TERRA ASTRA 429
Mann aus der Tiefe von Peter Griese
Die Hauptpersonen des Romans:
Liz Delgado – Die SEDOR-Agentin fl...
36 downloads
1322 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
TERRA ASTRA 429
Mann aus der Tiefe von Peter Griese
Die Hauptpersonen des Romans:
Liz Delgado – Die SEDOR-Agentin fliegt nach Andromeda.
Dagger und Arrow – Liz Delgados beste Helfer.
Prinz Yerdengroth – Der letzte von Andromeda.
Wern Litti und Uwe Dassler – Pilot und Funker der
ARGO NAVIS II.
1. Das schrille Quietschen von Metall auf Metall und das Pfeifen der kurzzeitig völlig überlasteten Desintegratoren erklangen fast gleich zeitig in dem engen Raum tief unter der Oberfläche der Erde und des Indischen Ozeans. Die Maschine von gut zwanzig Metern Länge, die die ganze Röhre an ihrem Ende fast vollständig ausfüllte, blieb mit einem Ruck stehen. Das Summen der Aggregate erstarb. Die künstli che Beleuchtung in dem Tunnel begann unsicher zu flackern. Das Fahrzeug des Einsatzleiters stand rund fünfzig Meter hinter dem Desintegrator-Bagger. Als Dr. George Kosel das Abschalten der riesigen Maschine bemerkte, sprang er aus seinem Leitfahrzeug und winkte einem seiner Vertreter zu. „Lassen Sie uns nachsehen, was da geschehen ist.“ Der junge Mann schloß sich seinem Chef an. „Ich bin zwar erst seit knapp drei Jahren beim Bau der Untermeeresbahnen, Sir“, sagte er, „aber so etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Schaltet das Ding
einfach ab! Und haben Sie die Geräusche gehört? Es klang, als drehte der Kasten durch.“ Dr. Kosel nickte. „Benger und ein Robot sind als Besatzung vorn. Keiner meldet sich. Ich fürchte, daß es sich um einen Unfall handelt.“ Die Baustelle zur Errichtung einer direkten Strecke der Untermee resbahn zwischen Colombo und Tananarive, also zwischen Sri Lanka und Madagaskar, hatte zu diesem Zeitpunkt etwa ein Drittel der zu rückzulegenden Strecke bewältigt. Pro Tag und Nacht schaffte der Desintegrator-Bagger etwa 100 Kilometer. Die Hauptarbeit folgte in mehreren Schichten und lag noch Tage zurück, denn der Desintegra tor-Bagger fräste nur ein Loch durch den Erdboden und verschweißte einen Teil des freigewordenen Gesteins als grobe, aber sehr feste Ver kleidung der runden Röhre von 36 Metern Durchmesser. Nur wenn die Fräsen zu langsam vorankamen, schaltete sich halb automatisch der Desintegratorteil hinzu, um die Zerlegung des Erd reichs zu beschleunigen. Für die Bedienung der Maschine genügte daher in der Regel ein Mann. Dr. Kosel, der in den letzten 25 Jahren achtzehn neue Strecken durch das Erdinnere gebohrt hatte, war ein vorsichtiger Mann. Er teilte seinem Bedienungsmann stets einen Ro bot zu, der in allen normalen Fällen die Funktionen des Menschen er setzen konnte und diesem gleichzeitig mehr Gelegenheit zur Beob achtung gab. „Es ist etwas Ungewöhnliches passiert, Sir“, sagte der junge Beglei ter zu dem erfahrenen Einsatzleiter. „Sehen Sie sich das an.“ Die beiden Männer blieben wenige Schritte hinter dem Desintegra tor-Bagger stehen. Aus den schmalen Öffnungen zwischen der Ma schine und der Innenwand des Tunnels quollen dichte Rauchwolken von weißer Farbe. Der gleiche Rauch trat aus der Rückseite des Bag gers aus, wo normalerweise überflüssiges Erdreich auf ein breites Transportband gekippt wurde. Die Maschine selbst stand still. Dr. Kosel rief akustisch und über sein Handfunkgerät nach Benger und dem Bedienungsrobot, er erhielt jedoch keine Antwort.
„Mobilisieren Sie ein Rettungsteam“, befahl er seinem Begleiter. „Robots, Ärzte, Männer mit Atemmaske oder Schutzanzügen. Neh men Sie mein Funkgerät. Ich hole den Bagger zurück.“ Er übergab sein Funkgerät und versuchte nun selbst, durch die dichten Rauchschwaden bis an die Rückseite des DesintegratorBaggers vorzudringen, wo sich ein Notschaltpult für dessen Steue rung befand. Auch mit seinem eingeschalteten Helmscheinwerfer hatte er erhebliche Schwierigkeiten, sich in den dichten Rauchschwa den zu orientieren. Ein seltsamer Druck legte sich auf sein Gehirn, aber der Ingenieur schrieb das der schlechten Luft zu, die er einatme te. Noch immer quollen dichte Wolken aus hellem Staub aus allen Ritzen und nahmen den überdimensionierten Scheinwerfern fast jede Wirkung. Endlich fand er vor seinen Augen die rot markierte Platte, hinter der das Notschaltpult verborgen war. Der Druck auf seinen Kopf und seine Atemwege war immer stärker geworden. Als er nach der Abdeckplatte faßte, hatte er das Gefühl, als ob von dort ein elektrischer Funke auf ihn überspringe. Er sagte sich noch in seinen Gedanken, daß dies physikalisch schlechthin unmöglich war. Im selben Moment wurde ihm schon schwarz vor Augen, und er sank bewußtlos zu Boden. Sein Begleiter hatte den Sturz gehört. Da das Rettungsteam sein Kommen zugesagt hatte, wartete er nicht länger. Er stürzte in die qualmende Hölle und wäre fast über die auf dem Boden liegende Ge stalt gestolpert. Schwer atmend zog der Mann seinen Chef hoch und griff ihm unter die Arme. So schleppte er Kosel hinter sich her, bis sie aus der verqualmten Zone heraus waren. Dort legte er den Ingenieur vorsichtig ab und öffnete seine Kombi nation. Er prüfte den Herzschlag, den Puls und den Atem. „Verdammt!“ sagte er dann und schluckte, als er merkte, daß der schlaffe Körper kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Mit zittrigen Händen hob er das Funkgerät auf und ließ sich mit der Außenleitstelle des Bautrupps auf Sri Lanka verbinden.
*
Der Schäferhund jagte in einem großen Kreisbogen durch den Gar ten, als wäre er hinter einem Kleintier oder einem Nager her. Es war aber gar kein anderes Tier da, wenn man von dem Falken Arrow ab sah, der träge auf der Dachkante des Delgado-Bungalows saß und die imaginäre Jagd seines Freundes auf der Erde mit halber Aufmerk samkeit verfolgte. Die beiden so ungleichen Tiere besaßen auch grundverschiedene Verhaltensweisen. Trotzdem standen sie sich einander näher, als sich je zwei Tiere stehen konnten. Dagger, der Schäferhund, war stets lebhaft, wach und verspielt. Er war jetzt zweieinhalb Jahre alt und seit zwei Jahren im Besitz von Liz und Thor Delgado. Dagger bedeutete Dolch. Das Tier hatte mit zu nehmendem Alter seine gleichmäßig braune Farbe weitgehend verlo ren. Sein Fell wies nun mehrere großflächige, dunkelbraune Flecken auf, seine Pfoten waren an den Enden fast schwarz geworden. Liz Delgado saß auf der Veranda ihres Bungalows und informierte sich auf dem Nachrichtenvideo über die neuesten Ereignisse. Insbe sondere wartete sie auf Informationen von einer kleinen Kolonial welt, auf der ihr Mann Thor zur Zeit weilte. Zusammen mit einer Handvoll SEDOR-Agenten sollte dort eine Verbrecherorganisation niedergeschlagen werden, die unrechtmäßig die Herrschaft über die se Welt an sich gerissen hatte. Die Nachrichten befaßten sich aber nur mit den eigentlichen Planets Of Sol, wie das Staatengebilde der Terra ner hieß. Irgendwie bedauerte es Liz, daß der Chef der SEDOR, der Secret De fense Organisation, sie an diesem Auftrag nicht hatte teilnehmen las sen. Sie war schließlich eine Topagentin der Abwehrorganisation mit besonderen Fähigkeiten und spezieller Ausbildung. Arrow, der etwa das gleiche Alter wie Dagger hatte, war ein unauf fälliger Falke. Sein Fell war graubraun geblieben, und er schien auch
überhaupt nicht gewachsen zu sein. Für sein Alter war er jedenfalls zu klein. Liz Delgado wußte, daß dies gar nichts besagte. Ebensowe nig hatte es etwas zu bedeuten, daß Arrow die meiste Zeit seines Fal kenlebens schlief. Im entscheidenden Moment war er stets zur Stelle. Daran änderten auch Thor Delgados Worte nichts, der einmal in hu morvoller Abfälligkeit gesagt hatte: „Arrow, du bist der größte Pen ner aller Zeiten!“ Delgado war sich dabei der Tatsache bewußt gewesen, daß das mit Psi-Instinkten ausgestattete Tier den Sinn seiner Gedanken klar erfas sen konnte. Er hatte eigentlich ein höhnisches Krächzen oder zumin dest irgendeine Reaktion erwartet. Arrow hatte ihm den Gefallen nicht getan. Er hatte nicht einmal den Kopf aus den Federn gezogen. Liz schaltete das Nachrichtenvideo ab. Seit über drei Wochen saß sie nun untätig herum und wartete auf einen Auftrag von Lim Choo, dem SEDOR-Chef. Die 34-jährige, schlanke Frau mit ihren halblan gen, rötlichen Haaren war eine attraktive Erscheinung. Wer sie nicht kannte, wäre nicht so schnell auf den Gedanken gekommen, daß sie nicht nur eine in jeder Hinsicht bestens geschulte Agentin und Kämp ferin war. Sie war mehr. Sie war einer der ganz wenigen Menschen im gesamten Staatengebilde der POS (wie die Planets Of Sol mit ihren vielen Kolonialwelten in der Milchstraße genannt wurden), die über eine praktisch absolute Mentalstabilität gegen psionische Einflüsse verfügte. Außer ihr selbst besaßen nur noch ihr Mann Thor und zwei junge Männer, die noch bei der SEDOR ausgebildet wurden, diese Fähigkeit. Liz konnte aber noch mehr. Sie war bisweilen in der Lage, psionische Energien nach ihrem Sinn und Inhalt zu identifizieren. Außerdem war es ihr ein leichtes, gegen sie gerichtete Psi-Kräfte auf den Urheber zurückzuschleudern. Damit stellte sie Lim Choos „Ge heimwaffe“ gegen extraterrestrische Intelligenzen dar, die nach den Erfahrungen aus der terranischen Geschichte viel häufiger als Men schen über Psi-Fähigkeiten verfügten. Lim Choo weigerte sich daher stets, sie in einen Einsatz zu schicken, den andere Agenten und Agen tinnen der SEDOR auch erledigen konnten.
Es ist Zeit, den Psanimals etwas zu fressen zu geben, dachte sie. Aber weder Dagger noch Arrow machten Anstalten, zu ihr zu kom men. Dabei nahmen die beiden Tiere mit Sicherheit jede gefühlmäßi ge Schwingung ihrer Herrin auf. Aber etliche Minuten später breitete der Falke plötzlich seine Flügel aus und erhob sich von der Dachkante. Im Gleitflug schwebte er in einem großen Bogen durch den Garten und schwenkte dann direkt auf Liz zu. Sie erwartete, daß Arrow sich auf dem Verandatisch niederlassen würde, aber das tat er nicht. Er flog dicht über ihrem Kopf vorbei, hinein in den Bungalow. Erstaunt blickte ihm die Frau nach. Im gleichen Moment spürte sie die Schnauze des Hundes, der lautlos herangekommen war und sie sanft anstieß. Sekunden später ertönte aus dem Haus der Summton der Bild sprechanlage. „Typisch“, sagte Liz lächelnd, für die es zur Gewohnheit geworden war, daß die Psanimals solche und ähnliche Ereignisse stets im vor aus ahnten. Anfangs waren ihr die Psi-Instinkte etwas unheimlich gewesen. Aber nach den ersten erfolgreichen Abenteuern mit Dagger und Arrow hatte sich Liz schnell an das Außergewöhnliche gewöhnt, als Dagger ihr Raumschiff durch einen Irrgarten aus Energiewänden sicher an ihr Ziel leitete oder als Arrow mit einem gezielten Schna belhieb einen Robot desaktivieren konnte, den noch nie zuvor ein Mensch gesehen hatte. Sie folgte dem Falken in den Bungalow und schaltete das Bild sprechgerät ein. Arrow setzte sich auf den Bildschirm und blickte von oben mit gebeugtem Kopf auf die erleuchtete Scheibe. Liz fiel auf, daß er plötzlich hellwach war, was sie schon seit mehreren Wochen nicht mehr bei ihm erlebt hatte. Dagger blieb dicht neben Liz auf dem Boden sitzen. Es war der SEDOR-Chef Lim Choo in eigener Person. Das konnte nur bedeuten, daß sich etwas Ungewöhnliches ereignet hatte. Für ei
nen Moment stockte Liz der Atem, denn ihre Gedanken waren bei Thor, der einen nicht ungefährlichen Auftrag durchzuführen hatte. „Ihrem Mann geht es gut“, begann der kleine, glatzköpfige Malaie ohne Begrüßung. „Er wird aber noch mehrere Tage zu tun haben, bis er wieder zur Erde kommt. Der Grund meines Anrufs ist ein anderer. Ich brauche Sie, Mrs. Delgado, und wahrscheinlich auch Ihre Psani mals. Ein Desintegrator-Bagger ist beim Fräsen eines neuen Tunnels für die Untermeeresbahn auf ein Hindernis gestoßen, von dem ein unerklärlicher Einfluß ausgeht. Wer in die Nähe der Unfallstelle kommt, stirbt aus ebensowenig erklärbaren Gründen. Robots werden desaktiviert. Es hat mindestens schon zwei Tote gegeben. Die Ret tungstrupps kommen nicht an die Unfallstelle heran. Würden Sie sich bitte der Sache annehmen?“ Liz Delgado war sich darüber im klaren, daß dies ein Befehl war. Sie nickte nur. „Die Einzelheiten rufen Sie bitte von unserem Rechner ab“, fuhr Lim Choo fort. „Sie haben die üblichen Vollmachten. Wenn Sie Un terstützung brauchen, rufen Sie die SEDOR. Haben Sie noch Fragen?“ „Nein, Sir!“ sagte Liz. „Die Psanimals und ich sind in zehn Minuten unterwegs.“ Dann stellte sie eine direkte Verbindung zwischen dem Superdigi talrechner des SEDOR-Centers, dem SIGIT A1A, und dem BordSIGIT ihres Einsatzgleiters her, um dort alle Informationen über den Vorfall direkt verfügbar zu haben. Auf dem Flug wollte sie sich die Einzelheiten anhören. Ihre Ausrüstung lag griffbereit. Sie wählte die dunkelblaue Einsatz kombination aus, auf deren Oberarmen die sich kreuzenden, flam menden Kometen, das Symbol der SEDOR, abgebildet war. Nach ein paar letzten Anweisungen an den Hausrobot schritt sie zu ihrem Gleiter. Dagger hockte bereits auf dem Nebensitz, und Arrow wartete auf der Konsole des SIGITs und blickte ihr erwartungsvoll aus seinen großen, listigen Augen entgegen. Die Vorliebe des Falken für SIGITs war für Liz nach wie vor unerklärlich. Stets suchte er de ren Nähe. Manchmal hatte sie schon den Verdacht gehabt, daß das
Tier in der Lage wäre, Informationen direkt aus dem Rechner abzule sen. Eine Bestätigung dafür hatte sie allerdings bis heute nicht erhal ten.
2. Über ein Viertel der Außentaster haben angesprochen, meldete der Ener giefluß des Sensor-Hirns. Registriert, antwortete das Zentral-Hirn. Erstmaligkeit und Einmalig keit sind festgestellt. Energie-Hirn wird aktiviert. Alle Schutzmaßnahmen im unmittelbaren Umkreis! Verstanden. Ausgeführt, kam der Datenfluß des Energie-Hirns. Ist die Versorgung meiner Schaltungen mit Energie sichergestellt? Ja. Das Versorgungshirn antwortete üblicherweise knapp, da es nur eine sehr begrenzte Eigenintelligenz besaß. Das Biomat-Hirn, das noch über dem Zentral-Hirn stand und alle Maßnahmen zu koordinieren hatte, meldete sich zu Wort: Ich brauche eine Bedrohungsanalyse, um festzustellen, ob der Prinz geweckt werden muß. Analyse wird erarbeitet, antwortete das Zentral-Hirn. Keine weiteren Aktivitäten von draußen, sagte das Sensor-Hirn. Die Ge fahr scheint gebannt zu sein. Von welcher Gefahr sprichst du überhaupt? erkundigte sich das Bio mat-Hirn. Die Außentaster haben starke mechanische Beanspruchungen und danach heftigen Energiebeschuß festgestellt. Ist das keine Gefahr für die Zelle? Der Datenstrom des SensorHirns klang beleidigt. Die Auswertung obliegt dem Zentral-Hirn! tadelte das Biomat-Hirn. Nicht dir! Das Sensor-Hirn schwieg. Erstmals schaltete sich das ErhaltungsHirn in die Diskussion ein: Wir dürfen jetzt nicht nervös werden, sagte
es ruhig, nur weil seit fast einer Million Umläufe dieses Planeten etwas ge schehen ist, was euch mehr aktiviert als normal. Denkt an meine Situation. Ich habe während der ganzen Zeit ununterbrochen für die Erhaltung des Prinzen gesorgt. Ihr habt mit Minimalkontrollen ein einfaches Dasein ge habt. Nun, da endlich etwas geschieht, g eratet ihr aneinander! Was soll das? Besinnt euch auf eure Aufgaben und streitet nicht herum! Solche Worte stehen dir zwar nicht zu, Erhaltungs-Hirn, antwortete das Biomat-Hirn förmlich, aber eigentlich hast du recht. Wahrscheinlich wa ren wir wirklich eine zu lange Zeit nicht wieder voll aktiviert, so daß wir jetzt zu vorschnellen Urteilen kommen. Wo bleibt die Analyse? Fertig! sagte das Zentral-Hirn. Bei der von den Tastern registrierten At tacke handelt es sich mit absoluter Sicherheit um einen gesteuerten Eingriff. Fraglich bleibt es jedoch, ob die Attacke auf die Zelle gezielt war oder diese nur zufällig getroffen wurde. Beide Möglichkeiten sind gleichermaßen wahr scheinlich. Ich empfehle eine Abwartezeit. In Ordnung, antwortete das Biomat-Hirn. Wir warten. Der Prinz wird nicht geweckt. Das einzige Hirn, das an der Diskussion nicht teilgenommen hatte (wenn man von dem Hirn des Prinzen absah – aber das schlief ja fest und ungestört), war das Funk-Hirn. Es hatte noch nie etwas gesagt, denn es hatte nur dann eine Äuße rung von sich zu geben, wenn der Impuls eintraf. Darauf aber warte ten alle schon seit über einer Million Jahren vergebens. Und ohne daß es je von einem der Hirne ausgesprochen worden war, wußte doch jedes einzelne von ihnen, daß sie allesamt die Hoffnung auf das Ein treffen des Impulses aufgegeben hatten. * Liz Delgado hielt sich an der Außenleitstelle in Colombo auf Sri Lan ka nur kurz auf und ließ sich den Eingang zu dem Tunnelbau zeigen. Neue Informationen lagen hier nicht vor, da man an der Unfallstelle alle Aktivitäten eingestellt hatte und auf das Eintreffen der SEDOR
Spezialistin wartete. Außerdem waren seit Lim Choos Anruf im Del gado-Bungalow auf Neuseeland keine fünfzehn Minuten vergangen, denn die Agentin hatte für den Flug nach Sri Lanka den zeitverzugs losen Zerodim-Antrieb ihres Gleiters benutzt, der sie als nulldimen sionalen Impuls zum Ort der einprogrammierten Zielkoordinaten versetzt hatte. Für den Weiterflug an die Unfallstelle war der Zerodim-Antrieb nicht verwendbar, da deren exakte Koordination nicht bekannt waren und sich nicht ohne genügende Genauigkeit ermitteln ließen. Liz leg te keinen Wert darauf, irgendwo im Erdinnern zu rematerialisieren. Auf den Antigravpolstern jagte der kleine Flugkörper in die halb fertige Röhre der Untermeeresbahn. Liz Delgado überließ die Steue rung ihrem Bord-SIGIT, einem 8Y2-Modell, der mit Hilfe der Or tungseinrichtungen des Gleiters das Gefährt auch in der engen Röhre auf hohe Geschwindigkeit beschleunigen konnte. Automatisch schloß sich die Plastozit-Kuppel. Da der Andruck vollständig neutralisiert wurde, ließ sich die rasch zunehmende Ge schwindigkeit nur an den immer schneller vorbeihuschenden Licht flecken der vorläufigen Beleuchtung erkennen. Innerhalb von knapp zwei Minuten erreichte der Gleiter seine Ma ximalgeschwindigkeit für den Normalflug von 500 Stundenkilome tern. „Wir werden das Ziel in voraussichtlich 63 Minuten erreichen“, meldete der SIGIT. „Sie haben also noch genügend Zeit, um sich et was zurechtzumachen.“ Es war typisch für Liz’ SIGIT, daß er eine solche Zusatzbemerkung machte, denn sie hatte ihm in der Grundprogrammierung einige ty pische weibliche Verhaltensweisen eingegeben. „Kümmere du dich um die Steuerung“, antwortete die Frau. „Ich bin für mich selbst verantwortlich. Im übrigen, was geht dich mein Aussehen an?“ „Oh“, sagte der SIGIT, „die Steuerung dieser Nußschale erledige ich mit einem Achthundertvierundsiebzigstel meiner Kapazität. Da
bleibt genügend übrig, um mich um Ihr persönliches Wohl zu küm mern.“ „Putz lieber deine Relais und spiele mir die Informationen über den Unfall vor, die du von dem A1A des SEDOR-Centers erhalten hast.“ „Sie sollten wissen“, sagte der SIGIT beleidigt, „daß ich keine Relais besitze. Ich bestehe aus intelligent programmierbaren Kristallen und nicht aus mechanischen Teilen. In welcher Reihenfolge wünschen Sie die Informationen?“ „Von vorn nach hinten oder von Anfang bis Ende!“ „Gut, welches Verfahren von den beiden?“ „Okay, Tochter“, sagte Liz scheinbar resignierend. „Du hast ge wonnen. Ende des Kaffeeklatsches. Fang jetzt an.“ Der SIGIT ließ noch eine kleine Pause verstreichen, um zu zeigen, daß er sich gekränkt fühlte. Natürlich wußte die Agentin, daß dieses Verhalten nur der Grundprogrammierung entsprach und daß der SIGIT in gefährlichen Momenten ohne dieses Geplänkel reagierte. Sie liebte es einfach, in den Stunden, in denen die Zeit nicht drängte, mit ihrem Rechner zu plaudern und nicht – wie es ausnahmslos alle Män ner taten – mit ihm zu verkehren oder zu kommunizieren. Alles das, was über den eigenartigen Vorfall beim Tunnelbau be kannt war, brachte Liz nicht weiter. Auch der SIGIT wußte keine wahrscheinlich erscheinende Erklärung. Allerdings räumte er ein, daß er mit einem ähnlichen Problem noch nicht befaßt gewesen war. „Ich auch nicht“, sagte Liz trocken. Schließlich bremste der Gleiter ab, und Liz übernahm die Handsteuerung. In dieser Region war alles noch völlig unfertig. Die Kabel der Beleuchtung hingen notdürftig von der Decke herab, und die der Energieversorgung lagen in unge ordneten Schlangenlinien auf dem Boden herum. An der Unfallstelle standen mehrere Fahrzeuge, durch die die Frau ihren Gleiter lenkte, bis ihr ein Mann zuwinkte und einen Platz zeig te, wo sie landen sollte. Kaum hörbar lief das Antriebsaggregat aus. Liz öffnete die Plasto zitkuppel und sprang nach draußen. Die Luft war staubig und
schlecht gefiltert, aber das rührte wahrscheinlich schon von dem vermutlichen Hindernis her, auf das der Desintegrator-Bagger gesto ßen war. Der junge Mann kam auf sie zu. Er schien etwas überrascht zu sein, eine Frau zu treffen, die die SEDOR geschickt hatte. „Mein Name ist Hissen“, stellte er sich vor. „Ich bin einer der Ver treter des Einsatzleiters Dr. Kosel. Der Chef liegt dort unter der Dek ke. Er ist ein Opfer der unerklärlichen Vorgänge geworden. Vorn in der Maschine muß noch Mr. Benger sein, aber wir kommen da nicht ‘ran. Wir haben einen Freiwilligen des Rettungstrupps an ein langes Seil gebunden und nach vorn geschickt. Kaum war er an dem Bagger, da brach er tot zusammen. Er liegt jetzt da drüben beim Chef.“ Liz Delgado nickte nur. Dann blickte sie sich um. Über ein Dutzend Männer standen betreten im Kreis herum und starrten sie an. Zum Teil waren es Arbeiter vom Tunnelbau, zum Teil Männer von dem erwähnten Rettungsteam. In ihren Augen lag die Furcht vor dem Unbekannten. Einer von ihnen stieß einen schon fast hysterischen Schrei aus, als sich Arrow aus dem Gleiter erhob, einen Kreis in der Tunnelröhre flog und dann auf Liz’ Schulter landete. Die Agentin deutete auf die riesige Maschine und gab dem Falken einen gedanklichen Befehl. Der schwang sich mit zwei, drei kräftigen Flügelschlägen in die Höhe und nahm dann Richtung auf den Desin tegrator-Bagger. Zwischen der Wand und der Maschine verschwand er im Halbdunkel. Auch wenn Liz die eigentliche Gefahr noch nicht erkannt hatte, so konnte sie doch Arrow unbedenklich los schicken. Der Psi-Instinkt des Psanimals erlaubte es diesem gar nicht, in eine tödliche Falle zu fliegen. Während sie auf Arrows Rückkehr wartete, registrierte sie ei nen psionischen Energiefluß, der vom Tunnelende auf sie einströmte. Mit raschen Schritten ging sie auf die Maschine zu. „Halt! Madam, tun Sie das nicht!“ schrie Hissen aufgeregt. „Sie werden umfallen wie der Chef und ...“
Er unterbrach sich, als er sah, daß die SEDOR-Agentin nicht auf sein Rufen reagierte. Liz Delgado verließ sich auf ihre psionische Unangreifbarkeit und ging weiter. „Das ist doch die Eickelschulte“, hörte sie einen der Männer sagen. „Der macht das nichts aus. Hast du die nie in der Terravision gese hen?“ Innerlich schmunzelte Liz, als sie hörte, daß der Mann sie bei ihrem Mädchennamen nannte. Als sie den riesigen Komplex der Ma schine erreichte, fühlte sie, wie die psionische Druckstrahlung schlagartig stärker wurde. Das war aber noch nichts im Vergleich zu der Wucht, mit der sie die Psi-Strahlung traf, als sie eine Hand auf den Bagger legte. Sie krümmte sich und wollte die Energien schon zurückschleudern, aber dann hielt sie sich zurück. Noch wollte sie der Psi-Quelle keinen Hinweis geben, daß jemand gekommen war, der ihr standhalten konnte. Nachdenklich ging sie zu den Männern zurück. Dann kam auch Ar row wieder zum Vorschein, und da es diesmal die andere Seiten wand des Tunnels war, aus der er herausflog, mußte er die ganze Maschine umrundet haben. Ohne ein auffallendes Zeichen zu geben, landete er auf Liz’ Schul ter. Die wußte mit Arrows Passivität jedoch etwas anzufangen. Kommentarlos ging sie zu den beiden Toten, die unter zwei Decken an der Tunnelwand lagen. Sie schlug die Decken zurück und stellte ebenfalls nach einer kurzen Untersuchung fest, daß keiner der beiden Männer auch nur das geringste Lebenszeichen von sich gab. Aber das war nicht das Ausschlaggebende. Sie spürte einen schwachen psioni schen Strom, der von den beiden ausging. Zwar hatte sie eine derar tige Strahlung noch nie in ihrem Leben gespürt, aber plötzlich wußte sie genau, worum es sich handelte. In Gedanken gab sie der Strah lung einen Namen: Psionisches Starrefeld. Ein gedanklicher Befehl ging an Dagger. Der Schäferhund kam in großen Sprüngen angehetzt, schnupperte kurz an den beiden bewe gungslosen Männern und wedelte dann mit dem Schwanz.
