Keine Abenteuer, bitte! Stellt Professor Selesnjow Alissa zur Bedingung, bevor sie an Bord des guten alten „Pegasus“ zu...
75 downloads
1154 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Keine Abenteuer, bitte! Stellt Professor Selesnjow Alissa zur Bedingung, bevor sie an Bord des guten alten „Pegasus“ zu einer Tierfangexpedition in den Kosmos aufbrechen. Doch er sollte seine Tochter kennen! Konnte sie etwa Augen und Ohren vor den rätselhaften Vorgängen auf dem Leeren Pla neten verschließen oder sich in der Kajte verkriechen, wenn die Büsche vom Aldebaran plötzlich aus dem Lade raum ausbrechen und zum Sturmangriff auf die Raumschiff besatzung ansetzen? Und was ist mit diesem merkwürdigen Doktor Werchwowzew los, der ihnen auf allen Planeten, wo sie Station machen, über den Weg läuft? Er scheint ein recht Unfreundlicher Zeitgenosse ihres 21. Jahrhunderts zu sein. Ob er etwas mit dem Verschwinden des legendären Zweiten Kapitäns zu tun hat?
Kir Bulytschow
Das Mädchen von der
Erde
Aus dem Russischen von Aljonna Möckel
Der Kinderbuchverlag Berlin
1. Auflage 1984
DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN - DDR 1984
(für diese Ausgabe)
Verlag Detskaja literatura, Moskau 1974
Lizenz-Nr. 304-270/41/84-(20)
Gesamtherstellung Karl-Marx-Werk Pößneck V 15/30
LSV 7733
Für Leser von 9 Jahren an
Bestell-Nr. 611 926 0.
Inhaltsverzeichnis Das Mädchen, dem nie etwas zustößt Statt eines Vorworts
5
Ich wähle eine Nummer
6
Bronta
8
Die Tutexe
12
Der schüchterne Schuscha
16
Das Gespenst
21
Die verschwundenen Gäste
25
Unser Mann in der Vergangenheit
30
Alissas Reise
Alissa die Diebin
33
Dreiundvierzig"Hasen"
40
Kennst du die drei Kapitäne?
49
Die Quappen sind verschwunden
57
Doktor Werchowzews Ratschläge
66
Die Büsche
74
Das Geheimnis des Leeren Planeten
79
Was die Großohrigen erzählten
89
Auf der Suche nach einem Plapperschnabel
95
Wir haben den Plapperschnabel gekauft
105
Kurs zum Sternbild der Medusa
113
Eine traurige Erfindung
117
Die gelähmten Roboter
126
Die Jagd nach Lady Winter
138
Das Junge des Vogels Krok
146
Die Spiegelblumen
155
Wir schauen in dieVergangenheit
160
Der Spion
168
Wo ist das Mädchen?
173
In Gefangenschaft
181
Unterdessen aber
192
Der Dicke lügt
198
Der Gefangene in der Höhle
210
Das Ende der Reise
214
Das Mädchen,
dem nie etwas zustößt
Berichte über das Leben eines kleinen Mädchens aus dem 21. Jahrhundert, aufgeschrieben von ihrem Vater Statt eines Vorworts Morgen kommt Alissa in die Schule. Das wird ein aufregender Tag für sie. Schon seit heute früh rufen all ihre Freunde und Bekannten über Video an und gratulieren. Aber ehrlich, Alissa liegt seit drei Monaten selbst allen Leuten damit in den Ohren, plappert in einem fort von der bevorstehenden Schulzeit. Buss, der Marsianer, hat ihr einen ganz erstaunlichen Federkasten geschickt, den bisher niemand zu öffnen vermochte - weder ich noch meine Kollegen. Dabei gibt es, nebenbei erwähnt, unter ihnen zwei Doktoren der Naturwissenschaften sowie den Chefmechaniker des Zoos. Schuscha hat erklärt, er würde Alissa zur Schule begleiten. Er will herauskriegen, ob sie auch eine gute und erfahrene Lehrerin bekommt. Unwahrscheinlich viel Aufhebens jedenfalls. Als ich seinerzeit in die Schule kam, wurde nicht soviel Wind gemacht. Im Augenblick ist der Trubel ein wenig abgeflaut - Alissa ist in den Zoo gegangen, um sich von Bronta zu verabschieden. Da will ich, solange es im Haus still ist, ein paar Begebenheiten aus dem Leben Alissas und ihrer Freunde diktieren. Die Bänder schicke ich Alissas Lehrerin, damit sie erfährt, mit was für einem leichtsinnigen Mädchen sie es zu tun bekommt. Das kann ihr bei der Erziehung meiner Tochter nur nützen. Etwa bis zu ihrem dritten Lebensjahr war Alissa ein Kind wie jedes andere. Als Beweis dafür mag die erste Geschichte gelten, die ich gleich erzählen werde. Doch schon ein Jahr später, nachdem sie Bekanntschaft mit Bronta geschlossen hatte, entwickelte sie eine Neigung, immer das Gegenteil von dem zu tun, was verlangt wurde. Sie verschwand im unpassendsten Augenblick spurlos und machte ganz zufällig Entdeckungen, an denen sich die bedeutendsten Gelehrten unserer Zeit die Zähne ausbissen. Sie versteht es, Nutzen aus der Sympathie zu ziehen, die ihr entgegengebracht wird, und besitzt trotzdem eine Menge echter Freunde. Wir als Eltern haben's manchmal ziemlich schwer mit ihr. Schließlich können wir nicht die ganze Zeit zu Hause sitzen und auf sie aufpassen: Ich arbeite im Zoo, und Alissas Mutter baut Häuser, oftmals sogar auf anderen Planeten. Ich möchte Alissas Lehrerin im vorhinein warnen - auch sie wird es gewiß nicht leicht haben. Schon deshalb wäre es gut wenn sie die Geschichten, die sich im Laufe der letzten drei Jahre mit dem Mädchen Alissa an den verschiedensten Orten der Erde und im Kosmos wirklich zutrugen, aufmerksam anhörte. Ich wähle eine Nummer Alissa schlief noch nicht. Es ging bereits auf zehn, aber sie war noch immer wach. Ich sagte:
"Schlaf jetzt Alissa, sonst..."
"Was sonst', Papa?"
"Sonst videofoniere ich mit der Baba-Jaga."
"Die Baba-Jaga, wer soll das sein?"
"Na, das sollten Kinder eigentlich wissen. Baba-Jaga Knochenbein ist eine böse alte Frau, die
kleine Kinder ißt. Ungezogene Kinder."
"Warum tut sie das?"
"Weil sie eben böse ist und Hunger hat."
"Und warum hat sie Hunger?"
"Weil es in ihrer Hütte keine Lebensmittelleitung gibt."
"Aber warum gibt es die nicht?"
,Weil ihre Hütte ganz, ganz alt ist und im tiefen Wald steht."
Alissa fand das so interessant, daß sie sich im Bett aufsetzte. "Im tiefen Wald? Da arbeitet sie
wohl im Naturschutzgebiet!"
"Schlaf jetzt Alissa!"
"Du hast versprochen, die Baba-Jaga anzurufen. Ach bitte, Papi, ruf sie an." ,Na schön, wie du
willst. Aber du wirst es bereuen."
Ich ging zum Videofon und drückte wahllos ein paar Knöpfe. Ich war überzeugt, daß die Zahlen
keine Nummer ergeben würden und die Baba-Jaga so eben "nicht zu Hause" war. Doch das
erwies sich als Trugschluß. Der Videofonschirrn wurde immer heller, und dann erfolgte ein Klicken
- der Teilnehmer am anderen Ende der Leitung hatte die Empfangstaste betätigt. Noch ehe das
Bild aufgeflammt war, sagte eine schläfrige Stimme: "Botschaft des Mars am Apparat..."
"Na, wie sieht's aus, Papa, kommt sie?" rief Alissa aus dem Schlafzimmer.
"Sie ist schon im Bett", erwiderte ich ärgerlich.
"Hier die Botschaft des Mars!" wiederholte die Stimme.
Ich wandte mich wieder dem Videofon zu. Ein noch junger Marsmensch sah mich an, er hatte
grüne wimpernlose Augen.
„Entschuldigen Sie bitte, ich hab mich wohl in der Nummer geirrt."
Der Marsianer lächelte, doch er schaute nicht mich an, sondern jemanden hinter mir. Natürlich,
Alissa war aus dem Bett geklettert und stand barfuß auf dem Fußboden.
"Guten Abend", sagte sie zu dem Marsianer.
"Guten Abend, Kleine."
"Die Baba-Jaga lebt also bei Ihnen?"
Der Marsmensch sah mich fragend an.
"Alissa konnte nicht einschlafen", erklärte ich, "da wollte ich die Baba-Jaga anrufen, damit sie ein
ernsthaftes Wort mit ihr spricht. Aber ich hab die falsche Nummer gewählt."
Der Marsianer lächelte abermals. "Gute Nacht, Alissa. Du mußt fein schlafen, sonst ruft dein Papa
die Baba-Jaga."
Der Fremde verabschiedete sich von mir und schaltete ab.
"Na, wirst du jetzt endlich schlafen? Du hast doch gehört, was der Onkel vom Mars sagte."
ja, werd ich. Nimmst du mich mal auf den Mars mit?"
"Aber nur, wenn du dich anständig aufführst. Wir fliegen im Sommer."
Endlich war Alissa eingeschlafen, und ich ging wieder an die Arbeit. Ich saß bis ein Uhr nachts,
plötzlich klingelte gedämpft das Videofon. Ich drückte auf die Taste - es war der Marsianer aus der
Botschaft.
"Entschuldigen Sie bitte, wenn ich so spät störe", sagte er, "aber da Ihr Videofon nicht
abgeschaltet ist, nehme ich an, daß Sie noch wach sind."
Ja, das stimmt."
"Wir wollten Sie um eine kleine Gefälligkeit bitten. Die ganze Botschaft ist auf den Beinen. Wir
haben das Videofonbuch studiert und sämtliche Enzyklopädien gewälzt, doch nirgends ein
Anhaltspunkt über die Baba-Jaga. Wer ist das bloß, und wo wohnt sie?"
Bronta Unser Moskauer Zoo erhielt eines Tages das Ei eines Brontosaurus. Chilenische Touristen hatten es nach einem Erdrutsch am Ufer des Jenissej gefunden. Das Ei war fast rund und in dem ewigen Frost ausgezeichnet erhalten geblieben Als unsere Spezialisten genauere Untersuchungen vornahmen, stellten sie fest, daß es noch ganz in Ordnung war. So wurde beschlossen, es im zooeigenen Inkubator auszubrüten.
Natürlich glaubten die wenigsten an einen Erfolg, doch schon eine Woche später zeigten Röntgenaufnahmen, daß sich der Keimling zu entwickeln begann. Kaum war diese Mitteilung über die Intervisionssender gegangen, reisten von überallher Wissenschaftler und Korrespondenten an. Obwohl wir das gesamte achtziggeschossige Hotel "Venus" in der Gorkistraße zur Verfügung stellten, fanden nicht alle Platz. Acht Paläontologen aus der Türkei übernachteten bei uns im Wohnzimmer, und zwei Korrespondentinnen von der Zeitschrift "Antarktische Frau" richteten sich in Alissas Zimmer ein. Ich selbst zog mich mit einem Journalisten aus Ekuador in die Küche zurück. Als unsere Mama abends aus Nukus anrief, wo gerade ein Stadion gebaut wird, glaubte sie an den falschen Teilnehmer geraten zu sein. Sämtliche Telesputniks der Welt sendeten Aufnahmen von dem Ei. Das Ei von vorn, das Ei von der Seite, das Ei neben Skeletten von Brontosauriern ... Der Kongreß der Kosmosphilologen, der gerade in Moskau tagte, kam in voller Besetzung zu einer Exkursion in den Zoo. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten wir den Zutritt zum Inkubator bereits untersagt, und so mußten sich die Philologen mit den Eisbären und Gottesanbeterinnen vom Mars begnugen. Am sechsundvierzigsten Tag dieses turbulenten Lebens platzte das Ei. Mein Freund Professor Yakata und ich saßen gerade neben der Glasglocke, unter der das Ei lag, und tranken Tee. Wir hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, daß dort je etwas herausklettern würde. Wir hatten nämlich, um unserein "Säugling" nicht zu schaden, auf weiteres Röntgen verzichtet. Und in Vermutungen konnten wir uns schon deshalb nicht ergehen, weil noch niemand vor uns einen Brontosaurus ausgebrütet hatte. Das Ei erzitterte jedenfalls, ruckte ein zweites Mal und . ... platzte. Durch die dicke lederartige Schale begann sich ein schwarzer, schlangenähnlicher Kopf zu arbeiten. Die automatischen Kameras fingen zu surren an. Ich wußte, daß in diesem Augenblick über der Tür des Inkubatoriums eine rote Lampe aufleuchtete. Auf dem Gelände des Zoos setzte so etwas wie Panik ein. Bereits fünf Minuten später hatten sich all jene eingefunden, die von Amts wegen hier sein mußten. Gleichzeitig kamen viele, die nicht unbedingt gebraucht wurden, doch dabeisein wollten. Es wurde sofort furchtbar heiß. Schließlich kämpfte sich ein winziger Brontosaurus ans Tageslicht. "Und wie soll er heißen, Papa?" hörte ich plötzlich eine nur allzu bekannte Stimme. "Alissa", rief ich erstaunt aus. "wie kommst du hierher!" "Ich hab mich an die Korrespondenten gehalten." "Aber Kinder dürfen hier nicht rein!" "Ich schon. Ich hab allen erzählt, daß ich deine Tochter bin, da haben sie mich durchgelassen." "Weißt du auch, daß es sich nicht gehört, verwandtschaftliche Beziehungen, für persönliche Zwecke auszunutzen?" "Aber Papa, der kleine Bronta langweilt sich vielleicht ohne Kinder, deshalb bin ich gekommen." Ich winkte resigniert ab. Ich hatte keine Minute frei, Alissa hinauszubefördern, und von den Umstehenden war niemand bereit, das für mich zu übernehmen. "Bleib hier stehen und rühr dich nicht vom Fleck", sagte ich. Dann eilte ich zur Glocke mit dem frisch geschlüpften Brontosaurus.
Den ganzen Abend sprach ich kein Wort mit Alissa. Wir hatten uns gestritten. Ich verbot ihr, sich
im Inkubator blicken zu lassen, doch sie erwiderte, sie könne in diesem Fall nicht gehorchen, da
ihr der arme Bronta leid täte. Und tatsächlich schummelte sie sich am nächsten Tag hinein,
diesmal mit einigen Kosmonauten vom Raumschiff "jupiter-8". Die Kosmonauten wurden als
Helden angesehen, und niemand vermochte ihnen eine Bitte abzuschlagen.
"Guten Morgen, Bronta", sagte Alissa, als sie bei der Glocke angelangt war.
Das Brontosaurusbaby sah sie scheel an.
"Wem gehört dieses Kind!" fragte Professor Yakata streng.
Ich hätte in den Erdboden versinken mögen.
Doch Alissa ist um eine Antwort nie verlegen. "Ich gefall Ihnen wohl nicht?" fragte sie zurück.
"Aber nein, ich bitte Sie..., ganz im Gegenteil ... Ich dachte nur, Sie hätten sich verlaufen..." Der
Professor konnte ganz und gar nicht mit kleinen Mädchen umgehen.
"Na schön", sagte Alissa, "morgen besuch ich dich wieder, Bronta, mach's bis dahin gut."
Wirklich fand sich Alissa am darauffolgenden Morgen erneut bei dem Brontosaurus ein. Und sie
kam immer wieder, fast täglich. Man hatte sich an sie gewöhnt und ließ sie widerspruchslos
passieren. Ich wusch meine Hände in Unschuld. Unser Haus steht gleich neben dem Zoo, sie braucht keine Straße zu überqueren, und Leute, die sie mit hinein nehmen, finden sich immer. Der Brontosaurus wuchs schnell heran. Nach einem Monat hatte er eine Länge von zweieinhalb Metern erreicht und wurde in einen speziell für ihn errichteten Pavillon umgesetzt. Er spazierte in seinem eingezäunten Gehege umher und kaute junge Bambustriebe sowie Bananen. Der Bambus wurde mittels Frachtraketen aus Indien herbeigeschafft, mit den Bananen versorgte uns der Sowchos "Bewässerte Felder". In einem Zementbecken inmitten des Geländes plätscherte warmes, mit Salz angereichertes Wasser, wie es der Brontosaurus liebte. Plötzlich jedoch verlor unser Schützling den Appetit. Drei Tage lang blieben Bambus und Bananen unangerührt. Am vierten Tag legte sich der Brontosaurus auf den Beckengrund, sein kleiner schwarzer Kopf ruhte auf der Plastumrandung. Es sah ganz so aus, als schickte er sich an zu sterben. Das aber konnten wir nicht zulassen, wir hatten ja nur den einen Brontosaurus. Die besten Tierärzte der Welt eilten zu Hilfe, doch umsonst. Bronta lehnte alles ab Gras, Vitamine, Apfelsinen, Milch. Alissa wußte nichts von dieser Tragödie. Ich hatte sie zur Großmutter nach Wnukowo geschickt. Doch am vierten Tag schaltete sie den Fernseher zufällig in dem Augenblick an, als es um die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes ging. Ich weiß nicht, wie sie es schaffte, die Großmutter zu überreden, jedenfalls erschien Alissa noch am gleichen Morgen im PavilIon. "Papa", rief sie, "wie konntest du mir das verheimlichen! Wie konntest du bloß!" "Später, Alissa, ich hab jetzt keine Zeit. Ich muß zur Besprechung." Und tatsächlich tagten wir seit drei Tagen fast ununterbrochen. Alissa entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen. Gleich darauf hörte ich den erschrockenen Ausruf eines Besuchers. Ich drehte mich um und sah, daß Alissa die Umzäunung bereits überwunden hatte und quer durchs Gehege zum Brontosaurus lief. In der Hand hielt sie ein Brötchen. "Iß, Bronta", sagte sie, "die lassen dich doch glatt verhungern. Ich an deiner Stelle hätte die ewigen Bananen auch satt." Ich hatte die Barriere noch nicht erreicht, als das Unwahrscheinliche geschah. Es brachte Alissa großen Ruhm ein, ließ uns, die Biologen, aber ziemlich dumm dastehen. Der Brontosaurus hob den Kopf, sah Alissa lange an und nahm ihr vorsichtig das Brötchen aus der Hand. Leise, Papa!" Alissa drohte mir mit dem Finger, als sie sah" daß ich über die Umzäunung klettern wollte. "Bronta hat Angst vor dir." "Keine Bange", sagte Professor Yakata, "er tut ihr nichts." Daß Alissa keine Gefahr drohte, sah ich selber. Doch was würde die Großmutter zu dieser Szene sagen! Danach stritten sich die Gelehrten lange. Sie streiten sich noch heute. Die einen behaupten, Bronta habe einen Nahrungswechsel gebraucht, andere sind der Meinung, sein Vertrauen zu Alissa sei größer als zu uns. Wie dem jedoch auch sein mag - die Krise war überwunden. Inzwischen ist Bronta ganz zahm. Obwohl er in der Länge fast dreißig Meter mißt gibt es kein größeres Vergnügen für ihn, als Alissa auf seinem Rücken spazierenzutragen. Einer meiner Assistenten hat eine spezielle Leiter gebaut und wenn Alissa den Pavillon betritt, streckt Bronta seinen langen Hals nach der Ecke aus, wo das Gerät steht. Er schnappt die Leiter mit seinen dreieckigen Zähnen und legt sie geschickt an seine schwarze glänzende Flanke. Alissa klettert hinauf, und er trägt sie im Pavillon umher oder schwimmt mit ihr im Becken. Die Tutexe Als ich zu einer Konferenz auf den Mars flog, nahm ich Alissa wie versprochen mit. Der Flug verlief ohne Zwischenfälle, allerdings vertrug ich die Schwerelosigkeit schlecht und zog es deshalb vor, in meinem Sessel zu bleiben. Meine Tochter dagegen schwebte die ganze Zeit durchs Raumschiff, und einmal mußte ich sie von der Decke der Steuerzentrale herunterholen, wo sie gar
zu gern einen roten Knopf gedrückt hätte. Es handelte sich um den Auslöser für die Notbremsen. Aber die Piloten waren ihr nicht allzu böse. Auf dem Mars angelangt, besichtigten wir die Stadt, fuhren mit Touristen in die Wüste und statteten den Großen Höhlen einen Besuch ab. Danach hatt e ich keine Zeit mehr, mich um Alissa zu kümmern, und gab sie für eine Woche in ein Internat. Auf dem Mars arbeiten viele Spezialisten von uns, deshalb haben uns die Marsianer geholfen, eine riesige Kuppel als Kinderstädtchen zu errichten. Dort ist es sehr schön - sogar richtige Erdenbäume wachsen. Manchmal unternehmen die Kinder auch Ausflüge; sie streifen ihre kleinen Skaphander über und gehen in einer Reihe auf die Straße hinaus. Tatjana Petrowna, die Erzieherin, sagte, ich brauchte mich um Alissa nicht zu sorgen, und auch Alissa beruhigte mich. Wir verabschiedeten uns für eine Woche voneinander. Doch am dritten Tag verschwand Alissa. Das war ein ganz außerordentliches Vorkommnis. Seit Bestehen des Internats war noch keins der Kinder verlorengegangen, nicht einmal für zehn Minuten. Auf dem Mars abhanden zu kommen ist nämlich ein Ding der Unmöglichkeit, zumal für ein Erdenkind im Skaphander. Der erstbeste Marsianer, der ihm begegnete, würde es zurückbringen. Dazu kommen die Roboter, der Notdienst ... Nein, auf dem Mars konnte wirklich niemand verlorengehen. Alissa aber verschwand trotzdem. Sie war schon fast zwei Stunden unauffindbar, als ich von der Konferenz abberufen und mit einem Springmobil, wie sie dortzulande verkehren, ins Internat gebracht wurde. Ich sah wohl recht mitgenommen aus, denn als ich in der Kuppel erschien, verstummten die Anwesenden teilnahmsvoll. Unwahrscheinlich, wie viele Leute sich dort versammelt hatten! Sämtliche Erzieher und Roboter des Internats, etwa zehn Marsianer im Skaphander (sie müssen die Raumanzüge überstreifen, wenn sie die mit Erdenluft angefüllte Kuppel betreten), einige Sternenflieger, Archäologen, Nasarjan, der Leiter der Rettungsmannschaft, und viele andere. Wie sich herausstellte, sandte die Fernsehstation der Stadt bereits seit einer Stunde alle drei Minuten die Mitteilung aus, daß ein kleines Erdenmädchen verschwunden war. Sämtliche Videofone auf dem Mars waren auf Notruf geschaltet der Unterricht war in allen Schulen unterbrochen worden. Die Schüler durchkämmten, aufgeteilt in kleine Trupps, die Stadt und ihre Umgebung. Alissas Verschwinden war gleich bemerkt worden, als ihre Gruppe vom Spaziergang zurückkehrte. Das lag, wie gesagt, zwei Stunden zurück. Der Sauerstoff in ihrem Skaphander aber reichte nur für drei Stunden. Da ich meine Tochter kannte, erkundigte ich mich, ob auch die verstecktesten Winkel im Internat selbst und seiner näheren Umgebung abgesucht worden wären. Vielleicht hatte Alissa irgendwo eine echte Mars-Gottesanbeterin aufgespürt und beobachtete sie . . . , Ich erhielt die Antwort, daß es in der Stadt keinerlei Kellergewölbe gäbe, das Internat aber von Schülern sowie Studenten der Mars-Universität gründlich durchstöbert worden wäre. Sie kannten sich in solchen Dingen aus. Ich war wütend auf Alissa. Gewiß würde sie gleich mit der unschuldigsten Miene der Welt aus irgendeiner Ecke hervorkommen. Dabei hatte ihr Verhalten mehr Unruhe in der Stadt gestiftet als ein Sandsturm. Alle Marsianer und Erdenbewohner der Stadt hatten ihre Arbeit unterbrechen müssen, der gesamte Rettungsdienst war auf den Beinen. Allmählich machte ich mir ernstlich Sorgen. Dieses Abenteuer konnte schlecht für sie enden. Inzwischen gingen laufend Meldungen der Suchtrupps ein: "Die Schüler des zweiten Mars-Vorgymnasiums haben das Stadion durchsucht. Von Alissa keine Spur", "Die Süßwarenfabrik des Mars teilt mit daß auf ihrem Gelände kein Kind gefunden wurde"... Und wenn ihr's nun tatsächlich gelungen ist bis zur Wüste vorzudringen? überlegte ich. In der Stadt hätte man sie längst finden müssen. Doch in der Wüste ... Die Wüsten auf dem Mars waren so gut wie unerforscht dort konnte jemand so gründlich verlorengehn, daß er selbst nach zehn
Jahren nicht entdeckt wurde. Ihre Randregionen aber waren mit Hilfe der Springmobile abgesucht
worden.
"Wir haben sie!" rief plötzlich ein Marsianer in blauem Kittel nach einem Blick auf seinen
Taschenfernseher.
"Wo denn, wo ist sie! Wo hat sie gesteckt?" Die Leute in der Kuppel gerieten in Aufregung.
"In der Wüste. Zweihundert Kilometer von hier."
"Zweihundert Kilometer?"
Natürlich, dachte ich, sie kennen Alissa nicht. Bei ihr ist alles drin.
"Dem Mädchen geht es gut sie wird bald hier sein."
"Wie ist sie bloß dorthin geraten?"
"Mit der Postrakete."
"Also da war's!" sagte Tatjana Petrowna und fing an zu weinen. Sie hatte sich am meisten
gegrämt.
Alle stürzten auf sie zu, um sie zu trösten.
"Wir sind nämlich am Postamt vorbeigegangen", erklärte sie, "als gerade die automatischen
Postraketen beladen wurden. Ich hab nicht weiter drauf geachtet, wir sehn so was hundertmal am
Tag."
Als zehn Minuten später ein Flugzeug Alissa zurückbrachte, fand sich des Rätsels Losung.
,Ich bin reingeklettert", sagte Alissa, um den Brief zu holen."
"Was für einen Brief?"
"Na, den von Mama. Du hast doch gesagt, Papa, daß sie uns schreiben wird. Da wollt ich mal
nachsehn, ob er vielleicht drin ist."
"Du bist in die Rakete geklettert?!"
"Na sicher. Die Luke war offen, und dahinter lag eine Menge Briefe."
"Und was geschah dann?"
"Ich war kaum drin, da klappte die Luke zu, und die Rakete flog ab. Ich wollte sie anhalten und
hab nach dem entsprechenden Knopf gesucht. Aber es gab unheimlich viele Knöpfe, und als ich
den letzten an der Reihe gedrückt hatte, ging die Rakete runter und die Tür wieder auf. Ich
kletterte ins Freie nichts als Sand um mich her. Keine Tante Tanja, keine Kinder."
"Sie hat die Taste für die Sofortlandung betätigt!" rief der Marsianer im blauen Kittel begeistert
aus.
„Zuerst hab ich ein bißchen geweint doch dann beschloß ich, mich auf den Heimweg zu machen."
"Und woher wußtest du die Richtung?"
"Ich bin auf einen kleinen Hügel geklettert, um Ausschau zu halten. Ich konnte aber nichts
entdecken. Doch in dem Hügel war eine Tür. Ich hab sie aufgemacht dahinter befand sich ein
Zimmer. Ich bin hineingegangen und hab mich dort hingesetzt."
"Was für eine Tür?" wunderte sich der Marsianer. "In dieser Region gibt's nichts als Wüste."
"Aber wenn ich's doch sage. Dort war eine Tür und ein Zimmer. Und in dem Zimmer befand sich
ein großer Stein. Wie eine ägyptische Pyramide, nur kleiner. Erinnerst du dich, Papa, du hast mir
mal was über die ägyptische Pyramide vorgelesen.. ."
Alissas Behauptung versetzte den Marsianer im blauen Kittel und auch Nasarjan, den Leiter der
Rettungsmannschaft, in helle Aufregung.
"Das müssen die Tutexe sein!" riefen sie aus.
"Wo genau ist das Mädchen gefunden worden? Wir brauchen die Koordinaten!"
Die Hälfte der Anwesenden war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt. Tatjana Petrowna
aber, die es sich nicht nehmen ließ, Alissa eigenhändig ein Essen vorzusetzen, erzählte mir, daß
auf dem Mars vor vielen tausend Jahren die geheimnisvolle Zivilisation der Tutexe existiert hatte.
Von ihr zeugten einige kleine Steinpyramiden, in der Wüste versprengt und von Sand verschüttet.
Doch weder den Marsianern noch den Erdenarchäologen war es bisher gelungen, ein einziges
größeres Bauwerk aufzuspüren. Nun aber war Alissa zufällig auf eins gestoßen.
"Da hast du ja wieder mal Glück gehabt", sagte ich. "Trotzdem. bring ich dich unverzüglich nach
Hause. Dort kannst du verlorengehen, soviel du willst. Ohne Skaphander."
"Mir ist es auch lieber, ich geh zu Hause verloren", erwiderte Alissa.
Zwei Monate später las ich in der Zeitschrift "Rund um die Welt" einen Artikel mit der Überschrift
"Neues über die Zivilisation der Tutexe". Darin wurde geschildert, daß es in der Marswüste endlich
gelungen sei, überaus wertvolle Denkmale der Tutex-Kultur zu entdecken. Gegenwärtig seien die
Gelehrten dabei, aufgefundene Inschriften zu dechiffrieren. Von besonderem Interesse sei aber
die noch vorzüglich erhaltene Abbildung eines Tutex-Vertreters auf einer der kleinen Pyramiden.
Und neben dem Artikel war ein Foto der Pyramide mit jener Abbildung veröffentlicht.
Die Zeichnung kam mir bekannt vor, und ein schrecklicher Verdacht überfiel mich.
"Alissa", fragte ich streng, "sag mir ganz ehrlich, ob du irgendwas an die Pyramide gemalt hast,
als du in der Wüste verlorengegangen warst?"
Bevor Alissa antwortete, kam sie zu mir und betrachtete aufmerksam das Foto in der Zeitschrift.
"Aber ja doch, Papa, das sollst du sein. Nur hab ich das nicht gemalt, sondern mit einem kleinen
Stein eingeritzt. Es war dort so langweilig.. ."
Der schüchterne Schuscha Alissa hat viele Tiere zu Bekannten: zwei Kätzchen; eine Gottesanbeterin vom Mars, die bei ihr unterm Bett wohnt und nachts balalaikaähnliche Laute von sich gibt; einen Igel, der es allerdings nicht lange bei uns aushielt und schon bald in den Wald zurückging; den Brontosaurus Bronta ihn besucht Alissa im Zoo; und schließlich den Hund Rex, einen klitzekleinen Dackel, der meiner Meinung nach nicht allzu reinrassig ist. Ein weiteres Tier nahm Alissa in ihre Sammlung auf, als die erste Sirius Expedition zurückgekehrt war. Den Leiter dieser Expedition, einen gewissen Poloskow, hatte Alissa auf der Maidemonstration kennengelernt. Wie sie das angestellt hat weiß ich nicht - sie hat weitreichende Verbindungen. Jedenfalls befand sie sich unter jenen Kindern, die den Kosmonauten Blumen überreichen durften. Stellt euch meine Verwunderung vor, als ich im Fernsehen plötzlich Alissa über den Platz laufen seh, mit einem Riesenstrauß hellblauer Rosen, größer als sie selbst die sie Poloskow höchstpersönlich überreichte. Poloskow nahm meine Tochter auf den Arm, sie schauten sich den Demonstrationszug
gemeinsam an und gingen auch zusammen weg. Alissa kam erst gegen Abend nach Hause, eine
große rote Tasche in der Hand.
"Wo warst du?" fragte ich.
"Die meiste Zeit im Kindergarten", antwortete sie.
"Und die wenigere Zeit?"
"Wir waren alle auf dem Roten Platz."
"Aber hinterher?"
Alissa begriff, daß ich ferngesehen hatte, und erklärte: "Ich bin gebeten worden, Blumen zu
überreichen."
"Wer hat dich gebeten?"
"Ach, ein Genosse, den du nicht kennst."
"Hör mal, Alissa, du weißt doch, was man unter körperlicher Züchtigung versteht?"
"Natürlich, das ist, wenn einer Prügel kriegt. Aber das gibts nur im Märchen."
"Ich fürchte, daß dieses Märchen bald Wirklichkeit wird. Warum drückst du dich bloß immer an
Orten rum, wo du nichts zu suchen hast!"
Alissa wollte gerade die Beleidigte spielen, da bewegte sich plötzlich die rote Tasche in ihrer
Hand.
"Was ist denn das wieder?"
"Ein Geschenk von Poloskow."
"Du hast ihn um ein Geschenk angebettelt? Na, das ist wohl das letzte!"
"Ich hab kein bißchen gebettelt. Das ist übrigens Schuscha. Ein kleiner Schuscha, ein
Schuschajunges sozusagen. Poloskow hat einige von diesen Tierchen vom Sirius mitgebracht."
Alissa holte vorsichtig ein kleines Wesen mit sechs Pfoten aus der Tasche, das Ähnlichkeit mit
einem winzigen Känguruh besaß. Das Schuschajunge hatte große Libellenaugen, die es Blitzschnell kreisen ließ, während es sich mit dem oberen Pfotenpaar an Alissas Jacke festkrallte. "Siehst du, er hat mich schon lieb", sagte Alissa. "Ich mach ihm jetzt sein Bett." Ich kannte die Geschichte mit den Schuschas. Alle waren darüber informiert doch wir Biologen am genauesten. Wir hatten bereits fünf Exemplare in unserem Zoo und erwarteten dieser Tage Nachwuchs. Poloskow und seine Expedition hatten auf einem der Planeten im System des Sirius dieses Leben entdeckt. Es handelte sich bei den freundlichen harmlosen Tieren, die keinen Schritt von der Seite der Kosmonauten wichen, um Säuger, auch wenn sie ihrem Verhalten nach an Pinguine erinnerten. Genauso neugierig waren und ständig versuchten, an die unmöglichsten Stellen zu gelangen. Bauer, Poloskows Gehilfe, mußte einmal sogar ein Schuschajunges retten, das um ein Haar in einer großen Büchse eingedickter Kondensmilch ertrunken wäre. Die Expedition brachte einen ganzen Film über die Schuschas mit, der in sämtlichen Videokinos der Erde mit Erfolg lief. Leider blieb den Kosmonauten nicht genügend Zeit stets und ständig auf diese Tiere aufzupassen. Bereits frühmorgens fanden sich die Schuschas im Lager ein und verschwanden erst bei Anbruch der Dunkelheit irgendwohin in die Berge. So entdeckte Poloskow, als sich die Expedition bereits wieder auf dem Rückflug befand, in einem der Segmente drei Schuschas, die sich offenbar im Raumschiff verirrt hatten. Zwar glaubte er zunächst einer seiner Manner hätte die drei heimlich aufs Schiff geschmuggelt doch die Verwunderung seiner Kollegen war so echt daß er seinen Verdacht bald fallenließ. Das Auftauchen der Schuschas brachte eine Menge zusätzlicher Probleme. Erstens konnten sie vielleicht eine Quelle unbekannter Krankheiten sein; zweitens würden sie womöglich den Beschleunigungsdruck nicht verkraften und zugrunde gehen; drittens wußte niemand, wovon sie sich ernährten, und so fort. Doch die Befürchtungen erwiesen sich als grundlos. Die Tiere vertrugen die Desinfizierung bestens, sie verspeisten auch gehorsam Brühe und konserviertes Obst was ihnen übrigens die ausgesprochene Feindschaft Bauers einbrachte. Er liebte Kompott über alles, mußte aber in den letzten Monaten der Expedition darauf verzichten - es wurde von den "Gästen" aufgefressen. Auf der langen Reise brachte ein Schuschaweibehen sechs Junge zur Welt so daß das Raumschiff mit einer stattlichen Anzahl dieser Tiere auf der Erde landete. Es waren nette, verständige Wesen, die niemandem außer Bauer auch nur die geringsten Ungelegenheiten bereiteten. Ich erinnere mich noch genau an den historischen Augenblick, als das Raumschiff landete. Unter den Augen der Film- und Fernsehkameras fuhr die Luke auf, doch statt der Kosmonauten stand ein merkwürdiges sechsbeiniges Tier in der Öffnung. Und hinter ihm tauchten, etwas kleiner, einige gleichgear tete auf. Ein Seufzer des Erschreckens ging um die Welt, verstummte aber, als nach den Schuschas lächelnd Poloskow zum Vorschein kam. - Er trug ein Schuschajunges auf dem Arm, das über und über mit Kondensmilch bekleckert war ... Ein Teil der Tiere gelangte in den Zoo, andere blieben bei den Kosmonauten, die inzwischen ihr Herz an sie gehängt hatten. Poloskows Schuscha aber erhielt letzten Endes Alissa. Sie hatte es Gott weiß wie geschafft, den gestrengen Poloskow zu erweichen. Der Schuscha bekam sein Domizil in einem großen Korb neben Alissas Bett. Er verlangte kein Fleisch, schlief nachts, hielt Freundschaft mit den beiden Kätzchen, fürchtete die Gottesanbeterin und maunzte leise vor sich hin, wenn Alissa ihn streichelte oder ihm von ihren Erfolgen und Sorgen erzählte. Der Schuscha wuchs schnell heran und war nach zwei Monaten bereits so groß wie Alissa. Sie gingen im Gärtchen gegenüber spazieren, und meine Tochter verzichtete darauf, ihm ein Halsband umzulegen. "Wenn er nun jemanden erschreckt", fragte ich, "oder unters Auto gerät?" "Er erschreckt niemanden. Außerdem würde ihn ein Halsband kränken, er ist nämlich sehr empfindsam."
Eines Abends konnte Alissa nicht einschlafen. Sie spielte sich auf und verlangte, ich solle ihr etwas über Doktor Aibolit vorlesen. "Ich hab keine Zeit, Kindchen", sagte ich, "muß arbeiten. Außerdem könn test du langsam selber anfangen, Bücher zu lesen." "Das ist gar kein Buch, sondern ein Mikrofilm, und da sind die Buchstaben so klein." "Du kannst den Film ja abhören, brauchst nur den Ton einzuschalten." "Es ist mir aber zu kalt zum Aufstehn." "Dann warte einen Augenblick. Ich schReibe nur zu Ende und schalte ein." "Wenn du keine Zeit hast bitte ich den Schuscha." "Das kannst du gern tun", ich lächelte. Eine Minute später hörte ich aus dem Nebenzimmer die sanfte Mikrofilmstimme: "...Und dann hatte Doktor Aibolit noch einen Hund mit Namen Awwa." War Alissa also doch aufgestanden und hatte sich zum Schalter hochgereckt. "Marsch ins Bett", rief ich, "sonst erkältest du dich!" "Ich bin doch im Bett." "Schwindeln ist häßlich. Wer soll den Mikrofilm eingeschaltet haben, wenn nicht du?" "Na, der Schuscha." Ich kann es nicht ausstehn, wenn meine Tochter flunkert, deshalb legte ich die Arbeit beiseite und ging zu ihr. Ich wollte ein ernstes Wort mit ihr reden. Der Bildschirm befand sich an der Wand. Der Schuscha hantierte vor dem Mikroprojektor, und gleich darauf sah man die unglücklichen Tiere, die sich vor der Tür des guten Doktor Aibolit drängten. "Wie hast du es geschafft, Ihn so zu dressieren?" fragte ich ehrlich überrascht. "Ich hab ihn kein bißchen dressiert. Er konnte das von allein." Der Schuscha machte verlegen Männchen. Ein betretenes Schweigen herrschte. "Nun mal ehrlich . . .", sagte ich. "Entschuldigen Sie bitte", die hohe, etwas heisere Stimme, die unvermutet ertönte, gehörte dem Schuscha. .Ich hab das wirklich allein gelernt. Ist doch nicht schwer.“ „Was sagen Sie da?" "Es ist nicht schwer", wiederholte der Schuscha. "Sie haben Alissa vorgestern das Märchen vom König der Gottesanbeterinnen gezeigt." "Darum geht es ja gar nicht. Wie haben Sie sprechen gelernt?" "Wir haben ein bißchen geübt". sagte Alissa. "Nun versteh ich überhaupt nichts mehr! Dutzende Biologen arbeiten mit den Schuschas, und kein einziges Mal hat eins der Tiere auch nur ein Wort herausgebracht. "Unser Schuscha kann sogar lesen Das kannst du doch. nicht wahr?" "Ein bißchen." "Er erzählt mir 'ne Menge interessanter Sachen", sagte Alissa. "ihre Tochter und ich sind die besten Freunde." .,Aber wieso haben Sie die ganze Zeit geschwiegen?'* "Er ist sehr schüchtern". antwortete Alissa für ihn. Der Schuscha schlug die Augen nieder. Das Gespenst Den Sommer über wohnen wir In Wnukowo. Das ist sehr bequem, weil wir mit der Einschienenbahn hinfahren können. Von der Station aus sind es nur noch fünf Minuten Fußweg bis zu unserer Datsche. Im Wald auf der anderen Seite des Weges wachsen Birkenpilze und Rotkappen, allerdings gibt es weit weniger davon als Pilzsammler. Ich fuhr vom Zoo aus direkt nach Wnukowo; statt mich zu erholen, geriet ich aber mitten in den Vororttrubel. Den Mittelpunkt bildete unser Nachbarjunge Kolja, der in ganz Wnukowo dafür bekannt war, daß er den anderen Kindern das Spielzeug wegnahm. Sogar ein Psychologe aus Leningrad war seinetwegen schon dagewesen und hatte hinterher eine Dissertation über ihn
geschrieben. Während sich der Psychologe gründlich mit dem Jungen beschäftigte, naschte Kolja
nur den ganzen Tag Konfitüre und nörgelte ständig herum. Um ihn günstig zu stimmen, brachte
ich ihm eine dreirädrige Photonenrakete aus der Stadt mit.
Neben Kolja gab es dort draußen noch seine Großmutter, die gern über Genetik sprach und einen
Roman über Mendel schrieb, außerdem Alissas Großmutter und den Jungen Jura mit seiner
Mutter Karma. Nicht zu vergessen die Drillinge aus der Nebenstraße, die immer im Chor unter
meinem Fenster sangen, und schließlich das Gespenst.
Das Gespenst wohnte irgendwo unter dem Apfelbaum und war noch nicht lange da. Außer Alissa
und Koljas Großmutter glaubte freilich niemand an seine Existenz.
Ich saß mit Alissa auf der Terrasse und wartete darauf, daß der neue Roboter aus der
Scholkowoer Fabrik den Grießbrei zubereitete. Der Roboter hatte bereits zum zweiten Mal einen
Kurzschluß, und wir schimpften tüchtig auf die Herstellerfirma. Dennoch hatten wir keine Lust. uns
selber ans Kochen zu machen. Die Großmutter aber war im Theater.
Plötzlich sagte Alissa: "Heute kommt er."
"Wer er?
"Der Gespenst."
"Gespenst ist sächlich". berichtigte ich automatisch, ohne den Roboter aus den Augen zu lassen.
"Meinetwegen", stimmte Alissa zu, "trotzdem kommt er. Und Kolja hat den Drillingen die Nüsse
weggenommen, ist das nicht gemein?"
"Ganz gemein. Aber was ist mit dem Gespenst?" "Er ist gut."
"Bei dir sind alle gut."
"Außer Kolja."
"Einverstanden, außer Kolja ... Wenn Ich dir ein feuerspeiendes Ungeheuer mitbrächte, würdest
du dich auch mit dem anfreunden."
"Wahrscheinlich. Ist das Ungeheuer lieb?"
"Darüber konnte sich bisher noch niemand mit ihm unterhalten. Das Tier stammt nämlich vom
Mars und verspritzt kochendes Gift.
"Na, da ist es bestimmt gekränkt worden. Warum habt ihr es überhaupt vom Mars
weggeschleppt?"
Darauf wußte ich nichts zu antworten - was wahr ist, muß wahr bleiben. Das Tier war wirklich nicht
gefragt worden, als man es einfing. Unterwegs dann, auf dem Raumschiff "Kaluga", hatte es den
Lieblingshund der Besatzung verspeist, was ihm die Antipathien sämtlicher Kosmonauten
einbrachte.
"Also was ist nun mit dem Gespenst?" Ich zog es vor, das Thema zu wechseln. "Wie sieht es
aus?"
"Er erscheint nur, wenn es dunkel ist."
"Natürlich. Das war schon von jeher so. Koljas Großmutter hat dir anscheinend zu viele Märchen
erzählt."
"Koljas Großmutter erzählt immer nur über die Geschichte der Genetik. Wie Mendel verfolgt wurde
und so."
"Und wie reagiert dein Gespenst auf Hahnengeschrei?“
"Na gar nicht, wieso?"
"'Weil ein richtiges Gespenst unter fürchterlichen Verwünschungen zu verschwinden hat. wenn im
Morgengrauen der Hahn kräht:
"Wegen dem Hahn muß ich nachher gleich mal fragen.“
"In Ordnung."
"Dann geh ich heut also später schlafen? Wo ich mich doch mit dein Gespenst unterhalten muß."
"Meinetwegen. Aber genug! Der Roboter hat den Brei fertig."
Alissa machte sich ans Essen und ich mich an die wissenschaftlichen Aufzeichnungen aus dem
Zoo von Gwian. An einen hochinteressanten Artikel Über die Beißwütigen. Eine Revolution auf
dem Gebiet der Zoologie. Es war gelungen, die Beißwütigen in der Gefangenschaft zu züchten.
Die Nachkommen dieser Tiere kamen dunkelgrün zur Welt, obwohl beide Eltern einen hellblauen
Panzer besaßen.
Es wurde dunkel, und Alissa sagte: "Also ich geh jetzt."
"Wohin denn?"
"Zum Gespenst. Du hast es mir doch erlaubt."
"Ich hab gedacht, das sei Spaß", erwiderte ich. "Also schön, wenn du unbedingt noch in den
Garten willst ... Aber zieh eine Jacke über, es ist kühl geworden. Und geh nicht weiter als bis zum
Apfelbaum, ist das klar?"
"Weiter brauch ich sowieso nicht, er wartet dort auf mich."
Alissa lief in den Garten, und ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Ich wollte nicht in ihre
Phantasiewelt eindringen. Sollte sie sich ruhig von Gespenstern., Zauberinnen, tapferen Rittern
und gütigen, vom blauen Märchenplaneten stammenden Riesen umgeben fühlen ... Natürlich nur
unter der Bedingung, daß sie regelmäßig aß und rechtzeitig schlafen ging.
Ich löschte das Licht auf der Veranda, um Alissa ungestört beobachten zu können. Da stand sie
auch schon unter dem alten, ausladenden Apfelbaum.
Plötzlich jedoch ... Vom Baumstamm löste sich ein bläulicher Schatten und bewegte sich auf
Alissa zu. Der Schatten schien in der Luft zu schwimmen, ohne das Gras zu berühren.
Im nächsten Augenblick hatte ich etwas Schweres in der Hand und stürmte, drei Stufen auf einmal
nehmend, die Treppe hinunter. Was sich im Garten abspielte, gefiel mir ganz und gar nicht.
Entweder trieb da jemand einen üblen Scherz, oder ... Vom "oder" allerdings hatte ich nicht die
geringste Vorstellung.
"Vorsichtig, Papa", flüsterte Alissa beschwörend, als sie meine Schritte hörte, "du verjagst ihn
doch!"
Ich schnappte Alissas Hand. Die bläuliche Silhouette vor mir löste sich in Luft auf.
"Was hast du bloß angestellt, Papa, um ein Haar hätte ich ihn gerettet!" Alissa begann, während
ich sie zur Terrasse trug, fürchterlich zu zetern.
Was war das eben unter dem Apfelbaum? überlegte ich. Eine Halluzination?
"Warum hast du das gemacht?" heulte Alissa. "Du hast doch versproeben . . ."
"Ich hab gar nichts gemacht", erwiderte ich. "Es gibt keine Gespenster."
"Aber du hast ihn selber gesehn, warum schwindelst du? Er verträgt nämlich nicht den geringsten
Lufthauch. Verstehst du denn nicht, daß man sieh ihm ganz langsam nähern muß, weil's ihn sonst
wegbläst?"
Ich wußte nicht. was ich darauf antworten sollte. Nur eins war mir klar: So bald Alissa
eingeschlafen war, würde ich mit der Laterne den Garten absuchen.
"Dabei hat er mir einen Brief für dich mitgegeben. Aber du bekommst ihn nicht."
"Was für einen Brief?"
"Du kriegst ihn nicht."
Ich bemerkte ein Stück Papier in Alissas Faust. Meine Tochter sah mich
an, ich sie, und schließlich rückte sie das Blatt doch heraus.
Auf dem Zettel hatte ich kürzlich den Ernährungsplan für die roten Krumse notiert. Ich suchte ihn
seit drei Tagen.
"Wo hast du das gefunden, Alissa?"
"Du mußt den Zettel umdrehn. Der Gespenst hatte kein Papier bei sich, deshalb hab ich ihm ein
Blatt von dir gegeben."
Auf der Rückseite stand mit fremder Handschrift auf englisch:
Sehr geehrter Professor! Ich wage es, mich an Sie zu wenden, weil ich in eine unangenehme Situation geraten bin, aus der ich mich nicht ohne fremde Hilfe befreien kann. Leider ist es mir auch nicht möglich, den Radius von einem Meter zu verlassen, dessen Zentrum Ihr Apfelbaum bildet. In meiner jämmerlichen Verfassung bin ich nur im Finstern zu sehen. Dank Ihrer Tochter, diesem zartfühlenden und mitleidigen Wesen, ist es mir endlich gelungen, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen.
Ich, Professor Kuraki, bin das Opfer eines mißglückten Experiments. Ich arbeite an Versuchen zur Teleportation, und es ist mir auch geglückt, zwei Puten sowie eine Katze von Tokio nach Paris zu schicken, wo sie von meinem Kollegen wohlbehalten in Empfang genommen wurden. Doch ausgerechnet an dem Tag, da ich den Versuch an mir selbst erproben wollte, brannten die Sicherungen im Labor durch, so daß die Energie für den Transport nicht mehr ausreichte. Ich löste mich im Raum auf, wobei sich der kompaktere Teil meines Körpers auf dem Territorium Ihrer hochgeschätzten Datsche befindet. In dieser beschämenden Verfassung vegetiere ich nun schon die zweite Woche dahin, und meine Kollegen halten mich gewiß für tot. Ich flehe Sie an, schicken Sie sofort nach Erhalt des Briefes ein Telegramm nach Tokio. Sie sollen die Sicherungen in meinem Labor reparieren, damit ich mich wieder materialisieren kann. Mit Dank im voraus! Kuraki. Ich starrte lange ins Dunkel unter dem Apfelbaum. Dann verließ ich die Terrasse und ging näher
an den Stamm heran. Ein mattblaues, kaum wahrnehmbares Leuchten schwankte vor mir. Als ich
genauer hinsah, gewahrte ich die Umrisse eines Menschen. Das "Gespenst" hob, wie mir
scheinen wollte, verzweifelt die Hände zum Himmel.
Ich verlor keine Sekunde mehr, rannte zur Bahn und videofonierte von der Station aus mit Tokio.
Die Angelegenheit nahm zehn Minuten in Anspruch.
Erst auf dem Heimweg fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, Alissa ins Bett zu bringen. Ich legte
einen Schritt zu.
Das Licht auf der Terrasse brannte noch. Alissa führte einem nicht sehr großgewachsenen,
abgemagerten Japaner ihr Herbarium und die Schmetterlingssammlung vor. Der Mann hielt eine
kleine Kasserolle in der Hand und aß andächtig, ohne den Blick von Alissas Schätzen zu wenden,
den darin befindlichen Grießbrei.
Als der Gast mich erblickte, verneigte er sich tief und sagte: "Professor Kuraki, Ihr ewiger Diener.
Sie und Ihre Tochter haben mir das Leben gerettet."
Jawohl, Papa, das ist der Gespenst, von dem ich dir erzählt habe", sagte Alissa. "Glaubst du jetzt
an Gespenster?"
Ja", antwortete ich, "jetzt glaub ich dran. Sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen."
Die verschwundenen Gäste Die Vorbereitungen zum Empfang der Labuzilzen besaßen eine gewisse Feierlichkeit denn noch nie hatten Gäste von einem so fernen Stern das Sonnensystem besucht. Als erste hatte die Station auf dem Pluto die Signale der Labuzilzen aufgefangen, und schon drei Tage später stellte das Observatorium von Londel Funkkontakt mit ihnen her. Die Labuzilzen befanden sich noch weit weg, doch das Kosmodrom Scheremetjewo-4 war zu ihrem Empfang voll gerüstet. Die Mädchen von der "Roten Rose" hatten den Platz mit Blumengirlanden geschmückt und die Studenten der Hochschule für Poesie probten ein letztes Mal ihr musikalisch-literarisches Programm. Sämtliche Botschaften hatten sich Plätze auf den Tribünen reservieren lassen, und die Korrespondenten hatten gleich im Flughafenrestaurant übernachtet. Alissa hielt sich zwar in nächster Nähe des Ankunftsortes, auf der Datsche in Wnukowo auf, war jedoch mit ihrem Herbarium beschäftigt. Ihre Sammlung sollte schöner werden als die von Wanja Spitz, einem Jungen aus der ältesten Gruppe. Deshalb war meine Tochter auch nicht an den festtäglichen Vorbereitungen beteiligt. Mehr noch, sie wußte nicht mal was davon. Ich selber hatte ebenfalls nicht direkt mit dem Empfangstrubel zu tun. Meine Arbeit würde beginnen, wenn die Labuzilzen gelandet waren.
Doch die Ereignisse entwickelten sich anders als geplant. Am 8. März meldeten die Labuzilzen, daß sie die Umlaufbahn erreicht hätten. Fast zur gleichen Zeit aber kam es durch Zufall zu einem Mißgeschick. Statt des Raumschiffs der Labuzilzen peilten die Flugleitzentren den schwedischen Sputnik "Nobel-29" an, der vor zwei Jahren verlorengegangen war. Als sie den Irrtum bemerkten, war das Schiff der Labuzilzen aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden. Es setzte bereits zur Landung an, so daß die Verbindung mit ihm zeitweise unterbrochen war. Am 9. März, 6.33 Uhr, meldeten die Labuzilzen, daß sie im Gebiet 55°20' nördlicher Breite und 37°40' östlicher Länge des Erdkoordinatensystems niedergegangen wären, mit einer möglichen Abweichung von 15' - das hieß unweit von Moskau. Dann riß der Funkkontakt endgültig ab und konnte auch in der Folge von einer einzigen Ausnahme abgesehen, auf die ich noch zu sprechen komme - nicht wieder hergestellt werden. Offenbar übte die Erdenstrahlung eine verheerende Wirkung auf die Bordinstrumente der Labuzilzen aus. Kaum wurde die Landung der Gäste bekannt strömten Hunderte von Wagen und Tausende von Menschen zum angegebenen Landeort. Die Straßen waren mit Leuten verstopft die alle die Labuzilzen aufspüren wollten. Das Kosmodrom Scheremetjewo-4 lag wie ausgestorben da; kein einziger Korrespondent mehr im Flughafenrestaurant. Dafür war der Himmel über Moskau voller Hubschrauber, Spiral- und Schwingenflugzeuge, Wirbler und sonstiger Flugapparate. Es sah aus, als hingen Wolken riesiger Käfer über der Erde. Das Schiff der Labuzilzen würde entdeckt werden, selbst wenn es unter die Erdoberfläche geraten sein sollte. Trotzdem war es nicht aufzutreiben. Nicht einer der Ortsansässigen hatte beobachtet, daß ein Raumschiff niedergegangen war. Das verwunderte um so mehr, als fast alle Einwohner von Moskau und Umgebung in jenen Stunden zum Himmel geschaut hatten. Demnach mußte etwas schiefgegangen sein. Als ich gegen Abend von meiner Arbeit auf die Datsche kam, war der normale Lebensfluß desPlaneten gestört. Alle hatten Angst den Gästen könnte etwas zugestoßen sein. "Vielleicht sind sie aus Antimaterie", äußerte jemand in der Einschienen bahn, "und bei Eintritt in die Erdatmosphäre verglüht?" " Ohne Explosion, ohne jede Spur? Unsinn!" "Was wissen wir schon über die Eigenschaften der Antimaterie?" "Und wer hat die Landung gefunkt?" "Vielleicht ein Witzbold." "Schöner Witzbold. Dann müßte er auch mit dem Pluto gesprochen haben." "Und wenn sie nun unsichtbar sind?" "Unsere Instrumente hätten sie trotzdem wahrgenommen." Dennoch gewann die Theorie von der Unsichtbarkeit der Gäste immer mehr Anhänger ... Ich saß auf der Veranda und dachte: Vielleicht sind sie ganz in unsrer Nähe, auf dem benachbarten Feld gelandet stehen neben ihrem Schiff, die Ärmsten, und wundern sich, weshalb die Menschen keine Notiz von ihnen nehmen. Womöglich sind sie gekränkt und fliegen wieder ab ... Ich war schon im Begriff, zu dem Feld hinüberzugehn, als ich ein paar Leute bemerkte, die aus dem Wald kamen. Sie gingen in einer Reihe und hielten sich wie bei einem Ringelspiel an den Händen gefaßt. Ich begriff, daß meine Nachbarn auf den gleichen Gedanken gekommen waren wie ich und die Gegend nach den unsichtbaren Gästen absuchten. Im gleichen Augenblick begannen sämtliche Rundfunksender der Erde eine Meldung zu übermitteln, die ein Funkamateur aus Nordaustralien aufgefangen hatte. Darin wurden die bereits bekannten Koordinaten wiederholt dann folgten die Worte: "Wir befinden uns im Wald ... Haben die erste Grupppe auf die Suche nach den Menschen ausgeschickt. Verfolgen nach wie vor Ihre Rundfunkmeldungen. Sind verwundert über das Ausbleiben eines Kontakts..." Damit war die Verbindung zu Ende. Die Version von der Unsichtbarkeit der Gäste gewann augenblicklich weitere Millionen Anhänger.
Von der Terrasse aus konnte ich sehen, wie die Reihe der Datschenbesitzer haltmachte und
danach wieder in Richtung Wald schwenkte. In diesem Moment kam Alissa auf die Terrasse, mit
einem Körbchen Walderdbeeren in der Hand.
"Wo laufen die denn alle hin?" fragte sie, ohne mich zu begrüßen.
"Wer - sie? Zunächst einmal sagt man guten Tag, wenn man seinen einzigen Väter seit dem
Morgen nicht gesehen hat."
"Seit dem Abend. Ich hab ja noch geschlafen, als du wegfuhrst. Also dann: Guten Tag, Papa. Und
was ist nun passiert?"
"Die Labuzilzen sind verlorengegangen."
,Ich kenne keine Labuzilzen."
"Niemand kennt sie bisher."
"Wie können sie dann verlorengegangen sein?"
"Sie sind zu uns auf die Erde geflogen, sind gelandet und plötzlich verschwunden." Ich merkte,
daß meine Worte unsinnig klangen. Und doch stellten sie die reine Wahrheit dar.
Alissa sah mich mißtrauisch an: "Gibt's denn so was überhaupt?"
"Eigentlich nicht. Normalerweise jedenfalls."
"Sie haben wohl das Kosmodrom nicht gefunden?"
"Sieht ganz so aus."
"Und wo sind sie verlorengegangen?"
"Irgendwo bei Moskau. Möglicherweise gar nicht weit von hier."
"Deshalb sucht man sie jetzt mit Hubschraubern und zu Fuß, ja?"
"Genau."
"Aber warum kommen sie nicht selber?"
"Wahrscheinlich warten sie darauf, daß die Menschen sie begrüßen. Immerhin sind sie das erste
Mal auf der Erde und wollen ihr Raumschiff nicht allein lassen."
Alissa schwieg. Meine Antwort schien sie zufriedengestellt zu haben. Sie ging, das Körbchen mit
den Erdbeeren nicht aus den Händen lassend, zweimal über die Terrasse und fragte dann: "Sind
sie auf dem Feld oder im Wald?"
„Im Wald."
„Woher weißt du das?"
"Sie haben es selbst gesagt. Im Radio."
„Das ist gut."
„Was ist gut?"
„Daß sie nicht auf dem Feld sind."
"Wie meinst du das?"
"Ich hatte schon Angst ich wäre ihnen begegnet!"
"Was soll das nun wieder heißen?!"
"Ach nichts weiter, war bloß Spaß."
Ich sprang von meinem Stuhl auf. Alissa dachte sich manchmal die seltsamsten Dinge aus ...
"Ich war nicht im Wald, Papa, Ehrenwort nur auf der Lichtung. Also muß ich jemand anderen
gesehen haben.".
"Los, Alissa, erzähl alles, was du weißt. Aber ohne etwas dazu zuflunkern. Hast du im Wald
eigenartige ... Leute gesehn?"
"Ich war nicht im Wald, wirklich!"
"Also gut, dann auf der Lichtung."
"Ich hab nichts Schlimmes angestellt. Und eigenartig waren sie auch nicht."
"Nun antworte endlich wie ein vernünftiger Mensch: Wen hast du wo gesehen? Quäl mich und in
mir nicht länger die ganze Menschheit!"
"Bist du denn die Menschheit?"
"Hör mal, Alissa..."
"Ist ja schon gut. Sie sind hier. Ich hab sie mitgebracht."
Ich drehte mich unwillkürlich um. Die Terrasse war leer. Außer uns beiden nur eine quirlige
Hummel.
"Ach du guckst in die ganz falsche Richtung!" Alissa seufzte, kam näher zu mir heran und sagte:
"Eigentlich wollte ich sie ja für mich behalten. Ich wußte doch nicht, daß die Menschheit sie sucht."
Sie hielt mir das Körbchen mit den Erdbeeren hin, hielt es mir dicht vor die Augen, und ich
gewahrte darin - ich wollte es zunächst selbst nicht glauben - zwei winzige Gestalten im
Skaphander. Sie waren mit Erdbeersaft beschmiert und saßen zu zweit auf einer Beere.
"Ich hab ihnen bestimmt nicht weh getan", sagte Alissa schuldbewußt. "Ich dachte, das wären
Zwerge aus dem Märchen."
Aber ich hörte schon nicht mehr, was sie sagte. Das Körbchen behutsam an mich drückend,
rannte ich zum Videofon, ich sagte mir, daß unser Gras ja der reinste Hochwald für sie sein
mußte.
So kam es zu unserer ersten Begegnung mit den Labuzilzen.
Unser Mann in der Vergangenheit Die öffentliche Erprobung der Zeitmaschine wurde im Haus der Wissenschaftler durchgeführt im Kleinen Saal. Ich holte Alissa aus dem Kindergarten ab, merkte dann aber, daß ich zu spät zu dem Versuch käme, wenn ich sie erst noch nach Hause brächte. Also ließ ich mir ihr Ehrenwort geben, sich anständig zu verhalten, und nahm sie zu dem Test mit.
Der Vertreter des Zeitinstituts, ein sehr großer, sehr glatzköpfiger Mann, stand vor der
Zeitmaschine und erläuterte ihre Beschaffenheit. Die anwesenden Gelehrten hörten aufmerksam
zu.
„Der erste Versuch", sagte der Mann, "endete, wie Sie alle wissen, mit einem Mißerfolg. Das von
uns ausgesandte Kätzchen ist im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gelandet und im Gebiet
des Tunguskaflusses explodiert was die Legende vom Tunguska-Meteoriten begründete. Doch
seither blieben uns größere Pannen erspart. Allerdings ist es uns auf Grund bestimmter
Gesetzmäßigkeiten, mit denen sich Interessenten anhand unserer Institutsbroschüre vertraut
machen können, vorerst nur möglich, Menschen bzw. Gegenstände in die siebziger Jahre des
zwanzigsten Jahrhunderts zu schicken. Ich kann Ihnen verraten, daß einige meiner Mitarbeiter
bereits dort waren - unter strikter Geheimhaltung, versteht sich - und wohlbehalten wieder
zurückgekehrt sind. Der Prozeß der Zeitwanderung selbst ist relativ unkompliziert wenn sich auch
eine mehrjährige Arbeit Hunderter von Leuten dahinter verbirgt. Im Grunde genügt es, einen
chronokinetischen Gürtel anzulegen ... Und jetzt würde ich darum bitten, daß ein Freiwilliger aus
dem Saal zu mir heraufkommt damit ich an seiner Person die Vorbereitungen zu einer Reise in die
Zeit. demonstrieren kann."
Peinliche Stille breitete sich aus. Niemand wagte es, als erster vorzutreten. Plötzlich jedoch - wie
konnte es anders sein - stand Alissa neben dem Mann und seiner Maschine. Dabei hatte sie mir
noch vor fünf Minuten geschworen, manierlich zu sein.
"Alissa", rief ich, "komm sofort zurück!"
"Keine Bange", sagte der Vertreter des Instituts, "dem Kind kann nicht das geringste passieren."
"Hörst du, Papa, mir kann nicht das geringste passieren!" plapperte Alissa fröhlich.
Im Saal wurde gelacht. Die Leute begannen sich nach dem gestrengen Vater umzudrehen. Ich tat,
als hätte ich mit all dem nichts zu tun.
Der Institutsmensch legte Alissa den Gürtel um und befestigte eine Art Kopfhörer an ihren
Schläfen.
"Das wäre bereits alles", sagte er. "Damit ist der Mensch für die Reise in die Zeit gerüstet. Er
braucht bloß die Kabine hier zu betreten - schon befindet er sich im Jahre
neunzehnhundertfünfundsiebzig."
Was redet er da bloß! schoß es mir panikartig durch den Sinn. Alissa wird unverzüglich Gebrauch
davon machen!
Und da war es auch schon passiert.
"Halt, Kleine, wo willst du hin? Bleib stehn!" rief der Vertreter des Instituts.
Doch Alissa befand sich bereits in der Kabine und löste sich vor aller Augen in Luft auf. Ein
erschrockenes Raunen ging durch den Saal.
Der Wissenschaftler, blaß geworden, versuchte wild gestikulierend des Tumults Herr zu werden.
Als er mich auf sich zustürzen sah, sagte er, dicht übers Mikrofon gebeugt, damit ihn jeder hören
konnte: "Dem Kind droht keinerlei Gefahr. In drei Minuten wird es wieder hier in diesem Saal sein.
Ich gebe Ihnen mein Wort, daß die Apparatur absolut zuverlässig und erprobt ist! Also bitte,
beruhigen Sie sich!"
Er hatte gut reden. Ich stand neben der Maschine und dachte an das Schicksal des Kätzchens,
das zum Tunguska-Meteoriten geworden war. Einesteils glaubte ich dem Mann, andernteils
wieder nicht. Versetzt euch nur mal in meine Lage - stellt euch vor, daß euer Kind sich in einer fast
hundertjährigen Vergangenheit befindet ... Und wenn sich Alissa dort von der Maschine entfernte?
Sich verirrte?
"Könnte ich ihr nicht hinterher?" fragte ich.
"Nein. In einer Minute ... Aber so beruhigen Sie sich doch, einer von uns nimmt sie in Empfang."
"Sie haben einen Mitarbeiter dort?"
"Nun ja, ein Mitarbeiter ist es nicht direkt ... Wir haben einfach jemanden gefunden, der unsere
Probleme genau versteht; die zweite Kabine befindet sich in seiner Wohnung. Ein Bürger des
zwanzigsten Jahrhunderts - aus beruflichen Gründen kommt er immer mal zu uns in die Zukunft."
