvertreib mit der habituellen Nutzung in Zusammenhang zu stehen – eine schlichte Vermengung der Items zu einem Konstrukt erweist sich jedoch als forschungslogischer Schnell- und Fehlschuss. „Habit and the pass time gratification are distinct constructs“ ist das Ergebnis von Newell (2003, S. 60), dessen Studie die Vermischung der beiden Konstrukte unter die Lupe nimmt. Auch La Rose und Eastin (2004) kommen zu dem Ergebnis, dass Gewohnheiten ein unabhängiger Prädiktor der Mediennutzung sind und man diesen nicht mit den „to pass time“-Items vermengen sollte. Je mehr Untersuchungen man betrachtet, desto diffuser erscheint die Konzeption von Gewohnheiten als Motiv der Fernseh- bzw. Mediennutzung: Einmal messen die Forscher eher das Konstrukt Unterhaltung, das andere Mal eher das Konstrukt Zeitvertreib. Das Gewohnheitselement drängt man gänzlich an den Rand und fragt häufig nur mit einem einzigen Item (direkt) nach dem Einfluss von Habits. Während manche Studien zeigen, dass Gewohnheiten das wichtigste
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
„Motiv“ der Fernsehnutzung sind (z.B. Greenberg, 1974; Stone & Stone, 1990), findet sich der hohe Stellenwert nicht in allen Untersuchungen: In der Analyse von Rubin (1984, S. 71) geben beispielsweise nur 15 Prozent der Befragten an, dass sie dem Statement, aus Gewohnheit fernzusehen, zustimmen bzw. absolut zustimmen; auf der fünfstufigen Skala erreicht das Item einen durchschnittlichen Wert von 2,27 und ist somit einer der irrelevantesten Gründe. Diese Heterogenität verwundert jedoch wenig, da die Autoren teilweise vollkommen unterschiedliche Konstrukte erfassen und ganz verschiedene Stichproben befragen. Generell ist die Einordnung von Gewohnheiten als Motiv der Fernseh- oder Mediennutzung bedenklich21. Es ist zweifelhaft, ob Habits in einer Reihe neben Informations-, Unterhaltungs- oder Eskapismusmotiv etc. stehen sollten (Brosius, Rossmann, & Elnain, 1999, S. 168). Gewohnheiten stehen in einem komplexen Wechselverhältnis zu Motiven. Aus der regelmäßigen Befriedigung bestimmter Motive durch die Fernsehrezeption (z.B. Befriedigung des Informationsbedürfnisses durch regelmäßiges Verfolgen der Nachrichten) entstehen Gewohnheiten, welche die Auslösung der Rezeption steuern können. Durch die Mediennutzung wird jedoch weiterhin das entsprechende Bedürfnis22 (z.B. nach Informationen) befriedigt – die Gewohnheit würde ja beendet, wäre sie nicht mehr zielführend. Der Zusammenhang ist so vielschichtig, weil durch die Befriedigung von Bedürfnissen Gewohnheiten entstehen, Menschen jedoch auch ein Bedürfnis danach haben, Gewohnheiten entstehen zu lassen, um den Alltag zu vereinfachen und zu strukturieren (vgl. Verplanken, 2006). Das rein empiriegeleitete Vorgehen bei der Erstellung der meisten Gratifikationskataloge ist ursächlich für das kuriose Nebeneinander von „echten“ Motiven und Gewohnheiten: Während zum Beispiel „Unterhaltung“ ein echtes menschliches Bedürfnis ist, sind Habits dies keineswegs (Schweiger, 2007, S. 82). Befragt nach den Gründen der Rezeption, geben die Probanden natürlich an, (auch) aus Gewohnheit fernzusehen, allein die Interpretation als Motiv ist problematisch (H.-B. Brosius, 2002, S. 402). Dieses Wechselverhältnis weiter zu erkunden ist eine notwendige und lohnende Aufgabe für zukünftige Forschung. Rosenstein und Grant (1997, S. 324) weisen auf diesen Missstand hin und fordern einen längst überfälligen Perspektivwechsel. Den zahlreichen Gratifikationskatalogen ist in dieser Hinsicht we21 Die Klassifikation von Gewohnheiten als Motiv einer Verhaltensdurchführung ist aber nicht genuin kommunikationswissenschaftlich: Zum Beispiel operationalisieren Knussen, Yule, MacKenzie und Wells (2004) bei ihrer Untersuchung über Abfallrecycling Habits ebenso als Motiv. 22 Ein Großteil der Literatur nutzt die Begriffe Motiv und Bedürfnis synonym, einige grenzen sie jedoch hinsichtlich ihrer zeitlichen Abfolge voneinander ab: Zuerst entsteht ein Bedürfnis, ein generelles Mangelgefühl (z.B. Hunger), das die Person in Handlungsbereitschaft setzt; daraus erwachsen Motive, die sich auf ein spezifisches Ziel hin richten (etwas essen) und Denken und Handeln aktivieren (Meyen, 2004, S. 16-17).
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
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nigstens zugute zu halten, dass sie maßgeblich zur „Entdeckung“ von Mediennutzungsgewohnheiten beitrugen – einige der Studien fördern bekanntlich das „überraschende“ Ergebnis zu Tage, dass die Rezipienten Habits bei ihrer Medienauswahl als äußerst relevanten Einfluss einschätzen. 2.3.4 Gleichsetzung von habitueller und passiver Fernsehnutzung „Habit is a controversial issue within audience research because it is commonly identified as an indication of audience passivity“ (Rosenstein & Grant, 1997, S. 326). Nutzt ein Rezipient, der habituell fernsieht, das Medium zwangsläufig passiv? Nur selten hinterfragt die Literatur den Zusammenhang zwischen Aktivität bzw. Passivität und Habitualisierung, manch einer nutzt die beiden letzteren Begriffe gar synonym. Folgt man konsequent dieser Gleichsetzung, wäre jede passive Nutzung durch Gewohnheiten gesteuert und jede habituelle Nutzung müsste passiv erfolgen. Dies stellt das vorliegende Kapitel in Frage, indem es zunächst „Aktivität“ bzw. „Passivität“ näher betrachtet und diese in einem zweiten Schritt mit dem oben skizzierten Verständnis von gewohnheitsmäßiger Fernsehnutzung in Beziehung setzt. Aktivität und Passivität bei der Fernsehnutzung Wie aktiv oder passiv das Fernsehpublikum ist, beschäftigt die Kommunikationswissenschaft bereits seit Jahrzehnten (vgl. z.B. Biocca, 1988; Gunter, 1988; Hasebrink & Krotz, 1991; Levy & Windahl, 1985; Rubin, 1984; Vorderer, 1992) und ist auch heute noch Gegenstand heißer Debatten (vgl. z.B. Bilandzic, 2004; Hartmann, 2006; Schönbach, 1997). Die Komplexität der Diskussion ist wohl mit ursächlich für die kommunikationswissenschaftlichen „Grabenkämpfe“, die bei den Vertretern bestimmter Mediennutzungs- und Medienwirkungsansätze zu verhärteten Fronten führen: Einige Ansätze basieren klar auf der Prämisse eines passiven Publikums, wie zum Beispiel die Forschung, die sich rund um die Kultivierungsanalyse entwickelte (Gerbner & Gross, 1976; Gerbner, Gross, Morgan, & Signorelli, 1980; Gerbner et al., 1979; Signorielli, 1986); das Modell des passiven Rezipienten impliziert, dass dieser Medieninhalte „unmotiviert und inhaltsunabhängig rezipiert, ohne sie zu hinterfragen“ (Zubayr, 1996, S. 48). Andere Autoren (z.B. Katz, 1959; vgl. auch Katz, Gurevitch, & Haas, 1973) stellen hingegen einen aktiven Rezipienten in den Mittelpunkt und schaffen damit (in Kombination mit der Theorie des symbolischen Interaktionismus bzw. Handlungstheorien) die Grundlage für den Nutzen- (Renckstorf, 1973) und den Usesand-Gratifications-Ansatz (Katz, Blumler, & Gurevitch, 1974). Die in dieser Tradition entstandenen Arbeiten konzipieren einen bewusst und selektiv auswäh-
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
lenden Rezipienten, der zielgerichtet seine Bedürfnisse befriedigt, als (weitgehend) unumstößliche Prämisse; inzwischen begreifen die meisten Vertreter des Ansatzes das Publikum aber als differentiell und nicht universell aktiv (Rubin, 2000; Windahl, 1981). Die angenommene Aktivität bzw. Passivität von Rezipienten hat direkte Auswirkungen auf die Annahme von starken oder schwachen Medienwirkungen (Rubin, 2000, S. 143): Das Paradigma eines passiven Konsumenten, der den Medien hilflos ausgeliefert ist, impliziert die Mutmaßung, dass spezifische Inhalte besonders stark auf ihn wirken (insbesondere auf Einstellungen und Verhalten); hingegen würde auf Grundlage dieser Vorstellung ein Großteil der Wirkungen am aktiven Publikum gleichsam abprallen (vgl. auch Biocca, 1988, S. 51). Aktivität ist ein diffuser Begriff, dessen Bedeutung gerne als wohlbekannt vorausgesetzt wird; dies erklärt auch die heterogene Verwendung des Wortes. Roscoe, Marshall und Gleeson (1995, S. 88) folgern gar, dass der Begriff „active audience has been so widely circulated within media research that it has come to be taken for granted, part of the ‚shared knowledge’ and language of media studies“. Es ist geradezu auffällig, wie sehr es Forscher in den 60er und 70er Jahren vermieden, ihren Aufsätzen eine klare Begriffsdefinition voranzustellen – dabei bleibt das Identifizieren eines Publikums als „aktiv“ oder „passiv“ relativ nutzlos, wenn man nicht bestimmt, was man unter diesen Begriffen versteht (Roscoe, Marshall, & Gleeson, 1995). Ein wahlloses Nebeneinander verschiedener Begriffe hat dazu beigetragen, dass sich das Chaos in der Literatur vergrößerte: So tauchen die Begriffe „intentional“, „bewusst“ oder „selektiv“ als Synonyme für aktive Nutzung auf; als gleichbedeutend für die passive Nutzung findet man Worte wie „habitualisiert“, „unbewusst“, „ritualisiert“ oder „routiniert“. Was ist Aktivität? Der Terminus beschreibt eine ganze „Reihe von Zuständen und Prozessen beim Rezipienten“ und ist demnach kein einheitliches Konzept, sondern ein mehrdimensionales Konstrukt (Bilandzic, 2004, S. 11). So identifiziert Blumler (1979) vier Konzepte, die der Begriff des aktiven Rezipienten umfasst: Selektivität, Nützlichkeit, Intentionalität und Involvement. Biocca (1988) ergänzt zudem die Immunität gegenüber medialer Beeinflussung. Levy und Windahl (1985) differenzieren hingegen drei Konzepte (Selektivität, Intentionalität und Involvement), differenzieren aber zusätzlich die präkommunikative, kommunikative und postkommunikative Phase: Dadurch entsteht eine neun Felder umfassende Matrix der Rezipientenaktivität. Meist steht jedoch nur das Konzept der Selektivität, also die Auswahl eines Mediums oder eines Inhalts, im Mittelpunkt der Aktiv-Passiv-Debatte. Die Differenzierung in drei wesentliche Dimensionen von Rezipientenaktivität hat sich weitgehend durchgesetzt, auch wenn „verschiedene Autoren unterschiedliche Begriffe benutzen und damit ge-
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ringfügige Bedeutungsunterschiede verbunden sind“.23 Die Dimensionen sind unabhängig voneinander, und jede stellt ein Kontinuum dar, auf dem sich das Publikum zwischen sehr aktiv und sehr passiv bewegt (vgl. Blumler, 1979, S. 13). Rezipienten treten mal mehr, mal weniger selektiv auf, setzen sich mal recht intensiv, mal nur marginal mit den Inhalten auseinander und sind das eine Mal sehr motiviert, ein anderes Mal aber kaum – diese Konzepte variieren bei jedem Zuschauer und jeder Nutzung (Schweiger, 2007, S. 166). Völlige Passivität ist auf keiner der Dimensionen möglich, ein Mindestmaß an Aktivität selbstverständlich – das „hyperaktive“ Publikum verbleibt jedoch eine Illusion (Schönbach, 1997; vgl. dazu auch Hasebrink & Krotz, 1991, S. 120). Bilandzic (2004, S. 15) schließt folgerichtig, dass es nicht um die Frage geht, „ob der Rezipient aktiv ist, sondern in welchem Maße“ (Hervorhebung im Original). Warum manche Arbeiten einen passiven Rezipienten als Befund präsentieren (z.B. Barwise, 1986; Barwise, Ehrenberg, & Goodhardt, 1982; Ehrenberg & Wakshlag, 1987), andere hingegen das Publikum als aktiv konzipieren (z.B. Blumler, 1979; Katz, Blumler, & Gurevitch, 1974; Levy & Windahl, 1984) lässt sich teilweise durch methodische Differenzen erklären. Die Methodenwahl beeinflusst wesentlich, welche der Konzeptionen eine Studie bestätigen wird: Ein passives Publikum findet man eher, wenn man Tagebuchdaten oder Verlaufsanalysen auswertet, Befragungen stoßen oft auf sehr aktive Rezipienten. Ursächlich dafür ist, dass Zuschauer ihre eigene Aktivität überschätzen und sich gerne als kontrolliert, zielgerichtet und intentional auswählend darstellen und sich ungern in der Rolle des passiven Re-Agens sehen (vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.3.3). Bei telemetrischen Messungen oder Tagebuchaufzeichnungen werden auf der anderen Seite bestimmte Aspekte der Aktivität nicht erfasst, und Forscher interpretieren die Daten leichtfertig und voreilig als eher passive Nutzung des Mediums (Haerns, 1989). Passive und habituelle Fernsehnutzung Einige Forscher bringen beim Gebrauch des Begriffs „habituelle Fernsehnutzung“ eine passive Haltung im Umgang mit den Medien zum Ausdruck (Neverla, 1992, S. 96). Wenn beispielsweise Rubin (1984, S. 68) die habituelle Fernsehnutzung einen „counterpoint to the active audience concept“ nennt, deutet er implizit an, dass habituelle und passive Nutzung einerlei sind. Auch Newell und LaRose (2004) werfen die Begriffe durcheinander, wenn sie die Intenti23 So unterscheidet Bilandzic (2004, S. 13) „nach logischen Gesichtspunkten“ die drei Dimensionen Verhaltensaktivität (selektive Nutzung), kognitive Aktivität (Informationsverarbeitung, Aufmerksamkeitsprozesse) und motivationale Aktivität (willentliche Lenkung der Verhaltens- und kognitiven Aktivität); Schweiger (2005) differenziert zum Beispiel Selektionshäufigkeit, Entscheidungsqualität und Rezeptionsgrad.
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
on als einen volitionalen Prozess beschreiben, der „the opposite end of the activity continuum from habit“ einnimmt. Die damit implizierte Abgrenzung der gewohnheitsmäßigen Nutzung von der aktiven Nutzung erhält einen „negativen Beigeschmack“ (Schramm & Hasebrink, 2004, S. 475) und ist überaus bedenklich. Sind passive und habituelle Nutzung tatsächlich einerlei, erfolgt jede passive Nutzung habitualisiert und jede habitualisierte Nutzung passiv? Betrachtet man die drei Dimension des Aktiv-Passiv-Kontinuums, die Bilandzic (2004, S. 13) differenziert (Verhaltensaktivität, kognitive Aktivität und motivationale Aktivität), so ist fraglich, ob diese Dimensionen überhaupt in Zusammenhang mit Gewohnheiten stehen. Bei der Verhaltensaktivität ist „der aktive Pol die häufige Selektion, der passive Pol die seltene Selektion“ (Bilandzic, 2004). Natürlich kann man das Fernsehen „stundenlang passiv und ohne jede Selektionshandlung nutzen“ (Schweiger, 2007, S. 109), doch muss diese Passivität keineswegs auf einer Gewohnheit basieren – der Zuschauer könnte auch einfach nur zu träge sein, um die Fernbedienung in die Hand zu nehmen oder bewusst entscheiden, den Sender über einen längeren Zeitraum anzusehen. Ein mehrmaliges Umschalten über den ganzen Abend hinweg, bei dem der Rezipient habituell nach dem Ende einer Sendung zur nächsten wechselt und bei Werbepausen aus Gewohnheit durch die Programme zappt, wäre hingegen äußerst aktiv. Der habituelle „Vielzapper“ ist auf der Verhaltensdimension zweifellos aktiver als der Rezipient, der intentional eine bestimmte Sendung auswählt und diese bis zum Ende sieht. Auch die zweite Dimension, die kognitive Aktivität bzw. Passivität, hängt keineswegs mit der habituellen Nutzung des Fernsehens zusammen: Nur im Moment der Zuwendung beansprucht der habituelle Rezipient kaum kognitive Ressourcen, die Aktivierung der Gewohnheitshandlung erfolgt mental leistungseffizient (vgl. z.B. Verplanken, 2006, S. 640; Verplanken & Orbell, 2003). Es ist aber unrealistisch anzunehmen, dass der Zuschauer, der jeden Abend habituell eine Daily Soap sieht, während der Rezeption weniger kognitive Mühe aufwendet, seine Informationsverarbeitung weniger intensiv abläuft und er dem Geschehen weniger Aufmerksamkeit schenkt als eine Person, die diese Episode intentional ansieht. Lediglich bei der Dimension „motivationale Aktivität“ steht der passive Pol in engem Zusammenhang mit der Habitualisierung. Gleichgültig, ob man die motivationale Aktivität als rationale oder als intentionale Entscheidung interpretiert,24 kann der passive Gegenpol die habituelle Steuerung sein. Allerdings muss eine nicht-intentionale bzw. nicht-rationale Entscheidung keineswegs auf gewohnheitsmäßig gesteuertem Verhalten basieren, sondern könnte auch spontanes oder reaktives Verhalten sein (Bilandzic, 24
Eine rationale Entscheidung hat zwar eine intentionale Komponente, eine intentionale Entscheidung muss jedoch nicht rational sein, der Ausführende könnte sich z.B. „bewusst gegen die Handlung entscheiden, die ihm den größten Nutzen bringt“ (vgl. Bilandzic, 2004, S. 18).
2.3 Habituelle Fernsehnutzung
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2004, S. 17-18). Selbst wenn sich die motivationale Aktivität auf dem AktivPassiv-Kontinuum dem passiven Pol nähert, müssen keineswegs habituelle Strukturen zugrunde liegen. Daher ist die Gleichsetzung von habitueller und passiver Mediennutzung inakzeptabel. Eine gewohnheitsmäßige Nutzung kann sowohl passive als auch aktive Komponenten enthalten, und eine passive Nutzung des Mediums muss keineswegs auf Gewohnheiten basieren: Eine Person, die sehr unregelmäßig fernsieht und keinerlei Nutzungshabits hat, mag nach einem harten Arbeitstag wahllos einen Sender einschalten und sich von diesem den ganzen Abend berieseln lassen, was man als passive Nutzung von Fernsehinhalten verstehen kann – habituell ist diese Auswahl aber in keiner Weise. Dennoch wäre eine Diskussion darüber, ob habitualisierte Nutzer passiver sind als intentionale, durchaus spannend und gewinnbringend: Zwar muss eine gewohnheitsmäßige Nutzung nichts mit der Passivität der Rezipienten zu tun haben, das bedeutet aber nicht, dass es keinen Zusammenhang gibt. Weil man die Aktiv-Passiv-Debatte lange Zeit mit der Frage nach Fernsehnutzungsgewohnheiten verwechselte, überlagerte und hemmte die Diskussion die Forschung zur habituellen Mediennutzung. 2.3.5 Resümee zur habituellen Fernsehnutzung Schon bei der Bestimmung dessen, was habituelle Fernsehnutzung ist, offenbart die einschlägige Literatur zahllose Lücken und Unklarheiten: Allzu oft verschweigen Autoren (bewusst oder unbewusst), was sie unter dem Begriff verstehen. Die vorliegende Arbeit definiert Fernsehnutzungsgewohnheiten als durch regelmäßige Rezeption erlernte Wissensstrukturen, welche die Nutzung des Fernsehens (angebotsunspezifisch) oder bestimmter Inhalte (angebotsspezifisch) beim Vorliegen spezifischer Hinweisreize automatisch auslösen. Man erlernt TV-Habits demnach über einen bestimmten Zeitraum, jedoch basiert nicht jede regelmäßig wiederholte Rezeption auf Gewohnheiten: Zuschauer können Sendungen auch mehrmalig intentional verfolgen. Ebenso wie die intentionale kann auch die habituelle Nutzung angebotsspezifisch oder -unspezifisch erfolgen, das heißt, man muss zwischen dem gewohnheitsmäßigen (angebotsunspezifischen) Einschalten des Fernsehers und dem gewohnheitsmäßigen (angebotsspezifischen) Sehen bestimmter Inhalte differenzieren; bei einer etablierten Gewohnheit lösen spezifische Hinweisreize die Nutzung automatisiert aus. Die vorliegende Arbeit unterscheidet vier Gruppen solcher Cues: externe Gegebenheiten, zeitliche Hinweisreize, Stimmungen und vorausgegangenes bzw. momentanes Verhalten.
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2 Fernsehnutzung und Gewohnheiten
Insbesondere ritualisierte Fernsehnutzung und Nutzungsmuster halten (neben zahlreichen anderen Begriffen, wie wiederholte, routinierte, automatisierte Nutzung) häufig als Synonyme für habituelle TV-Nutzung her. Die Termini sind jedoch strikt voneinander abzugrenzen: Die ritualisierte Nutzung des Mediums ist stärker kollektivbezogen und sozial verbindlicher, sie erfordert mehr kognitive Beteiligung und hat meist eine tiefere Bedeutung für den Ausführenden. Es ist schwierig, präzise zwischen ritualisierter und habitueller TV-Nutzung zu unterscheiden, weshalb die Differenzierung analytisch notwendig, empirisch jedoch schwer zu handhaben ist. Während TV-Habits als spezifische Wissensstrukturen definiert werden, sind Nutzungsmuster wiederholt auftretende Typen bestimmter Nutzungsepisoden. Überaus bedenklich ist die Einordnung von Gewohnheiten als Motiv der Fernsehnutzung. Um den Uses-and-Gratifications-Ansatz empirisch fassbar zu machen, befragen Forscher Rezipienten wiederholt nach deren Gründen für die Mediennutzung und spüren dabei auch Habits auf, welche sie kurzerhand in ihre Motivkataloge aufnehmen. Weil Items, die „Unterhaltung“ und „Zeitvertreib“ messen, häufig mit den Items, die nach der habitualisierten Nutzung fragen, auf einem Faktor laden, vermischte man diese in einer Dimension. Gewohnheiten sind jedoch ein von Unterhaltung und Zeitvertreib unabhängiger Prädiktor der Mediennutzung, der in einem komplexen Wechselverhältnis zu Motiven und Gratifikationen steht. Ebenso verfehlt ist die Gleichsetzung von passiver und habitueller Fernsehnutzung. Aktivität und Passivität sind die Endpunkte eines Kontinuums und mehrdimensional, wobei sich in den letzten Jahren insbesondere eine Differenzierung in drei Dimensionen herauskristallisierte. Habituelle Fernsehnutzung kann auf diesen drei Dimensionen sowohl eher aktiv als auch eher passiv erfolgen, und auch eine passive Nutzung des Mediums muss keineswegs auf Gewohnheiten basieren. Die Ausführungen zeigen, dass kein einheitliches Verständnis von Mediennutzungsgewohnheiten existiert, sondern eine Vielzahl verschiedener Perspektiven auf das Konstrukt blickt. Einige der Ursachen, wie die Theorielosigkeit, das Fehlen präziser Definitionen, begriffliche Unschärfen, die fragliche Operationalisierung von Gewohnheiten als Motiv der Mediennutzung sowie die unzulässige Gleichsetzung von passiver und habitueller Fernsehnutzung benannte dieses Kapitel und zeigte Möglichkeiten auf, diesen entgegenzuwirken.
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
Der fatale Irrglaube, die Kommunikationswissenschaft habe Fernsehnutzungsgewohnheiten bereits intensiv analysiert, könnte das bislang größte Hindernis bei deren Erforschung gewesen sein. Erfreulicherweise greifen andere Disziplinen das Thema auf, wenngleich eher beiläufig. Vor allem die Psychologie beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit Gewohnheiten und nimmt dabei auch die Fernsehnutzung ins Visier. Sie ist in den meisten Studien nur Mittel zum Zweck: Weil die Autoren regelmäßig wiederkehrendes Verhalten suchen, um zum Beispiel verschiedene methodische Zugänge zu testen, greifen sie – neben „Klassikern“, wie Verkehrsmittelwahl, Sport treiben, essen und trinken – auf die Mediennutzung zurück. Wegen der stabilen Kontextbedingungen und weil die meisten Menschen es ausgiebig und regelmäßig rezipieren, bietet sich das Fernsehen für die Analyse von Gewohnheiten an. Verplanken und Orbell (2003, Studie 3) befragen zum Beispiel Studenten nach deren Nutzung der Daily Soap „Goede Tijden, Slechte Tijden“, um die Validität ihres Self-Report-Habit-Index zu testen.25 Wood, Tam und Witt (2005) testen, ob das mit einem Umzug einhergehende Verschwinden bestimmter (externer) Hinweisreize die Gewohnheiten zum Erliegen bringt und überprüfen dafür, neben der sportlichen Betätigung der Probanden, deren Zeitungs- und Fernsehnutzung. Auch Ouellette (1996) zieht in ihrer Studie „How to measure habit“ die TV-Nutzung exemplarisch heran.26 Es ist grotesk, dass einige der existenten Studien nicht der kommunikationswissenschaftlichen Sphäre entstammen und auch nicht die Analyse des Fernsehverhaltens zum Ziel hatten, sondern „Abfallprodukte“ von Untersuchungen sind, die der Frage nachgingen, wie man Gewohnheiten adäquat messen kann. Eine Zusammenstellung dieser Studien sowie verschiedener kommunikationswissenschaftlicher Arbeiten bildet die Grundlage für das vorliegende Kapitel. Dieses betrachtet zunächst, wie Fernsehnutzungsgewohnheiten entstehen und hinterfragt, wie man Fernsehnutzungsgewohnheiten beenden oder ändern 25 Zudem nehmen sie den Verzehr von Süßigkeiten und den Musikkonsum der Befragten unter die Lupe. 26 Außerdem analysiert sie Fitnesstraining, Alkoholkonsum, Kondomeinsatz, Recycling und Anschnallverhalten der Probanden.
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3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
kann (Kapitel 3.1). Kapitel 3.2 skizziert das Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit bei der TV-Nutzung. Eine Vielfalt an Möglichkeiten, wie man Gewohnheiten messen kann, präsentiert Kapitel 3.3 und diskutiert, ob diese Heterogenität eine Chance oder hinderlich für die Forschung ist. Daneben stellt es eine bereits etablierte Skala zur Erfassung der Habitstärke vor und weist auf Spezifika bei der Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten hin. 3.1 Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten „Media managers need to learn more about audiences’ mass media habits to determine if these habits can be altered and if so, what it takes to change a media use habit. Media managers also need to understand the psychological implications of forming habits“ (Stone & Stone, 1990, S. 32). Wie sich Fernsehnutzungsgewohnheiten bilden, welche Folgen eine habituelle Nutzung nach sich zieht und wie man bereits etablierte Gewohnheiten beenden bzw. ändern kann, blendete die Forschung bislang aus. Dabei zeigt das Zitat von Stone und Stone, welch praktische Relevanz gerade in diesen Fragen steckt: Wenn Gewohnheiten die Fernsehnutzung beeinflussen, sind Kenntnisse über deren Entstehung, Entwicklung und Auswirkungen von unschätzbarem Wert. Ebenso hilfreich ist ein grundlegendes Verständnis dafür, wie sich gefestigte Gewohnheiten ändern lassen. Gerade bei diesem Themenkomplex geht es um die einleitend erwähnten „money questions“ (Zillmann & Bryant, 1985b, S. IX). Fernsehschaffende plagen sich mit dem Problem, Menschen zum Sehen einer Sendung zu bewegen, die nicht fernsehen (vgl. z.B. Adams, 2000, S. 88) – es erscheint einfacher, die Personen, die ohnehin vor dem Bildschirm sitzen, zum Sehen des eigenen Programms zu bewegen als neue Rezipienten zu gewinnen. Doch auch dies ist ein aufwändiger, mehrstufiger Prozess: Bereits etablierte Sehgewohnheiten müssen durchbrochen, neue Intentionen implementiert und bestenfalls frische Gewohnheiten aufgebaut werden. Nur das Verständnis der Mechanismen, nach denen Habits funktionieren, schafft die Voraussetzungen, um diese Prozesse in Gang zu setzen. Kapitel 3.1.1 analysiert zunächst die Entstehung von Fernsehnutzungsgewohnheiten und skizziert den Weg von der intentionalen zur habituellen Rezeption. Das Beenden und Ändern etablierter Fernsehnutzungsgewohnheiten steht im Fokus von Kapitel 3.1.2.
3.1 Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
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3.1.1 Entstehung von Fernsehnutzungsgewohnheiten Die Psychologie widmete der Entstehung von Gewohnheiten bislang kaum Beachtung; zwar gibt es einige Untersuchungen, die sich mit der Entstehung und Implementierung von Intentionen auseinandersetzen (Bamberg, 2002; Gollwitzer, 1999; Orbell, Hodgkins, & Sheeran, 1997; Sheeran & Orbell, 1999), doch selten thematisieren sie, wie sich Habits bilden. Diese Forschungslücke klafft auch in der Kommunikationswissenschaft; lediglich die Grundvoraussetzung für die Herausbildung einer habitualisierten Nutzung ist bekannt: eine regelmäßige Rezeption über einen gewissen Zeitraum hinweg. Dieser Lernprozess hängt eng mit den Interessen und Vorlieben der Rezipienten zusammen (Bilandzic, 2004, S. 117): Man wiederholt die Mediennutzung oder die Rezeption bestimmter Inhalte, wenn sie (kurzfristig oder langfristig) positive Konsequenzen nach sich ziehen und meidet sie, wenn negativ erlebte Auswirkungen folgen. Wenn noch keine Gewohnheiten etabliert sind, initiieren wir neues Verhalten meist27 durch eine bewusste Entscheidung (Aarts & Dijksterhuis, 2000, S. 54). Beispielsweise plant man den ersten Besuch im Fitnessstudio Tage oder Wochen im Voraus, klärt detailliert zahlreiche Fragen im Vorfeld: Wie gelange ich dorthin? Welche Kleidung benötige ich? Wie sind die Öffnungszeiten? Sucht man aber fortan jeden Montag und Donnerstag zur gleichen Zeit das Studio auf, könnte sich eine Gewohnheit etablieren, die das Verhalten zukünftig steuert. Es ist kaum noch notwendig abzuwägen, ob man nun trainiert oder es bleiben lässt; den besten Weg dorthin und die Öffnungszeiten hat man ohnehin im Kopf. Die Gewohnheit ersetzt zunehmend die Intention (Triandis, 1977, S. 205), Hinweisreize übernehmen die Auslösung des Verhaltens, „die Handlungskontrolle geht von der Intention auf die situativen Parameter über“ (Fuchs, 2007, S. 13). Auch die habituelle Fernsehnutzung entsteht (meist) aus ursprünglich intentional durchgeführten Rezeptionen, die sich im Laufe der Zeit „verselbständigen“ (Vorderer, 1992, S. 124f.). Eine Person fühlt sich zum Beispiel über das tagesaktuelle Geschehen zu wenig informiert und beschließt deshalb, jeden Abend nach dem Essen die Tagesschau zu sehen. Die regelmäßig wiederholte Rezeption im gleich bleibenden Kontext (in diesem Beispiel stets zu Hause um 20:00 Uhr, nach dem Beenden des Abendessens) lässt Verknüpfungen zwischen bestimmten Hinweisreizen (z.B. Uhrzeit, Ende des Essens) und dem Einschalten der Tagesschau entstehen (vgl. z.B. Wood, Tam, & Witt, 2005, S. 918). Zunehmend steuern diese Cues die Auslösung des Verhaltens: Die Absicht, sich zu informieren, mag zwar weiterhin bestehen, doch ist sie nicht notwendig, um die Rezeption zu initiieren: Die Auslösung des Verhaltens erfolgt von nun an automatisiert. Diddi 27 Neues Verhalten könnte zum Beispiel auch reaktiv, spontan oder zwanghaft erfolgen (Aronson, Wilson, & Akert, 2009, S. 214ff.).
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3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
und LaRose (2006, S. 195) nehmen entsprechend an, dass die dem Uses-andGratifications-Ansatz zu Grunde liegenden Annahmen lediglich in den ersten Phasen der Nutzung eines neuen Mediums oder neuer Inhalte greifen. Sobald der Rezipient gelernt hat, dass ihn zum Beispiel die Tagesschau besser informiert als die SAT.1-Nachrichten, hört er auf, sich den Kopf über die Auswahl der Nachrichtensendung zu zerbrechen; er trifft keine bewusste Entscheidung mehr, sondern wählt habituell aus. „Jede erstmalige Ausstrahlung eines seriellen Formats und jede Veränderung seines Sendeplatzes setzt von neuem einen Prozess in Gang, in dem sich die Sendung etablieren muss. Denn der dauerhafte Erfolg eines Programms hängt stark davon ab, dass sich beim Kernpublikum ein Gewohnheitseffekt einstellt“ (Karstens & Schütte, 2005, S. 142). Sendungen, die neu in das Programmschema aufgenommen werden, fehlen die habituell auswählenden Zuschauer. Lediglich vom vorherigen (abgesetzten oder ausgelaufenen) Format könnte ein kleines Stammpublikum dem Sendeplatz aus Gewohnheit treu geblieben sein. Weil dies aber nur ein geringer Teil aller Zuschauer ist, setzen Fernsehschaffende alles daran, dass potentielle Rezipienten zunächst die feste Intention entwickeln, eine Sendung wiederholt anzusehen. Zur Implementierung von Intentionen sollen Marketing-, PR- und Werbemaßnahmen (z.B. Programmvorschau, Plakate, Fernsehzeitschriften) dazu beitragen, Personen auf die neue Sendung aufmerksam zu machen und deren Absicht zu wecken, die nächste Folge zu sehen. Die bewusste Festlegung situativer Bedingungen (an welchem Ort, zu welcher Zeit sehe ich welche Sendung an) sichert die Initiierung des neuen Verhaltens. Gollwitzer (1993; 1999; Gollwitzer & Schaal, 1998) bezeichnet diese mentale Verknüpfung zwischen einer antizipierten Situation und einer dafür notwendigen Handlung als „Implementierungsintentionen“. Sie zielen darauf ab, die Ausführung eines intendierten Verhaltens mit spezifischen Kontextfaktoren zu koppeln: Wenn Situation X eintritt, führe ich Handlung Y aus. So wird die automatisierte Auslösung durch Hinweisreize, wie sie bei Gewohnheiten erfolgt, imitiert. Das Erlernen geschieht jedoch nicht durch regelmäßige Wiederholung, sondern durch einen einmaligen „Programmiervorgang“ (Klöckner, 2005a, S. 20). Diverse Studien zeigen, dass Implementierungsintentionen geeignet sind, neues Verhalten dauerhaft zu etablieren sowie entgegenstehende Gewohnheiten zu beenden (Bamberg, 2002; Holland, Aarts, & Langendam, 2006; Orbell, Hodgkins, & Sheeran, 1997; Sheeran & Orbell, 1999). Derart erlerntes Verhalten kann langfristig bestehen, und Gewohnheiten vermögen sukzessive dessen Steuerung zu übernehmen (Holland, Aarts, & Langendam, 2006). Potentielle Zuschauer, die man zum Anschauen einer Sendung bewegen möchte, sollten nicht nur auf die Existenz dieser Sendung hingewiesen, sondern dazu gebracht werden, spezifische Kontextfaktoren, wie Wochentag, Uhrzeit, Sender, Ort der Re-
3.1 Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
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zeption etc. mit dem Sehen der Sendung zu verknüpfen. Wie lange es dauert, bis Zuschauer eine Sendung nicht mehr vorwiegend intentional, sondern habituell verfolgen, ist abhängig von zahlreichen Variablen (strukturelle, individuelle und soziale Merkmale, sowie verschiedene Eigenschaften der Sendung und des Slots, auf dem sie platziert wird) – da es hierzu kaum Erfahrungswerte gibt, wäre weiterführende Forschung auch für Fernsehschaffende relevant. Zuletzt ist fraglich, ob die regelmäßige Rezeption (als zentrale Voraussetzung für die Entstehung von Fernsehnutzungshabits) intentional erfolgen muss, da auch andere Gründe für wiederholte Zuwendungen denkbar sind. Beispielsweise könnte ein (sozialer) „Zwang“ zum mehrmaligen Sehen einer Sendung führen, wenn zum Beispiel die Eltern der Ansicht sind, ihr Kind solle abends die Tagesschau verfolgen.28 Allerdings ist unklar, ob daraus eine habituelle Nutzung entstehen könnte; derartige Umstände sind ohnehin eher Sonderfälle. „In welchem Maß sich bereits bei Kleinkindern Schemata und Routinen der Mediennutzung entwickeln, die auch im späteren Medienumgang fortbestehen bzw. ihn prägen, ist ungeklärt“ (Schweiger, 2007, S. 299). Weil man die Programmstrukturen von Kindheit an erlernt und Grundkenntnisse darüber bei allen Gesellschaftsmitgliedern findet (Neverla, 1992, S. 153), bilden sich wohl schon bei sehr jungen Rezipienten bestimmte Nutzungsgewohnheiten, vorausgesetzt die Rezeptionen finden regelmäßig statt. 3.1.2 Beenden und Ändern von Fernsehnutzungsgewohnheiten „Die Gewohnheit ist ein Seil. Wir weben jeden Tag einen Faden, und schließlich können wir es nicht mehr zerreißen“ (Thomas Mann). Die Fäden in dieser Metapher stehen für die regelmäßige Wiederholung eines Verhaltens, die dessen zunehmende Automatisierung bewirken. Diese sorgt dafür, dass wir habitualisierte Tätigkeiten initiieren, ohne bewusst darüber nachzudenken; daher ist es so schwierig, das „Seil“ wieder zu zerreißen. Das vorhergehende Kapitel verdeutlichte die Ambivalenz von Gewohnheiten: Wir erfahren die schwere Kontrollierbarkeit einmal als Vorteil, ein anderes Mal als Nachteil. Wir bemühen uns daher, positiv erlebte Habits zu formen und aufrechtzuerhalten und Habits, denen negative Konsequenzen folgen, zu unterdrücken. Doch egal, ob erwünscht oder unerwünscht: Es fällt schwer, etablierte Gewohnheiten wieder zu beenden (Aarts & Dijksterhuis, 2000; Heckhausen & Beckmann, 1990; Verplanken & Faes, 1999; Verplanken & Wood, 2006). Noch komplizierter ist die Änderung von Gewohn28
Dies ist nicht zu verwechseln mit der Bildung einer Intention durch sozialen Druck, wenn z.B. mehrere Personen regelmäßig Fußball sehen möchten und man sich diesen anschließt, um nicht ausgegrenzt zu werden. Im Gegensatz zum „Zwang“ bildet sich hier klar eine Intention.
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3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
heiten: Alte Habits müssen deaktiviert und durch neue ersetzt werden, daher ist die Veränderung von habituellem Verhalten ein zeitaufwändiger und mehrstufiger Prozess (Klöckner, 2005a, S. 20). Zuschauer beenden Gewohnheiten, sobald sie realisieren, dass diese nicht mehr mit den (primär verfolgten) Zielen vereinbar sind (Wood & Neal, 2007). Kapitel 2.2.4 wies auf das komplexe Verhältnis von automatisierter Auslösung und dem Erreichen bestimmter Ziele oder Zustände hin: Trotz der unbewussten Aktivierung zielt die Ausführung auf zufrieden stellende Konsequenzen ab (Verplanken, 2005, S. 101; Wood, Quinn, & Kashy, 2002); die Gewohnheit „wird ohne das Bewusstsein ausgeführt, dass dieses Verhalten zielgerichtet ist“ (Sniehotta, Winter, Dombrowski, & Johnston, S. 155). Sieht jemand habituell die Tagesschau, hat jedoch das unbefriedigende Gefühl, die Sendung informiere ihn nicht ausreichend, wird er eines Tages die Gewohnheit ändern und möglicherweise die Tagesthemen ansehen. Rezipienten korrigieren ihre Gewohnheiten also einerseits, wenn sich die mit der Nutzung des Mediums oder eines bestimmten Inhalts verbundenen Ziele ändern. Auf der anderen Seite könnten die Ziele gleich bleiben, doch eine Veränderung bestimmter Inhalte bewirkt, dass die originäre Ausführung der habituell gesteuerten Nutzung jene Ziele nicht mehr erreicht: Ein Rezipient, der stets um 19:45 Uhr eine bestimmte Daily Soap sieht, wäre gezwungen, seine Gewohnheit zu ändern, wenn die Serie auf einen neuen Timeslot verlegt würde – vorausgesetzt, er möchte sein Ziel, die Soap zu sehen, aufrechterhalten. Ein Wechsel oder Unterbrechen des Kontextes kann den Anstoß zum Ändern oder Beenden einmal etablierter Gewohnheiten bewirken (Diddi & LaRose, 2006, S. 195; vgl. auch Dahlstrand & Biel, 1997; Heatherton & Nichols, 1994). Ob der Wechsel zufällig oder absichtlich erfolgt, ist unerheblich. Die Veränderung kann den Alltag temporär durchbrechen, wenn Zuschauer zum Beispiel eine Sendung nicht mehr sehen, während sie auf einer Reise sind und die Gewohnheit während dieser Zeit „verblasst“; es kann aber auch ein permanenter Wechsel sein, wenn beispielsweise die Geburt eines Kindes zur Folge hat, dass man seine abendliche Freizeit mit diesem nutzen und nicht mehr die werktägliche Soap verfolgen möchte. Fuchs (2007, S. 14) nennt es eine „Alltagserfahrung, dass es einem dann am leichtesten fällt, eine Gewohnheit zu ändern (z.B. das Rauchen aufzugeben), wenn man sich auf Reisen befindet oder wenn sich aus irgendeinem anderen Grund die Alltagsumstände geändert haben, etwa bei einem Umzug. Das, was uns am alten Wohnort so schwer fiel, gelingt uns am neuen Wohnort unter den veränderten situativen Bedingungen plötzlich ganz leicht“. Solche einschneidenden Veränderungen bezeichnet man als Key Events; deren Einfluss beim Beenden und Ändern von Gewohnheiten beschreiben zahlreiche Studien (z.B. Klöckner, 2005b; Stanbridge, Lyons, & Farthing, 2004; Verhoeven, Arent-
3.1 Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
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ze, Timmermans, & Waerden, 2005; Verhoeven, Arentze, Timmermans, & Waerden, 2007). Auch der Effekt von Key Events auf die Nutzung des Fernsehens ist bereits dokumentiert: Umzüge, der Abschluss des Studiums, das Verlassen des Elternhauses, Ehescheidung oder Arbeitslosigkeit haben starke Auswirkungen auf den Umfang der Fernsehnutzung und die Auswahl bestimmter Inhalte (Gauntlett & Hill, 1999, S. 79). Wood, Tam und Witt (2005) zeigen, dass das Unterbrechen der täglichen Routine (mit)ursächlich für eine veränderte Mediennutzung ist. Sie befragen Studenten einen Monat vor und einen Monat nach deren Wechsel an eine neue Universität nach dem Ausmaß ihrer Gewohnheiten und Intentionen sowie der Kontextstabilität beim Lesen von Tageszeitungen und der Fernsehnutzung. Es erweist sich, dass der Umzug die Habits durchbricht und Intentionen wieder vermehrt die Steuerung des Verhaltens übernehmen. Natürlich ergeben sich diese Effekte auch, weil die Ausführung in der neuen Umgebung an Barrieren scheitert (Louis & Sutton, 1991): Empfängt man zum Beispiel in der neuen Wohnung den benötigten Sender nicht mehr, kann man die Sendung nicht mehr verfolgen. Doch diese Barrieren sind nicht die alleinige Ursache für das Beenden von Gewohnheiten nach einer Kontextveränderung; eine zentrale Rolle spielt das Wegfallen spezifischer Hinweisreize. Existieren die auslösenden Reize in einer neuen Umgebung nicht, wird die Gewohnheit nicht mehr aktiviert; man ist gezwungen, über das jeweilige Verhalten erneut nachzudenken und es intentional zu steuern (sofern man es aufrecht erhalten möchte). „Because habits are triggered by the environment, successful interventions must focus on changing the environmental features that maintain those habits“ (Verplanken & Wood, 2006, S. 95). Auch ohne Kontextänderung kann die Etablierung neuer Intentionen alte Gewohnheiten beenden oder ändern. Um Habits zu deaktivieren, muss man sich des entsprechenden Verhaltens erneut bewusst werden, um der automatisierten Aktivierung entgegenzuwirken. Während Fernsehschaffende keinen Einfluss auf Änderungen der täglichen Routine im Leben der Rezipienten haben, können sie zur Etablierung neuer Intentionen durchaus beitragen. Dafür müssen sie die potentiellen Rezipienten dazu bewegen, sich mit dem Programm vorab zu beschäftigen (Karstens & Schütte, 2005, S. 284). Durch PR- und Werbemaßnahmen können sie „Zuschauer hinzugewinnen, die sonst aus alter Gewohnheit vielleicht einen anderen Kanal aussuchen und damit ein Programm verpassen würden, das doch wie eigens für sie geschaffen ist“ (Karstens & Schütte, 2005, S. 234). Die Rezipienten sollen nicht nur auf den Inhalt aufmerksam werden, sondern verschiedene Kontextfaktoren gemeinsam mit der Intention abspeichern. Die bewusste Kopplung spezifischer Kontextfaktoren an das intendierte Verhalten hilft die alten (Rezeptions-)Gewohnheiten zu beenden und neue entstehen zu lassen (Gollwitzer, 1993; 1999; Gollwitzer & Schaal, 1998).
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3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
3.1.3 Resümee zur Entwicklung von Fernsehnutzungsgewohnheiten Voraussetzung für die Entstehung von Fernsehnutzungsgewohnheiten ist eine regelmäßige (angebotsspezifische oder -unspezifische) Rezeption über einen gewissen Zeitraum hinweg. Wenn keine etablierten Habits vorliegen, initiieren meist bewusste Entscheidungen die Nutzung eines Mediums oder eines bestimmten Inhalts: Man beschließt zum Beispiel eine Nachrichtensendung zu sehen, weil man sich über das tagesaktuelle Geschehen zu wenig informiert fühlt. Erfolgt die Rezeption fortan regelmäßig, automatisiert das Verhalten mit der Zeit, die Intention tritt in den Hintergrund, spezifische Hinweisreize übernehmen die Verhaltenskontrolle und lösen die Rezeption künftig aus. Die Annahme des Uses-and-Gratifications-Ansatzes, dass Rezipienten ihre Bedürfnisse bewusst durch die Auswahl bestimmter Medien oder Inhalte befriedigen, wird dadurch nicht obsolet; sie bleibt (insbesondere während der ersten Episoden) ein zentraler Prädiktor der Nutzung. Sobald diese Auswahl jedoch wiederholt stattfindet, muss der Entstehung und Entwicklung von Gewohnheiten Rechnung getragen werden. Habits sind darauf ausgerichtet, bestimmte Ziele oder Zustände zu erreichen, wenngleich die automatisierte Auslösung bewirkt, dass sich der Ausführende des entsprechenden Ziels im Moment der Aktivierung nicht bewusst ist. Sobald das habituell aktivierte Verhalten nicht mehr zielführend ist, beendet oder ändert man die Gewohnheit. Dies ist bei etablierten Habits ein komplexer und zeitaufwändiger Prozess. Eine temporäre oder permanente Kontextveränderung kann den Vorgang unterstützen: Zum einen scheitert die Ausführung des habituellen Verhaltens in einer neuen Umgebung bisweilen an Barrieren, zum anderen fallen durch die Kontextveränderung Hinweisreize weg. Dies bewirkt, dass die Verhaltensaktivierung entfällt und der Ausführende gezwungen wird, über das jeweilige Verhalten erneut nachzudenken – vorerst steuern wieder Intentionen die Durchführung. Daher haben einschneidende Lebensveränderungen, so genannte Key Events, einen entsprechenden Einfluss auf Umfang und Inhalte der Fernsehnutzung. Neben der Kontextänderung trägt die Etablierung neuer Intentionen zur Änderung von Habits bei. Fernsehschaffende können die Intentionsbildung beeinflussen, indem sie potentielle Zuschauer dazu bringen, sich vorab mit dem Programm zu beschäftigen. Für die Implementierung einer Intention ist es hilfreich, wenn Rezipienten die Absicht, eine Sendung zu sehen, mit bestimmten Kontextfaktoren gekoppelt abspeichern (zum Beispiel wo, wann und mit wem sie die entsprechende Sendung anschauen werden).
3.2 Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung
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3.2 Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung „…less attention [should be paid] to what media do to people and more to what people do with the media“ (Katz, 1959, S. 2) lautet einer der bekanntesten Sätze der Kommunikationswissenschaft, der in den letzten 50 Jahren so oft zitiert wurde, „dass er schon beinahe zu einer Plattitüde verkommen ist“ (Mehling, 2007, S. 11). Doch trotz der nachdrücklichen Aufforderung von Katz stand die Erforschung des Selektionsverhaltens lange Zeit im Schatten der Medienwirkungsforschung und erlebte erst in den letzten Jahren einen Boom (Schweiger, 2007, S. 12). In dieser kurzen Zeit sammelte sich jedoch „eine kaum überschaubare Menge an Studien […], die aus unterschiedlichen Perspektiven untersuchen, warum und wie wir fernsehen“ (Fahr & Böcking, 2005, S. 5). All diese Perspektiven beschreiben aber nur selten das Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit bei der Fernsehnutzung; man erklärt die Nutzung vorwiegend als aktive, zielgerichtete und motivgeleitete Zuwendung. Kapitel 3.2.1 weist entsprechend auf den Missstand hin, dass die Forschung zu lange ignorierte, dass wir einen Großteil des Verhaltens stetig wiederholen und Entscheidungen wiederkehrend treffen. Dies gilt in besonderem Maße für die Forschung zur Fernsehnutzung und Programmwahl. Wie Habits und Intentionen dabei zusammenspielen, warum es so kompliziert ist, die Nutzung des Mediums oder eines Inhalts nur auf Intentionen oder nur auf Gewohnheiten zurückzuführen diskutiert Kapitel 3.2.2. 3.2.1 Intention als Verhaltensprädiktor Jahrzehntelang erklärte die Psychologie zielgerichtetes Verhalten vorwiegend als Resultat eines bewussten, intentionalen und meist rationalen Entscheidungsprozesses (vgl. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998, S. 1356). Eines der bekanntesten und am häufigsten getesteten Modelle, das volitionales Verhalten erklärt, ist die „Theory of Reasoned Action (TORA)“ (Ajzen & Fishbein, 1980; Fishbein & Ajzen, 1975). Diese basiert auf der Prämisse „that human beings are usually quite rational and make systematic use of the information available to them“ (Ajzen & Fishbein, 1980, S. 5). Gemäß der Theorie ist die Intention die einzige direkte psychologische Determinante für die Ausführung eines Verhaltens. Je stärker die Absicht, ein Verhalten auszuführen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man dieses tatsächlich umsetzt. Die Intention hängt wiederum von zwei konzeptionell unabhängigen Determinanten ab: der Einstellung gegenüber der Verhaltensweise und der subjektiven Norm. Die Einstellung manifestiert sich in der affektiven Bewertung eines Verhaltens als günstig oder ungünstig und hängt von der subjektiv wahrgenommenen Auftretenswahrschein-
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lichkeit potentieller Konsequenzen und deren Bewertung ab. Die subjektive Norm ist die Annahme des Ausführenden, wie für ihn bedeutsame Personen das fragliche Verhalten bewerten würden; sie hängt davon ab, wie man die Erwartungen der anderen Personen wahrnimmt (Würden sie der Ausführung zustimmen oder sie ablehnen?) und wie viel Bedeutung der Ausführende dem Urteil der anderen Personen beimisst (Wie groß ist die Bereitschaft, den wahrgenommenen Erwartungen zu entsprechen?). Ajzen erweitert (1985; Ajzen, 1991) die TORA zur „Theory of Planned Behavior“ (TOPB), um auch den Teil des Verhaltens zu erfassen, der nicht unter volitionaler Kontrolle steht. Hierfür ergänzt er das Modell um den Prädiktor der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, also die subjektiv erlebte Schwierigkeit, ein Verhalten auszuführen. Interne (z.B. die eigenen Fähigkeiten) und externe Faktoren (z.B. Ermangelung bestimmter Ressourcen) bedingen diese: Selbst wenn subjektive Norm und Einstellung eine Person zur Nutzung des Autos forcieren würden, könnte das in Ermangelung eines Autos oder der Fähigkeit, dieses zu steuern, scheitern (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1998, S. 1357). Das Entstehen einer Verhaltensintention erklärt die TOPB also als Ergebnis des Zusammenwirkens von Einstellung, subjektiver Norm und wahrgenommener Verhaltenskontrolle. Die Intention eine Handlung auszuführen ist Ergebnis einer bewussten gedanklichen Auseinandersetzung mit diesen Prädiktoren. Alle drei Komponenten beeinflussen sich zudem gegenseitig, wobei sich die wahrgenommene Verhaltenskontrolle auch auf das Verhalten direkt auswirken kann. Die TOPB geht ebenso wie die TORA davon aus, dass die Intention die wichtigste und stärkste Determinante eines Verhaltens ist. Zahlreiche Studien, auch Metaanalysen, bestätigen zwar den direkten Einfluss der Intention auf verschiedene Verhaltensbereiche (Armitage & Conner, 2001; Sheeran, 2002; Sheeran & Taylor, 1999), doch meist erklärt sie nur etwas über 30 Prozent der Varianz – der Zusammenhang ist also nicht so stark, wie man es gemäß der Theorie erwarten würde. Dies zeigt auch kommunikationswissenschaftliche Forschung: Zum Beispiel erklärt die Intention, ein Videospiel zu nutzen, „nur“ 23 Prozent der Varianz (Hartmann & Vorderer, 2006). Obwohl sich Verhalten ohnehin nie perfekt vorhersagen lässt, „ist der Befund, dass die Theorie des geplanten Verhaltens im Durchschnitt lediglich ein Drittel der Verhaltensvarianz erklären kann, unbefriedigend“ (Bamberg, 2002, S. 144). Die Ursachen für die eher schwach ausfallende Intentions-Verhaltens-Beziehung sind vielschichtig. Zum einen hängt es stark von dem jeweiligen Verhalten ab, das ausgeführt wird: Beispielsweise wird ein Besuch der Oper meist intentionaler erfolgen als das Putzen der Zähne. Zum anderen beeinflussen reichlich andere Variablen, die man unmöglich alle kontrollieren kann, das hoch komplexe Geschehen.