„Ist das nicht etwas pietätlos, Madam?“ sagte ein grobschlächtiger Arbeiter, der hinzugetreten war. „In Ihren Augen vielleicht, Mister“, sagte Liz kalt. „In Ihren Augen liegen hier zwei Leichen. In meinen nicht.“ „Das verstehe ich nicht“, sagte ein anderer. „Ich bin Dr. Pretzlaw vom Rettungskommando, und ich verstehe mein Fach. Die beiden sind tot.“ „Nein, Doktor“, entgegnete Liz. „Und der dahinten auf der Ma schine ist es auch nicht. Ich fürchte allerdings, daß ich Ihnen das nicht erklären kann.“ „Versuchen Sie es doch“, sagte der Arzt bissig. „Also gut. Von dort“, Liz zeigte auf das Ende des Tunnels und die riesige Maschine, „von dort geht eine psionische Strahlung aus. Wer von ihr getroffen wird, verfällt in eine absolute Starre. Die Betroffe nen wirken wie tot, aber Sie werden sehen, daß die normalen Prozes se, die nach dem Tod eintreten, hier nicht eintreten werden.“ Sie beugte sich nach unten und öffnete ein Auge des Einsatzleiters. „Achten Sie auf die Blutäderchen, Doktor“, erklärte die Agentin. „Dr. Kosel ist seit über einer Stunde tot. Das Blut ist aber noch da. Ist Ih nen das nicht aufgefallen?“ „Aber kein Herzschlag, kein Atem“, wandte der Arzt ein. „Aus Ihrer Sicht haben Sie richtig diagnostiziert.“ Liz bemühte sich, sanft zu sprechen und nicht überheblich zu klingen. „Wenn Sie je doch Psi-Kräfte berücksichtigen oder gar spüren könnten, dann kä men auch Sie zu einem anderen Urteil.“ Der Arzt schüttelte ungläubig den Kopf. „Und Sie können PsiKräfte spüren?“ fragte er laut und zweifelnd. „Ja“, sagte Liz einfach und deutete auf die Psanimals. „Die beiden können es aber noch besser. Sie haben gesehen, daß dem Falken nichts geschah, als er bis zum Tunnelende vordrang. Und daß mir nichts geschah, als ich den Bagger berührte, der mit Psi-Energien nur so überladen ist.“
„Also gut, Madam“, lenkte der Arzt unsicher ein. „Sie sind die SE DOR-Spezialistin. Ich will Ihnen glauben, aber schließlich habe ich noch nie etwas mit der SEDOR zu tun gehabt. Die Informationen von dort sind ja mehr als spärlich.“ „Es ist unsere Aufgabe, die Menschen zu schützen. Vor Gefahren auf der Erde oder aus dem All. Wir wollen die Menschen jedoch nicht verwirren oder beunruhigen.“ Mit einer einlenkenden Geste gab der Mann zu verstehen, daß das Thema für ihn erledigt war. „Was soll nun geschehen?“ fragte er dann. „Wie bekommen wir sie wieder wach?“ „Das Prinzip ist einfach“, antwortete Liz. „Ich muß die Quelle der psionischen Strahlung beseitigen. Ich brauche jemand, der mir die Bedienung dieses Maschinenklotzes erklärt, damit ich sehen kann, was dahinter ist.“ „Sie meinen“, sagte Hissen, „Sie wollen den Bagger zurückfahren?“ „Genau das.“ „Dazu brauchen Sie nicht in die Kanzel. An der Rückwand ist eine Notbedienung. Dort rechts unter dem roten Kasten. Sie finden vier Knöpfe für Start und Stop, für Vorwärts und Rückwärts.“ „Gut, dann lassen Sie hier Platz machen. Achten Sie darauf, daß keiner an den Bagger herankommt, denn ich weiß nicht, ob sich die psionische Aufladung aufhebt, wenn die Maschine ein Stück zurück gesetzt worden ist.“ Die Männer machten sich schweigend daran, vor der riesigen Bohrmaschine eine große Fläche freizuräumen. Als Hissen Liz sagte, daß die Vorbereitungen abgeschlossen seien, ging diese zu der Rückwand des Baggers und öffnete den bezeichneten Schaltkasten. Wieder spürte sie die starken Psi-Energien, die von ihr Besitz ergrei fen wollten. Sie drückte auf die Starttaste, und tatsächlich begann der Maschi nenkoloß zu dröhnen. Nach Betätigung des Schaltknopfs für Rück wärtsfahrt setzte sich der Desintegrator-Bagger langsam in Bewe
gung. Liz Delgado registrierte, daß sich mit der Zunahme der zu rückgelegten Strecke der Einfluß der Psi-Strahlung rasch verringerte. Nach 25 Metern hielt sie die Maschine an. Sie winkte Dagger zu sich und kletterte mit ihm an der Seite des Baggers vorbei zum Ende des Stollens. Die großen Scheinwerfer der Maschine erleuchteten den Hohlraum. Dagger lief zielsicher voraus. Knurrend blieb er vor dem Geröll auf der linken Seite des fast vierzig Meter durchmessenden Tunnels ste hen. Liz spürte, daß dort die Quelle der Psi-Strahlung lag. Sie trat nä her hinzu. Zwischen den Felsbrocken und dem Erdreich, das durch die Desin tegratorstrahlung und die Erdfräsen teilweise losgelöst war, schim merte eine blanke Metallfläche von starker Wölbung. Da das Ding, auf das man hier unten tief in der Erdkruste und unter dem Indischen Ozean gestoßen war, nur teilweise sichtbar war, ließ Liz die Psi-Strahlung für einen kurzen Moment voll auf sich wirken. Dadurch konnte sie grob die Form und die Größe des seltsamen Din ges abschätzen. Die Strahlung ging in einer Breite von etwa zehn Metern aus. Es schien sich um ein zylinderförmiges Gebilde zu handeln, das waag recht in das Erdreich eingebettet lag. Die Agentin wagte es nicht, das Ding zu berühren, denn Dagger hielt sich in vorsichtiger Entfernung von der Metallfläche. Ohne Zweifel war das Ding nicht natürlichen Ursprungs. Das stand fest, denn die sichtbare Fläche war von einer erhabenen Glätte und Gleichmäßigkeit, wie sie der Zufall der Natur niemals hervorbringen konnte. Es war Liz ein totales Rätsel, wie das Ding hier hingekommen sein konnte. War es irdischen Ursprungs? Eigentlich war das unwahr scheinlich, denn bis zum Meeresgrund mochten es 500 oder 1000 Me ter sein. Und ein so großes Objekt ließ sich nicht ohne weiteres so tief in die Erde versetzen.
Das zweite Rätsel war die psionische Strählung. Es gab nirgendwo in der Natur Quellen von Psi-Energien. Die waren üblicherweise mit dem Bewußtsein von Lebewesen verbunden. „Ob etwas Lebendiges in dem Ding ist?“ flüsterte Liz sich selbst zu. Und Dagger knurrte unheilvoll. Da die Agentin im Augenblick hier nichts mehr ausrichten konnte, machte sie sich auf den Rückweg. Zunächst kletterte sie noch in die Führerkanzel des Baggers. Sie fand dort den bewegungslosen Mann, der die Maschine gelenkt hatte. Er zeigte die gleichen Symptome wie Dr. Kosel. Sie versuchte, den Robot einzuschalten. Zunächst schien das zu ge lingen. Aber dann schaltete sich die Maschine ohne erkennbaren Grund wieder ab. Liz nahm ein paar Überprüfungen an dem Robot vor und kam zu dem Ergebnis, daß die SIGIT-Einheit, die ihn steuer te, direkt von der Psi-Strahlung beeinflußt wurde. Auch das war überraschend, und Liz bedauerte es, daß sie die Art der Strahlung nicht genau erkennen konnte. Sie zerrte den Mann aus der Kanzel und schleppte ihn zurück zu den wartenden Männern. Dort nahm man ihr den bewegungslosen Benger ab und bettete ihn zu den beiden anderen. „Haben Sie etwas herausgefunden?“ fragte Hissen. „Ja, natürlich“, antwortete die Agentin zögernd. „Aber bevor die Sache nicht restlos geklärt ist, möchte ich aus bestimmten Gründen nicht darüber sprechen. Es steht jedenfalls fest, daß Sie vorerst nicht weiterbohren können. Der ganze Tunnel muß von allen Menschen geräumt werden. Ich werde einen Spezialtrupp von der SEDOR an fordern, der mir behilflich ist, das Hindernis zu beseitigen. Ich schät ze, daß dies mindestens zwei Tage dauern wird.“ „Hindernis?“ fragte Hissen. „Fragen Sie mich nicht weiter. Ich kann es Ihnen nicht erklären, weil ich selbst die Zusammenhänge noch nicht kenne. Beginnen Sie unverzüglich mit der Räumung des Tunnels. Zuerst sollten Sie die drei Scheintoten hinausschaffen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie
wieder zum normalen Leben erwachen, wenn sie genügend weit von hier entfernt sind. Es sollten ständig Ärzte dabei sein, die den Zu stand der drei Männer überwachen. Mit dem Wegfall des Zwanges, der sie in diesem undefinierbaren Zustand hält, werden die Lebens prozesse wahrscheinlich wieder einsetzen. In dieser Übergangsphase könnte ärztliche Hilfe dringend notwendig sein.“ Hissen und der Arzt wollten noch weitere Fragen stellen, aber Liz unterband das energisch. „Nichts weiter. Bitte veranlassen Sie unver züglich das, was ich Ihnen gesagt habe. Und denken Sie daran, es darf niemand in dem Tunnel bleiben.“ Sie begab sich zu ihrem Gleiter und schloß die Kuppel, so daß die Männer nicht hören konnten, was sie sprach. Liz Delgado führte ein langes Gespräch mit ihrem Chef Lim Choo. Der hörte ihr schweigend zu, und als die Frau am Ende war, sagte der SEDOR-Chef in seiner gewohnt knappen Art: „Sie bekommen al les, was Sie brauchen.“
3. Für Thiesen und Obenauf kam die Abwechslung gerade recht. Die harte Ausbildung auf der SEDOR-Station des Jupitermonds Gany med schmeckte den beiden Männern wenig. Seit fast vier Jahren wa ren die beiden Freunde durch die Schulungszentren der SEDOR ge gangen, und nach Ablauf des fünften Jahres sollte die Ausbildung beendet sein. Thiesen und Obenauf waren für die Abwehrorganisati on der POS deswegen so besonders wertvoll, weil sie zu den wenigen Menschen gehörten, die gegen psionische Beeinflussung völlig im mun waren. Ein Blitztelegramm des SEDOR-Chefs Lim Choo beorderte die bei den Männer unverzüglich zur Erde zurück, weil sie bei einem Einsatz benötigt wurden. Sie verließen den ungastlichen Jupitermond über
die Zerodim-Strecke, die sie direkt in das SEDOR-Center brachte. Minuten später standen sie vor Lim Choo. „Mrs. Delgado braucht Ihre Unterstützung“, erklärte der Malaie. „Wir sind bei Tunnelbohrungen unter dem Indischen Ozean auf ei nen metallischen Körper gestoßen, der eine starke, lähmende PsiStrahlung aussendet. Sie ruft bei Menschen eine Art Scheintod hervor und schaltet alle SIGIT-gesteuerten Robots ab. Ihr Auftrag ist es, ge meinsam mit Mrs. Delgado den Körper zu bergen und hierher zu bringen. Ich habe eine 20-Meter-Antigrav-Plattform vorbereiten las sen, so daß diese ohne SIGIT steuerbar ist. Damit sollen Sie das Ob jekt transportieren. Das eigentliche Problem ist nach Aussage von Mrs. Delgado das Freischaufeln des Objekts, da wir vor Ort keine Robots einsetzen können. Die Robots funktionieren nur mit einer SI GIT-Steuerung, und die wird von dem Objekt durch die PsiStrahlung blockiert. Machen Sie sich also auf handfeste, körperliche Arbeit gefaßt. Alle weiteren Einzelheiten ersehen Sie aus dem Bericht von Mrs. Delgado.“ Lim Choo übergab den beiden Männern einen Stoß Notizblätter und entließ sie. Zwei Stunden später trafen Thiesen und Obenauf am Ende des Tunnels ein und begrüßten die Agentin. „Der Tunnel ist in der Zwischenzeit von allen Menschen geräumt worden“, sagte Liz. Dann führte sie Thiesen und Obenauf zu der Stel le, wo das blanke Metall aus dem aufgewühlten Erdreich ragte. „Spüren Sie die Strahlung?“ fragte sie die beiden. „Nicht die Bohne“, sagte Obenauf trocken, und Thiesen schüttelte nur mit dem Kopf. Der Desintegrator-Bagger war ebenfalls entfernt worden. Dafür hat te Liz starke Scheinwerfer aufstellen lassen, die das Tunnelende tag hell erleuchteten. „An die Arbeit“, sagte Thiesen, spuckte in die Hände und griff nach Schaufel und Pickel.
„Versuchen Sie, das Ding nicht direkt zu berühren“, warnte Liz. „Mein Psanimal Dagger hat einen Heidenrespekt davor. Und wenn Dagger mich warnt, bin ich vorsichtig.“ Thiesen und Obenauf langten kräftig zu. Nach drei Stunden harter Arbeit war ein Ende des Metallkörpers freigelegt. Liz Delgados Ver mutung bestätigte sich. Zweifellos handelte es sich um einen zylin drischen Körper. Seine Länge ließ sich noch nicht abschätzen, aber der Durchmesser der Bodenplatte betrug gut zwei Meter. Die Agentin erstattete in regelmäßigen Abständen Bericht an Lim Choo. Außerdem beobachtete sie die Psi-Strahlung, an deren Intensi tät sich aber nichts änderte. Nach einer Pause machten sich die beiden Männer wieder an die Arbeit, um den Rest des Zylinders freizulegen. Nach drei weiteren Stunden kam das andere Ende des Zylinders zum Vorschein. Der ganze Behälter war gut zehn Meter lang. Thiesen und Obenauf arbeiteten jetzt vorsichtiger, da der Zylinder fast völlig freigelegt war und herabzustürzen drohte. Dagger schlenderte unruhig auf und ab. Dabei stieß er von Zeit zu Zeit ein leises Knurren aus. Liz wußte das Verhalten des Psanimals nicht recht zu deuten. Schließlich legte Thiesen die Schaufel zur Seite und wandte sich an Liz. „Wenn wir noch weiteres Erdreich entfernen, kommen wir entwe der mit dem Ding in Berührung oder aber es rollt uns entgegen. Das Beste ist es wohl, wenn wir jetzt versuchen, es auf die AntigravPlattform zu hieven.“ Die Agentin nickte dem Mann zu. Obenauf dirigierte inzwischen die zwanzig Meter lange Plattform in die unmittelbare Nähe des Zy linders. Dagger begann lauter zu knurren, und Liz spürte, wie sich der psionische Druck plötzlich verstärkte. Sie zögerte, die Energien an sich abprallen zu lassen und auf den Zylinder zu reflektieren.
Obenauf baute mit Hilfe der großen Antigrav-Plattform ein Fessel feld auf, das den Metallzylinder umschließen sollte. Kurz bevor er mit Hilfe des Antigravs den Zylinder anheben wollte, kläffte Dagger laut und entfernte sich ganz aus der Nähe des Tunnelendes. „Vorsicht!“ warnte Liz, die den Hund aufmerksam beobachtet hat te, und zog Thiesen aus der unmittelbaren Nähe des Zylinders. „War ten Sie noch, Obenauf“, fuhr sie dann fort. „Ich glaube, es ist besser, wenn wir Schutzanzüge anlegen, bevor wir das Ding bewegen. Dag ger hat uns gewarnt, und die Psi-Strahlung ist stärker geworden.“ Sie holte ihren Schutzanzug aus dem Gleiter und zog ihn über. Auch Thiesen und Obenauf folgten ihrem Beispiel. Dann schaltete Obenauf den Antigrav ein. Im selben Moment rann te Dagger noch weiter weg. Als sich der Zylinder unter dem Sog des Antigrav-Feldes langsam erhob, begann er innerhalb von Sekunden bruchteilen zu glühen. Krachend schlugen mehrere elektrische Entla dungen aus dem Metallkörper in die Umgebung. Obenauf, der auf der Plattform stand und von dem dortigen Steu erpult das Anheben des Zylinders steuerte, stand für Sekunden in grelles Licht gehüllt. Der junge Mann behielt aber eiserne Nerven. Er wußte, daß ihm der Schutzanzug relativ hohe Sicherheit gewährte. Er ließ sich von den Entladungen nicht irritieren und zog den Zylinder ganz aus dem Erdreich. „Er wehrt sich“, schrie Thiesen durch den Lärm der Entladungen der Agentin zu. „Wer?“ fragte Liz nur. Thiesenzuckte mit den Schultern und deute te auf den noch immer glühenden Zylinder, der sich jetzt langsam auf die Ladefläche der Plattform zubewegte. So plötzlich wie die Entladungen begonnen hatten, endeten sie auch wieder. Sogar das Glühen verschwand. Obenauf setzte den Zy linder auf der Ladefläche ab. „Mir ist gar nicht wohl bei diesem unheimlichen Ding“, sagte Thie sen.
„Mir auch nicht“, antwortete Liz. Dann zuckte sie plötzlich zusam men, denn von einer Sekunde zur anderen war der psionische Druck verschwunden. Sie teilte dies den beiden Männern mit, da diese die Veränderung nicht bemerken konnten. Obenauf sprang von der Plattform. Der Schweiß stand ihm im Ge sicht. Plötzlich war Dagger wieder da. Er machte einen Satz auf die Anti grav-Plattform und begann den Zylinder zu beschnuppern. Liz Delgado klappte den Helm ihres Schutzanzugs zurück. „Keine Gefahr mehr“, sagte sie. „Dagger spürt das. Vielleicht hat das Ding eingesehen, daß es nichts gegen uns ausrichten kann. Oder es hat bemerkt, daß wir ihm nichts Böses wollen.“ „Was ist das?“ fragte Obenauf die Agentin, während auch er seinen Helm zurückklappte. „Keine Ahnung“, antwortete Liz wahrheitsgemäß. „Aber wir wer den es herausbekommen. Wir transportieren es jetzt nach Canberra in einen abgesperrten Bereich des SEDOR-Geländes. Dort werden wir auch diese Nuß knacken. Ich lasse Dagger bei Ihnen. Wenn er unru hig wird, schließen Sie schnell Ihre Schutzanzüge. Das Ding kann je derzeit mit neuen Entladungen über Sie herfallen.“ * Das Zentral-Hirn spürte die aufkommende Gefahr. Ohne das domi nierende Biomat-Hirn zu fragen, das unaufhörlich seine mentalen Lähmimpulse in die Umgebung abstrahlte und dabei über die Hälfte der Energie verbrauchte, die das Energie-Hirn bereitstellte, lud es die Außenhülle der Zelle mehrmals mit Hochspannung auf. Es wollte damit die Wesen vertreiben, die sich dem psionischen Druck des Biomat-Hirns entzogen und weiter in der Umgebung tätig waren. Was diese Wesen genau machten, konnte das Zentral-Hirn nicht feststellen. Die Meldungen des Sensor-Hirns waren dürftig, wider sprüchlich und fehlerbehaftet. Das Zentral-Hirn zweifelte nicht dar
an, daß einzelne Sektionen des Sensor-Hirns nicht mehr mit voller Kapazität arbeiteten. Zuviel Zeit war verstrichen, seit sie mit der Zel le auf der Erde angekommen waren. Auf den Gedanken, daß auch das Zentral-Hirn selbst nicht mehr hundertprozentig funktionierte, kam es allerdings nicht. Das merkte es erst, als das Biomat-Hirn ener gisch einschritt. Anlaß war der Hilferuf des Erhaltungs-Hirn, das für die Lebenssysteme des Prinzen verantwortlich war. Zu starker Ener gieabfall, meldete das Erhaltungs-Hirn. Es besteht unmittelbare Gefahr für das Leben des Prinzen. Das Lebenserhaltungssystem droht zusammen zubrechen. Das Biomat-Hirn schaltete unverzüglich. Es befahl dem ZentralHirn, die energetischen Entladungen einzustellen. Mit ein Grund für diese Maßnahme war die Erkenntnis, daß sie mit den Entladungen ebensowenig gegen die Lebewesen draußen ausrichten konnten wie mit der psionischen Druckwelle. Das Erhaltungs-Hirn registrierte dies zufrieden, weil es jetzt wieder uneingeschränkt über die Energien verfügen konnte, die das EnergieHirn bereitstellte und die zur Erhaltung des Lebens des Prinzen er forderlich waren. Das Biomat-Hirn begann zu resignieren. Es besaß als einziges der sieben Hirne eine Komponente, die Gefühle zu simulieren vermochte. Und damit begriff es vage, daß es im Augenblick nichts gab, was die Gefahr von außen wirkungsvoll abwenden konnte. Es gab immer noch einen letzten Ausweg, nämlich die Erweckung des Prinzen. Darauf wurde das Biomat-Hirn aber nur im extremen Notfall zurückgreifen, denn oberstes Gebot war die Erhaltung des Lebens und des Schlafes des Prinzen, bis der Impuls eintraf. Es befahl daher weitgehende Passivität für die Zelle und ließ sich nur die leider oft widersprechenden Meldungen des Sensor-Hirns zu leiten. Das Sensor-Hirn schien von allen Einheiten der Zelle am mei sten unter – der Alterung gelitten zu haben. Vielleicht waren es aber nur die Sensoren selbst, die in die Metallhülle der Zelle eingelassen waren, die Schaden erlitten hatten.