In diesem Augenblick erschien Alissa in der Kabine. Sie trug die Miene eines Menschen zur Schau, der seine Pflicht tadelsfrei erfüllt hatte. Unter dem Arm hatte sie ein dickes altertümliches Buch. " Da sehen Sie. . .", sagte der Wissenschaftler. Die Leute im Saal klatschten einmütig. "Und nun erzähl uns mal, mein Kind, was du gesehen hast", wandte sich der Institutsmensch an Alissa, ohne mich einen Schritt an sie heranzulassen. "Oh, dort ist es sehr interessant", antwortete Alissa. "R-rumms, und ich war in einem anderen Zimmer. Ein Mann saß an einem Tisch und schrieb etwas. Er fragte: Kommst wohl aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert Kleine?" Ich sagte: So wird's sein, ich hab die Jahrhunderte bloß nicht gezählt weil ich nicht besonders gut im Rechnen bin." Ich erzählte ihm dann, daß ich in den Kindergarten gehe, in die mittlere Gruppe. Der Onkel antwortete, das fände er sehr schön, doch jetzt müsse ich wieder zurück. Möchtest du mal sehen", fragte er, wie Moskau aussah, als dein Großvater noch gar nicht auf der Welt war?" Ich sagte: "Klar möchte ich das." Da zeigte er mir die Stadt. Ganz eigenartig sah sie aus und war gar nicht hoch. Ich fragte den Onkel, wie er heißt und er sagte: Arkadi. Er sei Schriftsteller und schreibe phantastische Bücher über die Zukunft. Ich glaube, er denkt sich nicht alles aus, was er schreibt denn manchmal kommen Leute aus unserer Zeit zu ihm und erzählen ihm einiges. Nur darf er das niemandem weitersagen, weil es ein strenges Geheimnis ist. Er hat mir das Buch hier geschenkt ... Na ja, und dann bin ich wieder zurückgekommen." Die Anwesenden bedachten Alissas Bericht mit stürmischem Applaus. Gleich darauf erhob sich ein angesehener Gelehrter und sagte: "Sie halten da ein Unikat in der Hand, Mädchen - die erste Ausgabe des phantastischen Romans "Flecken auf dem Mars". Wollen Sie mir das Buch nicht schenken? Sie können doch ohnehin noch nicht lesen." "Nein", sagte Alissa, denn ich werde bald lesen, lernen und brauche das Buch dann selber."
Alissas Reise Alissa die Diebin Ich hatte Alissa versprochen: "Wenn du die zweite Klasse hinter dir hast nehme ich dich zu unserer Sommerexkursion mit. Wir brechen mit dem Raumschiff Pegasus auf, um seltene Tiere für unseren Zoo zu fangen." Ich hatte ihr das bereits im Winter in Aussicht gestellt, kurz nach Neujahr, und gleichzeitig ein paar Bedingungen daran geknüpft: Sie sollte gut lernen, keine Dummheiten machen, sich nicht auf Abenteuer einlassen. Alissa hielt sich gewissenhaft an unsere Abmachungen, und nichts schien unserem Vorhaben im Wege zu stehen. Doch im Mai, einen Monat vor dem geplanten Abflug, geschah etwas, das um ein Haar alles zunichte gemacht hätte. Ich arbeitete an diesem Tag zu Hause, schrieb einen Artikel für die "Kosmozoologischen Nachrichten". Durch die geöffnete Tür meines Arbeitszimmers sah ich, daß Alissa mit finsterer Miene aus der Schule heimkehrte und ihre Tasche mit dem Tonbandgerät und den Mikrofilmen auf den Tisch' knallte. Sie lehnte auch das Mittagessen ab und nahm statt der "Tiere ferner Planeten" - dieses Buch hatte sie in den letzten Monaten zu ihrer Lieblingslektüre erkoren - die "Drei Musketiere" zur Hand. "Hast du Ärger?" fragte ich. "Keine Spur", antwortete Alissa, "wie kommst du darauf?" "Es sah so aus.
Alissa dachte einen Augenblick nach, legte das Buch beiseite und fragte: "Hast du nicht zufällig
einen Goldklumpen, Papa?"
"Wie groß muß er denn sein?"
"Na, so anderthalb Kilo."
,Nein, hab ich nicht."
"Und kleiner.
"Einen kleineren hab ich, ehrlich gesagt, auch nicht. Ich hab überhaupt kein Edelmetall. Was soll
ich damit?"
"Weiß nicht . . ." sagte Alissa. "Es ist nur, weil ich unbedingt so einen Goldklumpen brauche."
Ich stand von meinem Schreibtisch auf, setzte mich zu meiner Tochter aufs Sofa und sagte: "Nun
erzähl schon, was passiert ist."
"Ach, nichts Besonderes. Ich brauch ihn eben."
"Geht's nicht ein bißchen genauer?"
Alissa seufzte tief, schaute zum Fenster hinaus und gab sich einen Ruck: "Ich bin eine Diebin,
Papa."
"Eine Diebin?!"
ja. Ich habe einen Raub begangen, und nun wird man mich wahrscheinlich aus der Schule
werfen."
"Schade", sagte ich. "Erzähl weiter. Ich hoffe, das Ganze ist nicht gar so schlimm, wie's auf. den
ersten Blick scheint."
"Na ja, es fing damit an, daß Aljoscha Naumow und ich den Riesenhecht fangen wollten. Er lebt
im Ikschinsker Stausee und frißt sämtliche Jungfische weg. Das hat uns mal ein Fischer erzählt du
kennst ihn nicht."
"Und was hat der Goldklumpen damit zu tun?" Wir brauchten ihn als Köder."
"Waas?"
"Wir haben in der Klasse darüber beraten und beschlossen, den Hecht mit einem Köder zu locken.
Einen einfachen Hecht fängt man mit einem einfachen Köder, für so einen Riesenhecht aber ist
etwas Besonderes nötig. Da kam Ljowa Swanski auf den Goldklumpen. Unser Schulmuseum
besitzt nämlich einen. Genauer gesagt, besaß. Anderthalb Kilo schwer. Ein ehemaliger Schüler
hat ihn unserem Museum zum Geschenk gemacht. Er hatte ihn vom Asteroidengürtel
mitgebracht."
"Und diesen Goldklumpen von anderthalb Kilo habt ihr gestohlen?"
"Nicht direkt Papa. Wir wollten ihn nur ausleihen. Ljowa sagte, sein Vater sei Geologe und brächte
einen neuen mit. Da wollten wir erst mal den hier für die Köder nehmen. Der Hecht würde ganz
bestimmt auf ihn anbeißen."
"Und was geschah weiter?"
"Na nichts. Die Jungs hatten auf einmal Angst, den Schrank- zu öffnen, und so losten wir. Ich
hätte das Gold ja niemals genommen, wenn das Los nicht ausgerechnet auf mich draufgefallen
wäre." "Gefallen", verbesserte ich.
"Wie bitte?"
"Das Los ist auf dich gefallen."
"Sag ich doch, das Los ist auf mich draufgefallen, und ich konnte nicht gut vor allen einen
Rückzieher machen. Zumal sich die anderen sowieso nicht entschlossen hätten, ihn da
rauszunehmen."
"Und dann?"
"Dann gingen wir zu Aljoscha Naumow, nahmen einen Laser und zersägten diesen elenden
Goldklumpen. Wir fuhren zum Ikschinsker Stausee, aber der Hecht hat unseren Köder einfach
abgebissen." Alissa: überlegte einen Augenblick und fuhr fort: "Vielleicht war's aber auch gar nicht
der Hecht. Vielleicht ist das Gold an irgendeinem Knorren hängengeblieben, schwer, wie es war.
Wir haben mächtig gesucht, aber nichts, gefunden. Sind immer abwechselnd getaucht."
"Und nun ist eure Schandtat entdeckt worden, ja?"
"Ja, aber nur, weil der Ljowa Swanski ein Betrüger ist. Er brachte eine Handvoll Diamanten von zu
Hause mit und sagte, Gold hätten sie nicht den kleinsten Krümel. Wir haben ihn wieder
zurückgeschickt mit seinen Diamanten. Was sollten wir damit! Dann kam Jelena Alexandrowna
und sagte: "Räumt mal schön das Museum auf, Kinder, ich komme nachher mit den Kleinen aus
der ersten Klasse zur Besichtigung." Solche unglücklichen Zufälle gibt's eben! Da ist die Sache
rausgekommen. Sie lief gleich zum Direktor, und wir hörten sie sagen: Hier droht Gefahr; in einem
der Kinder ist die Vergangenheit zum Durchbruch gekommen!" Wir haben nämlich an der Tür
gelauscht. Aljoscha Naumow hat sich dann zwar bereit erklärt, die ganze Schuld auf sich zu
nehmen, doch damit war ich nicht einverstanden. Wenn das Los schon mal auf mich draufgefallen
war, sollten sie auch mich bestrafen. Das ist alles."
"Das ist alles?" fragte ich erstaunt. "Du hast dich also gemeldet und gebeichtet?"
"Nein, dazu bin ich noch nicht gekommen. Sie haben uns eine Frist bis morgen gestellt. Jelena
Alexandrowna sagte, wenn morgen der Goldklumpen nicht wieder zur Stelle ist wird sie ein
ernstes Wort mit uns reden. Also werden wir morgen von den Wettkämpfen gestrichen und
womöglich aus der Schule geworfen."
"Von was für Wettkämpfen?"
"Morgen findet bei uns da:s Luftblasenfliegen statt. Es geht um die Schumeisterschaft. Für unsere
Klasse aber starten ausgerechnet Aljoscha Jegowrow und ich. Schließlich kann Jegowrow nicht
allein fliegen."
"Du hast noch etwas anderes vergessen", sagte ich.
"Was denn?" fragte Alissa mit einer Stimme, die verriet daß sie sehr wohl Bescheid wußte.
"Du hast gegen unsere Abmachung verstoßen."
"ja, ich geb's zu", sagte Alissa, "aber so schlimm war's nun auch wieder
nicht."
"So, meinst du. Einen Goldklumpen von anderthalb Kilo stehlen, ihn für Köder zersägen, im
lkschinsker Stausee versenken und dann noch nicht mal melden! Ich fürchte, du wirst hierbleiben
müssen. Der Pegasus startet ohne dich."
"Was soll ich bloß tun, Papa?" fragte Alissa leise.
"Laß dir was einfallen", sagte ich und kehrte in mein Arbeitszimmer zurück, um den Artikel zu
Ende zu schreiben.
Doch ich kam nicht recht voran. So eine dumme Geschichte! Wie kleine unverständige Kinder ein
Museumsstück zersägen!
Als ich eine Stunde später nach Alissa schauen wollte, war sie nicht mehr da. Wer weiß, wo sie
stecken mochte! Da rief ich Fridmann im Mineralogisehen Museum an, den ich einst im Pamir
kennengelernt hatte.
Auf dem Bildschirm des Videofons erschien sein rundes Gesicht mit dem schwarzen Schnurrbart.
"Hör mal, Lenje, sagte ich. "hast du nicht zufällig irgendwo einen Goldklumpen von anderthalb Kilo
rumliegen?"
"Hab ich, sogar von fünf Kilo. Brauchst du ihn für die Arbeit?"
"Nein, für private Zwecke."
"Tja, ich weiß nicht recht", Lenja zwirbelte an seinem Bart, "die sind doch alle registriert."
"Er kann ruhig abgeschabt aussehn", sagte ich."Meine Tochter braucht ihn für die Schule."
"Alissa?"
"Ja."
"Weißt du was", sagte Fridmann, "ich geh dir den Goldklumpen. Genauer gesagt nicht dir, sondern
Alissa. Dafür wirst du mir aber gleichfalls einen Gefallen tun, einverstanden?"
"Mit Vergnügen."
"Leih mir für einen Tag euren Blaupanther." "Wen?"
"Den Blaupanther. Wir haben neuerdings Mäuse hier."
"Was denn, in eurem Steinzeug?"
"Keine Ahnung, wovon sie leben, jedenfalls haben wir welche. Sie fürchten weder die Katze, noch
nehmen sie die Mausefalle ernst. Den Anblick eines Blaupanthers aber und, vor allem seinen
Geruch können sie nicht ertragen, das ist allgemein bekannt."
Was sollte ich tun? Der Blaupanther war ein seltenes Tier und dazu sehr bissig. Ich mußte ihn
also höchstpersönlich ins Museum bringen und aufpassen, daß er niemanden angriff.
"In Ordnung", sagte ich. "Aber schick den Goldklumpen bis morgen früh her, am besten per
Pneumopost."
Ich hatte das Gespräch kaum beendet, als es an der Tür klingelte. Ich öffnete. Vor mir stand ein
blonder Bengel in der orangefarbenen Kluft eines Venusforschers. Auf dem Ärmel trug er das
Emblem der Ersterkunder des Siriussystems.
"Entschuldigen Sie", sagte der Junge, "sind Sie Alissas Vater?"
"Der bin ich."
"Guten Tag. Mein Name ist Jegowrow. Ist Alissa zu Hause?"
"Nein. Ich weiß nicht, wo sie steckt."
"Schade. Kann ich Ihnen vertrauen?"
"Ich denke schon."
"Dann möchte ich von Mann zu Mann mit Ihnen reden."
"Von Kosmonaut zu Kosmonaut gewissermaßen."
"Spotten Sie nicht", Jegowrow wurde rot. "Nicht mehr lange, dann werde ich diese Kluft mit vollem
Recht tragen."
"Daran zweifle ich nicht", erwiderte ich. "Worum geht es also?"
"Alissa und ich haben einen Wettkampf zu bestreiten, doch nun ist etwas passiert, und Alissa wird
möglicherweise gestrichen. Kurz, sie muß der Schule einen Gegenstand zurückgeben, der
verlorengegangen war. Ich wollte ihn ihr bringen, doch zu niemandem ein Wort davon, ist das
klar?"
"Klar, geheimnisvoller Unbekannter", sagte ich.
"Hier, nehmen Sie." Er reichte mir einen kleinen, ziemlich schweren Sack.
"Ist das ein Goldklumpen?" fragte ich.
"Sie wissen Bescheid?"
"Genauestens."
"Ja, es ist einer."
"Ich hoffe, er ist nicht gestohlen."
"Wo denken Sie hin! Er ist mir im Klub der Touristen gegeben worden. Also dann auf
Wiedersehen."
Ich war noch nicht in meinem Arbeitszimmer, als es erneut klingelte. Diesmal standen zwei kleine
Mädchen vor mir.
"Guten Tag", sagten sie im Chor. "Wir sind aus der ersten Klasse und woll ten was für Alissa abgeben." Sie händigten mir zwei gleich aussehende Beutel eben aus und rannten davon. In dem einen Beutel lagen vier alte Goldmün zen, offenbar aus einer Privatsammlung, in dem anderen drei Teelöff el. Die Löffel waren zwar nicht aus Gold, sondern aus Platin, doch um die beiden einzuholen, war es schon zu spät. Im Briefkasten fand sich ein weiterer Goldklumpen - ein unbekannter Freund mußte ihn eingeworfen haben. Kurz darauf kam Ljowa Swanski, er wollte mir eine kleide Schatulle mit Diamanten aufdrängen, und zu guter Letzt erschien ein Schüler aus einer höheren Klasse gleich mit drei Goldklumpen. "Ich hab als Kind Mineralien gesammelt", erklärte er. Alissa kehrte gegen Abend zurück. Schon vor der Tür aus sagte sie feierlich: "Mach dir keine Gedanken, Papa, alles ist noch mal gut gegangen. Unserer gemeinsamen Expedition steht nichts mehr im Wege." "Wieso dieser plötzliche Umschwung?" fragte ich. ,Weil ich einen Goldklumpen aufgetrieben habe." "Und wo?" Alissa wuchtete mit einiger Mühe einen Goldklumpen aus ihrer Tasche, der gut und gern sechs bis sieben Kilo wiegen mochte. "Ich war bei Poloskow", erzählte sie, "du weißt schon, bei meinem Kapitän. Als er erfuhr, worum's geht hat er alle seine Bekannten angerufen. Außerdem hat er mir ein Mittagessen gegeben, so daß ich kein bißchen hungrig bin."
In diesem Augenblick entdeckte sie die Goldklumpen und sonstigen Schätze auf dem Tisch, die
sich im Laufe des Tages in unserer Wohnung angesammelt hatten.
"Oho", rief sie aus, da wird unser Museum ja reich!"
"Hör mal, du Gauner, wenn deine Freunde nicht wären, würde ich dich um nichts in der Welt auf
die Expedition mitnehmen."
"Was haben meine Freunde damit zu tun?"
"Sie hätten schwerlich ganz Moskau nach Goldsachen für dich abgesucht wenn du so durch und
durch schlecht wärst." "Nein, Papa, durch und durch schlecht bin ich wirklich nicht, stimmte Alissa
ein wenig selbstgefällig zu.
Ich wollte schon die Stirn runzeln, doch da klickte die Empfangsanlage der Pneumopost in der
Wand. Ich öffnete die Luke und hielt das Paket mit dem Goldklumpen aus dem Mineralogischen
Museum in der Hand. Fridmann hatte sein Versprechen eingelöst.
"Und das ist von mir", sagte ich.
"Hab doch gewußt", antwortete Alissa, "daß du ebenfalls mein Freund bist."
"Sieht ganz so aus", erwiderte ich, "das ist aber kein Grund, hochnäsig zu werden."
Am nächsten Morgen mußte ich Alissa zur Schule begleiten, da das Gesamtgewicht unserer
Goldschätze achtzehn Kilogramm erreicht hatte.
Als ich ihr die Tasche am Eingang aushändigte, sagte ich: "Ich hab ja ganz die Strafe für dich
vergessen."
"Oje, was für eine Strafe?"
"Du schnappst dir am Sonntag den Blaupanther aus dem Zoo und gehst mit ihm ins
Mineralogische Museum."
"Mit dem Blaupanther ins Museum? Aber was soll der dumme Kerl denn dort?"
"Er soll die Mäuse vertreiben. Und du wirst aufpassen, daß er niemanden beißt."
"Abgemacht", sagteAlissa. "Aber zur Expedition starten wir gemeinsam, ja?"
"Abgemacht."
Dreiundvierzig Hasen" Die letzten zwei Wochen vor dem Abflug waren mit Hast Aufregung und wenigstens teilweise vermeidbaren Laufereien angefüllt. Alissa sah ich in dieser Zeit fast gar nicht. Erstens mußten sämtliche Käfige, Fallen, Ultraschallköder, Schlingen, Netze, Kraftfelder und tausend andere fürs Einfangen der Tiere erforderlichen Gerätschaften bereitgestellt überprüft zum "Pegasus" befördert und dort verstaut werden. Zweitens galt es, sich mit Medikamenten, Lebensmitteln, Filmen, Tonbändern nebst Kassetten und Zubehör, Soffittenlampen, Mikroskopen, Schmetterlingsalben, Notizbüchern, Gummistiefeln, Rechenmaschinen, Sonnenwie Regenschirmen, Limonade, Regenumhängen, Panamahüten, Eispulver, Flugmobilen und einer weiteren Million Gegenstände einzudecken, die man auf einer Exkursion brauchen konnte oder auch nicht. Drittens mußten wir, da wir unterwegs verschiedene wissenschaftliche Stützpunkte und Stationen sowie mehrere Planeten anflogen, diverses Frachtgut und Geschenkpakete mitnehmem: Apfelsinen für die Astronomen auf dem Mars, Heringskonserven für die Erkunder auf dem Kleinen Arktur, Kirschsaft, Tusche und Gummikleber für die Archäologen im System 2-BZ, Brokatkittel und Elektrokardiographen für die Bewohner des Fix-Planeten, eine Nußbaumschrankwand für einen Mann vom Planeten Samora - es war der 1. Preis beim Quiz "Kennen Sie das Sonnensystem?" -, Quittenkonfitüre (mit Vitaminen angereichert) für die Lizenzianer und eine Vielzahl von Paketen sowie kleinen Aufmerksamkeiten, die uns buchstäblich bis zur letzten Minute von Omas, Opas, Brüdern, Schwestern dieser Leute gebracht wurden, oder von Vätern, Müttern, Kindern und Enkeln eventuell von uns zu treffender Außerirdischer. Zu guter Letzt erinnerte unser "Pegasus" an die Arche Noah, an einen schwimmenden Basar, ein Selbstbedienungskaufhaus, ja an ein Warenlager. Ich magerte in diesen zwei Wochen um sechs Kilogramm ab, der Kommandant des "Pegasus", der schon erwähnte Poloskow, alterte um etwa sechs Jahre.
Da es sich beim "Pegasus" um ein kleines Raumschiff handelte, war auch die Besatzung nicht allzu groß. Wenn es um Tierexpeditionen auf der Erde und anderen Planeten geht, so stehe immer ich, Professor Selesnjow vom Moskauer Zoo, an ihrer Spitze. Daß ich Professor bin, bedeutet noch lange nicht daß ich alt grauhaarig und würdevoll aussehe. Ich hatte einfach schon als Kind sehr viel für Tiere übrig und tauschte sie nie gegen Steine, Briefmarken, Radios oder ähnlich interessante Dinge. Als ich zehn Jahre alt war, schloß ich mich dem Zirkel Junger Naturforscher beim hiesigen Zoo an, und nach Beendigung der Schule ging ich an die Universität um Biologie zu studieren. Aber auch in dieser Zeit brachte ich jeden freien Tag im Zoo oder Bilogielabor zu. Als ich das Studium hinter mir hatte, wußte ich über Tiere bereits so viel, daß ich mein erstes Buch schreiben konnte. Damals existierten ]noch keine Schnellraumschiffe, die jeden beliebigen Winkel der Galaxis anfliegen können, und damit auch so gut wie keine Kosmoszoologen. Ich wurde einer der ersten. Seither sind zwanzig Jahre vergangen, und es gibt mittlerweile sehr viele solcher Spezialisten. Ich jedoch war, wie gesagt, einer der ersten, weilte in dieser Eigenschaft auf vielen Sternen und Planeten und wurde, ohne daß ich es selbst merkte, Professor. Sobald der "Pegasus" freilich vom Boden abhebt wird Gennadi Poloskow, der allseits bekannte Kosmonaut und Raumschiffkommandant, zum wichtigsten Mann und Gebieter über uns alle. Wir kennen uns schon lange, sind uns öfters auf fernen Planeten und wissenschaftlichen Stationen begegnet. Er besucht uns auch manchmal zu Hause und ist vor allem mit Alissa befreundet. Rein äußerlich sieht man Poloskow den kühnen Raumflieger gar nicht an, und wenn er seine Kommandantenuniform ablegt, könnte man ihn für einen Erzieher im Kindergarten oder einen Bibliothekar halten. Er ist nicht sehr groß, blond, schweigsam und überhaupt zurückhaltend. Doch wenn er im Sessel auf seiner Kommandobrücke sitzt, verwandelt er sich augenblicklich: Die Stimme verändert sich, sein Gesicht nimmt Härte und Entschlossenheit an. Poloskow verliert niemals die Geistesgegenwart und ist deshalb unter seinen Kollegen sehr geachtet. Es war mir nur mit Mühe gelungen, ihn als Kommandanten für den "Pegasus" anzuheuern, denn Jack O'Coniol hatte ihm den neuen Passagierliner Erde -Fix angeboten. Hätte ich nicht Alissa ins Feld führen können - Poloskow wäre nie auf meine Bitte eingegangen. Dritter Mann in unserer Besatzung war der Mechaniker Seljony. Das war ein Recke mit gewaltigem rotem Vollbart. Er verstand sein Fach ganz ausgezeichnet und war mit Poloskow bereits an die fünfmal auf anderen Raumschiffen unterwegs gewesen. Es gibt kein größeres Vergnügen für ihn, als an einem Motor herumzubasteln oder sich im Maschinenraum zu schaffen zu machen. Im Grunde ist das ja eine lobenswerte Eigenschaft doch mitunter treibt er es zu weit. Dann ist eine wichtige Maschine oder Apparatur im entscheidenden Moment nicht einsatzbereit weil er sie gerade mal wieder in ihre Bestandteile zerlegt hat. Außerdem ist Seljony ein großer Pessimist. Er behauptet immer, "das" würde noch mal schlecht enden. Wenn wir ihn fragen, was er damit meint, sagt er unbestimmt: "Na, eben alles." Zum Beispiel hat er sich nur deshalb einen Bart wachsen lassen, weil er in einem alten Buch las, daß sich ein Kaufmann beim Rasieren geschnitten habe und daraufhin an einer Blutvergiftung gestorben sei. Obwohl nirgendwo auf der Erde ein solch gefährlie4es Rasiermesser mehr existiert und die Männer sich das Gesicht morgens statt dessen mit einer Paste einreiben, ließ er sich einen Bart stehen. Sicher ist sicher. Wenn wir auf einem unbekannten Planeten landen, rät er uns sofort, ihn wieder zu verlassen. Hier gebe es ohnehin keine Tiere, und wenn doch, wären sie für unseren Zoo uninteressant. Könnten wir aber trotzdem was mit ihnen anfangen, würden wir sie nie und nimmer heil zur Erde bringen. Und so geht das immer weiter. Inzwischen haben wir uns an Seljony und sein Brummen gewöhnt achten nicht mehr darauf. Er wiederum nimmt uns das nicht übel. Viertes Mitglied unserer Besatzung - die Geländeautomaten und den ewig kaputten Küchenroboter ausgenommen - war Alissa. Sie ist bekanntlich meine Tochter, hat die zweite Klasse beendet und stellt immerzu etwas an, freilich gingen all -ihre Abenteuer bisher glücklich aus. Alissa ist insofern ein nützliches Mitglied unserer Expedition, weil sie mit Tieren umzugehen versteht und so gut wie nichts fürchtet.
In der Nacht vor dem Start schlief ich schlecht. Mir war, als würde ständig jemand durchs Haus gehen und mit den Türen knallen. Als ich aufstand, war Alissa schon angekleidet. Man konnte meinen, sie hätte sich gar nicht erst hingelegt. Wir gingen zum Flugmobil hinüber. Wir waren fast ohne Gepäck: Ich trug nur einen schwarzen Aktenordner und Alissa ihre Umhängetasche mit den Schwimmflossen und einer Harpune für die Unterwasserjagd. Der Morgen war naßkalt und frisch. Die Meteorolog en hatten zwar versprochen, den Regen erst gegen Mittag zu geben, sich aber, wie so oft, ein wenig vertan - der Regen war schon in der Nacht niedergegangen. Die Straßen waren leer. Wir verabschiedeten uns von den Verwandten und versprachen, von jedem Planeten, den wir besuchten, einen Brief zu schreiben. Das Flugmobil hob sich gemächlich in die Luft und schwebte, die Straße überfliegend, in westlicher Richtung dem Kosmodrom zu. Ich übergab Alissa die Steuerung und vertiefte mich in die ellenlange Gepäckliste, deren Posten tausendmal durchgesehen und die bereits erheblich gekürzt worden war. Doch Poloskow hatte mir versichert, wir müßten mindestens weitere drei Tonnen Fracht rausschmeißen, sonst würden wir gar nicht erst vom Boden hochkommen. Ich hatte überhaupt nicht gemerkt, daß wir schon am Kosmodrom waren. Alissa wirkte sehr in sich gekehrt und schien unablässig an etwas Bestimmtes zu denken. Sie war so abgelenkt, daß sie das Mobil fälschlicherweise neben einem Raumschiff niedersetzte, das gerade mit Ferkeln für die Venus beladen wurde. Beim Anblick des Ungetüms, das auf sie herabschwebte, stoben die Ferkel in alle Richtungen auseinander, und die sie begleitenden Roboter stürzten hinterdrein, um sie wieder einzufangen. Der Transportleiter aber schimpfte mit mir, weil ich die Landung des Mobils einem kleinen Kind überlassen hatte. "So klein ist sie nun auch wieder nicht", rechtfertigte ich mich, sie hat die zweite Klasse beendet." "Um so schlimmer", fauchte der Mann und drückte ein gerade eingefangenes Ferkel an seine Brust. Jetzt haben wir bis zum Abend damit zu tun, die Tiere wieder zusammenzubekommen!" Ich sah Alissa vorwurfsvoll an, übernahm das Steuer und flog zu unserem weißen "Pegasus". In seinen Jugendtagen war er ein Eil-Postschiff gewesen. Später, als die Raumschiffe schneller und geräumiger wurden, baute man ihn zu einem Forschungsschiff um. Er verfügte über große Ladeluken und leistete sowohl Geologen als auch Archäologen gute Dienste. Nun sollte er von Nutzen für unseren Zoo sein. Poloskow erwartete uns schon, und kaum hatten wir uns begrüßt fragte er: "Na, habt ihr euch wegen der überschüssigen drei Tonnen was. einfallen lassen?" "Mir ist da eine Idee gekommen", sagte ich. "Schieß los!" In diesem Augenblick kam schüchtern ein Großmütterchen i m blauem Schultertuch auf uns zu und bat: "Ob Sie wohl ein kleines Päckchen für meinen Sohn auf den Aldebaran mitnehmen könnten?" "Da haben wir's", Poloskow winkte resigniert ab, "immer noch mehr!" "Es ist winzigklein", sagte das Muttchen. "Zweihundert Gramm, mehr nicht. Können Sie sich vorstellen, wie traurig er ist wenn er so gar kein Geschenk zum Geburtstag kriegt?" Das konnten wir uns tatsächlich nicht vorstellen. "Was ist denn in dem Päckchen?" fragte Poloskow, der sich, gutmütig wie er war, bereits geschlagen gab. "Ach, nichts Besonderes. Eine kleine Torte. Mein Kolja liebt Torten über alles! Und ein Stereofilm, auf dem sein Söhnchen, mein Enkel also, bei seinen ersten Gehversuchen zu sehen ist." "Bringen Sie's her", sagte Poloskow mit finsterer Miene. Ich sah mich nach Alissa um - sie war verschwunden. Die Sonne stieg über dem Kosmodrom auf, und der langgezogene Schatten des "Pegasus" reichte bis zu den Flughafengebäuden. "Paß auf", sagte ich zu Poloskow, "einen Teil der Fracht schicken wir mit dem Linienschiff zum Mond, von dort können wir leichter starten." "Hab ich mir auch schon überlegt", stimmte Poloskow zu. "Wir laden sicherheitshalber vier Tonnen ab, dann haben wir eine Reserve."
"Wo kann ich das Päckchen abgeben?" fragte das Mütterchen.
"Der Roboter am Schiffseingang nimmt's in Empfang", erwiderte Poloskow. Dann begannen wir zu
überlegen, wovon wir uns vorübergehend trennen sollten.
Aus den Augenwinkeln sah ich mich nach Alissa um und hatte auf diese Weise auch das
Muttchen mit ihrem Paket im Blick. Sie stand im Schatten des Schiffes und redete leise auf den
Laderoboter ein. Hinter der Frau aber ragte ein stark überladener Gepäckkarren auf.
"Poloskow", rief ich, "sieh mal dort!"
"O nein", seufzte der geplagte Kommandant, "das überleb ich nicht!" Mit einem Tigersprung war er
bei der Frau.
"Was ist denn das hier?" donnerte er.
"Das Päckchen", antwortete das Mütterchen betreten.
"Die kleine Torte, wie?"
ja." Die Frau hatte sich von ihrem Schrecken erholt.
"Ist ein bißchen groß geraten, nicht wahr?"
"Sie müssen schon entschuldigen, Kapitän", erwiderte das Muttehen mit plötzlich spitzer Stimme,
"aber Sie können doch nicht im Ernst wünschen, daß mein Sohn die Torte so ganz allein verzehrt.
Ohne mit seinen hundertdreißig Kollegen zu teilen! Wollen Sie das?"
"Ich will gar nichts mehr!" schrie Poloskow, der sich von allen Seiten gedrängt fühlte. "Ich bleib zu
Hause und fliege nirgendwohin, ist das klar? Ich blei-behier!"
Der Kampf mit dem Mütterchen dauerte eine halbe Stunde und endete mit einem Sieg Poloskows.
Unterdessen hatte ich mich ins Schiffsinnere begeben und die Roboter angewiesen, die
Apfelsinen und die Nußbaumgamitur wieder auszuladen.
Ich begegnete Alissa im fern gelegenen Durchgang zum Laderaum und war sehr verwundert, sie
dort anzutreffen.
"Was machst du denn hier?" fragte ich.
"Ich mach mich mit dem Schiff vertraut", sagte sie und versteckte einen Brezelkringel auf dem
Rücken.
"Geh in die Kajüte", ich eilte weiter.
Gegen zwölf waren wir mit dem Umladen endlich fertig. Alles war bereit. Poloskow und ich
überprüften ein letztes Mal das Gewicht des Frachtguts wir verfügten über eine Reserve von
zweihundert Kilogramm und konnten nun ruhigen Gewissens starten.
Poloskow beorderte über Funk den Mechaniker an Bord. Seljony nahm am Steuerpult Platz und
strich seinen roten Bart glatt. Poloskow beugte sich zum Bildschirm des Videofons hinunter und
fragte: "Alles startklar?"
Jawohl", erwiderte Seljony. "Obwohl mir das Wetter nicht sonderlich gefällt."
"Zentrale", rief Poloskow ins Mikrofon, "Pegasus erbittet Starterlaubnis."
"Einen Augenblick noch", sagte der Dispatcher, "hätten Sie nicht noch etwas Platz auf Ihrem
Schiff?"
"Nicht den geringsten", erwiderte Poloskow entschieden. "Wir nehmen keine Passagiere an Bord."
"Wenigstens fünf Mann", drängte der Dispatcher.
"Weshalb denn das? Wofür haben wir die Linienschiffe?"
"Sie sind allesamt überfüllt."
"Versteh ich nicht."
,ja, sind Sie denn nicht informiert? Auf dem Mond findet heute das entscheidende Fußballspiel
Erde - Fix statt, um den Galaxispokal."
"Aber weshalb auf dem Mond?" fragte Poloskow erstaunt, der sich nicht für Fußball interessierte
und in den Tagen vor dem Abflug überhaupt ein wenig die Verbindung zur Wirklichkeit verloren
hatte.
"Dumme Frage!" rief der Dispatcher aus. "Wie sollen denn die Fixianer unter den Bedingungen der
Erdenschwerkraft spielen! Selbst auf dem Mond haben sie's noch schwer genug."
"Demnach werden wir gewinnen", vermutete Poloskow.
"Das möchte ich stark bezweifeln. Sie haben drei Verteidiger vom Mars angeworben und dazu
Simon Braun."
"Eure Sorgen möcht ich haben", seufzte Poloskow. "Wann können wir starten ?"
"Wir werden trotzdem gewinnen", schaltete sich unvermutet Alissa ein, die unbemerkt auf die
Kommandobrücke gekommen war.
"Richtig so, Mädchen", sagte der Dispatcher erfreut. "Wollt ihr nicht doch ein paar Fans
mitnehmen? Um alle Interessenten zum Mond zu befördern, brauchte ich acht Schiffe. Weiß mir
einfach keinen Hat mehr. Dabei gibt's immer noch neue Anmeldungen..."
"Ich hab nein gesagt!" schnitt Poloskow ihm das Wort ab.
"Na schön, wie Sie wollen. Lassen Sie die Triebwerke an."
Poloskow schaltete zum Maschinenraum um. "Setz die Triebwerke in Gang, Seliony. Aber sachte,
wir wollen erst noch mal überprüfen, ob keine Überlastung vorliegt"
"Wo soll die jetzt noch herkommen?" fragte ich entrüstet. "Wir haben alles mehrmals
durchgerechnet."
Das Schiff begann, seine Kräfte sammelnd, zu vibrieren.
"Fünf-vier-drei-zwei-eins-Start", sagte der Kommandant.
Das Schiff erzitterte, hob sich aber nicht vom Boden ab.
"Was ist passiert?" fragte Poloskow.
"Was ist los bei euch?" erkundigte sich auch der Dispateher, der unseren Start beobachtete.
"Es funktioniert nicht", sagte Seljony. "Hab ja schon immer gesagt, daß es irgendwann schlecht
ausgeht."
Alissa saß angeschnallt in ihrem Sessel und sah mich nicht an.
"Wir versuchen's noch mal", sagte Poloskow.
"Wozu", erwiderte der Mechaniker, "wir, sind entschieden überlastet. Ich hab doch die
Instrumententafel vor mir."
Poloskow versuchte es trotzdem erneut, doch das Schiff stand am Boden wie angeschmiedet.
Schließlich sagte der Kapitän: "In unseren Berechnungen muß ein Fehler stecken."
"Unmöglich", entgegnete ich, "ich hab die Ergebnisse von den Computern überprüfen lassen. Wir
müßten noch zweihundert Kilo Reserve haben."
"Das verstehe, wer will."
"Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns rigoros von der Fracht zu trennen. "Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Mit welcher Luke fangen wir an?" "Mit der ersten. Dort liegen die Geschenksendungen. Wir nehmen sie auf dem Mond wieder an Bord." "Bloß nicht mit der ersten!" ließ sich plötzlich Alissa vernehmen. "Na schön", antwortete ich mechanisch, "dann fangen wir eben mit der dritten an. Dort sind die Käfige und Netze untergebracht." "Bitte auch nicht mit der dritten!" bat Alissa. "Was soll das nun wieder bedeuten?" fragte Poloskow streng, In diesem Augenblick meldete sich der Dispateher erneut. "Pegasus", sagte er, "gegen Sie liegt eine Beschwerde vor." "Was denn für eine Beschwerde?" "Moment, ich gebe ans Auskunftsbüro weiter." Auf dem Bildschirm wurde die Wartehalle sichtbar und links der Auskunftssehalter, vor dem sich viele Leute drängten. Ich entdeckte einige bekannte Gesichter darunter. Woher waren sie mir bloß vertraut? Die Frau, die dem Schalter am nächsten stand, richtete ihren Blick auf mich und sagte: "Sie sollten sich wirklich schämen! Solche Streiche zu unterstützen!" "Was für Streiche?" fragte ich verblüfft. "Ich hab zu Aljoscha gesagt: Du mit deinen fünf Dreien im vierten Quartal fliegst mir nicht auf den Mond." "Ich hab meinem Ljowa gleichfalls verboten, zu dem Spiel zu fahren", stimmte eine andere Frau ein, "er kann sich die Übertragung ebensogut im Fernsehn anschaun." "Ach, so ist das", sagte ich gedehnt. Nun erkannte ich die Leute endlich: Es waren die Eltern von Alissas Mitschülern.
"jetzt ist mir alles klar", sagte Poloskow. "Und wie viele solcher Hasen" sind an Bord?" "Ich hab nicht gedacht, daß wir gleich 'ne Überlastung kriegen", rechtfertigte sich Alissa. "Das geht doch nicht, daß sie das Spiel des Jahrhunderts verpassen! Wie sieht das aus - ich darf mir's ansehen, und sie nicht!" "Ich hab gefragt, wieviel Schwarzfahrer wir an Bord haben!" wiederholte Poloskow mit metallener Stimme. "Unsre Klasse und die zwei Parallelklassen", gestand Alissa kleinlaut. "Heut nacht, als Papa schlief, sind wir zum Kosmodrom geflogen und haben uns im Schiff versteckt." "Dann bleibst du ebenfalls hier!" sagte ich. "Wir können in unserer Expedition keine so verantwortungslosen Leute gebrauchen." "O bitte, Papa, ich werde so was nie wieder tun", bettelte Alissa. "Du mußt mich doch verstehen: Ich hab ein sehr ausgeprägtes Pflichtgefühl." "Mit deinem ausgeprägten Pflichtgefühl hätten wir uns den Hals brechen können", erwiderte Poloskow. Er sah Alissa im allgemeinen alles nach, war ihr diesmal jedoch ernstlich böse. "Komm jetzt mit, deine Schwarzfahrer rausholen", fügte er hinzu. "Wenn wir's in einer halben Stunde schaffen, kannst du an Bord bleiben. Wenn nicht, fliegen wir ohne dich." Den letzten "Hasen" hatten wir nach dreiundzwanzig Minuten ans Tageslicht befördert. Weitere sechs Minuten später standen alle Schüler tief betrübt am Raumschiff, während vom Flughafengebäude her Mütter, Väter und Omas auf sie zurannten. Dreiundvierzig solcher "Hasen" hatten wir insgesamt an Bord gehabt. Mir ist bis heute unklar, wie es Alissa gelungen war, sie alle im "Pegasus" unterzubringen, ohne daß wir auch nur einen davon bemerkten. "Gute Reise, Alissa!" rief von unten Aljoscha Naumow, als wir endlich zur Eingangsluke hochstiegen. Daß du ja unsre Mannschaft tüchtig anfeuerst auch in unserm Namen! Und komm bald wieder!" "Sport frei" rief Alissa. Und sagte dann, als wir bereits in der Luft waren und Kurs auf den Mond nahmen, zu mir. "Irgendwie ist mir das Ganze doch recht peinlich, Papa." "Mir auch", stimmte ich zu. Ich schäme mich für dich." "Aber das meine ich doch gar nicht", erwiderte Alissa. "Die Drei b ist nämlieh in voller Besetzung schon heut nacht, in Kartoffelsäcken versteckt, mit einem Frachtschiff hochgeflogen. Sie werden also im Stadion sein, unsre zweiten Klassen dagegen nicht. Ich hab das Vertrauen meiner Kameraden nicht gerechtfertigt." "Und wo habt ihr die Kartoffeln gelassen?" fragte verblüfft Poloskow. "Keine Ahnung", antwortete Alissa. Sie überlegte eine Weile und fügte dann hinzu: "Wie soll ich der Drei b bloß in die Augen sehn? So eine Schande!" Kennst du die Drei Kapitäne? Als der "Pegasus" auf dem Mond-Kosmodrom gelandet war, fragte ich meine Gefährten nach
ihren Plänen. "Wir starten morgen früh pünktlich sechs Uhr", sagte ich.
Poloskow beabsichtigte auf dem Schiff zu bleiben, um es für den Abflug fertig zu machen.
Seljony, der Mechaniker, bat um die Erlaubnis, sich das Fußballspiel anzusehen.
Alissa erklärte, sie würde gleichfalls zum Fußball gehen, wenn auch ohne jedes Vergnügen.
"Wieso das?" fragte ich.
"Hast du's etwa schon vergessen? Die ganze Drei b wird im Stadion sein, aus den zweiten
Klassen aber keiner außer mir. Und an allem bist du schuld."
"Ich?!"
"Wer sonst hat meine Leute rausgesetzt?" "Du weißt daß wir so nicht hätten starten können!
Außerdem, was sollten ihre Eltern von mir denken! Und überhaupt wenn nun was passiert wäre."
"Wo denn?" entrüstete sich Alissa. Doch wohl nicht im Sonnensystem! Ende des
einundzwanzigsten Jahrhunderts!"
Als Alissa und Seljony abgezogen waren, beschloß ich, ein letztes Täßchen Kaffee in einem
richtigen Restaurant zu mir zu nehmen, und begab mich ins "Lunochod".
Der riesige Saal war fast völlig besetzt. Ich blieb auf der Suche nach einem freien Platz in einiger Nähe des Eingangs stehen, als ich plötzlich eine mir vertraute Donnerstimme sagen hörte: ja, wen sehe ich denn da!" An einem der weiter entfernten Tische thronte mein alter Bekannter Gromoseka. Ich hatte ihn etwa fünf Jahre nicht mehr getroffen, doch fast täglich an ihn gedacht. Früher waren wir mal sehr befreundet gewesen. Unsere Bekanntschaft hatte damit begonnen, daß ich Gromoseka in den Dschungeln der Eurydike das Leben rettete. Er war von seinem Archäologentrupp abgeschlagen worden, hatte sich im Wald verirrt und wäre um ein Haar zwischen die Zähne des Kleinen Drachen geraten - eines bösartigen Wesens von sechzehn Metern Länge. Bei meinem Anblick setzte Gromoseka seine Fangarme, die er der Bequemlichkeit halber eingerollt hatte, auf dem Fußboden auf, sperrte seinen halbmetergroßen Rachen in beglücktem Lächeln auseinander, streckte mir freundschaftlich seine spitzen Krallen entgegen und stürzte mit sich steigernder Geschwindigkeit auf mich zu. Ein Tourist der noch nie einen Bewohner des Planeten Tschumaros gesehen hatte, jaulte vor Schreck auf und fiel in Ohnmacht. Doch Gromoseka nahm ihm das nicht übel. Er packte mich fest mit seinen Fangarmen und drückte mich gegen die spitzen Schuppen auf seiner Brust. "Altes Haus , brüllte er mit Löwenstimme, "ist ja eine Ewigkeit her, daß wir uns gesehn haben! Ich war schon drauf und dran, dich mal in Moskau zu besuchen, da tauchst du auf ... Ich denk, ich trau meinen Augen nicht! Was treibt dich her?" "Ich bin mit einer Expedition unterwegs", sagte ich. "Freie Suche in der Galaxis." "Wunderbar!" rief Gromoseka, ehrlich entzückt. Ich freue mich, daß es dir gelungen ist die Ränke deiner Feinde zu durchkreuzen und diese Expedition zu starten." ,Aber ich hab keine Feinde." "Mir kannst du nichts vormachen", erwiderte Gromoseka und fuchtelte mit seinen scharfen gebogenen Krallen vorwurfsvoll vor meiner Nase herum. Ich widersprach nicht länger, denn ich kannte sein argwöhnisches Wesen. "Nimm Platz!" polterte Gromoseka. "Roboter, eine Flasche grusinischen Wein für meinen besten Freund und drei Liter Baldrian für mich!" "Zu Befehl!" Der Bedienungsroboter rollte in die Küche, um die Bestellung aufzugeben. "Wie geht es dir?" erkundigte sich Gromoseka. "Was macht deine Frau? Das Töchterchen? Kann's schon laufen?" "Sie geht bereits zur Schule", antwortete ich, "hat die zweite Klasse beendet." "Phantastisch!" rief Gromoseka aus. "Wie schnell doch die Zeit verstreicht . . In diesem Augenblick mußte meinem Begleiter ein trauriger Gedanke gekommen sein, denn er begann, sensibel wie er war, ohrenbetäubend zu stöhnen. Tränen aus beißendem Rauch quollen aus seinen acht Augen. "Was hast du?" fragte ich beunruhigt. "Denk doch nur, wie schnell die Zeit vergeht!" sagte Gromoseka schluchzend. "Die Kinder wachsen heran, wir aber werden immer älter." In seiner Erregung stieß er vier gelbliche, gleichfalls heizende Rauchschwaden aus seinen Nüstern, die das ganze Restaurant einnebelten. Doch er fing sich sofort wieder und sagte laut: "Entschuldigen Sie bitte, verehrte Gäste, ich will mich bemühen, Ihnen keine weiteren Unannehmlichkeiten zu bereiten." Qualm stieg über den Tischchen hoch, die Leute fingen an zu husten, manche verließen sogar den Saal "Wir sollten auch gehen", ich rang nach Atem, "sonst stellst du noch Gott weiß was an." "Du hast recht", gab Gromoseka kleinlaut zu. Wir gingen ins Foyer, wo mein Freund ein ganzes Sofa für sich in Anspruch nahm, während ich mich bescheiden neben ihm auf einem Stuhl niederließ. Der Roboter brachte Wein und Baldrian, dazu ein Glas für mich und einen Literkrug für den Mann vom Tschumaros. "Woran arbeitest du jetzt?" fragte ich Gromoseka. "Wir wollen eine Stadt auf der Koleida ausgraben", erwiderte er. "Ich hin hier, um infrarote Detektoren zu beschaffen."
"Ist wohl interessant, eure Stadt auf der Koleida?"
Kann schon sein", sagte Gromoseka vorsichtig, denn er war furchtbar abergläubisch. Er ließ
seinen Schwanz sicherheitshalber viermal um das, rechte Auge kreisen und flüsterte:
Baskuribariparata."
"Wann fangt ihr an?"
"In etwa zwei Wochen starten wir. Vom Merkur aus. Dort haben wir unseren provisorischen
Stützpunkt".
"Ein seltsamer Flecken, den ihr euch da ausgesucht habt", sagte ich, "und ungeeignet dazu. Die
eine Hälfte des Planeten ist glühendheiß, die andere besteht aus Eiswüste."
"So seltsam nun auch wieder nicht", Gromoseka langte erneut nach dem Baldrian. "Dort haben'
wir voriges Jahr die Überreste vom Raumschiff der Mitternachtswanderer gefunden und
untersucht ... Aber ich spreche immer nur von mir! Erzähl lieber, wie deine Reiseroute aussieht."
"Das weiß ich selber noch nicht genau", sagte ich. Fürs erste wollen wir einige Stützpunkte in der
Nachbarschaft des Sonnensystems anfliegen und uns dann auf freie Suche begeben. Wir haben
ja viel Zeit - drei volle Monate. Genügend Platz auf dem Schiff ist ebenfalls."
"Wollt ihr auch auf die Eurydike?" fragte Gromoseka.
"Nein. Ein Exemplar des Kleinen Drachens haben wir im Moskauer Zoo bereits, und den Großen
konnte bisher leider noch niemand einfangen."
"Selbst wenn es dir gelingen sollte", sagte Gromoseka, "du würdest ihn mit dem "Pegasus" gar
nicht fortbringen."
Darin gab ich ihm recht. Wir hätten es schon deswegen nicht geschafft, weil ein Großer Drache
am Tag vier Tonnen Fleisch und Bananen brauchte.
Wir schwiegen eine Weile. Es ist schön, mit einem guten Freund zusammenzusitzen und nirgends
hin zu müssen. Eine ältere Touristin mit violetter, wachsblumengeschmückter Perücke näherte
sich uns und hielt Gromoseka schüchtern einen Notizblock hin. "Würden Sie so gut sein, mir
anläßlich unserer zufälligen Begegnung ein Autogramm zu geben?"
"Warum nicht", erwiderte Gromoseka und streckte seinen Krallenfühler nach dem Block aus.
Die alte Frau kniff vor Schreck die Augen zu. Ihre kleine dünne Hand begann zu zittern.
Gromoseka schlug den Notizblock auf und schrieb in schwungvollen Zügen auf eine der freien
Seiten: "Der wunderschönen jungen Erdbewohnerin in treuer Verehrung von einem Bewohner des
Nebelplaneten Tschumaros. Mond. Restaurant ,Lunochod' 3. März 2074."
gVielen Dank", flüsterte das Mütterchen und entfernte sich mit Trippelschritten.
"War's gut so?" fragte Gromoseka. "Richtig zu Herzen gehend?"
"Sehr zu Herzen gehend", stimmte ich zu. "Nur nicht ganz treffend."
"Wieso?"
"Weil es sich bei ihr um keine junge, sondern um eine alte Frau handelte."
"Oh, was für eine Schande!" Gromoseka war bestürzt. "Aber sie hatte doch Blumen auf dem Kopf.
Ich lauf ihr nach und schreib was Neues."
"Das lohnt nicht mein Lieber, du würdest sie nur erschrecken."
"Ach, schwer ist die Bürde des Ruhms", seufzte Gromoseka. "Wenn's auch angenehm berührt zu
wissen, daß man den bedeutendsten Archäologen vom Tschumaros selbst auf diesem fernen
Erdenmond kennt."
Ich wollte ihm die Illusion nicht nehmen. Allerdings hatte ich die alte Frau stark im Verdacht nie im
Leben auch nur von einem einzigen Kosmosarchäologen gehört zu haben. Sie war lediglich vom
Äußeren meines Freundes beeindruckt gewesen.
,Hör mal", sagte Gromoseka plötzlich, "mir ist eine Idee gekommen. Ich werde dir helfen."
"Wie denn das?"
"Hast du schon mal vom Planeten der Drei Kapitäne gehört?"
"Irgendwann hab ich darüber gelesen, könnte bloß nicht mehr sagen, in welchem
Zusammenhang."
"Na, wunderbar."
Gromoseka beugte sich zu mir herüber, legte seinen schweren, heißen Fangarm um meine
Schulter, richtete die glänzenden Plättchen auf seinem runden, an einen Luftballon erinnernden
Bauch und erklärte: "Im Sektor 19-4 gibt es einen kleinen unbewohnten Planeten. Früher besaß dieser Himmelskörper nicht einmal einen Namen, lediglich einen Zahlencode. Heute nennen die Kosmonauten ihn den Planeten der Drei Kapitäne. Weshalb? Weil sich dort auf einem ebenen Steinplateau drei Statuen erheben, die zu Ehren dreier Raumschiffkommandanten errichtet wurden. Es waren berühmte Wissenschaftler und kühne Männer. Der eine stammte von der Erde, der zweite vom Mars und der dritte vom Fix. Gemeinsam streiften sie durch die Sternenwelt, landeten auf Planeten, die so gut wie unzugänglich waren, und retteten Zivilisationen, denen Gefahr drohte. Sie haben als erste die Dschungel der Eurydike bezwungen, und einem gelang es sogar, einen Großen Drachen zu schießen. Sie machten den Schlupfwinkel der kosmischen Piraten ausfindig und zerschlugen sie, obwohl die Bande zahlenmäßig zehnmal so stark war wie sie. Sie waren es, die sich in die Methanatmosphäre der Golgatha wagen und den Stein der Philosophen wiederfanden, den der Konvoi unter Kursak dort verloren hatte. Sie sprengten jenen giftigen Vulkan, der die Bevölkerung eines ganzen Planeten zu vernichten drohte. Zwei Wochen hintereinander könnte man von ihren Heldentaten berichten. . .". "Jetzt fällt mir's wieder ein", unterbrach ich Gromoseka. "Natürlich hab ich von den Drei Kapitänen gehört." "Na bitte", Gromoseka leerte ein weiteres Glas Baldrian. Wir vergessen unsere Helden gar zu schnell, schämen sollten wir uns." Er schüttelte vorwurfsvoll seinen geschmeidigen Kopf und fuhr fort: "Vor einigen Jahren haben sich die Wege der drei dann getrennt, weil sich der Erste Kapitän dem Venus-Projekt verschrieb." ja, ich weiß , erwiderte ich. "Es galt, die Umlaufbahn der Venus zu verändern. Er war daran beteiligt." "So ist es. Diesen Ersten Kapitän lockten schon immer die großen Unternehmen. Als er von dem Beschluß erfuhr, die Venus ein Stück von der Sonne wegzurücken und ihre Umdrehungsgeschwindigkeit zu beeinflussen, damit sie besiedelt werden konnte, stellte er seine Kenntnisse sofort zur Verfügung. Das war sehr verdienstvoll, denn die Gelehrten hatten entschieden, die Venus zu einem gewaltigen Raumschiff zu machen. In der ganzen Galaxis aber kannte sich keiner besser in der Kosmostechnik aus als der Erste Kapitän." "Und was geschah mit seinen beiden Freunden?" fragte ich. "Es heißt der Zweite sei ums Leben gekommen, doch keiner kann sagen, wann und wo. Der Dritte Kapitän ist in die Nachbargalaxis aufgebrochen und wird in einigen Jahren zurückerwartet ... Was ich aber sagen wollte, ist daß diese Männer gewiß viele seltene und schöne Tiere bzw. Vögel gesehen haben. Zum Beispiel weiß ich genau, daß sie verschiedene Notizen und Tagebücher hinterlassen haben." "Und wo befinden sich die?" "Sie werden auf dem Planeten der Drei Kapitäne aufbewahrt. Neben dem Monument das von engagierten Zeitgenossen aus Spenden von nahezu achtzig Planeten errichtet wurde, befinden sich ein Laboratorium und eine Gedenkstätte. Dort ist Doktor Werchowzew zu Hause, der wie kein anderer in der Galaxis über die Drei Kapitäne Bescheid weiß. Du wirst es bestimmt nicht bereuen, wenn du bei ihm vorbeischaust." "Danke, Gromoseka", sagte ich. "Aber du solltest jetzt vielleicht mit dem Baldrian aufhören. Hast selber mal geklagt, daß er Herzbeschwerden verursacht." "Tja, was soll ich machen!" Gromoseka schlug die Fangarme über dem Kopf zusammen. "Du weißt ja, ich besitze drei Herzen. Auf eins wirkt sich der Baldrian schädlich aus, doch ich kriege einfach nicht heraus, auf welches." Wir tauschten uns noch eine geschlagene Stunde über alte Bekannte aus und über Abenteuer, die wir früher gemeinsam bestanden hatten. Plötzlich wurde die Tür zum Foyer aufgestoßen, und eine Vielzahl von Menschen und Außerirdischen strömte herein. Sie trugen die Fußballer der Erdenmannschaft auf den Schultern. Musik ertönte, fröhliche Ausrufe waren zu hören. Aus der Menge löste sich Alissa. "Na bitte!" rief sie, als sie mich sah. "Die drei Mann Verstärkung vom Mars haben den Fixianern nichts genützt! Drei zu eins für uns! Die nächste Begegnung findet nun auf neutralem Platz statt." "Und was ist mit der Drei b?" stichelte ich.
"Die war nicht da", erwiderte Alissa, "ich hätte sie sonst entdeckt. Wahrscheinlich haben sie die Drei b unterwegs abgefangen und zurückgeschickt. In den Kartoffelsäcken; haha! Geschieht ihnen ganz recht!" "Du bist ein schlechter Mensch, Alissa", tadelte ich. "Nein!" heulte Gromoseka entrüstet auf. "Du hast kein Recht ein wehrloses Mädchen derart zu beleidigen! Das lasse ich nicht zu!" Er umschlang Alissa mit seinen Tentakeln und hob sie zur Decke hoch. "Nein und nochmals nein! Deine Tochter ist auch meine Tochter. Ich laß es nicht zu!" "Aber ich bin doch gar nicht Ihre Tochter", sagte Alissa von ihrer Höhe herab. Sie zeigte sich nicht allzu erschrocken. Dafür war der Mechaniker Seljony, als er in diesem Moment die Halle betrat und Alissa in den Fängen eines riesigen Ungeheuers zappeln sah, um so entsetzter. Mich bemerkte er gar nicht. Er stürzte auf Gromoseka zu, wobei sein roter Bart wie ein Banner wehte, und raste voller Wucht in den runden Bauch meines Freundes. Gromoseka schnappte den Mechaniker mit den noch freien Fangarmen und setzte ihn auf den Lüster. Dann ließ er Alissa vorsichtig wieder herunter und sagte: "Ich war wohl ein bißchen hitzig?" "Ein bißchen schon", antwortete Alissa an meiner Stelle. "Setzen Sie sofort Seljony auf den Boden."
"Soll er sich künftig nicht wie ein Wilder auf Archäologen stürzen", erwiderte Gromoseka. "Er kann ruhig eine Weile oben bleiben. Ich hab nämlich ganz vergessen, daß ich noch vor Arbeitsschluß im Stützpunkt sein muß." Er zwinkerte Alissa verschmitzt zu und begab sich schwankenden Schritts in Richtung Schleusenkammer, dabei eine Woge Baldriangeruch verbreitend. Wir befreiten den Mechaniker mit Hilfe der Fußballmannschaft. Ich grollte Gromoseka ein wenig: Zwar war mein Freund ein begabter Wissenschaftler und treuer Kamerad, doch andererseits schlecht erzogen - sein Humor nahm mitunter merkwürdige Formen an. "Und wo fliegen wir als. nächstes hin?" erkundigte sich Alissa, als wir uns dem Raumschiff näherten. "Zunächst liefern wir die für den Mars und den Kleinen Arktur bestimmte Fracht ab, dann geht's geradenwegs zum Sektor 19-4, zum Planeten der Drei Kapitäne." "Sie sollen hochleben, die Drei Kapitäne", rief Alissa aus, obwohl sie bis dahin noch nie etwas von ihnen gehört hatte. Die Quappen sind verschwunden Die Erkunder auf dem Kleinen Arktur empfingen den "Pegasus" sehr feierlieh. Wir hatten kaum auf dem Metallbelag der Landefläche aufgesetzt die unter dem Gewicht des Raumschiffs ins Schwanken geriet - rötlich-fauliges Wasser spritzte dabei zwischen den Planken hoch -, als sie auch schon mit ihrem Geländemobil flink auf uns zusteuerten. Drei kräftige junge Männer stiegen aus dem Wagen. Über dem Skaphander trug jeder einen roten Kaftan. Ihnen folgten drei Kosmonautinnen in prächtigem, gleichfalls über den Raumanzug gestreiften Sarafan. Die jungen Leute brachten uns auf Tellern Brot und Salz zur Begrüßung. Als wir dann die nassen Metallplanken des Kosmodroms betraten, bekränzten sie unsere Helme mit üppigen Blumen ihres Planeten. Uns zu Ehren wurde in der engen Gemeinschaftskajüte der Erkunder ein festliches Abendessen veranstaltet. Wir wurden mit konserviertem Obst, konservierter Ente und konservierten belegten Broten bewirtet. Seljony, unser Bordmechaniker und Chefkoch, ließ sich ebenfalls nicht lumpen er bereicherte die Festtafel mit richtigen Äpfeln, richtiger Schlagsahne und, was das wichtigste war, mit richtigem Schwarzbrot. Der begehrteste Gast unter uns war Alissa, denn die Erkunder hatten ihre Kinder zu Hause auf dem Mars, der Erde, dem Ganymed gelassen - ihre Sehnsucht nach einem richtigen Kind war groß. Alissa mußte alle möglichen Fragen beantworten. Sie gab sich redliche Mühe, dümmer zu erscheinen, als sie in Wirklichkeit war. Als wir später ins Raumschiff zurückkehrten, sagte sie: "Die wollten so gern ein kleines unverständiges Ding in mir sehn, ich, konnte sie einfach nicht enttäuschen." Am nächsten Tag übergaben wir ihnen die für sie bestimmte Fracht doch dann stellte sich zu unserem Bedauern heraus, daß es mit der Jagd auf die hiesige Tierwelt nicht klappen würde: Die Zeit der Stürme hatte eingesetzt. Sämtliche Flüsse und Seen des Planeten traten über die Ufer, so daß Exkursionen so gut wie unmöglich waren. "Wenn ihr wollt fangen wir euch eine Riesenquappe", schlug der Leiter des Stützpunkts vor. "Einverstanden, das wäre wenigstens was", sagte ich. Ich hätte schon oft von den unterschiedlichsten Reptilienarten des Arktur gehört, auch von den Riesenquappen, jedoch noch nie eine zu Gesicht bekommen. Zwei Stunden später brachten die Kundschafter ein mächtiges Aquarium angeschleppt, auf dessen Grund drei metergroße Quappen dämmerten. Sie erinnerten an gigantische Salamander. Danach hievten die Männer eine Kiste mit Wasserpflanzen die Gangway hinauf. "Das ist Futter für die erste Zeit", erklärten sie. "Geben Sie acht: Die Quappen sind sehr verfressen und wachsen schnell." "Werden wir ein größeres Aquarium benötigen.?" fragte ich. "Noch besser wäre ein Bassin", erwiderte der Leiter der Station.
Unterdessen hatten seine, Kameraden einen zweiten Kasten mit Futter an Bord gebracht.
"Wachsen sie sehr schnell?" wollte ich weiter wissen.
"Ziemlich. Genaueres kann ich auch nicht sagen, wir haben noch keins dieser Tiere in
Gefangenschaft gehalten." Er lächelte geheimnisvoll und begann von anderen Dingen zu
sprechen.
"Waren Sie schon mal auf dem Planeten der Drei Kapitäne?" erkundigte ich mich.
"Nein", antwortete der Leiter, "doch besucht uns hin und wieder Doktor Werchowzew. Vor einem
Monat erst war er hier. Ich muß Ihnen gestehen: Er ist ein ziemlicher Kauz."
"Wieso das?"
"Aus mir unverständlichen Gründen will er unbedingt die technischen Skizzen des Raumschiffs
Blaue Möwe' haben."
"Was ist daran so verwunderlich?"
"Die Blaue Möwe' war das Schiff des Zweiten Kapitäns, der vor vier Jahren verschollen ist."
"Was will Werchowzew mit diesem Schiff?"
"Das ist der springende Punkt. Ich hab ihn gefragt. Er schreibt angeblich ein Buch über die
Heldentaten der Drei Kapitäne, einen dokumentarischen Roman, und kann die Arbeit daran nicht
fortsetzen, solange er den Aufbau, dieses Schiffes nicht kennt."
"Aber war denn die "Blaue Möwe" so ungewöhnlicher Art?"
Der Leiter des Stützpunkts lächelte nachsichtig, als er erwiderte: Ich seh sehon, Sie sind nicht
informiert. Die Schiffe der Drei Kapitäne waren stets Spezialkonstruktionen und wurden von ihnen
selbst noch umgebaut. Die drei kannten sich nämlich auf allen Gebieten aus. Ihre Schiffe waren
die reinsten Wunderwerke! Eingerichtet auf die unvorhergesehensten Zwischenfälle. Eins von
ihnen, die "Everest" - sie gehörte dem Ersten Kapitän -, befindet sich zur Zeit im Pariser
Kosmosmuseum."
"Warum hat Werchowzew nicht einfach beim Pariser Museum angefragt?" sagte ich verwundert.
"Weil sich alle drei Schiffe voneinander unterscheiden. Die drei waren Männer mit Charakter und
wiederholten sich nie."
"Na, lassen wir das", sagte ich. "Wir wollen Werchowzew sowieso aufsuchen. Könnten Sie uns die
Koordinaten seines Stützpunkts geben?"
"Mit Vergnügen", erwiderte der Leiter, "richten Sie ihm einen schönen Gruß von uns aus. Und
vergessen Sie nicht, die Quappen zu gegebener Zeit ins Becken umzusetzen."
Wir verabschiedeten uns von den gastfreundlichen Erkundern und flogen ab.
Bevor ich mich schlafen legte, wollte ich noch einen Blick auf die Quappen werfen. Bei näherer
Betrachtung erwies sich ihre Ähnlichkeit mit Salamandern als trügerisch. Sie waren über und über
mit harten glänzenden Schuppen bedeckt, hatten große traurige Augen mit langen Wimpern, und
ihre kurzen Schwänze gabelten sich am Ende zu zwei dichten sperrigen Quasten.
Ich beschloß, sie am nächsten Morgen ins Becken umzuquartieren - die Nacht über würde ihnen
schon nichts zustoßen. Ich warf ihnen zwei Armvoll Wasserpflanzen hin und löschte das Licht. Der
Anfang war gemacht - wir hatten die ersten Tiere für unseren Zoo an Bord.
Morgens weckte mich Alissa. "Papa", sagte sie, wach auf."
"Was ist los?" Ich schaute auf die Uhr: Es war nach der Bordzeit gerade mal sieben. Was springst
du in aller Herrgottsfrühe hier herum?"
,Ich wollte mir die Quappen ansehn, die hat doch bisher noch niemand auf der Erde zu Gesicht
bekommen."
Ja und? Mußt du deswegen deinen alten Vater wecken? Hättest lieber den Roboter einschalten
sollen. Während er das Frühstück zubereitet wären wir in aller Seelenruhe aufgestanden. .
"Du mit deinem Frühstück!" unterbrach mich Alissa ungezogen. "Ich sage dir: Steh auf und sieh dir
die Quappen an."
Etwas in ihrer. Stimme ließ mich aufhorchen. Ich sprang von meiner Pritsche hoch und rannte,
ohne mich erst anzukleiden, in den Laderaum mit dem Aquarium.
Der Anblick, der sich mir bot warf mich um. Man hielt es nicht für moglieh, aber die Tiere waren im
Laufe der Nacht fast um das Doppelte gewachsen und paßten schon nicht mehr ins Aquarium.