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Ein weiterer Grund für die unbefriedigende Varianzaufklärung könnte – zumindest bei wiederholtem Verhalten – der Einfluss von Gewohnheiten sein. Wenn Verhalten regelmäßig und unter ähnlichen Bedingungen auftritt, müssen wiederkehrende Entscheidungssituationen nicht stetig durch die Bildung einer Intention gelöst werden. Triandis (1977, S. 205) stellt schon vor über drei Jahrzehnten klar: „When a behavior is new, untried, and unlearned, the behavioralintention component will be solely responsible for the behavior […] as behavior repeatedly takes place, habit increases and becomes a better predictor of behavior than behavioral intentions“. Auch Ajzen (1985) zieht bei der TOPB in Betracht, dass ein Verhalten wiederholt auftreten kann, nimmt jedoch an, dass sich durch die Wiederholung lediglich die Prädiktoren der Intention ändern: Zum Beispiel würde eine mehrmalig erfolgreiche Nutzung des Autos auf dem Weg ins Kino die Einstellung zu dieser Verkehrsmittelwahl entsprechend stärken. Dieser Gedanke widerspricht jedoch der Erkenntnis, dass die Intentionsbildung bei wiederholtem Verhalten zunehmend in den Hintergrund tritt (Ji & Wood, 2007; Ouellette & Wood, 1998). Zu verschiedenen Verhaltensbereichen führten Psychologen bereits Untersuchungen durch und erforschten die Anteile der Gewohnheit und der Intention (vgl. z.B. Verplanken, Aarts, Knippenberg, & Moonen, 1998; E. Ferguson & Bibby, 2002; vgl. auch Diskussion bei Ouellette & Wood, 1998, S. 56-57). Generell zeigen die Studien, dass die Verhaltensintention umso mehr in den Hintergrund tritt, je stärker die jeweilige Gewohnheit ist und umgekehrt. Das gilt auch für die Nutzung von Nachrichten: „Participants’ intentions did not predict future performance when they had […] repeatedly watched news on TV in the same context“ (Ji & Wood, 2007, S. 273). Die nach mehrmaliger Wiederholung schwächer ausfallende Intentions-VerhaltensBeziehung zeigt, dass andere Mechanismen die Intention ersetzen oder ergänzen können. Dies dient wiederum als Argument für das Postulat zweier Systeme der Verhaltenssteuerung: ein habituelles und ein intentionales System, denen jeweils unterschiedliche kognitive Mechanismen zu Grunde liegen (Ouellette & Wood, 1998; Ronis, Yates, & Kirscht, 1989; Wood & Quinn, 2004; Wood, Quinn, & Kashy, 2002). Der Befund, dass Gewohnheiten separat von der Intention im Gedächtnis gespeichert werden, scheint die Existenz dieser beiden Systeme zu bestätigen (vgl. Killcross & Coutureau, 2003). Allerdings ist eine Dichotomie „Intention vs. Gewohnheit“ bei näherer Betrachtung zu simpel, denn die Konzepte schließen sich keineswegs gegenseitig aus. „Despite the separate nature of habitual and intentional guides, it would be a mistake to conclude that most behavior is a product of strictly habitual tendencies or of intentional thought. Any given behavior likely involves multiple aspects of memory and motor performance systems, and some of these aspects may be well practiced and proceed automatically, whereas others may be more novel
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and require intentional guidance“ (Wood & Quinn, 2004, S. 66). Eine Gegenüberstellung ist erlaubt, doch muss ein Verhalten nicht entweder intentional oder von Gewohnheiten gesteuert werden: Beide Verhaltenssteuerungen stehen in enger Wechselbeziehung und können kaum losgelöst voneinander betrachtet werden. Das Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit tritt besonders dann zu Tage, wenn die beiden nicht in Einklang stehen und es zu einem Konflikt zwischen Intention und Gewohnheit kommt. Die Konzeption zweier Pole birgt stets die Gefahr eines „Entweder-oderDenkens“. Dieses ist mit ursächlich für die „Aversion“ (Newell, 2003), Gewohnheiten in die genannten Theorien zu integrieren. Bezieht man sowohl Intentionen als auch Gewohnheiten in die Modelle ein, zeigt sich ein Zusammenspiel beider Mechanismen, das interindividuell verschieden, abhängig von der situativen Einbettung und der Art des Verhaltens auftritt. Die Intention ist mithin ein wichtiger Prädiktor, wenn das Verhalten besonders wichtig und unvertraut ist (Wood, Tam, & Witt, 2005). Gewohnheiten treten vor allem bei regelmäßig wiederholtem Verhalten in Niedrigkostensituationen in den Vordergrund (vgl. Kapitel 2.1.2). 3.2.2 Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit Die Forschung betrachtet das „Warum der Fernsehnutzung“ zumeist aus einer funktionalen Perspektive und greift oft auf den Uses-and-Gratifications-Ansatz (oder Varianten davon) zurück; diese Perspektive dominierte über viele Jahre die Nutzungsforschung (Schweiger, 2007, S. 21). Grundannahme des Ansatzes ist, dass Zuschauer die Medien nutzen, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen (Katz, Blumler, & Gurevitch, 1974). Medien sind dabei nur eine mögliche Alternative zur Bedürfnisbefriedigung und konkurrieren mit anderen Tätigkeiten: Wer beispielsweise nach Unterhaltung sucht, könnte den Fernseher einschalten, aber ebenso gut mit dem Partner Karten spielen. Die Vertreter des Ansatzes konzipieren das Bild eines aktiven Rezipienten, der sich seiner Bedürfnisse bewusst ist (sie auch verbalisieren kann) und versucht, diese intentional und zielgerichtet durch die Nutzung bestimmter Medien und Inhalte29 zu befriedigen. Nach der Entwicklung des Ansatzes zu Beginn der 70er Jahre folgen Jahrzehnte der andauernden Kritik an vielen seiner zum Teil impliziten Annahmen und Vorstellungen (z.B. Rubin, 1994). Doch trotz der vehementen Vorwürfe prägen viele der Annahmen die Forschung bis heute maßgeblich.
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Diese notwendige Differenzierung nehmen viele Autoren gar nicht vor.
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Die oben skizzierte „Theory of Planned Behavior“ weist große Parallelen zum Uses-and-Gratifications-Ansatz auf: Beide sehen das Verhalten des Individuums als Ergebnis einer bewussten Auseinandersetzung mit der Situation und einer durchdachten Abwägung möglicher Alternativen. Die Intention ist in beiden Ansätzen der einzige Prädiktor des Verhaltens, und der Einfluss von Gewohnheiten macht den zwei Ansätzen zu schaffen. Diese Konfrontation „lösen“ sie unterschiedlich: Die „Theory of Planned Behavior“ ignorierte zunächst die Existenz von Gewohnheiten, auch mit dem Argument, dass sie von Gewohnheiten gesteuertes Verhalten ja gar nicht erklären möchte. Erst viele Jahre später gibt es vereinzelt Versuche, Gewohnheiten als einen zusätzlichen unabhängigen Prädiktor in das Modell zu integrieren (vgl. z.B. Bamberg, 1996). Die Forschung um den Uses-and-Gratifications-Ansatz ignoriert Habits hingegen keineswegs, sondern nimmt sie kurzerhand in die Motivkataloge auf. Dort vermengt man die Items mit jenen, die nach Unterhaltung und Zeitvertreib fragen. Dies diskutierte Kapitel 2.3.3 als Resultat des empiriegeleiteten Vorgehens bei der Erstellung der Gratifikationskataloge. Vorderer (1992, S. 125) charakterisiert die rein gewohnheitsmäßige Fernsehnutzung, als „denjenigen Gegenstandsbereich, der dem Uses-andGratifications-Ansatz bislang die größten Erklärungsschwierigkeiten bereitete“. Ein Verhalten, das in einer konkreten Situation nicht mehr eindeutig auf bestimmte Ziele und Motive zurückgeführt werden kann, widerspricht der Grundannahme des Uses-and-Gratifications-Ansatzes, wonach Rezipienten Medieninhalte ihren Bedürfnissen entsprechend gezielt und bewusst auswählen. Einen mehrstufigen Entscheidungsprozess, wie ihn zum Beispiel Donsbach (1989, S. 402) „gegenüber Inhalten von Pressemedien“ darstellt,30 gibt es nur, wenn keine Gewohnheiten etabliert sind – bei einem habituellen Nutzer erfolgen diese Schritte nicht bewusst und sind empirisch kaum voneinander zu trennen. Ob die Mehrzahl der Rezipienten tatsächlich abwägt, abends zur Tageszeitung zu greifen oder den Fernseher einzuschalten, ist zweifelhaft. Die Vorstellung einer durchgeplanten Entscheidungsfindung mag für wissenschaftliche Modelle hilfreich sein, doch ein gewohnheitsmäßiger Nutzer der Tagesschau fragt sich nach dem Einschalten des Gerätes eben nicht, ob er nun die Tagesschau oder die RTL2-News sehen möchte.
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Zunächst müsse man sich entscheiden, ob man „überhaupt am Massenkommunikationsprozess teilnehmen will oder nicht“; es folgt die Auswahl eines Mediums, die intermediäre Selektion (z.B. Fernsehen oder Tageszeitung lesen) und im Anschluss die intramediäre Auswahl eines redaktionellen Angebots (z.B. die Tagesschau oder eine Soap); „schließlich kann als kleinste Selektionseinheit die einzelne Information oder Kognition unterschieden werden, der sich der Rezipient zuwendet, die er aufnimmt oder behält“ (Donsbach, 1989, S. 402; Donsbach, 1991).
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Eine offensichtliche Dichotomie zwischen habitueller und instrumenteller Nutzung nehmen die meisten Autoren nicht an. Zwar stellt Rubin (1981b; 1983; 1984; vgl. auch Rubin & Rubin, 1982) die Konzepte gegenüber und differenziert ausdrücklich zwei grundlegend verschiedene Arten der Fernsehnutzung, schlussfolgert aber, dass „ritualized and instrumental television use may not be clearly dichotomous“ (Rubin, 1984, S. 76). Wie bei der Steuerung der meisten alltäglichen Verhaltensweisen spielen bei der Fernsehnutzung habituelle und intentionale Mechanismen zusammen (Newell, 2003, S. 85). Dieses Zusammenspiel ist komplex, und äußerst selten steuern nur Gewohnheiten oder nur Intentionen die Ausführung. Das Entweder-oder-Denken verstellt den Blick auf die Realität der Fernsehnutzung. Diese lässt „sich durch die reine Ermittlung von Motiven und gesuchten Gratifikationen nicht umfassend beschreiben“ (Brosius, Rossmann, & Elnain, 1999, S. 174) – ebenso wenig können Gewohnheiten die Fernsehnutzung vollständig erklären. Und auch das Zusammenspiel von Habits und Intentionen begründet sie keineswegs erschöpfend. Die zahlreichen zeitstabilen und situativen Merkmale und deren Interaktionen erfordern umfassende Modelle (vgl. z.B. Webster & Wakshlag, 1983), wobei auch diese der Dynamik und Komplexität des Geschehens nur teilweise gerecht werden. Überprüfen sollte man allerdings, wie viel die intentionale bzw. habituelle Zuwendung zum Fernsehen oder zu bestimmten Inhalten tatsächlich erklärt. Das Bestimmen der jeweiligen Anteile fällt schwer. Dies liegt zum einen an der Dynamik des Kontinuums, die sich situativ und situationsübergreifend auswirkt: Während des gleichen Mediennutzungsvorgangs können verschiedene Mechanismen nacheinander oder gleichzeitig greifen: Eine Person könnte zum Beispiel zunächst gewohnheitsmäßig den Fernseher einschalten, dann aber ganz intentional eine Sendung suchen, bei einer Werbeunterbrechung zappt sie aus Gewohnheit weiter, sucht daraufhin intentional nach einem Format, das ihr gefällt, um nach fünf Minuten habituell wieder zur unterbrochenen Sendung zurückzuschalten. Zudem entwickeln sich Habits anhaltend, das Zusammenspiel mit der Intention ist einem permanenten Wandel unterworfen. Ein und derselbe Vorgang kann teils durch die Intention, teils durch die Gewohnheit gesteuert werden. Dies zeigt sich auch bei der Entstehung von Gewohnheiten: Die habituelle Nutzung entwickelt sich aus der intentionalen heraus, die Übergänge sind fließend. Wie lange die Nutzung intentional erfolgt, und ab wann man von einer habituellen Nutzung sprechen kann, ist diffizil und hängt von den zugrundeliegenden theoretischen Überlegungen ab. Hinzu kommt, dass einmal etablierte Gewohnheiten wieder schwächer werden, verblassen und schließlich ganz verschwinden können. Ebenso kann ein Rezipient dieselbe Sendung an einem Tag mehr aus Gewohnheit, am nächsten vermehrt intentional sehen – abhängig von verschiedenen
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situativen Bedingungen. Einzelne Nutzungsepisoden lassen sich nicht immer miteinander vergleichen: „Es zeigt sich nämlich, dass die Mediennutzung im Allgemeinen und die Fernsehrezeption im Speziellen das eine Mal (eher) instrumentell und bewusst, das andere Mal (eher) gewohnheitsbestimmt und automatisiert ablaufen“ (Vorderer, 1992, S. 12). Sieht der Rezipient die gleiche Sendung zum wiederholten Mal unter gleich bleibenden Bedingungen an und nimmt die Wahl der Sendung als Niedrigkostensituation wahr, so ist eine vornehmliche Steuerung durch Gewohnheiten wahrscheinlich. Ist „die Wahl einer Medienzuwendung aus subjektiver Nutzersicht mit suffizienten Kosten verknüpft, zudem womöglich auch noch besonders komplex und persönlich relevant, dann ist es wahrscheinlich, dass eine bewusste und rational kalkulierte Entscheidungsfindung und Handlungsplanung einsetzt“ (Hartmann, 2006, S. 50). 3.2.3 Resümee zur intentionalen und habituellen Fernsehnutzung Zur Vorhersage von zielgerichtetem Verhalten nutzte die Psychologie jahrzehntelang Modelle und Theorien, die einen intentionalen und rationalen Entscheidungsprozess beschreiben. Insbesondere die „Theory of Reasoned Action (TORA)“ (Ajzen & Fishbein, 1980; Fishbein & Ajzen, 1975) und deren Erweiterung, die „Theory of Planned Behavior (TOPB)“ (Ajzen, 1985; Ajzen, 1991) wurden vielfach getestet. Sie basieren auf der Prämisse, dass Menschen in Entscheidungssituationen rational und wohl überlegt agieren und vor der Ausführung eine Intention ausbilden. Diese hängt gemäß der TOPB von drei Prädiktoren ab: der Einstellung gegenüber dem Verhalten, der subjektiven Norm sowie der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle. Die Intention entsteht nach einer bewussten Auseinandersetzung des Individuums mit diesen Prädiktoren und ist der Theorie zufolge die wichtigste Determinante der Verhaltensausführung. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, dass die Intention durchaus Vorhersagewert besitzt; allerdings klärt sie durchschnittlich nur ca. 30 Prozent der Verhaltensvarianz auf (Bamberg, 2002, S. 144). Dieser unbefriedigende Befund lässt sich unter anderem durch die Existenz von Gewohnheiten erklären: Nach mehrmaliger Wiederholung wird die Intentions-Verhaltens-Beziehung schwächer und der Einfluss von Habits entsprechend stärker. Dabei zeigt sich ein Zusammenspiel von Intention und Gewohnheit: Verhalten wird selten nur intentional oder nur habituell gesteuert. Indes findet eine enge Wechselbeziehung zwischen beiden Steuerungsmechanismen statt, weshalb man sie kaum isoliert betrachten kann. Der Uses-and-Gratifications-Ansatz, demzufolge Rezipienten Medien intentional nutzen, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen, dominierte – trotz der vehementen Kritik an vielen seiner teilweise impliziten Annahmen – über Jahre
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die Nutzungsforschung. Er weist deutliche Parallelen zur „Theory of Planned Behavior“ auf: Beide konzipieren die Handlung einer Person als Folge der Intentionsbildung nach einer bewussten gedanklichen Auseinandersetzung mit spezifischen Faktoren. Der Einfluss von Gewohnheiten brachte beide Ansätze in Erklärungsschwierigkeiten, da eine Ausführung, die man nicht auf bestimmte Motive zurückführen kann, den Grundannahmen dieser Ansätze widerspricht. Weder Intention noch Gewohnheiten können die Zuwendung zum Fernsehen oder bestimmten Inhalten alleine erklären, dem weit verbreiteten Entweder-oderDenken sollte man entsprechend entsagen. Das Ausmaß von Intention und Gewohnheit zu bestimmen ist schwierig, da es sich um ein dynamisches Kontinuum handelt: Nutzungshabits entstehen aus einer intentionalen Zuwendung heraus, etablierte Gewohnheiten können verblassen und (ebenso wie Intentionen) ganz verschwinden. Verschiedene Variablen tragen dazu bei, dass Zuschauer eine Sendung das eine Mal mehr aus Gewohnheit, das nächste Mal vermehrt intentional rezipieren. Ist es aber „besser“, Selektionsentscheidungen intentional zu treffen und die Bildung von Gewohnheiten zu verhindern? Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM, 2008) vertritt die Ansicht, es „sollte nicht Gewohnheit, sondern die überlegte Auswahl darüber entscheiden, welche Fernsehsendung man sich ansieht“; vor allem junge Zuschauer müssen die Fähigkeit erlernen, „Medien bewusst zu nutzen und Medieninhalte gezielt auszuwählen“. Die Autoren geben den Gewohnheiten damit einen negativen Beigeschmack: Eine habituell gesteuerte Entscheidung sei schlechter als eine bewusst getroffene. Bei derartigen Generalisierungen ist allerdings Vorsicht geboten, denn auch Inhalte, welche die Bundesprüfstelle potentiell als pädagogisch wertvoll erachten würde, könnten habituell gesehen werden. Kapitel 2.2.6 wies bereits auf die Tendenz hin, dass man im Alltag meist von schlechten und nur selten von guten Gewohnheiten spricht. Die negative Konnotation von Habits tritt bei der Fernsehnutzung deutlich hervor: Aus Gewohnheit fernzusehen ist regelrecht verpönt; Rezipienten geben lieber an, es intentional zu nutzen (Jäckel, 2003, S. 16) – diese Problematik thematisiert unter anderem das nächste Kapitel. 3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung „Considering the attention that habit has drawn during recent years, it is surprising that the operationalization of habit has never been solved adequately. Many different concepts of measuring habit have been used. Each one is problematic in some aspects“ (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 400). Zahlreiche Studien widmen sich der Messung von Gewohnheiten und greifen auf vielfältige
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Methoden, Instrumente und Operationalisierungen zurück. Keine der Messungen konnte sich bislang durchsetzen, von der Etablierung eines Standards ist man weit entfernt. Dies erstaunt zunächst kaum: Auch bei anderen psychologischen Konstrukten, wie Einstellungen oder persönlichen Normen, herrscht kein universeller Konsens, wie man diese optimal erfasst. Dennoch existieren bei deren Messung bestimmte Methoden und Instrumente, die immer wieder – häufig bis auf wenige Nuancen unverändert – zum Einsatz kommen. Bei Gewohnheiten ist das Gegenteil der Fall: Hier besteht eine solche Heterogenität an Methoden und Instrumenten, dass es schwer fällt, den Überblick zu behalten. Dabei wären Messstandards äußerst nützlich, weil sie es erleichtern, Studien miteinander zu vergleichen und deren Ergebnisse in Beziehung zu setzen. Forderungen nach einheitlichen Verfahren verhallten bislang jedoch ungehört. Warum sich (noch) kein Standard durchsetzen konnte, diskutiert Kapitel 3.3.1 und stellt die unterschiedlichen methodischen Zugänge vor, die Psychologen nutzen, um Gewohnheiten zu messen. Es schildert Vor- und Nachteile der Methoden und hinterfragt die Chancen und Probleme dieser Heterogenität; zudem erörtert es den möglichen Einsatz der jeweiligen Methoden für die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten. Ein viel versprechendes und gut entwickeltes Instrument, der Self-Report Habit Index (SRHI), steht im Fokus von Kapitel 3.3.2. Neben den Vorzügen, die dieser Index bietet, prüft es auch die Unzulänglichkeiten, die der Skala noch innewohnen. Kapitel 3.3.3 befasst sich mit spezifischen Problemen, auf die man bei der Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten trifft. 3.3.1 Methodenheterogenität bei der Messung von Gewohnheiten Schon viele und sehr unterschiedliche methodische Zugänge kamen zum Einsatz, um das Ausmaß von Gewohnheiten zu bestimmen. Manche Autoren operationalisieren die Habitstärke über die Auftretenshäufigkeit des entsprechenden Verhaltens in der Vergangenheit (mittels Befragungen, Tagebuchstudien oder Beobachtungen, z.B. Yzer, Siero, & Buunk, 2001; Conner & Armitage, 1998; Landis, Triandis, & Adamopoulos, 1978; Triandis, 1980), andere fragen die Probranden schlichtweg direkt, wie häufig sie dieses oder jenes Verhalten aus Gewohnheit durchführen (z.B. Kahle & Beatty, 1987). Qualitative Interviews fanden genauso Anwendung (z.B. Stanbridge, Lyons, & Farthing, 2004; Luger, 1989) wie die von Verplanken et al. (1994) entwickelte – und mehrfach getestete – „Response Frequency Measure“ (z.B. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997; Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003; Verplanken, Aarts, & Knippenberg, 1997). Auch quantitative Befragungen setzten die Forscher ein, um Habit-
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stärke zu messen (Bruijn, Kroeze, Oenema, & Brug, 2008; Honkanen, Olsen, & Verplanken, 2005; Verplanken, 2005; Verplanken, 2006; Verplanken & Orbell, 2003). Brauchbarkeit und Grenzen der jeweiligen Methoden stellt das vorliegende Kapitel detailliert vor. Auftreten des Verhaltens in der Vergangenheit „The standard measure of habit strength is past performance frequency“ behaupten Ji und Wood (2007, S. 263). Klöckner, Matthies und Hunecke (2003, S. 401) konstatieren, es sei zumindest die am häufigsten benutzte Methode. In der Vergangenheit ermittelten tatsächlich zahlreiche Untersuchungen die Stärke der Gewohnheit durch die Auftretenshäufigkeit des entsprechenden Verhaltens (z.B. Bentler & Speckart, 1979; Landis, Triandis, & Adamopoulos, 1978; Triandis, 1980), und auch gegenwärtig wählt manche Studie dieses Vorgehen (z.B. Yzer, Siero, & Buunk, 2001; Conner & Armitage, 1998). Meist bestimmen die Untersuchungen das vergangene Auftreten mittels Befragungen (z.B. „Wie oft haben Sie im letzten Jahr das Auto genutzt?“). Die Reliabilität solcher Selbstauskünfte ist allerdings nicht zufrieden stellend, insbesondere wenn das Verhalten längere Zeit zurückliegt und einen großen Zeitraum betrifft. Bei der Interpretation solcher Retrospektiven ist daher Vorsicht geboten (Schwarz, 1999). Zuverlässigere Daten liefern Tagebuchaufzeichnungen (z.B. Schlich & Axhausen, 2003), Beobachtungen (z.B. Landis, Triandis, & Adamopoulos, 1978) oder telemetrische Messungen. Auf den ersten Blick scheint die Operationalisierung über die wiederholte Ausführung in der Vergangenheit verheißungsvoll: Es liegt nahe, aus einem tatsächlich gezeigten Verhalten Inferenzschlüsse zu ziehen, zumal man Habits durch regelmäßige Wiederholung in der Vergangenheit erlernt. Diverse Studien zeigen, dass vergangenes Verhalten großen Einfluss auf die zukünftige Auftretenswahrscheinlichkeit hat (z.B. Bagozzi & Kimmel, 1995; Bentler & Speckart, 1979; Boldero, 1995; Wittenbraker, Gibbs, & Kahle, 1983); dies bestätigt auch eine Metaanalyse von Ouellette und Wood (1998). Der Effekt verbleibt selbst dann, wenn man die übrigen Variablen kontrolliert (Ouellette & Wood, 1998; Verplanken, 2005). Das vergangene Verhalten als Prädiktor für dessen zukünftige Auftretenswahrscheinlichkeit erklärt oft einen größeren Teil der Varianz als Einstellungen oder Intentionen (Ouellette & Wood, 1998; Sutton, 1994). Die Audience-Duplication-Forschung (Cooper, 1996; Goodhardt, Ehrenberg, & Collins, 1987) versucht diesen Effekt zu nutzen. Mit telemetrischen Daten ermitteln die Forscher die Überschneidung des Publikums zweier Sendungen („Wie viele Zuschauer einer Sendung sehen eine bestimmte andere Sen-
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dung“) und leiten aus den Erfahrungswerten Prognosen ab.31 Darf aber eine Korrelation zwischen der Häufigkeit des Auftretens in der Vergangenheit und der Auftretenswahrscheinlichkeit in der Zukunft überhaupt als Erklärungsvariable dienen? Besitzt wiederholtes Verhalten an sich schon Erklärungswert? Vorausgegangenes Verhalten könnte genauso gut eine Proxyvariable für eine Reihe psychologischer Einflussfaktoren (z.B. Einstellung oder Intention) sein, die für die Kontinuität der Ausführung verantwortlich sind: „Past behavior itself might be determined by the same predictors as present and future behavior“ (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 401). Die Debatte über die Legitimität des Prädiktors „vergangenes Verhalten“ für die zukünftige Auftretenswahrscheinlichkeit ist komplex (Anmerkungen dazu findet man z.B. bei Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005), für das vorliegende Kapitel ist sie indes kaum relevant: Es hinterfragt nicht, ob wiederholtes Verhalten Erklärungswert besitzt, sondern ob man durch dessen Messung die Stärke von Gewohnheiten valide erfasst. Für die Kommunikationswissenschaft würde dies bedeuten, dass man TV-Gewohnheiten bequem über individuelle Nutzungsdaten (z.B. GfK/AGF-Einschaltquoten) messen könnte: Je häufiger eine Person in den vergangenen Wochen oder Monaten eine bestimmte Sendung angesehen hat, desto fester wäre die Gewohnheit. Gewohnheiten sind jedoch mehr als vergangenes Verhalten, sie sind ein psychologisches Konstrukt, das die Verhaltensausführung steuert (Verplanken & Orbell, 2003, S. 1314). Eine Reichweitenmessung kann demnach nur bedingt Auskunft über das Ausmaß der Habitualisierung geben. Eine solche Messung setzt implizit voraus, dass wiederholtes Verhalten vorrangig von Gewohnheiten gesteuert wird – diese Annahme ist jedoch umstritten (Ajzen, 2002). Das wiederholte Auftreten eines Verhaltens ist zwar durchaus ein Kennzeichen von Habits (wie oben dargestellt) und eine notwendige Vorraussetzung für deren Entstehung, doch nur, weil man ein Verhalten in der Vergangenheit mehrfach wiederholte, muss es nicht habitualisiert sein – man kann es auch immer wieder intentional ausführen (Verplanken, 2005, S. 101). Eine Gewohnheit muss auch nicht ausgeprägter sein, nur weil man das Verhalten häufig wiederholt: Es kann durchaus sein, dass ein Verhalten, das man drei Mal täglich durchführt (aber z.B. zu wechselnden Zeiten und an verschiedenen Orten) wesentlich schwächer habitualisiert ist als eines, das man nur einmal pro Woche zeigt (vgl. auch Kapitel 2.2.1). 31
Zum Beispiel Vererbungseffekte („Audience Flow“: Wie viele Zuschauer einer Sendung sehen die auf dem gleichen Sender danach ausgestrahlte Sendung an), die Sendungsloyalität („Repeat Viewing“: Wie viele Zuschauer einer seriellen Sendung sehen die daraufhin folgende an“), Wiederholungssehen („Rerun Watching“: Wie viele Zuschauer einer Sendung sehen die Wiederholung dieser Sendung) oder Kanalloyalität („Channel Loyalty“: Wie treu ist der Zuschauer einem bestimmten Sender).
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Wie ließe sich mit einer Reichweitenmessung der Grad der Habitualisierung verschiedener Medien miteinander vergleichen? Erfolgt das Lesen der Zeitung etwa wesentlich intentionaler, nur weil man sie kürzer nutzt als zum Beispiel das Radio? Haben zwei Personen genau die gleiche Gewohnheit, nur weil beide jeden Sonntag den Tatort sehen? Eine Reichweitenmessung käme zwangsläufig zu diesem Ergebnis. Es existiert ja ohnehin kein proportionaler Zusammenhang zwischen der Stärke der Gewohnheit und der Auftretenshäufigkeit des davon gesteuerten Verhaltens: Jemand, der ein Verhalten tausend Mal ausführt, hat keine zehn Mal stärkere Gewohnheit als jemand, der das gleiche Verhalten nur hundert Mal ausführt. Man kann noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, wer aus diesem Beispiel eine ausgeprägtere Gewohnheit hat (Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005, S. 236). Wie gut die Einschaltquote einer Sendung die Quote der nächsten Ausgabe voraussagt, ist für die Frage nach der habituellen Nutzung kaum relevant. Bei dem in dieser Arbeit begründeten Verständnis von Gewohnheiten kann man die Diskussion getrost außen vorlassen: Eine solche Operationalisierung hilft nicht weiter. Dies schmälert keineswegs die Ergebnisse und den Nutzen der kommerziellen und akademischen Reichweitenforschung, es sind schlichtweg zwei Paar Schuhe. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser Debatte bietet Verplanken (2006), der den Kern der Messproblematik schon in der Überschrift auf den Punkt bringt: „Beyond frequency: Habit as mental construct“. Somit gilt auch für die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten das Resümee von Brujin et al. (2008, S. 318): „Because equating habit with past behavior faces several methodological and theoretical problems, a measure of habit strength that has discriminant validity over behavioral frequency is needed“. Wiederholtes Verhalten im stabilen Kontext Auch die Forschergruppe um Wood (Ji & Wood, 2007; Wood, Quinn, & Kashy, 2002; Wood, Tam, & Witt, 2005) misst die Habitstärke über die Auftretenshäufigkeit des Verhaltens in der Vergangenheit, „verfeinert“ die Messung aber, indem sie die Stabilität des jeweiligen Verhaltenskontext in den Index einbezieht. Die Studie von Ji und Wood (2007), die den Einfluss von Gewohnheiten auf die Verkehrsmittelwahl, den Fastfood-Konsum und das Sehen von Fernsehnachrichten untersucht, soll die Messung exemplarisch verdeutlichen: Zunächst geben die Teilnehmer an, wie oft sie das jeweilige Verhalten pro Woche ausführen und beurteilen dann die jeweilige Stabilität von Ort, Zeit, Personen und Stimmung auf einer dreistufigen Skala (z.B. „1 = seldom in the same place, 3 = often in the same place“; 1 = seldom at the same time of day, 3 = always at the same time of day). Die von den Probanden angegebene Ausführungshäufigkeit multiplizieren die Autoren jeweils mit diesen Zahlen und erhalten so für jedes
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
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Verhalten vier Einzelwerte. Sieht eine Person zum Beispiel fünf Mal in der Woche fern und bewertet die räumliche Stabilität sehr hoch (mit dem Wert 3), die zeitliche Stabilität hingegen sehr niedrig (mit dem Wert 1), ergäbe dies einen „physical-location-habit-Wert“ von 15 sowie einen „same-time-of-day-habitWert“ von 5. Die Messung schließt im Gegensatz zu allen anderen Methoden die Stabilität des Kontextes mit ein. Ob man damit die Stärke einer Gewohnheit valide erfasst, ist aber fraglich, denn der Index birgt zahlreiche Probleme. Schon die Multiplikation der Werte ist diskussionswürdig: Eine Person, die stets montags an der gleichen Haltestelle den Bus nimmt, hätte einen „habit-physical-location“Wert von 3 (1x3); jemand, der drei Mal pro Woche von dieser Haltestelle abfährt, bekäme schon einen Wert von 9 (3x3) und jemand, der zwei Mal täglich den Bus ab diesem Halt nutzt, hätte einen kurios hohen Wert von 42 (14x3).32 Was verraten diese Zahlen aber über den Habitualisierungsgrad der Verkehrsmittelwahl? Die Werte unterscheiden sich zwar extrem, sagen aber nur bedingt etwas über die Stärke der Gewohnheit aus, da eine häufigere Durchführung nicht unbedingt eine ausgeprägtere Gewohnheit bedingt. Problematisch an dem Index ist zudem, dass durch ihn vier (oder mehr: z.B. könnte man auch die Stabilität des vorausgehenden Verhaltens einbeziehen) verschiedene Kennziffern entstehen: Man muss sämtliche Berechnungen mit den einzelnen Werten anstellen und erhält entsprechend vier unterschiedliche Ergebnisse. Die notwendige Diskussion, ob man aus diesen vier Zahlen einen Gesamtwert bilden könnte, klammern die Autoren aus. Der Index vernachlässigt zudem die automatisierte Auslösung des Verhaltens. Bei der Erfassung von Fernsehnutzungsgewohnheiten birgt die Messung weitere Probleme. Vielen Probanden dürfte es schwer fallen, eine präzise Schätzung abzugeben, wie oft sie pro Woche den Fernseher einschalten; zumal manch einer den Fernseher anstellt und bis zum Abend laufen lässt, ein anderer schaltet das Gerät zehnmal täglich ein und aus. Dieses Beispiel verdeutlicht ein weiteres Problem: Hat jemand, der den Fernseher morgens einschaltet und laufen lässt, tatsächlich eine deutlich schwächer ausgeprägte Gewohnheit als eine Person, die das Gerät zehnmal täglich ein- und ausschaltet? Und können die Befragten beurteilen, ob sie das TV-Gerät meist in der gleichen Stimmung einschalten? Das Instrument, das die Forscher um Wood konstruieren, ist eine anregende Ergänzung, doch in dieser Version unpraktikabel und für die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten kaum geeignet. Eine Weiterentwicklung könnte sich aber durchaus lohnen. 32
Ji und Wood (2007, S. 266) schließen entsprechend die Extremwerte zweier Personen aus ihrer Untersuchung aus.
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3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
Response Frequency Measure Eine Alternative zur Messung der Habitstärke durch die Auftretenshäufigkeit eines Verhaltens in der Vergangenheit bietet die „Response Frequency Measure of Habit (RFM)“ (vgl. Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997; Verplanken et al., 1994; Verplanken et al., 1998). Ihr liegt die Idee zu Grunde, dass die Stärke der Gewohnheit mit der Beständigkeit der Aktivierung eines Verhaltens korreliert. Die Autoren demonstrieren dies mit mehreren Experimenten zur Verkehrsmittelwahl: Sie legen den Teilnehmern unterschiedlich weit entfernte Ziele vor (z.B. Innenstadt, Kino, Einkaufzentrum etc.) und lassen ihnen die Wahl zwischen mehreren Fortbewegungsmitteln (z.B. Auto, Fahrrad, Bus, Zug). Die Probanden müssen möglichst schnell eines der Verkehrsmittel wählen, um das jeweilige Ziel zu erreichen. Die habituelle Nutzung des jeweiligen Vehikels gilt als umso ausgeprägter, je öfter die Probanden dieses auswählen. Weil man möglichst schnell antworten muss, kann man mögliche Vor- und Nachteile kaum abwägen und hat keine Zeit, eine bewusste, wohl überlegte Intention zu bilden. Die Autoren nehmen an, dass die Teilnehmer stattdessen auf leicht verfügbare Skripte zurückgreifen, die durch die jeweiligen Stimuli (z.B. die Reiseziele) aktiviert werden. Beispielsweise könnte die Aktivierung des Skripts „ins Kino gehen“ unmittelbar das Teilelement „mit dem Auto hinfahren“ auslösen. Die Vorteile der Methode liegen auf der Hand: „(a) to measure habits, no self-report is needed; (b) it is not retrospective; (c) it meets the demands of the theoretical concept of habit better than do other approaches; (d) it is easy to use in a questionnaire“ (Klöckner, Matthies, & Hunecke, 2003, S. 402). Doch birgt auch diese Messung Probleme: Zahlreiche intervenierende Variablen müssen kontrolliert sowie ein zu dem entsprechenden Verhalten passendes Situationsset gefunden werden. Bei der Messung der habituellen Verkehrsmittelwahl muss man beispielsweise sicherstellen, dass alle Teilnehmer nicht nur die gleichen Zielvorgaben bekommen, sondern auch am selben Ort wohnen (z.B. im gleichen Studentenwohnheim) – andernfalls wären die Ergebnisse unbrauchbar. Somit ist die Methode bei der Messung von Reisezielen oder zum Beispiel bei der Wahl von Lebensmitteln durchaus geeignet, stößt bei anderen Tätigkeiten allerdings an ihre Grenzen. Weil sich ihr Einsatz auf Verhalten in Wahlsituationen beschränkt, das Probanden in verschiedenen Kontexten ausführen (Verplanken & Orbell, 2003, S. 1316), ist die Brauchbarkeit des Instrumentes bei der Erfassung von habitueller Fernsehnutzung enorm eingeschränkt. Die Komplexität der Messung erschwert die praktische Umsetzung, große Stichproben sind nur schwer zu befragen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der RFM findet man bei Klöckner, Matthies und Hunecke (2003), die Modifikationen an der Messung und verschiedene Weiterentwicklungen vorschlagen und testen.
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
91
Direkte Frage nach der Gewohnheit Die wohl einfachste Möglichkeit der Messung von Habitstärke ist, Probanden direkt zu fragen, für wie ausgeprägt sie die jeweilige Gewohnheit halten und dies auf einer Ratingskala einschätzen zu lassen. Allerdings ist fraglich, ob eine solche Messung valide Ergebnisse liefert. Verschiedene Gründe sprechen dagegen: Zunächst ist es generell schwierig, ein komplexes Konstrukt über ein einzelnes Item abzufragen. Zudem könnten die Befragten vollkommen unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, was Gewohnheiten sind. Einige Forscher verbinden diese direkte Frage nach der Gewohnheit mit einer Schätzung über das vergangene Verhalten: Sie fragen die Probanden, wie oft sie in der Vergangenheit ein Verhalten aus Gewohnheit oder unbewusst durchgeführt haben33 (Kahle & Beatty, 1987; Mittal, 1988; Towler & Shepherd, 1991; Wittenbraker, Gibbs, & Kahle, 1983). Das gleichzeitige Schätzen von Auftretenshäufigkeit und Grad der Habitualisierung in einer Frage führt jedoch zu systematischen Verzerrungen, ganz abgesehen davon, dass es für Probanden ohnehin schwierig ist, über weit vergangene psychologische Zustände Auskunft zu geben (Nisbett & Wilson, 1977; Wilson & Dunn, 2004). Inwieweit können Personen in qualitativen Leitfadeninterviews das Ausmaß von Gewohnheiten beschreiben? Probanden sind zumindest in der Lage, bestimmte Facetten der habituellen Nutzung zu schildern. Die oben skizzierten Probleme (Zugänglichkeit der Information, Verständnis von Gewohnheiten) bestehen auch bei einer Befragung mittels qualitativer Leitfadeninterviews; allerdings können gezielte Fragen nach der Regelmäßigkeit, dem Grad der Automatisierung und bestimmten Hinweisreizen durchaus Licht ins Dunkel bringen. Ob man dadurch eine adäquate Messung erhält, ist zweifelhaft, doch kann man zumindest verschiedene Randphänomene auskundschaften: Zum Beispiel ist es notwendig zu überprüfen, was Befragte überhaupt unter dem Begriff „Gewohnheit“ verstehen, und ob dieser eher positiv oder negativ konnotiert ist. Quantitative Befragung „However, although the self-reported habit strength measures used so far are problematic, there is no reason why habit strength might not be measured by means of self-reports“ (Verplanken & Orbell, 2003, S. 1316). Zwar ist es für Befragte schwierig, die direkte Frage nach der Habitstärke zu beantworten, doch können sie die Ausprägungen einzelner Kennzeichen von Gewohnheiten durchaus einschätzen: Ob sie zum Beispiel ein bestimmtes Verhalten regelmäßig zei33 Wittenbraker, Gibbs und Kahle (1983, S. 411) fragen die Probanden beispielsweise: „How many times in the last two weeks when driving a car have you put on a seat belt by force of habit?“. Mittal (1988, S. 1001) meidet hingegen die direkte Frage nach der Gewohnheit: „During the past 4 weeks, when I got into my car, I was not even aware and I put on my seatbelt“.
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3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
gen, ob sie es initiieren, ohne darüber nachzudenken oder ob es ihnen schwer fallen würde, auf das Verhalten zu verzichten (Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005). Eine theoretisch fundierte Skala, welche nach den verschiedenen Facetten von Habits fragt, sollte ein valides Instrument sein. So entstanden in den letzten Jahren einige Untersuchungen, die quantitative Befragungen zur Messung der Habitstärke benutzen (z.B. Bruijn et al., 2008; Diddi & LaRose, 2006; Honkanen, Olsen, & Verplanken, 2005; LaRose, Lin, & Eastin, 2003; Verplanken, 2005; Verplanken, 2006; Verplanken & Orbell, 2003). Allerdings variieren sowohl die benutzten Items als auch die Skalierung der Antwortvorgaben (fünf-, sieben- und elfstufig) von Studie zu Studie, weshalb man noch nicht einmal die standardisierten Befragungen miteinander vergleichen kann. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der am häufigsten genutzten Skala bietet das nachfolgende Kapitel. Zwischenfazit Ein Messstandard wäre äußerst hilfreich, um die Ergebnisse verschiedener Studien in Beziehung setzen und die Stärke der Gewohnheit unterschiedlichen Verhaltens vergleichen zu können. Es bestehen insbesondere zwei Hindernisse, welche die Etablierung eines Messstandards behindern: Zum einen liegt die Problematik in der Natur der Gewohnheiten selbst. Habits lösen ein entsprechendes Verhalten automatisiert aus, setzen es also unbewusst in Gang (Bargh, 1994). Während zum Beispiel Einstellungen, Intentionen oder persönliche Normen den Befragten (zumindest teilweise) bewusst und dadurch (teilweise) zugänglich sind, ist es Sinn und Zweck der Automatisierung, mentale Ressourcen zu sparen, indem die Habits „unbemerkt“ arbeiten; Befragte können diese Gedächtnisinhalte nicht wie gelernte Vokabeln abrufen. Ein zweiter zentraler Grund für das Fehlen eines Messstandards ist wohl das Schattendasein, das die Erforschung von Gewohnheiten lange Zeit führte (s. o.); man trieb deren Untersuchung erst in den letzten zehn Jahren voran. Das Testen verschiedener Zugänge, das Suchen nach dem „besten“ Weg ist ein Prozess, der Zeit und Geduld erfordert und bei diesem Forschungsgebiet noch andauert. Auch hindern Diskussionen darüber, ob man das Ausmaß von Gewohnheiten überhaupt messen kann, den Fortschritt: Eagly und Chaiken (1993, S. 181) vertreten beispielsweise die Ansicht, dass das Ausmaß von Gewohnheiten unbestimmt bleiben muss, weil eine adäquate Messung undenkbar wäre. Trotz der vielen Versuche, das Ausmaß von Gewohnheiten zu bestimmen, ziehen Klöckner, Matthies und Hunecke (2003, S. 400) ein nüchternes Fazit: Die Operationalisierung wurde bislang nicht zufrieden stellend gelöst. Gibt es aber eine Methode, die zur Messung von Gewohnheiten am besten geeignet scheint? Hier gilt es zu differenzieren, denn jede der vorgestellten Methoden birgt spezifi-
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
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sche Vor- und Nachteile. Das Auftreten des entsprechenden Verhaltens in der Vergangenheit misst das Konstrukt Gewohnheiten nicht adäquat und sollte daher gemieden werden. Ebenso problematisch ist die Messung des wiederholten Auftretens im stabilen Kontext: Das Missachten der automatisierten Auslösung, die fehlende Differenzierung zwischen Häufigkeit und Regelmäßigkeit, das mühsame Arbeiten mit mehreren Einzelwerten und die Multiplikation, durch die teilweise kuriose Werte entstehen – all dies verdeutlicht, dass die Messung (noch) nicht ausgereift ist. Eine sinnvolle Alternative bietet die Response Frequency Measure of Habit. Allerdings ist diese nur für Verhalten in Wahlsituationen, das die Probanden in verschiedenen Kontexten zeigen, geeignet; zudem muss man ein passendes Situationsset finden und zahlreiche Variablen kontrollieren. Bei der Erfassung von Fernsehnutzungsgewohnheiten stößt die Methode an ihre Grenzen. Auch Befragungen eignen sich nicht uneingeschränkt, um Gewohnheiten zu messen: So erhält man keine validen Ergebnisse, wenn man Probanden direkt fragt, für wie ausgeprägt sie eine Gewohnheit halten oder wie oft sie ein bestimmtes Verhalten aus Gewohnheit zeigen. Das folgende Kapitel stellt ein mehrfach getestetes Instrument für quantitative Befragungen vor und skizziert damit verbundenen Kritikpunkte. 3.3.2 Der Self-Report Habit Index (SRHI) Verplanken und Orbell (2003) entwickeln eine zwölf Items umfassende Skala zur Messung von Habitstärke, den Self-Report Habit Index (SRHI). Basierend auf der von Verplanken und Aarts (1999, S. 104) vorgestellten Definition von Gewohnheiten, erfragen sie in diesem Index die regelmäßige Wiederholung des Verhaltens in der Vergangenheit, die schwere Kontrollierbarkeit, die unbewusste Auslösung, die mentale Leistungseffizienz und die Identifikation mit dem entsprechenden Verhalten. Während die ersten vier Elemente per definitionem konstitutiv für Gewohnheiten sind, fügen die Autoren mit dem „identity element“ einen neuen Aspekt hinzu, begründen diesen Schritt jedoch unzureichend (s. u.). Auf Grundlage dieser „core elements“ konstruieren die Urheber zwölf Items, die den SRHI bilden, wobei sie darüber schweigen, welches der Items zu welchem der „core elements“ gehört. Während sich einige der zwölf Fragen offensichtlich einem der Elemente zuordnen lassen, kann man über die Zugehörigkeit anderer Items nur spekulieren (vgl. Tabelle 1). Verplanken und Orbell (2003) nutzen sieben- (Studie 1&2) bzw. elfstufige (Studie 3&4) Likert-Skalen als Antwortvorgaben (1=„agree“; 7 bzw. 11=„disagree“). In Folgestudien setzen sie aber auch fünfstufige Skalen ein (vgl. z.B. Verplanken, 2006).
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3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
Tabelle 1: Items des SRHI und deren (mögliche) Zuordnung zu den Core Elements ITEM: „Behavior X is something…“
Core element
…I do frequently.
history of repetition
…I do automatically. …I do without having to consciously remember. …that makes me feel weird if I do not do it.
--lack of awareness
…I do without thinking.
lack of awareness / efficiency
…that would require effort not to do it. …that belongs to my (daily, weekly, monthly) routine. …I start doing before I realize I’m doing it.
the difficulty of controlling history of repetition
…I would find hard not to do.
the difficulty of controlling
…I have no need to think about doing.
lack of awareness / efficiency
…that’s typically „me“.
identity element
…I have been doing for a long time.
history of repetition
identity element
lack of awareness
Tabelle 1: Items des SRHI und deren (mögliche) Zuordnung zu den Core Elements
Verplanken und Orbell (2003) testen Reliabilität und Validität des Instruments in mehreren Studien: Die Studien ergeben eine hohe Test-Retest-Reliabilität (.91) und eine zufrieden stellende Validität. Letztere ermitteln sie durch einen Vergleich der Ergebnisse der SRHI-Befragung mit denen einer Response Frequency Messung (Verplanken et al., 1994), wobei diese deutlich (r=.58) und höchst signifikant (p<.001) korrelieren. Mehrere Studien zeigen, dass die Skala ein reliables und valides Instrument ist, um Habitstärke zu messen (vgl. Übersichten bei Verplanken, 2005, S. 102; Verplanken, 2006, S. 641). Dennoch bestehen insbesondere drei Kritikpunkte: a.
b.
Die Urheber fügen Items hinzu, welche die „self identity“ abfragen, obwohl dies nicht Basis der zugrunde liegenden Definition ist; sie begründen diesen Schritt kaum und räumen selbst ein, dass dieses Element nicht für alle Gewohnheiten konstitutiv ist. Verplanken und Orbell lassen den Leser über die Zuordnung der Items zu den jeweiligen „core elements“ weitgehend im Unklaren. Manche der „core elements“ fragen sie (anscheinend) über drei Items, andere lediglich über ein oder zwei Items ab.
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung c.
95
Der Fragebogen lässt die Auslösung durch Hinweisreize, ein zentrales Kriterium der Habit-Definition, außer Acht.
a) Self identity als konstituierendes Element Der SRHI bezieht Items ein, die nach der Identifikation des Ausführenden mit dem jeweiligen Verhalten fragen – die Definition von Gewohnheiten, nach der sich die Autoren richten (Verplanken & Aarts, 1999), enthält jedoch keine Annahmen darüber. Die Begründung von Verplanken und Orbell (2003, S. 1317), weshalb sie die Items in den Index aufnehmen, ist äußerst mager: „Namely, the fact that habits are part of how we organize everyday life and thus might reflect a sense of identity or personal style“. An anderer Stelle fällt die Begründung ebenso knapp und vage aus: „This refers to the fact that habits may be considered as idiosyncratic behaviors, which may be part of a person’s self-description. In some cases, a habit may even reflect attitudes or values that are central to the self-concept“ (Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005, S. 238; vgl. auch Verplanken & Holland, 2002). Die Autoren schließen ihre „Argumentation“ mit diesen wenigen Worten, begründen auch nicht, warum die Identifizierung mit intentional durchgeführtem Verhalten deutlich schwächer ausfallen sollte. Ob Personen, die ein Verhalten sehr bewusst durchführen, auf diese Fragen systematisch anders antworten als Personen, die es habituell durchführen, dokumentieren die Urheber nicht. Dabei ist unstrittig, dass die Selbstbeobachtung mancher Verhaltensweisen durchaus zum Selbstbild beiträgt und ein Teil des regelmäßigen Verhaltens bestimmte Einstellungen und Werte reflektiert (Bergius, 1982b). Doch muss nicht jede Gewohnheit Teil unseres Selbstbildes sein: Man kann sich beispielsweise fragen, welchen Beitrag das Binden der Schuhe, das Putzen der Zähne oder das Nutzen eines EC-Automaten zum jeweiligen Selbstbild leisten. Hingegen ist recht wahrscheinlich, dass zum Beispiel tägliches Joggen, das regelmäßige Einkaufen im Bioladen oder Fahrradfahren durchaus mit dem Selbstbild einer Person in engem Zusammenhang stehen und möglicherweise Einstellungen und Werte der Person reflektieren (z.B. ökologisches Bewusstsein, Sportlichkeit etc.). Hier liegt das genuine Problem dieses Elements: Es ist nur bei der Abfrage bestimmter Gewohnheiten sinnvoll. Bei vielen habituellen Tätigkeiten fehlt den Items jegliche Berechtigung, sie sind nicht nur überflüssig, sondern auch irritierend. Was soll der Teilnehmer einer Studie von dem Item „…that’s typically ‚me’“ halten, wenn man ihn nach dem Binden der Schuhe fragt? Zudem bleibt unklar, ob beispielsweise die habituelle Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel tatsächlich Einstellungen und Werte einer Person reflektiert oder für sie nur die einzige Möglichkeit ist, um an ein bestimmtes Ziel zu gelangen. Verplanken und Orbell (2003, S. 1317) sehen das Hinzufügen jener Items selbst skeptisch und
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3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
räumen ein, dass nicht jede Gewohnheit zum Selbstbild beiträgt: „We thus assumed that although this might not hold for all habits, at least some might be descriptive of a person and thus express someone’s identity“. Die Items würden das Ergebnis verzerren und unbrauchbar machen. Es gibt zwei Möglichkeiten, die geschilderte Problematik zu lösen: Entweder man fragt jenes Identity-Element nur bei solchen Gewohnheiten ab, die zum Selbstbild beitragen oder man lässt es ganz aus dem Index heraus. Die erste Option wirft jedoch erneut Probleme auf: Wie bestimmt man vorab, ob die jeweilige Gewohnheit Teil des Selbstbildes ist oder nicht? Kann der Forscher dies „pauschal“ entscheiden oder muss er zunächst einen Pretest durchführen, der darüber Klarheit schafft? Setzt man die Items allerdings bei Gewohnheit A ein, nicht jedoch bei Gewohnheit B, beschränkt dies wiederum die Vergleichbarkeit beider Messungen. Die einzig sinnvolle Alternative ist daher, das Identity-Element aus dem Index zu entfernen. b) Mangelnde Transparenz bei der Zuordnung der Items Weshalb vermeiden es die Autoren, die von ihnen benutzten Items den zu Grunde liegenden Faktoren eindeutig zuzuordnen? Obgleich einige der Formulierungen erahnen lassen, welches Item zu welchem „core element“ zählt, treffen Verplanken und Orbell keine Aussage darüber. Je nach möglicher Zuordnung (vgl. Tabelle 1) fragen sie manche der „core elements“ mit drei, andere lediglich mit zwei bzw. mit nur einem Item ab. Eine größere Transparenz bei der Zuordnung der Items würde helfen, den Index auf ein festeres theoretisches Fundament zu stellen. c) Keine Berücksichtigung der Auslösung durch Hinweisreize Ein dritter Kritikpunkt am SRHI ist, dass er nicht die Auslösung der Habits durch Hinweisreize berücksichtigt. Streng genommen misst der Index also regelmäßig wiederholtes, automatisiertes Verhalten und keine Gewohnheiten. Kapitel 2.2.4 zeigte, dass vier Gruppen von Hinweisreizen existieren, die jeweils einzeln oder in Interaktion auftreten können. Zu jeder dieser Gruppen gehören zahlreiche mögliche Cues: Bei den externen Gegebenheiten kommen Räume, Objekte, soziale Interaktionspartner etc. in Frage, die zeitlichen Hinweisreize können sekundengenaue Zeitpunkte oder grobe Zeitfenster sein, zudem können verschiedene Stimmungen sowie die Initiierung oder das Beenden jeglichen Verhaltens die Auslösung aktivieren. Die Interaktion dieser Reize (z.B. mag der Reiz 20:00 Uhr das Einschalten des Fernsehers nur aktivieren, wenn man sich im Wohnzimmer befindet) verkompliziert das Geschehen zusätzlich. Welcher Hinweisreiz letztlich die Auslösung eines bestimmten Verhaltens verantwortet, kann eine standardisierte Befragung nicht erfassen. Ist die in Kapitel 3.3.1 skizzierte
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
97
Messung von Habitstärke über die Auftretenshäufigkeit eines Verhaltens im stabilen Kontext (Ji & Wood, 2007) ein erster Schritt, um dieses Desiderat zu beheben? Dies ist kaum der Fall, da die Messung keine Hinweisreize erfasst, sondern lediglich die Stabilität des Kontextes. Zukünftige Forschung sollte die Vielzahl an Cues und deren Interaktionen vermehrt experimentell untersuchen. 3.3.3 Spezifika bei der Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten Ein maßgebliches Problem, mit dem man bei der Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten zwangsläufig konfrontiert wird, liegt in der Natur von Habits: Deren Aktivierung läuft unbewusst ab, daher fällt es den Probanden schwer, darüber präzise Auskünfte zu geben; Befragungen stoßen teilweise an Grenzen (Verplanken, Myrbakk, & Rudi, 2005; Verplanken & Orbell, 2003). Freilich ist dies kein genuines Problem bei der Erforschung von Gewohnheiten: Viele vor, während und nach der Fernsehrezeption ablaufende kognitive (aber z.B. auch emotionale) Prozesse erfolgen unbewusst und sind den Befragten selbst nicht bekannt. „People usually pay little attention to why they choose what they choose when they choose it“ (Zillmann & Bryant, 1985a, S. 163). Die Mediennutzungs- und Wirkungsforschung kennt diese Problematik zur Genüge, und viele Ansätze müssen sich die Frage gefallen lassen, ob den Befragten die relevanten Informationen überhaupt zugänglich sind. Insbesondere Befragungen, die in der Tradition der Uses-and-Gratifications-Forschung entstanden, konfrontierte man häufig und heftig mit dieser Kritik (Scherer & Schlütz, 2002, S. 135; vgl. auch Rubin, 2002; Swanson, 1977). Und freilich sind den Rezipienten nicht alle Motive ihrer Zuwendung immer bewusst (Vorderer, 1992, S. 126).34 Ähnlich ist es bei Gewohnheiten: Weil sie unbewusst aktiviert werden, muss man hinterfragen, ob Probanden überhaupt Auskunft über das Ausmaß der habituellen Fernsehnutzung geben können. Hier gilt es zu differenzieren: Die direkte Frage nach der Gewohnheit ist in der Tat sehr schwierig zu beantworten (vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 3.3.1). Doch nicht alle Mechanismen laufen unbewusst ab, gezielte Fragen über einzelne Aspekte der Gewohnheit fördern durchaus relevante Informationen ans Licht. Studien, die nach Gründen für die Fernsehnutzung suchen, müssen zudem beachten, dass Rezipienten tendenziell Aussagen zustimmen, die ihre Mediennutzung ex post rational erklären. Die Art der Fragestellung und die Beschaffenheit der Antwortvorgaben begünstigen dieses Antwortverhalten teilweise. Diddi 34
Dies trifft insbesondere zu, wenn die Bildung der Handlungsintention schon vor längerer Zeit erfolgte. Sie kann den Charakter einer „übergeordneten Intention“ bekommen (Heckhausen, 1987, S. 135) und muss nicht immer wieder aufs Neue generiert, sondern lediglich aktualisiert werden.