Das Biomat-Hirn grübelte noch über diese Frage nach, als sich aus den verschiedenen Meldungen des Sensor-Hirns trotz einiger Wider sprüche ein klares Bild abzuzeichnen begann. Die fremden Mächte draußen hatten begonnen, die Zelle abzu transportieren! Das Biomat-Hirn wußte nicht, was das bedeutete. Vergeblich suchte es in seinen Speichern und in denen der Subhirne nach geeigneten In formationen. Entweder hatte es diese nie gegeben. Oder sie waren im Lauf der Jahrtausende verlorengegangen. Erneut machte sich in ihm Ratlosigkeit breit, und die Gefühle sagten dem dominierenden Hirn der Zelle, daß der Zeitpunkt der Erweckung des Prinzen rasch näher rückte. Funk-Hirn, fragte es, bist du sicher, den Impuls nicht überhört zu ha ben? Allein diese unsinnige Frage zeigte die Verwirrung, die in dem Biomat-Hirn vorherrschte. Es ist seit unserer Landung auf dieser Welt, antwortete das Funk-Hirn, kein Impuls empfangen worden. Ich habe eine Vielzahl anderer und ähnli cher Signale registriert, aber keiner besaß die Charakteristik des Impulses. Wieviel Zeit ist seit der Landung verstrichen? Ich besitze keine Meßvorrichtung, mit der die Zeit feststellbar wäre, ant wortete der Datenstrom des Funk-Hirns. Wende dich an das ZentralHirn. Aber auch das wußte keine Antwort, und in dem Biomat-Hirn ent stand zum erstenmal, wenn auch mehr auf der gefühlsmäßigen als auf der logischen Ebene, der ungeheure Verdacht, daß es einen wich tigen Faktor außer acht gelassen hatte, nämlich die Zeit. Es gab in der Zelle keine Vorrichtung, die ein sicheres Feststellen der verstrichenen Zeit erlaubte. Mit Hilfe des Zentral-Hirns ließ sich lediglich berech nen, daß seit der Ankunft auf diesem Planeten dieser über eine Milli on Umkreisungen seines Muttergestirns durchgeführt hatte. Das Biomat-Hirn besaß keinen Anhaltspunkt, der es ihm erlaubte, die daraus resultierende Zeit zu bewerten. War das ein zu langer Zeitraum oder war es ein unbedeutend kurzer?
Als nächstes stellte das Biomat-Hirn fest, daß die Zelle auf einem anderen Körper festgezurrt worden war und daß dieser Körper mit der Zelle beschleunigte. Da die Zelle über kein eigenes Antriebssy stem verfügte, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Fremden drau ßen gewähren zu lassen. Neben der Niedergeschlagenheit, die aus seinen Gefühlssektoren strömte, machte sich jetzt eine andere Empfindung immer mehr breit. Es war ein völlig neues Gefühl, und das Biomat-Hirn brauchte eine ganze Weile, um es richtig zu erkennen und zu deuten. Die Gefühlssektoren begannen sich zu freuen, weil endlich einmal etwas geschah. Es schien ihnen dabei völlig gleichgültig zu sein, ob mit diesem Etwas etwa eine Gefahr für das Leben des Prinzen ver bunden war. Das Biomat-Hirn machte sich diese Überlegungen und Gefühle zu eigen und beschloß, weiter den Verlauf der Dinge abzuwarten und den Prinzen vorerst noch nicht zu wecken. Weiter ging die Fahrt der Zelle, gelenkt von unbekannten und unnahbaren Mächten und durch eine fremde Welt. Fremd? überlegte das Biomat-Hirn. Das Wort hatte sich unwillkür lich aufgedrängt. Was war aber dann nicht-fremd? Wo stammte es ei gentlich her? Resignierend stellte das Biomat-Hirn fest, daß ihm zahl reiche Informationen einfach fehlten. Es wußte nicht, ob dies an der verstrichenen Zeit lag. Oder ob es die Informationen nie besessen hatte. Die Fehler der anderen Hirne deu teten eher darauf hin, daß die zweite Möglichkeit zutraf. * Der Transport der Antigrav-Plattform mit dem fremdartigen Metall zylinder nach Canberra gestaltete sich völlig problemlos. Das Ding, wie man den fremden Körper genannt hatte, verhielt sich absolut passiv.
In einer abgesicherten Halle des SEDOR-Geländes setzten die bei den Männer ihr Gefährt ab. Liz Delgado erwartete die beiden. Zuvor hatte sie einen Zwischenbericht an Lim Choo abgegeben. Der SE DOR-Chef hatte seiner Agentin kommentarlos zugehört. Es war spät am Abend, und Liz beschloß, sich erst am nächsten Morgen um den Zylinder zu kümmern. Thiesen und Obenauf wur den entlassen. Sie durften einen Tag auf Terra bleiben, bevor sie zur Weiterführung ihrer Ausbildung nach Ganymed zurück mußten. Die SEDOR-Agentin beschloß, die Nacht im SEDOR-Center zu verbringen und nicht in ihr Haus auf Neuseeland zu gehen. Vorsorglich versiegelte sie die Halle, in der der Zylinder aufbe wahrt wurde, mit einem Energiefeld. Die letzte Stunde des Abends verbrachte sie mit Dagger und Arrow in der Kantine des SEDORGebäudes. Normalerweise erregte sie stets Aufsehen, wenn sie mit den beiden Psanimals irgendwo erschien. Zu dieser Stunde war die Kantine je doch schon fast leer. An einem Tisch entdeckte sie zwei alte Kampfgefährten. Es handel te sich um Wern Litti, einen SEDOR-Piloten, und Uwe Dassler, einen Funkspezialisten. Sie hatte mit den beiden Männern vor knapp zwei Jahren gemeinsam mit den Psanimals deren ersten Einsatz mitge macht. Dagger und Arrow begrüßten die beiden Männer auf ihre Art. Der Hund sprang freudig an Dassler hinauf und bellte leise. Der Funker tat so in seiner trockenen Art, als ob er das Tier gar nicht bemerken würde. Er war so in sein Kartenspiel vertieft, das er gegen Wern Litti und einen Tischrechner spielte, daß Dagger ihm erst mit einem gezielten Biß eine Spielkarte aus der Hand reißen mußte, bevor er sagte: „Hallo, Wauwau! Bist du auch mal wieder im Lande?“ Dassler war ein kleiner, kräftig gebauter junger Mann. Sein Gesicht zierte ein breiter Schnauzbart. Mit einem Aufschlag seiner kleinen, li stigen Augen begrüßte er Liz Delgado. Dann legte er schließlich die Karten auf den Tisch und deutete der Agentin an, sich zu setzen.
Wern Litti, wie Dassler ein schweigsamer Bursche, zeigte sich an dem Fund interessiert, den Liz aus dem Tunnel unter dem Indischen Ozean geborgen hatte. „Ich habe Sie vorhin mit der Blechkiste kommen sehen“, meinte er beiläufig. „Was ist denn da drin?“ Liz Delgado zuckte mit den Schultern. „Noch wissen wir es nicht, aber es muß etwas Unheimliches sein.“ Mit kurzen Worten schilderte sie die jüngsten Ereignisse. „Nichts für uns“, meinte Wern Litti schließlich. „Wir würden bei der Psi-Strahlung umfallen.“ „Die Strahlung war nur vorübergehend“, antwortete Liz. „Ich hoffe, daß sie nicht wieder einsetzt, denn sonst muß ich die Arbeit allein machen. Thiesen und Obenauf müssen morgen früh zurück nach Ga nymed, und mein Mann ist draußen im All. Andere Mentalstabile haben wir nicht.“ „Ich möchte auch mal wieder hinaus“, seufzte Dassler. „Seit unse rem gemeinsamen Einsatz vor zwei Jahren auf Beteigeuze haben wir kein eigenes Schiff mehr. Nur ab und zu werden wir an andere aus geliehen. Ich sehne mich nach der guten alten ARGO NAVIS zu rück.“ Das Schiff ARGO NAVIS war bei dem erwähnten Einsatz zerstört worden. „Das Schlitzohr Lim Choo hat einen neuen Pott für uns angekün digt“, meinte Litti. „Er rückt aber nicht mit der Sprache heraus, um was für eine Kiste es sich handeln wird. Er hat uns nur verraten, daß sie auf der Mars-Werft im Bau ist.“ „Und bis der Kahn da ist“, ergänzte Dassler, „müssen wir uns die Zeit mit Skatspielen vertreiben.“ Plötzlich zog Arrow die Aufmerksamkeit auf sich. Der Falke besaß eine ausgeprägte Vorliebe für SIGIT-Rechner. Stets suchte er deren Nähe, und jetzt hatte er sich auf den Tischrechner gesetzt, mit dem die beiden Männer ihr Kartenspiel gespielt hatten. Plötzlich begann das Psanimal in schneller Folge auf die Eingabetastatur des SIGITs zu
schlagen. Sein Hakenschnabel hieb so schnell auf die Tasten, daß es den Menschen unmöglich war, zu verfolgen, was Arrow bezweckte. Der Sichtschirm des SIGITs erhellte sich, und eine Schrift erschien: 99 PROZENT WAHRSCHEINLICHKEIT FÜR EIN LEBENDES WESEN IN DEM ZYLINDER. „Ihr Zoo wird mir immer unheimlicher“, sagte Dassler leise. „Und das nennen Sie Psi-Instinkte? Für mich ist das hochgradige Intelli genz.“ Liz schüttelte den Kopf. „Arrow weiß nicht, was er tut. Aber er macht stets das Richtige. Da liegt der Unterschied.“ Plötzlich erhob sich der Vogel und begann, enge Kreise über dem Tisch zu ziehen. Auch Dagger zeigte eine Unruhe, die Liz glauben machte, daß ein ungewöhnliches Geschehen ablief oder unmittelbar bevorstand. Dagger warf seinen Kopf zur Seite und eilte zum Ausgang. Arrow folgte ihm. Der Falke drehte jedoch noch einmal ab und kam zu Liz zurück. Das konnte nur bedeuten, daß sie den Psanimals folgen soll te. Auch Litti und Dassler hatten die Geste verstanden. „Kommen Sie“, forderte der Pilot die Agentin auf. „Da tut sich et was.“ Die drei Menschen verließen das Kantinengebäude. Draußen schlug Dagger den direkten Weg zu der Halle ein, in der der fremdartige Metallzylinder aufbewahrt wurde. Arrow war irgendwo in dem dunklen Nachthimmel, der Canberra bedeckte, verschwunden. Mit geübtem Griff öffnete Dassler das Hallentor und schaltete die Beleuchtung ein. Liz, die unmittelbar hinter dem kleinen Funkspezia listen stand, merkte sofort, daß etwas nicht stimmte. Das Flimmern des Energiefeldes, das sie vorsorglich installiert hat te, fehlte. Ihr stockte der Atem, als ihr Blick in die Halle fiel.
Der große Metallzylinder war geöffnet, eine Hälfte nach oben ge klappt. Im Innern des Zylinders waren verschiedene, völlig fremdar tige Geräte oder Maschinen zu sehen. Die eigentliche Überraschung jedoch stellte die Figur dar, die vor dem geöffneten Zylinder stand. Es mußte sich um ein männliches, humanoides Wesen handeln. Der Mann war fast zwei Meter groß. Er trug ein farbenprächtiges Gewand, das an eine Mischung aus Gala-Uniform und Raumanzug erinnerte. Die Gesichtszüge des Mannes waren scharf und markant, und, seine Augen blickten verblüfft oder unsicher auf die drei Men schen. Plötzlich zog der Mann mit einer blitzschnellen Bewegung eine Waffe aus dem Gürtelhalfter und legte auf die drei Menschen an. Liz Delgado sprang mit einem Satz zur Seite und riß dabei Wern Litti mit. Dassler war von einer Sekunde zur anderen in ein blaues Licht ge taucht. Dann sank der Funker reglos zu Boden. Bevor die SEDOR-Agentin etwas unternehmen konnte, schoß Ar row durch das Hallentor und auf den Fremden zu. Der schien den anfliegenden Falken gar nicht zu bemerken. Als das Psanimal dem Fremden mit einem scharfen Hieb seines Hakenschnabels die Waffe aus der Hand schlug und diese, bevor sie zu Boden fiel, durch ein blitzschnelles Nachsetzen auffing, war die Gefahr erst einmal ge bannt.
4. Das Dunkel lichtete sich nur sehr langsam. Der Vorgang des Erwa chens war mit heftigen Schmerzen verbunden, und mein Unterbe wußtsein sagte mir, daß das eigentlich nicht so sein dürfte. Ich spürte zahlreiche Nadelstiche am ganzen Körper und wußte, daß die einzel
nen Partien meines Körpers jetzt wieder aktiviert wurden. Noch reichten meine Kräfte nicht aus, um die Augen zu öffnen. Ein erster, sinnvoller Gedanke machte sich breit. Es war mehr eine unbewußte Erkenntnis. Ich sagte mir selbst, daß irgend etwas nicht stimmte. Das Erwachen hätte sich normalerweise innerhalb von Se kunden abspielen müssen. Auch die Schmerzen durften nicht sein. Vielleicht war das Versagen des Erhaltungs-Systems der Grund für das Erwachen, mutmaßte ich. Das würde mich in arge Verlegenheit bringen, denn es würde ja bedeuten, daß der Impuls, der nach Fertig stellung der Robotflotte das Erwecken einleiten würde, noch gar nicht abgegeben worden ist. Rund fünfzig Jahre waren dafür von un seren Wissenschaftlern berechnet worden. Ich versuchte, die letzten Geschehnisse in meine Erinnerung zu ru fen. Noch lag ein dumpfer, geistiger Nebel in meinem Gehirn, aber bald spürte ich, wie das Leben in jede Faser meines Körpers zurück kehrte. Eine Welle geistigen Schmerzes durchflutete mich, als ich an den letzten und alles vernichtenden Überfall der Loughs dachte. Sie hat ten eine unserer Welten nach der anderen erobert und sich unterwor fen, bis sie schließlich gegen Yerden selbst antraten. Unsere riesige Flotte aus robotgesteuerten Raumschiffen konnte dem Ansturm der Energiewesen nicht lange standhalten. So fiel auch unsere Heimat welt Yerden in die Hände und die Sklaverei der Loughs. Bevor die letzte Bastion fiel, trat der Notplan Yerdengroth in Aktion. Yerdengroth, das war stets der Name des designierten Nachfolgers des Staatsoberhaupts. Yerdengroth, das war ich! Genau gesagt, Prinz Yerdengroth. Der Notplan war von langer Hand vorbereitet gewesen. Auf einer streng geheim gehaltenen Kolonialwelt unseres Reiches war eine rie sige Anlage zum Bau einer neuen Raumschiffflotte installiert worden. Die Anlage arbeitete erst seit wenigen Monaten und vollrobotisch. Nach fünfzig Jahren sollte dort auf dem Planeten Drooldar eine neue Flotte entstehen, mit der unter meinem Kommando die Loughs ge
schlagen werden sollten, um mein Volk von der Sklaverei der Ener giewesen zu befreien. Drooldar war zugleich auch mein Versteck für diese fünfzig Jahre. In meiner Zelle, in der ich jetzt gerade erwachte, sollte ich nach dem Notplan die Zeit im Tief schlaf überwinden. Jetzt aber war ich im Begriff, aus diesem Schlaf zu erwachen. Die Begleitumstände des Erwachens, der Druck in meinem Kopf, die Schmerzempfindlichkeit machten mich stutzig. Langsam öffnete ich die Augen. Noch lag ich auf meiner Liege, fest angeschnallt und unbeweglich. In der zentralen Kammer der Zelle herrschte gedämpftes, rotes Licht. Ich versuchte, meinen Kopf etwas zur Seite zu drehen, um alle Instrumente ablesen zu können. Rasch ließ ich von dem Versuch ab, denn in meinem Nacken spürte ich ei nen stechenden Schmerz. Mein Blick fiel auf das Chronometer. Dabei machte ich zwei Fest stellungen, die mir Sorgen bereiteten. Die eine war, daß die Uhr stand. Die andere war die Anzeige der fünfstelligen Jahreszahl. Das Chronometer schien zu einer Zeit stehengeblieben zu sein, die vor meinem Start von Yerden lag! Möglicherweise handelte es sich dabei aber um einen Fehler, denn ein Rückwärtslaufen der Zeit war ja un möglich. Ich rief mir die Einrichtungen der Zelle ins Gedächtnis. Dann wußte ich, was ich zu tun hatte. Ich mußte Kontakt mit der zentralen Steuer einheit, dem Biomat-Hirn, aufnehmen und erfragen, was vorgefallen war. „Biomat-Hirn!“ sagte ich gepreßt. „Warum werde ich geweckt? Was ist geschehen? Wieviel Zeit ist seit dem Start von Yerden verstri chen?“ Das Robothirn antwortete zunächst nicht, was mich ebenfalls ver wunderte und beunruhigte. Erst nach einer ganzen Weile sagte es zögernd: „Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Es liegen keine gesicherten Informationen vor.“ „Ist der Impuls eingetroffen?“
„Nein.“ „Warum ist das Chronometer abgeschaltet worden?“ „Das geschah auf Veranlassung des Zentral-Hirns, weil die Zeitan gaben unsinnig geworden waren. Nachdem die fünfstellige Anzeige der Jahreszahl mehrfach durchlaufen war und stets bei Null neu be gann, hatte die Anzeige keine Aussagekraft.“ Ein erster, noch vager Verdacht machte sich breit. „Ich sollte doch geweckt werden, wenn nach etwa fünfzig Jahren der Impuls einträfe und verkündete, daß die neue Flotte fertig ausge rüstet ist.“ Wieder ließ sich das Robothirn ungewöhnlich lange Zeit, bis es antwortete. „Das ist richtig, Prinz Yerdengroth. Aber der Impuls traf nie ein. Folglich sind Sie nicht geweckt worden. Jetzt jedoch erschien mir das unumgänglich, denn es droht Gefahr. Fremde haben die Zelle ent deckt. Unsere Abwehrmaßnahmen waren nur von geringem Erfolg. Das schützende Erdreich rings um die Zelle wurde entfernt. Dann wurden wir an den Ort transportiert, an dem wir uns jetzt befinden.“ Ich runzelte die Stirn, denn das, was das Biomat-Hirn mir mitteilte, war unsinnig. Von einem schützenden Erdreich, das die Zelle umge ben sollte, war mir nichts bekannt. Ich war bis jetzt der Annahme, daß ich mich mit der Zelle in meinem Raumschiff in der unterirdi schen Höhle von Drooldar befand. Offensichtlich traf das nicht zu. Es schien auch erheblich mehr Zeit verstrichen zu sein, als vorgesehen gewesen war. „Versuche eine Zeitbestimmung“, forderte ich das Robothirn auf. „Die Welt, auf der wir uns befinden, hat etwa die gleiche Umlauf zeit um ihre Sonne wie Yerden“, antwortete das Biomat-Hirn. „Sind wir denn nicht auf Drooldar?“ „Nein, Prinz Yerdengroth“, lautete die erstaunliche Antwort. „Wir sind nie auf Drooldar gewesen. Kurz nach dem Start von Yerden wurden wir durch ein Energiefeld an einen anderen, mir unbekann ten Ort versetzt. Das Schiff wurde dabei zerstört. Wir machten eine
Notlandung auf diesem Planeten. Unsere Energie der Landefähre reichte gerade noch aus, um die Zelle in der Kruste dieses Planeten zu verstecken. Möglicherweise haben einige Systeme der Zelle Scha den erlitten. Meine Angaben sind daher mit Unsicherheiten behaftet.“ Langsam dämmerte es mir, daß der Notplan Yerdengroth nicht funktioniert hatte. „Wieviele Umläufe hat diese Welt gemacht, seit wir hier eingetrof fen sind?“ fragte ich weiter. „Genau kann ich das nicht sagen, aber es waren mit Sicherheit mehr als eine Million Umläufe.“ * Ich benötigte eine lange Zeit, um .den Schock zu verdauen. Ein Jahr auf Yerden war etwa so lang wie das dieses Planeten, hatte das Bio mat-Hirn gesagt. Das würde bedeuten, daß ich mehr als eine Million Jahre im Tief schlaf gelegen hatte. Als der eisige Schreck, der mich durchzuckt hatte, langsam ab klang, gewann das klare Denken wieder Oberhand. In der ungeheu ren Zeitspanne lag auch die Erklärung für die Schmerzen beim Erwa chen und für die von dem Chronometer angezeigte Zeit. Eine Million Jahre! Was mochte inzwischen auf Yerden geschehen sein? Es war fraglich, ob mein Volk überhaupt noch existierte. Was war mit den Loughs? Gab es sie noch? Unterjochten sie noch immer die Welten der Yerdener? Eine andere Frage drängte sich in den Vordergrund. Wo befand ich mich? „Öffne die Zelle!“ befahl ich dem Biomat-Hirn. „Der Vorgang ist eingeleitet.“ Ich hatte ein beklemmendes Gefühl, das ich mit aller Gewalt unter drückte, um nicht in Panik zu geraten. Endlich meldete sich das Biomat-Hirn wieder.
„Ich glaube“, sagte es mit einem unsicheren Beiklang in der Stim me, „daß der Wiederbelebungsprozeß jetzt abgeschlossen ist. Die Zel le wird nun geöffnet. Ich muß noch auf einen Umstand hinweisen. Die Außensensoren arbeiten nicht fehlerfrei, aber es hat den An schein, daß wir nach dem Transport an diese Stelle in ein energeti sches Fesselfeld gehüllt wurden, das die unbekannten Entführer in stalliert haben. Das Zentral-Hirn arbeitet seit einiger Zeit gemeinsam mit dem Energie-Hirn an dem Aufbau eines Neutralisationsfelds. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob dieses Vorhaben ge lingt.“ Ein leises Summen kündigte an, daß die Zelle aufgeschweißt wur de. Erneut keimte Angst in mir auf, und ich tastete nach meiner Multi waffe. Da meldete sich zu meiner Erleichterung wieder das BiomatHirn. „Die Zelle wird jetzt geöffnet. Bitte seien Sie wachsam, Prinz Yer dengroth, denn es liegen keine Informationen über die Umwelt vor, in der wir uns befinden. Das energetische Fesselfeld ist vorüberge hend neutralisiert. Sie können sich also ungehindert bewegen.“ Ich beobachtete, wie sich das Instrumentenpult über meinem Kopf nach oben und zur Seite bewegte. Vorsichtig erhob ich mich von meiner Liege und kletterte nach draußen. Es herrschte fast völlige Dunkelheit. Nur die wenigen Leuchtanzei gen der Zelle erhellten die unmittelbare Umgebung. Mein Blick rich tete sich nach oben. Auch dort war völlige Dunkelheit, und ich schloß daraus, daß ich mich im Innern eines Gebäudes befand. Ich reckte mich und überprüfte meine Körperfunktionen. Die Schmerzen in den Gliedmaßen waren verschwunden. Die Reflexe waren wieder normal, und die Muskulatur arbeitete einwandfrei. Die Veränderung in meiner Umgebung registrierte ich selber. Die Sensoren der Zelle und die Robothirne arbeiteten zu langsam und zu unzuverlässig. Normalerweise hätten sie mich warnen müssen.