Ihre Schwänze ragten über den Rand und hingen beinahe bis auf den Boden herab.
"Das kann doch nicht wahr sein!" rief ich. "Wir müssen sie sofort ins Becken bringen!" Ich lief zu Seljony und weckte ihn. "Du mußt mir helfen! Die Quappen sind so groß geworden, daß ich sie allein nicht aus dem Aquarium kriege." "Ich hab's ja gleich gesagt", rief der Mechaniker aus, "dabei kommt nichts Gutes heraus! Wer hat mich bloß dazu gebracht, in einem Wanderzoo zu arbeiten!" "Das weiß ich auch nicht", erwiderte ich, "aber komm jetzt." Seljony warf sich einen Bademantel über und trottete brummend hinter mir her zum Laderaum. Als er die Quappen erblickte, krallte er seine Finger in den Bart und stöhnte: "O Himmel, morgen werden sie das ganze Schiff ausfüllen!" Zum Glück war das Becken rechtzeitig mit Wasser gefüllt worden, so daß Seljony und ich die Tiere gleich hinübertragen konnten. Sie waren gar nicht so schwer, nur sehr glitschig, sie wollten ständig wegflutschen. Als wir die dritte und letzte Quappe endlich im Bassin hatten, waren wir richtig ins Schwitzen gekommen. Das Wasserbecken auf dem "Pegasus" war nicht übermäßig groß: drei mal vier Meter in der Fläche und zwei Meter tief, doch die Quappen fanden bequem darin Platz. Sie begannen sofort, nach Nahrung suchend, umherzuschwimmen. Daß sie Hunger hatten, war auch nicht verwunderlich - diese Wesen hatten es offenbar auf den Galaxisrekord im Wachsen abgesehen. Während ich die Tiere fütterte, etwa die Hälfte der Wasserpflanzen aus der einen Kiste ging dabei drauf, erschien Aoloskow im Laderaum. Er war bereits gewaschen, rasiert und in voller Uniform. "Alissa behauptet deine Quappen sind gewachsen", sagte er grienend. "Ach wo, nicht der Rede wert", antwortete ich und gab mir den Anschein, ich sei an solche Wunder gewöhnt. Poloskow schaute ins Becken und stieß einen Ruf der Verwunderung aus. ,Aber das sind ja die reinsten Krokodile! Die können doch glatt einen Menschen verschlingen." "Keine Angst", sagte ich, "es sind Pflanzenfresser. Außerdem hätten die Erkunder uns gewarnt." Die Tiere schwammen an der Wasseroberfläche und streckten hungrig ihre Mäuler heraus. "Die wollen ja schon wieder fressen!" sagte, Seljony. Nicht mehr lange, dann machen sie sich über uns her." Gegen Mittag hatten die Quappen bereits eine Länge von zweieinhalb Metern erreicht und den Inhalt des ersten Kastens vertilgt. "Die Erkunder hätten uns ruhig ein Wort sagen können", maulte Seljony. "sie haben's gewußt, dachten aber: Die Fachleute sollen sich ruhig damit abquälen." "Das ist nicht wahr!" erwiderte Alissa empört denn unsere Gastgeber hatten ihr zum Abschied viele interessante Dinge geschenkt: ein holzgeschnitztes Modell ihres Geländemobils,, Schachfiguren aus dem Knochen eines ausgegrabenen Parallelipeds, ein kleines Papiermesser aus Glasbaumrinde und anderes mehr, alles an langen Abenden selbst gebastelt. "Na, warten wir's ab", sagte philosophisch der Mechaniker und trollte sich, um die Triebwerke zu überprüfen. Am Abend betrug die Länge der Quappen dreieinhalb Meter. Sie hatten nun einige Mühe, sich im Becken zu bewegen, und blieben deshalb hauptsächlich am Grund. Sie tauchten nur hoch, um sich ein Büschel Wasserpflanzen zu schnappen. Ich ging mit der düsteren Vorahnung schlafen, daß ich die Quappen nicht heil zur Erde bringen würde. Da hatte sich also bereits die erste Tierart als Reinfall erwiesen. Der Kosmos gab einem mitunter Rätsel auf, denen ein einfacher Erdenbiologe nicht gewachsen war. Am nächsten Morgen stand ich als erster auf. Ich überquerte den Korridor auf Zehenspitzen, eingedenk der Alpträume, die mich in der Nacht heimgesucht hatten. Ich hatte geträumt, die Quappen - nun schon länger als der "Pegasus" selbst - wären herausgeklettert, flögen neben uns durch den Kosmos und machten Anstalten, unser Schiff zu verschlucken. Ich öffnete die Tür zum Laderaum und verharrte ein paar Sekunden lang an der Schwelle, befürchtend, aus einer der Ecken könnte eine Quappe zum Vorschein kommen. Doch in der Luke herrschte Stille. Das Wasser im Becken lag unbeweglich da. Ich ging näher. Die Tiere mit einer Länge von jeweils vier Metern lagen schemenhaft und dunkel am Grund. Mir fiel
ein Stein vom Herzen. Ich nahm einen Schrubber zur Hand und rührte damit das Wasser auf.
Weshalb regten sich die Quappen nicht?
Der Schrubber berührte eins der Tiere, das leicht zur Seite glitt seine Artgenossen an die
gegenüberliegende Wand des Bassins drückend. Sie zeigten immer noch kein Lebenszeichen.
Sie sind krepiert, schoß es mir durch den Kopf. Wahrscheinlich verhungert.
"Na, wie geht's ihnen, Papa?" fragte in diesem Moment Alissa.
Ich drehte mich um. Alissa stand barfuß auf dem kalten Plastfußboden, und statt einer Antwort
sagte ich: "Zieh sofort Schuhe an, du erkältest dich."
In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Poloskow trat ein. Hinter seiner Schulter tauchte der
feuerrote Bart des Mechanikers auf.
"Na, was ist?" fragten sie wie aus einem Munde.
Alissa rannte los, um Schuhe zu holen. Ich, ohne die Frage meiner Kameraden zu beantworten,
klopfte an der leblosen Quappe herum. Ihr Körper schien hohl zu sein - er ließ sich federleicht
bewegen. Die Augen des Tieres waren geschlossen.
,Sie sind tot", sagte Seljony betrübt. "Dabei haben wir uns solche Mühe mit ihnen gegeben, haben
sie gestern noch ins Becken umgesetzt! Aber ich hab's ja immer gesagt: Dabei kommt nichts
Gutes raus."
Ich drehte die Quappe mit Hilfe des Schrubbers um, was nicht allzu schwer war. Der gefleckte
Bauch des Tieres war in der Mitte auseinandergeschlitzt. Da begriffen wir, daß im Becken lediglich
die Hüllen der Tiere herumschwammen, die ihre Körperform bewahrt hatten. Der harte
Schuppenpanzer verhinderte ein Zusammenschrumpfen der Haut.
"Oho , sagte der Mechaniker und sah sich im Raum um, "sie sind ausgeschlüpft!"
"Ausgeschlüpft?" fragte Poloskow. "Und haben eine andere Form angenommen?!"
"Was weiß ich!"
"Hör mal, Professor", wandte sich der Kommandant jetzt offiziell an mich, "nach all dem zu
urteilen, hege ich die starke Befürchtung, daß sich auf meinem Schiff irgendwelche Ungeheuer
befinden, die sich bislang in den sogenannten Quappen verborgen hielten. Wo sind sie?"
Ich drehte mit dem Schrubber nun auch die übrigen Tiere auf den Rücken - sie waren gleichfalls
hohl.
"Ich hab keine Ahnung", bekannte ich ehrlich.
"War die Tür auf oder zu, als du hier reingekommen bist?"
In meinem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander, und ich antwortete: "Ich kann mich nicht
erinnern, Poloskow. Ich glaube, sie war zu."
"Das sind Zustände!" knurrte Poloskow und strebte zum Ausgang.
"Wo willst du hin?" rief Seljony ihm nach.
"Das Schiff durchsuchen. Und dir rate ich, den Maschinenraum gründlich unter die Lupe zu
nehmen. Aber bewaffne dich. Wer weiß, was diese Quappen hervorgebracht haben. Womöglich
Drachen."
Sie gingen, doch schon wenige Minuten später kam Poloskow eilig zurück und händigte mir einen
Blaster aus. "Besser ist besser", sagte er. "Und Alissa würde ich an deiner Stelle in der Kajüte
einschließen."
"Das fehlte noch!" erwiderte Alissa. "Ich hab übrigens eine Theorie."
"Verschon mich bloß mit deinen Theorien!" sagte ich. "Und jetzt komm mit, in die Kajüte."
Alissa sträubte sich wie eine Wildkatze, dennoch gelang es uns, sie einzusperren. Dann
begannen wir mit der Durchsuchung des Schiffes.
Es ist erstaunlich, wie viele Laderäume, Segmente, Korridore und Kajüten ein verhältnismäßig
kleines Expeditionsraumschiff besitzt! Wir benötigten zu dritt, einander Deckung gebend, volle drei
Stunden, um den "Pegasus" zu durchkämmen.
Doch wir fanden nichts.
"Was soll's", sagte ich, "jetzt frühstücken wir erst mal, dann durchsuchen wir das Schiff erneut.
Irgendwo müssen die Viecher doch stecken!" "Ich möchte auch frühstücken", ließ sich Alissa
vernehmen, die unser Gespräch über Bordtelefon mitgehört hatte. "Laßt mich endlich frei."
Wir erlösten Alissa und geleiteten sie unter strengster Bewachung in die Gemeinschaftskajüte.
Bevor wir uns ans Essen machten, verriegelten wir die Tür und legten die Blasterpistolen neben
uns auf den Tisch.
"Das grenzt an ein Wunder", sagte Poloskow- und machte sich über den Grießbrei her. "Wo
mögen sie bloß stecken? Vielleicht im Reaktor? Und wenn sie nun ins Freie geklettert sind?"
"Ein scheußliches Wunder", schimpfte Seljony. "Solche Wunder mag ich
nicht. Mir haben die Quappen von Anfang an nicht gefallen. Gib mal die
Kaffeekanne rüber ."
"Ich fürchte wir werden das Rätsel nie lösen", sagte Poloskow.
Ich nickte, denn ich war der gleichen Meinung.
"Natürlich werden wir es lösen", mischte sieh Alissa ein.
"Du halt den Mund."
"Ich kann dazu aber nicht schweigen. Wenn ihr wollt, finde ich sie."
Poloskow brach in Gelächter aus; er lachte lange und herzlich. Nein so was, drei erwachsene
Männer suchen drei Stunden lang bis zum Verrücktwerden, und du willst sie im Alleingang finden."
"Ich mach mir's leichter", antwortete Alissa. "Wetten, daß ich sie finde?"
"Einverstanden", sagte Poloskow, noch immer lachend. "Um was wetten wir?"
"Um einen Wunsch", erwiderte Alissa.
"Abgemacht."
"Aber ich will sie allein suchen."
"Das kommt gar nicht in Frage", protestierte ich, "du gehst nirgendwo allein hin. Hast du
vergessen, daß sich auf dem Schiff möglicherweise gefährliche Tiere verbergen?"
Ich war ärgerlich auf die Erkunder und ihren üblen Scherz, auf mich, weil ich geschlafen und jenen
Moment verpaßt hatte, wo die Quappen ausgeschlüpft waren, auf Alissa und Poloskow, weil sie
zu einem so ernsten Zeitpunkt eine kindische Wette abschlossen.
"Gehen wir", sagte Alissa und stand vom Tisch auf.
"Zuerst trinkst du mal deinen Tee aus", antwortete ich streng.
Alissa leerte ihre Tasse und ging sicheren Schritts zum Laderaum, in dem
sich das Aquarium befand. Wir folgten ihr und kamen uns reichlich dumm vor. Weshalb nur ließen
wir uns auf diesen Unsinn ein!
Alissa schaute sich flink im Laderaum um. Dann bat sie Poloskow, die Kisten von der Wand zu
rücken. Der Kapitän gehorchte lächelnd. Danach kehrte Alissa zum Becken zurück und umrundete
es einmal. Die dunklen Hüllen der Tiere lagen nach wie vor dunkel am Grund. An der
Wasseroberfläche schwammen übriggebliebene Futterpflanzen.
"Da sind sie", sagte Alissa, "ihr könnt sie fangen. Aber vorsichtig: Sie springen."
Und dann sahen auch wir, daß auf einer der Pflanzen nebeneinander drei kleine Frösche saßen.
Das heißt, es waren keine richtigen Frösche, sondern Wesen, die ihnen sehr ähnelten. Jedes so
groß wie ein Fingerhut.
Wir fingen sie ein und setzten sie in ein Konservenglas. Ich bereute meinen Starrsinn und sagte
zu Alissa: "Wie bist du bloß darauf gekommen, Töchtereben?"
"Das fragst du mich immer wieder mal, Papa", erwiderte Alissa nicht ohne Stolz. "Dabei ist es
ganz einfach. Ihr Erwachsenen seid alles kluge Leute und denkt wie du selber oft erklärst, stets
logisch. Ich aber bin nicht so gescheit und denke einfach, wie mir's in den Sinn kommt. Deshalb
hab ich mir gesagt: Wenn das Quappen sind, müssen am Ende Frösche rauskommen.
Jungfrösehe aber sind immer kleiner als die Quappen. Ihr seid mit Pistolen durchs Schiff gepirscht
und habt nach großen Ungeheuern gesucht. Hattet sogar Angst vor ihnen. Ich dagegen saß
eingesperrt in meiner Kajüte und überlegte mir, daß man, anstatt immer in die Höhe zu schauen
und nach etwas Gewaltigem zu suchen, vielleicht mehr in die Winkel gucken und nach
klitzekleinen Fröschen Ausschau halten sollte. So hab ich sie dann eben gefunden."
"Aber warum brauchen kleine Frösche so große Hüllen?" Poloskow war noch immer verwundert.
"Darüber hab ich mir noch nicht den Kopf zerbrochen", gestand Alissa. "Bin gar nicht auf die Idee
gekommen. Hätte ich erst damit angefangen, wär mir das mit den Fröschen gewiß nie
eingefallen."
"Und was sagst du dazu, Professor?" wandte sich Poloskow an mich.
"Vorläufig gar nichts. Wir müssen die Hüllen der Tiere gründlich untersuchen. Wahrscheinlich
stellen sie eine Art Fabrik dar, wo die Nahrung in ein kompliziertes Konzentrat umgewandelt wird.
Später gehen daraus die Frösche hervor ... Vielleicht haben es große Quappen aber auch einfach
leichter, sich gegen Feinde zu verteidigen." "Und vergiß ja nicht Poloskow, daß ich einen Wunsch
frei habe", mahnte Alissa streng.
"Ich vergesse niemals etwas", erwiderte bestimmt der Kapitän.
Doktor Werchowzews Ratschläge Wir schickten Doktor Werchowzew von unterwegs einen Funkspruch: "Ankommen Freitag. Bitte abholen." Der Doktor antwortete umgehend, er wurde uns mit Freuden in Empfang nehmen und mit seinem Kosmosgleiter durch den gefährlichen Asteroidengürtel manövrieren, der den Planeten der Drei Kapitäne umgibt. Zur angegebenen Stunde brachten wir unser Raumschiff vor dem Asteroidengürtel zum Stehen. Eine dichte Ansammlung von Gesteinsbrocken verhüllte wolkengleich die Oberfläche des Planeten. Alle hatte eine eigentümliche Erregung erfaßt, glaubten wir doch, daß durch die Begegnung mit Werchowzew wichtige und interessante Ereignisse auf uns zukamen. Vielleicht sogar richtige Abenteuer. Der Kosmosgleiter des Doktors blitzte wie ein Silberpfeil zwischen den Asteroiden auf und jagte schon im nächsten Augenblick auf uns zu. "Pegasus, hören Sie mich?" ertönte im Lautsprecher eine dumpfe Stimme. "Bitte folgen Sie mir." "Ich würde zu gern wissen, was das für ein Mensch ist, sagte Alissa, die gemeinsam mit uns in ihrem kleinen, speziell für sie gefertigten Amortisationssessel auf der Kommandobrücke saß, "sicherlich ist ihm langweilig so allein auf dem Planeten." Wir gaben keine Antwort. Poloskow hatte mit der Steuerung des Schiffes zu tun, ich stand ihm als Kopilot bei, und Seljony hielt sich unten im Maschinenraum auf. Unser Schiff änderte den Kurs, umflog einen stoßzahnähnlichen Asteroiden und glitt dann gehorsam in die Tiefe. Vor uns breitete sich Wüste aus, hier und da von Schluchten zerklüftet und von Kraternarben gezeichnet. Der Silberpfeil schnellte vor uns her und wies uns den Weg. Wir gingen merklich tiefer. Nun konnten wir bereits Felsen und ausgetrocknete Flußläufe erkennen. Dann zeigte sich vor uns der dunkelgrune Fleck einer Oase, über der sich die Kuppel der Station wölbte. Der Gleiter des Doktors zog eine Kurve und ging auf einer ebenen Fläche nieder. Wir folgten seinem Beispiel. Als der "Pegasus" schließlich leicht schwankend auf seinen Landestützen stand und Poloskow sein "Alles in Ordnung" gesagt hatte, entdeckte ich zwischen dem Grün der Oase und unserem Schiff die Statuen. Auf einem hohen Sockel erhoben sich die drei in Stein gehauenen Kapitäne. Schon von weitern sah man, daß zwei von ihnen menschliche Gestalt besaßen, während der dritte ein dünner dreibeiniger Fixianer war. "Da wären wir also", sagte Alissa, "kann ich raus?" "Augenblick noch", antwortete ich. "Wir kennen weder die Beschaffenheit der Atmosphäre noch die Temperatur. Welchen Skaphander willst du da anziehn?" "Gar keinen", erwiderte Alissa und zeigte aufs Bullauge. Aus dem silbrigen Kosmosgleiter stieg ein Mann in gewöhnlichem grauen Anzug und mit grauem, ein wenig geknautschtem Hut. Er hob zur Begrüßung den Arm. Poloskow schaltete den Außenlautsprecher ein und fragte: "Kann man in eurer Atmosphäre atmen?" Der Mann mit dem Hut nickte eifrig - kommt nur, habt keine Angst! Er begrüßte uns an der Gangway. "Herzlich willkommen auf der Station", sagte er und verbeugte sich. "Es ist sehr selten, daß ich hier Gäste empfange.
Doktor Werc howzew drückte sich ein bißchen altmodisch aus, passend zu seinem Aufzug. Er mochte etwa sechzig Jahre alt sein, war klein und hager und erinnerte an ein gutes altes Mütterchen. Sein Antlitz war von feinen F`ältchen durchfurcht. Er lächelte und verzog in einem fort das Gesicht doch zwischendurch, immer wenn es sich glättete, traten weiß und breit die Falten hervor. Er hatte lange, schlanke Finger. Als er uns allen die Hand gedrückt hatte, lud er uns zu sich ein, und wir folgten ihm zu den grünen Bäumen der Oase. "Wieso ist die Atmosphäre hier sauerstoffhaltig", fragte ich, "dieser Planet stellt doch das reinste Vakuum dar." "Sie ist künstlich erzeugt", erwiderte der Doktor, "und stammt noch aus jener Zeit, da die Monumente errichtet wurden. In einigen Jahren wird hier ein großes Museum entstehen, den Helden des Kosmos gewidmet. Ausgediente Raumschiffe finden darin ihr Domizil sowie alle möglichen Sehenswürdigkeiten ferner Planeten." Werchowzew machte vor einem Steinbrocken halt, mit den in Kosmossprache eingravierten Worten: "Hier wird das Museum für Raumfahrt erbaut werden." "Da sehen Sie", fuhr Werchowzew fort. "Am Bau des Museums beteiligen sich achtzig Planeten. Fürs erste aber wurde im Zentrum des hiesigen Planeten ein gewaltiger Reaktor installiert, der aus dem Felsgestein den Sauerstoff herausfiltert. Zur Zeit ist die Luft noch nicht besonders gut doch bei Eröffnung des Museums werden wir die beste Luft der gesamten Galaxis besitzen. Unterdessen langten wir am Fuße des Monuments an. Es war ein gewaltiges Kunstwerk, etwa von der Größe eines zwanziggeschossigen Hauses. Wir blieben stehen und betrachteten mit zurückgeworfenem Kopf die Drei Kapitäne.
Der Erste Kapitän war ein junger, breitschultriger und schlanker Mann. Er hatte eine leichte
Stupsnase und breite Backenknochen. Er lächelte. Auf seiner Schulter saß ein seltsamer Vogel
mit zwei Schnäbeln und einer hübschen Krone aus Steinfedern.
Der Zweite Kapitän war ein Stück größer. Er hatte eine breite Brust, aber dünne Beine - wie alle
Leute, die auf dem Mars geboren und aufgewachsen sind. Das Gesicht des Zweiten war schmal
und herb.
Der Dritte Kapitän schließlich, ein dreibeiniger Fixianer in enganliegendem Skaphander mit
zurückgeklapptem Helm, stützte sich mit der Hand gegen den Ast eines steinernen Strauchs.
"Sie sind noch gar nicht alt", sagte Alissa.
"Du hast recht, Mädchen", antwortete Werchowzew. "Sie haben ihren Ruhm bereits in jungen
Jahren erlangt."
Wir tauchten in den Schatten der Bäume und gingen auf einer breiten Allee zur Station hinüber.
Der Stützpunkt erwies sich als ein überaus geräumiges Gebäude, das mit Kisten, Containern und
allen möglichen Gerätschaften vollgestopft war.
"Sie fangen schon an, die Exponate für das künftige Museum zu schicken", sagte halb
entschuldigend der Doktor. "Aber kommen Sie, ich bringe Sie in m eine Höhle."
"Hier sieht's aus wie auf unserm Pegäsus' zu Beginn der Reise!" rief Alissa begeistert aus.
Sie hatte recht: Beim Gang durch die Station zur Wohnstatt des Doktors wurde man an die
Situation auf unserem Schiff erinnert, als es von Frachtgütern aller Art total überladen gewesen
war. Ein kleiner Verschlag inmitten der Container, der mit Büchern und Mikrofilmen vollgepfropft
war und kaum Platz für das gleichfalls von Büchern und Tonbändern bedeckte Bett ließ, bildete
Schlaf- und Arbeitsraum des Museumsdirektors.
"Setzen Sie sich", sagte unser Gastgeber, "fühlen Sie sich wie zu Hause."
Uns allen, den Hausherrn ausgenommen, war klar, daß ein Platznehmen hier absolut unmöglich
war. Schließlich fegte Werchowzew einige Papierstöße vom Bett auf den Fußboden. Die Blätter
flogen umher, und Alissa machte sich daran, sie aufzuheben.
"Sie schreiben einen Roman?" erkundigte sich Poloskow.
"Wie kommen Sie darauf? Ach ja, natürlich, das Leben der Drei Kapitäne ist interessanter als
jeglicher Roman. Ihre Biographie ist es wert, als Beispiel für kommende Generationen
festgehalten zu werden. Nur bin ich literarisch leider völlig unbegabt."
Ich sagte mir, daß der Doktor sein Licht gewiß unter den Scheffel stellte. Schließlich war er eigens
zu den Erkundern auf den Arktur geflogen, um nach Skizzen des einen Raumschiffs zu suchen.
"Nun denn", sagte der Doktor, "womit kann ich meinen verehrten Gästen dienen?"
"Uns wurde gesagt", begann ich, "daß Sie so gut wie alles über die Drei Kapitäne wissen."
"Na ja", Werchowzew errötete vor Verlegenheit "das ist mächtig übertrieben!" Er legte seinen Hut
auf einem Bücherstapel ab; der Hut machte Anstalten hinunterzufallen, doch der Doktor fing ihn
auf und packte ihn auf den Stapel zurück.
"Die Kapitäne", fuhr ich fort, "weilten auf vielen unbekannten Planeten, wo ihnen zahlreiche
wundersame Tiere und Vögel begegnet sein müssen. Es heißt, die drei hätten Notizen und
Tagebücher hinterlassen. Wir selbst aber befinden uns auf der Suche nach solchen Tieren.
Könnten Sie uns vielleicht weiterhelfen?"
"Aha, darum geht's . . ." Werchowzew verfiel in Nachdenken. Diesen gunstigen Moment nutzte
sein Hut, um erneut herunterzurutschen und unterm Bett zu verschwinden. Tja", sagte der Doktor
schließlich, "wenn ich das eher gewußt hätte. . ."
"Vielleicht darf ich dem Doktor einen Hinweis geben?" fragte Alissa.
ja das, mein Kind", antwortete Werchowzew und wandte sich ihr zu.
"Auf der Schulter des einen Kapitäns sitzt ein Vogel mit zwei Schnäbeln
und einer Krone auf dem Kopf. Einen solchen Vogel haben wir in unserm
Zoo nicht. Möglicherweise wissen Sie Näheres über ihn?"
"Nein", erwiderte Werchowzew, "über den weiß ich rein gar nichts. Wo ist eigentlich mein Hut?"
"Unterm Bett", sagte Alissa. "Ich hol ihn gleich hervor."
,Nur keine Umstände", sagte Werchowzew und tauchte unters Bett. Jetzt schauten nur noch seine
Füße heraus. Der Doktor suchte im Dunkeln nach seiner Kopfbedeckung, raschelte mit
irgendwelchen Papieren und fuhr fort: "Die Bildhauer haben die Skulptur nach den letzten Fotos
gestaltet, die es von den Kapitänen gab. Wahrscheinlich wählten sie jene, die ihnen am besten
gefielen.'
"Vielleicht ist der Vogel ein Produkt ihrer Phantasie?" vermutete ich und beugte mich zum. Bett
hinunter.
"Nein, nein", rief Werchowzew und begann mit den Füßen zu arbeiten, "ich hab die Fotos selbst
gesehen!"
"Ist wenigstens bekannt, wo die Bilder aufgenommen wurden?"
"Der Erste Kapitän hat sich niemals von dem Vogel getrennt", antwortete Werchowzew, "erst als
er auf die Venus flog, schenkte er ihn dem Zweiten. Dieser Zweite Kapitän aber ist wie Sie wissen,
verschollen. Und damit auch der Vogel."
"So daß also nicht einmal die Heimat des Tieres bekannt ist?"
Werchowzew war endlich wieder unter dem Bett hervorgekommen. Er hielt den Hut
zusammengedrückt in der Faust und wirkte verlegen. "Entschuldigen Sie", sagte er, "ich war ein
wenig abgelenkt."
"Man weiß also nicht, wo dieser Vogel zu Hause ist?" wiederholte ich.
"N-nein", erwiderte der Doktor hastig.
"Schade", ich seufzte, "da haben wir Pech gehabt. Können Sie uns denn kein bißchen
weiterhelfen? Wir hatten so große Hoffnungen in Sie gesetzt..."
"Wieso sollte ich das nicht können?" fuhr Werchowzew gekränkt auf. "Ich bin selber weit gereist ...
Lassen Sie mich mal nachdenken."
Der Doktor grübelte etwa drei Minuten lang und sagte dann: "Ha, jetzt fällt mir's wieder ein! Auf
dem Planeten Eurydike gibt es den Kleinen und den Großen Drachen..."
"Das ist mir bekannt", sagte ich. "Einen Großen hat seinerzeit einer der Kapitäne geschossen."
"Woher wissen Sie das?" "Ich weiß es eben. Mein Freund, der Archäologe Gromoseka, hat es mir
erzählt."
"Seltsam", murmelte Werchowzew und neigte den Kopf, wobei er mich musterte, als sähe er mich
zum ersten Mal. "Dann muß ich wohl weiter nachdenken."
Er überlegte erneut eine Minute und nannte dann die marsianische Gottesanbeterin. Das war
geradezu lächerlich! Diese Tiere gab es bereits in sämtlichen zoologischen Gärten der Welt, mehr
noch, man hielt sie mittlerweile als Haustiere. Auch Alissa besaß ein solches Exemplar.
Schließlich berichtete Werchowzew von Riesenquappen des Arktur, Fliegenstechern vom Fix,
Höllenvögeln des Planeten Trull und anderen Tieren, die sämtlich in dem Buch "Lebewesen
unserer Galaxis" beschrieben werden.
"Nein", sagte ich, "mit diesen Hinweisen können wir nichts anfangen."
"Sie müssen schon entschuldigen", erwiderte Werchowzew höflich, "aber ich habe mich mein
Lebtag mit vernunftbegabten Wesen befaßt, hatte mit Tieren wenig zu tun. Trotzdem, irgendwas
müßte mir noch einfallen." Er begann wieder zu grübeln. "Wo bin ich bloß überall gewesen. .
.",'murmelte er vor sich hin. "Ah, jetzt weiß ich's wieder. Auf dem Leeren Planeten."
"Wo, bitte?"
"Auf dem Leeren Planeten. Das ist gar nicht weit von hier, im benachbarten Sternensystem."
"Aber wenn das ein leerer Planet ist, was soll es da für Tiere geben?" fragte Alissa erstaunt.
"Das weiß niemand so genau. Denn als wir an einem Montag dort ankamen, brodelte der Himmel
nur so von Vögeln. Am Dienstag dagegen war kein einziger mehr zu sehen. Dafür gab's
rudelweise Wölfe. Und Hirsche. Am Mittwoch wiederum - weder das eine noch das andere. Der
Planet war wie leergefegt."
"Vielleicht hatten die Tiere ihren Standort gewechselt?"
"Nein", sagte Werchowzew, "darum handelte sich's nicht. Wir hatten einen Erkundungsleiter mit
und waren interessiert genug, den ganzen Planeten abzufliegen. Doch nichts. Kein einziges Tier,
kein Vogel. Absolute Leere. Und wir waren nicht die einzigen, die diese Tatsache in Erstaunen
versetzte. Ich geb Ihnen mal die Koordinaten."
"Danke", sagte ich. "Bitte zeigen Sie uns jetzt aber, wenn Sie uns sonst keinen Tip mehr geben
können,- die Tagebücher der Kapitäne. Die drei haben doch gewiß viele Tiere zu Gesicht
bekommen."
" Woher wissen Sie von der Existenz der Tagebücher?" erkundigte sich Werchowzew und neigte
abermals prüfend den Kopf.
"Von meinem Freund, dem Archäologen Gromoseka."
"Noch nie von ihm gehört. Brauchen Sie die Notizen denn wirklich? Übrigens fallen mir da noch
die Scharentierchen von der Scheschinera ein. Die treten dort in Hülle und Fülle auf, Wenigstens
soviel man mir berichtet hat."
"Auch dafür vielen Dank", sagte ich, obwohl mir ein Blick in die Tagebücher der Kapitäne zehnmal
lieber gewesen wäre. Doch der Doktor wollte sie aus unerfindlichem Grund nicht herausrücken. Er
schien uns irgendwie zu mißtrauen.
"Keine Ursache", erwiderte Werchowzew.
"Und was ist nun mit den Tagebüchern?" stieß Alissa nach..
"Aber Kindchen, was habt ihr nur immer mit den Tagebüchern? Die befinden sich doch gar nicht
hier, sondern auf dem Fix. Im Archiv. Ja, ja, im Archiv." Der Doktor lebte merklich auf, so als wäre
ihm eine treffliche Ausrede eingefallen.
"Na, wie Sie meinen", sagte Alissa.
Der Doktor wurde ein wenig verlegen, zog den geknautschten Hut in die Augen und sagte leise:
"Sie könnten aber auch dem Markt von Palaputra einen Besuch abstatten."
"Das werden wir unbedingt", erwiderte ich, der ist uns ein Begriff."
"Dann werd ich Sie jetzt zu Ihrem Schiff begleiten", sagte der Doktor. Er erhob sich und führte uns
zwischen Kisten und Containern hindurch zum Ausgang der Station. Er ging mit schnellen
Schritten, so als fürchtete er, wir könnten es uns anders überlegen und noch bleiben.
Dann waren wir wieder am Denkmal angelangt und blieben stehen.
"Was ist dem Zweiten Kapitän eigentlich genau passiert?" fragte ich.
"Er ist ums Leben gekommen, das wissen Sie doch."
"Nein, uns wurde gesagt, er wäre verschollen."
Der Doktor zuckte die schmächtigen Schultern.
Ich ließ nicht locker. "Und der Erste Kapitän, könnte der nicht ausfindig gemacht werden? Er lebt
doch noch, oder?"
"Ja. Er arbeitet irgendwo im Kosmos."
"Am Venus-Projekt? Aber daran sind mehrere tausend Menschen beteiligt!"
"Sie müssen schon selber versuchen, ihn zu finden. Ich kann leider nichts für Sie tun." "Trotzdem",
sagte ich, "vielen Dank für den Empfang. Allerdings hatten wir gehofft, unsere Begegnung würde
anders verlaufen."
"Das dachte ich ebenfalls", erwiderte Werchowzew.
"Vielleicht schicken Sie uns ein Exemplar Ihres Romans, wenn er fertig ist?"
"Ich schreibe keine Romane! Kann es gar nicht! Wer setzt bloß solche Gerüchte in die Welt!"
"Ich spreche von dem Buch, auf Grund dessen Sie vor einem Monat bei den Erkundern vom
Kleinen Arktur waren. Wegen der Bauskizzen der ,Blauen Möwe'.
"Wie bitte? Was für eine Blaue Möwe'?" Werchowzew hob die Arme. "Was für Erkunder? Ich war
ein halbes Jahr nicht dort!"
"Schon gut, schon gut", sagte ich, denn ich merkte, daß der Doktor nun gänzlich aus der Fassung
zu geraten schien. "Wir wollten Ihnen nicht zu nahe treten."
"Also dann", sagte Werchowzew., "Wenn Sie wieder mal in der Nähe sind, schauen Sie ruhig
vorbei. Ich würde mich freuen, Sie wiederzusehen. Besonders das reizende Mädchen hier." Der
Doktor streckte seine Hand aus, um Alissa über den Kopf zu streichen, doch sie trat einen Schritt
zurück, und die Hand des Mannes blieb in der Luft hängen.
Werchowzew blieb noch am Denkmal der Drei Kapitäne stehen. "Vergessen Sie nicht die
Scharentierchen auf der Scheschinera und das Rätsel um den Leeren Planeten", sagte er.
"Vielen Dank, Doktor. Wir werden's nicht vergessen."
Die Büsche Werchowzew stand noch lange vor der Silhouette der riesigen steinernen Kapitäne und winkte mit
dem Hut. Die goldenen Strahlen der untergehenden Sonne tauchten ihn in Glanz, und es schien,
als sei er gleichfalls eine Statue, nur kleiner als die anderen.
"A-a-ah!" Ein ferner Schrei drang zu uns herüber.
Wir drehten uns um.
Der Doktor lief, im Sand einsinkend, auf uns zu.
"Ha-a-alt!" rief er. "Das hab ich ja ganz ver-ges-sen!"
Werchowzew hatte uns eingeholt und war etwa zwei Minuten lang damit
beschäftigt, wieder zu Atem zu kommen. Er setzte mehrfach zu ein und demselben Satz an, doch
die Puste reichte nicht, ihn zu vollenden.
"Die Bü...", japste er. "Dort am Denk..."
"Bücher?" fragte Alissa, die ihm zu Hilfe kommen wollte.
"N-nein . . ., die Bü-üsche. Ich hab ganz vergessen, Ihnen davon zu erzählen."
"Was für Büsche?"
"Ich stand direkt daneben, und doch hab ich's vergessen." Werchowzew wies auf das Denkmal
des Dritten Kapitäns. Sogar aus dieser Entfernung war der üppige Busch zu Füßen des
Raumfliegers zu erkennen. Der Bildhauer hatte Zweige und Blätter sorgsam aus dem Stein herausgemeißelt. "Und ich dachte, das wär nur, damit's schön aussieht", sagte Alissa. "Ganz und gar nicht, es stellt einen der Büsche dar! Haben Sie noch nie von ihnen gehört?" "Nein, keine Ahnung." "Dann passen Sie gut auf, bloß zwei Minuten ... Als der Dritte Kapitän auf dem achten Trabanten des Aldebaran weilte, verirrte er sich in der Wüste. Er hatte weder Wasser noch Nahrung - nichts. Doch er wußte, daß er den Stützpunkt unbedingt erreichen mußte, andernfalls wäre das Raumschiff verloren gewesen. Die Besatzungsmitglieder waren allesamt vom kosmischen Fieber erfaßt, den Impfstoff aber gab es nur auf dem Stützpunkt, der verlassen und ausgestorben in den Bergen der Sierra Barrakuda lag. Und urplötzlich - der Kapitän war, schon ganz von Kräften hörte er einen fernen Gesang. Er glaubte zunächst an eine Halluzination, dennoch nahm er seine letzten Kräfte zusammen und ging in der Richtung, aus der die Töne kamen. Drei Stunden später langte er, mehr kriechend als laufend, bei den Büschen an. Diese Büsche wachsen in der Nähe kleiner Wasserreservoirs und reiben bei nahendem Sandsturm ihre Blätter aneinander, so daß eine Art Melodie entsteht. Es hört sich an, als würden sie singen. In den Bergen der Sierra Barrakuda wiesen sie dem Kapitän damals den Weg zum Wasser, gaben ihm die Möglichkeit, den fürchterlichen Sandsturm zu überstehen. Mehr noch, sie retteten acht weiteren Raumfliegern, die sonst am Kosmosfieber zugrunde gegangen,wären, das Leben. Zu Ehren dieses Ereignisses verewigte der Bildhauer im Denkmal des Dritten Kapitäns einen solchen Busch. Deshalb sollten Sie vielleicht den achten Trabanten des Aldebaran aufsuchen und in den Bergen der Sierra Barrakuda nach diesen Büschen Ausschau halten. Wie der Kapitän zu berichten wußte, öffnen sich abends große zartschimmernde Blüten an ihren Zweigen." "Danke, Doktor", sagte ich. "Wir werden versuchen, die Büsche aufzutreiben, um ein paar auf die Erde mitzunehmen." "Werden sie's denn in Töpfen überstehn?" fragte Alissa. "Ich denke schon", erwiderte Werchowzew. "Doch wenn ich ehrlich sein soll, hab ich selbst noch nie einen solchen Busch zu Gesicht bekommen. Sie sind höchst selten zu finden, lediglich an den Wasserstellen mitten in der Wüste, die das Gebirge der Sierra Barrakuda umschließt." Das Planetensystem des Aldebaran lag nicht weit weg, und so beschlossen wir, uns auf die Suche nach den Büschen zu machen. Wenn möglich, wollten wir auch ihrem Gesang lauschen. Achtzehnmal überflog unser Kosmosgleiter das besagte Territorium, und erst beim neunzehnten Anflug entdeckten wir in einer bläulich schimmernden Senke Pflanzengrün. Wir schwebten nun dicht über den Sanddünen dahin und gewahrten Buschwerk, das rund um eine Quelle gruppiert war. Die Büsche waren nicht sehr hoch, sie reichten mir etwa bis zur Gürtellinie. Sie hatten lange, an der Unterseite silbrig schimmernde Blätter und ziemlich kurze dicke Wurzeln, die sich leicht aus dem Sand ziehen ließen. Vorsichtig gruben wir fünf dieser Büsche aus, wobei wir solche mit Blüten auswählten. Dann füllten wir einen großen Kasten mit Sand und trugen unsere Trophäen zum "Pegasus" hinüber. Noch am selben Tag verließ unser Raumschiff den ausgestorbenen Himmelskörper und nahm Kurs auf fernere Ziele. Sobald der Beschleunigungsvorgang beendet war, bereitete ich die Kamera vor, in der Hoffnung, die schimmernden Blüten an den Büschen würden sich bald öffnen. Alissa ihrerseits legte Papier und Tuschfarben zurecht, um die Blumen zu malen. In diesem Augenblick vernahmen wir ein leises, melodisches Singen. "Was ist denn das", wunderte sich der Mechaniker Seljony. "Hat jemand das Tonband eingeschaltet? Ich jedenfalls war's 'nicht. Warum läßt man mir keine Ruhe." "Aber das sind unsre Büsche, die singen!" rief Alissa. "Kommt jetzt ein Sandsturm?" "Was denn noch", brummte Seljony, "seit wann gibt's im Kosmos Sandstürrne!" "Komm, Papa, wir schaun uns die Büsche mal an", forderte Alissa. Sie
rannte in den Laderaum, während ich noch einen Augenblick zurückblieb, um die Kamera
einsatzbereit zu machen.
"Ich geh auch mit", sagte Seljony, "hab noch nie singende Büs che gesehn."
Freilich hatte ich den Mechaniker im Verdacht, er wolle bloß einen Blick durchs Bullauge werfen,
um sich zu vergewissern, daß nicht tatsächlich ein Sandsturm im Anzug war.
Ich war gerade mit der Kamera fertig, als ich einen lauten Schrei hörte. Es war Alissas Stimme.
Ich ließ die Kamera im Gemeinschaftsraum zurück und rannte, so schnell ich konnte, zum
Laderaum hinunter.
"Papa", rief Alissa, "sieh doch mal!"
"Zu Hilfe!" brüllte Seljony. "Sie greifen an!"
Noch ein paar Schritte - dann war ich an der Tür zum Laderaum, wo ich mit Alissa und dem
Mechaniker zusammenprallte. Genauer gesagt stieß ich mit Seljony zusammen, der Alissa auf
den Armen hielt. Er zeigte sich mächtig erschrocken, und sein Bart wehte wie im Wind.
Dann erschienen die Büsche in der Türöffnung. Es war in der Tat ein furchterregender Anblick.
Die Pflanzen waren aus dem sandgefüllten Kasten geklettert und kamen, schwerfällig auf ihren
kurzen verkrüppelten Wurzeln daherwatschelnd, auf uns zu. Sie gingen im Halbkreis, mit
wedelnden Zweigen, die Knospen hatten sich geöffnet, und inmitten der Blätter glommen wie böse
glitzernde Augen rosafarbene Blüten.
"Zu den Waffen!" rief Seljony und reichte mir Alissa.
"Wirf die Tür zu!" sagte ich.
Doch es war bereits zu spät. Während wir uns noch bemühten, aneinander vorbeizukommen,
hatte der erste der Büsche die Tür erreicht, und wir mußten den Rückzug in den Korridor antreten.
Ein Busch nach dem anderen folgte seinem Anführer.
Seljony rannte nach einer Waffe zur Kommandobrücke und drückte sämtliche Alarmknöpfe, ich
aber griff einen an der Wand lehnenden Schrubber, urn Alissa zu beschützen. Sie verfolgte den
Angriff mit faszinierten Blicken, schaute wie ein Kaninchen auf die Schlange.
"So lauf doch endlich weg", rief ich, Lange kann ich sie nicht mehr in Schach halten!"
Die Büsche schnappten mit ihren kräftigen elastischen Zweigen nach dem Schrubber und wollten
ihn mir entreißen. Ich wich zurück.
"Halt sie auf, Papa", rief Alissa und rannte davon. Ein Glück, dachte ich, daß wenigstens Alissa in
Sicherheit ist. Meine eigene Lage dagegen blieb gefährlich. Die Büsche versuchten, mich in die
Ecke zu drängen, und mit dem Schrubber konnte ich nicht mehr viel ausrichten.
"Wozu braucht Seljony den Feuerwerfer?" hörte ich plötzlich die Stimme Poloskows im
Lautsprecher. Ist was passiert?"
"Die Büsche haben uns angegriffen", erwiderte ich, "aber gib ihm den Feuerwerfer trotzdem nicht.
Ich will versuchen, sie wieder in den Laderaum zu sperren. Sobald ich sie hinter der
Verbindungstür habe, kriegst du ein Zeichen, dann kannst du das Segment schließen."
"Bist du auch nicht in Gefahr?" erkundigte sich Poloskow.
"Nein, vorerst halte ich die Stellung."
Im gleichen Augenblick riß mir der am nächsten stehende Busch mit einem kräftigen Ruck den
Schrubber aus den Händen. Er flog in eine entfernte Ecke des Korridors, und die Büsche,
gewissermaßen ermutigt durch die Tatsache, daß ich nun unbewaffnet war, bewegten sich in
geschlossener Formation auf mich zu.
Da hörte ich plötzlich schnelle Schritte hinter mir.
"Wo willst du hin, Alissa?!" schrie ich. "Sofort zurück! Sie sind stark wie Löwen!"
Doch Alissa schlüpfte unter meinem Arm hindurch und stürzte auf die Büsche zu. Sie hielt einen
großen glänzenden Gegenstand in der Hand.
Ich wollte ihr hinterher, verlor jedoch das Gleichgewicht und fiel hin. Ich konnte noch sehen, wie
meine Tochter von den unheildrohenden Zweigen der rebellierenden Büsche umringt wurde.
"Poloskow", rief ich, "zu Hilfe!"
In diesem Augenblick verstummte der Gesang der Sträucher - er wich einem leisen Raunen und
Stöhnen.
Ich rappelte mich hoch, mir bot sich ein höchst friedliches Bild. Alissa stand inmitten der Büsche und begoß sie aus einer Gießkanne. Die Pflanzen reckten ihre Zweige, bemüht sich keinen einzigen Tropfen entgehen zu lassen; sie seufzten wohlig ... Als wir die Büsche wieder im Laderaum, den zerbrochenen Schrubber weggeräumt und den Fußboden aufgewischt hatten, fragte ich Alissa: Wie bist du bloß darauf gekommen?" "Ganz einfach, Papa. Die Büsche sind Pflanzen - also muß man sie gießen. Wie Mohrrüben. Wir aber haben sie ausgegraben, in einen Kasten gesteckt und vergessen, ihnen Wasser zu geben. Als Seljony nach mir griff, um mich vor ihnen in Sicherheit zu bringen, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Zu Hause leben sie doch unmittelbar am Wasser. Und der Dritte Kapitän hat auf ihren Gesang hin den Weg dorthin gefunden. Außerdem singen sie nur, wenn sich ein Sandsturm nähert, der die Luft austrocknet und das Wasser zuschüttet. Da haben sie eben Angst sie könnten verdursten." "Warum hast du das nicht gleieh gesagt?", "Du hättest mir ja doch nicht geglaubt. Hast mit ihnen gekämpft als wären es Tiger. Dabei sind das ganz gewöhnliche Pflanzen, die gegossen werden müssen." "Na, ich weiß ja nicht - von wegen ganz gewöhnlich", brummte Seliony. "Jagen - nach Wasser durch die Korridore!" Nun war die Reihe an mir, mein Wort als Biologe zu sprechen. Diese Büsche führen lediglich ihren Kampf ums Dasein", sagte ich. "Es gibt nur wenig Wasser in der Wüste, die Quellen versiegen, und wenn sie am Leben bleiben wollen, sind sie gezwungen, den Sand nach Wasser abzusuchen." Von diesem Tag an lebten die Büsche friedlich in ihrem Kasten. Nur einer von ihnen, der kleinste und quirligste, kletterte des öfteren aus dem Sandbehälter und lauerte uns im Korridor auf. Er raschelte mit seinen kurzen Zweigen, summte vor sich hin und bettelte um Wasser. Ich bat Alissa, ihn nicht zu überfüttern - das Wasser troff ihm schon aus den Wurzeln -, doch sie hatte Mitleid mit ihm und brachte ihm bis zum Ende der Reise immer wieder mal einen Becher zusätzlich. Das wäre noch angegangen, hätte sie ihm nicht eines Tages Kompott angeboten. Seitdem gibt der kleine Busch keine Ruhe mehr. Er watschelt, feuchte Tapsen hinterlassend, durch die Flure und stupst die Vorbeigehenden mit seinen Blättern hartnäckig gegen die Beine. Er hat keinen Funken Verstand, doch Kompott liebt er abgöttisch. Das Geheimnis des Leeren Planeten "Wohin zuerst?" fragte Poloskow mit einem Blick auf die Kosmoskarte. Dort war die Route nach Palaputra eingezeichnet, wo sich ein Tiermarkt befand. Gleichzeitig hatten wir durch eine punktierte Linie den Weg zum Leeren Planeten markiert, von dem Werehowzew gesprochen hatte. "Nach Palaputra finden wir allemal", erwiderte ich, "der Leere Planet dagegen ist in keinem einzigen Kosmosführer verzeichnet. Vielleicht sollten wir zuerst zu ihm fliegen." "Aber der Doktor hat selbst gesagt, daß es dort keinerlei Tiere gibt. Bestimmt sind sie ausgestorben, und wir verlieren nur wertvolle Zeit." "Wir haben auch nicht mehr viel Treibstoff", schaltete sich Seljony ein. "Wir müssen in Palaputra tanken, auf dem Leeren Planeten wird das kaum möglich sein. Und wenn wir ohne Treibstoff dastehn, können wir ewig warten, bis mal jemand vorbeikommt." Doch wir gaben nichts auf die Worte des Mechanikers, den wir ja als Pessimisten kannten. Wir waren überzeugt, daß der Vorrat an Treibstoff reichte. er wollte nur sichergehen. "Wir sollten trotz allem einen Blick auf den Leeren Planeten werfen", entschied ich. "Immerhin scheint er voller Rätsel zu stecken, und es gibt nichts Interessanteres auf der Welt, als Geheimnissen auf die Spur zu kommen." So nahmen wir Kurs auf den Leeren Planeten. Leider stellte sich nach zwei Tagen heraus, daß Doktor Werchowzew ziemlich ungenaue Koordinaten angegeben hatte. Wir hätten bereits den Stern sehen müssen, um den dieser Planet kreiste, als vor uns nach wie vor Leere war.
Was tun? Wir beschlossen, einen weiteren Tag zu fliegen. Wenn sich dann noch immer nichts geändert hatte, würden wir umkehren. Wir hatten diesen Beschluß am Abend gefaßt, vor dem Essen. Danach begab sich Seljony in die Funkzentrale, um der Erde mitzuteilen, daß bei uns alles in Ordnung sei und der Flug normal verlaufe. Ich folgte dem Mechaniker. Ich hatte es gern, wenn er das Funkgerät einschaltete, so daß der Kosmos, sonst ausgestorben und unendlich weiträumig, plötzlich zu leben begann. Wir hörten, wie sich ferne kosmische Stützpunkte und Planeten unterhielten, fingen Funkkontakte der Raumschiffe untereinander und die Signale automatischer Bojen auf. Sie lieferten Informationen über unbewohnte Planeten und Asteroiden sowie über die Bewegungen von Meteoritenschwärmen oder Pulsaren. Während Seljony noch über seinem Funkspruch saß, drehte ich am Empfangsknopf. Plötzlich vernahm ich eine ferne Frauenstimme: "Befinde mich im Sektor 16-2, habe einen unbekannten Meteoritenschwarm registriert der sich zum System Bluk bewegt. In drei Tagen wird er die Passagiertrasse Bluk - Fix kreuzen. Bitte sämtliche Raumschiffe davon unterrichten." "Das ist doch unser Sektor", sagte ich zu Seljony. "Ich hab's gehört", erwiderte der Mechaniker. Er legte den Funkspruch beiseite und trug die Mitteilung des fremden Raumschiffs ins Bordbuch ein. "Wenn sich dieses Schiff schon in unserem Sektor befindet", schlug ich vor, "dann laß uns die Frau doch mal fragen, ob sie was über den Leeren Planeten weiß. Vielleicht sind wir vom Kurs abgekommen." Seljony erwiderte, das Schiff sei zu weit von uns entfernt und unser Funkgerät höchstwahrscheinlich zu schwach. Und überhaupt wüßte die Frau, die die Meteoritenwarnung durchgegeben hätte, ganz gewiß nichts über diesen Planeten, weil es ihn gar nicht gebe. Während er das vor sich hin brummte, machte er sich nichtsdestoweniger am Sender zu schaffen, und als das fremde Schiff unseren Ruf empfangen hatte, sagte er: "Hier spricht Raumschiff "Pegasus". Wir befinden uns in Ihrem Sektor und nehmen Kurs auf den Leeren Planeten. Können Sie uns sagen, ob die Route stimmt?" "Ich werde es überprüfen", antwortete die Frauenstimme, "geben Sie mir Ihre genauen Koordinaten." Wir stellten die Verbindung zur Kommandobrücke her, und Poloskow nannte uns die Koordinaten, die wir sogleich übermittelten. "Völlig klar", sagte kurz darauf die Frauenstimme, "zwischen Ihnen und dem Leeren Planeten befindet sich eine Wolke kosmischen Staubs, deshalb entzieht sich der Stern Ihren Blicken. Fliegen Sie getrost weiter, morgen wer den Sie die Wolke passiert haben." "Vielen Dank", sagte ich, "diese Koordinaten wurden uns nämlich auf dem Planeten der Drei Kapitäne genannt, allerdings nicht von einem Kosmonauten, sondern vom Museumsdirektor. Wir befürchteten, daß er sich geirrt haben könnte." "Doktor Werchowzew?" fragte die Frauenstimme. "Ja. Kennen Sie ihn?" "Recht gut sogar", antwortete die Frau. "Er ist ein sehr netter alter Mann. Wie schade, daß ich Ihnen nicht eher begegnet bin! Ich hab nämlich einen Brief für ihn, komme aber nicht dazu, hinzufliegen. Einfach keine Zeit. Sie schaun wohl nicht noch mal bei ihm vorbei?" "Nein", sagte ich, "wir fliegen anschließend zum Bluk weiter, in die Stadt Palaputra. Wir sind Biologen und auf der Suche nach seltenen Tieren." "Ich bin ebenfalls Biologin", sagte die Frauenstimme. "Wer weiß, vielleicht treffen wir uns bei Gelegenheit. Jetzt freilich ist keine Zeit dazu, ich hab's eilig, bin auf der Suche nach lebenden Nebeln." "Eine letzte Frage. Sie selbst waren wohl noch nicht auf dem Leeren Planeten?" "Doch, war ich. Die Meere dort wimmeln nur so von Fischen, auf dem Land jedoch gibt's kein einziges Lebewesen. Na, ich wünsch Ihnen Erfolg." Im Lautsprecher erschollen dumpfer Lärm und Explosionsgeräusche.
Sie hat die Triebwerke auf volle Kraft geschaltet", sagte Seljony, "sie ist anscheinend wirklich in Eile. Was soll denn das sein - ein lebender Nebel?" "Es gibt keinen lebenden Nebel", erwiderte ich. "Ich hab diese Frau mal auf einer Konferenz getroffen und sie von ihrem Irrtum zu überzeugen versucht. Hast du übrigens ihr Lob über Werchowzew gehört? Ein sehr netter alter Mann, behauptet sie." "Und doch traue ich ihm nicht über den Weg", brummte der Mechaniker. "Wenn er so sehr nett sein soll, warum hat er uns dann die Unwahrheit gesagt? Und das mit dem Roman - mal schreibt er einen, dann wieder nicht. Auch seine Beteuerung, er wäre noch nie auf dem Kleinen Arktur gewesen. Weshalb wollte er uns die Aufzeichnungen der Drei Kapitäne nicht zeigen?" Der Mechaniker machte sich erneut an seinen Funkspruch. Die Frau hatte recht behalten. Am nächsten Tag konnten wir in unseren Lokatoren einen kleinen Stern fixieren, um den ein einziger Planet kreiste. Allem Anschein nach handelte es sich hierbei um den Leeren Planeten. Wir landeten in der Dämmerung am Ufer eines großen Sees, am Rande einer endlosen Ebene, die gleichmäßig von gelblichem Gras bewachsen war. Ein feiner Regen fiel, unaufhörlich und eintönig. Wir standen lange an den Bullaugen - kein einziges Tier, keinerlei Vögel. Vielleicht war hier tatsächlich nichts zu holen. Alissa und der Mechaniker gingen zum See nach Wasser. Sie blieben lange fort, doch ich sorgte mich nicht weil ich sie durchs Bullauge sehen konnte. Sie waren mit irgendwas beschäftigt. Nach einer Weile kam Seljony zurück, ging jedoch nicht zur Kommandobrücke, sondern in seine Kajüte. "Suchst du was?" fragte ich über Bordfunk. Ja, eine Angel. In dem See gibt's jede Menge Fisch. Als wir einen Eimer Wasser schöpften, waren gleich drei Stück drin. Oder hast du was gegen frische Fischsuppe, Professor?" "Durchaus", sagte ich, "und euch würde ich ebenfalls nicht dazu raten. Sogar auf der Erde gibt es giftige Fische; welche von einem unbekannten Planeten zu essen ist in höchstem Maße leichtsinnig." "Ist ja gut", erwiderte der Mechaniker, "dann fangen wir eben ein paar Exemplare für deine Sammlung." Er rannte zurück ans Ufer, ich aber griff mir Alissas Regenmantel, damit sie sich nicht erkältete, und ein kleines Fischernetz. Dann ging ich gleichfalls zum See. Seliony lehnte es ab, Fisch mit dem Netz zu fangen, er sei Sportsmann, so aber sei das kein Sport. Alissa und ich dagegen holten einen ganzen Eimer voll an Land, unsere Ausbeute trugen wir zum Raumschiff. Kurz nach uns erschien auch, völlig durchnäßt, der Mechaniker, der seinen Fang in einem fischbehälter anschleppte. "Vergiß nicht, die Eingangstür hinter dir zu schließen", sagte ich und stellte den Eimer an der Luke ab. "Keine Bange", erwiderte aufgekratzt Seljony, der so gierig aufs Angeln war, daß er die ganze Nacht durchgemacht hätte, wäre es nicht zu dunkel gewesen. Am nächsten.Morgen schaute ich als erstes durchs Bullauge. Draußen schien hell die Sonne, und über unserem Schiff kreiste eine Vogelschar. "Von wegen Leerer Planet", sagte ich laut und weckte die anderen. "Von wegen Leerer Planet! Gestern haben wir jede Menge Fisch gefangen, und heute ist der Himmel voller Vögel." Ich mußte nur Alissa und Poloskow wecken, Seljony war bereits auf den Beinen. Er sortierte Angelhaken und -schnüre. "Heute geht's auf großen Fang", rief er, "mein Gefühl sagt mir, daß es hier Hechte gibt die mindestens so groß sind wie ich." "Na, dann paß mal schön auf, daß nicht einer der Hechte dich fängt." Ich ging zur Einstiegluke hinunter, um die Vögel aus der Nähe zu betrachten, und entdeckte etwas Unangenehmes: Der Mechaniker hatte - offenbar in seinem Angelfieber - vergessen, die Tür des "Pegasus" über Nacht zu schließen. Nur gut, daß kein Tier eingedrungen war. Dafür aber waren
sämtliche Fische verschwunden. Allem Anschein nach hatten die Vögel den Weg durch die Luke wie in eine Höhle gefunden und unseren gesamten Fang entwendet. "Das ist ein ernster Verstoß gegen die Kosmonautendisziplin", sagte Poloskow, als er beim Frühstück von Seljonys Nachlässigkeit erfuhr. "Aber ich selbst bin ebensowenig frei von Schuld wie du, Professor. Wir hätten die Luke kontrollieren müssen." "Es ist doch gar nichts passiert", sagte Alissa. "Seljony und ich fangen im Nu zehn Eimer voll, wenn's sein muß. Ihr habt ja keine Ahnung, wieviel Fisch es in diesem See gibt!" "Darum geht's nicht", Poloskow seufzte. "Wenn das noch mal geschieht, können wir auf der Stelle kehrtmachen. So leichtfertige Leute haben im Kosmos einfach nichts verloren." "Entschuldige, Käptn", sagte der Mechaniker. Er begriff sehr wohl, was er da angestellt hatte, war aber mit einem Bein bereits wieder am See, derart hatte ihn das Angelfieber gepackt. Ich bereitete die Vogelkescher vor und trug das Gewehr ins Freie, das mit Betäubungsnadeln schoß. Während ich meine Vorbereitungen für die Vogeljagd traf, beobachtete ich Aus den Augenwinkeln den Mechaniker. Er saß ziemlich bedrückt am Ufer, was mich wunderte. Vielleicht geht ihm die Sache von vorhin zu Herzen, dachte ich. Unvermittelt verschlechterte sich das Wetter. Starker Wind kam auf, bog das Gras nieder, vertrieb die Vögel vom Himmel. Auf dem See schlugen die Wellen hoch. Ein paar Minuten später war kein einziger Vogel mehr zu entdecken. Wo sie sich nur hingeflüchtet hatten? Seljony erhob sich und ging zum Schiff. Auch ich beschloß, meine Utensilien im "Pegasus" zu verstauen. Ich wollte abwarten, bis sich das Wetter gebessert hatte und die Vögel zurückkamen. "Na, was ist", fragte ich den Mechaniker, "kann man zum großen Fang gratulieren?" "Ach, von wegen", knurrte Seljony, "kein Stück hat angebissen." "Wieso nicht? Du hast doch selbst gesagt, der See wimmle nur so von Fisehen." "Das war gestern. Heute scheinen sie allesamt in die Tiefe verschwunden zu sein." "Tröste dich", sagte ich, "die Vögel sind auch auf und davon. Hatten wir eben beide Pech. Warten wir ab, bis das Wetter besser wird. Gehst du am Abend wieder zum See? Vielleicht beißen sie hier nur abends?" "Keine Ahnung, ich trau diesem Planeten nicht", sagte Seljony finster. "Der hat nicht von ungefähr den Beinamen "leer". Erst gibt es Fische - dann nicht mehr. Und mit den Vögeln ist's dasselbe." "Seht doch mal", rief Alissa, die neben uns gestanden und unser Gespräch mit angehört hatte, "seht mal dort, ein Hase!" Im Gras hoppelte ein kleines Tier, dem ein anderes, größeres folgte. Wir hatten sie noch nicht richtig in Augenschein genommen, da waren sie auch schon verschwunden. Nur das Gras bewegte sich im Wind. "Na bitte", sagte ich, "der Planet ist nicht leer. Es gibt hier sehr wohl Tiere." "Auch die werden verschwinden", erwiderte Seljony. "Weißt du noch, was Werchowzew gesagt hat? Obwohl ich diesem Mann auch nicht glaube." "Komm, wir schaun uns mal an, wo all die Fische hin sind", schlug ich vor. "Wir lassen den Biosucher in den See hinab und stellen ihn auf Fischpeilung ein. Sobald er was entdeckt gibt er Signal." "Wie du willst", brummte Seljony. "Aber da sind keine Fische mehr. Ich bin ein eingefleischter Angler, ich spür's, wenn ein See leer ist." Ich holte den Biosucher vom Raumschiff und ließ ihn hinunter. Das Gerät steckte in einem wasserdichten Futteral und war mit einem Motor ausgerüstet. Ich setzte die Kopfhörer auf und wartete auf ein Zeichen. Die Instrumente zeigten an, daß der Biosucher mittlerweile den Grund des Sees erreicht hatte und zur Seemitte hin glitt. Doch es erfolgte kein einziges Signal. Das Gewässer war ausgestorben. Nach einer halben Stunde stellte ich die Suche ein. Das. Gerät konnte sich unmöglich geirrt haben - es gab hier nicht das winzigste Fischehen mehr. "Hätte ich sie gestern nicht mit eigenen Händen aus dem Wasser geholt", bekannte ich, "würde ich nie und nimmer glauben, daß hier welche existiert haben. Werchowzew hatte schon recht - der Planet ist in der Tat seltsam."
"Sag ich doch", erwiderte Seljony, packte sein Angelzeug zusammen und trollte sich zum "Pegasus". "Am Horizont zeigt sich eine große Antilopenherde"; schallte es plötzlich aus dem Lautsprecher. Es war Poloskow, der von seiner erhöhten Kommandobrücke aus die Tiere gesichtet hatte. Doch ich hatte auch ohne ihn begriffen, daß die Steppe inzwischen regelrecht übervölkert war. Durchs Gras huschten Feldmäuse, eine Zieselmaus machte unweit von mir Männchen, und am Ufer des Sees trottete ein mir unbekanntes Tier dahin, das an einen kleinen Bären erinnerte. "Kein Grund zur Panik", sagte ich. "Wir machen das Geländemobil startklar und gehen auf Tierfang." Wir hatten den Wagen kaum draußen, als heftiger Regen einsetzte. Er war um ein Vielfaches stärker als der gestrige: Er brach unvermittelt über uns herein und prasselte mit Gedröhn aufs Dach des Geländemobils. Alissa und ich schlüpften behende ins Wageninnere und nahmen, ohne uns an dem Guß zu stören, Kurs auf die Steppe, in deren Tiefe die Antilopenherde weidete. Doch wir bekamen keine einzige von ihnen zu Gesicht. Auch kein anderes Tier. Als ich schließlich aus dem Mobil kletterte, um den Boden nach Feldmäusen abzusuchen, mußte ich feststellen, daß sie gleichfalls verschwunden waren. Diesmal setzte ich den Biosucher über der Ebene an. Er flog die Steppe bis zum Horizont hin ab, und als er wiederkam, war jeder Zweifel zerstreut - nicht ein einziges Tier existierte mehr auf diesem Planeten. "Und was jetzt?" fragte ich niedergeschmettert Poloskow, nachdem wir das Geländemobil wieder im Raumschiff hatten und alle zusammen in der Gemeinschaftskajüte saßen. "Der Planet ist tatsächlich leer, aber ich hab keine Lust, von hier wegzufliegen, ehe wir diesem Geheimnis auf die Spur gekommen sind." "Wir können nicht ewig hier bleiben", antwortete Poloskow. "Und wir sind nicht die ersten, die mit diesem Rätsel konfrontiert wurden. Durchaus möglich, daß das Geheimnis um den Leeren Planeten für immer ungelöst bleibt." "Schade, daß Seljony vergessen hat, die Luke zu schließen", sagte Alissa. "Dann hätten wir wenigstens die Fische." "Nun hör schon auf. Er war eben sehr durcheinander, und das ist ja auch nicht verwunderlich- Wir kommen gestern an, es regnet - der See ist voller Fische. Morgens kreisen Vögel am Himmel, dann kommt Wind auf, vertreibt die Vögel plötzlich gibt's jede Menge Tiere. . ." "Papa", sagte Allissa plötzlich, "ich kenne jetzt das Geheimnis dieses Planeten."
"Natürlich", brummte finster der Mechaniker, "wie könnte es anders sein. Niemand kennt es, nur
Sherlock Holmes, genannt Alissa, ist dahintergekommen!"
"Vorsicht, Seljony", warnte Poloskow, "ich hab schon mal eine Wette gegen Alissa verloren,
damals, als wir die Riesenquappen suchten."
"Stinunt genau", bekräftigte Alissa. "Ich denke nämlich wissenschaftlich."
"Nun erzähl schon, Töchterchen", sagte ich.
"Vielleicht sollte ich es auch nicht erzählen, sondern lieber zeigen?"
"Dann zeigst du's eben."
"Also gut. Bleibt einen Augenblick hier sitzen, ich bin gleich wieder zurück."
"Du willst raus? Aber es regnet doch!"
"Keine Angst, es geht so schnell, daß ich nicht mal naß werde. Wenn du trotzdem befürchtest, mir
könnte etwas zustoßen, brauchst du bloß durchs Bullauge zu sehn. Ich lauf nur schnell zum See."
Ich trat ans Bullauge. Ich konnte verfolgen, wie Alissa, den Regenmantel überm Kopf, zum See
lief und mit einem kleinen Eimer Wasser schöpfte. Einmal, zweimal... Da kam sie auch schon
wieder. Sie stürmte zu uns in die Kajüte und stellte das Eimerchen auf den Tisch.
"Hier", sagte sie, "schaut euch das an."
In dem Eimer schwamm gemächlich ein kleiner Fisch.
"Na so was", sagte der Mechaniker, "scheint tatsächlich so zu sein, daß sie hier bloß abends
anbeißen. Wo ist mein Angelzeug?"