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3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
und LaRose (2006, S. 195) diskutieren Gründe für diese Verzerrung: „If a uses and gratifications researcher were to ask whether current news consumption behavior fulfils a need ‚to find out about daily life’, for example, respondents might with some effort recall a day in the distant past in which they last actively considered their news media options. Or, if they cannot remember that day at all they may come up with a post hoc rationalization for the researcher: They are rational people, that sounds like a reasonable explanation for news consumption, so they agree with it […] The truer answer might often be that they no longer actively think about their news media options very much at all“. Warum sollte eine Person, die Nachrichten sieht, dem Statement, man sehe die Sendung, um sich zu informieren, denn nicht zustimmen? Ganz egal, ob sie die Sendung aus Gewohnheit oder intentional einschaltet: Die Erklärung, dass man Nachrichten aus einem Informationsbedürfnis heraus verfolgt, erscheint äußerst plausibel; daher stimmt man diesem Statement bereitwillig zu. Und tatsächlich kann ja auch die gewohnheitsmäßige Zuwendung zu Nachrichten darauf abzielen, den Rezipienten über das Tagesgeschehen zu informieren, doch initiiert sein Bedürfnis nach Informationen nicht die Nutzung. Hinzu kommt der von Diddi und LaRose (2006, S. 195) vermutete Aspekt, dass Rezipienten sich an frühere Nutzungsepisoden erinnern, bei denen das Informationsbedürfnis tatsächlich im Vordergrund stand: Die Erinnerung mag durchaus korrekt sein, es findet aber ein falscher gedanklicher Transfer auf die gegenwärtige Selektion statt. Statt ständig Motivkataloge zu erstellen und zu erweitern, sollte man vermehrt überprüfen, inwiefern derart unzutreffende Auskünfte die Ergebnisse der Uses-andGratifications-Forschung verzerren. Rosenstein und Grant (1997, S. 328) vermuten enstprechend: „Studies performed within the uses and gratifications research tradition may be largely underestimating the importance of habit’s role in determining audience behavior“. Personen tendieren außerdem generell zu einer „illusion of control“ (Langer, 1975): Sie überschätzen ihre Kontrollmöglichkeiten und meinen auch in unsicheren Entscheidungssituationen, die Lage im Griff zu haben. Dies resultiert aus dem Bedürfnis nach Kontrolle und selbstbestimmtem Handeln und der Angst davor, dass Situationen oder externe Reize ein Verhalten gleichsam aufzwingen (Burger, 1992). Das (trügerische) Sicherheitsgefühl am Steuer eines Autos entsteht insbesondere, weil man selbst das Lenkrad in der Hand hält und fälschlicherweise glaubt, den Verkehr kontrollieren zu können – Passagiere in einem Flugzeug können sich dieser Kontrollillusion nicht hingeben, was eine der Hauptursachen von Flugangst ist (Edelmann, 2000, S. 29; Klußmann & Malik, 2007, S. 89). Menschen neigen ebenfalls dazu, ihre Kontrollmöglichkeiten über Rauschmittel (Zigaretten, Alkohol, Drogen etc.) zu überschätzen. Eine ähnliche Fehleinschätzung existiert bei der Fernsehnutzung: Zuschauer meinen, wesent-
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
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lich zielgerichteter und kontrollierter Fernsehinhalte auszuwählen, als sie dies eigentlich tun. So haben Rezipienten falsche Vorstellungen über ihre Umschalthäufigkeit, wechseln zum Beispiel wesentlich häufiger die Sender, als sie selbst meinen (D. A. Ferguson, 1994; Kaye & Sapolsky, 1997). Ein sinn- und zielloses Umherschalten passt eben nicht zum Selbstbild eines zielgerichtet und intentional auswählenden Agens. Die Entstehung von Fernsehnutzungsgewohnheiten aus einer ehemals bewussten Entscheidung heraus könnte diesen Effekt stärken. Sich selbst bescheinigt man demnach gerne einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Medium, der auch darin besteht, dass man das Fernsehen bzw. bestimmte Inhalte planvoll und bewusst nutzt, anderen Menschen traut man eine solch zielgerichtete Nutzung hingegen weniger zu (s. u.). Doch zunächst noch ein weiterer kritischer Punkt, der bei der Befragung von TV-Nutzungsgewohnheiten Verzerrungen hervorruft: die soziale Erwünschtheit: „In Befragungen […] wird kaum jemand zugeben, dass es zu einer Gewohnheit geworden ist, bestimmte Angebote in Anspruch zu nehmen. Stattdessen legen Rezipienten Wert auf die Feststellung, immer nur das zu tun, was sie wirklich wollen. Diese Zielgerichtetheit des Handelns ist gerade auch in der Kommunikationswissenschaft als Illusion thematisiert worden“ (Jäckel, 2003, S. 16). Das verzerrte Antwortverhalten resultiert (auch) aus der „Tendenz von Befragten, ihre Antworten danach auszurichten, was innerhalb des normativen Systems ihrer Bezugswelt als sozial anerkannt und erwünscht gilt“ (Möhring & Schlütz, 2003, S. 66). Die Teilnehmer einer Befragung glauben, eine sehr bewusste Nutzung des Fernsehens träfe beim Interviewer eher auf Zustimmung als eine habituell gesteuerte. Das Phänomen der sozialen Erwünschtheit tritt bei Fragen nach der Fernsehnutzung in besonderem Maße auf. Die Teilnehmer geben „Antworten, die mit den gesellschaftlich akzeptierten Vorstellungen vom Fernsehen übereinstimmen“; so behaupten sie, häufig Nachrichtensendungen und Magazine, „gute Filme“ und „niveauvolle Shows“ zu sehen und suggerieren dadurch einen „bewussten, reflektierenden Umgang mit dem Medium Fernsehen“ (Staab & Hocker, 1994, S. 162). Die Befragten merken häufig gar nicht, dass sie ihre Antworten in Richtung bestimmter Normvorstellungen verzerren. Erstaunlicherweise gibt es kaum Untersuchungen darüber, wie sich die soziale Erwünschtheit in standardisierten Befragungen zur Mediennutzung auswirkt (Möhring & Schlütz, 2003, S. 69) – so existiert erst recht keine, die das bei Gewohnheiten überprüft. Inwiefern zum Beispiel bei der Messung von Rubin (1984, S. 70) Effekte der sozialen Erwünschtheit mit hereinspielen, kann nicht mehr beantwortet werden, doch ist die Tendenz der Antworten bei der Befragung nach Fernsehnutzungsmotiven auffällig: Während das Statement „Ich nutze das Fernsehen aus Gewohnheit“ eine durchschnittliche Zustimmung von 2,27 auf einer fünfstufigen Skala erfuhr und damit in einer Rangliste lediglich den zehn-
100
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
ten Rang belegt, findet man das Item, man sehe fern, um etwas zu lernen und sich zu informieren auf dem ersten Platz mit einen Wert von 3,77. Ob Effekte der sozialen Erwünschtheit, eine „illusion of control“, die unbewusste Aktivierung von Gewohnheiten oder eine ex post rationale Erklärung die Werte verzerrt haben, ist nicht bekannt. Die von Rubin erhobenen Daten verwundern zumindest. Zuschauer gehen mehrheitlich davon aus, dass andere das Fernsehen weit weniger bewusst nutzen: Es zeigen sich also Parallelen zum Third-Person-Effect. Dieser bezieht sich ursprünglich auf die Annahme vieler Menschen, dass Massenmedien andere stärker beeinflussen als sie selbst (Davison, 1983; Davison, 1996; vgl. auch Perloff, 2002). Peiser und Peter (2000) übertragen dieses Konzept auf die Nutzung des Fernsehens und zeigen, dass bei zahlreichen Motiven eine große Diskrepanz zwischen der Selbst- und der Fremdeinschätzung besteht. In Anlehnung an Greenberg (1973) erfragen sie verschiedene Fernsehmotive ihrer Probanden. Die Autoren nehmen an, dass zwei der Motive erwünscht wären (Ich sehe fern, um mich über aktuelle Themen zu informieren; Ich wähle Programme zielgerichtet aus), die übrigen eher unerwünscht (Ich sehe fern, um nicht alleine zu sein; Ich sehe aus Gewohnheit fern; Ich sehe fern, um meine eigenen Probleme zu vergessen; Ich sehe fern, um mich zu unterhalten). Bei letzteren erwarten sie eine zunehmende Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbeurteilung. Neben der Einschätzung der jeweiligen Motive für sich selbst, soll jeder Teilnehmer die Ausprägung der Motive bei Bekannten und bei „den meisten anderen Menschen“ beurteilen. Die Untersuchung bestätigt die Vermutung von Peiser und Peter, dass der Effekt umso ausgeprägter ausfallen wird, je größer die soziale Distanz ist. Für die vorliegende Arbeit sind insbesondere die Ergebnisse für die Items „To watch television by habit“ und „To choose programs purposively“ relevant: Die Teilnehmer nehmen an, dass die meisten anderen Menschen ihre Fernsehnutzung weitaus mehr von Gewohnheiten bestimmen lassen als sie selbst. Zugleich gehen die Befragte davon aus, dass sie selbst Programme weitaus zielgerichteter auswählen, als Bekannte oder die meisten anderen Menschen dies tun (vgl. Tabelle 2).
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
101
Tabelle 2: Third-Person und First-Person-Wahrnehmung der Fernsehnutzung Self
Acqu.
Most
AcquSelf
MostSelf
MostAcqu
…in order not to be alone
1.53
1.82
2.51
+0.30*
+0.99*
+0.68*
…by habit
2.20
2.67
3.21
+0.47*
+1.00*
+0.53*
…to forget one’s problems for a while
1.42
1.82
2.48
+0.40*
+1.07*
+0.65*
…for entertainment
2.89
2.89
3.37
+0.01
+0.49*
+0.48*
3.28
2.92
2.57
-0.36*
-0.71*
-0.35*
3.36
2.94
2.89
-0.42*
-0.47*
-0.06
…to choose programs purposively …to inform oneself about current affairs
*p.05 (nach Peiser & Peter, 2000, S. 38) Tabelle 2: Third-Person und First-Person-Wahrnehmung der Fernsehnutzung 3.3.4 Resümee zur Messung habitueller Fernsehnutzung Das Schattendasein, das die Erforschung von Gewohnheiten lange Zeit führte, ist wohl mit verantwortlich für das Fehlen eines Messstandards; die Suche nach dem optimalen Vorgehen (insofern es dieses überhaupt gibt) dauert noch an. So nutzen die Forscher sehr unterschiedliche Zugänge, um Habitstärke zu messen; jede der Messungen birgt spezifische Probleme. Das Ausmaß von Gewohnheiten über die Auftretenshäufigkeit des entsprechenden Verhaltens in der Vergangenheit zu erfassen ist äußerst fraglich. Eine solche Operationalisierung setzt Habits mit wiederholtem Verhalten gleich und geht implizit davon aus, dass jegliche Verhaltenswiederholung von Gewohnheiten gesteuert wird; eine mehrmalige Ausführung könnte aber auch intentional erfolgen. Mittal (1988, S. 997) bringt die Problematik auf den Punkt: „Repeated occurrence is necessary for the formation of habit, but it is not habit itself“. Die Weiterentwicklung dieser Messung durch Ji und Wood (2007), die wiederholtes Verhalten in stabilem Kontext erfassen, birgt ebenso zahlreiche Probleme: Die Generierung von jeweils vier (oder mehr) verschiedenen Werten ist unpraktikabel, die Multiplikation der Kontextstabilitätswerte mit der Auftretenshäufigkeit des Verhaltens führt teilweise zu kuriosen Extremwerten (ohnehin ist fraglich, wie präzise Teilnehmer die Auftretenshäufigkeit schätzen können); zudem lässt die Messung die automatisierte Auslösung außer Acht und unterscheidet nicht zwischen Häufigkeit und Regel-
102
3 Merkmale und Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten
mäßigkeit der Ausführung. Eine dritte Alternative bietet die „Response Frequency Measure of Habit (RFM)“: Den Probanden werden ein Ziel und mehrere Möglichkeiten, dieses zu erreichen, vorgegeben; sie müssen sich möglichst schnell für eine der Alternativen entscheiden. Die Befragten sollen ihre Antworten möglichst schnell geben, damit sie nicht die Zeit haben, ausführlich die Alternativen abzuwägen und eine Intention zu bilden. Infolgedessen greift man – so die Vorstellung der Forscher – auf etablierte Gewohnheiten zurück. Je häufiger ein Befragter eine der Wahlmöglichkeiten präferiert, umso stärker wird die Gewohnheit eingeschätzt. Bei der RFM muss man allerdings viele Variablen kontrollieren, stets ein passendes Situationsset finden, und ihr Einsatz beschränkt sich auf Verhalten in Wahlsituationen – zur Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten ist die RFM kaum geeignet. Auch erschwert die aufwändige Messung das Befragen großer Stichproben. Eine vierte Alternative, die schon des Öfteren zum Einsatz kam, ist die direkte Frage, wie oft man ein bestimmtes Verhalten aus Gewohnheit ausgeführt hat. Etliche Gründe sprechen aber gegen die Validität einer solchen Messung: So können systematische Verzerrungen wegen des gleichzeitigen Schätzens von Auftretenshäufigkeit und Gewohnheitsstärke auftreten, das Verständnis von Gewohnheiten kann bei den Befragten stark variieren, und es ist fraglich, ob ihnen die notwendigen Informationen zugänglich sind. Aus den gleichen Gründen sind auch Leitfadeninterviews für eine adäquate Messung nur bedingt geeignet, wenngleich sie bestimmte Facetten der habituellen Nutzung durchaus aufdecken können. Zuletzt kommen für die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten quantitative Befragungen in Betracht. Eine theoretisch fundierte Skala, welche die verschiedenen Facetten von Habits erfragt, sollte ein brauchbares Instrument sein. Der Self-Report Habit Index (SRHI) von Verplanken und Orbell (2003) ist eine zwölf Items umfassende Skala zur Messung von Habitstärke. Der Index erfragt die regelmäßige Wiederholung eines Verhaltens in der Vergangenheit, die schwere Kontrollierbarkeit, die unbewusste Auslösung, die mentale Leistungseffizienz und die Identifikation mit dem entsprechenden Verhalten. Während die ersten vier Elemente konstitutiv für Gewohnheiten sind, ist die Identifikation mit dem Verhalten nicht Basis der zugrunde liegenden Definition. Weil nicht jede Gewohnheit Teil des Selbstbildes sein muss und dieses Element entsprechend nur bei der Abfrage bestimmter Gewohnheiten sinnvoll ist, sollte man diese Items aus dem Index herauslassen. Die verschiedenen Statements werden über fünf-, sieben- oder elfstufige Likert-Skalen abgefragt. Einige Hindernisse erschweren die Messung von Fernsehnutzungsgewohnheiten. Zunächst besteht das Problem, dass Gewohnheiten nur partiell kognitiv zugänglich sind: Da die Aktivierung der habituellen Nutzung unbewusst erfolgt, nehmen die Befragten diesen Einfluss kaum wahr. Hinzu kommt, dass Rezipien-
3.3 Messung habitueller Fernsehnutzung
103
ten leichthin Aussagen zustimmen, die ihre Mediennutzung ex post rational erklären – bestimmte Antwortvorgaben und die Art der Fragestellung begünstigen diese Neigung. Ein drittes Problem ist die Tendenz vieler Rezipienten, ihre Mediennutzung weitaus intentionaler einzuschätzen, als diese eigentlich ist: In Befragungen zeichnen Fernsehzuschauer von sich vorzugsweise das Bild eines bewusst und selektiv auswählenden Agens und stufen den Einfluss von Habits auf ihre TV-Nutzung entsprechend schwächer ein, als er ist. Diese Verzerrung wird zusätzlich durch die Tendenz zur sozialen Erwünschtheit verstärkt. Weiterhin gehen Rezipienten davon aus, dass andere Personen das Fernsehen mehr aus Gewohnheit und weniger zielgerichtet nutzen als sie selbst.
4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
„The most typical consumer of communication media […] is led by his habits. An ordinary man usually follows even news only because of habit“ (Nordenstreng, 1969, S. 257). Trotz aller Hinweise, dass Gewohnheiten die Fernsehnutzung erheblich beeinflussen, existieren kaum Studien, die dies explizit erforschen. Die wenigen Arbeiten, die das Thema in Angriff nehmen (Hawkins & Pingree, 1981; Rosenstein & Grant, 1997; Rubin, 1984; Stone & Stone, 1990), werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten – zumal auch diese Untersuchungen Habits entweder als Motiv der Mediennutzung konzipieren oder von Nutzungsmustern auf Gewohnheiten schließen. Diese Titel und empirische nicht belegte Aussagen, wie die des eingangs zitierten Nordenstreng, haben darüber hinaus eine bedenkliche „Alibifunktion“: Sie legen (fälschlicherweise) nahe, dass das Thema durchaus Beachtung fand. Verglichen mit sämtlichen Studien zur intentionalen Auswahl, verkommt die Erforschung der habituellen Fernsehnutzung allerdings zu einer belanglosen Randnotiz. So verbleiben zahlreiche Facetten der gewohnheitsmäßigen Fernsehnutzung im Reich von Vermutung und Spekulation oder liegen ganz im Dunkeln; die vorliegende Studie soll zumindest einige dieser dunklen Flecken beleuchten. Kapitel 4.1 stellt zunächst die Zielsetzung der Untersuchung vor und formuliert die forschungsleitenden Fragen. Das methodische Vorgehen beschreibt Kapitel 4.2: Es begründet die Methodenwahl, betrachtet die Entwicklung des Leitfadens sowie die Auswahl der Befragten. Weiterhin schildert es die Durchführung und Transkription der Interviews sowie das Vorgehen bei der Analyse und Interpretation der Daten. Die Darstellung der Ergebnisse liefert Kapitel 4.3, deren Zusammenfassung und übergreifende Interpretation folgt in Kapitel 6.1. 4.1 Zielsetzung der Studie „Die Fragestellung einer qualitativen Untersuchung ist einer der entscheidenden Faktoren für ihren Erfolg oder ihr Scheitern“ (Flick, 2000, S. 258). Mit der Formulierung von Forschungsfragen trifft der Forscher wichtige strategische Entscheidungen: Formuliert man das Ziel zu breit, behindert dies Umsetzung und Auswertung der Studie und erschwert die Trennung des Relevanten vom Irrele-
4.1 Zielsetzung der Studie
105
vanten; zu eng gehaltene Forschungsfragen verhindern gegebenenfalls die Entdeckung von Neuem (Flick, 2000, S. 259). Die Analyse des Materials findet nicht nur entlang der vorab formulierten Forschungsfragen statt, sondern neue Perspektiven und Forschungsgegenstände können sich originär aus dem Material entwickeln. Eine penible Erstellung sämtlicher Forschungsfragen vorab würde den explorativen Charakter der Studie konterkarieren, deshalb begnügt sich dieses Kapitel mit der Vorstellung von vier übergeordneten Forschungszielen. Forschungsleitende Frage 1: Welche Charakteristika zeichnen den habituellangebotsunspezifischen und den habituell-angebotsspezifischen Beginn der Fernsehnutzung aus? Die Untersuchung soll zunächst die theoretisch postulierte Differenzierung zwischen angebotsspezifischem und angebotsunspezifischem habituellem Beginn der Fernsehnutzung analysieren. Ist das angebotsunspezifische Einschalten in der Tat mehr Regel denn Ausnahme, wie manche qualitative Analyse (Röser & Großmann, 2008, S. 99) oder telemetrische Studien nahe legen (Zubayr, 1996, S. 140-147)? Die vorliegende Untersuchung überprüft, wie die beiden Zuwendungsmodi mit der habituellen Nutzung zusammenhängen. Gelingt es, Teilnehmer zu identifizieren, die ihre Rezeption habituell-angebotsunspezifisch beginnen, richtet sich das Augenmerk der Studie auf den Ablauf ihrer Fernsehnutzung: Es stehen sowohl die Prozesse vor der Zuwendung im Fokus als auch Aspekte der rezeptiven Phase sowie das Ende der Rezeption. Die Unterschiede zu intentional auswählenden Personen sollen herausgearbeitet und die Charakteristika der Fernsehnutzung dieser Teilnehmer analysiert werden: Dies betrifft beispielsweise deren bevorzugte Formate, die Integration des Mediums in den Tagesablauf sowie den Stellenwert, den das Medium für die Befragten im Alltag einnimmt. Zudem interessiert, ob bestimmte Sendungen als Fixpunkte im Tagesablauf dieser Rezipienten fungieren. Forschungsleitende Frage 2: Welche Hinweisreize sind bei der habituellen Nutzung von Bedeutung? Bei der Erforschung von Fernsehnutzungsgewohnheiten kommt der Rolle spezifischer Hinweisreize als Auslöser der Rezeption zentrale Bedeutung zu. Inwiefern fungieren Zeitpunkte, vorausgehendes bzw. momentanes Verhalten, Stimmungen oder externe Gegebenheiten als solche Cues (vgl. Kapitel 2.3.1)? Insbesondere zeitliche Reize sollen bei der habituellen Fernsehnutzung besonders relevant sein: „Habit may play a larger role in determining when television is viewed than in which programs are viewed“ (Rosenstein & Grant, 1997, S. 331). Kommt der zeitlichen Habitualisierung tatsächlich eine derart zentrale Rolle zu?
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4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
Und inwiefern interagieren externe Gegebenheiten, Stimmungen sowie vorausgehendes oder momentanes Verhalten mit den zeitlichen Reizen? Forschungsleitende Frage 3: Welche Folgen hat eine Fernsehnutzung aus Gewohnheit? Obwohl man die Auswirkungen einer habituellen Fernsehnutzung bisher nicht empirisch überprüfte, „geistern“ diverse Spekulationen darüber durch die Literatur. So soll die gewohnheitsmäßige Nutzung des Mediums bisweilen einen exzessiven Konsum bewirken: „In the extreme, media habits may become harmful social problems, leading to behavioural addictions that disrupt lives and families“ (Newell & LaRose, 2004). Die Befürchtung der Autoren basiert auf einer radikalen Annahme der Mechanismen der Automatisierung: Wenn Gewohnheiten die Nutzung unbewusst aktivieren, mögliche Alternativen vollständig ausblenden und dem Ausführenden (aufgrund der schweren Kontrollierbarkeit) keine Wahlmöglichkeiten mehr lassen, begrenzen sie in letzter Konsequenz die menschliche Handlungsfreiheit (Hogarth, 1987; Marks, 1990; Marlatt, Baer, Donovan, & Kivlahan, 1988). Sind derart problematische Auswirkungen tatsächlich Folge der Habitualisierung? Weiterhin soll die Debatte um die Aufmerksamkeit habituell auswählender Zuschauer beleuchtet werden: Wirkt sich die Automatisierung der Nutzung auf sämtliche Prozesse der Rezeption aus und bewirkt, dass habituell auswählende Rezipienten dem Programm weniger Aufmerksamkeit schenken? Zuletzt soll die Annahme, dass Gewohnheiten mögliche Alternativen zum jeweiligen Verhalten in den Hintergrund drängen, beleuchtet werden. Habits schränken die Informationssuche ein und lenken die Aufmerksamkeit auf mit dem Verhalten konsistente Informationen (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997; Raju, Lonial, & Mangold, 1995; Verplanken, Aarts, & Knippenberg, 1997). Was bedeutet dies für die habituelle Fernsehnutzung? Führt die Habitualisierung dazu, dass Zuschauer zum Beispiel keine anderen Optionen für die Freizeitgestaltung evaluieren? Forschungsleitende Frage 4: Wie nehmen Rezipienten Fernsehnutzungsgewohnheiten wahr? Zuletzt geht es um die Frage, ob – und wenn ja wie – Rezipienten den Einfluss von Gewohnheiten auf ihre Fernsehnutzung wahrnehmen. „When asked how they decide to watch television, about 80% of the participants said they watch out of habit or when they have time“ (Adams, 2000, S. 85). Diese Zahl klingt erstaunlich, legt sie doch nahe, dass die Zuschauer den Einfluss von Gewohnheiten auf ihre Nutzung durchaus bemerken. Allerdings eruiert Adams nicht, was die Befragten unter einer Gewohnheit verstehen und differenziert nicht zwischen „habit“ und „to have time“ – seine Ergebnisse sind entsprechend mit äußerster
4.2 Methodisches Vorgehen
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Vorsicht zu interpretieren. Die Aussage, man sehe eine Sendung aus Gewohnheit, ist kaum etwas wert, wenn man nicht weiß, was der betreffende damit meint. Daher ist es längst überfällig zu erforschen, ob Befragte mit dem Terminus „Gewohnheit“ überhaupt etwas anfangen können, und ob sie den Begriff vermehrt positiv oder negativ konnotieren. 4.2 Methodisches Vorgehen Für die Beantwortung der bewusst sehr offen formulierten Forschungsfragen kämen eine (teilnehmende oder nicht teilnehmende) Beobachtung, der Einsatz von Tagebüchern sowie eine Befragung in Betracht. Eine Beobachtung könnte einen unschätzbaren Fundus an Daten generieren und der Forschung wertvolle Einblicke in den alltäglichen Umgang mit dem Fernsehen gewähren, doch ist ein solches Vorhaben kaum realisierbar. Es ist nur schwer möglich, das Privatleben mehrerer Personen über einen längeren Zeitraum hinweg derart zu „überwachen“, so dass die Methode bei diesem Thema an forschungspragmatische Grenzen stößt. Gegen die Beobachtung sowie den Einsatz von Tagebüchern spricht zudem die schwierige Interpretierbarkeit der gewonnenen Daten. Dies resultiert aus der in Kapitel 3.3.1 angesprochenen Problematik, dass man Nutzungsmuster und -gewohnheiten nicht vermengen darf. Dokumentiert der Beobachter (oder das Tagebuch) ein Einschalten des Fernsehgerätes um 20:00 Uhr, bleibt beispielsweise unklar, ob nun die Uhrzeit das Einschalten des Gerätes auslöst oder ganz andere Gründe die Rezeption initiieren. Zudem zielen einige Fragen auf die Erforschung von Wissen und Einstellungen der Befragten – Beobachtung und Tagebuch könnten diese nicht beantworten. Eine Befragung ist den beiden anderen Methoden zur Beantwortung der Forschungsfragen daher vorzuziehen. Ein ergänzender Einsatz von Tagebüchern könnte für anschließende Forschung lohnend sein. Das vorliegende Kapitel schildert das methodische Vorgehen, mit dessen Hilfe die oben skizzierten Fragen beantwortet werden sollen. Dabei betrachtet es die einzelnen Schritte der Studienkonzeption in chronologischer Reihenfolge: Zunächst diskutiert Kapitel 4.2.1 die Entscheidung, zur Beantwortung der Forschungsfragen qualitative Leitfadeninterviews einzusetzen. Über die Erstellung und den Aufbau des Leitfadens informiert anschließend Kapitel 4.2.2. Es folgen Beschreibungen der Stichprobe (4.2.3) sowie sämtlicher Schritte der Datenerhebung – von der Durchführung bis zur Transkription der Interviews (4.2.4). Zuletzt stellt Kapitel 4.2.5 das Vorgehen bei der Analyse und Interpretation der gewonnenen Daten vor.
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4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
4.2.1 Methodenwahl Die Entscheidung für den Einsatz einer Befragung führt unweigerlich zur Frage nach deren Standardisierungsgrad. Ein vollständig strukturierter Fragebogen, der den Wortlaut der Fragen und Antwortvorgaben en detail festlegt, würde zahlreiche Aspekte nicht erfassen, die bei der Erstellung des Instrumentes nicht antizipiert wurden. Die Interviews haben (auch) explorativen Charakter, einige Fragen betreten empirisches Neuland und sollen gerade Antworten zu Tage fördern, die man bislang nicht „auf der Rechnung hatte“. Eine Voll-Standardisierung kommt entsprechend nicht in Frage. Das Gegenstück dazu ist eine kaum standardisierte Befragung, bei der zum Beispiel nur ein Stichwortkatalog vorliegt, an dem sich der Interviewer orientiert.35 Solche Interviews kommen meist bei komplexen Themen zum Einsatz, zu denen der Interviewte mit Leichtigkeit frei und umfassend aus dem Stegreif erzählen kann, wobei der Verlauf solcher Gespräche sehr offen ist. Besonders die biographische Forschung setzt häufig auf derart offene Interviews (Fuchs-Heinritz, 2005). Für die Beantwortung der vorliegenden Forschungsfragen wäre eine Sammlung weniger Stichpunkte jedoch nicht spezifisch genug, da die Studie eine (dafür) zu eng begrenzte Fragestellung verfolgt (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2008, S. 140). Somit bringen in diesem Fall weder eine Vollstandardisierung noch eine nicht standardisierte Form der Befragung den größtmöglichen Erkenntnisgewinn. Zwischen beiden Extrempolen gibt es verschiedene Abstufungen auf dem „Standardisierungs-Kontinuum“ (Brosius, Koschel, & Haas, 2008, S. 115); halbstandardisierte Interviews beschreiten einen Mittelweg. Sie stellen eine feste Batterie an Fragen zur Verfügung (von der Interviewer im begründeten Fall abweichen können), geben aber keine Antwortvorgaben vor. Die Interviews sind einerseits offen, und die Befragten haben bei ihren Antworten genügend Freiraum, komplexe Ansichten und Erfahrungen frei zu artikulieren; sie können von sich aus wichtige Themenschwerpunkte ansprechen und betonen. Das lässt den Befragten der vorliegenden Untersuchung einen breiten Spielraum zur Beschreibung und Deutung ihrer Fernsehnutzung. Der Interviewer ist zwar an ein Set von Fragen gebunden, hat aber die Möglichkeit, an bestimmten Stellen nachzuhaken, zum tieferen Verständnis auf Probleme einzugehen oder spontan Ad-hoc-Fragen zu formulieren, die nicht im Leitfaden stehen. Trotz des offenen Charakters der Gespräche bringt der Leitfaden andererseits eine gewisse Struktur in die Interviews und gewährleistet die Ansprache sämtlicher relevanter Punkte. Die feste Reihenfolge der Frageblöcke ordnet die Daten zumindest rudimentär und erleich35
Selbstläufigkeit und Unstrukturiertheit sollten bei kaum standardisierten Befragungen nicht verwechselt werden: Auch das narrative Interview folgt einem bestimmten Ablaufschema und ist nicht gänzlich unstrukturiert (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2008, S. 139).
4.2 Methodisches Vorgehen
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tert deren Vergleichbarkeit. Halbstandardisierte Interviews verbinden bestenfalls die Vorteile der nicht standardisierten mit denen der voll standardisierten Variante. Obwohl qualitative Leitfadeninterviews gerade bei der Erforschung der alltäglichen Mediennutzung verheißungsvolle Möglichkeiten bieten, gibt es in der Kommunikationswissenschaft „nach wie vor eine gewisse Scheu vor qualitativen Befragungsverfahren“ (Keuneke, 2005, S. 257). Die Gründe für diese Vorbehalte sind vielschichtig, doch bestehen sie völlig zu Unrecht; gerade die feste Integration der Mediennutzung in den Alltag sollte den Einsatz qualitativer Interviews bei deren Analyse nahe legen. Eine täglich stattfindende Rezeption bewirkt, dass die Nutzung des Mediums entsprechend eng mit dem jeweiligen Tagesablauf verwoben ist (vgl. Kapitel 2.1.1); ein qualitatives Vorgehen kann diese täglichen Abläufe in ihrer Ganzheit und Komplexität erfassen (Keuneke, 2005, S. 257). Quantitative Studien gleichen nicht selten einem chirurgischen Eingriff, der einzelne Variablen analytisch herausoperiert; das Zusammenspiel von Alltag, Intention, Gewohnheit, situationsspezifischen Charakteristika, sozialem Kontext und zahlreichen weiteren Merkmalen verblasst partiell. Mit dieser analytischen Separation müssen qualitative Interviews nicht leben. Die Durchführung von Leitfadeninterviews kann prinzipiell mündlich oder schriftlich (postalisch oder online) erfolgen. Letztere Alternative mag zwar forschungsökonomischer sein und den Vorteil bieten, dass Interviewereffekte ausgeschaltet werden, findet in der Praxis aber nur in Ausnahmefällen Anwendung (wenn der Gesprächspartner eine mündliche Befragung zum Beispiel ablehnt). Eine schriftliche Befragung ließe nämlich zahlreiche Vorteile verblassen, die den Einsatz von Leitfadeninterviews erst attraktiv machen (z.B. offener Gesprächscharakter, Möglichkeiten zur Nachfrage, spontane Ad-hoc-Fragen etc.), und mit einem immensen Informationsverlust einhergehen. In den allermeisten Fällen erfolgt die Befragung daher mündlich, entweder telefonisch oder face-to-face. Telefonische Interviews bedeuten erfahrungsgemäß eine deutliche Zeit- und Kostenersparnis, bringen allerdings diverse Nachteile gegenüber der face-toface-Variante mit sich: Man erhält beispielsweise eine geringere Ausbeute an Informationen (z.B. Informationsverluste wegen fehlender visueller Eindrücke), und die Kontrolle der Gesprächssituation ist eingeschränkt (der Interviewer kann z.B. nicht erkennen, ob der Befragte momentan Nebentätigkeiten nachgeht). Die vorliegende Studie greift daher auf die face-to-face-Variante zurück, die eine größtmögliche Kontrolle des Gesprächsverlaufes garantiert und mit möglichst wenig Informationsverlusten einhergeht (Gläser & Laudel, 2009, S. 153-154).
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4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
4.2.2 Der Interviewleitfaden Der Leitfaden dient als inhaltliches und strukturelles Gerüst der Befragung; in dieser Funktion darf er nicht zu ausführlich sein, soll aber zugleich alle relevanten Aspekte abdecken. Zu detaillierte Vorgaben stehen einem offenen Gesprächsverlauf im Weg und ziehen Ermüdungserscheinungen der Interviewer und Befragten nach sich. Auch neigen Interviewer bei überlangen Vorgaben dazu, Fragen oberflächlich und schnell abzuhaken, um das Gespräch in angemessener Zeit durchführen zu können (Hopf, 2000, S. 358). Andererseits muss der Leitfaden ausführlich genug sein, um eine feste Struktur in die Gespräche zu bringen und sicherstellen, dass alle wesentlichen Themen zur Sprache kommen. Dabei müssen die Fragen flexibel und offen sein, so dass der Interviewer neue Aspekte integrieren kann und auf bereits angesprochene Themen nicht mehrmalig eingeht. Hinsichtlich der exakten Frageformulierungen gibt es keine Vorgaben; nur das Einhalten der Reihenfolge bei den Themenblöcken ist von Belang. Der Leitfaden umfasst fünf Themenkomplexe, die Schlüssel- und Eventualfragen beinhalten. Erstere werden in jedem Interview angesprochen, letztere lediglich bei Bedarf (Keuneke, 2005, S. 262-263). Einige Fragen enthalten konkrete Beispiele, um den Probanden bei eventuell unverständlichen Fragen eine Hilfestellung zu geben. Unmittelbar vor Beginn der Erhebung erläutert der Interviewer den Hintergrund der Untersuchung und erklärt, dass es sich um eine Studie handelt, welche die Fernsehnutzung der Befragten analysiert und herausfinden möchte, warum sie fernsehen bzw. bestimmte Sendungen anschauen. Die Befragten erfahren nicht, dass der Einfluss von Gewohnheiten im Fokus des Gesprächs stehen wird. Der Interviewer erklärt jedem Teilnehmer die Notwendigkeit der Tonbandaufzeichnung und sichert einen ausschließlich wissenschaftlichen Umgang mit den Daten sowie vollständige Anonymität der Aussagen zu. Er betont weiterhin, dass es weder falsche noch uninteressante Antworten gibt. Der erste Themenkomplex erfragt Quantität und Ursachen der Fernsehnutzung. Alle Interviews (und somit die Tonbandaufzeichnung) beginnen mit einer Eisbrecherfrage, um die Teilnehmer an das Thema heranzuführen. Sie sollen zunächst beschreiben, wie ein typischer Fernsehabend bei ihnen aussieht. Die Fragen zielen darauf ab, einen Überblick über (womöglich) regelmäßig wiederkehrende Abläufe vor, während und nach der TV-Nutzung zu erhalten und zu überprüfen, welche Charakteristika die Befragten mit einem „typischen Fernsehabend“ assoziieren. Diesem Auftakt folgen Fragen zur Quantität des Fernsehkonsums und ob – und wenn ja wie – die Teilnehmer das Fernsehen in ihren Tagesablauf integrieren. Eine bewusst sehr offen gehaltene Frage im ersten Themenkomplex ist die nach den Gründen für die Fernsehnutzung: Warum sehen die Probanden fern? Sie soll klären, ob die Teilnehmer überhaupt Gründe für
4.2 Methodisches Vorgehen
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die Nutzung benennen können und ob sie ihre Zuwendung tendenziell als bewusst oder unbewusst beschreiben; auch interessiert, ob die Befragten Gewohnheiten zur Erklärung heranziehen, ohne dass man sie darauf anspricht. Der Interviewer erfragt weiterhin, ob die Teilnehmer ihre Fernsehnutzung im Voraus planen und falls ja, wie diese Planungen ablaufen und wie weit im Voraus sie erfolgen. Der zweite Fragenblock soll Unterschiede zwischen der Fernsehnutzung unter der Woche und der am Wochenende aufdecken: „Die Woche mit ihrem Sieben-Tage-Rhythmus ist ein solches Intervall, das in den meisten Kulturkreisen zumindest einen Tag beinhaltet, an dem nicht gearbeitet wird und an dem ein von den übrigen Wochentagen verschiedener Tagesablauf festzustellen ist“ (Rott & Schmitt, 2000); auch die Fernsehnutzung wird von sozial definierten Zyklen beeinflusst. „Daily viewing routines may in time become habituated patterns, so that an individual's viewing pattern on the weekend will come to resemble the weekday pattern despite the structural and programmatic differences between them. […] If viewing is a purely rational and volitional activity, the clear structural and programmatic differences between weekends and weekdays should result in very unique viewing patterns during each those periods“ (Rosenstein & Grant, 1997, S. 325-333). Weil sich viele Alltagsstrukturen an Wochenenden von denen unter der Woche unterscheiden (z.B. Essenszeiten, Freizeitaktivitäten etc.) und auch das Fernsehprogramm samstags und sonntags andere Strukturen und Rhythmen aufweist, soll der Vergleich zwischen Werk- und Wochenendtagen den Teilnehmern helfen, bestimmte Nutzungsmuster zu identifizieren – auch speziell, wenn sie im Gegensatz zu anderen Tätigkeiten unverändert blieben – und gegebenenfalls Gewohnheiten zu erkennen. Neben Fragen nach allgemeinen Unterschieden bei der Rezeption (z.B. andere Nutzungszeiten oder Inhalte) sollen die Befragten mitteilen, ob sie ihre Nutzung am Wochenende mehr oder weniger planen als unter der Woche, und ob sie bestimmte Sendungen bewusster oder unbewusster auswählen. Der dritte Teil des Leitfadens thematisiert die Rolle spezifischer Hinweisreize. Die Aufteilung orientiert sich an der in Kapitel 2.2.4 entwickelten Differenzierung von vier Gruppen an Cues. Zunächst interessiert, ob die Befragten ihre Fernsehnutzung mit bestimmten Zeiten verbinden. Die qualitative Befragung kann zwar nicht sicherstellen, ob die Uhrzeit letztlich die Nutzung auslöst, doch liefert sie Hinweise, wie relevant bestimmte Zeitpunkte für die Rezipienten sind. Verschiedene Eventualfragen stehen dem Interviewer zum Nachhaken zur Verfügung, die erforschen sollen, aus welchen Gründen die Rezeption zu bestimmten Zeiten erfolgt, und seit wann die Teilnehmer zu diesen Zeiten einschalten. Die nächsten Fragen befassen sich damit, ob die Befragten bestimmte Tätigkeiten mit dem Einschalten des Fernsehers verbinden (z.B. das Erledigen be-
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stimmter Hausarbeiten), und ob sie den Fernseher wegen bestimmter Stimmungen einschalten. Natürlich ist ungewiss, inwiefern die Teilnehmer qualitativer Interviews den hoch komplexen Zusammenhang von Stimmung und Fernsehnutzung erfassen und verbalisieren können, zumal die im Rahmen der MoodManagement-Forschung ermittelten Effekte meist recht gering ausfallen; herauszufinden, ob Befragte darüber Auskunft geben können, ist aber auch Ziel der Frage. Zuletzt erfragt der Interviewer, welche Orte (und gegebenenfalls welche dort befindlichen Objekte) sie mit der Fernsehnutzung verbinden. Der vierte Fragenblock wendet sich schließlich der Nutzung spezifischer Sendungen zu. Als Einstieg dient die Frage, ob die Teilnehmer bestimmte Sendungen regelmäßig verfolgen. Sollte dies nicht der Fall sein, überspringt der Interviewer den ersten Teil des Fragenblocks. Benennt der Befragte hingegen eine Sendung (bei mehreren wählt der Interviewer die zuerst genannte aus), liegt das Augenmerk auf dem typischen Ablauf dieser Rezeption: Was macht der Rezipient in der Regel vor der Zuwendung, was geschieht danach? Inwiefern plant er die Nutzung der Sendung? Richtet er seinen Tagesablauf oder bestimmte Tätigkeiten nach dem Start der Sendung aus? Das Gespräch dreht sich daraufhin um die „Historie“ der Nutzung: Seit wann sieht der Interviewte diese Sendung, und kann er sich an die ersten Rezeptionen zurückerinnern? Die Auseinandersetzung mit diesen Erinnerungen soll Hinweise auf die Entstehung der regelmäßigen Nutzung liefern, da diese ja Voraussetzung der Gewohnheitsbildung ist. Freilich wird nicht jeder Befragte die ersten Rezeptionen noch gut vor Augen haben, wenn eine Sendung zum Beispiel seit vielen Jahrzehnten verfolgt wird. Im weiteren Verlauf geben die Teilnehmer Auskunft über den Stellenwert der Rezeption: Fällt es ihnen schwer, die Sendung einmal ausfallen zu lassen? Gab es Phasen, in denen sie die Sendung nicht gesehen haben und denken sie darüber nach, ob man die dafür investierte Zeit sinnvoller nutzen könnte? Am Ende des Themenblocks fragt der Interviewer direkt, ob die Teilnehmer das Fernsehen (nicht die spezifische Sendung) eher aus Gewohnheit oder vermehrt bewusst nutzen. Falls die Befragten angeben, dass Gewohnheiten eine Rolle spielen, sollen sie beschreiben, wodurch sich diese habituelle Nutzung auszeichnet. Der fünfte und letzte Fragenkomplex wendet sich von der Fernsehnutzung ab und fragt nach Gewohnheiten bei der Nutzung anderer Medien. Der Interviewer erkundigt sich, ob sie hin und wieder Zeitung, Radio und Internet nutzen. Falls ja, fragt er, ob Gewohnheiten bei der Nutzung eine Rolle spielen und gegebenenfalls, wodurch sich dies auszeichnet. Zudem erkundigt er sich nach der jeweiligen Kontextstabilität (Findet die Rezeption meist zur gleichen Zeit, am gleichen Ort statt? Welche Tätigkeiten gehen der Nutzung voraus oder begleiten sie?) sowie bestimmten Nutzungsmustern während der Rezeption (z.B. feste Reihenfolge der Ressorts beim Lesen der Zeitung, Auswahl bestimmter Radio-
4.2 Methodisches Vorgehen
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sender, feste Reihenfolge bei der Zuwendung zu bestimmten Homepages). Die Fragen ergänzen den Leitfaden für mögliche weiterführende Studien, spielen bei den vorliegenden Forschungsfragen jedoch keine Rolle; die Auswertung berücksichtigt sie nur marginal. Der Leitfaden schließt mit zwei Fragen zu Gewohnheiten: Was verstehen die Befragten unter einer Gewohnheit und assoziieren sie mit Gewohnheiten eher positive oder negative Gedanken? Zuletzt bittet der Interviewer die Teilnehmer, den für die quantitative Befragung entwickelten Fragebogen auszufüllen, um das Ausmaß der Habitualisierung von Fernseh- und Sendungsnutzung quantitativ erfassen zu können. Konzeption und Aufbau jener Skalen beschreibt detailliert Kapitel 5.2.2. Ein erster Pretest mit zwei Befragten spürt Schwächen, Lücken und fehlerhafte Fragereihenfolgen im Leitfaden auf und gibt Auskunft über die zu erwartende Länge der Gespräche. Die Teilnehmer werden gebeten, missverständliche, zu komplexe oder unverständliche Formulierungen sofort anzuzeigen. Nach Durchführung der beiden Gespräche erfolgen eine Korrektur und Ergänzung verschiedener Formulierungen sowie eine Umstrukturierung von Fragen. An die Überarbeitung schließt sich ein erneuter Pretest mit zwei Personen an, bei dem sich die Fragebatterien als verständlich und strukturell sinnvoll erweisen. 4.2.3 Auswahl der Befragten Die Auswahl der Befragten soll die notwendige Heterogenität der Aussagen gewährleisten und eine Bandbreite verschiedener Fernsehnutzungsmodi sicherstellen. Repräsentativität als „stichprobentheoretische Überlegungen im wahrscheinlichkeitstheoretischen Sinne“ (Lamnek, 2005, S. 384) spielt in der qualitativen Forschung keine Rolle – allerdings ist ein Einzelfall für die Sozialwissenschaft erst dann interessant, wenn „er für etwas steht“, weshalb die Frage nach der Repräsentativität nicht völlig hinfällig ist (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2008, S. 174, Hervorhebung im Original). Jeweils relevante Personengruppen sollen vertreten sein und zu Wort kommen. Eine inadäquate Fallauswahl kann den Blick auf bestimmte Fälle verengen und typische Deutungsmuster aus dem Sample verbannen (eine rein studentische Stichprobe könnte für die vorliegende Studie eine derart inadäquate Fallauswahl sein). Freilich sind Generalisierungen gemäß dem normativen Paradigma auch bei einer optimalen Stichprobenzusammensetzung unzulässig – generalisierende Aussagen im Sinne von Existenzaussagen („Es gibt Personen, die…“) sind aber möglich. Ein systematisches Vorgehen bei der Auswahl der Befragten ist also notwendig, um ein möglichst zutreffendes Set relevanten Verhaltens zusammenzustellen (Lamnek, 2005, S. 384).
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4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
Es gibt nur wenige Voraussetzungen für die Teilnahme an der vorliegenden Befragung: Zwingende Prämisse ist ein mehrmals wöchentlicher Fernsehkonsum, wobei es keine Rolle spielt, ob die Teilnehmer das Gerät jeden Tag für viele Stunden einschalten, oder ob sie nur alle zwei Tage ein bisschen fernsehen; viel relevanter ist es, möglichst unterschiedliche Nutzungsmodi einzubeziehen. Da der Großteil des Gesprächs um die Fernsehnutzung der Teilnehmer kreist, stellt die Voraussetzung eines Mindestmaßes an Fernsehnutzung sicher, dass keine Nichtseher oder ausgesprochene Wenigseher in der Stichprobe vertreten sind. Weil Mediennutzung in Abhängigkeit von Alter und formaler Bildung variiert, achtet die Auswahl der Befragten neben der Quantität des Fernsehkonsums auf die Streuung des Alters (paritätisch aus den Altersgruppe 18-29, 30-49 und 50-69) und der Bildung (paritätisch: Hauptschule, Realschule und Hochschulreife); zudem sollen beide Geschlechter gleichermaßen vertreten sein. Repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind die Ergebnisse freilich nicht, auch entzieht sich eine qualitative Befragung der Wiederholbarkeit bzw. Reproduzierbarkeit der Ergebnisse; dies beabsichtigt die vorliegende Untersuchung auch gar nicht. Vielmehr soll sie einzelne, bislang unbekannte Zusammenhänge und Strukturen aufdecken, die Integration des Fernsehens in den Alltag erkunden und gegebenenfalls den Weg für spätere experimentelle oder quantitative Studien bahnen. Der optimale Stichprobenumfang einer qualitativen Befragung hängt von der jeweiligen Fragestellung ab, ein generelles „je mehr desto besser“ macht eine Studie keineswegs solider. „Die Magie der Zahlen […], die vermeintlich für sich selbst sprechen“ verstellt überdies den Blick darauf, dass es bei qualitativen Interviews mehr darauf ankommt, wen man befragt, als wie viele Personen man befragt (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2008, S. 182). Ein ausreichender Stichprobenumfang ist spätestens dann erreicht, wenn die Rekrutierung und Befragung neuer Teilnehmer kaum zusätzliche Informationen und nur geringen Erkenntniszuwachs liefern würden. Spätestens dann sollte man – vor allem aus forschungsökonomischen Gründen – von der Befragung weiterer Personen absehen. Nach Durchsicht der ersten zwölf Leitfadeninterviews fiel die Entscheidung, diese nochmals um vier Interviews zu ergänzen, so dass ein Sample von 16 Interviews vorliegt. Eine zweite Prüfung sämtlicher Befragungen lässt vermuten, dass das Hinzuziehen weiterer Befragter kaum zu einer Erkenntnissteigerung beitragen würde. Der Interviewer sucht im erweiterten Bekanntenkreis nach potentiellen Teilnehmern, welche die oben genannten Vorgaben erfüllen und bereit sind, an einem solchen Gespräch teilzunehmen. Die Nebeneffekte dieses Samplings können bei bestimmten Themen gravierend sein: Zum einen befragt man dadurch nur Personen im Kontext bestimmter Netzwerke, zum anderen können sich die
4.2 Methodisches Vorgehen
115
betreffenden Personen eines Netzwerks gegenseitig über die Interviews informieren, was die Erzählbereitschaft und -richtung beeinflussen mag (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2008, S. 180). Beide Effekte beeinträchtigen die Beantwortung der vorliegenden Forschungsfragen wenig. Das Thema ist außerdem kaum moralisch aufgeladen (vgl. Kapitel 3.3.3), daher würde eine Weitergabe von Informationen die Erzählbereitschaft nicht einschränken. Die Bitte an alle Teilnehmer, nicht über die Inhalte des Interviews zu sprechen, wirkt einem solchen Effekt zusätzlich entgegen. Die Quotenvorgaben bezüglich Alter, Bildung und Geschlecht tragen dazu bei, dass sich die Fernsehnutzung der Personen nicht zu sehr gleicht. Die 16 Teilnehmer sind zum Zeitpunkt der Interviews zwischen 23 und 74 Jahre alt. Die Stichprobe setzt sich je zur Hälfte aus Frauen und Männern zusammen und gewährleistet eine ausreichende Streuung hinsichtlich des Bildungsniveaus: Drei Teilnehmer weisen ein abgeschlossenes Studium auf, vier die Hochschulreife, vier die mittlere Reife und fünf einen Hauptschulabschluss (vgl. Tabelle 3). Der Umfang der Fernsehnutzung variiert zwischen einer und bis zu sechs Stunden täglich. Die Mehrzahl der Teilnehmer nutzt das Medium recht regelmäßig, nur ein Drittel der Befragten gibt große Schwankungen im täglichen Nutzungsumfang an.