Da war ein scheuerndes und quietschendes Geräusch. In der Nähe glitt etwas zur Seite und gab den Blick auf den Nachthimmel frei. In weiter ferne schimmerten Sterne und signalisierten mir, daß ich ir gendwo in diesem Kosmos war. Aber wo? Unmittelbar danach erleuchtete sich das Gebäude, in dem ich mich offensichtlich befand. Durch die Öffnung, die entstanden war, traten drei Menschen auf mich zu. Ich sah ihre verdutzten Gesichter und fühlte ihre Verwunderung. Eigentlich sahen die drei so aus wie ich. Jedenfalls stand fest, daß es sich nicht um Loughs handelte. Ich beschloß, die drei Menschen mir erst einmal vom Leib zu halten und sie zu betäuben. Mit einer blitzschnellen Bewegung zog ich mei ne Multiwaffe aus dem Halfter. Die Fremden reagierten ungewöhn lich schnell. So traf ich nur einen von ihnen. Die beiden anderen hat ten sich durch einen Sprung zur Seite gerettet. Bevor ich erneut schießen konnte, geschah etwas Unheimliches. Ein Schatten schoß auf mich zu und schlug mir die Waffe aus der Hand, fing diese auf und verschwand in Richtung auf die drei Fremden. Ohne Waffe fühlte ich mich hilflos. Vielleicht war es auch ein Fehler gewesen, so aggressiv vorzugehen. Ich wechselte die Taktik. Langsam hob ich beide Arme hoch und neigte den Fremden die lee ren Handflächen zu. Ich hoffte, daß sie diese Geste verstanden. Einer der drei Fremden, ohne Zweifel eine Frau, kam langsam auf mich zu. Auch sie zeigte mir ihre leeren Hände. Sie lächelte mir freundlich zu. Neben ihr ging mit wachsamen Au gen ein großes Tier. * Während Liz Delgado langsam auf den Fremden, der dem seltsamen Zylinder entstiegen war, zuging, musterte sie die auffallende Er scheinung. Der Fremde war ohne Zweifel ein Mensch männlichen Geschlechts. Seine kantigen Gesichtszüge und seine blasse Hautfarbe
waren jedoch nicht typisch für irgendeinen Zweig der terranischen Völker. Ein Außerirdischer, ein Extraterrestrier? überlegte die Agentin. Schon mehrmals war man bei der Erforschung der Galaxis auf andere Lebensformen gestoßen, die nicht nur äußerlich den Menschen fast völlig glichen. Der Mann trug eine einteilige Kombination von silberner Grund farbe mit zahlreichen farbigen Symbolen, die absolut fremd wirkten. An einem breiten, reich verzierten Gürtel hingen kleine Geräte, deren Sinn Liz nicht erkennen konnte. Aus einem Halfter hatte der Fremde die Waffe gezogen, die Arrow ihm aus der Hand geschlagen hatte. Der Falke schwebte von der Seite heran und bremste kurz vor Liz ab. Ohne den Blick von dem Fremden zu lassen, hielt die Agentin eine Hand auf und nahm die Waffe in Empfang. Sie ließ sie locker nach unten baumeln, um ihre friedfertige Absicht zu unterstreichen. Wenige Meter vor dem großen Mann blieb sie stehen. Der blickte sie unsicher an. Verzweiflung und Schuldbewußtsein ließen sich aus seinen Augen ablesen. Aber auch Selbstbewußtsein und Stärke. Liz selbst verspürte keine Angst. Der Fremde öffnete seinen Mund und sprudelte schnell hinterein ander mehrere Sätze heraus. Die SEDOR-Agentin, die in vielen Spra chen geschult war, konnte keine bekannten Elemente in dieser Spra che feststellen. Der Fremde schien dies zu erkennen, denn so plötz lich, wie er zu reden begonnen hatte, unterbrach er sich wieder. Seine rechte Hand machte eine typische Geste der Verlegenheit. Dann neig te er leicht seinen Oberkörper nach vorn und sagte leise: „Yerden groth.“ Dabei legte er eine Hand auf seinen Brustkorb. Liz ahmte die Geste nach und nannte dabei ihren Namen. Der Fremde, der sich Yerdengroth nannte, schien dies zu verstehen, denn ein freudiges Erkennen huschte über seine Gesichtszüge. Als die Agentin ihn aber in mehreren Sprachen nach seiner Herkunft fragte, zeigte Yerdengroth nur Unverständnis.
Uwe Dassler war inzwischen wieder bei vollem Bewußtsein. Ge meinsam mit Litti trat er an die Seite der SEDOR-Agentin. „Aus welchem Zoo ist denn der entkommen?“ fragte er respektlos und deutete mit der ausgestreckten Hand auf Yerdengroth. „Wir werden es herausfinden, wenn wir das Verständigungspro blem gelöst haben“, antwortete Liz. Plötzlich begann Dagger unruhig auf und ab zu laufen. Dabei bellte er warnend. Sosehr sich Liz auch umblickte, sie konnte keine Veränderung oder gar Gefahr feststellen. Das Psanimal war jedoch in höchstem Maße beunruhigt. Auch Arrow, der enge Kreise um die Gruppe zog, be gann warnend zu schreien. Der Fremde verhielt sich völlig ruhig und passiv. Von ihm konnte die vermeintliche Bedrohung nicht ausgehen. „Wir übersehen irgend etwas“, wandte sich Liz an die beiden Män ner. „Aber was? Aber was?“ fragte Wern Litti mit stoischer Ruhe. In diesem Augenblick begann die Luft in der Halle heftig zu flim mern, und ein Stoß Wärme fuhr durch den Raum. Es knisterte heftig. „Unser Energiefeld“, rief Liz und zeigte auf Yerdengroth. „Er muß es irgendwie neutralisiert haben, denn wir haben es nicht abgeschal tet. Schnell, Litti! Das Steuersystem ist im Nebenraum. Abschalten.“ Doch der Pilot konnte der Aufforderung nicht mehr nachkommen. Verzerrt und in grellen Farben baute sich das Energiefeld auf. Yer dengroth, der ihm am nächsten stand, wurde davon erfaßt und nach vorn geschleudert. Er stürzte mitten in die Gruppe der SEDOR-Leute. Mühsam und schwankend kam er wieder auf die Beine. Dassler, der fast zwei Köpfe kleiner war als der Fremde, stützte den noch be nommenen Mann, der unverständliche Worte vor sich hin murmelte. Während Wern Litti losrannte, um das Energiefeld zu desaktivie ren, geschah etwas, was Liz zunächst nicht verstand. Sie beobachtete, daß aus dem Zylinder, dem Yerdengroth entstiegen war, heftige Blit
ze zuckten. Der Energieschirm, der nur noch den Zylinder einhüllte, stabilisierte sich immer mehr. Da stieß Dagger ein kurzes Bellen aus und rannte auf den Zylinder zu. Liz ließ das Psanimal gewähren, denn schon mehrmals hatten Dagger und Arrow bewiesen, daß aufgrund ihrer mutierten Instinkte Energiebarrieren für sie kein Hindernis darstellten. Auch jetzt glitt der Hund durch die flimmernde Wand, als ob diese gar nicht vorhanden wäre. Mit einem mächtigen Satz schnellte er hoch und landete in dem geöffneten Zylinder. Er blickte sich nur einmal kurz um, dann verschwand er zwischen den zuckenden Blit zen im Innern. Unmittelbar danach kam es zu einer ersten Explosion in dem Zylinder. Die Frau fuhr herum, als Yerdengroth sie heftig am Oberarm packte und, gestikulierend und unverständliche Worte ausstoßend, auf den Zylinder wies. Nun bemerkte Liz, daß das ganze Gebilde zu glühen begann. Yerdengroth wollte Liz und Dassler wegziehen. In seinem Gesicht stand Panik, und Angst klang aus seinen Worten. Aber Liz wollte den Hund nicht allein in der Gefahr lassen. Sie riß sich von dem riesigen Fremden los. Das Schutzfeld mußte in eine Wechselwirkung mit den Anlagen des Zylinders getreten sein, überlegte die Agentin. Gleich würde Wern Litti das Feld abschalten, und dann müßte der Feuerzauber ein Ende haben. Aber es kam ganz anders. Arrow stieß plötzlich ein typisches Krächzen aus, mit dem er an deutete, daß er in das Geschehen eingreifen wollte. Zum Erstaunen von Liz Delgado und Uwe Dassler flog das Psanimal pfeilschnell hin ter Wern Litti her. Es benötigte kaum eine Sekunde, um durch eine Seitentür in den Nebenraum zu gelangen, wo der Pilot das Energie feld desaktivieren sollte. Fast im gleichen Moment tauchte Dagger am Rand des geöffneten Zylinders auf. Die Blitze, die in grellen Flammen aus dem Innern der
Kapsel schlugen, schienen ihn nicht zu berühren. An seiner Schnauze hielt er einen kleinen, viereckigen Kasten, aus dem mehrere lose Ka bel baumelten. Der Hund sprang aus dem Zylinder und durchquerte erneut das Energiefeld. Als er den Kasten vor Liz auf dem Boden ablegte, stieß Yerdengroth einen Freudenschrei aus, bückte sich und drückte das Gerät an sich. Noch verstand Liz nicht, was sich eigentlich abspielte. Sie wurde noch verwirrter, als sie aus dem Nebenraum einen wütenden Schmerzensschrei von Wern Litti hörte. Was der Pilot danach noch schrie, konnte keiner mehr hören, denn in einer grellen Explosion zerbarst der Zylinder. Allein der noch nicht abgeschaltete Schutzschirm bewahrte die vier Menschen vor dem sicheren Tod. Mit einem Mal erkannte Liz, war um Arrow dem Piloten gefolgt war. Ihr Verdacht bestätigte sich, als Wern Litti zurückkam und sich eine blutende Hand hielt. Er trat auf die Agentin zu und sagte in seiner trockenen Art: „Ihre Krähe hatte etwas dagegen, daß ich das Energiefeld abschaltete.“ „Sehr -verständlich“, brummte Dassler. „Du hättest nämlich sonst auf den fähigsten Funker der SEDOR und den besten Skatspieler Ter ras verzichten müssen.“ Wern Litti pfiff leise durch die Zähne, als er erst jetzt den zerstörten Zylinder erblickte. Seine Augen gingen zu Yerdengroth, und er droh te ihm mit dem Finger. „Dz, dz, wie kann man nur so böse Sachen machen. Die schöne Blechkiste ist ja nur noch Schrott!“ Es war nicht zu erkennen, ob Yerdengroth die Geste verstand. Er hob nur abwehrend eine Hand, während er mit der anderen den kleinen, schwarzen Kasten hielt. Liz sah, daß der Fremde am ganzen Körper zitterte.
„Lassen Sie lieber diese Albernheiten“, wandte sie sich an die bei den SEDOR-Männer. „Ich glaube nicht, daß dieser Mensch Ihren Humor versteht.“ Über ihr Multi-Armband, das anzeigte, daß es schon lange nach Mitternacht war, orderte Liz Delgado ihren Gleiter herbei. Yerden groth folgte ihr ohne Zögern, als sie ihm andeutete, in das Gefährt zu steigen. Dassler und Litti schlossen sich schweigend an. Zuletzt sprang Dagger in den Gleiter. Um Arrow brauchte sich Liz nicht zu kümmern, denn der Falke zog es meistens vor, selbständig zu fliegen. Die Agentin steuerte das SEDOR-Gebäude an. Dort ließ sie einen Arzt kommen, der mit Hilfe eines MedoRobots eine erste Untersu chung Yerdengroths vornahm. „Körperlich gesund, aber völlig erschöpft“, lautete die Diagnose. Liz wies den Arzt darauf hin, daß Yerdengroth mit hoher Wahr scheinlichkeit kein Terraner sei und daß er vermutlich über längere Zeit in einer Art Tief schlaf gelegen haben mußte. Yerdengroth sträubte sich nicht, als ihm der Medo-Robot drei Sprit zen durch seine Kombination in den Oberarm jagte. Er sträubte sich auch nicht, als ihm Liz ein Quartier im SEDOR-Gebäude zuwies, wo er sich zur Ruhe legen konnte. Nur als sie ihm zu verstehen gab, daß er den schwarzen Kasten ab geben sollte, schüttelte er trotz der hohen Müdigkeit, die ihn befallen hatte, energisch den Kopf. „Dann eben nicht! Gute Nacht, Yerdengroth“, sagte die Agentin, ließ den Fremden allein und begab sich in ihre eigenen Räume.
5. Während des Frühstücks rief Liz Delgado etwa vorliegende Informa tionen aus ihrem persönlichen Speicher des SIGIT A1A ab. Es lagen zwei Nachrichten für sie vor. Die erste stammte von ihrem Mann
Thor, der irgendwann während der Nacht eine persönliche Botschaft an sie gerichtet hatte. Es ging ihm gut, aber mit seiner Rückkehr zur Erde würde es noch zwei oder drei Wochen dauern. Die zweite Nachricht betraf Yerdengroth und stammte vom SE DOR-Wachpersonal. Der Fremde aus dem geheimnisvollen Zylinder war schon seit zwei Stunden wach. Er schien sich trotz des kurzen Schlafes sehr schnell und gut erholt zu haben. Was das, Wachperso nal weiter beobachtet hatte, verblüffte die Agentin. Nachdem Yer dengroth ein kräftiges Frühstück aus dem Automaten erhalten hatte, hatte er sich mit dem kleinen, schwarzen Kasten befaßt. Schon nach kurzer Zeit hatte er ein Gespräch mit dem Gerät begonnen, dessen Inhalt allerdings nicht verstanden werden konnte. Das Gespräch dauerte in diesem Moment noch an. Liz ließ sich mit dem Wachpersonal verbinden. Man erklärte ihr, daß ohne Yerdengroths Wissen seine Gespräche aufgezeichnet wor den seien und zur Zeit von dem SEDOR-Riesenrechner auf ihre Überssetzbarkeit geprüft wurden. Diese Entwicklung begrüßte Liz sehr, denn dadurch zeichnete sich die Möglichkeit ab, daß sie schon bald mit Yerdengroth in Kontakt treten konnte. Der Mann strahlte nicht nur etwas Faszinierendes, sondern auch etwas Geheimnisvolles aus. Und dieses Geheimnis wollte die Frau lösen. Sie unterbrach die Verbindung zu dem Wachpersonal und schaltete ei- ne direkte Leitung zu dem SIGIT. Von dem Rechner erfuhr sie, daß dieser den SEDOR-Chef Lim Choo in der Zwischenzeit über die Ereignisse informiert hatte. „Dafür lag keine Anweisung vor“, sagte Liz etwas unzufrieden. Ihr wäre es angenehmer gewesen, wenn sie Lim Choo persönlich berich tet hätte, nachdem sie klare Fakten in Erfahrung gebracht hatte. „Es erschien mir aus meiner Sicht erforderlich“, antwortete die Kunststimme des Intprocry-Rechners höflich. „Die aufgenommene Sprache ist keine, die von einer irdischen abstammt. Daraus habe ich
gefolgert, daß der Fremde ein Außerirdischer ist. Gemäß Grundpro gramm 372-BV-16 war ich verpflichtet, den Chef zu informieren.“ „Schon gut“, lenkte Liz ein. „Wie sieht es mit der Übersetzung der von Yerdengroth verwendeten Sprache aus?“ „Die verwendeten Worte, die übrigens nicht nur von Yerdengroth, sondern auch von dem schwarzen Kasten stammen, wurden zu etwa 75 Prozent identifiziert. Die Sinnverständlichkeit liegt dadurch bei den gesprochenen Sätzen bei über 90 Prozent. Eine hohe Wahrschein lichkeit für eine Verständigung ist daher schon jetzt gegeben. Ich rate jedoch von einem sofortigen Kontakt ab, solange uns Yerdengroth freiwillig Sprachinformationen liefert. Es sei denn, Sie könnten mich in direktem Kontakt mit dem schwarzen Kasten bringen.“ „Was ist mit diesem Kasten?“ „Zweifellos handelt es sich um ein kleines, aber leistungsfähiges Rechen- und Speicherhirn. Nach welchem Prinzip es arbeitet, läßt sich nicht sagen.“ Der SIGIT machte eine kurze Pause und fuhr dann fort, wobei seine Stimme einen deutlichen Beiklang von Unsicherheit beinhaltete: „Es ist jedoch auffällig, daß diese Recheneinheit biswei len widersprüchliche Aussagen liefert. Auch scheint sie nicht über die von Yerdengroth gewünschten Informationen zu verfügen, obwohl dieser sie als selbstverständlich erwartet.“ „Worüber unterhalten sich denn die beiden?“ wollte Liz abschlie ßend noch wissen. „In kurzen Worten gesagt“, antwortete der SIGIT, „zunächst wollte Yerdengroth wissen, wo er sich befindet. Sein Kasten konnte ihm je doch keinen Hinweis geben. Er nennt diese Recheneinheit übrigens Biomat-Hirn. Danach versuchte er, seine Vergangenheit ab einem be stimmten Zeitpunkt zu klären. Den Zeitpunkt bezeichnete er als ,Start von Yerden’. Was dies bedeutet, steht noch nicht fest. Es stellte sich aus den Antworten des Biomat-Hirns heraus, daß Yerdengroth ver mutlich über eine Million Jahre in der Zelle – so nennt er den zerstör ten Zylinder, aus dem er gestiegen war – in eine Art Tiefschlaf gele gen hat. Dieser Tief schlaf sollte jedoch an einem anderen Ort, Drool
dar genannt, stattgefunden haben und nur etwa 50 Jahre dauern. Zu Drooldar und Yerden, beides vermutlich fremde Welten oder Plane ten, konnte keine räumliche Zuordnung oder sinnvolle Beziehung hergestellt werden. Yerdengroth erscheint beunruhigt, aber gefaßt. Soeben hat er sich bei dem Biomat-Hirn erkundigt, wie er sich ge genüber den Fremden verhalten soll. Damit meint er ohne Zweifel die Bewohner der Erde. Sein Rechenhirn hat ihm empfohlen, friedli chen Kontakt zu suchen, um so seine Heimatwelt wiederzufinden.“ „Gut“, sagte Liz Delgado nachdenklich. „Beobachte Yerdengroth weiter. Und melde mich bei Lim Choo an.“ * Der SEDOR-Chef war ein kleiner, untersetzter Malaie. Er begrüßte Liz Delgado freundlich und wartete geduldig, bis die Agentin ihm die jüngste Entwicklung geschildert hatte. „Welches sind Ihre weiteren Absichten?“ fragte er dann. „Dieser Yerdengroth ist ein geheimnisvolles und interessantes Ob jekt, Sir“, sagte Liz. „Zweifellos ist er ungefährlich. Außerdem sucht er Kontakt zu uns, um seine unklare Vergangenheit zu klären. Ir gendwo muß er ja herstammen, und diese Herkunft möchte ich klä ren.“ „Sie haben freie Hand, Mrs. Delgado. Nur wenn sich etwas Unge wöhnliches ereignet, möchte ich unmittelbar informiert werden. Ge genüber der Öffentlichkeit halten wir zunächst alle Informationen zu rück. Im übrigen habe ich den zerstörten Zylinder untersuchen las sen. Brauchbare Erkenntnisse haben wir nicht gewonnen. Allerdings haben die Wissenschaftler bei der Untersuchung des Trümmermate rials festgestellt, daß dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit über eine Million Jahre alt ist.“ Auf dem Weg zu Yerdengroths Unterkunft informierte sich Liz über die Grundbegriffe von dessen Sprache. Dann betätigte sie den
Türsummer und trat in den Raum. Yerdengroth blickte sie aus druckslos an. „Guten Morgen, Mr. Yerdengroth“, sagte Liz in der Sprache des Fremden. „Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen. Bitte nehmen Sie unse re Gastfreundschaft an.“ Zunächst war der Zwei-Meter-Mann verblüfft, dann flog ein Lä cheln über sein Gesicht. Liz ließ sich seine Antwort mit Hilfe des SIGITs übersetzen, mit dem sie über ihr Multi-Armband in direkter Verbindung stand. „Danke. Ich nehme Ihre Gastfreundschaft gern an. Nennen Sie mich aber bitte nur Yerdengroth. Eigentlich müßte es Prinz Yerdengroth heißen, aber ich glaube, daß ich den ‚Prinz’ auf dieser Welt getrost vergessen kann.“ * Die Frau, die sich Liz Delgado nannte, strahlte etwas Beruhigendes und Freundliches aus. Ich besaß eine hochsensitive Empfindlichkeit für die Ausstrahlungen von Lebewesen in meiner unmittelbaren Nä he. Als ich aus der Zelle gestiegen war, hatte ich daran nicht gedacht. Möglicherweise war ich noch nicht im Vollbesitz meiner Kräfte ge wesen und hatte mich überschätzt. Jetzt aber wußte ich, daß meine Reaktion, blind die Waffe zu ziehen und zu feuern, sehr falsch gewesen war. Um so dankbarer mußte ich diesen“* Menschen sein, daß sie mir mein Verhalten nicht anlasteten. Nachdem ich die Begrüßung der Frau erwidert hatte, begann ich zu überlegen. Diese Leute mußten mich bei meinem Gespräch mit dem defekten Biomat-Hirn belauscht haben und in unglaublich kurzer Zeit die Übersetzungsmechanismen gefunden haben. Oder doch nicht? War es nicht viel naheliegender, daß sie meine Sprache zwar nicht sprachen, aber kannten? Ihre äußerliche Gleich heit mit meinem Volk schien dies zu unterstreichen. Möglicherweise handelte es sich um die Nachkommen der Yerdener!
Eine wilde Hoffnung keimte in mir auf. Wo anders sollte ich sein als auf Yerden, wenn ich das vorgesehene Ziel, Drooldar, nie erreicht hatte? Es gab keine Loughs mehr! Es schien Friede zu herrschen. Die ersten Zweifel an meiner Vermutung kamen mir, als ich be merkte, daß sich Liz Delgado (auch ein völlig fremdartig klingender Name!) mit mir unter Zuhilfenahme eines technischen Geräts unter hielt. Also hatte sie die paar Brocken meiner Sprache nur rasch aus wendig gelernt, um mich zu begrüßen. Immerhin bekundete dies ihre friedliche Haltung. Die Frau deutete mir mit einer Handbewegung an, mich an den Tisch zu setzen. Sie nahm mir gegenüber Platz und blickte mich eine Weile durchdringend an. Dann begann sie zu sprechen. Das Übersetzungsgerät an ihrem Handgelenk formulierte die Worte in meiner Sprache. Ich erfuhr, wie ich auf dieser Welt gefunden worden war, die ihre Bewohner Terra nannten. Sie schloß mit der Feststellung, daß ich nicht von diesem Planeten oder einem, der den Terranern bekannt war, stammen konn te. Eine direkte Frage stellte sie mir nicht, aber die Bereitwilligkeit ih rer Informationen ließ mich vermuten, daß sie nun von mir wissen wollte, wer ich war und woher ich wirklich kam. Ich zögerte noch. „Ich möchte den Sternenhimmel sehen“, sagte ich schließlich, „um zu erfahren, wo ich mich befinde.“ Liz Delgado nickte mir zustimmend zu. Dann sprach sie mehrere Sätze in ihr Armbandgerät, das wohl mehr als eine Apparatur zur Übersetzung war. Kurz darauf leuchtete an der gegenüberliegenden Seite eine Wand auf, während der Raum gleichzeitig abgedunkelt wurde. Das präch tige Bild eines nächtlichen Sternenhimmels erschien. „Das ist der nördliche Sternenhimmel, wie man ihn von Terra aus sieht“, erklärte die Frau. Ich versuchte, irgendeine bekannte Konstel lation auszumachen, aber es gelang mir nicht.
Das Bild wechselte, und andere Lichtpunkte erschienen. „Der südli che Himmel“, sagte Liz Delgado. „Hilft Ihnen das weiter, Yerden groth?“ Ich schüttelte den Kopf. Auch hier war keine der mir bekannten Konfigurationen zu entdecken. „Es ist möglich“, formulierte ich vorsichtig, „daß ich eine Million Jahre im Tiefschlaf gelegen habe. Wie sah Terra vor einer Million Jah ren aus? Wie sah der Sternenhimmel zu jener Zeit aus? Haben Sie darüber Informationen?“ Die Frau blickte mich lange an. Sie schien meinen unausgesproche nen Gedanken erraten zu haben, denn sie antwortete: „Wenn Sie vermuten, daß Sie selbst von der Erde stammen und eine Million Jah re in Ihrer Zelle gelegen haben könnten, so muß ich Ihnen sagen, daß das absolut unmöglich ist. Wir haben unsere Vergangenheit gut er forscht. Vor einer Million Jahren entwickelten sich unsere Vorfahren, die damals in einer ungastlichen und von Eiszeiten beherrschten Welt ein äußerst primitives Dasein führten. Vor uns Menschen gab es auf Terra kein anderes, höher entwickeltes Leben.“ Ich zuckte bei dieser klaren Aussage innerlich zusammen, denn sie zerstörte meine letzte Hoffnung, auf Yerden zu sein. An der Richtig keit der Worte zweifelte ich nicht, denn immer deutlicher spürte ich die Aufrichtigkeit, mit der Liz Delgado zu mir sprach. „Den Sternenhimmel der Zeit vor einer Million Jahren kann ich Ih nen wohl zeigen“, fuhr sie fort. „Wir können ihn rekonstruieren, aber ich kann Ihnen schon jetzt sagen, daß er nicht viel anders aussieht als das, was Sie dort an der Wand sehen. Wollen Sie ihn sehen?“ Ich nickte in stummer Verzweiflung. Nach einer Weile erschien ein anderes Bild des Sternenhimmels. Ich warf nur einen kurzen Blick darauf, um festzustellen, daß es keine mir bekannten Elemente enthielt. Damit stand endgültig fest, daß ich mich nicht auf Yerden befand.