"Augenblick", unterbrach ihn Alissa und steckte die Hand in den Eimer. Sie holte den Fis eh
heraus und warf ihn auf den Tisch.
"Was machst du denn da!"
"Wenn meine Vermutung stimmt. . .", begann Alissa, und da setzte auch schon vor unseren Augen die wundersame Verwandlung ein. Der Fisch zap pelte ein paarmal, schlug mit dem Schwanz - dann nahmen die Flossen die Vorm von Flügeln an, die Schuppen wurden zu Federn, und eine Minute spä ter saß ein kleiner Vogel, an seinem Federkleid zupfend und sich putzend, auf dem Tisch. Während wir noch mit offenen Mündern dasaßen und zuschauten, wie aus dem Fisch ein Vogel wurde, bewegte das Tierchen plötzlich die Flügel und schnellte hoch. Es stieß gegen die Decke der Kajüte. "So fangt ihn doch", rief ich, "er stößt sich noch zu Tode!" "Moment, Papa", sagte Alissa, "das ist noch nicht alles." Nachdem der Vogel mehrmals gegen die Decke geprallt war, fiel er wieder auf den Tisch zurück. Und es begann erneut eine Verwandlung. Diesmal verschwanden die Federn, die Flügel rollten sich ein, und vor uns saß plötzlich eine kleine Maus. Sie glitt am Tischbein hinunter und verschwand in einer Ecke. "Ist jetzt alles klar?" fragte Alissa. Sie triumphierte. Schließlich gelingt es einem nicht jeden Tag, ein Geheimnis zu lüften, vor dem so viele Biologen kapituliert haben. "Wie bist du bloß darauf gekommen?" fragte ich. "Du hast mich selbst auf die Spur gebracht. Als du davon sprachst daß gestern bei Regen Fische da waren, bei ruhigem Sonnenwetter - Vögel, und bei Wind - Vierbeiner." "Das stimmt tatsächlich", erwiderte ich. Es handelt sich hier um eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit, die für diesen Planeten freilich auch angebracht ist. Die Lebewesen nehmen jeweils die Form an, die ihnen für den Augenblick am günstigsten scheint. So können ihnen weder Wind noch Sonne noch Regen etwas anhaben. Und selbst für den Winter lassen sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach etwas einfallen." "Das können wir auf der Stelle überprüfen", schlug Alissa vor. "Wir brauchen bloß einen Fisch ins Kühlfach zu tun." Doch davon nahmen wir vorerst Abstand. Statt dessen bastelten wir einen Käfig, in dem sich ein Aquarium befand, und dann schauten wir stundenlang fasziniert zu, wie der Fisch, das Wasser verlassend, zu fliegen begann bzw. in die Ecke des Käfigs nach Futter lief. Was die Großohrigen erzählten Alle Sammler und Liebhaber wundersamer Tiere kommen, sofern sie im achten Sektor der Galaxis zu Hause sind, zum Planeten Bluk, wo nahe der Stadt Palaputra einmal wöchentlich ein Tiermarkt abgehalten wird. In der Galaxis lehen einige Milliarden Sammler. Die Tiersammler des Sonnensystems beispielsweise gehen sich an jedem ersten Sonntag des Monats auf dem Mars ein Stelldichein, auf der Hochebene am Großen Kanal. Wie man mir erzählte, soll auch im Bereich des Andromedanebels eine riesige Sammlerschar existieren. Auf einem der dortigen Planeten haben sie sogar die Macht übernommen, so viele sind es. Seitdem stellt die gesamte Industrie ausschließlich Markenalben, Pinzetten sowie Aquarien her. Bei den Sammlern vom Mar's war ich selber schon gewesen, hab ein paar seltene fliegende Fische für unseren Zoo erworben. Auf dem Bluk dagegen war ich noch nie. Palaputra, wo sich eine Menge Hotels und Lagerhallen befanden, war keine allzu große Stadt. Um ihr Kosmodrom allerdings hätte sie jede Hauptstadt beneiden können.
Der "Pegasus" hatte kaum auf dem Betonfeld aufgesetzt, als sich ihm ein Kleinbus mit Wächtern
näherte.
"Woher kommen Sie?" erkundigten sich die Männer bei Poloskow, nachdem sie vor der Gangway
gestoppt hatten.
"Von der Erde", erwiderte Poloskow.
"Wo ist das?"
"Dritter Sektor. Sonnensystem."
,Hab ich mir's doch gedacht", sagte der Hauptwächter, der große Unliebkeit mit einem Ventilator
besaß. Er hatte drei große runde Ohren, und wenn er sprach, ließ er ununterbrochen seinen Kopf
kreisen, so daß ein Luftzug erzeugt wurde. Aus diesem Grunde auch wurden die Bewohner des
Bluk in der Galaxis die Großohrigen genannt.
Die Wächter kamen an Bord und gingen in die Gemeinschaftskajüte.
"Was werden Sie verkaufen?" fragte der eine.
"Nichts", sagte ich, "wir wollten uns nur umschaun, ob es hier interessante Tiere für unseren
Moskauer Zoo gibt."
"Sie wollen also nichts anbieten?"
"Nein."
"Und Sie haben keinerlei Tiere an Bord?"
"Doch", erwiderte ich, "aber sie sind nicht zum Verkauf bestimmt."
"Ich möchte sie sehen", sagte der Wächter.
"Warum?" verwunderte sich Poloskow. "Wir sind Ihre Gäste, und Sie müssen uns vertrauen."
"Ich würde Ihnen ja glauben", sagte der Großohrige, "aber Sie kennen manche Sammler nicht. Sie
schleppen aus allen Winkeln der Galaxis das sonderbarste Getier herein, und wir haben dann die
Scherereien. Früher waren wir höflicher und führten keine Kontrollen auf den Schiffen durch,
neuerdings aber sehn wir uns dazu gezwungen. Das hat uns bittere Erfahrung gelehrt."
Und der Wächter, mächtigen Wind mit seinen Ohren machend, erzählte uns folgende betrübliche
Geschichte:
"Vor kurzem tauchte ein Händler auf dem Basar auf, der nichts weiter bei sich hatte als einen
kleinen Sack mit weißen Würmern und eine Konservenbüchse. Vogelfreunde erkannten sofort den
Wert dieser Würmer - sie waren sehr kalorienreich und würden ihren Lieblingen schmecken. So
kaufte einer der Sammler eine Büchse voll, ein zweiter, ein dritter. Der Händler schnürte den
kleinen Sack auf und schöpfte immer neue Mengen daraus. Allmählich bildete sich eine Schlange
Kauflustiger. Als zweihundertdreiundzwanzigster stand ein bekannter Sammler exotischer Vögel in
der Reihe - Krabakas vom Barakas. Er stand da, und weil er nichts anderes zu tun hatte,
beobachtete er, wie der Verkäufer die Würmer aus dem Sack holte. Weil in dem kleinen Behältnis
aber bestenfalls dreieinhalb Konservendosen voll Würmer Platz finden konnten, kam Krabakas
vom Barakas sehr bald die Erleuchtung, daß an der Sache etwas faul war. Er trat an den
Verkäufer heran und sagte: Der Sack da ist wohl bodenlos?
"Nein, Euer Hochwohlohren", unterbrach einer der jüngeren Wächter seinen Vorgesetzten, "er hat
gefragt: Wo nehmen Sie all die Würmer her?“
"Schweig", mischte sich der dritte Wächter ein. So war es nicht. Krabakas vom Barakas verlangte:
Geben Sie den Sack her, ich will ihn anschaun.
"Ruhe!" ermahnte der Hauptwächter seine Gehilfen. "Wenn ihr mich noch mal unterbrecht, beiß
ich euch die Ohren ab ... Wie dem auch sei, der Verkäufer schenkte den Worten des Sammlers
nicht die mindeste Beachtung. Möglicherweise weil Krabakas gerade mal einen Durchmesser von
einem halben Millimeter hat wenn er auch fast acht Meter lang ist. Er erinnert selber an einen
spillrigdünnen blauen Wurm. Doch Krabakas wandte sich an die übrigen Sammler in der Reihe
und verkündete: Mir gefällt dieser Händler nicht. Er kommt mir verdächtig vor!
"Entschuldigen Sie, Euer Hochwohlohren", der zweite Wächter konnte sich nicht zurückhalten,
"aber ich wage darauf aufmerksam zu machen, daß Krabakas vom Barakas den Versammelten
zurief: Haltet den Dieb!
"Du hast total den Verstand verloren!" zischte ihn der dritte Wächter an. "Krabakas sagte: Ich bin nicht weniger vernunftbegabt als Sie, Herr Händler, bitte nehmen Sie mich für voll! Und jetzt zeigen Sie mal den Sack her.“ "Schluß jetzt da möcht man ja glatt in Rente gehn!" Der Hauptwächter begann wild mit den Ohren zu rotieren. Nun brach ein Streit unter den Wächtern aus, und sie wechselten in ihre, uns völlig unverständliche Sprache über, die aus höchst gekonnten Ohrenbewegungen besteht. In der Gemeinschaftskajüte kam ein regelrechter Sturm auf, und wer weiß, wie die Sache geendet hätte, wäre nicht durch einen Windstoß die Kaffeekanne vom Tisch gefegt worden. Sie ging entzwei, und nun schämten sich die Wächter für ihr Verhalten. "Entschuldigen Sie bitte", sagte der Vorgesetzte der Großohrigen, "wir sind ein wenig in Hitze geraten." "Macht doch nichts , erwiderte ich, bemüht, ein Lächeln zu unterdrücken, und sammelte die Scherben auf. Alissa lief nach einem Lappen, um die braune Pfütze aufzuwischen. "Krabakas vom Barakas", fuhr der Hauptwähter nun fort, "unterrichtete die Anwesenden von seinem Verdacht und sie entrissen dem Händler mit vereinten Kräften das Säckchen. Tatsächlich befanden sich grade mal zwei Handvoll Würmer darin. Doch kaum hatten sie einige der Würmer ans Tageslicht befördert, begannen die sich vor aller Augen zu teilen und zu wachsen. Gleich darauf erscholl aus einem entfernten Winkel des Basars ein erschrokkener Schrei: Einer der Vogelbesitzer hatte seinen Schützlingen die Würmer in den Käfig geworfen und entdeckt daß sie sich zusehends vermehrten." "Nicht doch", widersprach der zweite Wächter ohrenkreisend, "ich erlaube mir zu bemerken, Euer Hochwohlohren . . ." Aber der Hauptwächter hörte sich die Einwände der Untergebenen nicht länger an. Er packte seine beiden Gehilfen bei den Ohren, schleppte sie aus der Kajüte, schlug die Tür hinter ihnen zu und sagte erleichtert: "So, nun kann ich in Ruhe weitererzählen." Woraufhin die Tür sofort wieder einen Spaltbreit aufging und in der Öffnung das Ohr des ungehorsamen Wächters erschien: "Ich erlaube mir.. ." "Also das sollte man nicht für möglich halten!" Der Hauptwächter preßte seinen mageren Rücken gegen die Tür und fuhr hastig fort: "Wir stellten fest, daß sich diese Würmer in der Tat mit unglaublicher Geschwindigkeit vermehrten. So schnell, daß sie sich nach zehn Minuten bereits verdreifacht, nach einer Stunde aber versechshundertfacht hatten." "Aber wovon ernährten sie sich?" Alissa war verwundert. "Von der Luft", antwortete der Wächter. "Natürlich von der Luft." "Von Sauerstoff!" rief hinter der Tür hervor der zweite Wächter. "Von Stickstoff!" schrie der dritte. Der Hauptwächter bedeckte vor Scham über seine Untergebenen das Gesicht mit den Ohren. Erst nach fünf Minuten hatte er sich soweit gefangen, daß er seinen Bericht zu Ende bringen konnte: jedenfalls war bereits drei Stunden später der ganze Markt von Palaputra einen Meter dick mit diesen Würmern bedeckt; Sammler und Händler suchten entsetzt das Weite." "Und der Würmerverkäufer?" fragte Alissa. "Der verschwand in dem Durcheinander gleichfalls." "Er flüchtete", hörte man eine Stimme hinter der Tür. "Die Würrner ergossen sich in Riesenmassen in sämtliche Richtungen und hatten gegen Abend das Stadtzentrum erreicht. Wir boten all unsere Feuerwehrautos auf; sie gingen mit Wasser und Löschschaum auf die Tiere los, waren jedoch gegen eine solche Invasion machtlos. Wir versuchten sie totzutrampeln, ihrer mit Feuer, Gift und Unkrautvernichtungsmitteln Herr zu werden - nichts half. Die Luft auf dem Planeten wurde immer knapper, und schon mußten wir Sauerstoffmasken ausgeben. Wir sandten SOS-Rufe zu allen Enden der Galaxis. Doch aus der Not gerettet hat uns schließlich der Vogelliebhaber Krabakas vom Barakas. Er ließ seine Freßkehlchen auf die Würmer los. Es sind winzige Vögelchen, dabei aber so gefräßig, daß kein anderer halbwegs geschäftstüchtiger Sammler sie halten könnte - sie würden ihn zugrunde richten ... Zu guter Letzt konnten wir uns also noch der Würmer entledigen, wobei die Freßkehlchen
freilich all unsere Ameisen, Bienen, Wespen, Käfer, Schmetterlinge, Spinnen, Hummeln und
Mistkäfer gleich mitvertilgten."
"Aber warum hat dieser Mann so gefährliche Würrner verkauft?" fragte Alissa.
"Warum schon. Er wollte ein Geschäft machen. Der Sack war ja in der Tat bodenlos."
"Nein", entgegnete Alissa, "das glaub ich nicht. Solch ein Dummkopf war er nicht. Die Sammler
hätten ja sehr schnell herausgefunden, was Sache ist"
"Natürlich war er kein Dummkopf!" rief einer der Wächter hinter der Tür hervor. "Er wollte unseren
Planeten vernichten!"
"Aber weshalb bloß?"
"Das wissen wir auch nicht", bekannte der Hauptwächter, gab die Tür frei und ließ seine beiden
Gehilfen wieder ein. "Wir haben keine Ahnung, doch kontrollieren wir seither sämtliche Schiffe, die
vom Sonnensystem kommen."
"Wieso ausgerechnet die vom Sonnensystem?"
"Das ist streng geheim", sagte der erste Wächter.
,Ach was, streng geheim", widersprach der zweite. Jener Händler stammte ganz einfach aus dem
Sonnensystem. Es war ein MENSCH."
"Wirklich seltsam", sagte ich. "Haben Sie wenigstens eine Personenbeschreibung? Wie sah er
aus?'
"Keine Ahnung. Für uns sehen alle Menschen gleich aus."
"Trotzdem, es gibt gewisse Unterscheidungsmerkmale."
"Da war auch eins", sagte der zweite Wächter.
"Schweig!" gebot ihm sein Vorgesetzter.
"Nein", erwiderte sein Untergebener, "das werde ich nicht. jener Mann hatte ein Gebilde auf dem
Kopf, mit horizontalen Feldern und einer Delle in der Mitte."
"Nun versteh ich gar nichts mehr", sagte ich, "was für eine Delle in der Mitte?"
"Zeigen Sie ihm doch mal das Foto, Euer Hochwohlohren", schlug der zweite Wächter vor,
"vielleicht können sie uns helfen."
"Nein, das geht nicht. Es ist ein Geheimfoto."
Jetzt wo ich sowieso davon gesprochen habe, können Sie's ihm auch zeigen." "Du hast nicht
einfach davon gesprochen, sondern ein Staatsgeheimnis verraten."
"Um so wichtiger, daß sie's zu sehen bekommen."
Daraufhin holte der Hauptwächter ein Bild aus der Tasche. Es war ein Amateurfoto, ziemlich
unscharf und schon etwas zerknittert, dennoch schloß sich jeder Zweifel aus: Es zeigte Doktor
Werchowzew mit einer Konservendose in der einen und einem kleinen Sack in der anderen Hand.
"Aber das ist doch unmöglich!" rief ich verwundert aus.
"Sie kennen ihn?"
ja. Er ist auf dem Planeten der Drei Kapitäne zu Hause."
"Ajajaj, wie kann auf einem so guten Planeten ein derart schlechter Mensch leben! Wann haben
Sie ihn gesehen?"
"Vor drei Tagen."
"Bei uns war er vorigen Monat. So, und nun wollen wir Ihr Schiff durchsuchen, womöglich haben
Sie gleichfalls Würmer an Bord."
"Wir haben keine Würmer an Bord."
"Er sperrt sich", raunte der zweite Wächter seinem Vorgesetzten zu, "will es nicht zugeben."
"In diesem Falle untersagen wir Ihnen, die Stadt zu betreten", entschied der Hauptwächter. "Wo ist
Ihr Telefon? Wir melden, daß Ihre gesamte Besatzung von der galaktischen Pest befallen ist und
Sie unseren Planeten freiwillig wieder verlassen. Wenn nicht, unterziehn wir Ihr Schiff einer
solchen Desinfektion, daß Sie es bedauern werden, hergekommen zu sein."
"Wir führen wirklich nichts Böses im Schilde", versuchte ich den Wächter zu besänftigen. "Und
diesen Menschen haben wir nur ein einziges Mal gesehen. Vorausgesetzt, daß er's überhaupt
war. Es gibt Leute, die sich sehr ähneln. Außerdem - warum sollte ein Doktor, ein
Museumsdirektor, mit Würmern handeln?"
"Das weiß ich nicht", sagte der Großohrige. "Wir hatten in der letzten Zeit so viel Unglück, daß wir
unseren Gästen einfach nicht mehr trauen."
"Wieso, was ist denn noch; passiert?!"
"Ach, fragen Sie bloß nicht. Jemand hat fast alle unsere Plapperschnäbel ausgerottet."
"Ihre Plapperschnähel?"
ja, genau. Es sind unsere Lieblingsvögel."
Auf der Suche nach einem Plapperschnabel Alissa und ich gingen zu Fuß zum Basar, gaben dem automatischen Geländemobil aber Anweisung, uns in zwei Stunden abzuholen. Es war ein schöner, klarer Morgen, der orangefarbene Himmel wie blankgewaschen, nur ein paar leichte grüne Wölkchen zeigten sich; der Sand unter unseren Füßen war hellblau und ganz weich. Wir erreichten die Hauptstraße der Stadt, an der sich zu beiden Seiten Hotels befanden. Sie sahen einander keineswegs ähnlich, denn jedes war für die Bewohner speziell dieses oder jenes Planeten bzw. Sternensystems errichtet worden. So gab es ein Hotel namens "Krak", das an einen Luftballon von etwa hundert Metern Durchmesser erinnerte. Unter dem Bauwerk ragten die Schwerkraftzerstreuer hervor. Dort stiegen all jene Kosmosreisenden ab, die die Schwerelosigkeit gewohnt waren und keinen eigenen Planeten besaßen. Sie lebten in Zelten auf Kometen und Meteoritenschwärmen. Dann kamen wir an dem Hotel "Herrlichess Fleckchen" vorbei. Es besaß gleichfalls Kugelgestalt, doch war es massiv gebaut und steckte zur Hälfte im Boden. Wir entdeckten die Aufschrift: "Nur für Bewohner von Methanplaneten". Aus einer nicht ganz fest geschlossenen Tür entwich zischend ein dünner Gasstrahl. Danach kam das Hotel "Bratpfanne": Seine Wände waren glutrot erhitzt man hätte sie, ungeachtet der etwa hundert Isolierschichten, unmöglich berühren können. Hier machten die Bewohner jener Sterne Station, für die ein Bad in glühendheißer Lava genauso vergnüglich war wie für unsereinen das Schwimmen in einem See an einem warmen Sommertag. Es gab Hotels, die in der Luft verankert, und solche, die in den Boden gebaut waren. Manche hatten die Tür auf dem Dach, andere wieder waren ganz ohne Fenster und Türen. Plötzlich jedoch erblickten wir ein kleines Gebäude mit Säulen, ganz gewöhnlichen Fenstern und einer normalen Tür. Es trug die Bezeichnung "Mütterchen Wolga". "Sieh mal, Papa, das ist wahrscheinlich für uns Menschen!" rief Alissa aus. Wir blieben einen Augenblick vor dem Hotel stehen, weil uns sein Anblick Freude bereitete - es war ganz so, als hätte man einen alten Bekannten getroffen. Aus dem Gebäude kam ein hochgewachsener Mann in der Uniform der Kosmoshandelsflotte. Er nickte uns zu, und wir sagten: "Guten Tag, sind Sie von der Erde?" "ja", erwiderte der Mann, "wir haben dem Planeten Bluk Sauerstoffregeneratoren gebracht. Vielleicht haben Sie schon davon gehört - denen ist was Schlimmes zugestoßen. Sie hätten fast ihre ganze Luft eingebüßt." Während ich mich mit dem Raumfahrer unterhielt, stand Alissa neben mir und betrachtete das Hotel. Plötzlich packte sie mich an der Hand: "Schau doch mal, Papa, wer dort ist!" An einem Fenster im dritten Stock stand Doktor Werchowzew und sah zu uns herunter. Als er meinem Blick begegnete, zog er sich eilig zurück. "Aber das ist unmöglich", rief ich, "er hat die Entfernung nie und nimmer so schnell bewältigen können!" "Komm, wir fragen ihn, wie er hergekommen ist", sagte Alissa. Die Eingangstür zum Hotel war aus massivem Holz geschnitzt und besaß eine vergoldete geschwungene Klinke. Die Empfangshalle war im Stil eines luxuriösen Bojarenhauses eingerichtet: überall Wandmalereien, auf denen Einhörner und schöne Jungfrauen abgebildet waren, und breite Bänke entlang der Wände. Offenbar hatten die Architekten vom Bluk die berühmte zwanzigteilige Fernsehserie"Boris Godunow" gesehen. Ich blieb inmitten dieses Bojarengemachs stehen und sagte: "Wart mal, Alissa, mir gefällt das nicht."
"Aber wieso denn?"
"So überleg doch selbst. Wir haben uns vor kurzem von Werchowzew getrennt, kommen her und
erfahren von den Wächtern, daß er um Haaresbreite den Planeten vernichtet hätte, indem er
weiße Würmer verkaufte. Nun aber finden wir ihn hier vor."
"Um so dringender müssen wir ihn fragen, was das Ganze zu bedeuten hat."
"Also gut, einverstanden." Ich trat an einen langen Tisch, hinter dem zwischen einem
ausgestopften Schwan und einem Plasttopf der Portier in weißem Kaftan stand. "Könnten Sie mir
bitte sagen, in welchem Zimmer Doktor Werchowzew wohnt?"
"Einen Augenblick" junger Mann", antwortete der Portier. legte seine Ohren auf den Rücken und
schlug ein gewaltiges Buch in Ledereinband mit Verschlüssen auf. "Werchowzew", murmelte er,
"We-ri-cho-wi-zew ...Ja. hier hab ich ihn!"
"Welche Zimmernummer hat er?"
"Achtes Gemach, dritter Stock", erwiderte der Portier. "Sind Sie Freunde von ihm?"
"Bekannte", sagte ich ausweichend.
"Verwunderlich", erwiderte der Portier, "daß ein derart böser und grobschlächtiger Gast so nett
aussehende Bekannte hat."
"Wieso", fragte ich, hat er Sie beleidigt?"
"Gehen Sie hinauf", erwiderte der Portier. "Gemach Nummer acht. Und sagen Sie dem Unhold,
daß wir uns genötigt sehen, ihn unseres geschätzten Gasthauses zu verweisen, wenn er weiterhin
Würstchen im Bett kocht und unsere Tischaufseherund Bettmeisterroboter zerbricht."
"Dabei schien mir Werchowzew so still", sagte ich zu Alissa, während wir die Treppe
emporstiegen.
Verschiedene Leute kamen uns entgegen - Lineaner, Fixianer und andere Wesen, die auf
Planeten mit erdengleichen Bedingungen lebten. Einige hatten Käfige, Aquarien, Markenalben
oder einfach nur Taschen bei sich. Sie eilten zum Basar.
Die Nummer acht befand sich am Ende eines langen Korridors, der mit vielen Perserteppichen
ausgelegt war. Wir machten vor einer Plasttür mit Eichenholzmaserung halt, und ich drückte die
Klingel.
Keine Antwort.
Ich klopfte, und die Tür öffnete sich durch eine leichte Berührung von selbst. Der kleine Raum war
möbliert und ausgeschmückt, wie man es von Abbildungen aus historischen Romanen kannte. Ein
Kristallüster war da und eine Petroleumlampe ohne Docht, ein Samowar aus Wolfram und ein
japanischer Wandschirm. Bloß Werchowzew war nicht da.
"Doktor", rief ich, "sind Sie hier?"
Wieder keine Antwort.
Alissa lief ins Zimmer und schaute hinter den Schirm. Ich sagte von der Tür her: "Komm, wir gehn
wieder, es gehört sich nicht, in ein fremdes Zimmer einzudringen."
"Gleich, Papa."
Da hörte ich hinter meinem Rücken jemanden hastig atmen. Ich drehte mich um: In der Tür stand
ein furchtbar dicker Mann in schwarzem Lederanzug. Er hatte Wulsflippen und mehrere Kinne, die
auf dem Kragen auflagen.
"Zu wem möchten Sie denn?" fragte er mit sehr hoher, sanfter, fast kindlicher Stimme. "Wir
suchen einen Bekannten."
"Entschuldigen Sie, aber ich wohne im Nebenzimmer", sagte der Dicke
"Und ich habe vor fünf Minuten gehört wie der Gast, der hier wohnt wegggangen
ist. Ich wollte es Ihnen nur mitteilen."
"Wissen Sie zufällig, wo er hin ist?"
Der Dicke strich mehrmals über seine Kinne, dachte einen Augenblick, nach und sagte: "Ich
glaube, zum Basar. Wo sollte er sonst hin?"
Wir verließen das Hotel und begaben uns ebenfalls zum Markt. SeltsamerMensch, der Doktor,
dachte ich.
Wir kamen an einem Hotel vorbei, das wie ein Aquarium gebaut war -, Wesen von einem mit
Wasser bedeckten Planeten wohnten darin -, und an einem Gasthaus, das an einen Teekessel
erinnerte. Aus der Tülle dieses Teekessels" strömte Dampf - dort waren die Kukse -vom Parasel abgestiegen. Auf ihrem Planeten herrscht starke Hitze, das Wasser ist ständig am Kochen, und seine Atmosphäre besteht aus heißem Dampf. "Aus allen Hotels strebten Gäste. Viele trugen Skaphander grundverschiedener Ausführung. Jemand kroch am Boden entlang, ein anderer schwebte über unseren Köpfen dahin. Zu unseren Füßen krabbelten Sammler, die nicht größer als eine Ameise waren, und gleich daneben schritten welche, fast so gewaltig wie ein Elefant. Je näher der Markt rückte, desto dichter wurde das Gewühl. Ich nahm Alissa an der Hand, damit sie nicht versehentlich jemanden trat oder selbst getreten wurde. Der Basar erstreckte sich über viele Kilometer und bestand aus mehreren Abteilungen. Als erstes gerieten wir an die Muschelsammler. Dann ließen, wir die Büchersammler hinter uns und bahnten uns mit Mühe einen Weg durch die überfüllte Abteilung, wo Mineralien und Edelsteine gehandelt wurden. Die Blumenreihen passierten wir ohne größere Hindernisse, nur einmal mußte ich Alissa auf die Arme nehmen, weil ihr vom Duft der Fix-Rosen beinahe schlecht geworden wäre. Doch als wir in der Sektion der Philatelisten anlangten, bat Alissa: "Wart mal einen Augenblick." Der Platz, der sich über einen Kilometer hin erstreckte, stand voller Klapptische. Es waren, wie mir ein Alteingesessener versicherte, vierzehntausenddreihundert an der Zahl. An diesen Tischen saßen zu zweit oder auch zu viert die Briefmarkensammler. Sie waren in ihre Tauschgeschäfte vertieft. Wer keinen Platz an den Tischen ergattert hatte, tauschte im Stehen oder spazierte einfach umher. Alissa kaufte eine Serie beweglicher Panoramabriefmarken mit der Abbildung von Sirius-Vögeln, eine Marke aus Montenegro aus dem Jahre 1896 und ein Album für Briefmarken vom Fix, das die Marke selbständig einordnete, sobald es sie zu fassen bekam. Danach tauschte sie die Marke aus Montenegro gegen zwei vom Planeten Seheschinera ein. "Die sind für dich, Papa", sagte sie. Die eine Marke war ganz und gar weiß, auf der anderen befand sich lediglich die winzige Aufschrift: junger Skliss beim Weiden". "Du willst doch was über den Skliss erfahren, Papa." "ja, aber hier ist gar keiner drauf!" "Der wird erst morgen zu sehen sein", erklärte plötzlich der Dicke aus dem Hotel. Er hatte uns eingeholt. "Morgen? Wieso denn?" "Auf diesen Marken erscheint die Abbildung nicht täglich, sondern nur an Tagen mit geraden Zahlen", erwiderte der Dicke. "Und was wird auf der zweiten Marke zu sehen sein?" "Gar nichts. Sie ist verbraucht." "Aber was soll ich dann damit?" "Es ist eine sehr seltene Marke. Die Bewohner von der Scheschinera schreiben nämlich höchst ungern Briefe, und so sind fast alle ihre Marken ungebraucht. Leere Marken dagegen sind äußerst rar. Ihre Tochter hat recht daran getan, sie zu erwerben." Nach diesen Worten winkte der Dicke noch einmal kurz mit der Hand und eilte im Hüpfschritt weiter. Wir hätten uns beinahe in dem Gewirr von Sektionen, Abteilungen und Unterabteilungen des Basars verirrt. Doch dann hörten wir plötzlich Vogelgezwitscher vor uns, Tiergebrüll und das Gezirp von Insekten. Wir befanden uns auf einem Platz, der von Käfigen, Aquarien, Fischbehältern und Viehställen übersät war. Es war die Abteilung für Kosmostiere. Selbst mir als erfahrenem Kosmosbiologen fiel es schwer, sich in dem Gewimmel zurechtzufinden. Waren die Tiere und Vögel von erstaunlicher Vielfalt so ihre Besitzer häufig nicht minder, weshalb ich meinen Rundgang auch mit einem großen Irrtum begann. Ich trat an einen dunkelblauen Vogel heran, der auf drei gelben Beinen von jeweils zwei Metern Höhe stand. Von einem dieser Beine führte eine Kette zu seinem Besitzer, einem mir unbekannten Kosmoswesen, das aus verschiedenfarbigen Kugeln bestand. Ich erkundigte mich, wieviel dieser prächtige Vogel kostete, als mir der Gefiederte selbst in bestem Interkosmisch antwortete: "Ich bin unverkäuflich. Aber wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen die gesprenkelte Polykugel hier ablassen. Im übrigen bitte ich jedoch, mich nicht ein zweites Mal zu beleidigen."
Ich hatte in der Tat verwechselt wer da wen an der Kette hielt. Die Sammler und Händler um uns
her lachten, woraufhin der Vogel noch mehr
gekränkt war und mir mit seinem langen Schnabel eins auf den Kopf gab. Als ich bemerkte, daß er
zu einem neuen Hieb ansetzte, suchte ich schnell das
Weite.
"Papa", sagte Alissa plötzlich, "komm doch mal her. Sieh nur, wie interessant!"
Ich riß mich vom Anblick der Kristallkäfer los, die wir seit langem für unseren Zoo erwerben
wollten, und drehte mich zu Alissa um.
Sie stand vor einem großen leeren Aquarium. Daneben befand sich ein Stuhl, auf dem ein Zwerg
saß.
"Schau mal, Papa, was für interessante Tiere der Mann hier verkauft."
"Ich sehe nichts", gestand ich, "das Aquarium ist leer."
Der Zwerg seufzte traurig und wischte eine Träne ab. "Sie sind nicht der erste", sagte er, " den
andern geht's genauso."
"Und was haben Sie nun in Ihrem Aquarium?" fragte ich höflich. "Mikroorganismen?"
"Ach wie furchtbar!" rief das Männchen aus. "Ich werde von hier fortgehn und nie wiederkommen."
"Papa", flüsterte Alissa so laut, daß man es zehn Meter weit hören konnte, "da sind unsichtbare
fliegende Fische drin. Er hat es mir selbst gesagt."
"Unsichtbare?"
"Das Kind hat recht", sagte der Zwerg. "Es handelt sich um ganz gewöhnliche unsichtbare
Fische."
"Sehr interessant", erwiderte ich. "Und wie fangen Sie sie?"
"Mit einem Netz. Es ist gleichfalls unsichtbar. Sie fliegen und geraten in mein Netz, in dem ich sie
dann nach Hause trage."
"Könnte man mal einen solchen Fisch anfassen?" fragte ich.
"Anfassen?" wunderte sich der Zwerg. "Und wie wollen Sie ihn festhalten?"
"Na, mit den Händen."
"Das geht nicht."
"Aber warum nicht?"
"Diese fliegenden Fische sind sehr schlüpfrig. Sie glitschen weg, sobald man sie nur berührt ... Sie
glauben mir wohl nicht?"
Ich gab keine Antwort. Da winkte der Zwerg ab und rief: "Bitte sehr, machen Sie, was Sie wollen!
Fassen Sie die Fische an, lassen Sie sie von mir aus
frei! Erniedrigen und kränken Sie mich!" Das Männchen zog ein großes Tuch
vom Aquarium, schnappte meine Hand und stopfte sie in den Fischbehälter.
Nun?!" schrie er. "Haben Sie was gefangen! Kein Stück werden Sie zu fassen
kriegen!"
Meine Finger ertasteten nur Leere. Keine Spur von Fischen. "Hier ist nichts", sagte ich.
"Na bitte, da sehen Sie's", der Zwerg wandte sich tränenüberströmt an die Umstehenden. Er hat
sich davon überzeugt, daß man die Fische wegen ihrer Glitschigkeit nicht fangen kann, will es
aber nicht zugeben."
Ich tastete noch eine Weile im leeren Aquarium herum, doch kaum hatte ich die Hand draußen,
zeterte das Männchen erneut los: "Oje, jetzt hat er all meine Fische herausgelassen! Er hat sie
aufgeschreckt! Dabei hab ich ihm gesagt, daß man nicht mit der Hand im Aquarium herumfuchteln
darf. O weh, er hat mich an den Bettelstab gebracht, zugrunde gerichtet hat er mich!"
Die Umstehenden begannen in mindestens zwanzig Sprachen unzufrieden zu raunen und
bedachten mich mit vorwurfsvollen Blicken. Sogar Alissa sagte: "Warum hast du das getan,
Papa?"
"Aber so begreift doch", wandte ich mich an die Gaffer, "daß das Aquarium völlig leer war!"
"Woher sollen wir das so genau wissen?" entgegnete ein lkes-Bewohner,
der wie ein Tiger gestreift war und einen weißen Schnurrbart hatte. "Wenn
der Alte nun recht hat? Wenn seine Fische wirklich unsichtbar sind und man
sie nicht fangen kann? Wie sollen wir ihm nachweisen, daß er die Unwahrheit
gesprochen hat?" "Richtig", unterstützte ihn ein Großohriger. "Weshalb hätte er mit einem leeren Aquarium herkommen sollen." "Um es jeden Tag aufs neue zu verkaufen", erwiderte ich. Doch niemand schenkte meinen Worten Beachtung. Mir blieb nichts anderes übrig, als dem unglücklich dasitzenden Zwerg zehn angeblich seltene Fische zu bezahlen. Das Männchen hatte offensichtlich nicht damit gerechnet daß ich mich so schnell ergeben würde, und war ganz gerührt. Es bedankte sich überschwenglich und versprach, mir unbedingt einen solch unsichtbaren Fisch zu bringen, sobald er wieder einen besäße. Wir waren schon im Weggehn, da sagte er noch zu Alissa: "Wenn du gestattest, mein Kind, will ich dir ein kleines Geschenk machen." "Aber bitte", antwortete Alissa, "ich würde mich sehr freuen." "Da, nimm." Der-Zwerg begann in seiner Jackentasche zu wühlen un holte schließlich die leere Hand heraus. Er formte sie zu einer Schale, als hielte er etwas darin versteckt und streckte sie Alissa hin. "Hier", sagte er, "das ist eine Tarnkappe. Nimm sie ruhig, nur keine Scheu. Guten Leuten mache ich gern wertvolle Geschenke. Aber Vorsicht. Die Kappe ist aus so feinem Garn gewebt daß sie keinerlei Gewicht hat. Man spürt sie nicht." Alissa bedankte sich bei dem Scharlatan, tat als verstaue sie das Geschenk in ihrer Tasche, und wir setzten unseren Weg fort. Plötzlich geriet uns ein merkwürdiges Wesen vor die Füße. Es sah aus wie ein federleichter Ball auf Stelzen und reichte uns bis zu den Knien. Am seltsamsten an diesem Wesen aber war seine Farbe - grellrot mit weißen Tupfen, wie ein Fliegenpilz. "Halt ihn fest Papa", rief Alissa, "er ist jemandem davongelaufen!" "Ich denk nicht dran", sagte ich und steckte meine nunmehr leere Brieftasehe zurück in die Jacke. "Womöglich ist das kein Tier, sondern ein Sammler, der seinem Besitz hinterherläuft. Ich halt ihn fest, und er ruft die Polizei, beschwert sich, daß ich ihn beleidigt hätte, weil ich ihn nicht als Vernunftbegabten erkannte." Doch gleich darauf sahen wir, daß eine dicke zweiköpfige Schlange in glänzendem, buntschillerndem Skaphander hinter dem roten Ball her war. Hilfe", rief sie, "mein Indikator ist ausgerissen!" Der rote Ball versuchte sich hinter meinen Beinen zu verstecken, doch die Schlange streckte einen ihrer etwa hundert Füße aus, die an ihren Flanken baumelten, und griff sich den Ausreißer. Daraufhin wechselte der kleine Kerl seine Farbe blitzschnell von rot auf gelb und zog die Stelzen ein. "Entschuldigen Sie", wandte ich mich an die dicke Schlange, "was ist das für ein Tier?" "Ach, nichts Besonderes. Auf unserem Planeten gibt's davon jede Menge. Wir nennen sie Indikatoren. Sie können nicht sprechen, wechseln aber die Farbe nach ihrer jeweiligen Stimmung. Sie bringen überaus interessante Farbschattierungen hervor. Sie haben nicht zufällig ein Stück Zucker bei sich?" "Nein", sagte ich. "Schade." Die Schlange brachte von irgendwoher ein Stück Zucker zum Vorschein. Beim Anblick der Süßigkeit begannen violette Wellenlinien auf dem Ball zu tanzen. "Er freut sich", sagte die Schlange. "Hübsch, nicht wahr?" "Sehr", bestätigte ich. "Wir denken uns alle möglichen neuen Empfindungen für ihn aus, bloß um ausgefallene Farben zu erzielen. Soll ich ihm mal einen Schlag geben? Dann wird er ganz schwarz." ,Lieber nicht", sagte ich. "Aber würden Sie ihn uns für unseren Moskauer Zoo verkaufen?" "Nein", sagte der eine Schlangenkopf; der andere ließ sich schweigend nach unten hängen. "Höchstens tauschen." "Ich habe nichts zum Tauschen." "Na, und das kleine Wesen da, das Tierjunge?" sagte die Schlange und deutete gleich mit zehn ihrer Füße auf Alissa.
"Das geht nicht", sagte ich und gab mir Mühe, nicht beleidigt zu sein, hatte ich doch eben erst
selbst ein vernunftbegabtes Wesen für ein unverständiges Tier gehalten, "es ist meine Tochter."
"Pfui, wie grauenvoll!" rief die Schlange entrüstet aus. "Ich werde umgehend die Ordnungshüter
rufen. Das ist nämlich verboten!"
"Was ist verboten?" fragte ich erstaunt.
"Seine Kinder zum Kauf anzubieten. Oder sie gegen Tiere zu tauschen. Haben Sie denn nicht die
Vorschriften am Eingang zum Basar gelesen? Sie sind ein Schurke und Barbar!"
"Aber nicht doch", ich lachte. Alissa könnte mich mit dem gleichen Erfolg verkaufen wie ich sie."
"Um so schlimmer!" rief die Schlange und preßte den farbigen Ball an ihre Brust: Der Indikator war
auf einmal weiß mit roten Kreuzen auf der Mittellinie - er hatte sich offenbar erschrocken. "Eine
Tochter, die ihren eigenen Vater verkauft! Wo hat man so was schon gehört!"
"Wir haben doch gar nicht die Absicht uns gegenseitig zu verkaufen, Ehrenwort! Das ist bei uns
auf der Erde absolut nicht üblich. Wir sind einfach zusammen hergekommen, um seltene Tiere für
unseren Zoo zu erstehen."
Die Schlange dachte einen Augenblick nach und sagte: Ich weiß nicht ob ich Ihnen glauben kann.
Ich frag am besten den Indikator, er hat ein feines Gespür." Sie beugte beide Köpfe zu dem
bunten Ball hinunter und fragte: "Kann man diesen seltsamen Wesen trauen?"
Der Indikator nahm eine smaragdgrüne Farbe an.
"Eigenartig", sagte die Schlange, "er behauptet, man kann."
Sie war sofort besänftigt und fragte den Indikator in völlig verändertern Ton: "Möchtest du, daß ich
dich diesen Wesen überlasse?"
Der Indikator leuchtete golden auf wie ein Sonnenstrahl.
"Und ob er will", übersetzte die Schlange seine Gefühlsregung. "Na, dann nehmen Sie ihn schon,
eh ich mir's anders überlege. Und hier ist noch etwas, ein Nachschlagewerk: Zur Ernährung der
Indikatoren, und wie man bei ihnen zartrosa Empfindungen erzeugt“.
"Aber ich weiß nicht, was ich Ihnen dafür geben soll."
"Gar nichts", sagte die Schlange. "Schließlich habe ich Sie mit meinen Verdächtigungen gekränkt.
Nehmen Sie ihn nur, dann weiß ich, Sie haben mir verziehen, und bin bis zum Abend sehr
glücklich."
"Natürlich sind wir Ihnen in keiner Weise böse", erwiderte ich.
"Kein bißchen", bekräftigte auch Alissa.
Da schleuderte die Schlange einen Teil ihrer Füße hoch; der Indikator-Ball flog in die Luft und
genau in Alissas Arme. Er war nach wie vor goldgelb, nur daß jetzt noch, als wären sie lebendig,
hellblaue Streifen über seinen Rücken liefen.
"Er ist überaus zufrieden", sagte die Schlange und kroch eilig davon, ohne weiter auf unsere
Worte zu hören.
Der Indikator sprang von Alissas Armen und stakste auf seinen dünnen kleinen Stelzen hinter uns
her.
Wir begegneten einer ganzen Familie von Großohrigen: einem Vater, dessen Ohren gewaltiger
waren als die eines Elefanten, einer Mutter und ihren sechs Kindern. Sie trugen einen Käfig mit
einem Kanarienvogel.
"Schau mal, rief Alissa, "ist das ein Kanarienvogel?"
"Das ist doch kein Kanarienvogel", widersprach der Großohrigen-Vater streng. "Das ist ein
Paradiesvogel. Dabei wollten wir gar keinen kaufen. Wir suchten einen Plapperschnabel."
"Aber wir haben keinen gefunden", fielen wie im Chor die GroßohrigenKinder ein und erzeugten
mit ihren Ohrchen Wind. "Nicht einen einzigen gibt es mehr."
"Merkwürdig", schaltete sich nun auch die Großohrigen-Mutter ein, "noch
im vorigen Jahr war der halbe Basar voll von diesen sprechenden Vögeln, jetzt dagegen sind sie
wie ausgestorben. Wissen Sie vielleicht woran das liegen könnte?"
"Nein", sagte ich, "keine Ahnung."
"Wir wissen's auch nicht", sagte der Großohrigen-Vater. "Müssen wir uns eben Paradiesvögel
halten."
"Papa", sagte Alissa, als die Familie fort war, "wir brauchen unbedingt einen Plapperschnabel."
"Warum?" fragte ich erstaunt.
"Weil alle ihn haben wollen."
"Na schön", willigte ich ein, "machen wir uns halt auf die Suche nach ihm. "Aber vorher wallen wir
uns die Höhlen-Weberspinnen ansehn. Vielleicht bekommen wir eine zu kaufen. Unser Tierpark
wünscht sich seit langem eine solche Spinne."
Wir haben den Plapperschnabel gekauft Alissa und ich gingen den ganzen Basar ab. Wir kauften für unseren Zoo achtzehn verschiedene
Tiere und Vögel, wie sie meist noch kein Erdenmensch zu Gesicht bekommen hatte. Alissa
erkundigte sich bei jedem Händler oder Sammler: "Und wo kriegen wir einen Plapperschnabel
her?"
Die Antworten fielen sehr unterschiedlich aus:
"Sie haben aufgehört, Eier zu legen."
"Sie sind an einer rätselhaften Krankheit gestorben."
"Sie lassen sich nicht in Gefangenschaft halten."
"Man hat sie allesamt aufgekauft."
,Die hat's doch nie gegeben."
So oder ähnlich äußerten sich die Händler, und wir konnten uns keinen Reim machen, was nun
wirklich geschehen war. Meist hörten wir aus den Antworten heraus, daß es sich bei den
Plapperschnäbeln um ganz gewöhnliche Tiere handelte, die gern zu Hause oder in zoologischen
Gärten gehalten wurden. Doch im Laufe des letzten Jahres schienen sie plötzlich vom Erdboden
verschluckt. Es hieß, Leute seien durch die Wohnungen gegangen und hätten sie aufgekauft bzw.
einfach aus den Tiergärten gestohlen. Und in der zentralen Zuchtstation seien sie einem
seltsamen Fieber zum Opfer gefallen. Je geringer aber die Hoffnung wurde, einen solchen Vogel
ausfindig zu machen, desto mehr steigerte sich Alissas Verlangen, wenigstens einen Blick auf ihn
zu werfen.
"Was ist denn so Besonderes an diesen Vögeln?" erkundigte ich mich bei Krabakas vom Barakas,
mit dem wir soeben Bekanntschaft geschlossen hatten.
"Eigentlich nichts weiter", antwortete Krabakas höflich und ringelte seinen blauen Schwanz
zusammen, "als daß sie eben sprechen können."
"Das können Papageien auch."
"Dazu vermag ich nichts zu sagen, ich hab noch nie von Papageien gehört. Vielleicht sind es die
gleichen Vögel und heißen bei Ihnen bloß anders."
"Möglich", stimmte ich zu, obwohl ich sehr bezweifelte, daß es auf dem Planeten hier Papageien
gab. "Wo ist eigentlich die Heimat der Plapperschnäbel?"
"Das weiß ich nun wirklich nicht", erwiderte Krabakas vom Barakas. "Durchaus möglich, daß sie
auf dem Planeten der Großohrigen zu Hause sind. Ich hab mal gehört sie wären imstande, von
einem Stern zum andern zu fliegen, kehrten jedoch immer zu ihrem Heimatort zurück."
"Wir werden wohl keinen derartigen Vogel auftreiben", sagte ich zu Alissa, "laß uns gehn. Um so
mehr, als dein Indikator schon völlig ausgehungert ist."
Der Ball hörte meine Worte und färbte sich zum Zeichen der Zustimmung hellgrün.
Wir steuerten dem Ausgang zu, da hörte ich plötzlich Krabakas rufen - er hatte sich wie ein blauer
Tornado über die Käfige erhoben: "Hallo, Erdenmensch", rief er. "komm schnell her!"
Ich machte kehrt, und Krabakas, zu einem Knäuel zusammengerollt sagte: ,Sie wollten doch einen
Plapperschnabel sehn? Da haben Sie wirklich sagenhaftes Glück: Hinter meinen Käfigen verbirgt
sich ein Mann, der ein richtiges ausgewachsenes Exemplar bei sich hat."
Alissa stürzte, ohne noch weiter hinzuhören, zu den Käfigen, gefolgt vom Indikator, der vor
Ungeduld in allen Regenbogenfarben schillerte.
Hinter den Vogelkäfigen hatte sich ein Großohriger versteckt, die Lauscher ängstlich angelegt. Er
hielt einen großen weißen Vogel am Schwanz gepackt. Der Vogel besaß zwei Schnäbel und ein
goldenes Krönchen.
"Oh, Papa, erkennst du ihn?" fragte Alissa.
"Irgendwie vertraut kommt er mir schon vor."
"Vertraut", spöttelte Alissa. "Es ist der gleiche Vogel, der auf der Schulter des Ersten Kapitäns
sitzt. Du weißt schon, das Denkmal!"
Alissa hatte recht, ich erinnerte mich sofort. Natürlich, diesen und keinen anderen Vogel hatte der
Bildhauer modelliert.
"Verkaufen Sie den Plapperschnabel?" fragte ich den Großohrigen.
"Still doch!" zischte der Mann. "Oder wollen Sie mich und ihn zugrunde richten!"
"Nun greifen Sie schon zu", flüsterte Krabakas. "Ich würde ihn selber kaufen, wenn Sie ihn nicht
dringender brauchten. Vielleicht ist es der letzte seiner Art auf diesem Planeten."
"Aber warum tun alle so geheimnisvoll?" fragte ich.
,Ich weiß ja selbst nicht was los ist', erwiderte der Besitzer des Vogels. "Ich wohne weit entfernt
von der Stadt und bin nur selten hier. Der Vogel ist mir vor einigen Jahren zugeflogen. Er war
ausgehungert und verwundet. Ich hab ihn gesund gepflegt, und seither lebt er bei mir. Wie's
scheint, ist er in seinem Leben schon auf vielen Planeten gewesen, denn er kann mehrere
Sprachen. Vor einigen Tagen nun hatte ich geschäftlich in der Stadt zu tun und traf in der
Gaststätte einen alten Freund. Wir kamen ins Plaudern, und mein Bekannter erzählte mir, daß es
in der Stadt so gut wie keine Plapperschnäbel mehr gebe, jemand würde sie wegkaufen oder gar
töten. Ich erzählte ihm, daß ich selbst auch so einen Vogel besäße. Gib gut auf ihn acht, sagte da
mein Freund. In diesem Augenblick trat ein Erdenmensch an unseren Tisch und erklärte, er würde
das Tier gern erstehen . .
"Trug er einen Hut?" fragte Alissa unvermittelt.
"Ja", antwortete der Großohrige, "aber woher wissen Sie das?"
"War der Mann alt und dünn?"
"Aber ja."
,Also ist er's', stellte Alissa fest.
"Wer - er?" fragte Krabakas vom Barakas.
"Derselbe, der die Würmer verkauft hat."
"Natürlich, dieser Bösewicht, wer sonst?!" rief nun auch Krabakas.
"Augenblick, ich bin noch nicht fertig", unterbrach uns der Großohrige. "Ich lehnte es damals ab,
den Plapperschnabel, an dem ich sehr hänge, wegzugeben, und fuhr zurück nach Hause. Und
stellen Sie sich vor - in derselben Nacht hat jemand versucht, in meine Wohnung einzudringen, in
der folgenden Nacht wollte man Feuer bei mir legen. Doch der Vogel wachte auf und weckte mich.
Gestern dann entdeckte ich einen noch nicht fertiggestellten unterirdischen Tunnel zu meinem
Haus, und heute nacht warf jemand einen riesigen Stein in mein Schlafzimmer. Da begriff ich, daß
es mir an den Kragen geht wenn ich den Vogel behalte. Nehmen Sie ihn also, falls Sie keiine
Angst haben, doch für die Folgen kann ich nicht einstehen."
"Nehmen Sie ihn ruhig", riet Krabakas, "es ist ein seltenes und schönes Tier. Außerdem fliegen
Sie bald ab. Sie haben nichts zu befürchten."
"Wir kaufen ihn, ja, Papa?" bettelte Alissa und streckte schon die Hand nach dem Vogel aus.
Ich hatte mich noch nicht entschieden, da saß der Vogel bereits auf Alissas Schulter.
"Leb wohl, Freund", seufzte der Großohrige.
Ich bezahlte, und der Mann rannte schnurstracks davon, ohne erst nachzuzählen. .
"Geben Sie ihm Weißbrot zu essen", sagte Krabakas zum Abschied, "Und Milch. Auch
Hagebuttensaft hin und wieder kann nicht schaden." Mit diesen Worten rollte sich Krabakas erneut
zu einem blauen Knäuel zusammen und machte es sich auf einem Käfig mit Kanarienvögeln
bequem.
Wir begaben uns zum Ausgang. Voran schritt Alissa mit dem Plapperschnabel auf der Schulter. Zwar hatte das Tier noch kein einziges Wort von sich gegeben, doch das beunruhigte mich nicht weiter. Hinter Alissa trippelte der Indikator und wechselte nachdenklich die Farben. Danach folgte ich, an der Leine eine sehr seltene, arbeitsame, fast vernunftbegabte Höhlen-Weberspinne, die ich für wahnsinnig viel Geld erworben hatte. Die Spinne wehte einen hübschen Wollschal mit Karomuster, der schon so lang war, dass sein Ende über den Boden schleifte. Den Schluß bildete unser automatisches Geländemobil, voll beladen mit Käfigen und Aquarien: Keiner von uns hätte mehr Platz darin gefunden. Von allen Seiten drehten sich Sammler nach uns um und riefen in Dutzenden von Sprachen: "Seht mal dort, die haben einen Plapperschnabel!" "Da, ein Plapperschnabel!" "Na so was, ein richtiger Plapperschnabel!" Plötzlich neigte das Tier seinen Kopf und fing zu reden an. "Achtung. sagte es in reinstem Russisch. "Eine Landung auf diesem Planeten ist nicht möglich. Ich schwenke jetzt in die Umlaufbahn ein, und du, mein Lieber, vergiß nicht die Amortisatoren einzuschalten." Nach diesen Sätzen wechselte der Vogel übergangslos in eine unbekannte Sprache über und plapperte auf diese Weise etwa zwei Minuten lang.
"Na, das ist mir ein Papagei sagte Alissa.
Der Vogel verstummte, lauschte ihren Worten und wiederholte: "Na, das ist mir ein Papagei!", Und
dann, nach kurzem Überlegen in meinem Tonfall: "Aber warum tun alle so geheimnisvoll?" Und
nach einer weiteren Pause mit der Stimme seines früheren Besitzers: In derselben Nacht hat
jemand versucht, in meine Wohnung einzudringen. In der folgenden Nacht wollte man Feuer bei
mir legen."
"Alles klar, Alissa", sagte ich, "wir haben ausgesprochnes Glück gehabt. Das ist ein Supervogel.
Ein König unter den Papageien. Er merkt sich alles, was gesprochen wird, und das sofort."
Unterdessen begann der Vogel erneut in Russisch: "Hör zu, Zweiter, ich habe nichts, was ich dir
schenken könnte. Wenn du willst nimm meinen Plapperschnabel. Er wird dir unsere gemeinsamen
Fahrten in Erinnerung rufen, denn er speichert alles in seinem Gehirn, jedes einzelne Wort. Und
wie du ihnauf den jeweiligen Text programmieren mußt, weißt du ja."
"Danke, Erster", antwortete der Vogel sich selbst mit völlig veränderter Stimme. "Wir sehen uns ja
noch mal..."
Dann begann es in der Kehle des Vogels zu knattern und zu dröhnen, als würde in der Ferne ein
Raumschiff in den Himmel steigen.
"Verstehst du, was er sagt, Papa?" fragte Alissa.
"Ich glaub schon. Es scheinen die Stimmen der berühmten Kapitäne zu sein."
Wir gingen weiter, schlugen einen Bogen um die Abteilung der Briefmarkensammler, um mit
unserem ungewöhnlichen Gepäck nicht durch die Massen hindurch zu müssen. Unser dicker
Bekannter aus dem Hotel kam auf uns zugerannt. "Na, haben Sie gefunden, wonach Sie
suchten?" fragte er.
Ja", antwortete ich, "alles in Ordnung."
"Wir haben einen Plapperschnabel gekauft", sagte Alissa stolz. "Sie können sich nicht vorstellen,
was für interessante Dinge er zu berichten weiß."
In diesem Augenblick öffnete der Vogel erneut seine Schnäbel, schüttelte das Krönchen auf dem
Kopf und begann mit der Stimme des Ersten Kapitäns: "Du weißt sehr gut Zweiter, wie gern ich
wieder in den Kosmos möchte. Aber es hat alles seine Grenzen."
Der Dicke wandte sich zu Alissa um, erblickte den Vogel, und sein Gesicht sah plötzlich aus wie
ein flacher Eierkuchen. Die Augen aber wurden ganz weiß, sie lagen auf einmal tief in den Höhlen.
"Sie müssen mir den Vogel abtreten", sagte der Dicke.
"Weshalb?" fragte ich erstaunt.
"Es muß sein", der Dicke streckte die Hand nach dem Vogel aus.
Doch das Tier wich ihm aus und hackte ihm schmerzhaft in den Finger.
"Au!" rief der Dicke. "Elendes Mistvieh! Schon lange bin ich hinter dir her!"
"Nehmen Sie die Hand weg", sagte ich.
Der Dicke kam zur Besinnung. "Entschuldigen Sie, aber ich bin schon lange auf der Suche nach
so einem Plapperschnabel. Ich habe extra seinetwegen achtzig Lichtjahre Flug hinter mich
gebracht. Sie dürfen mir das nicht abschlagen! Ich zahle Ihnen jeden Preis."
"Ich brauche Ihr Geld nicht", sagte ich. "Bei uns auf der Erde ist das Geld im Grunde längst
abgeschafft. Wir führen nur welches bei uns, wenn wir in den Kosmos fliegen, an Orte, wo es noch
existiert."
"Ich gebe Ihnen für diesen Vogel alles, was Sie wollen! Von mir aus einen kompletten Zoo!"
,Nein", erwiderte ich entschieden. "Soweit ich das überblicke, gibt es so gut wie keine
Plapperschnäbel mehr. Bei uns im Tierpark wird er gut aufgehoben sein."
"Geben Sie ihn her", fauchte der Dicke böse, "sonst nehm ich ihn mir mit Gewalt."
"Das wagen Sie mal!"
Zwei Großohrigen-Polizisten gingen vorüber. Ich wollte sie schon zu Hilfe rufen, da war der Dicke
plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.
Wir setzten unseren Weg fort.
"Mit dem Plapperschnabel ist irgendein Geheimnis verknüpft Papa", sagte Alissa. "Gib ihn ja nicht
weg!"
"Keine Bange", beruhigte ich sie.
Wir gingen nun auf einer wenig belebten Straße; über eine nicht allzu hohe Mauer drang der Lärm vom Basar zu uns. Die Hotels von Palaputra waren bereits zu sehen, als wir plötzlich leise Schritte hinter uns vernahmen. Ich drehte mich hastig um und war baff vor Staunen. Doktor Werchowzew rannte die Straße entlang, hatte uns fast eingeholt. Sein Hut war seitlich verrutscht, der Anzug zerknittert, und er sah noch magerer aus als sonst. "Professor", keuchte er, "Ihnen droht schreckliche Gefahr. wie gut daß ich Sie noch einholen und warnen konnte!" "Was für eine Gefahr?" fragte ich. "Die Gefahr steckt in dem Vogel. Wenn Sie sich nicht augenblicklich von ihm trennen, ist Ihr Raumschiff zum Untergang verurteilt. Das steht absolut fest." "Hören Sie, Doktor", sagte ich wütend. "Ihr Verhalten ist mehr als merkwürdig. Schon auf dem Planeten der Drei Kapitäne benahmen Sie sich seltsam, als Sie angeblich nicht wußten, was das auf dem Denkmal für ein Vogel war. Dann sind Sie, wie man uns erzählte, hierher gekommen, um dem Planeten mit Hilfe der weißen Würmer sämtlichen Sauerstoff zu nehmen. Auch im Hotel haben Sie sich miserabel aufgeführt: Kochten Würstchen im Bett und machten die Roboter kaputt. Und nun verlangen Sie, daß wir Ihnen den Plapperschnabel geben ... Nein, unterbrechen Sie mich nicht. Lassen Sie sich das mal gründlich durch den Kopf gehn. Danach besuchen Sie uns auf dem Schiff, und wir unterhalten uns in Ruhe." "Das werden Sie noch bereuen", sagte Werchowzew und steckte die Hand in die Jackentasche. Der Indikator wurde rot vor Schreck. Die Weberspinne wedelte mit dem noch unfertigen Schal vor Werchowzew herum. "Vorsicht, Papa, er hat eine Pistole!" rief Alissa. "Poloskow", sagte ich ins Mikrofon auf meiner Brust, "hier sind meine Koordinaten. Wir sind in Gefahr Und brauchen schnellstens Hilfe!" Bei diesen Worten erstarrte Werchowzew und begann zu überlegen. Zu unserem Glück erschien eine große Schar von SammIern auf der Straße, die einen widerspenstigen grünen Elefanten hinter sich herzerrten. Werchowzew setzte über einen Zaun und war verschwunden. "Ach, ist das alles nach meinem Geschmack!" rief Alissa begeistert aus. ,Das sind ja richtige Abenteuer!" "Mir dagegen schmecken solche Abenteuer, wenn ich ehrlich sein will, nicht besonders. Schließlich waren wir aufgebrochen, um Tiere für unseren Zoo zu erwerben und nicht, um uns mit Doktor Werchowzew zu schlagen." Drei Minuten später hing der Gleiter vom "Pegasus" über uns: Poloskow war uns zu Hilfe geeilt. Er flog langsam über unseren Köpfen dahin, bis wir, nunmehr ohne Hindernisse, das Raumschiff erreicht hatten. Kurs zum Sternbild der Medusa Nachdem wir alle Tiere in Käfigen untergebracht und gefüttert hatten, begab ich mich auf die Kommandobrücke. Ich schickte ein Telegramm mit folgendem Wortlaut zum Erkunderstützpunkt auf dem Kleinen Arktur: "Bitte überprüfen, wo sich Doktor Werchowzew aufhält. Habe den Verdacht, daß er nicht der ist, für den er sich ausgibt." Am Abend traf die Antwort vom Kleinen Arktur ein: "Können vorerst nichts Genaues über Doktor Werchowzews Verbleib sagen, auf dem Planeten der Drei Kapitäne befindet er sich jedenfalls nicht." "Daß er dort nicht ist, wissen wir selber", brummte Poloskow, "er ist ja hier." Wir hatten für den Plapperschnabel einen großen Käfig angefertigt und in der Gemeinschaftskajüte angebracht. Das Tier brabbelte den ganzen Tag über in den verschiedensten Sprachen, machte aber keinerlei Anstalten, einen der beiden Kapitäne nachzuahmen. Doch Poloskow glaubte Alissa und mir auch so. "Ich bin wie ihr der Meinung, daß dieser Vogel dem Ersten Kapitän gehörte", sagte er. "Beim Abschied hat er ihn dann dem Zweiten geschenkt." "Wäre es nicht möglich", fragte Alissa,
"daß Werchowzew nur deshalb Jagd auf alle Plapperschnäbel gemacht hat, weil er diesen einen
haben wollte?"
"Wozu gerade ihn?" entgegnete ich.
"Na, das ist doch klar. Wir wissen, daß der Zweite Kapitän verschollen ist ohne eine Spur zu
hinterlassen. Und auch, daß er einen Plapperschnabel besaß..."
"Natürlich", rief Seljony aus, "unsre Kleine hat recht! Der Kapitän ist verschollen, der Vogel aber
hier. Folglich weiß er, wo sich der Zweite aufhält. Und genau das will Werchowzew erfahren."
"Aber warum macht er daraus ein Geheimnis?" erwiderte ich. "Wir wären ihm doch mit Vergnügen
behilflich gewesen."
Es klopfte. Jemand wollte uns besuchen.
Ich ging zur Luke und öffnete. Vor mir stand der Dicke in dem schwarzen Lederanzug.
"Entschuldigen Sie die Störung", sagte der Dicke, "ich wollte mich für mein Benehmen auf dem
Basar entschuldigen. Ich war so versessen auf den Plapperschnabel, daß ich die Beherrschung
verlor." "Schon gut", antwortete ich, "wir nehmen's Ihnen nicht übel. Auf den Vogel allerdings
müssen Sie trotzdem verzichten."
"ja, gewiß", sagte der Dicke aufgeräumt "Sie sollten nur nicht schlecht von mir denken. Bitte tun
Sie mir die Freude und nehmen Sie das Geschenk hier an." Er hielt mir ein äußerst seltenes Tier
hin - eine Diamantenschildkröte von der Menata. Der Panzer dieser kleinen Schildkrötenart
bestand aus echten Diamanten und funkelte so, daß es den Augen weh tat.
"Nur keine Scheu", sagte der Dicke, "nehmen Sie sie ruhig. Ich habe drei von der Sorte."
Selbstverständlich hätte ich von einem so seltsamen Menschen kein Geschenk annehmen durfen,
ich hätte auf der Hut sein müssen. Doch kein Tierpark der Welt besaß eine Diamantenschildkröte!
Fünf Jahre hatten wir vergeblich Jagd auf sie gemacht, nun aber kam einer und schenkte sie uns.
"Hier", sagte der Dicke, "Sie werden doch nicht ablehnen. Auf Wiedersehen also, vielleicht
begegnen wir uns noch mal. Übrigens, man kennt mich auf hundert Planeten und nennt mich den
Fröhlichen U."
Mit diesen Worten trappte er polternd die Gangway hinunter und schlug hüpfenden Schritts die
Richtung zur Stadt Palaputra ein.
Es dunkelte bereits, beide Sonnen des Planeten gingen fast gleichzeitig unter, nur von zwei
verschiedenen Seiten des Horizonts aus. Deshalb flammten über dem Kosmodrom auch zwei
Abendröten zugleich auf, eine schöner als die andere. Und ich sagte mir, daß man nicht immer
schlecht von den Leuten denken dürfe. Dieser Dicke zum Beispiel war ein leidenschaftlicher
Zoologe, und doch hatte es ihm nicht leid getan, uns ein so seltenes Tier zu schenken.
Ich kehrte gehobener Stimmung in die Gemeinschaftskajüte zurück und führte meinen Freunden
die neue Errungenschaft vor. Die Schildkröte wanderte von Hand zu Hand; wir alle waren entzückt
von dem wundersamen Lichtspiel auf dem diamantenbestückten Panzer.
"Und wohin soll die Reise nun gehn?" fragte Poloskow nach dem Abendessen.
"Zu den Sklissen", sagte Alissa, "auf den Planeten Scheschinera."
"Einverstanden", stimmte ich zu, wir wollten sowieso dort vorbei."
In diesem Augenblick begann der Vogel, der bislang friedlich dagehockt und uns beim Teetrinken
zugeschaut hatte, erneut zu reden.
"Du willst also aufbrechen?" fragte er mit der Stimme des Ersten Kapitäns.
"ja", antwortete die Stimme des Zweiten, "ich werde ihm entgegenfliegen."
"In Ordnung, Zweiter, wenn's Schwierigkeiten gibt rufst du mich zu Hilfe."
"Wenn ich die Möglichkeit dazu habe."
"Oder du schickst den Plapperschnabel. Er wird mir alles erzählen. Ich weiß, wie ich ihn zum
Sprechen bringe. Du Mußt ihm nur die Einzelheiten eingeben."
"Na dann, bis bald."
"Bis bald."
Der Vogel verstummte.
"Nun, hast du's gehört Poloskow?" fragte Alissa.
"Natürlich hab ich's gehört, warum schreist du so", erwiderte Poloskow und begann
nachzudenken.