116
4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
Tabelle 3: Soziodemographische Merkmale der Teilnehmer der qualitativen Befragung Deckname
Alter
Bildung
Geschlecht
Beruf
Anton
26
Hauptschule
männlich
Elektrotechniker
Bertram
25
Abitur
männlich
Student
Christian
56
Studium
männlich
Arzt
Daniela
24
Abitur
weiblich
Studentin
Emil
24
Mittlere Reife
männlich
Project Manager
Frida
72
Hauptschule
weiblich
Rentnerin
Gerda
62
Mittlere Reife
weiblich
Frührentnerin
Harald
53
Hauptschule
männlich
Verwaltungsbeamter
Inga
23
Mittlere Reife
weiblich
Steuerfachangestellte
Julia
25
Hauptschule
weiblich
Arzthelferin
Kathrin
34
Hauptschule
weiblich
Arzthelferin
Lena
38
Abitur
weiblich
Bankkauffrau
Manfred
49
Abitur
männlich
Angestellter
Norbert
74
Studium
männlich
Rentner
Olaf
32
Mittlere Reife
männlich
Account Manager
Petra
44
Studium
weiblich
Erzieherin
Tabelle 3: Soziodemographische Merkmale der Teilnehmer der qualitativen Befragung
4.2.4 Durchführung und Transkription der Interviews Es hängt von der Komplexität des jeweiligen Themas ab, ob besser der Forscher selbst die Leitfadeninterviews führt, oder ob auch dritte Personen für diese Aufgabe in Betracht kommen. Bei sehr komplexen und sensiblen Themenbereichen
4.2 Methodisches Vorgehen
117
sollte nur derjenige die Befragung durchführen, der die Untersuchungsanlage konzipiert und den Leitfaden entwickelt hat. Bei weniger heiklen und weniger diffizilen Forschungsgegenständen spricht hingegen nichts gegen den Einsatz anderer Interviewer, insofern diese „mit dem theoretischen Ansatz, den Fragestellungen und den Vorarbeiten des Projekts so vertraut“ sind, dass sie die Befragung autonom durchführen können (Hopf, 2000, S. 358). Insbesondere müssen sie wissen, wann sie inhaltlich vom Leitfaden abweichen dürfen, an welchen Stellen sie intensiv nachhaken müssen und wann eine Antwort erschöpfend ist. Neben dieser inhaltlich-theoretischen Kompetenz sollten Interviewer zudem über die Fähigkeit der Gesprächsführung verfügen, was man nicht als selbstverständlich und unproblematisch hinnehmen darf. Weder Komplexität noch Sensibilität des hier untersuchten Themas sprechen gegen den Einsatz entsprechend geschulter Interviewer, insofern sie die oben genannten Expertisen mitbringen. Eine geeignete Hilfskraft, die neben Erfahrungen in der Gesprächsführung auch über den notwendigen fachlichen Hintergrund verfügt, unterstützt daher die Datenerhebung der vorliegenden Studie. Eine umfassende detaillierte Einarbeitung in das Thema, eine Schulung in der Interviewführung sowie speziell im Umgang mit dem Leitfaden gehen den Gesprächen voraus. Vor der eigentlichen Feldphase führt der Interviewer zwei Probeläufe mit dem Leitfaden durch, um dessen Einsatz zu üben und Fehlern vorzubeugen, die aus einem Mangel an Erfahrung resultieren. Die Datenerhebung erfolgt am besten in einer Umgebung, die den Befragten vertraut ist. „Um wirklich gute Interviews zu bekommen, muss man also in die Lebenswelt dieser betreffenden Menschen gehen und darf sie nicht in Situationen interviewen, die ihnen unangenehm oder fremd sind“ (Girtler, 1984, S. 151). Dieser Empfehlung folgend, finden die Gespräche nach vorheriger telefonischer Terminvereinbarung bei den Befragten zu Hause statt (falls ein Teilnehmer es explizit erbittet, wird er an einem anderen gewünschten Ort interviewt). Die gewohnte Umgebung soll die für den Interviewten ungewöhnliche Gesprächssituation kompensieren und zu einer vertrauensvollen Atmosphäre beitragen (Lamnek, 2005, S. 388). Für die Auswertung des flüchtigen Gesprächsverhaltens kann man sich entweder auf Erinnerung und Rekonstruktion des Interviewers verlassen, oder man hält es dauerhaft in einem Speichermedium fest. Weil zur Beantwortung der Forschungsfragen eine umfassende und lückenlose Wiedergabe der Gespräche in allen Details notwendig ist, erfolgt eine Aufzeichnung der Interviews auf Tonband. Nachteil eines solchen Gesprächsmitschnitts ist, dass er unweigerlich „Geräteeffekte“ bedingt – allerdings verblassen diese normalerweise im Verlaufe des Gesprächs (Keuneke, 2005, S. 264). Im nächsten Schritt erfolgt eine Transkription der Interviews. Weil Standard-Schriftsysteme sprachliche Interaktion nicht hinreichend erfassen, verlangt
118
4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
die Transkription ein eigenes System nach festen Regeln. Insbesondere seit Anfang der 90er Jahre etablierten sich verschiedene Konventionen, wie man sprachliche Interaktion transkribieren kann; so entstand eine Reihe verschiedener Transkriptionssysteme (Deppermann, 1999; Dittmar, 2004), die zwar viele Gemeinsamkeiten aufweisen „aber im Detail doch unterschiedlich“ sind (Selting et al., 1998, S. 91). Die Grundprinzipien gleichen sich größtenteils, doch bestehen insbesondere bei der Wahl der jeweiligen Notationszeichen Differenzen. Es ist nicht notwendig, eines der bestehenden Systeme eins zu eins zu übernehmen; vielmehr sollte man die Transkription an Untersuchungsgegenstand und -ziel anpassen, denn „nicht alle brauchen alles“ (Reinders, 2005, S. 249). Mit der Wahl eines Transkriptionsverfahrens fällt die Entscheidung, welche Aspekte des Datenmaterials in der nachfolgenden Auswertung zur Verfügung stehen werden. Ein Transkript führt immer zu einer erheblichen Reduktion von Informationen; es ist also in vielerlei Hinsicht selektiv (Kowal & O'Connell, 2000, S. 440). Das Transkribieren ist entsprechend mehr als ein rein technischer „Bearbeitungsschritt des Datenmaterials vor der eigentlichen Analyse“, sondern ein konstitutiver Teil des empirischen Forschungsprozesses (Ayass, 2005, S. 377). Für die vorliegende Untersuchung kommen die Regeln des gesprächsanalytischen Transkriptionssystems (GAT) zum Einsatz (Selting et al., 1998). Allerdings sollte man vor Beginn der Durchführung einen sinnvollen Genauigkeitsgrad festlegen. Eine sehr differenzierte Transkription, die zum Beispiel Vokaldehnungen dokumentiert, würde den Erkenntnisgewinn bei der Auswertung nicht erweitern, aber zu zusätzlicher Arbeitsbelastung bei Transkription und Auswertung führen. Entsprechend finden vereinfachte Regeln Anwendung: Die Texte werden in Standardorthographie geschrieben, was zur besseren Lesbarkeit des Materials beiträgt – literarische Umschrift oder „eye dialect“ (Kowal & O'Connell, 2000, S. 441), die von der Standardorthographie abweichen und versuchen, die Umgangssprache abzubilden, versprechen keinen weiterführenden Erkenntnisgewinn. Umgangssprachliche Zwischenäußerungen (z.B. „äh“ oder „ne“) sowie Eigenheiten der gesprochenen Sprache (z.B. die Auslassung einzelner Laute, die Dehnung von Vokalen) finden keinen Eingang in die schriftlichen Datensätze. Allerdings können Sprechpausen, schweres Atmen, ein deutliches Variieren der Lautstärke sowie das Betonen bestimmter Passagen oder Begriffe elementare Bestandteile für die Auswertung des Interviews sein, weshalb der Transkribierende diese entsprechend den GAT-Regeln notiert. Da die vorliegende Studie nur Tonband- und keine Videomitschnitte der Interviews liefert, bestehen die Transkripte (fast) nur aus akustischen Ereignissen. Der Interviewer protokolliert aber relevantes Verhalten der Befragten (z.B. Kopfschütteln, Nicken, Augen verdrehen etc.) während der Gespräche und fügt diese Notizen später in das Dokument ein. Die Transkription der Interviews
4.2 Methodisches Vorgehen
119
erfolgt unmittelbar nach dem Ende der Gespräche durch den Interviewer selbst. Um die Anonymität der Beteiligten zu gewährleisten, erhält jeder Gesprächspartner einen Codenamen. Den Transkripten vorangestellt ist jeweils ein nach GAT-Regeln erstellter Transkriptionskopf. 4.2.5 Analyse und Interpretation der Daten Weil die transkribierten Rohdaten sehr umfangreich und komplex sind, muss man sie ordnen, abstrahieren und die relevanten Passagen herausfiltern. Der Auswertungsprozess orientiert sich im Ablauf grob an den von Schmidt (2005) explizierten fünf Schritten der Auswertung von Leitfadeninterviews sowie an der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2003). Am Anfang des Prozesses steht die Erstellung eines Codesystems (bzw. Kategoriensystems), mit dessen Hilfe relevante Textbestandteile identifiziert und systematisch aus dem Material extrahiert werden können (Mayring, 2003, S. 83). Zunächst erfolgt eine theoriegeleitete Bildung von Rohkategorien, deren Systematik sich am vorliegenden Leitfaden orientiert. Das Codesystem soll offen für empirisch begründete Kategorien sein, daher folgt dem wiederholten Durcharbeiten des Untersuchungsmaterials eine induktive Ergänzung und Modifizierung der Kategorien. Das mehrmalige Lesen der transkribierten Interviews spürt verschiedene, zunächst nicht berücksichtige Aspekte auf und lässt erste Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Interviews zu Tage treten (Schmidt, 2003, S. 547). In einem zweiten Schritt werden die Auswertungskategorien zu einem Codierleitfaden zusammengestellt, der als Grundlage für die im dritten Schritt durchgeführte Codierung dient. Das Kategoriensystem ist das zentrale Instrument der Analyse: Es gewährleistet die Intersubjektivität des Vorgehens und trägt zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse bei (Mayring, 2003, S. 43). Der Forscher durchkämmt in diesem Schritt alle Transkripte und ordnet die relevanten Textpassagen den jeweils passenden Kategorien zu. Der Vorwurf, die Vorgehensweise sei analytisch-zergliedernd und würde das synthetische Verstehen des Materials behindern, übersieht, dass die Konstruktion des Kategoriensystem aus dem Material heraus erfolgt und somit schon erstes Ergebnis der Analyse ist (Mayring, 2003, S. 44). Der kleinste Materialbestandteil, der unter eine Kategorie fallen darf (Kodiereinheit), ist in der vorliegende Analyse das einzelne Wort; der größte Materialbestandteil, der unter eine Kategorie fallen darf (Kontexteinheit), ist eine inhaltlich zusammenhängende Aussage (diese kann durchaus mehrere Sätze umfassen). Die Untersuchung verzichtet auf eine quantifizierende Materialübersicht, wie Schmidt sie im vierten Schritt durchführt, da sie bei der hier verfolgten Fra-
120
4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
gestellung nicht zielführend wäre. Bei der späteren Interpretation der Daten gibt es zwar behutsame Quantifizierungen („fast alle Befragten“ oder „über die Hälfte der Teilnehmer“), doch sind diese mit gebotener Vorsicht zu interpretieren, da sie nur bestimmte Mengenverhältnisse der Interviewteilnehmer wiedergeben und keinesfalls eine Generalisierung auf irgendeine Grundgesamtheit beanspruchen. Von den drei Grundformen des Interpretierens, die Mayring (2003, S. 58) unterscheidet (Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung), findet besonders die inhaltliche Strukturierung Anwendung. Nach der Fertigstellung des Codesystems schließt sich eine Probesichtung des Materials an, die sicherstellen soll, ob die entwickelten Kategorien zweckdienlich sind. Zuletzt wird das Codesystem erneut überarbeitet, wobei wiederum einzelne Kategorien ergänzt und modifiziert werden. Schließlich liest der Forscher beim Hauptmaterialdurchlauf jedes Interview erneut und ordnet den einzelnen Kategorien die entsprechenden Kodier- und Kontexteinheiten zu. Die Auswertung konzentriert sich überwiegend auf die expliziten Aussagen der Teilnehmer und will nicht – wie etwa die objektive Hermeneutik – latente Sinnstrukturen aufspüren. Ziel der inhaltlichen Strukturierung ist das Herausfiltern und Zusammenfassen bestimmter Inhalte aus dem Gesamtmaterial. Diese Auswertung wird durch MAXQDA technisch unterstützt. Anschließend erfolgt eine über das einzelne Interview hinausgehende generalisierende Analyse, um die verschiedenen Aussagen der Befragten direkt in Beziehung setzen und vergleichen zu können. Sie ermöglicht gerade bei einer großen Fülle an Rohdaten eine systematische Reduktion des Materials, indem sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufdeckt und Grundtendenzen herausarbeitet (Lamnek, 2005, S. 403-404). 4.3 Ergebnisse Die Studie betrachtet vorwiegend die Mechanismen, die das angebotsspezifische oder -unspezifische Einschalten des Fernsehgerätes steuern, nicht jedoch sämtliche während der Rezeption ablaufenden Prozesse, die potentiell von Gewohnheiten beeinflusst werden. Diese Beschränkung ist notwendig, da ein mehrstündiger Fernsehabend eine gewaltige Menge an begleitenden Tätigkeiten, Umschaltvorgängen sowie während der Rezeption ablaufenden bewussten und unbewussten Prozessen umfasst. Auch deren Betrachtung ist durchaus relevant, nur stehen sie nicht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Dieses Kapitel stellt entlang der oben skizzierten Forschungsziele die Ergebnisse der Untersuchung vor. Dabei richten die jeweiligen Abschnitte den Blick auch auf Aspekte, die sich originär aus dem Material ergeben und bei der Zielsetzung nicht bedacht wurden. Der Fokus liegt
4.3 Ergebnisse
121
zunächst auf dem habituell-angebotsunspezifischen (4.3.1) und habituellangebotsspezifischen Beginn der Fernsehnutzung (4.3.2). Die Rolle spezifischer Hinweisreize bei der habituellen Zuwendung zum Fernsehen diskutiert Kapitel 4.3.3. Im weiteren Verlauf liegt das Augenmerk auf den möglichen Folgen der gewohnheitsmäßigen TV-Nutzung (4.3.4) sowie auf dem Verständnis und der Wertung von (Fernsehnutzungs-) Gewohnheiten (4.3.5). 4.3.1 Habituell-angebotsunspezifischer Beginn der Fernsehnutzung Die Mehrheit der Teilnehmer (14 von 16 Personen) nutzt das Fernsehen zumindest hin und wieder angebotsunspezifisch, das heißt ihre Rezeption zielt nicht auf ein konkretes Angebot, sondern nur auf die Tätigkeit des Fernsehens an sich; ihre Angebotsauswahl ist – in gewissem Rahmen – beliebig (Vorderer, 1992, S. 68). Allerdings steigen die Befragten nur selten angebotsunspezifisch in die Fernsehrezeption ein: Meist haben sie eine bestimmte Sendung (vorwiegend Nachrichten und Daily Soaps), mit der sie in einen längeren Fernsehabend starten; in dessen Verlauf folgen häufig angebotsunspezifische Rezeptionsphasen. Nur vier der 16 Befragten beginnen ihre Fernsehrezeption vorwiegend angebotsunspezifisch – diese stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Kapitels. Drei dieser vier Teilnehmer haben äußerst ausgeprägte Nutzungsgewohnheiten. Dies bestätigt sowohl die Analyse der Leitfadenprotokolle (regelmäßig wiederholte Rezeptionen, automatisierte Nutzung des Mediums, Auftreten von Hinweisreizen) als auch die Auswertung der quantitativen Messung ihrer Fernsehnutzungsgewohnheiten. Zunächst stehen diese drei Teilnehmer (Frida, Anton und Emil) im Fokus des Kapitels und werden einzeln beschrieben; Olaf, der ebenfalls vorwiegend angebotsunspezifisch fernsieht, jedoch wesentlich intentionaler, dient zur Kontrastierung dieser Fälle. Anschließend arbeitet das Kapitel relevante Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Rezipienten heraus. Frida lebt alleine und sieht täglich mindestens vier Stunden fern. Fernsehen dient ihr als Mittel gegen Einsamkeit und Langeweile. Deswegen fiele es ihr schwer, längere Zeit auf das Gerät zu verzichten – sie hat sich „irgendwie an den Fernseher so gewöhnt“. Ihre Rezeption ist fest in den Alltag integriert und findet sehr regelmäßig statt; trotz des regelmäßigen Konsums gibt es keine bestimmte Sendung, die Frida täglich ansieht. Weil sie sich auch vorab nicht über das Programm informiert, schaltet sie so lange durch die vorhandenen Sender, bis sie eine Sendung findet, die sie „gerade interessiert“. Zwar schaut Frida einzelne Sendungen durchaus wiederkehrend an („Wer wird Millionär“, „Hart aber Fair“), doch plant sie deren Nutzung nicht und bleibt dort nur hängen, wenn sie beim Umschalten zufällig darauf stößt. Den Fernseher schaltet sie sowohl nachmittags
122
4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
zur Begleitung bestimmter Tätigkeiten ein, die sie im Haushalt erledigt (Säubern der Wohnung, Fensterputzen), als auch abends: „Wenn ich […] mein Abendessen zu mir nehme, dann schalte ich den Fernseher ein und dann zappe ich erstmal durch“. Wenn Anton von der Arbeit nach Hause kommt, bereitet er das Abendessen zu und macht währenddessen den Fernseher an. Die Rezeption soll ihn vom täglichen Stress ablenken und entspannen. Meist läuft das Gerät, bis er ins Bett geht. Seine Nutzung plant er nicht vorab, hat auch keine Sendungen im Kopf, die er ansehen möchte, sondern „schau[t] überhaupt erstmal, was kommt […] und was halt läuft, wird angeschaut“. Auch er nutzt das Fernsehen gerne als Nebenbeimedium, surft während der Rezeption im Internet oder isst zu Abend. Die Rezeption ist fest in seiner Abendgestaltung verankert; er könnte nur schwer für längere Zeit auf den Fernseher verzichten. Auch Anton verfolgt manche Sendungen recht regelmäßig (zum Beispiel „Dr. House“), allerdings schaltet er den Fernseher nicht speziell wegen dieser Sendungen ein und würde die Rezeption dieser Sendungen „sausen lassen“, wenn er etwas anderes vorhätte. Überhaupt hat die Nutzung des Mediums niemals Priorität vor anderen Freizeitaktivitäten: Zum Beispiel zieht er ein abendliches Treffen mit Freunden immer der TVRezeption vor. Auftakt von Emils Fernsehnutzung ist meist der Blick in den Videotext, wo er sich über Nachrichten und aktuelle Sportergebnisse informiert. Anschließend schaltet er durch die Sender und prüft, was gerade im Programm läuft. Emil besitzt keine Fernsehzeitung und hat „auch noch nie […] im Internet nachgeguckt“, ob Sendungen ausgestrahlt werden, die ihn interessieren. Im Moment der Zuwendung hat er keine bestimmte Sendung im Kopf, die er sehen möchte, ohnehin verfolgt er nur wenige Sendungen regelmäßig. So schaltet er stets ein, „ohne zu wissen, was läuft. Es ist dann nicht gezielt, sondern einfach nur Anmachen“. Es gibt keinen festen Zeitpunkt, zu dem er seine Rezeption startet, „es kommt halt drauf an, wann ich heimkomme“, meist am späten Abend. Genau wie Anton nutzt er Fernsehen und Internet oft parallel. Seiner eigenen Einschätzung nach sieht Emil täglich nur eineinhalb Stunden fern, allerdings zeigt die Analyse des ganzen Gespräches, dass diese Schätzung zu niedrig ausfällt: Meist dauern seine Rezeptionen deutlich länger, unter der Woche von neun bis zwölf, am Wochenende „auch mal bis drei oder vier“. Das Medium dient ihm als Ausgleich zur Arbeit, die Nutzung soll ihn zur Ruhe kommen lassen und entspannen. Auch ihm würde es schwer fallen, einen Monat auf seinen Fernseher zu verzichten, wenngleich er einschränkt: „Fernsehen ist immer nur dann interessant, wenn nichts anderes ist […]; wenn die Wahl ist zwischen weggehen oder Spielfilm, dann immer weggehen“.
4.3 Ergebnisse
123
Ebenso angebotsunspezifisch, doch wesentlich intentionaler sieht Olaf fern. Freilich spielen auch bei seiner Nutzung Gewohnheiten eine gewisse Rolle, und es gibt bestimmte Abläufe, die er stetig wiederholt: So überprüft er, sobald er zu Hause ankommt, den Videotext, um sich über aktuelle Nachrichten zu informieren; dieser Videotextnutzung folgt allerdings nur manchmal eine Rezeption von Sendungen. Das Kontinuum zwischen Intention und Gewohnheit neigt sich bei Olaf in Richtung der intentionalen Zuwendung, weshalb sein Fall hier exemplarisch dient, aber nicht prototypisch ist. Es gibt keine bestimmten Serien, die er regelmäßig verfolgt, er sieht „alles spontan“ und besitzt auch keine Programmzeitschrift. Auch er grast die Kanäle nach interessanten Sendungen ab, meist auf der Suche nach „Reportagen“; Filme oder Serien schaut er fast nie. Zwei wesentliche Aspekte unterscheiden seine Fernsehnutzung von der der drei oben genannten Personen: Zum einen sieht er nur fern, wenn tatsächlich etwas läuft, das ihm gefällt. Dies betont Olaf vehement in diversen Passagen des Interviews: „Es kommt wirklich darauf an, was im Fernsehen läuft. Wenn nichts Gescheites läuft, dann mache ich halt was anderes, setze mich an den Computer oder sonst etwas. Je nachdem oder spiel mit dem Sohn“. Zweitens nutzt er den Fernseher nicht derart regelmäßig, sondern schaltet ihn bewusst ein. Entsprechend finden die Rezeptionen nur unregelmäßig statt (abgesehen von der Videotextnutzung), und der Umfang seines TV-Konsums differiert stark an verschiedenen Tagen. Nun gilt es, bei den drei habituell-angebotsunspezifisch auswählenden Personen nach dem „Typischen“ zu suchen. Zunächst fällt die feste Integration des Fernsehens in deren Tagesablauf auf, obwohl sich keine spezifischen Sendungen in den Alltag einfügen und den Tag strukturieren. Das Programmschema dient den Befragten nicht als Zeitmarke, und feste Sendeplätze sind für sie weitgehend irrelevant (so zum Beispiel auch der deutschlandweite Beginn der Prime-Time um 20:15 Uhr). Alle drei haben keine festen Termine, zu denen sie das Gerät einschalten; es existieren lediglich bestimmte Zeitslots (nachmittags oder abends), in denen die Rezeptionen gewöhnlich stattfinden. In diesen Zeitfenstern erfolgt die Nutzung des Mediums aber derart regelmäßig, dass das Fernsehen fest zum Alltag gehört. Dies spiegelt sich auch in der festen Bindung an das Medium wider: Alle drei Befragten haben eine positive Einstellung gegenüber dem Fernsehen (Frida: „Fernsehen ist mein bester Freund“) und sind bei der Auswahl von Sendungen nicht „wählerisch“. Dies bestätigt die Vermutung Vorderers (1992, S. 71), dass die Toleranz gegenüber TV-Inhalten bei angebotsunspezifisch orientierten Zuschauern „eher groß ist“. Allen dreien würde es äußerst schwer fallen, einen Monat auf das Fernsehen zu verzichten. Die häufig vorgetragene Einschränkung, dass dies bei einer längeren Reise kein Problem wäre, ist ein hinlänglich bekanntes Phänomen, das diverse Ursachen hat: Im Urlaub sind zu den gewohnten
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4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
Fernsehzeiten häufig andere Aktivitäten geplant, die Reisenden möchten sich bewusst von der alltäglichen Mediennutzung abwenden, nicht immer stehen TVGeräte zur Verfügung, die individuellen Temporalstrukturen sind außer Kraft gesetzt etc. (Consbruch, 1995; Neverla, 1992, S. 203-205). Hinzu kommt, dass eine habituelle Nutzung in einer neuen Umgebung wegen fehlender Hinweisreize nicht aktiviert wird. Diese Einschränkung der Teilnehmer kann man also weitgehend ignorieren. Die starke Bindung an das Fernsehen ist angebotsunspezifisch, da die Befragten keine speziellen Sendungen vermissen würden, sondern das Fernsehen als solches. Die von Olaf vorgebrachte Einschränkung, nur fernzusehen, wenn etwas „Gescheites“ kommt, trifft bei den habituell auswählenden Befragten nicht zu: Sie lassen den Fernseher auf jeden Fall laufen und rezipieren „was halt läuft“ (Anton); dies mag auch mit einer Gewöhnung an das laufende Gerät zusammenhängen. Weiterhin fällt auf, dass die habituell-angebotsunspezifisch auswählenden Befragten das Medium oft begleitend zur Erledigung anderer Tätigkeiten nutzen: Die Regelmäßigkeit der Nutzung hängt weniger von fixen Zeitpunkten (der Beginn bestimmter Sendungen ist für sie irrelevant), sondern mehr davon ab, wann sie von der Arbeit nach Hause kommen, welche Aufgaben sie im Haushalt erledigen oder wann sie zu Abend essen. Während der Rezeption erledigt Frida Tätigkeiten im Haushalt, Emil und Anton surfen parallel zur Nutzung im Internet. Sie widmen dem Fernsehen nicht ihre volle Aufmerksamkeit. Diese denkbare Folge der habituell-angebotsunspezifischen Zuwendung diskutiert Kapitel 4.3.4 ausführlicher, ebenso wie deren vermehrten Nutzungsumfang. Der Ablauf der Fernsehnutzung ähnelt sich bei den drei Befragten in vielerlei Hinsicht. Dies betrifft zum einen die Strategie, mit der sie nach einer geeigneten Sendung suchen: Sie nutzen keine Fernsehzeitungen oder andere Quellen der Vorabinformation, sondern grasen nach dem Einschalten des TV-Gerätes erst mal die zur Verfügung stehenden Kanäle ab, auf der Suche nach einer Sendung, die sie „gerade interessiert“ (Frida). Die rezipierten Gattungen sind besonders häufig Talk, Dokumentationen, Magazine und Comedy. Diesen ist gemein, dass sie ein kurzfristiges Einsteigen in die Handlung ermöglichen und ein vorzeitiger Abbruch der Rezeption unproblematisch ist. Genres, bei denen nur schwer möglich ist (wie Spielfilme oder Daily Soaps), sehen sie entsprechend selten. Wenn sie eine passende Sendung finden, verweilen sie häufig nur kurzzeitig dort und wechseln bei Nicht-Gefallen sofort den Kanal (Emil: „Wenn mich was nervt, schalte ich um“). Ist eine Sendung zu Ende, beginnt die Strategie des Flippings erneut; dies trägt dazu bei, dass diese Teilnehmer relativ viel fernsehen. Sie planen nur in Ausnahmefällen die Rezeption einer bestimmten Sendung; so denkt Anton zum Beispiel dienstags daran, dass „heute […] wieder Dr. House Abend“ ist. Dies schränkt exemplarisch die obigen Ausführungen ein: Es ist keineswegs
4.3 Ergebnisse
125
der Fall, dass jene Befragten immer habituell-angebotsunspezifisch fernsehen, auch sie nutzen bestimmte Sendungen vermehrt intentional und „durchbrechen“ ihre Gewohnheiten unzählige Male. Die Dynamik von habitueller und intentionaler Zuwendung tritt in vielen Passagen der Interviews deutlich zu Tage. 4.3.2 Habituell-angebotsspezifischer Beginn der Fernsehnutzung Weder bestätigen noch entkräften die Interviews die Vermutung einer weitgehend angebotsunspezifischen Fernsehnutzung (vgl. Kapitel 2.3.1). Zumindest der Auftakt der Fernsehnutzung geschieht bei den meisten Befragten angebotsspezifisch: Sie beginnen ihre Fernsehnutzung (jedenfalls wochentags) regelmäßig mit der gleichen Sendung bzw. mit einem festen Repertoire an Sendungen. Häufig schalten die Teilnehmer nach dem Ende der jeweiligen Sendung(en) aber unspezifisch durch die Programme. Die Dynamik des Kontinuums von spezifischer und unspezifischer Auswahl sowie die potentielle Substituierbarkeit verschiedener Inhalte erschweren die Beantwortung der Frage, ob eine weitgehend angebotsspezifische oder unspezifische Zuwendung zum Fernsehen erfolgt. Die denkbare Austauschbarkeit von Inhalten auf bestimmten Sendeplätzen analysieren bisher nur telemetrische Studien; zum Beispiel enthüllt die Untersuchung von Programmbindungsraten bei Sendeplatzverschiebungen von Zubayr (1996, S. 140-147), dass viele Rezipienten dem alten Sendeplatz treu bleiben. Über die Hintergründe dieser Zuschauertreue geben die telemetrischen Daten indes keine Auskunft, sie mahnen aber zur Vorsicht: Das regelmäßige Einschalten einer bestimmten Sendung darf man nicht als Beleg dafür interpretieren, dass bei Nicht-Existenz der Sendung der Fernseher ausgeschaltet bliebe. Vor diesem Hintergrund betrachtet das vorliegende Kapitel den habituellangebotsspezifischen Beginn der Fernsehnutzung und wirft auch ein Auge auf die habituelle Nutzung spezifischer Sendungen (die nicht Auftakt der Fernsehnutzung sind). Fast alle Befragten sehen bestimmte Sendungen wiederholt an, wobei Gewohnheiten meist eine große Rolle spielen: Dies zeigen sowohl die regelmäßigen Nutzungsepisoden, die sehr fest in die täglichen Abläufe integriert sind, als auch die quantitative Auswertung der Fragebögen, die auf eine ausgeprägte Automatisierung bei den Rezipienten schließen lassen. Weil das Ausmaß der Habitualisierung zwischen den Befragten merklich variiert, stellt das vorliegende Kapitel zunächst vier Teilnehmer vor, bei denen der habituell-angebotsspezifische Beginn der Fernsehnutzung besonders ausgeprägt ist, und kontrastiert diese mit Personen, die Sendungen vorwiegend intentional auswählen.
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4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
Christian ist das prototypische Beispiel eines habituellen Nutzers der Tagesschau, was sowohl die Analyse seines Interviews als auch die Auswertung der quantitativen Messung seiner Habitstärke zeigen. Seit ca. 40 Jahren schaltet er „sieben Tage die Woche“ um 20:00 Uhr das Erste Deutsche Fernsehen ein; auf die tägliche Tagesschau will er keinesfalls verzichten. Die Sendung ist derart fest in seinen Tagesablauf integriert, dass jegliche Planung der Rezeption entfällt und die unbewusste Aktivierung enorm ausgeprägt ist. Er selbst merkt an, dass Gewohnheiten seine Nutzung stark beeinflussen. Vor der Rezeption erledigt Christian noch anfallende Arbeiten, der Beginn der Sendung um 20:00 Uhr dient ihm dann als Auftakt seines Feierabends. Nach dem Ende der Tagesschau lässt er den Fernseher laufen und schaltet auf der Suche nach Filmen oder Serien, die ihm gefallen könnten, durch die vorhandenen Programme. Dem spezifischen Einschalten der Tagesschau folgt also eine angebotsunspezifische Phase. Dabei spannt er einen regelrechten Rahmen auf, in dem sich die unspezifische Fernsehnutzung abspielt, „beginnend mit der Tagesschau, meistens Abendspielfilm oder Abendserien und Tagesthemen“. Er steigt also nicht nur mit einer spezifischen Sendung in den Fernsehabend ein, sondern beendet diesen ebenso angebotsspezifisch. Harald schaltet „mindestens fünf Mal die Woche“ um 20:00 Uhr den Fernseher ein, um die Tagesschau zu sehen; für ihn ist die Sendung stets Beginn des Fernsehabends. „Und wenn das beendet ist, dann bleibe ich eben beim Fernsehen, wenn irgendetwas Interessantes kommt. […] Dann zappe ich zunächst mal durch, um festzustellen, wo eventuell was läuft, was mich interessieren könnte“. Findet er keine geeignete Sendung, „muss [er] jetzt nicht unbedingt danach noch Fernseh schauen“. Vor der Nutzung isst er meistens zu Abend, jedoch niemals während der Rezeption. Der 53-Jährige sieht die Regelmäßigkeit seiner täglichen Rezeptionen insbesondere im Alter begründet: In jüngeren Jahren ging er mehr Freizeitaktivitäten nach, die ihn davon abhielten, stets um acht Uhr fernzusehen. Obwohl er die Tagesschau schon seit „30, 40 Jahren“ verfolgt, sieht er sie erst seit zehn Jahren derart regelmäßig. Trotzdem glaubt er, auf die Sendung jederzeit verzichten zu können, und auch eine vierwöchige Fernsehabstinenz würde ihn nicht stören. Am Wochenende ändern sich seine festen Abläufe grundlegend: Samstags und sonntags sieht er auch tagsüber fern und führt parallel zur Rezeption andere Tätigkeiten aus: „Ich hab den Fernseher laufen und schaue nicht unbedingt hinein“. Julia beginnt seit zwei Jahren ihren Fernsehabend mit „RTL aktuell“ und sieht im Anschluss die Daily Soaps „Alles was zählt“ und „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Nach deren Ende flippt sie durch die Sender, um das Programm zu überblicken. Meist beendet sie ihren Fernsehabend gegen 22:30 Uhr. Planen muss sie die Nutzung unter der Woche nicht, es „gehört einfach dazu. Man kennt
4.3 Ergebnisse
127
es nicht anders. […] Unter der Woche schaue ich halt wirklich immer, weil ich halt abends daheim bin“. Trotz dieser Regelmäßigkeit betont sie, dass „anderes“ schon Vorrang hätte. In eine Programmzeitschrift blickt sie nur, um sich über das Programm am Wochenende zu informieren; für Samstag und Sonntag plant sie die Nutzung auch manchmal einige Tage im Voraus. Wochentags kommt sie um ca. 16:30 Uhr von der Arbeit nach Hause, lässt den Fernseher aber zunächst aus und erledigt anfallende Arbeiten im Haushalt; erst um Viertel vor sieben schaltet sie die Nachrichten von RTL ein. Während sie fernsieht, konzentriert sie sich vollkommen auf die Rezeption – parallel verrichtet sie keine Tätigkeiten, isst auch während der Nutzung nicht („Ich hasse es“). Für Inga beginnt der Fernsehabend meistens mit der Soap „Alles was zählt“; danach verfolgt sie ebenso wie Julia „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. An mindestens drei bis vier Werktagen sieht sie die Sendungen an, jedenfalls immer, wenn sie zu Hause ist. Davor erledigt sie Dinge im Haushalt, surft im Internet und kocht. Nach dem Ende von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ schaltet sie auf der Suche nach etwas Interessantem durch die Sender, so dass an einem „typischen Wochentag“ vier bis fünf Stunden Fernsehnutzung zusammenkommen. „Alles was zählt“ sieht Inga erst seit einem halben Jahr und kann sich an die ersten Rezeptionen noch gut erinnern: „Das war aus Langeweile, weil ich die eigentlich immer gehasst habe. Wenn ich so durchgezappt habe und irgendwann habe ich mir so gedacht: Mein Gott, jetzt schaust Du dir das doch mal an. Und dann, ja hat es mir ja doch […] nicht gut gefallen, aber es war halt dann doch okay“. Dass sie ausgerechnet diese Sendung regelmäßig verfolgt, beschreibt sie als Produkt verschiedener Umstände, vor allem, weil sie um diese Zeit nur fernsieht, „weil es so gerade die Zeit ist, wo ich dann meistens mit allem fertig bin“. Obwohl die Befragten die jeweilige Sendungen (und damit ihren Fernseher) stets zur gleichen Zeit einschalten, verneinen sie, ihren Tagesablauf nach dem Medium zu richten. Regelmäßige Hobbies oder spontane Freizeitaktivitäten haben für alle Befragten ausdrücklich Vorrang vor der Fernsehnutzung. Warum schauen sie dann derart regelmäßig an fünf bis sieben Tagen pro Woche die Sendungen an? Kapitel 2.1.1 wies bereits auf den offenkundigen Widerspruch hin, dass der Umfang der Fernsehnutzung ganz im Gegensatz zum Freizeitideal der Deutschen steht, das vor Aktivität geradezu strotzt (Opaschowski, 2006, S. 22). Als mögliche Erklärung für diesen Antagonismus diskutierte das Kapitel Effekte der Habitualisierung, und auch die Analyse der Interviews bestätigt diesen Gedanken. Die Teilnehmer wollen sich dem zeitlichen Diktat des Fernsehens nicht unterwerfen, sich von dem TV-Gerät nicht vorschreiben lassen, wie sie ihren Tag gestalten sollen – dennoch fügen sie sich diesem Rhythmus. In den Augen der Teilnehmer diktiert aber nicht das Fernsehprogramm die regelmäßige Nutzung, sondern sie fügt sich beiläufig in ihr Leben ein – das Abendessen ist
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nun mal um kurz vor acht beendet, da darf auch die Rezeption der Tagesschau folgen. So ist es mehr die feste Abfolge einer ganzen Reihe von vorausgehenden Gewohnheiten, die nahtlos zur Rezeption der spezifischen Sendung führt; nicht das Fernsehen alleine diktiert den Rhythmus, sondern über viele Jahre oder Jahrzehnte gleich bleibende Abläufe. Für den (möglichen) Auftakt zum Fernsehabend spielen Daily Soaps und Nachrichten eine große Rolle. Im Gegensatz zur Studie von Röser und Großmann (2008, S. 99), bei der „auch die Nachrichten für die meisten Befragten keinen wirklichen Fixpunkt“ bieten, kommt den Sendungen bei der habituellangebotsspezifischen Auswahl eine solche Stellung zu. Sie dienen den Teilnehmern als Marke, um den Fernseh- bzw. Feierabend vom Alltag zu separieren. Der habituell-angebotsspezifische Beginn bedeutet bei einigen Teilnehmern den Einstieg in einen längeren Fernsehabend: Manche starten mit einem „Sendungsmenü“ (im Sinne einer festen Reihenfolge mehrerer Sendungen; vgl. exemplarisch Julia) in den Feierabend und sehen regelmäßig die gleichen drei oder vier Sendungen in Folge an. Es fällt auf, dass die angebotsspezifischen habituellen Nutzer nach dem Ende der jeweiligen Sendung überwiegend feste Abläufe haben. Viele schalten dann habituell durch die Kanäle und suchen eine Sendung, die ihnen gefällt. An die habituelle Nutzung einer Sendung muss sich aber keinesfalls eine weitere Rezeption anschließen; Harald gibt an, nach dem Ende der Tagesschau auch durchaus den Fernseher auszumachen. Eine Parallelisierung der Rezeption mit anderen Tätigkeiten ist für diese Befragten eher die Ausnahme. Manche lehnen dies bewusst ab, um sich auf die Inhalte der jeweiligen Sendungen konzentrieren zu können. So versuchen sie, anfallende Arbeiten im Vorfeld zu erledigen, so dass die Rezeption ungestört erfolgen kann. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass habituelle Seher einer bestimmten Sendung weniger aufmerksam rezipieren als intentional einschaltende Rezipienten (vgl. Kapitel 4.3.4). Bei den Ausführungen zur habituell-angebotsspezifischen Zuwendung dürfen zwei Aspekte nicht unter den Tisch fallen: Zum einen ist – wie eingangs thematisiert – unklar, ob ausschließlich die konkreten Sendungen die wiederholten Rezeptionen aufrechterhalten, oder ob die Befragten den Fernseher auch einschalten würden, wenn die jeweilige Sendung nicht mehr liefe. Zum anderen muss man sich der Dynamik jener Prozesse bewusst sein: Es verhält sich keineswegs so, dass dauerhaft ein angebotsspezifisches bzw. unspezifisches Einschalten erfolgt; die Teilnehmer berichten häufig von Ausnahmen. Auch diejenigen, die den Fernseher meist unspezifisch einschalten, berichten, dass manchmal eine Vorschau oder eine Anzeige sie auf Sendungen aufmerksam macht, für die sie spezifisch den Fernseher einschalten. Und viele der habituellangebotsspezifisch auswählenden Teilnehmer merken an, dass sie an Wochenen-
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den ihre festen Abläufe durchbrechen: Wie zum Beispiel Harald, der seinen Fernsehabend werktags stets um 20:00 Uhr mit der Tagesschau beginnt, samstags und sonntags aber auch nachmittags fernsieht. Ein täglicher Wechsel von angebotsspezifischem und -unspezifischem, habituellem und intentionalem Einschalten ist ebenfalls möglich; Manfred erkennt die verschiedenen Modi bei sich selbst: „Also es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder weiß ich genau, was ich anschauen will, dann schau ich mir das an, oder wenn ich ein bisschen lustlos bin, zappe ich einfach mal rum und mal schauen, wo man hängen bleibt […] Das hält sich ungefähr die Waage“. Die regelmäßige Nutzung einer Sendung muss nicht zwangsläufig durch Gewohnheiten gesteuert werden. Die Rezeption der Sportschau durch Bertram dient als Exempel für eine vermehrt intentionale Steuerung der regelmäßigen Zuwendung. Bertram sieht die Sendung fast jeden Samstag, weil Sport und speziell Fußball ihn interessieren, er auch selbst Fußball spielt. Seit die Sportschau wieder im Programm der ARD läuft (seit 2003), verfolgt er die Sendung, am liebsten in Ruhe alleine. Nach der Rezeption stellt er den Fernseher aus. Vorher erledigt er alle relevanten Tätigkeiten, besonders anstehende Telefonate: „Also bevor ich die Sportschau angucke, versuche ich meistens sämtliche Termine vorher erledigt zu haben, weil in der Stunde oder in den eineinhalb Stunden will ich meine Ruhe haben und das in aller Ruhe gucken. […] Das ist so die einzige Sendung, sag ich mal, oder eine von wenigen Sendungen, die ich wirklich in dem Sinne plane, dass ich sage, ich muss um die und die Uhrzeit […] daheim sein oder will ich vorher alles erledigt haben oder will zumindest irgendwo vor dem Fernseher sein, dass ich die Sendung gucken kann“. Bertram empfindet die Rezeption dieser Sendung nicht als Niedrigkostensituation; die Nutzung ist für ihn von hoher Relevanz. Entsprechend plant er den Ablauf um die Sendung herum, hält diesen Termin bewusst von anderen Verpflichtungen frei, sorgt dafür, dass er rechtzeitig zu Hause ist und erledigt notwendige Tätigkeiten vorher. Inwiefern die Relevanz, die der Zuschauer der Rezeption der jeweiligen Sendung beimisst (vgl. Kapitel 2.1.2: Hoch- und Niedrigkostensituationen), darüber entscheidet, ob habituelle oder intentionale Mechanismen die Rezeption steuern, bietet Raum für anschließende Forschung. 4.3.3 Bedeutung spezifischer Hinweisreize Ob bestimmte Zeitpunkte, vorausgehendes bzw. momentanes Verhalten, Stimmungen oder externe Gegebenheiten als Hinweisreize fungieren und die Fernsehnutzung auslösen, ist für das Verständnis von Fernsehnutzungsgewohnheiten wesentlich. Die Gespräche mit den vorwiegend habituell einschaltenden Rezi-
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pienten sollen Anhaltspunkte dafür liefern, unter welchen Bedingungen die Teilnehmer ihre Fernsehnutzung starten: Verbinden sie bestimmte Zeiten, Tätigkeiten, Stimmungen oder Orte mit der Initiierung der Rezeption? Und inwiefern findet eine Interaktion dieser Reize statt? Wie bereits in Kapitel 4.2.2 diskutiert, können die hier geführten qualitativen Leitfadeninterviews die Rolle der Hinweisreize keinesfalls erschöpfend erforschen. Allerdings sind auch nachfolgenden Experimenten enge Grenzen gesetzt, da Hinweisreize in Interaktion auftreten. Eine Laborsituation kann dieser alltäglichen Szenerie kaum gerecht werden: Der mögliche Reiz „20:00 Uhr“ mag im Wohnzimmer die Nutzung der Tagesschau auslösen, nicht jedoch in einem Forschungslabor; das Bereiten des Abendessens mag im heimischen Esszimmer zum Einschalten des Fernsehers führen, nicht jedoch, wenn Probanden eine Mahlzeit in fremder Umgebung einnehmen. Experimente sind bei der Erforschung von Hinweisreizen also kein Allheilmittel, sondern liefern – ebenso wie qualitative Interviews – nur einzelne Hinweise. Das Zusammensetzen solch isolierter Puzzlestücke aus verschiedenen Studien ist eine lohnende Aufgabe für zukünftige Forschung, nur gibt es bislang zu wenige Teilchen des Puzzles. Empirische Anhaltspunkte existieren nur sporadisch; dazu gibt es vereinzelte theoretische Überlegungen. Dieses Kapitel folgt der theoretisch entwickelten Strukturierung von vier Gruppen von Hinweisreizen. Es betrachtet zunächst zeitliche Hinweisreize, denen man aufgrund der Beständigkeit des Fernsehprogramms eine wichtige Funktion zuschreibt (Rosenstein & Grant, 1997, S. 331). Zeitliche Habitualisierung Falls das Fernsehen als sozialer Zeitgeber (Neverla, 1990; Neverla, 1992) den Alltag von Rezipienten strukturiert, sollte der Einfluss bestimmter Uhrzeiten auf die Aktivierung der Nutzung entsprechend ausgeprägt sein. So behauptet die Forschergruppe um Gerbner (1979, S. 180): „Viewers tend to […] use the medium largely non-selectively and by the clock rather than by the program“; den Beleg für diese Annahme bleibt sie jedoch schuldig. Treiben tatsächlich bestimmte Uhrzeiten viele Zuschauer vor den Fernseher? In der Tat zeigen telemetrische Analysen ebenso wie Tagebuchaufzeichnungen, dass Rezipienten häufig zur gleichen Zeit mit der Fernsehnutzung beginnen, selbst wenn sie nicht immer die gleichen Sendungen sehen. Solche Daten stoßen bei der Suche nach Erklärungen für die regelmäßige Zuwendung aber an ihre Grenzen: Zwar können die Daten eine zu ähnlichen Zeitpunkten wiederkehrende Rezeption nachweisen, die Gründe dafür bleiben jedoch im Dunkeln. So darf man ein wiederholtes Einschalten zur gleichen Zeit nicht vorschnell als Beleg für eine zeitliche Habitualisierung interpretieren, da auch andere Gründe diese Regelmäßigkeit bedingen könnten.
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In der vorliegenden Untersuchung assoziieren nur wenige Teilnehmer eine konkrete Uhrzeit mit dem Einschalten des Fernsehgerätes. Meist benennen die Befragten eher größere Zeiträume oder bringen ihre TV-Nutzung gar nicht mit bestimmten Uhrzeiten in Verbindung. Ob bestimmte Zeiträume (nicht konkrete Uhrzeiten) unmittelbar als Auslöser einer habituellen Fernsehnutzung fungieren können, ist fraglich; zwar diskutierte Kapitel 2.3.1 bereits die Möglichkeit, dass beispielsweise die Feststellung „Es ist Abend“ die Fernsehnutzung initiieren könnte, doch erscheint dieser Cue als zu unspezifisch. Die mit der TV-Nutzung assoziierten Zeitspannen sind erwartungsgemäß nachmittags oder abends, meist zwischen 18:00 und 20:00 Uhr. Auch Röser und Großmann (2008, S. 99) erkennen in ihrer qualitativen Befragung mehrerer junger Paare, dass „bestimmte Zeitpunkte des Tages (Mittagspause, Abend) mit der Fernsehgewohnheit verknüpft“ sind, nicht jedoch feste Uhrzeiten. Dass die Teilnehmer kaum konkrete Zeiten mit dem Einschalten des TV-Gerätes verbinden, erstaunt vor dem Hintergrund, dass die Zuwendung überwiegend sendungsspezifisch und folglich zu festen Zeitpunkten erfolgt. Diesem scheinbaren Widerspruch geht der vorliegende Abschnitt nach. Zunächst liegt das Augenmerk aber auf dem Einfluss zeitlicher Hinweisreize bei der habituell-angebotsunspezifischen Zuwendung. Die Teilnehmer, die den Fernseher vorwiegend habituell-angebotsunspezifisch einschalten, verbinden allesamt keine bestimmte Zeit mit dem Beginn ihrer TV-Nutzung. Dabei ist das Medium bei diesen Befragten besonders fest in den Alltag integriert, und die Rezeptionen finden sehr regelmäßig statt. Die Teilnehmer sehen zwar stets in den gleichen Zeitfenstern fern, doch existiert kein konkreter Zeitpunkt, der sie den Fernseher einschalten lässt. Statt der Uhr gibt der Alltag den Takt für die regelmäßig wiederholten Rezeptionen vor. Der fest strukturierte Tagesablauf mit regelmäßigen Arbeitszeiten und (zumindest unter der Woche) geregelten Freizeitbeschäftigungen, Essenszeiten etc. lässt die Verbindung zwischen Uhrzeit und Fernsehnutzung zumindest teilweise als bedeutungsloses Phantom erscheinen. Eher sind vorausgehende Tätigkeiten, wie Abendessen oder das Nachhausekommen für den Beginn der Fernsehnutzung – und damit für das Einschalten zu ähnlichen Zeitpunkten – verantwortlich. Freilich basieren diese Erkenntnisse auf einem kleinen Sample, und es ist keineswegs ausgeschlossen, dass bei anderen habituell-angebotsunspezifisch einschaltenden Rezipienten die Uhrzeit als relevanter Cue fungiert. So ist denkbar, dass der Reiz „20:15 Uhr“ manche Zuschauer vor den Fernseher treibt, um (angebotsunspezifisch) etwas aus dem Primetime-Programm zu sehen – die mit der Fernsehnutzung verknüpften Uhrzeiten müssen also nicht zwangsläufig mit dem Beginn einer bestimmten Sendung zusammenhängen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie deuten darauf hin,
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dass man den Einfluss der Uhrzeit als Hinweisreiz bei der angebotsunspezifischen habituellen Zuwendung nicht leichthin überschätzen sollte. Der habituell-angebotsspezifische Beginn der Fernsehnutzung steht unter anderen Voraussetzungen: Die wiederkehrende Nutzung einer Sendung muss zwangsweise zu gleichen Zeiten erfolgen36, wenn die Rezipienten nicht Rekorder zu deren Aufzeichnung einsetzen. Von den Befragten nutzt jedoch nur Lena die Möglichkeit, Sendungen mittels Festplattenrekorder zeitversetzt sehen zu können. Die übrigen Teilnehmer verzichten auf die zeitliche Flexibilität, die ihnen die Aufnahme des Fernsehprogramms bieten würde. Dieser Verzicht ist durchaus gewollt, da der Beginn mancher Sendungen als Zeitmarke zur Strukturierung des Alltags dient. Für Christian, Harald und Norbert ist die Tagesschau ein solcher Fixpunkt im Tagesablauf. Sie schalten ihre Fernseher gegen 20:00 Uhr ein, wobei die Rezeption der Sendung jeweils Auftakt ihres Fernseh- und Feierabends ist. Die Tagesschau ist fest in ihre täglichen Abläufe integriert, jedoch schalten sie den Fernseher nicht sekundengenau um 20:00 Uhr ein. Vielmehr stellen sie das Gerät einige Minuten, teilweise auch eine Viertel- oder halbe Stunde vor Sendungsbeginn an – „aufgrund der Regelmäßigkeiten, die man ja dann unter der Woche hat“ (Harald). Meist erledigen sie vorher anfallende Tätigkeiten und essen zu Abend. Auch beim habituellen Beginn der Fernsehnutzung durch andere Sendungen ist das wiederholte Einschalten zur gleichen Uhrzeit meist an andere, der Rezeption vorausgehende Tätigkeiten geknüpft: Daniela beginnt zum Beispiel seit einem Jahr „speziell um 19 Uhr“ mit der Fernsehnutzung, um die Serie „Alles was zählt“ verfolgen zu können. Indes empfindet sie die Verknüpfung von Uhrzeit und Einschalten des Gerätes als nicht so ausgeprägt und sieht eher das Nachhausekommen und die Zubereitung des Abendessens als treibende Kraft: „Es ergibt sich eben häufig, […] dass ich dann um diese Uhrzeit zu Hause bin und Essen gemacht habe“. Inga, die ebenso regelmäßig mit der Daily Soap „Alles was zählt“ ihren Fernsehabend startet, sieht die Serie „nur an, weil es so gerade die Zeit ist, wo ich dann meistens mit allem fertig bin“. Auch bei Julia, die ihre Fernsehnutzung zumeist mit RTL aktuell beginnt, ist wiederum die Startzeit mehr Produkt des Tagesablaufes denn Auslöser der Fernsehnutzung: „Weil ich bin um 16.30 Uhr, 17 Uhr daheim und bis ich herum arbeite und dann ist halt um 18 Uhr, 18.30 Uhr die Zeit, wo ich sage: Ja okay, jetzt lege ich mich halt hin“. Die Interviews fördern mehrere Indizien zu Tage, die andeuten, dass man die Rolle der Uhrzeit für das habituelle Einschalten des Fernsehgerätes nicht vorschnell überbewerten sollte. Für die Teilnehmer, die ihre Fernsehnutzung habituell-angebotsunspezifisch beginnen, spielen die zeitlichen Reize praktisch 36
Davon ausgenommen sind die wenigen Sendungen, deren tägliche Startzeiten variieren.