Der Schock saß tief. Aber ich hätte ihn leichter überwunden, wenn ich gewußt hätte, welche Erkenntnisse ich in den nächsten Tagen noch machen sollte. Liz Delgado bemerkte meine Niedergeschlagenheit und versuchte, mich zu trösten. „Wir werden das Rätsel lösen, Yerdengroth“, sagte sie und legte dabei ihre Hand auf meinen Unterarm. „Sie müssen et was Geduld haben. Bitte haben Sie Vertrauen zu mir. Ich bin an Ih rem Schicksal nicht weniger interessiert als Sie selbst. Außerdem ge hört es zu meiner beruflichen Aufgabe, solche Probleme zu lösen. Es bedarf nur einiger Recherchen, bis ich einen brauchbaren Plan habe, mit dem wir die Nuß knacken, die Sie darstellen.“ Ich nickte zustim mend, denn ich fühlte ihre ehrliche Absicht, Licht in das Dunkel zu bringen, das mich auf diesen fremden Planeten verschlagen hatte. „Vielleicht würde es uns helfen, wenn Sie mir alles über sich erzäh len würden“, sagte sie. „Das will ich gern tun“, antwortete ich, ohne zu zögern. Und ich begann zu erzählen. Von Yerden, meiner Heimat, dem fünften Planeten der Sonne Wa riga, der nach allem, was ich bisher über die Erde erfahren hatte, die ser sehr ähnlich war. Von meinem Volk, den Yerdenern, das im Lauf der Jahrtausende eine blühende Kultur entwickelt hatte und schließ lich eines Tages, lange bevor ich geboren wurde, den Griff nach den Sternen wagte. Ich steigerte mich, während ich sprach, in eine wahre Begeisterung und vergaß dabei völlig, daß das alles nun über eine Million Jahre in der Vergangenheit lag. Liz hörte mir geduldig zu und unterbrach mich nur gelegentlich mit der einen oder anderen Frage. Ich erzählte von den zahlreichen Sützpunkten und Kolonialwelten, die wir errichteten, von der Ausweitung meines Volkes mit friedli chen Mitteln im Lauf der Jahre, bis Yerden zur Zentralwelt eines Ab schnitts der Galaxis geworden war, der mehrere hundert Lichtjahre durchmaß.
Meine Vorfahren, die diese Pioniertaten vollbrachten, stießen auf andere Intelligenzen – aber zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam es nie. Wir respektierten die Welten und den Besitz anderer Völ ker, tauschten mit ihnen unsere Erfahrungen und unsere Technik aus und lernten von ihnen. Als ich zur Welt kam, zählten wir das Jahr 21374 unserer Zeitrech nung. Schon bald erfuhr ich, daß ich eine besondere Position unter den Yerdenern einnahm. Ich war der älteste Sohn Yerdentraghs, des Oberhaupts unseres Volkes. An dieser Stelle meiner Erzählung ergab sich zunächst eine Über setzungsschwierigkeit. Liz wollte das Wort Oberhaupt näher erklärt haben. Sie interpretierte es als Herrscher. Es kostete mich und ihrem Übersetzungshirn einige Zeit und Mühe, bis wir uns auf Oberorgani sator der Yerdener als Umschreibung für Yerdentragh einigen und ein ander verständlich machen konnten. Yerdentragh war Name und Ti tel zugleich. Das traf auch für Yerdengroth zu, wie der designierte Amtsnachfolger genannt wurde. Liz war mit meinen Erklärungen erst zufrieden, als ich ihr versicherte, daß ein Yerdentragh oder ein Yerdengroth durch einfache Mehrheit vom Volk abgesetzt werden konnte. „Im Jahr 21396 begann das schwärzeste Kapitel unserer Geschich te“, fuhr ich fort. „Eines der Forschungsraumschiffe kehrte nach Yer den zurück. Aber nicht die Besatzung entstieg dem Schiff. Die Loughs waren gekommen. Wir nannten sie so, denn ihren wahren Namen kennen wir nicht. Vielleicht haben sie gar keinen. Lough be deutet unangreifbar. Und das waren sie in der Tat. Drei Meter hohe Wesen, die aus reiner Energie zu bestehen scheinen. Sie besitzen ver schwommene Umrisse, die entfernt an eine menschliche Gestalt erin nern. Ihr ganzer Körper leuchtet in einem durchscheinenden Grün. Der Kopf ist deutlich auszumachen. Andere Extremitäten oder Orga ne sind nicht feststellbar. Sie sprachen unsere Sprache, die dumpf und hohl aus irgendeiner Stelle ihres Energiekörpers drang. Was sie forderten, war unfaßbar.
Völlige Unterwerfung. Die einzige Aufgabe der Yerdener sollte zu künftig darin bestehen, organische Nahrungsmittel für die Loughs zu produzieren. Durch einfache Berührung saugten sie ganze Lebewe sen restlos in sich auf. Jede Eigenständigkeit wurde uns verboten. Unsere Industrien sollten demontiert werden, die Raumfahrt verbo ten. Alleiniges Ziel sollte das sein, Liz, was Sie Viehzucht nennen würden. Und das nur, um den unersättlichen Hunger der Loughs auf organische Materie zu stillen. Mein Vater willigte, völlig überraschend für mich, ein, nachdem al le Versuche gescheitert waren, die Loughs mit Waffengewalt zu ver jagen oder sie von der Unmenschlichkeit ihrer Forderungen zu über zeugen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt nicht gewußt, daß wir über eine ge heime Kampfflotte verfügten, die in einem verborgenen Stützpunkt auf einer Kolonialwelt versteckt war. Die Yerdentraghs hatten vorge sorgt. Die Flotte wurde alarmiert. Sie vernichtete alle Raumschiffe der Loughs, die auf Yerden gelandet waren. Den Energiewesen selbst konnten sie jedoch nichts anhaben. Die Loughs zogen sich zurück, aber nur, um ihre Taktik zu ändern. Sie konzentrierten sich zunächst auf die kleinen Kolonialwelten. Da unsere Flotte nicht an allen Stellen zugleich sein konnte, fiel ein Planet nach dem anderen in ihre Hände. Langsam wurde dabei die Robotflotte aufgerieben. Nach mehreren Jahren zeichnete sich das Ende ab. Das Potential des Feindes schien unerschöpflich, der Feind selbst war lough, unan greifbar. Mein Vater entwickelte einen geheimen Notplan. Auf einer Welt namens Drooldar, die den Loughs nicht bekannt und die unbe wohnbar war, war eine neue Raumschiffswerft gebaut worden. Al lerdings würde es Jahrzehnte dauern, bis eine neue Flotte von robot gesteuerten Schiffen fertiggestellt sein würde. Bevor die Loughs als letzte Welt den Heimatplaneten der Yerdener in ihre Gewalt nehmen konnten, wurde der Notplan Yerdengroth in die Tat umgesetzt. Ich sollte nach Fertigstellung der neuen Flotte diese in den Kampf gegen die Loughs führen. Hierzu wurde ich in der Zelle in einen künstli
chen Tief schlaf versetzt. Eines unserer letzten Raumschiffe sollte mich nach Drooldar bringen, wo ich abwarten sollte, bis die Robotan lage durch einen Impuls melden würde, daß die Flotte fertig sei. Als ich Yerden verließ, war alles bereits der Automatik überlassen. Ich lag im Schlaf und habe seit diesem Zeitpunkt keine Erinnerung. Daß etwas oder alles schiefgelaufen ist, steht wohl fest. Denn ich bin nicht auf Drooldar oder auf Yerden. Ich weiß überhaupt nicht, wo ich bin. Und es sind nicht die abgeschätzten 50 Jahre vergangen.“ Meine Stimme wurde leiser. „Sondern vermutlich über eine Million Jahre. Ich kann es nicht glauben.“ Ich schwieg, denn alles, was zu sagen war, war gesagt. Auch Liz Delgado sagte nichts. Sie blickte mich stumm an, und in ihren Augen lag etwas wie ehrliches Mitgefühl. „Wir werden herausbekommen, wo Sie her sind, Yerdengroth“, sagte sie nach einer ganzen Weile. „Und was mit ihrem Volk gesche hen ist. Irgendwo in der Galaxis werden wir eine Spur finden. Wir besitzen einen phantastischen Antrieb für Raumschiffe, den ZerodimFlug, mit dessen Hilfe wir ohne Zeitverlust jeden Punkt der Galaxis erreichen können. Wir kennen nur einen Bruchteil der Welten und Sonnensysteme. Wahrscheinlich sind wir deswegen nie auf die Spu ren der Yerdener oder der Loughs gestoßen.“ Ich freute mich über ihre Zuversicht und nickte. Die Terranerin weckte in mir die ehrliche Hoffnung, wenigstens noch etwas über das Schicksal meines Volkes erfahren zu können. Wenn ich geahnt hätte, wie ganz anders die wahren Zusammenhänge wirklich zu diesem Zeitpunkt waren, hätte ich sie wahrscheinlich voller Ironie ausge lacht.
6. Die nächsten beiden Tage brachten für Liz Delgado und Yerdengroth gute und böse Nachrichten. Zu ihrem Erstaunen mußte die SEDORAgentin die Erfahrung machen, daß Yerdengroth die Sprache der Terraner mit spielerischer Leichtigkeit lernte. Er nahm dazu das Bio mat-Hirn zu Hilfe, wie er den kleinen, schwarzen Karten nannte, der ihm als einziges Instrument aus seiner Schlafzelle geblieben war. Al lerdings beklagte der Yerdener. immer häufiger, daß das Rechenhirn fehlerhaft arbeitete. Seine Versuche, Informationen zur Klärung der Lage aus dem Kasten zu bekommen, scheiterten kümmerlich. Am Abend des zweiten Tages nach seiner Erweckung erlebte Yer dengroth die erste große Enttäuschung. Das Biomat-Hirn gab endgül tig seinen Geist auf. Unter heftiger Qualmentwicklung verschmorte es förmlich, gerade als Liz Delgado in seine Unterkunft gekommen war, um Yerdengroth zu sagen, daß die Sternkarten zur Bestimmung des Standorts von Yerden vorbereitet seien. Die größte Enttäuschung für die beiden kam jedoch am folgenden Tag. Yerdengroth hatte im Beisein von Liz in dem Planetarium der SEDOR einige hundert echte und von dem SEDOR-Rechner künstlich hergestellte Bilder von Sternenhimmeln betrachtet. Auf keinem ein zigen entdeckte er auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der Konfi guration der Gestirne, wie er sie von Yerden in Erinnerung hatte. Der Reinfall war perfekt, als sich der SIGIT zu Wort meldete. „Ich habe Projektionen aus allen denkbaren Blickrichtungen in die Galaxis geliefert“, sagte der SIGIT. „Mit 99,9-prozentiger Wahrschein lichkeit hätte Prinz Yerdengroth irgendeine Konfiguration, wenn auch eventuell unter einem verzerrten Blickwinkel, erkennen müs sen. Da dies nicht der Fall ist, gibt es nur zwei mögliche Erklärungen.
Die erste wäre, daß die Sterne der Galaxis tatsächlich im Lauf der letzten Million Jahre doch andere und erhebliche Verschiebungen ih rer Positionen vorgenommen haben. Nach allem, was wir darüber wissen, beträgt die Wahrscheinlichkeit dafür weniger als drei Pro zent.“ „Ich stimme dieser Schlußfolgerung bedenkenlos zu“, sagte Yer dengroth. „Und die zweite mögliche Erklärung?“ fragte Liz. „Sie besitzt eine Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent“, antwor tete der SEDOR-Rechner. „Nur aus Gründen, die in der Mentalität und Erfahrung der Menschen liegen, kommen Sie nicht allein darauf. Um ganz sicherzugehen, möchte ich aber darum bitten, daß Prinz Yerdengroth noch ein letztes, simuliertes Bild eines Sternenhimmels betrachtet. Ich muß aber gleich darauf hinweisen, daß es nur wenige und sehr große und helle Sonnen enthält. Sind Sie einverstanden?“ Als Yerdengroth nickte, befahl die Agentin dem SIGIT, die Projek tion abzufahren. Das Bild, das auf der Kuppel des Planetariums er schien, wirkte auf Liz völlig fremd. Im ersten Augenblick glaubte sie, der SIGIT habe eine Phantasiekonstruktion erzeugt. Dann hörte sie, wie Yerdengroth tief durchatmete. Der SIGIT veränderte langsam den Blickwinkel der Konstellation. „Halt!“ rief der Yerdener plötzlich. „Das Bild kenne ich irgendwie. Der SIGIT soll die Projektion noch mehr nach oben und rechts zie hen.“ Kommentarlos führte der Rechner diesen Wunsch durch. „Und jetzt größere Distanz“, verlangte Yerdengroth. Als auch diese Einstellung vorgenommen war, sprang der baum lange Mann erregt auf. „So etwa sieht der Sternenhimmel von Yerden aus gesehen aus“, rief er. „Es fehlen zwar viele Sterne, aber die wichtigsten erkenne ich eindeutig.“
Er wandte sich an das unsichtbare Mikro, das ihm den Kontakt mit dem SIGIT ermöglichte, der tief unter der Erde in dem SEDORGebäude stand. „Kannst du daraus die Lage von Yerden bestimmen?“ „Es ist gewissermaßen möglich“, sagte der SIGIT, „denn das, was Sie sehen, ist eine dürftige Rekonstruktion des Sternenhimmels der Andromeda-Galaxis.“ „Eine andere Galaxis?“ schrie Yerdengroth. „Ja“, sagte Liz betreten. „Die nächste Galaxis zu unserer Milchstra ße. Andromeda ist etwa zwei Millionen Lichtjahre von uns entfernt. Dorthin zu gelangen, dürfte unmöglich sein.“ Yerdengroth stützte seinen Kopf in die Hände und schwieg. Liz ließ ihn den Schock eine Weile verdauen. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, hob der Mann seinen Kopf und blickte Liz mit wilder Ent schlossenheit an. „Es ist doch möglich“, sagte er leise. „Schließlich bin ich ja von dort hierhergelangt!“ * Liz stand auf und schaltete die Beleuchtung des Planetariums wieder ein. Nachdenklich ging sie zu Yerdengroth zurück, der grübelnd auf seinem Stuhl saß. „Ich muß Sie enttäuschen, Yerdengroth“, sagte sie, „aber wir haben schon mehrfach und vergebens versucht, in den Leerraum jenseits der Grenzen unserer Galaxis vorzustoßen. Abgesehen von der unge heuren Entfernung nach Andromeda, die jegliches Vorstellungsver mögen sprengt, gibt es gute Gründe, den Bereich der eigenen Galaxis nicht zu verlassen.“ „Aber mit dem Zerodim-Flug, den ihr Terraner beherrscht und von dem Sie mir erzählt haben, müßte es doch möglich sein“, begehrte Yerdengroth auf.
„Ist es nicht. Wir haben vor über fünfzig Jahren alle Versuche abge brochen, die eigene Galaxis für mehr als 1000 Lichtjahre zu verlassen. Als der Zerodim-Antrieb entwickelt war, gab es genügend tatendur stige Männer, die keine Grenzen kannten und auch nach Andromeda vorstoßen wollten. Aber es gab auch Wissenschaftler, die vor dem kühnen Schritt warnten. Man fand damals einen Kompromiß. Die er sten Schiffe, die in den Leerraum vordrangen, waren nur mit Robots besetzt. Die Schiffscomputer erhielten einen festen, vorgegebenen Kurs, der die Raumschiffe nach einem aus mehreren Etappen beste henden kreisförmigen Flug in die Milchstraße zurückbringen sollte. Kein Schiff, das die Grenzbereiche der Galaxis um mehr als 1500 Lichtjahre verließ, ist je zurückgekehrt. Später wagten trotz aller Warnungen Menschen den Flug, weil sie glaubten, mit ihren Gehir nen den SIGITs überlegen zu sein und in völlig neuen Situationen anders und richtiger zu reagieren. Auch von ihnen fand man keine Spur mehr. Allmählich entwickelte sich aus diesen ständigen Mißer folgen eine Art Trauma für alle Raumfahrer. Was jenseits der Galaxis liegt, ist tabu und unerreichbar. Die klugen Leute haben herumgerät selt, was die Schiffe von einer Rückkehr abhielt. Eine Lösung haben sie nicht gefunden. Doch ich, Yerdengroth, würde das Risiko einge hen. Ich bezweifle aber, daß man genügend erfahrene Raumfahrer findet, um eine Schiffsbesatzung zusammenzubekommen. Außerdem müssen Sie bedenken, daß die POS-Regierung wegen der schlechten Erfahrungen ein Verbot für Flüge in eine Entfernung von mehr als 1000 Lichtjahren vom Rand der Galaxis verfügt hat. Ihre Chancen, je wieder nach Andromeda oder gar nach Yerden oder Drooldar zu ge langen, sind also denkbar schlecht.“ Yerdengroth erwiderte nichts, und so fügte Liz hinzu: „Sie sind nicht schlecht, sie sind gleich Null.“ Schweigend begleitete sie den Mann zu seiner Unterkunft. „Sie müssen sich irgendwie damit abfinden.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich die Agentin. „Wenn ich etwas für Sie tun kann oder wenn Sie etwas brauchen, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfü
gung. Außerdem können Sie Tag und Nacht den Anschluß zu unse rem SIGIT benutzen.“ Sie stellte fest, daß Lim Choo noch in seinem Büro war und be schloß, den SEDOR-Chef aufzusuchen, um ihm zu berichten. Der Malaie hörte Liz geduldig zu, bis sie alles dargelegt hatte. „Wenn es eine Chance gäbe“, schloß die Agentin, „und wenn die Regierung die Erlaubnis erteilen würde, so gäbe es für mich kein Zö gern. Ich würde eine Mannschaft zusammentrommeln und mit Yer dengroth nach Andromeda fliegen.“ Zu ihrer Verwunderung tat Lim Choo etwas, was Liz noch nie bei ihm beobachtet hatte. Der SEDOR-Chef lächelte. „Zuviele Wenns“, sagte er dann. „Aber ich will Yerdengroth nicht jeden Glauben an eine mögliche Rückkehr nehmen. Sie und er müs sen aber noch etwas Geduld aufbringen. Sagen Sie ihm nur, daß ich mich um das Problem kümmern werde. Ich darf Sie, Mrs. Delgado, aber daran erinnern, daß Sie nicht nur eine meiner wertvollsten Kräf te sind, sondern auch daran, daß Ihr Mann sicher etwas gegen einen Katzensprung nach Andromeda hätte.“ Liz war wie vor den Kopf geschlagen. Das letzte, was sie erwartet hatte, war, daß Lim Choo ihre Bemühungen unterstützen würde. „Ich glaube, Sie meinten das eben nicht ganz ernst, Sir“, sagte sie vorsichtig. „Durchaus nicht.“ Das Lächeln war aus Lim Choos Gesicht ver schwunden. „Sie müssen nur nach außen hin Stillschweigen bewah ren, bis die letzten Einzelheiten geklärt sind. Schon morgen kann ich Ihnen mehr sagen. Es gibt Dinge, Mrs. Delgado, die auch eine Top agentin wie Sie nicht wissen kann. Andererseits hat es den Anschein, daß uns der Zufall diesen Yerdengroth im rechten Moment in die Hände gespielt hat. Sagen Sie ihm, aber nur ihm, daß eine kleine Chance besteht. Sie wissen, daß das Trauma, die Galaxis nicht verlas sen zu können, ohne daß eine Rückkehr möglich wäre, bei den Raum fahrern auch eine positive Seite abgeworfen hat. Sie fühlen sich in der eigenen Milchstraße heimisch. Das gibt Sicherheit und Vertrauen.
Jenseits der Grenze ist die völlige Leere, das Unbekannte, die Gefahr. Denken Sie daran.“ „Ich habe Dagger und Arrow, und ich glaube, mit den Psanimals auch diese Gefahren überstehen zu können“, sagte Liz entschlossen. „Ich melde mich morgen wieder bei Ihnen.“ Anschließend suchte sie noch einmal Yerdengroth auf. „Ich lerne Terranisch“, sagte der Mann mit einem verkniffenen Lä cheln. „So wie die Sache aussieht, werde ich wohl auf der Erde um Asyl bitten müssen.“ Liz erzählte ihm von der Unterredung mit Lim Choo. Yerdengroth hörte ihr gespannt zu, konnte aber mit den vagen Andeutungen nicht viel anfangen. „Ich hatte mich gerade mit meinem Schicksal abgefunden“, sagte er dann, „da kommen Sie daher und machen mir wieder Hoffnung. Jetzt bin ich völlig verwirrt.“ „Wir müssen Geduld haben. Lim Choo weiß, was er sagt und tut. Nur weiß ich leider auch noch nicht, was das ist. Bis dahin lernen Sie weiter Terranisch. Das kann nie schaden.“ Liz schlief sehr unruhig in dieser Nacht. Sie träumte von unangreif baren Energiewesen, die Dagger und Arrow vernichteten, und von unsichtbaren Weltraummolochen, die im Leerraum lauerten und ganze Raumschiffe verschlangen. Erst als Dagger zu ihr ins Bett kroch, weil er die innere Unruhe sei ner Herrin gespürt hatte, und sich an Liz kuschelte, schlief sie ruhi ger. * Auf dem Weg zum Frühstück traf sie auf Wern Litti und Uwe Dass ler. Der schnauzbärtige Funker hatte dicke Ränder unter den Augen und wirkte völlig übermüdet. „Immer noch kein Auftrag“, maulte er. „Wir mußten wieder die ganze Nacht Skat dreschen.“
„Man sieht’s.“ Liz lachte. „Vielleicht gibt es aber bis heute abend er freuliche Neuigkeiten. Sie sollten sich etwas erholen.“ „Hoppla!“ Dassler rieb sich die geröteten Augen. „Frau Agentin wissen etwas Neues?“ „Noch nicht, aber ich bin auf dem Weg zu Lim Choo.“ „Bruderherz“, sagte Dassler und tippte seinem Freund mit dem Finger auf die Brust, „ich gehe jetzt schlafen, damit ich für den Ein satz fit bin.“ „Noch ist es nicht soweit.“ Mit diesen Worten eilte Liz Delgado weiter. Eine halbe Stunde später saß sie im Polstersessel Lim Choo gegen über. Und wieder lächelte der SEDOR-Chef. Dann zündete er sich umständlich eine Zigarre an. „Ich bin mir zwar sicher, daß die Regierung einen großen Fehler macht“, begann er, „aber wenn man es so will, dann bitte sehr. Sie werden sich viel leicht wundern, Mrs. Delgado, aber seitdem die POS das 1000 Lichtjahre-Gesetz erlassen hat, hat sie nie aufgehört, nach Wegen zu suchen, um in eine andere Galaxis zu gelangen. Extra zu diesem Zweck wurde vor einigen Jahren in der SEDOR eine wissenschaftli che Abteilung gegründet, die sich unter anderem auch damit befaßte. Vor knapp zwei Jahren wurde auf den Marswerften ein neuer Schiffs typ in Auftrag gegeben, der uns bei der Erforschung des Leerraums zwischen den Galaxien dienen soll. Ich mache kein Geheimnis dar aus, daß ich gegen das Projekt gestimmt habe. Ich habe mich auch dagegen gesträubt, die fähigste Person der SEDOR zu fragen, ob sie Kommandant dieses Schiffes werden will, aber man hat es mir befoh len. Also frage ich Sie, Mrs. Delgado.“ Der Frau verschlug es erst einmal die Sprache. „Ich kenne zwar das Schiff nicht, aber ich nehme an“, sagte sie dann. „Sie können alle Informationen aus dem SIGIT abrufen. Sie sind ab jetzt für Sie und die neun Mann Besatzung, die Sie selbst zusammen stellen müssen, freigegeben. Das Schiff hat alle Tests zur vollen Zu friedenheit der Ingenieure bestanden. Es wird heute nachmittag vom
Mars zum SEDOR-Raumflughafen überführt. Sie müssen noch einen Namen für es bestimmen.“ „ARGO NAVIS II“, sagte Liz, ohne zu zögern. „Damit ködere ich Wern Litti als Piloten und Uwe Dassler als Funker. Schließlich hieß ihr altes Schiff ARGO NAVIS.“ „Hübsch“, meinte Lim Choo. „Die ARGO NAVIS das größte Schiff der Menschheit. Mit 300 Metern Durchmesser.“ „Und das mit zehn Mann Besatzung?“ fragte Liz zweifelnd. „Jeder 150-Meter-Raumer hat 138 Besatzungsmitglieder.“ „Stimmt. Aber er hat auch nur einen SIGIT 1R8. Die ARGO NAVIS II aber hat drei SIGITs vom Typ 1R1 und besitzt damit die Kapazität eines 1R0. Das ist mehr als unser SEDOR-Rechner auf weisen kann.“ * Liz Delgado fühlte sich seltsam beflügelt. Sie holte Dagger und Ar row aus ihrer Unterkunft. Ihre persönliche Stimmung schlug sofort auf die Psanimals über. „Wenn das klappt“, sagte sie halblaut zu den’Tieren, „dann wird es nicht nur unser größtes Abenteuer, sondern auch die härteste Bewäh rung.“ Die Psanimals, die zwar den Sinn der Worte nicht verstehen konn ten, den gefühlsmäßigen Sinn aber mit ihren mutierten Instinkten ge nau erfaßten, gaben zustimmende Laute. Die Agentin führte ein kur zes Gespräch mit dem SEDOR-Rechner, um sich über die wichtigsten Daten der ARGO NAVIS II zu informieren. Dann eilte sie in die Frei zeiträume des SEDOR-Centers. Als sie zum Sportzentrum abbiegen wollte, blieb Dagger stehen und knurrte ärgerlich. Der Hund hatte das Ziel seiner Herrin erahnt und wollte sie auf den richtigen Weg lenken. „Okay, Wurstfresser“, sagte Liz lachend, „dann führe uns.“
Arrow ließ sich auf ihrer Schulter nieder, weil ihm das Fliegen in den engen und von Menschen und Robots überfüllten Gängen wenig zusagte. Sie fand Wern Litti und Uwe Dassler in der kleinen Cafeteria. Der Funker war über seiner Tasse Kaffee eingeschlafen, der Pilot blätterte gelangweilt in einem zerfledderten Magazin. „Aufwachen“, rief Liz laut. „Es gibt Arbeit.“ Litti ließ die Zeitung langsam sinken und blickte die Frau staunend an, als ob er nicht richtig gehört hätte. Dassler fuhr, wie von einer Ta rantel gestochen, in die Höhe. „Wirklich?“ schrie er begeistert. „Die Sache hat allerdings einen Haken.“ „Egal“, meinte der schnauzbärtige Funker. „Fliegen Sie auch unter meinem Kommando?“ fragte Liz. „Klar und mit wachsender Begeisterung“, rief Litti. „Sogar bis zur Hölle!“ pflichtete ihm Dassler bei. „Seien Sie vorsichtig!“ Liz’ Stimme hatte einen ernsthaften und warnenden Beiklang. „Der Flug geht nach Andromeda.“ „Sie wollen mich wohl veräppeln!“ stöhnte Dassler. „Durchaus nicht. Natürlich ist Ihre Teilnahme freiwillig.“ „Dieser Yerdengroth?“ Wern Litti war wieder in seinen wortkargen Stil verfallen. Liz nickte. „Er und die ARGO NAVIS II, ein neues 300-Meter-Schiff, das ich in Ihre bewährten Hände geben möchte.“ „ARGO NAVIS II?“ Dasslers kleine Augen bekamen ein listiges Leuchten. „Bruderherz!“ Er hieb Wern Litti kräftig auf die Schulter. „Mach, was du willst, aber ich bin dabei.“ „Idiot!“ war der ganze Kommentar des Piloten. Liz erklärte den beiden Männern die näheren Umstände, soweit sie von Lim Choo beziehungsweise dem SEDOR-Rechner darüber Be scheid wußte. „Die ARGO landet um 16 Uhr. Ich erwarte Sie auf dem Raumhafen für eine erste Schiffsbegehung. Yerdengroth wird auch dabei sein. Bis dahin werde ich mich um die restliche Mannschaft kümmern.“
Als sie sich vor der riesigen Schiffskugel trafen, war jede Müdigkeit aus Dasslers Gesicht verschwunden. Yerdengroth bestaunte das Schiff, dessen graue Metallhülle in der Nachmittagssonne einladend glänzte. „So etwas gab es bei mir zu Hause nicht.“ Seine Kenntnisse der ter ranischen Sprache waren schon fast perfekt. Das erste Wesen, das von der zukünftigen Besatzung der ARGO NAVIS II durch die geöffnete Schleuse drang, war Arrow. „Der sucht sich bestimmt wieder einen Platz auf der Konsole des SIGITs“, meinte Dassler. Bis zum Abend hatten sie sich mit den Einrichtungen des Schiffes vertraut gemacht. „Ein Höchstmaß an Sicherheit und Automatisierung“, stellte Liz Delgado schließlich befriedigt fest. „Die Mannschaft ist komplett, nur ein Allroundwissenschaftler fehlt noch, und den besorge ich morgen. Start in zwei Tagen. Bis dahin wird Mr. Litti sich durch Probeflüge mit der ARGO vertraut machen.“ Der Pilot rieb sich begeistert die Hände, während Dassler auf die blinkenden Geräte der Funk- und Ortungsanlagen schaute. Arrow saß auf der Konsole des SIGIT-Verbundes und schlief.