Der Vogel wiegte sein goldenes Krönchen - er schien zu überlegen, ob er weiterreden sollte od er
nicht. Plötzlich sagte er langsam und deutlich akzentuiert mit der Stimme des Zweiten Kapitäns:
"Halte Kurs zum Sternbild der Medusa."
Wir warteten, daß er noch etwas hinzufügen würde, doch er schloß die Augen und steckte den
Kopf unter den Flügel.
"Das heißt also, daß der Zweite Kapitän in Not geraten ist. und den Vogel nach Hilfe geschickt
hat", sagte Alissa. "Wie können wir ihn bloß dazu bringen, uns mehr zu erzählen?"
"Moment mal", schaltete ich mich ein, "wieso glaubt ihr das? Immerhin ist der Vogel nicht zur
Venus geflogen, wo der Erste Kapitän arbeitet sondern zu seinem Heimatplaneten zurückgekehrt.
Folglich hat ihn niemand geschickt. Der Zweite kann ja auch umgekommen sein. Da ist der
Plapperschnabel einfach nach Hause geflogen."
"Alles ist möglich", sagte Poloskow und erhob sich vom Tisch. Er verließ die Kajüte und kam nach
fünf Minuten wieder, eine Karte der Galaxis in der Hand. Er schob die Tassen beiseite, breitete sie
auf dem Tisch aus und zeigte mit dem Finger auf den äußersten Rand der Karte. "Hier befindet
sich, das Sternbild der Medusa", sagte er. Es ist noch völlig unerforscht und verfügt über eine
Reihe von Planeten. Ich schlage vor, hinzufliegen. Sollte der Kapitän noch am Leben sein, können
wir ihm helfen, sollte er aber tot sein, wissen wir wenigstens, wo es passiert ist."
"Er kann doch auch irgendwo unterwegs gestorben sein", entgegnete ich.
"Na, weißt du - ein erfahrener Kapitän und unterwegs umkommen!"
"Und wenn das Raumschiff explodiert ist?"
"Nur der Vogel ist am Leben geblieben, ja?"
"Passiert sein kann sonstwas." Ich verstummte. Schließlich und letzten Endes hatte unsere
Expedition festumrissene Aufgaben, und es war unbekannt, ob im Sternbild der Medusa
überhaupt irgendwelche Lebewesen existierten. Für den Hin- und Rückflug würde sämtliche Zeit
draufgehen, die uns zur Verfügung stand. Dabei besaßen wir keinerlei Anhaltspunkte außer den
paar Worten, die der Plapperschnabel von sich gegeben hatte. Und wenn nun der Kapitän zwar
dort gewesen, aber in einem ganz anderen Winkel der Galaxis ums Leben gekommen war? Ich
äußerte meine Bedenken. Doch je länger ich sprach, desto weniger glaubte ich selber daran.
Auch, merkte ich immer deutlicher, daß ich weder Poloskow noch Alissa zu überzeugen
vermochte.
,.,Also gut", sagte ich schließlich, "ein Versuch-kann nicht schaden. Aber zuerst fliegen wir zur
Scheschinera. Wir müssen herausfinden, was es mit den Sklissen auf sich hat."
"Kein Problem", erwiderte Poloskow und fuhr mit dem Finger auf der Karte entlang. "Das liegt
genau an der Strecke. Unterwegs können wir sogar noch auf anderen Planeten Station machen
und nach seltenen Tieren für unseren Zoo Ausschau halten."
"jetzt aber ins Bett", sagte ich. "Wir brechen morgen beizeiten auf. Sind alle Tiere versorgt?"
"Zu Befehl, Genosse Expeditionsleiter", sagte Alissa, der die Fütterung der Tiere oblag.
"Und wo ist die Diamantenschildkröte?"
"Sie war eben noch hier", antwortete Poloskow, "wo steckt sie bloß?"
Wir suchten eine geschlagene Stunde nach ihr, krochen in sämtliche Winkel des Raumschiffs und
fanden sie am Ende nur mit Hilfe des Indikators, der sie unmittelbar an der Ausstiegsluke
aufspürte.
"Sie wollte ausreißen", sagte der Mechaniker Seljony. "Aber ich hab euch ja gewarnt - auf diese
Schildkröte muß man aufpassen wie der Teufel."
Der Indikator nahm eine gelbe Färbung an.
Ich holte die Tafel über Farben und Empfindungen des Indikators hervor, die mir die zweiköpfige
Schlange übergeben hatte, und übersetzte: "Gelb bedeutet Mißtrauen."
"Du traust wohl der Schildkröte nicht?" fragte Seljony den Indikator. "Ich ebensowenig."
Der Indikator wurde so leuchtend gelb, daß selbst das Licht der Lampen verblaßte.
"Na schön", sagte ich, "dann sperren wir sie eben in einen Käfig."
Der Indikator behielt seine gelbe Färbung bei, nur daß jetzt schwarze Streifen über seinen Rücken
schwammen. Nach Auskunft der Tabelle bedeuteten schwarze Streifen auf gelbem Grund starke
Bedenken.
"Also gut", willigte ich ein. "Wenn du derart mißtrauisch bist sperren wir sie über Nacht in den
Safe."
Nun nahm der Indikator eine glückselige tiefgrüne Farbe an.
Eine traurige Erfindung Als sich der "Pegasus" dem Planeten Scheschinera näherte, hatten an Bord Frachtgut und
Geschenkpakete merklich abgenommen. Man konnte wieder durch die Korridore laufen, ohne auf
Schritt und Tritt über Säcke, Kisten und Container zu stolpern.
Wir hatten bereits ein Drittel der Galaxis hinter uns gebracht und Orte aufgesucht die nicht von
Linienschiffen der Erde angeflogen wurden.
Die Scheschinera lag abseits der großen Reiserouten. Ihre Tierwelt war nur spärlich entwickelt
noch vor dreihundert Jahren war der Planet kahl und unbewohnt gewesen. Doch dann kamen
Siedler vom Rosodor, schufen eine künstliche Atmosphäre, legten Gärten und Rasenflächen an.
Wir hätten keine Zeit auf eine Landung verschwendet, wäre uns nicht bereits auf dem Planeten
der Drei Kapitäne von Doktor Werchowzew erzählt worden, daß es hier eine Tierart mit der
Bezeichnung Skliss gab.
Der "Pegasus" landete in tiefer Nacht, unweit einer kleinen Stadt deren Lichter matt
herüberschimmerten. Wir gingen möglichst leise nieder, damit wir nicht die Einwohner weckten
und erschreckten: Auf diesem Planeten landeten nämlich selten Raumschiffe, und mancher
Scheschineraner hatte noch nie eins Zu Gesicht bekommen.
Das Geräusch der Triebwerke erstarb, Seljony kämmte seinen Bart und legte sich schlafen,
Poloskow blieb auf der Brücke, um Korrekturen in die veraltete Navigationskarte einzutragen,
Alissa schrieb einen Brief an die Großmutter, in der Hoffnung, ihn von der Scheschinera aus
abschicken zu können, ich aber begab mich zum Laderaum eins, um einen Käfig für den Skliss zu
holen und die Tiere zu versorgen.
Auf dem Schiff war es still und warm. Ich lief lautlos über die weichen Teppiche und überlegte,
daß wir uns auf der Scheschinera mit Wasser eindecken und neue Wolle für die Weberspinne
beschaffen müssen. Der kleine quirlige Busch wartete in einer Ecke auf mich, ich aber sagte:
"Schlaf jetzt sonst kriegst du morgen nichts zu trinken."
Der kleine Busch wedelte erschrocken mit den Zweigen und zwängte sich blätterraschelnd in sein
Abteil.
Plötzlich vernahm ich leises Schmatzen. Jemand mußte sich in den Lagerraum geschlichen
haben, wo sich die restlichen Pakete befanden. Ich blieb stehen und lauschte. Mir war nicht klar,
welches der Tiere sich aus seinem Käfig gestohlen hatte; nicht jedes war so einfach wieder
einzufangen.
Ich warf einen vorsichtigen Blick durch die angelehnte Tür des Lagerraums. Niemand zu sehen.
Doch das Schmatzen wurde lauter. Ich betrat den Raum - das Geräusch drang vom
verschlossenen Kühlschrank herüber, in dem die Ananasfrüchte aufbewahrt wurden.
Mich verwunderte, daß der Schlüssel von außen steckte - es konnte nicht gut jemand in den
Kühlschrank eindringen und erst dann abschließen.
Ich streckte langsam die Hand nach dem Schlüssel aus, drehte ihn herum und öffnete die Tür.
Im Schrank saß, zitternd vor Kälte, ein kleiner grüner Mensch und knabberte mit spitzen Zähnen
an einer Ananas.
Er sah mich entsetzt an und preßte die Frucht gegen die Brust. "Das werden Sie nicht wagen",
sagte er.
"Sie hätten die Ananas wenigstens putzen sollen", antwortete ich. "Und überhaupt, wie sind Sie
hier reingekommen?"
"Nicht mal sein Abendbrot kann man in Ruhe einnehmen!" knurrte das Menschlein und
verschwand mitsamt der Ananas.
Ich rieb mir die Augen. Der Kühlschrank war leer. Drei Früchte fehlten. Ich spürte eine Berührung
am Bein und fuhr vor Schreck zusammen. Es war nur der kleine quirlige Busch.
"Wirst du jetzt schlafen!" schrie ich ihn an, obwohl ich Tiere und Pflanzen nie anbrülle.
Der Busch raffte seine Zweige zusammen und stürzte davon.
Ich starrte erneut zum Kühlschrank. Da stand, auf Zehenspitzen und mit dem Rücken zu mir,
wieder so ein grüner Mensch. Er versuchte eine große Ananas herauszubugsieren.
"Halt!" rief ich.
Das Menschlein drehte sich um, und ich sah, daß es sich nicht um den Räuber von vorhin
handelte.
"Keine Bange", sagte das Menschlein, "ich hab eine Erlaubnis."
Dann war auch er verschwunden, mitsamt der Frucht.
Solche Wunder hatte ich noch nicht erlebt mir wurde regelrecht schwindlig. Ich suchte wie der
letzte Dummkopf den Kühlschrank ab, als könnte sich in seinen Tiefen jemand verborgen halten.
In diesem Moment gab es mir einen Ruck - in einem der Fächer stand der dritte grüne Mensch.
„Wehe, Sie behindern mich", sagte er, "ich schlag Sie glatt tot." Und griff nach einer Ananas.
„Also das gibt's doch nicht!" entrüstete ich mich. "Wo kommen Sie überhaupt her?"
„Ich lebe hier", sagte das Menschlein, schnappte die Frucht und löste sich wie seine Vorgänger in
Luft auf.
Das überstieg meine Kräfte. Ich drückte die Telefontaste und rief Poloskow.
"Gena", sagte ich, "schläfst du schon?"
"Nein", antwortete der Kapitän, "ich arbeite. Was ist denn mit deiner Stimme?"
"Mit meiner Stimme? Nichts!"
"Doch, sie zittert wie ein Hasenschwanz. Ist was passiert?"
"Sag mal, Gena, ist die Einstiegluke verriegelt?"
"Natürlich, es hat ja niemand das Schiff verlassen."
"Und Seljony schläft?"
"Klar schläft er. Alissa ebenfalls. Ich hab gerade nach ihr gesehn. Sie hat an ihrem Brief
geschrieben und ist mittendrin eingeschlummert. Aber was ist los?"
"Ich hätte gern von dir gewußt, in welchen Fällen man kleine grüne Mensehen zu sehen glaubt."
"Ganz kleine mit Schwänzen?" erkundigte sich Poloskow geschäftig. "Die einem auf der Schulter
sitzen? Wart mal, irgendwo hab ich davon gelesen. Muß ein altes Buch gewesen sein."
"Nein", erwiderte ich, "gar so klein sind sie nun auch wieder nicht. Schwänze fehlen ihnen
ebenfalls, dafür essen sie Ananas. Da! Da wieder...
schon der vierte!"
In der Tat stand erneut so ein Räuber im Kühlschrank, zwinkerte mir zu und verschwand.
"Ich komme!" sagte Poloskow, unruhig geworden. "Unternimm nichts und reiß dich zusammen."
Als Poloskow in den Laderaum stürzte, war nur noch die knappe Hälfte Ananas vorhanden, und
zwei der grünen Menschlein stiegen einander gerade auf den Rücken, um an das oberste Fach
des Kühlschranks heranzureichen.
"Stimmt", sagte Poloskow, "das hier sind ganz offensichtlich keine Halluzinationen."
"Von wegen Halluzinationen", ereiferte sich der eine, "Sie können mich ruhig berühren."
"Dazu ist jetzt keine Zeit", unterbrach ihn der zweite.
"Gruß an Alissa", ließ sich erneut der erste vernehmen.
Sie verschwanden, um dem nächsten Platz zu machen.
"Schläft Alissa wirklich?" fragte ich Poloskow.
"Aber ja doch."
"Woher wissen sie dann von ihr?"
"Keine Ahnung. Irgendwie verrückt das Ganze!"
Der Kühlschrank war mittlerweile leer, niemand ließ sich mehr blicken.
"Komm, wir schließen die Tür ab", sagte Poloskow, "so ist's ruhiger."
Ich schloß die Schranktür. "Woher wissen sie von Alissas Existenz?" wiederholte ich. "Wir sind vor
einer Stunde hier gelandet, und niemand von uns war draußen..."
Poloskow und ich konnten lange nicht einschlafen. Wir versuchten eine Erklärung für das
seltsame Geschehen zu finden, doch es wollte uns nichts einfallen. Wir überprüften nochmals
sämtliche Lukenverriegelungen, machten einen Rundgang durchs Schiff. Es war still und friedlich
an Bord.
Sicherheitshalber legte ich mich in Alissas Kajüte zur Ruhe. Es war furchtbar unbequem, denn der
Läufer auf dem Fußboden war hart, und als Kopfkissen dienten mir die Schwimmflossen meiner
Tochter.
Zum Glück war ich schon auf den Beinen, bevor Alissa erwachte. Als sie
die Augen aufschlug, saß ich wie von ungefähr im Sessel und blätterte im
"Lexikon zur Bestimmung der Galaxisbewohner".
"Was machst du denn hier?" fragte Alissa.
"Ach, nichts weiter, ich wollte nur mal in deiner Bibliothek nachschaun, wie die hiesige Zivilisation
beschaffen ist."
Und warum bist du nicht gekämmt?"
Ich schlug das Buch zu - ich würde das später nachprüfen - und eilte in meine Kajüte, um mich
frisch zu machen.
Während ich mich wusch, war ich fast schon wieder der Meinung, daß es
keinerlei grüne Menschlein gegeben hatte, daß es sich um Einbildung, einen Traum, eine
Halluzination handelte.
Mit diesem Gedanken begab ich mich in den Laderaum, um einen Blick in den Kühlschrank zu
werfen.
Er war offen und völlig leer - keine einzige Ananas mehr drin. Vor dem Schrank aber stand
nachdenklich Poloskow. "Ich glaube fast", sagte er, "daß die hiesigen Bewohner durch Wände
gehen können, obwohl das allen Naturgesetzen zuwiderspricht."
"Es handelt sich bestimmt nicht um die Einheimischen", entgegnete ich. "Wahrscheinlich haben
wir im Kosmos eine Parasitenzivilisation aufgeschnappt."
Nun erschien auch Alissa im Laderaum. "Guten Morgen, Poloskow", sagte sie, "wo sind denn all
die Ananas geblieben?"
"Sie sind gestohlen worden", erwiderte Poloskow, "und wir überlegen gerade, wie wir die Diebe
bestrafen können."
"Die Diebe - wer soll das sein?"
"Diese grünen Teufel", sagte Poloskow. "Wenn ich sie bloß zu fassen kriegte! Ich wage gar nicht,
mich bei den Leuten auf der Redwaite blicken zu lassen - die warten doch auf die Ananas! ... Da,
da ist einer.. ., los, den greifen wir uns!"
Tatsächlich saß plötzlich wieder so ein grünes Menschlein im Kühlschrank. Es musterte die leeren
Fächer und sagte, ohne uns einen Blick zu gönnen: "Da bin ich wohl zu spät gekommen" - und
löste sich auf der Stelle in Luft auf.
"Da war einer", seufzte Poloskow. "Sie sind einfach nicht zu fangen."
"Das ist ein Einheimischer", erklärte Alissa. Ich weiß es aus dem Buch, das Papa im Sessel hat
liegenlassen."
"Bist du sicher?"
"Absolut."
"Um so schlimmer für sie. Ich richte umgehend eine Beschwerde an ihre Regierung. Empfängt
man so etwa Gäste!" Poloskow war ernstlich erzürnt.
"Du mußt ihnen verzeihen, Kapitän."
"Ich denke nicht daran. Wo ist das Telefon?"
"Überlegs dir noch mal, Poloskow", sagte Alissa flehentlich, "es sind so liebe Menschen! Sie
wollten die Früchte gar nicht stehlen, es hat sich einfach so ergeben. Ohne ihr Zutun."
"Du bist zu nachsichtig, Alissa", widersprach Poloskow. "Heute nacht, wir waren kaum gelandet
saßen sie bereits bei uns im Lagerraum und schleppten sämtliche Ananas weg. In einer halben
Stunde aber machen sie sich vielleicht über das andere Frachtgut her."
"Poloskow", sagte Alissa entschieden, "ich habe noch einen Wunsch offen. Oder hast du
vergessen, daß du eine Wette gegen mich verloren hast?"
"Natürlich weiß ich das."
"Hier ist mein Wunsch - sieh ihnen das mit den Ananas nach."
In diesem Augenblick brach draußen ein ungeheurer Lärm los. Er war so gewaltig, daß er selbst
durch die dicken Wände des Raumschiffs drang. Kein Gedanke mehr an die grünen Menschlein
wir stürzten Hals über Kopf zur Treppe. Poloskow konnte im Laufen noch den Alarmknopf drücken, und in den Korridoren flammten rote Lämpchen auf. Der Kapitän stieß die obere Luke auf, und wir schauten aus der Höhe des dritten Stockwerks hinaus ins Freie. Eine riesige mattrote Sonne ging gerade auf; am Himmel eilten langgestreckte graublaue Wolken dahin. Die ganze Lichtung zu Füßen des "Pegasus" war von kleinen grünen Menschen angefüllt. Sie schwenkten Fähnchen, Tücher, hielten Transparente mit der Aufschrift "Herzlich willkommen!" in die Höhe und riefen ein ums andre Mal: "Seid-ge-grüßt! ... Gu-ten-Tag, A-lis-sa! ... Dan-ke-schön! ... Hur-ra-a-a-a!..." Es folgten noch andere Begrüßungsworte in ihrer Muttersprache, die wir freilich nicht verstanden. Als sie Alissa erblickten, kannte ihre Freude keine Grenzen. Der Himmel schien einzustürzen. Einige der grünen Menschlein waren in Sekundenschnelle bei uns an der Luke. Sie packten Alissa, und ehe ich noch einen Schreckensruf ausstoßen konnte, waren sie mitsamt meiner Tochter verschwunden. Gleich darauf tauchten sie unten im dicksten Gewühl wieder auf und setzten sich, Alissa auf ihren hochgestreckten Armen tragend, in Richtung Stadt in Marsch, die sich hell in der Ferne abzeichnete. Ein schon bejahrtes grünes Männlein, das sich von den übrigen abgesondert hatte, wartete, bis wir die Treppe hinabgestiegen waren, begrüßte uns und sagte: "Ihnen ist gewiß manches unverständlich, verehrte Gäste." "So ist es", bestätigte Poloskow. "Wird Alissa auch nichts passieren?" fragte ich.' "Nicht das geringste. Dürfte ich Ihnen jetzt einige Erklärungen geben?" "Aber gern." "Setzen Sie sich ruhig ins Gras. Der Boden ist warm. Sie werden sich nicht erkälten." Wir kamen der Aufforderung des grünen Männleins nach, und er erzählte uns folgende Geschichte. "Noch vor relativ kurzer Zeit unterschied sich die Scheschinera in nichts von anderen kümmerlichen Provinzplaneten der Galaxis. Doch etwa zehn Jahre vor eurer Ankunft entdeckte einer von uns ein Mittel in Tablettenform" das es erlaubte, Reisen in die Zeit - etwa ein bis zwei Jahre voraus oder auch zurück - zu unternehmen. Zunächst ergriff -ein gewaltiger Freudentaumel den gesamten Planeten, alle hatten es eilig, diese Tabletten zu schlucken, um hierhin und dorthin zu reisen. Aber einige Wochen später kam dann das bittere Erwachen. Einer reiste in die Zukunft und erfuhr dort, daß ihn seine Frau verlassen und daß in sein Haus eingebrochen würde. Ein anderer begab sich in die Vergangenheit um einen schlimmen Fehler auszubügeln, was ihm aber nicht gelang - er wiederholte ihn nur. War man beispielsweise der Meinung, jemand habe einem Unrecht getan, so nutzte es nichts, in jene Zeit zurückzukehren, um den Betreffenden im Auge zu behalten. Glaubte man an einer bestimmten Krankheit zu sterben, so lohnte es nicht in die Zukunft aufzubrechen, um zu überprüfen, ob sich die Ärzte vielleicht geirrt hatten. Allmählich bekamen die Leute Furcht vor der Zukunft - niemand wollte mehr dorthin. Dafür drängten alle in die Vergangenheit. Schöne Erinnerungen besaß schließlich jeder, also suchte er die Vergangenheit auf, um das Angenehme noch mal zu durchleben. Er tat es zweimal, dreimal, viermal ... Bis zur Unendlichkeit. Begleiten Sie mich in die Stadt", schloß das Männlein, und Sie werden sehen, wozu das geführt hat." Wir folgten ihm. Die Stadt machte einen schmutzigen verwahrlosten Eindruck. Der Triumphzug mit Alissa befand sich irgendwo weit vorn, und so begegneten uns nur vereinzelt Leute auf der Straße. Sie schenkten uns keinerlei Beachtung, uns fiel nur auf, daß einer der Passanten von Zeit zu Zeit urplötzlich von der Bildfläche verschwand. Oder es tauchte jemand unvermittelt direkt vor uns auf, verharrte einen Augenblick und löste sich gleich darauf abermals in Luft auf. "Sie reisen in die Zeit", erklärte unser Begleiter. "Die Gegenwart interessiert sie nicht und vor der Zukunft haben sie Angst. Niemand arbeitet mehr. Die Regierung hat versucht diese Tabletten zu verbieten, doch sie sind so leicht herzustellen, daß jedermann sie zu Hause selbst anfertigen
kann.“ "Nun ist mir auch klar", sagte ich, "wieso Ihre Landsleute gestern von Alissas Existenz und
der Ankunft unseres Raumschiffs wußten."
"Natürlich. Sie sind aus der Zukunft in Ihren Kühlschrank geraten."
"Und doch begreife ich eins nicht", sagte Poloskow. "Weshalb diese Freude über Alissas
Erscheinen und nicht sagen wir, über meins?"
"Ganz einfach. Wir sind ausgesprochen gutmütige, friedliche Leute und schätzen ein uns
wohlgesinntes Verhalten."
Ja und? Alissa hatte doch keine Ahnung, daß Ihre Leute zu uns in den Kühlschrank klettern
würden."
"Ach, wie naiv Sie doch sind!" Das grüne Männlein schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
Es löste sich in Luft auf und war drei Sekunden später, mit einer großen Ananas in den Händen,
wieder bei uns. "Ich war eben mal kurz in Ihrem Kühlschrank", sagte es.
"Aber der war völlig leer."
"Das schon, ich war ja auch gestern nacht dort. Ist das so schwer zu begreifen? Es ist die
einfachste Sache der Welt. Ich bin soeben in die Vergangenheit geflogen und habe gestern nacht
eine Ananas aus dem Kühlschrank genommen. Ich hab sie jedoch nicht gestohlen, sondern mit
Fug und Recht genommen, denn Alissa erinnerte Poloskow heute früh daran, daß sie noch einen
Wunsch aus der Wette offen hat. Dieser Wunsch aber hieß - uns die Ananas zu überlassen.
Deshalb empfingen wir Alissa heute morgen voll Dankbarkeit. Sie hatte es uns ja ermöglicht,
gestern nacht die Ananas zu nehmen . . ."
"Ich verlier noch den Verstand!" sagte Poloskow. "Erst war es heute früh, dann gestern nacht und
die Ananas, die ihr noch nicht nehmen durftet, habt ihr weggeschleppt weil ihr später die Erlaubnis
dafür bekommen würdet."
"Uns sind so wenige Freuden geblieben", sagte das grüne Menschlein, ohne auf Poloskows
Einwurf zu achten, "und noch nie haben wir Ananas ge.gessen. Ich zum Beispiel werde von jetzt
an täglich ins Gestern zurückkehren, um die Ananas zu essen, die ich schon am Vortag verspeist
habe.. ."
Wir schwiegen eine Weile, damit beschäftigt, das Gehörte zu verdauen. Plötzlich seufzte der
Scheschineraner und sagte: "Ich halt's nicht mehr aus. Ich mach mich in die Vergangenheit auf,
um weiter von eurer Ananas zu essen.
"Moment noch", ich hielt ihn zurück. "Ich habe eine Frage als Zoologe an Sie."
"Sie brauchen sie gar nicht erst zu stellen", erwiderte das Männlein, ich weiß auch so, was Sie
interessiert."
"Ach ja, natürlich."
"Sie wollen sich nach einem Tier mit der Bezeichnung Skliss erkundigen. Deswegen sind Sie
schließlich hergekommen."
„Sie haben recht."
"Wir könnten Ihnen hundert dieser Tiere anschleppen, Sie würden sie nicht nehmen wollen. Dort
um die Ecke liegt zum Beispiel so ein Skliss. Sie werden sogleich abwehrend die Arme heben und
ausrufen: Aber das ist doch eine ganz gewöhnliche Kuh!"
Wir schauten an der Ecke nach. Dort lag eine Kuh.
Ich hob die Arme und sagte: "Aber das ist doch eine ganz gewöhnliche Kuh!"
"Na bitte."
Das grüne Männlein verabschiedete sich von uns und entfernte sich, genauer gesagt, es
verschwand, denn die Bewohner dieses Planeten besaßen ja die merkwürdige Gewohnheit, sich
in Luft aufzulösen. So konnte es nicht sehen, was danach geschah; seine Fähigkeit einen Blick in
Zukunft und Vergangenheit zu werfen, half ihm da nicht. Wir packten nämlich die Kuh und nahmen
sie für unseren Moskauer Zoo mit, wo sie auch heute noch eines der beliebtesten Tiere darstellt.
Denn als unser grüner Begleiter verschwunden war, reckte sie sich, stand gemächlich auf und
entfaltete ein Paar lange, mit Flughäuten versehene Flügel, die bis dahin um ihren Bauch
gewickelt waren. Sie stieß einen Seufzer aus, sah uns aus großen traurigen Augen an, schüttelte
den Staub von den Flügeln, drückte sich mit ihren schiefgelaufenen Hufen vom Boden ab und flog
über die Straße. Sie flog, wie halt eine Kuh fliegt - schlecht und plump, doch sie flog!
Ich erkundigte mich bei einem kleinen grünen Jungen, der gerade vorbeikam: "Wem gehört diese
Kuh?"
"Der Skliss?" fragte der Junge zurück.
,Nun ja, der Skliss."
"Niemandem", antwortete der Bengel. "Wem kann so ein Skliss schon von Nutzen sein. Es ist
völlig unmöglich, ihn auf der Weide zu halten, - er fliegt ja davon. Sie können ihn ruhig nehmen,
wenn er Ihnen gefällt, es ist nicht schade drum."
So kehrten wir, den Skliss mit einer Gerte vor uns hertreibend, zum "Pegasus" zurück. Das Tier
erhob sich von Zeit zu Zeit in die Luft ermüdete jedoch bald und verfiel in faulen Trott.
Dann gesellte sich ein zweiter Skliss dazu, doch den nahmen wir nicht mit - schon einer allein war
schwer durchzufüttern. Der Zurückgewiesene muhte eine Weile gekränkt und schlug mit dem
Schwanz.
Alissa kam kurz nach uns zurück, bei den Scheschineranern war ihr langweilig geworden. Aber
auch sie vergaßen Alissa schnell - sie flogen davon, teils in die Vergangenheit, teils in die nahe
Zukunft.
Die gelähmten Roboter "Und jetzt", sagte Poloskow, als unser Schiff von dem Planeten abhob, wo wir sämtliche Ananasreserven eingebüßt hatten, "auf schnellstem Wege zum Sternbild der Medusa. Ist jemand dagegen?" Alle waren dafür. Ich wollte zwar Einspruch erheben, doch auf einen nicht mißzudeutenden Blick Alissas sagte ich bloß: "Das Kommando auf dem Schiff hat der Kapitän. Was Poloskow entscheidet, wird gemacht." "Dann legen wir ab jetzt keinerlei Zwischenaufenthalt mehr ein", sagte Poloskow. Dennoch sahen wir uns zwei Tage später genötigt, unseren Kurs zu ändern und Station zu machen. Unser Bordgerät hatte ein SOS-Signal aufgefangen. "Woher kommt der Notruf?" fragte ich Poloskow. "Das werden wir gleich wissen , erwiderte der Kapitän und beugte sich über den Empfänger. Ich setzte mich in einen Sessel auf der Kommandobrücke und beschloß ein paar Minuten auszuspannen. Der Morgen war sehr anstrengend gewesen. Der Indikator hatte Bauchschmerzen gehabt und die Farben gewechselt wie eine Ampel auf einer belebten Kreuzung. Die Weberspinne hatte in Ermangelung von Rohmaterial den Schläfersnuk aus dem Nachbarkäfig dermaßen kahlgeschoren, daß ich ihn für den ersten Moment nicht wiedererkannte. Der Snuk, nun ohne sein langes dichtes Wollfell, hatte sich prompt erkältet: Er hustete so laut daß es im ganzen Lagerraum zu hören war. Wir mußten ein Isolierzimmer für ihn einrichten. Der Plapperschnabel brabbelte die ganze Nacht hindurch in einer fremden Sprache, wovon er furchtbar heiser wurde; er quarrte wie ein ungeöltes Wagenrad. Wir mußten ihm heiße Milch mit Natron zu trinken geben. Die Büsche hatten sich wegen ein paar Pflaumenkernen gezankt wobei dem kleinsten Strauch die Zweige abgeknickt waren. Die Diamantenschildkröte schließlich hatte mit den scharfen Kanten ihres Panzers ein Loch in die Tür zum Maschinenraum geschnitten, so daß wir sie wieder in den Safe sperren mußten. Ich war erschöpft, wußte aber, daß es stets so zuging, wenn man eine Kollektion seltener Tiere mit sich führte. All diese Wehwehchen, Unannehmlichkeiten, Zänkereien und Rempeleien waren freilich nichts im Vergleich zu den Problemen der Fütterung. Gewiß war mir Alissa behilflich, doch heute zum Beispiel hatte sie verschlafen und die Morgenverköstigung ausschließlich mir überlassen. Ein Glück nur, daß es vorerst nicht allzu viele Tiere waren und die meisten mit Erdenluft auskamen. Lediglich unter den Glaskasten mit den Laufkäfern, die sonst in Vulkanen lebten, hatten wir ein Öfchen stellen müssen. "Alles klar", hörte ich plötzlich die Stimme Poloskows.
Wovon sprach er? Ach ja, in Gedanken vertieft, hatte ich ganz den empfangenen Notruf
vergessen.
"Das Signal kommt vom Eisenplaneten. Was mag den Bewohnern bloß zugestoßen sein?"
Poloskow schlug den entsprechenden Band des Planetenlexikons auf und las laut vor:
"Eisenplanet. Entdeckt durch eine Expedition der Fixianer. Besiedelt von einer Metallzivilisation
auf niedrigem Entwicklungsstand. Die Vermutung liegt nahe, daß es sich bei den
Planetenbewohnern um Nachkommen von Robotern handelt, die sich nach der Havarie eines
unbekannten Raumschiffs retten konnten. Sie zeichnen sich durch Geradlinigkeit und
Gastfreundschaft aus, sind andererseits aber kapriziös und leicht gekränkt. Brauchbare Rohstoffe
sind auf dem Planeten ebensowenig vorhanden wie Wasser und eine Atmosphäre. Es gibt rein
gar nichts. Wenn je etwas Verwertbares existierte, so haben es die Roboter aufgebraucht und
leben nun in absoluter Armut. Tia", sagte Poloskow, "nicht eben interessant dieser Planet. Möcht
bloß wissen, was dort passiert ist."
"sos ... SOS . . .-, tuckerte es unterdessen im Funkgerät. Bei uns ist eine Epidemie ausgebrochen
... Erbitten Hilfe..."
"Da müssen wir wohl oder übel den Kurs ändern", seufzte Poloskow. "Wir können ja nicht
vernunftbegabte Wesen im Stich lassen."
So bogen wir zum Eisenplaneten ab.
Erst als in der Ferne die graue Kugel des Planeten vor uns auftauchte, auf der weder Luft noch
Berge noch Ozeane existierten, gelang es Poloskow, Verbindung mit dem dortigen Dispatcher
aufzunehmen.
"Was ist bei euch passiert?" fragte er. "Welche Hilfe können wir euch erweisen?"
"Bei uns ist eine Epidemie ausgebrochen.. .", krächzte eine Stimme im Lautsprecher. "Hier sind
alle krank. Wir brauchen unbedingt einen Doktor."
"Einen Doktor?" wunderte sich Poloskow. "Aber ihr seid doch eine Eisenzivilisation. Sollten wir
nicht lieber einen Mechaniker schicken?"
"Ein Mechaniker wär nicht schlecht", stimmte der Dispateher zu, "aber ein Doktor ist auch nötig."
Wir landeten auf der glatten, staubigen und wie ausgestorben daliegenden Piste des
Kosmodroms. Schon lange war hier kein Schiff mehr niedergegangen.
Als sich der Staub gesetzt hatte, fuhren wir die Treppe aus und das Geländemobil ins Freie.
Poloskow blieb an Bord; Seljony, Alissa und ich dagegen glitten zu dem flachen, langgestreckten,
eintönig wirkenden Flughafengebäude. Keine Seele ringsum, keinerlei Bewegung. Hätten wir nicht
gerade mit ihnen gesprochen - wir wären nie und nimmer auf den Gedanken gekommen, es
könnte Lebewesen auf diesem Planeten geben. Auf der Straße lag ein einzelnes verrostetes
Roboterbein, ein Stück weiter ein Rad mit herausspreizenden Speichen.
Es war traurig, durch soviel Einöde zu fahren. Man hätte am liebsten laut gerufen: Hallo, ist da
jemand?
Die Türen zum Flughafengebäude standen weit offen; drinnen war es genauso ausgestorben und
still. Wir stiegen aus dem Geländemobil und blieben am Eingang stehen, weil wir nicht wußten,
wohin.
In dem großen grauen Lautsprecher, der sich an der Decke befand, rauschte es plötzlich, und die
bereits bekannte knarrende Stimme sagte: "Gehen Sie die Treppe bis zu der kleinen schwarzen
Tür. Drücken Sie dagegen, dann öffnet sie sich."
Wir folgten der Aufforderung und fanden eine schmale Treppe, die ziemlich steil nach oben führte.
Sie war genauso staubig wie alles ringsum und endete an einer kleinen schwarzen Tür. Ich
drückte gegen die Tür, doch sie ging keineswegs auf. Ob sie verschlossen war?
,Sie müssen Kraft anwenden", ließ sich die Stimme hinter der Tür vernehmen.
"Laß mich mal", sagte Seljony.
Er stemmte sich mit der Schulter dagegen und schob heftig. Die Tür öffnete sich quietschend, und
der Mechaniker, der sich nicht mehr halten konnte, flog ins Zimmer.
Er prallte gegen einen am Tisch sitzenden Metallbewohner. "Dacht ich mir's doch", knurrte er.
Der Roboter war gleichfalls mit einer dicken Staubschicht überzogen. "Danke, daß Sie gekommen
sind", sagte er und streckte Seljony die Hand entgegen, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein.
"Ich fürchtete schon, Sie würden weiterfliegen. Es überrascht mich wirklich, hier landet sonst niemand." "Das liegt vielleicht an Ihrem schwachen Sender", erwiderte ich. "Wir haben ihn nur gehört weil wir uns in unmittelbarer Nähe befanden. Es war reiner Zufall." "Dabei war unsere Sendestation einmal die stärkste im ganzen Sektor", sagte der Roboter. In seinem Eisenleib gurgelte es plötzlich, und er erstarrte mit offenem Mund. Er fuchtelte mit den Armen und bat stumm um Hilfe. Ich warf Seljony einen bestürzten Blick zu, der aber sagte: "Einen Arzt brauchen wir hier nicht." Dann ging er auf den Roboter zu und hieb ihm die Faust unters Kinn. Die Kiefer des Roboters klappten klirrend zu, und er sagte: "Dankesch . .“ Seljony mußte abermals zuschlagen. Dann brummte er: "Sie dürfen den Mund nicht so weit aufmachen. Schließlich kann ich nicht ewig mit erhobener Faust neben Ihnen stehen." Der Roboter nickte und erklärte, die Kiefer nur einen Spalt breit geöffnet, damit sie nicht wieder festklemmten: "Ich habe SOS gefunkt, weil ich hier schon seit zwei Wochen ohne Wachablösung sitze. Ich fürchte, daß all meine Landsleute mit einer Lähmung daniederliegen." "Wie kommen Sie zu dieser Annahme?" "Weil auch mir die Beine nicht mehr gehorchen." "Gibt es die Krankheit bei Ihnen schon lange?" fragte ich. "Nein. Wir hatten zwar in letzter Zeit immer mal Abschmierprobleme, kamen aber irgendwie zurecht. Doch seit dem Streit mit jenem Erdenmenschen breitete sich diese schlimme, rätselhafte Lähmung aus, raffte klein und groß dahin. Und nun fürchte ich, der letzte noch halbwegs intakte Roboter auf dem ganzen Planeten zu sein. Ich merke allerdings, wie die Lähmung langsam zum Herzen emporsteigt. Sie sehen ja selbst - auch die Kiefer wollen nicht mehr." "Lassen Sie mich mal nachschaun", sagte Seljony mißtrauisch, "vielleicht haben Sie bloß das Abschmieren vergessen." Er ging zu dem Roboter, klappte dessen. Brustgehäuse zurück und steckte einen Finger hinein. "Huch, das kitzelt!" Der Roboter kicherte. "Reißen Sie sich zusammen", sagte der Mechaniker streng. Er überprüfte die Scharniere an Armen und Beinen, richtete sich auf und sagte, während er die Hände mit einem Tuch abwischte: "Es ist alles geölt. Jetzt begreife ich gar nichts mehr." "Wir verstehen es ebensowenig", stimmte der Roboter zu. Dann fuhren wir in die Stadt, gingen in die Häuser - auch sie waren langgestreckt und trist. Überall standen reihenweise gleichförmige Pritschen, auf denen gleichaussehende, staubbedeckte Roboter lagen. Auf ihrer Stirn leuchtete ein Signallämpchen, was bedeutete, daß sie noch lebten. Die Roboter rollten mit den Augen, konnten aber kein Glied rühren. Schließlich kehrten wir, ohne uns einen Reim auf das Ganze machen zu können, zum Flughafengebäude zurück und luden den schweren Dispatcher-Roboter in unser Geländemobil. Er konnte wenigstens noch sprechen. Wir brachten ihn aufs Schiff, um ihn dort zu zerlegen und herauszufinden, was für eine seltsame Epidemie diesen Planeten heimgesucht hatte. Der Roboter war uns beim Auseinanderschrauben selbst behilflich, gab Ratschläge, welche Mutter zu lockern und welcher Knopf zu drücken war. Obwohl er einen schmutzigen, verwahrlosten Eindruck machte, konnten wir keine besonderen Schäden an ihm entdecken. Überhaupt waren Arbeitsroboter seines Typs - sie wurden in der Galaxis längst nicht mehr produziert - auf Jahrhunderte programmiert. Sie funktionierten an jedem beliebigen Ort: in den Tiefen des Alls, in Vulkanen, unter Wasser und in der Luft. Nur mußten sie von Zeit zu Zeit geölt werden, was sie freilich selbst hervorragend erledigten. Endlich hatten wir sämtliche Teile des Roboters auf dem großen Arbeitstisch in unserem Laboratorium ausgebreitet; sein Kopf lag gesondert in einer Ecke und war an das Stromnetz des Raumschiffs angeschlossen. ,Na, was ist?" erkundigte sich der Kopf, nachdem Seljony die Durchsicht des Roboterkörpers beendet hatte. Der Mechaniker zuckte die Schultern.
"Aber was sollen wir bloß tun?" fragte der Kopf leise. "Auf diese Weise -geht doch eine ganze Zivilisation zugrunde." "Wir müssen einen Funkspruch zur Erde oder zu einem anderen großen Planeten schicken", sagte ich. "Sie sollen eine Expertenkommission für Roboterkrankheiten entsenden." "Was kann es bei uns schon für Krankheiten geben!" rief der Kopf aus, und sein Mund blieb abermals offen stehen. Ich mußte hingehen und ihm einen Kinnhaken verpassen. "Vielen Dank", sagte der Roboter. "Aber Sie dürfen uns auf keinen Fall so allein hier zurücklassen. Bedenken Sie doch, es gibt kein einziges Wesen auf dem ganzen Planeten, das sich bewegen kann. Der erste Regenguß oder gar eine Überschwemmung würde uns unwiderruflich dahinraffen - wir können uns ja nicht einmal abtrocknen." "Hören Sie", entgegnete ich, "es ist unmöglich, daß wir hierbleiben, bis Hilfe eintrifft." "Haben Sie denn etwas so Wichtiges vor?" fragte der Kopf. Ich kam nicht dazu, eine Antwort zu geben, denn Seljony sagte: "Ich werd's mal mit einem anderen Schmiermittel versuchen. Bekommt Ihnen Maschinenöl?" "Wenn es gut ist ja", erwiderte der Kopf. Seljony machte sich erneut daran, sämtliche Teile und Muttern des Roboters abzuschmieren, diesmal mit unserem Öl. Inzwischen erkundigte sich der Roboter: "Und was haben Sie so Wichtiges vor?" "Wir sammeln Tiere für unseren Moskauer Zoo", antwortete ich. Seltene Tiere. Wir müssen die Expedition so schnell wie möglich beenden und zur Erde zurückkehren. Es ist nämlich sehr schwierig, mit einem kompletten Zoo umherzureisen." "Wenn Sie uns helfen", sagte der Kopf, "kriegen Sie unsere Tiere. Die gibt es sonst nirgends." "Was sind das für Tiere?" Der Roboter begann zu erzählen. "Vor vielen Jahren erlitt ein Raumschiff auf diesem Planeten eine Havarie. Es hatte einige Universalroboter an Bord, die die Katastrophe überlebten und sich eine Hütte aus den Überresten des Schiffs bauten. Später entdeckten sie Eisen und andere Metalle, fanden Uran und weitere nützliche Rohstoffe. Da schufen sie sich Kinder, so daß auf dem Planeten allmählich eine ganze Roboterzivilisation entstand. Nun können wir Roboter zwar denken, sind aber nicht imstande, auf Zukunft zu planen. Zu jener Zeit gab es auf dem Planeten noch Luft und Wasser, Gras und Bäume. Doch die Roboter damals wirtschafteten einfach drauflos, ohne Rücksicht auf die Umwelt. Sie bauten sehr schnell eine Unmenge von Fabriken, die allesamt Roboter produzierten. Diese Automaten wiederum konstruierten neue Fabriken und stellten ihrerseits Roboter her. Das ging bis zu jenem Tag fort da man allen Sauerstoff für die Hochöfen verbraucht hatte, sämtliche Bäume zu Lagerschuppen für die Ersatzteile verarbeitet, die Tiere ausgestorben, die Berge bis auf den Grund abgetragen und die Meere zur Kühlung der Motoren leergeschöpft waren. Auch Rohstoffe gab es nun keine mehr. Auf dem kahlen Planeten existierten nur noch Roboter, viele Millionen gleichartiger Roboter, die plötzlich nichts mehr zu tun hatten. Da sahen sich die Automaten genötigt, untereinander zu losen, und wer Pech hatte, wurde zu Ersatzteilen zerlegt oder gegen Schmieröl eingetauscht sobald ein Raumschiff bei ihnen Station machte. Auf diese Weise fristeten die Roboter ihr Dasein. Mit der Zeit nahm ihre Zahl ab, trotzdem existierten noch einige Millionen ohne Beschäftigung. So beschlossen sie, ein eigenes Raumschiff zu bauen und sich auf einem noch unbesiedelten Planeten niederzulassen, um alles von vorn zu beginnen. Da sie jedoch keine Skizzen besaßen und nicht in der Lage waren, etwas Neues zu erfinden, brachten sie kein Raumschiff zustande. Und so setzte sich die Geschichte fort bis auf den heutigen Tag, wo diese seltsame Epidemie über uns hereinbrach und uns alle lähmte." "Und was sind das für Tiere, die Sie vorhin erwähnten?" fragte ich den Roboterkopf. "Robotertiere. Wir wollten" daß bei uns alles so ist wie bei den Menschen. Als wir feststellten, daß sämtliche Tiere ausgestorben waren, weil sie auf einem nackten Planeten nicht existieren konnten, schufen wir sie künstlich neu. Doch später stand uns der Sinn nicht mehr nach ihnen,
und wir zerlegten sie in Ersatzteile für Roboter. Die Tiere erkannten die Gefahr und flohen. Es gibt noch welche in den Tiefebenen unseres Planeten. Wenn Sie uns helfen, fangen wir einige dieser ganz ungewöhnlichen Eisentiere für Sie." "Vielen Dank", sagte ich, dachte aber, daß solche Tiere schwerlich für unseren Zoo geeignet wären: Jeder Schuljunge auf der Erde war imstande, eine mechanische Schildkröte oder einen elektronischen Igel zu basteln. Während wir uns mit dem Roboterkopf unterhielten, hatte Seljony die übrigen Körperteile abgewischt und neu geölt. Dann schraubte er dem Roboter Arme und Beine an und drückte einen roten Knopf. Wir warteten alle voller Spannung, was geschehen würde. Der Roboter hob unsicher einen Arm und machte einen Schritt nach vorn. Das Bein gehorchte ihm. Er tat einen weiteren Schritt, warf gleich beide Arme auf einmal hoch, beugte sich vor und zurück und fing schließlich zu tanzen an. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen tanzenden Roboter gesehen. Um ein Haar hätte er den Tisch umgeworfen und mir einen Fuß plattgedrückt, ja es schien Sogar, als lache er vor Freude. Als der Roboter genug vom Tanzen hatte, rief er: "Dankesch und erstarrte auf der Stelle. Denn in seinem Kopf war das Öl noch nicht gewechselt worden. Diesmal verzichtete Seljony auf einen Kinnhaken, er kippte ihm einfach eine Büchse Öl in den offenen Schlund. Der Roboter verschluckte sich, in seinem Innern blubberte es, dann klappte sein Mund zu, öffnete sich wieder, und gleich darauf begann er mit wohltönender Stimme das Lied "Wir haben keine Angst vorm grauen Wolf" zu singen, das er offenbar vor Urzeiten gehört hatte. "Also liegts am Öl", sagte der Roboter, nachdem er zur Ruhe gekommen war. "Aber es war fast frisch. Wir hatten es erst kürzlich eingetauscht." Seljony sagte kein Wort, nahm eine, Probe des alten, dem Roboter entnommenen Öls und untersuchte es unterm Mikroskop. "Alles klar", sagte er eine Minute später. "Darauf hätten wir schon eher kommen müssen. In dem Schmierrnittel befinden sich Bakterien, die das Öl in eine Schmirgellösung verwandeln. Fragt sich nur, wie sie in Ihr Öl gelangt sind." Der Roboter überlegte. Wir gingen alle in die Gemeinschaftskajüte, um unser Gespräch fortzusetzen. Unser Gast dachte noch immer nach. Wir schenkten uns Tee ein und spendierten ihm ein Schälchen Sonnenblumenöl - für Roboter eine große Delikatesse. Er leerte das Schälchen zerstreut, war mit seinen Gedanken weit weg. Plötzlich erwachte der Plapperschnabel in seinem Käfig. Er erblickte unseren Gast und stimmte mit weit geöffnetem Schnabel das Lied "Wir haben keine Angst vorm grauen Wolf" an. Er sang mit der Stimme des Roboters. Wir waren sehr erstaunt, der Roboter dagegen überhaupt nicht. Er hob den Kopf und sagte: "Guten Tag, Vogel. Wie geht es dir?" Der Plapperschnabel fuhr flügelschlagend in seinem Gesang fort, denn er wußte keine Antwort auf eine solche Frage. "Sie kennen ihn wohl?" fragte Alissa. "Natürlich kenne ich ihn", antwortete der Roboter leichthin, "ich hab ihn doch selbst repariert." "Wie können Sie einen lebenden Vogel reparieren!" Alissa war verblüfft. "Dieser Vogel ist uns vor einigen Jahren aus dem Kosmos zugeflogen", antwortete der Roboter. "Wir besaßen zu jener Zeit kaum noch Luft und hatten so gut wie keine Tiere mehr. Doch Sie wissen ja sicherlich, daß so ein Plapperschnabel nur sehr wenig Luft benötigt. Er fliegt zwischen den Planeten umher und atmet mehrere Wochen, ja sogar Monate nicht. Der hier aber hatte unseren Planeten nur unter größten Mühen erreicht. Irgendwer mußte ihn unterwegs angegriffen und schwer verletzt haben. Wir pflegten ihn gesund, fütterten ihn mit unserem besten Schmieröl, dennoch mußten wir ihm einen Flügel abschneiden und ihn durch eine Prothese ersetzen." "Das ist doch nicht möglich!" rief ich aus. "Sollten wir das wirklich übersehen haben?" "Sie können ja nachschaun", erwiderte der Roboter voller Stolz. "Wir sind Meister unseres Fachs."
Ich stand auf und ging zu dem Vogel. Er schien erraten zu haben, was ich von ihm wollte, und spreizte bereitwillig den rechten Flügel auseinander. Ich betastete ihn - unter den Federn war Metall. Der Roboter hatte die Wahrheit gesagt. "Da sehen Sie's selbst", sagte der Roboter triumphierend, "nicht mal Sie haben es gemerkt." "Und wie ging es mit dem Vogel weiter?" fragte Alissa. "Er kam vom Sternbild der Medusa zu uns", erwiderte der Roboter. jemand war hinter ihm her und wollte ihn töten. Während wir ihn reparierten, erzählte er uns eine ganze Menge Dinge. Soweit wir verstanden, war auf einem der MedusaPlaneten jemand in Not geraten oder hatte eine Havarie erlitten, der Vogel aber war ausgeflogen, um dem Freund des Verunglückten Nachricht zu geben. Wir wären ja selbst zu Hilfe geeilt hätten wir ein Raumschiff besessen." "Nach der Reparatur haben Sie den Vogel wieder fliegen lassen?" "ja", sagte der Roboter. "Allerdings versuchten wir ihm zu erklären, daß er jenen Sektor der Galaxis, den er anstrebte, nicht erreichen würde. So ein künstlicher Flügel unterscheidet sich zwar kaum von einem echten, doch weit kommt man nicht damit. Aber der Vogel verstand uns leider nicht, er ist nicht allzu klug. Da wir jedoch wußten, daß sich der Planet Bluk, die Heimat der Plapperschnäbel, in ziemlicher Nähe befindet, glaubten wir, er würde dorthin zurückkehren. Seither habe ich ihn nicht wiedergesehen." "Bist du nun überzeugt", wandte sich Alissa an mich, "daß der Zweite Kapitän im Leben ist und den Vogel nach Hilfe ausgeschickt hat?" "Das liegt jetzt vier Jahre zurück!" erwiderte ich. "Der Kapitän ist-bestimmt tot." "Ich muß Ihnen noch von einem seltsamen Ereignis berichten, das erst kürzlich stattfand", meldete sich da der Roboter erneut. "Vor einem Monat etwa war das, genau drei Tage vor Ausbruch der Epidemie. Ich hätte mich kaum erinnert wäre mir der Plapperschnabel nicht unter die Augen gekommen ... Auf unserem Planeten landete ein kleines schwarzes Raumschiff. Ein Mann mit Hut stieg aus. Zuerst dachten wir, er wollte ein paar von unseren Robotern haben, doch dann stellte sich heraus, daß sein Schiff kaputt war und er unsere Hilfe benötigte. Wir halfen ihm auch bereitwillig . . ." "Das war Doktor Werchowzew", flüsterte Alissa. "Als sein Schiff wieder startklar war, baten wir ihn zur Belohnung für unsere Arbeit um etwas Öl oder ein paar Zeitungen. Doch der Hut-Mann erwiderte sehr grob, wir würden nichts bekommen, wir sollten im Gegenteil froh sein, daß er uns am.Leben gelassen habe. Woraufhin ich zu ihm sagte: Du solltest dich schämen, Fremdling! Wir sehen ja ein, daß wir von einem unverständigen Plapperschnabel, dem wir den Flügel repariert haben, keine Gegengabe erwarten können. Von dir aber, einem vernunftbegabten Wesen, das seinem Äußeren nach zudem von der Berühmten Erde stammt hätten wir das nicht gedacht. Du solltest dich wirklich schämen!' - Doch er fragte nur: Von was für einem Plapperschnabel sprichst du?' - Ich erwiderte, das sei jetzt fast vier Jahre her und tue nichts zur Sache. Er allerdings ließ nicht locker, und so erzählte ich ihm die Geschichte mit dem verwundeten Vogel. Sie hätten mal sehen sollen, wie er da in Wut geriet! Er verfluchte uns, weil wir diesem Vogel geholfen hatten, und als er erfuhr, daß er wahrscheinlich zum Planeten Bluk geflogen sei, machte er sich unter Verwünschungen für den Abflug fertig. "Da werd ich wohl oder übel meine wertvolle Zeit für diesen elenden Vogel dransetzen müssen", schimpfte er, "sonst verplappert er sich womöglich noch." Und in der Nacht dann hat einer von uns den Mann in der Nähe unserer Hauptzisterne gesehen . . ." "Was für eine Zisterne?" "Ach, jetzt wird mir alles klar", sagte der Roboter. Er war an unserer Hauptzisterne mit dem Schmieröl! Diesem bösen Menschen ist es zuzutrauen, daß er die schädlichen Bakterien hineingeschüttet hat!' Wir erklärten dem Roboter, daß die Bakterien auch auf anderem Wege auf seinen Planeten gelangt sein konnten, doch unser Gast schüttelte bloß abwehrend den Kopf. Zum Abschied gaben wir dem Roboter ein Fäßchen mit Schmieröl, damit er fürs erste wenigstens ein Dutzend seiner Artgenossen wiederherstellen konnte. Wir versprachen, sobald wir im Kosmos wären, einen Funkspruch zum nächsten Planeten zu schicken, damit von dort ein Raumschiff mit Öl entsendet würde.
Als sich der Roboter verabschiedet hatte, waren meine Kameraden in heller Aufregung. "Wir müssen sofort aufbrechen!" drängten sie. Vielleicht können wir den Kapitän noch retten! Es gibt keinen Zweifel mehr, daß er in Not ist. Doktor Werchowzew aber will verhindern, daß jemand davon erfährt." "Ich schäme mich richtig für die Erdenbewohner", sagte Seljony finster. "Wie kann ich den Bewohnern anderer Planeten in die Augen sehn, solange wir diesem Geheimnis nicht auf die Spur gekommen sind. Wenn sich unter den Erdenmenschen ein solcher Bösewicht befindet, ist es unsere Pflicht ihn ausfindig und unschädlich zu machen. Dabei wird uns der Zweite Kapitän helfen, den wir ganz bestimmt finden. Die Tiere müssen solange warten." Ich stimmte seufzend zu, denn Alissa und Pülöskow waren mit Seljony einer Meinung. "Also gut", sagte ich, "ich füge mich der Mehrheit. Ich glaube freilich, daß eure Hoffnungen ausschließlich auf Vermutungen beruhen und wir im Sternbild der Medusa nie und nimmer auf den Zweiten Kapitän stoßen. Aber eins muß klar sein-. Sobald wir merken, daß wir uns geirrt haben, kehren wir unverzüglich ins Zentrum der Galaxis zurück und gehen auf Tiersuche." "Schiff fertigmachen zum Start!" befahl Poloskow mit fester Stimme. "Seljony, Sie begeben sich in den Maschinenraum und lassen die Supertriebwerke an." Ich trat ans Bullauge, um einen letzten Blick auf den kahlen Planeten zu werfen, den die geschäftigen Roboter, ohne sich ihres Tuns bewußt zu sein, zugrunde gerichtet hatten. Und da sah ich, daß unser Roboter-Bekannter übers staubige Flugfeld zum "Pegasus" gelaufen kam. Er hielt etwas in den Händen. Ich ging auf die Treppe hinaus. "Hier, die Tiere", sagte er. "Aber Sie müssen unbedingt das Öl wechseln. Noch sind sie alle gelähmt." Er schüttete mir einen Haufen Metallgegenstände vor die Füße. "Auf Wiedersehen", sagte er und sah zu, wie ich die Gangway einzog. "Wenn Sie diesen Bösewicht mit Hut finden und nicht wissen, was Sie mit ihm tun sollen, bringen Sie ihn uns. Wir schmieren ihn mit dem verdorbenen Öl ab." Der Roboter lachte und schritt durch den Staub davon. Während das Raumschiff auf kosmische Geschwindigkeit beschleunigte, wechselte ich das Öl in den Metallwesen. Ich war trotz allem gespannt, wie die Robotertiere auf diesem Planeten beschaffen waren. Und als zwei Stunden später Seljony einen Blick zu mir ins Labor warf, wäre er vor Staunen beinahe in Ohnmacht gefallen. Auf dem Fußboden tollten kleine Tiere auf Rädern herum. Sie piepsten, kabbelten sich und versuchten, an den Wänden hochzuklettern. Die Tierchen sahen ziemlich fürchteinflößend aus, erinnerten entfernt aber an Mäuse und Katzen. Wahrscheinlich hatten die Roboter beim Konstruieren richtige Katzen und Mäuse in Erinnerung gehabt. Ich setzte die Robotertiere in einen Eisenkäfig, doch von Zeit zu Zeit kletterten sie heraus und machten in den Fluren Jagd auf die Diamantenschildkröte.
Die Jagd nach Lady Winter Das System der Medusa lag verloren am äußersten Ende unserer Galaxis. Um einen großen
Stern mit langen, an wirres Haar erinnernden Protuberanzen kreisten lediglich drei Planeten. Der
erste - dem Stern am nächsten - war so glutheiß, daß uns sehr schnell klar wurde: Er kam für
einen Besuch nicht in Frage.
Wir flogen den zweiten Planeten an.
Er lag trist und ausgestorben da. Die Sonnenstrahlen wurden von den glänzenden graublauen
Felsen, den asphaltfarbenen Seen und den vereinzelten kahlen Bäumen zurückgeworfen.. Über
dem Planeten wehte ein unaufhörlicher Wind.
"Na, was ist, fragte ich den Plapperschnabel, "handelt sich's um den richtigen Planeten?"
Der Vogel neigte den Kopf zur Seite, gab aber keine Antwort.
"Papa", sagte Alissa und trat ans Bullauge unserer Gemeinschaftskajüte, "du verstehst nicht mit
ihm zu sprechen. Er hat Angst vor dir."
"Ach, und vor dir wohl nicht?"
"Vor mir hatte noch nie ein Tier Angst", erwiderte Alissa. Sie hielt ein Eisenkätzchen auf Rädern in
den Armen, das emsig darauf aus war, ihr mit seiner kalten öligen Zunge die Nase zu lecken. "Sag
uns, lieber Plapperschnabel, hast du deinen Herrn auf diesem Planeten zurückgelassen?"
Der Vogel lauschte Alissas Worten und antwortete schließlich mit der Stimme des Zweiten
Kapitäns: "Nimm dich vor den Trugbildern in acht. Du darfst ihnen nicht trauen. Aber schau sie dir
genau an."
"Da haben wir's", schimpfte ich, "du mit deinem dummen Vogel. Wir fragen ihn nach dem
Planeten, und er kommt uns mit Trugbildern."
"Abwarten", sagte Alissa.
Durchs Bullauge sahen wir, daß es regnete. Es war kein kräftiger Regen, doch der Wind legte sich
hinein und ließ ihn gegen die Verkleidung des "Pegasus" peitschen. Schon der bloße Anblick
dieses Planeten bereitete Unbehagen. Ein langer, trüber Abend brach an.
"Na schön", sagte Poloskow, "heute wird ohnehin nichts mehr mit Aussteigen. Das beste ist, wir
essen Abendbrot und gehen schlafen."
Nach dem Essen sperrte Alissa die Metallkätzchen in den Käfig, nahm ein Buch zur Hand und
machte es sich auf dem kleinen Sofa in der Gemeinschaftskajüte bequem. Ich begab mich - zum
wievielten Mal schon - auf die Suche nach der Diamantenschildkröte, damit sie nichts anstellte.
Poloskow und Seljony gingen eigenen Angelegenheiten nach,
So verstrichen zwei bis drei Stunden. Als ich in die Kajüte zurückkehrte, las Alissa noch immer. Es
war warm und behaglich im Raum, zumal draußen nach wie vor der Wind heulte. Nur der Regen
hatte aufgehört.
Ich trat zum Bullauge und schaute ins Halbdunkel hinaus. Die Gegend wurde spärlich von zwei
großen Monden erhellt. Plötzlich erstarrte ich vor Staunen.
Durchs Tal schritten mehrere Leute auf unser Raumschiff zu. Es handelte sich eindeutig um
Menschen - ohne Skaphander, nur seltsam gekleidet. Sie waren in ein Gespräch vertieft und
schienen unser Schiff überhaupt nicht zu bemerken. "Alissa", rief ich leise, "sieh mal."
Alissa warf das Buch aufs Sofa und lief zu mir.
Die Leute waren mittlerweile näher gekommen, und wir konnten erkennen, daß sie ein Wams
trugen. Darüber hatten sie kurze weite Capes und auf dem Kopf breitrandige Hüte. Es waren vier
Männer, denen langsam und offenbar ungern eine Frau mit üppiger Hochfrisur und einem bis zur
Erde reichenden Reifrock folgte. Die Männer unterhielten sich lebhaft, die Frau schwieg.
"Das wird doch keine Halluzination sein?" sagte ich, denn ich traute meinen Augen nicht.
"Nein", antwortete Alissa, "die Leute kommen mir bekannt vor. Verjag sie bloß nicht."
"Professor!" dröhnte es plötzlich aus dem Lautsprecher über uns. "Professor, schläfst du schon?"
Ich erkannte Poloskows Stimme.
"Wo bist du?" erkundigte ich mich.
"Auf der Brücke. Schau doch mal durchs Bullauge. Verstehst du, was das soll?"
"Ich hab's schon selber gesehn, begreif aber nicht das geringste. Wo kommen hier Leute her?"
"Ich versteh's schon, sagte Alissa, "ich kenne diese Leute."
Ich drehte mich zu Alissa um - redete sie im Fieber?
"Sag bloß, du erkennst sie nicht, Papa", Alissa war verwundert. "Na gut wenn du vielleicht auch
vergessen hast, wer die Frau ist, an den zweiten Mann von rechts mußt du dich einfach erinnern!"
"Aber nein", erwiderte ich, "quäl mich nicht so!"
"Der zweite von rechts ist Porthos", erklärte Alissa. "Siehst du, er neigt sich gerade zu d'Artagnan
hinüber. Wahrscheinlich haben sie beschlossen, Lady Winter zu bestrafen."
"Was für eine Lady Winter!" jaulte ich auf. "Ich verlier noch den Verstand! Und wie kommt dieser
Porthos hierher?"
"Keine Ahnung", sagte Alissa, "aber sie sind's. Hundertprozentig. Die Musketiere des Königs.
Wären's die Gardisten des Kardinals, hätten wir sie sofort erkannt ."
"Hast du gehört, Poloskow?" fragte ich.
"Hab ich", sagte der Kommandant ruhig, "und ich glaube, Alissa hat recht. Die Gardisten des
Kardinals hätten wir beide selbst verständlich sofort erkannt!"
Unterdessen waren die vier Musketiere am Schiff angelangt. Ich preßte die Nase ans Bullauge, um zu sehen, was sie nun unternehmen würden. Die Männer blieben stehen, und einer von ihnen - ich glaube, es war Aramis, der schmucke Kerl mit dem geschniegelten Bärtchen - winkte elegant mit der Hand, um Lady Winter den Vortritt zu lassen. "Sehr interessant", sagte Alissa und stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser hinunterschauen zu können, "werden sie die Lady nun bestrafen oder nicht? Was meinst du, Papa?" "Ich hab zur Zeit gar keine Meinung", antwortete ich. "Wie ist's, Poloskow, sollen wir die Gangway ausfahren?" In diesem Augenblick setzten die Musketiere ihren Weg fort, sie schritten in die Wand des "Pegasus" hinein und waren verschwunden. "Sie können durch Wände gehen", sagte Poloskow verblüfft. Dabei war der Kapitän wirklich schwer zu verblüffen. Er hatte schon jetzt zehnmal mehr gesehen als ein gewöhnlicher Sterblicher in seinem ganzen Leben. Ihn konnten weder der Kleine Drachen in Erstaunen versetzen noch die Blasen von der Jela oder die kosmischen Piraten. Die Musketiere des Königs jedoch, wie sie durch die Wände des "Pegasus" schritten, waren auch ihm neu. "Vielleicht sind das Reisende in der Zeit", sagte ich, "wie die auf der Seheschinera?" Alissa ging zum gegenüberliegenden Bullauge und schaute hinaus. Da sind sie", sagte sie, "dachte ich mir's doch. Sie haben nicht mal bemerkt, daß sie durch unser Schiff gegangen sind." Ich lief gleichfalls hinüber - tatsächlich entfernten sich die Musketiere, als wäre nichts geschehen, vom Schiff, und ihre Degen schimmerten, im Schein der beiden Monde. Sie passierten einen Felsen und verschwanden in einer Schlucht. "Komm auf die Brücke", sagte ich, "von dort können wir sie besser beobachten." "Einverstanden!" Alissa nahm das Buch vom Sofa, in dem sie den ganzen Abend gelesen hatte. Es waren "Die drei Musketiere". Langsam begann mir was zu dämmern, "Gib mir mal das Buch", hat ich. Ich schlug es im Gehen auf und erwischte genau das Bild eines der Musketiere - d'Artagnans mit Umhang und Degen. Wir langten auf der Kommandobrücke an. Poloskow, der am großen Bullauge stand, hob die Hand und winkte uns heran. Wir entdeckten eine schlanke Birke mitten im Tal, deren Blätter im Wind bebten, als wären sie lebendig. Um den Baum herum wuchs Gras, und unmittelbar am Stamm war der Hut eines Birkenpilzes zu erkennen. "Kommt mir irgendwie bekannt vor", sagte Poloskow nachdenklich, "wo hab ich das bloß schon gesehen?" "Weiß ich", sagte Alissa. "Es ist die Lieblingsansichtskarte von Seljony. Sie hängt bei ihm überm Bett, und immer wenn er sie betrachtet deklamiert er das Gedicht vom Grünen Raunen." "Es sind Trugbilder", sagte Poloskow. "Ja", bestätigte ich, "Trugbilder. Der Plapperschnabel hat uns nicht von ungefähr mit der Stimme des Zweiten Kapitäns vor ihnen gewarnt. Doch wer erzeugt sie, und weshalb? Wem haben wir diese ungewöhnliche Zerstreuung zu verdanken?" Die Birke löste sich im Dunkel auf, und vom fernen Berghang her bewegte sich eine merkwürdige Prozession auf unser Schiff zu: Menschen, Fixianer, Wesen uns unbekannter Planeten und Sterne, Roboter und Tiere. All diese Trughilder umringten das Schiff, als würden sie es gar nicht bemerken. Sie gingen hindurch, lösten sich auf, teilten sich, verschmolzen ineinander. "Papa", sagte Alissa, "wir wollen sie uns aus der Nähe anschaun." "Wir sehn sie auch von hier sehr gut", entgegnete ich, "immerhin wissen wir nichts. über ihre Beschaffenheit. Vielleicht sind sie gar, nicht so körperlos, wie sie scheinen." Wir betrachteten die gespenstische Prozession eine ganze Weile, doch als das Tal wieder verlassen dalag, begann Alissa erneut zu quengeln: "Laß uns doch rausgehn, Papa, noch ist es nicht zu spät. Sieh mal, nur ein einziges Trugbild ist da - dArtagnan." Tatsächlich tauchte in diesem Augenblick ein einsamer Musketier in der verwaisten Niederung auf und begann ganz in der Nähe des "Pegasus" nachdenklich auf und ab zu gehen.