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keine Rolle. Doch auch bei der angebotsspezifischen Nutzung lässt nicht unbedingt der Schlag der Uhr die Rezipienten nach der Fernbedienung greifen. Die Uhrzeit mag eher in Interaktion mit anderen Hinweisreizen (Ort, bestimmte Tätigkeiten, etc.) ein relevanter Faktor sein. Vorausgehendes und momentanes Verhalten Die Ausführungen zur zeitlichen Habitualisierung zeigen, dass die gewohnheitsmäßige Zuwendung zum Fernsehen (sowohl angebotsspezifisch als auch unspezifisch) häufig mit der Durchführung bestimmter Tätigkeiten einhergeht. Dies kann sowohl die Initiierung eines Verhaltens, das parallel zur TV-Nutzung gezeigt wird, als auch der Abschluss einer vorausgehenden Tätigkeit sein. Insbesondere das Bereiten, Einnehmen oder Beenden des Abendessens steht bei etlichen Teilnehmern in enger Verbindung mit dem Einschalten des Gerätes. „Ich esse und schaue mir dabei die Nachrichten an. Das ist halt so ein stehendes Ritual“ beschreibt Manfred die Parallelisierung beider Tätigkeiten. Schon bei der eingangs gestellten Eisbrecherfrage, wie denn ein typischer Fernsehabend bei den Teilnehmern ablaufe, berichten Daniela und Frida über die Verbindung von Abendessen und TV-Nutzung. Dass Rezipienten Mahlzeiten häufig während des Fernsehens einnehmen, zeigt auch die Analyse von Kuhlmann und Wolling (2004, S. 409); allerdings geht die Forschung bislang kaum über die Beobachtung dieser Parallelisierung hinaus. Zukünftige Studien können hier ansetzen und die Regelmäßigkeiten sowie die Abfolge beider Tätigkeiten (mittels Tagebuchstudien und Beobachtungen mit begleitenden Befragungen) ins Visier nehmen. Als Auslöser einer habituellen Rezeption ist eine endlose Vielfalt verschiedenen Verhaltens denkbar, und die Befragung deckt diverse andere Tätigkeiten auf, die der Zuwendung zum Fernsehen vorausgehen. So skizzierte Kapitel 4.3.1 bereits das Nachhausekommen als möglichen Reiz zum Einschalten des Gerätes, besonders bei der habituell-angebotsunspezifischen Nutzung: Sowohl Anton („Wenn man halt heimkommt, schaltet zuerst mal den Fernseher ein“) als auch Emil („Eben wenn man ins Zimmer rein kommt, dass man dann doch einfach mal den Fernseher anschaltet“) berichten, dass sie das Betreten der Wohnung bzw. des Fernsehzimmers bisweilen zur Fernbedienung greifen lässt. Auch das Erledigen von Hausarbeiten führen die Rezipienten häufig parallel zur Rezeption aus (z.B. Frida oder Inga). Emil schaltet den Fernseher (nochmals) ein, nachdem er sich ins Bett gelegt hat, Christian erledigt „gewisse Verwaltungstätigkeiten“, bevor er sich der Tagesschau zuwendet, Inga verrichtet vor der Rezeption Arbeiten im Haushalt, Lena schaltet den Fernseher ein, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hat – diese Liste an Tätigkeiten ließe sich mühelos fortsetzen. Bei all diesen Abläufen könnten Effekte der Habitualisierung eine zentrale Rolle
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spielen und das Ende des jeweils vorausgehenden Verhaltens Hinweisreiz für die Initiierung der Rezeption sein. Externe Gegebenheiten Die Befragung enthüllt keine Hinweise darauf, dass bestimmte Gegenstände, wie die mit positiven Vorerfahrungen assoziierten Medien selbst (Hartmann, 2006, S. 49), die Rezeption auslösen. Natürlich verbinden Teilnehmer den Anblick der Fernbedienung oder des Fernsehgerätes mit der Rezeption, nur gibt es keine Anzeichen, dass diese als visuelle Hinweisreize fungieren und die Nutzung initiieren. Zumindest für das angebotsunspezifische habituelle Einschalten des Fernsehers, scheinen „specific locations“ (Ji & Wood, 2007, S. 262) wesentlich relevanter zu sein. Das Nachhausekommen wurde bereits im vorherigen Abschnitt als potentieller Reiz identifiziert und als vorausgehendes Verhalten „kategorisiert“. Ob aber die Tätigkeit (also das Betreten der Wohnung oder eines bestimmten Raumes) oder der spezifische Ort als Auslöser fungieren, ist eine theoretisch-analytische Streitfrage. Für Untersuchungen, die sich mit dem Einfluss von Gewohnheiten auf das Umschalten auseinandersetzen, sind das Ende bestimmter Sendungen sowie der Beginn von Werbepausen als Auslöser eines nachfolgenden Senderwechsels besonders relevant. Das erforscht die vorliegende Untersuchung nicht explizit, doch findet die Befragung hier und da Hinweise, dass das Ende bestimmter Sendungen als Auslöser für habituelle Anschlusstätigkeiten fungieren kann. Fridas Angabe, nach dem Ende von „Wer wird Millionär […] automatisch in einen anderen Sender“ zu wechseln, deutet ein solch gewohnheitsmäßiges Umschalten an. Der Abschluss der Show löst unmittelbar den Griff zur Fernbedienung aus und initiiert ein nachfolgendes Flipping. Ebenso könnte das Ende einer Sendung mit dem habituellen Ausschalten des Fernsehgerätes (und der Initiierung neuer Tätigkeiten) verknüpft sein. Stimmungen Ob bestimmte Stimmungen als Hinweisreize für das Einschalten des Gerätes fungieren, kann die vorliegende Studie nicht klären: Die qualitative Befragungen deckt den Zusammenhang von Stimmungen und Mediennutzung nur unzureichend auf – hier sind andere Methoden gefragt. Daher soll der Zusammenhang an dieser Stelle nur theoretisch hinterfragt werden. Studien im Rahmen der Mood-Management-Forschung (Zillmann, 1988a; Zillmann, 2000) greifen vorwiegend auf Tagebuchaufzeichnungen (z.B. Schmitz & Lewandrowski, 1993) oder Laborexperimente (z.B. Bryant & Zillmann, 1984) zurück; doch auch bei diesen Analysen fallen die Effekte meist recht gering aus. Der dort angedeutete Zusammenhang von schlechter Stimmung und einer Zunahme des Fernsehkon-
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sums könnte mit Prozessen der Habitualisierung plausibel erklärt werden. Auch Langeweile, die aus unstrukturierter Zeit erwächst (vgl. 'The meaning of when I have time' bei Adams, 2000, S. 87; Kubey, 1986), kommt als Auslöser einer habituellen Fernsehnutzung in Frage. Einige Teilnehmer (Bertram, Daniela, Frida, Inga) deuten an, dass Langeweile sie vor den Fernseher treibt – inwiefern diese Langeweile als Hinweisreiz fungiert, bleibt zu klären. Über den Umweg der Auslösung ließe sich der häufig gefundene Zusammenhang von „pass time“ und Gewohnheiten plausibel erklären (vgl. Kapitel 2.3.3). Eine Zusammenfassung und übergreifende Interpretation aller Befunde folgt in Kapitel 6.1. 4.3.4 Folgen der habituellen Fernsehnutzung Die Analyse der angebotsunspezifischen und -spezifischen Zuwendung in den vorherigen Kapiteln ermittelte bereits mehrere Begleiterscheinungen der habituellen Nutzung, die im Folgenden eingehend beleuchtet werden. Die qualitative Befragung kann zwar mögliche Zusammenhänge identifizieren, über deren kausale Richtung aber keine Auskunft geben – hier müssen zukünftige Experimente ansetzen. Dieses Kapitel sucht zudem nach theoretischen Erklärungen für die in den Interviews ermittelten möglichen Folgen der gewohnheitsmäßigen Nutzung. Der erste Abschnitt schneidet die Debatte um die angeblich verminderte Aufmerksamkeit habitueller Nutzer während der Rezeption an; eine eingeschränkte Evaluation von Programmalternativen sowie ein vermehrter Nutzungsumfang stehen außerdem als potentielle Folgen der Habitualisierung im Fokus des Kapitels. Zur Debatte um verminderte Aufmerksamkeit Wirkt sich die Automatisierung der Nutzung auf sämtliche Prozesse der Rezeption aus und bewirkt, dass habituell auswählende Rezipienten dem Programm weniger Aufmerksamkeit schenken? „Weil die instrumentelle Nutzung eine ausgeprägtere Mediennutzungsmotivation impliziert und eine höhere Involviertheit mit dem Medium“ würden intentional auswählende Nutzer Medieninhalte nicht beiläufig rezipieren, sondern ihre volle Aufmerksamkeit darauf fokussieren (Rubin, 2000, S. 143). Impliziert dies umgekehrt, dass habituell auswählende Nutzer die Inhalte eher beiläufig verfolgen und ihre Aufmerksamkeit während der Rezeption vermehrt anderen Dingen zuwenden? Bei der habituellangebotsspezifischen Auswahl ergeben die Interviews keine Anhaltspunkte für eine geringere Aufmerksamkeit: Die Befragten betonen zum Beispiel, dass sie die Rezeption frei von Paralleltätigkeiten halten und nicht von der Sendung abgelenkt werden möchten; zudem existiert meist ein ausgeprägtes Interesse für die
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Inhalte, was eine hohe Konzentration der Zuschauer vermuten lässt. Es wäre geradezu kurios, wenn der treue Anhänger einer bestimmten Sendung, für den die regelmäßige Rezeption eine feste Gewohnheit ist, den entsprechenden Inhalten weniger Aufmerksamkeit schenken würde. Bei den Teilnehmern, die ihre Fernsehnutzung habituellangebotsunspezifisch beginnen, deutet sich jedoch eine verminderte Aufmerksamkeit während der Rezeption an. Diese Befragten gehen während der Nutzung häufig anderen Tätigkeiten nach (zum Beispiel surfen Anton und Emil während der TV-Nutzung oft im Internet, Frida erledigt währenddessen Hausarbeiten) und haben ein geringeres Interesse für die Inhalte: Anton berichtet lapidar „was halt läuft wird angeschaut“, und Emil würde „einfach rumzappen und gucken was kommt“. Resultieren diese Effekte aus der Habitualisierung, oder sind sie generelle Folge einer (gleich ob intentionalen oder habituellen) angebotsunspezifischen Rezeption? Weil die intentional-angebotsunspezifische Zuwendung in der vorliegenden Stichprobe nur einmal auftritt (Olaf) und keineswegs prototypisch ausfällt (s. o.), kann die Untersuchung diese Frage nicht zweifelsfrei beantworten. Eine potentielle Antwort liefert indes die Diskussion, ob die gesamte Ausführung eines Verhaltens (Wood, Quinn, & Kashy, 2002) oder lediglich dessen Auslösung automatisiert erfolgt (Holland, Aarts, & Langendam, 2006). Kapitel 2.2.3 begründete, dass nur die letztere Argumentation zutrifft. Das gewohnheitsmäßige Einschalten des Fernsehers oder die habituelle Wahl einer bestimmten Sendung ersetzen die Intentionsbildung vor der Rezeption, dem Zuschauer stellt sich nicht die „Soll-ich-oder-soll-ich-nicht-Frage“ (Fuchs, 2007, S. 6). Die kognitive Entlastung betrifft also nur die Aktivierung des entsprechenden Verhaltens, die Ausführung kann durchaus bewusst und aufmerksam erfolgen. Das schließt nicht aus, dass während der Rezeption weitere Teilaspekte automatisiert ablaufen und der Zuschauer beispielsweise gewohnheitsmäßig umschaltet. So gibt es weder empirische noch theoretische Anhaltspunkte dafür, dass habituell auswählende Rezipienten den Inhalten generell weniger Aufmerksamkeit widmeten. Die kognitive Entlastung und die damit verbundene verminderte Aufmerksamkeit der gewohnheitsmäßig auswählenden Zuschauer treten lediglich im Moment der Zuwendung auf. Die Habitualisierung der Fernsehnutzung hilft, die alltäglich wiederkehrenden Entscheidungen ökonomisch zu fällen (Hartmann, 2006, S. 49). Man mag sich fragen, wie sehr es das kognitive System der Rezipienten entlastet, wenn sie während der drei Sekunden, die das Einschaltens des Fernsehgerätes dauert, an etwas anderes denken können. Allerdings sind diese drei Sekunden bei intentional auswählenden Personen häufig Resultat eines längeren Entscheidungsfindens. Lena liest beispielsweise die Fernsehzeitung bis zu einer Woche im Voraus, markiert relevante Sendungen und plant deren Rezepti-
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on bewusst ein. Zwar verschlingen diese Planungen keine Unmenge an Zeit, doch müssen habituell einschaltende Rezipienten nicht jedes Mal aufs Neue abwägen, ob sie nun Nachrichten sehen, Zeitung lesen oder in den Garten gehen möchten, sie initiieren die Rezeption automatisiert. Die habituellangebotsspezifische Auswahl spart zusätzlich kognitive Ressourcen, weil die Nutzer nicht „vor jedem Kommunikationsprozess das gesamte mediale Angebot evaluieren müssen, das potentiell verfügbar ist“, sondern sie greifen auf einen festen Ausschnitt des Angebotes zurück (Kunz, 1995, S. 169). Alle habituellangebotsspezifisch einschaltenden Teilnehmer machen sich keine Gedanken darüber, was zeitgleich auf anderen Sendern laufen könnte. Langwierige Entscheidungsfindungen werden obsolet, die Auswahl effizienter und der Alltag vereinfacht. Man kann nur diskutieren, ob diese kognitive Entlastung tatsächlich Folge der habituellen Nutzung oder vielmehr deren inhärentes Merkmal ist. Verminderte Evaluation von Programm- und Freizeitalternativen Je habitualisierter ein Verhalten ist, desto weniger Informationen sucht und verarbeitet man vor dessen Ausführung (Aarts, Verplanken, & Knippenberg, 1997; Raju, Lonial, & Mangold, 1995; Verplanken, Aarts, & Knippenberg, 1997). Dieser Mechanismus impliziert einerseits positive Konsequenzen, wie die Entlastung des kognitiven Systems (s. o.), andererseits birgt er die Gefahr, dass Informationen oberflächlicher bearbeitet werden und mögliche Alternativen außen vor bleiben. Verplanken, Aarts und Knippenberg (1997) zeigen in einer Reihe von Experimenten, dass etablierte Gewohnheiten den Aufmerksamkeitsfokus des Ausführenden auf mit dem Verhalten konsistente Informationen lenken und den Umfang an Informationen, die vor der Entscheidung gesammelt werden, reduzieren. In den Studien müssen Versuchsteilnehmer zwischen verschiedenen Fortbewegungsmitteln wählen, um an ein bestimmtes Ziel zu gelangen. Vor ihrer Entscheidung können sie am Bildschirm Informationen über Fahrtkosten und -dauer, Fahrkomfort und Ähnliches sammeln. Die Untersuchung zeigt, dass sich zum Beispiel Personen mit ausgeprägter gewohnheitsmäßiger Fahrradnutzung bei vertrauten Zielen sehr schnell für das Zweirad als probates Mittel entscheiden und wesentlich weniger Informationen sammeln als die anderen Teilnehmer (Verplanken, Aarts, & Knippenberg, 1997, Studie 1). Die Spekulation, ob sie aufgrund ihres Vorwissens über die Strecke weniger Informationen benötigen (vgl. z.B. Ross, Lussier, & Klein, 2005), widerlegen die Autoren in einer zweiten Studie: Geben sie Studenten eine vollkommen unvertraute Zielvorgabe, sammeln diejenigen mit ausgeprägten Gewohnheiten ebenfalls weniger Informationen (Verplanken, Aarts, & Knippenberg, 1997, Studie 2). Neben der verminderten Informationssammlung lenkt die Habitualisierung den Fokus der Aufmerksamkeit vorwiegend auf Informationen, die das etablierte Verhalten
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betreffen. So holen die „Gewohnheitsradler“ in den Experimenten mehr Informationen über das Radfahren ein als die anderen Probanden; letztere verteilen ihre Aufmerksamkeit gleichmäßiger auf alle Alternativen. Habitualisierung führt also zu einem „Tunnelblick“, man wägt Vor- und Nachteile oberflächlicher ab, beachtet mögliche Alternativen weniger, und der Aufmerksamkeitsfokus wird auf Informationen gelenkt, die das habitualisierte Verhalten betreffen (vgl. dazu auch Betsch, 2005; Betsch, Brinkmann, Fiedler, & Breining, 1999; Betsch, Fiedler, & Brinkmann, 1998; Betsch, Haberstroh, Glöckner, Haar, & Fiedler, 2001). Dieser „Tunnelblick“ könnte bei der habituell-angebotsspezifischen Nutzung eine verminderte Evaluation möglicher Programmalternativen bewirken. Zeitgleich ausgestrahlte Sendungen, die Rezipienten nach einer bewussten Abwägung womöglich bevorzugen würden, blieben unberücksichtigt. So macht sich in der vorliegenden Befragung keiner der habituellen Nutzer einer Sendung darüber Gedanken, ob zeitgleich eine „bessere“ Alternative laufen könnte. Bertram und Lena hingegen, die beide sehr bewusst fernsehen und vor dem Einschalten des Gerätes gezielt geeignete Sendungen auswählen, wägen recht sorgfältig Programmalternativen ab; wenn sie im Vorfeld nichts „Interessantes“ (Bertram) finden, lassen sie den Fernseher aus. Die Auswahl der Sendung findet bei Bertram unmittelbar vor der Nutzung statt: Sobald er nach Hause kommt und „nichts anderes zu tun hat“, schaut er im Internet nach, was gerade im Programm läuft. Lena wählt hingegen bis zu einer Woche im Voraus bestimmte Sendungen mittels einer Programmzeitschrift aus. Die bei der habituell-angebotsspezifischen Nutzung ausbleibende Evaluation anderer Optionen hängt eng mit der Zuschauertreue (Zubayr, 1995; 1996) zusammen: Weil eine gewohnheitsmäßige Steuerung dazu führt, dass man beim Treffen einer Entscheidung weniger über alternative Möglichkeiten nachdenkt (Betsch et al., 2001; Wood, Quinn, & Kashy, 2002), vermindert dies die „Gefahr“, dass Zuschauer auf ein anderes Programm aufmerksam werden oder den Fernseher nicht wie sonst einschalten. Infolgedessen machen sich Rezipienten, die einer Sendung aus Gewohnheit folgen, weniger Gedanken darüber, was zeitgleich auf einem anderen Sender laufen könnte und haben eine entsprechend ausgeprägte Programmbindung bzw. Sendungstreue. Bei der habituell-angebotsunspezifischen Fernsehnutzung zeigen die Interviews eher einen gegenteiligen Effekt: Meist findet eine Evaluation der momentan laufenden Inhalte statt. Freilich gleicht diese Evaluation nur selten einer sorgfältigen Abwägung aller Alternativen; es gibt keine wohlüberlegte und länger gereifte Entscheidungsfindung bei den Befragten. Vielmehr schalten sie so lange durch die Sender, bis sie eine „passable“ Sendung finden, bei der sie dann verweilen. Der durch Gewohnheiten hervorgerufene „Tunnelblick“ kann allerdings bewirken, dass habituell auswählende Rezipienten (sowohl angebotsspezifisch als auch -unspezifisch) andere Optionen der Freizeitgestaltung weniger beachten
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und kaum über Möglichkeiten nachdenken, die vor dem Fernseher verbrachte Zeit anderweitig zu nutzen. So gibt Emil zu bedenken: „Wenn man in den Raum reingeht, schaltet man den Fernseher ein und schaut fern. Ist das für einen normal? Eventuell! Aber man hinterfragt sich nie selber, ob das eigentlich sinnvoll ist, oder ob es nicht eine bessere Alternative gäbe, wie ein Buch zu lesen“. Auch könnten habituell auswählende Zuschauer den situativen Aspekten, die bei der Entscheidung für oder gegen die Fernsehnutzung relevant sind (z.B. das Wetter), weniger Aufmerksamkeit schenken. Die Interviews liefern nur spärlich Anhaltspunkte dafür – ein ähnliches experimentelles Design, wie das oben skizzierte von Verplanken, Aarts und Knippenberg (1997), könnte diese Effekte in Augenschein nehmen. Zunahme des Nutzungsumfangs Die habituell-angebotsunspezifisch einschaltenden Teilnehmer sehen überdurchschnittlich viel fern; dies ist Resultat der Beständigkeit ihrer Nutzungsepisoden, wobei sie den Fernseher selbst dann nicht ausschalten, wenn nichts „Interessantes“ läuft. Olaf, der ebenso angebotsunspezifisch, jedoch vermehrt intentional auswählt, lässt den Fernseher hingegen aus, „wenn nichts Gescheites kommt“. Auch nach dem Ende einer Sendung schalten die habituell-angebotsunspezifisch auswählenden Teilnehmer den Fernseher nicht ab, sondern wechseln den Sender. So nennt Frida, den „automatischen“ Wechsel „in einen anderen Sender“ als Ursache dafür, dass sie derart viel fernsieht. Bei Lena und Bertram, die vermehrt intentional Sendungen auswählen, ergibt sich nur selten ein an die geplante Rezeption anschließendes Switching oder Flipping; meist beenden sie die Fernsehnutzung nach der jeweiligen Sendung. Auch Bertram ist bewusst, dass „man aus Langeweile fern guckt. Dann zappt man ja auch oft und bleibt dann irgendwo hängen und schaut sich das dann an“; allerdings kommt das bei ihm selten vor. Die Gründe für die Zunahme des Nutzungsumfangs bei der habituellangebotsunspezifischen Fernsehnutzung liegen wohl in der Automatisierung des Verhaltens, das dessen schwere Kontrollierbarkeit bedingt. Einzelne Studien erkennen einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Fernsehnutzung und dem (vermeintlichen) Motiv der gewohnheitsmäßigen Nutzung.37 Schmidt et al. (1989, S. 100) zeigen zum Beispiel in einer Befragung, dass Nutzungsumfang und die Zustimmung zu dem Item „Ich nutze das Fernsehen aus lauter Gewohnheit“ deutlich miteinander korrelieren. Auch Rubin und Rubin (1982, S. 311) finden diesen Zusammenhang bei älteren Personen und liefern sogleich eine Interpretation: „Habitual television viewing and using the medium to pass the time of day seem to result in increasend viewing levels“. 37
Zur Problematik dieser Operationalisierung vgl. Kapitel 2.3.3.
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4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
Freilich kann deren Querschnittsdesign keine Auskunft über die Richtung des Effekts geben. Die Interpretation der Autoren erfolgt etwas überhastet, denn vieles spricht dafür, dass sich beides gegenseitig bedingen könnte: Habituelle Nutzung führt zu einem größeren Nutzungsumfang, letzterer aber auch zu einer zunehmenden Habitualisierung. Weil die allermeisten Vielseher den Fernseher ohnehin täglich einschalten, ist die zentrale Voraussetzung zur Gewohnheitsbildung (die regelmäßige Wiederholung) bereits gegeben – auf der anderen Seite bewirkt die automatisierte Aktivierung der Rezeption, dass diese regelmäßig und ohne Abwägung von Alternativen stattfindet, weshalb sie eine vermehrte Nutzung nach sich zieht. Der Zusammenhang von Fernsehnutzungsumfang und Habitualisierung basiert bislang mehr auf theoretischen Spekulationen denn auf empirisch fundierten Erkenntnissen – die nachfolgende quantitative Untersuchung soll ebenso dazu beitragen, die Beziehung zwischen beiden zu beleuchten (vgl. Kapitel 5.3.1). Experimente und Längsschnittstudien könnten zusätzliche Erkenntnisse zu Tage fördern. An dieser Stelle sei noch ein Exkurs in Sachen Abhängigkeit vom Fernsehen angedeutet: Es gibt einen problematischen Konsum des Fernsehens oder einzelner Sendungen (Grant, Guthrie, & Ball-Rokeach, 1991; Luger, 1989; Finn, 1992; Kubey, 1996; McIlwraith, 1998), der bereits mit der Sucht nach Drogen oder Alkohol verglichen wurde (Katz & Foulkes, 1962; Rosengren & Windahl, 1972; Winn, 1977).38 Weil die Gewohnheit zunehmend die Intention ersetzt und spezifische Hinweisreize die Kontrolle übernehmen, befürchtet Vorderer (1992, S. 127), dass „an die Stelle des ‚Wollens’ […] ein (von außen veranlasstes) ‚Sollen’ oder gar ‚Müssen’“ tritt. Auch Hartmann (2006, S. 50) gibt zu bedenken, dass den situativen Auslösereizen „ein so bedeutsames Gewicht bei der ‚Steuerung’ der Auswahlaktivität eingeräumt [wird], dass der Handlungsstatus, der der idealtypischen handlungstheoretischen Position nach an die Annahme eines freiheitlich-autonom agierenden Subjekts geknüpft ist, zu hinterfragen ist“. Trotz dieser Bedenken muss man die exzessiv-problematische und die habituelle Nutzung strikt voneinander abgrenzen. Dass Personen, die zu solch problematischer Nutzung neigen, auch eine ausgeprägte Habitualisierung vorweisen, erscheint plausibel – doch geht die habituelle Zuwendung zum Medium oder bestimmten Inhalten keineswegs zwangsläufig mit einer exzessiven Nutzung einher; ein habitueller Nutzer muss nicht einmal besonders viel fernsehen. Ursächlich für eine Abhängigkeit vom Medium sind die Gewohnheiten wohl nicht (LaRose & Eastin, 2004; LaRose, Lin, & Eastin, 2003).
38
Der Vergleich hinkt allerdings, da es beim Fernsehen keinen chemischen Stimulus gibt. Überhaupt sollte man eine vorschnelle Gleichsetzung von extremer Mediennutzung mit dem plakativen Begriff „Droge“ meiden, im Zweifel eher von einer problematischen Nutzung des Mediums sprechen.
4.3 Ergebnisse
141
4.3.5 Wahrnehmung und Wertung von Fernsehnutzungsgewohnheiten Zuletzt ist von Belang, ob – und wenn ja wie – Rezipienten den Einfluss von Gewohnheiten auf ihre Fernsehnutzung wahrnehmen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, inwieweit den Rezipienten eine etwaige habituelle Nutzung überhaupt bewusst ist. Außerdem interessiert, was die Befragten unter Gewohnheiten verstehen – ob sie also mit der in vielen Studien gestellten Frage, inwiefern Habits ihre Nutzung steuern, überhaupt etwas anfangen können – und ob sie den Begriff „Gewohnheit“ vermehrt positiv oder negativ konnotieren. Danach befragt, warum sie fernsehen, nennen die Teilnehmer am häufigsten die Informationsfunktion, die das Fernsehen für sie erfülle. Diese beschränkt sich keineswegs auf Nachrichten und politische Inhalte, sondern schließt auch Sport, Diskussionen und Dokumentationen aus verschiedenen Bereichen ein. Allerdings steht nur für zwei Befragte die Informationsfunktion des Fernsehens an erster Stelle, die anderen erwähnen sie nur am Rande. Neben der Informationssuche nennen die Teilnehmer vor allem Zeitvertreib (bzw. Langeweile) sowie Entspannung und Unterhaltung als zentrale Gründe für die Zuwendung zum Fernsehen (vgl. Tabelle 4). Nur ein einziger Befragter äußert die Vermutung, dass bei seiner Nutzung Gewohnheiten eine Rolle spielen könnten. Bei den übrigen Teilnehmern fallen auch keine Sätze, wie „Weil ich es immer so mache“, was auf ein habituell gesteuertes Verhalten hindeuten würde. Auf der Suche nach plausiblen Gründen für die Fernsehnutzung tauchen Gewohnheiten im Bewusstsein der Befragten nicht auf. Die Antworten könnten ein weiteres Indiz für die von Diddi und LaRose (2006, S. 195) angesprochene Vermutung sein, dass Personen ihre Fernsehnutzung retrospektiv rational erklären und ihnen zum Beispiel die Suche nach Informationen als plausibler Grund für ihre Zuwendung zu dem Medium erscheint. Welche Rolle die Informationsfunktion des Fernsehens tatsächlich im Moment der Zuwendung spielt, beantworten bisherige Studien nur unzureichend – es fehlt schlicht an Messungen, wie sehr die Selbstauskünfte durch retrospektive Rationalisierung verzerrt sind. Die Struktur der Antworten in der vorliegenden Befragung deutet darauf hin, dass die Suche nach einer plausiblen Erklärung für die Fernsehnutzung häufig bei der Informationsfunktion endet: Durch das Fernsehen informiert zu werden, dient gleichsam als Alibi für eine umfangreiche Nutzung. Freilich ist unstrittig, dass Rezipienten auch einschalten, um sich zu informieren – es ist allein fraglich, ob dies im Moment der Zuwendung der ausschlaggebende Grund ist. Der Verdacht, die Teilnehmer könnten den Einfluss von Gewohnheiten absichtlich verschweigen (zum Beispiel aus sozialer Erwünschtheit), bestätigt sich nicht: Auf die direkte Frage, ob sie ihre Fernsehnutzung eher bewusst oder ver-
142
4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
mehrt durch Gewohnheiten steuern, antworten zehn der 16 Teilnehmer freimütig, dass sie sie eher als durch Gewohnheiten gesteuert wahrnehmen. Drei geben an, dass sich dies bei ihnen die Waage hielte und sowohl Gewohnheiten als auch Intentionen eine Rolle spielen; lediglich drei Befragte berichten, eher bewusst auszuwählen. Die Teilnehmer sind also durchaus in der Lage, den Einfluss von Gewohnheiten auf ihre Nutzung zu erkennen – zumindest wenn man sie direkt danach fragt. Nur die offene Frage, ob sie Gründe für die Fernsehnutzung benennen können, scheint eine Suche nach rationalen und plausiblen Gründen zu aktivieren, bei denen die Interviewten habituelle Einflüsse nicht bedenken. Tabelle 4: Gründe für die Fernsehnutzung Information
Zeitfüller
Entspannung Unterhaltung Eskapismus Gewohnheit
Anton
Ɣ
Bertram Christian
Ɣ Ɣ
Ɣ
Daniela
Ɣ
Emil
Ɣ
Frida
Ɣ
Gerda
Ɣ
Harald
Ɣ
Inga
Ɣ
Ɣ Ɣ
Ɣ
Ɣ
Ɣ
Julia Kathrin Lena
Ɣ Ɣ
Ɣ
Ɣ
Manfred
Ɣ
Norbert
Ɣ
Olaf
Ɣ
Petra
Ɣ Ɣ
Ɣ Ɣ
Tabelle 4: Gründe für die Fernsehnutzung Fast alle Befragten (mit einer Ausnahme) verbinden mit dem Begriff „Gewohnheit“ die Wiederholung eines Verhaltens, drei Viertel nennen sogar das Kriterium der regelmäßigen Wiederholung (vgl. Tabelle 5). Auch die automatisierte
4.3 Ergebnisse
143
Auslösung führen viele als relevantes Kennzeichen an: Der Begriff „automatisiert“ fällt zwar selten, doch nennen die Teilnehmer verschiedene Facetten der Automatisierung: unbewusste und unbeabsichtigte Aktivierung, mentale Leistungseffizienz, schwere Kontrollierbarkeit. Drei Befragte heben die Integration von Habits in den Tagesablauf hervor. Auch die Auslösung durch spezifische Hinweisreize nennt ein Teil der Interviewten als Kriterium, wenngleich dies eher implizit erfolgt: So erkennt Harald das Wesen einer Gewohnheit darin, dass man sie „zu bestimmten Zeiten“ ausführt, Norbert verbindet zudem einen bestimmten Ort der Ausführung damit. Die Teilnehmer haben durchaus ein klares Bild von Habits vor Augen und können diese recht präzise definieren. Bertram führt beispielsweise aus: „Unter einer Gewohnheit verstehe ich etwas regelmäßig zu tun und das […] so in den Tagesablauf einzubauen, dass es eigentlich automatisch passiert oder vorkommt und es gar nicht mehr großartig planen muss; sondern man macht es einfach aus Gewohnheit. Also es ist einfach eine Sache, die sich so regelmäßig wiederholt und die man auch gerne wiederholt, dass es halt zur Gewohnheit wird“. Auch Emil fällt es nicht schwer, Habits zu beschreiben: „Wenn ich etwas regelmäßig mache, so dass es schon normal für mich ist und nichts Besonderes mehr, sondern einfach integriert ist […] Dass man vielleicht nicht mehr darüber nachdenkt, sondern es einfach so macht. Ja, dass man es einfach macht, ohne sich wirklich groß Gedanken zu machen“. Die Frage, ob sie mit Gewohnheiten eher positive oder negative Gedanken assoziieren, beantworten einige Teilnehmer zögernd, nach einer kurzen Bedenkpause. Dies ist ein Indiz dafür, dass der Begriff zumindest nicht eindeutig positiv oder negativ besetzt ist. Dass man im Alltag oft negative Assoziationen zu Gewohnheiten hätte, wie manche sprachliche Formulierung dies nahe legt (z.B. „schlechte Gewohnheit“ vgl. Kapitel 2.2.6), bestätigt die Studie nicht. Ein Großteil der Befragten (zehn von 16) verbindet mit Gewohnheiten eher oder ausschließlich positive Gedanken, drei Teilnehmer sehen dies differenziert, zwei Personen beantworten die Frage nicht, und nur ein Interviewter erkennt in Gewohnheiten vorwiegend negative Aspekte. Christian sieht zum Beispiel überhaupt „nichts Schlechtes an Gewohnheiten. Ich wüsste nicht warum ich das negativ sehen sollte“. Es sind Tätigkeiten, die man „gerne wiederholt“ und die einem „das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit [geben]. Das ist ja irgendetwas, was man kennt und mit dem man sich schon öfter und länger auseinandergesetzt hat, da kommt nichts Unerwartetes oder Neues auf einen zu“, berichtet Bertram; deshalb würde er „nur positive Sachen damit verbinden“. Viele Teilnehmer berichten davon, dass ihnen Gewohnheiten ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, weil eine häufige Ausführung „mit Tradition und mit Vertrautem zu tun“ hat (Harald). Habits würden zudem helfen, neue Situationen schneller in den Griff zu bekommen und zu lösen. Ger-
144
4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
da bringt Habits entsprechend „mit einem ruhigen Ablauf in Verbindung“, sie muss sich „nicht krampfhaft […] nach etwas bemühen und umschauen um den Tag zum Beispiel zu gestalten“. Auch empfinden die Teilnehmer manche Gewohnheiten als Teil ihrer Identität. Die Vorstellung, dass auch ungeliebte Tätigkeiten habituell gesteuert werden könnten, kommt ihnen kaum in den Sinn. „Wenn man etwas macht, weil man es gewöhnlich so tut, tut man es ja eigentlich, weil es sich bewährt hat, positiv bewährt hat“ (Petra). Tabelle 5: Verständnis von Gewohnheiten
Anton
Regelmäßige Wiederholung „dass es einfach regelmäßig ist“
Bertram
„etwas regelmäßig zu tun“
Christian
„eine Tätigkeit, die ich regelmäßig […] ausübe“ „wenn ich etwas regelmäßig tue“
Daniela Emil
„wenn ich etwas regelmäßig mache…“
Frida
„wenn ich etwas immer wieder mache, […] im gleichen Rhythmus“
Gerda
„eine sich wiederholende Sache, […] die regelmäßigen Essenszeiten zum Beispiel“ „wenn ich eben mit einer Regelmäßigkeit gewisse Abläufe […] habe“
Harald
Automatisierte Auslösung „dass man einfach nicht wirklich darüber nachdenkt“ „dass es eigentlich automatisch passiert und es gar nicht mehr großartig planen muss“ „ohne dass ich mir eigentlich wirklich darüber bewusst bin“ „dass man vielleicht nicht mehr darüber nachdenkt […], ohne sich wirklich groß Gedanken zu machen“
Sonstiges
„in den Tagesablauf einzubauen“
Wenn es „einfach integriert ist und ziemlich selbstverständlich“ [das] „muss ich auch machen. Das gehört zu mir, das brauche ich“
„[eine] Sache, über die man sich nicht groß Gedanken macht“ „zu bestimmten Zeiten“, „gewisse Tagesabläufe“
4.3 Ergebnisse Inga Julia Kathrin Lena Manfred
„einfach was man regelmäßig macht“ „wenn ich etwas regelmäßig tue“ „alles was man so ein wenig regelmäßig macht“ „immer wieder tue“ „was dauernd wiederkehrt“
Norbert
Olaf Peter
145 „vielleicht auch unbewusst“
„was ich automatisch tue […] und ich nicht mehr darüber nachdenke“ „das nehme ich nicht so bewusst wahr […] dass man das schon fast unterbewusst macht“
„ist relativ unabhängig von Stimmungen vielleicht“ „was man zu einer bestimmten Zeit oder einem bestimmten Ort tut“
„Gewohnheit ist, was sich wiederholt“ „dass ich es regelmäßig mache“
Tabelle 5: Verständnis von Gewohnheiten Nur sechs Befragte assoziieren mit Gewohnheiten nicht vorwiegend positive Gedanken. Daniela wägt zum Beispiel ab und sieht die mangelnde Kontrolle kritisch, weil man „von solchen Gewohnheiten vielleicht selber häufig auch schon kontrolliert wird“. Auch Emil erkennt die schwere Kontrollierbarkeit als problematischen Aspekt: „Dadurch, dass man nicht darüber nachdenkt, macht man es einfach und […] hinterfragt nie, ob diese Gewohnheit, die man macht, ob die sinnvoll ist, oder ob man die Zeit nicht anders verbringen könnte“. Nach der Wertung von Fernsehnutzungsgewohnheiten fragt der Interviewer nicht explizit, doch deuten einige Aussagen darauf hin, dass die Teilnehmer die habituelle Steuerung bei der Fernsehnutzung eher kritisch sehen. Insbesondere die Befragten, die angeben, vermehrt intentional fernzusehen, erkennen in der habituellen Zuwendung überwiegend negative Aspekte. Sie bemühen sich regelrecht, eine Steuerung durch Gewohnheiten zu meiden und Fernsehsendungen bewusst zu rezipieren. Das habituelle Einschalten des Fernsehens setzen sie implizit mit der Rezeption qualitativ „minderwertiger“ Inhalte gleich: „Ich schalte jetzt nicht irgendeinen Schrott ein, bloß aus Gewohnheit, sondern ich schalte nur etwas ein, was mich interessiert“ (Norbert). „Früher“ hätten sie häufiger aus Gewohnheit ferngesehen, doch haben sie sich bemüht, dies zu ändern: „Ich glaub, dass da jetzt irgendwie so ein Wandel stattfindet. Früher war es auf jeden
146
4 Studie I: Habitueller Beginn der Fernsehnutzung
Fall aus Gewohnheit. Und jetzt auch aus meinem eigenen Interesse heraus würde ich sagen, versuch ich es eher bewusst zu nutzen“ (Bertram).
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Die nachfolgende Untersuchung basiert nicht auf den Resultaten der qualitativen Befragung, sondern ist unabhängig davon konzipiert. Allerdings nimmt die Studie bei der Präsentation der Ergebnisse Bezug zu den oben gewonnenen Erkenntnissen und erweitert und vertieft dadurch die Interpretation mancher Befunde. Die Analyse betrachtet nicht nur die gewohnheitsmäßige Fernsehnutzung, sondern auch das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu Radio, Zeitung und Internet; dadurch können manche Resultate für das Fernsehen mit denen anderer Medien verglichen werden. Während die qualitative Studie hauptsächlich den gewohnheitsmäßigen Beginn der TV-Rezeption fokussierte, stehen in der nachfolgenden Untersuchung verschiedene Zusammenhänge der Habitualisierung mit anderen Variablen im Vordergrund: Zum Beispiel, wie Nutzungsumfang und Habitualisierung zusammenhängen, welche Rolle soziodemographische Eigenschaften für das Ausmaß der Habitstärke spielen oder bei der Zuwendung zu welchen Sendungen Gewohnheiten von besonderer Bedeutung sind. Eine quantitative Befragung von 500 mittels Quotenauswahl rekrutierten Teilnehmern soll diese und andere Fragen beantworten. Zunächst stellt Kapitel 5.1 die Ziele der Untersuchung vor: Es formuliert sowohl übergeordnete forschungsleitende Fragen als auch darunter subsumierte spezifische Forschungsfragen. Die Beschreibung des methodischen Vorgehens folgt in Kapitel 5.2. Es skizziert den Ablauf der Untersuchung, die Entwicklung des Fragebogens sowie die Rekrutierung und Beschreibung der Stichprobe. Daran schließt sich die Darstellung der Ergebnisse (Kapitel 5.3) an, deren Zusammenfassung und übergreifende Interpretation in Kapitel 6.2 folgt. 5.1 Zielsetzung der Studie „Manche Naturwissenschaftler spitzen die Bedeutung der Forschungsfrage auf die Behauptung zu, dass eine genaue Formulierung des Problems zwei Drittel des Weges zu seiner Lösung sind“ (Gläser & Laudel, 2009, S. 69). Wenngleich dies für die Sozialwissenschaften nicht gleichermaßen gilt, kommt dem Erstellen geeigneter Forschungsfragen auch in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen eine zentrale Rolle zu. Sie bestimmen sowohl für die methodische Konzeption als auch für die Auswertung die wegweisende Richtung. Für die Studienkonzep-
148
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
tion sind die Forschungsfragen das notwendige Fundament, auf dessen Basis die geeignete Methode ausgewählt wird, und an dem sich die Entwicklung eines passenden Instruments orientiert. Für die Auswertung schaffen die Forschungsfragen eine fundierte Systematik, die hilft, erhobene Variablen nicht „wahllos“ zu analysieren; oft generieren Untersuchungen nämlich einen ungemein großen Fundus an Daten, zwischen denen nicht alle Verbindungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede gleichermaßen interessieren. Die Studie verfolgt fünf forschungsleitende Fragen, die in den nachfolgenden Kapiteln vorgestellt und jeweils durch konkrete Forschungsfragen spezifiziert werden. 5.1.1 Forschungsfragen I: Habitualisierung und Nutzungsumfang Forschungsleitende Frage 1: Wie hängen Mediennutzungsumfang und Habitualisierung zusammen? „Habitual media consumption covers a wide range of overall usage levels and is not necessarily associated with excessive amounts of consumption. Someone who turns on a morning news program for 5 minutes every day engages in habitual behavior just as does someone who watches 5 hours of CNN every night“ (Diddi & LaRose, 2006, S. 196). Die Aussage klingt durchaus plausibel, doch hat man sie bislang nicht empirisch überprüft. Einige Untersuchungen zeigen, dass Gewohnheitsstärke und Auftretenshäufigkeit eines entsprechenden Verhaltens signifikant miteinander korrelieren (z.B. Klöckner, 2005a; Verplanken & Orbell, 2003). Daher liegt auch für die Fernsehnutzung die Vermutung nahe, dass Personen mit festen Nutzungsgewohnheiten besonders viel fernsehen bzw., dass Personen, die viel fernsehen, ausgeprägte Nutzungsgewohnheiten haben; konkrete Nachweise dafür gibt es bislang jedoch nicht. Daneben ist fraglich, ob ein solcher Zusammenhang bei der habituellen Zuwendung zu bestimmten Sendungen existiert. Geht die gewohnheitsmäßige Nutzung einer Sendung mit einem erhöhten Fernsehnkonsum einher oder „nur“ – wenn überhaupt – mit der häufigeren Rezeption dieser Sendung? Sollte das Ausmaß der habituellen Sendungsnutzung mit deren Nutzungshäufigkeit korrelieren, wäre dies der Nachweis eines relativen Zusammenhangs. Fraglich bliebe jedoch, ob ein absoluter Zusammenhang existiert: Verfolgen Zuschauer täglich ausgestrahlte Sendungen habitueller als solche, die einem wöchentlichen Rhythmus unterliegen? Verplanken und Orbell (2003, S. 1323, Studie 4) erkennen, dass täglich mehrmalig durchgeführtes Verhalten stärker von
5.1 Zielsetzung der Studie
149
Gewohnheiten gesteuert wird als wöchentlich durchgeführtes Verhalten – allerdings ist die Studie aufgrund methodischer Unzulänglichkeiten (vgl. die Diskussion in Kapitel 5.3.1) kaum aussagekräftig. Dies zu überprüfen ist das dritte Ziel in diesem Forschungsfragenkomplex. Entsprechend untergliedert sich die forschungsleitende Frage 1 in drei Forschungsfragen: Die erste greift den generellen Zusammenhang von Nutzungsumfang und Habitualisierung bei verschiedenen Medien auf, die zweite betrachtet dieses Zusammenspiel bei der Zuwendung zu spezifischen Sendungen, und darauf basierend widmet sich die dritte Forschungsfrage der Relativität eines möglichen Zusammenhangs durch den Vergleich von täglich und wöchentlich ausgestrahlten Sendungen. Forschungsfrage 1.1: Wie hängt das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu einem Medium mit dessen Nutzungsumfang zusammen? Forschungsfrage 1.2: Wie hängt das Ausmaß der habituellen Nutzung einer bestimmten Sendung mit a) der Nutzungshäufigkeit dieser Sendung und b) dem gesamten Fernsehnutzungsumfang zusammen? Forschungsfrage 1.3: Erfolgt die Rezeption täglich ausgestrahlter Sendungen habitueller als die wöchentlich ausgestrahlter Sendungen?
5.1.2 Forschungsfragen II: Habitualisierung und Rezipientenmerkmale Forschungsleitende Frage 2: Welche Rolle spielen Rezipientenmerkmale für das Ausmaß der Habitualisierung? Der zweite Teil der Untersuchung widmet sich zunächst dem Zusammenhang von Habitstärke und soziodemographischen Merkmalen der Rezipienten. Soziodemographische Variablen eignen sich zur pragmatischen Bevölkerungsbeschreibung, „repräsentieren aber für sich genommen keine theoretisch sinnvollen Konstrukte“, da nicht Geschlecht, Alter und Bildung den Medienumgang einer Person beeinflussen, sondern individuelle Ressourcen und Lebensbedingungen, die mit diesen verbunden sind (Schweiger, 2007, S. 70). Die soziodemographischen Merkmale gelten aber als Container- bzw. Indikatorvariablen. Zwar steht vorwiegend die Fernsehnutzung im Fokus der Studie, doch interessiert darüber hinaus, ob sich bestimmte Rezipientengruppen den verschiedenen Medien gene-
150
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
rell habitueller zuwenden. Daher überprüft die Studie die Zusammenhänge nicht nur für die Fernseh-, sondern ebenso für Internet-, Radio- und Zeitungsnutzung. Forschungsergebnisse sind bei allen Medien rar, wenngleich einzelne – teilweise konträre – Vermutungen durch die Literatur schwirren (s. u.). Zunächst interessiert, inwiefern sich das Alter auf die Habitualisierung auswirkt: Nutzen Ältere das Fernsehen (und die anderen Medien) mehr oder weniger aus Gewohnheit als Jüngere? Für eine zunehmende Habitualisierung im Alter spricht, dass ältere Menschen ihre Gewohnheiten über einen längeren Zeitraum aufbauen können und regelmäßigere Tagesabläufe bevorzugen als Jüngere (Meyer, 2008, S. 12-13). Allerdings kommt Rubin (1984, S. 75) in seinen Analysen zum gegenteiligen Ergebnis und erkennt, dass Alter und „instrumental television use“ positiv korrelieren. Auch die Langzeitstudie Massenkommunikation findet diesen Zusammenhang: Bis zur Alterskohorte der über 60-Jährigen nimmt die Zustimmung zum Item, das Fernsehen aus Gewohnheit zu nutzen, kontinuierlich ab (Reitze & Ridder, 2006, S. 221). Diese Ergebnisse sind jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, da sich Rubins Verständnis eines „instrumental television use“ fast ausschließlich an den bevorzugten Inhalten orientiert und die Messung der Gewohnheit in der Langzeitstudie Massenkommunikation über ein einzelnes Item (als Zuwendungsmotiv operationalisiert) erfolgt. Hinzu kommt, dass die Studien den Nutzungsumfang der Befragten nicht kontrollieren; sollte dieser mit der Habitstärke zusammenhängen, erhält man nur valide Ergebnisse, wenn man ihn aus den Analysen herausrechnet. Zwar gibt es einige Studien, die Nutzungsumfang von Frauen und Männern vergleichen oder deren unterschiedliche Sendungspräferenzen analysieren, doch ist nicht bekannt, ob zwischen Männern und Frauen Unterschiede im Ausmaß der Habitualisierung bei der Nutzung der verschiedenen Medien existieren.39 Ebenso wenig weiß man über den Zusammenhang von formaler Bildung und der gewohnheitsmäßigen Nutzung von Fernsehen, Radio, Internet und Zeitung; auch dieser steht im Fokus der Analyse. Zuletzt wird überprüft, ob ein strukturierter Tagesablauf und eine stärkere Belastung im Alltag mit einer zunehmenden Habitstärke einhergehen. Schweiger (2005, S. 193) zeigt, dass Personen, die einen regelmäßigen Tagesablauf bevorzugen, auch die verschiedenen Mediengattungen ähnlich regelmäßig nutzen: Wer seinen Fernsehabend stets zur gleichen Zeit beginnt, nutzt auch öfter die Tageszeitung zur gleichen Zeit oder surft öfter zur gleichen Zeit im Internet. Ob dies mit Nutzungsgewohnheiten in Verbindung steht (oder gar aus diesen resultiert), ist bislang nicht bekannt.
39
Zwar interpretiert Schweiger (2007, S. 271) die Ergebnisse von Heeter (1988) derart, dass Frauen das Fernsehen „ritualisierter“ nutzen als Männer, doch kann man dies aus den Befunden von Heeter nicht zweifelsfrei ableiten.
5.1 Zielsetzung der Studie
151
Forschungsfrage 2.1: Wie unterscheidet sich das Ausmaß der habituellen Mediennutzung zwischen Rezipienten unterschiedlichen Alters? Forschungsfrage 2.2: Wie unterscheidet sich das Ausmaß der habituellen Mediennutzung zwischen Männern und Frauen? Forschungsfrage 2.3: Wie unterscheidet sich das Ausmaß der habituellen Mediennutzung zwischen Rezipienten mit unterschiedlicher formaler Bildung? Forschungsfrage 2.4: Hängen a) ein strukturierter Tagesablauf und b) eine stärkere Belastung im Alltag mit dem Ausmaß der habituellen Mediennutzung zusammen?
5.1.3 Forschungsfragen III: Habitualisierung und Fernsehnutzung Forschungsleitende Frage 3: Wodurch unterscheidet sich die Fernsehnutzung von Rezipienten mit stark und schwach ausgeprägter habitueller Zuwendung? Die dritte forschungsleitende Frage richtet ihr Augenmerk darauf, inwiefern Rezipienten mit festen Fernsehnutzungsgewohnheiten „anders“ mit dem Fernsehen umgehen als Personen mit einer weniger ausgeprägten habituellen Zuwendung. Dies betrifft einerseits den sendungsspezifischen Beginn der Fernsehnutzung: Greifen zum Beispiel Rezipienten mit ausgeprägter habitueller Zuwendung eher zur Fernbedienung, ohne dass sie ein konkretes Angebot verfolgen wollen (Vorderer, 1992, S. 68)? Zum zweiten interessieren Unterschiede in den inhaltlichen Präferenzen beider Gruppen: Gibt es bestimmte Fernsehgattungen, die Rezipienten mit starken Nutzungsgewohnheiten eher anschauen? Existiert gar eine generelle Präferenz für unterhaltende oder informierende Inhalte? Die dritte Forschungsfrage widmet sich der Einstellung beider Gruppen zum Fernsehen: Unterscheiden sich Rezipienten mit starken Fernsehnutzungsgewohnheiten in ihrer Einstellung zum Fernsehen von Rezipienten mit schwächeren Gewohnheiten? Ob – und wenn ja, wie – sich die Stärke der Gewohnheit auf den Zusammenhang von Intention und Nutzungsumfang auswirkt, ist Gegenstand der vier-
152
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
ten Forschungsfrage. Dabei soll überprüft werden, ob ein Moderatoreffekt der Habitstärke besteht; dies würde die Annahme von Diddi und LaRose (2006, S. 195) stützen, dass eine bewusste Zuwendung zu Medien oder spezifischen Inhalten insbesondere während den ersten Nutzungsepisoden stattfindet. Denn Intentionen sagen ein Verhalten meist nur gut vorher, wenn noch keine Gewohnheiten etabliert sind (Ji & Wood, 2007; Ouellette & Wood, 1998). Zuletzt geht es um die Frage, ob Gewohnheiten ein von der Intention unabhängiger Prädiktor der Fernsehnutzung sind und selbständig zur Varianzaufklärung beitragen. Die Zusammenstellung dieser Merkmale kann man mit den Daten zum Zusammenhang von Rezipientenmerkmalen und Habitualisierung in Beziehung setzen. Deren Analyse soll Indizien dafür liefern, ob tatsächlich zwei grundlegend verschiedene „viewer types“ existieren (Rubin, 1981b; Rubin, 1983; Rubin, 1984; Rubin & Rubin, 1982). Gibt es überhaupt einen typischen habituellen Nutzer des Fernsehens? Und wenn ja, welche Charakteristika zeichnen ihn aus? Forschungsfrage 3.1: Unterscheiden sich Rezipienten mit festen Fernsehnutzungsgewohnheiten beim sendungsspezifischen Beginn der Fernsehnutzung von Rezipienten mit schwächeren Gewohnheiten? Forschungsfrage 3.2: Unterscheiden sich Rezipienten mit festen Fernsehnutzungsgewohnheiten bei den bevorzugten Fernsehgattungen von Rezipienten mit schwächeren Gewohnheiten? Forschungsfrage 3.3: Unterscheiden sich Rezipienten mit festen Fernsehnutzungsgewohnheiten in ihrer Einstellung zum Fernsehen von Rezipienten mit schwächeren Gewohnheiten? Forschungsfrage 3.4: Wie wirkt sich die Stärke der Gewohnheit auf den Zusammenhang von Intention und Nutzungsumfang aus? Forschungsfrage 3.5: Ist die Gewohnheit ein von der Intention unabhängiger Prädiktor des Fernsehnutzungsumfangs?
5.1 Zielsetzung der Studie
153
5.1.4 Forschungsfragen IV: Habituelle Sendungsnutzung Forschungsleitende Frage 4: Wovon hängt das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu spezifischen Sendungen ab? „The biggest star in America is not any actor, or show. It’s television. People watch television, they don’t watch programs“ (Klein & Morgenstern, 1979, S. 15). Die überspitzte Aussage der Autoren provoziert, indem sie implizit USFernsehzuschauer mit anspruchslosen Vielsehern gleichsetzt, die nicht Befriedigung in der Rezeption bestimmter Sendungen suchen, sondern in der wahllosen Nutzung irgendwelcher Inhalte. Ihre Behauptung stützen Klein und Morgenstern allerdings nicht auf eigens erhobene empirische Daten, sondern leiten sie aus verschiedenen Befunden anderer Studien und theoretischen Überlegungen ab. Indes steht diese Aussage in Kontrast zu dem in der qualitativen Befragung ermittelten Befund, dass die Mehrheit der Teilnehmer ihre Fernsehnutzung spezifisch mit einer bestimmten Sendung beginnt und die Rezeption nur bisweilen im Anschluss angebotsunspezifisch fortsetzt. Und auch andere Studien weisen darauf hin, dass Zuschauer durchaus gezielt Sendungen auswählen – so geben zum Beispiel während eines Television Blackouts 49 Prozent der Befragten an, dass sie es bedauerten, eine spezielle Sendung verpasst zu haben (Bock, 1980, S. 65). Letztlich kann nicht eine einzelne Studie die hoch komplexe Frage, ob Rezipienten vorwiegend angebotsspezifisch oder -unspezifisch fernsehen, erschöpfend beantworten; die vorliegende Analyse soll aber ein weiteres Puzzlestück liefern, indem sie ermittelt, ob die Nutzung einer bestimmten Sendung oder das Einschalten des Gerätes habitueller ist. Sie nimmt auch in Augenschein, ob sich beides gegenseitig bedingt und Personen mit starken Fernsehnutzungsgewohnheiten auch starke Sendungsnutzungsgewohnheiten aufweisen. Zudem überprüft die Untersuchung, ob das Ausmaß der sendungsspezifischen Habitualisierung zwischen verschiedenen Altersgruppen, Männern und Frauen sowie Personen mit unterschiedlicher formaler Bildung variiert. Für Fernsehschaffende ist von besonderer Relevanz, welche Eigenschaften einer Sendung dazu führen, dass Rezipienten diese vermehrt habituell verfolgen. Tendieren Zuschauer dazu, bestimmte Fernsehgattungen eher aus Gewohnheit zu nutzen als andere? Dass Gameshows und fiktionale Unterhaltungssendungen im Gegensatz zu Sport- und Informationssendungen besonders hohe Programmbindungsraten aufweisen, ist bekannt (Zubayr, 1996, S. 112-113); fraglich ist, ob dies aus einer vermehrt habituellen Nutzung dieser Gattungen resultiert. Besonders bedeutsam ist, ob sich variierende Startzeiten auf die Ausbildung von Nut-
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5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
zungshabits auswirken: Fernsehschaffende befürchten, dass wechselnde Anfangszeiten Zuschauer von bestimmten Sendungen fernhalten; so sind die unterschiedlichen Sendezeiten der Tagesthemen seit langem ein Dorn im Auge der ARD-Chefredaktion (Busse, 2008, S. 21). Behindert ein variierender Sendungsbeginn etwa die Entstehung von Nutzungsgewohnheiten? Zuletzt wird untersucht, wie der Nutzungszeitraum einer Sendung – also seit wie vielen Monaten bzw. Jahren Rezipienten die jeweilige Sendung sehen – mit dem Ausmaß der habituellen Zuwendung zu dieser zusammenhängt. Werden Sendungsnutzungsgewohnheiten über mehrere Jahre beständig stärker, oder ist nach einem bestimmten Zeitraum eine „maximale Habitualisierung“ erreicht? Forschungsfrage 4.1: Fällt die Zuwendung zu einer spezifischen Sendung oder die Zuwendung zum Fernsehen habitueller aus? Forschungsfrage 4.2: Unterscheidet sich das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu Sendungen zwischen Männern und Frauen, unterschiedlichen Altersgruppen und Personen mit verschiedener Bildung? Forschungsfrage 4.3: Hängt das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu einer Sendung mit dem vergangenen Nutzungszeitraum zusammen? Forschungsfrage 4.4: Ist die Nutzung von Sendungen, die stets zur gleichen Zeit starten, habitueller als die von Sendungen, die zu unregelmäßigen Zeiten starten? Forschungsfrage 4.5: Unterscheidet sich das Ausmaß der Habitualisierung bei der Nutzung verschiedener Fernsehgattungen?
5.1.5 Forschungsfragen V: Habituelle Nutzung der Medien Forschungsleitende Frage 5: Wie habitualisiert ist die Nutzung von Fernsehen, Internet, Radio und Zeitung? Die Aussage, dass die Fernseh-, ja die gesamte Mediennutzung hoch habitualisiert sei, findet man in zahlreichen Aufsätzen und Lehrbüchern (Meyen, 2004, S. 19; Scherer, 2006, S. 179; Schramm & Hasebrink, 2004, S. 475). Obwohl die
5.2 Methodisches Vorgehen
155
Vermutung aus verschiedenen Gründen naheliegt, unterließ man es bislang, sie empirisch zu belegen: Bei der Zuwendung zu welchen Medien spielen Gewohnheiten eine besonders wichtige Rolle? Die vorliegende Studie nimmt daher das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu Fernsehen, Internet, Radio und Zeitung vergleichend in Augenschein. Dabei interessiert vor allem, ob bestimmte Rezipientengruppen die jeweiligen Medien besonders habituell nutzen. In diesem Zusammenhang wird zuletzt die Frage einer transmedialen Habitualisierung aufgeworfen: Tritt die Tendenz zur habituellen Nutzung medienübergreifend auf? Neigt ein gewohnheitsmäßiger Fernsehnutzer auch zu einer habituelleren Nutzung von Radio, Zeitung und Internet? Diese Forschungsfrage lehnt sich an die Studie zum transmedialen Nutzungsstil von Schweiger (2005) an, der hinterfragt, ob Menschen über Muster oder Strategien verfügen, die sie unabhängig vom Medium einsetzen. Haben Individuen also einen bestimmten Mediennutzungsstil, das heißt allgemeine, situationsübergreifende Vorgehensweisen, die sie „bei der Nutzung einer Mediengattung bevorzugt an den Tag legen“ (Schweiger, 2005, S. 175, Hervorhebung im Original)? Klickt sich ein „typischer“ Zapper, der schnell zwischen verschiedenen Sendern wechselt, auch schneller durch Websites, und bevorzugt er bei Printmedien kurze Grafiken und Infoboxen? Der Autor identifiziert diverse Anhaltspunkte dafür, dass es individuelle Mediennutzungsstile gibt, die man medienübergreifend beobachten kann. Und auch andere Analysen zeigen, dass Rezipienten mit verschiedenen Medien häufig ähnlich umgehen: Wer zum Beispiel beim Fernsehen oft die Kanäle wechselt, neigt dazu, dies auch bei der Radionutzung zu tun (Heeter & Cohen, 1988). Die vorliegende Analyse greift diese Idee eines transmedialen Nutzungsstils auf und erforscht, ob Personen dazu tendieren, Medien generell vermehrt aus Gewohnheit zu nutzen. Forschungsfrage 5.1: Wie unterscheidet sich das Ausmaß der Habitualisierung bei der Nutzung des Fernsehens, Internets, Radios und der Zeitung? Forschungsfrage 5.2: Gibt es eine transmediale Habitualisierung?