7. Der Start von der Erde erfolgte am 27. März 2915 um 15.33 Uhr Stan dardzeit vom SEDOR-Raumhafen, Canberra, Australien. Liz Delgado hatte die beiden letzten Tage in banger Erwartung ver bracht, denn sie mußte immer noch damit rechnen, daß sich ihr Mann entweder mit ihr in Verbindung setzen oder gar zur Erde zurückkeh ren würde. Sie war sich absolut darüber im klaren, daß Thor ihr den Wahnsinnsflug nach Andromeda sehr schnell ausgeredet hätte. Trotz der hervorragend und nach neuestem technischen Stand ausgerüste
ten ARGO NAVIS II war das Risiko völlig unwägbar. Niemand konn te sagen, ob die Sicherheitssysteme, die in das Schiff eingebaut wor den waren, ausreichend sein würden, um eine Rückkehr in die hei matliche Galaxis zu ermöglichen. Schließlich war noch kein Schiff aus dem Leerraum zur Milchstraße zurückgelangt, und es waren etliche Dutzend Versuche gestartet worden. Aber Liz vertraute auf ihre Psa nimals – und hier besonders auf Dagger –, die mit ihren PsiSpürsinnen schon das Unmöglichste zustande gebracht hatten. Als letzter der Besatzung war Petra Muellner zur ARGO NAVIS II gestoßen, eine junge Wissenschaftlerin und frühere Kollegin von Liz Delgado. Sie freundete sich auf Anhieb mit Yerdengroth an und be gann endlose Diskussionen über dessen Volk und Schicksal, über die Loughs und Andromeda. Während sich das Schiff den Randzonen der Galaxis näherte, wur den noch einmal alle Systeme durchgetestet. Ein befreites Aufatmen ging durch die Mannschaft, die zur Hälfte in der Zentrale versammelt war, als der SIGIT-Verbund „Alles klar“ meldete. „Ich wußte das schon vorher“, brummte Dassler. „Guckt euch doch nur den Raben da an.“ Er deutete auf Arrow, der schlafend auf der Steuerkonsole des SIGITs hockte. „Solange der pennt, ist alles in Ordnung. – Stimmt das, du Krähe?“ fügte er laut hinzu. Tatsächlich zog Arrow seinen Kopf aus dem Gefieder und krächzte. „Na, bitte.“ Dassler war wieder zufrieden. Die erste Betretenheit entstand, als die Randzonen der Galaxis er reicht waren und auf dem Hauptbildschirm die Sterne verschwan den. Die absolute Schwärze des Leerraums wirkte beängstigend und beklemmend zugleich. Yerdengroth stand gebannt vor dem Bildschirm, in dessen Mitte ein verwaschener Lichtfleck zu sehen war. „Andromeda“, murmelte er, „zwei Millionen Lichtjahre.“ „Und für dich über eine Million Jahre alt“, sagte Petra Muellner und legte dem Yerdener eine Hand auf die Schulter. Die Wissen schaftlerin war einen halben Kopf größer als Liz Delgado, und die
Agentin fand, daß die beiden ein gutes Gespann abgaben. Sie hatte auch bemerkt, daß Yerdengroth und Petra sich duzten. Diese Ent wicklung war ganz in ihrem Sinn, denn die Einsamkeit, die der Mann aus Andromeda erleiden mußte, war schier unvorstellbar. „Unser Ziel“, sagte Liz. „Aber zuerst müssen wir die Manövrierfer tigkeit der ARGO im Leerraum testen. Wir alle wissen, daß eine un bekannte Gefahr auf uns lauert. Erst wenn dieses Problem gelöst ist, können wir nach Andromeda vorstoßen. Mr. Litti, erste ZerodimEtappe in den Leerraum. Distanz: 1000 Lichtjahre.“ „Ein halbes Promille der ganzen Strecke“, sagte Petra Muellner. „Besser als gar nichts.“ Yerdengroths Stimme klang heiser. Die Zerodim-Etappe verlief ohne Zwischenfall. Liz Delgado befahl einen zweiten Sprung von wiederum 1000 Lichtjahren. Damit würde die ARGO NAVIS II endgültig jene geheimnisvolle Barriere über schreiten, von deren anderer Seite noch kein Schiff zurückgekehrt war. Alle Ortungsanlagen waren eingeschaltet, und Liz hatte die Schutzschirme zu neunzig Prozent hochfahren lassen. Erneut verschwanden die fernen Lichtpunkte in der einsamen Schwärze, als die ARGO NAVIS II als nulldimensionaler Impuls durch den Leerraum jagte. Eine spürbare Zeit verging nicht, aber der SIGITVerbund meldete sich zu Wort, und erstmals war spürbar, daß er nicht als Einheit sprach. „Hier Einheit Zwo. Versager. Alle Systeme STOP. Einheit Drei übernimmt meine Überwachung. Auswertung folgt.“ „Hier Einheit Eins. Es muß eine Störung bei Einheit Zwo vorliegen, denn die Etappe wurde ordnungsgemäß durchgeführt.“ Bevor einer der Menschen etwas sagen oder tun konnte, hieb Arrow mit seinem Schnabel auf den Hauptsensor des Rechnerverbundes. „Abgeschaltet!“ stellte Wern Litti scheinbar unberührt fest. „Bei dir piept es wohl, du Fledermaus!“ Arrow flatterte unruhig mit den Flügeln. „Er wird schon das Richtige gemacht haben“, sagte Liz. „Es liegt nun an uns, den Fehler zu finden.“
Die Wissenschaftlerin Muellner trat zu Dassler an die Ortungsanla gen. Der kleine, schnauzbärtige Mann hatte inzwischen einige Syste me per Hand aktiviert. „Es stimmt etwas nicht“, murmelte er. „Nehmen Sie Dimkom-Kontakt zur Erde auf“, ordnete Liz Delgado an. „Wir sind noch so nahe an der heimatlichen Galaxis, daß es keine Schwierigkeiten geben dürfte.“ Dann aktivierte sie den SIGIT-Verbund, wobei sie Arrow aufmerk sam und mit schräg gehaltenem Kopf beobachtete. „Hier spricht die Kommandantin. Alle Aktionen des 1R0 sind un tersagt, ausgenommen passive Unterstützung der manuellen Schal tungen. Einheit Drei: Auswertung des Verhaltens von Einheit Eins und Zwo.“ „Hier Einheit Drei. Einheit Eins und Zwo sind defekt.“ „Das ist unmöglich“, stellte Petra Muellner sachlich fest. Der SIGIT schwieg. „Kein Kontakt zur Erde“, meldete Uwe Dassler. „Totale Stille auf allen Frequenzen.“ „Haben Sie die Richtantennen genau justiert?“ fragte Liz. „So sicher, wie ich einen Grand mit Vieren nicht verliere.“ Schon bei Liz’ Frage hatte sich Arrow von seinem Platz erhoben. Lautlos schwebte er durch die Zentrale zu Uwe Dassler. Dort ließ er sich auf dem Steuerpult der kombinierten Ortungs- und Funkanlage nieder. Fast bedächtig begann er, mit seinem Hakenschnabel auf den Sensoren des Pultes herumzuklopfen. „Heh, Mäusefresser“, schimpfte Dassler. „Du verdrehst meine An tennen.“ Er ließ das Psanimal aber gewähren, und er staunte nicht schlecht, als plötzlich das charakteristische Peilsignal der SEDOR-Station auf Canberra zu hören war. Dassler las die Einstellung der Antennen winkel ab. „Das ist doch Wahnsinn“, murmelte er betroffen. „Die Si gnale kommen aus einer Richtung, die 155 Grad in der Horizontalen und 73 Grad in der Vertikalen von der richtigen Richtung abweicht.“
„Andromeda steht auch nicht mehr im Mittelpunkt des Bild schirms“, sagte Yerdengroth. Liz Delgado stand noch vor einem Rätsel. Sie hatte aber erkannt, daß die Verbund-Schaltung der drei SIGIT-Einheiten, die daraus ent standene Verwirrung und Arrows zweimaliges Eingreifen sie vor ei ner völligen Desorientierung bewahrt hatte. Während Wern Litti die ARGO NAVIS wieder auf Kurs Richtung Andromeda drehte, begann Dassler furchtbar zu schimpfen. „Mit der Drehung der ARGO verändert sich der Einfallswinkel des Funksignals. Aber nicht im Drehsinn, sondern irgendwie unkontrol lierbar und anders.“ „Alle Systeme halt“, befahl Liz. „SIGIT-Einheit Drei hole dir die Da ten der bisher durchgeführten Zerodim-Etappen und bereite daraus einen Rückflug in zwei Etappen zu je 1000 Lichtjahren vor.“ „Ich muß darauf hinweisen“, antwortete der Rechner, „daß dieser Flug uns von der Galaxis entfernen wird. Alle Sensoren, insbesondere die optischen Anzeigen, deuten eindeutig darauf hin, daß der Flug durch unbekannte äußere Einflüsse abgelenkt wurde. Diese Einflüsse müssen bei der Berechnung der Koordinaten für den Rückflug be rücksichtigt werden.“ „Quatsch!“ schrie Liz aufgeregt. „Du machst das, was ich dir sage. Du berücksichtigst keine scheinbaren äußeren Einflüsse, keine Werte der optischen Sensoren oder sonst etwas. Ist das klar?“ „Es ist verstanden, Madam“, sagte der SIGIT kühl. „Dennoch kann ich den Befehl nicht ausführen, weil mich die Sicherheitsprogram mierung VR-327 daran hindert.“ Die SEDOR-Agentin wollte schon losschimpfen, da sah sie, wie Ar rows Hakenschnabel über die Bedienkonsole des SIGIT-Verbundes huschte. „Die Sicherheitsprogrammierung ist beseitigt“, stellte der Rechner fest. „Ihr Befehl wird jetzt ausgeführt. Ich weise noch darauf hin, daß die Einheiten Eins und Zwo weiterhin desaktiviert sind. Es besteht im Augenblick keine Reserve an Rechnerkapazität.“
„Halt den Mund, und tu, was ich befohlen habe!“ Wern Litti runzel te die Stirn. Er hatte Liz Delgado noch nie so aufgebracht gesehen. Endlich kam der Rechner der Aufforderung nach. Die beiden Zero dim-Etappen erfolgten in direkter Folge. Als die Generatoren tief un ten im Schiffsleib ausliefen, strahlten auf dem Bildschirm die vertrau ten Sterne der heimatlichen Galaxis. „Na, bitte“, sagte Wern Litti. „Die Sache ist ziemlich klar.“ Liz atmete erst einmal tief auf. „Ar rows Verhalten hat mich auf die richtige Spur gebracht. Die SIGITEinheiten waren sich nicht einig, die Sensorwerte waren falsch. Da draußen im Leerraum herrschen völlig andere physikalische Bedin gungen. Alle Werte werden verfälscht. Die SIGITs können das nicht erkennen. Selbst die Menschen können es nicht erkennen. Kein Peil signal kommt aus der richtigen Richtung. Das hat die vielen Schiffe ins Verderben getrieben. Sie waren ohne Orientierung.“ Yerdengroth und Petra Muellner hatten der Kommandantin der ARGO NAVIS II aufmerksam zugehört. „Du hast es erkannt, Liz“, sagte die Wissenschaftlerin. „Aber wer konnte das ahnen? Niemand. Die Grundprogrammierung der SIGITs war auf eine solche Lage auch nicht eingestellt.“ „Bedeutet das“, fragte Yerdengroth leise, und eine deutliche Unru he schwang in seiner Stimme mit, „daß der Flug nach Andromeda endgültig gescheitert ist?“ „Durchaus nicht.“ Petra Muellner antwortete, bevor Liz etwas sa gen konnte. „Es dürfte mir nicht schwerfallen, die SIGITs auf die neue Situation einzustellen. Das dauert etwa eine Stunde. Schwieri ger dürfte es sein, die Kommandantin davon zu überzeugen, daß der Flug nach Andromeda auf eine andere Weise durchgeführt werden muß, nämlich ohne Orientierungshalte und im Blindflug.“ „Blindflug?“ Liz Delgado zog ihre Stirn kraus. „Du meinst, wir soll ten alle 2000 Teiletappen vorprogrammieren, in einer Folge durch führen, nicht auf den Stand der Sterne achten und hoffen, daß wir in der Andromeda-Galaxis ankommen?“
Petra Muellner nickte. „Das ist die einzige Möglichkeit.“ „Es enthält unabsehbare Risiken.“ „Du hast recht, Liz. Und die Entscheidung liegt bei dir.“ Liz Delgado tastete sich eine Tasse Kaffee aus dem Automaten und ging eine Zeitlang unruhig in der Zentrale auf und ab. Mehrfach blieb sie stehen und betrachtete nachdenklich ihre Psanimals und Yerden groth. Die anderen schwiegen. Erst als der Kaffeebecher mit lautem Knall in dem Abfallbehälter verschwand, räusperte sich Uwe Dassler vernehmlich. „Also, wenn Sie mich fragen, Frau Agentin“, sagte der Funker leise und kratzte sich am Hinterkopf, „dann soll das Fräulein Wissen schaftlerin mal schnell die SIGITs umötteln, Wem kann inzwischen den Flug vorötteln. Und bevor wir abötteln, werde ich ein Info nach Canberra ötteln, damit das Schlitzauge von der SEDOR weiß, was wir erfahren haben und was wir zusammenötteln.“ Liz Delgado konnte sich ein Lachen nicht verbeißen. „Anfangen mit der Öttelei!“ sagte sie laut und klar. „Das Wort fehlt mir in meinem terranischen Sprachschatz“, sagte Yerdengroth unsicher. „Mir auch“, antwortete Petra Muellner. „Aber das macht fast gar nichts.“ Uwe Dassler grinste, zog seinen ohnehin zu klein geratenen Kopf noch mehr zwischen die Schultern und verschwand in der Hygiene kammer. * Am 29. März 2915 um 08.41 Uhr Terra-Standardzeit beendete die ARGO NAVIS II die 2017. Zerodim-Etappe auf ihrem Flug durch den endlosen Abgrund zwischen den Galaxien Milchstraße und Andro meda. Die gesamte Besatzung war in der Zentrale versammelt, als der Bildschirm aufleuchtete und zum erstenmal seit dem Start vom Rand der heimatlichen Galaxis wieder ein realistisches Bild wieder
geben sollte. Der Flug war nur von kurzen Routinekontrollen nach jeder zehnten Etappe unterbrochen gewesen, bei denen die Systeme überprüft worden waren. Dabei hatte die ARGO NAVIS II ihre Zu verlässigkeit unter Beweis gestellt. Mit den optischen Ortungswerten ließ sich allerdings nichts anfangen. Einmal war Liz fast der Ver zweiflung nahe gewesen, als auf dem Hauptbildschirm während der kurzen Unterbrechung das Bild der heimatlichen Milchstraße stand, obwohl diese genau in entgegengesetzter Richtung liegen mußte. Be harrlich hatte sie auf dem einmal eingeschlagenen Kurs bestanden. Jetzt sollte sich das Ergebnis der Bemühungen zeigen. „Letzte Etappe in wenigen Sekunden beendet“, meldete der SIGITVerbund. Abermilliarden von Sternen leuchteten auf dem Bildschirm auf. Die Helligkeit war trotz des dunklen Hintergrunds des Weltalls unge wohnt. Dassler und Litti begannen demonstrativ zu klatschen, während Yerdengroth fast andächtig das eine Wort sagte: „Andromeda!“ Begeisterung und Beklemmung hielten sich die Waage. Die Tatsa che, daß die ungeheure Entfernung ohne Schwierigkeiten zurückge legt worden war, weckte Freude. Die Unsicherheit wuchs erst, als sich die Terraner nach einigem Nachdenken darüber im klaren wa ren, welcher unheimliche Abgrund zwischen ihnen und der Heimat lag. Wern Litti zauberte das Bild der Heimatgalaxis auf den Bildschirm. Vor dem ewigen Schwarz des Alls war die Milchstraße ein kaum sichtbarer Fleck. Erst die Vergrößerung ergab eine gewisse Vorstel lung von ihrer Größe und Entfernung. „Egal“, sagte Liz Delgado und verwischte damit alle nachdenkli chen Überlegungen der Crew. „Jetzt sind wir hier, und wir machen weiter. Yerdengroth, wir brauchen Ihre Hilfe. Mit Unterstützung des 1R0 sollten wir eine brauchbare Sternenkarte von Andromeda anfer tigen können. Machen Sie sich an die Arbeit. Petra wird Ihnen sicher
gern behilflich sein. Mir müssen Sie sagen, welches Ziel wir anfliegen sollen.“ Zum großen Erstaunen der SEDOR-Agentin wollte Yerdengroth zuerst nach Drooldar und nicht zu seiner Heimatwelt Yerden. „Glauben Sie noch an die Existenz der Robotflotte und der Loughs?“ fragte ihn Liz. Aber Yerdengroth zuckte nur mit den Schul tern. „Vielleicht. Es ist alles zu überraschend für mich. Und völlig an ders, als ich es je erwarten konnte. Auch kann ich mir nicht vorstel len, daß irgend etwas die Loughs vernichtet oder ... Sie müssen wis sen, Liz, daß unsere Wissenschaftler die Loughs als eine Lebensform bezeichnet haben, die mit nichts Normalem vergleichbar ist. Gerüch ten zufolge sollen sie aus einer Insektenrasse hervorgegangen sein. Bei dem Versuch, eine höhere Daseinsform zu erreichen, nahmen sie die Form reiner Energie an. Was sollte sie zerstört haben? Ich kann mir das auch nach einer Million Jahren nicht vorstellen. Bitte lassen Sie uns erst Drooldar anfliegen und dann Yerden.“ Er wartete die Antwort der Terranerin nicht ab, sondern machte sich daran, mit Hilfe des SIGITs und Petras eine Karte zu erstellen, die der ARGO NAVIS II ein einigermaßen sicheres Manövrieren in der Galaxis Andromeda ermöglichen sollte. Nach gut vier Stunden harter Arbeit lag das Ergebnis vor. Wern Litti hatte die Aktivitäten aufmerksam verfolgt. „SIGIT programmiert“, meldete er wortkarg. „Ziel Drooldar.“ „Wieviele Etappen werden wir brauchen?“ wollte Liz wissen. „Vier.“ „Gut, nach jedem Flug werden zehn Minuten Pause eingelegt, um die Sternkarten zu verbessern und den Raum auf Aktivitäten zu überprüfen. Mr. Dassler, werfen Sie Ihre Empfänger an.“ Nach der ersten Zerodim-Etappe meldete der schnauzbärtige Fun ker: „Keine Funkaktivitäten.“ Diese Meldung wiederholte sich auch nach der zweiten und dritten Etappe. Yerdengroth ging unruhig und schweigsam in der Zentrale
auf und ab. Mit Hilfe der Ortungsanlagen und des SIGIT-Verbunds konnte er jetzt die kleine und namenlose Sonne genau ausmachen, um die Drooldar kreisen sollte. Die letzte Programmierung wurde von Wem Litti ausgelöst. Als die ARGO NAVIS II wieder materialisierte, leuchtete in ihrer Nähe eine unscheinbare Sonne. Der 1R0-Verbund aktivierte die Nahortungssysteme und meldete schon nach wenigen Sekunden, daß er zwei Planeten und zahlreiche Trümmer entdeckt hatte. „Es müßten drei Planeten sein“, sagte Yerdengroth. Liz ließ sich die Konstellation des kleinen Sonnensystems von dem SIGIT auf einem Bildschirm aufzeichnen. Zusätzlich lieferte der Rechner die ermittelten Daten über Größe, Umlaufbahn und Abstand von der Sonne für die beiden Planeten, sowie Angaben über die Trümmer, die in unregelmäßigen Bahnen die Sonne umkreisten. Der Yerdener betrachtete das Bild aufmerksam. Er ließ sich alle An gaben noch einmal wiederholen. Dann sagte er mit belegter Stimme: „Es besteht kaum mehr ein Zweifel. Von den beiden noch vorhan denen Planeten ist keiner Drooldar. Die wenigen Trümmerstücke, die da draußen herumfliegen, machen nicht ein Hundertstel der Masse von Drooldar aus. Es gibt aber wohl keine andere Erklärung als die, daß es sich dabei um die Reste der Werftwelt handelt.“ „Es gibt eindeutige Spuren einer gewaltsamen Zerstörung“, ergänz te Uwe Dassler, der die detaillierten Ergebnisse der Ortungen ablas und größere Trümmerstücke auf seine Schirme holte. „Drooldar ist kaputt. Auch sonst ist hier nichts los. Keine Normalfunk- oder Dim komsignale.“ Petra Muellner räusperte sich. „Die verschwundene Masse Drool dars gibt mir zu denken. Irgendwoher muß ja die Energie gekommen sein, die Yerdengroth mit seinem Raumschiff in die Milchstraße ver setzt hat. Vielleicht stammt sie von der Masse des Planeten? Ein An trieb, wie unser Zerodim, war den Yerdenern oder anderen Völkern von Andromeda nicht bekannt.“
„Eine Vermutung, die niemals bewiesen werden kann“, antwortete Yerdengroth dumpf. „Es ist kaum vorstellbar, daß die Vorgänge aus jener Zeit, die mir wie ein Vorgestern erscheint, je erklärt werden können. Wenn ich eine Bitte äußern darf, so lassen Sie uns jetzt Wari ga, die Sonne Yerdens, anfliegen. Vielleicht finde ich dort noch eine Spur meines Volkes.“ Der Zwei-Meter-Mann wirkte ausgesprochen niedergeschlagen. Wahrscheinlich, so überlegte Liz Delgado, hatte er irgendwie immer noch gehofft, seine Robotflotte zu finden und die Loughs, die sein Volk versklavt hatten, zu schlagen. Sie nickte Litti zu, und der Pilot begann mit den Vorbereitungen für den Zerodim-Flug. Bevor er aber das Ende seiner Arbeiten melden konnte, geschahen einige Dinge fast gleichzeitig. Arrow zog seinen Kopf aus dem Gefieder und krächzte. Dagger bellte vernehmlich. Uwe Dassler stieß einen unüberhörbaren Pfiff aus und rief: „Raum schiffsortung!“ Auf dem Hauptbildschirm wurden vier kleine, leuchtende Punkte sichtbar, die sich aus der Korona der namenlosen Sonne des ehemali gen Planeten Drooldar gelöst hatten. Der SIGIT-Verbund schaltete die Schutzschirme hoch, meldete dies und löste Alarm aus. Die ARGO NAVIS II wurde in einen grellen Lichtblitz gehüllt und so gewaltig geschüttelt, daß die Verstrebungen des Plastostahls zu ächzen begannen.