"Na, lauft schon , sagte Poloskow, "aber entfernt euch nicht allzu weit vom Schiff. Ich paß auf, daß euch nichts passiert." Poloskow hatte, wie stets, meinen Wunsch erraten. Natürlich reizte es mich ungeheuer, einen Blick aus unmittelbarer Nähe auf die Trugbilder zu werfen, ich hatte nur Angst, Alissa könnte etwas zustoßen. Doch ohne sie zu gehen hätte Streit auf lange Sicht bedeutet. Sie betrachtete die Trugbilder als ihren Besitz, hatte sie doch als erste die drei Musketiere erkannt. Wir gingen die Gangway hinunter und traten auf die Niederung hinaus. Sie lag ausgestorben da, d'Artagnan war wie vom Erdboden verschluckt. "Warten wir etwas", sagte Alissa, "sie kommen bestimmt zurück." Wir gingen zu jener Stelle, an der vorhin die Birke gestanden hatte. Auf der Erde lagen lediglich ein paar runde Steinchen - kein einziger Grashalm, nicht das kleinste Blättchen. "Sieh mal, wer da kommt Papa", rief Alissa aus, "das sollte man nicht für möglich halten!" Ich schaute auf und zuckte zusammen. Alissa und ich selbst kamen da auf uns zu. Obendrein in Hausschuhen und ohne Skaphander, wir brauchten offenbar keinerlei Luft. Alissa lief ihrem Spiegelbild entgegen. "Halt", rief ich, "wo willst du hin?" Doch Alissa war bereits bei ihrer Doppelgängerin angelangt. Sie rannte voller Wucht durch das Trugbild hindurch, stolperte über einen Stein und fiel auf die Knie. Das Spiegelbild war verschwunden, und während ich Alissa zu Hilfe eilte, war ein neues Trugbild aufgetaucht. Es bewegte sich schnell auf Alissa zu, schien sie packen zu wollen. Es war Doktor Werchowzew, er hatte den Hut tief in die Augen gezogen - die schmalen spitzen Schultern reichten fast bis an die Ohren. Ich zwängte mich hastig zwischen ihn und Alissa, bestrebt ihr Schutz zu geben, denn ich war nicht allzu sicher, daß es sich bei Werchowzew um ein bloßes Trugbild handelte. Doch der Doktor nahm keinerlei Notiz von Alissa. Er ging ungerührt an ihr vorbei und lächelte, als hätte er jemanden entdeckt. Ich sah ihm hinterher, der Dicke im schwarzen Lederanzug kam Werchowzew entgegen. Sie gaben sich die Hand und steckten sofort die Köpfe in einem Disput zusammen. Alissa hatte sich aufgerappelt und nahm meine Hand. Auf diesem Planeten bleibt nichts geheim", sagte sie. "Wenigstens wissen wir jetzt, daß Werchowzew und der Dicke sich kennen und uns nicht von ungefähr den Plapperschnabel abschwatzen wollten." Die beiden Gestalten unterhielten sich lautlos, während von der anderen Seite ein neues Trugbild auf uns zukam. Es waren die Drei Kapitäne, allerdings nicht aus Stein, wie wir sie auf dem gleichnamigen Planeten gesehen hatten, sondern echt, in den blauen Uniformen der Kosmosflotte. Die Kapitäne blieben stehen und gaben sich wie zum Abschied die Hand. Gleich darauf hatten sie sich in Luft aufgelöst. Einer von ihnen - der Zweite - war freilich sofort wieder da. Er war schlank, hochgewachsen und hatte eine Höckernase. Er schien zu überlegen, machte dabei ein finsteres Gesicht. Auf seiner Schulter saß der Plapperschnabel. Der Kapitän ließ seinen Blick durch die Niederung schweifen und ging plötzlich mit schnellen Schritten auf ein weiteres Trugbild zu, das am Horizont aufgetaucht war. Es handelte sich um ein hellblaues Raumschiff, an dessen Bordwand sich eine große, aus dunklen Edelsteinen zusammengefügte Möwe abhob. Mit einem Schlag waren alle Trugbilder, auch die von Werchowzew und dem Dicken, verschwunden. "Noch nie hab ich ein so schönes Raumschiff gesehen", sagte Alissa. Im selben Augenblick vernahm ich Poloskows Stimme im Kopfhörer: "Hör mal, Professor, hast du schon je ein so schönes Raumschiff gesehen? Das muß die Blaue Möwe vom Zweiten sein." "Na klar, ist sie das", sagte Alissa. "Bestimmt hält sich der Kapitän hier auf. Wir müssen ihn suchen." Am Horizont, dort wo eben noch die "Blaue Möwe" gestanden hatte, flammte ein helles Licht auf. Gleich darauf hob das Raumschiff vom Planeten ab. Da fliegt es hin, dein Trugbild", sagte Seljony, "hab ich mir's doch gedacht."
"Sicht tatsächlich aus, als, wäre die Blaue Möwe' von hier weggeflogen", stimmte Poloskow zu.
Ich beugte mich zu der Stelle hinunter, wo Alissa hingefallen war, als sie unseren Spiegelbildern
entgegenstürmte. Mich hatte ein kleiner runder Stein stutzig gemacht, der ins Rollen gekommen
war, als wäre jemand dagegengestoßen. Dabei war weit und breit niemand zu sehen, sogar der
Wind hatte sich gelegt. Ich streckte die Hand aus, um den Stein aufzuheben, doch er rollte nur
schneller fort. Plötzlich begann ihm ein Trugbild zu entwachsen. Zunächst war es nur ein nebliges
Etwas, aber es verwandelte sich bald in eine Lady Winter. Die Lady lief, ihren Rock
zusammenraffend, in Richtung der Berge davon.
"Na warte", rief ich, "du entkommst mir nicht, mir war gleich klar, daß es keine Wunder gibt!" Ich
machte einen Satz nach vorn, wollte die Frau pakken, stürzte aber hin. Genau dort wo sie sich
soeben noch befunden hatte. Im selben Augenblick war das Trugbild verschwunden. Unter meiner
Hand lag ein rundes Steinchen.
"Was machst du da?" fragte Alissa erstaunt. "Warum jagst du die Lady?"
"Ich hab sie gefangen", erwiderte ich.
"Was denn noch", sagte Seljony spöttisch, "sie ist spurlos verschwunden."
"Nein, sie ist in meiner Hand. Ich komme jetzt zurück aufs Schiff und erklär euch alles."
Im Mannschaftsraum legte ich das runde Steinchen zusammen, mit fünf gleich aussehenden, die
ich auf dem Weg zum "Pegasus" gefunden hatte, auf den Tisch. Sie lagen friedlich
nebeneinander, von der Größe und auch der Form her an Kartoffeln erinnernd.
"Gestattet ihr, daß ich euch die Bewohner dieses Planeten vorstelle?" sagte ich.
"Was denn, lebende Wesen?" rief Seljony verblüfft aus. "Nie und nimmer hätte ich das gedacht!"
"Dennoch stimmt es. Sie besitzen obendrein die höchst interessante Fähigkeit Trugbilder zu
produzieren: Kopien von Menschen oder Dingen. Und zwar nicht nur von solchen, die sie selbst
irgendwann zu Gesicht bekommen haben, zum Beispiel den Drei Kapitänen oder Doktor
Werchowzew, sondern auch von jenen, die in der Einbildung der Menschen existieren. Ihr erinnert
euch: Alissa hatte Die drei Musketiere gelesen, die B ilder im Buch angeschaut und sich ihre
Helden in natura vorgestellt. Prompt bekamen wir sie zu Gesicht. Oder sahen sie etwa nicht so
aus, wie du sie dir vorgestellt hast Alissa?"
"Haargenau", bestätigte Alissa.
"Wie diese Steine die Trugbilder fabrizieren und wozu, kann ich vorerst nicht erklären."
"Vielleicht langweilen sie sich einfach", sagte Alissa. "Sie liegen auf der kahlen Erde und haben
nichts zu tun. Da ist ihnen jeder Besucher eben eine willkommene Abwechslung."
"Möglich", antwortete ich, "nur was machen wir jetzt? Wollen wir hier weitersuchen, oder fliegen
wir zum dritten Planeten?"
"Mir kommt der dritte Planet recht interessant vor", sagte Poloskow. "Ich hab mir die Fotos
angesehn, es gibt dort Pflanzen, Luft und Wasser."
Da verwandelte sich eins der Steinchen plötzlich in den Zweiten Kapitän. Er sah uns traurig an,
und der Plapperschnabel sagte mit der Stimme seines Herrn: "Such mich auf dem Planeten drei ...
Such mich auf dem Planeten drei . .“
"Na bitte", sagte Alissa.
Ohne noch lange zu zögern, starteten wir zum dritten Planeten im System der Medusa.
Das Junge des Vogels Krok Vier Sonnen kreisten mit großer Geschwindigkeit über diesem Planeten. Da die Nacht nur selten kam, war es ohne komplizierte Berechnungen unmöglich vorauszusehen, wann die Dämmerung, gefolgt von kurzer Finsternis, hereinbrechen würde. Mitunter dauerte die Dunkelheit eine halbe Stunde oder noch weniger, dann stieg bereits eine der Sonnen über den stachligen Büschen auf und stand im Nu hoch am Himmel. Der Planet war von Wäldern und Buschwerk überwuchert. An den Polen erstreckte sich niedrige und an den Boden geduckte Vegetation, in den Tropen erreichte sie eine unwahrscheinliche Höhe.
Für einen Biologen war dieser Planet das reinste Paradies. Was es hier nicht alles gab! Die
Ozeane brodelten von Fischen, Medusen, Würmern, Seeschlangen, die Wälder wimmelten von
allem möglichen Getier und Schmetterlingen, deren Flügelspannweite einen Meter erreichte. Hoch
droben aber, über den gezackten Felsen und den flacheren Hügeln flogen die unterschiedliebsten
Vögel.
"Hier bleiben wir eine Weile", sagte ich, als wir auf einem mit Buschwerk bestandenen Hügel
gelandet waren, "dieser eine Planet reicht aus, fünfzig Tiergärten zu versorgen."
"Einverstanden", erwiderte Poloskow, -"bei der Gelegenheit können wir das Schiff überholen."
"ja", sagte Alissa, "aber zuerst suchen wir den Zweiten Kapitän. Ich bin sicher, daß er hier ist."
"Daß du ja nicht allein losgehst", warnte ich, "hier gibt` s gefährliche Tiere."
"Trotzdem bin ich der König in der Natur", erklärte Alissa.
"Das wissen aber die Tiere nicht, sie sind ungebildet."
"Wie gehen wir vor, um den Zweiten Kapitän zu finden?" Alissa ließ nicht locker.
"Fürs erste schicken wir den Metallsucher aus", entschied Poloskow.
"Wozu denn das?"
"Er wird in geringer Höhe über dem Planeten kreisen. Sobald er Spuren von Metall entdeckt, das
Verwendung bei Raumschiffen findet, gibt er uns ein Signal."
"Wird er lange kreisen?"
"Zwei Wochen braucht er schon, um den Planeten abzusuchen."
"Das ist aber lange!"
"Macht nichts", sagte ich, du hilfst mir inzwischen beim Füttern der Tiere."
"Auch die Büsche müssen gegossen werden", fügte Alissa hinzu, "sonst laufen sie sonstwohin."
In diesem Augenblick tauchte der kleine quirlige Busch in der Gemeinschaftskajüte auf und blieb
schüchtern an der Schwelle stehen. Er bewegte summend die Zweige, gab uns zu verstehem,
daß er Kompott haben wollte.
"Na bitte", schimpfte Seljony, "da sieht man mal, wie du sie verwöhnt hast! Bald werden sie zu
beißen anfangen. Also gib ihm in drei Gottes Namen schon sein Kompott."
Am nächsten Morgen standen wir in aller Frühe auf. Poloskow machte den Metallsucher startklar,
während ich Kescher und Kamera ins Geländemobil packte.
Wir waren so mit unseren Angelegenheiten beschäftigt daß wir nicht auf das Auftauchen des
Vogels Krok achteten. Ich sah nur einen großen Schatten, der sich über mich legte, und hörte ein
Flügelschlagen, so laut, als peitschten Segel im Wind.
"Hinlegen!" rief Poloskow.
Ich ließ mich ins Gras fallen.
Dicht über meinem Kopf griffen die Krallen des Vogels knirschend ins Leere, dann stob er in die
Höhe, um erneut herabzustoßen.
Es war das erste Mal, daß ich ihn richtig sah.
Dieser Krok war ein gewaltiger Vogel, so groß wie ein mittleres Passagierflugzeug. Er hatte
schmale lange Flügel, einen kurzen Schwanz und einen kräftigen gebogenen Schnabel, ähnlich
den Greifern eines Lastenkrans. Der Vogel beschrieb einen kleinen Kreis und sauste dann wie ein
Bomber im Sturzflug in die Tiefe.
Ich wollte zur Seite kriechen, begriff aber, daß es zu spät war. Ich kniff die Augen zu und krallte
mich ans Rad des Geländewagens. In dieser Sekunde krachte ein Schuß.
Seljony hatte die Situation erkannt er war blitzschnell zur Luke gelaufen, wo die Pistole lag, und
hatte auf den Vogel geschossen.
Der Krok, nur noch drei Meter über mir, stieß einen Schmerzenslaut aus und strebte in die Höhe.
Dicht neben mir fiel eine Feder auf die Erde. Sie war etwa einen Meter lang und so hart, daß sie
sich mit ihrem Ende in den trockenen Boden bohrte wie das Schwert eines Recken.
Ich zog die Feder heraus und zeigte sie Alissa. Hör zu", sagte ich, "das Wesen, dem diese Feder
gehörte, ist sehr erbost und möchte einen von uns zum Abendbrot verspeisen. Hast du begriffen?"
"Hab ich. Aber das Geländemobil kann er doch unmöglich in die Luft heben?"
"Stimmt, das schafft er nicht."
"Gut, dann fahre ich mit dir im Geländemobil."
"Ausgeschlossen, Alissa. Ich starte jetzt zu einer Erkundungsrunde und bin gegen Mittag wieder zurück. Da du als einzige zur Zeit nichts zu tun hast, könntest du Essen kochen und die Tiere füttern. Vergiß auch nicht, daß die Weberspinne keine Wolle mehr hat." "Na schön", seufzte Alissa. Wie sieht's mit dem Metallsucher aus?" erkundigte ich mich bei Poloskow, bereits mit einem Fuß im Geländewagen. "Er will nicht', antwortete der Kapitän. "Ich versteh das nicht. Er hat sich noch nie gesträubt aber diesmal macht er Schwierigkeiten." Der Geländewagen fuhr langsam durchs Gesträuch, neigte sich zur Seite, wenn er über Kuhlen fuhr, gewann an Tempo, wenn es hügelab ging. Die Büsche teilten sich vor und schlossen sich sofort hinter ihm. Ich sagte mir, daß es schön wäre, einen solchen Vogel - in Palaputra wurde er Krok genannt - zu fangen. Ich hätte dieses Wundertier gar zu gern für unseren Zoo gehabt begriff aber, daß wir es nie und nimmer im "Pegasus" befördern konnten. Etwas anderes war es, sein Nest zu finden und ein paar Junge mitzunehmen. Die Nester mußten sich irgendwo auf den Felsen befinden. - kein Baum hätte die Last eines solchen Vogelhorstes tragen können. Ich steuerte die in der Ferne liegenden Borge an. Eine Prozession langfüßiger gelber Eidechsen kreuzte meinen Weg, die größte vorneweg. Ich zählte sie - es waren dreiundzwanzig. Die letzte Eidechse war die kleinste. Ich wollte sie schon einfangen, überlegte es mir aber. Erst mal mußte ich herausfinden, was sie fraßen, damit ich sie heil zur Erde bringen konnte. Hoch über mir flog ein Krok in Richtung der Berge. Also befand sich dort wahrscheinlich sein Nest. Ich ließ den automatischen Kescher in die Luft denn ich hatte einen metergroßen blauen Schmetterling entdeckt. Während ich mit den Manipulatoren hantierte, um das Insekt einzuschläfern - wollte ich es doch, ohne seine Flügel zu beschädigen, im Gepäckraum verstauen -, flammte plötzlich der Videoschirm auf, und das aufgeregte Gesicht Poloskows wurde sichtbar. "Hör zu", sagte er, "ich hab den Metallsucher losgeschickt." "Ausgezeichnet", erwiderte ich. "Einen kleinen Augenblick, ich will bloß den Schmetterling verstauen . . ." "Aber die Verbindung ist abgebrochen." "Zum Metallsucher?" "ja doch. Das ist bisher noch nie passiert. Ich hab alles überprüft. Drei Minuten nach dem Start ist er verstummt." "Da müssen wir wohl oder übel mit dem Gleiter hoch, um ihn einzuholen und zu reparieren", sagte ich und packte den Schmetterling in den Container. "Genau das wollte ich dir vorschlagen. Ich mach mich jetzt auf die Suche nach ihm, du aber müßtest zum Schiff zurückkommen. Dieser Planet gefällt mir nicht." "Damit tust du ihm unrecht Gena. Es ist ein herrlicher Planet. Ich bin sehr froh, daß wir gelandet sind." "Und wenn der Zweite Kapitän wirklich hier ums Leben gekommen ist?" "Glaubst du das denn?" "Ich weiß nicht. Aber wenn es stimmt und ein so erfahrener Kapitän umkommen konnte, so bedeutet das, der Planet birgt ein gefährliches Geheimnis, von dem wir nicht die geringste Ahnung haben." "Vielleicht haben einfach die Triebwerke versagt, das passiert selbst bei den besten Raumschiffen. Oder er ist von einem der hiesigen Ungeheuer angefallen worden. Denk doch nur mal an den Vogel Krok, hast du gesehen, was der für einen Schnabel hat?" "Natürlich hab ich's gesehen." Poloskow schaltete ab. Noch ein Krok flog über mir zu den Bergen, und ich merkte mir seine Flugrichtung - ganz gewiß befand sich dort sein Nest. Ich würde unbedingt hinfahren. Unvermutet brach die Dämmerung herein, und ich kehrte zum Schiff zurück. Ich stellte den Wagen unmittelbar vor der Gangway ab, stieg im Dunkeln hinauf und begab mich auf die Brücke. Als erstes überprüfte ich, wo sich meine Gefährten befanden. Der Mechaniker saß im Maschinenraum
und werkelte an seinen Instrumenten herum. Alissa meldete sich aus ihrer Kajüte, sagte, sie lese.
Dann nahm ich Verbindung zu Poloskow auf.
"Na, wie sieht's aus?" fragte ich.
"Ich hab den Metallsucher inzwischen angepeilt und werde ihn bald erreichen. Bleib auf dem
Sender."
Ich machte es mir am Bullauge bequem und hörte Poloskow während er hinter dem Metallsucher
herjagte, ständig vor sich hin brabbeln. Die kurze Nacht ging ihrem Ende entgegen. Ich schaute in
die Ferne, zum Wald und zu den Bergen hinüber und legte mir meinen Plan für morgen zurecht.
Ich würde am Flüßchen entlangfahren und mich dann bergauf bewegen ... Alissa durfte
mitkommen, im Geländewagen drohte ihr keine Gefahr ...
"Ich hab ihn", meldete Poloskow. "Es ist mir gelungen, ihn mit den Greifern zu packen. Jetzt kehre
ich zum Schiff zurück."
In diesem Augenblick sah ich, daß Alissa den "Pegasus" verließ und auf den Landeplatz
hinaustrat.. Sie ging auf Zehenspitzen, schaute öfters zu den Bullaugen hoch, entdeckte mich
aber nicht.
Es war kühl, und Alissa hatte ihre gelbe flauschige Kombination angezogen..Offenbar hatte sie
einen längeren Ausflug vor. Doch das erstaunlichste war - vor ihr schritt stolz der Plapperschnabel
durchs Gras. Er war an einer langen Kette befestigt, deren anderes Ende Alissa in der Hand hielt.
Sie sagte etwas zu dem Vögel, und er flog ein Stück in die Höhe. Alissa lockerte die Kette, um den
Plapperschnabell nicht in seinen Bewegungen zu behindern. Er begann mit den Flügeln zu
schlagen und steuerte langsam, so als verstünde er, daß Alissa nicht fliegen konnte, den Wald an.
Erst da kam ich zur Besinnung. Ich schaltete den Lautsprecher ein und rief: "Alissa, hast du den
Verstand verloren! Komm sofort zurück!"
In der Furcht sie könnte nicht gehorchen, rannte ich schon im nächsten Augenblick die Treppe
hinab, um sie einzuholen und aufs Schiff zu bringen.
Als ich an der Ausstiegsluke war, befand sich Alissa bereits am Waldrand. Über ihr kreiste ein
gewaltiger Krok.
"Alissa!" rief ich erneut.
Doch sie war zu weit weg und hörte mich nicht. Kein Gewehr, nichts, womit ich sie hätte
beschützen können! Was sollte ich bloß tun?
Halb betäubt vor Entsetzen jagte ich die Gangway hinunter.
Nun entdeckte auch Alissa den zum Sturzflug ansetzenden Vogel und ließ vor Schreck die Kette
los. Der Plapperschnabel flüchtete verängstigt in die Bäume.
Ich rannte auf Alissa zu und sah, wie der Krok mit seinen weißen Krallen die kleine flauschig-gelbe
Gestalt meiner Tochter packte. Dann erhob er sich und gewann schnell an Höhe.
Noch im Laufen sah ich den Vogel immer kleiner werden und fuchtelte verzweifelt mit den Armen Zehn Minuten später ging Poloskow neben dem "Pegasus" nieder. Zu diesem Zeitpunkt waren Seljony und ich schon dabei, die Verfolgung aufzunehmen. Wir hatten den kleinen Gleiter startklar gemacht. "Wo wollt ihr hin?" fragte Poloskow verwundert. "Der Krok hat Alissa entführt!" rief Seljony. Mehr brachte er vor Kummer nicht heraus. "Schnell, steig zu mir ein!" ordnete Poloskow an und ging mit seinem Gleiter fast bis auf die Erde herunter. Ich sprang hoch, bekam den unteren Rand der geöffneten Luke zu fassen und schwang mich in die Kabine. Poloskow ging steil nach oben. "Wohin ist der Krok geflogen?" fragte er laut, um das Brummen des Motors zu übertönen. "In die Berge. Dort hat er wahrscheinlich seinen Horst." Ein paar Minuten später waren wir am Ziel, doch es war gar nicht so einfach, das Nest zu entdecken. Tausende gleichförrniger gezackter Felsen erhoben sich ring s um ein Plateau, und wir kreisten länger als eine Stunde ohne jeden Erfolg. Dabei wurde die Chance, Alissa lebend wiederzufinden, mit jedem Augenblick geringer.
Zu guter Letzt war es der Vogel selber, der uns half. Wir sahen ihn plötzlich über den Felsen
auftauchen.
"Los, ihm nach!" sagte ich.
"Nicht so stürmisch", erwiderte Poloskow, "sonst verscheuchen wir ihn, und er zeigt uns nie den
Weg zu seinem Nest.".
Er brachte den Gleiter zum Stehen, und wir hingen eine Weile reglos üher den Felsen. Der Vogel
steuerte einen Berggipfel an, zu dem wir noch nicht vorgedrungen waren. Dort angelangt, legte er
die Flügel an und ging sacht in die Tiefe.
Poloskow nahm unverzüglich Kurs auf den Berg. Als wir fast da waren, flogen gleichzeitig fünf
oder sechs Vögel auf - sie hielten unseren Gleiter für einen unbekannten Feind. Die Vögel griffen
uns unerschrocken an, und Poloskow mußte all seine Flugkünste aufbieten, um nicht mit ihnen
zusammenzuprallen..
"Sieh mal", rief Poloskow, "dort drüben sind die Nester!"
Ich preßte mein Gesicht ans Fenster. Auf dem Steilhang des Berges gewahrte ich dunkle
kreisförmige Gebilde. Die Nester waren aus Steinen und Zweigen jeweils auf einen Felsvorsprung
gebaut.
Wir gingen etwas tiefer und sahen, daß auf einigen der Horste Vögel hockten, die Schwingen in
dem eindeutigen Bestreben gespreizt Junge oder Eier vor eventuellen Feinden zu schützen,Schau
mal dort!" sagte ich.
In einem der Nester leuchtete etwas gelblich.
Der Gleiter steuerte blitzschnell das betreffende Nest an, er sauste los, daß nicht einmal die Vögel
hinterherkamen.
„Nein", sagte Poloskow, "das ist nicht Alissa, es sind Jungvögel."
Tatsächlich saßen drei mit Flaum bedeckte Vogeljunge im Nest. Als sie uns erblickten, öffneten
sie weit ihre gebogenen Schnäbel. Ein großer Krok ging dicht neben uns im Sturzflug nieder,
setzte sich auf das Nest und deckte schützend seine Flügel darüber.
"Geh höher", sagte ich zu Poloskow.
In diesem Augenblick entdeckten wir einen weiteren Krok. Er hatte einen Fisch im Schnabel und
steuerte gleichfalls den Berg an.
„Ihm nach!" rief ich.
Der Vogel hatte uns nicht bemerkt und hielt Kurs auf ein weiter entferntes Nest.
In diesem Nest hockte zwischen zwei Jungvögeln Alissa. Von weitem hätte man sie selber für ein
Vogeljunges halten können - schuld daran war ihre gelbe flauschige Kombination.
Die Kleinen sperrten beim Anblick der Mutter die Schnäbel auf, doch der Krok wollte den Fisch
unbedingt Alissa einverleiben. Sie wehrte sich nach Kräften, aber der Vogel war hartnäckig.
Poloskow mußte laut lachen.
"Was hast du?" fragte ich und konnte den Blick nicht von dem seltsamen Schauspiel lösen.
"Alissa droht keinerlei Gefahr", sagte Poloskow vergnügt. "Man hat sie als Junges angenommen
und ihr kräftige Kost verordnet."
Unser Kommandant hatte recht - der quittegelbe Flauschanzug war Alissas Rettung.
Wir kamen über dem Nest zum Stehen. Poloskow ließ die Strickleiter herab, und Alissa kletterte in
den Gleiter, während ich die nahenden Vögel mit Betäubungspatronen und Knallfröschen
verscheuchte.
"Wollen wir die Jungen mitnehmen?" fragte Poloskow, noch immer lächelnd.
"Das nächste Mal", antwortete ich. "Wie geht es dir, Alissa?"
"Nicht schlecht", sagte sie. Ihr Gesicht war mit Fischschuppen beklebt, im übrigen war sie heil und
gesund.
"Ich war nur anfangs ein bißchen erschrocken", erzählte Alissa. Doch als mich der Krok dann ins
Nest gesetzt hatte, fand ich's richtig gemütlich. Die Kleinen und ich, wir haben uns gegenseitig
gewärmt. Nur wollte der große Vogel auf Biegen und Brechen, daß ich was esse. Genau wie
Großmutter: Nun iß doch noch einen Löffel Brei.“
Poloskow war guter Dinge, er fragte Alissa, ob sie nicht vielleicht fliegen gelernt hätte oder zu
ihren neuen Eltern zurückkehren möchte.
"Warum hast du das Raumschiff überhaupt verlassen?" erkundigte ich mich streng, nachdem ich
mich etwas beruhigt hatte.
"Ich wollte den Zweiten Kapitän suchen."
"Wieso das?"
"Ich hab gehört daß Poloskows Metallsucher nicht funktioniert, und überhaupt waren mir zwei
Wochen Wartezeit zu lang. Außerdem dachte ich, der Plapperschnabel würde sich vielleicht an
die Stelle erinnern, wo er die Stimme des Zweiten Kapitäns gehört hat. Ich hab ihn gebeten, mir
diese Stelle zu zeigen, und er flog los."
"Und weshalb hast du nicht um Erlaubnis gebeten?"
"Hättest du es mir denn erlaubt?"
"Natürlich nicht. Und merk dir eins: Der Zweite Kapitän ist nicht hier."
"Nicht?" sagte Alissa. "Und ob er hier ist! Nur schade, daß der Plapperschnabel weggeflogen ist,
wir hätten den Kapitän sehr schnell gefunden."
"Was hast du dir da bloß wieder in den Kopf gesetzt!"
"Sieh mal, was ich in dem Nest gefunden habe", antwortete Alissa und holte eine
Porzellanscherbe aus der Tasche, auf der mit goldenen Buchstaben stand "... aue Möwe". "Das
heißt doch eindeutig Blaue Möwe`, beharrte sie, "oder bist du anderer Meinung?"
"Zeig mal her", bat Poloskow. "Du hast vielleicht ein Glück!"
"Sag das nicht", entgegnete Alissa. "Wegen dieser Scherbe mußte ich in den Krallen des Vogels
Krok durch die Luft sausen. Bist du schon mal auf diese Weise geflogen?"
"Nein", Poloskow lächelte.
"Die Scherbe aber hat mir der Krok selber gegeben. Sie war wohl eine Art Spielzeug für die
Jungen, deshalb sollte auch ich damit spielen."
Ich überlegte. Alissa hatte recht - es sah nun wirklich so aus, als befände sich die "Blaue Möwe"
auf diesem Planeten. Aber wie sie finden?
"Was ist mit dem Metallsucher?" fragte ich Poloskow. "Hast du ihn schon überprüft?"
"Merkwürdig, irgendwer muß seinen Suchindikator zertrümmert haben."
"Zertrümmert?"
"ja, denn ohne Gewaltanwendung konnte er unmöglich kaputtgehn, der Mechanismus befindet
sich ganz im Innern des Erkunders."
"Aber was sollen wir jetzt tun?" sagte ich mehr zu mir selbst.
Wir landeten neben unserem Raumschiff und traten auf die Lichtung hinaus. Mit einem besorgten
Blick zum Himmel, ob nicht etwa der Krok auftauchte.
"Da ist ja auch der Plapperschnabel", sagte Alissa.
Und tatsächlich, unmittelbar vor meiner Nase glitt eine dünne Kette langsam zu Boden. Gleich
darauf flog der Plapperschnabel vom Baum herunter und begann über unseren Köpfen zu kreisen,
als wollte er uns auffordern, mit ihm zusammen den Zweiten Kapitän zu suchen.
Die Spiegelblumen Alissa griff nach der Kette, an der der Plapperschnabel befestigt war. Der Vogel leistete keinen Widerstand, sträubte sich nicht so als verstünde er, was man von ihm wollte. Er flog langsam über den Büschen dahin, und wenn wir zurückblieben, stieg er ein Stück höher, verharrte in der Luft bis wir heran waren. Wir kamen nur schwer vorwärts, denn auf diesem Planeten existierten keinerlei Pfade. Wir mußten über verfaulte Baumstämme klettern, uns durch Lianengestrüpp und Dornen arbeiten, durch Sturzbäche waten. Gelbe hochbeinige Eidechsen sprangen unter Baumstümpfen hervor und liefen mit Gekreisch auseinander, um die Waldbewohner vor den Fremden zu warnen. Nach einiger Zeit gelangten wir auf eine Lichtung mit unzähligen weißen Raubtierblumen. Die Blumen verschlangen laut schmatzend Schmetterlinge und Bienen, sie hatten es auch auf uns abgesehen, schnappten mit ihren Blüten nach unseren Füßen. Als es ihnen nicht gelang, unsere Schuhe zu zerbeißen, gerieten sie in solche Wut daß sie zu brüllen anfingen.
Wir durchquerten ein kleines Wäldchen und kamen auf eine neue Lichtung. Die Blumen, die hier
blühten, waren rot und schienen ausgesprochen neugierig: Kaum hatten sie uns erblickt, drehten
sie uns all ihre Blütenblätter zu. Als wollten sie uns genau betrachten und beschnuppern. Über der
Lichtung stieg Gewisper auf.
"Das sind ja richtige Schwatztanten", sagte Alissa. jetzt werden sie bis zum Abend über uns
klatschen."
Das Wispern und Gemurmel der neugierigen Pflanzen verfolgte uns noch ein ganzes Stück.
Es war offenbar ein Planet der Blumen. Wir trafen an diesem Tag Blumen, die sich prügelten,
andere, die sich unter die Erde verkrochen, als sie uns wahrnahmen, wieder andere, die von
einem Fleck zum nächsten sprangen, wobei sie ihre langen Wurzeln in der Luft baumeln ließen.
Wir sahen auch eine ganze Menge gewöhnlicher Blumen, blauer, roter, grüner, weißer, gelber,
brauner und getüpfelter. Einige wuchsen auf der Erde, andere auf Bäumen oder Büschen, einige
gediehen auf Felsen oder im Wasser, einige schließlich schwebten langsam durch die Luft.
Etwa zwei Stunden liefen wir hinter dem Plapperschnabel her, dann wurden wir schrecklich müde.
"So warte doch", rief ich dem Vogel zu, "wir müssen ausruhn!"
Wir machten es uns. unter einem großen schattigen Baum bequem, um vor den Blicken eines
Kroks, der über uns kreiste, verborgen zu bleiben. Der Plapperschnabel setzte sich auf einen Ast
und schlummerte sofort ein. Es war ein fauler Vogel - immer, wenn er mal nicht plapperte, schlief
er.
Poloskow, mit dem Rücken gegen den Baumstamm gelehnt, saß da und sagte zweifelnd:
"Vielleicht hat der Plapperschnabel bloß Lust auf einen Ausflug gehabt."
"Ausgeschlossen!" empörte sich Alissa. "Wenn wir das denken, können wir gleich umkehren."
Unvermittelt ging die Sonne hinter den Baumwipfeln unter, und eine kurze Nacht brach an. Sofort
blinkten die Sterne am Himmel.
"Seht mal", sagte Alissa, "der eine Stern bewegt sich."
"Wahrscheinlich ein Asteroid", erwiderte ich.
"Und wenn's ein Raumschiff ist?"
"Wo soll denn hier ein Raumschiff herkommen."
Der Stern verschwand hinter den Bäumen, und bereits fünf Minuten später begann es wieder zu
dämmern. Diesmal gingen aus verschiedenen Richtungen gleich drei Sonnen auf einmal auf; es
wurde augenblicklich sehr hell und heiß. Um uns her begannen Bienen zu summen und Grillen zu
zirpen.
"Zeit zum Aufstehn", sagte Poloskow und erhob sich, "der Plapperschnabel ruft uns."
"Vorwärts!" sagte der Plapperschnabel mit der Stimme des Ersten Kapitäns. "Vorwärts, dann sehn
wir weiter." Und mit einer völlig anderen Stimme fügte er hinzu: Kämpfen und suchen, finden und
sich nicht ergeben, wie der berühmte Käptn Scott zu sagen pflegte."
"Siehst du, Papa", sagte Alissa, "er spricht uns Mut zu. Wir sind bald da."
Ich konnte Alissas Begeisterung nicht teilen, wußte ich doch, was wir erblicken würden, wenn uns
der Plapperschnabel tatsächlich zum Landeort des Zweiten Kapitäns führte. Wir würden den von
Lianen umwundenen und von Blumen zugewachsenen Überresten der "Blauen Möwe"
gegenüberstehen. Vom Kapitän selbst aber war gewiß nicht die Spur mehr übrig. Dennoch trottete
ich hinter Poloskow her.
Wir schlugen uns noch etwa anderthalb Stunden durch dichtes Gestrüpp, und plötzlich strebte der
Plapperschnabel steil in die Höhe, so als wollte er überprüfen, ob die Kette hielt.
"Merk dir diese Stelle", rief er von oben, "merk dir gut diese Stelle, Kapitän!"
Danach wechselte die Stimme, und aus der Höhe herab vernahmen wir: "Haltet den Vogel! Fangt
ihn! Er darf nicht lebend entkommen!"
"Wen ahmt er denn jetzt nach?" fragte Alissa.
"Keine Ahnung", sagte Poloskow, "vielleicht Werchowzew?"
Unterdessen suchte der Plapperschnabel offenbar nach etwas Bestimmtem.
"Laß die Kette locker", sagte ich zu Alissa.
Sie reagierte sofort. Der Plapperschnabel stieg höher, war fast nur noch ein Punkt zwischen den
Wolken, ging aber plötzlich wieder im Sturzflug nieder.
"Er scheint was gefunden zu haben", sagte Poloskow. Doch im selben Moment sahen wir, daß der Vogel Krok hinter dem Plapperschnabel her war. Er hatte ihn fast eingeholt. "Schieß doch!" rief ich Poloskow zu. Der Kapitän zog die Pistole und gab, ohne lange zu zielen, einen Schuß ab. Der Krok, bereits ganz nahe an den Plapperschnabel herangekommen, stieß einen lauten Schrei aus. Für den Augenblick schien er das Gleichgewicht zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen, aber er fing sich wieder und drehte langsam in Richtung Wald ab. . Wir liefen zu der Stelle, wo der Plapperschnabel niedergegangen war. Hinter dichtem Buschwerk breitete sich eine grüne Lichtung aus. Sie war von steilen Hügeln gesäumt, auf denen dickbauchige Bäume wuchsen. Doch der Plapperschnabel war nirgends zu entdecken. Wir blieben am Rand der Lichtung stehen. Sie war von niedrigem, seidigem Gras bedeckt, und an ihren Rändern wuchsen, als seien sie absichtlich von jemandem dort gepflanzt worden, ganz ungewöhnliche Blumen. Die kurzen, breiten, metallisch glänzenden Blütenblätter waren um einen etwa tellergroßen Kelchboden gruppiert, der einem leicht nach außen gewölbten Spiegel glich. In jeder der Blumen spiegelte sich die ganze Lichtung wider. Die Blütenköpfe saßen auf kurzen dicken und völlig kahlen Stengeln. "Geh nicht zu nahe heran, Alissa", warnte ich, "vielleicht sind sie giftig." "Das bezweifle ich", erwiderte Alissa, "schau mal dort." Wir beobachteten, wie ein kleines Tier aus dem Gebüsch sprang; es besaß Ähnlichkeit mit einem Hasen. Das Tierchen steuerte eine der Blumen an und betrachtete sich im Spiegel. Dann verschwand es, ohne uns die geringste Beachtung zu schenken, wieder im Gesträuch. "Hier stimmt was nicht", sagte Poloskow, "keinerlei Spuren vom Raumschiff. Der Plapperschnabel muß sich geirrt haben." "Oder wir", entgegnete ich, "indem wir nämlich wie kleine Kinder hinter ihm hergelaufen sind". Ich dachte daran, wie lange wir brauchen würden, um zum Schiff zurückzukommen. Natürlich hätten wir auch Seljony mit dem Gleiter oder dem Geländewagen rufen können, aber mir widerstrebte es, den "Pegasus" ohne Aufsicht zu lassen. Alissa trat auf die Lichtung hinaus, sah sich nach allen Seiten um und steuerte dann eine der Blumen an. Die Blume wandte ihr kaum merklich den Spiegel zu, so als wollte sie, daß Alissa hineinschaute. "Nehmen wir doch ein paar Blumen mit", schlug Alissa vor. "Einverstanden", sagte ich. Poloskow holte den tragbaren Metallsucher aus der Tasche und ging mit ihm die ganze Lichtung ab. Der Metallsucher gab nicht den leisesten Piepser von sich. "Hier ist kein Schiff, es hat auch nie eins gegeben", sagte Poloskow schließlich, "wir müssen zurück." Wir schnitten einen Strauß dieser Spiegelblumen ab. Sie waren so schwer, als hätte man sie aus Stein gehauen. Wir trugen sie abwechselnd, und ich hätte am liebsten einen Teil davon weggeworfen. Aber Alissa war strikt dagegen. Schließlich langten wir mehr tot als lebendig am Schiff an. Zum Glück war in unserer Abwesenheit nichts passiert. "Na, wie sieht's aus", erkundigte sich Seljony, natürlich ein Mißerfolg, oder?" "Ein totaler Mißerfolg", antwortete Poloskow, während er die Schuhe auszog und sich auf dem Sofa in der Gemeinschaftskajüte langmachte. Alissa schleppte inzwischen zwei große Töpfe an und goß Wasser hinein, damit die Spiegelblumen nicht verwelkten. "Tja", sagte ich, "da war kein Raumschiff. Und zu allem Überfluß haben wir den Plapperschnabel verloren. Möglich, daß ihn der Vogel Krok erwischt hat." "Nur keine Panik", sagte Poloskow vom Sofa her, "gleich morgen mach ich mich daran, den automatischen Metallsucher zu reparieren. Wir fliegen erst von hier weg, wenn wir den Zweiten Kapitän gefunden haben."
Ich verspürte einen schmerzhaften Stoß gegen meinen Fuß, sah nach unten und entdeckte die
Diamantenschildkröte.
"Wie ist die hierhergekommen?" fragte ich Seljony. "Wir haben sie doch in den Safe gesperrt."
"Sie hat so gescharrt und geklopft, daß ich Mitleid bekam", erwiderte der Mechaniker. "Aber was
habt ihr da für seltsame Blumen mitgebracht?"
"Es sind Spiegelblumen", sagte ich.
Seljony trat an den Strauß heran und fragte erstaunt: "Spiegelblumen?"
ja, wieso?"
"Weil ich ganz was andres als mich sehe, wenn ich hineinschaue.
Ich drehte mich um und begriff, daß Seljony die Wahrheit sprach: Die Blumen spiegelten nicht ihn
wider, sondern Alissa. Über ihrem Kopf aber waren stark verkleinert Poloskow und ich selbst zu
erkennen. Und zwar befanden wir uns nicht hier im Mannschaftsraum, sondern auf der Lichtung.
"Das ist ja interessant", sagte ich. "Folglich spiegeln und speichern die Blumen, solange sie am
Leben sind, alles haargenau so, als ob sie fotografieren würden."
Tack-tack-tack! klopfte es plötzlich. Poloskow sprang vom Sofa und stürzte zum Bullauge.
Draußen saß der Plapperschnabel und klopfte gegen das Glas, um unsere Aufmerksamkeit zu
erregen.
"Was bist du doch für ein schlauer Kerl", sagte ich, "warte, wir lassen dich gleich herein." Der
Vogel öffnete beide Schnäbel gleichzeitig und sagte etwas, doch wir konnten ihn durch die dicke
Wand hindurch nicht verstehen.
Als ich zur Einstiegsluke rannte und sie öffnete, wartete der Vogel dort bereits auf mich. Er flog ins
Schiff hinein und steuerte sofort den Gemeinschaftsraum an. Sein Flug war unsicher, ich
bemerkte es, als ich ihm durch den Korridor folgte. Schließlich ließ er sich auf den Fußboden
nieder und ging hinkend zu Fuß weiter.
Poloskow öffnete die Kajütentür und sagte, als er den Plapperschnabel gewahrte: "Na, du Armer,
dich haben sie ja mächtig in die Mangel genommen!"
Der Vogel antwortete völlig unpassend: "Ich hab keine Kraft mehr. Kommt denn nicht bald Hilfe?"
"Das ist die Stimme des Zweiten Kapitäns", sagte Alissa, "er hat den Zweiten Kapitän gesehen!"
"Alissa", erwiderte ich, "der Zweite kann das auch schon vor vier Jahren gesagt haben. Du weißt
doch, was für ein gutes Gedächtnis der Plapperschnabel hat."
"Nein", widersprach Alissa, "ich bin fest überzeugt, daß er den Zweiten gesehen hat. Wir müssen
sofort zurück auf die Lichtung."
"Sofort kommt nicht in Frage", weigerte sich Poloskow. "Schon mir streiken die Beine, du aber bist
ein Mädchen. Du mußt doch zehnmal müder sein als ich. Außerdem kann der Kapitän dort, wo wir
waren, unter gar keinen Umständen sein. Wenn in zehn Metern Umkreis auch nur der kleinste
Knopf, das winzigste Schräubchen gewesen wäre - der Metallsucher hätte reagiert."
"Dann müssen wir eben über die zehn Meter hinaus", beharrte Alissa. "Wenn ihr nicht mitkommt
geh ich allein."
"Erst mal schläfst du", sagte ich streng. "Danach kehren wir gemeinsam zu der Lichtung zurück.
Schließlich haben wir uns vorgenommen, den Planeten erst zu verlassen, wenn wir den Kapitän
gefunden oder uns davon überzeugt haben, daß er nicht hier ist."
Wir schauen in die Vergangenheit Auf solch einem Planeten zu leben war gewiß nicht leicht. Als wir am nächsten Morgen. aufstanden, war es acht Uhr Bordzeit, draußen aber brach die Dämmerung herein - eine der kurzen Nächte begann. Während wir frühstückten, ging die Nacht vorüber, und ein neuer Tag zog herauf. Grelle Sonnenstrahlen erhellten die Gemeinschaftskajüte. Alissa warf einen Blick auf die Spiegelblumen in den Vasen und sagte: Seht mal, ich bin nicht mehr da." Die Spiegel, die gestern abend Alissa gezeigt hatten, gaben jetzt den Blick auf die uns wohlbekannte Lichtung frei, nur daß niemand darauf zu sehen w ar. Während wir noch hineinschauten, begann die Lichtung zu verblassen die Dämmerung senkte sich über sie. Wir
starrten in die dunklen Spiegel, und ich sagte: "Seltsame Blumen sind das. Geradezu Fotoapparate." Bald darauf wurden die Spiegel wieder hell. Wir waren so vertieft in dieses wundersame Schauspiel, daß wir darüber sogar das Frühstück vergaßen. Diese Blumen schienen gemächlich, Minute für Minute, alles zu fotografieren, was auf der Lichtung vorging. Das Ergebnis zeigten sie uns jetzt. "Möchte mal wissen, wie lange diese Blumen leben", sagte Poloskow mehr zu sich selbst. "Wahrscheinlich einige Tage", antwortete ich, "wie alle Blumen." Und da gewahrten wir in den Spiegeln das Abbild jenes kleinen Tieres, das an einen Hasen erinnerte. Es sprang aus den Büschen und rannte zu den Blumen. Die Spiegel waren noch etwas dunkel, und so begriffen wir nicht gleich, was an seinen Bewegungen merkwürdig anmutete. "Aber er springt ja mit dem Hinterteil voran!" rief Alissa. Das Tier bewegte sich in der Tat rückwärts zu den Blumen hin, um bald darauf, nachdem es eine Weile vor den Blüten verharrt hatte, auf dieselbe seltsame Weise zurück ins Gebüsch zu hoppeln. "Das ist ja verkehrtes Kino", Alissa lachte. "He, ihr Schlafmützen, spannt mal den Streifen richtig ein!" "Nein", erwiderte Poloskow, "das ist ganz und gar kein verkehrtes Kino. Diese Blumen sind nämlich nicht bloß Spiegel, sondern Spiegel, die fotografieren. Sie tun das, indem sie ununterbrochen Schicht um Schicht anhäufen. Millionen feinster Schichten. Kaum ist das eine Abbild fixiert, schon legt sich das nächste darüber. Und so fort. Wird aber so eine Blume abgeschnitten, kann sie keine Bilder mehr in ihrem Spiegel speichern, sie beginnen im Gegenteil von ihr abzufallen - ebenfalls Schicht um Schicht. Auf diese Weise bekommen wir die früheren Wahrnehmungen der Blume zu sehen, nur in umgekehrter Reihenfolge. Als ob ein Film rückwärts abgespult wird. Habt ihr verstanden?" "Kannst schon recht haben", gab ich zu, "wirklich eine interessante Blume. Trotzdem müssen wir jetzt gehen. Du solltest den Metallsucher startklar machen, Poloskow. Ich selbst fahre mit dem Geländemobil noch mal zu der Lichtung und schau nach, ob Überreste der `Blauen Möwe' zu finden sind." "Ich komme mit, Papa", sagte Alissa, "auch den Plapperschnabel nehmen wir mit." "Einverstanden." Ich ging hinunter, um den Wagen vorzubereiten. Alissa blieb in der Kajüte sie wollte noch ein bißchen Kino rückwärts sehen. "Alissa", rief ich und startete, "bist du bereit?" "Gleich, einen Augenblick noch! Und zwei Sekunden später. "Papa, komm ganz schnell! So beeil dich doch, sonst sind sie weg!" Ich war in drei Sätzen die Treppe hoch und stürzte in die Gemeinschaftskajüte. Alissa stand wie gebannt vor dem Spiegel. "Sieh mal dort", sagte sie, als sie mich hereinkommen hörte. Sämtliche Spiegel zeigten ein und dasselbe Bild: Mitten auf der Lichtung standen zwei Leute - der Dicke im Lederanzug und Doktor Werchowzew. Hinter den Büschen war die spitze Nase eines Expreß-Raumschiffs zu erkennen. Der Dicke und Werchowzew schienen sich zu streiten. Dann verschwanden sie, mit dem Hinterteil voran. "Sie müssen hier sein"" sagte Alissa, "nur sind sie nicht auf den Gedanken gekommen, daß die Blumen sie verraten." "Sieht tatsächlich so aus", erwiderte ich. "Aber warum, was haben sie vor?" "Tja, was?" "Wahrscheinlich wollen sie genau wie wir herausfinden, wo sich der Kapitän aufhält. Weshalb würden sie sonst so verzweifelt hinter dem Plapperschnabel herjagen?" "Vielleicht halten sie den Kapitän gefangen und haben jetzt Angst, daß es jemand erfährt? Ja bestimmt, sie haben den Zweiten eingesperrt, der Vogel aber konnte entwischen. Nun zittern sie, daß alles herauskommt." "Na, weißt du, weshalb sollte jemand den Kapitän gefangennehmen? Du hast wirklich eine rege Phantasie, Alissa."
"ja willst du denn nichts unternehmen? Alles so lassen, wie es ist?!" "Ganz und gar nicht", antwortete ich. "Es gibt nichts Talentloseres, als die Hände in den Schoß zu legen." Ich beugte mich zum Mikrofon hinüber, drückte die Taste und sagte: "Poloskow, Seljony, hört mal her. Alissa und ich haben im Spiegel soeben den Dicken und Werchowzew gesehen. Das aber bedeutet, die beiden waren hier. Mindestens einen Tag vor uns. Sie sind mit einem Expreß-Raumschiff gekommen. Was haltet ihr von der Angelegenheit? Gehe auf Empfang." "Nun bin ich tatsächlich überzeugt daß der Zweite irgendwo auf diesem Planeten ist", erwiderte Poloskow. "Und ich glaube, wir sollten schnellstens hier weg", brummte Seljony. Wir sind bloß zu dritt, der Pegasus aber ist gegen einen Angriff nicht gesichert. Wir sollten unverzüglich zum nächsten besiedelten Planeten fliegen und uns von dort aus mit der Erde oder dem Fix in Verbindung setzen. Die werden ein Spezialschiff des Galaktischen Sicherheitsdienstes entsenden und besser als wir mit unvorhergesehenen Dingen fertig werden." Was Seljony sagte, war einleuchtend. Andererseits neigte er dazu, Gefahren und Schwierigkeiten überzubewerten. Deshalb entgegnete ich: Vorerst macht niemand Anstalten, uns zu überfallen. Was natürlich nicht ausschließt daß wir gewisse Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen." "Richtig", stimmte Poloskow zu. "Hals über Kopf abfliegen möchte ich auf keinen Fall. Erst müssen wir alles in unseren Kräften Stehende unternehmen, um dem Zweiten Kapitän zu helfen." "Der Meinung bin ich auch", sagte Alissa. "Das gibt's nicht", sagte Seljony, "jetzt kommt's fast noch so heraus, als wäre ich feige. Dabei wollte ich bloß, daß wir mit Vernunft handeln. Immerhin haben wir ein Kind und wehrlose Tiere an Bord. Könnte ja auch passieren, daß wir, anstatt dem Kapitän zu helfen, nur selber Schaden erleiden. Doch wenn Poloskow entscheidet, daß wir bleiben sollen, kämpfe ich natürlich bis zur letzten Patrone." "Na, das wird hoffentlich nicht nötig sein", sagte ich. "Wir sind hergekommen, um herauszufinden, ob einer der Kapitäne hier in Not geraten ist. Keineswegs haben wir die Absicht, über jemanden herzufallen oder irgendwelche Kämpfe auszutragen." "Und ein so schutzloses Kind bin ich nun auch wieder nicht", sagte Alissa., "Also fahren wir jetzt auf die Lichtung?" "Warte", sagte ich, "wir schauen noch mal in die Spiegel." Dort jedoch tat sich nichts mehr. So stiegen Alissa und ich schließlich in den Geländewagen, um die Lichtung und ihre Umgebung abzusuchen. Das einzige, was wir fanden, waren Landespuren eines Raumschiffs hinter den Hügeln. Das Gras war von den Bremstriebwerken versengt, und durch die Büsche hindurch führte ein schmaler Pfad zur Lichtung. Gegen Mittag waren wir wieder zurück. Wir fanden Seljony in der Gemeinschaftskajüte; er stand nachdenklich vor den Spiegelblumen und bearbeitete mit einer Hand seinen roten Bart. In der anderen hielt er den VibroRasierer. "Ist was, Seljony?" fragte ich. "Ich denke nach , antwortete der Mechaniker. In den Spiegeln zeigte sich ein stiller sonniger Tag. "Ich denke darüber nach", fuhr Seljony fort, "wie lange diese Blumen leben." "Wahrscheinlich einige Tage", sagte ich. ,Und wenn's nun nicht bloß ein paar Tage sind, sondern viele Jahre? Vielleicht speichern sie Jahr für Jahr alles, was um sie her geschieht? Sieh doch nur mal, wie dick ihre Spiegel sind - jeder mindestens sechs Zentimeter. Und überaus massiv. In den zwei Tagen, die sie sich jetzt bei uns befinden, sind sie nicht die Spur dünner geworden. Was meinst du, Alissa, soll ich eine der Blumen mal unters Messer nehmen?" "Aber klar", sagte Alissa, die sofort begriffen hatte, worum's ging. Der Mechaniker trug eine der Blumen ins Labor, befestigte sie mit Klemmen auf dem Tisch und begann die komplizierte Operation. "Ich nehme gleich einen ganzen Zentimeter ab", sagte er.
"Nein", erwiderte ich, "fang lieber mit einer dünnen Schicht an. Ist ja noch nicht erwiesen, ob bei der Sache was herauskommt." Seljony ging auf meinen Vorschlag ein und schaltete den Vibro-Rasierer an. Der Indikator, weiß vor Neugier, kam aus seiner Ecke hervor und stand nun dicht neben uns, still von einer Stelze auf die andre tretend. Auch die Büsche begannen sich in ihrem Käfig zu regen - sie glaubten, es gäbe Kompott. Und die Weberspinne hielt sogar im Schalstricken inne. Eine hauchdünne Schicht, durchsichtig wie ein Zellophanstreifen, löste sich vom Spiegel. Seljony nahm sie vorsichtig ab und legte sie auf den Tisch. Einige Sekunden lang blieb der Spiegel völlig dunkel, doch als ich gerade zu dem Schluß kommen wollte, die Operation sei ergebnislos verlaufen, wurde er plötzlich wieder hell. Diesmal zeigte er einen trüben, windigen Tag. Es hat schon alles seine Richtigkeit", sagte Alissa, "wir sind tiefer in die Vergangenheit eingedrungen." "Aber wie können wir bloß die Tage ausrechnen?" grübelte ich laut vor mich hin. "Wir wissen doch gar nicht, wie dick die Schicht eines Tages ist." Der Mechaniker achtete nicht auf meine Worte. Er fuhr mit dem Messer unter den Spiegelrand und hob gleich einen Streifen von einem halben Zentimeter Dicke ab. Die Schicht gab nach, und der Indikator, vor Ungeduld ständig die Farbe wechselnd, konnte sich nicht mehr zurückhalten - er steckte seine spitze Nase unter Seljonys Hand. "So was", schimpfte der Mechaniker, Wie soll ich arbeiten, wenn man mich dauernd daran hindert!" "Er hat's nicht gewollt", Alissa nahm den Indikator in Schutz. "Das ist doch interessant für ihn!" "Nicht nur für ihn", sagte Seljony. "Aber ich kann für nichts garantieren." "Mach schon weiter", bat, ich. Seljony nahm behutsam die nächste Schicht ab. "Es ist wie das Glas im Bullauge", sagte er, "nur daß es sich biegen läßt." Wir beugten uns alle über den dunklen Spiegel, der ein bißchen dünner geworden war. Allmählich nahm er eine helle Färbung an. Es war die gleiche Lichtung, nur daß das Gras jetzt bräunlich aussah, die Büsche kahl und die wenigen Blätter gelblich waren. Keinerlei Schmetterlinge oder Bienen - ein tristes Bild. Vom trüb-verhangenen Himmel nieselte leichter Schnee, blieb aber nicht liegen, sondern taute auf den Grashalmen. "Es ist Herbst", sagte Alissa., "Stimmt", bestätigte Seljony. Er ging mit einer Lupe an den Spiegel heran und fuhr fort: "Mit dem bloßen Auge erkennt man's nicht, aber es sieht gar zu eigenartig aus, wie die Schneeflocken von den Sträuchern langsam zum Himmel aufsteigen." Wir betrachteten der Reihe nach den Schneefall-rückwärts. Selbst der Indikator ließ sich das nicht nehmen und strahlte vor Verblüffung wie hellgrüner Kopfsalat. "Wieviel Zeit ist seit dem Herbst vergangen?" erkundigte sich Seljony. "jetzt haben wir Sommer", sagte ich, "ein Jahr dauert hier reichlich vierzehn Erdenmonate. Also müßte etwa ein Erdenjahr verstrichen sein." "So", Seljony holte ein Mikrometer aus dem Schrank, "jetzt werden wir gleich genau wissen, wie alt der Spiegel ist und . . - . . und wieviel wir abheben müssen, um die Lichtung vor vier Jahren zu sehen", beendete Alissa den Satz.' "Fürs erste schneiden wir ein bißchen weniger als vier Jahre ab", schlug Seljony vor. "Ist das nicht schon zuviel?" fragte ich. "Wenn wir ein zu dickes Stück erwischen, verpassen wir den Augenblick, an dem der Zweite Kapitän hier war." "Das wär auch kein Beinbruch", erwiderte der Mechaniker und machte sich ans Ausmessen der Spiegeldicke, "wir haben noch einen ganzen Strauß von diesen Blumen." Während Seljony sprach, bemerkte ich aus den Augenwinkeln, daß die Diamantenschildkröte ganz schnell zum Ausgang des Labors trippelte. Hatte sich dieser verdammte Quirl doch
tatsächlich wieder aus dem Safe gesehmuggelt! Ich wollte sie schon einfangen, überlegte es mir
aber anders. Ich durfte nicht den Zeitpunkt verpassen, wenn Seljony die vier Jahre vom Spiegel
schnitt.
"Wie sieht's aus bei euch?" erkundigte sich Poloskow über Funk; er war noch immer mit dem
Metallsucher beschäftigt.
"Alles in Ordnung", sagte ich.
"Ich werde mit dem Metallsucher mitfliegen", erklärte er, "ich möchte ihn nicht allein losschicken,
er funktioniert noch immer nicht richtig."
"Wenn du nach der Blauen Möwe' Ausschau hältst", warnte ich, "vergiß das andere Raumschiff
nicht, das sich möglicherweise auf dem Planeten befindet."
"Ich werde dran denken."
"Bleib auch in Funkkontakt mit uns - sollte was sein, kannst du uns gleich benachrichtigen."
"Wird gemacht."
"Vielleicht haben wir eine Überraschung für dich, wenn du zurückkommst."
"Das wäre großartig! Aber ich liebe nur gute Überraschungen. Schlechte kann ich nicht ausstehn."
Dann startete Poloskow; man hörte das Brummen des Metallsuchers, der sich in die Luft erhob.
"Ich bin soweit", sagte Seljony, "wollen wir's wagen?"
Nun nahm der Mechaniker bereits die dritte Schicht vom Spiegel ab. Diesmal war sie so dick, daß
er sie kaum halten konnte. Die Blütenblätter waren alle abgefallen, und auf dem Tisch lag jetzt nur
noch das runde, wie ein Teller nach innen gedrückte Mittelstück.
Die Oberfläche wollte sich lange Zeit nicht aufhellen, es war eben doch eine Ewigkeit her, daß sie
Tageslicht gesehen hatte.
Als dann endlich das Abbild der Lichtung auftauchte, begriffen wir, daß sie ganz und gar nicht so
beschaffen war, wie wir sie kannten. Die runde Fläche in der Mitte, inzwischen mit Gras
bewachsen, wirkte kahl und grau wie der
Betondeckel einer gigantischen Luke. Man konnte sogar den Spalt ringsum erkennen, der diesen
Deckel vom übrigen Boden trennte.
"Na bitte!" Alissa triumphierte. "Es ist die richtige Lichtung."
"jetzt ganz vorsichtig", warnte ich, "bloß nicht zuviel abschneiden."
"Das weiß ich selber", sagte Seljony "bin doch kein kleiner Junge." Doch der Schnitt gelang nicht.
Der Indikator, fleckig, hell, ja fast durchsichtig vor Ungeduld und brennender Neugier, stieß dem
Mechaniker im entscheidenden Moment versehentlich gegen den Ellbogen. Der Vibro-Rasierer
glitt über die Spiegelfläche und drang tief hinein. Der Spiegel zersprang und fiel zu Boden.
Der Indikator, wurde um die Hälfte kleiner und zusehends schwärzer vor Scham. Er forderte, wir
sollten ihn totschlagen, und jagte durchs Labor, dabei den wütenden Mechaniker immer wieder mit
seinen Stelzen streichelnd. Schließlich legte er sich auf den Boden und nahm eine fiefschwarze
Färbung an.
"Nimm dir's nicht so zu Herzen", tröstete Alissa ihn, "so was kann jedem mal passieren. Wir
wissen doch, daß du es nicht gewollt hast." Und an den Mechaniker gewandt der nach wie vor
wüste Verwünschungen gegen den kleinen Kerl ausstieß: "Bitte, Seljony, jetzt ist's genug! Du
weißt, wie empfindsam diese Indikatoren sind, am Ende stirbt er uns noch vor Kummer."
"Alissa hat recht", sagte, ich, "wir haben ja noch einen ganzen Strauß, es waren deine eigenen
Worte."
"Ist ja schon gut", lenkte Seljony ein. Er war im Grunde weder nachtragend noch böse. "Schade
nur um die Zeit, die wir vergeudet haben. Noch eine Minute, und wir hätten vielleicht erfahren, was
mit dem Zweiten Kapitän los ist."
Als der Indikator das hörte, schrumpfte er noch mehr zusammen.
Mit dem Mechaniker an der Spitze, kehrten wir in die Gemeinschaftskajüte zurück. Der Indikator
trottete, noch immer nahezu schwarz, hinterdrein, die spitzbübischen Büsche aber streckten ihre
Zweige aus, damit er über sie stolperte und hinfiel.
Wir hatten kaum die Kajütentür geöffnet als Seljony auch schon einen Ruf des Entsetzens
ausstieß.
Ich schaute ihm über die Schulter: Beide Vasen lagen am Boden, die Blumen aber waren allesamt
zertrümmert, zertreten, von einer bösartigen Macht vernichtet. Kein einziger Spiegel, der heil
geblieben wäre. Die Blütenblätter waren durchs ganze Zimmer gewirbelt worden.
Und zu allem Überfluß war auch der Plapperschnabel wieder verschwunden.
Der Spion Die Blumen vernichtet, der Plapperschnabel verschwunden - wir standen vor dem Nichts. Wie
sollten wir dem Kapitän jetzt noch helfen?
Ich griff nach dem Mikrofon und rief Poloskow. "Gennadi", sagte ich, "bei uns ist was
schiefgelaufen. Wo bist du im Augenblick?"
"Über dem Nordpol des Planeten, doch bisher hab ich nichts entdecken können. Was ist los bei
euch?"
"Das kann ich nicht so schnell erzählen. Jedenfalls haben wir mit Hilfe der Spiegelblumen in
Erfahrung gebracht, was hier vor vier Jahren geschehen ist. Oder genauer, -wir hätten's um ein
Haar erfahren. Doch im entscheidenden Moment hat jemand sämtliche Spiegelblumen
zerschlagen. Wir müssen unbedingt ein paar neue beschaffen. Wie lange brauchst du bis zur
Lichtung?"
"Etwa zwanzig Minuten", sagte Poloskow, "und genausolange für die Landung."
"Dann hat sich's erledigt, setz deinen Flug fort."
"Ich denke gar nicht daran", erwiderte Poloskow. "Ich komme umgehend zum Pegasus' zurück.
Wenn jemand die Blumen vernichten konnte, so bedeutet das, in der Nähe, wenn nicht gar auf
dem Schiff selbst befinden sich Feinde. Unternehmt nichts ohne mich."
In Ordnung."
Als ich das Mikrofon wieder an seinen Platz gehängt hatte, sagte Alissa: "Laß uns schnell zur
Lichtung laufen."
"Wozu?" fragte ich.
"Begreifst du das wirklich nicht? Wir müssen neue Blumen pflücken. Ihr Geheimnis ist offenbar so
wichtig, daß
"Hör zu, Alissa..."
"Ich nehme den Geländewagen und fahre hin", ließ sich Seljony vernehmen. "Mir wird nicht das
geringste passieren. Ich werde die Schicht der vier Jahre gleich an Ort und Stelle abschneiden
und euch das Ergebnis über Funk durchgehen."
"Ich fahre mit", rief Alissa.
"So wartet doch!" widersprach ich. "Poloskow wird bald hier sein. Wir nehmen seinen Gleiter,
damit kommen wir bedeutend schneller zur Lichtung als mit dem Mobil. Außerdem ist es besser,
wenn wir uns jetzt nicht trennen. In der Zwischenzeit sollten wir lieber nachschaun, -wie der
Fremde aufs Schiff gelangen konnte, der die Spiegel zerschlagen hat."