5.2 Methodisches Vorgehen Dieses Kapitel schildert die verschiedenen methodischen Schritte, um die skizzierten Forschungsfragen adäquat zu beantworten. Zunächst begründet es die Wahl einer schriftlichen, quantitativen Befragung und schildert den Ablauf der
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5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Untersuchung (Kapitel 5.2.1). Die Konstruktion des Fragebogens steht im Fokus von Kapitel 5.2.2, das ausführlich die Entwicklung der einzelnen Skalen beschreibt. Die adäquate Beantwortung der Forschungsfragen verlangt eine genügend große und zweckmäßig zusammengesetzte Stichprobe; warum die Wahl auf eine quotierte Stichprobe fällt und nach welchen Kriterien die Quotenvorgaben erstellt werden, skizziert Kapitel 5.2.3; zudem kennzeichnet es die Zusammensetzung der Stichprobe. Zuletzt stehen die Reliabilität der Skalen sowie einzelne methodische Überlegungen im Zentrum von Kapitel 5.2.4. 5.2.1 Methodenwahl und Ablauf der Untersuchung Die methodische Vielfalt, mit der man das Ausmaß von Gewohnheiten erfassen kann, stellte bereits Kapitel 3.3.1 vor; es diskutierte auch die Brauchbarkeit der jeweiligen Methoden. Die große Auswahl kaschiert, dass nicht jede der skizzierten Herangehensweisen gleichermaßen zur Messung von Mediennutzungshabits geeignet ist – insbesondere nicht, wenn eine größere Anzahl von Personen befragt werden soll. Da zur Beantwortung der vorliegenden Forschungsfragen eine möglichst große Stichprobe notwendig ist, kristallisiert sich die quantitative Befragung als geeignete Methode heraus. Eine solche kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Bei einer telefonischen Befragung kann man deutlich leichter und kostengünstiger eine repräsentative Zufallsstichprobe ziehen, doch sind viele der Fragen für telefonische Interviews nur bedingt geeignet, weil sie zum Beispiel die Zustimmung auf siebenstufigen Skalen abfragen. Bei der schriftlichen Befragung verbleiben vor allem die Optionen einer Online-Befragung und eines klassischen Paper-and-Pencil-Verfahrens. Eine Online-Befragung bietet zahlreiche Vorteile gegenüber dem „Klassiker“ in Papierform, wie Kosten- und Zeitersparnis, geringeren personellen Aufwand, multimediale Präsentationsmöglichkeiten, optimale Filterführung, schnellerer Rücklauf, automatische Dateneingabe etc.. Gerade der geringere personelle Aufwand sowie die Kosten- und Zeitersparnis sind verlockende Vorzüge einer Erhebung via Internet. Doch trotz ihrer Überlegenheit in den genannten Punkten, sprechen gewichtige Gründe für eine schriftliche Erhebung in Papierform. Zunächst einmal sind viele der genannten Vorteile von Online-Befragungen für die vorliegende Studie irrelevant: Die Beantwortung der Forschungsfragen benötigt weder multimediale Präsentationen noch eine kniffelige Filterführung; auch besteht keine Notwendigkeit für einen besonders schnellen Datenrücklauf. Hingegen fällt ein Nachteil von Online-Fragebögen besonders ins Gewicht: Man kann nur bestimmte Teilgruppen repräsentativ befragen (Baur & Florian, 2009; Maurer & Jandura, 2009). Ein solches Vorgehen hätte es unmöglich gemacht,
5.2 Methodisches Vorgehen
157
die Zusammensetzung der Stichprobe an die der angestrebten Grundgesamtheit (vgl. Kapitel 5.2.3) anzunähern. Alle bisherigen Versuche, systematische Verzerrungen auszugleichen, indem man Online-Stichproben entsprechend gewichtet, können nicht zufriedenstellen. Daher überprüft eine standardisierte Paper-and-Pencil-Befragung die oben skizzierten Forschungsfragen. Hilfskräfte verteilen die Bögen an Personen, die den in Kapitel 5.2.3 angeführten Quotenvorgaben entsprechen. Weil die Fragebögen ein selbsterklärendes Anschreiben enthalten, müssen die Interviewer keine weiteren Anweisungen erteilen. Beim Ausfüllen der Bögen sind die Interviewer nicht zugegen, um möglichen Verzerrungen durch deren Anwesenheit (z.B. Effekte der sozialen Erwünschtheit) vorzubeugen. 5.2.2 Entwicklung und Aufbau des Fragebogens Dem Fragebogen steht ein kurzes Anschreiben voran, das um Mitarbeit bei der Studie bittet, aber nicht über deren genuines Ziel informiert; es teilt den Befragten lediglich mit, dass es sich um eine Untersuchung der Mediennutzung handelt. Zudem sichert es den Teilnehmern absolute Anonymität zu. Der nachfolgende Fragenkatalog besteht aus fünf Themenblöcken. Der erste Block nimmt verschiedene Facetten der Fernsehnutzung in Augenschein: Neben der Messung der Habitstärke beinhaltet er Fragen zum Nutzungsumfang, zu den bevorzugten Inhalten, zum angebotsspezifischen Beginn der Nutzung sowie zur Intention und ihren in der „Theory of Planned Behavior“ spezifizierten Prädiktoren (Einstellung, wahrgenommene Verhaltenskontrolle, subjektive Norm). Daran schließen sich Fragen zur Nutzung einer spezifischen Sendung an. Der zweite Themenblock wendet sich der Internetnutzung zu, erfragt das Ausmaß der habituellen Zuwendung sowie den Nutzungsumfang. Im dritten und vierten Fragenkomplex folgen die Messung der Habitstärke bei der Zuwendung zu Radio und Zeitung sowie die Ermittlung des Nutzungsumfangs beider Medien. Jedem dieser vier Themenblöcke geht jeweils eine Filteranweisung voraus, so dass Nichtnutzer des jeweiligen Mediums die entsprechenden Fragen auslassen können. Der letzte Teil des Instrumentes wendet sich dem Alltag der Befragten sowie soziodemographischen Variablen zu. Ein vorausgehender Pretest mit 74 Teilnehmern überprüft die Brauchbarkeit des Fragebogens. Er soll mögliche Schwächen aufdecken, insbesondere unklare Formulierungen identifizieren und die Vollständigkeit der Antwortoptionen überprüfen. Alle in diesem Kapitel vorgestellten Items entstammen der – nach Durchführung des Pretests – überarbeiteten Version des Fragebogens.
158
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Messung der Habitstärke „The measurement of habit is difficult“ (Verplanken et al., 1994, S. 289); daher verwundert es nicht, dass bislang kein Messstandard existiert. Mittlerweile setzen viele Untersuchungen auf quantitative Befragungen zur Messung der Habitstärke, wobei sich das Vorgehen durchaus bewährt hat (vgl. Kapitel 3.3.1). Es liegt nahe, bereits etablierte Instrumente zu prüfen und zu nutzen, wenn sie geeignet sind. Kapitel 3.3.2 stellte den von Verplanken und Orbell (2003) entwickelten Self-Report-Habit-Index (SRHI) vor und diskutierte dessen Brauchbarkeit und spezifischen Probleme. Ein zentraler Kritikpunkt an dem Instrument ist die Einbeziehung von Items, die nach der Identifikation des Ausführenden mit dem jeweiligen Verhalten fragen, da eine habituelle Tätigkeit nicht zwangsläufig zur Identifizierung mit ihr führen muss. Daher werden diese Items für die vorliegende Studie entfernt. Als zweiten Kritikpunkt diskutierte das Kapitel die mangelnde Transparenz bei der Zuordnung der Items zu den „core elements“: Es scheint, dass die Autoren manche davon über ein, andere über zwei oder drei Items abfragen. Auch dieser Kritik wird Rechnung getragen und die Items transparent zugeordnet. Wie beim SRHI soll der Index Items zur regelmäßigen Wiederholung in der Vergangenheit beinhalten und die automatisierte Auslösung des Verhaltens abfragen. Von den vier Komponenten, in die Bargh (1994) die Automatisierung gliedert, erfüllen Gewohnheiten meist drei: Die Aktivierung geschieht (1.) unbewusst, das jeweilige Verhalten ist (2.) schwer zu kontrollieren und (3.) mental leistungseffizient (Verplanken, 2006, S. 640; Verplanken & Orbell, 2003). Je zwei Items fragen jede dieser drei Komponenten ab; zudem wenden sich zwei Items der regelmäßigen Wiederholung der Medienrezeption zu. Diese Items werden jeweils für die Nutzung des Fernsehens, einer spezifischen Sendung (s. u.), des Radios, der Zeitung und des Internets abgefragt. Verplanken und Orbell (2003) setzen sowohl sieben- als auch elfstufige LikertSkalen als Antwortvorgaben ein. Die vorliegende Studie bedient sich der siebenstufigen Variante. Die Teilnehmer können den Grad der Zustimmung oder Ablehnung zu den Aussagen also in abgestufter Form angeben, wobei das Spektrum von „Stimme voll und ganz zu“, „Stimme teils/ teils zu“ bis zu „Stimme überhaupt nicht zu“ reicht. Die vier „core elements“ mit den dazugehörigen Items sind nachfolgend exemplarisch für die Fernsehnutzung angeführt; die übrigen Formulierungen können im Anhang eingesehen werden. 1. Regelmäßige Wiederholung in der Vergangenheit Ich sehe regelmäßig fern. Fernsehen ist Teil meiner täglichen bzw. wöchentlichen Routine.
5.2 Methodisches Vorgehen
159
2. Unbewusstes Einschalten Oft schalte ich das Fernsehgerät ganz unbewusst ein. Manchmal schalte ich den Fernseher ein, ohne es überhaupt zu realisieren. 3. Schwere Kontrollierbarkeit Es würde mir schwer fallen, einen Monat lang nicht fernzusehen. Es würde mir schwer fallen, meine Fernsehnutzung einzuschränken. 4. Mentale Leistungseffizienz Ich denke kaum darüber nach, wenn ich den Fernseher einschalte. Während ich den Fernseher einschalte, denke ich oft an ganz andere Dinge. Nutzung bestimmter Sendungen Um das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu bestimmten Sendungen zu erfassen, sollen die Teilnehmer eine Sendung in den Fragebogen eintragen, die sie sehr häufig verfolgen. Zur Beantwortung der Forschungsfragen ist es nicht notwendig, dass dies bei jedem Befragten genau die Sendung ist, deren Nutzung am stärksten von Gewohnheiten beeinflusst wird. Es ist aber wahrscheinlich, dass die Befragten vor allem solche Sendungen nennen, deren Rezeption regelmäßig stattfindet und fest in den Alltag integriert ist. Gerade dabei sollten Gewohnheiten eine entsprechend wichtige Rolle spielen. Zunächst wird die Habitstärke für die Nutzung dieser Sendung mit den oben skizzierten Items abgefragt (die genauen Formulierungen finden sich im Anhang). Der Index misst nicht den habituell-angebotsspezifischen Beginn der Fernsehnutzung, sondern das Ausmaß der Habitstärke bei der Zuwendung zu einer bestimmten Sendung; dies kann, muss aber nicht mit dem Beginn der TV-Rezeption zusammenfallen. Genauso wäre denkbar, dass sich die Nutzung dieser Sendung stets an die Rezeption einer anderen Sendung anschließt. Weiterhin geben die Teilnehmer Auskunft über den Ausstrahlungsrhythmus der Sendung und wie regelmäßig sie diese anschauen. Zuletzt interessiert, seit wie vielen Monten bzw. Jahren die Befragten die jeweilige Sendung verfolgen. Umfang der Mediennutzung Den Umfang ihrer täglichen Fernseh-, Internet-, Radio- und Zeitungsnutzung beurteilen die Befragten jeweils auf siebenstufigen Skalen. Es ist hinlänglich bekannt, dass solche Selbsteinschätzungen der Nutzungsdauer bestimmten Verzerrungen unterliegen: Zum Beispiel berichtet Schweiger (2005, S. 187) über die gravierenden Unterschiede, die bei der Messung der Fernsehnutzungsdauer auftreten, wenn man Selbstauskünfte mit den Werten einer unbemerkten Beobachtung vergleicht. In der von Schweiger beschriebenen Befragung geben die Teil-
160
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
nehmer an, täglich 121 Minuten fernzusehen, während die Beobachtung einen Umfang von 319 Minuten ermittelt – einen beinahe dreimal so hohen Wert. Die Mediaanalyse versucht dieser Verzerrung beizukommen, indem sie den jeweiligen Vortag jedes Teilnehmers in Zeitabschnitte von 15 Minuten einteilt; dann gehen Interviewer und Befragter alle dieser Viertelstunden des Vortages durch und protokollieren zum Beispiel die Radionutzung (und ggf. andere Tätigkeiten) für jedes Intervall. Eine derart aufwändige Prozedur setzt allerdings enorme zeitliche und finanzielle Ressourcen voraus. Eine kostengünstige Alternative, die recht präzise Daten liefert, sind Tagebücher, weshalb sie bei der Messung von Verhaltensauftretenshäufigkeit oft eingesetzt werden. Indes müsste jeder der Befragten der vorliegenden Studie zumindest über den Zeitraum von einer oder zwei Wochen Tagebuch führen – eine solche Verpflichtung reduziert Stichproben in erheblichem Umfang. Daher greifen Untersuchungen, welche die Auftretenshäufigkeit mittels Tagebüchern erfassen, häufig auf leicht verfügbare Stichproben zurück, zum Beispiel die Studenten einer bestimmten Vorlesung. Für die vorliegende Studie würde der Einsatz von Tagebüchern entweder bedeuten, dass man eine recht kleine Stichprobe ziehen müsste, oder dass man auf eine „pragmatische Auswahl“ von Befragten (z.B. nur Studenten) setzen müsste – beide Optionen sind unbefriedigend. Die oben skizzierten Forschungsfragen verlangen ohnehin keine minutengenaue Messung; es reicht ohne weiteres eine grobe Schätzung der Nutzungszeiten. Dass die Befragten dabei eine etwas geringere als die tatsächliche Nutzungsdauer angeben, spielt bei dem vorliegenden Erkenntnisinteresse überhaupt keine Rolle. So ermittelt die Untersuchung die Nutzungsdauer von Internet, Radio und Zeitung durch die Frage „Wie lange hören Sie im Durchschnitt täglich Radio?“ bzw. „Wie lange nutzen Sie im Durchschnitt täglich das Internet?“ und „Wie lange lesen Sie im Durchschnitt täglich Zeitung?“. Bei der Fernsehnutzung erfolgt die Messung des Nutzungsumfanges zunächst über ein ähnliches Item („Wie lange sehen Sie im Durchschnitt täglich fern?“), jedoch begleitet von weiteren Messungen. Die Teilnehmer geben zusätzlich an, an wie vielen Tagen pro Woche sie den Fernseher einschalten, und wie lange sie jeweils am Vortag und zwei Tage vor der Befragung ferngesehen haben. Messung der Intention und der TOPB-Variablen Die Messung der Intention und ihrer, gemäß der TOPB konzipierten, drei Prädiktoren erfolgt über je zwei Items. Die Messung der Absicht, in naher Zukunft fernzusehen, wird zum einen durch die Zustimmung zu der Aussage „Ich habe fest vor, in den nächsten zwei Tagen fernzusehen“ auf einer siebenstufigen Skala ermittelt; zum anderen sollen die Teilnehmer das Statement „Meine Absicht, in den nächsten zwei Tagen fernzusehen ist klein bzw. groß“ ebenfalls auf einer
5.2 Methodisches Vorgehen
161
siebenstufigen Skala beurteilen. Die Festlegung auf den Zeitraum der nächsten beiden Tage erfolgt, weil man annehmen kann, dass ausreichend viele Befragte in den zwei folgenden Tagen fernsehen werden. Ließe man den Zeitraum offen und würde das Statement zum Beispiel in „demnächst“ oder „in den nächsten Tagen“ umformulieren, wäre unklar, was die Teilnehmer unter diesen Begriffen verstehen: So könnte ein Befragter den Begriff „demnächst“ nur auf den aktuellen Tag beziehen, ein anderer könnte darunter einen Zeitraum von zehn Tagen verstehen; die Intention soll aber für ein spezifisches Zeitintervall gemessen werden. Weil der Fragebogen ohnehin das Item enthält, an wie vielen Tagen ein Teilnehmer den Fernseher einschaltet, kann man in manchen Analysen solche Befragten ausschließen, die seltener als sechs Mal pro Woche fernsehen und damit nur Personen in die Berechnung einbeziehen, die mit großer Wahrscheinlichkeit in den nächsten beiden Tagen fernsehen werden. Die Messung der subjektiven Norm erfolgt über zwei Items. Zunächst sollen die Befragten ihre Zustimmung bzw. Ablehnung auf einer siebenstufigen Skala zu dem Item „Die meisten Menschen, die mir wichtig sind, heißen es gut, wenn ich fernsehe“ angeben. Weiterhin sollen Sie das Item „Die meisten Menschen, die mir wichtig sind, befürworten meine Fernsehnutzung“ auf einer siebenstufigen Skala beurteilen. Als zweiter Prädiktor der Intention dient gemäß der TPB die wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Auch sie wird über zwei Items operationalisiert. Zunächst sollen die Befragten ihre Zustimmung bzw. Ablehnung zu der Aussage „In den nächsten beiden Tagen fernzusehen, wäre für mich unproblematisch“ auf einer siebenstufigen Skala angeben. Das zweite Item lässt die Aussage „In den nächsten beiden Tagen fernzusehen, ist für mich leicht möglich bzw. schwer möglich“ auf einer siebenstufigen Skala beurteilen. Subjektive Norm und wahrgenommene Verhaltenskontrolle sind nur ergänzend (für weiterführende Studien) im Fragebogen aufgenommen, spielen bei den vorliegenden Forschungsfragen jedoch keine Rolle. Die Einstellung gegenüber der Fernsehnutzung misst ein semantisches Differential. Hierfür kommt eine siebenstufige bipolare Skala zum Einsatz, bei der die Befragten angeben sollen, inwiefern sie Fernsehen als „positiv – negativ“, „gewinnbringend – nutzlos“, „förderlich – hinderlich“, „erfreulich – unerfreulich“ und „angenehm – unangenehm“ empfinden. Bevorzugte Gattungen Welche Fernsehgattungen die Teilnehmer vorwiegend rezipieren, erfasst die Frage: „Wie häufig sehen Sie die folgenden Formate40 im Fernsehen an?“. Die 40
Weil sich einige Teilnehmer des Pretests an dem Begriff „Gattung“ stören, ersetzt ihn sein umgangssprachliche Pendant „Format“. Der wissenschaftlich korrekte Terminus ist aber Gattung, wenn-
162
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Häufigkeit der Nutzung der jeweiligen Gattung beurteilen die Befragten auf einer siebenstufigen Skala mit den Endpunkten „nie“ und „sehr oft“. Zu insgesamt sechs Gattungen sollen die Teilnehmer Angaben machen: Daily Soaps & Telenovelas, Quiz- & Gameshows, Spielfilme, Dokumentationen & Reportagen, Nachrichten sowie Polittalk. Dies ist freilich keine erschöpfende Auflistung, und die Analyse verzichtet weitgehend auf eine Spezifizierung von Themen und Genres – andernfalls hätte eine Unmenge weiterer Items den Umfang des Fragebogens in die Länge gezogen (z.B. Daily Talk, Gerichtsshows, Late Night Talk, Sitcoms, Reality TV, etc.). Diese würden auch kaum dazu beitragen, das hinter den dazugehörigen Forschungsfragen steckende Erkenntnisinteresse besser zu befriedigen. Die Fokussierung auf nur sechs zentrale Gattungen gewährt zudem eine gewisse Trennschärfe, was wegen der immer häufiger anzutreffenden Hybridformate ohnehin diffizil ist. Die Zusammenstellung beinhaltet drei vorwiegend unterhaltende (Daily Soaps & Telenovelas, Quiz- & Gameshows, Spielfilme) und drei eher informierende Gattungen (Dokumentationen & Reportagen, Nachrichten sowie Polittalk). Allerdings lässt sich aus dem häufigen Sehen der ersten oder zweiten Kategorie nicht unbedingt eine Tendenz zu unterhaltenden oder informierenden Angeboten herauslesen. Zum einen beinhaltet jede der Gattungen sowohl informierende als auch unterhaltende Aspekte, zum anderen hängt es vom Standpunkt des jeweiligen Rezipienten ab, ob Inhalte informieren oder unterhalten (Vorderer, 2004). Die Rezeption von Dokumentationen oder Polittalk kann Zuschauer durchaus vorwiegend unterhalten, bei einer Quizshow könnte hingegen ein informatives Interesse im Vordergrund stehen. Die Interpretation der Ergebnisse wird diese Problematik entsprechend berücksichtigen. Sendungsspezifischer Beginn der Fernsehnutzung Zwei Items überprüfen, ob die Befragten den Fernseher vorwiegend sendungsspezifisch oder -unspezifisch einschalten: „Welche Sendung ich sehe, entscheide ich erst nach dem Einschalten des Fernsehers“ sowie „Meist schalte ich den Fernseher ein, um eine ganz bestimmte Sendung zu sehen“. Wiederum sollen die Teilnehmer ihre Zustimmung oder Ablehnung zu beiden Statements auf einer siebenstufigen Skala angeben. Soziodemographie und Alltag Es folgen zwei Fragen zum Tagesablauf bzw. Alltag der Befragten: Sie erheben die Zustimmung oder Ablehnung zu den Items „Ich habe einen anstrengenden Alltag“ sowie „Mein Tagesablauf ist strukturiert“ auf einer jeweils siebenstufigleich Polittalk und Quiz- & Gameshows schon als am Inhalt orientierte Untergruppen der Gattung „Talk“ bzw. „Show“ zu bezeichnen sind (Gehrau, 2001, S. 18; Mikos, 2008, S. 269).
5.2 Methodisches Vorgehen
163
gen Skala. Der Fragebogen endet mit soziodemographischen Angaben: Es wird nach Geschlecht, Alter sowie dem letzten formalen Bildungsabschluss gefragt. Von Interesse ist außerdem die derzeitige Wohnsituation (ob alleine, mit Partner, Kindern, Eltern oder Wohngemeinschaft). 5.2.3 Stichprobe Um ein möglichst repräsentatives Abbild der Bevölkerung zu bekommen und zugleich das Ziehen der Stichprobe im finanziell tragbaren Rahmen zu halten, erfolgt eine Quotenauswahl. Die Stichprobengröße wird auf 500 Personen festgelegt. Als Grundgesamtheit dient die bundesdeutsche Bevölkerung im Alter von 18-69 Jahren. Der Ausschluss von sehr jungen und sehr alten Personen erfolgt insbesondere aus pragmatischen Gründen, weil deren schlechtere Erreichbarkeit die Quotenauswahl zusätzlich erschwert hätte. Die Quotenauswahl setzt Vorwissen über die quotierten Merkmale in der Grundgesamtheit voraus, daher muss ein entsprechender Datensatz Auskunft über die Verteilung der relevanten Variablen geben. Dafür dient die „Typologie der Wünsche“ (TdW), die neben einer Reihe an soziodemographischen Merkmalen auch Einstellungen, Freizeitbeschäftigungen, Konsumverhalten oder Variablen zur Mediennutzung erhebt und repräsentativ für die in der BRD lebende deutsche Bevölkerung ab 14 Jahren ist. Die neusten Daten der TdW wurden in zwei Jahreswellen (vom 1.9.2007 bis 27.7.2008 und vom 5.3.2007 bis 29.7.2007) erhoben und in einer Datenbasis vereint (Typologie der Wünsche, 2009). Die Urheber stellen für Auswertungszwecke eine „Zählmaschine“ online zur Verfügung, mit deren Hilfe man die relative Häufigkeit verschiedener Merkmalskombination berechnen kann. Um die adäquate Verteilung von Geschlecht, Alter und Schulbildung sicherzustellen, kommen kombinierte Quoten zum Einsatz. Beim Alter wird zwischen Personen von 18-29, 30-49 sowie 50-69 Jahren differenziert; bei der Schulbildung werden Personen ohne Abschluss oder mit Hauptschulabschluss, mit mittlerer Reife (oder einem vergleichbaren Abschluss) und mit Hochschulreife (auch fachgebunden) unterschieden. Anhand der TdW-Daten erfolgt zunächst die prozentuale Berechnung, wie viele Personen zwischen 18 und 69 Jahren sich jeweils in den entsprechenden Altersklassen finden. Von diesen sind 19,77 Prozent zwischen 18 und 29 Jahren, 43,06 Prozent zwischen 30 und 49 Jahren und 37,17 Prozent zwischen 50 und 69 Jahren. Auf die angestrebte Stichprobengröße von n=500 gerechnet, bedeutet dies, dass in der Gruppe von 18-29 Jahren 98,85 Teilnehmer, in der zweiten Gruppe (30-49 Jahre) 215,3 und in der Gruppe der 50-69-Jährigen 185,85 Personen vertreten sein sollen. Im zweiten Schritt folgt die Berechnung der Geschlechterverteilung in den jeweiligen Grup-
164
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
pen; diese zeigt Tabelle 6. Zuletzt werden die Gruppen nach dem jeweils höchsten Schulabschluss differenziert (Tabelle 7). Tabelle 6: Angestrebte Verteilung für Alter & Geschlecht Alter
Total
% Männer
n Männer
% Frauen
n Frauen
18-29
98,85
50,90%
50,32
49,10%
48,54
30-49
215,3
50,40%
108,51
49,60%
106,79
50-69
185,85
48,60%
90,32
51,40%
95,53
Tabelle 6: Angestrebte Verteilung für Alter & Geschlecht Tabelle 7: Angestrebte Verteilung für Alter, Geschlecht & Bildung % (TdW)
Von 50,32
18-29 W
% (TdW)
Von 48,54
28,5%
14,34
Hauptschule / kein Abschluss
24,1%
11,70
Realschule
40,2%
20,23
Realschule
47,7%
23,15
Hochschulreife
31,3%
15,75
Hochschulreife
28,2%
13,69
30-49 M
% (TdW)
Von 108,51
30-49 W
% (TdW)
Von 106,79
31,4%
34,07
Hauptschule / kein Abschluss
30,0%
32,04
Realschule
42,5%
46,12
Realschule
49,8%
53,18
Hochschulreife
26,1%
28,32
Hochschulreife
20,2%
21,57
50-69 M
% (TdW)
Von 90,32
50-69 W
% (TdW)
Von 95,53
50,4%
45,53
Hauptschule / kein Abschluss
58,2%
55,60
Realschule
28,2%
25,47
Realschule
32,0%
30,57
Hochschulreife
21,3%
19,24
Hochschulreife
9,9%
9,46
18-29 M Hauptschule Abschluss
Hauptschule Abschluss
Hauptschule Abschluss
/
/
/
kein
kein
kein
5.2 Methodisches Vorgehen
165
Tabelle 7: Angestrebte Verteilung für Alter, Geschlecht & Bildung Tabelle 8: Quotenplan Merkmalskombination
Anzahl
18-29
männlich
Hauptschule / kein Abschluss
14
18-29
männlich
Realschule (oder gleichwertig)
20
18-29
männlich
Hochschulreife
16
18-29
weiblich
Hauptschule / kein Abschluss
12
18-29
weiblich
Realschule (oder gleichwertig)
23
18-29
weiblich
Hochschulreife
14
30-49
männlich
Hauptschule / kein Abschluss
34
30-49
männlich
Realschule (oder gleichwertig)
46
30-49
männlich
Hochschulreife
28
30-49
weiblich
Hauptschule / kein Abschluss
32
30-49
weiblich
Realschule (oder gleichwertig)
53
30-49
weiblich
Hochschulreife
22
50-69
männlich
Hauptschule / kein Abschluss
46
50-69
männlich
Realschule (oder gleichwertig)
25
50-69
männlich
Hochschulreife
19
50-69
weiblich
Hauptschule / kein Abschluss
56
50-69
weiblich
Realschule (oder gleichwertig)
31
50-69
weiblich
Hochschulreife
9
Tabelle 8: Quotenplan Wegen der präzisen Einhaltung der Quoten (vgl. Tabelle 8) ist die vorliegende Stichprobe hinsichtlich der Merkmale Alter, Geschlecht und Bildung repräsentativ für die oben skizzierte Grundgesamtheit. Von diesen Daten voreilig auf die „bundesdeutsche Bevölkerung“ zu generalisieren, wäre jedoch fahrlässig.41 Einige Gründe sprechen gegen eine solche Repräsentativität: Vor allem handelt es 41 Zumal es ohnehin strittig ist, ob ein statistisch gesicherter Schluss auf die Grundgesamtheit mit einer Quotenauswahl überhaupt möglich ist (Schumann, 2006, S. 98).
166
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
sich bei der Auswahl der Befragten durch die Interviewer nicht um eine echte Zufallsauswahl. Die Erfüllung der Quoten durch die Interviewer geschieht meist auf „die bequemste Art“ (Diekmann, 2004, S. 342), das heißt, dass sie ähnlich wie bei einer Schneeballstichprobe zunächst Freunde, Verwandte und Bekannte sowie Personen, die gut erreichbar sind, interviewen. Diesem Effekt kann man entgegenwirken, indem man bei der Auswahl der Interviewer auf eine heterogene Streuung verschiedener Soziodemographika sowie eine regional weit gestreute Auswahl achtet. Aus forschungspragmatischen Gründen war dies bei der vorliegenden Studie schwer möglich. Weil die Interviewer allesamt Studenten aus dem Großraum Erlangen-Nürnberg waren, ist die Stichprobe geographisch auf diesen Raum begrenzt, was weitere Verzerrungen impliziert. Eine Charakterisierung der Stichprobe nach soziodemographischen Gesichtspunkten bietet Tabelle 9. Tabelle 9: Soziodemographische Beschreibung der Stichprobe N
500 MW: 43,3 Jahre; Min: 18; Max: 69
Alter
18-29 Jahre: 19,8% 30-49 Jahre: 43,0% 50-69 Jahre: 37,2%
Geschlecht
Männlich: 49,6% Weiblich: 50,4% Kein Abschluss oder Hauptschule: 38.8%
Bildung
Realschule (oder gleichwertiger Abschluss): 39,6% Hochschulreife (allgemein oder fachgebunden): 21,6%
Tabelle 9: Soziodemographische Beschreibung der Stichprobe 5.2.4 Transformation der Fragebogendaten Reliabilität, Intervallskalenqualität und Normalverteilung der Habit-Daten Reliabilität, Validität und Homogenität des SRHI weisen Verplanken und Orbell (2003) nach; allerdings ist der hier benutzte Index nicht mit dem SRHI identisch: Einige Items werden entfernt und andere geändert. Daher sollen Reliabilität und Homogenität der Skala erneut überprüft werden. Für jede der Habit-Skalen wird
5.2 Methodisches Vorgehen
167
die interne Konsistenz mittels Cronbachs Alpha ermittelt. Tabelle 10 gibt eine Übersicht über die ermittelte Reliabilität der Skalen: Alle vier weisen zufrieden stellende Werte von über .80 auf (Schnell, Hill, & Esser, 2008, S. 153). Damit bestätigen sich die durchgehend guten Ergebnisse der Reliabilität, die bereits beim Testen des SRHI gefunden wurden. Auch die Faktorenanalyse rechtfertigt eine Mittelwertbildung der Items. Tabelle 10: Reliabilität der Habit-Skalen Skala
Cronbachs Alpha
Max. Alpha bei Löschung eines Items
Habituelle Fernsehnutzung
.84
.83
Habituelle Internetnutzung
.90
.89
Habituelle Radionutzung
.87
.85
Habituelle Zeitungsnutzung
.83
.82
Tabelle 10: Reliabilität der Habit-Skalen Zwei wichtige Voraussetzungen der im Folgenden genutzten Verfahren sollen bereits an dieser Stelle geklärt werden: die Intervallskalenqualität sowie die Normalverteilung der Habit-Variablen. Die Kontroverse um das Skalenniveau von Rating-Skalen hat eine lange Tradition; Bortz und Döring (2006, S. 181182) unterscheiden zwischen „Pragmatikern“ und „messtheoretischen ‚Puristen’“. Letztere behaupten, Rating-Skalen seien nicht intervallskaliert und verbieten deren Anwendung bei statistischen Analysen, die diese Datenqualität voraussetzen. Die Pragmatiker sehen diese Verletzung hingegen als nicht so gravierend an, dass man den Einsatz parametrischer Verfahren gänzlich untersagen müsste. Bortz und Döring mahnen zwar, die Hypothese der Intervallskalenqualität in jeder Untersuchungssituation neu zu begründen, sehen aber keine Veranlassung dazu, dies zu verwerfen, wenn die Forschung dabei zu inhaltlich sinnvollen Ergebnissen gelangt, welche sich in der Praxis bewähren. So kann auch bei der Messung der Habitualisierung mit dem hier entwickelten Index Intervallskalenqualität angenommen werden, zumal zahlreiche Untersuchungen die Gültigkeit dieser Annahme bei einem ähnlichen Index (SRHI) und der gleichen Skalierung der Antwortvorgaben bereits zeigen. Die zweite Voraussetzung einiger der nachfolgenden Verfahren ist eine annähernde Normalverteilung der zu untersuchenden Daten in der Grundgesamtheit. Diese Voraussetzung soll vorab für die Daten, die zur habituellen TV-,
168
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Internet-, Radio- und Zeitungsnutzung ermittelt wurden, geprüft werden42. Hierfür kann man auf Signifikanztests und auf grafische Verfahren zurückgreifen. Den Shapiro-Wilk-Test sollte man nur bei Stichprobengrößen unter 50 Personen einsetzen (Janssen & Laatz, 2007, S. 250), weshalb der Kolmogorov-SmirnovTest zum Einsatz kommt. Der Test ist bei Internet- und Radionutzungsgewohnheiten nicht signifikant (p=.088 bzw. p=.305), weshalb man bei diesen Variablen von einer Normalverteilung ausgehen kann; das Histogramm mit Normalverteilungskurve und das Q-Q-Diagramm bestätigen diese Ergebnisse erkennbar. Bei den Fernseh- und Zeitungsnutzungsgewohnheiten bringt der KolmogorovSmirnov-Test hingegen signifikante Ergebnisse (p=.007 bzw. p.000), weshalb man die Annahme der Normalverteilung zunächst zurückweisen muss. Paradoxerweise wird bei diesem Test die zu überprüfende Hypothese umso eher bestätigt, je kleiner die Stichprobe ist (Janssen & Laatz, 2007, S. 251). Daher ist es bei der vorliegenden Stichprobe trotz der geringen Irrtumswahrscheinlichkeit durchaus möglich, dass eine approximative Normalverteilung vorliegt (F. Brosius, 2002, S. 815). Zur Überprüfung erfolgt ein Vergleich der vorliegenden Daten mit einem entsprechenden Normalverteilungsdiagramm, um Abweichungen sichtbar zu machen. Das Histogramm mit Normalverteilungskurve zeigt, dass die Werte beider Skalen nahe an eine Normalverteilung heranreichen. Auch das Q-QDiagramm sowie das trendbereinigte Q-Q-Diagramm zeigen eine enge und wenig systematische Streuung der Werte um die Gerade, was auf annähernd normalverteilte Werte schließen lässt. Bei vorliegender Varianzhomogenität und hinreichend großen Stichproben kann man (bei den meisten Testverfahren) Verletzungen dieser Voraussetzung ohnehin in Kauf nehmen. Reliabilität der übrigen Indices Auch die Messung der Intention und ihrer jeweiligen Prädiktoren erreichen gute und zufrieden stellende Werte: Die beiden Items zur Messung der Fernsehnutzungsintention korrelieren mit .90 miteinander. Die Reliabilität der zwei Variablen zur Messung der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle liegt bei einem Cronbachs Alpha von .81, die Variablen zur Messung der subjektiven Norm bei .71. Auch die zwei Items zur Messung des sendungsspezifischen Beginns der Fernsehnutzung korrelieren zu .71 miteinander. Es ist umstritten, ab welchem Cronbachs Alpha-Wert die Reliabilität einer Skala als akzeptabel gilt; verschiedene Grenzen von .50 bis .80 finden sich in der Literatur. Weil der Koeffizient eine Funktion der Anzahl an Items und deren Interkorrelation ist, steigt die Reliabilität im allgemeinen mit der Menge der Items; so kann sich auch bei niedriger 42 Obwohl diese Voraussetzung die Population und nicht die verwendete Stichprobe betrifft, kann man sie hier nur anhand letzterer überprüfen.
5.3 Ergebnisse
169
Interkorrelation ein hoher Alpha-Wert ergeben, wenn eine große Anzahl an Items benutzt wird (Schnell, Hill, & Esser, 2008, S. 153). Dass Werte ab .80 mindestens akzeptabel sind, ist relativ unstrittig; da sich der Koeffizient bei der subjektiven Norm nur aus zwei Items berechnet, ist der Wert von .71 ebenso akzeptabel (Nunnally, 1978, S. 245). Für die fünf Items, welche die Einstellung gegenüber dem Fernsehen messen, ermittelt das Verfahren einen AlphaKoeffizienten von .85 (maximales Alpha bei Löschung eines der Items: .83). Damit ist auch die Reliabilität dieser Skala zufrieden stellend. 5.3 Ergebnisse „Jede Studie lässt Lücken der Interpretation, jede Studie führt zu neuen Problemen“ (Friedrich, 1990, S. 393). Im Bewusstsein, auch mit dieser Untersuchung neue Probleme zu schaffen und Lücken zu hinterlassen, präsentiert das vorliegende Kapitel die Ergebnisse, wobei es sich in der Systematik an den oben skizzierten forschungsleitenden Fragen orientiert. Zunächst widmet sich Kapitel 5.3.1 dem Zusammenhang von Nutzungsumfang und Habitualisierung bei der Zuwendung zu den untersuchten Medien sowie bei der Nutzung spezifischer Sendungen. Daraufhin stellt Kapitel 5.3.2 vor, wie sich das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu den Medien zwischen Männern und Frauen, Personen verschiedenen Alters und unterschiedlicher formaler Bildung unterscheidet; weiterhin wird aufgezeigt, inwiefern ein strukturierter Alltag und die Alltagsbelastung mit der Stärke der gewohnheitsmäßigen Auswahl zusammenhängen. Es folgt die Betrachtung verschiedener Aspekte der Fernsehnutzung von Personen, die stärker ausgeprägte Nutzungsgewohnheiten haben gegenüber Rezipienten mit einer weniger ausgeprägten habituellen Nutzung; dabei geht es um die bevorzugten Inhalte, um den sendungsspezifischen Beginn der Rezeption sowie die Einstellung gegenüber dem Fernsehen (Kapitel 5.3.3). Kapitel 5.3.4 wendet sich schließlich der habituellen Nutzung von Sendungen zu und überprüft unter anderem, ob unregelmäßige Startzeiten die Habitstärke beeinträchtigen, ob Nutzungsgewohnheiten über viele Jahre hinweg stärker werden, und ob sich das Ausmaß der Habitualisierung zwischen verschiedenen Gattungen unterscheidet. Zuletzt betrachtet Kapitel 5.3.5, inwiefern die habituelle Zuwendung zu verschiedenen Medien variiert, und ob es eine transmediale Habitualisierung gibt.
170
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
5.3.1 Habitualisierung und Nutzungsumfang Das Kapitel nimmt den Zusammenhang von Nutzungsumfang und Habitualisierung in Augenschein und geht der Frage nach, ob eine habituelle Zuwendung zum Fernsehen bzw. zu bestimmten Sendungen mit einem erhöhten Nutzungsumfang einhergeht. Forschungsfrage 1.1: Wie hängt das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu einem Medium mit dessen Nutzungsumfang zusammen? Um Korrelationen zwischen den jeweiligen Variablen berechnen zu können, muss man die angegebenen Zeitspannen der durchschnittlichen täglichen Nutzungsdauer in ein Minutenmaß umrechnen. So wird etwa die Angabe, zwischen ein und zwei Stunden täglich fernzusehen, als durchschnittlicher Nutzungsumfang von 90 Minuten klassifiziert. Die notwendigen Voraussetzungen für die Berechnung des Pearsonschen Korrelationskoeffizienten sind gegeben, allerdings setzt dessen inferenzstatistische Absicherung zusätzlich eine bivariate Normalverteilung der beiden Merkmale voraus (z.B. Bortz & Döring, 2006, S. 213; Nachtigall & Wirtz, 2009, S. 150). Die Überprüfung dieser Voraussetzung stößt in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten, weshalb man sich gewöhnlich darauf beschränkt, „die Normalität der beiden einzelnen Merkmale nachzuweisen“ (Bortz & Döring, 2006, S. 213). Beim Nutzungsumfang mancher Medien weist der Kolmogorov-Smirnov-Test darauf hin, dass die Werte von einer Normalverteilung abweichen. Bei sehr deutlichen Abweichungen und kleinen Stichproben empfiehlt es sich, auf Rangkorrelationen zurückzugreifen und beispielsweise Spearmans Rho zu berechnen (Bühl, 2008, S. 348; Raithel, 2008, S. 153). Das erübrigt sich bei den vorliegenden Daten: Die graphische Verteilung der Ausprägungen demonstriert, dass die Abweichungen von einer Normalverteilung nicht massiv sind; zudem handelt es sich um hinreichend große Stichproben, und das Verfahren reagiert bei Verletzung der Annahme der Normalverteilung relativ robust (Havlicek & Peterson, 1977). Die Normalverteilung der Daten, die das Ausmaß der Habitualisierung wiedergeben, diskutierte bereits Kapitel 5.2.4. Um sicher zu gehen, dass nicht Alter, Geschlecht oder Bildung mögliche Zusammenhänge verantworten, erfolgt die Berechnung partieller Korrelationen, die den Einfluss dieser soziodemographischen Variablen herauspartialisieren. Bei jedem Medium korrelieren Ausmaß der Habitualisierung und Nutzungsumfang höchst signifikant miteinander (vgl. Tabelle 11). Dabei zeigen sich leichte Unterschiede in der Stärke des Zusammenhangs: Bei Internet- (r=.483) und Radio- (r=.502) finden sich deutlichere Korrelationen als bei Fernseh- (r=.409) und Zeitungsnutzung (r=.393). Die Koeffizienten bestätigen, dass Nutzungsumfang und Ausmaß der Habitualisierung zusammenhängen, können aber keine Aus-
5.3 Ergebnisse
171
kunft über die Richtung des Effektes geben: Zieht eine umfangreiche Nutzung eine zunehmende Habitualisierung nach sich, oder bewirkt die habituelle Zuwendung einen vermehrten Nutzungsumfang? Die Überlegungen in Kapitel 4.3.4 verdeutlichen, dass beide Effektrichtungen denkbar sind: Die unbewusste, schwer zu kontrollierende Aktivierung führt einerseits zu einer umfassenderen Nutzung; andererseits ist die regelmäßig wiederholte Ausführung Bedingung für die Entstehung von Gewohnheiten, weshalb eine häufige Nutzung auch eine zunehmende Habitualisierung bewirken kann. Tabelle 11: Partialkorrelationen zwischen Nutzungsumfang und Habitualisierung Medium
r
p
n
Fernsehen
.409
.001
491
Internet
.483
.001
417
Radio
.502
.001
480
Zeitung
.393
.001
445
Geschlecht, Alter und Bildung sind herauspartialisiert.
Tabelle 11: Partialkorrelationen zwischen Nutzungsumfang und Habitualisierung Um den Zusammenhang von Nutzungsumfang und Habitualisierung aus einem weiteren Winkel zu beleuchten, folgen Vergleiche der Habitstärke der jeweiligen Viel- und Wenignutzer der untersuchten Medien. Für die Operationalisierung von Viel- und Wenignutzern gibt es keine allgemeingültige Kennzahl, kein absolutes Minutenmaß – ein solches ist immer temporär43, kulturell44 und von der interessierenden Grundgesamtheit45 abhängig. Entsprechend „naiv“ (Schulz, 1997, S. 92) wäre es, einen solch generellen Grenzwert festzulegen. Allerdings offenbart die Forschung zu Viel- und Wenigsehern ein heilloses Durcheinander, wie man diese Grenzen ziehen kann; das erschwert die Vergleichbarkeit der Befunde ungemein. Ein oft kritisiertes Beispiel, wie man die Differenzierung 43 Die Problematik der temporären Abhängigkeit der Daten erkennt man exemplarisch bei einem Vergleich der Fernsehnutzung in Deutschland von 1985 und 2005: Lag der durchschnittliche TVKonsum 1985 noch bei 121 Minuten, sprang er binnen 20 Jahre auf 220 Minuten (Schweiger, 2007, S. 43). Entsprechend definiert Buß (1985b, S. 379) den Vielseher im Jahr 1985 als eine Person, die über drei Stunden fernsieht – ein Wert, der heutzutage bereits unterdurchschnittlich wäre. 44 Die kulturelle Abhängigkeit tritt exemplarisch zu Tage, wenn man die tägliche Fernsehnutzung in Deutschland mit der in den USA vergleicht: Ein für den US-Bürger durchschnittlicher Konsum wäre (bei entsprechender Operationalisierung) nach „deutschen Maßstäben“ bereits ein Vielseher. 45 Bei einer Analyse von vielsehende Kindern dürfte man zum Beispiel als Bezugsgruppe nicht alle Fernsehzuschauer wählen, weil Kinder durchschnittlich weitaus weniger fernsehen als Erwachsene (Vollbrecht, 2001, S. 185).
172
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
nicht vornehmen sollte, entstammt der Vielseherforschung um Gerbner (Gerbner & Gross, 1976; Gerbner et al., 1980), bei der die Autoren „ganz willkürlich, also ohne sachlich begründete Kriterien“ Grenzen ziehen und festlegen, dass ein Vielseher mehr als vier Stunden fernsehen müsse (Buß, 1985b, S. 378). Die Großzahl der Studien geht nicht derart willkürlich vor, sondern bestimmt prozentuale Grenzen. Allerdings variieren auch diese in verschiedenen Studien beträchtlich: Manche Analyse halbiert die Verteilung des Nutzungsumfangs schlicht entlang des Medians (z.B. Mohiyeddini & Bauer, 2004), andere dritteln die Verteilung und bestimmen die unteren zwei Drittel als Wenig-, das obere Drittel als Vielseher (z.B. Gleich, 1997, S. 160-161). Doch auch eine Aufteilung in drei Drittel (nach Viel-, Durchschnitts- und Wenigsehern) ist denkbar oder eine Operationalisierung von Vielsehern als „die obersten bzw. die untersten zehn Prozent“ (Beisch & Engel, 2006, S. 376). Letztere Alternative ist wegen der zu groben Abstufungen der Antwortvorgaben (halbstündlich bzw. stündlich abgestuft) unbrauchbar. Die Einteilung über den Median oder eine Drittelung der Stichprobe steht dem Faktum, dass es sich bei der Bezeichnung des Umfanges als viel „um ein deutliches Mehr handeln“ muss, entgegen (Buß & Erk, 1998, S. 125). Als sinnvolle Alternative verbleibt die Bestimmung von Viel- oder Wenignutzern entlang der Quartile, wie es zum Beispiel Buß (1985a) handhabt. Diese Einteilung nimmt die vorliegende Analyse bei allen vier Medien vor, wenngleich wegen der stündlich bzw. halbstündlich abgestuften Antwortvorgaben nicht immer genau 25 Prozent der Befragten den Gruppen zugewiesen werden, sondern der Bereich – je nach Medium – um einige Prozent variiert. Eine Varianzanalyse prüft die Unterschiede im Ausmaß der Habitualisierung; sie nimmt Geschlecht, Alter und Bildung als zusätzliche Faktoren in das Modell auf und kontrolliert deren Einfluss. Die Mittelwerte zwischen Viel- und Wenignutzern der vier untersuchten Medien unterscheiden sich alle höchst signifikant; die mittleren Differenzen zwischen den Medien variieren deutlich (vgl. Tabelle 12). Besonders klare Unterschiede gibt es beim habituellen Umgang mit dem Internet und dem Radio. Geringer fallen hingegen die Differenzen bei Fernseh- und Zeitungsnutzern aus. Eine mögliche Interpretation für diese Abweichungen der mittleren Differenzen zwischen Internet und Radio einerseits sowie Fernsehen und Zeitung andererseits, diskutiert Kapitel 5.3.5. Varianzanalyse und Partialkorrelationen zeigen, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen Nutzungsumfang und Habitstärke besteht, verdeutlichen aber auch, dass es verfehlt wäre, habituelle Nutzer mit Vielnutzern gleichzusetzen.
5.3 Ergebnisse
173
Tabelle 12: Varianzanalyse Habitualisierung bei Viel- und Wenignutzern Medium
Fernsehen
Internet
Radio
Zeitung
Umfang
MW
Wenignutzer Durchschnittsnutzer Vielnutzer Wenignutzer Durchschnittsnutzer Vielnutzer Wenignutzer Durchschnittsnutzer Vielnutzer Wenignutzer Durchschnittsnutzer Vielnutzer
2,70a 3,60b 4,26c 2,81a 4,04b 4,85c 2,49a 4,15b 4,84c 2,81a 3,96b 4,04b
F
p
MD Q4-Q1
36,09
.001
1,56
37,62
.001
2,04
69,65
.001
2,35
42,57
.001
1,23
Mittelwerte mit unterschiedlichen Kennbuchstaben unterscheiden sich beim jeweiligen Medium signifikant nach dem Post-Hoc-Test (Bonferroni; p.05). Geschlecht, Alter und Bildung sind als zusätzliche Faktoren in das Modell aufgenommen. Vielnutzer = Quartil mit den ca. 25 Prozent der Teilnehmer mit dem geringsten Nutzungsumfang des Mediums; Wenignutzer = Quartil mit den ca. 25 Prozent der Teilnehmer mit dem größten Nutzungsumfang des Mediums; Durchschnittsnutzer = mittlere Quartile.
Tabelle 12: Varianzanalyse Habitualisierung bei Viel- und Wenignutzern Forschungsfrage 1.2: Wie hängt das Ausmaß der habituellen Nutzung einer bestimmten Sendung mit a) der Nutzungshäufigkeit dieser Sendung und b) dem gesamten Fernsehnutzungsumfang zusammen? Dieser Abschnitt betrachtet zuerst die Korrelation der sendungsspezifischen Habitstärke mit der Häufigkeit, mit der die entsprechende Sendung genutzt wird; in einem zweiten Schritt folgt die Korrelation der sendungsspezifischen Habitstärke mit dem Fernsehnutzungsumfang. Da die Nutzungshäufigkeit der jeweiligen Sendung ordinalskaliert vorliegt, wird der Zusammenhang durch die Rangkorrelation nach Spearman (Spearmans Rho; rs) berechnet (Bortz & Döring, 2006, S. 232)46. Die Analyse enthüllt einen deutlichen, höchst signifikanten Zusammenhang (rs=.254; p.001; n=382). Seine Stärke sollte man wegen der unterschiedlichen Antwortvorgaben nicht kurzerhand mit den oben dargestellten Korrelationen vergleichen, sondern separat interpretieren. Dass der Koeffizient mit 46 Einer Kontrolle der soziodemographischen Variablen bedarf es nicht, da diese keinen Effekt auf die habituelle Zuwendung zu Sendungen haben (vgl. Kapitel 5.3.4).
174
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
rs=.254 scheinbar moderat ausfällt, ist zum Teil der Messung geschuldet: Die Teilnehmer werden im Fragebogen aufgefordert, die Sendung zu benennen, die sie am häufigsten verfolgen – so liegt die Vermutung nahe, dass sie solche angeben, deren regelmäßige Nutzung fest in ihren Alltag integriert ist. Gerade bei deren Rezeption spielen Gewohnheiten eine entsprechende Rolle; hingegen beantworten Personen, die keine Sendung regelmäßig verfolgen, diese Frage überhaupt nicht (immerhin fast ein Viertel der Teilnehmer). Berücksichtigt man diese Spezifika bei der Interpretation, ist der Zusammenhang zwischen Habitstärke und der Häufigkeit, mit der Rezipienten eine bestimmte Sendung verfolgen, beträchtlich. Der zweite Teil der Forschungsfrage will in Erfahrung bringen, ob ausgeprägte Sendungsnutzungshabits mit einer generell umfangreicheren Fernsehnutzung einhergehen. Die Korrelation der beiden Variablen zeigt, dass habituelles Sehen einer Sendung nicht signifikant mit dem Fernsehnutzungsumfang korreliert (r=.067; p=.192; n=380). Auch der Vergleich von Viel- und Wenigsehern offenbart keinen signifikanten Unterschied bei der sendungsspezifischen Habitstärke (F=2,05; p=.130). Die habituelle Nutzung einer Sendung geht demnach nicht mit einer generell umfangreicheren Fernsehnutzung einher. Das Ergebnis bestätigt die Vermutung, dass „habitual media consumption covers a wide range of overall usage levels and is not necessarily associated with excessive amounts of consumption“ (Diddi & LaRose, 2006, S. 196). Diese Behauptung war bislang lediglich eine theoretische Annahme, deren empirische Überprüfung noch ausstand. Dass verschiedene habituelle Zuwendungsmodi zum Fernsehen bestehen, zeigt bereits die vorausgehende qualitative Studie. Die quantitative Befragung demonstriert nun, dass die Vorstellung, habituelle Nutzer würden durchweg viel Zeit vor dem Fernseher verbringen, in dieser Generalität nicht zu halten ist. Nur die vorwiegend angebotsunspezifische habituelle Nutzung des Mediums hängt mit dessen vermehrter Nutzung zusammen; die habituelle Zuwendung zu einer spezifischen Sendung steht hingegen nur mit der vermehrten Nutzung eben jenes Inhaltes in Verbindung, jedoch nicht mit einem erhöhten Konsum anderer Inhalte. Forschungsfrage 1.3: Erfolgt die Rezeption täglich ausgestrahlter Sendungen habitueller als die wöchentlich ausgestrahlter Sendungen? Der vorausgehende Abschnitt demonstriert einen relativen Zusammenhang von Sendungshabitstärke und der Häufigkeit der Nutzung dieser Sendung. Ob es auch einen absoluten Zusammenhang gibt, soll der Vergleich von täglich und wöchentlich ausgestrahlten Sendungen aufdecken. Zur Beantwortung der Forschungsfrage erfolgt zunächst der Ausschluss sämtlicher Sendungen, deren Ausstrahlungsrhythmen weder einem (werk-)täglichen noch einem wöchentlichen
5.3 Ergebnisse
175
Rhythmus folgen (z.B. zwei Mal pro Woche, wie „Wer wird Millionär“). Nach deren Ausschluss verbleiben 252 (werk-)täglich ausgestrahlte Sendungen, und 109 fallen in die Gruppe der wöchentlich ausgestrahlten Sendungen. Der T-Test zeigt, dass keine signifikanten Differenzen in der Habitstärke zwischen den Gruppen existieren (vgl. Tabelle 13). Das Ausmaß der Habitualisierung unterscheidet sich also nicht zwischen täglich und wöchentlich gesendeten Formaten. Der Zusammenhang von Nutzungsumfang und Habitualisierung ist somit relativ. Das Ergebnis bestätigt einerseits die in Kapitel 2.2.1 diskutierte These, dass ein Verhalten nicht habitueller sein muss, nur weil man es häufiger ausführt. Andererseits gibt es einen Widerspruch zu den Resultaten der Studie von Verplanken und Orbell (2003, S. 1323, Studie 4), die vermeintlich demonstrieren, dass täglich mehrmals durchgeführtes Verhalten habitueller ist als wöchentlich durchgeführtes. Allerdings ist das Vorgehen der Autoren ungeeignet, um die Unterschiede aufzudecken: Sie fordern die Teilnehmer auf, verschiedene Tätigkeiten zu nennen, denen sie täglich nachgehen sowie solche, die sie wöchentlich ausführen. Die Stärke der Gewohnheit messen die Forscher mittels SRHI. Verplanken und Orbell sammeln explizit eine möglichst große Bandbreite verschiedenster „daily and weekly habits“ – und darin liegt das genuine Problem dieser Analyse: Kann der Vergleich solch heterogener Tätigkeiten diese Forschungsfrage valide beantworten? Dass das Ausmaß der Habitualisierung zwischen täglich durchgeführten Tätigkeiten wie „wash my hands“, „drink coffee“, „smoke“, „put out my shoes“, „look into the mirror“ einerseits und wöchentlichen Aktivitäten wie „clean the house“, „dance“, „go to church“ oder „travel by train“ andererseits, differiert, muss keineswegs an der Häufigkeit ihres Auftretens liegen. Ebenso könnten die Komplexität der jeweiligen Ausführungen oder die unterschiedlichen Kontextbedingungen diese Differenz verantworten. Weil die Autoren nicht versuchen, diese Einflussfaktoren zu kontrollieren, sind ihre Resultate weitgehend unbrauchbar. Die in der vorliegenden Studie gewonnenen Daten demonstrieren, dass die Durchführung der gleichen Tätigkeit (die Rezeption einer Fernsehsendung) nicht habitueller erfolgen muss, weil sie täglich, anstatt wöchentlich, durchgeführt wird.