8. „Das soll wohl ein dummer Scherz sein, Sir“, schrie Thor Delgado seinen Chef Lim Choo wütend an. „Nach Andromeda? Da hätten Sie meine Frau ja gleich in die Hölle schicken können!“
Der SEDOR-Chef ließ sich durch den aufgebrachten Mann nicht ir ritieren. „Es war nicht nur der freie Wille Ihrer Frau, Mr. Delgado, sondern auch ihr ausdrücklicher Wunsch. Außerdem handelte es sich um einen Regierungsauftrag zur Erforschung der Phänomene im Leerraum. Die ARGO NAVIS II wurde extra für diesen Zweck ge baut. Der Zufall wollte es, daß wir mit der Indienststellung des Schif fes auf diesen Mann aus Andromeda stießen. Informieren Sie sich über seine Geschichte. Vielleicht verstehen Sie dann die Motive Ihrer Frau.“ Delgado schüttelte nur voller Verwunderung und Zorn den Kopf. „Kaum ist man ein paar Tage von Terra weg, da dreht sie ein solches Ding. Aber egal, Chef, welche Nachrichten liegen von Liz vor?“ Geduldig erklärte der Malaie dem Agenten, daß eine einzige Mel dung vor dem Blindflug nach Andromeda aufgefangen worden war und daß es den Anschein hätte, daß die ARGO NAVIS II das Rätsel des Leerraums zuvor erfolgreich gelöst hatte. „Sie ließen uns nicht einmal Zeit für eine Antwort“, schloß Lim Choo. Ein sanftes, wissendes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Wahrscheinlich hatte Ihre Frau befürchtet, ich könnte ihr diesen ominösen Blindflug untersagen. Sie hatte es sehr eilig, zu starten.“ „Und keine Nachricht von Andromeda?“ bohrte Delgado weiter. Lim Choo schüttelte den Kopf. „Nach unseren Berechnungen müß te die ARGO NAVIS II längst in Andromeda angekommen sein. Im mer vorausgesetzt, daß die Idee mit dem Blindflug richtig war und nichts Entscheidendes dazwischengekommen ist. Die Antennen der Dimkom-Station im obersten Geschoß sind auf die Nachbargalaxis gerichtet. Ob sie etwas empfangen können, ist nach Aussage der Spe zialisten äußerst zweifelhaft. Wir kennen die energetischen Effekte des Dimkoms über solch unermeßliche Distanzen nicht.“ „Geben Sie mir ein Schiff, damit ich ihr folgen kann“, forderte Del gado. Wieder schüttelte Lim Choo den Kopf. „Sie sind ein nüchterner Denker, Delgado. Sie wissen, daß dies ein unvertretbares Risiko ist.
Eine Rettungsexpedition mit einem Schiff, das weniger leistet als die ARGO NAVIS II, wäre reiner Wahnsinn.“ „Wir haben vor einiger Zeit mit der alten, der kleinen ARGO NA VIS auch die große ZAMAMPHAS aus dem Energielabyrinth von Be teigeuze geholt“, widersprach der Agent. „Stimmt“, gab Lim Choo unumwunden zu, „aber nach Ihrer eige nen Aussage war das in erster Linie ein Verdienst der Psanimals. Und die begleiten auch diesmal Ihre Frau.“ Thor Delgado sah ein, daß er vergebens argumentiert hatte. Er kannte die Aufgaben und das Los der SEDOR-Agenten besser als kaum ein anderer. „Okay, Chef“, sagte er schließlich. „Dann sagen Sie mir wenigstens, was ich tun kann!“ Lim Choo zündete sich erst in aller Ruhe eine Zigarre an. „Erholen Sie sich von Ihrem letzten Auftrag“, sagte er dann. „Oder setzen Sie sich in die Dimkom-Bude und helfen den Funkern, einen Kontakt zur ARGO NAVIS II herzustellen. Wenn Sie Erfolg haben und das Schiff tatsächlich in der Andromeda-Galaxis angekommen ist, melden Sie sich wieder bei mir. Dann können Sie von mir aus mit einem oder mit x Schiffen hinterherfliegen und die ARGO heraushauen, wenn sie in Gefahr sein sollte.“ Wenn der SEDOR-Chef gewußt hätte, wie bald Delgado auf dieses leicht gesagte Versprechen zurückkommen würde und was der Agent dann unter dem bewußten X verstehen würde, hätte er die Worte nicht so flüssig und unbedacht über seine Lippen gleiten las sen. Aber auch der Chef einer so mächtigen Organisation, wie sie die SEDOR zum Schutz der Menschheit darstellte, war nun einmal nicht frei von Irrtümern oder Fehlern. * „Feuer frei?“ fragte der Rechner-Verbund. Liz Delgado wußte, daß sie jetzt schnell und sicher handeln mußte.
„Ja, Feuer frei“, sagte sie laut. „Aber mindestens ein Schiff muß üb rig bleiben. Außerdem sofort Funkkontakt aufnehmen und friedliche Absichten bekunden.“ Das stand zwar im Widerspruch zu dem Feuerbefehl, sie hoffte je doch, den so plötzlich aufgetauchten Gegner zur Kapitulation zwin gen zu können. „Wenn die ARGO besser ist“, ergänzte Wern Litti zufällig ihre Ge danken. Da rasten auch schon die glühenden Flammenzungen aus dem mächtigen Schiffsleib. Der SIGIT-Verbund setzte im ersten Feuerstoß alle verfügbaren Strahlwaffen auf eins der vier Schiffe an, die selbst ohne Unterbrechung feuerten. „Schutzschirmbelastung 80 Prozent, ein Schiff vernichtet“, meldete der Rechner in einem Atemzug. „Schutzschirmbelastung 60 Prozent“, fügte er dann hinzu. Sekunden später war der zweite Angreifer vernichtet. Liz Delgado atmete auf, als sie die momentane Überlegenheit der ARGO NAVIS II erkannte. Mehr als fünf Gegner durften aber nicht auftreten, denn dann wären die Schutzschirme an der Grenze ihrer Belastbarkeit. „Kontaktversuche negativ“, meldete Uwe Dassler. Plötzlich drehten die beiden übriggebliebenen Schiffe ab und brach ten sich in sichere Distanz. „Die Entfernung zum Gegner liegt noch in der Reichweite der Ze rodim-Bomben“, sagte der SIGIT. „Soll noch ein Schiff ausgeschaltet werden?“ „Nein, Feuer stop!“ befahl die SEDOR-Agentin. Es lag ihr weder etwas daran, einen unterlegenen Feind zu vernichten, auch wenn der sie ohne Warnung angegriffen hatte, noch wollte sie die gefährlichste Waffe der Terraner einsetzen und so dem Feind ihre ganze Stärke of fenbaren. „Es sind Schiffe“, sagte Yerdengroth, „die fast exakte Nachbauten unserer alten yerdenschen Kreuzer sind. Die Loughs haben sie da mals ausschließlich benutzt.“
„Warum melden sie sich nicht auf unsere Anrufe?“ entgegnete Liz. „Vielleicht verstehen sie Sie nicht.“ Yerdengroth ging zu Dassler und ließ sich ein Mikro geben. Dann sprach er mehrere Worte hinein. Aber auch danach- erfolgte keine Reaktion von der Gegenseite. „Der Feind hat die Sinnlosigkeit seines Angriffs erkannt“» meldete der Rechner-Verbund. „Er dürfte mit Sicherheit Verstärkung anfor dern, um uns erneut anzugreifen. Ich treffe alle Vorbereitungen für eine schnelle Flucht.“ „Verflixt“, schimpfte Liz Delgado. „Wenn die sich nicht blicken las sen, erfahren wir nichts über ihre Absichten und ihr Aussehen. Man müßte mit einem von ihnen reden können.“ Sie besaß die Psanimals jetzt fast zwei Jahre. Schon so manches Mal war sie von deren Fähigkeiten überrascht worden. Als sich aber Dag ger im selben Moment in Luft auflöste, vergaß sie vor Schreck das Atmen. Sie warf einen raschen Blick auf Arrow, um dessen Reaktion zu se hen. Aber der braungraue Falke zeigte keine Regung. Für ihn, der mit Dagger in noch engerer innerer Bindung stand, als es zu seiner Her rin der Fall war, schien das Verschwinden des Schäferhundes etwas ganz Normales zu sein. Nur Sekunden später flimmerte die Luft in der Kommandozentrale. Dagger war auf ebenso unerklärliche Weise wieder aufgetaucht, wie er verschwunden war. Aber er war nicht allein zurückgekommen. Neben ihm erhob sich eine schemenhafte, grün schillernde Gestalt von fast drei Metern Höhe. Die Figur war transparent. An ihrer Ober seite war eine Kugel zu erkennen, die an einen Kopf erinnerte. Ande re Extremitäten wies sie nicht auf. „Ein Lough!“ stieß Yerdengroth voller Entsetzen aus. * „Ja, ein Lough“, dröhnte es dumpf und hohl aus dem Energiewesen.
„Also ist die uralte Prophezeiung tatsächlich eingetroffen. Der Yer dengroth ist zurückgekehrt. Du wirst vergebens nach deiner Robot flotte gesucht haben. Wir haben sie schon vor über einer Million Jah ren vernichtet, ebenso wie wir damals dein Raumschiff vernichteten, bevor es Drooldar erreichte. Wir wissen zwar nicht, wieso du ent kommen konntest, aber das spielt nun keine Rolle mehr.“ Die durchsichtige Figur des Loughs schwankte leicht, als ob er sich in der Zentrale umsähe. Die Terraner standen wie gebannt. Selbst der schlagfertige Dassler brachte keinen Ton heraus. Der SIGIT-Verbund schwieg. Am erstaunlichsten aber war es für Liz, daß die Psanimals keine Reaktion zeigten. So war es auch, als der Lough weiter sagte: „Ein schönes Schiff. Wir haben schon die Schablone angefertigt. In weni gen Wochen werden wir unsere Flotte auf diesen Typ umstellen. Mit ihm können wir andere Galaxien erreichen, denn hier lohnt es sich kaum mehr, zu bleiben. Die ewig gleiche Nahrung! Selbst die begehr ten Yerdener schmecken uns nicht mehr. Nach den bisherigen Infor mationen, die wir den Speichern entnehmen konnten, bietet eure Ga laxis Nahrung für einige Millionen Jahre. Danach werden wir Stück für Stück das ganze Universum in unser Nahrungsfeld umwandeln.“ Liz erschienen diese Worte schlimmer als ihre übelsten Alpträume. Was der Lough sagte, bedeutete, daß diese Energiewesen die ganze Andromeda-Galaxis unterjocht hatten, um ihre schier unersättliche Gier nach organischer Nahrung zu befriedigen. Diese Gefahr drohte nun auch der Milchstraße und allen anderen Galaxien. Was für grau same Wesen mußten diese Loughs sein! „Das Warten auf deine Rückkehr hat sich gelohnt, Yerdengroth. Aber jetzt ist dein endgültiges Ende gekommen. Ich werde dich für immer vernichten.“ Langsam, fast schwebend setzte sich das schimmernde Energiewe sen in Bewegung. Sein Ziel war zweifellos der Yerdener. „Halt! Warte!“ rief Liz Delgado. „Kann man mit dir nicht vernünf tig reden?“
Für einen Augenblick stockte der Lough. „Ich habe nur vernünftig geredet“, antwortete er. „Vernünftig ist, was uns dient. Euch bleibt gar nichts anderes übrig, als euch freiwil lig zu unterwerfen, für uns Nahrung und Kinder zu züchten. Wer sich nicht fügt, wird zuerst vertilgt.“ Der Lough setzte seinen Weg beharrlich fort. Yerdengroth wich ängstlich zurück. „Das ist völlig sinnlos“, rief er, als er sah, wie Litti und Dassler ihre Waffen zogen und von zwei Seiten auf das Energiewesen feuerten. Tatsächlich geschah nichts. Der Lough reagierte nicht einmal auf das Feuer. Als er noch einen Schritt von Yerdengroth entfernt war, knurrte Dagger ärgerlich. Dann setzte er zum Sprung an. Er traf voll auf den Energiekörper des Loughs und schien für einen Moment mit ihm zu verschmelzen. Dann landete das Psanimal wieder sicher auf allen vier Beinen. Der Lough stockte in seinem Lauf. Eine seltsame Veränderung ge schah mit ihm. Er stieß einen gurgelnden Laut aus und verblaßte mit rasender Geschwindigkeit. Sein Körper schrumpfte zusehends zu sammen und veränderte dabei sein Aussehen. Für einige Sekunden stand eine Riesenameise in der Zentrale. Dann fiel auch diese in sich zusammen. Was übrigblieb, war ein Häufchen Staub. Nach ein paar weiteren Sekunden war auch das verschwun den. Dagger schüttelte heftig seinen Kopf, als plagten ihn lästige Flöhe. Yerdengroth atmete tief durch, und Dassler fand endlich seine Sprache wieder. „Mahn!“ sagte er halblaut. „Das war ein Ei.“ Noch immer fassungslos starrte Liz auf die Stelle, an der der Lough sich aufgelöst hatte. „Hundert Feindeinheiten!“ quäkte in diesem Moment der 1R0 Verbund. „Alarmstart!“ Ohne auf Kommandos der Menschen zu warten, aktivierte der SI GIT das Zerodim-Triebwerk und versetzte die ARGO NAVIS II in die
Nähe einer alleinstehenden Sonne. Dort verbarg er das Schiff im Or tungsschutz der Sonnenkorona. Liz Delgado rief die Mannschaft zu einer Beratung zusammen. * „Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich erlebt und gesehen habe, wie ein Lough vernichtet wurde“, sagte Yerdengroth. „Es hat die Theorie bestätigt, daß die Loughs aus einer Insektenrasse hervor gegangen sind.“ „Es war auch das erstemal“, entgegnete ihm Liz Delgado, „daß ich gesehen habe, daß Dagger, um meinen Wunsch auszuführen, sich an einen anderen Ort versetzt hat. So etwas nennt man wohl Teleporta tion. Aber so erstaunlich, wie die beiden Tatsachen sind, sie helfen uns nicht weiter. Die Worte des Loughs klingen mir noch in den Oh ren. Sein Ultimatum und die Feststellung, daß sie unsere ARGO NA VIS kopiert haben. Eine eigene Technik scheinen diese Energiewesen nicht zu besitzen. Sie schmarotzen in jeder Beziehung. Das Schlimm ste aber an der ganzen Geschichte ist daß ich das Gefühl nicht los werde, daß wir mit dem Flug nach Andromeda voll in ein Wespen nest gestochen haben. Wenn diese Horden über die Milchstraße her fallen, droht den Menschen und allen Intelligenzen womöglich das gleiche Schicksal wie den Yerdenern. Mit Dagger allein können wir die Loughs nicht aufhalten. Wir müssen sofort die Erde warnen.“ „Und mehr über diese Bestien in Erfahrung bringen“, forderte Petra Muellner. „Sie müssen einen schwachen Punkt haben. Offensichtlich hat ihre Entwicklung seit Jahrmillionen stagniert. Wenn ich Yerden groth richtig verstanden habe, dann hat sich weder in ihrem Wesen noch in den verwendeten Raumschiffen etwas Wesentliches geän dert.“ Der Mann aus Andromeda nickte zustimmend. „Es gibt nur eine Stelle, wo wir mehr über die Loughs und die Geschehnisse der Ver gangenheit in Erfahrung bringen können,, und das ist Yerden.“
„Können Sie die Stärke der Loughflotte abschätzen, Yerdengroth?“ fragte Liz. „Wir müssen etwas unternehmen, bevor sie nach dem Mu ster der ARGO NAVIS II neue Schiffe bauen können.“ Yerdengroth zuckte mit den Schultern. „Es ist viel Zeit vergangen. Damals, als wir noch als freies Volk gegen die Loughs kämpften, be saßen sie schätzungsweise 2000 Schiffe. Ihre Zahl selbst wurde auf einige Millionen geschätzt, aber das sind sehr vage Vermutungen. Wir haben nie etwas in Erfahrung bringen können, ob sie sich ver mehren. Die Wissenschaftler vermuteten, daß die Loughs die in Energieform verwandelten restlichen Lebewesen eines untergegan genen Volkes sind und daß ihre Gesamtzahl somit konstant sei. Sie müssen auch irgendwo eine Heimatwelt haben. Wir haben sie jedoch nie gefunden.“ „Das klingt alles sehr bescheiden“, ließ sich Uwe Dassler verneh men. Der Funker versuchte seit Stunden ohne Erfolg, DimkomKontakt zur Erde herzustellen. Die Auswirkungen des Leerraums und der riesigen Entfernung auf die Nachrichtenübertragung durch das Dimkom waren jedoch noch völlig unbekannt. „Lassen Sie uns nach Yerden fliegen“, forderte Yerdengroth erneut. „Ich zögere“, bekannte die SEDOR-Agentin und Kommandantin freimütig. „Wenn wir noch einmal einem großen Verband der Loughs begegnen, könnte das schiefgehen. Mit den Zerodim-Bomben könnten wir uns zwar auch gegen einen übermächtigen Gegner weh ren. Ich zweifle auch nicht daran, daß die Loughs selbst gegen diese Waffe gefeit sind. Auf der anderen Seite liegt es mir aber fern, eine Rasse mit Gewalt auszulöschen, solange nicht ein friedlicher Weg zur Verständigung völlig unmöglich erscheint.“ Yerdengroth schüttelte mißbilligend den Kopf. „Es gibt keinen friedlichen Weg. Die Loughs sind Bestien, die in diesem Universum nichts verloren haben. Wenn Sie wirklich mit der Zerodim-Waffe nicht nur ihre Schiffe, sondern auch die Loughs selbst vernichten können, dann sollten Sie keinen Moment zögern, es zu tun. Das mag grausam klingen, aber es ist die einzige Lösung. Sie haben selbst ge
hört, was der Lough gesagt hat. Auf Verhandlungen lassen sie sich nicht ein. Und wie sollte diese Lösung aussehen? Wollen Sie die Be stien in eine andere Galaxis verjagen, wo sie die dortigen Intelligen zen unterjochen, züchten und auffressen? Nein, Liz, in diesem Fall hilft wirklich nur Gewalt. Ihre noble Einstellung ehrt Sie. Unter nor malen Bedingungen würde ich sie uneingeschränkt teilen. Aber in diesem Fall?“ Liz blickte die anderen Frauen und Männer an, aber sie sah nur schweigende Gesichter. Die Drohung, die der von Dagger an Bord der ARGO NAVIS II geholte Lough ausgesprochen hatte, hatte eine nachhaltige Wirkung hinterlassen. „Wir wissen zuwenig über diese Wesen“, meinte Petra Muellner schließlich. „Ich glaube Yerdengroths Vorschlag, auf seiner Heimat welt nähere Erkundungen einzuziehen, ist gut. Ein paar Tage könn ten uns schon helfen. Dann muß aber die Erde gewarnt werden, denn wenn die Loughs die ARGO nachbauen und zur Milchstraße kom men ...“ Sie beendete den Satz nicht. „Also gut“, sagte Liz Delgado schließlich, „ich muß eine Entschei dung treffen. Mr. Dassler, Sie versuchen weiter, Kontakt mit Terra zu bekommen. Es wäre sicher falsch, jetzt Hals über Kopf den Rückflug anzutreten. Der Lough hat gesagt, daß in einigen Wochen die ARGONachbauten fertig sein würden. Ich gebe uns fünf Tage für nähere Erkundungen. Wir fliegen in das Wariga-System und verbergen dort die ARGO in der Sonnenkorona. Dann besuchen wir mit einem Bei boot Yerden. Ich will wissen, was hier wirklich los ist.“ Yerdengroth atmete hörbar auf. * Die AN-1, das kleine Beiboot, war ein exakter Nachbau der alten ARGO NAVIS, die Wern Litti früher geflogen hatte. Sie durchmaß nur fünfzehn Meter und besaß, wie praktisch alle terranischen Rau
mer, Kugelform. Diese Form war notwendig, um beim Zerodim-Flug nur das Schiff selbst zu transportieren, da das Zerodim-Feld natur gemäß kugelförmig war und sich aus dem exakten Mittelpunkt der Schiffe heraus aufbaute. Neben Liz Delgado waren Wern Litti als Pilot, sowie Yerdengroth und Petra Muellner an Bord, als sich die AN-1 in Richtung Yerden abstrahlte. Das Schiff materialisierte in wenigen hundert Metern über der Oberfläche des Planeten. Yerdengroth hatte die Stelle bestimmt, weil dort seine Heimatstadt lag oder noch liegen sollte. Die Sonne Wariga, Sol nicht unähnlich, stand schon tief am Hori zont, als Litti das Schiff zur Oberfläche hinabsteuerte. Yerdengroths Augen blickten durch die Plastozitkuppel auf die näher kommende Landschaft. Flache Häuser in endlosen Reihen tauchten auf. Dazwi schen erstreckten sich ausgedehnte Felder. „Es ist alles anders als früher“, kommentierte der Yerdener. „Aber im Prinzip hat sich nichts an der Landschaft geändert, seit ich das letztemal hier war. Es ist unglaublich, aber eine Million Jahre ist fast spurlos an meiner Welt vorübergegangen. Sehen Sie dort den Fluß. Auf der anderen Seite war früher ein Raumhafen. Jetzt sind dort Fel der und Häuser. Das gleiche gilt für das Industriezentrum. Es exi stiert nicht mehr.“ Seine Stimme bekam einen bitteren Klang. „Nur Häuser und Felder. Produktionsstätten für die unersättlichen Besti en.“ In der Nähe einer Häuserzeile tauchte ein kleines Waldstück auf. Liz deutete darauf. „Landen Sie dort“, befahl sie Wern Litti. „Werde ich meine Landsleute sprechen können?“ fragte Yerden groth, der von einer verständlichen Erregung ergriffen worden war. Die SEDOR-Agentin nickte nur und beobachtete, wie das kleine Schiff sanft auf der Planetenoberfläche landete. „Sie bleiben hier“, sagte sie zu Litti. „Seien Sie wachsam. Wir blei ben in ständigem Funkkontakt.“ Der wortkarge Pilot gab mit einem Brummlaut zu verstehen, daß er Liz verstanden hatte.