Ich lief in den Korridor und zur Einst iegsluke. War sie geschlossen, so mußte sich der Übeltäter an Bord befinden, war sie jedoch geöffnet hatte sich irgendwer Zutritt zum "Pegasus" verschafft und nach seiner Missetat das Weite gesucht. Doch an die zweite Variante glaubte ich nicht recht. Wie hätte ein Fremder gänzlich unbemerkt aufs Schiff gelangen und den Weg zur Gemeinschaftskajüte finden sollen? Und warum hatte er das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt getan, als wir vier Jahre zurückschauen wollten? Woher wußte er überhaupt davon? Mir wurde schlagartig klar: Der Übeltäter mußte an Bord und genau informiert sein, daß wir drauf und dran waren, das Ge heimnis um den Zweiten Kapitän zu lüften, Es mußte jemand sein, der uns die ganze Zeit beobachtet hatte ... Aber wer bloß? Im Labor hatten sich, den Indikator nicht mitgerechnet, der Mechaniker, Alissa und ich aufgehalten. Na eben, der Indikator! Er war es doch, der Seljony im entscheidenden Moment angestoßen hatte! ... Doch nein, ausgeschlossen. Der Indikator war zwar ein höchst empfindsames Wesen, aber eben nur ein Tier. Nicht mal sprechen
konnte er. Oder wollte er bloß nicht? Dann war ich bei der Luke angelangt: Sie stand weit offen. Alle meine Theorien zerfielen in tausend Scherben. Wie sollten sie auch nicht. Wäre ich in meinen Überlegungen nämlich ein kleines Stück weitergegangen, hätte ich mich erinnert, daß der Indikator keine Sekunde von unserer Seite gewichen war und also die Spiegel in der Mannschaftskajüte gar nicht zerschlagen konnte. Die Luke war geöffnet; der geheimnisvolle Unbekannte aber hatte das Schiff verlassen und obendrein unseren wertvollen Plapperschnabel entführt. Vielleicht den letzten Plapperschnabel auf der Welt. Die Wiese vor dem Raumschiff lag sonnenüberstrahlt da, die Sträucher grünten, und die Vögel zwitscherten. Mit einem Wort - Friede und Eintracht. Einfach nicht zu glauben, daß hier derart schlimme Dinge passiert waren. Ich schaute zum Himmel - kam Poloskow nicht endlich? Doch von ihm war vorerst nichts zu entdecken. Nur der Vogel Krok kreiste ganz hoch oben, in unmittelbarer Nähe der Wolken. "Zu Hilfe, ihr Kapitäne!" hörte ich plötzlich eine sehr vertraute Stimme. "Nur vorwärts, an Ort und Stelle werden wir weitersehn!" "Wo bist du, Plapperschnabel", rief ich, "brauchst du Hilfe? Ich eile!" "Drei Panzerfahrer", sang der Plapperschnabel aus den Büschen heraus mit der Stimme des Ersten Kapitäns, "drei fröhliche Freunde . . ." Ich rannte in die Richtung, aus der die Stimme kam, bog die Zweige auseinander und entdeckte den Plapperschnabel. Er konnte nicht fliegen, denn er schob mit dem einen Schnabel die schwere Diamantenschildkröte vor sich her, gebrauchte zur Unterstützung auch Beine und Flügel. Mit dem freien Schnabel aber sang er die Lieder des Kapitäns, um auf diese Weise Hilfe herbeizuholen. "Hab vielen Dank, Plapperschnabel", sagte ich, "vielen herzlichen Dank! Wir waren schon in großer Sorge um dich, fragten uns, wo du nun wieder stecken könntest." Der Plapperschnabel reckte stolz die Brust heraus und legte akkurat die Flügel an - er hatte sein Werk getan. Ich hob die Diamantenschildkröte auf. "Bist wirklich ein Prachtkerl", sagte ich zu dem Plapperschnabel, "hast bemerkt, daß dieser Spitzbube wieder mal ausreißen wollte, hast ihn eingefangen und nach Hause gebracht. Dafür stehen dir mindestens fünf Stückchen Zucker zu." Ich ging zum Schiff zurück, der Plapperschnabel stolzierte gemächlich hinterdrein. Er war zufrieden mit sich. "Du bist aber auch ein dummes Ding", wandte ich mich an die Schildkröte, "wirst dich noch mal verirren. Wer soll dich dann füttern? Du scheinst vergessen zu haben, daß du ein seltenes Tier bist und dem Moskauer Zoo gehörst. Du darfst also nicht immer weglaufen.. ." In diesem Augenblick vernahm ich lautes Flügelschlagen über mir und war mit zwei Sätzen am Schiff. Mittlerweile erkannte ich den Vogel Krok schon am Geräusch. Der Plapperschnabel schlüpfte zusammen mit mir in die Luke, und wir verriegelten sie. Während der Krok mit seinem eisenharten Schnabel gegen den Lukendeckel pochte, setzten wir uns erst mal auf den Fußboden und holten tief Luft. Alissa und Seljony kamen uns im Flur entgegengerannt. Sie waren meinetwegen schon in Sorge. "Ende gut, alles gut", sagte ich. "Unser Plapperschnabel ist tatsächlich ein Schlauberger. Er hat gesehen, daß die Diamantenschildkröte wieder mal auf Wanderschaft gehen wollte, und sie eingeholt. Sie muß einen ganz schönen Schreck bekommen haben, unsere Ausreißerin! Die Schildkröte zappelte mit den Beinen, steckte die Krallen heraus und wollte sich freimachen. "Aber wie ist sie überhaupt rausgekommen", wunderte sich Alissa, "die Luke war doch zu?" "Nichts einfacher als das", antwortete ich. "Der Fremde, der die Spiegel zerschlagen hat, ließ auch die Luke offen." "Und woher hatte er den Schlüssel zum Schiff? Wo ist er überhaupt der elektronische Schlüssel vom Pegasus'? Er hing doch immer in der Gemeinschaftskajüte." "Diesem Geheimnis würde nicht mal Sherlock Holmes auf die Spur kommen", sagte Seljony. "Ich dagegen weiß es schon jetzt", erklärte Alissa. "Was weißt du?"
"Des Rätsels Lösung ist in deiner Hand.", Ich schaute auf meine Hände, sie waren mit der Diamantenschildkröte beschäftigt. "Da komm ich nicht mit." ,Sieh doch mal, was sie im Maul versteckt hält." Die Schildkröte hatte den Kopf in den Panzer gezogen, doch das Ende des elektronischen Schlüssels schaute noch heraus. Ich zog am Schlüssel - die Schildkröte wehrte sich, hielt ihn fest umklammert, und ich mußte mich ziemlich anstrengen, um ihn ihr endlich zu entreißen. Gleich darauf klickte es in der Schildkröte, und ihre Pfötchen, besetzt mit kleinsten Edelsteinen, rutschten kraftlos unter dem Panzer hervor, blieben reglos in der Luft hängen. "Na, dann gib sie mir rüber, diese Schildkröte", sagte Seljony. "Wolln mal sehn, was sie uns zu sagen hat.“ Ich begriff noch immer nicht, was vorging, und reichte dem Mechaniker die tote Schildkröte; den Schlüssel hängte ich zerstreut an seinen Platz zurück. Seljony aber legte die Schildkröte auf den Tisch, betrachtete sie von allen Seiten; holte einen Schraubenzieher aus der Tasche seiner Montur und machte sich dann unter dem Panzer des Tieres zu schaffen. Der Panzer klickte wie der aufspringende Deckel einer Schatulle, fiel zur Seite herunter und gab den Blick auf eine Unmenge von elektronischen Elementen, Specherzellen und Atombatterien frei - die Schildkröte erwies sich als ein kunstvoll gefertigter Miniaturroboter ... "Nun wird mir auch klar, warum sie ununterbrochen auf Achse war", sagte Alissa. "Mal zog es sie in den Maschinenraum, dann wieder rannte sie hinter uns her. Und weißt du noch, Papa, sie trieb sich immer dann in unserer Nähe herum, wenn wir wichtige Dinge zu besprechen hatten." "Ein Wunderwerk der Technik", sagte Seljony anerkennend. "Hier gibt's eine Sendeanlage und sogar einen kleinen Antigravitator." "Folglich wußte der Dicke um jedes Wort das hier gesprochen wurde", sagte ich. "Aber ja, der Dicke!" rief Alissa aus. "Die Schildkröte war sein Geschenk!" "Ich konnte es ihm unmöglich abschlagen", rechtfertigte ich mich, "er hat sie mir regelrecht aufgedrängt für unseren Zoo." "Ist ja noch ein Glück, daß er dem Zoo keine Zeitbombe geschenkt hat", sagte Seljony finster. Da habt ihr ihn, den inneren Feind. Die Schildkröte hat im Labor mit angehört daß wir eine Methode gefunden haben, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, und bekam postwendend Befehl, uns daran zu hindern. Daraufhin hat sie alle Blumen in unserer Kajüte vernichtet. Und ich möchte um sonstwas wetten, daß auch auf der Lichtung keine Blume mehr heil ist. Die Besitzer der Schildkröte haben sich bestimmt gesputet." "Richtig", sagte Alissa, schnappte sich den Schlüssel und rannte davon. "Stimmt-, sagte auch ich, "allerdings haben wir jetzt gegenüber Werchowzew und dem Dicken einen Vorteil." "Und der wäre?" "Sie wissen nicht, was wir wirklich in dem Spiegel gesehen haben." "Das ist im Augenblick nicht entscheidend", sagte Seljony. "Sondern?" "Wichtig wäre zu wissen, weshalb die Schildkröte so plötzlich auf und davon wollte." Sie hat eben ihre Arbeit getan und dann das Weite gesucht", antwortete ich. "Aber wir hegten doch keinerlei Verdacht gegen sie. Sie hätte weiter spionieren und ihren Herren Bericht erstatten können. Aber nein, sie ist weggerannt." "Vielleicht wurde sie an anderer Stelle dringender gebraucht?" "Das glaub ich kaum", sagte der Mechaniker. "Mir will die Geschichte nicht schmecken. Bestimmt hat sie hier irgendwo eine Zeitbombe gelegt, so daß wir jeden Augenblick in die Luft fliegen können. Wir und die Tiere. Deshalb schlage ich vor, das Schiff umgehend zu räumen." "Moment mal", entgegnete ich, "wenn sie uns wirklich in die Luft sprengen wollten, hätten sie das schon früher tun können." Im Korridor wurden schnelle Schritte laut und Poloskow kam in die Kajüte gestürzt. Er entdeckte die auseinandergenommene Schildkröte auf dem Tisch und war sofort im Bilde.
Folglich sind sie noch auf dem Planeten", sagte er. "Ohne ihren Befehl
hätte die Schildkröte die Spiegel niemals vernichtet, sie ist ja nur ein Roboter."
"Bestimmt haben sie ihr auch befohlen, eine Sprengladung bei uns anzubringen und sich
abzusetzen", wiederholte Seljony.
Wir sahen Poloskow an, warteten, was er dazu sagen würde.
"Ach Unsinn!" war sein Kommentar.
"Warum ist sie dann weggelaufen?"
"Sie wollte ihnen den Schlüssel vom Pegasus' bringen", erwiderte Poloskow. "Was aber nützt
ihnen der Schlüssel eines in die Luft gesprengten Schiffs?"
"Natürlich gar nichts", sagte Alissa, "wir haben wirklich einen klugen Kapitän!"
"I wo! Ich bin nur durchschnittlich begabt", widersprach Poloskow.
"Dafür sind wir richtig, dumm!" rief Alissa begeistert aus. "Wir hätten selber darauf kommen
müssen, daß die Schildkröte keine Bombe gelegt hat. Wann hätte sie sie denn beschaffen
sollen?"
"Auch wieder wahr, sagte Poloskow. "Doch wichtig ist jetzt etwas ganz anderes. Werchowzew und
der Dicke vermuten, daß wir dem Geheimnis um den Zweiten Kapitän auf die Spur gekommen
sind, und werden uns unter Garantie einen Besuch abstatten. Ob sie das geheim oder in aller
Offenheit tun, weiß ich nicht, jedenfalls sollten wir auf ihren Besuch vorbereitet sein."
"Und was ist nun mit den anderen Blumen? Bei Licht besehen, wissen wir noch immer nichts."
Wo ist das Mädchen? Es ist gar nicht so einfach, mit einem Raumschiff nur aufzusteigen, um ein paar Kilometer weiter
wieder zu landen. Das ist viel schwieriger, als den Planeten zu verlassen. Nicht jeder Kapitän
würde sich auf ein solches Unterfangen einlassen.
Doch Poloskow hatte beschlossen, mit dem "Pegasus" auf, die Lichtung umzusiedeln. Im Schiff
waren wir geschützt und niemand würde es ohne unsere Zustimmung betreten können.
Während Poloskow Berechnungen anstellte, wie er diesen Katzensprung am besten
bewerkstelligen sollte, waren wir dabei, alles festzubinden, die Tierkäfige zu überprüfen und das
Geschirr in den Schrank zu räumen. Eine halbe Stunde später war der "Pegasus" startklar.
Wir versammelten uns auf der Brücke. Poloskow setzte sich ans Steuerpult, ich nahm den Platz
des Kopiloten ein, Alissa den Sessel hinter mir.
"Sind die Triebwerke bereit?" fragte Poloskow über Mikrofon.
"Alles in Ordnung", antwortete Seljony aus dem Maschinenraum.
Doch Poloskow hatte das Startzeichen noch nicht gegeben, als ein weißer Feuerstrahl den blauen
Himmel durchschnitt. Unmittelbar neben uns setzte ein anderes Raumschiff auf. Der gewaltige
Stoß ließ die Erde erzittern und drückte die Bäume zur Seite.
"Warte noch", sagte Poloskow zu dem Mechaniker und schaute durchsBullauge.
"Was gibt's denn bei euch?" fragte Seljony.
"Wir haben Nachbarn bekommen."
"Wer ist es?"
"Das weiß ich noch nicht. Ich kann es durch die Bäume nicht sehen. Aber richte dich auf einen
Schnellstart ein, vielleicht sind sie's."
"Was denn, Werchowzew und der Dicke?"
"Genau."
Wir erhoben uns halb aus unseren Sesseln und starrten gebannt zum Wald hinüber. Über den
Bäumen ragte, kaum zweihundert Meter von uns entfernt die Nase des Raumschiffs auf. Mir war
sogar, als hörte ich, wie die Luke des fremden Schiffes auffuhr und die Gangway
heruntergelassen wurde ... Da rannten sie auch schon die Treppe herunter und durchs Gebüsch.
Waren es Freunde oder Feinde?
Die Sträucher wurden auseinandergeschoben, und ein Mann näherte sich dem "Pegasus". Er trug
einen Skaphander, freilich ohne Helm. Am Gürtel des Mannes hing eine Pistole. Der Fremde hob
den Arm, gebot uns stehenzubleiben. Und gleich darauf erkannten wir ihn.
"Es ist Doktor Werchowzew", sagte Alissa, "ohne Hut."
"ja, er ist es", bestätigte Poloskow, und ins Mikrofon: "Seljony, Start!"
Das Schiff reagierte prompt auf das Kommando, ein Ruck durchfuhr seinen Körper, die
Triebwerke begannen zu dröhnen, und wir erhoben uns, Tempo gewinnend, in die Luft.
"Ausgezeichnet, Seljony", sagte Poloskow.
"Wer war es?" erkundigte sich der Mechaniker.
"Werchowzew."
Der "Pegasus" hing eine Sekunde lang über dem Platz, und Doktor Werchowzew trat den
Rückzug an, er suchte Schutz in den Büschen. Er fuchtelte mit den Armen und wirkte sehr erbost.
"Haha", rief Alissa, obwohl der Doktor uns nicht hören konnte, "deine Arme sind wohl nicht lang
genug?"
"Alissa", sagte ich vorwurfsvoll, "spricht man so mit Erwachsenen?"
Poloskow lachte.
"Diesmal war er ohne Hut", stellte Alissa fest, ohne meine Worte zu beachten, "er hat ihn in der
Eile verloren."
Der "Pegasus" legte sich in die Kurve, um Kurs auf die Lichtung zu nehmen, und gleich darauf war
unser Feind nicht größer als ein e Ameise. Ich bemerkte gerade noch, daß er hastig zu seinem
Schiff zurückeilte.
Jetzt haben wir einen ziemlichen Vorsprung", sagte Poloskow. Bis sie in ihrem Schiff sind, die
Luken dichtmachen und die Triebwerke zünden, vergeht eine halbe Stunde. In dieser Zeit müssen
wir den Zweiten Kapitän finden. Das wird keine leichte Aufgabe."
"Ist sogar gut, daß sie uns aufhalten wollten", sagte Alissa, "nun wissen wir wenigstens, daß sie
nicht auf der Lichtung sind."
Da war die kreisrunde Lichtung auch schon unter uns. Poloskow peilte genau die Mitte an, und als
wir vorsichtig niedergingen, entdeckte ich ringsum eine Menge glitzernder Pünktehen - sie
erinnerten an funkelnden Rauhreif. Erst als wir gelandet waren, begriff ich, daß es sich um die
Splitter der zerschlagenen Spiegelblumen handelte. Wir hatten richtig vermutet: Unsre Feinde
hatten es tatsächlich geschafft sie zu vernichten.
Der "Pegasus" stand nun auf seinen Landestützen mitten im Gras, und Alissa schnallte sich als
erste los. Sie hatte es gar zu eilig, auf die Lichtung hinauszukommen. In diesem Moment erzitterte
das Schiff und kippte zur Seite ab, so daß Alissa in die Ecke flog. Seljony rief von unten: "Was
geht denn jetzt los?!"
Danach folgte ein Stoß und noch einer, die Landestützen knickten weg, unser Schiff stürzte in
einen Abgrund. Ich wollte mich ebenfalls losschnallen, um Alissa zu Hilfe zu eilen, doch ein dritter
und letzter Stoß betäubte mich derart, daß ich die Besinnung verlor. Als ich wieder zu mir kam,
stand der Pegasus", stark zur Seite geneigt in tiefem Dunkel. Es war sehr still ringsum.
"Alissa", rief ich, mich beim Abschnallen in den Riemen verheddernd, wie fühlst du dich?"
"Normal", antwortete Alissa gelassen, "hab mich nur ein bißchen gestoßen."
"Oje", ertönte von fern die Stimme des Mechanikers, "wo hast du uns bloß hingesetzt, Poloskow!
Hier kommen wir doch nie und nimmer wieder raus."
"Bist du wohlauf?" erkundigte sich Poloskow.
"Bin ich", erwiderte Seljony, "trotzdem hätte ich gern gewußt, wo wir hier eigentlich sind. Sind wir
von einem Berg herabgefallen?"
"Schlimmer", sagte Poloskow und schaltete die Notbeleuchtung auf der Brücke ein. Die
Instrumentenskalen auf dem Steuerpult flammten auf wie ein Sternenhimmel. "Wir sind in die Erde
versunken."
Mir wurde schlagartig bewußt, daß ich die Schuld an dieser Katastrophe trug, Ich hätte Poloskow
warnen, ihm sagen müssen, was wir in der Spiegelblume gesehen hatten.
"Man sollte mir den Kopf abreißen", schimpfte ich, "und selbst das wär noch zuwenig! Vier Jahre
zuvor hat der Spiegel eine Betonplatte an dieser Stelle gezeigt!"
"Aber ja", sagte Alissa. Sie war in der Finsternis zu mir gekrochen und hatte meine Hand
genommen. "Natürlich, da war eine Platte. Wir haben vergessen, es Poloskow zu sagen."
"Was für eine Platte?" fragte der Kapitän.
Ich erzählte ihm, daß hier vor vier Jahren kein Gras gewesen war, sondern eine kreisrunde Platte,
deren Bänder wir im Spiegel sogar hatten erkennen können.
"Hätte ich das vorher gewußt, wäre ich ganz gewiß nicht hier gelandet", sagte Poloskow.
Er war sehr bedrückt. Jeder Kapitän ist bedrückt, wenn seinem Schiff ein Mißgeschick zustößt.
"Na schön", sagte Poloskow, der sich zu beherrschen verstand, "wir werden darüber keine Tränen
vergießen. Seljony, hörst du mich?"
"Ja, ich höre."
"Hol die Lampen aus der Gerätekammer und sieh nach, ob es ernsthafte Schäden im
Maschinenraum gibt."
"Ich bin schon dabei", sagte Seljony.
Poloskow drückte die Knöpfe auf dem Steuerpult und überprüfte, ob die Bordgeräte noch intakt
waren. Das Ergebnis befriedigte ihn.
"Hört zu", sagte er, "ernsthafte Schäden haben wir meiner Meinung nach nicht erlitten, allerdings
ist eine der Landestützen bei dem Sturz abgebrochen. Ich werde jetzt hinausklettern und
nachschaun, wie man das am besten reparieren kann. Ihr andern bleibt auf dem Schiff."
"Kommt gar nicht in Frage", widersprach ich. "Du wirst an Bord viel mehr
benötigt. Sollte irgendwas passieren, kann der Pegasus ohne dich nicht starten. Ich werde gehen."
"Nein, ich", schaltete sich Seljony aus dem Maschinenraum ein, der unser Gespräch mit angehört
hatte.
"Ich gehe mit", ließ sich auch Alissa vernehmen.
Wir konnten uns nicht einig werden und begaben uns alle drei zur Luke.
"Seltsam", sagte Poloskow, während er sich an der Luke zu schaffen machte, "wenn wir in eine
Grube gefallen wären, müßte doch Licht von oben hereinfallen. Hier dagegen ist es völlig finster."
"Vielleicht sind wir sehr tief gefallen", sagte Alissa.
"Das glaube ich kaum, da wäre mehr zu Bruch gegangen als die eine Landestütze. Die Grube ist
nicht allzu tief." Poloskow öffnete die Luke - überall totale Finsternis. "Da seht ihr's" fuhr Poloskow
fort. "Gib mir mal die Lampe rüber, Seljony."
"Himmel, ich kann nicht", rief der Mechaniker erschrocken, Jemand hält mich am Bein fest.
Noch ehe ich ihm zu Hilfe eilen konnte, hatte Seljony die Lampe eingeschaltet und leuchtete die
Umgebung ab, um zu sehen, wer ihn angefallen hatte.
Es war aber nur der Indikator gewesen. Er hatte Angst in der Dunkelheit gehabt sich schlecht und
recht aus seinem Käfig befreit und uns an der Luke eingeholt. Im Licht der Lampe sah der
Indikator völlig gelb aus vor Angst; er zitterte am ganzen Körper und schmiegte sich an Seljonys
Bein.
Poloskow nahm die Lampe und richtete ihren starken Strahl nach vorn. Aber auch dort herrschte
Finsternis - die Grube, in die wir geraten waren, mußte riesig sein. Als Poloskow nach oben
leuchtete, stieß der Lichtstrahl gegen eine glatte Begrenzung.
"Wie in einem Teekessel", sagte Poloskow. "Wir sind hineingefallen, und der Deckel ist
zugeklappt." Dann leuchtete er nochmals die ganze Umgebung ab und stellte fest: "Hier ist
niemand, war auch seit langem keiner mehr."
Poloskow ließ die Gangway hinab und stieg aus. Er klopfte mit dem Absatz gegen den Boden. "Es
ist Stein, man kann darauf gehen."
Wir kletterten ebenfalls hinaus. Während Poloskow eine Runde um das Raumschiff drehte, um zu
überprüfen, wie es um die zerbrochene Landestütze, stand, leuchtete ich nochmals nach oben
und fand auch sehr schnell, wonach ich suchte: An der Decke war ein dünner, kreisrunder Spalt
zu erkennen, der die Begrenzung der Steinplatte bildete. Jawohl, Poloskow hatte recht mit seiner
Annahme - der Deckel hatte sich geöffnet, als wir gelandet waren, und sich unmittelbar danach
wieder geschlossen.
Ich ging um das Schiff herum. Auf der anderen Seite war es genauso dunkel. Dann blendete ich
die Lampe voll auf, und der Lichtstrahl stieß an etwas Dunkles.
"Ich schau mich mal ein bißchen um", sagte ich laut, damit Poloskow es hören konnte, "ich glaube,
dort drüben ist was."
"Warte, Papa, ich komme mit", rief Alissa.
"Aber entfernt euch nicht zu weit", warnte Poloskow.
Im nächsten Augenblick war Alissa bei mir, gleichfalls mit einer großen Lampe ausgerüstet.
Wir legten etwa zwanzig Schritt zurück und erkannten schließlich, daß sich in der Grube außer
unserem noch ein anderes Raumschiff befand. Als wir näher traten, entzifferte Alissa seinen
Namen: "Blaue Möwe".
"Poloskow", rief ich, und meine Stimme, sich an den Wänden brechend, dröhnte, als käme sie aus
einem Faß, "Poloskow! Seljony! Wir haben den Zweiten Kapitän gefunden!"
Gleich darauf vernahm ich dumpfes Getrappel - die beiden kamen angerannt, die grellweißen
Lichter ihrer Lampen tanzten.
"Wo?!" riefen sie.
Die "Blaue Möwe" ragte vor uns auf. Sie glänzte matt unter der jahrealten Staubschicht und wirkte
völlig ausgestorben. An der Einstiegsluke hing ein großes Schild.
"Das also ist ihm zugestoßen", sagte ich.
"Demnach ist auch der Zweite in diese Grube gefallen und hat sich nicht befreien können", sagte
Poloskow.
"Genau wie wir", murrte finster der Mechaniker. "Wir werden den Rest unserer Tage in dieser
Höhle verbringen müssen. Aber ich hatte ja gleich gesagt wir sollten Hilfe holen, ich hab euch
gewarnt."
"Nur keine Panik an Bord", sagte Poloskow streng. "Wir kommen auf jeden Fall hier heraus. Fürs
erste aber schlage ich vor, einen Blick in die Blaue Möwe zu werfen. Wenn wir das Schiff schon
mal gefunden haben, müssen wir der Sache auch auf den Grund gehen."
"Aber die Luke ist zu", sagte ich", und es ist keine Treppe da."
Plötzlich flammte ein greller Lichtschein über unseren Köpfen auf. Er blendete dermaßen, daß wir
die Augen zukniffen. Als ich sie wieder öffnete, konnte ich gerade noch ein großes Netz
wahrnehmen, das von der Decke auf uns herunterschwebte. Schon in der nächsten Sekunde
waren wir darin gefangen wie hilflose Kücken.
Während wir, strampelnd und einander behindernd, versuchten freizukommen, ertönte von oben
eine laute Stimme: "Keine Bewegung, ihr seid gefangen!"
Die Augen mit der Hand gegen das grelle Licht abschirmend, schaute ich in die Richtung, aus der
die Stimme kam. Auf dem glatten, glänzenden Boden der riesigen Höhle kamen uns der Dicke,
genannt der Fröhliche U, und Doktor Werchowzew entgegen, nun wieder mit Hut. Sie hatten jeder
eine auf uns gerichtete Pistole in der Hand.
Auch von der anderen Seite näherten sich uns zwei Männer, sie trugen - schwarze
Lederuniformen.
"Waffen weg!" befahl der Dicke. "Na, wird's bald?"
"Du mußt gehorchen", flüsterte ich Poloskow zu, denn er war der einzige von uns, der eine Pistole
bei sich trug.
Poloskow holte die Pistole aus dem Koppel und warf sie auf den Boden. Es gab einen klirrenden
Laut.
Das Netz wurde wieder hochgezogen.
In den wenigen Sekunden, die verstrichen, ehe die Männer bei uns waren, sah ich mich hastig
um. Die Falle, in der wir saßen, war ein riesiges, nicht allzu hohes Gewölbe, in dem gar nicht weit
voneinander entfernt unsere beiden Raumschiffe standen. Zwischen ihnen wirkten wir, geblendet
vom Scheinwerferlicht, wie Ameisen auf dem Fußboden eines großen Zimmers.
Ich sah meine Gefährten an, Poloskow hielt den Blick auf die näher kommenden Feinde geheftet,
und seine Lippen preßten sich zu einem dünnen Strich zusammen. Seljony stellte sich mit
geballten Fäusten schützend vor Alissa, die sich ihrerseits an mich drückte. Von der anderen Seite
preßte sich der vor Angst nach wie vor gelbe Indikator an mein Bein.
"Nun haben wir euch also, ihr Täubchen", sagte der Fröhliche U. "Wie fein." Er sagte es ohne
Groll, lächelte sogar dabei. Das Gesicht von Werchowzew dagegen, der jetzt nicht mehr im
Skaphander war, glich einer starren Maske, und seine Augen wirkten leer.
Alissa ging einen Schritt zur Seite.
"Wo willst du hin?" fragte ich. "Ich bin hier", flüsterte Alissa.
Die beiden Männer in den schwarzen Lederanzügen hielten die Pistole auf uns gerichtet, während
Werchowzew auf Befehl des Dicken geradenwegs auf uns zukam und Poloskows Waffe aufhob.
Dann durchsuchte er uns hastig, wobei er uns mit seinen kalten Händen abtastete und uns auch
in die Taschen griff.
"Alles in Ordnung", sagte er leise, "sie haben keine Waffen weiter."
"Was sollten sie damit", lachte der Dicke hämisch, "sie fangen doch Schmetterlinge. Wußten bloß
nicht, daß sie selbst in die Falle tappen. Genau wie der da", der Fröhliche U wies mit seinem
dicken Finger, der sich aus drei Bockwürsten zusammenzusetzen schien, auf die "Blaue Möwe".
"Ihr seid ganz von selbst in die Falle gerannt, niemand hat euch gerufen!" Er lachte dröhnend.
Gleich darauf befahl er: "Fesselt sie!"
Darauf waren sie offenbar schon vorbereitet. Einer der schwarzen Männer öffnete eine Tasche,
die er über der Schulter hängen hatte, und entnahm ihr ein Bündel glänzender Handschellen.
Während er sie paarweise ordnete, trat der Dicke auf mich-zu und sagte, mir seinen fetten Finger
in die Brust stukend: "Na, was ist, Professor, du wolltest mir den Plapperschnabel also nicht
abtreten?"
"Nein, wollte ich nicht."
"Sieh dir den an", wandte sich der Dicke an Werchowzew es hat ihm leid getan, den
Plapperschnabel einem alten Freund zu überlassen! Und wo ist das Vögelchen jetzt?"
"Keine Ahnung", erwiderte ich, obwohl ich natürlich wußte, daß der Plapperschnabel an Bord
geblieben war.
Offenbar brauchte der Dicke ihn trotz allem, denn er befahl einem Uniformierten: "Geh und
durchsuch den Pegasus'!" Und wieder an mich gewandt fügte er hinzu: "Du aber, Professor, hast
mich belogen und wirst dafür bestraft. Ziemlich schmerzhaft sogar. Meine Gehilfen verstehen ihr
Handwerk. Aber nicht sofort, nein, später ... Legt ihnen die Handschellen an. Ihr dürft ihnen unter
keinen Umständen trauen!"
Der eine Mann in schwarzer Uniform trat zu mir und ließ die Handschellen um meine Gelenke
schnappen. Ich war gefesselt.
"Der nächste!" befahl der Fröhliche U.
Der andere Schwarze ging auf Poloskow zu. Er bewegte sich so gleichförmig, seine Bewegungen
waren so exakt und umständlich, daß mir der Verdacht kam, er könnte ein Roboter sein.
"Der nächste", sagte der Dicke.
Nun schnappten die Handschellen auch bei Seljony ein.
"Der nächste!"
Der Uniformierte beugte sich zum Indikator hinunter und verharrte unschlüssig. Der Indikator hatte
nämlich zehn Beine, und sie alle waren so dünn, daß mit Handschellen nichts zu machen war.
"Dummkopf", schimpfte der Dicke, "dem Mädchen mußt du sie anlegen!" Er schaute sich um.
"Aber wo ist die Göre denn hin?"
Alissa war verschwunden.
In Gefangenschaft "Wo ist das Mädchen?" rief der Fröhliche U verstört und das Lächeln verschwand aus seinem
Gesicht. Es war ein merkwürdiger Anblick, wie seine kurzen dicken Arme scheinbar losgelöst vom
übrigen Körper in der Gegend herumfuchtelten.
"Was für ein Mädchen?" fragte einer der Schwarzuniformierten.
"Na, ein kleines Mädchen eben!" schrie der Dicke. "Sie hieß..., wie hieß sie doch gleich?" Er holte
ein Notizbuch aus der Tasche und las silbenweise: "A-lis-sa. Wo ist Alissa?!" Diesmal schaute er
mich an.
"Alissa? Kenne ich nicht", sagte ich so ruhig wie möglich. Gleichzeitig überlegte ich fieberhaft, wie
es ihr gelungen war, sich so unbemerkt davonzumachen. Wir standen auf einem freien Platz,
nichts, wo man sich hätte verstecken können.
"Sie war aber da", beharrte der Dicke, "ich hab sie genau gesehen. Du doch auch, Oder?" wandte er sich an Werchowzew, der mit hängenden Armen dastand und den Eindruck erweckte, als schliefe er offenen Auges. Der Uniformierte, der den "Pegasus" nach dem Plapperschnabel absuchen sollte, kam zurück. Er schleppte den Vogel an den Beinen herbei; der Kopf baumelte fast auf dem Boden.
„Ah, da hast du ihn ja", sagte der Dicke erfreut. "Dreh ihm den Hals um."
"Was soll ich?"
"Ihm den Hals umdrehn. Wir brauchen ihn nicht mehr."
"Das dürfen Sie auf keinen Fall", protestierte ich, es ist vielleicht der letzte noch lebende
Plapperschnabel!"
Der Indikator war vor Entrüstung ganz blau geworden und stürzte auf seinen dünnen Stelzen zu
dem Vogel, um ihm beizustehen. Doch der Fröhliche U, der es bemerkte, lachte nur. "Wo willst du
denn hin?" höhnte er und stellte dem Indikator mit einer für seine Fülle erstaunlich wendigen
Bewegung ein Bein.
Der kleine Kerl fiel hin und nahm vor Kränkung eine schwarze Farbe an.
"Na, was ist", sagte der Dicke, "was zögerst du noch? Ich hab gesagt, wir brauchen den Plapperschnabel nicht mehr. Reiß ihm den Kopf ab." Ich weiß nicht, ob der Plapperschnabel die Worte des Dicken verstanden hatte, jedenfalls begann er in der Hand des Schwarzen zu zappeln und sagte mit mir fremder Stimme: "Durch ein Gesetz des Planeten Bluk sind die Plapperschnäbel als interessante und seltene Wesen ausdrücklich geschützt. Die Jagd auf sie ist verboten. Wer dagegen verstößt, wird bestraft und von der Gesellschaft geächtet... "Stopf ihm endlich das Maul!" jaulte der Fröhliche U. "Ich hab auch ohne ihn genug um die Ohren!" Da passierte etwas völlig Unerklärliches. Der Mann in der schwarzen Uniform hob den Vogel ein Stück höher, um ihn beim Hals packen zu können, verlor dabei aber das Gleichgewicht und schlug der Länge nach hin. Er krächzte vor Verblüffung und ließ den Plapperschnabel los. Der rappelte sich auf und flog an die Decke. "Schießen!" rief der Dicke und zog seine Pistole. Mehrere Schüsse krachten. Ein-, zweimal wäre der Vogel um ein Haar getroffen Worden, doch es gelang ihm auszuweichen und in eine entfernte, unbeleuchtete Ecke zu entkommen. Die Uniformierten wollten weiter Jagd auf ihn machen, doch der Fröhliche U hinderte sie daran. jetzt braucht ihr auch nicht mehr zu laufen. Habt ihn entwischen lassen, ihr Schlafmützen! Weshalb bist du plötzlich hingefallen?" "Ich bin nicht hingefallen", rechtfertigte sich der Schwarze, "ich wurde zu Boden geworfen." "Schweig!" brüllte der Dicke, und seine wabbligen Wangen begannen zu zittern. "Noch so eine Lüge, und ich werf dich selber um. Aber derart, daß du nicht wieder aufstehst! Die Jagd nach dem Vogel ist überflüssig, er wird sich sowieso in den Gängen verirren. Außerdem haben wir wenig Zeit es gibt noch anderes zu erledigen." Der Dicke drehte sich zu der verlassen dastehenden "Blauen Möwe" um und fragte, als ob das Schiff ihm hätte antworten können: "He du, hörst du mich?" Das Schiff reagierte nicht. "Dann läßt du's eben bleiben", sagte der Dicke, "von mir aus. Ich weiß ja doch, daß du uns hörst. Sitzt dort oben und beobachtest, was geschieht. Fragst dich, weshalb ich den Pegasus hergelockt habe. Das hat seinen Grund: Jetzt mußt du dich nämlich ergeben." Der Fröhliche U trat dicht an die "Blaue Möwe" heran und fuhr fort: "Seit vier Jahren verschanzt du dich nun schon da oben und glaubst, deine Freunde würden dich retten. Du willst nicht wahrhaben, daß niemand weiß, wo du dich aufhältst, seit vier Jahren klammerst du dich an die Hoffnung, dein lausiger Vogel würde die Venus erreichen. Ich hab schon gedacht, du würdest in deinem Käfig verrecken, doch heute hat sich etwas Entscheidendes verändert. Heute wirst du die Tür zu deinem Raumschiff öffnen und mir das aushändigen, was mir von Rechts wegen zusteht. Hörst du mich, Kapitän?" Der Dicke bekam keine Antwort. Seine Stimme hallte durchs Gewölbe und wurde als fernes Echo von den Wänden zurückgeworfen. Als es verklungen war, holte er tief Luft und murmelte: Wo ist bloss das Mädchen? Ich brauch das Mädchen." Werchowzew stand ein Stück abseits und sah zu Boden. Auch die beiden Schwarzuniformierten gingen ein paar Schritte zur Seite. Sie hielten die Pistolen schußbereit. "Ich weiß, daß du mich hörst, Kapitän", begann der Fröhliche U erneut. "Du hast dich in deiner Höhle verbarrikadiert und willst abwarten. Aber schau mal durchs Bullauge: Hier sind drei Menschen von der Erde - ein dummer Professor, der durch die Galaxis pendelt, um irgendwelches Tierzeug aufzulesen, als gäb's nichts Besseres zu tun, ein Kapitän, so ein ganz Stiller, und ein Dämlack von Mechaniker mit rotem Bart." Obwohl ich alles wahrnahm, was um mich her geschahi kreisten meine Gedanken fortwährend um Alissa. Wohin hatte sie sich geflüchtet? Wo verbarg sie sich? "Du wirfst mir seit vielen Jahren Knüppel zwischen die Beine", fuhr der Dicke fort, den Blick auf die "Blaue Möwe" gerichtet. "Doch heute ist mein großer Tag. Heute wirst du mir die Formel endlich geben, hörst du? ... Er schweigt", sagte der Dicke leise, "offenbar denkt er nach. Na, wir werden ihn schon auf Trab bringen. Schade, daß das Mädchen verschwunden ist, mit ihr wäre die Sache viel einfacher." Er holte ein großes Taschentuch aus seiner Jacke und wischte sich über die schweißnasse Stirn. "Hör zu, Kapitän", drohte er, "wenn du in drei Minuten
nicht die Luke aufmachst und mir die Formel gibst, lasse ich alle Gefangenen töten. Aber nicht etwa auf einen Schlag, nein, ganz und gar nicht. Zuerst schneiden wir diesem Einfaltspinsel von Professor die Ohren ab. Ihm zürne ich am meisten, denn er hat sich geweigert, mir den Plapperschnabel zu überlassen. Danach werden wir..." "Halt ein, du dicker Räuber", ertönte plötzlich die Stimme des Zweiten Kapitäns. Wir kannten diese Stimme nur zu gut - der unnachahmliche Plapperschnabel hatte sie uns oft genug zu Gehör gebracht. "Na bitte", sagte der Fröhliche U. "Für dich ist sowieso kein Platz in der Galaxis", fuhr der Zweite fort, "man wird dich finden und einfangen, wo du dich auch immer versteckst. Also hör lieber auf mich und ergib dich. . ." "Halt die Klappe!" unterbrach ihn der Dicke. "So kommen wir nie zu einer Einigung. Durch dich und deine Freunde hab ich fast alles eingebüßt. Das Letzte aber bekommst du nicht. Das Galaktium wird mir gehören!" "Du solltest dich schämen, Pirat", sagte der Zweite Kapitän, "obwohl du so etwas wie Scham wahrscheinlich nicht kennst." Wir begriffen so gut wie nichts von diesem Gesprach, nur eins wurde uns klar: Der Zweite mußte etwas besitzen, woran der Dicke machtig interessiert war, das er sich nicht selber beschaffen und dem Kapitän auch nicht abnehmen konnte. Mit dem Wort "Galakfium" wußte ich allerdings nichts anzufangen, ich hatte es noch nie gehört. Und klar war auch, daß der Kapitän der "Blauen Möwe" dieses Galaktium nicht hergeben wollte. "Wir werden keine Zeit verlieren", sagte der Dicke, "deine Gedanken und moralischen Appelle sind mir völlig schnuppe. Scham ist etwas für die Schwachen. Wir aber sind stark, deshalb kennen wir keine Scham. Zum letzten Mal: Gibst du mir die Formel für das Galaktium?" "Vorher muß ich mit diesen Leuten sprechen." "Nein", unterbrach der Dicke, "das wirst du nicht. Ihr denkt euch bloß was aus, um mich an der Nase herumzuführen. Du wirst jetzt sofort die Luke öffnen und mir die Formel geben. Dafür verspreche ich dir und den andern hier die Freiheit. Ihr könnt in alle vier Winde verschwinden. Tust du dagegen nicht, was ich verlange, werden dich die Schmerzensschreie dieser Leute bis ans Ende deiner Tage verfolgen. Du nämlich hast Scham und Gewissen." "Daraus wird nichts, Dickwanst", sagte der Zweite. "In den vier Jahren, seit ich auf diesem Planeten gelandet bin, hast du schon viele Methoden ersonnen, um mir die Formel für den absoluten Treibstoff zu entlocken, aber es ist dir nicht gelungen. Auch heute hast du kein Glück damit. Weißt du, was ich machen werde?" "Na?" "Ich werde die Blaue Möwe in die Luft sprengen. Zwar geh ich selber drauf dabei, aber das Galaktium bekommst du nicht. Einem wie dir darf man keinen absoluten Treibstoff in die Hand geben, du würdest so viel Unheil anrichten, daß die Bewohner der gesamten Galaxis es in zehn Jahren nicht gut machen könnten." "Da magst du recht haben", sagte der Fröhliche U. "Aber wenn du glaubst mit dem Sprengen deines Schiffs den Professor und seine Leute zu retten, irrst du dich. Ich gebe dir das Schwarze-Finsternis-Ehrenwort, daß sie trotzdem sterben werden. Was soll ich mit den Gefangenen sonst tun? Wenn ich sie laufen lasse, berichten sie dem Galaktischen Sicherheitsdienst von meinem Planeten, und einen Monat später machen sämtliche Kreuzer der Galaxis Jagd auf mich. Nein, nein, sollen die andern nur noch eine Weile annehmen, ich sei nicht mehr am Leben." "Trotzdem muß ich diesen Leuten alles erzählen. Ich bin ihnen zwar noch nie begegnet, doch da sie deine Gefangenen sind, müssen es gute Menschen sein. Mal sehen, was sie zu meinem Bericht zu sagen haben." "Auf keinen Fall!" schrie der Dicke. "Schweig, erwiderte der Zweite ruhig. "Warum so eilig? Du hast noch genug Zeit, deine Drohung wahrzumachen."
"Soll er reden", mischte sich plötzlich Doktor Werchowzew ein. "Er hat sowieso gesehen, daß die drei den Plapperschnabel mit an Bord hatten. Soll er reden, damit rettet er weder sich noch die andern." Der Dicke hob resigniert die Arme - von mir aus. "Also hör zu, Professor, und auch ihr andern hört zu", begann der Zweite. "Wir waren drei Kapitäne. Vor vielen Jahren erfuhren wir, daß in unserer Galaxis Piraten aufgetaucht sind. Sie wollten Geld und wertvolle Dinge, und sie wollten Macht. Sie wollten Herren über den Kosmos sein. Wir erfuhren vom Unwesen dieser Piraten, als sie gerade den Planeten Triada überfallen und eines seiner Raumschiffe gekapert hatten. Es gelang uns, die Banditen zu stellen, als sie dabei waren, einen anderen Planeten zu erobern und dessen Bewohner zu versklaven. Sie hatten heimlich mit dem Bau eines Kriegsraumschiffs begonnen, um Handelsliner zu kapern. Es würde zu lange dauern, wollte ich erzählen, wie wir die Piraten aufspürten, auf den unterdrückten Planeten gelangten und dort einen Aufstand gegen die Unterdrücker organisierten . . ." "Ihr habt uns nur durch einen Trick gefaßt", grollte der Dicke. "Laß ihn reden", Werchowzew winkte ab, "er hat ohnehin nicht mehr viel Zeit." "Nun ja", fuhr der Kapitän fort, nachdem die beiden verstummt waren, "zwei der Piraten konnten fliehen. Sie hielten sich mehrere Jahre hier, im äußersten Winkel der Galaxis versteckt, fernab von allen Flugrouten, und mit der Zeit dachte niemand mehr an sie." "Wir dagegen haben nichts vergessen", sagte der Dicke. "Stimmt", erwiderte der Zweite, "ihr habt weder etwas vergessen noch eure Pläne aufgegeben. Und euer größter Wunsch war es, an uns, den drei Kapitänen, Rache zu nehmen." "Was wir ja auch getan haben", höhnte der Fröhliche U. "Nicht so schnell, noch ist nichts entschieden. Letzten Endes werdet ihr trotz allem die Verlierer sein - ihr könnt nicht die ganze Galaxis besiegen." "Und ob wir das können", sagte der Dicke. Der Zweite ließ seine Worte unbeachtet und fuhr fort: "Die Jahre vergingen, und wir drei Kapitäne trennten uns. Der Erste flog zur Venus, der Dritte beschloß in die benachbarte Galaxis aufzubrechen, was noch niemand vor ihm getan hatte. Ich aber befaßte mich mit wissenschaftlichen Forschungen. Doch eines Tages erhielt ich ein Schreiben vom Dritten Kapitän. Darin teilte er mir mit, daß er schon bald von seiner Expedition zurück sein werde. Ich war sehr verwundert, hatte doch kein Mensch mit einer so schnellen Rückkehr gerechnet. Mein Freund bat mich, ihn am Rand unserer Galaxis zu erwarten, denn er hätte wichtige Neuigkeiten für mich. So ließ ich alles stehen und liegen und eilte ihm entgegen." "Ha, aber er ahnte nicht, daß wir dieses Schreiben abgefangen hatten", der Dicke kicherte und rieb sich die Hände. "Wir haben von alldem gewußt." "jawohl", fuhr der Zweite fort, "sie hatten die Nachricht des Dritten in die Hände bekommen, daß wir uns ausgerechnet auf dem Planeten treffen wollten, auf dem sich die Piraten versteckt hielten. Mein Freund war sehr krank. Der lange Flug - wie bereits erwähnt, von keinem Bewohner unserer Galaxis vor ihm gewagt - hatte seine Gesundheit untergraben; er fürchtete, den Weg bis zur Erde oder zu seinem Heimatplaneten Fix nicht mehr zu schaffen. Dabei hatte er höchst wichtige Informationen für uns. Die Bewohner der Nachbargalaxis hatten ihm die Formel des sogenannten Galaktiums geschenkt des absoluten Treibstoffs. Würde man ein Raumschiff mit Galaktiumtriebwerken bauen, könnte es hundertmal schneller durch den Kosmos fliegen als jedes andere Schiff. Die Planeten würden so nahe heranrücken wie benachbarte Städte. Die Bewohner der fremden Galaxis hatten das Schiff des Dritten auf den neuen Treibstoff umgerüstet; durch die Formel sollten auch wir ihre Entdeckung nutzen können. jedenfalls landete der Dritte auf jenem Planeten, ohne zu wissen, daß er das Versteck der Piraten war. Seine Krankheit hatte sich inzwischen so verschlimmert, daß er das Schiff nicht mehr steuern konnte. Die Räuber beobachteten ihn sehr genau, ließen ihn aber vorerst in Ruhe. Sie wollten meine Ankunft abwarten, um herauszubekommen, um was für wichtige Nachrichten es sich handelte, Während der Dritte Kapitän bewußtlos in seiner Kajüte lag, schlichen sie sich zu ihm aufs Schiff, wo wir beide uns treffen wollten. Sie brachten überall. Mikrofone an, um unser Gespräch abzuhören, und flogen das Schiff vorsichtig auf die Lichtung Hier."
"Du mußt zugeben, daß wir uns bestens auf deinen Besuch vorbereitet hatten , sagte der
Fröhliche U.
"Als ich dann neben dem Schiff des Dritten niederging, fand ich meinen Freund in sehr
besorgniserregendem Zustand vor. Er erzählte mir von seiner Reise und der Galaktium-Formel.
Mir war klar, daß ich den Dritten schnellstens zur Erde bringen mußte, wo man ihn heilen konnte.
Andererseits wußte ich, daß er diesen erneuten Flug nicht überstehen würde, und beschloß
deshalb, bei ihm zu bleiben, bis es ihm wieder besser ging. Ich eilte zu meinem Schiff, um die
nötigen Medikamente zu holen, doch da öffneten die Piraten die seit langem vorbereitete Luke,
und unsere beiden Schiffe stürzten in das Gewölbe."
"War doch eine tolle Idee", prahlte der Dicke.
"Allerdings", sägte der Zweite, "sie hatten einfach Angst, mich im Freien anzugreifen. Ich fand
mich alsomit der ,Blauen Möwe' hier unten. Dann ging ein Licht an, und der Kerl, der jetzt neben
Ihnen steht, kam näher. Ich erkannte ihn sofort und begriff, daß mich die Piraten überlistet hatten.
Sie versprachen mich freizulassen, wenn ich ihnen die Formel für das Galaktium gäbe. Denn
ihnen war klar geworden, daß sie mit dem neuen Treibstoff schneller als alle andern fliegen
konnten und nicht einzuholen waren. Sie brauchten keine Angst mehr vor den Schiffen des
Galaktischen Sicherheitsdienstes zu haben und konnten die anderen Schiffe mühelos kapern. Für
mich stand fest, daß ich ihnen die Formel um nichts in der Welt aushändigen
durfte. Und ich wollte ihnen nicht lebend in die Hände fallen. So verriegelte ich die Luke und
verwehrte ihnen damit den Zutritt zu meinem Schiff."
"Und was ist mit dem Dritten Kapitän?" fragte Poloskow.
"Sie haben versucht, unsre Schiffe aufzuschneiden, um uns gefangenzunehmen. Beim Schiff des
Dritten ist ihnen das auch gelungen, und der Kapitän geriet in ihre Hände. Sicherlich haben sie ihn
umgebracht."
"Das stimmt nicht", widersprach der Dicke, "er ist von allein gestorben. An seiner Krankheit. Du
weißt selbst, wie krank er war. Als wir das Schiff zersägten, war er schon tot."
"Die Blaue Möwe' jedenfalls konnten sie nicht aufschweißen, sie ist aus einer Diamantlegierung
gefertigt. Und dann hatte ich noch den Plapperschnabel an Bord, ein Geschenk des Ersten
Kapitäns. Ich hatte nämlich eine Absprache mit dem Ersten getroffen: Sollte mir etwas zustoßen,
würde ich den Plapperschnabel zur, Venus schicken, damit er von meinem Unglück berichtete.
Der Erste Kapitän wußte, wie er den Vogel zum Sprechen brachte."
"Wir dagegen wußten's nicht", sagte ich betrübt. "Der Plapperschnabel hat uns zwar das eine und
andere erzählt, doch leider war das sehr wenig."
"Aber wie ist er überhaupt zu euch gekommen?" erkundigte sich der Zweite Kapitän."
"Er ist unterwegs verwundet worden", sagte ich, "offenbar haben die Piraten Jagd auf ihn
gemacht."
"So ist es", gab der Dicke zu.
"Doch der Plapperschnabel konnte entkommen. Die Roboter auf dem Eisenplaneten reparierten
ihm den verletzten Flügel."
"Dafür haben wir ihnen das ganze Öl vergiftet, so daß sie allesamt gelähmt sind." Der Dicke lachte
so unmäßig, daß seine sämtlichen Kinne zu wabbeln begannen.
"Nein", sagte ich, "wir haben die Roboter geheilt, mit ihnen ist alles in Ordnung."
"Wie denn ?"
"Wir waren auf ihrem Planeten und haben sie wieder gesund gemacht."
"Verdammt noch mal!" fluchte der Dicke.
"Nur war es dem Plapperschnabel mit seinem Eisenflügel leider nicht möglich, bis zum
Sonnensystem zu fliegen", sagte ich. "Er schaffte es gerade mal bis zu seinem Heimatplaneten."
"Dort haben wir ihn auch gesucht", bekannte der Dicke" mein Freund und ich." Er zeigte auf
Doktor Werchowzew. "Verräter!" sagte Seljony finster. "Na warte, du kommst auch noch an die
Reihe."
"Halt die Klappe!" der Fröhliche U drohte dem Mechaniker mit der Faust. "Wir beide haben
sämtliche Plapperschnäbel auf dem Planeten Bluk ausgerottet. Wir kauften sie auf, tauschten sie
gegen andere Tiere ein oder stahlen sie einfach. Um ganz sicher zu gehn, wollten wir allen Sauerstoff auf dem Planeten vernichten." "Mit Hilfe der Würmer?" fragte ich. "Genau. Nur ist uns das leider nicht gelungen. Außerdem fiel der Plapperschnabel zufällig diesen Dummköpfen in die Hände", sagte der Dicke, und sie sind hierher geflogen. Aber wir hatten sie gewarnt, sie sind selber schuld. Nun müßt ihr eben alle dran glauben." "Habt keine Angst", sagte der Zweite Kapitän, "sie werden es nicht wagen, euch ein Haar zu krümmen, denn sie sind feige. Alle Piraten der Welt zusammen könnten die drei Kapitäne nicht besiegen. Nicht mal mit einem einzelnen von uns werden sie fertig." "Und ob wir das werden!" rief der Dicke. "Der Dritte Kapitän ist ja schon tot, du selbst sitzt seit vier Jahren in Gefangenschaft. Sobald wir das Galaktium haben, knöpfen wir uns auch den Ersten Kapitän vor." "Sie sitzen tatsächlich die ganzen vier Jahre in Ihrem Schiff ?" fragte Poloskow. "ja", sagte der Zweite, "ich bin eigensinnig. Natürlich hätte ich die Formel des Galaktiums vernichten können, aber dann wäre sie auch für die Bewohner unserer Galaxis verloren gewesen. Doch wir Vernunftbegabten brauchen den absoluten Treibstoff sehr, denn auf diese Weise rücken alle Planeten hundertmal näher. Ich wußte, daß früher oder später Hilfe kommen würde." "Nur daß die Falschen gekommen sind, triumphierte der Dicke. "Bist du fertig, Kapitän? Dann ist's an der Zeit, mit der Formel rauszurücken. "Ich habe noch eine andere Absprache mit dem Ersten Kapitän getroffen", fuhr der Zweite fort. "Wenn er nach vier Jahren kein Lebenszeichen von mir hat, wird er den Galaktischen Sicherheitsdienst informieren und sich selber auf die Suche machen. Wenn mich schon nichtsahnende Reisende so schnell gefunden haben, wird der Erste auch nicht mehr weit sein. Das wißt ihr ganz genau." "Schluß mit dem Geschwafel", sagte Doktor Werchowzew dumpf, fangt an. Der will bloß Zeit gewinnen." Da trat einer der Piraten zu mir und begann an meinen gefesselten Händen zu zerren. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel hin. Er schleifte mich beiseite. Ich versuchte Widerstand zu leisten, doch da kam der zweite Schwarzuniformierte hinzu, und sie fesselten mir die Beine. Der Dicke zog ein langes Messer aus dem Gürtel. "Weißt du, Kapitän", sagte er und wandte sich zur "Blauen Möwe" um, "ich versteh es zu scherzen, nicht von ungefähr nennt man mich den Fröhlichen U. Doch einige meiner Späße enden mit Tränen", er hob das Messer in die Höhe. Poloskow und Seljony wollten mir zu Hilfe eilen, aber Werchowzew, der sie nicht aus den Augen gelassen hatte, schoß mit Betäubungsgas aus einem kleinen Ballon auf sie, den er am Handgelenk hängen hatte. Meine Kameraden stürzten wie gefällt zu Boden. "Also, was ist?" fragte der Fröhliche U. Ich spürte die kalte Messerklinge an meinem Hals. "Nimm das äußere Schloß ab", sagte der Zweite Kapitän. "Na bitte, warum nicht gleich so." Der Dicke gab einem der Uniformierten ein Zeichen, woraufhin dieser die Gangway zur Luke hinaufstieg und das massive Schloß öffnete. Die Piraten hatten es angebracht, als die "Blaue Möwe" in das Gewölbe gefallen war. War der Zweite schon bestrebt sie nicht aufs Schiff zu lassen, wollten sie ihn ihrerseits daran hindern, das Schiff unbemerkt zu verlassen. Der Pirat kam wieder herunter und bezog in einiger Entfernung Posten, die Pistole auf die Luke gerichtet. Auch Werchowzew hielt die Waffe im Anschlag. Sie wollten nichts riskieren. Sie hatten zu viert Angst vor dem einen Kapitän, den sie seit vier Jahren nicht besiegen konnten. "Mach ja keine Mätzchen", warnte Werchowzew, "wir schießen." Die Luke wurde unvermittelt aufgerissen, und noch ehe ich den Kapitän erkennen konnte, sprang er wie ein blauer Blitz in die Tiefe. Im gleichen Moment krachten zwei Schüsse. Doch der Zweite war bereits am Boden, er rollte sich sofort zur Seite; die Strahlen der Pistolen wirbelten lediglich die Steine um seinen Kopf herum auf. Eine Sekunde später hatte der Kapitän Schutz hinter einer der breiten Landestützen seines Schiffs gefunden.
Die Piraten liefen sofort auseinander und verschanzten sich hinter Steinen.
"Nur ruhig Blut", ertönte die Stimme Werchowzews, "er entkommt uns nicht. Umzingelt ihn."
Als Antwort fiel ein Schuß von der "Blauen Möwe" her.
Ich begriff, daß die Lage des Zweiten aussichtslos war. Die Piraten zogen den Ring um ihn immer
enger. "Nicht schießen!" rief der Dicke, und seine Stimme klang diesmal dicht neben mir. Abermals
setzte er mir das Messer an die Kehle. "Wenn du noch mal schießt haucht der Professor sein
Leben aus."
Doch im selben Moment ertönte von unserem Schiff her das Kommando: "Halt, keine Bewegung!
Ihr seid umstellt!"
Der Dicke, mit dem Messer in der Hand, erstarrte. Ich hieb es ihm mit den gefesselten Fäusten
aus den Fingern, und es flog weit weg.
"Habt ihr gehört", sagte eine andere Stimme aus der Dunkelheit; sie kam aus der Richtung, in die
der Plapperschnabel geflüchtet war. "Werft die Waffen weg!"
Die Piraten erhoben sich langsam, ihre Pistolen fielen klirrend zu Boden.
Ich hob den Kopf und sah, daß Doktor Werchowzew im Skaphander, doch ohne Hut hinter dem
"Pegasus" hervorkam. Vor Verblüffung rollte ich mich auf die andere Seite.
Der zweite Doktor Werchowzew, jener mit Hut, kniete mit erhobenen Händen am Boden.
Aus der anderen Ecke ging der Erste Kapitän auf die Piraten zu. Er sah haargenau aus wie sein
Standbild auf dem Planeten der Drei Kapitäne, nur daß er eben braungebrannt und lebendig war
und die blaue Uniform eines Kapitäns auf großer Raumfahrt trug.
Von irgendwoher flog auch der Plapperschnabel herbei und ließ sich flügelschlagend auf der
Schulter des Ersten nieder. Als letzte trat Alissa aus dem Dunkel.
Unterdessen aber ... Alissa war in dem Augenblick verschwunden, als wir gefangengenommen wurden. So unauffällig, daß niemand im Gewölbe es bemerkte, nicht einmal ich. Erst später erfuhr ich, wie ihr das gelungen war. Doch wenn ich nun schon der Reihe nach berichte, so muß ich an dieser Stelle erzählen, was Alissa in der Zwischenzeit widerfahren und wie es möglich war, daß der Erste Kapitän zusammen mit Doktor Werchowzew (dem zweiten Werchowzew) den Einstieg ins Gewölbe fand und uns rettete. Alissas Verschwinden aber hing mit jener Tarnkappe zusammen, die sie auf dem Markt von Palaputra geschenkt bekommen hatte. Ihr wißt schon, von schwach in den langen Korridor. Der Plapperschnabel flog vor ihr her, Alissa konnte ihn nicht sehen, hörte aber das Schlagen seiner Flügel. Als sie ein Stück weg waren, rief sie leise: "Warte, Plapperschnabel!" Der Vogel vernahm ihre Stimme. Sie befanden sich gerade in einem Saal, der kleiner war als der erste und in dessen Mitte ein nicht allzu großes schwarzes Raumschiff stand. Doch Alissa hatte vergessen, daß sie durch die Tarnkappe unsichtbar war. Der Plapperschnabel drehte eine Runde um sie, schüttelte mißtrauisch das Krönchen und setzte seinen Flug fort, hinein in einen engen Gang, der hinter einem Felsvorsprung verborgen war. Nach ihm erreichte auch Alissa den Gang er führte steil in die Höhe, und an seinem äußersten Ende war ein heller kreisförmiger Fleck zu erkennen: das Tageslicht. Alissa wollte schon hinaufkraxeln, da vernahm sie ein leises Stöhnen. Das Stöhnen drang aus einem Tunnel, der so schwarz wie eine mondlose Nacht war. Alissa ging vorsichtig näher, das Stöhnen wurde lauter. Sie hatte ihre Lampe in dem großen Saal zurückgelassen und mußte sich nun blindlings vorwärtstasten. Sie zählte ihre Schritte. Beim dreißigsten stieß sie mit der ausgestreckten Hand gegen ein Gitter. Da war auch das Stöhnen wieder. "Ist hier jemand?" fragte Alissa leise. Der da stöhnte, hatte es wohl nicht gehört. "Halten Sie noch ein Weilchen durch", flüsterte Alissa. "Ich befreie erst mal unsre Leute und dann Sie. Falls Sie ebenfalls ein Gefangener dieser Werchowzews sind." Keine Antwort.
Alissa machte kehrt. Sie durfte keine Zeit mehr verlieren - wer wußte, was der Dicke sonst anstellte. Zum Gang zurückgekehrt schaute Alissa nochmals nach oben. Der helle Fleck - der Ausstieg aus dem Gewölbe - war nicht mehr da. Alissa erriet nicht, daß gerade eine der kurzen Nächte angebrochen war, und fürchtete, in irgendeinen neuen Tunnel geraten zu sein. Sie hatte doch nichts verwechselt? War der Plapperschnabel vielleicht durch einen anderen Gang geflohen? Obwohl Alissa unseretwegen sehr besorgt war, beschloß sie zu überprüfen, ob nicht doch eine Ausstiegsmöglichkeit bestand. Würde sich das hier nämlich als Sackgasse erweisen, wäre das unser Ende - die Piraten hätten uns endgültig in der Gewalt. Es war sehr schwierig, den Gang hinaufzuklettern. Er war glitschig - von oben tropfte es unablässig. Alissa hatte den Eindruck, bereits seit einer Stunde zu kriechen, doch der Gang nahm und nahm kein Ende. Sie wollte schon umkehren, da lichtete sich das Dunkel plötzlich. Alissa stellte fest, daß sie fast am Ausgang war, ihn in der Finsternis nur nicht gesehen hatte. Die letzten Meter waren am schwersten. Erdbrocken fielen von oben herab, und die langen Wurzeln der Sträucher versperrten ihr den Weg. Alissa war nahe am Weinen, sie glaubte den Weg zur Sonne, an die frische Luft nie zu schaffen. In diesen Augenblick hatte sie sogar uns und die Piraten vergessen - es war ihr sehnlichster Wunsch, ins Freie zu kommen. Ein letzter Ruck - dann begriff Alissa, daß sie gesiegt hatte. Der Gang lag hinter ihr. Hinter ihr lagen auch das finstere Gewölbe mit seinen Piraten und Gefangenen. Eine gelbe Sonne wanderte schnell über den blauen Himmel; auch die zweite Sonne stand bereits hoch im Zenit und begann zu sengen. Unmittelbar vor Alissas Nase stritten sich zwei Käfer, sie nahmen keine Notiz von ihr, griffen einander an und schlugen sich mit ihren schillernden Flügeln. Alissa beobachtete sie ein Weilchen und dachte traurig, daß sie nun wieder zurück müßte, sie hatte ohnehin zuviel Zeit verloren. Wenigstens kannte sie jetzt den Weg ins Freie, wußte, wie sie uns führen mußte. Alissa warf, das dichte Gras auseinanderschiebend, einen letzten Blick in die Runde und entdeckte gar nicht weit von sich, auf einer Hügelkuppe, jenes Raumschiff, das im Augenblick ihres Abflugs auf die verräterische Lichtung in ihrer Nachbarschaft niedergegangen war. Es war das Schiff Doktor Werchowzews. Ein Glück, daß ich's noch gesehen habe, dachte Alissa, sonst wären wir ihnen geradenwegs in die Arme gelaufen. Bestimmt haben die Piraten eine Wache auf dem Schiff zurückgelassen. Sie wollte sich wieder nach unten gleiten lassen, da entdeckte sie den Plapperschnabel. Er saß auf der Gangway des Schiffes und klopfte mit dem Schnabel gegen die geschlossene Luke. Alissa war drauf und dran zu rufen: Zurück, Plapperschnabel!, doch sie kam nicht mehr dazu. Auch hätte es der Vogel schwerlich gehört. Die Luke wurde geöffnet, und Alissa sah einen hochgewachsenen jungen Mann, der ihr eigenartig bekannt vorkam. Aber woher bloß? Der Plapperschnabel flog dem Fremden auf die Schulter. "Ach, du mein Alter", rief der Mann erfreut aus, "wie hast du uns gefunden!" Und urplötzlich begriff Alissa. Es war der Erste Kapitän, der seinem Freund zu Hilfe eilte! Aber wie hatte er erfahren, wo er nach ihm suchen mußte? Alissa kletterte behende aus ihrem Tunnel und rannte zum Raumschiff. Wie schön, daß der Kapitän hier war! jetzt wurde alles gut werden. Sie hatte nur noch wenige Schritte bis zum Schiff und wollte schon rufen, doch ihre Puste reichte nicht. Auch trat gleich darauf ein zweiter Mann aus der Luke und stellte sich neben den Kapitän. Es war Doktor Werchowzew. Freilich war er anders gekleidet als der Werchowzew aus dem Gewölbe. Dieser Werchowzew trug einen Skaphander und hatte eine Pistole im Gürtel stecken. Alissa blieb stehen, als wäre sie gegen eine Wand geprallt. Sie verstand nun gar nichts mehr. Dieser Verräter brachte es fertig, an zwei Orten zugleich zu sein. Nur eins war Alissa klar: Auch dem Ersten drohte Gefahr, denn er wußte ja nicht, daß Werchowzew in Wirklichkeit ein Pirat war. "Vorsicht, Kapitän!" rief Alissa. "Ihnen droht Gefahr! Werchowzew ist ein Verräter!" Die beiden Männer drehten sich auf ihre Stimme hin um. Aber sie konnten nichts entdecken. Alissa hatte noch immer ihre Tarnkappe auf.
"Wer hat denn da gesprochen?" fragte der Kapitän.
"Werchowzew war eben noch im Gewölbe!" schrie Alissa. "Er ist ein Pirat! Er hat den Zweiten
Kapitän und unsere Besatzung gefangengenommen!"
"Was für eine Besatzung?" wunderte sich der Erste und versuchte herauszufinden, wo diese
kindliche Stimme herkam.
"Die Besatzung des Pegasus", erwiderte Alissa. "Sie müssen auf der Hut sein, Kapitän."
"Wer bist du?" fragte der Erste.