176
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Tabelle 13: T-Test Habitualisierung bei (werk-)täglichen und wöchentlichen Sendungen
Sendungs-Habit
Rhythmus (Werk-)Täglich Wöchentlich
MW 3,36 3,28
SD ,97 ,84
T
df
p
MD
,792
237
.429
,08
Wegen des signifikanten Levene-Tests kann keine Varianzhomogenität angenommen werden, daher werden die Parameter für ungleiche Varianzen angegeben. Tabelle 13: T-Test Habitualisierung bei (werk-)täglichen und wöchentlichen Sendungen
5.3.2 Habitualisierung und Rezipientenmerkmale Die zweite forschungsleitende Frage widmet sich dem Zusammenhang von Habitualisierung und Rezipientenmerkmalen: Sie hinterfragt, ob das Ausmaß der habituellen Mediennutzung zwischen Männern und Frauen, verschiedenen Altersgruppen und Personen mit unterschiedlicher formaler Bildung variiert. Zudem steht das Zusammenspiel von Alltag und Habitstärke im Fokus des Kapitels. Forschungsfrage 2.1: Wie unterscheidet sich das Ausmaß der habituellen Mediennutzung zwischen Rezipienten unterschiedlichen Alters? Eine mehrfaktorielle Kovarianzanalyse überprüft, ob sich das Ausmaß der habituellen Mediennutzung zwischen Personen verschiedenen Alters unterscheidet. Das Modell nimmt – neben dem Alter – Geschlecht und Bildung als zusätzliche Faktoren auf. Das stellt sicher, dass mögliche Effekte tatsächlich vom Alter ausgehen und nicht zum Beispiel die Bildung diese verantwortet (mit zunehmendem Alter geht der Grad der formalen Bildung zurück; vgl. die Verteilung der Variablen in der quotierten Stichprobe in Kapitel 5.2.3). Den Ausführungen in Kapitel 5.2.3 folgend, werden Personen von 18-29, 30-49 und 50-69 Jahren differenziert, zudem Teilnehmer mit Haupt- und Realschulabschluss sowie Hochschulreife; Alter und Bildung können also in dem Modell je drei Ausprägungen annehmen. Der Nutzungsumfang in Minuten dient als Kovariate. Diese Kontrolle ist unbedingt notwendig, weil die Nutzungsdauer mit der Habitstärke korreliert (s. o.) und andernfalls ungeklärt wäre, ob Unterschiede zwischen den Altersgruppen nur daher resultieren, weil zum Beispiel ältere Personen mehr fernsehen. Ziel der Untersuchung ist ja nicht, den längst bekannten Zusammenhang von Alter und Fernsehnutzungsumfang erneut zu dokumentieren. Intervallskalierte Daten, normalverteilte Grundgesamtheiten, unabhängige Stichproben und möglichst keine Ausreißerwerte als zentrale Voraussetzungen
5.3 Ergebnisse
177
der Varianzanalyse sind gegeben; zudem erfordert das Verfahren homogene Varianzen. Der Levene-Test enthüllt bei den Berechnungen zu Internet, Radio und Zeitung, dass die Annahmen der Varianzgleichheit verletzt sind. Der Einsatz der Varianzanalyse ist bei Verletzung der letzteren Voraussetzung unproblematisch, wenn normalverteilte Daten vorliegen, die Stichproben hinreichend groß sind und annähernd gleichen Umfang haben (Kähler, 2007, S. 439). Zwar liegt eine annähernde Normalverteilung der Daten vor, und die Stichproben sind groß genug, doch weichen die Stichprobenumfänge bei den drei Altersgruppen zu deutlich voneinander ab, weil der Unterschied zwischen kleinster und größter Stichprobe mehr als das 1,5fache beträgt (Stevens, 2007, S. 57). Da die größeren Varianzen in den Zellen mit den kleineren Stichproben vorkommen, bedeutet dies ein erhöhtes Į-Fehler-Risiko, und der F-Test wird zu liberal (Stevens, 2007, S. 58). Der Einsatz der Varianzanalyse ist zwar legitim47, doch sollte die Interpretation der Ergebnisse der Tatsache des erhöhten Į-Fehler-Risikos Rechnung tragen. Dies beachtet die Interpretation der jeweiligen Ergebnisse. Eine Übersicht über die Analyseergebnisse für alle untersuchten Variablen und Medien bietet Tabelle 15. Bei der Fernsehnutzung enthüllt die Analyse signifikante Unterschiede im Ausmaß der Habitstärke zwischen den drei Altersgruppen (F=5,05; p=.007; vgl. Tabelle 15). Interaktionseffekte des Alters mit anderen Variablen ergeben sich nicht. Der paarweise Vergleich zwischen den Altersgruppen (BonferroniKorrektur) zeigt, dass sich die 50-69-Jährigen signifikant von den beiden anderen Altersgruppen unterscheiden, während zwischen den beiden jüngeren Altersgruppen keine signifikanten Differenzen auftreten. Ebenso enthüllt eine partielle Korrelation (bei der Bildung, Umfang und Geschlecht herauspartialisiert sind) des Alters mit dem Ausmaß der habituellen Fernsehnutzung einen höchst signifikanten (jedoch schwachen: r=-.150; vgl. Tabelle 14) negativen Zusammenhang. Junge Menschen nutzen das Fernsehen habitueller als ältere. Die Daten bestätigen damit die von Rubin (1984, S. 75) und der Langzeitstudie Massenkommunikation (Reitze & Ridder, 2006, S. 221) gewonnenen Erkenntnisse, wenngleich man den eher schwachen Zusammenhang nicht überbewerten sollte. Einen wesentlich deutlicheren, wiederum negativen Zusammenhang (r=.368; Partialkorrelation; vgl. Tabelle 14) von Alter und Ausmaß der Habitualisierung gibt es bei der Nutzung des Internet: Mit sinkendem Alter nimmt die Stärke der gewohnheitsmäßigen Zuwendung zu. Zwischen welchen Altersgruppen besonders deutliche Unterschiede bestehen, prüft eine mehrfaktorielle Kovarianzanalyse (wiederum Bildung und Geschlecht als zusätzliche Faktoren, Nutzungs47
Allerdings handelt es sich beim F-Test der Varianzanalyse ohnehin um einen „robusten Signifikanztest“ (Kähler, 2007, S. 439).
178
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
umfang als Kovariate): Auch diese weist einen höchst signifikanten Effekt des Alters nach (F=31,41; p.001; vgl. Tabelle 15). Signifikante Wechselwirkungen anderer Variablen mit dem Alter gibt es nicht. Der Blick auf die Einzelvergleiche der Gruppenmittelwerte zeigt, dass sich alle drei Altersgruppen im Ausmaß der habituellen Zuwendung signifikant unterscheiden, wobei die mittleren Differenzen zwischen den benachbarten Gruppen annähernd gleich groß sind. Die Daten zeigen, dass sich jüngere Personen, unabhängig vom Nutzungsumfang, dem Internet deutlich gewohnheitsmäßiger zuwenden. Bei der Nutzung des Radios ergeben sich hingegen keinerlei Unterschiede im Ausmaß der Habitualisierung zwischen Personen verschiedenen Alters. Die Kovarianzanalyse findet weder einen Einfluss des Alters allein noch in Interaktion mit dem Geschlecht oder der Bildung (F=0,44; p=.648; vgl. Tabelle 15). Entsprechend enthüllen auch der Post-Hoc-Vergleich der Gruppenmittelwerte und eine partielle Korrelation von Alter und Habitualisierung (r=.000; p=.996; vgl. Tabelle 14) keine signifikanten Effekte. Das Ausmaß der habituellen Zuwendung zum Radio unterscheidet sich demnach in den untersuchten Altersgruppen nicht. Ein signifikanter positiver Zusammenhang von Alter und Ausmaß der Habitualisierung existiert nur bei der Zeitungsnutzung (r=.207; vgl. Tabelle 14). Die Post-Hoc-Mittelwertvergleiche der Kovarianzanalysse (F=10,27; p.001; vgl. Tabelle 15) verdeutlichen, dass der Griff zur Zeitung bei Befragten über 50 Jahre signifikant habitueller ist als bei den beiden jüngeren Altersgruppen. Obwohl die mittlere Differenz zwischen den Altersgruppen nicht sonderlich ausgeprägt ist, geben die Daten Anlass zur Spekulation, ob die schwächere Habitualisierung bei jüngeren Personen mitverantwortlich für die rückläufige Nutzung von Tageszeitungen in dieser Zielgruppe sein könnte. Wie lassen sich die Befunde zum Zusammenhang von Alter und Habitualisierung übergreifend interpretieren? Zunächst warnen die Ergebnisse ausdrücklich vor allzu generellen Aussagen, dass ältere oder jüngere Personen „die Medien“ habitueller nutzen: Es gilt zu differenzieren. Zusammenhänge von Alter und Ausmaß der habituellen Nutzung existieren bei der Fernseh- (negativer Zusammenhang), Internet- (negativer Zusammenhang) und Zeitungsnutzung (positiver Zusammenhang); die gewohnheitsmäßige Zuwendung zum Radio ist hingegen über die untersuchten Altersgruppen hinweg konstant. Eine „zunehmende Ritualisierung der Mediennutzung“ im Alter (Schweiger, 2007, S. 273) im Sinne einer generell habituelleren Zuwendung zu Medien, existiert demnach keineswegs. Bei Fernseh- und Zeitungsnutzung sind die Effekte des Alters sehr moderat, es erklärt nicht allzu viel48. 48
Wie oben bereits angemerkt, ist es freilich nicht das Alter per se, das die Unterschiede in der Habitstärke bewirkt, sondern die mit dem Älterwerden einhergehenden Lebensumstände.
5.3 Ergebnisse
179
Nur bei der Internetnutzung gibt es einen deutlicheren Zusammenhang. Dieser Effekt könnte aus dem „Hineinwachsen“ der jüngeren Generation in den Umgang mit diesem Medium resultieren. Für diese Interpretation spricht, dass bei keinem anderen Medium derart deutliche Unterschiede in der Habitstärke zwischen den Altersgruppen existieren. Mit Radio, Zeitung und Fernsehen sind alle untersuchten Altersgruppen aufgewachsen, und sie alle hatten die Möglichkeit, den Umgang mit dem jeweiligen Medium gleichsam von Kindesbeinen an zu erlernen; doch nur die Befragten zwischen 18 und 29 Jahren kamen schon in jungen Jahren mit dem Internet in Kontakt. Eine Wiederholung dieser Messung in einigen Jahren könnte diese Interpretation überprüfen: Dann müsste sich das Verhältnis zwischen den Altersgruppen entsprechend weiter nach hinten verschieben; andernfalls müssten die Unterschiede zwischen den drei Gruppen auf ähnlichem Niveau bestehen bleiben. Tabelle 14: Partialkorrelationen zwischen Alter und Habitstärke Medium
r
p
df
Fernsehen
-.150
.001
486
Internet
-.368
.001
412
Radio
.000
.996
475
Zeitung
.207
.001
440
Die Variablen Geschlecht, Bildung und Nutzungsumfang sind herauspartialisiert
Tabelle 14: Partialkorrelationen zwischen Alter und Habitstärke Forschungsfrage 2.2: Wie unterscheidet sich das Ausmaß der habituellen Mediennutzung zwischen Männern und Frauen? Gibt es zwischen Männern und Frauen Unterschiede im Ausmaß der Habitualisierung bei der Mediennutzung? Wiederum findet eine separate Betrachtung der vier untersuchten Medien statt. Die Kovarianzanalyse (vgl. die Übersicht in Tabelle 15) enthüllt weder bei der Fernsehnutzung (F=0,57; p=.450) noch bei der Internetnutzung (F=0,20; p=.652) noch bei der Zeitungsnutzung (F=0,09; p=.770) einen signifikanten Haupteffekt des Geschlechts auf die Habitstärke. Diese auf den ersten Blick überraschenden Ergebnisse müssen allerdings vor dem Hintergrund der Kontrolle des Nutzungsumfangs interpretiert werden: Wie zu erwarten, nutzen die Männer in der Stichprobe Internet und Tageszeitungen deutlich umfangreicher als Frauen. Ein T-Test deckt entsprechend bei der Internetnutzung signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Ausmaß der Habitualisierung auf (T=2,35; p=.020; df=420); die Kovarianzanalyse illustriert aber, dass lediglich der vermehrte Nutzungsumfang diese Differenz verant-
180
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
wortet. Ganz ähnlich gestaltet sich das bei der Zeitungsnutzung: Auch hier greifen die Männer deutlich häufiger zum Blatt als die Frauen. Betrachtet man aber nur Männer und Frauen mit jeweils gleichem Nutzungsumfang, egalisieren sich die Unterschiede in der Gewohnheitsstärke. Das Geschlecht hat bei der Zuwendung zum Fernsehen, Internet und der Zeitung keinen eigenständigen Effekt auf die Habitualisierung. Auch dieses Ergebnis lädt zu einer „Henne-Ei-Diskussion“ ein: Befassen sich Männer zum Beispiel mehr mit dem Internet, weil sie ausgeprägtere Nutzungsgewohnheiten haben, oder sind die Nutzungsgewohnheiten ausgeprägter, weil sich Männer dem Internet in größerem Umfang zuwenden? Über die Richtung dieses Effektes spekulierte bereits der vorausgehende Absatz. Nur bei der Radionutzung hat das Geschlecht einen eigenständigen, signifikanten Haupteffekt auf das Ausmaß der Habitualisierung (F=12,72; p.001; vgl. Tabelle 15): Frauen haben stärkere Gewohnheiten als Männer. Die mittlere Differenz ist mit 0,45 durchaus beachtenswert. Woraus diese Unterschiede resultieren, ist unklar. Der Ursache dafür auf den Grund zu gehen, könnte lohnende Aufgabe zukünftiger Forschung sein. Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass sich Frauen und Männer beim Ausmaß der habituellen Zuwendung zu den Medien nicht wesentlich unterscheiden. Forschungsfrage 2.3: Wie unterscheidet sich das Ausmaß der habituellen Mediennutzung zwischen Rezipienten mit unterschiedlicher formaler Bildung? In diesem Abschnitt liegt das Augenmerk auf möglichen Unterschieden im Ausmaß der habituellen Mediennutzung zwischen drei nach formaler Bildung eingeteilten Gruppen: Personen (1) ohne Abschluss oder mit Hauptschulabschluss, (2) mit Realschul- oder vergleichbarem Abschluss und (3) mit Hochschulreife. Bei der Fernsehnutzung enthüllt die Kovarianzanalyse keine signifikanten Unterschiede in der Habitstärke (F=2.80; p=.062), und auch bei der Radio- (F=0,44; p=.648) und Zeitungsnutzung (F=1,28; p=.278) gibt es keine signifikanten Differenzen zwischen den drei untersuchten Gruppen (vgl. Tabelle 15). Auf den ersten Blick überraschen die Ergebnisse zumindest bei der Zeitungsund Fernsehnutzung: Wäre es nicht plausibler, wenn Teilnehmer mit höherer formaler Bildung schwächere Fernseh- und stärkere Zeitungsnutzungsgewohnheiten hätten als Personen mit niedrigerer formaler Bildung? Doch trügt diese Logik, weil auch diese Resultate vor dem Hintergrund der Einbeziehung des Nutzungsumfangs als Kovariate betrachtet werden müssen. Erwartungsgemäß sehen formal höher Gebildete weniger fern und lesen mehr Zeitung; die formale Bildung hängt zwar mit dem Umfang der Nutzung von Zeitung und Fernsehen zusammen, hat jedoch keinen eigenständigen Einfluss auf das Ausmaß zu deren habitueller Zuwendung.
5.3 Ergebnisse
181
Überraschenderweise beeinflusst die Bildung bei der Internetnutzung – unabhängig vom Nutzungsumfang – das Ausmaß der Habitualisierung (F=5.593; p=.004). Der paarweise Vergleich zwischen den drei nach formaler Bildung unterteilten Gruppen zeigt, dass nur zwischen Personen mit Hauptschulabschluss und Personen mit Hochschulreife signifikante Differenzen bestehen. Dieser Effekt könnte – ähnlich wie beim Alter – aus der früheren Adoption des Internet durch höher Gebildete entstehen, so dass sich diese Differenzen zukünftig egalisieren könnten. Tabelle 15: Kovarianzanalyse Soziodemographie und Habitstärke MW 18-29 MW 30-49 MW 50-69 F p
Fernsehen 3,72a (n=98) 3,60a (n=211) 3,30b (n=182) 5,05 .007
Internet 4,36a (n=95) 3,65b (n=199) 3,06c (n=123) 31,41 .001
Radio 4,00a (n=91) 3,86a (n=211) 3,92a (n=178) 0,44 .648
Zeitung 3,17a (n=84) 3,08a (n=182) 3,62b (n=179) 10,27 .001
MW Frauen MW Männer F p
3,5 (n=248) 3,58 (n=243) 0,57 .45
3,72 (n=198) 3,66 (n=219) 0,20 .652
4,15 (n=245) 3,70 (n=235) 12,72 .001
3,31 (n=219) 3,27 (n=226) 0,09 .770
MW Hauptschule 3,36x (n=193) 3,46x (n=145) 3,93x (n=191) 3,20x (n=172) 3,58x (n=191) 3,62xy (n=170) 4,06x (n=192) 3,25x (n=175) MW Realschule MW Hochschulreife 3,67x (n=107) 3,98y (n=102) 3,80x (n=97) 3,42x (n=98) 2,80 5,59 1,40 1,28 F .062 .004 .249 .278 p Die Mittelwerte einer Spalte mit unterschiedlichen Kennbuchstaben unterscheiden sich signifikant nach dem Post-Hoc-Test (Bonferroni; p.05). Der Nutzungsumfang ist als Kovariate im Modell berücksichtigt. Auf die Darstellung der Interaktionseffekte wird verzichtet; hier ergeben sich keine signifikanten Ergebnisse.
Tabelle 15: Kovarianzanalyse Soziodemographie und Habitstärke Forschungsfrage 2.4: Hängen a) ein strukturierter Tagesablauf und b) eine stärkere Belastung im Alltag mit dem Ausmaß der habituellen Mediennutzung zusammen? Zunächst liegt das Augenmerk auf der Frage, ob ein strukturierter Tagesablauf mit stärkeren Mediennutzungsgewohnheiten einhergeht. Den Zusammenhang überprüft eine partielle Korrelation, die Alter, Geschlecht, Bildung sowie den
182
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Nutzungsumfang herauspartialisiert. Dies ist unabdingbar, da zum Beispiel ältere Personen einen strukturierteren Tagesablauf haben und sie sich auch im Ausmaß der habituellen Zuwendung zu manchen Medien von den Jüngeren unterscheiden (s. o.). Die Analyse ergibt, dass ein strukturierter Tagesablauf signifikant positiv mit dem Ausmaß der habituellen Zuwendung zu Fernsehen, Radio und Zeitung korreliert; allerdings sind sämtliche Koeffizienten recht schwach (vgl. Tabelle 16). Man könnte nun streiten, welchen Erklärungswert derart marginale Koeffizienten an dieser Stelle haben, doch spricht die Tatsache, dass alle vier Koeffizienten positiv sind (wobei der Zusammenhang bei der Internetnutzung nicht signifikant ist) für eine eindeutige Tendenz: Ein strukturierter Tagesablauf geht mit einer Zunahme der Habitstärke einher. Dies knüpft an die Beobachtung Schweigers (2005, S. 193) an, dass Personen, die einen regelmäßigen Tagesablauf bevorzugen, sich den Medien ähnlich regelmäßig zuwenden. Der zweite Teil der Forschungsfrage widmet sich dem Zusammenspiel von Alltagsbelastung und Habitualisierung. Die Belastung im Alltag ist dabei kein objektives Kriterium, das von außen an die Befragten angelegt wird, sondern lediglich deren subjektive Wahrnehmung. Wiederum erfolgt die Berechnung von Partialkorrelationen für die vier untersuchten Medien. Die Koeffizienten sind allesamt signifikant und positiv, allerdings ebenfalls recht schwach (vgl. Tabelle 16). Auch diese Tendenz ist trotz der Schwäche der Koeffizienten eindeutig: Die wahrgenommene Belastung im Alltag korreliert signifikant mit der habituellen Zuwendung zu jedem Medium. Tabelle 16: Partialkorrelationen Habitualisierung und Alltag Medium
Strukturierter Alltag
Belastung im Alltag
Medium
r
p
df
r
p
df
Fernsehen
.100
.027
484
.129
.004
484
Internet
.038
.441
410
.157
.001
411
Radio
.147
.001
473
.187
.001
473
Zeitung
.118
.013
439
.130
.006
439
Die Variablen Alter, Geschlecht, Bildung und Nutzungsumfang sind herauspartialisiert.
Tabelle 16: Partialkorrelationen Habitualisierung und Alltag
5.3 Ergebnisse
183
5.3.3 Fernsehnutzung von Rezipienten mit festen Gewohnheiten Das Kapitel widmet sich der Beantwortung der dritten forschungsleitenden Frage: Wodurch unterscheidet sich die Fernsehnutzung von Rezipienten mit stark und schwach ausgeprägter habitueller Zuwendung? Die Analyse nimmt keine Dichotomisierung des Publikums in „rein habituelle“ und „rein intentionale“ Nutzer vor. Eine solche impliziert die Existenz zweier Strukturen, die nicht miteinander vereinbar sind, und in die man jeden Rezipienten nach einer bestimmten Vorschrift einordnen kann. Dies würde den Blick darauf verstellen, dass intentionale und habituelle Nutzung ein Kontinuum sind und einem steten dynamischen Wandel unterliegen. Bilandzic (2004, S. 16) argumentiert entsprechend, dass eine „Zweiteilung des Publikums nach instrumentellen und ritualisierten Nutzern nicht gerechtfertigt“ ist. Das vorliegende Kapitel vergleicht daher „nur“ Rezipienten mit besonders starken Fernsehnutzungsgewohnheiten mit Rezipienten, die eine weniger ausgeprägte habituelle Zuwendung haben. Für die Beantwortung der Forschungsfragen ist dabei irrelevant, ob die jeweiligen Teilnehmer der Gruppen das Fernsehen überwiegend habituell bzw. intentional nutzen. Die Bestimmung von Teilnehmern mit starken und schwachen TV-Habits erfolgt wiederum entlang der Quartile (vgl. dazu die Argumentation in Kapitel 5.3.1). Forschungsfrage 3.1: Unterscheiden sich Rezipienten mit festen Fernsehnutzungsgewohnheiten beim sendungsspezifischen Beginn der Fernsehnutzung von Rezipienten mit schwächeren Gewohnheiten? Eine Kovarianzanalyse, die Alter, Geschlecht und Bildung als Faktoren berücksichtigt und den Nutzungsumfang als Kovariate in das Modell einbezieht, soll dieser Frage auf den Grund gehen. Die Analyse zeigt zunächst, dass weder Geschlecht noch Bildung oder Umfang der Fernsehnutzung signifikante Haupteffekte auf das Ausmaß der sendungsspezifischen Zuwendung ausüben. Lediglich das Alter wirkt sich aus (F=6,19; p=.002): Ältere Personen beginnen ihre Fernsehnutzung eher mit einer bestimmten Sendung als jüngere. Neben dem Alter hängt das Ausmaß der Habitualisierung signifikant mit dem sendungsspezifischen Beginn zusammen (F=14,44; p.001). Der Post-Hoc-Test zeigt, dass die mittlere Differenz zwischen den 25 Prozent der Teilnehmer mit den stärksten Gewohnheiten (MW=4,05) und den 25 Prozent mit den schwächsten Gewohnheiten (MW=5,28) beträchtlich und höchst signifikant ist (MD=1,23; p.001; Bonferroni). Zuschauer, die sich dem Fernsehen vermehrt habituell zuwenden, beginnen ihre Fernsehnutzung also vergleichsweise häufiger sendungsunspezifisch. Dies bestätigt die aus der qualitativen Studie hervorgegangene Vermutung, dass bei der angebotsunspezifischen Zuwendung Gewohnheiten eine große Rolle spielen.
184
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die meisten Zuschauer ihre Fernsehrezeption initiieren, um eine bestimmte Sendung zu sehen: Die durchschnittliche Zustimmung zu beiden Items auf der siebenstufigen Skala liegt bei 4,8 (SD: 1,65) und neigt damit deutlich zu einem meist sendungsspezifischen Beginn. Auch dies stimmt mit den Befunden der qualitativen Studie überein; daher überrascht das Ergebnis nicht in der Tendenz, wohl aber in der Vehemenz. Allerdings sind die Daten mit Vorsicht zu interpretieren. Einerseits lassen die Antworten der Befragten offen, ob sie den Fernseher ausgeschaltet ließen, falls die spezifische Sendung nicht käme. Zudem ist möglich, dass die Antworten der Befragten einer leichten Verzerrung unterliegen: Wie in Kapitel 3.3.3 angeführt, neigen Rezipienten zu einer „illusion of control“ und bescheinigen sich selbst gern einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Medium – ein zielloses Einschalten passt nicht in das Bild eines intentional und sehr bewusst auswählenden Individuums. Viele Rezipienten haben ohnehin eine klare Vorstellung davon im Kopf, welche Sendung zu welcher Zeit läuft; so antizipieren sie kurz vor dem Einschalten des Fernsehers das mögliche Programm und wählen recht gezielt einen bestimmten Sender. Daher muss ein sendungsspezifisches Einschalten weder eine durch Vorabinformationen initiierte noch in irgendeiner Weise geplante Nutzung sein. Resümierend bestätigen die Daten die Vermutung, dass angebotsunspezifischer Beginn der TV-Rezeption und habituelle Zuwendung zum Fernsehen in enger Verbindung stehen. Forschungsfrage 3.2: Unterscheiden sich Rezipienten mit festen Fernsehnutzungsgewohnheiten bei den bevorzugten Fernsehgattungen von Rezipienten mit schwächeren Gewohnheiten? Ob Personen mit starken Nutzungshabits bestimmte Gattungen häufiger rezipieren als Zuschauer mit schwächeren Gewohnheiten, begutachten sechs Kovarianzanalysen. Erneut dient der Nutzungsumfang als Kovariate; Geschlecht, Alter und Bildung sind als zusätzliche Faktoren in das Modell aufgenommen. Die Zusammenhänge der soziodemographischen Variablen mit den bevorzugten Gattungen sind hinlänglich bekannt, insbesondere durch Analysen der von AGF/GfK ermittelten Daten. Die Ergebnisse der vorliegenden Analyse stimmen mit den durch die telemetrischen Studien gewonnenen Erkenntnissen überein, dass zum Beispiel ältere und höher gebildete Personen mehr Nachrichten sehen, Daily Soaps vermehrt von einem jüngeren, weiblichen Publikum rezipiert werden, Männer eine größere Affinität zu Dokumentationen aufweisen etc.. Aufgrund dieser Zusammenhänge ist es erforderlich, die Soziodemographika in die Modelle einzubeziehen, wenngleich der Fokus bei der Auswertung auf den Unterschieden zwischen Personen mit unterschiedlicher Habitstärke liegt.
5.3 Ergebnisse
185
Signifikante Differenzen ergeben sich bei der Häufigkeit, mit der die zwei Gruppen Daily Soaps, Quiz- und Gameshows sowie Spielfilme rezipieren: Zuschauer mit starken TV-Habits verfolgen diese drei Gattungen häufiger als Personen mit schwächeren Gewohnheiten (vgl. Tabelle 17). Bei Nachrichten, Dokumentationen und Polittalk gibt es hingegen keine signifikanten Unterschiede. Dieser Zusammenhang ist indes relativ und besagt nicht, dass beide Gruppen in gleichem Umfang Nachrichten sehen. Bei den drei (in Relation) häufiger verfolgten Gattungen fällt auf, dass es genau jene sind, die Kapitel 5.2.2 als vorwiegend unterhaltend klassifizierte. Eine habituelle Nutzung des Fernsehens geht demnach mit einer verstärkten Zuwendung zu vermehrt unterhaltenden Inhalten einher. Bei der Konstruktion des Fragebogens wurde expliziert, dass man aus dem häufigeren Konsumieren bestimmter Gattungen nicht leichthin eine Tendenz zu unterhaltenden Angeboten herauslesen sollte, weil allein die Rezipientenperspektive entscheidet, ob Inhalte informieren oder unterhalten (Vorderer, 2004); auch enthält jede der betrachteten Gattungen sowohl informierende als auch unterhaltende Elemente. Die Feststellung einer stärkeren Unterhaltungsorientierung ist daher nur als behutsame Interpretation zu verstehen. Da die Untersuchung nicht erschöpfend alle Gattungen abfragt, können anschließende Analysen diese Zusammenhänge noch differenzierter betrachten. Die Daten bringen weiter Licht ins Dunkel, warum bei der Suche nach Motiven für die Fernsehnutzung häufig Unterhaltung und Gewohnheit auf einem Faktor laden (vgl. Kapitel 2.3.3). Bislang stand die Vermutung im Raum, dass der Nutzungsumfang als Drittvariable diesen Zusammenhang verantworten könnte: Weil Vielseher stärkere Gewohnheiten haben und sich vermehrt unterhaltenden Angeboten zuwenden. Die vorliegende Untersuchung zeigt nun, dass beide Variablen unabhängig vom Nutzungsumfang verbunden sind: Eine ausgeprägte Habitualisierung geht mit einer vermehrten Zuwendung zu unterhaltenden Inhalten einher.
186
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Tabelle 17: Kovarianzanalyse der meist gesehenen Gattungen Nachrichten
Daily Soaps
Quiz/ Game
Dokumentationen
F
2,34
6,02
4,21
2,35
4,42
1,77
p
.097
.003
.015
.097
.013
.172
MW Q1
5,30 a
2,44a
3,24a
5,28a
4,80a
2,73a
MW Q 2&3
5,60 a
2,67a
3,17a
5,06a
5,30b
3,22a
MW Q4
5,20a
3,36b
3,73b
5,12a
5,33ab
3,00a
Spielfilm Polittalk
Die Mittelwerte einer Spalte mit unterschiedlichen Kennbuchstaben unterscheiden sich signifikant nach dem Post-Hoc-Test (Bonferroni; p.05). Der Nutzungsumfang ist als Kovariate im Modell berücksichtigt; Geschlecht, Alter und Bildung sind als zusätzliche Faktoren in das Modell aufgenommen. Q1 = Quartil mit den 25 Prozent der Teilnehmer mit schwächsten TV-Habits; Q4 = Quartil mit den 25 Prozent der Teilnehmer mit stärksten TV-Habits; Q2 & Q3 = mittlere Quartile.
Tabelle 17: Kovarianzanalyse der meist gesehenen Gattungen Forschungsfrage 3.3: Unterscheiden sich Rezipienten mit festen Fernsehnutzungsgewohnheiten in ihrer Einstellung zum Fernsehen von Rezipienten mit schwächeren Gewohnheiten? Zuletzt steht die Einstellung zum Fernsehen von Rezipienten mit starken bzw. schwachen Fernsehnutzungsgewohnheiten im Fokus des Kapitels. Die Kovarianzanalyse zeigt, dass Personen mit stärkeren Nutzungsgewohnheiten eine weitaus positivere Einstellung zum Fernsehen haben als Personen, die das Medium weniger habituell nutzen (F=10,73; p.001; Nutzungsumfang als Kovariate; Geschlecht, Alter und Bildung als zusätzliche Faktoren); der Post-Hoc-Vergleich der Mittelwerte demonstriert, dass zwischen allen drei Gruppen signifikante Unterschiede bestehen. Somit bestätigt sich die Vermutung von Rubin und Rubin (1982, S. 311), dass die habituelle Zuwendung zum Fernsehen mit einer „increased affinity with the television medium“ einhergeht. Forschungsfrage 3.4: Wie wirkt sich die Stärke der Gewohnheit auf den Zusammenhang von Intention und Nutzungsumfang aus? Auch bei der Beantwortung dieser Forschungsfrage erfolgt ein Vergleich von Rezipienten mit festen und schwachen Fernsehnutzungsgewohnheiten. Getrennt nach den Quartilen (s. o.) werden Partialkorrelationen von Nutzungsumfang und Stärke der Intention für jede Gruppe gerechnet. Die Berechnung zeigt, dass die Stärke des Koeffizienten bei etablierten Nutzungsgewohnheiten zurückgeht: Während bei Teilnehmern mit schwachen Habits der Nutzungsumfang mit der Intention zu .487 korreliert, sinkt dieser Wert bei Befragten mit ausgeprägten
5.3 Ergebnisse
187
Gewohnheiten auf .194 (vgl. Tabelle 18). Um zu überprüfen, ob die Differenz zwischen den Korrelationen signifikant ist, müssen die Koeffizienten erst einer Fishers Z-Transformation unterzogen werden. Der anschließende Signifikanztest enthüllt, dass sich die Korrelationskoeffizienten signifikant voneinander unterscheiden (p=.011). Es zeigt sich ein Moderatoreffekt der Habitstärke: Mit festerer Gewohnheit wird der Zusammenhang von Intention und Fernsehnutzungsumfang schwächer. Die Intention verliert als Prädiktor des Nutzungsumfangs an Bedeutung, wenn Gewohnheiten etabliert sind. Dieser Befund deckt sich mit den Überlegungen von Diddi und LaRose (2006, S. 195), dass die Annahmen des Uses-andGratifications-Ansatzes lediglich in den ersten Phasen der Nutzung eines neuen Mediums oder neuer Inhalte greifen. Wenn man das Fernsehen habituell nutzt, entfällt die Notwendigkeit einer bewussten Auseinandersetzung, ob man das Gerät nun anstellen soll oder nicht. Das mit der Rezeption verbundene Ziel mag zwar weiterhin bestehen, doch aktivieren Hinweisreize die automatisierte Ausführung. Damit bestätigt die Studie Ergebnisse, die aus diversen anderen Bereichen (Nutzung von Verkehrsmitteln, Sport treiben, Essverhalten etc.) gewonnen wurden: Wenn noch keine Gewohnheiten etabliert sind, eignen sich Intentionen sehr gut für die Vorhersage von Verhalten. Bei wiederholtem Verhalten tritt hingegen der Vorhersagewert der Intention zunehmend in den Hintergrund (Ji & Wood, 2007; Ouellette & Wood, 1998). Dass dies für die Nutzung von Fernsehnachrichten gilt, zeigen bereits Ji und Wood (Ji & Wood, 2007, S. 273): „Participants’ intentions did not predict future performance when they had […] repeatedly watched news on TV in the same context“. Die vorliegende Untersuchung demonstriert, dass diese Beobachtung auch für die Zuwendung zum Fernsehen allgemein gilt. Allerdings verblasst die Korrelation von Intention und Nutzungsumfang nur zunehmend, verschwindet jedoch nicht ganz. Auf einen Schwachpunkt in dieser Berechnung sei indes noch hingewiesen: Die Messung der Intention bezieht sich auf die Absicht, in den nächsten zwei Tagen fernzusehen, also auf ein zukünftiges Verhalten. Um dem Zusammenhang von Intention und Umfang der tatsächlichen Fernsehnutzung gerecht zu werden, hätte man die Fernsehnutzung der Teilnehmer in den jeweils zwei nachfolgenden Tagen messen müssen. Aufgrund des querschnittlichen Designs erfasst der Fragebogen jedoch nur eine Schätzung der durchschnittlichen täglichen Nutzungszeit (vgl. die detaillierten Ausführungen dazu in Kapitel 5.2.2). Das Vorgehen verletzt damit die kausale Reihenfolge, indem es nicht erst nach der Intention und später nach der Auftretenshäufigkeit des Verhaltens fragt. Diese Verletzung sollte die Ergebnisse jedoch nicht gravierend verzerren.
188
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Tabelle 18: Partialkorrelationen Intention und Nutzungsumfang r
p
df
Q1
.487a
.001
115
Q2 & Q3
.244b
.001
250
Q4
.194b
.030
124
Korrelationen mit unterschiedlichen Kennbuchstaben unterscheiden sich signifikant auf dem FünfProzent-Niveau. Geschlecht, Alter und Bildung sind herauspartialisiert. Q1 = Quartil mit den 25 Prozent der Teilnehmer mit schwächsten TV-Habits; Q4 = Quartil mit den 25 Prozent der Teilnehmer mit stärksten TV-Habits; Q2 & Q3 = mittlere Quartile.
Tabelle 18: Partialkorrelationen Intention und Nutzungsumfang Forschungsfrage 3.5: Ist die Gewohnheit ein von der Intention unabhängiger Prädiktor des Fernsehnutzungsumfangs? Dies überprüft eine schrittweise hierarchische Regression mit Nutzungsumfang als abhängiger Variable sowie Intention und Habitstärke als unabhängigen Variablen. Während die Intention alleine 14,6 Prozent der Varianz erklärt, steigt die Erklärungskraft von Modell 2, das den Einfluss der Gewohnheit berücksichtigt, auf 18,2 Prozent signifikant an (vgl. Tabelle 19). Der nur geringfügig kleinere Beta-Wert der Intention im zweiten Modell weist darauf hin, dass die Habitstärke – unabhängig von der Intention – zur Erklärung beiträgt. Gewohnheiten sind demnach neben der Intention ein zusätzlicher unabhängiger Prädiktor des Umfangs der Fernsehnutzung. Problematisch ist, dass eine solche Berechnung implizit eine einseitige Effektrichtung von Intention und Gewohnheit auf den Nutzungsumfang annimmt. Kapitel 4.3.4 diskutierte, dass nicht nur die Stärke der Gewohnheit über die Auftretenshäufigkeit bestimmt, sondern dass umgekehrt auch eine häufigere Nutzung zu einer stärkeren Gewohnheit führen könnte. Meist gehen die Forscher recht unbedarft an die Analyse des Zusammenhangs heran und nehmen implizit an, dass lediglich die Stärke der Gewohnheit über die Auftretenshäufigkeit eines Verhaltens entscheidet. Diese Effektrichtung zu überprüfen, sollte vorrangige Aufgabe weiterer Erforschung von Gewohnheiten sein.
5.3 Ergebnisse
189
Tabelle 19: Hierarchische lineare Regressionsmodelle; Nutzungsumfang als Kriterium B Modell 1
SE
ȕ
Intention
15,02
1,64 .384***
Intention
10,02
1,92 .256***
Gewohnheit
14,40
3,04 .233***
Modell 2
F
R2 (korr.)
84,27***
.146
55,23***
.182
Durbin-Watson: 1,851; n=489; ***p.001 Tabelle 19: Hierarchische lineare Regressionsmodelle; Nutzungsumfang als Kriterium
5.3.4 Habituelle Nutzung von Sendungen Die vierte forschungsleitende Frage richtet ihr Augenmerk auf den Einfluss von Gewohnheiten bei der Nutzung bestimmter Sendungen. Forschungsfrage 4.1: Fällt die Zuwendung zu einer spezifischen Sendung oder die Zuwendung zum Fernsehen habitueller aus? Um dieser Frage nachzugehen, werden zunächst die Messungen der Habitstärke in einen anderen Datensatz transformiert und der TV- bzw. Sendungsnutzung entsprechend zugeordnet. Ein T-Test für unabhängige Stichproben zeigt, dass das Ausmaß der Habitualisierung bei der Zuwendung zu spezifischen Sendungen signifikant geringer ausfällt als bei der Zuwendung zum Fernsehen (vgl. Tabelle 20). Die mittlere Differenz ist jedoch so marginal, dass man nicht von einer generell habituelleren Zuwendung zum Medium sprechen kann. Der Unterschied bleibt in der gleichen Größenordnung bestehen, wenn man aus der Rechnung diejenigen Personen ausschließt, die keine Angaben zur Nutzung einer bestimmten Sendung gemacht haben. Hängen Sendungsnutzungsgewohnheiten und die habituelle Zuwendung zum Fernsehen zusammen? Neigen also Personen mit starken Fernsehnutzungsgewohnheiten auch zu einer habituelleren Zuwendung zu Sendungen? Dies überprüft eine Korrelation beider Skalen. Einer Kontrolle von Alter, Geschlecht und Bildung bedarf es in diesem Fall nicht (s. u.). Die Voraussetzungen für die Berechnung des Pearsonschen Korrelationskoeffizienten sind gegeben. Dieser zeigt, dass Fernseh- und Sendungsnutzungsgewohnheiten höchst signifikant (r=.352; n=381; p.001) miteinander korrelieren. Wer sich dem Medium aus Gewohnheit zuwendet, neigt auch zu einer habituelleren Nutzung von Sendun-
190
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
gen et vice versa. Dieser Zusammenhang wird vor den Ausführungen zur transmedialen Habitualisierung in Kapitel 5.3.5 nochmals interpretiert. Tabelle 20: T-Test Fernseh- und Sendungshabitstärke
Habitualisierung
MW
SD
Fernsehen
3,48
1,16
Spezifische Sendung
3,33
0,94
T
df
p
MD
2,14
870
.032
0,15
Tabelle 20: T-Test Fernseh- und Sendungshabitstärke Forschungsfrage 4.2: Unterscheidet sich das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu Sendungen zwischen Männern und Frauen, unterschiedlichen Altersgruppen und Personen mit verschiedener Bildung? Die Varianzanalyse zeigt, dass sich weder das Geschlecht (F=2,88; p=.090) noch das Alter (F=1,08; p=.342) noch die formale Bildung (F=1,77; p=.173) auf das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu bestimmten Sendungen auswirken. Diese Ergebnisse überraschen kaum, üben Geschlecht und Bildung doch auch bei der habituellen Zuwendung zum Medium keinen eigenständigen Effekt aus. Der einzige Unterschied zur habituellen Fernsehnutzung ist, dass sich das Alter nicht auf das Ausmaß der Habitualisierung auswirkt. Und auch in ihrem Umgang mit dem Fernsehen unterscheiden sich Personen mit starken Sendungshabits nicht von solchen mit schwächeren Sendungshabits: Weder wenden sie sich dem Fernsehen häufiger oder seltener sendungsspezifisch zu (F=0,51; p=.601), noch unterscheiden sie sich in ihrer Einstellung zum Fernsehen (F=3,26; p=.228). Forschungsfrage 4.3: Hängt das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu einer Sendung mit dem vergangenen Nutzungszeitraum zusammen? Die Analyse überprüft, ob es einen Zusammenhang von Sendungshabitstärke und dem Zeitraum, seit dem die Rezipienten die jeweilige Sendung verfolgen, gibt. Die notwendigen Voraussetzungen für die Berechnung des PearsonKorrelationskoeffizienten sind gegeben, dessen inferenzstatistische Absicherung setzt jedoch eine bivariate Normalverteilung der beiden Merkmale voraus (Nachtigall & Wirtz, 2009, S. 150), wobei man sich in der Praxis darauf beschränkt, schlicht die Normalverteilung beider Merkmale nachzuweisen (Bortz & Döring, 2006, S. 213). Der vergangene Nutzungszeitraum in Monaten weicht deutlich von einer Normalverteilung ab, was auch den unterschiedlichen Abständen der siebenstufigen Antwortvorgaben geschuldet ist. Obwohl das Verfahren bei einer Verletzung dieser Annahme recht unempfindlich ist (Havlicek & Peter-
5.3 Ergebnisse
191
son, 1977), empfiehlt es sich, bei einer deutlichen Abweichung auf Rangkorrelationen zurückzugreifen (Bühl, 2008, S. 348; Raithel, 2008, S. 153). Entsprechend bedient sich die Analyse Spearmans Rho. Dessen Berechnung deckt einen höchst signifikanten und deutlichen Zusammenhang zwischen dem Zeitraum in Monaten und der Ausprägung der Habitualisierung auf (rs=.320; p.001; n=382). Eine Kontrolle der soziodemographischen Variablen ist nicht notwendig, da diese das Ausmaß der habituellen Zuwendung zu Sendungen nicht beeinträchtigen (s. o.). Der Gedanke liegt nahe, dass die jeweilige Gattung als Drittvariable eine Rolle spielen könnte (zum Beispiel, weil die Zuschauer bei Nachrichtensendungen besonders starke Habits aufbauen und diesen zugleich besonders lange treu bleiben), doch zeigen nachfolgende Berechnungen (s. u.), dass sich die habituelle Zuwendung zu verschiedenen Gattungen nicht signifikant unterscheidet. Eine separate Betrachtung der angegebenen Zeiträume demonstriert, dass die Befragten die meisten der gewählten Sendungen schon sehr lange verfolgen: Niemand nennt eine Sendung, die er erst seit zwei Monaten sieht, und nur sieben Prozent führen eine Sendung an, die sie erst weniger als ein Jahr anschauen. Hingegen geben über die Hälfte der Teilnehmer Sendungen an, mit denen sie schon seit mehr als fünf Jahren vertraut sind. Eine Varianzanalyse überprüft, ob sich die Mittelwerte der fünf verschiedenen Nutzungszeiträume49 signifikant unterscheiden. Die Entwicklung der Mittelwerte (vgl. Tabelle 21) zeigt einen äußerst kontinuierlichen Anstieg zwischen den fünf Gruppen, wenngleich nicht alle Mittelwertdifferenzen signifikant sind. Fast überrascht es, wie eng und stetig der Zusammenhang von Sendungshabitstärke und vergangenem Nutzungszeitraum ist. Sind die Daten ein Hinweis dafür, dass Sendungsnutzungsgewohnheiten über viele Jahre beständig stärker werden und sich Sendungshabits sehr langsam entwickeln? Für diese Interpretation liefern die Daten freilich nur Indizien. Dass Sendungsnutzungsgewohnheiten über die Jahre stärker werden, kann weder die Korrelation noch die Varianzanalyse mit Sicherheit bestätigen. Es zeigt sich zwar ein – von soziodemographischen Variablen und der jeweiligen Gattung unabhängiger – Zusammenhang, doch könnte dieser auch auf einem anderen Szenario beruhen: So wäre möglich, dass Zuschauer mit schwächeren Gewohnheiten eher dazu neigen, die Rezeption nach beispielsweise zwei, drei oder fünf Jahren abzubrechen. Das hieße, dass Rezipienten mit starken Habits einfach länger bei der Sendung bleiben, während Rezipienten mit schwachen Habits nach und nach aus der Gruppe herausfallen. Unter diesen Umständen fände gerade keine Entwicklung statt, sondern nur ein Rückgang von Rezipienten mit schwächeren Gewohnheiten in den jeweiligen 49 Die Angaben 2-5 Monate und 6-12 Monate werden für die Analyse zu der Ausprägung „Bis zu einem Jahr“ zusammengefasst, da überhaupt nur 27 der Befragten eine dieser Vorgaben wählen.
192
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
Gruppen. Mit letzter Sicherheit kann die Analyse das nicht ausschließen, doch spricht ein gewichtiges Indiz gegen diese Interpretation: die Standardabweichungen. Tabelle 21 illustriert, dass die Standardabweichungen in den Gruppen recht ähnlich sind, man kann sogar einen leichten Trend hin zu größeren Abweichungen in den Gruppen mit längerer Nutzung der Sendung herauslesen. Würde keine Entwicklung stattfinden, sondern nur Teilnehmer mit schwächeren Gewohnheiten wegfallen, müssten die Habit-Werte der Befragten, welche die jeweiligen Sendungen schon länger nutzen, deutlich mehr Varianz aufweisen. Dies ist jedoch nicht der Fall; es zeigt sich eher ein gegenteiliger Trend. Dies spricht für die Interpretation, dass Nutzungsgewohnheiten durch eine jahrelange Rezeption kontinuierlich stärker werden und sich – von einem nach einigen Wochen oder Monaten erreichten Basiswert aus – sehr langsam weiter entwickeln. Nachfolgende Forschung zu dieser, vor allem für Fernsehschaffende, äußerst relevanten Fragestellung sollte sich eines Panels bedienen, um die Entwicklungsprozesse dokumentieren zu können. Tabelle 21: Varianzanalyse Sendungshabit und Nutzungshistorie Sendung genutzt…
n
MW
SD
sig. MD zu
F
p
(a) bis zu einem Jahr (b) ein bis drei Jahre (c) drei bis fünf Jahre (d) fünf bis zehn Jahre (e) mehr als zehn Jahre
27 77 85 102 91
2,75 3,09 3,16 3,43 3,74
0,77 0,86 0,95 0,88 0,95
d, e e e a a, b, c
10,02
.001
„sig MD zu“ = signifikante mittlere Differenz nach dem Post-Hoc-Test (Bonferroni; p.05) zu den jeweils durch Buchstaben gekennzeichneten Mittelwerten.
Tabelle 21: Varianzanalyse Sendungshabit und Nutzungshistorie Forschungsfrage 4.4: Ist die Nutzung von Sendungen, die stets zur gleichen Zeit starten, habitueller als die von Sendungen, die zu unregelmäßigen Zeiten starten? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, erfolgt zunächst der Ausschluss von Sendungen, deren Startzeiten nicht bekannt sind. Die übrigen werden in zwei Gruppen eingeteilt: täglich bzw. wöchentlich zur gleichen Zeit startende Sendungen sowie solche mit unterschiedlichen Startzeiten. Das Kriterium für die Zuweisung zur Gruppe mit unterschiedlichen Startzeiten ist, dass wenigstens die Hälfte der Ausgaben zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgestrahlt wird. Als Kriterium für regelmäßige Startzeiten gilt, dass mindestens vier von fünf Ausga-
5.3 Ergebnisse
193
ben zur gleichen Zeit starten. Sollte eine Sendung keines der Kriterien erfüllen, wird sie von der Analyse ausgeschlossen. Als Referenzquelle dient das Fernsehprogramm von Februar und März 2009. Die Zuweisung in die Gruppen zeigt zunächst, dass äußerst selten Sendungen genannt werden, die zu unregelmäßige Zeiten beginnen (zum Beispiel TV Total oder Tagesthemen) bzw. bedingt die regelmäßige Programmierung der meisten Fernsehsendungen, es nur wenige Sendungen gibt, die nicht zu festen Zeiten starten. So nennen nur 14 Teilnehmer eine Sendung, die nach den oben genannten Kriterien unregelmäßig beginnt. Ein T-Test überprüft, ob sich die habituelle Zuwendung zu diesen Sendungen signifikant von der der anderen Gruppe unterscheidet. Es zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppenmittelwerten (vgl. Tabelle 22). Wegen der geringen Teilnehmerzahl in der Gruppe der Sendungen mit variierenden Startzeiten, liefert der Test allerdings keine gesicherten Resultate. Den Befund, dass keinen Unterschiede bestehen, sollte man daher vorsichtig interpretieren und nicht als gesichertes Resultat werten. Bei nur 14 Personen können auch wenige Ausreißer den Mittelwert stark verzerren. So sollte man die Forschungsfrage erneut mit deutlich mehr Teilnehmern überprüfen, so dass beide Gruppen mit einer ausreichend großen Anzahl an Personen besetzt werden können. Tabelle 22: T-Test Sendungshabits bei regelmäßigem und unregelmäßigem Start Startzeiten SendungsHabit
unregelmäßiger Sendungsstart regelmäßiger Sendungsstart
N
MW
SD
T
df
p
14 3,55 0,75 0,77 327 .445 315 3,35 0,94
Tabelle 22: T-Test Sendungshabits bei regelmäßigem und unregelmäßigem Start Forschungsfrage 4.5: Unterscheidet sich das Ausmaß der Habitualisierung bei der Nutzung verschiedener Fernsehgattungen? Eine Varianzanalyse überprüft, ob Unterschiede im Ausmaß der habituellen Zuwendung zu verschiedenen Gattungen bestehen. Die Analyse findet keinen signifikanten Effekt (F=1.88; p=.083), und auch der Post-Hoc-Vergleich der einzelnen Mittelwerte deckt keine signifikanten Unterschiede auf (vgl. Tabelle 23). Dieses Resultat überrascht zunächst; würde man doch erwarten, dass Zuschauer beispielsweise Daily Soaps wesentlich habitueller verfolgen als etwa Fernsehshows. Allerdings müssen die Ergebnisse erneut mit Blick auf das methodische Vorgehen kritisch hinterfragt werden: Der Fragebogen fordert die Teilnehmer auf, eine Sendung anzugeben, die sie besonders häufig sehen; deswegen nennen sie insbesondere solche, die sie sehr regelmäßig und schon seit langem (s. o.) verfolgen. Gerade bei diesen spielen Gewohnheiten eine entspre-
194
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
chend wichtige Rolle (s. o.). Der Aufbau des Fragebogens steht einer adäquaten Beantwortung der Forschungsfrage an dieser Stelle im Weg. Wesentlich besser wäre es, wenn die Teilnehmer das Ausmaß der Habitualisierung zu den zwei Sendungen angeben würden, die sie zuletzt gesehen haben; so erhielte man eine zufälligere Auswahl und eine breitere Streuung verschiedener Zuwendungsmodi. Das hier gewählte Vorgehen verzerrt die Ergebnisse, indem es diese Logik umdreht: Da die Befragten nicht die Habitstärke zu einer zufälligen Auswahl an Sendungen angeben, sondern zu solchen, die sie aus Gewohnheit verfolgen, zeigen sich zwischen diesen verschiedenen Gattungen keine Unterschiede. Tabelle 23: Ausmaß der Habitualisierung bei verschiedenen Gattungen MW
N
SD
a
121
1,03
Daily Soap
3,37
a
60
0,82
Talk
3,33 a
23
0,55
3,22
a
73
0,84
Show
3,41
a
18
1,29
Doku & Magazine
3,52 a
34
0,90
a
49
0,97
Nachrichten
Fiction
Sonstiges
3,46
2,99
F=1,88; p=.083; Die Mittelwerte einer Spalte mit unterschiedlichen Kennbuchstaben unterscheiden sich signifikant nach dem Post-Hoc-Test (Bonferroni; p.05).