Bis zu der Ansiedlung waren es nur wenige hundert Meter. Als das Luk geöffnet war, startete Arrow ohne Aufforderung nach draußen. Dagger schloß sich Liz, Yerdengroth und der AllroundWissenschaftlerin an. Nirgendwo waren Menschen zu erblicken. Ohne Zwischenfall er reichten sie die Häuser, die ohne Ausnahme in einem sehr einfachen und völlig einheitlichen Stil erbaut waren. Yerdengroth legte ein Tempo vor, so daß die beiden Frauen Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten. Ohne Zögern klopfte er an die erste Tür. Von drinnen waren Stimmen zu hören. Liz Delgado aktivierte die Übersetzungseinheit ihres Multi-Armbands. Ein Mann, der etwa vierzig Jahre alt sein mochte, öffnete die Tür. Neben ihm stand eine gleichaltrige Frau. Beide trugen einfache Klei dung aus einem sackleinenähnlichen Material. Der Mann kniff verwundert die Augen zusammen, als er die drei Menschen sah. „Was wollt ihr?“ fragte er dann unwirsch. „Wer seid ihr?“ „Ich bin Yerdengroth.“ „Yerdengroth?“ echote der Mann. „Der Mann aus der heimlichen Sage“, sagte die Frau und kicherte albern. Der Mann machte Anstalten, die Tür wieder zu schließen. „Warten Sie bitte“, sagte Yerdengroth sanft. „Was wissen Sie von Yerdengroth? Was wissen Sie von den Loughs?“ Der Mann schüttelte verständnislos den Kopf. „Wir wissen das, was alle wissen“, meinte die Frau und zuckte ver legen und unsicher mit den Schultern. „Ich weiß nichts.“ Yerdengroths Stimme zitterte. „Bitte beantworten Sie meine Fragen.“ „Nun“, sagte der Mann langsam, „es gibt da eine alte Sage, ein Ge rücht. Eines Tages soll ein Überwesen namens Yerdengroth kommen und die Loughs verjagen. Aber in Wirklichkeit glaubt niemand dar
an. Und die Loughs? Wir müssen sie die Herren nennen und das tun, was sie uns sagen.“ „Und was ist das?“ bohrte Yerdengroth weiter. Der Mann zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Fünfzig Rinder und tausend Hühner pro Jahr abliefern.“ „Und“, sagte die Frau mit irrem Blick in den Augen, „jedes Jahr ein erwachsenes Kind. Wenn ich nicht mehr zeugen kann, bin ich selbst dran.“ Yerdengroth schlug vor Entsetzen die Hände vor das Gesicht. Er begann zu taumeln, und Petra Muellner stützte den Mann. Liz hatte das Gespräch, das die ganze Tragik dieses Volkes widerspiegelte, aufmerksam verfolgt. Es lief ihr eiskalt über den Rücken, als sie sich das Drama vergegenwärtigte, das sich hier seit Ewigkeiten abspielte. „Sind Sie wirklich dieser Yerdengroth?“ fragte die Frau und kicher te wieder. „Ich weiß es nicht“, murmelte der schockierte Mann und wandte sich ab. Liz Delgado hob ihr Multi-Armband an den Mund und rief Wern Litti. „Wir kommen zurück“, sagte sie matt. „Verstanden“, kam die Antwort. „Ich habe ein Signal auf dem Or ter. Ein schnell fliegendes Objekt, das sich Ihnen nähert. Vielleicht ein Flugboot oder etwas Ähnliches.“ Sie hatten die Häuserreihe noch keine fünfzig Meter hinter sich ge lassen, als dicht über der Oberfläche fliegend, ein offener Gleiter nä her kam. Er bremste kurz vor der Gruppe ab. Drei Loughs schwebten aus ihm heraus und bauten sich gewichtig auf. Liz wunderte sich, daß Dagger völlig ruhig blieb. Er schien keine Furcht zu empfinden und auch keine Gefahr. „Die Fremden aus der ÀRGO NAVIS II“, dröhnte hohl die Stimme eines Loughs. Liz Delgado war verblüfft. Woher konnte das Energiewesen das wissen?
Daß ihre Anwesenheit nicht unbemerkt geblieben war, war ein leuchtend. Aber wie konnte das Energiewesen sie so schnell identifi zieren? Einer plötzlichen Eingebung folgend, fragte sie laut: „Woher willst du das wissen, Lough?“ „Was ein Lough weiß, wissen alle“, antwortete das Wesen. „Ihr habt einen meiner Brüder vernichtet und euch geweigert, euch zu un terwerfen. Das war sehr dumm, denn ihr habt keine Chance.“ Die drei Loughs kamen langsam auf die Menschen zu. In Liz’ Oh ren klangen noch die bitteren und irren Worte der Frau ... ... jedes Jahr ein erwachsenes Kind... Mit einem scharfen Gedanken konzentrierte sie sich auf Dagger, der leise zu knurren begonnen hatte. Aber der Schäferhund verharrte an ihrer Seite. Die Psanimals trieben wieder einmal ihr eigenes Spiel. Arrow machte seinem Namen alle Ehre, als er wie ein Pfeil aus dem Abend himmel nach unten stieß. Sein Flug war so schnell, daß ihn die Men schen kaum wahrnehmen konnten. Er raste hintereinander durch die Körper von zwei Loughs hindurch, die für einen Sekundenbruchteil in ein helles Licht getaucht waren. Der dritte Lough blieb stehen. Arrow begann, enge Kreise zu zie hen, in deren Mittelpunkt der Lough stand. Die beiden anderen Energiewesen machten innerhalb von Sekun den eine seltsame Wandlung durch. Das leuchtende Grün ihrer Kör per wurde matt. Ihre Größe begann rasend schnell zu schrumpfen. Sie durchliefen ihre Entwicklung rückwärts, wurden für Sekunden bruchteile zu riesigen Ameisen und lösten sich dann in nichts auf. „Du siehst, wie es euch geht, wenn ihr uns angreifen wollt“, sagte Liz hart zu dem Lough. „Die Verluste sind zu verkraften“, dröhnte das Energiewesen. „Ihr könnt uns niemals besiegen.“ Plötzlich begann Arrow ängstlich zu schreien, und Dagger signali sierte durch sein Bellen höchste Gefahr. Zunächst hatte es den An schein, als ob der Hund auf den Gleiter zurennen wollte, mit dem die
Loughs gekommen waren. Dort war aus dem Innern ein Strahlge schütz aufgetaucht, das jetzt auf die drei Menschen einschwenkte. Doch Dagger stoppte wieder ab und beruhigte sich. „Deckung“, schrie Liz automatisch, aber da war keine Erhebung weit und breit, die Schutz geboten hätte. Noch bevor das Geschütz sein Ziel erfaßt hatte, lag ein heller, sin gender Ton in der Luft. Aus dem nahen Wäldchen, in dessen Schat ten die AN-1 stand, zischte ein glühendheller Strahl herüber und traf das Flugboot der Loughs. Krachend flogen dessen Teile auseinander, von einer heftigen Explosion begleitet. Die Menschen hatten sich noch früh genug zu Boden geworfen, um nicht von den Trümmern getroffen zu werden. Nur der Lough war stehengeblieben, denn ihm konnten sie nichts anhaben. „Gut, was?“ erklang Wern Littis Stimme aus dem Multi-Armband, während Liz aufstand. Die SEDOR-Agentin blickte auf den Lough. „Wir werden uns weh ren, Lough“, sagte sie mit harter Stimme. „Das kannst du deinen Brüdern sagen.“ „Sie wissen es schon“, antwortete das Energiewesen. „Sie sind schon unterwegs, um euch zu vernichten.“ „Gibt es denn keinen Weg für eine friedliche Einigung?“ versuchte es Liz noch einmal. Aber der Lough gab ihr keine Antwort. Die AN-1 schwebte auf ihren Antigrav-Polstern heran. Das Außen schott war geöffnet. „Schnell“, rief Wern Litti. „Da kommen ein paar Dutzend von die sen Burschen.“ Yerdengroth und Petra Muellner schwangen sich, ohne zu zögern, durch das Luk. Liz Delgado stand noch einen Moment da und betrachtete den Lough. Irgendwie hoffte sie noch, der gewaltsamen Auseinanderset zung aus dem Weg gehen zu können. Trotz der Fremdartigkeit und Unmenschlichkeit der Loughs sagte ihr eine innere Stimme, daß es Unrecht wäre, hier eine totale Kampfsituation heraufzubeschwören.
„Ihr habt die Wahl“, dröhnte der Lough mit seiner dumpfen und hohlen Stimme. „Ich spreche für alle Loughs. Ihr habt die Wahl. Un terwerft euch oder ihr werdet vernichtet!“ Sie sah die Sinnlosigkeit ihrer Bemühungen ein und rannte auf die AN-1 zu. Dagger folgte ihr, und Arrow war schon durch die Öffnung in dem Beiboot verschwunden. „Abhauen?“ fragte Litti in seiner knappen Art. „Notstart vorbereiten“, antwortete Liz. „Aber abwarten. Da ist noch eine Sache, die ich wissen möchte.“ Mit geübtem Griff löste sie die Verriegelung der Vorrichtung zur Abstrahlung von Zerodim-Bomben. Sekunden später tauchten von allen Seiten Flugboote der Loughs auf. Sie eröffneten das Feuer auf die AN-1, aber der Schutzschirm hielt der Belastung stand. Die SEDOR-Agentin peilte einen feindlichen Gleiter an, den sie in ihre!* unmittelbaren Nähe besonders gut beobachten konnte. Darin saßen drei Loughs. Sie wählte das kleinste Kaliber der ZerodimBomben und strahlte die Einheit auf das Beiboot ab. Das Geschoß materialisierte zeitverzugslos in dem Lough-Gleiter, baute dort ein nulldimensionales Feld auf und strahlte die darin ent haltene Masse ohne Zielkoordinaten in alle Richtungen ab. Der Gleiter verschwand – und mit ihm die Loughs. „Ihr Zerodim vernichtet die Bestien“, jubelte Yerdengroth. „Das gefällt mir gut“, ergänzte Wern Litti, während er den Notstart auslöste, der sie zur ARGO NAVIS II bringen sollte. „Was mir weniger gefällt“, sagte Liz, als die Umgebung ver schwand, „ist, daß die Loughs die ARGO kopiert haben. Sie besitzen damit in Kürze auch die Zerodim-Bombe. Und wir haben kein Mittel dagegen.“
9. Yerdengroth saß stumm und niedergeschlagen an dem kleinen Ar beitstisch in der Kommandozentrale der ARGO NAVIS II. Er spielte nervös mit seinen Fingern herum und blickte abwechselnd zu Liz Delgado und Petra Muellner. Die SEDOR-Agentin und Schiffskom mandantin unterhielt sich mit dem Funker Uwe Dassler. „Es besteht eine Chance“, sagte der kleine, schnauzbärtige Mann, „die Erde über Dimkom zu erreichen. Ich habe alles von dem SIGIT durchrechnen lassen und dabei auch die jüngsten Erfahrungen über die Verhältnisse zwischen den Galaxien berücksichtigt. Es sind aller dings einige Umstände zu beachten. Erstens müssen wir aus dem Schutz der Sonnenkorona heraus. Die unmittelbare Nähe des Sternes beeinflußt die Abstrahlung erheblich. Zweitens können wir nicht damit rechnen, daß unsere Sendung bestätigt wird. Eine so feine Ju stierung der Anlage auf der Erde dürfte unmöglich sein. Und drittens können wir uns überhaupt nur dann verständlich machen, wenn ich die Botschaft per Morsezeichen übertrage. Alle anderen modernen Verfahren haben wegen des hohen Anteils an komplizierten Modula tionen keine genügende Energie, um am Zielpunkt noch entziffert werden zu können.“ „Wir haben mit dem Flug nach Andromeda voll in ein Wespennest gestochen“, grübelte Liz Delgado laut. „Wir haben dadurch die Loughs zusätzlich dazu verleitet, eine Offensive gegen die Milchstra ße zu starten. Außerdem wissen wir fast nichts über ihre Technik. Sie kopieren unser Schiff, sie orten uns unverschämt schnell.“ „Ohne Hilfe von der Erde kommen wir nicht weiter“, sagte Dassler. „Ich meine, wir sollten versuchen, eine Nachricht abzusetzen. Ein Hin- und Rückflug zur Milchstraße kostet uns mindestens acht Tage. Dann kann es schon zu spät sein.“
„Ich halte es für falsch“, mischte sich die Wissenschaftlerin Muell ner in das Gespräch, „die Loughs einfach zu vernichten. Nach unse ren allgemeinen Moralvorstellungen und dem, was wir bis jetzt über die Handlungsweisen dieser Energiewesen erfahren haben, wäre das zwar gerechtfertigt. Es widerstrebt mir aber, eine solche Vernich tungswelle zu befürworten, die auch für unsere Seite nicht verlustlos vorübergehen würde. Es muß eine andere Lösung geben. Ich habe ein paar Spezialprogramme in den SIGIT geschickt, der das Problem von allen Seiten durchchecken soll. Vielleicht kommt dabei etwas her aus.“ „Gut“, sagte Liz. „Wir gehen wie folgt vor. Zuerst suchen wir eine ruhige Stelle, von der aus Mr. Dassler meine Meldung an die Erde abstrahlen soll. Den Text werde ich anschließend aufsetzen. Er wird alles enthalten, was wir bislang über die Verhältnisse in Andromeda erfahren haben. Und er wird einen Vorschlag für die Lösung des Problems enthalten. Petra, du informierst mich umgehend, wenn bei den Rechnereien etwas Brauchbares herauskommt. Mr. Litti, über nehmen Sie das Schiff.“ Eine kurze Zerodim-Etappe führte die ARGO NAVIS II in eine sternenleere Zone. Dassler erhielt von Liz Delgado den ersten Teil des Textes, den er zur Erde funken sollte. Mit Hilfe des SIGITVerbunds justierte er die Antennenanlage. Aber Arrow schien damit nicht einverstanden zu sein. Der Falke verließ seinen Stammplatz auf der Rechnerkonsole und setzte sich auf das Bedienpult der Funk- und Ortungsanlage. Dassler runzelte die Stirn, als das Psanimal die Einstellung des Ab strahlwinkels durch gezielte Hiebe mit seinem Hakenschnabel ver änderte, und blickte fragend auf Liz. „Lassen Sie ruhig diese Justierung“, sagte die Frau. „Wir haben ja schon einmal die Erfahrung gemacht, daß Arrows Instinktreaktionen in diesem Fall besser sind als die SIGIT-Berechnungen.“
Der Funker zuckte mit den Schultern. Dann holte er aus einer Schublade eine altmodische Morsetaste heraus und schloß sie an die Dimkom-Anlage an. Er hatte noch nicht die Hälfte des Textes durchgetastet, als die Alarmanlage aufheulte. Auf dem Orterschirm zeichnete sich eine Flotte von gut zwei Dutzend Raumschiffen ab. „Loughs!“ stellte der Funker fest, ohne seine Arbeit an dem Funk gerät zu unterbrechen. „Wir werden ihnen eine Lektion erteilen“, sagte die SEDORAgentin. Durch einen Tastendruck gab sie dem SIGIT-Verbund volle Handlungsfreiheit. Die Schiffe der Loughs näherten sieh rasch und lösten schon aus großer Distanz ihre Waffen aus. Die ARGO NAVIS II fuhr ihre Schutzschirme voll hoch. Dann löste der SIGIT alle zwölf Werfer für die Zerodim-Bomben aus. Gleichzeitig materialisierten die zwölf kleinen Kugeln in feindlichen Raumschiffen. Sekunden später waren die Schiffe buchstäblich verschwunden. „Das sollte den Loughs eigentlich eine deutliche Warnung sein“, sagte Petra Muellner. Aber das Gegenteil war der Fall. Zwei neue Flottenverbände rasten heran und deckten die ARGO NAVIS II von zwei Seiten ein. Der SIGIT-Verbund tat das einzig Richtige. Er ergriff die Flucht. Dassler fluchte, weil er dadurch seine Funksendung unterbrechen mußte. Erst als ein neuer Standort für das Schiff gefunden worden war, justierte Arrow ohne Aufforderung erneut die Antennen. Aber auch diesmal blieb nur wenig Zeit. Schon nach knapp dreißig Minuten tauchten die Loughs erneut auf. Ihre Stärke betrug weit über hundert Schiffe. Ohne Warnung griffen sie an. Wieder blieb nur die Flucht als Ausweg. „Sie finden uns immer schneller“, stellte Liz Delgado fest, „und sie kommen mit mehr Schiffen als beim vorhergehenden Angriff.“ Sie sollte mit dieser Annahme in jeder Hinsicht recht behalten. Bei der nächsten Station waren die Loughs schon nach zwanzig Minuten
zur Stelle, aber bis zu diesem Zeitpunkt hatte Dassler bereits Drei viertel des Textes über das Dimkom abgestrahlt. Wieder blieb nur die Flucht. Während Dassler die wenigen ruhigen Minuten benutzte, um seine Meldung weiter zu senden, trat die Wissenschaftlerin Muellner zu Liz Delgado. „Ich habe mit Hilfe des SIGITs eine interessante Hypothese entwik kelt“, sagte sie. „Es stimmt etwas in der Evolution der Loughs ganz und gar nicht. Nach allem, was ich von Yerdengroth über sie erfahren habe und was wir selbst gesehen und erlebt haben, stagnieren die Loughs in ihrer Entwicklung seit über einer Million Jahren. Das ist sehr ungewöhnlich. Ihre frühere Daseinsform war die von Riesen ameisen. Der SIGIT meint, daß dieses Volk bewußt die Wandlung in eine höhere Daseinsform eingeleitet haben muß. Der springende Punkt ist, daß es diese Stufe nicht erreicht hat. Sie sind als Einzelwe sen, die aber in einem gemeinsamen geistigen Kontakt stehen, in der energetischen Form hängengeblieben. Wenn wir wüßten, mit welchen Mitteln die Evolution der Loughs angestoßen werden könnte, würde dieses Volk den Rest der Wandlung vollziehen können.“ „Und wie würde das Ergebnis dieser Wandlung aussehen?“ fragte Yerdengroth, der, ebenso wie Liz, den Ausführungen der Allround wissenschaftlerin gefolgt war. „Vermutlich ein körperloses, geistiges Kollektiv“, war die Antwort. „Auf jeden Fall aber würde es eine Daseinsform sein, die das mörde rische Treiben nicht mehr verfolgen würde.“ „Gibt es einen Hinweis“, wollte Liz wissen, „wie dieses Anstoßen geschehen müßte? Ich kann mir nichts darunter vorstellen.“ „Ich auch nicht“, gestand Petra Muellner ein. „Die Lebensform der Loughs ist zu fremdartig.“ „Also nichts als wissenschaftliche Spielerei“, stellte die SEDORAgentin nüchtern fest. „Es bleibt bei meinem alten Plan. Wir halten uns hier, bis die Nachricht zur Erde zweimal abgestrahlt wurde. Dann verbergen wir uns im Schutz einer Sonne. Wenn innerhalb von
vier Tagen dann nichts geschieht, kehren wir zur Milchstraße zurück. Auf Fluchtmaßnahmen sind wir ja inzwischen spezialisiert. Und ir gendwie hauen wir uns durch. Terra muß kampfbereit sein, bevor die Loughs mit den ARGO-Kopien den Sprung durch den Leerraum schaffen.“ Es kam etwas anders, als Liz es sich vorgestellt hatte. Nach drei Ta gen stand die ARGO NAVIS II zwar im Schutz einer Sonnenkorona. Aber die Terraner hatten nicht damit gerechnet, daß die Loughs sie dort aufspüren würden. Da auch die eigenen Ortungsanlagen in der Nähe der Sonne weitgehend versagten, war das Schiff in seinem Ver steck blind. Es war Dagger, der plötzlich warnend zu bellen begann und damit für ein paar Sekunden Vorsprung sorgte. Die ARGO NAVIS II ent kam dem konzentrierten Feuerüberfall durch Wern Littis schnelle Reaktion. Ohne auf eine Beurteilung der Lage durch den SIGIT oder auf ein Kommando von Liz Delgado zu warten, leitete der schweig same Pilot eine Zerodim-Etappe ein, die das Schiff über eine Entfer nung von fünfzig Lichtjahren versetzte. Aber auch an dem neuen Standort blieb es nur kurz ruhig. Schon Minuten später waren die Loughs da und stürzten sich mit Hunder ten von Schiffen auf die ARGO NAVIS II. „Es bleibt uns nur eine Möglichkeit“, sagte Liz Delgado nach einer erneuten Flucht-Etappe. „Wir verschwinden in den Leerraum. Die Loughs dürften dort erhebliche Orientierungsschwierigkeiten haben, solange sie noch nicht über Schiffe von der Qualität der ARGO ver fügen.“ Im gleichen Moment hob Arrow von der Konsole ab und flog zu Liz auf die Schulter. Er krächzte zufrieden und rieb sich seinen Kopf an der Wange der Frau. Auch Dagger kam heran und bellte freudig. Zunächst glaubte Liz, die Psanimals wollten durch ihr Verhalten kundtun, daß der Entschluß, in den Leerraum zu fliehen, richtig sei. Dann aber wandte sich Dagger ab und setzte sich erwartungsvoll vor den Bildschirm der Funkanlage.
„Gleich passiert was“, sagte Liz, die das Verhalten des Schäfer hunds richtig deutete. „Aber was?“ fragte Dassler mit gespielter Dümmlichkeit. „Wir sollten uns lieber auf die Loughs konzentrieren“, warnte Yer dengroth. „Die werden bestimmt auch hier gleich auftauchen.“ Das geschah im gleichen Moment, als sich der Bildschirm erhellte. Liz stieß einen schrillen Schrei aus.. Das Gesicht, das auf dem Schirm erschien, war das ihres Mannes Thor. Dann schaltete sie wie der mit gewohnter Präzision. „Wo steckst du, Thor? Wir müssen hier weg. Die Loughs machen uns die Hölle heiß. Sie greifen uns innerhalb weniger Minuten an jedem neuen Aufenthaltsort an. Und das mit einigen tausend Schiffen.“ Thor Delgado erkannte, daß er jetzt schnell handeln mußte. „Gib mir die Koordinaten deines Fluchtziels. Erwarte dort die Loughs. Ich stehe am Rand von Andromeda und komme dorthin, okay?“ „Das schon, Thor“, sagte Liz unsicher. „Aber die Loughs sind uns hoffnungslos überlegen.“ „Das macht nichts“, antwortete der SEDOR-Agent und grinste spitzbübisch. „Ich habe vorsichtshalber 8000 Einheiten der POS-Flotte mitgebracht. Wir werden die Loughs aufreiben und die Gefahr ein für allemal beseitigen.“ Wern Litti gab noch die Zielkoordinaten durch. Dann mußte die ARGO NAVIS II erneut fliehen. * Sekunden nachdem die Flotte der Loughs aufgetaucht war und auf die ARGO NAVIS II zustieß, materialisierte die terranische Flotte in der Form einer riesigen Kugel von 80 000 Kilometern Durchmesser. Im Innern dieser Kugel standen die Raumschiffe der Loughs. Liz Delgado malte sich aus, wie jetzt dort in den Schiffen der POS die Männer und Frauen hinter ihren Waffen saßen. Der Schweiß trat
ihr auf die Stirn, als sie sich das Grauen des bevorstehenden Kampfes ausmalte. Sie warf noch einen kurzen Blick auf die Psanimals, aber die Tiere verhielten sich ruhig und passiv. In Erwartung der gewaltigsten Schlacht, die die Menschen je austragen würden, war das unerklär lich. Sie grübelte noch über diesem Gedanken, als sie gewahr wurde, daß die Loughschiffe angehalten hatten und ihre Waffen schwiegen. „Vielleicht geben sie doch noch auf“, meinte Liz, die wieder mit Thor Delgado im Funkkontakt stand, hoffnungsvoll. Dann begann sie zu taumeln, als eine Welle psionischer Energie über sie hinwegzog. Etwas Seltsames geschah. Der Weltraum rings um die Loughschiffe leuchtete plötzlich in allen Farben auf. Auf den Köpfen der Menschen lag für kurze Zeit ein gewaltiger Druck, dem nur Liz und Thor Del gado als mentalstabile Menschen standhalten konnten. Dann ver schwanden der Druck und das Leuchten. Als sie sich später vorsichtig den Schiffen der Loughs näherten und in sie eindrangen, fanden sie kein einziges Energiewesen mehr. „Ein Evolutionsschock“, nannte Petra Muellner das Phänomen. „Die gewaltige Übermacht der POS-Flotte hat die Loughs dazu be wegt, den letzten Schritt zur Vergeistigung zu durchlaufen. Damit dürften sie für immer von dieser Existenzebene verschwunden sein.“ Thor Delgado kam an Bord der ARGO NAVIS II und begrüßte Liz herzlich. „Was ist noch zu tun?“ fragte er dann. „Für Sie nichts mehr“, antwortete ihm Yerdengroth. „Aber für mich. Ich muß mein Volk in die Freiheit zurückführen. Diese Aufga be wird den Rest meines Lebens ausfüllen.“ „Wenn du nichts dagegen hast“, meinte Petra Muellner in einem Tonfall, als ob sie vom Wetter spräche, „helfe ich dir dabei ein biß chen.“