"Ich bin Alissa", sagte sie, ließ aber Werchowzew nicht aus den Augen.
Doch der Doktor machte keinerlei Anstalten, seinen Blaster zu ziehen oder den Kapitän in anderer
Weise anzugreifen. Auch der Erste selbst zeigte nicht die geringste Furcht.
"Du irrst dich, Mädchen", antwortete der Kapitän, "Doktor Werchowzew hat unser Schiff seit drei
Tagen nicht verlassen. Wir beide sind euch und dem Zweiten Kapitän zu Hilfe geeilt.- Unten aber,
im Gewölbe, muß sich ein anderer befinden, der sich für unseren guten Doktor Werchowzew
ausgibt. Du kannst also ruhig zu uns kommen."
"Und wenn Sie sich nun selber bloß für den Ersten ausgeben?" fragte Alissa.
"Ich gebe mich für niemanden aus", antwortete der Kapitän. "Du hast mich doch selbst erkannt.
Und sieh dir den Plapperschnabel an, auch er hat mich wiedererkannt. Den Vogel aber kann man
nicht so leicht betrügen. Stimmt's, Plapperschnabel, du hast mich wiedererkannt?"
"Beeil dich, Kapitän", sagte der Vogel. "Die Formel des Galaktiums befindet sich im Segment mit
den Materialproben. Wenn mir etwas zustoßen sollte, nimm die Formel und gib sie an die
Bewohner unserer Galaxis weiter. Sie ist sehr wichtig. Ihretwegen ist der Dritte Kapitän
gestorben."
Der Plapperschnabel hatte mit der Stimme des Zweiten gesprochen.
"Da siehst du's-, sagte der Erste Kapitän, "jetzt glaubst du mir doch, nicht wahr? Also komm her,
wir verlieren Sonst kostbare Zeit. Wie bist du überhaupt hinausgelangt? Und wie ist es dir
gelungen, dich zu verstecken ?"
Alissa trat dicht an die Gangway heran. "Ich bin doch hier", sagte sie. "Ich bin nur immer dem
Plapperschnabel gefolgt."
"Also das versteh einer", sagte Doktor Werchowzew, "wo steckt das Mädchen bloß? Ist sie
vielleicht unsichtbar?"
"Natürlich bin ich unsichtbar", rief Alissa, "habt ihr das noch immer nicht gemerkt? Wie wäre ich
sonst den Piraten entkommen?"
Nun nahm Alissa ihre Tarnkappe ab, und sogar der Erste Kapitän, einer der wagemutigsten
Männer der ganzen Galaxis, zuckte vor Überraschung zusammen.
Alissas gelber Anzug war von Erde verschmiert, der eine Ärmel zerrissen, sie selbst hatte Kratzer
im Gesicht und verfilztes Haar ...
"Willst du heute zum Frühstück Grießbrei haben, Alissa?" sagte der Plapperschnabel mit der
Stimme des Professors.
"Bist ein Prachtmädchen, Alissa", sagte der Erste Kapitän. "Komm jetzt, unterwegs erzählst du mir
alles."
Und sie rannten zu dem Gang, der ins Gewölbe führte. Sie durften keine Minute mehr verlieren.
Der Dicke lügt "Die Handschellen können wir brauchen", sagte der Zweite Kapitän. "Diese Banditen sind so
hinterhältig, daß wir ihnen unter keinen Umständen trauen dürfen."
"Ich gehe Ihnen mein Wort", versicherte der Dicke feierlich, "daß ich keinen Fluchtversuch
unternehmen werde."
"Natürlich wird er", antwortete der Kapitän bestimmt.
Unterdessen stand Doktor Werchowzew Aug in Auge seinem Doppelgänger gegenüber. Es war
ein seltsamer Anblick. Ich zum Beispiel hätte mich, nach dem richtigen Werchowzew befragt, für
den mit Hut entschieden. Hatten wir doch seine Bekanntschaft auf dem Planeten der Drei
Kapitäne gemacht.
"Na, du Namensdieb", sagte der Werchowzew im Skaphander, "jetzt zeig uns mal dein wahres
Gesicht."
"Ich versteh kein bißchen", antwortete der Werchowzew mit Hut und trat einen Schritt zurück.
Seljony, der hinter ihm stand, stieß ihn wieder nach vorn. "Deinetwegen, mein Täubchen", sagte
er, "haben wir einen anständigen Menschen zu Unrecht verdächtigt. Außerdem hätten wir um ein
Haar dran glauben müssen."
"Richtig", sagte Alissa, "wir haben Werchowzew schon derart mißtraut daß wir schnellstens
ausgerissen sind, als er mit dem Ersten Kapitän neben uns landete, um uns aufzuhalten. Nur
deshalb sind wir in diese Grube gestürzt."
"Wagt es ja nicht, mich anzurühren", zeterte der Pseudo-Werchowzew.
Der Fröhliche U lachte los. "Tja", sagte er, "es ist eben nicht gut, in eine fremde Haut zu schlüpfen.
Damit kommt man nicht weit. Mir dagegen kann nichts passieren, ich habe niemanden getäuscht.
Ich bin ein ehrlicher Pirat."
Der echte Werchowzew ging noch dichter an sein Ebenbild mit Hut heran und musterte ihn
aufmerksam. Der Räuber konnte nicht zurückweichen, hinter ihm stand Seljony.
Plötzlich streckte der Doktor die Hand aus und fuhr mit einer schnellen Bewegung über Kopf,
Gesicht und Brust seines Gegenübers.
Wir alle konnten sehen, wie die Hülle des falschen Werchowzes von seinem Besitzer abfiel und
ein gänzlich anderes Wesen darunter zum Vorschein kam. Es war ein Nichtmensch. Offenbar
hatte der Doktor den feinen Reißverschluß entdeckt, der die Hülle des Piraten zusammenhielt.
Der Hut des Räubers rollte zur Seite, seine Kleidung glitt zu Boden, und aus dem Lumpenbündel
hervor kroch ein etwa anderthalb Meter großes Insekt mit behaarten Beinen, rundem,
chitinartigem Leib und großen spitzen Krebsscheren. Das Insekt breitete die kurzen Flügel aus
und wollte auffliegen, doch der Mechaniker konnte es gerade noch greifen. Das Insekt drehte ihm
den Kopf zu und öffnete drohend die Scheren.
"Achtung", rief der Zweite Kapitän, er ist giftig!"
Seljony zog die Hand weg, und der Zweite richtete die Pistole auf den Räuber. Als der Pirat sah, daß es kein Entrinnen für ihn gab, schlug er plötzlich mit dem langen dünnen Schwanz, an dessen Ende sich eine Nadel befand, und stach sich voller Wucht in die Brust. Im nächsten Moment stürzte er, die dünnen Beine weit von sich gespreizt, zu Boden. "Er hat sich selbst getötet", rief Alissa, "wie ein Skorpion!" "Skorpione bringen sich nicht selber um", erwiderte ich, "das sind Märchen. Nur vernunftbegabte Wesen wissen, was das ist - der Tod." "Sie dürfen nicht glauben, was er erzählt hat", ließ sich plötzlich der Dicke vernehmen. "Ich will mit Ihnen zusammenarbeiten und deshalb jetzt die Wahrheit sagen. Er hier war der Hauptpirat. Er zwang uns zu Gehorsam, und er hat sich auch all die Missetaten ausgedacht. Er heißt Ratt und stammt vom toten Planeten Rattus. Die Rattusser haben sich in unzähligen Kriegen selbst ausgerottet, nur einige wenige konnten sich in unterirdische Höhlen flüchten. Aber ich warne euch: Er hat sich nicht getötet, dazu hängt er viel zu sehr am Leben. Er hat bloß das Bewußtsein verloren. Er glaubt, ihr würdet darauf hereinfallen und ihn zurücklassen. Sobald er wieder zu sich kommt, wird er das Weite suchen. Er hat das früher schon mal gemacht. Ihr müßt ihn totschlagen."
"Weshalb sollten wir ihn umbringen", erwiderte der Erste Kapitän. "man wird ihn vor Gericht stellen." Er ging zu dem Ratt, der auf seinem Lumpenbündel lag, bückte sich, hob den leichten Körper an einem Bein hoch und übergab ihn den gefangenen Piraten in den schwarzen Uniformen. "Hier", sagte er, "tragt ihn zum Pegasus' und sperrt ihn dort in einen Käfig. Sie haben doch noch einen freien Käfig, Professor?" "Aber ja, mehr als einen. Wir haben viel weniger Tiere gefangen als ursprünglich geplant. Ich gehe mit aufs Schiff und schau nach, ob der Käfig auch richtig verschlossen wird." "Wir werden ihn zum Planeten der Großohrigen bringen, wo man ihn schon lange sucht. Sollen sie ihn dort verurteilen." "Richtig", sagte der Dicke, "da gehört er hin. Es war nämlich seine Idee, sich für Werchowzew auszugeben. In seiner Gestalt ist er auf den Arktur geflogen, zum Stützpunkt der Erkunder. Er hoffte dort die Skizzen der Blauen Möwe zu finden, um mit ihrer Hilfe ins Schiff zu gelangen. In Werchowzews Gestalt hat er auch die Würmer in Palaputra verkauft und alle Plapperschnäbel ausgerottet damit keiner von ihnen den Ersten Kapitän zu Hilfe rufen konnte. Er war es schließlich, der mich dazu anstiftete, dem Professor die Dimantenschildkröte zu schenken. Und als Werchowzew hat er das Öl der Roboter vergiftet. Es darf keine Gnade für ihn geben! Dieser Verräter und Betrüger muß bestraft werden!" "Immer mit der Ruhe, Fröhlicher U", unterbrach ihn der Zweite Kapitän. "Glaub ja nicht, du kannst dich freikaufen, indem du deinen Spießgesellen ans Messer lieferst. Du wirst ebenfalls vor Gericht kommen. Die ganze Galaxis hab ich nach dir abgesucht. Du hast so viele Verbrechen begangen, daß du sie durch erneuten Verrat nicht tilgen kannst." Der Dicke schaute finster drein und verstummte. Ich begleitete die beiden Piraten, die den sich totstellenden Ratt aufs Schiff brachten. Auch Poloskow gesellte sich dazu - er mißtraute den Räubern ebenso wie ich. Dann sperrten wir den Ratt in den sichersten Käfig, den wir hatten, und kehrten zu den anderen zurück. Dort hatte das Gespräch inzwischen eine Wendung genommen. "Wie kommen wir jetzt hier raus?" fragte der Erste Kapitän den Dicken. "Wenn ihr mir versprecht, mich am Leben zu lassen, zeig ich euch den Ausgang. Wenn nicht sehe ich keinen Grund, euch zu helfen. Denn niemand außer mir weiß, wie die Platte hier zu öffnen ist. Sie besteht aus so stabilem Gestein, daß sie nicht mal durch eine Gravitationsbombe gesprengt werden kann." "Wenn du nicht reden willst, läßt du's bleiben", sagte der Erste Kapitän lächelnd. "Wir warten, bis dein Freund Ratt wieder zu sich kommt, der wird uns mit Vergnügen helfen." Die beiden Kapitäne standen nebeneinander, und obwohl der eine von ihnen in einem neuen Skaphander steckte, gesund und braungebrannt war, der andere dagegen erschöpft und abgemagert, ähnelten sie sich wie Brüder; sie gefielen mir außerordentlich. Sie sahen weit besser aus als ihre Statuen auf dem Planeten der Drei Kapitäne. Der Erste hatte den Arm um die Schulter des Zweiten gelegt, und sie ragten über dem Dicken auf wie über einer großen Kröte. "Nein", zeterte der Dicke, "ich verrate es um nichts in der Welt! Ihr werdet hier sterben!" "Wir werden keineswegs sterben", erwiderte der Zweite, "schon gar nicht, da jetzt all meine Freunde zu Hilfe gekommen sind", er deutete mit der Hand auf uns alle, denn nicht nur der Erste und Doktor Werchowzew waren seine Freunde, sondern auch wir, die Besatzung des "Pegasus", die wir ihn retten wollten, ohne ihn je vorher gesehen zu haben. "Keinerlei Piraten können mir jetzt noch etwas anhaben", fuhr der Zweite fort. "Notfalls fliegen wir alle mit dem Schiff des Ersten fort und kommen später wieder, um unsere Raumschiffe zu holen." Der Fröhliche U wurde schwankend. Er begriff, daß er mit Feilschen nicht weiterkam, und war schon bereit zu reden. Aber Seljony machte alles zunichte. "Ausgeschlossen", sagte er, "erstens laß ich mein Schiff nicht im Stich, da bleib ich lieber hier und warte. Zweitens müssen die Tiere gefüttert werden, und in ein anderes Schiff kriegen wir sie nicht rein. Nein, das geht nicht. Sie müssen uns schon sagen, wie die Luke zu öffnen ist."
So aber hätte er mit dem Dicken nicht reden dürfen. Wenn man Piraten um etwas bittet, werden sie sofort unverschämt. Und in der Tat war der Dicke, kaum daß er die Worte des Mechanikers venommen hatte, gleich obenauf. "Erst wenn ihr mir schriftlich versprochen habt, daß ich am Leben bleibe", forderte er, laß ich euch hinaus." Die Kapitäne warfen Seljony einen vorwurfsvollen Blick zu, schwiegen aber. Dann wandte sich der Erste an den Dicken: "Wenn's so ist Fröhlicher U, warten wir eben. Wir geben dir zehn Minuten Bedenkzeit." "Richtig", unterstützte ihn der Zweite. "Inzwischen erzählst du, Erster, wie du uns gefunden hast, denn der Plapperschnabel ist ja nicht zu dir gelangt." "Ich mach uns unterdessen ein paar belegte Brote", sagte schuldbewußt der Mechaniker, "wir sind bestimmt, alle sehr hungrig." "Ausgezeichnet", pflichtete ihm der Kapitän bei. "Ich würde dir ja helfen, Seljony", sagte Alissa, "aber ich bin so gespannt was der Erste zu berichten hat, daß ich hier einfach nicht weg kann." "Bleib nur da, Alissa", sagte der Erste Kapitän, "ohne dich hätten wir deine Freunde schwerlich gefunden." "Ich hätte ohne Sie auch nichts machen können", erwiderte Alissa und wurde ganz rot vor Stolz. "Aber erst gehst du dir mal die Hände waschen und bringst dich in Ordnung", sagte ich streng. "Du bist schmutzig wie ein Sumpfmaulwurf vom Planeten Wukanatu." "Ist ja gut, hin ich eben ein Maul wurf." Alissa verzichtete auf Widerrede. Statt dessen rannte sie zum Schiff und rief: "Aber nicht ohne mich mit Erzählen anfangen!" Der Erste drehte sich zum Fröhlichen U um und fragte gleichmütig: "Na, hast du's dir überlegt?" Der Pirat setzte ein schmeichlerisches Lächeln auf, so daß seine Äuglein fast hinter den dicken Backen verschwanden. "Lassen Sie uns verhandeln, Kapitän", sagte er, reden wir als Geschäftsleute miteinander." Der Erste drehte ihm abrupt den Rücken zu. Zwei Minuten später war Alissa wieder zurück. Sie hatte sich schlecht und recht gewaschen und trug jetzt statt des gelben Anzugs einen hellblauen. Hinter Alissa kam der Indikator angetrippelt - er zerriß sich fast, so reizte es ihn, überall dabeizusein. Er war schon kein Tierchen mehr, sondern der verkörperte Regenbogen. Als letzte kam gemächlich die ewig beschäftigte Weberspinne angeschritten - sie strickte gleichzeitig an drei Handschuhen, freilich alle für die rechte Hand. "Na , seid ihr wieder da?" fragte der Erste Kapitän und lächelte beim Anblick dieser seltsamen Prozession. "Schön, dann will ich gleich zu Beginn bekennen, daß ich nur eine bescheidene Rolle bei der ganzen Geschichte gespielt habe. Ich war die vier Jahre voll auf der Venus beschäftigt. Es stellte sich nämlich heraus, daß es fast unmöglich war, einen so großen Planeten in ein kosmisches Raumschiff zu verwandeln und auf eine neue Umlaufbahn zu bringen. Doch wenn etwas so gut wie unmöglich ist, reizt mich das besonders. Ich wollte diese Aufgabe unter allen Umständen lösen." "Richtig", sagte Alissa, "schade, daß ich nicht auch so einen starken Charakter habe." "Am Charakter läßt sich arbeiten", erwiderte der Kapitän mit einem spöttischen Lächeln, "sieh dir nur diese Weberspinne an. Wenn das keine beneidenswerte Hartnäckigkeit ist! Sie muß bloß noch lernen, rechts von links zu unterscheiden, dann wird sie unbezahlbar sein." "Das ist vielleicht ein Beispiel", widersprach Alissa, "die Spinne ist doch dumm!" "Genau das wollte ich ausdrücken - Beharrlichkeit allein bedeutet noch gar nichts. Vier Jahre hindurch hat sich die Venus um keinen einzigen Zentimeter voranbewegt, wir aber haben nicht aufgegeben. Wir strengten unsre Köpfe an, stritten uns und haben den entscheidenden Schritt vorbereitet. Ich hoffe noch zurechtzukommen und dabeizusein, wenn die Venus unserer Erde näher rückt. Es kann nicht mehr lange dauern." "Dann wird sich das Klima auf der Venus verändern?"
"Sehr stark sogar. Und zwar so, daß in einigen Jahrzehnten die Menschen dort leben können wie auf der Erde." ,Und wir werden sie Erde-Zwei nennen , sagte Alissa. "Nein, warum denn? Sie bleibt die Venus. Ist doch kein schlechter Name, oder?" Alissa gab keine Antwort. Ich glaube, dieser Name gefiel ihr trotz allem nicht besonders. Sie hatte schon früher mal erklärt, daß es Unsinn wäre, Planeten nach toten Göttern zu benennen, die sich durch nichts verdient gemacht hätten. "Ich war so in die Arbeit vertieft", fuhr der Erste fort, "daß die vier Jahre völlig unbemerkt dahinflogen. Außerdem war ich, ehrlich gesagt nicht allzu beunruhigt wegen meiner Freunde, wußte ich doch, in welch ferne Winkel das Schicksal unsereinen manchmal verschlägt. Für den Dritten Kapitän war es noch zu früh, aus der benachbarten Galaxis zurückzukehren, du aber, Zweiter, hattest mir eine Frist von vier Jahren gestellt." "Hat es Ihnen denn nie leid getan, immer auf einem Fleck zu sitzen, statt zu fernen Sternen zu fliegen?" fragte Alissa. "Das ist eine schwierige Frage", antwortete der Erste ernst. "Natürlich wollte ich wieder auf der Kommandobrücke stehn und auf unbekannten Planeten landen. Doch ich wußte, daß meine Kenntnisse und Erfahrungen sehr dringend im Sonnensystem benötigt wurden. Und dann sagte ich dir ja schon: Ich habe eine Schwäche für unlösbare Aufgaben und scheinbar aussichtslose Projekte." "Ihre Frau dagegen fliegt inzwischen die ganze Galaxis auf der Suche nach lebenden Nebeln ab." Alissa ließ nicht locker. "Gewiß haben Sie sie manchmal mächtig beneidet." "Und ob ich sie beneidet habe", gab der Kapitän zu. "Noch mehr aber werde ich sie beneiden, wenn sie ihren lebenden Nebel gefunden hat." "Nichts da", mischte ich mich ins Gespräch, "es gibt keinen lebenden Nebel. Ebensowenig wie es lebende Planeten gibt." "Hier, mein lieber Professor, irren Sie", sagte der Zweite Kapitän, "ich selbst habe solch einen lebenden Planeten zu sehen bekommen. Ich konnte gerade noch Reißaus nehmen. Diese Planeten ernähren sich von dem, was sie aus dem Kosmos einsaugen. Ein Glück nur, daß die Blaue Möwe' so starke Triebwerke besitzt." "Das ist wirklich interessant", sagte ich, "darüber müssen wir uns später weiter unterhalten. Freilich habe ich bisher nie von solch einem Wunder gehört.“ "So streite doch nicht , Papa", sagte Alissa, "der Kapitän wird schließlich nichts Unwahres behaupten." "Das ist richtig", meinte der Zweite lächelnd, "wir sagen stets die Wahrheit. Selbst unseren Feinden." Dabei sah er den Fröhlichen U an, der sich gleich abwandte und so tat, als betrachte er die Höhlenwände. "Nun ja", beendete der Erste seinen Berie ht, "und dann bekam ich plötzlich ein Telegramm von unserem alten Freund Werchowzew, der auf dem Weg zu mir war. Er machte sich Sorgen um den Zweiten. Er erzählte mir von seinen Befürchtungen, und ich bat um die Erlaubnis, die Venus umgehend verlassen zu dürfen. Den Rest soll der Doktor erzählen." "Aber ich bitte Sie!" Doktor Werchowzew wurde ganz verlegen; er machte sich klein und begann aufgeregt mit den Augen zu zwinkern. "Ich hab doch so gut wie nichts gemacht. Und im übrigen wart ihr vom Pegasus' es, die mich in meinem Verdacht bestärkten, daß hier etwas nicht stimmte." "Na, vielen Dank!" brummte Seljony, der gerade Käsebrote verteilte. "Sie waren es, der sich seltsam benahm!" "Ich hatte doch keine Ahnung, wer Sie, wirklich sind", rechtfertigte sich Werchowzew. Er trat von einem Bein aufs andere und streichelte dabei den Indikator, der vor Neugier ganz blau geworden war. "Ich habe von Anfang an nicht daran geglaubt, daß der tapfere und findige Zweite Kapitän spurlos verschollen sein soll. Ich kannte auch seine Blaue Möwe' und war sicher, daß es keine Macht in der Galaxis gab, die ihn hätte vernichten können." "Danke für das Kompliment", sagte der Zweite. "Kein Grund zur Dankbarkeit. Mein Kompliment beruht auf einer nüchternen wissenschaftlichen Analyse."
"Er redet wie unser Mathematiklehrer", flüsterte Alissa. "Während ich das Museum der Drei Kapitäne einrichtete, studierte ich die Lebensläufe dieser Männer, wobei mich der Erste Kapitän sehr unterstützte. Er schickte mir Fotos und Notizen, war mir auch bei der Klärung von Einzelheiten behilflich. Doch als ich meine Zweifel am Schicksal des Zweiten Kapitäns äußerte, reagierte er so ausweichend, daß ich annahm, er wisse weit mehr über die Blaue Möwe', als er sagen wollte oder konnte." "Das war ganz und gar nicht so", unterbrach ihn der Erste, "ich hatte einfach eine Absprache mit meinem Freund getroffen: Falls nicht zwischendurch der Plapperschnabel käme, würde ich vier Jahre abwarten, ohne etwas zu unternehmen. Der Brief von Werchowzew versetzte mich dann aber doch in Unruhe, ich ließ es mir nur nicht anmerken." "Ich dagegen wußte nichts von der Abmachung der beiden", fuhr Werchowzew fort, "hatte auch keine Ahnung, daß der Zweite Kapitän dem Dritten entgegenfliegen wollte. Mich machte nur stutzig, daß es überall hieß, die Kapitäne hätten die Galaxis endgültig von den kosmischen Piraten befreit. Dabei hörte man immer wieder von überfallenen Raumschiffen. Unter den Räubern aber sollte der Dicke hier sein." "Ich war nie an solchen Überfällen beteiligt", sagte der Fröhliche U beleidigt. "Das machte immer der Ratt. Er trat in verschiedenen Gestalten auf, wahrscheinlich auch in meiner. Ja, so wird's gewesen sein, er hat die Schiffe in meiner Gestalt geplündert." "Sie müssen schon erlauben, daß wir daran stark zweifeln", sagte Doktor Werchowzew. "Jawohl, sehr stark. Einmal, ich war gerade abwesend, stattete ein Unbekannter dem Planeten der Drei Kapitäne und dem Museum einen Besuch ab. Er durchsuchte es gründlich, nahm aber außer ein paar Fotos von der "Blauen Möwe" nichts Wichtiges mit. Aha, dachte ich, offenbar benötigt jemand dringend diese Informationen. Dann erfuhr ich jedoch, daß unter den Piraten, die ein Passagierschiff vom Fix gekapert hatten, ein Doppelgänger von mir gewesen war. Hätte ich zur gleichen Zeit nicht zufällig den Präsidenten dieses Planeten zu Besuch gehabt - man hätte sonstwas von mir gedacht. Dann landete plötzlich der "Pegasus" auf meinem Planeten. Seine Besatzung wollte mir einreden, auf Tiersuche zu sein. In Wirklichkeit aber fragten mich die Leute über die Drei Kapitäne aus. Das hat mich ziemlich verwundert. Dennoch wäre ich vielleicht darüber hinweggegangen - schließlich interessiert sich so mancher für das Leben und die Heldentaten der Drei Kapitäne -, hätten sie nicht erklärt, ich sei vor kurzem bei den Erkundern auf dem Kleinen Arktur gewesen und habe sie um die Skizzen der ,Blauen Möwe' gebeten." "Das war ja tatsächlich der Fall", sagte ich. "Nur daß es sich um den falschen Werchowzew handelte." "Jetzt ist mir die Sache natürlich klar", erwiderte der Doktor, "doch damals war ich ziemlich verwirrt Als der Pegasus' wieder abgeflogen war, machte ich mich umgehend zu den Erkundern auf. "Aber Sie können doch nicht vergessen haben, Doktor Werchowzew, erklärten die, daß Sie vor einem Monat bei uns waren und sich für die Skizzen der "Blauen Möwe" interessiert haben." Da begriff ich endgültig, daß dem Zweiten Kapitän Gefahr drohte. Und zwar von den Piraten. Deshalb flog ich, ohne noch länger zu zögern, zur Venus." "Er kam und war furchtbar aufgeregt", sagte lächelnd der Erste Kapitän. "Im ersten Augenblick verstand ich nicht das geringste. Da war bald von dem einen Werchowzew die Rede, bald von dem anderen ... Doch als ich begriffen hatte, stand auch für mich fest: Wir mußten schnellstens helfen. Nur, wohin sollten wir fliegen? Wir hatten zunächst den "Pegasus" im Verdacht, ein Piratenschiff zu sein, und beschlossen, euch im Auge zu behalten. In Palaputra erzählte uns Krabakas vom Barakas, daß ihr einen Plapperschnabel gekauft hättet und daß jemand sämtliche sprechenden Vögel vernichten wollte. Wir machten jenen Großohrigen ausfindig, der euch seinen Plapperschnabel abgetreten hatte, und begriffen, dieser Vogel und kein anderer hatte dem Zweiten Kapitän gehört. In Palaputra wären wir dann um ein Haar im Gefängnis gelandet, denn der falsche Werchowzew hatte dort ja mit den Würmern gehandelt. Nur mit Mühe konnten wir die Wächter der Großohrigen überzeugen, daß nicht der richtige Werchowzew, sondern sein Doppelgänger das Gezücht verkauft hatte. Kurzum, der Ratt wird seine verdiente Strafe dafür bekommen, daß er versucht hat, alle Plapperschnäbel auszurotten und die Luft auf dem Planeten
unbrauchbar zu machen. Die Großohrigen haben die passende Strafe für ihn zwar noch nicht gefunden, werden sich aber bestimmt was einfallen lassen." "Oh!" entfuhr es dem Dicken. "Der Rest war ganz einfach", berichtete der Kapitän weiter. "Wir fragten sämtliche Funkbojen der Galaxis ab und erfuhren, daß der ,Pegasus' Kurs auf das System der Medusa hielt. Auf dem Eisenplaneten erzählte man uns ferner, daß ihr die Roboter mit neuem Öl geheilt hättet. Na ja, schließlich sind wir dann hier gelandet, wären aber fast zu spät gekommen." "Und wann wurde euch klar, daß wir doch keine Piraten sind?" fragte Alissa. "Schon in Palaputra. Außerdem begegneten wir im Kosmos dem Archäologenschiff mit Gromoseka. Er hat den Professor mit solchem Eifer verteidigt, daß wir ihm einfach glauben mußten. Wir fürchteten sogar, euch würde etwas zustoßen, denn ihr hattet ja keine Erfahrung im Umgang mit Piraten." "Die hatten wir wirklich nicht", seufzte Poloskow, "aber das nächste Mal sind wir klüger." "Ein nächstes Mal wird es nicht geben", sagte der Erste Kapitän. Er ging zu dem Dicken, der sich auf den Steinboden gesetzt hatte, und sagte: Deine Zeit ist um, Fröhlicher U. Entweder du öffnest jetzt die Platte, oder wir verhandeln nicht mehr mit dir. Ich zähle bis zehn: eins, zwei, drei . . ." "Ich werde alles sagen", beeilte sich der Dicke, "die volle Wahrheit. Ich wollte schon von Anfang an gestehen, hatte bloß entsetzliche Angst vor dem Ratt. Ich fürchte ihn auch jetzt noch, er wird sich unweigerlich an mir rächen. Das beste wäre, ihr würdet ihn töten. Bitte tötet ihn!" "Aber er ist doch dein Freund", sagte Werchowzew, "wie kannst du ihm den Tod wünschen, wo du so viele Jahre mit ihm gemeinsame Sache gemacht hast!" Er ist nicht mein Freund!" schrie der Dicke. "Er ist mein schlimmster Feind! Ich bin ein ehrlicher Pirat, aber kein Bandit oder Verräter!" "Beeil dich jetzt", sagte der Zweite, "und öffne die Platte." Der Dicke erhob sich. Er war jämmerlich anzusehn. Die Beine gehorchten ihm nicht sie knickten weg, und sein Bauch wabbelte. Er humpelte zur Wand und drückte einen für Uneingeweihte unsichtbaren Knopf. Ein Teil der Wand fuhr zur Seite auf, und dahinter kam ein Steuerpult zum Vorschein. "Gleich", murmelte der Dicke, "kleinen Moment . . ., ich mach das schon . . ." Er betätigte mit seinen zitternden Wurstfingern mehrere Knöpfe. Endlich bewegte sich die Platte und gab den Weg nach oben frei. "In die Schiffe!" sagte der Erste Kapitän. "Den Anfang macht der ,Pegasus'. Ihr fliegt los und landet ein Stück seitlich von hier, danach startet die ,Blaue Möwe'. Die Besatzung des ,Pegasus' Plätze einnehmen!" Es regnete. Große Tropfen fielen durch die kreisrunde Öffnung platschend auf den Steinboden. Der Dicke drückte einen weiteren Knopf, und aus dem Boden wuchs eine schmale Leiter. Sie reichte bis an den Rand der Öffnung und hakte sich mit Metallgreifern daran fest. "So ist's gut", sagte der Zweite Kapitän. "Werchowzew und der Professor bringen jetzt bitte die Gefangenen nach oben. Dort warten sie auf uns." Poloskow und Seljony nahmen ihre Plätze im "Pegasus" ein, zogen die Gangway hoch und schlossen die Luke. Die anderen traten zurück und beobachteten, wie sich das Schiff langsam in die Luft hob und, für einige Sekunden das Tageslicht verdeckend, in die Höhe glitt. "Na, dann los", sagte der Erste Kapitän, "sind alle an Bord, haben wir niemanden vergessen?" "Nein, niemanden", antwortete ich. Während Werchowzew die beiden Schwarzuniformierten die Leiter hinaufführte, trat ich auf den Dicken zu. "Augenblick", wandte sich der Kapitän an den Dicken, "sind noch Piraten hier unten? Oder auf eurem Schiff?" "Ich schwöre bei allen Heiligen, daß keine einzige Seele mehr hier ist! Wir können beruhigt aufbrechen", antwortete der Fröhliche U. "Absolut beruhigt. Und anschließend sprengen wir dieses Gewölbe auseinander mitsamt dem verfluchten Schiff des Ratt. Nicht die Spur soll mehr von diesem Räubernest bleiben. Ich habe doch recht, oder?" "Sehr recht", sagte der Zweite spöttisch. "Laß mich noch einen letzten Blick auf mein Gefängnis werfen, immerhin habe ich vier Jahre hier zugebracht."
"Moment", rief da Alissa, "er lügt!"
"Wer lügt?" fragte der Erste Kapitän verblüfft.
"Na, der Dicke! Als ich hinter dem Plapperschnabel her rannte, hab ich ein Stöhnen gehört."
Der Gefangene in der Höhle "Das ist ganz unmöglich", murmelte der Dicke und sah sich gehetzt um.
"Wo sind die Gefangenen?" fragte der Kapitän. Seine Stimme ließ keinerlei Zweifel daran
aufkommen, daß der Fröhliche U die Wahrheit sagen mußte.
Und tatsächlich watschelte der Dicke auch gleich zu dem Tunnel. Dabei brabbelte er: "Das hab ich
ja ganz vergessen . . ., das war alles der Ratt ... Ich hab ihm immer gesagt . . ., ich war von jeher
dagegen..."
"Entschuldigen Sie, Kapitän", sagte Alissa und eilte hinter uns her. "Ich hätte schon noch daran
gedacht, bloß ist hier so viel passiert, daß ich's vergessen habe. Aber es wär mir bestimmt wieder
eingefallen.. ."
"Mach dir keine Gedanken, meine Kleine", erwiderte der Erste und legte ihr die breite Hand auf
den Scheitel. "Du bist ein Prachtmädel, und keiner macht dir Vorwürfe. Mit diesem Banditen
werden wir ein gesondertes Wörtchen reden."
"Hier ist es", sagte der Dicke, "ich mach gleich Licht. Alles wird gut werden ... Wie konnte ich das
bloß vergessen! An allem ist nur dieser Ratt schuld."
Das Licht flammte auf, und wir entdeckten hinter dem kleinen Saal, in dem das Raumschiff der
Piraten stand, einen zweiten langen Tunnel, der schon bald durch ein dickes Gitter abgeteilt
wurde.
Der Dicke rannte zu dem Gitter und wollte mit Fingern, die ihm nicht gehorchten, den Schlüssel
ins Schloß stecken. Der Erste Kapitän nahm ihm den Schlüssel ab und öffnete. Das Gitter glitt
seitlich in eine Nische.
"Ich will selber. . ., lassen Sie mich machen...", murmelte der Dicke immer wieder, doch niemand
beachtete ihn.
Daß der Dicke uns hindern wollte, einen Blick in diesen Tunnel zu werfen, war auch nicht
verwunderlich. Zu beiden Seiten lagen nämlich Zimmer voller Wertgegenstände und anderem
Beutegut.
"Nein", sagte ich nach einem flüchtigen Blick in eines der Zimmer, "wir werden dieses Gewölbe
nicht sprengen. Es gibt hier so viele Kostbarkeiten, daß man hundert Städte davon errichten
könnte."
"Augenblick mal", sagte der Erste Kapitän.
Wir blieben stehen, lauschten.
Irgendwo weit unten erklang ein kaum hörbares klägliches Stöhnen.
Wir rannten los und gelangten an eine Tür, die gleichfalls verschlossen war.
"Den Schlüssel!" befahl der Kapitän.
Der Dicke hielt ihn schon griffbereit.
Der Raum lag über einem Keller, zu dem eine steile Treppe, in den Felsen gehauen, hinabführte.
An ihrem Ende befand sich ein weiteres Gitter. Der Kapitän richtete den Strahl seiner Lampe
darauf, und wir erblickten auf dem Steinboden inmitten von Lumpen ein merkwürdiges, mit Ketten
an die Wand geschmiedetes Wesen. Nur mit Mühe erkannte ich einen Bewohner des Fix in ihm,
einen dreibeinigen, großäugigen Fixianer.
Der Mann lag im Sterben. Mir genügte ein einziger Blick, um das festzustellen. Er war am
Verhungern, und sein Körper wies zahlreiche Spuren von Folterungen auf.
"Ich schlag ihn auf der Stelle tot!" sagte der Erste Kapitän mit einem Blick auf den Dicken.
"Wsewolod", flüsterte der Zweite, "erkennst du mich denn nicht?"
"Das ist doch unmöglich!" Der Erste Kapitän riß mit solcher Wucht an dem massiven, in die Wand
eingelassenen Gitter, daß es sich verbog und aus seinen Halterungen rutschte. Er schleuderte
das Gewirr von Eisenstäben beiseite und stürzte zu dem sterbenden Fixianer. Er hob ihn auf und
trug ihn zum Ausgang. "Wer ist das?" fragte Alissa leise.
Ich schüttelte den Kopf, ich wußte es nicht.
Neben mir schluchzte der Dicke auf. Er hielt aber für einen Augenblick die Tränen zurück und
antwortete: "Das ist der Dritte Kapitän. Wir dachten, er wäre schon lange tot." Dann rannte er
plötzlich hinter dem Ersten her, als sei ihm etwas höchst Wichtiges eingefallen, und jaulte: "Das
war nur der Ratt! Es ist alles seine Schuld!"
Der Dritte Kapitän war bewußtlos. Der Erste legte ihn vorsichtig auf den Fußboden und wandte
sich an mich: "Bitte, Professor, ist hier noch etwas zu machen?" Seine Stimme zitterte.
"Ich weiß nicht, ich glaube kaum", antwortete ich und beugte mich über den Fixianer. "Sie haben
ihn regelrecht verhungern lassen und stark gefoltert."
"Vier Jahre hindurch haben sie ihn gequält", sagte der Zweite Kapitän erschüttert. "Und wir
glaubten, er wäre schon lange tot! Ohne Alissa hätten wir ihn sogar hiergelassen. Er hat ihnen
nichts verraten ... Professor, ich flehe Sie an, tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht!"
"Darum brauchen Sie mich nicht erst zu bitten", sagte ich. Fürs erste braucht er
Kräftigungsspritzen. Alissa, meine Kleine, lauf so schnell du kannst zum "Pegasus" und bring mir
die Notapotheke."
Alissa sauste wie ein Pfeil durch den Korridor davon.
"Ich komme mit", sagte der Erste.
"Nicht nötig", rief Alissa. "Ich weiß am besten, wo ich was finde."
"Hör zu, Dritter", begann der Zweite, "du darfst jetzt nicht aufgeben. Deine Qualen haben ein
Ende. Du wirst doch nicht im letzten Moment schlappmachen,
das darfst du nicht. Wir sind bei dir. . ."
Da schlug der Fixianer mit einemmal die Augen auf. Es fiel ihm unsäglich schwer, denn sein
Körper war schon fast gestorben. Nur sein Hirn kämpfte noch gegen den Tod an.
"Es ist alles in Ordnung", hauchte er, "ich habe nichts verraten. Danke, Freunde, daß ihr
gekommen seid.. ." Er schloß die Augen wieder, und sein Herz blieb stehen.
Ich begann sofort mit der künstlichen Atmung, doch auch das half nicht.
Die Lage war hoffnungslos - ich besaß weder chirurgische Instrumente noch einen
Diagnoseapparat, von Heilautomaten ganz zu schweigen. Mir, blieb nichts anderes übrig, als zu
verfahren wie die Ärzte vor hundert Jahren.
"Ich werde es riskieren", sagte ich zu den Kapitänen, "denn ich fürchte, es gibt keinen anderen
Ausweg."
Wir vertrauen Ihnen, Professor", antworteten die Käpitäne.
Da schnitt ich die Brust des Dritten Kapitäns mit dem Messer auf, nahm sein stillstehendes Herz in
beide Hände und begann es zu massieren. Meine Finger wurden steif, mir kam es vor, als sei
bereits eine Stunde vergangen ich bemerkte auch nicht wie Alissa mit der Apotheke und den
notwendigen Instrumenten zurückkehrte. Der Erste Kapitän spritzte seinem Freund ein
Belebungsmittel in die Vene, und ich weiß nicht, was am Ende half. Waren es meine Bemühungen
oder die Maßnahme des Ersten, jedenfalls begann das Herz des Dritten plötzlich zu zucken, ein
zweites, drittes Mal ... dann schlug es wieder regelmäßig.
"Noch mehr Belebungsmittel!" rief ich.
Alissa reichte den Kapitänen die Ampullen.
"Er ist ein sehr kräftiger Fixianer", sagte ich, "jeder andere an seiner Stelle wäre längst gestorben."
Ich holte den Wundenvernäher aus der Apotheke, und schon eine Minute später hatte dieser
kleine unscheinbare Apparat alle Gefäße und den Brustkorb des Dritten wieder zugenäht. Wir
trugen den Fixianer vorsichtig zur "Blauen Möwe" hinüber, wo ich ihm richtige ärztliche Hilfe
erweisen konnte. Dort wurde ich auch von Doktor Werchowzew unterstützt, und bereits nach einer
halben Stunde konnten wir einschätzen, daß der Dritte außer Lebensgefahr war.
Wir ließen den Zweiten als Wache an seinem Bett zurück und gingen wieder zurück in die Höhle.
Wir brauchten eine kleine Verschnaufpause. Der Erste Kapitän begleitete uns.
Am Eingang hockte der Dicke unter Aufsicht des Mechanikers.
"Wird er am Leben bleiben?" fragte der Fröhliche U mit schüchternem Lächeln, als ginge es um
seinen leiblichen Bruder.
"ja", antwortete Werchowzew knapp, "obwohl du alles getan hast, ihn umzubringen."
"Aber nein doch, was reden Sie nur!" zeterte der Dicke. "Das war alles nur der Ratt! Haben Sie denn noch immer nicht begriffen, was für eine verhängnisvolle Rolle er in meinem Leben spielte, wie er mich durch Betrug und Versprechungen in diese scheußlichen Abenteuer hineinzog? Was fehlte mir denn? Gar nichts. Ich hätte fröhlich drauflos leben können. Er jedoch wollte Macht. Andere Leute ernähren sich von Suppen und Koteletts, er brauchte Macht. Ein Tag, an dem er seine Macht nicht an jemandem ausprobieren konnte, war ein verlorener Tag für ihn. Er gierte nach Macht über die Planeten und über die gesamte Galaxis. Was hatte ich damit zu schaffen? Ich wollte bloß mein Vergnügen, weiter nichts. Denn ich bin im Grunde ein harmloser Mensch, der nur unter schlechten Einfluß geriet." Wir wandten uns von dem Dicken ab, er aber fuhr in seinem Redeschwall fort, den er nun an Seljony richtete; er schien uns in der Tat überzeugen zu wollen, daß er nichts als ein fröhliches, friedfertiges Lämmchen sei. "Na also", sagte Doktor Werchowzew und lächelte breit so daß sein ganzes Gesicht aus tausend gütigen Fältchen zu bestehen schien, "damit wären ja die Drei Kapitäne wieder beisammen. Wie in guten alten Zeiten. Vorübergehend waren sie fast schon ein Stück Geschichte, historische Reliquien gewissermaßen, doch jetzt . . ." "Ja, ja", stimmte der Erste zu, "wie in der guten alten Zeit." Ich aber betrachtete ihn und sagte mir, daß er alles andere als alt sei. Bestimmt würde er bald wieder in den Kosmos aufbrechen, um so mehr, als sich das Venus-Projekt seinem Ende näherte. Der Erste Kapitän schien meine Gedanken erraten zu haben: "Ich werde mich an manches neu gewöhnen müssen", sagte er, "auf dem Flug hierher ist mir klar geworden, daß meine Hände bereits vieles vergessen haben." "Sie werden wieder in den Kosmos aufbrechen?" fragte Doktor Werchowzew erfreut. "Und dann müssen wir unbedingt den Namen Ihres Planeten und des Museums ändern", fuhr der Erste fort ohne direkt auf die Frage des Doktors zu antworten. "Ist doch irgendwie peinlich: Wir sind gesund und munter, haben uns durch nichts Besonderes hervorgetan, unsere steinernen Kopien aber stehen im Museum, als wären wir schon lange tot." Das Ende der Reise Nach zwei Stunden ging es dem Dritten Kapitän bereits so gut daß wir ihn ins Freie bringen konnten. Danach flogen die Kapitäne auch die "Blaue Möwe" ans Tageslicht; die Steinplatte, die den Eingang zum Gewölbe bildete, glitt wieder an ihren ursprünglichen Platz zurück. Nun standen drei Raumschiffe inmitten der zerschlagenen Spiegelblumen auf der Lichtung: der "Pegasus", die "Blaue Möwe" und ein Dienstschiff des Venus-Unternehmens, das keinen Namen hatte, nur eine lange Nummer. "Darf ich noch mal rasch in den Wald rüber, Papa?" fragte Alissa. "Wozu?" "Heile Spiegelblumen suchen. Wir können unmöglich ohne neuen Strauß zur Erde zurück." "Na schön, aber vorsichtig", warnte ich. " Du hast jetzt nicht mehr den gelben Anzug an, sondern einen blauen; der Vogel Krok wird dich also kein zweites Mal für sein Junges halten." Während die Schiffe für den weiten Flug vorbereitet wurden, ließ ich den Skliss zum Weiden auf die Wiese. Er sprang vor Freude plump im Gras umher, fuchtelte mit den Flügeln, weigerte sich jedoch strikt zu fliegen. "Das ist die lustigste Kuh, die ich je gesehen habe", sagte Doktor Werchowzew, "für die Wirtschaft allerdings ist sie ungeeignet." "Man hat uns schon darauf hingewiesen, daß sie beim Weiden Schwierigkeiten machen kann", stimmte ich zu. "Dafür sind die Sklisse aber in der Lage, tiefe Flüsse zu überqueren, wenn sich der Weideplatz am anderen Ufer befindet." Der Dicke saß noch immer auf der Erde neben dem Pegasus" und versicherte uns, er habe ein altes, krankes Herz, das viel frische Luft benötige. Niemand wollte sich mit ihm herumstreiten oder gar unterhalten, besonders nachdem der Dritte Kapitän erzählt hatte, daß vor allem der Fröhliche U ihn gefoltert habe, um die Formel des Galaktiums zu bekommen.
Paß mal auf die Kuh auf, Seljony", sagte ich, "damit der Vogel Krok sie nicht wegholt. Ich gehe inzwischen und füttere die anderen Tiere." In diesem Augenblick bemerkte ich, daß noch ein Raumschiff über dem Planeten auftauchte. Also, das gab's nicht! Das war kein Planet sondern das reinste Kosmodrom! Wo mochte das Schiff bloß herkommen? Ich war schon der Meinung, es hätte Verstärkung für die Piraten an Bord, und wollte gerade Alarm schlagen, da begriff ich, daß es einen Schaden haben mußte. Es flog nicht gleichmäßig, sondern hatte Schlagseite, trudelte irgendwie. Am Heck zog es eine undefinierbare graue Masse hinter sich her, von der es gebremst und an einer normalen Landung gehindert wurde. Auf meinen Ruf hin stürzten alle ins Freie und beobachteten, wie das neue Schiff niederging. "Schalt das Funkgerät ein, Seljony", befahl Poloskow. "Hallo, Raumschiff", rief Seljony, "was ist mit Ihnen los? Sind Sie in Not? Bitte kommen!" "Aber nicht im geringsten", antwortete eine angenehme Frauenstimme, "Hauptsache, er reißt sich nicht los, alles andere ist nebensächlich." "Die Stimme kommt mir bekannt vor", sagte ich, "ich hab sie schon mal gehört" "ja, als wir auf der Suche nach dem Leeren Planeten waren", half mir Alissa auf die Sprünge. "Halt", unterbrach uns der Erste Kapitän, "ich könnte schwören, daß es meine Frau Ella ist." Er war blaß geworden und stürzte Hals über Kopf in die Funkkabine zu Seljony. Gleich darauf vernahmen wir seine Stimme: "Bist du's, Ella? Was ist passiert?" "Wer spricht da", fragte die Frau streng. "Etwa du, Sjowa? Wieso bist du nicht auf der Venus? Du weißt doch, welche Sorgen ich mir mache, wenn du in den Kosmos fliegst." Der Zweite Kapitän mußte lächeln. "Sie kann sich einfach nicht daran gewöhnen, daß ihr Mann Raumschiffkapitän ist. Dabei hat sie selbst schon die ganze Galaxis durchkämmt." "Darum geht's doch jetzt nicht", erwiderte der Erste, "du scheinst zu vergessen, daß du eine Havarie hast. Brauchst du Hilfe? Was schleppst du überhaupt hinter dir her?" "ja, siehst du das denn nicht?" fragte Ella erstaunt. "Das ist ein lebender Nebel. Drei Wochen bin ich hinter ihm hergejagt, ehe ich ihn schließlich im Netz hatte. Und schon will er wieder Reißaus nehmen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als auf dem erstbesten Planeten zu landen, um den Nebel zu zähmen. Sjowa, mein Guter, du hast nicht zufällig ein Raumschiff zur Hand?" "Natürlich hab ich das", antwortete der Erste. "Warte mit der Landung. Ich fürchte, mit so einem Schwanz gelingt sie dir nicht." "Gut, gut. Dann steigst du jetzt auf, und wir bringen den Nebel gemeinsam herunter." Der Erste hatte das Gespräch noch nicht beendet da war der Zweite schon auf der Kommandobrücke, und bereits drei Minuten später erhoben sie sich in die Luft, wo Ella mit dem widerborstigen lebenden Nebel kämpfte. Viele Legenden rankten sich im Kosmos um ihn, doch hatte ihn bisher niemand zu Gesicht bekommen. Schließlich gelang es den beiden Schiffen, mit dem Netz und seinem Inhalt fertig zu werden, und eine halbe Stunde später lag der lebende Nebel, fest eingeklemmt zwischen den zwei Schiffen, gar nicht weit von uns im Gras. Wir liefen hin, ich natürlich voran, denn mir war klar, was für eine grandiose Entdeckung auf dem Gebiet der Biologie Ella da gemacht hatte. Allerdings waren wir dann enttäuscht. Gewiß wirkte der Nebel im interstellaren Raum, wo er sich über Millionen von Kilometern erstreckte, bedeutend effektvoller. Hier dagegen, im Gras, war er nichts als ein grauer, leicht pulsierender Klumpen. Die Luke von Ellas Schiff ging auf, und sie trat an die Gangway. Ihr Mann, der Erste Kapitän, rannte ihr bereits entgegen. Er streckte die kräftigen Arme aus, und Ella sprang hinunter. Der Kapitän fing sie in der Luft auf und setzte sie vorsichtig auf den Boden. "Bist du auch nicht verletzt?" fragte er. "Aber nein", antwortete Ella lächelnd, "und überhaupt ist das alles unwichtig." Ella war eine richtig schöne Frau und gefiel uns allen auf Anhieb. Selbst der Indikator wurde vor überschäumendem Gefühl ganz durchsichtig.
"Ist alles unwichtig", wiederholte Ella und strich sich über das helle Haar. "Der lebende Nebel ist
gefangen, jetzt brauchen wir ihn nur noch heil zur Erde zu bringen, damit wir die Skeptiker von
seiner Existenz überzeugen können."
Ich schwieg, denn mit den Skeptikern meinte sie natürlich mich. Mir fiel wieder ein, daß wir uns
früher mal auf einer Konferenz begegnet waren und ich sie wegen ihrer phantastischen Ansichten
ausgelacht hatte. Es gab eine Menge einfacher, wirklich existierender Wesen im All, deren
Erforschung sich lohnte - den Kleinen Drachen zum Beispiel, die Büsche oder auch den Indikator.
Den lebenden Nebel dagegen hielt ich damals für ein Hirngespinst. Genau das hatte ich ihr auch
gesagt.
"Aber wen seh ich denn da!" rief Ella aus, als ihr Blick auf den Zweiten Kapitän fiel. "Wir sind uns
ja eine Ewigkeit nicht mehr begegnet. Wie geht es Ihnen? Fliegen Sie immer noch?"
"Na ja", antwortete der Zweite, "in den letzten Jahren saß ich eher auf ein und demselben Fleck."
"Ist auch gut", stimmte Ella zu, "auf ein und demselben Fleck gibt's gleichfalls eine Menge
Aufgaben. Und wer ist dieses reizende Kind?"
"Ich bin Alissa", antwortete das reizende Kind.
"Alissa, ein ungewöhnlicher Name."
"I wo, ein ganz gewöhnlicher. Alissa Selesnjowa."
"Moment mal, arbeitet dein Vater etwa im Moskauer Zoo?"
"ja, genau", erwiderte Alissa, die keine Ahnung von unseren wissenschaftlichen
Meinungsverschiedenheiten hatte.
"Na fein, Alissa, wenn du deinen Vater das nächste Mal siehst sag ihm bitte, daß der lebende
Nebel kein Hirngespinst ist und auch nichts mit biologischer Phantastik zutun hat wie er das so
gern behauptet, sondern echte Realität."
Hier ist übrigens mein Vater", sagte Alissa, "da steht er."
Mir blieb nichts anderes übrig als vorzutreten und ihr die Hand zu geben. "Entschuldigen Sie
bitte", sagte ich, "ich sehe meinen Irrtum ein."
"Na, großartig., erwiderte Ella, "Sie werden mir doch bei der Erforschung des Nebels behilflich
sein?"
"Mit Vergnügen."
Dann wandte sich Ella wieder zu ihrem Mann um. "Wieso bist du überhaupt hier?"
Der Zweite war in Not geraten", antwortete Sjowa kurz, "wir mußten ihm helfen. Und genau das
haben wir und unsere neuen Freunde getan."
"Was war Ihnen zugestoßen, Kapitän?"
"Die Piraten hatten mich gefangengenommen."
"Die Piraten? Ich denke, die haben Sie längst besiegt!"
"Gewiß, aber es war nicht endgültig. Das ist wie mit einem Unkrauthalm, den man nicht ausrupft."
"Versteh ich trotzdem nicht", Ella zuckte die Achseln. "Wer sitzt denn heutzutage noch vier Jahre
in Gefangenschaft."
Ella schien aus einer anderen Welt zu kommen. Aus jener Weit, die auch wir gewohnt waren, in
den letzten Tagen aber hatten verlassen müssen. Und gewiß wäre es ihr sehr schwergefallen, an
all die Folterungen, das Gewölbe und den Verrat zu glauben, deshalb berichteten wir erst gar nicht
davon.
"Und was habt ihr mit den Piraten gemacht?" fragte sie.
"Einer sitzt im Käfig, die zwei andern im Laderaum. Der dickste und raffinierteste aber war gerade
noch hier", sagte der Zweite. "Wo ist er denn hin?"
Der Dicke war verschwunden. Eben noch hatte er, schüchtern lächelnd, im Gras gesessen - nun
war er weg.
Wir suchten die Sträucher ringsum ab, krochen in jeden Busch, weit konnte er nicht gekommen
sein. Außerdem hätte der Plapperschnabel Alarm geschlagen.
"Also nein", sagte Ella vorwurfsvoll, "nicht mal einen einzigen Piraten könnt ihr bewachen. Ist das
vielleicht die richtige Unkrautbekämpfung?"
Da bemerkte ich, daß der Nebel kräftiger pulsierte als vorher. Ich schaute genauer hin: Mehrere
Maschen des Netzes waren zerrissen.
"Ich weiß, wo er ist!" rief Alissa, die mir zum Netz gefolgt war. "Er ist in den Nebel gekrochen." "Bist du hier, Fröhlicher U?" fragte Werchowzew und beugte sich über die graue Masse. In den Nebel kam Bewegung, als wäre ein streunender Hund in einen Heuhaufen gekrochen. "Wir lassen. den Nebel frei, dann werden wir ja sehen", entschied der Erste. "Kommt gar nicht in Frage!" protestierte Ella. Einen zweiten dieser Art finden wir nie wieder!" Die Nerven des Dicken hielten nicht stand. Er steckte den Kopf aus dem Nebel. Seine Augen quollen hervor, er atmete hastig - offenbar war die Luft dort drin nicht gerade gut. Plötzlich schnellte der Dicke aus dem Nebel und rannte, was das Zeug hielt, über die Wiese davon. "Wo willst du hin, rief ihm der Zweite nach", wir fangen dich sowieso! Au erdem hast du ja ein angeblich krankes Herz!" Doch der Dicke reagierte nicht. Er hetzte durchs Gebüsch, sprang über Gräben, stolperte und fuchtelte wild mit den Armen. Da entdeckte ihn der Vogel Krok, der hoch oben träge seine Kreise zog, und ließ sich im Sturzflug auf seine Beute niederfallen wie ein Geier auf den Hasen. Ein, zwei Sekunden - dann zappelte der Dicke in der Luft. Es sah aus, als wollte er noch immer weiterlaufen. Der Vogel gewann so schnell an Höhe, daß der Zweite nicht mehr dazu kam, seine Pistole zu ziehen. "Nicht schießen", sagte der Erste Kapitän, "einen Sturz aus dieser Höhe überlebt er nicht." Doch als hätte er's beschrien, begann der Dicke in den Krallen des Krok so zu zappeln, daß der ihn losließ. Der Fröhliche U fiel wie eine Marionette herab und war hinter einem Hügel verschwunden. Wir schwiegen. Schließlich sagte Spljony: "Er hat sich selbst bestraft. Was Besseres hätte ihm nicht passieren können." Wir anderen dachten genauso. Der lebende Nebel jedoch kroch inzwischen in aller Seelenruhe aus dem Netz. Er entwich ihm wie Brei, verteilte sich zu allen Seiten, und als wir den Blick senkten, standen wir bereits bis zu den Knien in der grauen Masse. "Haltet ihn", rief Ella, "er entkommt mir!" Und er suchte tatsächlich das Weite, der Nebel. Er hüllte uns in undurchdringliche Finsternis; als sich das Dunkel aber gelichtet hatte, schwebte eine große graue Wolke über unseren Köpfen. "Wir wollten sowieso starten", sagte der Zweite Kapitän, "ich bitte um Beeilung." Wir trieben hastig den Skliss aufs Schiff, zündeten die Triebwerke und starteten. Nach uns stiegen auch die übrigen drei Raumschiffe auf. Wir bildeten eine Kette und nahmen die Verfolgung des lebenden Nebels auf. Erst am Eisenplaneten gelang es uns, ihn einzuholen. Zu diesem Zeitpunkt erstreckte sich der Nebel bereits über einige tausend Kilometer, und wir mußten ihn drei Tage lang Zusammenpressen, bis wir ihn erneut in unsere Netze brachten. Endlich hatten wir ihn in ein Dreifachnetz gezwungen und fest zwischen zwei Raumschiffen befestigt. Auf diese Weise schleppten wir ihn auch zu unserem Sonnensystem, wo sich im Archimedes-Krater auf dem Mond jeder an ihm ergötzen kann. Obwohl von Ergötzen eigentlich nicht die Rede ist - es gibt kein langweiligeres Ausstellungsstück als den lebenden Nebel. Ella bestand zunächst darauf, den Nebel in einem Zoo auf der Erde unterzubringen; doch das Erdenklima war ungünstig für ihn, und außerdem: Wer kommt schon in den Zoo, um sich grauen Nebel anzusehen? Da ist es doch bedeutend interessanter, den Indikator zu bestaunen, einen Schal von der Weberspinne geschenkt zu bekommen, den kleinen Busch mit Limonade zu gießen oder den Skliss unter den übrigen Kühen einer Herde herauszufinden. Dann versammelten wir uns ein letztes Mal im Hotel "Lunochod" auf dem zentralen Mondstützpunkt. "Nun ist es an der Zeit, Abschied zu nehmen", sagte der Zweite Kapitän. Die Drei Kapitäne saßen nebeneinander auf einem großen Sofa - sie ähnelten ihren Statuen überhaupt nicht. Der Erste war nachdenklich und konnte seine Traurigkeit nur mit Mühe
verbergen. In seiner Abwesenheit war nämlich schon begonnen worden, die Venus auf die neue
Umlaufbahn zu bringen, so daß er diesen feierlichen Augenblick verpaßt hatte.
Dem Dritten Kapitän ging es schlecht; er wurde von Fieber geschüttelt das noch von seiner
Gefangenschaft bei den Piraten herrührte, doch als Werchowzew ihm Medikamente brachte,
lehnte er ab. "Gegen dieses Fieber sind vorerst alle Erdenmedikamente machtlos", sagte er, "ich
muß allein damit fertig werden. Achtet nicht weiter darauf. Sowie ich wieder im Kosmos bin,
vergeht es von selbst. Das beste Krankenhaus ist für mich noch immer die Kommandobrücke
eines Raumschiffs."
Nur der Zweite Kapitän war aufgeräumt und guter Stimmung. Er hatte den Physikern von der Erde
soeben die Formel des Galaktiums übermittelt. Die Physiker kamen von überall herbeigeströmt;
mit jedem Raumschiff trafen neue Kollegen aus Universitäten und Instituten ein, so daß bereits
das halbe Hotel ausgebucht war. Meldungen liefen ein, daß nun auch Wissenschaftler vom Fix
sowie Lineaner zum Mond eilten; in der Kosmoswerft des Pluto aber sei man schon dabei,
Vorbereitungen für den Bau neuer Schiffe auf Galakfiumbasis zu treffen.
"Sie lächeln die ganze Zeit", sagte Ella zu dem Zweiten Kapitän. Sie brachte es nicht fertig
stillzusitzen und ging nervös im Zimmer auf und ab. "Wie's aussieht freut es Sie, ein solches
Tohuwabohu unter den Physikern angerichtet zu haben."
"Sehr sogar", bekannte der Zweite. "Ich hatte, ehrlich gesagt, befürchtet mit meiner Formel zu spät
zu kommen. All die Jahre dachte ich: Und wenn sie das Galaktium auf der Erde inzwischen selbst
entdeckt haben?"
"Trotzdem hätten Sie die Formel nicht an die Piraten weitergegeben, oder?" fragte ich.
"Natürlich nicht. Aber etwas anderes: Was habt eigentlich ihr für Pläne? Ich hoffe doch, daß wir
uns noch manches Mal begegnen werden, denn derart groß ist der Kosmos nun auch wieder
nicht. Ich bedaure nur, daß Professor Selesnjow nicht so viele Tiere sammeln konnte, wie er
vorhatte. Dafür hat er aber einen großen Anteil an unserer Rettung, weshalb wir ihm versprechen,
von überallher seltenes Getier für seinen Zoo mitzubringen."
"Danke, Freunde", erwiderte ich. "Ich kann euch versichern, daß ich nicht allzu betrübt bin, denn
nächsten Sommer gehen wir erneut mit dem 'Pegasus' auf Expedition. Vorausgesetzt natürlich,
daß sich Poloskow und Seljony nicht weigern, mit mir zu fliegen."
"Das geht schon klar", sagte Poloskow.
"Ich werde ebenfalls mitkommen", sagte Seljony, "wenn die Umstände es erlauben.“
Also dieser Mechaniker war in der Tat unverbesserlich! Ich wußte genau, daß er fliegen würde, er
selbst wußte es ebensogut, und doch mußte er wieder nit seinen Einwänden kommen.
"Ich fliege ebenfalls mit", ließ sich Alissa vernehmen.
"Abwarten", antwortete ich, "erst mal mußt du ein Jahr Schu le hinter dich bringen."
"Und wo wollen Sie nun hin?" erkundigte sich Poloskow bei den drei Kapitänen.
"Ich breche zum Pluto auf, wo sie Schiffe mit Galaktiumtriebwerken bauen werden", antwortete der
Zweite. "Ich hoffe, daß sie mir eines der ersten anvertrauen."
"Ich fliege zuerst nach Hause, zum Fix", erwiderte der Dritte, "ich war schon sehr lange nicht mehr
dort. Danach beteilige ich mich gleichfalls um Bau der ieuen Raumschiffe."
"Ich mach mich zur Venus auf", sagte der Erste Kapitän, "sie ist bereits auf dem Weg zu ihrer
neuen Umlaufbahn. Noch ein paar Monate, dann ist meine Arbeit dort beendet, und ich kann zu
meinen beiden Freunden stoßen'."
"Und Sie werden alle in den freien Kosmos fliegen?" fragte Alissa.
„Ja", sagte der Erste Kapitän.
„Ja", sagte der Zweite Kapitän.
"Natürlich", sagte der Dritte Kapitän.
"Ich dagegen würde gern dem lebenden Planeten einen Besuch abstatten", erklärte Ella, "der ist
noch viel interessanter als der lebende Nebel. Nur fürchte ich, das Professor Selesnjow
überlassen zu müssen.
"Aber wieso denn?" entgegnete ich, „Sie sind doch der Spezialist für „supergroße Lebewesen."
"Nun ja, dennoch werde ich mit den Drei Kapitänen fliegen."
"Aber wir brechen in die benachbarte Galaxis auf, das ist eine lange und schwierige Reise!"
"Streitet nicht mit mir", erwiderte Ella entschieden. "Ich hab alles genau durchdacht, wir dürfen uns
nicht für so lange Zeit trennen."
"Und was wird mit den Kindern?" fragte der Erste.
"Die bleiben bei der Großmutter, schließlich tanzt sie nicht jeden Abend im Bolschoi-Theater. Sie
wird sie an den Wochenenden aus dem Kindergarrten zu sich nehmen."
Der Erste sah verlegen zu seinen beiden Freunden hinüber.
Der Zweite neigte zum Zeichen seines Einverständnisses den Kopf.
Der Dritte hob einen seiner sechs Arme.
„Und vergessen Sie nicht", sagte Ella zu mir -- sie hatte offenbar keinerlei
Zweifel gehegt, die drei Kapitäne zu überreden -, daß Sie mir versprochen
haben, den lebenden Planeten zu finden. Dafür bringe ich Ihnen das wunderlichste Tier mit, das
wir in der Nachbargalaxis finden."
Der"Pegasus" startete als erster vorn Mond. Wir waren in Eile, denn die Tiere glich in den Zoo
gebracht werden, damit sie endlich mußten so schnell wie mÖg en. Ella und die drei Kapitäne
begleiteten uns normale Bedingungen bekam zum Schiff und wünschten uns einen guten Flug.
Dann erhob sich der Pegasus" und nahm Kurs auf die Erde. nach den Tieren zu sehen. Die mei-
Ich begab mich in den Laderaum, um sten Käfige standen leer - wir hatten gar zuwenig E
xemplare gefangen. Leer war auch der Käfig, in dem der Ratt gesessen hatte. Wir hatten ihn und
seine beiden Gehilfen auf jenem Planeten ausgesetzt, wo von ihnen soviel Unheil angerichtet
worden war. Dort würde man schon wissen, wie man sie bestrafte.
Ich streckte dem Skliss das letzte Heubündel hin. Er preßte sich mit der Flanke ans Gitter, damit
ich ihn kraulte.
Dann erschien Alissa im Laderaum; hinter ihr im Gänsemarsch die Büsche.
"Na, was ist,“ sagte ich, "wirst du in der Schule was zu erzählen haben ?"
"Alles kann man unmöglich erzählen", Alissa zuckte die Achseln, sie glauben's ja doch nicht."
Sie nahm den Schrubber und half mir beim Säubern der Käfige.
"Stimmt", antwortete ich, "das eine und andere werden sie dir schwerlich abnehmen."
"Bist du unzufrieden mit der Reise?" fragte Alissa. Hast wohl zuwenig Tiere gefangen!“
"Nein, ehrlich, ich bin zufrieden. Wir haben neue Freunde gewonnen. Und was für welche!"
"Du bist in Ordnung, Papa!" lobte mich Alissa. "Weißt du, die Kapitäne haben versprochen, mich in
die andere Galaxis mitzunehmen. Aber keine Angst, nicht gleich auf der ersten Reise. Später,
wenn ich etwas größer bin."
"Von mir aus", sagte ich, "guten Flug!“
"Nun sei doch nicht enttäuscht, Papa, vielleicht nehmen wir dich auch mit. Zoologen werden in
jeder Expedition gebraucht."
"Danke, Alissa, du bist ein echter Freund."
Wir säuberten die Käfige und tränkten die Tiere - wenn wir auf der Erde landeten, sollte alles in
bester Ordnung sein.