Tabelle 23: Ausmaß der Habitualisierung bei verschiedenen Gattungen 5.3.5 Vergleich der gewohnheitsmäßigen Nutzung der Medien Zuletzt stehen ein Vergleich des Ausmaßes der habituellen Zuwendung zu den verschiedenen Medien sowie die Frage, ob es eine transmediale Habitualisierung gibt, im Fokus der Arbeit. Forschungsfrage 5.1: Wie unterscheidet sich das Ausmaß der Habitualisierung bei der Nutzung des Fernsehens, Internets, Radios und der Zeitung? Das Ausmaß der Habitualisierung schwankt bei der Internetnutzung auffällig zwischen verschiedenen soziodemographischen Gruppen (vgl. Kapitel 5.3.2). Junge Personen und höher Gebildete haben im Vergleich zu Älteren und Teilnehmern mit einer geringeren formalen Bildung äußerst starke Internetnutzungsgewohnheiten. Diese Unterschiede spiegeln sich in der ausgeprägten Standard-
5.3 Ergebnisse
195
abweichung bei der habituellen Zuwendung zum Internet wider (vgl. Tabelle 24). Jüngere Personen wenden sich keinem Medium derart habituell zu wie dem Internet; Ältere weisen hingegen kaum Internetnutzungsgewohnheiten auf. Vor allem Teilnehmer zwischen 50 und 69 Jahren mit geringerer formaler Bildung nutzen das Netz überhaupt nicht aus Gewohnheit (MW=2,54). Bei Personen von 18-29 Jahren mit Hochschulreife weist hingegen kein anderes Medium einen auch nur annähernd so hohen Mittelwert bei der Habitstärke auf wie das Internet (MW=4,80; Fernsehen: 3,47; Radio: 3,22; Zeitung: 3,10). Paradoxerweise hält sich teilweise der Irrglaube, dass das Surfen im Netz gar nicht habitualisiert sein könne, weil der Umgang mit dem Internet eine Menge physischer Handhabung von Tastatur und Maus erfordert (Newell & LaRose, 2004). Dieses Missverständnis resultiert aus der fälschlichen Gleichsetzung von Gewohnheit mit Passivität. Dabei weisen nicht nur die vorliegenden Daten, sondern auch die Forschergruppe um LaRose50 (Diddi & LaRose, 2006; LaRose & Eastin, 2004; LaRose, Lin, & Eastin, 2003; LaRose, Mastro, & Eastin, 2001; Newell & LaRose, 2004) einen deutlichen Einfluss von Gewohnheiten bei der Nutzung des Internets nach. Dennoch entstanden unzählige Arbeiten, welche die Zuwendungsmotive zum Internet oder zu spezifischen Seiten untersuchen (z.B. Charney & Greenberg, 2001; Eighmey & McCord, 1998; D. A. Ferguson & Perse, 2000; Kaye, 1998; Parker & Plank, 2000; Papacharissi & Rubin, 2000; Stafford & Stafford, 2001). Anscheinend werden die Forscher nicht müde, dauernd aufs Neue den Motiven nachzuspüren. Dabei erklären diese meist nur einen geringen Teil der Varianz: „The Internet studies that hewed most closely to the uses and gratifications tradition have explained less than 10% of the variance in Internet usage from gratifications“ (LaRose & Eastin, 2004, S. 359)51. Die habituelle Zuwendung zum Radio ist im Vergleich zu Fernsehen, Internet und Zeitung am ausgeprägtesten; der Mittelwert unterscheidet sich signifikant von denen der drei anderen Medien (vgl. Tabelle 24). Ist das Radio also das Medium, das am habituellsten genutzt wird? Hier gilt es zu differenzieren: Bei der Radionutzung existieren keine Unterschiede im Ausmaß der Habitualisierung zwischen verschiedenen Altersgruppen oder Personen mit unterschiedlicher formaler Bildung. Der hohe Wert erklärt sich also auch dadurch, dass die habituelle Zuwendung über alle Bildungs- und Altersgruppen sehr gleichmäßig verteilt ist – während zum Beispiel bei der Internetnutzung deutliche Unterschiede existieren. Dass die Radionutzung stark von Gewohnheiten beeinträchtigt wird, spekuliert man bereits seit Jahrzehnten (Herzog, 1944), und verschiedene Analysen legen nahe, dass Habits eine große Rolle spielen könnten (Larsen, 2000; Rubin 50
Sie folgen ebenso der von Verplanken und Aarts (1999) entwickelten Definition von Habits. Eine Ausnahme ist die Studie von Charney und Greenberg (2001), die mit den erfragten Motiven immerhin fast 40% der Varianz erklärt.
51
196
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
& Step, 2000). Dennoch ist die Forschungslage bei der Habitualisierung der Radionutzung äußerst mager. Obwohl regelmäßig über Personen gespottet wird, die den Tag nicht ohne einen Blick in ihre Tageszeitung beginnen können (Bentley & Len-Rios, 2002, S. 3), und die populäre Literatur mit Alltagsbeobachtungen von Zeitungsnutzungsgewohnheiten geradezu überfrachtet ist, schlägt sich dies nicht in wissenschaftlichen Beiträgen nieder (Bentley, 2000, S. 127). So beherrschen eher Vermutungen denn empirische Erkenntnisse die Diskussion. Die vorliegende Analyse enthüllt, dass Gewohnheiten beim Griff zur Zeitung durchaus eine Rolle spielen, wobei es Unterschiede zwischen Befragten in verschiedenen Altersgruppen gibt: Je älter die Rezipienten sind, desto habitueller wenden sie sich der Zeitung zu – unabhängig vom Nutzungsumfang. Die Analyse zeigt zudem, dass Personen mit einem Zeitungsabonnement das Medium wesentlich habitueller nutzen als Leser ohne (F=31,83; p.001; MW=3,50; MW=2,71; Nutzungsumfang sowie Soziodemographika kontrolliert). Gerade bei der Zeitungsnutzung gibt es viel Potential für anschließende Untersuchungen, die sich verschiedenen Ebenen der Habitualisierung widmen können: Zum einen den Bezug eines bestimmten Zeitungstitels (der habitualisierte Kauf einer Zeitung52), zum Zweiten der gewohnheitsmäßige Griff zur Zeitung und zum Dritten bestimmte Lesegewohnheiten, das Zurückgreifen auf Themen und Rubriken in einer bestimmten Reihenfolge (Rogall, 2000, S. 119).
52
Dieser wird teilweise durch Abonnement ersetzt.
5.3 Ergebnisse
197
Tabelle 24: Mittlere Differenzen in der Habitstärke der untersuchten Medien Medium MW, SD, N Fernsehen MW: 3,48 (SD: 1,16) N=493 Internet MW: 3,60 (SD: 1,47) N=422 Radio MW: 3,94 (SD: 1,40) N=480 Zeitung MW: 3,31 (SD: 1,15) N=447
Medium
MD
SE
p
Internet Radio Zeitung Fernsehen Radio
-,12 -,46 ,17 ,12 -,34
,08860 ,08269 ,07532 ,08860 ,09607
,567 ,000 ,114 ,567 ,002
Zeitung
,28
,08981
,009
Fernsehen
,46
,08269
,000
Internet
,34
,09607
,002
Zeitung Fernsehen
,63 -,17
,08398 ,07532
,000 ,114
Internet
-,28
,08981
,009
Radio
-,63
,08398
,000
Tabelle 24: Mittlere Differenzen in der Habitstärke der untersuchten Medien Forschungsfrage 5.2: Gibt es eine transmediale Habitualisierung? Zuletzt geht es um die Frage, ob die Tendenz zur habituellen Nutzung medienübergreifend auftritt: Neigt der gewohnheitsmäßige Nutzer eines der vier Medien auch zu einer habituelleren Nutzung der anderen drei? Partialkorrelationen zwischen dem Ausmaß der habituellen Zuwendung sollen diese Frage beantworten. Die Nutzungsumfänge der Medien werden, ebenso wie Alter, Geschlecht und formale Bildung, herauspartialisiert. Neben den vier untersuchten Medien wird auch die habituelle Zuwendung zu Sendungen in die Analyse einbezogen. Alle zehn Korrelationen sind positiv und deuten so bereits die Richtung eines Effektes an, wobei sechs der zehn Zusammenhänge signifikant sind und die Signifikanzen der übrigen Zusammenhänge nur äußerst knapp an der Fünfprozentschwelle scheitern (vgl. Tabelle 25). Abgesehen von dem starken Zusammenhang zwischen Fernseh- und Sendungshabit, finden sich besonders deutliche Korrelationen zwischen dem Ausmaß der habituellen Zuwendung zu Internet und Fernsehen sowie zwischen Zeitung und Radio. Über die vier Medien hinweg ergibt sich eine mittlere Korrelation von .154; bezieht man die habituelle Zuwendung zu Sendungen mit ein, eine mittlere Korrelation von .188. So liefert die Studie Hinweise dafür, dass in der Tat eine transmediale Habitualisierung existiert. Wer sich einem Medium habituell zuwendet, neigt dazu,
198
5 Studie II: Habituelle Fernsehnutzung
auch andere Medien vermehrt aus Gewohnheit zu nutzen – unabhängig von Nutzungsumfang und soziodemographischen Merkmalen. Schweiger (2005, S. 196) zeigt, dass Menschen über einen generellen Stil verfügen, mit Medien umzugehen, und vermutet als eine der Ursachen dafür psychologische Persönlichkeitsstrukturen. So kann man auch bei der medienübergreifenden Tendenz zur habituellen Nutzung darüber spekulieren, ob diese Tendenz in der Persönlichkeit der Nutzer wurzelt. Anschließende Studien könnten das Ausmaß der habituellen Mediennutzung mit dem Ausmaß der Habitualisierung bei gänzlich anderen Tätigkeiten in Beziehung zu setzen. So ließe sich feststellen, ob habituelle Nutzer von Medien auch andere alltägliche Dinge vermehrt gewohnheitsmäßig verrichten. Tabelle 25: Partialkorrelationen der Medienhabits FernsehHabit
InternetHabit
RadioHabit
ZeitungHabit
SendungsHabit
Fernseh-Habit
1
.295***
.123*
.109
.385***
Internet-Habit
.295***
1
.047
.114
.175**
Radio-Habit
.123*
.047
1
,298***
.104
Zeitung-Habit
.109
.114
.298***
1
.234***
Sendungs-Habit
.385***
.175**
.104
.234***
1
Herauspartialisiert: Geschlecht, Alter, Bildung, Nutzungsumfang der Medien. ***p.001; **p.01; *p.05 Tabelle 25: Partialkorrelationen der Medienhabits
6 Fazit
„Schließlich kommt der Tag, an dem wir die Hölle verlassen könnten, aber das Anerbieten energisch ausschlagen, denn wer verzichtet schon auf eine liebgewordene Gewohnheit?“ (Virgilio Piñeiro, 1993; zitiert nach Betsch, 2005, S. 261)
Mancher Kulturpessimist mag im gegenwärtigen Fernsehprogramm eine solche „Hölle“ erkennen, der sich etliche Zuschauer – trotz gegenteiliger Absicht – nicht entziehen können. Dem entspräche die Beobachtung von Opaschowski (2006, S. 162), dass Fernsehen die am häufigsten ausgeübte Freizeitbeschäftigung der Deutschen ist, ihnen aber (angeblich) „zugleich am wenigsten Spaß“ macht. Erklären also Gewohnheiten die ungebrochen hohe Nutzung des Fernsehens? Die Arbeit legt nahe, dass Habits dazu beitragen. Die hier gewonnenen Erkenntnisse schärfen den Blick auf das (einleitend erwähnte) unvollständige Puzzle der Fernsehnutzungsforschung, indem sie Gewohnheiten als weiteres Teilchen integrieren. Das Fazit fasst zunächst die zentralen Ergebnisse beider Untersuchungen zusammen (vgl. zudem die jeweiligen Resümees der theoretischen Kapitel), stellt anschließend Herausforderungen für zukünftige Projekte vor und übt Kritik an den beiden durchgeführten Studien. Darüber hinaus folgt ein knapper Ausblick auf mögliche Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschung. 6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse von Studie I Habituell-angebotsunspezifischer und habituell-angebotsspezifischer Beginn der Fernsehnutzung Die Studie bestätigt die theoretisch postulierte Differenzierung zwischen habituell-angebotsunspezifischem und habituell-angebotsspezifischem Beginn der Fernsehnutzung und kann typische Teilnehmer für beide Zuwendungsmodi identifizieren. Dass Rezipienten den Fernseher meist angebotsunspezifisch einschalten, belegt die Analyse nicht: Zwar nutzen fast alle Teilnehmer das Medium auch angebotsunspezifisch, doch schalten sie den Fernseher zunächst sendungsspezifisch ein. So beginnt die Mehrheit der Befragten ihre TV-Nutzung (zumindest
200
6 Fazit
wochentags) recht regelmäßig mit einer bestimmten Sendung oder einem festen Repertoire an Sendungen; erst nach Ende dieser Rezeption schalten manche unspezifisch durch die Programme. Längere Nutzungsepisoden resultieren aber meist aus angebotsunspezifischen Zuwendungen, weshalb diese durchaus für den größeren Anteil der Gesamtnutzungszeit verantwortlich sein könnten. Ist beispielsweise die Tagesschau Auftakt eines dreistündigen Fernsehabends, der ab 20:15 Uhr angebotsunspezifisch fortgesetzt wird, erfolgen weniger als 10 Prozent der Nutzung angebotsspezifisch. Die Dynamik von spezifischer und unspezifischer Auswahl sowie die potentielle Substituierbarkeit der Inhalte erschweren eine präzise Analyse dieser Befunde beträchtlich: Das regelmäßig wiederholte Einschalten einer bestimmten Sendung bezeugt keineswegs, dass der Fernseher bei Nicht-Existenz der Sendung aus bleiben würde. Die Teilnehmer, die ihre Fernsehabende vorwiegend angebotsunspezifisch beginnen, haben äußerst ausgeprägte Nutzungsgewohnheiten, und ihre regelmäßigen Nutzungsepisoden folgen auffällig starren Abläufen. Sie stellen das Gerät meist während oder nach der Verrichtung bestimmter Tätigkeiten ein und grasen daraufhin die zur Verfügung stehenden Sender ab, um sich einen Überblick über das momentane Angebot zu verschaffen. Diese Programmdurchsicht ist allerdings keine sorgfältige Evaluation aller Sendungen mit einer daraus resultierenden wohlüberlegten Entscheidungsfindung. Die Rezipienten schalten vielmehr so lange durch die Programme, bis sie auf eine „passable“ Sendung stoßen. Dabei bevorzugen sie Gattungen, die einen kurzfristigen Einstieg in die Handlung ermöglichen und einen vorzeitigen Abbruch der Rezeption zulassen (z.B. Talk, Dokumentationen, Magazine und Comedy). Zwar sehen auch diese Befragten manche Sendungen regelmäßig, doch nutzen sie diese eher spontan: Die Rezeption ist in vielen Fällen Resultat eines zufälligen „Stolperns“ über das entsprechende Programm. Obwohl sie den Fernseher nicht gezielt zu festen Zeitpunkten einschalten, bewirkt die feste Integration des Mediums in die alltäglichen Abläufe, dass sie meist in ähnlichen Zeitfenstern fernsehen. Beim habituell-angebotsspezifischen Beginn der Fernsehnutzung starten die Rezipienten ihren Fernsehabend stets mit der gleichen Sendung oder dem gleichen „Sendungsmenü“ (im Sinne einer festen Reihenfolge mehrerer Sendungen). Trotz des regelmäßigen Einschaltens des Fernsehers zur gleichen Zeit haben sie nicht das Gefühl, sich dessen zeitlichem Diktat zu unterwerfen. Aus Sicht der Teilnehmer fügt sich die Rezeption der jeweiligen Sendung seit Jahren oder Jahrzehnten fast beiläufig in den Alltag ein. Dies resultiert meist aus der festen Abfolge verschiedenen Verhaltens, das der TV-Nutzung vorausgeht und nahtlos zur Rezeption der spezifischen Sendung führt. Die Sendungen dienen einigen Teilnehmern als wichtige Fixpunkte im Tagesablauf und trennen in dieser Funktion den Arbeitstag vom Feierabend. Der Rezeption der Sendung messen sie (wie
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse von Studie I
201
der Fernsehnutzung insgesamt) nur geringe Wertschätzung bei; andere Freizeitaktivitäten hätten ausdrücklich Vorrang vor der Fernsehnutzung. So decken sich die Aussagen der Befragten mit den Ergebnissen von Adams (2000, S. 85), bei dem nur fünf von fast 100 Befragten angeben, ihre Zeit um bestimmte Serien herum zu planen und klar stellen, dass sie ihren Alltag nicht nach einer Sendung ausrichten. So könnte die Habitualisierung einer der entscheidenden Faktoren sein, warum Zuschauer derart regelmäßig fernsehen, obwohl sie die Rezeption weder einplanen noch wertschätzen. Bedeutung spezifischer Hinweisreize Bei der Analyse von Hinweisreizen zeigen die Interviews, dass man den Einfluss von Uhrzeiten auf den Beginn der Nutzung nicht leichthin überschätzen sollte. Zwar starten viele der Teilnehmer ihre Fernsehnutzung zur gleichen Zeit, doch belegt dies keineswegs einen kausalen Zusammenhang. Besonders für jene Befragten, die ihre Rezeption habituell-angebotsunspezifisch beginnen, sind Uhrzeiten als Hinweisreize praktisch irrelevant; die Nutzung des Mediums fügt sich bei ihnen in den Tagesrhythmus ein und ist häufig an vorausgehendes Verhalten, wie das Nachhausekommen oder das Abendessen, geknüpft. Wenn Rezipienten ihre Fernsehnutzung täglich mit der gleichen Sendung beginnen, ergeben sich zwangsläufig regelmäßige Nutzungsepisoden zu bestimmten Uhrzeiten; doch schalten sie keineswegs sekundengenau zum Sendungsstart ein, sondern meist etwas früher. Dabei fallen oft die Initiierung oder das Ende anderer Tätigkeiten mit dem Beginn der TV-Nutzung zusammen. Die abendlich praktizierte choreographische Abfolge bestimmter Verhaltensmuster führt bei manchen Rezipienten nahtlos zur Fernsehrezeption – eine Synchronisation des Beginns der Fernsehnutzung mit der Uhrzeit ist somit entbehrlich. Die Vermutung liegt nahe, dass die Bedeutung zeitlicher Hinweisreize gerade bei jungen Personen nicht ausgeprägt ist und weiterhin abnehmen könnte. Der schnellere Tagesablauf sowie die weniger ausgeprägte Strukturierung des zeitlichen Alltags bei jungen Menschen (Meyer, 2008, S. 12-13) könnten der zeitlichen Habitualisierung im Wege stehen. Die Befragung verdeutlicht, dass man Hinweisreize nicht länger isoliert voneinander betrachten, sondern deren Interaktion in den Fokus rücken sollte: Die Zubereitung des Abendessens ist nur genau dann ein relevanter Hinweisreiz, wenn sie in der gewohnten Umgebung (z.B. in der heimischen Küche) erfolgt – in einer Ferienwohnung verliert dieses Verhalten womöglich die auslösende Funktion. Künftige Studien sollten den Zusammenhang von Uhrzeit und Beginn des Fernsehkonsums weniger deskriptiv betrachten: Die Erkenntnis, dass eine Person stets um sieben Uhr ihren Fernsehabend beginnt, ist eben kein Beleg für eine zeitliche Habitualisierung. Der Tagesablauf der jeweiligen Person, voraus-
202
6 Fazit
gehendes Verhalten, Stimmungen und andere relevante Einflüsse sowie deren Interaktionen müssten Berücksichtigung finden. Nur so kann man letztlich klären, welche Reize die Zuwendung aktivieren. Die Untersuchung der Hinweisreize findet eine mögliche Erklärung für den häufig berichteten Zusammenhang von Habit und „pass time“ (vgl. Kapitel 2.3.3), die bei der Erstellung von Motivkatalogen oft auf dem gleichen Faktor laden (z.B. Conway & Rubin, 1991; Perse & Rubin, 1988; Rubin, 1983; Rubin & Step, 2000). Aus leerer, unstrukturierter Zeit erwächst Langeweile, die Menschen vor den Fernseher treibt. Die Langeweile könnte im Prozess der Habitualisierung zu einem bedeutungsvollen Hinweisreiz werden, der (in Interaktion mit anderen Reizen) die Fernsehnutzung aktiviert. Ob diese Vermutung stichhaltig ist, müssen anschließende Experimente herausfinden. Folgen der habituellen Fernsehnutzung Die qualitative Befragung trägt mögliche Folgen der habituellen Nutzung zusammen, kann über deren Kausalität allerdings keine Auskunft geben. Für die eingangs diskutierte Vermutung, dass habituell auswählende Rezipienten den Inhalten weniger Aufmerksamkeit schenken, findet die Studie keine Anhaltspunkte. Die Teilnehmer, die bestimmte Sendungen aus Gewohnheit verfolgen, sehen diese keineswegs nur beiläufig und richten ihre Aufmerksamkeit während der Rezeption auch nicht auf andere Dinge. Ganz im Gegenteil halten sie ihre regelmäßigen Rezeptionen gezielt frei von Paralleltätigkeiten und zeigen ein ausgeprägtes Interesse für die Inhalte. Nur bei den Teilnehmern, die ihre Fernsehnutzung habituell-angebotsunspezifisch beginnen, deutet sich eine verminderte Aufmerksamkeit während der Rezeption an: Sie gehen oftmals parallel zur Nutzung anderen Tätigkeiten nach und zeigen weniger Interesse an den Inhalten. Allerdings ist zweifelhaft, ob dies Effekte der Habitualisierung sind oder Folgen der angebotsunspezifischen Rezeption. Denn die Habitualisierung einer Tätigkeit bewirkt nicht die Automatisierung der gesamten Durchführung, sondern lediglich dessen automatisierte Auslösung – daher sollten gewohnheitsmäßig einschaltende Zuschauer den Inhalten durchaus ihre volle Aufmerksamkeit widmen (wenn sie das denn wollen). Etablierte Gewohnheiten reduzieren die Informationen, die man vor einer Entscheidung sammelt. Die Bearbeitung der Informationen fällt zudem oberflächlicher aus, und man beachtet vorwiegend solche Aspekte, die mit dem jeweiligen Verhalten konsistent sind. Potentielle Alternativen fallen unter den Tisch, die Habitualisierung führt zu einem „Tunnelblick“. Entsprechend findet bei der habituell-angebotsspezifischen TV-Nutzung eine verminderte Evaluation von Programmalternativen statt, die Zuschauer machen sich weniger Gedanken, was zeitgleich auf anderen Sendern laufen könnte, ob es dort etwa „bessere“
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse von Studie I
203
Alternativen geben könnte. Dieser Effekt hängt eng mit der Zuschauertreue zusammen, da die Rezipienten anderen Programmen keine Aufmerksamkeit schenken und den Fernseher äußerst regelmäßig einschalten. Bei der habituellangebotsunspezifischen Zuwendung zeigt sich jedoch ein gegenteiliger Effekt: Diese Befragten prüfen zu Beginn der Nutzung die momentan laufenden Inhalte, indem sie die vorhandenen Sender abgrasen – wenngleich sie nicht alle Alternativen gründlich abwägen. Der oben beschrieben „Tunnelblick“ kann allerdings verursachen, dass habituell auswählende Rezipienten (sowohl angebotsspezifisch als auch -unspezifisch) andere Optionen der Freizeitgestaltung weniger beachten und kaum über Möglichkeiten nachdenken, die vor dem Fernseher verbrachte Zeit anderweitig zu nutzen. Die Minimierung der bewussten kognitiven Anstrengungen hält auf der anderen Seite mentale Ressourcen frei und entlastet das kognitive System. Dies spart Zeit und man kann die – ohnehin begrenzte (vgl. z.B. Deutsch & Deutsch, 1963) – Aufmerksamkeit bei habituellen Ausführungen auf andere Dinge lenken. James (1890, S. 121) weist bereits vor über 100 Jahren auf die kognitiven Ressourcen hin, die etablierte Habits frei legen können. Gewohnheiten erleichtern nicht nur die alltägliche Lebensführung, sondern sind dafür geradezu unerlässlich. Sie vereinfachen den Prozess der Medien- und Inhaltsauswahl; Rezipienten müssen die notwendigen Selektionen nicht stets aufs Neue planen. Längeres Entscheidungsfinden entfällt, und die Habits ermöglichen es, die Aufmerksamkeit während der Selektion auf andere Dinge zu lenken. Als letzte Auswirkung einer habituellen Zuwendung diskutiert die Studie die Zunahme des Nutzungsumfangs. Die habituell-angebotsunspezifisch auswählenden Teilnehmer sehen viel fern, was die Beständigkeit ihrer Nutzungsepisoden bewirkt: Selbst wenn keine Sendung auf dem Programm steht, die sie interessiert, schalten sie den Fernseher nicht aus. Allerdings ist die kausale Richtung bei Habitualisierung und Nutzungsumfang unklar. So könnte die habituelle Zuwendung eine vermehrte Nutzung bewirken, weil die automatisierte Aktivierung der Rezeption deren schwere Kontrollierbarkeit bedingt und der Zuschauer keine Alternativen zur Nutzung abwägt. Eine dauerhafte umfangreiche Nutzung würde aber auch eine zunehmende Habitualisierung bewirken, da das regelmäßige Einschalten zentrale Voraussetzung zur Gewohnheitsbildung ist. Anzeichen dafür, dass Habits Ursache für eine exzessive Fernsehnutzung und einer daraus erwachsenden Abhängigkeit vom Medium sein könnten, gibt es hingegen nicht. Wahrnehmung und Wertung von Fernsehnutzungsgewohnheiten Als Ursache ihrer Fernsehnutzung nennen die Befragten vor allem Information, Zeitvertreib sowie Entspannung und Unterhaltung. Diese Gründe reihen sich nahtlos in die diversen Motivkataloge ein, die für die Fernsehnutzung existieren.
204
6 Fazit
Auffällig ist, dass nur ein einziger Teilnehmer mutmaßt, dass Gewohnheiten die Zuwendung zum Medium beeinflussen könnten. Alle anderen ziehen Habits bei der offenen Frage nach den Ursachen der TV-Nutzung nicht als Erklärung heran; sie sind den Befragten kaum bewusst. Als Ursachen für ihren Fernsehkonsum nennen sie eher Motive, die sie durch die Rezeption aktiv befriedigen möchten. Es scheint, dass Rezipienten auf der Suche nach plausiblen Gründen für die Fernsehnutzung insbesondere die Informationsfunktion als Erklärung parat haben und diese bereitwillig erwähnen, zumal ihnen diese Begründung attraktiv und einleuchtend erscheint. Zumindest die hier Interviewten verschweigen den Einfluss von Gewohnheiten nicht aus sozialer Erwünschtheit: Auf die Nachfrage, ob sie ihre Zuwendung vermehrt intentional oder habituell steuern, schätzen sie den Einfluss der Habitualisierung auf ihre TV-Nutzung als sehr bedeutend ein. Die Teilnehmer haben eine klare Vorstellung von Gewohnheiten und können viele der relevanten Kriterien (regelmäßige Wiederholung und verschiedene Facetten der automatisierten Auslösung) zusammentragen. Den Begriff „Gewohnheit“ verbinden sie zumeist mit positivem Erleben. Dies resultiert einerseits aus dem (unzutreffenden) Gedanken, dass man nur solche Tätigkeiten habituell ausführte, denen man gerne nachgeht. Dass Habits auch unliebsames Verhalten steuern können, ignorieren die meisten Befragten. Nur wenige erkennen die durch die Automatisierung bedingte schwere Kontrollierbarkeit als potentiell problematischen Aspekt und äußern sich kritisch über die mangelnde Kontrolle. Viel häufiger empfinden sie Gewohnheiten als etwas Vertrautes, das ihnen das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Die Tatsache, dass sie den Alttag erleichtern und man sich nicht ständig nachzudenken braucht, steht im Vordergrund. Auch Tradition und Identität werden mit dem Begriff assoziiert. Deutlich negativer bewerten die Teilnehmer allerdings den Einfluss von Gewohnheiten auf die Fernsehnutzung. Diese Effekte beurteilen sie durchaus kritisch, da sie der Fernsehnutzung eher skeptisch gegenüber stehen und sie kaum wertschätzen. So kommt bei manchen Befragten der Wunsch auf, das Medium intentionaler zu nutzen und Inhalte bewusster auszuwählen. 6.2 Zusammenfassung der Ergebnisse von Studie II Die Analyse verdeutlicht, dass das Zusammenspiel von Nutzungsumfang und Habitstärke komplex ist. Die habituelle Zuwendung zu einem Medium (nicht zu einem spezifischen Inhalt) hängt in der Tat mit einem erhöhten Nutzungsumfang zusammen. Ebenso geht die habituelle Nutzung einer bestimmten Sendung mit deren häufigerer Rezeption einher. Allerdings besteht kein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der habituellen Sendungsnutzung und dem gesamten Fern-
6.2 Zusammenfassung der Ergebnisse von Studie II
205
sehnutzungsumfang. Rezipienten, die eine bestimmte Sendung habituell verfolgen, neigen also nicht dazu, generell mehr fernzusehen. Entsprechend problematisch ist die Gleichsetzung der habituellen Fernsehnutzer mit Vielsehern: Zwar sehen Personen mit ausgeprägten TV-Habits mehr fern, doch zählen nur etwas über ein Drittel von ihnen zu den Personen mit überdurchschnittlichem Nutzungsumfang. So gibt es Rezipienten mit festen Nutzungsgewohnheiten, die nur wenig fernsehen, und solche, die das Medium über fünf Stunden täglich nutzen, ihre Zuwendung aber kaum habituell steuern. Unweigerlich führen die Ergebnisse zurück zur Debatte um die Kausalität. Je nachdem, welche Richtung des Effektes man annimmt, ergeben sich zwei denkbare Interpretationen: Zum einen könnte die häufige Nutzung zu einer stärkeren Habitualisierung führen, zum anderen könnten Gewohnheiten eine vermehrte Nutzung bewirken. Die meisten Untersuchungen halten sich bei dieser Debatte weitgehend zurück und nehmen meist implizit an, dass Gewohnheiten die häufigere Ausführung verantworten. Dabei ist evident, dass beide Wirkungsrichtungen existieren. Gewiss liegt die Vermutung nahe, dass der umgekehrte Effekt (eine häufige Rezeption führt zur Ausbildung von Gewohnheiten) vermehrt bei den ersten Ausführungen einer neuen Tätigkeit zum Tragen kommt und bei einmal etablierten Habits in den Hintergrund tritt. Weitere Forschung sollte experimentell und mittels Zeitreihenmessungen die Effektrichtung examinieren. Der „typische habituelle Fernsehnutzer“ lässt sich nur schwerlich anhand soziodemographischer Variablen beschreiben. Im Ausmaß der habituellen Zuwendung zum Fernsehen oder einer spezifischen Sendung gibt es weder Unterschiede zwischen Männern und Frauen noch zwischen Personen mit unterschiedlicher formaler Bildung. Das Alter hat einen Effekt auf die habituelle Nutzung des Mediums, nicht jedoch auf die habituelle Zuwendung zu einer bestimmten Sendung. Der schwache negative Zusammenhang von Alter und Ausmaß der habituellen Fernsehnutzung (jüngere Personen wenden sich dem Fernsehen habitueller zu als ältere) ist allerdings äußerst gering. Der typische habituelle Fernsehnutzer existiert nach soziodemographischen Gesichtspunkten also nicht, doch zeigen sich mehrere Unterschiede im Umgang mit dem Fernsehen: Wer sich dem Medium vermehrt habituell zuwendet, neigt eher dazu, den Fernseher sendungsunspezifisch einzuschalten, zudem hat er eine positivere Einstellung dem Medium gegenüber. Und auch in den bevorzugten Inhalten unterscheiden sich Rezipienten mit schwachen und starken Gewohnheiten: Letztere sehen nicht nur mehr fern, sie wenden sich auch vergleichsweise häufiger unterhaltenden Fernsehgattungen zu. Ob man Rezipienten mit starken und schwachen Nutzungshabits aber als grundlegend verschiedene „viewer types“ (Rubin, 1981b; Rubin, 1983; Rubin, 1984; Rubin & Rubin, 1982) charakterisieren kann, ist äußerst zweifelhaft.
206
6 Fazit
Mit stärkeren Nutzungsgewohnheiten wird der Zusammenhang von Intention und Fernsehnutzungsumfang schwächer. Es gibt einen Moderatoreffekt der Habitstärke auf den Einfluss der Intention; sie verliert als Prädiktor des Nutzungsumfangs an Bedeutung, wenn feste Gewohnheiten vorliegen. Dieser Befund stützt die mehrmals geäußerte Vermutung, dass eine bewusste Auswahl insbesondere dann erfolgt, wenn sich Rezipienten neuen oder besonders relevanten Inhalten zuwenden, oder wenn die Nutzung eines Mediums nicht in die täglichen Abläufe integriert ist. Studien aus anderen Verhaltensbereichen zeigen, dass sich Intentionen für die Vorhersage von Verhalten besonders dann eignen, wenn noch keine festen Gewohnheiten bestehen – bei etablierten Habits tritt der Vorhersagewert der Intention zunehmend in den Hintergrund. Die Untersuchung demonstriert, dass dies ebenso für die Fernsehnutzung gilt. Hinweise dafür, dass die Zuwendung zu Sendungen, die stets zur gleichen Zeit starten, habitueller wäre als die von Sendungen mit variierenden Anfangszeiten, findet die Analyse nicht. Allerdings schränkt die äußerst kleine Stichprobe von Sendungen mit variierenden Startzeiten diesen Befund ungemein ein; erst eine wiederholte Messung mit einer deutlich größeren Stichprobe wird dies klären können. Es zeigen sich keine Unterschiede im Ausmaß der Habitualisierung bei der Nutzung verschiedener Fernsehgattungen. Auch dieses Ergebnis sollte man allerdings vor dem Hintergrund des methodischen Vorgehens kritisch betrachten, da die Teilnehmer mutmaßlich nur solche Sendungen angeben, bei denen Gewohnheiten eine wichtige Rolle spielen; es handelt sich also nicht um eine zufällige Auswahl verschiedener Sendungen. Überraschend deutlich erweisen die Daten, dass Nutzungsgewohnheiten durch eine jahrelange Rezeption kontinuierlich stärker werden: Rezipienten, die eine Sendung seit mehr als 10 Jahren verfolgen, haben beispielsweise signifikant stärkere Gewohnheiten als Zuschauer, die eine Sendung „erst“ seit weniger als fünf Jahren sehen. Dies demonstriert exemplarisch den dynamischen Wandel, dem Fernsehnutzungsgewohnheiten unterliegen. Zuletzt deckt die Untersuchung eine medienübergreifende Tendenz zur habituellen Nutzung auf: Der gewohnheitsmäßige Nutzer eines Mediums neigt auch zu einer habituelleren Nutzung anderer Medien. Die Studie demonstriert zudem, dass ein strukturierter Tagesablauf signifikant positiv mit dem Ausmaß der habituellen Zuwendung zu Fernsehen, Radio und Zeitung korreliert. Ob das Ausmaß der gewohnheitsmäßigen Nutzung der Medien mit der Habitualisierung anderer Tätigkeiten des täglichen Lebens zusammenhängt, ist allerdings (noch) unklar.
6.3 Herausforderungen und Ausblick für zukünftige Forschung
207
6.3 Herausforderungen und Ausblick für zukünftige Forschung Drei Herausforderungen für die Erforschung von Nutzungsgewohnheiten 1.
2.
3.
Eine isolierte Betrachtung von Nutzungsgewohnheiten ist problematisch, da sie im Zusammenspiel mit Intentionen, situativen Bedingungen, Rezipientenmerkmalen und alltäglichen Abläufen auftreten. Das erschwert die Methodenwahl ungemein: Eine quantitative Befragung konzentriert sich auf wenige, aus dem Kontext herausgelöste, Merkmale und kann die in den Alltag der Rezipienten eingebettete, habituelle Fernsehnutzung nicht in ihrer Gesamtheit analysieren. Eine qualitative Befragung stößt hingegen Rationalisierungsprozesse an, wobei die unauffällige Präsenz des Fernsehens im Tagesablauf es zusätzlich erschwert, die alltägliche Mediennutzung in Interviews zu rekonstruieren. Die Teilnehmer beschreiben zwar die regelmäßigen Abläufe, doch länger zurückliegende Nutzungsepisoden verblassen gerade wegen ihrer Alltäglichkeit und unbewussten Aktivierung; auch fällt es den Befragten schwer, die den Ausführungen zugrunde liegenden Mechanismen zu benennen. Da jede einzelne Methode zur Messung von Gewohnheiten spezifische Vor- und Nachteile birgt (vgl. Kapitel 3.3.1), sollten anschließende Studien versuchen, die jeweiligen Vorteile in einem MehrMethoden-Mix zu bündeln und so die Nachteile zu kompensieren. Einer Kombination aus Beobachtung, Befragung und Tagebüchern könnte es zudem gelingen, der Dynamik von Mediennutzungsgewohnheiten gerecht zu werden (s. u.). Intention und Gewohnheit bilden die Endpunkte eines Kontinuums; die Grenzen zwischen einer bewussten Medien- und Inhaltsauswahl und der habituellen Zuwendung sind fließend, zumal Gewohnheiten aus einer ursprünglich intentional durchgeführten Zuwendung erwachsen. Der Usesand-Gratifications-Ansatz liefert einen immensen Beitrag zur Erklärung der Fernsehnutzung, doch sollte er – wenn man ihn weiterentwickeln möchte – den Einfluss von Gewohnheiten expliziter berücksichtigen. Die Habitualisierung muss nämlich keineswegs der Gegenstandsbereich sein, „der dem Uses-and-Gratifications-Ansatz […] die größten Erklärungsschwierigkeiten“ bereitet (Vorderer, 1992, S. 125); weiterführende Forschung zu dem Ansatz ist in der Pflicht, sich in wachsendem Maße mit Gewohnheiten auseinanderzusetzen. Nutzungsgewohnheiten unterliegen einem dynamischen Wandel. Sie entwickeln sich beständig fort, manche verblassen, und andere werden durch neue Gewohnheiten substituiert. Eine Messung zu einem einzigen Zeitpunkt wird dieser Dynamik nicht gerecht. Freilich steht eine punktuelle Messung
208
6 Fazit nicht der Analyse von Zusammenhängen bestimmter Variablen mit der habituellen Nutzung (wie in der vorliegenden Arbeit) entgegen, zumal sich Gewohnheiten selten sprunghaft ändern, sondern die Entwicklung offenbar langsam abläuft. Bei der Untersuchung dieser Prozesse ergibt sich Potential für weitere Studien. Hier muss man insbesondere bedenken, wie man die Schwierigkeit, die Entstehungs- und Entwicklungsprozesse über den notwendigen, längerfristigen Zeitraum zu dokumentieren, meistert.
Ausblick Anschließende Studien sollten ihr Augenmerk vermehrt auf den Einfluss spezifischer Hinweisreize richten. Die vorgeschlagene Differenzierung von vier Gruppen relevanter Cues (externe Gegebenheiten, zeitliche Hinweisreize, Stimmungen und vorausgegangenes bzw. momentanes Verhalten) muss experimentell überprüft und deren jeweilige Relevanz herausgearbeitet werden. Dabei darf man die Hinweisreize keinesfalls isoliert betrachten, sondern sollte sich deren Interaktion widmen. Die Fokussierung auf einzelne Reize führt sonst zu leichtfertigen Fehlschlüssen: Wie die qualitative Studie demonstrierte, ist ein regelmäßig wiederholtes Einschalten des Fernsehers um 20:00 Uhr höchstens ein Indiz, jedoch keineswegs ein „Beweis“ für eine zeitliche Habitualisierung. Auch die Erforschung der Auswirkungen einer habituellen Fernsehnutzung steht noch am Anfang. Hier konnten die vorliegenden Untersuchungen keine Kausalzusammenhänge überprüfen, sondern stellten über die Richtung der Effekte „nur“ theoretische Überlegungen an. So bleibt viel Potential für anschließende Studien. Anknüpfungspunkte ergeben sich weiterhin beim Einfluss von Gewohnheiten bei der Nutzung anderer Medien. Egal, ob sich um das Lesen der Tageszeitung beim Frühstück handelt, das Radiohören im Badezimmer, das Abrufen von Spiegel online am Arbeitsplatz oder die Tagesschau am Abend: Nur die wenigsten Rezipienten wenden sich dem jeweiligen Medium und seinen Inhalten zum ersten Mal zu. „Der Alltag ist zum Medienalltag geworden“ (Huber, 2006, S. 13; vgl. auch Fritz & Klingler, 2003), in dem sich jeder Rezipient aus den vorhandenen Angeboten ein individuelles Menü kreiert (Haas, 2007). Während zur Habitualisierung der Internetnutzung einige Arbeiten entstanden (vgl. Kapitel 5.3.5), fehlen solche, die den Einfluss von Gewohnheiten auf die Radio- und Zeitungsnutzung analysieren. Dabei spielen nicht nur die Prozesse der Zuwendung eine Rolle, sondern auch die Frage, wie sich Gewohnheiten während der Rezeption auswirken und zum Beispiel die Auswahl von Artikeln und Sendern oder das Zapping beeinflussen. Newell und LaRose (2004) erkennen – neben der wissenschaftlichen Relevanz – einen ganz pragmatischen Nutzen in der Erforschung der habituellen Mediennutzung: „The business of mass media can be seen as one in which habi-
6.3 Herausforderungen und Ausblick für zukünftige Forschung
209
tual media use is transformed into advertising and subscription revenue“. Dennoch beruhen Diskussionen von Fernsehschaffenden zu diesem Thema eher auf Vermutungen denn auf wissenschaftlichen Erkenntnissen; dabei könnte eine detaillierte Analyse von Nutzungshabits zur Erklärung und Vorhersage von Zuschauerverhalten beitragen. „Knowing what it takes to establish an habitual audience will be beneficial as well for magazines, cable television, newspapers and other media outlets“ (Stone & Stone, 1990, S. 32). Den Versuch des ehemaligen Sat.1-Chefs Fred Kogel, den Start seines Hauptabendprogramms um eine Viertelstunde nach vorne zu verlegen und statt um 20:15 Uhr um 20:00 Uhr mit dem Primetime-Programm zu beginnen, führt Hoff (2007, S. 26) als Beispiel dafür an, was passiert, wenn man an den Gewohnheiten der Zuschauer rüttelt: Um dem neuen Sat.1-Slogan „Volle Stunde. Volles Programm.“ zu folgen, hätten die Rezipienten ihre fest eingespielten Sehgewohnheiten aufgeben müssen. Dies taten die Zuschauer jedoch keineswegs, weshalb der Versuch scheiterte. Hoff (2007, S. 26) vermutet, dass es die „heilige Instanz der 20-Uhr-Tagesschau“ war, welche die Zuschauer vom Sat.1-Programm fernhielt. So schließt sich der Kreis zum eingangs zitierten Helmut Thoma, der ja behauptet, die Tagesschau sei keine Sendung, „sondern pure Gewohnheit“, und man könne sie auch in Latein verlesen. Hier übersieht Thoma, dass Habits auf das Erreichen bestimmter Ziele oder Zustände abzielen, weshalb man ein nicht mehr zielführendes Verhalten trotz fester Gewohnheiten beendet. Folglich blieben nur profunde Kenner der lateinischen Sprache der Tagesschau treu. Alle übrigen würden wohl darauf verzichten und sich stattdessen anderen Tätigkeiten oder Sendungen widmen – freilich nur, um wieder neue Gewohnheiten zu etablieren.
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Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Items des SRHI und deren (mögliche) Zuordnung zu den Core Elements............................................................................................. 94 Tabelle 2: Third-Person und First-Person-Wahrnehmung der Fernsehnutzung 101 Tabelle 3: Soziodemographische Merkmale der Teilnehmer der qualitativen Befragung......................................................................................... 116 Tabelle 4: Gründe für die Fernsehnutzung ....................................................... 142 Tabelle 5: Verständnis von Gewohnheiten ....................................................... 145 Tabelle 6: Angestrebte Verteilung für Alter & Geschlecht .............................. 164 Tabelle 7: Angestrebte Verteilung für Alter, Geschlecht & Bildung................ 165 Tabelle 8: Quotenplan....................................................................................... 165 Tabelle 9: Soziodemographische Beschreibung der Stichprobe ....................... 166 Tabelle 10: Reliabilität der Habit-Skalen.......................................................... 167 Tabelle 11: Partialkorrelationen zwischen Nutzungsumfang und Habitualisierung.............................................................................. 171 Tabelle 12: Varianzanalyse Habitualisierung bei Viel- und Wenignutzern...... 173 Tabelle 13: T-Test Habitualisierung bei (werk-)täglichen und wöchentlichen Sendungen........................................................................................ 176 Tabelle 14: Partialkorrelationen zwischen Alter und Habitstärke .................... 179 Tabelle 15: Kovarianzanalyse Soziodemographie und Habitstärke.................. 181 Tabelle 16: Partialkorrelationen Habitualisierung und Alltag .......................... 182 Tabelle 17: Kovarianzanalyse der meist gesehenen Gattungen ........................ 186 Tabelle 18: Partialkorrelationen Intention und Nutzungsumfang ..................... 188 Tabelle 19: Hierarchische lineare Regressionsmodelle; Nutzungsumfang als Kriterium.......................................................................................... 189 Tabelle 20: T-Test Fernseh- und Sendungshabitstärke..................................... 190 Tabelle 21: Varianzanalyse Sendungshabit und Nutzungshistorie ................... 192 Tabelle 22: T-Test Sendungshabits bei regelmäßigem und unregelmäßigem Start................................................................................................. 193 Tabelle 23: Ausmaß der Habitualisierung bei verschiedenen Gattungen ......... 194 Tabelle 24: Mittlere Differenzen in der Habitstärke der untersuchten Medien. 197 Tabelle 25: Partialkorrelationen der Medienhabits ........................................... 198
Anhang
Anhang
233
Fragebogen Studie 2
Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr, ich bitte Sie um Mitarbeit bei einer Untersuchung, die derzeit an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt wird. Die Studie analysiert verschiedene Aspekte der Mediennutzung. Insbesondere soll erforscht werden, warum und wie Sie verschiedene Medien auswählen. Ich bitte Sie, die nachfolgenden Fragen aufmerksam durchzulesen, und jeweils die Antwortmöglichkeit anzukreuzen, die (am ehesten) auf Sie zutrifft. Es gibt dabei keine richtigen oder falschen Antworten, da mich Ihre ganz persönliche Meinung interessiert. Alle Angaben werden anonym behandelt und ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke genutzt. Sie brauchen weder Ihren Namen noch Ihre Adresse anzugeben. Für Ihre Teilnahme bedanke ich mich schon vorab herzlich. Thomas Koch
234
Anhang
Bitte beantworten Sie zunächst einige Fragen zu Ihrer Fernsehnutzung. Sollten Sie niemals fernsehen, fahren Sie mit Frage 49 fort. 4.
Ich sehe regelmäßig fern. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O
stimme voll und ganz zu
5.
Oft schalte ich das Fernsehgerät ganz unbewusst ein. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu
6.
Es würde mir schwer fallen, einen Monat lang nicht fernzusehen. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu
7.
Ich denke kaum darüber nach, wenn ich den Fernseher einschalte. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu
8.
Fernsehen ist Teil meiner täglichen bzw. wöchentlichen Routine. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu
9.
Manchmal schalte ich den Fernseher ein, ohne es überhaupt zu realisieren. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu
10. Es würde mir schwer fallen, meine Fernsehnutzung einzuschränken. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu 11. Während ich den Fernseher einschalte, denke ich oft an ganz andere Dinge. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu 12. Meine Absicht, in den nächsten zwei Tagen fernzusehen, ist… klein O - O - O - O - O - O - O groß 13. Die meisten Menschen, die mir wichtig sind, heißen es gut, wenn ich fernsehe. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu 14. In den nächsten beiden Tagen fernzusehen ist für mich… leicht möglich O - O - O - O - O - O - O schwer möglich 15. Ich habe fest vor, in den nächsten zwei Tagen fernzusehen. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu 16. Die meisten Menschen, die mir wichtig sind,... befürworten O - O - O - O - O - O - O missbilligen meine Fernsehnutzung. 17. In den nächsten zwei Tagen fernzusehen, wäre unproblematisch. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu
Anhang
235
18. Welche Sendung ich sehe, entscheide ich erst nach dem Einschalten des Fernsehers. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu 19. Ich sehe mir stets die gleichen Sendungen im Fernsehen an. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu 20. Ich sehe aus Gewohnheit fern. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O
stimme voll und ganz zu
21. Meist schalte ich den Fernseher ein, um eine ganz bestimmte Sendung zu sehen. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu 22. Wie viele Fernsehprogramme empfangen Sie? O Ich habe keinen Fernseher. O 1-3 O 4-7 O 8-15 O 16-25 O 26-75 O 76 Wie häufig sehen Sie die folgenden Formate im Fernsehen an? 23. Nachrichten nie O - O - O - O - O - O - O
sehr oft
24. Daily Soaps, Telenovelas nie O - O - O - O - O - O - O
sehr oft
25. Quiz- und Gameshows nie O - O - O - O - O - O - O
sehr oft
26. Dokumentationen und Reportagen nie O - O - O - O - O - O - O
sehr oft
27. Spielfilme nie O - O - O - O - O - O - O
sehr oft
28. Polittalk nie O - O - O - O - O - O - O
sehr oft
236
Anhang
Ich empfinde Fernsehen als… 29. positiv
O - O - O - O -O - O -O
negativ
30. gewinnbringend O - O - O - O - O - O - O
nutzlos
31. förderlich
O - O - O - O -O - O -O
hinderlich
32. erfreulich
O - O - O - O -O - O -O
unerfreulich
33. angenehm
O - O - O - O -O - O -O
unangenehm
34. Wie lange sehen Sie durchschnittlich am Tag fern? O < 30 min O 30 min - 1h O 1h-2h O 2h-3h O 3h-4h O 4h-5h O >5h 35. An wie vielen Tagen in der Woche schalten Sie den Fernseher ein? O höchstens einmal die Woche O zweimal die Woche O dreimal die Woche O viermal die Woche O fünfmal die Woche O sechsmal die Woche O jeden Tag 36. Wie lange haben Sie gestern ferngesehen? O gar nicht O weniger als eine Stunde O ein bis zwei Stunden O zwei bis drei Stunden O drei bis vier Stunden O fünf bis sechs Stunden O mehr als sechs Stunden 37. Wie lange haben Sie vorgestern ferngesehen? O gar nicht O weniger als eine Stunde O ein bis zwei Stunden O zwei bis drei Stunden O drei bis vier Stunden O fünf bis sechs Stunden
O mehr als sechs Stunden
Anhang
237
38. Schreiben Sie bitte die Fernsehsendung auf, die Sie am häufigsten verfol-
gen. Wenn es überhaupt keine Sendung gibt, die Sie mehrmalig ansehen, bitte weiter mit Frage 49.
39. Wie oft läuft diese Sendung im Fernsehprogramm? O täglich O sechsmal die Woche O fünfmal die Woche O viermal die Woche O dreimal die Woche O zweimal die Woche O einmal die Woche O anderer Rhythmus O weiß nicht 40. Von dieser Sendung sehe ich… O jede Folge. O fast jede Folge. O ca. jede zweite Folge. O ca. jede dritte Folge. O nur hin und wieder eine Folge. 41. Ich habe fest vor, die nächste Ausstrahlung der Sendung zu sehen. stimme nicht zu O - O - O - O - O - O - O stimme voll und ganz zu
42. Wie lange verfolgen Sie diese Sendung schon? O O O O O
mehr als 10 Jahre 5-10 Jahre 3-5 Jahre 1-3 Jahre 6-12 Monate
O 2-5 Monate O weniger als 2 Monate
238
Anhang
Bitte denken Sie an die soeben genannte Sendung und beurteilen Sie die folgenden Aussagen: 43. Ich sehe die Sendung regelmäßig. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
44. Oft schalte ich die Sendung ganz unbewusst ein. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
45. Es würde mir schwer fallen, die Sendung einen Monat lang nicht zu sehen. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
46. Ich denke kaum darüber nach, wenn ich die Sendung einschalte. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
47. Die Sendung ist Teil meiner täglichen bzw. wöchentlichen Routine. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
48. Manchmal schalte ich die Sendung ein, ohne es überhaupt zu realisieren. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
49. Es würde mir schwer fallen, die Sendung seltener zu nutzen. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
50. Während ich die Sendung einschalte, denke ich oft an ganz andere Dinge. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
51. Meine Absicht, das nächste Mal diese Sendung zu sehen ist klein O - O - O - O - O - O - O groß
Anhang
239
Beantworten Sie bitte im Folgenden einige Fragen zu Ihrer Internetnutzung. Fall Sie niemals das Internet nutzen, bitte weiter mit Frage 58. 52. Ich nutze das Internet regelmäßig. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
53. Oft setze ich mich ganz unbewusst an den Computer und surfe im Netz. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
54. Es würde mir schwer fallen, einen Monat nicht im Internet zu surfen. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
55. Ich denke kaum darüber nach, wenn ich beginne, im Internet zu surfen. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
56. Das Internet ist Teil meiner täglichen bzw. wöchentlichen Routine. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
57. Manchmal beginne ich das Surfen, ohne es überhaupt zu realisieren. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
58. Es würde mir schwer fallen, meine Internetnutzung einzuschränken. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
59. Während ich den Computer einschalte, denke ich oft an ganz andere Dinge. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
60. Wie lange nutzen Sie im Durchschnitt täglich das Internet? O < 30 min O 30 min - 1h O 1h-2h O 2h-3h O 3h-4h O 4h-5h O >5h
240
Anhang
Beantworten Sie bitte im Folgenden einige Fragen zu Ihrer Radionutzung. Falls Sie niemals Radio hören, bitte weiter mit Frage 67. 61. Ich höre regelmäßig Radio. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
62. Oft schalte ich das Radio ganz unbewusst ein. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
63. Es würde mir schwer fallen, das Radio einen Monat lang nicht einzuschalten. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
64. Ich denke kaum darüber nach, wenn ich das Radio einschalte. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
65. Radio hören ist Teil meiner täglichen bzw. wöchentlichen Routine. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
66. Manchmal schalte ich das Radio ein, ohne es überhaupt zu realisieren. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
67. Es würde mir schwer fallen, meine Radionutzung einzuschränken. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
68. Während ich das Radio einschalte, denke ich oft an ganz andere Dinge. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
69. Wie lange hören Sie im Durchschnitt täglich Radio? O < 30 min O 30 min - 1h O 1h-2h O 2h-3h O 3h-4h O 4h-5h O >5h
Anhang
241
Beantworten Sie bitte im Folgenden einige Fragen zu Ihrer Zeitungsnutzung. Falls Sie nie Zeitung lesen, bitte weiter mit Frage 77. 70. Wie lange lesen Sie im Durchschnitt täglich Zeitungen? O < 30 min O 30 min - 1h O 1h-2h O 2h-3h O 3h-4h O 4h-5h O >5h 71. Haben Sie (oder eine mit Ihnen im Haushalt lebende Person) ein Zeitungsabonnement? O ja O nein 72. Ich lese regelmäßig Zeitung. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
73. Oft nehme ich die Zeitung ganz unbewusst in die Hand. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
74. Es würde mir schwer fallen, einen Monat lang keine Zeitung zu lesen. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
75. Ich denke kaum darüber nach, wenn ich die Zeitung in die Hand nehme. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
76. Zeitung lesen ist Teil meiner täglichen bzw. wöchentlichen Routine. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
77. Manchmal beginne ich das Zeitungslesen, ohne es überhaupt zu realisieren. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
78. Es würde mir schwer fallen, meine Zeitungsnutzung einzuschränken. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
79. Wenn ich zur Zeitung greife, denke ich oft an ganz andere Dinge. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
242
Anhang
Zum Schluss noch ein paar Fragen zu Ihrer Person: 80. Ich habe einen anstrengenden Alltag. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
81. Mein Tagesablauf ist strukturiert. stimme nicht zu
O - O - O - O -O - O -O
stimme voll und ganz zu
82. Welche Personen leben mit Ihnen im Haushalt? O Ich lebe alleine. O Ich lebe in einer Wohngemeinschaft. O Ich lebe mit meinem (Ehe-) Partner zusammen. O Ich lebe mit meinem (Ehe-) Partner und Kind(ern) zusammen. O Ich lebe nur mit einem oder mehreren Kind(ern) zusammen. O Ich lebe mit meinen Eltern zusammen. O Sonstiges 83. Wie alt sind Sie? 84. Ihr Geschlecht: O männlich
O weiblich
85. Was ist Ihr letzter Bildungsabschluss? O kein Abschluss O Hauptschulabschluss O Realschulabschluss O (Fach-)Abitur O abgeschlossenes Studium
Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!